i J} i ir ' O O CD Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Vierter Band. ^r7^ Handwörterbuch ^ ^ der Naturwissenschaften Herausgegeben von Prof. Dr. E. KorSChelt-Marburg Prof. Dr. G. Linck-Jena (Zoologie) (Mineralogie und Geologie) Prof. Dr. F. OltmannS-Freiburg (Botanik) Prof. Dr. K. Schaum-Leipzig Prof. Dr. H. Th. Simon-Göttingen (Chemie) (Physik) Prof. Dr. M. Verworn-Bonn Dr. E.Teichmann-Frankfurt a. M. (Physiologie) (Hauptredaktion) Vierter Band Fluorgruppe — Gewebe Mit 924 Abbildungen JENA Verlag von Gustav Fischer 1913 Alle Rechte vorbehalten. Copyright 1913 by Gustav Fischer, Publisher, Jena. Inhaltsübersicht. Nur die selbständigen Aufsätze sind hier aufgeführt. Eine Reihe von Verweisungen findet sich innerhalb des Textes und ein später herauszugebendes Sachregister wird nähere Auskunft geben. F. (Fortsetzung). Seite Fluorgruppe . , , 1 a) Fluor . . ) ] 1 b) Chlor, . 5 c) Brom. . [ Von Dr. F. Sommer, Charlottenburg 17 d) Jod. ", , , 24 e) Mangan. I 34 \Flückiger, Friedrich August. Von Dr. W. Ruhland, Prof., Halle a.' 8. ..... . 42 ^Flüsse. Von Dr. G. W. v. Zahn, Prof., Jena 43 Flüssigkeit. Von Dr. G. Fuhrmann, Dipl.-Ing., Göttingen 73 Flüssigkeiten. Von Dr. K. Drucker, Prof., Leipzig 84 Flüssigkeitsbewegiiiig. Von Dr. L. Prandtl, Prof.^ Göttingen 101 X'Formationen. Geologische Formationen. VonDr.E.vonKoken, weil. Prof., Tübingen 140 — Paläogeographie. Von Dr. Th. Arldt, Radeberg 152 Fortpt'lanziiiig der Gewächse 171 1. Thallophyten 171 a) Algen. Von Dr. F. Oltmanns, Prof., Freiburg i. Br 171 b) Pilze. Von Dr. Ed. Fischer, Prof., Bern 178 2. Archegoniaten. Von Dr. F. O. Bower, Prof., Glasgow 186 a) Moose. Von Dr. G. Tischler, Prof., Heidelberg 187 b) Farne. Von Dr. F. O. Bower, Prof., Glasgow 196 3. Zwischenstufen zwischen Farnen und Samenpflanzen. Von Dr. N. Arber, Prof., Cambridge 212 4. Samenpflanzen. Allgemeines. Von D]-. A. Ernst, Prof., Zürich 227 a) Gymnospermen. I .. t^, . _ ^ r, !■ r,.. ■ x, 229 b) Angiospermen. | ^ ^n Dr. A. Ernst, Prof., Zürich 242 5. Folgen der Bestäubung und Befruchtung. Von Dr. H. Fitting, Prof., Bonn 261 6. Apogamie und Parthenogenesis. Von Dr. H, Winkler, Prof., Hamburg . . 265 7. Physiologie. Von Dr. G. Klebs, Prof., Heidelberg 276 ^Fortpflanzung der Tiere. Von Dr. E. Korscheit, Prof., Marburg i. H 296 ^Fossile Hominiden. Von Dr. Eugen Fischer, Prof., Freiburg i. Br 332 ^Fossil — Fossilien — Fossilisationsprozesse. Von Dr. Th. Brandes, Leipzig . 360 NFoucault, Jean Bernard Leon. Von E. Drude, Göttingen 364 NFourcroy, Antoine Frangois. Von Dr. E. von Meyer, Prof., Dresden 364 \Fourier,' Jean Baptiste Joseph. Von E. Drude, Göttingen 364 Fouriersches Theorem. Von Dr. C. Runge, Prof., Göttingen 365 \v. Fraas, Oskar. Von Dr. O. Marschall, Eisenach 375 \Frank, Albert Bernhard. Von Dr. W. Ruhland, Prof., Halle a. ö 375 F. (Fortsetzung.) Fluorgruppe. a) Fluor, b) Chlor, c) Brom, d) Jod. e) Mangan. In die Fluorgruppe gehören einmal von den Metalloiden die vier Halogene Fluor, Chlor, Brom, Jod, und ferner von den Metallen das Mangan. Die Stellung des letzteren in dieser Gruppe, in der siebenten Vertikalkolumne des periodischen Systems, ist allein gerechtfertigt durch den Isomor- phismus der Perchlorate und Permanganate. In allen anderen Verbindungen ist das Mangan als ein in seinen niederen Oxydationsstufen stark positives Element ganz verschieden von den Halogenen. Diese wiederum bilden eine durchaus einheitliche Gruppe, deren physikalische und chemische Eigenschaften mit steigendem Atomgewicht eine sukzessive Aenderung erfahren. "Für die physikalischen Eigenschaften beweist dies folgende Tabelle: Atomgewicht Schmelzpunkt Siedepunkt Spez. Gewicht (t'l. u. fest) Cl Br 19,0 35,46 , 79,92j 126,92 233,0^—102,0 ,— 7,0 '+113,0 — 187,0 d-2001,14 — 33,0 d- 33 1,5 07 + 63,0 +200,0 do^3,i8: dL4,93 Die graduelle Aenderung der chemischen Eigenschaften mit dem Atomgewicht erhellt am klarsten aus dem Verhalten der Halogene zum Wasserstoff und Sauerstoff Die Ver- wandtschaft zum Wasserstoff nimmt mit steigendem Atomgewicht ab. Fluor verbindet sich bereits in der Kälte mit diesem, Jod erst bei höherer Temperatur zu dem leicht dis- soziierbaren Jodwasserstoff. Umgekehrt sind die Sauerstoffverbindungen um so beständiger, je höher das Atomgewicht des Halogens ist. So verdrängt ein Halogen mit niedrigerem Atomgewicht ein Halogen von höherem Atomgewicht aus seinen Wasserstoffver- bindungen, während andererseits ein Halogen von höherem Atomgewicht ein solches mit niedrigerem Atomgewicht aus seinen Sauer- stoffverbindungen abscheidet, entsprechend den Gleichungen: HBr + Cl - HCl + Br HCIO3 + J = HJO, + Cl Das Molekül der Halogene besteht aus zwei Atomen, das Molekulargewicht ist also das doppelte des Atomgewichts. a) Fluor, F. Atomgewicht 19,0. Molekulargewicht 38,0. 1. Atomgewicht. 2. Vorkommen. 3. Ge- schichte. 4. Darstellung. 5. Formarten und physikalische Konstanten. 6. Valenz und Elektro- chemie. 7. Analytische Chemie. 8. Spezielle Chemie. 9. Spektralchemie. 1. Atomgewicht. Das Atomgewicht des Fluors besitzt nach der internationalen Atomgewichtstabelle vom Jahre 1912 den Wert 19,0. Der Name Fiuor leitet sich ab von fluo = ich fließe, da die älteste bekannte Fluorverbindung, der Flußspat, zu Schmelz- flüssen verwandt wurde. 2. Vorkommen. Das Fluor kommt, wie überhaupt die Halogene, infolge seiner großen Verwandtschaft zu anderen Elementen in freiem Zustande in der Natur nicht vor. In manchen Flußspaten hat man aller- dings den charakteristischen Fluorgeruch wahrnehmen können, so daß man es hier vielleicht mit spurenhaften Okklusionen von elementarem Fluor zu tun hat. Im Mineralreich ist das Fluor ein ziemlich ver- breitetes Element. Hauptsächlich findet es sich als regulär kristallisierendes Calcium- fluorid, CaFo, gewöhnlich Flußspat oder Fluorit genannt, ferner in Grönland als Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV. riuorgruppe (Fluor) Doppelsalz von Fluoriiatrium und Fluor- aluminium, SNaF.AlFg, als sogenannter Kryolith, außerdem in vielen Silikaten. ■ Spuren von Fluorverbindungen hat man in zahlreichen Mineralwässern gefunden. Interessant ist das Vorkommen im tierischen und i^flanzlichen Organismus. Der Zahn- schmelz, sowie die Knochen enthalten das Element als Calciumfluorid, außerdem hat man kleine Mengen im Blut, im Gehirn und in der Milch nachweisen können. Pflanzenasche ist selir häufig fluorhaltig. 3. Geschichte. Der Flußspat war schon im Mittelalter bekannt als Zuschlag beim Schmelzen von Erzen und als Aetzmittel für Glas. In Scheeles, Priestleys, Gay- Lussacs und Thenards Arbeiten findet sich zuerst die Darstellung des Fluorw^isser- stoffs beschrieben. Borfluorid und Sili- ciumfluorid wurden besonders durch Davys Untersuchungen bekannt. Ampere (1810) gebührt das Verdienst, als erster die wahre Natur des Fluorwasserstoffs als Analogon des Chlorwasserstoffs erkannt zu haben. Berzelius(1824) studierte sodann eingehend die Fluoride. Elementares gasförmiges Fluor wurde erst im Jahre ISSß von Moissan dar- gestellt, flüssiges im Jahre 1897 und festes im Jahre 1903 von Moissan und De war. 4. Darstellung. Fluor wird durch Elek- trolyse einer Lösung von Fluorkalium in wasserfreier Flußsäure dargestellt. Der Zu- satz von Fluorkalium ist notwendig, da die wasserfreie Säure ein Nichtleiter der Elek- trizität ist. Der Versuch kann in einer U-förmigen Platinröhre ausgeführt werden, die mit Stopfen von Flußspat versehen ist, durch welche Elektroden aus Platiniridium gehen. Durch seitlich angesetzte Abzugs- rohre entweichen die Produkte der Elektro- lyse, anodisches Fluor und kathodischer Wasserstoff. An Stelle der sich rasch ab- nutzenden Platinapparatur läßt sich zweck- mäßig eine solche aus Kupfer verwenden, da das sich bildende Kupferfluorid fest auf dem Metall haftet und es vor weiterer Ein- wirkung schützt. Die Elektroden dagegen müssen aus Platiniridium bestehen. Der Apparat wird mit einem Gemisch von Aceton und fester Kohlensäure auf ungefähr — 50" gekühlt und die Elektrolyse mit einem Strome von 50 Volt und 20 Ampere durchgeführt. Um das entweichende Fluor von mitgeris- sener Flußsäure zu reinigen, leitet man es am besten durch eine mit flüssiger Laft gekühlte Kupferschlange. Auf diese Weise lassen sich bequem pro Stunde 8 1 Gas dar- stellen. Der zunächst von Moissan angenom- mene Mechanismus der Reaktion, wonach pri- mär aus Kaliumfluorid Kalium und Fluor gebildet wird und ersteres sodann den Fluor- wasserstoff unter Wasserstoffentwickelung zersetzt, scheint zweifelhaft zu sein, viel- mehr spielt offenbar als Platinfluorid in Lösung gegangenes Platin bei dem Prozeß eine Rolle, denn anfangs erfolgt die Elektro- lyse ganz ungleichmäßig und erst nach ein bis zwei Stunden findet regelmäßige Zer- setzungstatt. Durch flüssigen Sauerstoff kann das gasförmige Element bei — 187° zu einer hellgelben Flüssigkeit verdichtet werden, durch weiteres Abkühlen in flüssigem Wasser- stoff erstarrt das flüssige Fluor zu einer gelben kristallinischen Masse, die nach einiger Zeit farblos wird. 5. Physikalische Eigenschaften und 1 Konstanten. Drs Fluor ist ein blaßgelbes Gas von stechendem, an unterchlorige Säure j erinnerndem Geruch. In dicken Schichten I (50 cm) sieht es deutlich grüngelb aus, gibt aber selbst bei 1 m Schichtdicke noch keine Absorptionsstreifen. Die Dichtebestim- mungen des Fluors ergaben als mittleren Wert 1.31 (bezogen auf Luft), eine Zahl, die dem theoretischen, aus dem Atomgewicht berechneten Wert 1.316 sehr nahe kommt. Das flüssige Fluor bildet eine hellgelbe Flüssigkeit, die bei — 187^^ siedet und das 1 spezifische GeAvicht d-'^*'° = 1.14 besitzt. ! Das feste Fluor besitzt den Schmelzpunkt — 233» 6. Valenz und Elektrochemie. Das Fluor ist stets einwertig. Die Neigung mancher Fluoride saure Salze, wie KHFg, zu bilden und die Tatsache, daß der Fluor- wasserstoff bei 25*^ eine Dampfdichte ent- sprechend der Formel H2F2 und erst bei lOO'' die normale HF besitzt, deutet nicht auf eine höhere Valenzstufe hin, sondern ist auf Assoziation zurückzuführen. iVus Leit- fähigkeitsmessungen am Fluorkalium geht nach der Ostwald-Waldenschen Regel aus der Differenz der Aequivalentleitfähig- keiten für die Verdünnungen 1024 und 32, /lj(,24 — A02 = 10.6, klar die Einweitigkeit des Fluorions heivor. Das Fluorion ist farb- los. Das Normalpotential, entsprechend dem Vorgang 2F' -> F^ (-asf ), ist nicht wie das der übrigen Halogene unmittelbar be- stimmbar, es ward zu +1,9 Volt ange- nommen. Die Beweglichkeit des Fluorions beträgt bei 18": Ijg = 46.6, der Temperatur- koeffizient: «13 = 0.0238 (Kohlrausch). ' Das Fluor ist auch ein häufiger Bestandteil komplexer Anionen. Namentlich in den Doppelfluoriden, die nach der Werner- scheu Nomenklatur zweckmäßiger als Fluorosalze bezeichnet werden, spielt es eine Rolle. Die chemische Formuherung der wichtigsten Fluorosalze geht aus der folgen- den Zusammenstellung hervor: RafAlFJ, Ro FeF, SiF, NiF 6j, RJCrFei, ^ R.LTiFe], R.^lTlFg Ro[ZrFe R.^iSuFe], R^lCoF,], 7. Analytische Chemie. 7a) Qualita- tive Analyse. Der qualitative Nachweis Fluorgruppe (Fluor-) 8 von Fluor beschränkt sich im wesentlichen auf sein Vorkommen in Salzform z. B. als Calciumfluorid. Die wichtigsten Erkennungs- zeichen sind hier die folgenden: Konzentrierte Schwefelsäure entwickelt in der Wärme Fluorwasserstoff. Wird die Operation in Glasgefäßen vorgenommen, so reagiert der Fluorwasserstoff mit der Kieselsäure des Glases nnter Bildung des leicht flüchtigen Siliciumfluorids SiF4. Hält man in das Gefäß einen befeuchteten Glas- stab, so zersetzt sich das gebildete SiF^ mit dem Wasser unter Bildung von Kieselfluor- wasserstoffsäure und Kieselsäurehydrat, welch letzteres durch eine Trübung am Glasstab zu erkennen ist. Die sich hierbei abspielenden Vorgänge sind die folgenden: CaFa + H2SO4 = CaSO^ + 2HF SiOa + 4HF = SiF^ + 2H2O 3SiF4 + 4H2O = 2H2SiFe + SifOH)^. Arbeitet man in Platingefäßen, so bildet sich, falls Kieselsäure abwesend ist, kein SiF^, die Umsetzung mit HoO bleibt also aus ; sie tritt aber sofort ein, wenn man etwas Kieselsäure zusetzt. — Ein weiteres wichtiges Erkennungs- zeichen ist die Eigenschaft des HF, Glas zu ätzen, eine Keaktion, die nichts weiteres als den Umsatz des HF mit der Kieselsäure des Glases zu SiF^ vorstellt. Zu diesem Zweck bringt man das Fluorid mit konzentrierter Schwefelsäure gemischt in einen Platintiegel, bedeckt denselben mit einem teilweise paraf- finierten, auf der konkaven Seite mit Wasser gekühlten Uhrglas und erhitzt vorsichtig. Hierbei werden die nicht paraffinierten Stellen des Glases geätzt. Sind nur geringe Mengen Fluor anwesend, so läßt man in der angegebenen Anordnung 12 Stunden kalt stehen und erwärmt erst dann kurze Zeit. Ist in dem zu untersuchenden Mineral Kieselsäure zugegen, so erhält man keine Aetzung, da das sich bildende SiF4 Glas nicht angreift. Man schließt in solchen Fällen die Substanz durch Umsatz des fein pulveri- sierten Minerals mit der zirka 6 fachen Menge Soda auf, laugt die Schmelze mit Wasser aus und scheidet durch 12 stündiges Stehenlassen der Lösung unter Zusatz von viel Ammoncarbonat und schwachem Er- wärmen die Kieselsäure ab. Nach der Fil- tration neutralisiert man, gibt noch einen kleinen Ueberschuß von Soda hinzu und fällt das Fluor mittels Calciumchlorid als CaF, aus, welches nun die Aetzprobe unter den angegebenen Bedingungen deutlich zeigen muß. Entsprechend den Löslichkeitsverhält- nissen der Fluoride gibt das Fluorion mit Silbernitrat keinen Niederschlag, wohl aber mit Baryumchlorid und, wie oben schon er- wähnt, mit Calciumchlorid. Die Nieder- schläge sind weiße voluminöse Fällungen. die nur in einem großen Ueberschuß von Mineralsäuren löslich sind. 7b) Quantitative Analyse. Die gravimetrische Bestimmung des Fluors wird mit Hilfe des schwerlöslichen Calcium- fluorids durchgeführt. Hat man Flußsäure oder saure Salze derselben, so neutralisiert man mit Soda, gibt noch einen kleinen Ueber- schuß von Natriumcarbonat hinzu, um den Niederschlag gut filtrierbar zu machen, und fällt siedend heiß mit Calciumchlorid. Man filtriert, wäscht den Niederschlag mit heißem Wasser aus und verascht das Filter. Jetzt verwandelt man durch Zufügen von Essigsäure das mitgefällte Carbonat in Acetat, dampft zur Trockne und nimmt mit Wasser auf. Bei der nachfolgenden Filtration hat man reines CaFg, welches gut ausgewaschen und im Platintiegel zur Wägung gebracht wird. Auch m a ß a n a 1 y t i s c h läßt sich der Fluorgehalt bestimmen. Die Methode beruht auf der Ueberführung der Flußsäure mittels Kieselsäure in leichtflüchtiges SiF4, das sich in einer wässerig alkoholischen Kaliuni- chloridlösung zunächst mit dem Wasser in Kieselsäurehydrat und Kieselfluorwasser- stoff und dann weiter mit KCl in schwer- lösliches Kaliumsiliciumfluorid und Salz- I säure umsetzt , die nun titriert werden kann. Ueber die genaue Ausführung dieser Bestimmung siehe Tread well, Kurzes Hand- buch der analytischen Chemie, Bd. IL Dort ' findet man auch die Beschreibung der häufig j angewandten gasvolu metrischen ! Bestimmung des Fluors als SiF^ nach der 'Hempel- und Oettelschen Methode. 8. Spezielle Chemie. 8a) Allgemeines Verhalten des Fluors. Fluor ist das j reaktionsfähigste Element, das wir kennen. 1 Es verbindet sich momentan in der Kälte i und im Dunklen mit Wasserstoff unter röt- i licher Flamraerscheinung zu Fluorwasser- ! Stoff. Merkwürdig ist seine Lidifferenz gegen- über Sauerstoff auch in der Form von Ozon. I Schwefel, Selen und Tellur dagegen verbinden , sich sofort bei gewöhnlicher Temperatur und : bilden die entsprechenden Fluoride. Auf ! Stickstoff und Stickstoffoxydul wirkt das Element selbst bei Rotglut nicht ein, auf 1 Stickstoffdioxyd bei gewöhnlicher Tempera- j tur nicht. Stickoxyd verbindet sich jedoch ! sofort unter Flammerscheinung. _ Salpeter- I säure und Ammoniak werden heftig zersetzt. Phosphor und Arsen reagieren unter Licht- erscheinung. Von den Halogenen verbindet sich das Chlor nicht mit dem Fluor, wohl aber Brom und Jod unter Feuererscheinung. Bei Gegenwart von Wasser wird Chlor und Brom zu HCIO und HBrO bezw. HBrOg oxydiert. Sehr energisch ist auch die Einwirkung auf die Halogenwasserstoffsäuren. HCl, HJ und HBr werden auch in wässeriger Lösung 1* Fluorgruppe (Fluor) unter Fiammerscheiiiung zersetzt, und ebenso findet eine heftige Reaktion mit Flammen- bild iiiig in der Flüssigkeit statt, wenn man Fluorgas in eine 50%ige Flußsänrelösung einleitet. Bor, Silieium und Kohlenstoff reagieren mit Fluor äußerst heftig unter Lichterscheinung. Organische Substanzen entzünden sich, besonders -wenn sie sehr wasserstoffhaltig sind, unter Bildung von Fluorwasserstoff" und Kohlenstofffluoriden. Schwefelkohlenstoff verbrennt in der Kälte sofort unter Bildung von Schwefel und C- haltigen Fluoriden. Kohlenoxyd und Kohlen- dioxyd dagegen reagieren nicht. Blausäure wiederum wird momentan zerstört. Oxyde, Sulfide, Halogenide, Cyanide werden all- gemein heftig angegriffen. Aeußerst lebhaft ist auch die Einwirkung auf Metalle, von denen die der Mkalien und der alkalischen Erden, sowie Blei und Eisen bereits heftig bei gewöhnlicher Temperatur reagieren. Kupfer wird durch die Bildung einer oberflächlichen Schicht von Kupfer- fhiorid geschützt. Beim Aluminium, Mangan, Nickel, Kobalt und Silber beginnt die Ein- wirkung erst beim schwachen Erwärmen. Am widerstandsfähigsten sind die Edel- metalle, Gold verbindet sich bei Rotglut langsam mit dem Fluor, Palladium, Iridium und Ruthenium erst bei Dunkelrotglut. | Platin reagiert bei 500 bis 600^* unter Bildung von Platintetrafluorid. Besonders charakteristisch für die große Reaktionsfähigkeit des Fluors ist die Tat- sache, daß selbst flüssiges oder festes Fluor gewissen Elementen gegeiuibor seine Affinität noch äußerst iieftii;- zum Ausdruck bringt. Es findet mit flüssigem Wasserstoff momen- tane Bildung von Fluorwasserstoff statt, und auch Schwefel, Selen, Phosphor, Arsen und Antimon verbinden sich bei diesen tiefen Temperaturen sofort unter Feuererscheinung. 8b) Verbindungen des Fluors. Fluorwasserstoffsäure, HF, (ge- wöhnlich Flußsäure genannt). Man erhält sie durch Destillation aus einem Gemisch von fein gepulvertem Fluorcalcium (Fluß- spat) mit konzentrierter Schwefelsäure in Blei-, Gußeisen- oder Platinretorten, wobei man als Vorlage ein Gefäß aus dem gleichen Material benutzt. Der Vorgang entspricht der Gleichung: CaFa + H2SO4 = CaSO^ + 2HF. Auch Kryolith läßt sich an Stelle von Fluß- spat verwenden. Die Säure wird am besten in Cercsinflaschen aufbewahrt. Handelt es sich um die (jewinnung von ganz wasserfreier Flußsäure, so benutzt man das saure Kaliumsalz, KHFg, welches zweck- mäßig, um die letzten Spuren Wasser zu entfernen, vorher vorsichtig geschmolzen wird. Man arbeitet hier am besten mit einer vollständig geschlossenen Platin- oder Kupfer- api)aratur. Das Erhitzen muß lane;sam und vorsichtig geschehen und wird schließlich auf Rotglut getrieben. Die Vorlage muß wegen der leichten Flüchtigkeit der Säure mit einer Kältemischung von I^is und Chlor- calcium gekühlt werden. Die erhaltene Säure wird zur vollständigen Reinigung noch einmal auf einem Wasserbade destilliert. Die wasserfreie Säure stellt eine farblose, leicht bewegliche Flüssigkeit vor, die an der Luft stark raucht und sehr hygroskopisch ist. Ihr Dampf besitzt einen stechenden, stark sauren Geruch und greift die Atmungs- organe sowie die Haut stark an. Die Säure ist daher äußerst vorsichtig zu handhaben. Das spez. Gewicht beträgt di2«' = 0.9879. Der Siedepunkt liegt bei 19.4", also enorm hoch, wenn man bedenkt, daß flüssiger Chlor- wasserstoff bei — 83.7° kocht. Der Schmelz- punkt liegt bei — 92.3'^. Die wasserfreie Säure ist ein Nichtleiter der Elektrizität. Mit Wasser ist die Säure wie alle Halogenwasser- stoffsäuren unter starker Wärmeentwickelung in jedem Verhältnis mischbar. Destilliert man eine konzentrierte Säure, so entweicht zuerst HF- Gas und die Säure verdünnt sich, geht man umgekehrt von einer schwächeren Säure aus, so destilliert anfangs eine ganz verdünnte Säure, bis man schließ- lich in beiden Fällen bei 111" und 750 mm eine Säure von 43.2% mit dem spezifischen Gewicht d^» = 1.138 erhält. Die Flußsäure ist eine relativ schwache Säure, um vieles schwächer als z. B. die Chlorwasserstoffsäure, wie Bestimmungen der Inversionsgeschwindigkeit ergeben. Die Inversionskonstante ist 17 mal kleiner als diejenige einer äquivalenten Salzsäure und reiht sich zwischen die Werte für die Mono- chloressigsäure und die Phosphorsäure ein. Auch der Dissoziationsgrad a, berechnet aus der molekularen Leitfähigkeit a = -'— ^, und die Dissoziationskonstante, durch die ein- fache Ostwaldsche Verdünnungsformel «2 K = 73 ausgedrückt, bringen die (1— a)v » * Schwäche der Säure zum Ausdruck. Die Konstante beträgt : 10^ K= 0.0826 (diejenige der Monochloressigsäure ist 0,155). Der Dissoziationsgrad erreicht bei einer Ver- dünnung von 1 Mol in lOCO 1 erst 50%. Für die Bildungswärme des Fluorwasser- stoifs gelten die folgenden Gleichungen: H + F(Gas'. = HF^Gas) + 38900 cal. ; H + F(Gas) = HF(fl. , -f 45 700 cal. Die Neutralisationswärme (NaOH aq.HF aq.) beträgt 16272 cal, übertrifft also bei weitem diejenige der anderen Halogenwasserstoff- säuren. Die Dampfdichte der Säure besitzt bei ihrem Siedepunkt (19.4») einen Wert, der zwischen den Formeln (HF)4 und (HF)3 Fluorgrvippe (Fluor — Chlor) liegt, und erreicht erst bei 88.1" den nor- malen Wert 20.58. Von Hydraten der Säure kennt man bis- her nur das Monohydrat HF.H2O, ent- sprechend einem Gehalt von 52.3% HF. Es kristallisiert aus einer 5% Säure bei— 45". Metallen und Metalloxyden i-cgenüber verhält sich die Flußsäure t(>ils ähnlich wie die anderen Halogenwasserstoffsäuren, teils weist sie bemerkenswerte Unterschiede auf. Die wässerige Säure löst Metalle, wie Kobalt, Nickel, Magnesium, Zink, Kadmium und Eisen rasch unter Wasserstoffentwicke- lung zu den entsprechenden Fluoriden, langsamer das Kupfer und merkv;ürdiger- weise auch das Silber. Schwieriger erfolgt der Angriff der wasserfreien Säure. Hier bedarf es erst eines Erhitzens auf Rotglut. Von den Salzen der Säure sind das Silbersalz und die Salze der alkalischen Erden charak- teristisch von denen der übrigen Halogen- wasserstoffsäuren verschieden. AgF ist leicht löslich, CaFg völlig unlöslich. Auch das Aluminiumsalz ist schwer löslich. Neben den normalen Fluoriden von der allgemeinen Formel MeF existieren saure Fluoride, von denen das KHFo, wie erwähnt, eine wichtige Rolle bei der Darstellung des elementaren Fluors spielt. Nach Moissan bereitet man dasselbe am bequemsten, indem man zu 40 bis 60% Flußsäure die zur Bildung des sauren Salzes notwendige Menge KoCOg fügt. Allmählich kristallisiert hierbei das Salz KHF2 aus, das zwischen Filtrierpapier und dann im Vakuum getrocknet wird. Von Wichtigkeit sind auch die Doppelfluoride, ent- standen durch Vereinigung einfacher Fluoride. Nach Werners Vorschlag (Neuere Anschau- ungen auf dem Gebiete der anorganischen Chemie, Braunschweig) bezeichnet man sie zweckmäßig als Fluorosalze. Das bekann- teste Beispiel ist der Kryolith NagfAlFg]. Auch das entsprechende Eisensalz, welches man durch Zusatz von Ferrichlorid zu kon- zentrierten Läsungen von Fluoralkalien als weißen kristallinischen Niederschlag erhält, gehört in diese Reihe. Die Verbindungen stellen Alkalisalze der komplexen Ferri- bezw, Aluminiumfluorwasserstoffsäure dar, da in derFerriverbindungz. B. die Reaktionen auf Ferriion ausbleiben. Weitere Fluorosalze finden sich im Abschnitt 6 angeführt. Charakteristisch für die Flußsäure ist, daß sie organische Substpnzen mit großer Hef- tigkeit angreift. Papier, Baumwolle, Seide, Gelatine usw. werden in dicke, klebrige Flüssigkeiten verwandelt. Kork wird durch den Säuredampf verkohlt. Borfluorid, BFg, entsteht aus HF und Borsäure als farbloses, stechend riechendes, an der Luft stark rauchendes Gas, das sich bei — 110" unter starkem Druck verdichten läßt. Fluorstickstoff, als Analogon zum Chlorstickstoff, scheint nicht existenzfähig zu sein. Schwefelhexafluorid, SFg, wird durch direktes Ueberleiten von Fluor über Schwefel erhalten. Man kondensiert das entstehende Gas durch eine Kältemischung von Kohlensäure und Aceton in einem kupfernen Schlangeiuohr. Zur Rektifika- tion wird die Flüssigkeit noch einmal vor- sichtig verdampft und das Gas mit Natron- lauge gewaschen. Man erhält auf diese Weise das reine Hexafluorid als farbloses und merkwürdigerweise geruch- und geschmack loses Gas, das bei — 55" zu einer weißen kristallinischen Masse erstarrt und wenig oberhalb seines Schmelzpurüctes siedet. Das chemische Verhalten dieses Stoffes ist ein ganz auffallend träges. Auf analoge Weise kann das Selenhexafluorid synthetisiert werden. Thionylfluorid, SOF2, entsteht aus AsFg und"^S0Cl2 durch halbstündiges Er- hitzen im Bombenrohr auf 100". Es bildet ein farbloses, unangenehm riechendes Gas vom Siedepunkt — 32". Von Wasser wird es allmählich zersetzt. Sulfurylfluorid, SO2F2, wird durch Einwirkung von Fluor auf gasförrrriges SO2 erhalten, wobei die Reaktion mittels eines glühenden Platindrahtes eingeleitet werden muß. Das Produkt ist ein färb- und geruch- loses Gas, das gegen Wasser zienüich be- ständig ist. Der Siedepunkt liegt bei zirka — 52", der Schmelzpunkt bei — 120". Fluorsulfonsäure, SO3HF. Die der Chlorsiüfonsäure entsprechende Fluorsulfon- säure entsteht durch direkte Vereinigung von SO3 und HF als dünne farblose Flüssig- keit vom Siedepunkt 162.6". 9. Spektralchemie, Das Funkenspektrum des Fluors weist 13 Linien im roten Gebiet des Spektrums auf, entsprechend den Wellen- längen 744, 740, 734, 714, 704, 691, 687,5, 685,5, 683,5, 677, 640,5, 634, 623. Literatur. H. Moissan, Das Fluor und seine Verbindungen. Deutsche Ausgabe von 21i. Zettel. Berlin 1900. — Gitielin- Kraut, Handbuch der organischen Chemie, Bd. I, Abt. 2. Heidelberg 1909. F. Sommer. b) Chlor, Cl. Atomgewicht 35.46- Molekular- gewicht 70,92. 1. Atomgewicht. 2. Vorkommen, 3. Ge- schichte. 4. Darstellung und Verwendung. 5. Formarten und physikalische Konstanten. 6. Valenz und Elektrochemie. 7. Analytische Chemie. 8. Spezielle Chemie. 9. Spektralchemie. I, Atomgewicht, Das Chlor besitzt nach der internationalen Atomgewichts- tabelle 1912 das Atomgewicht 35,46. Fluorgruppe (Clilor) 2. Vorkommen. Das Chlor kommt in freiem Zustande in der Natur nicht vor. es findet sich jedoch häufig, zum Teil in mächtiiren Lagern, in Form von Chloriden, namentlich an Natrium, Kalium und Magne- sium gebunden , als Steinsalz , Sylvin und Carnailit. Diese Ablagerungen' sind in vergangenen geologischen Perioden durch die \'erdunstung von Meerwasser entstanden. Auch Silber-, Blei-, Eisen- und Kupferchloride kommen natürlich vor, allerdings nur in kleinen Mengen. Infolge der großen Lös- lichkeit vieler Chloride kann das Chlor den Gesteinen durch atmosphärische Nieder- schläge leicht entzogen werden. Man findet es daher in allen Solen in reichlichen Mengen. Chloride finden sich ferner m jedem Fluß- wasser, das seinen Salzgehalt wiederum dem Meere zuführt. So bildet das Chlor mit 2.08% einen wesentlichen Bestandteil des Ozeans, Im pflanzlichen und tierischen Organis- mus ist das Chlorion ein unentbehrlicher Be- standteil. Pflanzenaschen enthalten daher stets Chlormetalle. Auch der Magensaft, ebenso wie Blut, Harn. Milch und Eiweiß sind stets chloridhaltig. 3. Geschichte. Scheele entdeckte im Jahre 1774 bei der Oxydation von Salzsäure durch Braunstein das Chlor, welches er nach den damaligen Anschauungen als dephlo- gistisierte Salzsäure bezeichnete. Berthollet dagegen, unter dem Einfluß der antiphlogis- tischen Chemie, sprach iiu Jahre 1785 das Chlor als oxygenierte Salzsäure an. Gay- Lussac und Thenaid gelang es dann schließlich im Jahre 1809, gestützt auf exakte Versuche, die elementare Natur des Chlors zu erkennen. Davy schloß sich diesen Anschauungen an, und von ihm rührt auch der Name des Elements her, abgeleitet von //woo^• gelblichgrün. 4. Darstellung und Verwendung. 4a) Darstellung für Laboratoriums- z wecke. Durch Erhitzen von Braunstein mit konzentrierter Salzsäure. Nach der Gleichung MnOa + 4HC1 = MnCla + 2H2O + CL wird die Hälfte des Chlorgehaltes "der sich um- setzenden Salzsäure in Chlor verwandelt, es ist jedoch zu berücksichtigen, daß eine Säure mit weniger als 8"o HCl kaum mehr reagiert. Ganz aiKilog läßt sich natürlich auch Kochsalz, Schwefelsäure und Braunstein verwenden. Eine bequeme Methode ist auch die Oxydation der Salzsäure durch Chlorkalk, die leicht im Kippschen Apparat durch- geführt werden kann und einen kontinuier- lichen Chlorstrom zu liefern vermag. Andere Oxydationsmethoden sind die Zersetzung der Salzsäure mittels Per- manganat oder Kaliumbichromat, die haupt- sächlich Anwendung finden, wenn es sich um die Darstellung bestimmter Mengen sehr reinen Chlors handelt. Auch der LTmsatz von Kaliumchlorat mit konzentrierter Salzsäure nach der Gleichung ] KCIO, + 6HC1 = KCl + 3H,0 + SClg bietet I ein einfaches Mittel, sich füi Laboratoriums- j zwecke Chloigas herzustellen. i 4b) Technische Darstellung. Die j schon erwähnte Darstellung des Chlors aus j Braunstein und Salzsäure besitzt technische j Bedeutung durch die Tatsache, daß es nach dem sogenannten We Idon verfahren mög- lich ist, die abfallende, sonst wertlose, Mangan - chlorürlauge durch Zusatz von überschüs- sigem Kalk in Manganhydroxyd zu ver- wandeln, das bei Gegenwart von Kalk durch den Sauerstoff der Luft in Calciiim- manganit : /OH H()\ 0 = Mn — 0 — Ca — 0 ^ Mn = 0 ( W e 1 d 0 n s c h ] a m m ) , also in vierwertiges Mangan, rückverwandelt werden kann. Dieses letztere vermag mit konzentrierter Salz- säure neue Mengen Chlorgas zu liefern. Nach dem Deacon-Verfahren läßt man zur Chlordarstellung ein Gemisch von Luft und Chlorwasserstoff durch auf 350 bis 400'' erhitzte Röhren streichen, in denen sich mit Kupferchlorid getränkte Ziegel befinden. Da Luft in großem Ueberschuß vorhanden sein muß, erhält man hierbei nur ein verdünntes Chlorgas. Bei diesem Prozeß handelt es sich um eine reine Katalyse, bei der die Kupfer- chloride den Sauerstoffüberträger spielen. Die Katalyse dieses HCl-Luftgemisches ist also ganz ähnlich der des SOa-Luftgemisches beim Schwefelsäurekontaktprozeß, auch in- sofern als die Reaktion bei höherer Tem- peratur umgekehrt in der Richtung 2HoO + 2CI2 -> 4HC1 + 0, verläuft. Gewisse Chloride Averden durch Sauer- stoff unter Freiwerden von Chlor zersetzt, z. B. das Magnesiumchlorid, das im Luft- strom erhitzt nach der Gleichung: 2MgCl<> + O2 S 2MgO + 2CI2 zerfällt. Da die Staß- furter Salzindustrie Magiiesiumchlorid in großen Mengen als iVbfallprodukt liefert, kann auch diese Methode technisch ausge- 1 nutzt werden. Das feuchte Chlorid wird, um I Hydrolyse zu vermeiden, in Gegenwart eines I Ueberschusses von Oxyd getrocknet und in i diesem Zustande verwandt. Auch bei diesem ! Prozeß erhält man nur ein verdünntes j Chlorgas. 1 Die Hau])tmenge des heutzutage von der Technik produzierten Chlors ist elektro- I lytischen Ursprungs und wird als Neben- produkt bei der Alkalielektrolyse gewonnen. Die Verhältnisse liegen bereits derart, daß sich in den letzten Jahren entsprechend den 1 enormen von der Technik benötigten Mengen ' kaustischen Alkalis eine Ueberproduktion Fluorgruppe (Clilor) des in äquivalenten Mengen entstehenden Chlors bemerkbar gemacht hat, und man nach neuen Verwendungsmöglichkeiten für Chlor eifrig sucht. Die Wege, die bei der Elektrolyse von wässeriger Kalium- bezw. Natriumchlorid- lösung eingeschhigon werden, sind das Dia- phragnuMuerlaluiMi, das Glockenverfahren und das Quecksilberverfahren. Beim ersteren trennt man den Anodenraum vom Kathoden- raum durch ein poröses Diaphragma. Beim Glockenverfahren verhindert man die gegen- seitige Vermischung von Kathoden- und Anodenlaugen durch eine nicht leitende, nicht poröse Scheidewand, während die von den Elektrodengasen nicht getroffenen Fliis- sigkeitsschichten frei miteinander in Ver- binduujs^ stehen. Beim Quecksilberverfahren schließlich entsteht an der Kathode an Stelle von Alkalihydrat und Wasserstoff Alkali- amalgam, welches außerhalb der Zelle unter Kegenerierung des Quecksilbers und Bildung von Alkalihydroxyd zerlegt wird. In einem gut arbeitenden elektrolytischen Betrieb kann ein fast reines Ghlorgas gewonnen werden. Auch durch Elektrolyse von geschmol- zenem Natriumchlorid wird an den Niagara- fällen Chlor dargestellt. Ueber die Einzel- heiten dieser elektrolytischen Prozesse siehe die „Elektrocheniie wässeriger Lö- sungen" von F. Förster, Leipzig 1905. Findet das Chlor nicht an Ort und Stelle im Betriebe Verwendung, so wird es ver- flüssigt und in eisernen Bomben zum Ver- sand gebracht. Derartige Bomben ent- halten ca. 50 bis 60 kg Chlor, entsprechend 15000 bis 18000 1 Gas, und sind auf 50 x\tmosphären Druck geprüft. Eine Explo- sionsgefahr tritt infolgedessen, da die Dampf- spannung des flüssigen Chlors bei 100° 41.7 Atmosphären beträgt, erst oberhalb dieser Temperatur ein. 4c) Verwendung. Chlor wird in großen Mengen für die Bereitung bleichender und desinfizierender Stoffe verwendet (Eau de Javelle, Eau de Labarraque, Chlorkalk). Ferner verbraucht namentlich die organische Technik große Quantitäten für Chlorierungs- prozesse,'z. B. zur Herstellung von Chloro- form, Tetrachlorkohlenstoff, Chloral, Benzyl- chlorid, ferner von Monochloressigsäure für die Synthese des künstlichen Indigos. 5. Formarten und physikalische Kon- stanten. 5a) Gasförmiges Chlor. Chlor ist ein gelblich grünes Gas von erstickendem Geruch, das die Atmungsorgane heftig an- greift, Hustenreiz und Atemnot verursacht, jedoch nicht giftig ist in dem Sinne wie etwa der Schwefelwasserstoff, das Stickoxyd oder das Kohlenoxyd. Das Gas ist, da es sich nicht mit Sauerstoff verbindet, nicht brenn- bar. Die Dichte beträgt d" = 2.490 (Luft = 1) bezw. 35.46 (0 = 16), demnach ist Chlorgas etwa 2.2 mal so schwer als Sauerstoff und ca. 2.5 mal so schwer als Luft. 1 1 Chlor wiegt unter Normalbedingungen (0" und 760 mm Druck) 3.208 g. Bis 1450» (abs.) bleibt die Dichte des Chlors normal. Das Chlormolekül ist also relativ beständig, erst bei 1667» be- trägt die Dissoziation 1%. Eine Spaltung um 500/0 wird bei 2357« erreicht. Die spezifische Wärme bei konstantem Druck (C|,) ist gleich 0.1155, die bei kon- stantem Volumen Cv = 0.087531. Demnach ist K = cp:cv = 1.323. 5b) Flüssiges Chlor. Chlorgas ver- dichtet sich unter gewöhnlichem Druck bei ca. —34" zu einer gelben Flüssigkeit, die den elektrischen Strom nicht leitet. Der Sdp. liegt bei — 33.6o unter 760 mm Druck. Das spezifische Gewicht beträgt d-^^*' = 1.5071. Der Ausdehnungskoeffizient besitzt für das Litervall — 80 bis — 33.6° den Wert 0.001409, für das Intervall —30" bis ± 0» den Wert 0.001793. Die spezifische Wärme zwischen 0 und 24" ist 0.2262. Die kritische Temperatur liegt bei 146°, der zugehörige kritische Druck beträgt 93,5 Atmosphären. 5c) Festes Chlor. Es entsteht durch Abkühlen von flüssigem Chlor auf — 102° und bildet eine gelbe kristallinische Masse. 6, Valenz und Elektrochemie. Das Chlor kommt wie Brom und Jod außer in einwertiger Form noch 3-, 5- und 7wertig vor. In Verbindung mit Wasserstoff ist es einwertig. Dreiwertigkeit besteht wohl ziemlich sicher bei den chlorigsauren Salzen z. B. KOCIO. Ferner bei den organischen Jodidchloriden wie CgH^. J. Clg und im Brom- fluorid BrFg. Auch bei gewissen Salzen, namentlich "des Kubidiums und Cäsiums, nämUch im RbClBr.,, RbBrBr. und RbJJ-j, kann man vielleicht dreiwertiges Chlor bezw. Br und J annehmen. Fünf wertig sind die Halogene in den Chloraten, Bromaten und Jodaten, z. B. im KClOo, das mit Kalium- nitrat isomorph kristallisiert. Hier besitzen die drei Halogene also dieselbe Wertigkeits- stufe wie Stickstoff. Auch in Salzen wie CSCI.CIJ3, und CSJ.2J2 ist die fünf wertige Valenzstufe sehr wahrscheinlich. Sieben- wertiges Halogen ist in der Ueberchlorsäure, der Üeber jodsäure und ihren Salzen vor- handen, ferner im Chlorheptoxyd, das nach neuesten kryoskopischen Messungen in Phos- phoroxychlörid die monomolekulare Zu- sammensetzung besitzt. Für die Sieben- wertigkeit des Jods speziell spricht auch die Verbindung CsJ.3J2. Nach der Abeggschen Auffassung besteht bei den Halogenen eine negative Norraal- valenz, in den Wasserstoffverbindungen und deren Salzen, ferner sieben positive Kontra- 8 Fluorgruppe (Clilor) Valenzen in den Sauerstoffsäuren und in den Polyhalogeniden des Cäsiums und Rubi- diums. Das Chlorion ist farblos. Das Normal- potential, gemessen in der Clüorknall gas- kette, beträgt -f 1,35 Volt. Es entspricht dem Vorgang 2Cr -> CU (gasf.), wobei die Chlorionkonzentration gleich 1 g Formel- gewicht pro Liter angenommen ist und das in heterogener Phase am Elektrodenvorgang teilnehmende Chlor unter einem Partial- druck von einer Atmosphäre steht. Die Be- weglichkeit des Chlorions in Wasser ist bei 18» lj8 = 65.44. der Temperaturkoeffizient ai8 = 0.0216. In komplexen Anionen ist das Chlor ein häufig vorkommender Bestandteil. In Verbindung mit Sauerstoff bildet es CIO', ClO.^', CIO3' und CIO 4' Ionen, ferner spielt es m den Chlorosäuren und Chlorosalzen (Doppelhalogeniden) eine Rolle (siehe darüber Werner, Neuere Anschauungen auf dem Gebiete der anorganischen Chemie, Braun- schweig 1909). 7. Analytische Chemie. 7a) Qualita- tive Analyse. Der Nachweis von freiem Chlor ist durch die Farbe des Gases, seinen charakteristischen Geruch und das in der speziellen Clicmic beschriebene Verhalten, z. B. die Bk'iciiwirkung und die Bläuung von Jodkaliumstärkepapier, leicht zu er- bringen. Liegt das Chlor in wässeriger Lösung als Chlorion vor, so erkennt man es an seinem in Salpetersäure unlöslichen, weißen, käsigen Silbersalz. Sind außer Chlorion noch Bromion und Jodion zugegen, so erfolgt die Bestimmung am bequemsten derart, daß man die drei Silberhalogenide mittelst Silbernitrat ausfällt, den Nieder- schlag gut auswäscht und ihn hierauf mit reiner Ammonkarbonatlösung extrahiert. Nur AgCl geht in Lösung und kann durch An- säuern mit Salpetersäure als rein weißes AgCl wieder ausgefällt werden. 7b) Quantitative Analyse, a) Gra- vimetrische Bestimmung' von Chlor- ion. Auch hier erfolgt die Bestimmung als schwerlösliches AgCl. Man versetzt die chlorionhaltige Lösung in der Kälte mit einigen ccm Salpetersäure und fügt die zur vollständigen Fällung notwendige Menge Silbernitrat hinzu. Hierauf erwärmt man die Lösung auf einem Sandbade, bis der AgCl-Niederschlag sich zusammengeballt hat und filtriert durch einen vorher ge- wogenen Goochtiegel. Als Waschwasser be- nutzt man kaltes, schwach salpetersäure- haltiges Wasser. Der Tiegel wird bei 130» getrocknet. ß) Maßanalytische Bestiunnung. Bestimmung von freiem Chlor z. B. im Chlorwasser. Die Methode beruht darauf, daß freies Chlor aus Jodkaliumlösung die äquivalente Menge Jod in Freiheit setzt, die leicht mit Thiosulfat und Stärke als Indikator titriert werden kann. Bestimmung von Chlorion. Die Bestimmung von Chlorion erfolgt in neutraler Lösung am besten nach der Mohr sehen Methode, nach welcher man unter Zusatz von Kaliumchromat als Indi- kator i/jo n AgNOg Lösung zu der Chlorid- lösung fließen läßt. Ist alles Chlorion umge- setzt, so erzeugt der erste überschüssige Tropfen eine bleibende rötliche Färbung von Silberchromat. Nach Volhard kann man auch derart verfahren, daß man die Lösung des Chlorids mit einem Ueberschuß von ^/j^ n AgNOo Lösung versetzt und den Ueberschuß des Silbers, nach Zusatz von Eisenammoniura- alaun und Salpetersäure, mit Rhodankalium zurücktitriert. Bleibende Rotfärbung, von Eisenrhodanidbildung herrührend , deutet auch hier den Endpunkt der Reaktion an. 7c) Elektroanalyse. Die von Vort- mann ano;egebene elektrolytische Bestim- mung durch Abscheidung der Halogene an einer Silberanode unter Bildung von Silberhaloid hat speziell für das Chlor keine Bedeutung. Die Elektroanalyse eignet sich jedoch vorzüglich zur Bestimmung von Chlorion neben Brom und Jodion (siehe bei Brom). 8. Spezielle Chemie. 8a) Allgemeines Verhalten des Chlors. Das Chlor ist nach dem Fluor das reaktionsfähigste ?ller Metalloide. Es verbindet sich direkt mit den meisten Elementen, eine Ausnahme machen die Edelgase, Fluor, Sauerstoff, Stickstoff und einige Platinmetalle. Da es mit Sauerstoff keine Verbindungen eingeht, so ist es nicht brennbar. Mit Wasserstoff in gleichen Volumverhältnissen gemischt (Chlor- knallgas), vereinigt es sich bei Beleuchtung mit direktem Sonnenlicht oder elektrischem Bogenlicht unter Explosion zu Chlorwasser- stoff (Gay Lussac und Thenard 1809). In zerstreutem Tageslicht findet die Einwirkung allmählich statt, im Dunklen bleiben die Gase praktisch unverändert. Ein derartiges Gemisch kann demgemäß zur ]\Iessung der chemischen Wirksamkeit der Licht- strahlen Verwendung finden (Chlorknall- gasaktinometer von Bunsen und Roscoe). Vgl. hierzu den Artikel ,,Photocheniie". Besonders reaktionsfähig sind beide Gase in feuchtem Zustande, während sorgfältig getrocknetes Chlorknallgas nur schwer zur Explosion gebracht werden kann. Offenbar erfols-t die Vereinigung nicht direkt nach der einfachen Gleichung: Ho CL 2HC1, sondern vielleicht nach dem Schema: H2O + CI2 = CUO + H2 und 2H2 + CI2O = HgO -f 2HC1, in welchem Falle also der Vorgang katalytisch durch Wasser be- schleunigt würde. Fluorgruppe (Clilor) Die große Affinität des Chlors zum Wasser- stoff erklärt es auch, daß das Element wasser- stoffreichen organischen Verbindungen den Wasserstoff entzieht, um sich selbst mit ihm zu verbinden. So verbrennt z. B. mit Terpentinöl getränktes Fließpapier in einer Chloratmospbäre unter Kohleabscheidung. Die Alkalimetalle, Wismut, Stanniol, Arsen, Antimon, unechtes Blattgold, ferner 1 durch Wasseistüff reduziertes Ivupfer und ' Nickel verbrennen bei gewöhnlicher Tempera- , tur mit heller Lichterscheinung zu den | entspiechenden Chloriden. Beim Mangan, ; Zink, Eisen, Kobalt und Quecksilber bedarf | es zur P]inleitung der Reaktion der Er- wärmung, aber auch hier geht die Vereinigung j unter Lichtglanz vor sich. Beim Blei, Silber, Gold und Platin dagegen verläuft die Reaktion in der Hitze ruhiger und ohne [ Lishtglanz. An dieser Stelle sei bemerkt, daß Chlorwasser in der Kälte das sonst so widerstandsfähige Gold glatt löst, ein Vor- gang, der in dem älteren Goldextraktions- i prozeß praktisch ausgenutzt warde. Phosphor, Bor, Silicium wiederum ent- zünden sich von selbst im Chlorgas. Auch viele Metalloxyde lassen sich durch Erhitzen im Chlorstrom leicht in Chloride ver- wandeln. Häufig erleichtert man die Reak- tion dadurch, daß man dem Oxyd Kohle beimengt, z. B. bei der Darstellung von AlClo aus dem entsprechenden Oxyd. Man erhält auf diese Weise zunächst ein Gleich- gewichtsgemisch von Metall, Metalloxyd, Kohlensfoff und Kohlenoxyden, das ent- sprechend der Gleichgewiclitslage nur ganz geringe Mengen von ^letall enthält, da die Reduktion von AI2O;. zu Aluminium durch Kohle praktisch nicht durchführbar ist. Tritt aber durch die gleichzeitige Einwirkung von Chlor auf das Metall Bildung von Alu- miniumchlorid ein, so verflüchtigt sich dieses, das erwähnte Gleichgewichtsgemisch muß weiter Aluminium nachliefern, und die Reak- tion verläuft quantitativ. Erzeugt man einen Lichtbogen in einer Chloratmcsphäre, so gelingt es unter diesen Umständen, Chlor mit Kohlenstoff in Reak- tion zu bringen. Die entstehenden Produkte si-id verschiedenartige, je nach der D?uer der Einwirkung. Perchloräthan und Hexachlor- benzol h?t man nachweisen können. Auf Wasser wirkt das Chlor nur langsam ein. es löst sich zunächst ziemlich reichlich auf und bildet das sogenannte Chlorwasser, Aqua chlorata. Die Löslichkeit beträgt unter 760 mm Druck bei 0° 1,44%, bei 6« 1,07% und bei 9« 0,95%, nimmt jedoch stark ab, wenn man das Wasser mit Kochsalz sättigt. Li der Kälte läßt sich ein Hydrat von der wahrscheinlichen Zusammensetzung CL + 7H2O isolieren. Dasselbe bildet eine blaßgelbe, kristallinische Masse, die beim Erwäi-men leicht wieder in Chlor und HoO zerfällt. Bei längerer Einwirkung erfolgt zwischen Wasser und Chlor Umsetzung nach der um- kehrbaren Gleichung : H2O + CI2 ^ HCl + HOCl. Chlorwasser enthält also immer in kleinen Mengen Salzsäure und unterchlorige Säure, leitet also demgemäß den elektrischen Strom nicht unerheblich. In dem Maße nun, wie die sehr labile unterchlorige Säure weiter in HCl und Sauerstoff zerfällt, schreitet auch die Hydrolyse des Chlors vorwärts, und der Chlor- gehalt der Lösung nimmt ab. Die Zersetzung geht im Dunkeln nur langsam vor sich, schneller im Sonnenlichte, jedoch erfolgt die photochemische Zersetzung des Chlorwassers nicht annähernd proportional der Belichtungs- j stärke und Belichtungsdauer, es geht vielmehr wahrscheinlich eine autokataly tische Reaktion vor sich, für deren Geschwindigkeit die in der Lösung vorhandenen Mengen HCl, HCIO ' HCIO3 und HCIO^ von Bedeutung sind. j Sehr leicht tritt die Umsetzung zwischen Wasser und Chlor bei Gegenwart eines reduzierenden Stoffes ein, der den Sauerstoff des HoO bindet. R + HoO + CI2 = RO + 2HC1 Der Sauerstoff ist hierbei, da im Entstehungs- zustande wirksam, außerordentlich reaktions- fähig. Hierauf beruht die oxydierende (blei^chende) Wirkung des Chlors. "Dasselbe ist also ein indirektes Oxydationsmittel, da es durch den Sauerstoff des Wassers oxy- diert. Bei Rotglut zersetzt Chlor das Wasser unter Sauerstoffbildung, der Vorgang ist die Umkehrung des bereits erwähnten D e a c 0 n - I Verfahrens (siehe oben 4b). ' Elektrisch aktiviertes Chlor. Durch gleichzeitige Einwirkung der stillen elek- trischen Entladung und von ultraviolettem Licht kann das Chlor, namentlich im feuchten Zustande, stark aktiviert werden, so daß z. B. Benzol mit dem derartig präparierten Element bereits bei Zimmertemperatur in Reaktion tritt. Aehnliches hat man ja neuer- dings auch beim Stickstoff beobachtet, der durch gleichartige Voibehandlung in ganz überraschender Weise reaktionsfähig wird. 8b) Verbindungen des Chlors mit j Wasserstoff. Chlorwasserstoff, HCl, entsteht, wie bereits erwähnt , direkt aus seinen Elementen. Die gewöhnliche Dar- stellungsweise ist die Einwirkung von Schwefelsäure auf Kochsalz. Man kann ! die Mengenverhältnisse derart wählen, daß nach der Gleichung: NaCl -f H2SO4 = NaHSO^ + HCl neben Salzsäuregas das leicht schmelzbare Natriumbisulfat entsteht, oder aber man nimmt, wie es bei der Dar- stellung von Glaubersalz rNaoSO,,) geschieht, 10 Fluorgruppe (Chlor) auf ein Molekül Schwefelsäure 2 Moleküle Kochsalz. Auf beide Arten arbeitet man auch in der Technik, wobei gußeiserne und im erster Falle auch bleierne Betörten Ver- wendung finden. Für Laboratoriumszwecke empfiehlt es sich, um einen gleichmäßigen Salzsäurestrom zu erhalten, von sogenannter konzentrierter rauchender Salzsäure auszu- gehen und durch Zutropfen von konzen- trierter Schwefelsäure das Salzsäuregas aus- zutreiben. Am bequemsten ist es jedoch auch hier, mit einem Kippschen Apparat zu arbeiten, dessen Füllung aus großen Stücken geschmolzenen Salmiaks (NH_jCl, Ammo- niumchlorid) und verdünnter Schwefelsäure besteht. ! Weitere Bildungsweisen, die jedoch prak- j tisch weniger Bedeutung besitzen, bestehen in ' der Zerlegung gewisser hydrolytisch leicht spaltbarer Metallchloride durch Wasserdampf. So wird z. B. Magnesiumchlorid bei Tempera- turen oberhalb 505'' nach der Gleichung: MgCl., + H2O = MgO + 2HC1 zersetzt. Eine andere Darstellungsart besteht in der Zer- legung von Metalloidchloriden durch Wasser. Behandelt man Phosphortrichlorid in dieser • Weise, so findet unter Austausch der Chlor- [ gruppe gegen Hydroxyl Bildung von Phos- phorsänre und Salzsäure statt: ■ ,C1 H.OH /OH P^Cl + H.OH = P^OH + 3HCI. ^-Cl H.OH \0H i Der Chlorwasserstoff ist ein farbloses, ' nicht brennbares Gas von stechendem Geruch, ; das angefeuchtetes Lakmuspapier stark rötet. Das (iewicht des Normalliters HCl bei 0° und 760 mm beträgt 1,6397 gr. Sein Mole- kül besitzt äußerste Beständigkeit, da es | erst oberhalb 1500^ in Wasserstoff und Chlor zu dissoziieren beginnt. An feuchter Luft bildet das Gas weiße Nebel, die aus Salz- säuretröpfchen bestehen. Unter gewöhn- lichem Atmosphärendruck verflüssigt es sich bei —84°, unter einem Druck von 40 Atmosphären bereits bei + lO** zu einer Flüssigkeit, die bei —82.9" siedet und das spezifische Gewicht d^^-^ = 0.835 besitzt. Die kritische Temperatur liegt bei 51.8", der kritische Druck beträgt 83.6 Atmosphären. Die spezifische Leitfähigkeit von flüssigem HCl beträgt bei seinem Siedepunkt 0.167 X 10- '5, entspricht also ungefähr der von reinem Wasser. Bei — 111.3" erstarrt die ver- flüssigte Säure zu einer weißen Kristallmasse. Wasser nimmt bei 0" das 503 fache seines Volumens, d. h. ca. 835 g pro Liter auf, und zwar erfolgt der Lösungs Vorgang unter starker Wärmeentwickelung. Die wässerige Losung bildet die gewöhnliche Salzsäure. Die Löslichkeit in Wasser unter wechselndem Druck entspricht nicht dem Henryschen Gesetz, woraus folgt, daß die Auflösung von einem chemischen Prozeß (Hydratbildung) begleitet ist. Mit der Temperatur nimmt die Löslich- keit ab. so daß bei 20" nur noch 721 g. bei 40" 633 g, bei 60" 561 g HCl gelöst sind. Das spezifische Gewicht der wässerigen Salz- säure ist größer als das des reinenWassers und bietet ein einfaches Mittel dar, den Prozent- gehalt an gelöstem HCl Gas zu bestimmen. Nach einer einfachen empirischen Regel braucht man nur die ersten beiden Deci- malen des spezifischen Gewichts mit zwei zu multiplizieren, um den Prozentgehalt zu ermitteln. Es enthält also eine Säure d 1.10: 20% (2 xlO) HCl, eine solche von d 1.19: 38% (2x19) HCl usw. Die konzentrierte wässerige Salzsäure ist eine farblose, an der Luft stark rauchende Flüssigkeit. Erhitzt man diese Säure, so verliert sie zunächst HCl- Gas und der Siedepunkt steigt schließlich auf 110", bei welcher Temperatur eine Säure vom spezifischen Gewicht 1.102 mit einem Ge- halt von 20.30/0 HCl überdestilliert, anderer- seits destilliert aus einer verdünnten Säure anfangs vornehmlich Wasser bis auch hier der Prozentgehalt von 20.3 und der konstante Siedepunkt 110" erreicht ist. Dieses Destillat stellt nicht etwa ein be- stimmt definiertes Hydrat vor, denn eine derartig zusammengesetzte Säure destilliert nur bei dem bestimmten Druck von 760 mm. Ist der Druck niedriger, so sind die Destillate konzentrierter, ist er höher, so ist die Säure niedrigerprozentig. Ein bestimmt zusammen- gesetztes Hydrat erhält man dagegen, wenn man gewöhnliche konzentrierte Salzsäure bei —25 bis —30" mit HCl Gas sättigt. Es scheiden sich sodann Kristalle der Zusam- mensetzung HCl + 2H2O aus, die bei —18" schmelzen "und beim Erwärmen leicht in HCl und HoO dissoziieren. Außer in Wasser löst sich HCl Gas auch in Methyl-, Aethyl-, Amylalkohol, Aether, Aceton, "Eisessig, Benzol, Xylol, Hexan, Nitrobenzol und anderen organischen Lö- sungsmitteln, doch ist die Dissoziation hier nur eine geringe, teilweise, wie beim Benzol, überhaupt nicht vorhanden. Neben Salpetersäure, Brom- und Jod- wasserstoffsäure ist Salzsäure die stärkste Säure, wie Leitfähigkeitsmessungen und kinetische Bestimmungen (Inversion und Verseifung) ergeben. Vergleiche hierzu den Artikel „Säuren, anorganische Säuren". Das molekulare Leitvermögen (ß) bei 25" für verschiedene Verdünnungen (v) ist: V = 2 4 8 16 32 64 128 256 u = 353 366 378 386 393 399 401 403 Die Bildung von HCl aus den Elementen Fluorgruppo (Clilor) 11 findet unter beträchtliclier Energieentbin- dung statt, wie aus der thermischen Glei- chung: H + Cl - HCl + 22001 g-cal. her- vorgeht. Die Auflösung in viel Wasser macht noch 17430 cal. frei, so daß die Bildung einer wässerigen Salzsäure der Gleichung H + Cl + Aqua = HCl aq. + 39431 cal entspricht. | Die spezifische Wärme des Salzsäuregases ■ bei konstantem Volum ist 0.175 (Luft = 0.1684). Das Verhältnis der spezifischen Wi'rmen bei konstantem Druck und kon- stantem Volumen ist 1.389 bei 20». Chemisches Verhalten des Chlor- wasserstoffs. Auf Metalle und Metall- [ oxyde wirkt sowohl Chlorwasserstoff als | auch die wässerige Salzsäure in den meisten Fällen unter Chloridbildung ein. Daneben j bildet sich Wasserstoff, bezw. Wasser. Super- oxyde zeigen ein verschiedenartiges Ver- halten. Die der Alkalien und der alkalischen Erden (die echten Superoxyde) werden unter Wasserstoffsuperoxydabspaltung zer- setzt, die des Mangans und des Bleies ent- wickeln unter^^orüiaergehender Bildung von Tetrachloriden Chlor. ~ Die meisten Metall- chloride sind wasserlösliche Substanzen, daher findet die Salzsäure als Lösungsmittel häufig Anwendung. Schwer löslich sind die Chloride des Silbers, des einwertigen Queck- silbers, Kupfers, Goldes und Thalliums, sowie | des Bleies. [ Häufig verwendet man als Lösungsmittel ein Gemisch von Salz- und Salpetersäure, das man sich durch Vermischen von 1 Teil Salpetersäure (d = 1.2) mit 3 Teilen Salz- säure (d = 1.12) darstellt. Diese Lösung bildet eine gelb gefärbte Flüssigkeit, die nach der Gleichung 3HC1 + HNOa-SH.O + NOCl + Clo allmählich Nitrosylchlorid und Chlor abgibt, infolgedessen ein kräftiges oxydierendes und chlorierendes Reagenz ist." Seine Eigenschaft, Edelmetalle, also auch Gold zu lösen, war bereits den Alchimisten bekannt, und sie gaben daher diesem Säure- gemisch, das den ,, König der Metalle" zu lösen imstande war, den Namen Königs- wasser, aqua regia. 8 c) Verbindungen des (' h 1 o r s t mit Bor, S i 1 i c i u m und Stick- stoff. Bor Chlorid, BCI3, bildet sich bereits i bei mäßiger Wärme, wenn man einen Chlorstrom über elementares Bor leitet, oder in der Glühhitze ein inniges Gemisch j von Borsesquioxyd und Kohle mit Chlor in Reaktion bringt. Das entweichende Bor- chlorid wird in einer Kältemischung ver- dichtet. Sein Siedepunkt liegt bei + 18°, d"=l,43. Verbindungen des Chlors mit dem Silicium sind verschiedene bekannt. Das auf analoge Art wie Borchlorid entstehende Siliciumtetrachlorid SiC^, ferner Siliciumhexachlo rid, Si,CL, Sili- c i u m c h 1 0 r 0 f 0 r m , SiHCl.;, weiterhin kennt man üxy- und Thiochloride. Näheres siehe unter Silicium im Artikel „Kohlen- stoffgruppe". Chlor Stickstoff. Durch Einwirkung von Chlorgas oder von unterchloriger Säure auf wässerige Ammonsalze, ferner bei der Elektrolyse konzentrierter wässeriger Am- moniumchloridlösungen entsteht ein wachs- gelbes dünnes, stechend riechendes Oel, der Chlorstickstoff, von der Zusammensetzung NCL, d = 1.7 (Dulong, 1811). Derselbe stellt in unverdünntem Zustande einen ungemein gefährlichen Körper dar, der durch Erwärmung oder durch Stoß, ferner bei Berührung mit organischen Substanzen, wie Fett oder Staub, mit enormer Heftigkeit explodiert. Er löst sich ziemlich leicht in Wasser, wobei all- mähliche Hydrolyse zu Ammoniak und unterchloriger Säure stattfindet: NCI3 + 3H2O = NH3 + 3H0CI. Andere Lösungs- mittel sind Phosphortrichlorid, Chlorschweiel, Chloroform, Tetrachlorkohlenstoff und Ben- zol. Lösungen in Benzol sind relativ unge- fährlich und lassen sich bequem bereiten, indem man zu mit Chlor gesättigter 5% Natronlauge überschüssige 10% Salmiak- lösung gibt und den in Tröpfchen sich ab- scheidenden Chlorstickstoff vorsichtig mit Benzol ausrührt. Wegen der unangenehmen physiologischen Wirkungen hüte man sich vor dem Einatmen der Dämpfe. Die Verbindungswärme entspricht der Gleichung N + CI3 = NCI3 — 38 478 cal. Monochloramin, NHoCl, erhält man durch Destillation eines Gemisches von Natriumhypochloritlösung mit der äquiva- lenten Menge Ammoniak als gelbliche, leicht flüchtige Flüssigkeit, die iVugen und Schleim- häute heftig angreift. Der Vorgang ent- spricht der Gleichung NaOCl-fNH3 = NH,Cl + NaOH. Man destilliert zweckmäßig im 'Vakuum bei Temperaturen unterhalb 40°, da sonst starke Zersetzung unter Stick- stoffentwickelung eintritt. Von den Reak- tionen des Monochloramins ist die interes- santeste diejenige, die mit einem großen Ueberschuß' von Ammoniak bei Gegenwart von Leimlösung eintritt. Es bildet sich hierbei in einer Ausbeute bis zu 80% vom an- gewandten Monochloramin das Hydrazin nach dem Schema: NH^Cl + NH3 = NH^. NH2HCI. Chlorazid, N3CI, bildet sich beim An- säuern einer Lösung äquivalenter Mengen Natriumhypochlorit und Natriumazid. Es ' entweicht" als gelbliches, nach Chlorstick- ' Stoff riechendes Gas, welches, mit einem I glimmenden Spahn in Berührung gebracht, unter heftigster Explosion zersetzt wird. Die ■ Bildung des Halogenazids geht nach der Glei- ' chung vor sich : N3H + HOCl = N3CI + HoO. ' Nitrosvlchlorid, NOCl, entsteht direkt 12 Fluorgruppe (Chlor) aus Stickoxyd und Clilorgas in x\nwesenheit von Tierkohle bei 40 bis 50". Bequemer ist die Darstellungsweise aus Nitrosylschwefel- säure, den sogenannten Bleikammerkristallen, und Kochsalz. Beim Erhitzen setzen sich beide Stoffe nach der Gleichung um: NO.O.SO3H + NaCl = NOCl + NaHSO^. Das Nitros^dchlorid ist ein stechend riechendes Gas' von gelber Farbe, das sich in einer Kältemischung zu einer gelblich- roten Flüssigkeit vom Siedepunkt 5.6" ver- dichtet d"^- = 1.4165. In flüssiger Luft ab- gekühlt, erstarrt es zu einer zitronengelben festen Masse, die bei — 60 bis — 61'' schmilzt. NOCl ist eine durchaus beständige Ver- bindung. Dampfdichtebestimmungen bis zu Temperaturen von 700*^ ergaben normale Werte. Die chemische Konstitution ist wahr- scheinlich 0 = N — Cl, entspricht also dem Chlorid der salpetrigen Säure. Andere Verbindungen des Chlors mit Stickstoff und Sauerstoff sind zwar be- schrieben, ihre Existenz ist jedoch sehr zweifelhaft. So konnte das Nitrylchlorid, das Chlorid der Salpetersäure, von der Zu- sammensetzung NO2.CI bei der Nach- prüfung der in der Literatur enthaltenen An- gaben nicht erhalten werden. Ueber Phosphor, Arsen und Antimon- chloride siehe bei den betreffenden Ele- menten. 8d) Verbindungen des Chlors mitSauer- stoff. Chlormonoxyd, CloÜ, entstellt, wenn man über gefälltes, auf 300 bis 400" erhitztes und wieder abgekühltes Quecksilberoxyd in der Kälte einen Chlorstrom leitet ; das ent- weichende ClgO wird in einer gekühltenVorlage kondensiert. Es bildet bei Zimmertempera- tur ein gelbes Gas von durchdringendem Geruch, das sich bei + 5" zu einer dunkel- braunen Flüssigkeit verdichten läßt. Siede- punkt 5.1" bei 737.9 mm. Das Chlormonoxyd ist gemäß seinem ausgeprägt endothermi- schen Charakter (die Bildungswärme aus den Elementen o)its|)richt — 17929 cal), ein äußerst zersetzlicher Körper. Wie beim Chlorstickstoff kann Erwärmung, Stoß, starke Belichtung, Berührung mit organischen Sub- stanzen bereits explosionsartige Zersetzung hervorrufen. Selbst die auf —20" abge- kühlte Flüssigkeit verpufft beim Anreiben des Glases. In Berührung mit chenrischen Stoffen äußert CI2O seine große Reaktionsfähigkeit. Schon bei gewöhnlicher Temperatur ver- pufft es mit Schwefel, dabei Schwefeldioxyd und Chlorschwefel bildend. Auch Schwefel- wasserstoff und Schwefelkohlenstoff reagieren momentan. Phosphor verbrennt unter Entflammung zu Phosphor})entoxyd und Phosphorpenta- chlorid, häufig sogar unter Explosions- erscheinungen. Kalium, iVrsen, Antimon, viele Metalloxyde und Sulfide setzen sich in Chloride um. CljO löst sich in Wasser in großen Mengen auf, bei 0" wird das 200 fache Volumen ge- löst. Mit dem Lösungsvorgange ist gleich- zeitig ein chemischer Vorgang verknüpft, durch HaO-Anlagerung bildet sich unter- chlorige Säure nach der Gleichung: 11,0 + CI2O = 2H0C1. Unterchlorige Säure, HOCl. ist nur in wässeriger Lösung bekannt. Schon bei der Hydrolyse des Chlors war eine einfache Bildungsweise erwähnt worden. Nach der umkehrbaren Gleichung H,0 + CI2 ^ HCl + HCIO bildet sich in kleinen Mengen unterchlorige Säure und Salz- säure. Trägt man nun dafür Sorge, daß letztere durch Zusatz von Basen gebunden wird, so verschiebt sich das Gleichgewicht in der Reaktion von links nach rechts, d. h. weitere Mengen von unterchloriger Säure können nachgebildet werden. Praktisch kann man den Versuch derartfg durchführen, daß man gesättigtes Chlorwasser mit Queck- silberoxyd schüttelt und nach dem Umsatz die filtrierte Lösung im Vakuum destilliert, wobei die Hauptmenge der gebildeten Säure mit den ersten Anteilen Wasser übergeht. Quecksilberoxyd eignet sich besonders gut zur Bindung der Salzsäure, weil es, in Chlorid verwandelt, sich mit überschüssigem Oxyd zu Oxychlorid umsetzt, und infolgedessen hier nicht wie bei anderen Oxyden die unter- chlorige Säure gebunden wird. Der ganze Vorgang entspricht den Gleichungen: HgO + 2Clo + HoO = HgClo + 2HC10 HgO + HgCL^ = ClHg-Ö-HgCl. Auch aus käuflichem Chlorkalk, zu wel- chem man unter beständigem Schütteln und Kühlen allmählich etwas weniger als die äquivalente Menge verdünnter Salpeter- säure zugibt, kann man durch nachfolgende Destillation eine wässerige Säure darstellen. Sehi bequem ist die folgende Methode. Eine Lösung von 50 g Bicarbonat in 600 ccm Wasser wird unter Umrühren, Kühlung mit Eis und unter Ausschluß grellen Tageslichtes solange mit Chlor behandelt, bis eine Flüssigkeits|)robe beim Erwärmen mit Ba- ryumchlorid keinen Niederschlag von Ba- ryumcarbonat gibt. Nachfolgende Destil- lation fährt auch hier zur reinen freien Säure. Eine durch Destillation konzentrierte Lösung von unterchloriger Säure besitzt gelbe Farbe und intensiven chlorähnlichen Geruch. Auf die Haut gebracht ätzt sie dieselbe in kurzer Zeit stärker als Sal- petersäure. Die chemische Konstitution ist sehr wahrscheinlich H — 0 — Cl, da in dieser Formel die schwach sauren Eiirenschaften, Fluorg-ruppc (Clüor) 13 die große Zersetzlichkeit und die Anlagerung von Sauerstoff zu säuerst offreicheren Säuren a,m besten ihre Erlvlänuii;- finden. Ihren Dissoziationsverhältnissen nach gehört die Säure zu den schwachen Säuren, eine auffallende Erscheinung, da Sauerstoff in diesem Falle die Acidität herabsetzt. Die Dissoziationskonstante wurde bei 17" zu 3,7x10— ■'^ gemessen. Die Neutralisation mit Alkali führt infolgedessen, wie immer in derartigen Fällen, nur bis zum hydroly- tischen Gleichgewicht : HOCl + OH' :i^ CIO' + H2O. Die Bildungswärme einer wässerigen Säure beträgt 29330' Kalorien. Unterchlorige Säure ist ein starkes Oxy- dationsmittel. Indigo, Arsentrio xyd und andere oxydable Stoffe werden leicht oxydiert. Die Säure geht dabei selbst in Chlor- wasserstoffsäure über: HCIO = HCl + 1402, eine Zersetzung, die 10000 cal frei macht. Die wässerige Lösung der Säure ist sehr unbeständig, und zwar findet um so leichter Zersetzung statt, je konzentrierter und wärmer die Säure ist und je mehr sie der Belichtung ausgesetzt wird. Hierbei bilden sich Sauerstoff, Chlor und Chlorsäure, Mit Salzsäure in Berührung zerfällt die freie Säure in Wasser und Chlor, eine Reaktion, die vorteilhaft für die Darstellung von Chlor ausgenutzt werden kann. Man geht in diesem Falle jedoch nicht von den freien Säuren aus, sondern verwendet sie in Salz- form und setzt mittels Schwefelsäure die Säuren in Freiheit: NaCl + NaClO + H^SO^ = NaoSO^ + HCl + HCIO HCl + HOCl = H2O + CI2. I x\us Jodkaliura werden bei Gegenwart von Salzsäure durch jedes Molekül HOCl 2 Atome Jod ausgeschieden. Auf dieser Reaktion baut sich eine einfache titri- metrische Bestimmung der unterchlorigen Säure auf (vgl. T r e a d w e 1 1 , Lehrbuch der quantitativen Analyse, Wien 1911). Die Salze der unterehloj'igen Säure, Hypo- chlorite genannt, besitzen, wenn auch in ' abgeschwächtem Maße, die ausgezeichneten Eigenschaften der freien Säure, d. h. sie I wirken stark oxydierend, also bleichend, j Man bezeichnet sie daher allgemein als j Bleichsalze. Im Handel befinden sich das | Natriumhypochlorit, Eau de Labarraque, 1 das Kaliumhypochlorit, Eau de Javelle und | das Calciumhypochlorit, der gewöhnliche Chlorkalk. Namentlich der letztere besitzt, j da er ein festes Produkt darstellt, große in- [ dustrielle Bedeutung. Er ist die bequemste j Form, in der das Chlor transportfähig ist. ; Man gewinnt den Chlorkalk technisch, indem man Chlor in geräumige, gelöschten Kalk enthaltende verbleite Zylinder ein- strömen läßt, wobei die Temperatui 25« nicht übersteigen soll. Das entstandene Produkt besitzt nicht die normale Calciumhynochlorit- /OCl formel, Ca<^ , sondern besteht vornehm- UCl lieh aus basischem Hypochlorit, Ca/ , und \oci -Gl wahrscheiiüich auch zum Teil aus Ca<^ daneben bildet freier Actzkalk eine stetige Beimischung (s. auch unter Calcium im Artikel ,,Magnesiumgruppe"). Zur Darstellung von Natriumhypochlorit, oder allgemein gesprochen zur Bildung von OCl'-Jon, benutzt man heutzutage größten- teils elektrolytische Verfahren. Man geht von einer ca. 10 bis 20% Natrium- ! Chloridlösung aus und elektrolysiert in j einer Zelle, die derart angeordnet ist, daß eine möglichst innige Berührung des kathodisch " entstandenen NaOH mit dem anodisch gebildeten Chlor zustande kommt. Dabei reagiert das Halogen mit den OH-Ionen nach dem Schema: i Clo + OH' ^ er + Gl OH (a) ClOH + OH' ^ CIO' + H2O (b), welche Vorgänge man auch durch die zu- sammenfassende Gleichung : CI2 + 2NaOH -> NaOCl + NaCl + H^O ausdrücken kann, da bei der Elektrolyse tat- sächlich auf 1 Molekül Chlor 2 Aequivalente Alkali entstehen. Ist aber weniger Alkali z. B, nur 1 Aequivalent disponibel, so hat man es vornehmlich mit dem Vorgang (a) zu tun, d. h. es entsteht neben Chlorid unterchlorige Säure und nur in ganz geringem Maße tritt Gleichgewicht b, also Bildung von Hypohalogenit in Kraft. Das oben an- gegebene Schema (a und b) hat also den Vor- zug, für mannigfache Konzentrationen von Chlor gegenüber Alkali Geltung zu besitzen. Die Elektrolyse kann nun nicht bis zur voll- ständigen Umsetzung des Natriumchlorids zu Hypochlorit durchgeführt werden, son- dern erreicht eine Grenze, da das gebildete Hypochlorit bei bestimmten Konzentra- tionen anfängt, selbst elektrolysiert zu werden. Es wird an der Anode in Chlorat (s. unten) verwandelt, während es an der Kathode Reduktionseinwirkungen ausgesetzt ist. Für viele technische Zwecke, für Baumwoll- bleichereien, Wäschereien usw., genügt aber bereits eine sehr geringe Konzentration an Bleichsalz, so daß die p]lektrosynthese sehr ökonomisch arbeitet. Die konzentriertesten Laugen, die tech- nisch noch vorteilhaft hergestellt werden können, enthalten 30 g bleichendes Chlor im Liter (siehe auch unter Natrium im Artikel ,,Lithiu mgruppe"). 14 riuoi"gTup})e (('lilor) Chlordioxyd, Chlorperoxyd, CIO,, entsteht leicht und verhältnismäßig gefahrlos, wenn man eine Mischung von 40 g Kalium- chlorat, 150 g kristallisierte Oxalsäure und 20 cem Wasser im Wasserbade erwärmt. Bereits bei 60*^ erhält man einen gleich- mäßigen Gasstrom, der sich in einer Kälte- mischung zu einem explosiven, roten Oel ver- dichten läßt. Der Vorgang ist der folgende. Es bildet sich zunächst nach der Gleichung: 2HC10,; = HCIO4 + HCIO2 Ueberchlor- säure und chlorige Säure, welch letztere mit Chlorsäure nach dem Schema: HCIO3 + HCIO2 = HgO + 2C10, Chlordioxvd bildet. ClOo siedet bei + 9.9« unter 730.9 mm und erstarrt bei — 79^* zu orangeroten, harten, spröden Kristallen, die ähnliches Aussehen wie Kaliumbichromat besitzen. Das spezifische Gewicht des intensiv gelben Gases beträgt d^' = 2 .3894 (Luft = 1). ClOo besitzt einen scharfen, an salpetiige Säure erinnernden Geruch, der in verdünnter wässeriger Lösung ozonähnlich ist. Die Löslichkeit des Chlordioxyds in Wasser ist beträchtlich, bei 4P wird ungefähr das 20 fache Volumen gelöst. Man kennt ein Hydrat der wahrscheinlichen Zusammen- setzung C10o.8H„0, das keine sauren Eigen- schaften besitzt. Beim Erhitzen entweicht aus der wässerigen Lösung der größte Teil des absorbierten Gases, ein geringer Teil hinter- bleibt als Chlorsäure. Chlordioxyd zerfällt im Sonnenlicht oder beim Erhitzen in seine Bestandteile, häufig unter Explosionserscheinungen. Berührung mit organischen Substanzen, wie Staub und Fett ist peinlichst zu vermeiden, da hier- durch besonders leicht heftige Verpuffungen stattfinden können. Von den chemischen Reaktionen des Chlordioxyds ist der Umsatz mit über- schüssigem Alkali besonders bemerkenswert. Der Vorgang verläuft nach dem Schema: 2CIO2 + 20H' - ClOo' + CIO3' + H2O und entspricht ganz der Einwirkung von Stickstoffdioxyd auf Alkali. In der Lösung hat man neben chlorsauren Salzen, den Chloraten, in äquivalenter Menge Chlorit, d.h. ein Salz der chlorigen Säure HCIO2. Säuert man diese Lösungen an, so tritt all- mählich Gelbfärbung ein, herrührend von Chlordioxyd, das sich durch Zerfall der in Freiheit gesetzten chlorigen Säure gebildet hat. Dieser Zerfall wird besonders begün- stigt durch Anwesenheit von Chlor-, Hypo- chlorit- und wahrscheinlich auch Chlörat- lon, andererseits wird der Zerfall verzögert durch Zusatz von arseniger Säure. Da nun bei der Darstellung von Chloriten nach der obigen ( üeichung stets Chlorat in entsprechen- den Mengen entsteht, also auf die freie Säure zersetzend wirkendes Chlorat-Ion immer zu- , gegen ist, besitzt die Annahme ziemliche Wahrscheinlichkeit, daß absolut reine ' Lösungen von chloriger Säure recht wohl beträchtliche Beständigkeit besitzen können. Die Darstellung derartiger Lösungen ist jedoch noch nicht gelungen, infolgedessen kennt man die freie chlorige Säure nicht. Von den Salzen der Säure, den Chloriten, sind die der Alkalien und alkalischen Erden : farblos, das Silber- und Bleisalz gelb gefärbt. Chlorsäure, HCIO,. Die Säure findet sich in geringen Mengen in Form ihrer Salze im Chilesalpeter. Die freie Säure bildet sich ; bei der Zersetzung von in Wasser gelöstem I Chlordioxyd namentlich bei starker Beiich - : tung. In Form ihrer Salze entsteht sie stets bei der Einwirkung von unterchloriger Säure auf unterchlorigsaure Salze: 2C10H + CIO' = CIO3' + 2C1'>-2H-. Die bei diesem Vor- gang entstehende Halogenwasserstoffsäure setzt neue Mengen unterchloriger Säure in ' Freiheit: I 2C1' + 2H- + 2C10' = 2C10H + 2C1', sodaß deren Konzentration während der Reaktion unverändert bleibt. Der Vorgang kann auch durch die folgende Gleichung j ausgedrückt werden : ! SCla + ßNaOH = NaClO. + 5NaCl -f 3H,0 I Praktisch führt man die Darstellung durch 1 einfaches Einleiten von Chlor in Natrium- j hypocbloritlösung aus, oder aber man elek- trolysiert Natriumchloridlösungen. Dieses letztere Verfahren wird heutzutage von der I Technik, die für die Sprengstoff- und Zünd- stoffbereitung große Mengen von Chloraten benötigt, ausschließlich angewandt und hat die rein chemische DarsLellung vollkommen verdrängt. Wie bereits bei den Hypochloriten beschrieben wurde, entsteht auch hier zu- I nächst Kalium- oder Natriumhypochlorit, welches in der Anodennähe durch gebildete unterhalogenige Säure zu Chlorat umgesetzt [wird. Die l^lektrolyse entspricht also voll- kommen dem oben beschriebenen rein chemi- I sehen Vorgang. Gewöhnlich geht man bei der Darstel- lung des Kaliumsalzes von einer 2")'^o K^' liumchloridlösung aus und elektrolysiert solange bei ca. 70^ bis die Lösung in bezug auf Kaliumchlorat gesättigt ist. Hierauf wird die heiße Lösung abgezogen, erkalten ge- I lassen, und das abgeschiedene Chlorat fil- triert. Das mit frischem Kaliumchlorid ver- j setzte Filtrat geht zur Elektrolyse zurück '(siehe auch bei Kalium im Artikel „Lithi- umgruppe"). Das Kaliumchlorat kann als x\usgangs- material für die Gewinnung der freien Säure dienen. Man verwandelt es zunächst in das leicht lösliche Baryumsalz (siehe Baryum- chlorat im Artikel ,, Magnesiumgruppe") und versetzt die Lösung mit ä(juivalenten Fluorgnippe (CUor) 15 Mengen verdünnter Schwefelsäure. Nach \ dem Filtrieren des abgeschiedenen Baryum- 1 Sulfats konzentriert man die Säure im Vaku- um über Schwefelsäure, bis die Konzen- tration HCIO3.7H0O mit 40,10% HCIO,, d'^-^'= 1.282, erreicht ist. Bei weiterem! Eindampfen tritt allmähliche Zersetzung \ ein. Wenn die Konzentration 2HCIO3.9H0O mit 51,86% HCIO3 überschritten wird, "so | erfolgt stürmische Gasentwickelung. Die vollkommen reine 40% Säure beginnt erst bei 100"^ sich aUmählich zu zersetzen. Es entweicht Sauerstoff- und Chlorgas, während Perchlorsäure hinterbleibt. Die konzentrierte Säure ist eine farblose, besonders beim Erwärmen im Geruch an Salpetersäure erinnernde Flüssigkeit von starkem Oxydationsvermögen. Organische | Substanzen wie Papier oder Leim werden, [ wenn sie mit der Säure durchtränkt sind, unter Entflammung zerstört. Die Chlorsäure ist eine starke Säure und steht bezüglich ihres Leitvermögens der Salpetersäure nahe. Die molekulare Leit- fähigkeit (//) in V Litern Wasser bei 25" , beträgt: V 2 4 8 16 32 64 128 256 512 1024 ti = 353 364 373 381 387 391 399 402 402 402. Die Inversionskonstante für Kohrzucker wurde zu 103,5, 101,8, 97.2 bestimmt (HCl = 100). Die Beweglichkeit des CIO.- Ions : berechnet sich bei 18" zu 55.0. Die Bildungs- : wärme einer wässerigen Lösung vonHClOgaus Cl und 0 (Cl20.:i.aq.) entspricht —20480 cal. Die chemische Konstitution ist wahrschein- 0^ lieh die alte Blomstrandsche: \C1— OH. Die Chlorsäure ist eine einbasische Säure und bildet als solche mu eine Reihe von 1 Salzen, die Chlorate von der Formel MeClOg. Charakteristisch für dieselben ist, daß sie im Gegensatz zu den Hypochloriten in : wässeriger Lösung praktisch keine oxydie- ! renden Wirkungen ausüben. Man kann je- doch die Lösung aktivieren, indem man in geringen Mengen Osmiumtetroxyd zusetzt. Derartige Lösungen besitzen durch die kata- ly tische Wirkung des Osmiums kräftig oxy- dierende Eigenschaften. Im Schmelzfluß, sind sie außerordentlich wirksame Oxy- 1 dationsmittel. Die Einwirkung der wässerigen . freien Säure auf Metalle findet nicht immer unter Wasserstoffentwickelung statt. Häufig, i wie beim Fe, Sn und Bi, tritt vorhergehende Bildung von Oxyd ein, welches sich dann ohne Gasentwickelung in überschüssiger Säure lösen kann. Chlorate werden durch Schwermetall- salze, also auch durch Silbernitrat, nicht ge- fällt. Man erkennt sie an der Sauerstoff- abgabe beim Erhitzen und an der Bildung von Chlordioxyd beim Erwärmen mit kon- zentrierter Schwefelsäure oder Oxalsäure. Chlorheptoxyd, CI0O7, entsteht, wenn man HCIO4 mit PoO.. in eine Kältemischung bringt und nach eintägigem Stehen auf 85'* erwärmt. Das hierbei unter gewöhnlichem Druck übergehende Destillat bildet oin farb- loses, sehr flüchtiges Oel vom Siedepunkt 85". Durch Schlag oder Berühren mit einer Flamme findet äußerst heftige Zersetzung statt. Ueberchlorsäure, Perchlo rsäure, HCIO4, die sich in Salzform im Chilesalpeter findet, bildet die beständigste Sauerstoff- säure des Chlors. Sie entsteht als häufiges Zersetzungsprodukt seiner niederen Oxy- dationsstufen, durch direkte Oxydation von chlorsauren Verbindungen dagegen bildet sich die Säure nach den bisherigen Erfah- rungen niemals. In Form ihrer Salze z. B. von Kaliumperchlorat erhält man sie bequem durch Erhitzen von Kalium- chlorat. Bei ca. 355" beginnt das ge- schmolzene, dünnflüssige Salz zu schäumen und Sauerstoff zu entwickeln. Nach einiger Zeit wird die Schmelze dickflüssig und be- steht aus Kaliumchlorid und Kaliumper- chlorat. Nach dem Extrahieren mit Wasser hinterbleibt das schwerlösliche Kaliumper- chlorat. Auch auf clektrolytischem Wege ist die Synthese leicht (hucliiiiliiliar, und wird tech- nisch im Anschlulo ;ui tlie Chloratherstellung ausgeführt. Wahrscheinlich ist hier die Bil- dung von C104-Ionen derart zu erklären, daß die ClOg-Ionen bei oder nach der Ent- ladung mit dem Wasser im Sinne der Glei- chung : 2C10;,' + HoO + 2 © ^ HCIO, + HCIO. + 0 reagieren. Die chlorige Säure wird dann weiter sehr leicht durch elektrolytisch ent- wickelten Sauerstoff zu CIO3' oxydiert, kann also weiter nach dem obigen Schema sich um- setzen. Man geht am zweckmäßigsten von dem leicht löslichen Natriumchlorat aus, welches bei einer Anodendichte Da = 0,02 bis 0,08 Amp./qcm und bei 10" in 2b% Lösung in guter Ausbeute in Perchlorat übergeht. Es ist vorteilhaft, auf jeden Fall den Prozeß bis zum Verschwinden des Chlorats durchzuführen, damit bei dem nachherigen Ausfällen des Kaliumperchlorats mittels Chlorkalium kein Chlorat ausfällt, welches weder durch Auswaschen noch durcli Um- kristallisieren zu entfernen ist. Das Kaliumperchlorat wird als Aus- gangsmaterial für die Herstellung der freien Säure benutzt. Man versetzt zu diesem Zwecke die Lösung mit der äquivalenten Menge Kiesel- fluorwasserstoffsäure, dekantiert von abge- schiedenen Kaliumsiliciumfluorid, dampft 16 FluorgTuppe (Chlor) ein, filtriert nochmals und konzentriert die Säure, bis dichte weiße Dämpfe auftreten. Die Lösung wird hierauf destilliert und das Destillat durch Zusatz von Silber- bezw. Baryumperchloratvon eventuell vorhandener Salzsäure und Schwefelsäure befreit. Nach nochmaliger Rektifikation erhält man eine völlig reine wässerige Ueberchlorsäure. Ein völlig wasserfreies Präparat erhält man durch Destillation von 100 g Kaliumperchlorat und 350 bis 400 g 96% Schwefelsäure im Vakuum. Unter 50 mm Druck destilliert bei H0° die wasserfreie Säure. Die Destil- lation ist beendet, wenn sich nach 1 bis 2 Stunden im Kühlerrohr festes Hydrat ab- setzt. Die Säure wird, zur Entfernung mit- gerissener Spuren Schwefelsäure, zweck- mäßig noch einmal rektifiziert. Die wasserfreie Säure ist eine farblose, stark rauchende Flüssigkeit, die selbst bei —80" noch nicht erstarrt, d«» = 1.7676. Der Siedepunkt liegt unter 56 mm Druck bei 39°, unter 15 bis 20 mm zwischen 14 und 17.3". x\uf die Haut gebracht, erzeugt die Säure schmerzhafte Wunden. Mit organischen Substanzen wie Papier und Holz reagiert sie mit großer Helligkeit unter Entzündung. Auch mit Aether, Alkohol, Benzol tritt Um- setzung häufig unter Entflammung ein. Das Aufbewahren der konzentrierten Säure ist äußerst gefährlich, da sie sich selbst im Dunkeln mit größter Heftigkeit plötzlich zersetzen kann. Mit Wasser reagiert die Säure unter Zischen ähnlich wie Schwefelsäure und mischt sich in jedem Verhältnis. Mit entsprechenden Wassermengen bildet Ueberchlorsäure das Hydrat HCIO4.H2O, welches lange Nadeln bildet und bei 50*^ schmilzt, d^'^ = 1,7756. Außer diesem Hydrat kennt man noch die Hydrate: HC104.2H,0 (Fp. — 20,6"), HC104".3H,0 (Fp. — 47»), HCIO4.4H2O (Fp. — 40»), HCIO4.6H0O (Fp. — 450). Erhitzt man wässerige Ueberchlorsäure, so geht erst reines Wasser, sodann säure- haltiges über, bis man bei 203" ein Destillat der Zusammensetzung 71,6 bis 72,2% HCIO4 erhält. Geht man andererseits von dem Hydrat HC104.H,0 aus, so destilliert schließlich ebenfalls bei 203" eine 71 bis 72% Säure. Man hat es hierbei jedoch nicht mit einem genau delinierten Hydrat zu tun — die Zu- sammensetzung entspricht etwa HCIO4. 2H2O — , sondern wie bei der Salz- und Salpetersäure mit einem einfachen Gemisch, dessen Zusammensetzung vom Druck ab- hängig ist. Die Perchlorsäure ist wie die Chlorsäure eine der stärksten Säuren. Das molekulare Leitvermögen (^t) der Lösung in v Liter Wasser ist: \v 2 4 8 16 32 64 128 256 512 1024 fi 79,] 82,2 84,6 86,2 88,1 89,2 89.7 89,9 89,8 89,8. Die Bildungswärme einer wässerigen [Säure HC104.aq. entspricht + 39350 cal. Die chemische Konstitution ist wahrschein- 0^ lieh 0=C1— 0— H. I 0^ j Die Perchlorsäure ist eine einbasische [ Säure und bildet als solche Salze vom Typus MeC104, Perchlorate genannt. Dieselben sind in Wasser, mit Ausnahme des Kalium- i und Rubidiumsalzes, leicht löslich. Kalium- und Rubidiumionen können demgemäß als analytisches Reagenz auf Perchlorsäure bezw. CIO4- Ionen dienen. 8e) Verbindungen des Chlors mit Schwefel. — Schwefelmonochlorid, _ Schwefelchlorür, SgClg, bildet sich beim Ueberleiten von Chlor über geschmolzenen i Schwefel, wobei es als rotgelbe Flüssigkeit von äußerst unangenehmem Geruch ab- destilliert. Sdp. 137.7" bei 761.4 mm; d" = 1,7091: Fp. = — 80". Die Bildungswärme : beträgt : ' S, (fest) + Cl (Gas) = S2CI2 (fl.) + 17 600 cal |S;( „ )-f Cl( „ )=S,Cl2(Gas) + 11000cal j Schwefelchlorür ist ein hervorragendes Lösungsmittel für Schwefel. Bei gewöhnlicher Temperatur werden 66,74% gelöst, hierbei nimmt das Chlorür ein hellgelbes Aussehen an. Es findet technische Verwendung zum Schwefeln (Vulkanisieren) von Kautschuk. Mit Wasser reagiert SoCL, nach dem Schema: 2S,CL 2H,0 = 4HC1 + SO. 3S. Die Reaktion geht jedoch langsam vor sich, das Chlorür sinkt zunächst als Oel zu Boden, es bildet sich allmählich Salzsäure, Schwefel und Thioschwefelsäure, die sofort weiter in SOg und S zerfällt. Mit vielen Metallen, Metalloxyden und Sulfiden reagiert Schwefelchlorür unter Chloridbildung. Es kann daher häufig als ideales Aufschluß- mittel für widerstandsfähige Mineralien An- wendung finden. S2CI2 ist noch imstande, weitere Mengen von Halogen (Cl, J, Br) zu absorbieren. Der Gesamtgehalt an Chlor in einer gesättigten Lösung desselben in S2CI2 beträgt bei: -f20« -}-6bis6.4» + 0,4bis— 2,5" — 6bis — 8^ 67,8% 69,18% 70 bis 70,39% 71,67°; Chlor also mehr als der Formel SCU (68,87% Cl) und weniger als der SCI4 (81,61 ^{,) entspricht. Schwefeldichlorid, SCI,, häufig brau- ner Chlorschwefel genannt. Ueber die Exi- stenz dieses Stoffes sind die Meinungen ' geteilt. Eine Flüssigkeit dieser Zusammen- i Setzung erhält man, wenn man S2CI2 bei Temperatur en zwischen 6 und 20" mit i Chlor sättigt. Untersuchungen der Schmelz- ' punktskurve von S-, Cl-Gemischen ergab je- Fluorgruppe (Chlor — Brom) 17 doch nur 2 Maxima, entsprechend SCI4 (Fp. — 30°) und S0CI2 (Fp. — 80«), sodaß SClg hiernach als eine Lösung von SCI4 und Clg in SgCla aufgefaßt werden muß. Anderer- seits ergab die Molekulargröße von Di- chlorid, in flüssigem Chlor, Benzol und Eis- essig bestimmt, den der normalen Formel SCI2 entsprechenden Wert, Schwefeltetrachlorid, SC^, bildet sich am einfachsten, wenn man Schwefeldichlorid und flüssiges Chlor in zugeschmolzenen Röhren einige Tage aufeinander wirken läßt und sodann in einer Kältemischung das Rohr öffnet. Fp.: —30.5 bis — 31o. Da der Dissoziationsdruck wenige Grade über dem Schmelzpunkt bereits größer fls eine Atmosphäre ist, ist das Tetrachlorid nur bei tiefen Temperaturen beständig. Mit Wasser erfolgt Umsatz ohne Schwefel- abscheidung nach d.er Gleichung: SCI4 + 2H2O = SO2 + 4HC1. Verbindungen des Chlors mit Schwefel und Sauerstoff. — Thionyl- chlorid, SOClg, das Chlorid der schwefligen Säure, bildet sich beim Ueberleiten von SO« über Phosphorpentachlorid oder durch Ein- wirkung von SO3 auf SCI4 nach der Gleichung: SCI4 + SO3 = SOCI2 + SO2 + Clo. Auch durch Umsatz von SCU mit SO3 bei Temperaturen unterhalb — 10° oder unter Druck bildet sich das Chlorid entsprechend dem Schema: SO3 + SCI, = SOCl^ + SO 2. SOClg bildet eine farblose, stark licht- brechende, stechend riechende Flüssigkeit. Sdp. 78.8»; d» = 1.675. Die Bildungswärme aus den Elementen beträgt für flüssiges SOCL,: + 47200 g-cal. Durch Wasser, leichter durch Alkalien, wird das Chlorid in Salzsäure und schweflige Säure zerlegt. Sulfurylchlorid, SOgCl,, das Chlorid der Schwefelsäure, entsteht durch direkte Vereinigung von SO.,- Gas und Chlor- Gas bei Gegenwart von Kampfer bei gewöhnlicher Temperatur. Der Kam])fer spielt bei dem Vorgang die Rolle eines Katalysators. Tech- nisch führt man die Reaktion ganz ähnlich durch, nur geht man von den verflüssigten Gasen aus. Man löst Kampher in flüssigem SO2 und fügt die berechnete Menge flüssigen Chlors hinzu, zweckmäßig unter Kühlung. Durch Destillation erhält man das reine Chlorid vom Sdp. 69.2*^ unter 760 mm und df = 1.6674. Die Bildiingswärme aus den Elementen entspricht der Gleichung: S + O2 + CI2 = SO2CI2 (fl.) + 89500 g-cal. Bei hohen Temperaturen tritt, wie Dampf- dichtebestimmungen ergeben, allmählicher Zerfall in Schwefeldioxyd und Chlor ein. j Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV. Mit Wasser zerfällt SOgClg in HCl und H2SO4 unter vorübergehender Bildung von Chlorsulfonsäure, S02<^p, . Diese Säure bildet sich am einfachsten direkt aus völlig trockenem Salszäuregas und äqui- valenten Mengen Schwefeltrioxyd und wird auch technisch auf diese Weise dargestellt. Sie bildet eine farblose, an der Luft stark rauchende Flüssigkeit, die bei 155.3" siedet und das spezifische Gewicht d^s = 1.7875 besitzt. Die Chlorsulfonsäure zersetzt sich mit Wasser explosionsartig in Salzsäure und Schwefelsäure und muß deshalb äußerst vorsichtig gehandhabt werden. Tech- nische Anwendung findet sie bei der Fabri- kation des Saccharins zur Sulfochlorierung des Toluols, ferner bei der Darstellung des Thioindigos. Verbindungen des Chlors mit Se- len. Ganz analog wie der Schwefel verbindet sich auch das Selen mit Chlor. Man kennt das Selenmonochlorid, ScgCla, eine schwere Flüssigkeit von tiefroter Farbe, von ähn- lichem Geruch wie der Chlorschwefel, Di".5 = 2.906, ferner das Selentetrachlorid, SeCl4, eine weiße feste Masse, die viel be- ständiger als SCI4 ist. Auch das dem Thio- nylchlorid entsprechende Selenvlchlorid SeOCla ist bekannt; Sdp. 179.5": d= 2.443. 9. Spektrochemie. Das Linienspektrum des Chlors, wie man es erhält, wenn der elek- trische Funke in Chlorgas, am besten in einer Geiß 1er sehen Röhre, überspringt, weist folgende Linien auf: grün 545,8, 544,4, 542,5, 539,3, 522,0, 521,7, 510,3, 509,9. 507,8, blau 491,8, 490,5 489,8, 482,0, 481,0, 479.5, von denen die halbfett gedruckten besonders charakteristisch sind. Literatur. Gnielin- Kraut, Handbuch der an- organischen Chemie, Bd. I, Abt. 2. Heidelberg 1900. F. Sommer. c) Brom. Br. Atomgewicht: 79.92. Molekulargewicht: Br^ = 159.84. 1. Atomgewicht. 2. Vorkommen. 3. Ge- schichte. 4. Darstellung und Verwendung. 5. Formarten und physikalische Konstanten. 6. Valenz und Elektrochemie. 7. Analytische Chemie. 8. Spezielle Chemie. 9. Spektralchemie. 1. Atomgewicht. Das Atomgewicht des Broms beträgt nach der Tabelle für 1912 der internationalen Kommission 79,92. 2. Vorkommen. Freies Brom kommt in der Natur nicht vor, in Form von Brom- wasserstoff wurde es in den Emanationen der Fumarolen beim Vesuvausbruch beobach- tet. Bromwasserstoffsaure Salze finden sich 18 FluorgTuppe (Brom) dagegen häufig, sie bilden den steten Begleiter der Cliloridc und gelangen infolge ihrer leichten Löslichkeit mit ihnen in das Meer- wasser und in die vielen bromhaltigen Salz- solen und Brunnenwässer. Das wichtigste, auch in technischer Beziehung bedeutsamste. Vorkommen des Broms ist das als Magne- siumbromid MgBrg in den Staßfurter Salz- lagern, es findet sich dort in Begleitung von Magnesiunichlorid und von Karnallit. Der Eohkarnallit enthält 0,15 bis 0,25% Br. Andere weniger wichtige Brcmminer allen sind der Bromyrit (AgBr), das Silberchloro- bromid und das Silberjodobromid (Chile, Mexiko, Honduras). Meerwasser enthält im Mittel 0,008% Br, das Wasser des Toten Meeres besitzt einen MgBro-Gehalt von 1,45%. Durch- schnittlich kommen im Meerwasser auf 100 g Cl 330 bis 340 mg Br. Eine natürliche Folge davon ist die Assimilation des Broms in den Meergewächsen, namentlich an der holländischen, französischen und mittel- ländischen Küste. Auch in vielen Seetieren findet sich das Element. Im menschlichen Organismus dagegen kommt es in nennens- werten Mengen nicht vor. 3, Geschichte. Brom wurde zuerst von Joß und Liebig beobachtet, jedoch für Selen bezw. Chlorjod gehalten. Baiard erkannte als erster im Jahre 1826 das von ihm aus den Mutterlaugen des Mittelmeer- wassers gewonnene Brom als neues Element. Der Name leitet sich ab von ßoöjno^ — Gestank. 4. Darstellung und Verwendung. Für Laboratoriumszwecke destilliert man ein Gemisch von Alkalibromid und Braunstein mit 30%- Schwefelsäure. Das übergehende Brom fängt man unter Wasser auf und trennt es von diesem mittels eines Scheidetrichters. Durch Destillation über Calciumchlorid oder konzentrierter Schwefelsäure kann es voll- ständig entwässert werden. Durch nochmalige Rektifizierung erhält man es völlig rein. Der Prozeß vollzieht sich nach der Gleichung: MnOg + 2H2SO4 i _ / K,S04 + MnSO^ + 2KBr / - \ +"Br2 + 2H2O. Für die technische Gewinnung kommen allgemein die Endlaugen in Betracht, weU-he bei der Gewinnung der Kalisalze abfließen. Dieselben enthalten neben 30 bis 32% Ma- gnesiumchlorid, einige Prozente Natrium- chlorid, Kaliumsulfat und Magnesiumsulfat und ferner 0,2 bis 0,3% Brom als Magnesium- bromid. Sie werden direkt mit Braunstein und Schwefelsäure oder Salzsäure destilliert, wobei das übergehende Brom unter Wasser aufgefangen wird. Nach anderen Verfahren setzt man durch einfaches ICinleiten von ' Chlor das Brom in Freiheit, entsprechend der Gleichung: CI2+ 2Br' = Br,, + 2C1'. Die- ser Vorgang beruht auf der Tatsache, daß das Chlor ein erheblich höheres Potential besitzt als das Brom. Infolgedessen läßt sich auch I die Bromgewinnung elektrolytisch durch- führen. Bei guter Bewegung des Elektrolyten, geringer Stromdichte und unter Beobach- ! tung der Spannung kann die Lauge an der ' zweckmäßig aus Kohlestäben bestehenden j Anode völlig entbromt werden, bevor die Chlorabscheidung beginnt. Die elektrolytische Bromgewinnung ist also ein durchaus pri- märer Vorgang. An der von der Anoden- flüssigkeit durch ein Tondiaphragma ge- trennten Kathode bildet sich Magnesium- oxyd, das zum großen Teil als Oxychlorid gelöst bleibt. Die warme, das Brom gelöst enthaltende iVnodenflüssigkeit wird in einen j Kolonnenapparat übergeführt und das Brom ! durch Wasserdampf übergetrieben. Das ge- wonnene Rohbrom ist stets in geringem Maße chlorhaltig. Das auf rein chemischem Wege dargestellte technische Produkt besitzt einen Mindestgehalt von 1,2 % Cl , das 1 elektrolytische soll dagegen bei guter ' xArbeitsweise nur 0,4 % enthalten. Die Reinigung bereitet keine Schwierigkeiten, da die Destillation des Rohbroms mit einem LTeberschuß von gelösten Bromiden, die das Chlor unter Abscheidung von Brom in Chloride überführen, ein für die Praxis chemisch reines Produkt liefert. I Die Aufbewahrung und der Versand von Brom erfolgt technisch allgemein in Glas- flaschen, die ca. 3 kg fassen. Der Glasstöpsel wird mit Schellack umgössen, in Tonkitt eingehüllt und mit Pergamentpapier um- schnürt. Die Hauptmenge des produzierten Broms : wird heutzutage zur Herstellung von Brom- alkali und bromsauren Salzen verwendet, die teils medizinisch angewandt, teils auch für die Goldextraktion in den Handel gebracht werden. Daneben verbraucht die organische Industrie erhebliche Mengen zur Darstellung ! von Bromsubstitutionsprodukten wie Eosin, Bromoform usw. Auch zur Sterilisation von Trinkwasser findet es Verwendung. : In Form von Bromsilber verbraucht die Photographie erhebliche Mengen. In der ana- lytisclion Chemie bildet das Element ein wichtiges oxydierendes Reagenz. 5. Formarten und physikalische Kon- stanten. 5a) Flüssiges Brom. Brom ist neben Quecksilber das einzige Element, welches bei gewöhnlicher Temperatur flüssig erscheint. Es bildet eine braune, ziemlich dünne Flüssigkeit von äußerst unange- nehmem, an Chlordioxyd erinnerndem Ge- ruch. Sein Erstarrungspunkt liegt bei — 7.32", der Siedepunkt unter 760 mm bei + 58.60. Fluorgruppe (Brom) 19 Die Dichte beträgt bei 0" 3.1882, bei 150 2.990, beim Siedepunkt 2.9483. lieber den Dampfdruck des Broms bei verschiedenen Temperaturen gibt die folgende Tabelle Aufschluß: Temp.: 0,13« 7,90° 18,15» 29,8" 45,6» 59,5» mm Hg: 62 95 152,5 295 487 768 Bromdampf besitzt gelbrote Farbe. Bei hohenTemperaturen scheint dasBrommolekül, wie das des Chlors, atomistisch gespalten zu werden. Bei 900" wurde das Molekularge- wicht zu 78.6, nach anderen Messungen zu 78.8 bestimmt. Die spezifische Wärme des flüssigen Broms beträgt zwischen 13 und 45°: 0.1071, diejenige des Bromdampfs bei konstantem Druck: 0.05504, bei konstantem Volumen: 0,04257. Die kritische Temperatur des Brom- dampfes liegt bei 302,2". Flüssiges Brom leitet den elektrischen Strom sehr schlecht. Das Leitvermögen bei gewöhnlicher Temperatur beträgt 1.10-^. 5b) Festes Brom. Brom erstarrt bei —7.32** zu einer schwarzgrauen Masse, die bei weiterem Abkühlen auf — 252.5" farb- los erscheint. Die spezifische Wärme bis —77.75" beträgt 0.08432. 6. Valenz und Elektrochemie. Die Valenzverhältnisse des Broms schließen sich in vollständiger Analogie denen des Chlors an (s. den Abschnitt 6 des Artikels „Chlor"). In wässeriger Lösung spalten die Brom- wasserstoffsäure und die Bromide das farb- lose negativ geladene Bromion ab. Die i Beweglichkeit desselben beträgt nach t Kohlrausch 67.63, nach Drucker 66.3. Das Normalpotential, die Anionenentladung • 2 Br'^Br2 (flüssig), besitzt den Wert + 1,08 j Volt, wol5ei auf die Einheitskonzentration, ; also 79,92 g Bromionen in 1 1 Lösung, und , auf die Normalwasserstoffelektrode Bezug genommen ist. Das elektrochemische Aequi- j valent pro 1 Amp./Sek. ist gleich 0,828 mg | für Br'-Ion. j Auch das Brom bildet einen häufigen Be- standteil komplexer Anionen. In der Auf- lösung von Brom in Brorokalium kann man, mit Sicherheit das komplexe Ion Brg' an- i nehmen. In der unterbromigen, der bromigen | und der Bromsäure bezw. deren Salzen, ' ferner in den sogenannten Bromosäuren, j die durch Anlagerung der Bromwasserstoff- 1 säure an Bromide entstehen, ujid in den Bromosalzen, die sich in gleicher Weise wie die Fluoro- und Chlorosalze durch Ver- einigung zweier Bromide bilden, hat man weitere Beispiele für das Vorkommen des Broms in negativen Komplexen. Die genauen Dissoziationsverhältnisse hier festzustellen, stößt auf große Schwierigkeiten, da innerhalb der Anionreste weitere Aufspaltung zum [ Teil unter Hydratisierung und häufig sogar ! unter vollständigem Zerfall eintritt. Vgl. hierzu Werner: Neuere Anschauungen auf dem Gebiete der anorganischen Chemie. Braunschweig 1909. Ferner auch die Artikel „Fluor" und „Chlor", Abschnitt 6. 7. Analytische Chemie, 7a) Quali- tative Analyse, a) Freies Brom. Der Nachweis von freiem Brom ist durch die charakteristische Farbe, den Geruch und durch die Löslichkeit in Wasser leicht zu erbringen. Der braunen wässerigen Lösung kann das Element durch Schütteln mit Schwefelkohlenstoff oder Chloroform I entzogen werden. Durch überschüssiges ! Chlorwasser werden diese ebenfalls braun ge- färbten Lösungen unter Bildung einer Lösung von Chlor in Brom weingelb gefärbt. Durch j Alkalien wird das Brom entfärbt, ebenfalls ', durch Ammoniak. Im letzteren Falle tritt Stickstoffentwickelung auf. /i) Bromion. Die charakteristischen 1 Reaktionen auf Bromion sind die folgenden: Silbernitrat erzeugt einen gelblichen, [ käsigen Niederschlag, der in Salpetersäure unlöslich, in Ammoniak, Cyankalium und I Natriumthiosulfat dagegen löslich ist. Aus der ammoniakalischen Lösung fällen Säuren wieder gelbliches Bromsilber aus. Chlor entzieht infolge seines höheren Lösungsdruckes dem Bromion seine Ladung. Das derart in Freiheit gesetzte Brom zeigt die oben beschriebenen Reaktionen. Aus verdünnten, angesäuerten Bromid- [ lösungen scheidet weder Kaliumbichro- j mat noch Natriumnitrit freies Brom aus (Unterschied von Jod). Ueber den Nachweis von Cl', Br' und J'-Ion nebeneinander vgl. oben ,,Chlor". Zwecks Bestimmung von Br' und J' ver- fährt man folgendermaßen. Man säuert die Lösung schwach mit Schwefelsäure an, fügt etwa 3 bis 4 ccm Schwefelkohlenstoff hinzu und versetzt mit einigen Tropfen Chlor- wasser. Anwesenheit von J' gibt sich nach dem Durchschütteln durch Rotviolettfärbung des Schwefelkohlenstoffs zu erkennen. Ver- setzt man jetzt weiter mit Chlorwasser, so verschwindet anfangs infolge der Oxydation des J' zu JO3' die Färbung des Schwefel- kohlenstoffs und macht, falls Br' vorhanden, bei weiterem Zusatz von Chlorwasser einer Braunfärbung Platz, die durch überschüssiges Chlorwasser in weingelb übergeht (siehe oben). 7b) Quantitative Analyse. a)Gravi- metrische Bestimmung. Bromion wird allgemein als Bromsilber (AgBr) bestimmt. Die Ausführung der Bestimmung ist die gleiche wie beim Chlor (siehe oben). ß) Maßanalytische Bestimmung. Freies Brom. Die Bestimmung von Broni- wasser erfolgt durch Einfließenlassen desselben 2* 20 Fluorgmp])e (Brom) in überschüssige Jodkaliumlösuiig und Titration des ausgeschiedenen Jods mittels Thiosulfat. j Bromion. Bromion kann in ganz! analoger Weise wie Chlorion entweder nach ! Volhard oder nach Mohr mit V^o-n Silber- ; nitrat titriert werden. j 7c) Elektroanalyse. Zur elektro- j lytischen Bestimmung von Bromion löst I man das Bromid in 100 ccm Vr» Schwefel- säure und elektrolysiert unter fortwährendem Einleiten von Wasserstoff. Als Kathode benutzt man ein Platinblech, als Anode ein dünnes Silberdralitnetz. Das abgeschiedene Halogen verbindet sich mit dem Silber zu Silberbromid. Man elektrolysiert bei Zimmer- temperatur mit einer Spannung von ca. 0,35 Volt. Die Anode wird bei 120" ge- trocknet. Ueber die elektrolytische Trennung des Bromions von Chlor- und Jodion vgl. den Artikel ,,Jod", Abschnitt 7c. 8. Spezielle Chemie. 8a) Allgemeines chemisches Verhalten des Elements. Das Brom vereinigt sich direkt mit allen Elementen, ausgenommen Sauerstoff und j vielleicht auch Kohlenstoff, doch liegen j Arbeiten vor, die auf direkte Vereinigung' von Kohlenstoff mit Brom schließen lassen [ könnten. Seine Affinität zu den Metallen ist ganz verschieden. So kann Natrium und Magnesium in flüssigem Brom jahrelang auf- bewahrt werden, ohne daß eine Einwirkung eintritt, während andererseits Kalium, Zinn und Aluminium unter Entzündung und ex- plosionsartigen Erscheinungen reagieren. Quecksilber, Eisen und Wismut werden in der Kälte sofort ohne Feuererscheinung angegriffen, auch Gold wird glatt gelöst, Platin hingegen ist widerstandsfähig. Manche i\letalloxyde, wie Silberoxyd, werden bereits in der Kälte unter Sauerstoffentwickelung zersetzt, die Hydroxyde und Carbonate der Alkalien und Erdalkälien zerfallen in dieser Weise erst bei Glühhitze. x\rsen und Antimon reagieren momentan mit größter Heftigkeit. Wasserstoff verbindet sich bei höherer Temperatur mit Brom unter Bildung von Bromwasserstoff. Licht und feinverteiltes Platin katalysieren die Reaktion stark. Schwefelwasserstoff wird unter Schwefel- abscheidung und HBr-Bildung oxydiert. Ammoniak Avird unter vorübergehender Am- moniumhypobromitbijdung zu Stickstoff oxy- diert. Alkalilauge, mit Brom behandelt, liefert je nach den Versuchsbedingungen unter- bromigsaure oder bromsaure Salze (siehe unten). Organische Substanzen werden all- gemein auf das heftigste von Brom ange- griffen. Holz, Kork, Fett, Papier, viele Farb- stoffe usw. werden zerstört, ebenso orga- nische Gerüche. Alkohol wird bei gewöhn- licher Temperatur unter Bildung von Aethyl- acetat zersetzt. Die nach der Gleichung 2C2H5OH + 2Br2 = CH3COOC2H5 + 4 HBr vor sich gehende Reaktion kann kinetisch genau verfolgt werden. Oxalsäure wird nach der Gleichung ^^04"+ Brg ^ 2Br' + 2C0., durcli Brom zu Kohlensäure verbrannt. Ueber die weitere hervorragende Bedeu- tung des Broms für organische Reaktionen siehe in den betreffenden Kapiteln der orga- nischen Chemie (vgl. den Artikel „Ester"). Bromwasser. Brom löst sich in Wasser in nicht unbeträchtlichen Mengen mit rötlich- gelber Farbe auf, wie aus folgender Tabelle hervorgeht. 100 Teile HgO lösen bei: «C Teile Brom 0 4,107 10,34 3,740 19,9*' 3,578 30,17 3,437 40,03 3,44t' 49,85 3,522 Beim Erwärmen kann das Brom leicht wieder ausgetrieben werden, ohne daß die Flüssigkeit sauer reagiert. Eine Reaktion zwischen HgO und Brom tritt nur ganz all- mählich ein, da das Gleichgewicht Br2 + H2O ^HBr + OHBr praktisch völlig auf der Seite des freien Halogens liegt. Daß ein derartiges Gleichgewicht jedoch vorhanden ist, geht aus der Tatsache hervor, daß schon Baiard durch Schütteln mit HgO, also durch Entfernen einer Komponente (HBr) und Verschiebung des Gleichgewichts, unter- bromige Säure herstellen konnte. Bei längerem Stehen, besonders im Sonnenlichte, kann man eine Zersetzung in dem oben ange- gebenen Sinne auch feststellen. Läßt man eine überschüssiges Brom ent- haltende wässerige Lösung gefrieren, so kann ein Bromhydrat der Zusammensetzung Bro. lOHoO isoliert werden. 8''b) Verbindung des Broms mit Wasserstoff. — Bromwasserstoff, HBr, bildet sich beim Zersetzen eines Bromids mit Schwefelsäure. Infolge der sekundär auftretenden Oxydation des HBr durch H2SO4, vor allem, wenn die Schwefelsäure stärk konzentriert ist, ist der gebildete Brom- wasserstoff stets brom- und SOg-haltig. 25%- H2SO4 liefert ein fast reines Produkt. ' Bequemer erhält man ein solches, wenn man Phosphortribromid mit Wasser zersetzt: PBrg + SHoO = H3PO3 + 3HBr. Anstatt fertig gebildetes PBrg zu verwenden, kann man auch durch anfangs vorsichtige Einwir- kung von Brom auf ein Gemisch von rotem Phosphor und Wasser einen gleichmäßigen HBr-Strom erzielen. Zweckmäßig leitet man denselben noch durch ein mit ange- feuchtetem rotem Phosphor gefülltes U-Rohr, ■ um» mitgerissenes Brom zu entfernen. Wie I schon erwähnt, erhält man auch bei der ! Einwirkung von Brom auf HgS, ferner beim Fluorgruppe (Brom) 21 Ueberleiten eines Gemenges von Hg und Brg über schwach erhitzten Platinasbest die Säure in guter Ausbeute. Im letzten Fall genügt es. den Wasserstoff durch eine auf ca. 50 bis 60*^ erhitzte, mit Brom gefüllte Waschflasche zu leiten, um ein praktisch verwendbares Gasgemisch zu erhalten. Ebenso wie Platin vermag auch das Licht die Vereinigung von Ho und Bro zu beschleunigen. Bereits bei 100" tritt hierbei geringe Bildung von HBr ein, und bei 196" wird dieselbe fast vollständig, während im Dunkeln unter gleichen Bedin- gungen keine Reaktion erfolgt. Dabei ver- läuft die Reaktion nahezu proportional der Zeit der Lichteinwärkung. Kinetische Unter- suchungen ergaben ferner, daß die gemessenen Geschwindigkeiten nicht, wie normaler- weise anzunehmen, einer Gleichung zweiter Ordnung entsprechen, sondern anfangs 1 1'2 f acher Ordnung sind, um später sogar unter diesen Wert zu sinken. HBr und Jod verzögern die Reaktion stark. Als Nebenprodukt läßt sich Bromwasser- stoff bei der Bromierung organischer Sub- stanzen gewannen. Bei der Bromierung von Benzol iDeispielsw^eise fängt man die ent- weichenden aus HBr bestehenden sauren Dämpfe über Wasser auf und erhält auf diese Weise eine starke Lösung von Brom- wasserstoff. Flüssiger bezw. fester Bromwasserstoff läßt sich durch Druck oder Kälte (feste Kohlensäure und Aether) aus dem getrock- neten gasförmigen Produkt bequem erhalten. a) Physikalische Eigenschaften des Bromwasserstoffs.— Gasförmiger HBr. Bromwasserstoff bildet wie Chlorwasserstoff ein farbloses, stechend riechendes, an feuchter Luft nebelbildendes Gas von saurem Ge- schmack. 1 1 HBr wiegt bei 0" und 760 mm Druck 3.6167 g. Bis nahe dem Siede- punkte ( — 68") sind die gemessenen Dichten als normal befunden worden. Die Bildungs- wärme für HBr aus H + Br (flüssig) beträgt nach Thomsen 8440 g-cal. Die Wärme- tönung für ein Mol HBr aus H und Br (Gas) bei ca. 60" ist gleich 12 300 g-cal. Ueber die Löslichkeitsverhältnisse siehe bei der wässerigen Bromwasserstoffsäure. Flüssiger HBr. Flüssiger HBr bildet eine farblose Flüssigkeit, die bei — 68.7" siedet. Hier beträgt das spezifische Gewncht 2.160. Die kritische Temperatur ist 91.3o. Flüssiger HBr ist ein schlechter Leiter der Elektrizität. Die spezifische Leitfähigkeit ist ungefähr 0,05.10-«. In flüssigem HBr lösen sich viele anorganische und organische Ver- bindungen auf, so z. B. POCI3, HgS, PBrj, ferner zahlreiche iVether, Ketone, Ester, Nitrile und Kohlenwasserstoffe, zum Teil unter Bildung definierter chemischer Ver- bindungen, die auch isoliert w^irden. Fester HBr. Fester HBr bildet eine farblose, undurchsichtige Masse von Fp. —86.1". Wässerige Lösung. Die wässerige Bromwasserstoffsäure, erhalten durch Auf- lösen vonHBr-Gas in Wasser, bildet eine farb- lose, in konzentriertem Zustande rauchende, stark ätzende Flüssigkeit. Beim Erhitzen destilliert, gleichgültig ob man von einer verdünnten oder konzentrierten Säure aus- geht, schließlich, nachdem anfangs HgO bezw. HBr entwichen, eine Säure mit einem Gehalt von 47.80% HBr. Der Siedepunkt liegt dabei unter 760 mm Druck bei 126". Mit verändertem Druck ändert sich auch hier wie bei der Salzsäure die Zusammen- setzung des Rückstandes. Der Gehalt der Säure kann aus dem spezifischen Gewicht (s. folgende Tabelle) ersehen w^erden: 0 HBr ,115 10,4 1,080 23,5 1,190 30,0 1,248 40,8 1,383 48,5 1,475 49,5 1,515 Die konzentrierteste Säure enthält bei gewöhnlicher Temperatur 69% HBr, ent- sprechend dem Dihydrat HBr.2H20. Die Bromwasserstoffsäure ist einbasisch und eine sehr starke Säure, wie die Methyl- acetatkatalyse und die Rohrzuckerinversion beweisen. "Bezogen auf HCl = 100 beträgt der Geschwindigkeitskoeffizient für erstere 98, für letztere 111.4. Das molekulare Leit- vermögen {jii} bei verschiedenen Verdünnun- gen (v) ersieht man aus folgender Tabelle: V ^ 2 364 4 377 8 385 16 391 32 398 64 402 128 405 256 405 512 406 024 405 Die Bildungswärme einer wässerigen Lösung von 1 Mol HBr aus H, Br (fl.), aqua beträgt nach Thomsen 28 380 g-cal., die Absorptionswärme von 1 Aequivalent HBr in Wasser 20 000 g-cal. Die Neutrali- sationswärme von HBr und NaOH beträgt wie bei der Salzsäure 13 748 g-cal. Hydrate. Sättigt man Wasser bei — 3" mit HBr-Gas, so erhält man eine Lösung, die in ihrer Zusammensetzung der Formel HBr.2H20, also dem Dihydrat entspricht. Durch Abkühlen kann man dasselbe in Form einer bei ca. — 11" schmelzenden Kri- 22 riuorgmppe (Brom) Stallmasse erhalten. Andere Hydrate, die beschrieben wurden, sind das Monohydrat HBr.Hoü — aus dem Dihydrat und HBr unter Druck darstellbar — , ferner das Tri- hydrat HBr.SHaO mit 60% HBr (Fp. — 48") und das Tetrahydrat mit ca. 53%' HBr (Fp. — 55.8"). Die "Existenz der letzten i beiden Hydrate geht aus der Dichtigkeits- kurve hervor. Dieselbe läßt auch noch auf ein Pentahydrat schließen. ß) Chemisches Verhalten des HBr. i Beim Erhitzen von gasförmigem HBr j tritt eine deutlich nachweisbare Dissozia- 1 tion auf. Durch Erhitzen auf 700" und plötz- [ liehe Abkühlung konnte ein qualitativer Zerfall entsprechend 0,3 bis 0,9 % beobachtet [ werden. Die thermodynamische Berechnung ergab für 727" einen Spaltungsgrad von 1 0,15%. Auch aus der Messung der elek- ^ tromotorischen Kraft der Kette HalHBrlBroi berechnet sich für diese Temperatur ein Spal- j tungsgrad von 0,18%, für 1727" ein solcher! von ö^o. Gegen Sauerstoff ist HBr bei ! hohen Temperaturen nicht beständig. Beim j Erhitzen eines HBr — Oa-Gemisches auf 500" i ist dasselbe zum größten Teil in Wasser und i Brom gespalten. Sonnenlicht vermag die Zersetzung des feuchten Gases schon bei gewöhnlicher Temperatur zu bewirken, j während trockener HBr vollkommen be- 1 ständig ist. Deshalb oxydiert sich auch die | wässerige Lösung von HBr unter der dauern- den Einwirkung von Sauerstoff am Lichte, j Intensiver wirken naturgemäß, namentlich in der Wärme, Oxydationsmittel wie Per- oxyde, Salpetersäure, Kaliumbichroraat oder Nitrite, wenn sie in konzentrierter Lösung angewandt werden. Die Metalle der x\lkalien, der alkalischen Erden, ferner Fe, Co, Ni, Zn, Cd, AI, Sn, aber auch zum Teil Pb, Cu und Ag werden von der w^ässerigen Säure zu den Salzen des Bromwasserstoffs, den Bromiden, auf- gelöst. Die Löslichkeitsverhältnisse der- selben sind denen der Chloride analog (vgl. den Artikel „Chlor"). Das wichtigste I bromwasserstoffsaure Salz ist das Kalium- 1 brornid, das technisch aus Eisen(II, III)- bromid (vgl.den Artikel „Eisen") durch! Umsatz mit Kaliumcarbonat in wässeriger ! Lösung hergestellt wird. Eigenartig ist der ', Kristaliisationsprozeß. Esgelingt selten, selbst : aus völlig gereinigten Lösungen und bei ganz , allmählicher Abkühlung, das KBr in der I vom Handel verlangten schönen Würfelform j zu erhalten. Leitet man jedoch Schwefel- ] Wasserstoff in die Lösung und läßt jetzt j kristallisieren, so erhält man prachtvolle, I große, reguläre Würfel. j Beim Auflösen von Brom in Bromwasser- stoffsäure oder in Kaliumbromid bildet sich, wie man namentlich bei letzterem unter Zuhilfenahme des Massenwirkungsgesetzes und des Verteilungssatzes auf experi- menteller Basis leicht nachweisen kann, die komplexe Brom -Bromwasser- wasserstoffsäure HprBr,] bezw. ihr Kaliumsalz, auch Wasserstoff- bezw. Kaliumperbromid genannt. Diese Verbin- dungen sind äußerst unbeständig, so daß sie sich in analysenreiner Form kaum dar- stellen lassen. 8c) Verbindungen des Broms mit Sauerstoff und Wasserstoff. — Unter- bromige Säure, HOBr. Eine wässerige Lösung der unterbromigen Säure kann durch Schütteln von Bromwasser mit HgO dar- gestellt werden. Der Reaktionsmechanismus ist analog dem bei der Bildung der unter- chlorigen Säure (s. dort). Auf andere Weise entsteht die Säure aus BrFj und HjO. ferner vermag Fluor bei Gegenwart von Wasser Brom zu HOBr zu oxydieren. Die durch Vakuumdestillation erhaltene Säure ist als strohgelbe Flüssigkeit von stark bleichenden Eigenschaften beschrieben worden. Auf 60" erhitzt, zerfällt sie unter Bildung von Brom und Bromsäure. Die Bildungswärme von HOBr in wässeriger Lösung aus den Elementen wurde von Thomson zu +26080 g-cal. bestimmt. Die unterbromlge Säure ist eine sehr schwache Säure, schwächer als die unter- chlorige Säure. Während sich die Hydrolyse einer schwach verdünnten Hypochlorit- lösung nur in geringem Grade bemerkbar macht, sind entsprechende Lösungen von unterbromigsauren Salzen (Hypobromiten) stark hydrolytisch gespalten und enthalten deutlich wahrnehmbare Mengen unter- broraiger Säure nebst geringen Mengen von freiem Halogen. Es entspricht dies ja auch der allgemein beobachteten Erscheinung, daß bei verwandter), säurebildenden Ele- menten die Säuren um so schwächer sind, je höher das Atomgewicht ist (s. auch unter jodige Säure). x\m einfachsten bildet sieh unterbromlge Säure in Form ihrer Salze. Die gewöhnliche Darstellungsweise ist hier, wie beim Chlor, die Einwirkung von Brom auf kaltes starkes Alkali. Auch die Elektrolyse von Alkalibromid führt zum Ziel. Zu der elektrolytischen DarsteUungsweise ist zu bemerken, daß die unerwünschte Bildung von Bromat, die als Nebenreaktion entweder primär nach BrO' + 0.,i) = BrOs' (a) oder sekundär nach 2H0Br = Br03'+ 2HBr (b) eintreten kann, vorteilhaft unterdrückt wird dadurch, daß man in alkalischer Lösung arbeitet, da unter diesen Be- dingungen hauptsächlich die sehr langsam ') Anodisch entwickelt. Fluorgruppo (Brom) 23 verlaufende Keaktion (a) eintritt. So gelingt es, Hypobromite in ungefähr äquivalenter Konzentration wie Hypochlorite darzustellen, wenn auch die Stromausbeute wegen der nicht völlig zu verhindernden Bromatbildung schlechter ausfällt. Die unterbromige Säure sowohl wie auch ihre Salze sind starke Oxydationsmittel. Bromige Säure, HBrÖa, bildet sich aus überschüssigem Bromwasser und kon- zentrierter AgNOg-Lösung, offenbar unter vorübergehender Bildung von HOBr, nach dem Schema: Br2 + AgNO.+HaO = HOBr+AgBr + HNOa Bromsäure, HBrOg, entsteht neben freiem Brom beim Erwärmen von unter- bromiger Säure (s. dort) oder beim Behandeln von HOCl mit Bromwasser; im letzteren Fall bildet sich freies Chlor. Ferner kann man Brom bei Gegenwart von Wasser durch Fluor zu HOBr und weiter zu HBrOg oxydieren. Praktisch verfährt man zur Her- stellung einer wässerigen Lösung von HBrOg zweckmäßig derart, dao man zu einer warmen AgBrOg-Lösung solange Brom setzt, als dieses noch absorbiert wird: ^^||^^+^ß^^} = 5AgBr+6HBr03. Man filtriert darauf vom entstandenen Silberbromid. Die Bromsäure läßt sich wasserfrei nicht darstellen. Durch Destillation im Vakuum kann die verdünnte Säure bis zu einem Gehalt von ca. 50% HBrOj konzentriert werden. Bei weiterem Einengen zerfällt sie unter Brom- und Sauerstoffabgabe. Die Säure ist einbasisch, schwächer als HBr und stärker als HJO3. Sie bildet nur eine Reihe von Salzen, die Bromate vom Typus MeBrOs. Ihre Konstitution ist analog der der Chlorsäure. Das molekulare Leit- vermögen (/./) bei verschiedenen Verdün- nungen (v) gibt folgende Tabelle wieder: V fi 3^ 359 Ö4 370 128 381 256 390 512 396 024 401 Die Bild ungs war nie für HBrOg aq. aus Br, O3, H, aq. beträgt nach Thomsen: + 12 420 cal. Die Säure ist ein starkes Oxydations- mittel. Sie vermag fein verteilten Schwefel, Schwefelwasserstoff, salpetrige Säure, Ferrosalze usw. , ferner viele organische Verbindungen, zum Beispiel Alkohol, Aether und Oxalsäure leicht zu oxydieren. Jod bildet HJO3 und Brom, Chlor dagegen I wirkt nicht ein. Mit Jodwasserstoff reagiert I die Säure unter Jodabscheidung, mit Brom- wasserstoff entsteht Brom. Beide Reaktionen 1 wurden verschiedentlich kinetisch genau I studiert. Die Bromate, die Salze der Bromsäure, bilden sich am einfachsten aus Bromsäure \ und Metalloxyden. Ferner aus Hypobromiten, die besonders leicht in schwach alkalischer Lösung in Bromid und Bromat zerfallen. I Erwärmen befördert die Reaktion stark. Auch bei der Elektrolyse von Bromid- lösungen geht die Bildung an der Anode leicht vor sich. Man wählt hierzu neutrale oder schwach saure Lösungen, die zur Vermeidung der Reduktion mit geringen ! Mengen Kaliumbichromat versetzt sind. I Das Bromat entsteht unter diesen Be- dingungen sekundär nach dem Vorgang: ; BrO' + 2H0Br = BrOg' + 2HBr, der hier mit ungefähr lOOmal größerer Ge- schwindigkeit verläuft als die analoge Chlorat- , bildung. Als Anodenmaterial benutzt man ! glattes Platin oder geschmolzenes Eisen(II, III)oxyd, als Kathode zweckmäßig Kohle. Bei geringen Stromdichten 0,4 bis 0,15 Amp./ qcm erfolgt die Reaktion in fast quantitativer j Ausbeute. ! Die Bromate sind in Wasser meist I leichtlöslich, auch das Silbersalz löst sich in warmem Wasser. Beim Erwärmen spalten sie wie die Chlorate Sauerstoff ab. Die Existenz einer Perbromsäure, üeb er bromsäure, HBrOi, ist zweifelhaft. j Die Literaturangaben widersprechen sich i völlig. 8d) Stickstoffhaltige Bromverbin- [ düngen. — Bromstickstoff,NBr3( ?). Eine dem Chlorstickstoff entsprechende Broni- ! Verbindung ist mit Sicherheit bisher noch nicht beschrieben worden. Nitrosylbromid, NOBr, das Bromid der salpetrigen Säure, bildet sich, wenn man auf abgekühltes Brom (— 7 bis — 15") Stick- oxyd einwirken läßt. Es bildet eine schwarz- bräune, gegen kaltes Wasser beständige Flüssigkeit, die bei —2° siedet. Bei weiterem Erhitzen auf 20" soll sie sich nach der Gleichung: 4N0Br = 2N02+N,02Br4 zersetzen und es soll die sogenannte Bromuntersalpetersäure N20£Br4 ent- stehen, welche bei 40 bis 55» wiederum in Nitryltribromid NOBr, zerfällt. Vielleicht stellt das Nitryltribromid iedoch nur ein Gemisch von NOBr und Br, vor. 8e) Schwefelhaltige Bromverbin- dungen — S c h wef elmo n 0 br 0 mid, Schwefelbromür, SoBra, entsteht am bequemsten, wenn man Brom mit Schwefel im Verhältnis S.^:Bri, mehrere Stunden im geschlossenen Rohr auf Wasserbadtemperatur 24 Fluorgruppe (Brom — Jod) erhitzt. Es bildet eine rote, ölige Flüssig- i keit; d^" = 2.6355, Fp:— 46«, Sdp:57bis58o bei 0.22 mm Druck. SjEra leitet den elek- trischen Strom nicht. Bildungswärme: Seefest) + Br^ffl.) = S^Bra (!,.)+ 2000 g-cal. Schwefelmonobromid wird namentlich von warmem Wasser leicht zersetzt, wobei als Zersetzungsprodukte Schwefel, Brom- wasserstoff und Schwefeldioxyd auftreten. SBr, nnd SBr4(?). Andere Bromschwefel- verbindiingen, wie SBr 2 und SBr 4 wurden zwar beschrieben, iedoch haben Schmelz- punkts- und Dampf druckbestimmungen an S-Br-Gemischen ihre Existenz sowohl bei tiefen Temperaturen als auch oberhalb 0" unwahrscheinlich gemacht. Thionylbromid, SOBr,, das Bromid der schweiligen Säure, bildet sich bei der Einwirkung von NaBr, HBr oder AlBr^ auf SOCI2 und stellt eine sehr hygroskopische orangegelbe Flüssigkeit vor; d^« = 2.68. j Sdp.röS» bei 40 mm Druck. Sulf urylbro mid, Bromsulfonsäur e. Die Literaturangaben über die Bromide der Schwefelsäure, das Sulfurylbromid, SOjBra, und die Bromsulfonsäure, : SO 3. HBr, sind unsicher. Wahrscheinlich! sind diese Verbindungen noch nicht rein j isohert worden. 8f) Selenhaltige Bromverbin-} düngen. — Selenmonobromid, SegBrg, l und Selentetrabromid, SeBr4, entstehen , synthetisch aus den Elementen. Ersteres ; bildet eine dunkeh'ote Flüssigkeit, d^^ = 3.604, letzteres ist fest und bildet ein hellrotbraunes, kristaUinisches Pulver. Beide werden von kaltem Wasser allmählich zersetzt. 8g) Verbindungen von Brom mit Fluor und Chlor. — Bromtrifluorid, i BrFg, erhält man durch Einwirkung von Fluor auf Brom bei 0° als farblose, an der Luft stark rauchende Flüssigkeit. Durch Ab- kühlen wird sie fest und schmilzt bei 4 bis 5°. Bei der Zersetzung durch Wasser treten als Zerfallprodukte neben Sauerstoff und i Bromwasserstotf auch unterbromige und | Bromsäure auf (s. oben). i Die hellgelbe Färbung, die beim Ver- 1 setzen von Brom mit überschüssigem Chlor auftritt, glaubte man früher allgemein auf die Bildung der chemischen Verbindung, Chlorbrom, ClBr, zurückführen zu müssen. Eine genaue Aufnahme der Abkühlungs- und \ Erstarrungskurven, sowie der Siedepunkts- j kurven im System Chlor-Brom haben jedoch ! ergeben, daß zur Annahme einer chemischen Verbindung keinerlei Anhaltspunkte vor- liegen. Die angeblichen Verbindungen ent- sprechen nur der Löslichkoit des Chlors in Brom. 9. Spektralchemie. Das Funkenspektrum des Broms in einer Geißlerschen Köhre be- steht aus folgenden Linien: rot: 700.0, 678.0, 663.0, 658.3, 655.9, 654.6; orangegelb: 635.3, 614.8, 587.6; gelb: 583.0; gelbgrün: 572.3; grün: 559.0, 550,9, 549.7, 549.1, 545.0, 542.3, 532.7, 530.5, 524.0, 518.4, 516.6, 506.0, 49.3.0; blau: 478.8, 470.5, 467.7, 461.8; indigo: 436.6; violett: 398.0. Bromdämpfe geben ein Absorptions- spektrum, das aus zahlreichen Linien, die zu Bändern gruppiert sind, besteht. Ein Flammeuspektrum liefert Brom nicht. Literatur. Gmelin-Krauts Handbuch der an- organischen Chemie, Bd. I, Abt. 2. Heidelberg 1909. F. Sommer. d) Jod. Atomgewicht: J = 126.92. Molekulargewicht: J2 = 253.84. 1. Atomgewicht. 2. Vorkommen. 3. Geschich- te. 4. Darstellung und Verwendung. 5. Form- arten und physikalische Konstanten. 6. Valenz und Elektrochemie. 7. Analytische Chemie. 8. Spezielle Chemie. 9. Spektralchemie. 1. Atomgewicht. Das Atomgewicht des Jods besitzt nach der internationalen Tabelle 1912 den Wert 126,92. 2, Vorkommen. Jod ist in der Natur in freiem Zustande ganz vereinzelt in einer Quelle, Woodhall Spa bei Lincoln, als Jodwasserstoff in den Emanationen des Vesuvs beobachtet worden. Häufiger, aller- dings nirgends in größeren Mengen, findet es sich als Jodid, Jodat, seltener als Perjodat, meist in Begleitung von Chloriden und Bromiden oder Nitraten. Im Mineralreiche findet es sich als Mercurijodid, Hg Jg, als Silber- jodid, AgJ, als Jodobromid, 2Ag(Cl,Br), AgJ, ferner in geringen Mengen in manchen Weißbleierzen, in Malachiten und Zinkerzen. Im dolomitischen Kalkstein, ferner im Stein- salz fehlt es selten, während das Vorkommen in den Kalisalzlagern von manchen Seiten bestritten wird. Auch in Eruptivgesteinen (Graniten), ferner in Steinkohlen ist meistens Jod nachzuweisen. Das technisch wichtigste Vorkommen ist das in den chilenischen Salpeterlagern, wo es sich vornehmlich als Natriumjodat, NaJOg, ferner in kleinen Mengen auch als Natriumperjodat und als Calciumjodat Ca(J03)2 bis zu Mengen von 0,5 %o Jod findet. Im Meerwasser kommt das Halogen nur zum geringsten Teil als Jodid vor, hauptsächlich vielmehr in orga- nischer Bindung durch Assimilation des Fluürgruppc (Jod) 25 Jods im pflanzlichen und tierischen Organis- mus. Nach G a u t i e r enthält Meerwasser kein Jod als Jodnatrium, organisches Jod dagegen bis 1.8 mg pro Liter in gelöster Form und 0.5— 0.6 mg suspendiert. Von den Seepflanzen enthalten besonders Fucus und Ulva-Arten nennenswerte Mengen. Aber auch einige Landpflanzen, so z. B. die Runlvelrübe, speichern Jod auf, und ferner hat man in Fröschen und Süßwasserkrebsen das Element nacliweisen können. Im mensclilichen Organismus findet sich Jod namentlich in der Schilddrüse als Thyrojodin. Den Jodgehalt der menschhchen Organe in Vjoo Jiig pro 100 g Organ gibt die folgende Tabelle von Justus wieder. Schilddrüse 976,0 Lymphdrüse 60,0 Leber 121,4 Milz 56,0 Niere 105,3 Testikel 50,0 Magen 98,9 Pankreas 43,1 Haut 87,9 Uterus (virginal) 41,3 Haar (Haupt) 84,4 Lunge 32,0 Nägel 80,0 Sehnen 20,0 Prostata 68,9 Dünndarm 11,9 Nebenniere 63,6 Fettgewebe Spuren. Erwähnenswert ist noch das Vorkommen von Jod in der Luft. Nach G a u t i e r s Untersuchungen findet es sich dort nicht in Form von Jodiden, sondern in organischer Bindung wahrscheinlich maritimenUrsprungs. 100 Liter Luft enthalten in Paris 0.0013 mg, an der See 0.0167 mg Jod. 3. Geschichte. Das Jod wurde im Jahre 1812 von Courtois entdeckt und namenthch in den ersten Jahren von Gay-Lussac und Davy (Jodsäure und Jodate), ferner von Clement und Desormes (Jodwasser- stoff) eingehender untersucht. Der Name Jod ist abgeleitet von IwSrjs = veilchenartig wegen der violetten Farbe des Joddampfes. 4. Darstellung und Verwendung. Für Laboratoriumszwecke und für die Dar- stellung sehr reinen Jods geht man zweck- mäßig vom Kahumjodid aus und zersetzt dessen wässerige Lösung mit Kahumperman- ganat oder Kaliumbichromat in saurer Lösung. Das ausgeschiedene Jod filtriert man, eventuell nach vorausgegangener "Wasserdampfdestillation, trocknet es und subMmiert es noch einmal. Ein sehr reines Produkt erhält man auch durch trockene Destillation von 1 Teil Kahumjodid und 1,5 bis 2 Teilen Kahumbichromat. Nach der Gleichung 6K J + öKaCr^ = SKaCrp« + Cr203+ 6J erhält man das Jod in beinahe quantitativer Ausbeute. Für die technische Darstellung kommt heutzutage fast ausschließhch die natrium- jodathaltige Mutterlauge des Chilesalpeters in Betracht. Durchschnitthch enthalten die Mutterlaugen: 28% NaNOg, 11% NaCl, 3% Na^SO,, 3% MgS04, 22% NaJOg nnd 33% H2O. Die Abscheidung kann entweder mittels schwefhger Säure, Sulfiten oder Bisulf iten erfolgen, z. B. nach dem Schema: 2Na JO3 + SNa^SOa + 2NaHS03 = 5Na,S04 + J2+ H^O oder durch Einleiten von salpe- triger Säure. Auch die elektrolytische Abscheidung erweist sich als vorteilhaft, da das Ab- scheidungspotential des Jods um ca. 0,8 Volt 1 unter dem des immer im Elelctrolyten vor- I handenen Chlors liegt, ferner infolge des niedrigen Potentials Stromverluste durch Sauerstoffentbindung bezw. Jodatbildung I ausbleiben. Das anodiseh abgeschiedene 1 Halogen kann durch einfache Filtration dem Elektrolyten leicht entzogen werden. In früheren Jahren war das technische Ausgangsmaterial hauptsächhch die durch Einäscherung der getrockneten Seepflanzen erhaltene jodhaltige Asche, Kelp oder Varec, genannt. Bei der allmähhchen Erschöpfung j der chilenischen Lager ist es auch nicht j ausgeschlossen, daß diese Art der Jod- I gewinnung einmal wieder größere Bedeutung I erlangen wird. Auch hier kann die Jod- abscheidung auf verschiedenen Wegen er- folgen, entweder durch direktes Einleiten von Chlor in die angesäuerte Lösung oder, nach genügender Anreicherung der Lauge an K J — ■ durch oftmahges Extrahieren der Asche und Kristalhsation der beigemengten Salze — durch Destillation mit Braunstein. Das gewonnene Rohjod ist stets unrein, vor allem enthält es Chlor und Cyan, letzteres in Form von JCN. Mehrfache Sulshmation unter Zusatz von Kaliumjodid liefert ein technisch reines Produkt. Zur Gewinnung völhg reinen Halogens greift man vielfach auf das in sehr reiner Form erhaltbare Kahumjodid zurück und zersetzt dies in der oben angegebenen Weise. Verwendung. Jod findet in alkoho- hscher Lösung (offizineile Jodtinktur, Tinc- tura jodi, besteht aus 1 T. Jod in 10 T. Alkohol), ferner als Kahum oder Natrium- jodid und in organischer Bindung als Jodo- form, Sajodin, in Form von Jodfetten usw. ! medizinisch vielfache Verwendung. Die Teerfarbenindustrie benötigt beträchtliche Mengen des Halogens. Die Jodide werden auch in der Photographie gebraucht. In der analytischen Chemie, speziell in der Maß- analyse, soielen Jodlösungen eine große Rolle. 5. Formarten und physikalische Kon- stanten. Das Jod besitzt schwarzgraue, dem Graphit ähnhche Farbe, die um so dunlder erscheint, je reiner das Halogen ist. Es kristaUisiert rhombisch, jedoch wurden auch monokhne Kristalh' beobachtet. Der Geruch ist ein eigentündicher, er erinnert etwas an Chlor. Das spezifische Gewicht beträgt bei 4«: 4.933, bei —184.5«: 3.706. Jod schmilzt bei 113» und siedet bei 183.05» unter 760 mm Druck, wobei es sich in einen 26 Fluorgruppe (Jod) blauvioletten Dampf umwandelt. Der Dampf- j druck beträft beim Schmelzpunkt 87 mm. Ueber die Dampfdichte und die Disso- ziation, welche Joddampf bei hohen Tempe- raturen erleidet, gibt die folgende Tabelle Aufschluß: J2 - > 2 J t »/o (dissoziiert) 400» 0.0601 600° 4.71 800» 10.5 1000" 38.1 1200» 74.0 Bis 400» ist also die Dampfdichte normal. Ueber die Molekulargröße des gelösten Jods ist viel diskutiert worden. Man glaubte aus der verschiedenen Farbe der Lösung auf einen verschiedenen Molekularzustand (Jg, J4 usw.) schheßen zu müssen. Dem- gegenüber wurde festgestellt, daß die rot- violetten Lösungen des Jods in CCI4 und CHCI3, die braunen in Aethylacetat und Methylal, sowie die roten in Benzollösung alle gemeinsam das Molekulargewicht 254, entsprechend Jj, besitzen. Viel wahrschein- licher ist es daher, daß die verschieden- artige Färbung ihren Grund in Jod- Additionsverbintlungen hat. So wurde darauf hingewiesen, daß gesättigte Lösungs- mittel wie'CCl4, CHCI3, CS., stets violette, ungesättigte Lösungsmittel wie Alkohol, Aether, Ester, Nitrile usw. immer braune Lösungen geben. In gewissem, Widerspruch ! hierzu steht allerdings die Beobachtung, I daß die Löshchkeitskurve von Jod in CS2 (also einem gesättigten Lösungsmittel) merk- 1 würdigerweise eine Anzahl von Knicken auf- 1 weist, die für eine Einwirkung von Ge- j löstem auf das Lösungsmittel sprechen. Weiter muß erwähnt werden, daß die | violette Farbe der CSg-Lösung beim Ab- ! kühlen mit fester Kohlensäure und Aether braun, andererseits d'e braune Jodlösung in 1 Oxalsäureäthylester beim Erwärmen auf \ 80» violett wird. Die spezifische Wärme des festen Jods ist 0.05412, des geschmolzenen 0.108, des | Joddampfes (bei konstantem Druck) 0.03489, (bei konstantem Volumen) 0.02697. Das Verhältnis beider beträgt zwischen 220 und 275» 1.294. 6. Valenz und Elektrochemie. Ueber ; die dem Chlor und dem Brom völHg analogen Valenzverhältnisse des Jods siehe die Aus- j einandersetzungen im Artikel ,, Chlor", Ab- 1 schnitt 6. Tn wässerigerLösung spalten der Jodwasser- stoff und die Jodide das farblose, negativ ge- ladene Jodion ab. Das Normalpotential des Jods, entsprechend der Anionenentladung 1 2 J' -» Ja (fesM, liegt um ca. 0,5 Volt niedriger 1 als das des Broms bei +0,54 Volt. Es bezieht ■ sich auf die Konzentration 126.92 g Jodion pro Liter, die Normalwasserstoffelektrode als Nullpunkt angenommen. Die Beweglichkeit des Jodions beträgt nach Kohlrausch 66.5 bei 18», der Temperaturkoeffizient ist Gig =0.0213. Weiterhin muß man in den braunen Lösungen von Jod in Jodkalium oder Jodwasserstoffsäure ein komplexes Jodion annehmen. Wahrscheinlich besitzt dasselbe, wie aus dem Verteilungsverhältnis von Jod zwischen JodkaMumlösung und Schwefelkohlenstoff zu schließen ist, unter Zugrundelegung der Verbindung HJ3 bezw. KJ3 die Zusammensetzung J3'. Andererseits lassen Ueberführungsversuche und Leitfähig- keitsmessungen aber auch die Annahme eines Ions KJ,' zu. Bei den höheren Polyjodiden der Formel MeiiJ4(J6, Js, J,c) hat man es offenbar mit labilen Molekularverbindungen zu tun. Den Lösungen des Calciumtetrajodids, CaJ4, lassen sich durch Ausschütteln mit CS 2 glatt 2 Atome Jod entziehen und die höheren PolyJodide dissoziieren schon in wässeriger Lösung in das Tetrajodid und freies Jod. Von anderen komplexen Anionen existieren auch hier, wie beim Chlor und Brom, die Ionen JO', JO2', JO3' und JO4', ferner vermögen auch die Jodide, durch Zusammentritt mit HJ bezw. anderen Halo- geniden, Jodosäuren und Jodosalze zu bil- den (siehe den Artikel ,, Chlor", Abschnitt 6). 7. Analytische Chemie. 7a) Qualitative Analyse. a) Reaktionen auf freies Jod. Freies Jod ist leicht an seinem violetten Dampf, seinen braunen alkoholischen und rotvioletten Schwefelkohlenstofilösungen zu erkennen. Schwefelwasserstoff, schwefhge Säure und Natriumthiosulfat entfärben die Lösungen momentan. Stärkekleister wird bei Gegenwart von HJ oder KJ prächtig blau gefärbt. /?) Reaktionen auf Jod-Ion. Silber- nitrat erzeugt eine gelbe käsige Fällung von AgJ, das in Ammoniak sehr schwer und in Salpetersäure vöUig unlöslich ist. Natriumthiosulfatlösung und Cyankalium lösen es dagegen leicht. Palladiumchlorür fällt schwarzes Palladiumjodür (PdJg), das sich in über- schüssigem Jodkaliura löst (wichtiger Unter- schied vom Chlor- und Brom-Ion). Kupfersalze werden durch Jodide unter Jodabscheidung und Bildung von Kupfer(I)- jodid reduziert: ■2CUSO4 + 4KJ = 2K2SO4 + CU2J2 + J2. Bleisalze fällen gelbes, in heißem Wasser löshches Bleijodid (PbJa). Mercurisalze geben scharlachrotes Mercurijodid, das im Ueberschuß von KJ löslich ist. Kali umbi Chromat in schwefelsaurer Lösung und salpetrige Säure scheiden selbst aus ganz verdünnten Jodidlösungen freies FluorgTuppc (Jod) 27 Jod aus, das die oben beschriebenen Reak- tionen zeigt (Unterschied von Brom). Chlorwasser setzt aus Jodiden Jod in Freiheit, das durch überschüssiges Reagenz weiter zur farblosen Jodsäure oxydiert wird. 7b) Quantitative Analyse, a) Freies Jod. Die Bestimmung von freiem Jod kann maßanalytisch leicht durchgeführt werden, indem nian entweder eine Thiosulfat- oder Arsenigsäurelösung genau bekannten Ge- 1 halts zur Jodlösung fließen läßt. Als Indikator benutzt man Stärkelösung. Beim Umschlag von blau in farblos ist die Titration beendet, j Im ersten Falle erfolgt der Umsatz nach der für die Jodometrie grundlegenden Gleichung 2NaoS203+ Ja^SNaJ+Na^SA- Bei Anwendung der Arsenigsäurelösung, die man in Bikarbonat-alkahscher Lösung verwendet, nach: As.,03+ 2H.,0 + 4 J + 4NaHC03 = AS2O5 + 4Na J + 4H2O+ 4CO2. ß) Jod-Ion. Gravimetrische Be- stimmung. Die Bestimmung von Jod- Ion erfolgt auf gravimetrischem Wege ganz analog wie beim Chlorion mittels Silber- nitrat als AgJ (siehe oben ,, Chlor"). Bei der Bestimmung als Palladiumjodür fügt man zu dem schwach salzsauren Jodid Palladiumchlorürlösung, läßt 1 bis 2 Tage warm stehen und filtriert das brannschwarze PdJg durch einen Goochtiegel. Man wäscht mit warmem Wasser aus und trocknet bei 100°. Eventuell kann man auch durch Er- hitzen im Wasserstoff Strom PdJg zu Metall reduzieren und Jod indirekt berechnen. Titrimetrische Bestimmung. Titri- metrisch läßt sich Jod-Ion mittels Silber- nitrat und Rhodanammon bestimmen. Man versetzt die Jodidlösung mit einem Ueber- schuß von genau bekannter Silbernitrat- lösung, läßt das gebildete gelbe AgJ durch Schütteln sich gut zusammenballen und titriert jetzt unter Zusatz von Eisenammoniak- alaun als Indikator das überschüssige AgNOg mittels Rhodanammonlösung zurück. Elektro an alyse. Jod, in Form von Jodion, kann ganz analog wie das Bromion elektroanalytisch bestimmt werden. Man arbeitet ebenfalls in der Killte mit einer Spannung von 1,94 bis 2 Volt und einer Stromstärke von 0,03 bis 0,07 Anip. Durch Prüfung mittels Kaliumnitrit und Schwefelsäure und darauf folgendem Aus- schütteln mit Schwefelkohlenstoff stellt man die Endreaktion auf Jod an. Sehr becpiem läßt sich auch durch Ab- stufung der elektromotorischen Kraft die Trennung der drei Halogene Chlor, Brom und Jod durchführen." Man löst die Halogensalze unter Durchleiten von Wasser- stoff — zwecks Vermeidung der polari- sierenden Wirkung des entstehenden Sauer- stoffs — in 100 ccm normaler Schwefelsäure. Arbeitet man nun mit einer Spannung von höchstens 0,13 Volt, so scheidet sich allein das Jod ab. Man reinigt die Anode, trock- net bei 120° und wägt sie. Hierauf elektro- lysiert man von neuem mit einer Spannung von 0,35 Volt. Jetzt scheidet sich nur Brom ab, das Chlor bleibt in Lösung und kann durch Titration nach den bereits be- schriebenen Methoden leicht bestimmt werden. Näheres sieh*e bei A. Classen, Quantitative Analvse durch Elektro analyse, Berlin 1908. 8. Spezielle Chemie. 8a) Allgemeines Verhalten des Jods. Jod besitzt zwar geringere Reaktionsfähigkeit als F, Cl und Br, zeigt aber den meisten Elementen gegenüber noch beträchthche Affinität. Jod und Wasserstoff vereinigen sich unter Bildung von Jodwasserstoff und zwar beginnt die Einwirkung in geringem Grade bereits bei 100°. Sie erweist sich als umkehrbare Reaktion, die in allen ihren Erscheinungen den Forderungen des Massenwirkungsgesetzes voll- kommen entspricht und ausführlich studiert wurde. Der Vorgang zeigt sich in hohem Maße abhängig von der Temperatur und wird durch Druck beschleunigt. Die rein thermische Reaktion ist eine bimolekulare, entsprechend der Gleichung: H2+ J2;it2HJ. Das Ver- hältnis, das im Gleichgewichtszustand zwischen gebildetem H J und unverbundenem Gasgemisch besteht, stellt sich ein, gleich- gültig, ob man von fertig gebildetem HJ ausgeht oder von noch unverbundenem J2+ Hj-Gemisch. Die folgende Tabelle gibt für verschiedene Temperaturen die Lage des Gleichgewichts an: HJ Zersetzter % 290° 16,37 310° 16,69 320« 16,01 340° 17,06 350» 17,63 394° 19,57 448° 21,43 518» 23,63 Durch Platinschwamm wird die Ein- stellung des Gleichgewichts katalytisch be- schleunigt, eine Verschiebung des Gleich- gewichts findet dabei selbstverständlich nicht statt. Gegen trockenen Sauerstoff scheint Jod indifferent zu sein, dagegen wird es von feuchtem Sauerstoff unter dem Einfluß der elektrischen Entladung zu den Sauerstoff- säuren des Jods oxydiert. Offenbar wirkt hierbei Sauerstoff iii Form von Ozon auf das Jod ein. Mit den übrigen Halogenen tritt das Element in Reaktion. Beim Fluor erfolgt die Vereinigung unter heftiger Wärmeent- wickelung und führt zur Bildung von JF5. Am- moniak bildet Jodstickstoff. Hydrazin wird unter Na-Entwickelung glatt oyxdiert, Schwefelwasserstoffwasser unter Schwefel- 28 Fluorgruppe (Jod) abscheidung zersetzt. Völlig trockener H,jS wird dagegen von Jod selbst bei 500° nicht angegriffen. Ueber die direkte Vereinigung des Jods mit Kohlenstoff ist dasselbe zu sagen wie beim Brom (siehe dieses). Metallen gegenüber verhält sich Jod ganz verschieden. Auf Natrium wirkt es selbst bei 350" nicht ein, Kalium explodiert beim Znsammen- schmelzen. Auch mit Quecksilber verbindet es sich leicht, ebenso wird Gold oberhalb 50» unter Bildung von Aurojodid angegriffen. Eisen, Nickel, Uran und Aluminium ver- einigen sich bei höherer Temperatur mit Jod zu den wasserfreien Jodiden. Mit Metalloiden wie Phosphor, Arsen, Antimon und Silicium reagiert es ebenfalls unter Bildung der be- treffenden Jodide. An ungesättigte organische Verbindungen, wie Acetylen und Oelsäure, lagert sich Jod leicht an, andererseits kann es auch, wie die übrigen Halogene, substituierend in das Molekül eintreten. Ueber den blaugefärbten Körper, den Jod mit Stärke bildet, sind die Meinungen geteilt. Man faßt ihn einmal als chemische Verbindung auf, oder aber als eine wohldefinierte feste Lösung von Jod und Stärke, deren Aufnahme- fähigkeit für Jod von der Konzentration der sie umgebenden Jodlösung abhängt. Die Auffassung, welche die ,, Jodstärke" für eine chemische Verbindung hält, erteilt ihr die Formel: (C24H4PO20J4), HJ. Danach handelt es sich um die Jodwasserstoffver- bindung eines Jodadditionsproduktes mit einem Jodgehalt von ca. 18%, also um eine Säure, die auch Salze zu bilden imstande ist. Das Ba-Salz wurde in der Literatur be- schrieben. Diese rein chemische Auffassung baut sich vor allem auf der Tatsache auf, daß Jod nur bei Gegenwart von HJ bezw. seinen Salzen die Blaufärbung hervorruft. Auch durch Einwirkung von Jod auf basisches Lanthanacetat oder Praseodymacetat sind ähnliche Färbungen wie bei der Stärke be- obachtet worden und als feste Lösungen bezw. Adsorptionsverbindungen beschrieben worden. Jod löst sich in Wasser mit brauner Farbe auf. Es lösen 1000 Teile H2O: bei 18" 25« 350 450 550 0,2765 0,3395 0,4661 0,6474 0,9222 g Jod Im Sonnenlichte tritt bei längerem Stehen allmählich Entfärbung unter Bildung von HJ ein. Zusatz von HJ bezw. KJ zu Jod- wasser bewirkt Bildung von HJ3 bezw. KJp. Beim Schütteln mit HgO wird unter- jodige Säure erhalten. Ueber die Löslich- keitsverhältnisse des Jods in anderen Lö- sungsmitteln gibt die folgende Tabelle Auf- schluß: I 100 g Lösungsmittel enthalten "/o Jod: Chloroform 1.8 Teile bei 10» Schwefelkohlenstoff 23.0 „ ., 25" Bromoform 18.95 „ '., 25« Tetrachlorkohlenstoff 3.03 „ „ 25» Nitrobenzol 5.06 „ „ 16 bis 17» Glycerin 1.2.33 „ „ 25» 8b) Verbindung des Jods mit Wasserstoff, Jodwasserstoff, HJ. a) Gasförmiger Jodwasserstoff. Er bildet sich allgemein aus Jod und wenig Wasser bei Gegenwart von reduzierenden Stoffen, wie Schwefelwasserstoff, Phosphor, ; Stannosalzen usw. nach dem Schema: 2 J + H,0 + R (red.) = RO +2 HJ. I Darstellungsweisen: Man leitet ein äquivalentes Gemisch von Joddampf und j Wasserstoff über erhitzten Platinasbest, der 1 sich in einem Verbrennungsrohr befindet. i Hierbei setzt sich bis 86% des angewandten I Jods um. Das überschüssige Halogen kann j leicht kondensiert werden. Der Jodwasser- stoff wird in Wasser absorbiert und kann durch Erhitzen bequem wieder gasförmig ! erhalten werden. Auch mittels Jod, Phos- j phor und Wasser kann die Synthese durchgeführt werden. Dabei empfiehlt I es sich, Jod im Ueberschuß zu verwenden, j da sonst Bildung von H3PO3 eintritt, i welches leicht in der Wärme Phosphor- wasserstoff bildet. Man verwendet z. B. auf 100 Teile Jod und 10 Teile H^O, die sich in einer Retorte befinden, 5 Teile roten P, der mit 10 Teilen H2O zu einem dünnen Brei verrührt ist, und läßt denselben vor- sichtig in die Retorte tropfen. ) Auch die Zersetzung von festem KJ mit I geschmolzener Phosphorsäure (nicht Schwefel- j säure, da hier sekundär Jod, schweflige Säure und Schwefelwasserstoff auftreten würde) führt zur Bildung von HJ. Hat man eine konzentrierte HJ-Lösung zur Verfügung, so läßt man diese vorsichtig auf Phosphorpentoxyd tropfen, und wäscht 1 das Gas noch durch konzentrierte Ca Jg- I Lösung. Physikalische Eigenschaften. HJ bildet ein farbloses, saures, an der Luft ; weiße Nebel erzeugendes Gas. Die Dampf- dichte scheint bis nahe zum Siedepunkte normal zu sein. Sie beträgt unter Normal- bedingungen: 4.3757, bei — 17": 4 569, bei — 24,9" 4.G19. Ueber die Dissoziation bei höheren Temperaturen siehe 8 a. Ein Zerfall von HJ findet auch unter dem Einfluß des SonnenHchtes statt, und zwar verläuft die photochemische Zersetzung un- abhängig vom Druck und in der Kälte monomolekular nach H J = H + J, in der Wärme zwischen 300 bis 500" aber bi- molekular. Die spezifische Wärme bei konstantem FluorgTuppe (Jod) 29 Volumen ist gleich: 0.174 (Luft = 0.1684). Das Verhältnis der spezifischen Wärme bei konstantem Druck zu der bei konstantem Volumen ist gleich: 1.40. Die Bildungswärme des gasförmigen HJ bei der Siedehitze des Jods ist gleich —436 cal. (Thomsen). ß) Flüssiger Jodwasserstoff. Durch Abkühlen mit fester Kohlensäure und Aether verwandelt sich der gasförmige Jodwasser- stoff unter gewöhnhchem Druck in flüssigen HJ. Er hat farbloses Aussehen, siedet bei — 35.7° und erstarrt bei — 52" zu einer farb- losen Masse. Die kritische Temperatur liegt bei +150.70, D-^i; 2.863. Er ist ein schlech- ter Leiter der Elektrizität, die spezifische Leit- fähigkeit beträgt ca. 0,2 x 10-«. y) Fester Jodwasserstoff. Kühlt man flüssigen HJ auf Temperaturen unter- halb 52", so erstarrt er zu einer klaren, eisartigen Masse: Fp. — 51,5". d) Wässerige Jodwasserstoffsäure. Die wässerige Säure erhält man durch Einleiten der gasförmigen in Wasser. Sie bildet eine farblose, in konzentriertem Zu- stande rauchende Flüssigkeit von zusammen- ziehendem saurem Geschmack. Das spezi- fische Gewicht bei 15" für verschiedenen o/oHJ: 5,9 iS,5 30,3 39,2 47,2 51,9 D^«: 1,053 1,175 1,297 1,442 1,551 1,^08 Die konzentrierteste Säure besitzt ein spezifisches Gewicht von 1,99 bis 2,0. Beim Destillieren einer starken oder schwachen Säure hinterbleibt stets als Kück- stand eine solche vom spezifischen Gewicht 1,70, enthaltend 57,7% HJ. Die Jodwasserstoffsäure ist eine starke einbasische Säure und besitzt ein molekulares Leitvermögen, das dem der Salpetersäure, der Salzsäure und dem Bromwasserstoff nahezu gleichkommt. Dasselbe {ju) beträgt für 1 g Molekül in v Litern: v (^ V f*- 2 3Ö4 128 405 4 376 256 40f. 8 384 512 406 lö 391 1024 404 32 397 04 402 Siehe auch den iVrtikel ,, Säuren, anorga- nische Säuren". Ein Molekül HJ gibt, ähnhch wie HBr, jedoch verschieden von HCl, bei der Ab- sorption durch etwa 500 Moleküle H2O eine Wärmeentwickelung von 19207 cal. (Thomsen). Die Neutralisationswärme von HJ und NaOH in wässeriger Lösung entspricht 13676 cal. Von den Hvdraten der Säure sind das Di-, Tri- und Tetrahydrat beschrieben worden, die der Reihe nach die Schmelz- punkte — 43", —48" und —36,5" besitzen und aus der entsprechend zusammengesetzten Jodwasserstoffsäure durch Ausfrieren in Form weißer, sandiger Kristalle erhalten werden können. Chemisches Verhalten der Säure. Infolge der geringen Verwandtschaft zum Wasserstoff wird HJ in jeder Form, gas- förmig und in wässeriger Lösung, leicht durch Sauerstoff unter Jodabscheidung zersetzt. Wässerige Lösungen färben sich daher an der Luft allmählich braun: 2H J -f 1402 = H2O + Jj. Durch Licht wird diese Oxydation stark begünstigt, besonders bei Gegenwart gewisser Katalysatoren wie salpetrige Säure. Die Kinetik dieser Reaktionen wurde genau studiert. Auch Radiumstrahlen, vornehmlich y-Strahlen, wirken in gleicher Weise. Durch Zusatz von oxydierenden Agenzien, wie Peroxyde, Nitrite, Chromate. Permanganat in saurer Lösung vollzieht sich die Reaktion noch in ganz verdünnten Lösungen in der Kälte mit großer Leichtigkeit (Unterschied von Brom). Auch Ferrisalze wirken nach dem umkehrbaren Schema: Fe- + J' 5^ Fe- + J in genügend großer Konzentration oxydie- rend. Die Oxydation durch Ozon kann analytisch zur Bestimmung des Ozon- gehalts ausgenutzt werden. Ebenso oxy- diert Wasserstoffsuperoxyd die Säure nach der eingehend studierten Reaktion: 'H,02+ 2HJ = 2H20+ J2. Eisensulfat und Kupfersulfat, ferner Molyb- dänsäure (Imilliontel Mol. im Liter wirkt liier bereits verdoppelnd auf die Geschwindigkeit) katalysieren den Vorgang stark positiv. In Salzform katalysiert Jodion entsprechend seiner Konzentration den Zerfall von HoOgin H2O und 0. Die genau untersuchte Reaktion verläuft unter intermediärer Bildung von JO' (meßbar langsam) nach der Gleichung: H2O2+ J' = H20+ JO', das dann unmeßbar schnell wieder zerfällt nach : JO' + H,02 = H2O + J'+ 02-. Chlor und Brom zersetzen HJ, infolge ihres höheren Lösungsdruckes, unter Bildung von HCl bezw. HBr und freiem Jod. Mit Basen vereinigt sich HJ zu den Jodiden, den jodwasserstoffsauren Salzen. Auch die meisten Metalle werden von der Säure unter Wasserstoffentwickelung zu den betreffenden Jodiden gelöst. Mit flüssigem Jodwasserstoff konnte ein Umsatz in diesem Sinne mit folgenden Metallen er- zielt werden: Ag, Hg, Cu, Sn, Fe, Cl, K, Na. Die Jodide sind zum Teil prächtig ge- färbte Salze. Ihre Löslichkeitsverhältnisse sind denen des Chlors und Broms bis auf wenige Ausnahmen analoti'. Zum Unterschied 30 Fluoi'grup})e (Jod) von diesen ist das scharlachrote Mercurijodid und das braunschwarze Palladiumjodür in Wasser unlösMch. 8c) Verbindungen des Jods mit Sauerstoff. — Unter. jodige Säure, HO J. Diese Säure ist nur in verdünnten Lösungen und in Form ihrer Salze bekannt. Die ein- fache Darstellungsweise, Schütteln von Jod- wasser mit HgO versagt auch hier, wie beim Chlor und Brom, nicht, nur sind die Ausbeuten an unterjodiger Säure wegen ihrer großen Unbeständigkeit viel schlechter. Es hat sich gezeigt, daß man am vorteilhaftesten arbeitet, wenn man gefälltes Jod in großem Ueberschuß zum angewandten Wasser ver- wendet, ferner den Umsatz mit HgO und das folgende Filtrieren mit großer Schnelhg- keit ausführt. Es ist dann möghch, in das Filtrat 90 bis 95% vom angewandten Jod in Form von HOJ und nur 5 bis 10% als HJO3 zu bekommen. Auch durch Hydrolyse des Triazojodids, N3J, bildet sich HOJ nach der Gleichung: N3J + H2O = JOH + N3H. Ferner findet bei allen Oxydationen des HJ durch Chlor, Brom, Ozon usw., welche zur Jodsäure führen, primäre Bildung von unter- jodiger Säure statt. Die Lösung der freien Säure ist meist grünlichgelb bis braun gefärbt und besitzt einen deuthchen Geruch nach Jodoform und Jod. Sie ist eine äußerst schwache Säure, wohl sicher schwächer als HOCl und HOBr, wie sich aus der besonders starken hydrolytischen Spaltung ihrer Salze sclüießen läßt. Ihre große Unbeständigkeit kann man wahrscheinhch dem Umstand zuschreiben, daß der Uebergang in Jod- säure, der sich auch hier wohl zweifellos nach dem Schema: 2H0J + JO' -> JO3' + 2J' + 2H- vollzieht, mit noch viel größerer Geschwindig- keit verläuft als bei der unterbromigen Säure, wo die Bromatbildung die Chloratbildung bei 250 bereits um das lOOfache übertraf. Dieselbe Unbeständigkeit haftet auch den Salzen, den Hypojoditen, an, die aus Jod und Alkah hergestellt werden können. Bei der Wechselwirkung zwischen Jod und OH'-Ion nimmt man, wie beim Chlor und Brom, die beiden Gleichgewichte an: J2+0H'^H0J+ J' und HOJ+OH'^ JO'-f H2O, wobei unter Anwendung äquivalenter Mengen beträchthche Mengen freien Jods und Alkahs nebeneinander bestehen bleiben. Erst bei großem Ueberschuß von Alkali wird die Hydrolyse stark zurückgedrängt, ohne jedoch vollständig zu verschwinden. Auch hier tritt daher wegen der Existenz von JOH neben JO' nach dem oben ange- gebenen Schema mit bestimmter Geschwin- digkeit Bildung von Jodat auf. Bei der elektrolytischen Darstellung hegen die Ver- hältnisse nicht viel anders. Man elektrolysiert in stark alkahscher Lösung, ohne indes über eine bestimmte Hypojoditkonzentration hinwegzukommen, wo der rein chemische Umsatz in Jodat mit derselben Geschwindig- keit verläuft wie die elektrolytische Neu- bildung von Hypojodit. Andere Bildungsweisen sind z. B. die Zersetzung von Triazojodid mittels NaOH. Die Hypojodite bläuen Stärkekleister infolge ihres steten Gehalts an freiem Jod und besitzen wie die freie Säure starkes Oxydations vermögen. Jodtrioxyd, J2O3, vielleicht als das Anhydrid der jodigen Säure aufzufassen, soll sich bei der Einwirkung von Ozon auf Jod als hellgelbes, sehr hygroskopisches Pulver bilden, das leicht in Jod und Jodsäure zerfällt. Jodige Säure, HJO2. Sie ist bisher weder in Salzform, noch in freiem Zustande isohert worden. Die vorübergehende Bildung von HJO2 kann man vielleicht bei der aus- führlich untersuchten Reaktion zwischen HJO3 und SO2 annehmen, die offenbar stufenweise nach den Gleichungen ver- läuft : SO2+ HJO3 = SO3+ HJO2 SO2+ HJ02= SO3+ HOJ SO2+ HOJ = SO3+ HJ. Jodtetroxyd, J2O4. Es entsteht beim Behandeln von fein verteiltem Jod mit konzentriertester Salpetersäure (D = 1,50) als schwefelgelbes Pulver, das in Wasser und Alkohol unlöslich ist. Eine kristallinische sehr hygroskopische Verbindung der Zusammensetzung HJ7O3 wurde bei der Einwirkung von Jod auf wasserfreie Perchlorsäure erhalten. Beim Erhitzen gibt die Säure wieder Jod ab und es hinterbleibt J2O5. Jodpentoxyd, Jodsäureanhydrid, J2O5. Es bildet sich beim Erhitzen von Jodsäure auf 180°. Auch mit Schwefelsäure erhitzt, verhört die Jodsäure ein Molekül Wasser. Ferner zerfällt die Ueberjodsäure bei 110" bereits unter Atmosphärendruck hauptsächlich unter Bildung von J2O5 (nicht J2O7). J2O5 stellt ein weißes, in Wasser leicht löshches Pulver vor, das im Geruch an Jod erinnert. Es besitzt stark oxydierende Eigenschaften. Ammoniak, Schwefelwasser- stoff, schwefhge Säure, Kohlenoxyd, Aethylen usw. werden zum Teil unter äußerst heftigen Reaktionserscheinungen oxydiert. Beim Erhitzen von HJÖ3 auf 110" erhält man eine einheithch kristallisierte Ver- bindung der Zusammensetzung HJ30,= (HJO3.J2O5), die erst beim weiteren Er- hitzen auf 190 bis 200" in JjO, übergeht. Jodsäure, HJO3. Die Bildung des JOs'-Ions wurde bereits erwähnt. Es Fluorgruppe (Jod) 31 bildet sicli auf chemischem Wege sekundär aus JO'-Ion nach dem Schema: 2 JOH + JO' ^ JO3 + 2 J' + 2H-, also bei der Einwirkung von unterjodiger Säure auf ihre Salze. Ferner entsteht es bei der Einwirkung von Jod auf ClOg-Ion: 2CIO3' + J? = 2 JO3' + CI2. Auch halbstündiges Kochen von feingepul- vertem Jod mit dem lOfachen Gewicht rauchender Salpetersäure gibt in fast theoretischer Ausbeute Jodsäure. Darstellung der freien Säure. Die freie Säure stellt man sich am bequemsten aus ihren Salzen durch Zersetzung mit Schwefelsäure her. Man erhitzt z. B. eine Lösung von NaJO^ mit überschüssiger Schwefelsäure \/4 Stunde bis zum be- ginnenden Sieden, kühlt ab, filtriert die Mutterlauge von der ausgeschiedenen Jod- säure und wäscht mit sehr wenig Wasser aus. Man erhält auf diese Weise schöne rhombische Kristalle der festen Säure. Sie ist leicht löshch in Wasser, unlöslich in absolutem Alkohol, Aether, Schwefelkohlenstoff und Chloroform. Die gesättigte wässerige Lösung enthält bei ü» 74,1%,' bei 60» 80%, bei 85« 83,0%, bei 101° 85,2% HJO3. Die molekulare Leitfähigkeit {[j) für 1 g Molekül in v Litern beträft: V i^ V f^ 2 193 64 349 4 229 128 3Ö4 8 268 256 .371 16 301 512 376 32 327 1024 377 Die Werte sind niedriger als die der Jodwasserstoffsäure und der Bromsäure. Die Molekulargewichtsbestimmungen durch Gefrierpunktserniedrigung ergaben bei zu- nehmender Verdünnung der Säure den normalen Wert für das vollständig dis- soziierte Einzel molekül, während bei höheren Konzentrationen offenbar infolge Polymerisation der Säure anomale Werte gefunden wurden. Die Bildungswärme einer wässerigen Säure (J, O3, H, aq.) beträgt 55797 cal. diejenige der Säure selbst (J, O3, H) 57963 cal. Chemisches Verhalten der freien Säure. Für sich oder mit Schwefelsäure erhitzt, zerfällt HJO3 in das Anhydrid J2O5 und HoO. Chlor und Brom wirken auf HJO3 nicht ein. Die Umsetzung mit SO2 wurde schon erwähnt (s. bei jodiger Säure). Ebenso werden andere reduzierende Stoffe leicht oxydiert. Mit HJ stellt sich ein Gleichgewicht ein entsprechend der Glei- chung: HJ03+5HJ^3J2+3H20. Dasselbe ist in saurer Lösung vollständig nach rechts verschoben, in alkahscher nach links. Mit Metallhydroxyden und Karbonaten j bildet die Jodsäure Salze, die Jodate, die sich in der Natur im Chilesalpeter finden. Dieselben besitzen nornude Zusammensetzung, doch kennt man von Afiw Alkalien auch saure Salze, die Bijodate, die man entweder als moleku- lare Verbindungen oder aber nach anderen Auffassungen auch als Salze bestimmt zu- sammengesetzter Jodsäuren betrachten kann. Während den normalen Jodaten bei der Annalime 5 wertigen Jods die Konstitution MeO — J^ zukommt, ist für die Bijodate / Ö \ die Formel MeO. J(^0 O^J.OH aufgestellt worden. Die Jodate, z. B. das Kahumjodat. ge- winnt man einfach durch Erhitzen von Jod mit Kahlauge, oder durch Elektrolyse ca. 0,5 -n. alkalischer Jodidlösung, die auf 15 bis 25 g KJ 0,2 g KAO^ in 100 ccm Flüssigkeit enthält. Als Anode benutzt man ein glattes Platinblech und arbeitet mit einer Stromdichte von 0,01 Amp./qcm. Die Jodate sind im allgemeinen gut kristaUi- sierte Salze, die mit Ausnahme der Alkah- verbindungen in Wasser schwer löslich sind. Beim Erhitzen der Jodate entweicht Sauerstoff, mitunter auch Jod, und es hinter- bleibt je nach dem Salz, das zersetzt wurde. Jodid (beim K-Salz), ein Gemenge von Jodid und Oxyd (beim Na-Salz) oder Perjodat (beim Ba-Salz). Perjodsäureanhydrid, J2O7. Dieses Oxyd kann nicht durch Entwässern von Perjodsäure hergestellt werden. Dabei bildet sich stets J2O5 und O2, doch entsteht es vielleicht aus CI2O7 und Jod. Ausführlich untersucht wurde dagegen die sich von diesem Oxyd ableitende Perjodsäure. Perjodsäure, Ueberjodsäure, HjJOg, HJO4. 2H,0. Sie findet sich in der Natur als Natriumsalz im Chilesalpeter und kann aus ihren Salzen durch Säuren in Frei- I heit gesetzt und abgeschieden werden. Man geht dabei zweckmäßig vom Na- Salz ! aus und löst dieses in möglichst wenig warmer HNO 3. Aus der Lösung fällt mit iPb(N03)2 schwer lösMches Bleiperjodat, j das möghchst schnell gewaschen und in Wasser fein verteilt wird. Durch Digestion j mit etwas weniger als der berechneten Menge I H2SO4 findet größtenteils Umsatz in PbSOi i und freie Perjodsäure statt, die nach dem j Abgießen vom PbSO^ beim vorsichtigen Eindampfen schön kristallisiert fmonokhn ?) erhalten werden kann. Viel einfacher als das umständliche chemische Verfahren führt I das elektrolytische zum Ziel. Man elektro- lysiert bei 12 bis 13° in dem durch ein tondiaphragma getrennten Anodenraum 32 Fluorgruppe (Jod) eine 50% HJOg-Lösung unter Verwendung Normale Perjodate von PbOo-Anoden mit einer Stromdichte j Halb ,, von Da = ca. 0.28 Amp./qcm. Im Kathoden- 1 D^ttej räum befindet sich verdünnte Schwefelsäure. "''''' Die Bildung von HJO4.2H2O. die beim Ein- dampfen auskristalhsiert, findet in quanti- tativer Material- und guter Stromausbeute statt. Die Perjodsäure schmilzt bei ca. 133° und ist in Wasser leicht löslich, weniger in Alkohol und noch weniger in Aether. Das spezifische Gewicht bei 17" geht aus folgender Tabelle hervor: MI JO4 ( MiaO, J.,07) MI4 J2O9 (2MI20, J2O,) MI3 JO5 (SMi^O, J.,07) Mig J2Ü11 (4MI2O, JlO,) MI5 Jüe (5MI2O, J2O,) MI12J2O13 (6MI2O, J2O,) Zusammensetzung der Lösung d^^ H5J0e+ 2oH.,0 „ + 40 „ „ + 80 „ 1,4008 1,2165 I,II2I ,, + 160 ,, + 320 ,, 1,0570 1,0288 Die molekulare Leitfähigkeit (ju) für 1 g-Mol. in V Liter beträgt: V (i V l^ 4 108 128 312 8 139 256 348 16 179 512 374 32 223 1024 3«7 Ö4 270 Ein Vergleich mit den Zahlen für Jodsäure, wo bei V = 128 bereits nahezu vollständige Dissoziation eingetreten ist, zeigt deuthch, daß die Perjodsäure viel schwächer als die Jod- säure ist, es liegen hier also umgekehrte Ver- hältnisse wie zwischen der Chlorsäure und der Perchlorsäure (s. diese) vor. Die Bildungs- wärme (J, 06,H5) beträgt + 185780 cal, die Lösungswärme HsJOg, aq.: —1380 cal, die Neutrahsationswärme ( JOgHsaq., KOH aq.): + 5150cal.,(JO6H5aq.,2KOHaq.):26590cal. lieber die Basizität der Perjodsäure sind die Meinungen geteilt Bei der Titration mit NaOlT zeigt sie sich nur in Gegenwart von Methylorange einbasisch; bei Phenol- phtalein, Lackmus, Rosolsäure und anderen Lidikatoren tritt allmählich Farbenumschlag ein. Elektrometrisch titriert ist sie deutlich ein- und zweibasisch. Ebenso weisen die Leitfähigkeitswerte, die kalorimetrischen Messungen der Neutrahsationswärme, wie auch die rein chemischen Untersuchungen, namentlich die Salzbilduntr mit schwachen Basen, z. B. mit Silber, und die komplexen Wolframperjodate, deutlich auf die mehr- basische Natur der Säure hin. Die verschiedenen existenzfähigen Jod- säuren bezw. deren Salze gibt vielleicht am besten die Rammelsbergsche Auffassung wieder, nach welcher die folgenden Tj^pen in Betracht kommen. Durch 20- bis 25 stündiges Erhitzen der kristalhsierten Säure H^JOg im Vakuum auf 100" unter 10 mm Druck erhält man die normale Säure HJO4, bei 138" tritt unter gleichen Bedingungen starke Bildung von J2O5 auf. Auch bei gewöhnhchem Druck beginnt der Uebergang in J2O5 bereits bei 110". Die Perjodsäure äußert ihr Oxydations- vermögen in sehr energischer Weise. SOg, H2S, HCl, HJ, P usw. werden momentan oxydiert. Metalle wie Zu, Fe, Cu, Hg, Mn usw. werden in Oxyde und Jodate verwandelt. Zu den Salzen der Perjodsäuren, den Per- jodate n, kann man auf verschiedenen Wegen gelangen. Abgesehen von der Ein- wirkung von Metallhydroxyden, Oxyden und Karbonaten auf die freie Säure, führt die Einwirkung von Jod auf Superoxyde zum Ziel. BaOgUnd Jod, zunächst vorsichtig, später stärker erhitzt, geben beim Auflösen in Wasser das Baryumsalz, Ba5(J0s)2- I Aus NaaOa und Jod entsteht das in B.J) schwer löshche Salz NagHaJO.. Auch für die Darstellung der Perjodate zeigt sich die elektrolytische Darstellungs- weise als sehr geeignet. Man elektrolysiert eine 1-n alkalische Lösung von 30 g K JO3 im Liter in Gegenwart von etwas Chromat bei ca. 10" mit einer mittleren Stromdichte Da = 0,01 Amp./qcm unter Verwendung einer glatten Platinanode. Es findet dabei gleich- zeitige Sauerstoffentbindung statt, da das Potential der Perjodatbildung höher als das der Sauerstoffentiadung hegt. Wahrschein- lich erfolgt die Bildung gemäß dem Schema: J03'+ 20H'+ 20 = J04'+ H2O. Beim Eindampfen des alkalischen Elektrolyten kristallisiert das leichtlöslichebasischeKalium- perjodat, K4J20ä.9H20, beim Neutralisieren des Elektrolyten mit Schwefelsäure dagegen fällt das sehr schwer löshche normale Perjodat KJO4 in Form eines feinen Kristallmehls aus. Weiter erhält man beim Elektrolysieren einer alkalischen Natriumjodatlösung be- reits während der Elektrolyse das schwer lösliche basische Perjodat 4Na3J05.5H20. Die Perjodate geben beim Erhitzen verschieden leicht, je nach der Base, die dem Salz zugrunde liegt, Sauerstoff ab und verwandeln sich in Jodate, die dann nach Art der Jodate (s. diese) w^eiter zerfallen. 8d) Verbindungen des Jods mit Stickstoff. In diese Gruppe gehören das Triazojodid und die sogenannten Jodstick- stoffe. Sie alle stellen ihrer großen Explosivi- tät wegen äußerst gefährliche Körper vor. Fhioi'gTuppe (Tod) 33 Triazojodid, NgJ. Als Jodid der Stick- stoffwasserstoffsäiire bildet es sich beim vor- sichtigen Umsatz von Silberazid und Jod in ätherischer Lösung als schwach gelbhches, in reinem Zustande vielleicht farbloses Produkt: N3Ag+ J. = N3J+AgJ. Mit Kahlauge entsteht wie beim N3CI nicht Triazohydrat, sondern primär Hypojodit, das sich rasch in Jodat umwandelt. Jodstickstoffe, NH3.NJ3, NHJ, und NJ3. Unter dieser Bezeichnung versteht man die verschiedenen braunschwarzen bis schwarzen Verbindungen, die bei der Ein- wirkung von Jod auf Ammoniak entstehen. Man kann zu ihrer Darstellung verschiedent- lich verfahren. Entweder setzt man absolut alkoholische Lösungen von NH3 und J miteinander in Reaktion und wäscht das entstandene Produkt mit absolutem Alkohol aus, oder man verwendet wässerige alkoho- lische Jodlösungen und setzt konzentriertes wässeriges Ammoniak hinzu. Auch aus in Königswasser gelöstem Jod und Ammoniak bildet sich Jodstickstoff. In allen diesen Fällen erhält man amorphe Produkte. In schön ausgebildeten Kristallen erhält man die Verbindungen, wenn man Ammoniak zu einer 0,02-n KOJ-Lösung setzt. Für die Bildungsweise des Jodstickstoffs sind ver- schiedene Erklärungen gegeben worden. Die einfachste ist die, wonach primär, analog der Bildung vonAlkahhypojodit, dasAmmonium- hypojodit entsteht, welches dann weiter zerfällt nach: 3NH4.OJ = NH3.NJ3+ 3H2O+ NH3. Nun sind jedoch auch Jodstickstoffe der Zu an kalter Luft heftige Explosionen eintreten können. Durch Wärme, Stoß oder Schlag tritt augenblickliche Zersetzung ein. Ebenso wirkt das Licht. Jodstickstoff zersetzt sich momentan bei Behchtung mit brennendem Magnesium, durch Drummondsches Kalk- licht erfolgt die Zersetzung erst nach einigen Minuten. In Ammoniak suspendierter Jodstickstoff zerfällt auf photochemischem Wege hauptsächhch nach der Gleichung NH3.NJ3 = N2+ 3HJ. Besonders wirksam ist das langweUige Licht. Das Maximum der Zersetzungsgeschwindig- keit Hegt im Rot, doch tritt im Blau noch ein sekundäres Maximum auf. Eine andere Reihe von Jodstickstoffen, die sogenannten Jodstickstoffammoniake, wurden aus flüssigem Ammoniak und Jod hergestellt. Noch bei — 80° findet Bildung von Jodstickstoffammoniak statt. Je nach der Temperatur enthalten die entstandenen Produkte verschiedene Mengen Kristall- ammoniak. Isohert wurden die Verbin- dungen. NJ3.I2NH3. Dasselbe bildet sich bei — 60° in Form grünUch schillernder, braun- roter Blättchen. N J 3 . 3 N H 3. Dieses Produkt kristaUisiert bei ca. 0° in grünen Kristallen und geht bei — 30° im Vakuum über in die Verbindung: NJ3.2NH3, die aus gelben Kristallen besteht. NJ3.NH3. Es entsteht aus der vorigen Substanz in feinen violetten Nadeln, wenn man sie einige Zeitlang im Vakuum bei 0° beläßt. Während die letztere Substanz auch sammensetzung NHJ2 und NJ3 beschrieben | in der Kälte explosive Eigenschaften besitzt, worden. Man kommt daher den Tatsachen sind die ersteren drei bei niederer Temperatur wohl am nächsten, wenn man von der Ueber- legung ausgeht, daß Ammoniak zunächst mit H,0 und J nach der umkehrbaren Gleichung NH3 + H2O + J2 ^ NH4 J + HO J reagiert. Die unterjodige Säure kann nun mit NH3 in folgenden Molekularverhältnissen in Wechselwirkung treten: 2NH3 + 3H0J = NH3.NJ3 + 3H2O NH3 4- 2H0J = NHJ, + 2H2O NH3 -f 3H0 J = N J3 4- 3H2O, alles Reaktionen, die durch besondere Gleich- gewichtszustände festgelegt sind. Die Jod- stickstoffe kann man vielleicht für Amide der unterjodigen Säure halten und ihnen nicht explosiv. 8e) Verbindungen des Jods mit Schwefel und mit Selen. Die in der älteren Literatur angeführten Schwefel- bezw. Selenjodide, die sich beim einfachen Zu- sammenschmelzen der Komponenten bilden sollen, stellen wahrscheinhch nur Lösungen der Elemente ineinander (Mischkristalle) vor. Die genaue Untersuchung der Schmelz- punkts- und Erstarrungsdiagramme der Systeme Jod-Schwefel und Jod-Selen spricht jedenfalls in keiner Weise für die Existenz von chemischen Verbindungen. Das Eutekti- kum der J-S-Mischung liegt bei einem S-Mol.- oZ-Gehalt von 81,3 und schmilzt bei 65,7°, die folgende Nomenklatur beilegen : NH3.NJ3J das Eutektikum des Systems J-Se besitzt = Sesquijodylamid; NHJ2 = Dijodylamid; (jg„ pp. 530 „nd entspricht fast genau der NJ3 = Trijodylamid. Für diese Auffassung 1 y^j-j^ji^fl^^no- Se^J^. spricht vor allem die Hydrolyse der Jodstick- j;)je Jodide der schwefhgen- bezw. der Stoffe durch Salzsäure, die nach dem Schema 1 Schwefelsäure, ferner die Jodsulfonsäure vor sich geht: NJ3 + 3H2O = NH3 + 3H0J: 3H0 J + 3HC1 = 3H2O + 3JC1. scheinen nicht zu existieren. 8f) Verbindungen des Jods mit Fluor. — Jodpentafluorid, JF5. Dieses Die Unbeständigkeit der Jodstickstoffe Fluorid bildet sich bei der Einwirkung von ist derart groß, daß bereits beim Trocknen Fluorgas auf Jod unter Wärmeentwickelung. Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV. ^ 34 Flnorgruppe (Jod) — (Mangan) Es bildet eine farblose Flüssigkeit, die bei + 8" zu einer kämpf erartigen Masse erstarrt und bei 97'' ohne Zersetzung siedet. 8g) Verbindungen des Jods mit Chlor. Von dieser Gruppe existieren mit Sicherheit nur das Jodmonochlorid und das Jodtrichlorid, während die höheren Chlo- rierungsstufen, das Jodtetra- und Jodpenta- chlorid, zwar beschrieben, aber wohl kaum wirklich erhalten wurden. Jodmono Chlorid. Leitet man trockenes Chlorgas über Jod, bis die Masse flüssig geworden, so hat man in der rotbraunen Schmelze vorwiegend das Jodmonochlorid. In geschmolzenem Zustande ist D^^ ^ 3.2856, der Sdp. liegt bei 101", wobei teilweise Zer- setzung eintritt. Kühlt man die Dämpfe plötzhch ab, so erhält man das sogenannte a- Jodmonochlorid in Form von langen, rubinroten Nadeln, die bei 27.16" schmelzen. Eine andere, labile Modifikation, das /5- Jod- monochlorid, entsteht, wenn die KristaUisation zwischen -\-b und — 10" vor sich geht. Man erhält sodann braunrote Lamellen vom Fp. 13.92", die allmählich wieder in die a-Form übergehen. Zwischen — 10" und 0" ist das /3-Chlorid am bestän- digsten. Das Molekulargewicht beider Formen ist wahrscheinHch das gleiche, nämlich JCl. Auch die Schmelze beider Modifikationen ist völhg identisch. Das a- und /5-Chlorid sind monotrope Modifikationen. JCl sinkt in Wasser als Oel zu Boden, es setzt sich mit KOH nach der Gleichung um: JCl + 2K0H = JOK + H^O + KCl. Spezifische Wärme von a-JCl: 0.083. Spezifische Wärme von ^-JCl: 0.102. Molekulare Schmelzwärme von a-JCl: — 2658 cal. Molekulare Schmelzwärme von ß-JCl: — 2267 cal. Bildungswärme: J (fest) + Cl (Gas) = JCl (fest) + 6700 cal. Bildungswärme: J (Gas) + Cl (Gas) = JCl (fest) + 12100 cal. Jodtrichlorid, JCI3. Diese Verbindung bildet sich aus Jod oder JCl und über- schüssigem Chlor in Form pomeranzengelber langer Nadeln, die an der Luft infolge der äulJerst beträchthchen Dissoziation in JCl und CI2 bereits bei ca. 25" (Fp. von JCl: 27,6") erweichen. In Chlorgas schmilzt es nicht, sondern dissoziiert bei einem Druck von 1 Atmosphäre bei 67" in JCl und CI2, um sich bei 60" bereits wieder zu JCI3 zu vereinigen. Es löst sich in vielen organischen Lösungs- mitteln und scheint nach den vorMegenden Molekulargewichtsbestimmungen auch hier stark dissoziiert zu sein. So in Eisessig, vielleicht nach: Jj+SClg oder JCl+Clg, in POCI3 nach JCl 2+ Cl. In Phosgen ist das Molekulargewicht normal. Dagegen scheint wieder in flüssigem SO 2, in AsClg und SOaCljDissoziation vorzuhegen, wie Leit- fähigkeitsbestimmungen bei verschiedenen Verdünnungen ergeben. In Wasser ist JCI3 sehr schwer löslich, es zerfällt mit ihm bald in CI2 und JCl. Bildungswärme: J (fest) + CI3 (Gas) = JCl3(fest)+ 16300 cal. Bildungswärme: J (Gas) + CI3 (Gas"^ = JCI3 (fest) + 21700 cal. _ Die Jodchloride finden ihrer antiseptischen Wirkung wegen medizinische Verwendung. 8h) Verbindungen des Jods mit Brom. Als einzige Verbindung dieser Reihe existiert JBr, erhälthch durch Zu- sammenschmelzen berechneter Mengen Jod und Brom. Es bildet eine kristallisierte Substanz von der Farbe des Jods mit dem Fp. 36" und subhmiert in farrenkrautähn- lichen Kristallaggregaten. Bei der Destilla- tion findet teilweise Zersetzung statt. D^" = 3.7343. Bildungswärme: J (fest) + Br (fl.) = JBr (fest) + 2470 cal. Bildungswärme: J (fest) + Br (fest) = JBr (fest) '+ 2340 cal. 9. Spektralchemie Jod gibt in einer Geißler sehen Röhre in der Wärme bei größerer Verdünnung ein Linienspektrum, bei niederer Temperatur ein Bandenspektrum. Im Funkenspektrum hat man die folgen- den Linien: orangegelb: 625,8, 621,1, 612,6, 607,9, 595.3. gelb: 579,1, 577,4, 576,1. gelbgrün: 573.9, 571,2, 568,9, 567,4, 562,5. grün: 549.5, 546,2. 5434, 540.4, 534-5, 533,7, Ö24,4, 516,3, 501,6. blau: 486,6, 467,8, 466,9, 463,4. Die halbfett gedruckten Ziffern deuten besonders charakteristische Linien an. Joddampf gibt ein Absorptionsspektrum, bestehend aus zahlreichen Linien. Namentlich wird Grün absorbiert, in dickeren Schichten auch Orange und Gelb, während anderer- seits violettes Licht durch dicke Schichten hindurchgeht. Alkohohsche Jodlösung zeigt selektive Absorption bei 215 ju; im langwelUgen Ultraviolett beginnt kontinuierliche x\b- sorption. Literatur. Gmelin - Kratit , Handbuch der organischen Chemie, Bd. I, Abt. ~^. Heidelberg 1909. F. Sommer. e) Mangan. Mn. Atomgewicht: 54.93. 1. Atomgewicht. 2. Vorkommen. 3. Geschichte. 4. Darstellung iiiid Verwendung. 5. Form- arten und physikalische Konstanten. 6. Valenz und Elektrochemie. 7. Analytische Chemie. Fluorgruppe (Mangan) 8. Spezielle Chemie. 9. Thermochemie. 10. Spek- tralchemie. 11. Kolloidchemie. 1. Atomgewicht. Das Atomgewicht des Mangans beträgt nach der internatio- nalen Atomgewichtstabelle 54,93. 2. Vorkommen. Das Mangan kommt in der Natur weit verbreitet in Oxydform vor. Das wichtigste Manganmineral ist der Pyro- lusit, MnOa, gewöhnlich Braunstein ge- nannt, ferner findet sich das Element als Braunit, MugOg, Hausmannit, MugOi, und als Manganspat, MnCOg, für welche als Fundort hauptsächlich Transkaukasieu in Betracht kommt. Im Meteoreisen ist Man- gan in geringen Mengen vorhanden, wie es überhaupt ein fast ständiger Begleiter des Eisens in seinen Mineralien ist. Eine Zu- sammenstellung der äußerst zahlreichen natürlich vorkommenden Manganverbin- dungen findet sich bei Groth, Tabellarische Uebersicht der Mineralien, IV. Auflage 1898. Auch in vielen Mineralwässern, im Meer- wasser, ferner in Pflanzenaschen und im tierischen Organismus hat man, wenn auch in geringen Mengen, das Element nachweisen können. An dem Aufbau der Erdrinde nimmt es nach Clark e mit O.OSo/o Anteil. 3. Geschichte. In Form von Braunstein wurde das Mangan schon in alten Zeiten bei der Glasfabrikation zur Entfärbung der Gläser benutzt, allerdings glaubte man lange, es mit einem Eisenerz zu tun zu haben. Erst die Untersuchungen von Scheele und Bergmann (1774) stellten einwandsfrei fest, daß dem MnOa ein eigentümliches Metall zugrunde liege. Im Jahre 1807 isolierte Gähn als erster das neue Element. 4. Darstellung und Verwendung. In- dustriell wird das Mangan allgemein nach dem aluminothermischen Verfahren von Goldschmidt hergestellt. Eine Mischung äquivalenter Mengen von MugOi mit Alu- miniumgries wird durch eine Zündkirsche in Eeaktion gesetzt und nach dem Erkalten ein sehr reiner Manganregulus unter einer Decke von kristaUisiertem Korund gewonnen. Andere weniger bequeme Darstellungs- weisen sind die Destillation von Mangan- amalgam, das durch Elektrolyse konzentrier- ter gekühlter Mangan (Il)chloridlösungen bei Anwendung einer Quecksilberkathode er- halten werden kann, ferner die Keduktion einer mit Kaliumchlorid versetzten Mangan- (Il)chloridschmelze mittels Magnesium. Das unter Verwendung des elektrischen Ofens durch Reduktion eines Gemisches von Man- gan(II)oxyd und Kohle gewonnene Metall ist meistens durch Carbid stark verunreinigt. Reines Mangan wird industriell nicht verwertet, dagegen spielen Legierungen mit Eisen in der Metallurgie bei den Spezial- stählen eine große Rolle. Ein Zusatz von 6 bis 12% Mangan liefert einen zähen, harten Stahl von außerordenthcher Festig- keit und findet Verwendung zur Fabrikation von Schienen, Achsen, Geldschränken, Zer- kleinerungsmaschinen usw. Die Wirkung des Manganzusatzes ist leicht zu ver- stehen, wenn man bedenkt, daß Mangan- carbid, MugC, im Gegensatz zum Eisencarbid ein äußerst stabiler Körper ist. Da beide Carbide in festem Zustande isomorphe Mischungen bilden, so tritt hier die allge- meine Erscheinung in Kraft, daß die Eigen- schaften derartiger Mischungen sich aus den Komponenten additiv zusammensetzen. Die Beständigkeit des MugC teilt sich also dem sonst labilen FcgC mit, d. h. Abscheidung von Kohlenstoff, die Bedingung für die Bil- dung von weichem Eisen beim Abkühlen der Eisenschmelze, tritt nicht oder nur in geringem Maße ein. In Legierung mit Kupfer und Nickel (84% Cu,l2%'Mn, 4% Ni) findet Mangan Verwendung zur Herstellung von Wider- standsdraht (,, Manganin"), der einen außer- ordentlich kleinen Temperaturkoeffizienten besitzt. Seine elektrische Leitfähigkeit bei verschiedenen Temperaturen zeigt die folgende Tabelle: Temperatur Leitfähigkeit — 200.5» 2.21 X 10* — 100.6» 2.11 X 10* 0» 2.10 X 10* + 93.0» 2.10 X 10* Lieber die Verwendung des Braunsteins zur Chorfabrikation siehe oben den Artikel „Chlor". 5. Physikalische Eigenschaften und Konstanten. Reines Mangan, wie es nach I dem Goldschmidt sehen Verfahren ge- I Wonnen wird, besitzt das Aussehen von ' weißem Roheisen mit einem rötlichen i Schimmer. Es ist metallglänzend, sehr politurfähig und von beträchtlicher Härte. Dieselbe besitzt im Rydbergschen System den Wert: 5,0. Das Metall ist außerordent- lich spröde und läßt sich im Stahlmörser pulvern. Das spezifische Gewicht ist von der Art der Darstellung abhängig. Die Literaturangaben schwanken beträchtlich, die Werte variieren zwischen 7,2 und 8. Für geschmolzenes Metall wurde der Wert 15 d^ = 7.376 gefunden. Auch die Schmelz- punktsangaben differieren stark. Der wahr- scheinlichste Wert liegt bei 1245» (der Nickelschmelzpunkt zu 1484° angenommen). Das angewandte Metall war 99.4-prozentig. Die spezifische Wärme beträgt bei 0» 0.1072, bei 100» 0.1143, bei 190 bis 200» 0.1214, bei 300» 0.1309, bei 500» 0.1652. Reines Mangan ist völlig unmagnetisch, es zeigt sich jedoch die eigentümliche Er- 3* 36 Fluorgruppe (Mangan) scheinung, daß Legierungen desselben resp. des Mangankupfers mit den ebenfalls un- magnetischen Elementen AI, Sn, As, Sb, Bi und Bor, falls sie einen Mindestgehalt von 9% Mn und 3% der genannten Elemente enthalten, stark ferromagnetisch sind. Es sind dies die sogenannten Heuslerschen Legierungen, bei denen der magnetische Charakter an das Vorhandensein von Mangan geknüpft ist. Von diesen Legierungen zeigen die Aluminium-Manganbronzen den bei weitem stärksten Magnetismus. Von den für dieses Phänomen gegebenen Erklärungen sei hier nur die Heus 1er sehe angeführt, die der Entdecker speziell im Anschluß an seine eingehenden Untersuchungen der bereits erwähnten Aluminium-Manganbronzen gibt. Er nimmt an, daß ]\[aiigan mit den betreffen- den Metallen Verbindungen eingeht, denen konstitutionell der Ferromagnetismus zu- kommt. Zum Beispiel kann in der Verbindung AlCug das Kupfer durch Mangan isomorph ersetzt werden unter Bildung von Verbin- dungen Alx (Mn, Cu)3x und diese sollen die Träger des Ferromagnetismus sein. im elektrischen Flammbogen ist Man- gan leichtflüchtig, wie Moissans Versuche bewiesen haben. Bei Verwendung eines Stromes von 80 Volt und 380 Ampere destillierten in 10 Minuten fast 400 g aller- dings carbidhaltiges Metall. Der Siedepunkt liegt nach optischen Messungen bei 1900". 6. Valenz und Elektrochemie. Das Mangan tritt 2-, 3-, 6- und 7 wertig auf. Zweiwertig ist es in den beständigen Mangan(II)salzen. Molekulargewichtsbestim- mungen von MnClg in Wismutchlorid und Urethan haben die monomolekulare Zu- sammensetzung ergeben. Die Isomorphie des MnSOi mit MgSO« und ZnSOi, ferner die isomorphen Mischungen von Mangancarbo- nat mit den Carbonaten des Calciums und Magnesiums sind weitere Belege für die Zweiwertigkeit. Dreiwertigkeit herrscht indeuManganisalzen. Manganiacetylacetonat ist als Dampf, ferner in Benzollösung mono- molekular. Man kennt außerdem Alaune von der Zusammensetzung Mn2(S04)o, K2SO4, 24H2O. Sechswertigkeit findet man bei den Manganaten, z. B. dem grünen Kahum- nianganat, KoMnOi, das isomorph mit Kaüuinsulfat kristallisiert. Siebenwertiges Metall enthalten die den Perchloraten iso- morphen Permangan ate. Zweifelhaft ist das Vorkommen vier- wertigen Mangans. Die Verbindungen MnF4.2KF, MnCl4.2KCl, ferner das Di- oxyd deuten daraufhin, wenngleich die Lösungen des letzteren in Salzsäure kein MnCl4, sondern MnClg zu enthalten scheinen. Ionen. Potential. Von Mangan- kationen existiert das sehr beständige, schwach rosa gefärbte Mn"-Ion, das nur 1 wenig Neigung zeigt, unter Aufnahme einer weiteren elektrischen Ladung in das äußerst labile rotviolette, in der Farbe an das Per- j manganat-Ion erinnernde, Mn---Ion überzu- I gehen. Als Anion findet sich das Mangan an Sauerstoff gebunden in der Lösung der Manganate und Permanganate in Form des grüngefärbten zweiwertigen MnOi"- und des einwertigen rotviolett gefärbten Mn04'-Ions. Das Mangan ist das positivste aller Schwermetalle, wie aus seiner Stellung in der Spannungsreihe hervorgeht. Es steht I hier zwischen dem Magnesium und dem Zink, da das dem Vorgang Mn-»Mn-- ent- sprechende Normalpotential (bezogen auf die Einheitskonzentration, 1 g Formel- gewicht im Liter, und auf die Normal- wasserstoffelektrode Eh=0) E-+l,075 Volt beträgt. Demgemäß verdrängt das Mangan die Schwermetalle, auch das Zink, aus den Lösungen ihrer Salze, während es umge- kehrt selbst durch Magnesium gefällt wird. Auch die leichte Löshchkeit in verdünnten Säuren wird unter diesem Gesichtspunkte leicht begreifhch. Gemäß der beträchtlichen Elektroaffinität des Mn"-Ions sind die Mangan(II)salze nur in ganz geringem Maße hydrolysiert, während andererseits die Man- gan(III)salze durch Wasser vollständig hy- drolytisch gespalten werden. Als stark positives Ion besitzt das Mangan nur in ganz untergeordneter Weise die Fähigkeit, Komplexionen zu bilden. 7. Analytische Chemie. 7a) Quali- tative Analyse. a) Vorproben auf trockenem Wege. Mangan Verbindungen färben bei nicht allzu starker Konzentration in der Oxydationsflamme die Borax- und Phosphorsälzperle amethystfarbig. In der Reduktionsflamme wird ' die Manganperle farblos. Schmilzt man eine Manganverbindung mit Alkalihydrat oder Carbonat bei Gegen- wart Sauerstoff abgebender Substanzen wie Salpeter, so entsteht unter Bildung von Alkalimanganat, K2Mn04, eine grüne Schmelze. Diese Reaktion ist eine der charakteristischsten Proben auf Anwesen- heit von Mangan. ß) Reaktionen auf Mangan(II)salze bezw. Mn"-Ionen. Schwefelammon erzeugt einen Niederschlag von fleisch- farbenem, wasserhaltigem Mangansulfid. Kalium- oder Natriumhydroxyd fällen weißes Manganhydroxyd, "Mn(0H)2, das sich an der Luft infolge Bildung von Manganomanganit, Mn:;^ 0 )Mn rasch bräunt. Ammoniak gibt entsprechend dem Gleichgewicht: MnCl2+ 2NH3+ 2H205iMn(OH)2+2NH4Cl Fluorgruppe (Mangan) 37 eine unvollständige Fällung, die bei Zusatz von genügend Ammonsalz überhaupt aus- bleibt. Bei längerem Stehen an der Luft fällt durch Oxydation die sehr schwer lös- .OH liehe manganige Säure, Mn "'- 0 , aus, ein \0H Vorgang, der durch die damit verbundene Verschiebung des Gleichgewichts nach ent- sprechender Zeit zur quantitativen Aus- scheidung des Mangans in dieser Form führen kann. Alkalicarbonat, ebenso Ammoncar- bonat, selbst bei Gegenwart von Ammon- salzen, ferner Baryumcarbonat, letzteres allerdings nur in der Hitze, fällen weißes Mangan(II)carbonat, MnCO^. Natriumphosphat fällt weißes Man- gan(II)phosphat Mn3(P04)2, löshch in Essig- säure und Mineralsäuren. Ein sehr charakteristischer Nachweis ist die Volhardsche Reaktion: kocht man eine Lösung, die Spuren Mangan ent- hält, mit Bleisuperoxyd und konzentrierter Salpetersäure und verdünnt mit Wasser, so ist die Lösung nach dem Absitzen des über- schüssigen Superoxyds infolge Bildung von Permangansäure rotviolett gefärbt: 2MnS04 + öPbOä \ _ / 2PbS04+3Pb(N03), + 6HNO3 / ~ H ^^^0 + 2HMnO,. Salzsäure oder Chlorverbindungen stören die Reaktion. b) Quantitative Analyse, a) Gravi- metrische Bestimmung. Bestimmung als MnS. Mangan, z. B. in einer Mangan- sulfatlösun;^ kann in ähnlicher Weise wie das Zink mittels Schwefelammon als MnS gefällt werden. In üblicher Weise wird dasselbe im Goochtiegel durch Zusatz von Schwefel und Erhitzen im Wasserstoff- strom behandelt und als MnS gewogen. Bestimmung als MugO^. Bequemer ist die Fällung des Mangans als Superoxyd. Man versetzt zu diesem Zweck die Lösung mit Bromwasser bis zur Braunfärbung, macht hierauf mit Ammoniak gerade alkalisch und erhitzt zum Sieden. Hat sich der Nieder- schlag zusammengeballt, so filtriert man, wäscht mit heißem Wasser und verglüht das Oxyd durch Erhitzen über einem Teclu- brenner zu MugOi. /5) Kolorimetrische Bestimmung. Auch kolorimetrisch lassen sich geringe Mengen Mangan, wie sie beispielsweise im Eisen vorhanden sind, mit guter Genauigkeit bestimmen. Man führt hierzu das Mangan nach der Volhardschen Methode (s. den Artikel ,, Chemische Analyse") in Permangan- säure über und vergleicht ein bestimmtes Volumen mit einer Permanganatlösung ent- sprechenden genau bekannten Gehalts. y) Maßanalytische Bestimmung. Am schnellsten von allen Methoden führen wie gewöhnlich die titrimetrischen zum Ziel. Man kann einfach die Manganverbindung durch Lösen in konzentrierter Salpetersäure, darauffolgendes Eindampfen bis zur Bildung weißer Salpetersäurenebel und Zugabe von festem KaUumchlorat in Mangandioxyd über- führen. Nach dem Abfiltrieren und Aus- waschen löst man den Niederschlag heiß in einer ausreichenden, bekannten Anzahl ccm Vi -11 Oxalsäure und versetzt mit ca. 25 ccm verdünnter Schwefelsäure. Da das Dioxyd mit der Oxalsäure nach der Gleichung: +""0211^0^'^^'} = 2C0, + 2H.,0 + MnSO^ reagiert, also Oxalsäure verbraucht wird, kann man durch Rücktitration der über- schüssigen Oxalsäure auf den Mangangehalt der Verbindung schließen. Ueber andere Bestimmungen siehe Treadwell, Kurzes Lehrbuch der analytischen Chemie, IL (5) Elektro an alyse. Mangan kann elektrolytisch analog wie das Blei in stark salpetersaurev Lösung anodisch als MnOg bestimmt werden, doch besitzt diese Arbeits- weise kaum einen Vorzug vor der gewichts- analytischen oder titrimetischen Bestim- mung. 8. Spezielle Chemie. 8a) Allgemeines Verhalten des Metalls. Mangan löst sich als das positivste aller Schwermetalle mit größter Leichtigkeit in verdünnten Säuren, selbst in Essigsäure, unter Wasser- stoffentwicklung auf. Konzentrierte Schwe- I feisäure greift das Metall in der Kälte nur schwierig an, in der Wärme dagegen leicht unter SOg-Entwicklung. Konzentrierte Salpetersäure reagiert äußerst intensiv, mit pulverförmigem Mn sogar manchmal unter Feuererscheinung. Das nach dem Golds chmidtschen Ver- fahren dargestellte Metall ist an trockener Luft unbegrenzt haltbar und wird von Wasser kaum angegriffen. Es legiert sich in dieser Form durch einfaches Verschmelzen sehr leicht mit den meisten Metallen. So lassen sich bequem Legierungen mit Fe, Cu, Ni, Zu, Sn, AI, Cr, Ti und anderen Metalle dar- stellen. In einer Stickstoffatmosphäre auf 1210—1220" erhitzt, verbrennt es mit stark rauchender Flamme zu Mangannitrid. Mit Wasserstoff dagegen scheint sich Man- gan nicht zu verbinden. Viel reaktionsfähiger als das Goldschmidtsche Metall ist das j aus Manganamalgam dargestellte und zwar besonders, wenn die Temperatur, bei der j Quecksilber abdestilliert wurde, durch Ar- I beiten im hohen Vakuum möghchst niedrig gehalten wurde. Ein derartiges Metall 1 besitzt pyrophorische Eigenschaften, ver- \ brennt also unter Erglühen in Berührung ' mit Sauerstoff und vermag kochendes Wasser mit deutlich wahrnehmbarer Geschwindig- keit zu zersetzen. Während Kohlenoxyd 38 Fluorgruppe (Mangan) Wicklung "^fhj^^^i'i^'J^""^^. ^ Wasserhaltig kommt MnS m ver- Mn + CO -^ !t"f:+^:. , I schiedenen Modifikationen vor. Als fleiscb- Aehnlich reagiert auch KoWensaure. farbenes Sulfid bildet es sich als an der Luft 2Mn+ COa^SMnU+t. . | leicht oxydabler Niederschlag aus Mangan- Beihöherer Temperatur komphzieren sich bei | ^jj^g^^^^^gg^^j^g^j^ ^^j^^j Alkahsulfiden (s. oben dieser Reaktion die Verhältnisse, da als neue ö^ j^^ ^j^j. grünen, wasserärmeren Form Gleichgewichtskomponente Kohlenoxyd auf- g^^^steht es namentlich, wenn man mit einem j...-x„ ß Cn -irorl-irPlITlt tl VVOIlh OriSChCS TT 1 l-.-O C!^.l,,^«fnlo..irvinn fällt linrl treten muß. SO 2 verbrennt pyrophorisches Metall unter hellem Glanz zu MnS und MnO. Stickstoffdioxyd entzündet bei gehndem Erhitzen das Metall und hefert neben MnO und MnO, auch etwas Nitrid. Nitrosyl- chlorid, NOCl, greift das Element nur wenig an. Schwefelkohlenstoff reagiert bei Ueberschuß von Schwefelammon fällt und längere Zeit kocht. Dieses Sulfid ist weniger leicht oxydabel als die rote Form. Das Vor- kommen anderer Modifikationen ist noch nicht einwandsfrei sichergestellt. Mangan(II)selenid, MnSe, existiert wasserfrei, aus den Elementen synthetisiert, hohen Temperaturen unter Bildung von j^^ pjj^gr grauschwarzen Form. Durch Fällung Sulfid und Carbid. Auch die Halogene, 1-^.^ ^^ ^.^gg^j-^jaltig in einer blaßroten Modi- ferner Phosphor, Bor, Kohlenstoff und Sih- fu^^^ijo^ erhalten. n reagieren in der Hitze unter Bildung Mangannitrid, MugNa, entsteht beim der entsprechenden Metalloidverbindungen. , Abdestillieren des Quecksilbers aus Mangan- nnß ffiin nnlverisiertes Mans:an Schwer- i_„i„„^ •„ „i,,pr Stifkstoffatn cium reagieren m [• entsprechende.. . ^ 1 r\uucstiiii^xv.x v.v.. ^ Daß fein pulverisiertes Mangan Schwer- j ^^j^^lgam in einer Stickstoffatmosphäre. Es metalle, auch Zink und Cadmium, ferner ; ,^^^^-^^^ iphha.ftRn MetalManz, löst sich m „-^, - . besitzt lebhaften Metallglanz, löst sich m Arsen und Antimon aus den wasserigen 1 ^^^ Wärme in Salpetersäure, Königswasser Lösungen ihrer Salze reduzieren kann, ist { ^^^^^ ^^^ Salzsäure, allerdings nur bei Gegen- nach dem im Abschnitt 6 Gesagten nicht ^^^^.^ ^^^^ Platin. Mit Wasser in Berührung entwickelt sich allmählich Ammoniak Überraschend, sondern eine natürUche b olge seines hohen Lösungsdrucks. 8b) Verbindungen des zweiwerti- gen Mangans. Manganoverbindungen. — Manganooxyd, Mangan(II)oxyd Manganofluorid, Mangan(II)fluo- rid, Manganfluorür, MnFz, fällt beim Abdestillieren der Lösung von MnCOs mit Flußsäure in blaßroten, undeut- — iVlangano 0 xy u, iviixiigctiiviA;"^.y ">. wässeriger Fiuüsäure m oiaiDroien, uuucut- Manganoxydul, MnO, natürhch als Man- ^j^^^gj^ Kristallen aus, die fast unlöshch m ganosit vorkommend, bildet sich aus pyro- ^^sser, xMkohol ynd Aether, dagegen löshch phorischem Mangan und Kohlenoxyd bei ^^ Salzsäure, Salpetersäure und Schwefel- zirka 400» oder durch Erhitzen von ge- ^^^^^^ ^j^^^j^ trocknetem Carbonat oder Oxalat unter Manganochlorid, Mangan(II)chlo- Luftabschluß. Auch die Reduktion von ^..^ Manganochlorür, MnCU, entsteht Mangandioxyd und Mangan(II)mangan(III)- ^^sserfrei durch Verbrennen von Mangan oxyd durch Wasserstoff bei 260 bis 280" führt .^^ qy^Iq^^^^ oder durch Erhitz ü:i,i.,,,r^ TT^Ti MnO TTo Vipsity.t. IR nach • o i* v i TPc K, zur Bildung von MnO. Es besitzt je nach der Darstellungsart blaßgrünes bis blaßgraues Aussehen und bildet meist ein amorphes zen von MnCO^ im Salzsäurestrom. Es besitzt röthche Farbe und schmilzt bei Rotglut, ohne sich zu zersetzen. Das wasserhaltige, rosenrote. AusseiiBii UHU uiiucu "lyi'^'' ^"' ^"/"^r--" zu zersetzen, .uas ,.^^ - o,-. ^ Pulver. Kristaüisiert bildet es glanzende j^j-istaUisierte Salz, wie es beim Eindampfen Oktaeder. Beim Glühen an der Luft geht ^^^ Auflösung des Metalls, seiner Oxyde es in MusOä über. Bei 1200« wird es durch ^^^^ Sulfide sich bildet, kommt in ver- Wasserstoff zu Metall reduziert. Es löst sich gßi^jedenen Hydratstufen vor. Die gewöhnlich leicht in verdünnten Säuren zu den ent- yorkommende Phase ist das monokhne, sprechenden Mangan(II)salzen. ^^ ^jß^ L^ft zerfheßhche 4-Hydrat. Man Manganohydroxyd, Mangan(II)- ^^.j^^^^ ^g durch Abkühlen der heiß gesättigten hydroxyd, Mii(0H)2, bildet sich aus einer 1 -^^g ^^^^^ (j^j-d^ freiwilhges Verdunsten Mangan(II)salzlösung auf Zusatz von Na- ^-^^^j. MnGls-Lösung bei 15 bis 20«. Die triumhydroxyd (s. oben 7a, ß). Umwandlungspunkte der einzelnen Hydrate Manganosulfid, Mangan(II)sulfid, ^.^^^ ^j^ folgenden: Mangansulf ür, MnS, in der Natur als Ala- ^^ ^^^ q. !„ 4-Hydrat; - 2« bandin oder Mangauglanz vorkommend, laßt ucut-igc« ^ ^^ .^ 2-Hydrat: + 58.089° sichwasserfrei aus gefälltem, fleischfarbenem, " " 2- in 0-Hydrat- + 198« getrocknetem MnS durch Erhitzen im H2S- " " " .„„^^p von Richards Strom darstellen. Auch kurze Reduktion ^Tr ^7^1 ^^S^Flfpunkt^^^^^^^^^^ von MnS04 entweder mittels der berechneten und Wrede als Standard-Fix-Punkt lui aie Menge Kohle im elektrischen Ofen oder Thermometne empfohlen. mittels Wasserstoff führt zum Ziel. Das so Bei 25« sind 43.6o/o MnCl^ m dei ^e erhaltene Produkt bildet ein lebhaft- bis sättigten Lösung enthalten. Fluorgruppe (Mangan) 39 Mangan obromid, Mangan(II)bro- mid, Manganbromür, MnBra, entsteht analog dem Chlorid wasserfrei synthetisch aus den Elementen und bildet eine rötliche Masse. Wasserhaltig bildet es mehrere Hy- drate (1-, 4-, 6-Hydrat), von denen das äußerst zerfheßliche, rosenrote, monokline 4-Hydrat wiederum das bei Zimmertempera- tur kristaUisierende vorstellt. Manganojodid, Mangan(II)jodid, Manganjodür, MnJj, ist aus Mangancar- bonat und Jodwasserstoffsäure leicht dar- stellbar. Das wasserhaltige Salz, ebenso die Lösung, ist farblos. Auch hier existieren mehrere Hydratstufen. Mangan 0 Sulfat, Mangan(II)sulfat, MnSOi, kristaUisiert in blaßrosagefärbten 4 Mol. Wasser enthaltenden kristallen aus Lösungen von metallischem Mangan, Mangancarbonat , Manganoxyden in ver- dünnter Schwefelsäure. Beim gelinden Glühen hinterlassen die Kristalle weißes, wasserfreies Salz. MnSO^ ist in Wasser leicht löslich. Die bei 25° gesättigte Lösung enthält 39.3% Mn SO4. Die Existenzgebiete der einzelnen Hy- drate zeigt die folgende Tabelle: 7-Hydrat — 10.5° bis + 9« 5-Hydrat + 9" bis + 270 1-Hydrat oberhalb 27° Mangan oni trat. Mang an (II) ni trat, Mn(N03)2, durch Auflösen von Mangan in Salpetersäure erhalten, kristallisiert wegen seiner großen LösHchkeit in Wasser nur schwierig. Aus der zur Sirupdicke ein- geengten Lösung kann man beim Stehen- lassen über Schwefelsäure unterhalb + 23.5° das 6-Hydrat in schönen, farblosen, niono- klinen, an der Luft zerfheßlichen Kristallen erhalten. Oberhalb dieser Temperatur kri- ' stallisiert das 3-Hydrat. Beim Entwässern zerfällt es leicht in MnOaUnd nitrose Dämpfe. Manganocarbonat, Mangan(II)car- bonat, MnCOs, kommt wasserfrei in der Natur als Manganspat vor und kristalHsiert isomorph mit Calcit. Wasserhaltig bildet es sich durch doppelte Umsetzung von Man- [ gan(II)salzen mit Alkalicarbonat. Einen Uebergang zwischen zwei- und 1 dreiwertigem Mangan bildet das Oxyd | MugOi, Mangan(II)mangan(III)oxyd bezw. Manganoxyduloxyd genannt. Minerahsch findet es sich als tetragonal kristalhsierter j Hausmannit, künsthch entsteht es allgemein beim heftigen Verglühen von MnO, MnOa oder MujOg bis zur Weißglut. Es bildet ein zimmtbraunes bis braunschwarzes Pulver. Mit heißer Salzsäure oder konzentrierter Schwefelsäure bilden sich unter Chlor- bezw. ■ Sauerstoffentwicklung die entsprechenden Mangan(II)salze. Mit verdünnter Schwefel- säure oder Salpetersäure gehen V3 des Man- gangehalts als Mangan(II)salz in Lösung, während Y3 als Mangaiidioxydhydrat (man- ganige Säure) zurückbleibt. Hieraus kann man den Schluß ziehen, daß das Mn304 als Derivat der orthomanganigen Säure Mn(0H)4 aufzufassen ist. Manganoxyduloxyd besitzt demnach die Konstitution: Mn /J^ :^>Mn 8c) Verbindungen des dreiwertigen Mangans. Manganiverbindungen. Die Mangani-, Mangan( III) -Verbindungen sind von weit untergeordneterer Bedeutung als die des zweiwertigen Metalls. Das dieser Reihe zugrunde hegende Oxyd, MugOg, in der Natur als tetragonaler Braunit vorkommend, bildet sich beim Erhitzen von künsthchem MnO 2 in trockenem Wasserstoff bei 183°. Auch MnO, MujOi und Manganoxalat gehen j durch Glühen in einer Sauerstoffatmosphäre lin MugOg über. An der Luft wandelt es sich bei 940° unter Sauerstoffentwickelung in MugOi um. In konzentrierter Schwefel- säure oder in Salzsäure erhitzt bildet MugOa unter Sauerstoff- resp. Chlorent- wickelung die entsprechenden Mangan(II)- salze. In verdünnter Schwefel- oder Sal- petersäure löst sich nur die eine Hälfte des Mangans auf, während die andere Hälfte .OH als braunes Mangandioxydhydrat Mn^O \0H zurückbleibt. Man kann daher das MnaOg als Mangan(II)salz der metamanganigen Säure auffassen. Andererseits betätigt sich das MugOa auch als Basisanhydrid, es geht nämlich mit kalter konzentrierter Schwefelsäure vorsichtig verrieben in tief dunkelgrünes, sehr hygroskopisches Man- gan(III)sulfat Mn2(S04)3 über. In Be- rührung mit Wasser zerfällt es entsprechend der geringen 'Elektroaffinität des Mn-"-Ions sofort hydrolytisch in Schwefelsäure und MnO-haltige manganige Säure. Von Interesse sind auch clie Alaune, die das Mangan(III)- sulfat zu bilden vermag, und die isomorph mit denen des Chroms, Aluminiums und Eisens kristalhsieren. In dieser Isomorphie tritt die Dreiwertigkeit des Mangans klar zutage. Beschrieben sind der dunkelrote Ammoniummanganalaun und die korallenroten Kalium-, Caesium- und Ru- bidiummanganalaune. Sie alle werden am bequemsten aus dem verhältnismäßig leicht zugänghchen Mangan(III)acetat durch Umsatz mit den entsprechenden Alkah- sulfaten in schwefelsaurer Lösung dargestellt und in der Kälte zur Kristallisation gebracht. Auch ihnen haftet in Berührung mit Wasser die große Unbeständigkeit an, die allgemein an das Auftreten von Mn-"-Ion geknüpft ist. 40 Fluorgruppe (Mangan) Von den Halogeniden des dreiwertigen Mangans sind das Manganifluorid [Mangan- (Ill)fluorid], MnFa, nnd Derivate des Man- ganichlorids [Mangan(III)clilorid], MnClg, beschrieben worden. Ersteres bildet sich aus Mangan(II)jodid und Fluor und ist als weinfarbenes Salz beschrieben worden, das beim Erhitzen in MnF. und F dissoziert. Mangan(III)ehlorid konnte dagegen, offen- bar infolge seines hohen Dissoziationsdruckes, • nicht isoliert werden, man kann es jedoch wohl mit Bestimmtheit in den braungefärbten j kalten salzsauren Lösungen der höheren Manganoxyde annehmen. Durch Zusatz von NH4CI zu diesen Lösungen ist es ge- lungen, ein Doppelsalz des Ammonium- mangan(III)chlorids von der Zusammen- 1 Setzung MnCls, 2NH4CI, HgO zu isolieren. Auch Phosphate des dreiwertigen Man- gans wurden dargestellt. 8d) Verbindungen des vierwertigen Mangans. In die Gruppe der Verbindungen des Vierwertigen Mangans gehört das Mangan dioxyd, Mangan (IV) 0 x y d , ! MnOo, das mineralisch als rhombischer Pyrofusit, Braunstein, vorkommt. Künst- lich läßt es sich auf verschiedene Weise wasserfrei darstellen. Entweder durch vor- sichtiges Erhitzen von Mangannitrat auf ca. 500° oder durch Zusatz von festem Kaliumchlorat zur Lösung eines Mangansalzes in konzentriertester Salpetersäure. MnOg bildet ein schwarzes. Kristallpulver, das schon beim schwachen Glühen einen Teil seines Sauerstoffs verliert und in MugOg übergeht; bei starkem Glühen bildet sich unter weiterem Sauerstoffverlust MugO^. Beim Erhitzen mit konzentrierter H2SO4 auf zirka 110^ entwickelt sich zunächst Vi tles im MnOg enthaltenden Sauerstoffs unter Bildung von Mn2(SO^)3, das beim weiteren Erhitzen unter Sauerstoff abspaltung in Man- gan(II)sulfat übergeht. Von Salpeter- säure oder verdünnter Schwefelsäure wird Mangandioxyd kaum angegriffen. Bei Gegenwart organischer Substanzen, wie Zucker oder Oxalsäure, welche das zweite Sauerstoffatom aufnehmen, erfolgt jedoch unmittelbar Lösung. Salzsäure löst in der Kälte MnOg zu einer dunkelbraunen Lösung, die MnCL^ und vielleicht auch Mangantetra- chlorid, Mangan(IV)chlorid, MnCl^, enthält. In der Wärme entwickelt sich Chlor. MnCl^ konnte ebenso wie MnClg bisher noch nicht isoliert werden, wohl aber die Doppelverbin- dung MnCl4.2KCl, die ein fast schwarzes kristallinisches Pulver vorstellt und in feuch- ter Luft Chlor abspaltet. Auch eine ent- sprechende Fluorverbindung ist bekannt. Während sich MnOg bei diesen Reaktionen wie ein Basisanhydrid verhält, kann es andrer- seits auch als Säureanhydrid fungieren. Die ihm zugrunde liegende Säure ist die /OH /Ög manganige Säure, Mn_0 oder Mn^ ^OH Stande nicht erhalten, da sie beim Ansäuern 1 ihrer Salze schnell in Permangansäure und manganige Säure zerfällt: /OH 3H2MnO, = 2HMnO, + H20 + Mn--0 . \0H Dieser Vorgang vollzieht sich so leicht, daß eine grüne Manganatlösung bereits durch die Kohlensäure der Luft in dieser Weise zersetzt wird. Beständiger als die Säure sind die I Salze, deren Lösung wie die der Säure infolge 1 des ihnen zugrunde liegenden Mn04" Anions grün gefärbt sind. Sie entstehen leicht beim Glühen von Mangan, Manganoxyd oder i Sulfid mit Alkali bei Gegenwärt von Sauerstoff oder salpetersauren bezw. chlor- sauren Salzen und kristallisieren aus einer alkalischen wässerigen Lösung isomorph mit den rhombischen Sulfaten, Sele- naten und Chromaten. Die Salze sind meist von dunkelblaugrüner Farbe. In wässeriger Lösung halten sie sich wegen der Zersetzlichkeit der freien Säure nur in al- kahscher Lösun<>. Dargestellt wurden Man- FluorgrupiDe (Mangan) 41 ganate des Cs, Rb, K, Na, Li, Tl, Ag, Ba, Sr und Ca. Alle Manganate sind starke Oxy- dationsmittel. Leitet man Chlor in Kalium- manganat, so verwandelt es sich nach der Gleichung: K.MnO.+Cl ~> KCl+KMnO, in Kaliumpermanganat, das Mangan geht von dem sechswertigen in den siebenwertigen Zustand über. 8f) Verbindungen des siebenwer- tigen Mangans. Die dem Kaliumperman- ganat zugrunde liegende Säure konnte, obgleich sie viel beständiger als die Mangan- säure ist, in freiem Zustande nicht dargestellt werden. Isoliert wurde dagegen ihr An- hydrid, das Manganheptoxyd. Mangan(Vn)oxyd, Manganhept- oxyd, MuoO;. Es entsteht leicht, wenn man in 25 bis 50 ccm konzentrierte HgSO^ 25 bis 50 g gepulvertes reines Kaliumperman- ganat einträgt. Nach einiger Zeit scheidet sich beim Stehenlassen, zweckmäßig im Exsikkator, dasAnhydrid als dickes, grünlich- schwarzes, nach Ozon riechendes Oel ab. Dasselbe ist stark hygroskopisch und äußerst zersetzlich. Als Zersetzungsprodukte treten Sauerstoff und Manganoxyde auf. Redu- zierenden Stoffen gegenüber besitzt MugO^ ein enormes Oxydationsvermögen. Schwefel, Phosphor, Schwefelkohlenstoff, Alkohol, Aether, Zucker, Cellulose (Papier), Fett usw. werden äußerst heftig, häufig sogar explo- sionsartig, zersetzt. Durch vorsichtiges Ein- tragen in Wasser erhält man eine wässerige Lösung von Uebermangansäure. Permangansäure, Uebermangan- säure HMn04. Man kann die Uebermangan- säure auch durch Umsetzung von Barium- permanganat mit der berechneten Menge Schwefelsäure erhalten. Diese Lösungen be- sitzen prächtige Färbungen, herrührend von dem Anion MnO^'. Bei auffallendem Licht , sind sie dunkelkarminrot, bei durchfallendem dunkelviolett, bei größerer Verdünnung werden sie rötlichblau und schließlich I karminrot. Die Permangansäure ist eine ' starke Säure. Einblick in ihre Dissoziations- verhältnisse geben die folgenden mole- kularen Leitfähigkeitswerte: V 16 32 64 128 256 512 1024 ju 352.3 361.3 371.6 375 374.7 376.6 377.3 Auch der wässerigen Lösung ist ein äußerst starkes Oxydationsvermögen eigen. Je nachdem, ob die Oxydation in saurer oder alkalischer Lösung vor sich geht, bildet sich MnO oder MnOg nach dem Schema : 2KMn04=K20+2MnO+50 (sauer) 2KMn0,=K,0+2Mn02+30 (alkalisch). Man sieht, daß die Ausnützung des ak- tiven Sauerstoffs in saurer Lösung vorteil- hafter ist als in alkalischer, da das sieben- wertige Mangan bis zum zweiwertigen re- duziert wird. Da diese Reaktionen sich in vielen Fällen quantitativ vollziehen, spielt die Permangansäure, in P'orm ihres Kali- salzes, des Kaliumpermanganats, bei der Maßanlayse eine hervorragende Rolle. Wichtige analytisch ausnutzbare Oxyda- tionen sind unter anderem die Oxydationen von Ferrosalz zu Ferrisalz (Bestimmung von Fe), die Oxydation von Oxalsäure zu Kohlen- säure, die Gehaltsbestimmuiig des Wasser- stoffsuperoxyds bezw. der echten Persäuren, wie Perkohlensäure oder Perborsäure usw., ferner die Oxydation der salpetrigen Säure zu Salpetersäure (Bestimmung der nitrosen Schwefelsäure). Ueber die Darstellung besonders reinen Chlois aus Permanganat und Salzsäure siehe den Artikel ,, Chlor". Die wässerige Lösung der Permangan- säure, zersetzt sich besonders, wenn sie konzentriert ist, allmählich unter Abgabe von Sauerstoff und Ausfällung niederer Oxyde. Gegenwart von Schwefelsäure I (H--Ionen) macht die Lösung beständiger, I vermag jedoch nur die Zersetzungsgeschwin- I digkeit zu verringern, völlig haltbar sind auch solche Lösungen nicht. Fein verteiltes Platin katalysiert den Zerfall stark positiv. Die Salze der Permangansäure sind die 1 den rhombischen Perchloraten isomorphen I Permanganate, von denen die Cs, Rb, Li, I K, NH4, Ag und Ba-Salze gut kristallisieren [während sich das Natriumsalz, NaMn04. I 3H2O, an feuchter Luft nicht hält. Die Salze der Uebermangansäure mit Cs, Rb, K, NH4 und Ag kristallisieren wasserfrei. Die weitaus größte Bedeutung besitzt das Kaliumsalz, Kaliumpermanganat, überman- gansaures Kali, KMnOj, kristallisiert in schönen dunkelpurpurfarbenen grünlich schimmernden Prismen. In Wasser ist es leicht löslich. Bei 25'^ lösen sich 7,53 Teile KMnO^ in 100 Teilen HgO. Diese Lösungen sind praktisch vollkommen beständig, so- bald man dafür Sorge trägt, daß sie nicht mit reduzierenden Substanzen in Berührung kommen. Auch gegen Licht sind sie relativ unempfindlich. Die Darstellung des Kaliumperman- ganats erfolgt heute fast ausschließlich auf elektrolytischem Wege. Von dem früheren Verfahren, dem Einleiten von Kohlensäure in Manganatlösungen, ist man abgegangen, weil hierbei einmal y, des Mangans als Braunstein abgeschieden wird, und ferner 2/3 des Alkalis durch Uebergang in Alkalicarbonat verloren gehen entsprechend dem Vorgang: SKoMnO^ + 2CO2 = / ^™i'%-^ ^'^^2 Beim elektrolytischen Verfahren bringt man die alkalische Manganatschmelze in den x\nodenrauni, der durch ein Zement- 42 FluorgTU})pe (Mangan) — Flücldger diaphragma vom Kathodenraum getrennt | gäbe von frischem Manganat kann das in ist. Bei mäßiger Stromdichte vollzieht ' Alkali schwer lösliche Permanganat direkt sich der Vorgang I kristallisiert erhalten werden. 2Mn04" + 0 + H2O -^ 2Mn04' + 20H' ; 9. Thermochemie. Die Bildungswärmen bei gewöhnlicher Temperatur fast quanti- tativ. Badspannung 4 Volt. Durch Zu- der wichtigsten Manganverbindungen pro I Gramm-Molekül in kg-cal betragen: Mn + Mn + Mn + 3Mn + Mn + Mn + Mn + Mn + Mn + Mn + Mn + MnO + Mn + Mn + 3Mn + K + 0 0 s c 2F 2C1 2C1 + 2Br + 2J + SO2 + C + CO, 20" 20 + 40 Mn + H2O XH2O + Aq. + 4H2O Aq. Aq. 20 30 H2O 40 = MnO = Mn(0H)2 = MnS+xHgO = MngC = MnFa.aq. = MnCla = MnCl2.4H20 = MnBra.aq. = MnJa.aq. = MnS04 = MnCOg = MnCOg = MnOa = HoMnOg = Mn304 = KMn04 kg-cal 90.8 94.77 44.39 9.9 156.8 111.99 126.46 107.0 76.2 178.79 210.84 27.6 126.0 116.33 324.9 194.82 10. Spektralchemie. Mangan(II)chlorid- lösung liefert mit Hilfe des elektrischen Funkens iniFulgurator ein charakteristisches Spektrum mit den folgenden wichtigen Linien: orangegelb 601.7; grün 542.0, 541.3, 537.7, 534.1; vier blaue intensive besonders auffällige Linien [482.4, 478.4, 476.6,475.4]; schließlich eine indigoblaue Linie 446.2. Das Bandenspektrum des Manganoxyds spielt beim ßessemerprozeß zur Bestimmung des Entkohlungspunktes eine wichtige Rolle. Während die schwach rosaroten Lösungen der Mn- Salze kein verwendbares Absorp- tionsspoktrum liefern, ergeben verdünnte Kaliuiiipcrmanganatlösungen ein äußerst charakteristisches Spektrum. Es besteht aus 8 Absorptionsstreifen, 571.0, 547.3 (Hauptstreifen), 525.6, 505.4, 487.0, 470.7, 454.4, 439.5. Noch bei einer Verdünnung von 1 : 20 000 sind die ersten 5 Streifen deutlich zu beobachten. 11. Kolloidchemie. Kolloidales Metall läßt sich wegen des hohen Lösungsdruckes des Mangans" nicht darstellen. Wohl aber lassen sich Kolloidlösungen von Mangan- oxyden bereiten. Versetzt man protalbin- oder lysalbinsaures Natrium mit einer Lösung von Mangan(Il)salz und löst den entstan- denen Niederschlag in überschüssigem NaOH, so erhält man nach deniDialysieren und Ein- dampfen ein festes wasserlösliches hydra- tisches MnO-Gel. Auch MnOg geht leicht in die kolloidale Form über, wenn man es z. B. aus Mangan- (Il)hydrat und unterchloriger Säure bereitet und gut auswäscht. Man erhält tiefbraune Lösungen von Mangandioxydhydrat. Literatur. Gmelin - Kraut , Handbvck der anorganischen Chemie, Bd. III, Abt. 2, Heidel- berg 1908. F. Sommer. Fluormineralien siehe den Artikel ,, Mineralien, tisch-wichtige Mineralien". Op- Flückiger Friedrich August. Geboren am 15. Mai 1828 in Langenthai bei Bern. Er hörte, obwohl für den Kaufmannsstand bestimmt, von 1845 ab in Berlin Chemie und war dann von 1847 bis 1849 in einer Apotheke in Solothurn beschäftigt. Darauf studierte er zunächst vorübergehend in Bern und Genf und da- nach in Heidelberg Chemie , wo er 1852 promovierte. Nach einjährigem Aufenthalt in Paris war er zunächst als Apotheker tätig, liabilitierte sich im Jahre 1861 für Pharmakognosie in Bern und ^vurde 1870 daselbst außerordentlicher Professor. 1873 siedelte er nach Straßburg als Ordinarius für Pharmakognosie und Pharmacie über. Im Jahre 1892 gab er diese Stellung auf und kehrte nach Bern zurück, wo er am 11. Dezember 1894 starb. Seine wissenschaftlichen Arbeiten behandeln Flückiger — Flüsse 43 eine große Zahl chemischer und z. T. auch bota- nischer Einzelfragen. Bei weitem am meisten verdankt ihm die Pharmakognosie, die er nicht nur von der chemischen, sondern auch von der botanischen Seite mehr als einer seiner Vorgänger förderte und zu einem selbständigen Forschungs- gebiete zu entwickeln bestrebt war. In weiteste Kreise, auch des Auslandes, drang seine ,, Phar- makognosie des Pflanzenreichs" (Berlin 1867, 2. Aufl. 1883, 3. Aufl. 1891) und die „Grund- lagen der pharmazeutischen Warenkunde, Ein- leitung in das Studium der Pharmakognosie" (Berlin 1873). Seine pharmazeutisch- chemischen Arbeiten behandelten hauptsächlich die äthe- rischen Oele, die Harze und Balsame, die Alka- loide und verwandte Körper; andere Arbeiten sind den Chinarinden, der Geschichte der Drogen usw. gewidmet. Literatur. A. Tschirch, F. A. Flückiger mit Bildnis, Berlin 1895 (auch in den „Berichten der pharmazeutischen Gesellschaft" V, 1895, S. 8 bis 46 ; dort auch ein ausführliches Literattirver- seichnis). W. mihland. Flüsse. 1. Entstehung von Flüssen; das Stromgebiet. 2. Der Wasserhaushalt der Flüsse. 3. Das Fluß- wasser, Temperatur, Farbe, Gehalt an gelösten Stoffen. 4. Die Bewegung des Wassers in Flüssen. 5. Die Arbeit des fließenden Wassers. 6. Der Transport der Sinkstoffe. 7. Die Erosion des fließenden Wassers. 8. Die Ablagerung. 9. Das Erosionstal, das Längsprofil. 10. Störungen des normalen Gefälls. 11. Hängende Täler. 12. Das Querprofil. 13. Verschiebungen des Flußlaufes. 14. Flußschlingen oder Mäander. 15. Terrassen. 16. Veränderungen des Flußlaufes und der Flußsysteme, Verlegung der Wasserscheide. 17. Die Systematik der Täler. 18. Der geographi- sche Zyklus und das Maß der Destruktion. 19. Flußmündungen und Deltas. I. Entstehung von Flüssen; das Strom- gebiet. Wasser gelangt durch drei Vorgänge auf die Erdoberfläche, durch Niederschläge, Schmelzen von Eis und Schnee und durch Quellen. Davon kommt nur ein Teil zum Abfluß, ein zweiter verdunstet und der dütte versickert in den Boden. Das oberflächlich abrinnende Wasser fließt dem Gesetz der Schwere folgend vom höheren nach dem niederen Ort und zwar auf einer geneigten Fläche aus gleichförmigem Material in dicht beieinander liegenden parallelen Kinnen. Jede Abweichung von der Gleichmäßigkeit des Bodens veranlaßt eine Ablenkung und dadurch ein Zusammenfließen einzelner Adern zu größeren Kinnsalen. Durch eine trichter- förmige oder amphitheatralische Fläche wird dies unterstützt, da hier von vornherein ein Zusammenlaufen nach einem Punkt oder einer Mittellinie stattfinden muß. In der- selben Weise treten Rinnsale zu Bächen, Bäche zu Flüssen und diese zu Strömen zusammen ; sie alle stellen ein sich nach oben verzweigendes System von Wasseradern dar. Jeder Wasserlauf hat einen Ursprung und ein Ende, das als Mündung bezeichnet wird, wenn er sich mit einem anderen Wasser- lauf oder einem stehenden Gewässer ver- einigt, als Stromende, wenn der Lauf durch Versickern oder Verdunsten endet. Zwischen Ursprung und Ende spannt sich der Wasser- lauf an seiner Oberfläche in einer stetig absteigenden Kurve aus. Diese Strecke wird nie auf dem kürzesten Weg zurück- gelegt ; das Verhältnis der Länge zur kürzesten Entfernung ist die Stromentwickelung. Das Gebiet, aus dem ein Wasserlauf sein Wasser bezieht ist sein Einzugs- oder Stromgebiet, auch Stromsystem, das von einer Wasserscheide umgrenzt wird und eine gleichsinnige Abdachung haben muß. Mehrere Stromgebiete vereinigen sich zu Abdachungsgebieten einzelner Meere oder abflußloser Becken, sie werden durch Haupt- wasserscheiden getrennt. Die Größe der Stromgebiete, die nicht mit der Länge eines Stromes zusammenfällt, ist abhängig von der Form der Abdachungen und der Menge der Niederschläge. In der Tabelle sind die größten Strom- gebiete der Erde mit der Länge des Haupt- flusses angegeben. Millionen km- km Amazonas (mit Tocantins) ... 7,0 5500 Kongo 3,7 4200 Mississippi 3,25 6530 La Plata (mit Uruguay) .... 3,1 4700 Ob 2,95 5200 Nil . 2,9 5590 Jenissei 2,6 5200 Lena 2,4 4600 Niger 2,1 4160 Amur 2,0 4480 Jang-tsze-Mang 1,8 5100 Ganges-Brahmaputra 1,7 3000 Im Vergleich dazu: Rhein 0,224 1320 Elbe 0,144 II 12 Rhone 0,099 759 Po 0,069 680 Themse 0,013 405 In jedem Stromsysteme unterscheidet man einen Hauptfluß, der aus Quellflüssen zusammentritt, und seine Seiten- oder Nebenflüsse. Der Sprachgebrauch hatöfter einen anderen Fluß als Hauptfluß bezeichnet, als den, der es nach den morphologischen Bedingungen sein müßte. Der Form nach sind die Flußsysteme meist mehr oder minder birnenförmig gestaltet, so daß die Breite gegen die Mündung hin geringer wird. Je nachdem die Nebenflüsse von den beiden Seiten in gleicher Ausbildung oder aber von einer in stärkerem Maße kommen, spricht man von einem symmetrischen (Po) oder 44 Flüsse einseitigem Bau (Tigris). Abdachungsflüsse sind solche, die auf einseitig geneigten Land- abdachungen parallel oder strahlig angeordnet fließen, und ihre Nebenflüsse meist unter spitzen Winkel aufnehmen (Flüsse von Nordschweden). Unregelmäßiger gestaltet sind Gehängeflüsse. Durch Bodengestalt und inneren Bau bedingt münden hier die Nebenflüsse mehr in senkrechter Richtung (Var bei Nizza). Saumflüsse fließen am unteren Ende einer iVbdachung oder eines Gehänges entlang. Ihr Stromsystem ist meistens einseitig (Ganges am Südrand des Himalaya). In größeren Mulden zwischen zwei gegen- einander geneigten Abdachungen mit meist symmetrischem Bau entwickeln sich Flach- muldenflüsse (Amazonas). Je nach der Lage zur Hauptabdachung und zur Wasserscheide endlich spricht man von Längs- und Querflüssen. Ein Längs- fluß ist der Mississippi, ein Qnerfluß der Rhein. Die Dichte des Flußnetzes ist ab- hängig vom Niederschlag und vom Unter- grund. So hat nach Mayr der Böhmerwald auf der Südwestseite eine Dichte von 1,15 km Flußlänge auf den km^, auf der Nordseite nur 0,89, bei einem Niederschlag von 900 bis 1650 und von 650 bis 1550 mm. In regen- arnien Gebieten kommen etwa vorhandene Flüsse aus anderen Ivlimaregionen (Nil von 18" N. B. bis 31» N. B.). Das durchlässige Eibsandsteingebiet hat 0,99 km auf den km^ das undurchlässige Lausitzer Granitgebiet 1,43. Eine unbestimmte Entwässerung mit dem Fehlen ausgeprägter Wasserläufe und von Wasserscheiden entsteht beim Fehlen von oberflächlichem Gefäll (Njem- Plateau in Südkamerun). Eine vollständige Ausnahme bilden Gebiete mit unsichtbarer oder unter- irdischer Entwässerung, wie sie am ausge- prägtesten in Kalksteingebieten vorkommt. Hier verschwänden die Wasserläufe zum Teil nach kurzem Lauf von der Oberfläche und treten an anderer Stelle wieder zu Tage. Ein Beispiel bieten die Karstgebiete von Istrien. Unterbrechungen der Umrahmung der Stromgebiete entstehen durch Wasser- teilung und Flußvermischung. Die Wasser- t ei hing tritt ein, wenn die Wasserscheide im Quellgebiet über ebenen Boden mit Sümpfen oder Seen hinweggeht, und diese ihr Wasser nach zwei Abdachungen senden. So geben die Rokitnosümpfe ihr Wasser zur Weichsel und zum Dnjepr, und ein See in 625 m in Gudbrandsdalen in Norwegen an den Rauma- und den Laagen Elf. Treten dagegen zwei Flüsse während ihres Laufes miteinander in Verbindung, so spricht man voll Fluß Vermischung, Bifurkation oder Gabelung. Der Orinoco z. B. sendet einen Arm zum Rio Negro, also in das Amazonas- gebiet. Die Donau verliert unterhalb von Tuttlingen einen Teil ihres Wassers, der 15 km südlich davon im Quelltopf der Aach (die zum Bodensee geht) wieder zutage tritt. Häufig ist eine Flußvermischung im Unter- lauf, besonders bei Deltabildungen. Es ist dann eine Trennung der einzelnen Gebiete nicht mehr möglich, und es entstehen Fluß- paare, wie Ganges und Brahmaputra, Ama- zonas und Tocaiitiiis. 2. Der Wasserhaushalt der Flüsse. Das Wasser der Flüsse stammt aus Quellen, von Niederschlägen und der Eis- und Schnee- schmelze. Im allgemeinen findet durch das Zusammentreten verschiedener Wasseradern flußabwärts eine Zunahme der Wassermenge ' statt. Eine Ausnahme hiervon bilden nur niederschlagsarme, trockene Gebiete, in denen I die Verdunstung größer ist als die Zufuhr. Als verstärkend treten außerdem gerade in solchen Gegenden Bewässerungsanlagen hin- zu. Als Beispiel können dienen der Nil, die Wolga, der Amu- und Syr-darja, wie über- haupt alle Steppenflüsse. Aehnlich ist das Verhältnis bei Flüssen mit sehr starker Versickerung in den umgebenden Boden, zum Beispiel beim Tagliamento. Die Abfluß menge ist abhängig vom ^ Niederschlag und' von der Verdunstung im ^cn ■ zugsgebiet, oder gleich der Differenz von Niederschlag und Verdunstung. Das Ver- hältnis ist aber nicht konstant, da der Ab- fluß auch relativ, nicht nur absolut, mit der Niederschlagsmenge wächst. Außerdem kommen noch eine ganze Reibe von Faktoren hinzu, so daß eine allgemein gültige nur auf den Niederschlag bezogene Formel kaum aufgestellt werden kann. So vermindert feuchte und kühle Luft die Verdunstung und steigert damit den Abfluß ; im Gegensatz dazu verringert ihn warme und trockene Luft durch Verstärkung der Verdunstung. Da- neben kommen in Betracht Form und jahres- zeitliche Verteilung des Niederschlags. Fällt dieser in fester Form, im Winter oder in Gletschergebieten, so wird er für längere Zeit aufgestapelt und kommt dem Abfluß erst in der Schmelzperiode zugute. P]s folgt schon daraus, daß durchaus nicht immer der in einem Jahr fallende Niederschlag auch in diesem zum Abfluß kommen muß. Ver- schiedenheiten ergeben sich auch aus den Abdachungsverhältnissen des Einzugsge- bietes, mit zunehmender Steilheit wird der Abfluß beschleunigt. Aus durchlässigem Boden fließt im allgemeinen melir Wasser ab, w^eil es durch Versickerung der Verdunstung entzogen wird. Hingegen dürfte auf un- durchlässigem Boden der Abfluß schneller vor sich gehen, da natürlich das Boden- wasser langsam fließt. Wichtig ist endlich die Vegetationsdecke. Pflanzenarmer Boden beschleunigt das oberflächliche Abfließen Flüsse 45 und verstärkt deshalb in der niederschlags- reichen Zeit die Wassermenge; dagegen vermindert er den Abfluß in der trockenen Zeit oder hebt ihn ganz auf. E^ine dichte Vegetationsdecke hält das Wasser zurück und gibt es nur langsam ab. Sie dient also als eine Art Speicher, bei dem allerdings die Verdunstung durch den Verbrauch der Pflanzen sehr groß ist. Entsi)recliend der jährlichen Periode des Niederschlages und dem Ineinandergreifen der genannten Faktoren haben die Flüsse eine jährliche Periode der Wasser- führung. Es lassen sich hierbei eine Anzahl von Typen aufstellen. In "den Tropen überwiegt im allgemeinen der Einfluß des Niederschlages, die Hoch- wasserstände folgen dementsprechend den Kegenzeiten. Die Schwankungen zwischen Hoch- und Niedrigwasser sind im einzelnen davon abhängig, ob eine ausgeprägte Trocken- zeit vorhanden ist oder nicht. Fällt die Regenzeit, wie beim blauen Nil, mit der Schneeschmelze zusammen, so werden die Unterschiede gesteigert; sie vermindern sich, wenn, wie bei den Aequatorialströmen, dem Amazonas und Kongo, die Nebenflüsse aus Gegenden verschiedener Regenzeit kommen. Beim Ganges bewirkt dasselbe die Tatsache, daß er auch im Winter vom Himalaya durch den Antipassat Niederschläge erhält. In den subtropischen Winterregen- gebieten mit ihren regenarmen Sommern haben die Flüsse ihr Hochwasser im Winter. Hier liegt auch die Gegend der stärksten Schwankungen, weil im Sommer mit der intensiven Erwärmung eine sehr große Ver- dunstung eintritt. Es führt dies zur Er- scheinung der nur zeitweise fließenden oder intermittierenden Flüsse (Fiumaren). Am ausgeprägtesten macht sich dies bei den Wadis der nordhemisphärischen Wüsten und den Rivieren von Südafrika geltend. Es gibt hier Flüsse, die jahrelang gar kein oberflächlich abfließendes Wasser führen, so kommt der Swakop in Deutsch-Südwest- afrika nur ungefähr alle sieben Jahre zum Meere ab. Eine Ausnahme machen in dieser Zone im allgemeinen nur die Flüsse, deren Quellflüsse aus höheren Gebirgen kommen, wie der Guadalquivir und der Po. Mittel- und Westeuropa ist charakte- risiert durch nicht allzu große Schwankungen und durch den starken Einfluß der Schnee- schmelze auf die Jahreskurve. Im Mittel- gebirge und im Flachland fällt das Hoch- wasser gewöhnlich in den Frühling, in die Zeit des Schmelzens des Winterschnees, das Minimum des Wasserstandes wird am Ende des Sommers erreicht, wenn die Ver- dunstung, der Verbrauch durch die Vege- tation und die Aufnahmefähigkeit des Bodens am größten ist. Trotzdem sind die Nieder- schlagsmengen auch gerade in dieser Zeit am bedeutendsten. In den Alpen tritt das Maximum etwas später ein (April und Mai), entsprechend derverspätetenSchneeschmelze, und derselbe Grund führt auch in Skandi- navien zu einem sommerlichen Hochwasser. Das Minimum fällt in den Alpen auf den Februar, da im Sommer der Einfluß der j Verdunstung durch den Abfluß der Gletscher ausgeglichen wird. Im allgemeinen sind die mittel- und westeuropäischen Flüsse im Winter nicht sehr wasserarm, weil dann die Verdunstung gering ist. Dies ist anders bei den Flüssen von Rußland und Sibirien, die im Winter sehr wasserarm sind, weil aller Niederschlag in fester Form aufgespeichert wird. Das Hochwasser kommt mit der Schneeschmelze im Spätfrühjahr, der Sommer hat ebenfalls geringere Wassermengen als im Westen, weil hier nun die Verdunstung besonders intensiv ist. Der A b f 1 u ß f a k 1 0 r , das heißt der Abfluß I in Prozenten des Niederschlages, ist in j Mitteleuropa, den Nordalpen und Osteuropa der folgende : Deutsche Mittelgebirge 44,4 43,6 13,8 22,7 Nordalpen 54,4 76,0 42,8 51,9 Osteuropa 28,5 76,2 11,2 11,9 Das Minimum des Abflusses fällt also überall in den Sommer, ist in den Alpen wegen des Schmelzwassers am wenigsten I ausgeprägt, in Osteuropa dagegen durch die I große Verdunstung am stärksten. Das I Maximum fällt überall in die Zeit der Schnee- schmelze. Bei vielen Strömen tritt eine Mischung j der verschiedenen Typen und dadurch ein I teilweiser Ausgleich der Schwankungen ein. Die Wahrscluniiliclikeit dazu ist um so größer, je ausgedehnter das Stromgebiet ist. So vereinigt der Rhein das Bild eines Alpen-, Mittelgebirgs- und Ebenenflusses, der Po das eines alpinen und eines mediterranen, und, wie schon erwähnt, der Amazonas den Charakter der tropischen Flüsse der Nord- und Südhemisphäre. Damit hängt es zu- sammen, daß im allgemeinen bei großen Flüssen die Schwankungen geringer sind als bei kleinen. So verhält sich die Menge des wasser- reichsten zum wasserärmsten Monat beim Rhein wie 1:1,46, bei der Elbe wie 1:1,52. Ebenso tritt eine Dämpfung der Unterschiede vom Oberlauf gegen die Mündung ein. Die außergewöhnlichen Hochwasser, die bei flachen Ufern mit ausgedehnten Ueberschwemmungen verbunden sind, ent- stehen durch plötzliche Vermehrung des Zuflusses und werden dann Schwellhoch- wasser genannt, oder durch Verminderung 46 Flüsse der Abfliißmöglichkeit, die S tau hoch - wasser. Der Zufluß kann plötzlich stark vermehrt werden durch außergewöhnlich starke Niederschläge, oder durch plötzlich einsetzende heftige Schneeschmelze. Das- ^ selbe bewirken unvorhergesehene rasche Ent- vOs leerungen von aufgestauten Wasserbecken ^ . I durch Dammbrüche (Durchbruch des vom - s^ rVernagtgletscher aufgestauten Abflusses der "^ Eofener Äche). Stauhochwasser dagegen sind besonders häufig bei Flüssen mit Eisgang, wenn irgendwelche engen Stellen leicht durch das abwärts treibende Eis verstopft werden (Rhein, Elbe, Weichsel). Wenn durch klimatische Bedingungen die Eisdecke im Unterlauf später aufgeht wie im Mittel- und Oberlauf, so pflegen solche Stauhochwasser meist im Frühjahr ein- zutreten, wie bei den von Süden nach Norden fließenden Flüssen von Sibirien. Bei starker Steigerung der Wassermenge kann auch in Gebirgsengen eine Anstauung eintreten, wie sie bei der Donau und der Theis durch die Engen zwischen Bazias und Orsova oft hervorgerufen worden ist. Endlich sind plötzliche Absperrungen durch Erdrutsche oder Bergstürze, in den Tropen Verstopfungen durch Pflanzenbarren häufig die Ursache. Neben den jahreszeitlichen Schwankungen gehen solche von Jahr zu Jahr einher, die besonders in Gegenden mit starken Unter- schieden in der jährlichen Niederschlags- verteilung und in solchen mit unregelmäßig fallenden Niederschlägen bemerkbar sind. Es scheint bei ihnen ein gewisser Zusammen- hang mit den von E. Brückner konstatierten Klimaschwankungen vorzuliegen. 3. Das Flußwasser. 3a) Temperatur- verhältnisse. Nur über die Temperatur- verteilung in den mitteleuropäischen Flüssen ist man nach Untersuchungen von Forst er genauer unterrichtet. Es ergeben sich folgende allgemeine Tatsachen: Infolge der fortdauernden Mischung kommen Tempe- raturunterschiede in dem Körper des Flusses kaum vor, es herrscht von der Oberfläche bis auf die Sohle im großen und ganzen dieselbe Temperatur. Für das thermische Verhalten sind maßgebend die Wärme- verhältnisse der Umgebung und die Ur- sprungstemperatur des Wassers. Es herrscht eine gewisse Uebereinstimmung mit der Lufttemperatur, die nur gestört wird durch das Verhalten des Wassers gegen Erwärmung. So tritt eine Verspätung des Maximums und Minimums am Tage und eine Herabminderung der Schwankungen ein. Auch der jährliche Gang entspricht dem der Luft. Abweichend verhalten sich Gletscherflüsse, die im Winter wärmer, im Sommer kühler sind als die um- gebende Luft. Seeabflüsse ähneln in ihrer Temperatur der der Seen, sie sind vom April bis Juni kälter als die Luft, und erreichen im Winter ein Maximum des Wärmeüber- schusses. Während sich diese Einflüsse : weithin bemerkbar machen, im Rhein etwa bis nach Speyer, hören sie bei Quell- und Gebirgsflüssen ziemlich rasch auf. Auch diese sind im Sommer, besonders im Juli und August kühler, im Winter besonders im Dezember und Januar wärmer als die Luft. Flachlandflüsse endlich haben im ganzen I Jahr einen Wärmeüberschuß. ; In der Tabelle sind für 4 Monate die j Unterschiede gegen die Lufttemperatur für einzelne typische Fälle zusammengestellt: Januar April Juli Oktober Sillb. Innsbruck -|-3,6 — -2,9 — -7,8 —2,2 Rhone b. Genf +4,9 —0,5 — 1,3 -|-3,8 Ach bei Mem- mingen . . . +5,0 — 2,9 — -7,0 -2,5 ; Oder b. Breslau +2,1 +1,1 4- 1,2 +0,8 Im einzelnen wechseln natürlich die Flüsse auf ihren verschiedenen Laufstrecken ihr Verhalten. So ist der Rhone im Oberlauf i ein Gebirgsfluß, im Mittellauf ein Seeabfluß I und im Unterlauf ein Flachlandstrom. Ebenso bedingen Nebenflüsse gewisse x^b- weichungen : Die Donau bei Dillingen hat I den Charakter eines Flachlandflusses, bei Wien durch die vielen alpinen Zuflüsse den ; eines Gletscher- oder Gebirgsflusses. Der ; Gang der Temperatur im Lauf des Jahres i ist annähernd derselbe wie bei der Luft, I nur bei Seeabflüssen tritt eine Verspätung ein. 3b) Eisbildung. Bedingung für eine ' Eisbildung auf Flüssen ist, daß die Wasser- temperatur auf 0*^ herabgeht. Dazu wieder ist es notwendig, daß die Temperatur der Luft den ganzen Tag unter O*' liegt oder doch mindestens im Tagesmittel nied- riger ist als 0''. Je höher die Wasser- temperatur in dem Augenblicke ist, in dem j die der Luft unter 0° herabgeht, desto j strengere und lang andauernde Kälte wird bei dem thermischen Verhalten des Wassers I notwendig sein, um dieses auf 0" abzukühlen. i Bei der Eisbildung selbst sind zu unter- I scheiden: das gewöhnliche, harte und glatte [ Oberflächeneis,' das auf fließenden Gewässern nur bei großer Kälte entsteht, das bei Schneefall und Frostwetter durch Zu- sammenfrieren treibenden Schnees gebildete Schneeeis, und das Grundeis. Das Grundeis kommt dadurch zustande, daß auf oder unter den Gefrierpunkt abgekühltes Wasser durch Berührung mit festen Körpern erstarrt. Es setzen sich dann Eiskristalle an, die wieder Kerne für größere Massen von Grund- eis bilden. Steigt dieses endlich an die Ober- fläche, so entstehen nach und nach teller- förmige Schollen von bröckeliger Beschaffen- heit. Die Bildung einer zusammenhängenden Eisdecke kann auf zweierlei Weise vor sich Flüsse gehen. Bei langsam fließenden Flüssen wächst zuerst am Ufer entstandenes Eis gegen die Strommitte vor und schließt sich zu einer meist glatten Oberfläche zusammen. Bei stärkerer Strömung spielt das Treibeis, das aus Schnee- oder Grundeis besteht, die Hauptrolle. Die treibenden Massen stauen sich dann irgendwo zu einer unebenen Decke zusammen. Für den ersten Fall sind die großen, russischen Ströme, für den zweiten die meisten mitteleuropäischen Flüsse cha- rakteristisch. Der Augenblick, die Art und die Dauer des Gefrierens hängt vollkommen von klima- tischen Bedingungen, das heißt vom Eintritt, der Dauer und der Richtung der Frost- periode ab. So frieren die russischen Flüsse, die nach Norden fließen von der Mündung, die nach Süden gehenden von der Quelle an zu. In Europa und Nordasien nimmt im allgemeinen die Dauer der Eisbedeckung auch von Westennach Osten zu: Eisbedeckung der Weichsel im Mittel 64 bis 67 Tage, der obersten Wolga 130, der unteren 93, des Ob 168 und der Lena 203 Tage. sc) Die Farbe des Flußwassers. Die Farbe des Flußwassers ist von Natur aus, wie die allen anderen Wassers, blau. Mit zunehmender Tiefe des Wassers nimmt die Intensität dieser Eigenfarbe immer mehr zu. Daneben entsteht durch die Spiegelung der Umgebung eine scheinbare Farbe. Die Eigenfarbe des Wassers, die in den Flüssen kaum irgendwo vorhanden ist, wird nun abgeändert durch Beimengung von schweben- den Partikeln und durch Auflösung von fär- benden Substanzen. Von besonderem Ein- fluß sind die schwebenden Teilchen, die zum Beispiel vom Löß der Umgebung stammend dem gelben Fluß von China, dem Hwang-ho seine Farbe verleihen, oder die als schwarzer Schlamm dem Rio negro in Patagonien seinen Namen gegeben haben. Der Red- River und der Rio Tinto in Spanien führen im Wasser suspendierte Kupferverbindungen und die vielen roten Flüsse Mitteldeutsch- lands kommen meist aus Gegenden mit einem rötlich-gelblich verfärbten Lehm. Bei Flüssen aus Kalkgebieten nimmt mit wach- sender Schlammführung die Helligkeit der Farbe zu. So hat die Isar bei München bei niederem Wasserstand eine dunkelgrüne Färbung, die bei hohem Wasserstand in ein trübes Gelbgrün und endlich in ein schmutziges Gelb übergeht. Daneben bewirken besonders feine, suspendierte organische Be- standteile von unsichtbarer Größe Ver- färbungen des Wassers nach grün hin. Unter den färbenden gelösten Substanzen verstärkt Kochsalz, wie im Meer, die blaue Farbe. Einen schwarzen Ton verleihen dem Wasser die Huminsäuren. Ihnen verdanken die meisten sogenannten schwarzenFlüsse, die gewöhnlich aus Moor oder Sumpfgebieten kommen, ihre Färbung. Es scheint aber nach Versuchen von Reindl, daß dazu auch ein Gehalt an Alkalien notwendig ist, wie dieser den aus Urgebirgsformationen kommenden Flüssen eigentümlich ist. Es bilden sich dann lösliche humussaure Alkaliverbindungen, während die Kieselsäure als weißer Nieder- schlag auf dem Flußbett zurückbleibt. Enthalten Flüsse dagegen kohlensauren Kalk und kohlensaure Magnesia, so gehen diese mit den Humussäuren unlösliche, sich aus- scheidende und am Boden niederschlagende Verbindungen ein. Genau dasselbe tritt ein, wenn Schwarzwasserflüsse auf Kalkboden übertreten. Befördert wird die Schwarz- färbung durch kohlensaures Eisenoxydul, durch Diatomeen und durch das auffallende Fehlen von suspendierten Teilchen in solchen Flüssen. 3d) Gehalt an gelösten Stoffen. Das Flußwasser ist niemals vollkommen rein, sondern enthält immer Beimengungen in der Form gelöster Substanzen. Je nach der Beschaffenheit der Gesteine des Quell- gebietes wechselt deren Beschaffenheit. Es sind im allgemeinen alle auch im Quell- wasser vorkommenden Bestandteile ver- treten, nur ist das Flußwasser durchschnitt- lich ärmer daran, weil ihm viel mehr ober- flächliches, verhältnismäßig noch reines Wasser zugeführt wird. Am allgemeinsten und in größter Menge kommt kohlensaurer Kalk vor, in geringerem Maße ist kohlensaure Magnesia vertreten. Eine Ausnahme hiervon bilden nur Flüsse, die durch Gegenden mit dolomitischen Gesteinen fließen. AehuHch verhalten sich die Sulfate von Kalk und Magnesia. Un- bedeutend ist die Menge der Chloride, wenn auch Chlornatrium ziemlich allgemein verbreitet ist, und die der Kieselsäure, die nur etwas zunimmt bei Flüssen, die aus Gebieten mit Silikatgesteinen kommen. Die Elbe entführt aus dem 48453 km"^ großen böhmischen Flußgebiet in_6^Milliarden] \ ni3 Wasser 662,68 Miil. kg gelöste Sub-^^^ stanzen, davon sind 140,38 Mill. kg Kalkerde, 28,13 Mill. kg Bittererde, 54,52 Mill. kg KaH, 39,6 Mill. kg Natron, 25,32 Mill. kg Chlornatrium, 45,69 Mill. kg Schwefelsäure und 1,5 Mill. kg Phosphorsäure. Häufig sind organische Substanzen in der Form von Humussäuren vorhanden. Im allgemeinen hat man gefunden, daß Flüsse aus Gebieten, in denen silikatreiche Gesteine oder Sandsteine vorwiegen, ärmer an gelösten minerahschen Bestandteilen sind, als" die aus Gegenden mit Kalksteinen. Solche, die Stellen mit reicher Humus- bildung durchfheßen, sind arm an gelösten 48 Flüsse mineralischen Snbstanzen und reich an Humussäuren: So enthalten die Flüsse des bayerischen Waldes, die Urgebirgsformationen entstammen, in 1 1 Wasser im Mittel 87 mg, die aus der Keuper- und Triasgegend von Oberfranken dagegen 248 mg Trockenrück- stände. Für die Menge finden sich unter anderen folgende Angaben: Rhein bei Köln 200 g in 1 cbm Elbe bei Hamburg 237 g in 1 cbm Rhone bei Lyon 145 g in 1 cbm Donau bei Pest 187 g in 1 cbm jNTil bei Kairo 231 g in 1 cbm Cheliff bei OrleansviUe 780 g in 1 cbm Orinoco 72 g in 1 cbm Amazonas 66 g in 1 cbm Parana 101 g in 1 cbm Es ergibt sich, daß die Summe der in das Meer geführten gelösten Substanzen sich etwa auf Veooo des Wassergewichtes beläuft, und jährHch auf etwa 4,1 Billionen kg geschätzt werden darf. Im einzelnen schwankt die Menge mit dem Wasserstand, sie nimmt mit steigender Wassermenge ab, weil das Hochwasser meist von oberflächhch ablaufenden Regen- wasser herrührt, die gelösten Bestandteile aber aus Quellwasser stammen. So hatte der Rhein bei einer Hochflut im März 1851 in 100000 Teilen Wasser 11,23, in einer Trocken- periode im März 1852 dagegen 17,08 Teile gelöster Bestandteile. Aus demselben Grund nimmt der Gehalt in der nassen Jahreszeit ab, im Winter dagegen im allgemeinen zu. 4. Bewegung des Wassers in Flüssen. Die Bewegung des Wassers, das Fließen, wird bedingt durch die Wirkung der Schwer- kraft, und zwar ist sie als ein Fall auf einer schiefen Ebene aufzufassen. Die Ge- schwindigkeit muß also abhängig sein vom Gefäll und es muß die Formel t? = V2.g.h, wobei h der Höhenunterschied auf einer bestimmten Strecke ist, anzuwenden sein. Danach müßte nun die Geschwindigkeit von der Quelle bis zur Mündung zunehmen. Daß dies nicht der Fall ist. Hegt an dem Vorhandensein von Reibungswiderstän- den, die durch eine äußere und innere Reibung hervorgerufen werden. Die äußere Reibung entsteht an den Wandungen des Flußbettes, wozu natürhch auch die Sohle gehört. Sie wird verstärkt durch besondere Rauheiten des Bettes, wie Klippen, seithche Vorsprünge, Sand- und Kiesbänke. Gering, wenn auch nicht ganz ohne Bedeutung, ist die Reibung mit der über dem Fluß liegenden Luft. Die innere Reibung wird bedingt durch das Aneinandervorbeigleiten von einzelnen Wasserfäden, die verschiedene Geschwindig- keit haben, und sie wird durch Wirbel- bildungen infolge von Unebenheiten des Flußbettes w^esenthch verstärkt. Diese Reibungswiderstände zehren im allgemeinen die gesamte Beschleunigung auf, so daß gewöhnlich eine Geschwindigkeits- verminderung von oben nach unten ein- tritt. Im einzelnen entstehen folgende Ge- schwindigkeitsverteilungen: Es ist klar, daß die Reibung an den Wandungen des Bettes am größten sein wird, hier also die stärkste Verzögerung und die geringste Geschwindigkeit sein muß. Daraus ergibt sich eine Zunahme der Geschwindigkeit von den Seiten nach der Mitte und von der Sohle nach oben. Das Maximum wird aber nicht an der Oberfläche, sondern etwas unterhalb derselben, infolge der Reibung an der Luft, erreicht. Im allgemeinen liegt diese Stelle etwa bei ^/^^ der Tiefe von der Wasseroberfläche an gerechnet. Die Iso- tachen, die Linien gleicher Geschwindigkeit, verlaufen etwa in der in der Figur ange- gebenen Weise. Wasserspiege Fig;. l;i. Linien gleicher Geschwindigkeit im Quersdmitt. Aus Supaii, Gruiidzuge der phy- sischen Erdkunde. Das Mittel aus den Geschwindigkeiten aller in einem Querschnitt gelegenen Wasser- teilchen bildet die mittlere Ge- schwindigkeit des Stromes. Das Produkt mit dem Areal dieses Quer- schnittes gibt dann dieWassermenge des Stromes. Im allgemeinen be- trägt die mittlere Geschwindigkeit ^/s der an der Oberfläche ge- messenen und das doppeltederBoden- schwindigkeit. Sie erreicht bei großen Flüssen selten mehr als 3 m und steigert sich bei Wildwassern auf 5 bis 6 m. Die größte Geschwindigkeit wird nach dem Gesagten über dem tiefsten Punkt liegen, wenn der Querschnitt symmetrisch sein sollte, also über der Mitte. Die Ver- bindungslinie allergrößten Geschwindigkeiten auf der Oberfläche wird der Stromstrich genannt, er verläuft gewöhnlich über der Fig. 1 b. Linien gleicher Geschwindigkeit i. Längs- profil. v.Z. nach Brück- ner. Flüsse 49 Verbindungslinie der tiefsten Stellen im j rückläufige Bewegung einsetzen muß. Es Flußbett, dem Talweg. Bei Krümmungen i sind das die sogenannten Gegenströmungen des Flusses drängt der Stromstrich an das I oder Widerströme (Fig. 3). konkave Ufer (a), also an die konvexe Seite Der Grad der Geschwindigkeit, des Flusses, heran und entfernt sich vom Die Geschwindigkeit (V) wird bedingt durch konvexen Ufer (b). die Beschleunigung (G) durch die Schwer- kraft, ihr wirkt entgegen die Reibung (R), die wiederum mit zunehmender Geschwindig- keit wächst ,(F4y_3^ Im einzelnen findet nun aber kein gerad- liniges der Flußrichtung parallel folgendes Fort- schreiten der Wasser- teilchen statt, also kein Gleiten der einzelnen Wasserschichten über- einander, sondern eine Bewegung in Spiral- bahnen, das heißt, es vereinigt sich mit der stromabwärts fort- schreitenden Bewegung eine transversale. Durch die Verzögerung am Ufer muß eine Art von Stauung eintreten, diese führt zu einer Erhebung des Wasserspiegels an j Fig. 3. Gegenstriimung an einem Vorsprung dieser Stelle und dem- ; Aus v. Neumayn-, Anleitung zu Wissenschaft nach zu einem Gefäll nach dem tiefer liegen- den Stromstrich. Zum Ausgleich tritt an der Sohle eine entgegen- gesetzte Bewegung ein, das heißt, in der Rich- tung nach dem Ufer. Beide Bewegungen haben eine stromabwärts gerichtete Komponente, Fig. 2. Lage des Stromstrichs in Krümmungen. Aus Supan, Grund Züge der physischen Erd- kunde. liehen Beobachtungen auf Reisen. Es sind drei Beziehungen möghch: 1. G > R, in diesem Fall nimmt V zu, damit aber wächst R. 2. G < R, hier nimmt V ab, damit aber auch R. 3. G = R, dann wird V gleich bleiben, Falll und 2 führen also immer zu Fall 3, und zu 'jeder Seite des Stromstriches hegt bei dem die ganze Beschleunigung zur em System von Spiralen. Tritt aber eine Ueberwindung der Reibung verbraucht wird. Vermehrung der Wassermenge bei steig;endem|j)je Beschleunigung ist durchaus abhängig Gefäll, die Reibung dagegen vom so liegt die der Strom- Wasserstand ein, strich höher, und die ganzen Verhältnisse | g^^fü Während mit wachsendem Gefäll drehen sich um. Neben diesen regelmäßigen ^-^ Geschwindigkeit zunimmt, ergeben sich Bewegungen sind noch wirbelformige, auf- 1 j^^j^^^ Querprofil folgende Beziehungen. Je oder absteigende vorhanden, die sich m i o Wirbeltrichtern oder Aufwallungen bemerk- t a b f bar machen. In abwärts fortschreitender \ \ 7 7 Form entstehen sie an der Grenze von Wasser- fäden mit verschiedener Geschwindigkeit oder verschiedener Richtung; an Uneben- heiten des Flußbettes dagegen sind sie stationär. Je nach ihrer Höhe und der Ge- schwindigkeit des Wassers werden diese ent- weder einfach umflossen oder sie erzeugen einen Aufstau des Wassers und eine Welle über sich. Ragen sie über den Wasserspiegel empor, so wird hinter und vor ihnen die Geschwindigkeit vermindert, an den Seiten gewöhnhch unter Strudel- oder Wellenbildung vermehrt. Ebenso stauen seithch vorsprin- gende Hindernisse das Wasser an, das dann am Ufer stromaufwärts zurückfließt. Die unterhalb desselben befindhchen Wasser- mengen werden vom Strom gleichsam mit fortgesaugt, sodaß am Ufer ebenfalls eine Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV Fig. 4. Abhängigkeit der Geschwindigkeit vom Querschnitt. größer der sogenannte benetzte Umfang des Querschnittes, das heißt je größer die Berüh- rungsfläche zwischen Wasser und Bett ist, desto größer muß auch die Reibung sein. 50 Flüsse Sie wird also bei schmalen, aber tiefen Flüssen geringer sein als bei breiten und flachen. Neben der Form ist natürlich auch die Größe des Querschnittes von Bedeutung. Mit der Größe des Querschnittes wächst der benetzte Umfang, aber nur in arithmetrischer Progression, während die Fläche in geome- trischer wächst. Es ist dann also der unter Keibung stehende Teil des Querprofils kleiner als beim kleineren Querprofil. Bei ähnhcher Form muß demnach im größeren Querschnitt die Geschwindigkeit größer sein als im kleinen (Fig. 4). Da nun weiter die Querschnittsgröße abhängig ist von der Wassermenge, so folgt daraus, daß die Geschwindigkeit um so größer ist, je bedeutender die Wassermenge ist. Aus der gegenseitigen Beeinflussung der in Betracht kommenden Faktoren ergibt sich etwa folgendes Bild. Im Oberlauf überwiegt bei großem Gefäll und kleiner Wassermenge der Gefällsfaktor, die Geschwindigkeit ist also hier am größten. Analoges tritt im Unterlauf ein, bei dem kleinsten Gefäll und der größten Wassermenge, so daß die Geschwindigkeit hier am geringsten ist. Im einzelnen treten natürhch starke Abweichungen auf. Der Rhein hat bei Mannheim mit kleinem Gefäll eine Ge- schwindigkeit von 1,5 m, im Bingerloch, wo jenes wächst, 3,4 m, und bei Koblenz wieder 1,9 m. Der Einfluß der Wassermenge macht sich bei Hochwasser geltend. So beträgt die Geschwindigkeit im Rhein bei Straßburg bei Niedrigwasser 1,50 m, bei Mittelwasser 2,15 m, bei Hochwasser 2,85 m. 5. Die Arbeit des fließenden Wassers. Wie jeder in Bewegung befindhche Körper besitzt auch das Wasser lebendige Kraft und ist imstande Arbeit zu leisten. Da die Kraft gleich ist dem halben Produkt aus der Masse und dem Quadrat der Geschwindigkeit, so folgt, wenn man für die Geschwindigkeit den Wert von ]'27gAi einsetzt, K = M.h.g. Es wird also die Arbeitsleistung be- stimmt durch Wassermenge und Fallhöhe. Die Arbeitskraft wird aufgewendet zum Transport von losem Material, zum Angriff des Flußbettes durch die Erosion nach der Tiefe und nach der Breite, und zum Aufbau neuer Teile aus dem transportierten Material, zur Ablagerung. Das fließende Wasser ist also in dieser Hinsicht den anderen Kräften, dem fließen- den Eis, der fheßenden Luft und der Bran- dung vollkommen gleich. Das Verhältnis der drei Arbeitsweisen kann nun das folgende sein: Die Last des zu transportierenden Ma- terials ist kleiner als die Wasserkraft, dann wird alles transportiert und es bleibt ein Kraftüberschuß für die Erosion. Die Last ist gleich der Wasserkraft, dann wird nur transportiert. Die Last ist größer als die Wasserkraft, dann wird nur ein Teil transportiert und der Rest abgelagert. Aus den früher behandelten Verhältnissen der Wassermenge und Geschwindigkeit folgt, daß im allgemeinen im Oberlauf die Erosion, im Unterlauf die Anhäufung überwiegt, daß dagegen im Mittellauf beide gleich stark sind. Jede Veränderung der Geschwindig- keit und der Wassermenge ruft natürhch Veränderungen dieses Schemas hervor. 6. Der Transport der Sinkstoffe. Die sogenannten Sink Stoffe eines Flusses be- stehen aus dem Zerstörungsmaterial der in der Umgebung anstehenden Gesteine, die in grober Form als Geschiebe oder Gerolle, in feinerer als Kies und Sand, und in feinster Form als Schlamm auftreten. Mit ihnen ver- einigen sich die schon besprochenen ge- I lösten Bestandteile. Die gröberen Teile — Gerolle und ein Teil des Sandes — werden auf dem Boden des Flusses, die feineren — der andere Teil j des Sandes und der Schlamm — schwebend j im Wasser weiter befördert. ! Das mitgeführte feste Material kann aus : folgenden Quellen stammen. I 1. aus dem Flußbett selbst; 2. aus Material, das durch die Zerstörung der Uferwände entsteht, und unmittelbar in den Fluß fällt ; 3. aus Trümmermassen, die außerhalb des Flusses entstanden sind und ihm durch Rinnsale, Wildbäche, Lawinen, Gletscher und durch das Gekriech zugeführt werden ; I 4. aus feinen vom Wind transportierten i und in den Fluß gewehten Bestandteilen. Die ersten drei Quellen hefern Material i jeghcher Größe, die vierte natürhch nur j feinen Sand und Staub. Im Fluß selbst tritt eine weitere Um- , Wandlung des Materials ein, das Geröll I wird abgenutzt und unter Umständen gelöst, so daß im Lauf der Zeit Sand und Schlamm aus ihm entsteht. Während die Gerolle natürhch allen Gesteinen entstammen können, besteht der Sand fast immer nur aus Quarz, da fast alle anderen Minerahen vorher zer- stört oder gelöst werden. Im Schlamm über- [ wiegen tonige Bestandteile. i Die Bewegung der Gerolle erfolgt durch die Stoßkraft des Wassers bei frei liegenden Gerollen im allgemeinen in einer rollenden Bewegung. Die Größe und das Gewicht der gerade noch transportierten Gerolle wird bedingt durch die Geschwindigkeit des Wassers an der betreffenden Stelle. Es hat sich dabei gezeigt, daß im allgemeinen eine geringere Geschwindigkeit notwendig ist, Flüsse 51 um GeröUe, die schon in Bewegung sind, Wassers wird deren Oberfläche gewöhnlich weiter zu verfrachten, als um diese überhaupt i in Rippelmarlcen oder Wcllenfurchen gelegt, in Bewegung zu versetzen. Das Wandern des Gerölls und Sandes Es kann entweder das gesamte Geschiebe hängt in seinem Ausmaß von der Wasser- der Flußsohle in Bewegung versetzt werden, menge ab, bei Hochwasser wird mehr und wie es in Gebirgsflüssen und bei Hochwasser rascher transportiert als bei Niedrigwasser. der Fall ist, so daß also eine Art von Geröll- Nimmt die Wassermenge ab, so wird zuerst Strom entstellt, oder aber der Transport das grobe Geröll abgesetzt, und so weiter mit erfolgt stoß- oder ruckweise in der Form abnehmender Gröläe bis zum Sand. Eine von Kies- oder Sandbänken. Diese haben neue Steigerung der Transportkraft kann gewöhnlich eine länghche, zum Teil dreieckige dann darüber wieder grobe Gerolle ablagern, Gestalt, wechseln zu beiden Seiten des so daß eine Lage von Geröll und Sandschichten Stromstriches ab (Fig. 5), und fallen stromauf- von wechselnder Korngröße übereinander wärts sanfter ab als stromabwärts. Der Strom- zu liegen kommen. Die einzelnen Lagen sind strich wird durch sie an das entgegen- mit unvollkommener Schichtung etwas strom- gesetzte Ufer gedrängt, so daß hier gewöhnlich abwärtsgeneigt. Man pflegt diese demfheßen- den Wasser eigentümhche Art des Absatzes als Uebergußschichtung zu bezeichnen (Fig. 7). Bei ge- wöhnlichen Flüssen wird der Trans- port des Gerölls hauptsächhch durch die Hochwässer besorgt, in periodisch fließenden aussclüieß- lich durch diese. Es werden dann aber gewöhnhch sehr große Men- gen auf einmal befördert, wie zum Beispiel beim sogenannten „Ab- der südwestafrikanischen Flüsse. Fig. 5. Sandbänke. Aus v. Neumayr, Anleitung zu wissenschaftlichen Beobachtungen auf Reisen. tiefere Stellen entstehen, während die Bänke 1 kommen' durch eine Art Schwelle miteinander ver- bunden sind. Eine Ausnahme hiervon bilden verwilderte Stromstrecken (Fig. 6), hier sind die Bänke unregelmäßig angeordnet, so daß der Strom in einzelne Arme zerlegt wird. Das Geröll wird am oberen Ende der Bänke er- griffen, über die Bank hinwegtransportiert und häuft sich dann am unteren Ende wieder an. So wandert langsam die ganze Reihe der Bänke flußabwärts, mit einer Geschwindigkeit, die natürhch langsamer ist als die des Wassers, aber im gleichen Sinn mit dieser sichverändert. Im mittleren Rhein wan- dern die Bänke Bei der Wanderung nach und nach ab, nützt sich das Geröll so daß, wenn nicht eine 7. Uebergußschichtung. Aus Kayser, Lehrbuch der allgemeinen Geologie. neue Zuführung, etwa in Strecken von stär- kerem Gefäll, erfolgt, seine Größe allmähhch abnehmen muß. Ln Rhein beträgt bei Basel das Gewicht des größten Gerölls 5,9 kg, bei Mann- heim 0,1 kg," dann erscheinen wieder solche etwa ' von größerem Gewicht, erst an der deutschen 200 bis 400 m im Jahr, Grenze ist wieder dasselbe Maß erreicht in der regulierten Donau } wie bei Mannheim. Dabei konnte festgestellt 100 bis 150 m. { werden, daß die Abnutzung bis zur Abrun- Während der Sand in düng der Gerolle rascher als später erfolgt. Fig. 6. Verwilderte Flußstrecke (Isar bei Tölz). Flüssen mit Geröllbänken gewöhnlich mit dem Wasser abwärts bewegt wird, bildet er in solchen, in denen Gerolle nicht Art wie die Geröllbänke. Unter dem Einfluß des darüber hinfließenden Ueber die Größe der Geschiebemenge liegen einige Beobachtungen vor. So schaffte die Reuß jährlich von 1851 bis 1879 bei einer Wassermenge von 750000000 cbm etwa 146000 cbm Geschiebe mehr vorkommen, Bänke in den Vierwaldstätter See, der Rhein von derselben Form und | 47000 cbm, die Bregenzer Ache 87000 cbm in den Bodensee, und die Ache 142000 cbm in den Chiemsee. Bei Flüssen außerhalb der Gebirge sind diese Mengen geringer, 4* 52 Flüsse für den Ehein bei Germersheim werden 278000 cbm, für die Donau bei Wien 465000 ; bis 894500 cbm im Jahre angenommen. Der Schlamm fließt mit dem Wasser, das | heißt, er wird schwebend transportiert, sein j aÜmähhches Sinken wird durch aufsteigende Strömungen in Wirbeln verhindert. Daraus folgt, daß um so mehr Schlamm und um so größere Bestandteile schwebend erhalten werden können, je größer die Wirbel- bewegung ist, daß also in rasch fheßenden | Flüssen und bei Hochwasser der stärkste Transport auch hier stattfindet. Daneben macht sich hier der Einfluß der Zusammen- 1 Setzung des Wassers geltend, indem mit j zunehmendem Gehalt an Salzen ein rascherer j Niederschlag erfolgt. Die schwebenden Teil- chen sind nicht gleichmäßig im Fluß verteilt, ' sie sind in der Nähe des Bodens am reich- 1 lichsten vorhanden. So wurden im IVIississippi [ bei Carrolton (bei New-Orleans) festgestellt ' an der Oberfläche 558 g in 1 cbm, in mittlerer Tiefe 652, in der Nähe des Bodens 677. Die Schlammführung folgt im allgemeinen ' den Bewegungen des Wasserstandes, so ist sie in den Alpenflüssen im Sommer sehr viel stärker als im Winter. Sie unterliegt be- ! greifhcherweise auch starken zeitlichen Schwankungen. Die Menge des Schlammgehaltes in den einzelnen Flüssen ist je nach ihrem Charakter, ihren Wasserstandsbewegungen, dem Einzugs- gebiet und auch nach ihren Vereisungs- verhältnissen sehr verschieden. Im allge- meinen ist sie größer als die Menge der transportierten Geschiebe, übertrifft diese etwa um das 10 bis 15 fache, und schwankt zwischen mehreren Hunderttausendsteln und einigen Tausendsteln des Wassergewichtes. Die Flüsse von Mitteleuropa sind ziem- lich schlammarm, sie haben gewöhnhch weniger als 100 g in 1 cbm Elbe bei Geesthacht Maas bei Lüttich Ehone bei Lyon etwa 32 g etwa 43 g etwa 75 g Viel größere Mengen erreiclien die Alpen- flüsse: Durance etwa 1450 g Var (Franz. Alpen) etwa 3580 g i Hohe Zahlen haben alle Flüsse in Ge- bieten mit ausgesprochenen Kegen- und Trockenzeiten: Irawadi 766 g Tiber 1189 g Amu-Darja 1500 g Ganges " 1982 g Neben dem Wasserstand wirkt der Cha- rakter des Einzugsgebietes je nach der schwereren oder leichteren Verwitterbarkeit der Gesteine. So sind im allgemeinen die „Ströme der großen Alluvialebenen sehr reich an mitgeführtem Schlamm, z. B. der Indus und Ganges. Im Gebiet der Donau macht sich dies darin geltend, daß ihr Schlammgehalt an der Mündung im Verhältnis größer ist als bei Buda-Pest. Andere Flüsse dagegen sind an der Mündung ärmer als im Mittel- und Oberlauf. So bringt die Durance etwa 17,2 Millionen Tonnen "in den Rhone, der an der Mündung nur 7,06 Millionen Tonnen aufweist. In Gebirgsgegenden werden bei starken Regengüssen mit nachfolgenden Hoch- wassern zuweilen ganz enorme Mengen be- fördert. So transportierte dieRienz bei Brun- eckim Pustertal vom 16. bis 19. September 1882 im Mittel 47,9 kg in 1 cbm, im Maximum 75,5, in den folgenden Tagen nur 6,6 kg. Dies führt endlich zu den Muren, wo eine Art Schlammbrei herabfließt, wie beim Wildbach von Sanieres. der bei einem Regen in 97920 cbm Wasser 30000 cbm Gestein zu Tal geschafft hat. Das Transportvermögen wird gesteigert durch Eis, besonders durch das Grundeis, dessen Schollen oft bis zu 1/15 des Volumens an festem Material enthalten. Dies macht sich besonders geltend bei einem Eisstau mit einem nachfolgenden Hochwasser. In ähnhcher Weise endlich wirken schwimmende Gras- und Holzmassen in den Flüssen wald- reicher tropischer Gegenden. Es sei hier noch darauf hingewiesen, daß selbst langsam fheßende Ströme in Tief- ländern noch Material transportieren können. Es liegt das daran, daß sie gewöhnlich auch noch hier im Unterlauf Nebenflüsse aufnehmen. Es ist aber auch stets die Breite des Strombettes unterhalb des Zusammenflusses kleiner als die Summe der Breiten des Haupt- und Nebenflusses. Es muß sich infolge- dessen die vergrößerte Wassermenge rascher bewegen und kann wieder stärker trans- portieren. 7. Die Erosion des fließenden Wassers. DieErosion des fließenden Wassers, das heißt seine zerstörende Ai-beit an seiner Um- rahmung, einschließhch des Bodens, kann von zweierlei Art sein. Es können erstens schon gelockerte feste Stoffe abgelöst werden. Dies geschieht durch die lebendige Kr-aft des Wassers allein und ist in gewissem Sinn der spülenden Tätigkeit des Regens zu vergleichen. Man pflegt diese Tätigkeit Ablation zu nennen. Zweitens kann das Bett des Flusses abgenutzt werden. Diese sogenannte Kor- rasion zerfällt wieder in eine chemische durch Auflösung des Gesteins und in eine mechanische durch Abscheuern des Unter- grundes. Diese Tätigkeit vollführt das Wasser mit Hilfe eines Werkzeuges, mit dem mitgeführten Geschiebe oder Sand. Die Erosion kann endlich nach zwei Flüsse Richtungen wirken, nach der Tiefe als so- genannte Tiefenerosion, sodann in die Breite als Seiten- oder laterale Erosion. Die Ablation wird unterstützt durch mitgeführte Geschiebe, die gleichsam wie ein im Wasser schwimmender Balken wirken, weil die lebendige Kraft der ganzen Masse des Geschiebes zum Stoß des Wassers hinzu- kommt. Die chemische Korrasion wirkt natürlich vor allem in Flußbetten in leicht löslichem Gestein, also ganz besonders in Kalksteinen. Es werden dann zum Teil karrenartige Formen, Rinnen und Löcher, herausgearbeitet. Am wirksamsten ist die mechanische Korrasion. Sie bestellt erstens in einer ein- fachen Abschleifung und Glättung der Felsen, in ähnlicher Weise, wie bei der Arbeit des Windes, ohne daß jedoch dabei eine ähnliche Politur erreicht wird, wie bei dieser. Der abgeschliffene Fels hat eine matte Ober- fläche, vergleichbar der der FlußgeröUe, oft mit flachmuschelförmigen Vertiefungen. Daneben geht zweitens eine bohrende Tätigkeit einher, die sich an die wirbei- förmige Bewegung des Wassers knüpft, und der mit Recht besonders von Brunhes ein bedeutender Anteil an der Erosion zu- geschrieben worden ist. Sie erzeugt mit Hilfe von Schleifmaterial, das übrigens auch aus Sand, durchaus nicht nur aus Rollsteinen zu bestehen braucht, mehr oder minder kreisförmige Vertiefungen, die zum Teil als sogenannte Riesentöpfe bezeichnet werden. Die Wandungen sind meist glatt und mit spiralig gedrehten Eintiefungen versehen, in dem stumpfen, schüssei- förmigen Ende wird gewöhnlich Geröll ab- gelagert. Sie kommen in verschiedenem Aus- maß, mit Tiefen bis zu 15 m, nicht nur im festen Flußbett, sondern sehr häufig auch auf Blöcken im Flußbett vor. In großen Flüssen tritt diese bohrende Tätigkeit hinter der Fig. 8. Flußbett bei Lärdalen in Norwegen. Aus Penck, Morphologie der Erdoberfläche. anderen zurück, sie fehlt aber nicht voll- ständig, wie zum Beispiel ihr zuzuschreibende Formen im felsigen Bett der Elbe bei Cosse- baude unterhalb von Dresden beweisen. Dagegen steht sie durchaus im Vordergrund bei rasch fheßenden Flüssen, deren Bett dann aus einer Reihe von rundlichen Wei- tungen besteht, die oft überhängende Wände I haben, und im Anfang durch relativ schmale Oeffnungen miteinander verbunden sind. Nach und nach werden diese schärferen Vorsprünge zurückgearbeitet und abge- rundet, dann zeigen beide Seiten des Fluß- ; bettes eine Folge von rundlichen Ein- 1 Waschungen, wie sie in fast allen Klammen der Alpen an den Wänden, als Zeichen einer früheren höheren Lage des Bachbettes beob- achtet werden können (Fig. 8). Das Fluß- bett des Isonzo bietet zwischen St. Lucia- Tolmein und Salcano bei Görz ebenfalls ein Beispiel dieser Aneinanderreihung solcher Kessel. Bei größeren Flüssen bilden sich derartige : Erscheinungen nur an Stellen, die eine Wirbel- ; bildung hervorrufen, meistens also an Strom- ] schnellen oder Wasserfällen. Bekannt sind sie in jeder Ausbildung von den Granitinseln : des ersten Nilkataraktes. Am Rheinfall bei Schaffhausen und beim Niagarafall l^dßin^ Vertiefungen von 10 m Tiefe und von i 50 m Breite eingearbeitet worden. Beispiele für die Geschwindigkeit der Erosionsarbeit sind des öfteren bei Fluß- korrektionen beobachtet worden. So wurde 1714 die Kander direkt in den Thunersee geleitet. Bis etwa 1870 hatte sie ihr Bett [an der Ableitungsstelle um 45 m vertieft. Der Lech wurde 1852 bis 1867 zwischen I Schwabstadel und Meitingen gerade gelegt, I was die Folge hatte, daß er bis 1884 sein Bett um 5,2 m tiefer legte. Der Simeto hat am Aetna in 200 Jahren ein Bett von 15 bis 1 100 m Breite und 12 bis 15 m Tiefe in einen Lavastrom eingeschnitten. Besonders starke Wirkungen werden bei Hochfluten erreicht. Das Kanabcafion, ein Nebental des Colorado-Cafion, wurde 1883 bis 1885 wiederholt von starken Fluten durch- ! flössen, dabei entfernte der Fluß aus seinem I Tal Alluvionen von etwa 9 Millionen cbm, und schuf ein neues Tal von 18 m Tiefe, 21 m Breite und 24 km Länge. Die Schlocke, ein in den Rigaischen Meerbusen mündendes Flüßchen, wurde am 14. und 15. April 1900 durch Eisstau aufgedämmt und an einer Stelle zum Ueberlaufen gebracht; in 34 Stunden grub sie sich in Dolomitmergel und Ton eine Schlucht, die oben 5,5 m Breite und 3,7 m Tiefe, und unten 8 m Breite und 1,75 m Tiefe hatte, wobei 2250 cbm I Gesteinsmaterial fortgeschafft wurden. j Dasselbe kann beobachtet werden an 1 Erosionsspuren in Klammen und Caüons. •. So hat die Liechtensteinklamm, die in das Salzachtal mündet, eine Schlucht von nur 2 bis 4 m Breite, aber mit Wänden von über 300 m Höhe, die überall Spuren der Erosion zeigen. Das Coloradocafion stellt das größte Beispiel seiner Art dar, indem sich hier der 54 Flüsse Fluß 1800 m tief durch Ablagerungen des Tertiär, der Ki-eide, des Jura, der Trias und des Karbon bis in die granitisclie Unterlage eingeschnitten hat. 8. Die Ablagerung. Die Ablagerung von mitgeführteni Material setzt ein, wenn aus irgendwelchen Gründen, die Kraft des Wassers zu klein zum Transport des ge- samten Geschiebes geworden ist. Hierher gehören die bereits besprochenen Geröll- und Sandbänke. Daneben treten Ablagerungen besonders auf an Stellen, an denen eine plötzliche Verminderung der Geschwindigkeit eintritt. an der unteren in Lee der KHppen abgelagert. In Weitungen des Flusses bilden sich Bänke in der Mitte, die gewöhnlich eine Teilung des- selben in zwei Arme hervorrufen. Bei Flußkrümmungen wird an der konvexen Seite, von der sich der Stromstrich entfernt, häufig eine halb!»ehoi.biMrt^ 1 V/'-v W s I ;,., "x' § M^ f 1 lli H I z = = f - i_Ll Fig. 31. Anzapfung von Flußsystemen II, sind zwei nebeneinander liegende Flüsse o-edacht, die beide eine Zone weichen Ge- 66 Flüsse Steines durchfließen. In dieser arbeitet der Nebenfluß des linken rascher und zapft den Oberlauf des anderen ab. Unterhalb des Ablenkuns^sknies wird in dem Tal des angezapften Flusses eine für dessen Größe zu kleine Wasserader, ein Kümmerfluß, fließen. Charakteristisch für alle diese Anzapfungen sind anscheinend unberech- tigte Umbiegungen im Lauf des stärkeren Flusses. W. M. Davis hat im Gebiet der Mosel, Marne und Aube mehrere solche Fälle konstatiert. So gehörte das oberste Stück der Mosel oberhalb von Toni zur Maas, den eigentlichen Oberlauf der Mosel bildete die Meurthe (Fig. .32). Einer ihrer Seitenflüsse schnitt rascher ein und lenkte so einen Teil der Maas nach Osten ab, ein anderer Arm wurde ihr im Westen von der Aisne abge- schnitten. Der Grund hierfür liegt darin, daß die Maas bei ihrem Durch- bruch durch die Ardennen ein Tal in sehr harten Schichten ein- arbeiten mußte und ihr Ein- schneiden oberhalb davon deshalb ver- zögert wurde. In den Alpen kann dieselbe Er- scheinung beim oberen Inn und der Maira in der Gegend desMaloja-Passes beobachtet werden (Fig~ 33). Das Inntal beginnt heute am Maloja-Paß als breites Wiesental, der Maira dagegen gehen ihre Nebenflüsse aus dem Val Ördlegna und d'Albigna unter Abbiegungen zu, in gleicher Weise wie der Oberlauf der Maira selbst. Man muß annehmen, daß diese drei Zuflüsse ursprünglich dem Inn angehört haben und von einem von Süd<»tei*kommenden schneller arbeitenden Fluß angezapft worden sind. Dem heutigen Oberlauf des Inn steht ein ähnliches Schicksal bevor. Durch diese rückschreitende Erosion kann unter Umständen die Wasserscheide hinter die eigentliche Hauptkette eines Gebirges verlegt werden. Es dürfte dies der Fall sein im südlichsten Teil der Anden von Chile. Regenreichtum am Westhang hat hier die Flüsse befähigt, schneller und intensiver zu arbeiten, wie die des Osthanges, denen weniger Niederschlag zur Verfügung steht und die einen weiteren Weg bis zum Meer zurückzulegen haben. Infolgedessen ist die Wasserscheide um etvva 200 km von der Hauptkette nach Osten in ein verhältnis- mäßig niedrig gelegenes Gebiet verlegt worden. Fig. 32. Anzapfung der Maas durch die Mosel bei Toul. 17. Die Systematik der Täler. Nach ihrem Ursprung kann man zwei Arten von Tälern unterscheiden, die ursprünglichen und die Erosionstäler. Jene stellen Hohlformen von talähnlicher Gestalt dar, die lediglich durch den inneren Bau des Bodens hervorgerufen worden sind, diese sind durch die Erosion in eine Landober- fläche eingearbeitet worden. Zu den ursprünglichen Tälern gehören nach Supan: Mutden-, Graben- und interkolline Täler. Bei der Faltung eines Gebietes entstehen zwischen den Sätteln oder Antiklinalen, Muldentäler; sinkt zwischen zwei stehenbleibenden Teilen ein längliches Stück in die Tiefe, so entsteht ein Grabeii- tal, während die interkollinen Täler zwischen zwei selbständigen Gebirgen liegen. In ihrer wirklichen ursprünglichen Gestalt werden solche Täler wohl kaum jemals vorkommen, da natürhch auch in ihnen das fließende Wasser arbeiten muß. Unter den Erosionstälern werden folgende Arten unterschieden : Ist die Anlage eines Tales durch irgend- welche Bedingungen im geologischen Bau begründet, so spricht man von t e k 1 0 n i s c h en Tälern, läßt sich ein solcher Zusammenhang nicht feststellen, sondern ist lediglich die Abdachung maßgebend, von orograp bi- schen Tälern. Durch den Einbruch des Daches eines in einer Reihe von Höhlen fließenden, unter- irdischen Flußlaufes kann in Karstgebieten ein Einsturztal gebildet werden. Eine letzte Gruppe endlich sind die epigene- tischen Täler, wie sie v. Richthofen genannt hat. Es sind solche, die mit den heutigen tektonischen und hypsometrischen Verhältnissen einer Gegend in Widerspruch stehen und für deren Bildung infolgedessen andere Oberflächenformen vorausgesetzt wer- den müssen. Der einfachste Fall ist durch die Figur 34 erläutert. Im oberen Dia- gramm ist eine junge Ebene dargestellt, deren Ablagerungen ein älteres abgetragenes Gebirgsland verhüllen. Infolge der Neigung entwickelt sich auf ihr ein Flußsystem A— B. Schneidet dieser Fluß sich mehr und mehr ein, so wird er endlich auf das Grundgebirge stoßen, dessen Verhältnisse aber seine Laufrichtung nicht mehr beein- flussen können. Er wird sich also auch in das angenommene Granitmassiv einarbeiten. Wenn nun im Lauf der Zeit die jugendlichen Ablagerungen fast vollkommen weggeschafft worden sind, wird der Fluß anscheinend un- erklärlicherweise aus einer weiten Tal- landschaft im Gebiet weicherer Schichten, die seine Nebenflüsse ausgebildet haben, in ein tiefes, steilwandiges Engtal eintreten. Als Beispiel einer ähnlichen Bildung kann die Donau zwischen Regensburg und Flüsse 67 Wien angeführt werden. Sie läuft hier im allgemeinen am Rand des böhmischen Massivs entlang, geht aber zweimal in tiefen Engtälern durch dieses hindurch, und ebenso dringen die Linie Martigny-Chur, Feldkirch-Wörgl, im Himalaya das Längstal des Brahmaputra und des obersten Sutlej. Quertäler verlaufen senkrecht zum Strei- Fig. 33. Anzapfung des Inn durch die Maira (S'S' alte Wasserscheide). Aus Kayser, Lehr- buch der allgeroeinen Geologie. von Süden Icommenden Nebenflüsse in dieses clien des Gebirges und der Schichten. Eine ein. Die Anlage der Täler erfolgte, als das Kategorie der Quertäler sind die Durch- Alpenvorland ebenso hoch oder höher lag als die böhmische Masse, und als demzufolge die Donau von den Alpenflüssen nach Norden abgedrängt werden konnte. Beim weiteren Einschneiden kamen die Täler dann auf den Abfall des Massivs und gruben hier die! engen Talstrecken ein, während die Neben- flüsse der Donau die Auflagerungen über der Tiefenhnie des Alpenvorlandes zum Teil wieder ausgeräumt haben und diese dadurch freilegten. Nach dem Verhältnis zum inneren Bau unterscheidet man in gefalteten Gegenden | Längs- und Quertäler. Die Längstäler verlaufen in der Streich- ! richtung der Gebirge und der Schichten, sie | können in der Anlage ursprünghch sein und | treten dann als Synklinale Täler in den Faltenmulden auf. iVusschließlich durch die Erosion dagegen werden in den Faltensätteln antiklinale^ und auf den Schenkeln iso- klinale Täler gebildet. Charakteristisch sind die großen Längsfurchen in manchen Faltengebirgen, wie in den Alpen auf der bruchs-, oder, wie sie V. Rieht ho fen nannte, Epigenetische Talbildung. die Durchgangstäler, die ganze Gebirgs- ketten durchbrechen. In den Kettengebirgen 5* 68 Flüsse wieder werden unterschieden ^"oyma ! Durehgangstäler, wenn das Qnellgebiet in der höchsten Kette liegt und nur niederere durchbrochen werden, anomale, wenn die durchbrochenen Ketten hoher sind als das Quelkebiet, und Breschetäler, wenn ganze Gebirge, wie der Balkan vom Iskei, durchbrochen werden. Für ihre Entstehung gibt es eine ganze Reihe von Erkläinmgs- ver<^uchen. Die einfachste ist die Spalten- theorie, die annimmt, daß der Durchbruch durch eine Spalte oder eine Schwächehme bedingt sei. AVenn auch Beispiele dafür vielleicht vorhanden sind, so kann diese Theorie nicht im entferntesten alle Vorkomm- nisse erklären. Ist der durchbrechende Fluß iünt^er als die durchbrochene Kette, so kann oft die Regressionstheorie von Löwl als Erklärung herangezogen werden. Diese nimmt an, daß durch ruck- schreitende Erosion vom niederschlags- reicheren Außenrand des Gebirges nach und nach eine oder mehrere Ketten durchnagt worden sind. Ist der Fluß älter, so ist es mö<^Mch. daß er antezedent ist, also, wie früher ausgeführt wurde, das Gebirge wäh- rend seiner Hebung durchsägte (Ante- zedenztheorie). Die Talbildung kann aber auch epigenetisch sein, wobei das durchbrochene Gebirge durch Denudation bloßgelegt worden ist. Nimmt man mit Jukes an, daß die Längstäler noch ausgefüllt waren, als der QuerfUiß bereits zu wirken begann, so können dadurch auch Durchgangstäler m Kettengebirgen erklärt werden. In vielen Fällen beruht bei diesen Bildungen die Mög- lichkeit der Tiefenerosion auf Einsenkungen der Umgebung oder auf einer Hebung des durchbrochenen Gebietes. Das dürfte zum Beispiel der Fall sein beim Durchbruch des Rheines und der Mosel durch das rheini- sche Schiefergebirge. Eine tektonische Theorie ist von Lugeon aufgestellt worden, der neben einer Hauptfaltung eine untergeord- nete Querfaltung annimmt, so daß die Hauptantiklinalen und Synkhnalen sich heben und senken. Die transversalen Syn- klinalen sind, wenn sie älter waren als die Längsfaltung, von Flüssen als Durchgangs- täler benutzt worden. In den savoyischen Kalkalpen bietet das Flußsystem des Cheran ein Beispiel für diese Ansicht. In neuerer Zeit ist von Davis eine Ein- teilung der Flüsse und ihrer Täler gegeben worden und zwar nach ihrem Alter und ihren Beziehungen zum Schichtenbau." Auf einer im Sinn der Schichten ab- fallenden Abdachung, etwa auf einer ge- hobenen Küstenebene, werden sich zuerst Flüsse bilden, die ihr folgen, und als konse- quente Flüsse oder als Folge-, Abdachungs- und Hangflüsse bezeichnet werden (Fig. 35, a). Wendet man die Einteilung auch auf Falten- gebirge an, so gehören die Muldenflüsse zu den konsequenten. Eine zweite, später auf- tretende Gruppe sind die subsequenten Flüsse oder Nachfolge- und Schicht- flüsse (b). Sie entwickeln sich als Nebenflüsse Fig. 35. Einteilung der Flüsse nach Davis. Aus Supan, Grundzüge der physischen Erd- kunde. der konsequenten in den weicheren Schichten und passen sich deren Sti eichen an. Sie können kleinere konsequente Flußsysteme leicht anzapfen und schälen vor allem die härteren Schichten als Stufen heraus. Auf deren Innenabfall oder deren Stirn ent- stehen wieder Nebenflüsse, die dem Fallen der Schichten entgegengesetzt verlaufen, die obsequenten oder Gegen-, Stirn- und Abkehrflüsse (d). Auf den Stufenlehnen aber entwickeln sich dem Fallen der Schichten folgend resequente oder Folgeflüsse zwei- ter Ordnung, Nachfolge- oder Einkehr- flüsse (c). Flüsse endlich, die keiner dieser Bedingungen entsprechen, sind insequente oder Kürflüsse. i8. Der geographische Zyklus und das Maß der Destruktion. Alle Landoberflächen unterhegen einem fortgesetzten Destruk- tionsprozeß, bei dem in normaler Weise die Linien der Erosion des fließenden Was- sers als Leitlinien für die übrigen mit ihm auf das gleiche Ziel hinarbeitenden Vorgänge dienen. ' Dieses Ziel ist die Verebnung der Landoberflächen. Davis hat den Prozeß den normalen Erosionszyklus genannt im Gegensatz zu dem marinen Erosions- zyklus der Wellen und Strömungen des Meeres. Abarten des normalen, durch klima- tische Unterschiede bedingt, sind der aride und nivale. Zyklus. Der normale Zyklus umfaßt die Zeit, die notwendig ist, um eine gehobene Landmasse bis zu einer nahezu formlosen Ebene in geringer Höhe über dem Meeresspiegel abzutragen, es Averden dabei zuerst aus den Formen einer in großen Zügen unebenen, sogenannten Urlandschaft kon- sequente oder Folgeformen entwickelt und diese nach und nach in die Endformen über- geführt. In dieser Entwickelungsgeschichte werden je nach dem Grad der Veränderungen ein iuiiges, reifes und altes Stadium Flüsse 69 unterschieden. Siipan ersetzt cMese Aus- drücke durch Unreife, Reife und Ueber- reife. Die verschiedenen Merkmale dieser Sta- dien bei Tälern und Talsystemen sind etwa folgende. Im Jugendstadium beginnt die Zertalung, doch sind noch beträchtliche Landstücke vorhanden, die noch wenig Veränderungen j gegenüber der großzügig welligen Urober- 1 fläche erfahren haben. Verwitterung und j Erosion sind lebhaft, rasch fließende Flüsse, vielfach in engen, steilwandigen, felsigen i Tälern, sind häufig unterbrochen durch | Wasserfälle. Seen schalten sich noch oft in ; den Flußlauf ein. So ist die Gleichgewichts- 1 kurve, obwohl sie angestrebt wird, noch I nicht erreicht. Die Lage der Wasserscheide I ist unentschieden und unterliegt vielfachem Wechsel. Die Höhen werden noch von den am höchsten gehobenen Teilen des Landes gebildet. Das Reifestadium charakterisiert ein ausgearbeitetes System von sich verzweigen- den Tälern, so daß nur noch wenig oder gar nichts von der ursprünglichen Oberfläche erhalten ist. Die Gleichgewichtskurve in den Flußläufen ist im allgemeinen erreicht, Seen und Wasserfälle sind verschwunden, die Täler sind breiter geworden, und die Gehänge infolge der Verwitterung abgeflacht, sodaß sich der langsam kriechende Schutt auf ihnen einstellen kann. Die Talanlage und die Wasserscheiden sind festgelegt. Die Höhen werden nun von den widerstandsfähigsten Partien gebildet, die Vertiefungen ent- sprechen weicheren Schichtkomplexen. Die Schärfe dei Bergformen ist geschwunden und ebenso ist der relative Niveauunter- schied gemildert. Eine immer weitere x\bschwächung der Funktionen und eine Verarmung an For- men ist endlich das Kennzeichen des Alters. Die Erniedrigung der Wasserscheiden und die Vertiefung der Täler wird immer lang- samer, und nur soweit fortgeführt, um ein unmerkliches Gefäll aufrecht zu erhalten. Die Seitenerosion ist noch tätig und schafft breite Flußebenen, in denen die Flüsse m vielen Windungen fließen. Ein unmerklicher Anstieg führt in weiten flachen Tälern zum Quellgebiet, aus dem welligen Gelände mit gerundeten Formen ragen nur Partien här- teren Gesteines als flache Schwellen empor. Reichlicher Verwitterungsschutt trägt eben- falls zur Verhüllung und Abschwächung der Niveauunterschiede bei. So wird endlich die fast formlose Ebene, die Fastebene oder Peneplain (Davis) GrrGiclit Dieses in seinem Ablauf natürlich nicht zu beobachtende, nur aus seinen einzelnen Stadien an vielen Orten abzuleitende Bild unterliegt vielfachen Störungen. Vulkanische Ausbrüche können Niveauuiiterscliiede schaf- fen und Flüsse abdämmen, Klimaiiiiderungen können aus Landscliaften mit arider Erosion solche mit normaler und aus diesen wieder solche mit glazialer schaffen. Vor allem aber kann die Erosionsbasis gesenkt oder die Wasserscheide gehoben werden. Dann muß der Zyklus unterbrochen und ein neuer eingeleitet werden, für den nun die eben erreichten Formen des ersten als Urformen dienen. Das Maß der Destruktion. Man hat versucht festzustellen, wie groß die Ernied- rigung ist, die durch die Flüsse in ihrem Stromgebiet auf dem festen Land verursacht wird. Penck gibt dafür folgende Tabelle in Sc ob eis geographischem Handbuch. Jährliche Ab- tragung in Tau- sendstel Milli- metern Jb:ibe Rhein . . 17 27 Seine und Marne . . . Themse 2Ü 17 Mitteleuropa . . . . 30 143 Donau 61 S ii fl p 11 rn n a. . . 60 220 (Indus, Ganges, Irawadi tsze) Nil • • ■ Yang- 13 Mississippi 60 Gesamtsumme .... 102 Wenn diese immerhin wenig zahlreichen Beobachtungen als maßgebend für die Ab- tragung durch die Flüsse angenommen werden, so würde das zum Meer entwässerte Land in rund zehntausend Jahren um 1 m erniedrigt werden. Wird dagegen den zu stark ins Gewicht fallenden Strömen von Südasien, nur der ihnen zukommende relative Wert beigelegt, so erhöht sich diese Zeitdauer auf rund 12000 Jahre. Nimmt man endlich an, daß diese heutige Tätigkeit dieselbe bleibe, so würden die Flüsse rund 9 Millionen I Jahre brauchen, um das Land bis zum j Meeresspiegel abzutragen. 19. Flußmündungen und Deltabildun- gen. Flußmündungen sind die Stellen, an denen Flüsse in ein stehendes Gewässer, in einen See oder das Meer münden. ^ Es findet dabei eine Vermischung des Fluß- wassers mit dem des Sees oder des Meeres und ein Niederschlag der mitgeführten Sedi- mente statt. , , r Im Süßwasser wird beides nur durch die dem Fluß innewohnende Stoßkraft ver- izöf^ert. Sie erlaubt ihm noch eine gewisse Strecke in dem See eine selbständige Masse 70 Flüsse zu bilden. Münden kalte Flüsse in warme fließen, bis er in einer verschleppten Seen, so sinkt das Flußwasser unter und Mündung einen Auslaß findet (Mündung strömt am Seeboden weiter. In allen anderen des Senegal, der Flüsse in Niederländisch- Fällen breitet sich das leichtere Flußwasser und Französisch-Guayana). Vielfach ver- über den Spiegel des Sees oder des Meeres mittelt ein aufgestauter oder durch Ab- in einem außerordentlich flachen Kegel aus. Schluß einer Bucht entstandener Strandsee Im Meer oder in Salzseen bildet sich zuerst (ein Haff) den Ausgang in einem Tief eine Erackwasserzone mit geiingerem Salz- j (Mündung der Lupow bei Stolp, der Nogat gehalt, bis endlich das Flußwasser voll- im frischen Haff). Wird die Oeffnung des kommen aufgezehrt wird. Der Einfluß Haffs verschlossen, so muß der Fluß etwa des Amazonenstromes ist bis auf 250 See- ; durch ein Nachbarhaff abfließen und es meilen von seiner Nordmündung durch ; entsteht eine zur Küste parallele Wasser- Trübung und Abnahme der Dichte konstatiert | Verbindung zwischen einzelnen Haffen (an worden, der Kongo macht sich bis zu 150 See- der Sklavenküste). Ein Gegensatz zu diesen meilen, der Yang-tsze bis auf 80 bemerkbar. verschlossenenMündungenbildendieoffenen Mit dem Aufhören der Geschwindigkeit Mündungstrichter oder Aestuare. fallen auch die mitgeführten festen Be- , Sie werden ausgestaltet durch die Wirkung standteile zu Boden. Im Salzwasser wird starker Gezeitenströme. Während der Flut dieser Vorgang etwas beschleunigt. Sie ! werden große Wassermengen in die Trichter lagern sich im allgemeinen in der Form hereingepreßt, während der Ebbe fließt von Bänken oder Barren ab. Abgesehen 1 das Wasser vereinigt mit dem aufgestauten von der Mündung spezifisch schwereren Flußwasser wieder ab. Der Flutstiom Flußwassers entsteht bei der oberflächlichen legt sich auf der Nordhemisphäre an das Ausbreitung desselben eine gegen die Mün- ' linke, der Ebbestrom an das rechte Ufer, düng gerichtete Strömung, die mit dazu i so daß eine trichterförmige Verbreiterung beiträgt, daß die Sinkstoffe gerade an dieser liegen bleiben. Gewöhnlich bilden sich nach der Flußmündung konkave damm- ähnliche Formen. Ihr Anwachsen ist ab- hängig von der Stoßkraft des Flusses und der Kraft der Meereswogen, entsteht. Die Sedimente wandern ruckweise flußabwärts und werden verstärkt durch Wandersande des Strandes und durch Reste von Organismen, die im Brackwasser ab- sterben. Eine allmähliche Ausfüllung durch diese Bänke und die zum Teil bei Ebbe Wenn sich mit der Ablagerung der j trocken fallenden Watten wird dadurch Fhißsedimente eine lebhafte Tätigkeit der ! verhindert, daß der Ebbestrom stärkere Küstenversetzung vereinigt, so kann vor { transportierende Wirkungen ausübt. Die Strömungen halten sich r^tT T_ —1 Kanäle offen, w'ährend an den Stellen, wo sie kentern, Barren entstehen. So endet die Flutrinne an einet Binnen-, die Ebberinne an einer Außenbarre, beide behalten ihre Lage trotz m| des leicht beweglichen ]\Iaterials auch bei großer Fluthöhe. Ihre Tiefe wechselt mit der Natur des Flusses, bei verstärk- tem Transport des Flusses, also in nassen Jahren, werden sie im allgemeinen erhöht. Die Flutrinne ist meistens infolge der grö- ßeren Geschwindigkeit des Flutstromes stärker ausge- bildet. Es wird dadurch das Bestreben der Flüsse auf der Nordhemisphäre den Mündungstrichter nach links zu verschieben, deut- lich erklärt (Rhein- und Scheidemündung). Deltabildungen. Unter einem Delta versteht man Ablagerungen von Flußsedi- Fig. 36. Nildelta. Aus Supan, Grundzüge der physischen Erd künde. der ]\lündung ein Strand wall, die Strand- barre, aufgeworfen werden. Es wird dadurch häufig der Fluß gezwungen, an .... .....gc.u.g.n vun .......u- cler Innenseite des Strandwalles entlang zu i menten, die an einer Mündung in einem Flüs.se 71 stehenden Gewässer gebildet werden und | über dem Wasserspiegel sichtbar sind. Der Name stammt vom Nil, dessen Ablagerungen die Form eines griechischen A zeigen und der sich dabei an der Spitze in mehrere Arme spaltet (Fig. 36). Es ist aber zum Be- griff des Deltas eine Flußgabelung nicht not- wendig. Das Baumaterial der Deltas, die in gewissem Sinn als große Schuttkegel aufgefaßt werden können, besteht aus Sand und Schlamm, nur bei kurzen Küsten- oder Ge- birgsflüssen, die in Seen münden, wird auch Geröll dabei vertreten sein. Das grobe Material fällt am ersten zu Boden; je feiner es ist, desto weiter kann es verfrachtet wer- den (Fig. 37). Die Lagerung ist gewöhnlich in j der Form der Uebergußschichtung ausgebildet. Liegt der Flußlauf im allgemeinen fest, so erhält das Delta oft durch das Weiter- wachsen der auf beiden Seiten des Flusses aufgeschütteten Wälle eine mehr finger- förmige Form (Mississippi, Fig. 38). Dem Aufbau eines Deltas wirken im Meer entgegen die Brandungswellen und die Gezeitenströmungen, die die Sinkstoffe in Bewegung halten und an der Küste entlang weiter transportieren und, wenn auch in geringem Maße, die Meorosströmungen. Es werden infolgedessen am regel- mäßigsten Deltas in Seen oder Binnen- deltas, die man von den ozeanischen unterscheidet, ausgebildet sein. Der Lage nach gibt es vorgeschobene und Aus- füllungsdeltas (Fig. 39). Jene sind über die SeesjDJege? Fig. 37. Schematischer Durchschnitt eines Deltakegels. Aus Kaysei Geologie. Unter- lage Lehrbuch der allgemeinen Im Meer fallen die Schichten flach ein oder liegen sogar nahezu horizontal, in Binnen- seen werden Einfallswinkel von 20 bis 30*^ erreicht. Mit wachsender Entfernung von der Mündung nimmt natürlich mit dem Feinerwerden des Materials der Winkel ab. Im einzelnen entstehen aber auch durch den Wechsel der Transportkraft bei Hoch- und Niedrigwasser Unterschiede. Mit den Fluß- sedimenten vermischen sich organische Reste. Haben die Ablagerungen den Meeresspiegel erreicht, so werden sie nun vom Fluß über- flössen und es werden horizontale Schichten darüber abgesetzt. Unterschiede von diesem normalen Fall treten ein, wenn ein kalter Fluß in ein warmes stehendes Gewässer mündet. Es sinkt dann das Flußwasser auf dem Deltaabfall in die Tiefe, hält^ da- durch eine Rinne offen und lagert die Sedi- mente mehr in Wallform zu beiden Seiten ab. In dieser Art ist das Delta des Rhone im Genfer See gebildet. Der entgegengesetzte Fall tritt bei der Einmündung von Flüssen in Salzseen oder in das Meer ein. Hier breitet sich das leichte Wasser auf dem schwereren Seewasser aus und es werden die Sinkstoffe weiter ausgebreitet, wie im anderen Fall. allgemeine Küstenlinie vorgeschoben und besonders geraden oder konvexen Küsten eigentümlich. Ausfüllungsdeltas entstehen in schmalen Seen oder Buchten. Binnen- seen werden durch Deltas von einem Ende an allmählich ausgefüllt, können aber auch, wenn diese in der Mitte ansetzen, in zwei Teile zerlegt werden. In ähnlicher Weise werden Buchten zugeschüttet. Von der Seite wächst das Delta des Hermos gegen die Bucht von Smyrna vor, das des Menderes J"^ ^ hat das andere Ufer schon erreicht, und den ^ n Akissee abgeschlossen. Beim Nildelta ist \^ eine durch eine Inseh-eihe abgetrennte ^^ Bucht bis auf einige Lagunen schon ver- n^ landet. Die iVusfüllungsdeltas können unter Umständen nach Uebersch reitung einer Nehrung, eines Hakens oder einer Inselreihe in vorgeschobene übergehen. Diese sind dann im allgemeinen aus feinerem Material aufgebaut, als die Ausfüllungsdeltas. So liegt der Fall beim Podelta und bei dem des Mississippi, dessen Bucht anscheinend schon bei der Ohiomündung beginnt. Die Mächtigkeit der Ablagerungen in den Deltas ist sehr verschieden, das des Nil_ ist bei Sagasig, etwa in seiner Mitt'», mit 105 m noch nicht durchsunken, das Podelta muß Flüsse Fig. 38. Delta des Mississippi. 1:400000. Aus de Martonne, Traite de geographie physique. Binnendeltas. Ozeanische Deltas. Fig. 39. Vorgeschobene- und Ausfüllungsdeltas. Fliisse — Flüssio-keit 73 bei Modena über 215 m mächtig sein, beim Rhone beträgt die iVWagerung über 100 m, beim Rhein über 60 m. Das Wachstum ist, soweit bekannt, am schnellsten beim Terek, der sein Delta im Jahr um 495 m in den Kaspisee vorschiebt. Beim Mississippi schwanken die Zahlen bei den einzelnen Armen von 103 bis 40 m. DasPodelta (Fig. 40) wächst im Mittel 70m im Fig. 40. Podelta. Aus Kayser, Lehrbuch der allgemeinen Geologie. Jahr. Hier hat sich der Einfluß von Fluß- korrektionen deutlich gezeigt, von 1300 bis 1600 vergrößerte es sich um 53 ha im Jahre, nach Anlage eines Deichsystems von 1600 bis 1830 um 135 ha, seitdem nach Er- reichung tieferen Meeres um 76 ha. Das Delta des Nil, dem ein Teil seiner Ab- lagerungen im Binnenland entzogen wird, wächst um nur 4 m. Das Wachstum unter- liegt starken Schwankungen, es erfolgt zum Teil ausschließlich, zum Teil besonders aus- geprägt in Hochwasserzeiten. In offenen Meeren wird dann unter Umständen das neu gebildete Land vom Meer wieder zerstört. Dies tritt dauernd ein. wenn nach der Bildung ^v \ eines Deltas eine positive Niveauverschiebung (J^ V^ einsetzt. So wird das Narcnt^delta stetig ^ verkleinert und die wohl einmal vorhandenen Deltas der deutschen Nordseeflüsse sind heute verschwunden oder können, wie beim Rhein, nur durch Eingreifen des Menschen geschützt werden. Die geographische Verbreitung der Deltas ist von dem Zusammenwirken einer ganzen Reihe von Faktoren abhängig. Ebenso wie ihre Vori'orm, das untermeerische Delta, in die sie auch wieder umgewandelt werden können, treten sie gesellig auf, so daß man von „Deltaküsten" sprechen kann. Solche sind zum Beispiel die Küsten des Romauischen Mittelmeeres, die des Golfes von Guinea, die Südostküste von Ostasien vom Golf von Bengalen bis zum Gelben Meer und die Küsten des amerikanischen Mittelmeeres. Doch fin- den sich auch an diesen Küsten Ausnahmen, das heißt deltafreie Mündungen, und im Gegensatz dazu Deltas an sonst delta- freien Küstenstrecken. Von besonders förderndem Einfluß müssen im allgemeinen sein eine negative Niveauveränderung, da- neben der Reichtum des Flusses an mit- geführtera Material, das Vorhandensein einer großen Geschwindigkeit und starke Hoch- w^asser. Im Meer werden die Abwesenheit von Gezeitenströmungen und starke Wellen- bewegungen das Wachstum befördern. Trotz- dem gibt es auch hier für jeden Fall eine Reihe von Ausnahmen, so daß ein Ineinander- greifen verschiedener Umstände angenommen werden muß. Literatur. H. Wagner, Lehrbuch der Geo- graphie, 8. Aufl., 1. Bd. Hcmnorer und Leipzig 1908. — E. Brückner, Die feste Erdrinde und ihre Former}. Wien 1897. — A. Penck, Die Erdoberfläche, Scobels geographisches Handbuch, 5. Aufl.', 1. Bd. Bielefeld und Leipzig 1909. — A. Supan, Grundzüge der physischen Erdkunde, 5. Aufl. Leipzig 1911. — W. M. Davis und 6, Braun, Gri/ndzüge der Physiogeographic. Leipzig 1911. — E. de Martonne, Traitc de Geographie Physique. Paris 1909. — E. Kayser, ,'^J'¥^ Allgemeine Geologie, Jj_ Aufl. Stuttgart. — -i. j-^ ' Penck, Morphologie der Erdoberfläche, 2 Bde. /^ //^ Stuttgart 1894. — P- "«• Bichthofen, Führer / 7 J <-J für Forschungsreisende, Berlin 1886, unver- änderter Neudruck 1901. G. W. V. Zahn. Flüssigkeit. 1. Fliissigkeitsdruek. Fortpflanzung des Druckes in der Flüssigkeit. 2. Gleichgewicht von Flüssigkeiten: a) Gleichge\\icht unter Ein- fluß der Schwerkraft, b) Gleichgewicht unter Einfluß von Schwer- und Zentrifugalkraft. 3. Boden- und Seitendruck einer Flüssigkeit. 4. Auftrieb. Archimedisches IMnzip. 5. Schweben und Schwimmen. G. Stabilität des Gleichgewichts eines schwebenden oder schwimmenden Körpers. Als Flüssigkeit bezeichnet man einen Körper, wenn er die Eigenschaft des 74 Flüssigkeit „Fließens" hat, d. h. einer Veränderung seiner Gestalt, wenn diese ohne Aenderung des Volumens vor sieh geht, keiiuui Wider- stand entgegensetzt. Man unterscheidet tropfbare oder eigenthche Flüssigkeiten und gasförmige; erstere besitzen ein konstantes oder wenigstens nur in sehr engen Grenzen veränderliches Volumen, bei letzteren da- gegen ist das Bestreben vorhanden, jeden ge- botenen Raum vollständig auszufüllen. Das Volumen der gasförmigen Flüssigkeiten ist von der Größe des Druckes abhängig, unter dem sie stehen; man bezeichnet sie daher auch als kompressible und im Gegensatz dazu die tropfbaren als inkompressible Flüssigkeiten. Eine sehr geringe Kompressi- bilität ist allerdings auch bei den tropfbaren Flüssigkeiten vorhanden, so nimmt das Vo- lumen des Wassers, wenn der Druck um 1 kg/cm^ gesteigert wird, bei 18" C um V21700 das des Quecksilbers unter gleichen Um- ständen um Y2 In den weitaus meisten Fällen kann man aber hiervon absehen, sogar die Konij)rossibilität der Gase kann häufig unberücksiclitigt l)leiben, wenn es sich nur um kleine Druckänderungen handelt. I. Flüssigkeitsdruck. Fortpflanzung des Druckes. Eine vollkommene Flüssig- keit kann nur solchen Kräften Widerstand leisten, die die gegenseitige Entfernung ihrer Teilchen zu verkleinerli streben, also Normal- kräften; Tangentialkräfte können nicht auf- treten, da diese sofort ein Ausweichen der Flüssigkeitsteilchen veranlassen würden. Auf ein durch ebene Flächen begrenztes Volumen innerhalb einer Flüssigkeit (Fig. 1) Fig. 1. können also von den benaclibarten Teilchen der Flüssigkeit nur solche Kräfte übertragen werden, die senkrecht zu den Begrenzungs- flächen wirken. In den „zähen'' Flüssig- keiten treten allerdings auch tangential wu-kende Reibungskräfte auf, deren Rich- tungen also parallel den obigen Begrenzungs- flächen sind, aber diese Kräfte wirken nur wälu-end einer gegenseitigen Verschiebung der l^lussigkeitsteilchen und verschwinden voll- ständig, wenn die Geschwindigkeit dieser Ver- schiebung Null wird; in ruhendem Zustande verhalten sich also die zähen Flüssigkeiten wie die vollkommenen. Man bezeichnet nun als den ,, Druck" einer Flüssigkeit diejenige Kraft, welche von ihr auf die Einheit einer Fläche ausgeübt wird. Die Fläche kann der Gefäßwandung angehören oder einem festen Körper, der sieh in der Flüssigkeit befindet, sie kann aber auch, wne oben, die gedachte Begrenzung eines Teils der Flüssigkeit bilden. Als Einheit des Druckes dient heute meist 1 kg/cm^ = 1 (metrische) Atmosphäre. Früher wurde als Einheit der Wert des mittleren Luft- druckes am Meeresspiegel benutzt, dieser be- trägt 1,033 kg/cm^ und ist gleich dem Druck einer Quecksilbersäule von 760 mm Höhe (diese Einheit trug ebenfalls den Namen Atmosphäre). In Fällen, wo die obige Ein- heit unbequem groß ist, benutzt man kleinere Einheiten, so z. B. in der Technik sehr häufig 1 kg/m^. Die Drücke können durch Höhen von Flüssigkeitssäulen ge- messen werden (siehe 2a), man gebraucht daher als Druckmaß auch m WS., cm WS., mm WS., cm QS, mm QS (WS bedeutet Wassersäule, QS Quecksilbersäule). Da der Druck von 1 kg/qcm durch eine Wassersäule von 10 m Höhe (bei 4" C) er- zeugt wird, so entsprechen obige WS-Ein- heiten Y105 Vioo und Yioon der metrischen Atmosphäre, es ist also 1 mm WS gerade = 1 kg/m«. Die Instrumente, die zur Messung des Druckes dienen, nennt man Manometer (wegen ihrer Einrichtung sei auf den Artikel „Manometer" verwiesen). Wenn der Druck in einer Flüssigkeit ver- änderlich ist und an einem einzelnen Punkte gemessen werden soll, so muß die ,, Meß- fläche" natürlich so klein angenommen werden, daß man von der Veränclerlichkeit des Druckes auf ihr absehen kann. Der Druck in einem Punkt ist von der Neigung der Fläche unabhängig, wie aus folgender Be- trachtung hervorgeht. In der Flüssigkeit sei ein kleines dreiseitiges Prisma abge- grenzt, dessen Höhe gleicht sei (Fig. 2). Die Drücke seien auf den drei Seiten p^, p,, pg, dann sind die von der Flüssigkeit auf die drei Seiten ausgeübten Gesamtkräfte Pi = Pi .AB, P, = p2.BC, P3 = p3.CA. Wenn die Drücke auf den Seitenflächen konstant sind, so greifen diese Gesamtkräfte in den Mitten der Seiten an. Damit nun Gleichgewicht be- steht, damit also die drei Kraftstrecken sich zu einem Dreieck zusammenschließen, muß die Beziehung gelten: Pi:P2:P3 = AB:BC:CA. Diese Beziehung verlangt aber die Gleichheit der Drücke pi, pa, pg, d. h.: Der Druck wirkt in einem Punkt nach allen Richtungen in gleicher Stärke. Flüssigkeit Es werde nun die Fortpflanzung des | Druckes nach anderen Punkten der Flüssig- 1 er&i'jt s'ch: pj keit untersucht, zunächst unter Vernach- lässigung von Massenkräften (Schwerkraft usw.). Die Flüssigkeit befinde sich Pi Der Druck B A 111 11 11 h- ^: [<. p Fig 2. in einem geschlossenen Gefäß, in dessen Wandung an zwei Stellen verschiebbare, aber dichtschheßende Kolben angebracht seien; ihre Querschnitte seien F^ und Fo (Fig. 3). Auf den Kolben 1 werde nun eine Kraft Pi ausgeübt, dann beträgt der an dieser Stelle erzeugte Flüssigkeitsdruck p Pi=p^. Um zu untersuchen, wie dieser Druck auf den zweiten Kolben übertragen wird, lassen wir den Kolben 1 eine kleine Verschiebung um die Strecke li ausführen, dann wird bei dieser virtuellen Verschiebung die Arbeit Pj.lj verbraucht. Wenn die Flüssigkeit keine Volumenänderung erfahren soll, so muß das hier verdrängte Flüssigkeits- volumen Fj.li eine Verschiebung des zweiten Kolbens um die Strecke L bewirken, so daß F2.l2 = Fi.li ist, also l,=li Aus der Gleichheit der virtuellen Arbeiten F Pi.li und P2.I2 folgt V. = V^.^\ Hieraus Fr = P^- pflanzt sich durch die ganze Flüssig- keit in gleicher Stärke fort (Pascal- sches Prinzip). Die Kräfte P^ und P2 verhalten sich wie die Kolbenquerschnitte, man kann also mit einer kleinen Kraft Pj durch passende Wahl des Querschnittverhältnisses eine große Kraft 1*2 erzielen (natürhch ist das Verhältnis der Kolbenwege im umgekehrten Verhältnis der Kräfte verkleinert). Hierauf beruht die Einrichtung der hydraulischen Presse. Diese besteht (Fig. 4) aus einem großen Fig. 4. Zyhnder, in dem sich ein Kolben dicht- schheßend bewegen kann. Die Dichtung wird meist hydrauhsch bewirkt," indem eine U-förmige Ledermanschette durch den Flüssigkeitsdruck selbst an den Kolben ge- preßt wird. Der Kolben trägt eine Preß- platte, eine zweite Platte ist durch das Maschinengestell mit dem Zylinder ver- bunden. Der Zyhnder steht durch eine Druck- leitung mit dein kleinen Zylinder in Verbin- dung. Da nun bei großer "Ucbersetzung der Weg des kleinen Kolbens ein sehr großer sein müßte, so ist der kleine Zyhnder meist als Pumpe ausgebildet, so daß" beim Rückgang des kleinen Kolbens Flüssigkeit aus einem Behälter angesaugt und beim Vorwärtsgang unter den großen Kolben gedrückt wird. Mit hydraulischen Pressen werden Kräfte bis zu lÖOOO t Gewicht ausgeübt (Schmiedepressen der Stahlwerke). 2. Gleichgewicht von Flüssigkeiten. Außer den Kräften, die durch Vermittlung der äußeren Begrenzung auf die Flüssigkeit übertragen werden (Druck eines Kolbens u. dgl.), spielen auch solche Kräfte eine Rolle, die an den einzelnen Flüssigkeits- elementen selbst angreifen (Massenkräfte). Soll eine Flüssigkeit sich unter dem Einfluß von Massenkräften im Gleichgewicht be- finden, so kann dies nur dadurch geschehen, daß die auf ein Vohimeneloment wirkende 76 riüssig-keit Massenkraft durch die Resultiereude der von den übrigen Flüssigkeitsteilen auf die Oberfläche des' Elements ausgeübten Drücke im Gleichgewicht gehalten wird. Weil die Flüssigkeit reibungsfrei ist, so kann die Mas- senkrait nur die "^Druckverteilung in ihrer eigenen Richtung beeinflussen. Von solchen Massenkräften kommt in erster Linie die Schwerkraft in Frage, bei Bewegung aber spielen auch Trägheits- und Zentrifugal- kräfte eine Rolle. 2a) Gleichgewicht unter Einfluß der Schwerkraft. Durch die Schwerkraft kann in einer Flüssigkeit nur eine Aenderung der Druckverteilung in senkrechter Rich- tung hervorgebracht werden, in wagerechter Richtung muß der Druck nach wie vor in allen Punkten derselbe sein. Daraus folgt, daß die Flächen gleichen Druckes horizon- tale Ebenen sein müssen. Nun ist die freie Oberfläche oder der Spiegel der Flüssigkeit ebenfalls eine Fläche, auf der konstanter Druck herrscht, es ergibt sich also der Satz: Die freie Oberfläche einer Flüssig- keit bildet unter Einfluß der Schwer- kraft eine horizontale Fläche. Eine Anwendung dieses Satzes bildet der Quecksilberhorizout, der in der Astro- nomie als horizontaler Spiegel gebraucht wird. Ebenso beruht hierauf die Tatsache, daß in kommunizierenden Gefäßen, die mit der gleichen Flüssigkeit gefüllt sind, die Flüssigkeitsspiegel gleichhoch stehen (Fig. 5), wenn auf beiden Flächen der gleiche Druck, z. B.der Atmosphärendruck herrscht, denn dann müssen beide Spiegel derselben Horizontalebene angehören. ' höherer Druck herrscht als auf der Oberseite. 1 Der Druck betrage an der Oberseite po, an der Unterseite p, dann ist für die inkoni- pressible Flüssigkeit {y = const.) die Be- I dingung für das Gleichgewicht: p.xy=po.xy+ y.xyz, wenn z nach unten positivgerechnet wird, oder Dabei bedeutet po den Druck an der freien Oberfläche (z = 0). Die Gleichung sagt aus, daß in einer Flüssigkeit der Druck linear mit der Tiefe ansteigt und zwar um so schneller, je größer das spezifische Gewicht derselben ist. So nimmt im Wasser der Druck für je 10 m Tiefe um 1 kg/qcm zu. Wenn in zwei kommunizierenden Ge- fäßen auf beiden Spiegeln nicht derselbe Druck herrscht (Fig. 7), so wird dort, wo der Pi Jl. Fig. Fis. 8. H Die Veränderung, die durch die Schwer- kraft in der Druck Verteilung hervorge- bracht wird, läßt sich verfolgen, indem ni^an das Gleichgewicht eines "Parallelepipeds in der Flüssigkeit untersucht (Fig. 6). Die an ihm angreifende Massenkraft ist gleich seinem Eigengewicht, also gleich y.xyz, wenn y das spezifische Gewicht der Flüssigkeit ist. Diese nach unten wirkende Kraft muß dadurch im Gleichgewicht gehalten werden, daß auf der Unterseite des Parallelepipeds ein größere Druck p^ ist, ein Herabdrücken des Spiegels eintreten und damit eine Höhendiffe- renz vom Betrage h entstehen. Le^it man durch den tieferen Spiegel eine horizontale Ebene, so muß auf ihr im anderen Schenkel auch der Druck pi herrschen. Das Gleich- gewicht des abgeschnittenen Flüssigkeits- teils hefert die Bedingung: P 1 = P 2+ 7 • h oder h = -7" ^ mißt man also die Höhendifferenz h. so läßt sich daraus die Druckdifferenz berechnen. Hierauf beruht die Messung von Druck- differenzen mittels Flüssigkeitsmano- meter; ist das U-Rohr mit Wasser gefüflt, so läßt sich die Druckdifferenz direkt in cm WSoder mm WS. ablesen, doch werden häufig auch andere Flüssigkeiten (Quecksilber, Alko- hol) zur Füllung benutzt. Da unter Einfluß der Druckdifferenz beide Spiegelsich verschieben, so sind zwei Ablesungen nötig; zur Verein- fachung der Ablesung gibt man daher wohl dem einen Schenkel einen sehr großen Quer- schnitt im Vergleich zum anderen, so daß in ihm der Flüssigkeitsspiegel nur eine ganz geringe Verschiebung erfährt, die man ver- nachlässigen oder rechnerisch berücksich- tigen kann (Fig. 8). Zur Messung sehr Flüssis-keit 77 geringer Druckdifferenzen erhält der enge | oder, Schenkel eine ganz flach geneigte Lage j (Fig. 9), damit einer kleinen Druckdifferenz i wenn po = 1,033 kg/cm^ und t=0 ist: — 7i)!)() l) = 1,033. e "h . Fig. ein möglichst großer Ausschlag der Flüssig- keitssäule entspricht (Mikromanometer) ; es ist dann pi — p2=7-h ==y.l.sin a, wenn a den Neigungswinkel des Rohres und 1 den ab- gelesenen Ausschlag bedeutet. Sind zwei kommunizierende Gefäße mit Flüssigkeiten von verschiedenem spezifi- schem Gewicht gefüllt (die sich aber nicht i mischen dürfen), so wird dort, wo sich die j schwerere Flüssigkeit befindet, der Spiegel tiefer stehen als in dem anderen Schenkel (Fig. 10). Legt man wieder durch die Tren- nungsstelle beider Flüssigkeiten eine ho- rizontale Ebene, so muß auf ihr Druck- gleichheit herrschen, also muß die Bezieh- ung gelten 7i.hi = 7,'h.. Es ist dabei e -2,71828. . ., die Basis der natürhchen Logarithmen. Das Gesetz der Abnahme des Luftdruckes ist durch die graphische Darstellung Figur 11 veranschau- licht; nach obiger Formel beträgt der Luft- druck in 100 m Höhe 1,02 kg/cm2, in 1000 m Höhe 0,9115 kg/cm^ und in 10000 m Höhe 0,2955 kg/cm^. Li der Nähe der Erdoberfläclic nimmt er für je 10 m Höhe um 1,293 g/cm2 ab; würde das spezifische Gewicht , r" — ■ A, '■-t- ^. \— - V J verhalten sich also die entsprechen- den Höhen der beiden Flüssigkeiten umge- Fig. 10. kehrt wie ihre spezi- fischen Gewichte. Diese Tatsache läßt sich benutzen, um die spezifischen Gewichte von Flüssigkeiten mit- einander zu vergleichen. Wenn die Flüssigkeit kompressibel ist, so muß man bei größeren Höhen auf die Ver- änderlichkeit des spezifischen Gewichtes mit dem Druck, also auch mit der Höhe, Rück- sicht nehmen; es besteht dann nicht mehr, wie bei der inkompressiblen Flüssigkeit, eine lineare Abhängigkeit des Druckes von der Höhe. So ergibt sich für die Druckverteilung in der Atmosphäre unter der Voraussetzung, daß die Temperatur der Luft konstant und ihr spezifisches Gewicht daher dem Druck proportional ist (Boyle-Mariottesches Gesetz), ein Verlauf nach einem Exponential- gesetz. Bezeichnet h die Höhe eines Punktes über dem Meeresspiegel in m, so beträgt dort der Luftdruck in kg/qcm^ bei einer Temperatur von t": 29.27(t+273) p = Po.e h 777777777777777777. Fig. 11. Fig. 12. der Luft (das bei 0" und 760 mm Barometer- stand 1,293 kg/m^ beträgt) konstant sein, so müßte bereits in einer Höhe von 7,99 km der Druck Null herrschen, während er in Wirldichkeit dort den Wert 1,033. e-i = 0,38 kg/cm2 besitzt und den Wert Null erst in unendhcher Höhe erreicht. Von den zur Messung des Luftdruckes dienenden Instrumenten (vgl. den Artikel ,, Barometer") sei hier das Quecksilber- barometer erwähnt, da es auf dem Prinzip der kommunizierenden Gefäße beruht. Es besteht in einer einfachen Form aus einer U-förmig gebogenen Glasröhre, die mit Queck- silber gefüllt und deren längerer Schenkel zugeschmolzen ist (Fig. 12). Dieser muß eine Länge von mindestens 0,8 m haben; dann bildet sich in ihm ein luftleerer Raum (Toricellisches Vakuum), der nur Spuren von Quecksilberdampf enthält. Quecksilber- dampf besitzt aber bei gewöhnlicher Tempe- ratur einen äußerst geringen Druck, sodaß man praktisch den Druck über dem Queck- silber in dem geschlossenen Schenkel gleich 78 Flüssigkeit Null annehmen kann. Auf den Quecksilber- spiegel im offenen Schenkel wirkt der Luft- druck, seine Größe kann also leicht aus der Höhendifferenz h der beiden Quecksilber- oberflächen ermittelt werden und beträgt p = 0,0001 . h . 7 in kg/cm^, wenn h die Höhen- differenz in mm und y das spezifische Gewicht des Quecksilbers (13,6) ist. Meist gibt man die Größe des Luftdruckes nicht in kg/cm^ an, sondern den ihm entsprechenden Baro- meterstand in mm Quecksilbersäule; dem normalen Luftdruck von 1,033 kg/cm^ ent- spricht ein Barometerstand von 760 mm. 2b) Gleichgewicht unter Einfluß von Schwer- und Zentrifugalkraft, Der Satz, daß die freie Oberfläche einer unter Einfluß der Schwerkraft stehenden Flüssigkeit eine horizontale Ebene bildet, gilt nur, wenn die Dimensionen der Oberfläche sehr klein im Vergleich zum Radius der Erde sind. Trifft dies nicht mehr zu, wie bei der Meeresober- fläche, so ergibt sich eine Abweichung daraus, daß in weit voneinander entfernten Punkten die Richtungslinien der Schwerkraft nicht parallel sind, sondern radial zum Erdmittel- punkte gerichtet sind. Die Meeresoberfläche müßte also unter dem Einfluß der Gravitation eine zum Erdmittelpunkt konzentrische Kugelfläche bilden. Durch die von der Erd- rotation verursachte Zentrifugalkraft tritt aber eine Abweichung von der Kugelgestalt ein, denn durch die Zentrifugalkraft wird nach dem Aequator zu der Einfluß der Gravitation vermindert. Die Gleichgewichts- figur bildet daher einen nach den Polen zu abgeplatteten Rotationskörper, dessen Form man als Geoid bezeichnet. Dieser Name gilt eigentlich für die Fläche, auf der die mittleren Wasserstandshöhen der ver- schiedenen Punkte der Erdoberfläche liegen. Die wirkliche Gestalt läßt sich mit großer Annäherung als ein abgeplattetes Rotations- ellipsoid auffassen, bei dem die kleine Achse um rund Y299 kleiner ist als die große (Bessel- sches Rotationsellipsoid); mit dieser An- näherung wird in der höheren Geodäsie ge- rechnet. Die Gleichgewichtsfigur einer frei ro- tierenden Flüssigkeitsmasse unter Einfluß der Gravitation ist, da die Himmelskörper als solche Gleichgewichtsfiguren aufzufassen sind, vielfach Gegenstand mathematischer Untersuchungen gewesen. MacLaurin be- rechnete 1742 für eine homogene rotierende Flüssigkeitsmasse als Gleichgewichtsfigur ein abgeplattetes Rotationsellipsoid (Mac Laurinsches Sphäroid), Simpson wies nach, daß zwei verschiedene Rotations- eUipsoide den Gleichgewichtsbedingungen genügen: das Gleichgewicht des einen ist aber nach d'Alembert instabil. Später wurde von Jakobi behauptet, daß auch ein drei- achsiges Ellipsoid als Glcichgewichtsfigur existieren könne ; der Nachweis dafür wurde durch Liouville erbracht. Unter den Be- i dingungen, denen die Erde unterworfen ist, (müßten die Achsen dieses Jakobischen EUipsoids im Verhältnis 1:1, 02:19,57 stehen, wobei die kleinste Achse die Rotationsachse {wäre. Nach Poincare können auch Körper I von eigenartig birnenförmiger Gestalt, die I durch eine Deformation aus dem Jakobi- schen Ellipsoid hervorgehen, Gleichgewichts- figuren bilden; auch kann das Ellipsoid in einen Zylinder ausarten. Ein Ring kann jedoch als Gleichgewichtsfigur einer ro- tierenden Flüssigkeitsmasse nicht bestehen, der Ring des Saturn kann daher nicht von I einer flüssigen Masse gebildet sein, sondern 1 bestellt (nach der Hvpothese von Cassini) wahrscheinlich aus lauter einzelnen festen Körpern; die Annahme eines homogenen festen Körpers füiirt nicht zu einem mög- liehen Gleichgewicht. Befindet sich eine Flüssigkeit in einem Gefäß und rotiert mit diesem um seine Achse, so findet infolge der Zentrifugalkraft ein An- wachsen des Druckes von innen nach außen statt. Unter dem Einfluß dieses Druck- anstiegs wird bei Einleitung der Bewegung die Flüssigkeit teilweise von der Drehachse weggedrängt, der Flüssigkeitsspiegel steigt an der äußeren Gefäßwand und sinkt ent- sprechend in der Nähe der Drehachse, bis der infolge der Spiegelhebung außen ge- steigerte Druck der Zentrifugalkraft das Gleichgewicht hält. Von diesem Augenblick an rotiert die Flüssigkeit mit dem Gefäß wie ein fester Körper, die einzelnen Flüssigkeits- teilchen bleiben relativ zueinander in Ruhe; die Untersuchung des Verhaltens der gleich- förmig rotierenden Flüssigkeit kann "daher als ein Problem der Hydrostatik aufgefaßt werden. Ein Element der Flüssigkeit, dessen Masse m sei, befinde sich in einem Abstände r von der Drehachse (Fig. 13). Auf dieses wirkt nach unten die Schwerkraft im Betrage m.g, wenn g die Erdbeschleunigung darstellt; nach außen dagegen die Zentrifiigalkiaft, ihre Größe ist, wenn man die Winkelgescliwin- digkeit mit co bezeichnet, gleich m.r.co^. Die Winkelgeschwindigkeit co läßt sich auch durch die Tourenzahl n der Achse, also die Zahl der Umdrehungen pro Minute, aus- drücken; es ist o) = — ß^— • Die Resultierende 60 beider Massenkräfte (s. Fig. 13) bringt nun die in der Flüssigkeit auftretende Druckverände- rung zustande, die Flächen gleichen Druckes müssen also senkrecht zu der Richtung der resultierenden Massenkraft sein, oder diese Richtung bildet die Normale der Fläche gleichen Druckes, der das betreffende Massen- element angehört. Die Normale und der Flüssigkeit 79 Fig. 13. Radius r schneiden auf der Rotationsachse die Subnormale z ab; aus der Aehnlichkeit der Dreiecke folgt nun: z:r = g:r.(o2 oder g z = ^2 = const. Die Konstanz der Sub- normale ist aber eine bekannte Eigenschaft der Parabel bezw. des Ro- tationsparabo- loids; es ergibt sich also, daß die Flächen gleichen Druk- kesRotations- paraboloide sind. Da die Subnormale für alle Flächen gleichen Druk- kes denselben Wert besitzt (denn g und co sind in der gan- zen Flüssigkeit konstant). so folgt, daß die verschiedenen Flächen gleichen Druckes durch kongruente Rota- tionsparaboloide gebildet werden, die nur in der Höhe gegeneinander verschoben sind (s. Fig. 13). Auch die freie Oberfläche der rotierenden Flüssigkeit gehört dieser Schar an; die Flächenschar tritt an Stelle der Ebenen, die bei der ruhenden Flüssigkeit die Flächen gleichen Druckes bilden. Der Druck in einem behebigen Punkte der Flüssig- keit wird durch den vertikalen Abstand des Punktes von der freien Oberfläche gemessen, daraus folgt, daß in einer Horizontalebene der Druck proportional dem Quadrat des Radius wächst. Aus der Subnormale ergibt sich der Parameter der Paraboloide : 2p = 2 ^ und aus diesem die Scheitelsenkung h des von der freien Oberfläche gebildeten Paraboloids: n = "0^-= — o — = const.oj^ (R = Radius ^p ^g des zylindrischen Gefäßes). Wegen der Ab- hängigkeit der Scheiteltiefe von der Winkel- geschwindigkeit hat man auf diesem Prinzip beruhende Instrumente benutzt, um die Tourenzahl von Maschinenwellen zu messen; das Gefäß besteht dann aus einem Glaszyhn- der, der außen mit einer Teilung versehen ist und so die Tourenzahl abzulesen ge- stattet. Unbequem ist dabei, daß wegen der quadratischen Abhängigkeit von der Tourenzahl der Aussehlag zunächst sehr langsam, bei großen Tourenzahlen aber sehr schnell ansteigt. Schließt man aber den Zylinder oben durch einen Deckel ab, so nimmt von dem Augenblick an, wo die ro- tierende Flüssigkeit den Deckel erreicht, der Ausschlag nur noch proportional mit der Tourenzahl zu, so daß sich von diesem Grenzwert an eine gleichförmige Skala er- gibt (Braunsches Tachometer). Relnidcii sich in dem rotierenden Gefäß zwei Flüssig- keiten von verschiedenem spezifischem Ge- wicht, so bildet die Trennungsfläche der- selben, da sie eine Fläche konstanten Druckes ist, ebenfalls ein Rotationsparaboloid; nach einem solchen erfolgt z. B. die Trennung des Rahms von der Milch in der Milch'^ Zentrifuge. 3. Boden- undSeitendruck einer Flüssig- keit. Der in einer Füssigkeit herrschende Druck wirkt ebenso wie auf die Teilchen der Flüssigkeit auch auf die Wandungen des Gefäßes, in dem sich die Flüssigkeit befindet, und zwar wirkt er stets senkrecht zu den Flächenelementen der Gefäßwaiidung. Die gesamte von der Flüssigkeit auf die Gefäß- wandung oder auf Teile derselben ausgeübte Kraft läßt sich stets dadurch finden, daß man aus dem Gesetz der Druckzunahme nach unten die Verteilung des Flüssigkeitsdruckes über das betreffende Flächenstück ermittelt und nun die Sumraation der Einzeldrücke ausführt Ist die Fläche gewölbt, so sind die Einzeldrücke untereinander nicht parallel und man muß vor der Summation eine Zer- legung derselben in Komponenten vornehmen und so die Komponenten der Resultierenden getrennt ermitteln. In der Wandung des Gefäßes befinde sich ein Flächenelement dF. Senkrecht zu diesem wirkt der Druck p, die Kraft in Rich- tung der Normale beträgt also p . dF (Fig. 14). cosoc Fig. 14. Es soll nun die Kraft in einer der Koordinaten- richtungen, z. B. in der X-Richtung, ermittelt werden. Die in die X-Riclitung fallende Kom- ponente der Resultierenden ist p.dF.cosa, wenn a der Winkel zwischen der Flächen- normalen und der X-Richtung ist. a ist aber auch der Winkel, den das Fläclienelement mit einer zur X-Richtung senkrechten Ebene bildet, dF.cosa ist also die Projektion von dF auf eine solche Ebene. Man bekommt Flüssigkeit somit die Kraftkomponente in einer beliebigen Richtung, indem man das Flächenelement in dieser Richtung projiziert und mit dem Normaldruck multipliziert; bei einem aus- gedehnten Flächenstück erhält man die Komponente der Resultierenden durch Inte- gration über die Flächenelemente. Bei der senkrecliten Komponente (Bodendruck) er- gibt sich noch folgendes: Der Normaldruck p ist, wenn der Druck an der freien Oberfläche gleich Null angenommen wird, gleich h.y, wenn h der senkrechte Abstand des Flächen- elementes von der Oberfläche ist. Der Aus- druclv dF.cosa.p = dF.h.7 entspricht aber dem Gewicht des senkrechten Flüssigkeits- prismas, das unten durch den Umfang von dF begrenzt ist (Fig. 15). Der senkrechte jidFcos oc Fig. 15. dP Gesamtdruck, den die Flüssigkeit auf den beliebig gestalteten Boden eines Gefäßes aus- übt, ergibt sich also als das Gewicht einer senkrechten Flüssigkeitssäule, die unten von dem Gefäßboden und oben von dem freien Spiegel begrenzt ist. Dieser Drutk ist also nur von der Form des Bodens und von seinem Abstand von der Flüssigkeitsoberfläche ab- hängig, nicht aber von der Gestalt der Seiten- wände und kann daher, je nachdem der Gefäßqucrsehnitt konstant ist oder sich nach oben erweitert oder verengt, gleich oder kleiner oder größer sein als das Gewicht der in dem Gefäß enthaltenen Flüssigkeits- masse (hydrostatisches Paradoxon, Fig. 16). [ Ueberdruck po, so muß dieser als Zuschlag j zu p in Anrechnung gebracht werden ; man I hat sich also einfach die freie Oberfläche um eine der Druckdifferenz po entsprechende i Flüssigkeitssäule erhöht oder erniedrigt zu 1 denken. Verhältnismäßig einfach gestaltet sich I die Berechnung des Druckes auf die Gefäß- wandungen, wenn diese durch ebene Flächen gebildet werden, denn dann sind sämtliche Einzeldrücke einander parallel und die Rich- tung der Resultierenden ist von vornherein bestimmt. Man findet den Druck auf eine irgendwie begrenzte ebene Fläche, indem man in ihren einzelnen Punkten deren Ab- stände vom Spiegel senkrecht zur Fläche aufträgt; das hierdurch in der Flüssigkeit abgegrenzte Volumen, dessen obere Grund- fläche, wie leicht zu ersehen ist, ebenfalls durch eine Ebene gebildet wird, stellt die Belastung der Fläche dar. Die Größe der Resultierenden ist gleich dem Eigengewicht dieses Volumens, ihr Angriffspunkt ist dadurch bestimmt, daß sie durch den Schwerpunkt des Belastungskörpers gehen muß (Fig. 17). Fig. 17. Diese Beziehungen sind sofort einzusehen, wenn man sich die Fläche mit der Belastung in die Horizontalebene gedreht denkt. Es sei z. B. ein Kanal von rechteckigem Querschnitt von der Breite b und der Tiefe h durch einen hölzernen Schützen abgeschlos- sen, dann beträgt der resultierende Wasser- b. 2 und greift druck auf den Schützen P Fig. 16. . Herrscht auf der Flüssigkeitsoberfläche nicht der gleiche Druck wie auf der Außen- seite der Gefäßwandung, sondern etwa ein in einer Tiefe von Vs h an, könnte also durch eine in diesem Punkt angreifende Einzelkraft von der angegebenen Größe im Gleichgewicht gehalten werden (Fig. 18). Der Mittelwert des Druckes auf eine ebene Fläche ist, wie sich durch eine nähere Be- trachtung ergibt, gleich dem Druck ps in ihrem Schwerpunkt, man bekommt also die Größe der Gesamtkraft, indem man das Produkt aus Flächengröße und Druck im Schwerpunkt bildet (P = F.ps). Der An- griffspunkt der Resultierenden (der Druck- mittelpunkt) kann dadurch gefunden wer- Fliissigkeit 81 den, daß man die statischen Momente der Einzeldrücke in bezug auf die Linie bildet, in der der Wasserspiegel die Ebene der Fläche schneidet, dann ist das Moment von P gleich der Summe dieser Einzelmoniente; Fig. 18 da nun P selbst belvannt ist, so kann aus dem Moment der Abstand des Angriffspunktes von jener Linie berechnet werden. 4. Auftrieb. Archimedisches Prinzip. Befindet sich ein fester Körper in einer Flüssigkeit vom spezifischen Gewicht 7, so wirken auf seine Oberfläche dieselben Kräfte, die die Flüssigkeit auf ein an seiner Stelle befindhches Flüssigkeitsvolumen glei- cher Gestalt ausüben würde. Dieses flüssige Ersatzvolumen würde sich in der Flüssigkeit im Gleichgewicht befinden, die von der Flüssigkeit ausgeübten Oberflächendrücke besitzen also eine senkrecht aufwärts gerich- tete Resultierende gleich seinem Eigengewicht V.7. Die gleiche aufwärts gerichtete Kraft muß aber auch der feste Körper vom gleichen Volumen V erfahren. Demnach ergibt sich der schon von Archimedes ausgesprochene Satz: Ein in einer Flüssigkeit befind- licher fester (oder flüssiger) Körper erfährt einen Auftrieb, der gleich dem Gewicht des verdrängten Flüs- sigkeitsvolumens ist. Dieses Archimedische Prinzip läßt sich auch folgendermaßen ableiten (Fig. 19): Fig. 19. Man denke sich zwischen dem Körper und der freien Oberfläche der Flüssigkeit einen senkrechten Flüssigkeitszyhnder begrenzt, .- - -- _ ,.,:„ ^;, .„p^ifi^phpn (ipwichte dann ist die senkrecht abwärts gerichtete i ihnen erleidet, wie die .peziii.chen Ge^Mclite Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV. Komponente des auf den oberen Teil des Körpers ausgeübten Gesamtdruckes gleich dem Gewicht des Flüssigkeitszylinders über der oberen Begrenzungsfläche des Körpers. Der senkrecht aufwärts gerichtete Druck auf die untere Begrenzungsfläche entspricht aber dem Gewicht der Flüssigkeitssäule zwischen der freien Oberfläche und der unteren Begrenzungsfläche des Körpers; die Differenz beider Kräfte ergibt einen Auf- trieb, der gleich dem Gewicht des verdrängten Flüssigkcitsvolumens ist. Der Aiil'trich niiicht einen um so kleineren Bruchteil des Körpergewichts aus, je kleiner das Verhältnis des spezifischen Gewichts der Flüssigkeit zu dem des Körpers ist. In einer gasförmigen Flüssigkeit, z. B. Luft, erfahren feste Körper zwar auch einen Auf- trieb, aber dieser ist so gering, daß er in den meisten Fällen vernachlässigt werden kann; er beträgt in Luft unter normalen Verhält- nissen etwa 1,2 g pro cdm. Bei sehr genauen Wägungen muß aber der Auftrieb, den sowohl der zu wägende Körper als auch die zum Ver- gleich benutzten Gewichtstücke in der Luft erfahren, berücksichtigt werden, die Wägung muß auf den leeren Raum reduziert werden. Beträgt das spezifische Gewicht des Körpers 7, das der Gewichtsstücke y^, und das der Luft 7o (letzteres kann unter gewöhnhchen Verhältnissen zu 0,0012 angenommen wer- den), so berechnet sich aus dem scheinbaren, d. h. durch die Gewichtstücke angegebenen Gewicht G das wirkMche Gewicht Go des Körpers aus der Beziehung: y yJ Aus dem Gewichtsverlust, den ein in eine Flüssigkeit eingetauchter Körper er* fährt, kann man sein Volumen ermitteln, wenn das spezifische Gewicht der Flüssigkeit bekannt ist. Hierauf beruht eine Methode der Bestimmung des spezifischen Gewichts fester Körper, indem man zunächst durch eine Wägung das Crcwicht Cr des Körpers bestimmt und ihn dann in Wasser einge- taucht und mittels eines dünnen Fadens an der Wage hängend, nochmals wägt. Da das spezifische Gewicht des Wassers gleich 1 zu setzen ist, so gibt die Differenz 0—0, der beiden Wägungen unmittelbar das Vo- lumen des Körpers, und sein spezifisches Gewicht ist daher gleich q_q^^- r)ie Vor- aussetzung der Anwendbarkeit dieser Me- thode ist, daß der Körper durch das Wasser nicht verändert wird und daß sein spezi- fisches Gewicht größer als das des Wassers ist. Wägt man einen Körper nacheinander in zwei verschiedenen Flüssigkeiten, so ver- halten sich die Gewichtsverluste, die er in G., = G1 82 Flüssig-keit der Flüssigkeiten ; man kann so das spezifische Gewicht einer Flüssigkeit durch Vergleich mit einer bekannten bestimmen, eine zweck- mäßige Vorrichtung dazu bildet die Mohr- sche Wage. 5, Schweben und Schwimmen. Car- tesianischer Taucher. Aräometer. Wird ein Körper in einer Flüssigkeit untergetaucht und dann sich selbst überlassen, so können in seinem Verhalten drei Fälle auftreten, je nachdem sein spezifisches Gewicht gleich dem der Flüssigkeit oder größer oder kleiner als dieses ist. Im ersten Fall ist sein Eigen- gewicht gleich dem Auftrieb, der Körper befindet sich also im Innern der Flüssigkeit im Gleichgewicht, er schwebt in ihr. Im zweiten Fall überwiegt das Eigengewicht, der Körper sinkt zu Boden. Im dritten Fall dagegen steigt er unter Wirkung des überwiegenden Auftriebes beschleunigt auf- wärts, durchbricht die freie Oberfläche der Flüssigkeit und kommt zur Ruhe in der Lage, in welcher der durch Aus tauchen ver- minderte Auftrieb gleich seinem Eigen- gewicht ist, d. h. der Körper schwimmt. Ist das Gewicht des Körpers veränder- hch, sein Volumen aber konstant, so kann er je nach Größe des Gewichts in der Flüssig- keit schweben, zu Boden sinken oder auf- steigen. Hierauf gründet sich ein bekanntes physikahschesSpielzeug,der cartesianische Taucher. Eine kleine Glasfigur, deren hohles Innere Luft enthält und durch eine feine Oeffnung mit der Flüssigkeit in Verbin- dung steht, schwimmt in einem mit Wasser gefüllten Glaszyhnder, und zwar ist ihr Gewicht so abgeghchen, daß sie nur einen ganz geringen Auftrieb besitzt. Die Oeff- nung des Zyhnders ist mit einer Blase über- spannt; drückt man mit dem Finger auf die Blase, so pflanzt sich der Druck durch die Flüssigkeit fort und treibt durch die Oeff- 1 nung etwas Wasser in das Innere der Figur, ! indem die in ihr enthaltene Luft zusammen- 1 gedrückt wird. Dadurch vermehrt sich ihr ■ Gewicht und die Figur beginnt zu sinken; läßt man den Druck aufhören, so dehnt sich die Luft wieder aus, treibt das Wasser aus dem Innern der Figur und der Taucher steigt wieder empor. Läßt man ein und denselben Körper in Flüssigkeiten von verschiedenem spezifischem Gewicht schwimmen, so muß er in der spe- zifisch leichteren tiefer eintauchen als in der schwereren, die eintauchenden Volumina ver- halten sich umgekehrt wie die spezifischen Ge- wichte der Flüssigkeiten. Darauf beruht das Prinzip des Skalenaräometers, das zur Bestimmung des spezifischen Gewichts von Flüssigkeiten dient. Es besteht (Fig. 20 a) aus einem hohlen Schwimmkörper aus Glas, der oben in einen dünnen, mit einer Teilung versehenen Stiel ausläuft; an der Teilung kann das spezifische Gewicht der Flüssigkeit unmittelbar abgelesen werden. Das In- strument ist um so empfindMcher, je dünner der Stiel im Verhältnis zum Volumen des Cfc V /\ a. h. Fig. 20. Schwimmkörpers ist, denn um so größer ist die Bewegung, die das Instrument bei einer kleinen Veränderung des spezifischen Ge- wichts ausführt. Im Gegensatz zu dem Skalenaräometer, bei dem das eintauchende Volumen veränder- lich, das Gewicht aber konstant ist, wird bei dem Gewichtsaräometer ein Schwimm- körper von konstantem eintauchendem Vo- lumen verwandt, dessen Gewicht veränder- lich ist. Durch Auflegen von Gewichten auf die obere Schale (Fig. 20b) wird stets gleiches Eintauchen bis zu einer am Stiel ange- brachten Marke erreicht; es verhalten sich dann die spezifischen Gewichte wie die um das Gewicht des Schwimmkörpers vermehrten Belastungen. Das Instrument besitzt noch eine zweite Schale unten, damit es auch zur Bestimmung des spezifischen Gewichts fester Körper dienen kann. Es wird dann das Aräometer zunächst für sich mittels des Zusatzgewichtes Gi zum Einspielen gebracht,, dann wird der Körper auf die obere Schale gelegt und durch Zufügen von G2 wieder das Gleichgewicht hergestellt: das Gewicht des Körpers beträgt somit Gj — Gg. Schheßhch wird der Körper auf die untere Schale gelegt, wenn dann zum Einspielen ein Gewicht G^ auf die obere Schale gelegt werden muß, so ist sein Volumen gleich G, — G;., sein spezifisches Gewicht beträgt daher: Gl— G2 ^=^G3-g; 6. Stabilität eines schwebenden oder schwimmenden Körpers. Metazentrum, Die Untersuchung hat sich bisher nur mit der Möglichkeit des Schwebens oder Schwimmens eines Körpers in einer Flüssig- keit beschäftigt, sie werde nun auch aus- gedehnt auf die Stabilität der Gleich- gewichtslage. Flüssk-kcit 83 Die Resultierende des Auftriebs geht durch den Schwerpunkt der verdrängten Flüssig- keitsmenge, das sogenannte Deplacements- zentrum (Auftriebsschwerpunkt). Bei einem in der Flüssigkeit schwebenden Körper fällt, wenn er homogen ist, der eigene Schwer- punkt mit dem der verdrängten Wassermenge zusammen, der Körper befindet sich also in allen Lagen im indifferenten Gleichgewicht. Ist er dagegen inhomogen, so ist Gleichge- wicht nur möghch, wenn die Verbindungs- Hnie der beiden Punkte, die sogenannte Schwimmachse, vertikal ist. Das Gleich- gewicht ist stabil, wenn der Schwerpunkt sich unterhalb des Deplacementszentrums befindet, und labil, wenn er über demselben liegt, denn bei einer kleinen Verdrehung um den Winkel a tritt ein KJräftepaar G.l.sina auf (Fig. 21), das ihn im ersten Falle aufzu- jedem augenbhcldichen Auftriebsschwer- punkt eine Berührungsebene besitzt, die dem Flüssigkeitsspiegel parallel ist. Der schwim- mende Körper vernält sich nun genau so, wie ein fester Körper von gleichem Gewicht, der mittels einer Fläche von der Form der Auf triebsf lache auf einer horizontalen Ebene aufgelagert ist; der Auflagerpunkt wird durch den augenbhcldichen Auftriebsschwerpunkt gebildet, der dem Eigengewicht gleiche Auf- trieb tritt an Stelle des Auflagerdruckes, und die verschiedenen Schwimmlagen würden einem Abrollen der Auftriebsfläche auf der Horizontalebene entsprechen. Eine notwendige Bedingung des Gleich- gewichts ist natürhch, daß die Schwimmachse vertikal sein muß. Um zu untersuchen, ob dabei das Gleichgewicht stabil oder labil ist, denke man sich den Körper ein wenig aus dieser Lage herausbewegt oder, was auf dasselbe herauskommt, dem Flüssigkeits- spiegel (der „Schwimmebene") eine etwas veränderte Lage gegeben, der Auftrieb wirkt dann in der veränderten Lage senkrecht zu der neuen Schwimmebene (Fig. 22). Fig. 2L richten, im zweiten dagegen umzustürzen sucht. Wird der stabil schwebende Körper durch einen Anstoß etwas aus seiner Gleich- gewichtslage gebracht, so führt er um den Schwerpunkt Schwingungen aus, die, wenn man von der dadurch verursachten Wasser- bewegung absieht, wie die eines materiellen Pendels erfolgen, dessen Schwerpunkt vom Aufhängungspunkt den Abstand 1 hat. J)\Q Ve GT' wenn G das Gewicht und (■) das Trägheits- moment des Körpers bezeichnen. Bei einem schwimmenden Körper werden die Verhältnisse weniger einfach; der Auf- trieb greift hier nicht, wie bei dem in der Flüssigkeit schwebenden Körper, an emeni im Körper festen Punkt an, sondern die Lage des Deplacementszentrums im Körper wechselt bei Aenderung der Schwimmlage. Würde man dem schwimmendem Körper, beispielsweise einem Schiff, alle möghchen Lagen geben, bei denen nur die Bedingung erfüllt ist, daß der Auftrieb gleich dem Eigengewicht ist, so würde man alle möghchen Lagen des Auftriebsschwerpunktes erhalten. Sie bilden in ihrer Gesamtheit eine Flache, die „Auftriebsfläche". Diese hat im be- sonderen noch die Eigenschaft, daß sie m Fijr. ^ Da der Auftrieb stets senkrecht zur Berüh- rungsebene der Auf triebsf lache, also in Kich- tun"- ihres Krümimintrsradius wirkt, so schneidet bei einer sehr kleinen Verdrehung aus der Gleichgewiclitslage die neue Auf- triebsrichtung die ursprünghche im Krüm- mungsmittelpunkt M der Auftriebsfläche, dieser hegt auf der ursprünghchen Schwimm- achse und wird als das Metazentrum be- zeichnet. Beim Schiff wird er näherungsweise dadurch ermittelt, daß man durch eine ein- seiti<^e Belastung das Schiff etwas aus seiner Gleichgewichtslage bringt und die entstan- dene Neigung mißt (Krängungsversuch). Das Metazentrum kann als der eigentliche An^^riffspuukt des Auftriebs aufgefaßt wer- den* der Auftriebsschwerpunkt gibt nur die Richtung an, in der der Auftrieb wirkt (in Fig. 22 sind die Richtungen des Auf- 6* 84 Flüssigkeit — Flüssigkeiten triebs in den beiden Lagen der Schwimm- ebene durch Indizes unterschieden). Es ist nun ersichtlich, daß die Gleichgewichts- lage stabil ist, wenn das Metazentrum über dem Schwerpunkt hegt, und labil,wenn es unter demselben hegt. Die Stabihtät ist um so größer, je größer die metazentrische Höhe, der Abstand des Metazentrums vom Schwerpunkt ist. Der Krümmungsradius der Auftriebsfläche läßt sich auch durch die Beziehung ausdrücken: Q^^' ^^rin populäre Charakteristikum des Flüssigkeits- zustandes ist ,,das Fehlen eigener Gestalt": es bedeutet, daß der flüssige Stoff jede be- liebige Form, eben die des Gefäßes, annimmt, während ein fester Stoff eine einmal von selbst angenommene oder auch ihm künstlich erteilte Gestalt beibehält. Da die Gase gleicMalls je nach dem Gefäße beliebige Formen annehmen, und darum vielfach auch als flüssig bezeichnet werden, unterscheidet man gasförmig-flüssige Stoffe (Gase) und tropfbar flüssige Stoffe (eigentliche Flüssig- V das Deplacement und I das Trägheits- ) keiten) und fügt als weiteres Charakteristi- moment der Schwimmebene, bezogen auf | k^im hinzu, daß ein Gas jeden ihm zur Ver- die Drehachse, ist. Diese Gleichung zeigt, f ügung gestellten Kaum vollständig ausfüllt, daß beim Schiff das Metazentrum für eine eine Flüssigkeit hingegen nicht, wobei die Drehung um die Querachse wesenthch höher Erklärung dieses Unterschiedes dadurch liegen muß als für eine Drehung um die | gegeben wird, daß ein Gas ein Expansions - Längsachse, daß also das Schiff sich gegen { bestreben hat, das der Flüssigkeit fehlt, eine Neigung um die Querachse erheblich | Mit dieser Unterscheidung kann man sich stabiler verhalten wird; man unterscheidet '^ei genauer Betrachtung allerdings nicht demnach Breiten- und Längenmetazen- j begnügen, doch reicht sie für nicht streng trum. Im ruhigen Wasser würde das Schiff i wissenschaftliche Definition wohl völlig aus. bei einer kleinen Auslenkung Schwingungen { Vollkommen scharf ist die Abgrenzung um die Gleichgewichtslage ausführen, deren ' natürlich ebensowenig wie jede andere, Zeitdauer sich unter gleichen Voraussetzungen Umtl z^ir Erläuterung sei nur darauf hinge- " wiesen, daß der Unterschied zwischen Gasten und Flüssigkeiten in der Nähe des kritischen nach derselben Gleichung wie für den in der Flüssigkeit schwebenden Körper ermitteln lassen, nur tritt an Stelle des Abstandes von Körper- und Auftriebsschwerpunkt die metazentrische Höhe. Literatur. Lorenz, Lehrbuch der technischen Phiislh, Bd. in. München 1910. — Greenhill, Hydroslatlcs. London 1894. — Jlit ausführ- lichen Literaturangaben: Auerbach, Hydro- statik, in Winkelmanns Handbuch der Physik. Bd. I. Leipzig 1908. — Love, Hydrodynamik, in der Encyklopädie der mathematischen Wissen- scliaften, Bd. IV, 15 Leipzig 1901/08. — Zu ab: ""■ ' (■ Himmelskörper usw., auch : Plsetti, "l'hie 48, in der Encyklopädie der ■■/len Wissenschaften, Bd. IV, 1, 8. G. Fuhrmann. Fi' nr,h,r muthi-, Flüssigkeiten. 1. Begriff des Flüssigkeitszustandes, a) Abgrenzung gegen gasförmigen und festen Zu- stand, b) Engere Einteilung flüssiger Stoffe. 2. Kerne Stoffe, a) Dichte, b) Wärraeaus- dehnung. c) Kompressibilität. d) Dampf- tlruck. e) Verdampfungswärme und spezi- fische Warme, f) Fhiidität. g) Kapillarität, h) ßrechungsvermögon und Drehungsverraögen 1) Farbe. k) Diejektrizität. 1) Leitfähigkeit ^.''ttT''™'' und Elektrizität. 3. Lösungen 4. Hydrate Solvate. 5. Gleichgewicht von Flfeigl keiten mit anderen I^hasen. I. Begriff des Flüssigkeitszustandes, la) Abgrenzung gegen gasförmigen und testen Zustand. Das gebräuchliche Punktes (vgl. den Artikel ,, Aggregatzu- stände") überhaupt verschwindet, und andererseits bei festen Stoffen nachweislich unter dem Einflüsse äußerer Kräfte ebenfalls Gestaltsänderungen auftreten, die nur ott außerordentlich langsam erfolgen. Geht eine solche Aenderung nach dem Aufhören des Zwanges schnell zurück, so nennt man den festen Stoff elastisch (vgl den Artikel „Elastizität"), geschieht dies nicht, so heißt er plastisch. Elastizität zeigen nun andererseits auch flüssige Stoffe (vgl. Abschnitt 2C „Kompressibilität") und ferner besitzen sie auch die Fähig- keit, eine bestimmte Gestalt anzunehmen, wenn man sie dem Einfluß äußerer Kräfte, insbesondere der Gravitation, ent- zieht. Sie erscheinen dann als Kugeln und nehmen diese Gestalt infolge der ^all- seitigen Wirkung der Oberflächenspannung an (siehe S. 95). Diese Erscheinung läßt sich sofort demonstrieren, wenn man eine kleine Menge einer Flüssigkeit betrachtet. Je kleiner die Menge, desto größer ist das Verhältnis der Oberfläche zum Volum, also zur Masse, und dann tritt der Ein- fluß der einseitig wirkenden äußeren Kräfte (Gravitation) um so mehr zurück hinter dem der allseitig gleichmäßig wirken- den Oberflächenspannung. Darum sind kleine Regentropfen viel mehr kugelförmig als große, und bei dem jetzt zu beschreiben- den viel gebräuchhchen Demonstrations- ver.>uche lassen sich die großen Tropfen viel Icicliter deformieren als die kleinen. Flüssigkeiten 85 Wenn man ein Gemisch aus zwei Flüssig- keiten, die beide Wasser nicht lösen und deren eine leichter ist als Wasser (Benzin, Benzol usw.), während die andere schwerer ist als dieses (Schwefelkohlenstoff, Chlore form, Tetrachlorkohlenstoff), in solchen Ver- hältnissen herstellt, daß das Gemisch das gleiche spezifische Gewicht hat wie Wasser, und dann vorsichtig kleine Mengen Wasser in dieses einführt, so bildet das Wasser, das jetzt dem einseitigen Einfluß der Schwere entzogen ist, Tropfen von Kugelform. Man beobachtet dann, wenn man kleine Bewe- gungen der Flüssigkeit verursacht, daß große Tropfen dadurch vorübergehend deut- lich deformiert werden, kleine dagegen viel weniger. Bei Flüssigkeiten von hinreichender Oberflächenspannung, wie Quecksilber, oder Wasser auf festem Fett, kann man diese Erscheinung auch in Luft beobachten. Die Tropfenbildung erfolgt nicht bei allen Stoffen mit gleicher Leichtigkeit, sie hängt vielmehr unter sonst gleichen Um- ständen stark von der individuellen Natur des Stoffes ab. Außer der Oberflächen- spannung spielt hierbei die innere Kei- bung (vgl. den Artikel ,, Flüssigkeits- bewegungen") eine wesenthche Rolle, jene Eigenschaft, nach deren Größe man die Flüssigkeiten in leichtflüssige und schwer- flüssige oder, da diese Ausdrücke auch in bezug, auf das Schmelzen fester Stoffe (vgl. den Artikel ,, Aggr egat zu st ände ") gebraucht werden, in dünnflüssige (leicht- bewegliche) und dickflüssige (schwerbeweg- liche, zähflüssige) einzuteilen pflegt. Als Bei- spiele für den ersten Typus können Aethyl- äther (vulgär Schwefeläther, Vitrioläther), für den zweiten konzentrierte Schwefelsäure und Glyzerin dienen. Wegen dieser Grenzunsicherheit teilt man neuerdings oft nicht mehr in feste und flüssige Stoffe ein, sondern in kristallinische und amorphe, indem man die isotropen und anisotropen Kristalle (siehe den Artikel „Kristallphysik"), also die mit Richtungs- abhängigkeit gewisser Eigenschaften begabten Stoffe", als eine Gruppe den amorphen Körpern gegenüberstellt. Dadurch kommen Stoffe wie Glas in eine Gruppe mit den Flüssigkeiten, von denen sie sich in der Tat auch nur quantitativ, durchgrößere Starrheit, unterscheiden, in die sie sich aber meist gaiu stetig, etwa durch Erwärmen, überführen lassen; andererseits werden unzweifelhaft flüssige Stoffe mit den festen Kristallen koordiniert, weil sie Richtungseigenschaften haben: „flüssige Kristalle" (vgl den Artikel „Kristalle, flüssige Kristalle"). Auch dies ist gerechtfertigt, um so mehr, da es feste Kristalle gibt, die, bevor sie beim Schmelzen in den Zustand der isotropen amorphen Flüssigkeit übergehen, erst weich werden, oline ilire Richtungseigenschaften sofort zu verlieren. Zu beachten ist aber bei dieser Einteilung, daß viele amorphe Stoffe unter Einwirkung einseitig wirkender äußerer Kräfte anisotrop werden, also Richtungs- eigenschaften annehmen. So zeigt rasch abgekühltes Glas, das unter gewissen unaus- geglichenen ,, Spannungen" der verschiedenen Niveauschichten steht,oder einseitig gepreßtes Glas gewöhnlich optische Doppelbrechung (vgl. den Artikel „Doppelbrechung"), und bei flüssigen Stoffen beobachtet man das Entstehen von elektrischer oder auch opti- scher Doppelbrechung, wenn quer zu der Strahlrichtung des Wellenzuges eine magne- tische Kraft einwirkt. Gemeinsam mit den festen Stoffen haben die flüssigen die Eigenschaft der Verdamp- fungsfähigkeit, der Oberflächenspannung, der im Vergleich zu der der Gase geringfügigen Kompressibihtät und thermischen Ausdeh- nung, und andere, den Gasen dagegen stehen die meisten gewöhnlich als flüssig bezeich- neten Stoffe näher als den festen Stoffen, falls man die Beweglichkeit (Fluidität) be- trachtet (siehe oben). ib) Engere Einteilung flüssiger Stoffe. Eine andere Einteilung der flüssigen Stoffe stützt sich auf ihre chemische Zu- sammensetzung, entsprechend der Tren- nung der Substanzen in anorganische und organische (d. h. Verbindungen des Kohlen- stoffs). Man unterscheidet demnach anore ganische Flüssigkeiten und organische. Jen- teilt man noch weiter ein in elementare (deren es aber unter gewöhnlichen Verhält- nissen nur wenige gibt, wie Brom und Quecksilber) und zusammengesetzte (Sch^ye- felsäure, Wasser). Die organischen Flüssig- keiten unterscheidet man nach ihrer Zu- sammensetzung als ahphatische (Benzin, Chloroform) und aromatische (Benzolderi- vate) oder als azykhsche und zyklische Sub- stanzen. Die erste Gruppe stimmt etwa mit der ahphatischen überein, die zyklischen Substanzen dagegen zerfallen in isozyklische (eigentliche Bonzolderivate) uiid hetero- zyklische, deren geschlossener Ring nicht nur aus Kohlenstoff besteht, sondern auch andere Elemente wie Stickstoff, Sauerstoff, Schwefel, Sihcium oder Metalle enthält (Näheres siehe in den Artikeln „Aliphatische Reihe", „Aromatische Reihe", „Isozyklische Systeme", „Heterozyklische Systme" und anderen). Die Unterschiede der Zusammensetzung zeigen sich natürlich in dem pliysi kaiischen Verhalten, also in den Eigenschaften der Flüssigkeiten. Die Klassifikation nach den Zahlcnwerten der Eigenschaften gehört zu den Aufgaben der Stöchiometrie (siehe den .Artikel „Stöchiometrie "), an dieser Stelle dagegen haben wir eine 86 Flüssigkeiten allgemeine üebersicht über die wichtigsten Eigenschaften der Flüssigkeiten und ihre Zahlemverte zu geben, ohne näher auf die Beziehung zur chemischen Zusammen- setzung einzugehen. Dabei haben wir zwi- schen chemisch einheitlichen Stoffen und Gemischen (Lösungen) zu unterscheiden. 2. Reine Stoffe. 2a) Dichte, spezi- fisches Gewicht (vgl. den Artikel ,,Dichte"). Die Dichte flüssiger Stoffe pflegt man auf Wasser als Einheit zu beziehen. Sie hängt natürhch von äußeren Umständen ab, insbesondere von Temperatur und Druck, und zwar wächst sie fast ausnahmslos, wenn die Temperatur fällt und der Druck steigt (siehe unten). Bei den unter gewöhnlichen Umständen flüssigen Stoffen hegen die Werte der Dichte, wenn sie für Wasser gleich 1 ist, zwischen rund 0,6 und 13,6. Dieser hohe Wert ist die Dichte des Quecksilbers, eine exzeptionell hohe Zahl. Sieht man von ihr ab, so liegt die obere Grenze für reine Stoffe etwa bei 4. In erster Annäherung darf die Dichte als additive Eigenschaft betrachtet werden, d. h. für eine Verbindung ergibt sie sich durch Addition der Produkte aus relativer Menge und Dichte der komponierenden Elemente, falls diese auch flüssig oder fest sind. Es zeigen also hohe Dichten die Verbindungen, welche Brom, Jod, Selen, Metalle enthalten, niedrige die wesenthch aus Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Kohlenstoff und an- derenleichten Elementen bestehenden Flüssig- keiten. Eine Orientierung gewährt folgende Tabelle, die für Zimmertemperatur gilt und außer reinen Stoffen die aus Homologen des Pentans bestehenden Gemische Benzin, Pe- troläther, Ligroin enthält („Gruppe" be- deutet die Reihe der Homologen, soweit sie unter diesen Umständen flüssig sind). Tabelle 1. Wasser H,() 1,00 Glycerin CgHgOa 1,26 SiliciumtctrachJorid 810)4 1,49 Phosphortrichlorid PCI3 1,59 Schwefelsäure E.^O^ 1,86 Zinntetrachlorid SnCi4 2,23 Antimonpentachlorid SbCI^ 2,35 Brom Br " 3,12 Bleitetrachlorid PbC]4 3,15 Quecksilber Hg 13^6 I'*-'ntan CsHja 0,63 Pentangruppe CnHn+2 0,63-^0,72 Petroläther o 6 — o 7 |^?"=''j" ca. 0^7 — o!75 Ligroin ea. 0,75—0,8 öchwerpetroleiim > o 8 Aethylamin c.,H-N 0^69 ^«;hy Zither C^II^oO 0,72 Aethylalkohol C-HeÜ 0,79 Aethylalkoholgruppe CnH2n-i 0,79-^082 Aceton CjIIeO 0,79 C2H4O 0,80 CnHän — 6 0,89—0,85 c,W\ 0,92 CnH2nO, 0,97—0,85 iC.B.O)^ 0,99 C5H5N 0,99 CeH,N 0,01 CÄO, 1,05 CnHonüj 1,21—0,94 C,H,C1 i,ii CoH^NO, 1,21 CHXU 1,25 es; ' 1,26 CHCI3 1:49 CCI4 1,62 CeHgJ 1,69 GH3J 2,28 CHBrj 2,83 Hg(CH3), 3,07 CH,J, 3,33 mung. Die relative Aldehyd Benzol CeHe 0,89 I Benzolgruppe I Aethylacetat j Aethylacetatgruppe I Paraidehyd ' Pyridin i Anilin [ Essigsäure Essigsäuregruppe Chlorbenzol , Nitro benzol j Aethylenchlorid Schwefelkohlenstoff Chloroform Chlorkohlenstoff Jodbenzol Methyljodid Bronioform Quecksilbermethyl Methylenjodid 2b) Wärmeausdehnun Wärmeausdehnung der Fliissigkeiten bei Zimmertemperatur variiert nicht sehr stark von Stoff zu Stoff und beträgt im Mittel etwa 17oo pro Celsiusgrad. Gemessen wird sie mittels des Dilatometers, eines Instrumentes von der Form der Quecksilber- thermometer, dessen Skala vor der Benutzung kalibriert werden muß (vgl. die Artikel ,, Wärmeausdehnung" und ,, Raummes- sung"). Die gewöhnliche Formel, durch die man die thermische Ausdehnung darzustellen pflegt, lautet ^; = ^;o(l+a(t-to)+^(t-to)^..) (1) wo -i» das Volum einer bestimmten Menge bei t", Vo das bei to° bedeutet, a heißt der erste, ß der zweite relative cubische x\us- dehnungskoeffizient. Dagegen sind in der Formel t'=t'o+9'i(t-to)+95 2(t-to)2 9?! und (p.^ absolute Ausdehnungskoeffi- zienten. Theoretische und praktische Gründe sprechen dafür, anstatt des Volums die Dichte d = - zu betrachten. Statt Formel (1) schreibt man dann d = do(l-kt) (2) Diese Formel reicht mit der einen Kon- stanten k ungefähr ebensoweit als (l)mit zwei Konstanten a und ß. Sie führt den Namen der Mendelej ewschen Formel und ist ein spezieller Fall des Cailletet-Mathi as- schen Gesetzes vom geraden Durch- messer. Dieses sagt aus, daß der Mittel- wert aus der Dichte einer Flüssigkeit und ihres gesättigten Dampfes eine lineare Funktion der Temperatur bis nahe an den kritischen Punkt (siehe oben und im Artikel ,, Aggregatzustände") heran ist. Da bei tiefen Temperaturen die Dichte des Dampfes klein gegen die der Flüssigkeit wird, so folgt für diese, daß ihre Dichte Flüssigkeiten 87 für sich allein in hinreichender Entfernung vom kritischen Punkte eine lineare Tempe- raturfunktion ist. Man unterscheidet noch den ,, mittleren Ausdehnungskoeffizienten" zwischen tj und t.^, der definiert ist durch et Vi — Vo t (3) ?=2 ' - oder = vJl-^Q{t,~U) ti— to 2.V, r und wenn Vi und v^ wenig verschieden sind, so erhält man also die Formel (1) mit a= | und ß = 0. Einen Vergleich verscliiedener Flüssig- keiten nach ihrem mittleren Ausdehnungs- koeffizienten ^ bei Zimmertemperatur gibt folgende Tabelle; pli ziert. ist mit 1000 multi- Tabelle 2. "Wasser Glycerin Siliciumtetrachlorid Phosphortrichlorid Schwefelsäure Zinntetrachlorid Brom Quecksilber Pentan Hexan (Petroleum) Aethyläther Aethylalkohol Aceton Benzol Aethylacetat Anilin Essigsäure Nitrobenzol Aethylenchlorid Schwefelkohlenstoff Chloroform Chlorkohlenstoff Methyl Jodid Die Unterschiede sind also nicht sehr groß, und man kann sagen, daß, etwa mit Ausnahme von Quecksilber, Schwefelsäure und Glvcerin, sowie von diesen verwandten Stoffen; die relativen Ausdehnungskoeffi- zienten bei Zimmertemperatur zwischen 0,8 und 1,6 Promille pro Grad liegen. Der Ausdehnungskoeffizient hängt vom Drucke ab. Da diese Abhängigkeit jedoch klein ist, so kommt sie für die Schwankungen des Barometerstandes praktisch niemals in Betracht. Als Beispiel diene die Angabe, daß der Ausdehnungskoeffizient des Aethyl- 0^ 2 1,05 0,51 1,43 1,18 0,56 1,19 1,12 0,18 1,61 IH5 1,0 1,66 1,10 1,49 1,24 1,39 0,86 1,07 0,84 1,16 1,22 1,27 1,23 1,27 äthers pro Atmosphäre Druckzunahme um rund 30/00 seines Wertes abnimmt. Mit steigender Temperatur nimmt der Ausdehnungskoeffizient der Flüssigkeiten zu und nähert sich dem der Gase. Unter einem bestimmten Druck kann man ihn natür- lich nur dann messen, wenn dieser größer ist als der Dampfdruck (vgl. den Artikel ,,Druck"), weil anderenfalls ein merklicher Teil der Flüssigkeit in Dampf idjcrgeht. Die in diesem letzten Falle beol)a(]itct('ii Dichten unter dem Drucke des gesättigten Dampfes heißen auch orthobare Dichten. Wasser unterhalb 4" Celsius hat einen negativen Ausdehnungskoeffizienten, ober- halb wie fast alle anderen Stoffe einen positiven. 2c) Kompressibilität. Die Volumver- kleinerung der Flüssigkeiten durch Druck- wirkung ist eine reversible Erscheinung. Sie geht bei Nachlassen des Druckes sofort zurück (Elastizität) und ist so klein, daß sie nur bei Anwendung sehr hoher Drucke oder sehr feiner Meßinstrumente bestimmt werden kann. Es sind dazu sehr feste Gefäße nötig, oder man setzt die Meßgefäße in einer festen Bombe allseitigem Drucke aus, so daß ihre Wände nicht nur von innen nach außen dem Drucke standhalten müssen. Die Ver- suchstechnik ist darum im allgemeinen nicht sehr einfach. Die folgende Tabelle enthält die Volumabnahmen in Millionteln des An- fangsvolumens, die bei Zimmertemperatur durch Druckerhöhung um eine Atmosphäre bewirkt werden. Tabelle 3. Wasser 4^ Phosphortrichlorid 90 Schwefelsäure 90 Brom 65 Quecksilber 37 Pentan 318 Aethyläther 170 Aethylalkohol 102 Aceton 117 Benzol 84 Aethylacetat 108 Anilin 44 Essigsäure 85 Chlorbenzol 66 Nitrobenzol 47 Aethylenchlorid 69 Schwefelkohlenstoff 78 Chloroform i<>o Chlorkohlenstoff 93 Glycerin ^5 Die Druckwirkung ist demnach pro Atmosphäre im Durchschnitt 10 bis 20 mal so klein als die Temperaturabhängigkeit pro Celsiusgrad (vgl. Tabelle 2). Es folgt aus dieser Größe des „Spannungskoeffi- zienten", daß bei Erwärmung einer Flüssig- keit bei konstantem Volum um 1" ein Ueber- druck von 10 bis 20 Atmosphären entwickelt 88 Flüssigkeiten wird. j\Iit steigendem Druck nimmt der Kompressibilitätskoeffizient ß ab, jedoch pro Atmosphäre um nicht mehr als etwa 1% seines Wertes. Diese Abnahme entspricht mathematisch dem zweiten Differential- quotienten des Volums nach dem Druck. Temperatursteigerung erhöht die Kompressi- bilität, wie sie ja allgemein alle Stoffe dem Gaszustande ähnlicher macht. Es ist auch nachgewiesen, daß Zugwir- kung auf die Flüssigkeiten eine Dehnung bewirkt; dies ist also die Umkehrung der Kompression. Der hierfür maßgebende Dilatationskoeffizient ist nichts an deres als der Kompressibilitätskoeffizient, nur mit negativem Vorzeichen. Um ex- perimentell diesen Nachweis führen zu können, hat man dafür zu sorgen, daß die Flüssigkeit die Gefäßwände vollkommen benetzt und keinen Gasraum frei läßt, weil sonst statt der Volumdehnung eine Ver- dampfung stattfindet. Man ist bis jetzt bis zu negativen Drucken von ca. 70 Atmo- sphären gelangt. Sehr zähe Flüssigkeiten (siehe unten) zeigen keine vollkommene Elastizität, nehmen also nach Aufhören einer Deformation nicht momentan ihre frühere Gestalt an. Das allmähliche Nachlassen der in einer solchen Flüssigkeit aufgetretenen Deformations- spannungen bezeichnet man als Relaxation. Die Zeit, in der der Vorgang verläuft, heißt Relaxationszeit und ist gleich dem Quo- tienten von Kompressibilität und Fluidität (siehe unten). 2d) Dampfdruck. Eine der wichtigsten Eigenschaften der Flüssigkeiten ist ihre Fähigkeit, in den Dampfzustand überzugeheii. Da Dämpfe im allgemeinen sehr einfaches physikalisches und chemisches Verhalten zeigen, falls sie nicht etwa unter sehr hohem Drucke stehen, so lassen sich oft mit Hilfe der Kenntnis des zwischen dem Drucke des gesättigten Dampfes und der Flüssigkeit bestehenden Gleichgewichtszustandes gewisse wichtige, mehr oder weniger sicher begründete Schlüsse auf das Verhalten der Flüssigkeit ziehen. Ein Dampf heißt gesättigt, wenn er mit der Flüssigkeit im Gleichgewicht ist, d.h. wenn seine Menge in Berührung mit der Flüssigkeit bei Konstanthaltung von Tempe- ratur, Druck und Volumen weder zu- noch abnimmt. Dies ist ein ganz bestimmter Zustand, und der Druck, den der Dampf unter diesen Bedingungen auf die Wände ausübt, hei ßt der D r u c k des gesättigten Dampfes oder kurz der Dampfdruck (Näheres im Artikel „Druck"). Die absolute Größe dieses Druckes hängt von der Tem- peratur und von der chemischen Natur der Stoffe sehr stark ab, gemessen wird sie ge- wöhnlich in mm Quecksilberhöhe oder auch in Atmosphären (vgl. die Artikel „Mano- meter" und ,, Luftdruck"). Er erreicht den Grenzwert Null bei der absoluten Tempe- ratur T = 0 (gleich —273" Celsius), seinen oberen Grenzwert, der allerdings von Stoff zu Stoff verschieden ist, bildet der kritische Druck (vgl. den Artikel ,, Aggregatzu- stände"), weil dies der höchste Druck ist, bei dem Dampf und Flüssigkeit neben- einander bestehen können. Denn er ent- spricht dem Dampfdruck bei der kritischen Temperatur, und oberhalb dieser Tempera- tur verschwindet der Unterschied von Dampf und Flüssigkeit. Die Zunahme des Dampfdruckes mit der Temperatur erfolgt ungefähr in logarith- mischem Verhältnis, d. h. wenn die Temperatur in arithmetischer Reihe zunimmt, steigt der Dampfdruck in geometrischer Reihe. Doch ist dies nur in erster Annäherung richtig, und um gute Messungen innerhalb eines nicht ganz kleinen Intervalls mittels einer Formel darzustellen, braucht man mindestens drei Konstante. Von den zahllosen Formeln, die für diesen Zweck aufgestellt worden sind, kommen eine rein empirische und eine theoretisch begründete besonders in Be- tracht. Die erste ist logp = a+bT+cT2... (4) wo T die Temperatur (gewöhnlich vom ab- soluten Nullpunkt an gezählt), p der Dampf- druck, a, b, c individuelle Konstante sind, deren Größe von den gewählten Maßein- heiten (mm Hg, Atmosphären usw.) mitbe- stimmt wird. Die andere ist die sogenannte t her mo d y n ami s ch e Dampf druck- formel logp = A + ^+ClogT + DT + ET^.. (5) die sich also von (4) nur durch das zweite und dritte Glied unterscheidet. Sie kommt meist mit den drei ersten Gliedern aus. In den Konstanten sind implizite die spezi- fischen Wärmen von Dampf und Flüssigkeit enthalten (siehe unten bei 2e), und man kann sie, wenn man diese kennt, voraus- berechnen. Das Verschwinden aller Glie- der außer den drei ersten bedeutet thermo- dynamisch die Gültigkeit gewisser ein- facher Beziehungen, insbesondere die der Gasgrenzgesetze für den Dampf (vgl. die Artikel ,,Gase" und ,, Dämpfe"). Da dies nur bei kleinen Dampf dichten, also kleinen Dampf drucken, d. h. bei von der kri- tischen Temperatur (siehe oben) weit ent- fernten Tejuperaturon der Fall ist, so kann auch nur dort die Vernachlässigung der späteren Reihenglieder erlaubt sein. Was die Zalilenwerte anbetrifft, so seien hier nur einige Beispiele gegeben. Wir bezeichnen mit t die Celsiustemperatur, mit p den Flüssigkeiten Dampfdruck in mm Quecksilber (Wasser 1 Schwefeldioxyd, Chlorwasserstoff in At- von 110" an, sowie Ammoniak, Kohlendioxyd, I mosphären). Tabelle 4. Wasser Wasser Quecksilber t p • — -20 o,g6o + 25 23,546 0 0,0004 —15 1,451 + 30 31,555 10 0,0008 — lO 2,159 + 40 54,97 20 0,0015 — 5 3,167 + 50 92,17 30 0,0027 — I 4,258 + 00 149,21 40 0,0052 o 4,579 + 70 253,8 50 0,0113 + I 4,921 + 80 ■ 355,5 bo 0,0214 + 2 5,286 + 90 526,0 70 0,0404 + 3 5,675 + 95 634,0 100 0,270 + 4 6,088 + 98 707,3 140 1,763 + 5 6,528 + 100 760,0 180 8,41 + IO 9,179 + 110 1,083 200 i6,8t + 12 10,479 + 120 1,484 240 56,55 + 14 11,936 + 130 2,019 280 157,8 + 15 12,728 + 140 2,694 300 248,6 + i6 ■ 13,565 + 150 3,568 340 559,1 + i8 15,383 + 200 11,625 360 803,7 + 20 17,406 + 250 29,73 400 1548,5 + 22 19,661 + 300 67,62 480 4596," + 24 22,178 + 350 126,92 Ammoniak ächwefeldio xyd Kohlendioxyd Chlorwasserstoff (WH3) (SO,) (CO,) (HCl) t P t P t P t P — 30 1,14 30 0,36 —70 2,08 —110 0,182 — 20 1,83 20 0,61 — 60 3,90 — 100 0,355 — 10 2,82 — 10 1,00 —50 6,80 — 90 0,649 0 4,19 0 1,51 —40 10,25 — 80 1,180 + 10 6,02 + 10 2,35 —20 19,03 —45,5 6,30 + 20 8,41 + 20 3,30 0 34,25 -17,8 15,04 + 30 11,45 + 30 4,60 + 10 44,35 + 4,0 29,8 + 50 19,96 + 50 8,38 + 15 49,90 + 18,1 41,8 + 70 32,47 + 70 14,31 +20 56,30 + 39,4 66,9 + roo 61,32 + [OO 27,82 +50,56 85,3 Aethylalkohol Aethylcäther Chloroform Benzol Essigsäure t (CeH.OH) (C4H10Ü) P (CHCI3) t (C«He) r (CH3COOH) ) — 20 63,0 . 0 26,54 3,30 0 12,24 184,9 — + 20 74,66 11,73 + 20 44,0 444,4 160,5 + 40 181,1 34,77 + 40 133,4 921,2 369,3 + 60 388,6 88,94 + 60 350,2 172,81 755,4 + 80 753,6 202,3 + 80 811,8 2991,4 1407,6 + 100 1344,3 417,1 + 100 1692,3 4859 2428,5 + 120 2238,1 794,0 + 120 3223 7496 3926 + 140 3520 1414,0 + 140 5666 11078 6000 + 160 5282 2381,6 + 160 9366 15788 8734 + 180 7625 3826 + 180 14763 21804 + 200 10663 5905 + 200 22164 — — + 220 14526 8800 + 220 32097 — — + 240 19369 12724 + 240 45504 + 260 + 280 25376 32772 17913 24629 Flüssigkeiten Von praktischer Bedeutune; ist der Dampfdruck von 760 mm Hg, d. h. einer Atmosphäre, weil die zuj2;ehörige Cel- siustemperatur ■& unter dem Namen Siede- punkt häufig als charakteristische Kon- stante der Flüssigkeiten angegeben wird. Es sei deswegen hier eine Auswahl von Siedepunkten ■& verzeichnet. Die Formeln gelten für den Dampf. Tab ^lle 5. Stoff Formel 9- Brom Br, + 63 Chlor CK - 33,6 Quecksilber Hi + 357 Sauerstoff 0, — 182,6 Schwefel Sx + 444,7 Stickstoff K, — 195,7 Wasserstoff h: — 252,7 Zink Zn + 918 Kalium K + 75S Antimontrichlorid SbCI, + 223 Bortrichlorid BC13 + 18,2 Bromwasserstoff HBr - 68,7 Chlorwasserstoff HC! — 82,9 Jodwasserstoff HJ — 35,7 Phosphortrichlorid PCI3 + 76 Phosphorwasserstoff PH3 - 86,4 Schwefelwasserstoff HoS — 60,2 Schwefeldioxyd SO.,. — 10,1 Schwefeltrioxyd so; + 46 Schwefelsäure H,S04 + 326 Siliciumtetrachlorid SiCl^ + 57,6 Ammoniak NH3 — 33 Stickoxydul N20 — 88 Ötickoxjd NO — 150 Stickstofftetrox>d N.O, + 26 Zinntetrachlorid SnCU + 114 Aldehyd C,H4 0 + 20,8 Paraldehyd (C2H,0)3 + 124 Aceton C3H«0 + 56,5 Aethvlilther C4H,„0 + ^5 Aethylalkohol C,H«0 + 78,4 Aethylbromid C.H^Br + 38,4 Aethylenbromid CH^Br., + 131,6 Ameisensäure H2CO2 + 100,8 Methylformiat C.H^O, + 32,2 Aethylformiat C3HeO, + 54,4 Essigsäure C.H.O^ + 118,0 Methylacetat CsH.O, 67 Aethylacetat C4H3O3 + 77,1 (iso)-Amvlalkohol CsH,,0 + 130 (iso)-Butylalkohol C4H,„0 + 106,4 (n)-Propylalkohol C3H3O + 97,4 Methylalkohol CH4O + 67 Chloroform CHCI3 + 61,2 Chlorkohlenstoff CCI4 + 76,7 Methyljodid CH3J + 42,3 Methylenjodid CH,J, + 181 Schwefelkohlenstoff es; ■ 46,2 Bromoform CIIBr, + 150,5 Glycerin C3ITSO3 + 290 Ik'nzol Cr.H„ + 80,3 Chlorbenzol OoHsCl + 132 Brombenzol Celisßr + 155,5 Benzaldehvd C,HeO + 178,3 Phenol CelleO + 181,4 Stoff Anilin Nitrobenzol Acetophenon Methylbenzoat Benzoesäure Toluol Methylanilin Dimethylanilin Naphthalin Mono-Bromnaphthalin Benzophenon Diphenylamin Phenanthren Pyridin o-Xylol m-X>lol p-Xylol Chinolin Formel CeH^N CsHsNO^ C,H«0 CH^O^ CHeO, C7H3 C.H9N C,H,iN CioHs C,oH,Br CjgHjoO C12H11N C14HIO C5H5N CgHio C,H,N + 183,9 + 208,3 + 201,5 + 197,5 + 249,0 + 110,4 + 193,8 + 193,1 + 218,2 + 281,1 + 306 + 302 + 340 •+ 114,5 + 143 + 139 + 137 + 238 Da man es in der Praxis meist nicht mit einem Drucke von genau 760 mm zu tun hat, so müssen für anderen Druck kleine Keduktionen auf 760 mm angebracht werden. Hierfür kann man die Regel benutzen, daß in der Nähe von 760 mm eine Druckänderung von 1 mm rund l"/oo der absoluten Siede- temperatur {&~\-273) ausmacht. Etwas genauer sind folgende in Promille angegebene Werte (nach W, N ernst: Theoretische Chemie). Tabelle 6. Wasser Alkohol Phenol Anilin Aceton Benzophenon Aethylacetat Schwefelkohlenstoff Aethylenbromid Benzol Naphthalin Anthracen Quecksilber ,1 o .1 o .1 I .1 I .T 2 .1 I .1 I •I 3 • I 2 .1 2 .1 2 .1 I .1 2 Die Verdampfung erfolgt nicht immer sehr rasch. Bei Anwendung von Vorsichts- maßregeln kann man Flüssigkeiten über- hitzen, d. h. bei einer Temperatur flüssig erhalten, bei der ihr Dampfdruck viel höher ist als der äußere Druck (etwa der Atmo- sphäre). Um das zu erzielen, muß man sie sehr gleichförmig erwärmen, so daß sie an allen Stellen stets möghchst gleich temperiert sind. Das kann man entweder durch An- wendung sehr kleiner Mengen oder durch Einbetten von Tropfen in eine gleichschwere nicht lösende Flüssigkeit erreichen (z. B. Wasser in einem passenden Oelgemisch), in- dem man sehr langsam erwärmt. So hat man Wasser bei Atmosphärendruck auf fast 200" erhitzen können, Chloroform auf fast 100", Beim Ueberhitzen wird viel Wärme aufge- speichert, und wenn aus irgendeinem Grunde plötzhche Dampfbildung eintritt, so wird diese Wärme zur Verdampfung verbraucht. Flüssigkeiten 91 Da sie nicht allmählich zugeführt werden muß, sondern bereits zugeführt ist, so erfolgt die Verdampfung dann explosiv. Zur Ver- meidung von Ueberhitzung (Siedeverzug) beuutzt man ,,Siedeerleichterer" (vgl. den Artikel „Chemische Arbeitsmethoden", id). Das L ei d enf r 0 s tsche Phänomen (,,sphäroidaler Zustand") beruht nicht auf Ueberhitzung. Es besteht darin, daß eine Flüssigkeitsmasse bei Berührung mit einem sehr hoch über den Siedepunkt erhitzten festen Körper (Metallschale) sofort eine Dampfhaut liefert, die dann zwischen ihr und der sehr heißen Wärmequelle eine dünne Schicht bildet und die Wärme schlecht leitet, sodaß die Verdampfung nur langsam erfolgen kann. Die Flüssigkeit befindet sich dabei gewöhn- lich unterhalb ihrer normalen Siedetempe- ratur, eine überhitzte Flüssigkeit dagegen oberhalb. Bei sehr niedrigen Drucken beobachtet man überhaupt kein deutliches Sieden (d. h. lebhafte Dampfentwicklung unter Bewegung der Flüssigkeit), sondern nur ganz ruhiges, langsames Verdampfen. Beschleunigen kann man jede Verdampfung durch rasches Ent- fernen des gebildeten Dampfes, z. B. durch Ueberblasen von Luft. Wenn infolgedessen die Verdampfung sehr rasch wird, so kann unter Umständen die nötige Wärme (siehe 26 ,, Verdampfungswärme") nicht hinreichend schnell zugeführt werden; dann kühlt sich die Flüssigkeit ab, weil sie die Wärme aus sich selbst nehmen muß, der Dampfdruck sinkt und die Verdampfung wird verlangsamt. 2e) Verdampfungswärme und spe- zifische Wärme. Wie schon diese Tatsache zeigt, bedarf jede Flüssigkeit zur Verdamp- fung einer Wärmezufuhr. Denn bei der Ver- dampfung wird eine Arbeit geleistet, und die hierzu nötige Energie muß von außen zuge- führt werden. Je nach der Art, wie man den Verdampfungsvorgang leitet, unterscheidet man verschiedene Verdampfungswärmen. Der zur Ueberwindung des äußeren Druckes (d. h. Bildung des Dampfraumes) beim Ver- dampfen unter konstanter Temperatur nötige Energiebetrag bildet im allgemeinen nur einen kleinen Teil der nötigen Gesamt- energie und heißt die äußere Verdamp- fungswärme (A). Den Hauptteil bildet die innere Verdampfungswärme (J), die man allgemein als die zur Ueberwindung der Kohäsion (oder des Binnendrucks, vgl. den Artikel „Mechanochemie") nötige Arbeit betrachtet. Die Summe von beiden heißt die ganze oder totale Verdamp- fungswärrae (G). Ferner ist seit Reg- naul t noch der Begriff der Gesamtwärme des Dampfes und der der Fl üssigkeits wärme übhch geworden. Wenn man eine Flüssig- keit von 0° auf eine bestimmte andere Tem- peratur t° erwärmt (ohne Verlust durch allmähliche Verdampfung) und dann bei t" vollständig in gesättigten Dampf verwandelt, so heißt die hierzu im ganzen nötige Wärme die Gesamtwärme des Dampfes (W). Diese ist gleich der Summe der ganzen Ver- dampfungswärme G und der zur Erwärmung der Flüssigkeit von 0" auf t" nötigen Wärme, 1 der Flüssigkeitswärme (F). Ferner nennt man die Summe von F und J die Dampfwärme (D) und hat also folgende Definitionsgleichungen ( W=F+G G=J+A (6) Id=f+j Unter ,, Verdampfungswärme" kurzweg versteht man die Größe G. Diese ist es, welche für den Koeffizienten B in der Formel (5) bestimmend ist. Der Koeffizient C dieser Formel ist bestimmt durch die spezifischen Wärmen von Flüssigkeit und Dampf, von denen die erste in der Flüssigkeitswärme F, die das Produkt von Masse, mittlerer spezi- fischer Wärme und Temperaturdifferenz (f— 0°) darstellt, enthalten ist. Man sieht also hieraus, daß Verdampfungswärme und spezifische Wärmen für die Abhängigkeit des Dampfdruckes von der Temperatur be- stimmend sind. Die Zahlenwerte der Verdampfungs- wärmen (die ihrerseits selbst wieder von der Temperatur abhängen, sind individuell stark verschieden. Eine Tabelle der Verdamp- fungswärmen beim Siedepunkt unter Atmo- sphärendruck wird im Artikel ,,Moleku- larlehre" mitgeteilt. Beim kritischen Punkt (vgl. den Artikel ,, Aggregatzustände") wird die Verdampfungswärme Null. Ueber Beziehungen der Verdampfungs- wärme zur chemischen Konstitution vgl. den Artikel ,,Stöchiometrie". Die ,, spezifische Wärme" der Flüssig- keiten — definitionsgemäß die Wärmemenge, die zur Erwärmung der Gewichtseinheit (1 g) um 1° Celsius nötig ist — ist eine wichtige und an sehr vielen Flüssigkeiten gut unter- suchte Eigenschaft. Sie steigt mit der Tem- peratur, und zwar ist ihre Temperatur- abhängigkeit im allgemeinen um so größer, je weniger ,, normal" die Flüssigkeit in chemisch- konstitutiver Beziehungist (Näheres im Artikel ,,Stöchionietrie"). Die ge- wöhnhche „spezifische Wärme der Flüssig- keiten" ist die bei konstantem Druck (Atmosphärendruck oder Druck des ge- sättigten Dampfes). Doch muß man unter- scheiden zwischen dieser und der spezi- fischen Wärme bei konstantem Vo- lum. Der Unterschied ist näher begründet in den Formeln der Thermodynamik (vgl. die Artikel „Energielehre" und „Ther- mochemie"), er ist nicht, wie bei idealen Gasen, eine universelle Konstante, sondern 92 Flüssigkeiten von der chemischen Natur der Flüssigkeit, der Temperatur und dem Drucke abhängig (die Temperaturabhängigkeit der spezi- fischen Wärme der Flüssigkeiten macht sich in den Kcieffizienten D, E usw. der For- mel (5) geltend), üeber die Beziehungen zur chemischen Natur der Stoffe findet man Näheres im Artikel „Stöchiometrie"; hier folge eine Tabelle, in der die für Zimmer- temperatur und Atmosphärendruck geltenden spezifischen Wärmen von flüssigen Stoffen angeführt sind, und deren Angaben be deuten, daß zur Erwärmung von 1 g Flüssig- keit um 1" eine Wärmemenge von c kleinen Calorien nötig ist (Genaueres über die spe- zifische Wärme des Wassers siehe im Artikel „Kalorimeter"). Tabelle 7. Stoff c Brom 0,107 Quecksilber 0,033 Zinntetrachlorid 0,14 Schwefelsäure 0,33 Aethyläther 0,56 Aethylalkohol 0,58 Aethylbromid 0,21 Aethylenbromid 0,14 Amylalkohol 0,52 Anilin 0,51 Benzol 0,42 Butylalkohol 0,68 Chloroform 0,23 Diäthylamin 0,52 Dichloressigsäure 0,38 Dimethylanilin 0,41 Essigsäure 0,47 Glycerin 0,58 Hexan 0,50 Heptan 0,47 Methylalkohol 0,60 Methylformiat 0,51 Nitrobenzol 0,34 Propylalkohol 0,66 Schwefelkohlenstoff 0,24 Toluol 0,40 Wasser 1,00 Die Temperaturabhängigkeit beträgt im Durchschnitt einige Promille pro Grad.. Der Einfluß des Druckes ist noch nicht ausführ- lich gemessen, scheint aber nicht unbeträcht- lich zu sein (z. B. nimmt nach einer an Aethyläther ausgeführten Messung die spezifische Wärme ungefähr um 1 bis 2 7oo pro Atmosphäre ab). 2f) Flui di tat. Die eingangs als charak- teristische Eigenschaft erwähnte innere Reibung (Viskosität, Zähigkeit) ist bei den Flüssigkeiten außerordentlich stark ver- schieden. Da sie auch bequem und genau gemessen werden kann, so ist sie sehr genau untersucht, üeber die Definition der Flüssig- keitsreibung vgl. die Artikel „Reibung" und „Flüssigkeitsbewegungen". Wir begnügen uns hier mit dem Satze, daß der Koeffizient der inneren Reibung die Dimension eines Produktes von Druck und Zeit hat. Gemessen wird er durch die Ver- schiebung einer Flüssigkeitsmasse gegen eine an einer Wand haftende Schicht dieser Flüssigkeit. Entweder läßt man also einen festen" Körper sich in einer Flüssigkeit be- wegen (fallende Kugel, rotierende Scheibe, rotierender Zylinder), wobei tatsächlich nicht der feste Körper an der Flüssigkeitsmasse reibt, sondern die an ihm festhaftende be- netzende Flüssigkeitsschicht (Methode von Coulomb), oder man läßt die Flüssigkeit durch eine lange enge Röhre strömen (Methode von Poiseuille), wobei sie eben- falls sich an einer dünnen Flüssigkeitshaut reibt. Die experimentelle Anordnung ist im letzten Falle bedeutend einfacher als im ersten, und sie wird in der Praxis fast ausschließlich benutzt. Man benutzt dazu die Ostwaldsche An- ordnung. Ein Rohr von der Form der Figur 1 enthält in der Kugel A eine passende Menge Flüssig- keit. Der Teil b ist kapillar, oberhalb und unterhalb der kleinen Kugel B befindet sich je eine Marke. Man saugt die Flüssigkeit bis über die obere Marke auf und beobachtet die Zeit des freiwilligen Ausflusses zwi- schen beiden Marken. Je nach der Zähigkeit wählt man die Größe von B und die Weite des Kapillarrohres verschieden. Für hohe Tem- peraturen, leichtflüchtige und hygroskopische Flüssigkeiten werden am oberen Ende des Apparates Verschlüsse angebracht, die Auf- saugen und Abfließen im geschlossenen Apparate ermöglichen. Das Produkt von Ausflußzeit und spezifischem Gewicht ist proportional der Viskosität. Um die Aus- messung der für den Proportionalitäts- faktor bestimmenden Dimensionen des Ka- pillarrohres zu vermeiden, bestimmt man nur relative Werte, indem man zunächst eine Flüssigkeit untersucht, deren Viskosität in absolutem Maße bereits bekannt ist. Das Verhältnis dieser Zahl zu der jeweils ge- fundenen ist gleich dem Proportionalitäts- faktor. Wegen des großen Temperatureinflusses (s. unten) nimmt man genaue Messungen in einem Thermostaten vor. Die Theorie dieser Methode verlangt ein langsames Ausfließen. Bei zu großer Ge- schwindigkeit tritt die sogenannte Turbu- lenz auf, die eine Verzögerung bewirkt. Näheres siehe im Artikel ,, Flüssigkeits- bewegungen". Es ist nun in neuerer Zeit wahrschein- lich geworden, daß für Vergleiche der ver- Flüssigkeiten 93 schiedenen Stoffe untereinander, insbesondere betreffs Abhängigkeit der Erscheinung von Temperatur, Druck und chemischer Zu- sammensetzung, der reziproke Wert der inneren Reibung, die Fluidität, geeigneter sei. Infolgedessen wollen wir in unseren Zahlenangaben den Wert der Fluidität mit- teilen. Die folgende Tabelle bezieht sich auf 20" und Atmosphärendruck und ent- hält den Koeffizienten 99 der Fluidität in absolutem Maße, d. h. in den Dimensionen sec/cm , , , . ., , ^^ r. — (vgl. den Artikel ,,Maß Messen"). und Stoff Wasser Aethyläther Aldehyd Aceton Pentan Hexan He p tan Methyljodid Aethyljodid Aethylbromid Aethylenbromid Brom 99,2 426,0 451,2 310,2 431,0 312,4 243,7 205,2 171,3 255,0 58,2 100,7 Tabelle 8. Stoff Aethylenchlorid Aethylidenchlorid MethyJenchlorid Chloroform (nilorkohlenstoff Methylalkohol AethylaJkohol Propylalkohol Methylformiat Aethylformiat Methylacetat Aethylacetat 120,0 204,0 229,5 177,2 103,1 169,2 84,0 44,3 288,2 249,0 262,5 222,2 Stoff Schwefelkohlenstoff Benzol Toluol Ameisensäure Essigsäure Essigsäureanhydrid Anilin Nitrobenzol Glycerin Schwefelsäure 272,5 154,0 170,5 56,1 82,0 rii.o 22,4 59,5 0,127 4,56 Ueber die, wie man sieht, zum Teil enormen Verschiedenheiten nach der che- mischen Konstitution wird im Artikel ,,Stöchiometrie" mehr gesagt. Man sieht jedenfalls, daß die ,, leichtbeweg- lichen" Flüssigkeiten, wie Aether und Pentan, eine sehr hohe, die ,, schwer beweglichen", wie Glycerin und Schwefelsäure, eine sehr kleine Fluidität haben. Der Unterschied der Flüssigkeiten in dieser Hinsicht tritt also schon bei oberflächlicher Betrachtung sofort hervor. Der Temperatureinfluß ist sehr groß. In erster Annäherung beträgt die Zunahme der Fluidität 1 bis 2 % pro Grad. An Formeln zur genauen Darstellung ist kein Mangel; sie beziehen sich aber, da sie aus älterer Zeit stammen, auf die Viskosität 7]. Außer den Reihenformeln von der Gestalt V=^Vo- (8) seien noch foloende erwähnt: tp— t t— ti' Hier bedeutet r/o die Viskosität bei der kritischen Temperatur to, tj die, bei der der Stoff unendhch große Reibung haben, also vollkommen starr sein würde (Graetzj. V =^3- (9) Hier ist a eine Konstante, T die absolute Temperatur (Batschinski). T = A.(7P— -+C (10) (7) 7] =a+bt+ct2. Hier ist 99 die Fluidität bei T; A, B, C sind empirische Konstanten (Bingham). Die Formel (10) ist sehr brauchbar. Als Beispiele seien die Konstanten A, B, C für einige Stoffe mitgeteilt, deren 99 für 20" in der obenstehenden Tabelle enthalten ist. Tabelle 9. Stoff A B c Wasser 0,27727 1263,3 278,80 Pentan 0,16544 1493,7 256,61 Chloroform 0,40697 4400,0 245,73 Schwefelkohlenstoff 0,26901 1675,1 282,23 Aceton 0,23871 8905,0 247,64 Essigsäure 0,42437 2716,8 291,81 Benzol 0,32052 2633,1 260,82 AethylaJkohol 0,28395 2398,6 298,39 Aethylacetat 0,27056 5361,2 • 257,20 Wahrscheinlich ist die folgende Gleichung (11) log^ --^ ^ deren beiden Seiten die Flüssigkeit ver- ^ schiedene Geschwin- „. digkeiten hat. Man ^^S- *• kann dieses Ueber- einanderweggleiten der beiden Flüssigkeitsteile auffassen als die Wirkung von dicht nebeneinanderliegenden Wirbehäden, welche die Flüssigkeit in der Richtung senkrecht zur Geschwindigkeitsdiffe- renz durchziehen (vgl. die Fig. 4). 4. Beschleunigung. Die Berechnung der Beschleunigung in einer strömenden Flüssigkeit ist eine wichtige Voraufgabe für Der transversale Anteil der Beschleunigung ist nichts anderes als eine Zentripetal- beschleunigung. Ist r der Krümmungs- radius der Stromlinie, so ist ihr Betrag W" gleich . Ist die Strömung nicht stationär, so resultiert aus ihrer zeitlichen Veränderung ein weiterer Beitrag zur Beschleunigung; er ist gleich der zeitlichen Aenderung, die die Geschwindigkeit an ein und demselben Orte erfährt. Der voUständige Ausdruck der Beschleunigung in kartesischen Koordinaten ist nach Euler Du öu , öu , öu , öu ' -d^-öl+^-öx + ^öy+^ö^ Dv (5) öv öv öv , öv dt = öt+^^öx+^öy+^öz Dw öw öw , öw , öw dt = ö-t+"öx+^öj^ + ^öz , Anmerkung: Der Ausdruck ^— heißt lo- kaler Differentialquotient, weil er die Verände- rung bei festgehaltenem Orte wiedergibt. Die Glieder u c^, V ^ usw. nennt man konvek- öx' öy tive Glieder, weil sie die Aenderung angeben, die von der Ortsveränderung (Konvektion) her- Du rühren. Die Summe von beiden. dt' wird sub- stantieller Differentialquotient genannt, weil er die Aenderung angibt, die ein bestimmtes Teilchen der Substanz bei seiner Bewegung erfährt. IL Dynamik. I. Druckgleichung. Das Fundament der Dynamik ist die Gleichung &aft = Masse X Beschleunigunc:. 106 Flüssigkeitsbewegung Als Kräfte kommen für die Flüssigkeiten in Betracht 1. Massenkräfte, wie z. B. die Schwerkraft, 2. Druckunterschiede, 3. Rei- biinjj:skräfte. i)ie Berücksichtigung der letzteren be- reitet häufig sehr große mathematische Schwierigkeiten und ist im übrigen in vielen Fällen wegen der Kleinheit der Reibungs- kräfte ohne Belang. Zur Berechnung der longitudinalen Beschleunigung, die vor allem von Wichtig- keit ist, wird nun in der Flüssigkeit ein Zylinderchen von der Länge ds und dem Querschnitt dF abgegrenzt, dessen Achse der Strömungsgeschwindigkeit parallel ist (Fig. 5). Ist Q die Dichte, d. h. die Masse der Volumeinheit, so ist die Masse des Teil- chens dm = p . dF . ds. Auf das Teilchen wirken nun die folgenden Kräfte : Erstens ein Druckunterschied. An dem stromaufwärts gelegenen Ende des Zy- linderchens habe der Druck den Wert p, er wirkt dann auf die dortige Endfläche dF mit einer Ki-aft p.dF; an dem strom- abwärts gelegenen Ende hat der Druck einen etwas veränderten Wert p -f r^ ds, so daß ^ ' öS ' sich also die resultierende Kraft aus den Drücken zu p dF - (p + ^J' ds) dF ^ - ^ . ds dF ^ ' ^ öS ^ ÖS ergibt. Auf die Flüssigkeit wirkt ferner eine Massenkraft, deren Wirkung auf die Massen- einheit genommen g sei ; schließt die Massen- kraft mit der Richtung der Stromlinie einen Winkel a ein, so ergibt sich in der Richtung der Bewegung eine Kraft p dF ds . g cos a. Aus der Gleichung: Beschleunigung = Kraft: Masse wird nun dw dT 1 öp -+gcosa. Für stationäre Bewegungen ist dw _ ö/w2\ dt "" ös\ 2 r führt man ferner unter der meist zu- treffenden Yoraussctzunc, daß als allei- nige Massenkraft die Schwerkraft wirkt. g also räumlich und zeitlich konstant ist, für cos a — — ein (vgl. Fig. 6), so sind -dz |^^<^ Fig. 6. sämtliche Glieder Differentialquotienten nach s, und man kann deshall) die Gleichung längs einer Stromlinie integrieren. Man erhält so die Gleichung w^ p const. (6) Diese Gleichung wird Bernoullische Gleichung oder auch ,, Druckgleichung" genannt und bildet die Hauptgleichung für die eindimensionale Behandlung in der Hydraulik. Sie ist aber auch für die ganze Hydrodynamik von fundamentaler Bedeu- tung. Dividiert man alle Glieder der Glei- chung mit g, so bekommen alle Glieder die Dimension einer Länge und erhalten dadurch besonders anschauliche Bedeutung. Wenn man noch beachtet, daß Qg = y das Ge- wicht der Volumeneinheit ist, so ergibt sich folgende Form für die Bernoullische Glei- chung: (6a) w^ p TS- -f + z = const. 2g y Das erste Glied ^ , die Geschwindigkeits- höhe genannt, ist aus den Fallgesetzen be- kannt. Sie ist diejenige Höhe, aus der ein Körper herabfallen muß, um die Geschwindig- keit w durch den freien Fall zu erlangen, und ist auch gleichzeitig diejenige Höhe, zu der ein Körper ansteigen kann, wenn er mit der Geschwindigkeit w senkrecht aufwärts geworfen wird. Das zweite Glied -, Druck- höhe genannt, ist aus der Hydrostatik als diejenige Höhe bekannt, die eine Flüssig- keitssäule haben muß, um durch ihr Ge- wicht den Druck p zu erzeugen. Der dritte Summand, die Ortshöhe, ist die Höhe des betrachteten Punktes über einer irgendwie festgesetzten Horizontalebene. Nach der B er noulli sehen Gleichung ist also die Summe der drei Höhen in der ganzen Erstreckung einer Stromlinie konstant. Der Wert der Konstanten kann dabei von Strom- Flüssigkeitsbewegung 107 liiiie zu Stromliuie verschieden sein, und ist es insbesondere, wenn die Stromlinien ver- schiedenen Ursprung haben. Kommen alle Stromlinien aus einem Raum, in dem sta- tische Verhältnisse (das ist Ruhe oder gleich- förmige Bewegung) herrschen, so ist die Konstante für alle Stromfäden dieselbe, es gilt also die Bernoullisclie Gleichung ein- heitlich für das ganze Gebiet. Dieser be- sondere Zustand ist identisch mit der im nächsten Abschnitt behandelten Potential- bewegung. Im Falle der Hydrostatik ( ^ = 0| würde p sein -|-z=const. Führt man die Differenz p*=p — p' ein, d. h. beachtet man nur den Betrag, um den sich der Druck im Falle der Bewegung von dem im Falle der Ruhe unterschei- det, so gilt demnach hierfür die Beziehung: w2 p* f^ + ^— = const. 2g 7 Durch diesen Kunstgriff erscheint die Wirkung der Massenki-aft (Schwere) ausgeschaltet. Tat- sächlich erfolgt auch die Bewegung im Innern einer Flüssigkeit (da die Flüssigkeitsteilchen durch den hydrostatischen Druck ausbalanziert sind) gerade so, als ob die Schwerkraft nicht auf sie wirkte. Die Wirkungen der Schwerkraft sind dagegen nicht zu vernachlässigen bei der Be- wegung einer freien Flüssigkeitsoberfläche, bezw. bei der einer Grenzfläche zwischen zwei Flüssig- keiten von verschiedener Dichte. Hier ist die Schwere geradezu bestimmend für die Bewegung. Im folgenden soll, wo überall es angängig ist, einfachheitshalber die Wirkung der Schwere außer Betracht gelassen werden. Die Druckunterschiede quer zur Strö- mungsrichtung regeln sich nach der Trans- versalbeschleunigung der Flüssigkeit; es ist, wie sich leicht ergibt, ein Druckanstieg von der Größe bp w^ öS' = ^ r in der Richtung der äußeren Hauptnorniale der Stromlinie vorhanden. Ist die Strom- linie gerade, so kann kein Druckunterschied quer zur Stromlinie vorhanden sein. Der Zusammenhang der Druckverteilung mit der Geschwindigkeitsverteilung ergibt sich demnach bei stationärer Bewegung so, daß der Druck unter sonst gleichen Um- ständen um so kleiner ist, je größer die Geschwindigkeit, und daß er seinen größten Wert da erhält, wo die Geschwindigkeit gleich Null ist. Einer Geschwindigkeits- zunahme in der Stromrichtung entspricht ein Druckabfall (er dient zur Besclileuuigung), einer Geschwindigkeitsabnahme ein Druck- anstieg (erzeugt durch die Trägheitswirkung der Verzögerung). Quer zur Stromlinie ist ein Druckabfall nach der konkaven Seite der Stromlinie, ein Anstieg nach der kon- vexen Seite vorhanden. Ist die Strömung nicht stationär, so ist eine Steigerung der Geschwindigkeit mit einem Druckabfall in der Strömnngsrichtung, eine Verlangsamung mit einem Druckanstieg verbunden. Einige einfache Beispiele : a) Ausfluß aus einem Gefäß unter dem Einfluß der Schwere (Fig. 7). Die Stromlinien stehen bei A unter dem Atmosphären - druck Po, bei B (wegen der Parallel- bewegung im Strahl) ebenso ; es ist also (wenn die Geschwin ^T Fig. digkeit bei A vernachlässigbar klein ist): W" / ,, = Za — zb = h, oder w = ]'2gh (T 0 r r i c e 1 1 i sches Theorem), b) Ausfluß unter einem Ueberdruck Gefäß (Fig. 8). Herrscht innen der Druck pi außen pa, so ist oder w = |/2(Pi-P2) = ^2g(pj-p^) c) Befindet sich in einer gleichförmigen Flüssigkeitsströmung (Geschwindigkeit Wo) ein Hindernis, so bildet sich an irgendeiner Stelle der vorderen Seite des Hindernisses eine Stauung aus, innerhalb deren sich die Strömung nach allen Richtungen zerteilt (s. Fig. 9). In der Mitte dieser Stauung, im ,, Staupunkt", ist die Ge- schwindigkeit relativ zum Hindernis gleich Null. Der Druck pi im Staupunkt ist demnach, wenn Po der Druck der ungestörten Flüssigkeit ist, Wesen Po Pi = Po + P Diese Beziehung wird zur Messung von Strö- mungsgeschwindigkeiten benutzt, vgl. Anhang b). 2. Eulersche Gleichungen. Potential- bewegung. In der mathematischen Theorie der reibungslosen Flüssigkeit wird das Grund- gesetz der Dynamik: „Masse X Beschleuni- gung --= resultiereiule Kraft" durch die von 108 Flüssigkeitsbewegimg' Leonhard Enler aufgestellten Gleichungen zum Ausdruck gebracht. Ist p der Druck, Q die Dichte, und sind X, Y, Z die Kompo- nenten der Massenkraft g, so werden die Beschleunigungen in den drei Koordinaten- richtungen (vgl. I, 4) (7) Du dt ~ 1 öp Q ÖX Dv dt = 1 öp 0 öy Dw 1 öp g ÖZ + x --^+ Y + Z Diese Gleichungen bilden zusammen mit der Kontinuitätsgleichung die vollstcändige mathematische Definition der idealen rei- bungsfreien Flüssigkeit. Sehr wichtig ist nun der Satz von La- grange, daß eine ideale homogene Flüssigkeit, wenn sie keine Drehung (vgl. I, 3) besitzt. unter der Wirkung von Druckkräften und von drehungsfreien Massenkräften niemals eine Drehung erlangen kann (die hauptsäch- lichste Massenkraft, die Erdschwere, ist bekanntlich immer drehungsfrei, besitzt ein Potential). Bewegungen aus der Ruhe heraus sind demnach immer drehungsfrei. Nach I, 3 läßt sich die Strömunc; in solchen Fällen immer durch ein Potential ^ darstellen, was eine außerordeiitliche Ver- einfachung der Aufgabe ist. Damit durch ein solches Potential eine mögliche Flüssig- keitsbewegung dargestellt wird, ist nur er- forderlich, daß die aus dem Potential ab- geleiteten Geschwindigkeiten der Kontinuität genügen. Die mathematische Bedingung hierfür ist: ,„, ö^^ ö2^ ö2$ (^) ölc^+öy-^ + öz^-Ö. Ein Gewinn dieser Darstellung, den man nicht hoch genug einschätzen kann, ist darin zu sehen, daß man wegen des linearen Charakters der Gleichung durch Addition von zwei behebigen Lösungen #1 und ^2 immer wieder neue Lösungen gewinnen kann. (Bei den Bewegungen mit Drehung ist dies nicht mehr der Fall.) Sind bei einer Flüssigkeitsströmung die Geschwindigkeiten überall parallel zu einer Ebene, und ist die Strömung in senkrecht übereinanderliegenden Punkten aller Parallel- ebenen dieselbe, so spricht man von einer „ebenen Strömung". Zur Darstellung einer ebenen Strömung ge- nügen zwei Koordinaten x und y. Das Strö- mungspotential muß hier der Gleichung 02$ ö2$ Öx2 + Öy2 ^' ^ genügen. Für diese Gleichung kennt man sehr viele Lösungen, indem nämhch sowohl der reelle wie auch der imaginäre Teil einer jeden analytischen Funktion der komplexen Größe x+i y eine Lösung darstellt. Schreibt man ^+i W = f(x+i y), so ist, wenn $ als Potential genommen wird, W die sogenannte ,, Strom- funktion". Diese ist der zwischen dem jeweils betrachteten Punkte und einem festen Punkte (*P = 0) in der Zeiteinheit hindurchströmenden Flüssigkeitsmenge proportional; die Linien W= const. sind deshalb Stromlinien. Durch die große Beweglichkeit dieser mathematischen Methode hat man bei der ebenen Strömung eine große Reihe schwieriger Aufgaben erledigen können, deren Durchführung bei der räumhchen Strömung unüberwindliche Hindernisse entgegen- stehen. Aus den Euler sehen Gleichungen er- gibt sich für die drehungsfreie Bewegung durch Integration die „Druckgleichung" in der Form: |f+^(u»+v= + w=) + |~U=t(t). U ist hierbei die Kräftefunktion der Massenlvraft (im Fall der Erdschwere = — gz); f(t) ist eine I willkürliche Funktion z [\ \ * A'^^ ! der Zeit, die aus- drückt , daß durch 1 Einwirkungen auf die I Oberfläche der Flüs- I sigkeit der Druck im ganzen Räume gleich- p- q zeitig um willkür- liche Beträge geändert werden kann. Beispiele: a) Bewegung um einen Stau- punkt: Es sei # = a [^" (x^ + y^) ^ zA so ist u = ax, V = ay, w = — 2 az. Die Strom- linien sind kubische Hyperbeln (vgl. Fig. 9). Es ist, wie es sein muß: öu öv I öw _ „ ÖX öy ÖZ Ist die Bewegung stationär, so ist der Druck konstant auf Ellipsoiden: x-+y2 + 4 z- = const. b) Quellen und Senken. Dem Potential N?= + - (r = Entfernung von einem festen Punkte 0) entspricht ein Abströmen von dem Punkt 0, in der Richtung des Radius (oder ein Zuströmen) mit Geschwindigkeiten + ,, wie es dem Entstehen oder Verschwinden von Flüssig- keit im Punkte 0 entspricht; die in der Zeiteinheit entstehende oder verschwindende Flüssigkeits- menge ist = Att. c. Diese Lösung ist sehr viel- seitig zu verwenden, auch da, wo es sich niolit, wie bei der Bewegung um eine sich aufblähende oder zusammenziehende Kugel (vgl. III sd), um ein wirkliches Entstehen oder Verschwinden von Volumen handelt. 109 oewegu sich ein stabförmiger Körper in der i / a^\ Flüssigkeit mit der Geschwindigkeit V vorwärts, keit V strömenden Flüssigkeit ist * = Vx( 1 + 2^3 ) so wird an seinem vorderen Ende Flüssigkeit An der Kugeloberfläche erfolgt die Strömung verdrängt an seinem hinteren Ende tließt sie längs den Meridianen, die Geschwindigkeit ist in dem freigeschlossenen Räume zusammen 3 (vgl. Fig. 10). Eine Flüssigkeitsbewegung, die wt^-gVsinqp; sie ist also am Aequator am 3 größten, nämlich ^^V; die beiden Pole sind Stau- Fig. 10. diesen Verhältnissen Rechnung trägt, wird in der 1 Tat erhalten, wenn man FV . setzt, wo c = ,— ist (F 47t Querschnitt des Stabes). Betrachtet man diese Bewegung, die zunächst wegen der mit dem Körper vorrückenden Ge- schwindigkeitsverteilung nicht stationär ist, von einem Punkt aus, der sich mit dem Körper bewegt, so erhält man eine stationäre Bewegung, Fig. 11. für die der Körper in Ruhe ist, und der Flüssig- keitsstrom an dem Körper vorbeigleitet. Mathe- matisch wird #' = Vx+C? diese Strömung dar- stellen. Ihre Stromlinien sind in Figur 11 wieder- gegeben. An Hand der Druckgleichung überzeugt man sich, daß der Druck dem in der Figur gezeichneten Verlauf entspricht. Fig. 12. punkte. Der Druck ist, gleichförmige Bewe- 1 gung vorausgesetzt, an den Polen um ^ e V^ 5 größer, am Aequator um ^ q V'^ kleiner als in der ungestörten Flüssigkeit. d) Ebene Bewegung. Als Beispiele für die ebene Strömung mögen die folgenden an- geführt werden, die die Beweglichkeit der kom- plexen Methode deutlich erweisen. Grenzen zwei ebene Wände unter einem Winkel a anein- ander, so wird das komplexe Po tentialZ=^ + i'P", wenn x+iv = z gesetzt wird, Z = A.z" (vgl. die Figuren 13 bis 17). Die Geschwindigkeit in der Ecke ist für cc< 71 Null, für u>7c unendlich. Die Strömung um einen Kreiszylinder vom / a^\ Radius a wird gegeben durch Z = V(z+ — j. Da man nach den Methoden der Funktionentheorie eine große Anzahl geometrischer Figuren auf Fis:. 13. mw^^^k^^xmskwskx^ mmmmki>k».mmmkm Z=A 2' Fig. 14. oC = JT Z = A 2 Fig. 15. c) Bewegung einer Kugel. Für eine Kugel j den Kreis ,, abbilden" kann, und durch dieses vom Radius a, die sich mit der gleichförmigen Abbildungsverfahren sich Potential und Strom- oder beliebig ungleichförmigen Geschwindigkeit 'linien der drehungsfreien Bewegung richtig mit V in der Richtung der neeativen X-Achse be- j abbilden, lassen sich die Potentialbewegungen a^x ^ für Umströmung einer großen Anzahl von wegt,ist$=V. 2j3' wobei r=yx2+y2+z2 ist; für I Zylindern berechnen, die solche Figuren zum eine ruhende Kugel in einer mit der Geschwindig- Grundriß haben. 110 Flüssigkeitsbewegimg Anmerkung. Bei dieser Abbildung ent- j spricht jedem Punkt der ursprünglichen Ebene 1 ein Punkt der abgebildeten und daher jeder , Linie wieder eine Linie. Die kleinsten Teile der Figuren werden geometrisch ähnlieh ab- gebildet, daher der Name konforme oder winkeltreue Abbildung, e) Potentialbewegung mit Zirkula- tion. Ein besonderes Interesse beanspruchen Bewegungen von der Art der bereits in J, 3 an- gedeuteten drehungsfreien Umlaufsbewegungen. Man erhält eine Strömung in konzentrischen Kreisen mit Geschwindigkeiten w=j. , durch das in Polarkoordinaten (r und cp) ausgedrückte Po- tential ^^ccp (in komplexer Form: Z=— iclnz) (vgl. Fig. 18). _ Daß die Bewegung ein Um- laufen der Flüssigkeit in konzentrische Bah- nen (einen Wirbel) darstellt, widerspricht keineswegs der Dreh- ungsfreiheit. Denn die Aussage, daß die Be- wegung drehungsfrei ist, bezieht sich nur auf den augenblick- lichen Bewegungszustand jedes Flüssigkeits- teilchens. Anmerkung: Der Bewegungszustand unterscheidet sich voa der gewöhnlichen Potentialbewegung allerdings dadurch, daß die Zirkulation hier nicht Null ist; sie ist für f) Unstetige Potentialbewegung (Be- wegung mit Trennungsflächen). In der theoretischen Hydrodynamik werden — nach einen Ki'eis r= '>7rr = 27tc ; den gleichen Wert hat sie für alle beliebigen, die Achse einmal umschlingenden Linien ; er entspricht dem Zu- wachs des hier vieldeutigen Potentials bei einem Umlauf. Die Umlaufbewegung, die in dieser Weise um einen Kreis vom Radius a vor sich geht, läßt sich durch das in d) erwähnte Abbildungs- verfahren auf beliebige andere Zylinder über- tragen. Durch Kombination der in d) und e) beschriebenen Strömungen erhält man Strö- mungen, die für das Verständnis der Verhält- nisse an einer Aeroplanfläche von Wichtigkeit sind. Die Figuren 19 bis 21 geben hiervon ein Beispiel. Fig. 21. Kombinierte Strömung. dem Vorgange von Helmholtz — Bewegungen betrachtet, bei denen längs einer „Trennungs- fläche" (vgl. I, 3) Flüssigkeitsteile mit endlich verschiedenen Geschwindigkeiten aneinander grenzen. Rechnerisch durchführbar sind in der Hauptsache nur ebene Strömungen, und bei diesen sind, von Wellenbewegungen (III, 1) ab- gesehen, fast nur solche Fälle behandelt, bei denen die Flüssigkeit auf der einen Seite der Trennungsfläche in Ruhe ist. Die Druckgleichung liefert hier sofort das Resultat, daß dann auf der anderen Seite der Trennungsfläche die Ge- schwindigkeit konstant ist. In solchen Fällen verhilft der Umstand zur Lösung, daß das Ge- schwindigkeitsbild (d. h. eine Auftragung der zu den einzelnen Flüssigkeitsteilchen gehörigen Geschwindigkeits Vektoren, auch Hodograph genannt) bei der komplexen Methode als eine konforme Abbildung des Strömungsbildes auf- gefaßt werden kann. Es sind wesentlich solche Aufgaben gelöst worden, bei denen die Grenzen des Flüssigkeitsstromes zum Teil aus ebenen Wänden bestehen, bei denen die Richtung der Geschwindigkeit vorgegeben ist, zum anderen Teil aus „freien Grenzen", bei denen die Größe der Geschwindigkeit vorgeschrieben ist. Der Hodograph hat dann immer einen Kreissektor zum Umriß. Zwei Haupttypen solcher Strö- mungen sind „Flüssigkeitsstrahlen", die sich beim Ausströmen von Flüssigkeit zwischen zwei ebenen Wänden bilden, und Umströmung von Platten mit einem hinter den Platten befindlichen „Totwasser", vgl. Figur 22 und 23. Fig. 19. Gewöhnliche Potentialströmung. 20. Zirkulationsströmung. Fig. 22. An den Figuren sind die Hodographen beigefügt, wobei die sich entsprechenden Punkte durch gleiche Buchstaben bezeichnet sind. Untersuchungen über den Bewegungszustand einer schwach gewellten Trennungsschicht zeigen, daß die Wellen sehr schnell anwachsen. Man schließt daraus, daß Trennunii;sschicliten labil sind. In der Tat zeigen die Beobachtungen, daß Flüssigkeitsbewegung 111 Trennungsschichten, wo sie auftreten, sehr schnell in einzelne unregelmäßige Wirbel zer- fallen. Fig. 23. 3, Dynamik der Bewegung mit Drehung. Der allgemeine Fall der Bewegung einer reibungslosen Flüssigkeit, die Bewegung mit Drehung, ist weit schwieriger mathematisch zu beherrschen, als der der drehungsfreien Bewegung. Wären die wirldichen Flüssig- keiten vollkommen reibungslos, so würde seine Behandlung wenig Wichtigkeit haben, da durch äußere Einwirlvung auf die Flüssig- keit niemals eine Drehung entstehen könnte. Faßt man jedoch die Theorie der reibungs- freien Flüssigkeit als eine — in vielen Fällen recht brauchbare — Annäherung für wirk- liche Flüssigkeitsbewegungen auf, so gewinnt die Behandlung der drehenden Bewegung große Bedeutung, um so mehr, als bereits eine beliebig kleine Flüssigkeitsreibung ge- nügt, im Laufe von einiger Zeit starke Dreh- bewegungen in einer Flüssigkeit hervor- zurufen (vgl. II, 5e). Die Theorie vermag hier einige allgemeine Sätze aufzustellen, die zur qualitativen Beurteilung der Ver- hältnisse sehr nützlich sind; bis zu einer quantitativen Darstellung des einzelnen Vor- ganges vermag sie nur in besonders einfachen Fällen vordringen, so z. B. wenn sich nur einzelne Wirbelfäden von einfacher geo- metrischer Gestalt in einer sonst drehungs- freien Flüssigkeit befinden. Vorangestellt werde ein Satz von W. Thomson (Lord Kelvin): „Die Zirku- lation längs einer flüssigen Linie ist in einer reibungslosen Flüssigkeit zeitlich konstant." Unter einer „flüssigen Linie" ist dabei eine Linie verstanden, die beständig aus den- selben Flüssigkeitsteilchen besteht. Der Satz, der eine Folgerung der Eul er sehen Glei- chung ist, gibt zusammen mit den in I, 3 behandelten kinematischen Sätzen über ,, Zir- kulation" eine gute Anschauung von den Vorgängen. Insbesondere folgen aus ihm die berühmten Sätze von Helmholtz, die dieser auf anderem Wege gewonnen hat. Diese Sätze lauten: 1. Jede Wirbellinie enthält dauernd die- selben Flüssigkeitsteilchen. 2. Die Wirbelstärke (I, 3) ist auf jedem Wirbelfaden räumlich und zeitlich konstant. Zum Beweise wendet man den Thomson- schen Satz auf kleine geschlossene Linien an, die in einer Wirbelröhre (also in der Wandung eines Wirbelfadens) verlaufen. Für Linien, die den Wirbelfaden nicht umschlin- gen, ist die Zirkulation gleich Null; daraus^ daß sie nach Thomson Null bleiben muß, schließt man, daß die Flüssigkeitsteilchen einer Wirbelröhre dauernd eine Wirbelröhre bilden müssen (erster Satz). Daraus, daß für Linien, die den Wirbelfaden umschlingen, die Zirkulation konstant bleibt, folgt dann der zweite Satz. Aus dem ersten Satze wird entnommen, daß jedes Element eines Wirbel- fadens sich so in der Flüssigkeit verschiebt; als es die übrige Flüssigkeitsbewegung für ein Teilchen am gleichen Orte vorschreibt; aus dem zweiten folgt dabei, daß die Winkel- geschwindigkeit der Drehung bei einer Streckung oder Verkürzung des Wirbel- fadenelementes sich proportional mit seiner Länge ändert (die Länge und die Winlcel- geschwindigkeit sind beide umgekehrt pro- portional dem Querschnitt). Beispiele: a) Für gerade und parallele Wirbelfäden in einer sonst drehungsfreien Flüssigkeit sind die Beziehungen besonders ein- fach. Jeder Faden bewegt sich so, wie die übrigen es ihm vorschreiben. Jeder erteilt ihm eine Geschwindigkeit umgekehrt proportional seinem Abstände und senkrecht zur Verbindungslinie. Bei zwei parallelen Wirbelfäden ergibt sich ein Kreisen der beiden um diejenige Achse, in die die resultierende Ivraft fallen würde, wenn in den Wirbelachsen Kjäfte proportional den Wirbelstärken angebracht wären (gleich ge- richtete Kräfte, wenn die Wirbel gleichsinnig, und umgekehrt gerichtete, wenn die Wirbel von ungleichem Drehsinn). Für zwei entgegengesetzt umlaufende gleichstarke Wirbel (ein ,, Wir bei- paar") ergibt sich ein geradliniges Fortwandern senkrecht zur Verbindungslinie mit der Ge- p schwindigkeit ^-^ (d = Abstand der Wirbel- achsen). b) Bei kreisförmigen ,, Wirbelringen" ergibt sich durch die Krümmung des Wirbelfadens ein schnel- leres Fortschreiten als beim Wirbelpaar, und zwar um so schneller, je kleiner der Durchmesser der mit Dre- hung behafteten „Wirbel- seele" ist (die Geschwin- digkeitist2^^^(ln^;J-|), wo d der Durchmesser des jrjg. 24. Ringes und dj der der Seele ist. Zwei Wirbelringe mit gemeinsamer Achse , die Sinn bewegen sich im gleichen wirken so aufeinander ein, daß 112 Flüssigkeitsbewegung der vordere sich erweitert, der hintere aber sich zusammenzieht; dadurch nimmt die Fort- schreitungsgeschwindigkeit des vorderen ab, die des hinteren zu ; der hintere schlüpft schließlich durch den vorderen hindurch, und es beginnt das Spiel mit vertauschten Rollen von neuem. Zwei auf derselben Achse gegeneinander bewegte gleiche Wirbelringe vergrößern bei ihrer An- näherung ihre Durchmesser mit fortwährend wachsender Geschwindigkeit, und verlang- samen dabei ihre Bewegung so, daß sie nicht mit anderen in Berührung kommen. Da sich die mittlere Ebene zwischen den beiden Wirbel- ringen hierbei wie eine feste Wand verhält, so gilt das gleiche von einem gegen eine Wand prallenden Wirbelring. Von den Wirbelringen ist bewiesen wor- den, daß sie gegen kleinere Störungen stabil sind und Schwingungen um die normale Lage wie um eine Gleichgewichtslage aus- führen können. In der Tat beobachtet man an den bekannten Rauchringen, daß sie so lange zusammenhalten, bis die in Wirklichkeit vorhandene Reibung ihre Bewegung aufge- zehrt hat. c) Die in II, 2, Beispiel e) beschriebene Potentialbewegung mit Zirkulation ist in dieser Form nur möglich, wenn der Körper, um den die Zirkulation stattfindet, von einem Ende der Flüssigkeit bis zum anderen reicht (oder allgemeiner: wenn er den von der Flüssig- keit erfüllten Raum zweifach zusammenhängend macht). Bei einem allseitig von der Flüssigkeit umgebenen Körper, z. B. einem Aeroplan, ist eine Bewegung mit Zirkulation nur möglich, wenn von beiden Enden des Körpers Wirbelfäden ausgehen, deren Zirkulation mit der der Be- ~-~^ den Grenzflächen eines Gebiets enthalten, und man deshalb aus ihnen auch Schlüsse auf Vorgänge ziehen kann, deren Einzel- heiten man nicht vollständig beherrscht. Unter Impuls oder Bewegungsgröße einer Masse versteht man das Produkt aus Masse und Geschwindigkeit (der Impuls ist ein Vektor und hat daher genau wie die Ge- schwindigkeit drei Komponenten). Es ist die zeitliche Aenderung des Impulses gleich der an der Masse angreifenden Kraft. In der Mechanik wird nun gezeigt, daß bei der Summierung über alle Massen eines mechanischen Systems alle inneren Kräfte des Systems sich fortheben, und nur die äußeren (von nicht zum System gerechneten Massen herrührenden Kräfte) übrig bleiben. Die Aenderung der Bewegungsgröße einer irgendwie abgegrenzten stationär bewegten Flüssigkeitsmasse besteht nun allein darin, daß die Grenzen der Flüssigkeitsmasse sich durch die Bewegung verschieben; im Innern ist jedes Flüssigkeitsteilchen durch ein anderes ersetzt, das seine Geschwindigkeit angenommen hat. Was an den Grenzen vor sich geht, mag an einem Stromfaden gezeigt werden. In der Zeit dt verschwindet bei A Fig. 25. wegung um den Körper übereinstimmt. Die beiden Wirbelfäden bilden in einiger Entfernung vom Aeroplan ein Wirbelpaar, das sich mit der Geschwindigkeit ^— ^ abwärts bewegt; die Di- stanz d ist dabei ungefähr gleich der Spannweite des Aeroplans. 4. Impulssätze für stationäre Bewe- gungen. Die Impulssätze der allgemeinen Mechanik, die unter dem Namen Schwer- punkts- und Flächensätze sehr bekannt sind, finden eine eigenartige Anwendung auf die stationären Bewegungen der Flüssig- keiten, wie auch auf Bewegungen nicht stationärer Art, deren zeitliche Mittelwerte als stationäre Bewegung angesehen werden können. Der Wert der Impulssätze besteht darin, daß sie nur Aussagen über Zustände an Fig. 26. und tritt hinzu bei B die Masse dm = ^FAWAdt = ^FßWBdt. Zur gesamten Impulsänderung liefert der Stromfaden bei B in der Zeit dt den positiven Beitrag dm.Wß, in der Zeit- einheit also -rrWB = ^FBWB" (in der Rich- tung von wb), bei A ähnlich den negativen Beitrag — x,r wa = — ^FaWa" (in der Rich- tung entgegengesetzt zu wa). Als Kräfte j kommen im Fall der Reibungslosigkeit außer , etwaigen Schwerlviäften lediglich die Drücke auf die Grenzflächen in Betracht. Will man I nicht die Kräfte haben, die von außen auf die Flüssigkeitsmasse ausgeübt werden, son- \ dern die Gegenwirkungen der Flüssigkeit, I ihre Reaktionen, so braucht man nur in den obigen Beziehungen die Vorzeichen umzu- kehren. Es entspricht also der Flüssigkeits- strömung in Figur 26 bei A eine Reaktion von der oben genannten Größe in der Richtung der eintretenden Strömung, bei B eine Reak- tion entgegengesetzt der Richtung der austretenden Strömung. Um die Impulssätze richtig anzuwenden, muß die fragliche Flüssigkeitsmasse zweck- Flüssigkei tsbewegung 113 mäßig mit einer geschlossenen Fläche, der „Impulsfläche" oder „KontrolKläche" um- geben werden (diese ist in einigen der folgen- den Figuren durch kenntlich ge- macht), und es müssen für alle ein- und austretenden Stromfäden die vorstehenden Eeaktionen gebildet werden. Die Keaktions- j kräfte müssen dann nach den Kegeln der t Statik mit sämtlichen äußeren Kräften ein | Gleichgewichtssystem bilden, d. h. es muß sowohl die Kräftesumme wie auch die Momentensumme der Ivräfte für alle Ko- ordinatenachsen gleich Null sein. Sehr häufig ist es übrigens nur eine Komponenten- gleichung, die bei den speziellen Aufgaben interessiert. Anmerkung: Im Falle nicht stationärer Bewegungen kommt noch ein weiterer Beitrag hinzu, der von der Impulsänderung im Innern der Flüssigkeit herrührt. Wenn, wie häufig bei turbulenten Bewegungen, die nicht stationäre Bewegung einen gleichbleibenden Mittelwert der Bewegungsgröße besitzt, so lassen sich die Impulssätze wie bei stationären Bewegungen anwenden. Beispiele: a) Keaktion einer] durch einen gekrümmten Kanal strömenden Flüssigkeit. Die Flüssigkeit ströme (vgl. Fig. 27) mit einer Geschwindigkeit w^ und Da dieser Impuls ein Aequivalent in der Druck- verteilung haben muß, folgt hieraus, daß durch den Wegfall des Ueberdrucks auf die Oeffnung und die Druckabsenkung infolge der Zuströmung zur Oeffnung ein gesamter Ausfall an Wandungs- druck gegenüber dem geschlossenen Gefäß ent- sprechend dem zweifachen Strahlquerschnitt entsteht. Dieser Druckausfall macht sich als Rückdruck, als ,, Reaktion des ausfließenden Strahles" bemerkbar. In einem besonderen Falle, nämlich dem der ,, Bordaschen Mündung" (vgl. Fig. 28) läßt sichaus der Größe des Impulses die einem Drucke p dann ist nach dem Fig. 28. sogenannte Kontraktionsziffer, das ist das Ver- hältnis des Strahlquerschnittes zum Lochquer- schnitt bestimmen. Da nämlich hier auf allen Wandflächen, deren Druckkräfte Komponenten in der Strahlrichtung besitzen, der volle Ueber- druck herrscht , muß der Wegfall des Ueberdruckes im Mündungsquerschnitt dem Strahlimpuls gleich sein, also F(pi— p.^) = 2F.s(Pi— p.), oder Fs:F= ■ • c) Plötzliche Erweiterung. Tritt ein Flüssigkeitsstrom mit der Geschwindigkeit \\\ aus einem zylindrischen Rohrstück in ein weiteres, ebenfalls zylindrisches Rohr ein, so wird der Strahl sich, weil er labil ist (vgl. II, 2f), mit der umgebenden Flüssigkeit vermischen, und nach der Vermischung ungefähr gleichförmig mit einer mittleren Geschwindigkeit w« abströmen. uiiieiu i'iiiLKe Pj ein, Liaim iot juv^ii ^.^^ oben Auseinandergesetzten der Impulstransport durch die Fläche Fi = pFi^i'; er ist gleich- bedeutend mit einer von der einströmenden Flüssigkeit in ihrer Richtung ausgeübten Kraft. Dazu kommt noch eine Druckkraft in der gleichen Richtung gleich PiFj. Eine entsprechende Kraft FoXqwo- + P2) findet man am Ausströmungsende des Kanals, hier ent- gegengesetzt der Geschwindigkeit (also immer nach dem Innern der Kontrollfläche gerichtet!). Durch die Resultante der beiden Kräfte ist die in Wirklichkeit durch Druckkräfte an der Wand erzeugte Kraftwirkung des Flüssigkeitsstromes auf den Kanal gefunden. b) Reaktion ausfließender Strahlen. Ein Strahl, der durch eine Oeffnung aus einem Raum mit dem Druck pi in einen Raum mit dem Druck pa ausströmt, führt mit sich einen sekundlichen Impuls von der Größe J=pF8w2, wo Fs der Strahlquerschnitt ist; mit 1 ,y-1 2(pi-p,) (jj^ jb) wird J=2Fs(Pi-p,). ' Q ' Handwörterbuch der Naturwissenschalten. Band l\ Der Impulssatz erlaubt hier die Drucksteigerung p.,_pj zu berechnen, ohne daß die Einzelheiten des Vermischungsvorganges bekannt wären. Es ist für die in Fig. 29 gezeichnete Impuls- fläche, von der nur die beiden Stirnflächen Bei- träge zu den Kräften liefern, '!ä'(^^'i-^^-=)-F.(p.-pi), dt 1 ., dm oder mit -,- dt = CF2W2: = PWo(Wi — Wo). 114 Flüssigkeitsl>eAvegim,t Bei einer allmählich erweiterten Röhre wäre nach der Druckgleichung p/— pi=2^ (Wi—Ws-); durch die plötzliche Erweiterung ist demnacii ein Druckverlust pa'— Pa entstanden, der, wie leicht zu sehen, die Größe -^p(wi— Wo)^ hat. Da diese Formel mit der für den Verlust an kine- tischer Energie beim unelastischen Stoß fester Körper übereinstimmt, hat man vielfach von einem „Stoßverlust" bei der plötzlichen Er- weiterung gesprochen, obwohl hier von einem Stoßvorgang eigentlich nicht die Rede sein kann. d) Schwebenderhalten von schweren Körpern in Luft. Um in ruhender Luft eine Last schwebend zu erhalten, ist es nötig, fort- während immer neue Luftmassen nach abwärts zu beschleunigen. Ist w die erteilte Endgeschwin- digkeit und *-^ = M die in der Zeiteinheit in Bewegung gesetzte Masse, so ist, weil nennens- werte Druckunterschiede in den nach abwärts bewegten Massen nicht verbleiben, die erzielte Kraft gleich dem Lnpuls: P = Mw. Die Anwendung des Impulssatzes auf eine abwärts bewegte Luftmasse, die von ruhender Luft umgeben ist, lehrt, daß die Bewegung sich zwar auf größere Massen ausbreiten kann, daß dabei aber der gesamte Impuls unverändert bleibt. Die Bewegung setzt sich bis zum Erd- boden fort, wo die Luftmassen aufprallen und dabei den Impuls in Form von Druck an den Erdboden abgeben. Hieraus folgt, daß das Gewicht eines schweren Körpers (einer Flug- maschine) zwar durch Abwärtsbeschleunigen von Luftmassen beliebig lange in der Schwebe ge- halten werden kann, daß aber die durch ilas Schweben dem Erdboden entzogene Belastung nach einiger Zeit durch die abwärts bewegten Luftmassen dem Erdboden vollständig wieder zurückerstattet wird. Die abwärts bewegten Massen werden beim Aeroplan durch das in II, 3 c) erwähnte abwärts wandernde Wirbelpaar gebildet, bei der Hub- schraube durch einen nach abwärts gesandten Strahl. e)Eulersche Turbinengleichung. Durch eine Turbine ströme eine sekundliche Wassermasse M. Die absolute Ein- trittsgeschwindigkeit sei Wj, ihr Winkel mit der Bewegungsrichtung des Rades ß^, der Eintritts- radius r^; Wo, /52>i'2 seien die entsprechenden Größen für den Austritt, dann ist, gleichviel, was im Innern des Rades vor sich geht, das Dreh- moment, das vom Wasser auf die Turbine aus- geübt wird, gleich M(wirjCos^i — WoroCos/Jj). Die günstigsten Arbeitsverhältnisse ergeben sich dann, wenn der Austritt in radialer Rich- tung erfolgt, also cos/?o = 0 ist (weil dann die verlorene lebendige Kraft des austretenden Was- sers am kleinsten ist). Die Arbeitsleistung für diesen günstigsten Fall erhält man, wenn co die Winkelgeschwindigkeit des Rades ist, zu L = M roj w^cos/Jj. Bemerkung: Man hat ganz entsprechend den Impulssätzen auch Sätze über den Energie- transport in Flüssigkeitsströmungen aufgestellt. Diese sind in dem Artikel ,, Gasbewegung" dargelegt, da ihre Anwendung dort von größerer BecTeutung ist. 5. Flüssigkeitsreibung, a) Zum Verständ- nis des Wesens der Flüssigkeitsreibung oder Zähigkeit sei zunächst folgendes ein- fache Beispiel betrachtet: Von zwei paral- lelen Platten, zwischen denen sich Flüssig- keit befindet, bewege sich die eine mit der Geschwindigkeit V in ihrer Ebene, während die andere in Ruhe ist (vgl. Fig. 31). Unter der Wirkung der Reibung' stellt sich dann in der Flüssigkeit ein solcher Bewegungs- zustand ein, daß die unmittelbar an den Fig. 30. Platten befindlichen Schichten dieselbe Geschwindigkeit haben wie die Platten, die zwischenliegenden Schichten aber mit Ge- schwindigkeiten, die dem Abstand von der ruhenden Platte proportional sind, über- einander weggleiten (u=^.V). Die Flüssig- keitsreibung äußert sich dabei durch eine Kraft, die der Bewegung der oberen Platte widersteht und die für die Flächeneinheit V der Platte die Größe z = /u— hat. In etwas allgemeinerer Formulierung ist die bei dem Uebereinanderweggleiten erzeugte Schub- spannung Xy (oder Txy) = ^ (Jy (9) (vgl. den Artikel „Elastizität", I, i). Die Größe /t heißt Koeffizient der Flüssig- keitsreibung oder Zähigkeitsmaß. Die Kenntnis dieser Tatsache genügt bereits, um einige einfache Fälle zu be- handeln, bei denen die Bewegung ebenfalls in einem einfachen Uebereinanderweggleiten von Schichten besteht („Laminarbewegung", von lamina = Schicht). Hierher gehört die Bewegung einer reibenden (,, zähen") Flüssig- keit in einem geraden Rohr von Ivreis- querschnitt. Die Druckdifferenz Pi— P2 bewirkt an einem zylindrischen Flüssigkeits- Flüssigkeitsbewegunf 115 körper vom Radius y (Fisj. 32) eine Kraft } diese Spannungen, die sich dem Flüssigkeitsdruck (Pi— P2) nf\ die auf der Mantelfläche 27ryllP überlagern, durch die Formeln: Fig. 31 eine Schubspannung pro Flächeneinheit T= -,-".^ hervorruft. Aus dem nach Gleichung (9) zu x gehörigen ~r- ergibt sich nun durch Integration unter Hinzufügung der Aussage, daß die äußerste Flüssigkeits- schicht an der Wand haftet, die Geschwindig- keitsverteilung zu u = -^ — T^ (r^ — V"); die Durchflußmenge, d. h. das in der Zeiteinheit durch die Röhre fließende Volumen, läßt Xx Yv = 2« Xy = Yx = fi /öu iöy Yz = Zv Zx = Xz: öv\ fix/ öw /öw öu\ (10) sich hieraus zu Q TTl* pi— P2 berechi 8,a • 1 Diese Formel ist für die Erkenntnis des Reibungsgesetzes von grundlegender Be- deutung gewesen, da sie sich durch das Experiment mit großer Genauigkeit nach- prüfen läßt; sie ergibt auch die besten Be- stimmungen des Zähigkeitsmaßes fi. Ihr Ergebnis, daß die Durchflußmenge dem Druckgefälle auf die Längeneinheit und der 4. Potenz des Rohrhalbmessers proportional ist, wurde von Poiseuille durch das Experi- ment gefunden. Das Gesetz führt deshalb seinen Namen. Es sei hier schon bemerkt, daß das Poiseuillesche Gesetz nur in engen Röhrchen bei allen praktisch erreichbaren Geschwindigkeiten zutrifft. In weiteren Röhren tritt bei den größeren Geschwindig- keiten ein anderes Gesetz an seine Stelle. Diese Abweichung rührt indes keineswegs von einer Ungenauigkeit des Reibungsgesetzes her, dieses, sowie die Tatsache des Haftens an der Wand ist vielmehr durch Versuche mit engen Röhren mit aller Genauigkeit be- stätigt. 5b)Die allgemeineTheorie der Flüssigkeits- reibung lehrt, daß durch die Formänderung der einzelnen Flüssigkeitselemente Spannungen von ähnlicher Art entstehen wie bei den elastischen Körpern, nur mit dem Unter- schied, daß diese Spannungen nicht den Formänderungen, sondern den Formände- rungsgeschwindigkeiten proportional sind (Navier und Poisson). Unter Verweisimg auf den Artikel ,, Elasti- zität" (I, 4a) sei hier einfach angegeben, daß öu öx' öy öy' rr- ÖW bestimmt sind. Die resultierende Kraft, die aus der örtlichen Verschiedenheit dieser Spannungen entsteht, ist für die Volumeneinheit entsprechend den Glei- chungen öXx ^^ öx öX^ ÖX7 "öy öz der Elastizitätslehre (I, 5) unter Berücksichtigung der Kontinuitätsgleichung (2) /ö=u , /ÖV , Yr=fU^2 + Zr. /ö^w iöx2 ö^u 9y^ Ö2y öy-^ ö^w Ö2u\ 0^2] = Ö2v\ Öz2f Ö%\ öz2 r fiz/v = fiZ/W, wo ^ die übliche Abkürzung für den Laplace- schen Operator Ö2 . 02 , _Ö2^ Öz2 Öx2 + öy2 ist. Die dynamischen Gleichungen für die volumbeständige reibende Flüssigkeit werden erhalten, indem man auf der rechten Seite der p]ulerschcn rileicluingen (7) die durch q dividierten Reibungskräfte Xk, Yk, Zr hinzu- fügt. Die für die X-Achse geltende lautet demnach: Du dt öu , öu , öu , öu -:.!: + ^^> ^ v^— + W-— öt ox oy oz (11) 1 öp Q ÖX X+^zJu. Durch Hinzunahme der Kontinuitäts- gleichung (2) und der Bedingung für die durch feste Körper gebildeten Grenzen, daß die Geschwindigkeit hier mit der Geschwindig- keit der festen Körper übereinstimmt (die Flüssigkeit also an ihnen haftet), erhält man die vollständige mathematische Definition 116 Flüssigkeitsbewegung der volumbeständigen reibenden Flüssig- keiten. 5c) Leider kennt man keine einzige strenge Lösung dieses Gleichungssystems, bei der die für die Flüssigkeitsbewegungen gerade charakteristischen konvektiven Glieder (vgl. I, 4) mit den Reibungsgliedern in Wechsel- wirkung treten würden. Die bereits erwähnte Gruppe von strengen Lösungen, die Laminarbewegungen, enthalten ' nur solche Fälle, bei denen ganze Schichten der j Flüssigkeit sich wie starre Gebilde meist in [ geradliniger (sonst auch in drehender) Bewegung in sich verschieben. Andererseits stellen auch die Potentialbewegungen strenge Lösungen dar, 1 indem bei ihnen wegen Gleichung (8) die Rei- bungsglieder von selbst fortfallen. Jedoch vermögen die Potentialströmungen fast niemals den Bedingungen des Haftens an der Wand zu genügen, da infolge der Eigenart der Potential- strömung durch die Angabe der Begrenzung des Flüssigkeitsstromes die Geschwindigkeits- ; Verhältnisse schon mitbestimmt sind. Es ist also dem eigentlichen Problem mit dieser Er- kenntnis wenig genützt. Man hat nun, da der direkte Weg ver- schlossen ist, versucht, auf Umwegen dem Ziele näher zu kommen, indem man einer- seits die Bewegungen bei sehr großer Kei- bung, andererseits die bei sehr kleiner, fast verschwindend kleiner Keibung studiert hat, um so wenigstens über die Grenz Vorgänge, zwischen denen die Wirklichkeit liegen muß. Aussagen zu gewinnen. Zur Klärung der Verhältnisse ist eine Be- trachtung über mechanische Aehnlich- keit sehr nützlich. Es ist die Frage zu be- antworten: wann wird bei geometrisch ähn- lichen äußeren Umständen (geometrisch ähn- lichen Kanälen, geometrisch ähnlichen Kör- pern in der Flüssigkeit usw.) auch die Be- wegung der Flüssigkeit geometrisch ähnlich verlaujfen? Man kann die Antwort zunächst so formulieren, daß die von den Beschleuni- gungen herrührenden Druckanteile in den 'verglichenen Fällen in demselben Verhältnis zu den aus den Keibungswirkungen ent- stehenden Druckanteilen stehen müssen. Greift man etwa die Ausdrücke u und öx hx2 ^^^ Vertreter der Beschleunigungs- und der Keibungsglieder heraus, so wird, wenn 1 eine Länge und w eine Geschwindig- keit der verglichenen Strömungen bedeutet, öu . , .^w2 ö^u . w u v„ sich mit , und — „ öx 1 öx2 ändern; die Aehnlichkeit verlangt demnach, w- // w und "— ^ mit ~ proportional Die vorstehende Größe, eine dimensions- lose Zahl, wird nach dem Entdecker dieses Aehnlichkeitsgesetzes, Osborne Keynolds, dieEeynoldsscheZahl genannt. Das Ver- hältnis - (Zähigkeit : Dichte) wird kinema- tisches Zähigkeitsmaß genannt und mit ?' bezeichnet. Es hat die einfache Dimen- . L2 sion Y' Irgendein Strömungszustand einer reiben- den Flüssigkeit kann durch den Wert seiner o wl wl Reynoldsschen Zahl R = ~ — = — charak- terisiert werden. Die im Vorstehenden genannten Fälle sehr großer Reibung und sehr kleiner Reibung können jetzt bestimmter als die Fälle sehr kleiner und sehr großer Reynoldsscher Zahl bezeichnet werden. Wie man sieht, ist neben dem Zähigkeitsmaße auch die Größe der Raumabmessungen und Geschwindigkeiten von entscheidendem Ein- fluß. Bei sehr winzigen räumlichen Ab- messungen werden die für Ideines R gelten- den Gesetze für alle praktisch vorkommenden Geschwindigkeiten gelten, für große Ab- messungen dagegen nur bei sehr kleinen Geschwindigkeiten oder bei sehr zähen Flüssigkeiten. Es ist noch von Literesse, festzustellen, daß bei Einhaltung der Aehnlichkeit (gleiches R bei geometrisch ähnlichen äußeren Um- ständen) die bei der Bewegung auftretenden Druckunterschiede sich wie ^w^ oder, was mW wegen (12) dasselbe ist, wie ^ verhalten. Werte des kinematischen Zähigkeitsmaßes i' in cm^/sec. Wasser von 0" 0,0178 cm-/sec. „ 20« 0,0100 „ 50» 0,0056 „ 100» 0,0030 Quecksilber von 0" . . . . 0.00125 „ „ 100» .... 0.00091 „ Glycerin von 20» 6,8 Luft von 0» und 760 mm . 0,133 „ 100» und 760 mm . 0,245 „ 0» und 7,6 mm , 13,3 5d) Der Grenzfall der sehr kleinen Re y n 0 1 ds s c hen Z ahl , die „s chl ei ch e n d e Bewegung", ist dadurch gekennzeichnet, daß die Trägheitseinflüsse gänzlich gegen die Reibungseinflüsse zurücktreten; es wer- den demnach sämtliche Beschleunigungs- glieder vernachlässigt und die Gleichungen erhalten die als Naviersche Gleichungen bekannte Crestalt: daß ri2) 1 -pP = const. ist, oder pwl — = const. /i 1.1 ÖP A ÖP . ÖP von ihnen sind verschiedene Lösungen bekannt. Flilssigkeitsbewegung 117 Erwähnung verdient die Stokessche Lösung portionalität der beiden Ausdrücke folgt, daß für die Bewegung einer Kugel, die einen Wider- j /„ \ ^^, j stand = GTTfiVa ergibt, und die für die Fall-^ ^ l ^ "^ l bewegung kleiner Tröpfchen von Bedeutung ist | ^^^ ^^ i (V = Geschwindigkeit, a = Radius). : „ach ^i;^, = ,_, also eine reine Funktion Das Verhältnis it dem- Es ist hier der Widerstand gleich Gewicht wl VR minus Auftrieb zu setzen, was eine Fallgeschwin- ! der Reynoldsschen Zahl. Diese Beziehung ,. , ., „ 2 Qi — Q , ... T>- T- ,! gilt in gleicher Weise für alle stationären Grenz- digkeit V= g--^ ga- ergibt. Die Formel schichten. Für Bewegungen, die zur Zeit t = 0 gilt nur für R-ynoldssche Zahlen, die klein aus der Ruhe heraus beginnen, ist in der ersten Zeit die Dicke der Grenzschicht jiTt. en durch gegen 1 sind. (Für Wassertröpfchen in Luft ergibt sich V = 1,3.10'' a^, wobei a in cm ein- zusetzen ist; die Formel ist gültig für Tröpfchen, deren Radius kleiner als Vöo mm ist.) ! j)jg f^^. (jjg g^j^^e Hydrodynamik funda- 5e)Der andereGrenzfall der sehr großen 1 mentale Bedeutung der Grenzschichten Reynoldsschen Zahl oder der sehr 1 liegt nun darin, daß sich unter bestimmten kleinen Reibung würde durch ein völliges I Bedingungen Teile der Grenzschichten als Zurücktreten des Reibungseinflusses gekenn- i Trennungsschichten (vgl. I, 3 und 11, 2 f.) zeichnet sein, also einfach die in II, i bis 3 in die freie Flüssigkeit hinausschieben und behandelte Bewegung der reibungslosen so zur Ablösung der Strömung von der Flüssigkeit ergeben, wenn nicht die Bedingung Wand und zur Erzeugung von Wirbeln des Haftens an der Wand hinzukcäme, die i Anlaß geben. Eine notwendige Bedingung von der reibungsfreien Flüssigkeitsbewegung ] für diesen „Ablösungsvorgang" ist nach nicht erfüllt werden kann. Eine nähere | Prandtl, daß die freie Flüssigkeit längs Untersuchung zeigt nun, daß die wenig ' der Wand (für einen Beobachter, für den reibende Flüssigkeit sich zwar da, wo keine die Wand in Ruhe ist) verzögert strömt. Wände sind, so gut wie eine reibungslose Da diejenigen Ursachen, die die Verzögerung Flüssigkeit verhält, daß sich aber an den der freien Flüssigkeit hervorrufen (Druck- Wänden unter dem Einfluß der Reibung differenzen usw.), auch auf die Flüssigkeits- eine dünne „Grenzschicht" ausbildet, ! teilchen in der Grenzschicht einwirken, die in der die Geschwindigkeit von dem Wert, j durch die Reibungswirkung schon einen der der reibungsfreien Bewegung entspricht, i Teil ihrer Geschwindigkeit eingebüßt auf denjenigen übergeht, den das Haften j haben, so kommt es hier leicht zu einer an der Wand erfordert. Je kleiner die 1 Bewegungsumkehr. Der so entstehende Reibung ist, desto dünner ist die Grenz- Rückstrom, der zwischen der Wand und der Schicht. Vorwärtsströmung verläuft, erteilt durch Die quantitativen Verhältnisse lassen sich ' Reibungswirkung immer neuen Flüssigkeits- leicht durch die folgende Impulsbetrachtung massen eine Geschwindigkeitsverminderung, für die stationäre Strömung entlang einer ebenen so daß auch diese durch die bestehenden Platte abschätzen. Die Länge der Platte sei 1, j Druckdifferenzen zur Umkehr gebracht die Breite b, die Geschwindigkeit der Strömung ^.grden Der Rückstrom nimmt auf diese w, die ungefähre Dicke der Grenzschicht a ^^j^^ ^^^^j^ ^^^ g^gj^^ ^^^^ ^^^^ ^^^^ j^^j^ ^jg (Fig. 33), dann ist die sekundlich m die Grenz- Vorwärtsströmung von der Wand ab. Ein Teil des Grenzschichtmaterials wird dabei von der äußeren Strömung als spiralig sich aufwickelnde Trennungsschicht fortgeführt und es wird so von der Grenzschicht aus- gehend das ganze Strömungsbild umgewandelt (vgl. Fig. 34—36, die die Ablösungsbewegung gut veranschaulichen). Die Vorgänge in den Grenzschichten sind rechnerisch verfolgt worden. Die Ergebnisse dieser Rechnungen stehen in vollem Einklang mit den Beobachtungen. U. a. ergibt sich aus der Rechnung, daß die Rückströmung in der Schicht geratene Masse .-p.abw (das Zeichen - , Gremschicht unabhängig von der (sehr kleinen) bedeutet proportional); diese Masse, die mit den Reibung nach Zurucklegiing eines bestimmten Geschwindigkeit w ankam, verliert in der Grenz- 1 Weges beginnt. Schicht einen bestimmten Bruchteil davon; | y^^^ ^gj. Bewegung der Flüssigkeit mit Fig. 33. der Impuls, der dem entspricht. ist demnach 1 a b w^. kleiner Reibung läßt sich demnach dieses S :™!!SVäS5 at't m^ : --«-.L B5">"t iil Bewegu,^^ von der keit ausgeübte Kraft. Nach Gleichung (9) kann 1 Ruhe aus, ^ , • , ^ . ^ niit Ausnahme dunner Schichten an den Aus der Pro- jgg^gj^ Wänden Potentialbewegung. Sehr diese gesetzt werden ^idb- 118 Flüssi2,keitsbeweu'une;- bald aber werden von solchen Stellen der Wand, an denen die Flüssigkeit verzögert, also mit Drnckanstieg strömt, Wirbel- schichten ausgesandt, und die Flüssigkeits- strömung löst sich von der Wand ab. Die Fi":. 34. Fig. 35. Fig. 36. Ablösungsstelle rückt dabei soweit gegen die Strömung vor, bis der Druckanstieg fast ganz beseitigt ist. Sind scharfe Kanten vorhanden, so heftet sich die Ablösungsstelle regelmäßig an diese (weil anderenialls hier sehr große Beschleunigung und Verzögerung auftreten würde). Die Wirbelschichten zerfallen hinterher wegen ihrer Labilität in einzelne Wirbel, und es ergibt sich deshalb hinter der Ablösungsstelle ein „turbulentes" Durcheinanderwirbeln der Flüssigkeit. An solchen Stellen der Wand, wo die Flüssigkeit beschleunigt, also mit Druck- abfall in der Strömungsrichtung fließt, findet niemals Ablösung statt. Deshalb bleibt in der Umgebung des vorderen Stau- punktes an einem Köriier der drehungsfreie Charakter der Bewegung erhalten. Die im Dauerzustände vorhandenen Wirbel- gebilde können sehr mannigfacher Art sein. Sie sind niemals völlig stationär, sondern in mehr oder weniger regelmäßiger periodischer Umge- staltung begriffen. Die Figur 37 (nach einer photographischen Aufnahme des National Physi- cal Laboratory, Teddington) gibt ein Beispiel von der Strömuns; um einen Körper im Dauer- zustande. Den Uebergang von dem Ablösungs- vorgang (Fig. 34 bis 36) zum Dauerzustand veranschaulichen die Figuren 38 und 39 (sämt- lich photographische Aufnahmen von H. Ru- bach, Göttingen). Besteht die Bewegung lediglich aus kurzen Schwingungen, deren Amplituden klein sind gegen die Körperabmessungen (oder genauer gesagt gegen den kleinsten Krümmungsradius), so bleibt die Ablösung aus, und es gelten deshalb, abgesehen von der Grenzschicht, die Ergebnisse der Theorie der reibungslosen Flüssigkeit hier mit großer Genauigkeit (vgl. III 3d). 5f) DerWiderstand, den die in der Flüssig- keit bewegten Körper erfahren, hat seinen Grund zum kleineren Teil darin, daß in den Grenzschichten hemmende Reibungs- kräfte geweckt werden (diese sind z. B. bei der vorhin betrachteten Platte propor- tional hyiLiglo)^), zum größeren aber darin, daß der bei der einfachen Potentialbewegung auftretende Staupunkt auf der Hinterseite des Körpers durch die Ablösung der Strö- mung in Wegfall kommt. Dieser Teil des Widerstandes ist demnach als von Druck- differenzen herrührend proportional ^w^.F. Fischförmige Körperformen mit schlank auslaufendem Hinterteil (vgl. Fig. 76) sind besonders günstig für die Erreichung eines kleinen Widerstandes. Die Gestaltung des Vorderteils ist weniger wichtig, die Form muß nur wohl gerundet und nicht zu stumpf sein, damit niclit hier schon eine Ablösung erfolgt. Bei solclien Körpern von sehr kleinem Wider- j stand stimmt der experimentell beobachtete Druckverlauf sehr gut mit dem aus der Potentialbewegung berechneten überein, mit Ausnahme des Schwanzendes, wo auch hier eine Ablösung auftritt. Die Strömung mit Zirkulation (vgl. II, 2,e und Fig. 21) entsteht aus der gewöhnlichen Potential- strömung durch Abspaltung eines Wirbels beim FlüssigkeitsbeAveguni: 119 Bewegungsbeginn (vgl. Fig. 40); dieser entfernt 1 suchungen haben denn auch immer Stabilität sich im Verlauf der Strömung immer weiter und | gegenüber sehr kleinen Störungen ergeben, läßt dabei eine Zirkulation, die der seinigen | j^gj. ausgebildeten Turbulenz entspricht entgegengesetzt gleich ist, am Korper zurück. | ^j^^g wesentlich andere Geschwindigkeitsver- Fig. 40. Auch im Innern von Kanälen bringt die Ablösung Verluste (proportional ^w^). Nach dem (lesagten ist es verständlich, daß die Strömung in einem ver- engten Kanäle ohne merkliche Wirkung der Reibung, in einem erweiterten jedoch unter Ab- lösung und Wirbelbildung, also mit mehr oder minder großen Verlusten erfolgt. 5 g) T u r b u 1 e n z. Eine beson- dere Stellung nehmen die La- minarströmungen ein. Wie die Versuche gezeigt haben, gilt das in II, 5 a) entwickelte Widerstands- gesetz nur unter einer gewissen Grenze der Geschwindigkeit. Bei größeren Geschwindigkeiten ergibt sich ein anderes Widerstandsgesetz. Reynolds hat entdeckt, daß bei einer kritischen Geschwindigkeit die bisher geradlinig verlaufende Bewegung in eine unregelmäßig wirbelnde, turbulente übergeht. Die kritische Geschwindigkeit ent- spricht bei Röhren von kreisförmi- gem Querschnitt (Radius r, mittlere Geschwindigkeit w) der Reynolds- wr sehen Zahl — = 1000, also bei V Wasser von 20 ^ C eine Geschwindig- keit in cm/sec von 10:r,.m. Die Ursachen der Turbulenz sind trotz großer Anstrengungen seitens der Theoretiker bisher noch nicht auf- geklärt. Man weiß nur, daß bei der Ueberlagerung der Laminarströmung mit gewissen Störungsströmungen ein anfängliches Anwachsen der Energie der Störung eintreten kann, wenn die Reynolclssche Zahl eine gewisse Grenze " überschreitet, und daß dieses Anwachsen um so stärker ist, je größer die Reynoldssche Zahl ist. Daß es sich um keine gewöhnliche Labilität handelt, ist daraus zu entneh- men, daß die Laminarströmung durch selir störungsfreie Einführung der Flüssigkeit in die Röhre auch noch bei beträchtlich höheren Ge- schwindigkeiten erhalten werden kann (dann genügt aber auch eine sehr kleine Störung, um den turbulenten Strömungszustand herbei- zuführen). Verschied entliche nach der Methode der kleinen Schwingungen geführte Unter- Fig. 37. Fie. 38. Fig. 39. teilung über den Röhrenquerschnitt, als der Lamiiiarbewcgnng (vgl. Fig. 41 u. 42), außer- dem entsprcciuMi ilu' wesentlich höhere Strö- mungswiderstände. Aus den vorangegangenen Betrachtungen über mechanische Aehnlich- keit kann gefolgert werden, daß der Druck- abfall in einem Rohr durch die Formel 120 Flüssigkeitsbewegung dargestellt werden kann, wo w die mittlere Geschwindigkeit, r den Radius und f(Il) eine Funktion der Eeynoldsschen Zahl wr R = — ist. Nach den besten Versuchen V an Wasser und Luft ist in glatteren Röhren über der kritischen Geschwindigkeit: P2— Pi 1 "r2 bungsvermehrung in der turbulenten Flüssigkeits- strömung Rechnung getragen. Er setzt an Stelle des Reibungskoeffizienten u ohne sonstige Aenderung der Formeln einen Turbulenzkoeffi- zienten E, und nimmt den Wert dieser fiktiven Reibung der Erfahrung entsprechend an. In noch einfacherer Weise verfährt die ge- wöhnliche Hydraulik, indem sie nach dem Vor- gang von Weisbach die Reibungs- und Turbu- lenzverluste in der BernouUischen Gleichung summarisch durch Einführung von Druckver- lusten nach meist empirischen Beziehungen be- rücksichtigt. Die Druckverluste werden meist in Teilen der Geschwindigkeitshöhe angegeben: also der Widerstand proportional mit w' '■'. In rauhen Röhren findet man dagegen an-jPi— P2 nähernde Proportionalität mit w^. Bei der w-^ oder h, — h., = ist Pi 8/^w Der Laminarströmung ^..^ , erhöhte Widerstand läßt sich durch eine Impulsbetrachtung verstehen. Ueberlagert Fig. 41. Tuibidente Strömung. Fig. 42. Laminarstrünuing. sich der mittleren Strömung eine turbulente ,, Mischbewegung", so werden Teile der in rascher Bewegung befindlichen mittleren Schicht an den Rand getragen und langsamer bewegte Teile vom Rand zur Mitte geführt. Betrachtet man eine zur Rohrwand konzen- trische Kontrollfläche (II, 4), so sieht man, daß mehr Impuls heraus- als hereingetragen wird. Die hieraus folgende Abnahme des Impulsinhalts kann nur durch die Druck- differenz pi — P2 wieder ausgeglichen werden. Reynolds hat gezeigt, daß man die Wirkung einer der mittleren Bewegung u, v, w über- lagerten Mischbewegung, deren Geschwindig- keiten u', v', w' den Mittelwert Null haben, dadurch darstellen kann, daß man zu den Rei- bungsspamnmgen nach Gleichung (10) noch die Turbulenzspannungen (vgl. III, 2). h heißt hierbei Widerstandsziffer. III. Einzelausführungen. I. Bewegungen mit freier Flüssigkeits- oberfläche, a) Die Bedingung, die an der freien Grenze einer Flüssigkeit (gegen Luft, oder auch gegen ihren eigenen Dampf) gewöhnlich angenommen wird, ist die, daß der Druck der Luft mit dem konstanten Werte Po auf der Oberfläche lastet. Dies ist nicht streng richtig, da die Luft meist an den Bewegungen mehr oder minder teil- nimmt, und man deshalb die durch die Be- wegung der Luft hervorgerufenen Druck- unterschiede beachten müßte. In den weitaus meisten Fällen kann man indes wegen der geringen Dichte der Luft (etwa Vgoo der des Wassers!) von diesen Einflüssen, sowie auch von der durch die Schwere bedingten Druckzunahme der Luft bei Höhendifferenzen absehen. Bei stark gekrümmter Flüssigkeitsober- fläche muß die Wirkung der Oberflächen- spannung ([vapillarität) berücksichtigt werden, die darin besteht, daß hinter einer konvex gekrümmten Flüssigkeitsoberfläche der Druck der Flüssigkeit größer ist, als der des an- grenzenden Mediums, hinter einer konkaven dagegen kleiner. Ist C die Kapillaritätskonstante, d. h. die ! Spannung, die auf der Längeneinheit in der Ober- fläche wirkt, und sind x^ und r, die Krümmungs- radien zweier aufeinander senki-echter Rich- tungen in der Oberfläche (positiv gerechnet, ' wenn die Krümmung von der Luftseite her be- trachtet, konkav ist, negativ gerechnet, wenn sie ' konvex ist), so ist Xx = — euj Yy = — qV' Zz = — Gw'' Xy = —QM'V Yz = — pv'w' Zx = — pw'u' .c(.Ui' (14) hinzunimmt (u'^ und u'v' bedeuten hierbei die zeitlichen Mittelwerte von u'^ und u' v'). In etwas anderer Weise hat Boussinesq bei seinen Untersuchungen zur Hydraulik der Rei- Aus der Aussage über den Druck an der Oberfläche folgt mit Hilfe der Druck- gleichung ein Zusammenhang zwischen Ge- schwindigkeitsänderung und Höhe. Für die stationäre dreliungsfreie Bewegung ergibt sich, unter der Annahme konstanten Flüssigkeitsbewegung 121 Drucks an der Oberfläche, aus Gleichuno- (6) für die Geschwindigkeit die Beziehung: Zo + Die Oberfläche ist hier ein w = l2g(Zo— z); Zo (an Stelle der Konstanten in Gleichung (6) eingeführt) ist dabei die Höhe eines ruhenden Wasserspiegels oder eines solchen Punktes (Staupunktes), an dem die Strömung vorüber- gehend zur Ruhe kommt. Die Geschwindig- keiten an der Oberfläche stimmen hier somit an allen Stellen mit der Geschwindigkeit w=|'2gh überein, die ein Körper beim freien Fall von der Höhe Zp eines ruhenden Wasserspiegels bis zur Höhe z des in Rede stehenden Oberflächenpunktes erlangen würde. Figf. 43. Als Beispiele mögen angeführt werden die Bewegungen beim Ausströmen aus Gefäßen; so weit es sich um dünne Strahlen handelt, ist der Druck durch das ganze Innere des Strahls, ab- gesehen von der nächsten Umgebung der Aus- flußüffnung, genügend genau gleich dem Atmo- sphärendrnck und daher die Geschwindigkeit überall gleich der Fallgeschwindigkeit. Die Be- wegungen erfolgen danach einfach gemäß den Wurfgesetzen (vgl. Fig. 43). In der nächsten Nachbarschaft der Ausflußöffnung herrscht wegen der meist vorhandenen Krümmung der Strom- linien (II, i) im Strahlinnern ein Ueberdruck. Der drehungsfreien Umlaufsbewegung von II, 2 8) (Geschwindigkeit w = -) entspricht eine freie Oberfläche, die durch die Gleichung z = Zo — , 2 gegeben ist, eine Trichterform, die man häufig auf Wasseroberflächen beobachten kann (vgl. Fig. 44). Als Gegenbeispiel einer nicht drehungs- freien Bewegung mag die gleichförmige Ro- tation einer Wasser- masse angeführt wer- den, wie sie sich in einem gleichförmig um eine senkrechte Achse umlaufenden Gefäße nach einiger Zeit einstellt. Ist die Winkelgeschwindigkeit = a. die Umlaufs- geschwindigkeit also w = on-, so erhält man Paraboloid (vgl. Fig. 45). ib) Wellen in tiefem Wasser. Das Gebiet der Wellenbewegungen auf einer Flüssigkeitsoberfläche ist sehr eingehend durchforscht, vornehm- lich von englischen Ge- lehrten (S tokos, Lord Kelvin, Scott Rus- sell u. a.). Da hier keine Wände störende Reibungen ergeben, sind die Ergebnisse der Theorie in sehr guter Uebereinstimmung mit der Beobachtung. a) Der einfachste theoretische Ansatz er- gibt sich unter der xAnnahme einer ebenen Wellenbewegung von sehr geringer Wellen- höhe; wird dabei die Annahme gemacht, daß Windstille herrscht, und die Wellen von fernher in das betrachtete Gebiet ein- dringen, dann ist sicher eine drehungsfreie Bewegung zu erwarten. Man kann also ein Strömungspotential ansetzen, und zwar ist für eine Wellenoberfläche Zq = A cos a(x— et) (A Amplitude, c Fortpflanzungsgeschwindig- keit, Wellenlänge 2. Fig. 45. ä^ Fig. 44. $= cA sin a(x— ct)e"^ Die Geschwindigkeiten sind hiermit: u = cAacos a(x — ct)e"^, w = c A a sin a(x — ct)e"^. Die Bewegung läßt sich so charakterisieren, daß für eine nach rechts fortschreitende Welle an einem festgehaltenen Punkte des Raumes die resultierende Geschwindigkeit beständig dieselbe Größe hat (nämlich = cAae"^), und daß die Richtung der Ge- schwindigkeit sich gleichförmig im Sinne des Uhrzeigers bewegt, und beim Vorübergang einer Welle gerade einmal herumdreht. Nach der Tiefe zu nimmt die Bewegung un- gemein rasch ab; bereits in der Tiefe gleich einer halben Wellenlänge z = — ^ = o OL ist die Amplitude nur noch etwa der 23. Teil von der an der Oberfläche. Die Stromlinien dieser Wellenbewegung sind in Figur 46 dar- gestellt. Die Bahnen der einzelnen Flüssig- keitsteilchen sind nahezu kreisförmig; da jedoch die Vorwärtsgeschwindigkeit in den Wellenbergen größer ist, als die Rückwärts- geschwindigkeit im Wellental, schließen s^ich die Bahnen nicht genau, sondern die 122 Flüssig-keitsbeweffune- Teilchen werden bei jedem Umlauf ein wenig in der Richtung der Wellenfortpflanzung verschoben. Fig. 4G. Die Bedingung, daß an der Oberfläche konstanter Luftdruck herrschen soll, liefert nun die Größe der Fortpflanzungsgeschwin- digkeit. Wird auf die Kapillarwirkungen keine Rücksicht genommen, was bei großen Wellenlängen zulässig ist, so ergibt sich die Fortpflanzungsgeschwindigkeit zu ^1/^-? 27l' es laufen also die langen Wellen schneller als die kurzen. Berücksichtigt man die Kapillarität nach Gleichung (14), so erhält man: (15) g^ yi^ 27rC Für lange Wellen überwiegt der erste Summand, für sehr kurze der zweite. Für die Wellenlänge /, -hat die Fort- - ^ (/ g^ Pflanzungsgeschwindigkeit einen kleinsten * .1 p Wert, nämlich c, = 1/ '^ . Für Wasser F Q {q = 1, C = 74) wird /^ = 1,72 cm ufid Cj = 23,3 cm/sec Man nennt Wellen, deren Wellenlänge größer ist als l^. Schwere wellen, die kleineren Kapillarwellen. Die Vedmltnisse der Wellen von endlicher Amplitude sind für den Fall der Schwerewellen näher untersucht (Stokes); es ergibt sich, daß die Wellenberge stärker gekrümmt sind, wie die Wellentäler. Die Grenzform, bei deren Ueber- schreiten Schäumen eintritt, zeigt Kämme mit einem Winkel von 120". Die Fortpflanzungs- geschwindigkeit steigt mit zunehmender Ampli- tude etwas an (um 20 v. H. bei der Grenzform). Anmerkung. Die vielfach beschriebene Gerstnersche Welle, bei der die Flüssigkeits- teilchen genaue lueisbahnen beschreiben und die Wellenform eine Zykloide ist, ist phj'sika- lisch unmöglich, da bei ihr die Teilchen eine Drehung haben müßten, entgegengesetzt der- jenigen, die die Reibung eines in der Wellen- richtung wehenden Windes erzeugen könnte. ß) Von der bisher als Fortpflanzungs- geschwindigkeit bezeichneten Geschwindig- keit c ist wohl zu unterscheiden die Geschwin- digkeit, mit der eine „Wellengruppe" fortschreitet. Unter Wellengruppe wird dabei eine Anzahl aufeinander folgender AVellen verstanden, vor und hin- ter denen der Flüssigkeitsspiegel X in Ruhe ist. Durch Betrachtung der Interferenz von Wellenzügen mit wenig verschiedener Wellen- länge findet man die Beziehung für die Gruppengeschwindigkeit c': 7 de c = c — / , > . d/ Die Rechnung ergibt für den Grenzfall der Schwerewellen c' = J^ c, für den der Kapillar- wellen c' = l c; für 'die Minimalgeschwindig- keit Cj ergibt sich c^' = c^. Man beobachtet dementsprechend, daß bei Schwerewellen fortwährend an der Front der Gruppe Wellen verschwinden und hinten entsprechend neue entstehen; bei Kapillarwellen entstehen im Gegensatz hierzu in regelmäßigen Abständen vor der Front neue Wellen, während hinten eine gleiche iVnzahl verschwindet. Bei der natürlichen durch AVind bewegten Wasseroberfläche bewegen sich Gruppen von Wellen verschiedener Längen und verschiedener Richtungen durcheinander, so daß sehr ver- wickelte Interferenzbewegungen zustande kommen. Durch Entgegenbewegung von zwei gleichartigen Wellenzügen bezw. durch Reflexion der Wellen an einer senkrechten Ufermauer, entstehen stehende Wellen (Plätscherwellen). Ein störendes Objekt in einer Flüssigkeitsoberfläche, das sich gegen die Flüssigkeit verschiebt (eine Angelschnur oder ein Pfahl in fließendem Wasser, ein Schiffbug in ruhendem usw.), erzeugt so lange keine Wellen, als es sich mit kleinerer Geschwindigkeit als die kleinste Wellen- geschwindigkeit Ci bewegt. Bei etwas größerer Geschwindigkeit lagern sich, den Eigenschaften ihrer Gruppengeschwindigkeit entsprechend, nach vorn Kapillarwellen, nach hinten (in einem sektorförmigen Gebiet) Schwerewellen an. Bei großen Geschwindig- keiten treten die Kapillarwellen praktisch ganz zurück, und es ergibt sich ein System von Schwerewellen, das einen Sektor von Fig. 47. Wellensvstem. Nach E k m a n. Flilssiglceitsbewegung 123 39" Zentriwinkel hinter dem störenden Objekt erfüllt und auf die halbe Länge des relativ zum Wasser zurückgelegten Weges zurückreicht. Bei einem Schiff ergibt sich ein solches Wellensystem, das vom Bug ausgeht, und ein ähnliches, vom Heck aus- gehendes, das mit dem ersteren interferiert. Die theoretischen Untersuchungen über diesen Gegenstand (von Lord Kelvin u. a.) stehen in gutem Einklang mit der Beobachtung. y) Bei Wellen auf der Grenzfläche zwischen zwei übereinander geschichteten Flüssigkeiten hat man in den Formeln an Stelle der Schwere g den Wert g.^~^, Q1+Q2 an Stelle der Dichte q den Wert g^ + ^2 einzusetzen, sonst bleiben (für kleine Wellen- amplituden) alle Verhältnisse ungeändert. Bewegen sich die beiden Flüssigkeiten längs ihrer Grenzfläche übereinander weg, so ist (Drehungsfreiheit in beiden Flüssigkeiten vorausgesetzt) die ebene Grenzfläche stabil, solange die Verschiebungsgeschwindigkeit V kleiner ist als , — ^ .c., wo c, die kleinste ^QiQ2 Fortpflanzungsgeschwindigkeit bei gegenein- ander ruhenden Flüssigkeiten ist (s. oben). Ist V größer als dieser Wert, so ist die Grenz- fläche instabil, sie kräuselt sich. Für Wasser und Luft ist ^1:^2 = 800. Die Windge- schwindigkeit, bei der die Wellenbildung einsetzt, ist demnach 28,3.23,3 = 660 cm/sec. Die bei dieser Untersuchung vernachlässigte Keibung zwischen Wind und Wasser ist vermutlich bei den wirklichen Vorgängen ebenfalls von Einfluß. d) Die bei der Untersuchung von Wellen- bewegungen angewandten Rechenmethoden finden häufig Anwendung beim Studium der Stabilität oder Instabilität einer Flüssigkeits- bewegung. Man nimmt irgendeine wellen- förmige Störung an undsieht zu, ob die Ampli- tude sich dauernd in den anfänglichen Grenzen hält (oder auch abnimmt), oder ob sie zunimmt. Trifft für alle Wellenlängen der erstereFall zu, so ist Stabilität vorhanden; gibt es anwachsende Wellen, so ist die Be- wegung instabil. Man erhält so in dem Fall der zwei überein- ander weg strömenden Flüssigkeiten immer In- stabilitcät, wenn die Kapillarspannung zwischen ihnen Null ist (übereinander geschichtete Gase). Die Instabilität führt zur Vermischung. Lange Wellen, deren Fortpflanzungsgeschwindigkeit bei gegeneinander ruhenden Gasschichten größer ist als ^^^^^^ V, können dabei bestehen Q1+Q2 bleiben. Solche Wogen werden in der freien Atmosphäre, wo warme Luft über kältere ge- schichtet ist, vielfach beobachtet (Helmhol tz- sche Luftwogen). Ist eine schwach gewellte dünne Wand in einer Flüssigkeitsströmung vorhanden, vgl. Figur 48, so stellt sich in den hohlen Teilen erliöhter Druck ein, in den erhabenen Unterdruck. Die Fliissijr- keitsströmung sucht demnach die Durchbiegung der Wand zu vergrößern. Das Flattern der Fahnen hat hierin seinen Grund. Fig. 48. Kehrt man in Figur 48 die Strömungsrichtung der einen Seite um, so ändert das die Druck- unterschiede nicht; man versteht hieraus leicht, daß Trennungsflächen instabil sind. Die Um- gestaltung, die eine Trennungsfläche unter diesen Einflüssen bei einer anfänglich wellenförmigen Störung erfährt, ist in Figur 49 dargestellt. Z"^/^*®/ Fig. 49. Erwähnung verdient ferner eine Unter- suchung von Lord Rayleigh, die zeigt, daß ein zylindrischer Flüssigkeitsstrahl wegen der Kapillar kräfte instabil ist, und deshalb in Tropfen zerfällt. ic)Bewegungen in seichten Ge- wässern. In einem seichten GeAvässer pflanzen sich Wellen etwas langsamer fort, wie in einem tiefen, die Wirkung wird aber erst merklich, wenn die Tiefe weniger als ein Drittel der Wellenlänge beträgt. Für Wellen, die sehr lang gegenüber der Wassertiefe (a) sind, wird die Fortpflanzungsgeschwindigkeit unabhängig von l Iga (16) Da bei diesen Wellen die Geschwindigkeit der Wasserbewegung bis zum Grund hinunter fast die gleiche Stärke behält (die Bahnen sind annähernd Ellipsen, die nach unten hin immer flacher werden), so nennt man sie Grundwellen. Die Gruppengeschwindig- keit stimmt hier mit der Wellengeschwändig- keit überein, so daß also Wellengruppen beliebiger Form sich ohne Verzerrung fort- pflanzen. Die genaue Formel für Schwerewellen von kleiner Amplitude bei endlicher Wassertiefe ist m^^ 7t& 124 Flüssigkeitsbeweg-iing da Jgx (tangcns hyperbolica) für kleine Werte = X, für große =" 1 ist, ergeben sich hieraus die genamiten Grenzfälle in einfacher Weise. Anmerkung. Ob ein Gewässer als seicht anzusehen ist oder nicht, hängt also von der Größe der Wellenlänge ab. Für die Wellen- bewegung der Ebbe und Flut z. B. ist der Ozean als seichtes Gewässer anzusehen. Bei Wellen von großer Wellenhöhe laufen in seichtem Wasser die Wellenberge — ent- sprechend der dort größeren Wassertiefe — • schneller als die Wellentäler, die Wellen- berge werden deshalb nach vorn immer steiler und überstürzen sich schließlich. Stehende Schwingungen werden in tiefen, wie in seichten Becken beobachtet. Die Schwingungszeit ergibt sich z. B. in länglichen seichten Becken gleich der Zeit, die eine Grundwelle braucht, um die Länge des Beckens hin und zurück zu durch- laufen. Eine andere Bewegungsform, die in seichten Gewässern und in Kanälen da vor- kommt, wo zwei Strömungen mit verschiede- nenGeschwindigkeiten aufeinander stoßen, ist der Schwall. Die Wasseroberfläche bildet dabei eine Stufe, deren Uebergangszone unregelmäßige turbulente Bewegungen auf- weist. handelt und auch die Breite des rechteckig angenommenen Kanals konstant angenommen werden. Die Eeibung sei vernachlässigt. Für den Spiegel gilt dann die Beziehung, daß w = 1 2g~h ist, wo h = Zq — z als die Senkung des Spiegels gegen den eines Sees, aus dem das Wasser kommt, angesehen werden kann. ci) Unter der Annahme eines sehr wenig ge- krümmten Bettes und Wasserspiegels lassen sich dieTrägheitswirkungen der senkrechten Geschwin- digkeitskomponenten (also die ,, Zentrifugal- kräfte" der Wassermassen) vernachlässigen; dies gibt statische Druckverteilung in jedem Querschnitt und damit nach der Druckgleichung konstante Geschwindigkeit w für alle Punkte eines Querschnittes. Unter diesen Voraus- setzungen werde dieBewegung über einen flachen Wehrrücken untersucht, bei der sekundlich ein bestimmtes Wasservolumen Q durch jeden =^ Fig. 50. Man kann die Aufgabe mit dem Impulssatz behandeln (ähnlich wie II, 4c) und findet das geometrische Mittel der Geschwindigkeiten, die der Schwall relativ zu den Flüssigkeitsmassen vor und hinter ihm hat, gleich der Geschwindig- keit der Grundwelle für das arithmetische Mittel der Wassertiefen: Querschnitt strömt. Ist h die Spiegelsenkung und a die Wassertiefe, b die Breite, so ist Q = ab)2gh; ist ferner Zj die Ordinate des Wehrrückens, z^ die des Seespiegels, so ist (vgl. Fig. 51) h + a = Zn — z. oder h + bl'2s (c— Wi)(c— w„) ^a^ 2 Die Schwallhöhe hängt mit der Geschwindij keitsdifferenz zusammen durch die Gleichung Aus dieser Gleichung ergibt sich ein Verlauf von Zq — Zi mit h, den die Figur 52 darstellt. Zn — z, besitzt ein Minimum =-^■1'-;—-; steht j 0 1 2 ' b*g I der Seespiegel um weniger als diese Größe über (a,- -a,)l/--'^^l^^. '' g (ai + a,.) Solche Stufenwellen werden beobachtet, wenn in der Brandung an flachem Strand Wellen gegen ruhendes oder gegenbewegtes Wasser anlaufen; in einigen Flüssen mit trichterförmig verengter Mündung (Ems, Seine, Garonne u. a.) entsteht infolge der Ebbe- und Flutbewegung durch Ueberstürzen der Flutwelle ein gegen den Ebbe- strom flußaufwärts wandernder Schwall. In Kanälen kann er bei plötzlicher Geschwindigkeits- änderung der Strömung (z. B. plötzlichem Ab- schluß) ebenfalls beobachtet werden. id) Strömende Bewegung in offe- nen Kanälen. Der Einfachheit halber Fig. 52. dem Wehrrücken, so ist das Ueberströmen der gegebenen Menge Q unmöglich, steht er höher, so ergeben sich für jede Stelle des Wehrs (jedes zj zwei Werte von h und a. Die Zeichnung' ergibt soll nur die stationäre Bewegung be- i für die verschiedenen Seespiegel die in Figur 53 Flüssigkeitsbewegung- 120 wiedergegebenen Gestalten des Wasserspiegels. Sowohl die von I nach II führenden Kurven, wie Ziehung, die hier w.w. lautet. Fig. 53. die von III nach IV führenden entsprechen mög- lichen Strömungen, wie dies aus den Figuren 54 und 55 zu erkennen ist. Die Strömungsfigur von Fig. 54. /////////////////// Fig. 55. Figur 51 ist, wie man erkennt, die einzige von I nach IV führende Linie; sie gehört dem vorer- wähnten tiefsten Seespiegel an. j\Iit (zq — zj min. = H ergibt sich die überfließende Menge zu Q = b|'g.(|Hf = 0,385bH[2gH, was mit der Beobachtung gut übereinstimmt. Von den punktierten Kiuven zwischen II und IV, die niedrigeren Spiegeln entsprechen, tritt der obere Ast ebenfalls in Erscheinung, indem bei einem Unterwasserstand, der höher ist als der in Figur 51, sich durch einen statioucären Schwall (,, Wassersprung") der Uebergang von der Kurve I— IV aus herstellt (vgl. Fig. 56). """"""'"''^S^ii;. Fig. 56. Es verdient Erwähnung, daß bei dem Mini- mum von Zq — Zj, also bei der Strömung nach Figur 51, über dem Wehrscheitel h = |a und deshalb w=|'ga, also gleich der Geschwindigkeit Co der Grundwelle bei der Wassertiefe a ist. Da gezeigt werden kann, daß irgendwelche An- schwellungen des Wasserspiegels nur dann fluß- aufwärts vordringen können, wenn die Strömungs- geschwindigkeit kleiner ist als die Grundwellen- geschwindigkeit, so ist hieraus verständlich, daß, wenn, ausgehend von der Strömung der Figur 51, das Unterwasser ansteigt, der Schwall vor der mit größerer als Grundwellengeschwindigkeit er- folgenden Strömung zum Stehen kommt. Die Stelle, an der dies eintritt, bestimmt sich aus der unter c) für den Schwall abgeleiteten Be- (ai + a^) 2 Die in Figur 54 und 55 zur Darstellung ge- brachten Ergebnisse lassen sich so aussprechen, daß bei Strömungsgeschwindigkeiten, die kleiner sind, als die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Grundwelle, über einer Bodenerhebung eine Spiegelsenkung entsteht, bei größeren Geschwin- digkeiten als die der Grundwelle dagegen eine Spiegelerhebung, die stärker ist als die Boden- erhebung. ß) Bei stärkeren Bettkrümmungen und Spie- gelkrümmungen müssen die senkrechten Be- schleunigungen der Wassermassen berücksichtigt werden. Es gibt eine sehr brauchbare An- näherungstheorie, bei der ein linearer Zusammen- hang der Krümmung einer Stromlinie mit der von Spiegel und Bett angenommen wird, und nun unter Berücksichtigung der durch dieZentrifugal- kräfte modifizierten Druckverteilung Gleichungen für den Zusammenhang der mittleren Geschwin- digkeit und der Spiegelkurve ermittelt werden. Diese eindimensionale Theorie liefert bereits alle wichtigen Details. Es ergeben sich, ganz ent- sprechend der exakten Wellentheorie, bei Ge- schwindigkeiten, die kleiner sind als die der Grundwelle, hinter einer quer zum Fluß ver- 1 laufenden Bodenunebenheit stationäre Wellen, wie sie auch beobachtet werden. Der sta- tionäre Schwall ist ebenfalls unter gewissen Um- I ständen von Wellen begleitet. Bei Annäherung I an die Grundwellengeschwindigkeit wächst die Länge und Höhe der Wellen bedeutend an, über der Grundwellengeschwindigkeit bleibt allein eine Erhebung über der Bodenschwelle bestehen. ' Von Unebenheiten an den Seitenwänden gehen bei mäßigen Geschwindigkeiten schräge Wellen, ähnlich den im ter ib) beschriebenen Schiffswellen aus; bei Geschwindigkeiten über der Grund- wellengeschwindigkeit gesellen sich zu diesen schräge Grundwellen, die sich über die ganze Breite des Gerinnes fortpflanzen und sich vielfach gegenseitig durchkreuzen. 2. Strömung mit Widerständen (tech- nische Hydraulik). a) Ausfluß aus Mündungen. Bei kleinen Mündungen in dünner Wand ist zunächst zu beachten, daß der Strahl sicli wogen der beim Zu- strömen auf die ^lündung vorhandenen radia- len Geschwindigkeitskomponenten nach dem Durchgang durch die Mündung noch etwas zusammenzieht (Strahlkontraktion). Bei Mündungen in ebener Wand (Fig. 57) ist die Kontraktionsziffer a (Verhältnis von Strahlquerschnitt zu Lochquerschnitt) = 0,61 bis 0,64, bei kegelförmigen Ansatzröhren größer, bei guter Abrundung der Oeffnung (Fig. 58) nahezu = 1. Außer der Kontrak- 126 Flüssigkeitsbewegung tion ist auch ein Geschwindigkeitsverlust i delten flachen Wehrrücken ist theoretisch vorhanden! der meist summariscli nach Ver- 1 ^ = 0,577, praktisch etwas kiemer. Die Leber Suchsergebnissen durch eine Geschwindig- keitsziffer cp berücksichtigt wird: w = 9:'l''2gh. Die Ausflußmenge wird damit Das Produkt acp =^ ju wird Ausflußziffer genannt. Die Geschwindigkeitsziffer ist bei (^ Fig. 57. Fig. 58. fallbewegung ist deshalb sehr genau studiert, weil sie eine sehr bequeme und auch zuver- lässige :\Iethode zur Messung von Wasser- mengen ist. Fig. 61. 2b) Widerstcände bei Querschnitts- änderungen in Eohrleitungen (für Flüssigkeiten und Gase gemeinsam gültig; bei Flüssigkeiten gibt man meist „Druck- Po— Pi höhen' usw. an, bei Gasen meist Mündungen der obigen Art je nach Form und Größe cp = 0,96 ^ 0,995. Bei scharf- kantig anschließenden Ansatzröhren (Fig. 59) ist cp = 0,8 - 0,88; a ist hier = 1. Ist die Höhe der Oeff- nung nicht klein gegen h, so muß die Verschieden- heit von h für die ein- zelnen Stromfäden berück- sichtigt werden. Man hilft sich in der tech- nischen Hydraulik hier dadurch, daß man sich die Oeffnung aus einer großen Anzahl kleiner Oeffnungen zusammen- gesetzt denkt, und für die kleinen Ueffnungen nach den vorstehenden Formeln rechnet. Das Resultat für die große (Jeffnung wird so nach durch eine Integration erhalten. ]\Ian erhält z. B. so für eine recht- eckige Oeffnung von nebenstehenden Ab- messungen (Fig. 60) die Druckdifferenzen selbst. y ist dabei Eine allmähliche Verengerung der Rohrleitung bringt nach II, 5!) keine merk- lichen Widerstände mit sich. Sie ist deshalb für die Messung der durchfließenden Mengen geeignet. Es wird Q / •2g(po-p0 Vt 'h H b _J Fig. 60. (vgl. Fig. 62 und 63). Die Durchflußziffer a ist nahezu = 1; n ist etwa = 1,1 zu setzen und Po Pi Q 7f^ by2g(tf'-^^h/o Ist eine merkliche Zuflußgeschwindigkeit (wq) in dem Raum vor der Oeffnung vorhanden, dann ist der ideelle Wasserspiegel, von dem aus die Höhen H und h gerechnet werden. um Wo- höher anzusetzen, als der des fließenden Wassers. Für einen Ueberfall, d. h. eine oben offene recht- eckige Oeffnung (Fig. 61) wird hierbei h = 0 gesetzt. Trotz der veränderten Verhältnisse stimmt die Ausflußziffer einigermaßen mit der für kleine Oeffnungen überein. Es ist (nach Ponceletund anderen) /i =0,60 bis 0,.585 für H:b = V4 bis 1. Für den in III, id) behan- Fig. 62. Düsenrohr. Po Pi P2 Fig. 63. Venturirohr. bedeutet eine Berücksichtigung der ungleich- förmigen Geschwindigkeitsverteilung in der Zu- strömung. DieVerluste bei allmählicher Erweite- rung sind ziemlich beträchtlich. Die wirk- Flüssigkeitsbewegimg 127 lieh zu erreichenden Drucksteigerungen sind etwa 0,8 bis 0,85 der theoretischen, der Wi^ — W"o Druckhöhenverhist also C • v. — - mit C = 0,15 bis 0,2. Bei plötzlicher Erweiterung ergibt sich (vgl. II, 4c) ein Druckhöhenverlust von ^.^^ ^-. PlötzlicheVerengerung ergibt dadurch einen Verlust, daß sich in der Ver- engerung eine Kontraktion einstellt und sich der Strahl dann wieder ausbreitet (Fig. 64). - Af Li^^r Fig. G4. w2/l Der Verlust wird demnach gleich ^ , -,. 2g \a / Der Geschwindigkeitsverlust in der Ansatz- röhre Figur 59 ist nach dem gleichen Ge- sichtspunkt zu beurteilen. f'o.Po K,- P2 Fig. 65. Röhre mit Drosselscheibe. Bei einer Röhie nach Figur 65 ist entsprechend der Verlust p„ - p, = -'^^ (-^•'- --l)'. Die Koiitraktions Ziffer ist in solchen Fällen von dem Verhältnis FjtF^ abhängig. Da diese Einrichtung ebenfalls, wie die in Figur 62 vmd 63 dargestellten, mittels Beobachtung der Druckdifferenz Po -^Pi zur Mengenmessung verwendet wird, sei an- gegeben, daß nach Versuchen von Weisbach F die Verbreniuingsgase aus der Rauchkammer absaugt und so die Verbrennung unterhält. Eine sehr merkwürdige Anwendungsform ist der Jnjektor, der mittels Dampf an- gesaugtes Wasser in denselben Dampfkessel pumpt, aus dem der Dampf entnommen wird (die Wirkung ist durch die Dichtever- mehrung zu erklären, die der Dampf bei seiner Kondensation auf dem Wasser erfährt). Auf die Theorie des Strahlapparats, die sich auf dieselben Beziehungen aufbaut, wie die der vorgenannten Apparate, kann hier nicht eingegangen werden. 2c) Widerstände in- geraden Kanä- len und Fl Umläufen. Die Widerstände in geraden glatten Rohrleitungen sind bereits in II, 5g) behandelt. Das dort besprochene Aehnlicldieitsgesetz trifft für rauhe Rohr- oberflächen nicht mehr genau zu, da im allgemeinen die Rauhigkeiten bei verschie- denen Rohrdurchniessern nicht geometrisch ähnlich sind. Man benutzt in der Praxis meist formal ein Gesetz, bei dem der Wider- stand der zweiten Potenz der Geschwindig- keit proportional ist: 1 Pi— P2 _ A w2 r^'"F2g- Die Widerstandsziffer ?. ist dabei nicht als eine genaue Konstante anzusehen; sie ist vielmehr eine verwickelte Funktion des Durchmessers, der Geschwindigkeit, der Zähigkeit und der Rauhigkeit, die allerdings für den ])raktischen Anwendungsbereich keine allzustarke Veränderlichkeit zeigt. In glatten Rohren ist gemäß dem früheren ;i=:0,133 1/ zu setzen (Blasius), was für a = 0,63 + 0,37 gesetzt werden kann. Die Drucksteigerung Po — Pi in einem plötzHch oder allmählich "erweiterten Rohr wird in den Strahlapparaten dazu ver- wendet, andere Flüssigkeiten anzusaugen und fortzuschaffen. Unter den Anwendungen sind zu nennen die Wasserstrahlluft- - — pumpe, mit der man beträcht- liche Luftleere herstellen kann (damit Pa — Pi gleich einer xVt- mosphäre wird, muß w^ etwa 20 m/sec sein), ferner der Bunsenbrenner, bei dem der aus einer Düse austretende Gasstrahl Luft ansaugt und sich mit ihr mischt. Eine andere An- wendung ist das Lokomotivblasrohr, bei dem der aus dem Zylinder strömende Dampf R = = 2000, 6000, 32 000, 100 000 und V 500 000 die Werte 0,020, 0,015, 0,010, 0,0075 0,005 ergibt. Für rauhe Röhren ist ?L je nach der Rauhigkeit größer und steigt bis zum zweifachen bei kleinen und zum drei- bis vierfachen bei großen Reynolds- schen Zahlen. Die vielen Formeln für den Rohrwiderstand, Fig. 66. Strahlapparat. die von älteren Experimentatoren stammen (so die von Weisbach, Darcy, H. Lang u. a.), berücksichtigen nicht den Einfluß der Zähigkeit und geben ein unvollständiges und vielfach widersprechendes Bild der Sachlage. Rationelle 12S Flüssigkeitsbeweg'uii^ Zusammenstellungen, bei denen die Widerstands- werte abMngig von der Reynoldsschen Zahl dargestellt werden, sind erst in der letzten Zeit häutiger geworden (vgl. etwa Gümbel, Schiff- bautechnisfhe Gesellschaft 1912). Bei Kanälen und besonders bei natür- lichen Flußläufen kommt eine weitere Ver- wickelung dadurch hinein, daß die Rauhig- keit des Bettes durch die Bodenart, besonders i aber durch die Wassergeschwindigkeit selbst beeinflußt wird, indem die Korngröße des- jenigen Bodenmateriais, das nicht wegge- schleppt ward, um so großer ist, je größer die Wassergeschwändigkeit. Der Widerstand wird zweckmäßig durch [ das Öpiegelgefälle i = ^-^ ^'^ ausgedrückt. : ^^^^^^^''^^^^^^^^.^ rauheren Wänden bis 32—50 bei Erdwänden und 24 bis 40 bei Gerolle. Zum Vergleich sei er- wähnt, daß diese Zahlen Werten in ;. von 0,006 bis 0,068 entsprechen. Ueber die Verteilung der Gesch\nndigkeit über den Querschnitt sind vielfach Beob- achtungen angestellt. Ein Beispiel für die sich ergebenden Isotachen (Linien gleicher Geschwindigkeit) ist in Figur 68 gegeben. Fig. 67. i Bei der großen Rauhigkeit ist der Widerstand wesentlich durch Druckdifferenzen an den Bodenunebenheiten verursacht, und daher bei gegebener Rauhigkeit ziemlich genau proportional mit dem Quadrat der Ge- schwindigkeit. Die Gestalt des Querschnitts W'ird meist durch den sogenannten hydrau- lischen Radius oder Profilradius: durchflossener Querschnitt ^'^ ~ benetzter Umfang in die Formeln eingeführt (für ein Rohr von Kreisquerschnitt, wie für eine halbkreisför- mige Rinne ist r, = ^[.v, für ein sehr flaches rechteckiges Bett gleich der Tiefe). Die älteste Formel (von de Chezy) setzt rh 2 g oder, wie die Formel gewöhnlich geschrieben wird (17) w = Clri,.i C hat dabei nach Eytelwein für Kanäle den Wert 51 m' ^ sec— i. Spätere Forscher haben die Formel dadurch verbessert, daß sie C nicht konstant, sondern als eine langsam veränderliche Funktion des Profilradius und einer Pv,auhigkeitsziffer an- nahmen. Da mit dem Gefälle auch die Rauhig- keit wechselt, findet man auch einen Einfluß von i auf die Größe von C. Auf eine Wieder- gabe der Formeln muß hier verzichtet werden. Die Werte für C schwanken bei Tiefen von 0,6 bis 3 m von 80 bei Kanälen aus glattem Holz oder glatt geputztem Jlauerwerk, 60 bis 70 bei Die häufig gemachte Beobachtung, daß der Ort der größten Geschwindigkeit nicht an der Oberfläche, sondern etwas darunter ist, hat bis jetzt keine ausreichende Erklärung gefunden. 2d) Ungleichförmige Strömung in Flüssen und Kanälen. Die Bewegungs- zustände, die sich in einem Fluß vor oder hin- ter einem Wehr oder einer ähnlichen I^nter- brechung des stetigen Laufes einstellen, haben das Interesse der Hydrauliker in hohem Maß in Anspruch genommen. Bei Vorgängen, die sich innerhalb relativ kurzer Flußstrecken abspielen, kann man in erster Annäherung von der Reibung absehen, und erhält so die in III, id) dargelegten Gesetz- mäßigkeiten, Für viele Fragen ist indes ge- rade die Berücksichtigung des Strömungs- widerstandes von entscheidendem Einfluß. Man verwendet hierbei fast durchweg die einfache Chezy sehe Formel, mit einem passend gewählten Wert von C. Für den Fall, daß die Krümmung der Bahnen der Wasserteilchen nicht berücksichtigt zu wer- den braucht, wird sonach das Spiegelgefälle dz i = — , der Summe aus dem Widerstand dx w^ und der nach der Druckgleichung vor- . . , d /w=\ Ihandenen Beschleumgungswarkung ^-^ [^-j gleichzusetzen sein. Die Kontinuitäts- gleichung w.F = const. bringt, da der Stromquerschnitt von der Wassertiefe ab- ^ hängig ist, das Spiegelgefälle mit dem I Sohlengefälle i^ in Verbindung. Für einen breiten Fluß von gleichmäßiger 1 Sohlenneigung und von der Breite nach kon- 1 stauter WaNsertiefe (wo also der Profilradiiis n, gleicli der Wassertiefe a Avird) werden die : Verhältnisse am einfachsten. Es zeigt sich, daß man zu unterscheiden hat, ob die dem gleichförmigen Strömen entsprechende Ge- schwindigkeit kleiner oder größer ist als ! die Forti)flanzungsgeschwindigkeit der j Grundwellen (Gleichung (16) und (17)) Flüssigkeitsbewegung- 12D w = C(/aii ■^. l'ga was einfach i^ - f^ liefert. Man nennt Wasserläufe, deren Sohlen- cefälle kleiner als der kritische Wert ist, „Flüsse", die mit einem größeren Gefälle „Wildbäche". Unter Annahme des Eytel- we in sehen Wertes für C wird das kritische Gefälle = 0,0038. ebenfalls vielfach untersucht, so z. B. die Einwirkung von Ebbe und Flut auf Fluß- läufe, die zu sehr verwickelten Ergebnissen führt; ferner die Fortpflanzung von Hoch- wassern. Es ergibt sich hier, daß das Hoch- wasser, solange keine Ueberflutung der Ufer eintritt, mit etwa Vs der Strömungsgeschwin- digkeit weiter wandert (durch die wegen des höheren Wasserstandes schneller fließenden Wassermassen der Hochwasserwelle wird das im Fluß vorher vorhandene Wasser zu- Die Rechnung ergibt nun für Flüsse ober- sammengeschoben, so daß das Hochwasser halb eines Stauwerks stetigen Spiegelverlauf, \ schneller fortschreitet als das Wasser in für Wildbäche unstetigen Verlauf mit Wasser- ihm). Durch den Eintritt von Ueberflutungen Sprung. Der Ausgleich einer abweichenden wird die Fortpflanzung des Hochwassers Geschwindigkeit unterhalb eines Hinder- verlangsamt und die Höhe vermindert. nisses geht beim Wildbach immer stetig vor sich, beim Fluß dagegen unstetig oder stetig, je nachdem die Grundwellengeschwin- digkeit überschritten war oder nicht. In Figur 69 und 70 sind die aus den Rechnungen Ü^^a^fS.,^ Fig. 69. Fhiß. WiUlbach. Da die Wassermassen im Maximum des Hochwassers schneller fließen als die übrigen, so eilt das Maximum mit der Zeit vor, man findet deshalb regelmäßig, daß Hochwasser schnell steigen und langsam fallen. Von besonderem Interesse, aber noch nicht sehr weit geklärt, sind die Fragen nach der Wechselwirkung eines Flusses mit seinem Bett. Die Sohle des Bettes ist dadurch, daß bei geringen Geschwindigkeiten vom Fluß mitgeführte SinkstoltV abi^'csetzt, und bei größeren Geschwindigkeiten die Ab- lagerungen wieder angegriffen werden, in fortwährender Bewegung, so daß der Fluß durch seine Wasserbewegung die Form seines Bettes selbst bestimmt. Besonderen Einfluß hat natürlich die Aufeinanderfolge von Hochwasser und Niedrigwasser. Die vielfach beobachteten Sandbänke wandern dadurch, daß sie stromaufwärts von der Strö- mung angegriffen werden, und die in Bewegung gebrachten Massen sich hinter ihnen in ruliigerem Wasser wieder absetzen, langsam flußabwärts. In Krümmungen des Flusses gelangt das schneller fließende Oberflächenwasser durch Zentrifugal- wirkung nach außen und drängt das mit Sink- stoffen angereicherte Tiefenwasser nach innen; die Wirkung ist eine Vertiefung des Bettes auf der Außenseite, Verflachung innen. Die weitere Folge ist eine fortwährende Zunahme der Krüm- f olgenden „Staukurven" für ein bestimmtes Beispiel in stark verkürzter Darstellung wiedergegeben. Es sei hierzu erwähnt, daß der Fluß zwischen der ,, Spannschütze" j mung; es erklärt sich hieraus die auffallend ge und dem Wassersprung ,,wild" ist, während j wundene Form der meisten natürlichen Fluß- der Wildbach zwischen Wassersprung und laufe (Mäanderbildung). Diese Vorgänge werden der Spannschütze als Fluß läuft. | i.n/len Fhißbaulaboratonen im kleinen mit guter „;^ , ,. ., „ ,., . ' Übereinstimmung nachgeahmt. Wo starke Vertikalbewegungen auttreten, : ^ ^ & . . . müssen die Vertikalbeschleunigungen berück- 3- Widerstand von Korpern in Flussig- sichtigt werden; eineUebertragimg desinIII,id/i j keit. a) Allgemeine Bemerkungen über Auseinandergesetzten auf den Fall der Stiömung das Widerstandsgesetz. a) Für den mit Reibung ergibt u. a., daß der Fluß oberhalb des Stauwerks ohne Wellen, un erhalb mit Wellen | (von mit der Entfernung vom Stauwerk ab- j nehmender Höhe) fließt. Der Wildbach fließt I ohne Wellen, doch kann der Wassersprung, wenn das Gefälle nicht weit vom kritischen ab- weicht, durch Wellen abgelöst werden, von denen jede folgende stufenartig höher liegt (Bous- Widerstand, den eine Flüssii^keit der Be- w^egung eines in ihr befindlichen Körpers vermöge ihrer Trägheit entgegensetzt, hat schon Newton den Schluß gezogen, daß dieser Widerstand proportional der Flächen- ausdehnung des Körpers quer zur Bewegungs- richtung (F), ferner proportional der Dichte sinesci). Diese theoretischen Resultate stimmen der Flüssigkeit {q) und dem Quadrat der gut mit der Beobachtung. Geschwindigkeit (V) sein muß. Dieses Zeitlich veränderliche Strömungen sind Ergebnis läßt sich durch eine sehr einfache Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV. ^ 130 Flüssiglceitsbew egung Betrachtung nachprüfen: Der Körper muß sekundlich eine Flüssigkeitsmasse M = q.¥.Y aus seiner Bahn räumen, und erteilt dabei jedem Massenelement eine Geschwindigkeit, die seiner Geschwindigkeit proportional ge- setzt werden kann. Der Widerstand ist gleich der sekundlich erteilten Bewegungsgröße W - MV = ^FV^. Die näheren Einzelheiten der Newton- schen Theorie, die den Flüssigkeitswiderstand nach den Gesetzen des elastischen Stoßes behandelt (Newton dachte sich das Medium als aus freischwebenden ruhenden Massen- teilchen bestehend, die von dem bewegten Körper in regelmäßiger Weise reflektiert werden), haben sich allerdings nicht halten lassen; an Stelle der Newtonschen iVuf- fassung ist die hydrodynamische Auffassung getreten, nach der der Widerstand aus den bei der Umströmung des Körpers entstehen- den Druckdifferenzen und Reibungsspannun- gen besteht. Ein prinzipieller Unterschied zwischen den Ergebnissen der alten und der neuen Theorie ist der, daß bei der alten nur die Gestaltung der nach vorn gekehrten Flächen des Körpers in Betracht gezogen wird, während man jetzt weiß, daß die eigentlichen Widerstandsvorgänge hinter dem und mechanisch ähnliche Fälle verglichen werden, bei denen also die Reynoldssche VI ZahlR =- (1 ist irgendeine Vergleichslänge) denselben Wert hat, werden die Druckdiffe- renzen und Reibungsspannungen ini selben Verhältnis zusammenwirken, der Widerstand ist dann dem Produkt einer Druckdifferenz (oder auch einer Reibungsspannung) mit einer Fläche, auf die die Druckdifferenz wirkt, proportional. Die Druckdifferenzen sind pro- portional pV^ (vgl. etwa II, 2c), also der Widerstand W - qYW Der Proportionalitätsfaktor ist dabei nur so lange unveränderlich, als die Rey- noldssche Zahl unveränderlich ist; er ändert sich im allgemeinen mit ihr, kann also als Funktion von R geschrieben werden. Hiermit wird W = pFV2f(R). Ist in einem bestimmten Fall eine merk- liche Wirkung der Reibung rieht zu erwarten, so ergibt sich dem Vorstehenden gemäß eine merklich genaue Proportionalität des Wider- standes mit pFV- für alle in Betracht kommenden Verhältnisse, das heißt die Funk- tion von R wird durch eine Konstante (tp) ersetzt. Dies ist bei Platten, die senkrecht Körper zu suchen sind, und daß daher die 1 zu ihrer Ebene bewegt werden und bei ahn Ausbildung der hinteren Teile von größter '■ ' '"■ ' ' ■ - i- i- ~--^- j-.^. x^^^n Bedeutung sein kann. Auch ist hervorzu- heben, daß die alte Theorie den Widerstand irgend eines Körpers durch einfache Summie- rung über alle Flächenelemente (unter Ver- wendung eines für ebene Platten gewonnenen Gesetzes) erhalten wollte, während nach der hydrodynamischen Anschauung sofort ein- zusehen ist, daß dies unzulässig ist (Bei- spiel: die Strömung um ein Dieder, vgl. Figur 71, muß einen ganz anderen Verlauf nehmen, als um zwei einzelstehende, gleich geneigte Platten. Nach Versuchen von Ei f fei ist denn auch der Widerstand eines aus zwei quadrati- schen Platten mit Winkeln von 30" gegen die Bewegungsrichtung bestehenden Dieders etwa 60 "/o des der einzelstehenden Platten, während nach der alten Theorie beide Objekte den gleichen Widerstand haben müßten). Ueber die allgemeine Form des nach der Hydrodynamik zu erwartenden Wider- standsgesetzes für eine bestimmte Art von Körpern läßt sich aus den Betrachtungen I X)a cfies im allgemeinen nicht zutrifft, sind hier über mechanische Aehnlichkeit (II, 5c) fol- Abweichungen von den obigen Gesetzmäßigkeiten gendes aussagen. So lange nur geometrisch | zu erwarten. liehen Objekten ziemlich genau der Fall. Für kreisförmige Platten ist der Faktor etwa ip = 0,56. Spielt dagegen die Reibungswirkung die Hauptrolle, wie z. B. bei Platten, die in ihrer Ebene bewegt werden, so sind starke Abweichungen vom Newtonschen Gesetz zu erwarten. Man findet, (für R > 2 200 000) bei recht- eckigen dünnen Platten nach Messungen von Gebers etwa f(R) = 0,0123 ( ^-|'''^" (dies gibt für R = 2 200 000 bezw. 120 000 000 die Werte 0,0017 bezw. 0,0010); für kleinere R, wo die Strömung nicht mehr turbulent verläuft, wird ^ 1,327 nach der Theorie (Blasius) f (R) = ^^^ Für die allerkleinsten Geschwindigkeiten (R klein gegen 1) ergibt sich das Stokessche Gesetz (vgl. II, 5 d), dem ein zn - proportionales f (R), also ein Widerstand proportional V ent- spricht. Der Uebergang zwischen diesem Gesetz und den obigen ist noch nicht genügend unter- sucht. Anmerkung. Die vorstehenden Gesetze für große R gelten nur für glatte Oberflächen. Bei rauhen Oberflächen würde die mechanische Aehnlichkeit nur zutreffen, wenn bei ähnlichen Körpern auch die einzelnen Höcker usw. der rauhen Oberfläche geometrisch ähnlich sind. Flüssigkeitsbewegung 131 ß) Im allgemeinen Fall eines allseitig von Flüssigkeit nmgebenen bewegten Kör- pers läßt sich der Widerstand der Flüssigkeit immer in zwei Teile zerlegen, den Druck- widerstand und den Reibungswider- stand. Man kann nämlich auf jedem Flächen- element die von der Flüssigkeit auf den Körper übertragene Kraftwirkung in eine Normalkomponente und eine Tangential- komponente, d. i. in eine Druckkraft und eine Reibungskraft, zerlegen. Die Resultante aller Druckkräfte ist der Druck widerstand, die Resultante aller Reibungskräfte der Reibungswiderstand. (Bei rauhen Ober- flächen wird man dabei aus praktischen Rücksichten die Zerlegung nach einer dem mittleren Verlauf der Fläche angepaßten glatten Idealfläche vornehmen. Der nach der strengen Definition auf die einzelnen Rauhigkeiten entfallende Druckwiderstand wird so mit zum Reibungswiderstand ge- schlagen.) Die Trennung des Gesamtwider- standes in diese beiden Teile läßt sich im Experiment so durchführen, daß man die Druckverteilung um den Körper beobachtet, und daraus durch Rechnung den Druck- widerstand ermittelt. Ist der Gesamtwider- stand durch eine Kraftmessung beobachtet, so ergibt die Differenz den Reibungswider- stand. Von der Vorstellung ausgehend, daß zwar der Druckwiderstand stark von der Form des Körpers abhänge, daß aber der Reibungswiderstand im wesentlichen nur von der Größe der Oberfläche und nicht von der Form des Körpers abhängig sei, hat man die Trennung des Widerstandes in einen Form wider stand und einen Ober- flächen wider stand vorgeschlagen. Neuera Versuche weisen indes darauf hin, daß auch der Reibungswiderstand stark von der Formgebung abhängt, y) Bei Körpern, die sich an der freien Oberfläche der Flüssigkeit bewegen, kommt noch ein weiterer Widerstand, der Wellen- widerstand hinzu, der durch das von dem Körper bei der Bewegung erzeugte Wellen- system verursacht wird (vgl. III, ib). Da die Wellenbewegung unter dem Einfluß der Erdschwere vor sich geht (von den Kapillar- kräften sei abgesehen), so ist hier ein anderes mechanisches iVehnlichkeitsgesetz maß- gebend, wie bei den Reibungsvorgängen. Aus Geschwindigkeit (V), Länge (1) und Erd- schwere (g) läßt sich eine dimensionslose Zahl Y2 ^1 bilden. Das zu erwartende Wellensystem wird bei zwei verschieden großen Aus- führungen einer Schiffsform (z. B. Modell und Schiff) geometrisch ähnlich ausfallen, wenn diese Zahl denselben Wert annimmt, wenn sich also die Geschwindigkeiten ver- halten wie die Wurzeln aus den Längen (Froudesches Gesetz). Der Wellenwiderstand ist mit kleinen Aenderungen der Schiffsform und der Ge- schwindigkeit sehr stark veränderlich; bei einer Verlängerung des Schiffskörpers kann er sowohl wachsen, wie abnehmen, je nachdem die Heckwelle, die mit dem vom Bug kom- menden Wellensystem interferiert, dieses verstärkt oder abschwächt. — In seichtem Wasser kann sich das Wellensystem ganz erheblich modifizieren. Der Widerstand wächst ganz erheblich an, wenn das Schiff gerade mit der Geschwindigkeit der Grund- welle (III, ic) fährt. Dem Wellenwiderstand entspricht ein in dem Wellensystem vorhandener Impuls; am Schiff selbst macht er sich als ein Teil des Druckwiderstandes geltend. Der andere Teil des Druckwiderstandes, der dem ge- wöhnlichen Druckwiderstand eines allseitig von Flüssigkeit umgebenen Körpers ent- spricht, findet sich in dem Impuls der Kiel- wasserwirbel wieder und heißt^deshalbauch Kielwasserwiderstand. ^ Da der Reibungswiderstand und der Kiel- wasserwiderstand, abgesehen von den Störungen durch die Wellenbildung, die Reynoldssche Aehnlichkeit befolgt, der Wellenwiderstand aber die Froudesche Aehnlichkeit, sind streng über- tragbare Modellversuche unmöglich. Da bei den Schiffen der Wellenwiderstand das Hauptinteresse besitzt, hält man sich bei den Versuchen in den Schiffsmodell-Schleppanstalten an die Froude- sche Aehnlichkeit und berücksichtigt die anderen Widerstandsanteile nach Erfahrungsregeln. d) Eine wichtige Frage ist noch die, wie sich der Widerstand eines Körpers in ruhender Flüssigkeit zu der Kraft verhält, die eine strömende Flüssigkeit auf einen ruhenden Körper ausübt. Wenn die strömende Flüssigkeit sich in allen Teilen vollkommen gleichförmig bewegt, so kann nach den Gesetzen der allgemeinen Mechanik zwischen beiden Fällen kein Unterschied bestehen, da die Hinzunahme einer gemeinsamen gleichförmigen Bewegung (entgegengesetzt gleich der Geschwindigkeit des Körpers, so daß dieser in Ruhe versetzt wird) an dem Ablauf von mechanischen Vorgängen nichts ändert. Einen Unterschied aber macht es, ob die Flüssigkeit bei ihrer Bewegung gegen den Körper vollkommen gleichförmig oder ob sie turbulent strömt. Die Widerstände sind in der Regel im zweiten Fall größer. Da natürliche Flüssigkeits- strömungen (Wind, Strömung in Kanälen usA\.) bei großen Abmessungen regelmäßig turbulent sind, wird man solche Unterschiede immer beobachten. Wenn man zum Zwecke von Widerstandsversuchen die Verhältnisse eines in ruhender Flüssigkeit bewegten Körpers mit einem in strömender Flüssigkeit 9* 132 Flüssigkeitsbewegung ruhenden Modell nachahmen will, so wird man durch geeignete Beruhigungseinrich- tungen (Leitflächen, Siebe) für einen an- genähert gleichförmigen Flüssigkeitsstrom zu sorgen haben. 3b) Hydrodynamische Betrach- tungen über den Flüssigkeitswider- stand, a) Die einfache Potentialströmung der reibungslosen Flüssigkeit liefert für einen gleichförmig bewegten Körper in sonst un- gestörter Flüssigkeit niemals einen Wider- stand, noch auch einen zur Bewegung senk- rechten Auftrieb; nur Kräftepaare, die den Körper irgendwie zur Richtung der Relativ- bewegung gegen die Flüssigkeit einzustellen suchen, werden gefunden, ferner werden bei ungleichförmiger Bewegung Kräfte gefunden, die der Beschleunigung proportio- nal sind, und die daher nichts anderes be- deuten als eine Vermehrung der Träg- heit des Körpers durch die bei be- schleunigter Bewegung mit zu beschleunigen- den Flüssigkeitsmassen. Diese ,, scheinbare Masse" ist z. B. bei einer Kugel nach der Theorie gleich der halben von der Kugel ver- drängten Flüssigkeitsmasse. Daß die gewöhnliche Potentialbewegung in allseitig unbegrenzter Flüssigkeit nie einen Wider- stand in der Bewegungsrichtung oder auch eine Kraft quer dazu ergeben kann, ist leicht aus dem Impulssatz zu ersehen, wenn man bedenkt, daß die durch den Körper in die Flüssigkeit hereingebrachte Störung, sowohl was die Ge- schwindigkeits- wie die Druckabweichungen be- trifft, nach allen Seiten sehr rasch, nämlich proportional zu I- J abklingt (1 Körperlänge, r Abstand des betrachteten Punktes). Mittels einer Kontrollfläche (II, 4) im Abstand r wird man also um so kleinere Beiträge zum Impuls vorfinden, je größer der Abstand r gewählt wird (denn die Fläche wächst nur wäe r^). Zum Zustandekommen eines Widerstandes müßte aber von dem Körper ein endlicher Betrag von Impuls in der Flüssigkeit zurückgelassen werden, und dieser daher auch in allen Kontrollflächen, die man um den Körper zieht, gefunden werden. Die Betrachtung ist, wie nebenher betont sein möge, für den Fall, daß ein zweiter Körper oder eine Wand in endlichem Abstand von dem unter- suchten Körper vorhanden ist, nicht mehr gültig (weil man hier die Kontrollfläche nicht ohne weiteres ins Unendliche rücken kann). In der Tat zeigt eine nähere Untersuchung, daß Kräftewirkungen zwischen zwei Körpern oder einem Körper und einer Wand auch bei reiner ; Potentialbewegung vorkommen (vgl. III, 3d). Daß : in der Bewegungsrichtung nur ein Widerstand gegen Beschleunigung, aber kein Widerstand bei i gleichförmiger Bewegung auftreten kann, ist auch aus der Betrachtung der Energie der i Flüssigkeitsbewegung herzuleiten. Diese kann I zwar durch Geschwindigkeitsänderung vermehrt i oder vermindert werden, aber sie erleidet in keiner Weise eine Zerstreuimg, sondern bleibt um den Körper konzentriert. Diese Betrachtung bezieht sich jedoch nicht airf den Fall einer freien Wasseroberfläche; hier findet in den Wellen, die vom Körper ausgehen, eine Energie- zerstreuung statt, die dem Wellenwiderstand I entspricht. j ß) Das Ergebnis der einfachen Potential- theorie, daß der Widerstand Null ist, steht in unmittelbarem Zusammenhang damit, daß diese Theorie von der Flüssigkeitsreibung I keinerlei Notiz nimmt. Die bei der Annahme I einer sehr kleinen Reibung (II, 5e) auftreten- I den Trennungsschichten und die aus diesen entstehenden Wirbel sind der eigentliche Sitz des Druckwiderstandes. I Die Helmholtz- Kir c h hof f s c h e n Trennungsschichten an einer ebenen Platte (vgl. II, 2f und Figur 23) liefern bereits einen Widerstand proportional F^V^, aller- ' dings einen kleineren, als das Experiment ihn ergibt. Dies rührt davon her, daß bei Kirch- |hoff im „Totwasser" hinter der Platte der- 1 selbe Druck wie in der ungestörten Flüssigkeit herrscht, während sich nach den Beobach- ■tungen hinter der Platte unter der Wir- kung der dort vorhandenen Wirbel ein Unter- druck einstellt. Der Ueberdruck auf der j Vorderseite wird dagegen von der Kirchhof f- 1 scheu Theorie ziemlich genau wiedergegeben, I da die Strömungsform hier nahezu mit der wirklichen übereinstimmt. Bei der wirklichen Strömung um einen Körper beobachtet man häufig ein mehr oder Fiff. Fl ü ssigkeitsbe wegung- 133 minder regelmäßiges Pendeln des Wirbel- systems hinter dem Körper; bei ebenen Bewegungen (z. B. bei einem langen zylin- drischen Stab) werden bei diesem Pendeln von dem Wirbelsystem abwechselnd rechts und links drehende Einzelwirbel abgespalten, die nun in regelmäßiger Reihe hinter dem Körper einherziehen, vgl. Figur 72 (Auf- nahme von Rubach). Diese Beobachtung veranlaßte Th. v. Kärmän, die Stabilität eines solchen Wirbelsystems zu untersuchen. Es zeigte sich, daß allein ein ganz be- stimmtes System stabil ist, nämlich eins mit einem Verhältnis des Abstandes der zwei Wirbelreihen h zur Teilung 1 von 0,283, vgl. Fig. 73 (die Stabilität ist nicht Fig. 73. vollkommen, gegen Störungen von der Wellenlänge 2 1 ist das System indifferent). Der fortwährenden Neuerzeugung von solchen Wirbeln entspricht, wie eine Impulsbetrach- tung zeigt, ein Widerstand. Es ist ein schöner Erfolg dieser Theorie, daß aus einer photographischen Ausmessung des Wirbelsystems und Beobachtung der Ge- schwindigkeit der Wirbel der Widerstand des wirbelerzeugenden Körpers in guter Uebereinstimmiing mit den Widerstands- versuchen gefunden wurdö'. y) Ein anderer Erfolg der Theorie, der auch zunächst für die ebene Strömung errungen wurde, ist die Erklärung des Auftriebs von Flügelprofilen durch die Potentialbewegung mitZirkulation(II,2e),vonKutta und Schu- ko wski. Der letzterehat mittels des Impuls- satzes den allgemeinen Beweis geführt, daß an irgend einem sehr langen zylindrischen Körper (Länge 1) ein Auftrieb von der Größe qFYI entsteht, wenn er mit der Geschwindig- keit V vorwärts bewegt wird, und die Strö- mung dabei die Zirkulation r aufweist. Da die Zirkulation regelmäßig der Geschwin- digkeit proportional ist, kommt man auch hier auf das quadratische Widerstandsgesetz. Der Auftrieb kommt dadurch zustande, daß durch die Ueberlagerung der gewöhn- lichen Potentialbewegung mit der Zirkula- tionsbewegung (vgl. Fig. 21) eine Verlang- samung der Strömung, also eine Druck- steigerung unter dem Flügel und zugleich eine Verschnellerung und daher eine Druck- verminderung (Saugwirkung) über dem Flü- gel entsteht. Nach praktischen Messungen kann die Saugwirkung dabei das Dreifache der Druckwirkung betragen (entgegen der Laienvorstcllung, daß die ,, Verdichtung der Luft unter den Flügeln" die Hauptsache sei). Die Zirkulationsbewegung, auch Peri- pteralbewegung genannt (Lanc bester), hat bei einem allseitig von Flüssigkeit um- gebenen Flügel (Tragfläche eines Aeroplans) die in II, 3c) beschriebenen, an den Flügel- enden austretenden Wirbel im Gefolge (die Wirbel entstehen aus einer sich spiralig aufrollenden Trennungsschicht, die am Flügelende durch die Druckunterschiede er- zeugt wird: die Flüssigkeit strömt auf der Saugseite nach innen ab, auf der Druckseite nach außen). Das Wirbelpaar hat pro Längeneinheit die Bewegungsgröße gTä (d = Distanz der Wirbelvoneinander). Da von dem Wirbel- paar pro Sekunde ein Stück von der Länge V neugebildet wird, ist demnach der dem Auf- trielD gleichzusetzende Impuls ^rd.V. Der Vergleich mit der obigen Schuko wski- schen Formel, in der 1 die ,, tragende Länge" des Flügels bedeutet, liefert d = 1. Das Wirbelpaar wirkt auf die Form, in der die Flüssigkeit dem Flügel zuströmt, zurück, indem es einen absteigenden Strom erzeugt, und dadurch den erzeugten Auftrieb im Vergleich mit dem aus den Kuttaschen und Schuko wskischen Rechnungen für den „unendlich breiten Flügel" folgenden ver- mindert (Prandtl). Die an diese Gedanken- gänge geknüpften Rechnungen für einfache Aeroplanf lachen wie für ,, Doppeldecker" haben durch das Experiment eine gute Be- stätigung gefunden. Mit dieser Bewegung ist auch ein Wider- stand verknüpft, der der im Wirbelsystem gebliebenen Energie entspricht. Ein aerodynamisch verwandter Vorgang liegt der PxMihachtuug von Lord Rayleigh zu- grunde, daü ein Ball, der um eine zur Bewegungs- richtung senkrechte Richtung eine starke Rotation besitzt, beim Flug durch die Luft deutliche Ab- lenkungen aufweist; es ist sogar, wenn der Ball unter der Mitte angeschlagen wird, möglich, durch den entstehenden Auftrieb die Schwere zu überwinden. Die Erklärung hierfür ist, daß durch die Rotation eine unsymmetrische Ab- lösung der Grenzschicht verursacht wird, und so die zum Auftrieb nötige Zirkulation ent- steht. d) Die Vorgänge in Schraubenpropellern lassen sich nach den gleichen Grundsätzen be- urteilen, wie die an den Tragflächen (Flügeln) der Aeroplane; die Verhältnisse werdeii hier allerdings so verwickelt, daß bisher noch keine rechnerischen Schlüsse aus dem hydro- dynamischen Bilde haben gezogen werden können. Jeder' Flügel der Schraube kann als 134 Flüssigkeitsbewegmig ein im Kreise geführter Aeroplan angesehen werden und läßt ganz entsprechend Figur 25 sowohl am äußeren Ende wie am inneren einen seiner Zirkulation entsprechenden Wir- bel hinter sich. So ergibt sich das in Figur 74 Fig. 74. dargestellte Wirbelgebilde; der Raum zwi- schen dem äußeren und inneren Wirbelsystem ist dabei von dem Schraubenstrahl erfüllt, d. h. von den von der Schraube in Bewegung gesetzten Flüssigkeitsmassen, deren fort- schreitende Bewegung dem Schraubenschub, deren drehende (Zirkulationsbewegung um das innere Wirbelsystem) dem Schrauben- drehmoment entspricht. Eine schematische Darstellung der Strömung im Schrauben- strahl, bei der die Drehung im Strahl zur Vereinfachung vernachlässigt ist, gibt die Figur 75. Fig. 75. ■ Die älteren Schraubentheorien gehen entweder von der Vorstellung aus, daß ein- zelne voneinander hinreichend weit entfernte Flügel in ruhender Flüssigkeit eine schrauben- förmig fortschreitende Bewegung ausführen und vernachlässigen so die gegenseitige Ein- wirkung der Flügel aufeinander (Fron de sehe Flügelblattheorie), oder sie knüpfen ihre Be- trachtungen an den Schraubenstrahl an, der zu diesem Zweck gewöhnlich als ein glatter Strahl mit homogener Geschwindigkeits- verteilung unter Hinzunahme einer gleich- förmigen Rotation angesehen wird (Ran- kine sehe Schraubenstrahltheorie). Die Vor- gänge innerhalb der Schrauben werden hier- bei nach Art der Turbinentheorie behandelt. Neuerdings ist mehrfach, so z. B. von H. Reißner mit Erfolg versucht worden, die An- sätze beider Theorien zu vereinigen, und so in der Hinzunahme der Impulssätze zur Flügel- blattheorie die Wirkung der Schraubenblätter aufeinander angenähert zuberücksichtigen. Durch Hinzunahme von Erfahrungswerten vermögen diese nichthydrodyrtamischen Theorien praktisch durchaus befriedigende Ergebnisse zu liefern. 3c) Der Flüssigkeitswiderstand nach den Ergebnissen der Experi- mente. Da bei der großen Kompliziertheit der hinter einem Körper wirklich eintretenden Wirbelbewegung eine genaue mathematische Analyse bisher in keinem Falle durchführbar war, ist man immer auf die Versuche an- j gewiesen. Die Experimente zeigen dabei je nach der iVrt ihrer Anstellung leicht ! große Abweichungen. Die älteren Versuche j sind zum großen Teil unbrauchbar, weil ! man nur auf die Vorgänge auf der Vorder- seite achtete, und den Widerstandsvorgang durch irgendwelche seitlich oder hinter dem Körper befindliche störende Objekte ver- änderte. Von den neueren Versuchen zeigen diejenigen, bei denen die Körper in ruhender Luft geradlinig und annähernd gleichförmig bewegt werden, gute Uebereinstimmung mit denen, wo ein gleichförmiger, nicht turbulenter Luftstrom an dem ruhenden Körper vorbeigeführt wird. Versuche, die am Rundlauf ausgeführt werden (d. h. an einem rotierenden Ai-m, mittels dessen die Körper im Kreise herum bewegt wer- I den), zeigen, wenn der Kreis nicht gegen- I über den Abmessungen des Objektes sehr groß ist, charakteristische Ab- I weichungen. Untersuchungen in einem i turbulenten Strom, wie auch im natürlichen Wind, der ebenfalls turbulent ist, geben große Abweichungen. Darauf, daß die Befesti- gungsteile nicht viel Luftwiderstand bieten, ist besonders zu achten. Die Abhängigkeit der Luftwiderstands- j Ziffern von der Formgebung der Körper ist I sehr verwickelt und läßt die Aufstellung einfacher Gesetze in fast keinem Falle zu. ■ Auffällig ist z. B. der große Einfluß der Ge- stalt des äußeren Umrisses bei ebenen Platten. Eine länglich rechteckige Platte verhält j sich z. B. ganz anders als eine quadratische I Platte (s. unten). I Einige geradezu paradoxe Ergebnisse mögen I hier vorangestellt werden : Eine I\jeisscheibe, ein Kreiszylinder von einer Länge gleich dem ; Durchmesser und einer von einer Länge gleich : dem Anderthalbfachen des Durchmessers (alle I senkrecht zur Kreisfläche bewegt) haben nach Eiffel (Fallversuche am Eiffelturm) eine Wider- standsziffer 0,56; 0,55; 0,405. Die Zahlen sind in der Göttinger Modellversuchsanstalt (künstlicher Luftstrom) nachgeprüft und bestätigt worden. Daß der längere Zylinder weniger Widerstand hat wie der kürzere, kann nur so erklärt werden, daß in diesem Fall das Wirbelsystem (wahi-- scheiiüich dm-ch Anlegen der Strömung an die Mantelfläche des Zylinders) kleiner ausfällt als Flüssigkeitsbewegun g 135 in den beiden anderen Fällen. — Eine quadra- [ tische Platte, die gegen die Bewegungsrichtung um 40" geneigt ist, hat, je nachdem sie von ' steileren oder flacheren Neigungen her in diese j Stellung gebracht worden ist, verschiedene Widerstände. Die Widerstandsziffer ist im letzteren Fall um etwa 50 % größer als im ersteren und um 55% größer als bei 90»! (0. Föppl, Göttinger Modellversuchsanstalt). Dem ent- spricht die Beobachtung von zwei verschiedenen Wirbel Systemen mit stärkerer und schwächerer Ablenkung der Strömung. Bei turbulenter Be- wegung des Luftstromes bleibt die Erscheinung aus (Eiabuschinsky). -- Der Widerstand von Kugeln zeigt nach Eiff el (künstlicher Luftstrom) folgende Merkwürdigkeit, die geeignet ist, die; Verwendbarkeit von Kugeln zur \Vindstärke- messung in Frage zu ziehen: die Widerstands-' Ziffer sinkt mit zunehmender Geschwindigkeit V Vr zwischen den Reynoldsschen Zahlen — - = 60 000 bis 75 000 von etwa 0,21 auf etwa 0,085, um dann diesen 2i2iiial kleineren Wert be- allen bisher untersuchten größeren Geschwindig- keiten beizubehalten. Der verschiedene Wider- stand spricht sich auch in der verschiedenen , Gestalt der Wirbelgebilde aus. Eine Erklärung dieses Verhaltens fehlt vollständig. j Die folgenden Zahlenangaben über den i Luftwiderstand einiger wichtigerer Objekte beziehen sich immer auf die dimensionslose W Größe -p^-, die in III 3 a) als f(K) be- zeichnet wurde, die aber hier, da es sich nur um das angenähert quadratische Luftwider- standsgesetz handeln soll, als Konstante an- gesehen werden kann. Wenn, wie bei einfachen Widerständen üblich, als Fläche F die Pro- jektion des Körpers in der Bewegungsrichtung gewählt ist, soll die Widerstandsziffer mit y bezeichnet werden. Wenn es sich dagegen um die Tragkräfte an Platten und Flügeln handelt, so ist es üblich, als Fläche F die größte Projektion (also bei ebenen Platten die Plattenfläche selbst) zu nehmen. Die auf diese Fläche bezogenen Ziffern mögen mit C bezeichnet werden, und zwar ist tA die Auftriebsziffer (A = u^FV2 die Auf- triebskraft senkrecht zur Bewegung) und 4\v die Widerstandsziffer (W = ^vv^^V^ der Widerstand in der Bewegungsrichtung). a) Einfacher W id e r s t a n d. Um einen Anhalt über die Zahlenwerte zu geben, sind hier einige Werte zusammengestellt: Quadratische Platte, senkrecht zur Bewegungsrichtung i|' Rechteckplatte, Seitenverhältnis 1:50, senkrecht zur Bewegungsrichtung. i|' (zum Vergleich: Kirchhoffscher Wert für die unendlich lange Platte) . . ij' Langer Kreiszylinder (Draht), Achse senkrecht zur Bewegungsrichtung, Revnoldssche Zahl ^'^ > 500 . . . i|' V (Bei kleineren Reynoldsschen Zahlen etwas größer.) Bestes Luftschiffmodell, vgl. Figur 76 (Druckwiderstand) ij; = 0,02 Kreisplatte, Kugel, Zylinder mit Achse parallel zur Bewegungsrichtung s. oben. 0,55 0,78 0,440 0,45 Fig. 76. ß) Auftrieb und Widerstand von Tragflächen. Hier interessiert die Abhängigkeit von dem Neigungswinkel a der Fläche (oder bei gewölbten Flügeln der Sehne des Profils) gegen die Bewegungs- richtung. In der Flugtechnik kommen haupt- sächlich die kleinen Winkel, bis zu 10° etwa, in Frage, da nur bei diesen Winkeln große Auftriebe mit kleinen Widerständen erreicht werden (das Verhältnis ^, = ' ist ein ^ W Cw Gütemaß für die Eignung einer Fläche als Tragfläche).' Die flachgewölbten Flächen erweisen sich als günstiger als die ebenen, weil sie sich der Zirkulationsströmung besser anpassen wie diese. Am günstigsten scheinen Profile zu sein, die, dem Vogelflügel ähnlich, an der Vorderkante leicht gerundet, an der Hinter- kante scharf auslaufen, vgl. Figur 77. — Fig. 77. Von großem Einfluß ist auch die Umrißform der Flächen. Nur solche Flächen, deren Er- streckung quer zur Bewegungsrichtung (1) die in der Bewegungsrichtung gemessene Breite (b) um ein Vielfaches übertrifft, er- geben günstige Verhältnisse. Die besten ge- A messenen Werte von ^ (bei 3 bis b'^ Neigung der Sehne) sind bei ebenen Platten etwa 8, bei kreisförmig gewölbten etwa 15 (bei einem Wölbungspfeil von V20 bis V25 der Sehne). Bei Profilen nach Figur 77 dürfte die Zahl 20 erreichbar sein. Für den Verlauf des Auftriebs solcher länglicher Flächen mit dem Winkel a ist sehr charakteristisch, daß in einem kleinen Winkelbereich (etwa 0 bis 8° bei ebenen, — 3 bis 9" bei flach gewölbten Flächen) die Auftriebsziffer Ca nach einem annähernd geradlinigen Gesetz von Null bis zu einem Wert von 0,35 (bei ebenen Flächen) bis 0,5 (bei flach gewölbten Flächen) ansteigt und dann annähernd konstant wird oder langsam ■ weiter steigt. Die Vorgänge bei den kleinen Winkeln werden! recht befriedigend durch die Ergeb- 136 FlüssiffkeitsbewesTino^ nisse der Kutta-Schukowski sehen Theorie wiedergegeben, besonders, wenn man die durch die endliche Länge des Flügels er- forderlichen Korrekturen anbringt. Für ebene Flächen] st nach Kutta jA='rsina; nach dem Experiment erhält man an Stelle von TT = 3,14 für das Längenverhältnis 1:1 1:2 1:4 1 die Werte 0,95 1,4 2,0 2,5 Der Widerstand ergibt sich weniger ab- hängig vom Seitenverhältnis. Bei kleinen Winkeln ist annähernd ^tw = c^ + Cg sin \c, wo- bei Cj der sehr kleine Widerstand für die Stellung parallel zum Wind ist, und Cg ungefähr mit den Zahlen der vorstehenden Tabelle über- einstimmt. Bei gewölbten Platten ist das all- gemeine Verhalten ähnlich, nur daß sich schon bei kleinen negativen Winkeln der Sehne mit der Bewegimgsrichtung Auftrieb zeigt (er ist Null etwa bei — 3"), und daß überhaupt größere Werte des Auftriebs erreicht werden, was aero- dynamisch durch die günstigere, der Strömungs- form angepaßte Gestalt zu erklären ist. Das Verhalten des Gesamtwiderstandes von ebenen Platten verschiedenen Seitenverhältnisses, sowie das von Auftrieb und Widerstand bei nach einem Kreisbogen gewölbten Platten vom Seiten- verhältnis 1:4 und verschiedenem Wölbungs- verhältnis (Verhältnis von Wölbnngspfeil zur Sehne) ist in den Figuren 78 bis 80 dargestellt. erhält man rechnerisch zwischen zwei Kugeln, die sich mit gleicher Geschwindigkeit hinter- einander her bewegen. Abstoßung, zwischen solchen, die sieh nebeneinander her bewegen, Anziehung. Man kann dieses Resultat da- durch erklären, daß bei den hintereinander 10° 20° 30° 40° (9. Auftrieb von gewölbten Flächen. 0,9 :§ /i " 0,5 / / 1 1 - 07 ~ 1 j^ Jr 1:8 06 '^ _Ji4:-— - 0.5 -^"Yi : 0,4 0,3 1 ^X— 1:1 1 ! -'—"Rayieig^ 0,2 0,1 -1:8 1 1 1 1 1 I oC" Fiir. 80. 10° 20° 50° 40° Widerstand von gewölbten Flächen. 0° 10° 20° 30° 40° 50° 60° 70° 80° 90° Fig. 78. Gesamtwiderstand von ebenen Flächen. Bei ,, Doppeldeckern" (zwei Flügeln über- einander) findet man für jeden Flügel kleineren Auftrieb, und ein geringeres Verhältnis ==, weil jeder Flügel in dem absteigenden Luftstrom des anderen steht. Trotzdem sind sie oft vorteilhaft, weil sie in gegebenen Raumabmessungen größeren Auftrieb zu erzeugen vermögen als Eindecker. 3d) Wechselwirkung zwischen mehreren in einer Flüssigkeit be- wegten Körpern, a) Bewegen sich mehrere Körper in einer Flüssigkeit, so treten Kräfte zwischen ihnen auf, die allerdings in den meisten Fällen sehr klein ausfallen und sich daher der Beobachtung entziehen. Unter Voraussetzung der drehungsfreien Bewegung her bewegten Kugeln zwischen ihnen die Geschwindigkeit gemindert und daher das Gebiet mit Ueberdruck vergrößert ist; bei den nebeneinander her bewegten Kugeln ist zwischen ihnen die Geschwindigkeit erhöht und daher der Druck erniedrigt. Die erstere Erscheinung ist wogen der hinter dem ersten Körper sich bil(k>n(h'n AVirbel in Wirklichkeit häufig in ihrGegenteil verkehrt, die zweite aber z.B. bei nebeneinander geschleppten Schiffen sehr deutlich zu beobachten. Die Symmetrie- ebene zwischen l)eiden Körpern läßt sich in dem zweitbetrachteten Fall durch eine Wand ersetzen; man schließt hieraus, daß ein längs der Wand bewegter Körper sich der Wand zu nähern versucht. Hiermit hängt die Er- scheinung zusammen, daß in einem Kanal fahrende Schiffe die Neigung haben, sich der Kanalwand zu nähern. /5) Zu sehr bemerkenswerten Ergebnissen wurde C. A. Bjerknes bei der Untersuchung der Bewegung einer Flüssigkeit geführt, in der sich Kugeln befinden, die eine rasche Hinundherbewegung ausführen oder deren Volumen sicli perindiscli ändert (pulsiert). Man kann beide Flüssigkeitsbeweguugen, I soweit sie eine einzige Kugel betreffen, durch isehr einfache, zeitlich periodische Polen- Flüssigkeitsbeweguni. 137 tiale darstellen: für die pulsierende Kugel A (|) = cos oj t, für die in der X-Richtung schwingende # Ax cos (0 t ; dabei ist r yx2+y2+z'^ (vgl. II, 2b und c). Die Potentiale haben unverkennbare Aehnlich- keit mit den magnetischen Potentialen eines einzelnen Magnetpoles und eines kurzen Magnetstabes (ebenso mit den elektro- statischen Potentialen eines geladenen Kör- pers und eines Dipols). Die Schwingungsrich- tungen und -stärken der Flüssigkeit stimmen sowohl im Falle gleichnamiger wie ungleich- namiger Pole (Kugeln, die gleichzeitig ihr Volumen vergrößern und verkleinern, Isezw. solche, bei denen die Vergrößerung der einen mit der Verkleinerung der anderen zu- sammenfällt) mit den Richtungen und Stärken der magnetischen bzw. elektrischen Feld- stärke überein, so daß also in kinematischer Hinsicht eine volle Analogie besteht (vgl. Figur 81 und 82.) apparate von hoher Vollkommenheit ge- schaffen, mit denen sich die elektrostatischen und magnetischen Vorgänge (auch verwickei- tere) sehr getreu naclialiuicn lassen. Dal.) die Vorgänge sich, trotz der Flüssigkeitsreibung, genau nach den Voraussagen der Theorie abspielen, liegt wesentlich daran, daß bei den kurzen und schnellen Schwingungen eine Grenzschichtablösung und Wirbelbildung nicht eintritt (vgl. II, 5e). Anhang. Messung von Druck, Geschwindigkeit und Menge von bewegten Flüssigkeiten. fa) Die Druckmessung in bewegter Flüssigkeit begegnet der Schwierigkeit, daß durch das Rohr (oder eine sonstwie geformte Sonde), das man in eine strömende Flüssigkeit einführt, um den Druck an einer Stelle nach einem Druckmesser (Manometer, Mikromanometer usw., vgl. den Artikel , .Flüssigkeit") hinzuleiten, der Druck gerade da gestört wird, wo man ihn messen will. Durch Verkleinerung der Sonde werden die Druckdifferenzen vor der Sondenöffnung nicht verkleinert, bleiben im Gegenteil von der Größen- ordnung des Staudrucks (,,dynamischenDrucks") w2 2" Wenn Abweichungen von dieser Grööen- Fiff. 81. Ordnung nicht zulässig sind, so sind solche Formen der Sonde zu wählen, bei denen sich gerade der Druck der ungestörten Flüssigkeit einstellt. Ist eine glatte Wand vorhanden, so gibt eine feine Anbohrung in der Wand den Druck der Flüssigkeit vor der Wand gut wieder; ein Grat am Lochrand, oder Ein- oder Ausbeuhmgen am Loch müssen dabei peinlichst vermieden werden. Die Lochränder können leicht abgerundet werden, vgl. Figur 83. Um den Druck im Innern zu messen, kann man in Verwendung des Grundgedankens der Wandanbohrung eine vor das Ende eines dünnen Rohres gelötete, in der Mitte durchbohrte, sehr feine Scheibe (S ersehe Scheibe, Fig. 84) benutzen Fig. 82. Das Bemerkenswerteste ist nun aber die Entdeckung, daß bei diesen Bewegungen Anziehungen und Abstoßungen um- gekehrt proportional dem Quadrat der Entfernung auftreten, genau wie bei den magnetischen und elektrostatischen Wir- kungen. Allerdings ist insofern ein funda- mentaler Unterschied vorhanden, als bei der hydrodynamischen iVnalogie gleich- namige Pole sich anziehen, ungleichnamige sich abstoßen, während in der Elektrostatik und Magnetostatik das Umgekehrte zutrifft. Der Sohn von C. A. Bjerknes, V. Bjer- knes, hat nicht nur die Theorie seines Vaters vervollkommnet, sondern auch Versuchs- Fig. 83. Fig. 84. 'ni)ix du mouvement des fluides. Berlin, Ilist. de l'Academie ii (1755). — Derselbe, Deprincipiis motus fluidorum. Petersburg. JVovi Comm. i6 (1759). — Lagrange, Mehrere Arbeiten von 1760 an, vgl. Oeuvres Bd. i und^ und Mecanique analytique. — G. G. Stokes, On the theories of the internal friction of fluids in rnotion. Cambr. Phil. Soc. Trans. 1845. — H. v. Helm- holtz, lieber Integrale der hydrodynamischen Gleichungen, welche den Wirbelbewegungen ent- sprechen. Grelles Journal 55 (1858). — Der- selbe, Ueber diskontinuierliche Flüssigkeits- bewegungen. Berliner Monatsberichte, 1868. — Kirchhoff, Zur Theorie freier Flüssigkeils- strahlen. Crellrs .Tniinnd 70 (1869). — W. Thomson, On ]'i'itc.r J/^timi. Edinb. Trans. 2$ (1869). ■ — Bazin , Hcrhcrches hydraidiques. Paris, ßlem. pres. par div. savants 19 (1865). — Boussinesq, Essai sur la theorie des eaux courantes. Paris. Mein. pres. par div. savants 23 und 24 (1877). — O. Reynolds, Experi- mental Investigation etc. Philos. Trans. 174 (1883); on the Dynamical Theorie of viscous fluids etc. Phil. Trans. A. 186 (1894)'. b) Einige neuere Arbeiten: L.Prandtl, Ueber Flüssigkeitsbewegung bei sehr kleiner Reibimg. Verhandl. d. III. Int. Math. Kongr. 1904. Leipzig 1905. — Fr. Ahlborn, Hydro- dynamische Experimental-Untersuchungen. Jahr- buch der Schiffbautechnischen Gesellschaft, 1904, 1905 und 1909. — G. Elf fei , Recherches experimentales sur la resistance de l'air, exec. a la tour Eiffel. Paris 1907. — Derselbe, La resistance de l'air et l'aviation. Paris 1910. — Berichte der Göttinger Modellversuchsanstalt. Zeitschr. f. Fhigtechn. u. Motorhiftscli.. von 1910 ab, und Jahrb. d. 3Iotorlvftsch.-Stiidi enges. 1910/llimd 1911112. — H.Blasius, Das Achnlirh- keitsgesetz bei Reibungsvorgängen. Zeitschr. d. Ver. deutsch. Ing., 1912 und Heft 131 der Mit- teilungen über Forschungsarbeiten des Vereins deutscher Ingenieure, 1913. L. Pvandtl. Flysch. Eine eigentümliche Ausbildungsweise der Kreide und des älteren Tertiärs In den öst- lichen Nordalpen (versteinerungsarme Sand- steine, Mergel, Schiefertone) (vgl. den Artikel „Kreideformation"). Formationen. Geologische Formationen. A. Historische Entwickelung des Begriffs ,, Formation". B. Die Bestimmung der Ahers- folge der Formationen mit Hihe der stratigra- phisch-paläontologischen Methode und die Bedeu- tung der LeitfossiHen. C. Die Facies. 1. Konti- nentale Facies. 2. Binnenmeerfacies. 3. Marine Facies. 4. Heteropie, Heterotopie usw. D. Rück- schlüsse aus den Formationen auf das Khma. E. Die Formationen. I. Arch.äische Formations- gruppe. II. Palcäozoische Formationsgruppe. III. Mesozoische Formationsgruppe. IV. Käno- zoische Formationsgruppe. F. Die Katastrophen- lehre und der Aktualismus. G. Das absolute Alter der Formationen. A. Historische Entwickelung des Begriffs Formation. Die Bezeichnung Formation ward 1762 von Füchsel, einem Arzte in Rudolstadt, angewendet für eine Reihe von Schichten, die unter gleichen Verhältnissen unmittel- bar nacheinander gebildet wurden und eine Epoche in der Erdgeschichte darstellen. Die Bildungsstätte der Schichten ist nach ihm das Meer; Pflanzenabdrücke deuten an, daß das Meer zeitweilig die Küsten des Festlandes überflutete. Eine Formation im Sinne Füchseis bildeten z. B. der (obere) Muschelkalk, der Buntsandstein (das Sand- gebirge), Zechstein und Kupferschiefer (die Flötze). Die Charakterisierung erfolgt haupt- sächlich nach dem Gestein, obwohl des Vorkommens von Versteinerungen (Muschel- kerne, Astroiten, Gryphiten, Fischabdrücke, Pflanzenabthücke) gedacht wird. Die Be- deutung der Fuchs eischen Darlegungen liegt darin, daß er sich von der Sintflntlehre völlig frei machte, und den Absatz der Schichten auf mehrere große Zeitabschnitte verteilte. Die innerhalb eines Zeitabschnittes gebildeten Schichten haben unter sich größere Verwandtschaft und lassen sich eben hierdurch als zusammengehörige For- mation erkennen. Seitdem ist die Bezeichnung Formation in wechselndem Sinne und verschiedenem Um- fange angewendet worden. A. G. Werner, der 1775—1817 in Freiberg als Lehrer der Mineralogie wirkte und einen bedeutenden Einfluß auf die Entwickelung der Geognosie gewann, hielt sich bei der Unterscheidung seiner Formationen noch wesentlich an die Gesteinsart; gleiche (iosteine sind auf gleiche oder ähnliche Weise i^ebildet. Demnach ist die Bezeichnung Fornu\tion zur damaligen Zeit eine wesentlich genetische. In den Werner sehen Formationssuiten wurden dann die Formationen zu größeren Einheiten zusammengefaßt, die Perioden der Erd- geschichte entsprechen (1. Urgebirge, 2. Ueber- Formationen (Geologische Formationen) 141 gangsgebirge, 3. Flötzgebirge, 4. Aufge- schwemmtes Gebirge, 5. Vulkanisches Ge- birge — in der ersten Fassung nur die jüng- sten, nach damaliger Ansicht durch Brände von Kohlenflötzen verursachten vulkanischen Ausbruchsmassen umfassend.) In den For- mationssuiten wiederholen sich zum Teil die Formationen (z. B. Urgips, Uebergangs- gips, Flötzgips); eine universelle Ver- breitung ward den Formationssuiten und damit auch den Formationen zugeschrieben — die Quelle vieler Irrtümer. Bei dieser starken Betonung des petro- graphischen und genetischen Charakters der Formationen verlor sich mehr und mehr der Gebrauch, die Bezeichnung für die Schichtenreihen zu verwenden, die inner- halb einer Epoche der Erdgeschichte gebildet sind; es wurden hierfür verschiedene Aus- drücke eingeführt, in Frankreich „terrains", in England „group" oder „System", auch „series", in Deutschland (Bronn) „Gebirge" und „Gruppe" (z. B. Anhydritgebirge, Oolithgebirge, Liasgruppe). Sehr bald kehrte man aber wenigstens in Deutschland zum Gebrauch des Wortes „Formation" zurück, um bestimmte große Abschnitte in der Reihenfolge der Schichten auszuzeichnen, über deren Umfang im großen und ganzen in den verschiedenen Ländern Ueberein- stimmung besteht. Bei dieser Ueberein- stimmung hat auch die Benennungsfrage mehr und mehr an Interesse verloren, und wenn es auch zu begrüßen wäre, wenn eine ganz einheitliche Nomenklatur herrschte, so haben sich doch auch die Beschlüsse der internationalen geologischen Kongresse gegen den in den verschiedenen Ländern i eingebürgerten Gebrauch nicht durchzu- Bezcichnungen knüpfen an Länder, Orte, Gebirge, Gesteinsbeschaffenheit, Fossilfüh- rung u. dgl. an und sind meist so geformt, daß man die Bezeichnungen Stufe, Abteilung, Alter und Epoche umgehen kann. Die kleinste geologische Einheit ist die Schicht (bed, assise); in die geologische Skala wird sie aber nur aufzunehmen sein, wenn sie durch eine bestimmte Fossil- führung (Leitfossilien) sich als selbständig und über größeren Raum ausgedehnt nach- weisen läßt. Gewöhnlich gehören aber mehrere Schichten eng zusammen, die dann eine paläontologische Zone im Sinn Oppels bilden und das Lager bestimmter Versteine- rungen sind (Schichten des Ammonites tenuilobatus, Zone des Ammonites tenuilo- batus). In ungefähr gleichem Sinn mit Zone wird auch Niveau und Horizont, in Nord- amerika leider auch die Bezeichnung For- mation gebraucht. B. Die Bestimmung der Altersfolge der Formationen mit Hilfe derstratigraphisch- paläontologischen Methoden und die Bedeutung der Leitfossilien. Die Altersfolge der Formationen würde auf stratigraphischem Wege nur dann mit Sicherheit ermittelt werden können, wenn sie in jedem Fall durch die gleiche Gesteins- beschaffenheit charakterisiert wären. Die ältere Geologie ist zu ihrem Schaden von dieser Voraussetzung ausgegangen (irrige Parallehsierung roter Sandsteine, alpiner Kalke usw.). Auch ist selbst bei konkor- danter Lagerung das Vorhandensein großer Schichtenlücken, der Ausfall ganzer Forma- tionen, nicht ausgeschlossen. In den großen Profilen der Saltrange des nordwestlichen setzen vermocht. Formation, System und ! jj^^j^^g jj^^g,^ kambrische, dyadische, trias Terrain werden als gleichbedeutend neben- • - ■ - — einander gebraucht. Mehrere Formationen können zu Ein- heiten höheren Grades zusammengefaßt wer- den, und jede Formation ist wieder in kleinere Abschnitte, die nach bestimmten Charak- teren abgrenzbar und nicht willkürlich ge- wählt sind, teilbar. Den größeren und kleineren Abschnitten in der Folge der Sedimente entsprechen korrelate Zeiten, innerhalb derer die Bildung der Schichten sich vollzog. Die Bezeichnungen sind oder sollten sein: Für die Sedimente: j Für die Zeit: Gruppe, i Zeitalter, Aera, Formation, System, Terrain, i Periode, Abteilung, Stockwerk, serie | Epoche, Stufe, etage, Alter. Abstrakte Namen sind nur für die größten Abschnitte im Gebrauch (Paläozoikum, Mesozoikum, Känozoikum). Alle anderen sische, eocäne Schichten so gleichmäßig übereinander, als wenn sie sich in unmittel- barem Anschluß aneinander gebildet hätten. Die Charakterisierung der Formationen und Schichten durch ihre Versteinerungen, die Kenntnis der Leitfossilien, hat erst jenen subtilen und sicheren Ausbau der Stratigraphie ermöglicht, der notwendig der Bearbeitung der Probleme der Erd- geschichte vorausgehen muß. Die Bedeutung der LeitfossiUen ist relativ spät gewürdigt worden; für die Werner sehen Formations- suiten haben sie noch keine Bedeutung. Die Methode, das relative Alter von Formationen und Schichten nach Leitfossilien zu be- stimmen, ist zuerst in England praktisch ausgebildet und in Europa mit so großem Er- folg angewendet worden, daß jeder Versuch, sie zu diskreditieren, an der Festigkeit der Tatsachen scheitern muß. Gewisse theore- tische Einwürfe sind längst bekannt und berücksichtigt. Sie ergeben sich aus den 14'. Formationen (Geologische Formationen) Grundgedanken der Entwickelungslehre, daß die Lebewesen in kontinuierlicher Wande- lung begriffen sind und für das Ausmaß der Umformung kein zeitliches Aequivalent exi- stiert. Der Ingenieur William Smith war der Erste, der methodisch den Fossil- inhalt der einzelnen Schichten studierte und nachwies, daß gewisse Arten stets ein bestimmtes Lager einhalten. Eine von ihm diktierte Tabelle über die Folge der eng- lischen Schichten von der Steinkohle bis zur Kreide, nebst ihren Leitfossilien, rührt aus dem Jahre 1799 her. Hierher kann man den Ausgangspunkt der modernen Stratigraphie setzen. Die Tatsache, daß die verschiedenen Schichten diu'ch verschiedene Leitfossilien gekennzeichnet werden, konnte nach dem Dogma der Diluvianer, welche alle Ver- steinerungen auf die große Sintflut zurück- führten, nicht erklärt werden. Sie führte mit Notwendigkeit zu der Annahme einer größeren Anzahl von Schöpfungsperiodeu, aber dann auch zu erneuten Bedenken, je höher die Zahl wohl unterscheidbarer Stufen mit eigener Tierwelt stieg. Schon d'Orbigny nahm deren 27 an. Heute, wo der Grund- gedanke einer nicht abreißenden Entwicke- lung auch die Geologie und Paläontologie beherrscht, kommen die Schwierigkeiten von der anderen Seite. Leitfossilien sind um so wertvoller, je enger begrenzt die Schicht oder Schichtenfolge ist, in der sie auftreten; aber damit stehen sie abseits von den langzügigen Entwickehingsbahnen, die für die Organismen gelten. Ein plötzliches Aussterben wäre denkbar, wenn man an den Zeitbegriff in der Geologie einige Kon- zessionen macht, ein plötzliches Auftreten ist unvereinbar mit den fundamentalen Lehren der Entwickelungstheorie. Man nennt solche Formen kryptogen und nimmt an, daß sie aus ihrer ursprünglichen uns unbekannten Heimat, wo sie sich ent- wickelten, zu einer bestimmten Zeit aus- geschwärmt und in verschiedene andere Ge- biete eingedrungen sind (Invasionen; vgl. \^\z. B. die Clymenien des Oberdevons). C. Facies. Ein und dieselbe Formation oder ein Teil einer Formation kann an verschiedenen Orten sehr verschiedenes Aussehen, Facies, zeigen, je nach den Umständen, unter denen die Bildung sich vollzog. Die Bezeichnung Facies wurde von Gressly (Solothurn) eingeführt. Bei der Abgrenzung der Forma- tionen gegeneinander ist man von den im Meer gebildeten Gesteinen (der marinen Facies) ausgegangen und auch gegenwärtig bilden die marinen Formationen das Grund- gerüst der Stratigraphie. Es ist aber in vielen Formationen auch eine kontinentale Facies bekannt; daß die Gesteine dieser Kategorien relativ zurücktreten, erklärt sich aus der Schwierigkeit ihrer Erhaltung. Wenn Länder in das Meer zurücksinken, werden die kontinentalen Bildungen zum großen Teil weggespült und in marines Sediment verarbeitet werden. 1. Kontinentale Facies. Man Jiann folgende kontinentalen Facies unter- scheiden: a)Fluviatile Facies, Gesteinsanhäu- fungen durch Flüsse. Im jüngeren Tertiär und Diluvium verbreitet, aber auch im Karbon, Perm, Trias. b) Limnische Facies, tonige, sandige, kalkige oder geröllführende Absätze in Süß- wasserseen, auch Sapropelbildungen. Im Tertiär weit verbreitet. Wealden. c) Vegetabilische Facies, mit der vorigen eng verbunden, durch die Auf- speicherung von Pflanzenstoff in Torfmooren und swamps ausgezeichnet. Steinkohlen im Karbon und Perm ; Braunkohlen im Tertiär. d) Subaerische Facies, auf trockenem Lande entstanden. a) Verwitterungsschutt (Halden), Stein- ströme. In den älteren Formationen selten sicher gestellt, so im Perm (alpine Grund- konglomerate). Wildbachschutt im Tertiär (Pikermi). ß) Aeolische Anhäufungen, durch Wind zusammengetragen. Dünen, Flugsand, Löß zum Teil. Von ziemlich weiter Verbreitung, aber oft nicht sicher von ähnlichen Bil- dungen am Meeresstrand zu scheiden. e) Glaziale Facies. Moränen von Gletschern, zum Teil mit Flußablagerungen eng verknüpft (Fluvioglazial). Angeblich schon im Präcambrium. Sicher im Perm, Quartär. 2. Binnenmeer-Facies. In abgeson- derten Meeresteilen vollzieht sich eine Ge- steinsbildung, die schwer von der rein kon- tinentalen geschieden werden kann, meist vorwiegend sandiges Sediment ist und Land- pflanzen und Landtiere, aber auch marine faunistische Elemente enthält: Oldred-Facies des Devons. In Rußland geht sie nach Osten in marine Facies über, im hochark- tischen Gebiet ist keine Spur mariner Ein- wirkung nachweisbar. Hier kann man auch die Brackwasser-Facies anschließen, die aus dem Fossilinhalt erkannt werden kann. 3. Marine Facies. Die verschiedenen Tiefenregionen des Meeres lassen sich meist in der Facies der Formationen erkennen. I. Litorale Ablagerungen. a) Strand -Facies. Mit Block-, Kies-, Sand- und Schlickbildungen (nur an ge- schützten Stellen) im Bereich der unmittel- baren Wellenspülung. Pho laden bohr ungen im felsigen Untergrund. ~^ihäuf ungen ab- Formationen (Geologische Formationen) 143 gerollter Musclieln, zerriebene Fischreste, Tangaufschüttungen, gerollte Treibhölzer. Bauten riffbildender Korallen und Kalk- algen in klimatisch geeigneten Gegenden; grobe Korallensande. Ausscheidungen von ■ Calciumsulfat und Chlornatrium. ^ b) Schelf-Facies. Die Bildungen auf der oo)>. Kontinentalabdachung (in der Flachsee) ^ ^ bis zur ipO-Faden-Linie. Blöcke und grober \ Kies treten zurück; das Material der Strand- region ist feiner ausgeschlämmt. Oft reich- liche Reste von Pflanzen und Tieren, die die Flachseegründe besiedeln und viel zum Aufbau kalkiger Ablagerungen beitragen. NuUiporenbauten und ähnliches. Hierher viele tertiäre sogenannte Grobkalke, NuUi- porenkalke usw. II. Hemipelagische Ablagerungen, im Bereich der steileren, geiicn die Tiefe ab- sinkenden Böschung der Kontinente. a) Blauer Schlick (feinste, tonige, bündige Sedimente), dunkelgefärbt durch Schwefeleisen in feiner Verteilung. Das Material ist deutlich terrigen, d. h. vom nahen Festland hergespült. Kalkbeimischung ca. 121/2%, davon 9y->% auf Foraminiferen. Die Bodenfauna ist arm, daher treten An- häufungen von Muscheln usw. zurück. Abarten: Vulkansande, rote und gelbe, Schlick, durch Laterit- oder Lößzufuhr ge- färbt. b) Grüner SchlicK, Glaukonitsand, mit viel Glaukonit, der oft als Steinkern von Foraminiferen auftritt. Besiedelung des Bodens durch Tiere oft reichlich, daher der Kalkgehalt meist höher als bei a) (in einem Mittel von 22 Proben von der portu- giesischen Küste 26%). Terrigenes Material tritt mehr zurück. Glaukonitische Forma- tionen sind sehr häufig (im Tertiär, in der Ivreide, im Jura, im Muschelkalk bis zu den tief-untersilurischen Glaukonitsanden Estlands herunter). c) Kalkschlick, Korallensande und Korallenschlick in den tieferen Gründen nahe den Korallenriffen. Keich an Foramini- feren, der Korallenabfall staubförmig ver- arbeitet. III. Tiefsee-Ablagerungen mit Ausnahme der feinen kolloidalen Ton- trübe fast frei von terrigenem Material, a) Globigerinenschlamm (lockere, aufrührbare Massen, mit feinstem Ton- material). Hauptverbreitung in ozeanischen Tiefen zwischen 2000 und 4500 m. Mit mindestens 30% Kalk, den wesentlich die freischwimmenden Globigerinen und die Coccolithophoriden (planktonische Algen) liefern. Kieselige Bestandteile von Radio- larien, Spongien, Diatomeen selten bis 10 Gewichtsprozente. Aehnliche Gesteine sind aus der Kreide bekannt. Die Schreibkreide ist besonders reich an Coccolithophoriden, die Seewener Mergel der Algen sind reine Globigerinen- gesteine. b) Pteropodenschlamm. Eine Abart des Globigerinenschlammes mit zaWreichen Pteropoden und Heteropodenschalen. Da I die zarten Schalen in Tiefen von 2700 m wieder aufgelöst werden, ist die Tiefenregion stärker eingeengt — 1000 bis 2700 m. Ver- gleichen könnte man die Styliolaschiefer des Devons, denen aber die Globigerinen fehlen. c) Diatomeenschlamm. Nur in höheren Breiten in 2700—6000 m Tiefe. Fossil ganz unbekannt. d) Radiolarienschlamm. Außer- ordentlich zahlreiche Radiolarien in brauner bis roter toniger Grundmasse (mehr als 20%). In sehr großen Tiefen, wo die kalkigen Schalen schon aufgelöst sind. Mit dem Radiolarienschlamm sind manche kiesehge, radiolarienreiche Gesteine aus sehr ver- schiedenen Formationen verglichen worden. e) Roter Ton, bedeckt die weitesten Gebiete der Tiefsee und zugleich die tief- sten Gründe. Kalkige Beimischungen fehlen (mit Ausnahme ganz widerstandsfähiger Reste, wie Bullae osseae von Cetaceen, Haifischzähne), kieselige können sich bis zum Uebergang in d) beimischen. In der ganzen Reihe der Formationen unbekannt (jetzige Verbreitung in den Weltmeeren auf eine Fläche von 130,3 Millionen Quadrat- kilometer geschätzt). 4. Heteropie, Heterotopie usw. Gleich alte und faciell gleiche Sedimente werden Unterschiede der Fossilführung auch dann zeigen, wenn sie in Meeresräumen gebildet wurden, die verschiedenen faunistischen Pro- vinzen angehören oder doch durch eine andere Tönung der Tierwelt sich auszeichnen. Man kann dann mit Mojsisovics von hetero- t epischen Sedimenten (Formationen) spre- chen. Die Gründe der faunistischen Unter- schiede sind durch die Gesetze der Verteilung der Organismen gegeben, unter die auch die klimatischen Unterschiede einzureihen sind. Heteropisch wurden von Mojsi- sovics die in anderer Facies ausgebildeten gleichalten (isochronen) Sedimente (Forma- tionen) genannt. Die Begriffe heterotopisch und heteropisch sind also durchaus ver- schieden, obwohl sie in einigen Lehrbüchern als identisch gebraucht sind (vgl. Hang, Traite de Geologie). Die Bedeutung der Bezeichnungen is- opisch und isotopisch ergibt sich hier- nach von selbst. Isopisch sind z. B. manche Korallenkalke, die trotz gleichen Aussehens verschiedenen [ Stufen oder Horizonten angehören. Isopisch ' sind auch die Schwammkalke des schwä- 144 Formationen (Greologische Formationen) bischen Jura, die in den verschiedenen Horizonten a, ß, y auftreten und immer neben den Spongien auch eine so ähnliche Fauna kleiner Mollusken, Brachiopoden usw. enthalten, daß selbst der Begründer der Einteilung des schwäbischen Jura, Quen- stedt, die Stufen «und 7 verwechseln konnte. Huxley wies 1862 auf den Unterschied zwischen Gleichzeitigkeit (Sj'nchronism) und gleicher Entwickelungshöhe (Homo- taxis) hin. Es bezieht sich dies zunächst auf ganze, zu einer Art Lebensgemeinschaft zusammengeschlossene Gruppen, so in dem von ihm gewählten Beispiel, daß sehr wohl an einer Stelle der Erde eine devonische Flora und F^auna neben einer silurischen marinen Tierwelt existiert haben könne. Eine solche Flora werde homotax der echt devonischen, aber nicht gleichzeitig sein. Gewiß gibt es für den Betrag der Umänderungen, die eine Art oder die eine biologisch zusammen- hängende Crruppe, Flora oder Fauna, er- fährt, kein zeitliches Aequivalent. Eine be- stimmte Entwickelungshöhe kann an einer Stelle früher erreicht werden als an einer anderen. Schließen die isopischen Bildungen ver- schiedener Stufen eng aneinander, so macht die Verteilung auf einzelne -Zeitabschnitte bedeutende Schwierigkeiten; diese steigern sich, wenn die Fossilführung eine beschränkte oder durch schlechte Erhaltung und Zer- störung der Fossilreste nicht zur Alters- bestimmung verwertbar ist. So sind große Massen von Kalken in den Alpen mehrfach unter einem Formationsnamen zusammen- gefaßt worden, obwohl ihre Bildung ver- schiedene Zeitabschnitte durchzieht (Schiern- dolomit, Esinokalk, Dachsteinkalk). D. Rückschlüsse aus den Formationen auf das Klima.^) Auf niedere Temperaturen läßt vor allem die Einschaltung von Blocklehmen und glazialen Findlingen schließen, wie sie z. B. im unteren Perm Indiens, in Australien und anderen Ländern bekannt sind. Eine Verwechselung mit pseudoglazialen Er- scheinungen ist besonders bei sehr alten oder dislozierten Ablagerungen möglich; durch Erschütterung und Bewegung können GeröUe und die Oberfläche der Unterlage Kritzen und Schrammen erhalten, die den glazialen sehr ähnlich sind. Die Begründung der glazialen Einflüsse muß daher auf breiter Grundlage erfolgen. In jungtertiären Schichten, welche die Mehrzahl der Arten mit den gegenwärtigen Meeren teilen, ist das Auftreten von Arten, die in hohen Breiten leben, für Abkühlung des Wassers beweisend. Korallenbauten, 1) Vgl. den Artikel ,,Paläokliinatologie". von den lebenden Gattungen aufgeführt, sind Merkmale starker konstanter Erwär- mung des Meeres und zugleich starker Sa- linität. Aus dem Charakter in einer Flora vereinigter fossiler Pflanzen läßt sich, wie z. B. bei der obermiocänen Flora Oeningens ungefähr das Jahresmittel berechnen. Für die älteren Formationen sind klima- tische Schlüsse auf Grund der Fossilien sehr erschwert. Die physiologische Anpassungs- fähigkeit der Organismen ist eine hohe, und die klimatischen Bedürfnisse der fossilen Vor- läufer sind nicht durch die Verwandtschaft erschließbar. Die Jahresringbildung bei versteinerten Hölzern gibt Hinweise auf den Wechsel der Jahreszeiten. Eückschlüsse aus der Gesteinsbeschaffen- heit sind unsicher, aber doch verwertbar. Sie beruhen zum Teil auf dem Oxydations- zustand gewisser Mineralien, auf ihrer Frische oder auf ihrer Zersetzung. Den Sauden bezw. Sandsteinen beigemischte Feldspatreste wer- den frischer sein, wenn die Anhäufung unter einem kühlen Klima erfolgte, zersetzt, wenn sie längere Zeit der Einwirkung eines warmen, feuchten Klimas exponiert waren. Man hat hiervon Gebrauch gemacht nicht nur bei der Unterscheidung glazialer und inter- glazialer Sande des Diluviums, sondern z. B. auch bei der Beurteilung permisch- triadischer Sandsteine Indiens, in letzterem Fall doch wohl zu weitgehend. Das Auftreten licht- und wärmebedürf- tiger Blütenpflanzen in Formationen ark- tischer und antarktischer Breiten hat wieder- holt zu Diskussionen über eine Verlagerung der Erdpole Anlaß gegeben. Schlüsse auf die Temperierung des Meeres gestatten die im Tertiär und in der Kreide 'verbreiteten Bauten noch lebender Riff- korallen, die zugleich auch einer reichlichen ! Zufuhr von Licht nicht entbehren können. : Sichere Leitfossilien in der Frage nach ' der Tiefe des Meeres sind vor allem auch i Reste von Meeresalgen, von denen die j kalkaufspeichernden zu den wichtigsten am Aufbau der Sedimente beteiligten Organis- men gehören. Silurische Kalke sind oft er- I füllt von den kugeligen Kolonien der Girva- nella, triadische von Sphaerocodium und noch öfter von Gyroporella und Diplopora (alpine Riffkalke).' Wenn sie auch von den gegenwärtigen Verwandten stark differieren, I so ist doch sicher, daß sie nicht planktonische, sondern benthonische Organismen waren. Damit ist eine Tiefe von 300 m als ungefähres Maximum für ihren Standort festgelegt. Planktonisch treibende Algen, wie die Coccolithophoriden, die nach dem Absterben in die Tiefe rieseln, sagen über die Tiefe des Meeresbodens, auf dem sie zu Ruhe kamen, direkt nichts aus. Lnmerhin trifft man sie gegenwärtig am häufigsten in den rungen großer Tiefe. E. Die Formationen. I, Archäische Formationsgruppe, Archai- kum, Eozoikum, Azoische Aera. Schon sehr früh hat man ein Grund- gebirge von der Reihe der übrigen Forma- tionen abgesondert, aber die Begriffsbestim- mung ist stets von Voraussetzungen spekula- tiver Natur beeinfhißt gewesen. "Der kristal- line Zustand der Gesteine galt an sich als Zeichen höchsten Alters, das Postulat, daß um den glühenden Erdball sich in den ersten, unter der vielmal schwereren Atmosphäre noch überhitzten Ozeanen ganz ähnliche kristalline Bodensätze bilden mußten, schien durch das Vorkommen von Gneis und Gra- nit' im Sockel aller Länder und in den Gebigs- kernen konkrete Belege zu finden. Als jüngere Glieder schloß man den Gneißen die Glimmerschiefer und die mit Glimmer- häutchen erfüllten Urtonschiefer (Phyllite) an, die in ihrer Lagerung den Eindruck schiefriger Sedimente (Meeresabsätze) ma Formationen (Geologische Formationen) 145 geschalteten metamorphosierten Sedimenten. Konglomerate sind für diese Erkenntnis besonders wichtig geworden. Mehrere scharf ausgeprägte Diskordanzen durchziehen in Finnland das Archaikum, mehrere Systeme abgetragener Faltengebirge liegen überein- I ander, so daß im Archaikum eine jedenfalls | außerordentlich lange Zeit sich verkörpert. \ Eine allgemein gültige Einteilung des Archai- kums ist bisher nicht gelungen. Von unten nach oben wurden in Finnland unterschieden • eine katarchäische, die tiefsten Granit- gneise umfassende Formation, darüber eine ladogische und eine bottnische Forma- tion, in deren Zusammensetzung mannig- fache andere Gesteine, wie Glimmerschiefer, Phyllite, Quarzite, Tuffe, Porphyrite usw. eintreten. Beteiligung kristalliner Mineralien aber den Gneisen sich annähern. Diese Gruppe der kristallinen Schiefer galt zugleich als azoisch, da Versteinerungen in ihnen nie nachgewiesen worden waren. Die Entdeckung des Eozoon im kana- dischen Gneissystem schien diese Theorie zu stürzen, da man die eigenartig aus Serpentin bezw. Chrysotil und Calcit aufgebauten Knollen mit riesigen Foraminiferen verglich; so kam der Name eozoische Aera, Eozoikum auf, aber nur vorübergehend, da die rein mineralische Natur des Eozoon, das auch in Bayern, Böhmen, in England, in den Pyrenäen nachgewiesen wurde, sich herausstellte (Möbius). Die Vorstellungen über das Grundgebirge sind in neuerer Zeit ganz andere geworden. Die Granite sind zum Teil als beträchtlich jüngere Eindringlinge (Litrusionen) er- kannt, viele Gneiskomplexe zu den Graniten, andere als metamorphe Sedimente zu prä- kambrischen oder verschiedenen jün- geren Formationen gestellt worden. So ist im Schwarzwald der Granit karbonischen Alters, während die Gneise älter (vielleicht präkambrisch) sind. Man kann von archäi- scher Formation eigentlich nur dort sprechen, wo, wie in Finnland und Nordamerika, die präkambrische Formation in klarer Sonde- rung über ihr auftritt. Diese archäischen Komplexe sind bisher azoisch, während im Präkambrium organische Reste, wenn auch spärlich, nachgewiesen sind. Sie bestehen oft nur aus Gneisen oder grani- tischen Gesteinen, an anderen Stellen mit ein- n. Paläozoische Formationsgruppe, paläo- zoische Aera, Paläozoikum (sowohl im stratigraphischen wie im zeit- lichen Sinne gebräuchlich. Die von Gümbel gebrauchte Bezeichnung paläolithisch ist ebenso wie mesolithisch [für Mesozoikum] zu vermeiden, da diese Begriffe in der Prä- historie fest eingewurzelt sind). In der hier angenommenen Umgrenzung umfaßt das Paläozoikum Teile des früheren Grundgebirges, die ganze Gruppe des von Werner ausgeschiedenen Uebergangs- gebirges, in dem besonders die Grauwacken auffällig hervortreten, und noch die unteren Teile des Flötzgebirges, die Steinkohlen- formation und die Dyas (die permische Formation). Li England wurde durch Sedgwick, Murchison und Lonsdale eine Teilung der Uebergangsformationen in eine kambrische, silurische und devonische Formation durchgeführt, deren Namen sich auf englische Stämme und Landschaften beziehen. Phillips hat dann die Bezeich- nung paläozoisch, die ursprünglich nur auf silurische Schichten beschränkt war, auf die höheren Formationen bis zum Zechstein einschließlich ausgedehnt; von ihm stammt auch die Bezeichnung der ,, sekundären" Formationen (Trias, Jura, Kreide) als meso- zoisch, der tertiären als känozoisch. Der Charakter der Versteinerungen, mit anderen Worten die Entwickelungshöhe der Tier- und Pflanzenwelt, war für diese Gruppen- bildung maßgebend. Die Eingliederung der präkambfi- schen Formation in die paläozoische Gruppe ist nicht allgemeiner Brauch. Ur- sprünglich ist die präkambrische Formation enger mit der archäischen zusammengefaßt; mit ihr teilt sie häufig den hohen Grad der Umwandlung aus normalen Sedimenten in kristalline Gesteine, obwohl der sedimentäre Charakter meist stärker hervortritt. Be- Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV'. 10 146 Formationen (Geologische Formationen) stimmend für die hier angenommene Auf- fassung ist der sichere Nachweis von fossilen Organismen, von denen neben Protozoen (Kadiolarien der Phyllite der Bretagne) auch Crustaceen (Beitina, aus den Belt- Schichten von Montana) genannt werden. Der große Umfang und die Zusammensetzung aus mehreren Schichtsystemen macht es wahrscheinlich, daß die präkambrische For- mation in Zukunft als Formations- gruppe, gleichwertig dem ganzen Paläo- zoikum, zu behandeln sein wird. Gebirgs- bildungen und Gebirgsabtragungen haben sich mehrfach wiederholt. Diskordanzen trennen scharf die einzelnen Teile. In Finn- land werden von unten nach oben unter- schieden: Kalevische Formation, jatulische Formation mit der graphitähnlichen Kohle, dem Schungit, jotnische Formation. In Nordamerika, wo das Präkambrium als Algonkian bezeichnet wird, zerlegt man es in das dreiteilige Huronian und die obere Keweenaw-Formation (mit dem bekannten Kupfervorkommen). In allen diesen Fällen Die Reihe der paläo- Stufen Grebirgsbildung Permische oder Dyas- forniation. Zechstein (Neodyas). Rotliegendes (Paläodyas) Vulkanismus stark. Karbonische oder Stein- kohlenformation. Oberkarbon marin meist kontinental mit j z. B. in Rußland. Flötzen. 1 Unterkarbon als Kohlenkalk und Kulm. Starke Gebirgsbildung. Vulkanismus mächtig. Devonische Formation Oberdevon (Beispiele: Iberger Kalk, Goniatitenschiefer). Mitteldevon (Beispiele: Eifelkalk, Stringocephalenkalk). Unterdevon (BeispiehrheinischeGrau- wacken). so Silurische Formation. Obersilur. Untersilur oder Ordovicium. Vulkanismus schw<ächer. Vulkanismus stark. Fortsetzung der kaiedoni- schen Gebirgsbildung. Vulkanismus stark. Kaledonisches Gebirge Vulkanismus in manchen Gegenden stark. Gebirgsbildungen am Ende des Untersilurs. Vulkanismus in manchen Gegenden stark. Kambrische Formati c Oberkambrium oder Olenus-Schichten. Mittelkambrium oder Paradoxides-Schichten. Unterkambrium oder OleneUus-Schichten. Ohne Gebirgsbildung. Vulkanismus schwach. Präkambrische For- mation. Jotnische Form. Jatulische Form. Kalevische Form. Keweenaw- Form. Huronische Form. Unterschei- dung von marinen und kontinentalen Bildungen schwierig. Mindestens 3 bis 4 Phasen der Gebirgs- bildung, durch Zeiten der Abtragung getrennt. Vulkanismus stark. Formationen (Geologische Formationen) 147 gibt die Mächtigkeit der angehäuften Kon- glomerate, Sandsteine und Schiefer zugleich einen Maßstab für die großartige Abtragung damaliger Festländer. Ein Urmeer voraus- zusetzen, in dem statt kontinentaler Massen nur zerstreute Inseln existierten, wird ange- sichts dieser Massen zusammengeschwemmten festländischen Schuttes zur Unmöglichkeit. III. Mesozoische Formationsgruppe, mesozoische Aera, Mesozoikum. Das Mesozoikum umfaßt die oberen Teile des Flötzgebirges im Sinne Werners, außer den jüngsten Bildungen, die „sekundären" Forma- tionen Trias, Jura und Kreide. Unter dem Namen „Trias" faßte v. Alb er ti 1834 die Bil- dungen des Buntsandsteins, Muschelkalks und Keupers zusammen, von welchen die beiden erstgenannten mit diesen Namen schon bei Füchsel erscheinen, während der Keuper erst später unterschieden wurde. Obwohl auf die „germanische" Facies der Trias begründet j wurde der Formationsname auch auf die I ,, alpine Trias" angewandt, die die ,, normale", zoischen Formationen, Klima Pflanzen Tiere Trocken in der Neodyas der Nordhemisphäre (Salz- lager). Glaziale Paläodyas in den südlichen Kontinenten. Allmähliche Verarmung der kar- bon. Flora. Glossopterisflora im Süden. Fortsetzung der karbonischen Flora. Coniferen häufiger. Brachiopodenreich in- südlichen Facies. Theromorphen, Rhynchocephalen. Gleichmäßig. 1 Flora universal. Korallen ! weit verbreitet. Gefäßkryptogamen (Calamarien, Lepidophyten , Farne usw.), Cordaiten. Aelteste Stegocephalen, Marine Fauna ähnlich der de- vonischen. Ganoiden. Gleichmäßig (angebUch GlazialgeröUe im Tafelbergsandstein). Gefäßkryptogamen Karbon. wie im Goniatiten. Korallen (Ober- und Mitteldevon). Brachiopoden. Ganoid- fische beginnen. Dipnoer. 11 w II Gleichmäßig (Verbreitung von Korallenriffen). F!o 1 a .s 0 wei t bekann t schon ähnhch der devonisch - karboni- schen. Marine Kalk- algen. Planktonische (?) Graptolithen uni- versal verbreitet in Schieferfacies. Fische (Placodermen, Elasmo- branchien). Korallen riff bildend, Trilobiten treten zurück. Wirbeltiere nicht sicher. Nauti- loideen sein- verbreitet. Asaphus, Chasmops, Trinucleus unter den Trilobiten. Angebhche Glazial- bildungen in Norwegen, China, Südaustralien (hier wohl nicht kambrisch). Unbekannt. Die Kreise der niederen Tiere sämt- lich vertreten. Wirbeltiere fehlen. Herrschend Trilobiten. Kalk- liefernde Mollusken, Korallen, Echinodermen wenig verbreitet. Angebliche Glazial- bildungen in Ontario, Minnesota und Michigan. Nur aus der Kohlena (Schungit) der ] Schichten von (Olonetz) zu erscl nhäufung atuMscher Schunga iließen. Wenig bekannt. Crustaceen (Beitina HyoUthes. Cryptozoon. Radiolar ) ien. 10* 148 Formationen (Geologische Formationen) d. h. marine Fazies der Formation darstellt. Der Name der Juraformation ist nach dem Juragebirge in der Schweiz gewählt, das ganz vorwiegend aus Gesteinen dieser For- mation aufgebaut wird. Die Anwendung dieser Bezeichnung geht auf Humboldt zurück. Die englische Bezeichnung Oolith- formation bezieht sich auf das massenhafte Vorkommen von oolithischen Kalksteinen in der Juraformation, deren untere Ab- teilung, Lias, im Auslande vielfach von der Bezeichnung „Juraformation" ausgenommen wird. Die Dreiteilung des deutschen Jura wurde von Leop. v. Buch durchgeführt und von Quenstedt weiter ausgearbeitet. Die Kreideformation hat ihren Namen da- von, daß in ihren oberen Abteilungen in Nord- und Westeuropa weiße Schreibkreide auftritt. Die Bezeichnung für die ganze For- mation findet sich zuerst bei Fr. Hof mann. Wie bei der Triasformation so waren auch hier Namen für einzelne Formationsabtei- lungen früher in Gebrauch als der für die ganze Formation, so in England Greensand und Chalk, in Deutschland Quadersandstein, Plänerkalk, Hils. Die heutige Gliederung geht im wesentlichen auf d'Orbigny zurück, ist aber für die untere Kreide noch weiter ausgearbeitet worden. Die Namen der Unterabteilungen sind nach französischen und schweizerischen Orten gewählt und heißen Valendis-, Hauterive-, Barreme-, Apt-, Aube-Stufe, Cenoman, Turon, Senon, dänische Stufe. Neuerdings wird auch die I Aube-Stufe, das Cenoman und Turon als i Mittelkreide bezeichnet. Die Reihe der meso- Stufen i Gebirgsbildung und Vulkanismus Kretaceische oder Kreide- formation. Oberki-eide Unterkreide. Dislokationen im alpinen Gebiet am Ende der Unterki-eide. Fortdauer der Eruption in Südamerika vom Jura in die Kreide. Juraformation. Mahn Dogger Lias. Kimmerische Faltung in jungjurassi- scher Zeit. Riesige Eruptionen von Porphyr in Südamerika. Triasformation. Keuper Muschelkalk Buntsandstein. Ohne Gebirgsbildung und mit un bedeutendem Vulkanismus. IV. Die känozoische Formationsgruppe. Tertiär- und Quartärformation. - Die Bezeichnung Tertiär geht auf Arduino zurück, der in Italien zum ersten Male diese jüngeren Schichten als Montes tertiarii den als Montes secundarii und pri- mitivi bezeichneten älteren gegenüberstellt. Auch in England und Deutschland ward es eine Zeitlang Gebrauch, die mittlere Gruppe der „Flötzformationen" als sekun- däre, die älteren (insbesondere die ,,Grau- wacken" und ,,Sclnefer") als primäre zu- sammenzufassen. Die Einteilung der zum Tertiär gehören- den marinen Sedimente, die nirgends in einem zusammenhängenden Profil, sondern meist als Ausfüllungen gesonderter „Becken" bekannt waren, macht große Schwierig- keiten. Auf Grund einer statistisch-paläonto- logischen Methode kam P. Deshayes zu einer Gliederung, die in ihren Grundzügen noch heute gilt und maßgebend für die Be- handlung stratigraphischer Probleme wurde. Die fossilen Arten wurden mit den Arten des nächst gelegenen Meeres verglichen und der Prozentsatz festgestellt, in dem noch heute lebende Arten sich mit ausgestorbenen mischen. Die ältesten Schichten mit nur wenigen rezenten Arten wurden Eozän ge- nannt, die jüngeren Abteilungen Miozän und Pliozän. Lyell nannte dann auch die Formationen (Geologische Formationen) 149 Quartärformation nach diesem Prinzip das Pleistozän. Buckland hatte sie 1823 als Diluvium bezeichnet, da er in ihr den Absatz einer die ganze Erde umfassenden Sintflut erblickte, und die jüngsten Anschwem- mungen der Flüsse, deren Bildung noch heute fortdauert, als Alluvium. Die Grenze gegen das Mesozoikum ist scharf gezogen. Große, wichtige Tiergruppen der Jura- und Kreidezeit, wie die Ammo- niten, Belemniten, Rudisten, Inoceramen, die großen Saurier bleiben jenseits der Grenze zurück, während im Tertiär sich der einzig- artige Aufschwung der Säugetiere vollzieht, der in raschester Folge immer neue Differen- zierungen entstehen läßt, von denen manche wiederum auf ältere Abschnitte der Tertiärs beschränkt bleiben. Erst im Quartär werden Spuren des Menschen mit Sicherheit nachweisbar; die angeblichvonMenscluMihand benutzten Feuer- steine des Tertiärs (Eohthe) sind Zufalls- formen, wie sie bei heftigem Transport im Wasser, bei gegenseitigem Stoß und Druck erzeugt werden. Die uns heute bekannten Umrisse der Kontinente treten im Verlauf des Känozoi- kums immer schärfer heraus. Die Ueber- griffe des Meeres verlieren nach und nach an Bedeutung und beschränken sich auf randliche Partien der Festländer. Es ist sehr beachtenswert, daß die ge- waltigsten Gebirgsbewegungen in den alpinen Gebirgen in eine Zeit fallen, die nur noch relativ geringe Verschiebungen des Strandes erkennen läßt. zoischen Formationen. Klima Pflanzen Tiere Klimazonen (Korallen- und Rudistenriffe nur in den Alpen, nicht nördlichdavon,verschie- dene Ammoniten in tro- pischen und gemäßigten Breiten usw.). Erscheinen der Laub- hölzer mit dem Beginn der mittleren Kreide. In der älteren I&eide Fortdauer der Flora von jurassischem Cha- rakter. Fortdauer, gegen das Ende der &eidezeit aber alhnähliches Erlöschen der Ammoniten, ebenso fast völliges Verschwinden der Belemniten, Erlöschen der großen Reptilien am Ende der Kreidezeit, während welcher z. B. die Dino- saurier und Mosasaurier ihre größte Blüte er- reichen. Bezahnte Vögel. Die ersten Urodelen. Säuger noch unverändert. gleichmäßig. Die Flora ist die Fort- setzung der triadischen unter Ausschaltung der letzten paläozoi- schen Nachzügler, die sich noch in der Trias finden. Reiche, angeblich neue Entwickelung der Ammoniten und Belemniten, von denen die ersteren wichtigste Leitfossilien. Der erste Frosch (?). Gegenüber den Ichthyosauriern, Plesiosauriern, Dinosauriern treten die noch sehr kleinen Säuger ganz 7urück. Vorherr- schaft homocerker Ganoiden unter den Fischen. Flugeidechsen. Der erste Vogel. gleichmäßig. ! Coniferen und Cykada- Reiche Entwickelung der Mollusken, speziell ( ceen, Farne und Equi- der Ammoniten, die aber angeblich mit dem setaceen; Kalkalgen ' Ende der Triaszeit fast in allen Stämmen er- (Gyroporellen, löschen. Beginn der Knochenfische, Dinosau- 1 Diploporen). rier, Ichthyosaurier, Krokodile und Schild- j kröten. Flugsaurier. Die letzten Stego- I cephalen. Beginn der Säugetiere. Die Gebirgsbildung ist besonders in der Mitte der Tertiärzeit von einer Intensität, wie sie seit dem Aufbau der karbonischen Alpen nicht bekannt ist. Die noch im Pliocän intensiven Dislokationen schwächen sich im Quartär sehr ab, ohne aber ganz zur Ruhe zu kommen. Die Verwerfungen dilu- vialer Schichten am Niederrhein lassen sich ziemlich weit verfolgen; manche Talbildungen und Flußläufe lassen starke Scliichten- verbiegungen indirekt erschließen. Der Vulkanismus ist im Tertiär ent- sprechend gesteigert, greift aber noch Idarer wie die Gebirgsbildung, weit in das Quartär hinüber. Die klimatischen Veränderungen während des Känozoikums laufen allmählich, aber nach starken Schwankungen in den jetzigen Zustand aus. Im älteren Tertiär sind Pflan- zen, die ein bedeutendes Wärmebedürfnis haben, noch in die arktischen Gegenden vorgeschoben, auch im Miocän ist der Pflan- zenwuchs der polaren Gegenden viel mehr begünstigt als heute. Dennoch macht sich schon im Miocän jene Veränderung der europäischen Vegetation bemerklich, welche eine Abkülüung in höheren Breiten voraus- setzt. Das Pliocän bringt hierin weitere Fort- schritte und wohl das erste Einsetzen der Eiszeit, welche mit ihren Oszillationen das Quartär vieler Länder beherrscht. Die quartären Lößschichten mit ihren Ein- 150 Formationen (G-eologisclie Formationen) Schlüssen an Säugetieren, die zum Teil als Steppenbewohner bekannt sind, lassen auf Perioden großer Lufttrockenheit schließen. Eine Parallele des Känozoikums mit dem Schluß des Paläozoikums liegt nahe. Die karbonische üppige Vegetation und die Aufspeicherung des vegetabilen Brennstoffs finden ihr Gegenstück in der reichen Vegeta- tion und den Braunkohlenbildungen des Tertiärs; die Gebirgsbildung. die ange- schlossenen vulkanischen Ausbrüche, die späteren Vergletscherungsperioden (permi- sches Boulderbed — quartärer Geschiebelehm) folgen im Karbon-Perm und im Tertiär- Quartär fast in gleicher Anordnung; und wie der Ausgang des Perms an vielen Orten durch austrocknende Meere und Lagunen gekennzeichnet ist, so steht auch am Ende der Eiszeit die trockene Lößbildung. Es hat dieser Parallelismus in den Spekulationen über die Ursachen der Eiszeit häufig Berück- sichtigung gefunden, ohne uns der gesuchten Erklärung wesentlich näher zu bringen. Die Reihe der käno- Stufen Gebirgsbildung und Vulkanismus Quartärformation. Alluvium Diluvium oder Pleistocän. Ausläufer der vulkanischen Erschei- nungen des Tertiärs bis zur Gegen- wart. Tertiärformation. Pliocän Miocän Oligocän Eocän Paleocän. Bildung der jungen großen Ketten- gebirge (Alpiden, südliche Gebirge Hochasiens, Kordilleren usw.), groß- artige vulkanische Tätigkeit in den meisten Teilen der Erde. F. Die Katastrophenlehre und der Aktua- lismus. Bei den aufgeklärten Naturforschern des 18. Jahrhunderts war die Ansicht, daß der jetzige Zustand der Erdoberfläche erst nach wiederholten gewaltigen Umwälzungen zu- stande gekommen sei, weit verbreitet. Be- sonders Buffons Werk „Epoques de la na- ture" hat auf die damalige Zeit und darüber hinaus großen Einfluß ausgeübt. Cuviers Katastrophenlehre, die im Anfange des 19. Jahrhunderts entstand, hat manches von den älteren Autoren übernommen, ist aber in jeder Beziehung weiter ausgearbeitet und schärfer akzentuiert. Aus dem Vorkommen der fossilen Säugetiere wurde gefolgert, daß es stürmisch hereinbrechende Katastrophen gewesen seien, denen die Schöpfung zum Opfer fiel, Katastrophen, die von den jetzigen geologischen Kräften nicht verursacht werden könnten. Gigantische Steigerung des Vulka- nismus, furchtbare Einbrüche des Ozeans oder auch uns unbekannte physikalische Kräfte wurden vorausgesetzt und unter dem Einflüsse Cuviers begann bei den Geologen die Ansicht festen Boden zu gewinnen, daß die früheren Abschnitte der Erdgeschichte unter einem anderen Gesichtswinkel zu betrachten sei als die Welt um uns, Cuvier führte die Trennung der Formationen und den Wechsel ihrer Fossilien auf die Revolutionen, Katastrophen oder Kataklysmen zurück, die mit der bestehenden Schöpfung jedesmal gänzlich aufräumten oder doch das Lebende zum größten Teil vernichteten. Die Arten sind unveränderlich und stehen sich zu- sammenhangslos gegenüber ; jede neue Forma- tion enthält eine neue Schöpfung, soweit es sich um Arten handelt, die der früheren Formation fehlten. In ganz ähnlicher Weise hat auch d'Orbigny mehrere Dezennien später noch daran festgehalten, daß der faunistische Unterschied der 27 von ihm aufgestellten Stufen auf ebensoviel Schöp- fungsakten beruhe. Für die evolutionisti- schen Ideen eines Lamarck waren der- artige Voraussetzungen ein damals noch unüberwindliches Hindernis. Es mußte erst mit den alten Vorstellungen über die Qualität der in der Vorzeit wirksamen Ivräfte auf- geräumt werden, und es mußte statt der Sonderung der Formationen ihr enger Zu- Formationen (Geologische Formationen) 151 sammenhang in den Vordergrund der For- 1 schimg gestellt werden, ehe das möglich 1 wurde. In Deutschland war es A. von Hoff, in England besonders Lyell, welche sich mit Erfolg gegen die Cu vi ersehe Lehre einsetzten und der aktualistischen oder uniformitorischen Anschauungsweise in der Geologie zum Siege verhalten. Dabei ist nicht zu übersehen, daß Lyell ein Gegner der L am arck sehen Theorien war und erst durch Wallace und Darwin auf die andere Seite hinübergezogen wurde. Die zoischen Formationen. Reinigung der Geologie von mystischen Ideen, das eindringende Studium der gegenwärtig waltenden Kräfte, die unermüdliche Auf- speicherung eigener Beobachtungen und der stete Hinweis, daß auch unscheinbare Vor- gänge ein großes Ausmaß annehmen, wenn sie sich in langer Zeit summieren, sind die großen Verdienste insbesondere Lyells. Seine Lehre von der "Uniformity" der geo- logisch wirksamen Agentien durch die ganze Reihe der Formationen hindurch ward der Grundstein modernen geologischen Forschens. Klima Pflanzen Tiere Mehrfache Schwankun- gen des Klimas, das in den Eiszeiten kühler war als in der Gegenwart, in den Zwischeneiszeiten aber wie das jetzige oder wärmer. Im wesentlichen die heutige Flora, aller- dings unter dem Ein- fluß der Eiszeiten zum Teil in anderer Ver- breitung. Herrschaft des Menschen, dessen cälteste Spuren im Dihivium gefunden werden. Während des Tertiärs bilden sich allmählich die heutigen klimatischen Unterschiede der ver- schiedenen Breiten aus. Die Flora besteht vor- wiegend aus angio- spermenDi-und Mono- cotyledonen, die zu- nächst die Fortsetzung der oberkretazischen darstellt und sich all- mähUch zur diluvial- alluvialen entwickelt. G. Das absolute Alter der Formationen. Während sich das relative Alter aus der Reihenfolge der Formationen in der Erd- rinde und aus dem Charakter und der Art der Versteinerungen mit genügender Sicherheit ergibt, sind wir über das absolute Alter in völligem Dunkel. Es hat zwar nicht an Ver- suchen gefehlt, die Wiederholung astrono- mischer Perioden in der Reihenfolge der Sedimente reflektieren zu lassen, aber keiner dieser Versuche hat eine wirldich geologische Begründung erfahren. Auch über das Ver- hältnis der einzelnen in der Geologie aus- geschiedenen Formationen zueinander, ob z. B. die silurische Formation längere Zeit zu ihrer Bildung gebraucht hat als die devo- nische, ob die paläozoischen Formationen all- gemein größere Zeiträume repräsentieren als die mesozoischen oder känozoischen — wissen wir sehr wenig. Die Dicke (Mächtig- keit) der Formationen ist ein unzuverlässiger Maßstab, da viele Sedimente relativ rasch gebildet sind (z. B. manche Sandsteine), während an anderen Stellen die Aufspeiche- rung von Gesteinsmaterial nur sehr langsam vor sich ging. Das Maß der Veränderungen, Fehlen der Ammoniten, Belemniten (außer im ältesten Tertiär) und der Saurier, Vorherrschaft der Knochenfische, der irregulären Seeigel, der Vögel und der Säugetiere, die sich im Laufe der Tertiärzeit aus wenig differenzierten For- men zu einer großen Mannigfaltigkeit ent- wickeln. Allmähliche Herausbildung der heuti- gen Fauna unter Erlöschen zahlreicher Grup- pen, besonders unter den Säugern, oder starkem Zurücktreten anderer, wie z. B. der NummuUten, die für das ältere Tertiär bezeichnend sind. welche Tiere und Pflanzen während einer Formation erfuhren, gibt einen richtigeren Begriff von der Bedeutung der Zeit, allein wir haben keine Erfahrung darüber, ob nicht in gewissen Perioden, unter dem Ein- fluß bestimmter physischer Konstellationen I die Umwandlung der Arten in rascherem : Tempo erfolgte als in anderen. Im allgemeinen I wird angenommen, daß die paläozoische Aera bedeutend länger währte als die mesozoische und diese hinwiederum länger als die käno- zoische, in die auch die Gegenwart noch 1 mit eingeschlossen werden kann. ' Das Ende der Eiszeit und zugleich der I älteren Steinzeit liegt nach Berechnungen, die sich zum Teil auf geologische Verände- Irungen, zum Teil auf prähistorische Daten [stützen, 16000 bis 24000 Jahre zurück. jDies wäre der letzte Teilstrich der langen i chronologischen Skala, die bis in das Prä- j kambrium zurückleitet. Die Veränderungen 'der Erdrinde in diesen letzten 2 Myriaden j von Jahren sind verschwindend gering gegen- ülDcr den großen Bewegungen, die in der Tertiärzeit die Struktur der Länder ver- ändert haben und treten noch mehr zurück 152 Fonnationen (CxeologivSche Formationen) — Formationen (Paläogeographie) gegenüber den großen Ereignissen der meso- zoischen Aera. (Transgression der Meere im Cenonian und im oberen Jura, und der paläozoischen Gebirgsbildungen im Karbon, Silur, Präkambrium). Literatur. G, H. Bronn, Lethaea geognostica oder Abbildungen und Beschreibungen der für die Gebirgsjormationen bezeichnendsten Ver- steinerungen, 2 Bände mit Atlas, 1835 bis 1838. — Thomas C. Chamberlin und Rollin B. Salishury, Geology, 3 Bde., 1904 f'is 1906. — H. Credner, Elemente der Geologie. — Georges Cuvier, Recherches sur les ossements fossiles. I. Bd.: Discours preliminaire (1812); Di-scours sur les revolutions de la stirface du globe (in der 2. Auflage der Recherches), 1821 bis 1824. — JT. D. Dana, ßlanual of Geology, 4. Aufl., 1895. — Th. Fuchs, Welche Ablagerungen haben wir als Tiefseeablagerungen zu betrachten f Neues Jahrbuch für Mineralogie, Geologie und Paläontologie. Beilageband II, 1883. — A, Geikie, Textbook of Geology, 4. Avfl., 1903. — W. von Gütnbel, Grundz'dge der Geologie, 1S88 (Geologie von Bayern, 1. Teil). — E. Haug, Traite de Geologie. II. les periodes geologiques, 1908 bis 1911. — A. von Hoff, Geschichte der durch Ueberlieferung nachgewiesenen natürlichen Verändertmgen der Erdoberfläche, 3 Bde. Gotha 1822 bis 1841. — E. Kayser, Lehrbuch der Geologie. II. Teil: Formationskunde. — E, Koken, Die Vorwelt und ihre Entunckehmgs- geschichte, 1893. — Derselbe, Die Leitfossilien. Ein Handbuch für den Unterricht und für das Bestimmen von Verstei7ierungen, 1896. — O. Krilmmel, Handbuch der Ozeanograjjhie, 2 Bde. 1907 bis 1911. — A. de Lapparent, Traite de Geologie, 5. Aufl., 8 Bde., 1906. — G. L. Ledere de Buffon, Epoques de la nature. 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Umfang und Gliederung der Paläogeo- graphie. B. Verteilung von Land und Meer. 1. Methoden. 2. Landbrücken. 3. Kontinente und Meere. 4. Paläogeographische Erdkarten: a) Paläozoikum, b) Mesozoikum, c) Känozoikum. 5. Paläogeographische Länder karten. C. Paläoro- graphie. D. Paläohydrographie. E. Paläoklimato- logie. F. Paläobiogeographie. A. Umfang und Gliederung der Paläo- geographie. Der Ausdruck Paläogeographie im Sinne von Geographie der geologischen Perioden ist zuerst von E. Et her i dg e im Jahre 1881 in seiner Ansprache als Vorsitzender der Geo- logical Society in London eingeführt worden und hat sich besonders seit dem Erscheinen von Canus Essai de Paleogeograpliie (Paris 1896) allgemein eingebürgert. Ihr Ai'beits- bereich ist die Geographie aller vergangenen Perioden seit der endgültigen Verfestigung der Erdkruste, seitdem also die Erdkruste nicht mehr durch panzerdeckenbildende Ausbrüche von kontinentaler Größe zerrüttet wurde, und Lithosphäre, Hydrosphäre und Atmosphäre unter der Herrschaft von im wesentlichen den heutigen gleichartigen Kräf- ten und Bedingungen standen. Von den ältesten Zeiten, den Zeitaltern des wasserlosen Schlackenballs, des heißen Urozeans und auch des Archaikums werden wir allerdings irgendwie eingehende paläogeographische Kenntnisse wohl nie erlangen; aber auch mit dieser Einschränkung ist das Arbeitsgebiet der Paläogeographie ungeheuer umfangreich, gilt es doch den Zustand der Erde nicht blos für jede der 11 geologischen Formationen oder Perioden, sondern vielmeln womöglich für alle ihre Abteilungen und Stufen zu ermitteln. So hat z. B. Schuchert für nicht weniger als 18 Horizonte des Silurs getrennte paläo- geographische Karten von Nordamerika zu entwerfen gesucht. Für jeden solchen Zeitabschnitt ist zu- nächst die Verteilung von Land und Meer festzustellen, eine Arbeit, die vielfach als ein- zige Aufgabe der Paläogeographie angesehen wird. Wenigstens beschränken sich eine große Anzahl paläogeographischer Arbeiten und Uebersichten auf dieses allerdings wich- Formationen ( Paläogeograpliic) 153 tigste und auch bis jetzt am besten durch- 1 sockel zur Ablagerung gelangt. Weite Meeres- forschte Teilgebiet. Neben der Feststellung flächen werden durch das Vorherrschen der großen Zuge m der Verteilung von Land | von Kalkgesteinen eventuell mit zwischen- und Meer geht die bpezialuntersuchung über j gelagerten dünnen Tonschieferbänken charak- den Küstenverlauf in den einzelnen Ländern terisiert, seichte Becken durch Schlamm- her (Palaogeographie im engeren Sinne). Sedimente; durch schwarze Schiefer, wenn das Die Paläorographie sucht den Verlauf | Wasser in den tieferen Teilen der Becken der alten Gebirge festzustellen, überhaupt i stagnierte wie im Schwarzen Meere. Unter- die ehemalige Gestaltung des Erdreliefs zu i stützt werden diese Untersuchungen durch ermitteln. Hierin berührt sie sich mit Teilen I die diastrophisehe Methode, die sich der Paläohydrographie, insofern diese darauf stützt, daß eine starke gebirgsbildende den ehemaligen Verlauf der Flüsse festzu- ^md seismische Tätigkeit sich nach unseren stellen sucht. Naturgemäß ist beides haupt- ! Erfahi-ungen über große Gebiete gleichzeitig sächlich in den jüngeren Perioden erfolg- ' wahrnehmen läßt. versprechend, während unsere Schlüsse um I^en Uebergang zur biogeographischen so unsicherer werden, je weiter wir uns von ^Methode bildet die paläontologische, der Gegenwart entfernen. Die Paläohydro- ! der von den geologischen Methoden die Haupt- graphie wird aber auch die Lage und Ausdeh- ' bedeutung zukommt. Zunächst läßt sich oft nung alter Seen zu ermitteln haben, sowie die ' "^ch dem Charakter der Fauna und Flora Tiefe der Meeresbecken, den Verlauf der feststellen, um welche Facies der Ablagerung Meeresströmungen, den Salzgehalt und die es sich handelt. Rein marin sind z. B. die Temperatur des Meerwassers u. a. i Haifische, Cephalopoden, Pteropoden und Sind die beiden eben genannten Teil- P^^.°P^^oren, Tunicaten, Brachiopoden, gebiete -noch relativ wenig bearbeitet. Echinodermen und die meisten Cölenteraten. liegt wieder reiches Material vor fiir die 1 Sf/ ^"^"^"^^"^H^" V^"PP®'^ ^^® ^«^^ ^^öheren Paläoklimatologie, die sich mit allem zu ^^anzen, den Landarthropoden und -verte- befassen hat, was sich auf den meteorologi- ^^^^^l' ^^^^ a Ucrding-s mit der Möglichkeit sehen und klimatologischen Zustand der Erde ! gerechnet werden, daß die Reste durch Ein- in vergangenen Perioden bezieht. Endlich schwemmung oder durch die Wirkung des mehren sich immer mehr die Arbeiten der V»"des m das Meer gelangt sind. Wichtiger Paläobiogeographie, der Lehre von der geo- P"',^, ^'^ indirekten Schlüsse aus den palä- graphischen Verbreitung, den Entwickelungs- i o^tologischen Daten Wenn zwei benachbarte Zentren und Ausbreitungslinien der Lebe- Y®''^^*® ""^ ähnlichen Lebensbedingungen wesen im Laufe der Erdgeschichte. ! durchaus verschiedene Orgamsmen besitzen, so_ müssen sie durch Schranken getrennt sein. R v*»rfo;i„r,o- ,r«« T ^^A „«^ M^-.^ Diese sind bei marinen Formen meist Land- B. Verteilung von Land und Meer. ^^^^j^^^^^ aber auch Meeresströmungen können I. Methoden. Bei der Feststellung der die Ursache der Verschiedenheiten sein. Verteilung von Land und Meer sind zwei j Bei Landformen kommen neben Meeres- Methoden anwendbar, die sich gegenseitig | Straßen auch Gebirge und Wüsten als stützen und ergänzen, die geologische und ; Schranken in Frage. Erst die Einzelunter- die biogeographische. Die geologische I suchung, die besonders auch auf bloß facielle zerfällt wieder in zwei Unterniethoden, die ' Verschiedenheiten von Fauna und Flora zu petrographische und die paläonto- ' achten hat, kann hier Gewißheit bringen, logische. Bei der ersten stützen wir uns in Weniger sicher sind Schlüsse aus der Aehn- der Hauptsache auf die Beschaffenheit der ^ lichkeit der Lebewesen in jetzt weit ge- Sedimente. Auf das Vorhandensein von Land | trennten Gebieten, denn hier kommt außer läßt schließen das Auftreten von Löß, von dis- i früherer direkter Verbindung auch die Ein- kordantgeschichteteiiDünensandsteinen, von Wanderung aus einem dritten Gebiete als intensiv rot oder gelb gefärbten klastischen ! Erklärungsmöglichkeit in Frage. Sicher wird Gesteinen, von Glazialbildungen, von Brec- die Verbindung zweier Gebiete, z. B. zweier cien, Konglomeraten, von Kohlen, Anhydrit, , Festländer erst dann, wenn ihr eine gleich- Gips, Steinsalz, sowie von Sandsteinen und zeitige Faunenverschiedenheit der durch die Kalken, die nach ihren fossilen Resten als angenommene Verbindung getrennten Meere Süßwasserablagerungen walirscheinlich ge- entspricht. macht sind. Für die Nähe der Küstenlinie sprechen dabei oft Anhydrit, Gips und Steinsalz, ferner Rippelmarken, netzförmige Leisten, Regentropfenspuren, Tierfälirten und Pseudomorphosen nach Steinsalz, wenn diese Auf diesen beiden Methoden sind die meisten paläogeographischen Karten be- gründet. Sie müssen aber durch die bio- geographische Methode ergänzt werden, die dort die Entscheidung bringen kann, wo auch zum Teil an den Ufern von Binnenseen ; die geologischen Methoden infolge des Fehlens sich ausgebildet haben können. Sandsteine l geologischer Aufschlüsse versagen, wie im sind meist wenigstens auf dem Kontinental- Bereiche der ozeanischen Flächen. Solche 154 Formationen (Paläogeographie) „biotogenetischen" (Ortmann) Untersuchun- gen haben für sich allein oft zu großen Irr- tümern geführt, zusammen mit den geolo- gischen liefern sie wertvolle Resultate. Diese Methode stützt sich hauptsächlich auf die Verbreitung der Tiere, da uns bei den Pflan- zen zu sehr sichere fossile Reste fehlen, und da sie in ihrer Verbreitung zu sehr durch ökologische Faktoren bedingt sind. Bei den Tieren kommt Faciesbildung nur in geringerem Maße in Frage. Haben aber z. B. zwei durch Meer getrennte Länder gleiche Faunen- elemente, so muß im einzelnen untersucht werden, ob direkte Ausbreitung über das Meer durch aktiven Flug, durch den Wind, durch aktives Schwimmen, durch Eis, Treib- holz oder sonstige Trift möglich ist, ob es sich um Einwanderung aus dritten Gebieten han- deln kann oder ob nur eine direkte Ueber- wanderung angenommen werden darf. Lassen sich auf diesem Wege hauptsächlich Auf- schlüsse über die einstmaligen Verbindungen größerer Landgebiete gewinnen, besonders durch die biotogenetische Untersuchung von Tiergruppen, deren phylogenetische Be- ziehungen schon gut erforscht sind, so ge- stattet die biogeographische Methode auch durch den verschieden hohen Grad von Spezialisation der Faunen und Floren Schlüsse auf das relative Alter einer Isolierung, be- sonders bei den kontinentalen Inseln. Doch darf man sich hierbei nicht auf den rein statistischen Weg beschränken, sondern muß auch etwaige ökologische Verschiedenheiten beachten, die eine besonders hohe Speziali- sation hervorrufen und ein übermäßig hohes Alter der Isolierung vortäuschen können. Neben diesen Hauptmethoden werden bei paläogeographischen Rekonstruktionen noch manche allgemeine Gesetze und Gliede- rungsformeln benutzt, die man aus dem gegenwärtigen Zustand des Erdreliefs ab- leitet, deren Gültigkeit wir aber für die Vorzeit nicht ohne weiteres voraussetzen dürfen. An erster Stelle steht hier die An- nahme der Permanenz der Kontinente und Ozeane, die neuerdings vorwiegend von nord- amerikauischen Paläogeographen, besonders von Willis vertreten wird, während die europäischen und südamerikanischen diese Annahme größtenteils aufgegeben haben. Ihre Anhänger schließen sich in ihrer Linien- führung möglichst eng dem heutigen Verlaufe der Küstenlinie oder der Grenze des Kon- tinentalsockels bezw. den Isobathen des Meeres an. Wenn dies auch für die jüngeren Perioden angängig erscheint, so doch kaum für weiter zurückliegende Zeiten. Andere charakteristische Züge im Relief der Gegen- wart sind die antipodische Lage von Land und Meer, die Anordnung der Kontinente in drei meridionale Paare, zu denen als siebenter noch ein Südpolarkontinent kommt. [ die Existenz eines geschlossenen Wasser- I rings im Süden, eines fast geschlossenen Landrings im Norden , das Vorhanden- j sein eines mittelmeerischen Gürtels, der den Aequator unter 23,5" schneidet, einer zweiten , dazu senkrechten Hauptgeosynklinale, die i den Großen Ozean umrandet. Fast alle diese Züge treten uns auch auf den paläo- { geographischen Karten entgegen, teilweise sogar in noch schärferer Ausprägung, wie das zentrale Mittelmeer (Suess' Tethys). In i ihnen kommt doch * noch eine gewisse j Permanenz zur Geltung, insofern wir immer I wieder denselben Kontinentalkernen und Urmeeren begegnen. 2. Landbrücken. Sowohl die paläonto- logische, wie die biogeographische Methode haben die meisten Paläogeographen zu dem Schlüsse geführt, daß die meisten jetzt von- einander getrennten Landmassen in früheren [ Zeiten wenigstens zeitweilig in landfester Verbindung miteinander gestanden haben. Selbst sonstige Anhänger der Permanenz von kontinentalen und ozeanischen Ge- I bieten, wie Schuchert, verhalten sich I dieser Annahme gegenüber nicht ablehnend. Nur über die Dauer und die genaue Lage dieser Verbindungen gehen teilweise die An- sichten auseinander. Auch ist die Frage noch nicht entschieden, ob die Trennung der einst verbundenen Länder durch das Absinken ' der verbindenden Landbrücke erfolgt ist ! oder durch eine horizontale Verschiebung i der Kontinentalschollen, wie dies Weg euer und Taylor angenommen haben. Eine arktische Verbindung der Nordkontinente durch ein Nordpolarland wird von Frech für die paläozoischen Formationen ange- nommen, von Lapparent für das Karbon, ' sowie für die jüngere Kreidezeit, von Matthew für das Miocän. Daß zwischen Nordamerika und Asien lange Zeit eine Landbrücke an der Stelle der Beringstraße bestand, wird allgemein angenommen. Ebenso ist die frühere Existenz einer nordatlantischen Landbrücke ziemlich gesichert, als deren letzte Reste wir Grönland, Island, die Faröer und Großbritannien anzusehen haben. Sie hat von den ältesten uns bekannten Zeiten , her eine bedeutsame Rolle gespielt und ist erst im Tertiär von Süden nach Norden fort- ; schreitend zusammengebrochen. Von nordsüdlichen Landbrücken ist zu- nächst die mittelamerikanische Landbrücke hervorzuheben, die, oft unterbrochen, bald ähnlich wie jetzt, bald über Westindien, bald westlich von Mittelamerika von Nord- nach Südamerika führte, im letzteren Falle viel- I leicht über die Galapagosinseln und nach Scharff über Juan Fernandez zeitweilig ' Chile direkt an das westliche Nordamerika anschließend. Eine Landbrücke zwischen dem eigentlichen asiatischen Kernlande und Formationen (Paläogeographie) 155 Australien hat nur sehr selten bestanden. Auch die jurassische Landbrücke des sino- australischen Kontinents von Nenmayr läßt sich nach den neueren Forschungen nicht mehr halten. Wahrscheinlich ist Australien immer nur durch südliche Landbrücken in- direkt mit dem Norden verbunden gewesen. Von diesen hat zunächst die südatlan biogeographische. Immerhin stimmen in 70% aller Fälle sämtliche paläogeogra- phischen Karten in den Landbrücken überein. (Siehe Tabelle S. 156 und 167.) 3. Kontinente und Meere. Die eben aufgezählten Landbrücken sind nun nicht bloß schmale Verbindungsstücke zwischen tische zwischen Südamerika und Afrika I den einzelnen Kontinenten gewesen, sondern ziemlich allgemeine Anerkennung gefunden. Ihr endgültiger Zusammenbruch ist nach Stromer auf jeden Fall im älteren Eocän bildeten teilweise selbst Gebiete von konti- nentaler Größe, ja sie treten vielfach an die Stelle der jetzigen Festländer, indem jetzt erfolgt, ihre erste Bildung reicht nach Ansicht getrennte Kontinentalkerne zu größeren der meisten Paläogeographen wahrscheinlich | Festländern verschmolzen wie in der Gegen- bis zum Kambrium, mindestens bis zum ! wart der europäische und asiatische zu dem Karbon zurück. Auch die „lemurische" 1 Landblock Eurasien. Für die wechselnden Landbrücke zwischen Vorderindien und Ma- Kombinationen machen sich auch besondere dagaskar, das dann wieder mit Afrika ver- 1 Namen notwendig, die man meist von geo- bunden war, hat für die Zeiten von Jura und graphischen Objekten der Gegenwart her- Kreide ziemlich allgemeine Annahme ge- genommen hat, teilweise aber auch auf funden, desgleichen die landfeste Verbindung j phylogenetische Spekulationen gründete, wie zwischen Südafrika, Vorderindien und Austra- j die Lemuria. Im allgemeinen ist die Be- lien vom Oberkambrium bis zum Ende der > nennung der alten Kontinente noch wenig Trias, vielleicht sogar bis tief in die Jurazeit ! geregelt. Am konsequentesten ist v. Iherin hinein. Noch zweifelhaft ist dagegen die Annahme einer ozeanischen Landbrücke von Australien über Polynesien nach Süd- vorgegangen, der für alle Kontinente die Endsilbe -is verwendet und die alttertiären und jungkretazeischen durch die Vorsilbe amerika, für die in erster Linie biogeogra- Archi- charakterisiert. Entsprechend sollen phische Gründe sprechen. Doch haben auch die übrigen mesozoischen Kontinente durch Geologen, wie C.B urckhar dt, die ehemalige die Vorsilbe Meso-, die paläozoischen durch Existenz eines Festlandes westlich von Chile Paläo- gekennzeichnet werden. So sind nach für notwendig erklärt. Auch Hang ist für ! ihm die Kontinente der Eocänzeit: Archi- diese Annahme eingetreten. Ganz besonders ' boreis (Nordamerika, Grönland, Europa), ist infolge des Mangels an geologischen | Archigalenis (Ostasien, pazifische Gebiete Aufschlüssen die Zeit der Existenz einer , westlich von Nordamerika, Mittelamerika, solchen Landbrücke noch ganz. ungewiß. Westindien, Ozeanien), Archhelenis (Gua- Mit größerer Sicherheit können wieder Y^na, Brasilien, Afrika, Madagaskar, Vorder- Landbrücken zwischen der Antarktis und ! i"dien) und Archinotis (Chile, Patagonien, Südamerika bezw. Australien oder Neu- 1 Antarktis, Australien). Für Unterabteilungen Seeland angenommen werden; erstere be- i benutzt er andere, aber meist ähnlich ge- sonders für das Alttertiär, letztere für die 1 bildete Namen wie Archiplata, Archibrasil, Jurazeit. Viel unsicherer ist wieder, ob eine Archiguayana, Archamazonia, Pacila (Oze- ähnliche Landbrücke von der Antarktis i amen). Dieser Hinweis der Namen auf die nach Afrika herübergeführt hat. | Perioden, denen sie angehören sollen, er- Wann nach Ansicht der wichtigsten scheint überflüssig und die Uebersicht neueren paläogeographischen Arbeiten die einzelnen Landbrücken existiert haben, geht aus der nachfolgenden Uebersicht hervor. schwerend, so wenn man z. B. das brasil- äthiopische Festland an der Wende von Kreide und Tertiär als Archhelenis, im Jura Als Kernländer der Kontinente wurden i etwa als Mesohelems und im Karbon als darin die archäischen Massive derselben be- ! Paläohelems bezeichnen sollte, während es trachtet. Es ergibt sich daraus, daß in den sich in allen drei Fällen um das gleiche Gebilde meisten Fällen die verschiedenen Paläo- bandelt. So dürfte es sich mehr empfehlen, geographen übereinstimmen. Manche Diffe- die Namen Archhelenis, Archinotis zeitlich renzen ergeben sich daraus, daß die einzelnen j unbeschränkt zu gebrauchen. Häufiger Eekonstruktionen sich auf verschiedene Hori- [ werden übrigens andere Namen gewählt, zonte der größeren Epochen beziehen. Können | Der heutige Kontinent Asien besteht aus doch z. B. im Obersilur die Verbindungen j Teilen von ganz verschiedener geologischer z. B. zwischen Asien und Nordamerika mehr- ! Geschichte. Er ist im wesentlichen durch mals unterbrochen und wieder hergestellt die Verschmelzung eines nordischen Massivs worden sein. Andere Unterschiede kommen mit dem südlichen indoarabischen Block daher, daß bei dem einen Entwurf nur die entstanden. Jenen, der lange Zeiten hindurch geologisch-paläontologische Methode an- einen besonderen Kontinent bildete, bezeich- gewendet wurde, bei dem anderen auch die net man zumeist im Anschluß an Suess als .156 Formationen (Paläogeographie) Verb in düng der Kontinentalkerne Arktische Landbrücke Europa- Asien Asien- Nordamerika Nordamerika- Europa Europa — Afrika Quartär -A.Kn.M. + A.Kn.M. + A.Kn.M. + A. -Kn.M.S. + M. — A.Kn. Pliocän -A.M. + A.M. + A.M. — S. +A. — M.S. +A. -M. Miocän + M. -A.Kn.L,. + A.Kn.L2.M. + A.Kn.L.,.M. — S. + A.Kn. — L,M. + L„. — A.Kn.M. Oligocän -A.Kt.M. -A.Kt.M. + A.Kt.M.S. + A.Kt.S. — M. -A.Kt.M. Eocän + 1,. — A.L.Kn.Kt. L,.M. + L.(M.) — A.Ii.Kn.Kt. L..M. + A.Ii.Ivn.Kt. L,.S. — I2.M. + A.L.Kn.Kt. L,.S. -I,.M. -A.Iio.Kn.Kt. L,.M. Oberkreide + Kt.Lo. —A.Kn. + A.Kn.Kt.L2 + A.Kn.L.,. -Kt. + A.Kn.Kt. — L,. — A.Kn.Kt.L,. Mittelkreide + L.,. -a:l. — A.Kn.Li. + A.L,.S. -A.Kn.Li,. -A.L„. Unterkreide -A.Kn.Kt.L,. — A.Kn.Kt. — A.Kn.Kt.Lj.S. + A.Kn.L,.S. — Kt. —A.Kn.Kt.L,. Malm -A.Li,.N.U. — A.L,,.N.U. — A.L.joN.U. -A.L,,.N.U. — A.Li,.N.U. Dogger -A.L, + A. — L,,. + A.L..S. tt. + A. — L.. Lias — A.Lo. + A.L,. + A.L„.S. — A.L,. it Obertrias ^A.F.Kt.L,,. H-A.F.Kt.Lj,. -A.F.Kt.Li^.S. + F.Kt.Li,. -A. -A.F.Kt.Li,. Untertrias — A.L^. + A.F. — L„. — A.F.L,. + A.F.L,. + A.Kt. — F.L,,. Oberperm -A.Kn. + A.Kn. —A.Kn. + Kn. — A. + A. — Kn. Unterperm -A.Kn. —A.Kn. + A.S. — Kn. + Kn. -A. + A. — Kn. Oberkarbon + F. -A.Kt.Lo. — A.F.Kt.L.3. + A.F. -Kt.L,. + A.F.Kt.L,. — A.F.Kt.L,. Unterkarbon + F.L,. — A.Kt. + F. —A.Kt.L,. — A.F.Kt.L,. + A.F.Kt.L,. — A.F.Kt.L,. Mitteldevon + F. — A.Kt.Li,. — A.F.Kt.Li,. — A.F.Kt.Lio. + A.F.Kt.L.i,. — A.F.Kt.L^,. Unterdevon + F. -A.Kt.L,. -A.F.Kt.L,. + F. -A.Kt.L,. + A.F.Kt.L2. —A.F.Kt.L,. Obersilur + F. -A.Kt.L,. -A.F.Kt.Lo. — A.F.Kt.L,. + A.F. Kt.Lo. —A.F.Kt.L,. Untersilur + F.Li. -A.Kt.L,,. — A.F.Kt.L,.,. — A.F.Kt.Li;, + A.F.Kt.L,,. + F. -A.Kt.L,,. Oberkambrium + F. -A.L3. + A.F.L,. —A.F.L,. -A.F.L,. + F. -A.L,. Unterkambrium + F. — A. + A.F. — A.F. -A.F. + F. — A. A. Arldt 1907. + Verbindung angenommen. F. Frech 1897 bis 1908. L V. Ihering 1907. 1911. — Verbindung nicht an- Kn. Koken 1893, 1907 Kt. Koßmat 1908. Formationen (Paläogeographie) 157 in den geologischen Perioden. ! 1 Australien — Asien- Asien— j Nordamerika — Südamerika — Madagaskar- Madagaskar- Südamerika Vorderindien Australien Südamerika Afrika Vorderindien Australien über Ozeanien oder Antarktis + A.Kn.M. + A.Kn.M. S. 1 -A.Kn.M. -A.Kn.M. -A.Kn.M. -A.Kn.M. —A.Kn.M. + A.M. 1 + A.M.S. 1 -A.M. -A.M. -A.M. -A.M. —A.M. + A.Kn.L,.M. + M.S. -A.Kn.Lo.M. -A.Kn.L,. -A.Kn.La.M. -A.Kn.L^.M. + Kt. — A.Kn.L^.M. — A.Kn.L^.M. — A.Kt.M. — A.Kt.M. — A.Kt.M.S. -A.Kt.M. —A.M. — A.Kt.M. — A.Kt.M. + 1,. + I2(M.) + A.I1.,, + Ii,.Kt. + A.I,(M) — A.L,.Kn. — A.Ij.Kn.Kt. —A.I,. Kn.Kt. -Kn.Kt.L,.M. -A.Kn.L^.M. -A.Ii2.Kn.Kt. — I,.Kn.Kt. Kt.Ü.M. L.,.M. Lo.M.S. L^.M. Lo.M. + A.L,. + A. + A.Kn.Kt.L.,. + A. — A.Kn.Kt.L,. — A.Kn.Kt.L^. — Kn.Kt. + A.L...S. — Kn.Kt.Lo. + A.L,. -A.Kn.Kt.L,. — Kn.Kt-L,. + A. — A.Ljo. — A.L.i.,. -L,- -AL,,. + A.L,. -Li- + A.Kn.Kt.L2. — A.Kn.Lia. — Kn.L,2. — A.Kn.Kt.Lo. —A.Kn.Kt.L,. [ + A.N11) — A.Kn.Kt.L.^.S. — Kn.Kt. + A.Li,.N.U. + A.L„.N.U. — A.Kn.KtLj. — A. Kn.Kt. L . -A.Li,.N.U. -L,,.U. — A.Li,.N.S.U. -L, — A.L12.N.U. — A.L,2.N.U. + A. [ + A.11 + A.L,. + A.L,. + L.,. -L^. -L,. — A.L.,S. — A. -A.L3. + A. [ + A.11 + A.L,. + A.L.3. + L,. -L,. -L,.' — A.Lo.S. + A.F.Kt.Lio. + A.F.Kt.Li2. — A. + A.F.Kt.Li,. -A.L3. — A.F.Kt.Lj,. — A.F.Kt.Lio. — A.F.Kt.L,,.S. — A.F.Kt.Lio. + A.F. + A.F. + A.F.L2. + A.F.L0. + A.F.L,. -L,. — A.F.L.,. -L,. — A.F.L0. + A. + A.Kn. + A.Kn. + A. — A.Kn. —A.Kn. — Kn. — Kn. —A.Kn. + A. + A.Kn. + A.Kn. + A.Kn. — A.Kn. —A.Kn. — Kn. + A.F.Kt.Lo. + A.F.Kt.L2. + A.F.Kt.L2. —A.Kn. -A.F.Kt.L,. — A.F.Kt.L.. — A.F.Kt.L,. —A.F.Kt.L. + L,. + A.F.Kt.L.3. + A.F.Kt.L2. + A.F.Kt.L,. — A.F.Kt.L,. -A.F.Kt.L^. — A.F.Kt. — A.F.Kt.La. + A.Kt.Li,. + A.Kt.Lio. + A.F.Kt.Li2. + A.F.Kt.Li2. — A.F.Kt.Li,. — A F.Kt Lj, — F. — F. — A.F.Kt.L, 0. i + A.Kt.L,. + A.Kt.L2. + A.F.Kt.L2. + A.F.Kt.L2. — A.F.Kt.L,. — A.F.Kt.L.,. |— F. — F. + A.Kt.L,. + A.F.Kt.L,,. + A.F.Kt.L.,. — A.F.Kt.Lo. — A.F.Kt.L2. — A.F.Kt.Lo. — A.F.Kt.L^. -F. —A.F.Kt.L,. ' + A.F.Kt.Li2. + A.Kt.Li,. + A.F.Kt.Li2. + A.F.Kt.Li,. — A.F.Kt.Lio. — A.F.KtLjo. -F. — A.F.Kt.Ljj. + F. + F. + A.L,. + A.F.L2. +a.f.l;. -A.L, -A.L, — A.F.L,. — F. — A.F.Lo. + F. + F. + A. — A. — A. — A.F. — F. — A.F. — A.F. —A.F. enommen. i) Als feste Landverbindungen aufgegeben. U, Uhlig 191 1 L. Lapparent 1900, 1906, M Matthew 1906. N. Neumayr 1885. S. Schuchert 1910. 158 Formationen (Paläogeographie) Angarakontinent, Nordamerika vielfach als Nearktis. Diese beiden Kontinente sind an- scheinend nie so breit verbunden gewesen, daß sie nicht als verschiedene Kontinente auf- zufassen wären. Stehen Europa und Asien in breiter Verbindung, so bezeichnet man den großen Kontinent als Eurasien. Haben die Landmassen weiter im Norden ilnen Schwer- punkt, auch die altweltlichen arktischen Inseln mit umfassend, so spricht man auch von Paläarktis. Eine wichtige Rolle in der Geschichte der Erde hat das nord- atlantische, Nordamerika und Europa ver- bindende Festland gespielt, als dessen Rest u. a. Grönland zu betrachten ist. Nach seiner Lage können wir es am besten als Nord- atlantis bezeichnen, doch sind auch die Namen Arktis, Großer Nordkontinent, Oldred- kontinent, Atlantis, Eria, Archiboreis für ihn vorgeschlagen worden, während Laurentia und algonkischer Kontinent mehr mit Nearktis identisch zu setzen sind. Südlich von dem mediterranen Gürtel hat besonders im südatlantischen Gebiete ein Kontinent bestauden, der hiernach als Süd- atlantis bezeichnet werden kann. Andere Namen sind brasiloäthiopischer Kontinent, Archhelenis. Den Namen Lemuria be- schränkt man jetzt meist auf die mesozoische Landmasse zwischen Madagaskar und Vorder- indien, die bald als Halbinsel der Südatlantis, bald als selbständiges Kontinentalgebiet an- zusehen ist. Als Gondwanaland bezeichnet man meistens deu großen paläozoischen Kon- tinent, dessen Reststücke wir in Afrika, Vorderindien und Australien zu sehen haben. Doch wird der Name im weiteren Sinne auch auf die Südatlantis mit ausgedehnt, so von Suess. Zweckmäßiger wäre es wohl, dem Namen seine alte Beschränkung zu belassen und das weitere Gebiet einfach als Süd- kontinent zu bezeichnen. Für einen Kon- tinent an der Stelle der polynesischen Lisel- welt kommt der Name Ozeanien in Frage und als letzter der alten Kontinente wäre noch die Antarktis oder Ai'chinotis zu er- wähnen, wenn auch deren Verbindungen mit den anderen Kontinenten nur teilweise ge- klärt sind. Neben diesen großen Kontinentalgebieten haben auch einige kleinere Gebiete, die früher Land waren, besondere Namen erhalten. So bildeten Sizilien, Sardinien, Korsika und Elba mit Teilen Toskanas und den Hyeresschen Bergen bei Nizza die Tyrrhenis, die wahr- scheinlich sogar im Pliocän noch teilweise bestand, und deren Existenz starke Ein- wirkungen auf die Fauna dieser Gebiete aus- geübt hat. Ebenso verband noch im Pliocän die Adriatis den Monte Gargano mit Illyrien Eine mittelatlantische Landbrücke zwischen Westindien und dem europäischen Mediterran- gebiete, besonders den makaronesischen In- seln nehmen neuerdings besonders Guppy und Scharf f an. Sicherlich hat in tertiärer Zeit mindestens im makaronesischen Gebiete das Land größere Ausdehnung gehabt als gegenwärtig. Neben den alten Kontinentalgebieten hat I es auch gewisse Meeresteile gegeben, die fast die ganze uns bekannte geologische Geschichte mit nur kurzen Unterbrechungen überdauert haben. Da haben wir zunächst das arktische Meer rund um den Nordpol, dessen Gebiet i nur nach Ansicht einiger Paläogeographen auch nur zeitweilig von Land eingenommen wurde. Ziemlich gut bekannt ist die Geschichte des großen Mittelmeeres, das die Nord- von den Südkontinenten trennt und das in den meisten Perioden viel schärfer ausgebildet war als gegenwärtig. Es wird nach dem Vor- gange von Suess als Tethys bezeichnet. Teile I von ihm werden als nord- oder mittelatlan- tisches Becken, als iranisches, als chinesisches Becken, als himamalaiisches Gebiet be- zeichnet. Eine ähnliche Konstanz wie die Tethys scheint der Meeresgüi-tel südlich der [ Südkontinente besessen zu haben, ja er ist j vielleicht noch seltener von Landbrücken unterbrochen worden. Aus diesem Grunde hat auch er eine besondere Bezeichnung er- halten, indem ihm v. Ihering den treffen- den Namen Nereis gegeben hat. Zu diesen mehr äquatorial verlaufenden drei Urozeanen kommt als einziger meridionaler der pazi- fische Ozean, der von den meisten Paläo- geographen ebenfalls als ein Urelement im großen Relief der Erde angesehen wird. Doch ^ ist auch seine Permanenz nicht unbestritten, i Haug betrachtet ihn in fast seiner ganzen Ausdehnung als Kontinentalfläche, viele, besonders Biogeographen, aber auch Geologen nehmen im tropischen Ozean alte Land- massen zwischen Australien und Südamerika , an, und im nordpazifischen Becken vermutet j v. Ihering wenigstens im Osten altes Land, ' Im allgemeinen dürfte aber der nordpazifische ; Ozean tatsächlich ziemlich permanent ge- ! wesen sein, ebenso wie der südliche Teil dieses ' Weltmeeres als Teil der Nereis. 4. Paläogeographische Erdkarten. Karten der ganzen Erdoberfläche während j einer geologischen Periode lassen sich nicht ohne weiteres mit einer Erdkarte der Gegen- wart vergleichen. Sie können in absehbarer i Zeit noch nicht den wirklichen Zustand in j der Verteilung von Land und Meer zu einem j bestimmten Zeitpunkte darstellen. Einmal ! sind die Perioden und selbst ihre Unter- epochen viel zu lang, als daß man ihren paläo- geographischen Zustand auf einer einzigen Karte darstellen könnte. Im Laufe einer Epoche wie des Obersilur mußten die Aus- dehnung der einzelnen Meeresteile, die Größe und Lage der Inseln, ja selbst die Verbin- dungen der einzelnen Kontinente und größereu Formationen (Paläogeographie) 159 Landgebiete wiederholt wechseln, wie dies die zahlreichen Karten Nordamerikas von Schnchert zeigen. Für jede geologische Stufe eine besondere Erdkarte zu entwerfen, j wie es das beste wäre, ist wieder wegen der mangelhaften geologischen Erforschung weiter j Gebiete der Erde nicht angängig, sind wir ! doch schon bei der Zusammenfassung meh- rerer Stufen darauf anoe wiesen, aus weit- getrennten vereinzelten Funden das alte Bild von Land und Meer nach einer der oben an- i geführten Methoden zu rekonstruieren. So i stellen die paläogeographischen Erdkarten j weniger den wirklichen Zustand der Erd- i Oberfläche zu einem bestimmten eng be- grenzten Zeitpunkt dar, sondern sie sollen i vielmehr ein übersichtliches Bild der in der ; betreffenden Periode oder Epoche vorherr- i sehenden Bedingungen entwerfen. Es kommt j bei ihnen weniger auf die Linienführung im ' einzelnen, als auf die großen Züge an. 4a) Paläozoikum. Für das Paläozoi- kum ist besonders charakteristisch der große Südkontinent, der mindestens zeitweilig von Südamerika bis Australien reichte und nach den Umrißlinien der paläogeographischen Karten im Untersilur und Unterdevon ca. 170 Millionen qkm umfaßt haben müßte. Besonders gesichert ist der Zusammenhang seiner östlichen zwei Drittel, des Gondwana- landes, das nur im Unterkambrium und im Oberperm zeitweilig im Gebiete des Indischen Ozeans überflutet wurde. Zwischen Süd- amerika und Afrika nimmt nur Frech im Kambrium, Silur und Devon eine Trennung an, die anderen Paläogeographen dagegen sind für eine Landverbindung. Die Trennung im Oberperm war nur sehr schmal, durch Inseln überbrückt und im jetzigen Amazonasgebiete gelegen. Das spezifisch südamerikanische Festland bestand im wesentlichen aus Guayana und Mittelamerika. Im Norden bildeten ebenso konstante Elemente die Nordatlantis und der Angara- kontinent, besonders die erstere. Das Kern- land des Angaralandes war dagegen im Kam- brium und Silur vom Meer überspült, wes- halb wir den damaligen asiatischen Kontinent lieber als Paläarktis bezeichnen müssen. Be- merkenswert ist noch, daß nach Lapparent die Antarktis bis nach Südamerika herüber- griff und vom Kambrium bis zum Karbon den chilenischen und westpatagonischen Anteil mit umfaßte, während bis zum Devon eine argentinische Meeresstraße dieses Land vom großen Südkontinent trennte, mit dem es erst im Karbon verschmolz. Ueber die Verteilung der Kontinente in den einzelnen Perioden gibt die nachfolgende Tabelle eine Uebersicht. Kontinente während des Palaeozoikums. Größe in Mill. qkm. berperm nterperm berkarbon nterkarbon [itteldevon nterdevon bersilur fntersilur Nordatlantis 38 — Angarakontinent 22 *NordatlantJs 40 *Angarakontinent 19 Nearktis 19-Nordatlantis 18-Angarakontinent20 (L *Nordatlantis) (L *Angarakontinent) *Nordatlantis 33 * Angarakontinent 18 (F *Arktischer Kontinent) (L Nordatlantis) (L Angarakontinent) Nordatlantis 22 *Angarakontinent 8 (F *Arktischer Kontinent) Nordatlantis 36 *Angarakontinent 10 (F * Arktischer Kontinent) * Paläarktis 8 * Südamerika 10 * Südatlantis 73 * Australien 9 * Südamerika 10 * Südkontinent 106 *Südkontinent 127—136 L Antarktis 'Südkontinent 13S L Antarktis Nordatlantis 11 Nordatlantis 12 iberkambrium *Nordatlantis 16 rnter- *NordatIantis 22 kambrium Vollständig isolierte Kontinente. Südkontinent 150 L *Antarktis (F * Südamerika) (F *Gondwanaland) Südkontinent 169 L *Antarktis (F * Südamerika) * (F *Gondwanaland) * Südkontinent 159 L * Antarktis (F * Südamerika) (F *Gondwanaland) ♦Paläarktis 14 Südkontinent 169 L * Antarktis (F Südamerika) (F Gondwanaland) ♦Paläarktis 21 * Südkontinent 128 L *Antarktis (F Paläarktis) (F * Südamerika) (F Gondwanaland) ♦Paläarktis 21 * Südatlantis 68 *Indoaustralien 35 (F * Südamerika) (F Afrika) (F Indoaustralien) F Abweichungen nach Frech. L nach Lapparent 1906. Vom Algonkium existiert noch keine paläogeographische Karte und ist auch kaum zu erwarten. Doch gab es damals sicher schon Kontinente. Für die Existenz der Nord- atlantis sprechen die kambrischen Grundkon- glomerate und die plastischen, algonkischen Gesteine in Kanada, in der Bretagne, in Groß- britannien, Skandinavien und Böhmen, sowie die diskordante Auflagerung des Kambriums auf ältere Schichten in allen diesen Ländern. I Die große Mächtigkeit oieser Sedimente setzt große Festlandsgebiete voraus. Die Existenz I der Paläarktis und des Südkontinentes läßt sich nicht in diesem Maße erweisen. Im Kambrium tritt uns der Große Ozean in besonders weiter Ausdehnung ent- gegen, indem er das ganze andine Nord- amerika überflutet und im Oberkambrium nach Frech bis zum Mississippi und zur ' Hudsonstraße vordringt. Auch in Mittel- 160 Formationen (Paläogeographie) amerika und im gemäßigten Südamerika war der Ozean weiter ausgedehnt, ebenso in Ost- und Nordasien, wo sich allerdings nach Lapparent ein größeres Landgebiet westlich der Lena vom Hoangho bis zur Beringstraße erstreckte. Trotzdem stand aber der Große Ozean noch in breiter Ver- bindung mit dem arktischen Meere, der zwischen Jenissei und Lena bis an die Süd- grenze Sibiriens reichte. Durch das baltische Becken, das Skandinavien und Finnland be- deckte, stand das arktische Meer wieder mit dem mediterranen Gürtel in Verbindung, der nach Lapparent und Arldt die Nord- kontinente von den südlichen vollkommen trennte, während Frech die Paläarktis im östlichen Mittelmeergebiete mit Afrika, in Tibet mit Indoaustralien in Verbindung stehen läßt. Zwischen beide schob sich im Unter- kambrium das ,,Pandschab"becken, wahr- scheinhch als Transgressionsmeer. Im Ober- kambiium war aber hier eine Regression des Meeres erfolgt, parallel mit der algonkischen Transgression in Nordamerika. Im Silur drang das Meer auf dei Nord- halbkugel noch weiter vor, und während im Kambrium klastische Gesteine vorherrschten, traten nun kalkige Gesteine in den Vorder- grund. Die Nordatlantis erlitt besondere Einbuße durch das Vordringen des arktischen Meeres, das wie im Kambrium mit dem pazifischen in breiter Verbindung stand. Be- sonders im Obersilur wurde schließlich fast der ganze nordamerikanische Kontinent über- flutet bis auf insulare Gebiete im "Westen der Hudsonbai. Wie hier wurden auch in Europa gerade die Kernlandschaften des ,, skandinavischen Schildes" vom Meere be- deckt, so daß die Nordatlantis fast ganz auf das Gebiet des nordatlantischen Ozeans mit Grönland und Island beschränkt war. Die kambrische Paläarktis zerfiel in eine Reihe von kontinentalen Inseln. Die größten Reste waren die von Finnland nordwärts reichende silurische Paläarktis und die schon beim Kambrium erwähnte ,, mandschurische" Insel, die nach Lapparent bis in die Gegend der Beringstraße reichte, nach Koßmat außer- dem mit der nordeuropäischen Paläarktis in Verbindung stand. In Mitteleuropa waren nur kleinere Inseln übrig geblieben, eine größere Landmasse dagegen in Südost- europa und Kleinasien, die in Verbindung mit dem Südkontinente stand, der jetzt eine beträchtliche Vergrößerung erfahren hatte, besonders zwischen Afrika und Australien, wo er nach Frech bis in die Gegend von Kerguelen nach Süden reichte, ''in Süd- amerika war dagegen der argentinische Teil noch vom Meere überflutet und nach Lap- parent trennte ein Meeresarm Guayana und das obere Amazonasgebiet vom großen Kontinente ab. Im Devon behielt der Südkontinent etwa die gleiche Ausdehnung bei, doch überspülte die Tethys im Norden allmählich das inner- asiatische und chinesische Gebiet, nach Lapparent drang auch ein Meeresarm über Siam und Annam vor, eine philippinische Insel abtrennend. Dafür hatte sich das Land in Australien weiter südwärts ausgedehnt. In Südamerika bedeckte das Meer den größten Teil des jetzigen Festlandes bis auf eine Insel in seinem Nordwesten von Peru bis zum Orinoko und bis auf die östlichen Gebiete von Brasilien. Im Norden hatte sich das Land im Unterdevon wieder weit aus- gedehnt. Besonders fällt hier eine mächtige Nordatlantis ins Auge, die von den Ufern des Großen Ozeans bis zum Ural reichte. Weite Teile dieses Gebietes wurden aber im Mitteldevon wieder von einer Transgression überflutet, wie Rußland und das Gebiet westlich der Hudsonbai. Labrador und Skandinavien waren aber seit dem Beginn des Devon dauernd landfest. Ebenso tauchte jetzt das Angaragebiet auf, um allerdings von der mitteldevonischen Transgression noch einmal überflutet zu werden. Diese Ueber- flutung erstreckte sich auch auf Alaska, das nach Lapparent mit dem unterdevonischen Angarakontinente verbunden war. Wie das Unterdevon nach der obersiluri- schen Transgression brachte das Karbon nach der mitteldevonischen wieder eine be- trächtlichere Ausdehming des Landes, be- sonders im Norden, wo jetzt das Land eine Ausdehnung erreichte, wie in keiner Periode zuvor. Von dieser Vergrößerung wurden beide Kontinente gleichmäßig betroffen. Die Nordatlantis reicht wieder von den großen Seen und der Mackenziemündung bis zur Wolga, ja mit der pontischen Halbinsel bis über den Aralsee ostwärts. Während des Karbon dehnt sie sich besonders im Süden aus, bis zum Rio Grande del Norte und dem Mittelmeere, während in Rußland kleinere Gebiete wieder überflutet werden. Auch der Angarakontinent gewinnt nach Südwesten an Ausdehnung im oberen Ob- und Jenissei- gebiete, während über Korea und Japan das Meer im Oberkarbon wieder vordringt. Südlich dieser Kontinente hat sich gleich- zeitig die Tethys nach Überflutung der nord- südMchen Landbrücken als erdumspannendes Weltmeer ausgebildet, nach Lapparent allerdings erst im Oberkarbon. Es folgt ziemlich genau dem jetzigen Verlaufe des mittelmeerischen Gürtels, auch in Hinter- indien (nach Lapparent), doch stand es auch über das Jangtsekianggebiet mit dem Großen Ozean in Verbindung. Der Süd- kontinent hatte in Südamerika an Aus- dehnung gewonnen. Ihm gehört dessen ganzer niclitandiner Teil an, im Unterkarbon nach Lapparent sogar das ganze Festland. Formationen ( Paläogeographie) IGl Im Oberkarbon dringt dagegen die Tethys vor und überflutet weite Gebiete des Ama- zonasbeckens. Im Osten hatte der Süd- kontinent noch größere Einbuße erlitten. Hier wurden das ganze Himalayagebiet, sowie Hinterindien und die Großen Sunda- inseln und Philippinen abgetrennt und teil- weise überflutet. Diese Verkleinerung des Südkontinentes schritt im Perm fort, während zugleich schließ- lich das Gondwanaland ganz aufgelöst und Australien isoliert wurde. Dagegen blieb Indien mit der Südatlantis in Zusammen- hang, die in Südamerika das östliche Bra- silien und die ,,Archiplata" v. Iherings umfaßte. Ein kleineres Kontinentalgebiet bildeten Guayana und Kolumbien mit Mittel- amerika. Die Tethys war nach Koken un- unterbrochen wie im Karbon und zeigte den ty- pischen Verlauf, doch muß sie zeitweilig für Landtiere überschreitbar gewesen sein, da sich sonst z. B. nicht die auffällige Aehnlichkeit in den Eeptilfaunen Südafrikas und Nord- amerikas erklären ließe. Im Norden reichte die Nordatlantis vom Fuße des Felsenge- birges bis etwa 40" E. Doch drang vom oberen Wolgagebiete aus im Oberperm das kalte Zechsteinbinnenmeer transgredierend bis nach Deutschland und Nordengland vor, während Südrußland und Süddeutschland als Halbinsel mit der Nordatlantis in Zu- sammenhang blieben. Nur etwa halb so groß war das Angarakontinent, vom Ural bis zur Beringstraße und südwärts bis zu 40" N. reichend. Im Oberperm trat er durch eine pontisch-kaspische Landbrücke mit der Nord- atlantis in Verbindung, während im Unterperm an dieser Stelle nur eine kaspische Insel lag. Jedenfalls war aber auch im Unterperm die Verbindung zwischen Tethys und dem Arktik nur eine schmale, so daß dieser als Anhang des Pazifischen Ozeans erscheint, wie vom Kambrium bis zum Devon, wenn nicht bis zum Karbon. 4b) Mesozoikum. Im Mesozoikum be- gegnen uns zunächst dieselben Elemente, wie im Paläozoikum. Die Tethys ist während der ganzen Zeit scharf ausgeprägt und nur vorübergehend stellenweise überbrückt, wie in der älteren Trias und in der jüngeren Kreide Auch die Nordatlantis behauptet sich mit geringen Schwankungen, während der Angara- kontinent zeitweilig mit dem europäischen Massiv zu einem größeren Eurasien ver- schmilzt. Der Südkontinent endlich, der im Perm bereits dem Zerfall nahe schien, tritt uns in der Trias noch einmal geschlossen entgegen. Vom Jura an beginnt aber dann der endgültige Zusammenbruch zunächst im Gondwanalande, um am Ende des Meso- zoikums auch die Südatlantis zu bedrohen. Dieser Zusammenbruch beeinflußt ganz be- sonders das wechselvolle Bild in der Ver- teilung der südlichen Kontinente, das all- mählich vom paläozoischen Zustande zum gegenwärtigen überleitet. In der Trias hatte die Nordatlantis fast die gleiche Ausdehnung wie im Unterperm, nur umfaßte sie noch das südliche Felsen- gebirgsgebiet und nach Lapparent auch das nördliche. Dieses, sowie die arktischen Inseln Nordamerikas wurden allerdings wie der ganze Norden der Nordatlantis im Laufe der Trias überflutet, ebenso wie die Land- brücke zwischen Nordatlantis und Süd- )berkreide tfittelkreide Jnterkreide W[alm Dogger Kontinente während des Mesozoikums. , Nordatlantis 33 Eurasien 41 *Siidatlantis 43 Ozeanien ?J61 L *Antarktis (KtL*Südamerika) (KtL* Afrika) (KtL *Lemurien) (KtL* Australien) *Nearktis 15 *Eurasien 39 *Afrika 33 ^Ozeanien ? 53 (L Nordatlantis) (L *Lemurien) (L * Südamerika) (L *Australien) *Nordatlantis 38 * Angara- * Südatlantis 94 * Australien 19 L * Antarktis kontinent 30 (Kt *Südamerika) (Kt *Afrika) (Kt L *Lemurien) (L * Südatlantis) *Angara- *Südat.lantis 87 *Australien 21 kontinent 43 (L * Südatlantis) (L *Lemurien) Eurasien 62 * Südatlantis 89 (*)Australien .21 (L *Südatlantis) (L *Lemurien) Eurasien 62 Südatlantis 89 Australien 21 (L Gondwanaland) * Südkontinent 339 *Nordatlantis 29 Nordatlantis 32 ^ias Nordatlantis 31 Dbertrias Jntertrias * Vollständig isolierte Kontinente, L * Antarktis L *Antarktis L *Antarktis' *Nordatlantis 37 (F Kt L Nordatlantis • Nordatlantis 39 *Eurasien 3c Eurasien) Eurasien 33 Südkontinent 146 F Abweichungen nach Frech. Kt nach Koßmat, L nach Lapparen kontinent in Mittelamerika und Westindien. Auf der europäischen Seite drang von Süden her das Muschelkalkmeer ein und überspülte zeitweilig große Teile des in der Untertrias wieder trockengelegten Zechsteinbeckens. Das Oberperm noch vom Meere bedeckt gewesen. Im Anfang oder spätestens während der Trias zog es sich zurück und Nordatlantis und Angarakontinent verschmolzen zu einer Landmasse. Diese reichte allerdings nur Wolga-, Dwina- und Petschoragebiet war im ' bis zur Lena und zur Amurmündung. Dann Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV. 11 162 Formationen (Paläogeographie) verband eine „Jana"straße den Großen und den arktischen Ozean. Von den Neusibiri- schen Insehi und Kamtschatka reichte eine Insel bis zur Beringstraße, während Alaska wieder vom Meere bedeckt war. Der Süd- kontinent umfaßte die drei Süderdteile und Vorderindien fast vollständig, nur das west- liche andine Südamerika und der Nordrand Afrikas lagen unter dem Meere und das Ge- biet von Neukaledonien und Neuseeland wurde nach Frech in der Obertrias über- spült. Der Jura brachte den Zerfall des Süd- j kontinentes. Der erste Einbruch erfolgte zwischen Indusgebiet und Nord-Madagaskar im Lias und trennte die zunächst sich wenig verändernde Südatlantis im Dogger völlig | vom Gondwanalande. Gleichzeitig zerfiel dieses im Lias noch zusammenhängende Fest- land nach Lapparent in drei Teile, ein ziemlich großesLemurien, das bis 80° E. reichte, eine hinterindisch-sundanesische Insel und Australien. Eine Verbindung mit Nordasien : im Sinne von Neumayr hat sicher nicht bestanden, wie zuletzt Uhlig eingehend nach- gewiesen hat. Im Malm wurden diese drei Teilgebiete beträchtlich verkleinert, so Au- stralien durch das Nordwärtsgreifen der Tas- mansee. Die Südatlantis hatte vom Dogger an in Ostafrika Einbuße erlitten. Im Norden hatten sich im Lias die pazifisch-arktischen Meeresstraßen geschlossen und der Angara- kontinent war mit der Tschuktscheninsel und der Nordatlantis verschmolzen. Im Malm wurde allerdings diese Verbindung durch die Ueberflutung von Alaska wieder auf- gehoben. Große Einbuße erhtt die Nord- ■ atlantis im Osten, wo im Laufe des Doggers (Kelloway) durch die ,,Shetland"-Straße die Skandinavische Insel losgetrennt wurde, \ die im Osten zwischen Dwina und Petschora durch die nördUche Fortsetzung des Wolga- beckens vom Angarakontinent getrennt wurde. Dieser erstreckte sich im Lias und ! Dogger weit nach Norden, im Malm wurden | diese Randgebiete mit Nowaja Semlja, Jalmal, Taimyr und dem nördhchen Si- birien vom Ob bis zur Lena überflutet, während gleichzeitig der Große Ozean ins Ochotskische Becken eindrang. Die Tethys reichte in Vorderasien weiter nordwärts als Neumayr annahm. Turan wurde schon ; vom Dogger, im Südwesten schon vom Lias überspült. Oestlich davon verlief die Tethys über Birma und den Bandabogen, so daß der Angarakontinent im Malm nur bis Hinter- 1 indien südwärts reichte. \ Die ältere Kreide schließt sich eng an den Malm an, allerdings nimmt Koßmat schon für sie den Zerfall der Südatlantis durch die Bildung des südatlantischen Ozeans an. Skandinavien war nach Koken mit der Nordatlantis wieder verbunden, nach Lap- parent noch durch die Shetlandstraße von ihr getrennt. Lemuria ist nach Koßmat und Lapparent von Afrika getrennt, nach Uhlig, Koken und Arldt mit ihm als Halb- insel verbunden. Die Mitte der Kreidezeit bringt eine großartige Transgression. Der südatlantische Ozean bildet sich, ebenso viel- leicht der nordatlantische, doch läßt hier Lapparent das Meer nur bis Island und in die Davisstraße vordringen. Auf jeden Fall wurde aber Skandinavien durch eine ,,skan- dische" Straße von der Nordatlantis getrennt und verschmolz dafür mit dem Angarakonti- nente, der auch die nordsibirischen Gebiete sich wieder angliederte. Stark verkleinert wurden dagegen die in der nördlichen Tethys gelegenen mitteleuropäischen Inseln und auch am Westrande der Nordatlantis trennte die Laramieüberflutung des Mackenziebeckens und der großen Ebenen das pazifische Land- stück ab. In der oberen Ivreide vergrößerte sich die Nordatlantis wieder im nordatlan- tischen Gebiete und verschmolz sogar wieder mit Europa, sei es über Island oder weiter nördlich über Spitzbergen. Das westliche Landstück von Nordamerika reichte nach Lapparent als Insel von Südalaska bis zu den Galapagosinseln. Nach Koken, Arldt, V. Ihering trat es dagegen mit dem Angarakontinent in Verbindung und um- faßte auch den Norden Südamerikas (Archi- guayana) mit, eine tiergeographisch wich- tige Landbrücke bildend, die v." Ihering allerdings etwas später ansetzt (Archigalenis). Vielleicht schlössen sich an sie auch die Hawaii-Inseln und andere Gebiete Ozeaniens an. Später vereinigte sich diese Landbrücke wieder mit der Nordatlantis. Im Siiden löste sich die Südatlantis mindestens teilweise in zahlreiche Teile auf, so wurden in Afrika große Gebiete des Sudan überflutet, in Süd- amerika das nördliche Patagonien. Be- merkenswert ist noch, daß sich eine Ver- bindung des „Archiplata" mit Australien anbahnte, sei es über einen ozeanischen Kon- tinent oder über die Antarktis, doch ist diese Frage noch nicht genügend geklärt. In der oberen Kjeide begannen die Teile Süd- amerikas wieder zu verschmelzen. 4c) Känozoikum. Im Känozoikum bildet sich der gegenwärtige Zustand heraus. An seinem Anfange bilden Tethys, Nord- atlantis, Südatlantis, Obmeer noch fremd- artige Elemente, doch sind sie fast alle bis zur Miocänzcit verschwunden. (Siehe nächste Seite.) Im untersten Eocän begegnen wir noch den mesozoischen Kontinenten, v. Ihering und Matthew verbinden die Archiplata bezw. Südamerika und Australien mit Australien zu einer Archinotis. Arldt nimmt die Fort- dauer des ozeanischen Kontinents an, der Formationen (Paläogeographie) 163 Quartär Pliocän Hiocän 31igocän Nearktis 26 Nearktis 24 Nearktis 24 Nearktis 29 Europa 10 (M *Europa) Nordatlantis 33 Europa 10 (M *Nearktis) (M *Europa) Kontinente während des Känozoikums. Eurasicn 64 Südamerika 19 Afrika 30 Eurasier! 73 Südamerika 21 Afrika 35 Eurasien59 * Südamerika 19 *Afrika 38 (M Südamerika) (M Afrika) A.ngarakontinent 34 * Südamerika 14 *Afrika 33 'Australien 9 'Australien 10 'Australien 12 ^Australien 13 Angarakontinent 34 Südatlantis 45 Australien 15 Ozeanien? 32 (M * Angarakontinent) (Kn Kt * Südamerika, * Afrika) (Kt *Lemuria) (M Afrika) (M *Archinotis) Vollständig isolierte Kontinente. Kn Abweichungen nach Koken, Kt nach Koßmat, M nach Matthew. auch als Pacila bei v. Ihering auftritt. Ebenso ist nach beider Ansicht, sowie der von Pomp eck] die Südatlantis noch einmal zu einem Kontinente zusammengeschlossen. Alle diese Verbindungen müssen aber noch im Laufe des Eocän gelöst worden sein, und in dessen späteren Abschnitten treten uns die Süderdteile voUkolnmen isoliert entgegen. Auch die Nordatlantis erlitt durch die Bildung des nordatlantischen Beckens eine bedeutende Einschränkung und am Ende der Eocänzeit stellte höchstens eine schmale isländische Landbrücke noch die Verbindung zwischen Nordamerika und Europa her. Nach Matthew war sogar Grönland schon voll- ständig von Europa wie von Nordamerika abgetrennt. Die wesentlichsten Abweichungen der Verteilung von Land und Meer im Eocän von der heutigen waren das Vorhandensein eines Europa von Asien trennenden Obmeeres und die breite Entwickelung der Tethys, die noch große Teile des Mississippibeckens, die südatlantischen Staaten der Union, Mittel- und Südeuropa, Nordafrika, Kleinasien, Iran und das Himalayagebiet überspülte. Nur Matthew nimmt an, daß damals schon Vorderindien mit Asien zusammenhing; nach Ansicht der anderen Paläogeographen war es durch große Inseln enger an Madagaskar angeschlossen, mit dem es Koßmat sogar noch landfest zusammenhängen läßt. Das Oligocän brachte keine wesentlichen Aen- derungen in dieser Hinsicht hervor, nur gewann das Meer stellenweise wie im nord- atlantischen, patagonischen und lemurischen Gebiete noch etwas an Ausdehnung. Wesentlichere Aenderungen setzten mit dem Miocän ein. Durch Trockenlegung des obischen Meeres verschmolzen Europa und Asien. Dafür erweiterte sich die Kluft zwischen Grönland und Nordamerika, viel- leicht auch Europa. Die Tethys erlitt durch die Auffaltung der alpinen Gebirge eine beträchtliche Einschränkung, besonders in Europa, wo ihr nördlicher Teil als „sar- matisches" Mittelmeer durch eine asiatische Halbinsel abgetrennt wurde, die die Alpen, die Balkanhalbinsel und Kleinasien umfaßte. Auch in Westindien gewann das Land an \usdehnung, ebenso im malayischen Gebiete. Doch traten walu-scheinlich die Norderdteile [ noch nicht mit den südlichen in Verbindung. Das geschah erst im Pliocän bei Amerika, wie auch bei Afrika, das von Kypern bis Guardafui in breiter Verbindung mit Asien ; stand (nach Matthew und Lapparent , schon im Miocän). Das sarmatische Meer war durch Trockenlegung seines westlichen Teiles im Rhonegebiet und im schweizerisch- oberdeutschem Gebiete zum Binnenmeere geworden, das bis zum Aralsee ostwärts reichte. Vorderindien stand mit Asien seit dem Miocän in Verbindung, ungefähr eben- solange war Madagaskar vom Festlande ge- trennt. Das Quartär brachte die teilweise Trockenlegung des sarmatischen Meeres, von dessen Resten das Schwarze Meer schließ- lich mit dem Mittelmeer in Verbindung trat. In diesem führten zeitweilig Landbrücken über Italien und über Spanien von Europa nach Afrika. Die Verbindung mit dem Atlantischen Ozeane wurde schließlich in die Straße von Gibraltar verlegt, während sie im Neogen durch die Guadalquivirstraße er- folgte, zeitweilig auch durch eine Straße südlich des Rif. Wie im Mittelmeer, trennten sich auch in Ostindien und Ostasien die großen kontinentalen Inseln allmählich vom Festlande. Erst sehr spät erfolgte die Bildung der Beringstraße und die Senkung Nord- europas, die Spitzbergen vom Festlande abtrennte und die isländische Landbrücke endgültig zum Verschwinden brachte. Da- neben kam es zu zeitweisen Überflutungen kleinerer Gebiete, wie von Patagonien und von Teilen Skandinaviens, hier im Anschlüsse an die große Vereisung, ferner im Mündungs- gebiete des Ob, bis sich schließlich nach mehr- fachem Hin- und Herschwanken der Küste der gegenwärtige Zustand herausbildete. 5. Paläogeographische Länderkarten, : Während die paläogeographischen Erdkarten sich mehr auf die großen Züge des Erdreliefs beschränken müssen, können die Karten kleinerer Gebiete mehr auf Einzelheiten ein- gehen und den wahren Verlauf der Küsten- linien feststellen. Sie sollen nicht bloß eine allgemeine Uebersicht, sondern tatsäch- lich ein möglichst treues Bild von der 11* 1G4 Formationen (Paläogeographie) Verteilung von Land und Meer geben, ebenso wie die Karten der Gegenwart. Von ganzen Erdteilen ist Nordamerika besonders gründ- lich behandelt, erst von Willis und später von Schuchert, der für 50 Horizonte Karten von Nordamerika entworfen hat, davon fallen auf das Kambrium 3, Silur 18, Devon 6. Karbon 7, Perm 1, die Trias 2, den Jura 3, die I{jeide 5, das Paläogen 2, das Neogen 3 Karten. Als gesclilossener Kontinent tritt uns Nordamerika im Mittelsilur, im Obersilur und Unterdevon im Oberkarbon, Perm und älteren Mesozoikum und im Tertiär ent- gegen, vielfach im Anschluss e an vorher- gehende Faltungsperioden. Dazwischen löste sich das Festland in zahlreiche insulare Gebiete auf, zwischen die Tethys, Atlantik, Pacifik und Arktik Meeresarme hereinschoben, die sich in ihrer Fauna voneinander unter- scheiden lassen. Aehnliche Karten von Europa, aber in viel geringerer Zahl, finden wir bei Lap- parent, ebenso wie spezielle paläogeo- graphische Karten von Frankreich, während die deutschen Gebiete in neuerer Zeit noch keine zusammenfassende Bearbeitung er- fahren haben. Hier wie in anderen Ländern liegen dagegen eine große Anzahl von Einzel- arbeiten vor, die auch die paläogeographischen Verhältnisse in einzelnen Perioden mit be- rücksichtigen. Gerade auf diesem Gebiete ist noch besonders viel zu tun, und das ist um so wichtiger, als nur auf diesem Wege schließlich auch für die Erdkarten möglichste Treue gewonnen werden kann. C. Paläorographie. Neben der Feststellung der horizontalen Gliederung der Erdoberfläche in früheren Perioden muß die Untersuchung der ver- tikalen Gliederung hergehen. Zunächst gestattet die Untersuchung des Faltenwurfs der Schichten und ihre Zerklüftung durch Verwerfungen die Feststellung des Verlaufs alter Gebirge. Es hat sich allerdings gezeigt, daß die intensive vertikale Gliederung der Gegenwart nicht auch in aUen früheren Perioden der Erdgeschichte vorhanden war. Wenn auch wohl zu allen Zeiten lokale Faltungen und Verwerfungen eingetreten sind, so lassen sich doch im ganzen Zeiten tektonischer Kühe von solchen intensivster Tätigkeit unterscheiden, in denen es rings um die ganze Erde zu tektonischen Stö- rungen und in Verbindung damit zu vulka- nischen Eruptionen und Lakkolithbildungen kam. Eine solche Zeit der Ruhe war das Mesozoikum, eine solche Störungsperiode das Tertiär oder früher Oberkarbon und Perm. Für jede solche Störungsperiode ist der Ver- lauf der wichtigsten Kettengebirge fest- zustellen, während in den Zwischenzeiten ' die Kontinente jedenfalls relativ eingeebnet und in einem ähnlichen Zustande waren, wie wir ihn für die Marsoberfläche annelimen. Die meisten alten Kettengebirge nehmen eine I randliche Lage zu den Kontinenten ihrer und j der unmittelbar vorhergehenden Periode ein. Die jüngste Faltungsperiode bezeichnet j man als die alpine oder laramische. Sie I setzt mit ihren ersten Anfängen z. B. in I Nordamerika in der Mitte der Kreidezeit ein, energischer und allgemeiner am Anfange des j Tertiär, erreicht ihr Maximum im Miocän I und dauert bis ins Quartär und wohl selbst I in die Gegenwart hinein fort. Ihre Falten- 1 gebirge umranden einmal den Großen Ozean im andinen Bau des westlichen Nord- und j Südamerika, in dem westindischen und dem ! feuerländisch-antarktischen Inselbogen, in i den Inselguirlanden Ostasiens und in den Inselreihen der ,,Ozeaniden" von Neuguinea bis zum Viktorialande. Auf der anderen Seite entsprechen sie von West- bis Ostindien I genau dem Verlaufe der mesozoischen Tethys, in der Sierra Nevada, im Atlas, Apennin, i in den Pyrenäen, Alpen, Karpathen, im f Balkan, Kaukasus, in den Dinarischen, Tauri- I sehen, Iranischen, Himalaya- und Birmanisch- sundanesischen Ketten, ohne daß aber diese Gebirge aUe in engem genetischen Zusammen- ! hange stünden, sind doch z. B. die Dinariden I scharf gegen die anderen alpinen Gebirge ' Europas bis zum Balkan abgesetzt, während der Kaukasus einerseits, das kimmerische Jailagebirge andererseits wieder eine be- sondere Rolle spielen. Vielfach handelt es sich bei dieser alpinen Faltung um eine „posthume" iVufwölbung von schon in der vorhergehenden Faltungsperiode aufgestauten Gebieten , wie in dem alpinen Gebiete im engeren Sinne. Gleichzeitig mit der Auffaltung dieser jungen Kettengebh-ge ging auch die Neu- belebung der Mittelgebirge durch Verwer- I fungen, die auch im Mesozoikum nicht ganz ; geruht hatte. Besonders für den oberen Jura I hat Stille z. B. für Mitteldeutschland tek- i tonische Verschiebungen nachgewiesen, und I in Südamerika sprechen gewaltige Vulkan- ! eruptionen für tektonische Tätigkeit. Auch die kimmerische Faltung fällt in diese Zeit. 1 Einer . Hauptfaltungsperiode begegnen wir aber erst im Unterperm und Oberkarbon. Man bezeichnet diese als her zynische oder appalachische Faltung. Ihr gehören be- sonders die von Sueß als Altaiden bezeich- neten Gebiete an. Randgebirge der Nord- atlantis haben wir in Spitzbergen, von Afghanistan über Chorassan. den Eiburs, das Gebirge von Gilan, den Karadagh, die Araxeskette nach dem Rhodopegebirge, Kor- sika und Sardinien und der iberischen Meseta und Marokko. Hinter diesen Ketten lagen die Donezketten, die karbonischen Alpen, Formationen (Paläogeographie) 165 das variskische und das armorikanische Gebirge, deren Reste uns in Deutschland, Frankreich und Südbritannien erhalten sind. An das letzte schlössen sich in Neufundland die Appalachien, die im Süden westwärts umbiegend nach dem Coloradogebirge sich hinzogen. Von hier zog wahrscheinlich ein Kettengebirge am Westrande der Nord- atlantis entlang und trat dann auf den An- garakontinent über. Hier haben wir den werchojanischen Bogen über das Stanowoi- gebirge nach der Lenamündung. Er setzte sich fort im Taimyrgebiet, über Nowaja Semlja, Paechoigebirge. Weiter gehören hier- her Timan und Ural und am Südrande des An- garakontinentes die nordöstlichen Ketten des Tienschan, der xVltai und Westsajan nebst den Ketten der Gobi und etwas südwärts davon Westkuenlun und Tsinlinggebirge. Japan und die südchinesischen Ketten bildeten vielleicht vorgelagerte Inselguir- landen. Beim Südkontinente kennen wir Stücke der Randgebirge in den argentinischen Pampas, auf den Falklandinseln, in dem süd- afrikanischen Gebirge, in den australischen Cordilleren, auf Sumatra und in Cochinchina, sowie in den Ostghats, vielleicht auch in Ceram, Buru und Viti Levu. Im Unterkarbon und Oberdevon herrschte wieder im ganzen tektonische Ruhe. Voran ging die kale donische oder takonische Faltung, deren ältere Phase auch als brasi- lisch bezeichnet wird und die im Mittel- silur einsetzt. Ihi-e Spuren lassen sich aller- dings nicht so weit verfolgen, wie die der herzynischen Periode. Am deutlichsten tritt das südliche Randgebirge der Nord- atlantis hervor, vom Koloradogebiete und der Scholle von Austin über die Appalachen nach Irland, Wales, Schottlandund Norwegen. Dem Nordrande entsprechen silurische Falten Grönlands. Der Paläarktis gehören Störungen auf Spitzbergen an, dem man- dschurischen Gebiete die Faltungen von West- sajan und die der Gobi, die dannimDevon den Südrand des Angarakontinentes bildeten. Der kaledonische Gebirgszug, Ardennen-Böhmer- wald, bildete eine Brücke von der NordatJantis zum Südkontinente. Von diesem kennen wir Randgebirge im Norden vom Dekhan, in Nordafrika und in Guayana, im Süden in Brasilien und vielleicht auch in Westaustralien. Die vordevonischen Faltungen von den Falklandinseln gehören vielleicht eher einem Randgebirge der Antarktis als des Süd- kontinentes an. Die älteste sicher nachweisbare Faltungs- periode ist die hebridische oder laurentische des Algonkiums. Sie war anscheinend eine Zeit noch intensiverer tektonischer Tätig- keit als die kaledonische. Im nordatlan- tischen Bereiche führte ein Zug von den Lofoten zu den Hebriden. Ihm entsprach in Amerika ein Zug von Neufundland längs der Küste von Labrador und Baffinland. Spuren eines südlichen Randgebirges fanden wir im Koloradogebiete. in der Bretagne und in der russischen Tafel. An den Angarakon- tinent sind Ostsajan, die Gebirge Transbai- kaliens, der Mandschurei, Koreas, Schantungs und der Umgebung von Peking anzuschließen. ' Vom Südkontinente ist zunächst nur das südindische Arvaligebirge zu erwähnen. Neben der Ermittelung des Verlaufs der I alten Kettengebirge hat aber die Paläoro- j graphie auch die Oberflächenformen mehr im ! einzelnen festzustellen ; eine Aufgabe, die in I der Hauptsache nur für die jüngeren Perioden I einigermaßen vollständig gelöst werden kann ; ' wenn auch für ältere Zeiten Arbeiten nicht ganz fehlen, wie die von Strigel über die permische Abtragungsfläche im Odenwald. Bei den jüngeren Perioden führt die physio- graphische Methode von Davis zu beachtens- 1 werten Resultaten. Sowohl in Nordamerika, I wie in Europa und auch schon in Ostafrika I ist es gelungen, die morphologischen Formen j der gegenwärtigen Erdoberfläche zu analy- sieren und ihr verschiedenes Alter, ihre Zu- gehörigkeit zu verschiedenen Zyklen fest- zustellen. Für Deutschland sind besonders die Aibeiten von Reck und v. St äff zu er- wähnen, in denen im einzelnen ausgeführt wird, wie die deutschen Mittelgebirge, wie Riesengebirge, Böhmerwald, Elbsandstein- ; gebirge, süddeutsche Stufenlandschaft u. a. in immer wieder sich erneuernden Zyklen in- i folge neubelebter Erosion aus alten Rumpf- flächen herauspräpariert worden sind. Be- sonders wichtig ist, daß man diese Methode auch auf junge Kettengebirge hat anwenden können, wie auf die Alpen (v. St äff) oder auf die kalifornische Sierra Nevada (Reid). Daß die eigentlichen schroffen Hochgebirgs- formen eine Bildung der Eiszeit sind, wurde ja schon früher angenommen. Vor dem Quar- tär waren auch die Alpen trotz ihrer größeren Höhe ihrem Charakter nach ein Mittel- gebirge ohne Kare, schroffe Grate, über- tiefte Täler und andere Elemente glazialer Ent- stehung. Dieses tertiäre Gebirge ist aber nach der Beweisführung der Morphologen I ebenso durch die Erosion aus älteren Rumpf- flächen herauspräpariert worden, wie die heutigen deutschen Mittelgebirge. Diese Verhältnisse gestatten auch Rückschlüsse auf ältere Gebirgszüge. Nur in Perioden, in denen wie jetzt im Hochgebirge Schnee und Eis herrschten, können wir alpine Gebirge im modernen Sinne erwarten, also im Perm und vielleicht im Anfange des Kambriums. Sonst haben aber die Gebirge sämtlich einen wesent- lich sanfteren Charakter gehabt. Der gegen- wärtige orographische Zustand stellt sich in jeder Beziehung als ein Ausnahmefall dar. Die Zeiten der tektonischen Unruhe waren im l66 Formationen (Paläogeographie) Vergleiche mit denen der Ruhe relativ kurz, die Gebirge an sich nur vorübergehende Episoden. Die Falten wurden rasch durch die Erosion zu Rumpf ebenen abgetragen, und wenn die Erosion auch durch lokale Hebungen, die jedenfalls teilweise als iso- statische Ausgleichsbewegungen aufzufassen sind, mehrfach von neuem belebt wurde, so mußte doch schließlich lange Perioden hindurch die Oberfläche der Kontinente aus flachgewellten Rumpf flächen bestehen. In der Lebenszeit der Gebirge können aber wiederum die durch Glazialwirkung be- dingten Hochgebirgsformen nur weit kürzere Zeit angedauert haben, als die vorwiegend durch Wassererosion bedingten Mittelgebirgs- charaktere. Das Bodenrelief der Meere ist natura gemäß noch weit schwerer zu rekon- struieren, als das des festen Landes (vgl. unten, D.). Immerhin gibt uns die gegenwärtige Verbreitung der abyssischen Gräben einen Hinweis darauf, daß sie eng an die Gebirgsfaltung geknüpft sind, daß sie also im Anschluß an die hebridischen, kaledo- nischen und herzynischen Faltungen im Algonkium, im Obersilur und Unterdevon, im Oberkarbon und Unterperm und im Tertiär existiert haben mögen, dagegen kaum im Kambrium und Untersilur, im Oberdevon und Unterkarbon und vom Oberperm bis zur Kreide. Die allgemeinen Tiefenverhält- nisse der Meere müssen im Laufe der Perioden der Erdgeschichte gewechselt haben, schon infolge der wechselnden Ausdehnung der Kontinente. Doch scheinen die mittleren Meerestiefen sich weniger verändert zu haben, als dieser Wechsel es erwarten ließe, sie scheinen immer um 4100 m gelegen zu haben. D. Paläohydrographie. Mit der Erforschung des Bodenreliefs in vergangenen Perioden steht die Feststellung der alten Flußläufe in engster Beziehung, so daß die Morphologen diese regelmäßig mit in den Bereich ilirer Arbeiten hereinbeziehen. Es hat sich gezeigt, daß der Verlauf der Wasserrinnen außerordentlichem Wechsel Unterworfenist. Bekannt sind die sogenannten Urstromtäler des norddeutschen Gebietes, die den jetzigen Verlauf der deutschen Ströme schräg durchqueren und im Quartär zeit- weilig alles von den deutschen Mittelgebirgen und den westlichen Karpathen nordwärts abfließende Wasser vom Weichselgebiete an westwärts der Elbe und Weser zuführten. Hüll hat den Nachweis geführt, daß sich diese Flußrinnen auch über die heutige Ufer- linie in die Nordsee und in den Skandik hinein fortsetzen, wo sie sich mit dem Ur- rhein und den Flüssen Englands und West- skandinaviens vereinigten. In gleicher Weise hat er rings um den nordatlantischen Ozean die submarine Fortsetzung der Ströme fest- gestellt, so beim St. Lorenzstrom zwischen Neufundland und Neuschottland hindurch, doch dürfen wir diese Flüsse wohl weniger für quartär als vielmehr für tertiär und sogar frühtertiär ansehen. Auf rein morpho- logischem Wege hat man dagegen die quar- täre und tertiäre Laufveränderung zahlreicher Flüsse wie der Elbe, der Donau, des Rheines verfolgen können. Wir sehen, wie z. B. der letztere der Donau immer weitere Gebiete ihres oberen Stromgebietes vom Bodensee wie vom Neckar her entreißt, und können aus diesen fortschreitenden Veränderungen Rekonstruktionen des vergangenen Zustandes erschließen, ja in diesem Falle sogar ge- gründete Vermutungen über die zukünftige Entwickelung aussprechen. Von anderen Feststellungen sei erwähnt, daß der Ober- rhein ehemals bis zum Pliocäii von Basel nach dem Doubs hin abfloß und weiterhin durch Saone und Rhone nach dem Mittel- meer. Besonderes Interesse bietet weiter der Bosporusfluß der Aegäis, in dem man früher den weiterhin durch die Dardanellen ver- laufenden Abfluß des sarmatischen Binnen- sees der Pliocän- und Quartärzeit sah. Hoernes hat aber den Nachweis geführt, daß es sich hierbei vielmehr um einen Zu- fluß des Pontus handelt. In Afrika hat wesentliche Aenderungen der Nillauf er- fahren, der früher weiter westlich als jetzt der Linie der großen Oasen folgte, während ein Urnil noch früher der Senke des Großen Grabens folgend^ dem jetzigen Roten Meere zustrebte. Mississippi und Amazonenstrom haben ihre weiten Becken erst im Laufe der Tertiärzeit aufgefüllt, letzterer ist im An- fange der Tertiärzeit nach Katzer in um- gekehrter Richtung geflossen und mündete bei Guayaquil in den Großen Ozean. Bei den älteren Perioden lassen sich naturgemäß Flußläufe nur ganz ausnahmsweise fest- legen, wo durch Deltabildungen oder andere fluviatile Sedimente deutliche geologische Hin\^eise gegeben sind. Leichter sind alte Seen nachzuweisen, da ihre Sedimente eine weitere Flächenaus- dehnung besitzen. Die meisten rezenten Seen gehen nur bis aufs Quartär zurück, mögen sie nun durch Gletscher ausgepflügt sein, oder durch Senkungen in Moränenland- schaften entstanden oder vom Meere ab- geschnürt. Ihre Geschichte läßt sich zum Teil bis in einzelne Phasen verfolgen, wie die der großen kanadischen Seen, die nach Spencer und Leverett bald nach dem Mississippi, bald nach der Hudsonbai, nach dem St. Lorenzstrome oder dem Hudson- flusse entwässerten und nach Ausdehnung und Spiegelhöhe großen Veränderungen Formationen (Paläogeograpliie) 167 unterlagen; oder auch die der skandi- navischen Randseen der letzten Vereisung, die kaum weniger wechselvoll ist. Ein höheres Alter kommt verschiedenen tekto- ]iischen Becken zu. Dies gilt von den Resten des fast 2 Mill. qkm großen sarmatischen Binnensees der Pliocän- und Quartärzeit, der den Pontus, das Kaspische Meer mit der Wolganiederung und den Aralsee bedeckte und dessen Spiegel etwa 25 bis 50 m über dem heutigen gestanden haben mag. Die Tren- nung der drei Becken könnte im Quartär durch den Abfluß des über dem Meeres- niveau befindlichen Wassers nach dem ein- sinkenden aegäischen Gebiete hin erfolgt sein, wahrscheinlich ist sie schon vor Her- stellung der Verbindung des Pontus mit dem Mittelmeere durch die Bildung der Tiefen- becken des Pontus und des Kaspischen Meeres erfolgt, die reichlich Raum zur Auf- nahme der überschüssigen Wassermengen bot. Ein ausgedehnter See lag gleichzeitig auch im mazedonischen Gebiete (Aegäischer See von Cvijic), dessen Reste wir heute in zahlreichen Wasserbecken erkennen. Ein sehr alter See scheint nach Teilen seiner Fauna der Baikalsee zu sein. Man bringt diese EigcMitümlichkeiten mit einem inner- asiatischen Mittelmeere ,,Han-hai" zusammen, dessen Existenz für das Alttertiär angenom- men worden ist, ohne aber sicher erwiesen zu sein. Auf alle Fälle würde es die eigen- artigen tiergeographischen Beziehungen des Baikal z. B. zur Ostsee am einfachsten er- klären. Im Tanganikasee wollte Moore sogar ein Relikt aus der jurassischen Ueber- flutung Ostafrikas sehen. Diese Ansicht ist nicht mehr zu halten. Auf jeden Fall ist aber auch dieser See außerordentlich alt und mag Teile seiner Fauna, wie seine Meduse aus der im Alttertiär noch Nordafrika über- flutenden Tethys erhalteu haben. Auch bei den anderen großen tektonischen Seen Afrikas ist ein "tertiäres Alter walu'schein- lich. Jünger sind vielleicht die australischen Binnenseen. In Nordamerika sind im Felsengebirgsgebiete seit dem Quartär die Seen beträchtlich zusammengeschrumpft, so im Utahbecken der alte Bonnevillese (50000 qkm) in Nevada der Lahontansee (23000 qkm), ähnlich wie der noch größere Agassizsee des Saskatchewangebietes. Für das Alttertiär nahm man früher die Existenz großer Seen im Felsengebirgsgebiete an, in denen die Torrejon-, Puerco-, Wasatch-, Bridger-, Uinta- schichten u. a. zur Ablagerung gekommen sein sollten. Es hat sich indessen heraus- gestellt, daß diese Schichten von Flüssen, hauptsächlich durch die Ueberflutung von Ebenen gebildet wurden, wobei die Flüsse kaum wesentlich anders geflossen sein mögen wie heute. Immerhin sind einige Seen sicher nachgewiesen, im Pliocän der See von Florissant, im jüngeren Eocän kleinere Salzlagunen im Bridgerbecken und im älteren Eocän das 13000 qkm große aber seichte Greenriverseenbecken. Seichte Lagunen- seen sind auch in Europa nachgewiesen, so im Oberoligocän im Seine- und Loirebecken. j Am Anfange der Kreidezeit waren in Süd- england, im Norden des Pariser Beckens, j in Belgien und Nordwestdeutschland, aber auch in Portugal und Nordspanien flache Senken vorhanden, die zum Teil vöu Süß- wasserseen erfüllt waren, in denen der ' Wealden sich ablagerte. Für die Trias finden I wir im Südkontinente den großen Karroosee und einen kleineren an der jetzigen Küste 1 Deutschostafrikas, in der Nordatlantis das Gebiet der Red beds im Gebiete der großen Ebenen ; ferner Gebiete kontinentaler Ab- lagerung im Osten der Alleghanies (Frech), die allerdings auch als Uferbildungen des Atlantischen Ozeans gedeutet werden, und \ endlich die Salzpfannen des Keupers und Bundsandsteins in Mitteleuropa. Die Seen der Red beds reichen teilweise bis ins Perm zurück, ebenso die Seen des Karroogebietes. Im Karbon werden uns alte Sumpfgebiete durch die Verbreitung der Kohlenflötze an- gedeutet. Im Devon werden die Oldredbil- dungen von Südirland, Wales, Nordengland, Schottland, den Orkneys, Skandinavien, den Lofoten, Nordwestrußland, Spitzbergen und ! im akadischen Gebiete Nordamerikas von Frech als Seenablagerungen angesehen, während andere wie Ivoßmat an Bildungen in Küstensümpfen, Flußebenen und Fluß- 1 mündungen denken. : In bezug auf das Meer kann die Paläo- hydrographie den Verlauf der Meeresströ- i niungen ermitteln, teils deduktiv aus dem : Verlaufe der Küstenlinien, teils induktiv aus j der Verbreitung stenothermer Organismen, wie dies Stromer für die alttertiären Nummu- ■ liten getan hat. Weitere Untersuchungen können sich auf die Wärme und den Salz- gehalt des Meerwassers in den einzelnen Perioden beziehen, doch sind wir hier meist noch auf deduktive Spekulationen ange- wiesen. E. Paläoklimatologie. Große Vorsicht ist bei paläoklimatischen Untersuchungen notwendig. Große Bedeu- tung haben Untersuchungen, die auf Grund der meteorologischen und klimatischen Tat- sachen und Gesetze der Gegenwart von der Verteilung von Land und Meer in einer Periode ausgehen, wie die v. Kerners über das lOima der Tertiärzeit. Sie haben ganz besonders dargetan, daß wir die anscheinen- den Merkwürdigkeiten früherer lOimate recht wohl erklären können, ohne zu der xAn- 1 nähme von Polverschiebungen oder kos- 168 Formationen (Paläogeographie) mischen Einwirkungen greifen zu müssen. 1 Infolgedessen sollten derartige Erklärungen auch nicht mehr herangezogen werden. Kückschlüsse auf Wärme und Niederschläge vergangener Zeiten können gemacht werden aus der Verbreitung der Tier- und Pflanzen- welt, wobei wir aber nicht ohne weiteres die ' Wärmebedürfnisse der lebenden Tiere auf ihre ausgestorbenen Verwandten übertragen dürfen (vgl. den Artikel „Paläoklimato- ] logie"), aus dem Auftreten von Jahresringen bei Bäumen, aus der Farbe und dem Verwitte- 1 rungszustande der Gesteine, aus gewissen Mineralbildungen u. a. Aus solchen Unter- : suchungen geht hervor, daß weder von einem j ehemaligen allgemeinen feuchtwarmen Treib- hausklima auf der ganzen Erde die Rede sein kann, noch von einer allmählichen Tempe- raturabuahme seit den ältesten Zeiten. Es j wechselten vielmehr kalte und warme Zeiten, , wie auch feuchte und trockene. Vor der i bekannten quartären Kälteperiode, die be- , sonders den nordatlantischen Kontinenten eine gewaltige Vereisung brachte, ist eine in ihren Whkungen kaum geringere in den permischen Schichten nachgewiesen worden, i die in ihren sicheren Spuren (Australien, Indien, Südafrika, Togo, Brasilien) ganz auf j den Südkontinent beschränkt ist. Hier ! werden von Ball und Shaler sogar noch i Glazialspuren aus dem Triasgebiete des oberen Kongo beschrieben. Eine weitere Eis- 1 zeit kommt für das Kambrium in Frage, aus dem wn gekritzte Geschiebe von Australien, China und Nordskandinavien kennen. Alle | Hinweise auf andere Kälteperioden sind höchst ! ungewiß. Es ist nun bemerkenswert, daß die Eiszeiten, die ein feuchtes lüima erfordern, * regelmäßig mit den Maxima der Ozean- flächen zusammenfallen, die wieder auf Zeiten stärkster vulkanischer Tätigkeit folgen, die vielleicht den freien Wasservorrat der Erd- oberfläche erhöhte. Umgekehrt fallen die Minima der Meere mit einer großen Aus- dehnung der Wüsten zusammen, wie im Devon und in der Trias. Allerdings ver- halten sich dabei die Kontinente teilweise etwas verschieden. Der im Perm mindestens in seinen Gebhgen vereiste Südkontinent hatte auch in der Trias noch ein feuchteres Klima als die im Perm unvereist gebliebene und auch damals schon trockenere Nord- atlantis oder der in Nordchina ebenfalls wüstenhafte Angarakontinent. Jura und Kreide waren dann im allgemeinen warme Perioden, doch fangen damals schon Klima- zonen an hervorzutreten, wenn diese An- nahme auch nocli nicht allgemein anerkannt ist. Doch zeigen z. B. die Hippuriten und die Riffkorallen engen Anschluß an die besonders die Tethys erfüllenden warmen Meere. Während des anfangs auch noch relativ warmen Tertiärs setzt eine unverkennbare Abkühlung ein, die nicht bloß auf die borealen, besonders nordatlantischen Gebiete beschränkt ist, sondern ebenso auch das australe patago- nische und antarktische Gebiet betrifft, während sie in Ostasien weniger oder gar nicht hervortritt. Auf keinen Fall läßt aber auch sie sich durch eine Polverschiebung erklären. Steht so die Tatsache von Klima- änderungen fest, so ist ihre Erklärung um so unsicherer. Weder eine kosmische noch eine tellurische Theorie hat aUe Eigentümlich- keiten z. B. auch nur der quartären Eiszeit mit ihren WärmeosziUationen und ihrer Verbreitung in jeder Beziehung einwand- frei erklären können. Es greifen jedenfalls hier wie auch bei anderen Vorgängen die verschiedensten Ursachen ineinander, um so große Wirkungen hervorzubringen, so daß es nicht möglich ist, von einem Gesichts- punkte aus alles zu erklären. Tatsache ist jedenfalls, daß alle Eiszeiten sich an große Faltungsperioden anschließen (vgl. oben, D.). F. Paläobiographie. Die Tiergeographie vergangener Perioden läßt sich am sichersten bei solchen Gruppen feststellen, die zahlreiche paläontologische Reste hinterlassen haben. Leider ist dies nur bei wenigen der FaD, am meisten noch bei marinen Tieren, die wieder auch in der Gegenwart gleichmäßigere Verbreitungs- bedingungen besitzen und darum geogra- phisch geringeres Interesse haben. Bei den Landtieren sind wir dagegen zumeist auf Rückschlüsse aus der Gegenwart angewiesen. Dabei müssen wir uns aber auf Formen beschränken, deren Systematik und natür- liche Verwandtschaft gründlich untersucht worden ist, und die aus allen Hauptgebieten der Erde genügend bekannt sind. Wir er- kennen dann, daß die Lebewesen einer Region in ihr von sehr verschiedenem Alter sind, daß sie sich gewissermaßen in verscliiedenen Schichten übereinander gelagert haben, in- dem z. B. zu den am Beginne der Tertiär- zeit in einem Kontinente heimischen Formen zu verschiedenen Zeiten und von verschie- denen Richtungen her neue Formen ein- wanderten. Im folgenden geben wir eine kurze Uebersicht der jüngeren Schichten, die jedenfalls für die Hauptregionen der Organismenverbreitung anzunehmen sind, i unter Beifügung der Heimat der Einwanderer, ! Jede Schicht ist nach einer für sie besonders charakteristischen Säugetiergruppe benannt. I (Siehe die Tabelle auf der nächsten Seite.) j Aus der Tabelle ersieht man, daß den meisten Schichten Tiere verschiedener Her- kunft (Abteilungen) entsprechen. Auch lassen sich viele Schichten noch in zeitlich getrennte ,, Horizonte" gliedern, besonders Formationen (Paläogeographie) 169 Australische Au Neotropische Sa Mada- gassische M Aethiopische Ae Orientalische 0 Holarktische Region Ha Nearkt. u. Paläarkt. Gebiet Na + Pa Jimgtertiäre Schicht Muriden- 0 Feliden- Na Suiden- Ae, 0 Antilopiden- 0, Pa, M Tiger- Pa, Ae, Au Megalonyx-Schicht 0, Ae, Sa Mitteltertiäre Schicht - Viverriden- Ae Viverriden- Pa, M Sivatherien- Pa, Na Hystriciden-Schicht Ae Alttertiäre Schicht Marsupialier- Sa Edentaten- Na, Au, Ae Lemuriden- Ae Hwacoiden- Sa, M Pteropiden- Pa, M Didelphyiden-Schich t Sa Mesozoische Schicht Monotremen- 0, Ae Sparassodontier- Ae, Na Allotherien- Ae, 0 Tritylodontiden- Pa, Sa, 0 Allotherien- Ae, M, Au Microlestes-Schicht Ae, Sa natürlich die älteste. Nur wird hier die Gliede- \ lassen sich hauptsächlich durch die Tethys rung um so ungewisser, je weiter wir zeit- geschieden nördliche und südliche Formen lieh zurückgehen. Hieraus lassen sich die i trennen. Im Alttertiär sind von Wirbel- typischen Formen der alten Kontinente er- tieren z. B. anzusehen als mittein. Für das Alttertiär und^Mesozoikum nordisch: südlich: *Tarsiiden, *Urprosimier, *Myomorphen, *Affen, Lemuren, *Hystrikomorphen, "Eden- *Sciuromorphen, *Protrogomorphen, *Lago- taten, Maniden, Orycteropodiden. morphen *Artiodactylen, *Amblypoden, *Perissodactylen *Arsinoitherien, *Isotemniden, *Astrapotherien, *Litopternen, *Proboscidier, *Pyrotherien, *Typotherien, *Toxodontier, *Hyracoiden *Carnivoreu, *Pteropiden, *Rhinolophiden *PhylIostomiden, Noctilioniden, Nataliden. *Erinaceiden, *Soriciden, *Talpiden usw. *DideI- Centetiden, Chryso Chloriden, *Necrolestiden , phyiden *Diprotodontier, *Sparassodontier, *Dasy- uriden, *Monotremata. *Singvögel, * Spechtvögel, Segler, *Eulen, Hopfe, Schreivögel, Bartvögel, Pfefferfresser u. a., Nashornvögel, Meropiden, *Alcediniden, Raken Trogonen, Mausvögel, Kolibris, Nachtschwal- Pterocliden, Aleiden, Glareoliden, *Kraniche, ben, Papageien, Kuckucksvögel, Tauben, Trappen, Fasanen, *Tetraoniden Parriden, Chionididen u. a. *Psophiiden u. a., Craeiden, Opisthocomiden. Pandioniden, *Vulturiden, *Paläolodiden, *Peli- Sarcorhamphiden, Palamedeiden, Flamingos, kane, *Tölpel, Taucher Fregattvögel, Plotiden, Phaethontiden, *Pin- guine, *Struthioniden u. a. * Krokodile, *Alligatoren, *Gaviale *Teleosauriden. *Viperiden, *Pythoniden, *Lacertiden, *Vara- Amblycephaliden, *Boiden, Chamäleons, Aniphis- niden, *Anguiden, *Agamiden baeniden, Tejiden, Zonuriden, Leguaniden, *Trionychiden, *Emydiden, *Chelvdnden *Pleurodiren. *Raniden, Pelobatiden, Discoglossiden, Molche Dendrobatinen, Engystomatiden, Cystignathi- den, Hyliden, Aglossa, Cöciliiden. *Perciden, *Toxotiden, *Esociden, *Siluriden, Dipnoer, Cichliden, Nandiden, Galaxiiden, Haplo- *Cypriniden, * Salmoniden chitoniden, Loricariiden, Doradinen, Chara- ciniden, Gymnotiden, Mormyriden *Amiiden, *Lepidosteiden, *Accipenseriden Polypteriden. Die mit * bezeichneten sind in dem betreffenden Gebiete fossil bekannt. Eine deutliche Scheidung von nordischen und südlichen Formen erkennen wir auch im Perm und teilweise noch in der Trias. In jenem sind zu betrachten als nordisch: südlich: *Dinosaurier, *Paläohatteriden *Ursäugetiere?, *Cynodontier, *Anomodontier, *Pelycosaurier, *Pantylosaurier *Therocephalen, *Dinocephalen, *Dromasaurier, *Diadectosaurier *Mesosaurier, *Procolophonier. 170 Formationen (Paläogeographie) Im Karbon sind nordisch die Sigillarien, Lepidodendren und Kalamiten, während im Süden die Glossopterisflora mit Farnen und Cycadofilices herrscht. Auch zwischen den Nordkontinenten, wie zwischen Europa und Nordamerika herrschen tiergeographische Unterschiede, so sind z. B. im Oberkarbon von 80 Insektenfamilien nur 12 (= 15o/o) beiden Gebieten gemeinsam, 33 (= 41%) endemisch nearktisch, 35 (= 44%) auf ' Europa beschränkt. Von den 282 Gattungen ; sind nur 12 (= 47o) beiden Gebieten gemein- sam, 138 gehören ausschließlich der Nord- atlantis, 132 der Nearktis an. Es herrschte also auch damals schon selbst im Norden und bei flugfähigen Tieren keine allgemeine i Gleichartigkeit, sondern es drückte sich schon eine deutliche Gliederung der Erd- oberfläche in Tierregionen aus. Für die [ älteren Perioden wird unser fossiles Material zu dürftig und auch Kückschlüsse aus der Gegenwart sind so gut wie unmöglich; immerhin liegt auch bei ihnen noch kein triftiger Grund vor, eine allgemeine Faunen- j und Florengleichheit auf der ganzen Erde an- zunehmen, zumal uns schon in den ältesten Formationen wenigstens kleine Faunen- differenzen begegnen. Später treten uns große Tierregionen auch im Meere noch viel deutlicher erkennbar entgegen. Eine be- sondere Faunenregion repräsentiert ganz allgemein die Tethys, zu deren typischer Fauna im Karbon dieFusulinen, in der Kreide die Eudisten, im Alttertiär die Nummuliten gehören, wenn diese auch stellenweise etwas \ über seinen Bereich hinausgreifen, besonders oft in die zweite große Region des Pazifik. Auch die marinen ,, Klimazonen" Neumayrs haben sich als mehr tierregionenhaften, durch die Topographie bedingten Charakters herausgestellt. Nach den Feststellungen von Uhlig entspricht das boreale Eeich im wesentlichen dem arktischen Becken. Der Tethys gehören an das mediterran-kaukasi- sche und das himamalayische Reich, von denen letzteres vielleicht bis Neuseeland reicht. Die japanische Fauna, die mehr Anklänge an die Tethys als an den arktischen Ozean zeigt, ist wohl der uns allein bekannte Repräsentant der pazifischen Fauna, und die südandine Fauna von Texas bis Patagonien und in Südafrika die Lebewelt der Nereis. Gerade ihre Besonderheit läßt die von Bure k- hardt geforderte Existenz eines pazifischen Jurakontinentes recht wahrscheinlich wer- den. Aehnlich liegen die Verhältnisse auch in den benachbarten Formationen. In späteren Zeiten stehen sich die Tethys- und Pazifikfauna als Hauptgruppen gegen- über, aus denen schließlich die atlantisch- arktische bezw. indopazifische Fauna der Gegenwart hervorgingen. Durch diese geographische Verschiedenheit der Fauna in den einzelnen Meeresteilen erklärt sich auch das sonst ganz rätselhafte plötzliche Auftauchen ganzer hochentwickelter Faunen, wie der Triasammoniten des Mittelmeeres. Literatur. Th. Arldt, Die Entwickehmg de)- Kontinente und ihrer Lebewelt, 1907. — Derselbe, Paläogeographische Fragen. Geol. Eundsch., 1912. — Derselbe, Die Faiina der alten Tierregionen des Festlandes. Neues Jahr- buch für ßfineralogie, Geologie und Paläontologie. Beilageband 34, 1912. — Cann , Essai de Paleogeographie, 1896. — W. Eckardt, Das Klimaproblem der geologischen Vergangenheit und historischen Gegenioart, 1909. — Derselbe, Paläoklimatologie, 1910. — Fi\ Frech, Lethaea gcognostica. I. Lethaea Palaeozoika, Bd. 2, 1897 bis 1902. II. Lethaea Mesozoica. 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Wissensch. Math, naturw. KL, 50, 1885. — Derselbe, Erdgeschichte, 1886187, 2. Aufl. 1895. — A. E. Ortmann, The. Geo- graphical Distribution of Freshwater Decapods and its Bearing upon ancient Geography. Proc. Am. Phil. Soc, 41, 1902. — H. F. Osborn, The Age of Mammals, 1910. — E. PhUippi, lieber einige paläoklimatische Probleme. Neues Jahr- buch für Mineralogie. Beilageband 29, 1910. — eJ. F, Pompeckj, Die Meere der Vorzeit, 1909. — R. F. Scharff, Some Remarks an the Atlantisproblem. Proc. Roy. Ir. Acad., 24, 1903. — Derselbe, European Animals. Their Geological History and Geographiccd DistH- bution, 1907. — Derselbe, Distribution and Origin of Life in America, 1911. — €. Schuchert, Paleogeography of North America. Bidl. Geol. Soc. Am., 20, 1910. — E. Suess, Das Antlitz der Erde, I 1885, II 1888, Illa 1901, III b 1909. — jF. -B. Taylor, Bearing of the Tertiary Mountain Bell on the Origin of the Eart Piain. Bull. Geol. Soc. Am., 21, 1910. — V. Uhlig, Die marinen Reiche des Jura und der Unter- kreide. Mitt. Geol. Ges. Wien, 4, 1911. — A< Wegener, Die Entstehung der Kontinente. Petermanns Mitteilungen, 1912, I. — JJ. Willis, Paleogeographie ßlaps of North America. Journ. Geol., Vj, 1909. " — Derselbe, Principles of Paleogeography. Science, 31, 1910. Th. Arldt. Fortpflanzung clei' Gewächse (Algen) 171 Fortpflanzung der Gewächse. 1. Thallophyten. a. Algen, b. Pilze. 2. Ar- chegoniaten. a. Moose, b. Farne. 3. Zwischen- stufen zwischen Farnen und Samenpflanzen. 4. Samenpflanzen, a. Gymnospermen, b. An- giospermen. 5. Folgen der Bestäubung. 6. Apo- gamie und Parthenogenesis. 7. Physiologie der Fortpflanzung. In den folgenden Zeilen soll der Versuch gemacht werden, die Fortpflanzungserschei- nungen im Pflanzenreich vom allgemeinen Gesichtspunkte aus zu behandeln, 1. Thallophyteu. a. Algen. 1. Die ungeschlechtlichen Fortpflanzungs- organe. 2. Die Entwickelung der Zoosporen. 3. Formen der geschlechtlichen Fortpflanzung. 4. Entwickelung der männlichen Gameten. 5. Entwickelung der Eizelle. 6. Keimung. 7. Geschlechtliche und ungeschlechtliche Fort- pflanzungsorgane nebeneinander. Wie bei zahlreichen anderen Pflanzen kann man auch bei den Algen eine unge- schlechtliche und eine geschlechtliche Fortpflanzung unterscheiden. Die erstere er- folgt durch Zoo- oder Tetrasporen. Geschlecht- liche Fortpflanzungsorgane sind die Gameten. Bei den niedersten Gliedern unserer Fami- lien gleichgestaltet, differenzieren sich die- selben bei den höheren Gruppen in Ei und Spermatozoideu. I. Die ungeschlechtlichen Fortpflan- zungsorgane: Die Zoosporen der grünen Algen sind in der Regel von eiförmigen Um- rissen und meistens mit 4 Geißeln versehen. Sie führen am Hinterende ein großes Chroma- tophor (Fig. 1), diesem sitzt seithch ein rot gefärbter Augenfleck auf, und an ihm läßt sich eine obere Pigmentschicht von einer darunter liegenden glashellen linsenförmigen Masse unterscheiden. Nahe der Spitze liegen ein oder zwei pulsierende Vakuolen. Der Kern ist auch etwas gegen das Vorderende verschoben. Die Spitze wird eingenommen von einem glashellen Höcker. Diesem sind die Geißeln (Fig. 1) seitlich angeheftet. Die Zoosporen lassen oft zwei Typen erkennen (z. B. bei Ulothrix) die Mikro- und Makro -Zoo Sporen. Dieselben unter- scheiden sich (Fig. 1) durch verschiedene Umrisse, verschiedene Lebhaftigkeit in ihren Bewegungen und auch durch ihre Keimungs- modalitäten. Die Makrozoosporen saugen ßich unter erheblicher Verbreiterung fast amöboid fest, die Mikrozoosporen befestigen sich mit dem Mundende (Fig. 1). Die Schwärmer der braunen Algen sind im wesentlichen ebenso gebaut wie die der grünen. Nur erscheint das Chromatophor etwas mehr seitwärts geschoben und die Geißeln sind immer in unmittelbarer Nähe des Augenfleckes inseriert (Fig. 1). In beiden Gruppen können Schwärmer mit mehreren Chromatophoren vorkommen, dann pflegt der Augenfleck einem seitlich gelegenen, oft etwas größeren Farbkörper angeheftet zu sein (Fig. ]. ; über weitere Abweichungen s. den Artikel ,, Algen"). Von unbeweglichen Fortpflanzungsorganen sind die Aplanosporen, Akineten, Cysten, Brut- knospen usw., Spezialbildungen, für eine allgemeine Betrachtung nicht verwendbar. Fig. 1. 1 Makrozoospore v. Ulothrix. 2 deren Keimung. 3 Mikrozoospore von ders. 4 Kei- mung der letzteren. 5 Zoospore von Cladophora. 6 V. Aglaozonia. 7, 8 v. Chorda, ehr Chromato- phor, py Pyrenoid, a, o Augenfleck, v Vakuole, k Kern, ki Kinoplasma. Allgemein vorhanden sind aber die Tetra- sporen bei Dictyotaceen und Florideen. Im Bau sind sie eigentlich ohne Besonder- heiten: Kugelige Zellen mit dem ansehn- lichen Kern in der Mitte, um diesen Haufen der Chromatophoren, an der Peri- pherie helleres Plasma, Abschluß nach außen durch das Hyaloplasma. Annähernd vom gleichen spezifischen Gewicht wie das Wasser werden sie schwebend von der Strömung fortgetragen. 2. Entwickelung der Zoosporen. Die Entwickelung der Zoosporen beginnt mit eigenartigen Veränderungen im Plasma der Mutterzellen. Dieses wird trüb, schaumig. Die Kerne vermehren sich mitotisch und verteilen sich gleichmäßig durch die schaumige Masse. Wo zahh-eiche Chromatophoren vorhanden sind, verteilen sich auch diese gleichmäßig. 172 Fort[jflanziing der Grewächse (Algen) Wo ein großes Netz- oder Platten-Chromato- phor gegeben ist, rückt dies von der Wand ab. Nun wird (Fig. 2) die Plasmamasse durch Spalten in größere melirkernige Portionen aufgeteilt, diese zerfallen dann später in einkernige Ballen. Dabei rücken dann die Kerne an die Peripherie der Mutterzelle, während die Chromatophoren in jedem Ballen einwärts wandern. In der Nälie der Kerne bilden sich endlich die Geißeln aus und dann beginnt auch bald eine leichte Bewegung der nunmehr sich eiförmig ab- rundenden Schwärmer (Fig. 2). Sicher ist, Mutterzelle, während die Chromatophoren mehr nach innen geschoben werden. Darauf bilden sich Zellwände, welche die Mutter- zellen im allgemeinen tetraedrisch teilen. Sind die Wände gebildet, so ordnet sich das Protoplasma derart um, daß der Kern wieder in die Mitte jeder einzelnen Zelle zu liegen kommt und von den Chromatophoren allseitig umgeben wird. Endlich findet Austritt unter Zerreißen oder Verquellen der Haut statt. 3. Formen der geschlechtlichen Fort- pflanzung. Bei den alleruntersten Gliedern der einzelnen iUgenreihen (Heterocontae, Flagellaten) ist eine geschlechtliche Fort- pflanzung überhaupt nicht nachzuweisen. Diese setzt erst ein z. B. bei den ülothri- chales. Bei den niedersten Vertretern dieser Eeihe (ülothrix) haben wir Isogamie, d. h. Schwärmer, welche genau so gebildet werden wie die Zoosporen dieser Gattung. Sie sind aber kleiner, etwas beweglicher und im Besitz von nur zwei Geißeln. Diese Schwärmer stellen Gameten dar, sie nähern sich einan- der paarweise (Fig. 3), verschlingen sich mit Fig. 2. Zoosporenbildung 1 und 2 bei Clado- phora 3 bei Protosiphon. 4. Zoosporusent- leerun bei Ulotl.rix. daß an dem ganzen Prozeß die Vakuolen- wandung und der ganze Inhalt der Vakuole keinen Anteil nimmt (Fig. 2) und wahr- scheinlich, daß auch die äußere Hyaloplasma- schicht nicht in die Zoosporen-Bildung ein- geht, sondern schwindet. Die Entleerung der Schwärmer erfolgt (Fig. 2) durch Verquellen der Wandung an einer in der Regel scharf umschriebenen Stelle. Bald in eine Blase, bald in unregel- mäßige Schleimmassen eingehüllt treten sie hervor und werden aus diesen erst etwas später befreit. Alle diese einhüllenden Massen ent- staranien wohl der Membran der MutterzeUe. Bei den braunen Algen tritt ebenfalls ein Schaumigwerden (Vakuolisierung) des Protoplasmas ein. Jedoch fehlt eine große zentrale Vakuole. Auch bei den Tetrasporen der Florideen ist die Vakuolisierung des Protoplasmas nachzuweisen. Der ursprünglich in Einzahl vorhandene Kern teilt sich in vier. Dabei ist die erste Teilung eine heterotypische; die Chromosomenzahl sinkt auf die Hälfte. Die Tochterkerne wandern an die Peripherie der Fig. 3. Ülothrix zonata. A Gametenbildung. B Gamet. C bis E Kopulation. F Zygote und deren Keimung. ihren Geißeln und verschmelzen allmählich miteinander. Dann gehen die Geißeln ver- loren, die Zelle rundet sich ab zur Zygote, welche eine derbe Membran erhält. Auf einer etwas höheren Entwickelungs- stufe steht dann Aphanochaete (Fig. 4). Diese kriechende Alge entwickelt an den Fadenenden kleine helle Zellen, aus welchen Schwärmerchen hervortreten. Dies sind die Spermatozoiden; sie sind nur schwach ge- färbt, weil ihr Chromatophor stark reduziert ist. In der Mitte der Fäden wird aus den Zellen je ein großer Schwärmer entlassen; dieser ist am Hinterende intensiv grün ge- Fortpüanzung der Gewächse (Algen) 173 färbt und sogar mit Keservestoffen versehen, am Vorderende dagegen sitzt ein dichtes helles Protoplasma. Wir müssen ihn als weiblichen Gameten und können ihn als Ei bezeichnen. Derselbe bewegt sich nur kurze Zeit, dann wirft er seine Geißeln ab (Fig. 4) und nun tritt sein helles Ende als Empfängnisfleck besonders deutlich hervor, Auf diesen hin bewegt sich (Fig. 4) mindestens Fig. 4. Aphanochaete repens. 1 Pflänzchen mit Sexualorganen auf einem Algenfaden. 2 Spermatozoiden. 3 Ei nach dem Aus- schlüpfen aus dem Oogon. 4 Befruchtung des Eies, a Antheridium, o Oogonium. ein Spermatozoid und verschmilzt mit dem Ei, worauf die übliche Umhüllung mit Membran erfolgt. Man spricht in diesen Fällen von Oogamie. Noch ausgeprägter ist diese dann bei Coleochaete. Hier werden die Spermato- zoiden ganz ähnlich entwickelt wie bei Aphanochaete, nur erweisen sie sich bei ihrem Austritt als völlig farblose Gebilde ohne jedes Chromatophor. Die weiblichen Organe treten uns entgegen als lange flaschen- förmige Körper (Fig. 5) — Oogonium — , in deren Bauch Eikern und Chromato- phor liegt, während in dem langen Hals nur farbloses Protoplasma sitzt. Dieser öffnet sich am Scheitel durch Verquollen der Zellulosehaut. Die im Bauch liegende Eizelle schlüpft nicht mehr heraus, sondern rundet sich ab. Auch sie hat einen Empfängnisfleck und wird nun durch das in den Hals einschlüpfende Spermatozoid befruchtet. Ueber die eigenartige Zygote und deren Entwickelung wolle man Bd. I, 137 nachsehen. Der Aufstieg von der Isogamie zur Oogamie wiederholt sich nun auch bei den Braunalgen. In den Gametangien von Ektocarpus entstehen Gameten (Fig. 6), die wiederum genau aussehen, wie die Zoo- sporen (I, 151). Aeußere Unterschiede an den Gameten sind nicht wahrnehmbar und Fig. 5. Coleochaete pulvinata. 1 Anthe- ridienstand und junges Oogon. 2 Oogonium kurz vor der Oeffnung. 3 Dasselbe nach der Oeffnung, oben befruchtet. 4 Zygote, durch Umwachsung zur ,, Frucht" entwickelt. 5 Keimende Hypno- zygote. a Antheridium, o Oogonium, sk Sper- makern, ek Eikern, ehr Chromatophor, py Pyrenoid. k Kern. Fig. 6. Befruchtungsvorgänge, 1, 2 Ecto- carpuSi 3 bis 7 Giffordia. 8 bis 10 Cut- leria« 174 Fortpflanzung der Gewächse (Algen) trotzdem sind sie physiologisch verschieden, denn eine Anzahl von ihnen, die Weibchen, setzen sich (Fig. 6) mit ihrer VordergcilJel auf irgendeinem Substrat fest. Alsbald werden sie von zahlreichen anderen Gameten — den Männchen — umschwärmt (Fig. 6). Dann nähert sich eines dem Weibchen, während die anderen von dannen ziehen. Das eine bevorzugte Männchen verschmilzt dann vollends mit dem Ei zur Zygote. Hieran schließen sich dann Giffordia (I, 151), Cutleria (I, 155), Fucus (I, 161) und demonstrieren hübsch den Aufstieg von Isogamie zur Oogamie. Es scheint mir nun keinem Zweifel zu unterliegen, daß sich jene obengeschilderte Fortentwickelung in den beiden er- wähnten Abteilungen des Algenreiches selbständig vollzogen habe. Für mich wenigstens ist es ganz undenkbar, daß die Sexualität in diesen beiden Gruppen Mm Fig. 7. 1 Antheridium von Vaucheria längs, 2 quer. 3 Antheridium von Fucus. 4 Spermato- zoid von demselben, sp Spermatozoid, k Kern, ehr Chromatophor, a Augenfleck. auf die gleiche Wurzel zurückgehe. So glaube ich denn auch weiter, daß die Sexualität bei den Volvocales, den Siphonocladiales und den Siphonales selbständig als Isogamie begonnen hat und zur Oogamie fortge- schritten ist. Wir bekämen also allein bei den Grünalgen vier solcher Keihen, dazu mindestens eine fünfte bei den Conjugaten und Diatomeen, eine sechste bei den Braun- algen, vielleicht auch eine siebente bei den Florideen. Nicht bloß bei den hier gewählten Bei- spielen, sondern auch in den anderen Eeihen tritt unweigerlich die Tendenz zutage, die männlichen Zellen zu verkleinern, die weib- lichen zu vergrößern, ferner dahin, die weib- lichen Zellen allmählich unbeweglich werden zu lassen und sie endlich in eine Zelle (Oogo- nium) dauernd einzuschließen, in welche die Spermatozoiden nur noch durch eine kleine Oeffnung Zutritt erhalten. Mit dem Größer- werden der Eizelle kombiniert sich die Fähigkeit zur Speicherung von Keserve- substanzen, die ja für die nach der Be- fruchtung entstehende Zygote vielfach un- erläßlich erscheint. Das Kleinerwerden der männlichen Ga- meten bedeutet eine Verringerung ihrer Proto- plasmamassen. Der Kern büßt an Größe und Chromatingehalt nichts ein. Nur wenig Kinoplasma bleibt bei den extrem aus- gebildeten Formen (Vaucheria, Chara) übrig. In den niedersten Gruppen bleiben die Chromatophoren der beiden Gameten in der Zygote erhalten (Ulothrix, Ectocarpus u. a.). Aber schon bei Spirogyra sehen wir den ersten Schritt zur Beseitigung der Farb- stoffträger. Hier wird ja (Bd. I) das Farbband der männlichen Zelle noch ganz mit in die Zygote aufgenommen, aber in dieser wird es dann zerstört. In anderen Fällen wird es lange vor dem Sexualakt verkleinert und tritt nur noch in Gestalt kleiner gelb- licher Scheibchen in die Erscheinung (Volvox, Cutleria, Bryopsis). Schließlich werden die Chromatophoren aus den männ- lichen Zellen von vornherein ausgeschlossen (s. u.). 4. Entwickelung der männlichenGameten. Diese verläuft dort ähnlich wie diejenige der Zoosporen, wo die Unterschiede zwischen Männchen und Weib- chen noch keine über- mäßig großen sind. Selbst bei den Fuca- ceen klingt doch alles noch stark an die Bildung der Schwär- mer an (Fig. 8). Eigenartiger ist schon die Spermato- zoidenbildung bei Vaucheria. Hier wan- dert (Fig. 7) eine plas- matische Masse (Peri- plasma) gegen die Wandung des Antheri- diums, während die Kerne mit dem sie um- gebenden Kinoplasma der Mitte zustreben und vollends zu Spermatozoiden geformt werden. Die Chromatophoren, die an sich schon in geringer Zahl in das Antheridium eintreten, finden keine Verwendung, sie wer- den in das Periplasma hineingebracht. Einem ganz anderen Typus gehören Coleo- chaete (Fig. 5) und die Florideen (Fig. 8) an. Hier entstehen die Antheridien als Aus- Antheridien (a) Batrachosper- mu: Fortpflanzung der Gewächse (Algen) 175 stülpungen oder Sprossungen der sie tragen- den Zweige. In die Sprossungen tritt ein relativ großer Kern, wenig Plasma und kein Chromatophor ein. Die Spermatien der Fig. 9. Eibildung und Befruchtung bei Sphae- roplea. 1, 2 Stücke von Zellen in der Auftei- lung begriffen. 3 bis 5 befruchtete Eier, k Kern, py Pyrenoide, ek Eilcern. spk Spermakern. Florideen unterscheiden sich freilich von den Spermatozoiden der Coleochaete da- durch, daß sie zweikernig sind, wie das in Bestätigung älterer Angaben neuerdings F. Walter in meinem Institut nachge- wiesen hat. 5. Die Entwickelung der Eizelle. Die Entwickelung der Eizelle erinnert wiederum in den niederen Gruppen an die Zoosporen- bildung (Bryopsis, Codium usw.). Meistens bieten aber doch die Eibildungen sehr viel mehr Eigenartiges. Sphaeroplea schneidet noch die Eier aus dem Protoplasma so heraus, wie wir es für die Zoosporenbildung geschildert haben. Die Eier ballen sich dann zu Kugeln und lassen vorn den Empfängnisfleck erkennen. Beim Aufteilen des Protoplasmas entfallen meistens mehrere Kerne auf ein Ei (Fig. 9) und diese bleiben wenigstens nach Kleb ahn auch bis zur Befruchtung erhalten. Bei der Befruchtung selber dürfte nur ein Spermatozoid eindringen und mit einem der Eikerne verschmelzen, während die an- deren zugrunde gehen. Bei den Vaucherien (Fig. 10) hat die junge Oogoniumanlage eine außerordentlich große Anzahl von Kernen. Die Eizelle aber (Fig. 10) hat nur einen einzigen Kern. Zunächst sind alle Kerne im jungen Oogon gleich. Bald aber hebt sich einer von ihnen durch seine Größe von den übrigen ab. Er wird mit etwas hellem Protoplasma gegen den Schnabel des Gogoniums hin geschoben. Die übrigen Kerne aber wandern aus der Oogoniunisanlage heraus in den Faden zurück (Fig. 10). Erst wenn das geschehen ist, wird sie durch eine Querwand von dem Tragfaden abgeghedert. Eine glas- helle Plasmamasse hat sich inzwischen an der Spitze des Gogoniums angesammelt, ein Tröpfchen derselben tritt aus der auf- quellenden Wand heraus. Dies aber enthält keinen Kern und darf deshalb nicht mit einem Richtungskärper vergüchen werden. Fig. 10. Eibildung bei Vaucheria. lu. 2 Kerne in der Auswanderung begriffen. 3 Oogon abge- gliedert, 4 geöffnet, ek Eikern, k auswandernde Kerne, sp Spermatozoiden. Grundverschieden von solcher Oogon- entwickelung ist diejenige bei Coleochaete. Wir berichten darüber Bd. I S. 137. Eine Teilung an dem Eikern ist nicht nachweisbar (vgl. Fig. 5). Bei den Florideen verlaufen die Dinge ganz ähnhch, nur mit dem bekannten Unter- schiede, daß hier eine spontane Oeffnung an dem Hals resp. der Trichogyne nicht wahrgenommen wird. Mehrere Autoren (Wolfe, Yamanouchi, u. a.) geben zwei Kerne in dem Carpogon der Florideen an. F. Walter aber, der die Sache nachprüfte, konnte nur einen Kern finden. Nichts Besonderes bietet scheinbar die Oogonentwickelung in der Gattung Fucus. Die Oogonien werden durch eine Querwand von dem Stiel abgeghedert. Bei der dieser Wandbildung voraufgehenden Mitose wird plötzhch die Chromosomenzahl auf die Hälfte herabgesetzt. Der primäre Kern des jungen Oogons zerfällt durch sukzessive Mitose in acht. Dann erst wird die Protoplasmamasse 176 Fortpflanzung der Gewächse (Algen) in acht Eizellen aufgeteilt, die durch zarte kopuherenden Zellen in zwei Gameten Zellwände voneinander getrennt sind. Die (Fig. 12). In jedem derselben findet dann sehr eigenartige Ausstoßung jener Gebilde noch einmal eine Kernteilung statt, derart, steht I 162 zu lesen. daß ein Groß- und ein Kleinkern entsteht (Fig. 12). Der Kleinkern geht zugrunde, der -^ 1 ^ ^:^<^ Fig. 11. Eibüdung. 1 Asco phyllum. 2 Pel - vetia. 3 u. 4 Himanthalia. ek Eikern, e' reduzierte Eier. Die übrigen Fucaceen entwickeln weniger als acht Eier in einem Oogonium. Die Ent- wickelung nimmt anfänghch genau den- selben Verlauf wie bei Fucus, d. h. es werden durch Mitose 8 Kerne gebildet. Sollen 4 Eier entstehen (Asco phyllum), so sammelt sich das ganze Protoplasma in 4 Portionen um 4 Kerne. Die 4 restierenden aber, nur mit Spuren von Protoplasma umhüllt, sind nicht entwickelungsfähig (Fig. 11). Pelvetia bildet 2 Eier im Oogon, dann werden 6 Kerne ausgeschieden (Fig. 11). Bei Himanthalia endlich wie auch bei allen Vertretern der ganzen Cystosira-Reihe, auch bei Sar- gassum (Nienburg), entwickelt sich nur ein Ei (Fig. 11) Es werden demgemäß 7 Kerne unbrauchbar. Die überzähligen Kerne sind alle von etwas Protoplasma umgeben. Sie als Richtungs- körper denjenigen der tierischen Eier gleich zu setzen, geht wohl kaum an, sie müssen wohl als reduzierte Eizellen aufgefaßt werden, die deuthch den Weg anzeigen, den die extrem entwickelte Oogamie genommen hat. Bei den Conjugaten spielt sich vor der Befruchtung in den Gameten nichts Be- sonderes ab; bei den Diatomeen dagegen zerfällt bei vielen Formen der Inhalt der Fig. 12. lodia. R h 0 p a - Verschie- dene Stufen der Ko- pulation, gk Groß- kern, kk Kleinkern, py Pyrenoid. Großkern kopuliert mit dem gleichnamigen Organ des gegenüberhegenden Gameten (Fig. 12). In anderen Fällen (Surirella) wird in jeder Mutterzelle nur ein Gamet ge- bildet, dieser hat erst einen, dann 4 Kerne, 3 davon werden zu Kleinkernen, einer bleibt Großkern und verschmilzt mit dem gleichnamigen Kern des korrespondierenden Gameten. Karsten wies neuerdings nach, daß beim ersten Teilungsschnitt jener Kerne eine Reduktion der Chromosomen- zahl auf die Hälfte eintritt. Befruchtung: Im allgemeinen (Aus- nahme: Vaucheria) vereinigen sich Gameten von verschiedenen Individuen miteinander. Durch Massenentleerungen, die an gewisse Tageszeiten, ja gelegenthch an gewisse Tiden gebunden sind (Kuckuck, Hoyt) wird solche Fremdbefruchtung gesichert. Das massenhafte Hinstürmen auf die Eier von Ectocarpus, Fucus usw. dürfte durch Chemotaxis bewirkt werden. Die Vereinigung der Gameten mitein- ander erfolgt unter unruhiger Bewegung des Protoplasmas am Empfängnisfleck oder an der ganzen Oberfläche. Fortpflanzung der Gewächse (AJgen) 177 Ist eine Vereinit>iiiio; der Protoplasma- : Größe, Wachstum und Ernährung un- massen beider Gameten erfolgt, so findet [ endhch verscliieden (I, 163 ff.), im Prinzip ganz allgemein ein Abschluß der Eizellen aber bleibt immer die Tatsache bestehen, gegen die Außenwelt statt. Während dieser Zeit wandern die Kerne der Isogameten aufeinander zu. Wo Eizellen in typischer Weise ausgebildet sind, wird der Eikern vom Spermakern aufgesucht. Das geht meistens wohl rasch, z. B. braucht der Spermakern vom Fucus nur 5 Minuten, um zum Eikern zu gelangen. Die Ver- einigung beider Kerne findet dann in der- selben Weise statt wie bei anderen Pflanzen und Tieren. 6. Keimung. An den Zygoten kann man dann zwei Typen unterscheiden. Die ' Zygoten der Meeresalgen, darunter I auch diejenigen der Siphoneen, erhalten eine relativ dünne Haut und keimen fast immer sofort zu einer neuen Pflanze aus. Die Süßwasserformen dagegen um neu Fällen ist die Par- thenogenesis, d. h. die Weiterentwickelung von ,: Gameten, die nicht kopu- c! ^ liert haben, wohl zu unter- ■ j^ -"^ scheiden. Hierher rechnet , man z. B. die Entstehung ^^ -^ ' der Oosporen bei denjenigen "'" . Saprolegnieen, welche keine • , •- JN^. Antheridien ausbilden (VII, - • ^,. \ 888), ferner auch in vielen ■'' ' ^, arch Fällen die Entstehung der ,.-^'^ Asci bei den Endomyceta- - '^ - ceen (VII, 896) und Saccha- . ' - romycetaceen (VII, 897). 3. Entwickelung der Gameten, Für die mit Geißeln versehenen Gameten '^'; , ^/ liegen bisher keine ge- ^ ' naueren Untersuchungen vor, allein es unterliegt pig. 4. Polystigma rubrum, arch Degenerierendes Archicarp; kaum einem Zweifel, daß z benachbarte vegetative Zellen, in denen das Zusammentreten ihre Entwickelung der- der Sexualkerne erfolgt. Nach Blackman und Welsford. 182 Forti»flanzung- der Gewächse (Pilze) meten noch eine Kernteilung vorangeht; von den beiden Tochterkernen wird dann der eine ausgeschaltet (vgl. z. B. Basidiobolus, VII, 893). In anderen Fällen sind dagegen die beim Sexualakte verschmelzenden Protoplasma- körper ihrer Anlage nach vielkernig. Sie können dabei auch bis zuletzt vielkernig bleiben, ja sogar ihre Kerne noch durch -Anth. -Ooq. ■-?«/«• \ -Anth. a -Anth. Fig. 5. EntAvickelung der Coenogameten und Befruchtung bei Albugo Portulacac. Anth Antheridium ; Oog Oogonium; 0 Eizelle; p Peri- plasma; a Befruchtungsschlauch, in C ist durch den Schnitt sein Zusammenhang mit dem Antheridium unterbrochen, ia D sind nur noch 'seine Reste sichtbar. Nach Stevens. Teilung vermehren; es finden dann auch dementsprechend beim Sexualakte zahlreiche gleichzeitige Kernpaarungen statt. Derartige vielkernige Protoplasmakörper betrachtet man als Komplexe von einkernigen Gameten und nennt sie Coenogameten; sie ent- sprechen der Gesamtheit der in einem Gametangium enthaltenen Einzelgameten und lassen sich phylogenetisch vielleicht auch von solchen ableiten. Es kann jedoch auch vorkommen, daß aus vielkernigen Anlagen unter Degeneration von Kernen schließlich einkernige Eizellen entstehen. Diese verschiedenen Modifikationen sollen nun an einigen Beispielen erläutert werden: Besonders instruktiv sind die Peronosporeen: Typische Coenogameten finden wir in dieser Familie bei Albugo Bliti und A. Portulacae. Sowohl im Antheridium als im Oogonium trifft man hier anfänglich im Protoplasma gleichmäßig verteilte Kerne (Fig. 5A). Im Oogonium erfolgen nun Umlagerungen, die dazu führen, daß sich in der Mitte eine dichte kernfreie schaumige Cytoplasmamasse ansammelt, während sämtliche Kerne an die Peripherie rücken. Die zentrale Cytoplasmamasse stellt die spätere Eizelle dar, während die periphere Partie als Periplasma bezeichnet wird. Hierauf teilen sich die Kerne, und von ihren Tochterkernen wandern die einen in die Eizelle ein. Der Beginn dieses Vorganges ist in Figur 5B zu sehen. So enthält schließlich die Eizelle eine Mehrzahl von Kernen (Fig. 5C), die dann eine zweite Teilung durchmachen. Die übrigen Kerne verbleiben im Periplasma, i wo sie zugrunde gehen. Während dieser Vor- gänge erfolgen auch im Antheridium zwei Kern- teilungen. Dann tritt durch den Befruchtungs- schlauch eine größere Zahl dieser männlichen Kerne in die Eizelle über (Fig. 5C) und es findet paarweise Verschmelzung derselben mit den Eikernen statt (Fig. 5D). Genau ebenso ver- laufen die ersten Stadien der Gametenentwicke- lung bei Albugo Tragopogonis ; allein hier gehen von den aus dem Periplasma in die Eizelle einwandernden Kernen schließlich alle bis auf einen einzigen zugrunde; die Eizelle ist also im Zeitpunkte der Befruchtung einkernig: aus dem Coenogameten ist eine einfache Eizelle her- vorgegangen. Dasselbe wird auf etwas anderem Wege erreicht bei Albugo Candida (VII. 889, Fig. 15), wo aus der anfänglich mehrkernigen Eizelle alle Kerne bis auf einen ins Periplasma auswandern, und bei Perono- spora und Pythium, wo von den mehr oder weniger zahlreichen Oogoniumkernen von vorn- herein nur einer in das Ei eintritt. In allen diesen Fällen kommt bei der Befruchtung natürlich auch nur ein einziger männlicher Kern zur Ver- wendung, alle übrigen degenerieren entweder nach ihrem Uebertritt in das Ei oder bleiben im Antheridium. Auch bei den Saprolegnieen werden ursprüng- lich Coenogameten angelegt, aus denen dann ein- kernige Eizellen hervorgehen; nur spielt sieb dieser Vorgang anders ab als bei den Perono- sporeen. Im Oogonium degenerieren von dem anfänglich gleichmäßig vielkernigen Protoplasma- körper die inneren Partien, so daß nur noch ein Fortpflanzung der Gewächse (Pilze) 183 Wandbelag (Fig. 6A). mit wenigen Kernen übrigbleibt Hierauf teilen sich diese Kerne -T^^ ^d ¥'- ^ d C \.\ Fig. 6. Eientwicke- lung von S a p r 0 - legnia monoica. A Jimges Oogon mit Wandbelag im Längs- schnitt, B, C, D Partien aus diesem Wandbelag in ver- schiedenen Stadien der Ansammlung, c Kerne mit Zentralkörpern, d degenerierende Kerne. Nach Claussen. einmal, aber ihre Tochterkerne gehen der Mehr- zahl nach zugrunde (Fig. 6B), so daß schließlich nur noch eine relativ geringe Zahl von solchen (mitunter sogar nur ein einziger) vorhanden ist. Um diese Kerne sammelt sich dann das wand- ständige Protoplasma an (Fig. 6C). Haben diese Ansammlungen eine gewisse Größe erreicht, so trennen sie sich voneinander (Fig. 6D) und jede derselben rundet sich zu einer einkernigen Eizelle ab. Auch das Antheridium enthält von Anfang an mehrere Kerne, diese machen gleichzeitig mit denen des Oogons eine Teilung durch. Bei der Befruchtung tritt je einer derselben in die Eizellen über. Bei den Mucorineen sind die miteinander ver- schmelzenden Zellen ebenfalls Coenogameten, da sie anfänglich sehr zahlreiche kleine Kerne führen. Ueber das Verhalten der letzteren bei der Kopulation gehen die Angaben auseinander: Nach den einen Beobachtern bleiben in jedem Coenogameten bis zuletzt zahlreiche oder jeden- falls mehr als ein Kern bestehen und dement- sprechend erfolgt auch eine mehrfache Kern- paarung; nach anderen tritt in jedem Coeno- gameten ein großer Kern auf, während die übrigen, kleineren schließlich degenerieren; die Paarung würde daher nur zwischen zwei Kernen erfolgen. Letzterer Fall tritt auch bei Endogene ein, wo die nicht zur Verwendung kommenden Kerne in den Suspensor zurückgezogen werden (vgl. VIT, 892. Fig. 23). Coenogameten kommen auch bei den As- comyceten (aber nicht bei allen) vor. So enthält das Antheridium und das Archicarp von Pyro- nema confluens (Fig. 7) einige hundert Kerne, von denen einige zugrunde gehen, die übrigen aber beim Sexualakt paarweise zusammentreten. Anth.. Fig. 7. Pyronema confluens. Antheridium (Anth) und Archicarp (arch) mit Trichogyn (t). Nach Claussen. arch 184 Fortpflanzung- der Grewächse (Pilze) 4, Das weitere Verhalten der Zygote ist ein sehr verschiedenartiges. Bei den Phykomyceten erhält sie meist eine dicke Membran, speichert Reservestoffe auf und wird zur Dauerspore. Die Sexualkerne ver- schmelzen dabei gewöhnlich nicht sofort; mitunter (Endogone) dürfte dies sogar erst kurz vor der Keimung der Zygote er- folgen. Schließlich entsteht aber immer in der letzteren ein diploider Kern. Die Re- duktionsteilung desselben ist bisher noch nirgends sicher gesehen worden, doch sprechen einzelne Beobachtungen dafür, daß sie sich in der keimenden Zygote vollzieht. Wir haben es also hier mit Vorgängen zu tun, wie sie uns auch bei den Conjugaten und Chlorophyceen entgegentreten. Ganz "anders gestalten sich die Verhält- nisse bei den Ascomyceten. Die Zygote macht hier keinen Ruhezustand durch, sondern erfährt sofort eine Weiterentwickelung. Diese gestaltet sich noch relativ einfach bei den Protascineen. z. B. Endomyces Ma- gnusii (VII, 896): Nach Aufnahme des männlichen Gameten und Verschmelzung der Sexualkerne schwillt der weibliche Gamet, jetzt zur Zygote geworden, stark an und verwandelt sich in einen Ascus. Weit komplizierter verläuft der Hergang bei den typischen Ascomyceten: Hier wachsen sofort nach der Vereinigung der Gameten aus dem Archicarp (Fig. Sog) die so- genannten ascogenen Hyphen (Fig. 8 asf ) hervor. Für Pyronema confluens (über welches man die Details im Bd. VII, 897 u. 898 nachlesen möge) ist ferner nach- gewiesen, daß die Sexualkerne vorerst nicht verschmelzen, sondern zu Paaren verbunden bleiben, die unter wiederholten Teilungen in diese ascogenen Hyphen einwandern (Fig. 8). An letzteren entstehen dann die Asci. Jeder junge Ascus erhält ein Kernpaar (Fig. 9B) und dieses verschmilzt erst hier zu einem diploiden Kern (Fiß-. 9C). i' . -asf. Fig. 8. P y r 0 a e m a c 0 n f 1 u e n s. Arciiicarp (og) mit einer der ascogenen Hyphen (asf), in welche die Kernpaarc eingewandert sind. Nach Claussen. i 1 — — og Fig. 9. Entstehung des Ascus aus dem Ende einer ascogenen Hyphe. A bis 0 Pyronema confluens. D Ascodesmis. Nach Harper und Claussen. Es ist also hier bei den höheren Ascomy- ceten der Zusammentritt der Sexualzellen und die Verschmelzung der Sexualkerne weit auseinandergerückt. Man faßt das vielfach so auf, daß der Sexualvorgang in zwei Teilvorgänge zerlegt ist, die durch ein Zweikernstadium voneinander getrennt sind. Immerhin betrachtet man aber doch den Doppelkern schon vor seiner Verschmelzung als äquivalent mit einem diploiden Kerne. Es entsprechen daher auch die ascogenen Hyphen den sporogenen Fäden, welche bei den Floriden nach der Befruchtung aus dem Archicarp hervorsprossen. Die weiteren Vorgänge im Ascus sind nun folgende: Der durch die Verschmelzung des Kernpaares entstandene diploide Kern geht sofort wieder in Teilung über und zwar gewöhnlich dreimal hintereinander. Von diesen Teilungen ist die erste eine Reduk- tionsteilung. Der Ascus enthält somit jetzt meist 8 haploide Kerne. Diese werden dann zum Ausgangspunkt für die Bildung von Sporen (Ascosporen) durch sogenannte ,, Freie Zellbildung". DieserVorgangist in Figur 10 für Erysiphe communis chui^cs teilt: Jeder Kern besitzt eine etwas vorgezogene Spitze oder schnabelartige Verlängerung, von welcher Kinoplasmastrahlungen kp radial Fortpflanzunf^ der (Tewächse (Pilze) m in das umgebende Plasma ausgehen (P'ig. lOA). Bald fangen nun diese Strahlen an zu diver- gieren und sich nach außen und unten zu verlängern (Fig. lOB), so daß sie schließlich eine den Kern umgreifende dünne Schicht darstellen, durch die gewissermaßen ein Stück aus dem Protoplasma des Ascus her- ausgeschnitten wird (Fig. 10 C und D), das Fig 10. Freio Zollbildiuijj mi Ascu^ \oii Lr\ - siphe communis, s Kemgerüst, n Nucleohis, kn Kinoplasmastrahhiiigen. Nach Harper. die Spore darstellt. Letztere wird schließlich durch eine Membran abgegrenzt und der außerhalb derselben liegende Teil des Ascus- inhaltes stellt das Epiplasnui, dar. Dem Ascus entspricht bei den Basidio- myceten die Basidie. Auch sie enthält anfänglich ein Kernpaar (Fig. IIA), welches dann zu einem diploiden Kern verschmilzt (Fig. IIB). Letzterer macht ebenfalls eine Reduktionsteilung durch, auf die noch eine, selten mehr Teilungen folgen. Die Basidie erhält auf diese Weise meist 4 haploide Kerne. Zum Unterschied vom Ascus erfolgt die Bil- dung der Sporen (Basidiosporen) nicht endogen, sondern durch Abschnürung (Fig. HC, D). Ueber die verschiedenen Modi- fikationen in der Ausbildung der Basidie vgl. VII, 911. Das in der jugendlichen Basidie enthaltene Kernpaar muß unzweifelhaft ebenso wie bei den Ascomyceten aus einer Vereinigung von Sexualzellen hervorgehen, aber für die höheren Basidiomyceten harrt dieser Vorgang noch seiner Entdeckung. Vollständig bekannt ist dagegen der Sexual- akt und die Woiterentwickeluiig der Zygote für die Uredineen: wie in VII, 914ff. näher beschrieben ist, geht aus der Vereinigung der beiden Sexualzellen eine Zygote hervor, die sich alsbald in eine Kette von Aecidio- sporen und Zwischenzellen teilt (Fig. 12). Fig. 11. Entwickelung der Basidie von Ar- millaria mellea. Nach Ruhland. Er- klärung im Text. Fig. 12. Entstehung der Aecidiosporen bei Phragmidium speciosum. a Aeeidiospore, z Zwischenzellen. Nach Christman. Die beiden Sexualkerne verschmelzen dabei nicht, sondern erfahren gepaarte Teilungen und jede Aeeidiospore enthält daher auch ein Kernpaar. In den einfachsten Fällen (Endophyllum) verschmilzt nun dieses Kernpaar, sobald die Aeeidiospore ihre de- finitive Größe erreicht hat, und dann wächst aus der Spore eine quergeteilte Basidie aus, während deren Entwickelung die Reduktions- teilung des Kernes vor sich geht. In den kompliziertesten Fällen (Eu-Uredinales) dagegen entwickelt sich aus der Aeeidio- spore eine selbständige neue Pflanze, und diese kann sich in mehreren Generationen durch Bildung von Uredosporen reprodu- zieren. Letztere enthalten in ihren Zellen die Abkömmlinge der erwähnten Kernpaare (Fig. 13A). Schließlich entstehen Teleuto- sporen mit anfänglich ebenfalls zweikernigen Zellen (Fig. 13B). Hier verschmelzen die Kernpaare zu diploiden Kernen (Fig. 13C). 186 Fortpflanzung der Uewäclise (Pilze — Arehegoniaten) Aus den Teleutosporen gehen dann die Basidien hervor, in welchen sich die Reduktionsteilung abspielt. Fig. 13. Phragmidium violaceum. A Uredo- Inger, B junge Teleutospore, deren Zellen noch Kernpaare enthalten, C reife Teleutospore, in (leren Zellen die Kernpaare zu einem diploideii Kern verschmolzen sind. Nach Black man. Die heutigen Pilzforscher sind ihrer Mehrzahl nach der Ansicht, daß wir es in den beschriebenen Entwickelungsgängen der höheren Ascomyceten und Uredineen mit einem Generationswechsel zu tun haben: als Gametophyt betrachtet man das Mycel, welches die Sexualorgane bildet; seinen Abschluß erreicht derselbe mit dem Zusammentreten der Sexualzellen. Derjenige Entwickelungsabschnitt dagegen, welcher die Kernpaare und die aus diesen hervorgehenden diploiden Kerne enthält, wird als Sporophyt aufgefaßt. Dieser findet seinen Abschluß mit der Reduktions- teilung des Kernes im Ascus bezw. in der Basidie. Ascus und Basidie entsprechen daher z. B. den Sporenmutterzellen der Moose und Farne und können wie diese Gonotokonten genannt werden. Der Sporophyt bleibt bei den Ascomyceten in Gestalt der ascogenen Hyphen mit der Mutterpflanze in Verbindung und ist meist im Innern eines Fruchtkörpers verborgen, während er bei der Mehrzahl der Uredineen völlige Selbständigkeit erlangt. Bei den Phykomyceten hingegen kann man von einem eigentlichen Generations- wechsel nicht sprechen, da hier der doppel- kernige bezw. diploide Abschnitt nur durch eine Dauerspore (Zygote) repräsentiert ist. Der Gametophyt kann sich sowohl bei den einfacheren als auch bei den höheren Pilzen als solcher reproduzieren durch die Fruchtformen, die wir als Sporangien und Conidien beschrieben haben und die man daher z. B. mit den Brutkörnern der Moos- pflanze vergleichen kann. Vielfach herrscht diese Reproduktionsform gegenüber der sexuellen stark vor, mitunter (Fungi imper- fecti) so stark, daß man letztere überhaupt noch nicht kennen gelernt hat. Selten sind dagegen die Fälle, wo solche haploide Fruchtformen nicht gebildet werden. — Auch der Sporophyt kann sich als solcher fort- pflanzen; das' ist aber natürlich nur da der Fall, wo er selbständig ist, nämlich bei den komplizierteren Uredineen; es geschieht dies durch die Aecidio- und Uredosporen, die man daher z. B. mit den an den Blättern von Farnkräutern entstehenden Bulbillen in Parallele stellen kann. Literatur. J. P. Lotsy, Yorträcje über botanische Stammesgeschichte, I. Algen und Pilze. Jena 1907. — Unter den seit dem Erscheinen dieses Buches publizierten Einzeluntersuchungen seien erwähnt: J». Claussen, Ueber Eientwickelung und. Befruchtung bei Snprolegnia monoica. Be- 7-ichle d. deutschen bot. Gesellsch., 26, 1908. — F. Bucholtz, Beiträge zur Kenntnis der Gattung Endogone. Beihefte z. bot. Centralblatt, 29, 1918. — lt. Sioppel, Eremascus fertilis nov. sp. Flora 1907. — A. Guilliertnond, Recherches cytologiques et taxinomiques sur les Endomycetes. Revue generale de Botanique, 21, 1909. — H. C. J. Fräser, On the sexuality and development of the ascocarj) in Lachnea stercorea. Annais of Botany, 21, 1907. — Verselbe, Contributions 10 the cytology of Humaria ruti'ans. Annais of Botany, 22, 1908. — P. Claussen, Zur Entwickelungsgeschichte der Ascomyceten. Pyro- nema confluens. Zeitschr. f. Botanik, 4, 1912. — F. H. Blacknian, The develojjment of the perithecia of Polystigma rubrum DC. Annais of Botany, 26, 1912. — J. H. Faull , The cytology of Laboulbenia chaetophora and L. I Gyrinidarum. Annais of Botany, 26, 1912. — F. Rawitscher, Beiträge zur Kenntnis der Ustilagincru. Zeitschrift f Botanik, 4, 1912.— ! Eine Zii»ii)ntnfii.stcllnnij der noirreu Arbeiten gibt J. Bnmsbottom, Somc recent work on the cytology offungus reproduction, I. Mycologisehes Centralblatt, 1912. — Die Abbildungen sind teils direkt aus den Originalarbeiten, teils aus Stras- burgers Lehrbuch der Botanik entnommen. Ed. Fischer, 2. Arcliegoiiiateii. Mit dem Namen „Archegoniatae" be- zeichnet man alle diejenigen niederen Land- pflanzen, die sich durch den Besitz eines Archegoniums auszeichnen, d. h. durch das eigentümlich flaschenförmige weibüche Fortpflanzung der Gewächse (Archeg-oniaten — Moose) 187 Fortpf lanzimgsorgan (Fig. 4 B). Diese Gruppe { umfaßt zwei große Abteilungen des Pflanzen- reiches, nämlich die Bryophyten, zu denen die Lebermoose und die Laubmoose gehören, und die Pteridophyten, die sich teilen lassen in die Farne, die Bärlappgewächse und die Schachtelhalme und zu denen noch eine Anzahl jetzt nicht mehr lebender, fos- siler Formen zu rechnen ist. Die Pteridophyten können nicht scharf geschieden werden von den nächst höheren Typen der Landgewächse, die Samen tragen, und das ist begreitlich, denn sehr wahrschein- lich sind die Samenpflanzen von archegoniaten Ahnen herzuleiten. Die Archegoniaten frei- lich haben keine Samen; ihre Fortpflanzung ist vielmehr charakterisiert durch das Vor- handensein zweier scharf geschiedener Phasen in ihrer Entwickelung, die struk- turell voneinander unabhängig sind: wir haben einen Generationswechsel. Die eine Generation trägt die Geschlechtsorgane, , welche Geschlechtszellen oder Gameten er- 1 zeugen, sie wird Gametophyt genannt.! Die andere bringt Sporen, d. h. Organe der ungeschlechtüchen Vermehrung hervor, sie heißt Sporophyt. j Die Bryophvten und Pteridophyten zeigen | große Aehnhchkeit in ihrer Lebensweise. Sie unterscheiden sich dagegen stark in der i äußeren Erscheinung, zumal in dem der Größenverhältnisse der beiden Generationen j und in der Entwickelung der Gewebe, die sie | aufbauen. Die Bryophyten sind gewöhn- lich kleiner und einfaclier gebaut, ihre Ge- schlechtsgeneration überwiegt die ung esc bleicht liehe. Man nimmt deshalb an, daß sie in der Entwickelungsreihe der Gewächse tiefer stehen als die Pterido- phyten. Diese zeigen im allgemeinen größere Dimensionen, sind komplizierter gebaut und ihre Geschlechtsgeneration tritt gegen- über der ungeschlechtlichen zurück. Der Sporophyt der Pteridophyten ist in Stamm, Blätter und Wurzeln differenziert und ver- sehen mit wohl ausgebildeten Gefäßbundeln. Die Pteridophyten sind also Gefäßpflanzen. Nach der alten Terminologie heißen sie „Gefäßkryptogamen". Indes die Be- zeichnung „kryptogam" beruht auf einem Mißverständnis. Ihr Fortpflanzungsvorgang war tatsächlich schwieriger zu beobachten als derjenige der „Phanerogamen ' oder „Samenpflanzen", zu einer Zeit, da man das Mikroskop nicht genügend verwenden konnte, heute ist das nicht mehr der Fall und es ist daher auch besser, den alten Terminus fallen zu lassen und den Namen „Pteri- dophyten" zu verwenden. Die Erforschung des Entwickelungs- ganges der Archegoniaten war weder leicht, noch ging sie rasch vor sich. Einzelunter- suchungen waren seit Beginn des 19. Jahr- hunderts gemacht. Diese Periode aber fand einen Abschluß durch die Veröffentlichung von Hofmeisters „Vergleichenden Un- tersuchungen" im Jahre 1851, in welchen die bisher bekannten Einzeltatsachen durch glänzende Beobachtungen ergänzt und groß- zügig zusammengefaßt wurden. Von dieser Zeit ab waren die Hauptzüge der Ent- wickelungsgeschichte bei Moos und Farn bekannt. In den letzten Jahrzehnten freilich wurden noch bei vielen Vertretern die Einzel- heiten ihres Entwickelungsganges nachge- prüft und durch die cytologischen Unter- suchungen ergänzt, die Hofmeister natur- gemäß nicht ausführen konnte. Das Haupt- ergebnis all dieser Untersuchungen ist, daß gezeigt werden konnte, daß für alle Formen die Aufeinanderfolge der Hauptphasen die- selbe ist. F. O. Bower. a. Moose. 1. Allgemeines. 2. Antheridien. 3. Arche- gonien. 4. Befruchtung. 5. Sporenbildung. 6. Generationswechsel, Chromosomenzahlen. 7. Aposporie. „Plurivalente" Moosrassen. 8. Chromato phoren -Redu ktion . I. Allgemeines. Vergegenwärtigen wir uns den Entwicklungsgang eines Mooses noch einmal: (vgl.Bd. VI, 1049ff.). Aus der Spore geht das fädige Protonema hervor, dieses produziert die Moospflanze, die ihrer- seits einen einfachen Thallus oder ein 1 Stämmchen mit Blättern darstellt. Die Mo OS pflanze (einschüeßüch des Protonema) iist der Gametophyt, sie trägt (VI, 1059) Antheridien und Archegonien. Nach der I Befruchtung entsteht aus der Zygote das Sporangium (Mooslcapsel). Dieses stellt 1 den Sporophyten dar, welcher, so ver- schieden gestaltet er auch sein mag, doch ! immer Sporen produziert, die wiederum den I Gamete pliyten liefern. I Der Sporophyt der Moose bleibt zeit- l lebens im Zusammenhang mit dem Gameto- phyten, er wird von diesem ernährt und stirbt ab, wenn die Sporen fertiggestellt sind. Damit dokumentiert er sich als die schwächere, gleichsam ephemere Generation gegenüber dem perennierenden Ganieto- phyten (vgl. den Artikel ,,Moose".) 2. Antheridien. Die Antheridien stehen in besonderen Ständen mit Vorliebe an den Enden der Moossprosse, gelegentUch auch mitten auf dem Thallus; darüber wird in dem Artikel Moose berichtet (Fig. 1). Ein Antheridium besteht im erwachsenen Zustande aus einem Stiel und dem eigent- lichen „Antheridienkörper", der die Sper- 188 ■tpflauzunt;- der rrewächse (Moose) iden produziert Wandschicht Dieser ist von einer ' schlössen. Die Antheridien entspringen nach außen abge- stets aus einer Epidermiszelle. also exogen; eine alleinige Ausnahme bilden die An- thoceroten (vgl. VI, 1069), bei denen sie ,, endogen", d. h. aus der inneren Zelle eines Segmentes entstehen, das zuvor von der Scheitelzelle abgesondert war. Die äußere Zelle liefert hier durch weitere Tei- lungen eine Decke für das Antheridium, das sich von seinen Nachbarzellen löst und bald frei in einem Intercellularrauni liegt (Fig. 2). — Bei allen übrigen Bryophyten treten die Antheridien aber von vornherein frei als kleine Papillen über die Thallusober- fläche, wenn sie auch später sekundär durch Wucherungen der benachbarten Zellen in rrriibon eingeschlos'-'cn werden kiumen Fig. 1. Längsschnitt durch den Antheridien- stand vonFunaria. a junge, b reife Antheridien. c Paraphysen, d Hüllblätter. Nach Sachs. Fig. 3a. Antheridiumentwieklung von Fegatella conica, einem Marchantiaceen-Lebermoos. A Einzellige Anlage. B Die Stielzelle st abgeteilt. C, D Querscheibenzellen abgeteilt, die sich durch senkrechte Wände fächern. E Anlage der Wand- schicht w. F Halbreifes Stadium. A bis E Vergrößerung 400. F Vergrößeriing 220. Nach Bolleter. Aus H. Sehen ck. 2. Entwicklung des Anthocerotecn- Antheridiums (Anthoceros Pearsoni). A d Deckzelle, a Endogene Antheridiuraanlage ; B Interzellularraum um letztere gebildet ; C Tei- lung in die Stielzellen st und in die Oktanten ; D älteres noch unreifes Antheridium. Nach D. Campbell. Aus H. Schenck. Fig. 3b. Entwicklung des Jungermanniaceen- Antheridiums (Po rella Bolanderi). AbisD, F Längsschnitte; E, G Querschnitte. Ver- größerung 600. Nach D. Campbell. Aus H. Schenck. Forti)flanzimg- der Gewächse (Moose) 189 (s. z. B. Abbildung in Fig. 47 und 48 im Artikel ,, Moose"). Bei der Bildung der Anthe- ridien lassen sich mehrere Tj'pen unter- scheiden. x\m urspriingUchsten dürfte bei den Lebermoosen der der Marchantiales und Ricciales sein: Die Antheridienanlage wird durch eine Anzahl von Querscheiben zer- legt (Fig. 3a), von denen die unterste zum mehrzeUigen Stiel wird, die oberen sämthch eine Quadrantenteilung erfahren und dann durch Abschneidung von je einer Perikhne eine Wandschicht von dem Innenraum trennen. Die übrigen Lebermoose weichen einmal von diesem Typus darin ab, daß entweder nur tlie oberste der ursprünglichen Querscheiben der Antheridienanlage zum eigentlichen Antheridien- körper wird (Jungermanniales, Fig. 3b) oder die Basalzellen für den Stiel erst abgesondert werden, nachdem die Primonbalzelie durch 2 aufeinander senkrechte Längswände in Quadranten geteilt wurde (Anthocerotales, Fig. 1). Der wichtigste Unterschied gegenüber den sämtlichen Typen der Lebermoose ist bei den Laubmoosen der, daß hier die junge Antheridienanlage vermittels einer 2-schneidigen Scheitelzelle wächst (Fig. 4). Es wird dabei durch eine Qnerwand ein Stiel abgeschieden, und in der oberen Zelle legen sich die beiden Längswände zueinander geneigt an. Dadurch wird eine keilförmige Endzelle entstehen müssen, welche nach beiden Seiten Segmente ab- sondert. Diese erfahren schließlich wieder die übliche Trennung in Wand und Innen- raum. So verschieden also auch die Entwicklung der Antheridien bei den Moosen ist, so sehr sehen doch die fertigen einander ähn- lich (Fig. 5). Wenn bei den einzelnen Arten selbst nahe verwandter Formen größere Unterschiede etwa in der Länge des Stiels oder Form des Antheridienkörpers bestehen, so dürften hierfür rein ökologische Momente maßgebend sein (Goebel). Von cytologischem Interesse ist nun die Entwickelung des ,, Innenraums" der An- theridien bis zu der Bildung der fertigen Spermatozoiden. Eine wirklich gute Unter- suchung hierüber verdanken wir Allen (1912), für Polytrichum juniperinum (hier auch die Literatur für die Laubmoose). In den noch jugendlichen Zellen des Innenraums, die Allen ,,androgone" Zellen nennt, ließen sich eigentümliche Gebilde in Plattenform bemerken, die sich stark mit Hämatoxylin färben und eine gewisse Polarität in der Zelle hervorzurufen scheinen (Fig. G, a). Vor jeder Mitose teilen sie sich durch eine Qner- spaltung in 2 und diese lagern sich darauf zu beiden Enden der nun entstehenden Spindel; anfangs sind sie zuweilen durch wenige achromatische Fasern mit der Kern- membran verbunden (b). Dann vermehrt sich die Zahl der Fasern, doch bleibt vor- läufig noch die Kernwandung bestehen und es erscheint charakteristisch, daß, bevor diese angegriffen wird, sämtliche Spindel- fasern im wesentlichen angelegt sind. Die Karyokinese ist normal und die Nukleolen dürften nicht, wie zeitweilig geglaubt wurde, zur Chromosomenbildung beitragen. — Je mehr sich die Teilungen den Spermatid- (= ,,Androcyt-")Mutterzellen nähern, desto mehr pflegen sich die oben geschilderten ,,kinoplasmatischen" Platten in einzelne „Kinetosomen" aufzulösen (c, d), die dann gruppenweise ausgebildet sind. In den Spermatid-Mutterzellen selbst fanden sich B F Fig. 4. Entwicklung des Laubmoos-Antheridiums (Funaria hygrometrica). A bis E Längsschnitte; F, G Quer- schnitte; E rechtwinklig zu D. In B Bildung der Scheitel- zelle. H älteres Stadium. A bis G Vergrößerung 600, H Ver- größerung 300. Nach D. Campbell. Aus H. Schenck. Fig. 5. Marchantia poly- morpha. Ein fast reifes An- theridium im optischen Durch- schnitt, p Paraphysen. Ver- größerung 90. Nach Stras- burger. 190 Fortpflanzimg- der Gewächse (Moose) aber niemals Gebilde, welche sich ohne weiteres mit ihnen homologisieren ließen. Dafür traten inmitten eines Systems von strahlenförmig verlaufenden Fasern „Zentral- körper" auf. Sie werden seit längerer Zeit als ,,Blepharoplasten" bezeichnet und dürfen wohl sicher nicht, wie es z. B. Ikeno und Schaffner wollten, mit einem Centrosom Wir kämen also zu der entwickelten Spermatide(= Androcyte von Allen) und in Figur 7a und b sei noch eine solche für ein Lebermoos (Marchantia) dargestellt, um den stärker hervortretenden Blepharoplasten auch hier zu zeigen. Er spielt nun eine Rolle bei der Bildung der 2 Cilien und er- fährt dazu eine Reihe von charakteristischen ^ HP Fig. 6. Antheridienentwickhmg von Polytrichum juniperinum. Vergrößenmg ca. 3800. a Aii- drogone Zellen mit Polplatten ; b die Polplatte hat sich geteilt und ihre Teile befinden sich jetzt an den beiden Polen der sich bildenden Spindel; c androgone Zellen mit „Kinetosomen"; d desgl. Beginn der Spindelbildung; e Auftreten eines ,, Blepharoplasten'' in einer Spermatid- mutterzelle; i dieser hat sich geteilt und je einer steht an den Polen der sich bildenden Spindel. Nach Allen. gleichgesetzt werden (e). Ikeno glaubte, daß sie bei Marchantia aus dem Kerne hervorgehen und neuerdings gibt Wilson ähnhches für einige Laubmoose an. Aber diese Funde erscheinen bis auf weiteres noch zweifelhaft, zumal eine ganze Reihe von Autoren jeghche Beziehung zu den Nuclei mit aller Bestimmtheit leugnet. Der Blepharoplast teilt sich darauf in 2; diese gehen zu den beiden Polen der nun sich bildenden Spindel (f) und es resultieren schheßlich die Spermatiden. Diese letzte Teilung kann bei den Laub- moosen die Mutterzelle quer oder diagonal teilen; bei den Lebermoosen verläuft sie dagegen stets nur diagonal. Umformungen zu einem fadenförmigen Ge- bilde (Fig. 7c, d). Endlich in Figur 7e haben wir das entwickelte Spermatozoid (Antherozoid). Der Kern ist außerordentlich langgestreckt, der Plasmakörper mit Aus- nahme des ,.kinoplasmatischen" Teiles ganz auf ein Ende zusammengedrängt. Wir haben hier ganz ähnhche Bildungen, wie sie oben für gewisse Algen (vgl. 7, S. 174) geschildert wurden. Mehrfach finden sich, was nur der Voll- ständigkeit wegen bemerkt sein mag, auch Angaben darüber, daß während der Bildung der Spermatozoiden noch besondere Körper (,, Nebenkörper", ,, Limosphären" nach Wil- son usw.) auftreten, die sogar vielleicht vom Forti)flanzung der Gewächse (Moose) 191 Nucleolus des Spermatidenkerncs stammen, lieber ihre Funktion weiß man aber nichts und auch über ihre Bildung ist man wohl noch nicht einig. Nach ihrer Reife werden Fig. 7. Entwicklung der Spermatozoiden von Marchantia polymorpha. a die beiden Spermatiden sind eben durch eine Diagonal- wand aus einer Spermatidmutterzelle entstanden, b eine isolierte Spermatide mit Blepharoplast, c bis d Verlängerung des Blepharoplasten, gleichzeitig allmähliche Umänderung der Kern- strukturen, e reifes Spermatozoid. Nach Wood burn. die Spermatozoiden aus den Antheridien entleert. Bei den Lebermoosen lagern die Wandzellen, namentlich im oberen Teil des Antheridiums, Schleim auf ihrer nach außen gekehrten Zellwand ab. Und durch die hierdurch erfolgende Quellung reißt schließ- lich die Cuticula. Bei den Laubmoosen mit Ausnahme der Sphagnaceen existiert nur eine besonders differenzierte ,. apikale Oeff- nungskappe", die aus einer Zelle oder einer Zellgruppe besteht und ganz allein bei der Reife verquillt (Fig. 8). 3. Archegonien. Die Archegonien stehen wie die Antheridien in besonderen Ständen (Fig. 9; vgl. auch Bd. VI, 1059) und sind ebenso wie die Antheridien bei der Gesamt- gruppe der Moose recht einheitlich gebaut. Ueber ihre Homologie mit den Antheridien be- steht seit den Untersuchungen von Holferty wohl kaum ein Zweifel, wie die vielen Ueber- gangsbilder zwitteriger Formen beweisen. Wir können kurz zusammengefaßt sagen, daß eine starke Reduktion des,, Innenraumes" eingetreten ist und dann von den sämtUchen hier übrig gebhebenen Zellen nur noch ein einziger als Gamet funktionieren kann, während die anderen vorher zerstört und ihre Stoffe nur bei der Anlockung der (J Gameten mit verwandt werden. Ein typisches Archegon besteht im er- wachsenen Zustand aus einem ,,Hals"- und einem ,,Bauch"teil. Ersterer setzt sich aus einer peripheren Wandung und einem Innen- teil zusammen, den sog. „Halskanalzellen", letzterer besteht aus Bauch-Kanalzelle und Eizelle (Fig. 10). Die Archegonien entstehen aus einer Epidermiszelle wie die Antheridien und ragen mit einziger Ausnahme der Anthoceroten- Archegonien frei in „Papillenform" über den Thallus vor. Bei der genannten ab- weichenden Lebermoosgruppe bleiben sie eingesenkt, entstehen aber trotzdem exogen, also nicht wie die Antheridien, endogen. Wählen wir als Typus das Verhalten bei den Lebermoosen, so wäre folgendes zu sagen (Fig. 11): Es wird zunächst eine Fig. 8. Oeffnungskappe vonLaubmoosantheridien. 1 Funaria hygrometrica. In Außenansicht. 2 Entleertes Antheridium von Fig. 9. Archegonienstand Polytrichum; Oeffnung halbiert. 3 Spitze eines Antheridiums eines Mooses. aArchegonien, von Catharinea undrlata. Im Längsschnitt. Nach Goebel. b Hüllblätter. Nach Goe bei. 19:^ Forti)flanzung- der (Tewächse (Moose) Stielzelle abgeschnitten und darauf teilt sich die obere Zelle durch 3 zueinander geneigte Längswände, so daß eine zentrale von 3 peripheren Zellen geschieden wird. Letztere ; werden nach weiteren Teilungen zu der i Fig. 10. M a r c h an ti a p 0 1 y m 0 r p h a. A Junges, B geöffnetes, C befruchtetes Archegonium nach erfolgtem Beginn der Keimbildung, k' Hals- kanalzellon, k" Bauchkanalzelle, o Ei, pr Pseudo- perianth. Vergrößerung 540. Nach Strasburger. Wandung der Archegone, während die zentrale Zelle nochmals durch Querteilung eine Deckelzelle absondert. Diese hat nur Anteil an dem Aufbau der Wandung des Archegonien,,halses", die untere dagegen drängt sich schon frühzeitig zentral zwischen die in einer Ebene gelagerten Abkömmlinge der primären Deckelzelle, so daß diese bei der Halsbildung dadurch auseinandergetrieben werden. Aus der nun allseits nach außen abgeschlossenen Zentralzelle bilden sich durch eine weitere Teilung eine obere Zelle (die Mutterzelle sämtlicher ,, Halskanalzellen") und eine untere, welche sich wieder noch in eine ,,Bauchkanal"zelle und die eigent- liche Eizelle teilt. Bei den Anthoceroten wird die Mutterzelle der Halskanalzellen von der Deckelzelle und nicht von der Zentralzelle abgeschnürt (Fig. 12). Und lg. 11. Schema der Fig. 12. Entwicklung des An thoceroten- A r c h e g 0 n i u m s (N o t o t h y 1 a s o r b i c u 1 a r i s). a axiale Zelle, c Zentralzelle, d Deckelzelle, hk Halskanalzellen, bk Bauchkanalzelle, o Ei- zelle. Vergrößerung 600:1. Nach D. Campbell. Aus H. Schenck. für die Laubmoose gilt wieder als Haupt- differenz, daß die Archegonien ebenso wie die Antheridien (Fig. 13), mit einer zweischneidigen Scheitelzelle wachsen. Zunächst wird durch ihre Tätigkeit ein mehr oder weniger langer Arche- gonienstiel angelegt, dann — durch eine Quer- teilung (Fig. 13, II) — die eigentliche Archegon- Innenzelle abgeschnitten (A); diese kann sich darauf weiter durch Querwände in eine Zellreihe teilen. Gleichzeitig werden aber auch von der Deckelzelle nicht nur neue Segmente für die Wandzellen, sondern auch nach innen für den Ilalskanal abgesondert. Eine gemeinsame .Mutterzelle für sämtliche Halskanalzellen exi- stiert also bei den Laubmoosen nicht. Der Hals der Archegonien ist infolge der starken ; Tätigkeit der Scheitelzelle denn auch viel länger als bei den Lebermoosen mit ihrem ,, begrenzten" Archegonien -; Archegonwachstum. Haben wir bei diesen d Deckel- häufig nur 4 Halskanalzellen (Sphaerocarpus, entwicklung der Lebermoos ^ __ „ „ ^ „ , Zelle; st Stielzelle. 2 in Oberansicht; 1, 3, 4 im j Ricciaceen), so können sie bei den^ Laubmoosen Längsschnitt. Nach Goebel. , bis auf 30 steigen (Atrichum). Fortpflanzimg der Gewächse (Moose) 193 Im übrigen ist aber daran festzuhalten, daß die Differenzierung in viele Halskanal- zellen , eine Bauchkanalzelle und eine Eizelle, durchweg bei den Moosen ein- getreten ist. Gelegentlich sind Abnormi- Fig. 13. Mnium undulatum, Archegonien- entwicklung. Erst bei II ist das Archegonium (A) angelegt; st Stiel (bei IV nicht gezeichnet). Nach Goebel, täten beschrieben worden, wonach z.- B. 2 Eizellen übereinander, jede mit ihrer Bauchkanalzelle, vorhanden waren oder auch die Zahl der Halskanalzellen konnte sich abnorm vergrößern. Das wird uns nicht wundernehmen, wenn wir uns daran er- innern, daß wir die Archegonien ja über- haupt als reduzierte Bildungen aus den vielzelhgen Antheridien ansehen können, 4. Befruchtung, Die Befruchtung bei einem Moose scheint, nach der historischen Darstellung bei Allen, zuerst von Arnell bei Discelium nudum 1875 wirklich gesehen zu sein. Noch Strasburger war sich z, B, für Marchantia 1869 (Pringsheims Jahrbuch Bd. 7) nicht recht klar, ob in der Tat nur ein Spermatozoid und eine Eizelle in dem Copulationsakt fusionieren. Wir wissen sicher, daß die befreiten Sper- matozoiden in den schleimig degenerierten Halskanal des Archegons (s. auch Fig, 10 B) chemotaktisch hereingezogen werden. Be- reits 1869 war Strasburger für Marchantia der Ansicht, daß der Schleim „spezifisch" wirken müsse, aber erst durch die Unter- suchungen von Pfeffer wurde exakt nach- gewiesen, daß die geringen hierin enthaltenen Mengen Eohrzucker es sind, welche auf die Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV. (^Gameten einwirken (vgl. den Artikel „Bei z- erscheinungen der Pflanzen": Taxien [Chemotaxis]). Für Lebermoose hat dann erst Lidforss (Pringsheims Jahrbuch 41, 1904) gefunden, daß Proteinstoffe hier die gleiche KoUe spielen wie der Eohrzucker bei den Laubmoosen, und zwar vermochten Eiweiß- stoffe der verschiedensten Art, selbst Fer- mente wie die Diastase, die Samenfäden zu den Capillaren heranzuziehen. Für die Sphagnaceen ist ein chemotaktisch wirkendes Agens z. Z. noch unbekannt. Möglich ist eine Befruchtung bei den Moosen natürhch nur, wo die Spermato- zoiden schwärmen können, d. h. wo Wasser zur Verfügung steht. Wenn also durch den Standort nicht jeder Zeit genügende Wasser- mengen gewährleistet sind, so ist stets eine Befruchtung nur nach Kegen oder Tau denkbar. Aus dieser Abhängigkeit der Moos-Spermatozoiden vom Wasser hat man auch auf die Ableitung der Moose von Vorfahren, die ganz in Wasser lebten, schheßen wollen (s. unten „Farne"). Bei einigen Arten, wie z. B. Marchantia poly- morpha, scheinennoch besondere ,, Zuleitungs- gewebe" in Form von ozellenartigen Papillen auf den $ Gametophoren vorhanden zu sein, die capillar das spermatozoenhaltige Wasser aufsaugen. Eine Bastardierung durch Eindringen fremder Samenfäden in die Archegonien wäre denkbar, ist aber bisher noch nicht wirklich erwiesen. Ueber den tatsächlichen Moment der Kopulation der beiden Geschlechtszellen liegen wenig brauchbare Angaben vor. Für Funaria und andere ist an der Eizelle ein klei- ner ,, Empfängnisfleck" beschrieben worden. 5. Sporenbildung, Aus der be- fruchteten Eizelle geht, wie im Artikel ,,Moose" zu lesen, ein Embryo hervor, oder , wie wir auch sagen können , ein Sporophyt. Denn von dieser durch die Befruchtung ausgelösten ,, Generation" werden die Sporen gebildet. Der Anteil am Gewebe, der dem Archespor zukommt, ist bei den Laub- und Lebermoosen verschieden (näheres darüber im Artikel ,, Moose" p. 1061 ff., p. 1069, p. 1078 ff.). Im all- gemeinen kann man sagen, daß bei letzteren der größte Teil des Sporophyten dafür auf- gebraucht wird, während bei den Laub- moosen nur eine relativ schmale Partie um die ,,Columella" herum das Archespor repräsentiert (Fig. 14). Die Teilung der Sporen-Mutterzellen verläuft im Prinzip ge- nau so wie bei den höheren Pflanzen (Fig. 15), aber gerade bei den Moosen sind die Details wegen der Kleinheit der Kerne noch sehr strittig. Auch Hegen erst einige ganz wenige Pubhkationen vor. Die beiden Mitosen können sich sehr rasch aufeinander folgen 13 194 Fortpflanzimg der Gewächse (Moose) und die Sporenmutterzelle schon vor der ersten Kernteilung eigenartig vierlappig sein, t \ ? Fig. 14. Längsschnitt durch eine ganze Kapsel von Phascum. f Fuß, s Seta, c Columella, sp Archespor, sps Sporensack, gg Trennungslinie, zw Amphi- und Endothecium. Nach Kienitz- Gerloff. Fig. 15. Funaria hygrometrica, Querschnitte durch den Sporensack, bei A das Archespor (su), bei B die noch nicht isolierten Sporenmutter- zellen (sm) umfassend; a Außenseite, i Innen- seite des Sporensacks. Nach Goebel. wie z. B. bei der von Moore studierten Gattung Pallavicinia (= Blyttia; Fig. 16). Im übrigen dürften sich Leber- und Laubmoose prinzipiell gleich verhalten, wie aus den neuesten Untersuchungen von Wilson über letztere hervorgeht. Das Archespor kann sich dabei „paketweise" teilen, so daß die 8, 16, 32 Abkömmlinge einer Ur-ArchesporzoUo noch im nahezu reifen Zustande als zusammengehörig er- kannt werden können. Wilson tritt bei der Frage nach dem Modus der Chromosomenreduktion, die sich während der ersten (heterotypen) Kern- teilung vollzieht, für eine Metasyndese ein, doch ist das wohl noch nicht absolut gesichert. Centrosomen oder irgendwelche Fig. 16. Reduktionsteilung bei Blyttia. 1 Sporenmutterzelle in Synapsis, 2 Telophase der ersten Teilung, 3 Anfang der Rekonstitution der Tochterkerne am Ende der ersten Teilung, 4 Sporen. Nach Moore. Aus Lotsy. analogen Gebilde ließen sich nicht auf- finden. Doch schien es Wilson, als ob vom Nucleolus „nebenkörperälinhche" Sprossungen sich abschnürten, wie es auch oben für die Spermatogenese angegeben wurde. So resultieren aus einer Sporenmutter- zelle die üblichen 4 Sporen, wie das schon bei den Algen (Florideen) der Fall war. Sie sind durchweg mit einer dicken Membran umgeben und können auch längere zur Keimung ungünstige Zeiten lebend über- dauern. " Der Bau der Zellwand kann ziem- lich kompliziert sein. Als ein Beispiel für viele verweise ich auf die detaiUierte Schilde- rung, die von Beer (Ann. of Bot. Vol. 20, 1906) für Riccia gegeben wurde. Wir lesen da, daß vor allem das Exospor komplizierter, das Endospor dagegen einfacher gebaut ist. Die Sporen machen sich bald aus dem Tetradenverbande frei, nur bei Sphaero- carpus bleiben sie dauernd zusammen. Bei den Lebermoosen entwickeln sich nicht alle Archesporzellen schließlich durch Teilung zu Sporen. Wieindem Artikel über „Moose" (S. 1068 ff.) zu lesen ist, bilden sich einige auch zu Elateren oder zu Nährzellen um. Forti)flanzung der Gewächse (Moose) 195 Den Laubmoosen fehlen entsprechende Bil- dungen völhg. Ob den Moosen um das Archespor noch ein besonderes ,,Tapetum" zukommt, wie wir das bei den Farnen und in den Antheren der Phanerogamen kennen lernen werden (vgl. den Artikel „Fortpflanzung der Farne" usw.), ist eine Frage, die ver- schieden beantwortet werden kann. H annig (Flora 1911) macht wenigstens darauf auf- merksam, daß bei den Laubmoosen das Archespor von einer „Nährschicht" all- seitig umgeben ist, die man als „Vorläufer" eines Tapetums auffassen könne, und bei Goebel (Flora 1906) lesen wir, daß z. B. bei Dicnemon calycinum die Archespor- zellen durch das Eindringen dieser seithch gelegenen sterilen Zellen selbst voneinander getrennt werden können. Für die Leber- moose kann man höchstens den Antho- ceroteen ein primitives Tapetum zusprechen. 6. Gentrationswechsel, Chromosomen- zahlen, Bei den Moosen kann man nach unseren Ausführungen von einem strikten Generationswechsel sprechen (vgl. die Ein- leitung S. 187), und zwar würde die die Sexualorgane tragende gametophyte die ,,haploide"(x)Chromosomenzahl, die auf diese folgende sporophyte die ,,diploide" (2 x) Zahl besitzen. Viel wirkhche Zählungen sind allerdings noch nicht gemacht. Es mag bei dieser Gelegenheit erlaubt sein, auf das Wenige hinzuweisen, was wir hier exakt wissen. Danach sind als haploide Zahlen be- stimmt bei den Laubmoosen: Mniuni hornum 6, Bryum capillare 10, Polytrichum juniperinum 6, Pogonatum rhopalophorum 8, Atrichum angustatum 8, Atrichum undu- latum 17, Amblystegium serpens 12, Ambl. riparium 24 — bei den Lebermoosen: Riccia lutescens und crystalhna 4, R. glauca 7 bis 8, Pallavicinia Lyellii 8. Ueberall finden wir somit sehr niedrige Zahlen im Gegensatz zu den mit vielen Chromosomen ausgestatteten Farnen (vgl. den Artikel „Fortpflanzung der Farne"). Der Reduktionsteilung scheint bei den diöcischen Moosen die Aufgabe zuzufallen, die Geschlechter zu trennen. Wir wissen nämhch aus den Untersuchungen von Bla- keslee und Noll (Bot. Gaz. 42, 1906), daß das Lebermoos Marchantia, aus denen von El. und Em. Marchai, daß die diöcischen Laubmoose Barbula unguiculata, Bryum argenteum, Ceratodon purpureus im Sporo- phytennoch beide Geschlechter führen. Stras- burger (Histologische Beiträge 7, 1909) war es dann, der für Sphaerocarpus terrestris und californicus, deren Tetraden ja bei- sammen bleiben, nachwies, daß hier genau zwei Sporen zu i^, zwei zu $ Individuen aus- wachsen. Wird bei den Laubmoosen künst- lich die Reduktionsteilung unterdrückt, wie bei den gleich zu besprechenden „aposporen" Pflänzchen, so entstehen auch anstatt der diöcischen ,,synöcische" Exemplare, mit beiderlei Geschlechtsorganen in einem Gametangienstande. 7. Aposporie, „Plurivalente" Moos- Rassen. Wir werden weiter unten sehen, daß bei den Farnen häufig aus einer Sporo- phyt-Generation adventiv wieder ein Sporo- phyt hervorgehen kann. Das kommt bei den Moosen nicht vor. Hier tragen die Adventivbildungen an Sporophyten aus- schMeßlich gametophyten Charakter. Es handelt sich also um eine Aposporie. Sie ist bei einer ganzen Reihe von Laub- moosen nicht schwer hervorzurufen, in- dem durch Verwundungen des Sporogons oder dessen Stieles Protonemafäden künst- hch austreiben. Das hatte schon Stahl 1876 gesehen, das war von Prings- heim und Correns bestätigt worden, aber erst El. und Em. Marchai kultivierten dann diese Protonemen weiter, bis sie beblätterte Moospflänzchen mit Ge- schlechtsorganen hervorbrachten. Cyto- logisch unterschieden sich diese apospor erzeugten Lidividuen von den normalen dadurch, daß sie die doppelte Chromosomen- zahl von der normalen besaßen. Es war somit eine ,, bivalente" Rasse durch das Experiment hervorgerufen. Diese war leider bei den diöcischen Moosen total steril, bei den monöcischen (Amblj^stegium serpens, A. subtile, Barbula muralis) dagegen fertil. So konnte eine Kopulation zweier diploider Gameten zu einem didiploiden Sporophyten erreicht werden. Dieser vermochte ganz normal seine Reduktionsteilung durchzu- machen und wieder diploide Sporen zu er- zeugen. Die bivalente Rasse war also dauernd lebensfähig. Ja, bei Amblystegium serpens konnten die beiden Forscher durch erneute künsthch induzierte Aposporie ein — jetzt ,,tetravalentes" — Protonema mit 4 X Chromosomen hervorrufen. Diese Rasse bheb aber steril, eine Anhäufung von 8 x Chromosomen durch eine Kernverschmelzung bei der Kopulation erwies sich als un- möghch. Von ganz besonderem Interesse ist die bivalente Rasse von Phascum cuspidatura. Denn sie ist von der Univalenten in ihrem Habitus total verschieden. Mit der Chro- mosomenverdoppelung sind ,,neue Merk- male" aufgetreten, die sich sicher auch durch die Vererljung fixieren ließen, wenn die Rasse fertil wäre. Das ist nun leider nicht der Fall. Aber auch so scheinen hier die Be- ziehungen zwischen Chromosomenvermehrung und ,, Mutation" klar vor Augen zu liegen. Häufig ist bei den Moosen die „normale" Vermelu-ung durch vegetative Brutzellen 13* 196 Fortpflanzung der flewächse (Moose) — (Farne) ersetzt. Doch wurde darüber bereits in dem Artikel „Moose" berichtet. 8. Chromatophoren- Reduktion. Zum Schluß sei mit ein paar Worten noch auf die Frage eingegangen , ob ein der Chromosomenreduktion analoger Vorgang für die Chromatophoren existiert, wenigstens in den Fällen, bei denen eine bestimmte Zahl für die Zellen charakteristisch ist, wie bei den Anthoceroten. Man bringt be- \ kanntlich die Chromosomen in Verbindung! mit Uebertragung der „Erbsubstanzen" und hat daraus auch eine absolute Sonderstellung der Phänomene postuhert, die sich bei ihrer Keduktion abspielen. Da nun gerade bei vielen Moosen die Zahl der Chromatophoren in der Zelle schon so „fixiert" ist wie sonst nur die der Chromosomen, so konnte man denken, daß auch die lirreichung dieser Zahlen ähn- lich vor sich gehen würde. Nemec hat (1910) nachgewiesen, daß das nicht der Fall ist, und damit die Sondererscheinungen bei den Chromosomen in ein besonders helles Licht gerückt. Auf die erst kürzhch publi- zierten Untersuchungen von Sapehin (Ber, d. Deutsch. Bot. Ges. 1911), in welcher Weise den Sporen der Laubmoose und vieler Anthoceroten überhaupt nur ein einziges Chromatophor zugeteilt wird, während die vegetativen Zellen deren viele besitzen, sei an dieser Stelle nur verwiesen. Literatur. Außer den in dem Artikel ,31oose" angeführten Arbeiten und den im Text kurz ge- gebenen Hinweisen seien hier noch genanvt: Ch. E. Allen, Cell sfructure, growth and division in the antheridia of Polytrichum juni- perinum Willd. Archiv f. Zellforschung, Bd. 8, IQ12. — F. Cavers, The interrelationships of the Bryophyta. Neio Phytology, reprint No. 4, Cambridge 1911. — G. M. Holferty, The arche- gonium of Mnium cuspidatum, Bot. Gas. vol. Tf] , 190^. — El. und Em. Marchai, Eecherches experimentales sur la sexuaUte des spores chez les mousses dioiques. 31em. Acad. roy. Belgique Gl. d. sc, IL ser., t. L, 1905. — Dieselben, Aposporie et sexualite chez les mousses I — III. Bidl. Acad. roy. Belgique Cl. d. sc, 1907, 1909, 1911. — A. C. Moore, Sporogcnesis in Palla- vicinia. Bot. Gaz. vol. 40, 1905. — H. Schenck, lieber die Phylogenie der Archegoniaten und der Characeen. Englers Jahrbuch, Bd. 42, 1908. — M. Wilson, On Spore formation and nuclear division in 3Inium hornum. Ann. of Bot, Vol. 2^, 1909. — Derselbe, Spermatogenesis in the Bryophyta. Ann. of Bot., Vol. 2$, 1911. — W. L. Woodbnrn, Spermatogenesis in certain Hepaticac. Ann. of Bot., Vol. 25, 1911. G. Tischler. b. Farne. 1. Der Entwickelungsgang eines Farnes. 2. Unregelmäßigkeiten in dem Entwickelungs- zyklus. 3. Das Verhalten der Kerne. 4. Theorien über den Generationswechsel. 5. Antheridien und Aixhegonien. 6. Befruchtung. 7. Entwickelung des Embryos. 8. Sporangien. 9. Vergleichung der Antheridien, Archegonien und Sporangien. 10. Heterosporie. I. DerEntwickelungsgangeinesFarnes. Der gemeine Wurmfarn, Dryopteris (Nephrodium, Aspidium) filix-mas (L.) Schott., soll als Beispiel für den Entwicke- lungsgang eines Farnes dienen. Er hat einen schräg liegenden, ausdauernden Stamm mit einem endständigen Büschel von Blättern. Die abfallenden Blätter lassen ihre Basis am Stengel zurück, und diese Blattbasen bedecken den älteren Teil des Sprosses. In den Boden sendet der letztere dünne Wurzeln. Die Pflanze ist also physiologisch selbständig: sie besorgt ihre Ernährung durch die Assimilation ihrer Blätter und durch die Wasseraufnahme ihrer AVurzeln. Dies ist der Sporophyt oder die sporentragende Generation (Fig. 1). Die Erzeugung der Sporen geschieht an den assimilierenden Blättern; unser Farn steht also auf einer niederen Stufe der Diffe- t>. -^ Fig. 1. Drypoteris filix-mas (L.) Schott. Verkleinert. A Sorus, quer durchschnitten. Nach Kny. B Fiederchen mit jungen, noch vom Indusium bedeckten Sori. C Desgleichen in älterem Stadium mit geschrumpftem Schleier. Aus Straßburgers Lehrbuch. Fortpflanzung der Gewächse (Farne) 197 renzierung. An der Unterseite der Fieder- blätter sitzen die sogenannten Sori, das sind Häufchen von kleinen Kapseln, Spo- rangien, die auf einer wulstigen Erhebuug des Blattes, dem Keceptakulum, sitzen, und von dem häutigen Indusiiim wie mit einem Schirm überdeckt werden (Fig. 1, A, B, C). Jedes Sporangium besteht aus einem Stiel und einer auf diesem sitzenden linsenförmigen Kapsel. Sie ist umgeben von einem Ring verdickter Zellen (dem Annulus). Die Zellen des Ringes bleiben an einer Seite des Sporangiums unverdickt, und an dieser Stelle bricht die Kapsel bei der Reife auf. In der Kapsel werden zahkeiche Sporen gebildet, sie sind alle gleichgestaltet und bestehen aus einer einzigen Zelle, die schüt- zend umgeben ist von einer rauhen, dunkel gefärbten Wand. Sind die Sporangien reif, so iritt eine Gestaltsänderung der Zellen des Ringes ein. Der ganze Ring streckt sich allmählich gerade, kehrt dann aber plötzlich wieder in seine alte Form zurück. Dadurch werden die Sporen mechanisch herausgeschleudert. Das Aufreißen des Sporangiums und die Bewegungen des Ringes haben ihre Ursache in der Austrocknung der Ringzellen (vgl. den Artikel ,, Bewegungen der Pflanzen"). Jedes Sporangium produziert gewöhnhch 48 Sporen," in einem Sorus mögen etwa 100 Sporangien stehen, auf jedem Blatt befinden sich ziemlich viele Sori; eine einzige Pflanze erzeugt also in einem Jahr viele Millionen von Sporen. Jede einzelne Spore hat einen Kern und Protoplasma, enthält also die für das Leben des Indi- viduums wesenthchen Bestandteile. Die große, ausdauernde Farnpflanze oder die sporentragende Generation, wie wir sahen, erhält und ernährt sich selbständig jahrelang als Landpflanze ; es besteht an und für sich keine Frenze für ihr Alter. Für den Laien ist sie der „Farn" schlechthin, da von ihm in der Regel der unscheinbare Gametophyt nicht beachtet wird. Der Sporophyt ist auch imstande sich rein vegetativ fortzupflanzen. Auf den älteren Blattbasen werden Knospen gebildet, die Blätter und Wurzeln hervorbringen. Die jungen Pflanzen, die der Mutterpflanze in allem vollkommen gleichen, können sich von dieser loslösen und selbständig weiter- leben. Diese Erscheinung wird als Knospen- bildung bezeichnet (Brutknospen). Sie be- gegnet uns bei vielen Farnen wieder, in Einzelheiten natürHch verschieden. Sehr häufig tritt sie auch auf bei den Lycopo- dinen, während sich bei Equisetum und Psilotum unterirdische Bulbillen finden. Das Resultat ist immer eine rein vegetativ entstehende Wiederholung der Charaktere der Mutterpflanze, eine Wiederholung, die viel- mal nacheinander vor sich gehen kann. Die aus den Sporangien entleerten Sporen bedürfen zur Keimung einer angemessenen Feuchtigkeit und passenden Temperatur. Sind diese vorhanden, so wird die umgebende Haut gesprengt, der Inhalt der Zelle tritt heraus, und mit fortschreitendem Wachstum setzen Zellteilungen ein. Der Zellkörper, der so entstellt, heißt das „Prothallium"; er ist gewöhnhch anfangs zungenförmig, um schheßhch Herzform anzunehmen. (Fig. 2, A). Das Prothalhnm hegt flach Ww '^ Fig. 2. Dryopteris filix-mas (L.) Schott. A Prothanium von der Unterseite: ar Arche- gonieii, an Antheridien, rh Rhizoiden. B Pro- thalliiim mit jungem Farn, der mit seinem Fuße an ihm festsitzt: b erstes Blatt, w erste Wurzel. Vergrößerung ca. 8-fach. AusStraß- burgers Lehrbuch. oder schräg dem Substrat an und ist an diesem durch zahlreiche Rhizoiden befestigt, die, von der Unterseite entspringend, als Wurzeln funktionieren. Es ist grün und kann sich ernähren durch Photosynthese, ist also morphologisch und physiologisch unab- hängig von der Farnpflanze. Wir sehen in dem Prothalhnm die andere Generation, den Gametophyten. Vermehrung durch Knospnng tritt bei den Prothallien in der Regel nicht ein, nur in einigen Fällen ist das zu beobachten. Be- sondere ,, Gemmen" können gebildet werden, aus denen nach der Trennung vom Mutter- Prothallium rein vegetativ neue Prothallien entstehen. Oder in einigen wenigen Fällen können Stücke des Pro'thaUiums sich los- lösen und selbständig weiterwachsen, wo- durch vegetative Vermehrung bewirkt wird. Diese Art der Vermehrung heißt: Knospung oder Sprossung des Gametophyten, Sie findet sich bei den Farnen nur gelegentlich, ist aber bei einigen anderen 198 Fortpflanzung der Grewäclise (Farne) Pteridophyten häufig, und ganz allgemein vorhanden bei den Brj'ophyten. Der Gametop hyt hat seinen Namen daher, weil er die Sexualzellen oder Gameten trägt, und zwar werden in den An t her i dien die männlichen Gameten oder Sperma- tozoiden, in den Archegonien je ein weiblicher Gamet, das Ei, erzeugt. Antheridien und Archegonien sitzen oft beisammen auf demselben Prothallium, das man dann als hermaphrodit bezeichnen kann (Fig. 2, A). Aber es kommt auch häufig vor, besonders in dicht wachsenden Kulturen, daß die Prothallien eingeschlecht- lich sind. Auch auf den hermaphroditen ProthaUien besteht eine zeitliche Trennung der Geschlechter; die Antheridien reifen gewöhnhch zuerst, dann folgen die Arche- gonien langsam nach. In dem verhältnis- mäßig langen Zeitraum ihrer Entwickelung kann dann fortwährend Befruchtung ein- treten. Damit ist reichlich Gelegenheit zur Kreuzung gegeben, doch wird auch Selbst- befruchtung häufig eintreten. Die Sexualorgane sitzen an der Unter- seite des Prothalliums, die Antheridien näher an der Basis, die Archegonien dicht an dem herzförmig eingebuchteten Scheitel. Die Antheridien sind halbkugelige Gebilde (Fig. 3; vgl. auch unten S. 204). Das reife Antheridium sich nach unten vorstreckt (Fig. 4). Auch hier muß Wasser von außen zutreten, um das Archegonium zu öffnen. Der Hals wird dadurch an seiner Spitze nach außen ge- öffnet, und von dieser Oeffnung führt nun ein Kanal durch den Hals hindurch in den Bauch des Archegoniums, zum Ei , das ziem- Fig. 3. Polypodium vulgare L. A Reifes, B entleertes Antheridium. p Prothalliumzelle, 1 und 2 Ringzellen, 3 Deckelzelle. A und B Ver- größerung 240-fach. C und D Spermatozoiden. Vergrößerung 540-fach. Aus Straßburgers Lehrbuch. platzt, wenn Wasser von außen zutritt, da der in ihm enthaltene Schleim aufquillt. Die in ihm gebildeten Spermatozoiden gelangen in das umgebende Wasser, in dem sie init Hilfe von Geißeln frei herum- schwimmen. Das Farn-Archegonium ist wie das gleich- namige Organ der Moose ein tlaschen- förmiges Gebilde (vgl. S. 192), das mit seiner Basis in das Gewebe des Prothalliums eingesenkt ist, während der zylindrische Hals Fig. 4. Polypodium vulgare. A unreifes Archegonium: K' Halskanalzelle, K" Bauch- kanalzelle, 0 Ei. B reifes, geöffnetes Arche- gonium. Vergrößerung 240-fach. Aus Straß- burgers Lehrbuch. lieh an der Basis des ganzen Gebildes ge- lagert ist (Einzelheiten vgl. S. 205). Die Be- fruchtung erfolgt, indem ein Sperma- tozoid mit dem Ei verschmilzt. Das von außen auf das Prothallium kommende Wasser ist also das Medium, das zum Vollzug der Befruchtung not- wendig vorhanden sein muß, man kann experimentell nachweisen, daß bei Abwesenheit dieses Wassers die Sexual- organe sich nicht einmal öffnen. Die Verschmelzung des Spermatozoids mit dem Ei ergibt eine Zelle, Zygote ge- nannt, die sichsofort mit einer Wand um- hüllt. Diese Zelle bildet (^en Ausgangs- punkt für die Entwickelung einer neuen Farnpflanze ähnlich derjenigen, von der wir oben ausgingen. Die Zygote wächst, geht wiederholte Zellteilungen ein, und bildet so einen Embryo, der zunächst noch von dem Prothallium ernährt wird, auf welchem er als Parasit lebt. Dann differen- ziert sich das Gewebe des Embryos in Stengel, Blatt und Wurzel, ein einem Haustorium ähnliches Organ stellt die Verbindung mit dem Prothallium her (Fig. 5). Der Zustand der Abhängigkeit vom Prothallium dauert, bis die junge Pflanze ein Blatt und eine Wurzel gebildet hat, die ihre Aufgabe er- füllen. Dann verfault das Prothallium, und die junge Pflanze lebt nun weiter als selbständiger „Farn", mit all den charakte- ristischen Merkmalen des Sporophyten, von dem wir ausgingen. Nun ist der Entwicke- ln ngsgang vollendet. Fortpflanzung der Gewächse (Farne) 199 Wir haben gesehen, daß er sich aus zwei verschiedenen Phasen, Generationen genannt, zusammensetzt; zweimal im Laufe Fig. 5. A Pteris serriiJata. Aus (iem Arche- goniinn befreiter Embryo im Längsschnitt. Nach Kienitz-Gerloff. I Basalwand, 11 Trans- versalwand, die die Eizelle in Quadranten teilt: f Anlage des Fußes, s des Stammscheitels, b des ersten Blattes, w der Wurzel. B Pteris aquilina. Weiterentwickelter Embryo. Nach Hofmeister. f Fuß, noch im erweiterten Archegoniumbauch, aw steckend, pr Prothallium. Vergrößerung. Aus Straßburgers Lehrbuch. seines Lebens ist der Farn repräsentiert durch eine einzige Zelle, nämlich einmal durch die von der eigentlichen Farnpflanze erzeugte Spore, und dann durch die Zygote, die im Prothallium entsteht. Zwischen diesen beiden Grenzsteinen liegen zwei aus- gedehntere Entwickelungsstadien, nämlich das Prothallium oder der Garaetophyt und die Farnpflanze oder der Sporophyt. Diese wechseln miteinander regelmäßig ab. A er- zeugt B und dann B wieder A und so immer fort. Die zwei Generationen sind sehr von- einander verschieden in der äußeren Gestalt und im Bau des Gewebes, sowie in ihrer Beziehung zum Wasser. Die Farnpflanze ist strukturell ein dem Leben auf dem Lande angepaßter Organismus, unser Wurmfarn lebt bei den durch unsere Atmosphäre ge- wöhnhch gegebenen Bedingungen. Zudem ist ja Trockenheit notwendig zur Erfüllung seines Lebenszweckes, nämlich bei der Aus- streuung der Sporen. Das ProthalHum, auf der anderen Seite, ist schlecht ausgestattet für den Aufenthalt in trockener Luft, und sein Lebenszweck, die Befruchtung, kann sogar nur bei Gegenwart von äußerem Wasser erreicht werden. Nun kann mit Kecht die Befruchtung für das wichtigste Ereignis im Leben der Pflanze halten. Ihre absolute Abhängigkeit vom Vorhan- densein des Wassers bei den Farnen ist also eine Tatsache, die beachtet werden muß. Ein Farn ist ein Organismus, der sozusagen mit einem Fuß im Wasser, mit dem anderen auf dem Lande lebt; er ist in gewissem Sinn amphibisch. Diese einander ablösenden Entwickelungsstufen mögen ihre Entstehung einer Auswanderung unserer Organismen aus dem Wasser auf das feste Land ver- danken. Der Gametophyt ist das konser- vative Stadium, er hat bis zu einem gewissen Grade die ,, Wassercharaktere" beibehalten; der Sporophyt ist das neu Entstandene, er hat Charaktere angenommen, die dem neuen Wohnort angepaßt sind. Das beigefügte Schema zeigt die Auf- einanderfolge der verschiedenen Ereignisse in dem vollständigen Lebenslaufe eines Farnes (Fig. 6). Es sei erwähnt, daß ein Knospungi des Ga/rielop/iytai Fig. 6. Schema, das die aufeinanderfolgenden Phasen in der Lebensgeschichte einer Pterido- phytenpflanze zeigt. ähnlicher Entwickelungszyklus auch für die anderen Pteridophyten aufgestellt worden ist. Die Einzelheiten in der Form und das Verhältnis der beiden Generationen mögen verschiedene sein, das Schema ist für alle dasselbe. Es gilt auch für die Bryophyten, nur daß hier der Sporophyt zeit seines Lebens vom Gametophyt abhängig ist, letzterer also die beherrschende Generation darstellt. 2. Unregelmäßigkeiten in dem Ent- wickelungszyklus. Natürlich wird sich die Frage erheben, ob der Lebenslauf eines Farnes oder auch anderer Archegoniaten 200 Fortpflanzimg der Gewächse (Farne) sich immer streng nach dem Schema abspielt, wie wir es in Figur 6 dargestellt sehen. Bei vielen Pteridophyten, so bei den Lycopo- diales und Eqiüsetales ist das mit ziemlich großer Regelmäßigkeit der Fall. Aber bei den Farnen sind häufige Abweichungen von jener regelmäßigen Reihenfolge be- obachtet worden. Diese Abweichungen lassen sich in zwei Gruppen vereinigen; die eine Gruppe umfaßt die Erscheinungen der Aposporie, die andere die der Apo- gamie. Wir sprechen von Aposporie, wenn durch rein vegetatives Wachstum ein direkter Uebergang von den Geweben und Or- ganen des Sporophyten zu solchen statt- findet , die charakteristisch sind für den Gametophyten. Das ist der Fall, wenn bei gewissen Farnen ein richtiges Pro- thalhum entsteht, ohne daß vorher eine Spore gebildet wurde. Dieses kann von dem Sorus oder selbst aus den Zellen eines Sporangiums erzeugt werden, ohne daß dabei das innere Gewebe, aus dem die Sporen entstehen, beteihgt wäre. Die apospore Entwickelung geht aber auch von anderen Stellen als dem Sorus aus, so häufig vom Scheitel, oder von dem Rande, oder von der Oberfläche eines Fiederchens (Fig. 7). Von jungen Pflanzen weben und Organen, die charakteristisch für den Gametophyten sind, zu solchen, die den Sporophyten kennzeichnen, ohne daß da- zwischen ein Sexualakt stattfindet, bezeich- nen wir als Apogamie. Der häufigste Fall ist der, daß auf einem anscheinend normalen Pro- thalüum, ohne BeteiUgung der Eizelle, eine Junge Pflanze entstellt durch direktes Aus- i wachsen vegetativer Zellen, obgleich die Lage, 1 die die junge Pflanze einnimmt, dieselbe sein kann, wie die eines normal gebildeten [ Embryos (Fig. 8). Das apogame Wachstum ! tritt jedoch nicht immer so regelmäßig in 1 die Erscheinung; in manchen Fällen zeigt I es unzweifelhaft abnorme Formen. [ Lang hat Fälle beschrieben, in denen j zehn oder mehr Wurzeln gebildet wurden ohne die übrigen Gheder des Sporophyten. In anderen Fällen hat man auf dem Pro- thallium vereinzelt stehende Sporangien gesehen, ohne die normalen vegetativenOrgane des Sporophyten. Immer aber ist die wesent- liche Bedingung erfüllt, daß von dem Pro- thalham ohne Sexualakt Gewebe und Or- gane erzeugt wurden, welche für den Sporo- phyten charakteristisch sind. Wir sehen also, daß der Uebergang von einer Generation zur anderen nicht absolut ; vermittels der Spore bezw. der Zygote zu Fig. 7. Polystichum angulare, var. pulcherrimum. Fiederblätt- chen, das dicht am Scheitel ein Prothallium mit Archegonien (arch) gebildet hat; ein Beispiel apikaler Aposporie. Vergrößerung 10-fach. Fig. 8. Pteris cretica L. Ein ganzes Prothallium von der Unterseite gesehen, mit jungem, apogam entstandenem Sproß: p Prothallium, b^ erstes Blatt, v Stammscheitel des apogamen Sprosses, w die Wurzel. Nach de Bary. abgetrennte Blätter, im feuchten Raum kul- 1 geschehen braucht, da ja das kritische Er- tiviert, zeigen ganz besonders diesen Ent-eignis, nämlich die Erzeugung der Spore wickelungsmodus; und häufig findet man ! bezw. der Zygote, gar nicht immer als je- ihn bei gewissen Farnen, die mutmaßlich | weiliger Abschluß der betreffenden Generation Bastarde sind. eintritt. Dieser Mangel an scharfen Grenzen Den umgekehrten Uebergang, von Ge- zwischen den beiden Generationen der Fortpflanzung der Grewächse (Farne) 201 archegoniaten Pflanzen haben Anlaß zu mancher Diskussion gegeben, und die Meinungsunterschiedehaben sich konzentriert auf die Frage nach dem Ursprung der beiden Generationen. Davon soll weiter unten gesprochen werden. 3. Das Verhalten der Kerne. Infolge des Mangels an scharfen Unterscheidungs- merkmalen zwischen den beiden Gene- rationen erscheinen Diskussionen wie die obigen endlos und fruchtlos. Als ein willkom- mener Fortschritt in dieser Frage wurde es deshalb begrüßt, als man entdeckte, daß zwischen den zwei Generationen cyto- logische Unterschiede bestehen. Die ganze Lehre vom Generationswechsel bei den Archegonien schien dadurch auf einen höheren Standpunkt gerückt. Die Kernteilung verläuft ja (vgl. den Artikel „Zelle") nach bestimmten Regeln. Aus dem Kern schälen sich die Chromo- somen stets in konstanter Zahl heraus. Jeder Tochterkern erhält die Hälfte des Chromatins des Mutterkerns. Die Zahl der Chromosomen ist bei jeder Pflanze annähernd konstant, aber nur in der jeweils zur Untersuchung gelangenden Generation. Strasburger zeigte nämlich, daß betreffs der Zahl der Chromosomen ein Unterschied zwischen den beiden Gene- rationen besteht. Er stellte fest, daß die Zahl der Chromosomen, die bei den Teilungen der Kerne des Gametophyten auftreten, nur halb so groß ist wie diejenige, die sich in den Kernen des Sporophyten findet. Er zeigte ferner, daß periodische Reduktion der Chromosomenzahl auf die Hälfte stattfindet bei der Tetradenteilung, die der Bildung der Sporen vorangeht. Damit be- ginnt der Gametophyt. Auf der anderen Seite muß bei der Befruchtung eine Ver- doppelung der Chromosomenzahl eintreten, bei jenem Prozeß also, der dem Sporophyten den Ursprung gibt. Auf Grund dieser Befunde hat man den Sporophyten als die diploide oder die 2x-Generation, den Gametophyten als die haploide oder die x-Generation bezeichnet. Die Sporenmutterzelle einerseits und das be- fruchtete Ei andererseits stellen also die Uebergangspunkte von einer Chromosomen- zahl zur anderen dar; sie sind die Grenzen zwischen den zwei Generationen. Fragt sich nun, wie verhält es sich mit der Zahl der Chromosomen in den Fällen, wo Apogamie bezw. Aposporie vorkommt. Bei Aposporie entsteht, wie wir sahen, die neue Generation ja nicht aus Zellen, die normalerweise die Sporen bilden, sondern aus Zellen der Wand des Sporangiums oder sonstwo. Nun hat Farmer gesagt, daß der Begriff „Aposporie" implizite ver- lange, daß keine Reduktionsteilung im Entwickelungsgang des Organismus auf- trete. In der Tat hat Digby gezeigt, daß für Nephrodium pseudo-mas, var. cristata apospora, wo das ProthaUium direkt aus dem Rande oder der Oberfläche eines Blattes hervorgeht, jeghche Reduktion unterbleibt; hier haben sowohl der Sporophyt wie der Gametophyt ungefähr 50 Chromosomen (Fig. 9). Ein anderes Beispiel ist Athyrium X. Fig. 9. Nephrodium pseudo-mas, var. cristata (Cropper). Apogamer Uebergang vom Prothallium zum Sporophyt, und darauffolgend die apospore Entstehung des Prothalliums am Scheitel und Rande des Blattes. Nach Lang. filix foemina, var.clarissima. Bei diesem Farn finden wir Apogamie und Aposporie, und die cytologischen Untersuchungen er- geben, daß die Chromosomenzahl durch den ganzen Entwickelungsgang dieselbe ist, nämhch ungefähr 90: das ist annähernd die Zahl, die wir bei dem diploiden Stadium des normalen A t hy ri um filix-foemi na finden. Also ist die Reduktion einfach unterblieben. Da nun das ProthaUium schon selbst diploid ist, so wäre konsequenterweise Befruchtung unnötig, um einen diploiden Sporophyten zu erzeugen. Apogame Sprossung würde ge- nügen. Farmer hat es auch ausgesprochen, daß wo Aposporie schon vorhanden, Apogamie eine notwendige Folge ist. Beide Erschei- nungen sind von Strasburger beobachtet worden bei Marsilia Drummondii A. Br, Etwas anders liegt die Sache nun bei Lastraeapseudo-mas, var.polydactyla. Hier wird zwischen zwei benachbarten Zellen des Prothalliums die Wand partiell aufgelöst, der Kern der einen Zelle wandert 202 Fortpflanzung der Gewächse (Farne) in die andere hinüber. Dieser Vorgang wird als eine Art irregulärer Befruchtung betrachtet; denn die beiden Kerne ver- schmelzen schließlich. Der aus dieser Zelle entstandene Sporophyt zeigt bei allen Teilungen seiner Kerne die doppelte Chro- mosomenzahl, gerade so wie die normal aus dem Sexualakt hervorgehende Pflanze. Es ist klar, daß wir es hier mit einer ge- ringeren Abweichung von dem normalen Zyklus zu tun haben, als bei den oben (S. 200) beschriebenen Fällen. Natürlich folgt hier auch keineswegs Aposporie, sondern die Sporen werden ganz normal gebildet. Wir haben also in Wirklichkeit zwei Typen von Apogamie: der eine Typus ist repräsentiert durch Athyrium filix-foe- mina, var. clarissima, wo keine Kern- verschmelzung stattfindet; der Gametophyt ist hier schon diploid, da die Reduktions- teilung unterbleibt; den anderen Typus sehen wir in Lastraea pseudo-mas, var. poly- dactyla, wo irreguläre Kernfusion eintritt, im übrigen aber der normale Kernzyklus in keiner Weise gestört ist. Es scheint, als ob bei dem ersteren Typus die Reduktion auf irgendeine Weise verhindert würde, vielleicht infolge einer Ungleichheit der Zahl der Chromosomen der Eltern. Nicht zu vergessen ist, daß einige der in Betracht kommenden Formen sehr wahrscheinlich Bastarde sind. Ein Unterschied in der Zahl der Chromosomen bei den Eltern ergäbe eine Verwirrung bei der Tetradenteilung, wenn, wie angenommen wird, die Paarung der elterlichen Faktoren (Merkmale) zu Beginn jenes Prozesses stattfindet. Bei dem zweiten Typus, vertreten durch Lastraea pseudo-mas, var. polydactyla, ist die irreguläre Kernverschmelzung nichts anderes als ein Ersatz für die normale Sexualität. Wir haben oben gesehen, bei Athy- rium filix-foemina, var. clarissima, daß der Gametophyt diploid sein kann. Bleibt die Frage: gibt es auch irgendwo einen haploiden Sporophyten ? Dies ist wohl der Fall bei Lastraea pseudo-mas, var. cristata Dr. ; hier entstehen die Prothalhen direkt an den Blättern, also apospor. Die Chromosomenzahl, die innerhalb gewisser Grenzen schwankt (60 bis 78), bleibt an- nähernd die gleiche während des ganzen Entwickelungsganges; sie ist die Hälfte der Zahl, die wir normalerweise bei Lastraea pseudo-mas finden (144). Hier ist also während des ganzen Entwickelungsganges, den Sporophyten eingeschlossen, die haploide Chromosomenzahl vorhanden. Aehnlich bei Nephrodium molle, die auf dem Pro- thallium entstehenden Sporophyten haben 64 bis 66 Chromosomen, das ist" die für das ProthaUium charakteristische Chromosomen- zahl. Alle diese Tatsachen lassen klar erkennen, daß die aus der Verschiedenheit der Chro- mosomenzahl bei den miteinander ab- wechselnden Generationen gezogenen Schlüsse nicht ohne weiteres verallgemeinert werden dürfen. Man könnte sogar dadurch veranlaßt sein, auf Chromosomenzahlen keinen Wert zu legen. Aber es muß doch daran erinnert werden, daß trotz der Häufigkeit der er- wähnten Abweichungen doch weitaus die Mehrzahl der Farne den normalen Entwicke- lungsgang durchmacht, und das gilt noch mehr für andere Abteilungen der Pterido- phyten. Das Verhältnis der Chromosomen - zahlen, wie es für gewöhnhch zwischen den beiden Generationen besteht, behält seine Bedeutung; auch wird es dieihm zukommende Rolle spielen bei der Erforschung der Geschichte der vergangenen Formen. Zudem erscheint es doch wahrscheinlich, daß diese Abnormitäten nicht etwas darstellen, das einen festen Platz einnimmt in der Stammes- geschichte der Pflanzen, bei denen sie auf- treten. Anders läge die Sache, wenn in einem der großen Stämme sich ein Zweig fände, der diese abweichenden Charaktere definitiv erworben hätte: z. B. ein perma- nenter Archegoniatenstamm ohne jede Chromosomenunterschiede. Aber ein solcher ist durchaus nicht vorhanden. Ueberall finden wir dasselbe: aus dem haploiden Ga- metophyten entsteht durch die Befruchtung der diploide Sporophyt, der bei der Teilung der Sporenmutterzellen Reduktion auf- weist, so daß aus den Sporen wieder das haploide Prothallium hervorgeht. Das geht so konstant vor sich, daß die Erkenntnis dieses Entwickelungsganges als des ,, nor- malen" nicht erschüttert werden kann durch Unregelmäßigkeiten, die alle den Charakter individueller und wohl nicht dauernder Ab- weichungen tragen. Die Annahme, daß der oben geschilderte Zj^klus bei den heutigen Archegoniaten und bei ihren Vorfahren der normale ist und war, wird nicht er- schüttert. 4. Theorien über den Generations- wechsel. Die Erkenntnis, daßdie Ontogenie der Archegoniaten in zwei miteinander ab- wechselnden Phasen verlaufe, die normaler- weise verschiedene Chromosomenzahlen be- sitzen, hat die Frage nach deren Ursprung angeregt. Hat eine der Generationen vor der anderen bestanden, und wenn ja, welche? Diese Frage beantworteten zwei Theorien in verschiedener Weise. Die ,, homologe" Theorie nimmt an, daß die beiden Gene- rationen ursprünghch gleich waren, und daß die Unterschiede, welche sie jetzt zeigen, das Ergebnis einer divergierenden Ent- wickelung aus einem gemeinsamen Anfangs- Fortpüanzung- der Gewächse (Farne) 208 Stadium sind. Diese Ansicht wurde von Pringsheim ausgesprochen, von Scott u. a. verteidigt und weiter ausgebaut. Die „anti- thetische" Theorie dagegen sagt, die beiden Generationen waren von Anfang an ver- schieden, sie sind nicht aus einer gemein- samen Quelle herzuleiten. Dies wurde zu- erst von Celakovsky klar zum Ausdruck gebracht, von Bower in seinem ,,Origin of a Land Flora" weiter entwickelt. Die ,, anti- thetische" Theorie basiert auf Beobachtungen an Archegoniaten und gewissen Algen (Oedo- gonium und Coleochaete). Ebenso lieferte auch die Vergleichung der Sporogone bei den Lebermoosen besonders instruktives Beweismaterial. Bei allen diesen Formen entsteht der Sporophyt ontogenetisch aus dem befruchteten Ei durch Teilungen. Bei den einfachsten Typen bilden die meisten oder gar alle so entstehenden Zellen Sporen. Man hat deshalb gesagt, daß ursprüngüch alle Gewebe des Sporophyten fertil gewesen seien, daß jedoch infolge Sterilisation gewisse von ihnen nicht mehr der Fortpflanzung dienten, sondern zu den vegetativen Ge- weben des Sporophyten wurden. Diese wären demnach sekundärer Entstehung, und die Hauptaufgabe des Sporophyten war primär in allen Fällen nur die, besondere Keimzellen, die Sporen, zu erzeugen. Der Gametophyt wäre folglich die ursprüng- lichere Generation und der Sporophyt eine von ihm abgeleitete Form. Diese Schlüsse schienen eine Stütze zu erhalten durch die Entdeckung des Unterschieds in der Chro- mosomenzahl der beiden Generationen. Zudem ist zu sehen, daß mit dem Unter- schied im Aufbau der Gewebe eine Ver- schiedenheit in der äußeren Form Hand m Hand geht. t • i ^ Die Sache wurde aber in ein neues Licht gerückt, als gefunden wurde, daß bei ver- schiedenen Algen ein Unterschied in der Chromosomenzahl besteht bei Lidividuen, die in der äußeren Gestaltung ihres Thallus völhg gleich sind. Es war lange bekannt, daß bei Dictyota, Polysiphonia und manchen anderen MeeresalgenTetrasporenundGameten auf getrennten Individuen gebildet werden, die sich aber sonst vollkommen gleichsehen Die Untersuchung der Chromosomenzahlen hat ergeben (vgl. S. 178), daß die Tetrasporen- pflanzen diploid sind wie der Sporophyt der Archegoniaten, die Gameten erzeugenden Pflanzen dagegen haploid, also wie das ArchegoniatenprothalUum. Von den Ver- fechtern der homologen Theorie wurde diese Tatsache sofort als Beweis fiir ihre Lehre herangezogen; und sie taten das mit um so größerer Sicherheit, als gezeigt wurde, daß das ProthalUum einiger Farne diploid, der Sporophvt haploid sein kann. Sie hielten es so in einigen Fällen für bewiesen, daß die Form des Individuums und seine Chro- mosomenzahl in keiner notwendigen Weise in Zusammenhang stehen. Die Entdeckung des Wechsels der Chro- mosomenzahlen bei den Algen hatte jedoch noch eine andere Wirkung. Die Frage nach dem Ursprung des Sporophyten, wie sie zu- nächst für die Archegoniaten erhoben wurde, mußte jetzt schon bei den Thallophyten gestellt werden. Denn es wird ja wohl all- gemein angenommen, daß die Archegoniaten von den Algen herzuleiten sind: und, wenn ein Wechsel von cytologisch ver- schiedenen Generationen schon bei diesen vorhanden ist, so muß er doch wohl bei den Algen-Ahnen der Archegoniaten existiert haben. Da nun weiterhin der Sporophyt bei den betreffenden Algen eine frei lebende Generation ist, während er bei allen Archego- niaten (zum mindesten in den Anfangsstadien) in dem Bauch des Archegoniums einge- schlossen ist, so hat man angenommeii, daß letzteres ein sekundärer Zustand sei, Endhch besteht ein bemerkenswerter Unter- schied zwischen Algen und Archegoniaten in der Lebensweise. Erstere leben im Wasser, letztere auf dem Land. Das führte zu dem Schluß, daß der abhängige Zustand des Sporophyten sekundär angenommen wurde im Zusammenhang mit dem Leben auf dem Lande. Definitiv beantworten läßt sich die ganze Frage heute nicht. Ein Punkt jedoch scheint klar zu sein: wenn der ursprünghche Typus des Sporophyten dargestellt ist durch eine frei lebende Pflanze, und wenn die Ein- schheßung desselben im Bauch des Arche- goniums eine sekundäre Erwerbung ist, die in Beziehung steht zu der Wanderung aus dem Wasser" auf das Land, so kann dieser Vorgang wiederholt stattgefunden haben in verschiedenen Abteilungen. So mag die Umhüllung des Sporophyten durch das Archegonium bei den zwei großen Stämmen der Archegoniaten, den Bryophyten und den Pteridoplivten, sich in den beiden Gruppen unabliängig entwickelt haben. Ist dem so, dann brauchte man beide nicht wie bisher als phylogenetisch verwandt zu betrachten, und hätte nicht nötig, die Ent- wickelungsgeschichte der Farnpflanze in den Termini des Bryophyten-Sporogoniums zu lesen. Aber durch alle diese Wandlungen in den Anschauungen wird die Frage nach der Herkunft 'der beiden Generationen nicht berührt. Sie verlegen nur die Dis- kussion zurück zu stammesgeschichthch früheren Formen. Aus schon angeführten Gründen erscheint es wahrscheinhch, daß der normale Kernzyklus sich von der Ent- stehung an bei allen Nachkommen der Pflan- 204 Fortpflanzung der Gewächse (Farne) zen in jeder Generation wiederholte, die Gene- rationswechsel zeigen, und daß in jedem vollständigen Entwickelungskreise der Kern- verschmelzung bei der Befruchtung eine Eeduktion folgte. Es muß also immer, da der Kreis mit der Sexuahtät anfängt, zwischen Kern Verschmelzung und Eeduktion eine Phase von irgendeiner Struktur und von irgendwelcher äußeren Form gegeben haben, mag das auch nur eine einzige Zelle gewesen sein. Diese Phase aber ist eben das, was wir als Sporophyt bezeichnen. Es ist gleichgültig, ob derselbe von dem Gametophyten sich nicht unterscheidet in der Form, wie das bei einigen Meeres- algen der Fall ist, oder so weit verschieden ist, wie bei den landlebenden Archegoniaten. Das Wesentliche ist, daß diese Phase konstant vorhanden ist. Fragen wir nach dem Ur- sprung dieser Phase, so müssen wir zum Vergleiche jene Algen heranziehen, die einen Kernzyklus von primitiver Einfachheit zeigen. Blieb derselbe in seinen Haupt- zügen konstant durch die ganze Nachkom- menschaft hindurch, dann muß der Sporophyt immer eine vom Gametophyt unterschiedene Phase gewesen sein. In diesem Sinne war der Generationswechsel immer wahrhaft antithetisch. Die beiden Generationen können im strengen Sinn des Wortes nie- mals homolog gewesen sein; denn wenn der Kernzyklus immer dem normalen Typus gemäß verlaufen ist, waren sie nicht homo- genetisch. Daß eine Verschiedenheit der den beiden Generationen innewohnenden Kräfte und Entwickelungsfähigkeiten vor- handen ist, zeigt sich schon darin, daß die am weitesten differenzierten Strukturen bei dem Sporophyten zu finden sind. Be- 1 trachten wir die Landvegetation, die irgend- j wo die Erdoberfläche bedeckt, so sehen j wir, daß die überwiegende Sporophytgene- ration alle praktischen Aufgaben der JPflanze erfüllt, und daß in ihr versteckt sind die letzten Spuren des reduzierten Gametophyten. 5. Antheridien und Archegonien. Diese Organe der Fortpflanzung zeigen bei allen Pteridophyten im wesentHchen dieselbe typische Struktur, mögen sie auch bei ver- schiedenen Abteilungen in Einzelheiten abweichen. Ueberdies ist man jetzt all- gemein der Ansicht, daß sie Organe ,,sui generis" seien, und nicht in irgendeiner Weise durch Abänderung oder Metamor- phose aus vegetativen Teilen entstanden sind, so wie z. B. Blätter oder Haare, wie man das einst annahm. Das Antheridium stellt eine Cyste dar, die Zellen enthält (Spermatocyten, Spermatozoid-Mutterzellen), deren jede einen einzigen männlichen Gameten, ein Spermatozoid, erzeugt (Fig. 3). Es ist umgeben von einer Wand, die gewöhnhch aus einer einzigen Zellschicht besteht. Größe und Lage wechseln bei verschiedenen Formen. Beim Wurmfarn z. B. sind die Antheridien relativ klein und erheben sich von der Ober- fläche des Prothalliums. In anderen Fällen, z. B. bei Ophioglossum (Fig. 10), sind Fig. 10. Ophioglossum vulgatum. A bis C EntwickeJung des Antheridiums aus einer ober- fJcächücheu Zelle, D das Antheridium noch ge- schlossen, E ein Spermatozoid. Nach Bruch - mann. sie sehr groß und tief eingesenkt in das Gewebe des ProthaUiums, so daß sie kaum über die Oberfläche desselben hervorragen. Zwischen diesen beiden Extremen finden sich aUe Zwischenstufen. Auch das Archegonium hat die Be- schaffenheit einer Cyste, die eine einzige Reihe von Zellen enthält, deren Zahl variiert. Die unterste Zelle dieser Reihe ist in allen Fällen der weibliche Gamet, das Ei (Fig. 4). Die nächst darüber liegende Zelle, die'sogenannte Bauchkanalzelle, wird von dem Ei abgeschnitten kurz vor der Reife des Archegoniums. Darüber kann dann eine einzige Halskanalzelle hegen, die jedoch mehrere Kerne enthält. In anderen Fällen ist die Zahl dieser Halskanalzellen größer, besonders deutlich bei den Lycopodinen (Fig. 11). Diese Zellreihe ist mit ihrem unteren (ventralen) Teil eingebettet in das Gewebe des Prothalliums, während das andere Ende umgeben ist von einer einzigen Lage von Zellen, die den Hals des Archegoniums aufbauen. Die Halszellen sind in vier Reihen angeordnet, die am Scheitel in Form einer Rosette zusammenschheßen. In manchen Fällen ragt der Hals vor als ein langer, ge- bogener Fortsatz, z. B. beim Wurmfarn (Fig. 4). Bei anderen erhebt er sich kaum über die Oberfläche des ProthaUiums, z. B. bei Marattiaund Ophioglossum (Fig. 12). 6. Befruchtung. In allen beobachteten Fällen öffnen sich die Sexualorgane bei der Reife, wenn von außen her Wasser in tropf- bar flüssiger Form darauf kommt, und nur dann. Die geschlechthche Fortpflanzung aller Pteridophyten ist also an das Vor- Fortpflanzung- der GewriclLse (Farne) 205 handensein von Wasser gebunden, und zeigt viele Analogien mit demselben Vorgang bei ^v§ Fig. 11. Lycopodium complanatum. Pio- thallium mit Antheridien an, Archegonium ar und jungem Embryo k. Vergrößerung 26-fach. Nach Bruch mann. gewissen Algen. Die Oeffnung wird bewirkt durch schleimiges Aufquellen des Zell- inhaltes der Organe und besonders auch der sich auflösenden Zellwände. Die An- theridien öffnen sich am Scheitel entweder durch Auflösung oder durch Loslösung einer oder mehrerer Zellen der Wand, und die Spermatocyten werden ausgestoßen, teils infolge Aufquellens ihres eigenen Schleimes, teils dadurch, daß sich die Zellen der Wand nach innen hin ausdehnen. * Ehe i die Spermatocyten aus dem Antheridiura 1 austreten, gehen in ihrem Protoplasma I Veränderungen vor sich, so, daß nach der Befreiung von dem anhängenden Schleim ein spiraliges Gebilde mit mehr oder weniger zahlreichen Windungen zu erkennen ist, das einen Kern enthält und ein zartes Band (oder einen Faden) trägt, das ebenfalls aus dem Protoplasma entstanden ist. Letzteres wird Blepharoplast genannt, aus ihm entstehen die Cilien. Das so gebildete, mit vielen Cilien versehene, Spermatozoid stellt die ' bei den Fihcales und Equisetales häufigste Form dar. Aehnlich finden wir es bei Iso- etes, nur die Form, die Größenverhältnisse, sowie die Zahl der Windungen und der Cilien ändern sich. Der Typus für die Psi- lotales ist noch nicht bekannt. Die Lyco- podia,les haben ein zweicihges Sperma- tozoid, und diese Verschiedenheit in der Zahl der Cilien wird von manchen als wich- tiger Unterschied zwischen ihnen und den anderen Pteridophyten angesehen. Das Archegonium öffnet sich auch an seinem Scheitel, indem die Zellen der Ro- sette, die denselben bilden, sich vonein- ander trennen. Das wird bewirkt durch Quellung der Halskanalzellen. Die Oeff- Fig. 12. Ophioglossum viilga- tum. A bis C Entwickelung des Archegoniums, D reifes Arche- gonium, geöffnet, mit 2 Spermato- zoid en s vor der Mündung, h Halszellen, hk Halskanalzeüe, o Eizelle, b Basalzelle. Nach Bruch- Fig. 13. Onoclea sensibilis. Befruchtung. A Vertikal- schnitt durch ein geöffnetes Archegonium, wahrscheinlich 10 Minuten nach Eindringen des ersten Spermatozoiden. Vergrößerung 500-fach. B Bauch des Archegoniums mit Spermatozoiden und dem kollabierten Ei, in dessen Kern ein Spermakern eingedrungen ist. Vergrößerung 1200-fach. Nach Shaw. 206 Fortpflanzung der Gewächse (Farne) nung kann ganz plötzlich vor sich gehen, und der Schleim wird ausgestoßen. Dabei gehen natürlich die Halskanalzellen und auch die Bauchkanalzelle in dem Hals zu- grunde, und es entsteht ein offener Kanal, der bis zum Ei hinunterführt. Das Ei ist eine Zelle, bestehend aus Cytoplasma und Kern. Das Verhalten von Ei und Sperma- tozoid vor und nach der Befruchtung ist bei gewissen Farnen sorgfältig verfolgt und untersucht. Die nach aul3en gekehrte Fläche des Eies ist zunächst konkav (Fig. 13). Später aber wird sie konvex und der Scheitel stellt nun den Empfängnisfleck dar. Das Spermatozoid bewegt sich frei schwimmend in dem Wasser, in das es aus dem Anthe- ridium entlassen wurde. Es macht aktiv schraubige oder spirahge Bewegungen, deren Kichtung ganz willkürhch und unregel- mäßig erscheint, solange nicht richtende Einflüsse auftreten. Solche sind aber ge- geben durch Lösungen (Aepfelsäure), welche aus dem Hals heraus diffundieren (vgl. den Artikel ,, R e i z e r s c h e i n u n g e n der Pflanzen": Taxien [ChemotaxisJ). Damit werden die Spermatozoiden in den Hals hineingelockt und eins von ihnen tritt am Empfängnisfleck in das Ei ein. Von Shaw ist beschrieben worden, wie das Ei, sobald das Spermatozoid ein- gedrungen ist, seine prall abgerundete Form verhert. Es mag sein, daß der stark turgeszente Zustand, in dem sich das Ei befindet, dem durch den engen Hals sich herabschraubenden Spermatozoid es erleichtert, sich in das Cytoplasma des Empfängnisflecks einzubohren, und daß durch den plasmolysierten Zustand nach dem Eindringen eines Spermatozoids die folgenden Spermatozoiden dieses Vorteils beraubt werden; so würde das Ei vor An- griffen derselben, oder gar vor mehrfacher Befruchtung geschützt. Kurz nach dem Eindringen des Sperma- tozoids in das Ei erlangt dieses wieder die frühere Turgeszenz. Der männhche Kern tritt mit dem Eikern in Verbindung, während Plasmaband und Blepharoplast im Cyto- plasma des Eies verbleiben, um dort ab- sorbiert zu werden. Nach Berührung mit dem Eikern wird der Spermakern sofort netzförmig, seine Struktur wird lockerer, die spiralige Form verschwindet. Schließ- lich geht er vollkommen im Eikern auf. Es ist noch nicht sicher, ob die bei den Farnen beobachteten Einzelheiten allgemein für alle Pteridophyten gelten. Das Ergebnis ist eine Zygote, die sich inzwischen mit einer zarten Wand nmgeben hat. 7. Entwickelung des Embryos. Die Tat- sache, daß aus der Zygote der Embryo ent- wickelt wird, wie wir das schon beim Wurmfarn festgestellt hatten, gilt für alle Pteridophyten. Die Form jedoch, die der Embryo annimmt, wechselt in den verschiedenen Fällen. Darüber ist der Artikel ,, Farne" nachzulesen. Außer- dem ist in den Diagrammen A bis H der Figur 14 in rohen Umrissen eine Darstellung gegeben. Man sollte zuutächst denken, daß so weit aus- einandergehende Formen nicht in ein gemein- sames Schema gebracht werden könnten. Wenn Fig. 14. Diagramme von ver- schiedenen Pteridophyten-Em- bryonen. Der Suspensor ist ge- strichelt, die hypobasale Hemi- sphäre ist punktiert gezeichnet, die epibasale ist weiß ge- blieben. A Selaginella spinu- losa, B Selaginella Martensii, C Lycopodium selago, D Lyco- podium clavatum, E Lycopo- dium cernuum, F Isoetes, G Equisetum, H Adiantum: c Cotyledo, ap Stammscheitel. r Wurzel, hyp Hypocotyl, f Fuß, s Suspensor. In den Dia- grammen sind divergente Typen nebeneinandergestellt, um die Punkte, in denen sie überein- stimmen und die, in denen sie sich unterscheiden, hervorzu- heben^ Fortpflanzung der Gewächse (Farne) 207 man aber die sekundären- und variablen Charak- tere trennt von den primären und konstanten, so ist es möglich, eine grundlegende Uebereiii- stimmung zu erkennen. Das Vorhandensein oder Fehlen eines Suspensors, mit welchem der Embryo tiet in das Gewebe des Prothalliums versenkt ist; die Bildung von haustorienartigen Auswüchsen usw. können als spezielle biologische Anpassungen unberücksichtigt bleiben. Konstant dagegen ist immer der Ort der Entstehung des Scheitels der Achse in Beziehung zu der ursprünglichen Po- larität des Embryos, die Orientierung des Coty- ledo oder ersten Blattes zu diesem Scheitel, und die seitliche Stellung der ersten Wurzel. Tat- säclüich ist der Embryo vom ersten Anfang an ein Sproß, der Blätter und seitliche Wurzeln trägt in verschiedenen Stellungen. Die später erscheinenden Unterschiede werden verursacht durch die Anpassung dieses jungen Sprosses an die Erfordernisse der Ernährung. Sogar das Vorhandensein oder Fehlen eines Suspensors kann in Beziehung gesetzt werden zu den bio- logischen Bedürfnissen des Embryos. Seine Bildung ist bestimmt durch die erste Teilung der Zygote, die transversal zur Achse des Arche- goniums verläuft (Fig. 15). Von den zwei Zellen, einen Sporophyten tragen. den Sexualprozeß keine Vermehrung y y Fig. 15. Diagramme, die die Teilungen des Embryos darstellen. I mit einem Suspensor, TI ohne Suspensor. Die Schattierung wie in Fig. 14. BB Basalwand, x Scheitel, y Basis, 0, 0 Oktantenwände. die so entstehen, wrd die dem Halse näher liegende zum Suspensor verlängert und ver- gräbt die andere, die embryonale Zelle, tief in das Gewebe des Prothalliums. Wir finden einen Suspensor bei den Lycopodinen, bei Botry- chium obliquum, bei Helminthostachys und bei Danaea. Er fehlt bei den meisten Farnen, bei Equisetum und Isoetes. Ein Vergleich der beiden Kategorien zeigt, daß das Vorhandensein des Suspensors charakteristisch ist für die Gruppen, die ein verhältnismäßig großes Prothallium besitzen, das oft unter- irdisch lebt und sich saprophytisch ernährt. Bei den Gruppen ohne Suspensor finden wir ge- wöhnlich kleinere oberirdische und autotrophe Prothallien. Der bestimmende Faktor wäre demnach die Größe und Masse des ernährenden Prothalliums, d. h. die Nahrungsaufnahme im Jugendstadium. Bei den Farnen entsteht aus einem Pro- thallium gewöhnlich nur ein einziger Sporophyt. DieProthallienvonEquisetum,Ophioglossum und Lycopodium können jedoch mehr als Im ersteren Fall wird durch der Individuenzahl veranlaßt, wie diese durch die Zahl der Sporen gegeben war. Im anderen Fall aber ergibt auch die Sexualität eine Ver- mehrung der Zalil der Individuen gegenüber der durch die Sporenzahl der Elternpflanze bestimm- ten. Auch bei diesen Pteridophyten findet durch die Sexualität keine wesentliche Vermehrung statt. Sie dient nur der Erhaltung des Kasse mit allen den Vorteilen, die sich aus dem Sexual- prozeß ergeben, 8. Sporangien. Das Sporangium ist ebenfalls eine Kapsel, welche bei der Reife die Sporen enthält — eine oder viele ^ nach außen geschützt durch eine Wand, die aus einer oder mehreren Zellagen aufgebaut ist. Bei allen primitiveren Typen werden die Sporen durch Aufspringen des Sporangiums frei, bei Wasserformen durch Auflösung der Wand. Die Sporangien können zu einem Sy- nangium vereinigt sein, oder aber einzeln und getrennt voneinander stehen. In manchen Fällen sind die Sporangien groß, mit kurzem massivem Stiel und vielen Sporen. Dann pflegen sie in das Gewebe des sie tragenden Organs eingesenkt zu sein wie bei Ophio- glossum; in anderen Fällen wieder stehen sie auf langen Stielen (bei den meistenFarnen), dann sind sie relativ klein und enthalten eine mäßige Anzahl von Sporen. Der erste Typus dürfte der ältere, der zweite der abgeleitete sein. Für das Aufspringen ist vorgesorgt durch die Struktur der Wand. Die Stelle, an welcher der Bruch stattfinden soll, ist genau vorausbestimmt. Mechanisch-automatische Vorrichtungen, die namenthch bei den kleineren Sporangien gut ausgebildet sind, veranlassen das weite Klaffen des Risses, und sogar das heftige Ausstoßen der reifen Sporen. Ein Beispiel hierfür haben wir in dem Wurmfarn gesehen. Die Sporangien können einzeln, z. B. bei Lycopodium, oder zu Gruppen vereinigt stehen. Im letzteren Fall sind sie häufig einem gemeinsamen Receptakulum aufge- setzt, das mit einem Gefäßbündel versehen ist. Ist dabei die Zahl der Sporangien klein, so wird das Ganze Sporangiophor genannt, so bei Equisetum und Psilotum. Bei vielen Farnen treffen wir eine ähnhche An- ordnung, aber dort sind die Sporangien viel zahlreicher, die Versorgung mit einem Ge- fäßbündel fehlt bisweilen. Man spricht hier von Sori, die in der verschiedensten Weise über die Blätter, welche sie tragen, verteilt sind (Fig. 1). In allen Fällen beginnt die Entwickelung des Sporophyten mit einer vegetativen Periode, die mehr oder weniger lange dauern kann. Dann werden Sporangien erzeugt, die auf die verschiedenste Art und Weise auf ihm verteilt sind. Bei Lycopodium Selago, beim Wurmfarn u. a, unterscheiden sich die 208 FortpflanzAing der Gewächse (Farne) Sporophylle nicht von den anderen Blättern. Es ist so, als ob einfach die Sori auf diese aufgesetzt wären. Dies sind offenbar die primitivsten Formen, in welchen alle Blätter alle Funktionen er- füllen. In anderen Fällen, die man als Zwischenstufen ansieht, werden die Sporan- gien nur in besonderen Regionen des Sprosses erzeugt. Beispiele hierfür sind die end- ständigen Aehren von Lycopodium cla- vatum und Equisetum. Endhch finden sich besondere Sporophylle getrennt von den gewöhnlichen Blättern", wie bei Lomaria Spicant, oder aber besondere fertile Teile eines Blattes, wie bei Osmunda regalis. Das sind speziahsierte und abgeleitete Formen. Aber welches auch die Verteilung sei, immer ist das Ziel der vegetativen Entwickelung des Sporophyten die Er- zeugung von Sporen. Sind alle Sporen gleich, wie bei den primitiven ho mosporen Typen, so wächst mit der Zahl der produzierten Sporen auch die Aussicht auf Erhaltung und Ausbreitung der Rasse. An dieses Prinzip sollte in jeder Studie über die sporen- tragenden Glieder der Pteridophyten erinnert werden. Mag die Größe, Form, Art der Grup- pierung usw. der Sporangien auch noch so sehr variieren, im wesentlichen sind es immer Kapseln, die Sporen enthalten. Diese ent- stehen bei allen Pteridophyten aus einer oberflächlichen Zelle, oder einer Gruppe von solchen. Das junge Sporangium teilt sich derart, daß in den einfachsten Fällen eine einzige, in komplizierteren eine Gruppe von Zellen gebildet werden, die innerhalb einer umgebenden Wand liegen. Diese inneren Zellen sind das sporogene Gewebe, charakterisiert durch den dichten Proto- plasmainhalt seiner Zellen. Nach weiteren ! Teilungen, die in Zahl und Richtung (merk- 1 würdig konstant sind rechtwinkehge Tei- lungen) bei verschiedenen Typen verschieden sind, entsteht eine Menge von annähernd würfelförmigen Zellen, das sind die Sporen- mutterzellen. Diese sind umgeben von einem Nährgewebe, den Tapetenzellen (s. Fig. 16). Die Sporenmutterzellen, mit großem Kern und gut ernährtem Protoplasma, I trennen sich voneinander, runden sich ab und I schwimmen nun in einer Nährflüssigkeit, die das sich vergrößernde Sporangium ausfüllt. Die Tapetenzellen werden bei der Reifung des Sporangiums allmählich aufgelöst und zuweilen erleiden gewisse Sporenmutter- zellen das gleiche Schicksal (Fig. 16, B a). Die gelöste Substanz der Tapetenzellen j dringt zwischen die voneinander getrennten 1 Sporenmutterzellen ein, und mischt sich mit dem schon erwähnten Nährmedium. So ist es besonders bei den Farnen. Der nächste Schritt ist, daß in jeder Sporenmutterzelle Tetradenteilung des Ker- nes eintritt, verbunden mit Reduktion der Chromosomenzahl auf die Hälfte. Der Kernteilung folgt Zellteilung in 4 Zellen. j Diese bleiben zunächst noch im Zusammen- hang, aber mit fortschreitender Reife werden sie getrennt, da jede eine dicke, schützende Wand ausbildet. Die reife Spore ist also eine einzige Zelle, mit einem Kern von haploider Chromosomenzahl, das Cytoplasma versorgt mit einem ziemlich beschränkten Vorrat von Nährmaterial, nach außen ge- i schützt durch eine verdickte Wand, die ver- I ziert ist mit unregelmäßigen Vertiefungen ' und Erhöhungen. Mit der Spore beginnt die Fig. 16. Equisetum Limosum. A Sporangiumscheitel, das sporogene Gewebe umgeben von dem Tapetum (schattiert) und der Sporangiumwand. B Teil eines älteren Sporangiums, das Tapetum (t) noch deutlich, seine Zellen jedoch nicht mehr gegeneinander abgegrenzt; innen das sporogene Gewebe, von dem gewisse Zellen (a) zugrunde gehen. Vergrößerung 200-fach. Fortpflanzung der Gewächse (Farne) 209 haploide Phase des Entwickelungskreises, Nach einer Ruhepause, die auch ausfallen kann, keimt sie und erzeugt einen Garaeto- phyten, das Prothallium. 9. Vergleichung der Antheridien, Arche- gonien und Sporangien. Eine Vergleichung der Sexualorgane der Pteridophyten mit den Sporan- gien zeigt, daß alle drei Organe die Beschaffen- heit einer Cyste oder Kapsel haben, umgeben von einer Wand, die sich öffnet, um die Fort- pflanzungszellen frei zu geben. Es besteht also eine weitgehende Aelmlichkeit zwischen ihnen. Ob das mehr bedeutet als einen Hinweis auf ihre Entstehung an der Luft und auf das Bedürfnis nach Schutz für die Fortpflanzungszellen ist wohl fraglich. Besteht doch ein wesentlicher Unterschied zwischen den Sexualorganen nicht bloß vermöge ihres Inhaltes, sondern auch in der Art wie sie sich öffnen. Die Sporangien öffnen sich in - folge von Austrocknung, die reifen Sporen selbst stellen einen trockenen Staub dar. In der Tat ist das Sporangium, das Endprodukt eines Lebens auf dem Lande, an welches derSporophyt angepaßt ist. Auf der anderen Seite ist das Prothallium nicht an ein Leben an trockenen Orten angepaßt, die Sexualorgane reifen nur, wenn von außen Wasser herantritt. Sollten Sporangien und Sexualorgane homo- loge Gebilde sein, was doch wegen ihrer Stellung auf verschiedenen Generationen unwahrscheinlich ist, so müßten sie sich schon in einer sehr frühen Periode aus einem gemeinsamen Anfang heraus- differenziert haben. Eine andere Frage ist es indessen, inwieweit Antheridien und Archegonien vergleichbar sind. Sie zeigen offensichtlich analoge Strukturen, die noch deutlicher erkennbar sind bei den Bryo- phyten. Für beide Gruppen kann wohl mit Recht behauptet werden, daß Antheridien und Arche- gonien im Grunde ähnliche Gebilde sind, die entsprechend ihrer geschlechtlichen Bestimmung Differenzierungen zeigen. Es liegt nahe, sie mit den Gametangien gewisser Algen zu analogisieren. Jedoch ist es zurzeit nicht möglich, mit diesen Analogien so weit zu gehen, daß man irgend- welche heute bekannte Algen mit Sicherheit als die Ahnen der Archegoniaten bezeiclmen könnte. 10. Heterosporie, Es ist ziemlich sicher, daß die homosporen Formen, bei denen alle Sporen von gleicher Größe sind, die primi- tiveren der Pteridophyten sind. Wir finden Homosporie unter vielen früheren Fossihen, wie auch bei Lycopodium, Equisetum und allen lebenden Farnen, ausgenommen die Hydropterideae. Die Homosporie hat einfach eine Vervielfachung der möghchen Lebewesen zur Folge, die untereinander alle die gleichen Chancen haben. Die Entwicke- lungsmöglichkeit jedes Individuums dieser Gruppe ist aber beschränkt durch den ge- ringen Vorrat der Spore an Nährmaterial, so daß der aus ihr hervorgehende Gameto- phyt sehr bald sich selbst ernähren muß. Die Folge ist, daß viele Individuen schon den bei der Keimung drohenden Gefahren erhegen: ihr Verlust wird nur aufgewogen durch die ungeheuere Zahl der erzeugten Sporen. Einen Fortschritt gegenüber dieser primitiven Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV Methode der Vermehrung bedeutet das Auf- treten der Heterosporie. Bei vielen Pteri- dophyten finden wir männliche und weib- liche ProthaUien (Equisetum), die Sporen aber, aus welchen diese entstehen, sind gleich und es läßt sich nicht ohne weiteres vorher sagen, ob aus einer gegebenen Spore ein männliches oder ein weibliches Prothallium entstehen wird. In anderen Fällen aber sind schon die Sporen von ungleicher Größe, ent- sprechend dem Geschlecht, dem sie den Ur- sprung geben sollen. Wir unterscheidenMikrosporen als die- jenigen, welche nur männliche ProthaUien hervorbringen; sie sind klein und gleichen in Größe und Aussehen den Sporen der homosporen Typen. Ihnen gegenüber stehen die Produzenten weiblicher ProthaUien, die Makrosporen, welche viel größer sind als die Sporen der primitiven Typen. Als Beispiel wählen wir Selaginella. Bei dieser Pflanze- stehen bekanntlich die Spo- rangien (Fig. 17) auf der Basis der zu ähren- förmio;en Gebilden vereinigten Blätter. Fig. 17. Selaginella. A fertiler Zweig, B Gipfel desselben im Längsschnitt. Links Mikro-, rechts Makro- sporangien tragend. Zwecks Eutwickehmg der Mikrosporen bilden die Mikrosporangien zunächst eine große Anzahl von Sporenmutterzellen (Fig. 18, A). Diese werden umgeben von einer Schicht Tapetenzellen, welche ihrerseits wieder der ein- oder mehrschichtigen Spor- 14 210 Fortpflanzung der Gewächse (Farne) angienwand anliegen. Durch Teilung sämtlicher Sporenmutterzellen in 4 Sporen entstehen die Mikrospuren (Fig. 18, B). Die Makrosporangien haben in ihrer Jugend dasselbe Aussehen wie die Milvrosporangien. Auch sie erzeugen zahlreiche Sporenmutter- zellen. Zwecks Bildung der Makrosporen aber entwickelt sich nur eine Sporenmutter- j ^Die Makrosporen besitzen eine sehr derbe I Wand, einen erhebhchen Vorrat von Reserve- substanzen und Protoplasma, sowie einen Zellkern. Wenn sie sich auf feuchtem Sub- strate entwickeln, so teilt sich der Kern in eine große Anzahl von solchen, die sich jin bestimmten Abständen ordnen. Erst I später wird jeder Kern mit einem be- stimmten Anteil des Proto- plasmas durch Zellwände gegen die benachbarten abgegrenzt. Die so entstehende Zellmasse stellt das weibliche Prothal- Uuni dar, das hier völlig farb- los ist und sich auf Kosten der Reservesubstanzen er- nährt, die in der Makrospore gehäuft waren. Auf dem Scheitel des ProthalHums ent- stehen einige wenige Arche- gonien und nun wird (Fig. 18, E) Fig. 18. A — C Selaginella-Sporangien im Längsschnitt. A mit Sporenmutterzellen, B mit Mikro-, C mit Makrosporen, a, b Wanthmgs-, c Tapeten zellen, D gekeimte Mikrospore, p Pro- thallium, w Wand, s Spermatozoiden. E Makiospore mit Prothallium und Embryonen im Längsschnitt. zeUe weiter, alle anderen werden reduziert (Fig. 18, C). Aus der einen weiter entwickelten Sporenmutterzelle gehen dann 4 große Sporen hervor, von denen 3 in der Figur sichtbar sind. Bei der Keimung der Mikrosporen ent- steht an dem einen Pol derselben eine kleine uhrglasförmige ZeUe (p) Figur 18, D. Das ist das ganze ProthalHum, das hier also sehr reduziert ist. Im Zusammenhang mit ihm bildet sich ein Antheridium heraus, dessen Wandzellen (w) und Spermatozoiden-Mutter- zellen (s) in der Figur unschwer zu erkennen sind. Die Spermatozoiden werden frei durch Aufreißen derWandung infolge von Benetzung. die Wandung der Makrospore gesprengt. Bei genügendem Wasservorrat dringen die Spermatozoiden in die Archegonien ein und befruchten die Eizellen. Die so gebildeten Zygoten entwickeln sich nicht alle weiter. In der Regel wächst nur ein Embryo zur normalen SelagineUapflanze heran. Eine Eigenart unserer Gruppe ist es, daß die Embryonalanlage durch einen wenigzeUigen Fortsatz, den Embryonalträger, in das Pro- thalliumgewebe hinabgeschoben wird, um von diesem ernährt zu werden. Die Heterosporie finden wir nicht bloß bei den lebenden Arten von Selaginella und Isoetes und bei den Hydropterideae. Fortpflanzung der Gewächse (Farne) 211 Sie war auch vorherrschend bei den fossilen Lepido dendraceae und ist für Ca- lamostachys nachgewiesen worden. Aus den erwähnten Beispielen geht hervor, daß die heterospore Differeuzierung in mehreren verschiedenen Reihen vor sich ging, und es ist wohl anzunehmen, daß sie polyphyleti- schen Ursprungs ist. Durch diese Neuer- werbung wurden nicht wesentlich verändert die Mikrosporangien, in welchen die Mikro- sporen so zahlreich sind wie bei den ver- wandten homnsporcn Formen die Sporen. In den Megasporujigioii jedoch (welche am aller- ersten Anfang den j\likrosporangien gleich sein mochten, so zeigend, daß sie beide gemein- samen Ursprungs sind) wird ein Teil der Keimzellen geopfert, um der besseren Er- nährung der noch bleibenden zu dienen. Die Zahl der gebildeten Megasporen wechselt: bei den Lycopodinen finden wir Zahlen von 24, 16, 8 bis 4 und 2, bei Selaginella ru- pestris und bei den Hydropterideae wohl nur eine einzige, gut ernährte Spore als alleiniges Erzeugnis jedes Megasporangiums. Die Megaspore ist von beträchtUcher Größe und mit reichlichem Nährmaterial aus- gestattet; auf dessen Kosten wird gewöhn- lich ein ziemlich reduziertes Prothallium ge- bildet, das eines oder mehrere Archegonien trägt. Was dabei gewonnen wird, ist, daß ein beträchthcher Ueljerschuß von Nährstoffen nach der Befruchtung übrig bleibt, von welchem dann der junge Sporophyt leben kann, bis er imstande ist, für sich selbst zu sorgen. Die so besser garantierte Gewißheit seines Bestehens und Fortkommens ist das Gegengewicht gegen die Verminderung der Zahl der erzeugten Sporen. Die Heterospoiie bedeutet also einen tjiologischen Fortschritt. 10. Biologische Betrachtungen über den Generationswechsel. Wir haben ge- sehen, daß die Archegoniatenreihe wahr- scheinlich von Wasserformen abstammt, die, wie so viele unserer heutigen Algen, seichtes Süßwasser oder aber die höhereu Zonen zwischen den durch die Gezeiten gegebenen Grenzen bewohnen. Soweit diese Algen Sexualorgane besitzen, finden wir eine sehr wechselnde Ausbildung der haploiden und der diploiden Phase. Bei manchen ist letztere durch eine einzige Zelle dargestellt, bei an- deren wieder durch eine selbständige Pflanze. Wir wissen nicht, wie der Sporophyt der Archegoniaten entstand. Es kann sein, daß er schon bei einem solchen Prototyp in der Gruppe der Algen als selbständige Gene- ration oder Pflanze vorhanden war; und daß als sekundäre Erscheinung, infolge des Ueber- gangs zum Landleben, der Umstand auftrat, daß die Zygote, statt sich vor der Befruch- tung von der Mutterpflanze loszulösen, in dem Gametangium zurückbheb, welches sich nun zum Archegonium entwickelte. Die ursprünglich freilebende Pflanze wird nun zunächst von der Mutterpflanze ernährt, ein Zustand, der, bei den Archegoniaten all- gemein vorhanden, seine offensichtlichen Vorteile bei dem Leben an der Luft hat. Oder aber es kann sein, daß die Entwickelung der Zygote von Anfang an in diesem Organ vor sich ging, und daß die einfachen Verhält- nisse, wie wir sie bei manchen Bryophyten finden, darauf hindeuten, wie von vielen angenommen wird, wie der Sporophyt sich zuerst entwickelte. Es ist nutzlos, zurzeit die Frage nach dem letzten Ursprung des Sporophyten dieser Pflanzen weiter zu ver- folgen. Aber die biologischen Bedingungen, welche dessen immer weitergehende Ent- wickelung begünstigten, liegen klar zutage. Bei den Algenahnen der Archegoniaten wurde die sexuelle Vermehrung möglich durch das umgebende Wasser, und wenn nur sonst alle Bedingungen erfüllt waren, konnte die- selbe stets stattfinden, da das Wasser jeder- zeit vorhanden war. Wenn jedoch gewisse Formen, vielleicht um dadurch der Konkur- renz aus dem Wege zu gehen, sich am Lande verbreiteten, so war dort nur gelegenthch das Vorhandensein von Wasser gegeben. Bei ihnen konnte der Sexualprozeß nur statt- flnden, wenn es regnete, oder zur Zeit der Flut oder bei reichlichem Tau, und selbst dann nur, wenn gerade die Sexualorgane reif waren. So war also die Vermehrung durch die Sexua- lität nicht mehr genügend gesichert, und es mußte eine andere Methode der Vergröße- rung der Individuenzahl gefunden werden. Diese Schwierigkeit wurde gelöst durch die starke Ausbildung des Sporophyten mit seinen vielen Sporen. Einmal befruchtet, konnte die Zygote Teilungen eingehen und auf die eine oder andere Weise zahlreiche Sporen hervorbringen. Jede dieser Sporen bildet dann den Ausgangspunkt für ein neues Individuum, und Trockenheit, die die Sporen in eine pulverige Masse verwandelt, begünstigt ihre Ausstreuung. In je trockenere Re- gionen nun diese Pflanzen sich begaben, um so geringer wurden die Aussichten einer häuflg wiederkehrenden Vermehrung durch Sexualität, und um so mehr nahm die Not- wendigkeit der Vermehrung durch Sporen zu. Jede Vergrößerung der Sporenzahl aber bedingte die Beschaffung einer größeren Menge von Nährstoffen zu deren Bildung. Bei den Pteridophyten kommt dies dem Sporophyten zu, der selbständig wird, nach- dem die ersten Stadien der Embryo- entwickelung vorüber sind. Je wirksamer also die Ernährung durch den Sporophyten betrieben werden konnte, um so besser wurden die Aussichten auf Erhaltung und Ausbreitung der Rasse. Es ist so denn ganz natürlich, daß wir bei den Pteridophyten den Sporophyten als die überwiegende, be- 14* 212 Fortpflanzung der Gewäch.se (Farne) — (Zwischenstufen usw.) herrschende Generation vorfinden. Seltsam dabei ist, mit welcher Beharrlichkeit diese Pflanzen in ihrer Befruchtung den Typus der Wasserpflanzen beibehalten. Erst bei den Samenpflanzen sehen wir den Befruch- tungsvorgang dem Luftleben angepaßt. Bei ihnen erfolgt die Befruchtung durch einen Polleuschlauch, ist also unabhängig von äußerem Wasser. Dieser Umstand hat zweifellos zu der überwiegenden Ausbreitung dieser Pflanzen beigetragen. Ein Schritt vorwärts zu diesen Pflanzen liin bedeutete das Auftreten der Heterosporie, wie wir sie bei den Pteridophyten beginnen sehen. Literatur, l. Allgemeines: Hofmeister, Vcr(jleichende Untersuchungen, 1851. — Engler imcl Prantl, Die natürlichen Pflanz enfamilien, I, 4- — -K. Goehel, Organographie der Pflanzen, Jena 1898 bis 1901. — B. H. 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Sie mußten jedoch einer beträchthchen Aenderung unterworfen werden, als durch Robert Brown (1827) der Unterschied zwischen Gymnospermen und Angiospermen entdeckt wurde, und dann wieder als die glänzenden Arbeiten Hof- meisters über die Entwickelungsgeschichte der Moose, Farne und Phanerogamen (in den Jahren 1849 und 1851) erschienen. Nun wurden andere Schemata aufgestellt, sie alle zeigten schon eine natürhchere Gruppierung als die früheren. Diese Periode kann man als abgeschlossen betrachten mit dem System von Eich 1er (1883), dessen beide große Abteilungen, die Crypto- ganien und die Phanerogamen, mit den Unterabteilungen der Thallophyten, Bryo- phyten und Pteridophyten, Gymnospermen und Angiospermen, noch heute als Grund- lage unserer Systeme allgemein angenommen werden. In den letzten Jahren haben neue Einflüsse die Aenderung der alten Systeme hinsichtlich der Verwandtschaft der größeren Gruppen veranlaßt; es sind dies die Phylo- genie und die Paläobotanik. Die meisten derjenigen, die sich mit dem Studium der Floren der Vergangenheit beschäftigen, sind zu der Ansicht gekommen, daß alle die höheren Pflanzen, die in die Pteridophyten und Phanerogamen einbegriffen sind, ur- sprünglich von primitiven, Farn-ähnhchen Ahnen abstammen, und daß wir es mit meh- reren, unabhängig voneinander aus solchen Ahnen sich entwickelnden Reihen, selbst in der Flora der Gegenwart zu tun haben. Ein System auf Grund solcher phylogene- tischer Betrachtungen unterscheidet sich sehr wesentlich von jedem der bisher auf- gestellten klassenbildenden Systeme. Die Gründe dafür sollen im folgenden aus- einandergesetzt werden. Betrachtungen dieser Art sind zienüich Fortpflanzung der Gewächse (Zwischenstufen usw.) 213 modern, und es soll nicht behauptet werden, daß die Beweise immer vollständig seien; sie werden es aber wohl in den nächsten Jahrzehnten sein können. Seit 1875 jedoch, als Williamson die Struktur von Lygino- dendron und Heterangium beschrieb, waren genügend Beweismittel vorhanden, um die Hauptlinien der Beweisführung auf eine feste Basis zu stellen. Bis zu jenem Jahr hatte die fossile Botanik wenig oder nichts für die Erforschung der phylogenetischen Verwandtsehaftsbeziehungen der heutigen und auch der Pflanzen früherer Zeitalter der Erde geleistet. Seit der Zeit jedoch hat das Studium der anatomischen Paläobotanik — d. h. fossiler Pflanzen, deren anatomische Struktur uns pft in wunderbarer Vollkommen- heit der Einzelheiten erhalten geblieben ist — in immer steigendem Maße zur Lösung der Probleme der natürlichen Verwandt- schaften beigetragen. Die Hauptabteilungen der alten Systeme, die auf rein morpho- logischer Vergleichung begründet waren, sind dadurch ernstlich in ihrer Existenz bedroht oder gar vernichtet worden, und an ihrer Stelle wurden neue geschaffen, beruhend auf phylogenetischer und deshalb natürlicherer Gruppierung. Es wird unsere Aufgabe sein, die Fossilien zu besprechen, die sich als Bindeglieder zwischen Altem und Neuem erwiesen haben. Diejenigen Fossihen, die uns Aufschluß gaben über die Herkunft der Gymnospermen, sind ent- deckt worden zu einer Zeit, wo wir noch kein Beweismaterial für die Abstammung der Angiospermen und Gnetales besaßen, und es wird daher das beste sein, sie zuerst zu betrachten. Ein weiterer Grund für die Einhaltung dieser Reihenfolge ist, daß die Gymnospermen geologisch viel älter sind als die Angiospermen. Um eine klare, zusammenhängende Ueber- sicht über den zu betrachtenden Gegenstand zu geben, seien die Hauptetappen dieser Entdeckungen summarisch vorausgeschickt. Das waren: 1. Die Erkenntnis der Tatsache, daß ein großer Teil der sogenannten Farne der oberen paläozoischen Gesteine und besonders des Karbons nicht echte Farne sind, sondern synthetische Typen, die Farne und Cycadeen verbinden. 2. Die Entdeckung der samenähnlichen Fruktifikation dieser sogenannten Farne, jetzt Pteridospermen genannt. 3. Die Aufidärung über die volle Beweis- kraft der Struktur des Zapfens des meso- zoischen Genus Bennettites. 2. Die Cycadofilices. Es ist schon seit 200 Jahren bekannt, daß in den oberen paläozoischen Gesteinen Abdrücke von Farn- wedel-ähnlichen Blättern häufig zu finden sind, besonders auch in den Gesteinen des Karbons. Viele derselben sind beschrieben in der älteren Literatur über botanische Fossilien, und die Fossihen selbst sind wiederholt mit den Wedeln von Pteris und anderen heute lebenden Farnen verglichen worden. In der Tat scheint bis 1850 niemand irgendwelche Vermutung geäußert zu haben, daß diese Wedel anderen Pflanzen als den Farnen angehören könnten. Diese An- schauung stimmte überein mit der damals vorherrschenden Meinung, daß die Flora der Karbonzeit im großen und ganzen nicht sehr verschieden gewesen sei von der heutigen, wenigstens so weit die wichtigeren Aehn- lichkeiten der gemeinen Pflanzen in Frage ' kommen. Bei der weiteren Forschung nach j solchen Fossilien aus dem Karbon wurden Igelegenthch Abdrücke ans Tageshcht ge- bracht, die aussahen wie Stämme von Baum- farnen, wodurch die Richtigkeit der oben erwähnten Meinung noch bestätigt schien. Im Anfang des letzten Jahrhunderts gab man den Abdrücken der AVedcl auch Namen wie Sphenopteris, Neuropteris und Aletho- pteris, und verschiedene Typen wurden als Species dieser Genera unterschieden von Schlotheim,Sternberg,Brongniartu.a. Mit der Zeit häuften sich viele Tausende von solchen Abdrücken in den europäischen Fig. ]. Sphenopteris Höninghausi; der Wedel von Lyginodendron. 214 Fortpflanzung der Gewächse (Z'wisclienstiifen usw.) Museen an, und es stand genügend Material zur Verfügung für eine eingehende Bearbei- tung der Fossihen. Da machte man eine seltsame Beobachtung. Selbst in großen Sammlungen fanden sich keine Exemplare von Blättern, die, dem Farntypus ent- sprechend, auf der Unterseite der Wedel fruktifizierten, wie man das wohl erwarten durfte und wie man das in der Tat bei anderen Genera aus dem Karbon findet. So bemerkt z. B. ein englischer Geologe (G. E. Roberts) im Jahre 1860 über solche Fossihen: ,,Da ist noch ein anderer Umstand, der ihre Deutung erschwert — der fast gänzhche Mangel irgendwelcher Anzeichen einer Fruktifikation. Ich glaube nicht, daß jemals Sporen oder Samen in ihrer natür- lichen Lage auf den Blättern mit unzwei- deutiger Sicherheit nachgewiesen sind." Wie wir später sehen werden, waren diese Be- hauptungen sehr treffend und eilten ihrer Zeit weit voraus. Dem großen österreichi- schen Paläobotaniker Stur fiel diese gänz- liche Abwesenheit der typischen Farn-ähn- lichen Fruktifikation so sehr auf, daß er (1883) gewisse genau abgegrenzte Genera von Abdrücken zusammenfaßte unter dem Namen ,,Nichtfarne". Er fand damit aber nicht die Anerkennung, die er verdiente, und erst einige Jahre später bekehrte man sich zu seiner Ansicht. Wenn nun diese Pflanzen keine Farne waren, was waren sie dann ? Diese Frage blieb für mehrere Jahre unbeantwortet. Bisläng haben wir uns mit dem früheren Material, Isestehend aus Abdrücken der Wedel von Sphenopteris, Neuropteris und Aletho- pteris beschäftigt. Die Gesteine des Karbons und des Perms jedoch lieferten noch weiteres Material, von ganz anderer Natur, und von 1869 an wurde dadurch die Diskussion wesentlich beeinflußt. In seltenen Fällen sind uns fossile Pflanzen in Form von Petrefakten erhalten gebheben. An diesen können wir, anders als bei den struktur- losen Abdrücken von Stämmen oder Blättern, den anatomischen Aufbau genau untersuchen, soweit dieser mehr oder weniger vollständig erhalten ist. Solche Petrefakte sind uns hauptsächhch bekannt aus dem unteren Karbon Schottlands (,,calciferous sandstone- series"), aus den Kohlenflözen des ,,West- phalian" (lower coal measure) von Lancashire und Yorkshire in England, aus dem ,,Ste- phanian" von Autun und Grand Croix in Frankreich, und aus dem Perm Sachsens. Die Untersuchung und Bearbeitung der englischen und französischen Petrefakte, in England begonnen durch W. C. William- son in Manchester (1869), in Frankreich durch den verstorbenen Bernard Renault in Paris etwa zur gleichen Zeit, ergab für unser Problem wie auch für andere Fragen wichtige Resultate. Es seien im folgenden die Hauptentdeckungen der beiden Forscher zusammengestellt. Willi amson wies nach, daß die Stämme und Blattstiele der Pflanzen, die nach dem Sphenopteris-Typus beblättert sind, in ihrem anatomischen Aufbau sich von den lebenden Farnen unterscheiden. Während der Habitus und der Bau mancher Gewebe dieser Pflanzen im wesentlichen Farn-ähnhch sind, nähern sich dieselben in anderen Punkten sehr den Cycadeen. Es ist klar, daß wir es hier mit Bindegliedern zu tun haben, die eine Mittelstellung zwischen Farnen und Cycadeen einnehmen. I In ähnlicher Weise zeigte in Frankreich Renault, daß die Struktur gewisser Stämme und Blattstiele, die der Beblätterung nach dem Alethopteris- und Neuropteris-Typus [ angehören, Farn-ähnhche und Cycadeen-ähn- liche Charaktere in sich vereinigt. Diese Pflanzen sind also offensichtlich keine echten [ Farne. Sie zeigten niemals eine Fruktifi- I kation wie unsere Farne, und ihre Anatomie j war weder ganz die der Farne, noch ganz I die der Cycadeen. Für diese Pflanzen i schlug Potonie (1897) den damals zu- I treffenden Namen Cycadofilices vor. der j dann auch angenommen wnirde. Wir wollen uns nun diese Pflanzen die halb Farne, halb Cycadeen sind, näher anschauen. Es sei vorher noch bemerkt, daß erst viele Jahre nach der Veröffent- Hchung der Entdeckungen von Williamson und Renault über die Fruktifikation dieser Pflanzen etwas bekannt wurde; darüber ist im nächsten Abschnitt berichtet. Zu den drei best bekannten Genera gehören die Stämme von Lj^ginodendron, Heterangium und Medullosa. Die beiden ersteren tragen Blätter vom Spheno- pteris-Typus ; Sp h e n 0 p t e r i sH 0 e n i n g h a u si jist eine Species von Lyginodendron, Sphe- ;nopteris elegans eine solche von Heter- angium. Medullosa dagegen zeigt zwei Typen der Beblätterung; einige Species haben neuropteride, andere wieder alethopteride i Wedel. ' Lyginodendron besitzt Farn-ähnhchen I Habitus. Die Stämme sind schlanker, aber von großer Länge und tragen eine {große Zahl JBlätter vom Sphenopteris-Typus, j mit klein gelappten Fiederchen. Der Wuchs I war aufrecht, vielleicht aber war die Pflanze leine Kletterpflanze. Stamm, Blattstiele und i Blätter waren bedeckt mit Drüsenhaaren. Unten trägt der Stamm zahlreiche ver- zweigte Adventivwurzeln. In einigen Fällen ist der Stamm verzweigt. Die Struktur des Stammes ist sehr interessant und vom phylogenetischen Stand- punkte aus von großer Bedeutung. Die Sprosse sind durchschnitthch bis zu 4 cm Fortpflanzung der Gewächse (Zwischenstufen usw.) 215 Der äußere Anblick ist der Fig. 2. Lyginodendron Querschnitt des Stammes Stark vergrößert. dick und gehören dem monostelären Typus idendron liegt darin, daß es in seinem Habi- an. Wir finden ein mächtiges Mark aus tus und in seiner Anatomie Charaktere ver- dünnwandigeni Gewebe, in dem zahlreiche einigt, die teils den Farnen, teils den Cyca- ,, Nester" von sklerotischen Elementen ein- decn angehören, gelagert sind. Die Gefäßbündel sind kollateral, ihre Zahl schwankt zwischen 5 und 8, gewöhnlich sind es aber 5. Das Holz zeigt sekundäres Dickenwachstum mittels eines Cambiums, und in den meisten Fällen findet man eine wohl entwickelte, mehr oder minder fortlaufende Zone sekundärer Holz- und Siebteilelemente. Das primäre Holz wurde zentri- petal angelegt, die sekundären Gewebe dagegen zentrifugal. Nach außen hin schließt sich ein Pericykel an, ebenfalls mit Gruppen von sklerotischen Ele- menten wie im Mark. Dieser ist umschlossen von einer dünn- wandigen inneren Rinde und von einer äußeren Rinde, die ein charakteristisches Netzwerk von anastomosierenden Fasern enthält. Die sekundären Gewebe sind im großen und ganzen von der Art. wie wir sie bei deuDikotyledonen und den Coniferen finden; aber die primären Holzbündel, deren wir 5 bis 8 am Rande des Marks sehen, sind strukturell sehr ver- schieden von dem, was wir bei jenen Gruppen kennen. Nicht nur werden die Elemente zentripetal entwickelt, sondern wir sehen auch, daß das zuerst gebildete Protoxylem in der Mitte des Bündels liegt (mesarcher Typus). Die Tracheiden des primären und sekundären Holzes haben behöfte Tüpfel, mit Ausnahme der erstgebilde- ten Spiral- und Treppen- elemente. Die primären Bündel treten durch die Rinde aus und bilden die Blattspuren, die regelmäßig in der 2/5 Stellung eines Farnes; auch smd die Bündel der angeordnet sind. " Die Blattspuren werden Blattstiele konzentrisch wie bei diesem, befm Durchgang durch den Pericykel zwei- , und die Struktur des primären Holzes geteilt; beim Eintritt in die Blattstiele sind ist die gewisser Farne. In seinen sekundären die Bündel nicht mehr kollateral, sondern Geweben jedoch gleicht Lyginodendron einer konzentrisch. Der Bau der Blätter und der Cycadee, und das doppelte Bündel der Blatt- Wurzeln ist auch genau bekannt; wir brauchen spuren ist fast identisch mit dem, wie wir es uns jedoch damit jetzt nicht zu beschäftigen, bei dem Eintritt in die Blattstiele der Stan- Die theoretische Bedeutung von Lygino-geria, einer lebenden Cydadee, vorfinden. Fijj. 3. Heterangium; Stammquerschnitt. Stark vergrößert. Nach Williamson und Scott. 216 Fortpflanzung der Gewächse (Zwischenstufen usw.) Heterangium ist ebenfalls einem Farn ähnlich, sowohl in der Beblätterung als durch den langen, eckigen, selten ver- zweigten Stamm, der spiraMg angeordnete Wedel mit der Divergenz % trägt. Die Struktur des Stammes ist noch Farn-ähnUcher als bei Lyginodendron. Wir finden hier kein Markgewebe, sondern die Mitte der Stelle wird von dem primären Holze ein- genommen, das aus großen Tracheiden mit vielreihigen, behöften Tüpfeln besteht. An der Peripherie dieses Gewebes hegen kleine, mesarche Gruppen von Elementen, die den 5 bis 8 mesarchen, primären Bündeln bei Lyginodendron entsprechen. Auch hier treten diese durch Pericykel und Rinde aus als Blattspuren. Diese Zone primärer Gewebe ist umgeben von einem Ring sekun- därer Holz- und Siebteilelemente vom gleichen Typus wie bei Lyginodendron, nur weniger gut entwickelt als dort. Die Rinde besteht aus einem inneren dünn- wandigen Gewebe, in welches vertikale Reihen von zahlreichen, horizontalen Platten aus dickwandigen Elementen eingebettet sind, und aus einer äußeren Zone dünn- wandiger Elemente, mit zahheichen, verti- kalen,selten anastomosierenden Sclerenchym- fasern. Der Bau der Blattspuren ist der gleiche wie bei Lyginodendron. Heterangium ist also noch mehr einem Farne ähnUch als Lyginodendron, obwohl es in denselben Punkten wie dieses den Cycadeen gleicht. Es ist nicht nur der Habitus typisch der eines Farnes , sondern auch die Masse des primären Holzes kommt dem eines protostelären, lebenden Farnes gleich. Medullosa, das dritte Genus, ist sehr groß; einige Species tragen Blätter vom Neuropteris-, andere solche vom Alethopteris- Typus. Auch hier ist der Habitus im wesent- lichen Farn-ähnüch. Die Anatomie des Stam- mes jedoch ist komphzierter als bei Lygino- dendron und Heterangium; sie zeigt viel deuthcher die Farn-Charaktere. Vom anato- mischen Standpunkt aus kann man Medullosa ein polysteläres Heterangium nennen, d. h. es besitzt 3 oder mehr Stelen, deren jede der einzigen Stele des letzteren Genus gleicht. Die Stämme sind von beträchthcher Größe, bekleidet von den breiten Blattbasen oder Blattstielen, die ein langes Stück an den Stamm angeschmiegt verlaufen, ehe sie von diesem abbiegen. Sie sind anatomisch merkwürdig dadurch, daß sie Polystehe mit sekundärem Dickenwachstum verbinden, j Die Blattspuren unterscheiden sich von denen i bei Lyginodendron; sie teilen sich wieder- holt bei ihrem Austritt, sind zuerst kon- zentrisch, nehmen aber weiterhin kollateralen Bau an. Medullosa stimmt also mit den Farnen überein im Besitz der Polystehe, in seinem Habitus und seiner Beblätterung, während es in der Anatomie der Blattstiele und Wurzeln den Cycadeen näher steht. 3. Pteridospermen, Unsere nächste .Aufgabe ist es nun. den gegenwärtigen i Stand unserer Kenntnisse von der Fruktifi- i kation der im vorigen Abschnitt beschriebenen i Pflanzen zu besprechen. Erst seit dem Jahre '1903 wissen wir überhaupt etwas darüber. Iln diesem Jahre konnten Oliver und Scott 1 zeigen, daß die Wedel von Lyginodendron P 1 p ^^^^1 fe Fig. 4« Lagenostoma Lomaxi; der Samen von Lyginodendron umschlossen von seiner Cupula. Stark vergrößert. Radialschnitt. Nach Oliver und Scott. Fortpflanzung der Gewächse (Zwischenstufen usw.) 217 (Fig. 2) (Sphenopteris Höninghausi, Fig. 1) Samen tragen, die bis dahin im losgelösten Zustande unter dem Namen Lagenostoma Lomaxi schon bekannt waren. Lyginodendron war also eine Samenpflanze und keine Sporenpflanze. Merkwürdigerweise erwies sich der Samen, statt von primitiver Struktur zu sein, von viel komplizierterem Bau als der irgendwelcher anderer Gymnospermen. Wie der Cycadeensamen besaß er eine gut ausgebildete Pollenkammer und Vorrichtun- gen zum Festhalten des PoUens. Der Samen war eingeschlossen in eine HüUe, Cupula genannt, und das Ganze glich einer Haselnuß ohne Schale. Die Cupula ist von belapptem Bau, bedeckt mit einzelnen Drüsenhaaren. Bis auf den heutigen Tag hat man die Samen und ihre Cupula nicht an den Wedeln ansitzend gefunden; aber die Identität der Drüsenhaare auf der Cupula mit denjenigen, die man schon lange am Stamme, den Blatt- stielen und den Fiederchen von Lygino- dendron kannte, führte dazu, die beiden Organe in Zusammenhang zu bringen ; um so mehr als Lyginodendron die einzige bekannte Pflanze des Karbons ist, die solche Haare trägt. Dieser Schluß ist zur Tatsache bestätigt worden durch die Entdeckung der Samen einer anderen Species von Lagenostoma (Fig. 5), die von einer in der Form etwas ver- Der nächste Schritt in der Aufklärung der Fruktifikation von Lyginodendron war die Entdeckung der männlichen Organe durch Kids ton im Jahre 1905. Auch diese hatte man im losgelösten Zustand schon gekannt und ihnen den Namen Grosso- theca gegeben. Sie wurden nun an ge- wöhnhchen Wedeln von Sphenopteris Hoeninghausi anhängend gefunden. Die fertilen Fiedern jedoch sind beträchtüch reduziert und tragen eine Anzahl bilokulärer, spindelförmiger, hängender Sporangien, das Ganze sieht aus wie eine Epaulette mit ihren Fransen. Tm ganzen genommen scheint die Fruktifikation wie die der Marat- tiaceen zu sein. Fig. 5. Lagenostoma Sinclairi; 2 Samen in ihrer Cupula, an einem kleinen Stück des Wedels. 5-fach vergrößert. schiedenen Cupula umschlossen sind, die nun aber wirkhch noch ansitzen an Wedeln vom Sphenopteris-Typus mit reduzierten Lamina. Fig. 6. Orossi» t luM'ii gan von Lyginodendron Kids ton, las mämiliche Or- Vergrößert. Nach So sind nun also die männhchen und weibUchen Fortpflanzungsorgane von Lygino- dendron bekannt. Dasselbe hat sich als eine Samenpflanze erwiesen, obwohl es in mancher Hinsicht einem Farne gleicht. Für diese Pflanzen aus der Gruppe der Cycadofiüces und auch noch für andere paläozoische Farn-ähnUche Pflanzen, die Samen tragen, hat man den Namen Pteri do- spermen vorgeschlagen und auch ange- nommen. Bei Heterangium ist weder von männ- lichen noch von weibUchen Fortpflanzungs- organen bis heute etwas bekannt. Dagegen wissen wir etwas mehr von Medullosa. Wir kennen die Samen einer Species von 218 Fortpflanzung der Gewächse (Zwischenstufen usw.) Medullosa, die ihrer Beblätterung nach als Neuropteris heterophylla bezeichnet wird. Dieser Same, Rhabdocarpus genannt, wurde Fiedern der Wedel anhängend und sie ab- sehheßend, kurz nach der Entdeckung von Oliver und Scott mit Bezug auf Lygino- Fig. 7. Rhabdocarpu«, (ier .^amc einer Medullosa, mit dem Neuropteris-Typus der Be- blätterung. Vergrößert. Nach Kids ton. dendron aufgefunden. Weiterhin ist es sehr wahrscheinhch, daß der unter dem Namen Trigonocarpus wohlbekannte Samen zu einem WedelvomAlethopteris-Typus gehört, obwohl bis ietzt diese Vermutung nicht bestätigt wurde durch Exemplare, die beides im Zu- sammenhang zeigen. Die männlichen Organe von Medullosa sind noch sehr wenig bekannt. Zwei der großen Genera der Cycadofihces sind also zweifellos Samenpflanzen. Es sind nun aber auch noch andere Farn-ähnhche fossile Pflanzen entdeckt worden, deren Anatomie unbekannt gebheben ist, und die zu den Cycadofihces gehören mögen oder nicht; sie zeigen zwar Charaktere ähnhch wie Lyginodendron und Medullosa. Alle bisher besprochenen Genera stammen aus dem oberen Karbon. Im Jahre 1904 zeigte White, daß im unteren Karbon der Vereinigten Staaten von Nordamerika eben- falls Pteridospermen vorkommen. Er be- schrieb Wedel vom Adiantites-Typus, die kleine, geflügelte Samen auf reduzierten Teilen des Blattes tragen. In den folgenden Jahren fand dann noch Grand'Eury Samen an einer Species von Pecopteris (P. Pluckenetii) aus dem oberen Karbon. Bei dieser sind die fertilen Fiedern kaum verschieden von den sterilen. Durch diese Pflanzen wird die Reihe der Pteridospermen, deren Fruktifikation bekannt ist, vervollständigt. Es sind seither noch viele interessante und wertvolle Ent- deckungen gemacht worden, aber in den meisten dieser Fälle fehlt noch der positive Beweis für die gezogenen Schlüsse. Jedoch, es ist durch all das in diesen kurzen 8 Jahren Gefundene genügend sichergestellt, daß diese Pflanzen den vorherrschenden Typus der Farn-ähnlichen Vegetation der Periode dar- stellen. Es existierten auch echte Farne (wie wir im nächsten Abschnitt sehen werden), die aber zu den Pteridospermen als Unter- gruppe gestellt werden. Der Habitus der Pteridospermen muß sehr merkwürdig ge- wesen sein. Die Samen wurden von Wedeln getragen und waren in manchen Fällen, vielleicht ausnahmsweise, von einer schützen- den Cupula umgeben. Wir finden keinerlei Vereinigung der weiblichen oder männhchen Organe zu einem Strobilus oder Zapfen, und die lockere Art und Weise, in welcher die Früchte getragen wurden, muß in auf- fallendem Gegensatz gestanden sein zu fast allen anderen großen paläozoischen Pflanzen- gruppen, bei denen allen die Sporangien zu Zapfen vereinigt waren, ausgenommen bei den echten Farnen. Dennoch hatten diese Pflanzen, obwohl sie, wie wir im letzten Abschnitt sahen, vom anatomischen Stand- punkt aus eine Mittelstellung zwischen Farnen und Cycadeen einnehmen, in ihrer Entwickelung tatsäclüich die Grenzhnie über- i schritten und waren wirkhch Gymnospermen. I Sie sind von großer Bedeutung, einmal, weil sie gewissermaßen die primitivsten ': der bekannten Gymnospermen darstellen, und dann, weil sie' uns einen Weg der Ent- wickelung zeigen, der begann mit einem einfachen, Farn-ähnlichen Ahnen, von dem, letzten Endes, alle die geologisch älteren Gruppen der höheren Pflanzen abzuleiten sind. 4. Die Verwandtschaft der Primofilices, der Pteridospermen und der Cycadales. In den vorhergehenden Abschnitten haben wir gesehen, daß einige der Blattwedel der Genera Sphenopteris, Neuropteris, Alethopteris und Adiantites, dazu min- destens eine Species von Pecopteris, zu samentragenden Pflanzen gehören, die keine Farne waren. Es gibt noch eine Anzahl anderer, wichtiger Genera von solchen Blättern, wie z. B. Eremopteris, Lino- pteris, Mariopteris und Odontopteris, von denen man vermutet, daß sie gleicher Fortpflanzung- der Gewächse (Zwischenstufen usw.) 219 Natur sind, aber für die bis jetzt die Beweis- führung^ noch nicht vollständig ist. Man darf nun aber nicht glauben, daß alle die l';uii- ähnlichen Pflanzen der oberen paläozoischen Gesteine Pteridospermen waren. Dies wäre ein großer Irrtum. Es gab auch echte Farne, die Sporen in Sporangien erzeugten, welche auf gewöhnlichen oder auch auf umgebildeten Blättern saßen; doch bildeten sie einen an Zahl und an Mannigfaltigkeit der Formen viel geringeren Bestandteil der Flora als die Pteridospermen. Diese Farne unter- schieden sich in mehreren wesenthchen Punkten von den heutigen Farnen, und sie werden deshalb am besten als eine gesonderte Klasse betrachtet, für die man seit einigen Jahren den Namen Primofilices eingeführt hat. Von manchen wurde dieser Terminus beanstandet, weil er leicht die Meinung erwecken könne, es handle sich dabei um primitive Farne, obwohl doch diese Pflanzen sicher nicht primitiv seien. Tatsächlich sind aber damit doch nur frühe Farne (Erstlingsfarne) gemeint, d. h. Farne aus früheren geologischen Perioden, und weder in der Ableitung des Wortes noch in dessen ursprünglichem ' Gebrauch findet sich im- plicite der Begriff des Primitiven. Wir kennen zwei Familien der Primo- Figi 8. Zygopteris; Querschnitt des Blatt- stiels. Nach Paul Bertrand. fihces, deren typische Vertreter die beiden Genera Botryopteris und Zygopteris sind. Petrefakte der Stämme, Blattstiele und der Friiktifikationsorgane dieser Pflanzen sind untersucht worden, es ist jedoch noch nicht gelungen festzustellen, welche sterilen Wedel dazu gehören. Wir haben es hier mit Farnen zu tun, nicht nur dem Habitus nach, sondern auch in der Anatomie und der Art der Fruktifikation. Die Stämme waren alle monostel, jedoch war der Aufbau des Gefäß- bündelsystems bei Zygo])teris und anderen Genera, besonders in den Blattstielen, alles andere als primitiv. Dafür sprechen be- sonders die merkwürdigen Formen, welche die Bündel annahmen, die in manchen Fällen einem ,,H", in anderen wieder einem „ß" (griechisches Omega) ähnelten. Die Sporan- gien standen in Gruppen auf einem gemein- samen Stiel: sie waren bei manchen Formen mit einem Annulus versehen, der aber aus 2 Zelllagen bestand. Bei Zygopteris war der Annulus vertikal und vollständig, bei Bo- tryopteris finden wir ein schräges, breites Band, aber nur an einer Seite des Sporan- giums. Im ganzen genommen unterscheiden sich also diese Pflanzen bemerkenswert von den leptosporangiaten Farnen, zeigen jedoch in so vielen Punkten Uebereinstimmung mit Formen der Osmundaceen, Gleichenia- 1 ceen und anderen Familien moderner Farne, I daß man sie als den XJrstamm betrachtet, von dem die mesozoischen, tertiären und rezenten Leptosporangiaten sich ableiten. j Es ist kaum zu bezweifeln, daß diese Pflanzen j mit den gleichzeitig lebenden Pteridospermen verwandt sind durch einen gemeinsamen, I Farn-ähnhchen Ahn. Wir haben schon die Farn-ähnhchen Charaktere derPteridospermen betont, auf welche diese Ansicht sich gründet. Dieser gemeinsame Ahn existierte lange vor der Karbonperiode, zur Zeit des unteren i Paläozoikums, aber leider haben wir heute ; keine Nachricht oder Urkunde über die Art I der Landvegetation jener fernen Epoche. Wir gehen jetzt zu den Cycadales über. I Es ist guter Grund vorhanden anzunehmen, daß die jetzt lebenden Cycadeen die spär- lichen Nachkommen einer großen Gruppe aus der Zeit des Mesozoikums sind. Leider wissen wir darüber sehr wenig infolge des fragnu-ntarischeii Zustandes der Fossilien, die Pl'lauzen dieser (irujipe aus dem Meso- zoikum darstellen. Es sind Stämme, Blätter und Zapfen bekannt, die ohne Zweifel den Cycadales zugeordnet werden sollten; aber bis heute besitzen wir wenige oder keine Kriterien, um die Stämme und Wedel, die zu dieser Gruppe gehören, zu trennen von jenen, die zu den Bennettitales zu rechnen sind, die in mancher Richtung von ähiüichem Habitus, im übrigen aber doch von den Cycadales recht verschiedene Pflanzen sind. ^ Wie unvollkommen aber auch unsere Kenntnisse in dieser Hinsicht sein mögen, so besteht doch kein Zweifel darüber, daß die Entdeckung erst der Cycadofilices und dann der Pteridospermen, auf die Ab- stammung dieser Gruppe helles Licht wirft. 220 Fortpflanzimg der Grewäclise (Zwischenstufen usw.) Lyginodendron und MeduUosa zeigen, wie wir sahen, in ihrer Anatomie den Cycadeen verwandte Züge, und ihre Samen sind im wesentlichen nach dem Cycadeen-Typus ge- dafür war das außerordentlich spärliche Vorkommen von Material, dessen Struktur erhalten war, d. h. also von Petrefakten in den Gesteinen dieser Periode. In den letzten Fig. 9. Zygopteris; Sporangien. Nach Renault. bildet. Es muß in diesem Zusammenhang auch wieder darauf hingewiesen werden, daß eine lebende Cycadee, Stangeria, nach dem Farntypus beblättert ist. In der Tat scheint es von den Pteridospermen zu den Cycadeen nur ein kurzer Schritt zu sein, der charakterisiert ist durch die allgemeine Annahme des monosporangiaten Strobilus, an Stelle der locker und zerstreut angeord- neten Reproduktionsorgane der Vorfahren. Diese Umwandlung ist jedoch nicht ganz allgemein vor sich gegangen. Bei Cycas ist sie nur insoweit eingetreten, als es die männlichen Organe betrifft, und es ist sehr gut möglich und wahrscheinlich, daß es unter den mesozoischen Cycadales Formen gab, die uns bis jetzt unbekannt sind, bei denen weder die Micro- noch die Mega- sporophylle zu Zapfen vereinigt waren. Sollte sich letztere Vermutung als richtig erweisen, so erschiene der Anschluß an die Pteridospermen noch begründeter und enger. 5. Die Bennettitales. Die bisher be- sprochenen Fossilien stammen aus dem Paläozoikum, mit Ausnahme der meso- zoischen Glieder der Cycadales, die im letzten Abschnitt erwähnt wurden. Wir müssen nun noch andere mesozoische Fossi- lien besprechen, die sich in neuerer Zeit als besonders wichtig für phylogenetische Be- trachtungen erwiesen haben. Bis jetzt war unsere Kenntnis von mesozoischen Pflanzen weniger genau als die von den Gliedern der paläozoischen Flora. Der Hauptgrund Jahren jedoch hat man weiteres Material dieser Art erlangt, und die Ergebnisse der Prüfung desselben haben sich als von be- sonderem Interesse erwiesen. Seit dem Jahre 1828 ist es bekannt, daß in gewissen Schichten ! des Juras und der Kreide, an vielen Stellen [ der Erde, verkieselte Stämme sich finden, I die den kurzen, dicken Stämmen einiger ; lebender Cycadeen sehr ähnlich sehen. Diese wurden zuerst eingehend untersucht von Carruthers und Williamson im Jahre 1870. Bei einem bestimmten Stammtypus, in Europa bekannt unter dem Namen Bennettites, in Amerika als Cycadeoidea bezeichnet, dessen Natur zuerst Carruthers erklärte, wurde gezeigt, daß die Zapfen als I kurze, seitliche Sprosse an dem Stamme ; saßen, eingekeilt zwischen den Blattbasen. Es war klar, daß sowohl darin als auch in anderer Hinsicht diese Pflanzen weit ab- wichen von irgendeiner lebenden Cycadee, aber die Meinungen waren geteilt darüber, wie groß der Abstand zwischen Bennettites und den lebenden Cycadeen sei. Der Bau des Zapfens jedoch war damals nicht voll- ständig erkannt worden, und erst im Jahre 1901 wurde derselbe ganz und richtig erklärt. Im Jahre 1906, in seinem schönen Werk „The American Fossil Cycads", stellte Wie- land fest, daß diese Zapfen hermaphrodit und amphisporangiat sind. So ist es denn wahrscheinlich, daß die Bennettitales, zu welcher Gruppe Bennettites, Williamsonia und andere mehr oder weniger nah ver- Forti)flanzung der GeM^ächse (Zwischenstufen usw.) 221 wandte Genera zu rechnen sind, ganz abseits von den Cycadales standen, daß sie jedoch in einigen Punkten mit diesen phylogenetisch verwandt erscheinen. Wir wollen zuerst die Zapfen von Bennettites betrachten, da sie das beste Material sind, das wir heute besitzen, um den Typus der Fruktifikation der Gruppe zu erklären. Der Zapfen war ungefähr 5 cm lang und bestand aus einer keulenförmigen Achse, die übereinander 8 Reihen un- und dicht zusammenstehen. Die Samenstiele und die dazwischen stehenden Schuppen des wei Wichen Teiles der Blume sind wieder spiralig angeordnet. Am distalen Ende hängen die Schuppen eng zusammen und bilden so eine Art „Frucht" (Fig. 11), welche die Samen vollständig umhüllt, so daß nur noch die Micropylen durch Höhlungen in' derselben etwas hervorragen- Die Samen Fig. 10. Bennettites (Cycade oidea); Radialschnitt durch den Zapfen. Nach Wieland. gleicher Organe trug. Die Basis ist umhüllt von einem Kreis blattähnUcher Organe, die als Bracteen oderPerianth betrachtet werden. Darüber steht ein Wirtel von Organen, die genau so aussehen wie gewisse fertile Farnwedel, Gegen den Scheitel der Achse hin findet sich dann ein Kreis steriler keulen- förmiger Schuppen und dazwischen Samen, die langen Stielen aufsitzen, wobei die Schuppen und die Samenstiele unabhängig voneinander der Achse entspringen. Es ist wichtig, die Anordnung der verschiedenen Kreise von Organen zu beachten: die schützenden Organe an der Basis, dann die Microsporophylle, und gegen den oder am Scheitel die Megasporophylle mit dazwischen stehenden (interseminal) Schuppen. Die Bracteen-ähnlichen Organe sind spi- ralig angeordnet. Sie stellen behaarte, blatt- ähnliche Gebilde dar, die den ganzen Zapfen einhüllen; zwischen ihnen stehen zahlreiche Spreuschuppen (Ramenta). Die männlichen Organe stehen in einem einzigen Wirtel und sind an der Basis ein Stück weit ver- einigt. Sie bestehen aus 15 bis 20 doppelt gefiederten Wedeln, die in der Jugend gegen die Achse hin einwärts gerollt sind, wobei die seitlichen Fiederchen paarweise parallel Fig. 11. Bennettites (Cycadeoidea). Radial- schnitt durch einen Zapfen mit dem weiblichen Teil, die männlichen Organe fehlen. Nach Wieland. stehen einzeln auf langen Stielen. Die Samenanlage ist orthotrop, der Embryo dikotyledon. Der Pollen wurde erzeugt in einer Reihe von Synangien, die auf den reduzierten Fiedern der männlichen, wedelartigen Organe stehen. Diese Synangien sind kurz gestielt und bestehen aus zwei Reihen von Fächern, die von einer dickwandigen äußeren Zell Schicht umschlossen sind. Das ist in kurzen Zügen der Bau des Zapfens von Bennettites, wie man ihn an Exemplaren aus der Kreide Amerikas er- kannt hat. Wie ist nun dieses Organ, das wir einfach Zapfen genannt haben, zu deuten ? Ist es tatsächhch, wie viele mit Wieland annehmen, einfach ein Zapfen, oder haben wir es hier mit einer richtigen Infloreszenz zu tun, wie Lignier u. a. glauben? Die Hauptschwierigkeit liegt darin, die weib- 222 Fortpflanzung der Gewächse (Zwischenstufen usw.) liehen Organe der Blüte, die Samenstiele und die dazwischenstehenden Schuppen zu homologisieren. Nach der ersteren Theorie sind diese Schuppen möglicherweise sterile Sporophylle, und die Samenstiele stellen die fertilen Sporophylle dar. Eine andere Erklärung, die von denjenigen gegeben wird, welche die seitlichen fertilen Sprosse für Infloreszenzen halten, ist die, daß die interseminalen Schuppen Blätter der Haupt- achse dieses Sprosses darstellen, und daß die Samenstiele fertile Blätter sind, die zu einblätterigen Knospen höherer Ordnung gehören. Die Sache ist jedoch die, daß, wenn wir diesen Teil der Fruktifikation für sich allein betrachten, wir bis heute nicht ge- nügend Daten zur Vorgleichung haben, um die Morphologie der weiblichen Organe zu erklären Sie sind dem, was wir bei lebenden Pflanzen finden, absolut unähnlich, und unsere Kenntnis von ähnlichen Strukturen bei anderen Fossihen ist zurzeit so gering, daß wir nicht zu einer endgültigen Ent- scheidung über den morphologischen Wert dieser Organe gelangen können. Betrachten wir jedoch den Zapfen als Ganzes, so scheint es in hohem Grade wahrscheinlich, daß seine Bauart einfach und in den Grundzügen ähnhch derjenigen einer hermaphroditen Blüte der Dikotyledonen ist. Ganz sicher jedoch war Bennettites eine Gymnosperme. Selbst wenn die interseminalen Schuppen Carpellen äquivalent sind, so schheßen sie doch nicht die Eier in derselben Weise ein, wie das die Carpelle der Angiospermen tun. Weiterhin ging die Befj'uchtung der Eier ganz offensichtlich nach dem Gymnospermen- Typus vor sich, wie schon zu sehen ist an der rinnenförmigen Micropyle, die aus der von den dicht zusammenschließenden intersemi- nalen Schuppen gebildeten „Frucht" hervor- ragen. Die Bennettiteae zeigen viele in die Augen springende Züge der Verwandtschaft sowohl mit den Cycadeen als mit den Pteridospermen. Sie stellen ein weiteres Bindeglied aus der Vergangenheit dar. Der Habitus und die Anatomie des Stammes sind im wesentlichen die der Cycadeen, die Beblätterung ist gleich der der Cycadeen ; Die Samen sind nach dem Muster der- jenigen der Pteridospermen und Cycadeen gebildet, weichen aber von beiden in wich- tigen Punkten ab. Andererseits ist die ganze Fruktifikation völlig unähnhch derjenigen, die wir bei lebenden oder fossilen bekannten Cycadeen finden. In mehreren bemerkens- werten Punkten stimmen sie mit den Farnen überein, so in den schuppenförmigen Ramenta zwischen den Blattbasen und den Bracteen. Die größte Uebereinstimmung jedoch herrscht in bezug auf den Bau der männlichen Organe. Diese stellen im Grunde einfach 15 bis 20 fertile Farnwedel dar, die in den Zapfen ein- geschlossen sind. Es erscheint äußerst wahrscheinlich, daß die Bennettiteae einen mesozoischen Ab- kömmling der paläozoischen Pteridospermen darstellen; die Fortentwickelung bestand in der Ausbildung eines amphisporangiaten 1 Zapfens, mit den weiblichen Organen über (scheitelwärts) den männhcheU; und einem ; schützenden Perianth darunter. Ein solcher Blütenstand ist uns nur noch bei 2 Gruppen von Pflanzen, lebenden oder fossilen be- , kannt, bei den Angiospermen und bei den I Gnetales. In gewisser Hinsicht scheint 1 die Entwickelung der Bennettitales parallel verlaufen zu sein derjenigen der Cycadales mit ihrem monosporangiaten Strobilus. Es ist jedoch ganz unmöglich zu glauben, daß j sie von dieser Gruppe abstammten. Nicht nur sind die Bennettitales ebenso alt wie die 1 Cycadeen, man könnte auch schwer sich 1 vorstellen, wie ein solch komplizierter Zapfen ! aus dem verhältnismäßig einfachen Strobilus der Cycadeen, soweit wir dieselben kennen, \ entstanden wäre. I Es gibt noch mehrere Genera der Bennettitales, wie Williamsonia und Wie- landiella (Anomozamites), aber bei keinem derselben sind die Einzelheiten des Baues der Zapfen so vollständig bekannt wie bei Bennettites. Bei einigen von ihnen sind jedoch die Microsporophylle bedeutend redu- zierter als bei letzteren. Die Zapfen von Williamsonia sollen sogar monosporangiat sein; da dies aber noch nicht sichergestellt ist, brauchen wir uns hier nicht über die Tragweite einer derartigen Komplikation der Dinge aufzuhalten. 6. Die Bennettitales und die Angio- spermen. Von allen den höheren Gruppen letzt lebender Pflanzen hat sich, unter phylogenetischen Gesichtspunkten betrachtet, diejenige der Angiospermen oder Blüten- pflanzen als die rätselhafteste erwiesen. Diese Pflanzen, die in der heutigen Flora vorherrschen, sind bekanntlich verhältnis- mäßig junger Herkunft. Sie waren noch nicht vorhanden im Paläozoikum, und sie sind jünger als die Bennettitales, Coniferales und Gingkoales und als die leptosporangiaten Farne, Pflanzen, die im frühen Mesozoikum häufig w^aren. Dementsprechend tauchen Angiospermen erst in der unteren Kreide auf. Sie traten dann in kurzer Zeit in großen Mengen auf und es entstand rasch eine große Zahl von Familien, sowohl der Mono- als der Dicotyledonen. Wir haben kein geolo- gisches Beweismaterial, um behaupten zu können, daß die Monocotyledonen älter seien als die Dicotyledonen und umge- kehrt. Fortpflanzung der Gewächse (Zwischenstufen usw.) 223 Dies sind die Hauptergebnisse der paläo- botanischen Forschung in betreff der Angio- spermen. Das Studium der lebenden Glieder der Gruppe, die vegetativ und floristisch eine außerordentliche Mannigfaltigkeit der Formen aufweist, jedoch solch einen stereo- typen anatomischen Bau, hat ergeben, daß es äußerst schwierig ist, auch nur eine Ver- mutung über ihre wahrscheinliche Abstam- mung auszusprechen. Tatsächlich gab es bis vor wenig Jahren keinerlei Theorie über die Phylogenie der Angiospermen. Unzweifelhaft sind uns die direkten Vorfahren der Angiospermen im fossilen Zustand noch nicht bekannt. Daran ist vor allem schuld die Spärlichkeit ver- steinerten Materials in den mesozoischen Gesteinen. Bis jetzt ist nur ein etwas zweifelhaftes Exemplar einer versteinerten Blüte aus dieser Periode gefunden worden. Wir haben nun zu untersuchen, ob wir irgendwelche mesozoischen Pflanzen kennen, die auf die geheimnisvolle Abstammung der Angiospermen ein Licht werfen könnten, wenn wir sie in Verbindung mit dem be- trachten, was wir von den lebenden Gliedern der Gruppe wissen. Die Antwort hängt ganz davon ab, welchen Begriff wir uns vom primitivsten Blütentypus unter den lebenden Angiospermen machen. Wenn wir mit Engler und Wettstein als primi- tiven Typus die einfachste Blüte, einge- schlechtlich und ohne Perianth, ansehen (so wie die der Piperales, Amentiferae und von Casuarina), von der die hermaphroditen Blüten, mit zweireihigem Perianth und zahl- reichen Staub- und Fruchtblättern (wie z. B. die Blüte der Butterblume), abzuleiten seien, dann ist die Antwort negativ und die Herkunft der Angiospermen bleibt ebenso dunkel wie bisher. Neuerdings ist nun aber die Ansicht geäußert worden, daß der Typus der Angiospermenblüte in Wirkhch- keit ein Zapfen sei, dessen Teile folgender- maßen angeordnet sind: an der Basis be- findet sich ein wohl ausgebildeter Perianth, späterhin oft in einen äußeren Kelch und eine innere Cerella differenziert, dann folgen zahlreiche Staubblätter und am Scheitel des Ganzen viele Fruchtblätter. Es wird postuliert, daß im Urzustand alle Teile des Zapfens hypogyn waren, in großer Zahl vorhanden und spirahg angeordnet, daß aber von diesem Urtypus eine fast unendhche Zahl von Modifikationen eintraten, u. a. auch Eeduktion zu nackten, eingeschlecht- lichen Blüten wie die der Piperales usw., so daß wir heute die vielen Famihen der Angiospermen unterscheiden können, deren GHeder alle mehr oder weniger weite Ab- weichungen vom Urtypus zeigen. Ist diese Hypothese richtig, dann kann die oben gestellte Frage positiv beantwortet werden: denn, obgleich uns die direkten Vorfahren der Angiospermen unbekannt sind, setzen uns die Bennettiteae in Ver- bindung mit den modernen Angiospermen Fig. 12. Diagramm des Baus eines primitiven angiospermen Blütentypus. Nach Arber und Parkin. %^^. 1 ^w 1 Fig. 13. Hypothetisches Diagramm der Blüte der bis jetzt unbekannten Ahnen der Angio- spermen (Hemiangiospermen). Nach Arber und Parkin. in den Stand, uns ein anschauliches Bild von der Organisation des Zapfens der Gymnospermen-Vorfahren der Angio- spermen zu machen. Auf Grund derselben können wir uns den Strobilus der Hemi- angiospermen, wie dieser unbekannte, theore- tische Typus bezeichnet wurde, rekon- struieren durch die Synthese von Charak- teren einerseits des Zapfens von Bennettites und andererseits des primitiven Blütentypus der Angiospermen. Bei der Besprechung von Bennettites 224 Fortpflanzung der Grewächse (Z^vischenstufen usw.) hatten wir besonders auf die eigentümliche Anordnung der Organe des Zapfens an der Achse aufmerksam gemacht. An der Basis hatten wir einen Perianth, darüber die Microsporophylle, dann die Megasporophylle mit dazwischen stehenden Schuppen ge- funden. Ein solcher Aufbau ist nirgends mehr zu finden unter fossilen Pflanzen und unter den lebenden Pflanzen kommt er nur bei den Angiospermen und den Gnetales vor. Diese Tatsache allein ist schon sehr be- zeichnend. Es ist nun durchaus nicht anzu- nehmen, daß die Angiospermen in direkter Linie von den Bennettiteae abstammen. Im Gegenteil, sie sind wahrscheinlich be- trächtlich auseinander gegangen, jedes seine besondere Entwickelung von dem Urstamm an durchlaufend, besonders soweit das die Megasporophylle angeht. Es bietet jedoch keine Schwierigkeit, den Perianth und die Microsporophylle der Angiospermen von den entsprechenden Organen bei Bennettites abzuleiten. Die Stamina mögen reduziert worden sein zu der stereotypen Form von Sporangiophoren, die zwei Synangien eines primitiven Microsporophylls, wie jenes von Bennettites, tragen. In der Tat wissen wir jetzt, daß einige GMeder der Bennettitales Microsporophylle besaßen, die außerordent- lich reduziert sind im Vergleich zu den Farn-ähnlichen Blättern der amerikanischen Spezies von Bennettites. Was die Mega- sporophylle betrifft, so gibt uns Bennettites keinen Aufschluß über die Gestalt dieser Organe bei den Hemiangiospermen; die Betrachtung der Angiospermen selbst aber macht es augenscheinlich, daß deren CarpeUe denen des lebenden Genus Cycas sehr ähnlich sind. Es wird auch wahrscheinlich, daß die Angiospermen ins Leben gerufen wurden durch die Annahme der Entomophilie in- folge der dicht zusammenschließenden Car- peUe, und daß sie dadurch von Anfang an eine unzweifelhafte Ueberlegenheit über alle die anderen höheren Pflanzen besaßen, sowohl an Zahl als an Mannigfaltigkeit der Formen. Dies ist der Stand unserer Kenntnisse von dem Zapfen der Bennettitales mit Hinsicht auf das Problem der Abstammung der Angiospermen. Unsere Synthese oder Eekonstruktion des Bildes der direkten Vorfahren dieser Gruppe mag fehlerhaft und unvollkommen sein, und ehe nicht weiteres fossiles Beweismaterial zur Verfügung steht, bleibt das Ganze hypothetisch; aber wir haben doch wenigstens einmal eine Theorie, welche die Herkunft der Angiospermen er- klärt, wenn auch noch nicht alles erreicht ist, was wünschenswert erscheint. 7. Die Bennettitales und die Gnetales. Weiterhin haben wir die kleine und bis vor kurzem wenig verstandene Gruppe der Gnetales zu betrachten, die nur 3 Genera umfaßt, nämlich Ephedra, Gnetum und Welwitschia, letzteres mit nur einem Vertreter und außerordentlich beschränktem Verbreitungsgebiet. Obgleich diese Genera einander ziemlich unähnlich sind, sowohl vegetativ als in Hinsicht auf die Reproduk- tionsorgane, so bilden sie doch zweifellos eine natürliche Gruppe. Sehr wahrscheinhch sind sie die überlebenden Reste einer Gruppe, die in der Vergangenheit an Zahl und Mannigfaltigkeit der Formen weitaus be- deutender war. Leider aber kennen wir keine Glieder dieser Gruppe im fossilen Zustand, und bei irgendwelchen Vermutungen über ihre wahrscheinlichen Vorfahren können wir also'unsere Schlüsse nur auf die vergleichende Morphologie der lebenden Formen stützen. lieber diesen Gegenstand ist viel gestritten worden unter den Botanikern, früher und bis auf den heutigen Tag. Die Mehrheit stimmt darin überein, daß diese Pflanzen Gymnospermen seien, und daß keine Spur eines Carpells in den Zapfen oder Blüten irgendeiner Spezies zu finden sei. Einige dagegen halten sie für offensichtliche Angio- spermen und behaupten, daß ein einem Car- pell homologes Organ vorhanden sei. Wiederum ist auch die vergleichende Morphologie der Blüten dieser drei Genera noch umstritten. Es ist die Ansicht geäußert worden, daß die männliche Fruktifikation von Welwitschia, die, wenn auch nicht funktionell, so doch in Wirklichkeit amphi- sporangiat ist, der primitivste der vorhan- denen Typen sei, und daß die männhchen und weiblichen Zapfen der anderen Genera von ihr durch Reduktion abzuleiten seien. Es ist gezeigt worden, daß dieser Zapfen im wesentHchen nach einem ähnlichen Prinzip aufgebaut ist wie die primitive Angiospermen- blüte, und ebenso wie der Zapfen von Bennet- tites. Diese Anschauungen stimmen überein mit der modernen Tendenz, die Gnetales aus der Nachbarschaft der Coniferales abzurücken zu den Angiospermen hin, obgleich durchaus verneint wird, daß eine dieser Gruppen von der anderen abzuleiten sei. Wenn unter den Fossilien Bennettites irgendeinen Auf- schluß gibt über die Phylogenie der Angio- spermen, so ist es zu diesem Zweck auch wertvoll in bezug auf die gymnospermen Gnetales. Die beiden Gruppen sind nahe verwandt, und zeigen deutlich, daß sie von einem gemeinsamen Ahn abstammen, von dem aus sie sich, in vieler Hinsicht, parallel entwickelt haben. Die Ahnen der Gnetales sowohl als der Angiospermen waren ohne Zweifel die hypothetischen Hemiangio- spermen, von denen wir im vorhergehenden Kapitel sprachen. 8. Die Cordaitales, Coniferales und Gingkoales. Die Coniferae sind eine sehr Fortpflanzung der Grewächse (Z->vnsclienstufen usw.) 225 alte Gruppe, die bis zum Ende der Carbon- zeit zurückreichen. Sie sind also viel älter als die Angiospermen, mit denen sie früher zusammengestellt wurden; denn die letzteren erscheinen erst in der unteren Kreide. Wie wir sehen werden, haben neuere Arbeiten die unerwartete Tendenz gefördert, die Coniferae und die xVngiospermen phylo- genetisch auseinander zu rücken. Offenbar sind nicht alle Familien der Coniferae gleich alt. Es ist sehr wahrscheinUch, daß die Araucariaceae, die gewöhnhch als die älteste Familie angesehen werden, im Paläo- zoikum lebten, während das erste Auftreten der Abietineae in den späten Jura fällt. Allerdings behaupten einige amerikanische Paläobotaniker auf Grund der Untersuchung der Anatomie einiger Coniferen aus der Kreide, daß die Abietineae anatomisch primitiver und also älter seien als die Araucariaceae. Das widerspricht jedoch dem geologischen Beweismaterial und ist einfach eine Sache morphologischer Interpretation. Bis jetzt ist indessen noch keine fossile Conifere gefunden worden, die irgendwie auf die Vorfahren der Gruppe einen Schluß zuließe. Die Gingkoales haben eine große Ver- gangenheit, sind jetzt aber beinahe ganz ausgestorben. Ein einziger Vertreter, Gingko biloba, lebt heute noch im kultivierten Zustand, ist aber wahrscheinUch nirgends wild vorkommend zu finden. Die Gingkoales sind sicher ebenso alt wie die Coniferae. Die Gesteine des Mesozoikums besonders liefern uns die großen Mengen Abdrücke von Blättern und auch hier und da von Fruktifikationen; erstere sind zum Teil fast identisch mit denen der heute noch lebenden Pflanze; es finden sich aber auch Genera, die längst ausgestorben sind. Auch hier geben uns die Fossilien in keiner Weise Aufschluß über die Vorfahren. Es fragt sich nun, ob nicht die Unter- suchung der fossilen Pflanzen irgendwelche Relikte der Vergangenheit ans Tageslicht gebracht hat, die weder echte Coniferen noch Gingkos sind, aber doch offenbar im Zusammenhang stehen mit diesen beiden Gruppen und sie verbinden, und so vielleicht das Dunkel der Herkunft derselben er- leuchten helfen ? Es kann mit großer Sicher- heit gesagt werden, daß die paläozoischen Cordaitales, so wie wir diese jetzt kennen, diese Lücke ausfüllen. Es sind ja zu der einen und anderen Zeit Versuche gemacht worden zu zeigen, daß die Coniferales von den Lycopoden abstammen. Das ist erst neuerdings wieder behauptet worden, be- sonders in bezug auf die Araucariaceae, aber es haben sich nur wenige Anhänger dieser Ansicht gefunden. Es besteht ohne Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV Zweifel in manchen Punkten eine gewisse AehnHchkeit zwischen den beiden Gruppen, aber es ist mehr als wahrscheinhch, daß diese richtiger interpretiert werden als Fälle paralleler Entwickelung, und die mono- phyletische Natur der Coniferae im ganzen genommen erscheint fast unangreifbar. Cordaites ist die best bekannte Form der Cordaitales, ein großer Baum, der eine Höhe bis zu 50 Fuß erreichte und frei ver- zweigt war, nach oben hin monopodial (nicht dichotom). Die Blätter standen spiralig angeordnet an den jüngeren Sprossen. Sie waren große, einfache, ungeteilte Ge- bilde, oft riemenförmig oder lanzettlich, manchmal linear zugespitzt. Man kennt solche, die über 3 Fuß lang sind. Jedes Blatt war von einer großen Zahl paralleler Nerven durchsetzt. Der allgemeine Habitus des Baumes war nicht unähnlich dem einiger ^k ^^^^^ ^^^^^^^ <^ f^ L Fig. 14. Rekonstruktion von Cordaites. verkleinert. Nach Scott. Stark Spezies von Agathis oder Podocarpus, ob- gleich die Blätter viel größer waren. Die Anatomie des Stammes, besonders des Holzes, ist im wesentlichen vom Typus der Coniferen, nur war immer ein großes Mark vorhanden, das in kurzen Abständen von Diaphragmen aus parenchymatischen Elementen überbrückt wird. Das erste Holz unterscheidet sich von dem später gebildeten 15 226 rortpflanzimg der (Tewäclise (Zwischenstufen usw.) dadurch, daß es nicht Treppen-Tracheiden, sondern Spiral-Tracheiden hat. Das sekun- däre Holz mit seinen behöften Tüpfehi ist nicht zu unterscheiden von dem einer wie der einiger Coniferen, auch ähnelt es diesen in dem Bau des Stammes und der Wurzeln. Das große Mark wieder erinnert an Cycadeen, ebenso wie die Anatomie der Fig. 15. Cordaites. Radialschnitt durch den männlichen Zapfen. Nach Renault. Araucaria. Die männlichen und weiblichen Organe wurden auf besonderen kätzchen- artigen Sprossen getragen. Die männlichen Sprosse bestehen aus einer dicken Achse, an der spiralig schuppenförmige Blätter sitzen; in der Achsel jedes derselben stehen ein oder mehrere Staubblätter. Jedes Staubblatt besteht aus 3 bis 4 Pollensäcken, die auf einem gemeinsamen Stiel sitzen. In den Achseln der Brakteen der weibUchen Sprosse findet sich vielleicht ein einziges Ei auf einem kurzen Stiel. Das Ei hat mög- licherweise zwei Integumente, der obere Teil des Nucellus ist zu einer Pollenkammer umgebildet, wie das gewöhnlich der Fall ist bei paläozoischen Samen. Sehr wahrschein- lich wurde die Befruchtung ausgeführt durch freischwimmende Antherozoiden, doch ist das noch nicht sicher nachgewiesen. Das Ergebnis war ein herzförmiger Same. Cordaites ist eine sehr bemerkenswerte fossile Form; denn mit Charakteren, die nur ihm eigen sind, vereinigt es solche, die es gemein hat mit Coniferen, Cycadeen und mit Gingko. Der Habitus ist der gleiche (,// \\\ 1 / 'i' o) hinunter. Bei Ib ^{'^ 1^ ^. l e- Fig. 4. Partie eines Pollensackes von Pinus Laricio mit Kernteilungen und Tetradenbildung in den Pollenmutter- zellen, e Epidermis, t Tapetenzellen, tb Te- tradenbildung. Nach Coulter und Cham her - lain. Die vier Zellen einer Tetrade lösen sich aus dem Verbände los und runden sich ab. Ihre Membran differenziert sich in zwei Schichten, von denen die innere, die Intine, aus Zellulose besteht und dünn bleibt, während die äußere, die Exine, stärker ausgebildet und kutinisiert wird. Bei den meisten Abietineen ist die äußere Membranschicht mit zwei blasigen Auftreibungen, den Luft- säcken (Fig." 1,4), versehen, welche als Flugapparate gedeutet werden. Beim Oeffnen der Pollensäcke ist, wie bei den Sporangien der Ptcridophyten, die durch eigenartige Ausbildung ihrer Zell- wände ausgezeichnete Epidermiszellschicht, Fig. 5. Verschiedene Fo rmen von Samen- anlagen. 1 Längsschnitt durch eine junge Samenanlage von Ginkgo biloba, 2 Längs- schnitt durch eine weibliche Blüte von Gnetum Gnemon, 3 medianer Längsschnitt durch eine cmpfängnisveife Samenanlage von Picea ex- relsa, p Pollenkörner auf und in der Nucellus- warze, 1 Integument, ii inneres Integument, ai äußeres Integument, pg perigonartige Hülle der Samenanlage, w Wucherung des Sporophylls, m Mikropyle, n und nc Nucellus, e Embryo - sack mit Prothalliumgewebe, pk Pollenkammer, t Pollenschläuche, h Halsteil eines Archegoniums, a Bauchteil eines Archegoniums. Nach Coulter, Chamberlain, Lotsy und Strasburger. denCycadeen und Ginkgo gelangen diePollen- körner beim Verdunsten des Pollinations- tropfens in eine im oberen Teil des Nucellus entstandene tiefe und nicht selten verzweigte Höhlung, die Pollen kanimer (Fig. 5, 1^ pk). Bei Welwitschia mirabilis findet die Uebertragung der Pollenkörner auf die Samenanlage durch Insekten statt, die durch den an der Mikropyle ausgeschiedenen, zuckerhaltigen Flüssigkeitstropfen angelockt werden. Das gleiche ist auch bei Gnetum und bei Ephedra campylopoda der Fall. 3. Entwickelung der Samenanlage und Ausbildung des Archespors. Die Samen- 232 Fortpflanzung der Grew^ächse (Gymnospermen) anlagen der Gymnospermen (Fig. 5, i ^jg 3) ] bestehen aus dem eiförmigen Nucellus und | einem oder zwei Integumenten (Fig. 5, i ai, ü) i Diese gehen von der Basis des Nucellus aus. [ In ihrem oberen Teile stehen sie von dem- 1 selben ab und umschließen einen trichter- förmigen Gang (Mikropylengang), der ^auf den Scheitel des Nucellus, die Kernwarze, : hinunterführt. Bei Gnetum (Fig. 5, 9) ist 1 das innere der beiden Integumente schlauch- artig verlängert und funktioniert als poUen- auffangendes Organ. Wo dieses fehlt, wird ; schon durch die besonderen Stellungsverhält- nisse der Fruchtblätter und Samenanlagen dafür gesorgt, daß die auf den Zapfen fallen- den Pollenkörner den Weg zum Mikropylen- gang finden. Die ersten Entwickelungsstadien der Samenanlage stimmen bei den Gymnospermen voDkommen mit denjenigen der Angiospermen (vgl. S. 246) überein . bei welchen sie infolge der günstigeren Orientierung in den ; Fruchtknoten leichter festgestellt werden ; können und eingehender studiert worden 1 sind. Zunächst differenziert sich im Nucellus ' ein größerer oder kleinerer Komplex ' sporogener Zellen, welche dem sporenbilden- den Gewebe im Innern eines Pteridophyten- Sporangiums entsprechen. Sie entstehen ; bei den einen Formen in Gestalt einer hypo- dermalen Zellplatte, bei anderen als hypo- ' dermaler Zellkörper bedeutenden Umfanges. Nach der Anlage dieses Archespors findet eine starke Teilungstätigkeit in den ober- i flächlichen Zellschiehten des Nucellus statt, so daß allmählich über dem ursprünglich subepidermalen Archespor eine stark ent- wickelte sterile Spitze des Nucellus, die ^ Kernwarze, geschaffen wird. Von den j Archesporzellen wird in der Regel nur eine einzige zu einer Makrosporenmutterzelle, die anderen bleiben steril. Durch zwei rasch aufeinander folgende Teilungsschritte, ver- gleichbar der Tetradenteilung der Pollen- mutterzellen, entsteht ebenfalls eine Tetrade von vier Enkelzellen, die hier aber in einer Reihe angeordnet sind. Von diesen vier Zellen, den Makrosporen, entwickelt sich nur eine einzige weiter, sie wird zum Embryo- sack (Fig. 6, 1). Bei einzelnen Gymnospermen ist der Verlauf der Tetradenteilung abgekürzt. So unterbleibt z. B. in der oberen der beiden durch die erste Teilung aus der Mutterzelle hervorgegangenen Tochterzellen häufig der zweite Teilungsschritt. Als Pro- dukt der Tetradenteilung entsteht also eine Reihe von nur drei Zellen, von denen wieder- um die unterste zum Embryosack wird (Fig. 6, o i,is 3). Vollständige Unterdrückung der Tetradenteilung, wie sie bei den Angio- spermen nicht selten ist, ist bis jetzt unter den Gymnospermen noch nicht beobachtet worden. 4. Endosperm- und Archegonium- bildung im Embryosack. Die in der Ent- wickelung begünstigte Makrospore wächst zunächst unter Verdrängung der Schwester- Fig. 6. Tetradenteilung der Embryosack- mutterzelle bei Cycadeen. 1 vollständige Tetrade von 4 Enkelzellen im Nucellus einer Samenanlage von Zamia floridana, 2 abge- kürzte Tetradenteilung, Bildung von drei Zellen, in einer Samenanlage von Cerato zamia longi- folia, 3 Verdrcängung der zwei oberen Zellen einer dreizelligen Reihe von Makrosporen in einer Samenanlage von Stangeria paradoxa. Nach Smith, Treub und Lang. Zellen und meistens auch der übrigen sporo- genen Zellen des Nucellus heran. Los- lösung aus dem Zeilverbande des Nucellus findet weder auf diesem ersten noch auf späteren Entwickelungsstadien statt. Das Wachstum der jungen Embryosackzelle ist von Kernteilungen begleitet. Durch zahkeiche, rasch nacheinander stattfindende Teilungen (Fig. 7, j) entstehen oft mehrere Hunderte freier Zellkerne. Da während dieser Vorgänge die Zunahme des Cyto- plasmas nicht mit der Größenzunahme der Zelle Schritt hält, bilden sich darin kleinere, durch Verschmelzung sich vergrößernde Safträume aus, die sich schließhch zu einem zentralen Saftraum vereinigen und das ge- samte Plasma mit den Kernen an die Wand drängen. Durch Vielzellbildung wandelt sich später der kernreiche Wancl- belag in eine Schicht einkerniger Zellen um. Durch tangentiale Teilungen der Zellen dieser Schicht wird eine zweite innere Zell- schicht erzeugt und während die Teilungen weiter m zentripetaler Richtung fortschreiten, wächst auch der Embryosack als Ganzes. Die Zellen der innersten Schicht, welche un- mittelbar an die zentrale Vakuole grenzen und vor jeder Teilung gleichsam in dieselbe hinein- Fortpflanzung der Grewächse (Gymnospermen) 233 wachsen, sind an ihrer Innenseite nackt, umzahl auf ein einziges reduziert. In un- Schließlich ist der Embryosackraum mit einem gewöhnlich großer Zahl dagegen finden sich kompakten Zellgewebe, dem primären Endo- Archegonien bei der auch sonst in der sperm erfüllt, in dessen Zellen reichlich Re- Differenzierung der beiden Geschlechtsgene- servestoffe angehäuft werden. An der Oberfläche des Endo- spermkörpers finden sich in- dessen mehrere, häufig auch nur eine einzige Schicht kleinerer und an Reservestoffen ärmerer Zellen, von denen sich einzelne zu Archegonien entwickeln (Fig. 8, 1 bis 2). Daraus geht klar hervor, daß der Embryosack der Gymnospermen der Makro- spore der heterosporen Pterido- phyten, das in demselben ent- stehende primäre Endosperm dem weiblichen Prothallium der letzteren homolog zu setzen ist. Die Embryosäcke der Cycadeen und einzelner Coniferen jjesitzen auch noch eine kutikularisierte Wandschicht (Fig. 8, 6, e), die dem Exosporium freiwerdender Makrosporen verglichen werden kann. Bei einigen Formen ist ferner, bei Cycas gelegentlich, bei Ginkgo dagegen als Regel, ein Ergrünen des Endosperm- gewebes zu beobachten. Bald nach dem Auftreten von Tei- lungswänden im jungen Embryo- sacke kommt es in seinen Zellen zur Chlorophyllbildung und es ist sehr wahrscheinlich, daß ein Teil der im Prothallium ge- speicherten Stärke ein Produkt der eigenen Assimilationstätig- keit darstellt. Kommt bei Ginkgo dem Prothallium noch eine gewisse Selbständigkeit zu, so ist allerdings in anderen Fällen die xVusbildung des Pro- thalliums schon bedeutend re- duziert, doch niemals so weit, wie bei den Angiospermen. Am weitesten ist innerhalb der Gym- nospermen die Reduktion in der Prothalliumbildung bei den Gnetinae vorgeschritten, bei denen Ephedra 1 rationen zahlreiche primitive Merkmale auf- und Welwitschia noch ein zusammenhängen- weisenden Gattung Microcycas. Ihre Zahl des Endospermgewebe aufweisen, während beträgt hier gegen 200, sie kommen nicht im Embryosacke von Gnetum nur noch nur über die Mikropylarregion des mächtig zahlreiche freie, im Plasma verteilte Kerne | entwickelten Prothalliums (Länge 2,5 bis gebildet werden. 1 3,5 cm bei 1,75 bis 2 cm Breite!) verteilt Die Zahl der innerhalb eines Embryo- vor, sondern auch an den zahlreichen rand- sackes erzeugten Archegonien ist verschieden, ständigen Lappen und beliebigen anderen Am Scheitel des Embryosackes von Zamia Stellen desselben. Abgesehen von diesem finden sich z. B. zwei bis vier von einander \ und einigen anderen Ausnahmefällen geht durch einige Schichten vegetativer Pro- die Bildung der Archegonien von Zellen der thalliumzeÜen getrennter Archegonien vor ; \ oberflächlichen Zellschicht aus. Die Arche- bei Torreya taxifolia ist die Archegoni- goniummutterzellen (Fig, 8, 2, i) vergrößern Fig. 7. Prothallium- und Archegoniumbildung bei Ephedra trifurca. 1 freie Kernteilungen im jungen Embryosack, 2 und 3 junge Archegonien mit Zentralzelle und den ersten Halszellen, 4 Querschnitt durch einen Ai-chegoniumhals, 5 Querschnitt durch den Embryosack in der Höhe der Zentralzellen der Archegonien, 6 und 7 weitere Entwickelungsstadien der Archegonien, 8 Eikern und Bauchkanalkern am oberen Ende der Zentralzelle, 9 Eikern, umgeben von einer Zone verdichteten Cyto- plasmas, vor der Befruchtung. Nach Land. 234 Fortpflanzung der Gewächse (Gymnospermen) sich rasch; sie zeichnen sich vor den anderen Endospermzellen durch größeren Plasma- gehalt und größere Kerne aus. Beim weiteren Fig. 8. Entwickeliing des Endosperms und der Archegonien von Dioon edule. 1 peripherische Partie eines Embr3^osackes, kurze Zeit nach erfolgter Zellbildung, 2 Bil- dungszelle eines Archegoniums, 3 junges Arche- gonium aus Zentralzelle und Halszelle, 4 junges Archegonium mit stark gewachsener Zentral- zelle und geteilter Halszelle, 5 obere Partie eines ausgewachsenen Archegoniums mit stark vergrößerten und vorgewölbten Halszellen, Bauchkanal -Zellkern, 6 oberflächliche Partie eines ausgewachsenen und als Reservestoff- behälter funktionierenden Endosperms, e Epi- dermiszellen des Prothalliums, i Initiale des Archegoniums, hj primäre Halszelle, hg sekun- däre Halszellen, h Halszelle, c verdickte und Initinisierte Wand des Embryosackes, st Stärke- körner, g gerbstoff haltige Zelle. Nach Cham- berlain. Wachstum erfahren sie bestimmte, an die Archegoniumentwickelung der Ptoridoj)]iyten erinnernde Teilungen. Die iVrchcgonion der Gymnospermen sind dem Endosjjcringewebe ganz eingesenkt. Sie bestehen aus einer großen, meistens gestreckten Zentralzelle (Fig. 7. u. 8) und einem kurzen Halsteil. Mit den Archegonien der Pteridophyten stimmen sie darin überein, daß die Zentral- zelle sich meistens erst kurz vor der Be- fruchtung in eine große Eizelle und eine kleine Bauchkanalzelle teilt. Im Gegen- satz zu den Farngewächsen ist dagegen bei den Gymnospermen die Bauchkanal- zelle von der Eizelle gewöhnlich nicht durch eine Membran abgetrennt, sondern nur durch einen frei im gemeinschaftlichen Plasma liegenden Kern repräsentiert. Eine eigene Wandschicht wird nicht gebildet; doch ist vielfach an der Oberfläche der Ei- zelle eine Deckschicht vorhanden, die aus besonders geformten, gew^öhnlichen Endo- spermzellen, oder, wie für eine Anzahl von For- men angenommen ward, ans steril gewordenen Archegoniumanlagen hervorgegangen ist. Ihre Zellen sind, wie z. B. bei den Cycadeen, an der Ernährung der Eizelle beteiligt und er- möglichen durch intensive Nahrungszufuhr deren auffallende Größenzunahme. In be- fruchtungsreifen Embryosäcken von Dioon edule sind Eizellen mit einer Länge von 4 bis 6 mm und einer Breite von 5 mm festgestellt worden. Der Halsteil des Archegoniums besteht in der Kegel nur aus Wandzellen. Nur bei Microcycas und gelegentlich bei Cephalo- taxus, ist auch ein Halskanalzellkern vor- handen. Bei sämtlichen untersuchten Cy- cadeen, bei Ginkgo und bei Cephalotaxus ist der Archegoniumhals zweizeilig; aus zwei oder mehr Zellen setzt er sich bei den übrigen Taxaceen und den anderen Coniferen zu- sammen. Am zahlreichsten sind die Hals- zellen bei hJphedra, wo sie bis 8 Etagen zu je 4 bis 8 Zellen bilden (Fig. 7, 3 1,1., ^). Bei Gnetum und Welwitschia dagegen ist die Archegoninmbildung reduziert. Bei Gnetum finden sich die den Archegonien entsprechen- den Elemente entweder als freie Eizellen vor, oder eine größere Zahl freier Kerne am oberen Ende des Embryosackes können gleichmäßig bei der Befruchtung als Ei- kerne in Frage kommen. Bei Welwitschia wird nach durchgeführter Vielkernbildnng das untere Ende des Embryosackes mit einem aus vielkernigen Zellen bestehenden, sterilen Gewebe ausgefüllt, während im i oberen Teile des Sackes zwei- bis fünfkernige Zellen enthalten sind. Einzelne derselben treiben schlauchartige Fortsätze ins Nu- eellusgewebe, -welche den Pollenschläuchen entgegenwachsen. Man hat diese Zellen als den Archegonien der übrigen Gymnospermen ; homologe Bildungen aufgefaßt. I 5. Keimung der Pollenkörner und Be- j fruchtung. Nach der Uebertragung der Pollenkörner auf die Kernwarze der Samen- anlagen, bei einzelnen Gymnospermen auch schon vor der Ausstreuung ans den Pollen- säcken, gehen in denselben Kern- und Zell- teilungen vor sich, welche eine Homologi- sierung mit dem Vorgang der Prothalhum- bildnng in der keimenden Mikrospore der heterosporen Pteridophyten möglich nuichen. Das Pollenkorn wird zunächst mehrzellig. Bei allen Gymnospermen differenziert es sich ausnahmslos in eine vegetative Polleii- kornzelle (Schlauchzelle) und eine Antheri- diumzelle (auch antheridiale, spermatogene Zelle genannt). Ihrer Entstehung (Fig. 9 und 10) geht gewöhnlich diejenige von 1 bis Fortpflan/Aing- der Gewächse (Gymnospermen) 23r 2 weiteren Zellen voran, welche vegetative Prothalliumzellen repräsentieren. Sie nehmen nach ihrer Entstehung nicht mehr an Größe zu und verschwinden häufig voll- ständig. Die vegetative Pollenkornzelle erzeugt später den Pollenschlauch. Die x\nthe- ridiumzelle (Fig. 10, 3^ a^) wächst zu dieser Während der zuletzt beschriebenen Tei- lungen können die membranösen Abgren- zungen der einzelnen Zellen verschwinden oder überhaupt nicht zur Ausbildung ge- langen. Besonders häufig ist das Fehlen einer deutlichen Abgrenzung zwischen den beiden spermatogenen Zellen, deren ^! c% Fig. 9. Prothallium- und PoUeiisclilaucii- bildung von Pinus Laricio. p sterile Pro- thalliumzellen, k Körperzelle, v Pollenschlauch- kern, w Wand- oder Stielzelle, g Spermakerne. Nach Coulter und Chamberlain. Fig. 10. Pollen - lauchbildung bei Dioon und Micro cycas. 1 bis 5 Prothalliument- wickelung in Pollenkorn und Pollenschlauch von Dioon edule, e Exine, 1 Intine, vp vegetative Prothalliumzelle, az An- theridiumzelle, w Wand- oder Stielzelle, k Körper- zelle, b Blepharoplast, (Cilienbildner), 6 Pollen- schlauch von Micro - cycas calocoma mit 9 Spermatozoidmutter- zel len . Nach C h a m b e r - lain und Caldwell. Zeit unter starker Vorwölbung in den Raum der Schlauchzelle mächtig heran. Sie teilt sich später meistens in eine kleinere, vege- tative Zelle, Stiel- oder Wandzelle (w) genannt, welche an die vegetativen Pro- thalliumzellen anschließt, und eine scheitel- ständige größere Zelle, die Körperzelle (k). Diese verhält sich später wie eine Spermato- zoidmutterzelle und liefert durch eine letzte Teilung zwei Tochterzellen, die spermato- genen" Zellen, die in den verschiedenen Klassen der Gymnospermen in Gestalt und weiterem Verhalten sehr verschieden sind. Kerne, die Spermakerne, in gemeinschaft- lichem Plasma liegen oder doch zu liegen scheinen. Bei den Cupressineen sind sie von gleicher Größe, bei Abietineen und ebenso bei verschiedenen Taxaceen dagegen verschieden groß und nur der größere ist zur Befruchtung befähigt. Bei verschiedenen Podocarpeen und Araucarieen ist die x\nzahl der im Pollenkorn entstehenden Kerne und Zellen bedeutend vermehrt. So werden z. B. bei Dammara robusta insgesamt 6 bis 10, bei Agathis bis 13, bei Araucaria sogar 30 bis 40 Kerne und Zellen gebildet, 236 Fortpflanzung der Grewäclise (Gymnospermen) deren Bedeutung allerdings noch nicht voll- kommen genau festgestellt worden ist. Im Pollenkorn der Gnetaceen dagegen erfolgt in der Regel nur die Bildung einer einzigen, Fig. 11. Pollenschlauchwachstum und Befruch tung bei Coniferen. 1 oberster Teil der Samenanlage von Pinus silvestris im Längsschnitt, i Integument, ps Pollenschlauch, h Halsteil des Aichegoniums, bc Bauch- kanalzelle, 0 Eizelle, 2 Pollenschlauchende am Scheitel des Embryosackes von Torreya taxifolia, p Pollenschlauch, k Körperzelle, sk und vk Kerne der Schlauch- und Stielzelle, e Embryosack im Stadium der freien Kernteilung. Nach Strasburger, Coulter und Land. bald degenerierenden Prothalliunizelle und einer Antheridialzelle. Nur bei Ephedra liefert diese durch eine erste Teilung noch eine Wandzelle. Bei den anderen Ver- tretern (Gnetum und Welwitscliia) dagegen, thallien auf. Sie kommen den Angiospermen am nächsten und unterscheiden sich von denselben nur noch durch einen einzigen Teilungsschritt. Der bei der .Bildung der vegetativen Zellen und der An- theridiumzelle nicht verbrauchte und einen eigenen großen Kern enthaltende Rest des Pollen- korns, die sogenannte Schlauch- zelle, bildet nach Sprengung der dicken Außenwand einen sackförmigen Fortsatz, welcher in das Gewebe des Knospen- kerns eindringt (Fig. 11). Da die Bestäubung und die eben beschriebenen Entwickelungs- vorgänge im Pollenkorn sich schon zu einer Zeit abspielen, da im jungen Nucellus erst die Differenzierung des iVrchespors oder die Teilung der Embryo- sackmutterzelle stattfindet, wird die Pollenschlauchentwickelung gewöhnlich bald unterbrochen und erst wieder fortgesetzt, wenn befruchtungsfähige Arche- gonien vorhanden sind. Bis. dahin vergehen bei den einzelnen Formenreihen innerhalb der Gymnospermen sehr verschie- dene Zeiträume, wenige Wochen bis ein Jahr und mehr. Auch sonst sind in den bis zur Be- fruchtung noch notwendigen Entwickelungs- und Wachstums- vorgängen große Unterschiede innerhalb der Gymnospermen vorhanden. Bei den Coniferen wachsen die Pollenschläuche (p) in Gestalt langer, unverzweigter und ziem- lich gleich dick bleibender Schläuche von der Kernwarze gegen den Scheitel des Embryo- sackes vor, wobei eine Auf- lockerung und teilweise Auf- lösung der hindernden Nucellus- zellen erfolgt (Fig. 11, i u. 2)- Der befruchtende Pollenschlauch erreicht schließlich den Halsteil eines Archegoniums, drängt sich zwischen den Zellen desselben hindurch in die Bauchkanalzelle und zuletzt bis in die Eizelle hinein vor. Schon auf einem frühen Stadium der Schlauch- bildung sind im Pollenkorn die beiden sper- matogenen Zellen oder die zwei Spermakerne aufweisende Spermatozoidmutterzelle frei werden schon bei ihrer ersten Teilung zwei geworden und zusammen mit dem Kern der Spermakerne erzeugt. Von allen Gymno- Schlauchzelle und demjenigen der aufge- spermen weisen also die Gnetaceen die am lösten Stielzelle in den Pollenschlauch ein- weitesten reduzierten männhchen Pro- gewandert, in dessen scheitelständigem Pias- Fortpflanzung der Gewächse (G-yninospermen) 237 ma sie beim weiteren Wachstum mitgeführt werden. Wenn schheßlich an der in die Eizelle vorgedrungenen Pollensehlauchspitze die Membran aufgelöst wird oder platzt, so wird ein Teil des Schlauchplasmas mit den darin enthaltenen vier Kernen in die Ei- zelle hinein entleert. Der eine der beiden Spermakerne (bei den Formen mit ver- schieden großen Spermakernen der größere) wandert zum Eikern, mit dem er zur Bildung des Keimkerns verschmilzt. Bei den Gnetumarten (Fig. 12) entleert der bis zum Embryosack vorgedrungene PoUen- Fig. 12. Embryosackscheitel von Gnetum Rumphianuna nach der Entleerung eines Pollenschlauches, ps Pollenschlauch, PK Pollenschlauchkern, nik männliche Kerne (Spermakerne), wk weibliche Kerne (Eikerne). Nach Karsten. schlauch (ps) seinen Inhalt in den mit zahl- reichen Eikernen (wk) versehenen Embryo- sackscheitel. Die beiden Spermazellen des Pollenschlauches, oder vielmehr deren Kerne (mk), verschmelzen mit je einem der weib- lichen Kerne. Während bei vielen Algen, bei allen Moosen und Pteridophyten die männhche Zelle in Gestalt eines " selbständig beweg- lichen Spermatozoides auftritt, sind bei den Coniferen und Gnetaceen, das gleiche gilt auch für alle Angiospermen, die männ- lichen Zellen oder die häufig allein noch wahrnehmbaren männlichen Kerne ohne Eigenbewegung. Sie werden durch das Wachstum, des Pollenschlauches, also völlig passiv, der Eizelle zugeführt. Von höchstem Interesse ist es nun, daß auch einer Anzahl Gymnospermen typische Spermatozoiden- befruchtung verblieben ist. Für die Homo- logien- und Abstammungslehre der höheren Pflanzen ist besonders wertvoll, daß die Spermatozoidenbildung gerade bei denjenigen Gymnospermen beibehalten worden ist, von denen man schon lange, auf Grund anderer primitiver Merkmale, annahm, daß sie den heterosporen Pteridophyten am nächsten stehen, nämlich bei den Cycadeen und bei Ginkgo. Zuerst haben zwei japanische Forscher, Ikeno und Hirase, die Sperma- tozoiden bei Cycas und Ginkgo nach- gewiesen. Durch' sie angeregt, suchte und fand Webber ähnliche bewegliche Zellen bei Z a m i a i n t e g r i f o 1 i a und später auch bei Z a m i a p u m i 1 a und f 1 o r i - d a n a (Fig. 14, i). Seither haben sich nicht nur zahlreiche Forscher von der Richtigkeit der gemachten Angaben über- zeugt, sondern Spermatozoiden auch bei allen anderen daraufhin untersuchten Cy- cadeen (Arten von Cycas, Microcycas, Zamia, Ceratozamia, Dioon"(Fig. 13) und Stangeria) nachgewiesen. Bei all diesen Formen er- folgt die Keimung der zunächst einzelligen Pollenkörner in der Pollenkammer (pc) des Nucellus. Sie führt zur Bildung einer vege- tativen Prothalliumzelle, der Antheridium- zelle, die sich in Stielzelle und Spermatozoid- mutterzelle teilt und schUeßüch der beiden spermatogenen Zellen, deren Inhalt sich zu einem Spermatozoid (sp) umformt. Bei der Gattung Microcycas werden bei der Teilung der Antheridiumzelle 8 bis 10 Spermato- zoidmutterzellen (Fig. 10, ,;) gebildet, von denen jede zwei Spermatozoiden hefert, so daß also im PoUenschiauch dieser Pflanze 16 bis 20 Spermatozoiden gebildet werden. Der aus der vegetativen Restzelle des Pollen- korns entstehende Pollenschlauch dringt in das Gewebe des Knospenkerns ein und ver- ankert das Pollenkorn. Er bleibt bei den Cycadeen kurz und gedrungen, bei Ginkgo ist er reich verzweigt. Durch Platzen seiner Spitze gelangen die Spermatozoiden in die mit Flüssigkeit erfüllte Pollenkammer, in welcher sie sehwimmend den Weg zu den Archegonienhälsen zurücklegen. Bei Zamia findet sich oberhalb der Archegonien eine kleine Einsenkung imProthaUiumgewebe von ca. 2 mm Durchmesser und 1 mm' Tiefe. Die Pollenschläuche wachsen bis in diese kleine Grube, die Archegonienkammer, vor, und platzen hier erst infolge des Wider- standes, den die etwas vorragenden 238 Fortpflanzunti- der Cxewächse (CTymnospermen) Halszellen der Archegonien ihrem Wachs- \ den von ihnen auseinandergedrängten Hals- tum entgegensetzen. Sie entlassen dabei die beweglichen Spermatozoiden zusammen mit einem Tropfen wässeriger Flüssigkeit, der ihnen die Bewegung gestattet. Zellen hindurch. Im Cytoplasraa des Eies werden Cilienkörper und Plasmahülle ab- geworfen und der nackte Spermakern wan- dert zu dem bedeutend größeren Eikern, Fig. 13 Längsschnitt diiich die oberste Partie einer Samenanlage von Dioon edule zur Zeit der Befruchtung, i Integu- ment, p Pollenschläuche, pc Pollenkammer, h Halsteil des Archegoniums, a Archegonien, sp Spermatozoid. Nach Chamberlain. Die freien Spermatozoiden der Cycadeen sind schon mit bloßem Auge sichtbare, rund- liche Körper. Diejenigen von Zamia (Fig. 14, i) sind nach Webber 220 bis 330 jli lang und 220 bis 300 ju breit, die etwas kleineren Spermatozoiden von Cycas haben nach Miyake einen Durchmesser von 210 bis 250 ß. Sie besitzen mehr oder weniger die Form einer an einem Pole eiförmig ge- stalteten Kugel. Von diesem Pole aus wird die Oberfläche des Spermatozoiden- körpers von einer spiraligen, ö bis 6 Win- dungen bildenden Furche umzogen, aus der dicht beieinanderstehende Cilien hervor- ragen. Der von den Spermatozoiden zurück- zulegende Weg ist bei allen Cycadeen und auch bei Ginkgo kurz. Stoßen sie in ihrer Bewegung auf einen Archegoniumhals, so pressen sie sich unter starker Gestalts- veränderung durch den engen Kanal zwischen Fig. 14. Spermatozoidenbildung und Befruchtung bei Zamia floridana. 1 Pollensehläuche mit vegetativer Prothallium- zelle V, Stielzelle s, und den beiden Spermato- zoiden. a vor Beginn, b nach Beginn der Zilicn- bewegung, 2 befruchtete Eizelle. Der Sperma- kern wird in einer grubigen Vertiefung des größeren Eikerns aufgenommen. Das abge- worfene Spiralband liegt im Plasma der Spitze des Eies. Ein zweites Spermatozoid an der Oberfläche der Eizelle. Nach Webber. von welchem er in einer trichterförmigen j Einsenkung der Oberfläche aufgenommen 1 wird (Fig. 14, 2). Auch bei den Cycadeen erfolgt die Befruchtung erst mehrere Monate nachdem die Pollenkörner in die Mikropyle gelangt sind. Für Ceratozamia wird sogar angegeben, daß Pollenentleerung und Be- fruchtung ein volles Jahr auseinanderliegen. Die bei den Cycadeen und Ginkgo fest- gestellten Verhältnisse sind für die phylo- genetische Deutung des Pollenschlauches von höchstem Werte. Der in das Nucellargewebe eindringende Schlauch dient in erster Linie der Befestigung des PoUenkorns am Nucellus und besorgt wohl auch die Nahrungszufuhr für die weitere Entwickelung des Pollen- korns. Ferner werden durch die Schlauch- bildung die werdenden Spermatozoiden schon in die Nähe des Prothalliumscheitels ge- bracht und bei Zamia findet ja deren Ent- lassung aus dem Pollenschlauch erst in un- mittelbarer Nähe der Archegonien selbst statt. Bei allen übrigen Formen der Gymnospermen ist nun die Eigenbewegung der Spermatozoi- den offenbar aus dem Grunde aufgegeben worden, weil der Pollenschlauch weiter wächst und seine Entleerung erst in der Fortpflanzung der Gewächse (Gymnospermen) 239 Eizelle selbst stattfindet. Eine Umwandlung j schlauchartiger Verlängerung zum Embryo- der spermatogeneu Zellen in Spermatozoiden [ träger auswachsen. Dieser schiebt sodann ist dadurch zwecklos geworden, da im Plasma die vorderste, den eigentlichen Embryo der Eizelle auch die nackten Kerne den liefernde Etage in das mit Reservestoffen Weg zum Eikern finden. Der Pollenschlauch i erfüllte Nährgewebe des Prothalliums hin- aber hat durch diese Umgestaltung der Be- unter. In anderen Gattungen der Coniferen fnichtungsverhältnisse eine neue Funktion [ findet während der Entwickelung des Pro- crhalten, welcher auch seine bei Coniferen, i embryos eine Trennung der vier Zellreihen (.inetacoen und Angiospermen überein- 1 statt, von denen jede gleichsam für sich zu stimmende, langgestreckt schlauchförmige i einem Proembryo wird. Da nicht selten in Gestalt angepaßt ist. einem Embryosacke infolge des Eindringens 6. Embryobildung. Die Entwickelung \ mehrerer Pollenschläuche auch zwei oder des Embryos aus der Keimzelle ist nicht nur j mehr Archegonien befruchtet werden und innerhalb der verschiedenen Klassen der sich zu entwickeln beginnen, können am Gymnospermen, sondern auch innerhalb der Scheitel des Endosperms junge Keime in be- kleineren Kreise, der Famihen, ja selbst der trächtlicher Anzahl auftreten Schheßlich Gattungen, außerordentlich verschieden. Bei erlangt aber im Verlaufe der Entwickelung Ginkgo (Fig. 15, i mid 2) füllt sich nach ; stets ein Keim das Uebergewicht und ent- einigen freien Kernteilungen die Keimzelle vollständig mit festem Zellgewebe an. Sie erzeugt so direkt einen Embryo, während bei allen übrigen Formen zunächst ein wenig- bis vielzelüges Gewebe, der P r 0 e m b r y 0 , gebildet wird, der sich nach- her wieder auf verschiedene Weise in Embryoträger (Suspensor) und eigent- lichen Embryo differenziert. Bei den Pinusarten z. B. (Fig. 16) wandern nach einer doppelten Teilung des Keimkerns alle vier Kerne an den der Mikropyle ab- gewendeten Scheitel der Keimzelle. Sie ordnen sich hier ungefähr in eine Ebene ein, teilen sich wieder, worauf sich zwischen den acht, nunmehr in zwei Stockwerken angeordneten Kernen zunächst Quer- und nachher auch Längswände ausbilden. So entsteht ein achtzelliger Proembryo, dessen vier obere (der Mikropyle zugekehrten"; Zellen gegen die Ansatz- ^ig. 15. Embryobildung bei Ginkgo biloba. 1 Stadium stelle der Keimzelle offen der freien Kernteilung im Proembryo, 2 Entstehung des pro- bleiben, d. h. hier in das embryonalen Gewebes durch Segmentation der ganzen Keim- ungeteilte Plasma der Keim- zelle, 3 Schema eines Längsschnittes durch einen weit ent- zelle übersehen. Bei den wickelten Embryo, et gerbstoffhaltige Zellen, pf erste Laubblatt- weiteren Teilun'o-en o-ehen anh»gen, cot KeimbLätter. Nach Strasburger und Sprecher, die vier basalen Zellen zu- nächst voran, die scheitelständige Vierer- gruppe folgt nach. Das oberste der ent- stehenden vier Stockwerke bildet den de- finitiven Abschluß des Embryos, die drei übrigen beteiligen sich weiter an der Em- bryoentwickelung und zwar in der Art, daß die Zellen der beiden mittleren Etagen unter wickelt sich unter Verdrängung aller anderen zum einen Embryo des Samens. Eine weitere interessante Modifikation im Verlaufe der Embryobildung ist bei Zamia (Fig. 17) und anderen Cycadeen be- schrieben worden. Hier tritt der Keimkern der befruchteten Eizelle ebenfalls bald in 240 Fortpflanzung der Crewäclise (Gymnospermen) Teilung und liefert durch freie Kernteilung in acht aufeinander folgenden Teilungs- schritten, an welchen sich meistens alle in der Keimzelle vorhandenen Kerne he- ge webe hineinschiebt (4). Der ausgewachsene Embryo der Gymnospermen besitzt (Fig. 15, 3) eine nach der Mikropyle gerichtete Hauptwurzel (Radicula), eine Hauptachse (Hypokotyl), pIup Stammknospe (Plumula) und eine ^\ech^elnde Zahl von Keimblättern Fig. 16. Entwickelungs'st.Klu'n des Pro- embryos und des ]]iiibryob \on Pmus Laricio. 1 bis 5 Entwickelungsstadien des Pro- embryos, p Pollenschlauch, n Pollenschlauch- spuren im Plasma der Keimzelle, k Kerne der Keimzelle nach den beiden ersten Kernteilungen, s Suspensorzellen, e embryobildende Zellen, 6 junger Embryo aus drei Zellstockwerken am Scheitel des langgestreckten Suspensors. Nach Coulter und Chamberlain. teiligen, ca. 256 freie Kerne, die im Plasma des Scheitels der großen Keimzelle verteilt sind. Auf diesen Teil der Keimzelle ist zu- nächst auch der nachfolgende Vorgang der Zellteilung lokalisiert (2). Der entstehende Proembryo liefert später aus seinen scheitel- ständigen Zellen den eigentlichen Embryo, während aus seiner Basis der rasch in die Länge wachsende Suspensor (3) entsteht, der den Embrvo ebenfalls in das Nähr- Fiij: 17 Pjoembi\o- und Embryoent- wickehing bei Zamia floridana. 1 Pro- lembno im Sradium der freien Kernteilungen, j 2 Gewebebildung am Scheitel des Proembryo, 3 Differenzierung des scheitelständigen Gewebes in Suspensor und Embryo, 4 junger Embryo mit langem Suspensor. Nach Coulter und C h a m b e r 1 a i n . (Kotyledonen). Die Cycadinae, Ginkgoinae (Fig. 15, 3) und Gnetinae, ebenso die Taxa- ceae und die meisten Cypressineen weisen 2 Keimblätter auf, während bei den Abietineen deren Zahl 2 bis 15 beträgt. Auch im reifen Samen liegt der Embryo noch im Endosperm (Prothalliumgewebe) eingebettet. Trotzdem dieses die zur Em- bryobildung notwendigen Baustoffe zu lie- fern hat, ist es selbst noch bedeutend ge- wachsen und erfiUlt infolge Verdrängung der Nucellusreste den gesamten Raum inner- Fortpflanzung- der Grewächse (Gymnospermen) 241 halb der Samenschale. Seine Zellen sind mit Stcärke, Fett und Eiweiß gefüllt. 7. Samen und Frucht der Gymno- spermen. Eine Unterscheidung von Frucht und Samen ist bei den Gymnospermen nur in jenen Fällen möglich, in welchen, wie z. B. bei den Cycadeen, Ginkgo usw., sterile Teile der Fruchtblätter bis zur Samenreife erhalten bleiben. In den zahl- reichen anderen Fällen, in welchen das Fruchtblatt ganz oder fast ganz zur Bildung der Samenanlagen aufgol)raucht wird, decken sich die beiden Bezeichimngen. Die reifen Samen sind von verschiedener Beschaffenheit. Bei den Cycadinae, Ginkgoi- 1 nae und einzelnen Taxaceen sind sie steinfruchtartig. Der äußere Teil des Inte- ! gumentes wird bei der Reife fleischig und ; meistens lebhaft, bei Cycas z. B. intensiv rot. gefärbt ; die inneren Gewebeschichten \ werden hart. Bei den Abietineen und Cupressineen sind die Samen hartwandig. In verschiedener Weise können sich bei diesen Formen nach der Befruchtung die Fruchtschujjpen und Deckblätter der Blüten und Blutenstände verhalten. Werden die- selben holzig, so entstehen Holzzapfen: bleiben sie weich und fleischig, so gehen aus dem Blütenstand Beerenzapfen her- vor. Bei Gnetum kommen beerenartige j Früchte dadurch zur Ausbildung, daß das Fruchtblatt fleischig, das Integument da- ■ gegen holzig wird. Bei Ephedra nehmen an der Entstehung ebenfalls beerenartiger , .Früchte" die den Samen zunächst stehen- den und fleischig werdenden Hochblätter teil. In der Art ihrer Fortpflanzung nehmen ; die Gymnospermen eine überaus bemer- J kenswerte Zwischenstellung zwischen den Pteridophyten und den Angiospermen ein. Besonders auffällig sind die zwischen den | primitivsten Gymnospermen und den Pteri- dophyten bestehenden Homologien in der Entwickelung der ^lakios])orangien und Makrosporen, der archegonientragenden Pro- thallien, sowie in der Keimung der Pollen- körner und der Spermatozoidenbildung. An- dererseits weisen die höchst entwickelten Gymnospermen auffällige Beziehungen zum Typus der Angiospermen anf, wie den Be- ginn einer Fruchtknotenbildung, Andeutung von Zwitterigkeit bei Welwitschia und Ephedra, Uebergang von der Windblütigkeit zur Pollenübertragung durch Insekten. Ueber- einstimnunig herrscht ferner in der Reduktion der Prdthalliuinbildung (Gnetumarten und alle Angiosi)ermen), in der Ausbildung der Pollenschläuche zum Transport der männ- lichen, bewegungslos gewordenen Sexual- zellen zur Eizelle usw." Inwieweit es sich dabei nm bloße Konvergenzerscheinungen zwischen Gruppen verschiedenen Ursprungs handelt oder inwieweit bestimmte Gruppen Handwörterbuch der Naturwissenscliaften. Band IV der Angiospermen mit solchen der Gymno- spermen in phylogenetische Beziehungen gesetzt werden können, ist auf Grund der Betrachtung der Fortpflanzungsverhältnisse allein nicht zu entscheiden (vgl. den Artikel ,, Gymnospermen"). Literatur, a) ZusammenJ assungen über d i e Fo r tpj'l anziing der Gymnospermen: JE. Strasburger, Die Cow'/eren und die Gneta- ceen. Jena 1872. — Derselbe) Die Angiospermen und Gymnospermen. Jena 1879. — K. Goebel, I 'crglr ichende Entwickelungsgeschichle der Pßdnzcnorgane. Handbuch der Botanik v. Schenk, hl. Bd.,' 1. Breslau I884. — Derselbe, Organographie der Pflanzen. Jena 1898 bis 1901. — «/. M. Conlter und C. J, Chamberlain, Morphotogy of Gymnosperms. Chicago 1910. — J, JP. Lotsy, Vorträge über botanische Stammes- geschichte, IL Bd., Cormophyta zoidiogama, Jena 1909, III. Bd., 1. Teil, Cormophyta siphmo- gama. Jena 1911. — JR. v. Wettstvin, llnnd- buch der systematischen Botanik, 2. Avß., Leipzig mid Wien 1911. — G. 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Die meisten Angiospermen besitzen diejenigen Organe, die auch der Nichtbotaniker unter der Bezeichnung ,, Blüte" kennt. Während bei den Gymno- spermen die männlichen und weib- lichen sporenbildenden Blätter (Sporo- phylle) durchweg auf gesonderten Achsen stehen und männliche und weibliche Blüten bilden, ist bei den Angiospermen die Vereinigung beiderlei sporenbildender Blätter zu Zwitterblüten vorherrschend. Diese erhalten in Form steriler Blätter, die sich von den Laubblättern oft wesentlich unterscheiden, noch eine besondere Um- hüllung, das Perianth. Es besteht in der Regel aus zwei Blattkreisen, deren Blätter entweder gleichmäßig geformt und gefärbt sein können, oder einen äußeren Kreis grüner Kelchblätter und einen inneren Kreis buntgefärbter oder weißer Kron- blätter bilden. Innerhalb der Blütenhülle sind die fertilen Blätter (Sporophylle) an- geordnet, und zwar folgen in einer regelmäßig und vollständig ausgebildeten Blüte zu- nächst zwei gleichzählige lü-eise von Staub- blättern (Mikrosporophyllen) und zu innerst ein Wirtel von Fruchtblättern (Makrosporophyllen). Ein Staubblatt besteht bei typischer Differenzierung (vgl. den Artikel „Blüte") aus dem St au l3 faden (Filament) und der Anthere, die sich aus zwei symme- trischen Hälften, den Thecae, mit je 2 Pollensäcken (Mikrosporangien) zu- sammensetzt. In ihrem Entwickelungsgang erinnern diese an die Sporangien der Pterido- phyten und die Pollensäcke der Gymno- spermen. Von den letzteren unterscheiden sie sich u. a. dadurch, daß die beim Oeffnen in erster Linie beteiligte Zellschicht sube]ndermal auftritt. Die innersten Zellen des Pollensackes werden zu Pollenmutter- zellen, von denen jede vier Pollen körn er liefert. Umgeben vom Andre eceum, der Ge- samtheit der Staubblätter, bildet das Gynoeceum, die Vereinigung der Frucht- blätter, den inneren Abschluß der Blüte. An den Fruchtblättern entstehen in ver- schiedener Zahl und Anordnung, aber stets im Innern eines von ihnen ge- bildeten geschlossenen Gehäuses, des Frucht- knotens, an mehr oder weniger großen, rand- oder zentralständigen Wuche- rungen, den Placenten, die Samen- anlagen. Direkte Uebertragung der Pollen- körner auf die einzelnen Samenanlagen, wie bei den Gymnospermen, ist daher bei den Angiospermen ausgeschlossen. Ueber dem die Samenanlagen bergenden Teil der Fruchtblätter setzen sich diese fort in den stielartigen Griffel und einen end- ständigen Empfängnisapparat für die Auf- nahme der Pollenkörner, die Narbe. In Blüten mit verwachsenen Fruchtblättern ist sehr häufig auch nur ein Griffel und eine Narbe vorhanden. Die Samenanlagen der Angiospermen be- stehen aus den gleichen Teilen wie die- jenigen der Gymnospermen. Im jungen Nucellus derselben bilden sich, wiederum in Uebereinstimmung mit den Gymnospermen und heterosporen Pteridophyten, entweder mehrere oder eine einzige Makrosporen- mutter zelle aus, die in der Regel nur eine entwickelungsfähige Makrospore, den E ni b r y 0 s a c k , lief ei t. In diesem entwickelt sich ein außerordentlich reduziertes Pro- thallium. Aus der befruchtungsfähigen Eizelle desselben geht nach der Befruch- tung der Embryo hervor. 2. Pollenbildung und Pollenausstreu- ung. Die Pollensäcke (Mikrosporangien) Fortpflanzung der GeAVächse (Angiospermen) 243 werden in den Kanten der jungen , fast [ Ernährung der Archesporzellen bei. Ihre prismatisch geformten Anthercn in Form | Membranen werden dabei in der Regel auf- von Zellsträngen angelegt (Fig. ], i). Durch gelöst, das Plasma verteilt sich gleichmäßig zwischen den inzwischen gelockerten Zellen des Ai'chespors und beteiligt sich als Peri- ^ y-\. i ] M I w-v-uN Plasmodium an den nutritiven und viel- '<^ //"ÖTTvrVrVvR^ leicht auch an den formativen Prozessen der Pollenentwickelung. Das Archespor liefert das sporen- bildende Gewebe, die Pollenmutterzellen (Fig. 1, 4 bis 5. Pill). Ihre Zahl ist je nach der Anzahl der Teilungen, die im Archespor vorausgegangen sind, außerordentlich ver- schieden. Sie können zu vielen Hunderten einen Pollensack erfüllen oder auch nur eine einzige, wenigzellige Reihe bilden. Der Bildung der Pollenkörner geht eine Auflösung des Zellverbandes im sporenbildenden Ge- webe voraus. Die isolierten Pollenmutter- zellen runden sich ab und nehmen häufig voll- kommene Kugelgestalt an. Jede Pollenmutterzelle liefert in der Regel vier Enkelzellen, die zu Pollenkörnern werden. Zur Bilduug der Enkelzellen sind zwei Kern- und Zellteilungen notwendig. In Verbindung mit dirscn geht eine quan- titative und qualitative Reduktion der Kern- substanz der Mutterzelle einher. Während der einleitenden Stadien der ersten, hetero- typischen Teilung (vgl. den Artikel ,,Z e 1 1 1 e i 1 u n g") findet die Bildung von Chromosomenpaaren (Gemini) (Fig. 2, 3) statt; darauf fol^t mit der Trennung der in den Gemini enthaltenen, gleichartigen Chromosomen die numerische und qualita- tive Reduktion. In der zweiten, homöo- typischen Teilung trennen sich Tochter- chromosomen voneinander (Fig. 2, b), deren Entstehung durch Längsspaltung bereits im Verlaufe der vorhergegangenen Teilung eingeleitet wurde. Da in wenigzelligen Pollensäcken alle Pollenmutterzellen diese Teilungen ungefähr gleichzeitig erfahren, in stark entwickelten Antheren mit vielzelligem Archespor die Teilungen im sporenbildenden Gewebe von oben nach unten oder in um- gekehrter Richtung fortschreiten, bieten die Antheren der Angiospermen eines der gün- stigsten Objekte zum Studium der Kern- teilungen, speziell der eigenartigen und für die Vererbung so wichtigen Reduktions- teilungen. Die dabei zur Beobachtung kom- menden, reduzierten Chromosomenzahlen sind innerhalb der Angiospermen außer- ordentlich variabel. Selten sind sie für größere Verwandtschaftskreise als Gattungen kon- stant. Imierhalb der Liliaceen weisen z. B. die Arten der Gattungen Fritillaria, Lilium, Tulipa, Parisv gleichmäßig 12 Gemini (Fig. 2, 3) im ersten Teilungsschritt der Pollenmutter- zellen und die gleiche Anzahl einfacher Chro- 16* Fig. 1. Entwickelung der Aiigiospermen- Mikrosporangien (Pollensäcke). 1 bis 4 Querschnitte durch junge Antheren, 5 Teil des Querschnittes durch einen Pollensack, a Arche- spor, b Schichtzelle, e Epidermis, f die spätere Faserschicht, c später verdrängte Schicht, t Tapetenschicht, pm Pollenmutterzellen. Nach Warming und Strasburger. wiederholte Teilungen von Zellen der ersten subepidermalen Schicht entstehen zunächst mehrere Zellschichten, von denen die inneren zum Archesporium (a), dem Komplex der Urmut terzeilen der Pollenkörner werden, die äußeren (b) die Pollensack- wandung liefern. Von den wandbildenden Schichten (Fig. 1, 0) setzt sich die direkt unter der Epidermis liegende (f ) meistens aus Zellen zusammen, die im ausgewachsenen Zustande durch ring-, spiral- oder netzförmige Mem- branverdickungen ausgezeichnet sind. Sie bildet das Endothecium, die fibröse Schicht, auf deren Mitwirkung haupt- sächlich das Aufspringen der Pollensackwand beruht (vgl. den Artikel „Bewegungen der Pflanzen", Bd. I, S. 1119, Fig. 21 u. 22). Zwischen der iibrösen Schicht und dem Archespor befinden sich eine oder mehrere weitere Zellschichten (c), deren Zellen später resorbiert werden, sowie das Tapetum (t) (Fig. 1, 3 bis ö). Dieses letztere besteht aus einer Schicht von gestreckten, plasma- und nährstoffreichen Zellen. Ihr Kern erfährt meistens eine oder zwei Teilungen. Im späteren Verlauf der Pollensackentwickelung tragen die Tapetenzellen wesentlich zur 244 Fortpflanzung- der Gewächse (Angiospermen) mosomen in den nachfolgenden Teilungen auf. In der mit Paris nahe verwandten Gattung Trillium dagegen zeigen mehrere untersuchte Arten nur 6 Chromosomen. In anderen Ver- wandtschaftskreisen wechselt die Chromosomen- zahl bei den Arten derselben Gattung; so haben Dikotyledonen folgt der ersten Kernteilung zunächst keine Zellteilung nach. Im Verlauf der zweiten Kernteilung stehen die Achsen der beiden Teilungsfiguren nahezu senk- recht aufeinander," die vier Enkelkerne sind tetraedrisch geordnet und durch Plasma- strahlungen untereinander verbunden. Die Teilungswtände, welche die Mutterzelle in die 4 Enkelzellen zerlegen, werden gleichzeitig gebildet und zur selben Zeit grenzen sich die Teilprotoplasten gegen die Wand der Mutter- zelle hin durch eine neue Wandlamelle ab. Der Prozeß der Zellteilung ist zugleich mit einer Verjüngung der Teilungsprodukte ver- knüpft. Bei den meisten Monokotyledonen dagegen spielt sich die Tetradenteihmg in zwei getrennten Teilungsschritten ab, wobei ]idei Kernteilung unmittelbar eine Zell- teilung nachfolgt (Fig. 2, 4 n e). Die Richtung du Kernspindeln, der Teilungswände und damit die Lagerungsverhältnisse der 4 Lnkelzellen stimmen bei den beiden Teilungs- aitcn überein. Vorbedingung für das Zu- standekommen der üblichen Tetraden- anoidnung ist aber die Kugelgestalt der l^poicnmutterzellen. Wenn diese in Folge besonderer Raumverhältnisse im Pollen- sa(k(. nicht zustande kommt, zeigen die Ittraden eine den abweichenden Formen der Mntterzelle ebenfalls entsprechende Zell- giiippierung (Fig. 3). Fig. 2. Pollenmutterzellen einer Lilie in Teilung. 1 Sonderung der Chromosomen bei den Vorbereitungen zur ersten Kernteilung, 2 Doppelfadenknäuel in Segmentierung begriffen, 3 Kernplatte mit 12 Doppelchromosomen(Gemini), 4 Anlage der Tochterkerne und Vorbereitungen zur ersten Zellteilung, 5 Kernspindeln in den beiden Tochterzellen, 6 Ausbildung der Enkel- zellen nach Verlauf der zweiten Kernteilung. Etwas schematisiert. ZumTeilnach Strasburger. Rumex acetosella und R. acetosa die reduzierte Chromosomenzahl 16 bezw. 8. Dro- sera rotundifolia hat 20, Drosera longi- folia dagegen nur 10 Chromosomen nach der Reduktionsteilung. Bei den Bananen sind sogar bei verschiedenen Rassen derselben Art verschiedene Chromosomenzahlen (8, 16, 24) ge- funden worden. Die kleinsten Chromosomen- zahlen unter den bis jetzt untersuchten Angio- spermen sind bei den Arten der Compositen- gattung Crepis gefunden worden. Crepis tec- torum zählt bei der Reduktionsteilung 4, Cr. virens sogar nur 3 Gemini, während deren Zahl bei Crepis japonica wiederum auf 8 ansteigt. Die mit den beiden Kernteilungen der Pollenmutterzelle kombinierten Zellteilungen verlaufen verschieden. Bei der Mehrzahl der Fig. 3. Verschiedene F o r m e n de r Po llen te tr ad en aus einer Anthere von Neottia nidus avis (Nestwurz). Nach Goebel. Jede Tetradenzelle wird zu einem Pollen- korn. In der Regel erfolgt zunächst ein Zer- fallen der Tetraden in 4 Einzelzellen in- folge Verquellung und Auflösung der Mutter- zellwand. In anderen Fällen (bekannte Bei- spiele liefern viele Orchideen, Ericaceen und Typhaceen) bleiben die 4 aus einer Mutterzelle hervorgegangenen Enkelzellen dauernd innerhalb der mit ihnen weiter- wachsenden Membran der Mutterzelle ver- einigt. Manchmal sind solche Pollentetraden rort]-)t'lanzung- der (xewächse (Angiospermen) 245 in größerer Menge zu kleinen Paketchen ver- klebt, oder es bildet, wie bei den Orchideen und Asclepiadaceen, der gesamte Pollen eines Pollensackes eine kompakte und in besonderer Weise an die Verbreitung durch Insekten angepaßte Masse (vgl. die Aitikel „Blüte" und ,, Bestäubung"). Es mag noch erwähnt werden, daß in einigen Ausnahmefällen die Tetradenteilung nicht 4, sondern eine größere oder kleinere Zahl von Zellen liefert. Fünf- bis sechszellige Tetraden sind im besonderen bei einem Flieder bastard, bei der Liliacee Hemerocallis fulva und bei verschiedenen Rassen der Eßbanane (Musa sa[nentnm)gefunden worden. Inden Pollenmutter- zel len von H e 1 e o c h a r i s -und C a r e x arten d agegen liefern die beiden rasch aufeinander folgenden Kernteilungsschritte 4 völlig identisclie Kerne. Von diesen wächst in der Folge einer stark lieran, während die 3 anderen verkümmern. Die Pollen- mutterzelle wird also hier, unter Degeneration dreier Kerne und geringer Mengen von Plasma, zu einem Pollenkorn. Dieses Verhalten bildeteine hübsche Analogie zu der im Verlauf der Teilung der Em bryosackmutter Zellen so außer- ordentlich häufigen Reduktion der Sporenzahl auf 3, 2 oder 1 Zelle. Die reifen Pollenkörner (Mikrosporen) haben sehr verschiedene Form (vgl. den Artikel „Blüte", Bd. II, S. 96, Abb 21). Sie sind kugelig, tetraedrisch mit gerundeten Ecken und Kanten, ellipsoidisch oder walzen- förmig, seltener stabförmig, ausnaliin'-\\( i^c kommen auch fadenförmige Pollenkonui vor. Die Membran der Pollenkörner besteht aus zwei Schichten, einer äußeren, E\ine (Fig. 4, :!, o), die zuerst erzeugt wird und einei nachgebildeten inneren Schicht, der In 1 1 ne(i) Die letztere besteht aus pektinreichei Zellu- lose, während die Exine in späteren StaduMi kutinisiert ist. Nicht selten sind in dei PXme auch bestimmte Austrittstellen (Fia 4, i) für den Pollenschlauch vorhanden. Die Dimensionen der Pollenkörnei sind verschieden. Bei den anemophilen Angio- spermen, bei welchen die Verbreitunii de] Pollenkörner, wie bei den Gymnospermen, durch den Wind erfolgt, sind sie in dei Reue) kleiner als bei den Insektenblütlern. So haben die Pollenkörner der Gräser z B einen Durchmesser von 20—60 Tausendstel Millimeter (20—60 //,), während untei den Insektenblütlern solche mit 150 f.i Durch- messer keine Seltenheit sind. Wie die Größe werden auch Gestalt und Oberflächen- beschaffenheit der Pollenkörner in weitgehen- dem Maße durch die Verbreitungsart beein- flußt. Die Pollenkörner der wi]ull)lütigen Pflanzen sind in der Regel leicht und mit glatter Haut versehen (Fig. 4, s). In den von Insekten oder anderen Tieren besuchten Blüten ist der Pollen entweder klebrig, zu größeren, leicht transportierbaren Massen zusammengeballt oder die einzelnen Körner sind mit Stachel-, warzen- oder leistenför- niigen Verdickungen der Exine ausgerüstet, so daß sie leicht im Haarkleid der die Be- stäubung vermittelnden Tiere haften bleiben (vgl. den Artikel „Bestäubung", Bd. I, S. 999). Als interessante Anpassung an die Verbrei- tung durch das Wasser ist wohl die eigentümliche, fadenförmige Gestalt des Pollens beim Seegras, Zostera marina, aufzufassen. Eine eben gebildete Pollenmutterzelle dieser Pflanze hat eine Länge von 70 Tausendstel Millimeter (70 u-), schon während der ersten Teilung verlängert sie sich auf 450 ft, eine junge Pollenzelle ist 600 ft lang und das reife ,, Pollenkorn" mißt 2 mm in der Länge bei einer maximalen Breite von ca. 8 fi. Das ausgewachsene Pollenkorn der Angio- spermen ist zweizeilig. Die Teilung der Pollenkornzelle findet entweder unmittelbar im Anschluß an die Tetradenteilung oder während ihres späteren Wachstums, wohl ohne Ausnahme aber vor der Ausstreuung des Pollens statt. Die den Teilungs Vorgang einleitende Kernteilung erfolgt mit redu- zierter Chromosomenzahl und findet in ge- ringem Abstaiul unter der Memljran statt. Fig. 4. Bildung der generativen Zelle und der Spermakerne im Pollenkorn. 1 u. 2 Pollenkörner von Liliuni Martagon vor und nach der Bildung der generativen Zelle, 3 Pollenkorn von Avena sativa (Hafer), 4 Pollenkorn von Silphium terebinthina- ceum. V Kern der vegetativen Zelle, gz gene- rative Zelle, sk Spermakerne, e Exine, i Intine, kp Keimporns, von ringwallförmiger Verdickung der Exine umgeben. Nach Guignard, Ernst und Mercll. 246 Fortpflanzung der Grewächse (Angiospermen) Die Teilungswand ist konvex nach innen gebogen und trennt vom größeren Teil des Pollenkorns, der vegetativen oder Schlauchzelle die kleinere, linsenförmige, generative Zelle ab (Fig. 4, 2). Die generative Zelle löst sich später als menibranlose, nackte Zelle von der Pollen- ' kornmembran los und wandert allnicählich, meistens unter Gestaltsveränderung in das Plasma der vegetativen Zelle ein (Fig. 4, 2). Nicht selten verschwindet dabei die sie begren- zende Plasmahaut und ihr Kern erscheint dann frei neben dem vegetativen Kern im Plasma der Schlauchzelle eingebettet. Doch lassen sich die beiden Kerne auf diesem wie auf späteren Stadien leicht voneinander unterscheiden. Der generative Kern ist meistens ellipsoidisch, spindelförmig oder selbst wurmförmig gestreckt, während der vegetative Kern seine ursprüngliche kugelige oder scheibenförmige Gestalt beibehält. Dazu kommen noch Verschiedenheiten im feineren Bau und offenbar auch in der chemischen Re- aktion, welche zur Folge haben, daß die beiden Kerne bei Herstellung mikroskopischer Präparate aus bestimmten Farbstoffgemischen verschiedene Farbstoffe aufnehmen oder sich mit demselben Farbstoffe verschieden intensiv färben. ;j Der Reifung der Pollenkörner folgt das Oeffnen der Pollensäcke und die Entleerung des Pollens. Sehr häufig geht diesem Prozesse noch die Resorption der Scheide- wände zwischen den beiden Pollensäcken einer Antherenhälfte voraus. Das Oeffnen selbst geschieht durch Quer- oder Längs- risse, durch Porenbildung oder Abwerfen eines Deckelchens. 3. Samenanlagen- und Embryosack- entwickelung. An den Placenten der Fruchtblätter (vgl. den Artikel „B 1 ü t e", Bd. I, S. 99) entstehen die Samenan- lagen, zunächst in Form halbkugeliger oder papillenförmiger Höcker. Durch rasche Teilungstätigkeit ihrer Zellen vergrößsrn sie sich und bilden bald die schon von den Samenanlagen der Gymnospermen her bekannten Teile (Fig. 5, 1 bis 4). Der Knospenkern (Nucellus) wird von einem stielartigen Teil, dem Nabelstrang (Funiculus), getragen und mit dem ernäh- renden Placentagewebe p in Verbindung ge- setzt. Er wird von ein oder zwei Hüllen i (Integumenten) umgeben, die in späteren Entwickelungsstadien über seinen Scheitel vorragen und nur einen engen Kanal, die Mikropyle m, freilassen. Die Integumente werden schon frühzeitig in der Entwickelung der Samenanlage an der Basis des zukünftigen Keimgewebes in Form von Ringwülsten angelegt. Die Zahl der Integumente ist allgemein inner- halb größerer Verwandtschaftskreise konstant. Bei den meisten Monokotyledonen und den choripetalen Dikotyledonen werden zwei Inte- gumente angelegt. Bei den Sympetalae dagegen ist meistens nur ein, gewöhnlich aber sehr stark entwickeltes, Integument vorhanden. Voll- kommenes Fehlen der Integumente oder Verkümmerung im Laufe der Entwickelung ist namentlich bei parasitisch lebenden Santala- ceen, Loranthaceen, Balanopboraceen und Gen- tianaeeen, doch auch bei einzelnen grünen Mono- kotyledonen (Crinumarten) und Dikotyledonen (Olacineen) festgestellt worden. Fig. 5. Entwickelung der anatropen Samenanlage von Rafflesia. 1 bis 2 Erste Entwickelungsstadien. 3 Differenzierung in Funiculus luul zukünftigen Knospenkern, 4 Samenanlage nach vollzogener Krümmung, p Plazentagewebe, m Mik-ropyle, i Integument, n Zellen der epidermalen Nucellusschicht mit den Zellen des Eiapparates, den Polkernen und einer Antipode. Nach Ernst und Seh m i d. Größe und Lagerungsverhältnisse der einzelnen Teile der Samenanlagen sind außer- ordentlich verschieden. Die Hauptformen, auf rechte (geradläufige, orthotrope, atrope), rückläufige (anatrope) und die kam- pylotrope Samenanlage mit gekrümmtem Nucellus sind im " Artikel „Blüte" besprochen und (Bd. II, S. 97, Abb. 22) dargestellt. Ergänzend sei nur noch die Entwickelung der anatropen Samen- anlage behandelt (Fig. 5). Der heranwach- sende Körper derselben erfährt infolge ein- seitigen stärkeren Wachstums in der basalen Zone eine allmähhche Drehung des Scheitels bis um 180°, so daß er schließlich neben die Ansatzstelle des Funiculus zu liegen kommt. Bei einer großen Zahl von Angiospermen mit anatropen Samenanlagen sind Stiel und Körper der Samenanlage über eine längere Strecke hin miteinander verwachsen; doch sind auch Fälle bekannt (Fig. 5, 4), in denen es trotz starker anatroper Krümmung nicht zu einer solchen Verwachsung von Integument I und Funiculus kommt. 3a) Bildung des Archespors und Tetradenteiiung der Embryo sack- mutterzelle. Der für die Fortpflanzung wichtigste Teil der Samenanlage ist der Nucellus, Er repräsentiert, wie bei den Gvmnospermen, ein Makrosporangium, das in Entwickelung und Ausgestaltung Fortpflanzung der Grewächse (Angiospermen) 247 im Vergleich zum Mikrosporangium (Pollen- sack) sehr stark vereinfacht ist. Nur in wenigen Ausnahmefällen stimmt seine Differenzierung noch mit derjenigen der PoUenscäcke überein. Bei Alchemilla (Fig. 6) z. B. differenziert sich der Nucellus frühzeitig in Wand und Archespor a, das seinerseits ein inneres, sporenbildendes Gewebe und nach außen hin eine Zellschicht liefert, die dem Tapetum der Pollensäcke vergleichbar ist (Fig. 6, 2 n. ;!, t). Das sporen- Fig. 6. Erste E n t w i c k e 1 u n g s s t a d i e n der Samenanlage von Alchemilla. lu.2 Jugend- liche Anlagen vor und nach Beginn der Integument- bildung. a Archespor, e Teilung der epidermalen Zellen, i Integumentbildung, t Tapetenzellen, mz noch ungeteilte sporogene Z?\\e (Mutterzelle), tz durch Teilung aus einer Mutterzelle hervor- gegangene Tochterzelle. 3 Samenanlage mit größerem Komplex aus Tapetenzellen, unge- teilten .Mutterzellen, primären und sekundcären Tochterzellen, Nach Murbeck. bildende Gewebe setzt sich aus einer größeren Zahl von sporogenen Zellen zusammen, von denen mehrere eine vollständige oder abge- kürzte Tetradenteilung erfahren, alsoMakro- sporenmutterzellen (Fig. 6, 2, mz) dar- stellen. Von deren Abkömmlingen, den Makrosporen, entwickelt sich in der Regel nur eine weiter. Sie wird zum Keimsack oder Embryosack des Nucellus. Außer bei Alchemilla ist ein mehrzelhges Archespor auch bei anderen Rosaceen, bei einzelnen Ranunculaceen, bei Fagaceen, Betulaceen gefunden worden. Ein Komplex von hundert und mehr sporogenen Zellen entsteht in den Samenanlagen der Gattung Casuarina. Bei der großen Mehrzahl der Angiospermen ist eine weitgehende Vereinfachung in der Nucellusentwickelung eingetreten, die sich durch das Ausfallen der Wandschichten- und Tapetenzellbildung, sowie in einer Ab- nahme der Zahl der Sporen mutterzellen äußert. Bei den meisten der bis jetzt auf diese Vorgänge hin untersuchten Angio- spermen wird in der Samenanlage nur eine subepidermal gelegene Archesporzelle gebildet, die ohne jede weitere Teilung zu der einzigen Makrosporenmutter- zelle des Nucellus wird. Die Makrosporen- oder Embryosack- mutterzelle unterscheidet sich von den übrigen Nucelluszellen durch bedeutende Größe, die Dichtigkeit ihres Zytoplasmas und vor allem durch den großen Kern (Fig. 7, 1). Ein für die weiteren Entwickelungsvorgänge wichtiges Merkmal besteht darin, daß sie sich, im Gegensatz zu den Pollenmutterzellen, weder vor noch nach der Tetradenteilung aus dem Verbände mit den umgebenden Nucellus- zellen loslöst. Daher kann sie auch nicht die für Sporenmutterzellen übhche Kugelform annehmen, welche, wie bei der Besprechung der Pollenbildung bemerkt wurde, für das Zustandekommen der typischen Tetraden- anordnung bestimmend ist. Der in der Achse des Makrosporangiums gestreckten Gestalt der Embryosackmutterzelle entspricht viel- mehr Tetradenbildung durch Querteilung. Die Tetradenteilung der Embryo- sackmutterzelle findet succedan statt. Nach der ersten, heterotypischen Kern- teilung teilt sich die Mutterzelle durch eine Querwand in zwei Tochterzellen (Fig. 7, 3), aus welchen durch eine zweite Teilung Enkelzellen hervorgehen. Diese Fig. 7. Junge Samenanlagen von Bur- mannia mit Stadien aus der Tetraden- teilung der Embryosackmutterzelle. 1 Nucellus mit großer Embryosackmutterzelle und epidermaler Zellschicht, 2 bis 5 Verlauf der beiden Kern- und Zellteilungen, 6 Verdrängung der 3 oberen Tetradenzellen durch, die zum Embryosack auswachsende unterste Zelle. Nach Ernst und Bernard. sind in der Mehrzahl der Fälle in einer Reihe übereinander gelagert. Bei einzelnen Angio- spermen indessen findet der zweite Teilungs- schritt durch mehr oder weniger senkrecht 248 Fortpflanzung der Gewächse (Angiospermen) aufeinanderstehende. Wände statt. Es kom- men dann zwei Enkelzellen nebeneinander, die beiden anderen untereinander zu liegen (Fig. 7, 5), eine Anordnung der Tetrade, die auch bei den Pollentetraden recht häufig ist. Von den 4 Zellen einer Makrosporentetrade i werden 3 , gewöhnhch die 3 oberen, durch das Wachstum der vierten verdrängt und gehen zugrunde (Fig. 7, e). Die unterste wächst als Embryosack der Samenanlage weiter. Gehen in" einem Nucellus mehrere ; Mutterzellen zur Tetradenteilung über, so I kann die Weiterentwickelung je "einer Zelle jeder Tetrade einsetzen. Gewöhnlich aber beschränkt sich die Entwiekelung schon von Anfang an auf eine einzige der durch die Teilung der Mutterzellen entstandenen Enkelzellen. In zahlreichen Familien der iVngio- spermen geht die Reduktion im Makro- sporangium so weit, daß auch die Tetradenteilung dereinen Mutterzelle unvollständig verläuft. Statt vier Enkelzellen werden nur deren drei oder zwei gebildet oder die Tetraden- teilung unterbleibt sogar ganz. Die Embryosackmutterzelle verhält sich im letzteren Falle wie sonst nach der Teilung die begünstigte Enkelzelle. Sie wird, wie man sich ausdrückt, ohne Teilung direkt zum Embryosack. Die sonst mit der Sporen- bildung verbundene Reduktionsteilung findet in solchen Fällen während der Ent- wiekelung des Embryosackes statt oder bleibt in Fällen apogamer Fortpflanzung ganz aus. 3b) Entwiekelung und Differenzie- ' rung des achtkernigen Embryosackes. Wie bei den Gymnospermen bleibt auch bei den Angiospermen der Embryosack im Nucellus- gewebe, also in einem Gewebe der un- geschlechtlichen Generation, eingeschlossen. Die weitere Entwiekelung verläuft außer- ordentlich einfach. Sie beginnt wie bei den Gymnospermen mit dem Vorgang der freien Kernteilung. Während aber bei | jenen zunächst durch eine größere Anzahl | von Teilungsschritten hundert und mehr ' Kerne erzeugt werden, ist die Anzahl der Teilungen und damit der entstehenden Kerne im Embryosacke der Angiospermen sehr beschränkt. " Bei der großen Mehrzahl derselben werden durch drei aufeinander- ! folgende Teilungsschritte aus dem primären | Embryosackkerne 2, 4 und dann 8 Kerne gebildet (Fig. 8, 1 bis 3). Mit diesen Kernteilungen geht die Vergrößerung des Zellraumes einher. Das Zytoplasma des Sackes wird vakuolig. Die Vakuolen- ' bildung beginnt auf sehr frühen Stadien, und nach der ersten Kernteilung findet bald die Vereinigung der zuerst in großer ; Zahl vorhandenen kleinen Safträume zu einem großen zentralen Saftraum statt, welcher mit dem Zytoplasma auch die beiden Kerne gegen die Schmalseiten des elliptischen Sackes hindrängt (Fig. 8, 1). Fig. 8. Entwiekelung des achtkernigen E m b r y 0 s a c k e s und verschiedene For- men des E i a p p a r a t e s. 1 bis 4 EmbryoScäcke von Paris quadrifolia, ez Eizelle, s Syner- giden, p + p Polkerne in Vereinigung begriffen, 5 Flaschenförmige Eizelle und kleinkernige Syner- giden aus dem Embryosacke von Avena sa- tiva, 6 Eiapparat von Pedicularis foliosa, 7 Miki-opylenende des Embryosackes von Tulipa Gesneriana mit freien Kernen. Nach Ernst, Tannert und Schmid. Jedem der beiden Pole wird in der Regel ein Kern zugeteilt. Während der beiden weiteren Teilungsschritte teilen sich die Kerne an den beiden Enden der langge- streckten Zelle gleichzeitig. Wenn im ganzen 8 Kerne, 4 an jedem Ende des Embryo- sackes, gebildet sind (Fig. 8, 3), folgt dem Vorgange der freien Kernteilung der- jenige der simultanen Zellbildung nach. Es entstehen dabei 2 Gruppen von je 3 Zellen. Neben jeder ZeUgruppe liegt noch ein freier Kern. Die der Be- fruchtung vorangehende Entwiekelung des Embryosackes erreicht mit dieser Differen- zierung ihren Abschluß. Aus zahlreichen übereinstinnnenden Merkmalen (Entwiekelung und Differen- zierung der Sanu^naidage, Lage und Ver- halten der tetradenbildenden Zellen, Ueber- Fortpflanzung der Gewächse (Angiospermen) 249 einstimnmng im Verlauf der Reduktions- teilung) geht sicher hervor, daß wir den Inhalt des Embryosackes der Angio- spermen homolog zu setzen haben dem Inhalt der gekeimten Makro- spore bei den heterosporen Pte- ridophyten und dem Embryosacke der Gymnospermen, also einem weib- lichen Prothallium mit iVrchegonien. Die Reduktion in der Geschlechtsgeneration der Angiospermen ist aber so weit vor- geschritten, daß die Ansichten über den phylogenetischen Wert der im Embryo- saeke enthaltenen Zellen und Kerne verschieden sind. Von den Versuchen, die Bestandteile des Embryosackes der Angiospermen mit denjenigen des Pro- thalliums derPteridophyten und des Embryo- sackes der Gymnospermen zu homologisieren, sei folgendes erwähnt. An dem der Mikropyle der Samenanlage zugekehrten Teil des Embryosackes ist eine Zelle vorhanden, welche durch ihre besondere Gestalt und ihr späteres Verhalten vor allen anderen Inhaltsbestaiidteilen auffällt. Bei einer großen Zahl der bis jetzt embryologisch untersuchten Angiospermen sind Größe, Lage- rung und Differenzierung dieser Zelle ziemlich konstant. Sie ist meistens halbkugelig oder elliptisch (Fig. 8, 4 bis «) und vor der Befruch- tung nur durch eine zarte Plasmahaut um- grenzt. Die Ausbiklung einer Zellulosehaut erfolgt erst nach der Befruchtung. Das Proto- plasma ist an ihrem gewölbten Scheitel ange- häuft und enthält hier auch den großen Zell- kern. Durchx\ufnalime eines männlichen Kerns wird diese Zelle später befruchtet und ent- wickelt sich zum Embryo. Sie funktioniert also als Eizelle und wird gewöhnlich als ein bis auf die Eizelle reduziertes Archego nium aufgefaßt. Mit ihr sind am Mikropylarende des Embryosackes zwei weitere, nackte Zellen vorhanden, die sich von der Eizelle meistens durch geringere Größe und inverse Lagerung des Inhaltes auszeichnen, d. h. Plasma und Kern liegen in diesen Zellen an der Basis, der Saftraum erfüllt deren Scheitel. Diese beiden Zellen sind unter dem Namen Synergiden, Ge- hilfinnen (Fig. 8, 4 bis g), bekannt. Sie ver- danken diese Bezeichnung der Annahme, daß sie in irgendeiner Weise beim Befruch- tungsakt beteiligt seien. Ihr Name hat also keine Beziehung zu ihrer phylogenetischen Deutung. Diese ist sehr verschieden. Da die Synergiden bei einer Anzahl von Angio- spermen ausnahmsweise befruchtungsfähig sind und Embryonen liefern, werden sie ge- wöhnlich als steril gewordene Eizellen gedeutet. Nach einer anderen Auffassung gehören sie mit der Eizelle demselben redu- zierten Archegonium an und zwar als dessen Halszellen. Sie sind auch schon als vege- tative Prothalliumzellen aufgefaßt worden, welche sich einer bestimmten Funk- tion, der Zuleitung des Spermakerns zur Eizelle, angepaßt hätten. Am entgegengesetzten Pole des Em- bryosackes ist in der Regel ebenfalls eine Dreiergruppe von Zellen vor- handen. Sie werden nach ihrer Lage im Embryosacke als iVntipoden, Gegen- füßle rinnen der Eizellgruppe bezeichnet. In den Größenverhältnissen und in der Art der Gruppierung stimmen sie etwa mit der Eizellgruppe überein (Fig. 9, i). Sehr häufig aber sind ihre Größe und Lagerung, wie die Fig. 9. Verschiedene Formen der Anti- poden. 1 Antipodenzellgruppe im Embryo- sacke von Myosurus minimus, 2 von Ranunculus Lingua, 3 von Actaea Cimi- cifuga, 4 von Paris quadrifolia, 5 von Aconitum Napellus, 6 vielkernige Anti- poden (amitotische Kernteilungen in Antipoden- zellen) von Anemone Hepatica, 7 Anti- podengruppe aus 11 Zellen (durch Teilung aus 3 Zellen hervorgegangen) von Trautvetteria p ahn ata. Nach Haß und Ernst. in Fig. 9, 2 bis 1 dargestellten Beispiele zeigen, sehr verschieden. Nicht selten erfolgt um die Kerne dieser Gruppe keine 250 Fortpflanzung der Gewäclise (Angiospermen) eigentliche Zellbildung und die in einer ge- meinschaftlichen Plasmamasse verbleibenden Kerne gehen frühzeitig zugrunde. Diese, offenbar noch jetzt in weiterer Rückbildung begriffene Zellgruppe stellt nach der zur- zeit am besten begründeten Auffassung den letzten Rest vegetativen Prothal- liumgewebes im Embryosacke der Angiospermen dar. Für diese Deutung spricht u. a. der Umstand, daß schon innerhalb der Gymnospermen die Reduktion des sterilen Pro thalliumge wehes so weit geht, daß nicht mehr die ganze Spore mit demselben ausgefüllt wird. Auch die zahlreichen im Laufe der letzten Jahrzehnte zur Kenntnis gelangten Abweichungen vom gewöhnlichen Bau der Antipoden sind mit dieser Auffassung besser als mit jeder anderen in Einklang zu bringen. Bei einigen Gräsern, Alismaceen, Spar- ganiaceen, Araceen, bei Piperaceen, Convolvulaceen, Ranunculaceen und Sola- naceen, also bei Vertretern sehr verschie- dener Angiospermenreihen, finden wir in späteren Stadien der Embryosackentwickelung nicht die typische Dreizahl der Antipoden, sondern eine größere Zahl, oft bis hundert (Fig. 9, 7). Bei anderen Pflanzen ist den Antipoden nur noch ein geringer Rest ihrer früheren Teilungsfähigkeit geblieben, so daß in ihnen noch Kernteilungen erfolgen (Fig. 9, e), während die entsprechenden Z3llteilungen imter- bleiben. Nach der Bildung von Eiapparat und Antipoden im achtkernigen Embryosacke verbleiben demselben noch 2 freie Kerne. Sie stammen je einer von den beiden Vierer- gruppen ab, den Polen des Embryosackes, und werden deshalb als Polkerne (oberer und unterer Polkern) bezeichnet. Später jedoch, meistens noch vor der Befruchtung, verschmelzen die beiden Kerne miteinander (Fig. 8, 4). Dadurch wird der Embryosack- raum wieder einkernig. Man bezeichnet daher das Vereinigungsprodukt der beiden Polkerne als sekundären Embryosack- kern (hier und da findet sich in der Literatur auch die Bezeichnung primärer Endospermkern, weil später von diesem Kern die Endospermbildung ausgeht). 3c) Entwickelung und Differenzie- rung vierkerniger und sechszehnkerni- ger Embryosäcke. Bei aller i\Iannigfaltig- keit in der Form und Gruppierung der Zellen und Kerne ist doch für die Embryosäcke der Angiospermen typisch, daß vor der Zell- bildung in drei aufeinanderfolgenden Kern- teilungen 8 Kerne in 2 Vierergruppen ge- bildet werden. Von dieser Regel sind nun in den letzten Jahren eine Anzahl inte- ressanter Ausnahmen bekannt geworden. Einige derselben zeigen, daß die in der ge- samten Entwickelung der Gymnospermen und Angiospermen unverkennbare Tendenz zur Reduktion der Geschlechtsgeneration auf das absolut notwendige, vom acht- kernigen Embryosacke aus noch zu einer weiteren Reduktionsform, dem vier- kernigen Embryosacke, geführt hat. Dieser enthält im befruchtungsfähigen Zu- 1 Stande mir noch die Zellen des Eiapparates und einen Polkern. Fig. 10. Beispiele vierkerniger Em- bryosäcke. 1 Obere Partie der Samen- anlage von Mourera fluviatilis (Podo- stemacee). n Oberer Teil des Nucellus, i Spitze des inneren Integumentes, ps Spitze des Pseudoembryosackes, s Synergiden, ez Eizelle, p oberer Polkern, a Antipodenkern, sz ver- drängte Schwesterzelle. 2 Junger Embryosack von Mourera fluviatilis nach der ersten Kernteilung, 3 vierkerniger Embryosack von iCypripedium mit Eiapparat und Polkern, 4 I Embryosack von Epilobium angustifolium, Ez Eizelle, s Synergide, p Polkern. Nach Went, Pace und Modilewski. Diese Reduktion beruht bei parasitischen Balanophoraceen, bei Limnocharis, bei zahlreichen Podostemaceen (Fig. 10, 1 u, 2) darauf, daß nach der ersten Teilung des primären Embryosackkernes eine Degeneration des dem Antipodenende zugeteilten Kernes (a) und damit Beschränkung der beiden weiteren Teilungsschritte auf das zukünftige Elende stattfindet. Hier werden dann um drei der vier Kerne die Zsllen des Eiapparates (ez und s) gebildet, während der vierte Kern sich in der Folge als alleiniger Polkern (p) verhält. In anderen Fällen, bei C yp ri p e d iu m arten (Fig. 10, 3), bei Oenothera und einigen anderen Vertretern der Onagraceen (Fig. 10, 4) ist einer der 3 Kernteilungsschritte ganz ausgefallen. Handelt es sich also in diesen Fällen um eine weitere Reduktion in der Ausbildung der Geschlechtsgeneration, so finden wir in einer anderen (iruppe von Ausnahmefällen, das umgekehrte Verhalten. Es werden vor Eintritt der Zellbildung nicht nur 8, sondern 16 Kerne gebildet. Die Deutung dieser sechzehnkernigen Embryosäcke wird allerdings dadurch erschwert, daß Lagerung Fortpflanzung der Grewächse (Angiospermen) 251 und späteres Schicksal der Kerne in den einzelnen Fällen verschieden sind. Bei Vertretern der Penaeaceeii, bei ein- zelnen Euphorbiaarten (Fig. 11, 3. 4a u. 4b) handelt es sich um die Biklung von 4 Kern- tetraden, aus denen Gruppen zu je 3 Zellen und einem freien Kern hervorgehen. Bei Gunnera- arten (Fig. 11, 5, oa u, 6b) entsteht ein scheitel- ständiger Komplex von 4 Kernen, aus welchen später der Eiapparat und der obere Polkern hervorgehen, während eine basale Gruppe von 12 Kernen 6 Antipoden und 6 freie Kerne liefert. Bei den Peperomiaarten (Fig. 11, 1 n. 2), bei denen ebenfalls durch einen 4. Teilungsschritt 16 Kerne erzengt werden, ist deren Verteilung im Embryosackraum und die Anzahl der nach- her entstehenden Zellen bei den einzelnen Arten verschieden. In allen Beispielen sechzehnkerniger Embryosäcke vereinigen sich die sänitlirlien frei- bleibenden Kerne, entsprechend dem Verhalten der Polkerne im achtkernigen Embryosacke, zu einem großen Kern, dem sekundären Embryo- sackkern. Bei Peperomia pellucida (Fig. 11, 2) kommt es dabei, da vorher nur 2 Zellen gebildet worden sind, zur Vereinigung von nicht weniger als 14 Kernen. 4. Bestäubung. Keimung der Pollen- körner und Pollenschlauchwachstum in Griffel und Fruchtknoten. Während im Embryosacke Eiapparat, Antipoden und Polkerne entstehen, findet bei den meisten Angiospermen die Bestäubung, d. h. die Uebertragung der Pollenkörner aus den geöffneten Pollensäcken auf die Narbe statt. Dabei ist Fremdbestäubung (vgl. den Artikel „Bestäubung") Regel, doch fehlt es auch nicht an Formen, deren Blüten auf Selbstbestäubung ange- wiesen sind. Da ein direkter Zutritt der Pollenkörner zu den im Fruchtknoten eingeschlossenen Samenanlagen, im Gegensatz zu den Gymno- spermen, ausgeschlossen ist, erfolgt ihre Keimung auf der mit einer klebrigen Flüssig- keit oder langen Papillen bedeckten Narbe (Fig. 12, ]). Die Keimung selbst besteht in Fig. 11. Sechzehnkernige Embryosäcke. 1 Nucellusscheitel mit sechszehnkernigem Embryosack von Peperomia hispidula, 2 Embryosack von Pe per 0 mia hispidula nach erfolgter Zellbildung, 3 Embryosack von Eu- phorbia procera, 4a vier Polkerne mit Spermakern, 4b Eikern mit Spermakern, 5 Em- bryosack von Gunnera macrophylla, 6a Verschmelzung der sechs vom Antipodenende stammenden freien Kerne, 6b Verschmelzung jenes Vereinigungsproduktes nut dem oberen Polkern. Nach Johnson, Modilewski und Ernst. Fig. 12. Pollenkeimung bei Tulipa Gesne- riana. 1 Narbenpapillen np gegen Ende der Bestäubungszeit, pk Pollenkorn, 2 reifes Pollen- korn mit generativer Zelle gz, 3 begiimende Schlauchbildung, gz generative Zelle, 4 Aus- wandern des Kerns der Scldauchzelle (vk) und der generativen Zelle (gz) in den Pollenschlauch, 5 Spitze eines älteren Pollenschlauches, vk vege- tativer Kern, spk Spermakerne. Nach Ernst. der Bildung einer zylindrischen Verlängerung der vegetativen Pollenkornzelle (Schlauch- zelle). Die Entstehung dieses Pollen- schlauches (Fig. 12, 3 bis ,i) ist von be- stimmten äußeren und inneren Bedingungen abhängig. Damit sie erfolgen kann, istWasser- aufnahme aus der Atmosphäre oder durch osmotische rozesse aus den Narbenzellen 252 Fortpflanzung der (Tewächse (Angiospermen) notwendig. Der schwellende Inhalt des Pollenkorns tritt, umgeben von der inneren Membranschicht, der Intine, durch eine vorgebildete Austrittstelle oder nach teil- weiser Sprengung oder iVuflösung der Exine aus dem Pollenkorn aus (Fig. 12. 3). Während der Verlängerung des Schlauches wandert allmählich der Inhalt des Pollenkorns in denselben über (Fig. 12, -i). Der wachsende Schlauchteil ist dicht mit Zytoplasma ge- füllt, in den älteren Partien dagegen bildet das Plasma einen dünnen Wandbelag. Vege- tativer Kern und generative Zelle Averden in geringem Abstand hinter dem Scheitel im Plasma mitgeführt. Die Pollenschläuche der Angiospermen werden verschieden lang, haben sie doch, um die befruchtenden Kerne zu den Eizellen zu führen, sehr verschieden weite Wege zu durchwachsen. Während dieses Wachstums, das sich je nach der Griffel- und Frucht- knotenlänge über wenige Millimeter bis zu 2 Dezimeter erstreckt, erfolgt keine, der Vergrößerung entsprechende Inhaltsver- mehrung des Schlauches. Plasma und Kerne finden sich immer nur in den jüngsten Partien vor, die hinteren, älteren Partien des Schlauches werden entleert und von Strecke zu Strecke durch Pfropfen aus Membransubstanz abgetrennt. Das Wachstum der Pollenschläuche findet stets in bestimmter Richtung statt. Sie wachsen zunächst zwischen den Papillen der Narbenoberfläche hin, dringen zwischen den- selben durch in das Leitgewebe des Griffels und wachsen in demselben hinunter bis zum Fruchtknoten und von dessen Placenten zu den Samenanlagen. Allem Anschein nach handelt es sich dabei um eine Beeinflus- sung der Wachstumsrichtung durch chemische Reize (vgl. den Artikel , , Reiz- erscheinungen der Pflanzen" unter ,, Tropismen"). Die Pollenschläuche wachsen in derjenigen Richtung, in welcher ihnen die meisten Nährstoffe zur Verfügung stehen. Während des Wachstums in Narbe und Griffel können die Pollenscliläuche ihren Weg direkt durch die Gewebe dieser Teile nehmen, indem sie die ihrem Wachstum entgegenstehenden Membranen auflösen und sich auf Kosten der durchwachsenen Zellen ernähren. In anderen Fällen ist ein Griffel- kanal vorhanden, dessen Hautgewebe Leitung und Ernährung der Pollenschläuche besorgt. Er setzt sich aus plasma- und reservestoff- reichen Zellen zusammen, die häufig papillenartig in den Hohlraum vorgewölbt sind. In der Fruchtknotenhöhle wachsen die Pollenschläuche von diesem Leitungs- gewebe auf die Placenten über und von diesen auf die Samenanlagen, in welchen sie auf verschiedenem Wege zur Eizelle des Embryosackes gelangen (Fig. 13, 1 bis 3). Wohl bei der Mehrzahl der Angiospermen sind die Samenanlagen in der Fruchtknoten- höhle derart orientiert, daß der Abstand zwischen dem Leitungsgew^ebe der Pollen- schläuche und dem Mikropyleneingang (m) der Samenanlage möglichst gering ist. Der Fig. 13. Wachstum des Pollenschlauches. 1 Schema einer Angiospermenblüte, zugleich Beispiel für Porogamie, 2 Längsschnitt durch den Fruchtknoten von Juglans Regia (Walnuß- baum) zur Darstellung der C h a 1 a z 0 g a m i e , 3 Samenanlage von • U 1 m u s p e d u n c u 1 a t a, der Pollensehlauch dringt durch die beiden Inte- gumente in der Richtung gegen den Nucellus- scheitel vor. p Pollenkorn, ps Pollenschlauch, n Narbe, gr Griffel-, m Mikropyle der Samen- anlage, i Integument, n Nucellus, ch Chalaza, e Embryosack. Nach Sachs, Karsten und Nawaschin. Pollenschlauch wächst vom Leitungsgewebe durch den mit Flüssigkeit oder Luft er- füllten Raum zur Mikropyle hinüber und zwängt sich durch den meist sehr engen Kanal, der durch einen einzigen Pollen- schlauch in der Regel ausgefüllt wird, gegen den Scheitel des Nucellus (n) hinunter. Die auf diese Art eingeleitete Befruchtung nennt man Porogamie. Sie ist der Ausdruck einer vollkommenen Anpassung und weist dem Pollenschlauch den kürzesten Weg zur Eizelle. Bei dieser letzten Phase des Pollen- schlauchwachstums durch die Mikropyle zum Nucellusscheitel handelt es sich offen- bar, wie beim Wachstum im Griffel, wieder um Beeinflussung der Wachstumsrichtung durch chemische Reize. Diese gehen wahr- scheinlich vom Eiapparat aus. In den Fällen der Aporogamie fehlt den Samenanlagen entweder eine Mikro- pyle oder sie wird von dem befruchtenden Schlauche nicht benutzt. Ein besonders häufiger Spezialfall der Aporogamie ist die Chalazogamie. Sie verdankt ihre Be- zeichnung dem Umstände, daß der Pollen- schlauch von der Nucellusbasis (Nabelfleck oder Chalaza) aus gegen den Embryosack vorwächst (Fig. 13, 2). Chalazogamie ist zU' erst bei Casuarina, später bei verschiedenen Betulaceen, Fagaceen, Juglandaceen, Urtica ceen usw. festgestellt worden. Auch Fortpflanzung der (jewäehse (Angiospermen) >53 bei Ulmaceen wird sie zusammen mit einem weiteren, absonderlichen Verhalten beobachtet. Neben PollensciiläucluMi. welche von der Chalaza her den "Wet;- zum i^nd)ry()- sacke suchen, drino;en andere vom Leitungs- gewebe der Placenta direkt durch das Inte- gument und den Nucellns gegen den Scheitel des Embryosackes vor (Fig. 13, 3), ein Weg, der gegenüber der Chalazogamie wiederum eine Wegverkürzung bedeutet. Nach der Entdeckung der ersten Fälle von Chalazogamie hat man diese Art der Befruch- tung dem gewöhnlichen Verhalten, der Poro- gamie, als die ursprünglichere Art der Be- fruchtunggegenübergestellt. Durch neuere Unter- suchungen ist aber gezeigt worden, daß an den Samenanlagen einzehier chalazogamer Pflanzen eine, an älteren Stadien freilich fast immer ver- wachsene Mikropyle vorhanden ist. Daraus geht wohl hervor, daß Chalazogamie zum mindesten nicht bei allen ihren Vertretern eine ursprüngliche, sondern in einzelnen Fällen sicher eine sekundäre Erscheinung ist. Die Zeit, die zwischen Bestäubung und Befruchtung verfließt, ist außerordentlich verschieden. Sie ist natürlich abhängig von der Länge des vom Pollenschlauch zurück- zulegenden Weges, sowie von seiner Wachs- tumsgeschwindigkeit, die ihrerseits stark der Beinflussung durch äußere Verhältnisse unterworfen ist. Für Crocus sativus z. B. wird angegeben, daß die Befruchtung, bei einer Griffellänge von 6 bis 10 cm, 1 bis 3 Tage nach der Bestäubung erfolgt, während bei Arum, trotzdem die Griffellänge nur 2 bis 3 mm beträgt, die beiden Vorgänge 5 Tage auseinander liegen sollen. In anderen Fällen handelt es sich um bedeutend längere Zeiten. Bei verschiedenen Orchideen ver- fließen zwischen Bestäubung und Befruch- tung 10 Tage bis mehrere Monate. Bei den Buchen liegen Bestäubung und Befruchtung ca. 3 Wochen auseinander, bei der Birke IMonat, beiderErle 3Monate, beiderHasel- nuß 4Monate, bei Eichenarten gegen 1 Jahr oder noch mehr. Solch lange Zeitdauern sind namentlich bei denjenigen Pflanzen festgestellt worden, in deren Fruchtknoten zur Zeit der Bestäubung Samenanlagen noch gar nicht oder erst in Form winzig kleiner, undifferenzierter Höcker vorhanden sind und deren Samenentwickelung auch nach er- folgter Bestäubung sehr langsam vonstatten geht. Offenbar handelt es sich bei diesen Pflanzen aber nicht um ein stetes, lang- sames Pollenschlauchwachstum, sondern um eine oder mehrere von Ruhezeiten unterbrochene Entwickelungsperioden des Schlauches, also um ähiüiche Verhältnisse, wäe sie auch bei den Gymnospermen bekannt geworden sind. Es kommt also bei einzelnen Angiospermen, ähnlich wie bei dei' Mehizahl : der Gymnospermen, dem Pollenschlauch nicht nur eine außerordenthch verlängerte Lebensdauer, sondern auch ein gewisser Cirad der Selbständigkeit zu. Dies ist von um so größerem Interesse, als ja die morphologi- sche Differenzierung kaum noch erkennen läßt, daß der Pollenschlauch mit seinem Inhalt aus einer ursprünghch völlig selb- ständigen Geschlechtsgeneration hervor- gegangen ist. 5. Befruchtung. Im Nucellusgewebe verlangsamt sich das Wachstum des Pollen- schlauches. Sein Scheitel nimmt eine un- regelmäßige, bald keulen- oder blasen- förmige Gestalt au (Fig. 14, 1) und der größte Teil seines Inhaltes, vornehmlich das Schlauchplasma, der Kern der Schlauchzelle sowie die beiden Spermakerne, die durch Teilung aus dem Kern der generativen Zelle hervorgegangen sind, sammelt sich in der Endanschwellung an. Die Kernteilung in der generativen Zelle liegt zeitUch sehr verschieden. Bei einzelnen Liliaceen, bei Gramineen (Fig. 4, s), Compositen (Fig. 4, 4), Poly- galaceen usw. findet sie schon vor Beginn der Schlauchbildung statt, bei der Mehr- zahl der Angiospermen allerdings erst, nach- dem die generative Zelle oder deren nackter Kern in den Pollenschlauch eingewandert ist. Mit dieser Teilung gelangt der gesamte Entwickelungsgang des männlichen Pro- thaUiums zum Abschluß. Im Vergleich zu den Gymnospermen ist also sowohl das völlige Fehlen der vegetativen Prothallium- zellen, der Stielzelle, sowie das Fehlen einer festen Membran um die generative Zelle (Spermatozoidmutterzelle) zu verzeichnen und schheßlich treten auch bei der Mehrzahl der Angiospermen nicht jmehr Spermazellen, sondern nackte Spermakerne auf (Fig. 12, 5). Die Rück- bildung des männlichen Prothalliums ist also bei den Angiospermen noch weiter vor- geschritten als diejenige des weibhchen Prothalliums. Sie hat überhaupt den höchst ! möglichen Grad erreicht; nur noch die un- umgänghch notwendigen Teile sind erhalten I gebUeben. Die Spermakerne sind von sehr ver- I schiedener GJestalt und Ciröße. Vielfach sind sie klein, fast kugelig oder elUptisch, komma- förmig gekrümmt, aus dicht gedrängter, chromatischer Substanz zusammengesetzt. Große Spermakerne, wie sie bei Liliaceen (Fig. 12, .5 und Fig. 14, 4 bis 7) und Compo- siten (Fig. 4, 4) vorkommen, sind ent- sprechend dem geringen Durchmesser des Pollenschlauches langgestreckt. Sie werden, wie auch der vegetative Kern, durch die Plasmaströmung immer in einiger Ent- fernung hinter der Schlauchspitze mitgeführt. Bei der Aufstauung des Schlauchinhalts verkürzen sie sich und nehmen häufig, ent- 254 Fortpflanzung der Gewächse (Angiospermen) sprechend den kleineren Spermakernen anderer Pflanzen, ebenfalls eine kugelige oder elliptische Form an. Durch Platzen oder Auflösung der vordersten Membran- partie des Pollenschlauches wird ein Teil seines Inhaltes mit den Kernen in den Embryosack, an der Basis der Eizelle oder in eine der beiden Synergiden hinein, ent- leert. Plasmareste, hier und da auch der Fig. 14. Befruchtungsstadien im acht- kernigen Embryosacke. 1 Embryosack von Rafflesia Patma zur Zeit der Befruchtung, ps Pollenschlauch, ek Eikern. sp Spermakern, Pi und pa Pclkerne. 2 Kern der Keimzelle (Kzk) mit 2 Nukleolen (Anzeichen der voraus- gegangenen ICernversch«nelzung), 3 Vereinigung der beiden Polkerne mit einem Spermakern bei Rafflesia Patma, 4 bis 6 Verschmelzungs- stadien der beiden Polkerne mit einem Sperma- kern, 6 bis 7 Vereinigung von Eikern und Spermakern im Embrj^osacke von Lilium Martagon. Nach Ernst, Schmid und Guignard. vegetative Kern, bleiben im Schlauche zu- rück und sind darin häufig noch in fortge- schrittenen Stadien der Samenentwickelung nachweisbar. Von den beiden befruchtungs- fähigen Kernen des entleerten Pollen- schlauches wandert der eine in die Eizelle ein, zum Eikern; der andere wird zu den nebeneinanderliegenden Polkernen oder ihrem Verschmelzungsprodukt getragen (Fig. 14, i). Die Kernvereinigung im Em- bryosacke der Angiospermen ist also eine doppelte und man spricht daher auch viel- fach von der Doppelbefruchtung der Angiospermen. Als dieser Vorgang von Nawaschin und Guignard entdeckt wurde, sprachen beide For- scher, jedenfalls unter dem Eindrucke stehend, den die kurz vorher bekannt gewordene Ent- deckung der Spermatozoiden bei Ginkgo und Zamia auf sie gemacht hatte, die Vermutung aus, daß den befruchtenden Kernen der Angio- spermen die Fähigkeit zur Gestaltsveränderung und Eigenbewegung zukommen möchte. Hierzu mochte weiter veranlassen, daß die Spermakerne der von ihnen untersuchten Pflanzen, Lilium Martagon (Fig. 14, 4 bis ?) und Fritillaria tenella in ihrer Gestalt auffallend an den Körper der Spermatozoiden der Moose und Ge- fäßkryptogamen erinnern. Später sind aber bei einer großen Zahl von anderen Angiospermen an Stelleder langgestreckt wurmförmigen Sperma- kerne kurze, kugelige oder ovale Kerne gefunden worden (Fig. 14, i u. 3). Gegen die Annahme selbständiger Bewegungen der Spermakerne sprechen außer der abweichen- den Gestalt derselben auch direkte Beobach- tungen an lebenden Samenanlagen. Als besonders geeignet haben sich zu diesem Studium die kleinen, fast völlig durchsichtigen Samenan- lagen der Fichtenspargel (Monotropa) er- wiesen. Strasburger und Shibata haben an diesem Objekt den ganzen Verlauf der Befruchtung und während desselben auch die passive Beförderung der Spermakerne an ihren Bestimmungsort beobachtet. Bei Monotropa besorgt der breite Zytoplasmastrang, der wie bei zahlreichen anderen Angiospermen den Ei- apparat mit dem sekundären Embryosackkern verbindet, die Fortleitung des zweiten Sperma- kernes. Nach der Aufnahme eines Spermakerns umgibt sich die Eizelle mit einer Membran und erzeugt später den Embryo. Die Ver- einigung der Polkerne oder ihres Verschmel- zungsproduktes mit dem zweiten Sperma- kern leitet die Entstehung des Endo- sperms, eines Nährgewebes, ein. Bevorwir auf diese beiden Entwickelungs- I Vorgänge eintreten, sei noch ausgeführt, welche Bedeutung der Doppelbefruchtung der Angio- spermen für unsere Kenntnisse vom Wesen der Befruehtungserscheinungen überhaupt j zukommt. Die Bedeutung des Befruchtungs- i aktes wird allgemein gefunden im Aus- j gleich individueller Abweichungen und in der Uebertragung der vereinigten Art- 1 Charaktere der Erzeuger auf die Nach- kommen. Als Träger dieser Merkmale werden die Zellkerne und zwar speziell deren chromatische Substanz aufgefaßt,' In diesem Sinne wird auch die Befruch- tung der Eizelle, resp. die Verschmelzung des Eikerns mit dem einen der beiden in den Embryosack eingedrungenen männlichen Kerne aufzufassen sein. Dagegen ist leicht einzuselicn, daß die Bedeutung des Ver- schmelzungsprozesses der beiden Polkerne oder des sekundären Embryosackkerns mit dem. zweiten Spermakern, der Anlaß gibt zur Bildung eines vergänglichen, Reserve- Fortpflanzung der Gewächse (Angiospermen) 255 Stoffe speichernden Gewebes, nicht auf dem Gebiete der Vererbung zu suchen sein wird. In den eigentlichen Befruchtungsakt, den wir mit Strasburger als generative Befruchtung benennen können, greifen noch andere Vorgänge ein, welche die Weiterentwickelung des Befruch- tungsproduktes, der Zygote, auslösen. Strasburger bezeichnete "diese Begleit- erscheinungen der generativen Befruchtung, also die Anregung zur weiteren Entwickelung, als vegetative Befruchtung. Diese letztere und nicht die Uebertragung der Art- merkmale des väterlichen Organismus auf die zu bildenden Endospermzellen ist nun jedenfalls der Hauptzweck der Endosperm- befruchtung. Ihr Nutzen liegt in der durch Energieassoziation bewirkten rascheren Teilungstätigkeit des primären Endosperm- kernes, der ja auch in der Tat häufig mehr als 100 Kerne liefert, bevor eine einzige Tei- lung der Eizelle erfolgt ist Da nun aber bei der Endospermbefruchtung der Spermakern nicht einfach aufgelöst wird, um den ver- schmelzenden Polkernen als Nahrung zu dienen, sondern als lebendige Einheit mit ihnen in Verbindung tritt, können in dem Verschmelzungsprodukt auch die Erbein- heiten des Spermakerns zur Geltung ge- langen. Ein schönes Beispiel hierfür bieten die Endospermbastarde des Mais (vgl. im Artikel „Bastardierung" unter „Xenien", Bd. I, S. 872). 6. Embryobildung. Die befruchtete Eizelle, die Keimzelle (Fig. 14, 2), ist be- häutet. In ihrem Plasma führt sie den Keimkern (Zygotenkern) ferner Chroma- tophoren in verschiedener Zahl und Differenzierung. Gewöhnlich sind in Plasma und Zellsaft der embryobildenden Zelle auch Reservestoffe gespeichert, doch selten in größerer Menge. Das Eintreten der ersten Teilung der Keimzelle ist zeitlich verschieden, d. h. sie erfolgt unmittelbar nach der Be- fruchtung oder erst nach einer kürzeren oder längeren Ruheperiode. In den meisten Fällen ' geht der Embryoentwickelung die Endo- spermbildung voraus. Die Embryoent- wickelung selbst wird eingeleitet durch Ver- längerung und Querteilung der Keimzelle. Durch ein oder mehrere Teilungsschritte entsteht zunächst der Proembryo, dessen I Zellen durch weitere Teilungen teils den I eigentlichen Embryo, teils einen Embryo- i träger (Suspensor) bilden, welcher später [ die Ernährung des Keimlings vermittelt und I ihn infolge seiner starken Streckung in das I Nährgewebe hinunterschiebt. Der Embryo des reifen Samens besteht in der Regel aus einer Haupt- ; Wurzelanlage (Radicula), der Anlage [des über den Keimblättern zur Entwickelung kommenden Sprosses (Plumula) und 'den Keimblättern (Kotyledonen). Diese treten bei der großen Mehrzahl der Diko- tyledonen in Zweizahl auf. die Monokotyle- Fig. 15. Entwickelung des Embryos 'von Capsella bursa pastoris. In allen Stadien bedeutet: s den Embryo träger, e und E die Embryoanlage. In 3 bezeichnen a und b die Zellen, aus denen Kotyledonen und Plumula hervQrgehen, c die Zelle, welche später die Radicula liefert, in 7 eins den Inhalt des Embryosackes. Nach Coulter und Chamberlain, 256 Fortpflanzung der Gewächse (Angiospermen) denen besitzen nur ein Keimblatt. Aus- nahmen von dieser Regel sind nicht allzu selten. Mehr als 2 Kotyledonen finden sich bei man- chen Proteaceen; JDikotyledonen mit nur einem Keimblatt (Verkümmerung des einen Keimblattes oder Verwachsung von 2 Keimblättern) sind bei Arten der Gattungen Corydalis, Ranunculus, Eranthis, Cyclamen, Pinguicula usw. bekannt geworden. Einzelne Teile der Embryonen können auch auf einem wenig entwickelten Stadium stehen bleiben oder ganz fehlen. Bei einigen Familien (Rafflesiaceen, Balanophoraceen, Öro- banchaceen, Orchidaceen, Burmanniaceen usw.) treten auch völlig ungegliederte und aus wenigen Zellen bestehende Embryonen auf. Im einzelnen sind bei den beiden Hanpt- grnppen der Angiospermen, bei Dikotyle- donen und Monokotyledonen, Entwickelung und Bau der Embryonen verschieden. Fig. 16. Einige abweichende F 0 r m e n d e r E m b r y 0 e n t wi c ke - hing bei Dikotyledonen. 3 bis 3 Embryonen von L o r a n t h u s sphaerocarpus. s Suspensorzellen, e Embryo. 4 Junger Proembryo und 5 älterer Keim von B a r r i n g t o n i a Vriesei, 6 ungegliederter Embryo von Xyris indica. i Integumeiit. Nach Treub und Ernst. i\ls Typus für Entwickelung und Diffe- renzierung des Embryos der Dikotyledonen sei auf die Crucifere Capsella bursa pa- storis verwiesen (Fig. 15). Die Entwickelung des Embryos setzt hier schon ganz kurze Zeit nach der Befruchtung ein. Durch die ersten Teilungen der Keimzelle entsteht ein mehr- zelliger, gestreckter Zellfaden mit halb- kugeliger, später fast kugeliger Endzelle. Sie teilt sich später zunächst in Oktanten (Fig. 15, 1 bis 3) und aus diesen entsteht durch weitere Teilungen ein kleiner, kugeliger Zell- körper mit Außen- und Innenzellen (Fig. 15, 4 bis e). Aus der Vorderhälfte desselben gehen später durch weitere Teilungen, Wachstum und äußere Differenzierung die Keimblätter und die Plumula hervor, die beiden hinteren Viertel dagegen liefern Achse und Wurzelanlage (Fig. 15, 7). Von den Zellen des Embryoträgers teilt sich gewöhnlich nur die vorderste (c) noch weiter und beteiligt sich mit ihren Teilungs- produkten am Aufbau der Wurzelanlage. In den Hauptzügen stimmt der Entwickelungs- gang der Embryonen einer großen Anzahl von Angiospermen mit Capsella überein. In- folge verschieden starker Entwickelung der einzelnen Teile des Embryos, insbesondere des Suspensors, kommt es aber häufig schon während der Entwickelung zu einer außer- ordenthchen Mannigfaltigkeit der Formen. Von größeren Abweichungen im Entwicke- lungsgange und in der morphologischen Differenzierung der Embryonen seien im nachfolgenden nur einige der auffallendsten Beispiele erwähnt. Bei einzelnen Dikotyledonen findet die erste Teilung der befruchteten Eizelle nicht quer, sondern in der Längsrichtung statt. Bei Loran- thus arten z.B. (Fig. 16, i bis 3) folgen einer ersten Längsteilung mehrere Querteilungen der beiden Längshälften nach, so daß der Proembrj'o aus einer doppelten Zöllreihe besteht. Die basalen Zellen beider Reihen verlängern sich zu einem schlauchartig gestreckten Suspensor, welcher die beiden scheitelständigen Zellen und die aus diesen hervorgehende Embryoanlage an den Grund des Embryosackes hinunterschieben, wo sie sich während ihrer weiteren Entwickelung infolge der Berührung mit der Embryosackbasis scheibenförmig abplattet (Fig. 16, 3). Bei Barringtonia (Fig. 16,4 u. 5), Eriocaulon, Xyris (Fig. 16, g) u. a. bildet sich der Embryo in Form eines dem oberen Ende des Embryo - Sackes mit breiter Basis anliegenden , fast schalenförmigen Körpers aus. Im übrigen mögen für den Formenreichtum der Dikotyle- donenkeime noch einige Beispiele aus der einen Familie der Leguminosen zeugen (Fig. 17). Bei einzelnen Vertretern dieser Familie bleibt die Differenzierung in Embryoträger und Em- bryo aus oder ist undeutlich (Fig. 17, 1 u. a). Bei aiideron Formen ist bald der Suspensor, bald (]er Eiiibryokiirper stärker entwickelt. Die große Mannigfaltigkeit der Formen beniht aber vor allem auf der verschiej Spinacia oleracia L. Diss. Amsterdam 1910. — E. Strasbitrger, Zeitpunkt der Bestimmung des Grschler/tiK, Apogamie, Parthenogenesis und EeduLtiniist, ihniq. Jena 1909. — Derselbe, Sexuelle und iipogame Fortpflanzung bei Urti- caceen. Jahrb. f. wiss. Bot., Bd. 47, S. 245 bis 288, 1910. — A. Troendle, lieber die Reduk- tionst.eilung in den Zygoten von Spirogyra und über die Bedeutung der Synapsis. Zeitschr. f. Botanik, Bd. 3, S. 593 bis 619, 1911. — H. Winkler, Parthenogenesis und Apogamie im Pflanzenreiche. Jena 1908. — H. Wirs, Bei- träge zur Entwicklungsgeschichte von Sciaphila spec. und von Epirrhizanthes elongata Bl. j Flora, Bd. loi, S. 395 bis 446, 1910. H. Winkler. 7. Physiologie. Einleitung. I. Thallopliyten. 1. Unge- schlechtliche Fortpflanzung der Algen. 2. Ge- schlechtliche Fortpflanzung der Algen. 3. Fort- pflanzung der heterotrophen Organismen (Pilze, Bakterien, Myxomyceten). a) In flüssigen Medien fruktifizierende Pilze usw. b) Die in der Luft fruktifizierenden Pilze usw. 4. Einfluß von Temperatur und Sauerstoff auf die Fortpflanzung der Thallophyten. 6. Wechsel der Fortpflanzung; Generationsw3chsel. 6. Geschlechtsdifferen- zierung; Parthenogenesis. II. Cormophyten (Moose, Farne, Phanerogamen). 1. Einfluß des Lichtes. 2. Die anorganischen Nährsalze, o. Einfluß des Wassers. 4. Einfluß der Tem- |)!'ratur und anderer Faktoren (Sauerstoff, Kuhlcusäure). 5. Einfluß des Alters; Blütezeit; Verteilung der Geschlechter. 6. Schlußwort. FortpfianzuBg. der Gewächse (Physiologie) 277 Eijnleitung. Die Fortpfhmzungsphysio- logie will die äußeren und inneren Be- dingungen erforschen, welche die Ent- stehung und Ausbildung der Fortpflanzungs- organe herbeiführen. Jeder Vorgang, durch welchen bei einer Pflanze ein oder mehrere Teile ihres Körpers als Keime losgelöst werden, die sich zu einem neuen Organis- mus entwickeln, kann zur Fortpflanzung gerechnet werden. Für die vorliegende Auf- gabe wird aber der Begriff der Fort- pflanzung auf jene Fälle beschränkt, in denen die sich loslösenden Keime durch Form und B'unktion deutlich von den vegetativen Organen unterschieden sind. Die vegetative Vermehrung, sei es durch Teilung bei den Thallophyten, sei es die natürliche Loslösung von Knollen, Zwiebeln u. dgl., sei es die künstliche Teilung durch Steck- linge, bleibt unberücksichtigt. Man unter- scheidet die ungeschlechtliche Fortpflan- zung, bei der jeder Keim für sich entwicke- lungsfähig ist, und die geschlechtliche, bei der der Regel nach zwei Keime sich zu dem entwickelungsfähigen Produkt vereini- gen. Die ungeschlechtliche Fortpflanzung ist bei den Algen, Moosen, Farnen verbreitet und fehlt den Phanerogamen, die geschlecht- liche findet sich bei den niedersten bis höchsten Pflanzen. Die Pflanzenwelt entfaltet ihren höchsten Formenreichtum gerade in den Fortpflan- zungsorganen, die sich gegenüber den vege- tativen Teilen durch einen verwickeiteren Bau auszeichnen. Früher war die allgemeine Ansicht, daß die Fortpflanzung die not- wendige Folge einer rein inneren Entwicke- lung und deshalb wohl morphologisch zu beschreiben, aber nicht physiologisch zu be- handeln sei. Heute gibt es eine Fortpflan- zungsphysiologie — wenn sie auch in ihren ersten Anfängen steckt. Die Hauptaufgabe liegt in dem Nachweis, daß die Fortpflanzung wie jeder andere Lebensprozeß in notwendiger Abhängigkeit von der Außenwelt steht; es kommt darauf an, den Einfluß der verschie- denartigen Faktoren genau zu bestimmen. Daran schließt sich die zweite, sehr viel schwierigere Aufgabe, den Zusammenhang zu erforschen, der zwischen der Wirkung der äußeren Faktoren und jenen inneren Veränderungen der Zellen besteht, die zur Fortpflanzung führen. Da bei den Thallo- phyten die Abhängigkeit der Prozesse von bestimmten Faktoren der Außenwelt am klarsten hervortritt, und sich bei ihnen alle wesentlichen Probleme in relativ einfachster Form darbieten, so sollen sie für sich behan- delt werden. Die Darstellung soll dann dazu dienen, die viel weniger geklärten Ver- hältnisse bei den höheren Pflanzen zu be- euchten. I. Thallophyten. Die Fortpflanzung tritt im allgemeinen ein, nachdem der Organismus sich ernährt hat und gewachsen ist. Das vegetative Wachstum erfolgt, sobald alle wesentlichen äußeren Faktoren, wie Licht, anorganische resp. organische Stoffe, Temperatur, Feuch- tigkeit, Sauerstoff in einer für jede Art charakteristischen Intensität wirksam sind, die innerhalb gewisser Grenzen variieren kann. Bei einem bestimmten Verhältnis aller Faktoren erreicht das Wachstum den höchsten Grad. Es beruht auf einem be- stimmten Verhältnis der in den Zellen waltenden Bedingungen, sowohl der physi- kalischen, wie osmotischer Druck, kolloider Zustand u. a., als auch der chemischen, wie Qualität und Quantität der anorganischen und organischen Stoffe. Auch diese inneren Bedingungen können entsprechend den äuße- ren innerhalb gewisser Grenzen variieren, wobei wohl die Intensität des Wachstums, nicht aber die Entwickelungsrichtung ver- ändert wird. Sobald aber die Fortpflanzung erfolgt, sei es an der ganzen Pflanze, sei es an einem Teil von ihr, so müssen zweifellos die inneren Bedingungen wesentlich ge- ändert werden. Wir kennen die Art der Aenderung noch nicht; wir erfahren aber durch das Experiment, daß die für das Wachstum charakteristischen äußeren Bedingungen in bestimmter Weise geändert werden müssen, damit die Fortpflanzung erfolgen kann. Wir können nachweisen, daß die äußeren Be- dingungen für Wachstum und Fortpflanzung tatsächlich verschieden sind, gerade so wie es vom kausalen Standpunkt aus für die inneren Bedingungen der beiden Prozesse vorausgesetzt werden muß. Sobald es daher praktisch gelingt, die für das Wachstum optimalen äußeren Bedingungen konstant zu erhalten, kann der Organismus niemals zur Fortpflanzung kommen, sondern muß beständig weiterwachsen. Der Versuch ist für eine Reihe Thallophyten (Algen wie Chlamydomonas, Vaucheria, Pilzen wie Sa- prolegnia, Myxomyceten wie Didymium) mit Erfolg lange Zeit durchgeführt worden. Jederzeit läßt sich bei den betreffenden Organismen durch Aenderung der Bedin- gungen die Fortpflanzung herbeiführen. Die Verschiedenartigkeit der Bedingungen für die beiden Lebensprozesse zeigt sich noch in einer anderen Richtung und eröffnet einen zweiten Weg, sie voneinander zu trennen. Die Grenzen, innerhalb deren die Faktoren ihrer Intensität nach schwanken können, sind nach den heute bekannten Tatsachen für die Fortpflanzung enger gezogen als für das Wachstum, so daß dieses noch er- folgen kann, wenn die Fortpflanzung aus- geschlossen ist. So kann zu geringes Licht, 278 Fortpflanzung der Grewächse (Physiologie) zu geringe oder zu hohe Konzentration des Außenmediums, zu geringe oder zu hohe Feuchtigkeit oder Temperatur als Mittel dienen, die Vorgänge zu trennen. In der freien Natur kann sowohl zu gute Ernährung, die nur Wachstum gestattet, wie ein Zuwenig oder ein Zuviel eines der für die Fort- pflanzung wesentlichen Faktoren eine völlige Sterilität bewirken. Wenn unter gewöhnlichen Umständen die Fortpflanzung nach einem vorher- gehenden Wachstum eintritt, so folgt daraus nicht, daß dieses eine notwendige Vorbe- dingung ist. Bei einfacheren Fortpflanzungs- prozessen von Algen und Pilzen läßt sich dieses Wachstum auf ein Minimum beschränken, so daß eben gebildete Sporen sofort wieder zur Fortpflanzung schreiten können (Zoo- sporen von Vaucheria, Oedogonium, Zy- goten von Basidiobolus usw.). Entscheidend ist in erster Linie der Ernährungszustand, der im allgemeinen um so kräftiger ist, je länger der Organismus sich unter solchen Bedingungen befindet, die gleichzeitig das Wachstum erregen, Gut ernährte Organismen reagieren leichter und intensiver auf jene Aenderungen, die die Fortpflanzung bewirken, während schlecht ernährte Individuen diese Eeaktionsfähigkeit verlieren. Für das Fol- gende setzen wir voraus, daß der Organismus sich kräftig ernährt hat und deshalb lebhaft gewachsen ist. Es fragt sich nun, welche Aenderungen sind notwendig, um ihn zur Fortpflanzung zu bringen. Als wesentliches Kesultat der bis heute bekannten Tatsachen ergibt sich der Satz, daß der entscheidende Grund für das Auftreten der Fortpflanzungs- organe an Stelle des vegetativen Wachs- tums in quantitativen Veränderungen der für alle Gestaltungsvorgänge wichtigen allgemeinen äußeren Be- dingungen liegt. Es sind keine spezifischen äußeren Faktoren bekannt, die als formative Bedingungen wirksam sind. Der Unterschied zwischen Wachstum und Fortpflanzung besteht demnach in ihrem verschieden- artigen Verhältnis zu den gleichen äußeren Faktoren. Da bei zahlreichen Thallophyten die Bedingungen der Fortpflanzung noch unbekannt sind, so kann erst die weitere Forschung entscheiden, ob der Satz all- gemein gültig ist. Für die genauere Dar- stellung der Bedingungen kann man die Thallophyten in zwei Gruppen trennen, die sich durch ihre Ernährungsart unterscheiden, die C-assimilierenden autotrophen Algen und die von vorgebildeter organischer Sub- stanz sich ernährenden heterotrophen Pilze nebst Bakterien und Myxomyceten. I. Ungeschlechtliche Fortpflanzung der Algen. Die auffallendste Form dieser Fortpflanzungsweise besteht in der Bildung beweglicher nackter Zellen, der Zoosporen. Da der Bildungsprozeß in relativ kurzer Zeit, innerhalb 24 Stunden, verläuft und bei gut ernährtem Material mit größter Sicher- heit erregt werden kann, so ist er ganz besonders geeignet, das Verhältnis zur Außen- welt klar zu legen. Folgende Aenderungen von Außenfaktoren können je nach den Arten die Zoosporenbildung veranlassen. (Klebs 1896, 1904.) ^ a) Verringerung des Salzgehaltes im Außenmedium. Der Uebergang aus einer stärkeren anorganischen Nährlösung (z. B. Kn 0 p - Lösung : salpetersaurer Kalk, salpeter- saures Kali, phosphorsaures Kali, schwefel- saure Magnesia) in eine verdünntere oder ein- fach in reines Wasser ruft den Prozeß hervor: bei Vaucheriaarten, Hydrodict^^on, Proto- siphon, Bumilleria u. a. Es fragt sich, ob die Veränderung des osmotischen Druckes oder die Aenderunginder Quantität bestimm- ter Salze der maßgebende Grund ist. In dem am genauesten untersuchten Fall von Oedogonium pluviale (Freund 1907) ist die Verminderung der Phosphate und Nitrate entscheidend, da sie auch bei konstantem osmotischem Druck der Lösung den Prozeß erregt: Bei Vaucheria repens scheinen die Phosphate allein in Betracht zu kommen. Nach Ernst (1904) soll dagegen für die marine Vaucheria piloboloides die Herab- setzung des osmotischen Druckes wirk- sam sein. b) Verringerung der Lichtintensi- tät, am einfachsten Ueberführung in Dun- kelheit, wirksam bei Vaucheriaarten, Proto- siphon, Oedogonium capillare. Die Erregung wird nicht durch den Wechsel, sondern durch den Aufenthalt im Dunkeln bewirkt, der einen fortdauernden Reiz ausübt, so daß bei genügender Nahrungsreserve der Prozeß tage- bis wochenlang fortgehen kann. Führt man Vaucheria aus stärkerer Lichtintensität in schwächere, so erfolgt auch dann die Zoosporenbildung, aber sie hört nach einigen Tagen auf, bis eine weitere Herabsetzung, vor allem völlige Dunkelheit, von neuem erregend wirkt. c) Verringerung des Sauerstoff- gehalts beim Uebergang aus fheßendem m stehendes Wasser. Diese Aenderung wirkt bei jenen Algen, die in lebhaft strömenden Bächen leben, wie Vaucheria clavata, Oedo- gonum pluviale, Ulothrix, Draparnaldia. Der Prozeß tritt auch ein bei konstanter Tem- peratur und ohne Aenderung der Zusammen- setzung des Mediums. Selbst Algen wie Vaucheria repens, Hydrodictyon, die für gewöhnhch nicht in fließenden Bächen vor- kommen, können auf eine solche Aende- rung mit Zoosporenbildung reagieren, sobald sie vorher in fließendem Wasser kultiviert werden. Die Frage ist aber nicht ent- Fortpflanzung der Gewächse (Physiologie) 279 schieden, ob nicht bei einem solchen Ueber- gange neben dem Sauerstoff noch andere unbekannte Faktoren mitwirken. d) Verringerung der Temperatur. Nur der Fall ist bekannt, daß Bumilleria sicula, die im Winter bei 13 bis 17" kulti- viert wird, Zoosporen erzeugt, sobald sie in eine Temperatur von 5 bis 6" gebracht wird. Hier spielt der Wechsel eine Kolle, während bei Vaucheria repens, die bei 0 bis 3° kultiviert wird, erst nach mehreren Wochen sehr langsamen Wachstums die Zoosporenbildung eintritt und dann Wochen hindurch andauert. e) Steigerung der Feuchtigkeit beim Uebergang aus Luft in Wasser. Diese Methode ist anwendbar bei Algen, die auf feuchtem Boden oder der Kinde leben, wie Vaucheria repens, Protosiphon, Botrydium u. a. Der Wechsel ist auch hier entscheidend, da nach einigen Tagen der Reiz aufhört. Für Vaucheria repens wird der Reiz wirkungs- los, wenn die Fäden ganz allmählich in das Wasser hineinwachsen. Der Uebergang von Luft in Wasser bedingt wahrscheinlich verschiedene Aenderungen für die Zelle. Die Zunahme des Wassergehaltes kann nicht in allen Fällen allein entscheidend sein, weil Protosiphon, das auf feuchtem Lehm kul- tiviert worden ist, Schwärmer erzeugt, sogar nach Ueberführung in eine 1-prozentige Nährsalzlösung, d. h. ein Medium mit höherem osmotischem Druck. Bei einigen Luftalgen, wie Cystococcus humicola, Chloro- coccum infusionum, wirkt der Uebergang in Wasser am intensivsten bei gleichzeitiger Wirkung der Dunkelheit (Gerneck 1907). f) Steigerung des Nährsalzgehaltes im Außenmedium. Am auffallendsten wirkt dieser Faktor bei Vaucheria repens und vor allem clavata, die aus Wasser in Knop-Lösung (bis zu 1 %) übergeführt, nach einer Woche Zoosporenbildung zeigt, die lange Zeit fort- dauert. Allerdings ist die Gegenwart des Lichtes dabei nötig. Auch bei Oedogonium pluviale und capillare kann der Uebergang aus Wasser in eine Nährsalzlösung den Prozeß erregen, wenn man Fäden benutzt, die vorher einige Zeit in reinem Wasser gelebt und sich mit Reservestoffen (Stärke) vollgepfropft haben. Die Nährsalze bewirken die Auflösung dieser Stoffe und rufen gleichzeitig die Zoo- sporenbildung hervor. Die Wirkung der Nährlösung beruht nicht auf dem Gehalt an Nitraten und Phosphaten, die auch für die Auflösung der Stärke keine Bedeutung haben. Dagegen vermag eine geeignete Kombination der anderen Elemente (Mg, S, K, Ca) die Nährlösung zu ersetzen (Freund 1907). Bei Oedogonium capillare muß das Licht mitwirken, bei pluviale da- gegen nicht. g) Steigerung der organischen Nährstoffe. Bei Conferva minor werden die Fäden zur intensivsten Zoosporenbildung gebracht, wenn sie im Dunkeln in Lösungen verschiedener organischer Stoffe, wie Inulin, Amygdalin, Aesculin, Salicin, versetzt werden. Eine Reihe anderer Substanzen, wie Rohr- zucker, Traubenzucker erregt den Prozeß nur beim Uebergang aus Licht in Dunkelheit, nicht bei Fäden, die bereits einige Zeit im Dunkeln gelebt haben. Selbst sehr verdünnte Lösungen, z. B. 0,1 Salicin oder Aesculin, üben die Wirkung aus und lehren, daß die Erhöhung des osmotischen Druckes nicht wesentlich ist; auch haben anorganische Salze niemals den gleichen Erfolg. In anderen Fällen kann aber tatsächlich eine Erhöhung des osmotischen Druckes fördernd wirken. Die Zoosporenbildung von Oedogonium capillare erfolgt im Wasser durch Verdunke- lung; sie wird aber durch eine Zuckerlösung gesteigert und um so mehr, je höher die Kon- zentration (10 selbst 20%) ist. Der Zucker läßt sich allerdings nicht durch isosmotische Salzlösungen ersetzen, weil diese schon bei geringerer Verdünnung (0,3%) den Prozeß hemmen. h] Steigerung der Temperatur. Bis- her ist nur ein Fall bekannt: Oedogonium (diplandrum) pluviale, das zunächst in einer niederen Temperatur unter 10*^ kul- tiviert wird und dann bei einer Tempe- raturerhöhung von 5" lebhafte Zoosporen- bildung zeigt. Der Uebergang aus einer Temperatur über 10<* in höhere z. B, von ]5 auf 25*^ veranlaßt nicht den Prozeß. Die ungeschlechtliche Fortpflanzung der Algen zeigt eine auffallende Mannigfaltigkeit der sie hervorrufenden Faktoren, Dabei ist nicht anzunehmen, daß unsere Kenntnis erschöpfend wäre, da so viele Algen in bezug auf diesen Punkt noch nicht untersucht sind. Auf den ersten Blick sehr auffallend erscheint die Tatsache, daß bei der gleichen Spezies verschiedenartige äußere Aende- rungen den Prozeß veranlassen. Namentlich zeichnet sich Vaucheria repens dadurch aus; denn die sämtlichen 6 ersten Methoden können bei ihr wirksam sein. Wir kennen nicht die Art der inneren Veränderungen der Zelle, dürfen aber wohl annehmen, daß die äußeren Bedingungen doch schließhch eine gleichartige innere Veränderung herbei- führen, die dann den Prozeß der Zoosporen- bildung veranlaßt. Es ist nicht unwahrschein- lich, daß für diesen Prozeß im Gegensatz zum vegetativen Wachstum ein anderes Konzentrationsverhältnis der anorganischen Salze und der C-Assimilate charakteri- stisch ist. Denn bei der Mehrzahl der Methoden handelt es sich um Konzentra- tionsänderungen dieser Stoffgruppen. Es ist dabei zu berücksichtigen, daß die ver- 280 Fortpflanzung der Gewäclise (Physiologie) schiedenen Methoden nicht bei dem gleichen | Individuum anwendbar sind. Vielmehr hängt es von den vorhergehenden Ernäh- rungsbedingungen ab, welche Methode am besten zum Ziele führt. Die im fließenden Wasser wachsenden Fäden von Vaucheria repens werden durch Methode 3 zur Zoo- sporenbildung veranlaßt, die auf feuchtem Boden lebenden durch Methode 5, die in Nährsalzkulturen befindlichen durch Me- thode 1. Diese Bedeutung der vorhergehenden Lebensweise tritt noch viel stärker bei anderen Algen auf. Das im fließenden Wasser lebende Oedogonium pluviale bildet Zoosporen nach Methode 1, 3, 4 und 8, das im stehenden Wasser kultivierte nach Methode 1, 2 und 6. Hier könnten möglicher- weise physiologische Rassen vorliegen. Dagegen ist es sicher die gleiche Spezies und Rasse von Protosiphon botryoides, die auf Lehm kultiviert durch die Ueberführung in Wasser oder Nährsalzlösung zur Zoosporen- bildung gebracht wird, während nach Kultur in Nährlösungen die Verdunkelung das wirksamste Mittel ist. Im allgemeinen können die Experimente über die künstliche Erregung der Zoosporen- bildung auch ein Verständnis für ihr Vor- kommen in der freien Natur herbeiführen. { Wenn ein sehr reaktionsfähiges Material vor- liegt, wie es die Regel ist, so können bereits j kleine Aenderungen erregend wirken. Es ist aber selten möglich, in jedem einzelnen Falle die äußeren Aenderungen zu erkennen, die an einem Standort, z. B. einem Sumpf mit zahllosen Organismen, gerade den Prozeß bei einer oder der anderen Alge veranlassen. Man muß nur bedenken, daß in einem solchen Medium Licht, Temperatur, chemi- sche Zusammensetzung wechseln, daß die anderen Organismen Pflanzen und Tiere die Bedingungen ständig verändern. Wenn daher unter solchen Umständen bei einer Alge neben Wachstum auch Zoosporen- bildung ja sogar geschlechtliche Fortpflan- zung vorkommen, so bedeutet das keinen Einwand gegen die aus den Experimenten gezogenen Schlußfolgerungen. 2. Geschlechtliche Fortpflanzung der Algen. Soweit heute die Bedingungen für den Geschlechtsprozeß der Algen bekannt sind — es gilt das nur für eine kleine Anzahl — findet sich nicht eine solche Mannig- faltigkeit der wirksamen Bedingungen. Viel- mehr scheinen diese im wesentUchen sehr gleichartig zu sein, Setzen wir wieder einen gut ernährten ThaUus voraus, so wird auch der Geschlechtsprozeß wie die Zoosporen- bildung durch quantitative Aenderungen gewisser Außenfaktoren hervorgerufen. Zwei Aenderungen treten als besonders wesent- lich hervor: die Steigerung der Licht- intensität, die eine Vermehrung der C-Assimilate bedingt und eine Vermin- derung gewisser Nährsalze. Wenn man absieht von den Schwärmern von Protosiphon, die ebenso gut unge- schlechtlich wie geschlechtlich sein können (s. weiter unten) , so ist bisher nur eine Alge bekannt, Hydrodictyon, die ihre Geschlechstzellen in Form beweglicher Gameten im Dunkeln auszubilden ver- mag; diese Ausnahme bestätigt aber nur die Regel. Der einfachste Weg, die Gameten- bildung hervorzurufen, besteht in der Kultur der Alge in reinem Wasser bei hellem Licht. Zuckerlösungen befördern den Prozeß, und bei ihrer Anwendung kann er auch im Dun- keln erfolgen. Noch sicherer ist die Anwen- dung von Maltose und Dulcit-Lösungen, die am besten überhaupt im Dunkeln wirken. Der Prozeß kann selbst nach 10-monatlichem Aufenthalt im Dunkeln in einer Glycerin- lösung (2%) auftreten. Die N-freien orga- nischen Stoffe, in erster Linie Zuckerarten, können den Einfluß des Lichtes völlig er- setzen. Bei den meisten anderen Algen, selbst einfachen wie Chlamydomonas media muß das Licht notwendig mitwirken, um den Ge- j schlechtsprozeß zu veranlassen. Zugleich ist dafür eine stärkere Intensität des Lichtes nötig, als für das Wachstum, so daß die ; Algen in schwächerem Lichte nur wachsen. j Zuckerlösungen befördern den Prozeß ; sie I ermöglichen ihn z. B. bei Vaucheria repens I in Versuchen mit künstlichem Licht (Auer- I lampe) — bei dem Versuch standen die Kul- i turen in 2 % Rohrzucker 50 cm von der Lichtquelle entfernt. In der gleichen Ent- ! fernung bleiben Kulturen in Wasser oder ver- dünnter Nährlösung geschlechtlich steril. Bisher ist es nicht gelungen, den Einfluß des Lichtes völlig durch Zufuhr organischer I Stoffe zu ersetzen. Aber aus allem geht j hervor, daß eine Aufspeicherung der C-x\ssi- milate für den Prozeß wesentlich ist. Der zweite wichtige Faktor ist die [Verringerung der anorgani- jschen Nährsalze. Selbst Lösungen von 0,05 % verhindern die Gameten- ! bildung bei Chlamydomonas , solche von 0,1 bis 0,4 % die Zygotenbildung von Spirogyra, Hydrodictyon die Oosporen- , bildung von Oedogoniiimarten. Die Nähr- salze in einer Mischung wie der von Knop haben nicht die gleiche Bedeutung. Viel- 1 mehr kommt es in erster Linie für Vaucheria, Spirogyra usw. auf die Verminderung der N- haltigen Salze bei Gegenwart des Phos- phors an (Ben ecke 1898. 1908), Nicht immer ist eine absolute Entziehung der Nähr- salze nötig, es genügt eine relative Vermin- derung, die durch besondere Steigerung der C-Assimilation erreicht werden kann. So kann Vaucheria repens selbst in stärkeren Fortpflanzung der Gewächse (Physiologie) 281 Nährsalzlösungen (0,5 bis 1%) Geschlechts- organe bilden, wenn auch verspätet im Ver- gleich zu den Kulturen im Wasser. Wir können annehmen, daß es für die Erregung der Geschlechtsprozesse nicht auf die abso- luten Mengen ankommt, sondern auf eine bestimmte Kelation von Nährsalzen und C-Assimilaten, die auch bei mäßiger Verringerung der ersteren durch größere Konzentration der letzteren herbei- geführt wird. Bei den Algen wie Chlamydo- monas, Vaucheria, Oedogonium, Hydro- dictyon läßt sich der Geschlechtsprozeß mit großer Sicherheit hervorrufen. Mit einiger Wahrscheinlichkeit erreicht man es auch bei Spirogyra, Ulothrix, Draparnaldia. Aber bei diesen Algen trifft man manchmal auf große Schwierigkeiten, und die Ver- 1 suche können erfolglos sein. Das hängt damit zusammen, daß die Reaktionsfähigkeit für den Geschlechtsprozeß in höherem Grade als bei der ungeschlechtlichen Fortpflanzung durch verschiedenartige oft sehr kleine Aenderungen der Außenwelt verschwindet. Die Algen geraten in einen indifferenten Zustand. Man kann künstlich diese In- differenz herbeiführen durch ungünstige Er- 1 nährung oder durch Zusätze wie Säuren, Alkalien usw. In der freien Natur, wie auch | in der Kultur können aber auch unbekannte Einflüsse die Algen indifferent machen. Be- sonders ist das der Fall bei Algen, deren Lebensbedingungen nicht vollständig genug ; bekannt sind, um sie jederzeit gut kultivieren zu können, z. B. bei Spirogyraarten oder j noch mehr bei Desmidiaceen der Hochmoore, j die sich überhaupt noch nicht kultivieren lassen. Hier hängt es dann vom Zufall ab, ob man reaktionsfähiges Material findet oder nicht. 3. Fortpflanzung heterotropher Thallophyten (Pilze, Bakterien, Myxo- myceten). Bei diesen Organismen, speziell den Pilzen, findet man eine außerordentliche Mannigfaltigkeit der Fortpflanzungsformen. Um die Uebersicht zu erleichtern, sollen 3 Gruppen von Sporen unterschieden werden, obwohl eine scharfe Trennung unmöglich ist. 1. Paulosporen, d. h. alle Sporen, die durch einen einfachen Umwandlungsprozeß von Zellen oder kernhaltigen Zellteilen zu meist dickwandigen Ruhezellen werden, wie die Cysten der Myxomyceten, die Gemmen und Chlamydosporen vieler Pilze. Sie ent- stehen im allgemeinen, wenn die Ernährungs- verhältnisse sehr ungünstig werden, sei es durch große Trockenheit, starken Mangel an Nährstoffen, Ansammlung schädlicher Stoffwechselprodukte usw. Sie sollen nicht weiter berücksichtigt werden. 2. Die Kinosporen, d. h. alle Sporen, die durch einen einfachen Teilungsprozeß, sei es durch Abschnürung an Trägern, sei es endogen in Sporangien entstehen und die der Vermehrung und Verbreitung dienen. 3. Die Gonosporen. d. h. alle Sporen, die infolge eines verwickelten Bildungsprozesses, häufig vermittelt durch einen geschlechtlichen: Vorgang, und oft in besonders gestalteten Früchten, entstehen, wie die Zygoten der Mucorineen, Oosporen von Saprolegnien, Sporen der Ascomyceten- und Basidio- mycetenfrüchte. Der gleiche Pilz kann alle 3 Sporenformen aufweisen, ja er kann Kinosporen in mehreren verschiedenen Formen besitzen (manche Ascomyceten). Ganz allgemein läßt sich sagen, daß die bei den Algen wirksamen äußeren Bedingungen für die Pilze nicht maßgebend sind, daß es sich der Regel nach um Aenderungen in der Ernährung durch organische Substanzen handelt. Da die verschiedenen Sporenformen eines Pilzes von dem gleichen Faktor abhängen, nur in einem für jede charakteristischen Grade, so ist es für eine kurze Darstellung besser an Stelle der Betrachtung der einzelnen Sporen- arten die allgemeine Abhängigkeit von der Ernährung an den genauer untersuchten Beispielen zu erläutern. Dagegen unter- scheiden sich die Sporenformen oft sehr auffallend durch ihr verschiedenes Verhält- nis zu dem Medium, in welchem die Pilze leben, so daß man sie trennen kann je nach dem sie in einer Flüssigkeit oder in Luft ihre Sporen ausbilden (Klebs ISOO). 3a) In flüssigen Medien frukti- fizierende Pilze, Bakterien, Myxo- myceten. Das einfachste Beispiel ist die Sporenbildung gewisser Bakterien (Bacillus subtilis, anthracis u. a.), sowie der Hefearten (Saccharomyces cerevisiae u. a.). Der ent- scheidende Grund für das Eintreten des Prozesses ist die Verminderung der für sie notwendigen organischen Nahrung: Am schnellsten wirkt nach vorhergehender guter Ernährung eine völlige Nahrungs- entziehung durch Ueberführung in reines Wasser (für Bakterien s. Buchner 1890, Schreiber 1896) oder auf feuchte Gips- blöcke (Hefe s. Hansen 1902). Selbst auf einem Nährboden mit Agar oder Gelatine tritt die Sporenbildung ein, nachdem eine Bakterien- oder Hefekolonie eine Zeit lang gewachsen ist. Durch die Tätigkeit der Orga- nismen wird der Nahrungsgehalt an der Stelle vermindert, ohne daß bei der lang- samen Diffusion von anderen Stellen frische Nahrung zugeführt werden kann. Auch be- rühren zahlreiche Zellen in den Kolonien überhaupt nicht mehr direkt den Nähr- boden und bilden dann Sporen. Der Prozeß hört auf und ausschließlich vegetatives Wachstum stellt sich ein, sowie man die Zellen in frische Nährlösung überführt. Die anaeroben Bakterien verhalten sich 282 Fortpflanzung der Gewächse (Physiologie) im sauerstofffreien Räume ganz entsprechend, indem sie ihre Sporen bei Verminderung der Nahrung bilden. Aber sie können selbst bei kaum veränderter Nahrung die Sporen er- zeugen, sobald Sauerstoff zutritt, der wahr- scheinlich die Nahrungsaufnahme verhindert (Matzuschita 1902). Am deutlichsten zeigt sich die Bedeutung der Nahrungsverminderung für die Fort- pflanzungsprozesse von Saprolegnia, und man kann hier gerade sehr klar das verschie- denartige Verhältnis der Zoosporen- und Oo- sporenbildung zum gleichen Faktor erkennen. Die Sporangien treten stets auf, wenn die wachsenden Enden eines Myceliums in ihrer nächsten Umgebung von einem Nahrungs- mangel betroffen werden. Der Anlaß liegt in der Verminderung der Konzentration eines wesentlichen organischen Nährstoffes bis zu einem gewissen Minimum, von dem ab jede weitere Verdünnung, den Prozeß immer intensiver erregt. Den höchsten Grad | erreicht dieser, wenn der Nährstoff völlig j entfernt wird. Dagegen hat die Verminderung I des osmotischen Druckes keine Bedeutung (Hörn 1904). Das Konzentrationsminimum j hängt von dem Nährwert ab, den die be- treffende Substanz für den Pilz besitzt und liegt um so tiefer, je höher der Nährwert ist. Für Saprolegnia mixta liegt das Minimum 2. B. bei 0,005% Pepton, 0,01 Hämoglobin, 0,05 Leucin, 0,1 Asparaginsäure, 0,5 Aspara- gin. Solange eine Saprolegnia im Leibe einer Fliege kräftig ernährt wird, andererseits die Mycelhyphen in das nahrungsarme Wasser hineinwachsen, geht die Zoosporenbildung ununterbrochen vor sich. i Mit gleicher Sicherheit läßt sich bei Sapro- legnia mixta und anderen Arten (Hörn 1904, Kaufmann 1908) die Bildung der! Geschlechtsorgane der Oogonien und An- 1 theridien durch eine Aenderung der Er- nährung herbeiführen. Hierbei kommt es \ nicht auf den Nahrungsmangel der wach- ' senden Enden an; vielmehr muß eine all- mähliche Einschränkung in der Ernährung des ganzen Myceliums erfolgen. Durch Kul- tur in gewissen Lösungen z. B. von Hämo- globin (0,05%), Leucin (0,1%), in denen Zoosporenbildung nicht eintritt, kann man | ausschließliche Oogonienbildung hervorrufen. ' Der Geschlechtsprozeß erfordert im allge- ! meinen eine stärkere vorhergehende Er- j nährung als es für die Zoosporenbildung } nötig ist. In Lösungen der einfacheren Aminosäuren resp. ihrer Amide, Glykokoll, Alanin, Asparagin, kann das Mycel wachsen und bei genügender Abnahme der Konzen- tration Zoosporen bilden, aber der Ernäh- rungszustand reicht nicht für die Oogonien- bildung aus. Auch für andere Pilze ist die Bedeutung des Nahrungsmangels für die Entstehung von Carposporen nachgewiesen worden, so für die Zygoten von Basidiobolus (Raciborski 1896), für die Asci des ein- fachen Ascomyceten, Ascoidea, ferner auch für die Pycniden von Pestalozzia palmarum (Leininger 1911). 3b)Die inderLuft fruktifizierenden Pilze, Bakterien, Myxomyceten. Den Uebergang von der vorigen zu dieser Gruppe machen jene Organismen, die ihre Sporen so- wohl innerhalb der Flüssigkeit wie in der Luft ausbilden. Die eben genannte Ascoidea vermag ihre Asci auch dann hervorzubringen, sobald die Hyphen aus der Nährlösung in die Luft kommen. Die Plasmodien von Didymium effusum, die jahrelang fortwachsen können, wenn man Stücke von ihnen immer wieder auf frische Nährsubstrate bringt, erzeugen ihre Früchte in kurzer Zeit, sobald man sie in nahrungsarme Umgebung bringt. Dabei entstehen die Früchte innerhalb des Wassers wie in der Luft. Der Einfluß des Nahrungs- mangels zeigt sich aber ebenso bei jenen Pil/en, die ihre Sporen nur in der Luft aus- bilden. Ascophanus carneus wächst auf einem Kultursubstrat quer über die ganze Fläche und erzeugt bei Erschöpfung der Nahrung seine Früchte (Ter netz 1900). Ebenso verhält sich Sclerotinia sclero- tiorum bei der Bildung der Sclerotien. Bei anderen Pilzen treten die Sporenträger auf, solange das Mycelium am Rande weiter- wächst; aber sie entstehen an den älteren Teilen, die sich bereits in einer durch den Pilz selbst veränderten Umgebung befinden. Auch bei höher differenzierten Pilzen, z. B. Coprinus beobachtet man in Kulturen auf Agar mit Vicia Faba- Stengeln, daß die ersten dabei sehr zahlreichen Fruchtanlagen dort entstehen, wo das Mycelium vom Nähr- substrat entfernt auf die Glaswand gekrochen ist. Ein kräftig ernährtes Mycelium von Coprinus schreitet in wenigen Tagen zur Anlage von Früchten, wenn es in eine nah- rungsarme Umgebung versetzt wird. Gegen- über den einfachen Pilzen muß aber eine solche Fruchtanlage von Coprinus längere Zeit neue Nahrung zugeführt erhalten, wenn sie zur Reife gelangen soll. Bei völliger Nahrungsentziehung entwickeln sich die jungen Anlagen nicht weiter. Selbst bei Sporodinia vermag ein Mycelium in nahrungsfreier Umgebung nicht Zygoten zu bilden (Celakowsky 1906). Man muß annehmen, daß die der jungen Frucht zuge- führte Nahrung beim Durcligange durch die älteren Mycelteile in ihrer Zusammen- setzung verändert und für die Frucht ge- eignet gemacht wird. Diese Annahme be- ruht auf der Tatsache, daß eine frische unveränderte Nährlösung die junge Frucht- anlage zu einem Rückfall in das vegetative Wachstum zwingt. Auf weiter vorgeschrit- tene Fruchtanlagen (ebenso auf Früchte an- Fortpflanzung der Gewächse (Physiologie) 283 derer Pilze, selbst auf junge Oogonien von Saprolegnia usw.) wirkt eine frischeNährlösung wie ein Gift, das die Anlagen rasch tötet — ein besonders deutlicher Beweis, daß eine Aenderung der Ernährung der wesentliche Faktor für den Fortpflanzungsprozeß ist. Bei der Bedeutung, die die organischen Stoffe für die Fortpflanzung besitzen, muß auch bei den in der Luft fruktifizierenden Pilzen die Qualität und Quantität dieser Substanzen im Substrat eine Rolle spielen. Besonders tritt sie hervor bei der Entstehung der Gonosporen. Die Ascusfrüchte von Ascophanus carneus entstehen nur auf einem sehr N-reichen Substrat zur Zeit, wenn dieses durch das Mycelwachstum allmählich er- schöpft ist. Auf reinem Brot wächst der Pilz nur steril, eine Nahrungsverminderung hat keinen Erfolg. Sobald dem Brot Mist- dekokt zugesetzt wird, entstehen in ca. 10 ' Tagen die Früchte (Ternetz 1900). Andere | organische Stoffe verlangen die Mucorineen, wie die genauer untersuchte Sporodinia (Klebs 1898.) Bei genügender Menge der •nötigen anorganischen Elemente hängt die Zygotenbildung von der chemischen Qualität der dem Mycelium dargebotenen Stoffe ab. j Auf N-reichen organischen Stoffen wie ' Albumin, Pepton vermag der Pilz zu wachsen und Sporangien, abernieht Zygoten, zu bilden. Es müssen Kohlehydrate dem Pilz zur Ver- ' fügung stehen. x\ber auch unter diesen sind ! nicht alle gleich geeignet. Am besten wirken ' Traubenzucker, Lävulose, Rohrzucker, weni- ' ger Galaktose, Glycerin, gar nicht Milchzucker, Raffinose, Inulin. Auch bei den günstigen Stoffen'lkommt es auf die Quantität an und zwar weniger auf die absolute Menge als vielmehr auf die Konzentration. Eine Menge von 0,25 g Traubenzucker aufgelöst in 10 ccm Gelatine (d. h. einer Konzentration von 2,5%) ruft Zygotenbildung hervor, während die gleiche Menge von 0,25 g auf- gelöst in 50 ccm Gelatine (d. h. einer Kon- zentration von 0,5%) nicht mehr dazu aus- reicht. Das Konzentrationsminimum eines Kohlehydrates richtet sich nach dem Grade seiner Verarbeitung durch das Mycelium von Sporodinia; es liegt für Traubenzucker zwischen 0,5 und 1 %, für Lävulose zwischen 1 bis 2%, für Rohrzucker zwischen 3 bis 4%, für Galaktose zwischen 4 bisöo/p. Die Unwirk- samkeit solcher Stoffe wie Milchzucker be- ruht anscheinend darauf, daß sie zu schlecht verarbeitet werden, vielleicht zu wenig von dem wesentlichen Traubenzucker liefern, so daß schließlich doch der Einfluß der Qualität sich auf den der Quantität zurückführen ließe. Aber es könnte auch Bedingungen geben, unter denen auf Milchzucker die Zygoten entstehen, sobald sie eine bessere Verarbeitung von ihm bewirken. Auch das Konzentrationsminimum der geeigneten Stoffe ist veränderlich. So hat Celakovsky (1906) beobachtet, daß Sporodinia im Eis- kasten (6 bis 10") auf 1 % Rohrzucker Zygo- ten entwickelte. Die für die Zygotenbildung ungeeigneten Substrate können aber ausreichen für die Sporangienbildung von Sporodinia, die bei geringerer Konzentration z. B. 0,1 % Traubenzucker oder bei ungünstigerer Qualität des Stoffes erfolgen kann, wie es entsprechend für Saprolegnia nach- gewiesen wurde. Für die geschlechtliche Fortpflanzung resp. die Fruchtbildung höherer Pilze ist eine höhere Konzentration der wesentlichen Nährstoffe Bedingung. Wenn andererseits eine Nahrungs Verminderung den Prozeß veranlaßt, wie es tatsächlich der Fall ist, so besteht darin kein Wider- spruch. Die Nahrungsverminderung oder völlige Entziehung bewirkt eine Einschrän- kung des Wachstums; dadurch wird der Verbrauch der bereits aufgenommenen Stoffe eingeschränkt und es findet eine Stauung von diesen statt, die dann die Fortpflanzung veranlaßt. Diese Konzentrierung wird um so stärker sein, je konzentrierter die vorher aufgenommene Nahrung war; sie wird von einer gewissen Grenze ab zur geschlecht- lichen Fortpflanzung führen, unterhalb der Grenze zur ungeschlechtlichen. Es besteht aber auch die Möglichkeit, daß durch den Stoffwechsel des Myceliums eine qualitative Aenderung des Nährsubstrates bewirkt wird, die ihrerseits die Fortpflanzung wesentlich begünstigt. Eine solche Wirkung von Stoff- wechselprodukten ist vielfach angenommen worden. Aber bisher sind diese Produkte unbekannt geblieben, und es fehlt überhaupt der sichere Nachweis ihrer Wirkung. Da- gegen kennt man gewisse Stoffwechsel- produkte, die hemmend auf die Fortpflan- zung einwirken. Saprolegnia mixta wächst ausgezeichnet auf Gelatine mit Pepton, kommt aber niemals zur Fortpflanzung, weil das entstehende Alkali sie verhindert. Ein Mycel, das einige Zeit seinem Einfluß ausgesetzt ist, gerät dabei in einen indiffe- renten Zustand, wie wir ihn schon bei Algen kennen gelernt haben; es reagiert auch nach Entfernung von dem Substrat nicht mehr auf die für die Fortpflanzung wirk- samen Aenderungen. Ebenso können Säuren als Stoffwechselprodukte hemmend wirken. Wenn z. B. Hypocrea rufa in Traubenzucker (2%) mit etwas Ammonnitrat kultiviert wird, vermag das Mycelium keine Conidien zu bilden, weil der Pilz durch Wegnahme des Amnions die Salpetersäure frei macht (Medisch 1911). Man kann auch durch künstliche Zusätze z. B. von sehr verdünnten Metallsalzen usw. die Sporenbildung von Bakterien und Pilzen völlig unterdrücken, während das Wachstum erfolgen kann. 284 Fortpflanzung der Gfewäehse (Physiologie) Bäs gleiche Resultat erhält man, wenn ein 1 für das Leben notwendiges Element in zu starker Verdünnung vorhanden ist. Wenn z. B. Sporen von Aspergillus niger auf einer kaliumfreien Lösung kultiviert werden, so kann die in ihnen vorhandene Kalimenge noch ausreichen zu einem Wachstum, aber nicht mehr zur Conidienbildung (Benecke 1896). Die Erfahrungen lehren, daß Wachs- tum, ungeschlechtliche (Kinosporen) und geschlechtliche Fortpflanzung (Gonosporen) in einem verschiedenen Verhältnis zur Er- nährung stehen und daß die drei Lebens- prozesse in der genannten Reihenfolge immer größere Ansprüche an die Qualität und Quantität der Nährstoffe machen. Mit der Nahrungsänderung im Sub- strate kombiniert sich bei zahllosen Pilzen der Einfluß der Luft, um die Fortpflan- zungsorgane zur Ausbildung zu bringen. Das Problem von der Art der Luftwirkung tritt in einfachster Form bei jenen Pilzen ent- gegen, deren Kino- oder Gonosporen sich sowohl innerhalb des flüssigen Mediums wie in der Luft entwickeln. In vielen Fällen wirkt dann die Luft auf die Gestaltung der Träger resp. der Früchte ein, während die Sporen selbst überall gleich sind. Unter Wasser bilden die Plasmodien von Didy- mium effusum kleine Früchte mit Spuren eines Kapillitiums und ohne Kalkbekleidung; erst in der Luft bilden sich beide ^lerkmale aus. DictyosteHum mucoroides erzeugt unter Wasser eine einfache Sporenkugel, in der Luft einen aus Zellen zusammengesetzten Stiel, an welchem das Sporenköpfchen sitzt (Potts 1902). Ebenso bildet Volutella innerhalb der Flüssigkeit einfache Conidien- träger, in der Luft büschelige Träger mit charakteristischen sterilen Haaren (Werner 1898). Es ist in allen diesen Fällen sehr wahrscheinlich, daß die Transpiration in der Luft der auf die Gestaltung wirkende Faktor ist. Für DictyosteHum wies Potts nach, daß nicht der flüssige Aggregatzustand als Grund für die Hemmung der Stielbildung anzusehen ist, da gestielte Früchte auch innerhalb von Oelen entstehen können. Bei stärkerer Oelschicht (ca. 2 mm) wird nur der Stiel aber nicht das Sporenköpfchen gebildet, wahrscheinlich weil die Sporen größere Ansprüche an den Sauerstoff machen. Da andererseits im Wasser die Sporen und nicht der Stiel gebildet wird, würde daraus folgen, daß die Unterdrückung des Stieles im Wasser nicht auf Sauerstoffmangel zurückzuführen sei. Schwieriger wird die Frage für den Fall, daß die Luft notwendig bei der Entwickelung der Fort- pflanzungsorgane mitwirken muß, wie bei der Mehrzahl der Landpilze. Kräftig er- nährte Mycelien von Schimmelpilzen wie Sporodinia, Penicillium, Aspergillus usw. bleiben: unter Wasser steril, erzeugen aber sogleich ihre Conidien in feuchter Luft. Der Uebergang aus dem flüssigen Nährmedium in Luft bedingt eine Reihe von Aenderungen, neben der Transpiration einen leichteren Zutritt des Sauerstoffs, eine Aenderung der Stoffaufnahme, da die Pilzhyphen in der Luft Nahrung nur mit kleiner Basis, im flüssigen Medium mit der ganzen Oberfläche aufnehmen. Die letzte ( Möglichkeit können wir für viele Fälle I ganz ausschließen, in denen der Uebergang aus reinem Wasser in Luft die Fortpflanzung ' bewirkt. Am wahrscheinlichsten bleibt auch hier, daß die Transpiration der entschei- dende Faktor ist. Allerdings vermögen Pilze I wie Mucorarten. Penicillium usw. ihre Coni- I dien in feuchtgesättigter Luft auszubilden, aber bei der lebhaften Atmung solcher Pilze kann ihre Temperatur sich über die der Umgebung erhöhen und zum xVnlaß einer Ausscheidung von Wasserdampf wer- ! den. Sehr deutlich tritt der Einfluß der Transpiration bei der Sporangienbildung von Sporodinia hervor. x\lle Mittel, welche Transpiration herbeiführen, eine Luft von 60—70% relativer Feuchtigkeit, Durch- leiten von Luft, Licht, höhere Temperatur erregen den Prozeß selbst auf solchen Sub- straten, die ihrer chemischen Zusammen- setzung nach Zygoten erzeugen sollten. I Der Geschlechtsprozeß verlangt einen höheren I Grad der Luftfeuchtigkeit, 85 bis 95%, man 1 kann sagen, einen geringeren Grad der Transpi- I ration. Manche Pilze wie die Helminthospo- I riumarten bilden ihre Conidien überhaupt nur aus, wenn die Luft nicht feuchtgesättigt ist (Ravn 1901). Besonders beweisend für j den Einfluß der Transpiration sind die Ver- ! suche von Celakovsky (1906). Wenn bei Sporodinia, ebenso Mucor racemosus die Hyphen statt in Luft in Paraffinöl wachsen, das wasserhaltig ist, so findet keine Sporangien- bildung statt. Nimmt man trockenes Paraffinöl, so bleiben die Hyphen, solange sie noch kräftig ernährt werden, auch steril. Sehr bald nach Veränderung der Nahrung im Substrat entstehen aber Sporangien, weil für die durch den Nahrungsmangel bereits stark reizbaren Hyphen die Entziehung von kleinen Wassermengen durch das trockene Oel völlig ausreicht. Ein Unterschied im Sauer- stoffgehalt kann nicht dabei entscheidend sein, weil Celakovsky durch besondere Versuche nachgewiesen ' hat, daß feuchtes und trockenes Paraffinöl für Sauerstoff gleich permeabel sind. Die Wirkung der Transpiration kann zunächst in einer Ent- ziehung von Wasser bestehen, wodurch eine stärkere Konzentration der organischen Substanzen herbeigeführt wird. Sie kann in gleichem Sinne wirken wie die Nahrungs- änderung. Aber es wäre möglich, daß in Fortpflanzung der Grewächse. (Physiologie) Sg5 manchen Fällen die Transpiration auch da- durch wirkt, daß der gesamte Gaswechsel, die x\ufnahme des Sauerstoffs, die Ent- fernung der Kohlensäure befördert wird. Die Amöben von Dictyostelium können in einer feuchtgesättigten Luft nicht zur Bildung von Plasmodien kommen, sondern sterben nach einiger Zeit ab. Sowie für Tran- spiration gesorgt wird, gelangen sie zur Fruk- tifikation. Da die Amöben auch auf der Oberfläche der Flüssigkeit von dieser be- deckt sind, können sie selbst nicht transpi- rieren. Den Einfluß der Wasserverdunstung kann man nur so verstehen, daß bei der fortgesetzten Verdunstung der die Amö- ben bedeckenden Wasserschicht die Zellen ständig mit Sauerstoff enthaltendem Wasser versorgt werden (Potts 1902). Allerdings handelt es sich hier um ein Vorstadium, die Plasmodienbildung, nicht um die eigent- liche Fruchtbildung. Die Bedeutung der Transpiration als Bedingung der Sporenbildung vieler Pilze tritt auch in Versuchen über den Einfluß des Lichtes hervor. Es ist bemerkenswert, daß das Licht keinen Einfluß auf die Fort- pflanzung jener Pilze ausübt, die ganz in der Flüssigkeit leben. Dagegen fördert das Licht, ohne notwendig zu sein, die Sporangien- bildung von Sporodinia, weil es die dafür nötige Transpiration erhöht. Wenn Schim- melpilze auf Agarkulturen dem Wechsel von Tag und Nacht ausgesetzt werden, so zeigen sie die Erscheinung der ,, Hexenringe", d. h. abwechselnd konzentrische Schichten mit lebhafter Conidienbildung und solche mit geringer oder völlig unterdrückter Conidienbildung. Munk (1912) hat gezeigt, daß das Licht des Tages die Fortpflanzung be- fördert, die Nacht sie einschränkt. Man kann das Licht ersetzen, wenn man im Dunkeln mit Hilfe eines Luftstroraes zeitweise für Transpiration sorgt oder wenn man die Kulturen einem Wechsel von höherer und niederer Temperatur aussetzt. Li anderen Fällen bei einigen höheren Pilzen erscheint das Licht direkt notwendig für die normale Ausbildung der Früchte, so für Coprinus- I Arten nach Brefeld (1889), für Lentinus inach Buller (1905). Durch Lakon (1901) wurde aber nachgewiesen, »daß, wenn durch starke Luftbewegung im Dunkeln für Transpiration gesorgt wird, das Mycelium des Coprinus normale Früchte ausbildet. j Dagegen ist noch nicht erklärt, warum Coprinus nycthomerus, Ascophanus car- neus im Dunkeln nicht einmal die ersten Fruchtanlagen auszubilden vermögen. 4. Einfluß von Temperatur und Sauer- stoff auf die Fortpflanzung der Thallo- ; phyten. Die Temperatur muß als allge- I meine Lebensbedingung die Fortpflanzungs- i prozesse beeinflussen; nur in selteneren Fällen ' bei einigen Algen (s. S. 279) kann ein Wechsel I direkter bei der Erregung des Prozesses mit- wirken. Dagegen in der Mehrzahl der Fälle entstehen die Organe bei einer mittleren Temperatur (15 bis 20") auf Grund der früher besprochenen Aenderungen. Erst wenn die Temperatur sich der unteren oder oberen Grenze nähert, kann sie sehr wesent- lich mitwirken, weil das Wachstum wie die einzelnen Formen der Fortpflanzung ein ver- I schiedenes Verhältnis zur gleichen, höheren j oder niederen Temperatur besitzen. Man } kann daher gerade die Temperatur als ein j sehr bequemes Mittel anwenden, um z. B. verschiedene Fortpflanzungsweisen des gleichen Pilzes zu trennen. So kann man bei Eurotium repens durch eine Temperatur von 27 bis 28" die üppigste Perithecien- bildung hervorrufen meist mit Ausschluß der Conidienbildung, während diese auf den gleichen Substraten bei 15" allein herrscht. I Jedenfalls ist es eine Aufgabe der Physiologie, ] die Kardinalpunkte der Temperatur für das Wachstum, sowie die verschiedenen Fort- pflanzungsformen festzustellen. Einige wenige Beispiele sind in der Tabelle an- , gegelDen, sie beziehen sich auf Pilze, da j die Algen noch wenig genau untersucht sind. Auch für die Pilze sind die Zahlen nicht als konstant zu betrachten, da die Kardinalpunkte je nach den Ernährungs- I bedingungen etwas schwanken können i(Klebs 1900). Temperatur-Minima und -Maxima. Species Wachstum Kinosporen Gonosporon Min. Max.' Min. Max. Min. Max. Eurotium repens Sporodinia grandis Saprolegnia mixta 7-80 I— 20 0— lO 37-3S« 31—32" 36-370 8^0 5-6<'(?) I— 20 35-36° 29— 30O 32—33° 5-60(?) 1—2" 33-34" 27-2SO 26-27« Im allgemeinen zeigt sich aus diesen und | Regel (s. S. 277) die Temperaturgrenzen für anderen Zahlen (bei Bakterien, Hefe usw.) das Wachstum weiter sind als für die daß entsprechend der früher ausgesprochenen ' Fortpflanzung und daß ferner die Temperatur- 286 Fortpflanzung der Gewächse (Physiologie) grenzen für die Gonosporen wieder enger sind als für die Kinosporen, obwohl gerade in dieser Beziehung Ausnahmen vorkommen können. In selteneren Fällen kann auch eine Temperatur nahe der oberen Grenze die Gestalt der Fortpflanzungsorgane verändern. So bildet der zierliche Fruchtträger von Thamnidium elegans bei einer Temperatur von 27 bis 30" keine Endsporangien aus, so daß nur die seitlichen Sporangiolen auf- treten (Bach mann 1895). Mucor mucedo bildet bei 27 bis 28° statt der langen unver- zweigten Sporangienträger niedrige, stark verzweigte Fruchthyphen aus. Auch der Sauerstoff als Erreger der Atmung ist eine allgemeine Lebensbedingung und als solche indirekt für die Fortpflanzung notwendig, abgesehen von jenen anaeroben Bakterien, die im Vakuum wachsen und Sporen bilden können. Sie sind das einzige bisher bekannte Beispiel, wo der Zutritt des Sauerstoffs direkt die Sporenbildung erregen kann (s. S. 282). Bei einigen Algen scheint eine Sauerstoffverminderung als Reiz der Zoosporenbildung zu wirken (s. S. 278). Genau wie für die Temperatur gibt es auch für den Sauerstoff (seinen Partiärdruck) eine untere und obere Grenze, die nach den wenigen vorhegenden Untersuchungen für das Wachstum und die verschiedenen Fort- pflanzungsformen verschiedene "Werte be- sitzen. So kann das Mycelium von Mucor racemosus noch wachsen bei 3 bis 5 mm Luftdruck; bei 6 mm beginnt die Anlage von Sporangien, bei 10 mm entstehen reife Sporen. Sporodinia bildet bei 3 bis 6 mm ein steriles Mycelium; bei 15 mm können bereits normale Sporangien entstehen, die Zygotenbildung verlangt 40 bis 60 mm und geht dabei noch meist anormal vor sich. Auch die Alge Vaucheria repens kann noch bei 3 mm Luftdruck wachsen, beginnt aber erst bei einem Luftdruck von 20 mm Zoo- sporen und bei 80 mm die allerersten Anlagen von Geschlechtsorganen zu bilden. So zeigt sich, daß im allgemeinen für die Fortpflan- zung ein höherer Partiärdruck des Sauer- stoffs nötig ist als für das Wachstum und daß die geschlechtlichen Organe bei Sporodinia und Vaucheria einen höheren Druck verlangen als die ungeschlechtUchen. Uebereinstimmend damit haben Untersuchungen bei anderen Organismen, aerobe Bakterien, ferner Hefe- arten (Hansen 1902) gezeigt, daß eine erhöhte Sauerstoffzufuhr fördernd auf die Sporenbildung einwirken kann. 5. Wechsel der Fortpflanzung; Genera- tionswechsel. Die frühere Annahme, daß bei Thallophyten ein regelmäßiger Wechsel ungeschlechtlicher und geschlechtlicher Gene- rationen vorkommt, hat sich für die Mehr- zahl der genauer untersuchten Arten als unrichtig erwiesen. Hat man einen gut ernährten Thallus, so besitzt dieser die Fähig- keiten (Potenzen) für das Wachstum und alle für die Spezies charakteristischen Fort- pflanzungsformen. Die Entscheidung, welche der Potenzen zur Verwirkhchung gelangt, hängt von den äußeren Bedingungen ab. Dort wo diese Bedingungen für die einzelnen Lebensprozesse deuthch verschieden sind, läßt sich sicher die gewünschte Fortpflanzung erreichen und die behebige Aufeinanderfolge von Wachstum, ungeschlechtlicher und ge- schlechthcher Fortpflanzung herbeiführen, so bei Vaucheria, Oedogonium, Saprolegnia Sporodinia usw. In anderen Fällen läßt sich die eine Fortpflanzung leichter von der anderen trennen als diese von jener. So läßt sich Eurotium repens zur ausschUeßhchen Conidienbildung bringen; bei den Versuchen Ascusfrüchte hervorzurufen, sind die Coni- dien nicht immer ausgeschlossen. Bei Algen wie Hydrodictyon entscheiden oft kleine Diffe- renzen der äußeren Faktoren, welche Fort- pflanzung eintritt. Das Verhältnis kom- phziert sich, je reicher eine Art an Fort- pflanzungsformen ist, aber es bleibt immer die Aufgabe, die Bedingungen für jede so genau kennen zu lernen, daß jede für sich zur Entfaltung kommt. Bei Fumago ent- steht ein steriles Mycehum in einer Pepton- lösung, ein solches mit braunen Paulosporen bei der Kultur auf Agar-Agar mit wein- saurem Ammoniak, Einfache Conidien- träger erscheinen auf Pepton mit Nähr- salzen (0,5% Knop), aus mehreren Trägern bestehende Conidienbüschel auf Glyzerin mit Salzen. Bei stärkerer Ernährung auf Pepton (0,05%) und Rohrzucker (10%) entstehen die aus vielen Fruchtträgern ver- wachsenen Conidienbündel und bei längerer Ernährung auf günstigen Substraten Pykniden. SchUeßlich können unter nicht näher bekannten Bedingungen Ascusfrüchte gebildet werden (Schostakowitsch 1895). Wenn in der freien Natur ein periodischer Wechsel von Wachstum und Fortpflanzung beobachtet wird, so muß man nach den Resultaten der Versuche schließen, daß dieser W^echsel auf periodischen Aenderungen in der Außenwelt beruht (vgl. für Spirogyra Benecke 1908). Es bleibt aber die Frage offen, ob es nicht doch Thallophyten gibt, die einen in ihrer spezifi- schen Natur festgelegten Generationswechsel besitzen, entsprechend wie bei Moosen und Farnen. In der Tat sprechen dafür die Beob- achtungen an Dictyota und einigen Florideen (vgl. den Artikel ,, Algen"). Dagegen verhalten sich die Cutleriaarten mit ihrem viel besprochenen Generations- wechsel wesentlich wie die vorhin erwähnten Algen und Pilze. Allerdings existiert bei diesen Meeresalgen ein auffallender Unter- schied der geschlechtlichen Cutleria- und der Fortpflanzung der (lewächse (Physiologie) 287 ungeschlechtlichen krustenartigen Aglao- zoniaform. Die Zoosporen der letzteren er- zeugen die Cutleria, die Oosporen von dieser die Aglaozonia. Aber nach den Unter- suchungen von Kuckuck, Church, Sauva- ge au (Literatur bei Oltmanns 1904) können aus Aglaozonia-Zoosporen sowohl Cutleria wie Aglaozonia entstehen und ebenso aus Cutleria die eine wie die andere Form. Daraus folgt, daß irgendwelche äußeren Bedin- gungen darüber entscheiden, welche Ent- wickelung die Zoo- oder Oosporen ein- schlagen. Für den Einfluß der Außenwelt spricht die Tatsache, daß die geschlechtliche Cutleria sich bei Neapel in den Winter- monaten findet und vom April ab mit steigender Temperatur und Lichtintensität verschwindet, während sie bei Plyniouth im Hochsommer, bei Helgoland überhaupt sehr selten vorkommt. Die widerstands- fähigere Aglaozoniaform findet sich das ganze Jahr bei Neapel, Plyniouth und Helgoland. Nun hat Sauvageau (1908) bei Cutleria adspersa unter angeblich gleichen Bedin- gungen aus Zoo- und Oosporen geschlecht- liche und ungeschlechtliche Pflanzen er- halten. Das weist darauf hin, daß bei dieser Art relativ kleine Unterschiede in den Kulturbedingungen ev. auch in den vorher- gehenden Ernährungsverhältnissen der Mutterpflanzen Einfluß auf das Schicksal der Sporen haben. Doch kann erst eine genauere Untersuchung Aufschluß bringen. 6. Geschlechtsdifferenzierung. Parthe- nogenesis. Innerhalb der Thallophyten finden wir die allerverschiedensten Formen des Geschlechtsprozesses von sehr einfachen bis zu hochentwickelten Vorgängen. Selbst bei Arten mit anscheinend nicht differen- ziertem Geschlecht kann eine scharfe Diöcie existieren wäe es B 1 akeslee 1904 für Khizopus nigricans u. a. nachgewiesen hat. Die beiden Mycelformen (+ und — ), deren Zusammen- treffen erst den Geschlechtsprozeß ermög- licht unterscheiden sich in manchen Fällen z. B. bei Phycomyces durch die Art des Wachstums, Zahl der Sporangien und Größe der Sporen. Unterschiede zeigen sich gegen- ^ über der Temperatur und der chemischen I ' Zusammensetzung des Nährmediums bei den .§1 Mycelformen von Mucor miemalis u. a. ^UKorpatschewska 1910). Eine Umwand- lung derv Mycelform in die andere ist nie bisher gelungen. Bei einigen Spirogyren zeigt sich der Anfang der Differenzierung, indem die Zellen des einen Fadens aktiv zu den mehr passiven Zellen des anderen Fadens hinüberwandern. Bei solchen Arten scheint der Reiz für die Bildung des Kopulationskanals zunächst von einem Faden auszugehen, der dann seiner- seits den anderen Faden dazu veranlaßt (Haberlandt 1890, ferner Chodat 1910). Die Natur dieser Reize ist bisher unbekanjit. Nur für einige Saprolegniaarten konnte ein Einfluß äußerer Bedingungen auf die Geschlechtsbildung nachgewiesen werden. Wenn durch die Nahrungs- änderung das Mycehum geschlechtsreif wird, so entstehen zuerst die Oogonien, die dann ihrerseits durch einen unbekannten Reiz die Antheridienbildung hervorrufen. Kultiviert man Saprolegnia mixta in Hämo- globin, so treten nur Oogonien auf, während die Antheridien fehlen. Man kann aber ihre Bildung veranlassen, wenn man der Lösung Salze, speziell Phosphate zufügt (bei Saprol. hypogyna nach Kaufmann 1908 auch Nitrate). Die antheridienfreien Oogonien erzeugen aber normale Oosporen ohne Be- fruchtung. Auch bei anderen Thallophyten erscheint der Befruchtungsprozeß mehr oder weniger fakultativ, nicht notwendig (vgl. den Artikel ,, Apogamie und Parthenogenesis "). Von beson- derem Interesse ist in dieser Beziehung Protosiphon, dessen Schwärmer ebenso gut Zoosporen wie Gameten sein können. Wenn die Zellen von einer Lehnikultur in Wasser bei Gegenwart des Lichtes übergeführt werden, so kopulieren die entstehenden Schwärmer äußerst lebhaft. Sobald man den Versuch bei 26 bis 27" im Dunkeln ausführt, ist die Fähigkeit zur Kopulation völlig verschwun- den, die Schwärmer kommen für sich zur Ruhe. Die Temperatur muß im letzten Stadium des Bildungsprozesses einwirken und ihr Einfluß läßt sich später nicht be- seitigen. Dasselbe Resultat erreicht man, wenn die Zellen in einer Nährsalzlösung (0,4 bis 1%) kultiviert und dann ohne Wechsel des Mediums ins Dunkle versetzt werden. Die Schwärmer sind dann rein ungeschlechtlich, sie können aber geschlecht- lich gemacht werden, wenn die Nährlösung, in der sie sich befinden, durch reines Wasser ersetzt wird. Die Parthenosporen, glatte Kugeln, sind gleich keimfähig, die Zygoten mit sternartigen Auswüchsen brauchen eine Ruheperiode. Die Fähigkeit, Parthenosporen zu bilden, zeigt sich auch bei Spirogyra varians, wenn die Fäden kurz vor der Kopulation in Zucker oder Nährsalzlösung gebracht werden. Die Erhöhung des osmoti- schen Druckes verhindert die Kopulation, und beide Geschlechtszellen, männliche wie weibliche, werden zu Parthenosporen, die normal keimfähig sind. Ebenso können die Gameten von Ulothrix, Draparnaldia zu Parthenosporen werden, und die gleiche Fähigkeit besitzen die Geschlechtszellen von Sporodinia. Durch verschiedenartige Mittel, Trockenheit der Luft, höhere Tem- peratur, helles Licht, niederen Luftdruck kann man den Befruchtungsprozeß hindern, 288 Fortpflanzung- der Gewächse (Physiologie) es bilden sich beide Geschlechtszellen zu Parthenosporen um (Klebs 1896, 1898). | Zahlreiche andere Fälle der Partheno- genesis sind bei Algen bekannt, z. B. bei ! Chara crinita, Dictyota dichotoma, Ecto- i carpus siUculosus u. a., wenn auch die Be- dingungen dafür noch wenig erforscht sind. 1 Wahrscheinlich spielt die Außenwelt eine 1 Rolle dabei. Die Eizellen der Cutleria multi- 1 fida keimen unter den Bedingungen Neapels nur nach vorhergehender Befruchtung, an der englischen Küste dagegen partheno- getisch. Auch bei Cutleria adspersa keimen die Eizellen ohne Befruchtung; selbst bei der Gegenwart männlicher Zellen konnte Sauvageau eine wirkliche Befruchtung nicht beobachten, obwohl sie doch wahrscheinlich vorkommt. II. Cormophyten. (Moose, Farne, Phanerogamen). Da die Bedingungen der Fortpflanzung für Moose und Farne noch wenig untersucht sind und soweit es der Fall ist, nicht prinzi- piell verschieden sind von denen der Phanero- gamen, soll das darüber Bekannte in die Betrachtung von diesen einbezogen werden. In dem Entwickelungsgang der Moose (vgl. den Artikel ,,Moose") erscheint das Sporo- gonium als ungeschlechtliche Generation, deren Verhältnis zur Außenwelt, abgesehen von dem allgemeinen Einfluß der Ernährung, unbekannt ist. Das gleiche gilt für die unge- schlechtliche Generation der Farnkräuter, (vgl. oben ,,F o r t p f 1 a n z u n g der Farne") obwohl bereits einige Tatsachen darauf hinweisen, daß die Sporangien in einem anderen Verhältnis zu den äußeren Bedingungen stehen als die vegetativen Organe. So beobachtete Raciborski (1900) bei Acrostichum Blumeanum, daß die Pflanze am Boden nur sterile Blätter bildete, daß sie aber fertile erzeugte, wenn das Rhizom an einem Baume in die Höhe klettern konnte. Hier wird w^ohl weniger die Schwerkraft entscheidend sein, wie Raciborski vermutet, als die größere Licht- intensität und relative Trockenheit. Aspi- dium filix mas, das im Winter in Buitenzorg (Java) kultiviert wurde, bildete nur sterile Blätter; eine andere Pflanze, die gleichzeitig in dem kühleren Bergklima von Tjibodas (1400 m) wuchs, erzeugte Sporangien (Klebs 1911). Nähere Untersuchungen üiaer diese Ver- hältnisse fehlen noch. Das Hauptinteresse knüpft sich an die geschlechtliche Fortpflan- zung der Phanerogamen in Form der Blüten (vgl. den Artikel „Blüte" und oben ,,Fortpflanzu ng der Phanerogamen, Gymnospermen, Angiosperme n"). Der verwickelte Bau der Blüten, ihre Korrelationen zu den ebenfalls stark differen- zierten vegetativen Organen, die lange Dauer der Entwickelung und die oft so fest be- stimmte Blütezeit, die technischen Schwierig- keiten die einzelnen Außenfaktoren längere Zeit für sich auf den Prozeß einwirken zu lassen, alles vereinigt sich das Problem schwer angreifbar zu machen und die Resul- tate selten eindeutig erscheinen zu lassen. In der Literatur gibt es eine sehr große Anzahl gelegentlicher Beobachtungen über den Einfluß der Außenw-elt auf die Blüten- bildung (vgl. Möbius 1897). Aber sie sollen nur selten hier berücksichtigt werden, das Hauptgewicht wird auf die experimentell festgestellten Tatsachen gelegt. Soweit diese heute ein Urteil gestatten, zeigt sich eine prinzipielle Uebereinstimraung der Pha- nerogamen mit den C-assimilierenden Algen. Setzen wir eine Pflanze voraus, die sich kräftig ernährt und gut wächst, so müssen besondere innere Veränderungen tätig sein, die die Blütenbildung herbeiführen. Der Uebergang vom vegetativen Wachstum zur Fortpflanzung kann wie bei einjährigen Ge- wächsen anscheinend sehr schnell stattfinden. In anderen Fällen z. B. bei zweijährigen Pflanzen, Sempervivumarten, führen die inneren Veränderungen zunächst zu einem blühreifen Zustand, in welchem alles für die Blütenbildung vorbereitet ist, ohne daß aber mikroskopisch erkennbare Anlagen vorhanden sind. Bei Bäumen, Zwiebel- gewächsen schiebt sich zwischen der ersten Anlage und der eigentlichen Entfaltung eine Ruheperiode ein. Auf die allgemeine Frage, ob die inneren, für die Blütenbildung wesentlichen Bedingungen in einem not- wendigen Zusammenhange mit gewissen Außenitaktoren stehen, lautet die Antwort, daß wie bei den Algen in den genauer unter- suchten Fällen quantitative Aenderungen solcher äußeren Bedingungen die entschei- dende Rolle spielen, vor allem die Steigerung der C-Assimilation unter dem Einfluß des Lichtes und die Einschränkung gewisser anorganischer Nährsalze. Unter fortdauern- den günstigen Bedingungen für das Wachs- tum kann die geschlechtliche Fortpflanzung nicht eintreten. Der Nachweis ist für eine Reihe von Phanerogamen, z. B. Glechoma hederacea, Rumex acetosa, Sempervivum- arten geliefert worden. Ebenso wachsen Lebermoose wie Fegatella conica (Bolle ter 1906) , ^i©«feen4ia polymorpha (D a c h -^ nowski 1907) jahrelang rein vegetativ im feuchten warmen Gewächshaus. Sie bilden Geschlechtsorgane erst wenn die äußeren Bedingungen dafür geändert werden. Diese sollen jetzt einzeln behandelt werden, I. Einfluß des Lichtes. Nimmt man einen für die Entwickelung einer Pflanze : genügend nährsalzreichen Boden bei mitt- lerer Temperatur und Feuchtigkeit, so hängt ll. h i ^ Fortpflanzung der Gewächse (Physiologie) 289 die Bliitenbildung in erster Linie von der I einjährigen Pflanzen, wie Anagallis, Specu- Intensität des Lichtes ab, die die ] laria, Lobelia u. a., als würden sie nötige Speicherung der organischen Stoffe einem geschwächten Licht ausgesetzt, herbeiführt. An und für sich kann die i Sie hören mit der Bildung von Blüten Blütenbildung im Dunkeln erfolgen, z. B. auf und wachsen langsam vegetativ weiter, bei Zwiebel- und Knollengewächsen, die Im roten Licht (hauptsächlich Durchtritt im vorhergehenden Jahre die C-j\ssimilate ! der langwelligen Strahlen 1 = 720 bis 580) in großer Menge aufgespeichert haben. Beil können die gleichen Arten monatelang fort- ehlorophyllfreien Schmarotzern z. B. La- blühen, wenn auch die Zahl der Blüten viel Y^hraea, Orobanche kann die Blütenbildung | geringer ist als im weißen Lichte. Nimmt ^^wtn Licht erfolgen (€tö.akl 1898). Aber j man zu den Versuchen Pflanzen mit einer auch bei Pflanzen, die vor und während der i gewissen Quantität von Reservestoffen, so Blütenbildung assimilieren müssen, kann der hängt die Wirkung des blauen und roten Prozeß im Dunkeln erfolgen, sobald nur die j Lichtes wesentlich von dem Zeitpunkte ab, Assimilationsorgane, die Blätter, einer ge- 1 in dem der Versuch angestellt wird. Das nügenden Lichtintensität ausgesetzt sind, perennierende Sedumspectabile(Klebs 1905), So hat Sachs (1864) bei den in einen i dessen Triebe regelmäßig im Spätsommer Dunkelkasten eingeführten jungen Inflores- 1 zum Blühen kommen, wächst in dem blauen zenzen von Petunia, Antirrhinum, Cucurbita I Licht des betreffenden Häuschens rein vege- normale Blütenbildung nachweisen können, tativ, sobald der Versuch im März oder Allerdings kann bei solchen Versuchen iVpril beginnt ; macht man ihn erst im Juni, (z. B. mit lange blühenden Infloreszenzen so gelangen die Triebe zur Blütenbildung, von Digitalis, Veronica) die Bildung offener Blüten schließlich aufhören. Aber das liegt wohl nur daran, daß das starke JEtiolement der Inflores- zenzachse einen Teil der C-Assi- milate in Anspruch nimmt. Wenn solche Pflanzen, namentlich ein- jährige, ganz ins Dunkle gestellt werden, so hört die Blütenbildung \ sehr bald auf. Aber dieses geschieht 1 auch bei einer Schwächung der Lichtintensität, deren wirksamer I Grad verschieden ist, je nach den V spezifischen Eigenschaften der ' Pflanze (Vöchting 1893, Curtel /1898J. .yacli^Wiosner (1907) Wübt ■' i,©pi(lium sativum nicht iiiclir wciiü 4ei- Liciitgenuß itiHcr i--'. m ^\\}\-^. In einem solchen schwächeren Licht können Pflanzen, wie z. B. Mimulus Tillingii (nach Vöchting) jahrelang fortleben und wachsen; sie verhalten sich genau so wie Vaucheria, Oedo- gonium u. a. Algen oder Lebermoose (Dachnowski 1907) unter gleichen Umständen. Die gleiche Wirkung V erreicht man auch durch eine Ver- änderung in der Zusammensetzung des Lichtes. In Versuchen mit Häuschen aus weißem, rotem und blauem Glas zeigte sich, daß die rot- gelben und blauvioletten Strahlen keine spezifische Wirkung auf die Blütenbildung ausüben, sondern nur insofern sie "eine Schwächung der C - Assimilation in verschiedenem Grade bewirken. Hinter dem optisch hell durchsichtigen, blaugrünen Glas (hauptsächlich Durchtritt der kurz- welligen Strahlen l = 570 bis 400) verhalten sich die bereits blühenden Handwörterbuch der Naturwissenschaften Fig. 1. Sempervivum Fiinkii. 3 blühreife Rosetten von gleicher Herlamft und gleichem Alter am 18. März 1909 in je einen Topf auf das weiße, rote und blaue Gewächshaus verteilt. Resultat am 8. Juni 1909; links reichlich blühend im weißen Haus, in der Mitte [ärm- hch blühend im roten Haus, rechts ohne Blüten rein vegetativ im blauen Haus. Band IV. 19 290 Fortpflcanzung: der Grewächse (Physiologie) Pflanzen, die im März in das rote Häuschen gestellt wurden, blühen an der etiolierten Infloreszenz, aber wieder schwächer als im weißen Licht. Ganz entsprechende Resultate lieferten die Versuche mit blühreifen Semper- vivu märten (Fig. 1). Die chemische Untersuchung der in weißem, rotem, blauem Licht gewachsenen Pflanzen macht die verschiedene Wirkung dieser Lichtarten auf die Blütenbildung sehr verständlich. Die Tabelle gibt die Werte für Sedum spectabile. Zusammensetzung der Blätter von 3 Topfexem- plaren seit 6. Juni bis 19. Juli in den 3 Häus- chen kultiviert, auf 100 e; Trockensubstanz. Substanz Lösliche Asche Zucker Lösliche N-Veib. Stärke Weil Rot Blau II, oS IO,2 o,44 6,68 4,95 0,87 3,5 !3,7 3,01 1,78 2,25 Beim Vergleich der Pflanzen in Weiß, Rot, Blau zeigt sich unzweifelhaft 1. eine steigende Abnahme der Kohlehydrate (Zucker und Stärke), 2. eine steigende Zunahme der löslichen Asche und speziell der N- Verb in dun gen. Es sind in den Pflanzen wesentliche Verschiebungen der Konzentrationsverhältnisse eingetreten, die das staike Blühen im Weiß, das schwache im Rot, die Unterdrückung des Blühens im Blau erklären (Klebs 1S07; die gleichen Resultate auch für Sempervivum Funkii). Die Abhängigkeit der Blütenbildung von einer gegenüber dem W^achstum gesteigerten Assimilation durch intensiveres Licht scheint für alle Phanerogamen zu gelten; die höhere Konzentration bestimmter organischer Stoffe erscheint als eine entscheidende Bedingung (Klebs 1904). Wie Loew(ir05) betont!"hat, kommt es vor allem auf den Zucker an, dessen Bedeutung auch bei den Algen her- vortritt; unter Umständen könnten auch bei gewissen Pflanzen neben den Kohle- hydraten andere N -freie Stoffe wirksam sein. 2. Die anorganischen Nährsalze. Auch in dieser Beziehung verhalten sich die Phanerogamen wie die Algen, obwohl der Nachweis nicht so einfach zu führen ist. In der praktischen Garten- und Feldkultur sind vielfach Beobachtungen gemacht Avor- den, nach denen starke Bodendüngung das Blühen der Pflanzen behindert, eine Einschränkung sie fördert. Methodische Versuche sind bisher in geringer Zahl ge- macht worden. Die Vermutung, daß wie bei den Algen eine Verminderung der N-haltigen Salze für die Blülenbildung maßgebend ist, wurde mehrfach ausgesprochen (H. Fischer 1905, Benecke 1903). In einigen Ver- suchen (Loew 1905) mit Gartenpflanzen, bei welchen steigende Mengen von Stickstoff in Form von Ammonnitrat gegeben wurden, trat eine starke Verzögerung der Blüten- bildung ein. Mit Torenia Fournieri, Sola- num nigrum hat Montemartini (1910) Versuche gemacht, in denen die Pflanzen alle 4 bis 5 Tage in frische Nährsalzlösung (alle nötigen Elemente enthaltend) ver- setzt wurden. Sie entwickelten sich kräftig, kamen aber nicht zur Blüte. Wenn aber solche vorher normal ernährten Pflanzen in eine N-freie Nährsalzlösung gebracht wurden, so entstanden die Blüten. Andererseits kann auch das Blühen ver- hindert werden in einer Lösung ohne Phos- phor, während eine einseitige Düngung mit Calciumphosphat eine frühzeitige Ent- wickelung der Blüten hervorrufen kann. Es scheint demnach, daß eine Steigerung des Phosphorgehaltes für die Blüten- bildung förderlich ist. Noch auf einem anderen Wege läßt sich eine Einsicht in das Verhältnis der Nährsalze zur Blüten- bildung gewinnen, indem man die che- mische Zusammensetzung von Pflanzen in vegetativem und blühendem Zustande untersucht. Allerdings gibt es bisher wenige Arbeiten, die von dieser Frage- stellung ausgehen. Doch gehören hierher die Beobachtungen, daß" bei Getreide- pflanzen der Nährsalzgehalt von der Keimung ab stetig zunimmt bis zu einem Maximum kurz vor der Blütenbildung, von wo ab eine sehr deutliche Verminderung eintritt. Sie kann anscheinend nur durch eine Ausscheidung der Salze ganz besonders des Kahums und Stickstoffs erklärt werden. Gleichzeitig erfolgt in der Pflanze eine starke Speicherung der C-Assimilate in Form von Stärke (Wilfahrt 1905, Vageier 1908). Aus den Untersuchungen von Berthelot (1899) u. a. geht hervor, daß der höchste Phosphorgehalt zur Zeit der Blütenentwickelung erreicht wird ; das spricht für die besondere Rolle des Elementes bei der Blütenbildung (Montemartini 1910). Wenn man bei Sempervivum vegetative und blühreife oder im Anfang der Infloreszenz- bildung begriffene Rosetten chemisch unter- sucht, indem man den Preßsaft analysiert, so enthält der Saft der blühreifen stets mehr reduzierenden Zucker als der der vege- tativen; ancU'rerseits ist die Menge der Aschenbestandteile vor allem der N- Verbin- dungen absolut und relativ größer bei den vegetativen Rosetten (s. Tabelle S. 290; ferner weitere Analysen von Klebs 1909). Wenn man berücksichtigt, daß es auf ein bestimmtes Konzentrationsverhältniss der C-Assimilate und gewisser Nährsalze ankommt, so wird man auch die Tatsache verstehen, daß eine starke Einschränkung der Nährsalzaufnahme nicht immer nötig ist, sofern nur durch lebhafte Fort] »flau zung der Gewäch.se (Physiologie) 291 Assimilation der Uebcrschuß an ihren Pro- dukten erreicht wird. Bei der Kultur im Freiland wird man selbst bei sehr reicher Düngung des Bodens Blütenbildung an ein- und mehrjährigen Pflanzen beobachten. In speziellen Untersuchungen mit blühreifen Rosetten von Sempervivum konnte dieBlüten- bildung nicht verhindert werden, obwohl die Eosetten seit März auf Nährlösungen, sogar relativ konzentrierten (bis 2%), kulti- viert wurden, vorausgesetzt, daß helles Licht mitwirkte. Eine Pflanze kann auch bei höherem Nährsalzgehalt des Bodens doch nur eine begrenzte Menge Salze aufnehmen und andererseits unter sonst günstigen Bedin- gungen den nötigen Ueberschuß an C-Assi- milaten gewinnen. Von diesem Standpunkt aus lassen sich die Resultate jener Methoden verstehen, die in der Praxi? der Obstbaum- zucht vielfach angewendet werden, um sterile Bäume zur Blüten- und Fruchtbildung zu bringen. Eine Reihe Methoden geht darauf aus, die Aufnahme der Nährsalze einzu- schränken, z. B. mehrfaches Verpflanzen, durch das die Wurzeln beschädigt werden, direktes Beschneiden der Wurzeln, geringe Bodenbearbeitung, dichtes Pflanzen der Bäume. Wie Poenicke (1912) richtig hervor- hebt, sind diese Methoden, obAvohl sie unter Umständen Erfolg haben, nicht empfehlens- wert, weil der Baum dadurch geschwächt wird. Geeigneter sind die Methoden, die zu einer Stauung und damit zu einer Aufspeiche- rung der C-Assimilate führen, durch die dann die Blütenbildung hervorgerufen wird. Das geschieht durch die Ringelung. bei der ein ringförmiger Streifen der Rinde entfernt wird. Da in ihr dieAbleitung der C-Assimilate nach den Wurzeln stattfindet, so muß eine Unterbrechung die gewünschte Stauung bewirken. Noch weniger schädlich und wirksamer ist die Anwendung einer Draht- schlinge und am besten nach Poenicke der „Fruchtgürtel", d. h. ein dünner Zinkstreifen, der mit" Hilfe eines Drahtes fest an den Stamm, bei stärkeren Bäumen um die ein- zelnen Hauptäste gebunden wird. 3. Der Einfluß des Wassers. Zahl- reiche praktische Erfahrungen in der Kultur haben nachgewiesen, daß eine hohe Feuchtig- keit der Blütenentwickelung entgegenwirkt, während das vegetative Wachstum sehr ge- fördert wird. Dieses kann geschehen, wenn sowohl der Wassergehalt des Bodens wie der Wasserdampfgehalt der Luft sehr hoch ist. In erster Linie fördernd auf die Blütenbildung wirkt eine relative Trockenheit der Luft, durch die die Transpiration gesteigert wird. Man kann Pflanzen, die einen mit Wasser gesättigten Boden ohne Schaden ertragen, wie z. B. Lysimachiaarten darin kultivieren oder in Wasser direkt stellen: sie blühen, sofern für Licht und lebhafte Transpiration gesorgt ist. Aus den Versuchen von Gain (1895) ergab sich, daß für das Blühen ein Optimum der Transpiration existiert bei relativ feuch- tem Boden und relativ trockener Luft. Bei vergleichenden Experimenten ergab sich folgende Reihenfolge vom begünstigenden zum hemmenden Einfluß auf das Blühen: trockene Luft sehr günstig, feuchter Boden günstig, trockener Boden ungünstig, feuchte Luft sehr ungünstig. Durch einfache Ent- fernung der Wurzeln an den Knollen von Begonien ließen sich diese zu einem früh- zeitigen Blühen bringen (Doposchny- Uhlar 1912). Da das Licht eine wesentliche Förderung der Transpiration bedingt, so spielt es auch in dieser Richtung eine große Rolle bei der Erregung der Blütenbildung. Bei allen Versuchen, diesen Prozeß bei Pflanzen durch Kultur in ganz feuchtem Raum zu verhindern, was bei einjährigen Gewächsen gelingt, wirkt eine gewisse Schwächung der Lichtintensität mit, da ohne diese die Transpiration nicht gehin- dert werden kann. Allerdings kann man die Transpiration auch bei Gegenwart hellen Lichtes verhin- dern, wenn man die Pflanzen unter Wasser kultiviert. Läßt man Pflanzen wie Myrio- phyllum spicatum, Isnardia Ludwigii, Jus- siaea repens, Mentha aquatica in einem Bassin untergetaucht wachsen, das der vollen Sonne ausgesetzt ist, so blühen sie niemals. Es gibt überhaupt ganz wenige untergetaucht lebende Gewächse, wie Najas, Ceratophyllum, die unter Wasser blühen. Selbst die Mehrzahl der Wasser- und Sumpf- gewächse vermag es nicht. Wir stehen hier vor dem gleichen Problem wie bei der Fort- pflanzung der Landpilze (s. S. 284). Neben der Transpiration, die sicher eine Rolle dabei spielt, könnte die leichtere Zufuhr des Sauerstoffs, der Kohlensäure, ebenso auch die gewisse Einschränkung der Nähr- ; salzaufnahme, die Blütenbildung in der Luft befördern. In der freien Natur, wo die Wasserpflanzen oft steril sind (vgl. Goebel 1893), läßt es sich schwer entscheiden, ob die Sterilität auf zu reichlicher Ernährung bei lebhafter Aufnahme der Nährsalze be- ruiit oder ob andere Faktoren das Wachstum in der Luft verhindern sei es durch zu geringe oder zu hohe Intensität. Gerade bei den Wasserpflanzen tritt wieder die entscheidende Wirkung der Lichtintensi- tät hervor. Denn wenn die Pflanzen in einer gewissen Wassertiefe wachsen, vermögen sie nicht mehr ihre Infloreszenzen in der Luft auszubilden, weil mit der Tiefe die Intensität des Lichtes zu sehr abnimmt (Glück 1905). Die Tiefengrenze, bei der dieses geschieht, hängt von den spezifischen Eigenschaften der Pflanzen sowie von der Durchsichtigkeit des Wassers ab. 19* 292 Fortpflanzung der Gewächse (Physiologie) 4. Der Einfluß der Temperatur und anderer Faktoren (Sauerstoff, Kohlen- säure). Als allgemeine Lebensbedingung muß die Temperatur die Blütenbildung beeinflussen, da auch alle anderen Funk- , tionen, die mit ihr zusammenhängen, wie Assimilation, Transpiration, Wasser- und Nährsalzaufnahme von der Temperatur 1 abhängen. In bezug auf die Nährsalze hat [ Montemartini (1910) den Nachweis ge- 1 führt, daß die Aufnahme der Phosphorsäure ! durch steigende Temperatur vermehrt wird bis zu einem Optimum, welches zu gleicher Zeit dem Optimum der Temperatur für die Blütenbildung entspricht. Auffallender sind die Wirkungen einer Temperatur, die sich der unteren oder oberen Grenze nähert oder 1 auch einer mittleren Temperatur (ca. 20"), sobald sie bei manchen Pflanzen zu gewissen ; Zeiten der Entwickelung eingreift. Die zweijährige Zuckerrübe kann unter gewissen , Umständen bereits im ersten Jahre blühen ; es hängt dieses „Schießen" der Kübe zum Teil von Rassecharakteren ab, zum Teil j sicher von verschiedenen äußeren Bedingun- gen. Unter diesen wirkt besonders niedere Temperatur nahe bei 0° im Frühjahr bei früher Aussaat (Rimpau 1880). Man kann sich vorstellen, daß die Hemmung des Wachstums, vielleicht auch der Nährsalz- aufnahme bei Nacht, andererseits die C-Assi- milation am Tage die inneren Bedingungen für die Blütenbildung herbeiführen. Die im Herbst mit Reservestoffen gefüllte Zucker- rübe blüht der Regel nach im folgenden Sommer. Wenn aber die Rübe während des Winters in einem Warmhaus bei 15 bis 20" gehalten wird, so verliert sie die Fähigkeit im nächsten Sommer zu blühen; man kann den Versuch mehrere Jahre durchführen. Es handelt sich hier um eine sehr verbreitete Reaktion mitteleuropäischer Gewächse, sie wurde nachgewiesen bei anderen zwei- jährigen Gewächsen (Cochlearia, Digitalis, Verbascum), bei perennierenden Pflanzen, wie Glechoma, Rumex acetosa u. a. (Kleb s 1906). Die Wirkung der an und für sich nicht hohen Temperatur zeigt sich aber nur, wenn der Versuch von Oktober bis Ende Dezember angestellt wird. Vom Januar ab hat die gleiche Temperatur nur den Erfolg, die Rübe zu einem frühzeitigen Treiben der Inflores- zenz zu bringen. Die nächsten Gründe für die Wirkung der Temperatur liegen wohl darin, daß sie neben Förderung der Atmung ein fortdauerndes vegetatives Wachstum veranlaßt, während die Assimilationstätigkeit im Winter sehr geringfügig ist. Durch den starken Verbrauch der organischen Assimilate wird das Konzentrationsverhältnis zugunsten des Wachstums verändert; es bleibt aber ganz unerklärt, daß dieses später nicht mehr zugunsten der Blüteiibildung umgewandelt wird, was wohl unter besonderen Bedingungen gelingen müßte. Einen entsprechenden Einfluß hat eine mittlere Temperatur auf blühreife Sempervivum- Rosetten. Kultiviert man diese bei einer Bodentemperatur von 15 bis 20" gleichzeitig in reich gedüngter feuchter Erde, so verwandeln sich alle blühreifen Rosetten in lebhaft vegetativ wachsende. Aber der Versuch muß im März gemacht werden ; im Mai angestellt hat er keinen Erfolg. Man kann die Düngung weglassen und selbst bei geringer Feuchtig- keit die Rosetten vegetativ machen, wenn sie März bis April im Dunkeln einer Tempera- tur von 26 bis 28^ ausgesetzt werden. Auch hier ist der Zeitpunkt entscheidend; von Ende April ab verhindert weder hohe Temperatur, noch Dunkelheit, noch starke Düngung die Entwickelung der Infloreszenz. Dann sieht es so aus, als ob der ganze Prozeß sich unabhängig von der iVußenwelt aus rein inneren Gründen vollziehe, während in Wirklichkeit die wesenthchen Vorbereitun- gen von der Außenwelt abhängig sind und nur der erregte Vorgang, einmal ins Rollen gebracht, ruhig abläuft. Die Erfahrungen über solche Wirkungen der Temperatur, namentlich in Verbindung mit Feuchtigkeit und Nährsalzen machen es auch verständlich, daß manche europäischen Pflanzen in dem feuchtwarmen Klima der Tropen nicht zur Blüte kommen, wie es für die zweijährigen Gewächse Kohl, Petersihe (Fritz "Müller 1882), Symphytum (Wettstein 1902) und auch für Bäume (Mob ins 1897) bekannt ist Cvgl. Klebs 1904, 1911). Neben den bisher besprochenen Faktoren gibt es noch andere, die in ihrer Wirkung auf die Blütenbildung kaum untersucht sind, wie die Aufnahme organischer Nahrung aus dem Boden, die im Boden lebenden Bakterien, die von den Pflanzen selbst aus- geschiedenen Substanzen und ähnhches. Auch der Einfluß des Sauerstoffs, sei es direkter oder indirekter Art, ist nicht unter- sucht worden. Dagegen gibt es einige An- gaben über den Einfluß einer Steigerung des COg-Gehaltes der Luft. Nach Brown und Escombe (1902) zeigten Cucurbita, Impatiens usw. keine Blütenbildung in • einer COg-reichen Luft (11 l COg auf 10 000 l j Luft). Da aber das Trockengewicht der ' Pflanzen verringert war, müssen wohl andere Faktoren hemmend eingewirkt haben. Denn eine Steigerung des COg- Gehaltes bis zu einer gewissen Grenze, die aber höher liegt als in denVersuchen genannter Forscher, sollte ' durch eine Steigerung der C-Assimilation und damit des Trockengewichts für die Blüten- bildung günstig wirken. In der Tat zeigen [Versuche von H. Fischer (1912), daß in ! Gewächshäusern in denen zeitweise eine leb- hafte Entwickelung von COo künstlich her- Fortpflanzung- der Gewächse (Physiologie) 293 vorgerufen wurde, sowohl das Trockenge- wicht zunahm als auch die Blütenbildung gesteigert wurde. 5. Der Einfluß des Alters; Blütezeit. Verteilung der Geschlechter. Bisher wurde die Voraussetzung gemacht, daß die Pflanzen sich vor den Versuchen über die Blüten- bildung gut ernährt hatten und kräftig gewachsen waren. Die Reaktion auf die Bedingungen der Blütenbildung ändert sich, wenn der vorhergehende Ernährungszustand ein anderer ist. Allerdings sobald die für den Prozeß nötigen Substanzen sich im rich- tigen Konzentrationsverhältnis befinden, so kann ihre absolute Menge geringe Werte erreichen, ohne hemmend zu wirken. Bei der Zuckerrübe, die gev/öhnhch große Mengen organischer Stoffe für die Blütenbildung gespeichert hat, kann diese eintreten bei ganz kleinen ärmlichen Pflänzchen (Keim- lingen z. B. einer im Herbst gemachten Dichtsaat im nächsten Frühjahr). Viel tiefer greift eine Aenderung des Mengenver- hältnisses der Substanzen ein; ein zu geringer Gehalt an gewissen organischen Stoffen muß nach den früheren Darlegungen ohne weiteres hemmend wirken. Aber das gleiche kann durch eine zu starke Verminderung der anorganischen Salze bewirkt werden. Wenn man wenige Wochen alte Rosetten von Sempervivum Funkii in Sand pflanzt, so kommen sie auch nach Jahren nicht zur Blüte, sondern wachsen nur langsam. Es gibt demnach ein Konzentrationsminimum, das für die Fortpflanzung höher liegt als für das Wachstum. Dabei ist dieses Minimum für die einzelnen Elemente N, P usw. ver- schieden und hängt ferner von der Natur der Pflanze ab. Sobald diese Minima über- schritten werden und der nötige Ueberschuß an Kohlehydraten gegeben ist, sollte man er- warten, daß das Alter der Pflanze d. i. die Zeit des vorhergehenden Wachstums keine ent- scheidende Bedeutung hat und daß ebenso junge wie alte Pflanzen je nach den Um- ständen zur Blüte kommen können. In der Tat hat Di eis (1906) für zahlreiche Pflanzen nachgewiesen, daß sie in relativ sehr früher Jugend ohne langes vorhergehendes Wachs- tum Blütenbildung zeigten. Selbst eine Baum- art wie die Eiche, die gewöhnlich nach 60 Jahren zum ersten Male blüht, kann im 1. bis 3. Jahre ihres Lebens blühen (Möbius 1897). Auch andere Tatsachen lehren, daß der Einfluß des Alters unter gewissen Um- ständen beseitigt werden kann. Eine Rosette von Sempervivum Funkii blüht gewöhnlich im 3. Jahre und erzeugt dann nur eine Infloreszenz. Bei sehr guter Ernährung im vorhergehenden Jahre bildet die blühreife Rosette im Frühjahr Tochterrosetten, die nach geringem Wachstum sogleich zur Blüten- bildung schreiten. Der blühreife Zustand der 1 Mutterrosetten wird demnach auf die Toch- terrosetten direkt übertragen und führt zum Ziele, trotz des ganz jugendlichen Alters und geringer absoluter Menge der Nähr- ■ Stoffe in den kleinen Rosetten. Nach einer Mitteilung von Irmisch ist der gleiche Vor- j gang sogar bei der Agave beobachtet "^vorden, I deren Rosetten erst nach Jahrzehnten zur Blüte gelangen, während Tochtersprosse I der blühreifen Rosette sofort blühen. Die I Bedeutung des blühreifen Zustandes geht I ferner aus den Versuchen von Sachs (1892) mit Begonia hervor; Blätter von blühreifen Pflanzen bilden an den Adventivsprossen I schneller Blüten als Blätter von nicht blüh- [ reifen Exemplaren. Sogar bei dem gleichen ', Exemplar von Achimenes entstehen nach j Goebel (1898) aus Blättern der Blütenregion j Sprosse, die früher blühen als solche der Blätter aus der basalen Region, während nach Winkler (1903) abgeschnittene Blätter von Torenia bald blühende Adventivsprosse bilden, gleich an Avelchem Orte die Blätter entwickelt waren. Die Abhängigkeit der Blütenbildung vom Ort tritt bei zahlreichen Pflanzen hervor, bei denen die Blütentriebe am oberen Teil des Stengels, die Laub- 1 sprosse am unteren Teil entstehen. Der Grund liegt wahrscheinlich darin, daß an dem oberen Stengelteil nebst Blättern, die dem Licht am nächsten stehen, das Kon- I zentrationsverhältnis von Kohlehydraten und anorganischen Salzen am stärksten zugunsten der ersteren verschoben ist, wäh- j rend an den basalen Teilen, die der das Wasser und die Nährsalze aufnehmenden Wurzel am nächsten stehen, die letztern überwiegen (vgl. die Versuche an Circaea bei Dostal 1911). Es gelingt durch ge- eignete Veränderung der äußeren Bedingungen den Ort der Blütenbildung zu verschieben, so daß diese ebenso an der Basis wie in der j Mitte, wie an der Spitze des Stengels ent- i stehen und andererseits überall durch vege- tative Sprosse (Rosetten) ersetzt werden [können (Sempervivum Klebs 1905). Mit der Frage nach dem Einfluß des Alters hängt auch die Frage nach der Blüte- zeit zusammen. In dieser Beziehung herrscht eine sehr große Mannigfaltigkeit, die auf spezifischen Eigenschaften der Pflanzen be- ruhen. Es gibt Pflanzen, die zu allen Zeiten des Jahres blühen (z. B. Bellis perennis), es i gibt solche, bei denen das gleiche Individuum jahrelang fortblühen kann (Versuche mit Parietaria erecta), wie es wahrscheinlich ebenso für manche Tropenpflanzen gilt (Klebs 1911). Auf der anderen Seite kennen I wir Pflanzen mit sehr bestimmter Blütezeit, 1 sei es im Frühjahr, Sommer oder Herbst, wie bei unseren Bäumen, ebenso bei einjährigen oder perennierenden Gewächsen. Manche Pflanzen blühen überhaupt nur einmal, um: 294 Fortpflanzung- der Gewächse (Physiologie) dann abzusterben. Besonders merkwürdig sind gewisse Bambusarten, bei denen auf einmal in weiten Gebieten gleichzeitig alle Individuen blühen. Alle diese Fälle sind noch wenig genau erforscht worden, obwohl es nicht zweifelhaft sein kann, daß die Außenwelt wesentlich mitwirkt. Dafür sprechen die häufigen Beobachtungen über ein zweites Blühen unserer Bäume (Kastanie, Flieder usw., besonders zahlreich nach dem sehr heißen und trockenen Sommer 1911). Zahlreiche Probleme der Fortpflanzungs- physiologie harren noch der Untersuchung. Eine Blüte ist ein sehr kompliziertes Gebilde, in deren Struktur neben der rein morpho- logischen Beschreibung die von Günthart zuerst in Angriff genommene physikalisch- kausale Untersuchung eine vertiefte Einsicht gewährt. Die experimentell erzeugten patho- logischen Veränderungen (z. B. bei Semper- vivum, Klebsl906) weisen darauf hin, daß die äußeren Bedingungen für die Entstehung und Ausbildung der einzelnen Organe wie Kelch-, Blumen-, Staub-, Fruchtblätter ver- schieden sind, daß jedes dieser Organe von einer besonderen Kombination von äußeren Faktoren abhängig ist (vgl. Goebel 1908). Aber eine klare Einsicht in diese Verhältnisse ist bisher nicht gewonnen. Auch die physiologischen Fragen , die sich auf die Bestäubung, Befruchtung, Ausbildung des Embryo beziehen, sind kaum in Angriff genommen (vgl. die vor- ausgehenden Artikel „Fortpflanzung der Angiospermen" und „Folgen der Bestäubung und Befruchtung"). Am häufigsten untersucht ist die Frage nach den Bedingungen der Ge- schlechterverteilung (vgl. den Artikel „G e s c h 1 e c h t e r V e r t e i 1 u n g"). Für die Prothallien der Farne mit weiblichen (Archegonien) und männlichen (Antheridien) Organen ist der Nachweis geliefert worden, daß die beiden Organe von verschiedenen äußeren Bedingungen abhängen und zwar so, daß die männlichen allgemein geringere An- sprüche an die Ernährung machen, als die weiblichen. Die ersteren bilden sich noch bei einer geringen Lichtintensität als die letzteren (Heim 1896). Die Archegonien bedürfen eines höheren Nährsalzgehaltes, so daß z. B. Prothallien von Equisetum in Sandkulturen nur Antheridien bilden (Buch- tien 1887). Unter den Nährsalzen bedürfen die Archegonien eines höheren N-Gehaltes, da bei seiner Verminderung nur noch An- theridien auftreten (Prantl 1881). Schon vielfach ist behauptet worden, daß auch die Geschlechterverteilung bei diöcischen Phanerogamen von ähnlichen Ernährungs- verhältnissen abhängt. Indessen ist es nie sicher gelungen, den Nachweis zu führen, und es scheint, daß die Verteilung ent- I schieden wird bei dem eigentlichen Befruch- tungsprozeß (vgl. denArtikel,, Vererbung"). 6. Schlußwort. Als Gesamtresultat der Untersuchungen ergibt sich, daß die Blüten- bildung der Phanerogamen wie die geschlecht- hche Fortpflanzung der Thallophyten in einer notwendigen Abhängigkeit von der Außen- welt steht. Die äußeren Faktoren sind die allgemeinen Bedingungen, denen jeder Lebens- prozeß unterworfen ist. Für die Blütenbil- dung ist charakteristisch die besondere Kom- bination und Intensität dieser Faktoren, wie Licht, Nährsalze, Kohlensäure, Sauerstoff, Wasseraufnahme und Abgabe in Dampf- form, Temperatur und vielleicht noch solcher ganz unbekannter Art. Es erscheint kaum möglich, in dem ständigen verwickelten Zu- sammenwirken aller dieser Faktoren die Wirkung der einzelnen genau zu erkennen. Indessen berechtigen die bis jetzt bekannten Tatsachen doch zu der Auffassung, daß in erster Linie eine Steigerung der C-Ässimi- lation und eine absolute oder relative Verminderung gewisser Nährsalze besonders der N-haltigen die Blütenbildung herbei- führen. Die Nährsalze kommen nicht allein als solche in Betracht, sondern vor allem in organischer Verbindung (Eiweißstoffe u. dergl.). Jedenfalls ist die iVnnahme er- laubt, daß ein gewisses Konzentrationsver- hältnis *der genannten Substanzen in den teilungsfähigen Zellen der Pflanzen die not- wendige innere Bedingung der Fortpflanzung vorstellt. Jeder Versuch, dieses Verhältnis genauer nachzuweisen und zu bestimmen, erscheint vorläufig aussichtslos, da der ver- wickelte Chemismus der Zellen viel zu unbe- kannt ist. Die chemische Analyse kann mit ihren heutigen Methoden nur die grobe Stoffverteilung angeben; sie ist unfähig, ein Bild der feineren Vorgänge zu geben, vor allem der mannigfaltigen Tätigkeit der Fermente, die bei allen Stoffwechselprozessen, folglich auch bei denen der Fortpflanzung wirksam sind. Schon Sachs hat auf die Be- deutung der Fermente hingewiesen, er nahm aber spezifische Fermente für Blüten, Wur- zeln usw. an. Wir kennen nirgends solche spezifisch gestaltenden Fermente, sie sind auch sehr unwahrscheinlich. Dagegen ist es sehr wohl möglich, daß die Außenfaktoren indirekt einwirken, indem die Aenderung der Konzentrationsverhältnisse der genann- ten Substanzen Aeiulerungen der fermen- tativen Tätigkeit: Aktivierung oder Steige- rung der einen, Hemmung oder Einschrän- kung der anderen Fermente hervorrufen und daß dadurch der Chemismus der Zellen in jene Bahnen gelenkt wird, die zur Fortpflan- zung hinführen. Literatur. Allgemeines: M. 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Durch Eizellen ohne Hinzu- treten männlicher Zellen (ohne Befruchtung, Parthenogenesis). 4. Generationswechsel : a) Meta- genesis. b) Heterogonie. I. Allgemeines. Jedem pflanzlichen oder tierischen Orga- nismus ist eine gewisse Grenze seiner Existenz gesteckt. Wenn diese auch für die einzelnen Individuen verschieden ist und durch mannigfache äußere und innere Faktoren bestimmt wird, so kann sie doch schließlich von keinem auf die Dauer idDer- schritten werden, vielmehr ist das Indi- viduum früher oder später dem Untergange geweiht. Wie bald dieser normalerweise eintritt oder wie lange er hinausgeschoben werden kann, hängt von der Organisation der betreffenden Pflanzen- oder Tierart ab. Bei den Tieren ist die Lebensdauer im allgemeinen eine beschränktere; nur wenige erreichen ein Alter von hundert oder gar einigen Hundert Jahren, wie dies bei manchen Wirbeltieren der Fall sein kann (einzelne Vogelarten: Kaben, Steinadler, Geier 100 Jahre und mehr, Falken, Papageien 164 Jahre und darüber, Elephant 150 bis 200 Jahre, Schildkröten 200 Jahre, vielleicht sogar 300 Jahre), während manche Pflanzen, besonders die Koniferen eine weit beträchtlichere Lebensdauer zeigen, Eiben (Taxiis baccata) schätzungsweise bis 3000, die riesigen Welling- tonien Kaliforniens (Sequoia gigantea) bis 4000 und die mexikanische Wassercypresse (Taxodium distichum) sogar bis 6000 Jahre, wie man annimmt. Wenn diese Schätzungen möglicherweise zu hoch gegriffen sind, so geht doch immerhin daraus hervor, daß ge- wisse Pflanzen ein sehr bedeutendes Alter erlangen. Ihnen stehen die vielen kurzlebigen Organismen gegenüber, die nur einen Sommer überdauern oder gar nur einen Teil dieser Zeit, manche sogar nur wenige Tage oder Stunden, leben, wie letzteres für gewisse niedere tierische und pflanzliche Organismen gilt. Man sieht daraus, daß die dem indivi- duellen Leben bestimmten Grenzen bei den einzelnen Organismen sehr verschiedene sind, doch kommt es hierauf bei unserer Betrach- tung weniger an, vielmehr handelt es sich darum, daß solche Grenzen vorhanden sind und daß, wenn die betreffende Tierart er- halten bleiben soll, auf andere Weise dafür gesorgt sein muß. Dies geschieht durch die allen Organismen zukommende P'ähigkeit der Fortpflanzung oder Zeugung (Gene- ratio, Prdpagation). Kurz gesagt besteht die Fortpflanzung darin, daß gewisse Teile eines Individuums für sein Fortdauern verwendet werden. Ein, wenn auch gegenüber dem Umfang des ganzen Organismus unter Umständen recht unbe- trächtlicher Teil von ihm bleibt erhalten, wenn der Stammorganismus selbst zugrunde geht. Es findet also eine Isolierung gewisser Teile vom übrigen Körper statt, worauf in den neueren auf die Erklärung des Zustande- kommens der Fortpflanzung gerichteten Unter- suchungen von Child ein besonderes Gewicht gelegt wird. Die Zeugung erscheint hier als : Folge dieser Isolation, welche ihrerseits in ihrem ! Verhältnis zur Korrelation der Teile des Körpers untersucht wird. Der isolierte Teil stand vor- her in engen Wechselbeziehungen zu den übrigen Teilen des Körpers. Mit der Isolierung gehen diese verloren und das isolierte Stück kann ' auch die jenen entsprechenden Strukturen ver- iliercn; hingegen kann es die Fälligkeit besitzen, diese und andere wieder aus sich zu reprodu- zieren. Die Potenzen hierfür müssen also in ! ihm niedergelegt sein. Worauf dies beruht ist I die Hauptfrage, auf welche die Antwort zu i suchen ist. Die Ursachen hierfür wie für die j Isolierung der betreffenden Teile können recht verschiedenartiger Natur sein; zur wirklichen j Erklärung der Fortpflanzungsvorgänge erscheinen I die geltend gemachten Faktoren vorläufig noch nicht genügend, doch ist es zweifellos erwünscht, ! den Erscheinungen derart nachzugehen, wie es durch Child in scharfsinniger Weise geschieht. Insofern bei niederen Tieren und besonders I bei den Protozoen die zur Fortpflanzung ver- [ wendeten Teile in Vergleich mit dem ganzen Körper von sehr erheblichem Umfang sein Fortpflanzung der Tiere 297 können und dieser zumal bei der Teilung vollständig in sie übergeht, hat man von einem ErhaltenbU>iben des Kör]>ers und somit von einer ,,Unsterl)lichkeit" dieser Tiere (speziell der Einzelligen) gesprochen. Im allgemeinen pflegen die Tiere erst dann zur Fortpflanzung zu schreiten, wenn sie eine gewisse Ausbildungsstufe erlangt haben, womit dann der Umfang erreicht ist, welcher sie als vollständig entwickeltes Tier schon äußerlich erkennen läßt. Indem sich mit dem Eintritt der Fortpflanzung das Wachstum des Körpers noch fortzusetzen scheint, hat man den zur Erzeugung eines neuen Organis- mus führenden Vorgang auch als ein ,, Wachs- tum über das individuelle Maß" bezeichnet (C. E. V. Bär). Sieht man eine Amöbe sich bei der Teilung in die Länge strecken oder ein Infusor durch Ansetzen eines neuen Peristomfeldes, einen Ringelwurm durch Vorbuchtung des neugebildeten Rüssels um- fangreicher werden, so scheint diese Ausdrucks- weise manches für sich zu haben, doch wird man sich dabei immer vergegenwärtigen müssen, daß es sich mehr um Anwendung eines Bildes handelt und zwar insofern, als die zum Zweck der Fortpflanzung dienenden Körperteile (Fortpflanzungskörper) in den meisten Fällen eine besondere, mit ihrer Umgebung und Ursprungsstelle durchaus nicht immer gleichartige Beschaffenheit haben, so daß dann von einem bloßen Wachstum um so weniger die Rede sein kann, als sie zu diesem gar keine Beziehung mehr er- kennen lassen. Im Hinblick auf die Verschiedenheit der Teile des Körpers, durch welche die Fort- pflanzung erfolgt, lassen sich verschiedene Formen der Fortpflanzung unterscheiden. Vor allen Dingen kommt dabei in Betracht, ob größere, bei Metazoen demnach viel- zellige (somatische) Partien des Körpers zur Fortpflanzung verwendet werden, die vorher in seine Verrichtungen einbezogen waren oder ob einzelne, von vornherein oder doch sehr früh abgesonderte und für die Fortpflanzung bestimmte (propagatorische) Zellen dazu dienen. Im ersteren Fall spricht man von einer vegetativen, im letzteren von einer cytogenenFortpflanzung(Cytogome),wie es besonders von selten R. Hertwigs und M. Hart man US geschah. Diese Unterschei- dung fällt ungefähr zusammen mit der- jenigen einer ungeschlechtlichen und ge- schlechtlichen Fortpflanzung, von denen man die erstere, weil sie von nur einem Indi- viduum ausgeht, als Monogonie (Mono- genesis), die letztere hingegen als Amphi- gonie (Amphigenesis) bezeichnet ^ hat, weil bei ihr im allgemeinen zwei Individuen als Elterntiere (daher auch E 1 1 e r n z e u g u n g , Tokogonie) zur Erzeugung der Nach- kommen zusammenwirken. Beide Arten der Fortpflanzung finden sich sowohl bei Protozoen wie bei Metazoen, doch bietet die Zurückführung aufeinander große Schwierigkeiten, die dadurch bedingt sind, daß sich die Vorgänge dort an einer Zelle, hier aber an einem vielzelligen Organis- mus abspielen und daß Uebergänge zwischen den beiden großen, so verschiedenartigen Abteilungen des Tierreichs, welche uns ein Vcrstäiuluis auch dieser Erscheinungen er- möglichten, gänzlich fehlen. Rein äußerlich betrachtet verlaufen die Vorgänge der Fortpflanzung bei Protozoen und Metazoen in auffallend übereinstimmen- der Weise, so daß es sehr naheliegend er- schien, sie aufeinander zu beziehen, wie es häufig geschah. Um dies besser beurteilen zu können, müssen wir jedoch erst die ein- zelnen Formen der Fortpflanzung kennen lernen, die man bei den Protozoen und Metazoen unterschieden hat. Es sind folgende: I. Fortpflanzung der Protozoen. 1. Teilung. 2. Kn()S])uiio-. 3. I\[ulti])l.> Teilung. 4. Sporenbildung. 5. Gametogonie. a) Isogamie. b) Anisogamie. c) Generationswechsel. 6. Konjugation. II. Fortpflanzung der Metazoen. A. Durch Zellkomplexe (vegetative Fort- pflanzung, ungeschlechtliche Fortpflan- zung, Monogonie). 1. Teilung. 2. Knospung. 3. Stolonisation, Frustulation, Laceration, Fragmentation. 4. Sonderung vielzelliger Tcilstücke im Körperinneren (Gemmulae der Pori- feren, Statoblasten der Bryozoen). B. Durch Einzelzellen (Cytogonie): 1. Durch Agametocyten (Einzelzellen ohne Keimzellcharakter). 2. Durch Eier und Spermatozoen (mit Befruchtung, Amphigonie, geschlecht- liche Fortpflanzung). 3. Durch Eizellen ohne Hinzutreten männlicher Zellen (ohne Befruchtung, Parthenogenesis). 4. Generationswechsel. a) Metagenesis. b) Heterogonie. Aus dieser Aufzählung wie aus den vorstehenden Ausführuiij^cn ergibt sich, daß die verschiedenen Fortpflanzungsweisen der Tiere nicht scharf auseinander zu halten sind. 298 Foi't])flanzung der Tiere So geht bei der ungeschlechtlichen Ver- von den Protozoen und niedersten Metazoen mehrung sowohl der Protozoen wie Metazoen | bis hinauf zu den Tunicaten feststellen läßt, die Knospung in die Teilung über und zuletzt j Gew^öhnlich sind aber die verschiedenen Fort- sind es nur quantitative Differenzen, d. h. I pflanzungsweisen nicht nebeneinander vor- solche in der Größe der Teilstücke, welche handen, sondern zeitlich getrennt oder auf eine Unterscheidung gestatten. Auch zwischen verschiedene Generationen verteilt. Im geschlechtlicher und ungeschlechtlicher Fort- 1 letzteren Falle handelt es sich also um eine Pflanzung kann sich beim Mangel der Be- Aufeinanderfolge von Generationen, die durch fruchtungsbedürftigkeit der Eizellen die j eine differente Fortpflanzungsweise und meist Grenze verwischen und es kann unsicher j auch mehr oder weniger abweichende Ge- erscheinen, ob es sich um weibliche Keim- 1 staltung ausgezeichnet sind, um einen so- zellen oder um Agametocyten handelt. ] genannten Generationswechsel. Besteht Indem auch die Zurückführung von Knospen ] dieser aus einem Wechsel von geschlechtlichen und melu-zelligen Fortpflanzungskörpern j und ungeschlechtlichen Generationen, so (Gemmulae und Statoblasten) auf Einzel- j nennt man ihn echten Generations- zellen versucht wurde, wäre auch für sie | Wechsel, Metagenesis, während man von die obige Unterscheidung nicht aufrecht zu Heterogonie dann spricht, wenn rein ge- erhalten. schlechtliche (durch den Besitz von Männchen Vor allen Dingen ist aber hervorzuheben, \ und Weibchen bezw. Hermaphroditen ausge- daß die verschiedenen Fortpflanzungsweisen | zeichnete) Generationen mit parthenogene nicht nur innerhalb größerer Abteilungen des Tierreichs oder bei verwandten Tier- formen, sondern bei ein und derselben Tierart vorkommen. Bei den Hydroidpolypen sehen wir dasselbe Individuum sich auf geschlecht- lichem Wege wie durch Teilung und Knospung vermehren (Fig. 34); bei den Schwämmen tischen abwechseln. Generationswechsel wird nicht nur bei den Abteilungen des Metazoenreichs mit ungeschlechtlicher Fort- pflanzung, sondern auch bei den Protozoen gefunden. Die große Verschiedenheit der Organi- sations- und Fortpflanzungsverhältnisse bei findet man ebenfalls Knospung, Gemmula- 1 den einzelligen und mehrzelligen Tieren läßt bildung und geschlechtliche Fortpflanzung i eine getrennte Behandlung von vornherein bei denselben Individuen, wie sich überhaupt i als wünschenswert erscheinen ; wir schicken das Vorkommen verschiedener Fortpflan- die Protozoen mit ihren naturgemäß Zungsweisen innerhalb der Grenzen der Spezies ! weit einfacheren Fortpflanzungsverhältnissen bei vielen und ganz verschiedenartigen Tieren, I voraus, ohne dabei jedoch, ebensowenig wne bei den Metazoen, auf die einzelnen Gruppen ein- gehen zu können, vielmehr sei in letzterer Hinsicht auf die einzelnen Abteilungen des Proto- zoen- und Metazoenreichs ver- wiesen. II. Die Fortpflanzung der Protozoen. I. Teilung. Die denkbar einfachste Form der Fort- pflanzung besteht darin, daß sich die Protozoenzelle nach erfolgter Teilung des Kerns in der Mitte durchfeilt, so daß zwei ungefähr gleich große Teil- stücke entstehen. Hierfür wieder ist die Amöbenteilung das ge- gebene Beispiel (Fig. 1), welches am ehesten geeignet erscheint, C. E.V. Bär's Satz von der Auf- fassung der Fortpflanzung als ein Wachstum über das indivi- duelle Maß hinaus zu erläutern. Soweit wir sehen, scheint bei diesen einfach organisierten und ihre Gestalt wechselnden Tieren eine Vorbereitung zur Fort- Fig. 1. Verlauf des Teilungsvorgangs von Araoeba poly- podia in 6 aufeinander folgenden Stadien. Nach F. E. Schulze. Aus A. Längs Lehrbuch. FortpflanzAing der Tiere 299 Pflanzung kaum oder nur im geringen Maße nötig zu sein; sie dürfte in der Hauptsache den Zellkern (in Abänderung seiner Struktur) betreffen. Bei höher organisierten Protozoen verhält sich das insofern anders, als gewisse Vorbereitungen am Körper getroffen werden können, welche schon vor dem Vollzug der Teilung diese anzeigen. In dieser Beziehung verhalten sich die einzelnen Protozoen recht verschieden, indem bei manchen von ihnen diese Vorbereitungen weitergehende, bei anderen hingegen recht unerhebliche sind. Ehe darauf eingegangen wird, ist noch die Teilungsrichtung zu erwähnen, da sie sowohl quer zur Längsachse des Tieres oder in dieser, aber auch schräg zu ihr erfolgen kann. Beispiele dafür sehen wir in den Figuren 2 ; Bei ihm kann die Teilung in der Längs- richtung, aber auch quer und in schräger Richtung erfolgen, (Fig. 4, A bis D). Die Tcilstücke können ungefähr gleich groß, aber : auch an Umfang verschieden sein, wodurch die Teilung in Knospung übergeht (Fig. 4, E und F). Zuweilen werden von einem Tier gleichzeitig mehrere Teilstücke oder Knospen abgeschnürt. 1 Daß bei der hier besprochenen Form der Fortpflanzung gewisse Teile des Körpers neu gebildet, ersetzt (regeneriert) werden müssen, braucht nicht besonders erwähnt zu werden; bei der Querteilung sind es vordere und hintere, bei der Längsteilung seitliche Partien des Körpers (Fig. 2 u. 3). Diese Regeneration kann größtenteils nach, I n / Fig. 2. Querteilung von Coleps hirtus in 3 Stadien. A Analende, op nacktes Plasma an den zuwachsenden Teilen, oz Oraizahn, Pj bis P4 die 4 Plattenreihen, St Stacheln. Nach Dofleiii. und 3 für ein Infusor und ein Flagellat gegeben. Der Vollzug der Teilung und die sich am Körper vollziehenden Vorbereitungen werden am besten durch die Figuren selbst erläutert. Zumeist verläuft die Teilung in der an- gegebenen mehr oder weniger regelmäßigen Weise, wobei die Teilstücke ungefähr gleich groß zu sein pflegen, doch braucht letzteres nicht der Fall zu sein und die Teilungsebene kann schräg zur Längs- oder Querachse ge- richtet sein. Hierfür" gibt das von dem be- kannten im Enddarm des Frosches lebenden Infusor (Opalina ranarum) mitgeteilte Bild (Fig. 4) ein anschauliches Beispiel. in anderen Fällen aber auch schon vor der Teilung erfolgen, wie bereits vorher erwähnt wurde. Bis zu einem gewissen Grade ergibt sich dies schon aus den erwähnten Beipielen (Fig. 2u. 3), indem gewisse Teile der Körp?r- oberfläche, des Mund- und Geißelapparatcs vor oder während des Teilungs Vorgangs zur Ausbildung gelangen (Fig. 3). Weit deut- licher tritt dieses Verhalten bei der Teilung des weitverbreiteten sogenannten Trompeten- tierchens, Stentor, hervor, bei dem man die Wimperzone des Mundapparates für das neu zu bildende Tier schon längst vor der Tren- nung angelegt sieht und verfolgen kann, wie das Peristom allmählich auf die dem 300 Fortpflanzung der Tiere neu zu bildenden Individuum mitzugebenden Derartige Individuen sind kurz vor Ablauf Teile verschoben wird (Fig. 5, Ä bis C). der Teilung häufig nur noch durch eine dünne Fig. 3. Längsteihing von Eutreptia viridis in 6 aufeinander folgenden Stadien. Nach Steuer. Aus Längs Protozoenkunde. vi*bj> Fig. 4. Opalina ranarura in verschiedenen Teilungs-und Knospungszuständen. A bis C Schräg-, D Längsteilung, E und F Abschnürung eines kleinen Teilstückes (Kuospung) bei 60-maliger Ver- größerung. Nach C. Tonn ig es. Fortpflanzung der Tiere 301 Protoplasmabrücke verbunden und jedes j füßern bis zu den Infusorien hinauf unter den von ihnen zeigt sich schon fast vollständig Protozoen eine recht verbreitete Erscheinung ausgebildet, indem das vordere Individuum (vgl. den Artikel „Tierstöcke"). die hinteren, das hintere die vorderen Körperpar- tien zur Ausgestaltung gebracht hat. Derartige Teilungsvor- gänge mit nachfolgender und vorhergehender Re- generation, die man als Architomie und Paratomie bezeichnet hat, werden wir auch bei den Meta- zoen kennen lernen. 2. Knospung, Wenn beim Teilungsvorgang der Protozoen das eine Teil- stück bei zunehmender Größe des anderen immer kleiner wird und schließ- lich nur noch buckeiförmig über dessen Oberfläche vorragt, so geht die Tei- lung von selbst in die Knospung über (Fig. 4). Zwischen beiden Vor- gängen sind also nur graduelle Unterschiede vor- handen und sie lassen sich kaum recht voneinander trennen, was jedoch nicht hindert, daß die extremen Fälle ein recht verschieden- artiges Bild darbieten. Die Knospen treten in der Ein- oder Mehrzahl am Körper des Protozoons als mehr oder weniger um- fangreiche Erhebungen auf, nachdem der Kern durch einen im einzelnen Fall verschiedenen Teilungsakt den für die betreffende Knospe bestimmten Kern- teil geliefert hat. Solche Knospungsvorgänge finden sich von den niedersten bis zu den höchsten Protozoen. Hier wird in Fig. 6 das Beispiel eines Sonnentierchens, in Fig. 7 und 8 das- jenige zweier Infusorien mitgeteilt, bei denen das Verhalten des Kernes bei der Knospung besonders deutlich hervortritt. Nachdem die Knospen ausgebildet und durch teilweise Erlangung der Ori^aiiisatioii des Muttertiers selbständig existciizfäliig geworden sind, können sie sich von dessen Körper ablösen (Fig. 6), um fortan ein freies sich später voneinander und bilden sich zu Leben zu führen. Häufig bleiben sie jedoch neuen Individuen aus. Letztere Art der Fort- dauernd mit dem Muttertier und unter- pflanzung steht häufig mit einer Encystierung einander verbunden, wodurch es zur Bildung (Umgeben der betreffenden Protozoen mit einer Kolonie oder eines Stockes kommt einer Hülle oder Kapsel) in Verbindung (Fig. 9). Solche Kolonien sind von den Wurzel- (Fig. 14). Werden die Teilstücke an der Fig. 5. Stentor caeruleus in Teihing. Dsx reclite, Sin linke Körperseite, 1 adorale Wimperzone, 2 und 3 pulsierende Vakuole, 4, 5, 7 und 9 Mundspirale, Cytostom und Cytopharynx, 6 Makro- uucleus, 8 Trennungslinie beider Tiere. Nach Johnson. Aus A. Längs Vergleichender Anatomie. 3. Multiple Teilung. Bei Amöben und anderen Rhizopoden, sowie bei Sporozoen tritt eine besondere Form der Fortpflanzung in der Weise auf, daß sich der Kern mehrfach teilt und eine größere oder geringere Zahl von Kernen gebildet wird. Indem sich um diese das Protoplasma in kleine Komplexe von entsprechender Anzahl sondert, kommt es zur Bildung je nachdem Weniger oder vieler Teilstücke (Fig. 10 und 13). Diese trennen 302 Fortpflanzung der Tiere B ~M' . '~-f r Fig. 6. Acanthocystis aculeata in Ivnospung und Kernteilung, 1 der Kern in direkter Teilung, 2 Centrosoma. Nach Schaudinn. Aus A. Lang. Ä ^ 2'., r:. ,J~-~1^W^ -•^.. \ " Wä ^■'■'■^i'_ . Fig. 7. Knospung von Spirochona gemmipara. 1 Spiraltrichter, 2 Knospe, 3 Peristou anläge der Knospe, 4 Makronucleus, 5 Mikronucleus, 6 Cytopharynx. Nach R. H e r t w i j Aus A. Lang. F()i-t[)il;uiziinü,' i;en waren, welche erst nach- träglich zu ,, Agameten" wurden. Das wären ähnliche Verhältnisse, wie sie, wenn auch nicht so weit gehend, in der noch zu be- handelnden Heterogonie der Trematoden vorliegen, aber gewiß besteht auch die von den neueren Autoren (R. Hertwig, M. Hart- mann, E. Neresheimer) angenommene Möglichkeit, daß es sich dabei um ursprüng- liche Verhältnisse handelt. 2. Geschlechtliche Fortpflanzung (Am- phigonie). Wie wir die Fortpflanzung durch Makro- und Mikrogameten bereits bei den Protozoen recht verbreitet fanden, so kann sie für die Metazoen als die typische, bei allen wiederkehrende Art der Fort- pflanzung bezeichnet werden. Auch bei den Mesozoen, denen neben der rein vegetativen eine ungeschlechtliche Fortpflanzung durch Einzelzellen (Agameten) zugesclu-ieben wird, treten wie bei der Amphigonie anderer Metazoen Eier und Spermatozoen auf. Diese finden sich als typische geschlechtliche Fortpflanzungskörper von den niedersten bis zu den höchsten mehrzelligen Tieren, d. h. außer bei den eben erwähnten Mesozoen, von den Schwämmen und Coelen- teraten bis hinauf zu den Säugetieren und zum Menschen. Die Fo rt Pflanzung s-,Propagat ions- oder Keimzellen müssen im Körper des aus einer ungemein großen Zeilenzahl be- stehenden Metazoons eine Sonderung er- fahren, welche bei manchen Tieren schon ungemein früh vor sich geht, indem die Vorstufen der Keimzellen einzeln oder grup- penweise schon während der Eifurchung und vor der Keimblätterbildung oder bald nach dieser von den übrigen (somatischen) Zellen geschieden werden. Von den letzteren pflegen sich die PropagationszeUen durch Größe, Form, Lage, Anordnung, besondere Plasma- und Kernstruktur oder andere Eigentüm- lichkeiten auszuzeichnen (vgl. den Artikel „Ei und Eibildung", sowie im Artikel „Ontogenie" den Abschnitt: ,, Ausbildung der Urgeschlechts- zellen"). Freilich ist dieser Unterschied nicht immer vorhanden und häufig scheinen sich die Keimzellen erst in späteren Ent- I Wicklungsstadien , vielleicht auch erst beim i ausgebildeten Tier von den übrigen Körper- ' Zellen abzusondern. Möglicherweise liegt dies allerdings daran, daß sie sich in diesen Fällen aus irgendwelchen Gründen nicht erkennen lassen. So sollen, um nur ein Beispiel anzuführen, die Keimzellen der Schwämme hier und da im Körper zerstreut aus dessen Parenchymzellen entstehen. Bei Besprechung des Ursprungs der Eier wurde dies als diffuse Eibildung bezeichnet, doch gilt es in ganz entsprechender Weise auch für die männlichen Geschlechtszellen. Bei den Schwämmen und niederen Coelen- teraten sieht man dann kleinere oder größere Gruppen von Keimzellen entstehen, was an bestimmten Stellen des Körpers zu geschehen pflegt; damit ist der Anfang zur Bildung von Gonaden (Keimdrüsen), Eier- stöcken und Hoden (Ovarien und Testes) gemacht. Diese stellen von da an mehr oder weniger umfangreiche Organe dar, welche zumeist große Mengen von Urkeimzellen und in Ausbildung begriffene Eier oder Spermien enthalten, um sie in die Leibeshöhle oder in einen mit ihnen verbunde- nen Leitungsapparat (Eileiter, Samen- leiter) zu entlassen, von wo die Geschlechts- produkte direkt oder durch Vermittlung eines Lege- oder Begattungs-(Kopulations-) Apparates nach außen gebracht werden (vgl. den Artikel „Geschlechtsorgane"). Beiderlei Geschlechtsproduktekönnen in ein und demselben Tier erzeugt werden, in welchem Fall man von Zwittrigkeit oder Hermaphroditismus (Androgynie) spricht. Eier und Spermatozoen können sich sogar in ein und derselben Keimdrüse, der sogenannten Zwitterdrüse, finden, wie dies von einigen Echinodermen, Anneliden, besonders aber von vielen Gastropoden (Opisthobranchiern, Pulmonaten und Ptero- poden) bekannt ist. Die beiderlei Geschlechts- 320 Fortpflanzung der Tiere Zellen können dann auch noch durch einen gemeinsamen Ausführungsgang (den Zwitter- gang) von der Keimdrüse abgeleitet werden. Daß dabei keine vorzeitige Befrachtung und Schädigung der Eier eintritt, ist durch die noch nicht vollständige Ausbildung der weiblichen und männlichen Geschlechtspro- dukte zu erklären, die durch Trennung des Zwittergangs in einen besonderen Ei- und Samenleiter (Oviduct und Vas deferens) bald eine getrennte Weiterleitung erfahren. Der Hermaphroditismus ist weit verbreitet und findet sich in allen Tierklassen, bei den niederstehenden im ganzen vielleicht mehr als bei den höher organisierten, obwohl sich dafür keine rechte Regel aufstellen läßt. Jedenfalls tritt bei den Wirbeltieren die Zwittrigkeit als Ausnahme und nur bei einigen Fischen (Serranus, Chysophrys, Myxine) als regelmäßiges Vorkommnis auf. Auch die Gliedertiere neigen weniger zum Hermaphroditismus, obwohl einzelne Gruppen der Crastaceen wie die Cirripsdien (Ranken- füßer) und gewisse Asseln (Cymothoiden, Cr yptoni seiden) in Verbindung mit ihrer festsitzenden oder parasitischen Lebensweise zwittrige Geschlechtsorgane aufweisen. Als gelegentliches Vorkommen hingegen ist eben- so wie bei den Vertebraten auch bei den Arthropoden die Zwittrigkeit keine seltene Erscheinung und es ist dabei des merk- würdigen Verhaltens zu gedenken, daß sie sich schon äußerlich als eine halbseitige Bildung zu erkennen geben kann ; bei manchen Insekten (Schmetterlingen, Hautflüglern) ist insofern eine sehr eigentümliche Ausbildung des Körpsrs zu bemerken, als dieser zur- Hälfte weiblich, zur Hälfte männlich ent- wickelt erscheint und die Trennungslinie dabei scharf in der Mediane liiiidurchgehen kann (Fig. 30). Auffallenderweise allerdings ^^^<^ß''B Fig. 30. Ocneria dispar, links als Weibchen, rechts als Männchen ausgebildet, wie der dickere Leib, die hellen Flügel und schwächeren Fühler der linksseitigen weiblichen Seite gegenüber dem schmäleren Leib, dunklen Flügeln und stärke- ren Fühlern des rechtsseitigen Männchens zeigen. NachTaschenberg. Aus R, Hertwigs Zoologie. braucht diesem äußeren Hermaphrodi- tismus lateralis kein innerer zu ent- sprechen, d. h. es finden sich vielleicht nur männliche oder nur weibliche Geschlechts- organe vor (Gynandromorphie), Man hat es also mit einem Pseudoherma- phroditismus zu tun, wie er auch bei den Säugetieren und beim Menschen insofern vorkommt, als die äußere Ausbildung des Körpers dem Verhalten der inneren Organe nicht entspricht. Diese können übrigens in solchen Fällen in der Ausbildung zurück- geblieben oder nach der einen oder anderen Richtung abnorm entwickelt sein. Einige recht hoch stehende Abteilungen des Tierreichs wie die Manteltiere, unter den I Weichtieren die schon vorher genannten ! Gastropoden und die Moostierchen sind hauptsächlich als Hermaphroditen ausge- bildet, wie dies auch für andere Mollusken (manche Muscheln) gilt. Unter den Würmern sind die Oligochäten und Hirudineen, wie besonders die Plattwürmer Zwitter, ebenso die Rippenquallen und manche andere Coelenteraten, z. B. unsere Süßwasserpolypen (Hydra); desgleichen pflegen die Schwämme beiderlei Geschlechtsprodukte in ihrem Körper hervorzubringen. Aus dem Auftreten des Hermaphroditismus bei sehr niederen Tierformen, seiner weiten Ver- breitung und dem gelegentlichen Hervortreten bei getrennt geschlechtlichen Tieren ist auf eine große Ursprünglichkeit dieser Art der geschlecht- lichen Fortpflanzung geschlossen worden. Das ursprüngliche Vorhandensein der Fähigkeit zur Hervorbringung der beiderlei Geschlechtsprodukte und die Unterdrückung des einen zugunsten des anderen Geschlechtes ist nicht nur eine sehr nahe liegende, sondern auch durch Tatsachen gestützte Annahme. Auch das Auftreten (regelmäßig) zwittriger Tierformen in Abteilungen des Tier- reichs, bei denen Getrenntgeschlechtigkeit die Regel ist, läßt sich mit dieser Annahme ohne weiteres vereinigen, insofern die Anlage (ebenso wie bei dem gelegentlichem Hervortreten) als von frülier her vorhanden angenommen wird. Andererseits besitzt aber die Getrenntgeschlech- tigkeit bei niederen Metazoen eine weite Ver- breitung und wird auch schon bei den Protozoen gefunden, so daß sich eine solche Regel wohl kaum ; aufstellen läßt; freilich ist die Erwerbung der Fähigkeit zur Hervorbringung des anderen Geschlechts weit schwieriger als das Zurück- treten eines der beiden Geschlechter bei vorherigem Vorhandensein beider zu verstehen. Um eine Erklärung für die einzelnen Fälle und damit schließlich erst die richtige Deutung für die ganze Erscheinung zu finden, ist eine sehr ge- naue Kenntnis der Lebensverhältnisse der be- treffenden Tiere notwendig, weil sie darauf jedenfalls von großem Einfluß gewesen sind. Hermaplnoditen, die Besitzer männlicher und weiblicher Geschlechtsorgane und Pro- duzenten der beiderlei Geschlechtszellen sind deshalb noch nicht befähigt, sich selbst (unabhängig von einem anderen Individuum) auf geschlechtlichem Wege fortzupflanzen. Zwar kann dies ausnahmsweise der Fall sein, Fortpflanzung der Tier( 321 mdem besonders für einige Plattwürmer 1 stehende Tierart zu nennen. Von anderen Tieren, (rhabdocele rurbellarien, Trematoden und wie von dem Seestern Asterina gibbosa und Cestoden) sowie Blutegel (Clepsine) Selbst- \^^^^ Ringe]\TOrm Nereis dnmerili ist bekannt, begattungund Selbstbefruclitung(Auto- , '^''^^ P sowohl als Hermaphroditen wie als Gono- gamie) angegeben wurde, aber im allo-emeinen ^^^^'i^**^!^ auftreten können. Ebenso zeigt sich ein dürfte dieser Vorgang auch bei*" Herma- ! """T'" i^""''/'^' ^F^V?.^^':^^ 1'"^"*^"' ^«- phroditen reclit seLii und bd vielST^lJ^ ^^IllS^^ flSl^^^^^^ - ^^ Ihnen sogar durch besondere Organisations- Hermaphrodit ausgebildet, in welchem Seren Verhältnisse oder andere Einrichtungen ver- Fall Eier und Spermatozoen sogar aus derselben hindert sein. Für gewöhnlieh pflegen zwei 1 Keimdrüse hervorgehen. Diese Betrachtungen Hermaphroditen die Begattung miteinander I führen wieder zu den schon vorher über die aiiszufüliren, sei es nun, daß sie eine r^^^P^'^S'ichkeit des einen oder anderen Zu Standes oder seine nachträgliche Entstehung Gesagten zurück und können hier nicht fort- gesetzt werden. Auch bei denjenigen Tiergruppen, welche wie die Mollusken und Würmer in größeren oder kleineren Abteilungen zahlreiche Herma- phroditen enthalten, kommen ebenso viele gegenseitige ist und jedes Tier als Männchen und Weibchen funktioniert oder daß dies nur mit einem von beiden der Fall ist. Letzteres ergibt sich dann von selbst, wenn die nicännliche Reife der weiblichen vorangeht (Proterandrie) oder umgekehrt (Proto- gy nie), welche beiderlei Erscheinungen man besonders häufig bei den Tunicaten findet, o^^^ noch weit mehr getrenntgcschlechtliche bei denen zumeist die Reifung der mann- "Tiere vor. Bei so niederstehenden Formen liehen Geschlechtsprodukte derjenigen der [ ^ie <^e" Coelenteraten stellt die Getrennt- weiblichen vorangeht (Ascidien, Salpen), geschleclitigkeit das bei weitem über- während Protogynie auch bei ihnen ein sei- i wiegende Verhalten dar. Bei ihnen wie bei teneres Verhalten darstellt und bei manchen ^^^^ anscheinend mehr hermaphroditischen sozialen Ascidien wie bei den Pyrosomen ge- Schwämmen geschieht die Hervorbringung fundenwird. So neigt der Hermaphroditismus ' d^^. ^esclilechtsprodukte auf sehr einfache bereits zur Getrenntgeschlechtigkeit hin. I "^4^^' indem die Keimzellen an verschiedenen DieGetrenntgeschlechtigkeit(Gono- chorismus) ist bei den Tieren bei weitem am meisten verbreitet und findet sich von den allerniedersten bis zu den höchsten Tierformen. Einzelne Abteilungen des Tier- reichs, wie die Wirbeltiere und iVrthro- poden, auch die Echinodermen sind besonders Stellen des Körpers entstehen und in ihm ihre Lage verändern können. Allerdings treten bei den Coelenteraten die Keim- zellen bereits zur Bildung von Gonaden zu- sammen, aus denen die reifen Eier direkt oder in den Gastro vascularraum ent- lassen werden. Mit der Höhe der Organisation dadurch ausgezeichnet und bringen nur in j %^^'^^r^ ^"f ^ ^'^^ , Komplikation im Bau kleineren Gruppen oder ausnahmsweise^'' Gonaden und ihrer Ausführungsgänge Hermaphroditen hervor. I?,^^^- ^'^ Copulationsapparates bei denjenigen Iieren, bei welchen eine Begattung statt- Uebrigens können dann unter Umständen I findet (vgl. den Artikel Geschlechts- sogar neben den Hermaphroditen noch getrennt- I oro^ane") " geschlechtige Individuen vorhanden sein, wie dies | ^ für die Rankenfüßer (Girripedien) gilt. Bei ihnen 1 Auf die Beziehung der Keimzellen (Eier und (Scalpellum) kommen sogenannte Ergän- I Spermatozoen) zum Körper, ihre mehr oder we- zungs- oder Zwergmännchen (die complemen- I niger komplizierte Entstehung und Ausbildung tal males von Ch. Darwin) vor, welche als in den Gonaden, sowie auf ihre verschiedenartige zwerghafte Gebilde von recht rudimentären! Gestaltung und ihr Zusammentreffen beim Be- Bau an den ungleich größeren Hermaphroditen fest- fruchtungsakt wird in den Artikeln ,,Ei und sitzen. Aehnlich verhalten sich übrigens auch die Eibildung", ,, Sperma und Spermato- zu den Anneliden gerechneten Myzostomen, [ genese", sowie ,,Bef ru ch tung" näher ein- bei denen ebenfalls an den zwittrigen Individuen \ gegangen, festsitzende kleine Älännchen vorkommen. Beide Für die beiderlei Geschlechtsprodukte ist charakteristisch, daß die Eier gegenüber den Spermatozoen ein außerordentlich Tiergruppen, die IMyzostomen wie die Girripedien, sind außerdem dadurch von Interesse, daß es bei ihnen Arten mit völliger Durchführung der . Greschlechtstrennung und wieder andere gibt, j großes Volumen besitzen (Fig. 31), da die zwar getrennt geschlechtlich sind, bei denen ! sie es sind, welche die gesamte Masse aber die Weibchen noch Reste der Zwittrigkeit I für die Entwickelung des Embryos und erkennen lassen. Hermaphroditismus und Go- [ die Herausbildung des neuen Organismus nochorismus gehen also hier durchemander, wie enthalten. Dafür werden sie häufig mit es überhaupt eine nicht allzu seltene Erschei- ' ATnl,vo„Kcfov.,«„ <,+o,.i i i i ..i *^i t nung ist, diß innerhalb einer Gattung herma- i ™'^^^^^"^"^ ^}^'^' beladen wahrend die phroditische und gonochoristische Arten vor- spermatozoen entsprechend ihrer Funktion, kommen, so bei der Kammuschel (Pecten);die Eier zur Ausführung der Befruchtung und bei der Auster (Ostrea), wie auch beim aufzusuchen , die Form einer aktiv be"- Süßwasserpolypen (Hydra), um eine recht nieder- ! wegliehen Geißelzelle haben und winzic Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV. 21 322 Fürt|iflanzimg der Tiere klein sind. Dageg'en werden die Samenfäden langem Larvenleben. Während viele Tiere in ungeheuren Mengen produziert, denn bald nach der Begattung oder Eiablage die allermeisten von ihnen gehen beim Auf- zugrunde gehen, Aviederholen sich diese Vor- suchen der Eier verloren und wenn von gänge bei anderen mehrere oder viele Male, ) ili ^<\ ^lV lU gl B 9h / l dh C/'Jc'OöfiliJ idh Fig. 31. Seesternei mit Gallerthülle (gh) und umschwärmenden Spermatozoen, B — E Eindringen eines Samenfadens durch die Gallerthülle (gh) in das Eiplasma, Abheben der Dotterhaut (dh). manchen Tieren verhältnismäßig wenige, vielleicht nur einige Hundert Eier hervor- gebracht werden, beträgt die Zahl der von ihnen erzeugten Spermatozoen Millionen und aber Millionen. Auf die Zahl der von den Weibchen produzierten Eier wird im Artikel „Ei und Eibildung" eingegangen. Zur ungefcihren Erläuterung des Unterschiedes in Gestalt und Größe der Eier- und Samenfäden sei auf Fig. 31 verwiesen, doch sind die letzteren verhältnismäßig noch zu groß angegeben und außerdem handelt es sich hier um ein sehr kleines, dotterarmes Ei, welches von den voluminösen dotterreiehen Eiern anderer Tiere (Arthropoden, Cephalopoden, Vertebraten u. a.) um das Viel- fache übertroffen wird (vgl. die Artikel „Ei", „Sperma" und „Befruchtung"), so daß der Unterschied zwischen dem Volumen des Eies und des Spermatozoons dann noch ein ungleich viel bedeutenderer sein würde. Die Reifung der Geschlechtsprodukte geht bei den einzelnen Tierformen zu ver- schiedener Zeit vor sich; gewöhnlich fällt die Erlangung der Geschlechtsreife mit derjenigen der endgültigen Größe und Aus- bildung der Organisation, also mit dem End- punkt der individuellen Entwickelung zu- sammen. Der ^geschlechtsreife Zustand be- deutet somit den Höhepunkt in der Ent- wickelung eines Tieres. Bei manchen Tieren dauert dieser Zustand lange Zeit an, wie wir es z. B. vom Menschen und von den Säugetieren, überhaupt vielen höheren Tieren kennen, bei anderen geht er rasch vorüber, wir erinnern an die kurze Lebensdauer der EintagsfUegen und anderer Insekten im ausgebildeten Zustand nach vorangegangenem manche erlangen bald nach der Geburt, andere erst nach Verlauf langer Zeit die Geschlechtsreife, was mit den Entwickhmgs- und Lebensbedingungen der betreffenden Tiere im allgemeinen zusammenhängt und hier im einzelnen nicht besprochen werden kann. Dagegen ist eines besonderen Ver- haltens, nämlich der Erlangung der Ge- schlechtsreife im Larvenzustand zu gedenken. Viele Fische, wie Lachse, Forellen u. a. werden geschlechtsreif, ehe sie noch ihre völlige Ausbildung und Größe erlangt haben und können unter umständen noch auf das Mehrfache ihrer bisherigen Länge heran- wachsen. Die Rippenquallen (Ctenophoren) können nach Chuns bekannter Beobachtung einen zweimaUgen geschlechtlichen Zustand durchlaufen, nämlich einmal auf verhältnis- mäßig früher Entwickelungsstufe und später nach Rückbilden der tienitalorgane und Durchlaufen einer weiteren Metamorphose ein zweites Mal, welche Erscheinung man als Dissogonie bezeichnet hat. Manche Tiere, wie die Salamander und der Axololt (A m b 1 y s 1 0 m a m e X i c a n u m) , wachsen unter Beibehaltung der Larvencharaktere zur Größe des ausgebildeten Tieres heran und erlangen in dieser Form die Geschlechts- reife." Diese auch bei Insekten, z. B. Blatt- läusen und Schildläusen zu beobachtende Erscheinung hat man mit dem Namen Neotenie belegt. Von sehr vielen im Wasser, besonders im Meer lebenden niederen, aber auch höher organisierten Tieren, z. B. den meisten Stachelhäutern, Muscheln, Moostierchen, Fortpflanzung der Tiere 323 Mantelticren, Fischen u. a., abgesehen von den Coelenteraten und Schwämmen, wird das Sperma vom Männchen einfach in das umgebende Wasser abgegeben, um zu den vom Weibchen ebenfalls dahin entlassenen Eiern oder auf verschiedenerlei Umwegen in den weibliclien Körper und zu den hier aufbewahrten Fiern zu gelangen und die Befruchtung auszuführen. Bei anderen und zwar ebenfalls schon bei verhältnismäßig niederstehenden bis hinauf zu den höchst- stehenden Tieren wird der Samen vom Männchen direkt an oder in den Körper des Weibchens übertragen. Dazu bedarf es besonderer Vorrichtungen, wie der schon mehrfach erwähnten, eine Fortsetzung des Leitungsapparats darstellenden oder durch x\us- oder Umbildung von Körperanhängen zustande kommenden Copulationsorgane, wie man sie in vorzüglicher Ausbildung bereits bei den Plattwürmern und durch die übrigen Würmer, Gliedertiere, Weichtiere bis hinauf zu den Säugetieren findet. Die Samen- flüssigkeit kann durch sie direkt oder unter Vermittelung von Samenkapseln, soge- nannten Spermatop hören, übertragen werden. Dies sind runde, schlauchförmige, mit verschiedenerlei Vorrichtungen zur Be- günstigung der Uebertragung versehene Ge- bilde (Fig. 32 u. 38), weiche am Körper des beim Ablegen der Eier über diese ergießen oder im Leitungsapparat zu ihnen gelangen. Je nachdem wie die Vereinigung der Geschlechter (Paarung) und die Ueber- tragung des Samens erfolgt, ist die Aus- bildung der dabei verwendeten Organe und Körperteile eine verschiedene. Bei manchen Tieren tiiulet nur eine flüchtige, rasch vorüber- gehende Berührung der weiblichen durch die männlichen Tiere beim Begattungsakt statt, andere klammern sich stunden- und tage- lang an das Weibchen an. Das kann mit oder ohne Einführen des Penis in die weibliche Geschlechtsöffnung geschehen, zumal dieser auch in solchen Fällen intensiver Ausführung des Begattungsaktes fehlen kann, wie es z. B. bei den Fröschen der Fall ist. Das eigentliche Begattungsglied wird häufig durch andere Vorrichtungen, z. B. durch Verwendung der Extremitäten bei Glieder tieren (Krebsen, Spinnen) oder der Tentakel (bei den Tinten- fischen) ersetzt, Die Ausbildung der Copula- tionsorgane, sowie derjenigen zur Eiablage, zum Festhalten der Weibchen bei der Be- gattung bringen nicht selten recht erhebliche Veränderungen der Körpergestalt mit sich und veranlassen somit einen geschlecht- lichen Dimorphismus, welcher durch die Einrichtungen für das Aufsuchen und die Auswahl, für die Brutpflege usw. noch Fig. 32. Spermato- phore A einer Heu- schrecke (D e t c i cu s) und B einer Grille (Gryllus). Fig. 33. Spermatophore einiger Schnecken. A Helix, B Parmacochlea, C Parmarion, D Microparmarion. Nach Simroth. Weibchens an geeigneten Stellen, in der verstärkt wird. Bezüglich dieser sich in Nähe der Geschlechtsöffnung befestigt oder Form- und Färbungsunterschieden der beiden in diese eingeführt werden. Sie enthalten (]Jeschlechter äußernden Erscheinungen (se- je nach ihrer Größe bedeutende Sperma- 1 kundäre Geschlechtsmerkmale) sei auf mengen, die sich nach Oeffnen der KapseU die Artikel ,,Descendenztheorie" und 21* 324 Fortpflanzimg der Tiere „Dimorphismus" verwiesen. Hier sei nur noch auf einige Beziehungen zwischen den beiden Geschlechtern aufmerksam ge- macht, welche allgemeinere Beachtung ver- dienen, z. B. auf das Zahlenverhältnis zwischen männlichen und weiblichen Tieren. Wälu-end bei manchen Tieren dieses Verhältnis ungefähr gleich ist oder doch die Individuenzahl des einen die des anderen Geschlechts nur wenig übertrifft, wobei es dann häufig zum Zusammenleben auf längere Zeit (zur Einehe) kommt, ist bei anderen Tieren eine weit größere Zahl von Weibchen vorhanden. Bei den in Viel- ehe (Polygamie, Vielweiberei) lebenden Tieren, wie bei den Hühnern z. B. oder bei den in Herden lebenden Wal- und Huftieren, ist dies ohne weiteres ersichtlich, weniger bei denen, die sich nur zum Vollzug der Begattung aul: kurze Zeit zusammenfinden und bei denen von einer eigentlichen Paarung also kaum die Rede sein kann. Soviel man darüber weiß, überwiegen hier bei manchen Tieren die Weibchen, bei anderen die Männ- chen, was offenbar durch die Lebensver- hältnisse bedingt wird, denn man findet solche differente Zahlenverhältnisse bei ganz verschiedenen, hoch- und niederstehenden Tieren (Würmern, Insekten, Weichtieren, Fischen, Vögeln u. a.), d. h. im einen Fall werden viel mehr Weibchen, im anderen viel mehr Männchen hervorgebracht. Recht selten ist übrigens im Tierreich das Zusam- menleben mehrerer Männchen mit mir einem Weibchen (Polyandrie, Vielmännerei). — Auch das Zusammentreffen der Ge- schlechter zum Vollzug der Copulation oder zur Paarung hängt von äußeren Umständen ab und entspricht der dafür günstigen Jahreszeit oder hängt mit der Dauer der Brutpflege bezw. Trächtigkeit zusammen. Daraus ergibt sich für viele Tiere eine gewisse Regelmäßigkeit der Paarungszeit, die sich bei den Säugetieren, besonders Huftieren, aber auch bei anderen, als Zustand ge- schlechtlicher PJrregung (Brunst, Brunst- zeit, Brunft) zu erkennen gibt, während sie bei anderen Tieren zeitlich weniger geregelt erscheint. Daß bei der Begattung ein männ- liches und weibliches Individuum derselben Tierart sich vereinigen, wurde als selbst- verständlich vorausgesetzt. Ist es ausnahms- weise nicht der Fall und werden durch die Befruchtung der Eier lebensfähige Nach- kommen erzeugt, so spricht man von Bastar- dierung. Wie diese, so werden auch die Erscheinungen der Vererbung, d. h. der Uebertragung der Eigenschaften der Eltern auf die Nachkommen, in einem besonderen Artikel behandelt (vgl. den x\rtikel ,, Vererbung"). Wie die Begattung bei den Tieren sehr verschiedenartige Verhältnisse aufweist, so ist dies auch hinsichtlich der P^iablage der 1 Fall Viele niedere aber auch höherstehende Tiere, wie die Fische, entlassen ihre Eier in das umgebende Wasser oder legen sie an irgendwelchen Oertlichkeiten am Lande ab. ohne sich weiter um ihrSchicksal zu kümmern. Andere bringen die Eier an Oertlichkeiten, wo sie gut geschützt sind oder die ausschlüpfen - i den Jungen Nahrung in genügender Menge finden, umgeben sie wohl auch mit allen [ möglichen schützenden Vorrichtungen, üben also eine mehr oder weniger weitgehende Brutpflege aus, welche im ganzen weit t mehr vom Weibchen als vom Männchen ! übernommen wird. Allerdings kann auch I dieses sich unter Umständen in ziemlich weit- gehendem Maße dabei beteiligen, es sei nur [ an das andauernde Brüten mancher Vogel- i männchen oder an die Ausbildung von um- fangreichen, dicht mit Eiern erfüllten Brut- ' taschen am Bauch der Seepferdchen oder Seenadeln erinnert , welche die Männchen dieser Fische geradezu wie trächtig erscheinen lassen. — Die bei weitem größere Mehrzahl der Tiere ist ovipar, bei manchen durchlaufen die Eier allerdings schon im Innern des mütterlichen Körpers einen beträchtlichen Teil der Entwickelung, so daß die bereits weit ausgebildeten Embryonen alsbald nach der Eiablage die Eihüllen sprengen und frei werden, in welchen Fällen man von i Ovoviviparität spricht. Vivipare Tiere 1 finden sich in allen, auch den niedersten Ab- i teilungen des Tierreichs, z. B. bei den Schwäm- ' men, bei diesen sogar sehr verbreitet, ferner bei Coelenteraten und Würmern, und auch bei solchen Tieren, welche sonst ihre Eier ziemhch unbekümmert ablegen, wie bei den Echino- dermen oder manchen Mollusken. Für die I Entwickelung der Eier innerhalb des Mutter- i tiers werden die verschiedenartigsten Ein- j richtungen getroffen, Bruträume an sehr verschiedenen Stellen des Körpers, besonders auch im Leitungsapparat, geschaffen. Davon wie von der Träclitigkeit der Tiere und den hier nur kurz angedeuteten Erscheinungen ■ der Brutpflege ist in den Artikeln über ,, Brutpflege" und ,,(iesclilechtsorgane" eingehender die Rede. 3. Parthenogenesis (Jungfernzeugung). Fortpflanzung durch unbefruchtete Ei- I Zellen. Damit sich die Eier entwickeln können, müssen sie befruchtet werden, d. h.nachAblauf der Reifungsteilungen und Eintritt des Spermatozoons in das Ei erfolgt die Vereinigung des männlichen mit dem weiblichen Kern, also der wesentlichste Teil des Be- 'fruchtungsprozesses, sowie die weiteren damit im Zusammenhang stehenden Vorgänge (vgl. den Artikel „Befruchtung"). Tritt die Befruchtung aus irgendeinem Grunde nicht ein, so unterbleibt die Entwicklung und die Eier gehen inner- oder außerhalb Fortpflanzung der Tiere 325 des Leitungsapparates nach längerer oder kürzerer Zeit zugrunde. Von dieser Regel machen nun die Eier einer Anzahl von Tiert'ornien eine Ausnahme, indem sie sich auch ohne Hinzutreten von Spermatozoen, also ohne Befruchtung, zu entwickeln ver- mögen, und diese Fähigkeit sogar zu einer ständigen Einrichtung geworden ist, die man als Parthenogenesis oder Jungfern- zeugung bezeichnet. Es fiel auf, daß bei gewissen Tieren immer mir Weibchen auf- traten und Männchen entweder überhaupt nicht oder nur zu bestimmten Zeiten zu finden waren. Das veranlaßte schon Bonnet (17G2), der Blattlausweibchen durch eine große Reihe von (ienerationen isoliert züch- ten konnte, die Möglichkeit der Entwickelung ohne Mitwirkung männlicher Tiere anzu- nehmen; sie wurde dann durch die späteren Untersuchungen von R. Leuckart, Th. V. Siebold u. a. einwandfrei festgestellt. Dies geschah hauptsächlich bei den Insekten, unter denen außer den Blatt- und Rinden- läusen die Bienen und Wespen, Blatt-, Gall- und Schlupfwespen, sowie einige Schmetter- linge Parthenogenesis aufweisen, wie sie aucA unter den niederen Krebsen eine ziemliche Verbreitung besitzt und bei Branchipoden, Cladoceren, wie bei den Ostracoden gefunden wird. Ueberhaupt ist besonders das Arthro- podenreich durch das Vorkommen dieser eigenartigen Fortpflanzungsweise ausgezeich- net, die aber auch anderen Tierformen, besonders den Würmern (einzelnen Anneliden, den Trematoden und Rädertieren) zukommt. Bei den genannten Tieren handelt es sich um Parthenogenesis als eine natürhche Er- scheinung, doch hat man in neuerer Zeit auch die Eier anderer Tiere (Stachelhäuter, Annehden, Seidenspinner, Weichtiere, Fische und iVmphibien) auf ex])erimentelleni Wege durch Anwendung mechanischer oder che- mischer Reizmittel zur Entwickelung ohne Befruchtung veranlassen können (künst- liche Parthenogenesis, vgl. den Artikel „Befruchtung"). Das letztere Verhalten zeigt, wie die Befruchtung gelegentlich auch bei solchen Eiern ausgeschaltet werden kann, denen sie normalerweise nötig ist. Bei manchen Echinodermen und Würmern wurde ebenso wie bei einigen Insekten (Käfern und Schmetterlingen) die Beobach- tung gemacht, daß ihre Eier auch dann, wenn die Befruchtung ausbleibt, einen Anlauf zur Embryonalentwickelung nehmen, diese auch ziemlich weit fortsetzen und sogar zu Ende führen können. Einige Spinner, wie der Seiden- und Schwammspinner, sind gute Beispiele für diese gelegentliche Partheno- genese, indem aus ihren unbefruchteten Eiern Räupchen gezogen werden können und es überdies gelang, auf künstlichem Wege, d. h. durch Anwendung mechanischer oder chemischer Reizmittel, den Prozentsatz der unbefruchtet zur Entwickelung kommen- den PJier zu erhöhen. Es scheint, daß bei solchen Eiern die Reifungsteilungen in einer vom gewöhnlichen Verlauf abweichenden Weise sich vollziehen und der zweite Rich- tungskörper vom Ei einbehalten wird; über- haupt kann die Bildung des zweiten Richtungs- körpers bei den parthenogenetischen Eiern mancher Tiere (Blattläuse, (lallmücken, Daphniden, Muschelkrebse) unterbleiben, bei anderen allerdings kann sie stattfinden, wie das Beispiel der Hymenopteren (Ameisen, Gallwespen, Bienen) zeigt. Bezüglich der bei der Parthenogenese in der Zelle sich abspielenden, hier nicht näher zu verfolgenden Vorgänge ist es überhaupt von Interesse, daß der eine (weibliche) Kern für die Einleitung und den Vollzug der weiteren Teilungsprozesse genügt, während sonst beide Kerne (der weibliche und männ- liche Vorkern) dazu notwendig sind, und zumal die sozusagen als ,,Teilungsnrgane" wichtigen Centrosomen sonst erst mit dem letzteren in das Ei hinein gebracht werden. Ein ähnliches Verhalten zeigt die (hinsichtlich des Kerns, wenn auch nicht korrekt, als ,, männliche Parthenogenese" bezeichnete) jetzt gewöhnlich mit deniNamen Merogonie belegte Erscheinung, bei welcher vom Ei abgetrennte, kernlose Teilstücke durch Ein- führung eines Spermatozoons zur Entwicke- lung gebracht w^erden können. Wie bei der echten Parthenogenese der weibliche oder Eikern, so ist es hier der männliche oder Spermakern, welcher die Rolle des (sonst durch Verschmelzung zweier Kerne ent- standenen) Befruchtungs- oder Furchungs- kernes übernimmt. Für das gelegentliche Auftreten partheno- genetischer Fortpflanzung haben die Hymeno- pteren und vor allem die Honigbiene seit jeher ein besonderes Interesse beansprucht. Während bei den vorher erwähnten Tieren aus den unbefruchtet sich entwickelnden Eiern Weibchen entstehen, die auf dem- selben Wege wieder w'eibliche Tiere hervor- bringen, so daß eine ganze Reihe von Gene- rationen aufeinander folgen kann, wie es bei den Blattläusen, Gallwespen, Cladoceren, Ostracoden und Rädertieren geschieht, liegen bei einigen und zumal den staatenbildenden Hautflüglern die Verhältnisse insofern anders, als aus ihren unbefruchteten Eiern männliche Tiere hervorgehen. Die nur einmal, beim Hochzeitsflug begattete Bienenkönigin er- zeugt aus ihren befruchteten Eiern Weib- chen (Arbeiterinnen und Königinnen), aus den unbefruchteten Eiern hingegen Männchen (Drohnen), ebenso wie aus den Eiern nichtbegatteter Königinnen und aus denjenigen der zur Ausführung der Copu- lation unfähigen aber zuweilen eierlegenden 326 Fortpflanzimg- der Tiere Arbeiterinnen nur Männchen entstehen. Aehnlich verhalten sich andere einzellebende oder staatenbildende lrIynieno])teren, während bei anderen Hautfliigrern (Blatt-, Gall- und Schlupfwespen), wie erwähnt, aus unbefruch- teten Eiern auch Weibchen sich entwickeln. Die dabei wirkenden Ursachen können hier nicht näher untersucht werden, wie über- haupt bezüghch dieser sehr eigenartigen Verhältnisse auf den Artikel ,,Geschlechts- bestimmung" verwiesen sei. Wie schon im Artikel ,,Ei und Eibildung" ausgeführt wurde, können die unbefruchtet zur Entwickelung gelangenden Eier vor den befruchtungsbedürftigen durch geringeren Umfang und Dottergehalt, wie auch durch dünnere Hüllen unterschieden sein. Begreif- licherweise ist dies dort der Fall, wo die Parthenogenese wie bei Cladoceren und Rota- torien zu einer ständigen, für das Leben der Art unentbehrlichen Einrichtung geworden ist. Letzteres gilt übrigens in noch höherem Maße für diejenigen Tierformen, bei denen die aufeinander folgenden Generationen eine mehr oder weniger abweichende Kiiri)orgestalt annehmen, worauf im folgenden Abschnitt einzugehen sein wird. Abgesehen von weiter- gehenden Veränderungen der Körperform kann es sich dabei um ein Zurückbleiben in der Entwickelung, also um ein Verharren auf dem Jugendzustand handeln. Wenn sich Larven oder Puppen auf parthenogenetischeni Wege fortpflanzen, wie es bei Gallmücken (Cecidomyiden speziell Miastor) und Chironomus geschehen kann, spricht man von einer Pädogenesis (Leuckart, v. Grimm, Kahle, W. Müller), welche Form der Fortpflanzung anscheinend in der Heterogonie der Trematoden eine besonders weitgehende Ausbildung erlangt. 4. Generationswechsel. Wie bei den Protozoen können auch bei den Metazoen verschiedene Formen der Fortpflanzung bei ein und demselben Tier oder innerhalb derselben Tierart auftreten. Bei Hydroid- polypen und den limicolen Oligochäten, i aber auch bei Anthozoen, Bryozoen und Tunicaten sehen wir, wie das " gleiche In- dividuum sich auf ungeschlechtlichem Wege (durch Teilung oder Knospung), aber auch gleichzeitig geschlechtlich (durch Eier und Spermatozoon) fortpflanzen kann, wofür der Süßwasserpolyp ein gutes Beispiel liefert (Fig. 34). Vielfach (bei manchen Anneliden z. B.) ist es so, daß die betreffenden In- dividuen sich zuerst ungeschlechtlich ver- mehren, um dann zur geschlechtlichen Fort- pflanzung überzugehen. Häufig aber verteilt sich die amphi- und monogenetische Fort- pflanzung auf verschiedene Individuen und Generationen, in welchem Fall dann ein Generationswechsel zustande kommt. In- folge der vorher bes])rochenen verschiedenen Formen der vegetativen und cytogenen Fortpflanzung kann dieser recht verschieden- artig knnd)iniert sein. In der Hauptsache pflegt man einen progressiven (echten) Fig. 34. Längsschnitt einer in Iviiospung und geschlechtlicher Fortpflanzung betindlichen Hydra; fp Fußplatte, kn Knospe, m Miind- üffmiiig, ov Ovaririni, t Hoden, tc Tentakel. Generationswechsel als Metagenesis von derH et er ogo nie oder dem regressiven Generationswechsel zu unterscheiden. Im ersteren Fall handelt es sich um einen Wechsel von monogenetischer und amphigenetischer Fortpflanzung, im letzteren Fall jedoch nm einen solchen zwischen zwei Formen der Amphigonie, besonders um die Abwechslung rein geschlechtlicher und parthenogenetischer Generationen, also teilweise um einen Rück- bildungsvorgang, d. h. den Ausfall der Be- fruchtung bei den parthenogenetischen Gene- rationen. Bei der Metagenesis sowohl wie bei der Heterogonie können die Individuen der in verschiedener Weise sich fortpflan- zenden Generationen auch in ihrer Gestalt und gesamten Organisation mehr oder weniger beeinflußt werden, wodurch der Unterschied der Generationen auch äußerlich noch mehr hervortritt. Derartiger partheno- Fortpflanzung der Tiere 327 genetischer oder monogenetisclier Genera- tionen können mehrere aufeinander folgen, bis sie wieder durch eine aus männlichen und weibhchen Tieren bestehende Geschlechts- generation unterbrochen werden; es bildet sich also ein ganzer Gener ationszyklus (zyklische Fortpflanzung) heraus. 4a) Metagenesis. Metagenesis findet sich bei einer ganzen x\nzahl von Tierformen (Coelenteraten, Würmer, Bryozoen und Tuni- caten), am ausgeprägtesten jedoch bei der ers- ten und letzten der genannten Gruppen. Das geeignetste Beispiel zu seiner Erläuterung bleibt dasjenige der Hydroidpolypen, insofern bei ihnen, durch die große gestalthche Diffe- renz eine besonders scharfe Scheidung der Generationen gegeben ist. Daß diese Tiere sich durch Knospung vermehren (Fig. 23) und Stöcke bilden, wurde schon früher mit- geteilt. Doch sind es nicht nur dem Ausgangs- individuum gleich gestaltete Tiere, welche am Stock entstehen, sondern auch solche von recht abweichender Organisation, die sogenannten Medusen, welche die Fähigkeit haben, sich vom Stock abzu- lösen und ein freies Leben zu führen (Fig. 35). Die Medusen sind die Geschlechts- Fig. 85. Hydroidenstuckchen (Boiigainvillea); von der Hydrorhiza (hr) ausgehend Hydranthen (h) und Hydrocanhis (he), an diesem außer den Hydranthen (h Polypen) Medusenknospen (mk) und eine junge frei gewordene Meduse (m). Nach Allmann. Ans Längs vergleichender Anatomie. tiere, erzeugen also Eier und Spermatozoen ; ihren Nachkommen vermögen sie infolge ihres freien Lebens eine bessere Verbreitung zu schaffen. Aus den Eiern der Medusen gehen wimpernde (Planula-)Larven hervor, die sich festsetzen und zu jungen Polypen werden. Dieser bildet durch Knospung das Stöckchen, an welchem nun fortgesetzt Polypen- und Medusenknospen entstehen. Man hat es also mit einem Wechsel von monogenetischen und einer amphigenetischen Generation, also mit einem echten Genera- tionswechsel zu tun, bezüglich dessen nur die Frage nach seiner Entstehung zu beant- worten wäre. Es ist wahrscheinhch, daß sie dem Bedürfnis nach einer besseren Ver- breitung der Geschlechtsprodukte und der MögHchkeit entsprang, daß einzelne In- dividuen zur Ablösung vom Stock und damit zu einer freien, anfangs wohl nur kriechenden, später schwimmenden Lebensweise gelangen konnten. Für die letztere wurden sie beson- ders ausgestattet und nahmen schließlich die auf den ersten Bhck so abweichend er- scheinende Gestalt und Organisation der Meduse an (Fig. 35), welche sich jedoch auf diejenige der Polypen zurückführen läßt. Weit weniger ausgeprägt ist der Ge- nerationswechsel der ebenfalls stockbildenden Moostierchen; bei ihnen handelt es sich ebenfalls um Knospung, während bei dem Generationswechsel der Scyphomedusen und Ringelwürmer die sogenannte terminale Knos- pung, d. h. Teilung, den Ausgangspunkt bildet (vgl. die Artikel ,, Anneliden" und ,, Coelen- teraten"). Bei den Manteltieren kommt sowohl Knospung und Teilung für die Ent- stehung der ungeschlechtlichen und Ge- schlechtsgeneration in Betracht; so werden bei den Salpen durch eine Art terminaler Knospung (Teilung) Ketten von Individuen gebildet, welche Grenitalorgane besitzen und junge Tiere hervorbringen, die sich ihrerseits wieder auf ungeschlechtlichem Wege ver mehren und an ihrem Stolo prolifer die Salpenkette hervorbringen. Bei diesen Tieren wurde übrigens der Generations- wechsel von A. V. Chamisso (1819) ent- deckt, in seiner allgemeinen Bedeutung aber wurde er erst von Steenstrup (1842) er- kannt und im entsprechenden Sinne auf andere Tierformen übertragen. Wie mit der Teilung und Ivnospung im all- gemeinen, so sind im besonderen mit dem Gene- rationswechsel Erscheinungen einer mehr oder weniger weitgehenden Differenzierung der ein- zelnen Individuen verbunden und zwar gilt dies sowohl fm die Metagenesis wie für die Heterogonie. Von diesen hauptsächlich auf dem Prinzip der Arbeitsteilung beruhenden Erscheinungen ist in den Artikeln ,, Polymorphismus", ~Tier- staaten" und ,, Tierstöcke" näher die Rede. 4b) Heterogonie. Der Begriff der Heterogonie ist ziemlich weit gefaßt worden; 328 Fortpflanzimg der Tiere in der Hauptsache verstellt man darunter den Wechsel rein geschlechtlicher (aus Männ- chen und Weibchen bezw. Hermaphroditen bestehender) und parthenogenesierender Ge- nerationen. Vielleicht wäre es erwünscht, den Begriff auf diese Art des Abwechseins der Generationen zu beschränken, doch hat man ihn insofern erweitert, als man ihm auch diejenigen Erscheinungen unterordnete, bei welchen Generationen aufeinanderfolgen, die zwar eine etwas differente Fortpflanzungs- weise (hermaphroditische und getrennt ge- 1 schlechtliche) aufweisen, bei denen jedoch keine Parthenogenese vorkommt. Schließlich rechnete man auch die Fälle zur Heterogonie, bei denen nur noch mehr oder weniger verschieden gestaltete Generationen auf- einanderfolgen, ohne daß überhaupt noch von einer differenten Fortpflanzung die Rede ist, z. B. die Erscheinung des Saison- dimorphismus. Von dieser weiteren Fassung der Heterogonie ist in den Artikeln „De- scendenztlieorie", „Dimorphismus" und „Polymorphismus" die Rede, auf welche derhalb verwiesen sei. Die in den Entwicklungskreis derselben Tierart gehörigen rein geschlechtlichen und parthenogenetischen Generationen brauchen, abgesehen von den Geschlechtsunterschieden, nur geringe Verschiedenheiten in Gestalt und Organisation zu zeigen. So sind die partheno- genesierenden Weibchen der Rädertiere und Wasserflöhe (Daphniden) von den befruch- tungsbedürftigen nicht erheblich unter- schieden. Gewöhnlich, wie z. B. bei den Weibchen der parthenogenetischen Gene- rationen mancher Insekten, stellen sich kleinere oder beträchtlichere Veränderungen am Genitalapparat ein, welche vor allem in Vereinfachungen im Hinblick auf das Ausfallen der Begattung bestehen. So besitzen die nur gelegentlich eierlegenden Arbeiterinnen der Bienen bei geringerer Entwickolung der Eierstöcke einen bedeutend verciiüachton Leitungsapparat, welcher das Einfüliren des Penis gar nicht melir ge- stattet, so daß die parthenogenetische Ent- wickelung ihrer Eier schon dadurch bedingt ist. Bei anderen, wie den Jungfern- weibchen der Blattläuse fällt die sonst nach der Begattung das Sperma aufnehmende Samentasche weg usw. Daß solche Unter- schiede nicht immer vorhanden zu sein brauchen, ergibt sich aus der schon bei Besprechung der Parthenogenese erwähnten Tatsache, wonach ein und dieselben Weib- chen normalerweise oder beim Ausbleiben der Begattung parthenogenetisch sich ent- wickelnde Eier hervorbringen können. In anderen Fällen bilden sich außer den Unterschieden des Geschlechtsapparates auch solche der gesamten Organisation und be- sonders der äußeren Gestalt heraus. Von den vorerwähnten Bienenweibchen sei in dieser Beziehung abgesehen, da bei ihnen vor allen Dingen die Verwendung zu einer beson- deren Verrichtung (als Arbeiterinnen im Stock, zum Sammeln der Nahrung, sowie des Ar- beitsniatorials, für die Brutpflege usw.) in Betracht kommt, wie es in ähnlicher Weise für die Ameisen, Termiten u. a. gilt. Da- gegen finden sieh auch unter den Haut- flüglern solche, bpi denen die Differenzen der Organisation und äußeren Gestalt, be- sonders durch die Verschiedenheit der Fort- pflanzung bedingt sind, wozu dann allerdings noch eine recht verschiedenartige Lebens- weise hinzukommen kann. Bekannte Bei- spiele hierfür bieten die Gallwespen und unter den übrigen Insekten besonders die Blattläuse. Die Gallwespen sind dadurch sehr be- merkenswert, daß ihre aufeinander folgenden parthenogenetischen und rein geschlechtlichen Generationen äußerlich nicht stark verschieden zu sein brauchen, es aber doch sein können. So sind bei einer im Mai und Juni fliegenden Gallwespe, Spathegaster Taschenbergi, Männchen und Weibchen ebenso geflügelt wie die im Januarund März auftretenden partheno- genetischen Weibchen (als Dryophanta scutellaris bezeichnet). Der Stich der ersteren bringt die bekannten gelbrot ge- färbten Galläpfel an der Unterseite der Eichenblätter, derjenige der letzteren die kleineren Gallen an den Adventivknospen der Eichen hervor, da die Blätter zu dieser Zeit noch nicht vorhanden sind. Die darin abgelegten Eier liefern die Spat heg aster Taschenbergi, die in den großen Blatt - gallen enthaltenen Eier dagegen die Dryophanta scutellaris-Generation. — Bei einer anderen Gallwespe, Tri- gonaspis crustalis besteht die Sommer- generation (Juni) ebenfalls aus geflügelten Männchen und Weibchen (Fig. 36 B u. C), : welche die kleinen nierenförmigen reihen- weise angeordneten Gallen an den Eichen- Fig. 36. A Wintergeneration (Biorhiza renum), B und C Sommergeneration, Männchen und Weibchen. Trigonaspis crustalis. Nach H. Adler. Aus Weismanns Deszendenztheorie. Fortpflanzung- der Tiere 329 blättern hervorrufen (Fig. 37 B), während die parthenogenetischen Weibchen der Wintergeneration (Dezember, Januar; als Biorhiza renum bezeichnet, Fig. 36 A), die Winterknospen anstechen, um ihre Eier in sie hineinzubringen (Fig. 37 A); Fig. 37. A die von Biorhiza renum (im Winter) hervorgerufene, B die von Trigonas- pis crustalis (im Sommer) erzeugte Galle. i\ach H. Adler. Aus Weismanns Deszendenz- theorie. diese mehrkammerigen Gallen sind erbsen- bis kirschengroß. Die parthenogenetischen Weibchen sind im Gegensatz zu den anderen flügellos und von sehr plumper Gestalt (Fig. 36 A). Hier hat also die verschieden- artige Fortpflanzung in Verbindung mit der abweichenden Lebensweise stark verändernd auf die ganze Form und wie wir hinzufügen können, auch auf die innere Organisation ein- gewirkt ; letzteres gibt sich besonders auch an den Apparaten zum Anstechen der zum Her- vorrufen der Gallen geeignet gefundenen Pflanzenteile zu erkennen. Entsprechend der verschiedenen Struktur der Blätter und Knospen zeigen auch die Legestachel der betreffenden Gallwespen-Weibchen ziemliche Abweichungen im Bau, zumal auch im Hin- blick auf ihre Lage und der Stärke ihrer ganzen Ausbildung. Noch weiter gehende Verschiedenheiten finden sich bei den Blattläusen, bei denen ebenfalls infolge der Heterogonie und der damit verbundenen verschiedenartigen Lebensweise der einzelnen Generatioiien Flügellosigkeit und eine ziemlich bedeutende Umgestaltung des Körpers stattfindet. Zur Erläuterung dafür sei das bekannte Beispiel der Reblaus (Phylloxera vastatrix) ge- w^ählt. Diese war von Haus aus wie andere Verwandte ein mit vier Flügeln versehenes Insekt, welches am Weinstock lebte und sich von dem mit Hilfe seines Rüssels den Blättern entnommenen Saft nährte (Fig. 38 D). Wie andere Pflanzeiiläuse findet die Reblaus an ihrer Futterpflanze sehr günstige Er- nährungsbedingungen und diesem Umstand dürfte es hauptsächlich zuzuschreiben sein, daß bei ihr eine große Anzahl Generationen rasch aufeinander folgt, deren Individuen zahlreiche Eier hervorbringen und sich in ihrer Gestalt beträchtlich voneinander unter- scheiden. Aus den an der Rinde des Wein- stocks abgelegten, überwinternden Dauer- eiern (Fig. 38 A) geht im Frühjahr eine Generation flügelloser Weibchen (sogenannter Ammen, Fig. 38 B) hervor, die ebenso Fig. 38. Fortpflanzungszyklus der Reblaus (Phylloxera vastatrix), Erklärung im Text. Aus Weismanns Vorträgen über Deszendenztheorie. 330 Fortpflanzimg der Tiere wie die auf sie folgenden Generationen parthenogenetisieren und sich vom Saft oberirdischer Teile des Weinstocks ernähren. Weitere parthenogenetische, ebenfalls flügel- lose, aber in der Gestalt und Organisation etwas modifizierte Generationen leben unter- irdisch und bringen an den Wurzeln des Weinstocks die bekannten knolligen An- schwellungen hervor. Gegen Ende des Sommers entwickelt sich aus den Eiern dieser Weibchen geflügelte Weibchen (Fig. 38 C bis D), welche für die Verbreitung auf andere Stöcke zu sorgen haben und wieder auf parthenogenetischem Wege (als soge- nannte Sexupare) größere und kleinere Eier an die Unterseite der Blätter ablegen. Aus diesen entstehen dann die sehr kleinen, in Größe etwas differenten Weibchen und Männchen (Fig. 38 E, F), welche beide flügellos sind, des Stechrüssels entbehren und einen verkümmerten Darm haben, so daß ihnen nur ein kurzes Leben beschieden ist. Sie begatten sich alsbald und die Weib- chen legen ein einziges Ei (Fig. 38 A) unter die Rindenschuppen des Weinstockes ab; das überwinternde Ei, von welchem vorher ausgegangen wurde. Im Fall der Blattläuse ist die Verände- rung der Körperorganisation in den einzelnen Generationen eine recht weitgehende, doch kann sie eine noch beträchtlichere werden, wenn ein Vergleich in dieser Beziehung zwischen ganz verschiedenartigen Tierformen überhaupt gestattet ist. Wir denken dabei an den sehr komplizierten Entwickeln ngs- zyklus der Trematoden, bei welchen die einzelnen Generationen unter Mitwirkung der parasitischen Lebensweise eine so starke Abänderung erfahren, daß sie nur noch schwierig untereinander vergleichbar sind (vgl. den Artikel ,, Polymorphismus", Fig. 7). Li ihren Keimschläuchen (Sporocysten und Redien), den ,, Ammen" der neuen Generationen, erfolgt deren Bildung aus Zellengruppen der Wand (Keimballen) auf eine recht eigenartige Weise, so daß man lange zweifelhaft war, ol) man es nicht mit einer inneren Knospung zu tun habe. Ln letzteren Falle wäre diese Fortpflanzungsart nicht der Heterogonie, sondern der Metagenesis zuzurechnen, jedoch ließen neuere Unter- suchungen mit steigender Bestimmtheit er- kennen, daß jene Keimballen von Einzelzellen herrührten und diese gewiß als partheno- genetische Eier anzusehen seien (Reuß, Roßbach, Gary). Diese Annahme wurde durch die Feststellung von Reifungsteilungen an den durch Teilung (Furchung) die Keim- balleii liefernden Zellen zu größerer Sicherheit erhoben (Gary). Die Fortpflanzung erscheint somit als Pädogenesis, wenn man an- nimmt, daß die Lidividuen der nicht ge- schlechtlichen Generationen auf einer niederen Entwickelungsstufe zur Fortpflanzung ge- langten und in Anpassung an ihre parasi- tische Lebensweise eine von der Ausbildung der Geschlechtstiere so abweichende Organi- sation annahmen, wie wir sie von den Redien und Sporocysten kennen (vgl. den iVrtikel ,, Polymorphismus", Fig. 7). Die Keimballen der Trematoden erinnern sehr an die Keünmasse in den Gemmulis der Schwämme und in den Statoblasten der Bryozoen, von denen die letzteren sicher, die ersteren möglicherweise, auf eine verhältnismäßig geringe Anzahl von Zellen zurückzuführen sind. Die Vermutung, daß man es auch bei ihnen in letzter Instanz mit einer Entwicklung parthenogene- tischer Eier zu tun habe, uairde verschiedentlich ausgesprochen, konnte jedoch bis jetzt nicht erwiesen werden. Wie erwähnt, geschah dies lange Zeit auch im die Keimballen der Trema- toden und konnte durch die neueren Befunde zu einer gewissen Sicherheit erhoben werden. Die zur Erläuterung der Heterogonie beigebrachten Beispiele erscheinen insofern von besonderem Interesse, als sie zeigen, wie mit der Einführung der Parthenogenese die Produktion von Nachkommen erheblich [ gesteigert wird. Unter dem Einfluß besonders [günstiger Ernährungsbedingungen folgen bei [ den Cladoceren, Rädertieren, Blattläusen und Distomeen die parthenogenetischen Gene- rationen sehr rasch aufeinander und produ- zieren eine große Menge von Eiern bezw. Jungen. Stets aber folgt auf eine größere oder geringere Anzahl von parthenogene- tischen Generationen wieder eine Geschlechts- generation, wie dies in ganz entsprechender Weise auch für die Monogonie gilt. Bei ihr dient die ungf^sclilechtliche Fortpflanzung ähnlich wie bei der Heterogonie einer besseren Ausnutzung der gegebenen Lebensverhält- nisse; dies tritt zumal bei den stockbildenden Tieren (Hydroidpolypen, Korallen, Moos- tierchen) deutlich hervor. Hier kann sich die ungeschlechtliche Vermehrung lange Zeit fortsetzen, um zur Ausgestaltung der zuweilen höchst individuenreichen Stöcke zu führen, aber auch bei freilebenden Tieren, wie z. B. den Ringel Würmern (Ghaetogaster) können zahlreiche, bis zu 45 monogenetische Gene- rationen aufeinanderfolgen; so steigert sich bei den Blattläusen die Zahl der partheno- genetischen Generationen bis auf zehn und mehr. Noch höher wird sie gewiß bei solchen Tieren, bei denen man, wne bei gewissen Muschelkrebsen (Gypris reptans) durch lange Zeiträume ausschließlich partheno- genetische Weibchen findet. Abgesehen von einigen Ausnahmen, welche sich aber schließlich gewiß noch in die allgemein geltende Regel einfügen werden, kehrt die Spezies, ob es sich nun um ein mehr- zelliges oder um ein mit Amphigonie begabtes einzelliges Tier handelt, nach einer Reihe von ungeschlechtlichen Generationen wieder Fortpllanzung der Tiere 331 zur geschleclitlichen Fortpflanzung zurück. Die bei ihr in der Befruclitung durch Plasma und Kernverschmelzung erfolgende Vermi- schung der Eigenschaften zweier Individuen (Amphrmixis), möge sie nun eine Auf- frischung, Verjüngung oder was sonst be- deuten, ist jedenfalls von größter ^Bedeutung für die Erhaltung der i\i-t, sonst würde ihr nicht eine so weite Verbreitung bei den allermeisten Tierformen (Metazoen und auch Protozoen) zukommen. Literatur. H. Adler, Generationsivediscl der Gallwespen. Zeitschr. f. it'iss. Zool. Bd. 35, 1S81. — F. Braeni, Zur Entwickehmysgenchichte von Op hryotrocha puerills. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. 57, 1S9S. — Derselbe, lieber die Knospung mehrschichtiger Tiere usw. Biol. Centralbl. Bd. 14, 1S94. — Derselbe, Die Knospung der Margeliden, ein Bindeglied zwischen geschlechtlicher und ungeschlechtlicher Fort- pflamvvg. Ebenda. Bd. 28, 1908. — O. Bütschli, Protozoen in Bronns Klassen und Ordnimgen des Tierreichs. Leipzig 1S80 bis 18S7. — G. N. 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Pithecanthropus und neandertaloider Formen- kreis, a) Anatomie, b) Zoologische Stellung. 2. Die Sapiensformen. 3. Zeitliches und gene- tisches Verhältnis der einzelnen Formen. 4. An- hang: Die amerikanischen Funde. A. Begriff und Bedeutung der fossilen Hominiden. Als „Hominiden" kann man innerhalb der Primaten die heute lebende Kol]ektivs])ecies Homo und alle die fossilen Formen zusammen- fassen, die zu jener in nächster genealogischer oder morphologischer Beziehung stehen. Der Begriff Hominiden ist also kein streng systematischer wie die Species- oder Geniis- etc. Begriffe, sondern empfiehlt sich aus praktischen Gründen als Sammelbegriff für uns besonders interessierende Formen. Er umfaßt also mit dem heutigen Menschen in all seinen sich näher oder ferner stehenden Varianten einmal deren unmittelbare und nächste fossile Vorfahrenstufen, schließt aber weiter zurückliegende aus ; also würden Formen, die auf der Organisations- stufe von Halbaffen oder Affen, auch Anthro- poiden (natürlich mutatis mutandis) stehen, nicht mehr mit hereingehören. Avohl aber Formen, die etwa zwisclien ty])ischen Affen und Mensch (morphologisch) stünden, auch mehrere nacheinander folgende Stufen. Aber andererseits müßte man Formen, die kurz gesagt zum heutigen Menschen im Vettern- oder Onkelverhältnis stünden, wenn seit der Trennung ihrer und der mensch- lichen Entwickelungsbahn beide Formen sich nur relativ wenig verändert haben, mit hereinzählen zu den Hominiden, auch sie stehen uns genealogisch und morphologisch recht nahe. Im Einzelfall wird sich ja auch eine Entscheidung über das wirkliche genea- logische Verhältnis sehr oft gar nicht fällen lassen und nur die morphologische Aehnlich- keit muß uns leiten. Daß dadurch der Be- griff etwas Unsicheres bekommt, daß man die Hominidengruppe weiter und enger fassen kann, schadet nichts, man muß das in Kauf nehmen. Es muß jedem systemati- schen Einteilungsversuch, der fossile Formen mit umfaßt, diese Unsicherheit anhaften. Eine Grenze des Begriffes Mensch kann es zeitlich, nach abwärts — die allmähliche, durch Variation-Selektion oder Mutation bewirkte Entstehung hier als selbstverständ- lich vorausgesetzt — überhaupt nicht geben. Die spezifisch menschlichen Merkmale sind I unter keiiu'u LTmständen alle auf einmal I dagewesen, sondern einzeln entstanden. Wie- viele Merknuile man nun als vorhanden ver- I langen will, um die Form ,, Mensch" zu I nennen, oder aber erst ,,Uebergangsform", oder ,, Vormensch" oder ,, Urmensch" usw. ist lediglich Willkür. Manche Form dürfte einige solche Merkmale erlangt haben, dann stehen geblieben und ausgestorben sein, oder nach anderer ,, tierischer" Kichtung sich weiter entwickelt und damit jene fast I menschlichen Merkmale wieder verdeckt, ! abgeändert oder verloren haben. Wie weit man da mit der Benennung Homines, ja Hominidae geht, ist ganz dem einzelnen überlassen. Morphologisch uns nahestehende Formen müssen wir also als Hominiden zusammenfassen; mit der Zurechnung einer Form dazu ist also noch nicht gesagt, daß sie in unsere direkte xAhnenbahn gehören muß, sondern nur es j tun kann oder aber dieser Bahn und unserem I heutigen Standpunkt auf ihr nahesteht. ' Aus all dem ergibt sich ferner, daß eine ! Einteilung der Hominiden in Genera, Species usw. keine wirklich systematische sein kann. Die gegenseitige Stellung der tatsächlich ' gefundenen Formen kann nicht nur, sondern muß stets strittig sein, da wir aus der direkten und aus unbekannt vielen seitlichen Ent- wickelungsbahnen nur ganz zufällig aus der verschiedensten phyletischen Ent^vickelungs- zeit ausgewählte unvollständige Einzelfunde \ haben. Es handelt sich bei den uns inter- essierenden Funden um wurzelnahe, noch nicht stark differenzierte Formen. Sie ■müssen Merkmale vereinen, die den später : stark different gewordenen rezenten Formen ' einzeln zukommen, die also sozusagen aus- geteilt, ungleich weitergeerbt worden sind; sie werden meistens auch Merkmale haben, die keine von den heutigen Formen ganz so noch besitzt. Man muß sich nicht wundern, daß urteilsfähigste Fachleute über die Frage, ob ein fossiler Schädelrest ein Vorfahr heutiger Affen, ein richtiger Affe oder ein Vorfahr heutiger Menschen oder ein richtiger I Mensch war, geradezu entgegengesetzte Mei- nungen haben; das kann gar nicht anders sein, diese Entscheidungen sind in einzelnen Fällen schlechterdings überhaupt nicht zu treffen, es sind wurzelnahe, generalisierte Formen, die zugleich zu allen lebenden und vielen fossilen Anthropoiden und Hominiden genealogische Beziehungen haben. In an- deren Fällen freilich hat nicht diese Natur Fossile Hoiuimden 333 der betreffenden Fossilien, sondern mangel- hafte Untersuchune; oder Vorurteil das schiefe Urteil hervorgerufen (s. Neandertalfund). Wenn man also eine Einteilung in Form systematischer Kategorien vornimmt, so kann damit nur eine kurze und übersichtliche Darstellung beabsichtigt sein, wie man sich einzelne Formen etwas näher, andere etwas voneinander ferner vorstellt; zugleich orien- tiert solche ,, Systematik" rasch über die vorhandenen Formen. Nur so sei das folgende Schema aufgefaßt. Die Benennung der Hominiden ist eine recht unübersichtliche. Schon die leben- den werden ganz verschieden benannt. Meist faßt man alle lebenden menschlichen und einige fossile Varianten als Homo sapiens zusammen und nimmt Unterarten, Varia- tionen usw. an. Sergi schlägt (vgl. den Artikel ,, Rassen und Rassenbildung" Bd. VIII S. 96) vor, den Namen Homo fallen zu lassen, die verschiedenen ,,Species" des heutigen Menschen, die er annimmt, mit neuen Namen zu bezeich- nen — ■ er wird keine Anhänger finden. Man wird mit dem Namen Homo sapiens (so unpraktisch er ist) rechnen müssen, als Bezeichnung für die Kollektivgruppe des heute lebenden Menschen und einiger fossiler Funde, die ihm sicher zugehören, deren Unterschiede gegen rezente geringer sind als die der einzelnen rezenten Varianten unter sich. Die neueste Einteilung und zugleich eine ausführliche Darstellung über das Wesen der „Kollektivspecies" Mensch gibt Giuffrida-Ruggeri (1913). — Die fossilen Formen wurden zum Teil je von ihrem Entdecker oder ersten Beschreiber benannt, und man darf wohl nach den allgemeinen Grundsätzen der Biologen diesen Namen nicht einfach absetzen und gegen einen neuen eintauschen, auch dann nicht, wenn er hätte geschickter gewählt sein können. So wenig wie Bos primigenius be- deuten soll, daß das das allererste Rind war, so wenig wird der Name Homo primigenius zu streichen sein, wenn man heute eine noch ältere Menschenform kennt. Nur dann sind (genau wie in Zoologie und Botanik) Namen, die neuen Funden beigelegt sind, zu tilgen, wenn die Benennung in der Meinung gegeben war, es handle sich um eine neue Form, während sich nahher ihre volle Zugehörigkeit zu einer schon bekannten und benannten ergibt. — All das ist dem Zoologen ganz selbstverständlich, in der Anthropologie aber leider noch nicht! Endlich sind in jüngster Zeit Einzelfunde fossiler Hominiden als solche benannt worden und zwar mit binären lateinischen Namen; wie Klaatsch (1909) sagt, entsprang es „lediglich dem Wunsche nach einem knappen Ausdruck zur Identifizierung des neuen Fundes". Er hat mit vollem Recht darauf hingewiesen, daß der Fundplatz den besten und sichersten Anhaltspunkt für die Be- nennung abgibt, (laß jede voreilige Terminus- bildiing zu vermeiden ist. x\ber die rein lateinische Bezeichnung mit Homo und einem dazu gefügten Adjektivwort wird immer zu Mißverständnis führen (was übri- gens Klaatsch selber zugibt, aber doch mit in Kauf nehmen will). Die Bezeichnung Homo mousteriensis Hauseri, Homo aurigna- censis erscheint dem Anthropologen und Zoologen unzulässig; gegen die französische Benennung l'homme de La Chapelle ist natürlich nichts einzuwenden, er bezeichnet genau das ,, Individuum", den Einzelfund. Eine Einteilung der fossilen Hominiden (im oben festgestellten Sinn) muß wohl folgende Formen umfassen: Hominidae: 1. Pithecanthropi Pithecanthropus erectus (nur fossil). 2. Homines. Homo heidelbergensis (nur fossil). Homo primigenius s. neandertalensis (nur fossil). Homo sapiens (fossil und rezent). Dazu ist zu bemerken, daß nach der oben gegebenen Definition selbstverständlich alle schon als ,, Anthropoiden" charakterisier- baren fossilen Primaten weggelassen wurden (also z. B. Dryopithecus usw.). Aber auch die sehr wahrscheinlich ebendahin gehörigen Zahnfunde, die sogenannten ,, men- schenähnlichen Zähne" aus den Bohnerzen der schwäbischen Alb sind nicht zu den Hominiden gezählt; sie dürften die den Hominiden nächsten Primatenreste dar- stellen, die wir kennen (s. Branco, Jahr- buch des Vereins für vaterländische Natur- kunde von Württemberg, 54, 1898). End- lich ist Homo sapiens auch schon zu den fossilen Hominiden gerechnet, weil Funde fossil (diluvial) vorkommen, die wohl un- streitig zu seinem engsten Formenkreis gehören. — Irrtümlich als besondere Homi- nidenformen gedeutete und benannte, aber dann als einfache Sapiensformen erwiesene Funde sind hier nicht aufgeführt, wohl aber unten erörtert. SchlieUlich soll noch auf die außer- ordentliche theoretische Bedeutung der fossi- len Hominiden hingewiesen werden. Mehr und genauer als alle Folgerungen, die wir aus der vergleichenden Anatomie der lebenden Formen ziehen können, lehren uns vom Bau der Vorfahren des ^Menschen — wenigstens über das Skelett — die erlialtenen Fossilien. Wenn uns unendlich viele Erfahrungen der Anatomie, Embryologie, vergleichenden Anatomie, Tier- paläontologie usw. untrüglich beweisen, daß der Mensch von primatoiden Vorfahren aus allmählich geworden ist — vgl. den Artikel 334 Fossile Hominiden „Anthropogenese", Bd. I, S. 372 — so können, uns nur die fossilen Hominiden zeigen, wo, wann, wie schnell und über welche Etappen diese Menschwerdung statt- fand. Die gewaltige Zunahme von Funden fossiler Hominidenreste in den letzten Jahren haben unser Wissen über all diese Dinge ganz bedeutend erweitert, allerdings auch eine Menge neuer Probleme und neuer ungelöster Fragen aufgeworfen. Wir dürfen mit Sicher- heit neue Funde im Laufe der kommenden Jahre erwarten (ihre Zahl nahm, wie die Fundjahre unten zeigen, einfach erstaunlich zu), sie werden sicher auch viele Fragen definitiv lösen. Noch ganz ohne hominide Fossilfunde ist Afrika und Asien, Amerika hat vielleicht solche, die zum rezenten For- menkreis gehören (s. u.), die eigentliche Südsee und Australien gar keine, das Sunda- archipel einen — • außer diesem stammt also alles Material aus europäischem Boden. Mit der Schilderung dieses Materiales soll nun so vorgegangen werden, daß zunächst je die Fundberichte gegeben werden und dann eine zusammenfassende Morphologie folgt, wobei die sicher als Sapiens-Formen anzu- sprechenden Funde von den anderen (lediglich aus praktischen Gründen) getrennt werden. B. Die Funde. Fundberichte über die Skelettreste. gliedernden etwa 15 m mächtigen Tuffsand- i Steinschicht, den eigentlichen ,,Kendeng- I schichten" liegt eine Lage von 1 m Dicke, aus Sandstoinlapilli und lockerem grobem Tuffsaiulstcin bestehend, in dieser lagen die Pithecanthropusreste. Darunter kommt eine j blaugraue harte Tonsehicht und darunter marine Breccie. Man hielt das Ganze für ziemlich sicher Jungtertiär, spätpliocän (D u b 0 i s u. A.). Inzwischen sind die Schichten von Fachgeologen mehrfach untersucht wor- den, und ihr Alter dürfte sicherstehen als ; diluvial (Volz 1907). Wie Elbert (1908) nach eigenen Untersuchungen ausführt, kann man in den betreffenden geologischen Schich- ten Javas eine Dreigliederung des Diluviums nachweisen, kann zeigen (Pflanzenreste), daß mächtige Perioden von Temperaturerniedri- gung, Pluvialperioden — unseren Eiszeiten : entsprechend — stattgefunden haben. Die Kendengschichten entsprechen der älteren Pluvialzeit, sie sind altdiluvial samt dem darin gefundenen Pithecanthropus. Der Pithecanthropusfund liegt also in den untersten Diluvialschichten, reicht nicht ins Tertiär hinein. Die gefundenen Reste sind folgende: (Fig. 1 bis 3.) Vom Schädel ist nur das Dach erhalten, vorn noch die Glabella, hinten das Inion, nicht aber das Opistion ein- wichtigsten I. Pithecanthropus und neandertaloi- der Formenkreis. Pithecanthropus erectus. Im Jahre 1891 entdeckte der holländische Militärarzt Eugen Dubois, der auf Java eine Ausgrabung nach Fossilien unternahm, sogar mit der ausgesprochenen Hoffnung vormenschliche Reste zu finden, die Knochen- reste, die er Pithecanthropus erectus, aufrechtgehender Affenmensch, nannte. Der Fundort liegt bei Trinil, am Bengawanflusse, auf Mitteljava (eine kleine Denktafel gibt heute die Stelle an). Bei den Grabungen fand Dubois neben vielen Knochen von Säuge- tieren, die der sogenannten Sivalikfauna Indiens entsprechen (Hirsch, Büffel, Rhino- zeros, Katze usw.) zunäclist einen Backzahn, den er für den eines großen Affen hielt. Das Gestein wurde sehr vorsichtig abgetragen und bald kam in etwa 1 m Entfernung vom Zahn ein Schädeldach zutage. Erst nach Ablauf der nächsten Regenzeit konnte weitergegraben werden und da entdeckte man in genau derselben Schicht, in derselben Art der Einlagerung und Erhaltung etwa 15 m neben der Fundstelle des Schädels ein linkes Femur und einen zweiten Backzahn. (Dubois 1894.) Die geologischen Verhält- nisse sind folgende: Unter einer sich mehrfach Fig. 2. Fig. 3. Fig. 1 und 2. Schädeldach von Pithecan- thropus erectus (Java). Nach Dubois (1894). Fig. 3. Femur von Pithecanthropus erec- tus. Nach Dubois (1894). Fossile llominiden 33;- schließend. Seitwärts sind vorn die Augen- dächer erhalten, ihre äußeren Winkel aber, besonders rechts verletzt. Die Oberfläche ist zum Teil etwas angej^riffon, die Innenseite durch festanhaftendelvalkausiülhing zunächst unzugänglich (am Original ist diese Aus- füllung jetzt entfernt). Dazu kommen zwei obere Backenzähne, die gut erhalten sind. Im Verhältnis sehr gut erhalten ist der Oberschenkel, nur ganz unbedeutende Ver- letzungen sind am unteren Ende, sonst ist er ganz intakt. Er zeigt an der Hinter- und Innenseite im oberen Drittel, unterhalb des Trochanter minor eine rauhe, zackige, unregelmäßige Knochenwucherung, die offenbar einen krankhaften Befund darstellt, ihr Ursprung ist nicht ganz klar. Während dieses Oberschenkelbein fast ganz an rein menschliche Form erinnert, gemahnt der Schädel zunächst (s. u.!) am meisten an den eines Affen, von allen bekannten Formen sich aber durch seine Größe abhebend. So ist es auf den ersten Blick klar, daß es sich um einen ganz besonders bedeutsamen Fund handelt, ja, es ist einer der interessantesten Funde aller Fossilien überhaupt (seine morphologischen Eigenschaften und deren Bedeutung werden unten erörtert). Selbstverständlich hat der Fund damals gewaltiges Aufsehen erregt, zu den wider- sprechendsten Deutungen und Folgerungen veranlaßt und eine große Flut von Publika- tionen hervorgerufen. Dubois (1894) hat ihn zunächst selber publiziert, dann in meh- reren Vorträgen erörtert und seine Angaben erweitert. Zahllose Autoren haben Stellung ge- nommen und verfochten und verfechten heute noch entgegengesetzte Ansichten. Eine Anzahl iVutoren, K. Virchow, Kollmann, Ranke, Klaatsch u. a. halten das Fossil für einen großen Affen, andere für einen Menschen, andere für eine Uebergangsform. Die exak- teste anatomische Charakterisierung des Schädeldaches gab Schwalbe (1899; s. dort auch Literatur). — Gipsabgüsse des Schädels sind leicht zu erhalten, von Femur und Zähnen existieren nur Abbildungen. — Die Originale liegen in Haarlem (?) und sind unzugänglich! Im Anschluß an diesen Fund- bericht soll kurz erwähnt werden, daß 1907/08 die Witwe des Zoologen E. Selenka von einer eigens des Pithecanthropus wegen unter- nommenen Expedition in Java einen mensch- lichen unteren linken Molar mitbrachte. Der Fund wurde im Geröll des Sondebaches, etwa 3,5 km westlich von Trinil, gemacht, lieber das Alter ist also geologisch nichts auszusagen. Nach der Beschaffenheit: tadel- lose Erhaltung des Schmelzes und gänz- liche Umwandlung des Zahnbeins in eine braune erdige Masse nehmen Walkhoff u. A. an, daß es sich mit größter Wahrschein- lichkeit um ein pliocänes Fossil handle. Sicherheit ist nicht zu gewinnen (s. Se- lenka und Blanckenhorn 1911). Endlich soll Dubois noch ein Stück eines sehr primitiv aussehenden Unterkiefers aus dem Kendenggebirge besitzen, das bisher verborgen gehalten wird!! (siehe Carthaus, Zeitschrift für Ethnologie 1910, S. 353 und zum Vergleich Klaatsch, Zeitschrift für I Ethnologie 1903, S. 97, Anmerkung). Homo heidelbergensis. Der älteste sichere Menschenfund ist der Unterkiefer von Mauer bei Heidelberg. Wir verdanken ihn Otto Schoetensack, der ihn in einer ausgezeichnet schönen Publika- i tion vorlegt (1908). Etwa 10 km südöstlich j von Heidelberg, 6 km südlich von Neckar- I gemünd sind beim Dorfe ,, Mauer" am Flüß- I chen Elsenz seit längeren Dezennien die ,, Sande von Mauer" bekannt, die eine Menge Fossilien ergaben. Veranlaßt durch gewisse Parallelen mit dem Taubacher Fundort (s. u.) I hat Schoetensack seit etwa 20 Jahren die I Fig. 4. Unterkiefer des Homo Heidelber- ! gensis. Nach Schoetensack (1908) : Schichten dauernd kontrolliert. Sie dienen ! der Sandgewinnung, seit ca. 30 Jahren wird die Sandbank bis zu 25 m tief abgegraben. Der Besitzer und Unternehmer, Herr J. Eösch, wurde von Schoetensack dauernd i auf die Möglichkeit eines Menschenfundes hingewiesen — der 21. Oktober 1907 lohnte die beiderseitige Ausdauer. Beim Graben fand ein alter Arbeiter — vor Zeugen — j den Unterkiefer, am folgenden Tag nahm 1 Schoetensack ein behördliches Protokoll ' auf. Die Schichten sind folgende: Oben liegt eine Lößdecke, 5,7 m jüngerer Löß, 5,2 m älterer Löß. Dann folgt eine ca. 20 m mächtige Sandschicht, in sich durch verschiedene Beschaffenheit des Kornes, j Geröllgehalt usw. deutlich geschichtet. Etwa 90 cm über der Sohle lag der Unterkiefer, der also aus der unberührten Schicht durch 1 Abbau von der Seite her zutage kam. Diese Schichten sind außerordentlich genau ; und seit langem (also sozusagen sine ira et studio) untersucht und bekannt. Es handelt sich um fluviatile Ablagerungen durch den Neckar, die durch außerordentlich zahlreiche 336 Fossile Hominiden Fossilien als spätestes Pliocän und Uebergang zum Diluvium bestimmt sind. In denselben Schichten bei Mauer, aus denen der Kiefer stammt, fand man u. a. Felis leo fossilis = Felis spelaea, Ursus arvernensis und Deningeri, Cervus latifrons und elaphus, einen Bison (von Priscus etwas abweichend), Equus den Formen Stenonis und Taubach nahestehend, und sie vermittelnd, Rhinoceros etruscus, Elephas antiquus usw., dazu zahl- '• reiche Conchylien. Es sind also dihiviale und oberpliocäne Formen, die betreffenden Schichten sind unter das Diluvium, in den Uebergang zum Oberpliocän zu setzen — es ist also der älteste menschliche Rest hier zutage gekommen, dessen Lagerung so sicher feststeht wie nur die von irgendeinem Fossil. Schoetensack nannte die Form Homo heidelbergensis, sie soll unten morphologisch geschildert werden, sie ist auch nach dieser Richtung die älteste, die Sonderbenennung erscheint voll berechtigt. Leider ist es nur ein Unterkiefer, der zutage kam, allerdings ganz vorzüglich er- halten. Beim Herausnehmen ist der Kiefer in 2 Stücke zerbrochen, die aber tadellos aneinanderpassen, es fehlt nichts. Von den linken Prämolaren und beiden ersten Molaren brachen die Kronen ab, sind aber vorhanden; die anderen Zähne (in situ), die Gelenkteile, Fortsätze usw. sind völlig intakt (Fig. 4). Der Kiefer befindet sich im geologisch- paläontologischen Museum der Universität Hcitlclberu-. Gipsabgüsse sind da zu haben. Auf die schöne Publikation Schoetensacks (1908), die die Geologie und Anatomie bringt, sei hingewiesen (s. u.). Der Piltdown Schädel. Nach Mitteilungen Ray Lankester's an Daily Telegraph wurde 1912 bei Piltdown (Sussex) in Südengland ein Unterkieferstück und ein Schädelstück gefunden mit Stein- werkzeugen, die primitiver als die Chelles- stufe sein sollen. Der Fund soll im Quat. Journ. Geol. Soc. (Frühjahr 1913) veröffent- licht werden; der Unterkiefer soll dem Heidelberger etwas gleichen. Es soll ein neuer, ganz primitiver menschlicher Typus sein, der dem Neandertaltypus nicht gleicht, der in vielem dem Schi m])a uzen ähnehi soll. Ein kurzer Bericlit findet sich im Brit. Med. Journ. (Dezember 1912). Näheres läßt sich noch nicht sagen. Homo primigenius s. neandertalensis. Für eine mit dem Neandertalfund zuerst berühmt gewordene ältere diluviale Menschen- form (s. u.) sind eine Menge Namen benutzt worden. Zuerst ganz irrtümlich der Name race de Canstadt (s. u.); dann mehrfach Homo neandertalensis. Seit außer dem Neandertalindividuum an ziemlich weit in Europa zerstreuten Stellen wichtigste Einzel- funde gemacht wurden, erscheint manchen der Name neandertalensis etwas irreführend, weil man oft nicht gleich weiß, meint ein Autor mit Neandertalensis den (s. v. v.) Originalneandertalschädel oder einen ande- ren Schädel dieser Art. L. Wilser hat zuerst (1897) den Namen Homo primigenius vor- geschlagen. Er ist als Bezeichnung jener mensch- lichen Form, die vom ganzen heutigen For- menkreis sehr wesentlich abweicht, sehr gut gcAvählt, weil jene damit als diluvial, als Zeitgenosse des Elephas primigenius, Bos primigenius gekennzeichnet wird (s, die Bemerkung oben S. 333). Der Name wird seitdem vielfach gebraucht, auch Schwalbe benutzt ihn. Es ist nötig, daß man einen einheitlichen Namen für diese Gruppe hat, zumal gerade in letzter Zeit ebenfalls diluviale Schädel eines ganz anderen Typus gefunden sind. Gerade der unrichtige Versuch, jeden einzelnen Fund lateinisch nach seinem Fundplatz zu nennen (s. o.) zwingt uns, für den ganzen Kreis der Neandertal- Gleichen den nicht mißverständlichen Namen Homo primigenius allgemein anzuwenden. Eine ganze Anzahl Funde sind nämlich so reich und gut erhalten, daß über ihre morphologischen Eigenschaften leicht ein Urteil und danach eine Diagnose aufgestellt werden kann, leicht, seitdem Schwalbe (1899 und 1901) entscheidende Ziffern und Methoden zur Charakterisierung dieser For- men angegeben hat (s. u.). In folgendem sollen diese als „sichere" an die Spitze gestellt werden. Dann gibt es eine Menge von Funden einzelner Knochen, die nach einzelnen Merk- malen wohl hierher gehören — nichts spricht dagegen — , indes ist keine Sicherheit dar- über zu gewinnen; sie sind als „wahrschein- liche" zusammengefaßt. Weiter interessieren eine Anzahl Funde, deren Schädel nur ein- zelne Merkmale des Primigeniustypus (nicht alle) oder die Merkmale etwas abgeändert, abgeschwächt tragen, sie sind als „Ueber- gangsformen" vereinigt, wobei dieser Begriff das morphologische Verhalten bezeichnen, nicht genealogische Beziehungen vorweg festlegen soll. Neandertal- Schädel. Einer der ältesten, jedenfalls aber der berühmteste, meist umstrittene Fund — lange verkannt, , .berüchtigt", von Schwalbe rchahiliticrt - ist der Neandertalschädel. 1850 cnttleckten Arbeiter beim x\usräumen einer 2 m hoch mit Lehm bedeckten Höhle, der sogenannten Feldhofner Grotte im Eifelkalk des Neandertales (zwischen Düsseldorf und Elberfeld gelegen) mensch- liche Knochen, die leider z. T. zerstört wurden. Der herbeigeeilte Dr. Fühl- Fossile Hominiden 337 rott erkannte deren auffällige Merkmale! und rettete, was noch da war. Es war das i Schädeldach (Fi!?. 5.), beide Oberschenkel, der ^^ y Fig. 5. Neandtitalsthadel (1901) ^ach Schwalbe rechte Oberarm und die unteren zwei Dritteides linken, die linke Ulna, der rechte Kadius und die obere Hälfte der rechten Ulna, das rechte Schlüsselbein und Bruchstücke von Becken, Schulterblatt und Kippen. Alle Knochen sind tadellos erhalten. Am Schädeldach be- findet sich vorn noch das Nasion, hinten gerade noch das Inion. Ueber das Alter und die Bedeutung des Fundes wurde zunächst keine Klarheit erlangt; etwa 150 Schritte vom Fund wurden in einer anderen entsprechenden kleinen Höhle Knochen vom Höhlenbären und Rhino- zeros festgestellt, aber das Alter blieb strittig. Der Fund erregte großes Aufsehen. Schaaf- hausen beschriebihn ausführlich und deutete ihn als die Reste einer vom heutigen Men- schen verschiedenen, primitiven Urrasse, er blieb allen Angriffen zum Trotz auf diesem Standpunkt. Solcher Angriffe kamen von damals an bis heute zahlreiche. Man erklärte den Schädel für rein individuell abgeändert, krankhaft, atypisch, oder man wollte an rezenten Schädeln, besonders Australiern, genau dieselben Formen gefunden haben, nur wenige Autoren gaben einige Wichtigkeit des Fundes zu. Am verderblichsten wurde der Widerspruch R. Virchows. Er beschrieb an dem Skelett so viele pathologische Einzel- heiten, schob atypische Bildungen derart in den Vordergrund, daß man den Schädel zur Lösung von xVbstammungsfragen des Menschen nicht mehr heranzuziehen wagte. Wohl gab Virchow 20 Jahre später zu, daß die Form an sich doch typisch sein könne — der erdrückende erste Einfluß Virchows blieb, nur wenige Autoren verglichen den Schädel mit neueren Funden, er ruhte unbeachtet im Provinzialmuseum in Bonn. Erst 1899 bis 1901 durfte er sozusagen eine zweite Erstehung feiern, als ihm Schwalbes Arbeiten wohl für immer die ihm zukom- mende überragende Bedeutung sicherten (in Schwalbes Arbeit [1901] sind die iVnsichten der verschiedenen Autoren über das Fossil sehr schön zusammengestellt; auch die Lite- ratur ist dort zu finden). Das geologische Alter ist wohl auch heute noch nicht — und wird wohl nie — ganz sicher feststellbar, da es sich eben um einen Höhlenfund handelt, und charakteristische Beifunde (Knochen, Werkzeuge) nicht vor- handen waren. Die Höhle selbst und ihre Umgebung sind durch Steinbrucharbeiten großenteils zerstört worden. Meist nimmt man diluviales — frühdiluviales — Alter an, sich auf die erwähnten Tierknochen in ent- sprechenden nahe benachbarten Höhlen stützend; Koenen nimmt den betreffenden Lehm, der die Ncandertalknochen umschloß, als tertiär an (Rheinische (Jeschichtsblätter, Bonn 1895), Rauff widerspricht dem (Ver- handlungen des naturhistorischen Vereins Bonn 1903). — Keinenfalls kann man die Ergebnisse der Morphologie aus dem geo- logischen Alter des Fundes stützen, wohl aber umgekehrt (s. unten). Schließlich bedarf die Frage, ob der Schä- del überhaupt eine „typische" Form hat, oder völlig individuell und pathologisch ist, noch kurzer Erörterung. Auch hier ist es Schwalbe (1901), der Virchows vernichtend wirkende Kritik widerlegt und aufhebt; in engem Anschluß an ihn seien hier folgende Angaben gemacht: Virchow hatte eine leise Abflachung am Scheitelbein als sogenanntes Malum senile (^Vltersschwund) gedeutet, alle Nähte ver- schlossen gefunden und daraus auf ganz hohes Alter des Neandertalmannes ge- schlossen; Schwalbe zeigt, daß beides nicht zutrifft, die Abplattung ist nicht mit Diploeschwund verbunden, folglich niclit als Seneszenz zu deuten, der Nahttypus des Neandertalers kommt schon bei 40-] äh- rigen Individuen vor. Eine geheilte Narbe am Stirnbein, eine kleine, rauhe Vertiefung am Hinterhaupt, die Virchow als Folge einer chronischen Carics deutet und eine Veränderung am linken Ellbogen, die er auf Altersgicht schiebt, endlich die Krümmung der Schenkel- und Vorderarmknochen, die er für rhachitisch hält, lassen Virchow an- nehmen, daß das Individuum sogar eine nicht ganz geringe Kultur besessen haben müsse, da es ohne Pflege schwerlich alle diese Ivrankheiten durchgemacht und bis zum höchsten Alter ausgehalten hätte. Schwalbe zeigt, wie die Knochenkrümmung für die Primigeniusform typisch ist (s. u.), wie das Grübchen am Hinterhaupt ein häufiger, nicht pathologischer Befund ist und wie die tatsächlich bestehende Veränderung am Ell- bogen, die Folge einer Fraktur und Luxation sein müsse. Eine solche aber heilt entsprechend auch bei freilebenden Tieren; so besitzt z.B. die Freiburger Anthropologische Scimndung das Armskelett eines auf Sumatra geschossenen Gibbon, an dem ein Humerusbruch zwar unter Winkelstellung, aber sonst tadellos ausgeheilt ist. Gegen Unkultur spricht also die Heilung Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV. 338 Fossile Homimden des Neandertalellbogeiis nicht. — So ist also das Neandertalindividuum als ein normales, seine Knochen (anßer dem linken Ellbogen) sind als typische anzusehen; es hat damit voll und ganz die Bedeutung, die ihm der erste Beschreiber beigelegt und Schwalbe wieder- gegeben hat (s. u.). Spy- Im Jahre 1887 fanden und untersuchten die belgischen Geologen Fraipont und Lohest (1887) in einer Grotte bei Spy unweit Namur die Ueberreste zweier Indivi- duen (nachher als Spy I und II benannt). Dieser Fund wurde unter genauer und fach- 1 männischer Untersuchung der geologischen Verhältnisse geborgen. Unter einer Kaiktuff- decke lagen in derselben Schicht die Skelette und dabei zahlreiche Feuersteininstrumente vom Moustiertypus, Reste von Mammut, Rhinozeros, Höhlenbär, Höhlenhyäne usw. Hier konnte also die Zugehörigkeit des Spy- mensclien zu einer bestimmten Kulturschicht innerhalb des Diluvium als gesichert gelten. Aber auch dieser Fund, den die genannten Autoren sehr gut publizierten, mit dem Neandertaler verglichen und zusammen- stellten, fand die ihm gebührende Beachtung lange nicht. Es mußte die Ehrenrettung des Neandertalers abgewartet werden. Dann ist es aber auch das große Verdienst H. Klaatschs, durch Untersuchung des Ex- tremitätenskelettes, durcli Bearbeitung der Feuersteinartefakte und durch unermüdlichen Hinweis auf all diese Funde und Probleme die ganze Sache in neuen Fluß gebracht zu haben. — Die Spyskelette liegen im Museum von Lüttich, Abgüsse des Schädel- und vieler Skelettstücke sind im Handel. Erhalten ist von beiden Skeletten das Schädeldach (Ca- lotte), zahlreiche Rippen- und Wirbelreste, dann von Spy I Stücke vom Oberkiefer, ein fast vollständiger Unterldefer, linke Clavi- cula, beide Humeri, rechter Radius, beide Ulnae zum Teil, rechtes Femur, linke Tibia, Calcaneus; von Spy II die Unter- kieferäste ohne Kinnstück, die 2 Humeri, die 2 Ellbogenknorren, ein Stück linkes Femur, Calcaneus und Talus. Krapina. Bei weitem der reichste Fund diluvialer Menschenskelette ist der von Krapina in Kroatien. ,, Selten ist eine wissenschaftliche Entdeckung so sehr gerade zur rechten Zeit gekommen wie in diesem Falle" sagt Klaatsch (1902) mit vollem Recht, und fährt fort: ,,Ich weiß nicht, ob das Neandertal- problem so rasch zur Klärung und allgemeinen Anerkennung gelangt wäre — ohne die Auf- deckung der Schädelfragmente von Krapina". Kamen doch die ersten Resultate von hier gerade als Schwalbe und Klaatsch gegen alle älteren Widerstände jenes Problem aufgerollt hatten. Das Verdienst, die Ausgrabung als geo- logischer Fachmann mit aller Sorgfalt, aus sicher bestimmten Schichten vorgenommen zu haben, gebührt dem Agramer Paläonto- logen Prof. Gorjanovic-Kramberger, der auch in einer Reihe schöner Einzelarbeiten und einer prachtvollen Gesamtdarstellung (1906) die wichtigen Resultate festlegte. Im nördlichen Kroatien, im Tale des Krapinicaflusses, nahe dem Marktflecken Krapina war eine Höhle durch diesen Fluß ausgewaschen worden — heute 25 m über dem jetzigen Flußspiegel gelegen. — Damals lagerten sich diluviale Sande und Gerolle ab, Verwitterung von Dach und Wänden, herab- fallendes Gestein füllten die Höhle und in diesen Massen eingeschlossen — man konnte einzelne Schichten unterscheiden — lagen in den einzelnen Zonen verschieden häufig, Tausende von Tier-, Hunderte von Menschen- knochen, Hunderte von Steinabfällen und -geraten. Gorjanovic-Kramberger beu- tete die ganze Höhle samt einer Nebennische in mehreren Kampagnen von 1899 bis 1905 aus. Es sind etwa 300 menschliche Knochen- stücke, darunter viele kleinere Trümmer, aber auch viele schön erhaltene größere Schädelteile oder ganze Knochen. Fast alle Knochen sind vertreten, wundervolle Unter- kiefer, Gesichtsteile, Oberschenkel-, Vorder- armteile, etwa 150 isolierte Zähne, Knochen von Kindern, kurz ein gewaltiges Material. Von der absolut sicher gleichzeitigen Fauna sei genannt Ursus spelaeus, Bos primigenius, Equus caballus, Rhinoceros Mercki, Cervus euryceros, Castor fiber, Arctomys marmota (kein Rhinoceros antiquitatis). Eine Ver- mengung mit (nur) rezenten Formen bestand nicht. — G. Kramberger stellt den Fund auf Grund all dieser Tatsachen dem von Tau- bach gleich (s. u.) in die ,,Günz-Mindel"- oder ,,Minclel-Rieß"-Interglazialzeit Pencks, also ist der Krapinamensch altdiluvial. Die Instrumente sind durch alle Schichten gleichartig, unter sich aber nicht einer Form angehörig, neben sogenannten Moustierfor- men, gibt es ,,^lesviiii('n"fornien. Die menschlichen Knochen endlich sind äußerst deutlich charakterisiert, sie gehören zusammen, sind untereinander einheitlich und gehören ganz zweifellos zu derselben Gruppe wie Neandertal und Spy. Dadurch präzisiert ihr gesichertes Alter auch das des Neandertalers, dies und der außerordentliche Reichtum des Fundes macht seine fundamen- tale Bedeutung aus, die dauernd das palä- ontologische Museum in Agram, wo er liegt, für den Anthropologen so wichtig bleiben läßt (Abgüsse sind nur von wenigen Stücken hergestellt, aber wohl nicht (?) im Handel). Fossile Hominiden 339 Erfreulich schöne neuere Funde haben nun weiterhin unsere Kenntnisse bedeutend vertieft und erweitert, sie kommen aus Frankreich, das Jahr 1908 hat zwei solche Funde ! Le Moustier. Bei einer Ausgrabung, die 0. Hauser in der unteren Grotte von Le Moustier (im Departement Dordogne gelegen) unternahm, entdeckte er im Frühjahr 1908 ein Skelett und grub es zusammen mit H. Klaatsch (August Fig. C. Schädel von Lc Moustier. Nach Klaatsch und Hauser (1909). 1908) sorgfältig aus. Die Beigaben von Feuer- steingerät zeigen das paläolithisclie (diluviale) Alter einwandfrei an, es handelt sich um einen Menschen aus der sogenannten iVcheuleen- periode (also älter als die am selben Fundort früher erschlossene Mousterienperiode). Das interessanteste Ergebnis bei der Ausgrabung als solcher war die Art der Lagerung. Nach Hausers Beschreibung (Klaatsch und Haus er 1909) lag der Kopf des Jünglings Fig. 7. Schädel von La Chapelle-aux-Saints. Nach Beule (1911). (um einen solchen, etwas lö-jährigen, handelt es sich) sozusagen ,,auf einem steinernen Kopfkissen" aus sorgsam aneinander ge- legten Silexstücken; ein ausgesucht schöner Faustkeil lag neben der Hand, zahlreiche angebrannte und aufgeschlagene Knochen des Urrindes lagen ringsum (also Mitgabe von Nahrung). Der Tote lag in Schlummer- stellung, auf dem gebeugten rechten Vorder- arm ruhte der Kopf. Die Knochen waren leider nicht sehr gut erhalten, Becken und Lendenwirbelsäule zerfielen beim Bloßlegen in Staub, der Schädel w^ar in zahlreiche Stücke zerdrückt; in mühsamer, gleichsam anatomischer Prä- paration legte Klaatsch die Stücke frei, isolierte die Knpchentrümmer, alles wurde mehrfach photographiert und gezeichnet. Nachher wurden im Laboratorium die j Knochenstücke wieder zusammengesetzt und j ergaben ein als dm'chaus wohlgelungen zu be- 1 zeichnendes Bild (Fig. 6; die Nase ist wohl nicht ganz richtig?). ~- Dagegen muß der [ nachfolgende Versuch, den Schädel durch I Plasticin zu ergänzen und so zusammen- I zufügen, daß man ihn abgipsen konnte, als I mißglückt bezeichnet werden, der im Handel befindliche Gipsabguß danach ist unbrauch- bar, da er sicherlich eine falsche Form wieder- gibt. Das Skelett wurde von den Königliehen Museen in Berlin erworben und befindet sich dort. Jüngst w^urde nun der Schädel wieder in seine Teile zerlegt und neu zu- sammengesetzt, der Versuch ist noch besser ge- lungen als der erste (eine Abbildung findet man in der Prähistorischen Zeitschrift 1912, S.444). Der Skelettfund ist als Repräsentant eines jugendlichen Individuums, nach seiner geologischen Lagerung wohl charakterisiert, von besonderer Wichtigkeit; daß Klaatsch ihn sofort zum Neandertaltypus rechnete, ist vollauf berechtigt. — La Chapelle-aux-Saints. Zu genau derselben Zeit, als Hauser und Klaatsch in Le Moustier das Skelett hoben (August 1908), bargen in nur geringer Entfernung östlich davon drei französische Forscher J. und A. Bouyssonie und L. Bardon in einer Grotte bei La Chapelle- aux-Saints (Departement Correze) ebenfalls ein Skelett, relativ vorzüglich erhalten, dem Mousterien angehörig. Das Skelett kam ins Pariser Museum, Boule (1908, 1911, 1912) hat es beschrieben und als sicher zum Neandertalformenkreis gehörig erwiesen. Außerdem Schädelsind 20 Wirbel, ein Stück Kreuzbein, 20 Rippen, beide Humeri fast kom- plett, alle 4 Vordcrarndvuochen in Resten, die unteren zw^eiDrittel des linken Femur, die mitt- leren der rechten Tibia, eine Anzahl Hand- und Fußknochen und Knochenstücke vorhanden. Beim Skelett, das etwa Ost- West in einer klei- nen Grube deutlich künstlich bestattet war, lagen typische Moustierspitzen und Moustier- 90* 340 Fossile Hominiden V Vsj schalen und diluviale Tierknochen, haupt- sächlich Khinoceros tichorhinus, Pferd, Eenntier, Bison priscus. Der Schädel zeigt (Fig. 7) die typische Form jener Menschenart sehr gut, Boule hat das Gesicht nur ganz wenig ergänzt. Sein Versuch, den Unterkiefer von Mauer (heidelbergensis) an den Schädel anzupassen, ist von Sobotta (1912) als unmöglich erwiesen worden. Daß es sich hier um ein altes Individuum handelt (Boule schätzt es auf 50 bis 55 Jahre, Sobotta hält es für noch älter), macht den Fund als Gegenstück zum jugendlichen Moustierskelett bei der unnjittelbaren Nach- barschaft beider besonders interessant. Die ErJialtung von Schädel und Gesicht im Zusammenhang, die tadellose Konser- vierung des Ganzen gewähren uns ein Bild vom Gesamtschädel eines alten Primigenius- individuums, wie wir es uns nicht besser denken können. Es ist weitaus der schönste aller hierhergehörigen Funde (ein pracht- voller Abguß ist vom Pariser Museum zu beziehen). La Ferrassie. Ein Jahr später, wie die beiden vorigen, im August 1909 entdeckte D. Peyronie in der Höhle La Ferrassie, unweit Le Bugue (Dordogne) abermals ein Skelett, das von ihm und einer Fachmännerkommission aus- gegraben wurde. Die Knochen waren arg brüchig, irgendetwas von Bestattungsan- zeichen fehlte. Das Skelett erwies sich auf den ersten Augenschein sehr deutlich nach den Charakteren des Schädels, speziell der Stirn, als zur Neandertalspecies gehörig (Obermaier 1909). Der Schädel soll, wenn möglich, zusammengesetzt werden, von Ex- tremitäten ist eine Hand und ein Fuß relativ gut erhalten (L' Anthropologie 1911, S. 113). Ausführlichere Veröffentlichungen liegen noch nicht vor. La Quina. In La Quina (Departement Charente) hat H. Martin im Jahre 1910 in Schichten, die dem mittleren Mousterien entsprechen, zwei menschliche Talus gefunden, deren feineres KnochenreHef genau den Besonder- heiten der betreffenden Knochen von La Chapelle entspricht (Bulletin de la Societe prehistorique de France 1910 und L'Anthro- pologie 1911, S. 312). — Im Jahre 1911 kam abermals in La Quina und zwar jetzt im untersten Mousterien "ein Skelett zum Vorschein, das ebenfalls H. Martin hob und dem Museum in Paris übergab. Nach einer kurzen Beschreibung und ersten Abbildung (L' Anthropologie 1911, S. 730) handelt es sich um ein ganz typisches Exemplar der Neandertalart mit sehr stark ausgebildeten neandertaloiden Merknuilen. (Arcus superciliaris, s. u.) Die Schädelknochen sind in den Nähten auseinandergewichen; eine Bestattung lag nicht vor. Eine genauere Beschreibung steht noch aus. Gibraltar. Nach wieder aufgefundenen Notizen, die Keith(,,Nature"1911) veröffentlichte, wurde I der Gibraltarschädel schon 1848 von Colonel ' Keynon gefunden. 1868 legte ihn Buskdem Museum des Royal College of Surgeons vor,, wo er sich noch befindet. Er wurde dann in ! neuerer Zeit durch Klaatsch, Schwalbe I u. A. zuerst in seiner Bedeutung gewürdigt 'und fand erneute Bearbeitung. SoUas I (1907) legte eine umfassendere Studie vor ; [vgl. auch Klaatsch (1. c), Schwalbe (I.e.), Sera (1909), Keith (1911)]. Die Stelle am Gibraltarfels ist nicht mehr mit absoluter > Sicherheit festzustellen, wahrscheinlich ist es eine noch bestehende Höhle ; Nachgrabun- gen hier (s. Duckworth 1910) ergaben keine Funde mehr. Nach Analogiefunden an anderen Stellen Gibraltars dürfte der Gibraltarschädel zur Mousterienperiode ge- : hören. Der Erhaltungszustand ist im ganzen ' gut, doch fehlt das Scheitelbein. Besonders wichtig ist, daß Hirn- und Gesichtsschädöl in Zusammenhang sind. — Die meisten Auto- ren rechnen ihn jetzt wohl zur Neandertalart, Keith gibt ihm sogar darin eine besonders I primitive Stellung. Andere zweifeln daran, da man eben nicht alle Maße (s. u.) einwand- i frei bestimmen kann (Abgüsse sind seit kurzem zu haben). An einer großen Zahl weiterer Funde ist der Schädel gar nicht oder nur in Bruchstücken erhalten; es wird unten gezeigt, daß gerade der Schtädelbau die Diagnose der einzelnen mensch- lichen Typen erlaubt; so sind diese Funde nicht mit derselben Sicherheit zu diagnostizieren wie die bisher erwähnten, doch sprechen die vor- handenen Merkmale alle einheitlich daf in, ebenso stimmen die geologischen Lagenmgsverhältnisse mit der Annahme einer Zugehörigkeit zum Primi- genius(-Neandertal)formenkreis. Man kann also die folgenden Funde als ,,sehr wahrscheinlich" oder ,, vermutlich" neandertaloid bezeichnen. La Naulette. Zusammen mit Mammut-Rhinozeros-, Renntierknochen entdeckte Dupont 1866 in einer Höhle am Ufer der Lesse bei La Nau- lette (nahe Furfooz in Belgien) mensch- ', liches Gebein, ein Stück Unterkiefer, eine , Ulna und einige kleinere Knochenstücke, die er (Dupont, Bulletin de TiVcademie Royale belge,2.Ser.,XXIl,1866)undTopinard(Re- I vue d'x\nthropologie 2. Ser. 1866) beschrieben. l Schipka. ! Im Jahre 1882 fand Maska in der Schipknhöhle (Mähren) in Schichten, die älter sind als die bekannten Mährischen Mammutschichten, ein Stück eines Unter- Fossile Hominiden 341 kiefers. Es ist ein vorderer Abschnitt mit 5 Zähnen, von denen 3 im Zustand vor dem Durchbruch bei der zweiten Zahnung stehen; dabei ist der Kiefer relativ mächtig' stark, dick und groß. R. Virchow leugnete des- halb, daß es sich um einen Kinderkiefer handeln könne, faßte ihn als pathologisch, die Zahnbildung als krankhafte Zahnreten- tion auf. Er meinte, es müsse ja sonst ein abnormes Riesenkind sein. Der Nachweis, daß Virchow sich da irrte, ist von Walk- hoff mit Röntgenbildern erbracht worden (s. u. Unterkiefer). 0 c h 0 s. Aus einer Höhle bei Ochos (Ungarn) beschreibt Rzehak (1906) einen vorderen Teil eines Unterkiefers, der sich durch Dicke der inneren Kieferplatte, Kinnmangel, Massig- keit usw. dem Unterkiefer von Spy und solchen von Krapina auffällig nähert. Pech de l'Aze. Capitan und Peyrony fanden 1909 in der Grotte Pech de l'Aze bei Sarlat (Dordogne) einen Kindersehädel, dem Mou- sterien angehörig; er ist im Museum in Paris zusammengesetzt worden (L'Anthropologie 1911, S. 113). Nähere Angaben fehlen. Taub ach. In Taubach bei Weimar fand A. Weiß 1892 einen menschlichen Milchmolar, dessen Zugehörigkeit zu den glazialen Diluvial- schichten über jedem Zweifel ist. Ein Arbeiter fand dann einen linken unteren ersten Dauer- molar, der doch wohl auch als diluvial an- gesehen werden darf (Museum in Jena). Nehring (1895)hat an ihmeine schimpansen- zahnähnliche Kaufläche beschrieben. Nach Adloff (1908) ist es ein 3. Molar (s. auch R. R. Schmidt, Anthropologisches Korre- spondenzblatt 1912 und Festschrift für die AnthropülogischeVersanimlungWeimarl912). lle de Jersey. Keith beschreibt im Journal of Anatomy and Physiology 46, 1911 neun menschliche Zähne, die auf "der lle de Jersey (Kanaliuseln) in einer Grotte zusammen mit Feuerstein- geräten und Knochen von Rhinozeros ticho- rhinus und Renntier gefunden wurden. Sie zeichnen sich durch besonders große Wurzeln im Verhältnis zu den Kronen aus und ähneln denen vom Heidelberger Kiefer (L'Anthropo- logie 1911, S. 370). Ihre Zugehörigkeit zu einem bestimmten Menschentypus ist ganz unsicher. 2. Sogenannte Uebergangsformen (s. oben S. 333). Galley-Hill. Ein Sammler Elliott fand 1888 in einer diluvialen Kiesbank, Galley-Hill an der Themsemündung, Schädel- und Skelettreste, die 1895 kurz veröffentlicht, 1903 von Klaatsch (1903) im Original untersucht und morphologisch gewürdigt wurden; auch Schwalbe hat sie dann beigezogen (s. u.). Ueber das Alter der geologischen Schicht ist keine Klarheit zu erzielen. Während ein- zelne Autoren überhaupt die Ungestörtheit der Schichten bezweifeln, nehmen andere diese an. Rutot hält es für ganz zweifel- los, daß die Schicht dem allerältesten Diluvium angehört. Aber diese Datierung ist keinenfalls als sicher zu bezeichnen; R. R. Schmidt (1911) stellt die große Unsicherheit dar, er möchte ihretwegen dem Fund jede Beweiskraft bezüglich der geolo- gischen Altersfolgen absprechen, und das wohl mit Recht. Auch anatomisch spricht alles gegen solch hohes Alter (s. u.). Brüx. In Brüx (Böhmen) wurde 1871 beim Braunkohlenbergbau ein Schädeldach ge- funden (Wicnci- Jlofmuseum), das mit größter Wahrscheinlichkeit als jungdiluvial (spät- paläolithisch) anzusehen ist. Schwalbe (1906) hat es behandelt und seinen Formwert festgestellt (s. u.). Brunn. Brunn (Mähren) hat 1891, tief aus dem Löß mit Knochen diluvialer Tiere (Mammut) und Steingeräten ein Skelett gegeben, das Makowsky beschrieb (Mitteilungen der An- thropologischen Gesellschaft Wien 1892). Klaatsch (1903) hat die Bedeutungdes Schä- dels ins rechte Licht gerückt. Das Skelett zeigte künstliche Bestattung, Reste roter Farbe, Schmuck aus Dentaliengehäusen und Elfen- beinscheibchen. Wenige Jahre vorher hatte Makowsky schon einen Schädel, leider nur in ganz dürftigen Resten aus dem Lößsand in der Nähe Brunns ausgegraben (Brunn II) (s. u.). Daß es sich um ganz sichere Diluvial- funde handelt, wird von niemand bezweifelt. Vielleicht gehört hierher auch folgender Fund, aber es läßt sich noch nichts sagen (Untersuchung wäre dringend erwünscht!). Predmost. Unter dem Namen Mammutjäger sind Reste aus Predmost in Mähren bekannt geworden — ■ ausgegraben seit 1880 von Wankel, Kriz und Maska. Es sind vielfach zerbrochene Reste von 6 Individuen. Maska hat weiter Reste von 20 Individuen aufgefunden, die aber noch nicht publiziert sind (nach Ober maier 1905). — Ob sie der Neandertalart zugehören oder welcher Rasse der Sapiensgruppe, ist einstweilen wohl nicht zu sagen. 342 Fosisile Hominiden 3. Der Aurignacfund, die Cro-Magnon- Masfiion entdeckt und von Laitet unter- und andere Sapiensformen. i sucht. Er fand das Skelett eines „alten Die folgenden Funde sind entweder, wie ' M^annes", dann das einer Frau, deren Stirn- unten gezeigt werden wird, mit Sicherheit '^^"^ ®"^6 Hiebwunde mit Knochenwucherung bestimmten diluvialen, nicht neandertaloiden (Heilungsvorgänge) aufwies. Neben ihr lagen Rassen innerhalb der Art Homo sapiens zuzu- ^^^^^ eines Kinderskelettes. Dann war ein rechnen, oder sie sind einzelne, noch nicht syste-'^^T''^^^^^6^^6r jüngerer Mann dabei. Feuer- matischunterzubriiioeiide Formen und Funde, steinwerkzeuge und durchbohrte Muscheln Nur die wichtigen Funde sollen hier kurz , ^'^^e" dabei. Die Ungestörtheit der Schichten- genannt werden, es lohnt nicht, alle Fund- i ^^Ige und die Trennung der einzelnen Typen berichte wiederzugeben. der Feuersteine ist nicht über allem Zweifel erhaben, man war wohl damals auch noch Combe-Capelle („Aurignac"). nicht so erfahren wie heute, doch scheint es Im Sommer 1909 ließ 0. Hauser den »ich um Magclalenien zu handeln. Das Alter Abri „Combe-Capelle" (bei Montferrand, des Fundes wurde stark angezweifelt (s. u.), Perigord) ausgraben und entdeckte in tadellos doch scheint er uns immerhin einen guten ungestörter Lage in der untersten „Auri- ' paläolithischen Typus zu repräsentieren. Er nacien"schicht das Skelett, das er ^''^^tte also ein ähnliches Schicksal wie der dann mit Klaatsch zusammen hob Neandertaler: über die Fundschichten läßt (Klaatsch und Hauser 1910). Es handelt ^^ch geologisch nicht ins klare kommen, hier sich, wie einwandfrei festgestellt wurde, um ^^^^iß die Anatomie der Objekte den Beweis eine Bestattung. Eine größere Anzahl j erbringen, daß sie zu anderen geologisch ausgesucht schöner Feuersteinspitzen von ty- bestimmbaren gehören, folglich aus ihrer pischer Aurignacienform, dann eine Reihe ^^it stammen. Das Skelettmaterial wurde (Halskette) durchbohrter Muscheln (Littorina ' von PrunerBey 1868 und dayn ausführlich und Nassa) waren beigegeben. Die Beine ^^n Broca beschrieben (Lartet et Christy. des Toten waren im Knie gebeugt. Kalk- j Reliquiae aquitanicae London 1875). haltiges Sinterwasser war gerade auf diese ' t ■ r. Bestattung geträufelt und hatte zum Teil Lau gerie -Basse, das umliegende Erdreich zu einer harten Masse : Massenat fand 1872 in Magdalenien- verwandelt, aber dafür auch das Skelett ! schichten in Laugerie-Basse (Dordogne) ein wunderbar erhalten. Es sind fast alle Skelett. Nach der Lage, zusammengedrückt Knochen noch da, zum Teil gebrochen, im ""^^^' einem Fels und von anderen Felsen ganzen aber ist es der vollständigste und nmgeben, nahm man an, daß der betreffende schönsterhaltene diluviale Menschenrest (das ' Mensch durch einen Felssturz begraben Original ist im Berliner Museum, wundervolle ^'^""de. Ringsum fanden sich Magdalenien- Abgüsse sind erhältlich). Hauser hat voll- gerate (s. Mortillet 1900) an der Datierung kommen recht, wenn er darauf hinweist, "I diese jungpaläolithische Schicht kann daß bei den prinzipiell voneinander ver- ^^'^ht gezweifelt werden, schiedenen Aurignac- und Moustierkulturen riinn^ninrio der Fund des ersten Aurignacmenschen von ^ ■ ^„ t la iceiade. ganz besonderer Wichtigkeit ist Das Skelett ! -n • ^"^ncelade (m der Nähe von wird heute meistens als Aurionac^^kelett ' 1 '^'§'"®"^) *^^^^ ^^^^ ^^^^ ein Skelett in bezeichnet (die entsprechende^ lateinische 1 ,^ untersten Schicht eines Abri, das nach Bezeichnung Homo aurignacensis ist natür- i ^^^ "'' °™ ^^^ ^^®"^" ""d Renntiergeweih- lich für dieses Einzelobiekt nicht korrekt) | gerate als „Magdalemen" angesprochen wer- Unten wird gezeigt werden, daß es sich ! ?^". "i^ßte Das Skelett fand sich in ganz um eine eigene Rasse, die Aurignacrasse han- ^yP\^^H^ Hockstellung, Testut (1889) hat delt, der Fund selber wäre dann entsprechend ®^ beschrieben, Klaatsch (1909) macht allen anderen am besten als Combe-Capelle- ^°^ ^^^^^ ^^" ^"^"^^ Wichtigkeit aufmerk- Skelett zu bezeichnen. Der Name „Homo ^^"^• sapiens var. aurignacensis" — und als dessen { . unmaldigrotten. Abkürzung Homo aurignacensis — ist natür- 1 Eine neue Entdeckung Verneau's hat . lieh richtig und dann der nach den Prioritäts- den längst bekannten Höhlen bei Mentone, rechten einzig richtige für die ganze Rasse, "^'ote Grotten", jetzt häufig als „Grimaldi- von der dies der erste Fund ist, also auch grotten" bezeichnet, neues Interesse erweckt, für die zu erhoffenden künftigen Funde ^''^^ . ^^^tte früher Moustierindustrie und (vorausgesetzt, daß die Aufstellung dieses diluviale Tierreste gefunden, in höheren, besonderen Rassetypus sich halten läßt). | MagdalenienschichtenwarenSkelettevomCro- Magnontypus festgestellt worden (s. unten) Cro -Magno n. Gelegentlich eines Bahnbaues im Vezere- tal (Perigord) wurde 1868 die Höhle Cro- 1900/1901 entdeckte Ri viere neue Fund- schichten mit Kinderskeletten. Der Fürst von Monaco unternahm eine genaue Unter- Fossile Hominiden 343 suchung und Ausgrabung dieser Kindergrotte, 1 die Verneau leitete. Man fand zunächst Reste, die ebenfalls zur Cro-Magnonrasse gehören (s. unten), dann aberganz tief (8,5 m), eine Doppelbestattung, eiiu^ ältere Frau und cincnjüngeren^Maiiii.Siolageii hart aneinander, die Beine hoch- oder angezogen. Steine waren neben und über die Köpfe geschichtet, i Verneau (1906), der eine prachtvolle Publi- [ kation über die ganze Grabung vorlegt, : erkannte in diesen eine besondere Rasse, die er dem Fürstenhaus von Monaco zu Ehren, ,,race de Grimaldi" nannte (s. unten). Furfooz. In Höhlen bei Furfooz, im Tal der Lesse, fand 1867 Dupont 16 Skelette, von denen aber nur 2 Schädel in gutem Zustand er- halten werden konnten. Renntiergerät und die späte Diluvialfauna begleiteten die | Knochen (s. Dupont 1872). Offnet. i In der Offnet, einer Höhle bei Nördlingen in Bayern, hat früher 0. Fr aas paläolithische Kulturschichten entdeckt, jetzt hat R. R. Schmidt (1912) die Höhle gründlich ausge- räumt. Ueber den jungpaläolithisclieii Schich- ten lagerte sich eine jüngstijaläolithische, die R. R. Schmidt für sieher zum Tardenoi- 1 sien zählt, das mit dem Azilien zusammen- hängt; sie würde also dem Sjiätmagdalenien, ganz am Ende des Paläolithikum ange- \ schlössen sein. In dieser Schicht fanden sich 2 Bestattungen von Schädeln. Wie in einem ' Nest die Eier, so lagen je in einer Mulde ! in jeder Bestattung die Schädel beieinander je mit den Gesichtern nach Westen;! das eine Nest enthielt 6, das andere j 27 Schädel. Sie waren in Ocker eingebettet. 1 Alle besitzen den Unterkiefer und einzelne Halswirbel, sind also vor Verwesung der Weichteile beigesetzt. Einige verbrannte Knochen und Äsche sind die einzigen Reste | der übrigen Körper. Nur 6 Schädel wurden | als männlich erkannt, die anderen sind Weiber und Kinder, die als Schmuck durch- bohrte Schnecken und Hirschzähne hatten. Die Schädel sind nach Schliz teils rund- köpfig, vom Grenelletypus (s. unten), teils lang, dem Brünnschädel ähiüich (s. unten). Eine ausführliche anthropologische Darstel- lung soll (durch Schliz) im großen Diluvial- werk Schmidts (1. c.) erfolgen. Ipswich. Nach Angaben der Tagespresse soll bei Ipswich (England) in sicher ältestem Paläoli- thikum ein "menschliches Skelett gefunden sein, das in der Schädelform sicher nicht; neandertalähnlich sein soll. Keith wird es i beschreiben, die Resultate bleiben abzuwarten ! — es sei hier erwähnt, weil das geologische : Alter und der anthropologische Typus sich zu widersprechen scheinen! II. Morphologie der Funde. i.Pithecanthropus, Homoheidelbergen- sis und primigenius (neandertalensis). a) Anatomie. Alle die zahlreichen Unter- suchungen über die anatomischen Merkmale und Besonderheiten der diluvialen Hominiden- reste haben die oben schon angegebene Trennung der eigentlichen Menschen in eine Primigenius- und Sapiensform ergeben. Der Beweis wird aus den folgenden Ausführungen hervorgehen, aber die Einteilung soll zur Dar- stellung schon vorweggenommen Averden. Man muß, um Wiederholungen zu vermeiden, für die Skelettbeschreibungen die sich nahe- stehenden Formen zusammenfassen; vor allem ist das nötig für die Untersuchung der Schädel, da eben nur Vergleichung die Formen verstehen lehrt. Im folgenden soll zuerst der Schädel, vor allem der Hirnschädel, dann das übrige geschildert werden. Schädel. Die Untersuchung der fossilen Hominiden- schädel ist durch "Schwalbe s klassische Arlx'iten über Pithecanthropus und Neander- talschädel auf eine neue und feste Grundlage gestellt worden. Er hat in diesen Unter- suchungen nicht seine Ansicht zu der der einen Partei im heftigen Kampf um die Natur und Stellung dieser Fossilien zugesellt, sondern zuerst ziffernmäßig die Formunter- schiede gepackt und feste Werte gegeben. Jeder Fund, der seitdem als ,,neandertaloid" oder ,, nicht neandertaloid", als zugehörig oder nicht zugehörig zu der Species Primigenius (neandertalensis) erwiesen werden soll, muß nach Schwalb es Methode geprüft werden und kann nur unter Berücksichtigung dieser Diagnostika gewertet werden. Man kann über Einzelheiten streiten, das Prinzip hat sich glänzend bewährt, es wird dauern; die Schwalbesche Methode ist für die Schädelkapsel ,,die" Methode. Daß man trotzdem weiter gehen muß, daß noch weitere Diagnostika gefunden werden können und wurden (Klaatsch u. A.) ist selbstverständ- lich. So hat Klaatsch für das Hinterhaupt, den Jochbogen, das Gesichtsskelett, den Unterkiefer bedeutsame Ergebnisse gehabt; er hat dann durch mühevolle Sammlung und Erforschung eines reichen Australiermaterials, durch unermüdliche und glückliche Bei- bringung teils neuer, teils sozusagen ver- gessener Fossilien und durch lebhafteste Diskussion des ganzen Abstammungspro- blems diesem ganzen Teil der Anthropologie die ihm gebührende Beachtung erzwungen. Die folgende Darstellung der Morphologie des Hirnschädels folgt zunächst ganz 344 Fossile Hommiclen Schwalbes Arbeiten (1899, 1901, 190G). Das prinzipiell Wichtige sind wohl folgende zwei Punkte. Man darf nicht, wie das früher j geschah, die Formeigentiimlichkeiten der Neandertaltypen mit einzelnen herausge- griffenen Schädeln von heutigen Primitiven, etwa von x\ustraliern oder Negern vergleichen, \ sondern man muß ihr Verhalten prüfen im \ Vergleich mit der ganzen ,, Variationsbreite" der betreffenden Eigenschaft in der ganzen , rezenten Menschheit. Man muß also für | alle in Betracht kommenden Merkmale i deren Variationsbreite beim Menschen fest- stellen, also für den betreffenden Wert das i beim Menschen überhaupt vorkommende Maximum und Minimum. Ebenso für die ; Gruppe der Anthropoiden, eventuell auch der ] niederen Affen. Selbstverständlich können ; sich die Variationsbreiten eines Merkmals von Mensch und Anthropoiden kreuzen ; dann nützt uns dieses Merkmal zur Charak- terisierung von Neandertalform oder Pithe- canthropus nicht viel; wenn aber jene Varia- tionsbreiten für ein Merkmal weit ausein- ; anderbleiben und dann der Wert des be- j treffenden Merkmals bei Pithecanthropus j oder Neandertalschädel in diese Lücke fällt, dann ist klar erwiesen, daß hierin morpho- logisch die betreffende Form eine Mittel- stellung einnimmt. Schwalbe hat für alle von ihm gegebenen Merkmale die Variations- i breite an weitaus genügend umfangreichem \ rezentem Material festgestellt ; selbstver- ständlich sind es nicht definitiv die Varia- tionsgrenzen des Menschen. So war es natürlich solchen Autoren, die einzelne von 1 Schwalbe oder von anderen aus Schwalbes 1 Ergebnissen gezogene Schlüsse bekämpfen wollten, leicht, extreme rezente Formen zu finden, die jene Variationsgrenzen bald für dies, bald für jenes Merkmal überschritten. Das war zu erwarten und beweist natürlich zur Sache gar nichts. Es werden auch jetzt noch nicht die definitiven Grenzen sein. Es zeigte sich trotz all dieser Versuche, daß Pithecanthropus und die Neandertalgruppe in einer ganzen Anzahl von Merkmalen hart an oder aber immer noch außerhalb dieser Variationsgrenzen des rezenten Menschen stehen — dabei kommt es (s. unten) auf die Kombination all dieser Merkmale an. Der zweite Punkt ist die Einführung von Ziffernwerten an Stelle der Schätzung. Schon viele Autoren hatten an der Neander- talgrupps ,, fliehende Stirn", ,, niedere Stirn", „flachen Schädel" usw. betont, aber man hatte dagegen auch fliehende Stirnen an rezenten Formen aufgezeigt. Erst Schwalbe hat diesen Termini Ziffernwert gegeben, die Merkmale metrisch gefaßt und damit der Willkür entzogen. So erst konnte man natürlich auch für diese Merkmale die Variationsbreiten vergleichuns; durchführen. Was charakterisiert nun die einzelnen Hominidenformen : Die Länge und Breite des Schädels und der daraus sich ergebende Längen -Breiten- index ist auf keine Weise auffällig, diese Werte fallen in die menschliche Variations- breite herein. Dagegen ist die Höhe der Schädel sehr auffällig, nämlich außerordent- lich gering; die Schädel waren stets als besonders flach aufgefallen. Schwalbe bestimmt diese Höhe an einer medianen Sagittalkurve. Man stellt von den Schädeln mit besonderem Zeichenapparat eine Kurve her längs der Symmetrieebene (vgl. den Artikel ,, Schädellehre"). Es handelte sich bei jenen älteren Funden ja nur um ,, Kalotten", d. h. Schädeldächer, so daß man die gewöhnlich vom Anthropologen ge- messene ,, Ohrhöhe" oder ,, ganze Höhe" des Schädels nicht messen konnte. So mißt man an diesen Kurven die Höhe der Kalotte über einer bestimmten Basis. Als solche wird eine Linie gezogen vom Nasion zum Inion oder von der Glabella zum Inion (s. Fig. 8 bis 13). Am Pithecanthropusschädel kann man nur die Glabellaebene brauchen, da das Nasion fehlt, so sei für alle diese Ebene an- genommen. Das Maß der höchsten Erhebung der Kalottenkurve über dieser Ebene gibt die Kalottenhöhe an. Dieses Maß muß natür- lich bei den im ganzen kleinen Affenschädeln, absolut gemessen, klein sein, so daß ein Ver- gleich erschwert ist. Er wird aber sofort er- möglicht, wenn man das Maß relativ zu einer sonstigen Schädelgröße nimmt. Man drückt Fig. 8. Mediankurve eines Schimpanseiischädels (erwachsen, weiblich). Nach Schwalbe (1899). Fig. 9. Mediankurve vom Pithecanthropus- schädel. Nach Schwalbe (1899). Fossile Hominiden 345 Fig. 10. das Maß in Prozenten der Schädellänge aus und nennt das den Kalottenhöhenindex. j Dieser erwies sich nun als vorzügliches ! Maß. Zunächst unterscheiden sich in dieser j relativen Kalottenhöhe Menschen und Affen recht stark voneinander, der niederste Index bei Menschen ist nach Schwalbe 52; Sollas (1907) fand an einem ausgesucht primitiv aussehenden iVustralierschädel 47,5; aber noch 10 Einheiten trennen diesen Wert vom höchsten bei Affen gefundenen (alter Schim- panse), wo er 37,7 betrug. Und in diese Mediankurvc vom Neandertalschädel. Kluft zwischen beiden Variationsbreiten Nach S c h w a 1 b e (1899). Fis. 11. Mediaiikurve vom Spv 1 - Schädel. Nach Schwalbe (1899). Fig. päer fallen mitten hinein die Werte für den Nean- dertal- und beide Spyschädel, ebenso ein Krapinaschädel (die Ziffer nach Gorjano- vic-Kramberger) und ebenso (nach Boulc 1 1911) der Schädel von La Chapelle, der darin mit dem Neandertaler fast identisch ist, wie die unten (S. 348) folgende Tabelle zeigt (in dieser Tabelle habe ich die Ziffern aus den zitierten Arbeiten von Schwalbe, Klaatsch, Gorjan ovic- Kr am berger, Sollas, Boule u. A. ausgezogen und zu- sammengestellt). Der Pithecanthropusschädel aber bleibt bezüglich dieses Merkmals ganz in der Affenvariationsbreite. Weiter sieht man, daß die Formen Neandertal — Spy — Krapina — La Chapelle — eng zusammen- gehören. Es sei schon hier darauf hingewiesen, daß diese Erscheinungen an einer ganzen Eeihe von Merkmalen nachweisbar sind (siehe Tabelle). — Für eine Anzahl Schädel sind dieser oder andere Werte nicht meßbar wegen Defekts der Meßstellen (z. B. Krapina C); — oder bei nicht einwandfreier Feststell- barkeit eines Mal;)])unktes nur annähernd genau meßbar (mit ? versehen in der Tabelle) — von anderen Schädeln geben die sie be- schreibenden Autoren die Ziffern nicht an. Wie die Gesamtlänge und Gesamtbreite des Neandertalschädels ihn nicht besonders charakterisiert, so tut das auch die ,, kleinste Stirnbreite" weder absolut, noch relativ zur Schädelbreite. Sie zeichnet sich immerhin I durch große Dimensionen aus, beträgt (ab- solut) beim Neandertaler 107 mm, bei Spy I und II 104 und 109 mm, während die er- drückende Mehrzahl der rezenten Schädel nur 90 bis 94 mm haben, einzelne gibt es allerdings, die jene hohen Werte erreichen. i Ebenso ist es mit dem Verhältnis von I Glabella-Lambda- und Glabella-Inionlänge. [ Bei der Neandertalgruppe, Pithecanthropus und allen Affen ist die Glabella-Inionlänge länger als die andere, beim rezenten Menschen im allgemeinen umgekehrt, aber einzelne haben darin auch jene Verhältnisse verwirk- licht. So sind das also keine spezifischen Unterschiede. Dasselbe gilt von der Inter- orbitalbreite und dem liilcrorbitalindex. Auch 13. Mediankurve von einem heutigen Euro- 1 hier zeigen sich Neandertal, Spy, Krapina, (Elsässer Mann). Nach S c h w a 1 b e (1899). i Le Moustier zusammengehörig; sie zeichnen 12. Mediankurvc vom Spy II - Schädel. Nach Schwalbe (1899). 346 Fossile Hominiden sich durch besonders breite Interorbital- strecke aus, aber einzelne rezente Formen haben ähnliches (Einzelheiten müssen in Schwalbes Original nachgesehen werden, auf sie einzugolien, würde hier zu weit führen; das gilt aucli für manche der folgenden Punkte). Weben der deutlichen Zusammengehörigkeit dieser Primigeniusformen weicht Pithecan- thropus im iVufbau dieser Schädelgegend stark ab ; sein Interorbitalindex liegt zwischen dem der niederen und anthropoiden Affen; Pithec- anthropus zeigt also deutlich seine Sonder- stellung. An den Mediankurven (s. Fig. 8 bis 13) ist weiter der starke Augenbrauenbogen zu er- kennen. Man kann am Bogen, den das ganze Stirnbein bildet, einen unteren Ab- schnitt, die Pars glabellaris (Fig. 10, n bis a) von der Pars cerebralis (a bis b) unterscheiden. Das Verhältnis der Sehnen beider Bogen- strecken beträgt (die längere = 100 gesetzt) beim rezenten Menschen im Mittel 26 bis 27, beim Neandertnlmenschen über 40 (s. Tabelle), bei anthropoiden Affen 35 bis 40. Auch hier stehen die Primigeniusformen weit ab von der Sapiensgruppe (bei Spy II ist das Maß sehr schwer festzustellen, da das Nasion fehlt). Das Maß bei Pithecantliropus — nur durch Konstruktion des fehlenden Nasion zu er- halten, fällt umgekehrt in die Variationsbreite der rezenten Menschheit, in die allerdings auch viele x\ffen fallen. — Endlich zeigt Klaatsch (1908), daß ausnahmsweise Austra- lier, einer aus seinem schönen Material, für diesen Index Werte wie der Neandertal- mensch erreichen können (s. Tabelle; vgl. auch unten ,,Supraorbitalwulst"). Auch die Länge des ganzen Frontalbogens ist inter- essant, vor allem im Vergleich zu dem des Parietale. Beim Neandertaler ist das Stirn- bein länger als das Scheitelbein. Das Scheitel- bein mißt nur 82,7% von jenem; bei rezenten Menschen haben nur wenige diese Ziffer unter 100, fast alle über 100; umgekehrt Affen stets unter 100, der höchste Wert war sogar 88,6 — und der des Pithecanthropus ist 86. Er fällt also ebenfalls in die niederen Werte. Giuffrida-Ruggeri (1901) hat einen Mela- nesierschädel (nur einen unter sehr vielen) gefunden, der ebenfalls solch niederen Index hat (84,7!). Klaatsch (1908) dagegen unter Australiern keinen unter 90. In diesem Merkmal ist also Pithecanthropus und der Neandertaler niedrig organisiert, aber es gibt auch solche Sapiensformen. Endlich hat Schwalbe an den Kurven noch die ,,fliehende Stirn" analysiert. Sie kann bedingt sein entweder durch flache Neigung der Stirnbeinschuppe oder durch geringe Wölbung derselben (oder beides). Die Neigung des Stirnbeins drückt der Autor aus durch den Bregmawinkel (Fig. 14, bgf), d. h. den Winkel, welchen die Glabella-Bregmalinie mit der Glabella-Inion- horizontalen verbindet. Dieser Winkel (s. Tabelle) beträgt beim Neandertaler 44", bei La Chapelle 45,5", bei den Spy 45° und 50,5^ bei Krapina (C.) 52" (nach Gorjano- vic- Kram berger), bei Gibraltar (nach Sollas) 50", also zwischen 44» und 52" bei allen Primigeniusformen. Die Neandertalgruppe bleibt mit ihren Werten vom niedersten Wert des rezenten Menschen, den Schwalbe an seinem großen Material bei 53 fand, noch ab, aber Sollas fand einen Australierschädel mit einem Bregmawinkel von 51,3" und Klaatsch einen solchen mit 51". Damit sind also solche ex- trem seltene Formen beim rezenten Menschen hier und da noch vorhanden und kommen denen mancher Primigcniusfornu'n gleich. Dagegen bleibt gegen alle diese der Neander- talschädel selbst und der von Spy I weit zurück, um über 5". Und noch viel weiter, um 12" bleibt der Wert des Pithecanthropus zurück, der 34 bis 38" beträgt (je nach der Entscheidung über die Lage des Bregma, die bezüglich zweier Punkte nicht ganz ins reine kommen kann). Jedenfalls bleibt Pithecan- thropus innerhalb der Affenvariationsbreite, deren Winkelwerte bis 39,5 heraufreichen. Ein stärker geneigtes Stirnbein wird aber nicht nur einen spitzigeren Bregmawinkel bedingen, sondern auch (bei gleichbleibender Größe des Knochens) eine Kückwärtsver- schiebung des Bregma (bei steil aufgerich- tetem Stirnbein wnrd das Bregma vorrücken). Man bestimmt die Lage des Fußpunktes einer vom Bregma auf die Horizontale ge- fällten Senkrechten (in Fig. 12 bf). Statt Fig. 14. Mediankurve und Winkelkonstruktionen am Neandcrtalschädcl. Nach Schwalbe (1901). I absolut zu messen, kann man den von der I Stirn her auf der Basislinie durch den Fuß- ! punkt abgeschnittenen Teil (also g bis f) in Prozenten der ganzen Länge ausdrücken und erhält den ,, Lageindex des Bregma". Je höher dieser Lageindex, desto weiter ist das Bregmaende nach rückwärts umgelegt, desto „fliehender" also die Stirn. Affen haben Werte j von 42 und darüber (s. Tabelle), 42 erreicht 1 auch Pithecanthropus. Rezente Menschen- Fossile Hominiden 347 Schädel haben meist einen Index um 30, doch steigt er hier und da bis 34 und einmal wurde (Sollas) ein Australier mit 36,8 ge- funden. Das sind dann Werte, die der Nean- dertalgruppe zukommen, die gelegentlich 31,8 (Krapina), sonst 35 bis 38 hat; La Cha- pelle und Neandertal sind dabei die nie- drigsten. Die Wölbung des Stirnbeins liat Schwalbe durch 2 Ziffern bestimmt. Zu- nächst durch den »»Stirnwinkel". Stiirnwinkel (Fig. 14) nennt man den Winkel, clen eine vom Glabellarpunkt an die Pars cerebralis des Schädels (also oberhalb a) angelegte Tangente mit der Glabella-Inionbasis t)ildet. also Winkel mgi in Figur 14. Dieser Winkel charakterisiert die Formen ausgezeichnet. Er ist (s. Tabelle) beim Menschen im Mittel etwa ein rechter, kann aber bis 73 herunter- gehen, ja Sollas findet an jenem nun mehr- fach genannten ausgesucht primitiven Austra- lierschädel einen Winkel von nur 72,3". Aber auch von solchen extremen heutigen Formen bleibt die Neandertalgruppe weit ab. Bei ihr erreicht die gewölbteste Stirne, Krapina C, doch nur 70", während die anderen auf 67, 66, 65, ja Spy I sogar auf 57,5" her- untergehen. Sera(19i0)hatfürden Gibraltar- fund 66" bestimmt (Sollas 73 bis 74; das erstere dürfte das richtige sein, da sonst alle Maße dieses Fossils nahe an das Neandertal- individuum herankommen). — Und nun trennt abermals eine Kluft und zwar eine sehr weite — 5" — • die niederste Neandertalform vom Pithecanthropus, der mit einem Stirn- winkel von nur 52,5" weit in die Werte hinein- rückt, die sonst nur Affen haben. Diese kommen nämlich herauf bis zu Winkeln von 56", reichen also bis nahe an die untere Grenze der Neandertalgruppe (57,5"). So erweist sich also der Stirnwinkel als ein ganz vorzügliches Diagnostikum. An zweiter Stelle kann man den Krüm- mungswinkel des Stirnbeins bestimmen. Man verbindet (Fig. 14) die Stelle der höch- sten Krümmung des Stirnbeins (Pars cere- bralis; (Fig. 14, d) mit beiden Enden des Knochens (also mit Bregma [b] und Nasion [n]). Der Winkel b d n ist der Krümmungs- winkel des Stirnbeins. Sein Wert ist außer- ordentlich schwankend, so variiert er z. B. bei den Affen von 171" bis herunter zu 144". Und von da, d. h. von 143" an bis zu 119" liegen die Werte beim rezenten Menschen. Die der Neandertalgruppe sind 139 bis 141,5 bis 151 (für Neandertal und 2 Spy), liegen also gerade in der Berührungszone der Affen- und Menschenvariationsbreite, reichen aber in beide weit herein; ein zoologisch gut brauch- bares Merkmal ist also dieser Winkel nicht. Am Pitlu'cantliropusschädel ist er nur durch Konstruktion zu erhalten (da das Nasion fehlt) und recht problematisch. Er wird zu 140 bis 152 angegeben, würde also wohl jedenfalls in dieselbe Gegend der Skala fallen wie die Neandertalgru])i)e. An dritter Stelle kann man die Stirnbein- krümmung dadurch auszudrücken suchen, daß man die Länge des Bogens mißt und mit der der Sehne vergleicht, die man zu diesem Bogen ziehen kann. Das gibt den ,, Krümmungsindex" des Stirnbeins; genau ebenso kann man den Krümmungsindex für die Pars cerebralis allein bestimmen (Bogen a bis b in Figur 14). Die Sehnenlänge wird in Prozenten der Bogenlänge aus- gedrückt. Dieser Lidex beträgt beim rezenten Menschen 84 bis 94; beim Neandertal- schädel ist er 87,2, fällt also in die mensch- liche Variationsbreite hinein; aber die Ver- gleichung von Affen zeigt, daß dieses Merk- mal eben nicht geeignet ist, den Menschen als solchen zu charakterisieren, denn bei Affen beträgt dieser Index 89 bis 97. Pithec- anthropus steht mit einem Index von 93 bis 96 (je nachdem man sich für die Lage des nicht ganz genau festgestellten Bregma entscheidet) an der äußersten menschlichen und äffischen Grenze. Dagegen zeigt sich im Krümmungsindex der Cerebralstrecke allein, daß diese beim Neandertaler geringer gewölbt ist, als beim rezenten Menschen, denn dieser variiert hier von 88 bis 93 und jener hat 95,5, einen Wert, der bei vielen Affen vorkommt (94 bis 95) und den auch etwa Pithecanthropus hat. Von allen Methoden, die,, fliehende Stirn" ziffernmäßig zu charakterisieren, erwies sich der Stirnwinkel am besten geeignet, nächst- dem der Bregmawinkel und dann der Lageindex des Bregma. Das sind die wichtigsten Punkte, die Schwalbe zur ,, Formanalyse" der Primi- geniusgruppe und des Pithecanthropus an- wandte und die sich seitdem in seiner und fremder Hand vorzüglich bewährt haben. Ehe auf die Folgerungen, die sich für die zoologische Stellung der Formen ergeben, näher eingegangen werden kann, müssen aber die einzelnen anderen Merkmale noch unter- sucht werden, die sich großenteils nicht ziffern- mäßig ausdrücken lassen. Die wichtigsten Ziffern zeigt folgende Uebersicht noch einmal, (Siehe Tabelle S. 348.) Eine Reihe wichtiger, von der Sapiens- form abweichender Merkmale lassen sich an einzelnen Knochen der Primigenius- schädel feststellen, aber nicht ziffernmäßig ausdrücken. Schon den ersten Untersuchern fielen die starken Ueberaugenwülste auf. Auch beim rezenten Menschen kommen ja Wülste am oberen Rand der Augenhöhlen vor, sie gehen von der Glabella aus nach beiden Seiten, pflegen aber das äußere Drittel des 348 Fossile Hoininiden Sehne Kalotten- von Pars Scheitel- Bregma- Lageindex Stirn winke! höhenindex cerebralis beinindex winkel des Bregma \^ :glabella V Rezenter Mensch Grenzwert CS 23,3 119,1 66 _ Mittel 59 26-27 — 30,5 ca. 90 Grenzwert (Schwalbe) 5- 31,8 89,3 53 34,3 73 Extremer Wert \ 48,9') 1 47,5') 34,1'') 43,6^ j 84,7*) 51^) 36,8^) 72,3-) Uebergangsformen ' Galley Hill (48?) — — 52 — 82 Brunn (51,22) — — 54 — 75 Brüx ca. 48 24,2 46—51 ca. 74,7 Primigenius Gibraltar 40,03) 43(?) — ■ 50 -^ (73-74)66^-) Krapina C — — — 52 — 70 Spy II Krapina D 44,3 (34,4?) 96,7 50,5 35,2 67 42,2 — 50 31,8 66 Spy I 40,9 41,5 104,3 45 34,5 57,5 Neandertal 40,4 44,2 82,7 44 38,4 62 La Chapelle 40,5 39,0 100 45,5 36,5 65 Pithecanthropus 34,2 25-30 ca. 86 34-38 42 52,5 Affen: Grenzwerte 37,7 25-78 88,6 39,5 42—63 56 Die meisten Ziffern nach Schwalbe. Krapina: nach Gorjanovic-Kramberger (1906). La Chapelle: nach Boule (1911): Gibraltar: nach Sollas (1907). Außerdem: 1. nach Klaatsch, 2. nach Sollas, 3. nach Sera, 4. nach Giuffrida-Ruggeri. Le Moustier ist weggelassen, teils weil jugendlich, teils weil die betreffenden Maße nicht publiziert oder nicht zu nehmen sind. oberen Augenhöhlenrandes frei zu lassen, indem sie nach oben verstreichen ; so entsteht hier ein Arcus superciliaris und außen davon ein Planum supraorbitale (Fig. 15), wie es Fig. 15. Stirnbein eines Elsässers mit stark ent- wickeltem Arcus superciliaris und Stirnbein des Neandertalschcädels (unteres Bild) mit Torus supraorbitalis. Nach Schwalbe (1906). 1 Schwalbe nannte. Die Neandertalart hat 1 dagegen Wülste, die den ganzen oberen j Augenhöhlenrand umgreifen, also noch außen \ bis auf den Jochfortsatz des Stirnbeins sich erstrecken, im Gegensatz zu jenen Arcus als l Tori supraorbitales bezeichnet (Fig. 15). Klaatsch hat nachgewiesen, daß ausnahms- weise auch beim rezenten Menschen echte Tori vorkommen, er konnte solche an einigen Australiern feststellen. Für Funde diluvialer I Schädel, um hier zwischen Primigenius- und I Sapiensformen zu scheiden, ist indes jener ! Torus natürlich trotzdem von größter Be- deutung und wird zur (Charakterisierung auch von Klaatsch und anderen stets erwähnt. Eine gute Vorstellung von der starken Wölbung, vom dachartigen Vorspringen dieser Augenränder geben ineinander ge- zeichnete Kurven, die durch die Mitte (Sym- metrieebene) des Schädels und dieser parallel durch die Augenhöhle <;elegt sind. Da springt die Augenhöhlendaclikurve förmlich als Schnabel vor (Fig. 16, 17, 18). Am Scheitelbein ist das Längenverhältnis des oberen (sagittalen) und unteren (tempo- , ralen) Randes von besonderer Bedeutung, j Beim. Menschen ist der temporale Rand stets \ kürzer als der sagittale. bei den Affen um^ gekehrt; dagegen kommt im Größenverhält- 1 nis der übrigen Ränder der Neandertaler dem 1 rezenten Menschen gleich und beide zusammen I differieren gegen die Affen. Aber auch jener ' erstgenannte Unterschied ist nicht spezifisch, denn ein Krapina- und der La Chapelleschäde , \ Fossile Honiiniden 349 Fig. 16. Mediankurve des Schädels eines Elsllssers mit lateraler Stirnkurve. Nach Schwalbe (1901). Fig. 17. Medianknrve des Neandertalschädels. Nach Schwalbe (1901). Fig. 18. Mediankurve von einem männlichen Schimpansenschädel. Nach Schwalbe (1901). verhalten sich darin wie rezente Formen und umgekehrt konnte Giuffrida-Ruggeri (1901) Melanesierschädel finden, an denen wie beim Neandertaler der Schläi'enbogen etw^as, allerdings nur um wenige Millimeter, länger ist als der Scheitelbogen. Zur Charak- terisierung der Neandertalgruppe gegen die gesamte Menschheit in all ihren extremen Varianten genügt also — wie zu erwarten war — das Merkmal nicht, aber es ist z. B. gegen die europäischen Diluvialrassen der Rezensform oder die heutigen Europäer ein deutliches Unterscheidungsmerkmal und an sich eine primitive und interessante Eigen- schaft. Für eine Anzahl Merkmale am Hinterhaupt- und Schläfenbein sind Klaatsch's Ai'beiten (1902, 1909) grundlegend geworden: Spy, Krapina und Le Moustier haben am Hinter- haupt keine Protuberantia occipitalis; dafür besteht ein starker cjuerer Inionwulst mit medianer Einziehung; über dem Inionwulst findet sich eine beträchtliche ,,Fossa supra- toralis". Am Temporale ist das Auffälligste die Schwäche des Processus mastoideus, der ein schwacher, an die Crista mastoidea des Gorilla erinnernder Wulst ist (Klaatsch). An Spy, Krapina und La Chapelle fand man (Fraipont, Gorjanovic-Kramberger, Boule und besonders Klaatsch), daß das Tympanikum zu einem mächtigen und dicken Knochenring um den Gehürgang herum aus- gebildet war. Die Wurzel des Jochbogens ist verdickt, dieser bildet einen leichten Bogen nach oben usw. Es muß für viele Einzelheiten auf die Originalarbeiten verwiesen w^erden, insbeson- dere auf Klaatsch. Am wenigsten genau sind unsere Kenntnisse über die eigentlichen Gesichtsknochen, die bei allen Funden mehr oder weniger zerstört sind. Immerhin lassen einzelne doch einiges erkennen. Die Augen- höhlen müssen groß, rundlich gewesen sein, die Nasenöffnung groß, breit; die Jugalbreite ist ebenfalls beträchtlich und das ganze Gesicht ziemlich lang, dabei im ganzen stark nach vorn gebaut (Gesichtsprognathie, nicht alveoläre Prognathie). Sehr vielfach sind aber nun wieder unsere Erfahrungen über den Unterkiefer. Neben den Beschreibungen der einzelnen Kiefer (je im Anschluß an die des Schädels) sind besonders die schönen Untersuchungen von Walkhoff (1902, 1903), dann wieder Klaatsch (1. c. und 1909) zu nennen. Am Unterkiefer ist das Auffallendste seine allgemeine Mächtigkeit und Plumpheit und dann das Fehlen des Kinnes (s. Fig. 19). Der mächtigste von allen ist der des Heidel- bergers (Fig 19), der in seinen Dimensionen von den rezenten so stark abweicht, daß man ihn ohne Zähne vielleicht für den eines Anthropoiden gehalten hätte (Schöten- sack). An diesem Kiefer ist die Kinn- Fig. 19. Unterkiefer-„Diagramme" der Unter- kiefer des Heidelbergensis , des Mou- stierfundes und eines rezenten Euro- päers . Nach Klaatsch (1909). platte vorn völlig gerundet, ohne jede An- deutung eines Kinnes; auf der Innenseite dieser besonders dicken Kinnplatte fehlt die 350 Fossile Hominiden Spina mentalis, dafür ist als Ursprungsstelle des Musculus Genioglossus eine paarige Grube ausgebildet. Der Basalrand der Kinn- platte zeigt eine Einbuchtung, die Incisura submentalis Klaatschs. Der horizontale Kieferast ist hinten im Bereich des hintersten Backzahns besonders dick, sein oberer Rand ist hinter dem Weisheitszahn zu einem „Trigonum postmolare" verbreitert. Der aufsteigende Ast ist besonders breit, 60 mm gegen z. B. rund 37 des rezenten Europäers. Der iVst steigt sehr steil auf, seine obere Inzisur ist äußerst gering. Der Gelenkhöcker ist besonders groß. Sehr ähnlich sind im ganzen die Unter- kiefer des Primigeniusmenschen. Alle zeich- nen sich durch starke Dicke und Massigkeit aus, das Kinn beginnt bei einzelnen als leichte Anschwellung, stets fehlt die Spina mentalis. Aber die Form der Incisura mandibulae und andere Einzelheiten lassen die Abtrennung des Heidelbergers von ihnen doch gerecht- fertigt erscheinen. So bilden die zum Teil recht gut erhaltenen Unterkiefer von Krapina und Spy, dann die Reste solcher von Ivrapina, La Naulette, Ochos, Schipka, dann die neuesten tadellosen Funde von Le Moustier und La Chapelle eine ausgezeichnete Reihe. — Es ist hier unmöglich, auf die außerordentlich interessanten, aber sehr schwierigen osteolo- gischen Einzelheiten einzugehen, es muß auf Klaatsch's Arbeiten verwiesen werden. Walkhoff hat das Verdienst durch Be- niitzung der Röntgenmethode über manche Punkte noch genaueren Aufschluß verschafft zu haben. So wurde die Natur des Schipka- kiefers endgültig entschieden (s. oben Schipka- fund). Es handelt sich um einen Kiefer eines etwa lO-jährigen Kindes. Schon der Kinder- kiefer des Primigeniusmenschen hatte also gewaltige Dicke und Stärke. Walkhoff konnte das an einem entsprechenden Kiefer von Predmost ebenfalls nachweisen. Auch Klaatsch's Moustierfund, der ja ebenfalls ein jugendliches Individuum ist, bestätigt das glänzend. — Gerade von Unterkiefern existieren noch einige andere Funde, die nach diesen neueren Methoden nicht untersucht sind, aber sehr wahrscheinlich hierher ge- hören, so der Kiefer von Malarnaud (Ariege) und der von x\rcy (Yonne). — Mortillet Q900) verzeichnet oder beschreibt diese und einige zweifelhafte Funde. Die Zähne des Neandertalmenschen sind ^ ebenfalls charakteristisch. Sie zeichnen sich durch Größe, vor allem die Backzähne, aus. Die Zahnreihe ist eine geschlossene, der Eckzahn ragt nicht vor (die Zähne des Heidelbergers sind ihnen gleich). Die Kau- fläche trägt vielfach Schmelzfalten, und hat ein reich ausgebildetes Relief; die Höcker der Molaren pflegen gut ausgebildet zu sein. Im Gegensatz zu rezenten Menschen tragen i auch die Schneidezähne öfter auf der Innen- i Seite Schmelzrunzeln , während das dort nur ganz ausnahmsweise vorkommt. Die Pulpahöhlen der Zähne des Heidelbergensis sind gegen rezent europäische außergewöhn- lich groß (heutige Primitive?). Eine ganz eigentümliche Erscheinung zeigen die Kra- pinazähne. Gorjanovic-Kramberger und Adloff (1908) haben an den Krapinazähnen ein ganz eigenartiges Verhalten festgestellt. Gorjanovic-Kramberger zeigt, daß etw^a 50% der Backzähne keine normalen ■ Wurzeln haben, die Wurzeln sind verschmol- ■ zen, oft zu Zylinderformen umgewandelt, mit ! ,, Deckel" versehen usw^ Eine Erklärung für I diese beim rezenten Menschen recht seltene I Erscheinung ist nicht zu geben. Die Dis- kussion derselben seitens der beiden Autoren (Anatomischer Anzeiger 1907, 1908, 1909 j usw.) über die phylogenetische Bedeutung j dieser Dinge ist wohl unnötig groß geworden, es ward wohl aus solchen anomalen Bildungen (die einmal auftreten und sich dann wdhl nach Analogie anderer Mißbildungen ,,mendelnd" j vererben) für die Stammesgeschichte gar nichts zu schließen sein und man wird weder eine genealogische Verwandtschaft der Krapina- menschen mit irgendwelchen anderen (Spy oder aber rezenten) damit begründen, noch { aber widerlegen können. j Das übrige Skelett ist lange nicht so i genau bearbeitet worden als der Schädel. Klaatsch hat zuerst und dann wiederholt I darauf hingewiesen, wie wichtig und wie er- gebnisreich diese Erforschung ist, und hat eine Reihe wichtiger Punkte angegeben. Ueber das Stammskelett wissen wir fast nichts. Dagegen erwiesen sich die Extremitäten- knochen zum Teil als äußerst charakteristisch für die Primigeiiius<;riippe. Die Proportionen der Ai-me und Beine sind typisch menschliche und zwar euro- päische. Sie weichen von denen der Australier weit ab, da diese längere Beine besitzen (Klaatsch). Dadurch unterscheiden sie ! sich auch scharf von den Negern, mit denen Klaatsch den Neandertaler neuerlich in gewisse Beziehungen bringen möchte. Von einzelnen Extreniitätenknochen ist zunächst das Pit]u'canthr()])usfemur von größtem Interesse. Leider beschränken sich unsere Kenntnisse auf die kurzen Angaben und Abbildungen, dieDubois gegeben hat. I Danach ist es ein typisch menschlicher Ober- schenkel, der nichts vom iVffen an sich hat. DieExtremitätenknochen der Neandertal- gruppe sind alle sehr massig, plump. Der Oberschenkel ist stark und (bei allen!) typisch gekrümmt, der Schaft bleibt bis hart ans untere Gelenkende schmächtig, um sich dann sehr rasch zu verbreitern, wie es i Klaatsch (1901) beschreibt. Er schildert I weiter die Krümmung des Radius; Fischer Fossile Hominiden 351 (1906) drückt diese dann ziffernmäßig aus, gibt weiter eine Ziffer für die eigenartige Erhebung der Kuppe des Olecranon an den Neandertalulnen. — Noch zahlreiche andere Einzelheiten könnten genannt werden, auf die aber hier verziclitet werden soll. Neuer- dings hat Klaatsch (1910) im Vergleich mit der „Aurignacrasse" am Skelett des Neandertalensis nochmals eine Menge osteo- logischer Punkte untersuclit und beschrieben (es muß auf seine iVrbeiten verwiesen werden). Das Gehirn. Zunächst hat man versucht, über die Größe des Schädelinnenraumes — und da- mit des Gehirns, sich Vorstellungen zu machen. Der Inhalt des Neandertal- schädels ist sehr gering. Schwalbe (1901) schätzt ihn, ähnlich wie Huxley, Schaaf hausen u. a. auf rund 1230 ccm. Wenn man die Größe (Länge, Breite) des Schädels berücksichtigt, muß man Schwalbe zustimmen, daß derartig kleiner Inhalt bei rezenten, entsprechend großen Schädeln nicht vorkommt. Die Bostinimiing beruht allerdings nur auf Berechnung und Schätzung, ein Fehler ist ihr aber nicht nach- weisbar. Um so mehr überrascht es, daß beim La Chapelleschädel, den man exakt messen kann, sich ein viel größerer Inhalt ergab. Boule (1909) mißt (mit Hirse und Bleischrot) 1626 ccm! — ■ Einstweilen ist dieses Mißverhältnis nicht zu erklären. Durch die gute Erhaltung des La Chapelle- fundes ist es möglich gewesen, einen Schädel- ausguß herzustellen und unsere Kenntnisse über die allgemeine Form des Gehirns wesent- lich zu vertiefen. Der Gehirnabguß (d. h. also Schädel- ausguß) dieses Schädels zeigt im ganzen, wie Boule und Anthony (1911) ausein- andersetzen, im allgemeinen menschliche Formen und menschliche Größen. Aber sie fanden im einzelnen eine große Menge primitive Merkmale. Das Stirnhirn hat nach vorn eine Art Orbitalschnabel wie Anthro- poidengehirne, das Stirnhirn ist im ganzen etwas geringer entwickelt, besonders der linke Lappen ist in seinen unteren Teilen nicht stark entfaltet, so daß die Autoren eine geringere Sprachentwickelung annehmen. Die Sylvische Spalte scheint breit zu sein, ein starker Sulcus lunatus scheint vorhanden zu sein, die Medulhi zienüich schief angesetzt zu haben, alles Merkmale, die an Affenhirne gemahnen. Weitere Einzelheiten hier zu bringen, ist unmöglich. Das Gehirn des La (^uina-Schädels zeigt ebenfalls gewisse primitive Züge (s. Anthony, Kevue an- thropologique 1913 No. 3). Ueber den Pithecanthropus läßt sich nur ganz wenig aussagen; man darf wohl seinen Gehirnraum auf etwa 850 bis höchstens 1000 ccm schätzen (wobei als Vergleich angegeben sein mag, daß heutige Anthropo- iden wohl 600 ccm nicht überschreiten. — Dubois (1899) hat versucht, auch über^das Oberflächenrelief einiges zu eruieren, ^vor allem, daß die dritte Stirnwindung (Brocas Sprachzentrum!) viel stärker entwickelt sein soll als bei Affen, aber ebensoviel schwächer als beim Menschen. Ueber sonstige Weichteile der fossilen Hominiden wissen wir nichts; man kann aus manchen Puiüiten des Knochenreliefs auf kräftige ^liiskeln schliellen, aber einwand- freie Einzelheiten sind bisher nicht bekannt geworden. b) Zoologische Stellung des Pithec- anthropus, Heidelbergensis und Ne- andertalensis und damit verglichener fossiler Formen. Ueber die zoologische Stellung der ganzen Gruppe der Neandertal- ähnlichen Formen kann man erst seit den neuen Untersuchungen, die wir Schwalbe, Klaatsch u. A. verdanken, einigermaßen ein Urteil haben. — Vorher, vor allem ehe Schwalbe seine ziffernmäßige Analyse vor- nahm, konnte man nur Meinungen gegen Mei- nungen setzen. Wohl hatten eine große Anzahl Forscher die auffallenden Merkmale einer Reihe jener Schädel erkannt und einer be- stimmten Rasse zugescliri eben. Quatrefages undHamy haben in ihren berühmten, ,Crania ethnica" 1873 eine solche für sie aufgestellt. Ihre Benennung geschah nach einem Schädel- fund, der im Jahre 1700 bei Kannstatt (bei Stuttgart) gemacht wurde. — Das Folgende nach Schwalbe 1906. — Man hat Mammut- knochen gefunden und man scheint in deren Nähe den Schädel und Topfscherben und in einiger Nähe wohl auch Reihengräber ge- funden zu haben. Es kann heute als ganz sicher behauptet werden, daß der Schädel keinenfalls diluvial ist. Aber er galt später als mit jenen Mammutknochen gleichaltrig, wurde mehrfach beschrieben, 1870 an Q u a t r e - fages nach Paris gesandt und von ihm in seinem großen Schädelwerke abgebildet. ! Da er nun zeitlich der zuerst entdeckte I Fund sei, wollte der französische Autor nach ihm und nicht nach dem Neandertaler den Typus benennen. Denn er glaubte am I Kannstatter Schädelfragment dieselben Merkmale feststellen zu können, wie an jenem : I Starke Augenbrauenwülste und eine fliehende I Stirn, So stellte er die ,,Race de Canstadt" auf. Der neandertaloide Charakter des Kannstatter Fundes wurde schon mehrfach angezweifelt, zuletzt hat auch hier G. Schwalbe (1906) wirklich bewiesen und ziffernmäßig festgestellt, daß sich das Kann- I statter Schädelstück in keinem einzigen j Punkt von heutigen Schädeln der zentral- j europäischen Bevölkerung unterscheidet, daß ■ es ein ganz gewöhnlicher — ■ und wie eine 352 Fossile Honimiden kritische Prüfung der ganzen „Geschichte" des Stückes zeigt — rezenter Schädel ist. Weder die Augenbrauenwülste noch die Form des Stirnbogens weichen irgendwie von vielen heutigen Schädeln ab. Damit ist wohl der Name ,,race de Cannstadt" definitiv erledigt. Aber daß man die alten Formen zusammen- fassen wollte, zeigt doch, daß num ihre Sonderheit wohl bemerkte. Was heute die Merkmale sind, die erlauben und zwingen, besondere Gruppen anzuneh- men, das geht aus der obigen Beschreibung und der Tabelle hervor. Wenn man die Formen vergleicht, unter sich, mit Affen und rezenten Menschen, ergeben sich folgende Punkte,, die haupt- sächlich nach Schwalbe aufgestellt sind, für die alle entweder Ziffern oder doch genaue deskriptive Angaben vorliegen (s. Tabelle oben S. 348): 1. Die Schädel und Skelette von Neandertal, Spy, Krapina, La Chapelle, Le Moustier, Gibraltar haben so viele übereinstimmende Merkmale, daß sie mit völliger Sicherheit einer engen Gruppe angehören. 2. Die an dieser Gruppe gefundenen Merkmale sind a) solche, die der rezente Mensch auch hat, aber kein Affe, sie ist also menschlich; b) Meikmale, die kein einziger rezenter Mensch in dieser Kombination hat, die Gruppe ist also inner- halb der Menschheit eine besondere ; c) diese besonderen Merkmale liegen von der mensch- lichen Variationsbreite aus in der Richtung nach der der x\ffen, besonders der Anthro- poiden. 3. Der Pithecanthrojnisschädel fällt durch eine ganze Reihe von Meikmalen aus dieser Gruppe heraus — stets in der Rich- tung nach den Affen; man kann ihn daher a) füglich nicht mehr zu den Menschen rech- nen; aber b) fallen eine Anzahl Merkmale aus der Variationsbreite aller Affen heraus, so daß er auch zu ihnen nicht paßt. 4. Es gibt diluviale nrenschliche Schädel — deren Beschreibung oben noch nicht gegeben ist, die aber irr die Tabelle aufgenomrrren sind als ., sogenannte Uebergangsforrrren" — die ein- zelne Merkmale der ersten Gruppe — neander- taloide — an sich tragen. 5. Der Heidelberger Unterkiefer ist eben nur dieser eine Knochen, so daß dieser Fund nicht so sicher zu beur- teilen ist; er scheint aber aus der Neander- talgruppe in der Richtung nach unten herausgesetzt werden zu müssen. Zu diesen kurzen, das Ergebnis zusammen- fassenden Sätzen sind folgende Erläuterungen zu geben. An der Zusammengehörigkeit der Neandertalgruppe scheint niemand mehr zu zweifeln. Wohl aber bestehen Meinungs- verschiedenheiten, wie weit ab man sie vom rezenten Menschen stellen soll. Zunächst wehren sich eine Reihe von Autoren dagegen, für sie eine eigene Species anzunehmen. Da es scharfe Grenzen zwischen Species, Sub- species usw. rricht gibt, vor allenr dann nicht, wenn die eine Species etw^a der Vorfahr der anderen war, ist es wohl einfach als Ge- schrrrackssache zu bezeichnen, wie nahe rrran die Formen rücken will. Man hat versucht, zu zeigen, daß auch rezente Forirren neander- taloide Eigenschaften haben. Sollas (1. c.) hat an einem Australierschädel, Giuffrida- Ruggeri (1. c.) an Melanesiern, Klaatsch (1. c.) an Australiern, endlich Stolyhwo (BuUetiir de l'Academie des Sciences Krakau 1808) an einem Schädel aus einem eisenzeitlichen Kurghan von No- vosiolka diesen Beweis erbringen wollen. Die drei ersteren konnten nur zeigen, daß die Variationsgrerrzen, die Schwalbe 1 für den rezenten Menschen gefunden hatte, bei Vergrößerung drrrch ausgesuchtes Material etwas nach abwärts erweitert wairden — aber die Sonderstellung der Neandertal- gruppe bleibt, wie die Tabelle zeigt, wo diese extrerrren Werte, die diese Autoren fanden, alle irrit veriuerkt sind. Klaatsch konnte (1. e.) zeigen, daß tatsächlich die Australier außerordentlich primitiv sind; er nennt manche ihrer Schädelmeikmale präneander- taloid; sie hätten Merkmale bewahrt, die die Neandertalgruppe verloren hätte. x\ber das \ beweist natürlich nichts gegen die Sonder- i stellurrg dieser Gruppe — die übrigens ] Klaatsch voll anerkennt und begründen half — , es wird nur für die Beurteilung des ' genealogischen Verhältirisses von Primigerrius und Sapiens von Bedeutung. Stolyhwo endlich hat versucht, seinen Nowosiolka- schädel als neandertaloid zu erweisen: in keinem einzigen Punkte obiger Tabelle fallen die von Stolyhwo gegebenen Werte der ) Schwalb eschen Meßpuirkte außerhalb der , rezent-menschlichen Grenzwerte — der Schä- I del ist also einfach ein rezenter und verdient vergessen und ignoriert zu werden. Ganz ebenso hat sich erwieseri, daß einzelne als neandertaloid bezeichnete ,,Friesenschäder', der ,, Batavus genuinus", der schon unter Virchow, Spengel u. A. I Berühmtheit erlangte, alle in die meirschliche ] Variationsbreite fallen, keinerdeh Schwalbe- schen Zahlenkriterien standhält. Wohl kann man also hier und da an einem Schädel eine Einzeleigenschaft finden, die an die entsprechende des Neandertalers erinnert, oder ihr auch gleichkommt — z. B. Klaatsch's Tori supraorbitales an Australiern — , aber die den diluvialen Prirrri- geniusfunden eigene Kombination von i\Ieikmalcn wurde bisher rriemals nach- gewiesen. Man findet ja auch einzelne gorilloide oder orangoide Merkmale an ein- zelnen rezenten Menschenschädeln, sie bleiben doch spezifisch getrennt von Gorillas oder Orangs. - Die Neandertalgruppe ist eben- falls als spezifisch getrennt erwiesen. Fossile Hoininiden 353 Czekanowski gibt (Anthropologische? die den Weg vom gemeinsamen Menschen- Korrespondenzblatt 1909) eine sehr hüb- und Affenvorfahren nach der Seite der Affen- sche Methode an, die spezifischen Ziffern- bahn schon beschritten hatte — er sagt damit mäßig gefaßten Unterschiede graphisch zur nicht, daß es ein Affe ist — , so dürfte das, Darstellung zu bringen; man kann damit zumal wenn man das geologische Alter be- deutlich zeigen, wie einzelnen vorher zweifei- 1 rücksichtigt, eine Meinung sein, die viel für haften Formen ihre Stellung anzuweisen ist; er bestätigt damit vollauf die Schwalbe- schen Ergebnisse (vgl. indessen die Ein- wände von Poniatowski, im x\rchiv für Antropologie 1911). sich hat. — Damit wäre noch kurz die genealogische Stellung zu erörtern, nach- dem die morphologische wohl als geklärt angesehen werden kann. Auch da stehen sich die Meinungen noch Noch innerhalb des Diluviums nun hat ' ™ Kampfe entgegen. Die einzelnen Theorien man eine Keihe von Funden —sie sind oben »'"d im^ ^i^i^^\ ,,Anthropogenese ' aufgezählt —, die je in mehreren Merkmalen (B^'- I' ^ 4 ^2) dargeste It , insbesondere an die unterste Grenze der rezent-mensch- ^er Standpunkt Klaatschs (1. c. S. 477) liehen Variationsbreite treten, ohne diese und Schwalbes (1. c. S. 480). Danach in einzelnen zu überschreiten. Morphologisch kann man also als sicher annehmen, daß stellen sie ganz ohne Zweifel Zwischen- oder i der Homo primigemus eine alte, wenn Uebergangsformen dar. Walkhoff (1903) auch mcht die älteste Ausprägungsform des hat an der Konfiguration der Kinngegend 1 ^enschen ist. Sie ist entweder — und das des Unterkiefers einen förmlich stufenweisen ist bei weitem das wahrscheinlichste — Uebergang dieser Fundreihen zeigen können, I die direkte Vorfahrenform, deren Nach- die Schwalbeschen Meßziffern ordnen sich kommen zunächst jene als „Uebergangs- — wie die Tabelle oben zeigt — sehr schön iormen bezeichnete Gruppe und dann der zwischen die beiden Gruppen ein. Dabei i'ezente Europaer waren Daß die unver- kann man wohl im allgemeinen sagen, die änderte oder last unveränderte Vorfahrenform Funde nehmen eine gewisse Reihenfolge ein, noch eine Zeit lang je neben den abgeänderten so daß Galley Hill der rezenten Form Df.zendenten lebten, wäre dabei auf keine am nächsten kommt, daran schließt sich | Weise auf allig und unerklärlich Oder aber abwärts Brunn, dann Brüx. Noch einige j die ^eamlcitalgrui)pe stand neben unserer andere Formen dürften hierher gehören, eigentlichen, uns heute noch mcht bekannten vielleicht Predmost und andere. Es gab direkten Vorfahrenform als deren nächster also diluviale Formen, die im anatomischen B™der (dabei ist das geologische Alter Bau noch Anklänge an und Reste von Primi- des Galley-Hil fundes, das als ganz alt- geniuseigenschaften besaßen, im übrigen quartär angegeben wird, auffällig und mit aber Sapiensformen darstellen. Endlich den anderen Tatsachen nicht vereinbar). — zeigt auch der Aurignacfund, dessen Ana- ! Genau dieselben Möglichkeiten und Wahr- tomie unten behandelt werden wird, deutliche i scheinlichkeiten bestehen dann von der Hinweise auf den Neandertaltypus, so daß I Neandertalgruppe aus rückwärts zum Heidel- er vielleicht „morphologisch" (!) ebenfalls berger Fund und Pithecanthropus. Der alseine(eigene)„Uebergangsform", aber doch Heidelberger könnte der direkten Vor- spezifisch deutlich und sicher von der fahrenstute des Neandertalers angehört haben Neandertalgruppe getrennt, angesehen wer den kann. Schließlich sei noch erwähnt, daß natür- lich auch die Species primigenius-neander- talensis in sich variiert, auf keine Weise auffällig, aber wie zu erwarten, deutlich oder daneben gestanden sein. Pithecanthro- pus ist als direkter Vorfahr geologisch zu jung; daß ihn Schwalbe als eine früheForm auf der Bahn vom generalisierten Primaten zum Menschen, Klaatsch als eine solche auf der Bahn zum Affen ansieht, zeigt aufs beste seine morphologische Primitivstellung, individuell variierend. Schwalbe hat (1906) ^.^ ^^ ^^^^^ ^-^ -^^ ^. j j ^eit für emzelne Merkmale gezeigt, daß die Varia- ^^^j^^j^ unverändert bewahrt hat. Der tionen geringer smd als en sprechende etwa Heidel^^^^^ könnte ganz gut sein euro- der heutigeii Elsasser. Gor an o vi c- Kram- . -^^^^^ .^^^^^^ g^^^^^^ -^. yf^Heicht werden berger wollte auf Grund solcher Unter- gj ^^^^^^ j^ ^^j j wissenschaftlich ver- schiede innerhalb der Art. Varieaten auf- „j^^^^^^j^j^^^ englischen Funde da noch stellen - das geht wohl sicher nicht an. | ^^^^^ Gesichtspunkte ergeben. - Unter allen Die Bewertung der Eigenschaften des ' Umständen sind alle die genannten Funde Pithecanthropus ist ebenfalls noch strittig, fossiler Hominiden außerordentlich wichtige Kollmann(1905)hält-aberohneeinenneuen Reste, die uns den Weg der Menschwerdung Beweis seinerseits oder eine Widerlegung i weisen helfen. der Schwalbeschen Beweispunkte — das 2. Die Sapiensformen. Die Schilderung Schädeldach für das eines großen Affen, der morphologischen Merkmale der Schädel Wenn es Klaatsch für eine Form hält, ! aus der Neandertalgruppe mußte etwas aus- Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV. 23 354 Fossile Homimden führlich sein, weil es galt, ganz eigentümliche, von den heutigen abweichende Formen zu charakterisieren, ihre Sonderstellung zu be- weisen, ihre Sonderform zu verstehen. Die fossilen Schädel, die man zur Sapiensgruppe, also zum heutigen Menschen rechnen muß, bedürfen anatomisch nur einer ganz kurzen Beschreibung; da genügt im allgemeinen der Hinweis, daß es eben Formen sind, die den heutigen völlig entsprechen. Immerhin kann man auch innerhalb dieser ganzen hierhergehörigen Fossilienreihe deut- liche Unterschiede feststellen. Sie ent- sprechen nach Größe, Umfang und Eigenart ganz den Unterschieden, die wir innerhalb der heutigen Menschheit als ,, Rassenunter- schiede" bezeichnen; so ist es also im einzel- nen nicht immer leicht zu beurteilen, was wirklicher, eine Rasse auszeichnender Charak- ter, und was durch die Umwelt bedingt ist (z. B. Retroversion der Tibia usw. — vgl. den Artikel „Rasse", Bd. VIII, S. 82). Daß also verschiedene Typen bestehen — sagen wir Rassen — , scheint ganz sicher zu sein; trotzdem man für manche nur je ein einziges Individuum hat, dürfte man doch die Aufstellung solcher Typen wagen, man wird ohne weiteres dem iVnatomen, der eine solche Form beschreibt und als typisch auf- stellt, hier Glauben schenken dürfen; so hat ! also z. B. Klaatsch völlig Recht, wenn er die { Aurignacform als eine besondere und eigene 1 Rasse auffaßt. [ Ebenso dürfte der Cro-Magnonfund (der ; alte Mann) einen eigenen Rassentypus dar- stellen. Aber über die gegenseitigen Be- '< Ziehungen dieser Formen wissen wir noch ! so wenig, da schweben die geäußerten An- sichten alle derart in der Luft, daß hier kein Versuch gewagt werden kann, in allgemeiner Darstellung solche Beziehungen aufzuweisen. So mögen nur ganz kurze Angaben über die ! wichtigsten Merkmale hier folgen. j Aurignac. | Die Anatomie des Aurignacskelettes ist von Klaatsch (1910), ausführlich dar- gestellt worden. Es geht daraus mit völ- j liger Sicherheit hervor, daß es sich um eine i eigene Form, die ,,Aurignacrasse" handelt. Der Schädel (Fig. 20) ist sehr gut gewölbt, seine Meßwerte fallen in allen Punkten der Schwalb eschen Neandertalanalyse in die Variationsbreite des rezenten Menschen, j Tori supraorbitales fehlen. Der Schädel ist sehr lang, schmal (Index 65,7). — Der Schädel zeigt in einer Reihe von Punkten größte Aehnlichkeit mit dem von Brunn, in anderen weicht er von diesem gegen die rezente Eiiropäerform hin ab. Das Gesicht ist nicht schmal, aber auch nicht niedrig; ziemlich orthognath. Die Nasenöffnung läng- lich, herzförmig, die Augenhöhlen uach außen gesenkt, mit etwas geraden Rändern. Der Unterkiefer ist schmal, mit deutlich entwickeltem Kinn. Am Extremitätenskelett ist nichts von den KJrümmungen und der Derbheit der Neandertalknochen, Klaatsch findet eine Menge Merkmale, die an den Cro-Magnontypus, eine Menge, die an den spätdiluvialen Chanceladetypus erinnern. Fig. 20. Aurignacscliädel. Nach Klaatsch und Haus er (1910). Man wird ihm völlig Recht geben, wenn er da an genetische Beziehungen denkt, derart, daß der Chaneeladetypus manches vom Aurignac erhalten hätte, anderes aber vom Neandertaltypus. Wenn dagegen Klaatsch die Entwicke- lung des Aurignactypus aus dem Neandertaler für ausgeschlossen hält, wird man nicht ohne weiteres folgen, viele Merkmale des Auri- gnacmenschen fallen sehr gut in die Richtung und Wegstrecke, die vom Neandertaler zum rezenten Menschen führen. Auch der Cro- Magnontypus könnte als Fortbildung vom Aurignac aufgefaßt werden, aber wir können heute noch nicht sicher sagen, wie die einzelnen genealogischen Linien gehen, es können sterile Seitensprossen dabei sein, es können auch, wie Klaatsch ganz mit Recht sagt, Mischungen der einzelnen vorher differenzierten Formen statt- gefunden haben. Auch die geologischen Altersverhältnisse der einzelnen Funde machen der genealogischen Deutung manche Schwie- rigkeit. Jedenfalls haben wir es also im Aurignac- fund mit einer eigenen Form zu tun, die nicht zur Neandertal-, sondern zur Sapiens- gruppe gehört, sicher aus dem älteren Auri- gnacien stammt, so daß wir also deutlich und sicher zwei Formen diluvial vertreten haben. Endlich sei noch kurz erwähnt, daß Klaatsch am Aurignacskelett Merkmale fin- det, die an die von orangutanähnlichen Fossile Hominiden 355 Primaten, am Neaiidertalskelett solche, die an gorilloide Formen erinnern; er verwendet das zu phylogenetischen Hypothesen (vgl, den Artikel ,, A n t h r o p o g e n e s e ", Bd. I, S. 477). Es handelt sich aber aus- schließlich um Konvergenzerscheinungen, nicht um phyletische Abhängigkeit, so daß jene Folgerungen meist abgelehnt wurden. Cro-Magnon. Die Skelette von Cro-Magnon zeichnen sich durch kräftige Statur und starke Knochen aus. Der alte Mann soll über 1,80 m lang gewesen sein, nach Berechnung aus Ex- tremitätenknochen (Aurignac 1,60 m groß nach Klaatsch). Der Schädel ist groß, lang (Index 72 bis 74), tadellos gewölbt (Fig. 21), faßt 1590 ccm, der der Frau 1490 ccm. Fig. 21. Cro-Magnonschädel (alter Mann). Nach Quatrefages und Hamy (1873). Das Obergesicht ist orthognath, das Gesicht breit. Die Augenhöhlen sind sehr niedrig, breit, nach außen abfallend. Das Kinn ist stark entwickelt. Die Skelette sind nicht ganz identisch, doch kann man das noch in den Bereich individueller Variationen setzen. Laugerie-Basse. Nach dem Maß des Oberschenkels war der Mann 1,65 m groß; die Knochen sind kräftig und derb. Der Schädel ist ebenfalls gut gewölbt, mit gerader Stirn, orthognath, lang (Index 73,2). Chancelade. Dieses Skelett hat, wie oben schon an- gedeutet, eine ganze Reihe Merkmale, auf Grund deren es Klaatsch mit Recht als besonders wichtig erklärte. Der Schädel ist wohl gewölbt, mit hoher, breiter Stirn (dabei wie die beiden vorigen dolichocephal). Aber die Extremitäten erinnern in manchen Merkmalen an neandertaloide Verhältnisse. Die Extremitäten sind relativ klein, die Körpergröße dürfte nur etwa 1,50 m betragen I haben. Humerus und Femnr sind kurz, derb, I plump, das Femur gekrümmt, mit relativ i dicken Enden; neben der Testutschen Be- j Schreibung (1889) macht besonders Klaatsch \ (1910) auf all diese Punkte aufmerksam. Auf Grund dieser Angaben Klaatschs darf man vielleicht das Chanceladeskelett von den anderen trennen, aber das bedarf noch sehr der Nachuntersuchung. Meist faßt man alle drei zusammen und spricht sie als „Cro-Magnonrasse" an. Mortillet (1900) hat aber ganz recht, wenn er meint, man solle die Rasse nach dem Fund benennen, der wirklich ganz einwandfrei datiert ist und schlägt vor, sie ,,race de Laugerie" zu nennen. Zur Laugerierasse gehörten dann geologisch mit Sicherheit ,, Laugerie", ,, Chance- lade" und ,,Sorde" — ■ ferner, falls alt, sonst als die alte Form gut wiederholendes jüngeres Exemplar: Cro-Magnon (Chancelade aber vielleicht aus anatomischen Gründen doch nicht). Der eben erwähnte Schädel von Sorde (Departement Landes — gefunden 1872) ist sehr schlecht erhalten, soll aber ganz dem von Laugerie gleichen, die Lagerung in einer Magdalenienbestattung war ganz ein- wandfrei. [ Zu dieser Laugerierasse, d. h. wie er sagt, zur Cro-Magnonrasse rechnet Verneau (1906) ! eine Anzahl von Skeletten aus den Grimaldi- grotten. Unter den obersten, schlecht er- i haltenen und anthropologisch unverwert- ' baren Knochenresten — 5 m tiefer — fand sich ein männliches Skelett. Verneau zeigt, \ daß es sich um einen sehr typischen Vertreter I der Cro-Magnonrasse handelt. Die Körper- i große berechnet er auf 1,89 m oder 1,94 m. ! — ^ Diesem SkelettgeselltVerneau dievonder I Grotte du Cavillon, zwei von Barma Grande und von Baousso da Torre bei — sie alle werden dieser Rasse zugezählt, ihre durch- j schnittliche Körpergröße ist 1,82 oder 1,87 I (je nach der Berechnungsmethode). Der ! Schädel gleicht dem typischen Cro-Magnon- [ Schädel. t So hätte man also wahrscheinlich die Aurignacrasse(Hauser-Klaatsch'sFund von Combe-Capelle) im ,,Aurignacien" und die Laugerierasse im ,,Magdalenien". Eine anatomische Beschreibung einer ganzen Anzahl anderer Skelettreste aus dem Diluvium muß hier weggelassen werden. Teilweise handelt es sich um Bruchstücke von Schädeln, so daß man sie nur im all- gemeinen von der Neandertalgruppe aus- schließen, nicht aber einer einzelnen Rasse zuzählen kann; teilweise aber fehlt es auch noch an einer exakten Beschreibung, so daß man ein Urteil über die Bedeutung mancher 356 Fossile Honiiniden Furfooz. Im Gegensatz zu allen oben beschriebenen Funde noch gar nicht haben kann. Einzelne : es sei nur erwähnt, daß die von Kollmann sind dadurch berühmt und bekannt ge- aufgestellte und verteidigte (Denkschrift worden, daß man sie irrtümlich zum Neander- der Schweizerischen Naturforschenden Ge- taltypus rechnete. So bedurfte es z. B. einer Seilschaft Bd. 35, II. Auflage 1901) Annahme umfänglichen Arbeit Schwalbes (1902), einer Pygmäenrasse nicht haltbar ist. zu zeigen, daß der diluviale Schädel von ^,r "• , -o • i , i.- , •. Egisheim bei Colmar (gefunden 1865) völlig Weniger der Eeichhaltigkeit oder der zur rezenten Form gehört. Schwalbe f?l°^^'^^ genau festgestellten Lagerung möchte ihn zur Cro-Magnonrasse stellen, ^ ' ^'^elmehr der anthropologischen indessen dürfte eine Kassenzugehörigkeit ^ ?°T ^^^^^ ™^^ß ^fg^gen der Fund von heute, wo wir mehrere diluviale Saptens- ^"'*°°^ ^«ch genannt werden (s. oben), rassen kennen, bei der Dürftigkeit des Egis- heimer Fundmaterials nicht festzustellen sein. Hierher gehören ferner die Schädel von Tilbury, Denise, Podhaba, Marcilly, Brechamps, Sligo (Irland), Olmo (Italien), Schädeln ist dieser rund, brachycephal (oder Stängnäs — nach Schwalbe. Es hat wohl cloch subbrachycephal). Man spricht im An- keinen Zweck, alle diese und viele andere s^dibiß an den Vorsehlag von Quatrefages Funde hier zu beschreiben; bei sehr vielen ""d Ha my (1882) sehr viel von einer bracliy- ist sogar die Frage der Datierung recht wenig cephalen„Furfoozrasse". Aber eine exakte geklärt. Vom eben genannten Olmoschädel Untersuchung — anthropologisch und geo- sei erwähnt, daß man ihn vorübergehend für logisch-prähistorisch — fehlt noch. Man tertiär erklärt hatte. Er scheint nicht ein- 1 h^t die brachycephalen Schädel, die bei mal innerhalb des Diluviums sicher datierbar, L^ Truchere im Sand der Saöne gefunden ist außerdem wahrscheinlich mißbildet. — "P^ ^üi" paläolithisch erklärt wurden ( ?), Auf die Funde von Solutre, Baousse-Rousse, hierher gerechnet, ebenso die von Grenelle Aurignac (ein früherer Fund), Abri des Ho- (Paris). Der Schädelindex dieser drei Funde teaux, La Madeleine, Bruniquel, Piacard — \ ist 79 bis 85. Ganz neuerlich beschreibt alle in Frankreich (nach Mortillet) soll i I^^itot (1910) die Funde von Grenelle nicht eingegangen werden, ebensowenig auf ^i"d Clichy von neuem und will hier die die von Andernach, Räuberhöhle bei Regens- j brachycephale Rasse als bodenständig im bürg, Gailenreuth, Heppenloch, Bockstein- Chelleen(!) nachweisen, will jene oft an- höhle, Hohlefels, Mosbach, Lahr, Bollweiler, ' gezweifelten, von vielen ins Neolithikum ver- Tagolsheim, Wildscheuer, Räuberhöhle u. a, in der Eifel, Poßneck, Rixdorf - Deutschland (s. Obermaier 1905) nicht auf die von Willendorf, Predmost, Krems (Oesterreich), dann Zuzlawitz, Jicin, Jinonic, Podbaba, Prag usw. in Böhmen. wiesenen Reste als einwandfreie und wert- alle in vollste paläolithische sichergestellt haben, ebenso Man darf schwere Zweifel haben und auf Nachprüfung und Kritik gespannt sein. — In dem großen Schädelfund der Offne t fanden sich in der obersten Schicht — Mas mehrere bei Brunn," Kostelik, Bycis- d'Azil-Stufe nach R. R. Schmidt— ebenfalls kala, Lautsch u. a. in Mähren, Maszycka, brachycephale Schädel. Jedenfalls dürfen Oborzysko-Wielkie in Polen (s. Obermaier 1 wir also in der allerletzten Zeit des Diluviums 1. c), "in der Ballahöhle in Ungarn (Hille- i sicher, vielleicht schon viel früher, auch brand 1911). Diese Liste ist lange nicht voll- i brachycephale Formen in Europa annehmen, ständig, sie gibt aber einen Begriff von der Reichhaltigkeit der Funde menschlicher r.M,mir]i-ro-n Knochenreste (die Verbreitung des Menschen ui imaiuii asse. würde erst aus dem Studium einer mehr als In den oben erwähnten Grimaldigrotten zehnmal so großen Liste der Kulturfunde lagen 8,5 m tief, also beträchtlich tiefer als hervorgehen). Dagegen sind diese Funde | die Skelette des Cro-Magnontypus zwei weitere, ungeeignet, etwas über die Rassen auszu- das einer alten Frau und das eines jungen sagen. Die Knochenreste sind entweder j Mannes. Sie werden von Verneau (1906) dürftig und schlecht erhalten oder nicht | eingehend geschildert, er kommt zu genauer anatomisch untersucht, oder Jugend lieh, so daß keine Rassendiagnosen gestellt sind; es sei bezüglich der Funde verwiesen auf Klaatsch (1899, 1900 usw.), Mortillet (1900), Obermaier (1905), Ranke (Der Mensch, II, Leipzig 1912). folgendem Schluß: Die Körpergröße ist über mittel, Vorderarm und Unterschenkel sind im Verhältnis zum Oberarm bezw, Oberschenkel verlängert, die untere Extremität ist relativ zur oberen verlängert. Der Schädel ist lang, die Glabellarpartie gut entwickelt, das Gesicht breit, niedrig, die Augenhöhlen niedrig. Die Skelettfunde von Schweizersbild, die Nase platyrhin, mit Pränasalgruben, sehr Keßlerloch und Dachsenbühl brauchen hier starke Prognathie, starke Bezahnung. Hohes nicht erörtert werden, sie sind neolithisch, schmales Becken. All diese Punkte charak- Fossile Hominiden 357 terisieren heute Negerskelette. Verneau sieht die Funde als Repräsentanten einer negroiden Bevölkerung an. Daß afrikanische negroide Rassen den Südrand Europas be- rührt, ja zeitweise dauernd besiedelt haben können, ist nach all unseren l'aunistischen Erfahrungen aus dem Diluvium keineswegs auffällig. Einzelne xVutoren zweifeln an der Berechtigung der Verneau sehen Folgerun- gen, wirkliche Gegengründe wurden keine vorgebracht. Etwas anderes ist es mit^dem weiteren Schritt, den Verneau tut; er sieht negroide Merkmale auch in der späteren Bevölkerung; — der neolithischen, und von Fig. 22. „Grima]di"sch<ädel (Negroide). Nach Verneau. Aus Ranke (1912). da an bis in die heutige — und meint diese mit Sicherheit auf jene negroide Grimaldi- rasse zurückführen zu dürfen. Da darf man wohl teils das Vorhandensein der betreffenden negroiden Merkmale, teils, wo sie vorhanden sind, ihr Zurückgehen auf jene diluvialen For- men anzweifeln — Negerblut ist seitdem mehr wie einmal nach Europa gekommen — doch dies Problem gehört nicht mehr hierher. Eben- so kann hier nicht darauf eingegangen wer- den, daß noch auf anderem Gebiet deutliche Hinweise auf präliistorische Beziehungen zwischen Afrika und Europa bestehen; es sei auf die Funde von Plastiken in Ungarn, Frankreich und anderen Orten hingewiesen, die weibliche Figuren mit Steatopygie (vgl. die Artikel „Rassenmorpholögie" und ,,Körperfornien") darstellen, also mensch- liche Typen, wie sie heute in Südafrika leben ; Funde solcher Darstellungen aus Kreta und Aegypten stellen Verbindungswege her zwischen jenen Orten und dem heutigen Verbreitungsgebiet; ebenso wird auf ge- I wisse Stilarten (Rundplastik usw.) hin- ( gewiesen, die für einzelne diluviale Kultur- schichten und für heutige Neger charakte- ristisch sind. Es darf vielleicht hier anhangsweise überhaupt auf die bildlichen Darstellungen I hingewiesen werden, die diluviale Menschen I von sich angefertigt haben und von denen sich j eine stattliche Anzahl erhalten hat. Wohl I lehren sie uns manches über den Bau — ! eigentlich Neues nur die eben erwälinten Steatopygiefiguren, an denen man neben dem Fettsteiß lange hängende Negerbrüste, zum Teil auch Kraushaar erkennen kann — aber im allgemeinen muß man diese Bilder sehr kritisch prüfen, ob alles Dargestellte 1 realistisch und porträttreu ist, so daß auf Einzelheiten hier nicht eingegangen werden kann (s. Hoernes, Natur- und Urgeschichte, iMortillet [1900], Wilser, Menschwerdung, [Stuttgart 1907J, Ranke, Der Mensch, Öbermaier, Birkner u. A.: Natur und Kultur der Völker usw. [Berlin 1911] u. a.). 3. Zeitliches und genetisches Ver- i hältnis der einzelnen Formen. Aus all I den Forschungen über diluviale Menschen- reste geht also hervor, daß in Europa während des Diluviums zwei Spezies, die Neandertalspecies und die Sapiensspecies, festgestellt sind. Die Sapiensspecies zerfiel in eine Anzahl deutlich unterscheidbare Rassen. Nun handelt es sich zunächst darum, das zeitliche Verhältnis all dieser Formen, ihre Stellung zu den geologischen Stufen inner- ; halb des Diluviums und zu den Kulturstufen : bezw. Kulturkreisen darin zu bestimmen. Arbeiten über die geologischen Verhältnisse, Versuche, die zahlreichen und typischen Kul- I turen, je mit ihren eigentümlichen Faunen, ihrem Gerätmaterial und ihren Gerätfoi'men chronologisch zu ordnen, liegen in sehr großer I Zahl vor und allmählich klären sich all diese I komplizierten Probleme, wenn man auch von Einigkeit weit entfernt ist. Auf die ganze I ungeheuere Literatur über die paläolithischen I Kulturen kann hier unmöglich eingegangen werden. Es sei auf die prähistorischen Werke hingewiesen (Hoernes, Mortillet, Rutot, R. R. Schmidt und viele andere). Als ganz ' besonders wichtig aber wird immer klarer, daß man geologisch (Eisbewegung — Klima usw.) und ebenso ergologisch (Kulturstufen) ein Altpaläolithikum und ein Jungpaläoli- thikum unterscheiden kann und daß jede der beiden Menschenspecies im allgemeinen für eines davon typisch ist. Im Altpaläo- lithikum, vom Acheuleen bis ins ausgehende Mousterien lebt die Neandertalspecies. Kein sicherer Fund aus dieser Species fällt in eine andere Zeit, alle sicheren bestätigen es. Ganz richtig bemerkt R. R. Schmidt: ,,Erst mit dem Beginn des Jungpaläolithikums be- gegnen wir verschiedenen Richtungslinien in der Entwickelung der diluvialen Bevölke- rung, deren Zusammenhänge noch weiterer Untersuchung bedürfen. Der Beginn des Jungpaläolithikums bedeutet auch kulturell einen vollkommenen Wendepunkt in der 358 Fossile Hominiden Entwickelung des Diluvialmenschen auf west- europäischem Boden." Freilich, ganz scharf braucht diese Grenze nicht zu sein ; man darf wohl annehmen, daß die Entwickelung der Sapiensform aus der anderen ungleich rasch, das Verschwinden der anderen ver- schieden gründlich und verschieden schnell erfolgt ist. Eine genaue Vorstellung, wie aus der Neand'ertalform die Sapiensform ent- stand, ist einstweilen noch unmöglich. Es sei auf das oben bezüglich der sogenannten ,,Uebergangsformen" Gesagte verwiesen. Wahrscheinlich sind mehrfach und durch unter sich verschiedene morphologische Abände- rungen die einzelnen diluvialen Sapiens- formen entstanden — die meisten von ihnen sind ja, wie gezeigt wurde, innerhalb des Jungpaläolithikums nicht genauer datiert. So ist auch ihr gegenseitiges Verhältnis nicht festgestellt, da müssen erst neue Funde kom- men. Noch viel weniger ist es möglich über das Verhalten der Neandertalart zu den heutigen außereuropäischen Eassen irgend etwas zu sagen (bezüglich der Australier wurde oben schon einiges erwähnt), lieber die Vorfahren dieser heutigen Eassen wissen wir überhaupt nichts (Grimaldi s. unten). Man vergleiche die neuesten Ausführungen von Giuffrida-Euggeri (1913). Innerhalb des Altpaläolithikums dürfen wir wohl die Neandertalspecies als den Träger der Kulturen vom Acheuleen bis zum (einschließlich) Mousterien auffassen. Vor ihm — zur Chelleenkultur gehörig — lebte der Heidelberger Mensch, der vielleicht auch im englischen Piltdownfund erhalten ist. Vom Ende des Mousterien an, also im Aurignacien hätten wir dann den Sapiens und zwar die Aurignacrasse. Spätere Kul- turen lassen sich noch nicht im einzelnen mit Eassen parallelisieren. In ihnen lebte die Laugerie(Cro-Magnon-)Easse, neben ihr die Grimaldirasse; am Ende des Paläolithikums ist die sogenannte' Furfoozrasse nachweisbar (Öffnet).^ Endlich die Frage nach dem Verhältnis der diluvialen Sapiensrassen zu denen der rezenten, d. h. zunächst neolithischen Euro- päer. Auch da bestehen mehr Versuche und Hypothesen als Sicherheit. Das Material ist zu lückenhaft. Immerhin ist der neueste Versuch, den Schliz unternahm, außerordent- lich zu begrüßen, auch wenn man sehr vieles davon als ganz provisorisch bezeichnen muß. Schliz (1912) geht von drei späteiszeitlichen (oder wie er sagt, aus der „frühen Nacheis- zeit") Typen aus, dem Cro-Magnontypus, dem Typus von Brunn und dem von Grenelle (= Furfooz). Den Aurignactypus faßt Schliz als ,,eine Mittelform aus beiden Easseneigentümlich- keiten", nämlich Cro-Magnon und Brunn, ' auf, das würde wohl, phylogenetisch ge- sprochen, heißen, als Vorfahrenform der bei- den divergenten Zweige. Aus diesen drei Typen leitet er dann die neolithischen ab: Aus der Cro-Magnonrasse entsprangen die ,,Chamblandes"typen (neoli- thische Steinkistengräber in der Westschweiz) : und die nordische Megalithbevölkerung, die I dann wohl die nordische Easse bildet. Aus I dem Brünntypus entstanden verschiedene ! Gruppen im ganzen Donaugebiet, in Mittel- I und Süddeutschland, allenthalben sich mit den anderen Typen mischend. Den AVesten i Europas nimmt die Bevölkerung der Dolmen ' ein, die, körperlich die wenig veränderten I Nachkommen der Furfoozrasse, nach Zentral- 1 europa vordringt (Homo alpinus, wenigstens zum Teil), aber auch nach Norden vorstößt (Brachycephale in Holland, Dänemark usw.). Schliz schildert all das in engstem Zu- sammenhang mit Kulturströmungen und Völkerwanderungen — wie gesagt, sehr vieles i ist noch sehr unsicher. Es sei erwähnt, daß {ähnliche Versuche, wie der von Schliz i auch anderwärts gemacht wurden ; so führt j Nielsen z. B. (Aarb. Nord. Oldk. og Hist. j 1911) die dänischen steinzeitlichen Skelett- ! formen auf Cro-Magnon, Furfooz und andere j Typen zurück. — Es sei der Beispiele genug. : Die heutigen europäischen Typen (vgl. den : Artikel „Eassen") lassen sich noch nicht auf ! die alten zurückführen, das meiste ist noch problematisch. Vielleicht dürfen noch ganz kurz folgende Punkte erwähnt werden : Das Vorhandensein der paläolithischen ( ?) Furfoozrasse wird von Giuffrida-Euggeri u. a. dafür als Beweis angesehen, daß der heutige brachycephale sogenannte Homo alpinus (vgl. den Artikel ,, Eassen") in Europa ursprünglich sei und nichts mit den Mongolen zu tun habe; bindend ist dieser Schluß ebensowenig wie die gegenteiligen Behauptungen anderer Autoren. — Die Cro- Magnonschädelform wird oft als Ahnenform für die Guanchenschädel (Teneriffa) ange- sehen — solche Beziehungen haben in der Tat eine gewisse Wahrscheinlichkeit (v. Behr, ■ V. Luschan, Mehlis, Stahr u. a. ; vgl. den j Artikel ,, Eassen"). ■ — Die Grimaldirasse wird man leicht als die Urform, d. h. aber hier nur als älteste bekannte und schon typische Form des heutigen Negers ansehen. — Be- ziehungen zur (späteren) mediterranen Easse sind völlig im Dunkel. — Alle Versuche, sich eine Auswanderung der paläolithischen Eassen zu Ende der Eiszeit vorzustellen und dann heutige Eskimo oder Lappen oder Finnen I oder andere als ihre Nachkommen anzuneh- men, sind luftigste Hypothesen. ! Um die morphologischen Merkmale „der" j diluvialen Menschenrassen angeben zu können brauchen wir noch viel mehr einwandfrei datierbares Fundmaterial. Wir müssen zwei- Fossile Hominiden 359 tens noch viel vorhandenes Material ganz von | vorn kritisch geologisch-prähistorisch und j morphologisch durcharbeiten, wobei die Mor- phologie sich neuer den Schwalb eschen \ und Klaatschschen entsprechender und i paralleler Methoden bedienen muß. [ Wir wissen heute über die Primigenius- 1 art viel besser Bescheid wie über die dilu- vialen Sapiensrassen. 4, Anhang: Amerikanische Funde. In der Einleitung wurde darauf hingewiesen, daß wir außerhalb Europas keine fossilen Hominiden kennen und nur Amerika be- sonders genannt. Man hat sehr viele Funde j aus amerikanischem Boden — aber keinen, der von wirklicher Bedeutung wäre für die | Vorgeschichte des Monsclien. Hrdlickai (1907,1912) hat alles AVisseuswcrte inzweisehr schonen kritiscjicn Bearbeitungen — je für Nord- und Südamerika — zusammengestellt, i die folgenden Angaben stützen sich haupt- sächlich auf seine Ausführungen. In Nord- ; amerika hat man 14 Funde dem diluvialen Menschen zuweisen wollen, 1 Darunter haben einzelne, wie der so- i genannte „Lößmensch" von Nebraska, der i „Kansasmensch" (Lansing), der ,,Calaveras- schädel" (Kalifornien) eine besondere Be- rühmtheit erlangt und wurden stark disku- 1 tiert. Hrdlicka faßt sein Urteil und seine Kritik über alle Formen dahin zusammen, daß es Funde von sicherem geologischem Alter und von irgendwie anatomisch von rezenten Skeletten abweichender Form nicht gibt. Alle diese nordamerikanischen Skelett- reste sind rezente und haben ganz die Form rezenter Indianerschädel. Noch mehr Widerspruch haben die An- gaben über südamerikanische Funde hervor- gerufen. Florentino Ameghino hat eine ganze Entwickelungsreihe von Formen be- schrieben, sie als Vorläufer des Menschen zu erweisen gesucht (vgl. den Artikel ,,An- thropogenese", Bd. I, S. 476. — dort auch Literatur), Die ganze Sache ist wohl nur ein Kapitel zur Geschichte wissenschaftlicher Irrungen und Abwege auf Grund vorgefaßter Theorien, ! Schwalbe, Mochi, Hrdlicka u. A. zeigen, j daß der Hauptfund, der sogenannte „Di- prothomo" seine eigentümliche Stirnbildung i nur einer falschen Orientierung des Schädel- bruchstückes verdankt, daß er eine völlig rezente Form besitzt; Hrdlicka zeigt (Aus- zugimAnatomischenAnzeiger43, 1913, 1), daß der berühmte Atlas von Monte Hermoso völlig und in allen Stücken in die Variationsbreite I heutiger Indianerhalswirbel fällt — und i das angeblich zugehörige Femur ist überhaupt nicht menschlich (Carnivor ?). Von allen | Funden ist das geologische Alter nicht ein- wandfrei festgestellt, über das Alter jener 1 Pampasschichten gehen die Ansichten noch himmelweit auseinander. So wird man sagen können, ein diluvialer Mensch ist in Amerika noch nicht mit absoluter Sicherheit nach- gewiesen und wenn unter den amerikanischen Funden diluviale sind, sind sie morphologisch völlig dem heutigen Indianertypus zuzu- zählen, Literatur. Adlcff, Das Gebiß des Menschen und der Antliropomor'plien. 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Fossilisations- prozesse: a) Konser\nei'ung. b) Mumifizierung. c) Verkohlung. d) Versteinerung, a) Prozeß des Versteinerns. ß) Erscheinungsformen von versteinerten Organismen. e) Deformierung. 1. „Fossil" (fossilis, ausgegraben). Mit der Bezeichnung „fossil" wird ganz all- gemein zum Ausdruck gebracht, daß etwas der geologischen Vorzeit angehört, d. h. daß seine Entstehung vor dem Beginn des Allu- vium liegt. ,, Fossil" ist somit ein Zeitbegriff. Im Gegensatz dazu bezeichnet ,, rezent", daß etwas der gegenwärtigen geologischen Periode entstammt. Man spricht von fossilen Ge- steinen (z. B. Tuffen) und von fossilen Orga- nismen im Gegensatz zu rezenten, d. h. lebenden oder in historischer Zeit ausge- storbenen. 2. Fossilien, Die in den Erdschichten er- halten gebhebenen Ueberreste und Spuren vorweltlicher Organismen (Pflanzen und Tiere), die vor dem Anfang der jetzigen geo- logischen Periode gelebt haben, werden als FossiUen (Petrefakten, Versteinerungen) be- zeichnet. Ein Kriterium für dieZugehörigkeit eines organischen Restes zu den Fossilien ist stets sein geologisches Alter. Sein Er- haltungszustand ist von untergeordneter Be- deutung. Zwar haben fossile Organismen im allgemeinen eine mehr oder minder tief- gehende Veränderung bei der Fossihsation erhtten, doch sind auch die Leichen diluvialer Tiere und Pflanzen, welche unter ganz besonders günstigen Bedingungen in nahezu unveränderter Form überliefert worden sind — wie die Kadaver von Mammut und Rhinozeros im Eise Sibiriens und im Erd- wachs Gahziens und die Insekten im dilu- vialen Kopalharze — , zu den Fossilien zu zählen. Hingegen sind die in alluvialer Zeit in jüngste Gesteinsschichten eingebetteten tierischen und pflanzlichen Reste, auch wenn sie schon eine Umwandlung oder Durch- Fossil — Fossilien — Fossilisationsprozesse 361 tränkiiug- mit mineralischer Substanz er- fahren haben, nicht fossil, sondern rezent. Eine Anzahl relativ langlebiger Pflanzen- und Tierarten existiert seit dem Tertiär und Diluvium bis in die Jetztzeit; sie treten dem- nach ebensowohl fdssil wie rezent auf. 3. Fossilisationsprozesse. Die vorzeit- lichen Organismen, von denen uns Reste überhefert worden sind, unterlagen nach ihrem Tode ebenso wie die Lebensspuren fossiler Tiere nach ihrem Entstehen einem Vorgange, der sie in eine die Ueberheferung ermöglichende Form überführte. Je nach den gegebenen chemischen und physikalischen Verhältnissen hat dieser FossiHsationsprozeß zu sehr verschiedenen Resultaten geführt. Die Mehrzahl der vorliegenden Pflanzen und Tiere hat, zum Teil gleich nach dem Ab- sterben, zum Teil erst im Laufe langer geo- logischer Zeiträume, durch Zerstörung ge- wisser Stoffe, Umwandlung anderer und Aufnahme neuer Bestandteile eine mehr oder minder weitgehende chemische Veränderung erfahren. Außerdem sind sehr viele von ihnen auch noch mechanischen Einflüssen unter- worfen gewesen. In seltenen Fällen sind die Dokumente einstigen Lebens nahezu unver- ändert erhalten gebheben. 3a) Konservierung. Durch vollstän- digen Abschluß von Wasser und Luft wird einerseits die Zersetzung von Pflanzen und Tierleichen unmögiich gemacht und auf der anderen Seite die Zufuhr neuer Stoffe in Lösung oder Gasform verhindert, so daß die Organismen für lange, jedoch nicht unbe- grenzte geologische Zeiten konserviert werden. Dies tritt ein, wenn kleinere Tiere oder Pflanzen eine Einbettung in das von Nadelbäumen abfließende Harz erfahren, z. B. die Insekten im diluvialen Kopalharz und im alttertiären Bernstein des Samlandes. "Während die Insekten aus dem eiszeitlichen Kopalharz durch Lösung des Harzes noch wohlerhalten befreit werden können, ist dieses bei den älteren Bernsteinfossihen schon nicht mehr niögüch, da bei ihnen im Laufe der längeren Zeit eine Selbstentmischung der organischen Substanz eingetreten ist. Hierbei ist der Tierkörper zu kohligem und organi- schem Staube zerfallen, so daß nur die staub- erfüllte Körperhohlform des Insektes im Bern- stein erhalten geblieben ist (Abel). Analoge Erhaltungsbedingungensind im Erdwachs und auch im Eise gegeben. Beispiele sind: die gut- erhaltenen Kadaver von Rhinozeros fanti- quitatis im Erdwachs von Boryslaw in Galizien und von Mammut und Nashorn im Landeise Sibiriens; auch in Torfmooren, wo die Leichen von feinem Pflanzenmulm um- hüllt werden, und in Salzböden findet eine Konservierung statt, wie die getrockneten und gesalzenen Fischleichen am Ostufer des Kaspisees und der Fund von Pflanzen in der 1 Leibeshöhle von fDiprotodon australe im Salzboden des Lake Callabonnain Austra- |lien beweisen. Konservierung beobachtet , man naturgemäß vornehmhch bei Fossilien aus jüngeren geologischen Formationen, da 1 die konservierten Organismen im Laufe längerer geologischer Zeiten ebenso wie die Bernsteininsekten zerfallen oder anderen Fossiüsationsprozessen unterhegen. 3b)Mumifizierung. Bei großer Trocken- heit und guter Durchlüftung eines Kadavers tritt eine Eintrocknung und Schrumpfung der Leiche ein. Fälle derartiger Mumifizierung von Fosssilien sind z. B. ein in Converse County (Wyoming, U. S. A.) gefundenes fTrachodon, dessen Epidermis ausge- ■ zeichnet erhalten geblieben ist, und ferner die geschrumpften Felle des fGrypothe- irium domesticum in südamerikanischen j Höhlen. 3c) Verkohlung. Der Prozeß der Ver- kohlung, welchen sehr häufig Pflanzen, seltener tierische Stoffe durchmachen, ist ein unter beschränktem Luftzutritt sich ab- spielender Desoxydationsvorgang. Schnelle Bedeckung eines abgestorbenen organischen Körpers mit Gestein irgendwelcher Art ist da- her in allen Fällen Vorbedingung zur Ver- 1 kohlung, einem im allgemeinen langsam ver- I laufenden Prozesse, den erhöhte Temperatur und Druck in den Erdschichten beschleunigen können. Unter Verlust von ungleich mehr I Sauerstoff und Wasserstoff als Kohlenstoff ; scheint eine relative Anreicherung des ' Kohlenstoffs in der Cellulose (CgHioOslx stattzufinden. Pflanzen, die verhältnismäßig rasch unter Mithilfe von Wasser oder Wind in ein vor dem Verwesen schützendes, luft- abschließendes Sediment eingehüllt wurden, sind bei dem Verkohlungsprozeß häufig in Torf (55 bis 60% C), Lignit (60% C), Braun- kohle (66 bis 70% C),^ Steinkohle (80 bis- 90% C) oder Graphit (100% C) übergegangen. I Diese Produkte repräsentieren mehr oder I minder vollständige Stadien der Verkohlung, jedoch nicht desselben pflanzlichen Ans- gangsstoffes, da z. B. Braunkohle nicht in Steinkohle übergehen kann, sondern bei künstlicher Fortsetzung des Verkohlungs- I Prozesses ein zwar kohlenstoffreicheres, aber wesenthch anders zusammengesetztes Er- ! Zeugnis als die Steinkohle ergibt. Die innere Struktur von Pflanzen, besonders von geo- logisch jüngeren, welche der Verkohlung unterlegen haben, ist häufig noch mit unbe- I waff netem Auge oder mikroskopisch iniDünn- j schliff recht scharf zu erkennen. Bei tieri- ] sehen Organismen findet man am häufigsten chitinöse Substanz verkohlt, aus welcher neben Sauerstoff und Wasserstoff auch der Stickstoff entwichen ist, z. B. bei Crustaceen, Insekten, Graptolithen. Seltener sind auch knorpelige Bestandteile von Tieren in echte 362 Fossil — Fossilien — Fossilisationsprozesse Kohle umgewandelt worden, wie bei den 1 Ganoidfischen fCoccos teils und fCephal- aspis und bei f Palaeospondylus Gunni, i 3d) Versteinerung, a) Prozeß des] Versteinern s. Während Konservierung, Mumifizierung und Verl^ohlung Vorgänge sind, bei welchen der organische Ueberrest keine neuen Stoffe aufnimmt, wird dem ver- steinerungsfähigen Bestandteile des pflanz- lichen oder tierischen Körpers bei der Ver- steinerung, dem wichtigsten aller Fossilisa- tionsprozesse, meistens mineralische Substanz zugeführt. Diese wird entweder zu dem vor- handenen Materiale des Organismus addiert oder gegen dieses teilweise oder ganz einge- j tauscht; endlich kann sie auch als Ersatz für bereits fortgeführtes Material dienen. | Damit ein organischer Rest versteinern! kann, muß er in ein Gestein eingebettet werden. Dies umhüllende Medium, welches das Versteinerungsmineral selbst enthält oder Mineralstoffen in irgendeiner Form den Zutritt gestattet, schützt den Ueberrest vor frühzeitigem vollständigem Zerfallen. In-i folgedessen kann die Durchtränkung des- selben erst lange nach dem Einbetten er- folgen. Bei einem z. B. auf dem Festlande verendeten freiliegenden Tiere ist dies un- _ möghch, da der Kadaver, von Aasfressern | abgenagt, unter den Einflüssen der Ver- i Witterung schon nach kurzer Zeit der völhgen Vernichtung anheimfällt. Aus diesem Grunde bietet das Meer mit seiner ständigen Sedi- 1 mentation vielfach günstigere Verhältnisse für die Versteinerung als das Festland, und so erklärt sich auch der große Reichtum an marinen Versteinerungen und die Selten- heit von fossilen Landbewohnern. Pflanzen finden sich häufig vollkommen versteinert; bei den Tieren unterhegen je- doch im allgemeinen nur die Hartgebilde ihres Schutz- und Stützskelettes diesem Fossilisationsprozesse. Alle Weichteile, auch Haare, Hörn und Chitin werden ebenso wie die Fett- und Leimsubstanzen der Knochen und die Farbstoffe der Schalen von Mollusken, Echinodermen usw. durch die der Versteine- rung voraufgehende oder gleichzeitig mit ihr stattfindende Verwesung zerstört. Nur unter besonderen Bedingungen ist eine Versteinerung von tierischen Weich- gebilden möglich. So finden sich im litho- graphischen Schiefer des Oberen Jura Bayerns Muskeln und Sehnen von Fischen, Cephalopoden und Reptihen in einer Weise versteinert, die noch die feinen Struktur- verhältnisse des Muskelgewebes im mikro- skopischen Bilde erkennen läßt. Nach 0. Reis besteht hier die Fossihsationsmasse zu 77% aus phosphorsaurem Kalk neben kohlensaurem und schwefelsaurem Calcium, phosphorsauren AlkaUen und Fluorcalcium. Bedingt ist dieser Erhaltungszustand durch den schnellen Verlauf des Fossihsations- prozesses in dem äußerst feinkörnigen Ge- stein der strandnahen Solnhofener Schiefer. Li einem halbfaulen Zustande wurde das Muskelgewebe sehr schnell von minerahschen Stoffen durchtränkt, und erst nach dem Er- härten fand die vollständige Zerstörung der organischen Substanz statt. Auch versteinerte Haut ist als große Seltenheit von Ichthyo- sauruskadavern und von einem Haifisch aus dem Mergelschiefer des Oberen Lias von Holzmaden in Württemberg nachgewiesen. — Abdrücke von Organismen und organi- schen Bestandteilen, die selber gar nichtoder nur unter besonders günstigen Verhältnissen bei schneller Verfestigung des Sedimentes erhaltungsfähig sind, findet man hier und da im Gestein. So kennt man Abdrücke von Medusen, ferner von epidermalen Gebilden wie Krallen und Federn von Vögeln (f Ar- chaeopteryx), von häutigen Flügeln des f Rhamphorhynchus und von Insekten- ; f lügein. Die Versteinerung der in Zusammenhang gebUebenen oder voneinander getrennten tierischen Skelettelemente kann im einzelnen führen zu: Verkalkung, Dolomitisierung, Verkieselung, Barytisierung, Vergipsung, Phosphoritisierung, Vererzung, z. B. Pyriti- sierung, Limonitisierung usw. Folgende Versteinerungsminerahen, d. h. Stoffe, welche die ursprüngliche Sulastanz des Organismus ersetzt haben, werden nach 1 J. C. Hartzeil beobachtet: Häufig: Calcit (CaCO,), Magnesit ' (MgCOg), Pyrit und Markasit (FeSa), Kiesel- ! Säureanhydrit (SiOa), Limonit (2FeO .SHgO), Hämatit (FegOa), Apatit (Phosphorit) : (Ca5F(P04)3), Gips (CaS04.2H20), Baryt (BaSOi). Seltener: Eisenspat (FeCOg), Zinkspat (ZnCOa), Zinkblende (ZnS), Blei- ! glänz (PbS), Cerussit (PbCOs), Malachit (CuCO,.Cu(OH),), Hornsilber (AgCl), Fluß- jspat (CaFs), Kupfer (Cu), Silber (Ag). Schwefel (S), Zinnstein (SnO,), Psilomelan (MnOa), Vivianit (FePaOgSHaO), Coelestin (SnSOi), Anglesit (PbS04), Kupferglanz (CujS), Zinnober (HgS), Kaohn (H4Al2Si204), Gümbeht, Glaukonit, Margarit, Calamit (HsZuaSiOs). Diese mineralischen Substanzen, welche meist in Lösung zu den Skelettelementen ge- I langen, stammen entweder aus den im Ge- 1 stein zirkulierenden Wässern und sind dann j anorganischen Ursprungs, oder sie sind auf die Zersetzung von organischen Verbin- dungen wie die Weichteile des fossilen Orga- nismus und die in dessen Nachbarschaft der Verwesung unterliegenden organischen Sub- j stanzen zurückzuführen. Organischer Her- kunft ist wohl erstens der meiste Schwefel im Pyrit, dem besonders bei wirbellosen Tieren, Fossil — Fossilien — Fossilisationsprozesse 363 aber auch bei Vertebraten und Pflanzen auf- tretenden Fossilisatioiismaterial, und in anderen Sulfiden, ebenso wie zweitens die Phosphorsäure in einigen phosphoritischen MineraUen; auch das weitaus am meisten verbreitete unter den Versteinerungsmitteln, das Calciumkarbonat, und die Kieselsäure können insofern von Organismen hergeleitet werden, als sie unter Umständen aus pflanz- lichen und tierischen Kalk- und Kiesel- skeletten (Kieselspongien, Radiolarien, Diato- meen) gelöst und in dem betreffenden Fossil wieder ausgeschieden werden konnten. Der Fossihsationsprozeß strebt ein Gleich- gewicht an zwischen dem Fossilisationszu- stande und den im Gestein vorhandenen chemischen und physikalischen Verhält- nissen. Ist dies erreicht, so bleibt der Zu- stand eines Fossils derselbe; ändern sieh aber dann die chemischen und physikalischen Be- dingungen, was im Laufe des erdgeschicht- lichen Geschehens häufiger eintreten kann, so beginnt der Prozeß von neuem, um ein anderes Gleichgewicht einzustellen. Hierbei wird sehr oft ein Versteinerungsmineral in ein anderes übergeführt oder durch ein ganz neues ersetzt. Bei dem Ersatz von Kalk durch Kiesel- säure, einem Versteinerungsprozeß, der von außen nach innen bei einer Fossilschale fort- schreitet, treten merkwürdige konzentrische Ringe, die sogenannten Verldeselungsringe, auf; sie legen Zeugnis ab von dem allmähli- chen Verlaufe des Vorganges. Diese Ringe entstehen entweder zwischen den äußeren Schalenlamellen der verkieselnden Versteine- rung, oder sie bedecken in gewissen Abständen deren Oberfläche. Im Zentrum befindet sich im allgemeinen ein erhabenes Kieselkörnchen, um das sich bei fortschreitender Verkieselung immer zahlreichere Kreise bilden. ß) Erscheinungsformen von ver- steinerten Organismen. Wird die Kalk- schaleeiner Muschel oder Schnecke von Ton- oder Kalkschlamm eingehüllt und der innere Hohlraum mit Sediment ausgefüllt, so drückt sich die Schale mit allen Skulpturfeinheiten in dem weichen, später zu festem Gestein erhärtenden Schlamme ab. Die so eingeschlossene Schale kann — durch Aufnahme neuer mineralischer Sub- stanz nur unwesentlich verändert — als ,, Original" erhalten bleiben und die ursprüng- lichen Strukturverhältnisse auf das schärfste bewahien. Es ist dies eine Erscheinungsform, die auch meistens den Knochen versteinerter Wirbeltiere eigen ist, und die ebenso Pflanzen aufweisen, bei denen mineralische Substanz, z. B. Kieselsäure, in die Hohlräume der pflanz- lichen Gewebe eingedrungen ist unter all- mählicher, zum Teil erst nach der Ablagerung des Minerals erfolgten Zerstörung der Cellu- lose. j Wird die eingebettete Schale jedoch durch j kohlensäuregeschwängerte Wässer aufge- löst, so bleibt im Innern ein Ausguß des j Schaleninnern, ein ,, Steinkern", und in dem umhüllenden Gestein ein ,, Abdruck" der äußeren Schalenform übrig. Wenn der durch Auflösung der Schale zwischen Steinkern und Abdruck entstandene Hohlraum später wieder durch eindringende Lösungen von einem Mineral erfüllt wird, so entsteht eine ,,Pseudomorphose", die zwar keine Struktur, aber die getreue Ober- flächenform der ursprünglichen Schale und j ebenso ein Bild von deren Innenseite er- l kennen läßt. Pseudomorphosen entstehen I auch durch schrittweisen Ersatz der ur- sprünglichen Schalensubstanz. ,, Inkrustierungen" sind oberflächlicheUm- rindungen organischer Gebilde. Nach der Zerstörung der inkrustierten Substanz bleibt ein Abdruck derselben erhalten. Eine Sondergruppe von Fossihen sind die i Lebensspuren fossiler Organismen, j die sich in Form von Fährten, Wohnstätten, Fraßspuren, Nahrungsresten in der Leibes- höhle, Koprolithen, Embryonen, Eiern usw., in den Gesteinen erhalten finden. Unter ihnen sind Fährten, mit denen sich ein be- sonderer Zweig der Paläontologie, die Ichno- logie, beschäftigt, von größerer Wichtigkeit. ' Man kennt nicht nur Fährten von fossilen Wirbeltieren, sondern auch von Crustaceen, ' Mollusken und Würmern. Damit der in weichen Sand eingetretene Fußeindruck eines Reptils oder eine in Schlamm einge- I drückte Kriechspur eines Krebses erhalten bleiben konnte, mußte vom Winde oder vom Wasser sehr schnell Sand oder Schlamm über die Spur gebreitet werden. Auf diese Weise ist uns entweder ein negativer Abdruck des Reptilfußes usw. oder eine Ausfüllung (Pseudo- j morphose) desselben überliefert worden, Fährten von Landwirbeltieren sind aus den verschiedensten Formationen bekannt. Be- sonders häufig sind die Chirotherienfährten in den Triassandsteinen Europas und Nord- lamerilvas; ferner die Fußeindrücke des ' Dinosauriers f Iguanodonim Wealdensand- stein bei Hannover und bei Hastings in Eng- land. I se) Deformierung. Außer den sehr I wichtigen chemischen Prozessen sind die in I Gesteine eingeschlossenen Organismen auch I mechanischen Veränderungen unterworfen, wie sie durch den Druck der auflagernden Schichten und den Faltungsdruck "hervor- gerufen werden. Die durch diese Kräfte er- zeugte Formänderung der Fossilien, die je I nach der Plastizität des umgebenden Ge- steines zu Zerquetschung, Zerreißen usw. des Organismus führt — Verquetschen kann 1 beispielsweise an Ammoniten und Zerreißen 364 Fossil Fossilien Fossilisationspi'ozesse — Fourier an Belemnitenrostren häuficj recht instruktiv beobachtet werden — ist bei der Beurteilung von Fossilien gebührend zu berücksichtigen. An den meistens stark deformierten Fossi- lien der lithographischen Schiefer im Oberen Jura Bayerns hat A. Rothpletz recht reiz- volle Studien angestellt, welche ihn zu in- teressanten Schlüssen über den Verlauf und die Zeitdauer des Fossilisationsprozesses ebenso wie der Sedimentation führten. Voll- kommen flachgedrückte Ammoniten, die normal auf der Schichtenebene einer Schiefer- platte ruhen sollten, liegen dort auf einem schwach erhöhten Sockel, welcher über die Schichtfläche in die nächste Gesteinsplatte hineinragt. Unter dem Sockel ist die Platte nach oben aufgewölbt ebenso wie die Deck- schicht über dem Ammoniten. Die Ursache dieser Aufwölbung sieht Rothpletz in dem durch die Verwesungsgase des Ammoniten veranlaßten Auftriebe zu einer Zeit, als das einbettende Gestein noch frisch und feucht war. Die Zeitdauer der sich relativ schnell abspielenden Verwesung des Ammoniten- tieres genügte also zum Absatz der gehobenen Plattenkalkschicht. Rothpletz nimmt für eine 5 cm dicke Schicht ein Jahr an. Da der Fossihsationsprozeß so schnell verlaufen war, daß die Zeit zum Ausfüllen der Ammo- nitengehäuse nicht hinreichte, so wurden diese infolge des Gewichtes der aufgelagerten Schlammassen gepreßt und dabei voll- kommen flachgedrückt. Diese Erscheinung kann auch an Fossilien in anderen rasch sedimentierten Gesteinen beobachtet werden. Literatur. ZUM. Il,n,,lln,rh ,/ala,,ntnlogie, Bd. I (Ei»lril,n„il. Mriurirn ls:r. his l.-^Mi. — O. Abel, Pallx)dx = ^- 2n^ 'für A=l, 2 1 P b/ g- I S„(x)b;. sin (Ax)dx = -g bA^ ^J[S„(xj-f(x)]Mx + ^ -^ ^?' + h,^ — ä a;.-^ / f(x) cos(Ax)dx o -Sb;.^ rf(x)sin (Ax)dx+2^^J[f(x)fdx für ;. = 1,2, ... n, während, wie unmittelbar einzusehen : und hängt so für eine gegebene Funktion f(x) in selir einfacher Weise von den Koeffi- ' zienten ao, ai, bi . . . a„, bu ab. Jetzt ist es leicht, anzugeben, welche Werte diese Koeffi- zienten erhalten müssen, damit der Mittel- wert des Fehlerquadrats so klein wie möghch (I wird. Damit ergibt sich der Mittelwert von Denn setzen wir der Kürze halber 2^/^" (x)aodx ;s„(x)i^ /^/[s„(x)r dx ZTT 2 - 1 Sn(x)[ao + ai cos x + b^ sin x + o + a,! cos (nx) + bn sin (nx)]dx ao'^ + - ai^+bi^ , a^^^+bg^ + 2 2 . , a„2 + bn2 ih i;Jf(x)dx=A„ ^ rf(x)cosUx)dx= A;i, x) sin (Ax)dx = B/ , (;.= !.... n) wo also Ao den Mittelwert von f(x) und A/, Bx die Mittelwerte von 2f(x) cos (2x), Fouriersclies Theorem 367 2f(x) sin (^x) bedeuten, so kann man den Mittelwert des Fehlerquadrats schreiben n 2aoAo— 2 (aAA;.+ bABA) + oder + (ao-A„r+vOM^A01+(b^-B^ n \, 2 1 ß, 2 1 /5 .A„._S:-^^^+^J[f(x)]M: 0 daß der kleinste Wert, den der Mittelwert annehmen kann, gleich sL/w^W' dx— A, A/.2 + B;. und aus dieser Form erhellt unmittelbar, ist und daß dieser Wert dann und nur dann angenommen wird, wenn ao=Ao, a;. = Aa, b;, = Ba(ä=1, 2, ...n). Sobald die Koeffizienten a, b mit diesen allein durch die gegebene Funktion f(x) bestimmten Werten nicht sämthch überein- stimmen, so ist der Mittelwert des Fehler- quadrats notwendig größer, und zwar um den Betrag (a.-A.)'+s(^-A.)l+(b.^M. Für eine gegebene Funktion f(x) er- halten wir somit den Näherungsausdruck Sn(x) = ~ rf(x)dx+ ^ /f(x) cos (x)dx . cos X + . . . + ^ r f(x) cos (nx)dx. cos nx + - / f(x) sin (x)dx . sin x + . . . + i f(x)sin (nx)dx. sinnx i) und dieser Näherungsausdruck ist in dem oben angegebenen Sinne der beste, der sich mit den vorgegebenen Sinus- und Cosinus- gliedern erreichen läßt. Nimmt man weitere Sinus- und Cosinusgheder für größere Werte von n hinzu, so ändern sich die schon be- rechneten Glieder des Näherungsausdruckes nicht, sondern es treten nur noch weitere Gheder hinzu. In dem Ausdruck für den Mittelwert des Fehlerquadrats können dann nur negative Terme hinzutreten, d. h. der Mittelwert des Fehlerquadrats muß dadurch kleiner werden. Bei allen für die physikalische Forschung in Betracht kommenden Funktionen läßt sich zeigen, daß der Mittelwert des Fehler- quadrats behebig klein wird, wenn man n hinreichend groß nimmt. Vor allem gilt das für alle stetigen Funktionen und für alle Funktionen, die innerhalb einer Periode aus einer endhchen Anzahl von Stücken stetiger Funktionen bestehen. Wenn bei dieser Be- schaffenheit von f(x) die unendliche Reihe Ao + Aj cos X + Ao cos (2x) + . . . + Bi sin x+ Ba sin (2x) + . . . (Ao, Aj, Bi; , . . in der oben angegebenen Bedeutung) in einem Intervall gleichmäßig konvergiert, so wird sie dort mit der Funktion f(x) übereinstimmen. Denn unter diesen Umständen muß der Mittelwert des Fehler- quadrats für die unendhche Reihe Null sein und folghch kann der Fehler selbst nur an solchen Stellen von Null verschieden sein, wo er unstetig ist. Wenn eine stetige Funktion f (x) innerhalb ihrer Periode nur eine endhche Anzahl Maxima und Minima besitzt, so läßt sich ebenfalls zeigen, daß die unendhche Reihe den Wert der Funktion f(x) für alle Werte von x besitzt, für die f(x) nicht unstetig ist. Die unendhche Reihe wird die Fouri ersehe Reihenentwickelung genannt. Ist die Funktion f(x) durch einen analy- tischen Ausdruck oder stückweise durch analytische Ausdrücke gegeben, so lassen sich die Koeffizienten auf analytischem Wege berechnen. Handelt es sich dagegen um eine empirische Funktion, so ist das nicht möghch. Man wendet dann je nach der Form, in der die empirische Funktion vorhegt, verschiedene Methoden an. 3. Annäherung mit Hilfe äquidistanter Ordinaten. Es sei f(xj dadurch gegeben, daß ihre Werte an m gleichweit voneinander entfernten Teilpunkten der Periode also etwa für ^) Jedes der Integrale kann auch statt von 0 bis 27t von — «bis + 7t oder von Xo bis Xq + 27t integriert werden. Das ändert nichts an ihren Werten. 27r , V — (i 0, 1, 2 gemessen seien. Die Werte mögen mit I ya, yi, ..., Ym-i 368 Fouiiersciies Theorem bezeichnet werden. Wir suchen einen Aus- druck S,i(x)=ao+aicosx+a2cos2x+. . ancos(nx) -l-bisinx+b2sin2x+. • bnsin (nx) zu bilden, der die Funktion an den gemessenen Stellen möglichst gut darstellen soll. Dabei darf die Zahl der Koeffizienten a;., b/ nicht größer sein als die Zahl der gemessenen Ördinaten, weil sie sonst unbestimmt werden. Wir wollen ihre Zahl kleiner als die Anzahl der gemessenen Ördinaten setzen. Der Fehler des Näherungsausdrucks Sn(x) ist an der Stelle x, gleich Sn(x,)-y,.. Wir suchen nun die Koeffizienten a, b so zu bestimmen, daß der Mittelwert des Fehler quadrats 1 111—1 1 111—1 ^ S (S„(x,,)-y,)^ = - S (Sn(x,.))-^ m ,=0 1^1 I- 0 9 111—1 1 111—1 -- S S„(x,,)y,+ S y,- m ,- 0 ni ,-0 möghchst klein wird. Der leitende Gedanke ist also derselbe wie oben, nur daß an Stelle des Integrals eine Summe tritt entsprechend der beschränkten Anzahl der vorliegenden Messungen. Aehnlich wie oben finder;, wir nun -^ m— l - E (Sn(x,)j-=ao- , a^^+bi^ an-+bn.^ + 2 + •••+ 2 und wenn wir analog den früheren Be- zeichnungen -| 111—1 O 111—1 V y, = Ao, E y,cos(/x,) = A,. m ,=0 m ,„0 ' O 111-1 - Z v,sinax,)=B. m ,=0 ' (A=l, 2, ... n) setzen, so wird 1 111— 1 11 nr~-L- h-, 2 A 2 [S„(x.,)-y.p = a./+ v^A+b.^_ m r_.o /. 1 -^ 11 1 111-1 -2aA-^ (a^-A;.+ b;.B..)+^ S y.- / 1 m ,■ =^^0 Dieser kleinste Wert ist gleich 1 m— 1 - S y m r-_a n A 2_l R- 2 Ao 2. ^ Nimmt man in dem Näherungswert weitere Glieder hinzu, so ändern sich die schon berechneten Werte A, B nicht, sofern die Zahl der Koeffizienten kleiner bleibt als die der beobachteten Ördinaten. Für die Durchführung der Rechnung ist es am zweckmäßigsten, m durch 4 teilbar anzu- nehmen, damit die auftretenden numerischen Werte von sin (Ix,) und cosUx,) sich mög- lichst wiederholen. Auch wollen wir die Zahl der Koeffizienten gleich der der Ördi- naten machen., annehmen und für (ao-Ao)2-}- ^ (a;-A;.)2+(b,-BA)2 n A- 2 -1- "Roa 1 111—1 ;. 1 2 ^ m ,0 Daraus ergibt sich ganz ähnlich wie oben, daß für gegebene Werte von y,. der kleinste Mittelwert des Fehlerquadrats dann und nur dann herauskommt, wenn Ax.b;. = B;.- gesetzt wird. Sn(x) den Ausdruck betrachten Sn(x) = ao + ai cos (x) -f ... -f a,i_i cos ((n— l)x) + an cos (nx) + bi sm (X) + . . .+ bn-i sin ((n— l)x). Wir können dann den Fehler von Sn(x) an allen m Teilpunkten zum Verschwinden bringen. Die Werte der Koeffizienten finden wir wie oben. Es ergibt sich 1 2 [Sn(x,.)?=ao2-fan^+ S ^^-^- und daraus folgt, daß alle Fehler Null werden für 1 111—1 1 111—1 ao=-- 2: y,, a„=- i: (— l)''y.., m ,-0 m ,_o 2 "^^^ a/.= -• H cos(Ax,)y,, m ,0 2 "'~' b; = _ S sin(;.x,.jVr. m ,=-] Es ist dann 1 111—1 111—1 n- _i_ h-2 S Vr-=ao^+an-+ S ---„ m ,-=0 0 I II I . ^ 2 Läßt man in dem Ausdruck für Snfx) irgendwelche Glieder weg, so behalten die übrig bleibenden immer die Eigenschaft, das mittlere Fehlerquadrat so klein zu machen, wie es ohne Hinzuziehung anderer Glieder möghch ist. Um die Koeffizienten a, b zu berechnen, faßt man zweckmäßig die GUeder zusammen, die mit denselben numerischen Werten der Größen cos (Ax, ) und sin (Ax, ) multipliziert sind. Zu dem Ende schreibt man die m = 2n gemessenen Ördinaten in zwei Zeilen so yo yi y2 Jz •••yn lyn y 111-1 yiii-2ym-3 . . . yn-i und bildet von den untereinander stehenden Größen die Summen und die Differenzen: Fouriersches Theorem 369 U0U1U2U3. . . "n-l Un Vi V2 V3 . . Vn-i wo iio = yo, iin = y„, iir=y, + y v,= y,.- ~~yin— !•• Daniit erhalten wir mao= S u. , ma,i = S ( — l)'Uv; 1=0 1=0 n n— i iia;.= i; cos(;iXv)u,, nb/.= H sin(;.x,)v,. v=o 1 -l Es offenbart sich hier eine Symmetrie, insofern als die Größen u,., v, in ganz analoger Weise durch die Koeffizienten a, b ausgedrückt werden können: n n Uo= i: a;., Un = ^ (— l/a;.; u,. E cos(Ax,)a;., ^v,.= S sin(2x,,)b;. Mit anderen Worten, wenn man in den Summen, durch die die Werte Uo, Un; ^u, , ^-v,. (und damit indirekt auch die Werte Ur+ V,. , y = Uo, yn = Un; y>= 2 V^ <")' U, Vy , '\ Jm-v = 2 ^^ > "V aus den Koeffizienten a, b berechnet werden, an Stelle von ao, an; a;., b;. die Werte Uo, Un; u;., va einsetzt, so liefern sie die Werte mao, man; na/, nb/. Genau dieselbe Operation, dieGheder einerFourier- schen Keihe zu summieren (die Cosinus- gheder für sich und die SinusgUeder für sich), liefert auch die Koeffizienten; die Synthese ist zugleich die Analyse. Die Berechnung wird durch weiteres Zusammenfassen erleichtert, in dem man die Größen u und v je in zwei Zeilen schreibt und wieder die Summen und Differenzen der untereinander stehenden Größen bildet: Uo Ui U2 ... Us_i Us Un Un-1 11,1-2... Us + i Summen : Differenzen: Uo Ui U, ... U,^i Us U'o U'i U'2 ... U's-l Vi V2 . . . V,_i V, Vn_lVn-2 Vs+1 Summen: Differenzen : bi ba Üs-i Ö.s b'i b'2 t)'s— 1 (s = n/2=m/4) Dann ist mao = S "., man= H (— l)'u,; 1=0 1=0 s s— l na;. = S cos(/ix,)u,, nb/.= S sin(/x,)b' für gerade Werte von ?. und Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band I\' S— 1 s + r na;. = S cos (P.x,.)u', , nb; = S sin(^.x,)ö, für ungerade Werte von L Eine weitere Vereinfachung der Rechnung besteht darin, daß man a/ und an-;, ebenso b; und bn-; gleichzeitig ins Auge faßt. Es ergibt sich nämlich für oder ungerades L oder und oder nan— ;. = S ( — 1)' cos (/x,)u, nan— ; = S ( — 1)' cos(/lx,)u', nbn-/ = 2 (— l)'-i sin (xxr)b' nbn_;= S (— l)'-isin(/x,)b, Hat man z. B. nicht mehr als 12 Ordi- naten gemessen, so ist m = 12, n = 6, s = 3 Die Werte von cos (2x,.) und sin(Ax,.) sind dann nur i sin 30°, ± sin 60^ ± 1, wodurch es gelingt, die Rechnung auf ein einfaches Schema zu bringen, mit Hilfe dessen sich die Koeffizienten aus den gegebenen ] 2 Ordi- naten in kurzer Zeit ermitteln lassen. i) 4. Abkürzung des Verfahrens nach den auftretenden Symmetrien. Eine ähn- liche Zusammenfassung wird übrigens zweck- mäßig auch in dem Falle angewandt, wo die Funktion analytisch gegeben ist und die Koeffizienten durch Integrale dargestellt werden. Ist f(x) die gegebene periodische Funktion, so sei (p{x) = f(x) + f(27r-x) = f(x) + f (-X) y,{x) = f(x)-f(27r-x) = f(x) - f (-x). Dann ist /T TT ao = 2" I ^'(xldx, a;. = - 1 ^^(x) cos (/x)dx O 0 b; = — I ip{\) sin (/x)dx. Und wenn weiter 9?i(x) = + \2n + 2 2n h22 Obgleich das mittlere Fehlerquadrat behebig klein wird, so ist dennoch der Fehler selbst, auch wenn man behebig viele Gheder nimmt, nicht überall behebig klein. Viel- mehr bleiben in der Nähe der Sprungstellen X = 0, TT, 27r Abweichungen der Näherungs- kurve übrig, die mit wachsender Ghederzahl nicht beliebig klein werden, sondern sich nur immer enger an die Sprungstelle heran- ziehen, so daß sie auf das mittlere Fehler- quadrat immer weniger Einfluß gewinnen. Dasselbe gilt von jeder Sprungstelle einer periodischen Funktion. Wenn auch der Mittelwert des Fehlerquadrats bei einer hinreichenden Zahl von Ghedern der Fourier- schen Reihe behebig klein wird, so wird doch das Maximum des Fehlers selbst in der Nähe einer Sprungstelle nicht beliebig klein, wie viele Gheder man auch hinzu- nehmen mag. Setzt man in die Fouri ersehe Reihe den Wert der Veränderhchen ein, wo der Sprung eintritt, so ergibt die Fouri ersehe Reihe das arithmetische Mittel der beiden Werte, zwischen denen der Sprung stattfindet. 2. Beispiel. f(x) möge von x = o bis X = £< TT und von x = 27r — e bis 27r den Wert h haben, während es für alle anderen Werte von x verschwindet (Fig. 3). -tot 2%< Fi£r. 3. '2X+£ Hier haben wir ?/;(x) = f(x) — f(27r— x) -= o, und für x=o bis e, (p{x) = f(x) + f(27r— x) = 2h, dagegen für x = e bis tt (p (x) = o. Mithin wird: h£ 2h Z' ,, , , 2h Ig = - - a/ = — I cos (Ax)dx=: — 2h sin^^e) f(x)=|[| + sin/cosx+^-^f-^cos(2x) V^F'^cos(3x) + ..^ Das mittlere P'ehlerquadrat der Näherung, die man erhält, wenn man hinter dem Ghede 2h sin(ne) 1 1 • i v. • ^ i • i, - — ^= — - cos (nx) abbricht, ist gleich: 2h2 [£2 n h^e sin^ (3e) 32 ^ + sin2(2e) 2 + ^m2e + ^H + sin2(n£)] Für die unendhehe Reihe wird das mittlere Fehlerquadrat gleich Null. Folghch kann es für den Näherungswert auch in die Form gebracht werden: 21i2 rsin2(n+ 1)£ , sin2(n_+_2)e 1 ~n^[ (n+lf "^ (n+2)2 +'--J 2h-2 1 3. Beispiel, und f(27r — x) n+2. f(x) = X für X = 0 bis TT f(x) (Fig. 4). Damit ist: n 2 f -^, a;.= - I X cos (2x)dx hx = 0. Nun ist /• ,, M ixsin(/x)i fsin (Ax) jxcos(;.x)dx=[^^j-j_|--^ dx cos_ax)i_ (-1)^—1 folghch: f(x) 4 / cos (3x) _ cosxH ^— co^ (ox) ^ 52 i- • Mittlerer Fehler, wenn man hinter 4 cos (2n — l)x ~^ (2ir— 1)2^ abbricht: 7c2[(2n+l)^^(2n+3)*^ ■■■] 8 1 ^ Sji^' {2nf 6. Apparate und graphische Ver- fahren, Zur Berechnung der Koeffizienten der Fouri ersehen Reihe kann man sich an 24* 372 Fouriersches Theorem Stelle der Kechnung auch mathematischer Apparate bedienen oder man kann die Summationen oder Integrationen auf graphi- schem Wege ausführen. Viele der zu diesem Zweclie erfundenen Apparate haben heute nicht viel mehr als historisches Interesse, weil sie von den neueren überholt sind. Integrationen führen aus die Apparate von W. Thomson (1876)i), Sharp und Henrici (1894)2), Yule (1895)3), le Conte (1898)*), Mader (1909)^). Dagegen beruht der Analysator von Michelson und Stratton«) auf der Summation einer diskreten Anzahl von Ternien, die den äquidistant über die Periode verteilten Ordinaten der zu analy- sierenden Kurve entsprechen. Der Apparat zeichnet einmal, wenn die Koeffizienten der Fourierschen Reihe gegeben sind, die Kurve, deren Ordinaten die Werte der Fourierschen Reihe als Funktion der Veränderhchen darstellen, andererseits, wenn die Werte der Fourierschen Reihe gegeben sind, die Kurve, deren Ordinaten in den äquidistanten Teilpunkten der Periode die Koeffizienten als Funktion ihres Index darstellen. Die graphische Ermittelung der Integrale von der Form 271 2-T I f(x) cos (Ax)dx oder i f(x) sin (Ax)dx ü 0 geschieht am besten, indem man eine neue Veränderhche einführt und z. B. t = sin(/lx) also dt = A cos (2x)dx setzt. f(x) geht bei Einführung der neuen Veränderhchen in eine Funktion F(t) von t j über und das Intesrral wird i x/ F(t)dt. Beim Durchlaufen des Intervalls x = o bis 2% läuft die neue Veränderhche Amal von 0 über + 1 zurück zu — 1 und wieder zu 0. Stellt man F(t) durch die Ordinate einer Kurve dar zur Abszisse t, so bedeutet / F(t)dt die von der Kurve umkreiste Fläche. Diese Kurve wird aus der Kurve y = f(x) dadurch gewonnen, daß man auf der x-Achse die ^) W. Thomson, Proc. of the Royal See. London 1876, 1878. 2) Sharp und Henrici, Phil. Mag. 1894. 3) Yule, Phil. Mag. 1895. *) Le Conte, Phys. Review 1898. 5) Mader, Elektrotechn. Zeitschr. 1909. *) Michelson und Stratton, Amer. Journ. of Science 1898. Punkte markiert, wo t vorgeschriebene Werte hat, z. B. t = 0; ± 0, 1; ± 0,2; . . . z^ 1. Die zu diesen Punliten gehörigen Ordinaten der ursprünghchen Kurve y = f(x) sind dann neu zu ordnen entsprechend dem zugehörigen Wert von t, so daß t zur Ab- szisse wird. Es kommt auf dasselbe hinaus, als hätte man die Kurve y = f(x) um einen Kreiszyhnder vom Umfang -.- gewickelt, so daß die x-Achse von x = o bis x = 27r Amal um den Zylinder herumläuft, und hätte die so aufgerollte Kurve senkrecht auf eine der Zyhnderachse parallele Ebene projiziert. 1) Die Summen z. ß. i^y,cos/Xv können graphisch durch die Endordinate einer gebrochenen Linie ermittelt werden. Man trägt dazu die Längen y, hintereinander auf der Abszissenachse ab. Die gebrochene Linie beginnt bei Null und hat ihre Ecken über den Stellen, wo die Strecken y, an- einander stoßen. Die Neigung der Seite der gebrochenen Linie, die über y, hegt, wird so bestimmt, daß die Tangente des Winkels, den sie mit der x-Achse macht, gleich cos (^x, ) ist. Die gebrochene Linie läßt sich sehr schnell zeichnen, wenn man sich eines von v. Sanden^) ange- gebenen Instruments bedient. Es besteht aus einem Hartgummipolygon, dessen Seiten die verschiedenen den Werten cos(/lx,) ent- sprechenden Richtungen angibt, wenn man eine Seite die Richtung der x-Achse an- nehmen läßt. Man führt die Hartgummiplatte längs der Reißschiene und kann so die einzelnen Seiten der gebrochenen Linie ziehen. 7. Das Isolieren von Gliedern hoher Ordnung. Hat man eine Funktion in eine Fouri ersehe Reihe entwickelt: f(x) = ao + ai cos x + aa cos (2x) + . . . + bj sin X + b, sin (2x) -!-••• so kann man in einfacher Weise die Summe der Gheder aussondern, deren Ordnungszahl die Vielfachen einer ganzen Zahl sind. Um z. B. die Gheder: ao 4- ag cos (3x) -f ag cos (6x) + . . . + bg sin (3x) + bg sin (6x) + . . . zu erhalten, hat man nur nötig, das arithme- tische Mittel der drei AVerte: 1) Clifford, Lond. Math. Proc. 5 (1873), p. 11: Finster walder. Harmonische Analyse Zeitschr. f. Math, und Phvsik, Bd. 43 (1898) p. 85. 2) V. Sauden, Zeitschrift für Mathematik und Physik, Bd. 61, 1912. Founersches Theorem 373 ZU bilden. In der Summe heben sich alle Glieder wei^' mit Ausnahme derer, deren Ordnungszahl durch 3 teilbar ist. Denn es ist: g ( COS (2x) + cos üx 4- l ^) + cos (Ax + 2A ^')] und yjsin (Ax) + sin (Ax + 2 ^) + sin (2x + 2A -^)j gleich Null, wenn 2 nicht durch 3 teilbar ist, und gleich 1, wenn es teilbar ist. Man sieht dies am besten ein, wenn man cos(Ax), sin(2x) als die Komponenten einer Kraft auffaßt, die am Nullpunkt angreift, und ebenso coslAx + A^I, sinux + A^V) und cos ux + 2A o , sin i/lx+22^|. Die drei Kräfte sind gleichgroß und symmetrisch um den Nullpunkt verteilt; sie "halten sich infolgedessen im Gleichgewicht, Will man ein einzelnes Ghed ancos(nx) + bn sin (nx) einigermaßen hoher Ordnung untersuchen, so kann man auf diese Weise eine Funktion bilden, deren Fouriersche Entwickelung mit diesem Ghede anfängt. Ihre Periode ist — und für sie spielt also das betreffende GMed dieselbe Rolle wie das Ghed erster Ordnung für die Funktion mit der Periode 27c. Wenn nun die Koeffizienten an bn mit wachsendem n hinreichend stark abnehmen, so wird das nächste Glied aan cos (2nx) + bjn sin (2nx), besonders wenn n eine größere Zahl ist, gegen an cos (nx) + bn sin (nx) nicht mehr in Betracht kommen, ebensowenig wie die darauf folgenden Gheder, und demnach kann die Funktion nach Abzug der Konstante ao als eine Annäherung an das Glied nter Ordnung an cos (nx) + bn sin (nx) betrachtet werden. Um die Funktion durch eine Kurve darzustellen, würde man gra- phisch so verfahren, daß man die Periode der Kurve y = f(x) in n-Teile teilt und auf Pauspapier die n-Teile der Kurve über demselben Abszissenabschnitt zeichnet. Für jede Abszisse dieses Abschnitts erhält man auf diese Weise n-Kurvenpunkte. Der Schwerpunkt dieser n-Punkte beschreibt die gesuchte Kurve, wenn die Abszisse den Abschnitt durchläuft. 8. Das Fouriersche Theorem für eine aperiodische reelle Funktion einer Veränderlichen. Es sei #(t) eine Funk- tion von t, die für t = ^oo bis t = oo definiert ist, ohne eine Periode zu be- sitzen. Wir leiten aus ihr eine periodische Funktion (p{t) ab, indem wir festsetzen, daß 99(t) für t = — c/2 bis t = c/2 mit ^(t) übereinstimmen und für Werte von t außer- halb dieses Intervalls dieselben Werte peri- odisch wieder annehmen soll, so daß ^.(t + c) = 7), hcraiis- (jegeben von Bigeloiv, S. Avfl. Philadelphia 189,?.. — Will Temple Franklin, Memoirs 0/ the life and writings of B. F. London 1817. — Jared Sparks, Worhs etc. of B. F. Boston I84O. — Mc Master, Benjamin F. as a man of letters. Boston 1887. E. Vrude, V. Fraunhofer Joseph. Geboren am 6. März 1787 in Straubing bei München, gestorben am 7. Juni 1826 in Mmicdien. Er war der Sohn eines armen Glasers, von dem er so stark im Geschäft angespannt wurde, daß er bis zum 14. Jahre des Lesens und Schreil^ns unkundig blieb. 1799 trat er bei einem Glas- schleifer und Spiegelmacher in die Lehre. Durch einen Zufall wurde König Max auf ihn aufmerk- sam und versah ihn mit Lehrbüchern der Mathe- matik und Optik. 1806 bekam Fraunhofer eine Anstellung als Optiker im mechanisch-optischen Institiit von Reichenbach und Utzschneider in Benediktbeuren, wurde infolge seiner hervor- ragenden Leistungen schon 1809 Teilhaber und 1818 Direktor des Instituts. Nach Verlegung des Instituts nach München wurde Fraunhofer 1823 zum Mitglied der Akademie der Wissenschaf- ten und zum Professor am physikalischen Kabinet derselben ernannt; 1824 ^v^lrde ihm der Adel verliehen. Fraunhofer hat sich um die Ent- wickelung der Optik große Verdienste erworben. Die Herstellung leistungsfähiger Instrumente befähigte ihn zu subtilen Beobachtungen. Er ist der Entdecker der dunklen Linien im" Sonnen- spektrum, die seinen Namen tragen. Seine mittels einer eigens konstruierten Teilmaschine hergestellten Gitter ermöglichten ihm die Be- obachtung zahlreicher Beugungserscheinungen uncl die Berechnung der Wellenlängen der ver- schiedenen Lichtsorten. Die Brechungsquo- tienten der verschiedenen Glassorten maß er vermittels seiner Methode des Minimums der Ablenkung. Das achromatische Fernrohr hat er erheblich vervollkommnet und zahlreiche andere optische Instrumente konstruiert. Literatur. lUzschneider, Astronomische Nach- richten, Band 5, LSS5. — Voit, .Joseph F. Ilünchen 1887. E. Drnde. Fresenius Carl Remigius. Geboren am 28. Dezember 1818 zu Frank- furt a. M., hat er in Wiesbaden, wo er am 11. Juni 1897 gestorben ist, über ein halbes Jahrhundert lang höchst erfolgreich gewirkt. Zuerst Apotheker, dann chemischen Studien in Bonn und Gießen unter Lieb ig hingegeben, hat er sich, nach kurzer Dozentenzeit an letzterer Universität, in Wiesbaden niedergelassen, wo er 1847 ein chemisches Laboratorium gründete, das dem Unterricht in der Analyse und analytischen Forschungen gewidmet sein sollte. Die letzteren hatten Fresenius schon seit Beginn der Stu- dien stark beschäftigt; davon gibt Zeugnis die zuerst 1841 erschienene „Anleitung zur quali- tativen Analyse", der im Jahre 1846 die erste Auflage der ,, Anleitung zur quantitativen Ana- lyse" folgte. Beide Werke erlebten zahlreiche, an Umfang immer zunehmende Auflagen. Die Ausgestaltung des analytischen Unterrichtes, die Ausbildung der quantitativen ^Methoden nahmen die vollste Aufmerksamkeit von Fre- senius und seinen Mitarbeitern in Anspruch. Fresenius — Fries 377 Im Jahre 1862 gründete er die Zeitschrift für analytische Chemie, die sich starken Zuspruchs erfreute. Seine experimentellen Untersuchungen liegen in der Hauptsache auf analytischem Gebiete; siegalten besonders der verfeinerten Untersuchung von Mineralwässern, der Ausarbeitung mannig- faltigster Methoden zur Bestimmung technischer Produkte u. a. m. Nach seinem Tode wurde das Laboratorium von seinen Söhnen im Verein mit tüchtigen Dozenten weitergeleitet. Frese- nius hat sich dauernd im öffentlichen Leben, besonders zum Wohle der Stadt Wiesbaden, betätigt. Vgl. den Nekrolog, verfaßt von seinem Sohne Heinrich (Zeitschrift für analvtische Chemie 1897). E, von Meyer, Fresnel Augustin Jean. Geboren am 10. Mai 1788 in Broglie in der Nor- mandie, gestorben am 14. Juli 1827 in Ville d'Avray bei Paris. Er war der Sohn eines Archi- tekten, besuchte die Zentralschule zu Caen, später, 1804 bis 1806, die polytechnische Schule und die ]&cole des ponts-et-chausses. Als Ingenieur war er in der Vendee tätig, bis Napoleon während der hunderttägigen Regierung den eifrigen Royalisten seines Amtes entsetzte und ihn zu Nyons unter polizeiliche Aufsicht stellte. Dort unternahm er seine ersten optischen Versuche. Unter den Bourbonen ^vurde er in sein Amt wieder eingesetzt, rückte zum Ingenieur-en-chef des ponts-et-chaussees auf und \nzrde zum Mit- glied der Akademie ernannt. Fresnel hat der Optik durch seine Untersuchungen und Berech- nungen hervorragende Dienste geleistet. Er gab eine Theorie der Interferenz und Beugung des Lichtes, der Farben dünner Blättchen, speziell der Newtonschen Ringe. Durch den Spiegelversuch, der unter seinem Namen bekannt ist, lieferte er den experimentellen Nachweis der Wellentheorie des Lichts. Grundlegend sind seine Unter- suchungen über die Reflexion und Polarisation des Lichts und die gemeinsam mitArago ge- machte Entdeckung von der Interferenz des polarisierten Lichtes, sowie seine Theorie der Drehung der Polarisationsebene im Quarz. Die von ihm konstruierten Leuchtturmlinsen fanden weite Verbreitung. Literatur. Arago, Biographie von A. J. F., im I. Band der sämtlichen Werke. E. Drude. Friedel Charles. Geboren am 13. März 1832 in Straßburg, ge- storben am 20. April 1899 in Montauban, wo er zum Besuch einer Tochter weilte, widmete Friedel sich zuerst vorwiegend der mineralogischenChemie ; er war an der Ecole des mines und an der Sor- bonne, dann seit 1884 an letzterer allein als Professor der organischen Chemie tätig. Sein Bestreben, den praktisch chemischen Unterricht in Frankreich zu heben, war schließlich er- folgreich. Friedeis wichtigste Experimentalunter- suchungen betreffen Gegenstände der organischen Chemie, die er in einzelnen Teilen wesentlich bereichert hat, so durch seine Arbeiten über Ketone, über Siliciumverbindungen (in Gemein- schaft mit Ladenburg und Crafts), besonders durch die Entdeclamg der eigentümlichen Wü'- kungen des Ahiminiumchlorids auf Benzol und seine Abkömmlinge. Die letztere Reaktion hat der organischen Chemie eine fast unerschöpfliche Reihe bedeutsamer Forschungen zugeführt. Auch für- die mineralogische Chemie, besonders für die künstliche Bildung von Mineralien, haben seine mannigfaltigen Untersuchungen Bedeutung gehabt. Der von Laden bürg verfaßte Nekrolog (Ber. 32, 3721) gibt über alle seine Arbeiten sowie über sein Leben und Wirken trefflich Aufschluß. E, von Meyer, Fries Elias Magnus. Geboren am 15. August 1794 im Sprengel Femsjö in Smäland, studierte in Lund, wo er sich 1814 als Privatdozent habilitierte und 1824 zum Professor ernannt wurde. 1828 ging er in gleicher Eigenschaft nach Upsala, wo er zunächst nur die praktische Oekonomie, seit 1851 auch die Botanik vertrat. Daneben w^ar er bis 1859 auch Direktor des Botanischen Gartens und Museums. 1844/45 und 1847/48 vertrat er die Universität Upsala in den Reichstagsversamm- lungen. 1859 trat er in den Ruhestand und starb am 8. Februar 1878 zu Upsala. Seine Arbeiten gehören zu den grundlegenden Werken der systematischen Mykologie. Genannt sei vor allem das ,,Systema mycologicum" (3 Bände, Greifswald 1821 bis 1829; „Supple- menta"ebendort 1830 bis 1832), zu welchem der ,,Elenchus fungorum" (Greifswald, 2 Bde., 1828) und die ,, Novae symbolae mycologicae" (Upsala 1851) ergänzend hinzutraten. Ausführliche Darstellungen widmete er besonders der Pilzflora Schwedens (so u. a. die ,,Monographia hymeno- mycetum Sueciae", 2 Bde., Upsala 1857 bis 1863, und mehrerer Abbildungswerke) und der Ge- samtflora gewisser Teile Schwedens. Sehr wichtig sind auch seine lichenologischen Arbeiten, von denen die ,,Lichenographia Europaea re- formata" (Lund und Greifswald 1831) hier erwähnt sei. W. RiihlaniL 378 Frucht und Same Fracht und Same. A. Frucht. 1. Begriff. 2. Bedingungen der Frucht- bildung. 3. Bestandteile. 4. Entwäckelung und Anatomie. 5. Einteilung. 6. Fruchtformen. 7. Verschiedenfrüchtigkeit.i) I. Begriff. Eine genaue Begrenzung des Begriffes der Frucht (f r uctus) unterliegt man- cherlei Schwierigkeit. Am einfachsten wäre freilich als Frucht der umgewandelte Frucht- knoten zu bezeichnen, welcher die Samen ein- schheßt. Aberschon Gärtner, der Begründer der Fr u c h t k u n d e (Carpologie), hat im Jahre 1788 diesen Begriff auf das die Samen ein- schließende Gehäuse ohne Rücksicht auf seinem Ursprung erweitert und zwar mit Recht, da es nicht immer ein morphologisch einheithches, aus Fruchtblättern (carpella) entstandenes Organ darstellt, sondern zu seinem Aufbau oft alle in der Blüte befind- lichen Organe (mit einziger Ausnahme der Staubblätter), der Stengel und viele außer- halb ,der Blüte stehende Teile der Pflanze herangezogen werden können. So nimmt neben den Fruchtblättern die Blütenachse stets innigsten Anteil an dem Abschlüsse des Fruchtgehäuses und bildet bei unterständigen Fruchtknoten den überwiegenden Teil der Fruchtwand. Nicht selten wird die Blüten- hülle zum Gehäuse der Samen wie bei Mira- bihs u. a. Auch Vor- und Hochblätter sind daran beteiligt, wie bei der Grasfrucht u. a. Noch viel häufiger ist jedoch die BeteiUgung verschiedener, auch in der Nähe der Blüte stehender Organe an den Verbreitungs- einrichtungen der Frucht, so daß bei der Begriffsbestimmung der Frucht auf alle für die Verbreitung der Früchte und Samen biologisch tätigen und mit der Frucht in Verbindung stehenden Organe, namentlich auch auf die sogenannten akzessorischen Organe (accessoria) Bedacht genommen werden muß. Wir fassen daher als Frucht alle besonders umgewandelten Or- gane der Pflanze zusammen, welche die Samen bis zur Reife umschließen, dann ausstreuen oder mit denselben von der Pflanze abgetrennt werden. Dadurch ist es ermöglicht, auch manchen Gymnospermen, die nach der üblichen Be- griffsbestimmung keine Früchte besitzen würden, Früchte zuzuerkennen. Das ist ge- wiß berechtigt, denn eine Wacholderbeere ist sicher sowohl morphologisch als biolo- gisch eine vollwertige Frucht, d. h. ein Samen einschließendes Gehäuse. Bei solcher Auf- fassung fällt dann aber auch der übel ange- wandte Begriff der Scheinfrüchte (fr, spurii), als welche man sehr Verschiedenes, 1) Die ,, Verbreitungsmittel der Pflan- zen" werden in einem besonderen Artikel be- handelt. wie den Fruchtstand der Feige, die Sammel- früchte der Erdbeere, Himbeere und der Hagebutte u. a. m. bezeichnete. Die bei diesen Früchten vorhandene fleischige Blü- tenachse ändert sicher nicht den Wert der- selben als echte, mit einem Fruchtfleische versehene Früchte, denn sonst wären auch die Johannisbeere, der Apfel und die Birne keine Früchte und auch die Wacholderbeere und Maulbeere könnten keine Früchte dar- stellen, obwohl sie ein die Samen einsclüie- ßendes Gehäuse besitzen, da dieses und das Fruchtfleisch nicht aus den Fruchtblättern, sondern aus anderen Blattorganen (Blüten- hülle, Stützblätter) gebildet werden. Zieht man die Gleichwertigkeit aller in der Blüte und in ihrer Nähe stehender Blätter in Be- tracht, so wird die Ablehnung der Schein- früchte noch weiter unterstützt. Hingegen lassen sich die Samniel- früchte, als welche man gewöhnhch ein- zelne Blüten mit mehreren getrennten, aber zusammen abfallenden Einzelfrüchten (disco- carpia) oder auch Blüten mit mehreren Ein- zelfrüchten überhaupt (apocarpia) bezeichnet, und die zusammengesetzten Früchte (poly- anthocarpia), welche aus den verbundenen Früchten mehrerer Blüten bestehen, dann den Früchten leicht einordnen. Es gibt aber auch aus Fruchtblättern er- zeugte Gehäuse, die aus irgend einem Grunde keine Samen enthalten. Das sind taube Früchte, wozu auch die in Kultur befind- lichen samenlosen („kernlosen") Frucht- sorten von Bananen, Rosinen, Apfelsinen, Quitten u. a. gehören. Endlich gibt es auch nacktsamige Samenpflanzen, welche keine Früchte, sondern nur Samen erzeugen, wie z. B. Cycas, Gingko, die Eibe u. a. 2. Bedingungen der Fruchtbildung. Zu einer normalen Frucht- und Samenbildung ist Bestäubung und nachfolgende Befruch- tung der Eizellen in den Samenanlagen er- forcierlich, denn nur durch Einleitung der Embryobildung treten jene Umwandlungen ein, die zur Fruchtbildung führen. Da aber auch auf ungeschlechtlichem Wege, also ohne Befruchtung Keime (Embryonen) in den Samenanlagen entstehen können, wie z. B. aus Nucellarzellen, aus Zellen des Embryosackes usw., deren Bildung ebenfalls Fruchtbildung anregt, muß die Embryo- bildung in den Samenanlagen als das alleinige Erfordernis der nor- malen Fruchtbildung angesehen werden. Man kann daher die Fruchtbildung mit Befruchtung, Sexokarpie, und die ohne Befruchtung, Parthenokarpie, unter- scheiden. Taube Früchte, wie sie nur die Kultur durch Pfropfung erhalten kann, scheinen vielfach durch Verkümmerung normal be- fruchteter Samenanlagen ihre Samenlosig- Frucht und Same 379 keit zu erreichen. Die Bestäubung allein ist zur Fruchtbildung nicht genügend, wenn sie auch die ersten Veränderungen zur Frucht- bildung manchmal anregt wie bei den Orchi- daceen, oder selbst auf den Charakter der Früchte Einfluß nimmt wie bei den Misch- früchten (Xenien). Wohl aber wird dieFrucht- bildung indirekt durch den Ursprung des bestäubenden Pollens in hohem Maße be- einflußt, weil sich danach die QuaUtät und Zahl der Samen, sowie die Möglichkeit der Befruchtung überhaupt richtet. Die Erfolge der Befruchtung bestimmen aber wieder in erster Linie den ,, Fruchtertrag", wobei natürhch die graduell verschiedene ,, Frucht barkeit" der Pflanze und des Individuums mitspielt. So bedarf eine eingeschlechtige Blüte nicht nur der Anwesenheit einer Blüte des anderen Geschlechtes, sondern auch der Agentien, die die Bestäubung besorgen, die ebenso bedeutungsvoll bei anderen Blüten, die auf bestimmte andere Arten der Bestäu- bung angewiesen sind, zur Fruchtbildung mitwirken. Der Fruchtertrag insekten- blütiger Gewächse wird auf solche Weise von der Menge und Art der Bestäuber und von der Häufigkeit oder Seltenheit ihrer Be- suche so wesenthch abhängig gemacht, daß dessen Zu- oder Abnahme direkt nachweis- bar ist, wie z. B. beim Wiesenklee. Wind- blütige Pflanzen sind wieder durch meteoro- logische Umstände: Wind, Wetter, nament- lich Regen, in ihrer Fruchtbildung beeinflußt. Regnet es z. B. während der Blütezeit des Getreides, der Gymnospermen oder der Kätzchenblütler, so tritt ein starker Ausfall im FniclUertrage ein. Die Kreuzung oder Wechselbestäubung ist bei zahlreichen Pflanzen unbedingt zur Frucht- und Samen- bildung nicht nur notwendig, sondern sie erfordert auch eine Bestäubung durch den Pollen bestimmter Blüten. Daher kann meist nur der Pollen derselben Art, nahe ver- wandter Formen und Arten befruchten und die auf solche Weise entstandenen Art- bastarde sind trotzdem in ihrer Fruchtbar- keit geschwächt oder bleiben gänzHch un- fruchtbar, da ihr Pollen gewöhnhch ver- kümmert und nicht imstande ist, befruch- tend zu wirken. Nur durch Rückkreuzung mit den Stammeltern kann bei diesen Bastar- den hin und wieder Fruchtbildung eintreten. 3. Bestandteile der Frucht. Die wesent- lichen Teile der Frucht sind der Same (semen) und das Fruchtgehäuse oder die Fruchtschale (pericarpium, spermothece), welches die Samen einschließt und morpho- logisch sehr Verschiedenes darstellen kann. Alle anderen Bestandteile, welche das Sanien- gehäuse umgeben oder mit demselben in irgendeine Verbindung treten, nennt man die Neben- oder akzessorischen Organe (accessoria) der Frucht. 4. Entwickelung und Anatomie. Die erste Periode der Entwickelung der Früchte fällt mit jener der Fruchtblätter bis zur Empfangsfäbigkeit der Narbe zusammen. Die zweite Periode beginnt mit der erfolgten Bestäubung. Dann vertrocknet zunächst die Narbe und meist auch der Griffel, welcher gewöhnhch abfällt oder nur stehen bleibt, wenn er bei der Verbreitung der Frucht mit- wirkt. Auch die übrigen Blütenteile, insofern sie nicht als Schutzorgane der heranreifenden Frucht dienen, wie viele Kelche und Hüllen, verwelken, fallen ab oder bilden wichtige Verbreitungseinrichtungen. Der Frucht- knoten wird zur eigentlichen Frucht, indem sich das Fruchtgehäuse zum Samengehäuse umwandelt. Letzteres geschieht unter mannigfachen Veränderungen der Gewebe der Fruchtwand. Vor allem tritt reiclüiche Vermehrung und Ausdehnung der Zellen ein, um das für die heranwachsenden Samen notwendige, vergrößerte Gehänse auszubilden. Auch findet zugleich eine erhebhche Stoff- anhäufung, insbesondere von Stärke in den Zellen und Ix'sonders in den Placenten statt, um das Baumaterial für die Samen vorrätig zu haben. Diesen Vorgängen schließt sich eine meist schärfere Ghederung des Perikarps in drei Zellschichten an und zwar in das Exo- oder Epikarpium (das ist die äußere Epidermis), En do kar pi u m (das ist dieinnere Epidermis der Fruchtwand) und in das Mesokarpium, das sich zwischen dem Epi- und Endokarpium als anfangs chloro- phyllführendes, die Gefäßbündel umgebendes Gewebe einschiebt. Auch die Placentarge- webe erleiden bei der Ausbildung der Samen Veränderungen und werden zum Samen- polster (spermaphora, trophospermium). Die dritte Periode in der Entwickelung der Früchte kennzeichnet sich durch zweck- dienhche Umwandlung und endgültige Aus- bildung aller Zellen, insbesondere durch die Veränderungen der Zellhäute, durch chemi- sche Umwandlung oder Austrocknung ihres Inhaltes und durch das Reifen der Samen. Im Reifezustande läßt dann das Perikarp gewöhnlich anatomisch verschiedene Ge- webe mit bestimmten Funktionen erkennen und zwar vor allem die Hartschichte (sclerocarpium), ein festes, aus Skiereiden gebildetes mechanisches Gewebe, weiter das Fruchtfleisch (sarcocarpium), ein weiches, nicht verholztes, Säfte und Nährstoffe ent- haltendes Parenchym, und oft auch eine Trockenschichte (xerocarpium), das sind trocken und inhaltsarm gewordene Zell- schichten. Es hängt von der physiologischen Aufgabe der Fruchtwand ab, welche Ge- webeschichten zur Ausbildung gelangen. Im allgemeinen besteht aber die Regel, daß Hartschichten in der Fruchtwand nur dann zur Ausbildung gelangen, wenn die Frucht- 380 Frucht und Same wand, wie bei den Schließfrüchten, den | Schutz der mit dünner Samenschale be- kleideten Samen zu übernehmen hat, daß da- gegen bei fleischigen und sich öffnenden Früchten die Fruchtwand vornehmlich aus dünnwandigen Zellen besteht, die Samen aber dann mit einer festen und widerstands- fähigen Samenschale ausgerüstet sind. Ueber- nehmen jedoch mit sklerenchymatischen Geweben versehene Hochblätter den Sehnt/ der Frucht, wie bei der Grasfrucht (caryopsis), dann verschwinden die mechanischen Ge- webe sowohl in der Fruchtwand wie auch in der Samenschale; ja das Perikarp kann wie bei Mirabilis zuletzt nur mehr in einer Zell- lage vorhanden sein, oder die Samenschale kann verloren gehen wie bei Gräsern. Das E])}- und das Endokarp werden gewöhnlich nur aus einer Zellage gebildet. Beim Mesokarp findet man jedoch mir selten eine oder zwei Zellagen wie bei Salsola, Chenopodium, Urtica, Plantage. Zumeist ist es mehr- oder vielschichtig. Oft wird nur das Epikarp zu einer stark verdick- ten, mechanisch wirksamen Oberhaut wie bei Polygonum, Galium, Myrrhis; aber es gibt auch Perikarpien, bei denen dem Endokarpium allein der mechanische Schutz der Fruchtwand obliegt wie bei Kumulus, Cannabis, Ribes. Am häufigsten werden verschiedene Zellschichten des Meso- karpiums sklerenchymatisch und bilden dann oft wieder weiter differenzierte Lagen innerhalb der Hartschicht, die meist dem Epi- oder dem Endokarpium anliegen. Bei manchen Peri- karpien nehmen aber auch überdies Epi- oder Endokarp an der Hartschicht Anteil (Urtica) oder die Fruchtwand wird völlig sklerenchyma- tisch wie bei Corylus, Plantago, Carthamus, oder völlig sarkokarpisch wie bei Musa, Phytolacca, Aesculus, Solanum, oder völlig xerokarpisch wie bei Panicum, Avena, Chenopodium. Eine scharfe Differenzierung des Mesokarps in ein Sarkokarp und ein innenliegendes Sklerokarpium ist allen Steinfrüchten eigen. Bei trockenen Schließfrüchten sind gewöhnlich die nach außen liegenden Zellagen des Mesokarpiums zur Hart- schicht umgewandelt wie bei Zea, Fagus, Quercus, Fagopyrum, und nur selten die inneren wie bei Beta, Spinacia. Noch viel weitergehende Gliederungen der Gewebe mit mannigfach in Bündeln und Strängen vereinigten Elementen zeigen die Perikarpien der Compositae und Um- belliferae. Das Endokarpium geht bei manchen Schließfrüchten verloren, wird unscheinbar oder zerstückelt. Es kann aber auch größere biologi- sche Bedeutung durch die Bildung des Frucht- markes oder Fruchtbreies (pulpa) gewinnen. Dieses ist bald ein nährstoffreiches und oft saftiges, lockeres Gewebe, das von den inneren Teilen der Fruchtwand ausgehend, die Frucht- fächer füllt wie bei der Banane, Cassia, Pnnica, Adansonia oder ein schwammiges, markähnliches Parenchjan wie bei vielen Hülsen, beim Garten- rettich. Die Pulpa kann aber auch aiTS saftigen Emer- genzen des Endokarpiums gebildet werden wne bei den Citrusfrüchten. Nicht mit dem Frucht- brei zu verwechseln ist jedoch der ähnliche Funk- tionen übernehmende Samenmantel in vielen Früchten. Manchmal erzeugt die Innenseite des Perikarps auch ein reichbches Haarkleid \de bei Acer oder hygroskopische Haare (Ela- teren), die zur Ausstreuung der Samen dienen, wie bei vielen Orchidazeen (Fig. 5, i und 2). Eine spezielle anatomische und biologische Ausgestaltung erfährt das Perikarp noch durch den Besitz verschiedener Farbstoffe (gefärbte Früchte), von Schleim und Klebestoffen (Vis- cum, Rhipsalis), Alkaloiden, Kalkoxalat, Gerb- stoffen, Oelen und Harzen (Juniperus, Citrus, Copaiba, Hymenaea, Myrtaceae, Umbelliferae, Rutaceae, Anacardiaceae u. a.), von Milch- säften (Euphorbiaceae, Papaveraceae) und durch die Ausbildung verschiedener Akzessorien wie Haare, Stacheln, Schuppen und ähnlicher Or- gane. Das letzte Stadium, die Fruchtreife, charakterisiert sich durch das Abfallen der Schüeßfrüchte, durch das Zerbrechen der Bruch- und Teilfrüchte oder durch das Oeffnen der Streufrüchte zu Zwecken der Ausstreuung der Samen (disseminatio). Das Abfallen der Schließfrüchte erfolgt infolge der am Fruchtstiele sich bildenden Trennungs- schichten gerade so wie bei den Blättern im Herbste. Die Oeffnung (dehiscentia), deren Art und Weise vom anatomischen Bau der Frucht- wand abhängt, hat verschiedene Ursachen. Bei trockenen Streufrüchten ist sie ein rein physi- kalischer Vorgang, der durch ungleiche Hygro- skopizität der Zellwände verschieden schnell quellbarer Gewebe veranlaßt \vird. Die meisten trockenen Streufrüchte werden durch Aus- trocknung geöffnet (Xerochasie) imd durch Be- feuchtung wieder geschlossen; selten ist das Um- gekehrte der Fair(Hygrochasie). Das dadurch entstehende, ungleiche Schrumpfen (Kontrak- tion) der Gewebe fülu-t zu Spannungsunterschie- den vor allem zwschen den Kontraktions- und den Widerstandselementen, besonders zwischen dünnwandigen Zellen und Skiereiden oder zwi- schen nach entgegengesetzter Richtung (anta- gonistisch) verlaufenden Geweben. Infolgedessen zerreißt das Perikarp meist an genau bestimmten Stellen geringsten Widerstandes, welche ge- wöhnlich aus weichen und dünnen Gewebe- schichten bestehende Trennungslinien darbieten, selten bei dem Mangel derselben ganz unregel- mäßig. Hierbei krümmen sich die Widerstands- elemente (Hartschichten) gewöhnlich nach der Richtung des geringsten Widerstandes gegen die Weichschichten. Dieses Zerreißen der Frucht- wand kann allmählich oder bei momentaner Ueberwindung des Hindernisses plötzlich ge- schehen, wobei die Samen oder Fruchtteile aus- geschleudert werden (Schleuder-, Spring-, Ex- plosionsfrüchte). iManchmal erfolgt letzteres mit lautem Knalle wie bei Hura. Im besonderen zeigt die Dehiszenz und die Ausstreuung der Samen verschiedene Typen (s. unten 6 „Frucht- formen"). Infolge Anfeuchtung krümmen sich die Kapselklappen von Mesembryanthemum, Telephium, Colobanthus, Anastatica nach aus- wärts und öffnen die Früchte. In ähnUcher Weise bewegen sich auch die Hüllschuppen von OdontospernnVm und streuen die Früchte aus. Wieder anders öffnen sich einige fleischige Streufrüchte. Bei diesen werden durch starke Frucht und Same 381 Turgeszenz der äußeren Perikarpschichten Druck- differenzen gegen benachbarte, nicht durch den Turgor gespannte Gewebe ausgeübt, die scliließ- lich zu einem verschiedenartigen Zerplatzen der Früchte und bei plötzlicher ausgelöster Bewegung zum Fortschleudern der Samen tüliren, wie bei Impatiens (Fig. 8, i), Cvclanthera (Fig. 8, ü). Der Druck der durch den Turgor prallen Frucht- wand kann sich aber auch gegen den Inhalt der Fruchtfächer richten, wodurch bei dem Mangel von Trennungslinien deren Inhalt plötz- lich aus der durch Ablösung des Fruchtstieles entstandenen Pore herausgeschossen wird , wie bei Elaterium (Abb. 8, 3). Beeren streuen die Samen erst nach dem breiigen oder mehligen Zerfall des Sarkokarpiums aus, wenn nicht die Samen schon beim Verzehren des Fruchtfleisches durch Tiere frei werden. Die chemischen Veränderungen, welche die Gewebe der Fruchtwand erleiden, sind außerordentlich mannigfach. Es ändert sich der Wassergehalt, die Menge der Kohlen- hydrate, Fette, Proteine, organischen Säuren, der Asche und ihrer Bestandteile. Im allge- meinen finden sich die für den Menschen und die Tiere genießbaren Stoffe entweder im Perikarp oder in den Samen, selten in beiden zugleich Das Fruchtfleisch hat immer einen höheren Gehalt an Wasser (bei Stein- und Kernobst bis 84, bei den Erdbeeren bis 90, beim Kürbis bis 92%). Hingegen enthält es geringe Mengen von stickstoffhaltigen Sub- stanzen (Ausnahme die Dattel bis 23,25%) und Stärke (letztere öfters im Fruchtmarke wie bei der Banane). Der Zuckergehalt des Fruchtfleisches bleibt meist unter 10%, steigt aber bei der Banane auf 22, in Weintrauben auf 30, bei der Dattel auf 36, bei Feigen auf 50, bei Ceratonia selbst auf 60%. Mannig- fache organische Säuren sind in verschiedener Menge vorhanden (s. den Artikel ,,Obst"), ebenso Fette (bei der OMve bis 50%), Gerb- stoffe, Pektine, ätherische Oele u. a. m. 5, Einteilung. Seit Linne, der 1751 acht Fruchtformen unterschied und benannte, wurden zahlreiche Versuche gemacht, die Früchte zu klassifizieren. Die hierdurch aufgestellten ,, Fruchtsysteme" zeigen aber große Verschiedenheiten, weil nicht nur der Begriff der Frucht schwankte, sondern auch bald morphologische und anatomische Merkmale, bald biologische Eigentümhch- keiten und endhch auch entwickelungsge- schichtliche Gründe für die Einteilung als maßgebend betrachtet wurden. Der Oeff- nungsweise (Dehiszenz) der Früchte und der Beschaffenheit (Konsistenz) der Fruchtwand \ wurde stets besondere Wichtigkeit zuerkannt. Weiter wurden hierzu die Abstammung der Früchte aus einer Blüte oder aus mehreren - Blüten, die Zahl der an einer Einzelfrucht beteihgten Fruchtblätter, die Art der Aus- streuung der Samen und das Abfallen der ' Früchte gewürdigt. Darin sind die neueren Fruchtsysteme einig, daß die große Zahl der oft nach geringfügigen Merkmalen unter- schiedenen Fruchtformen möghchst zu redu- zieren und eine präzise Nomenklatur anzu- streben sei. Hier sei die von Beck im Jahre 1891 aufgestellte Einteilung und Nomen- klatur mit einigen Aenderungen zur Grund- lage der weiteren Ausführungen gemacht: I. Blüten- oder echte Früchte (anthocarpia, eucarpia). Die Früchte, deren Samen von Frucht- blättern eingeschlossen werden, gehen aus Blüten hervor 1. E i n z e 1 f r ü'c h t e (monanthocarpia, fructus simphces). Die Frucht geht aus einer Blüte hervor, A. Streu- oder Springfrüchte (rhexo- carpia, fructus disseminantes). Das Fruchtgehäuse öffnet sich und streut die Samen aus. a) Die Balgfrucht (foUicarpium, mo- nocarpium dehiscens). b) Die Kapselfrucht (capsula, syn- carpium dehiscens). B. Fallfrüchte (piptocarpia, fructus secedentes). Früchte geschlossen abfäUig oder ein- zelne die Samen umschließende Teile der Frucht abfällig. c) Die Einzelschließfrucht (mono- carpium, monocarpium yel apocarpium in- dehiscens). d) Die Gliederfrucht (lomentum, mo- nocarpium mericarpum). e) Die Bruchfrucht (mericarpium, syn- carpium mericarpum). f) Die Teil- oder Spaltfrucht (schizo- carpium, syncarpium schizocarpum). g) Die Becherfrucht (discocarpium). h) Die Sammelschließfrucht (poly- carpium, syncarpium indehiscens). 2. Zusammengesetzte Früchte (polyanthocarpia, fructus compositi). Die Frucht geht aus zwei oder mehreren Blüten hervor. i) Der Fruchthaufen (sorocarpium). k) Der Fruchtstand (desmocarpium). II. Samenstände (spermatocarpia). Die Früchte, denen Fruchtblätter fehlen, gehen nicht aus Blüten hervor und sind von Deckblättern vöUig umschlossene Samen oder Samenstände. 1) Der Zapfen (strobilus, conus). m) Der Beeren zapfen (galbulus). n) Die Samen beere (arillocarpium). Zum Verständnis der nachfolgenden Fruchtformen sei noch vorausgeschickt: Monokarpium heißt eine Frucht, die nur aus einem Fruchtblatte gebildet wird. Synkarpium ist eine Frucht, die aus mehreren, verschieden verwachsenen Frucht- blättern einer Blüte hervorgeht. 382 Frucht und Same Apokarpium ist die Frucht einer Blüte, die aus zwei oder mehreren freien Mono- karpien besteht, welche einzeln abfallen oder die Samen ausstreuen. Diskokarpium heißt eine Frucht, die aus zwei oder mehreren Monokarpien besteht, die durch Akzessorien verbunden zusammen abfallen. Schizokarpium ist ein Synkarpiura, das in abfallende Monokarpien zerfällt. Merikarpium ist eine Frucht, die in ein- oder mehrsamige, abfäUige Stücke zer- fällt, welche Teile "von Mono- oder Syn- karpien darstellen. Danach verstehen sieh auch die Aus- drücke mono-, syn-, apo-, schizo- und meri- karp. 6. Die Fruchtformen. I. Blüten- oder echte Früchte (antho- carpia, eucarpia). Charakter oben S. 381. I. Einzelfrüchte (monanthocarpia). Charakter und Ghederung oben S. 381. A. Streu- oder Springfrüchte (rhexo- carpia). Charakter undGliederung oben S. 381. a) Die Balgfrucht (follicarpium, mono- carpium dehiscens). Die Frucht wird aus einem einzigen, sich öffnenden Fruchtblatte gebildet, das die Samen ausstreut. Mono- und apokarpe Balgfrüchte kommen vor. Hierzu: 1. Der Balg (folliculus). 2. Die Hülse (le- gumen). 3. Der Rachen balg (stomato- carpium). 4. Der Schlauchbalg (utriculus). 1. Der Balg (foUiculus) ist eine aus einem einzigen Fruchtblatte bestehende, die Samen ausstreuende Frucht, welche der Länge nach an einer Naht (Fuge, sutura) aufklappt. Die Blüte ist meist apokarp (Caltha, Magnc- lia, Tetracera), seltener monokarp (Delphinium consolida; Fig. 1, i und 2). Der Balg zeigt ein- fache, rundliche oder längliche, oft seitlich ab- geplattete, ziemlich kiuze Taschen, verlängert sich manchmal aber beträchtlich (manche Apo- cynaceae, Asclepiadaceae) oder wird spindelig und zugespitzt. Hin und wieder ist er länger gestielt I (Connarns, Cymbopetalum). Er öffnet sich ent- weder der ganzen Länge nach oder nur teilweise gegen die Spitze hin. Die Spalte befindet sich ent- i weder an der Bauchnaht (sutura ventralis ; Fig. 1 , 1, 2 und 5) und spaltet dann auch die Placenta (wie bei vielen Helleboreae, Connarus, Sedum, Butomus), oder an der Rückennaht (s. dorsalis) wie bei Magnolia, Cymbopetalum, oder der Balg I ist plazentenbrüchig (f. placentifragus), indem sich die Fruchtwand mit zwei Spalten von der Placenta loslöst wie bei Asclepiadaceae (Fig. 1, 1 6 und 8)._ Die Beschaffenheit des Perikarps ist gewöhnlich trocken, häutig oder lederig. Es kommen aber auch dicke und holzige (Hakea- : und Grevillea-Arten), fleischige (Paeonia;Fig. I.5) [ und saftige, daher beerenartige Bälge vor (wie bei Akebia, Decaisnea, Doliocarpus, Taber- naemontana). Bei den apokarp werdenden Bälgen der Xanthoxyleae (Fig. 1. 9) löst sich das trockene und pergamentartige Endokarp vom Exokarp elastisch ab und drückt oder schnellt den Samen aus. Der Balg ist einfächerig; ; Kammerun - gen werden durch die sich vom Samen ablösenden äußeren Integumente bei Banksia erzielt. Samen sind gewöhnlich in der Mehrzahl vorhanden und stehen bei der ventralen Oeffnung an beiden Balgrändern. Selten enthält der Balg nur einen Samen, so beim Sternanis (Illicium), bei Magnolia, Hibbertia, Evodia, Connarus, Empleurum, Xan- thoxylum (Fig. 1, 9). Zyklisch angeordnete, Fig. 1. 1 Balg von Delphinium consolda , 2 Schema der Balgöffnung (Querschnitt), 3 Hülsen und 4 Same von Hakea repanda, 5 Balg von Paeonia peregrina, 6 DoppelbaJg und 7 Same von Vincetoxicum, 8 Schema der Oeffnung des Doppelbalges (Querschnitt), 9 apokarpe Bälge von Xanthoxylum americanum. Alle Früchte geöffnet. — 1, 9 vergrößert, 5, 6, 7 verkleinert. Ürigiml. apokarpe Bälge zeigen sich öfters am Grunde mehr oder minder verbunden und bilden Uebergänge zu den Balgkapseln (wie Helleborus, viele Apocynaceae). Die zwei apokarpen, plazenten- brüchigen Bälge in den Blüten der Asclepiadaceae und gewisser Apocynaceae hat man als Doppel- balg (bifolliculus, conceptaculum; Fig. 1, ß und 's) bezeichnet. Durch Fehlschlagen eines Balges dieser Frucht werden oft echte Mono- karpien erzeugt. Apokarpe Bälge entstehen aber auch schizokarp bei den Xanthox^ieae ans nur mit den Griffeln verwachsenen Synkarpien. Akzessorien finden sich bei diesem alten, der Form nach einfach gestalteten Fruchttypus, der wenige biologische Einrichtungen zeigt, nur selten. Anßer dem verschiedenen Haarkleide, das hin iiiul wieder auch das Fruchtfach bedeckt Frucht und Same 383 kommen manchmal Weichstacheln (Asclepias), wulstig knotige Höcker (Agelaea paradoxa), Flügelkanten, krause Lappen (Dregea abyssinica) vor. Ai'illodien an den Samen müssen oft als Lockmittel dienen (Connaraceae). Auch bauchig aufgeblasene Bälge kommen bei Helleborus vesi- culosus vor, die wohl nur als Schüttelorgane dienen. Geflügelte Samen enthält der Balg mancher Proteazeen (Embothrium u. a.). 2. Die Hülse (legumen) ist ein Mono- karpium, das sich mit zwei Längsspalten zweiklappig öffnet (Fig. 2, 7). Sie ist die charakteristische Fruchtform der meisten Hülsenfrüchtler (Leguminosae) und Protea- ceae. Die Größe der Hülse richtet sich nach der Anzahl der Samen und ist sehr verscldeden (we- nige Mllimeter bis etwa 50 cm wie bei Gledit- schia- und Bauhinia-Arten). Die Form der Hülse wechselt außerordentlich. Gewöhnlich ist sie ellipsoidisch, länglich oder walzenförmig, sehr oft seitlich zusammengedrückt (Robinia, Cercis, Gleditschia- Arten, Poinciana, Amherstia, Lens). Weiter gibt es vierseitig geflügelte (Lotus tetra- gonolobus, Cassia alata, Sesbania-Arten), auf- geblasene (Colutea, Astragalus cicer, Cicer arie- tinum, Caesalpinia bonducella), holperige (Pha- seolus, Fig. 2, 1; Cassia-Arten), rosenkranz- förmige (einige Sophora- und Erythrina- Arten) und anders gestaltete Hülsen. Die Hülse ist ferner häufig gekrümmt und sichelförmig gebogen, manchmal hackig (Astragalus hamosus), schrau- ben- oder schneckenförmig eingerollt (Medicago, Fig. 2, 5 und e) oder gewunden (Pithecolobium- Arten), nicht selten deutlich gestielt. Die Oeff- nung erfolgt gewöhnlich absteigend (von der Spitze gegen den Grund) an der Rücken- und Bauchnaht, wobei die Placenta median gespalten wird (Fig. 2, 7). Manchmal wird nur der obere Teil der Hülse aufgesprengt. Durch mediane, sich spaltende Flügel an den Nähten (Robinia, Cercis, Lathyrus ochrus) scheinen die Nähte manchmal auf den Klappen zu stehen. Nur bei Hämatoxylon liegen beide Spalten abge- rückt, denn die "Hülse zerspringt hier in zwei kahnförmige Teile, von denen der eine die Bauch-, der andere die Rüekennaht an seinem Kiele trägt. Scheinbar transversal öffnet sich die in der Blüte querstehende, holzige Hülse von Banksia. Oft erfolgt durch das plötzliche Aufklappen und die Einrollung der Klappen ein Ausschleudern der Samen auf einige Meter Entfernung (Lotus, Fig. 2, 3 ; Vicia-, Lathyrus-Arten). Die Wurf- weite der Samen beträgt bei Kraunhia- und Bauhinia-Arten selbst 10 bis 15 Meter. Das anfangs saftige oder fleischige Perikarp (Pisum, Phaseolus) wird zuletzt gewöhnlich häutig, lederig und trocken. Derbe, holzige Hülsen sieht man bei manchen Leguminosen und insbesondere bei den Proteaceen (Fig. 1, 3). Hingegen sind zur Fruchtreife fleischige und saftige Peri- karpien selten (Cynometria, Myristica). Sehr schön sieht man beerenartige Hülsen bei der Muskatnuß (Myristica fragrans), deren einziger Same überdies einen prachtvoll zinnoberrot gefärbten, zerschlitzten Samenmantel (arillus) besitzt (Fig. 26, 3 und 4). j Die Hülse ist gewöhnlich einfächerig. Sehr j häufig kommen Kammerungen(septa)vor. Sie er- ! folgen entweder der Länge nach wie bei Astragalus. Arten durch sekundäre (falsche) Scheidewände, welche von der Rückennaht mehr minder gegen die Placenta vorspringen und sich mit letzterer öfters verbinden, so daß die Hülse zweifächerig wird (Fig. 2, 2), oder durch die furchige Ein- Fig. 2. 1 Hülse von Phaseolus coccineus (ge- öftnet), 2 gefächerte Hülse von Astragalus cicer (durchschnitten), 3 geflügelte Hülse von Lotus tetragonolobus, 4 Samen derselben, 5 Hülsen von Medicago denticulata (von oben gesehen) und 6 von Medicago orbicularis, 7 Schema der Oeff- nung der Hülse (Querschnitt). — 2, 4 bis 6 ver- größert, 1 verkleinert. Original. faltung der Rückennalit. Manchmal springen aber auch die Plazenten oder die eingefurchte Bauchnaht weit ins Innere des Faches vor wie bei Oxytropis- Arten, Colutea. Ausnahmsweise wird die Hülse von Banksia, Dryandra und ande- ren Protaceen durch das sich von der inneren Sa- menschale abtrennende äußere Integument der Samen der Länge nach gekammert. Häufig sind auch quere, durch pulpöse Wucherungen der inneren Fruchtwand entstehende Scheidewände von sehr verschiedener, meist markiger Konsi- stenz, väe bei Phaseolus (Fig. 2, 1), Vicia faba, Lupinus, Poinciana. Gewöhnlich enthält die Hülse mehrere Samen. Einsamige Hülsen zeigen die Gattungen Copaiba, Schizolobium, Trifolium, Anthyllis, manche Proteaceae. Akzessorien sind häufig. Der Griffel bleibt sehr oft stehen und bildet Schnäbel (Trigonella) oder Haken (Vicia-, Lathyrus-Arten). Behaarung tritt häufig auf. Steife Borsten werden oft zu kräftiger Wehr (Vicia lutea, Glycyrrhiza echi- 384 Frucht und Same nata, Caesalpina bonducella). Brechen die Borsten überdies leicht ab, dann erregen sie Jucken und Brennen der Haut (Mucuna- Arten). Selten sind Drüsenhaare (Adenocarpus, Robinia viscosa). Zur Verbreitung durch Tiere dienen Borsten und Stacheln (Medicago, Fig. 2, 5), auch Widerhaken (Medicago-Arten, Glycyrrhiza- Aiten). Kleine Hülsen erhalten durch den mannigfach gestalte tenund mit ihnen abfallenden Kelch vortreffliche Verbreitungsausrüstungen. So werden bei vielen Trifolium-Arten die Zipfel und Borsten des Kelches federig behaart (T. arvense, T. angustifolium) oder der Kelch wird blasig aufgetrieben (Anthyllis, Trifolium fragi- feruni, T.tomentosum, T. resupinatum), sowie zu einem flachen Flügelkelch umgestaltet (Trifolium procumbens, T. agrarium). Auch Rippen und Leisten bedecken hin und wieder neben den oben genannten Flügeln die Hülsen (Mucuna). Manche Hülsen zeigen auch einen oft wohlschmeckenden Fruchtbrei, in dem die Samen eingebettet sind. Auch andere Akzessorien besitzen die Samen der Hülsen. Vor allem sind prächtig gefärbte, oft wohlschmeckende Arillodien an den durch ihren Glanz auffälligen Samen zu erwähnen, die auf- fällige Kontrastfärbungen in grellem Rot und Schwarz gegenüber der weißen, inneren Frucht- wand erzeugen (wie bei der Paternostererbse Abrus precatorius, Adenanthera, Intria). Ge- flügelte Samen enthält die Hülse vieler Protea- ceen (Hakea, Fig. 1, 3 und 4; Banksia). Zahlreiche Uebergänge der Hülse zu Einzel- schließfrüchten, Bälgen und zur Rahmenhülse (wie Lysiloma) kommen vor. 3. Der Rachenbalg (stomatocarpiuni) ist ein Monokarpium, das quer mit einer Spalte aufspringt. Hierbei öffnet sich das trockene Perikarp entweder rachenförmig (Jeffersonia, Fig. 3, 1 und 2) oder der Fig. 3. 1, 2 Rachenbalg von Jeffersonia di- phylla, Seiten- und Vorderansicht sowie zwei Samen, 3, 4 Schlauchbalg von Leontice altaica mit einem Samen. Vergrößert. Original. obere Teil wird hin und wieder als Deckel abgeworfen (Leontice thalictroides). 4. Der Schlauchbalg (utriculus) ist ein unregelmäßig sich öffnendes, die Samen ausstreuendes Monokarpium. Bei Epimedium spaltet sich die Fruchtwand von der Spitze gegen abwärts unregelmäßig zwischen den Nähten, wobei öfters zwei Klappen entstehen oder sie zerreist an der Spitze un- regelmäßig und löcherig oder klappt mit un- gleichenLappen auf (Leontice-Arten, Fig. 3, 3). Auch löst sich manchmal die Fruchtwand in zusammenhängenden Stücken von einem stehen- bleibenden Teile ab (Talauma). Gestielte, regel- los aufspringende, apokarpe Sclilauchbälge mit fleischiger Fruchtwand und geflügelten Samen scheinen die Früchte einiger Oxjanitra-Arten zu bilden. Auch die Frucht cler Lemnaceae kann ebenfalls als ein monokarper Schlauchbalg auf- gefaßt werden, dessen Fruchtwand sich später gänzlich oder nur teilweise am Grunde zersetzt, b) Die Kapsel (capsula) ist eine sehr häufige Frucht, die aus einem Synkarpium von 2 oder mehreren Fruchtblättern einer Blüte gebildet wird, das sich in verschiedener Weise öffnet und die Samen ausstreut. Nur in bezug auf die Oeffnungsweise gelingt es, Formen derselben schärfer zu unterscheiden und zwar 1. die Spaltkapsel oder Kapsel im engeren Sinne (capsula); 2. die Deckelkapsel (pyxidium); 3. die Löcher- oder Pore nkap sei (opecarpium, Capsula forata); 4. die Schlauchkapsel (sacellus). 1. Bei der Spaltkapsel (capsula) öffnen sich die Fruchtblätter der Länge nach. Spaltkapseln gehen aus ober- und unter- ständigen Fruchtknoten hervor. Sie des- wegen zu trennen, geht wegen der zahlreichen Uebergänge in einzelnen Gattungen (z. B. Saxifraga) nicht an, auch weil sich biologisch keine Unterschiede zeigen. Die Form der Spaltkapsel ist äußerst mannig- fach und richtet sich vornehmlich nach der An- zahl der verbundenen Fruchtblätter und der in ihnen enthaltenen Samen. Die Anzahl der ver- einigten Fruchtblätter schwanktzwischen 2 und 18. Zwei besitzen die Salicaceae, Scrophulariaceae, 3 viele Liliaceae, Viola, Drosera, 4 viele Oeno- theraceae, Erica, 5 viele Caryophyllaceae, Oxalis, Rhododendron, 6 die Aristolochiaceae, noch mehr Eucryphia. Die Fächerung der Kapsel wird hingegen von der Einrollung der Fruchtblattränder und der Plazentation abhängig gemacht. Es zeigen z. B. eine einfächerige Kapsel die Gattungen Orchis, Viola, Primula, eine zweifächerige Gentiana, Verbascum, 3 Fächer (loculi) die Kapseln von Lilium, Iris, 4 Kapselfächer Euonymus, Ocno- thera, 5 Oxalis, Impatiens, Rhododendron, 6 Aristolochia. Nicht immer ist die Fächerung eine vollkommene. So zeigen manche Silene- Arten, Sauvagesia im unteren Teile eine fünf- fächerige, in der Mitte ob der Ablösung der Scheidewände vom Zentrum eine gekammerto und im oberen Teile eine einfächerige Kapsel. Manchmal erfolgt die Fächerung durch Plazen- tarwucherungen. So wird die Kapsel der Cru- ciferae durch eine Plazentarwand zur zwei- fächerigen Schote. Aehnliches zeigen manche Bignoniaceae. Bei Datura und Solandra werden die beiden Fächer der Kapsel durch falsche, vom Rücken der Fächer ausgehende Scheidewände nochmals gefächert. Bei Pharbitis und Ipomaea Frucht und Same 385 bilden sich i Piatystemon (Papaveraceae). 2. Bei der Rahmenhülse (craspedium) zerfällt das Monokarpium quer in einsamige, meist geschlossene Teile, die aus einem durch die Bauch- und Rückennaht gebildeten, stehenbleibenden Rahmen (replum) heraus- fallen (dehisc. fenestralis). Diese Fruchtform ist nur bei einigen Gat- tungen der Mimosoideae wie Mimosa (Fig. 11, 1), Schranckia, Pusaetha zu finden. Bei Pusaetha (Entada) scandens erreicht sie riesige Dimensionen (bis 1 m Länge und 0,1 m Breite). Als Akzessorien treten bei Älimosa-Arten Haken und Stacheln auf dem Rahmen auf, die ein Zer- reißen des Rahmens durch Tiere und ein leich- teres Ausfallen der Glieder bezwecken. e) Die Bruchfrucht (mericarpium, syn- carpium mericarpum). Das aus zwei, seltener mehr Fruchtblättern bestehende Synkarpium zerfällt in einsamige, geschlossen bleibende Teile, die Stücke von Fruchtblättern dar- stellen und abfallen. Man unterscheidet: 1. die Klause, Bruch- oder Teilnuß (eremus) und 2. die Gliederschote (bilomentum). 1. Bei der Klause, auch Bruch- oder Teilnuß genannt (eremus, carcerulus, nucula) sind die ein- oder mehrsamigen Schließ- früchtchen die frühzeitig der Länge nach getrennten Hälften kammeriger Frucht- blätter oder auch Teile derselben. Sie entstehen, indem die FruchtDlätter durch eine falsche Scheidewand völlig in je zwei ein- samige Nüßchen, Klausen genannt, zerlegt werden, wie bei allen Labiatae und Asperifoliae, sowie einigen Verbenaceae, oder indem die Fruchtblätter durch quere oder schräge Ein- schnürungen in mehrere ein- bis siebensamige Klausen zerlegt werden, die oft in 2 bis 3 Lagen übereinander stehen, wie bei den Nolanaceae. Ge- wöhnlich sind vier Klausen vorhanden (Fig. 12, 1), selten zwei, wie bei Rochelia und Harpa- gonella, noch seltener 10, wie bei Zoelleria oder bis 30 bei Nolanaceae. Nur ausnahmsweise bleiben die Klausen zu zwei vereinigt wie l)ei 394 Frucht und Same enthält die mit festem, trockenem Perikarp aus- gerüstete lüause einen apotropen ^"' ' - Cerinthe, wodurch Uebergänge zum Schizo- 1 manche Kelche mit Klausen klebrig wie bei karpium zustande kommen. Bei den Labiatae I Sahäa-Arten. Viele Kelche bilden ob ihrer elastischen Anheftung Sclileuderapparate für die aus dem Kelchgrunde auf die Kelchunterlippe herausrollenden Klausen wie Scutellaria, Thymus, während wieder bei anderen der Kelchschlund sich durch Borsten- und Haarkränze verschließt, um allzufrühe Verstreuung der Klausen zu ver- hindern (Thymus, Calamintha u. a.). 2. Die Gliederscliote (bilomentum) besteht aus zwei Fruchtblättern und zer- fällt quer in einsamige, geschlossene GUeder, I die jedoch Teile von zwei Fruchtblättern i darstellen. Man trifft diese Frucht nur bei einigen Cruci- ferae, so bei Raphanus mit mehreren Gliedern (Fig. 11, 3), bei Cakile und Rapistrum mit zwei ungleichen Gliedern. Das Endglied ist j durch den Griffel oft dolchartig oder pfriemlich j zugespitzt, das unterste oft samenlos. Oft sind ! die Glieder rosenkranzförmig aneinander gereiht und tragen die Samen abwechselnd auf den ver- schiedenen Seiten. Der wilde Rettich (Raphanus raphanistrum) besitzt stets diese Frucht, die sich durch Einfluß der Kultur in die mit schwam- j migem Fruchtfleische erfüllte Sammelbeere des i Gartenrettichs umgewandelt hat. f) Die Teil- oder Spaltfrucht (schizo- carpium, dieresilis) charakterisiert sich durch die völlige Ablösung und Trennung der meist geschlossen bleibenden Fruchtblätter eines Synkarpiums voneinander, wobei hin und wieder auch eine Abtrennung derselben von einem stehenbleibenden Mittelsäulchen, dem Fruchtträger, Fruchthalter (carpo- phorum) stattfindet. ; Die Spaltfrucht ist eine häufige Frucht- form, an der sich zwei bis mehrere, bei Hura ' bis 20, bei den Malvaceae CFig. 13, 2 und 3) auch bis 50 Fruchtblätter beteiligen können. Auch finden sich oberständige (Aceraceae, Mal- pighiaceae, Sapindaceae, Malvaceae, Gerania- ceae) und unterständige Spaltfrüchte (Umbelli- I ferae, viele Rubiaceae). Die Teilfrüchtchen sind gewöhnlich einsamig, seltener zweisamig (Priva) oder mehrsamig und dann auch gekammert (Tribulus). Die Ablösung kann einfach durch Zerfallen des Synkarpiums in Einzelnüsse statt- finden (Asperula, Galium, Cneorum, Tropae- olum, viele Euphorbiaceae) oder es kann hierbei ein Mittelsäulchen stehen bleiben (Hura, i Biscutella [Fig. 13, 1], Geraniaceae [Fig. 13, 6] manche Sapindaceae), das sich öfters von oben I nach abwärts spaltet (Acer, \nele Umbelliferae I [Fig. 13, 4 xind «]). Eigentümlich ist auch die Ablösung der Teilfrüchtchen bei Triglochin pa- lustris, wo drei mit dem j\Iittelsäulchen ver- bundene, sterile Fruchtblätter stehen bleiben, aus denen sich die drei fertilen Teilfrüchtchen aufsteigend auslösen. Ebenso auffällig ist die Ablösung der sehr zahlreichen Teilfrüchtchen bei Malope, wo sie übereinander in Längsreihen stehen und nicht der Länge nach, sondern quer vom Mittelsäulchen sich ablösen. Häufig bilden die Teilfrüchtchen fast kugelige Fruchtknöpfe (cocca), wie bei vielen Euphorbiaceae, Sapindus, Sterculiaceae, Cneorum, Tropaeolum. Fig. 12. 1 Klausen von Borrago officinalis (der vordere Teil des Kelches weggeschnitten), 2 von Cjaioglossum officinale, 3 eine Klause von Omphalodes linifolium. — Alles vergrößert. Original. Asperifoliae einen epitropen Samen. Bei den Nolanaceae sind die Klausen ein- bis siebensamig. Bei manchen Gattungen, wie Lithospermum, Onosma, wird das Perikarp durch Einlagerung von kohlensaurem Kalk porzellanartig; hin- gegen besitzt es bei Ocimum- und Salvia-Arten ein leicht verschleimendes Exokarp. Ungemein häufig treten an den Klausen Akzessorien auf, die der Verschleppung durch Tiere und den Wind dienen. Die Oberfläche der Klausen wird warzig (Scutellaria), oft borstig oder zähnig (Trichodesma), vviderhakig (Lappula, Cynoglossum [Fig. 12, 2], Suchtelenia). Durch Verbreiterung der Klausenränder ent- stehen Näpfe (Omphalodes [Fig. 12, 3]) oder Flügel, deren Rand sich oft zahnt oder aus- zackt (Pectocarya, Heliocarya, Perilomia, Eri- trichium) oder mit Haken versieht (Paracaryum, Perilomia- Arten); zu breitem Flügel wird er bei Rindera. Grubig-netzig vertiefte Fruchtschalen sind ebenfalls häufig (Nonnea, Lycopsis, Teu- crium). Aeußerst zierlich mit federig behaarten Borsten besetzt zeigen sich die Krausen von Tinnea. Gewöhnlich bleibt der vergrößerte Kelch um die Klausen stehen und bietet mannigfache Ver- breitungseinrichtungen. So wird er blasig auf- getrieben (Alvesia, Saccocalyx) oder nur sein Saum -wird radförmig verbreitert (Molucella). Oft bilden nur seine Lippen einen Flügel (Oto- stegia, Capitanya) oder nur die einzelnen Kelch- zähne bilden Flügel (Rojdea), federig behaarte, lange Borsten (Colebrookia) oder sind zottig behaart (Eriophyton). Aber auch noch andere Verbreitungsmittel zeigt der Kelch. Ungemein häufig trägt er bei den Asperifoliae steife Borsten oder Widerhaken (Myosotis), manchmal auch Dornen (Pycnostachys) und dicke Stacheln, die mit Widerhaken versehen sind (Harpago- nella). In stechende Borsten umgewandelte Kelchzähne sind ebenso verbreitet als mit Widerhaken endigende (Marrubium , Asperugo, Notochaete). Durch Drüsenhaare werden Frucht imd Same 395 Akzessorien sind an den oberständigenTeilfrüch- ten sehr häufig. So kommen Flügelbildungen vor, die für die Früchte der Aceraceae, Malpighiaceae und Sapindaceae ganz besonders charakteristisch sind. Gewöhnlich steht ein großer, oft gelappter Flügel am Rücken (Acer mit 2 [Fig. 14, i], Banisteria, Thouinia [Fig. 14, -a], Stigmato- phyllum mit je 3, Bulnesia mit 5 Teilfrüchtchen), wobei dieser Flügel nach aufwärts (Acer, Thouinia) oder nach abwärts (Serjania) gerichtet wird. Oft umgibt ein Flügelrand das ganze Teil- Fig. 13. 1 Teilfrüchte von Biscutella hispida, 2 von Althaea rosca, 3 eine Teilfrucht derselben gesondert und größer, 4 Teilfrüchte von Carvum carvi; die linke im Längsschnitte, 5 beide Teil- früchte von Carvum carvi im Querschnitte, 6 Teilfrüchte von Geranium, 7 Daucus carota, 8 Laserpitium (hier im Querschnitte), n Nähr- gewebe, st Striemen. — 2 verkleinert, 1, 3 bis 5, 7, 8 vergrößert. Original. früchtchen (Dipteronia, Menonvillea) oder es kommen mehrere Flügel an demselben vor, so drei Längsflügel bei Hexaptera, fihaf bei De- captera, und mehrere oft sehr verschieden ange- ordnete und schmetterlingartig ausgespreizte bei Tetrapteris, Diplopteris. Bei Hippocratea sind die drei mehrsamigen Teilfrüchte hingegen völlig von oben her flachgedrückt und bilden zusammen dreilappige Scheiben. Bei Biscutella (Fig. 13, i) geschieht diese Abflachung von der Seite. Noch eigentümlicher sind die Teil- früchtchen von Jubelina gestaltet, bei welchen das am Rücken geflügelte Samenfach zwei ge- flügelte, hohle Kammern zur Seite hat. Bei Porocystis wird das gesamte Fruchtfach des Teilfrüchtchens blasig aufgetrieben. Doch auch für die Verbreitung der Teil- früchte durch Tiere wird vielfach vorgesorgt. Die Teilfrüchte von Camarea ähneln täuschend den Einzelnüssen von Onobrychis; schön netzig grubig sind sie bei Coronopiis; Borsten und Stacheln tragen sie öfters, lange Haarschöpfe bei Tricomaria, mehrere Längsreihen längerer, feder- artig mit Haaren besetzter Borsten bei Echino- pteris. Eine auffällige Anordnung der Stacheln zeigen die 5 vierflächigen Teilfrüchte von Tri- bulus, die je 3 bis 5 einsamige Kammern auf- weisen. Jedes Früchtchen stellt nach Art der Fußangeln seine Stacheln in jeder Lage derartig, daß immer ein dorniger Stachel nach aufwärts steht. Zur oberständigen Teilfnicht gehört auch die früher als Springtrucht (regma , elate- rium) bezeichnete Frucht von Geranium (Fig. 13,6) Pelargonium und anderen Geraniaceae. Die mit einem gemeinsamen, langen Griffel ver- sehenen Fruchtfächer lösen sich einzeln elastisch von dem Mittelsäulchen ab, bei welcher Ablösung sich der abgetrennte Griffelteil sehr oft rasch spiralig oder schraubig einrollt, wodurch die Samen bei den sich auch plazentenbrüchig öffnenden Fruchtblättern hin und wieder aus- geschleudert werden. Der Schnabel der Teil- früchte dient wegen seiner Hygroskopizität zum Einbohren der Teilfrüchte in den Erdboden. Manchmal ist er auch zierlich federig behaart (Geranium bryonifolium u. a.). Uebergänge von Teilfrüchten zu Apokarpien trifft man bei Simarubaceae, z. B. Ailanthus, wo die Syn- karpiumbildung nur diirch die verwachsenen Griffel erfolgt, später aber apokarpe Nüßchen entstehen. Die unterständige Teilfrucht, wie sie nament- lich für Umbelliferae (Fig. 13, 4. 5. 7, s) und viele Rubiaceae bezeichnend ist, hat man auch als Doppelachaene oder Hängefrucht (cremo- carpium, diachaena, diachenium) bezeichnet. Die Ablösung der einsamigen Teilfrüchtchen, die gewöhnlich in der Zweizahl vorhanden sind, erfolgt hier stets aufsteigend und meist von einem Mittelsäulchen (Fig. 13, 4), das sich ab- steigend teilt. Doch kann letzteres auch fehlen wie bei Astrantia, Sanicula, Bifora und vielen Rubiaceae. Für die Unterscheidung der Um- belliferae wichtig ist die Ausbildung und Gestalt der an den einzelnen Teilfrüchtchen längs ver- laufenden Rippen (jugae), von denen man 5 Hauptrippen (j. primariae, und zwar 1 auf dem Rücken, 2 an der Seite und 2 an der Innen- oder Fugenfläche) und 4 zwischen den Hanpt- rippen auf der Rückenfläche stehende Neben- rippen (j. secundariae) wahrnehmen kann. Zwischen den Rippen unterscheidet man die Tälchen (valleculae). Vielfach sind nur die einen oder die anderen Rippen ausgebildet, so nur die Hauptrippen (bei Carum [Fig. 13, 4, 5], Sium, Foeniculum, Astrantia, Aethusa) oder nur die Nebenrippen (bei Laserpitium [Fig. 13, s], Margotia, Caucalis) oder beide zusammen wie bei Daucus (Fig. 13,?), oder Rücken- und Seiten- rippen (Seselineae). Manchmal fehlen die Rippen wie bei Coriandrum, Bifora. Die Rippen bilden gewöhnlich Kanten, oft aber auch Flügel (Pleuro- spermum, Laserpitium). Manchmal sind nur die 2 Seitenrippen flügelartig verbreitert wie bei Heracleum, Peucedanum, Thapsia. Auch findet man diese Seitenrippen bei Tordylium und Mala- 396 Frucht mid Same baila am Rande wiilstförmig verdickt, bei Ar- tedia gelappt und in Flügelchen zerteilt oder bei Pappea cappensis zierlich zerschlitzt. Auch noch andere Formen der Rippen kommen vor. So sind sie dick angeschwollen bei Prangos, Cachrys, Aethusa, Myrrhis. krauslappig und blasig bei Astrantia, mit Zacken, Borsten und Wider- haken versehen bei Sanicula, Cerefolium, Torilis, Turgenia, Daueus (Abb. 13, 7), Caucalis, Fig. 14. 1 Teilfrüchte von Acer pseudoplatamis 2 eine Teilfrucht im Querschnitte, 3 Teilfrüchte von Thouinia ventricosa. 1 und 2 Original. 3 nach Radlkofer. Fig. 15. Becherfrüchte von 1 und 2 Rosa damascena, 3 Fragaria vesca (vom nebenstehen- den Fruchtboden abfallend), 4 Tambourisia qua- drifida, 5 Calycanthus occidentalis, 6 Sanguisorba (Poterium), 7 Agrimonia odorata. — 2, 4, 5, 7 im Längsschnitte, 4, 5 verkleinert, 6, 7 vergrößert. 4 nach Baillon, das übrige Original. länger behaart bei Pimpinella, Athamanta, Trachymene, endlich sind die Früchte auch in sehr lange Schnäbel ausgezogen bei Scandix. Das relativ weiche oder schwammige Perikarp zeigt namentlich im Gewebe der Tälchen schizo- gene Oelgänge, die Striemen (vittae; Fig. 13, 5. st) in für die einzelnen Gattungen sehr cliarakteri- stischer Zahl und Ausbildung ; auch findet man Hohlräume in den Rippen oder am Rücken der Teilfrüchtchen wie bei Bowlesia. Unterständige Teilfrüchte zeigen auch viele Rubiaceae. Hier werden die Teilfrüchtchen oft steinfruchtartig wie bei Rubia. Bei Paederia, Aitchisonia u. a. springt zuerst das brüchige Exokarp ab, bevor sich die Steinkerne vom ge- spaltenen Fruchtträger abtrennen. Merkwürdig ist auch die Oeffnung der Frucht von Lepto- dermis. Hier springt der äußere Teil des aus 5 Fruchtblättern gebildeten Perikarps fünf- klappig auf und entläßt die mit einem faserig- netzigen Endokarp versehenen Samen. Auch bei den Rubiaceae sind Akzessorien an den Teil- früchtchen häufig. Sie haben bei Asperula odorata und vielen Galium-Arten zahlreiche Widerhaken, bei Mericarpaea ausgezackte, wider- hakige Flügel, bei Nenax 3 Flügelkanten an der Fugenfläche, bei Priva an derselben Fläche eine napfförmige Aushöhlung. Die Früchte von Callipaeltis cuccularia fallen mit einer Deck- schuppe umhüllt ab. ;2:) Als Becherfrucht (discocarpium) be- zeichuet man die aus einer Blüte entstehende, abfallende Frucht, in der aus apokarpen Monokarpien gebildete Schließfrüchtchen in verschiedener Weise, aber nicht durch die Perikarpien, gemeinsam verbunden sind. Der Unterschied gegenüber der Sammel- schließfrucht liegt darin, daß die Becher- frucht aus apokarpen, stets gesonderten Fruchtblättern entsteht, gegenüber der ähn- lichen Feigenfrucht darin, daß sie aus einer Blüte hervorgeht, gegenüber anderen Apo- karpien in dem gemeinsamen Abfallen. Das verbindende Organ ist gewöhnlich die Blütenachse (hypanthium, discus), welche die Früchtchen oft völlig umhüllt und ver- schiedene Beschaffenheit annehmen kann. So wird sie bei vielen Rosaceae (Agrimonia [Fig.15, 7], Sanguisorba [Fig. 15, e]) knorpelig erhärtet oder troclien (Aremonia, Hagenia, auch bei Caly- canthus [Fig. 15, b]} oder sie wird fleischig und bildet ein rotes oder purpurn gefärbtes Frucht- fleisch um die Früchtchen, wie bei der Hagebutte der Gattung Rosa (Fig. 15, 1, 2). Hierbei können die 2 bis zahlreichen Früchtchen frei in der Höhlung des Hypanthiums stehen wie bei Ro- saceae, Monimia, Calycanthus (Fig. 15, 2, 5. 7) oder die Früchtchen werden in die fleischige Blütenachse eingesenkt wie bei Tambourissa (Fig. 15, 4), Siparuna, Conuleum. Diese Ein- senkung erfolgt gewöhnlich durch das zwischen den Früchtchen stattfindende Wachstum des Hypantliiums. Bei Eupomatia umschließt das fleischig(> Hypanthium mehrere mehrsamige apo- karpe Beeren. Uebergänge dieser Fruchtform zu umhüllten, einfrüchtigen Einzelschließfrüchten sind bei Rosaceae, solche zu den aus Apokarpien hervorgehenden Sammelschließfrüchten bei Ano- naceae und Monimiaceae vorhanden. Frucht und Same 897 Anders entwickelt sich das bindende Frucht- fleisch bei den abfälligen „Erdbeeren" von Fra- garia vesca (Fig. 15, 3), bei denen sich der zentrale Teil des Blütenbodens unter Ausbildung eines süßen Fruchtfleisches vergrößert, die Einzelnüßchen auf seiner Oberfläche in kleinen Grübchen trägt und mit denselben abfällt. Man hat diese Frucht auch als Kegelfrucht (cono- carpium) bezeichnet. Noch anders ist ür annähernd parallel gerichtete Druck- und Zugbeanspruchung; oder die rechtwinkligen Maschen können von Bälkchenzügen, die in einem oder beiden Systemen gebogen sind, gebildet werden, für Sammlung der Beanspruchung von einem größeren auf einen kleineren Raum und umgekehrt, z. B. im Calcaneus und im Obersehenkelhalse des Menschen. Gerade der letztgenannte Typus hat die Aufmerksamkeit der Forscher zuerst erregt, und die auffällige Uebereinstimmung der Anordnung der Knochenbälkchen in solchen Fällen mit Trajektorien biegungsfester Krahnkonstruktionen hat den Anstoß zur Er- forschung des statischen Baues der Knochen gegeben. Den mikroskopischen Bau des Knochens hat W. Gebhardt nach funktionellen Ge- sichtspunkten in einer Reihe von Arbeiten untersucht. Den direkten Beweis dafür, daß wirklich die statische Funktion die Struktur der Knochen wesentlich beeinflußt, ist zuerst von Jul. Wolff erbracht worden. Er fand und erkannte nämlich, daß in Fällen schiefer Zusammenheilung gebrochener Knochen- abschnitte unter dem Einfluß der veränderten Belastung sich allmählich eine neue Struktur ausbildet, die den neuen Verhältnissen ebenso fein angepaßt sein kann, wie die frühere Struktur es für die frühere Bean- spruchung war. Einen besonders interessanten, überaus komplizierten Fall hat Roux eingehend analysiert. Es handelt sich um eine knöcherne Kniegelenksankylose des Menschen, bei welcher die inneren Condylen des Femur und der Tibia durch eine neugebildete Knochenmasse in einem Beugungswinkel von 80" solid miteinander verbunden waren. Die Beanspruchung dieses Knochenwinkels erfolgte im Leben im allgemeinen auf Biegung. In den Längsschnitten durch dieses Präparat konnte Roux sehr charakteristische neugebildete, funktionelle Strukturen feststehen. Es würde zu weit führen, alle drei aufgefundenen Struktur- typen hier zu schildern. Wir wehen uns mit dem als zweiter Typus bezeichneten begnügen. Die vordere und die hintere Compacta des Femur- unddesTibiaendes gehen jede selbständig in die neugebildete Knochenmasse über (s. Fig. 3). In dieser müssen wir drei Balkensysteme unterscheiden. Erstens finden wir starke parallele Bogenzüge, die die vordere Compacta des Femurendcs mit der vorderen Compacta des Tibiaendes verbinden. Sie sind dicht unter der vorderen OberfLäche am dichtesten. Zweitens Funktionelle Anpassung 425 finden sich in sehr ähnlicher Weise zwischen der hinteren Conipacta beider Knochenenden nach vorn konvexe Bogenzüge. Sie sind hinten am dichtesten. Hierzu kommen drittens Züge, die radiär von der konvexen vorderen zur kon- kaven hinteren Seite konvergierend verlaufen und auf den beiden anderen Systemen im all- gemeinen senkrecht stehen. Um zu prüfen, ob die durch die Knochen- balkenzüge insubstantiierten Linien den Linien stärksten Druckes und Zuges bei der Biegungs- beanspruchung entsprechen, verwendete Roux eine ingeniöse Älethode, die in unserem speziellen Falle folgendermaßen anzuwenden ist. Zwischen zwei gabelförmig ausgeschnittene Holzteile, die [ Pflanzung. Zug- und Druckbeanspruchung sind also durch getrennte Liniensysteme aus- I geprägt. Beide sind durch ein rechtwinklig zu ihnen stehendes System verbunden, dessen j Entstehung auf Druckwirkung zurückzuführen ist. • Denn bei der vorgenommenen Bewegung suchen sich die Schichten zwischen CC und zwischen BB einander zu nähern und üben so einen Druck aufeinander aus. Unter Vernachlässigung einiger unwesent- lichen Einzelheiten, die zu erörtern hier zu weit führen würde, können wir feststellen, daß die in unserem Modell aufgefundenen Linien stärksten Druckes und Znges den Knochenbalkenzügen in unserem Präparat sehr genau entsprechen. Hiermit ist der Beweis erbracht, daß in der neu gebildeten Knochenmasse die Bälkchen sich nur in den '^^ . Richtungen stärksten Druckes und Zuges ausgebildet haben, daß also mit dem auf- gewandten Material das Maximum an Lei- stungsfähigkeit hergestellt worden ist. Um die Anpassung der ,, Länge" der Knochen an bestimmte Funktionsweisen zu prüfen, ließ Roux durch Fuld und Knickmeyer die Beinknochen von Hunden ^ messen, welche_ohne Vorderbeine geboren j--^"^ ^'^'^\' Fig. 3. in ihrer Gestalt die vordere und hintere Compacta von Femurund Tibia darstellen, wird eine Gummi- platte als Repräsentant der neugebildeten Knochenmasse angebracht. Die Oberfläche der Gummiplatte wird mit einer mäßig dicken Schicht erstarrenden Paraffins versehen. Nähert man nun die beiden Holzgabeln einander, ent- sprechend einer Biegung des ganzen Modells, so wird die Gummiplatte deformiert; dabei erscheinen in der oberflächlichen Paraffinschicht eine Reihe von Linien, die in gesetzmäßigen Beziehungen zu den Linien stärksten Druckes und Zuges stehen. Leitet man aus ihnen die Hauptdruck- und -zuglinien ab und zeichnet sie in ein Schema ein, so erhält man das Bild wie in Figur 4, das sich unschwer verstehen läßt. Zwischen den Gabelschenkeln CC verläuft ein System stärkster Zuglinien, zwischen den Schenkeln BB Kurven stärkster Druckfort- Fig. 4 waren. Die Tiere mußten ähnlich den Känguruhs sitzen und hüpfend sich bewegen. Die Känguruhs haben im Verhältnis zum Oberschenkel- sehr lange Unterschenkel- knochen. Bei den känguruhartig sich halten- den und bewegenden Hunden hatte sich nach Fuld die Proportion von Oberschenkel und Unterschenkel in deutlich ausgesprochener Weise dem Känguruhtypus angenähert. Solche Hunde, die daher auch Känguruhhunde ge- nannt werden, sind das erste erwiesene Beispiel einer direkten Anpassung, wie sie von Lamarck für die Umwandlung der Tierformen angenommen w^orden ist. IC) Knorpel. Die funktionelle Struktur des Knorpels ist uns bisher unbekannt ge- blieben. Doch hat auch dieses Gewebe seinen Platz in der Lehre von der funktionellen An- passung gefunden. Seine Funktion im nicht- embryonalen Zustand ist es, der Abscherung verbunden mit Druck oder Zug Wider- stand zu leisten. — So finden wir z. B. an den Gelenkenden, wo die bezeichnete Beanspruchung statthat, konstant Knorpel. — Es gibt pathologische Verhältnisse, in welchen die Bedingungen von Abscherung verbunden mit Druck gegeben sind, nämlich bei den Pseudarthrosen, Zuständen, bei wel- chen die Enden eines gebrochenen Knochens sich nicht solid miteinander verbunden haben, sondern gegeneinander verschieblich bleiben. Hier sind in der Tat die gegen- einander bewegten und zugleich aufeinander gedrückten Knochenenden mit einer Knorpel- schicht überzogen. 2. Aktiv fungierendeGewebe. DieLehre von der funktionellen Anpassung bei der ^ 426 Funktionelle Anpassung dynamischen Gebilden bedarf mehr noch als die bei den Stützsubstanzen des weiteren Ausbaues. Doch gibt es auch hier eine Keihe erwähnenswerter Tatsachen. Eoux und Strasser haben den quergestreiften Musjieln eingehende Untersuchungen gewidmet. Das Gesetz der dimensionalen Aktivitätshyper- trophie tritt hier in besonders hellem Lichte hervor. Ueber die Kegulation von Dicke und Länge der Muskelfasern sagt Eoux zusammenfassend: „Durch Ueberwindung im Mittel größerer Widerstände werden die Muskeln bloß dicker, durch Ausübung größe- rer mittlerer Verkürzung werden sie morpho- logisch länger." Die Vorgänge der dimensionalen funk- 1 tionellen Inaktivitätsatrophie lassen sich j an den Skelettmuskeln schön verfolgen. Bei der nach Nervendurchschneidung auf- tretenden Degeneration der Muskelfasern sind aber wohl neben funktionellen Mo- menten noch andere Einflüsse wirksam. Jores und A. Schmid transplantierten Muskelgewebe und verfolgten sein Schick- sal, wenn es nachher regelmäßig elektrisch i zur Funktion gereizt wurde, und wenn es ' sich selbst überlassen wurde. Das faradisch erregte Stück heilte ein, das sich selbst [ überlassene wurde ausgestoßen. Doch liegen I die Verhältnisse bei der Einheilung nicht | ganz einfach, da Regenerationsprozesse mit- spielen. I Bei den glatten Muskelfasern zeigt sich im Aufbau vieler Hohlorgane (Ureter, Magen, Darm usw.) eine Zerfällung in zwei senkrecht aufeinander stehende Systeme, wie wir sie bei den statischen Organen als so charak- teristische funktionelle Strukturen kennen * gelernt haben; auch hier hat sie ähnliche, in das Dynamische übertragene Bedeutung. Abweichungen von diesem Bautypus, z. B. bei dem Uterus des Menschen, sind auf die | besonderen Anforderungen an dieses Organ i zurückzuführen. Wenn in pathologischen Verhältnissen eine Verengung des Lumens eines solchen Hohlorgans eintritt, z. B. am Pylorus des \ Magens, so daß für die fortbewegenden Kräfte der glatten Muskulatur Hindernisse entstehen, deren Ueberwindung Mehrarbeit und zwar häufig wiederholte Mehrarbeit erfordert, so tritt eine manchmal sehr be- deutende Hyperplasie der Muskelfasern ein, welche die Mehrarbeit zu leisten haben. Am Muskelmagen der Gans haben Eoux und Schepelmann die atrophierende Wir- kung herabgesetzter Funktion nachweisen können. Babäk hat eine Abhängig- keit der Länge des Darmes von der Qualität der Nahrung bei Froschlarven experimentell bewiesen, die in gewissen Grenzen als funk- tionell bedinsft aufzufassen ist. Bei den Drüsen ist die funktionelle Hyperplasie an sich zweifellos nachgewiesen. Das dimensionale Verhalten ist begreiflicher- weise hier sehr schwer zu verfolgen. 3. Blutgefäße. Die Blutgefäße stehen in der Mitte zwischen den aktiv und passiv fungierenden Organen und erfordern eine gesonderte Besprechung. Ihre funktionelle Gestalt ist von Eoux 1878/79 entdeckt worden. Er fand, daß der Ursprungsteil eines Arterienastes kegelförmige Gestalt besitzt und in seiner Form der Form des ,,frei aus hydrodynamisch gestalteter (ovaler) seitlicher Oeffnuiig des Stammes ausspringen- den Strahles" entspricht. Auch die Eich- tung des Astursprungskegels geschieht entsprechend hydrodynamischen Kräften. Aus dieser kurzen ,, Ursprungsrichtung" geht das Gefäß in die vielmals längere ,, Verlaufsrichtung", die von der Lage seines Versorgungsgebietes (also nicht hydro- dynamisch) bestimmt wird, insanftere Biegung über. Ferner hat Eoux gefunden, daß bei der Astabgabe in gesetzmäßiger Weise eine Ablenkung des Stammes nach der ent- gegengesetzten Seite stattfindet; er hat eine Eeihe von Eegeln aufstellen können, nach welchen die verschiedenen Grade der Ab- lenkung bestimmt werden können. Er hat schließlich gezeigt, daß auch diese Gestalts- verhältnisse den hämodynamischen Kräften entsprechen. Untersucht man die vitale Eeaktions- weise der Zellen, die die Gefäßwände bilden, insbesondere die der Endothelien, so erkennt man, daß sie, vorzüglich geeignet den Blut- druck aufzunehmen, dem Blutstoße wenn irgendmöglich auszuweichen suchen. Aus dieser gegebenen (vererbten) Eeaktions- weise folgt, daß die Blutgefäßwandungen sich den hydrodynamisch vorgeschriebenen Formen anschmiegen müssen. Es ist er- sichtlich, daß bei solcher Anordnung der Gefäßwand zum strömenden Inhalt die Eeibung auf ein Minimum beschränkt wird. Es darf bei Betrachtung der funktionellen i Gestalt der Blutgefäße aber nicht vergessen werden, daß die Blutgefäße innerhalb des i Organismus Nachbarbeziehungen ausgesetzt sind, die die funktionell ideale Gestalt ab- zuändern imstande sind. Die Struktur der Gefäßwand — wir ' berücksichtigen hier nur die Arterien — [ist deutlich eine funktionelle. Ihre Aufgabe 'ist es hauptsächlich, dem Blutdruck Wider- i stand zu leisten. Dem entspricht vor allem ; eine Eingfaserlage aus glatten Muskeln zur Aufnahme der Eingspannung und eine Längsfaserlage aus elastischen, Bindegewebs- und Muskelfasern, um der durch den Blut- druck erzeugten Längs dehnung zu begegnen. i Da Eing- und Längsspannung stets gleich- Funktionelle Anpassung 427 zeitig auftreten, so ist eine vollkommene Trennuno- beider Schichten nicht erforder- lich. Beide Laoen aber müssen unverschieb- lich gegeneinander sein, wie sie es in der Tat auch sind. Länge, Weite Jund Wandungsdicke der Blutgefäße sind in hohem Maße abhängig von der Funktion und passen sich ihr unter veränderten Verhältnissen gemäß dem Gesetz der dimensionalen Aktivitätshypertrophie an. Die Funktion der Länge der Ar- terieist die, das Blut von der Ursprungsstelle nach der Verbrauchsstelle zu leiten. Wenn ein Organ seine Lage durch Wachstum oder pathologische Dislokation verändert, so ver- längert sich das blutzuführende Gefäß, indem entsprechend der bewirkten Dehnung neue Teilchen in der Längsrichtung ein- gefügt werden. Aber die Weite und Wandungs- dieke werden hierdurch nicht verändert. Die Dicke der Gefäßwand ist abhängig von der Stärke des Blutdruckes. Steigt der Blutdruck allmählich an und behält für längere Zeit die erreichte Stärke, so werden die Gefäßwände stärker beansprucht; sie verdicken sich infolgedessen sowohl in der Ringschicht als auch in der Längsschicht, durch Vermehrung ihrer Elemente aber nur in der Querrichtung (bei abnorm schneller Steigerung des Blutdruckes kommt es zugleich zu einer Dehnung in der Längs- richtung, die sich durch Gefäßschlängelung ausdrückt). Auch die Weite der Blutgefäße unter- liegt, unabhängig von der Länge und Wan- dungsdicke, dem ■ Gesetze der funktionellen Anpassung; jedoch liegen die Verhältnisse hier nicht ganz einfach. Thoma hat auf Grund seiner Untersuchungen den Schluß gezogen, daß die Weite der Blutgefäße von der Stromgeschwindigkeit abhängt. Roux hat hiergegen wesentliche Bedenken erhoben und den Nachweis geführt, daß die Weite eines Blutgefäßes abhängt von dem Verbrauch in dem versorgten Paren- chymgebiet. Roux stellt sich den Vorgang kurz so vor : Steigt in einem Körperteile der Verbrauch an Nahrungsstoffen z. B. durch erhöhte Tätigkeit, so wird auf nervösem Reflexwege eine Erweiterung der Kapillaren und zuführenden Blutgefäße herbeigeführt, wie allgemein bekannt ist. Ist der Nahrungs- bedarf eines Körperteiles dauernd (oder mit nur kurzen Remissionen) erhöht, so wird die nervös vermittelte Erweiterung der zuführenden Arterien ebenfalls eine an- dauernde sein. Zunächst ist diese neue Weite der Blutgefäße nur eine durch nervöse Mechanismen vermittelte ,, Wechselgestalt" (s. oben). Durch entsprechende Vermehrung der Wandungselemente wandelt sie sich in Eigengestalt um. Die Regulation der Wan- dungsdicke des weiter gewordenen Gefäßes erfolgt durch den Blutdruck. Die funktionelle Anpassung der Blut- gefäße (hier sind nur die Arterien berück- sichtigt worden) ist nach diesen Ausführungen eine typisch dimensionale. Sie läßt sich besonders schön am KoUateralkreislauf, der nach Unterbindung eines größeren Arterien- astes sich ausbildet, erhärten. Auch die Experimente mit Gefäßtrans- plantationen haben für die funktionelle Anpassung wichtiges Material ergeben (Fischer und Schmieden). B. Hauptpunkte der Theorie der funk- tionellen Anpassung, Zur Erklärung der Massenzunahme der Gewebe und Organe bei vermehrtem Ge- brauch hat man vor Roux' Untersuchungen angenommen, daß die bei der Funktion an den aktiv tätigen Organen zu beob- achtende Hyperämie eine Ueberernährung bedinge und so die Hypel-trophie und Hyperplasie der Teile hervorrufe. Diese Annahme hat Roux kritisch beleuchtet. Wenn auch Hyperämie und Hypertrophie resp. Hyperplasie häufig als zwei aufeinander folgende Zustände festgestellt werden können, so ist man mit dem Nachweis des ,,post hoc" noch weit von deniBeweise des „propter hoc" entfernt. Es steht zwar fest, daß bei Geweben im embryonalen und Jugendzustande durch stärkere Blutzufuhr eine Steigerung ihres Wachstums erzeugt wird. Andererseits muß es heute wenigstens für die aktiv tätigen Organe als anerkannte Tatsache gelten, daß in der Lebensperiode, in welcher das selbständige Wachstum aufgehört hat, eine noch so reichliche Durchblutung allein eine Massenzunahme der Gewebe nicht be- wirken kann. Nicht die Fülle des im Blute angebotenen Nährmaterials veranlaßt die Gewebe solches aufzunehmen, sondern bestimmte innere Zustände, die man kurz als ihren Nahrungs- hunger bezeichnen kann. Aber selbst wenn dies nicht für alle Gewebsarten erwiesen wäre, so wäre man doch nie imstande mit Hilfe der funktionellen Hyperämie gerade die wichtigsten Erschei- nungen der funktionellen Anpassung zu erklären. Wir brauchen nur an das Gesetz der dimensionalen Aktivitätshypertrophie zu denken, das wir oben kennen gelernt haben, um zu sehen, in welche Verlegen- heit die Hyperämiehypothese geraten muß. Warum wird gerade nur in der oder den Dimensionen angebaut, in welcher die Funktion geleistet wird und in den anderen oder der anderen nicht ? Warum wird der Muskel bei andauernder Uebung nur dicker und nicht länger ? Die Hyperämie erfolgt ja 428 Funktionelle Anpassung nicht bloß in den Dimensionen des Quer- sclinittes, sondern auch in der Längsrichtung der Fasern. Wäre sie die Hauptursache der Zunahme des Muslvels, so müßte er nicht bloß dicker, sondern auch länger werden. Die Hyperämiehypothese versagt also hier vollständig. Erinnern wir uns an die feinen Strukturen der Knochenspongiosa, die oben beschrieben wordensind. HätteHyperämie diese Bildungen in ihrem charakteristischen Aufbau erzeugt, so müßte der Verlauf der feineren Blut- gefäße und der Kapillaren den Richtungen, in welchen die Knochenbälkchen angebaut worden sind, entsprechen. Das ist nicht der Fall. Dazu kommt noch, daß die Maschen- weite der Knochenspongiosa häufig eine viel engere ist als die des Kapillarnetzes. So widersprechen auch hier die Tatsachen der angefochtenen Hypothese. "Roux hat demgegenüber seine Lehre von der trophischen Wirkung des funktionellen Reizes aufgestellt. Wir wissen, daß in jedem wirklich lebenstätigen Teilchen durch den Lebensprozeß in einer Phase Stoff verbrannt, dissimiliert, in der zweiten Phase durch Aufnahme neuen Ma- terials (Assimilation) das Zerstörte wieder aufgebaut wird. Das geschieht in jedem Augenblick, doch ist cler Umsatz bei besonderer Tätigkeit der Teilclien lebhafter als in der Ruhe. Nun läßt sich erkennen, daß bei wiederholter gleichartiger Mehrarbeit eines Lebensteil- chens nicht bloß die bei der Leistung ver- brauchte Substanz wieder assimiliert wird, sondern dazu noch ein Plus gebildet wird. Es findet also unter solchen Umständen eine Ueberkompensation des Ver- brauchten statt. Die Ausübung der Funktion wirkt demnach als trop bischer Reiz auf die lebende Substanz, welche die Funktion vollzieht (wird aber eine gewisse Grenze in der Häufigkeit oder Stärke der Funktion überschritten, so findet eine Schädigung statt). Die Gewebe der Wirbeltiere sind für ihre spezifischeiiFunktioneuselnfcin differenziert. Bei ihnen ist der trophische Reiz der Funk- tion nicht bloß zur eventuellen Ueberkom- pensation des Verbrauchten erforderlich, er ist sogar meist für ihre normale Stoff- bilanz unentbehrlich. Sinkt er unter ein gewisses Minimum oder bleibt er lange oder gänzlich aus, so sind die Lebensteilchen nach der Phase der Dissimilation, die ja auch in der Ruhe stattfindet, nicht mehr imstande, das Verbrauchte vollständig zu ersetzen; es tritt eine mehr und mehr sich steigernde Unterbilanz, eine Stoffverminderung oder gänzlicher Schwund ein. Kurz gesagt: die differenzierten Gewebe sind für ihre Er- haltung auf ein gewisses Maß des trophischen Reizes, den die Funktion ausübt, angewiesen. Erhöht sich in einer größeren Zeiteinheit der trophische Reiz mit der Steigerung der Funktion (die die Grenze der Schädigung nicht überschreitet), so tritt Hypertrophie der funktionierenden Teile ein (Aktivitäts- hypertrophie); sinkt der funktionelle Reiz in solcher Zeiteinheit unter ein lebenser- haltendes Minimum, so greift Atrophie Platz (Inaktivitätsatrophie). Mit diesem Prinzip wird es uns möglich sein, das Tatsachenmaterial der funk- tionellen Anpassung zu verstehen. Fassen wir das Gesetz der dimensionalen Aktivitäts - hypertrophie ins Auge. Wenn ein Organ eine Funktion (aktiv oder passiv) ausübt, so werden die entfalteten Kräfte in vielen Fällen nicht nach allen Richtungen des Raumes in der gleichen Intensität wirken, sondern in gewissen Richtungen am stärksten, in anderen weniger stark oder gar nicht. Halten wir uns an das bestimmte Beispiel einer Muskelfascie (genügend entfernt von dem Gelenk, so daß der von dieser Stelle aus- gehende Längszug nicht in Betracht kommt). Nehmen wir an, die Fasern dieser Fascie verliefen in regelloser Weise ohne Inne- haltung bestimmter Richtungen, und lassen wir nun den ihr zugehörigen parallelfaserigen Muskel sich verdicken. Hierdurch wird die Fascie mechanisch in Anspruch genommen, ihre Funktion ist es, der erzeugten Spannung Widerstand zu leisten. Diese Spannung verläuft nicht in allen Richtungen in der- selben Intensität. Sie ist am stärksten in der Richtung quer zur Muskelfaser und wenn in dieser Richtung starker Widerstand ge- leistet wird, am zweitstärksten rechtwinklige dazu, also längs des Muskels. In allen anderen Richtungen ist sie schwächer. Die Fasern der Fascie, die in den Linien stärkster Spannung liegen, werden von dem trophischen Reiz der Funktion am stärksten getroffen und werden daher bei häufiger Wiederholung der Kontraktion desselben Muskels hypertrophieren resp. durch Ver- mehrung ihrer Elementarbestandteile hyper- plasieren. Dasselbe gilt dann für die dazu rechtwinklig gerichteten Fasern. Sind einmal die beiden Hauptspannungsrichtungen durch j Verstärkung der betreffenden Bindegewebs- faserzüge ausgeprägt, so wird von nun ab I die durch Muskelverdickung entstehende I Beanspruchung der Fascie von diesen allein j aufgenommen, somit wird den Binde- j gewebsfasern, die in allen anderen Rich- ' tungen liegen, der für ihre Existenz nötige trophische Reiz der Funktion entzogen, sie werden sich nicht verdicken und ver- mehren und daher mehr und mehr zurück- treten. Der Inaktivitätsatrophie unterliegen allerdings gerade Bindegewel3sfasern nur in Funktionelle Anpassimg 429 sehr langen Zeiträumen, während welcher die Beanspruchung ausbleiben muß. Es sei noch die oben erwähnte wunderbare Anpassung der Knochenspongiosa an neue Gebrauchsweisen erklärt; sie hatte vor 40 Jahren vor allem die denkenden Köpfe in Erstaunen versetzt und zur Annahme eines ,, zwecktätig" gestaltenden Agens ver- führt. Roux erklärt diese direkte An- passung in folgender Weise aus dem er- wähnten Prinzip der Aktivitätshypertrophie und der bei Knochen erwiesenen raschen und starken Inaktivitätsatrophie. Wenn ein Knochenbälkchen schief zur Druck- richtung steht (Figur 5), so findet, wie Roux i i i i ItTTT TTTTTTTTtTTT Schema nach Roux. Fig. 5. an einem Gummimodell zeigte, an den spitzen Winkeln, bei++» Pressung, somit funk- .. -^' tionelle Reizung der daselbst befindlichen ^ Knochenbildungszellen (Osteoblasten), in- Jfolgedessen Knoehenanlagerung statt. An den stumpfen Winkeln, bei , ist die Druckwirkung schon an sich viel schwächer, und sie wird um so schwächer, je mehr - ^ Knochen bei ++ angelagert worden ist. Der Knochen bei wird mehr und mehr entlastet, nicht mehr vom funktionellen Reiz getroffen und infolge seines Atrophierens von den Osteoklasten aufgefressen. Ein Ruhezustand, Gleichgewicht zwischen Ge- stalt und Funktion, ist erst dann erreicht, wenn das Bälkchen auf diese Weise ganz zur Richtung der (konstanten) Druckrichtung umgearbeitet ist. Was für ein einziges Bälkchen gilt, gilt auch für ein ganzes System von Bälkchen, nur wird hierbei der Prozeß komplizierter sein und daher langsamer verlaufen. Zwischen den gleichartigen Gewebs- elementen findet somit in dem geschilderten Bildungsvorgang eine Konkurrenz um den trophischen Reiz statt, bei welcher die günstiger gelegenen einen Vorsprung in der Assimilation gewinnen und dann, einmal stärker geworden, den anderen den Genuß des funktionellen Reizes mehr und mehr entziehen. Durch zwei Arten gestaltender Reaktion der Gewebe wird so die Selbstgestaltung des ,, Zweckmäßigen" (besser Dauerfähigen) ohne jede teleologische Hilfsvorstellung in unendlich vielen verschiedenen Fällen ver- ständlich. Der beschriebene Vorgang findet im Knochen dauernd während des ganzen Lebens statt, im normalen Zustand den Status quo regulierend, in pathologischen Zuständen neue Gestaltungen produzierend. Dieselbe Ableitung gilt mutatis mutanclis für die anderen Gewebe. Ueber die Größe des funktionellen Reizes ist folgende Unterscheidung anzufügen. Ein funktioneller Reiz muß eine bestimmte Größe erreichen, um eine Struktur auszu- bilden, wir nennen sie den ,,Bildungskoeffi- zienten". Dem steht der ,, Erhaltungs- koeffizient" des funktionellen Reizes gegenüber. Das ist diejenige mittlere Stärke des funktionellen Reizes in einer gewissen größeren Beanspruchungszeit, die zur Er- haltung eines Organs oder Organteils in Größe, Struktur und Qualität nötig ist. Der Erhaltungskoeffizient ist im allgemeinen kleiner als der Bildungskoeffizient, aber bei den verschiedenen Geweben in sehr verschiedenem Grade. Wir haben zum Schlüsse den Geltungs- bereich der Lehre von der funktionellen Anpassung zu besprechen. Werden alle funktionellen Gestaltungen während der Ontogenese allein durch die Funktion be- stimmt und hervorgebracht? Um auf diese Frage eine richtige Antwort geben zu können, müssen wir auf die Einteilung des Lebens (abgesehen von Senium) in drei Perioden eingehen, die Roux aufgestellt hat. Wir müssen als erste Lebensperiode die sogenannte , »embryonale" bezeichnen, in welcher sich die Gestaltung der Teile durch „besondere" gestaltende, d. h. nichtfunktionelle Kräfte vollzieht (meist unter Selbstdifferenzierung der Organe, die aber ihrerseits durch Wir- kungen der Unterteile aufeinander, durch sogenannte abhängige Differenzierung ge- schieht). Hier wirken die bereits im Keim- plasma enthaltenen Faktoren, die Form- bildung wird durch vererbte, uns im einzelnen noch unbekannte Mechanismen bestimmt. Ihr steht gegenüber die dritte Periode, die des rein funktionellen Lebens. In ihr spielen sich vor allem die Vorgänge ab, die der Gegen- stand dieses Aufsatzes waren; in ihr bringt die funktionelle Anpassung Neugestaltungen und Umgestaltungen hervor und in ihr be- herrscht der funktionelle Reiz Quantität und Qualität der Gewebe. Zwischen diesen beiden Perioden steht die vermittelnde zweite, in welcher zwar noch die ,, besonderen" embryonalen ge- staltenden Kräfte wirksam sind, in welcher aber auch schon die Tätigkeit der Organe begonnen hat, und somit die Ausübung der Funktion ihren gestaltenden Einfluß 430 Fiuiktionelle Anpassung- — Fiuiktionswechsel bei Tieren nach den oben geschilderten Prinzipien geltend machen muß. Für jedes Organsystem sind die Grenzen dieser Periode sehr verschieden und erst im einzelnen noch zu ermitteln. Für die Blutgefäße z. B. wird die Funktion schon in sehr früher embryonaler Zeit, sobald nämlich nach Ausgestaltung des Herzens, der Haiiptblutbahnen und eines reichen Kapillarnetzes die Pulsationen beginnen, Bedeutung für ihre Formbildung gewinnen. Viele Gestaltungen andererseits, die man vielleicht zunächst für rein funktionell be- dingt anzusehen geneigt sein möchte, sind fast ganz durch vererbte Faktoren bestimmt, so z. B. die Form der Gelenke. Der Hauptgeltungsbereich für die Lehre von der funktionellen /Anpassung ist die dritte Periode, jedoch hat sie auch in der zweiten ein beachtenswertes, aber noch genauer abzugrenzendes Feld. Sollte sich in Zukunft herausstellen, daß Neugestaltungen, die durch die Funktion während des Individuallebens erworben worden sind, auf spätere Generationen übertragen werden können, dann würde Koux' Lehre von der funktionellen An- passung für die Abstammungslehre die größte Bedeutung zukommen. Literatur. W. Roux, Ueber die Verzweigung der ßlutgefäße des Menschen. Jen. Zeilschr. f. Naturw., Bd. 12, 1878. — Derselbe, Ueber die Bedeutimg der Ablenkung des Aiterienslammes bei der Astabgabe. Jen. Zeitschr. f. Naturiv., Bd. 13, 1879. — Derselbe, Der züchtende Kampf der Teile oder die „Teilauslese" im Organismus. Leipzig 1881. — Derselbe, Bei- träge zur Morphologie der funktionellen An- passung. I. Stiukttir eines hoch differenzierten bindegewebigen Organes (der Schioanzflosse des Delphins). Arch. f. Ana/, u. Phys., Anat. Abt., 1883. — Derselbe, Beiträge zur 3Iorpho- logie der funktionellen Anpassung. II. Ueber die Sclhstrrijuhdion. der „morphologischen" Länge des s/:r/,'//iiiiiski Is des Menschen. Jen. Zeitschr. f. Xdlinir.. 16, K F., Bd. 9, ISSS. — Derselbe, Beitrüge zur Morpho/oi/ir dir Junktiu- nellen Anpassung, III. Bcsrhn i/nnui laul Ur- läulerung einer knöchernen Kiiivgili iiksaiikijh>.''c. Arch. f. Anat. u. Phys., Anat. Abt., 1885. — Derselbe, Gesammelte Abhandlungen über Ent- Wickelungsmechanik der Organismen, 1. u. 2. Bd. Leipzig 1895. Nr. 1 bis 6 sind in der Fassung der Ges. Abh. verwertet. — Derselbe, A7i- passungslehrc, Histomechanik %md Histochemie. Virch. Arch. f. path. Anat., Bd. 209, 1912. — A. Oppel, Ueber die gestallliche Anpassung der Blutgefäße unter BeriicksIr/iliijinKj der funktionellen Transplantation. Mit r/m r < hirihiid- beigabe von W. Rotix. Heft 10 (hr Vorlrinji- und Aufsätze über Entivickelungsmechanik der Organismen, herausgegeben von W. Roux. Leipzig 1910. — J". Wolff, Das Gesetz der Transformation der Knochen, Berlin 1892, s. auch Virch. Arch., Bd. 50, 1870. — 1\ A. M. W. Gebhardt, Ueber funktionell wichtige A)iordnungsirciscii der gröberen und feineren Bau- elemente des Wirbelticrknochens. Arch. f. Entw.- Mech., Bd. 11 und 12, 1901. S. auch seine Arbeiten im Arch. f. Entw., 16, 20, 30 (Fest- schrift für W. Rou.v). — E. Fulcl, Ueber Veränderungen der Hinterbeinknochen von Hun- den infolge Mangels der Vorderbeine. Arch. /. Entw.-JIech., Bd. 11, 1901. — O. Levy, Ueber den Einfluß von Zug auf die Bildung faserigen Bindegewebes. Arch. f. Entw. -Blech., Bd. 18, 1904, s. auch Verh. d. anat. Gesellsch. in Halle 1902. — L. Jores, Ueber den Einfluß funktio- nellen Reizes auf die Transplantation von Muskelgewebe. Verh. d. deutsch, path. Gesellsch. in Leipzig 1909. Jena 1909. — B. Fischer und V. Schmieden, Experimentelle Unter- siichungen über die funktionelle Anpassung der Gefäßwand. Frankf. Zeitschr. f. Pathol., Bd. 3, 1909. Oo Lei-y. Funktionswechsel bei Tieren. 1. Wesen, Ursachen, Prozeß. 2. Funktions- weehsel bei Zellen (inkl. Protozoen) und Ge- t weben. 3. Funktionswechsel bei Organen, a) j Cülenteraten. b) Vernies, c) Mollusken, d) ! Echinodermen. e) Tiinikaten. f) Arthropoden. u) Iviemen und Tracheen, ß) Fettkörper, y) Darmtractus. d) Flügel. s) Extremitäten, g) Vertebraten. cc) Integunient. ß) Skelett. 7) Darmtractus und Respirationsorgane. 6) Uro- genitalsystem, s) Extremitäten. I. Wesen, Ursachen, Prozeß. Man spricht von Funktionswechsel da, wo ein morphologisches Element im Laufe seiner Geschichte funktionell aus seiner ursprünglichen Ent- wickeln ngsrichtung herausgedrängt ist. Jeder Entwickelungsprozeß ist mit Funktionsänderung verknüpft, die sich im Effekt als Anpassung (vgl. auch den Artikel ,, Funktionelle Anpassung") charakte- risiert. Funktionswechsel und Funktions- änderung werden gemeinhin als gleichbe- deutend gebraucht, decken sich aber streng gciu)innien niclit. Funktionsänderung stellt sich im allgemeinen als eine Funktions- spezialisierung dar, d. h. ein ursprünglich einheitliches Organ mit komplexer Funktion differenziert sich derart, daß die Gesamtheit seiner Verrichtungen in ihre Elemente auf- gelöst und diese getrennt an sich heraus- bildende Unterbezirke des Stammorgans ge- bunden werden oder schwinden. Nur in besonderen Fällen tritt an Stelle der Funktionsspezialisierung der Funktions- wechsel, d. h. ein Organ gibt die ihm eigentümliche Funktion zugunsten einer anderen, ihm bislang fremden Verrichtung auf, es wird funktionell ein neues und reiht sich einer ganz anderen funktionellen Organkategorie ein. Funktions Wechsel hat Funktionswechsel bei Tieren 431 also zur Folge, daß niorpholügisch gleich- wertige Organe (homologe ()rganc) funktionell Uligleichwertig werden und tlaß jindererseits Orgaue, die sich genetisch nicht aufeinander zurückführen lassen, die gleiche Funktion erfüllen (analoge Organe); vgl. den Artikel ,, Brutpflege". Die Anpassung analoger Orgaue an die gleiche Funktion kann zu weitgehender Aehnhchkeit ursprünglich ver- schieden gearteter Organe führen (Kon- vergenz). Die Ursachen des Funktionswechsels sind in den gleichen Faktoren zu suchen, die alle Anpassungserscheinungen bestimmen : im Wechsel in der Lebensw^eise, in Ver- änderungen in der Umgebung, im Klima usw. Der Prozeß des Funktionswechsels be- ginnt mit einer Funktionserweiterung: die neue Funktion tritt in Form einer Neben- funktion zur ursprünghcheu hinzu. All- mähhch wird die neue zur Hauptfunktion, verdrängt die Primärfunktion und kann diese schheßhch ganzzum Schwinden bringen. Wird die Sekundärfunktion später durch eine Tertiärfunktion usw. abgelöst, so liegt ein wiederholter Funktionswechsel vor (s. unten). Rückläufiger Funktions- wechsel führt zu atavistischen Erscheinungen. Der Funktionswechsel ist indessen prak- tisch wie theoretisch nicht unbegrenzt. Er findet seine Schranke in dem funktionellen Werte der Organe und dem Grade ihrer Differenzierung. Je höher ein Organ histo- logisch steht, je wertvoller es dem In- dividuum ist, um so eher bleibt es seiner Funktion erhalten. Nervensystem und Sinnesorgane hefern sehr wenige Fälle von Funktionswechsel. Der Organwert steht ferner in direktem Verhältnis zu seiner Exklusivität. Der Wert des einzelnen ist um so geringer, je mehr Organe gleicher Funktion im Organismus vertreten sind. Die Extremitäten der Arthropoden bieten uns die weitaus meisten Beispiele für Funk- tiouswechsel. Der Funktiouswechsel erhöht sowohl den Wert der von ihm betroffenen wie der bleibenden Organe. Er bedingt eine stärkere Inanspruchnahme und damit höhere Ausbildung der letzteren und führt die ersteren einer dem Organismus wich- tigeren Funktion zu. Das Hauptmaterial für Fälle von Funk- tionswechsel hefert uns die Phylogenie. Funktionswechsel in der Ontogenie findet nur dann statt, wenn der Organismus im Laufe seinerEntwickelung eingreifende Wand- lungen in seinen Lebensgewohnheiten und Metamorphosen durchmacht (s. unten). In neuester Zeit wurde Funktionswechsel auch in einigen Fällen auf experimentellem Wege erzielt (s. unten die Beispiele bei Zellen und Geweben). Funktionswechsel findet sowohl im Pflan- zen- wie im Tierreich statt, soll hier im Speziellen jedoch nur auf zoologischem Ge- biet behandelt werden. Da der Umwand- lungsprozeß alle organisierten Systeme mit Ausnahme ihrer höchsten Stufe, nämUch der Organismen selbst (hier handelt es sich höchstens um Funktionsspezialisierung, vgl. den Artikel „Polymorphismus") be- treffen kann, ergibt sich die Einteilung des Stoffes von selbst. Aufgenommen wurden nur typische Beispiele für Funktionswechsel, d. h. solche, bei denen che funktionelle Ge- schichte der betroffenen Organe genügend klargestellt und eine Verwechslung mit Funktionsspeziahsierung nicht zu befürchten ist. 2. Funktionswechsel bei Zellen (inkl. Protozoen) und Geweben. Die Zelle kann entweder in ihren Teilen oder als Ganzes einen Funktiouswechsel erfahren. Beispiele für den ersteren Fall Hefern die Protozoen, besonders die höher organisierten Formen, bei denen sich der Funktionswechsel im Laufe der Phylogenie an den Zellorganen abspielt, aber auch im individuellen Leben auftreten kann. So wird das bei der Fort- pflanzung beteihgte, bei somatischen Pro- zessen im allgemeinen ruhende Centrosoma bei vielen Flagellaten nach der Zellteilung zum Blepharoplasten, einem .Stützorgan der Geißel. Stammesgeschichthch sind die Borsten und Girren, mit deren Hilfe sich die hypotrichen Infusorien kriechend und laufend auf der Unterlage fortbewegen, als ver- schmolzene und umgewandelte, der Schwimm- bewegung dienende Cilien aufzufassen. Das gleiche gilt für die in den Dienst der Nah- rungsaufnahmegetretene adorale Wimperzone der Heterotrichen und Peritrichen. Bei Stentor und verwandten Formen erfahren gewisse Cihen eine starke Verlängerung und werden zu stillstehenden Tasthaaren und Tastborsten. Ephelota gemmipara Hertw., eine marine Podophryide, be- sitzt lange, spitze Greiftentakeln, die aus den neben ihnen noch an demselben Tier vorkommenden Saugtentakeln hervorge- gangen sind. Eigentündich ist der Funk- tionswechsel, den die als Angriffswaffen be- kannten Trichocysten bei einigen holo- trichen Infusorien durchzumachen schei- nen. Sie werden in der Umgebung des Mundes zu starren Schlundstäbchen und bilden in ihrer Gesamtheit einen den Weg der Nah- rung reguherenden Reusenapparat, dessen Elemente nicht mehr ausgeschleudert werden können (nach Tönniges). — Ein Fall von Funktionswechsel, der nicht ein Zellorgan, sondern ein Zellprodukt betrifft, wird bei der chlorophyllführenden Flagellatenart Ponchetia beschrieben. Hier wandelt sich ein Paramylunikürnelien, also ein Zwischen- produkt der Assimilation, zu einem linsen- 432 Fimktionsweclisel liei Tieren :s r^ ^ artigen Körper um, der dem Pigment des ^ ^"^^-^j Stigmas angelagert wird. Funktionswechsel der ganzen Zelle kommt nur bei Metazoen vor und beschränkt sich selten auf einzelne Zellen. Im all- gemeinen erstreckt sich die funktionelle Ablenkung auf ganze Zellkomplexe und Ge- webe. Indessen sah man auch bei experi- mentellen Eingriffen einzelne Zellen unter den veränderten Lebensbedingungen in neue Bahnen gelenkt werden und an Stelle des zer- störten ein anders geartetes Plasmaprodukt heranbilden. So gingen z. B. Schleimzellen eines drüsigen Verbandes nach einem ope- rativen Eingriff zur Hornproduktion über. Bekannt ist auch, daß die Nährzellen in den Keimdrüsen vieler Tiere als abortive Eier aufzufassen sind. Der mit Gewebsmetamorphose oder Meta- plasie verbundene Funktionswechsel größerer Zellverbände spielt in der Ontogenie der Stützgewebe eine hervorragende Rolle. Gallert- und Bindegewebe, Knorpel und Knochen machen eine zusammenhängende Reihe aus, deren Elemente sich ineinander umwandeln können. Den Anfang der Reihe bildet das aus dem sich zwischen den Keim- blättern anlegenden Mcsenchym hervor- gehende Gallertgewebe, dem das faserige Bindegewebe infolge einer Aenderung im Stoffwechsel der Zellelemente folgt. Die bis dahin Mucin absondernden Gallertzellen produzieren hinfort Kollagen. Auf einer späteren Entwickelungsstufe gewinnen die Bindegewebszellen stärkere Affinitäten für Kalksalze. Diese verbinden sich mit dem Kollagen und der Effekt ist die Umwand- lung des Bindegewebes in Knochen. In ganz analoger Weise können Wechsel im Wahlvermögen der Zellen aus Bindegewebe Knorpel (Ablagerung von Chondrin) oder Speichergewebe (Ablagerung von Fett) her- vorgehen lassen. Der normalen, ontogenetischen Meta- plasie steht die Gewebsmetamorphose ge- legenthch regenerativer Prozesse zur Seite. Auch hier kann Funktionswechsel eine Rolle spielen. So wachsen bei Tri to n bei der Linsen- regeneration die Pigmentzellen des Irisrandes, also Elemente des Blendapparates, zulangen Linsenfasern aus und treten damit in den Dienst der Lichtbrechung. Dabei ist be- sonders bemerkenswert, daß die Iriszellen entwickelungsgeschichtlich von der Wandung des ersten Hirnbläschens al)stammen, jetzt aber eine Funktion übernrluni^n. die nor- malerweise metamorphusierteu Körperepi- thelzellen zukommt. 3. Funktionswechsel bei Organen. Die letztgenannten Beispiele leiten bereits über zum Funktionswechsel der Organe. Dieser (vgl. den Artikel ,, Organe des tieri- schen Körpers") ist mit mehr oder minder bedeutenden gestalthchen und histologischen Wandlungen verknüpft, die um so eingreifen- der sind, je weniger die neue Funktion mit der bisherigen verwandt ist. So bleiben die Nephridien der Anneliden (s. unten) stets Ausleitungsbahnen für Produkte der Leibes- höhle, und Form wie Struktur ist dement- sprechend bei Genital- und Exkretions- nephridien wenig different. Einen Schritt weiter bedeutet die Umwandlung des Kriech- fußes der UrmoUusken in den Schwimmfuß der Heteropoden und Pteropoden (s. unten). Hier ist die Gestalt des Stamm- organs aufgegeben, der Fuß bleibt aber Loko- motionsorgan, und die Natur seiner Gewebe ändert sich daher nicht. Im extremsten Fall des Funktionswechsels erfährt das Organ nicht nur morphologisch, sondern auch histo- logisch eine völhge Neugestaltung (vgl. unten: die Halteren der Fliegen). Die innere Umformung der Organe kann entweder da- durch herbeigeführt werden, daß eine be- sondere Art Nebengewebe auf Kosten des Hauptgewebes heranwächst und dieses ver- drängt (Umwandlung eines Muskels zur Sehne) oder dadurch, daß infolge Metaplasie das Hauptgewebe selbst Struktur und Funk- tion ändert (Umwandlung des corpus adi- posum zu Leuchtorganen, s. unten). Den mit einem Gewebewechsel verbundenen Funk- tionswechsel könnte man (vgl. den Artikel ,, Organe des tierischen Körpers" S.338) als eigenthchen Funktions Wechsel oder Funk- tionswechsel im engeren Sinne dem nur mit morphologischen Umgestaltungen verbun- denen P\inktiüns Wechsel, dem ,, funktionellen Formwechsel" gegenüberstellen. Beispiele für Funktionswechsel bei Or- ganen hefert jede Metazoenklasse. Es wurde hier daher eine systematische Anordnung gewählt, in der allerdings die Arthropoden und Vertebraten bei weitem am meisten hervortreten. Bemerkenswert ist, daß Funk- tionswechsel durchweg in erster Linie die systematisch wichtigsten Charaktere der Gruppen trifft: bei den Coelenteraten die Tentakeln, bei den Anneliden die Para- podien und Nephridien, bei den Mollusken Fuß und Schale, bei den Echinodermen die Skelettstacheln und die Füßchen, bei Arthropoden und Vertebraten die Ex- tremitäten. 3a) Coelenteraten. Unter den Coelen- teraten lassen sich die Randkörper der Trachymedusen und der Scyphomedu- sen auf Tentakeln zurückführen. Diese habtn eine starke Längenreduktion erfahren, werden teilweise vom Schirmrand über- deckt und scheinen ihre Beweglichkeit ganz eingebüßt zu haben. Sie haben ihre Tast- funktion verloren und sind dafür in den Dienst des Gehör- und Gesichtssinns ge- treten. Die entodermale Tentakelachse Funktionswechsel bei Tieren 433 ^!:^i,f 1°=;:'- *°"™" -- iinJÄs^!!^^^:: 3b) Vermes. Wenn man davon absieht, daß bei den Mer mit lüden der Mittel- darm zn einem Fettkörper, bei den Zwerg- männchender Rotatorien zn einem soliden, den Hoden einbettenden Gewebsstrang wird, zeigen sich bei den Würmern besonders zwei Organsysteme von Fnnktionswechsel be- troffen: die' Nephridien und die Girren der Anneliden. Die Nephridien sind ur- sprünghch Exkretionsorgane. Sekundär herausgepreßt wird. Der Rückstoß treibt das Tier nach rückwcärts im Wasser fort. Noch weiter geht die Metamorphose bei anderen Teilen des Cephalopodenfußes. So lassen sich die Arme nur noch auf Grund ihrer Innervierung vom Möllns kenfuß ab- leiten. Funktionell dienen sie teilweise noch der Ortsbewegung, zum anderen Teil sind sie in den Dienst des Nahrungserwerbs ge- treten und zu mächtigen Greiforganen mit Haftapparaten umgestaltet oder vermitteln übernehmen sie daneben bei den meisten j ^^j. ^-^ xjebertragung der Geschlechtspro- C h ä 1 0 p 0 d e n in einigen Segmenten die i ^j^i^^e. Bei T r e m o c t o p u s und Ar g o n a u t a Ableitung der Genitalprodukte (Stadium der i ^^j^^ Jjg Anpassung an diese Aufgabe soweit, ■ ■ ' ■ ' lilen aber findet;^, r. ^-„i, ,i„„ ,-,,;+ fip^ Snermatonhoren be- Funktionserweiterung), zuweilen aber findet , ^^g ^^^^^ ^jg^. j^-,jt den Spermatophoren be- eine strenge Scheidung in exkretonsche m^« 1 ladene Arm vom Männchen loslöst und als Genitalnephridien statt. So sind bei den l^^j^p,^^^j^j^^gj. Hectocotylus selbständig das Ter e belli den die Nephridien der vorderen ^ypii^^-iien aufsucht und den Samen m die Thorakalregion sehr groß, ihre Wimper-^. i,--i.i„ „u,*."i.,+ t?;,.« n-nr,^ -ilinlif-hfi trichter klein: sie fungieren bloß als Nieren. In der hinteren Region dagegen bleiben die Nephridialkanäle klein, besitzen einen großen Tiichter und leiten die Geschlechtsprodukte ab. — Die Girren stellen dorsale und ven- trale fadenförmige Anhänge an den Para- podien der Polychaeten dar und sind als Tast- oder Bewegungsorgane anzusprechen, geben indessen ihre Primärfunktion oft zu- gunsten anderer Verrichtungen auf. So er- fahren die Rückencirren bei den Aphrodi- tiden eine flächenhafte Verbreiterung und bilden sich zu breiten Schuppen (Elytren) um, welche ein schützendes Dach zusammen- setzen. Am Mundsegment entwickeln sich die Girren ganz allgemein zu umfangreichen Gebilden, den Girri tentaculares, die mit den Tentakeln des Kopflappens in den Dienst der Nahrungsaufnahme treten können. Bei den Serpuliden finden sich häui;ig zu.......... einem gestielten Deckel umgewandelte Mund- gertionspunkt für die Retraktoren (die tentakeln, welche beim Zurückziehen die 1 ^^^jg^gj^ Schnecken und viele Gephalo- Wohnröhre des Tieres versclüießem Bei .i-^x ..„j a„i,i;^ß,..„c.wi,. a.nmfilh- einigen Spi des Deckels die Eier. als las Ter e belli den die INepliriclien cter voraeren ^ypi^^-iien aufsucht und den Samen m die Thorakalregion sehr groß, ihre Wimper- ; ^^^^^^^pU^jjJj^p einführt. Eine ganz ähnbche . :.i,^„.. ui„;,,. .^^ f„..oMovmn KIaR als NiRren.i^^j^^ljg ^^jg (^gj^ hektokotylisierten Ge- phalopodenarm fällt dem rechten Fühler der bekannten Süßwasserschnecke Paludi na zu: der bei den Weibchen noch als Sinnes- organ funktionierende Kopfanhang ist beim Männchen zum Penis geworden. Eine der ursprünghchen 'recht fernUegende Funktion haben auch 2 Arme des Octopoden Argo- nauta übernommen. Während 6 Arme m Bau und Leistung dem allgemeinen Typus folgen, hat ein Paar eine flächenhafte Ver- breiterung erfahren und dient zum Halten der sekundären Schale, in der der Körper des Tieres ruht. Es wird behauptet, daß auch die Abscheidnng der Schale diesem Arm paar zufällt. — Die Schale ist ursprüng- lich ein Schutzorgan für den Körper der Weichtiere und bleibt im allgemeinen dieser Funktion treu. Sekundär kann sie daneben noch andere Aufgaben übernehmen, als In- weicne ueuu zjiiiLii..vz>,v..^.. -. i meisten öcnneciveu uuu v.ti.t. ^^^j^.^,,.^^ des Tieres versclüießen. t5ei poden) und Schließmuskeln (Lamelli- )irorbisarten dient die Höhlung jjj.j^j^gj^jgj.^ dienen oder als hydrostatischer Is gleichzeitig als Brutraum f^r^ j.^^^ (Nautilus). Nur bei den Phola- !• 1 1 _i _;., „. . ^U1n + .T.i + nv VlITll.-tlflllS- diden hat ein ganz eklatanter Inmktions- 3c) Mollusken. Der Fuß der Mollus- ken ist zur Hauptsache eine Differenzierung des Hautmuskelschlauchs und steht stets im Dienst der Lokomotion. Während er aber primär zu einer breiten Kriechsohle abge- plattet ist und seine ursprünghche Funktion auch bei den Urmollusken und den meisten Schnecken beibehält, ist er bei den ma- rinen Heteropoden und Pteropoden zu umfano-reichen Flossen oder Rudern um- gestaltet, welche die Tiere in undnlierende Bewegung versetzen resp. flügelartig auf- und abbewegen und so geschickt durch das Wasser gleiten. Auch bei den Tinten- fischen' dient ein Teil des Fußes zum Schwimmen, ist hier aber m einen musku- Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV Wechsel stattgefunden. Bei Teredo na- valis L., dem Schiffsbohrwurm, ist die primäre Schale auf den vordersten Teil des Körpers beschränkt und bildet einen Raspel- apparat, mit dem das Tier in das Holz der Häfen und Schiffe eindringt. Die bohrenden Formen unter den Schnecken erzwingen sich ihren Weg auf ganz andere Weise, näm- lich mit Hilfe" eines freie Schwefelsäure ent- haltenden Sekrets (Doliuni, Natica). Da dieses in den Speicheldrüsen produziert wird, liegt auch hier Funktionswechsel vor. -- Als letztes Beispiel für Funktionswechsel ijei Mollusken sei dann noch darauf hin- gewiesen, daß bei den Pnlmonaten die Mantelhöhle aus einem Schutzorgan für 28 434 FiinktionswechvSel bei Tieren die Kiemen selber zum respiratorischen j Apparat geworden ist (Lungenschnecken). 3d) Echinodeimen. Bei den Echino- 1 dermen dienen die Ambulakralanhänge den mannigfachsten Verrichtungen, der Ee-; spiration in Gestalt der Ambulakral- 1 kienien (Seeigel usw.), der Lokomotion als Ambulakralfüßchen (allgemein mit Aus- j nähme der C r i n o i d e e n und 0 p h i u r o i d e e n), [ dem Nahrungserwerb als Tentakeln (H o lo- thur ien und Crinoideen) und dem Ge- ruch als die unpaaren Fühler am Ende der | Ambulakren (Seesterne, Seeigel und [ Schlangensterne). Oft finden sich auch mehrere der genannten Funktionen an einen Ambulakralanhanggebundeu, und die meisten dürften außerdem als Tastwerkzeuge fun- gieren. Da indessen die Entstehungsge- schichte des Ambulakralgefäßsystems noch ebensowenig klargestellt ist, wie die Phylo- genie des ganzen Echinodermenstammes, läßt sich zurzeit nicht entscheiden, wieweit i Funktionswechsel hier gestaltend eingegriffen { hat. Dagegen sind bei den Stachelhäutern einige recht klare, das Skelett betreffende Fälle von Funktionswechsel bekannt ge- worden. Der Hautpanzer der Echino- 1 dermen dient ursprünglich als Körper- schutz. Bei den meisten Seeigeln treten nun einige Skelettplatten in der Umgebung des Mundes in Beziehung zum Darmkanal. Sie wandeln sich in spitze, von Schmelz- substanz überzogene Zähne um und bilden in ihrer Gesamtheit den als ,, Laterne des Aristoteles" bekannten Kauapparat. — Bei den Seeigeln, Seesternen, und Schlangensternen wird der durch die Skelettplatten angebahnte Körperschutz durch mannigfach gestaltete Stacheln ver- stärkt. Einige dieser Stacheln sind aber auf dem Wege des Funktionswechsels zu eigen- tümlichen, zangenartigen Organen, den Pedi- cellarien, geworden, denen die Reinhaltung des Körpers zuzufallen scheint. Andere haben sphäroidische Gestalt angenommen (Sphaeroidien), ein Wimperkleid erhalten und dienen als Sinnesorgane, wahrschein- lich dem statischen Sinn. 36) Tunicaten. Als Beispiel für Funk- tionswechsel bei Tunicaten sei auf die Um- wandlung des Vorderdarmes in eine Kieme hingewiesen. Der Sauerstoff wird durch die Kiemenwandung dem vom Mund aufge- nommenen Wasser entnommen, das durch seitliche Spalten in der Darmwand nach außen abfließt, während die Nahrung von einem Flimmerband erfaßt und dem Oeso- phagus zugeleitet wird. Sf) Arthropoden. Die Arthropoden, als die vielgestaltigste und formenreichste Metazoenklasse bietet auch die weitaus meisten und bekanntesten Beispiele für Funktionswechsel, der sich auf alle Organ- kategorien des Körpers erstreckt, vorzüghch aber die Extremitäten betrifft. Aus der Fülle des Materials kann hier nur auf die interessantesten Beispiele aufmerksam ge- macht werden, a) Kiemen und Tracheen sind ur- sprünglich Respirationsorgane, und zwar atmen die wasserbewohnenden Formen im allgemeinen durch Kiemen, die landlebenden durch Tracheen. Ln allgemeinen behalten nun die sekundär das Wohnelement ver- tauschenden Formen die Atmungsorgane der Vorfahren bei. Nur bei Birgus latro Hbst., dem Kokosnußräuber, einem zum Land- leben übergegangenen Krebs, sind die Kiemen fast ganz geschwunden, und die Kiemenhöhle ist in eine Art Lunge ver- wandelt, deren Wandung von einem respira- torischen Gefäßnetz überzogen ist (vgl. die Atemhöhle der Lungenschnecken). Anderer- seits haben sich bei manchen wasserlebenden ! Lisektenlarven (Libellen und Eintags- jfliegen, Netzflügler, einige Schmetter- linge und Fliegen und unter den Käfern die Gyriniden) die Stigmen geschlossen, und die Sauerstoffaufnahme erfolgt durch 1 blatt- oder fadenförmige, von Tracheenver- ästelungen durchsetzte Körperanhänge, also i kiemenähnliche Bildungen, die ihrer Doppel- jnatur entsprechend die Bezeichnung Tra- cheenkiemen führen. Zuweilen werden Teile des Tracheensystems der Respiration i ganz entfremdet. So bilden sich bei guten Fliegern (Hymenopteren, Dipteren) im Hinterleib weite Luftsäcke heraus, die funk- I tionell mit den gleichnamigen Apparaten der Vögel übereinstimmen. Der Mückenlarve Corethra plumicornis Fabr. ermöghchen 4 derartige Tracheenblasen das horizontale Schweben im Wasser. Auch sei darauf hin- gewiesen, daß bei den Tympanalorganen der I Heuschrecken eine Tracheenblase als Re- sonanzapparat wirkt. /?) Dem Fett kör per fällt die Speicherung der Reservestoffe und die Verpackung der Organe zu. Sekundär sind aus ihm die Leuchtorgane der Lampyriden und des Cucujo (Pyrophorus noctilucus L.) hervorgegangen. Das Leuchtgewebe unter- scheidet sicli von dem benachbarten corpus adiposum histologisch ziemlich wenig, wenn man von seinem Reichtum an Harnsäure und den zahlreichen Tracheenverästelungen absieht. y) Der Darmtraktus als Ganzes genom- men bleibt seiner Aufgabe als Verdauungs- organ immer erhalten und geht nur in seinen Teilen zuweilen zu einer anderen Funktion über. So birgt der Mastdarm die Tracheenkiemen der Aeschna- und Libellulalarven und das Atemwasser, für dessen regelmäßige Erneuerung er durch pumpende Bewegungen sorgt. Bei D y t i s c u s Funktionswechscl bei Tieren 435 soll der blinddarmförmige Anhang des Rek- tums nach Run gl US der Larve die mit den Häutungen verbundene auffallende Größen- zunahme ermöglichen. Das Organ dringt nachweislich bei der Häutung bis in den Kopf des Tieres vor und scheint mit seinem flüssigen Inhalt die junge Körperhaut auf- zupumpen. d) Die Flügel der Insekten sind in beiden Paaren ursprünglich Flugorgane und häutig. Erst sekundär ist bei den Käfern das erste Paar zu den derben Deckflügeln oder Elytren erstarrt, die, zum Fluge mehr oder weniger untaughch, den Schutz der Hinterflügel und des Abdomens übernehmen. In extremen Fällen (viele Laufkäfer) verwachsen die Ely- tren in der Mittelnaht und dienen nunmehr ausschließlich als fester Rückenpanzer für den Hinterleib. Solche Käfer haben infolge gleich- zeitiger Reduktion der Alae das Flugver- mögen ganz eingebüßt. — Bei den Fliegen sind die Hinterflügel zu den sogenannten Schwingkölbchen oder Halteren umgebildet, kleinen klöppeiförmigen und nervenreichen Gebilden, welche direkt nicht mehr zum Fluge beitragen, aber für die Erhaltung des Gleichgewichts von hervorragender Wichtig- keit sind. e) Die Extremitäten sind paarige, ge- gliederte Anhänge der ventralen Körper- seite und ursprünghch Lokomotions Or- gane. Da primär jedem Körpersegment ein Extremitätenpaar zukommt, bilden sie nach dem einleitend Bemerkten außerordent- lich günstige Angriffspunkte für Funktions- wechsel und haben sich dementsprechend sehr mannigfachen Aufgaben angepaßt. Sie bieten auch die bekanntesten Beispiele, wie an einem Organ dem ersten Funktionswechsel ein zweiter und diesem unter Umständen ein dritter folgen kann. 0 n 1 0 g e n e t i s c h e r Funktionswechsel läßtsich gelegentlich der Metamorphose vieler Crustaceen verfolgen. So schlüpft der Nauplius bei Branchipus mit 3 Paaren typischer Lokomotionsextremitäten aus dem Ei. Im Laufe der Entwickelung wandeln sich aber das 1. und 2. Paar in Sinnesorgane (1. und 2. Antennen), das 3. Paar in Mund- werkzeuge (Mandibeln) um. Aehnlich liegen die Verhältnisse bei den meisten übrigen Crustaceen, auch bei den Gliedmaßen der Zoea findet ontogenetischer Funktions- wechsel statt. Phylogenetischer Funktionswechsel hat in Jeder Arthropodenklasse stattgefunden und geht in der Regel so weit, daß weniger als die Hälfte der vorhandenen Extremitäten (Ausnahme Myriapoden), und zwar für] gewöhnhch die GUedmaßen der mittleren | Körperpartien (Thorax), der Lokomotion j erhalten bleiben, und hier bald der Schwimm- bewegung (die meisten niederen Crustaceen ' und sekundär einige Milben, Käfer und Wanzen), bald als Gang-, Lauf-, Sprung- und Grabbeine (Maulwurfsgrille) dienen. Durch- weg treten 2 oder mehr Extremitätenpaare in Beziehungen zum Nahrungserwerb und können dabei entweder als typische Mund- werkzeuge (Mandibeln und Maxillen am Kopfe) oder als Hilfsapparate (pedes ma- xillares der Crustaceen, Rankenfüße der Cirripedien, Scheren der Krebse, Raub- füße der Chilopoden und der Gottes- anbeterin, Mantis religiosa) ausgebildet sein. Die Art der Nahrungsaufnahme (Kauen, Lecken, Saugen, Stechen) beeinflußt den Bau der Organe in hohem Grade, und das Studium der Mundwerkzeuge der Arthro- poden, besonders der Insekten, gehört zu den interessantesten Kapiteln der ver- gleichenden Anatomie. Das nähere Ein- dringen in diese kompHzierten Verhältnisse und die zahlreichen, mit den Umwandlungs- prozessen verbundenen Beispiele für sekun- dären Funktionswechsel wird durch eine umfangreiche SpeziaUiteratur erleichtert. Die vor den Mundwerkzeugen gelegenen Gliedmaßen des Kopfes sind fast stets zu typischen Sinnesorganen umgestaltet (Aus- nahme einige Crustaceen) und dienen als Fühler oder Antennen dem Tastsinn, Geruch und Gehör. Selten erfahren die Fühler einen zweiten Funktions Wechsel. Bei Onycho- cerus albitarsis, einem südamerikani- schen Bockkäfer, ist die Fühlerspitze in eine scharfe Waffe umgewandelt und soll die Mündung einer Giftdrüse tragen. In der Nordsee lebt eine Krabbe, Cor'ystes cassi- vellaunus Leach., welche sich tief in den Sand einbohrt und dann die Fühler zu einer Röhre aneinanderlegt, in der das Atemwasser herbeifheßt. Bei den Cirripedien ist die 1. Antenne saugnapfförmig geworden und fixiert die jungen Tiere mit dem Sekret ihrer Zementdrüse zur dauernden sessilen Lebens- weise. Bei den Monstrilliden wachsen die 2. Fühler zu tentakelartigen Anhängen aus und entnehmen, vergleichbar den Wurzel- ausläufern der Rhizocephalen dem Wirts- tier die Nahrung. Bei den Crustaceen tritt sehr häufig ein Teil der Extremitäten in Beziehung zur Respiration und trägt einen besonderen Kiemenanhang (Epipodit). Bei den Asellota wandeln sich die ganzen Abdominalbeine in Kiemen um, deren Schutz das dach- förmige erste und letzte Beinpaar übernehmen. Die Außenäste der so metamorphosierten Beine können bei Landlebern ein System tracheenartiger, lateral mündender Räume enthalten, die der Luftatmung dienen. Auch die Tracheenkiemen einer Insektenlarve (Sialis) lassen sich direkt auf Extremitäten zurückführen. In vielen Fällen treten ein oder mehr 28* 436 Fimktions Wechsel bei Tieren Extremitätenpaare in Beziehnngen zum Ge- schlechtsleben und dienen zum Ergreifen und Festhalten der Weibchen (viele Crustaceen und einige Insekten, besonders wasser- bewohnende Formen), zum Uebertragen des Sperma (Crustaceen, Myriopoden, Ri- cinulei. Spinnen) oder auch zum Tragen der Eier (Decapoden, vgl. den Artikel „Brutpflege"). Die Kämme der Skorpione, metamorphosierte Abilnmiiialextremitäten, fungieren als geschlechtliche Spürorgane. Bei den Spinnen sind die restierenden Gliedmaßen des Hinterleibs der Sitz der Spinndrüsen, deren Sekret sie mit den letzten Thorakalbeinen verarbeiten. 3g) Wirbeltiere. Bei den Wirbel- tieren bieten Integument, Skelett, Darm, Rgspirationsorgane, Urogenitalsystem und Extremitäten die Angriffspunkte für Funk- tionswechsel, während Nervensystem, Sinnes- organe, Fettgewebe, Blutgefäßsystem und auch Muskulatur von ihm verschont werden, wenn man von der Entstehung der elektri- schen Organe aus kontraktilem Gewebe ab- sieht. a) Integument. Das Integument bildet ursprünglich eine Schutzdecke des Körpers gegen schädigende Einflüsse von außen her, und diese Bedeutung behalten primär auch seine Bildungen wie Schuppen, Haare und Federn bei. Sekundär werden die Federn der Vögel, vorzüglich die Schwung- und Steuer- federn, zu Hilfsorganen für den Flug, die Haare der Säuger bilden sich in den Stacheln des Igels, Stachelschweins und Ameisen- igels zu Verteidigungsorganen um, und die Schuppen der Reptilien erlangen in den Nägeln, Krallen und Hufen den Wert von Angriffs- und Abwehrmitteln. Die Schuppen der Fische führen zu den Zähnen der Mund- höhle, und diese können wiederum sekundär die Beziehungen zum Nahrungserwerb auf- geben und sich in den Hauern und Stoß- zähnen zu Waffen umbilden (Elefant, Nar- wal, Moschustier, Hirscheber, Warzen- schwein , D u j o n g m ä n n c h e n u. a.). Bei einigen Fledermäusen bleibt das bei den meisten schon intrauterin rückgebildete Milchgebiß zum Anklammern der Jungen an die Zitzen der umherflatternden Mutter er- halten. — Kurz sei auch auf die Um- bildung von Hautsäumen zu flossenähnlichen Bildungen, zu Reizorganen bei Liel)ess])ielen (Rückenkamm der männlichen IMolche), zu angelartigen Anlockungsorganen für die Beute (Lophius piscatorius L., Seeteufel) hingewiesen und auf die zur Milchproduktion übergegangenen Talgdrüsen. Auch die Leuchtorgane der Fische lassen sich auf Hautdrüsen zurückführen. ß) Skelett. Das Skelett hat als Körper- stütze zu dienen und Ansatzpunkte für die Muskulatur zu bieten. So stützen dieVisceral- bögen bei den niederen Wirbeltieren die Kie- men. Beim Uebergang zum Landleben wurden die Kiemenbögen der respiratorischen Funk- tion entzogen und erfuhren einen Funktions- wechsel. Der hintere Abschnitt des Visceral- skeletts lieferte das Zungenbein und wurde zum Aufbau des Kehlkopfes, der Epiglottis und des Gehörgangs verwandt, der vordere Abschnitt baute vornehmhch den Gesichts- schädel auf. Der Zungenbeinbogen (Hyo- mandibulare) und die 2 Gelenkstücke des Kieferbogens (Quadratum und Articulare) traten in Beziehungen zum Gehörorgan und gaben als schalleitender Apparat ganz ihre ursprünghche Bedeutung als Stützorgan auf. Das Quadratum lieferte den Amboß, das Arti- culare den Hammer, während das Hyo- mandibulare das 3. Gehörknöchelchen, die Columella oder den Steigbügel aus sich her- vorgehen ließ. 7)Respirationsorgane.Bei allenWirbel- tieren bildet sich ein Teil des Darmtraktus in die Respirationsorgane um. Bei den Fischen und Amphibien resp. Amphibienlarven wird der Pharynx zum Kiemendarm (vgl. den Arti- kel ,,Tunicata"), und die Lunge der höheren Vertebraten läßt sich indirekt auf die Schwimmblase der Fische und diese ihrerseits auf Kiementaschen zurückführen (vgl. den Artikel ,,Respir ationsorgane"). Ur- sprünglich (Fische) dient die Schwimmblase i ausschheßlich als hydrostatischer Apparat, {erhält bei den Lungenfischen (Dipnoer) I zum Zwecke des Gasaustausches einen Aus- bau ihres Gefäßnetzes und arbeitet zeit- weilig als Lunge, um bei allen höheren Formen ausschheßlich der Respiration ob- zuliegen (wiederholter Funktionswechsel). i Dem Uebergang an das Land und der Aus- I bildung der Lungenatmung geht die Re- duktion der Kiemen parallel, ein Prozeß, der ' sich ontogenetisch bei der Metamorphose der 1 Amphibien noch verfolgen läßt. — Mit den Kiemen schwinden bei den Luftatmern auch die Kiemenspalten, soweit sie nicht anderweitig Verwendung finden (Pauken- höhle + Eustachische Röhre homolog dem Spritzloch der Haie, homolog einer Kiemen- spalte). ö) Urogenitalsystem. Wie bei den Anneliden so treten auch bei den W^irbel- tieren die Niereiikanäle sekundär in den Dienst der Geschlechtsorgane. Im männ- lichen Geschlecht leitet der Ausführungs- gang der Urnieren (Mesonephros), der Wolffsche Gang, in der Regel nur im Em- bryonalleben den Harn, später den Samen ab. Im weibhchen Geschlecht übernimmt der Ausführungsgang der Vorniere, der Müll er- sehe Gang, den Transport der Genitalpro- dukte. Er mündet mit weiter Oeffnung (Ostium tubae) in die Leibeshöhle und Funktions Wechsel bei Tieren 437 nimmt die durch Platzen der Follikel in Kletter- und Grabfuß hervor. Das Gangbein diese hineingeratenen Eier auf. wiederum bildete sich durch rückläufigen e) Extremitäten. Die Extremitäten Funktionswechsel zum Scliwinnnbein der der Wirbeltiere behalten im Gegensatz wasserlebendenAmphibien(vgl.Fig.2,b), Rep- zu denen der Arthropoden ihre ur- sprüngliche Funktion als Lokomotions- organe mit wenigen Ausnahmen bei (Greif- hand des Menschen, das Känguruh, zu Begattungsorganen umgestaltete Bauch- flossen der Selachier und Hinterbeine der Riesenschlange Python (vgl. den Artikel ,, Organe des tierischen Körpers", S. 337). Während sie aber primär ausschließ- lich zur Fortbewegung im Wasser dienen, Fig. 1. Hai. a Vorder-, b Hinterextremität. haben sie sich im Laufe der Phylogenie des Vertebratenstammes auch der Lokomotion am Lande und in der Luft angepaßt und dabei höchst diffe- rente Formen angenommen. Aus der Flosse der Fische (vgl. Fig. 1, a u. b) ging der Kriech- fuß der Amphi- bien (vgl. Fig. 2, a) und Rep- tilien, das Gang- bein der Säuger und Vögel (Fig. 3,b) mit seinen mannigfachen Variationen als Lauf-, Spring-, :. 2. Frosch. b Hinterextremität. tilien, Vögel und Säuger und durch fort- schreitenden Funktionswechsel zum Flügel der Flugsaurier (Pterosaurier), Flugbeut- 1er, Fledermäuse und Vögel (vgl. Fig. S^a) um. Es sei daran erinnert, daß sich bei einigen Fischen (Exocoetus, Dactylopterus) die Flosse direkt in ein Flugorgan umbildet. Die Flugflossen sollen sogar beim Schwimmen fest an den Leib gelegt werden und im Wasser keine Verwendung mehr finden. In allen diesen Fällen zeigt sich vornehmlich die Vorderextremität von den im einzelnen hier nicht wiederzugebenden Umwandlungen ge- troffen. In sehr seltenen Fällen (Pinguine) kann der Flügel der Vögel wieder zu einem flossenartigen Organ werden und als Ruder im Wasser dienen. Hier liegt demnach ein vierfacher und rückläufiger Funktions- wechsel vor, da wir uns das Ruder aus einem Flügel, diesen aus einem Gangbein und das Gangbein wiederum aus einem Ruder (Fisch- flosse) entstanden denken müssen. Taube. a Vorder-, b Hinterextremität. Nach Lull. 438 Funktionsweclisel bei Tieren Literatur. Clans-fJrobben, Lehrbuch der Zoo- logie. Marburg 1910. — A. Dohrn, Der Ur- xprung der Wirbeltiere und das Prinzip des Funktionswechsels. Leipzig 1875. — €. Gegeii- baur, Vergleichende Anatomie der Wirbeltiere mit ßerücksichtigung der Wirbellosen. 2 Bde Leipzig 1898 bis 1901. — O. Hertwig, Allge- mriiir liiolngie. Jena 1912. — lt. Hertwig. Lrhrbiirh %nuar 1642 in Arcetri. Er war der Sohn eines hochgebildeten, aber wenig bemittelten Musikers. In Florenz, wohin die Familie bald nach Galileis Geburt übersiedelte, besuchte der Knabe die lateinische Schule. Seine außer- gewöhnliche Begabung bestimmte die Eltern, ihm das Studium zu ermöglichen, und mit 17 Jahren bezog er die Universität Pisa, um Medizin zu studieren, doch wandte sich sein Interesse vorwiegend der Philosophie und bald auch der Mathematik zu. 1583 bereits machte er Pendelbeobachtungen im Dom zu Pisa an den lang aufgehängten Kronleuchtern, und war bald imstande, die Theorie von den Schwer- 440 Galilei — Gallen punkten der festen Körper selbständig zu er- gänzen. 1589 erhielt er eine Anstellung als Dozent für Mathematik in Pisa. Nunmehr wandte Galilei sich öffentlich gegen die Aristote- lische Physik und widerlegte deren Lehre vom freien Fall der Körper durch Fallversuche am schiefen Turm zu Pisa 1590. Sein Auftreten gegen die damals allgemein gültige Aristote- lische Weltanschauung machte ihm Feinde, und als er noch eine Baggermasclüne des Sohnes des Großherzogs von Toskana ungünstig be- ; urteilte, hatte er vollends verspielt und mußte Pisa verlassen. Sein Gönner, der Marquis del Monte, verschaffte ihm eine Professur in Padua, die er 1592 antrat. In geordneten Verhältnissen folgte hier eine Periode fruchtbaren Arbeitens, und es waren vor allem mechanische Probleme, die den Forscher beschäftigten. Er machte 1596 Beobachtungen über den Fall auf schiefer Ebene, stellte 1600 fest, daß die Wurflinie eine Parabel ist und gab 1604 die endgültige Form I des Pendelgesetzes; auch die Konstruktion des ^ Proportionalzirkels fällt in diese Zeit. Als im ^- gleichen Jahr ein neuer Stern im Schlangen- ^^ ■ treter erschien und nur 1^ Monate sichtbar ^- war, benutzte er diesen Umstand zu einem ^"^ Angriff auf Aristoteles' Satz von der Unver- /^i(^5^ änderlichkeit des Himmels, tß-tö konstruierte er nach dem Muster der Holländer ein Fern- rohr (das ,,GaIileische Fernrohr"), mit dem er statt der bisherigen fünffachen eine dreißig- fache Vergrößerung erreichte, und verwandte ^:_^^ es sogleich zu astronomischen Beobachtungen; ^~~\ es zeigte ihm die gebirgige Oberfläche des Mondes, \ ^(die Sonnenflecken, löste die Milchstraße in ein- ^ zelne Sternhaufen auf, ließ ihn das ruhige ^ Planetenlicht von dem flimmernden der Fix- ^v ^; Sterne unterscheiden ; die wichtigste Entdeckung ^ ^1 jedoch war die der Jupitermonde. Bereits ^ 10 Monate nach der Konstruktion des Fern- 'c rohrs veröffentlichte Galilei diese Entdeckungen ^ alle in dem Werk ,, Nuntius sidereus", 1610. i ^\ Im gleichen Jahr folgte Galilei einer Berufung V^ nach Florenz trotz der Warnung seiner Freunde, l| weil er dort, von allen Verpflichtungen des ^• Lehrens entbunden, ein ruhiges Arbeiten er- c;, hoffte. Seine Schrift hatte ungeheures Auf- "X, ,-| sehen erregt; er ging selbst 1611 nach Rom, ^ Y um seine Entdeckungen zu demonstrieren und ^ ^fand dort Anhänger für seine Lehre, aber auch ^ \ erbitterte Gegner, die ihm besonders aus den Smv '--^^ Kreisen der Geistlichkeit erwuchsen. 1616 ^ -ojiwurden von der Kongregation des Index alle ^ ' Bücher zur Verteidigung des Kopernikanischen ^<-_ Weltsystems verboten, und Galilei, der sich ^ seit Jahren offen zu dieser Lehre bekannte, '-. verwarnt. Er unterwarf sich und verhielt sich ruhig bis zum Jahre 1623. Damals bestieg sein Gönner Kardinal Barberini als Urban VIII. den päpstlichen Stuhl; Galilei ging nach Rom und trat, durch die freundliche Aufnahme dort ermutigt, bald mit einer neuen Schrift für die neue Lehre ein. Da gelang es seinen Feinden, den Papst glauben zu machen, dieses Werk enthalte eine Verhöhnung seiner Person. Auf Grund eines wahrscheinlich gefälschten Dokumentes wurde Galilei vor die Inquisition gefordert und nach mehrfachen Verhören am 22. Juni i#§§' gezwungen, die neue Lehre ab- zuschwören und alle Irrtümer und Ketzereien zu verfluchen. Die Worte ,,eppur si muo've" — und sie bewegt sich doch — die er unmittelbar nach Ablegung des Schwures gesprochen haben soll, gehören der Legende an. Einer kurzen Gefangenschaft folgte eine längere Absperrung in der Villa 3Iedici, später in Siena. Gegen Ende des Jahres wurde ihm gestattet, in sein Landhaus in Arcetri bei Florenz zurückzu- kehren, doch stand er bis zu seinem Tode unter Aufsicht der Inquisition. Ueber seine Erlebnisse bei dem Inciuisitionsverfahren war ihm Still- schweigen auferlegt worden. Seine letzten Lebensjahre waren getrübt durch ein Augen- leiden, das 1640 zu völliger Erblindung führte. Da clie Beschäftigung mit astronomischen Problemen ihm abgeschnitten war, wandte er sich der Verarbeitung seiner mechanischen Entdeckungen zu. 1634 erschien seine Mechanik in Mersennes' französischer Uebersetzung, 1638 die Discorsi e demonstrazioni. Die Ivirche verfolgte ihn noch über den Tod liinaus; sein Grab durfte nicht mit einem Denkmal versehen werden und erst 1737 wurden seine Gebeine in der Ivirche Santa Croce in Florenz beigesetzt. Literatur. Biographien von : Vivianif 1654. — Nein, Zavsan7ie 1793. — Jagemann, Weimar 1783. — Venturi, Modena 1818 bis 1821. — Chasles, Paris IS64. — Martin, Paris 1868. — von Gebier, Stuttgart 1876. — Favaro, Florenz 1882. E. Drude. Gallen. 1. Begriffsbestimmung. 2. Die gallener- zeugenden Tiere und Pflanzen, a) Die Cecido- zoen. b) Die Cecidophyten. 3. Die gallentragenden Pflanzen. 4. Die Stellung der Gallen an der Wirtspflanze. 5. Morphologie der Gallen, a) Or- ganoide Gallen, b) Histioide Gallen. 6. Anatomie der Gallen. 7. Chemie der Gallen. 8. Aetiologie der (iallen. 9. Bif)logie der Gallen. 10. Thylacien. I. Begriffsbestimmung. Als Gallen oder Cecidien werden alle diejenigen durch einen fremden tierischen oder pflanzlichen Organismus veranlaßten Bildungsabwei- chungen der Pflanzen bezeichnet, welche eine Wachstumsreaktion der letzteren auf die von dem fremden Organismus ausgehenden Reize darstellen, und zu welchen die fremden Organismen in irgoiidwelclien ernährungs- physiologischen Beziehungen stehen. Pseu- docecidien nennt man diejenigen Bildungs- abweichungen der Pflanzen, welche durch fremde Organismen hervorgerufen werden, aber lediglieh durch Wachstums- oder Diffe- renzierungshemmung zustande kommen. Im allgemeinen bedeuten die Gallen einen beträehtliclKMi Stoffverlust für die gallen- produzicrentle Pflanze; ihre Entstehung und Ausbildung ist daher m'it einer größeren und geringeren Schädigung der Pflanzen verbunden, und die gallenerzeugenden fremden Organis- men spielen im allgemeinen unzweifelhaft die Rolle von Parasiten. Gallen, welche für Gallen 441 die gallenerzeugende Pflanze nützlich sind, bezeichnet man als Euceci dien. Procecidien werden z. B. von Libellen (Lestes viridis) au zahlreichen Wirtspflanzen erzeugt; es handelt sich bei ihnen um unschein- bare Gewebemicherungen, welche die Eier der Tiere umschließen, und welche von den jugend- lichen Larven sogleich nach dem Ausschlüpfen verlassen werden. Die gallenerzeugcnden Ticic unterhalten also höchstens während ihrer frühe- sten Entwickelungsphasen die von der oben gegebenen Definition geforderten Beziehungen zu der von ihnen erzeugten Gewebewucherung. Umgekehrt liegen Metacecidien vor, wenn ab- norme Wachstumserscheinungen an den von Parasiten heimgesuchten Pflanzenteilen erst dann sichtbar werden , wenn jene die Wirtspflanze bereits verlassen haben. Die Lehre von den Gallen (Cecidologie) strebt zunächst Kenntnis der verschiedenen Gallenformen und der zu ihnen gehörigen Gallenerzeuger an (spezielle Cecidologie) und hat feiner mit Entwickelungsgeschichte und Morphologie, mit Zellen- und ( icwebcbau, mit der physikalischen und chejnischen Physiologie der Gallen, mit ihrer Aetiologie, ihrer Biologie, ihrer geographischen Ver- breitung und ihrem Auftreten an fossilen Pflanzenresten bekannt zu machen (all- gemeine Cecidologie). Als Begründer der wissenschaftlichen Gallenlehre ist Marcello Malpighi (Anatome plantarum, London 1675—1679) zu nennen. Die Kenntnis der Gallen ist sehr viel älter; bereits Hippo- crates, Theophrast, Plinius und an- dere schenken ihnen namentlich aus phar- makognostischem Interesse ihre Aufmerksam- keit und erwähnen in ihren Schriften nament- lich verschiedene Sorten von Eichengallen. 2. Die gallenerzeugenden Tiere und Pflanzen. Als Erzeuger von Gallen oder Cecidien kommen Tiere und Pflanzen in Be- tracht. Tiere, welche zur Gallenerzeugung befähigt sind, nennen wir Cecidozoen, die von ihnen erzengten Gallen Zoo ceci- dien; gallenerzeugende pflanzliche Para- siten heißen Cecidophyten, ihre Produkte Phyto cecidien. — Die Zoocecidien sind hinsichtlich der äußeren Gliederung und ihrer Gewebedifferenzierung sehr viel komplizierter und mannigfaltiger als die Phytocecidien. 2a) Die Cecidozoen. Die gallener- zeugenden Tiere gehören sämtlich zu den Würmern und den Arthropoden. Gallenerzeugende Würmer. Als Vertreter der Rädertiere kommt ausschließ- lich Notommata Werneckii in Betracht; das Tier erzeugt unregelmäßig gestaltete, unseptierte Gallen an den Fäden zahlreicher Vaucheria- Arten. Gallenerzeugende Nematoden. Weit verbreitet sind gallenerzeugende Ne- matoden (Tylenchus, Heterodera), welche an Sprossen und namentlich an Wurzeln (H. radicicola) sehr zahlreicher Wirtspflanzen ihre Gallen erzeugen. Gallenerzeugende Arthropoden. Die gallenerzeugenden Arthropoden gehören fast ausschließlich den Reihen der Acarinen und der Insekten an. Crustaceen (Kopepoden) sind bisher nur an einigen wenigen Meeres- algen als Gallenerzeuger gefunden worden. Von den Acarinen sind die Gallmilben (Eriophyidae, Phyto ptidae) die weit- aus wichtigsten. Fast sämtliche Gallener- zeuger unter ihnen gehören zu den Gattungen Eriophyes und Phyllocoptes. Für Europa und die außereuropäischen Mittelmeer- länder werden ungefähr 200 Eriophyes- Arten als Gallenerzeuger angegeben. Die Gall- milben erzeugen im Laufe einer Vegetations- periode mehrere Generationen im Innerji ihrer Galle. Sie überwintern auf der Wirts- pflanze. Die Milben erzeugen an ihren Wirten die verschiedensten histioiden und organoiden GaUen. Weitaus die mannigfaltigsten Gallen ent- stehen nach Infektion durch Insekten. Fast aus allen Hauptgrnppen der Insekten können gallenerzeugende Arten namhaft ge- macht werden. Gering ist die Beteiligung der Neuroptera und Orthoptera (Procecidien [s. o.] durch Lestes; Ivnospengallen an t^) u e r c u s durch Meconema varium); meist wenig auffällig sind die Gallen der Thysanoptera (Thrips, Phy- sopus und andere); sehr formenreiche Produkte liefern die R h y n c h o t a , D i p t e r a , L e p i - d 0 p t e r a , H y m e n o p t e r a und C o 1 e o p t e r a. Von den Untergruppen der Rhynchota sind die Blattläuse oder Aphidae als tiallenerzeuger die wichtigsten. Sie erzeugen an Blättern unn Sprossen blasen- oder beutelartige Auftreibungen (Pemphigus-Arten an Populus, Colopha compressa und Tetraneura ulmi an Ulmus) oder BlattrandroUungen (Pemphigus semilu- narius und andere an Pistacia), tannenzapfen- ähnliche Gallen an Coniferen (Adelges-Arten), sowie komplizierte Deformationen in der Blüten- region des Wirtes (Siphocoryne xylostei an Lonicera). Als gefährlicher Schädling des Reb- stockes ist Phylloxera vastatrix bekannt, welche an den Wurzeln und den Blättern von Vitis Gallen hervorruft. — Die Aphiden erleben in einem Jahre einen Zyklus von mehreren Gene- rationen, die entweder auf der nämlichen Wirts- pflanze (Adelges abietis auf Abies excelsa) oder auf zwei verschiedenen Wirten leben (migrierende Aphiden: A. viridis auf Abies und Larix). Die Coccidae oder Schildläuse spielen in Europa als Gallenerzeuger eine sehr geringe Rolle (Diaspis visci auf Viscum und einige an- dere) ; um so zahlreicher und auffallender sind ihre Produkte im australischen Florengebiet (Bra c hy- scelis und andere). Ihre bevorzugte W^irts- pflanze ist Eucalyptus. Von mehreren gallen- erzeugenden Cocciden ist bekannt, daß die Cecidien der ^ und $ in Größe und Form deutlich voneinander unterschieden sind. 442 GaUen Von den Psyllidae oder Blattflöhen ist Livia juncorum (auf Juncus) als Cecido- zoon weit verbreitet. Aus der Reihe der Jassidae ist Tettigonia viridis als Erzeugerin von Procecidien, von den Tricephoridae Ptyelus spumarius als Er- zeuger unscheinbarer Deformationen verschieden- artiger Wirtspflanzen zu nennen. Aus der Reihe der Diptera reki-utiert sich eine sehr stattliche Zahl europäischer Cecidozoen; besonders wichtig ist die Familie der Gallmücken oder Cecidomy idae, welche zahlreiche Beutel- gallen, Randrollungen, fleischige oder holzige Schwellungen an Achsen und Blättern, Sproß- spitzendeformationen, selten aber Gallen in Form selbständiger Anhängsel (Mikiola fagi) erzeugen. Viele Cecidomyiden erscheinen im Laufe eines Jahres in mehreren Generationen, die auf der nämlichen Wirtsspecies ihre Entwicklung durch- machen und im allgemeinen gleichartige Gallen auf ihr erzeugen. • — Als besonders formenreiche Cecidozoengattungen sind Contarinia, Oligo- trophus, Perrisia, Rhabdophaga und Rho- palomyia anzuführen. Die Eumyidae, zu welchen Anthomyia, Chlorops, Lipara und andere gehören, spielen als Gallenerzeuger eine erheblich geringere Rolle ; die zu ihnen gehörigen Cecidozoen sind minder zahlreich als die gallenerzeugenden Cecidomjdden, und ihre Produkte sind nicht so vielgestaltig wie die der letzteren. Aus der Reihe der Hymenoptera sind für den Cecidologen drei Familien, die Cynipidae, Parthenogenetische Generation. Andricus fecundator Hartig . A. radicis Fabr A. Sieboldi Hartig A. globuli Hartig A. collaris Hartig A. ostreus Giraud Cynips calicis Burgsd C. kollari Hartig Dryophanta folii L Dr. longiventris Hartig . . . . Dr. divisa Hartig Neuroterus lenticularis Gliv. N. laeviusculus Schenck . . . N. numismalis Oliv N. fumipennis Hartig Biorrhiza aptera Böse Trigonaspis renum Giraud . . Chilaspis nitida Giraud . . . . Tenthredinidae und Chalcididae, von größter Bedeutung. Was die C y n i p i d e n betrifft, so ist für die Be- urteilung dessen, was sie als Gallenerzeuger leisten, zunächst die Tatsache wichtig, daß bei sehr vielen Arten der Gattungen Andricus, Biorrhiza, Cynips, Dryophanta, Neuroterus usw. eine geschlechtliche und eine parthenogenetische (agame) Generation miteinander wechseln; die (ausschließlich $) Tiere der agamen Generation erzeugen im allgemeinen während des Spätsommers und Herbstes ihre Gallen, überwintern in diesen und verlassen sie im Frühjahr; die aus ihren im Frülijahr gelegten Eiern schlüpfenden Tiere ($ und (J) gehören der geschlechtlichen Genera- tion an. Beide Generationen leben zwar fast stets auf derselben Wirtspflanze — weitaus die meisten gallenerzeugenden C\Tiipiden sind an Quercus angepaßt — , erzeugen aber bemerkens- werterweise Gallen von total verschiedenem Aus- sehen. Bei zwei Cynipiden kombiniert sich der Generationswechsel mit Wirtswechsel: Cynips calicis und C. kollari leben auf Quercus pe- dunculata, — die mit ihnen durch Generations- wechsel verbundenen Andricus cerri und A. circulans auf Quercus cerris. Daß die üb- liche Nomenklatur die Angehörigen der partheno- genetischen und der geschlechtlichen Generation mit verschiedenen Namen bezeichnet, geht aus diesem Beispiel bereits hervor und ist auch bei der Durchsicht der nachstehenden Tabelle zu beachten, in welcher die Namen einiger weitver- breiteter europäischer Cynipiden zusammen- gestellt sind. Geschlechtliche Generation. . Andricus pilosus Adler A. trilineatus Hartig A. testaceipes Hartig A. inflator Hartig A. curvator Hartig A. furunculus Beyer A. cerri Beyer A. circulans Mayr Dryophanta Taschenbergi Schi. Dr. similis Adler Dr. verrucosa Schi. N. baccarum L. N. albipes Schenk N. vesicator Schi. N. tricolor Hartig Biorrhiza pallida Oliv. Trigonaspis megaptera Panzer Chilaspis Loewi Wachtl. Im allgemeinen beansprucht derEntwickelungs- zyklus der Cynipiden ein Jahr, bei manchen Arten noch längere Zeit. Verschiedene Andricus-Ai-ten pflanzen sich dauernd rein parthenogenetisch fort (A. semi- nationis, A. marginalis und andere); auch die auf Rosa lebenden Rhodites- Arten kommen fast nur in ^-Exemplaren vor. Die Gallen der Cynipiden stellen sehr mannig- faltig geformte Wucherungen an Wurzeln, Achsen, Blättern und Blüten der Wirtspflanzen dar und erscheinen meist in Gestalt selbständiger An- hängsel auf den infizierten Pflanzenorganen. Namentlich bei Behandlung der Anatomie der Gallen (Abschnitt 6) wird noch oft auf die Cyni- pidengallen zurückzukommen sein. Von den gallenerzeugenden Tenthrediniden sind Pontania und Cryptocampus die wich- tigsten Gattungen. Wo bei ihnen Generations- wechsel vorliegt, erzeugen beide Generationen auf dem nämlichen Wirt gleichartige Gallen. Von den Chalcididen sind die feigenbe- wohnenden Blastophaga- Arten wegen ihrer komplizierten biologischen Beziehungen zu ihren Wirten von Interesse (Caprif ikation). Die Lepidopteren erzeugen in Europa im allgemeinen wenig auffällige Gallen ; umfangreiche GaUen 443 Lepidopterengallen sind aus dem australischen Florengebiet bekannt. Auch die Coleopteren, von welchen nament- lich die Curculioniden zahlreiche Cecidozoen aufzuweisen haben, erzeugen meist unscheinbare Achsen- und Blütenschwellungen. Die systematische Zugehörigkeit der Cecido- zoen wird durch eine Reihe sehr biauchharer Termini zum Ausdruck gebracht: die (lalK'n der Wüi^mcr bezeichnet man als H e 1 m in th o c e c i < I i c n, die Gallen der Milben als Phytoptocecidien, die der Insekten als E n t o m o c e c i d i e n , ferner spricht man von Neuropterocecidien, ürtho- p t e r 0 c e c id i e n, Thysanopterocecidien, von Homoptero- Hemiptero- und Hetero- pterocecidien, umdie Produkteder Rh}aichoten zu kennzeichnen, sowie von Diptero-, Lepi- doptero-, Hymenoptero- und Coleoptero- cecidien. 2 b) D i e C e c i d 0 p li y t e n. Gallenerzeugende Arten finden sich in allen Hauptgruppen des Pflanzenreichs — bei den thallophy tischen Kryptogamen in relativ großer, unter den Phanerogamen in sehr spärlicher Zahl. Myxom yceten. Der bekannteste und wichtigste Gallenerzeuger unter den Myxo- myceten ist der Erreger der Kohlher nie (Plasmodiophora brassicae). Bakterien. Die Bakterien scheinen als Gallenerzeuger an sehr verschiedenen Wirts- pflanzen sich betätigen und zur Bildung um- fangreicher Gewebewucherungen ( c r o w n galls) führen zu können. Relativ gut er- forscht sind die Bakteriengallen an Olea e u r 0 p a e a , P i n u s h a 1 e p e n s i s und N e r i u m Oleander. Die von Bak- terien (R h i z 0 b i u m r a d i c i c o 1 a und Rh. B e y e r i n c k i i) erzeugten Knöllchen der Leguminosenwurzeln haben die Bedeu- tung von Eucecidien (s. oben). Knotenartige, von Bakterien hervorgerufene Schwellungen an Blattspreiten, die vielleicht auch als Eucecidien anzusprechen sind, treten an den Blättern tropischer Rubiaceen (P a v e 1 1 a lanceolata und anderen) und bei A r - d i s i a (Myrsinaceae) auf. Verschiedene Cyanophyceen (Nostoca- ceen) leben in Symbiose mit höheren Pflanzen; Anabaena cycadearum läßt an Cycadeen koralloid verzweigte, negativ geo- trop wachsende Wurzeln entstehen. Algen. Die Algen spielen als Cecido- phyten nur eine geringe Rolle. Phytophysa T r e u b i i lebt auf P i 1 e a , einer Ürti- cacee; die anderen gallencrzeugenden Algen treten auf Algen als Wirten auf. Pilze. Die Pilze sind die wichtigsten aller gallenerzeugenden Pflanzen: Die Zahl der Gallenerzeuger unter ihnen ist außerordenthch groß, und ihre Produkte sind überaus mannig- faltig; wir finden unter ihnen unscheinbare Schwellungen der infizierten Blätter, Achsen oder Wurzeln, umfangreiche, oft bizarr ge- staltete, fleischige Gewebewucherungen, Blütenvergrünungen, -füllungen usw., Hexen- besen, habituelle Deformationen ganzer Pflan- zen und anderes mehr. Unter den Phy- comyceten sind die Synchytriaceen und Peronosporaceen als Gallenerzeuger am wich- tigsten; die Vertreter der ersteren rufen an den Wirten kleine Pusteln hervor und machen ihren Entwickelungsgang in einer einzigen, enorm vergrößerten Zelle des Wirtes durch (Synchytrium taraxaci usw.), die letzteren erzeugen an ihren Wirten Schwellungen der vegetativen Organe oder weitgehende Deformationen der Blüten (z. B. Albugo Candida auf C a p s e 1 1 a bursa pastoris und anderen Cruci- feren). Chrysophlyctis endo- b i 0 t i c a , welche umfangreiche Wuche- rungen an Kartoffelknollen hervorruft, ge- hört zu den Olpidiaceen. — Von den Asco- m yceten kommen hier fast nur die Exo- ascaceen als Erzeuger vieler Sproß-, Blatt- und Fruchtgallen in Betracht (Exoascus c e r a s i: Hexenbesen an Prunus cerasus; Taphrina Tosquinetii: Auf- treibungen an Alnusblättern; E. pruni: ,, Narrentaschen" der Pflaumen usw.). Am vielseitigsten hinsichtlich ihrer Tätigkeit als Gallenerzeuger sind die Uredineen und Ustilagineen (Habitusänderungen von Euphorbia cyparissias und S e m p e r V i V u m durch U r o - myces pisi bezw. Endophyllum sem- pervivi, Achsenschwellungen an Juni- p e r u s durch G y m n o s p o r a n g i u m , Blattschwellungen durch Roestelia, zahl- reiche P u c c i n i a - Arten und andere, Hexen- besen, Blütengallen verschiedener Art usw.; besonders mannigfaltige Deformationen an Zea mays durch Ustilago maydis). Die wenigen gallenerzeugenden Basidiomyce- ten (Exobasidium-Arten) rufen an ihren Wirten meist umfangreiche, saftige Gewebe- wucherungen hervor (E. rhododendri an Rhododendron, E. lauri an Laurus canariensis usw.). Phanerogamen. Von den Phanerogamen kommen nur die L o r a n t h a c e e n in Betracht. V i s c u m a 1 b u m erzeugt spindel- und knotenartige Verdickungen an den Infektions- stellen, Phoradendron-Arten lassen die als ,, H 0 1 z r 0 s e n " bekannten napfartigen Wucherungen entstehen. Auch für die durch pflanzliche Parasiten hervorgerufenen Gallen sind einige Termini im Gebrauch, welche über die systematische Zugehörigkeit der gallenerzeugenden Para- siten Aufschluß geben. Man spricht von Bak- teri oceci dien, Phy CO ceci dien und My co- cecidien, um die durch Bakterien, Algen und Pilze erzeugten Gallen zu bezeichnen. 3. Die gallentragenden Pflanzen. Pflan- zen, welche nach Infektion durch bestimmte Cecidozoen oder Cecidophyten sich befähigt zeigen, Gallen zu produzieren (G alle nwirte), 444 Grallen sind aus allen Hauptgruppen des Pflanzen- reichs bekannt. Allerdings bleiben hierbei die Kryptogamen hinter den Phanerogamen insofern weit zurück, als an den Thallo- phyten, Bryophyten und Pteridophyten nur eine geringe Zahl meist unscheinbarer Cecidien auftritt, während viele phanerogamische Familien durch einen erstaunlichen Reichtum an hoch organisierten Gallen ausgezeichnet sind. Algen. Die Gallen der Algen werden durch Bakterien, Myxomyceten, parasitisch lebende Algen und Pilze, sowie durch Tiere, Aeichen, Rädertiere und Kopepoden, erzeugt. Auf Cystoseira ericoides ruft Ectocar- pus Valiantei relativ ansehnliche Wuche- rungen hervor, auf V a u c h e r i a das Rädertier N 0 1 0 m m a t a (s.oben). Gallenerzeugende Ne- matoden leben auf Ascophyllum, Furcel- laria und Chondrus; Kopepodengallen sind von Desmarestia und Rhodymenia her bekannt. Pilze. Bei Pilzen äußert sich der Einfluß der Parasiten im allgemeinen nur darin, daß abnorm gestaltete, aufgetriebene Hyphen- gallen sich entwickeln ( P 1 e o t r a c h e 1 u s f ulgens auf Pilobolus crystallinus und andere). An den fleischigen Fruchtkörpern verschiedener höherer Pilze können nach Infektion durch pilzfressende Insekten um- fangreiche Mycelwucherungen auftreten; ob diese zu den Gallen gerechnet werden sollen, mag dahin gestellt bleiben. Flechten. Flechten (z. B. Ramalina kullensis) werden durch Milben deformiert; auch Mycocecidien sind bereits an ihnen ge- funden worden. Cephalodien entstehen an Flechten dann, wenn fremde Algen irgendwo in den Thallus der Flechten eindringen und an diesem die Entstehung kleiner Warzen oder anders gestalteter Auswüchse veranlassen; es liegt nahe, auch die Cephalodien als Gallen (Phycocecidien) zu betrachten. Bryophyten. Unter den Bryophyten sind die Laubmoose relativ gallenreich; allerdings gehören ihre Gallen sämtlich zu demselben Typus : Aeichen (TylenchusDavainii, viel- leicht auch andere Arten) rufen an ihnen Triebspitzendeformationen mit dichtgedräng- ten, abnorm gestalteten Blättchen hervor. An Lebermoosen sind bisher nur sehr wenige, an Sphagnaceen keine Gallen gefunden worden. Pteridophyten. Die Untergruppen der Pteridophyten verhalten sicli hinsiclitlich ihrer Gallenproduktion sehr verschieden. Von den Lycopodineen sind nur Selaginella penta- gona und Psilotum triquetrum als Gallenwirte bekannt. An den Equisetineen sind bisher nur wenige unscheinbare Gallen gefunden worden. IJie Filicineen dagegen zeigen einen ähnlichen Reichtum an Gallen, der sie als Gallenwirte mit den Phanerogamen vergleichbar macht. Milben, Dipteren und Hymenopteren, Pilze und Algen treten an ihnen als Cecidozoen oder Cecidophyten auf. G y m n 0 s p e r m e n. x\n Gymnospermen sind I Arthropoden der verschiedensten iVrt ange- paßt: Milben, Dipteren, Lepidopteren, Cole- opteren und Rhynchoten; unter den letzteren ist die artenreiche coniferenbewohnende Gat- tung Adelges von besonderer Bedeutung. Auch viele gallenerzeugende Pilze suchen die Gymnospermen heim (A e c i d i u m e 1 a t i - num = Melampsorella caryophylla- cearum auf Abies pectinatä, Gymno- sporangium-Arten auf Juniperus und andere mehr). Bakteriengallen sind für Pinus halepensis, Phycocecidien für I Cycadeen (s. oben) bekannt. I Phanerogamen. Weitaus die meisten Cecidozoen sind auf den Phanerogamen hei- misch; die Gallen der letzteren übertreffen alle andern durch die Mannigfaltigkeit ihrer äußeren Gestaltung und inneren Struktur. Die Verteilung der Gallen über die ver- schiedenen Familien der Phanerogamen ist sehr ungleich. Die Dikotyledonen sind er- hebhch gallenreicher als die Monokotyle- donen. Nach H o u a r ds Verzeichnis der Zooce- cidien Europas und der außereuropäischen j Mittelmeerländer ergeben sich folgende Zah- : len für die gallenreichsten Dikotyledonen- familien: 1. Fagaceae (inkl. Qnercus). . . 901 Gallen 2. Compositae 664 ,, 3. Salicaceae 573 ,, 4. Rosaceae 500 ,, 5. Leguminosae 481 ,, 6. Cruciferae 256 ,, 7. Labiatae 217 ,, 8. Umbelliferae 181 9. Rubiaceae 162 ,, 10. Scrophulariaceae 139 ,, Der Gallenreichtum der Kompositen, Sali- caceen, Rosaceen, Leguminosen und anderer erklärt sich durch die große Zahl gallen- tragender Arten, welche zu jenen Familien gehören; bei den Fagaceen ist die Zahl der gallentragenden Wirtsarten beschränkt, aber an diese wenigen eine unerreicht große Zahl verschiedener Cecidozoen angepaßt. Unter den Monocotyledonen ist die arten- reiche Familie der Gramineen die gallen- reichste (nach Houard 193 Gallen); es folgen die Cyperaceen mit 43 Gallen, ferner die Liliaceen (25), Orchideen (18) und Junca- ceen (15). Auch die ökologisch zusammengehörigen Pflanzengruppen sind hinsichtlich ihres (jal- lenreichtums auffallend verschieden; am gallenreichsten sind die im Laubwald ver- einigten Gewächse, ferner auch die Alpen- pflanzen. Gallenarm sind die Halophyten und Wasserpflanzen, die Bewohner der Heide und der Hochmoore usf. Außer den Kopepoden sind die Vertreter Gallen 445 aller Cecidozoengruppen an den Phanero- gamen als Gallenerzeuger tätig. 4. Die Stellung der Gallen an der Wirts- pflanze. x\lle unter- und oberirdischen Or- gane der Pflanzen können Gallen entwickeln; aus der Zugänglichkeit der verschiedenen Teile einer Pflanze und aus der Lebensweise der gallenerzeugenden Parasiten erklärt es sich, daß die unterirdischen Organe erlieblich ärmer an Gallen sind als die oberirdischen. An Wurzeln erzeugen vor allem die- jenigen Organismen iln-e Gallen, welche ihr ganzes Leben im Erdreich zubringen (Bak- terienknöllchen an den Wurzeln der Legumi- nosen, Plasmodiophora brassicae an Cruciferen und andere mehr); von den Cecidozoen kommen hierbei nur viele Aeichen (Heterodera radicicola und andere) in Betracht. Unter den gallen- erzeugenden Insekten gibt es nicht wenige, welche einen Teil ihres Lebenscyklus im Boden durchmachen und zur Bildung unterirdischer Gallen befähigt sind (Phylloxera vasta- trix an Vitis, Biorrhiza aptera an Quercus u. a.). Aul' die Stellung der Gallen am Sproß der Wirtspfhinzen bezieht sich die von Tho- mas eingeführte Einteilung der Gallen in Akr 0 ce ci di e n und Pleuroceci dien: bei den ersteren schließt das Cecidium das Wachstum eines Sprosses ab, indem der Vegetations])unkt selbst an der Bildung der Galle teilnimmt oder durch die Entwickelung einer Galle in der nächsten Nähe des LTrmeristerns an der Fort- führung seines Wachstums gehindert wird; bei den Pleurocecidien handelt es sich um Gallen, welche auf das Wachstum des Sproß- vegetationspunktes keinen Einfluß haben. Manche Pilze, die sich innerhalb ihres Wirtes weit verbreiten, können den Habitus der Nährpflanze in allen ihren Teilen verändern, so daß die ganze Pflanze als Galle anzusprechen ist (Uromyces pisi auf Euphorbia cyparissias u. a.). Im allgemeinen bleibt der Vorgang der Gallenbildung lokalisiert; die Gallen entstehen als mehr oder minder scharf umschriebene Gewebewucherungen an vegetativen Achsen und Blättern, Blüten, Früchten oder kommen durcli Deformation begrenzter Sproßabschnitte (Hexenbesen, Blütengallen, Blütenstandgallen) zustande. Cecidozoen, welche ihre Gallen auf Blättern erzeugen, sind keineswegs immer imstande, alle Teile der Blätter zu infizieren; vielmehr sehen wir sie bestimmte Teile be- vorzugen, andere ständig meiden. Erio- phyes diversipunctatus ist mit seiner Gallenbildung auf die am Grund der Blatt- spreiten von Populus tremula befind- lichen Drüsen angewiesen; E. Nalepai erzeugt seine Gallen ausschließlich an den Winkeln zwischen Haupt- und Nebennerven der Erlenblätter. Oligotrophus annu- lipes legt seine Gallen auf Fagusblättern stets so an, daß einer der stärkeren Nerven der Spreite als Tangente zu der Galle verläuft. In einer Reihe von Fällen wird die Lokali- sation der Gallenbildung auf bestimmte Teile der Blätter durch die Lage der Spreite in I der Knospe verständlich : die Faltung der i jugendhchen Spreite bringt es mit sich, daß zur Zeit der Gallenanlage nicht alle ihre Teile dem Cecidozoen gleich gut zu- gänglich sind. ; 5. Morphologie der Gallen. Wenn das nach der Infektion durch einen gallenerzeugen- den Parasiten entstehende Produkt abnor- maler Wachstumstätigkeit eine Gliederung in Wurzel, Achse und Blatt unterscheiden läßt, liegen organoide Gallen vor; fehlt eine j solche Gliederung, so handelt es sich um I histioide Gallen. 1 5a) Organoide Gallen. Daß Form j und Gliederung eines Organes durch i die Galleninfektion verändert wird, ist I ein häufiger Fall: statt gestielter Blätter t entstehen sitzende ( z. B. R h a b d 0 - jphaga rosaria auf Salix), statt ganz- randiger oder schwach gezähnter Blätter j tief gelappte (z. B. A e c i d i u m J a c 0 b s- ithalii auf Berberis buxifolia); sehr oft erfahren der Blattgrund oder die Neben- blätter auffällige Förderung gegenüber der ! Spreite (P e r r i s i a i g n 0 r a t a auf M e d i - j cago sativa u. v. a.). Daß statt unschein- barer Nebenblätter normal entwickelte Spreiten entstehen können, ist von der 'Galle des Eriophyes dispar her (auf j P 0 p u 1 u s tremula) bekannt. Ascidien I d. h. tütenförmige Spreiten treten zuweilen bei den Gallen der A u 1 a c i d e a h i e r a c i i ( auf H i e r a c i u m u m b e 1 1 a t u m) auf. Innerhalb der Blütenregion führen die Aenderungen in Form und Gliederung der ', infizierten Organe zur Ausbildung aktino- ' morpher Blüten an Stelle zygomorpher (Siphocoryne xylostei auf Lonicera periclymenum), zu Vergrünung, Füllung I und anderen Erscheinungen. Abnorme Internodienlänge ist das wesentliche Kennzeichen der von Uromy- ces pisi (an Euphorbia cyparissias) erzeugten Gallen — falls man diese den organoiden zurechnen will. Gestauchte Internodien spielen bei der Entwicklung ; zahlreicher Triebspitzengallen eine große Rolle. Verzweigungsanomalien sind weit verbreitet: unter dem Einfluß der verschie- densten Gallenerzeuger sehen wir Achsel- knospen, die unter normalen Umständen erst im nächstfolgenden Jahre oder noch später getrieben hätten, vorzeitig zur Entwickelung kommen; allerdings ist das Wachstum der aus ihnen sich entwickelnden Triebe sehr oft kein ergiebiges. Verzweigungsanomalien, 446 Gallen bei welchen das Wachstum der Sprosse u. a.). Der Habitus der Hexenbesen ist ■ ein meist sehr lebhaft sich betätigt, und bei verschiedener, je nachdem sie ein lockeres welchen die Zweiggenerationen von fünf oder besenähnhches Bündel langer rutenförmiger sechs Jahren im Laufe einer Vegetations- Triebe oder eine dichte „ägagropile" Masse periode vorweg genommen werden können, gestauchter Sprosse und Sprößchen bilden, sind die Hexenbesen (Donnerbüsche,' Neubildung von Organen spielt'nicht vgl. Fig. 1) ; ihre Erzeuger sind meist Pilze , nur insofern eine Rolle, als an infizierten Fig. 1. Vcrzweigungsanonialie (Ilexenbesen, Exoascus betiilinus auf Betula). Nach Küster. (Exoascaceen, Urediiieen); doch gibt es { iVchsen, die Blattproduktion erheblich reich- auch unter den Zoocecidien eine große Reihe ücher ausfallen kann als an normalen (Erio- hexenbesenförmiger Gallen (auf Syringa phyes dispar an Populus tremula); sehr G-allen 447 viel auffälliger sind diejenigen Waclistums- prozesse, welche an infizierten Achsen oder Blättern oder sogar in den Blüten Adventiv- organe entstehen lassen: Mayetiola poae läßt an den Halmknoten von Poa nemoralis außerordentlich zahlreiche Wurzeln entstehen (Fig. 2); Adventivblättchen entstehen auf den Blättern von Fraxinus ornus unter dem Einfluß des Erio- phyes fraxini. Der- selbe Parasit erzeugt auf Achsen und Blättern des genannten Wirtes unter anderen Um- ständen dicht gehäufte Adventivsproßaggre- gate. Eine ähnliche Bildung unter den My- cocecidien zeigt in Figur 3 die Galle der Taphrina laurencia auf Pteris quadriau- rita. Adventivsprosse in Blüten sind sehr häufig; in allen mög- lichen Varianten zeigen sie sich z. B. bei den Wirrzöpfen der Wei- den, welche vermuthch durch Aphis amen- ticola erzeugt werden. Auch die ,, Place n- tarsprosse" (Um- wandlung der Ovula in Sprößchen) sind wahrscheinhch in der Mehrzahl der Fälle, vielleicht sogar immer auf die Tätigkeit gallenerzeugender neu entstehen oder aus rudimentären An- lagen sich entwickeln können, lehren die Gallen der Ustilago antherarum, welche in den Blüten des Melandrium rubrum Fig. 2. Neubildung von Wurzeln (May- etiolapoae auf Poa). Nach Roß. 1' '44^^^" ;Li 10 v=Beutel); je nachdem ob diese von tierischen oder pflanzlichen Parasiten hervor- gerufen werden, ist zwischen Zoothylacien und Phytothylacien zu unterscheiden. 462 Gallen — Galvanische Ketten Thylacien erzeugende Tiere sind in erster Linie Verschiedene Sporozoen (Coccidium oviforme im Kaninchen, Myxobolus Pfeifferi auf den Barben usw.). Die Lar- ven der Najaden (LameUibranchiaten) er- zeugen an Fischen gallenähnliche Wucherun- gen. Von den Arthropoden dürften die Milben als Thylacienerzeuger am wichtigsten sein (Dermatoryctes mutans an Hühnern u. a.). Auch ein Insektenthylacium ist be- kannt: Aphelopus melaleucus (auf Typhlocyba hippocastani) ist eine Hymenoptere, gehört also zu derselben In- sektengruppe wie die Erzeuger der kompli- ziertesten Pflanzengallen. Literatur. /. Lehr- und Handbücher. 1. Spezielle Cecidologie. Bestimmungs- tabellen: V. Schlechtendnl, Die Gallbil- dtmgen (Zoocccidien) der detitschen Gefäßpflanzen. Zwickati 1891. — Houavd, Les zoocccidies des plantes d'Europe et du bassin de la mediterranee. Paris 1909. 2 tomes. — Ross, Die Pflanzen- gallen (CecidienJ ßlitlel- und Nordeuropas, ihre Erreger und Biologie utid Bestimmungstabellen. Jena 1911. — Rübsaamen, Die Zoocecidien, durch Tiere erzeugte Pflanzengallen Deutschlands und ihre Bewohner. Bis 1911 Lieferung 1 er- schienen. — 2. Allgemeine Cecidologie: Küster, Die Gallen der Pflanzen. Leipzig 1911. — //. Cecidologis che Zeitschrift: Marcel- lia. Herausgeber A. Trotter (Avellino). Bis 1912 elf Jahrgänge. — ///. E xsikkatenwerke : HieronyniuSf Fax iinil lUttrich, Herbarium cecidologicum, — Trolfir loitl Ccrcont, Cecido- theca italica. — Grevillius idkI Xiesserif Zooce- cidia et Cecidozoa imprimis provinciae rhenanae. — Jaap, Zoocecidiensammliing. E. Küster, u. a. bei Männern wie A. v. Humboldt nnd V 0 1 1 a. Der letztgenannte kam später zur Ansicht, daß die Quelle der Elektrizität bei Galvanis Versuchen nicht im Organismus, sondern in dem Metallbogen enthalten sei. Immerhin bleibt es Galvanis Verdienst, die Wichtigkeit der Erscheinungen erkarmt und zur Geltung gebracht zu haben. Literatur. Alibert, Eloge de Galvani. Paris 1806. — Biographisches Lexikon ed. Hirsch tind Gut lt. J. Paget. OalTaui Luigi. 1737 bis 1798, der Entdecker der nach ihm benannten elektrischen Erscheinungen. Er stammte aus Bologna, machte hier seine Studien, anfangs theologisclie, ging jedoch bald zur Medizin über, trieb mit Vorliebe Anatomie und Physiologie, erlangte bereits 1762 eine Professur der Anatomie, veröffentlichte mehrere wertvolle Abhandlungen vergleichend anatomischen In- halts und entdeckte zufäUig am 6. November 1789 die bekamiten Phänomene am Schenkel- nerven des Frosches. Die Ergebnisse seiner fort- gesetzten Untersuchungen veröffentMclite er dann 1791 unter dem Titel ,,De viribus electricitatis in motu musculari commentarius" (erschien deutsch in Prag 1793). Bei Begründung der eis alpinischen Eepublik wurde Galvani, der sich weigerte, den Beamteneid zu leisten, seiner Stellung enthoben, jedoch bald Avieder eingesetzt. Obgleich Galvani eine falsche Erklärung von seinen Versuchen gab, wonach die Elektrizität den Tieren oder deren Nerven selbst eigen sein sollte, fanden diese doch große Anerkennung Galvanische Ketten. 1. Definition. Inkonstante imd konstante Ketten. Zusammensetzung praktisch ver- wendeter Elemente. 2. Thermodynamische Theorie galvanischer Elemente. Anwendung des ersten Hauptsatzes. 3. Anwendung des zweiten Hauptsatzes. 4. Berechnung elektromotorischer Ivräfte auf thermodynamischem Wege. 5. Be- rechnung aiis dem chemischen Gleichgewicht. 6. Berechnung mit Hilfe des Nernstschen Wärmetheorems. 7. Osmotische Theorie der galvanischen Elemente. Flüssigkeitsketten. 8. Metallelektroden. Die Lösungstension der Metalle. 9. Konzentrationsketten. Aenderung der lonenkonzentration. 10. Galvanische Elemente mit zwei verschiedenen Elektroden. 11. Konzentrationsketten bezüglich der Elek- troden. Aenderung der Lösungstension. 12. Die Knallgaskette. Das Problem der direkten Elektrizitätsgewinnung aus Kohle. 13. Oxy- dations- und Pveduktionsketten. 14. Akkumula- toren. I. Definition. Inkonstante und kon- stante Ketten. Zusammensetzung prak- tisch verwendeter Elemente. Galvauische Ketten oder galvanische Elemente nennen wir Vorrichtungen, welche dazu dienen, chemische Energie auf direktem Wege — d. h. ohne den ITmweg über die Zwischenform der Wcärme — in elektrische Energie zu ver- wandeln. Der wesentliche Bestandteil aller galvanischen Elemente ist ein elektrolytischer Leiter; denn nur in einem solchen sind Bewegung der Elektrizität und stoffliche Veränderung, einander fordernd, verknüpft, Elemente, welche nur aus Elektrolyten zusammengesetzt sind, sind für die Theorie von grundlegender Bedeutung geworden; die praktisch verwendeten Elemente sind in allen Fällen Kombinationen von elektro- lytischen mit metallischen Leitern. Man verlangt von einem als Stromquelle verwend- baren Element, daß alle darin ablaufenden chemischen Vorgänge zur Stromlieferung beitragen und daß es innerhalb bestimmter Grenzen der Stromentnahme eine praktisch konstante elektromotorische Kraft liefert. In der Mehrzahl der Fälle bedient man sich zur Stromerzeugung auf diesem Wege der Auflösung von Zink in verdünnter Schwefel- Galvanische Ketten 463 säure. Von der Entstehung eines elektri- schen Stromes bei diesem Vorgange gibt die folgende Vorstellung Rechenschaft. Das Zink geht in Lösung und gelangt dabei aus dem metallischen Zustand (Zn) in den des + + positiv geladenen Zinkions (Zn). Die beiden dazu erforderlichen positiven Ladungsein- heiten entnimmt das Zink den in der Lösung + vorhandenen Wasserstoffionen H, so daß diese jetzt elektrisch neutralen gasförmigen "Wasserstoff H2 bilden. Der gesamte Vorgang der Zinkauflösung unter Wasserstoff entwicke- lung stellt sich somit dar in der Gleichung Zn + 2H = Zn + H2. Die Entwickelung des Wasserstoffs erfolgt nun (aus noch nicht erklärtem Grunde) an edleren Metallen — Kupfer, Silber, Gold, Platin — leichter als am Ziuk. Befinden sich also auf der Zinkoberfläche Spuren solcher Metalle, so entwickelt sich der Wasserstoff ausschließlich an diesen. Der elektrische Teil des Vorganges, der Austausch der beiden Ladungen vollzieht sich dabei innerhalb des metallischen Leiters und kann daher nach außen nicht bemerkbar werden. Verhindert man aber diesen Ausgleich durch den metallischen Leiter hindurch auf die Weise, daß man das edlere Metall, etwa Platin, mit einer reinen Zinkplatte, aber getrennt von ihr in die Lösung briugt, so ist auch der chemische Vorgang der Zink- auflösung unter Wasserstoffentwickelung ge- hemmt. Stellt man endlich die metallische Ver- bindung zwischen Zink und Platin wieder her, aber nicht innerhalb, sondern durch einen Draht außerhalb der Lösung, dann kann die negative Ladung, welche auf der neu- tralen Zinkplatte diurch spurenweise Ent- + + Sendung positiver Zn-Iouen zurückbleibt, sich durch den Draht hindurch mit der positiven Ladung ausgleichen, welche die + H-Ionen an das Platin abgeben. Im ganzen System kreist somit ein Strom, dessen positive Richtung vom Zink durch die Lösung zum Platin undi durch den äußeren Draht wieder zurück zum Zink geht. Wir haben damit ein galvanisches Element, das Smee- Element. Man nennt von den beiden Me- tallen, den Elektroden des Elements, die- jenige, welche positive Ionen in die Lösung sendet und sich dabei selbst negativ auflädt, wie hier das Zink, die Anode, die andere Elektrode, welche die positiven Ladungen aufnimmt, wie hier das Platin, die Kathode. Der arbeitliefernde Vorgang ist die x\uf- lösung des Zinks, Arbeit verbraucht wird durch die Abscheidung des Wasserstoffs; die — durch die elektromotorische Kraft zu messende — Ai'beitsfähigkeit des Elements (beim Umsatz äcjuivalenter Mengen) stellt sich demnach dar als die Differenz dieser beiden Arbeitsbeträge. Man sieht so un- mittelbar, daß die elektromotorische KJraft des Elements steigen muß, wenn das Heraus- gehen des Wasserstoffs erleichtert wird, z. B. durch die Anwesenheit von Sauerstoff an der Kathode, wobei die für die Wasserstoff- abscheidung aufzuwendende Arbeit sich um den Arbeitsbetrag verringert, welcher durch die Wasscrbildung aus Wasserstoff und Sauerstoff gewonnen wird. Ist also zu Beginn des Stromdurchganges Sauerstoff (Luft) in der Flüssigkeit gelöst, so ist die elektro- motorische Kraft höher als einige Zeit nach dem Stromschluß, falls der gelöste Sauerstoff nicht rasch genug zur Kathode nachdiffun- dieren kann. Das Smee- Element ist der Typus eines inkonstanten Elements. Man erhält daraus ein konstantes Element, wenn man für ein Reservoir von Sauerstoff in der Umgebung der Kathode sorgt. Dies geschieht bein Grove-Element dadurch, daß das Platin in konzentrierte Salpeter- säure gestellt wird, die man von dem Zink und der Schwefelsäure durch einen Ton- zylinder getrennt hält. Bunsen ersetzte das Platin durch ein Stück Retortenkohle. Die elektromotorische Kraft des Grove- und des Bunsen -Elements beträgt ca. 1,9 Volt. Der innere Widerstand der ge- bräuchlichen Größen ist 0,1 bis 0,2 Ohm. Zur Entnahme stärkerer Ströme für kurze Zeit dient das ebenfalls von Bunsen an- gegebene Chromsäureelement, dessen Wider- stand durch den Fortfall der Tonzelle sehr klein ist. Zink und Kohle tauchen in Schwefel- säure, welche als Oxydationsmittel für den Wasserstoff Kaliumbichromat enthält. Um die hier auch bei offener Kette nicht völlig aufhörende Zinkauflösung zu vermeiden, wird das Zink allein oder zugleich mit der Kohle bei Nichtbenutzung des Elements aus der Lösung emporgehoben und durch eine geeignete Vorrichtung festgehalten. Die elektromotorische Kraft ist ca. 2 Volt. Statt des flüssigen Oxydationsmittels für den Wasserstoff bedient sich das Leclanche- Element eines festen, des Braunsteins, welcher in kleinen Stücken die in einem Tonzyhnder stehende Kohleelektrode umgibt, als Elektro- lyt dient hier eine Salmiaklösung, in welcher auch die Zinkelektrode steht. Die elektro- motorische Kraft des nur für geringe Strom- entnahme konstanten, für die Zwecke der Telephonie und bei Klingeleinrichtungen viel benutzten Elements ist etwa 1,5 Volt. Nach dem Prinzip des Leclanche-Elements sind auch die Trockenelemente gebaut, nur daß an die Stelle der Salmiaklösung eine damit eetränkte Füllmasse tritt. Eines 464 Gralvanisclie Ketten anderen Prinzips zur Erzielung konstanter { elektromotorischer Kraft bedient sich das Daniel 1-Element. Als Lösungselektrode dient wieder Zink in Schwefelsäure, an der Kathode aber läßt man nicht Wasserstoff, sondern ein durch Zink reduzierbares Metall, das Kupfer, aus einer Lösung von KupfersuKat sich abscheiden. Die elektromotorische Kraft beträgt ca. 1,1 Volt. Die gebräuchlichen Größen haben 0,3 bis 0,6 Ohm Widerstand. Eine Abart dieses Elements ist das noch vielfach bei Telegraphenstationen benutzte Meidinger-Element. Am Boden eines Glas- gefäßes befindet sich in einer gesättigten Lösung von Kupfersulfat die Kupferelektrode, von der ein isolierter Zuleitungsdraht nach oben geht. lieber das Kupfersulfat ist eine Lösung von Magnesiumsulfat geschichtet, in welche die Zinkelektrode hineingehängt ist. Die KupfersuLfatlösung wird gesättigt er- halten durch Berührung mit festem Kupfer- vitriol, welches aus einem unten offenen Glasreservoir zur Kupferkathode nachsinken kann. Infolge der Verschiedenheit des spezi- fischen Gewichtes der übereinander ge- schichteten Lösungen tritt nur sehr langsam eine Mischung durch Diffusion ein, so daß solche Elemente über ein Jahr ohne Nach- füllung im Gebrauch sein können. Ihre elektromotorische Ki-aft ist 1,2 Volt, der innere Widerstand 3 bis 3,5 Ohm. Nicht zur Stromlieferung, sondern ledig- lich als Vergleichselemente bei der Messung von elektromotorischen Kräften dienen die Normalelemente. Von den dafür vor- geschlagenen Typen werden gegenwärtig nur das Clark- und das Wes ton -Element benutzt. Das Clark -Element enthält Zink in gesättigter Zinksulfatlösung gegenüber Quecksilber, welches mit Merkurosulfat über- schichtet ist. Seine elektromotorische Ivraft in Volt bei der Temperatur t beträgt: Et = 1,4325 — 0,00119 (t— 15) — 0,000007 (t— 15)2. Nahezu unabhängig von der Temperatur ist das Wes ton Clement, welches statt des Zinks Cadmium in Cadmiumsulfatlösung benutzt. Seine elektromotorische Kraft ist in Volt: Et = 1,0183 — 0,000038 (t— 20) — 0,00000065 (t— 20)2. 2. Thermodynamische Theorie galva- nischer Elemente. Anwendung des ersten Hauptsatzes. Von einer Theorie galvanischer Elemente ist zu fordern, daß sie die Fähig- keit eines chemischen Systems, elektrische Arbeit zu leisten, mit anderen Eigenschaften der reagierenden Stoffe oder anderen Er- scheinungen an ihnen derart verknüpft, daß aus der Kenntnis dieser sich jene Fähig- keit nach Stromrichtung und Quantität voraussagen läßt. Dabei sind zwei Möglich- keiten denkbar. Der Sitz elektromotorischer Kräfte kann an der Berührungsstelle von Metall und Elektrolyten sein oder an der Grenze zweier verschieden konzentrierter Lösungen desselben Elektrolyten bezw. an der Grenze verschiedener Elektrolyte, und so kann man es als Aufgabe der Theorie ansehen, die Einzelbeiträge der verschiedenen BerührungssteUen im galvanischen Element zu der gesamten elektromotorischen Ivraft und damit diese als Summe jener darzu- stellen. Oder aber man kann — dieses Ziel zunächst als zu hoch gesteckt ansehend — das galvanische Element in seiner Gesamtheit als eine Maschine betrachten, in welcher irgendein geeigneter chemischer Prozeß bei seinem Ablauf Arbeit leistet, und kann Beziehungen suchen, welche den Betrag dieser Arbeit ohne ihre direkte Messung vorher- sagen lassen. Die ersterwähnte Aufgabe versucht die osmotische Theorie auf Grund der Dissoziationshypothese zu lösen. Die zweite Aufgabe stellt sich die thermo- dynamische Theorie, dem Wesen der Thermo- dynamik entsprechend, ohne jede Hypothese nur Anfangs- und Endzustand des be- trachteten Systems vergleichend. Wir beginnen mit dieser als der historisch älteren und allgemeineren. Der erste Hauptsatz der Thermodynamik ist der Satz von der Aequivalenz der Energie- formen. Er besagt, daß eine bestimmte Energiemenge der einen Form, gemessen in deren Eigenmaß, äquivalent ist einer bestimmten Menge Energie der anderen Form, gemessen in deren Eigenmaß. Er gibt den Proportionalitätsfaktor, mit welchem das willkürlich gewählte Eigenmaß einer Energieform zu multiplizieren ist, um die äquivalente Menge Energie im Eigenmaß der anderen Form auszudrücken. Die elektrische Arbeit des galvanischen Elements wird geliefert durch den Ablauf eines chemischen Vorganges, also auf Kosten chemischer Energie. Die chemische Energie ist nun aber nicht von solcher Beschaffenheit, daß wir ein Eigenmaß dafür aufstellen könnten, durch welches ein Energiebetrag als ein Vielfaches einer gleichartigen Energie- größe sich darstellen ließe. Da aber eine umfassende Erfahrung ergeben hatte, _ daß die chemische Energie oder die chemische i\ffinität, d. h. diejenige lü'aft, welche ein chemisches System in den neuen Zustand hineintreibt, sich um so stärker erweist, je größer die bei der Reaktion auftretende Wärmemenge ist, so machte man den zu raschen Induktionsschluß, daß allgemein die Wärmet önung ein Maß für die chemische Energie sei. Die Beziehung zwischen thermischer und elektrischer Energie ist gegeben durch die Gleichung 1 cal = 4,189 Volt-Coulomb. Man er- Galvanische Ketten 465 hält sie, indem man z. B. in ein Kalorimeter | ein Element wie Zink gegenüber sauerstoff- einen Konstantandraht von bekanntem I beladenem Platin zu verwenden. Denn hier Widerstand bringt, an dessen Ende starke Kupferdrähte, deren Widerstand gegenüber jenem nicht in Betracht kommt, angelötet ändert sich mit zunehmendem Sauerstoff- verbrauch die elektromotorische Kraft, und während am Platin zuerst Oxydation der sind. Der Draht taucht in eine gewogene i entladenen Wasserstoffionen zu Wasser er- Wassermenge, deren Erwärmung gemessen wird, wenn durch den Draht ein gemessener Strom während einer bestimmten Zeit hin- durchfließt. Es ist dann EJt oder J-wt = a cal, und man findet für eine Kalorie den angegebenen Wert. Die durch einen chemi- schen Vorgang entwickelte Wärmemenge wird nun auf ein Grammäquivalent der reagierenden Stoffe bezogen: die Wärrae- tönung für die Auflösung des Silbers bezieht sich auf 107,93 g Silber, die des Zinks auf 65,4 folgt, tritt im weiteren Verlauf Entwickelung gasförmigen Wasserstoffs am Platin auf. Für diesen letzteren konstant bleibenden Zustand wäre die Gleichung anwendbar; denn hier ist der chemische Prozeß die Auf- lösung des Zinks in Schwefelsäure unter Wasserstoff entwickelung ; die Wärmetönung dieses Prozesses ist leicht meßbar. Ebenso wäre die Gleichung im Prinzip anwendbar, wenn man durch ständige Sauerstoffzufuhr die Wasserbildung am Platin konstant er- halten würde; dann wäre als die gesamte 2 -32,7 g Zink. Von diesen äquivalenten j wärmetönung' anzusetzen die vorige ver Mengen aber lehrt das Farad ay sehe Gesetz, daß sie bei elektrochemiscluMi Vorgäugen die Träger gleicher Elektiiziriitsmciigen siud, nämlich pro Grammäquivalent 90540 Amp.- Sek. oder Coulomb. Dies ist in der auf äquivalente Mengen bezogenen Gleichung für Eit der Wert für it. Mit der Wärme- tönung ändert sich also nur noch E, und die früher aufgeworfene Frage nach dem Zu- sammenhange chemischer und elektrischer Energie lautet daher vereinfacht: Läßt sich aus der Wärmetönung eines in einem galvanischen Element sich abspielenden che- mischen Prozesses die elektromotorische Kraft des Elements berechnen? Helmholtz hat diese Frage anfänglich, in seiner Abhandlung ,,Ueber die Erhaltung der Kraft", ohne nähere Prüfung bejahend beantwortet. Die vom Element gelieferte elektrische Arbeit für den Umsatz eines Grammäquivalents ist 96540 E, wobei E die elektromotorische Kraft ist; um dies in mehrt um diejenige der Wasserbildung aus Wasserstoff und Sauerstoff. Es sind also nur konstante Elemente geeignet. W. Thomson prüfte die Gleichung an dem ersten typisch konstanten Element, dem D an i eil -Element (s. oben), bei dem an einer Elektrode Zink zu Zinksulfat gelöst und an der anderen Kupfer aus Kupfersulfat abgeschieden wird. Der Gesamtvorgang ist also derselbe, als wenn wir Zink in Kupfer- sulfat eintauchen: Es tritt ein Austausch beider Metalle ein, es bildet sich metallisches Kupfer und Zinksulfat. Die Wärmetönung der Umsetzung Zu -[- CUSO4 = ZnSOj + Cu muß die Differenz sein der Bildungswärmen von Zinksulfat und Kupfersulfat für äqui- valente Mengen. Die Bildungswärme von einem Grammäquivalent Zinksulfat in ver- dünnter Lösung aus Zink, Sauerstoff, Schwefel- trioxyd und Wasser beträgt 53045 cal, diejenige für Kupfersulfat aus Kupfer und denselben anderen Bestandteilen beträgt müssen" wir ' den | 27980 cal. Die Differenz 53045 — 27980 = 25065 cal ist die Wärmetönung, welche dem Uebergang des Zinks aus dem metallischen und demjenigen des Kupfers in den metalli- = 0,2387 cal multiplizieren. Diese in Wärme- ^«l^«^". Z;fa^«^ also dem Vorgänge im ™„ß „ .]„:-,„u^i „i.w„;..i,. 17 ;„ ,,_ Dam eil- Element entspricht. Nach der Wärmemaß anzugeben, Ausdruck mit dem oben gewonnenen Propor- tionalitätsfaktor 1 Volt-Coulomb = xTöQ ^^^ Thomsonschen Regel ergibt sich daraus maß ausgedrückte elektrische Energie des galvanischen Elements soll dann gleich ^^^ \ ^(^^^^ZZ^vh^l^K^- der Wärmetönung U des sich im Element ^'^ elektromotonscüe Kratt. abspielenden chemischen Vorganges: 0,2387.96540E = U also E E = 25065 23046' 23046 Da die direkte Messun; = 1,085 Volt. Di -Element Diese Gleichung ist als die Thomsonsche in der Tat etwa 1,10 Volt ergibt, schien die Regel zur Berechnung der elektromotorischen Thoms^onsche Regcl_ genügend sicher ge- Kraft galvanischer Elemente viel benutzt "" " ' ' '' worden. Die Berechtigung dazu schien gegeben, als gleich der erste Fall, an dem sie geprüft wurde, eine überzeugende Bestä- tigung ergab. Zur Anwendung dieser Gleichung bedürfen wir der Kenntnis des chemischen Vorganges im galvanischen Ele- tellt. iVbweichungoii bei anderen Elementen sollten auf Versuchsfohler oder sekundäre Vorgänge zurückführbar sein, von denen man annahm, daß sie auf die Wärmeent- wickelung, aber nicht auf die elektromoto- rische Kraft von Einfluß wären. Die theoretische Unhaltbarkeit der Regel ment. Sie ist also nicht ohne weiteres für wurde wohl zuerst von W. Gibbs dargetan. Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV. 30 466 Galvanische Ketten Ein besonders treffendes Argument ans seinen Darlegungen sei hier hervorgehoben: Gibbs führte aus, daß, wenn man in einem Element vom Typus des Daniell-Elements das Zink durch ein leicht schmelzbares Metall in der Lösung oder in der Schmelze seines Salzes ersetzt, die Thomson sehe Regel fordert, daß beim Schmelzpunkte des Metalles die elektro- motorische Kraft geringer sein muß, wenn das Metall noch fest, als wenn es flüssig ist, da ja im letzten Falle bei konstanter Tem- peratur noch die gesamte Schmelzwärme zugeführt werden muß. Nun hatten aber Messungen von Raoult an Elektroden aus Wismut, Zinn und Blei bereits gezeigt, daß dies nicht zutrifft, daß die elektro- motorische Kraft am Schmelzpunkt keinen Sprung aufweist. Jene Regel muß daher prinzipiell falsch sein: Der erste Hauptsatz der Thermodynamik gibt nicht das Mittel, um die elektromotorische Kraft eines galva- nischen Elements zu berechnen; die Ueber- einstimmung zwischen Wärmetönung und elektromotorischer Kraft beim D a n i e 1 1 - Element muß eine zufällige gewesen sein. Es entsteht also die Frage: Lassen sich die Bedingungen für diese Uebereinstimmung und für Sinn und Größe der Abweichungen angeben; d. h. es wird ein Ausdruck für den Zusammenhang beider Größen gesucht. 3. Anwendung des zweiten Hauptsatzes. Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik (vgl. die Artikel, , Energielehre", ,, Thermo- chemie") gibt für den Fall der Umwandlung von Wärme in Arbeit denjenigen Bruchteil einer von höherer auf niedere Temperatur sinkenden Wärmemenge an, welcher in Arbeit verwandelbar ist. Sinkt die Wärme- menge Q von der absoluten Temperatur T + dT auf T, so ist die in maximo zu ge- winnende Arbeit Voraussetzung für die Erreichung dieser Maximalarbeit ist, daß die benutzte Vor- richtung reversibel arbeitet, d. h. so, daß keine Arbeit durch Reibung usw. verloren geht, so daß der Vorgang, welcher in der einen Riclitung einen bestimmton Arbeits- betrag liefert, in der anderen Richtung unter Aufwand desselben Arbeitsbetrages rück- gängig gemacht werden kann. Wollen wir 1 den zweiten Hauptsatz auf galvanische Elemente anwenden, so müssen diese die Bedingung der Reversibilität erfüllen. Das ist z. B. beim Daniell-Element der Fall. Bei der Arbeitsleistung löst sich Zink und es wird Kupfer abgeschieden; schicken wir in umgekehrter Richtung Strom hindurch, so wird Kupfer gelöst und Zink abgeschieden und alle Teile des Elements sind quantitativ | wieder in den Anfangszustand zurückgeführt. : Ein solches Element denken wir uns nun als eine Wärmemaschine arbeitend. Es kann eine Wärmemenge Q, die es seiner Umgebung entnimmt, gerade wie eine geheizte Maschine, in Arbeit verwandeln, und zwar wissen wir nach den oben gemachten Ausführungen, daß beim Sinken der Wärmemenge Q von der absoluten Temperatur T + dT auf T dT im höchsten Falle die Arbeit dA = Q ^ geleistet wird. Nun aber hat das galvanische Element als Quelle seiner insgesamt (beim Durchgang von 96540 Coulomb, d. h. beim clu'inischen Umsatz von 1 Grammäquivalent) geleisteten Arbeit nicht nur wie die Wärine- maschine die von außen aufgenommene Wärme Q, sondern auch die der chemischen Reaktion entsprechende Wärme, die Wärme- tönung beim ITmsatz von 1 Grammäquivalent. Wir bezeichnen sie im Gegensatz zu der von außen stammenden Wärme Q als die Aenderung der inneren Energie U. Die Arbeit A des Elements wird auf Kosten beider geleistet und der erste Hauptsatz fordert die Aec[uivalenz, oder, wenn wir alles in Wärmemaß ausdrücken, die Gleichheit: A = U + Q. Die von Q in maximo zu erlialtende Arbeit haben wir oben nacli dem zweiten Haupt- dT satze zu dA = Q rp bestimmt. Danach ist dA dA Q = T^ und A=U + T^^- Helmholtz hat diese Gleichung mit Hilfe des folgenden Kreisprozesses abgeleitet. Das Element, welches bei der absoluten Temperatur T die elektromotorische Kraft E besitzt, werde auf T + dT erwärmt, was bei der geringen Temperaturdifferenz dT nur eine verschwindende Arbeit erfordert. Dabei steigt die elektromotorische Kraft auf E -f dE. Bei dieser lassen wir 1 Grammäqui- valent sich umsetzen, d. h. 96540 Coulomb durch das Element gehen. Wir lassen diesen immer gleich bleibenden Faktor neben E fort und sehen in E den Ausdruck der elektrischen Arbeit. Für diese geleistete Arbeit muß W\ärme verschwunden sein und zwar geliefert von der Aenderung der inneren Energie (U) des Elements. Der Forderung, daß der Prozeß isotherm verläuft, d. h. daß das Element während der Arbeitsleistung bei der Temperatur T + dT sich erhält, kann hiernach nur genügt werden, wenn gerade die Wärmetönung gleich ist der geleisteten Arbeit. Ist das nicht der Fall, so wird die Temperatur T + dT dadurch aufrecht erhalten, daß eine Wärme- menge Q nach außen abgegeben oder von außen aufgenommen wird; ihr Betrag wäre in diesem Falle E + dE — U. Sodann CTalvaiiische Ketten 467 wird das Element auf die Temperatur T abgekühlt, wobei die elektromotorische Kraft auf E sinkt, und es werde die vorige Elektri- zitätsmenge von 96540 Coulomb mit Hilfe einer anderen Elektrizität s((uolle in umge- kehrter Richtung hindurchgeschickt, so daß dann das Element wieder in seinem Anfangs- zustand ist. Die andere Elektrizitäts quelle hätte dabei zu leisten die Ai'beit E und müßte dem System zuführen die Wärmemenge E — U. Es ist also bei dem gesamten Kreis- prozeß die Arbeit E + dE — E = dE geleistet worden und dabei die Wärmemenge E — U von der Temperatur T + dT auf T gesunken. Darüber aber sagt, wie oben ausgeführt wurde, der zweite Hauptsatz aus, daß die geleistete Arbeit sich zur über- gegangenen Wärmemenge verhält wie die Temperaturdifferenz zur absoluten Tempe- ratur, also hier dE dT E — U ~ T oder E = U T 1^ dT Die elektromotorische Kraft eines reversibel arbeitenden galvanischen Elements ist gegeben durch die Summe der Wärmetönung des che- mischen Vorganges und der Aende- rung der elektromotorischen Kraft mit der Temperatur, multipliziert mit der absoluten Temperatur. Diese Gleichung löst nicht das Problem, die elektromotorische Kraft eines Elements aus der Wärmetönung zu berechnen. Aber indem sie diese beiden Größen mit einer neuen, dem Temperaturkoeffizienten der elektromotorischen Kraft verknüpft, gibt sie bei Kenntnis zweier dieser Größen die dritte. Man übersieht also aus der Gleichung sofort, in welchem speziellen Falle die Thomsonsche Regel U = E zutrifft und wie im Falle der Abweichung nach den zwei möglichen Richtungen der Sinn des Temperaturkoeffizienten sein muß. Im Falle U = E ist ^^ = 0 U > E ist ^rp negativ dE U < E ist ^ positiv. Der Richtungssinn des Temperaturkoeffi- zienten ergibt sich auch aus dem Prinzip von Le Chatelier. Arbeitet ein Element unter Wärmeabgabe nach außen (U > E), so muß Erwärmung des Elements diese Wärme- abgabe hindern, also die iVrbeitsfähigkeit des Elements herabsetzen (^m negativj. Arbeitet das Element unter Wärmeaufnahme I von außen (U < E), so muß Erwärmung [ die Arbeitsfähigkeit fördern [ ™ positiv). Bei Gelegenheit dieser Untersuchung der galvanischen Elemente entwickelt Helm- holtz den Begriff der freien und gebundenen Energie. Es entspricht die Aenderung der inneren Energie (denn uns interessieren und unseren Messungen zugänglich sind nicht die Absolutwerte, sondern nur die Aende- I rungen dieser Größen) der Wärmetönung 1 eines chemischen Prozesses ; davon ist die Aenderung seiner freien Energie zu unter- scheiden, welche zur Arbeitsleistung, d. h. zur C}uantitativen Umwandlung in andere Energieformen fähig ist. iVls Aenderung der gebundenen Energie bezeichnet Helm- holtz diejenige Wärmemenge, welche während des Ueberganges der freien Energie in andere Formen selbst Wärme bleiben muß, nicht in andere Energieformen umw^andelbar ist. In der Gleichung von Helmholt z war U 1 die Aenderung der inneren Energie, E die I Aenderung der freien Energie und E — U die Aenderung der gebundenen Energie. i Denn es war E — U die Wärmemenge, welche i bei der Arbeitsleistung in dem oben be- trachteten Kreisprozeß, ohne Arbeit zu leisten, lediglich von höherer auf tiefere Temperatur gesunken war. Die elektromotorische Kraft eines reversibel arbeitenden galvanischen Elements ist also ein Maß für die freie Energie des ablaufenden che- mischen Vorganges. Wie es die Aufgabe der Thermochemie ist, die Aenderung der inneren Energie eines chemischen Prozesses zu bestimmen, so ist es eine Aufgabe der Elektrochemie, die Aenderung der freien Energie, d. i. die x\rbeitsfähigkeit chemischer Prozesse zu erforschen. Die quantitative Bestätigung der Formel dF E — ^ U = T ^ erbrachte H. Jahn, indem [er alle Rechnungselemente in der Helm- I holtz sehen Gleichung an demselben Element gesondert maß. Er bestiminto exj^erimentell E und U, woraus die Gleichiuig den Teni- peraturkoeffizienten der elektromotorischen Kraft ergibt. Außerdem wurde dieser Wert unmittelbar experimentell bestimmt. Die Bestätigung der Helmholt zschen Gleichung ergab sich in der Uebereinstimmung der beidenResultate, wie aus der folgenden Tabelle hervorgeht. (Siehe Tabelle nächste Seite.) Bei der Mehrzahl der Elemente ist die 1 Wärmetönung größer als die maximale elektrische Arbeit; sie geben daher bei I isothermer Arbeitsleistung Wärme an die ! Umgebung ab. Die beiden zuerst angeführten Elemente verhalten sich umgekehrt : die 30* 468 (xalvanische Ketten I. IL III. IV. V. VI. Element 1. Bestimmung 2. Be- stimmung U Berechnet II-III 3. Be- stimmung dE dT" Aus V E E.96 540.0,24 dE , 273 ^^rp 96540.0,24 Volt cal cal cal Volt cal Cu, CUSO4 + 100 H.,U \ Zn, ZnS04 + 100 H,0 ; • ' • 1,0962 25 263 25055 + 208 + 0,000 034 + 214 Cu, Cu(C2H302)2aq \ Pb, Pb (CoHgO,) + 100 H,0 ( 0,4764 10 842 8766 + 2076 + 0,000 385 + 2392 Ag, AgCl \ Zn, ZnC], + 100 H.O ) ' • " 1,0306 23453 26023 — 2570 — ■ 0,000 409 -2541 Ag, AgCl \ Zn. ZnCl, + 50 H,0 / • • • • 1,0171 23146 24456 — 1310 — 0,000 21 — 1805 Ag, AgCl \ Zn, ZnCL + 25 H.O f • " • ' 0,9740 22 766 23493 — 1327 — 0,000 202 — 1255 Ag, AgBr i Zn, ZnBr, + 25H,0J • • • • 0,8409 19 138 19882 — 644 — 0,000 106 — 663 elektrische Arbeit ist größer als die Wärme- töiiung; sie verwandeln bei isothermer Arbeitsleistung Wärme aus der Umgebung in Arbeit. 4. Berechnung elektromotorischer Kräfte auf thermodynamischem Wege. Die Helmholtzsche Gleichung gibt den Zusammenhang der elektromotorischen Kraft galvanischer Elemente mit der Wärmetönung und dem Temperaturkoeffizienten der elektro- motorischen Kraft. Sie löst aber nicht das Problem, die elektromotorische Kraft aus der Kenntnis andersartiger, d. h. dem Gebiete anderer Energieformen entnommener Daten vorherzusagen, wie es die Thomsonsche Regel beansprucht hatte. Daß aber auch dieses Problem lösbar ist, hat Helmholtz für einen speziellen Fall gezeigt. Die elektromotorische Kraft ist ein Maß für die maximale Arbeit, welche der im Element sich abspielende chemische Prozeß zu leisten vermag. Gelingt es nun, einen zweiten Weg zu finden, auf welchem das Element reversibel, d. h. unter Leistung seiner maximalen Arbeit, z. B. in Form j mechanischer Arbeit, von dem Anfangs- ; in den Endzustand gelangt, so müssen beide Arbeiten einander gleich sein. Wären sie es nicht, so würde man die Differenz durch Hinführung des Systems vom Anfangs- zum Endzustand auf dem einen und Rück- führung auf dem anderen Wege als Arbeits- gewinn erhalten können, was der in den beiden Hauptsätzen der Thermodynamik zusammen- gefaßten Erfahrung von der Unmöglichkeit des Perpetuum mobile erster und zweiter Art widerspricht. Helmholtz zeigte, daß bei Konzen- trationselementen ein solcher zweiter Weg angebbar ist, die maximale Arbeit des bei elektrischer Arbeitsleistung stromliefernden Prozesses zu ermitteln. Läßt man z. B. durch eine homogene Lösung von Silber- nitrat zwischen Silberelektroden einen Strom fließen, so lange, bis 96540 Coulomb hin- durchgegangen sind und damit ein Gramm- äquivalent (== 107,93 g) Silber aufgelöst bezw. abgeschieden ist, so ist an der Kathode Verdünnung der Lösung eingetreten, da von dem ausgeschiedenen Grammäquivalent Silber nur der Bruchteil 1 — n Gramm- äquivalent durch Wanderung ersetzt worden ist, der Bruchteil n von 1 Grammäquivalent Silber fehlt und mit ihm derselbe Bruchteil n des Anions NO3, so daß im ganzen der Bruchteil n eines Grammäquivalents fehlt. An der Anode, wo statt der Abscheidung Auflösung von Silber erfolgt, hat gleichzeitig die Konzentration entsprechend zugenom- men. Diese so entstandenen Konzentrations- unterschiede können sich unter Leistung äußerer Arbeit wieder ausgleichen, indem eine die Elektroden verbindende metallische Leitung von einem, dem ersten entgegen- gesetzt gerichteten Strom durchflössen wird, durch welchen also Silber in der verdünuteren Lösung sich auflöst, aus der konzentrierteren sich abscheidet, wobei die Rückwanderung von Anion und Kation — wie vorher die Hinwanderung — im Verhältnis ihrer Ueber- führungszahlen erfolgt. Die Arbeit in der einen und anderen Richtung ist: E.96 5 40 Volt-Coulomb Es kann nun dieser Ausgleich, die Ver- dünnung der konzentrierteren und Konzen- trierung der verdünuteren Lösung auch da- durch geschehen, daß man Wasser aus der verdünuteren Lösung isotherm zu der kon- Galvanische Ketten 469 zentrierteren hinüberdestilliert. Da der Dampfdruck des Wassers durch gelöste Stoffe erniedrigt wird, so ist er über der konzentrierteren Lösung kleiner als über der verdünnteren. Er sei dort p^, hier p.,. Befindet sich Wasserdampf von diesen beiden Spannungen zu beiden Seiten eines Stempels in einem Zylinder, so wird der Stempel bis zum Ausgleich der Drucke vorwärts getrieben und die in Rede stehende Arbeit würde man in mechanischem Maße erhalten. Es muß also aus der verdünnten Lösung so viel Wasser als Wasserdampf von der Spannung Pa entfernt und der konzen- trierteren bei dem Dampfdruck p^ zugefügt werden, als der bei dem Durchgang von 96540 Coulomb eintretenden Konzentrationsände- rung entspricht. Das aber ist die Wasser- menge, in welcher 1 — n Grammäquivalent AgNOg gelöst waren und welche sich aus der Konzentration der Ausgaugslösuug berechnet. Die Uebereinstimmuug zwisrlien Versuch und Rechnung hat Helmholtz an Ele- menten aus Kupfer in verschieden konzen- trierten Lösungen von Kupfersulfat und an Zink in Zinksulfatlösungen erwiesen. Wir verschieben die Durchführung eines Beispiels bis zur Besprechung der Theorie, in welcher Nernst den Gedanken von Helm- holtz durch eine anschauliche Betrachtung vereinfacht und zugleich durch Erkenntnis des Mechanismus der Einzelvorgänge er- weitert hat. Es ist a priori anzunehmen, daß es für genaue Messungen der elektromotorischen Kraft von Konzentrationsketten von der Art der oben besprochenen aus Silber in Silbernitrat nicht belanglos sein kann, ob die Elektroden neben oder übereinander angeordnet sind. Ist letzteres der Fall, so muß der bei Stromdurchgang erfolgende Transport von Metall von oben nach unten durch die Wirkung der Gravitation unter- stützt werden. Dieser, von Maxwell gezogene Schluß wurde von Colley experi- mentell bestätigt. Auf diesem Prinzip beruhende Gravitationseleraente hat Des Coudres untersucht und gezeigt, daß auch bei diesen die elektromotorische Kraft sich vorherberechnen läßt. In einem 110 cm langen Glasrohre befand sich eine Lösung von Jodcadmium; in iVnsätzen an den Enden des Rohres die beiden gleichen Elektroden aus Cadmiumamalgam. Bei Neigung des Rohres entstand eine elektro- motorische Kraft, welche für den Höhen- unterschied von 1 m bei einer Lösung von 23,81% bei 20° 12,61 Mikrovolt betrug. Dieses Resultat läßt sich bei Kenntnis der Hittorf sehen Ueberführungszahlen für das verwendete Salz vorherberechnen aus der Arbeit, welche von der Schwere geleistet wird, wenn 1 — n elektrochemische Gramm- äquivalente Kation in absteigender, n Aequi- valente Anion in aufsteigender Richtung von einer zur anderen Elektrode gelangen. 5. Berechnung der elektromotorischen Kraft aus dem chemischen Gleichgewicht. 1 Einen für die Theorie chemischer und elek- trischer Vorgänge bedeutungsvollen Weg zur Lösung des von uns diskutierten Problems, die elektromotorische Kraft galvauiselier Elemente aus der Kenntnis andersartiger Größen vorherzusagen, hat van "t Hoff angegeben. Wir wollen diesen Weg an der Hand eines Beispiels kennen lernen, welches von Bredigund Knüpffer angegeben worden ist. Bringt man festes Thalliumchlorid mit einer Lösung von Rhodankalium zusammen, so bildet sich festes Rhodanthallium und eine Lösung von Chlorkalium: TICL- KSCNi^ösun,^ :<=^ TlSCN,,,t + KClj Der Umsatz verläuft nicht vollständig, sondern nur bis zu einem bestimmten Kon- zentrationsverhältnis. Und eben dieses stellt sich her, wenn man bei derselben Temperatur von den Stoffen auf der rechten Seite der Gleichung ausgehend, die auf der linken Seite sich bilden läßt. Wir haben also, wie die Pfeile andeuten, eine umkehrbare Reaktion, die zu einem Gleichgewicht in der Lösung führt. Ein solches ist charakterisiert durch die Konstanz des Verhältnisses aus dem Produkt der Konzentrationen der Ausgangsstoffe zu dem- jenigen der entstandenen Stoffe. Bezeichnen wir mit den eingeklammerten Symbolen die betreffenden Konzentrationen in Gramm- äquivalenten pro Liter in der Lösung und mit T. • T^ ■ T^ [T1SCN].[KC1]. K eme Konstante, so ist: K = rrj^,n— r^^öT^ Da aber jeder feste Stoff eine bestimmte Löslichkeit hat, somit bei Anwesenheit der beiden festen Stoffe ihre in Lösung befind- hche Menge konstant bleibt, so reduziert sich die Gleichung auf: K = .L-^v^pip. und, da die positiven Ionen identisch sind und in äquivalenten Mengen vorkommen, auf: [SCN] Bringen wir also in Anwesenheit der beiden festen Thalliumsalze Chlorkalium und Rhodankalium in dem durch den Wert von K bestimmten Gleichgewichtsverhältnis 470 Gralvanische Ketten zusammen, so bleibt alles unverändert. Weichen die Konzentrationen nach der einen oder anderen Seite von der Gleich- gewichtskonzentration ab, so ändert sich das System in der Richtung, die seiner Tendenz zur Einstellung des Gleichgewichtes ent- spricht. Und wie bei jedem freiwillig verlaufenden Vorgang, so ist auch bei diesem, wenn man ihn in ge- eigneter Anordnung ablaufen läßt, Arbeit zu gewinnen. Es ist unmittelbar einleuchtend, daß diese Arbeit um so größer sein muß, je weiter das System vom Gleich- gewicht entfernt war oder, um es noch an- schaulicher auszudrücken, aus je größerer Höhe das System dem Nullwert der Arbeits- fähigkeit, d. h. dem Gleichgewicht, zufällt. Van 't Hoff hat für die maximale Arbeit, die ein chemischer Prozeß leisten kann, TT den Ausdruck abgeleitet: A = RT In -^* Dariu bedeutet R die Gaskonstante, T die absolute Temperatur, K die Gleichgewichts- konstante, während t den nach demselben Schema wie K gebildeten Ausdruck für beliebig gewählte Konzentrationen bedeutet. Gellt mau nicht von beliebigen Anfangs- konzeutrationen aus, sondern nimmt von jeder verschwindenden Molekülart die Aus- gangskonzentration 1 und läßt den Umsatz erfolgen, bis die dabei entstehenden Molekül- arten sich in deu Konzentrationen 1 gebildet haben, so wird ä = 1 und der Ausdruck lautet A = RTlnK, d. h. die Kenntnis der Gleichgewichtskonstanten läßt uns unmittel- bar die maximale Arbeit angeben, die ein chemischer Prozeß leisten kann, wenn die Ausgangsstoffe von den Konzentrationen 1 sich in die Endprodukte von der Konzen- tration 1 umsetzen. Im behandelten Beispiel wurde das Gleichgewicht für verschiedene Temperaturen rein analytiscji festgestellt, indem Lösungen von Rhodankalium mit festem Thallium- chlorid bis zum Gleichgewicht geschüttelt wurden und ebenso Lösungen von Chlor- kalium mit festem Thalliumrhodanid. Daraus war K bekannt und damit nach der obigen Gleichung auch die maximale Arbeit, welche der chemische Prozeß leisten kann. Diese maximale Arbeit konnte nun direkt gemessen werden, indem man den Vorgang in einem reversibel arbeitenden galvanischen Element sich abspielen ließ, dessen beide Elektroden aus Thalliumamalgam derselben Zusammensetzung bestanden, von denen die eine mit festem Tlialliumchlorid und sodann mit einer Chlorkaliumlösung überschichtet war, die andere mit festem Thalliumrhodanid und einer Rhodankaliumlösung. Das Element von dem Schema: KSCN^ö,,„, TlSCN,,,t i Tl.,,^,ig,^ kann im Sinne des positiven Stromes von links nach rechts arbeiten, indem links Tl-Ionen in Lösung gehen und, w^eil dort die Lösung durch Anwesenheit von festem TlCl damit bereits gesättigt ist, als TlCl ausfallen, während rechts Tl aus dem festen TISCN sich abscheidet und die Rhodan- ionen in Lösung gelangen. In der Lösung sind also links Cl-Ionen verschwunden, rechts SCN-Ionen hinzugekommen, während sonst im Gesamtgehalt nichts geändert ist. Würde das Element bei seiner Arbeitsleistung vom positiven Strome im umgekehrten Sinne durchflössen werden, so würden SCN-Ionen aus der Lösung verschwinden und Cl-Ionen j hinzukommen. ! Benutzt man Chlorkalium- und Rhodan- i kaliumlösungen im Verhältnis ihrer Gleich- gewichtskonzentrationen, so muß die elektro- motorische Kraft des Elements Null sein. Denn was auf eine Weise im Gleichgewicht ist, muß es auf jede Weise sein, was chemisch im Gleichgewicht ist, muß es auch elektrisch sein. Mit Hilfe der Gleichung: A ='96540 E=: RTlnK i ließ sich durch Messung von E bei ver- ' schiedenen Temperaturen K berechnen und mit dem auf chemischem Wege für diese Temperaturen gefundenen vergleichen: Temperatur K malytiscli- rhemisch srcfunden aus E berechnet 39,9 o 85 0,88 20,0 1,24 1,26 0,8 1,74 I 1,79 Für irgendein Konzentrationsverhältnis wird das Element bei derjenigen Temperatur den Wert E = 0, also Polwechsel haben, bei welcher die Gleichgewichtskonstante den Wert dieses Konzentrationsverhältnisses CLSCN passiert, wenn also die in der Zelle angewendeten Konzentrationen von Gl und SCN bei dieser Temperatur auch im chemi- schen Gleichgewicht sind. Oberhalb der Polwechseltemperatur arbeitet das Element in der endothermen Richtung der Reaktions- gleichung, unterhalb der Polwechseltempe- ratur mit dei- umgekehrten exothermen Reaktion. 6. Berechnung elektromotorischer Kräftemit Hilfe des Nernstschen Wärme- (Talvanische Ketten 471 theorems. Die Gleichung A = RTlnK gibt die maximale Arbeit eines ehemischen Pro- zesses und damit die elektrdniotorische Kraft eines reversiblen galvanisclien Elements, in welchem er abläuft, aus der Kenntnis der Gleichgewichtskonstante, die durch eine be- sondere chemisclie Untersuchung, wie in dem behandelten Beispiel gezeigt wurde, zu er- mitteln ist. Das fundamentale Problem, welches die Thomson sehe Regel und der Berthelotsche Satz mit dem — im vorigen Abschnitt als falsch nachgewiesenen — Resultat A = U zu lösen versucht hatte, nämlich die Angabe der maximalen Arbeit eines Prozesses lediglich aus thermischen Messungen, war ungelöst geblieben. Nun- mehr ist es N ernst auf Grund seines neuen Wärmetheorems gelungen, die elektromoto- rische Kraft eines galvanischen Elements anzugeben lediglich aus der Kenntnis der Wärmetönung des im Element ablaufenden Prozesses und der spezifischen Wärmen der reagierenden Stoffe. Die Ableitung des Wärmetheorems und seine Anwendung auf den vorliegenden Fall findet sich in dem Artikel ,,T h e r m o c h e m i e". 7. Osmotische Theorie der galvanischen Elemente. Flüssigkeitsketten. Es liegt im Wesen aller thermodynamischen Betrach- tungen, daß sie einen Einblick in den Me- chanismus der Vorgänge nicht geben können. Gerade auf der Unabhängigkeit der maximalen Arbeit eines Systems vom Wege, auf welchem sie geleistet wird, bauen sich die auf galva- nische Elemente bezüglichen Schlüsse auf. Die thermodynamische Betrachtung be- schäftigt sich nur mit dem Anfangs- und Endzustand des Elements vor und nach dem Stromdurchgang und der Energiedifferenz dieser beiden Zustände. Eine Vorstellung vom Zustandekommen des elektrischen Stromes gewinnen wir dabei nicht. Eine solche ist von Nernst in der osmotischen Theorie der galvanischen Elemente ent- wickelt worden. Wenn man ein Gemisch zweier Gase an ekien von ihnen freien — mit einem dritten Gase erfüllten — Raum angrenzen läßt, so erfolgt eine Diffusion in diesen Raum hinein. Ist die Diffusionsgeschwindigkeit der beiden Gase verschieden groß, so muß das schneller diffundierende voraneilen. Ein Analogen dazu bildet ein Gemisch von Lösungen, welches mit dem reinen Lösungsmittel überschichtet ist. Grenzt z. B. ein Gemisch verschieden schnell diffundierender Farbstoffe an reines Wasser, so wird das Voranwandern des rascher diffun- dierenden leicht kenntlich. In der Lösung eines Elektrolyten haben wir nun nach den Anschauungen der Disso- ziationstheorie ebenfalls ein Nebeneinander von weitgehend unabhängigen Individuen, den Ionen, die sich verschieden schnell be- wegen. So bewegt sich beim Stromdurchgang durch eine Salzsäurelösung das Wasserstoff- ion etwa fünfmal schneller als das Chlorion. Da auf beide Ionen, welche die gleichen elektrischen Ladungen tragen, im Potential- gefälle die gleichen Kräfte einwirken, so ist ihre verschiedene Wanderungsgeschwin- digkeit auf die verschiedene Reibung, die sie am Lösungsmittel erfahren, zurück- zuführen. Diese muß also auch sich bemerkbar machen, wenn die Ionen nicht wie im Po- tentialgefälle nach verschiedenen Richtungen transportiert werden, sondern wenn sie durch den gleichen osmotischen Druck in gleicher Richtung geführt werden. Grenzt eine Lösung von verdünnter Salzsäure an reines Wasser, so ist die treibende osmotische Kraft, d. i. das Diffusionsgefälle für beide Ionen gleich. Daher sollte das Wasserstoffion mit fünfmal größerer Geschwindigkeit dem Chlor- ion voraneilen. Es gehngt jedoch nicht, hier wie bei dem Farbstoffgemisch zu einer etwa chemisch nachweisbaren Trennung zu gelangen. Denn auf die Ionen wirken, außer den osmotischen Kräften im Diffusionsgefälle noch die elek- ] trischen Kräfte zwischen den entgegen- gesetzten Ladungen. Die Lösung, in welche das voraneilende Wasserstoffion gelangt, würde sich zunehmend positiv laden, die Ausgangslösung mit Anhäufung der Chlor- ionen zunehmend negativ. Die Anziehung der beiden Ladungen bewirkt, daß das schneller wandernde Wasserstoffion zurück- ! gehalten, das langsamere Chlorion beschleu- nigt wird, so daß als der chemisch nach- ': weisbare Gesamteffekt nur die Diffusion der Salzsäure erscheint. Nun ist aber die elektrische Ladung der Ionen so groß — 96540 Coulomb pro Gramm- äquivalent — daß, wenn die Anhäufung von Wasserstoffionen durch ihr Voraneilen auch noch sehr weit unterhalb der Grenze der chemischen Nachweisbarkeit bleibt, doch die positive Aufladung der Lösung, in welche die Diffusion erfolgt, konstatierbar wird. i Verwendet man an Stelle der Salzsäure einen Elektrolyten, wie Kahumhydroxyd KOH, bei welchem das negative Hydroxyhon OH das schneller wandernde ist, so muß die Lösung, in welche die Diffusion erfolgt, negative Ladung aufweisen. Nernst hat gezeigt, daß sich nicht nur qualitativ der Sinn, sondern auch die Größe der elektromotorischen Kraft solcher Flüssig- keitsketten angeben läßt, wenn das Ver- hältnis der Konzentrationen und die Be- weglichkeiten der beiden Ionen bekannt sind. Er gibt dazu zwei Wege an. Auf dem ersten wird aus dem Konzen- trationsgefälle und den Bewedichkeiten die- 472 Galvanisclie Ketten i eilige Menge eines jeden der beiden Ionen berechnet, welche in einer bestimmten Zeit durch einen Querschnitt der Flüssigkeit wandern würde, wenn — wie bei Nicht- elektrolyten — allein die osmotischen Kräfte die ihre Bewegung bestimmenden wären. Sodann wird gesondert berechnet, welche Menge von jedem der beiden Ionen unter dem Einfluß der von ihnen ausgehenden elektrostatischen Kräfte bei einem bestimm- ten Potential derselben durch den Querschnitt (und zwar, da das eine Ion hierdurch ge- hemmt, das andere beschleunigt wird, in verschiedenen Richtungen) gehen würde. Die in Wirklichkeit durch den Quer- schnitt diffundierende Menge jedes der beiden Ionen ergibt sich durch Addition bezw. Subtraktion der den Einzelkräften entsprechenden Mengen. Diese in Wirklich- keit diffundierenden Mengen müssen endlich für beide Ionen gleich sein, da ja eine An- häufung der einen lonenart eben wegen ihrer Ladung nicht stattfinden kann. Aus der so erhaltenen Gleichung zwischen der Summe der beiden Kräfte für das eine Ion und der Differenz der Kräfte für das andere ist die wirksame elektrische Kraft, welche sich als die elektromotorische Kraft der Flüssig- keitskette bemerkbar macht, zu berechnen. Die einfache, elementar allerdings nicht wiederzugebende Ableitung (vgl. z. B. die aus- führliche Darstellung von Coehn in Müller- PouilletsLehrbuch der Physik Bd. IV) führt zu dem folgenden Ausdruck für die elektro- motorische Kraft E zwischen zwei Lösungen des gleichen, aus zwei einwertigen Ionen be- stehenden, als völlig dissoziiert angenommenen Elektrolyten von der Konzentration rj^ und r;., E = ^7^A RT In^ worin 1k und 1a die Wanderungsgeschwindig- keit des Kations und des Anions bedeuten, R die Gaskonstante und T die absolute Temperatur. Auf dem zweiten, von Nernst zur Be- rechnung dieser Größe eingeschlagenen Wege wird die Arbeit betrachtet, welche beim Durchgang vonlF=96ü40 Coulomb durch die Grenzfläche der beiden verschieden konzen- trierten Lösungen als Ausdehnungs- bezw. Kompressionsarbeit auftritt, indem die Ionen vom osmotischen Druck in der einen auf den in der anderen Lösung gebracht werden. Gelangt ein Grammolekül eines Gases von dem Druck p^ auf den kleineren Druck pg, Pi fläche zweier Lösungen eines aus zwei einwertigen Ionen bestehenden Elektrolyten, z. B. HCl, dessen Ionen in der einen Lösung den osmotischen Druck p^, in der anderen den osmotischen Druck Pa haben, so werden dabei die Kationen in der Stromrichtung, die Anionen entgegengesetzt geführt, und zwar im Verhältnis ihrer Wanderungs- geschwindigkeiten. Cieht im ganzen ein Grammäquivalent hindurch, so gelangen 1k 1 — r-j- Aequivalente Kationen vom osmo- 1k + 1a tischen Druck p^ auf den Druck pg. Das entspricht der Arbeitsleistung: Ak 1k RTln A = Ak + 1k + 1a P2 Die den entgegengesetzt wandernden Anionen entsprechende Arbeit ist: Aa = ,— ^,-I^Tln^-• lK+lA Pi Die Gesamtarbeit also: 1k + 1a P2 womit wir, da bei vollständiger Dissoziation — = -^ ist, den vorher auf anderem Wege i P2 V2 j abgeleiteten Ausdruck wiedergefunden haben. Wird nicht ein äußerer Strom durch die 1 Grenzfläche hindurchgeschickt, sondern die Kette geschlossen, so fließt natürlich der Strom in der Richtung, in welcher Arbeit geleistet wird, d. h. wenn 1k > 1a im Sinne von der konzentrierten zur verdünnten, ist 1k < 1a von der verdünnten durch die Berührungsfläche zur konzentrierten Lösung. Wird der Wert für die Gaskonstante R in elektrischem Maß eingesetzt und rechnet man zugleich durch Division mit 0,4343 den natürlichen in den Briggschen Logarithmus um, so ist RTln ^^^ = 0,0001983 T log ^^i- P2 P2 , Für Zimmertemperatur T = 273 + 18 '[ dann RTln ^ = 0,058 log ^ P2 P2 Wert für die elektromotorische Kraft der j Flüssigkeitskette ist also : E = 1^ r 0,058 log ^ Volt. 1k + 1a ' ^ P2 für einwertige Ionen und für n-wertige ' Ia ist der gesuchie so leistet es dabei die Arbeit: A = RTln . P2 Geht ein Strom durch die Berührungs- Hg HgCl;0,l KCl | 0,1 HCl | 0,01 —0,0282 +0,0387 ■•^liereclinet 0,0398 ^ = lf+ 1a 0,058 /o pi ,, ,^ .- — log — Volt, n ^ p. Nernst hat seine Theorie an zahlreichen Versuchen bestätigt. Die Ketten waren von der Art der folgenden: HCl I 0,01 KCl 1 0,01 KCl:HgCI Hg + 0,0282 +0,0011 Egefunden 0,0362 (Talvanisehc Ketten 473 Von den völlig gleichen, mit Kalomel als Depolarisator überschiclitoten iiiitl in 0,1-normaler Chlorkaliumlösung belincllichen Elektroden kann keine elektromotorische Kraft ausgehen. Da K und Cl fast gleiche Beweglichkeit haben, so berechnet sich die elektromotorische Kraft zwischen 0,1 KCl und 0,01 KCl zu dem angegebenen sehr kleinen Wert. Die elektromotorische Kraft zwischen 0,1 KCl und 0,1 HCl muß gleich sein derjenigen zwischen 0,01 KClundO,01HCl, da es nur auf das Verhältnis der Konzen- trationen ankommt. Da sie entgegengesetzt gerichtet sind, heben sie sich auf. Die aus- schlaggebende elektromotorische Kraft be- findet sich zwischen 0,1 HCl und 0,01 HCl. Die spätere elektrochemische Literatur hat zahlreiche weitere Beispiele erbracht. 8. Metallelektroden. Die Lösungs- tension der Metalle. Um die osmotische Theorie auch auf den Fall anzuwenden, daßfesteMetalle sich auflösen oder abscheiden, hat Nernst den Begriff der elektrolyti- schen Lösungstension eingeführt; vgl. den Artikel „Potential" (Elektrochemisches Potential). Bringt man festen Zucker mit Wasser in Berührung, so löst er sich bis zur Konzentration der gesättigten Lösung auf. Dann hemmt der osmotische Druck des ge- lösten Zuckers als Gegenkraft die weitere Auflösung. Entsprechend der Natur dieser Gegenkraft, welche als Druck aufgefaßt wird, nehmen wir die den Zucker in Lösung treibende Kraft ebenfalls als einen Druck an und schreiben dem festen Stoff einen Lösungsdruck oder, nach der Bezeichnung von Nernst, eine Lösungstension zu. Ist der feste Stoff nicht von der Beschaffen- heit des Zuckers, welcher in Lösung undissozi- ierte Moleküle bildet, und auch nicht von der eines Salzes, welches in Lösung in beide Arten von Ionen zerfällt, so daß die gesamte Lösung neutral bleibt; sondern hat der feste Stoff die Eigenschaft der Metalle, welche nur in einem Sinne — als Metallionen positiv — geladen in Lösung gehen, so niuß, da das gesamte System nach außen elektrisch neutral bleibt, sich die negative Ladung, welche der vom Metall an die Lösung über- gegangenen positiven Ladung entspricht, auf dem Metall anhäufen. Damit aber tritt ein neues, auf den Lösungsvorgang zurück- wirkendes Element in Aktion: die elektro- statische Anziehung zwischen den positiven Ionen und dem negativ aufgeladenen Metall. Diese Anziehung wirkt, wie der osmotische Druck, der Auflösung entgegen und Gleich- gewicht durch Kompensation der Lösungs- tension P tritt jetzt ein, wenn die Summe dieser beiden Kräfte, des osmotischen Druckes p und der elektrostatischen An- ziehung e gleich der Lösungstension P ge- worden sind. Bringt man umgekehrt das Metall in eine Lösung, welche laereits so viel von dem Metallsalz enthält, daß der osmotische Druck p der Metallionen bereits jene Gleich- gewichtskonzentration p = P übersteigt, also P < p ist, so scheiden sich positive Ionen auf dem Metall ab und das Metall wird positiv geladen, während die Lösung negativ geladen zurückbleibt. Auch hier wirkt die elektrostatische Anziehung der räumlichen Trennung der beiden Elektrizitäten und damit dem Fortgang des Vorganges ent- gegen und es tritt Gleichgewicht ein, wenn die elektrostatische Anziehung e gleich der Differenz p — P geworden ist. Ist endlich von vornherein P = p, so ist das System im Gleichgewicht und es zeigt weder Metall noch Lösung elektrische Ladung. Auf jeden Fall aber kann die beim Eintauchen in eine Lösung erfolgende Auf- lösung oder Abscheidung von Metalhonen nur minimal sein. Denn die Ladung der Ionen ist eine so große, daß schon die An- sammlung sehr geringer Mengen die elektro- statische Anziehung zu solcher Höhe ansteigen läßt, daß der Fortgang des Vorganges ge- hemmt ist. Wenn ein Gas sich von dem Drucke Pi auf den Druck pa ausdehnt, so ist die dabei zu gewinnende maximale Arbeit A = RTln ^. Bei der Besprechung der Flüssigkeits- ketten wurde diese Formel auf den Fall übertragen, daß Ionen von einem osmotischen Druck auf einen anderen gelangen. Betrachtet man den Vorgang der Metallauflösung als den Transport von Metallionen von dem Druck, welchen sie im festen Metall haben und welcher als der Lösungsdruck oder die Lösungstension P bezeichnet wurde, auf den Druck p, welchen sie in der Lösung be- sitzen, so ist die zu gewinnende maximale p Arbeit A = RTln — . In elektrischem Maß ist diese Arbeit für ein Grammion A = 96540 E Volt-Coulomb. Wird jetzt genau, wie es auf S. 472 ausgeführt wurde, für R der Wert der ,, elektrochemischen Gaskonstante" ein- gesetzt, so ergibt sich als die elektromoto- rische Kraft bei der Auflösung eines Metalls, welches einwertige Ionen bildet (z. B. Silber), bei Zimmertemperatur (18"): 10 p E = 0,058 log . Und wenn das Metall nicht einwertige, sondern n-wertige Ionen bildet: ^ 0.058 10 p E = — log — 1 n ^ p 47-4 Gralvanische Ketten Statt des osmotischen Druckes p führt man in die Rechnung gewöhnlich die diesem proportionale lonenkonzentration c ein und j bezeichnet entsprechend dann auch die Lösungstension des Metalls mit C, so daß die j allgemein verwendete Nernstsche Formel für die elektromotorische Kraft metallischer Elektroden lautet: | ^ 0,058 10 c E = log — . n ^ c E wird 0, wenn C = c ist. 9. Konzentrationsketten. Aenderung der lonenkonzentration c. Die Lösungs- tension ist eine zunächst unbekannte, aber für jedes Metall charakteristische Konstante. Kombinieren wir also zwei Elektroden, die aus demselben Metall bestehen, aber in verschieden konzentrierte Lösungen des- selben Metallsp.lzes eintauchen, so kann die elektromotorische lü'aft der entstehenden Kette nicht von der an beiden Seiten gleichen konstanten Lösungstension des Metalls ab- hängen, also überhaupt nicht von der Natur des Metalls. Sie hängt vielmehr unter Berück- sichtigung der Wertigkeit der Ionen nur ab von dem Verhältnis derlonenkonzentrationen. Eine Kette, bestehend aus zwei Silber- elektroden in Lösungen von der beiden Konzentrationen Ag 1 AgNOg 1 AgNOg Die Messung ergab 0,055 Vol. Unter Be- rücksichtigung der unvollständigen Disso- ziation der AgNOo- Lösungen berechnet Nernst aber 0,057 Volt in guter Ueber- einstimmung mit dem gefundenen Wert. — Ueber Anwendungen der Formel zur Be- stimmung der lonenkonzentration s. den Artikel ,, Ionen." IG. Galvanische Elemente mit zwei verschiedenen Elektroden. Der Wert C der Lösungstension fiel aus den bisherigen Ueberlegungen, bei welchen es sich um Elektroden aus demselben Stoff in ver- schieden konzentrierten Lösungen handelte, heraus. Wenden wir uns nun zur osmotischen Theorie galvanischer Elemente mit ver- schiedenen Elektroden nach Art des D a n i e 11-Elements, so kommt für die elektromotorische Kraft in erster Linie die Lösungstension in Betracht. Das Daniell-Element stellt sich dar als Kombination zweier Systeme nach Art der am Anfang des Abschnitts 8 beschriebenen. Die Lösung von Zinksulfat und Kupfersul- fat denken wir uns, wie es Fig. 1 andeutet. Silbernitrat c^ und Co Ag I II III weist drei Erregungsstellen elektromotori- scher Kräfte auf, über welche die osmotische Theorie Rechenschaft gibt. Sie betragen bei 18«: Zn n : : + - : : J - 1 — + ■ 1 ZnSO. CUSO4 10 c L 0,058 log 1k- IIL 0,058 log C IL -1a ^^--u,ü58iog^;. Die an der Stelle II nur bei verschiedener lonenbeweghchkeit für Kation und Anion zustande kommende Kraft wurde bei Be- sprechung der Flüssigkeitsketten abgeleitet. Die gesamte elektromotorische Kraft ergibt sich also zu 10 c 1k- h E= 0,058 log- + \~~,"- ^ Ci 1k + 1a 10 c, 10 C 0,058 log ^ — 0,058 log = -, -^iV 0,058 log ^. k + 1a ^ c, Die Wanderungsgeschwindigkeiten sind für 1a- = 65,7 und lyo, = 60,8. Ist nun die Konzentration c^ = 0,1 und c.^ = 0,01 Gramm- molekül pro Liter, so berechnet sich ^=-5TT+tö,8^'Ö^^*°§0% = — 2 . 0,522 . 0,058 . 1 = 0,0604 Volt. Fig. 1. durch ein Diaphragma, etwa aus Ton getrennt. Das Zink lädt sich, da es eine große Lösungs- + + tension besitzt, also positive Zn-Ionen in Lösung entsendet, auch in konzentrierter Zinksulfatlösung negativ. Das Kupfer mit sehr kleiner Lösungstension ist auch in verdünnter Kupfersulfatlösung positiv. Beide Vorgänge, derjenige der Auflösung von Zink und der der Abscheidung von Kupfer werden, wie bei Einführung des Begriffes der Lösungstension (S. 473) dar- gelegt wurde, durch die elektrische Auf- ladung gehemmt. Verbindet man nun die beiden Metalle durch einen Draht, so gleicht sieh der Potentialunterschied aus, die Hem- mung ist aufgehoben und weiteres Zink löst sich auf, während weiteres Kupfer sich abscheidet und dieser Vorgang geschieht stetig, indem die positive Ladung von Kupfer durch den Draht zum Zink fließt. Die elektromotorische Kraft des Elements setzt sich also zusammen (wenn wir von der kleinen Potentialdifferenz der Flüssigkeits- kette an der Berührungsstelle der beiden Lösungen absehen) aus den beiden entgegen- gesetzt gerichteten Potentialdifferenzen, welche sich an den Berührungsstellen der Galvanische Ketten 475 beiden Metalle mit ihren Lösungen ausbilden. Es ist also bei 18": _ 0,058/0 Czn Zn 0,058 '0 Ccu Cu 0,058 2 Wählt man die Lösungen von Zinksulfat und Kupfersulfat von gleicher Konzentra- tion, so verschwindet das zweite Glied und die elektromotorische Kraft ist ledighch gegeben durch das Verhältnis der Lösungs- tensionen von Zink und Kupfer. Es ist nun nicht möglich, die diesen Größen zukommen- den Zahlenwerte anzugeben, wozu nach der oben gegebenen Definition der Lösungs- tension erforderlich wäre, Lösungen von + + solcher Konzentration für Zn-Ionen oder Cu-Ionen aufzusuchen, daß C = c wäre. Beim Zink z. B. ist dies durch die begrenzte Löslichkeit der Zinksalze ausgeschlossen: es gibt keine Zinksalzlösung von so hoher Konzentration, daß beim Eintauchen metal- lischen Zinks sich dieses nicht noch negativ lüde. Man hat deshalb die willkürliche Vereinbarung getroffen, die Poteiitialdiffe- renzen aller Metalle in Lösungen, welche für ihre eigenen Ionen normal sind, d. h. 1 Grammäquivalent im Liter enthalten, miteinander zu vergleichen. Und man be- zieht alle diese Werte nach Nernst auf die Normalwasserstoffelektrode, d. h. auf eine von Wasserstoffgas bespülte platinierte Platinplatte, welche in eine für Wasser- stoffionen normale Lösung eintaucht. Die Messung dieser, deren Wert gleich Null gesetzt wird, gegen Zink in einer für Zn- Ionen äquivalent-normalen Zinksulfat- lösung, ergibt —0,770 Volt, gegen Kupfer in entsprechender Lösung +0,329 Volt. Die Vorzeichen geben den Sinn der Ladung, welche das Metall gegenüber der Wasserstoff- elektrode annimmt, bringen also zum Aus- druck, daß im ersten Falle in der Kette das Metall in Lösung geht und Wasserstoff abgeschieden wird, im zweiten Falle Wasser- stoff in Lösung geht und das Metall sich abscheidet. Die elektromotorische Kraft des D a n i e 1 1 - Elements mit normalen Salz- lösungen ist daher: E = 0,329 — (^0,770) = 1,099 Volt. Eine Tabelle der entsprechenden Werte für andere Metalle findet sich in dem Artikel „Potential (Elektrochemisches Po- tential)". Natürlich ist es nicht erforderlich, zur Messung die Bezugselektrode selbst zu ver- wenden, sondern an ihre Stelle kann jede zugselektrode festgestellt ist. Besonders häufig bedient man sich der Normal- Kalomel- elektrode: Quecksilber mit Kalomel über- schichtet in Normal-Chlorkaliumlösung. Das Potential dieser Elektrode gegen die Normal- Wasserstoffelektrode beträgt +0,285 Volt. Das negative Vorzeichen bedeutet, wie vorher beim Kupfer, daß Wasserstoff in der Kombination die Lösungselektrode ist. Einfluß der lonenkonzentration. Der oben angegebene Wert für das Daniell- Element bezog sich auf beiderseits normale lonenkonzentrationen. Aus der Formel S. 474 ist ersichtlich, daß bei Verringerung + + der Zn-Ionen um eine Zehnerpotenz, also auf 0,1 normale Lösung, die elektromoto- rische Kraft um i^4^i = 0,029 Volt zu- -^ + + nehmen, bei Verringerung der Cu-Ionen ebensoviel abnehmen muß. Ein besonders wirksames Mittel zur Herabsetzung der lonenkonzentration bildet die Zufügung eines Komplexbildners wie Cyankalium (vgl. den Artikel „Salze"). Die Aenderung kann dabei so stark sein, daß sich die elektromotorische Kraft des Ele- ments umkehrt. Zur Demonstration dieses Einflusses bedient man sich eines U-Rohrs: in den einen Schenkel kommt Zink in Zink- sulfatlösung, in den anderen Kupfer in annähernd gleich konzentrierter Kupfersulfat- lösung. Zur Trennung beider bringt man in den gebogenen Teil des Rohrs Watte, die mit einem indifferenten Elektrolyten wie Kalium- nitrat getränkt ist. Ein gewöhnliches Demon- ! strationsgalvanometer zeigt einen bestimmten Ausschlag. Man fügt zum ZnS04 eine KCN- Lösung bis zur Auflösung des zuerst ent- stehenden Niederschlages: der Ausschlag steigt stark an. Man ersetzt diese Lösung durch die ursprüngliche und erhält damit den ersten Ausschlag wieder. Setzt man nun zu der CuS04-Lösung KCN, so nimmt der Ausschlag sofort ab und geht, sobald der entstandene Niederschlag gelöst ist, + + stark nach der anderen Seite: die Cu-Ionen- konzentration ist durch KCN so herabgesetzt worden, daß Kupfer jetzt leichter in Lösung geht als Zink; die Konzentration Zn I ZnS04 | KCu(CN)2 | Cu bildet ein umgekehrtes D an i eil -Element, in welchem Kupfer sich löst und Zink aus- gefällt wird. II. Konzentrationsketten bezüglich der Elektroden. Aenderung der Lösungs- tension C. Die Lösungstension C ist eine für jedes Metall charakteristische Konstante, Aenderungen der Potentialdifferenz gegen eine Lösung konnte nur durch Beeinflussung von c, der lonenkonzentration, herbeigeführt werden. 476 (galvanische Ketten Unter besonderen Umständen hat man es in der Hand, auch C zu ändern. Eine platinierte Platinplatte, welche mit Wasser- stoff beladen ist, funktioniert als ob sie aus metallischem Wasserstoff bestände. Die Konzentration des Wasserstoffs im Platin ist nach dem Henry sehen Absorptions- gesetz proportional seinem Drucke. Dem- entsprechend ändert sich auch das Bestreben des Wasserstoffs, in Lösung zu gehen mit dem Drucke. Man kann diesen z. B. dadurch herabsetzen, daß man dem gegen die Platin- elektrode geleiteten Wasserstoff ein indiffe- rentes Gas, etAva Stickstoff, beimengt. Kom- biniert man eine solche Elektrode in der- + selben Lösung von der H-Ionenkonzentra- tion c mit einer anderen, gegen die Wasser- stoff bei Atmosphärendruck geleitet wird, so entsteht ein galvanisches Element, dessen Energiequelle der Druckunterschied des Wasserstoffs in den Elektroden ist. Es arbeitet also unter Ausgleich dieses Unterschiedes, woraus sich die Stromrichtung ergibt : Wasser- stoff geht an der Elektrode mit dem höheren Druck als positives Ion in Lösung und scheidet sich an der anderen ab. Setzen wir die dem Druck proportionale Lösungstension des Wasserstoffs dort gleich C\, hier gleich Cg, so ist die elektromotorische Kraft der Kette wieder gegeben durch die Differenz der Einzelpotentialdifferenzen der Elektroden gegen die Lösung: E = ,-, In — 2 c oder bei 18*^ und mit rithmen (vgl. S. 472): ^ 0,058/0 c RT, C.3 2 c Briggschen Loga- Es ist 0,058 zu schreiben, da es sich um den Druck des zweiwertigen Hg in den Elektroden handelt. Würden wir die Konzentrations- kette statt mit Wasserstoff mit Sauerstoff herstellen, so wäre die elektromotorische Kraft, da 0 zweiwertig, 0^ also vierwertig ist: ^ 0,058 10 Ci 0,058 '0 a Bei den früher besprochenen Konzen- trationsketten, welche, wie die S. 474 be- handelte Silbernitratkette, unter Ausgleich des osmotischen Druckes der Lösungen arbeiten, fiel die Lösungstension des Metalls heraus und die elektromotorische Ivraft war , - - ^ 0,058 '0 c gegeben durch: E= - log . Hier, wo die Arbeit nur vom Ausgleich der Lösungs- tensionen geleistet wird, muß umgekehrt die lonenkonzentration herausfallen und die 11 . . . , , T. 0,058,10 c, J^ onnel lautet entsprechend : E — i^- ^ Nicht nur bei Gasen, sondern auch bei Metallen lassen sich solche Konzentrations- ketten bezüglich der Elektroden aufstellen. [ Ist in Quecksilber ein unedleres Metall, ; etwa Zink oder Cadmium, gelöst, so ist I dieses allein Potential-bestimmend gegen die entsprechende Salzlösung. Schaltet man in derselben Cadmiumsulfatlösung zw^ei solche Amalgamelektroden von verschiedenem Cad- miumgehalt gegeneinander, so arbeitet die entstehende Kette unter Ausgleich des Cadmiumgehalts, d. h. aus dem konzen- + + trierten Amalgam gehen Cd-Ionen in Lösung und scheiden sich an dem verdünnteren aus. Solche Ketten sind vielfach untersucht 1 worden. Die Messungsresultate von ver- dünnten Lösungen entsprechen mit großer BT G I Genauigkeit der Formel: E = -^y li^ ^ ' WO Cj und Ca die Konzentration des Cad- miums in den Amalgamen bedeuten. Wie aus den obigen Ausführungen über die Gas- konzentrationsketten hervorgeht, ist in der Formel die Voraussetzung gemacht, daß Cadmium im Quecksilber zweiwertig, d. h. einatomig gelöst ist. Andererseits ist die I gute Uebereinstimmung der Resultate mit dieser Formel ein Beweis für diese Ein- I atomigkeit. Dieses Ergebnis steht im Ein- ; klang mit Messungen des osmotischen Druckes von Metallen in Quecksilber mit HiKe der Gefrierpunktserniedrigung. 12. Die Knallgaskette. Das Problem der direkten Elektrizitätsgewinnung aus Kohle. Wir haben die beiden Arten von Konzentrationsketten mit Gasen kennen gelernt, solche, bei welchen nur c verschieden war, bei welchen also identische Elektroden I in Lösungen von verschiedener lonenkon- ' zentration einander gegenüberstanden und solche, bei welchen C verschieden war, bei welchen also z. B. in derselben Lösung die beiden Elektroden dasselbe Gas bei ver- schiedenen Drucken enthielten. Von dieser letzten Art wurdenWasserstoffkonzentrations- ketten und Sauerstdlfkonzentrationsketten besprochen. Eine Kombination dieser beiden ergibt die Knallgaskette. I Die Knallgaskette arbeitet in der Weise, I daß aus den Gasen an den Elektroden die I Ionen des Wassers sich bilden, an der Wasser- : + Stoffelektrode H-Ionen, an der Sauerstoff- elektrode ÖH-Ionen, und zwar müssen beide Wirkungen, da die in Lösung gehenden Ionen entgegengesetzt geladen sind, also die gleiche Stromrichtung hervorrufen, sich addieren. Die elektromotorische Kraft muß unabhängig von der Lösung sein, in I welcher beide Elektroden stehen, gleich groß also z. B. in Natronlauge und Schwefel- säure, wie das auch die Messungen ergeben. Galvanische Ketten 477 Denn da in allen wässerigen Lösungen das + ^" Produkt der H-Ionen und der OH-Ionen einen konstanten Wert hat (vgl. ven Artikel „Ionen"), so muß z. B. beim Uebergang von Säure zu Alkali das Potential der Wasserstoffelektrode um ebensoviel ansteigen wie das der Sauerstoffelektrode sinkt. Was die Größe der elektromotorischen Kraft der Knallgaskette anlangt, so stehen hier die Messungen in bisher nicht aufge- klärtem Gegensatz zur Theorie. Auf ver- schiedenen Wegen ist von Nernst, Haber, Lewis unabhängig der Wert 1,23 Volt berechnet worden. Die Berechnung der richtigen Größe durch Nernst und v. Wartenberg geht von dem Gedanken aus, daß in der Knall- gaskette gasförmiger Wasserstoff und Sauer- stoff von Atmosphärendruck auf jenen kleinen Druck herabgesetzt werden, welchen Wasserstoff und Sauerstoff in ihrem Gleich- gewichtszustande im gesättigten Wasser- dampf besitzen. Diese letztere Größe konnte experimentell bestimmt werden. Die damit erlangte Kenntnis der Gleichgewichtskon- stante K für die Reaktion 'iHo + Og S^ 2H2O erlaubte die früher (S. 469) besprochene Gleichung : E=^^lnK n anzuwenden und das Ergebnis war für 11^ der genannte Wert E = 1,23 Volt. Alle Messungen der Knallgaskette haben jedoch nur bis zu dem Maximalwerte von 1,15 Volt geführt. Die Frage nach dem Grunde dieser Aljweichung konnte bisher nicht beantwortet werden. Die Vermutung, daß an der Sauerstoffelektrode sich ein Platin- oxyd bildet, dessen Potential anstatt des gesuchten gemessen würde, ist nicht wahr- scheinlich, da die Diskrepanz an anderen Elektroden wie z. B. Nickel ebenso groß ist. Zur technischen Arbeitsleistung haben Gaselemente bisher nicht herangezogen werden können. Die Elemente erlauben nur eine sehr geringe Stromentziehung und polarisieren sich leicht. Die in den Elektroden gelösten Gase werden nach Verbrauch offen- bar nur sehr langsam aus dem Gasraum wieder ersetzt und auch das Heranleiten der Gase an die Elektroden in raschem Strome wirkt nur wenig fördernd. Diese Versuche stehen in Beziehung zu einem der wichtigsten technischen Probleme unserer Zeit. Wir erzeugen elektrische Energie zumeist auf dem Umwege über die Wärme. Dabei aber gehen ungeheuere Mengen von Energie verloren. In der Dampfmaschine wird von der Verbrennungswärme der Kohle wenig mehr als der zehnte Teil nutzbar gemacht. Man sucht also nach einem Wege, die Verbrennung der Kohle direkt elektro- motorisch wirksam zu machen. Daß es theoretisch möglich ist, nahezu die gesamte Verbrennungswärme der Kohle in äußere Arbeit überzuführen, ist aus Messungen von Boudouard über die Dissoziation der Kohlensäure von Nernst abgeleitet worden. Man kann zur Lösung des Problems zwei Wege einschlagen. Auf dem einen wird versucht, die Kohle als Lösungselektrode eines Elements zu verwenden. Daß sie unter bestimmten Umständen anodisch mit dem 12 elektrochemischen Aequivalent ^- = 3 nach Maßgabe des F ar ad ay sehen Gesetzes gelöst wird und aus solcher Lösung auch wieder abgeschieden werden kann, ist von Coehn gezeigt worden. Ebenso auch, daß diese Auflösung elektromotorisch wirksam gemacht werden kann. Die technische Ausgestaltung \ scheitert aber daran, daß molekularer Sauer- stoff zu träge reagiert, um als Gegenelektrode verwendbar zu sein, die Regenerierung der hier geeigneten wirksameren Oxydations- mittel aber selbst Energieaufwand erfordert. Der zweite Weg ist die Verwendung von Gaselementen. Man verzichtet dabei auf die Energie, welche der Verbrennung der Kohle zu Kohlenoxyd entspricht und ver- sucht dieses in einem Gaselement mit Sauer- stoff als Gegenelektrode elektromotorisch wirksam in Kohlensäure überzuführen. Das Haupthindernis eines technischen Erfolges ist hier das gleiche wie im vorigen Falk Einen bemerkenswerten Erfolg auf diesem Wege hat Haber dadurch erreicht, daß er die Reaktionsträgheit der benutzten Gase durch Temperatursteigerung überwand. Als Elektrolyten benutzte er auf 500" erhitztes Glas, das an beiden Seiten mit Platin als Elektroden belegt war, an welchen einerseits Luft oder Sauerstoff vorübergeleitet wurde, andererseits Kohlenoxyd. Die elektromoto- rische Kraft, etwa 1 Volt, entsprach der aus der Kenntnis des Gleichgewichts der Re- aktion berechneten. 13. Oxydations- und Reduktionsketten. Die elektrolytische Dissoziationstheorie hat die Begriffe der Oxydation und Reduktion, welche sieh ursprünglich auf dieAufnahme und die Entziehung von Sauerstoff bezogen, er- weitert. Ost wald wies darauf hin, daß, soweit Ionen im Spiele sind, jede Oxydation unter Aufnahme von positiver (bezw. Abgabe negativer) Ladung verläuft, jede Reduktion umgekehrt unter Abgabe positiver (bezw. Aufnahme negativer)Ladungen. Man ist über- eingekutnnu'ii, auch wo es sich nicht uniAuf- nahme oder Abgabe von Sauerstoff handelt, die entsprechenden Ladungswechsel als Oxy- dations- bezw. Reduktionsvorgänge zu be- zeichnen. In diesem Sinne sind alle be- CTalvaniselie Ketten sprochenen Ketten Oxydations- und Re- duktionsketten. Im D a n i e 1 1 - Element wird metallisches Zn unter Aufnahme positiver + + + + Ladungen zu Zn oxydiert und Cu-Ion wird unter Abgabe positiver Ladungen zu Cu reduziert. Nun ist solche Aufnahme und Abgabe positiver Ionen auch möglich in der Weise, daß bereits vorhandene Ionen von wechselnder Valenz neue Ladungen auf- nehmen oder unter Abgabe von Ladungen mit einer geringeren Zahl Ladungen fort- + + . existieren. So kann das Ferroion Fe in das + + + Ferriion Fe übergehen oder das zweiwertige ++ ++++ Manganion Mn in das vierwertige Mn. Der Valenzwechsel dieser beiden in entgegen- gesetzter Richtung findet statt, wenn man eine Lösung von Ferrosulfat mit einer schwefelsauren Lösung von Permanganat zusammenbringt: Die Ferroionen oxydieren sich, indem sie den vierwertigen Mangan- ionen je zwei positive Ladungen nehmen. Dieser Vorgang kann elektromotorisch wirk- sam gemacht werden, wenn man Reduktions- und Oxydationsvorgang örtlich getrennt verlaufen läßt, die beiden Lösungen also etwa durch eine indifferente Lösung wie KNOo trennt und in jede eine Platinelektrode bringt. Werden diese durch einen Schließungs- draht verbunden, so gehen die von dem höher- +++ + wertigen Mn-Ion abgegebenen Ladungen auf dem Wege durch diese Verbindung zu den weiterer positiver Aufladung noch fähigen Fe-Ionen über. Es müssen also durch die Anwesenheit der beiden Lösungen an den unangreifbaren Platinelektroden diesen Po- tentiale aufgezwungen sein, deren Differenz sich durch den Verbindungsdraht auszu- gleichen strebt und durch Anwesenheit der Lösungen sich wieder herstellt. Während aber bei allen bisher besproche- nen Elektroden — angreifbaren Metall- elektroden und Gaselektroden mit unangreif- baren Metallen als Trägern — der Vorgang ihrer Aufladung nach der osmotischen Theorie durchsichtig erschien, indem beim Eintauchen der Elektroden in die Lösungen — je nach dem Verhältnis von Lösungstension und osmotischem Druck — geladene Ionen sich bilden oder abscheiden, ist bei den jetzt betrachteten Ketten nicht unmittelbar er- sichtlich, wie diese Aufladung zustande kommt. Allen Ladungstransport beim Ueber- gange von Elektrode zum Elektrolyten und damit die Aufladungserscheinungen bei ihrer Berührung erkannten wir bisher als an Materie gebunden. N ernst zeigte, daß diese Anschauung auch auf die Aufladung unangreifbarer Elektroden beim Eintauchen in Oxydationsmittel wie Kaliumpermanganat und Reduktionsmittel wie Ferrosulfat über- tragbar ist. Er nimmt an, daß diese beiden die Elektroden mit Sauerstoff oder Wasser- stoff beladen. In der Tat gibt es Reduktions- mittel, welche eine eingetauchte platinierte Platinplatte mit Wasserstoff bis zu seiner gasförmigen Entwickelung beladen, z. B. I Chromchlorür in saurer Lösung; und ebenso ! gibt es Oxydationsmittel, welche Sauerstoff gasförmig entwickeln, wie Cobaltisalzlö- i sungen. Andererseits konnte z. B. bei schwächeren Reduktionsmitteln die nicht bis zur sichtbaren Gasent Wickelung gelangende Beladung mit Wasserstoff dadurch nach- gewiesen werden, daß man an die eine Seite eines Palladiumblechs ein Reduktionsmittel t brachte und den durch Palladium leicht I hindurchdiffundierenden Wasserstoff auf der i anderen Seite durch Potentialmessung nach- I wies. Die Beladung mit Sauerstoff oder Wasser- stoff geschieht bis zu einem für jedes Oxy- dations- oder Reduktionsmittel charakte- ristischen Potential. Dieses und damit die Oxydations- und Reduktionskraft der be- treffenden Substanzen ist direkt meßbar als die elektromotorische Kraft eines Elements, i zusammengestellt aus einer in die Lösung eintauchenden Platinelektrode und einer Normal-Wasserstoffelektrode. Man hat so eine große Zahl von Reduktions- und Oxy- dationsmitteln in eine Reihe gebracht, an deren Spitze als stärkstes Reduktionsmittel eine alkalische Lösung von Zinnchlorür und an deren Ende als stärkstes Oxydations- mittel Kaliumpermanganat steht. Der Wert von C in der Nernstschen Formel, im vorliegenden Falle der Druck, bis zu welchem die Gasbeladung der Elek- trode erfolgt, muß bei derselben Substanz mit deren Konzentration ansteigen und muß \ herabgesetzt werden durch dasjenige Produkt, j welches in der Lösung bei dem Vorgange der Beladung sich bildet. Belädt z. B. Ferro- sulfat eine Platinelektrode mit Wasserstoff, ! wobei Ferrisulfat entsteht, i ++ + +++ 2 Fe + 2 H = 2 Fe + H.^, so muß dieser Vorgang nach dem Massen- wirkungsgesetz im Sinne der Gleichung von links nach rechts verschoben werden ++ durch Vermehrung der Fe-Ionen, er muß aber gehemmt werden, wenn man der Lö- sung bereits Fe - Ionen zufügt. Es kehren + + + + + in dem Verhalten der Fe zu den Fe - Ionen genau die gleichen Beziehungen wieder, die i wir etwa bei einem Zinkamalgam in der j Lösung eines Zinksalzes antrafen. Dem [ dort sich einstellenden Potential der Elek- trode Galvanische Ketten 479 ^ 0,058 jo c E = log— n '^ e entspricht hier, da n bei dem Uebergaiige + + + + + von Fe in Fe gleich 1 ist: 10 c"t+ E = 0,058 log ~V- Diese von Peters abgeleitete Formel hat sich als geeignet erwiesen, das Potential einer Platinelektrode anzngeben, welche in eine Lösung von Ferro- und Ferriionen ein- taucht, deren Konzentrationsverhältnis be- kannt ist. Andere Oxydations- und Re- duktionsketten sind von Schaum unter- sucht und in Uebereinstimmung mit der oben gegebenen Formel gefunden worden. 14. Akkumulatoren. Für die Er- zeugung elektrischer Energie zu tech- nischen Zwecken, welche größere Elektrizi- tätsmengen fordern, sind die bisher bekannten galvanischen Elemente bei dem hohen Preis der Arbeit liefernden Stoffe und der Notwen- digkeit häufiger Erneuerung des Aufbaues nicht geeignet. Dagegen finden galvanische Elemente ausgedehnteste Anwciuhmg für die Aufspeicherung elektrischer p]nergie als Sekundärelemente oder Akkumulatoren. Der einfachste Vorgang der galvanischen Polarisation ergibt im Prinzip einen solchen Akkumulator: Platinplatten in verdünnter Schwefelsäure beladen sich bei Stromdurch- gang mit Wasserstoff bezw. Sauerstoff und das so entstandene Knallgaselement liefert Strom, indem die Differenz der Elek- troden sich unter Wasserbildung wieder ausgleicht. Die Aufnahmefähigkeit der Platiiiek'ktroden für die Gase und somit die Kapazität dieses Akkumulators ist aber nur sehr klein. Der heute am meisten in Gebrauch be- findliche Akkumulator geht zurück auf eine Beobachtung, welche Ritter im Jahre 1803 machte und in ihrer Tragweite klar erkannte. Bleiplatten werden in verdünnter Schw^efel- säure bei Stromdurchgang so verändert, daß sie einen Polarisationsstrom zu geben vermögen, in welchem die Veränderung sich wieder ausgleicht. Da dabei Wasserstoff und Sauerstoff nicht gasförmig absorbiert, sondern — wie wir sehen werden — chemisch gebunden werden, ist die Kapazität eines solchen Akkumulators von vornherein größer, als die der Platinpiatten. Gaston Plante erkannte, daß die Kapazität eines solchen Bleiakkumulators um so größer sein müsse, je tiefer in das Innere der Bleiplatten der wirksame chemische Prozeß eindringt. Es gelang ihm, eine Auflockerung der Platten zu erreichen, indem er den Prozeß der Ladung und Entladung in häufigem Pol- wechsel ausführte. Man nennt diese Behand- lung das Formieren der Bleiplatten. Die Beobachtung der Platten während der Ladung gibt einen Anhalt für den chemischen Prozeß, in welchem sich die Aufspeicherung der elektrischen Energie in Form chemischer Energie vollzieht: Die mit dem positiven Pol verbundene I Bleiplatte färbt sich dunkelbraun, es ent- steht Bleisuperoxyd, PbOg-, an der nega- i tiven Elektrode wird zunächst Wasser- stoff entwickelt. Nach dem Umschalten des Stromes wird das in lockerer Form vorhandene Bleisuperoxyd zu feinkörnigem, schwammigem Blei reduziert, während an der anderen Seite die Auflockerung durch Bil- I düng von Bleisuperoxyd einsetzt. So dringen Oxydation und Reduktion immer tiefer in die Bleiplatten ein. In weit kürzerer Zeit konnte der durch das Formieren angestrebte Effekt erreicht werden, als man nach dem Vorschlage von Faure eine Paste, die aus \ Bleioxyd oder Mennige mit Schwefelsäure bestand, auf die Platten brachte oder ein Gemisch von Bleistaub mit Schwefelsäure. Um diesen Pasten Halt zu geben, hat man die Platten mit Rinnen versehen oder sie zu Bleigittern ausgestaltet. 1 Die Energiemenge, welche so formierte Platten pro Kilogrammgewicht des Akku- mulators aufzunehmen vermögen, beträgt etwa 2,7 bis 5 Volt-Ampere-Stunden (Watt- Stunden) für stationäre Akkumulatoren, j bei welchen hohes Gewicht nicht stört. Für transportable Akkumulatoren zieht man es vor, die Energieaufspeicherung pro Kilo- j gramm auch auf Kosten der Lebensdauer I des Akkumulators höher zu treiben. i Der Nutzeffekt bezüghch der hinein- geladenen Strommenge (Ampere- Stunden) j ist etwa 96 Proz. Der Nutzeffekt bezüglich 1 der Energie (Volt-Ampere- Stunden) ist aber j geringer (ca. 82 Proz.), da die Spannung bei der Ladung eine höhere ist, als bei der Entladung. Die Deutung des Spannungsunterschiedes bei der Ladung und Entladung kann nicht in einer Aenderung des Widerstandes ge- funden werden und muß daher aus den Vorgängen an den Elektroden hergeleitet werden. Im entladenen iVkkumulator ist an beiden Elektroden BleisuKat, PbS04, vorhanden. Beim Stromdurchgang wird H2SO4 zersetzt und es gehen die folgenden Umsetzungen vor sich: bei der Ladung: an der Kathode: PbS04 + Hg = Pb + H2SO4, an der Anode: PbS04 + SO4 + 2H20 = Pb02 + 2HoS04; bei der Ent- ladung: ander Kathode :Pb+ 804= PbS04, PbO. H, H0SO4 an der Anode: PbS04 + 2H2O. Die Zusammenfassung dieser vier Glei- 480 Gralvanische Ketten chungen stellt die Gesamtheit der Vorgänge dar in der Form: PbO., + Pb + 2H2S04^ 2PbS04 + 2H2O. Diese Gleichung, von links nach rechts gelesen, gibt den Entladungsvorgang, von rechts nach links den Ladungsvorgang. Man erkennt, daß bei der Entladung Schwefel- säure gebunden und Wasser gebildet wird, der Elektrolyt also sich verdünnt, umgekehrt bei der Ladung. So ist es möglich, aus der Aenderung der Säuredichte mit Hilfe des Aräometers den Fortgang des Prozesses in beiden Richtungen zu beurteilen. Die übliche Säure hat im entladenen Zustande die Dichte 1,15, im geladenen die Dichte 1,18 bis 1,20. Die obige Gleichung vom Standpunkte des Massenwirkungsgesetzes be- trachtet — nach welchem die Vermehrung der Konzentrationen auf der einen Seite das Gleichgewicht in Richtung nach der anderen Seite verschiebt — ergibt, daß der Entladungsvorgang gefördert wird durch höhere Säurekonzentration. In der Tat steigt mit dieser die elektromotorische Kraft des Akkumulators. Die thermodynamische Theorie des Akku- mulators erlaubt, die x\bhängigkeit der elek- tromotorischen Kraft des Akkumulators von der Säuredichte auf demselben Wege zu berechnen, den Helmholtz für die Berechnung von Konzentrationsketten (vgl. Abschnitt 4) angeweiulet hat. Ferner läßt sich zeigen, daß die elektromotorische Kraft aus der Wärmetönung des im Akkumulator ablaufenden chemischen Prozesses und dem Temperaturkoeffizienten berechenbar ist. Aus der Uebereinstimmung dieser be- rechneten mit den gemessenen Werten für die elektromotorische Kraft ist zu schließen, daß die chemischen Prozesse im Akkumulator mit maximaler Arbeitsleistung verlaufen, daß also der Akkumulator im Prinzip reversibel arbeitet. In der Tat ist das auch der FaU, wenn Ladung und Entladung mit sehr geringer Stromdichte erfolgen. Die Deutung für die praktische Irreversibilität, die in dem erheblichen Spannungsunter- schied bei der Ladung und Entladung hervor- tritt, ist in einer eigenartigen Konzentrations- polarisation zu suchen. Wie die Gesamt- gleichung für den chemischen Vorgang im Akkumulator lehrt, steigt die Konzentration der Schwefelsäure bei der Ladung und fällt bei der Entladung. Diese Konzentrations- änderungen vollziehen sich der Hauptsache nach innerhalb der porösen Elektroden und können sich nur langsam durch Diffusion nach außen ausgleichen. Da nun aber, wie wir oben gesehen haben, die elektro- motorische Kraft in konzentrierterer Schwefel- säure höher ist, so ist erklärt, weshalb nur bei Ladung und Entladung mit so geringen Stromdichten, daß die Konzentrationsände- rungen sich durch Diffusion ausgleichen können, die theoretisch wohlbegründete Re- versibilität des Akkumulators praktisch an- nähernd erfüllt sein kann, während bei größeren Stromdichten die Ladungsspannung höher sein nuß, als die Entladungsspannung. Mit Hilfe der osmotischen Theorie hat zuerst Le Blaue Rechenschaft von den Einzelvorgängen an beiden Elektroden des Akkumulators gegeben, sodann in etwas abweichender Form Liebenow. Die elektro- motorische Kraft an der negativen Elektrode ist bestimmt durch die Lösungstension des Bleis, Cpb, und die in Schwefelsäure minimale Konzentration der Pb-Ionen cpb. An der Anode wird ganz entsprechend angenommen, daß das PbOg eine Lösungstension Cphp^ hat und diese erfolgt nach Maßgabe der in der Lösung bereits vorhandenen PbOg- lonen, deren Konzentration durch cpbö., dargestellt sei. Die Existenz dieser PbOj- lonen in alkalischer Lösung ist nachweisbar, indem daselbst eine Verbindung NagPbOg + so dissoziiert ist (2Na + PbOo), daß bei Stromdurchgang PbOa-Ionen zur Anode wandern. Folgerichtig muß diese lonenart auch in saurer Lösung angenommen werden, wenn auch in außerordentlich kleiner Kon- zentration, die aber bei Anwesenheit von festem PbOo auf konstanter Höhe erhalten wird. Die Nernstsche Formel ergibt somit für den Akkumulator ganz entsprechend wie für das Daniellelement (S. 475): RT /, Cpb , i_ Cpi)0..\ CpbÖ2 2 \ c++ ^ Cpi^öJ Bei Zimmertemperatur (T = 273 + 18) und mit Einsetzung Briggscher Logarithmen: 0,058/1*» Cpb E = ~2- log^ \ Pb >« CpboA , log , Die elektromotorische Kraft nimmt also sowohl bei steigender Konzentration von + + — Pb wie von PbOa ab. Dementsprechend ist i sie geringer sowohl in alkalischer Lösung, wo nach obigem die PbÖa-Konzentration vergrößert, wie auch in saurer Bleinitrat- I + + j lösung, wo die Pb-Ionen vermehrt sind. Versuche mit anderen als Bleiakkumula- toren haben bisher nicht zu dauerndem Erfolge geführt. Einige Zeit hat man auf den Kupfer-Zink- Sammler (Waddell-Entz- j Akkumulator) große Hoffnungen gesetzt. Zink und Kupferoxydul standen einander in alkalischer Zinklösung gegenüber. Bei der Ladung geht Zink in Lösung und das Kupfer- ! oxydul wird zu Kupfer reduziert. Bei der Ladung wird Zink aus dem Elektrolyten abgeschieden und das Kupfer oxydiert. Galvanische Ketten — Gärtner 481 Erfolgt diese Oxydation aber über das Oxydul hinaus bis zur Oxydstufe, so geht Kupfer in Lösung, diffundiert zum Zink und bringt dieses unter Wasserstoffentwiekehmg zur Gang. Mit Mineralien oder Gesteinen erfüllte Spal- ten. Gemischte Gänge sind mit mehreren Auflösung. Diesem Mangel konnte bisher Eruptivgesteinen oft in symmetrischer An- nicht ableholfen werden. Ordnung erfüllte bpalten (vgl. den Artikel Von Jungner und von Edison wurde ,a>agerungstorm der Gesteine"), der Eisen-Nickelsuperoxyd-Akkumulator in Vorschlag gebracht. Die negative Platte besteht aus schwammigem Eisen, die positive aus Nickeloxyden; beide Substanzen sind in sogenannte ,, Taschen" aus perforiertem Nickel- bezw. Eisenblech eingebettet. Als Ganggefolgschaft. Tiefengesteine sind nicht selten von Elektrolyt dient eine Lösung von Kalium- eigentümlichen Ganggesteinen begleitet, deren hydroxyd eine Reihe sich durch größeren Gehalt an Bei dem Entladungsvorgang oxydiert Alkalien (salischen Bestandteilen), deren an- sich Eisen zu Eisenoxyd, FcsOg, bezw. emem dere sich durch größeren Gehalt an alkalischen Hydrat desselben und das Nickeloxyd wird Erden und Eisen (femischen Bestandteilen) zu Nickeloxydul, Ni(OH)o reduziert. Förster auszeichnet. Diese Ganggesteine bezeichnet gibt für die \ organge folgende summarische ^an als die Ganggefolgschaft des betreffen- Reaktionsgleichung: den Tiefgesteins (vgl. den Artikel „Petro- Entiadune; Ichemie der Eruptivgesteine"). Fe + 2Ni(0H)3 Z Fe(0H)2 + 2Ni(OH)2. | Ladung j Er zeigt aber, daß zu diesen Vorgängen [ noch andere hinzukommen, insbesondere, daß der Elektrolyt sich bei der Entladung konzentriert, indem die aktive Masse der positiven Elektrode dabei Wasser bindet. V. Gärtner Karl Friedrich Geboren am 1. Mai 1772 zu Calw in Württemberg Bei der Ladung findet demgemäß, umgekehrt als Sohn von Joseph Gärtner. Er widmete sich wie im Bleiakkumulator, Verdünnung des nach zweijcähngerpiiarmazeutischer Tätigkeit dem Elektrolvten statt medizinischen Studium, und zwar zunächst auf Dip "^rnnmino-' Hps o-pladpnpn Akkunin- ^^^^ Karlsschule in Stuttgart, darauf (1794) in Die Spannung des geladenen Akkumu- j^^^^ ^^^^^ Göttingen. 1796 ließ er sich m seiner ators betragt 1,3 bis 1,35 Volt. Man entladt Vaterstadt als Arzt nieder, wo er am 1. September bis etwa 0,8 \ olt. Die Kapazität pro he- isöO starb. 1805 bis 1807 erschien in Leipzig wichtseinheit ist nicht viel günstiger als beim von ihm ein Supplement zur Karpologie seines Bleiakkumulator: 1 kg nimmt etwa 20 Watt- Vaters, das von diesem hinterlassene und zahl- stunden auf. i reiche eigene Untersuchungen des Verfassers nebst Als ein Nachteil ist der starke Spannungs- 1 75 neuen Tafeln Abbildungen enthielt. Von her- abfall vom geladenen bis zum entladenen yo^agender Bedeutung wurden seine experimen- 7llst^nd an7imphpn Während der Blei- ^^^^^^^ Untersuchungen über die Sexualität der Z,iistancl anzuseilen wanrena aer ßiei , pn^nzen, so die gekrönte Preisschrift „Over de akkumu ator m der Haupt-Entladungs- voorsteUung van bastardplanten etc." (1838) Periode konstante Spannung aufweist, findet und ein zweibändiges Werk (Band 1 unter dem hier unausgesetztes Sinken statt. ; Titel ,, Beiträge zur Kenntnis der Befruchtung Ein großer Vorteil aber, der die auf die usw." [Stuttgart 1844], Band II als ,, Versuche Ausgestaltung dieses Akkumulators verwen- und Beobachtungen über die Bastarderzeugung dete Mühe rechtfertigt, ist seine im Vergleich im Pflanzenreich usw."[ebenda 1849], in welchem zum Bleiakkumulator starke Widerstands- "l^ht so sehr überraschende neue Entdeckungen kraft gegen plötzliche starke Beanspruchung, tCZaSS^ 1^^^^:^^''''''''''' ^^'^ gegen zu weit gehende Entladung und gegen : ^ Erschütterungen. LiteraUir. H. i\ HelinhoUz, Thermodynamik \ chemischer Vorgänge. Gesammelte Abhandlungen, Bd. 2, 1882. — W. Kernst, Theoretische Chemie, 7. Aufl. Stuttgart 1912. — W. Ostwald, Lehr- buch der allgemeinen Chemie, Bd. 2, 2. Aufl. Leipzig 1893. — M. Le Blanc, Lehrbuch der Elektrochemie, 4. Avfl. Leipzig 1906. — A, Coehn, Elektrochemie. Ln Müller -Potcillets Lehrbuch der Physik, Bd. 4, 10. Avfl. Braun- schiveig 1909. A. Coehn. W. Ruhland. Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Oärtiier Joseph. Geboren am 12. März 1732 zu Calw in Württem- berg. Nachdem er von 1750 ab in Tübingen und bald darauf in Göttingen studiert hatte, promovierte er in Tübingen und bereiste West- europa. 1761 wurde er Professor der Anatomie in Tübingen und 1768 Akademiker und Professor Band IV. 31 482 (iärtner — üäruni;' (Alkolioliselic (Tärung, Theoretisches) der Xaturgeschichte in St. Petersburg. Diese Stellungen gab er indessen nach einer Keise in die Ukraine schon 1770 wieder auf, um in seiner Vaterstadt ganz wissenschaftlicher Tätigkeit zu leben. Dort starb er am 14. Juni 1791. Von dauernder grundlegender Bedeutung sind seine morphologischen Arbeiten über Früchte und Samen geworden („De fructibus et seminibus plantarum", Stuttgart und Tübingen 1789 bis 1791, 2 Bde., mit 180 Kupfertafeln). Literatur. Velenze, in Annales du Museum National d'histoire naturelle XI, 1802, p. '207 Ins 283. W. lluhland. Gärung. a) Alkoholische Gärung, a) Theoretisches. ^) Praktisches, b) Cellulosegärung. c) Gärungen, welche die Entwickelung organischer S?uren zur Folge haben, d) Milch, Butter, Käse, e) Eiweiß- gärung. a) Alkoholische Gärung, a) Theoretisches. 1. Begriffsbestimmung. 2. Verbreitung des Vermögens der alkoholischen Gärung. 3. Die typischen Gärungsorganismen. 4. Natürliches Vorkommen der Gärungsorganismen. b. Sub- strat lind Produkte der alkoholischen Gärung. 6. Mechanismus der alkoholischen Gärung. 7. Bedeutung der alkoholischen Gärung für das Leben der Gärungsorganismen. 8. Andere Alkoholgärungen. 1. Begriffsbestimmung. Unter alkoho- lischer Gärung versteht man im weiteren Sinne jede durch Lebewesen erzeugte Zer- setzung, bei der unter den auffallenden Zersetzungsprodukten sich ein Alkohol vor- findet. Danach würden unter den Begriff nicht nur gewisse Bakteriengärungen wie die Butylalkoholgärung des Zuckers (Beije- rinck),'die Bildung von Mannit aus Zucker durch gewisse Milchsäurebakterien (Gayon und Dubourg, Müller-Thurgau) fallen, sondern auch die Bildung von xAJkoholen (Fuselölen) aus Aminosäuren und Aminen durch Hefen und niedere Pilze (Ehrlich, H. Frings heim). Gemeiniglich aber ver- steht man unter alkoholischer Gärung die Vergärung von Zuckerarten (Kohlenhydraten) unter Bildung von Aethylalkohol undKohlen- dioxyd. 2. Verbreitung des Vermögens der Alkoholgärung. In dem Artikel ,, At- mung der Pflanzen" (Bd. I, S. 722f) ist darauf hingewiesen, daß die Blüten- pflanzen und die höheren Pilze vielleicht all- gemein zur Alkoholgärung des Zuckers bei Sauerstoffmangel befähigt sind, daß dieses Vermögen jedenfalls weit verbreitet und nur dem Grade nach bei verschiedenen Organis- men verschieden ist. Während die meisten Organismen bei Sauerstoffausschluß, auch bei Gegenwart von Zucker, nach längerer oder kürzerer Zeit zugrunde gehen, sind einzelne befähigt, ohne freien Sauerstoff bei Ermöglichung von Gärtätigkeit sehr lange Zeit (ob dauernd?) zu leben. Dazu gehören insbesondere die typischen Hefen I der alkoholischen Gärung, Angehörige der zu den einfachsten Askomyceten (Prot- ascineen) gehörigen Saccharomyceten (vgl den Artikel „Pilze", Bd. VII, ^S. 896) sowie einige in Gestalt und Vermehrungsart i gewissen Saccharomyceten ähnelnde Sproß- pilze, bei denen Askosporenbildung bis jetzt \ nicht beobachtet worden ist, die daher bis lauf weiteres zu den Torulaceen unter den Fungi imperfecti gestellt werden. Man trifft die Hefen in der Regel nur in einzelnen rund- licheii oder ellipsoidischen Zellen an, während Zellverbände selten sind. Uebrigens sind natürlich keineswegs alle iVngehörige der genannten Gruppen oder Familien gleich- mäßig zur alkoholischen Gärung befähigt. Vielmehr finden sich unter ihnen auch Nicht- gärer in großer Zahl. 3. Die typischen Gärungsorganismen. In das Chaos der Gärungserreger, das früher unter dem Gattungsnamen Saccharo- myces zusammengefaßt wurde, ist neuer- dings, insbesondere durch E. Chr. Hansen I einige Ordnung gebracht worden. Danach j gehören die Endosporen bildenden typischen Gärungserreger zu zwei Familien, den Sproß- hefen, Saccharomycetes, und den Spalt- hefen, Schizosaccharomycetes, beide wesentlich verschieden durch die x\rt der vegetativen Vermehrung, indem die Ver- mehrung bei den Saccharomyceten durch Sprossung, bei den Schizosaccharomyceten durch Teilung erfolgt. Die Bildung von Endosporen tritt vielfach nur bei reichlichem Sauerstoffgenuß der Zellen ein. Um sie im Versuch zu erzielen, breitet man deshalb junge Bodensatzhefe bei genügend hoher Temperatur in dünner Schicht, meist auf einem Gipsblock, aus. 1. Saccharomyceten, Sproßpilze mit Endosporen und reichlicher Sproßzellen- bildung. Typisches Mycel nur bei wenigen Arten. Jede Zelle kann zum Askus werden. Sporen gewöhnlich zu 1 bis 4, selten mehr in einer Mutterzelle. Als Gärungserreger kommen in Betracht Angehörige verschiedener Gattungen, die in zwei Gruppen geordnet werden können. Gruppe A. In zuckerhaltige Nähr- jlösungen ausgesät, bilden die hierher ge- j hörigen Formen sofort Bodensatzhefe, und erst später kommt es vielfach zur Bildung einer schleimigen Haut an der Flüssigkeits- oberfläche. Alle oder doch die meisten xAn- Grärung (Alkoholische Gärung, Theoretisches) 483 gehörigen der Gruppe rufen Alkoholgärung hervor. Hierher gehört vor allem die Gat- tung Saccharomyces (Meyen) Reeß: Hefezellen rundhch bis ellipsoidisch; bei einigen Formen auch Mycelbildung beob- achtet. Die mit einfacher Membran ver- sehenen Sporen keimen unmittelbar durch Sprossung. i visiae Hansen, Saccharomyces Pastorianus Hansen, Saccharomyces ellipsoideus Hansen usw.). Zur Unterscheidung der Arten dienen, hier wie bei den anderen Gattungen, abgesehen von der Gestalt der Zellen, die Temperaturgrenzen und die Temperatur- kardinalpunkte für Sprossung, Hautbildung i und Sporenbildung, das Verhalten gegenüber Fig. 1. Askosporen bildende Saccharomyceten. a Zellen jiiit Scheidenbildungen, b Zellen mit einer übernormalen Anzahl von Askosporen, c Zellen mit Anlagen von Askosporen, 1 Saccharomyces cerevisiae Hansen, 2 Saccharomyces Pastorianus Hansen, 3 Saccharomyces intermedius Hansen, 4 Saccharomyces validus Hansen, 5 Saccha- romyces ellipsoideus Hansen, 6 Saccharomyces turbidus Hansen. Vergrößerung 1000:1. Nach E. Chr. Hansen. Die Gattung umfaßt die weitaus meisten verschiedenen Zuckerarten, die Gestalt der technisch wichtigen Gärungserreger, die Hefen Kolonien, die entstehen, wenn die Hefe der Wein- und BieTgärung sowie der Spiritus- auf einen zuckerhaltigen festen Nährboden und Preßhefeindustrie (Saccharomyces cere- geimpft wird (besonders die Riesenkolonien) 31* 484 Gärung (Alkoholische Cxämng. Theoretisches) usw. Auf die Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden. Von der Gattung Saccharomyces unter- scheidet sich die Gattung Hanse nia Lindner dadurch, daß die Hefezellen zum o r r"" \^ D Hansen, mit rundlichen, halbkugelförmigen oder unregelmäßig eckigen Sporen, deren Angehörige, soweit bis jetzt bekannt, gärungs- unfähig sind, und Willia Hansen mit hut- oder zitronenförmigen Sporen mit hervor- ragender Leiste, deren Angehörige meist gär- fähig sind. 0 '-Q ;g3 Fig. 2. Sporen von Saccharomyces cere- visiae Hansen. Im Anfange der Keimung. In e, { und g sind die Mutterzellenwände gesprengt. Vergrößerung 1000:1. Nach E. Chr. Hansen. Teil die charakteristische Zitronenform be- sitzen: nach dieser Form der Vegetation würden die wenigen hierher gehörigen Arten der alten Reeß sehen Sammelart Saccharo- myces apiculatus nahestehen, von der sie aber durch das Vermögen der Sporenbildung verschieden sind. In der Gattung Zygosaccharomyces Baker, die im übrigen mit Saccharomyces übereinstimmt, entsteht der Askus nicht, wie bei den vorhergehenden Arten, partheno- genetisch, sondern erst nach einem Kopula- tionsvorgange: Der Inhalt zweier Hefezellen, die durch Fortsätze miteinander in Verbin- dung treten, verschmilzt, und es kommt erst nach der Verschmelzung zur Sporenbildung, entweder im ganzen Verschmelzungsprodukt oder nur in einem der Gameten (Debaryo- myces Klöcker) oder gar erst in einer Sproßkonidie (Guilliermondia Nads. und Konokotine; Bd. VII, S. 897, Fig. 33). Die Gattung Saccharomycodes Hansen zeichnet sich dadurch aus, daß die mit einer Membran versehenen Sporen mit einem Promycel auskeimen. An diesem sowie an den vegetativen Zellen findet Sprossung mit unvollständiger Abschnürung statt; an der eingeschnürten Verbindungsstelle von Mutter- und Tochterzelle tritt eine Querwand auf, durch welche die Tochterzelle abgespalten wird. Die Bildung von Mycel mit deutlichen Querwänden ist hier häufig. Die beiden bekannten Arten der Gattung Saccharomycopsis Schiönning unter- scheiden sich von Saccharomyces Hansen nur dadurch, daß die Sporen zwei Membranen besitzen. Gruppe B. Die Zellen bilden in zucker- haltigen Nährlösungen sofort eine trockene, matte Kahmhaut und erst sekundär einen Bodensatz. Zwei Gattungen: Pichia ' CH3 . CH2OH + CO2 stehen insofern Bedenken nicht entgegen, als beide Zwischenprodukte bei der Gärung mehrfach gefunden worden sind. Allerdings waren auch die bei Franzens und Step- puhns Versuchen gebildeten Mengen von I Ameisensäure so gering, daß man sie minde- I stens ebensowohl als Nebenprodukte des 488 (järung (Alkoliolische (iärung-. Theoretisches) Hefestoffwechsels wie als Durchgangspro- dukte der Alkoholgärung aufzufassen be- rechtigt ist. Dagegen beobachtete Kostyt- schew bei Zusatz geringer Mengen Zink- chlorid zu zellfreien Gärungen Hemmung der COg-Bildung und gleichzeitig Bildung beträchtlicherer Mengen von Acetaldehyd als sonst, während allerdings nur Spuren von Ameisensäure gefunden wurden. Ob Lebedews komplizierte Theorie, nach der die gärfähigen Hexosen primär in unmittelbar gärfähigen Glycerinaldehyd und in nicht vergärbares Dioxyaceton zerfallen sollen, sich behaupten wird, wird abzuwarten sein. Das Dioxyaceton soll sich mit sekundären Phosphaten zu Hexosediphos- phat verbinden, das seinerseits wieder in Hexose und Phosphat zerfällt, so daß die Spaltung der Hexose immer weiter gehen könnte. Slator leugnet die Möglichkeit, daß das außerordentlich langsam gärende Dioxyaceton ein Zwischenprodukt der alkoho- lischen Gärung sein könnte. Nach Bu ebner und Meisen heim er wird Dioxyaceton in- dessen freilich nicht von lebender Hefe, wohl aber von Hefepreßsaft, dem Kochsaft zugesetzt wurde, weitgehend vergoren. Gly- zerinaldehyd, der früher sogar für unvergär- bar galt, ist nach ihnen sclnvach gärfäliig. Der Nachweis der beiden Zwischenprodukte ist bis jetzt nicht geliefert worden. Daß auch außerhalb der Zelle und ohne jedes Zutun von Lebewesen — die Zymase stammt ja immer von Organismen her — Zucker unter Bildung von Alkohol und Kohlensäure zerfallen kann, hat zuerst Duclaux gezeigt. Auch Buchner und Meisenheimer gelang es, den Zerfall von Zucker in Alkohol und Kohlensäure unter Einwirkung des Sonnenlichtes bei Gegenwart von Kalilauge zu beobachten. 7. Bedeutung der alkoholischen Gärung für das Leben der Gärungs- organismen. Wie schon früher hervor- gehoben, ist die alkoholische Gärung durchaus unentbehrlich auch für die Hefen, wenn der Sauerstoff und damit die Atmung ausge- schlossen ist. Ohne die Möglichkeit der Gär- tätigkeit, z. B. wenn man Bierhefe bei Sauer- stoffausschluß mit dem für sie unvergärbaren Milchzucker ernährt, stirbt auch die Hefe bald ab. Bei Behinderung der Atmungs- tätigkeit gewinnt also die Hefe zweifellos die notwendige Betriebsenergie statt durch Ver- atmung von Zucker in und durch den Gärungs- prozeß, bei dem aus dem Zucker neben dem höchstoxydierten Kohlendioxyd ein Körper von geringerer Verbrennungswärme als Zucker (Alkohol) entsteht. Im Einklang mit den Ergebnissen der quantitativen Untersuchungen über die At- mung hat sich auch für die Gärung ergeben, daß der Betrag des Unterschiedes zwischen den Energieinhalten des Gärmaterials und der Gärungsprodukte ganz oder doch nahezu ganz als Wärme zum Vorschein kommt, Da dieser Unterschied weit geringer ist als das beim normalen Atmungsprozeß in Be- tracht kommende ganze Energiepotential des Zuckers, so ist es verständlich, daß bei der Gärung weit größere Mengen Zucker in der Zeiteinheit verbraucht werden. Die Gärung ist im Vergleich zur Atmung ein wenig ökonomischer Prozeß. Um so auf- fallender ist es, daß im Gegensatz zu den meisten Organismen, die der intramolekularen Atmung fähig sind, die Organismen der alkoholischen Gärung bei Gegenwart ge- eigneter Zuckerarten auch dann noch gären, wenn freier Sauerstoff vorhanden und At- mung somit nicht nur möglich ist, sondern auch stattfindet. Verbunden mit der er- worbenen hohen Resistenz gegen Alkohol soll die Gärtätigkeit bei Sauerstoffgenuß nach Wort man ns Ansicht den Hefen den Konkurrenzkampf mit anderen gegen Alkohol empfindlicheren Mikroorganismen erleiclitern. Ob die Sauerstoffatmung völlig durch die Gärung ersetzt werden kann, ist fraglich. Auf die Dauer scheint die Vermehrung der Hefen doch nur bei Zufuhr von freiem Sauer- stoff, wenn auch nur in geringen Mengen und zeitweise, möglich zu sein, und vielleicht würde bei völligem Ausschluß von Sauerstoff, wenn ein solcher möglich wäre, überhaupt keine Vermehrung der Hefe eintreten können. 8. Andere Alkoholgärungen. Nach der eingangs gegebenen Begriffsbestimmung fallen solche Gärungen, bei denen xVlkohole nur in geringer Menge entstehen, überhaupt nicht unter den Begriff der alkoliolischen Gärung. Damit scheiden bei weitem die meisten Bakteriengärungen aus, trotzdem sehr viele Bakterien bei geeigneter Ernährung Körper der Alkoholgruppe als Stoffwechsel- produkte erzeugen, vielfach auch Aethyl- alkohol. Einige Bakterienarten können allerdings unter bestimmten Ernährungsbedingungen beträchtlichere Mengen von Aethylalkohol bilden. Hier soll indessen nur darauf hin- gewiesen werden, daß gewisse anaerobiotische Bakterien nach B e i j e r i n c k s Untersuchungen aus Kohlehydraten große Mengen von Butyl- und Propylalkohol zu bilden ver- mögen. Man hat diesen im Boden und auch sonst verbreiteten Bakterien früher auch den Gehalt des Brennereialkohols an höheren Alkoholen (Fuselölen) zur Last gelegt, bis Ehrlich und nach ihm H. Pringsheim zeigten, daß die gärende Hefe selbst neben dem Aethylalkohol auch Fuselöle bildet, freilich nicht aus Zucker, sondern aus Aminosäuren, die in dem Gärungsmaterial (Maischen, Melasse u. dgl.) nicht fehlen und Gärung- (Alkoholisclie Gärung, Tlieoretisdies — Praktisches) 489 auch bei der Autolyse toter Hefezellen ent- stehen. Die Spaltung der Aminosäuren geschieht nach: der Formel: unter Abspaltung von CO2 und unter Ver- brauch des Stickstoffs zur Ern<ährung der Hefe. Die Hefe ist zu dieser alkoholischen Gärung der Aminosäuren nur bei Zucker- gärung befähigt. Es entsteht so aus GlykokoU Methylalkohol, aus Leucin Isoamylalkohol, aus Isoleucin d-Amylalkohol (Fuselöl im engeren Sinne), aus Valin Isobutylalkohol, aus Tyrosin p-Oxyphenyläthylalkohol. Daß auch die Entstehung der Bernsteinsäure auf einen analogen Vorgang zurückzuführen ist, ist bereits im vorhergehenden gesagt worden. Sie entsteht aus Glutaminsäure CO2H . CH2CH2 . CHNHo . COoH statt der zu erwartenden Oxybuttersäure CO.H . CH0CH2 . CH2OH durch einen sekundären Oxydationsprozeß: CO2H . CH2CH0 . CO2H. Entsprechend diesem Ursprung der Fusel- öle gelingt es, durch Zusatz von Aminosäuren zur Gärflüssigkeit den Fuselölgehalt der Gär- produkte anzureichern und andererseits durch Zusatz von Ammoniaksalzen, durch die die vorhandenen Aminosäuren gedeckt (vor dem Verbrauch geschützt) werden, den Fuselölgehalt herabzudrücken. Nach Ehr- lich dürfte wohl auch die Glycerinbildung bei der Gärung auf ähnliche Vorgänge zurück- zuführen sein, eine Ansicht, cler allerdings noch entgegensteht, daß Buchner und Meisenheimer bei zellfreier Gärung durch Hefepreßsaft Glycerin entstehen sahen. Verwandt damit ist die Ueberführung von Aminen in die entsprechenden Alkohole durch Hefen der Gattung Willi a und durch Oidium lactis, die nur bei gleichzeitiger Darbietung von Kohlenhydraten oder einer anderen Kohlenstoffquelle stattfindet. So entsteht nach Ehrlich aus Isoamylamin Isoamylalkohol, aus p-Oxyphenyläthylamin p-Oxyphenyläthylalkohol. Literatur. Alb. Klöcket', Die Gärungsorganismen in der Theorie und Praxis der Alkoholgäruvgs- gewerbe, 2. Avfl. Stuttgart 1906. — E. Chr. Hansen, Theoretische Abhand hingen über Gärungsorganismen; nach seinem Tode heraus- gegeben von Alb. Kl Ocker. Jena 1911. — Cr. Kohl, Die Hefepilze, ihre Organisation, Physiologie, Biologie und Systematik sowie ihre Bedeutung als Gärungsorganismen. Leipzig 1908. — A. GuilUermond, Les levCu-es. Paris 1912. — W. Pfeffer, Pflanzenphysiologie, Bd. I und IL Leipzig 1897 und 1904. — L. Jost, Vorlesungen aber Pflanzevphysiologie, 2. Aufl. Jena 1908. — Ed. Buchner und M. Hahn, Die Zymase- gärung. Untersuchungen über den Inhalt der Hefezellen und die biologische Seite des Gärungs- problems. München tmd Berlin 1903. — Fr. Lafar, Handbuch der technischen ßlykologie, Bd. 4. Leipzig 1904 ff. Die neueste Literatur über den Mechanismus der alkoholischen Gärung u^f. findet man größten- teils in den Berichten der Deutschen Chemischen Gesellschaft, in der Biochemischen Zeitschrift und in der Zeitschrift für physiologische Chemie. Dort sind auch weitere Arbeiten zitiert. Ver- gleiche cuuch das Sammelreferat von Emmerling über „Die neueren Arbeiten betreffend die Chemie der Alkoholgärung" im mykologischen Central- blatt, 1912, Bd. I, S. 267 ff Einen zusammenfassenden Aufsatz über die Bildung der Fuselöle hat Ehrlich in den Land- wirtschaftlichen Jahrbüchern, 1909, Bd. 38, Erg.-Bd. 5, S. 289 veröffentlicht. J, Behrens. ß) Praktisches. 1. Einleitung. 2. Bier. 3. Bierähnliche Ge- tränke. 4. Brennerei und Preßhefe. 5. Wein. i 6. Schaumwein. 7. Obst- und Beerenwein. 8. Palniwein, Pulque. 9. Met, Maltonwein. j I. Einleitung. Die alkoholische Gärung j dient in der Praxis zur Herstellung von j geistigen Getränken, Spiritus und Hefe. Die Gärtechnik, die dabei Anwendung findet, j richtet sich nach den Eigenschaften der Roh- stoffe, nach den Betriebseinrichtungeu und j dem Ziel der Arbeit, woraus sich zahlreiche 1 Besonderheiten in der Gärführung ergeben, ] die am besten nach den Haupterzeug- nissen der Gärung besprochen werden. 2. Bier. Begriffsbestimmung. Bier i ist ein kohlensaure- und extrakt haltiges, j schwach nachgärendes alkoholisches Getränk, welches durch Gärung aus Cerealien, Hopfen I und Wasser bereitet wird. i Herstellung von Malz und Würze. I Der wichtigste Rohstoff in der Brauerei ist die Gerste und zwar Sommergerste j der zweizeiligen Varietäten von Hor'deum distichum nutans und H. distichum erectum. Zur Herstellung gewisser obergäriger Biere verwendet man Weizen. Andere Ersatz- mittel für Gerste sind Mais, Reis, Hirse, Hafer, Rohrzucker, Stärkezucker, Maltose und Syrupe, doch ist in Süddeutschland die Verwendung dieser Surrogate für die Zwecke der Bierbrauerei gesetzlich nicht zu- lässig. In der norddeutschen Brausteuer- gemeinschaft besteht ein Surrogatverbot nur für die Bereitung von untergärigem Bier. Die Gerste wird in Malz umgewandelt, indem man sie nach dem Putzen und Sortieren einweicht und nach erlangter Quellreife auf der Tenne in Haufen von 30 bis 50 cm Höhe unter öfterem Umw^enden und Dünnerlegen (Tennenmälzerei) oder in Keimkästen oder Keimtrommeln unter 490 Grärung- (Alkoholische Gärung. Praktisches) Zuführung eines mit Feuchtigkeit gesättigten Luftstromes (Kastenmälzerei nach Sala-| din, Trommelmälzerei nach Galland)} bei einer Temperatur von höchstens 17 bis 18° C zur Keimung bringt. Das hierbei erhaltene Grün malz wird auf dem Seh welk- j boden oder der Seh welk hör de so weit i getrocknet, daß die Keimung zum Still- stand kommt. Durch allmähliches Erhitzen bis auf 100" C und darüber auf Darren (Rauchdarren oder Luftdarren) wird das Luft- oder Schwelkmalz weiter zu Darr malz verarbeitet. Für dunkelgefärbte Biere (Kulmbacher, Patzenhofer) wird in; Rösttrommeln bei 170 ])is 200^ C noch ein sogenanntes Farbmalz hergestellt. ! Der wichtigste Vorgang bei der Malz- i bereitung ist die Bildung von Diastase, ' die vom Aufsaugeepithel des Embryos i ausgeschieden wird (Sekretionsdiastase). 1 Neben diesem Enzym entsteht im Keim- ! ling noch eine Cytase, die auf die Wände ■ der Endospermzellen lösend einwirkt und die Zerreiblichkeit des Melilkörpers, vom Brauer ,, Auflösung" genannt, herbei- führen soll. Nach F. Weis sind im Malz außerdem zwei proteolytische Enzyme vor- handen, eine Peptase, welche die Eiweiß- körper in Älbumosen umwandelt, und eine Tryptase, die weitergehende Spaltungen hervorruft. Durch die Sekretionsdiastase wird die Stärke des Endosperms zum Teil in Maltose umgewandelt, was sich durch die Korrosion der Stärkekörner deutlich bemerk- bar macht. Die proteolytischen Enzyme bauen die Eiweißstoffe des Endosperms zu löslichen Proteosen (Älbumosen) und weiter zu Amiden ab. Der Fettgehalt der Gerste vermindert sich bei der Keimung um 20 bis | 30%, während die Zellulosemenge durch Bildung des Blatt- und Wurzelkeimes um etwa 1,5% zunimmt. i Darren. Das Darren führt zu sehr verwickelten chemischen Umsetzungen, die vorzugsweise die Kohlehydrate und die Eiweißstoffe des Malzkornes betreffen und zum Teil durch enzymatische Vor- gänge bedingt sind. Je nach der Art des Darrens sind die eintretenden Ver- änderungen verschieden, haben aber stets i eine Verminderung des Gehaltes an löslichen Eiweißstoffen und Ammonsalzen sowie eine Zunahme der Peptone und Amidosäuren zur Folge. Aus den Kohlehydraten entstehen beim Darren durch die Tätigkeit der Enzyme geringere oder größere Mengen von direkt : reduzierendem Zucker. Bei hohem Wasser- gehalt des Malzes und langsamer Trocknung können die aus Hemizellulosen bestehenden , Membranen der Endospermzellen ebenfalls durch Enzyme angegriffen und in eine gum- möse Substanz umgewandelt werden. Diese breitet sich dann mit dem peptonisierten Eiweiß im Malzkorn aus und erfüllt es mit einer glasigen Masse (Hart- oder Glas- malz). Die Enzyme werden durch das Darren so geschwächt, daß die diastatische Kraft des Malzes auf ^/j bis Vg von der des Grün- malzes herabsinkt. Sehr wesentlich für die Beschaffenheit des Bieres ist die bei Tempe- raturen über 75'^ C vor sich gehende Bildung des Malzaromas und der Malzfarb- stoffe. Das fertigeDarrmalz muß inMalz- putzmaschinen von den anhaftenden Wurzelkeimen befreit werden, weil diese Teile einen Bitterstoff enthalten, der den Geschmack des Bieres benachteiligen würde. Vor der Verwendung in der Brauerei läßt man das Malz noch mindestens 6 bis 8 Wochen lagern, wobei es Wasser aufnimmt und nicht näher bekannte Veränderungen erleidet. Maischen. Für die Herstellung der Würze wird das Malz in Schrot- mühlen zerkleinert und dann im Sud- hause eingemaischt und verzuckert. Da- bei entstehen aus der Stärke durch die Einwirkung der Diastase Maltose, Isomaltose und Amj^lo-, Erythro- und Achroodextrine, erstere in ihrer Molekulargröße der Stärke, letztere der Maltose am nächsten stehend. Die Eiweißstoffe erfahren während dieser Vorgänge durch die proteolytischen Enzyme eine weitergehende Spaltung zu Älbumosen, Peptonen und Amiden. Die geschilderten enzymatischen Vorgänge müssen so geleitet werden, daß die aus der Stärke hervor- gehenden löslichen Dextrine, auf deren An- wesenheit die Vollmundigkeit des Bieres beruht, zum größeren Teil erhalten bleiben. Zu diesem Zweck muß die Diastase durch höhere Temperatur rechtzeitig unwirksam gemacht werden. Li der Praxis versucht man dieses Ziel auf verschiedene Weise zu erreichen. Bei dem Koch- oder De- koktionsverfahren, wie es in norddeut- schen, bayerischen und Wiener Brauereien in Gebrauch ist, wird das Malz in kaltem Wasser eingeteigt und die erhaltene Maische in der Weise auf die Abmaischtemperatur von 75° C gebracht, daß wiederholt Teile der gesamten Maische in der Maisch- pfanne zum Kochen gebracht und dann wieder in den Maischbottich zurückgepumpt werden. Dabei hält sich die Maische aber zu lange auf 30— 40°C, d. h. auf der Tempe- ratur, bei der die proteolytischen Enzyme am wirksamsten sind. Infolgedessen nimmt die Würze sehr viel Eiweißabbauprodukte auf, was für die Gärung kein Vorteil ist, weil sich die Hefen in Würzen von zu hohem Stickstoffgehalt weniger gut vermehren und absetzen. Auch liefern solche Würzen Biere von geringer Haltbarkeit und rauhem Ge- schmack. Das Springmaischver- fahren von Windisch, bei dem kein Teil der Maische einer unzweckmäßigen Gärung (AlkohoJisoUe Grärung, Praktisches) 491 Temperatur ausgesetzt wird, sucht diese Mängel zu vermeiden. Man maischt bei 37" C ein und Läßt die Maische dann in Wasser von 75 — 100" C „einspringen", bis eine Mischung von 73" C erreicht ist. Darauf läßt man den Kest der Bottichmaische allmählich zu- fließen, führt aber der Maischpfanne gleich- zeitig so viel Wärme zu, daß die Temperatur nicht unter 73" C heruntergeht. In England, Schottland und Belgien ist das Infusions- oder Aufgußverfahren in Gebrauch. Bei der ,, aufwärts maischenden Infu- sion" wird das Malzschrot in kaltem Wasser eingeteigt, durch Dampf oder Zufluß von heißem Wasser auf 65 — 70" C gebracht und 1 bis IV2 Stunden bei dieser Temperatur stehen gelassen. Bei der ,, abwärts maischenden Infusion" trägt man das Malzschrot in Wasser von etwa 77" C ein, läßt dann die Temperatur bis auf 70" C sinken und erhält die letztere 1 Stunde oder länger. Nach Beendigung des Maischprozesses gelangt die Maische in den Läuterbottich, wo sich die Treber, d. h. die Hülsen des Malzes, ausgeschiedene Eiweißstoffe und andere nicht gelöste Substanzen absetzen. Die über ihnen stehende Würze wird nach der Klärung (Brechen) durch einen am Boden des Bottichs angebrachten Ablauf abgezogen (Ab läutern), worauf durch das sogenannte Anschwänzen, d. h. durch Auswaschen der Treber mit Wasser von mindestens 75" C noch mehrere Nachguß- würzen hergestellt werden, die man entweder mit Vorderwürze vereinigt oder für sich zu einem leichten, billigen Bier (Dünnbier, Scheps) verarbeitet. Die Würze wird nun in der Würzepfanne unter Zusatz von Hopfen entweder über freiem Feuer (Feuer kochung) oder in Dampfpfannen gekocht, bis sich eine Probe im Schauglase „bricht", d. h. schnell in dichte Flocken von koaguliertem Eiweiß und eine feurig blanke Flüssigkeitsschicht sondert. Die Kochdauer sowie die Höhe des Hopfenzusatzes sind je nach dem Maisch- verfahren und der Biersorte verschieden (bei Sommerbieren IV2 bis 2 Stunden, bei stärkeren Bieren 3 bis 4 Stunden). Das Kochen bezweckt die Zerstörung der Diastase, die Sterilisation der Würze und ihre Klärung durch Abscheidung der koagulierbaren Et- weißstoffe. Der Hopfenzusatz begünstigt die Klärung, weil die Eiweißstoffe mit der Hopfengerbsäure unlösliche Verbindungen eingehen. Er trägt ferner zur mechanischen Remigung und Sterilisation der Würze bei, wie er durch seinen Gehalt an Bitterstoff, Harzen und ätherischem Gel auch das Aroma, den Wohlgeschmack und die Halt- barkeit des Bieres erhöht. Die gekochte und durch den Hopfen- seiher, einen siebartigen Kasten, vom Hopfen getrennte Würze wird möglichst schnell auf die Gärtemperatur, d. h. bei unter- gärigen Bieren auf etwa 5 bis 6" C, bei ober- gärigem Bier auf etwa 15" C abgekühlt, wobei Sorge zu tragen ist, daß die Temperaturstufe von 25 — 30" C, bei der durch Bakterien- entwickelung sehr leicht Säuerung eintritt, rasch überschritten wird. Die Würze kommt zu diesem Zweck aufs Kühlschiff, ein großes flaches Gefäß, in dem sie nur wenige Zentimeter hoch steht und anfangs durch Rührvorriclitungen in Bewegung ge- setzt wird. Durch Ventilatoren oder Wind- flügel, die über dem Kühlschiff angebracht sind, sucht man die Abkühlung und Ab- dunstung noch zu beschleunigen. Die Würze erfährt dabei eine gewisse Konzentration und nimmt zugleich reichlich Sauerstoff auf, der später das Hefenwachstum bei der Gärung außerordentlich begünstigt. Während der Abkühlung scheidet die Würze Eiweiß- Gerbstoffverbindungen und Hopfenreste ab, die beim Leeren des Kühlschiffes in Form des ..Külilgeläocrs" sehr viel Würze zurückhalten. Die Wände des Kühlschiffes beschlagen sich beim Gebrauch allmählich mit dem soge- nannten Bierstein, einer firnisartigen glän- zenden Kruste, die bei eisernen Kühlschiffen nicht beseitigt wird, weil sie die Berührung der Würze mit dem Eisen und dadurch eine Dunkelfärbung der Würze verhindert. In neuerer Zeit kühlt man die Würze auch vielfach auf ,, Flächenberieselungs- kühlern" oder auch in „geschlossenen Küh- lern" unter Zuleitung von steriler Luft, weil sie sich in den Kühlschiffen zu leicht infiziert. Die Stärke der Bierwürze wird mit dem Saccharometer nach Balling gemessen, dessen Skala angibt, wieviel Gewichtsteile Extrakt in 100 Gewichtsteilen einer Würze von 17,5" C annähernd enthalten sind. Der Extraktgehalt der Würze beträgt durch- schnittlich bei 1 leichten Abzugsbieren 9 — 10 % [ Schank- und Winterbieren 12—13 % Lager- und Sommerbieren 13 — 14,5% : Bock-, Salvator-, Doppelbieren 15 — 20 % I Tafelbier 25 % j Der Extrakt besteht im wesentlichen aus 1 Maltose (50—60%), Dextrinen (15—25%), i Rohrzucker (2 — 4%), Dextrose, Lävulose und Isomaltose (7 — 9%), Gummi (etwa j 0,18%), Stickstoffverbindungen (etwa 3— 5,5%), Mineralstoffe (etwa 2%) und Säure (0,6—0,90/0 als Milchsäure berechnet). Die Zusammensetzung der Würze ist also für die Vermehrung und Gärtätigkeit der Hefe außerordentlich günstig. Gärung der Würze. Abgesehen von I der Herstellung der belgischen Biere Lanibic, I Faro und Mars wird die Biergärung heute 492 Gärung (Alkoholische Gärung, Praktiscliesj stets durch Hefenzusatz eingeleitet. Man unterscheidet in der Technik die Unter- gärung, bei der eine Temperatur von 5 bis 10" C eingehalten wird und die Hefe sich am Boden des Gärbottichs absetzt, von der Obergärung, bei der die Gärtemperatur zwischen 10 und 25" C schwankt und die Hefe sich hauptsächlich an der Oberfläche der gärenden Würze im Schaum ansammelt. Die Untergärung dient zur HersteUung haltbarer, versandfähiger Lagerbiere, während die Obergärung meist leichte, früh trinkbare, jedoch wenig haltbare Biere liefert. Nur in England erzeugt man durch Obergärung auch schwere und haltbare Biere wie Porter und Ale. Untergärung. Die Untergärung voll- zieht sich in den beiden Abschnitten der Hauptgärung und der Nachgärung. Die Hauptgärung fällt zusammen mit der Zeit der stärksten Hefentätigkeit, bei der die Haupt- menge des vorhandenen Zuckers in Alkohol und Kohlensäure gespalten wird. Sie verläuft bei 5 — 10° C und dauert im allgemeinen 8—10 Tage, bei sehr kalter Gärführung bis 14 Tage. Während der Nachgärung wird auch der übrige Zucker langsam bis auf einen kleinen Rest vergoren, wobei sich die Hefe allmählich zu Boden setzt und Klärung des Bieres eintritt. Untergärige Biere braut man in künstlich gekühlten, tief- liegenden oder in gut isolierten oberirdischen Gärkellern, die sich leicht lüften und reinigen lassen. Als Gärgefäße benutzt man meist Bottiche aus Holz, deren Innen- wandungen glasiert oder paraffiniert sind. Sie fassen durchschnittlich 25—30 hl (Kleingärung). In neuerer Zeit stellt man auch Gärbehälter aus Schieferplatten, Eisenbeton, glasemailliertem Stahl, Schmiede- eisen oder Aluminium her und vergrößert ihren Fassungsraum bis auf 100—300 hl, ja vereinzelt sogar bis auf 700 — 1400 hl (System Dornkaat — Großgärung). Der Vorteil dieser Einrichtung liegt in der Ver- einfachung des Betriebes, in der Ersparnis an Arbeitskräften, in der besseren Raumaus- nutzung sowie in der Verminderung der Infektionsgefahr und des ,,Schwandes". Die auf 5—7"^ C abgekühlte Würze wird im Gärbottich mit Hefe ,, angestellt". In den größeren Brauereien verwendet man heute ausschließhch Reinzuchthefe, während früher Anstellhefe aus anderen Betrieben | benutzt wurde. Man gebraucht zum „An- stellen, Zeug- oder Satzgeben" von i 1 hl Würze 0,2 bis 0,6 1 dickbreiige Hefe (,,Zeug"), die man entweder ,, trocken" oder „naß" gibt. Im ersteren Falle bringt man die Hefe in eine halb mit Würze gefüllte „Zeugschaffel" von 16 bis 18 1 Inhalt und vermischt Würze und Hefe innig mit- einander. Dann gießt man den Inhalt in eine zweite Schaffei, gibt ihn von da wieder zurück in die erste und wieder- holt dieses Umgießen so oft, bis der In- halt beider Gefäße beinahe überschäumt. Die durch dieses „Aufziehen" gleichmäßig verteilte und gelüftete Hefe wird in den Gärbottich gegossen und darin mit der Würze verrührt. Beim ,, Naßgeben" oder ,, Herführen" wird zunächst ein kleiner Teil der Gesamtwürze in einem besonderen Bottich mit der Gesamthefe in Gärung ge- bracht und dieser Hefeansatz dann auf die einzelnen Gärbottiche verteilt. Den Verlauf der Gärung sucht man durch möghchst sorgfältige Temperatur- führung zu regeln. Die Anfangstempe- ratur der Würze wird meistens auf 5 bis 7" C gehalten. Die stürmische Gärung führt aber zu einer beträchtlichen Selbst erwär- mung, der man durch sorgfältige Kühlung soweit entgegenarbeitet, daß die Höchst- temperatur 9 — 10,5*' C nicht übersteigt. Gegen das Ende der Hauptgärung wird die Würze allmählich wieder heruntergekühlt. In der Praxis unterscheidet man nach den äußeren Erscheinungen der gärenden Würze verschiedene Abschnitte der Hauptgärung. Ungefähr 10—20 Stunden nach der An- stellung macht sich auf der Oberfläche der Würze eine zarte, weiße Schaumdecke be- merkbar, das Bier ist „angekommen". 18 — 24 Stunden später befindet sich die Gärung im Stadium der ,,niedrigen Krausen"; die gärende Würze hat sich mit einem zähen, weißen Schaum von gekräu- seltem Aussehen bedeckt. Sie tritt nun in die stürmische Gärung ein; die Schaumberge werden dabei rasch höher und nehmen ein bräunliches Aussehen an, das Bier befindet sich im Stadium der ,, hohen Krausen". Die Gärung wird darauf wieder schwächer, die Krausen fallen zurück und die Hefen be- ginnen sich abzusetzen. Die Hefezellen ballen sich zusammen, es kommt zum ,, Bruch" und das Bier wird ,, schlauch- reif". Das Jungbier wird aus dem Gärbottich durch natürliches Gefälle oder durch Puni])en aufs Lagerfaß in den Lagerkeller gebracht, wo es bei einer Temperatur von 0 bis 1° C kürzere oder längere Zeit lagert und die Nachgärung durchmacht. Die Lagerfässer fassen in der Regel 10 bis 100 hl, werden neuerdings aber zuweilen durch große Be- hälter aus emailliertem Eisen ersetzt. In der ersten Zeit der Nachgärung ist die Kohlen- säureentwickelung noch so stark, daß aus dem Spundloch der Lagerfässer Schaum heraustritt, — das Bier ,,käppelt". Da hierbei etwas Bier verloren geht, müssen die Fässer durch Nachfüllen von Bier wieder ,,spundvoH" gemacht werden. Sobald die Schaumhaube zurücktritt und die Kohlen- Gäruiig (Alkoholische Gäning, Praktisches) 493 Säureentwicklung schwächer wird, ver- schließt man das gründlich gereinigte Spund- loch lose mit dem Spund. Es setzt nun die stille Nachgärung ein, in deren Verlauf der Junggeschmack verschwindet und das Bier genußi'ähig wird. Einige Zeit vor dem Abzug des Bieres auf die kleineren Versand- fässer werden die Lagerfässer fest ,, gespun- det", um den Kohlensäuregehalt des Bieres zu erhöhen. Da hierbei leicht ein sogenanntes ,,Ueberspunden", d. h. eine übermäßige Sättigung des Bieres mit Kohlensäure er- folgt, versieht man die Lagerfässer in neuerer Zeit einzeln oder zu mehreren mit mano- metrisch arbeitenden Spundapparaten, die sich auf einen bestimmten Druck einstellen und die überschüssige Kohlensäure ent- weichen lassen. Wenn sich die Hefen in den Lagerfässern nicht ordentlich absetzen, klärt man das Bier durch Einlegen von etwa 2 mm dicken Klärspänen aus Hasehuiß- oder Buchenliolz, die ähnlich wie Schwämme und Ivlärsteine die trübenden Stoffe rein mechanisch aufnehmen. Vor dem Gebrauch müssen sie gründHch ausgedämpft und gewaschen werden. Die Klärung wird häufig noch durch eine Filtration unterstützt, wozu sehr verschiedene Apparate benutzt werden, unter denen das sogenannte Enzingerfilter das bekannteste ist. Durch diese Behand- lung wird allerdings die Vollmundigkeit des Bieres wegen der Beseitigung der kolloidalen Eiweiß- und Gummikörper etwas beein- trächtigt, auch kann das Bier dadurch an Haltbarkeit verHeren, weil die Bakterien und die kleinzelligen wilden Hefen die Filterraasse leichter durchdringen als die Kulturhefen. Um den Verlauf der Gärung beurteilen zu können, bestimmt man nach der Haupt- gärung die Attenuation oder den Ver- gärungsgrad des Bieres. Er wird durch eine Zahl ausgedrückt, die in Prozenten an- gibt, um wieviel der Extrakt der Würze während der Gärung abgenommen hat. Die Berechnung erfolgt nach der Formel: v=loo.5--^ wobei V den Vergärungsgrad, E den ursprüng- lichen Extraktgehalt der Würze (in Graden Balling) und e den Extraktrest des Jung- bieres bezeichnet. Je nachdem man für e den wirklichen oder den aus der Saccharometer- anzeige im Jungbier ermittelten schein- baren Extraktrest einsetzt, unterscheidet man den wirklichen oder den schein- baren Vergärungsgrad. In der Praxis rechnet man in der Regel nach dem schein- baren Vergärungsgrad. Als normale Ver- gärung wird angesehen Scheinbare Gärkeller- Lagerkeller- Vergärung bei bayerischem dunklem Bier 52 — 55 i 50 — 62°/o „ Wiener Bier 55—60 65— 687o ., böhmischem Bier 58—62 72— 75°/n Der Vergärungsgrad ist abhängig von der Zusammensetzung der Würze und den Vegetationsbedingungen der Hefen. In erster Linie richtet er sich nach der Menge der vor- handenen Kohlehydrate, daneben auch nach der Menge und Beschaffenheit der in der Würze enthaltenen Stickstoff Verbin- dungen und Mineralstoffe. Maligcbcnd für die Höhe des Vergärungsgrades sind ferner die Rasse, die Aussaatmenge und der physio- logische Zustand der Hefen sowie die Gär- temperatur und der Sauerstoffgehalt der Würze. Um die Haltbarkeit des Bieres nach Möghchkeit zu erhöhen, wird die Gärung bei der Herstellung der meisten Biere, insbe- sondere der Flaschenbiere, so geleitet, daß der Vergärungsgrad beim Ausstoßen des Bieres dem Endvergärungsgrad möglichst nahe kommt, d. h. daß zurzeit der Abfül- lung fast der gesamte vergärbare Extrakt vergoren ist. Nur bei gewissen Spezialbieren, die rasch zum Ausschank kommen, wie beim Bock und Salvator, wird die Vergärung nicht so weit getrieben. Obergärung. Auch bei der Obergärung unterscheidet man Haupt- und Nachgärung. Da die Hauptgärung bei 10 bis 25" C verläuft, ist der Brauprozeß in der Regel weit schneller beendet als bei der Untergärung. Zur Ver- gärung der Würze dienen offene Bottiche oder Fässer. Die Würze, die meist nur 10 bis 12% Ball, zeigt, wird in derselben Weise wie bei der Untergärung durch ,, Trocken- geben" oder ,, Herführen" mit Hefe angestellt, wozu schon 0,2 bis 0,6 1 Hefebrei auf 1 hl Würze genügen. Die verwendeten Hefen sind durchgehends Oberhefen, die sich da- durch auszeichnen, daß sie meist verzweigte, fest zusammenhaltende Sproßverbände bil- den und sich im Schaum ansammeln. Die ,, Stellhefe" der obergärigen Weißbier- brauereien ist ein Gemisch von Hefen und Milchsäurebakterien (für Berliner Weißbier j im Verhältnis von 4:1 bis 6 : 1). Durch I die von den Bakterien gebildete Milchsäure erhalten die Biere den eigenartig säuerlichen Geschmack, der für sie bezeichnend ist. Bei der Bottichgäruns; zeigt sich die 494 Gärung (Alkoholische Grärnny, Praktisrhes) Tätigkeit der Hefe äußerlich zuerst an dem „Hopfentrieb", durch den harzhaltige Trubstoffe an die Oberfläche steigen. So- bald diese ,,Trubkräusen'- zurückfallen, stellt sich der „Hefentrieb" ein, der die Hefe zuerst als trüben, zähen Schaum, später als feste Decke an die Oberfläche emporhebt. Meist schon nach 2}l, Tagen ist die Haupt- gärung beendet. Man entfernt nun die Öberhefe mit einer flachen Schaufel und zieht das Bier zur Nachgärung aus dem Bottich ab. Bei der Faßgärung wird die Würze in einem Sammelbottich mit Hefe angestellt und darauf in Fässer abgezogen, die so weit gefüllt werden, daß bei der Gärung der ent- stehende Schaum mit der Hefe durch das Spundloch ausgestoßen wird. Die dabei mit ausfließende Würze gibt man wieder ins Faß zurück. Bei der Nachgärung wird das ober- gärige Bier in einigen Fällen, so z. B. bei der Herstellung von „Bitterbier" am Nieder- rhein und von „Altbier" in Westfalen, in ganz ähnlicher Weise behandelt wie das untergärige. In anderen Fällen wird das obergärige Bier sofort nach der Hauptgärung auf Fässer oder Flaschen abgezogen und unter Druck sich selbst überlassen, wo- durch es schon in 2 bis 3 Tagen genußreif wird. Biersorten. Man unterscheidet helle und dunkle Biere, ferner leichte, für schnellen Verbrauch bestimmte Schenk- oder Winter- biere und schwerere Lager- oder Sommer- biere. Stark gehopfte Biere werden im Gegen- satz zu den schwach gehopften Süßbieren als Bitterbiere bezeichnet. Doppelbiere (Sal- vator, Bock, Märzen) werden aus extraktreichen Würzen meist nur in gewissen Zeiten gebraut und schnell zum Ausschank gebracht. Bei den obergärigen Bieren unterscheidet man: 1. Einfachbiere, meist mehr oder minder dunkel gefärbte, schwach gehopfte und ganz leicht eingebraute Biere, die entweder aus Stammwürzen von 5 bis 7% oder auch 10 bis 12% B. (Süßbiere) unter Verwendung von Weizen- oder Gerstenmalz hergestellt werden. 2. Säuerlichsüße Biere (Berliner Weißbier), die unter Verwendung von Gersten- und Weizen- malz aus hellen, schwach gehopften Stammwürzen von 9 bis 12% B. bereitet werden. 3. Rauchig bittereBiere(Grätzer,Lichtenhainer), die unter Verwendung von schwach geräuchertem Weizen- malz aus hellen, leicht gehopften Stammwürzen von 7 bis 8% B. gebraut werden. 4. Lager- bierähnliche Bitterbiere, goldfarbige, stark gehopfte, durchSpänen undFiltrierengeklärteBiere aus 9-prozentiger GerstenmalzwüFze hergestellt (rheinländisches Bitterbier, westfälisches Altbier). 5. Die englischen Biere Stout und Ale. Als Stout (Porter) bezeichnet man sehr dunkle, schwach gehopfte Biere, die unter Verwendung von hellem und dunklem Malz, Farbmalz, Rohrzucker, Mais und einem gipsfreien, alkali- reichen Wasser aus Stammwürzen von 12 bis 28% B. gebraut werden. Das Ale ist ein stark gehopftes Bier von heller Farbe mit oft sehr angenehmem, malzaromatischem Geschmack, das aus hellem, bei hoher Temperatur gedarrtem Malz unter Zusatz von Zucker, Reis und Mais gebraut wird. Die aus Stammwürzen von 11 bis 13% B. bereiteten leichteren Sorten dienen als Schankbiere, die stärker eingebrauten Sorten (aus Stammwürzen von 15 bis 16 °o B-) als Ex- portbiere (Pale Ale). Die belgischen Biere L a m b ic , F a r o und Mars bereitet man unter Verwendung von ßO^/o leicht- gedarrtem Gerstenmalz und 4Ü''/o ungemalztem Weizen in sehr verbesserungsbedürftiger Weise aus Würzen, die man für Lambic auf 15 bis 177o, für Faro auf 10 bis 12''/o, für Mars auf 8 bis lOö/o B. einbraut und nach der Gärung einfach in gebrauchte Bier- oder Weinfässer einfüllt. Durch die in den Poren des Faßholzes einge- nisteten Hefen, Torulaceen und Bakterien stellt sich in den Würzen früher oder später Gärung I ein, die aber so langsam verläuft, daß bis zur ! Schankreife des Bieres beim Faro gewöhnlich , 12 Monate, beim Lambic meist mehr als 2 Jahre vergehen. Die fertigen Biere sind kristallklar und zeichnen sich durch hohen Gehalt an Milch- säure und flüchtiger Säure aus, was auf die Tätigkeit der unter den Gärungserregern reichlich vorhandenen Bakterien zurückzuführen ist. Kriekenbier oder Kriekenlambic wird in Brüssel in der Weise hergesteUt, daß man ein- oder zweijährigen Lambic mit Schwarz- kirschen, Himbeeren oder anderem Beeren obst versetzt. Durch den Zucker- und Hefengehalt des Obstes stellt sich in der Masse Gärung ein, , die 5 bis 6 Monate dauert. Ist sie beendet, dann wird die klar gewordene rote Flüssigkeit in ein anderes Faß abgezogen, geschönt und nach einigen Tagen auf Flaschen abgefüllt. Hefereinzucht. Schon Pasteur hat I (1876) den Versuch gemacht, die Gär- ' technik des Brauereigewerbes durch Fern- haltung der Infektion und Reinigung der Betriebshefen zu verbessern. Seine Bestre- bungen haben für die Brauerei aber erst Bedeutung erlangt durch E. Chr. Hansen, dem zuerst die Reinzüchtung von Brauerei- hefen'»(1881 bis 1886) gelungen ist. Seine folgenreichste Entdeckung ist durch den Nach- weis geführt worden, daß die Bierhefe, wie sie seit altersher in den Brauereien gezüchtet wird, sehr verschiedenwertige Arten und I Rassen enthält. Vom praktischen^ Stand- punkte sind darunter zunächst Kultur- hefen und wilde Hefen zu unterscheiden. Die Kulturhefen kommen in der Natur nicht vor; sie werden ausschließlich in gärenden '. Flüssigkeiten weitergezüchtet, während die \ wilden Hefen vorzugsweise auf der Ober- fläche zuckerhaltiger Früchte und im Erd- boden leben. Die Kulturhefen umfassen verschiedene, gut charakterisierte Obcr- iund Unterhefearten, von denen jede j selbst wieder in eine größere Menge von j Rassen zerfallt, die in ihren physiologischen ! Eigenschaften und besonders in ihrer Gär- tätigkeit voneinander abweichen. In der Praxis unterscheidet man die Hefetypen CTäruiit;- (Alkoholische Gärung, Praktisches) 495 Saaz (aus einer Saazer Brauerei) und Fr oh b er g- (aus der Brauerei von Frohberg in Grimma), von denen der erstere schwächer vergärende, der letztere stärker vergärende Hei'erassen umfaßt. Jeder Typus enthält Unter- und Oberlielen, für die man die Be- zeichnungen US, OS, UF und OF gebraucht. Wie Hansen gezeigt hat, lassen sich diese verschiedenen Hefen nur dann von- einander trennen, wenn man Zuchten an- legt, die ihren Ausgangspunkt von einer einzigen Hefezelle nehmen. Es gelingt das mit der von Hansen ausgearbeiteten Ein- zellkultur oder mit Hilfe der Tröpfchen- kultur von Lindner, die beide auf dem Prinzip beruhen, die Entwicklung der Hefe- zelle zur Kolonie unter dem Mikroskop zu verfolgen. Die auf diesem Wege gewonnenen reinen Hefen bieten der Praxis die Möglich- keit, die Gärung von ihren vielen Zufällig- keiten zu befreien und Gärungserzeugnisse von bestimmten Eigenscliafk'u zu erzielen. Notwendig ist dazu allerdings eine planmäßige Auswahl der Hefearten, um diejenige Hefe zu gewinnen, die sich am besten für die gegebenen Verhältnisse eignet. Daher wählt man zum Ausgangspunkt der Hefereinzucht zweckmäßig eine Hefe, die sich in dem Betrieb, für den die Reinhefe bestimmt ist, bereits bewährt und ein Bier von der Be- schaffenheit geliefert hat, wie man es dauernd zu erhalten wünscht. Die gesuchte Hefeart ist in dieser Betriebshefe zur Zeit der Haupt- gärung stets in der Ueberzahl vorhanden und deswegen in der Regel leicht zu gewinnen, wenn man aus einer zu Beginn der Haupt- gärung entnommenen Hefeprobe eine An- zahl Zellen in der vorher erwähnten Weise isoliert und die daraus erwachsene Zucht vorerst im Laboratorium in Würze und unter Verhältnissen, wie sie im Brauerei- betriebe vorliegen, auf ihre Gärungseigen- schaften prüft. Diejenigen Rassen, welche die gewünschten Merkmale zu besitzen scheinen, werden dann in Pasteurkolben und schließlich in lvu]ifergcl'äßen, die nach dem Prinzip der Pasteurkolben gebaut sind und gewöhnlich 10 1 fassen (Karlsbergge- fäße), so weit vermehrt, daß die gebildete Hefe ausreicht, um 1 hl Würze rasch in Gärung zu versetzen. Mit diesem ersten Hektoliter- ansatz kann man dann 3 bis 4 hl Würze impfen usf. Um den Betrieb dauernd mit größeren Mengen frisch gezüchteter Reinhefe ver- sorgen zu können und die wiederholte Neu- züchtung und Herführung der Reinhefen in der eben beschriebenen Weise entbehrlich zu machen, eine Arbeit, die wegen der im Betrieb sich immer wieder einstellenden Infektion von Zeit zu Zeit nötig wäre, benutzt man besondere Hefereinzuchtanlagen, die, einmal mit einer Reinzuchthefe beschickt, jahrelang ununterbrochen arbeiten können. Am bekanntesten ist der Hefereinzucht- apparat von Hansen -Kühle. Er besteht im wesentlichen aus 3 Teilen, einer Luft- pumpe mit Luftkessel zur Lüftung der Würze mit keimfreier Luft, dem Würzebehälter, in den die Würze noch kochend heiß ein- geleitet wird, um hier gekühlt und gelüftet zu werden und dem Gärungszylinder, der mit einem Rohransatz zur Einführung der Reinzueht und mit Vorrichtungen zum Ab- lassen der Hefe und der vergorenen Würze versehen ist. Man kann in diesem Apparat Stellhefe für 8 hl Würze herstellen. Der iVpparat von Hansen -Kühle hat im Laufe der Zeit eine Reihe von Abänderungen er- fahren, die aber zum Teil kaum als Verbesse- rungen anzusehen sind (Apparate von Lindner, Jörgensen, Berg und Wich- mann). In den Untergäruugsbrauereien, die das Hefereinzuchtverfahren eingeführt haben, besteht die Reinhefe immer nur aus einer Hefenart. Mischsaaten von mehreren Rein- I hefen haben sich als unzweckmäßig erwiesen, weil das Verhältnis zwischen den einzelnen Arten während der Gärung nicht zu be- herrschen ist. Bei den Weißbierbrauereien muß als Stellhefe eine Mischung von ober- gäriger Hefe mit Milchsäurebakterien be- nutzt werden. Sonst sind aber auch bei den I Obergärungsbrauereien Mischsaaten nicht in Gebrauch. Im Betriebe unterliegt die Reinhefe I naturgemäß sehr leicht wieder der Infektion, was der Brauer durch geeignete Arbeits- j verfahren nach Möglichkeit zu verhindern sucht. Die Mittel, die zur Reinhaltung der I Betriebshefe(,,natürlicheHefereinzucht" [nach Delbrück) dienen, sind schnelles Arbeiten beim Kühlen und Angären der Würze, Wahl einer geeigneten höheren I Gärtemperatur (des passenden Hefeklimas) I und sorgfältige Beobachtung des Gärver- laufes. VöUig gesichert wird der Erfolg des Rein- zuchtverfahrens natürlich nur dann, wenn die Reinhefe mit anderen Gärungserregern überhaupt nicht in Wettbewerb treten kann. In dieser Richtung bewegen sich auch die technischen Bestrebungen der neuesten Zeit, wie dies u. a. das von Nathan ausgearbeitete Gärverfahren beweist. Bei diesem Verfahren vollzieht sich die Kühlung der Würze, die Gärung und die Sättigung des Bieres mit Kohlensäure in einem nach den Prinzipien der Reinzuchtapparate gebauten, emaillierten eisernen Gärgefäß (H nns e n a -Apparat), wobei jede Infektion ausgeschlossen ist. Der Apparat macht die Lagerung und Nach- gärung des Bieres entbehrlich und liefert in 10 bis 12 Tagen genußreifes Bier. 496 Grärung (AJkolioliselie Gärung, Praktisclies) 3. Bierähnliche Getränke. Aus stärke- haltigen Rohstoffen werden in verschiedenen Ländern alkoholische Getränke hergestellt, die dem Bier mehr oder weniger ähnlich sind. Die Gärtechnik, die zur Bereitung dieser Getränke dient, beruht fast ausnahmslos auf uralten Ueberlieferungen und ist, wie die nachfolgende Zusammenstellung beweist, der Verbesserung dringend bedürftig. Kwaß. Kwaß, das Volksgetränk der Russen, wird gewonnen durch Vergärung von Würzen, die aus verschiedenen Mchlsorteii, Malz, Brot oder aus Mischungen von diesen Stoffen mit oder ohne Zusatz von Zucker oder Obst her- gestellt und meist mit Pfefferminze oder an- deren Stoffen gewürzt werden. Das Getränk ward meist im Haushalt, in größeren Städten auch fabrikmäßig bereitet; in den russischen Kasernen sind eigene Kwaßköche angestellt, die nach behördlich festgelegten Angaben arbeiten. Die Zahl der Herstellungsvor- schriften ist sehr groß. In Helsingfors ar- beitet man nach Henrici folgendermaßen: Aus 2 kg Malz und der erforderlichen Menge Wasser stellt man bei gelindem Feuer einen gleichmäßigen Brei her, den man in ein Faß bringt und mit 18 Litern kochenden Wassers verdünnt. Das Gemisch bleibt 24 Stunden stehen, worauf die Flüssigkeit behutsam von dem Bodensatz abgezogen und in einem anderen Gefäß mit 400 g Weizenmehl, 800 g Zucker und 60 bis 100 g Hefe gemischt wird. Nach 12 Stunden zieht man die : Flüssigkeit in Flaschen ab, die man gut verkorkt. An der in der Flüssigkeit eintretenden Gärung sind neben Hefen vorzugsweise Milchsäurebakterien beteiligt, die sich in der erwärmten Würze schon vor dem Hefezusatz stark vermehren. Der fertige Kwaß enthält etwa 0.5 bis 2 Maß-»/, Alkohol, ö»; Extrakt, 0,1 bis 0,5% Milchsäure und 0,1 bis 0,15%; flüchtige Säure. Der Säuregehalt nimmt mit dem Alter des Getränks bedeutend zu, be- sonders in den Fällen, wo man den Kwaß nicht in Flaschen abfüllt, sondern nach und nach aus kleinen Fäßchen abzapft. Unter solchen Verhältnissen siedeln sich Essigbakterien, Kahmpilze und andere Gä- rungsschädlinge in dem Getränk an und ver- ändern seine Zusammensetzung in weit- 1 gehendem Maße. Bosa. Der Bosa oder Busa ist ein dem Kwaß ähnliches Getränk, das von manchen mohammedanischen Völkerschaften des 1 russischen Reiches sowie in Ungarn im i Banate vornehmlich aus Hirse hergestellt wird. In Serbien benutzt man dazu Mais. Man kocht diesen mit etwas Weizenkleie 8 bis 12 Stunden lang in Wasser, treibt ihn dann nach Zusatz von etwas Sauerteig durch ein engmaschiges ' Sieb und versüßt die Masse schließlich mit Zucker oder Honig. Man erhält so eine trübe Flüssigkeit, die bald in Gärung gerät und ein süßlich-säuerlich schmeckendes Ge- tränk mit einem Alkoholgehalt von etwa 0.7 bis 1,9% liefert. Braga. Braga ist ein alkoholisches Ge- tränk, das von tatarischen Volksstämmen und den unteren Volksschichten Rumäniens aus Hafermehl. Hirse oder Malz in ganz ähnlicher Weise wie Busa bereitet wird und auch an- nähernd die gleiche Zusammensetzung zeigt. Negerbier. In dieselbe Gruppe der ge- gorenen Getränke gehört das sogenannte Negerbier, das von den Negerstämmen Afrikas aus verschiedenen Hirsearten der Gattungen Sorghum, Penicillaria und Eleu- sine abgesehen von manchen Besonderheiten im wesentlichen immer so bereitet wird, daß man gekeimte und in der Sonne gedarrte Hirse- körner fein zerstößt, mit Wasser anrührt und den entstandenen Brei ohne weiteres oder nach vorausgegangenem Erwärmen bis zur Siede- hitze der "Selbstgärung überläßt. Die Gärungs- erreger des Negerbieres sind vornehmlich Hefen und milchsäurebildende Bakterien, die auf der Hirse und an den Wandungen der Zubereitungsgefäße haften. In dem als Pombe bezeichneten Negerbier der Neger- stämme Deutsch-Ostafrikas treten neben Saccharomycesarten auch Pilze vom Typus des Schizosaccharomyces Pombe als Alkoholbildner auf. Die Neger pflegen die gärende Flüssigkeit schon nach einigen Tagen zu genießen, ohne sie vom Bodensatz zu trennen. Ueber ihre Zusammensetzung ist wenig bekannt. Eine von Saare unter- suchte Probe von Pombe enthielt 2,4% Al- kohol, 1,4% Zucker und 0,5% Säure (als Milchsäure berechnet). Vermutlich sind die Negerbiere verwilderte Abkömmlinge des Bieres der alten Aegypter, das aus Gersten- malzauszügen unter Zusatz von Safran und anderen Gewürzen erzeugt wurde (ro/^-o., Pelusisches Getränk). G i n g e r - b e e r (I n g w e r b i e r). Ingwerbier gewinnt man in England in der Weise, daß man mit Ingwerstückchen gewürzte, 10- bis 20- %ige Rohrzuckerlösungen mit einigen Körn- chen der Ging er-be er Plant in Gärung ver- setzt und nach 24 Stunden auf Flaschen ab- füllt. Die Ginger-beer Plant, deren Herkunft unbekannt ist, besteht aus Krusten von horn- ähnlichem Gefüge, die sich nach den Unter- suchungen von H. M. Ward aus zwei in einer Art Symbiose lebenden Organismen, der Hefenart Saccharomyces pyriformis und dem Bakterium B. vermiforme zusammen- setzen (Fig. 1). In Zuckerlösungen quellen die Krusten der Ingwerbierpflanze zu durchscheinenden, haselnußgroßen Körnern auf und erregen dabei eine lebhafte Gärung, in deren Verlauf Grärung (Alkoholische (iärung, Praktisches) 497 neben wenig Alkohol und Essigsäure haupt- sächlich Kohlensäure und Milchsäure ent- stehen. Fig. 1. Sclinitt diiicli die Ginger-beer plant. Die Zellen des Saccliaroniyces piriformis sind von den Stabchen des Eacteiium vermiforme umhüllt, deren Membranen stark verdickt und gequollen sind. Nach H. M. Ward. Aus Lafar, Hand- buch der technischen Mj^kologie. Aehnliche Beschaffenheit wie die Ginger- beer Plant besitzt der als Tibi bezeichnete Gärerreger, der in Form klumpiger, durch- scheinender Massen auf Opuntia- Arten Mexikos (Kaktus-Feigen) vorkommt und nach Lutz aus den Zellen des Sproßpilzes Pichia Radaisii und den Stäbchen von Bacillus mexicanus besteht. Zuckerlösungen wer- den durch Tibi-Körner rasch zu einem schäumenden, schwach säuerlich schmecken- den Getränk von schwachem Alkoholgehalt vergoren, das besonders bei den mexikani- schen Fabrikarbeitern sehr beliebt ist. Mög- licherweise liegt derselbe Gärerreger vor in den Körnern, die unter den Namen Tiby oder Graines Vivantes nach Pabst in Paris dazu benutzt werden, um aus Zucker- lösungen ein schäumendes, leichtes alkoho- lisches Getränk zu bereiten. Korn mit einem feinen Schimraelrasen über- zieht. Die Reismasse erwärmt sich dabei sehr erheblich und erreicht trotz Durch- knetens gewöhnlich eine Temperatur von 40" C. Wenn die Masse nicht zur Gewinnung von Tane-Koji dienen soll, beginnt man die verpilzten Körner vor der Konidienbildung zu trocknen. Der gebrauchsfähige Koji enthält neben dem Mycel des Aspergillus Oryzae auch viele Fremdkeime, so andere Schimmelpilze, Sproßpilze, Bakterien und insbesondere auch Alkoholhefen, die zur Hauptsache jedenfalls aus dem Saat-Koji stammen. Die wichtigste Eigenschaft des Koji ist sein Reichtum an diastasehaltigem Pilzmycel. Chemisch unterscheidet sich Koji vom Reis durch den Gehalt an Zucker (etwa 10%) und eine große Menge wasserlöslicher Stoffe. Mittels des Koji wnrd in den eigentlichen Sakebrauereien der Moto, eine Art Hefe- ansatz hergestellt, indem man in Holzkübeln von 1 hl Inhalt gedämpften Reis mit Wasser und Koji zu einem dicken Brei vermischt und diesen zunächst bei niedriger Temperatur I (unter lO" C.) sich selbst ülDerläßt. Nach i einigen Tagen beginnt die Masse sich zu i verflüssigen und in Gärung überzugehen. I Man läßt nun die Temperatur langsam auf 20° C steigen und erhöht sie später noch bis auf 30 bis 35° C. Nach etwa 18 Tagen ist der Moto fertig. Er bildet eine hefenreiche ' Flüssigkeit, die neben unvergorenem Zucker I 0,5 bis 0,8% freie Säure (hauptsächlich Milch- I säure) und 3 bis 14% Alkohol enthält. Die wichtigsten Vorgänge bei der Moto- bereitung sind die Verzuckerung der Stärke, die Säuerung der Maische und die Vermeh- rung der Alkoholhefen. Die Verzuckerung Sake, Reiswein. Sake ist das wichtigste erfolgt durch ein von den Hyphen des Asper- geistige Getränk Japans, das dort schon seit 2000 Jahren erwähnt und seit etwa 200 Jahren fabrikmäßig bereitet wird. Der jähr- liche Steuerertrag aus der Sakegewinnung beläuft sich auf 50 bis 70 Mill. M. Wissen- schaftlich verdient an der Sakedarstellung besonders Beachtung, daß das stärkehaltige Ausgangsmaterial des Sakes, der Reis, nicht durch Keimung des Samens, sondern durch den Schimmelpilz Aspergillus Oryzae Ahlb. verzuckert wird. Die Sake- bereitung beginnt mit der Herstellung von Koji, die der MalzgeAvinnung entspricht. In besonderen, auf 20 bis 25° C erwärmten Räumen, den Kojikellern wird entschalter gillus Oryzae gebildetes Enzymgemenge, dessen Hauptbestandteil eine der Malz- diastase ähnliche, aber kräftiger wirkende Amylase (Eurotin, Takadiastase) ist. Unter den Verzuckerungsprodukten der Reisstärke sind Maltose und Glucose nachgewiesen. Die Säuerung der verzuckerten Reismasse bewirken freiwillig hinzutretende Milchsäure- bakterien. Daneben stellen sich anscheinend nicht selten Essigbakterien ein, die die Brauchbarkeit des Moto bei stärkerer Ver- mehrung sehr beeinträchtigen. Die Hefen stammen vorzugsweise von dem Koji, be- ziehungsweise dem Reisstroh, mit dem der Koji bei der Herstellung in Berührung und gedämpfter Reis auf dem Boden ausge- kommt; zum Teil mögen sie auch aus der breitet und mit Tane-Koji, dem grüngelben ; keimreichen Luft der Gärkammern in die Sporenpulver des Aspersfillus Oryzae oder mit I Maische gelangen. Sie sind jedenfalls in zerkleinertem älterem Koji bestreut und mit ' verschiedenen Arten und Rassen vertreten, Strohmatten bedeckt. In wenigen Tagen von denen der von Kozai untersuchte Sac- entwickelt sich auf der Masse ein lebhaft : charomyces Sake am genauesten bekannt wucherndes Pilzmycel, das jedes einzelne ist. Er bildet in der Motoflüssigkeit inner- Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV. 32 498 Gärung- (Alkoliolische Gärung, Praktisches) halb 13 bis 15 Tagen 13,2 bis 13,4 Gewichts- wenig weiter entwickeln kann wie die Hefen, Prozente Alkohol. tritt durch Fortdauern der Enzymwirkung Bei der eigentlichen Sakegärung wird j doch eine starke Verzuckerung der Stärke der zur Verarbeitung bestimmte Reis ge- ein, wie nachstehende von Atkinson aus- dämpft, in großen Gärbehältern unter Zu- geführte Analyse einer Myrinsorte beweist: satz von Wasser und Koji mit dem Moto 1 Wasser 61,827o» Zucker 21,06%, Dextrin innig vermischt und dann bei gewöhnlicher 4,16%. Temperatur (10 bis 15" C) der Verzuckerung Der chinesische Reiswein gleicht dem und Gärung überlassen. Die sich dabei ab- japanischen Sake, ist in der Regel jedoch spielenden Prozesse sind dieselben wie bei rötlich gefärbt. Er wird aus einer Mischung der Motobereitung. Der gärenden Masse, die der weißen und roten Varietät von Klebreis sich durch Selbsterwärmung gewöhnlich auf [ hergestellt und erhält jedenfalls noch eiuen 20" C und darüber hinaus erhitzt, wird nocli mehrmals Koji und Reis zugesetzt, bis die Gärung nach etwa 2 bis 3 Wochen zum Still- Zusatz von Angh-Khak, einem Handels- artikel Chinas, der aus getrockneten, durch den Schimmelpilz MonascuspurpureusW. stand kommt. Die vergorene Flüssigkeit wird '" weinrot gefärbten Reiskörnern besteht. Zur darauf abgegossen, geklärt und nicht selten Verzuckerung der Stärke dient nicht wie in auch pasteurisiert. Nach einem mehrmonatigen i Japan eine Aspergilluszucht, sondern die Faßlager in großen Gebinden kommt der sogenannte chinesische Hefe, von den Sake schließlich als weingelbe, sherryarti^ge 1 Malaien Ragi genannt. Sie besteht aus Flüssigkeit mit arrakähnlichem Aroma in pfefferiuißähnlichen, weißgrauen, etwa taler- den Handel. Der fertige Sake enthält ge- großen Kuchen, welche die Chinesen aus wohnlich 10 bis 15%, in Ausnahmefällen Reismehlteig unter Zusatz von aromatischen auch bis zu 18% Alkohol. Ein von Kozai Pflanzenpulvern formen, darauf etwa 48 mit reingezüchteter Sakehefe hergestellter Stunden in dunklen Räumen halten, bis sie Sake zeigte folgende Zusammensetzung: sich mit Schimmel bedecken, und dann trock- Spez. Gew. 0,994, Alkohol 13,40 g, Trocken- neu (Fig. 2). Unter den zahlreichen, meist von Substanz 3,62 g, nichtflüchtige Säuren (als der Oberfläche der ungeschälten Reiskörner Milchsäure berechnet) 0,07 g, flüchtige Säuren stammenden Pilzkeimen, mit denen diese Mehl- 0,003 g, Glucose 0,5 g, Dextrin 0,55, Asche j kuchen durchsetzt sind, befinden sich neben 0,05 g in 100 ccm. \ Alkoholhefen stets gewisse bei der Amylo- Süßen Sake, Myrin, ein sehr süßes brennerei noch genauer zu besprechende likörartiges Getränk von gelber bis brauner j Schimmelpilze aus den Gattungen Mucor und Farbe, gewinnt man in der Weise, daß man Rhizopus, deren Mycelien wie die Hyphen von Aspergillus Oryzae amylo- lytische Enzyme ausscheiden. Zwecks Herstellung von Reis- branntwein vermischt man diese Mehlkuchen in grob zerkleiner- tem Zustande mit gekochtem Reis, in dem die Mucorineen innerhalb weniger Tage lebhaft wuchernde Schimmelrasen bil- den. Die verpilzte Masse wird in großen Töpfen mit Wasser verdünnt, worauf die aufge- quollene Stärke durch die vor- handenen Mucorineen unter Zuckerbildung alsbald verflüssigt wird. Durch die mit der chine- sischen Hefe eingesäten Saccha- Fig. -2. „Cliinesischo Hefe- von Singapore. Reismehl- romyceten stellt^sich gleichzeitig kuchen m annähernd natürlicher Größe von der Seite (1) und q^j.'^^ . ^- ^jjg j^ etwa 6 Tagen halb von oben (2) gesehen; daneben (3) mikroskopisches Pra- , ,i51 :_^ t„ ;4i,„i;«i,„> ix7^;„« parat daraus nach Abschwemmen der überschüssigen Stärke beendet ist. In ähnlicher Weise Nach Wehmer. Aus Lafar, Mykologie. gedämpften Klebreis mit Reisbranntwein und Koji mischt und 3 bis 6 Wochen in be- deckten Gefäßen sich selbst überläßt. Ob- wohl sich in dieser Mischung der im Koji enthaltene Aspergillus Oryzae wegen der störenden Wirkung des Alkohols ebenso- Handbuch der technischen wird auf Formosa em als Auch u bezeichnetes rotes Reisgetränk hergestellt, wie überhaupt alle Völker des asiatischen Ostens und auch einige Stämme Vorderindiens aus Reis oder anderen Körnerfrüchten mit Hilfe von amylolytisch wirkenden Pilzen sake- ähnliche Getränke zu erzeugen wissen. Auf der Tätigkeit solcher Pilze beruht Gärung (Alkoholische Gärung-, Praktisches) 499 offenbar auch die Bereitung des Yaraks, den in Südamerika wilde Sttämme des oberen Orinocos aus dem Mehl der Manihotwurzel herstellen, indem sie es angefeuchtet zu Zy- lindern formen, diese mit Bananenblättern umwickeln und dann sich selbst überlassen. Nach einigen Tagen fließt aus den Massen eine zuckerreiche Lösung ab, die rasch in Gärung übergeht. Wie die Pilzeiizyme hat auch die Speichel- diastase seit uralter Zeit für Gärzwecke Ver- wendung gefunden. Das bekannteste Beispiel dafür bildet die Chica (Chica mascada = selbstgekaute Chica), die die Iiulianer Süd- ameiikas in der Weise herstellen, daß sie Mais- körner kauen und dann in eine Kürbisschüssel speien. Der mit Speichel durchsetzte Brei wird mit lauwarmem Wasser übergössen und der freiwilligen Gärung überlassen. Wie leicht ersichtlich ist, hat das Kauen hier die Be- deutung, die Maisstärke zu verzuckern. Un- ter der Einwirkung der Speichel diastase entsteht aus der Stärke neben Dextrinen Maltose, die durch eine gleichfalls im Speichel vorkommende Maltase weiter in Glucose umgewandelt wird. In ganz derselben Weise bereitet man auf den australischen Inseln das als Kawaoder Awa bezeichnete Getränk. Zu seiner Herstellung kauen Knaben und Mädchen die Wurzel des Kawapfeffers (Piper methysticum Forst) und speien den Brei in ein Gefäß, wo er mit Wasser oder Kokos- milch verdünnt wird und bald in Gärung übergeht. Die anregende Wirkung des Ge- tränkes ist nicht allein auf die geringe Menge des gebildeten Alkohols, sondern auch auf den Gehalt der Flüssigkeit an toxisch (ko- kainartig) wirkenden Stoffen (Kawaalkaloid und Kawaharz) zurückzuführen. Im Anschluß an die Besprechung dieser Getränke sei schließlich noch die Darstellung der japanischen So ya- Sauce (Shoju) er- wähnt, weil sie sich der Mitwirkung von amy- lolytisch wirkenden Pilzen und alkohol- bildenden Hefen bedient. Zur Bereitung dieser als Würze für Speisen aller Art dienen- den Sauce werden Sojabohnen der als Daidzu bezeichneten Varietät halbweich gekocht und nach dem Erkalten mit geröste- tem Weizenmehl und einer Mischung von ge- dämpftem Weizen mit Koji (Weizen-Koji) innig vermengt. Die Masse wird in kleine Kästen gebracht und drei Tage bei 20 bis 25" C gehalten, wobei sich das Pilzmycel des Aspergillus Oryzae lebhaft entwickelt und den erweichten" Bohnenbrei aufschließt. Die verpilzte Bohnenmasse wird darauf unter Salzzusatz eingemaischt (Herstellung des Moromi) und schließlich in Bottichen von 300 hl Inhalt mit Salzwasser zu einem dicken Brei angerührt. Es beginnt jetzt die Reifung oder Gärung, die je nach dem Mischungs- verhältnis der Rohstoffe und der Güte der Sauce auf 8 Monate bis 5 Jahre ausgedehnt wird. Die Masse bräunt sich während der Gärung unter Bildung eines feinen Aromas und enthält an gelösten Stoffen neben Koch- salz schließlich fast nur Eiweißzersetzungs- produkte. Die bei der Gärung sich abspielen- den Prozesse sind sehr verwickelter Natur. Die Stärke der Sojabohnen wird durch den Aspergillus Oryzae verflüssigt und der ent- standene Zucker durch Hefen, die jedenfalls aus dem Koji stammen, vergoren. Gleich- zeitig stellt sich Milchsäuregärung ein, an der nach den Mitteilungen von Saito be- sonders zwei Bakterienarten, Bact er in niHa- maguchiae und B. Soja beteiligt sind. Die Eiweißstoffe werden durch den Asper- gillus und jedenfalls auch durch die Bakterien sowie andere Gärungserreger zersetzt. Neben den genannten Keimen finden sich noch andere Organismen ein, so verschiedene Schimmel- pilze, hautbildende Sproßpilze, Zygosaccharo- myces-Arten und Bakterien, die sämtlich für die Reifung der Sauce ohne Bedeutung sind, bei stärkerer Vermehrung die Güte der Soja aber nachteilig beeinflussen. Der hohe Kochsalzgehalt der Masse (15 bis 17%) ist für die Art der Gärung insofern von Einfluß, als er die Entstehung von Eiweißfäulnis aus- schließt. Die Wirksamkeit der Aspergillus- enzyme und die Tätigkeit der Sojahefen unterdrückt er nach den vorliegenden Unter- suchungen nicht. Auf ähnlichen Umsetzungen beruht die Gärung bei der Bereitung des Mi so, eines in Japan als Zutat zu Speisen und Sup- pen benutzten bräunlichen salzhaltigen Breies aus Sojabohnen. I Die chinesische Soja (Tao-Yu, Bohnenöl) wird ohne Koji hergestellt. Den Aufschlie- ßungsprozeß übernimmt hier ein spontan i auftretender Schimmelpilz (Aspergillus W e n t i i). Eine eigentliche Gärung tritt nicht ein, da die Masse mit großen Mengen von j Kochsalz versetzt und wiederholt aufgekocht wird. Die chinesische Soja ist deshalb als ein mit Kräutern gewürzter, konzentrierter i Salzauszug der schimmeldurchsetzten Soja- Bohne anzusehen. Dagegen dürfte die Her- stellung des javanischen Bohnenbreis (Tao-Tjiung), der in vieler Beziehung dem ' japanischen ähnlich ist, aber ohne Koji zu- I bereitet wird, nicht nur auf Enzymwirkungen eines Aspergillus, sondern auch auf Gärungs- vorgängen beruhen, an denen jedenfalls [ Milchsäurebakterien und Hefen beteiligt sind. 4. Brennerei und Preßhefe. Be- griffsbestimmung. Unter Brennerei und Preßhefebereitung versteht man die Verarbeitung von Kohlehydraten zu Spiritus ! und Hefe. Bei der Brennerei ist die Her- . Stellung von Alkohol (Aethylalkohol), bei ' der Preßhefebereitung die Gewinnung von j Hefe das Hauptziel der Betriebsarbeit. Unter den verarbeiteten Kohlehydraten steht die 32* 500 Gärung (Alkoholische Gärung, Praktisches) Stärke weitaus an erster Stelle; gegen sie haben die Zuckerarten und die Zellulose als Kohstoffe für die Brennerei nur untergeord- nete Bedeutung. Nur in Frankreich wird auch der Rohrzucker in größeren Mengen zu Spiritus verarbeitet. In Deutschland und Oesterreich, wo das wegen der Steuergesetze nicht möglich ist, wird er höchstens in Form von Melasse für Brennereizwecke be- nutzt. Da der wichtigste Ausgangsstoff für die Gewinnung des Alkohols, die Stärke, von der Hefe nicht angegriffen wird, geht im Brennereibetrieb ähnlich wie bei der Brauerei der eigentlichen Gärung die Um- wandlung der Stärke in gärungsfähigen Zucker voraus. Herstellung der süßen Maisch e. In Deutschland ist der wichtigste Rohstoff der Brennerei die Kar- toffel. Ihre Verarbeitung zu Alkohol be- ginnt mit einer gründlichen Reinigung der vom Felde kommenden Kartoffeln in Lattentrommeln (T r o c k e n t r o m m e 1 n) oder auf Lattenrahmen (Harfe), wo sich die trockenen Kartoffeln aneinander reiben und die ihnen anhaftende Erde zum größten Teil abfällt. Nach einer weiteren Säuberung in Waschmaschinen werden die Kartoffeln gedämpft, um die Stärke zu ver- kleistern und für die diastatische Spaltung vorzubereiten. Bei dem älteren Dämpf- verfahren wird diese Arbeit in aufrechtstehen- den, hohen, nicht dampfdicht geschlossenen Bottichen (Dampffässern) mit frei ein- strömendem Dampf vorgenommen. Die gar gekochten Kartoffeln werden dann noch heiß zwischen Walzen zerquetscht und in den Maischbottich überführt. Heute ist diese Arbeitsweise fast überall durch das Hoch- druckverfahren verdrängt worden, bei dem die Kartoffeln in Dampfkesseln unter Anwen- dung von gespannten Dämpfen aufge- schlossen werden. Der erste derartige Apparat ist von Hollefreund (1871) eingeführt worden. Am besten bewährt hat sich aber der von Henze (1873) konstruierte Apparat in der Abänderung, die ihm Pauksch (1881) gegeben hat. In dem H e n z e dämpf er werden die Kartoffeln einem Dampfdruck von durch- schnittlich 3 Atm. ausgesetzt, wobei die Stärke nicht nur in Quellung übergeht, sondern sich zum Teil auch löst. Infolge- dessen wird sie durch die Diastase auch leichter verzuckert. Die gedämpfte und auf- gelockerte Kartoffelmasse wird aus den Henze dämpf ern unter Dampfdruck durch eine kleine Oeffnung in den Vormaisch- bottich ausgeblasen, wobei sie sich äußerst fein verteilt, ein Vorgang, der als ein weiterer Vorteil des Hochdruckverfahrens anzu- sehen ist. In dem Vormaischbottich wird der einströmende heiße Kartoffelbrei durch vor- züglich wirkende Kühlvorrichtungen (Innen- und Außenkühlung) abgekühlt und so- gleich mit Malzmilch eingemaischt. Zur Herstellung der letzteren wird ausschließ- lich Grünmalz benutzt, weil djese Malz- sorte die meiste Diastase enthält. Man läßt das Malz zunächst ein- bis zw^eimal durch die Malzquetschen gehen, wo es zwischen glatten eisernen Walzen zerkleinert wird, und rührt es dann mit Wasser zu einem feinen Brei an. Auf 100 1 Maischraum (gleich 95 kg Kartoffeln) sind 2 bis 2V> kg Malz erforder- lich. Unter der Wirkung der im Malz ent- haltenen Diastase wird die aufgeschlossene Stärke in Maltose und Dextrine ufngewandelt und zwar im günstigsten Falle in 81% Mal- tose und 19% Dextrine. Unter den Ver- hältnissen der Praxis erzielt man in den Dickmaischen, wie sie heute fast ausschließ- lich verarbeitet werden, aber kaum mehr als 67% Maltose. Am schnellsten vollzieht sich die Verzuckerung bei 55" C, doch muß die Temperatur der Maische in der Praxis auf 62'' C, bei weniger guten Rohstoffen so- gar bis auf 68" C erhöht werden, um Bakterien- entwickelung zu verhüten. Dabei ist jedoch Sorge zu tragen, daß die Diastase nicht zu sehr geschädigt wird, weil die Dextrine, die im Vormaisehbottich aus der Stärke ent- stehen, nach der Vergärung der Maltose ebenfalls in gärfähigen Zucker übergehen, wenn in der gärenden Maische noch wirk- same Diastase enthalten ist. Da die Diastase in zuckerhaltigen Lösungen w'ider- standsfähiger ist als in zuckerfreien, leitet man die Verzuckerung in der Weise, daß man die Malzmilch bei 55 bis 56" C zunächst auf einen Teil des Kartoffel- breies einwirken läßt und erst dann, wenn sich in dieser Mischung die Verzucke- rung eingestellt hat, die Hauptmenge des Stärkebreis in den Vormaischbottich bringt und die Temperatur auf 60 bis 62" C steigen läßt. Nach etwa einer halben Stunde ist dann die Verzuckerung eingetreten. Die Maische wird nun entschalt und dann auf die Gärtemperatur abgekühlt. Wie frische Kartoffeln lassen sich auch Trockenkartoffeln, Mauioka (Wurzeln von Manihot utilissima), Mais und Getreide nach dem Hochdruckverfahren zu Spiritus- maischen verarbeiten, nur müssen diese Stoffe geschroten und mit der nötigen Menge Wasser (160 bis 200 1 auf 100 kg Mais) in die Dämpf apparate gebracht wer- den, w^eil sie an sich nicht so viel Wasser enthalten, wie zum Aufschließen der Stärke notwendig ist. Für die Herstellung besserer Kornbranntweine ist das Hochdruckverfahren nicht geeignet, weil es die Geruchs- und Geschnuicksstoffe des Branntweins beein- trächtigt. Man maischt in diesem Falle Ciärung (Alkoholische Gärung, Praktisches) 501 den fein geschrotenen Roggen (oder Weizen) mit kaltem Wasser unter Zusatz von Schwefelscäure (100 bis 150 cem auf 100 kg Schrot) und Darrmalzschrot direkt im Vor- maischbottich ein und erhöht die Temperatur der Maische durch Einleiten von Dampf nach und nach auf 60" C. Die verzuckerten Maischen, die gewöhn- lich eine Temperatur von 60" C zeigen, werden schnell auf die Gärtemperatur (etwa 15" C) abgekühlt, was am besten gleich in den Vormaist-hbottichen mit Hilfe der ein- gebauten Kühlvorrichtungen geschieht oder in der Weise zu erreichen ist, daß man die Maische durch Röhren- oder Oberflächen- kühler leitet. Die vorübergehend ver- wendeten Kühlschiffe haben sich als un- zweckmäßig erwiesen, weil sich die Maische darin zu stark infiziert. Bereitung der Brennereihefe. Die süße Maische kann mit Bierhefe aus ober- gärigen Brauereien oder mit Preßhefe ver- goren werden, was in Frankreich und Belgien auch noch vielfach geschieht. In Deutsch- land züchtet man die Anstellhefe in den Brennereien selbst in der sogenannten ,,Hef e- kammer", wobei man meist die im Institut für Gärungsgewerbe in Berlin reingezüchteten Rassen R. II und R. XII als Aussaathefen benutzt (K u n s t h e f e b e r e i t u n g). Als Nährflüssigkeit (Hefegut) dient Dickmaische von derselben Konzentration, wie sie im Vormaischbottich hergestellt wird, unter Zu- satz von Grünmalzschrot, dem hier in der Hauptsache die Bedeutung eines Hefenähr- stoffs zukommt. Bevor die Aussaat der Rein- hefe erfolgt, muß das Hefegut verzuckert und gesäuert werden. Es wird zu diesem Zweck durch Zubrühen von heißem Wasser oder mit Hilfe des sogenannten Dampf- maischholzes auf 60 bis 62" C erwärmt und dann ly, bis 2 Stunden sich selbst überlassen. Das verzuckerte Hefegut wnrd auf 56 bis 50" C abgekühlt und bei dieser Temperatur, am besten in einem beson- deren, gemauerten Wärmraum (Säuerungs- kammer), einer Milchsäuregärung unter- worfen. An Stelle des früher hierzu be- nutzten Sauerwassers sind heute Rein- zuchten von Milohsäurebakterien (Bacil- lus Delbrücki Leichmann) getreten, wie sie Lafar zuerst in die Brennerei eingeführt hat. Ist die Säurebildung bis auf 1,8 bis 2", d. h, so weit vorgeschritten, daß 20 ccm Maischefiltrat zur Neutralisation 1,8 bis 2,0 ccm n-Natronlauge benötigen, dann wird das gesäuerte Hefegut zur xAbtötung der Milch- säurebakterien und anderer Keime etw^a 15 Minuten lang auf 75" C erhitzt, nach schneUer Abkühlung auf 28 bis 30" C mit der Aussaathefe (Mutterhefe) beimpft und darauf sofort weiter auf 12 bis 16" C abge- kühlt. Erhöht sich bei der nun lebhaft ein- setzenden Gärung die Temperatur des Bottich- inhalts durch Selbsterwärmung über 28 bis 29" C, so müssen die Kühler von neuem in Tätigkeit treten. Gewöhnlich ist die Gärung, schon nach 20 bis 24 Stunden bis zur Bildung von 8% Alkohol vorgeschritten. Ist diese Ver- gärungsstufe, die bei Stammaischen von 20 bis 24" B. einer Saccharometeranzeige von etwa o bis 6" B. gleichkommt, sicher erreicht, dann wird ein Teil des Bottichinhalts als ,,Mutterhefe" abgenommen, um für eine neue Gärung weitergezüchtet zu werden. Die Hauptmenge der gebildeten Hefe wird zusammen mit der vergorenen Maische als „Kunsthefe" oder „Maischhefe" zum An- stellen der Hauptmaische benutzt. Da die Verwendung der Milchsäurebak- terien bei der Hefebereitung im wesentlichen nur den Zweck hat, die Anzuchtflüssig- keit anzusäuern und dadurch gegen die Ent- wäckelung von säureeni])findliclu'n Bak- terien zu schützen, hat man wiederholt ver- sucht die. etwas umständliche Säuregärung durch Versetzen der Hefenmaische mit reinen Säuren zu umgehen. Man hat für diesen Zweck die verschiedensten Säuren, wie Milchsäure, Ameisensäure, Schwefel- säure, Salzsäure und schweflige Säure in Vorschlag gebracht, aber trotz günstiger Er- gebnisse hat keines der empfohlenen Ver- fahren größere Bedeutung für das Brennerei- gewerbe erlangt, weil sich die Betriebskosten mit der Einführung der neuen Arbeitsweisen nicht oder doch nur unwesentlich verringern würden. Auch das von Effront eingeführte Flußsäureverfahren, bei dem die Hefe- maischen je nach der Konzentration mit 0,5 bis 0,3% Flußsäure oder mit 2 bis 10% flußsauren Salzen versetzt und mit Hefen geimpft werden, die sich durch Züchtung in Nährböden von steigendem Flußsäure- gehalt an diese Gifte ,,akklimatisiert" haben, ist in Deutschland, obwohl es brauch- bare Ergebnisse liefert und besonders bei der Verarbeitung von unreinen Rohstoffen ange- bracht ist, bisher nicht zur Einführung ge- kommen. Dagegen benutzt man in einzelnen Brennereien Deutschlands an Stelle der Bakteriensäuerung mit bestem Erfolg ein von Bücheier ausgearbeitetes Verfahren, bei dem die Maische nur mit so viel Schwefel- säure versetzt wird, daß aus den in den Roh- stoffen, besonders in den Kartoffeln ent- haltenen organischen Salzen die organischen Säuren freigemacht werden, freie Mineral- säure aber in der Maische nicht vorhanden ist. Die Rolle des Antiseptikums übernehmen hier also organische Säuren des Maisch- gutes. Bereitung der Preßhefe. Wesent- lich in derselben Weise wie bei der Herstellung der Brennereihefe verläuft die Gärung bei 502 Gärung (Alkoholische Grärung, Praktisches) der Bereitung von Preßhefe. Als „Mutterhefe" wird auch in diesem Falle heute in allen größeren Betrieben Reinhefe benutzt, die man in Maischen oder Würzen aus Darrmalz und Getreide einsät. Am besten hat sich dabei die auch in der Brennerei verwendete obergärige Hefe ,, Rasse XU" des Instituts für Gärungsgewerbe in Berlin bewährt. Nach der Fabrikationsweise ist das ältere sogenannte Wiener Verfahren vom neueren Lufthefeverfahren zu unter- scheiden. Bei dem Wiener Verfahren wird die aus Roggenschrot unter Zusatz von gekochtem Mais hergestellte, durch Darr- malz verzuckerte und mit Schwefelsäure oder Schlempe angesäuerte Maische in offenen Gärbottichen mit Mutterhefe angestellt. Nach etwa 15 bis 19 Stunden hat sich in- j folge der stürmischen Gärung die Ober- fläche der Maische mit ,,reifem Hefe-j schäum" bedeckt, der mit flachen Schaufeln I abgehoben, in einem Behälter mit Wasser [ gemischt und dann durch eine Siebmaschine von den Hülsen und Schalenresten getrennt wird. Durch zweimaliges Waschen in weichem Wasser muß die Hefe dann so gut als mög- lich von den anhaftenden Würzeteilchen befreit werden, um zu verhüten, daß sie schleimig wird. Schließlich wird sie mit Hilfe von Rahmenfilterpressen oder Zentri- fugen entwässert und mit besonderen Maschinen in die Handelsform gebracht. Bei dem Lüftungsverfahren ver- laufen Gärung und Hefebildung in treber- 1 freien, klar abgeläuterten Würzen von 8 bis i 10" Ballg., in die ohne Unterbrechung ein ' keimfreier Luftstrom eingeblasen wird. Nach etwa 20 Stunden ist die Hefe ,,reif". Man gewinnt sie durch Absetzenlassen oder Zentri- fugieren der vergorenen Würze. Um sie in i Handelsform zu bringen, muß sie ebenfalls gründlich gewaschen und nachher auf Filter- ; pressen wieder entwässert werden. Aehnlich vollzieht sich die Gärung, ! wenn zur Herstellung der Preßhefen Kar-' tof fei maischen verwendet werden. Sollen Melassen auf Hefe verarbeitet werden, dann ist es vor der Gärung notwendig, die Melasse durch Ansäuern mit Schwefelsäure und durch Zusatz von Hefenährstoffen, l insbesondere von assimilierbaren Stickstoff- und Phosphorverbindungen (Malzkeime, Hefe- extrakt, phosphorsaure Salze) in gärfähigen ; Zustand zu bringen. Die auf 6 bis 10° BaÜg. verdünnte Melasse wird vor der Hefeaussaat außerdem noch mit Milchsäurebakterien ge- impft und bei 50" C bis auf 0,3» (gleich 0,3 com n-NaOH auf 20 ccni Melassefiltrat) an- gesäuert. Gärung der Hauptmaische. Die verzuckerteBrennereimaische wird inDeutsch- land meist in offenen, innen lackierten Holz- bottichen vergoren, die etwa 3000 1 fassen. Sie sind mit Rührwerken ausgestattet, die aus einem System von Kühlröhren bestehen und die Möglichkeit bieten, die gärende Maische beim Aufrühren und Mischen gleich- zeitig auch zu kühlen. Beim Beschicken der Bottiche hat man darauf zu achten, daß ein ,,Steigraum" von mindestens 8 bis 9 cm freibleibt. Hat sicii die mit 20 bis 26° Ballg. eingefüllte süße Maische auf 28° C abgekühlt, dann wird das Rührwerk angestellt und die Hefe zugegeben, worauf sich sogleich leb- hafte Gärung einstellt. Damit die Tempe- ratur der Maische dabei nicht zu hoch steigt, wird sie nach dem Anstellen weiter auf 18 bis 20° C heruntergekühlt. Bei der jetzt eintretenden Vorgärung findet lebhaftes Hefewachstum statt, wobei sich die Hefe nach Hayduck bis auf das Dreizehnfache vermehrt und etwa 5"^ Alkoliol entstehen. Unter lebhafter Alkoholentwickelung geht die Maische nun in die Hauptgärung über, die mit Hilfe der Rühr- und Kühlvorrichtung so geleitet wird, daß sich die Temperatur der Maische zwischen 27,5 und 30° C hält und die Kohlensäure leicht ausströmen kann. Läßt die Gärung infolge der hemmenden Wirkung des entstehenden Alkohols nach, dann wird für ,, Auffrischung" der Hefe Sorge getragen, indem der Bottichinhalt mit Wasser verdünnt und so wieder auf einen geringeren Alkoholgehalt gebracht wird. Die in der Maische noch vorhandene Diastase führt nun auch die Dextrine in Maltose über, die bei der jetzt einsetzenden, bei25bis27,5°C durchgeführten Nachgärung von der Hefe ebenfalls in Alkohol und Kohlensäure ge- spalten wird. Bei riclitiger Gärführung ist die Maische am Scliluß der Gärung bis auf eine Saccharometeranzeige von 0,4 bis 1° B. vergoren und nun im ,, weingaren" Zustande für die Destillation geeignet. Außer Alko- hol und Wasser enthält sie Glyzerin, Aldehyd, feste und flüchtige Fettsäuren, verschiedene Ester, Propyl-, Butyl-, Isobutyl- und Amyl- alkohol (Fuselöle), "Dextrine, geringe Reste von unvergorenem Zucker, andere Extrakt- bestandteile, sowie endlich die unlöslichen pflanzlichen Bestandteile des Rohstoffes, die Treber. Die Art der Destillation (Abtreiben, Abbrennen) richtet sich nach der Natur des gewünschten Branntweins. Bei der Herstellung von Trinkbranntwein ist es nicht erforderlich, daß das Destillat hohen Alkoholgehalt besitzt und von Geruchs- und Geschmacksstoffen, wie Fuselölen und Estern vöhig frei ist. Daher kann man für solche Zwecke (Getreide- und Obst- branntweine, Wein-, Trester- und Ilefebrannt- weine) verhältnismäßig einfache Brennapparate (Blasenapparate) benutzen. ^lan zieht damit zu- nächst einen verdünnten SiMritus (Lutter) ab und erhöht dessen Alkoiiolgeiialt durch eine zweite und nötigenfalls durch eine dritte Destillation. Die Grärung (Alkoholische Gärung, Praktisches) 503 neueren Brennapparate für Trinkbranntweine sind meist mit mehreren Blasen ausgerüstet i und mit Verstärkungsvorrichtungen (Verdampfern undNiederschlagsvorrichtungen,Dephlegmatoren) versehen, in denen sich ein Teil des mitver- dampften Wassers wieder verdichtet und in die i Blase zurückfließt. Man kann mit solchen Appa- ' raten gleich aus der Maische ohne Alkohol- verlust Branntweine von höherem Alkoholgehalt abtreiben. Wül man aus der Maische hochprozentigen, reinen Alkohol gewinnen, dann wird die Destillation in kontinuierlichen Apparaten (Kolonnenapparaten) vorgenommen, wie sie Siemens, Ilges und andere konstruiert haben. Der in diesen Apparaten gewonnene ! Rohspiritus enthält noch alle flüchtigen Nebenerzeugnisse der Gärung, vor allem Aldehyde, Acetal, Fuselöle und verschiedene Ester. Um ihn zu Feinsprit zu verarbeiten, whd er mit Wasser auf 40 bis 50 Maß-% verdünnt, über j ausgeglühte Holzkohle filtriert oder auch durch j Chemikalien ,,entfuselt" und dann in besonderen ; Rektifizierapparaten (Apparate von Savalle, j Heckmann u. a.) nochmals einer DestiUation unterworfen. Dabei fängt man das DestiUat j in verschiedenen Anteilen getrennt auf. Zuerst | geht der sogenannte ,,Aethcr", ein Gemisch von Aldehyd mit wenig Aethylalkoliol über, dann folgen der Reihe nach ahli'liydhaltiirrr ..Sekunda- sprit'", aus reinem Aethylalkuhol bestehender ,, Primasprit", mit Fuselölen verunreinigter „Sekundasprit" und schließhch die sogenannten ,,Oele", ein Gemisch von höheren Alkoholen | und wenig Aethylalkohol. Mit den neueren i Apparaten von Ilges und Guillaume kann man [ auch gleich aus der Maische Feinsprit abziehen. Der in den Retorten der Brennapparate zui-ück- 1 bleibende Destillationsrückstand, die Schlempe, wird als Futtermittel verwendet, während die } Fuselöle an die chemische Industrie abgegeben werden. Die theoretisch zu berechnende Alkohol- ausbeute von 0,716 1 reinen Alkohols auf 1 kg Stärke wird im technischen Betrieb nicht erzielt, sondern beträgt hier höchstens 0,60 bis 0,66 1, im Durchschnitt sogar nur 0,574 1. Soweit dieser Minderertrag nicht | durch die Verarbeitung geringwertiger Roh- j Stoffe, Avie z. B. von unreifen, stärkearmen i Kartoffeln zustande kommt, erklärt er sich durch den Verbrauch von Kohlehydraten zum Aufbau von neuer Hefesubstanz, zum Teil aber auch durch Nebengärungen, die | unter Umständen so lebhaft werden, daß man versuchen muß, sie durch Anwendung von Pilzgiften, wie von Formalin oder Fluoriden zu unterdrücken. Zur Durchführung der Gärung benötigt man dann aber eine Hefe, die an diese Gifte ,,ak klimatisiert" ist. ; Sehr störend ist für den Betrieb der j Kartoffelbrennereien das Auftreten der i ,, Schaumgärung", einer anormalen Gä- ! rungserscheinung, die sich in einer so starken Schaumbildung äußert, daß ein großer Teil der Maische über den Bottichrand fließt und verloren geht. Schaumgärung stellt sich besonders häufig bei der Verarbeitung stärke- armer Frühkartoffeln ein, ist aber auch bei der Verwendung von stärkereichen Sorten beobachtet worden und hängt vielleicht mit dem Gehalt der Maische an kolloidalen Stoffen, wie z. B. der nach der Einwirkung von Diastase auf die Stärkekörner eine Zeit- lang noch vorhandenen sogenannten Stärke- zellulose (nach Nägeli) und einem be- sonderen physiologischen Zustand der Hefen zusammen. Eine ausreichende wissenschaft- liche Erklärung der Erscheinung steht noch aus. In der Praxis hilft man sich beim Auf- treten von Schaumgärung durch Aufbringen von Petroleum, Oel oder Fett auf die Schaumdecke. Seit dem Inkrafttreten des neuen Brannt- weinsteuergesetzes vom 15. Juli 1909 sind einzelne deutsche Brennereien zu der konti- nuierlichen Gärung übergegangen. Bei dieser fällt die Kunsthefebereitung weg und die frische Maische wird mit der lebhaft gärenden Maische eines früher angestellten Bottichs in Gärung versetzt. Rüben- und Melassenbrennerei. Rum. Rüben werden nur in Frankreich und Oesterreich in größerem Umfange auf Alkohol verarbeitet. Zur Vergärung benützt man nicht die Rüben selbst, sondern Rüben- saft, den man aus Rübenbrei unter Zusatz von Schlempe und etwas Schwefelsäure durch Auspressen oder in der Weise gewinnt, daß man die mit Schwefelsäure zum Zweck der Desinfektion angefeuchteten Schnitzel in Diffusionsapparaten mit heißer Rüben- schlempe auslaugt. Das letztgenannte Ver- fahren hat den Vorzug, daß dabei in die Rübenschlempe im wesentlichen nur der Zucker diffundiert, während die Schnitzel aus der Schlempe Salze aufnehmen und da- durch an Futterwert gewinnen. Die Vergärung der meist weniger als 9 bis 12" B. zeigenden Rübensäfte wird in manchen Betrieben noch mit obergärigen Brauerei- oder Preßhefen eingeleitet und durch spätere Zugabe gärender Maische weitergeführt. Neuerdings werden besondere obergärige Brennereihefen zur Vergärung verwendet, zu deren Anzucht eigene Rein- zuchtapparate von ähnlicher Konstruktion dienen, wie man sie in der Brauerei be- nutzt (Apparate von Jacquemin, Fern- bach, Bendixenu. a.). Die Gärung ist in der Regel nach 41/2 Stunden beendet und ver- läuft bei einer Temperatur von 24 bis 26° C. In den Melassebrennereien ver- wendet man als Rohstoff die Restsirupe der Rübenzuckerfabriken und der Raffinerien. Die zu verarbeitenden Melassen werden zu- nächst durch Siebe von mechanischen Ver- unreinigungen befreit, durch Zusatz von 504 Gärung (Alkoholische Grärimg, Praktisches) Wasser bis auf einen Zuckergehalt von etwa 16% (22 bis 24P B.) verdünnt und schheßhch , mit Schwefelsäure oder Phosphorsäure j schwach angesäuert. Die Gärung verläuft in Holzbottichen von 50 bis 180 hl oder in eisernen Behältern von 400 hl und mehr Fassungsraum. Als Anstellhefen verwendet . man besondere Melassehefen, die an die, eigenartige Zusammensetzung, vor allem an ' den hohen Salzgehalt der Melassen angepaßt ' sind. Die Kühlung wird so geregelt, daß sich die Maische bei einer Anfangstemperatur von 18 bis 22*^ C während der Gärung nicht über 28" C erwärmt. Erschwerend wirken i auf die Vergärung der Melassen mitunter Bakterien ein, die die Hefen im Wachstum ; hemmen. Noch störender als diese Schwer- gärigkeit ist die sogenannte Salpeter- gärung, die sich durch die Entwickelung von Stickstoffdioxyd anzeigt und ebenfalls auf Bakterienwirkungen zurückzuführen ist. Man bekäm])ft diese Gärungsstockungen am besten durch gründliche Desinfektion der Apparate und Sterilisation der Maische. Schaumgärung, die im Betrieb der Melasse- brennerei ebenfalls auftritt, beseitigt man leicht durch Zusätze von Gel oder Fett. Kum. Die Zuckerrohrmelassen, die in Ost- [ Indien und auf den Sundainseln,..4W#--be*:eit» ■ör^äi»»4, zur Gewinnung von Arrak dienen, werden in Westindien (Jamaica, Cuba) zu Rum verarbeitet. Die Darstellung des letzteren hat insofern ihre Besonderheiten, als sie ohne den stärkehaltigen Hilfsstoff „Ragi", den man zur Anakgcwiiiiumg 1 laenötigt, vonstatten geht. Man füllt die mit [ Fluß- oder Zisternenwasser verdünnten Melassen in Fässer oder große irdene Gefäße i und läßt sie hier allein oder unter Zusatz von Zuckerabfällen, ,,Skimmings" oder ,,Dunder" in Gärung übergehen. Eine geringe Sorte von Rum (Negerrum) wird durch Vergären von Zuckerabfällen mit Skimmings allein erzeugt. Skimmings heißt der beim Ein- kochen des Zuckerrohrsaftes abgeschöpfte Schaum, während Dunder eine Bezeichnung für die bei der Rumdestillation zurück- j bleibende Schlempe ist. Hefen werden nach den vorhandenen Mitteilungen den Rum- melassen nicht zugesetzt. Die Rumgärung kommt vielmehr zustande durch die Organis- , men, die sich in den ^lelasson und Zucker- rohrabfällen angesiedelt haben. Ob der Dun- der, auf dessen Beigabe in einzelnen Fabriken | großer Wert gelegt wird, Hefen in größerer j Menge enthält, ist noch zweifelhaft. Er soll sich bei der Aufbewahrung mit einer dicken Haut (Kahmpilze, Bakterien) bedecken und in großer Zahl Essigsäure- und Buttersäure- bakterien führen. Durch seinen Gehalt an Hefebestandteilen begünstigt er vielleicht die Ernährung der neuen Hefe. Ferner dürfte ihm die Bedeutung eines Säuerungsmittels zukommen, auch könnte er durch seinen Buttersäuregehalt die Esterbildung im Rum fördern. Unter den an der Rumgärung be- teiligten Hefen findet sich wie bei der Arrak- gärung eine Spalthefe, Schizosaccharo- m 3' c e s m e 1 1 a c e i , die in verschiedenen Rassen auftreten soll, aber als Hauptgärungs- erreger nicht in Frage kommen kann, weil sie ein sehr schwaches Gärvermögen besitzt. Ob sie allein, wie angegeben wird, das charakteristische Rumaroma erzeugt, ist noch zweifelhaft. Zellstoffbrennereien. Sämtliche Verfahren zur Darstellung von Alkohol aus Zellulose beruhen im Prinzip darauf, daß Holzabfälle unter Druck mit verdünnten Mineralsäuren (meist Schwefelsäure) oder mit schwefliger Säure hydrolisiert und die ge- bildeten Zuckerarten (meist Dextrose) in der saturierten Flüssigkeit durch Zusatz von Hefe vergoren w^erden. Die Gärung dauert bei dem heute in Frankreich, England und Amerika erfolgreich durchgeführten Schwefeligsäureverfahren nach Ciaassen 2 Stunden und soU eine Ausbeute von 13 bis 14 l Alkohol auf 100 kg Holz geben. Reisbranntwein, Awamori, Arrak. Bei der für China, Cambodja und Anam bedeutungsvollen Herstellung von chinesischem Reisbranntwein wird in aus- gedehntem Umfange von der bereits bespro- chenen Verzuckerung der Stärke durch Pilze Gebrauch gemacht. Die Gärtechnik ist dabei ganz dieselbe wie bei der Bereitung des chinesischen Reisweines und bedarf daher hier ebensowenig der Besprechung wie die Herstellung des japanischen Reisbrannt- weins, der aus Rückständen der Sake- brauerei gewonnen wird. Als weiteres Beispiel für die technische Verwer- tung der Pilzverzuckerung ist dagegen zu erwähnen die Bereitung des Awamori, eines whiskyähnlichen Getränkes, das auf den Luchu-Inseln (unweit Formosa) ähnlich wie Sake aus Reis unter Kojibereitung seit mehreren hundert Jahren erzeugt wird. Die Stelle des Aspergillus Oryzae vertritt bei der Bereitung dieses Getränkes eine andere Art, A. lue hu e n s i s. Bei der Darstellung des japanischen Batatenbranntweins dient nach Saito als verzuckernder Pilz bald A. Oryzae, bald eine dem Aspergillus niger ähnliche wild vorkommende Art, Aspergillus Bat at ae. Die Mitwirkung von verzuckernden Pilzen benutzt man ferner bei der Bereitung von Arrak in Java. Man geht dabei von dem als Ragi bezeichneten Hilfsstoff aus, der nichts anderes ist als die auf S. 498 bereits beschriebene chinesische Hefe und auch in Java von Chinesen hergestellt wird. Um die im Ragi enthaltenen Gärungs- Gärung (Alkoholische Gärung, Praktisches) 505 keime zu vermehren wird zunächst eine Art Hefenmaische (Tapej) bereitet, indem man gekochten, auf Schalen ausgebreiteten Reis mit zerkleinertem Ragi bestreut und nach dem Bedecken mit Blättern an kühlen Orten aufstellt. Unter Auftreten eines hellen, von i den Mucorineen des Ragi gel)iltl{'ten Pilzrasciis gehen hier die gequollenen Reiskörner bald in eine halbflüssige, süßlich-säuerliche Masse j über, die 20 bis 30% Zucker und anscheinend j auch geringe Mengen von Milchsäure, Essig- säure und Alkohol enthält. Mit dem Tapej stellt man Reisarrak und Melassearrak her. Bei der Bereitung von Reisarrak verfährt man unter Verwendung von Klebreis (Oryza glutinosa, jav.: Ketan), Ragi und Tapej ganz ebenso wie bei der Dar- stellung des chinesischen Reisbranntweins. Zu der häufiger vorkommenden Bereitung von Melassearrak benutzt man die in den Rohrzuckerfabriken abfallenden, nicht kristal- lisierenden Rückstände, die etwa 25 bis 40% Saccharose, 8 bis 16% Glucose und 6 bis 16% Fructose enthalten. Für die Vergärung werden diese Melassen in entsprechender Weise mit Wasser verdünnt, in große Gär- kübel gebracht und dann der einige Tage vorher mit etwas Melasse vermischte oder staff eiförmig vermehrte Tapej zugegeben. Es stellt sich darauf bald stürmige Gärung ein, als deren Haupterreger die Spalthefe Schizosaccharomyces Vordermani an- gesehen wird, an der jedenfalls aber auch gewöhnliche Alkoholhefen sowie die Kugel- hefen und das Mycel von Mucorineen (M u c 0 r j a V a n i c'u s) beteiligt sind. Takamine-Verfahren und Amylo- brennerei. Die wissenschaftliche Er- forschung der uralten Gärverfahren Ost- asiens hat dazu geführt, die Pilzverzuckerung auch für das Brennereigewerbe anderer Länder nutzbar zu machen. Der Versuch des Japaners Takamine, dieses Ziel mit Reinkulturen von Aspergillus Oryzae zu er- reichen, ist allerdings fehlgeschlagen; da- gegen haben sich verschiedene Mucorineen, die Calmette, Boidin und Delemar aus „Chinesischer Hefe" und Koji isoliert haben (Mucor Rouxianus Wehmer = Amylo- myces Rouxii Calmette, technische Bezeich- nung Amylomyces a ; R h i z o p u s j a p o - n i c u s = Amylomyces ß; R h i z o p u s tonkinensis = Amylomyces y; R h i - z 0 p u s Delemar), als Ersatzmittel des Malzes mehr oder weniger bewährt. Die ersten Versuche mit diesen Pilzen sind in einer Brennereianlage zu Seclin bei Lille in Frankreich durchgeführt worden. Von dort aus ist das neue Verfahren als x\mylo ver- fahren in die Brennereien anderer Länder, in neuester Zeit auch in einige deutsche Be- triebe übergegangen. DasAmy Ig verfahren eignet sich nament- lich für Maisbrennereien und südliche Länder, wo die Herstellung von Malz wegen der hohen Temperaturen Schwierigkeiten macht und die Gärung der Maische wegen Mangel an Kühlwasser nicht so leicht zu regeln ist. Es lassen sich aber auch Reis, Manioka, Roggen und Kartoffeln nach dem Amyloverfahren verarbeiten, nur ist bei den zwei letzt- genannten Rohstoffen die Verwendung kleiner Malzzusätze nicht zu umgehen, weil die MucotiiuHMi nur verflüssigte Stärke zu verzuckern vermögen und die Verflüssigung hier nicht, wie z. B. beim Mais, durch Ver- wendung technischer Säuren ( Salzsäure) erzielt werden kann. Einen Fortschritt bedeutet das Amyloverfahren auch deswegen, weil es streng nach den Regeln des Reinzuchtver- fahrens durchgeführt wird. Zur Verzuckerung i benutzt man heute meist die Art Rhizopus Delemar, zur Vergärung eine reingezüchtete I besondere Hefeart ( S a c c h a r o m y c e s anamensis), die an hohe Temperaturen angepaßt ist. Verzuckerung und Vergärung vollziehen sich in einem geschlossenen, i eisernen Zylinder, der mit einer Lüftungs- anlage zur Einführung von steriler Luft in die gärende Maische in Verbindung steht und mit einem Rührwerk, einem Impfstutzen und einem nach Art der Gasventile gebauten Gärverschluß (Barboteur) versehen ist. Die Aussaat des auf Reis gezüchteten Pilzes wird vorgenommen, sobald der Bottich- inhalt auf 40*^ C abgekühlt ist. Schon nach 36 S'tunden ist die Verzuckerung soweit vor- geschritten, daß die vorgezüchtete Hefe zu- gesetzt werden kann. Die Impfmengen werden, da Nebengärungen ausgeschlossen sind, sehr klein bemessen. Pilz und Hefe sind nun nebeneinander tätig. Der Pilz soll in den großen Amyloapparaten von 1200 hl Inhalt stündlich rund 500 bis 600 kg Zucker bilden. Die Gärung verläuft bei der hohen Temperatur von 36 bis 39" C und ist in der Regel nach 100 bis 110 Stunden beendet. Die Alkoholausbeute ist verhältnismäßig hoch. Nach Boidin beträgt sie bei Ver- arbeitung von Mais 0,66 1 reinen Alkohols auf 1 kg eingemaischter Stärke. F r u c h t b r a n n t w e i n e. Bei der Herstellung von Fruchtbranntweinen über- läßt man die eingestampften süßen Früchte (Kirschen, Zwetschen usw.) in der Regel noch der Zufallsgärung. In neuester Zeit ist aber auch in diesem Zweig der Brennerei das Reinzuchtverfahren mit bestem Erfolge ein- geführt worden. Als Anstellhefe benutzt man reingezüchtete Weinhefen, in Deutseh- land meist die der Geisenheimer Station. 5. Wein. Begriffsbestimmung. Wein ist nach dem deutschen Weingesetz vom 7. April 1909 „das durch alkoholische Gärung aus dem Safte der frischen Wein- 506 Gärung (Alkoholische Gärung, Praktisches) traube hergestellte Getränk". Die aus den Säften anderer Früchte durch Gärung ge- wonnenen alkohohschen Getränke werden als Obst- und Beerenweine bezeichnet. Die Pilzflora der Trauben. Die Güte des Weines ist in erster Linie zwar von der Sorte und dem Reifezustand der Trauben abhängig, wird daneben aber so stark von der Gärung beeinflußt, daß selbst die besten Trauben einen minderwertigen Wein liefern, wenn sie in fehlerhafter Weise vergoren werden. Bei der Weinbereitung ist daher auf richtige Gärführung noch größeres Gewicht zu legen als bei den übrigen Gärungs- gewerben. Die Organismenflora der Trauben ist außerordenthch mannigfaltig. Mit dem Reifegrade und dem Gesundheitszustande der Trauben wechselt sie in ihrer Zusammen- setzung, umfaßt aber stets Weinhefen und zwar meist untergärige Formen aus den Ver- wandtenkreisen der iVrten Saccharomyces ellipsoideus H., Saccharomyces pastorianus H. und Saccharomyces Marxianus H., ferner die sogenannten Apiculatushefen der Gattung Pseudosaccharomyces, hefeähnliche aber nicht sporenbildende Sproßpilze der Typen Myco- derma (Kahmpilz) und Torula, Schimmel- pilze wie Dematium pullulans d. B., Penicil- lium glaucum L. und Botrytis cinerea P., sowie schließhch gewisse Bakterien, darunter besonders Milchsäure- und Essigsäure- bakterien. Für alle diese Organismen bietet der süße Saft der Weinbeeren einen günstigen Nährboden, in dem sie sich unter geeigneten Bedingungen lebhaft vermehren können. Dabei'entwickeln aber nur die echten Hefen und gewisse säureverzehrende Bakterien Gärungseigenschaften, wie sie zur Herstellung eines reintönigen, haltbaren Weines erforder- lich sind. Die übrigen Gärungsorganismen der Trauben betätigen sich bei der Gärung und dem weiteren Ausbau des Weines nur als Schädlinge, indem sie die Hefen im Wachstum hemmen, Zuckerverluste herbei- führen und Stoffwechselprodukte erzeugen, die den Wein in seiner Güte beeinträchtigen oder ganz entwerten. Die Aufgaben der Gär- führungbestehen daher bei der Weinbereitung im wesentlichen in nichts anderem als in der Bekämpfung dieser Pilze und der Förderung der als günstig erprobten Gärungserreger. Lese. Die Trauben werden je nach der Reife und der Witterung von Mitte September bis Anfang Dezember gelesen (Herbsten). Schon hierbei wird durch Trennung der m Pilzfäulnis übergegangenen „sauerfaulen", „rohfaulen", „grünfaulen" und „äscherig- kranken" Beeren von den gesunden Früchten auf die Verbesserung der Weingärung hin- gearbeitet (Auslesen). Als sauerfaul bezeichnet man Traubenbeeren, die von den Raupen der Traubenwickler Cochylis ambiguella H. und Eudemis botrana Sih. („Sauer- würmer") angefressen und infolgedessen ver- schimmelt sind. Grünfaule Trauben sind vom grünen Pinselschimmel, Penicillium glaucum L. befallen. Rohfaul sind unreife Trauben, die vom grauen Traubenschimmel, Botrytis cinerea Pers., durchwuchert sind. Aescherigkrank nennt man die Trauben, wenn sie vom Mycel des echten Meltaus, Oidium Tuckeri B., bedeckt sind. Lederbeeren sind braune, eingeschrumpfte Beeren, die der falsche Meltau, Peronospora viticola, abgetötet hat. Das Maischgut für die feinsten Weine gewinnt man durch Tischauslese, wobei sich die x\uslesearbeit bis auf die einzelnen Beeren erstreckt (Beeren auslesen). In Deutschland findet sie vorzugsweise An- wendung bei edelfaulen Trauben, die bei einzelnen edlen AVeißweinsorten, besonders beim Riesling entstehen, wenn der Edel- fäulepilz, Botrytis cinerea P. (grauer Trauben- schimmel), reife Trauben befällt. Der Pilz wuchert dann vorzugsweise in den Hülsen, tötet diese und erhöht dadurch die Ver- dunstungsgröße der Früchte. In sonnigen Herbsten trocknen die edelfaulen Beeren bis zu Rosinen ein und liefern in diesem Zustande die berühmten Trocken- beerenauslesen, die sich nicht nur durch hohen Zuckergehalt, sondern in- folge der eigenartigen Ernährungsweise des Edelfäulepilzes, der die organischen Säuren stärker angreift als den Zucker, auch durch ein harmonisches Verhältnis zwischen Zucker- und Säuregehalt auszeichnen. Das früher in einigen Teilen Deutschlands üb- liche Verfahren, den Zuckergehalt der Moste durch Eintrocknen der früh gelesenen Trauben auf Strohhürden (Strohweine) in künstlicher Weise zu erhöhen, ist heute wohl überall aufgegeben. Maischen und Keltern (Trotten). Die gelesenen Trauben werden mit Hilfe von Traubenmühlen, in manchen südlichen Wein- baugebieten auch durch einfaches Austreten zerquetscht und außerdem in manchen Fällen, so meist bei der Rotweinbereitung, mittels Rebbeisieben oder Entrappungs- maschinen von den Fruchtstielen (Kämmen, Rappen) befreit (Entrappen). Die fertige Maische läßt man kürzere oder längere Zeit stehen (Aufnehmen). Rot- weinmaischen müssen ungekeltert ver- goren werden, weil der rote Traubenfarbstoff nur in den Hülsenzellen der Beeren (gelöst und in fester Form im ZeUsaft) enthalten ist und daraus erst ausgelaugt wird, wenn sich bei der Gärung Alkohol bildet und die Proto- plasten der Hautzellen permeabel werden. Bei der Herstellung „grüner", frischer und reintöniger Weißweine ist das „Aufnehmen am besten ganz zu unterlassen und nie bis zum „Angären" fortzusetzen. Ebenso sind Grärung (Alkoholische Gärung, Praktisches) 507 die Maischen für kleinere Landweine zu be- handeln, weil bei dem Stehen der Trauben- maische in offenen Bütten alle Gärungs- pilze der Trauben gleichmäßig in ihrer Ent- wicklung begünstigt werden, und sich be- sonders die sauerstoffbedürftigen Schimmel- pilze, Kahmpilze und Essigbakterien unter solchen Verliältnissen leicht so zahlreich ver- mehren, daß sie die Güte des Weines er- heblich beeinträchtigen. Ein weiterer Uebel- stand des Angärens hegt darin, daß weiße Moste bei diesem Verfahren infolge der Be- rührung mit der Luft, vielleicht unter Mit- wirkung von Oxydasen, die Neigung zeigen braun und ,, hochfarbig" (rahn) zu werden. Nur bei hochreifen oder edelfaulen Beeren können die Maischen ohne Nachteil 24 bis 28 Stunden oder etwas länger stehen bleiben. Zum Ab]) r essen der Maischen (Trotten) benutzt man Keltern selirvciscJiiedener Bau- art, die sich zwar in der Schnelligkeit ihrer Ar- beitsleistung, aber nicht wesentlich in bezug auf die Saftausbeute voneinander unter- scheiden. 106 bis 112 kg Trauben liefern 1 hl Maische, deren Mostgehalt je nach der Traubensorte zwischen 65 und 85% schwankt, im Durchschnitt aber 75% beträgt. Auch bei den Kelterarbeiten ist der Tatsache Rech- nung zu tragen, daß die meisten Krankheits- erreger des Weines nur bei Luftzutritt ge- deihen, und demnach die Arbeit des Kelterns aufs äußerste beschleunigt werden muß. Bestandteile des Mostes. Den aus den zerquetschten Trauben abgepreßten süßen Saft der Weinbeeren bezeichnet man als Most (in Süddeutschland als ,,neuen Süßen"). Seine Güte wird in der Praxis fast ausschließlich nach dem Gehalt an Zucker und Säure beurteilt, obwohl I andere, analytisch nicht abzuwägende j Eigenschaften, wie Reifegrad, Herkunft, Gehalt des Mostes an Bukettkörpern u. dgl. seinen Wert entscheidender beeinflussen. Der I Zuckergehalt wird abgeschätzt nach dem j spezifischen Gewicht des Mostes (Most-j gewicht), das mit Aräometern (Most- wagen) bestimmt wird. In Deutschland ist ausschheßhch die Mostwage von Oechsle in Gebrauch. Die von ihr angezeigten Grade Oechsle geben an, wie viel 11 Most mehr wiegt ; als 1 1 Wasser, so daß also ein Mostgewicht von 85, 90 oder 115 einem spezifischen Gewicht von 1,085, 1,090 oder 1,115 entspricht. Chemisch besteht der Zucker der Traubenmoste immer I aus einem Gemisch von d-Glucose und d- Fructose (Invertzucker), während Rohr- zucker nie vorhanden ist. Die Menge des Zuckers beträgt in 100 ccm 6 bis 8 g in i kleinen unreifen Massengewächsen, bis zu ! 30 und 40 g in feinen Beerenauslesen und i etwa 16 bis 21 g in Mosten von mittlerer Quahtät. Der Säuregehalt des Mostes wird titri- metrisch bestimmt und gewöhnlich in Pro- mille Weinsäure ausgedrückt; in deutschen Mosten schwankt er in der Regel von 8 bis 12''/oo, kann aber in Ausnahmefällen bis 40/00 sinken oder auf lö^/oo, in sehr schlechten Jahren sogar auf 18 bis 227oo ansteigen. Bedingt ist der Säuregehalt des Mostes in der Hauptsache durch die Gegenwart von Weinsäure und Aepfelsäure. Wesenthch ist für die Beschaffenheit der Moste auch der Gehalt an Gerbsäure, Farbstoffen, Stick- stoffverbindungen, Salzen, Mineralstoffen und latenten Bukettstoffen. Hauptgärung. Nach dem Keltern wird der Most in Ciärfässer gefüllt, deren Fassungsraum in Deutschland meist 600 1 (Halbstück), 1000 1 (Fuder) oder 1200 1 (Stück), seltener 2400 1 (Doppelstück) be- trägt. Nur Massengewächse vergärt man (namentlich im Ausland) in größeren Be- hältern, meist in • 100—200 hl fassenden Zementfässern, die mit Glasplatten ausgelegt sind. Zur Vergärung der Rotweinmaischen dienen fast durchgehends offene, seltener geschlossene Gärbottiche, die gewöhnhch aus Holz, in manchen Großbetrieben des Auslands auch aus Zement hergestellt werden (offene und geschlossene Rotweingärung). Die Gärung ist so zu leiten, daß die im Most vorhandenen Gärungsschädhnge nach Möghchkeit unter- drückt werden. Das sicherste Mittel hier- zu, die Sterilisation der Gärflüssigkeit, ist bei der Weingärung unter gewöhnlichen Verhältnissen nicht anwendbar, weil der Most beim Erhitzen ,, Kochgeschmack" annimmt. Man verbessert die Weingärung deswegen durch eine Reihe anderer Ver- fahren, die sämtHch die Herstellung von Gärungsbedingungen erstreben, wie sie zur ,, natürlichen Hefereinzucht" im Sinne Del- brücks notwendig sind. Zu diesen Maß- nahmen gehört zunächst die Durchführung der Gärung unter Luftabschluß. Man versieht die Gärfässer mit Gärtrichtern, welche die Kohlensäure durch eine Sperr- flüssigkeit austreten lassen, die Luft vom Inneren des Fasses jedoch abhalten. Es wird damit nicht nur eine Infektion verhindert, sondern auch erreicht, daß sich der Steig- raum mit Kohlensäure füllt und in der Gär- flüssigkeit Luftmangel sich einstellt. Da- durch wird in kurzer Zeit eine Auslese unter den vorhandenen Gärungsorganismen zu- gunsten der alkoholbildenden Hefen herbeige- führt. Bei der Rotweinbereitung, wo die ge- schlossene Gärung noch verhältnismäßig selten angewendet wird und dieser Schutz des Luftmangels fehlt, sind Nebengärungen, besonders das Auftreten von Essigsäure- und Milchsäuregärungen, deshalb auch weit schwerer zu vermeiden. Zur Verbesserung der Mostflora erhöht man in südlichen 508 Gärung (Alkoholische Gärung, Praktisches) Ländern nötigenfalls auch den Säuregehalt der Moste durch Zusätze von Weinsäure, Zitronensäure oder Aepfelsäure. Demselben Zweck dient das Vermischen der Rotwein- maischen mit Gips oder Calciumphosphat (Gipsen, Phosphatage), eine in Deutsch- land unzulässige Maßregel, die zu einer Steigerung des Säuregehaltes durch chemische Umsetzungen führt. Moste aus faulen Trauben reinigt man zuweilen dadurch von Fremd- keimen, daß man sie schwach einschwefelt und nach dem Absetzen der Trubstoffe in ein neues Faß überzieht. Sehr wesentlich ist für die Reinheit der Gärung die Inne- haltung einer bestimmten Gärtemperatur. Sind die Moste zu kalt, dann finden Schimmel- pilze, wilde Hefen und gewisse (schleim- bildende) Bakterien in ihnen bessere Lebens- bedingungen als die Hefen. Dasselbe ist der Fall, w^enn die Temperatur des Gärstoffes zu hoch ist. Es w^erden dann namentlich Essigbakterien und gewisse Milchsäure- bakterien (Mannitbakterien) in der Vermeh- rung begünstigt. Am besten wird die Ver- gärung- bei Temperaturen von 15 bis 25** C durcligeführt. Da in nördlichen Gebieten die Moste meist mit tieferen Anfangstempe- raturen in den Keller gelangen, müssen die Gärräume dort geheizt werden. Dabei ist jedoch auf die Entbindung von Gärungs- wärme zu achten, die um so höhere Tempe- ratursteigerungen herbeiführt, je größer die Gärfässer sind. Nach Wort mann genügt es, die Gärkeller auf 15 bis 18" C anzuheizen. In südlichen Ländern, wie in Südfrankreich, Algier. Argentinien, wo sich die gärenden Maischen infolge der hohen Aiilaiigstempe- ratureu leicht bis auf 40" C erwärmen, müssen an die Stelle der Heizvorrichtungen Kühl- anlagen treten, mit denen sich der Gärstoff selbst auf tiefere Temperaturen bringen läßt; in ihrer E]inrichtung gleichen die hier- zu benutzten Apparate den im Brauerei- betrieb verwendeten Kühlern. Das Reinzuchtverfahren bei der Weingärung. Durch Marx, Forti, Müller-Thurgau und andere Forscher, besonders aber durch das Verdienst von Wort mann ist in den letzten Jahrzehnten auch in die Weinbereitung das Reinzucht- verfahren mit Erfolg eingeführt worden. Die Auswahl der Hefen geschieht bei der Rein- zucht nach physiologischen Merkmalen, nach der Art der Vermehrung, der Gärtätigkeit und des Stoffwechsels der Hefen, daneben aber auch nach feineren Unterschieden, die sich der chemischen Analyse entziehen, aber im Geruch und Geschmack des Weines als „Gärton" zum Ausdruck kommen und des- halb praktisch von großem Werte sind. Da sich in dieser Beziehung sehr viele Verschieden- heiten ergeben haben und festgestellt worden ist, daß das Reinzuchtverfahren in der Praxis sich am besten bewährt, wenn Moste und ! Hefen aus der gleichen Gegend stammen, ist es nicht ausreichend gewesen, nur eine Art oder nur wenige Typen von Weinhefen in ! Kultur zu halten, sondern man hat für die i verschiedenen Zwecke der Weinbereitung eine sehr große Zahl von Reinheferassen auslesen müssen, die heute von der Geisenheimer Hefereinzuchtstation und anderen Betrieben an die Praxis abgegeben werden. Bew^ährt haben sich in Deutschland u. a. die Rassen Steinberg, Johannisberg, Assmannshausen und Winningen der Geisenheimer Hefe- reinzuchtanstalt. Da sich eine wirkliche I Reingärung bei der Weinbereitung wegen j der Unmöglichkeit der Sterilisation nicht durchführen läßt, hat man auch die Technik bei der Anwendung der Reinhefen etwas ändern müssen. Man hilft sich in der Weise, daß man den frischgekelterten Mosten oder den Maischen die reingezüchteten I Hefen in solcher Menge zugibt, daß sie ' gegenüber den Eigenhefen des Gärstoffs in großer Ueberzahl vorhanden sind und die Fremdkeime schnell unterdrücken. Nach Müller-Thurgau sind zu diesem Zweck : die Aussaatmengen so zu bemessen, daß in j einen Liter Most etwva 100 Millionen Hefezellen gelangen. Die dazu notwendigen großen Hefenmengen werden erst im praktischen Betrieb mit HiKe der von den Hefereinzucht- stationen bezogenen Versandhefen heran- gezüchtet, indem man die Reinzuchten zu- nächst in 10 bis 100 1 sterilen Most oder ge- zuckerten entgeisteten Wein einsät und unter Verhinderung der Infektion in Gärung kommen läßt. Der so erhaltene ,,H e f e a n s a t z" dient zum Anstellen der Moste. I Versuche, die Wirkung der Reinhefen I durch Pasteurisieren, Filtrieren oder Zentrifugieren der Moste zu verbessern, sind für die Praxis bisher ohne Bedeutung geblieben. Dagegen ist es in den letzten Jahr- zehnten namentlich in südlichen Weinbau- gebieten üblich geworden, den Gärstoff zur Unterdrückung von Bakterien einzu- schwefeln und dann mit Reinhefen zu vergären, die an schweflige Säure angepaßt 'sind (Sulfit-Hefen). I G ä r V e r 1 a u f und Säure- r ü c k g a n g. Bei Verwendung von Rein- hefen beginnt die Gärung unmittelbar nach dem Anstellen mit der Hefe. Bei freiwillig gäreiulen Mosten vergehen je nach der Tempe- ratur und der ( )rgaiiismenflora 1 bis 3 Tage, bevor sich deutliche Anzeichen von Hefe- tätigkeit bemerkbar machen. Unter günstigen Verhältnissen setzt bald die stürmische Gärung ein, die gewöhnlich schon in 3 bis : 8 Tagen beendet ist. Zu Beginn und während der nun eintretenden Nachgärung wird der angegorene, stark kohlensäurehaltige Most vielfach schon als Federweißer oder Gärung (Alkoliolische (Tärung-, Praktisclie.s) 509 Sauser zum Ausschank gebracht. Alle besseren Weine machen eine langsame, mehrere Wochen anhaltende Nachgärung durch, in deren Verlauf sich die Hefen unter Klärung des Weines als ,,Trub" (Geläger) all- mählich zu Boden setzen. In dem Maße, als dabei die Kohlensäureentwickelung schwächer wird, wächst die Gefahr, da Li sioli auf der Oberfläche des Jungweins Kalinipilze an- siedeln. Um das zu verhindern, muß der Steigraum der Gärfässer schon zurzeit der Nachgärung mit Wein bis zum Spundloch aufgeliillt werden. Nach Abschluß der alkoholischen Gärung stellt sich fast in jedem Wein früher oder später eine andere Gärung ein, die ebenfalls unter Kohlensäureentwickelung vor sich geht. Sie wird in der Technik als Säure- rückgang oder Säuregärung bezeichnet und beruht im wesentlichen auf der Ver- gärung der im Wein enthaltenen Aepfel- säure. Verursacht wird sie in der Haupt- sache durch gewisse Milchsäurebakterien, von denen der von Seifert untersuchte M i c r 0 c 0 c c u s m al 0 1 a c t i c u s un d die neuer- dings von Müller-Thurgau und Oster- walder beschriebenen Arten Micrococcus acidovorax, M. variococcus und Bac- terium gracile bisher am besten bekannt sind. Sie zerlegen die Aepfelsäure in Milch- säure und Kohlensäure und erniedrigen da- durch den Säuregehalt der Weine ganz wesent- lich. Während diese Säureverminderung für weiche Weine nicht vorteilhaft ist, bedeutet sie für saure Weißweine stets eine Veredlung. Die besseren Mosel- und Saarweine verdanken die Abrundung der Säure und die prickelnde Frische, die sie gewöhnlich noch auf der Flasche annehmen, im wesentlichen jeden- falls nur diesem Vorgang. Da die Züchtung der säurevergärenden Bakterien im großen noch nicht gelungen ist, läßt sich der biologi- sche Säurerückgang im Weine willkürlich noch nicht hervorrufen. Die Praxis ist darauf angewiesen, ihn durch Maßregeln zu befördern, die für die säurevergärenden Bakterien günstige Lebensbedingungen schaffen (warme Lagerung, Aufrühren der Hefe, später Abstich und Vorsicht beim Ein- schwefeln). Abstich und Ausbau des Weines. Ist die Nachgärung beendet, dann wird der Jungwein von der Hefe in ein anderes Faß abgezogen, oder, wie der Fachausdruck lautet, abgestochen. Die Abstichzeit wird in der Praxis rein erfahrungsgemäß bestimmt, kann aber nach dem physiologischen Zustand der im Trüb enthaltenen Hefen mit größerer Sicherheit festgelegt werden. Mit dem Ab- stich ist die Entwicklung des Weines noch nicht abgeschlossen. Es folgt darauf im Lagerfaß die sogenannte ,,Schulung" oder [der ,, Ausbau" des Weines, bei dem der ! Wein unter Sauerstoffaufnahme eine Reihe rein chemischer und physikalischer Ver- änderungen erleidet, die man durch „Ein- brennen" (Einschwefeln) der Weine und wiederholte Abstiche in bestimmter Weise beeinflußt. Daneben betätigen sich am Aus- bau des Weines in wesentlichem Grade aber auch die Gärungsorganismen. Land- weine kommen meist schon nach 6 bis 12 Monaten zum Ausschank (neuer Wein, Heuriger), gute Tischweine werden dagegen erst nach 2 bis 3 Jahren, hervorragende Ge- wächse oft erst nach 6 bis 10 Jahren flaschen- reif. Stets bleiben die Weine auch in der Flasche nur eine gewisse Anzahl von Jahren auf der Höhe ihrer Entwickelung, um dann in der Güte wieder zurückzugehen. Die chemischen Umsetzungen bei der Weingärung. Von den che- mischen Umwandlungen, die sich bei 1 der Weingärung vollziehen, ist der wich- tigste Vorgang die Spaltung des Zuckers in Alkohol und Kohlensäure. Gegenüber I der theoretisch zu berechnenden Ausbeute I werden in der Praxis der Weingärung im günstigsten Falle nur 46 Gewichts- teile Alkohol aus 100 Teilen Invert- zucker erzielt, was darauf zurückzuführen ist, daß ein Teil des Zuckers zum Aufbau neuer Hefezellen, zur Unterhaltung der Hefeatmung und zum Stoffwechsel anderer Organismen verbraucht wird. Der Zucker verschwindet bei der Gärung je nach seiner ursprünglichen Menge entweder ganz oder teilweise, weil die Hefetätigkeit durch den entstandenen Alkohol gehemmt wird, sobald auf je 100 ccni Most 29 bis 30 g Zucker ver- goren, d. h. etwa 14 g Alkohol gebildet sind. In der Regel entstehen in den gärenden Mosten aber nur 10 bis 12 Gew.-% Alkohol. In nicht gespriteten süßen Ausleseweinen ist der Alkoholgehalt noch niedriger (6 bis 9 Gew.-%), weil bei der Vergärung sehr süßer Moste auch die hohe Saftkonzeiitration das Gärvermögen der Hefen beeinträchtigt. Die Nebenerzeug- nisse der Alkoholgärung, wie das Glycerin, die Bernsteinsäure, die flüchtige Säure und die als Fuselöle bezeichneten Verbin- dungen machen sich im Wein mit seinem feinen Geschmackston meist deutlich be- merkbar und sind hier in höherem Grade wertbestimmend als beim Bier. So verleiht das Glycerin dem Wein eine gewisse Voll- mundigkeit und Abrundung und auch die Bernsteinsäure und die flüchtige Säure } können im Geschmack des Weines unter j Umständen zur Geltung kommen. Die orga- i nischen Säuren nehmen im Verlauf der Gärung durch den erwähnten Zerfall der Aepfelsäure, zum Teil auch durch die Ab- scheidung schwerlöslicher Salze der Wein- säure stets ab. Die Menge der Stickstoff- 510 Gärung (Alkoholische Gärung, Praktisches) halt igen Verbindungen, die für die Er- nährung der Hefen von großer Bedeutung sind, vermindert sich während der Gärung anscheinend in geringem Maße, kann aber nachträglich wieder ansteigen, wenn der Ab- stich zu spät erfolgt, sodaß aus den ab- gestorbenen Hefezellen Stickstoffverbin- dungen in den Wein übertreten können. Die Verminderung des Aschengehalts der Moste durch die Hefe ist unwesentlich ; außer- ordentlich wichtig für den Wert des Weines ist dagegen die während der Gärung und des Ausbaus der Weine sich vollziehende Bukett- bildung. Die Stoffe, die daran beteiligt sind, kennen wir noch nicht genau, doch steht fest, daß sie sich zusammensetzen aus Buketten, die bereits in der Rebe vorhanden sind (Traubenbukette) und Riechstoffen, die von den Hefen erst während der Gärung erzeugt werden (Gärungsbukette). Mängel, Fehler und Krank- heiten des Weines. Die Mängel des Weines beruhen auf einer ungeeigneten Zu- sammensetzung der Moste. Bei deutschen Weinen selten, bei Weinen südlicher Gebiete dagegen sehr häufig ist der Säuremangel, der durch Zusatz von Weinsäure oder Zitronen- säure am leichtesten behoben wird, in Deutsch- land aber nur durch Verschnitt mit säurereichen Weinen ausgeglichen werden darf. Häufiger leiden deutsche Weine an Alkoholmangel oder an Ueberschuß von Säure oder an beiden Mängeln zugleich. Abhilfe kann durch Zusätze von Zucker oder Zuckerwasser zum Most oder Wein und durch Entsäuern mit kohlensaurem Kalk geschaffen werden. Wenn die ,, Zuckerung'' erst beim Wein erfolgt, ist sie verbunden mit einer Umgärung des Weines, die sich in ähnlicher Weise vollzieht wie die Gärung des Mostes, jedoch stets unter Zugabe von größeren Mengen reingezüchteter, gegen Alkohol widerstandsfähiger Hefe. Weinfehler beruhen auf ungewöhnlichen, meist ohne Mitwirkung von Gärungserregern vor sich gehenden chemischen Veränderungen des Weines. Am häufigsten sind das Seh war z- werden, hervorgerufen durch eine Ausscheidung von Ferritannat in weichen Weinen, das Rahn- werden, eine wahrscheinlich durch Oxydasen veranlaßte Neigung der Weißweine zu brauner Färbung und Trübung, das Braun wer den der Rotweine, angeblich auf denselben Ursachen beruhend und der Bocks er, bedingt durch die Anwesenheit von Schwefelwasserstoff, der durch die Tätigkeit gewisser Hefen und anderer Organismen bei der Gärung entsteht, wenn die Moste freien Schwefel oder Sulfate enthalten. Weinkrankheiten sind fehlerhafte Verän- derungen des Weines, die ausschließlich durch die Tätigkeit lebender Organismen Zustande- kommen. So wird das Kahmigwerden durch die Entwickelung von Kahmpilzen, der Essig- stich durch die Tätigkeit von Essigbakterien hervorgerufen, wenn die Weine mit Luft in Berührung stehen. Der Milchsäurestich und die Mannitgärung werden verursacht durch verschiedene Arten von Milchsäurebakterien aus dem Verwandtenkreise des Bacterium mannitopoe- um M. Th. Das Zähewerden verschulden neben gewissen Torulaceen (Schleimhefen) und Faden- pilzen (Dematium pullulans) bestimmte, noch nicht näher bekannte Bakterien. Das Bitter- werden der Rotweine beruht auf einer durch Gärungsorganismen verursachten Bildung von Bitterstoffen (Oxydatioiisprddukte von Gerbstoff- abkömmlingen, vielleicht auch Aklehydammo- : niakharz oder Acroleinharz). Das Umschlagen, (franz. : toume) wird jedenfalls durch Bakterien veranlaßt, die vermutlich zum Formenkreis des B. mannitopoeum gehören. 6. Schaumweine. Echte Schaumweine werden aus Ciaretweinen (Weine aus weißge- kelterten, roten Trauben) oder aus leichten Weißweinen durch Fhischengärung hergestellt. Man baut die als Holistoff dienenden Stillweine zunächst vollständig aus und versetzt sie dann nach einem in großem Maßstabe durch- geführten Verschnitt (Mischung) mit be- rechneten Mengen von Zucker, Alkohol und I Tannin. Der gezuckerte Wein wird mit ! einem aus reingezüchteten Weinhefen be- reiteten Hefeansatz angestellt und, sobald sich die ersten Anzeichen von Gärung bemerkbar machen, in starkwandige Flaschen abgefüllt. Die bei der Gärung sich bildende Hefe wird durch Rütteln der Flaschen all- mählich auf den Stopfen gebracht und 1 später durch Lösen des Stopfens (Degor- : gieren) ausgespritzt. Nach einem Zusatz von Likör, einer Mischung aus Zucker und Wein (Dosage) werden die Flaschen von neuem verkorkt und unter Drahtverschluß gebracht. Die Vorteile des Reinzuchtver- fahrens liegen bei der Schaumweinbereitung so offensichtlich zutage wie bei keinem an- j deren Zweige der Weinbereitung. Durch die Reinhefen wird die Flaschengärung gegen Störungen sichergestellt und wesentlich ab- gekürzt, die Dosierung erleichtert, das Rütteln und Degorgieren schneller durch- I geführt und die Gewähr geboten, daß man ! reintönige Weine von gleichbleibendem Gär- ton erhält. 7. Obst- und Beerenweine. Bei der Obst- und Beerenweinbereitung findet im wesentlichen dieselbe Gärtechnik Anwendung I wie bei der Herstellung von Trauben weinen; nur ist dabei auf die Maßregeln zur Ver- besserung der Trubflora der Moste erhöhtes Gewicht zu legen, weil die Fruchtsäfte verhält- nismäüig wenig Alkoholhefen, chigegen sehr viel Ai)ikulatushefen und Bakterien ent- halten und durch ihre Zusammensetzung die j Entwickelung der Alkoholhefen weniger begünstigen als die Traubensäfte. Daher ist es eigentlich erst seit der Einführung des , Reinzuchtverfahrens möglich geworden wirk- I lieh reintönige Obst- und Beerenweine her- ' zustellen. Zur Vergärung der Fruchtsäfte werden entweder Traubenw'einhefen oder besondere Obstweinhefeu benutzt, wie sie in erster Linie Müller-Thurgau rein- gezüchtet hat. Die Säfte gewisser Obst- Gärimg (Alkoholische Gärung, Praktisches) 511 Sorten, wie die der Heidelbeeren und Preißelbeeren, pflegt man vor der Gärung mit stickstoffhaltigen Hefenährsalzen (Chlor- ammonium) zu versetzen, weil sie zu wenig assimilierbare Stickstoffverbindungen ent- halten, um die Hefen hinreichend damit zu versorgen. 8. Palmwein, Pulque. Aus den Blutungs- säften verschiedener Palmen (Cocos, Elaeis, Attalea, Mauritia, Borassus, Arenga, Caryota) wird in den Tropen Palmwein (Bourdon, Tari) gewonnen. Zur Darstellung aus Arenga saccharifera wird der männliche Blütenstand mehrere Tage lang mit Stöck- chen geklopft und dann am Grunde ab- geschnitten. Der aus der Wundfläche aus- fließende zuckerreiche Saft wird aufgefangen und der Selbstgärung überlassen. In anderen Fällen werden die Palmen an den aufschießen- den Trieben einfach angestochen. Ueber den Gärungserreger und den Alkoholgehalt der Palmweine ist nichts Näheres bekannt. Der in Tripolis unter der Bezeichnung ,,Lakmi" oder ,,Lackbi" von den Arabern hergestellte Palmwein soll nach Martelli alkoholfrei sein. Ein Getränk gleicher Art ist die Pulque, die man in Mexiko aus dem Saft der Agave americanaL. gewinnt, indem man zur Zeit der Blütenentwicklung die jugendlichen Schaft- anlagen entfernt und die in der Nähe der Wunde stehenden Blätter zu einer Art Urnen zusammenbindet. Der in diese natürlichen Sammelbehälter ausfließende Blutungssaft wird durch heberartige Röhren in Gefäße abgeleitet und in großen Kufen der Gärung überlassen. Kräftige Pflanzen mit Blättern von etwa 3 m Länge sollen täglich 4 bis 5 1 Saft liefern, womit sich bei der gewöhnlichen Länge der Blutungsdauer eine Gesamt- ausbeute von etwa 1000 bis 1100 1 ergibt. Durch Vergärung einer Mischung von Agaven- saft, Zucker und Wasser wird der Tepache erhalten. Aus dem Safte der gerösteten Knospen und der jungen Blätter gewinnt man durch Gärung den sehr alkoholreichen Mescal. 9, Met. Maltonwein. Die aus dem Altertum überlieferte, in manchen Ländern heute noch übliche Herstellungsart von Met beschränkt sich darauf, Mischungen von Honig und Wasser mit oder ohne Zusatz von Gewürzen der Selbstgärung zu überlassen. Schon im Mittelalter ist dieses Verfahren aber durch das Aufkochen der Honigmoste mit Hopfen und durch die Verwendung von Bierhefe als Gärungserreger verbessert wor- den. Heute werden in der Schweiz, in Frank- reich und in anderen Ländern aus Honig trockene und süße Honigweine hergestellt, wobei man mit Vorteil von dem Reinzucht- verfahren Gebrauch macht und den Erfolg der Gärung noch durch Zusatz von Wein- säure und Hefennährsalzen sicherstellt. Zur Darstellung von Malton wein wer- den maltosereiche Gerstenmalzwürzen von 17 bis 22" B nach dem Verfahren von Sauer mit reingezüchteten Milchsäurebakterien an- gesäuert, dann unter Zusatz von eingedickter Würze mit großen Mengen einer Südwein- hefe in Gärung gebracht. Unter wieder- holtem Zusatz von Malzextrakt und Zucker erzielt man schließlich ein Getränk von 16 bis 18 Maß-% Alkohol, das durch weitere Kellerbehandlung zu einem gewissen Süd- weinen (Sherry, Tokajer) ähnlichen Getränk ausgebaut whd. Literatur, a) Bier u ndbieräknlic h e G e - tränke. F. B. Ahrens, Chemische Techno- logie der landwirtschaftlichen Gewerbe. Berlin 1905. — Bau, Bierbrauerei 1911. — M. Del- brück, Brcmereilexikon. Berlin 1910. — E. Chr. Hansen, Untersuchungen aus der Praxis der Gärungsindiistrie. I. und 2. Heft. München. — F. Lafar, Handbuch der technischen Mykologie, Bd. 4 u. 5. Jena 1913. — Leyser-Hetss, Hie Malz- und Bierbereitung. 11. Aufl. 1910. — P. Lindner, Mikroskopische Betriebskontrolle in den Gärungsgewerben , 5. Aufl., Berlin 1909. — C. J. Lintner, Grundriß der Bierbrauerei. Berlin 1910. — Neuville, Les ferments industriels de l'Etreme-Oritnt. Paris 1902. — Prior, Taschenbuch für Brauerei und Malzindustrie. 1910. — F. Schönfeld, Die Herstellung obergäriger Biere. Berlin 1902. — J. E, Thausing, Die Theorie xmd Praxis der Malzbereitung und Bierfabrikation, 6. Aufl., Leipzig 1907. — Schifferer, Mälzerei- und BrauereibetriebskontroUe 1911. — H, Will, Bio- logische Untersuchung und Begutachtung von Bierwürze usw. ßfünchen 1910. b) Brennerei und Preß h efe. H. Brieni, Die Rübenbrennerei. Wien 1888. — M. Büche- ier, Leitfaden für den landwirtschaftlichen Brennereibetrieb. 1898. — C. Busche, Die Praxis der Luflhefefabrikation. Stolp 1898. — D, A. Cluss, Brennerei. Hannover 1898. — JJelbrück-Mürker, Anleitung zum Brennerei- betrieb. Berlin 1909. — Donath -Grog er. Kurzgefaßtes Lehrbuch der Spiritusfabrikation. 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Babo und E.Mach, Hand- buch des Weinbaues und der Keller Wirtschaft, 512 Gärung (Alkoholische Gärung, Praktisches — Cellulosegärung) Bd. 2, 4. A^ifl. Berlin 1910. — Barth- von der Heide, Die Obslw einher eitung mit be- sonderer Berücksichtigung der Beerenobstweine, 7. Aufl. Stuttgart 1913. — Behrens und Kroemer , Mykologie der Weinbereitung in Lafars Handbuch der technischen 3Iykologie, Bd.^, Jena 1913. — P. Kulisch, Anleitung zur sachgemäßen Weinverbesserung. Berlin 1909. — %r. Löschnig, Die Obstweinbereitung. Wien und Leipzig 1911. — R. Meissner, Des Küfers Weinbuch. Stuttgart 1909. — Müller-Thurgau und Osterwalder, Die Bakterien im Wein und Obstwein. Jena 1913. — J. Nessler (K, Windisch), Die Bereitung, Pflege und Untersuchung des Weines. Stuttgart 1908. — Windisch, Die chemischen Vorgänge beim Werden des Weines. Stuttgart 1906. — J. Wort- niann. Die wissenschaftlichen Grundlagen der Weinbereitung und Kellerwirlschaft. Berlin 1905. K, Kroemer. b) Cellulosegärung. 1. Zersetzung typischer CeUulose durch Bak- terien. 2. Charakter der Gärung. 3. Wasserstoff- und Methangärung der CeUulose und ihre Ur- heber. 4. Cellulase. 5. Chemische Charakteristik beider CeHulosegärungsprozesse. 6. Vergleichende Intensität der natürlichen und Laboratoriums- gärung der CeUulose. 7. CeUulosezersetzung in Pflanzengeweben. 8. CeUulosezersetzung durch Denitrifikationsraikroben , einige aerobe Bak- terien und Schimmelpilze. 9. Humifikation und Karbonisation von organischen Ueberresten. 10. Die Rolle der die CeUulose zersetzenden Mikroben bei den Verdauungsprozessen von Pflanzenfressern. 11. Technische Anwendung des Prozesses. 1. Zersetzung typischer CeUulose durch Bakterien. Der (rrunclstoff von Pflanzen- überresten bestellt aus CeUulose. Das Stu- dium der verschiedenen Arten ihrer Zer- setzung ist zweifellos von hohem wissen- schaftlichem Wert und nicht geringerer prak- tischer Bedeutung. Ueberall, wo sich in großer Menge Pflanzenüberreste ansammeln, im Boden, Schlamm, Mist, im Darmkanal von Pflanzenfressern usw., findet auch ener- gische Cellulosegärung statt. Man braucht nur den Schlamm am Boden eines Teiches ein wenig aufzuwühlen, um sofort Aus- scheidung von Sumpfgas hervorzurufen, was den besten Beweis für die sich hier abspie- lenden Gärungsprozesse, vor allem die Cellu- losegärung, abgibt. 2. Charakter der Gärung. Die che- mische Charakteristik der CeUulose, des Grundelementes von Pflanzenmembranen, ist ziemlich unbestimmt. Neben typischer CeUulose, deren Repräsentant reines schwe- disches Papier ist, sind in Zellenwandungen auch andere Cellulosen enthalten, die sich sowohl ihrer Natur, als auch ihrer verschie- denen Widerstandsfähigkeit gegen Mikroben- wirkung nach unterscheiden. So werden z. B. Hemicelhilosen, die ein anderes Mole- kulargewicht aufweisen und bei der Hydrolyse auch andere Zuckerarten ergeben wie die CeUulose, durch Mikroben leichter zersetzt wie diese. Die gegenwärtig zur Verfügung stehenden Ergebnisse beziehen sich hauptsächlich auf die Zersetzung der typischen CeUulose (CßHioOs), die sich durch Einwirkung von Jod und Schwefelsäure, sowie von Chlor- zinkjod blau färbt und sich in Schwei- zers Reagens ( Ammoniaklösung von Kupferoxyd) ganz und gar löst. Um Cellulosegärung hervorzurufen, in- fizierte 0 m e 1 i a n s k y mit Schlamm oder Mist langhalsige Kolben, die Stückchen von Filtrierpapier und Kreide enthielten und bis oben mit einer Lösung von folgender Zusammensetzung angefüllt waren : 1 g Ammoniuraphosphat; 1 g Kaliumphos- phat; 0,5 g Magnesiumsulfat; Kochsalz in Spuren; 1000 g destilliertes Wasser. Nach einer oder zwei Wochen begann bei .350 C im Kolben Gärung mit Säurebilidung und Gasausscheidung (CO 2 und H, oder CO, und CH4). Die anfangs klare Lösung begann hierbei sich zu trüben, das am Kolbenboden liegende Filtrierpapier aber wurde weich, nahm gelbliche Färbung an, verwandelte sich an der Oberfläche in schlei- mige Substanz und wurde allmählich immer mehr und mehr durch i\likroben zersetzt, indem es in einzelne feine Fäserclien zer- fiel. Nicht selten waren die Papierstreifen gleichsam wie von Würmern angefressen und mit kleinen runden C^effnungen durchsetzt, den Stellen, wo sieh hauptsächlich die Mikro- ben angesammelt hatten, entsprechend (Fig.l). Schon nach zwei bis drei Ueberirapfungen Fig. 1. Streifen von Filtrierpapier, welche durch Cellulosegärung durchlöchert worden sind. Natürliche Größe. Nach Omeliansky. Gärung (Cellulosegärung) 513 findet unter den erwähnten Bedingungen eine merkliche Anreicherung mit dem spezi- fischen Erreger des Prozesses statt: die Ueber- bleibsel des^ zur Hälfte zersetzten Papiers sind allerseits mit ziemlich langen, dünnen, ein wenig ausgebogenen Bazillen übersät, die am einen Ende eine runde Spore auf- weisen, deren Durchmesser den des Bazillus um ein Bedeutendes übertrifft (Trommel- schlägerstäbchen). 3. Wasserstoff- und Methangärung der Cellulose und ihre Erreger. Um die Kultur von nicht sporentragenden Bei- mengungen zu befreien, erhitzt man sie im Laufe einer Viertelstunde auf 70—75° C. Hier- bei macht sich ein interessantes Verhalten bemerkbar. Führt man unter den oben an- gegebenen Bedingungen die Ueberimpfungen ohne Erhitzen aus, so stellt sich gewöhnlich M e t h a n g ä r u n g der Cellulose ein, die Methan- und Kohlensäureausscheidung zur Folge hat. Wird jedoch eine der ersten Ueberimpfungen pasteurisiert (75"— 15'), so findet in der Regel Wasserstoff- gärung mit Wasserstoff- und Kohlen- säureausscheidung statt. Die Erreger beider Cellulosegärungen, die in den Figuren 2 und 3 in ihren charakteri- stischen Entwickelungsstadien abgebildet sind, stehen morphologisch einander sehr nahe, unterscheiden sich jedoch ein wenig in ihren Dimensionen : der Bazillus der Wasser- stoffgärung, Bacillus cellulosae hydrogenicus, ist etwa 1)2 mal so groß, wie der Bazillus der Methangärung, ^ o OL ° ^ Fig. 2. Bacillus cellulosae h vd ro genicus. /i/'ä'i 1l,^ v.:- // "\ \' Ocj Fig. 3. Bacillus cellulosae methanicus. Bacillus cellulosae m e t h a - 1 n i c u s. Der Durchmesser des Wasserstoff- bazillus beträgt etwa 0,5 ju, der des Methan- bazillus etwa 0,3 ju; die Sporen jenes messen etwa 1,5 ju, die dieses etwa 1 ju. Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV Ueberaus typisch sind die sporenbildenden Zellen beider Bazillen in Form von Trommel- schlägern. In keinem ihrer Entwickelungs- stadien findet Blaufärbung der Bazillen durch Jod statt. Das Fehlen der Granulose- reaktion unterscheidet sie aufs schroffste von dem Bacillus amylobacter, der früher fälschlich als der Erreger der Cellulosegärung angesehen wurde. 4. Cellulase. Beide beschriebenen Mi- kroben gehören zur Gruppe der Butter- säurebakterien, da sie eine anaerobe Cellu- losezer Setzung nach dem Typus der Butter- säuregärung hervorrufen. Dieser Prozeß beginnt wahrscheinlich mit Celluloselösung unter Einwirkung der durch diese Bak- terien ausgeschiedenen Cellulase, d. h. eines die Cellulose saccharifizierenden En- zyms. 5. Chemische Charakteristik beider Cellulosegärungsprozesse. Der hierbei gebildete Zucker geht weiter in Butter- säuregärung über, wobei sich Butter- und Essigsäure entwickehi und Gase, Kohlensäure und Methan oder Kohlensäure und Wasser- stoff, ausgeschieden werden. Beide Gärungen gehen mit Wärmeent- wickelung Hand in Hand, die ungefähr der bei der Alkoholgärung gleichkommt. 6. Vergleich der Intensität der natür- lichen und der Laboratoriumsgärung der Cellulose. Die Intensität der Labo- ratoriumsgärung bleibt im Vergleich zu der Energie der Cellulosegärung unter natür- liclien Bedingungen, z. B. im Misthaufen (Versuche von S c h 1 ö s i n g) nicht nur nicht zurück, sondern übertrifft sie viel- mehr, soweit man aus dem Vergleich der Methan quantitäten schließen kann, die im Laufe einer Stunde von 1 g Cellulose in beiden Fällen ausgeschieden werden. Die Wasserstoffgärung der Cellulose läuft etwas langsamer ab als die Methangärung. 7. Cellulosezersetzung in Pflanzen- geweben. Die Mikroben der Cellulose- gärung zersetzen die in Pflanzengeweben enthaltene Cellulose fast ebenso leicht wie die freie. Wirkt man mit dem Erreger der Methangärung auf Leinstroh ein, so beobachtet man vollständigen Schwund der Bastbündel (Fig. 4). 8. Cellulosezersetzung durch Denitrifi- kationsmikroben, einige aerobe Bak- terien und Schimmelpilze. Van 1 1 e r - s 0 n hat nachgewiesen, daß in Gegenwart von Nitraten die anaerobe Cellulosezer- setzung unter Einwirkung von D e n i - trifikationsbakterien mit Stick- stoff- und Kohlensäureausschei- dung stattfinden kann. Die Cellulose wird auch durch einige aerobe Arten zersetzt, namentlich durch einen braunen Pigmentbazillus, den Bacillus 33 )14 ( Tiü'img ( Cellulosegärung-; f e r r u g i n e u s in Symbiose mit einer anderen Art, dem gelben Micrococciis (V a n 1 1 e r s 0 n). Unter aeroben Bedingungen wird die Cellulose aucli durch einige Schimmel- pilze, namentlich Mycqgone puc- c i n i 0 i d e s und Botrytis vulga- r i s zersetzt. Fig. 4. Querschnitt durch einen Flachsstengel, welcher der Einwirkung von Cellulosebakterien ausgesetzt war und dadurch seine Bastfasern vollständig eingebüßt hat. 9. Humifikation und Karbonisation von organischen Ueberresten. In un- mittelbarem Zusammenhang mit der Cellu- losezersetznng steht der Prozeß der Humi- fikation von organischen Ueberresten, der für das gesamte organische Leben von größter Bedeutung ist, weil die humus- reichen Bodenarten sich zugleich durch ihre große Fruchtbarkeit auszeichnen. Die Bildung braungefärbter Produkte von un- bestimmtem Bestände — sie sind stets stickstoffhaltig — aus Stroh, Heu, welken Blättern usw. ist hauptsächlich unter Ein- wirkung von Oxydationsprozessen zu be- obachten, die unter freiem Luftzutritt und unter Einwirkung von Schimmelpilzen und Bakterien ablaufen. Dieser Prozeß ist in bakteriologischer Beziehung bis jetzt wenig erforscht. Nach B e i j e r i n c k nimmt an der Humifikation organischer Substanzen das S t r e p t 0 t h r i X c h r 0 m 0 g e n a , ein Bakterium mit scharf ausgeprägter Oxydationsfälligkeit, regen Anteil, das dem Boden seinen charakteristischen Geruch ver- leiht. Die Karbonisation orga- nischer Ueberreste, d. h. ihre Umwandlung in kohlenstoffreichere Verbindungen oder in fast reine Kohle, hatte gleichfalls Mi- krobentätigkeit in geologischen Zeitab- schnitten zur Grundlage. Man kann an- nehmen, daß die Cellulose von Pflanzenüber- resten bei diesen Prozessen durch Bakterien unter Kohlenstoff-, Kohlensäure- und Methan- ausscheidung zersetzt wurde, und zwar nach folgender Gleichung: 2CeHio05 = 2C-f-5C03 + 5CH,. 10. Die Rolle der die Cellulose zer- setzenden Mikroben bei den Verdauungs- prozessen von Pflanzenfressern. Im Darmkanal von Pflanzenfressern, der sich durch seine bedeutende Länge auszeichnet, werden bis an 75 % der mit der Nahrung aufgenommenen Cellulose durch Bakterien zersetzt und von dem Organismus aus- genutzt. Auf die hierbei sich abspielenden Gärungsprozesse deutet die große Menge von ausgeschiedenen Gasen hin, die Methan und Wasserstoff enthalten. Die Cellulose- zersetzung ist auch noch in der Beziehung für die Verdauung von Wert, als durch die Zersetzung der Zellenmembranen die in den Pflanzenzellen enthaltenen Eiweiß- ■-iil)stanzen der Einwirkung von Verdau- unü;ssäften zugänglich und für den Or- uanisnms ausnntzbar werden. 11. Technische Anwendung des Pro- zesses. Die technische Bedeutung der Cel- lulosegärung beschränkt sich fürs erste auf ihre Anwendung zur Stärkegewinnung aus Kartoffeln nach V ö 1 c k e r s Methode, wobei die Zellenhäute durch Bakterien zer- setzt werden. Diese Gärung spielt auch bei der Zubereitung von braunem Heu, sowie bei den Gärungsprozessen eine Rolle, die in den Fäulnisbassins (Septic-Tanks) bei biologischer Abwässerreinigung stattfinden. In all diesen Fällen benutzt man die auf natürlichem Wege entstehende Cellulose- gärung. Literatur: Hoppe-Seylev, Ueber die Gärung der Cellulose mit Bildung von Methan und Kohlensäure. Z. f. physiol. Chemie. Bd. 10, 1886. — van Jterson, Zentralbl. für Bakt. 2. Abt., Bd. II, WOJf. — W. Omelianskij, Ueber die Gärung der Cellulose. Zentralbl. f. Bakt. 2 Abt., Bd. 8, 1902. — Derselbe, Ueber die Trennimg der Wasserstoff- und Methangärung der Cellulose. Bd. 11, 1904 und Bd. 12, 1904. — Schloesing, Sur la fermentation formenique du furnier. C. r. de V Ac. Bd. 109, 1889. — vati Senus, Bijdrage tot de kennis der cellulose- gisting, Leyden 1899 (Referat in Ko chs Jahresb. Bd. 1, 1890). — van Tieghem, Bull, de la Soc. Bot. de France. 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Zu derartigen Gärungsprozessen, welche ausgiebige Entwickelung organischer Säuren zur Folge haben, gehören die Essig- säure-, Milchsäure-, Buttersäuregärung und einige andere, weniger verbreitete Prozesse (die Oxalsäure-, Zitronensäuregärung). Diese Gärungsprozesse unterscheiden sich ihrem Grundtypus nach wesentlich vonein- ander. Während die Essigsäure-, Oxalsäure- und Zitronensäuregärung zum Typus der sogenannten Oxydationsgärungen, welche unter ausgiebigem Luftzutritt verlaufen, gehören, erseheint die Buttersäuregärung als typisches Beispiel eines streng anaeroben Prozesses, welcher nur bei Ausschluß von freiem Luftsauerstoff abläuft. Ein Zwischen- glied zwischen diesen beiden Prozessen bildet die Milchsäuregärung, welche zu den bedingt anaeroben Prozessen gehört, d. h. sowohl unter Luftzutritt, als auch unter Luftabschluß verlaufen kann. Wir wollen nun alle diese hauptsächlichsten Gärungs- typen im speziellen betrachten. Oxydationsgärungen. 1. Die Essigsäuregärung. 2. Die Isolierung der Essigsäuregärungserreger und deren Eigen- schaften. 3. Französischer und deutscher Modus der Essigproduktion. 4. Die Oxalsäuregärung. 5. Die Zätronensäuregärung. Die Oxydation von Aethylalkohol zu Essigsäure und von Zucker zu Oxal- und Zitronensäure stellt Oxydationsgärungspro- zesse, welche mit Wärmeproduktion Hand in Hand gehen und massenhafte Verarbeitung des Ausgangsproduktes als charakteristisches Merkmal aufweisen, dar. lu sämtlichen drei Fällen dient die Oxydationsreaktion den Mikroben als Energiequelle und muß als ein eigenartig verlaufender Atmnngsprozeß angesehen werden. Die hierbei entstehenden organischen Säuren erscheinen nur als intermediäre Oxydationsprodukte, welche bei weiter andauernder Mikrobeneinwirkung unter Kohlensäure- und Wasserbildung bis zu Ende verbrannt werden können. I. Die Essigsäuregärung. Essigsäure wird bei verschiedenen Gärungsprozessen bald als Haupt-, bald aber als Nebenprodukt ge- wonnen. Kleine Mengen derselben entstehen bei Alkohol-, Milchsäure- und Buttersäure- gärung, sowie bei Fäulnisprozessen. Die bei weitem ausgiebigste Produktion von Essig- säure ergibt sich bei der Essigsäuregärung, d. h. bei der Oxydation von Aethylalkohol durch eine besondere Gruppe von Oxydations- bakterien, die Essigsäurebakterien. Der Aethylalkohol wird durch dieselben anfangs zu Acetaldehyd, letzterer sodann zu Essig- säure oxydiert: CÄO+0 = C2H4O+H2O Aethylalkohol Acetaldehyd C.,H40+0 = C2H4O2 Acetaldehyd Essigsäure CÄO-f O2 C2H402+H,0 Die ersten Angaben über Essigsäure- gärung kommen aus dem Altertum. Schon bei Herodot finden wir dieselbe erwähnt. Dem Augenmerk der Beobachter konnte die Säuerung schwacher Alkoholgetränke mit Essigentwickelung und der jedesmaligen Bildung einer besonderen Membran, welche in dem Prozeß unzweifelhaft eine Rolle spielt, an der Oberfläche der Flüssigkeit nicht entgehen. 2. Die Isolierung der Essigsäure- gärungserreger und deren Eigenschaften. Die Erreger dieses Prozesses sind in der Natur sehr verbreitet, sie finden sich häuf igiin Staube und an der Obeffläche reifer Weintrauben, mit denen zusammen sie in den Weinmost, dessen Säuerung und Zersetzung sie hervor- rufen, geraten. Als Verbreiter von Essig- säurelsakterien dienen nicht selten Fliegen (Musca cellaris). Essigsäuregärimg entsteht gewöhnlich spontan, wenn man eine Zeit lang bei 30 bis 35° ein offenes Gefäß mit leicht angesäuerter alkoholischer Flüssigkeit, die nicht mehr als 14% Alkohol enthält, z. B. mit Bier oder verdünntem Weine, stehen läßt. Nach ein bis zwei Tagen bedeckt sich die Flüssigkeits- oberfläche mit einer weißgrauen dünnen Haut, welche aus Essigsäurebakterien be- steht. Je mehr sich die Haut entwickelt, desto geringer wird der Alkoholgehalt der Flüssigkeit und desto mehr wächst diesem parallel die Essigsäurequantität an — die alkoholische Flüssigkeit verwandelt sich all- mählich in Essig. Pasteur, welcher diese Haut mikroskopisch untersuchte, fand in ihr nur eine Art, das Mycoderma aeeti (diesen Namen bekamen die Essig- säurebakterien schon im Jahre 1822 von Person). Hansen wies jedoch nach, daß diese Haut aus mehreren Arten besteht, am häufigsten aus Bact. Paste uria- num (Fig. 1), Bact. Kützingianum (Fig. 2) und Bact. aceti (Fig. 3). Außer diesen sind gegenwärtig auch noch viele an- dere Essigsäurebakterien festgestellt worden. Wir brauchen nur das Bact. orleanense, Bact. xvlinum, Bact. oxydans, Bact. 33* 516 Gärung (Gränmgen, welche Ent\\dckeluiig organischer Säuren zur Folge haben) rancens, Bact. acetosum, Bact. ace- tigenum und andere zu nennen. Ebenso wie auch in der Hefegruppe, gibt es hier '^QQ ^^Sr^ --^^as^^ ^-^S^ Fig. 1. Bact. Pasteurianum. Zellen einer jungen, bei 34" herangewachsenen Haut auf Doppelbier. — Vergrößerung 1000 Narh Fig. 2. Bact. Kützingianum. Zellen einer jungen, bei 34" auf Doppelbier gezüchteten Haut. — Vergrößerung lÖOO. Nach Hansen. neben „Kulturarten" viele „wilde Arten", welche der Produktion Schaden bringen. Die Gewinnung von Reinkulturen der Essigsäurebak- terien bietet keine bedeuten- den Schwierig- keiten. Zu die- sem Zwecke werden Agar- und Gelatine- nährböden mit Bierwürze oder einer glykose- haltigen Salz- lösung und als Stickstoffquelle Pepton, Aspa- ragin, Ammo- niak- oder sal- petersaure Salze verwandt. Die Essigsäure- bakterien bilden auf diesen Nährböden große Kolonien, durch deren Ueberimpfung leicht Reinkulturen erzielt werden können. Die einzelnen Arten unterscheiden sich sowohl morphologisch (durch die Zellengröße, die Art ihrer gegenseitigen Verbindung, ihre Bewegungsorgane usw.), als auch durch spezielle Wachstumserscheinungen auf Nähr- medien und physiologische Eigenschaften (das Aussehen der Membran, Trübung der Fig. 3. Bact. aceti. Zellen einer jungen Haut auf Doppelbier. — Vergrößerung 1000. Nach Hansen. Flüssigkeit, maximale Alkohol- und Essig- säurekonzentration , Temperaturoptimum usw.) voneinander. In den meisten Fällen sind es kurze sporenlose Stäbchen, welche sich gewöhnlich zu langen, gewundenen Ketten aneinander reihen und sich durch mehr oder weniger unbedeutende Merkmale voneinander unterscheiden. So nehmen z. B. die Hüllen des B. Pa- steurianum und des B. Kützingianum unter Jodeinwirkung eine blaue, die des B. aceti eine gelbe Färbung an. Das B. Pa- steurianum bildet auf flüssigen Nährböden eine trockene, faltige Membran, das B. Kützingianum aber eine glatte und schlei- mige, welche an den Wänden des Gefäßes emporsteigt, das B. aceti eine ebensolche Membran, die jedoch nicht an den Wänden emporsteigt. Das Bact. xylinum bildet an der Oberfläche alkoholischer Flüssigkeiten einen dicken lederartigen Belag und besitzt eine voluminöse Schleimhülle, welche Zellulosereaktion gibt. Die Entwicke- lung dieser Art, welche in der Flüssigkeit kolossale Zooglöenansammlungen bildet, hat einen bedeutenden Verlust an Alkohol zur Folge, und außerdem bekommt der hierbei gewonneneEssig einen unangenehmen Geruch. Unter Einwirkung ungünstiger Bedin- gungen, z. B. bei zu hoher Temperatur, bilden die Essigsäurebakterien leicht Invo- lutionsformen, in denen sie als lange Fäden wuchern, teilweise aber verzweigte und an verschiedenen Stellen aufgetriebene Zellen bilden (Fig. 4). Die Essigsäuregärung ist ein aerober Prozeß, welcher ausgiebigen Zutritt von Luftsauerstoff erheischt. Die Reaktionsfähigkeit der Essigsäure- bakterien ist eine ziemlich mannigfaltige, jedoch behalten diese Bakterien konstant ihren Oxydationscharakter bei. Außer Aethylalkohol oxydieren sie Propylalkohol zu Propionsäure, Butylalkohol zu Butter- säure, Glykol zu Glykolsäure, Mannit zu Lävulose, Glykose zu Glykonsäure, schließ- lich die Essigsäure selbst zu Kohlensäure und Wasser. Bei Oxydation von Kohlehydra- ten bildet sich nicht selten auch Oxal- säure. Wie man annehmen darf, wird die Oxydationswirkung der Essigsäurebakterien durch die Gegenwart einer besonderen Oxydase, der Acetase, bedingt. 3. Französischer und deutscher Modus der Essigproduktion. Die Praxis der Essig- gewinnung hat in verschiedenen Ländern besondere technische Handgriffe ausgear- beitet. So besteht z.B. die in Frankreich an- gewandte alte ,,Orleansmethode" in der bei 20 bis 30° stattfindenden Oxydation von leichtem Wein, welcher in flache Gefäße ausgegossen und mit Essigsäurebakterien infiziert wird. Die Oberfläche der Flüssigkeit Gärung ((Tärungen, welche Entwickelung organischer Säm-en zur Folge haben) 517 bedeckt sich rasch mit einer derben Essig- säurebakterienmembran (Essigmutter). So- bald der Alkohol oxydiert ist, wird neuer Wein hinzugegossen, der fertige Essig aber Fig. 4. Bact. Pasteurianum. Umwandlung der Langfäden in geschwollene Formen und in Ketten. Züchtung in Doppelbier bei 34« C. Zustand nach 7 Stunden. — Vergrößerung 1000. Nach Hansen. in untergestellte Gelaße abgezapft. Dies muß sehr vorsichtig gemacht werden, um die Bakterienmembran nicht zu beschädigen. Ein besonders hochwertiges Produkt ge- winnt man unter Einwirkung des Bact. orleanense. Ein angenehmes Aroma ver- leihen ihm komplizierte Ester der Wein- und Milchsäure, welche bei langandauernder Oxydation des Weines gebildet werden. Bei der deutschen Methode („Schnell- essigfabrikation") wird nicht Wein, sondern verdünnter Alkohol oxydiert; letzteren läßt man mehrmals in feinem Strahle durch Tonnen, welche zur Vergrößerung der Oxy- dationsoberfläche mit Sägespänen gefüllt sind, fließen (Fig. 5 und 6). Der in diesem Falle am häufigsten wirkende Mikroorganismus ist das Bact. aceti. Die deutsche Methode wirkt bedeutend rascher als die Orleans- methode, auch verläuft sie bei erhöhter Fig. 5. Gefcäß für die Alkoholoxydation nach der deutschen Methode. 1 Deckel. 2 Alkoholische Flüssigkeit. 3 Fehlboden. 4 Thermometer. 5 Sägespäne. 6 Fehlboden. J7 Lüftungsofen. '8 Siphon zum Abzapfen des gewonnenen Essigs. 9 Lüftungsöffnung. Temperatur, jedoch in bezug auf die Qualität des gewonnenen Produktes steht sie der französischen bedeutend nach. Der deutschen Methode steht die soge- nannte Luxembur- ger Methode der Essigzubereitung, welche auch einiges mit der französischen gemein hat, nahe. Ist der gesamte Alkohol zu Essigsäure oxydiert, so verbren- nen die Essigsäure- bakterien letztere zu Kohlensäure und Wasser. Um einem Verlust an Essig vor- zubeugen, muß man das gewonnene Pro- dukt abzapfen und die Gefäße mit frischer alkoholischer Flüssig- keit nachfüllen. Zu den gefähr- lichsten Feinden der Essigproduktion ge- hören die sehr ver- breiteten Hefepilze Myco derma vini (von welchen mehrere Arten bekannt sind), die sich an der Oberfläche nicht angesäuerter alkoholischer, viel organischen Stickstoff enthaltender Fig. 6. Buchenspan aus einem Reinkultur- essigbildner im Labo- ratorium mit Bacte- rium Schützenbachii. Vergrößerung 1000. Nach Henne berg. 518 GräruDg- (Gärungen, welche EntAviekelung organiselier Säuren zur Folge halben) Flüssigkeiten entwickeln und den Alkohol rasch zu Kohlensäure und Wasser verbrennen. Das Myco derma vini bildet zu Anfang eine j kaum merkbare weißliche Haut, welche allmählich wuchert und sich zu falten beginnt, wobei sie die ganze Oberfläche der Flüssig- keit bedeckt („fleurs du vin"). Die beste Art der Bekämpfung des Myco derma ist die Ansäuerung der alkoholischen Flüssigkeit mit Essigsäure bis zu 2%- Reinkulturen haben fürs erste in der Praxis der Essiggewinnung keine ausgiebige Anwendung gefunden. Versuche in dieser Richtung hat Henneberg vorgenommen. Unter Einwirkung von Reinkulturen bildet sich die Membran sehr rasch, und die Alkohol- oxydation schreitet unaufhaltsam fort. Man gewinnt hierbei einen klaren Essig, welcher ein angenehmes Aroma besitzt. Nur bei Anwendung von Reinkulturen kann man den Prozeß der Essigproduktion rationell durchführen und der Teilnahme vieler schädigender Lebewesen, zu denen z. B. die „Essigälchen" (Anguillula aceti) und andere gehören, vorbeugen. Letztere entwickeln sich im Essig, solange der Gehalt anderer Schimmelpilze: Aspergillus glau- cus (Fig. 7), Penicillium glaucum, Botrytiscinerea und andere hervorgerufen . Dieser Oxydationsprozeß verläuft nach der Gleichung : 3C,.H,04 + 3H2O Oxalsäure + Wasser. steigt. Um sie zu vernichten, genügt es, den Essig bis auf 46" zu erwärmen. 4. Die Oxalsäuregärung. Einige cha- rakteristische Oxydationsgärungen werden durch Schimmelpilze, welche bekanntlich energische Oxydationen hervorrufen, be- wirkt. Wir "wollen in kurzen Worten zwei dieser Gärungsprozesse, die Oxalsäure - und die Zitronensäuregärung, beschreiben. Die Zuckeroxydation unter Bildung von Oxalsäure wird durch die Wirkung des Schimmelpilzes Aspergillus niger (Ste- rigmatocystis nigra), in schwächerem Grade aber auch durch die Einwirkung C«Hi,06 + 9 0 Glykose + Sauerstoff Der Gehalt an Säure wächst im Laufe der ersten 2 Monate allmählich an, später aber vermindert er sich ebenso allmählich. Findet die Oxydation in Gegenwart von kohlensauren Salzen statt, so wird die Oxal- säure neutralisiert, und der Gewinn an dieser wächst bedeutend an. In Gegenwart von Ammoniaksalzen wird gar keine Oxalsäure gebildet, in Gegenw^art von salpetersauren Salzen aber findet ihre Entwickelung sehr energisch statt. Da die Oxalsäure nur ein intermediäres Oxydationsprodukt ist, welches vermittels des 'nämlichen Schimmelpilzes auch weiter oxydiert werden kann, so darf man diesen Prozeß nicht unter Bedingungen der energischsten Oxydationswirkung von Schimmelpilzen verlaufen lassen. In Ueber- einstimmung hiermit ist die Temperatur, bei welcher' die Oxalsäuregärung am gün- stigsten verläuft (15 bis 20''), bedeutend niedriger als die Optimaltemperatur für die Entwickelung des gegebenen Schimmel- pilzes (35"). 5. Die Zitronensäuregärung. Die Zi- tronensäuregärung des Zuckers verläuft nach folgender Gleichung : CeHi20s+ 3 0 = CeHgO, Glykose + Sauerstoff = Zitronensäure und wird durch den Schimmelpilz Citro- myces Pfefferianus (Fig. 8), welcher einen grünen oder graugrünen Filz an der Oberfläche der Flüssigkeit bildet, sowie durch einige andere Schimmelpilzarten her- 2H2O Wasser Fig. 7. Asper- gillus glaucus. Konidienträger. Vergrößerung 30. Fig. 8. Citromyces Pfefferianus. Konidienträger, b Hyphen des Pilzes aus kalkhaltiger Nährlösung mit an- sitzenden Calciumcitratbildungen als Spliärite, Körnchen, oder als kompakte Hülle, c Reife und keimende Konidien. Vergrößerung: a 240, b 400 und c 600. Nach Wehmer. Gärung (Gärungen, welche EntAvickelung organischer Säuren zur Folge haben) 519 vorgerufen. Der Gewinn an Zitronensäure hängt ab : 1. von der Menge des Impfmaterials, 2. von dem Grade der Durchlüftung der Kul- tur (günstig ist der erschwerte Zutritt von Sauerstoff) und 3. von der Gegenwart von kohlensauren Salzen, welche die Zitronen- säure neutralisieren. In den keine kohlen- saure Salze enthaltenden Flüssigkeiten wächst der Gehalt an Zitronensäure bis zu einem Gehalte von 7% an, weiterhin nimmt ihr Gehalt allmählich bis zu vollkommenem Schwunde ab. In Gegenwart von Kreide bilden sich Kristalle von zitronensaurem Kalk, welche sich an den Wandungen und dem Boden des Gefäßes als körnige und nadeiförmige Konkremente, sowie an den Pilzhyphen ablagern (Fig. 8b). Versuche, diese Methode zur technischen Gewinnung von Zitronensäure anzuwenden, haben bis jetzt keinen befriedigenden Erfolg gehabt. Die Milchsäuregärung. 1. Die Grundformel der Gärung. 2. Die Verbreitung von Milchsäurebakterien in der Natur. 3. Das Temperaturoptimum und das Verhalten gegen freien Sauerstoff. 4. Die Mikro- flora der Milch. 6. Das ßacterium lactis acidi, der Erreger der natürlichen Milchsäuerung. 6. Milch- säuregärung mit Gasausscheidung. 7. Das bulgarische Stäbchen und einige andere Milch- säurebakterien. 8. Der Wert der Milchsäure- bakterien im praktischen Leben. 9. Die Zu- bereitung von saurer Milch und Rahmbutter. 10. Die Käsereifung. 11. Die Anwendung von Reinkulturen in der Milchwirtschaft. 12. Kefir, Kumys und Kwaß. 13. Das Grünpreßfutter. Ebenso wie unter Einwirkung von Schim- melpilzen aus dem Zucker Oxal- und Zi- tronensäure gebildet werden, in gleicher Weise wird auch unter Einwirkung von Milch- säure- und Buttersäurebakterien aus ihm Milch- und Buttersäure gewonnen. Die beiden letzten Prozesse unterscheiden sich jedoch in wesentlicher Weise von den ersteren dadurch, daß bei ihnen die Säuren infolge von Zersetzung des Zuckers ohne Teil- nahme von freiem Sauerstoff gebildet werden, während die Entwickelung von Oxal- und Citronensäure die Folge eines Oxydations- prozesses ist. I. Die Grundformel der Gärung. Die Milchsäuregärung war der erste von Pasteur im Jahre 1857 studierte Gärungsprozeß, an welchem er das Gesetz der spezifischen Bakterienwirkung feststellte. Eine Kein- kultur von Milchsäurebakterien ist zum ersten Male von Lister im Jahre 1877 ge- wonnen worden. Diese Gärung besteht in der Zersetzung von Hexose zu zwei Milch- säuremolekülen : CgHiaOfi = 2C3H6O3. Werden Di- oder Polysaccharide der Gärung unterworfen, so müssen sie vorher unter Bildung von Hexose hydrolysiert werden. Bei der Milchsäuregärung bildet sich Aethylidenmilchsäure CH3 . CH(OH) .COOK, welche ein asymmetrisches Kohlenstoffatom enthält. Diese Säure ist in drei optischen Varietäten bekannt: einer rechten, linken und inaktiven, welch letztere durch gegen- seitige Sättigung der rechten und linken Isomeren gewonnen wird. Bei der Milchsäure- gärung entsteht augenscheinlich zuerst eine optisch inaktive Säure, später aber, sowie die eine der Isomeren zersetzt wird, iDeginnt die Säure die Polarisationsebene nach der einen oder anderen Seite zu drehen. In Ab- hängigkeit von den Kulturbedingungen kann ein und dasselbe Milchsäurebakterium vor- wiegend eine rechts oder links drehende Isomere hervorbringen. Durchaus nicht eine jede Milchsäuregärung entspricht dem oben angeführten einfachen Schema. Nicht selten hat sie Bildung von Nebenprodukten und sogar Gasen — Wasser- stoff und Kohlensäure — zur Folge. Es ist also richtiger, wenn man nicht von einer Milchsäuregärung, sondern von verschie- denen Typen derselben redet. 2. Die Verbreitung von Milchsäure- gärung und von Milchsäurebakterien in der Natur. Die j\lilclisäuregärung ist in der Natur sehr weit verbreitet. Einer Zer- setzung unter Entwickelung von Milchsäure unterliegen: Hexosen (Glykose, Lävulose, Galaktose), Disaccharide (Rohr- und Milch- zucker), Pentosen (Arabinose), vielatomige Alkohole (Glycerin, Mannit, Dulcit), viel- basische Säuren (Aepfelsäure) und sogar Eiweißsubstanzen. Der weiten Verbreitung der Milchsäure- gärung entsprechend, finden sich auch deren Erreger weit verbreitet in der Natur. Sie zeichnen sich jedoch nicht durch Einförmig- keit ihrer Gärungsfähigkeit aus. Einige von ihnen produzieren Milchsäure nur in sehr beschränkter Quantität, wie z. B. der Cho- leravibrio und der Milzbrandbazillus. Deut- licher ist diese Funktion beim Bact. coli, Proteus vulgaris, Bac. prodigiosus und anderen ausgeprägt. Im höchsten Grade kommt sie der Gruppe der wahren Milch- sänrebakterien zu. 3. Das Temperaturoptimum und das Verhalten gegen freien Sauerstoff. Am besten fördert eine Temperatur von 30 bis 37" die Gärung. Nach Beijerinck ge- deihen Stäbchenformen (,,Laktobazillen") besser bei einer Temperatur von 37 bis 40°, kokkenförmige Milchsäurebakterien (,,Lakto- kokken") aber bei einer Temperatur von 20 bis 30". Bei noch tieferen Temperaturen entwickeln sich schleimbildende Arten (Bac. aromaticus). Die Frage nach der Wirkung von freiem 520 Gärung (Gärungen, welche EntA\ickelung organischer Säuren zur Folge haben) Sauerstoff auf den Gang der Milchsäure- gärung diente zu wiederholten Malen als Gegenstand von Untersuchungen. Augen- scheinlich herrscht hierin kein einförmiges Verhalten in der ganzen Gruppe: während die Tätigkeit einiger Milchsäurebakterien in Gegenwart von freiem Sauerstoff verstärkt wird, wird sie bei anderen unter diesen Be- dingungen angehalten. Im allgemeinen jedoch kann man die Milchsäurebakterien unter die fakultativen Anaerobien, welche sowohl bei Luftzutritt, als auch ohne diesen ge- deihen, einreihen. 4. Die Mikroflora der Milch. Als ge- wöhnliches Substrat, in ^Yelchem Milchsäure- gärung entsteht, dient die Milch, welche eine Lösung von mineralischen Salzen, Kasein (im Verein mit Calcium) und Milch- zucker mit gleichmäßig in derselben ver- teilten Fetttröpfchen darstellt. Die Milch enthält also sämtliche für die Bakterien- ernährung erforderlichen Verbindungen, und hierdurch erklärt sich der Umstand, daß sie so schwer zu konservieren ist. Die im Euter einer gesunden Kuh enthaltene Milch ist nur in seltenen Fällen bakterienfrei, gewöhnlich jedoch enthält sie verschiedene Bakterien in ziemlich bedeutender Menge. Schon die frischgemolkene Milch enthält viele Bakterien, welche beim Durchgang durch die Milchkanäle derselben beigemengt werden. In 1 ccni eben gewonnener Milch fand Freudenreich 2 bis 3 Tausend Keime, nach 24 Stunden enthielt bei 25" ein gleiches Volumen bereits über 500 Mil- lionen derselben, und unter diesen findet sich eine enorme Quantität von Milchsäurebak- terien (Fig. 9). Unter Einwirkung der durch letztere gebildeten Milchsäure scheidet sich schon bei einem Gehalt von 0,2% dieser letzteren aus der Milch das Kaseingerinnsel aus und es entsteht auf diese Weise saure Milch. Milchsäurebakterien geraten in die Milch aus der Luft, dem Fell der Kühe, den Milchkanälen und von der Zitzenober- fläche, am häufigsten wird jedoch die Milch durch die Hände der Melker und schlecht gereinigte Auf bewahrungsgef äße verunreinigt. Nicht selten dient die Milch als Verbreitungs- quelle von Infektionskrankheiten (Tuber- kulose, Cholera, Typhus, Scharlach und andere), wenn unter dem Personal von Molke- reien sich von diesen Krankheiten Befallene befinden. 5. Das Bacterium lactis acidi. Als Ur- sache der natürlichen Milchsäuerung wirkt am häufigsten ein kurzes, sporenloses, unbeweg- liches Stäbchen (0,5 bis 0,7 x 0,8 bis 1,2 /t), welches gewöhnlich zu Gruppen von je 2 Exemplaren oder zuweilen auch zu Ketten vereinigt ist, das Bact. lactis acidi (Streptococcus Güntheri; Fig. 10). Es färbt sich leicht mit den gewöhnlichen Anilinfarben und nach Grani und bildet eine rechts drehende Milchsäure. Es ruft eine typische Gärung von Milchzucker fast ohne Bildung von Nebenprodukten und ohne Gasausscheidung hervor. Die Gärung stockt, sobald der Säuregehalt 6 bis 7 g pro Liter erreicht, denn hierbei wird die Tätigkeit dieser Art paralysiert. Eine Zersetzung des gesamten Milchzuckers kann man erzielen, wenn man zwecks Neutralisation der ge- bildeten Säure Kreide zur Milch hinzufügt. Um das Bact. lactis acidi zu isolieren, geht man am besten von saurem Eahm aus. Eine kleine Quantität desselben wird in einem mit sterilisiertem Wasser beschickten Probiergläschen ausgeschüttelt, und von diesem aus infiziert man durch Erwärmung verflüssigte Fleischpeptongelatine oder Agar mit 4% Milchzucker. Es werden mit dem NährmediumPetrische Schälchen beschickt; den Agar läßt man bei 30", die Gelatine aber bei Zimmertemperatur stehen. Besonders charakteristisch sind Gelatinekulturen: sie sind gelblich, körnig, haben gleichmäßig ver- laufende Känder; oberflächliche Kolonien erinnern an Wassertröpfchen. Aus den Kolo- nien nimmt man Ueberimpfungen auf schräge Agar- oder Gelatineflächen von dem- selben Bestände vor, und sobald der Bazillus sich entwickelt, wird sterilisierte Milch (ca. 300 ccm) mit einer geringen Quantität des Materials infiziert. Ist die Rasse des Milch- Fig. 9. Mikroskopisches Bild des Zentrifugensedimentes. a von keim- armer Milch, b von gewöhnlicher, an JMilcliScäure-Streptokokken reicher ]\larktmi]ch, c von verschmutzter Marktmilch mit viel Stcäbchenkonglo- meraten, d von Mastitismilch mit viel Leukozyten und Mastitis-Strepto- kokken. Vergrößerung 1000. Nach Löhnis. Fig. 10. Bact. lactis acidi (Streptococcus Güntheri). Vergröße- rung 1000. Gärung (Gärungen, welche Entwickelung organischer Säuren zur Folge haben) 521 Säurebazillus eine aktive, so gerinnt die Milch binnen 12 bis 14 Stunden. 6. Milchsäuregärung mit Gasaus- scheidung. Der beschriebenen Art mor- pholoti'iscli sehr nahe stehend und in der Natur fast ebenso stark verbreitet ist der Bac. acidi lactici, welchen man früher für den Erreger der natürlichen Milchsäue- rnng hielt. Häufig finden sich auch der unbewegliche Bac. aerogenes, welcher von Emmerich aus den Exkrementen von Säuglingen ausgeschieden worden ist, und das gewöhnliche Bact. coli, welches sich durch rege Beweglichkeit auszeichnet. Sämt- liche drei erwähnten Bakterien, welche den Zucker vergären, scheiden Wasserstoff und Kohlensäure aus und bilden flüchtige Fett- säuren. Die hierbei gewonnene Milchsäure ist rechtsdrehend. An der natürlichen Milchsäuerung nehmen auch solche Arten teil, welche eine links- drehende Säure ergeben, wie z. B. der Micro- coccus laevolactici. Die Gärungsmilch- säure ist gewöhnlich optisch inaktiv, weil sich gleiche Quantitäten beider optischen Isomeren bilden. 7. Das bulgarische Stäbchen und einige andere Milchsäurebakterien. In letzter Zeit erfreut sich das ,, bulgarische Stäbchen", der Bac. bulgaricus, "ein Milchsäurebak- terium, welches aus der bulgarischen sauren Milch „Yoghurt" und aus der ägyptischen ,, Leben" ausgeschieden worden ist, beson- deren Interesses. Es ist dieses ein sehr großer, sporenloser, unbeweglicher Bazillus (Fig. 11), welcher zuweilen 20 jli lang wird und häufig zu zwei Exemplaren oder zu kurzen Ketten verbun- den ist. Unter anaeroben Be- dingungen ge- deiht der Bac. bulgaricus besser, als bei Luftzutritt, in- dem er in der Milch bis zu 32 g Milchsäure pro Liter, d. h. fünfmal mehr derselben bildet, als wie alle übrigen Milchsäurebakterien. Durch diese Eigenschaft, sowie durch die Fähigkeit des Bac. bulgaricus, sich im Darme anzusiedeln, wobei die Entwickelung von Fäulnisbakterien unterdrückt wird, erklärt sich die Bedeutung der bulgarischen sauren Milch als eines ausgezeichneten diätetischen Mittels. Zur Kultur des Bac, bulgaricus wendet man Milchagar an. 1 1/2 g Agar werden unter Erhitzen auf Siedetemperatur in 100 ccni abgerahmter Milch gelöst. Nachdem mit Fig. 11. Bacilhis bul- garicus. Vergrößerung 1000. Wasser vermengtes Eiweiß zu diesem Gemisch hinzugefügt worden ist, erwärmt man die Milch, bis die Eiweißstoffe geronnen sind. Hierauf filtriert man die Flüssigkeit in heißem Zustande (im Autoklaven), gießt sie in Probiergläschen und sterilisiert bei 110". Die oberflächlichen Kolonien des Bac. bulgaricus besitzen auf derartigem Agar ein sehr charakteristisches Aussehen von Wattebäuschchen, die über die Oberfläche hin zerstreut sind. Verhältnismäßig seltener findet sich in der Milch die schleimbildende Art Strepto- coccus hollandicus, welcher zuerst von Weigmann aus der holländischen schlei- migen Milch (Lange Wei) ausgeschieden worden ist und auf Milchagar gut gedeiht, indem er bei 30 bis 35" dunkle, körnige, schaif abgegrenzte Kolonien bildet. Die Lange Wei wird in Holland zur Gewinnung des Edamkäses verwandt. Eine der Milchsäurebakterien, der Bac. bifidus (Fig. 12) spielt nach Untersuchungen N^T V >'/' Fig. 12. Bacillus bifidus. Links 10 rechts 15-tägige Kultur. Vergrößerung Links 10-tägige, 1000. von Tissier bei der Verdauung von Säug- lingen eine hervorragende Rolle, weil er die Entwickelung von Fäulnisbakterien im Darm verhindert. In der Weinproduktion säuert man nicht selten, um die Entwickelung von Butter- säurebakterien zu verhindern, den Most mit einem besonderen Milchsäurebakterium, dem Bac. acidificans longissimus, wel- cher auf keimenden Gerstenkörnern vor- kommt, an. Es ist dieses ein langes Stäbchen, welches sich bei 45 bis 50" ausgiebig ent- wickelt und folglich zu den thermophilen Bakterien gehört. Diese Art, welche Glykose, Lävulose und Maltose unter Entwickelung von linksdrehender Milchsäure oxydiert, ruft keine Milchsäuerung hervor. Da die Milchsäurebakterien zu den sporen- losen Arten gehören, so werden sie durch Pasteurisation der Milch (Erhitzen bis auf 75" im Laufe von 20 Minuten und rasch darauffolgendes Abkühlen bis zu 7") abge- tötet. Das Sauerwerden von pasteurisierter Milch findetgewöhnlich nach Einwirkung von sporenhaltigen Buttersäurebakterien statt. 522 Gärung- (Gärungen, welche Entwickelung organischer Säuren zur Folge halben Auf festen Nährböden wachsen die Milch- säurebakterien schwach und bilden hier nur kleine Kolonien. Charakteristisch ist das Wachstum der Milchsäurebakterien auf Agar, wclclu'r Milch- serum und Kreide enthält." Das Nährmedium wird auf folgende Weise angefertigt. Ab- gerahmte Milch wird vermittels Labferment bei 35" zum Gerinnen gebracht. Nachdem das Kaseingerinnsel mit Hilfe eines Glas- stäbchens in feine Stücke zerrieben worden ist, wird das Gemisch im Wasserbade bis auf 70° erwärmt. In dem durch ein Leinen- tuch filtrierten Serum setzt man 1 % Pepton und 0,5% NaCl hinzu, erhitzt im Laufe 1 Stunde im Kochschen Siedeapparat und filtriert durch ein Papierfilter. Dem Fil- trate fügt man 2^o Agar hinzu. Das auf diese Weise zubereitete Nährmedium wird in Petrische Schälchen ausgegossen, auf deren Boden ein wenig sterilisierte Kreide ausgestreut worden ist. Der Agar wird innig mit der Kreide vermengt und sodann mit j\Iilchsäurebakterien infiziert: Die ausge- wachsenen Kolonien erkennt man an hellen Oreolen an ihrer Peripherie infolge von Lösung der Kreide durch Milchsäure (Fig. 13). 13. Kreideagar mit Kolonien von Milch - Scäurebakterien. Nach Lühnis. Uebergießt man die mit Milchsäure- bakterienkolonien übersäte Platte mit einer 3-prozentigen Wasserstoffsuperoxydlösung, so gewahrt man keine Sauerstoflausschcidung an den den Kolonien entsprechenden Stellen. Dieses Fehlen von Katalase stellt ein charak- teristisches Merkmal der Milchsäurebakterien dar. Kolonien anderer Arten bedecken sich unter diesen Bedingungen mit Schaum in- folge von Sauerstoffausscheidung. Die Mannigfaltigkeit der Arten von Milch- säurebakterien ist eine außerordentliche. Auf Figur 14 sieht man einige von ihnen, welche von Freudenreich und Storch aus- geschieden worden sind. Hier finden sich sowohl vereinzelte Kokken, als auch Strepto- kokken, kurze Diplobazillen und lange Stäbchen. Die Klassifikation der Milchsäure- bakterien ist fürs erste infolge der außer- ordentlichen Schwierigkeiten," mit welchen man in diesen Fällen zu rechnen hat, schwach - V,; 2. .3, Fig. 14. Die aus Emmentalerkäse stammenden Milchsäurebakterien (Freudenreich): 1 Bac. casei oc, 2 Bac. casei d. 3 Bac. casei f. — 4 bis 6 die von V. Storch beschriebenen und mit 5, 8 u. 18 bezeichneten Milchsäurebakterien. — Ver- größerung 1000. ausgearbeitet, obgleich Versuche in dieser Richtung häufig gemacht worden sind (Löhnis). 8. Der Wert der Milchsäurebakterien im praktischen Leben. Was die Bedeutung der Milchsänrebakterien bei natürlichen Pro- zessen anbetrifft, so stehen sie den Hefe- pilzen, welche Alkoholgärung hervorrufen, durchaus nicht nach. Mit den Ergebnissen ihrer Lebenstätigkeit hat man es fortwäh- rend im praktischen Leben zu tun. Die Zubereitung von saurer Milch, saurem Brot- teig, saurem Kohl und Gurken, die Käse- reifung, die Zubereitung einiger saurer alkoholischer Getränke, wie Kefir und Kumys, alles dieses sind Prozesse, denen die Tätigkeit von Milchsäurebakterien zugrunde liegt. 9. Die Zubereitung von saurer Milch und Rahmbutter. Zur Zubereitung von saurer Milch verfährt man am rationellsten, wenn man abgekochte Milch benutzt und sie mit Reinkulturen von Milchsänrebakterien infiziert. Diese Vorsichtsmaßregel ist unter den Bedingungen des Stadtlebens unum- gänglich notwendig, um der Verbreitung von Infektionskrankheiten durch die Milch vorzubeugen (in Paris sind z. B. 40% sämt- licher Kühe tuberkulös). Bei Zubereitung von Rahmbutter fördern die Milchsänrebakterien das Frei- werden des Fettes und das Zusammenkleben der Fetttröpfchen und schützen die Butter vor weiterer Zersetzung. In einer rationell geführten Wirtschaft bedient man sich zur Butterproduktion der Reinkulturen von Bakterien; in diesem Falle gewinnt man ein (was Geschmack und Dauerhaftigkeit an- iaetrifft) viel hochwertigeres Produkt, und (■nirung- (Gänmgen, welche Entwickelimg organischer Säuren zur Folge halten) 523 auch der Gewinn an Butter ist ein ausgiebi- gerer. Um der Butter ihr besonderes Aroma zu verleihen, fügt man dem Rahm Kulturen von spezifischen Bakterien hinzu. 10. Die Käsereifung. Milchsäurebak- terien spielen in dem Prozesse der Reifung von Käse, bei welchem er seinen spezifischen Geschmack und sein Aroma gewinnt, eine hervorragende Rolle. Auf die Güte des ge- wonnenen Produktes wirken außer den Bak- terien selbst auch die mittlere Zusammen- setzung der Milch, die Methode der Kasein- gerinnung (vermittels Säure oder Lab- fermentes) und die allgemeinen Bedingungen der Käsereifung ein. Ueber die Teilnahme der Mikroben an der Käsereifung bestehen verschiedene Meinungen. Freudenreich räumt in diesem Prozesse den Milchsäure - bakterien, Duclaux den peptonisierenden und das Kasein zersetzenden Bakterien, Rodella aber den Buttersäurebakterien die Hauptrolle ein. Nicht ganz unbeteiligt an dem Prozesse sind auch Bakterien, welche Fettzersetzung hervorrufen. Am allerwahr- scheinlichsten ist es, daß an der Käsereifung verschiedene Bakteriengruppen teilnehmen — zuerst die Milchsäurebakterien, sodann die peptonisierenden. fettzersetzenden und an- dere (Weigmann). In der Reifung einiger Käsesorten (Rocquefort, Gorgonzola) spielen Schimmelpilze (Penicillium gl au cum) die Hauptrolle. Die Produkte der Kaseinzersetzung, welche bei der Käsereifung entstehen, erinnern zum Teil an die Produkte der Fäulniszersetzung; sogar Skatol, Indol und Schwefelwasser- stoff findet man in einigen weichen Käse- sorten, z. B. dem Limburger Käse, Die Höhlenbildung im Käse erklärte man früher durch die gasförmigen Zersetzungsprodukte des Milchzuckers. Li Wirklichkeit aber ist zu einer Zeit, wo sich im Käse ,, Höhlen" bilden, der Milchzucker schon längst aurch Bakterien zersetzt. Die Ursache der Höhlen- bildung ist die Kohlensäure, welche bei der Zersetzung späterer Destruktionsprodukte (milchsaure Salze) entsteht. 11. Die Anwendung von Reinkulturen in der Milchwirtschaft. Ein eifriger Vor- kämpfer der Idee einer Anwendung von Reinkulturen in der Milchwirtschaft und bei der Käsezubereitung ist Weigmann. Er hat eine bequeme Methode der Zubereitung von Kulturen in Form von trockenem Pulver, wodurch ihr Transport bedeutend erleichtert wird, ausgearbeitet. Außer Milchsäurebak- terien wendet man auch Bakterien, welche dem Käse und der Butter ihr angenehmes Aroma verleihen, an. Hierher gehört z. B. eine Oidiumart und Bakterien, welche von Conn aus der südamerikanischen Milch ausgeschie- den worden sind und der Butter ein pracht- volles Aroma verleihen. Aus dem berühmten Emmenthaler Schwei- zerkäse hat Adametz eine Art isoliert, welche zur Gruppe der Heubakterien gehört, den Bac. nobilis, dessen Kultur den spe- zifischen Geruch des Emmenthaler Käses hervorruft und dazu angewandt wird, um dem Käse dieses Aroma zu verleihen. Nach Weigmann s Methode wird die Reinkultur der Bakterien mit fein zer- kleinertem Reißmehl vermengt und dieses Gemenge, nachdem es getrocknet ist, zu einem Pulver verrieben, welches man sodann in Portionen zu 300 g versendet. Zur Vor- kultur nimmt man 20 bis 30 g dieses Pulvers und setzt es zu 1 Liter frisch gekochter Milch, welche bis auf 60" langsam, dann aber bis auf 37" rasch abgekühlt worden ist. Diese Milch läßt man im Laufe von 24 Stunden bei 20 bis 25" stehen und infiziert mit der so gewonnenen Vorkultur den zur Säuerung bestimmten Rahm (welcher gleichfalls zuvor durch Erhitzen desinfiziert wird). Auf diese Weise bereitet man Butter von sehr hohem Wert, welche beim Gebrauch durchaus un- gefährlich ist, da die Sterilisation der Milch die in ihr enthaltenen Bakterien abtötet. Gießt man in das Gefäß, in welchem die Vorkultur sich befand, frische Milch nach, so kann man je nach dem Reinlichkeitsgrade der Arbeit ein und dieselbe Kultur im Laufe von 2 bis 4 Monaten erneuern. In Deutschland gibt es spezielle Labo- ratorien, welche Reinkulturen für den Bedarf von Milchwirtschaften verabfolgen. Der Nutzen der Anwendung dieser Kulturen ist so augenscheinlich, daß die Laboratorien ein gedeihliches Fortkommen haben, und ihre Tätigkeit durch eine stets anwachsende Nachfrage nach den von ihnen gelieferten Produkten gesichert ist. 12. Kefir, Kumys und Kwaß. Durch die Tätigkeit von Milchsäurebakterien und Hefe gewinnt man einige moussierende saure alkoholische Getränke und Nahrungsmittel, wie z. B. Kefir, Kumys, Kwaß, Masun, Leben, Yoghurt u. a. Kefir wird durch Infektion der Milch mit einem besonderen Ferment — den so- genannten,,Kefirkörnern" (Fig. 15)gewonnen. Die Gärung findet bei niedriger Temperatur (12 bis 15") statt. Unter Einwirkung von Milchsäurebakterien (Bac. caucasicus) säuert die Milch und aus ihr werden feinste, leicht verdauliche Kaseinflocken ausgeschie- den, die Hefe Torula Kephir aber ruft Alkoholgärung des Milchzuckers hervor. Es ergibt sich ein ziemlich dickflüssiges, schäu- mendes und sehr wohlschmeckendes Ge- tränk, welches ein ausgezeichnetes diäteti- sches Mittel darstellt. Nicht weniger verbreitet, zum mindesten in Rußland, ist ein anderes schäumendes, 524 Grärung (Gärungen, welche Entwickelung>. organischer Säuren zur Folge haben) saures, alkoholisches Getränk, der Steppen- gegärtes Produkt in Form einer saftigen Kumys, welcher von Kalmücken. Basch- Masse, welche von dem Vieh gern gefressen kiren und Kirgisen in den Oststeppen Ruß- wird und einen hohen Nährwert besitzt. Fig. 15. Kefirklümpchen, oben in eingetrocknetem und unten in gequollenem Zustande. Natürliche Größe. Nach Kern. lands aus Stutenmilch präpariert wird und als heilbringendes Getränk berühmt ist (er enthält bis zu 2% Alkohol und ca. 1% Milchsäure). Der Kumys war bereits den alten Skythen bekannt und wird von He- rodot erwähnt^). Als wirksame Arten sind bei der Kumysreifung beteiligt: 1. ein Milch- säurebazillus, welcher augenscheinlich mit dem Bac. bulgaricus identisch ist und 2. die Hefe Torula Kumys. Zu derselben Gruppe gehört auch das nationale russische Getränk Kwaß. Er wird aus getrocknetem Brot, Mehl und Malz bereitet, welche unter Einwirkung von Hefe und Milchsäurebakterien in Gärung über- gehen. Auch bei der Zubereitung von Berliner Weißbier nehmen neben Hefe auch Milch- säurebakterien an der Gärung teil. Die Säuerung von Kohl und Gurken wird durch einen Milchsäurebazillus, welcher dem Bact. coli nahe steht, hervorgerufen. 13. Grünpreßfutter. In Ländern mit feuchtem Klima wird das Pflanzenfutter (Gras, Mais und andere) nicht getrocknet, wie bei uns, sondern einer Gärung in feuchtem Zustande, der sogenannten Ensilage, unter- worfen. Das frisch gesammelte Futter wird in Gruben fest verpackt, oben mit Erde bedeckt und gepreßt. In ihm entstehen stürmische Gärungsprozesse, vor allem Milchsäure- gärung, welche mit starker Temperatur- steigerung Hand in Hand geht. Ist der Silo regelrecht angefertigt, so erhält man bereits nach Verlauf von einigen Monaten ein aus- ^) Augenscheinlich stammt die Bezeichnung des Getränkes von dem Namen des Volkes der „Kumanen", welche von Xenophon erwähnt werden und von den Tataren im Jahre 1215 besiegt wurden. Die Buttersäuregärung. 1. Die Entwickelung von Buttersäure bei anaeroben Prozessen. 2. Der Begriff der Butter- säuregärung. 3. Die Verbreitung der Gärung in der Natur. 4. Buttersäurebakterien. 1, Die Entwickelung von Buttersäure bei anaeroben Prozessen. Die Entwickelung von normaler Buttersäure wird sehr häufig bei anaerober Zersetzung stickstoffhaltiger, sowie stickstofffreier organischer Stoffe be- obachtet. Unter Buttersäuregärung im engeren Sinne versteht man jedoch gewöhn- lich nur einen solchen Zerfall von Kohle- hydraten, höheren Alkoholen und milchsauren Salzen, bei welchem Buttersäure in über- wiegender Menge entsteht und welcher mit energischer Ausscheidung von Gasen, Kohlensäure und Wasserstoff (zuweilen Me- than), Hand in Hand geht. 2. Der Begriff der Buttersäuregärung. Die Buttersäuregärung der Kohlehydrate ist ein anaerober Prozeß, welcher nach folgen- der Gleichung verläuft: CeH.^Oe = C.HsOs + 2CO2 + 2H2 Glykose Buttersäure Kohlensäure Wasserstot f. Die Gärung findet am ausgiebigsten bei 35" statt und verläuft unter Bildung von Nebenprodukten: Essigsäure, Milchsäure, zu- weilen Propionsäure und fast stets normalem Butylalkohol. In einigen Fällen überwiegt letzterer sogar. Nach der alten Vorschrift von Gelis und Felo uze infiziert man zur Einleitung der Buttersäuregärung eine 10-prozentige Zuckerlösung, mit welcher ein mit einem Kreidebodensatz versehener Kolben bis zum Rande gefüllt wird, mit einem Stückchen faulen Käses. Wie Pasteur nachgewiesen hat, entsteht hierbei zu Anfang eine Milch- säuregärung des Zuckers, dann aber wird das hierbei entstandene milchsaure Calcium Gärung (Grärungen, welche Entwickelung organischer Säuren zur Folge haben) durch Buttersäuregärungsbakterien zersetzt. Gegenwärtig nimmt man zur Einleitung der Buttersäuregärung gewöhnlich eine 1- bis 3-prozentige Zuckerlösung mit Zusatz von 0,1 bis 0,2*^0 Pepton und infiziert dieselbe mit Düngererde, Erbsen oder Brotkorn. Dieselbe Gärung entsteht gewöhnlich, wenn man pasteurisierte Milch an warmem Orte bei Ijehindertein Luftzutritte (in einem bis oben gefiUlteu Gefäße) stehen läßt. Die Milch schäumt hierbei und erhält den Geruch von Buttersäure. 3. Die Verbreitung der Gärung in der Natur. Die Buttersäuregärung ist sehr verbreitet und entsteht überall, wo eine stickstofffreie organische Substanz ohne Luft- zutritt zersetzt wird. Sie hat zweifellos auch in früheren Erdperioden bestanden: das typische Buttersäuregärungsbakterium — das Clostridium butyricum (Fig. 16) — hat van Tieghem in den fossilen Ueber- resten von Pflanzen der Steinkohlenperiode gefunden. Die Erreger dieser Gärung finden sich häufig in den oberen Bodenschichten, im Dünger, in verunreinigtem Wasser, im Käse, im Staube, in der Milch und an der Oberfläche von Kornsamen, Bohnen und Erbsen. Da die meisten Buttersäurebakterien zu den sporentragenden Arten gehören, so ist es von Nutzen, wenn man bei Impfung von Nährlösungen mit dem erwähnten Material der Periode der Sporenbildung charakteri- siert ist. Zu dieser Gattung gehören nach Bei- jerinck 4 Arten. 1. Das Gr. saccharobutyricum — ein typisches Buttersäureferment, bei wel- chem die Fähigkeit, Glykose und zum Teil Maltosegärung hervorzurufen, sehr stark ausgeprägt ist. Es findet sich stets in Gartenerde und an der Oberfläche von Kornsamen und Bohnen. 2. Das Gr. butylicum — zersetzt Mal- tose unter Entwickelung von normalem Propylbutylalkohol, Kohlensäure und Was- serstoff. Buttersäure entwickelt es über- haupt nicht. Findet sich häufig an der Ober- fläche von Gerstenkörnern. 3. Das Gr. lacto butyricum — zersetzt milchsaure Salze unter Entwickelung von Buttersäure. 4. Das Gr. polymyxa (Bac. astero- sporus?) — eine anaerobe Art, welche nur Spuren von Buttersäure ohne Wasserstoff- ausscheidung bildet. Die Zugehörigkeit dieser Art zu den Buttersäurebakterien ist jedoch zweifelhaft. Schattenfroh und Graßberger fassen sämtliche nicht pathogene Buttersäurebak- terien zu zwei Typen, den beweglichen und unbeweglichen (Fig. 17 und 18) zusammen. Fig. 16. Clostridium butyricum. a ohne. b mit Sporen. Vergrößerung 1000. Nach Alfr. Fischer. dieselben vorerst pasteurisiert, um alle sporenlosen Arten abzutöten und auf diese Weise die Entwickelung von Buttersäure- bakterien zu erleichtern. Aus diesem Grunde entsteht denn auch in pasteurisierter Milch gewöhnlich Buttersäuregärung. 4. Die Buttersäurebakterien. In syste- matischer Beziehung ist die Gruppe der Buttersäurebakterien ebensowenig verar- beitet, wie diejenige der Milchsäurebak- terien. Beijerinck faßt die hauptsäch- lichsten Repräsentanten dieser Gruppe zu der Gattung Granulobacter zusammen, welche durch granulöse Reaktion des Pro- toplasmas^) und Spindelform der Zellen in ^) Jedoch ergeben nicht alle Buttersäure- bakterien die Granulosereaktion, wie z. B. der Fig. 17. Beweglicher Buttersäurebazillus. Ver- größerung 1000. \^.< m; '10^ 18. Unbeweglicher ButtersäurebazilhiSi Vergrößerung 1000. von Grimbert beschriebene Bac. ortho- butylicus. Andererseits zeigen einige Bakterien, welche augenscheinlich nicht zu den Buttersäure- bakterien gehören, bei Jodeinwirkung Blau- färbung, z. B. der Bac. maximus buccalis. 526 Gärung (Milch, Butter, Käse) Unter die Buttersäurebakterien sind auch die Erreger der Gärung von Pelvtinstoffen, derZelhilose. die anaeroben Stickstoff-fixieren- den Bakterien (Clostridium Pasteuria- num), vielleicht auch einige Fäulnisbak- terien (Bac. putrificus) u. a. einzureihen. Von den pathogenen Buttersäurebak- terien wollen wir den Bac. botulinus, so- wie die Bazillen des malignen Oedems und den Rauschbrandbazillus nennen. Die zwei letzten Arten gehören zugleich zu den Fäulnisbakterien. Der von Hüppe beschriebene Bac. butyricus zersetzt Eiweißstoffe und milch- saure Salze, wobei sich Buttersäure bildet. Literatur. Hansen, Eecherches sur les bacterics acctifiantes. Ann. de Jlicrographie, 1894- — Henneberg, Gärungsbakt. Praktikum. Betriebs- untersuchtmgen und Pilskunde. Perlin 1909. — (Torgensen, ßlikroorganismen der Gärungs- industrie, 1892. — Lafar, Handbuch der technischen Mykologie, Bd. z und 4. — Der- selbe, Physiologische Studien über Essiggärung und Schnellessigfabrikation. Centr. f. Bakt., 2. Abt., Bd. 1, 1895. — Welinver, Oxalsäure- bildung durch Bakterien. Ber. d. deutsch, bot. Ges., 18, 1900. — Derselbe, Liebigs Ann., Bd. 269, 1892. — Maze, Note sur la producticm d'acide citrique par les citromyces. Ann. Past., t. 23, 1909. — Wehtner, Beiträge zur Kenntnis einheimischer Pilze. Hannover und Leipzig 1892. — Derselbe, Ueber zwei weitere, freie Zitronen- säure bildende Pilze. Chemiker-Zeitung, Bd. 21, 1897. — Henneberg , Zur Kenntnis der ilileh- säurebakterien der Brennereimaische, der Milch und des Bieres. Zeitschr. f. Spiritusindustrie, 1901. — Weigniann, Versuch einer Einteilung der Milchsäurebakterien des Molkereigewerbes. Centralbl. f. Bakt., 2. Abt., Bd. 5, ^1899. — BeijerincTc, Ueber die Butylalkoholgärung und das Butylferment. Centralbl. f. Bakt., 2. Abt., Bd. 15, 1894. — Grimbert , Fermentation anaerobie produite par le Bac. orthchiitnUcin^. Ann. Post., t. 7, 1893. — Scluittenfroh und Grossberger, Ueber Buttersüiircgärung. Arch. f. Hyg., Bd. 37, 1900. W. Omeliansky. d) Milch, Butter, Käse. 1. Vorkommen von Bakterien usw. in ^lilch. 2. Ge\vinnnne; bakterienarmer ^lilch. 3. Ab- tötung der IJakterieii in .Milch durch chemische und physikalisclie .Mittel: .A[ilchpasteurisierung, Milchsterilisieruiig. 4. Uebertragung kraiikheit- erregender Bakterien durch Milch. 5. Milchsäure- bakterien der Milch. 6. Butterbereitung. 7. Käse- bereitung. I. Vorkommen von Bakterien in Milch. Das Vorkommen von Bakterien, Hefen und Schimmelpilzen in Milch und den daraus hergestellten Molkerei - Produkten ist aus verschiedenen Gründen von großem Interesse. Erstens ist die Haltbarkeit der Milch von der Zahl und den Entwickelungsbedingungen der darin enthaltenen Milchsäurebakterien ab- hängig, welche die Milch sauer machen und dadurch zum Gerinnen bringen. Zweitens bedingen die genannten niederen Organismen das Butteraroma, die Reifung und das Aroma des Käses, die besonderen Eigen- schaften gewisser moderner Milchpräparate, wie Kefir, Yoghurt u. a. Drittens über- trägt die Milch leicht Krankheitsbakte- rien wie die der Tuberkulose, des Typhus auf den Menschen und auch nicht eigentlich pathogene Bakterien, welche durch ihre aus Milch gebildeten Urasetzungsprodukte schwere Ernährungs- und Verdauungs- störungen bei Säuglingen hervorrufen. Endlich sind niedere Organismen zu erwähnen, welche allerlei Fehler des Ge- schmackes, der Farbe usw. in Milch und Molkereiprodukten hervorrufen und daher in der Milchwirtschaft bekämpft werden müssen. Deshalb ist zunächst wichtig zu wissen, wie überhaupt Bakterien und ähnhche Organismen in die Milch gelangen. Normalerweise sezerniert die Drüse bak- terienfreie Milch, nur bei manchen Krank- heiten findet ein Uebertritt von Bakterien aus der Blutbahn in die Milch statt. Dem- entsprechend ist bei gesunden Kühen z. B., als den naturgemäß in dieser Richtung am meisten untersuchten Tieren, die Milch im Euter ziemlich bakterienfrei oder bak- terienarm. Im Zitzenkanal und der darin enthaltenen Milch finden sich viel mehr Bakterien, die wohl von außen einwandern. Die zuerst ermolkene Milch ist deshalb viel bakterienreicher als die aus dem Haupt- rauni des Euters stammende. Viele Bakterien gelangen dann nach dem Melken in die Milch, wenn nicht besonders vorsichtig und reinlich vorgegangen wird. 2. Gewinnung bakterienarmer Milch. Danach ist zu ersehen, wie man zu ver- fahren hat, um möglichst bakterienarme und dementsprechend haltbarere und für Säughnge bekömmlichere Milch zu er- zielen. Vor dem Melken muß die melkende Person die Hände sauber reinigen, dann das Euter der Kuh gründlich waschen und auch die umgebenden Teile der Bauchhaut des Tieres. Vorteilhaft ist es auch, das Euter des Tieres und die Hände der melkenden Person einzufetten, weil dadurch weniger Bakterien sich loslösen und in die Milch fallen. Alle stauberzeugenden Aibeiten, wie Heuaufstecken, Herrichten der Streu sind während des Melkens zu vermeiden. Die ersten Milchpartien sind, weil sie bak- terienreicher sind, gesondert aufzufangen. Gärung (^Milcli, Butter, Käse) 527 Da die Kühe beim Liegen in der Streu das Euter mit Kot besehmutzen, ist für den Bakterienreichtum der Milch und überhaupt die Sauberkeit derselben die Beschaffenheit des Kotes und sein Bakteriengehalt von Bedeutung. Bei Troekenfütterung ent- hält der Kot der Kühe viel mehr Bakterien als bei Grasfütterung und Weidegang, am größten ist er bei reiner Heufütterung. Fütterung mit Abfällen des Zuckerrüben- baues, also Rübenblättern und -köpfen, Schnitzeln, mit angeschimmeltem Heu, sauren Biertrebern, Schlempe etc. bewirkt leicht Entleerung von dünnflüssigem Kot, wodurch das Euter sehr beschmutzt wird. Die Kotmengen, die auf solche Weise in die Milch gelangen, sind nicht gering; z. B. fand man 50 gr frischen Kuhkot in 100 Liter Milch, die dem Verkehr ent- nommen war. Wenn die Milch einige Zeit ruhig steht, beobachtet man nicht selten dunkle Schmutzteile am Boden des Glases und kann sich so leicht selbst von der größeren oder geringeren Reinheit der Milch über- zeugen. Eine Abtrennung dieses Schmutzes kann vorteilhaft im milchwirtschaftlichen Be- triebe durch Wattefilter oder mit Hilfe der Zentrifuge erfolgen. Natürlich ist auch die Reinheit' der Me'lkgefäße und das Material sowie die Form derselben wichtig für die Reinhaltung der Milch von Bakterien, weil in schwer zu reinigenden Fugen und Rissen der Melkgeräte sich leicht massen- haft Bakterien entwickeln, die beim Ge- brauch des Gefäßes in die Milch gelangen. Metallene Milchgefäße sind daher den hölzernen vorzuziehen. Nach dem Melken soll die Milch stark gekühlt werden und möglichst auf niederer Temperatur bis zum Verkauf bleiben, weil die Bakterien sich bei niederer Tem- peratur viel langsamer vermehren. Wie stark Kühlung in dieser Beziehung wirkt, zeigt folgende Versuchsreihe von Freuden- reich, der Milch bei verschiedenen Tem- peraturen hielt, welche bei Ankunft im Laboratorium 21/0 Stunden nach dem Melken die übrigens sehr geringe Zahl von 9300 Bakterien per ccm enthielt. Dieselbe Milch zeigte folgende Anzahl von Bakterien per ccm, aufbewahrt bei: 150 250 3 Stunden später 10000 18000 6 „ „ 25000 172000 9 „ „ 46500 1000000 24 „ „ 5700000 577500000. Kühlung ist also ein vorzügliches Mittel, um die Bakterienvermehrung in Milch niederzuhalten. Peinliche Beobachtung aller dieser Vor- sichtsmaßregeln führt in der Tat zur Ge- winnung sehr reiner, sehr bakterienarmer und deshalb sehr lange haltbarer Milch. Ein glänzendes Beispiel dieser Art erzählt Mar- ti ny. Danach liefert eine holsteinische Musterwirtschaft derartig sauber gemolkene Milch an die Hamburg-Amerikadampfer in Flaschen, daß diese Milch in rohem Zustand den Hin- und Rückweg dieser Schiffe ohne zu verderben zurücklegt. Eine Kontrolle für saubere Milchge- winnung, zweckentsprechende Fütterung und gute Kühlung nach dem Melken, bietet demnach die Zählung der Bakterien in der Milch. Da diese aber umständhch ist und mehrere Tage Zeit beansprucht, ist für den praktischen (rcbrauch ein anderes Verfahren zu empfehlen, welches sich auch im Haushalt anwenden läßt und darauf beruht, daß die vorhandenen Milchbakterien reduzierende Enzyme ausscheiden, welche aus Methylen- blau einen farblosen Körper machen. Dem- entsprechend setzt man zu 10 ccm Milch ein wenig Methylenblaulösung in einem Reagens- glase, schichtet zur Abhaltung des Sauer- stoffs der Luft ein wenig flüssiges Paraffin auf die Milch und hält den Versuch bei 38" C. Die Zeit, in der die Entfärbung der Milch eintritt, gibt dann die Bakterienzahl in der Milch an": -p .(■■ . •, Anzahl der Bakterien _ Entfarbungszeit .^^^ ^^^^^ bis 15 Minuten 250000000 — 23000000 bis V/2 Stunden 25 000 000 — 2 000 000 bis 7 Stunden 2 000 000 — 60 000 mehr als 7 Stunden 60 000 — 6000 Danach kann man die Milch in vier Gruppen teilen: 1. Gute Milch hält die Farbe 7 Stunden und länger. 2. Mittelgute Milch hält die Farbe 2—7 Stunden. 3. Schlechte Milch entfärbt sich nach V4 bis 2 Stunden. 4. Sehr schlechte Milch entfärbt sich in weniger als V4 Stunde. Auf diese Weise kann man z. B. sehr gut kontrollieren, ob der Milchhändler im heißen Sommer genügend Eis in seinem Milch- wagen führt oder daran spart. 3. AbtÖtung der Bakterien in Milch durch chemische und physikalische Mittel. Durch chemische Mittel kann man ebenso wie in andern Fällen auch in Milch die B akt er ienent Wickelung niederhalten. Doch muß hier immer im Auge behalten werden, ob das Konservierungsmittel in der in Betracht kommenden Menge nicht gesundheitsschädlich ist, da die Milch ja zum großen Teile frisch genossen wird; besondere Sorgfalt ist auf diesen Punkt zu verwenden, wenn es sich um Milch handelt, die zur Säuglingsernährung be- stimmt ist. Bemerkenswert ist vor allem das Verfahren von Budde in dieser Rich- tuno;, welcher die Milch mit Wasserstoff- 528 Gärung (ilileh. Butter, Käse) superoxyd sterilisiert. Die Milch wird dabei auf 50 bis 52" vorgewärmt, mit Wasser- stoffsuperoxid versetzt und 3 Stunden auf besagter Temperatur gehalten. Das Wasser- stoffsuperoxyd soll bei dieser Anwendung sehr kräftig bakterienvernichteud wirken und nicht giftig für Mensch und Tier sein. Den in der Milch verbleibenden Rest von Wasserstoffsuperoxyd hat man vorgeschlagen mit Hilfe des Enzyms Katalase aus Blut zu zerlegen. Die Anwendung von Formaldehyd, des als Formalin bekannten Konservierungs- mittels hat V. Behring zur Haltbarmachung der Milch empfohlen, besonders auch um die Tuberkulosebakterien in für Säuglings- ernährung bestimmter Milch unschädlich zu machen. Auch durch Anwendung von Wärme kann man in Milch Bakterien töten, d. h. die Milch pasteurisieren oder sterilisieren. Zu unterscheiden ist dabei, ob man nur che pathogenen und die Hauptmenge der son- stigen Bakterien abtöten will oder voll- ständige Sterilisation anstrebt. Erstere Prozedur wird als Pasteurisieren bezeichnet. Im Haushalt wird bekanntlich die Milch einfach aufgekocht, um ihre Haltbarkeit zu erhöhen. Dabei gehen pathogene und milchsäurebildende Bakterien zugrunde, eine vollständige Sterihsation kann aber nicht erreicht werden, weil sporenbildende Bakterien bekannthch oft eine Erwärmung auf 100" lebend überstehen. Schon die Temperatur von 100° verleiht aber der Milch einen vielen Personen unan- genehmen Kochgeschmack und setzt eleu Nährwert der Milch besonders für Kinder herab. Deshalb und wegen der Er- sparnis an Heizmaterial ist man bestrebt die Milch im Großbetrieb der Molkereien bei möglichst niedriger Temperatur zu pasteurisieren, dadurch che pathogenen Bakterien zu töten und die Haltbarkeit der Milch durch Abtötung der meisten an- deren Bakterien zu erhöhen, ohne vollstän- dige Sterihtät zu erreichen. Für den Groß- betrieb sind hierfür der Ersparnis an Zeit und Brennmaterial wegen nur kontinuierlich wirkende Apparate brauchbar. In solchen werden, auch wenn die Milch nur wenige Minuten eine Temperatur von 85*^ annimmt, alle pathogenen Bakterien, auch die Tuberkel- bakterien abgetötet. In nicht kontinuierlich wirkenden Apparaten bei Erhitzung in Flaschen genügt zur Abtötung der pathogenen Bakterien schon eine niedrigere Temperatur von 65 bis 70° C. Um Milch vollständig zu sterili- sieren, hat das im Laboratorium bei son- stigen Materialien fast völlig sichere Re- sultate gebende Verfahren der diskonti- nuierlichen Sterilisation, wobei an 3 auf- [ einanderfolgenden Tagen je einmal auf 100° I erhitzt wird, um die Keimhnge, welche aus l den in den Zwischenpausen zwischen den einzelnen Steiilisationen ausgekeimten Sporen hervorgingen, zu töten und auf chese inchrekte Weise die bei 100" nicht sterbenden Sporen zu vernichten, sich in der Praxis wohl wegen seiner Umständhchkeit nicht bewährt. Statt dessen wendet man einmal Temperaturen von 102 bis 105" an. Aus den Untersuchungen über Hitzeresistenz der Bakteriensporen und aus den Erfahrungen I über sonstige Nahrungsmittelkonservierung I ist bekannt, daß man auf chese Weise keine absolut sicher sterile Milch erhalten kann, wenn auch viele Flaschen der so hergestellten sterilen Milch bei geeigneter Aufbewahrung sich dauernd halten. Besser ist es auf längere Aufbewahrung sterihsierter Milch überhaupt zu verzichten und bei niederer Temperatur pasteurisierte, von pathogenen Bakterien befreite Milch bei möglichst niedriger Temperatur aufzubewahren und möghchst schnell zu verbrauchen. Dasselbe gilt für die im Haushalt auf 100" erhitzte, also auch nicht völhg sterile Milch. Für Kinderernährung ist außer der Ab- tötung der eigenthch pathogenen Bakterien auch die der milchsäurebildenden Bakterien wichtig, weil sauer werdende Milch zu schweren Verdauungsstörungen der Kinder I führt. Hierauf und auf che Schwächung j des kindhchen Organismus durch die Hitze j sind viele Erkrankungen der Kinder jim Sommer zurückzuführen. Tötet man I aber die Milchsäurebakterien der Milch durch kurzes Erhitzen derselben ab, so keimen I am Leben gebliebene Bakteriensporen I ans und die Keimlinge vermehren sich nun um so stärker, weil die ihre Entwickelung sonst verhindernde Milchsäure in der Milch infolge Abtötung der milchsäurebildenden Bakterien fehlt. Diese in solcher pasteuri- sierter Milch sich entwickelnden Bakterien produzieren nun Stoffwechselprodukte, die für den kindlichen Verdauungsapparat sehr gefährhch sind. Deshalb darf pasteuri- sierte oder im Haushalt aufgekochte Kinder- milch nicht lange, besonders nicht in hoher, die Bakterienvermehrung fördernder Temperatur aufbewahrt werden. Selbstverständlich wird die Sterihsierung und Pasteurisierung der Milch ganz wesent- lich durch eine möglichst saubere Gewinnung derselben erleichtert und unter Berücksich- tigung dieses Umstandes und der bakterio- logischen Untersuchungen über Sterili- sation gelingt es doch sicher sterihsierte Milch herzustellen. So berichtet Flügge in seinen Untersuchungen über ]\Iilchsterili- sation, daß die Molkerei Waren in Mecklen- burg sicher sterihsierte Milch herzustellen verstehe und auch Milch, der er absieht- Gärimg (Milch, Butter, Käse) 529 lieh besonders schwer durch Hitze abzu- tötende Bakterien eingeimpft habe, sicher sterihsiert habe. Um zu erkennen, ob eine Milch ge- durch Tuberkelbakterien wird dadurch vor- gebeugt, daß man mittels Impfung mit Tuberkulin die tuberkulösen Kühe, welche auf solche Impfung reagieren, heraussucht kocht wurde oder nicht, bezw. ob sie auf und unschädUch macht, die Kälber aber 80" erhitzt wurde oder nicht, benutzt man mit pasteurisierter und deshalb tuberkel- die Zerstörung der in der Milch enthaltenen bakterienfreier Magermilch aufzieht, Enzyme durch die angegebene Temperatur, wobei man die Enzyme durch Frrben- reaktionen nachweist. So entsteht nach Von menschlichen Krankheiten werden be- sonders Diphtherie, Scharlach, Typhus und Tuberkulose leicht durch Milch Storch auf Zusatz von Paraphenylen- und Molkereiprodukte übertragen, diamin und Wasserstoffsuperoxyd in wenn im Haushalt des Milchpioduzenten ungekochter oder nicht auf 80" erhitzter oder unter den Personen, welche mit der Milch eine blaue Färbung. Du Koi und Köhler empfehlen ein billigeres und halt- Milch beschäftigt sind, eine der genannten Krankheiten herrscht. Sorgfältige Ueber- bareres Mittel für denselben Zweck, nämlich j wachung auch des Wassers, welches zum Jodkaliumstärkekleister. Dieser wird i Spülen der Milchbehälter dient, ist in solchen in ungekochter Milch tiefblau gefärbt, weil j Fällen sehr nötig. Zu beachten ist auch, die Milchenzyme aus dem zugesetzten i daß in Sammelmolkereien eine Milch- Wasserstoffsuperoxyd Sauerstoff frei i portion, welche pathogene Bakterien ent- machen und dieser Jod in Freiheit setzt, hält, die ganze Milchmenge, welche in der Auch Guaiaktinktur wird zur Unter- j Molkerei gemischt wird, infizieren kann. Scheidung roher und gekochter Milch emp- [ Eine Pasteurisierung solcher Mischmilch, fohlen. Da die vöUige Sterilisierung der Milch schwierig und unsicher ist, empfiehlt sich zur dauernden Aufbewahrung mehr die kondensierte Milch, welche durch Ein- dampfen im Vakuum hergestellt wird. Sie erhält meist einen Zuckerzusatz, worauf auch der von den Molkereien abgegebenen Magermilch, ist deshalb sehr nützlich. Unter den pathogenen Bakterien sind am häufigsten in Milch die Tuberkelbakterien entsprechend der großen Verbreitung der Tuberkulose unter dem Rindvieh, von dem nach der Schlachthofstatistik etwa 20% das Produkt ohne weiteres haltbar ist, weil der erwachsenen Tiere tuberkulös befunden in so konzentrierten Medien Bakterien und : wurden. Deshalb ist der Nachweis dieser ähnliche Organismen nicht gedeihen. Unter- läßt man den Zuckerzusatz, so ist die kondensierte Milch nur nach erfolgter Sterilisation haltbar. 4. Krankheiterregende Bakterien in Milch, Sehr wichtig ist die Uebertragung von menschlichen und tierischen Ivrank- Bakterien in Milch von Interesse. Die Tuberkelbakterien unterscheiden sich von den meisten anderen Bakterien dadurch, daß sie Anilinfarben schwer aufnehmen und diese nachher selbst an saure Entfärbungs- mittel schwer wieder abgeben. Solche Säurefestigkeit kommt aber auch einigen heiten durch die ungekocht genossene Milch anderen, in Milch vorkommenden Bakterien und die daraus hergestellten Prodiikte. zu, so daß nicht der Färbeversuch, sondern Von tierischen Krankheiten sind in dieser ! nur der Impfversuch sicher entscheidet, ■o:_,,....-^ „„^:.i-„,;„u. ^r„„i 1 T-i„„„„ ^^ ^j^^^ ^jjj^j^ Tuberkelbakterieu enthält. 5. Milchsäurebakterien der Milch, Der wichtigste und regelmäßigste Bestandteil der Flora gewöhnlicher Milch sind die Milchsäurebakterien, welche aus dem Milchzucker der Milch Milchsäure bilden und die Milch dadurch sauer machen, wor- auf dann ein Dickwerden der Milch durch Ausscheidung des Caseins durch die Milch- säure folgt. Näher wird auf die Einzel- heiten der Milchsäuregärung in einem anderen Abschnitt dieses Artikels (S. 519) eingegangen. Hier sei nur erwähnt, daß in Milch zahlreiche verschiedene Arten oder Abarten von Milchsäurebakterien auf- gefunden wurden, die sich nach ihrem Luft- bedürfnis, der x\rt der gebildeten Milch- säure und den Temperaturansprüchen unterscheiden. Wichtig ist vor allem das von Deich mann sehr regelmäßig in saurer Rechtsmilchsäure pro- 34 Richtung gefährhch: Maul- und lOauen Seuche, Euterentzündung (Mastitis), Enteritis und vor allem Tuberkulose, bezügUch welcher letzteren Krankheit allerdings R. Koch die Ansicht aufgestellt hat, daß die tierische Tuberkulose und ihr Erreger mit der menschlichen nicht identisch sei und also keine Gefahr der Ansteckung des Menschen mit tierischer Tuberkulose bestehe. Demgegenüber behauptet von Behring, daß die Hauptursache der weiten Verbreitung der Tuberkulose, auf welche Krankheit etwa der 7. Teil aller mensch- lichen Todesfälle zurückzuführen ist, in der Säuglingsmilch liege, welche Rinder- tuberkelbakterien enthalte. Ehe diese Streitfrage völlig entschieden ist, ist es ratsam Vorsicht walten zu lassen und besonders Kinder nur mit abgekochter oder wenigstens auf 80° erhitzter Milch zu ernähren. Einer Verunreinigung der Milch ' Milch beobachtete, Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV. 530 Gärung (Milch, Butter, Käse) diizierende Bacteriuin lactis acidi, welches in den tieferen Schichten der Milch gefunden wird, auch bei völligem Luft- abschluß noch gärt und durch reichlichen Luftzutritt in der Milchsäurebildung stark geschädigt wird. In den oberen, dem Luft- zutritt besser ausgesetzten Milchschichten findet man dagegen andere Milchsäure- bakterien, welche für die Milchsäurebildung in Milch weniger wichtig sind. Die Er- klärung für die Beobachtung von Günther und Thierfelder, daß in spontan säuernder Milch meist inaktive Milchsäure vorkommt, während das erwähnte Bacterium lactis acidi, die wichtigste Milchsäurebakterie der sauren Milch, Rechtsmilchsäure macht, gab Leichmann durch die iVuf findung eines Micrococcus in spontan säuernder Milch, welcher Linksmilchsäure bildet. Hält man Milch bei höherer Temperatur (44 bis 52*' C), so tritt Milchsäurebildung durch morphologisch von den Milchsäure- bakterien der spontan säuernden Milch verschiedene schlanke Stäbchen ein. 6. Butterbereitung. iVußer für das Sauer- werden der Milch haben die milchsäure- bildenden Bakterien Bedeutung für die Herstellung der Sauerrahmbutter, welche zum Unterschied von der in Süd- deutschland verbreiteten Süßrahmbutter aus durch Milchsäurebildung gesäuertem Rahm hergestellt wird. Um die Säure- bildung im süßen Rahm zu sichern, setzt man schon lange einen Säure weck er in Form von Buttermilch oder saurer Milch zu. Jetzt verwendet man zu diesem Zwecke besser Reinkulturen ausgewählter Milch- säurebakterien, die im Handel zu haben sind. Solche Reinkulturen erteilen der Butter einen reineren Geschmack und größere Haltbarkeit. Deshalb werden sie von großen Molkereien vielfach, so nach Weigmann in Dänemark und Schweden ziemlich allgemein, in Schleswig Holstein in etwa 80'7o aller Molkereien, bei der Buttorfabrikation angewandt, weil sie die Herstellung eines gleichmäßigen Pro- duktes sichern und vor Butter fehlem, d. h. dem Auftreten von Geschmacksfehlern, die durch Ausbreitung schädlicher Organis- men hervorgerufen werden, schützen. Hand in Hand mit der Anwendung dieser Rein- kulturen muß die Pasteurisierung des Rahmes gehen, um ungünstig wirkende Bakterien aus dem Rahm zu entfernen. Gleichzeitig wird dabei die Abtötung pathogener Bak- terien im Rahm erreicht, welche nicht un- wichtig ist, weil z. B. Tuberkelbakterien beim Zentrifugieren der Milch zum großen Teile in den Rahm gehen. Als Pasteurisier- temperatur für den Rahm kann man bei der Butterbereitung unbedenklich 95" wählen, weil ein etwa auftretender leichter Ivoch- geschmack nachher bei der Säuerung des Rahmes verschwindet. Diese Anwendung von ausgewählten I Milchsäurebakterien sichert also einen I reinen Geschmack, sie erzeugt aber nicht I das eigenartige Aroma vorzüglicher Butter, welches sich durch Buttermilch und andere Säurewecker aus vorzüglichen Molkereien erreichen läßt. Dieses Aroma wird ebenfalls durch Bakterien und ähn- liche niedere Organismen hervorgebracht, von denen man schon eine ganze Anzahl kennt. Man konnte aber noch nicht durch Anwendung einzelner solcher Bakterien oder Hefen das volle Butteraroma im praktischen Betriebe hervorbringen. Viel- leicht muß man zu diesem Zwecke erst die richtige Kombination verschiedener aromabildender Organismen finden. Das von niederen Organismen in Butter ge- bildete Aroma setzt sich jedenfalls aus verschiedenen Teilen zusammen. Und zwar soll es sich dabei einerseits um eine Bildung von Alkohol durch Bakterien oder Hefen aus dem Milchzucker, zweitens um damit zusammenhängende Esterbildung durch Bakterien, dann aber auch um Tätig- keit eiweißspaltender Bakterien und mög- licherweise auch um fettspaltende Prozesse handeln. Schließlich ist auch nicht zu vergessen, daß das Butterfett auch ein von der Fütterung und anderen Umständen abhängendes Eigenaroma besitzt. Die Verhältnisse liegen also ähnlich wie beim : Wein, dessen Bouquet in erster Linie von I der Rebe stammt und von deren Stand- I ort, Rasse usw. wesentlich bedingt ist. j Zweitens beeinflussen aber auch die den j Most vergärenden Hefen das Bouquet des Weins in gewisser Beziehung. Einer der bekanntesten Butterfehler ist das Ranzigwerden, wobei die Butter den bekannten, schlechten Geschmack annimmt. Diese Geschmacksveränderung scheint von dem Freiwerden von Säure aus den Glyceriden i des Butterfettes oder Bildung von Butter- i säureäthylester abzuliängen, jedoch geht die Stärke des ranzigen Geschmackes nicht mit der Menge der freien Säure parallel. Früher schrieb man der Luft und dem Licht große Bedeutung für das Ranzigwerden der Butter zu. Jetzt hat man festgestellt, daß das Licht der Butter nicht einen ranzigen, sondern einen talgigen Geschmack bei Luft- zutritt durch Oxydation der Fettsäuren verleiht, während die Luft nur dadurch, daß sie Mikroorganismen das Leben mög- lich macht, die Butter ranzig werden läßt. Zahlreiche fettspaltende Organismen sind aus ranziger Butter gezüchtet worden. j 7. Käsebereitung. Zum Zwecke der j Käsebereitung läßt man das Casein der Milch entweder durch Milchsäurebildung Gärung (Milch, Butter, Käse) 531 koagulieren und ausscheiden. So entstehen die bekannten Sauermilchkäse, wie Harzkäse, Mainzer Käse usw., oder man fällt das Casein aus süßer Milch mit Lab, einem in der Magenschleimhaut der Tiere und Menschen vorkommenden, auch von vielen Pflanzen, sowie Bakterien gebildeten Enzym. So entstehen Weichkäse, wie Camembert, Brie usw., und Hartkäse, wie Schweizer, Holländer, Tilsiter usw. Je nach der Art des Käses wird er aus Mager- milch, Vollmilch oder mit Rahm versetzter Vollmilch bereitet. Das durch Milchsäure oder Lab gefällte Casein stellt eine weiße, bröckelnde Masse dar, die als Käse erst einen Reifungsprozeß durchmachen muß, in dessen Verlaufe sie gelblich durchscheinend wird, schließlich auch in manchen Fällen zerfließt. Die Ausfällung des Caseins durch Milchsäure erfolgt in anderer Weise wie durch Lab. Das Casein ist in der Milch als Säure an Kalk gebunden; entsteht in der Milch Milchsäure, so wird die Verbindung zwischen Casein und Kalk gelöst und das Casein scheidet sich aus, wobei es eben- falls Milchsäure bindet. Durch das Lab- enzym wird der Caseinkalk der Milch in Paracaseinkalk übergeführt und dieses fällt dann sekundär aus, weil es in den Kalksalzlösungen, die einen Bestandteil der Milch bilden, unlöslich ist. Hier sei auch erwähnt, daß das Erhitzen der Milch, wie es beim Pasteurisieren und Sterili- sieren geübt wird, die Labungsfähigkeit der Milch beeinträchtigt, was ent- weder mit einer LTeberführung löslicher in unlösliche Calciumsalze speziell Calcium- phosphate oder einer Abnahme des Säure- grades der Milch durch Austreibung der Kohlensäure oder mit einer Veränderung des Caseins zusammenhängen soll. Jeden- falls kann die Labungsfähigkeit er- hitzter Milch wieder hergestellt werden durch Zuführung von Kohlen- säure oder Phosphorsäure oder von löslichen Kalksalzen, z. B. Chlorcalcium. Diese Mittel sind denn auch benutzt worden, um in der Käsereipraxis durch Erhitzen pasteurisierte Milch laben und zur Käsebereitung ver- wenden zu können. Die Reifung des Quarkes, aus dem der Käse bereitet wird, erfolgt entweder von außen nach innen, wobei in der Mitte längere Zeit noch ein weißer unveränderter Kern bemerkbar ist, wie bei Sauermilchkäsen, z. B. Harzkäse, oder bei Labweichkäsen, z. B. Camembert. Oder die Reifung er- folgt z. B. bei Emmentaler Käsen durch die ganze Käsemasse hindurch gleich- zeitig. Hiergegen sprechen freilich Versuche von Schaff er, der Emmentaler Käse mit Röntgenstrahlen durchleuchtete und die Bildung der Löcher im Käse, die gleich- zeitig mit der Zunahme der Lichtdurch- lässigkeit infolge von Reifung auftreten, vom Rande des Käses her zuerst nach- weisbar und dann erst nach der Mitte zu fortschreitend fand. Andererseits spricht aber für die Unabhängigkeit der Hartkäse- reifung vom Luftzutritt der Umstand, daß nach Freudenreich Emmentaler Käse auch bei Luftabschluß reifen. Die Reifung ist natürlich im wesentlichen eine Umwandlung des Caseins zuerst in Albu- mosen und Peptone, dann in Aminosäuren usw., folgt also im wesentlichen dem Gang der Proteinverdauung oder Proteinfäulnis, wie sie Eiweißstoffe des Pflanzen- oder Tier- reiches überhaupt unter dem Einfluß von Enzymen, die von höheren oder niederen Wesen gebildet werden, bei ihrem Abbau durchmachen. Dabei spielt auch die Ent- stehung von allerhand Geruch- und Ge- schmackstoffen, die für das Aroma der be- treffenden Käsesorte von Belang sind, eine große Rolle: auch Spaltungsprozesse des Milchfettes sind hierbei beteiligt. Typische Produkte weitergehender Fäul- nis, wie Indol, Ammoniak, Schwefelwasser- stoff, kommen in manchen Käsesorten wie Limburger vor, denen sie dann ihren cha- rakteristischen Geruch verleihen. In seltenen Fällen enthält Käse wohl auch einmal ge- fährliche Fäulnisgifte. Verschiedene Ansichten sind über die Herkunft der caseinlösenden Enzyme im reifenden Käse geäußert worden. Man glaubte, daß die in der Milch vor- kommende Galaktase und das im Lab enthaltene Pepsin die Käsereifung be- wirkten. Mehr und mehr ist man aber dann zur Ueberzeugung gelangt, daß niedere Organismen, Pilze, Helfen und Bakterien sowohl durch Enzymbildung wie durch andere Umsetzungen die Hauptrolle bei der Käsereifung spielen. Dafür sprach schon die Beobachtung, daß Käse aus ge- kochter oder infolge reinlicher aseptischer Gewinnung sehr bakterienarmer Milch nicht oder sehr langsam reifen. Wichtig für den Gang und das Tempo der Caseinumwandlung im reifenden Käse ist die Milchsäure, welche in den aus saurer Milch bereiteten Sauermilchkäsen schon vorhanden ist, in allen Labkäsen zu Beginn der Käsereifung aus dem Milchzucker der im Käse eingeschlossenen Molke durch Gärung entsteht. Diese Milch- säure ist sehr wichtig für die Käsereifung, weil viele Bakterien durch diese Säure wie überhaupt durch saure Reaktion des Nähr- bodens in ihrer Entwickelung nieder- gehalten werden. Deshalb hindert die Milch- säure in der Käsemasse die Ausbreitung der 34* 53:; Gärung (ililcli, Butter. Käse) •Bakterien, welche Fehler des Geschmackes und des Aussehens im Käse erzeugen; sie sorgt außerdem dafür, daß der Abbau des Caseins durch Bakterien nicht zu weit geht und bis zu den letzten Stadien der Fäulnis vorwärtsschreitet. Die Gegenwart der Milchsäure fördert andererseits auch die Tätigkeit mancher caseinabbauender En- zyme, für welche eine gewisse Wasserstoff- iönenkonzentration günstig ist. Die Menge der im Käse entstehenden Milchsäure ist abhängig von der Milchzucker- menge, welche die Käsemasse bei Bereitung des Käses einschließt. Weichkäse enthalten { davon mehr, weil die Masse, aus denen sie \ geformt weiden, molkenreicher ist. Bei Her- 1 Stellung von Hartkäsen wird das Casein, der ,, Bruch", durch Anwendung höherer Labtemperatur und größerer Labmengen als festeres Koagulum ausgeschieden und nachher durch Zerkleinern und Nach- wärmen noch zum weitergehenden Aus- scheiden der Molke und damit des Milch- zuckers veranlaßt. Deshalb entsteht im Hartkäse weniger Milchsäure. Neben Milchsäuregärung geht auch Buttersäurebildung durch Bakterien in den Käsen her, die sich bei der Geruchs- und Geschmacksbildung und an der Lösung des Caseins beteiligt. Audi der milchsaure Kalk im Käse wird unter Bildung flüchtiger Fettsäuren, durch Bakterien weiter umge- wandelt, was ebenfalls von Bedeutung für die Bildung des Aromas und des Geruchs im Käse ist. Die Caseinlösung und die damit ver- bundene sichtbare Reifung des Käses hat nach dem Obengesagten zur Vorbedingung eine Zerstörung oder Neutralisation der Milchsäure. Diese wird bcAvirkt durch Pilze, welche die Milchsäure veratmen und durch ammoniakbildende Bakterien, welche sie neutralisieren. Die betreffenden Pilze sehen wir z. B. als das bekannte Penicillium glaucum, den gewöhnlichen grünen Schimmel, und als Oidiuni lactis, den weißen Schimmel, der so häufig die Rahm- schicht von Sauermilch überzieht, auf Käsen, besonders Weichkäsen, auftreten. Diese Pilze verzehreu, als luftbedürftige Organismen von außen nach innen vor- dringend, die Milchsäure im Käse und des- halb folgen in derselben Richtung die casein- lösenden Reifungsbakterien und der Käse reift, wie oben besprochen, von außen nach innen. In den Hartkäsen ist diese Ver- zehrung der Milchsäure von geringerer Bedeutung für den Gang der Reifung, weil in diesen Käsen, wie bemerkt, wegen ihrer Molken armut weniger Milchsäure sich bildet. Deshalb reifen diese Käse in der ganzen Masse ziemlich gleichmäßig und nicht von außen nach innen. Immerhin ist die Ein- haltung der richtigen Säurebildung in der Emmentaler Käserei z. B. doch von großer Bedeutung, weil bei zu hoher Säure die Käsemasse weiß bleibt und nicht reift, bei zu geringer Säure Caseinfäulnis ein- treten kann. Auch die Pilze beteiligen sich manchmal in nicht geringem Grade an der Casein- lösung. Oidiuni lactis zeigt dieses Pep- tonisierungsvermögen auf Gelatinekulturen auch sehr deutlich und verrät sich als Käse- reifungsorganismus durch den käseartigen Geruch solcher Kulturen. Besonders bei Camembertkäse wird dem Oidiuni starke Beteiligung an der Aroma- und Geschmacks- bildung nachgesagt. Penicillium glaucum machte nach Teich er ts Versuchen 777o der Milchproteinstoffe löslich, wovon 70% Amidsubstanzen waren. Ein scharf am- moniakalischer Geruch tritt bei Kultur dieses Pilzes auf Milch auf. Auch auf das Fett wirken die Schimmelpilze und machen Fettsäuren frei, bilden Ester und beein- flussen so das Käsearoma. Sehr bekannt ist das regelmäßige Vor- kommen des Penicillium glaucum im Roquefortkäse, dessen scharfen Geschmack er verursacht. Der Pilz wird in diesem Käse absichtlich gezüchtet. Vielleicht ver- leiht dem echten Roquefort eine besonders leistungsfähige Spielart dieses Pilzes seinen hohen Wert, ähnlich wie man in edlen Weinen oder besonders berühmten Wein- bergen besonders gute Hefen findet. Der eigenartige Geschmack des Roquefort tritt erst auf, wenn sich die grünen Sporen des Pilzes gebildet haben. Sehr gefördert wird die Aromaprodiiktion dieses Pilzes im Roquefortkäse, die auf der Bildung von Amyl- und Aethylestern beruht, durch gleichzeitiges Wachstum von Oidium. Auch Hefen, die man in Milch, Butter und Käse oft sehr häufig und zwar besonders in milchzuckervergärenden Varietäten findet, sollen den Geselunack von Käse beeinflussen. So berichten E ekles und Rahn, daß eine ! Hefe mit Oidium zusammen den Harz- : käsegeruch erzeuge. Aehnliches ist für ' Weichkäse angegeben worden. Aus dem Gesagten folgt, daß Reifung und Aroma- bildung im Käse das Werk einer größeren Anzahl zusammen arbeitender niederer Organismen ist. Je nach der Zusammen- I Setzung dieser Gesellschaft von Organismen, j die an Orten, wo berühmte Käsequalitäten : erzeugt werden, vielleicht eine besonders günstige ist und je nach den Lebensbe- . dingungen derselben, die von der Bereitung des betreffenden Käses und seinen Roh- materialien abhängt, entstehen die ge- schmacklich verschiedenen Käse. Gärung- (]\lilc-h, Butter, Käse — Eiweißgärung) 533 Literatur. A. Koch, Jahresbericht über die Fort- schritte in der Lehre von den Gärungsorganismen und Enzymen. Leipzig seit 1890. — Lafar, Handbuch der technischen Mykologie, Bd. 2. Jena 1905 bis 1908. — Löltnis, Handbuch der land- wirtschaftlichen Bakteriologie. Berlin 1910. A. Koch. e) Eiweißgärung. 1. Umgrenzung des Begriffes Eiweißgärung. 2. Allgemeines über den derzeitigen Stand der Forschung. 3. Begriff der Fäulnis. 4. Allgemeines über die Bildung der Fäulnisprodukte, a) Fäulnis- gase. b)Indol-und Skatolbildung. c) Aromatische Fäulnisprodukte. d) Aliphatische Fäulnis- produkte, e) Fäulnisbasen im speziellen. 5. Fäulnisorganismen. a) Anaerobe Fäulnis- erreger, b) Bakterien der Proteusgruppe. c) Aerobe Fäulniserreger (Farbstoffbildende Bakterien. Bakterien der Coligruppe). 6. Fäul- nis verschiedener Substanzen. Allgemeine Bemerkungen. a) Fleisch- und Milchfäulnis, b) Darmfäulnis, c) Harnfäulnis. 7. Vergärung der Aminosäuren durch Hefen und Schimmel- pilze. I. Umgrenzung des Begriffes der Ei- weißgärung. Eine Definition der Bezeich- nunii; „Gärung" ist schon häufig versucht worden; nie ist man jedoch bisher zu einem einheitlichen Standpunkte gelangt. Der Laie versteht unter Gärung eine unter starker Gasabgabe vor sich gehende Zersetzung orga- nischer Substanz, die nach dem heutigen Stande der Wissenschaft immer durch Mikro- organismen veranlaßt sein muß; er denkt zuerst an die alkohoHsche Gärung, bei der die stürmische Entwickelung von Gasen am augenfäUigsten zutage tritt. Auch bei der Buttersäuregärung (und Zellulosegärung) macht sich noch eine deutliche Gasabgabe bemerkbar. Anders hegen die Verhältnisse schon bei der ,, Fäulnis", die keineswegs im- mer mit einer, schon ohne experimentelle Hilfsmittel wahrnehmbaren, Gasentwicklung einhergehen muß. Immerhin verlaufen zahl- reiche Fäulnisprozesse auch unter Gasabgabe, während bei anderen wenigstens geeignete Apparaturen zu beweisen gestatten, daß im Fäulnisprozeß immer Gase gebildet werden. Man ist daher völlig berechtigt die Eiweißzersetzung durch Mikroorganismen als Eiweißgärung zu bezeichnen, ohne der landläufigen Auffassung, über das, was eine Gärung sein soll, Gewalt anzutun. Die Wahl des Ausdruckes Eiweißgärung hat vor der Bezeichnung Fäulnis noch den Vorteil, daß sie allgemeiner ist, besonders da auch über die Definition der Fäulnis viel gestritten worden ist. Auf die Fäulnis werden wir noch eingehend zu sprechen kommen. 2. Allgemeines über den derzeitigen Stand der Forschung. Das Gebiet der Eiweißzersetzung durch Mikroorganismen gehört zu den verworrensten der biologischen Forschung. Es ist schwer unter den vielen sich widersprechenden Tatsachen die Wahl zu treffen, und man darf sich daher nicht wundern, wenn trotz der Forderungen dieses Wörterbuchs noch vieles als problematisch hingestellt wird, da wir nur so falsche An- gaben vermeiden können. Der Grund für den verhältnismäßigen Tiefstand der Fäulnis- forschung ist vielfältiger Natur. Ohne Frage setzt sich eine normale Eiweißgärung stets aus der Wechselwirkung verschiedener Mi- kroorganismen zusammen. Die gegenseitige Einstellung dieser muß nun von den ver- schiedensten Faktoren, wie Temperatur, Luftzutritt, Verdünnung, Anwesenheit von Kohlenhydraten usw. bedingt sein. Die Folge dieser Einflüsse ist, daß je nach Ueber- handnehmen der einen oder der anderen Art ein verschiedener Verlauf der Zersetzung des Eiweiß die Folge ist, bei dem dann ohne Frage auch verschiedene Abbauprodukte gebildet werden. Durch die Anwendung von Reinkulturen läßt sich diese Fehlerquelle ausschalten. Wir gelangen dann aber zu keiner natürhchen, sondern zu einer künst- lichen Fäulnis, die auf diese Weise einen ein- seitigen Weg nehmen muß. Immerhinist dieser Ausweg noch der am meisten versprechende. Bisher verfügen wir nur über eine geringe Anzahl von Fäulnisversuchen mit Reinkultur, und bei einigen sind wir nicht imstande zu sagen, ob die Bedingungen der Reinkultur in Wahrheit während der ganzen Dauer der Versuche innegehalten worden sind. Eiweiß- aufschwemmungen sind nänüich besonders schwer steril zu machen. Ein anderer Faktor hat jedocli noch weit mehr dazu beigetragen, die Ergebnisse der Eiweißgärungsforschung zu komplizieren. Er ist bedingt durch den Mangel der Einheit- lichkeit der angewandten Eiweißsubstanzen. Wie bekannt ist erst durch die neueste Ei- weißforschung ein einheithches Bild von der Zusammensetzung dieser hochmolekularen Naturprodukte erlangt worden. Man hat gelernt, Eiweißstoffe genügend zu reinigen und sie von anderen ihnen im natürhchen Zustand anhaftenden Substanzen zu befreien. Dieser Forderung ist von den Forschern, welche sich diesem komphzierten Gegenstande zuwandten, fast ausnahmslos nicht ent- sprochen worden. Man begnügte sich damit natürUches Material der Fäulnis auszusetzen und z. B. in gefaultem Fleisch nach den Zersetzungsprodukten zu fahnden. Die Ergebnisse einer derartigen Versuchsanstel- lungmußtenganz naturgemäß sehr wechselnde sein. Es bleibt also auf diesem Gebiet noch vieles zu tun übrig, bis wir zu einem einheit- lichen Bilde gelangen können.; Trotz alledem kann es uns gelingen, aus 534 Gänmg (Eiweißgärimg) der Fülle der Forschunosergebnisse ein Paar j Hierbei sind wir von der Annahme ausge- einheitliche Gesichtspunkte herauszuschälen, gangen, daß man jeden energischen Eiweiß- Wir wissen, daß das Eiweiß sowohl durch die | zerfall als Fäulnis bezeichnen dürfe. Dem rein chemische wie durch die fermentative ' kann jedoch verschiedenes entgegengehalten Hydrolyse in ganz bestimmte, chemisch werden: Einige haben die Bezeichnung einheitliche Stoffe zerlegt wird, und wir haben Fäulnis für die Zersetzung tierischer Pro- alle Veranlassung anzunehmen, daß auch | dukte reserviert und für die pflanzlicher die hydrolytischen Fermente der Fäulnis-; ,, Vermoderung" vorgezogen. Das Wesen der bakterien den gleichen Abbau vollziehen. Erscheinung ist jedoch, soweit es sich auf Die erste Phase (ier Eiweißgärung ist demnach die prinzipiell ja nicht verschiedenen Eiweiß- stoffe der Tier- und Pflanzenwelt bezieht, eine Proteolyse des Eiweiß, auf deren Wege Albumosen, Peptone und schließlich Amino- säuren als Endprodukte des rein hydroly- tischen Zerfalls gebildet werden. Je nach der Energie und der Dauer des Eiweißzerfalls lassen sich diese Produkte in größerer oder geringerer Menge nachweisen. Bei fort- schreitender Gärung werden sie weiter zerlegt und je nach ihrer Kesistenz von den Fäulnis- organismen schneller odei langsamer an- gegriffen. — Die zweite Phase des Vergärungs- nicht unterscheidbar. Pflanzenreste sind im allgemeinen reicher an Kohlehydraten als tierischer Abfall und daher muß ihre Zer- setzung in anderer Weise verlaufen, weil aus den Kohlehydraten Produkte saurer Natur gebildet weiden. Die Zerlegung des Pflanzen- eiweiß als solche kann aber sehr wohl als Fäulnis bezeichnet werden. Ferner hat man von der Fäulnis den Begriff der ,, Ver- wesung" abgetrennt, die bei Luftzutritt Prozesses dürfte ebenfalls fermentativer Natur und ohne diefürdieFäulnis als charakteristisch sein. Bisher ist es jedoch nicht gelungen, sie erachtete Verbreitung bestimmter Gerüche von den lebenden Zellen der Gärungserreger abzutrennen (ein Paar Versuche von Na- wiasky halte ich nicht für beweiskräftig) und unsere Annahme, daß hier rein kataly tische Prozesse im Spiele sind, ist etwas theoretischer Natur. Meist geht mit diesen Vergärungen der Aminosäuren eine Gasabgabe Hand in Hand, da unter Verkleinerung des Moleküls Kohlensäure abgespalten wird, häufig erfolgt auch Desamidierung, so vor sich gehen soll. Doch greifen diese beiden Prozesse ineinander ein. Die aeroben Fäul- niserreger bahnen häufig den Weg für die energischer wirkenden Anaeroben, indem sie das Medium für die luftscheuen Mikro- organismen vorbereiten; sie zerlegen die Eiweißstoffe in hochmolekulare Spaltungs- produkte, die dann von den Anaeroben weiter hydrolysiert und vergoren werden. Es arbeiten hier also zwei Prozesse ineinander, daß teilweise stickstoff-freie Endprodukte | die sich der Verdauung der Proteine im resultieren. Oxydationen wechseln mit l Magen und im Darm der Fleischfresser ver- Reduktionen, wodurch schließhch eine Ab- 1 gleichen lassen. Sprengung der Seitenketten an Benzolderi vaten erfolgt, und als Resultat bleiben Phenol, Indol usw. zurück. Diese Phase des Prozesses ist in Parallele zur Einwirkung von schmelzen- dem Alkali auf Eiweißstoffe 'gestellt worden Gerade ihr müssen wir ein besonderes teresse zuwenden, da es sich hier um ein- ^g,,„_-_ nntrpffpn heithche Prozesse handelt, deren Verlauf S' Ä.,?^n^fn t in letzter Zeit auf Grund einer festen che- ^^" fetanüpunkt, mischen Basis erschlossen worden ist. Da 4. Allgemeines über die Bildung der Fäulnisprodukte. Wenn eine Fäulnis sich in einem noch nicht stark fortgeschrittenen Stadium befindet, so ward man in ihr immer T ■ noch die rein hydrolytischen Spaltungspro- ^' dukte des Eiweißes," Peptone und Ämino- Wir stellen uns aber auf diese hydrolytischen Pro- dukte noch nicht als Fäulnisprodukte anzu- , ,. ^r .. , ^- ß , . „„ sehen. Fäulnisprodukte sind nach unserer nun aber die Vergärung der Eiweißabbau- Auffassung erst Körper, die aus den Hydro- produkte auch in unser Gebiet fallt, so i„_.,_^„,*f„„ ,i,„.„i! „,,,-+,rn «r^aitn,.«- ii dürfen wir hier nicht stehen bleiben, sondern wir müssen sie auch bei denjenigen Mikro- organismen verfolgen, die in der Natur Eiweiß selbständig zu hydrolysieren weit weniger Gelegenheit haben, denen aber Eiweißabbauprodukte zur Verfügung ge- stellt werden. Wir denken hier vornämlich an die gärenden Hefen, denen wir zum Ver- gleich noch die Wirkung von Schimmelpilzen an die Seite stellen. 3. Begriff der Fäulnis. Wir haben uns im gesagten schon mehrfach des Ausdruckes Fäulnis bedient, um der Allgemeinheit des Eiweißzeifalles gerecht zu werden. lyseprodukten durch weitere Spaltung her- vorgehen. Beim Fäulnisabbau der Aminosäuren kommen zwei prinzipiell verschiedene Wege in Betracht: 1. Die Bildung des um ein C-Atom ärmeren Amins! Dabei wird das end- ständige C-Atom abgespalten und zwar entweder in Form von Kohlensäure: R R CH.NH^^CHo.NH^+COg COOH Gärung (Eiweißgärung) 53r oder als Ameisensäure: K R CH.NH2 = CH0.NH2 + HCOOH C00H+2H Im zweiten Falle handelt es sich um einen reduktiven Prozeß. Die Aminbildung dürfte teils nach der ersten, teils nach der zweiten Formel erfolgen, denn sowohlCOawieHCOOH gehören zu den regelmäßigen Produkten der Fäulnis. Die Aminbildung ist bei fast allen Aminosäuren beobachtet worden, be- sonders bevorzugt wird sie beim Abbau der Diaminosäuren: Entstehung von Kada- verin und Prutescein(vgl.unten Fäulnisbasen). Sie wird im allgemeinen begünstigt durch die Anwesenheit einer anderen Stickstoffquelle wie Pepton, wenn die reinen Aminosäuren zur Vergärung gelangen. 2. Die Bildung der entsprechenden Fett- säure durch Abspaltung von NH3 unter gleichzeitigem Eintritt von Wasserstoff: reduktive Desamidierung. stehen hierbei Fettsäuren, worauf wir noch im einzelnen eingehen. Bei Luftzutritt, resp. bei Mitwirkung von aeroben Mikroorganismen (nicht aber bei der echten anaeroben Fäulnis) treten in der Regel zu dieser kombinierten Desamidierung und CO 2- Abspaltung auch noch oxydative Prozesse hinzu, die zu einerweiteren Ver- kürzung der C-Kette, zum Auftreten niederer Fettsäuren führen. Am besten studiert sind diese Vorgänge bei den aromatischen Aminosäuren. Aus Phenylalanin entsteht so die Phenylessigsäure. Noch weiter geht der Abbau beim Tyrosin, bei welchem der fortgesetzte Abbau "der Seitenketten schheß- lich zur Bildung von Phenol führt: R H C.NH2-i-2H = COOK CH-f NH3 COOH OH OH Aus den Aminosäuren der Fettreihe ent- stehen auf diese Weise die einfachen Fett- säuren: Essigsäure, Propionsäure, Isova- leriansäure, Isocapronsäure; auch die optisch aktive Capronsäure (d-Methyläthylpropion- säure) ist gefunden worden. Aus den aro- matischen Aminosäuren entstehen aroma- tische Säuren: Phenylpropionsäure, Oxy- phenylpropionsäure, Indolpropionsäure. Die analoge Zerlegung der zweibasischen Aminosäuren führt zur Entstehung von Dikarbonsäuren: die Bildung von Bernstein- säure aus Asparaginsäure ist tatsächhch nach- gewiesen. Dagegen wird Glutarsäure aus Glutaminsäure nicht gebildet. Die Zer- legung geht hier weiter bis zur Buttersäure. Die Bedingungen, von denen es abhängt, welcher der beiden Wege (Aminbildung oder Fettsäurebildung) bei der Fäulnis einge- schlagen wird, sind noch nicht genügend ge- klärt. Es kann das sowohl von der Art der betreffenden Mikroorganismen wie vom Nähr- boden abhängen. Sehr häufig kombinieren sich beide Arten des Abbaues, wobei NH3- Abspaltung, Reduktion und Verkürzung der Kette er- folgt. Ein Beispiel dafür ist die Methanbil- dung aus Glykokoll: CH2.NH2+2H=CH4+NH3+C02 CHo I CH- I COOH Tyrosin OH NH, OH GH, CHa COOH Oxyphenyl- propionsäure OH COOH Aus zweibasischen Aminosäuren ent- —> I I CH2 COOH Oxyphenyl- essigsäure CH, p-Kresol Phenol. Vollständig analog verläuft der Abbau des Tryptophans zum Skatol und Indol und des Cystins zum Merkaptan und Schwefel- wasserstoff, worauf wir noch zurückkommen. 4a) Fäulnisgase. Bisweilen hat man den fauUgen Geruch als charakteristisch für die Fäulnis angesehen. Ganz abgesehen aber von der Tatsache, daß der Fäulnisgestank bisher chemisch nicht scharf charakterisiert ist, kann er auch bei tiefgreifender Spaltung der Eiweißstoffe fehlen und im Gegensatz dazu bei unerheblicher Eiweißgärung auf- treten. Auch die Charakterisierung der Fäulnis durch bestimmte Endprodukte ist keine scharfe. Von gasförmigen Substanzen werden immer Kohlensäure, Wasserstoff, Ammoniak und Schwefelwasserstoff gebildet. Die Umwandlung des Aminostickstoffs in den Ammoniakstickstoff kann je nach der Anwesenheit verschiedener Gärungserreger mit wechselnder Intensität verlaufen. In 536 Grärung (Ehveißgärung) einzelnen Fällen wurden mehr als 50% des! wird auf Grund folgender Reaktionen ge- vorliandenen Stickstoffs in Ammoniak ver-l bildet: wandelt, so z. B. durch einen Stamm des Bac, mycoides Der Schwefelwasserstoff wird aus dem organisch gebundenen Schwefel des Eiweiß- molekülsgebildet, der zuerst in Form schwefel- haltiger Aminosäuren (Cystin) abgespalten werden dürfte. Daneben entsteht bisweilen in geringer Menge das Merkaptan. Der Abbau verläuft dem im allgemeinen Teil geschilderten analog: SH ! CH2 CH.NH. COOH Cvstein C-CH(COOH)CH2.NH2 CßH, CH NH Tryptophan C-CH.COOH.CH3 + 2H = CeH,< NH. CH, HoN-CH CH2 I CH.NH2 NH Skatolessigsäure C—CH.COOH.CH. Csh/Sch COOH COOH Cystin SH CH^ ^ CH3 COOH /S-Thiomilchsäure SH -" u - Methyl- merkaptan SH I > CH3 1 COOH Thioglycolsäure ► SH, Schwefel- wasserstoff NH Skatolessigsäure C-CH.COOH + 30 = CeHA >CH + C0.,+ H20. ; NH ! Skatolcarbonsäure Aus der Skatolkarbonsäure entsteht durch COg-Abspaltung das Skatol: C.CH, Methan tritt bisweilen auf; es entsteht, wie angeführt, aus dem GlykokoU. Freier Stick- stoff wird nur bei Gegenwart von Nitraten gebildet. 4b) Indol- und Skatolbildung. Be- sonders charakteristisch für die Wirkung einiger Fäulnis erregenden Bakterien ist die Indolbildung, die deshalb zur Differential- diagnose herangezogen wurde. So ist der Vibrio cholerae ein starker Indolbildner; auch der Coli-Bacillus bildet Indol, während vom Typhusbazillus, wenigstens in verdünn- ter Peptonlösung, kein Indol abgespalten wird. Ermöglicht wird die Differentialdia- gnose dadurch, daß das Indol mit salpe- triger Säure zu einem roten Farbstoff, dem Nitroindol, zusammentritt, der häufig schon auf bloßen Zusatz von verdünnter Schwefel- säure auftritt, weil in den gewöhnlichen Nährlösungen von vielen Bakterien salpe- trige Säure gebildet wird. Das Indol nimmt seinen Ursprung von einem Eiweißspaltungsprodukt, dem Trypto- phan (ß-Indol-a-aminopropionsäure). Es C6H4\ yCH und daraus durch Oxyda- NH CH tion das Indol: CoH^/^CH. NH Dadurch erklärt sich, daß das Indol häufig mit dem Skatol vergemeinschaftet er- scheint, so besonders bei der Fäulnis des Gehirns. Beide Substanzen riechen ekelhaft und verleihen dem Kote seinen Geruch. — Meist aber fehlen diese Produkte bei der echten Fäulnis. 4c) Aromatische Fäulnisprodukte. Die aromatischen Fäulnisprodukte gehen, soweit bisher bekannt, aus dem Tyrosin und dem Phenylalanin hervor. Der "Weg ihrer Entstehung ist im allgemeinen Teil angegeben worden. Ebenso wie aus Tyrosin Oxy- phenylpropionsäure und Oxyphenylessig- säure, entstehen aus Phenylalanin Phenyl- propionsäure und Phenylessigsäure. Phenyläthylamin und Oxyphenyläthyl- amin entstehen aus den entsprechenden Aminosäuren unter Kohlensäureabspaltung. Neuestens ist noch die Bildung von ^Ö-Imid- Gärung (Eiweißgärimg) 537 azoläthylaniin und Imidazolpropionsäure aus Histidin beseht leben worden. 4d) Aliphatische Fäulnisprodukte. Besonders gut sind wir über den Ursprung der bei der Fäulnis entstehenden Fettsäuren informiert. Es sind das neben der Ameisen- säure die Essigsäure, Propionsäure, Butter- säure, Valeriansäure und Capronsäure. Die Buttersäure wird in Gestalt der n-Butter- säure unter gleichzeitiger reduktiver Des- amidierung und Kohlensäure-Abspaltung aus Glutaminsäure gebildet: COOH COOH m. • CH2 CHa +2H >■ • + CO2 + NHa . CH2 CH.NH CH3 COOH Glutaminsäure n-Buttersäure. Die n-Buttersäure entsteht ebenso aus optisch-aktiver Glutaminsäure wie aus der razeraischen Glutaminsäure, die hierbei nicht asymetrisch angegriffen wird. Auf demselben Wege wird aus der Aspa- raginsäure und ihrem Amid, dem Asparagin, die Propionsäure gebildet, die auch durch einfache Desamidierung aus dem Alanin entstehen kann. Gleichzeitig ist die Aspara- ginsäure die Quelle für die Bernsteinsäure, üie aus ihr geljildet wird, wenn der Prozeß des Abbaus bei der Desamidierung anhält. Gerade die Bernsteinsäure wurde von man- chen als ein sehr charakteristisches Fäulnis- produkt angesehen, da sie verhältnismäßig bequem nachzuweisen ist. Die Valeriansäure liegt in Fäulnisge- mischen in Form der d-Methyläthylessig- säure vor, deren Ursprungssubstanz das Isoleucin ist. Fernerhin kann die Isovalerian- säure aus dem Vahn gebildet werden. Das Isoleucin ist auch die Ursubstanz für die optisch aktive Capronsäure der Fäulnis, die d-Methyläthylpropionsäure. Von beson- derem Interesse ist nun auch die Bildung der normalen Valeriansäure; denn diese Säure mit unverzweigter Kette geht aus dem Prolin (a-Pyrrolidincarbonsäure) unter Ring- sprengung hervor: CH2.CH2.CH2.CH.COOH ' — :vNH ' Prohn CHs.CHo.CHa.CHj.COOH <| n- Valeriansäure NHaCHa.CHo.CH^.CH^.COOH, 1_ ö-Aminovaleriansäure welche Reaktion wohl die erste klar erforschte Ringsprengung auf mikrobiellem Wege sein dürfte. In obiger Formel haben wir angedeutet, daß die Aminogruppe auch erhalten bleiben kann, wobei die ö-Amino valeriansäure als Fäulnisprodukt entsteht. Auf demselben Wege kann die Gegenwart von Pepton die Spaltung der Glutaminsäure' in }/-Amino- buttersäure veranlassen. Aehnhch wird unter Abspaltung der Aminogruppe und Dekarboxylierung aus dem Valin das Iso- butylamin und aus dem Leucin das Iso- amylamin gebildet, während die Herleitung des Methylamins aus dem Gly kokoll etwas zweifelhaft ist. 4e) Fäulnisbasen im speziellen. Letztere Substanzen gehören schon zu den Fäulnisbasen. Doch ist dieser Name im speziellen für die Ptomaine genannten Diamine reserviert worden, die vor allem durch das Cadaverin und das Putrescein repräsentiert werden. Das Cadaverin stammt aus dem Lysin, aus dem es durch Dekarboxylierung hervor- geht. CH2.CH2.CH2.CH2.CH.COOH NH2 NH2 Lvsin ^ CH2.CH2.CH2.CH,.CH2 +00^ NH2 NH, Cadayerin. Die Ursubstanz des Putresceins ist das Arginin. Dieses wird durch ein Ferment, die Arginase, in Harnstoff und Ornithin gespalten : NH = C.NH.CH2.CH,.CH,.CH.C00H I ^ 1 NH, Arginin NH. + H,0 H,N >C0 H^N^ Harnstoff -f NH2.CH2.CH2.GH2.CH.COOH i NH2 Ornithin. und aus dem Ornithin entsteht, in der gleichen Weise wie bei der Fäulnis von Lysin das Cadaverin, das Putrescein: CH2.CH2.CH2.CH.COOH NH., NH2 Ornithin CHj .CH^^.CHa .CH NH2 NH2 Putrescein. + C0, Bei letzterem Vorgange kann auch die 6-Aminovaleriansäure gebildet werden, der wir schon als Produkt der Fäulnis des Prolins 538 Gärung (Eiweißgärung) begegnet sind. Die beiden bisher genannten Fäulnisbasen sind im Gegensatze zu fiüheren Angaben kaum als giftig zu bezeichnen. Diese Eigenschaft kommt jedoch einigen aus Lecithin stammenden Fäulnisprodukten zu. Die Spaltungsprodukte des Lecithins 1 sind Fettsäuren, Glyzerinphosphorsäure und eine Base, das Cholin CH,(0H).CH2.N. (CHo)30H. Letzteres wird durch Oxydation in das Muscarin (CH3)30H.N.CH2.CH (0H)2 und das Betain COOH.CH2.N (GHaJa-OH verwandelt. Dem Muscarin kommen giftige Eigenschaften zu, ebenso wie dem aus dem Cholin unter Wasserabspaltung entstehendem Neurin CH2.CH.N(CH3)30H. 5. Fäulnisorganismen. An der Fäulnis der Eiweißstoffe können sich zahlreiche Mi- kroorganismen beteihgen; es ist ja bekannt, daß z. B. die Fähigkeit, die Gelatine zu spalten und zu verflüssigen, einem großen Teil der Kleinlebewesen zukommt. Jedoch lassen sich aus diesem Gewirr einzelne Arten absondern, die vornehmlich als Fäulniserreger in Frage kommen. Ln allgemeinen zer- setzen die Anaeroben die Proteine schneller und energischer als die Aeroben. Wir haben aber schon gesagt, daß diese beiden Klassen häufig zusammenwirken. Li welcher Weise das geschehen kann, wird bei der Beschrei- bung der Fäulnis verschiedener Stoffe er- örtert werden. Neben den echten Fäulnis- bakterien, die die Eiweißstoffe mit HiKe ihres hydrolytischen Fermentes angreifen, kennen wir noch solche, welche zwar die Proteine nicht direkt angreifen, die aber auf die proteinaitigen Spaltungsprodukte, die Albumosen und Peptone, weiter spaltend einwirken. Doch dürfte sich, ebenso wie zwischen den Anaeroben und Aeroben, eine scharfe Grenze nicht ziehen lassen: die An- gaben verschiedener Forscher haben hiei im einzelnen widersprechende Resultate ge- zeitigt. Besonders unbefriedigend sind auch die IJnterscheidungen zwischen Bakterien, welche nur Endoenzyme besitzen und solchen, die ihre tryptischeu Fermente an das Außen- niedium abgeben sollen! Hier fehlt noch eine scharfe experimentelle Grundlage, und bisweilen wird es gelingen einen Mikroorga- nismus, dem man die Fähigkeit, native Ei- weißstoffe anzugreifen, absprach, doch auf solchen Medien zum Wachstum zu bringen. So geschah es z. B. mit dem Streptococcus pyogenes und nach einer Angabe auch mit dem Coli-Bazillus. Geeignete Wachstums- bedingungen sindmitunterschwerzuschaffen ; gewiß werden manche der für den Angriff der Eiweißstoffe selbständig ungeeignet be- fundenen Bakterien die Zerlegung der Pro- teine doch vornehmen, wenn man ihnen durch die Beigabe von Pepton das anfängliche Wachstum ermöghcht. Bisher kann man die Fäulniserreger jedenfalls nicht scharf in proteolytische und peptolytische trennen. Die Prüfung gegenüber den synthetischen Polypeptiden wird auch hier, wie bei sonstigen fermenthaltigen Produkten, der Ausweg sein, um eine Neueinteilung vornehmen zu können. 5a) Anaerobe Fäulniserreger. Der wichtigste der anäroben Fäulniserreger ist der im Jahre 1899 von Bienstock entdeckte Bacillus putrificus. Er ist in Erde, faulendem Dünger und Kloakenjauche stets anzutreffen, fehlt nie bei der Fäulnis des Fleisches und ist der wichtigste Erreger der Leichenfäulnis. Der Bac. putrificus wächst in 5 bis 6/^ breiten, 0,8/t langen, schlanken Stäbchen mit vielen, peritrich angeordneten langen Geißeln; in Flüssigkeiten entstehen aueli lange Zellfäden. Bei 30 bis 40" bildet er ovale Endosporen, die in den Sporangien so angeordnet sind, daß Trommelschläger entstehen; sie können ohne Schädigung 3 Minuten lang in kochendem Wasser erhitzt werden. Bei Luftabschluß wächst das Bakterium in zuckerhaltigen und zucker- freien Medien unter starker Gasabgabe; je- doch vergärt es in Zucker nicht. Gelatine verwandelt es in eine faulig riechendeFlüssig- keit. Das von ihm abgeschiedene tryptische Ferment wirkt kräftig und verdaut "die Pro- teine bis zu den Aminosäuren. Pathogene Eigenschaften kommen dem Bac. putrificus im allgemeinen nicht zu Dasselbe kann man von dem ebenfalls Sporen bildenden Bac. perfringens sagen, der gleicherweise im Besitze eines energischen tryptischeu Fermentes ist. Dagegen gehören die ebenfalls Fäulnis hervorrufenden Bazillen des Oedems und des Rauschbrandes zu den Pathogenen. Unter den Anaeroben kommt noch der Bac. gracilis putidus als sporenloser Fäulniserreger in Frage, während sich der Diplococcus magnus anaerobicus zwar an der Fäulnis beteihgt, Eiweiß selbst aber nicht angreifen kann. 5b) Bakterien der Proteusgruppe. Die Bakterien dieser Gruppe können sowohl bei Anwesenheit wie bei Abschluß der Luft gedeihen. Sie haben ihren Namen wegen der Wandelbarkeit ihrer Zellformen erhalten, durch die sie sich besonders auszeichnen. Aus diesem Grunde ist auch die Arteinteilung schwierig. Der Hauptvertreter der Gruppe ist der Proteus vulgaris, jetzt meist als Bacterium vulgare bezeichnet. Seine Zellen haben meist eine Länge von 0,9 bis 1,2// und eine Breite von 0,4 bis 0,6//. Meist sind sie zu Paaren vereinigt. Neben diesen Kurz- zellen kommen auch solche von gestreckter Gestalt vor, die häufig eine Länge von 3,7/« erreichen. Besonders kräftige Zellen können auch bis zu einer Länge von 6//, und einer Breite von 0,9//, auswachsen. Das Bakterium ist mit zahlreichen peri- Gärung (Eiweißgärung-) 539 trieben Geißeln behaftet , die nicht nur schwimmend vorwärts streben, sondern auch eine Drehung um die Längsachse vermitteln. Stäbchenpaare beschreiben Doppelkegel, deren Scheitel an der Stelle des Zusammen- hanges liegt. Bezüghch der Bewegungsgröße übertrifft der Proteus alle anderen bekannten Bakterienarten. Selbst 5-prozentige Gelatine leistet den Schwärmern keinen genügenden Widerstand. Außer den genannten Zell- formen kommen auch andere vor, wie Spin- deln mit 2 bis 4 Windungen, Fadenzellen von einer Länge bis zu 100 fi, und endhch Spirulien, zu einer Schleife gebogene Fäden, deren beide Hälften zopfartig verflochten sind. Livolutionsformen besonders aus- geprägter Art werden häufig beobachtet. Sporen werden nicht gebildet. Der Proteus zerlegt nicht nur Eiweißarten, er vergärt auch Zucker, wie Glukose, Saccha- rose und Milchzucker zu organischen Säuren. Doch kommen auch Zucker nicht vergärende Stämme vor und andere, die zwar Glukose und Saccharose, nicht aber Milchzucker vergären. Bei den durch Proteus veran- laßten Fleischvergiftungen vermehren sich die Bakterien im Darmkanal und erzeugen Toxine, welche die entiritischen Erschei- nungen bewirken. 5c) Aerobe Fäulniserreger, a) Farb- stoff bilden de Bakterien. Unter den aeroben Fäulnisbakterien sind zuerst die farbstoffbildenden Arten zu nennen. Die wichtigsten sind hier der Bac. prodigiosus, Bac. fluorescensliquefaciens und pyocyaneus. Die blutroten Zooglöen des Bac. prodi- giosus sind für das ,, Blutigmachen" der Speisen verantwortlich. Sie haben so das ,, Wunderblut" der Hostien veranlaßt, dem im Mittelalter viele Menschen geopfert wurden. Aehnhch dem Bac. vulgare zeigt auch dieser Pilz eine ausgesprochene Variabihtät der Formengestaltung; in den übhchen schwach alkahschen Nährmedien treten kurze, fast kokkenartige Zellen auf, die je- doch beim Uebertragen in schwach saure Nährlösungen in langgestreckte Zellen und Zellfäden übergehen. Junge Zellen zeigen lebhafte Schwärmzustände. Gelatine wird verflüssigt. Doch ist das Peptonisierungs- vermögen großen Schwankungen unterworfen. Ebenso inkonstant ist die Fähigkeit Zucker zu vergären und Gase zu bilden. Die Koagu- lation des Caseins der Milch wird besser auf die Säurebildung als auf Labproduktion zurückgeführt. Auch bezüghch des Farb- stoffbildungsvermögens waltet eine ausge- sprochene Variabilität, die in bestimmter Weise durch die Ernährung beeinflußt wer- den kann. Pathogen wird das Bakterium nur bei künstUcher Einverleibung. Auf gekochten Nährmedien aller Art wächst es in roten Zooglöen, die sich im Sommer oft unangenehm bemerkbar machen. Die Farbstoffbildung kommt nur bei niederer Temperatur vor, während das nahe verwandte B. kiliense auch bei 37 bis 390 Farbstoff bildet. Der häufig in faulenden Stoffen aufge- fundene Bac. fluorescens hquefaciens führt seinen Namen, weil er in Laboratoriums- nährböden einen grün fluoreszierenden Farb- stoff bildet und Gelatine verflüssigt. Er ist in der Natur weit verbreitet und ein bestän- diger Bewohner des Wassers und des Bodens. Er wächst in schlanken Stäbchen und längeren Fäden von 0,4/i Breite und 1,4 bis 6^ Länge. Die Bewegung wird durch eine polare Geißel veranlaßt. Sporen werden nicht gebildet. Das Milchcasein peptonisiert der Pilz, ohne es vorher zu fällen. Zucker wird nicht ver- goren, dagegen Harnstoff. Sehr ähnhch ist ihm der Bac. pyocyaneus, der jedoch in der Natur weit weniger ver- breitet ist, im Gegensatz zum Fluoreszens aber ausgesprochen pathogene Eigenschaften hat. Dementsprechend gedeiht der Pyocy- aneus auch besser bei 37", der Fluoreszens bei niederer Temperatur. Seine Gestalt und seine chemische Wirksamkeit sind sonst die gleichen. Neben dem fluoreszierenden Farbstoff bildet er noch ein blaues Pigment, das durch Ausschütteln mit Chloroform in Gestalt eines kristallisierenden Farbstoffes, des Pyocyanins, dargestellt werden kann. Da man den Fluoreszens durch Züchtung bei erhöhter Temperatur ebenfalls zur Ab- scheidung des blauen Farbstoffes bringen kann, darf man annehmen, daß der Pyocya- neus eine angepaßte pathogene Rasse des Fluoreszens ist. Neben diesen gibt es noch zahlreiche andere farbstoffbildende und Gelatine ver- flüssigende Bakterien, die hier jedoch nicht alle aufgezählt werden. ß) Bakterien der Coli-Gruppe. Der hauptsächlichste Darmbewohner des Men- schen und der Tiere ist das Bacterium coli commune, das auch in faulenden Stoffen häufig vorkommt. Gelatine wird von ihm nicht verflüssigt und der Coli-Bazillus gehört überhaupt nicht zu den Vergärern unpepto- nisierten Eiweißes. Jedoch kennen wir eine Angabe, daß das Bact. coli Casein in löshche Produkte zersetzen soll. Für gewöhnlich greift er jedoch nur Eiweißabbauprodukte an, wie sie ja im Darm vorhanden sind. Glu- kose und Saccharose werden unter kräftiger Gasbildung vei goren, während die Fähigkeit Milchzucker zu vergären auf laktosehaltigen Nährböden erworben werden kann. Man spricht dann vom Bact. coli mutabile, wegen seiner mutierenden Eigenschaft. 540 Gärung (Eiweißgärung) Das Coli-Bakterium ist der Haupt- repräsentant einer Gruppe darmbewohnen- der Bakterien, zu deren weiteren Ausläufern auch der Paratyphus und schließlich der Typhus-Bazillus "gehören. Der Paratyphus- bazillus ist wegen der akuten Fleischver- giftungen bemerkenswert, die durch seine giftigen Stoffwechselprodukte veranlaßt werden. Er gehört in gewissem Sinne also auch zu den Fäulniserregern. In der Coli-Bazillusgruppe handelt es sich um plumpe an den Ecken abgerundete Kurzstäbchen von lAfi Länge und einer durchschnittlichen Breite von 0,5«. Auf Nährböden tritt zuweilen Fadenbildung ein, nie dagegen Sporenbildung. Einige Arten sind schwach beweglich und besitzen wenige kurze peritriche Geißeln, die meisten sind un- beweglich und geißellos. Das Wachstum ist aerob oder anaerob, in letzterem Falle unter Gasbildung. Für Tiere ist beim Coli-Bacillus Pathogenität nur beikünsthcherEinverleibung zu beobachten, beimMenschenkann er der Er- reger von Eiterungen, Darmkatarrhen und Entzündungen der Gallenwege sein. Auch er kann Fleischvergiftungen erregen. Weit ge- fährlicher ist jedoch hierbei der Bacillus botulinus, der sich in Fleischwaren, be- sonders Würsten, bei Luftabschluß entwickelt, im Körper aber keine Vermehrung erfährt. 6, Fäulnis verschiedener Substanzen. Auf den Verlauf einer Fäulnis können haupt- sächlich zwei Umstände von Einfluß sein, der größere oder geringere Luftzutritt und die Reaktion des Mediums. Nach dem vorher Gesagten wird man sich über die Bedeutung des Sauerstoffzutritts schon ein einigermaßen klares Bild machen können. Selbst wenn die Luft von vornherein nicht abgeschlossen ist, Avas ja in der Natur selten vorkommen wird, können größere Mengen von Eiweißstoffen doch mit der Zeit von innen heraus in anae- robe Fäulnis versetzt werden, nachdem die aeroben Fäulniserreger den Sauerstoff an sich gerissen haben. — Alle fäulniserregenden Bakterien sind gegen Säuren em])findlich, saure Reaktion hemmt auch die Wirkung der proteolytischen Fermente. Sie verzögert des- halb den Eintritt der Fäulnis, die erst energisch werden kann, nachdem sie Säuren durch die Fäulnisbasen, besonders das Ammoniak, neutralisiert worden sind. Aus diesem Grunde wirkt auch die Gegenwart von Kohlehydraten, selbst in so geringer Menge wie sie im Fleisch vorhanden sind, fäulnishemmend. Denn die Kohlehydrate werden gleich im Anfang angegriffen und ihre Gärprodukte sind im Gegensatz zu denen der Eiweißstoffe saurer Natur. Milchsäure und Buttersäurebakterien sind in Gesellschaft der Fäulnisbakterien stets vorhanden und sie überwuchern die letzteren, wenn sie durch die Anwesenheit von Zucker Gelegenheit dazu finden. Nicht hindernd wirken die Säuren auch auf die Entwickelung von Hefen und Schimmelpilzen. Erstere werden aller- dings nur in stark zuckerhaltigen Medien eine Entwickelungsmöglichkeit finden. Die Schimmelpilze jedoch spielen eine große Rolle bei der Zerlegung von Pflanzenresten, die ja kohlehydrathaltiger als tierisches Material sind. Doch werden sie sich auf die Dauer gegen den Ansturm der Bakterien nur halten können, wenn für letztere der Wassergehalt zu gering ist. Dann erfolgt die sogenannte Verschimmelung, eine Art der Verwesung, die häufig bei Früchten die Ober- hand gewinnt. 6a) Fleisch- und Milchfäulnis. Bei der Fleischfäulnis treten anfangs nur Aerobe auf, die gleichzeitig den im Fleisch vorhandenen Zucker und die Proteinstoffe anzugreifen anfangen. IniFleisch ist etwa 1% Zucker vorhanden. Man findet anfangs Bact. vulgare, Bact. coli, Mikrococcus pyogenes, Streptococcus pyogens und andere Kokken, Sie verzehren den Sauerstoff und fangen den Zucker zu vergären an, wobei saure Spaltungs- produkte teilweise durch Ammoniak neu- traüsiert werden. Nach 3 bis 4 Tagen er- scheinen die ersten Anaeroben und zwar solche, die auch Zucker vergären, wie Bac. perfringensundBac. bifermentans s])orogenes. Nach 8 bis 10 Tagen ist der Zucker ver- goren und die Reaktion alkalisch geworden, und nun setzt die eigentliche Fäulnis der säureempfindhchen Anaeroben ein. Der Bac. putrificus putidus gracihs und der die Peptone abbauende Diplococcus magnus anaerobicus vollenden den Vorgang, wobei sie die Zucker vergärenden Bakterien sclüießUch gänzlich verdrängen. — Bei ursprünglichem Luftab- schluß bleiben die Aeroben aus, die Anaeroben entwickeln sich aber in derselben Folge. Die Milchfäulnis muß naturgemäß in- folge der Anwesenheit der höheren Zucker- konzentration (4% Milchzucker) einen anderen Verlauf nehmen, da weit größere Mengen von Gärungssäuren beseitigt werden müssen. In roher ]\Iilch überwiegen zuerst die reinen Milchsäurebakterien und der Coli- Bazillus. Neben ihnen können die stets vor- handenen Heubazillen und Kartoffelbazillen wie auch die Staphylokokken, welche das Casein angreifen würden, wegen der Säure- bildung nicht zur Entwickelung kommen. Durch die Milchsäurebakterien wird ein so hoher Säuregrad erreicht, daß die Bakterien- tätigkeit nach und nach zum Abschluß kommt. Bei Luftmangel ist damit die Zer- setzung beendet. Bei Luftzutritt erscheinen dagegen nach 3 bis 4 Tagen Eumyceten, meist Oidium lactis, seltener Rhizopus nigrans. Durch diese wird die Milchsäure verbrannt und der Säuregehalt so vermindert, daß die Milchsäurebakterien wieder zur Ent- Gärung- (Eiweißgärung) 541 Wickelung kommen können, während die eigentlichen Fäulnisbakterien noch zurück- gehalten werden. Dauernd findet auch schon ein Abbau der Proteine statt. Gleichzeitig mit dem zweiten Aussetzen der Milchsäurebak- terien setzt nun die Tätigkeit der anaeroben Buttersäurebakterien ein, welche die bei der Hydrolyse des Milchzuckers entstandenen Monosaccharide zu Fettsäuren, hauptsächlich Buttersäure, verbrennen und ebenfalls Peptone abbauen. Der Säuregrad der Milch steigt von neuem und erreicht nach 2 Wochen sein Maximum. Die Bakterientätig- keit setzt nochmals aus und die Eumyceten verbrennen die Säure von neuem, so daß nach etwa 2 Monaten die proteinzersetzenden Bakterien, besonders Proteus Zenkeri und die Bakterien der Coli- Gruppe die Fäul- nis zu Ende führen. Der Bac. putrificus spielt in der Milchfäulnis kaum eine Rolle, da seine Kraft durch die Säuren zu sehr ge- schwächt ist. 6b) Darmfäulnis. Die Darmfäulnis der Fleischfresser findet im Dick- und Mastdarm statt. Der in den Dünndarm gelangende Speisebrei zeigt noch saure Reaktion, welche durch die hier vor sich gehende Milchsäure- gärung der Kohlehydrate aufrecht erhalten wird, bis im unteren Teile des Dünndarms Neutralisation der Säuren durch den alkali- schen Darmsaft stattfindet. Bei Eintritt in den Dickdarm ist der Speisebrei neutral und enthält noch den 7. Teil des für den Körper verwendbaren Nahrungsproteins, das nun durch Fäulnis verloren geht. Im Dickdarm findet dabei eine ungeheure Vermehrung von Bakterien statt, wobei aber nicht die in den Speisen enthaltenen zur Entwickelung ge- langen. Sie werden vom Coli-Bazillns über- wuchert, der sich dauernd im Darm hält und zu den Schleimzellen des Blinddarms in einem symbiotischen Verhältnis stehen soll. Neben den Coli-Bakterien finden sich noch andere Arten in der Darmflora, deren Klassifi- zierung jedoch schwierig ist. Auch sie gehen in den Stuhl über, der zum großen Teil aus Bakterien besteht. Die Darmfäulnis soll nach der Anschau- ung von Metschnikoff eine allmähliche An- sammlung giftiger Produkte im Körper be- wirken, die den Lebensprozeß schließlich zum Stillstand bringen. Man soll sie daher durch die Einnahme von energischen Milch- säurebakterienkulturen zurückdrängen, wes- halb der Genuß von Kefir und in neuerer Zeit besonders von Yoghurt empfohlen wird. Wie dem auch sei, auf alle Fälle hat man be- obachtet, daß sehr hochalterige Personen meist unter keiner Störung der Peristaltik zu- leiden hatten. Die Regulation dieser durch die anregende Milchsäure kann jeden Falles von Nutzen sein. Die Frage, ob die Darmbakterien für das Leben absolut entscheidend sind, kann de- finitiv noch nicht beantwortet werden, da Versuche über die sterile Aufzucht von Hühnern und Meerschweinchen zu wider- sprechenden Ergebnissen führten. Man kann jedoch annehmen, daß Bakterien für das Leben höherer Tiere nicht unbedingt er- forderlich sind, wenigstens soweit es sich um die Ausnutzung verdaulicher Nahrungsstoffe handelt. Auf alle Fälle ist jedoch eine Mit- wirkung von Bakterien für die Zerlegung und Ausnutzung der Zellulose erforderlich, die im Leben der Pflanzenfresser eine sehr be- deutende Rolle spielt. Native Eiweißstoffe werden, wie wir ge- sehen haben, von den Coli-Bakterien nicht angegriffen; doch sind im Darm ja schon ge- spaltene Proteine vorhanden. Die Peptone zerfallen auch hier in Aminosäuren, deren weitere Verarbeitung im Darm analog der bei der gewöhnlichen Fäulnis verlaufen dürfte. Die für den Körper giftigen Produkte I der Fäulnis aromatischer Substanzen, wie ; Indol, Phenol, Skatol usw. werden im Darm I durch die Paarung mit Schwefelsäure ent- giftet und dann im Harn ausgeschieden. Das 1 Harnindikan, das indoxylschwefelsaure Natrium, ist daher bei gesteigerter Eiweiß- fäulnis im Darm deutlich vermehrt. Der Darm der Pflanzenfresser ist im allge- meinen viel länger als der der Fleischfresser. I Die reichliche Aufnahme von holzhaltigen j Stoffen, deren Verdauung nur mit Hilfe von I Bakterien erfolgen kann, erfordert eine I größere Fläche und eine längere Dauer des I Verdauungsprozesses. Für die Ausnutzung I der Zellulose spielt auch das Wiederkauen I eine Rolle. Jedoch ist die Verwertung der Eiweißstoffe im Verdauungskanal der { Pflanzenfresser eine weniger günstige als im Körper der Fleisch- oder gemischte Nahrung aufnehmenden Tiere. 6 c) H a r n f ä u 1 n i s. Zum Uebertritt in den Darm wird der Stickstoff der Eiweißstoffe in Harnstoff, Harnsäure und Hippursäure umgewandelt. Die Harnsäure macht den Hauptbestandteil des Kotes der Vögel und Schlangen aus, während die Hippursäure hauptsächlich im Harn der Pflanzenfresser eine Bedeutung hat. Bei der Fäulnis des Harns wird der Harnstoff durch die überall verbreiteten, aeroben Harnstoffbakterien in kohlensaures Ammoniak umgewandelt, ein Vorgang, der auch auf fermentativem Wege, ohne die Mitwirkung der lebenden Harnstoff- 1 bakterien erreichbar ist. Auf die einzelnen Arten harnstoffvergärender Bakterien kann , hier nicht eingegangen werden. Manche von i ihnen sind gegen die alkalische Reaktion des kohlensauren Ammoniaks sehr widerstands- I fähig, so daß einer völligen Vergärung des ' Harnstoffs nichts im Wege steht. Durch 542 Gärung (EiAveißgärimg) die Nitrifikation wird der Ammoniakstick- stoff im Boden dann in salpetersaure Salze verwandelt und so einer guten Ausnutzung durch die grünen Pflanzen zugeführt. Die Harnsäure wird durch die Fäulnis in kohlen- saures Amnion und Kohlensäure umgewandelt, wobei Harnstoff und Tartronsäure als Zwischenprodukte entstehen. Hippursäure kann fermentativ in Benzoesäure und Glyko- koU gespalten werden, und letzteres unter- liegt dann einer Umwandlung, die die Aus- nutzung seines Stickstoffes durch die Pflanzen ermöglicht, deren Einzelheiten aber noch un- bekannt sind. 7. Vergärung der Aminosäuren durch Hefen und Schimmelpilze. Einen anderen Weg als bei der Zerlegung durch Fäulnis- bakterien nimmt der Abbau der Amino- säuren durch gärende Hefe. Bedingung für diese hier zu schildernde Vergärung der Aminosäuren ist die Wirkung gärender, lebender Hefe. Die Umwandlung ist daher an die Gegenwart von Zucker gebunden. Auch abgetötete gärende Hefe, wie die Ace- tondauerhefe, oder auch gärender Hefepreß- saft kann die Zerlegung nicht vollziehen; sie ist offenbar an den Aufbau des Eiweißes der Hefe gebunden, bei dem die Stickstoffnah- rung aus der Aminogruppe bestritten wird. Daher findet auch niemals eine Anhäufung von Ammoniak, wie bei der Fäulnis statt: die Reaktion bleibtim Gegenteil neutral, oder, wie für das Wohlbefinden der Hefe besser, schwach sauer. Ohne die Anwesenheit einer besonderen Kolilenstoffquelle gelingt keine Entwicke- lung von Hefe auf Aminosäuren, bei der ein sehr weitgehender Abbau die Folge sein müßte. Jedenfalls wird ein solcher durch Schimmelpilze bewirkt, die sich auf Amino- säuren als gleichzeitiger Kohlen- und Stick- stoffquelle besser entwickeln. Bei GegeuAvart gesonderter Kohlenstoffnahrung tritt durch Schimmelpilze eine andere Spaltung als durch gärende Hefe ein, auf die wir im speziellen zurückkommen. Hier sei noch bemerkt, daß die Gärfähigkeit der Hefe an die Darbietung von Aminosäuren als Stickstoffquelle ge- bunden ist und daß sich auf anderen Stick- stoffmedien in Gegenwart von Zucker eine „nichtgärfähige Hefe" heranziehen läßt. Die alkoholische Gärung der Amino- säuren verläuft nach folgendem Schema: R R CH.NHo + H20 = CH2.0H + NH3 + CO2 COOH Der Weg dieser Zerlegung ist verschieden ge- deutet worden. Doch darf man jetzt anneh- men, daß sie über die Ketosäuren verläuft, wie folgendes Schema darstellt: R I. Oxvdation C^^TXT+0 = C ,0H NH I NH,- I COOH COOH Aminosäure Hydrat der Iminosäure R R OH IL Desamidierung C ^^tt I ^^2 CO i- NHg I COOH COOH Ketosäure in. COa-AbspaltungCO - CHO+CO, 1 Aldehyd COOH R R IV. Reduktion CHO+2H = CH20H Alkohol. In ähnlicher Weise dürfte auch die alko- holische Vergärung der zweibasischen zVmino- säuren verlaufen, bei der aus der Glutamin- säure die bei der Gärung stets entstehende Bernsteinsäure gebildet wird: COOH COOH ^^^^ COOH CH, CH, ^^^ CH2 CH2 — ^CH^— >^jj^ —> CH2 CH.NH3 CO ^^^ COOH COOH COOH Glutamin- a-Ketoglu- Halbaldehyd Bern- säure tarsäure der Bernstein- stein- säure säure. Aus der Asparaginsäure entsteht keine Bernsteinsäure, wie man ursprünglich hätte annehmen können; ihr Abbau ist noch nicht aufgeklärt. Zuerst ist die Vergärung des Leucins durch Hefe studiert worden: CH3 CH. \CH.CH,.CH(NHo)COOH+ H2O CH3. CH3^ Leucin \CH.CH2.CH,.0H +CO2+NH3 CH3, Isoamvlalkohol )CH.CH(NH2)C00H-f H^O = Isoleucin Gärung (Eiweißgärung) 543 CH3, C2H/ >CH.CH20H+NH3 d-Amylalkohol. Bei derVergärung razemischer Aminosäuren wird stets zuerst die in der Natur vorkommende optisch-aktive Komponente angegriffen. Es war daher ein guter Beweis für die Richtigkeit der Annahme der Fuselölbildung (das hauptsächlich aus Amylalkohol besteht) aus dem Eiweißabbauprodukte, daß, wie nach der Theorie zu schlußfolgern, aus dem Leucin unter Verschwinden des einen asymmetrischen Kohlenstoffatoms ein inaktiver Amylalkohol OH + H,0 = CH,CH(NH,)COOH Tvrosin CH,(NH2)C00H + H,0 NH Tryptophan hervorging, während aus dem Isoleucin mit seinen zwei asymetrischen Kohlenstoff- atomen, unterErhaltung des einen, der reclits- drehende Amylalkohol entstand. Der Isobutylaklohol des Fuselöls dürfte aus dem Valin, a-Aminoisovaleriansäure (CH3)2.CH.CH(NH2)COOH, einem stän- digen Hydrolyseprodukt des Eiweiß, her- stammen, während die mögliche Quelle des n-Propylalkohols, die a-x\minobuttersäure, noch nicht mit Sicherheit als Eiweißspal- tungsprodukt nachgewiesen ist. Ferner sind folgende Umwandlungen durch die alkoholi- sche Gärung festgestellt worden: OH H-C02+NH3 CH2.CH,.0H Tyroson 1C.CH2.CH2.OH GH + CO2 + NH, fH Tryptophol die zur Entdeckung der beiden Alkohole führten und sonst unter den gleichen Be- dingungen verlaufen. Doch können Alkohole bei der alkoholi- schen Gärung auch aus den Aminen gebildet werden: so das Tyrosol aus dem p-Oxyphenyl- äthylamin und der Isoamylalkohol aus dem Isoamylamin. Die Intensität der Reaktion wird durch steigende Konzentration der Aminosäuren gefördert; sie ist am Anfang der Gärung am stärksten, so lange sich die Hefe am raschesten vermehrt. Durch hohe Leucinkonzentration und geringe Zuckergabe kann man so zu einem an Fuselöl hochprozentigen Aethyl- alkohol (bis zu 7%) gelangen. Andererseits hindert die Anwesenheit einer anderen N- Quelle die Vergärung der Aminosäuren. Durch die Zugabe von schwefelsaurem Am- moniak ließ sich auf diese Weise die Fuselöl- bildung in einer natürlichen Maische auf mehr als die Hälfte vermindern. Auch gärende Schimmelpilze können die Aminosäuren in Gegenwart von Zucker im geschilderten Sinne verändern. Durch nicht gärende Schimmelpilze werden dagegen a- Oxysäuren gebildet: R R CH.NHo COOH H.,0 CH.OH+ NH3 COOH. Man gelangt auch so zu optisch aktiven Produkten, die zum Teil auf diese Weise am bequemsten zugänglich sind. So wurden er- halten: aus 1-Tyrosin die d-p-Oxyphenyl- milchsäure, aus d-1-Phenylalanin die d-Phe- nylmilchsäure und aus 1-Tryptophan die 1- Indolmilchsäure. Diese Umwandlungen wurden besonders durch das Oidium lactis erzielt. Bemerkens- wert ist jedoch, daß Kahmhefen und ihnen nahestehende Heferassen, wie Willia anomala, auch Tyrosol und Tryptophol bilden können, wenn ihnen statt Zucker als C- Quelle Alkohol geboten wird. Literatur. Lafav, Havdbuch der technischen Mykologie, Bd. 5. 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Allgemeine Darlegungen. 1. Einleitende Bemerkungen, a) Abgrenzung des Gegenstandes, b) Indifferentes Gleichgewicht. c) Rolle der Schallgeschwindigkeit, d) Emgreifen der Thermo- dynamik. 2. Allgemeine Theorie, a) Kmematik. b) Dynamik des Stromfadens; Formeln für permanente Gase, c) Ahgemeine Dynamik der reibungsfreien Gasbewegung. d) Energiesatz füi" Bewegung mit Widerständen, e) Unstetige Verdichtung. IL Einzelausführungen. 1. Ein- dimensionale Probleme, a) Ausfluß aus Oeff- nungen und Mündungen, b) Strömung durch eine Lavaldüse. c) Strömung mit Widerständen, d) Ausströmen aus Gefäßen und Einströmen in Gefäße. 2. Mehrdimensionale Probleme, a) Strö- mung mit Ueberschallgeschwindigkeit um eine Ecke, b) Schallwellen von endlicher Amplitude. c) Vorgänge in freien Gasstrahlen, d) Bewegung von Körpern mit Ueberschallgeschwindigkeit. Geschoßwiderstand. Unter dem Worte „Gas" sollen in diesem Artikel alle stark zusammendrückbaren („elastischen") Flüssigkeiten inbegriffen werden, also außer der atmosphärischen Luft und anderen Gasen auch die Dämpfe von Flüssigkeiten; selbst Gemische von Dämpfen und Flüssigkeit können mit in- begriffen werden, wenn die Flüssigkeit in Form von fein verteiltem Nebel in der Gas- masse enthalten ist. I. Allgemeine Darlegungen. I. Einleitende Bemerkungen, a) Ab- grenzung des Gegenstandes. Gegenüber der viel verbreiteten Vorstellung, daß die Gase sich „wegen ihrer Zusammendrück- barkeit" bei ihren Bewegungen wesentlich anders verhalten als die tropfbaren Flüssig- keiten, ist festzustellen, daß auch bei einem Gase Volumenänderungen nur im Zusammen- hang mit Druckkräften auftreten können, und daß diese Druckkräfte bei einem Gase von Atmosphärendruck gar nicht so sehr klein sind. Wenn keine Wärmezu- und -ab- fuhr erfolgt, regelt sich (bei einem voll- kommenen Gase) der Zusammenhang von Druck und Volumen nach dem A d i a - batengesetz pv'^ == const., wo k das Verhältnis der spezifischen Wärmen Cp und Cv (vgl. den Artikel ,,Energie- lehre", Abschnitt ib und 2a) ist, und für Luft den Wert 1,405 hat. Für kleine Druck- und Volumenänderungen folgt hier- aus, daß z. B. einer Volumenänderung von 1% einer Druckänderung von 1,405% ent- spricht. Bei Luft von 760 mm Barometer- stand gibt dies 10,7 mm QS oder 145 kg/qm. Wo die Druckänderungen bei der Bewegung unter dieser Grenze bleiben, wird die Volumen- änderung unter l'^o, und daher meist prak- tisch vernachlässigbar sein. In solchen Fällen unterscheidet sich die Bewegung eines Gases in keinem wesent- lichen Punkte von der einer volumbestän- digen Flüssigkeit; die bezüglichen Gesetze sind also durch die Darlegungen des Artikels ,, Flüssigkeitsbewegung" bereits mit zur Darstellung gelangt. Gegenstand des vorliegenden Artikels bilden daher lediglich die- jenigen Gasbewegungen, bei denen erhebliche Volumenänderungen vor- kommen. Die hierzu erforderlichen Druck- unterschiede finden sich bei Bewegungen in der freien Atmosphäre vor, wenn die Gasmassen bei der Bewegung größere Höhen durchmessen; da der Luftdruck in der Höhe abnimmt (vgl. den Artikel ,, Luft- druck"), ergeben sich in auf- und absteigen- den Luftströmen große Volumenände- rungen. Diese Art von Bewegungen, die in das Gebiet der Meteorologie fallen, sind jedoch bisher noch wenig quantitativ unter- sucht (ein Anfang ist in dem Werk von Bjerknes, , »Dynamische Meteorologie und Hydrographie" gemacht, von dem bisher 2 Bände erschienen sind). Genauer unter- sucht sind die Gasbewegungen, die durch künstlich geschaffene größere Druck- unterschiede in Maschinen und Kohr- leitungen hervorgebracht werden. Einen dritten hier in Betracht zu ziehenden Fall bilden die Bewegungen der Ge- schosse, bei denen Verdichtungen der Luft um mehrere Atmosphären vorkommen. Um einen Maßstab dafür zu gewinnen, bei welchen Höhen und Geschwindigkeiten die Vo- lumenänderungen noch unberücksichtigt bleiben können, mag erwähnt werden, daß der oben- genannten Volumenänderung von 17n beiO" bezw. 20« C eine Höhendifferenz h = 113 bezw. 120 m entspricht (vgl. den Artikel ,,L u f t d r u c k" Abschnitt 7 u. 8). Die der gleichen Volumen- und Druckänderung entsprechende Strömungsge- schwindigkeit ergibt sich nach dem Torricelli- schen Theorem (vgl. den Artikel „Flüssigkeits- bewegung" II, i a) zu w = l'2gh = 47,5 bis 49 m/sec. Bei Höhen und Geschwindigkeiten Grasbewegung 545 unter diesen Grenzen bewegt sich also die I abnähme von 3,4" pro 100 m; vgl. den Artikel Luft praktisch wie eine volumbeständige Flüssig- ^^^tiiiQ Sphäre" S. 590). ic) Rolle derSchallgeschwindigkeit. keit ib) Indifferentes Gleichgewicht. Eine wichtige Frage ist nun: Was entspricht bei einem Gase dem indifferenten Gleich- gewichtszustand, in dem sich eine un- zusammeiulriickbare Flüssigkeit befindet, Für die raschen, unter großen Druckunter- schieden vor sich gehenden Gasbewegungen spielt die Schallgeschwindigkeit eine fundamentale Rolle. Die Geschwindigkeit des Schalles (vgl. den Artikel „Schall", Ab- wenn die Dichte überall dieselbe ist. Der | schnitt 8) ist nämlich auch die Geschwindig- Zustand von überall gleicher Dichte, der [ keit, mit der sich alle Druckänderungen, und sich durch geeignete Wahl der Temperatur- verteilung mit dem nach oben hin abnehmen- den Druck in Einklang bringen lassen würde, ist es offenbar nicht; denn würde man einen Teil einer solchen Gasmasse in ein höheres Niveau bringen (oder aber abwärts führen), so würde er sich unter dem geringeren Druck ausdehnen (bezw. unter dem höheren zusammengedrückt werden), und so leichter (schwerer) sein als die von Anfang an dort befindlichen Gasmassen; er würde deshalb seine Bewegung in dem angefangenen Sinn von selbst fortsetzen, und es müßte so zu einem völligen Umsturz kommen. Die richtige Forderung ist offenbar die, daß, wohin man auch eine Gasmasse führt, sie immer unter dem dort herrschenden Druck dieselbe Dichte annimmt, wie die sie umgebenden Gasmassen. Wenn Wärme- leitung ausgeschlossen sein soll (nur für diesen Fall hat die Fragestellung einen bestimmten Sinn), dann wird sich die auf- oder abwärts geführte Gasmasse adiaba- tisch verhalten. Das Gleichgewicht, das obiger Forderung entspricht, bei dem also Druck und Dichte der übereinander ge- schichteten Gasmassen miteinander durch das Adiabatengesetz verknüpft sind, heißt adiabatisches Gleichgewicht. Da sich Gase durch adiabatische Ausdehnung unter sinkendem Druck abkühlen, muß hier mit zunehmender Höhe nicht nur der Druck und die Dichte abnehmen, sondern auch die Temperatur. Ist die Dichteabnahme gerade 1%, so ist die Druckabnahme k% (k = 1,405 bei Luft), die Temperaturabnahme (k — 1)% der absoluten Temperatur (0,405% bei Luft). Die Temperaturabnahme nach der Höhe er- füllt hier ein besonders einfaches Gesetz: sie ist gleichförmig. Bei trockener Luft er- gibt sich auf je 100 m Höhe eine Abnahme um 0,985" C, also rund 1" C. Eine geringere Temperaturabnahme mit der Höhe (oder Temperatnrgleichheit oder Zunahme) be- deutet stabile Schichtung (analog dem Zu- stand bei volumbeständigen Flüssigkeiten, wo leichtere über schwerere Flüssigkeiten ge- schichtet, sind; eine größere Temperatur- abnahme als 1" pro 100 m bedeutet Labilität (der obigen labilen Schichtung mit überall! Der Winkel an der Kegelspitze ergibt gleicher Dichte entspricht eine Temperatur- 1 sich folgendermaßen: Im Verlaufe einer Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV. 35 somit auch alle Aenderungen des Bewegungs- zustandes, in einer Gasmasse fortpflanzen. Eine momentane punktförmige Störung an einer Stelle A (Fig. 1) breitet sich in einer gleichförmigen Gas- strömung in Form einer Kugelwelle aus, deren Mittel- punkt mit der Strö- mungsgeschwindig- keit weiter wandert. Eine andauernde Störung im Punkte A, wie sie etwa durch ein dort befindliches kleines Hindernis dargestellt würde, kann als Aufeinanderfolge von momentanen Störungen aufgefaßt werden. Wenn die Strö- mungsgeschwindigkeit w kleiner ist als die Schallgeschwindigkeit a, ergibt sich eine Ausbreitung der Wirkung des Hindernisses nach allen Richtungen hin, wenn schon in verschiedenen Richtungen in verschiedener Stärke. Ist aber die Strömungsgeschwindig- keit größer als die Schallgeschwindigkeit, so erfüllen alle Kugelwellen nur einen Kegel hinter dem Punkte A (vgl. Fig. 2). Der Raum vor dem Kegel bleibt völlig frei von jeder Einwirkung des Hindernisses. Für die Bewegungeines Körpers(z. B. eines Geschosses) durch eine ruhende Gasmasse gelten ganz entsprechende Beziehungen. Im Falle, daß die Geschoßgeschwindigkeit größer ist als die Schallgeschwindigkeit, erstreckt sich die Wirkung nur auf einen Kegel entsprechend Figur 2 (E. Mach). Fig. 2. 546 Gasbewegung- kleinen Zeit T ist eine punktförmige Stö- rung zu einer Kugel vom Radius a . x an- gewachsen, deren Mittelpunkt hat sieh um w . T entfernt ; der Kegel berührt die Kugel, also ist a.T a sma = - ^ = ^,- (1) Man nennt a den Machschen Winkel. Nach dieser Auseinandersetzung ist es verständlich, daß die Bewegung eines Gases ganz verschiedenen Charakter aufweist, je nachdem die Strömuntisgcsrliwiiidigkeit kleiner oder größer ist als die Scliallgeschwin- digkeit. Unterhalb der Schallgeschwindig- keit ist das Verhalten einer Gasströmung in den allgemeinen Zügen gerade so, wie das einer volumenbeständigen Flüssigkeit, nur daß in den Gebieten erhöhten Druckes die Teilchen enger gedrängt, und in den Gebieten erniedrigten Druckes weiter auseinander- gedehnt fließen ; die Bahnen der Teilchen sind ebenso stetig, wie bei der volumenbestän- digen Flüssigkeit. Bei Strömungsgeschwin- digkeiten größer als die Schallgeschwindig- keit dagegen verursacht jede von einem Hindernis oder auch von Unebenheiten an der Wand hervorgerufene Störung statio- näre Schallwellen, die sich nach Art des Kegelmantels in Figur 2 durch die ganze Strömung fortpflanzen und an den Wänden reflektiert werden. Eine solche Strömung ist daher zumeist von vielfach sich durch- kreuzenden Wellen durchzogen. Außer den Wellen treten noch unstetige Vorgänge auf (Verdichtungsstöße), in denen der Druck un- stetig ansteigt (vgl. unten 2e). Für mathematisch geschulte Leser sei be- merkt, daß die Differentialgleichung der statio- nären Gasströraung für Geschwindigkeiten, die kleiner sind, als die Schallgeschwindigkeit, vom elliptischen Typus sind, für- Ueberschallgeschwin- digkeit dagegen vom hyperbolischen, und daß im letzteren Falle die Flächen, längs denen sich kleine Störungen ausbreiten, mit den Charakte- ristiken der Differentialgleichung identisch sind. Mit der Eigenschaft der Schallgeschwindig- keit als Fortpflanzungsgeschwindigkeit aller Druckänderungen hängt es auch zusammen, daß, solange in einer in einem Kanäle ver- laufenden Gasströmung irgendwo in der ganzen Kanalbreite die Schallgeschwindig- keit überschritten ist, eine beliebige Aende- rung der stromabwärts bestehenden Zu- stände keinerlei f^imvirkung auf die strom- aufwärts bestehende Strönumg haben kann, da die mit Schallgeschwindigkeit laufenden Wirkungen der vorgenommenen Aenderung durch das mit Ueberschallgeschwindigkeit durchströmte Kanalstück nicht hindurch- dringen können. Anmerkung. Eme weitere Eigenschaft der Schallgeschwindigkeit wird unten unter I, afb dargelegt werden. id) Eingreifen der Thermodyna- mik. In den Verdichtungen und Verdün- nungen treten bei den großen Geschwindig- keiten sehr merkliche Temperaturdifferenzen auf, die sich bei den verlustlosen Vorgängen sehr genau nach dem Adiabatengesetz voll- ziehen, da bei der Raschheit der Bewegungen zu einem Wärmeaustausch keine Gelegenheit ist. Die Wärmemengen, die entstehen, wenn die kinetische Energie der Strömung durch Widerstände ganz oder teilweise ver- nichtet wird, sind bei den großen Geschwindig- keiten ebenfalls sehr beträchtlich, und ergeben Erwärmungen, die von gleicher Größen- ordnung sind, wie die Abkühlungen, die bei der mit der Geschwindigkeitserteilung ein- hergehenden Expansion auftreten. Da diese Temperaturänderungen großen Einfluß auf das Volumen der strömenden Massen haben, können die Strömungen von Gasen bei größeren Druckunterschieden bei Vorhanden- sein von Widerständen nur unter Berück- sichtigung der Lehren der Thermodynamik (vgl. den Artikel ,, Energielehre") richtig beurteilt werden. 2. Allgemeine Theorie. Im folgenden sollen im engen Anschluß an die Ausführungen in Abschnitt I und II des Artikels ,, Flüssig- keitsbewegung" die theoretischen Grund- lagen der Lehre von den Gasströmungen dar- gelegt werden. Die Abschnitte und Nummern, sowie die Gleichungen des Artikels ,, Flüssig- keitsbewegung" werden dabei durch die Abkürzung „Fl." mit beigesetzten Nummern angegeben werden. 2a) Kinematik. Was die Darstellung der Bewegung betrifft (Fl. I, i) so tritt inso- fern eine Ergänzung hinzu, als an jeder Stelle neben der Geschwindigkeit und dem Druck auch noch die Dichte {q) anzugeben ist. Statt der Dichte wird wegen des Zusammen- hangs mit der Thermodynamik häufig das dort gebräuchliche ,, spezifische Volumen" (v) gebraucht, das der Dichte umgekehrt pro- portional ist (das spezifische Volumen ist das Volumen der Masseneinheit, die Dichte die Masse der Volumeneinheit). Da durch die „Zustandsgieichung" eines Gases ein Zu- sammenhang zwischen Druck, Dichte und Temperatur gegeben ist, mit Hilfe deren sich aus zwei dieser Größen die dritte berechnen läßt, so kann in den vorstehenden Angaben an Stelle der Dichte auch die Temperatur treten. Die Kontinuitätsgleichung für eine Strom- röhre einer stationären Strömung [Gl. (1), Fl. I, 2] muß hier geschrieben werden F w F . w . ^ = — '- — = const (2) (Transportierte Masse konstant für alle Querschnitte.) Gasbewegung 547 Die allgemeine Kontinuitätsgleichung (Fl. I, 2) für nichtstationäre Bewegungen hat auszudrücken, daß der Betrag, um den in einem Raumelement dy.dx.dz mehr Masse ausströmt als einströmt, als Dichtigkeitsabnahme in dem Raumelement in Erscheinung tritt. m (u, V, w sind dabei die Geschwindigkeitskompo- nenten). Das in FI. I, 3 und 4 über Drehbewegung und Drehungsfreiheit und über Beschleuni- gung Gesagte bleibt hier ungeändert in Kraft. 2b) Dynamik des Stromfadens. Für die Untersuchung der längs einer Stromlinie bestehenden Verhältnisse können die in Fl. II, I an Figur 5 angeknüpften Erörte- rungen über die longitudinale Beschleunigung ohne weiteres übernommen werden. Bei ihrer Integration längs einer Stromlinie [Fl., Gl. (6)] ist aber die Veränderlichkeit von g zu beachten. Man erhält: (4) w^ fdp^ ■"2" + J Q Die Ableitung 4- gz = const. Gasart), und es wird daher das / der Gleichung setzt reibungsfreie Strömung voraus; nimmt man hier noch die Abwesenheit von Wärme- leitung hinzu, so wird q von p allein abhängen (nach dem Adiabatengesetz der betreffenden eine Funktion des Druckes allein sein. Zur Abkürzung sei diese „Druckfunktion" mit P(p) bezeichnet. Es ist interessant zu bemerken, daß in einer indifferenten Atmosphäre (deren Strömungen allein näher untersucht sind, vgl. I. Ib), die Größe P — ganz wie bei der volumbeständigen Flüssigkeit eine statische Druckhöhe bedeutet. Es ist — dp = g p dz die Druckabnahme in einer ruhen- den Gasmasse für die Höhe dz ; durch Integration ergibt sich hieraus ] u IV^Pi g Sobald das adiabatische Expansions- gesetz des betreffenden Gases bekannt ist, läßt sich Q und damit auch P als Funktion von p darstellen, und es läßt sich nun aus Gleichung (2) und (4a) die Geschwindig- keit w eliminieren, so daß eine Gleichung zwischen dem Druck p und dem Stromfadeur- querschnitt F zurückbleibt. Die durch diese Gleichung hergestellten Beziehungen sind sehr beachtenswert; sie lassen sich über- blicken, ohne die Gleichung wirklich anzu- schreiben. Die Strömung beginne mit der Geschwin- digkeit w = 0 beim Druck p = p^; die Kon- stante von Gleichung (4) ist dann = P(Pi). Wenn p von dem Höchstdruck pi an allmäh- lich abnimmt, so wird die Geschwindigkeit w, von Null an beginnend, allmählich zunehmen, und deshalb, entsprechend Gleichung (2), der Stromfadenquerschnitt allmählich ab- nehmen, ganz so, wie es auch bei einer volum- beständigen Flüssigkeit der Fall wäre. Später aber wird, da mit sinkendem Druck das spezifische Volumen v unbegrenzt zunimmt, die Geschwindigkeit aber endlich bleibt (die kinetische Energie der Gasströmung kann nie größer werden, als die beim Drucke Pi in dem ruhendeuGase enthalteneEnergie!), die Zunahme des Volumens allmählich die der Geschwindigkeit überwiegen, und so der Stromfadenquersehnitt, nachdem er einen kleinsten Wert erreicht hat, wieder zu wachsen beginnen. Für das Minimum des Stromfadenquer- schnitts F (oder was dasselbe ist, für das Minimum von — ergibt eine einfache Rech- w / * nung den Wert dp Die Gleichung (4) läßt sich also, wenn alle Glieder durch g dividiert werden, ebenso deuten, wie Gleichung (6a) (Fl.): ,,Die Summe von Ge- schwindigkeitshöhe, Druckhöhe und Ortshöhe ist längs einer Stromlinie einer stationären Strömung konstant." Für die meisten Anwendungen (abgesehen von solchen in der Meteorologie) kann die Schwere des Gases vernachlässigt, also das Glied gz in Gl. (3) gestrichen werden, so daß sich ergibt: w2 (4a) 4- P(p) = const. n Dies ist aber nichts anderes als die Formel für die Schallgeschwindigkeit a (vgl. den Artikel „Wellen aus breitung"). Das Wachsen des Stromfadenquerschnitts bei sinkendem Druck steht in vollem Gegen- satz zu dem Verhalten der volumbeständigen Flüssigkeiten, und es ist sehr bezeichnend für die obwaltenden Verhältnisse, daß an der Grenze zwischen Abnehmen und Wachsen wieder die Beziehung w = a steht, die auch in anderer Hinsicht die Grenze zwischen zwei gänzlich verschiedenen Strömungs- charakteren bildete (I, ic). Das Querschnittsminimum der Strom- fäden ist für die Vorgänge beim Ausfluß aus Mündungen von entscheidender Bedeutung (vgl. II, la). Eine graphische Darstellung der im vor- stehenden geschilderten Beziehungen gibt die Figur 3. Sie enthält zunächst die adiaba- tische Expansionslinie: v als Funktion 35* 548 Grasbewegun^ von p. Das /vdp zwischen den Grenzen p^ | und p (die in Figur 3 schraffierte Fläche) ist | nichts anderes als der Unterschied der Druck- funktion P für die Werte pi und p und also W" nach Gleichung (4a) gleich -g- ; hieraus er- gibt sich w abhängig von p und damit auch die zum Stromfadenquerschnitt propor- V tionale Größe — w Druckverhältnis genannt, hat für k = 1,405 (Luft) den Wert 0,527, und scheidet Unterschall- geschwindigkeit und Ueberschallgeschwindigkeit. Für p = p' wird die Geschwindigkeit (,,kritische Geschwindigkeit") 2k PlVl (8) Fig. 3. Formeln für permanente Gase: T sei die absolute Temperatur, B die Gas- konstante bezogen auf die Masseneinheit, dann ist pv = BT die Zustandsgieichung; die Adiabatengleichung ist pvk = const = PiVi^i Die Druckfunktion P nimmt die Form an (5) P = CpT c— 1 pv .-^ .'-(#' damit whd die durch einen Druckabfall von Pi nach p2 erzeugte Geschwindigkeit (6) "=1/'ä PiVx 1- ,k- 'P2 Vir ^Pi/ die Maximalgeschwindigkeit wird mit pa = 0 zu Wmax = | j^^^p,Vi = V2cpT\ erhalten. Die Schallgeschwmdigkeit wird a = l'kpv = VkBT Sie ist also nicht unveränderlich, sondern nimmt mit sinkendem Druck wegen der bei der adiaba- tischen Expansion gleichfalls sinkenden Tem- peratur mit ab. Der Wert von p, bei dem die steigende Strümungsgeschwmdigkeit und die sinkende Schallgeschwindigkeit einander gleich werden, wird zu erhalten. Das Verhältnis --, das kritische Pi Zahlenbeispiel: Für atmosphärische Luft von 15° C Anfangstemperatur (T = 288) wird w' = a' = 314 m/sec, wmax = 765 m/sec. 2C) Allgemeine Dyna- mik der reibungsfreien Gasbewegung. — Ueber die allgemeinen Bewegungs- gesetze eines reibungs- freien Gases mag folgendes gesagt werden: Die Eul er- sehen Gleichungen, Fl. II, 2, Gl. (7) und (5) bleiben un- verändert bestehen. Für eine homogene Gasmasse, d. i. für eine im indifferenten, adiabatischen Zustand befind- liche Gasmasse, vgl. I, ib, gelten unter der wichtigen Voraussetzung, daß die Be- wegung überall stetig verläuft, auch die Sätze über die Erhaltung der Drehungsfreiheit, es ist demnach auch hier die Darstellung der Strömung durch ein Potential # nach Fl. I, 3 möglich, dessen Differentialquotienten nach x, y und z die Geschwindigkeitskomponenten u, v und w sind. Die mathematische Bedingung dafür, daß das Potential eine mögliche Gas- bewegung darstellt, wird allerdings nicht durch Gl. (8) (Fl.) dargestellt, sondern durch eine wesentlich verwickeitere Bedingung, die man für stationäre Bewegungen durch Weg- schaffen von p und q aus der Kontinuitäts- gleichung (3), der hier ebenfalls geltenden Druckgieichung (4) und der Adiabaten- gieichung p = const. . q^ erhalten kann. An exakt durchgeführten Beispielen solcher Potentialbewegungen existieren nur einige wenige; sie gehören fast durchweg dem mathematisch leichter zu behandelnden Gebiet der Ueberschall- geschwindigkeit an. Es sind zum Teil ebene Strömungen um eine Ecke herum, entsprechend den Flüssigkeitsströmungen Fig. 13 bis 17 (FL), teils Wellenbewegungen (vgl. II, 2a und b). Was die Dynamik der Bewegung mit Drehung betrifft, so gilt unter der Voraus- setzung einer homogenen (adiabatischen) Dichteverteilung und stetiger Bewegung der Thomson sehe Zirkulationssatz und seine Folgerungen, die Helmholtzschen Wirbelsätze (Fl. II, 3) für Gase ebenso wie für volumenbeständige Flüssigkeiten. Für eine inhomogene Dichteverteilung, z. B. die in einer ungleichförmig erwärmten Luftmasse, tritt an Stelle des Thomsonschen Satzes, daß GasbeAvegime -Ad Linie genommenen ist. V. Bjerknes die Zirkulation längs einer geschlossenen flüssigen Linie konstant ist, der andere, daß ihre zeitliche Aenderung negativ gleich dem längs derselben fdp (1 Q hat diesem Integral mit Hilfe einer Umformung in ein Flächenintegral eine anschauliche Deutung gegeben. Denkt man sich inlfder Gasmasse eine Schar von Flächen konstanten Druckes ge- zogen, deren Drucke jeweils um einen be- stimmten gl('ic]il)leibcn(lcn Bruchteil der Druck- einheit verschieden sind, nnd ebenso eine Schar von Flächen konstanten spezifischen Volumens v, deren v-Werte ebenfalls eine arithmetische Reihe bilden, so werden sich im allgemeinen beide Flächenscharen irgendwie durchsetzen. Je ein Paar der Druckflächen und der Volumen- flächen schließen zwischen sich eine Röhre ein, von Bjerknes isobarisch-isostere Röhre genannt. Das Integral / ^ längs jeder geschlossenen Linie ist nun (vgl. Fig. 4) bis auf einen Proportionali- tätsfaktor gleich der ^\ (algebraisch genomme- " nen) Zahl der von der flüssigen Linie um- schlungenen isobarisch- isosteren Röhren). Für den Fall des homogenen Gases werden die Druckflächen und Vo- lumenflächen parallel und bilden dann keine Röhren. Anmerkung. Die vorstehenden Betrach- tungen gelten natürlich ebenso für inhomogene Flüssigkeiten (wie ungleich gesättigte Salz- lösungen, ungleich erwärmte Flüssigkeiten usw.). Die in FL II, 4 dargelegten „Impuls- sätze für stationäre Bewegungen" finden ohne Aenderung Anwendung auf die strömende Bewegung von Gasen. Es sei nur erwähnt, daß einige in den Beispielen Fl. II, 4b und c gezogene Folgerungen, bei denen zum Impuls- satz noch andere Gleichungen hinzugenommen wurden, nicht gültig bleiben (Kontraktions- ziffer beim Bordaschen Mundstück, Stoß- verhist bei plötzlicher Erweiterung). 2d) Energiesatz'für Bewegung mit Widerständen. Strömungswiderstände haben bei Gasen eine doppelte Wirkung: neben der mechanischen Hemmung der Strömung eine Zufuhr von Wärmeenergie, die der vernichteten mechanischen Energie entspricht. Es ist so, im Gegensatz zu der Strömung volumbeständiger Flüssigkeiten die Möglichkeit vorhanden, einen Teil der Widerstandsenergie, weil sie in Wärme ver- wandelt wurde, bei einer weiteren Expansion wieder nutzbringend zu verwerten. Um einen Ueberblick über die hier ob- waltenden Gesetzmäßigkeiten zu erhalten, wird zweckmäßig ein Energiesatz her- geleitet, der durch ganz ähnliche Betrach- tungen erhalten wird, wie die Impulssätze in Fl. II, 4. Man betrachtet die Energie- änderung in einem irgendwie abgegrenzten Teil einer stationär strömenden Gasmasse. Am bequemsten nimmt man hierzu ein Stück eines Stromfadens, vgl. Figur 5. Hier be- steht,'da die Bewegung stationär sein soll, die Aenderung im Zustand der abgegrenzten Gasmasse in der Zeit dt einfach darin, daß bei A ein Massenteilchen dm = ^AFAWAdt verschwunden und bei B ein Massenteilchen, dm' = ^ßFAWßdt hinzugekommen ist; wegen der Kontinuität (Gl. 2) ist dm = dm'. Es ist nun auszusagen, daß die bei dieser Verschiebung in der (rasmasse auftretende Aenderung des Energieinhalts gleich der während der Zeit dt von außen zugeführten Energie sein muß. Der Energieinhalt eines Massenteilchens besteht nun aus seiner kine- tischen Energie, seiner potentiellen Energie und seiner Wärmeenergie, der sogenannten „inneren Energie", die für die Masseneinheit den Wert u haben soll ; u soll dabei nicht im Wärmemaß, sondern im Arbeitsmaß, wie eine mechanische Energie, gemessen sein. Der Energieinhalt der Masse dm ist demnach = dm ( p-+gz + u). Die Energiezufuhr an die in der Stromröhre befindliche Masse besteht aus Druckarbeit an den Endflächen und aus einer etwaigen Wärmezufuhr durch die Seitenflächen. Keibungsarbeiten kommen hier nicht in Ansatz, weil sie nur Verwandlung von Arbeit in Wärme, aber keine Aenderung des Energieinhalts bedeuten. Die Druck- arbeit an der Fläche Fa ist Kraft X Weg : FaPa . WAdt oder durch Einführung von dm : = dm . '^ = dm . pava ; ebenso bei B : ^A — dm . pbVb. Eine etwaige Wärmezufuhr zwischen A und B sei mit qAB.dm bezeichnet (dann bedeutet qAB die jeder Masseneinheit auf dem Wege von A nach B mitgeteilte Wärme). So lautet dann die obige Aussage über die Aenderung des Energieinhalts: dm [--^- + g zb + UBJ — dm [-^^ +g za -f ua) = dm (paVa— PbVb + qAß) 550 Grasbewegimg- Es ist also 2 -g - -+ g ZB + Ub + PbV: häufig = — ^ + gZA + Ua + PaVa + qAB, oder, da man den Endquerschnitt B beliebig variieren kann: (9) y + g z + u + pv = const. + q . Die Gleichung wird auch differenzierter Form benützt: wdw + gdz4- du + d(pv) = dq. Die Größe u + pv wird in der Thermodyna- mik viel verwandt. Sie wird Erzeug ungs- wä r m e oder auch W ä r m e f u n k t i o n ge- nannt. Sie sei mit i bezeichnet. Für permanente Gase gelten die Formeln 1 tuden entdeckt wurde und seit dem vielfach durch Beobachtungen hauptsächlich photo- graphischer Art (E. und L. Mach u. a.) nachgewiesen worden ist, verdient eine besondere Behandlung. Der einfachste, von Stodola behandelte Fall ist der ,, gerade, stationäre Verdichtungsstoß": Das Gas kommt in Parallelströmung mit der Geschwindigkeit w^, einem Drucke pj und Volumen v^ an und verdichtet sich in einer Ebene AA, Fig. 6 unter Verringerung u k— 1 pv = cvT i = u + pv = giqPv = cpT. Cv und cv sind dabei in Arbeitseinheiten zu messen, d. h. ihre gewöhnlichen Werte sind durch das Wärmeäquivalent zu dividieren. Zu der Energiegleichung kann man die weitere Aussage hinzunehmen, die dem so- genannten I. Hauptsatz der mechanischen Wärmetheorie entspricht (vgl. den Artikel „Energielehre", Abschn. i). Es muß nämlich für jedes Massenelement des Gases die Beziehung gelten, daß die durch Leitung zugeführte Wärme und die in Wärme ver- j wandelte Reibungsarbeit dazu verwendet wird, die innere Energie zu erhöhen und Expansionsarbeit zu leisten. Die auf einem Element des Stromfadens in der Massen- einheit auftretende Reibungsarbeit heiße d R, dann ist: dq + dR = du + pdv. Addiert man diese Gleichung zu der differenzierten Gleichung (9), so ergibt sich mit d(pv) = pdv+ vdp: wdw + gdz + vdp + dR = 0, woraus sich durch Integration die für Bewegungen mit Widerständen ergänzte Druckgleichung (4) ergibt: (10) ^ + g z + T'vdp + R = const. R bedeutet hierbei die der Masseneinheit vom Anfangsquerschnitt an zugeführte Reibungsarbeit. Die Größe kann als ,, Reibungshöhe" bezeichnet werden, so daß sich also hier die Konstanz der Summe aus Geschwindigkeitshöhe, Ortshöhe, Druckhöhe (vgl. I, 2 b) und Reibungs- höhe ergibt. 2e) Unstetige Verdichtung. Eine unstetige Gasbewegung, die von Riemann bei seinen mathematischen Untersuchungen über Schallwellen mit endlichen Ampli- Pi P2 A ■ ^1 . ^ r^ ^ A Fig. 6. der Geschwindigkeit auf Wj und Erhöhung des Druckes auf pa auf das kleinere Volumen V,. Der Vorgang, der gewisse Aehnlichkeit mit dem in Fl. III, ic beschriebenen ,, Schwall" hat, wird durch die folgenden Gleichungen beherrscht : 1. die Kontinuitätsgleichung (in der die sekundlich strömende Masse zweckmäßig auf die Flächeneinheit bezogen wird): W, Wo m = ^ = A Vi Va 2. die Impulsgleichung: m (Wi— Wo) = Pa— Pi, 3. die Energiegleichung: 2 + "1 + Pi^i = ^ + U2 + P2V2. Wenn also 3 Größen, z. B. p^, Vi und pj, gegeben werden, so lassen sich die drei anderen: Wj, Wo und Vg berechnen. Die Rechnungen sind aber etwas umständlich. Von den Resultaten seien die wichtigsten an- Für die Geschwindigkeiten erhält man unter Voraussetzung der einfachen Gas- gesetze die Beziehung Wi . W2 = a'^ wo a' die Icritische Schallgeschwindigkeit nach Gleichung (8) ist. Es ergibt sich also immer von den Geschwindigkeiten Wj und Wj die eine größer, die andere kleiner als die Schallgeschwindigkeit. Nach den Formeln, die sämtlich völlig symmetrisch sind, wäre sowohl unstetige Verdichtung, wie unstetige Verdünnung möglich. Jedoch läßt sich durch G-asbewegimg 551 Betrachtung der Entropie, die bei abge- schlossenen Systemen nur wachsen, niemals abnehmen kann (vgl. den Artikel „Energie- lehre", 2c) zeigen, daß nur der Verdich- tungsstoß, bei dem die Entropie zunimmt, physikalisch möglich ist (vgl. auch II, 2 b). Es ist also immer w^ größer als Schall- geschwindigkeit. Zieht man in Betracht, daß die Gase eine wenn auch kleine Wärmeleitfähigkeit haben, so findet man statt der mathematisch scharfen Unstetigkeit einen aUmählichen Uebergang von Pi auf Po, der sich allerdings meist auf Strecken von der Größenordnung von ^/looo uim vollzieht (Prandtl). Die oben erwähnte Entropiever- mehrung wird dabei durch Wärmeübergang von den bereits verdichteten und daher heißeren Gasmassen an die noch unverdichteten hervor- gebracht. Beim Verdichtungsstoß wird der Betrag Wi^ — w^^ . ,,^.. j 1, , — i— ^ — m Warme verwandelt, von dem nur ein Teil durch Expansion von p., auf pi wieder gewonnen werden kann. Beim inhomogenen Verdichtungsstoß (z. B. der Kopfwelle bei Geschossen, Fig. 31, oder der Unstetigkeit in Fig. 19) erfahren die verschiedenen Strom- fäden verschiedene Erwärmung, so daß also die Homogenität der Gasmasse und deshalb auch die Drehungsfreiheit verloren geht. Der oben als stationärer Vorgang betrach- tete Verdichtungsstoß kann auch als Verdich- tungswelle über eine ruhende Luftmasse hinwegschreiten. Denkt man nämlich dem strömenden System in Fig. 6 eine Geschwin- digkeit von der Größe w^ nach links erteilt, so wird die Geschwindigkeit vor der Stoß- ebene zu Null, der Stoß rückt mit der Ge- schwindigkeit c = Wj nach links, und die Gasmasse hinter dem Stoß strömt mit der Geschwindigkeitw = Wj — Wg nach (vgl. Fig. 7). '.vvW 0 • ■ : • "3 Fig. 7. Die Impulsgleichung erhält hier die Form: P2 — Pi = ^iCw, woraus sich für kleines w, wo c nahezu gleich der Schallgeschwindig- keit ist, der Zusammenhang der Druck- erhöhung mit der Nachströmungsgeschwindig- keit w abschätzen läßt. Die Fortpflanzungs- geschwindigkeit c ist hier also immer größer als die Schallgeschwindigkeit, und kann für beliebig große Druckunterschiede auch be- liebig groß werden. Solch große Fort- pflanzungsgeschwindigkeiten sind bei Ex- plosionen beobachtet worden (vgl. den Ar- tikel „Schall", 8a, ß). Anmerkung. Mit diesen imstetigen Ver- dichtungsvorgängen sind die ,, Explosionswellen" verwandt, die bei der Verbrennung von entzünd- baren Gasgemischen auftreten können. Diese Vorgänge, bei denen in der Verdichtungsebene durch die bei der Verdichtung erfolgende Er- hitzung die Entzündung und sofortige Verbren- nung erfolgt, zeigen enorme Fortpflanzungs- geschwmdigkeiten (bei HaO-Knallgas bis 2800 m/sek). II. Einzelausführungen. I. Eindimensionale Probleme (Strö- mung durch Mündungen, Rohre usw.). a) Ausfluß aus Oeffnungen und Mün- dungen. Durch das in I, 2b geschilderte Verhalten des Stromfadenquerschnitts er- geben sich verschiedene Gesetzmäßigkeiten, je nachdem bei der Expansion vom Druck pi (vor der Mündung) bis zum Drucke pa (hinter der Mündung) die Schallgeschwindig- keit überscliritten wird oder nicht. Bei abgerundeten Mündungen nach Fig. 8 stimmt der Mün- dungsdruck, d. h. der Druck im engsten Querschnitt bei Drücken pa über dem ,, kritischen Druck" p' (Gl. 7) mit dem Außendruck Pa überein, es er- geben sich also ganz analoge Verhältnisse wie beim Ausfluß ■/////////// Pi 1/^- f^^' '/////////// ^ Fig. 8. volumbeständiger Flüssigkeiten. Die Aus- flußgeschwindigkeit kann nach Gleichung (6) erhalten werden, das entsprechende Volumen Vj ergibt sich aus PaVa'^ = PiVi'S damit wird die theoretische Ausflußmenge (Masse pro Sekunde) ^x Fw M = — = V (F ist der Mündungsquerschnitt). Sinkt bei unverändertem Druck p^ der Außendruck p^ unter den kritischen Druck p', dann besitzen die Stromfäden ein Quer- schnittsminimum bei dem Druck p', die Strö- mung kann daher hier nur so erfolgen, daß sich das Querschnittsminimum und somit der Druck p' in der engsten Stelle der Mündung einstellt, und die weitere mit einer Ausbrei- tung des Strahls verbundene Expansion sich erst nach dem Verlassen der Mündung vollzieht. Da sonach der Mündungsdruck von dem Außendruck unabhängig (nämlich Grasbewe£i-ung- = p') geworden ist, wird auch die Ausfluß- menge konstant, gleichviel, welche Werte der Außendruck annimmt (vgl. I, Ic). Die Formel für diese konstante Ausflußmenge, die gleichzeitig die maximale Ausflußmenge nach Gleichung (11) darstellt, lautet: (12) M„ F. "-'f. 2k pi ^k+ 1/ [/ k+1 Vi Das wirkliche Verhalten ist durch zahl- reiche Versuche nachgeprüft worden. Man hat nicht nur die Ausflußmenge, sondern auch — durch Anbohrungen, wie die in Fig. 8 angedeutete — den Mündungsdruck pm ge- messen und beide in guter Uebereinstim- mung mit den vorstehenden theoretischen Resultaten befunden; kleine Abweichungen der Versuche lassen sich durch Reibungs- einflüsse erklären. Das Verhalten von Mün- dungsdruck pin und Ausflußmenge M bei festgehaltenem Druck p^ ist in Flg. 9 zur Darstellung gebracht. Verhältnis hinausliegenden Druckverhältnis eine geregelte Expansion zu erhalten, hat der schwedische Ingenieur de Laval bei der Konstruktion seiner Dampfturbine Ausfluß- düsen von der in Figur 10 zu erkennenden Gestalt angewandt. Die Vorgänge in solchen Düsen sind, da sie ein großes praktisches Interesse haben, sehr eingehend theoretisch und experimentell untersucht ; diesen Studien verdankt man die Lösung vieler prinzipieller Fragen der Gas- und Dampfströmung. Hier mag nur die reibungslose Strömung durch eine solche Düse erörtert werden. Der Druck vor der Düse Pi sei vorgegeben, dann lassen sich die zu jedem niedrigeren V Druck p gehörigen Werte von w und „ in der Art der Figur 3 bestimmen. Da die Durchflußmenge (Masse pro Sekunde) w M = F . - ist, läßt sich hiernach für jeden Wert von M der zu jedem Querschnitt F Pn / / P' Pi M ^ P2 Fig. 9. Fie. 10. Für die Ausflußmenge bei atmosphärischer Luft hat Fliegner auf Grund seiner Ver- suche die folgenden bequemen Näherungs- formeln angegeben (p in kg/cm^, F in cm^) Mkc 0,76 F y^ — P2)P2 Ti tür Pa > 9 Pi Mb, 0,38 fr^- für P2 < \ px Bei scharfkantigen Oeffnungen in ebener Wand, nach Fig. 57 (Fl.), tritt bei der Formel für die Ausflußmenge noch ein Kontraktions- koeffizient hinzu, der vom Druckverhältnis ^ abhängt und von Werten von 0,61 ^ 0,64 bei kleinen Druckunterschieden bis nahe an 1 bei extrem großen Druckunterschieden geht. ib) Strömung durch eine Laval- düse. Um bei einem weit über das kritische gehörige Wert von bestimmen und aus Figur 3 der zugehörige Druck aufsuchen. Für den normalen Betriebszustand muß offenbar das ]\linimum des Stromfaden- V querschnitts, also das von , mit dem Quer- schnittsminimum der Düse zusammen- fallen; die Ausflußmenge wird hier ein Maximum und bestimmt sich wie bei einer einfachen Mündung nach Gleichung (12). Der in der beschriebenen Weise ermittelte Druckverlauf ergibt die in Figur 10 stark gezeichnete Linie (von p^ nach dem untersten V Druck pii). Da aber zu einem Werte von — nach Figur 3 immer zwei Drücke gehören, findet sich von der engsten Stelle an noch ein zweiter möglicher Druckverlauf, der zu dem oberen Enddruck po hinführt. Gasbewegimg 553 Ermittelt man in gleicher Weise den zu kleineren Ausflußmengen gehörigen Druck- verlauf, so erhält man die in Figur 10 oberhalb Po endigenden Linien. Der Verlauf der Aus- flußmenge mit der Veränderung des Druckes P2 am Düsenende ergibt sich demnach (vgl. die rechts an Fig. 10 angefügte Dar- stellung) so, daß von pa = Pi bis pa = po die Ausflußmengen von Null bis Mmax an- wächst. Von da ab ist im engsten Quer- schnitt die Schallgeschwindigkeit erreicht, und man kann deshalb nach den Ausein- andersetzungen in I, IC auch ohne genaue Kenntnisse der hier eintretenden Vorgänge erwarten, daß bei weiterem Sinken von pa die Vorgänge oberhalb der engsten Stelle sich nicht mehr ändern und die Ausflußmenge konstant bleibt. Der geschilderte Verlauf der Ausflußmenge ist denn auch durch viele Versuche gut bestätigt. Die vorstehende Betrachtung zeigt, daß auf Drücke pa zwischen po und pu keine verlust- lose Strömung hinführt. Beobachtungen des Druckverlaufs führten A. Stodola zu der Erkenntnis, daß hier unstetige Verdichtungen (vgl. I, 2e) auftreten. Da bei diesen ein Teil der mechanischen Energie in Wärme über- geführt wird, erhält man über die hier auf- tretenden Vorgänge Aufschluß, wenn man die Figur 10 durch Druckverlauf linien ergänzt, die derselben Gesamtenergie, aber geringeren Anfangsdrücken p^ entsprechen. Dies ist in Figur 11 geschehen. Der Uebergang von der Linie des normalen Druckverlaufs prPu Fig. 11. zu den neuen Kurven wird durch einen Verdichtungsstoß hergestellt. An Stelle des geraden Verdichtungsstoßes können auch schräge Verdichtungsstöße (vgl. II, 2a) oder andere Widerstandsvorgänge treten. In Wirklichkeit wird der Vorgang dadurch noch etwas geändert, daß bei dem Druckanstieg an der Verdichtungsstelle infolge der Wand- reibung eine Loslösung der Strömung von der Wand erfolgt (vgl. Fl. II, 5e). Die oben beschriebenen Vorgänge haben sich bei Düsen von rechtwinkeligem Querschnitt, deren Seitenränder aus Glasplatten bestanden, auf optischem Wege mittels Schlierenbeleuchtung gut verfolgen lassen (durch diese Methode — vgl. den Artikel ,, Schlierenmethode'' — lassen sich Dichtigkeitsunterschiede als Beleuch- tungsunterschiede erkennbar machen). Soweit die Geschwindigkeit größer ist als die Schall- geschwindigkeit, verhelfen die kleineren Schall- wellen, die von allen Unebenheiten der Wand ausgehen, durch die Winkel, unter denen sie sich schneiden, zu einer Bestimmung des Verhältnisses — (vgl. I, I c und Gleichung [1]) und dadurch zu einer Prüfung der Theorie (L. Magin). Ein Bei- spiel hiervon gibt Figur 12, bei der durch künst- liche Kauhigkeiten der Effekt erhöht wurde. Der Dichteverlauf ohne Erreichung der Schall- geschwindigkeit ist in Figur 13 veranschaulicht, ein Verdichtungsstoß in Figur 14, eine Verdich- tung mit Loslösung des Strahls von der Wand und naclifdlgcuden Wellen (IL 2c) in Figur 15. Helligkeit bedeutet dabei Dichtigkeitsabnahme Fig. 12. Fig. 13. Fig. 14. Fig. 15. in der Richtung der Düsenachse, Dunkelheit Dichtigkeitszunahme. Anmerkung. Die Aehnlichkeit der Strö- mung durch eine Düse mit den Vorgängen beim Ueberströmen von Wasser über ein Wehr (Fl. III, id) ist unverkennbar. In der Tat spielt 554 Gasbewegung dort die Grundwellengeschwindigkeit dieselbe Rolle, wie hier die Schallgeschwindigkeit. ic) Strömung mit Widerständen. Bei einer stationären Strömung mit Wider- ständen, aber ohne Wärmemitteilung durch die Wände, bleibt die Gesamtenergie kon- stant, indem die Reibungsarbeit vollständig in Wärme verwandelt wird. Da meist die Höhenunterschiede keine Rolle spielen, regeln sich die Vorgänge nach der Energie- gleichung (Gl. (9), I, 2d): w- -^ + n + pv = const., die für permanente Gase die einfache Form w2 k (13) -g- + j^^ pv = const. oder (13a) + c,,T = const. annimmt (cp in Arbeitseinheiten zu messen, vgl. I, 2d). Hieraus ist die wichtige Tatsache abzulesen, daß — unter Voraus- setzung der einfachen Gasgesetze — die Temperaturabsenkung gegen den Anfangs- zustand, unabhängig von der Größe der Widerstände, lediglich von der an der be- treffenden Stelle vorhandenen Geschwindig- keit abhängt. Ist die Geschwindigkeit überall unbedeutend, wie es bei Strömung mit sehr großen Widerständen vorkommt, so expandiert das Gas während der Strö- mung bei konstanter Temperatur. Die Expansionsarbeit wird hierbei eben voll- ständig in Reibungsarbeit umgesetzt und dadurch die der Expansion zukommende Abkühlung durch Reibungswärme wieder wettgemacht. Gleiches gilt, wenn eine bereits erzeugte Geschwindigkeit durch Widerstände wieder vernichtet wird. Die wü'klichen Gase zeigen eine geringe Abweichung von diesem Verhalten, die zuerst von W. Thomson und Joule gefunden wurde. Diese fanden beim Durchströmen von Luft mit großem Druckunterschied durch einen Watte- pfropfen eine geringe Abkühlung, die durch die molekulare Anziehung erklärt wü'd. Diese Ab- kühlung, die bei Luft von gewöhnlicher Tem- peratur 74** C für jede Atmosphäre beträgt, bei tiefen Temperaturen jedoch bedeutend stärker ist, bildet die Grundlage der Lindeschen Luftverflüssigungsmaschine. Die Strömung mit Widerständen durch Röhren usw. läßt sich in der Weise rechnerisch verfolgen, daß man zur Energiegleichung (9) oder (13) die Kontinuitätsglcichung (2) und die Druckgleichung (10) hinzuiiitnmt, in der noch für die Widerstandsarbeit R ein spe- zieller Ansatz gemacht werden muß; hier soll jedoch nicht näher darauf eingegangen werden, es mögen lediglich flu- ein Rohr von konstantem Querschnitt, für das die Rech- nungen in der angedeuteten Weise von Grashof durchgeführt worden sind, einige qualitative Ueberlegungen angestellt werden. Zur Vorbereitung sei eine Strömung mit Widerständen betrachtet, bei der die Ge- schwindigkeit w konstant bleibt; dann ist nach Gleichung (13) pv = const. Da nun hier die Widerstände durch einen Druck- abfall in der Strömungsrichtung bestritten werden müssen, ergibt sich ein in der Strö- mungsrichtung wachsendes Volumen und daher nach der Kontinuitätsgleichung wachsender Querschnitt. Um auf das Rohr von konstantem Querschnitt zurückzu- kommen, muß man eine nachträgliche Ver- engung des erweiterten Rohres hinzunehmen; diese bringt, wegen der Erhöhung der Ge- schwindigkeit, eine weitere Druckabsenkung, die wegen der damit verbundenen erneuten Volumenvergrößerung um so größer wird, je näher die Geschwindigkeit an die Schall- V geschwindigkeit herankommt (vgl. die — - Kurve in Fig. 3). Die Schallgeschwindigkeit a', Gleichung (8), stellt hier die Grenzge- schwindigkeit dar, die am Rohrende höchstens erreicht werden kann. id) Ausströmen aus Gefäßen und Einströmen in Gefäße. Von Interesse sind noch die Vorgänge beim Ausströmen aus einem Gefäße und beim Einströmen in ein Gefäß. Wenn man von Wärmeaustausch des Gasinhalts mit den Wänden absieht, dann findet in einem Ausströmungsgefäß adiabatische Expansion, daher Abkühlung statt. Das ausgeströmte Gas hätte, wenn es sich wieder beruhigte, ohne sich zu ver- mischen, nach Gleichung (13b) die Tempe- ratur, die im Gefäß herrschte, als es austrat. Da die Gefäßtemperatur allmählich von Tj auf Ta gesunken war, hat das Gemisch, das man etwa unter einer Gasglocke auf- fangen könnte, eine Temperatur T„i zwischen beiden Temperaturen. Die Abkühlung der Gasmengen im Gefäß auf Tg und in der Gasglocke auf Tm ist auf Rechnung der Arbeit zu setzen, die gegen den Außendruck beim Heben der Gasglocke geleistet worden ist. [ Beim Einströmen in ein teilweise evakuiertes I Gefäß würde sich das in einem Moment ein- geströmte Gas ohne Vermischung wieder auf die Außentemperatur erwärmen, während es sich beruhigt; das bereits im Gefäß befindliche Gas würde adiabatisch kompri- miert und also erhitzt. Der wirkliche Zu- stand (mit Vermischung) wird also eine geringere Erwärmung ergeben, als der adiaba- tischen Kompression entspricht. Die Er- wärmung ist auf Rechnung der vom äußeren Luftdruck beim Eindringen des Gases ge- leisteten Arbeit zu setzen. Im Falle des j Eindringens eines Gases von konstantem ! Druck in ein völlig evakuiertes Gefäß ergibt Gasbewegun^ 555 sich das bemerkenswerte, auch durch die eben erwähnte Energiebeziehung leicht zu beweisende Resultat, daß die Temperatur T im Gefäße während des ganzen Einströmens konstant = kTo ist (To = Außentemperatur). Findet Ueberströmen von einem Gefäß in ein zweites statt, so kühlt sich der Gas- i Inhalt des ersteren ab, der des zweiten er- wärmt sich. Da hier äußere Arbeit nicht 1 geleistet wird, bleibt der Gesamtwärme- ! Inhalt der beiden Gefäße bei dem Vorgang j konstant. 2. Mehrdimensionale Probleme, a) Strö- mung mit Ueb er s ch a 1 1 g e s c h w i n- digkeit um eine Ecke (nach L. Prandtl und Th. Meyer). Zur Einführung in die Darlegungen dieses Abschnitts sei zunächst eine Gasströmung mit Ueberschallgeschwin- digkeit betrachtet, bei der im Punkte A der Wand (Fig. 16) unstetig eine kleine Druck- pansion in volles Vakuum, wird für k -=^ 1,405 durch die Figur 17 dargestellt. Die Richtung des Strahles biegt hierbei um 129" um. 2j^;vzsmzn2^^~^ Fig. 16. erniedrigung eintritt. Diese Druckerniedri- gung wird sich unter dem Machschen Winkel a (vgl. I, ic) fortpflanzen und wird eine Be- schleunigung der Strömung in der Richtung senkrecht zu dem Drucksprung veranlassen. Dadurch wird die Strömungsgeschwindig- keit etwas erhöht und gleichzeitig etwas aljgelenkt. Läßt man nun im Punkt A eine weitere unstetige Druckerniedrigung ein- treten, so pflanzt sich diese in der abgeänderten Strömung unter einem anderen Machschen Winkel a (kleiner als a) fort und bewirkt weitere Vergrößerung und Ablenkung der Geschwindigkeit, usw. usw. Dieser Strömungsvorgang, der in Wirk- lichkeit stetig verläuft, läßt sich als Potential- strömung theoretisch behandeln; er hat dem Vorstehenden entsprechend folgende Eigen- schriften: längs eines jeden vom Punkte A aus gezogenen Fahrstrahles ist der Druck, sowie Größe und Richtung der Geschwindig- keit konstant; jeder Fahrstrahl schließt mit der Strömungsrichtung auf ihm den Mach- schen Winkel ein, es ist deshalb nach Glei- chung (1) die Geschwindigkeitskomponente senki-echt zum Fahrstrahl immer gleich der dem dortigen Zustand entsprechenden Schall- geschwindigkeit. Der Verlauf der vollständigen Strömung von Schallgeschwindigkeit bis zur Maximal- geschwindigkeit (vgl. I, 2b), also bis zur Ex- Der Hauptwert dieser Lösung der theore- tischen Strömungsgleichungen besteht nun darin, daß man wegen der Eigenschaft der Fahrstrahlen als Linien der Druckfort- pflanzung beliebige, von zwei Fahrstrahlen eingeschlossene Stücke mit geradlinigen Strö- mungen kombinieren kann. Wenn z. B. ein Gasstrom mit Ueberschallgeschwindigkeit (wi) parallel zu einer Wand fließt, und es herrscht hinter dem Ende der Wand (A in Fig. 18) ein um einen endlichen Betrag Fig. 18. kleinerer Druck (pa) als in dem Gasstrahl (pi), so wird bis zu dem Fahrstrahl 1, der den Machschen Winkel a^ mit der Strömungs- richtung einschließt (sinoi — , die Gas- strömung unverändert weitergehen (vgl. I, ic); von da ab ergibt sich Expansion von dem Druck p, auf pa in einem keilförmigen Raum zwischen den Fahrstrahlen 1 und 2; nach Erreichung des Druckes pa auf dem Fahrstrahl 2 geht die Strömung in der neuen Richtung geradlinig und gleichförmig weiter. Die Strömungsrichtung schließt mit dem Fahrstrahl 2 den Winkel ag ein, der nach Gleichung (1) zu Wa gehört. Ist eine Wand mit einer oder mehreren konvexen Ecken vorhanden, so erfolgt 556 Gasbewegung die Strömung auch hier in einer Kombi- nation von geradlinigen Strömungen und iveilförmigen Expansionsgebieten, die immer unter Machschen Winkeln aneinandergrenzen. Audi (He Strönuiiig längs einer stetig ge- krümmten Wand lälit sich durch Zusammen- setzung aus Elementen der anfänglich be- schriebenen Strömung beurteilen. Die Wand kann auch konkav sein, die Lösung bleibt in diesem Falle allerdings nur insoweit richtig, als nicht zwei der unter dem jeweiligen Machschen Winkel gezogenen Fahrstrahlen sich schneiden (Fig. 19). Im letzteren Falle Fig. 19. wird die Strömung an dieser Stelle unstetig. Bei einer konkaven Ecke, die einer Druck- steigerung entspricht, wird die Strörnung immer unstetig, es ergibt sich ein ,, schief er Verdichtungsstoß", Fig. 20 (über den geraden Verdichtungsstoß vgl. I, 2e). Es würde nämlich hier der Fahrstrahl 2 der Fig. 18 vor den Fahrstrahl 1 zu liegen kommen, was unmöglich ist. Die Verdichtungsebene liegt zwischen den Richtungen (1) und (2). Die Gleichungen für die senkrecht zur Ver- cüchtungsebene stehenden Geschwindigkeits- komponenten sind dieselben, wie für den geraden Verdichtungsstoß; es überlagert sich einfach die beim Stoß unvercändert bleibende trans- versale Geschwinchgkeitskomponente der in Fig. 6 dargestellten Bewegung. Die mit der T ö p I e r sehen Schlieren- methode gewonnenen Bilder 25 bis 28 geben gute Belege für diese theoretischen Ergebnisse. 2b) Schallwellen von endlicher Amplitude. Dieses Gebiet ist von dem Mathematiker B. Riemann in einer grund- legenden Arbeit aufgeklärt worden. Die Hauptresultate seiner Theorie, die sich auf ebene Wellen bezieht (die allerdings in physikalischer Hinsicht nicht ganz korrekt ist, weil die im Verdichtungsstoß auftretende Erwärmung nach deri\.diabate, statt nach der Energiegleichung (13) gerechnet ist), mögen hier angegeben werden: Jede Druckänderung pflanzt sich relativ zu der bewegten Gasmasse mit der dem augenblicklichen Zustande entsprechenden Schallgeschwindig- keit fort. Schreitet nun in einem zuerst ruhenden Gase eine Verdünnungswelle vor- wärts, so kann dies nur unter Rückwärts- strömen in der Uebergangszone („W^elle") und in dem Raum hinter ihr geschehen (vgl. Fig. 21). Durch die Rückströmung / ' y '"' j't" X EEE -\ . Fig. 21. wird auch die Fortpflanzung der weiter zurückliegenden Phasen der Welle langsamer erfolgen, als die der vorderen, die Welle wird auseinander gezogen. Bei einer Verdichtungs- welle dagegen, die sich in eine ruhende Gas- masse hineinbewegt, werden die in der Welle vorwärtsströmencien Gasmassen die rück- wärtigen Phasen der Welle schneller nach vorne tragen, als sich der Kopf der Welle in der ruhenden Gasmasse fortpflanzt, so daß der Druckanstieg immer steiler wird, und zuletzt in einen Verdichtungsstoß aus- artet (vgl. Fig. 22). Durch den Umstand, — ^ ^ V ' I X Fig. 22. daß bei adiabatischer Zustandsänderung den höheren Drücken höhere Temperatur Gasbewegung 557 und dadurch auch höhere Schallgeschwindig- keit entspricht, werden diese Erscheinnuijen noch merklich verstärkt. Das Kcsullat, daß Verdichtungswellen im Verlauf der Bewegung immer steiler werden und schließlich in einen Verdichtungsstoß ausarten, Verdünnungs- wellen dagegen immer weiter auseinander gezogen werden, liefert den rein mecha- nischen Grund für die Möglichkeit unstetiger Verdichtungsvorgänge und für die Unmög- lichkeit unstetiger Verdünnungsvorgänge bei der stationären Bewegung (vgl. I, 2e). Die Vorgänge bei der stationären Bewegung an einer Ecke (II, 2a), wo die Verdünnungs- welle (Fig. 18) sich keilförmig ausbreitet, und an Stelle der Verdichtungswelle der Verdichtungsstoß tritt (Fig. 20), sind den hier geschilderten in allen Punkten analog. 2c) Vorgänge in freien Gasstrahlen. In dem Strahl, der sich beim Ausfluß von Gas aus einer Mündung bildet, wurden bei höheren Ueberdrücken von E. Mach und P. S a 1 c h e r durchSchlierenbeobachtung regel- mäßige Wellen entdeckt. Sie wurden später von anderen Forschern auch durch Druck- beobachtungen nachgewiesen. Man kann diese Wellen, die immer auftreten, wenn die Geschwindigkeit im Strahl größer ist als die Schallgeschwindigkeit, gut verstehen, wenn man weiß, daß die in II, 2a beschriebenen schrägen Verdünnungs- und Verdichtungs- wellen sich ohne wesentliche gegenseitige Störung durchdringen können und daß sie ferner an den freien Strahlgrenzen total reflektiert werden, so zwar, daß eine Ver- dünnungswelle als Verdichtungswelle zurück- geworfen wird und umgekehrt. Für einen Gasstrahl, der in paralleler Strömung mit Ueberschallgeschwindigkeit aus einer Oeffnung ins Freie tritt, läßt sich hiernach unter der Voraussetzung ebener Bewegung, d. h. einer länglich rechteckigen Mündung, das Folgende aussagen. Herrscht in dem Austrittsraum ein geringerer Druck als im Strahl (Fig. 23), dann gehen von jeder messung der Strahlbreite als Verdünnungs- wellen reflektiert, worauf das Spiel von neuem beginnt. Der Druck im ^MittdtVId der Welle, P3, ist dabei in ähnlichem Maße niedriger als der Außendruck p,., als p^ höher ist wie dieser. Ist der Äußendruck größer als der Druck im Strahl, so erfolgen zunächst schiefe Verdichtungsstöße nach Figur 20; diese werden als keilförmige Verdün- nungswellen reflektiert, die sich im weiteren Verlauf wie oben geschildert verhalten. Ist die Anfangsgeschwindigkeit gleich der Schall- geschwindigkeit (wie es bei Oeffnungen. die nicht nach Art einer Lavaldüse [II, ib] erweitert sind, immer der Fall ist), so ist der anfängliche Machsche Winkel a = 90" und die Figur 23 ändert sich durch Ausbreitung der Keilgebiete über die ganze Fläche zu Figur 24; aus dem Doppelkreuz ist hier- durch ein einfaches geworden. Austrittskante keilförmige Verdünnungs- wellen nach Fig. 18 aus, die sich durchkreuzen und an der gegenüberliegenden Strahlgrenze als Verdichtungswellen reflektiert werden. Diese pflanzen sich unter keilförmiger Ver- schmälerung fort und werden nach Durch- Fig. 24. Die Figuren 25 bis 28 zeigen photographisehe Aufnahmen von solchen Wellen (Prandtl). Figur 25 bei Ueberdruck im Strahl, Figur 26 bei Gleichdruck, Figur 27 bei Unterdruck im Strahl; die Mündungsgeschwindigkeit ist bei allen drei Aufnahmen dieselbe. Figur 28 zeigt ein Beispiel für den Fall, daß die Mündungs- geschwindigkeit gleich der Schallgeschwindigkeit ist (bei allen Aufnahmen bedeutet Helligkeit Verdünnung, Dunkelheit Verdichtung). Fig. 25. 558 Gasbewegung- Fig. 27. ■ :» / = 0,89 d Fig. 28. Wenn, wie es meist der Fall ist, der Strahl die Mündung nicht in reiner Parallel- bewegung verläßt, werden die Wellenbilder wesentlich verwickelter; die Wellenlänge bleibt dabei ziemlich konstant, sie ist, da es sich im wesentlichen um zweimalige Durch- messung des Strahls mit einer unter dem Machschen Winkel laufenden Welle handelt, für die ebene Bewegung, unter Berück- sichtigung von Gleichung (1) A = 2dmCtga, 2d, n)>' hierbei ist dm ein mittlerer Strahldurch- messer, am wild ( — j sind Mittelwerte von w a und . a Bei Strahlen, die aus kreisförmigen Oeffnungen kommen, sind die Verhältnisse wegen der kegelförmigen Durchkreuzung der Wellen, durch die diese stark verändert werden, weit weniger einfach. Eine Auf- nahme des Strahls bei einer verengten Oeff- nung, von L. Mach, ist in Figur 29 £;^ :■• -^ ' "^ '^ . * Fig. 29. wiedergegeben. Die Wellenlänge in solchen Strahlen, bei denen also die Mündungs- geschwindigkeit gleich der Schallgeschwindig- keit ist, wurde von R. Emden aus Experi- menten zu p 1,9 Pa ermittelt; d bedeutet dabei den Mündungs- durchmesser, p, den Druck im Kessel, pa im Austrittsraum. 2d) Bewegung von Körpern mit Ueberschallgeschwindigkeit. Geschoß- widerstand. Daß bei der Bewegung eines kleinen Körpers durch eine Gasmasse — oder beim gleichförmigen Vorüberströmen einer Gasmasse an einem kleinen ruhenden Hinder- nis, was dasselbe ist — die vom Körper aus- gehenden Druckwirkungen sich nur in einem Kegel hinter dem Körper ausbreiten können, sobald die Geschwindigkeit größer ist als die Schallgeschwindigkeit des Gases, ist bereits in 1, ic auseinandergesetzt worden. Dieses Resultat gibt jedoch nur die groben Züge des Vorganges. Sobald man den Körper nicht als klein ansehen will, sondern seine räumliche Ausdehnung in Betracht zieht, wird man das Bild verbessern müssen. Vorausgesetzt, der Körper sei vorn stumpf, dann wird er etw-as Gas vor sich herschieben, vor seiner Mitte wird sich ein Staupunkt (Fl. II, IC und 2a) ausbilden (A in Fig. 30). Fig. 30. Da diese Gasmasse relativ zum Körper mit Unterschallgeschwindigkeit strömt, so pflanzt sich in ihr der Druck auch nach vorn fort; sie findet nach vorn ilne Grenze in einem Verdichtungsstoß, der sogenannten Kopf- welle, in der die Geschwindigkeit (relativ zum Körper genommen) von Ueberschall- geschwindigkeit (außerhalb) auf Unterschall- geschwindigkeit (innerhalb) heruntersinkt. Der Drucksprung der Kopfwelle setzt sich seitlich als Kegehvelle fort. Hinter der Kopfwelle folgen eine Reihe anderer Kegel- wellen, deren Einzelheiten von der Gestal- tung des Körpers und von den Vorgängen hinter dem Körper abhängen. Die Kopf- welle liegt bei großen Geschwindigkeiten eng am Körper an, bei geringeren ist sie weiter vor ihm. Figur 31 (Aufnahme von L. Mach, gewonnen mit der Töpler sehen Schlieren- methode) gibt die Luftbewegungen um ein Infanteriegeschoß wieder. Gasbewegung 559 Die von dem mit Ueberschallgeschwindigkeit bewegten Körper ausoeheiiilea Kogelwellen, die sich in der Richtun^^ scnlaecht /.iir Kegel- oberfläche wie andere Schallwellon fortpflanzen, Fig. 31. werden als scharfer Knall vernomraen. Es mag erwähnt werden, daß der Peitschenknall dadurch entsteht, daß das äußerste Ende der Peitschen- schnur sich mit Ueberschallgeschwindigkeit durch die Luft bewegt. Die Druckerhöhung, die die Luft in dem vor dem Körper entstehenden Staupunkt er- fährt, ist von gewissem Interesse. Sie be- steht bei Geschwindigkeiten über der Schall- geschwindigkeit aus zwei Teilen, der un- stetigen Druckerhöhung in der Kopfwelle, und der stetigen von der Kopfwelle bis zum Staupunkt. Die Berechnung zeigt, daß diese Druckerhöhung nicht nur für die kleinen Geschwindigkeiten (Fl. II, ic), sondern auch wieder für die sehr großen Geschwindig- keiten proportional dem Quadrat der Ge- schwindigkeit ist; dazwischen wächst sie etwas schneller. Ihr Verhalten läßt sich durch die Formel -Po pw^ darstellen, wo der Faktor ß eine Funktion des Verhältnisses Bewegungsgeschwindigkeit : Schallgeschwindigkeit ist; seine Werte für k = 1,405 (Luft) können aus der nach- folgenden kleinen Tabelle entnommen werden ; den Verlauf von. ß zeigt Figur 35. aus Gleichung (13a) entnommen werden; sie ergibt sich zu ' ^'^~2cp' wirdw in m/sec gemessen, so wird Cp (in Arbeits- einheiten) = 0,238.427.9,8 ^ 1000. ß ^/ . r.\^^ \ .^' // .^^' f :- 0 1 2 00 stetiger Anteil: 1,25 0 1,65 1,25 1,84 1,67 Für die Geschwindigkeitserniittelung durch ein Pitotrohr (Staudruckmessung, vgl. Fl. An- hang b) gelten die hier gegebenen Ausführungen in gleicher Weise. Die mit dem Aufstau des Gases vor dem Körper verbundene Temperaturerhöhung kann Fig. 32. Dies gibt für 800 m/sec (Artilleriegeschoß) 250», für 20000 m/sec (Meteor) 200000«. Die letztere Temperatur wird in Wü'klichkeit durch die starke Ausstrahlung der verdichteten Luft nicht erreicht. Durch einen Analogieschluß aus dem Verhalten des Staudrucks läßt sich vermuten, daß auch der Geschoßwiderstand bei sehr großen Geschwindigkeiten wieder pro- portional dem Quadrat der Geschwindigkeit wird, wenn auch mit einem anderen Koeffi- zienten, wie bei kleinen Geschwindigkeiten. Der Widerstand kann deshalb wie bei den volumbeständigen Flüssigkeiten durch die Formel W = y' F^w^ dargestellt werden, wo F der Querschnitt des Geschosses ist; allerdings darf yj hier nicht wie dort als eine Konstante angesehen werden, sondern es ^ , . w ist eme Funktion von -. a Die Versuchswerte, die durch Messung der Verzögerung der Fluggeschwindigkeit der Geschosse gewonnen werden, zeigen bei wachsender Geschwindigkeit unterhalb der Schallgeschwindigkeit ein leichtes Absinken, bei Ueberschreitung der Schallgeschwindig- keit aber ein starkes Anwachsen. Dieses ist dadurch zu erklären, daß jetzt zu dem bis- herigen Widerstand, der in der Hauptsache durch die Wirbelbildung hinter dem Körper verursacht wird (vgl. Fl. II, 5f), noch ein Wellenwiderstand hinzukommt, der der er- zeugten Schallenergie entspricht. Bei größeren Geschwindigkeiten nimmt der Luftwider- standskoeffizient wieder etwas ab und scheint sich dann einem konstanten Wert zu nähern. Die Abnahme scheint zum Teil mit der Aende- rung der Wellengestalt zusammenzuhängen, andererseits damit, daß die Saugwirkung am hinteren Geschoßende nicht quadratisch 560 Grasbewee:un£ ■Gase weiterwachsen kann, sondern in dem absoluten Vakuum eine Grenze findet. In Figur 33 ist der Verlauf von ip für einige Artilleriegeschosse nach 0. v. Eberhard und Ol ^^^ , :^^ n kJ "-^- .... 1 w a Fig. 33. für ein Infanteriegeschoß (S-Geschoß) nach K. Becker und C. Cranz (beide Arbeiten in den Artilleristischen Monatsheften 1912) auf- getragen. Figur 34 gibt die zugehörigen Geschoß- formen. A I II III IV Fig. 34. Verzeichnis der wichtigen Formelgrößen. w = Strömungsgeschwindigkeit. a = Schallgeschwindigkeit. '' = a' = kritische Geschwindigkeit, Gl. (8). u = Machscher Winkel, Gl. (1). F = Querschnitt. Q = Dichte (Masse der Volumeneinheit). V = spezifisches Volumen (Volumen der Masseneinheit) = . Q M = Masse pro Zeiteinheit, Ausflußmenge. p — Druck (pro Flächeneinheit). P = Druckfunktion, Gl. (5). T = absolute Temperatur. B = Gaskonstante. Cp = spezifische Wärme bei konstantem Druck. Cv = spezifische Wärme bei konstantem Volumen. Literatur. /. Lehrbücher. F. Grashof, Theoretische 3laschinenlehre. Bd. i. Leipzig 1875. — A. Stodola, Die Dampfturbinen. 4. Aufl. Berlin 1910. (Abschnitt LIL iind X). — • Kürzere Darstellungen in den neuesten Lehr- büchern der technischen Thermodynamik. — B, Rietnann und H. Weber, Die partiellen Differentialgleichungen der mathematischen Physik. Bd. 2. Braunschweig 1901. {Luftwellen). IL. Hi storische Dar Stellung en in der Enzyklopädie der mathematischen Wisse^i- Schäften: Bd. IV (Mechanik), Artikel 18: Ballistik, von C. Cranz. Artikel 19: Unstetige Beivegung in Flüssigkeiten von G. Ze mp l en. Bd. V (Physik) Artikel 5b: Strömende Beicegung der Gase und Dämpfe, von L. Prandtl. LLI. Monographien (wegen der älteren Arbeiten siehe die Enzyklopädie). JE, Mach und P. Saldier, Photographische Fixierung der durch Projektile in der Luft eingeleiteten Vor- gänge. iSitzungsber. d. Wiener Akad., math.- naturw. KL, Bd. 95, IL (1887), S. 764. — Die- selben, Optische Untersuchung der Lußstrahlen. Bd. 98, JLa (1889), S. 1303. — E. und L. Mach, Weitere ballistisch -photographische Versuche. Bd. 98, IIa (1889), i>. 1310. — E. Mach, Weitere Versuche über Projektile. Bd. 105, IIa, 1896, S. 605. — Derselbe, Optische Untersuchungen an Luftstrahlen. Bd. 106, IIa, 1897, S. 1025. — i. Prandtl, Neue Unter suchimgen über die slrnmende Bewegung der Gase und Dämpfe. Physikal. Zeitschrift 8, 1907, S.SS. — L. Magin und Th, Meyer, Studien über Luftströmung mit Ueberschallgeschwindigkeit. Mitteilungen über Forschungsarbeiten , herausgegeben vom Verein deutscher Ingenieure, Heft 62, 1908. L. Prandtl. Exponent der Adiabate. q = der Masseneinheit zugeführte Wärme. R = auf die Masseneinheit entfallende Widerstandsarbeit. Anmerkung. Die mit ,,F1." bezeichneten Verweise beziehen sich auf den Artikel ,,F 1 ü s s i g k e i t s b e w e g u n g". Gase. I. Gase bei hohen Temperaturen und kleinen Drucken (reale Gase im verdünnten Zustand, ideale Gase). 1. Betrachtung vom empirischen Standpunkt: a) Einfache Gesetze bei verdünnten Gasen, b) Bo}de-Mariottesches und Gay-Lus- sacsches Gesetz." Ausdehnungskoeffizient, Druck- koeffizient, Daltonsches Gesetz. 2. Betrachtung vom Standpunkt der Molekular- und Atomlehre; a) Prinzip von Avogadro und Ampere. Allge- meines Gasgesetz. Ideale Gase. Gaskonstante R. b) Gay-Lussac-Humboldtsches Vereinigungs- gesetz. Abnorme Gasdichte. 3. Betrachtung vom thermodynamischen Standpunkt: a) Molekular- wärme der Gase, b) Isotherme Arbeitsleistung bei der Expansion, isothermer Arbeitsaufwand bei der Kompression. 4. Betrachtung vom kine- tischen Standpunkt: a) Kinetische Deutung der Gesetze von Boyle-Mariotte, Gay-Lussac und Dalton, Avogadros Prinzip. b) Kinetische Deutung der Molekularwärmen. IL Gase bei tiefen Temperaturen und hohen Drucken (reale Gase im verdichteten Zustand). 1. van der Waalssche Gleichung. Ausdehnungs- und Druck- koeffizient. 2. Reduktion auf den idealen Gas- zustand zwecks genauer Molekular- und Atom- gewichtsbestimmungen. 3. Reduktion auf den idealen Gaszustand zwecks genauer Temperatur- bestimmung. Gasthermometrische und thermo- Gase 561 dynamische Temperaturskala. 4. Gas und i Dampf. III. Gase im Gleichgewicht mit anderen Phasen. I. Gase bei hohen Temperaturen und kleinen Drucken (reale Gase im ver- dünnten Zustand, ideale Gase). I. Betrachtung vom empirischen Stand- punkt, la) PJinfache Gesetze bei ver- dünnten Gasen. — Man sagt bekanntlich, daß eine Stoffmenge sich dann im gas- förmigen Aggregatzustand befindet, wenn sie weder eine bestimmte ihr zukommende Gestalt, noch ein bestimmtes Volumen be- sitzt, sondern vielmehr jeden ihr darge- botenen, abgeschlossenen Raum vollkommen und gleichmäßig erfüllt. Den Gasen kommt also ein Expansionsbestreben zu, das sich auch in einem auf die Gefäßwandungen ausgeübten Druck äußert (vgl. den Artikel ' „Aggregatzustände"). Sämtliche Gase lassen sich bei geeigneten Versuchsbe- dingungen (genügend tiefen Temperaturen und genügend hohen Drucken) in den flüssigen bezw. den festen Aggregatzustand ' überführen. Es hat sich gezeigt, daß für jeden Stoff eine ganz bestimmte charakte- ristische Temperatur, die sogenannte kri- tische Temperatur, existiert, oberhalb derer er durch keinen noch so hohen Druck aus dem gasförmigen Aggregatzustand in den flüssigen übergeführt, d. h. Kondensa- tion beobachtet werden kann, und daß weiter für jeden Stoff ein charakteristischer Druck, der sogenannte kritische Druck, existiert, oberhalb dessen er bei keiner noch so hohen Temperatur die Erscheinung des Siedens zeigt (vgl. den Artikel ,, Kri- tische Erscheinungen", Anhang zu dem Artikel ,, Aggregatzustände"). Wenn man die Gase bei sehr weit über der kritischen liegenden Temperaturen und beliebigen Drucken oder bei sehr weit unter dem kritischen liegenden Drucken und beliebigen Temperaturen oder bei mäßigen Tempe- raturen und sehr kleinen bezw. mäßigen Drucken oder endlich bei mäßigen Drucken und sehr hohen bezw. mäßigen Tempera- turen betrachtet, so werden die an ihnen beobachteten Gesetzmäßigkeiten besonders einfache. Wir wollen zunächst nur an diese Versuchsumstände denken, die mit einer großen Verdünnung der Gase identisch sind. ib) Boyle-Mariottesches und Gay- Lussacsches Gesetz. Ausdehnungs- koeffizient, Druckkoeffizient. Dal- tonsches Gesetz. — Zunächst sei bemerkt, daß der Zustand einer bestimmten, in Gram- men gemessenen Menge eines beliebigen Gases durch drei Größen Volumen, Druck und Temperatur, welche man die drei Zustandsgrößen nennt, eindeutig ge- geben ist. Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV Haben wir also eine beliebige Menge (gemessen in Grammen) eines beliebigen Gases, z.B. Wasserstoff in cimMii l)estiminten Volumen V bei einer bestimmten Temperatur t" C abgesperrt, so steht das Gas unter einem bestimmten Druck P, den man manometrisch feststellen kann. Lassen wir die Gasmenge und ihre Temperatur konstant, verändern dagegen das Gas- volumen, so ändert sich auch der Gasdruck, und zwar wird er bei Verkleinerung des Volumens größer, bei Vergrößerung desselben aber kleiner. Das quantitative Gesetz, das hierbei die Gase im verdünnten Zustand mit guter Annäherung befolgen, ist das Boyle-Mariottesche. Es besagt, daß für eine konstante Gasmenge und für eine kon- stante Temperatur das Produkt aus Gasdruck P und Gasvolumen V konstant ist. Wir können das Boyle-Mariottesche Gesetz also schreiben: P.V = Ci, wo Ci eine mit der Gasart, der Gasmenge und der Gastemperatur variable Größe ist, die aber bei Festlegung der genannten drei Faktoren eine von P und V unabhängige Konstante darstellt. Während das Boyle-Mariottesche Ge- setz sich auf konstante Temperatur, dagegen auf variable P- und V- Werte bezieht, bezieht sich das Gay-Lussacsche Gesetz auf kon- stanten Druck und variable Temperatur, und ein drittes, nicht mit speziellem Namen belegtes analoges Gesetz auf konstantes Volumen und variable Temperatur. Haben wir nämlich wieder eine bestimmte Menge (in Grammen gemessen) eines beliebigen Gases bei einem beliebigen Druck P und der Temperatur des schmelzenden Eises (0° C), wo es das Volumen V^ einnimmt, so dehnt sich bei konstant bleibender Gasmenge und konstant bleibendem Druck das Gasvolumen bei Erhöhung der Temperatur aus und zieht sich bei Erniedrigung der Temperatur zu- sammen. Mißt man die für die Temperatur- erhöhung von 1° C eintretende Volumver- größerung a in Bruchteilen des ursprünglichen Volumens V^, so besagt das Gay-Lussac- sche Gesetz, daß die Größe a durch sehr große Temperaturbereiche mit guter An- näherung konstant ist, d. h. mit anderen Worten, daß pro Celsiusgrad der Betrag der Vohimausdehnung der gleiche ist, wo der Grad auch immer in der Temperatur- skala liegt. Besonders zu betonen ist, daß die Größe a, der sogenannte Ausdehnungs- koeffizient, bei verdünnten Gasen mit der Gasart nicht variiert. Nennen wir V das bei der beliebigen Celsiustemperatur t von der Gasmenge eingenommene Volumen, so läßt sich das Gay-Lussacsche Gesetz mathematisch schreiben: V = Vo(l + at). 36 562 Gase Hierbei kann t, die Celsiustemperatur, positiv oder negativ sein. Die Größe a hat nach den genauesten, heute zur Ver- fügung stehenden Daten den Wert ,^„0 na [D. Berthelot, Zeitschr. f. Elektrochem. 10, 621—629 (1904)]. Hat man dagegen eine bestimmte Menge eines beliebigen Gases bei der Temperatur 0° C, dem Druck Pq und einem beliebigen Volumen V und läßt nun bei einer Tem- peraturänderung V konstant, so steigt der Gasdruck mit der Erhöhung der Temperatur bezw. sinkt er mit ihrer Erniedrigung. Es ergibt sich hier analog dem Gay-Lussac- schen Gesetz mit weitgehender Annäherung, daß, unabhängig von der Gasart, der Druck i für eine Temperaturerhöhung von 1° C um den gleichen Bruchteil von Pq steigt, wo auch immer in der Temperaturskala der Grad liegt, und zwar ist dieser Bruchteil, der hier > Druckkoeffizient heißt, numerisch gleich dem Ausdehnungskoeffizienten. Wir können somit auch schreiben: P = Po (1 + at). Das Boyle-Mariottesche sowie das Gay-Lussacsche Gesetz können wir nun- mehr zusammenfassen. Haben wir eine beliebige Menge eines beliebigen Gases bei dem Druck Pj, dem Volumen V^ und der Temperatur t^, so können wir zunächst unter Konstanthaltung des Druckes Pj die Temperatur t^ in tg ändern, wobei das Volumen V^' wird. Sodann können wir unter Konstanthaltung der Temperatur to den Druck P^ in Pg ändern, wobei das Volumen Vj' zu Vg wird. Wir sind dann zu einem Gaszustand" gelangt, in welchem alle drei Zustandsgrößen der Gasmenge verändert sind. Auf die Veränderung der "Temperatur bei konstantem Druck P^ ist das Gay- Lussacsche Gesetz anwendbar, es gilt somit: V, = V„P. (1 + ati) und V/ = Vo^'i (1 + ato), wo VßPi das Volumen der Gasmenge bei 0" C und dem Druck Pj ist. Auf die Ver- änderung des Druckes bei konstanter Tem- peratur to ist das Boyle-Mariottesche Gesetz anwendbar, so daß wir erhalten: Setzen wir in diese Gleichung den Ausdruck für Vj' ein und drücken schließlich noch VqPi durch Vj aus, so bekommen wir: (l + at.,) Da die Größen P^Vj und t^ bezw. P^Vo und tg ganz beliebige sind, so sehen wir" PV daß der Quotient :p— — 7 für alle Zustände, welche eine bestimmte Menge eines be- liebigen verdünnten Gases annehmen kann, eine konstante Größe ist; diese letztere Größe variiert aber mit der in Grammen gemessenen Gasmenge und ebenso mit der Gasart. Weiter kann man vom rein empirischen Stand- punkt in die Gesetzmäßigkeiten des Gas- verhaltens nicht eindringen. Nur ein das Boyle-Mariotte- Gay-Lussacsche Gesetz ergänzendes Gesetz könnten wir noch an- führen, nämlich das D alt on sehe. Mischt man zwei oder mehrere gleich temperierte, chemisch nicht aufeinander wirkende ver- dünnte Gase, so erfüllt jedes einzelne Gas das dargebotene Gesamtvolumen V gleich- mäßig und vollständig und übt denselben Druck aus, den es auch ausüben würde, wenn es allein in dem Volumen V anwesend wäre. Der jedem einzelnen Gas zukommende Druck heißt Partial druck. Nennen wir die einzelnen Partikulardrucke p^, p^, P3 usf. und den gesamten Gasdruck P, so sagt das Daltonsche Gesetz die Gleichung: P = Pi + P. Ps PiVr oder endlich: 1 + ato (1 + ati) PiVi atj konst. 2. Betrachtung vom Standpunkt der Molekular- und Atomlehre. 2a) Prinzip von Avogadro und Ampere. Allge- meines Gasgesetz. Ideale Gase. Gas- konstante R. — Das gleichmäßige Verhalten der verdünnten Gase, welches sich unab- hängig von der chemischen Natur der Gase in dem allgemein gültigen Boyle-Mariotte- Gay-Lussacschen Gesetz ausspricht, hat frühzeitig dahin geführt, den tieferen Grund hiefür in einer gleichartigen Konstitution, in einem gleichartigen inneren Aufbau der chemisch verschiedenen verdünnten Gase zu suchen. Man hatte schon bald nach dem Einsetzen der modernen Naturwissenschaft aus verschiedenen Eigenschaften der Materie, auf die hier nicht eingegangen werden kann (vgl. den Artikel ,, Materie"), erkannt, daß dieselbe nicht kontinuierlich sein kann, sondern aus diskreten, kleinen Teil- chen, den Molekülen, aufgebaut sein muß. Die Erkenntnis von dem molekularen bezw. atomaren Aufbau der Materie ist heute eine der gesichertsten der ganzen exakten Naturwissenschaften, da die verschiedensten Gebiete, die Stöchiometrie, die Kolloid- chemie, die kinetische Gastheorie, die Strah- lungslehre, die Elektronik und Radioaktivität zu quantitativ übereinstimmenden, unab- hängig voneinander gewonnenen Resultaten über den Aufbau der Materie geführt haben. Avogadro und xVmpere sprachen nun Grase 563 daß in gleichen Volumina der chemisch verschiedenen, verdünnten Gase bei glei- chem Druck und gleicher Temperatur die gleiche Anzahl von Gasmolekülen enthalten seien. Dieses für die Chemie und die Physik in gleicher Weise wichtige Fundamental- prinzip führt den Namen des Avogadro- schen Prinzips und hat sich in ausge- zeichneter Weise bewährt. Vom Standpunkt ^des A v o g a d r o sehen Prinzips ist nun eine rationelle, noch ein- fachere Behandlung der verschiedenen ver- dünnten Gase, unabhängig von ihrer che- mischen Natur, möglich. Aus dem Avo- gad roschen Prinzip ergibt sich nämlich, daß es nicht praktisch sein wird, ganz be- liebige Mengen (in Grammen gemessen) der verschiedenen Gase vergleichsweise zu be- trachten, sondern nur solche Mengen, die bei gleichem Druck und gleicher Temperatur gleiche Volumina innehaben. Da in diesen Volumina die gleiche Zahl von Molekülen enthalten ist, wird der Vergleich des Ver- haltens der verschiedenen Gase offenbar zu besonders einfachen Resultaten führen. Man ist nun übereingekommen, nur solche Mengen der verschiedenen (iase vergleichend zu be- trachten, die bei beliebigem Druck P und be- liebiger Temperatur t (^ Celsius) das gleiche Volumen einnehmen wie 32 g Sauerstoff (be- treffs der Gründe für die Wahl gerade dieser Zahl vgl. die Artikel „Molekularlehre" und „Atomlehre"). Hierbei sind also P und t zwar noch beliebig, aber für alle Gase gleichmäßig zu wählen. Am zweckmäßigsten für Vergleichszwecke ist es, auch noch die Werte von P und t zu fixieren. Man wählt als Normaldruck P einen Gasdruck, der gleich dem Druck einer Quecksilbersäule von 0" C, 76 cm Höhe und 1 qcm Querschnitt unter 45° geographischer Breite am Meeres- niveau ist. Dieser Druck heißt 1 Atmo- späre und beträgt 1013250 ^ — ^ oder 1033,3 Als Normaltemperatur nimmt man die Temperatur des unter 1 Atmosphäre Druck schmelzenden Eises (0" C). Ein Gas, das Normaldruck und Normaltemperatur zeigt, befindet sich im Normalzustand. Die Menge eines jeden verdünnten Gases in Grammen, welche bei O'* C und 1 x\tmosphäre Druck das gleiche Volumen, wie 32 g Sauerstoff im Normal- zustand, einnimmt, die also nach dem Avo- g ad roschen Prinzip die gleiche Anzahl Moleküle enthält wie diese Menge Sauerstoff, nennt man nach Ostwald ein Mol des be- treffenden Stoffes. Läßt man bei der Mol- zahl das Zeichen g (Gramme) fort, so bedeutet die Zahl das relative Molekulargewicht. Denn aus Avogadros Prinzip ist ohne weiteres ersichtlich, daß die Mengen ver- schiedener Gase, die in gleichen Volumina bei gleichem Druck und gleicher Temperatur enthalten sind, sich wie die Gewichte der einzelnen Gasmoleküle verhalten müssen. Da man willkürlich dem Sauerstoff die Zahl 32 zuschreibt, erhält man nur relative Molekulargewichte. Die absoluten Mole- kulargewichte können dagegen aus der kinetischen Gastheorie, der Kolloidchemie, der Strahlungslehre, der Elektronik und Radioaktivität bestimmt werden. Von dem Avoga droschen Prinzip aus können wir nun zu einem allgemeinen Gasgesetz kommen. Wenn wir bedenken, PV daß der Quotient z — , r für ein Mol der 1 + at verschiedensten verdünnten Gase im Normal- zustand den gleichen Wert hat und wenn wir weiter bedenken, daß nach dem in ib zusammengefaßten Boyle-Mariotte-Gay- Lussacschen Gesetz für eine konstante Menge verdünnten Gases der Quotient PV :, — , 7 konstant ist, so sehen wir ein, daß 1 + at für 1 Mol der verschiedensten, verdünnten PV Gase der Quotient y— — 7 unter allen möglichen Versuchsumständen einen und denselben Wert beibehält. Wir wollen diesen für 1 Mol gültigen Wert K nennen und schreiben: PV _ j. 1 + at Man sieht ohnes weiteres, daß für n Gasmole die Gleichung: PV .. 1 + at heißen müßte, da bei gleichem P und t n Gasmole den n-fachen Raum wie 1 Mol einnehmen. Wir wollen nun noch eine Begriffserweite- terung vornehmen, die wir schon vom rein empirischen Standpunkt hätten vornehmen können, die aber hier gleich weiter verwertet und genauer betrachtet werden kann. Wir können nämlich statt der Celsiusskala, die bekanntlich auf der Teilung des Temperatur- intervalles zwischen Eis- und Siedepunkt des reinen Wassers beilx\tmosphäre in 100 gleiche Teile beruht, eine andere Temperaturskala, die sogenannte absolute Temperatur- skala, einführen. Da nach dem Gay- Lussacschen Gesetz eine beliebige Gasmenge sich bei der Abkühlung um einen Celsiusgrad um den gleichen Bruchteil a= ^„n qq ihres Volumens bei 0° C zusammenzieht, so würde sie bei — 273,09" C das Volumen 0 einnehmen, wenn bis zu dieser Temperatur das Gay- Lussacsche Gesetz noch in Geltung bliebe. 36* 564 (rase Man nennt diesen aus dem Verhalten der Gase bei höheren Temperaturen extra- polierten Temperaturpunkt, dem wir weiter unten eine anschaulichere Bedeutung bei- legen werden, den absoluten Nullpunkt. Zählt man die Temperaturen von diesem absoluten Nullpunkt aus, so erhält man die absoluten Temperaturen. Zur Ueber- führung einer Celsiustemperatur in eine absolute bedient man sich also der Gleichung: t + "^ = t + 273,09 = T, a wo T die absolute Temperatur bedeutet. Diese absolute Temperatur können wir nun in die oben für 1 Gasmol entwickelte Glei- chung einführen. Wir bekommen dann: PV _ PV \ 1 + at ~ ' , , t chemischen Messungen (vgl. den Artikel ,, Atomlehre" u. w. u.) die Molekular- gewichte M der Gase sehr genau. Dividiert man nun M durch das genaue Gewicht eines Normalliters des betreffenden Gases, so hat man das Volumen von 1 Gasmol unter PV Normalbedingungen und somit auch ™ = R. Es fanden z. B. Regnault, Jolly, Leduc, Rayleigh, Morley u. a. die Daten der folgenden Tabelle: " ' 273,09 273,09 PV _ T R, bezw. PV RT. _ 273,09 PV ~ 273,09 +t und endlich: PV K T ~ 273,09 In der Gleichung PV = RT bedeutet R eine neue Konstante, die für 1 Mol jedes beliebigen verdünnten Gases einen und den- selben Wert hat. Sie wird Gaskonstante genannt, während die Gleichung PV = RT als Gasgleichung oder allgemeines Gas- gesetz bezeichnet wird. Es ist klar, daß für n-Mole eines beliebigen verdünnten Gases die Gleichung PV = nRT gelten muß. Die Gasgleichung, die das Boyle-Ma- riottesche und das Gay-Lussacsche Gesetz vereint enthält, wird in der Physik und Chemie außerordentlich oft benutzt und stellt eine Fundamentalgleichung dieser Wissenschaft dar. Wir können sie direkt zur Definition eines außerordentlich wichtigen Grenzbe- g r i f f e s , nämlich des der sogenannten ,, idealen Gase", anwenden. Ein Gas, das die allgemeine Gasgleichung befolgt, heißt ein ideales Gas. Die realen Gase nähern sich den idealen Gasen um so mehr, je ver- dünnter sie sind; in um so exakterem Maße gilt dann für sie die Gasgleichung. Zur genauen Bestimmung der Gas- konstanten R kann man am einfachsten folgendermaßen verfahren. Man bestimmt für solche Gase, welche dem idealen Gas- zustand möglichst nahe sind, durch genaue Messungen das Gewicht von 1 1 unter Normalbedingungen. Dividiert man dieses Gewicht noch durch das Gewicht eines Normalliters Sauerstoff, so nennt man die erhaltene Zahl die auf Sauerstoff bezogene Gasdichte. Nun weiß man durch Kom- bination von selbst nur ungefähren Gas- dichtemessungen mit genauen analytisch- i Gewicht Volumen von 1 1 von 1 Mol Gasart Molekular- unter unter gewicht Normalbe- Normalbe- dingungen dingungen in Gr. in 1. Wasserstoff 2,Ol6 0,08988 22,43 Sauerstoff 32,00 1,4291 22,39 Stickstoff 28,02 1,2507 22,40 Stickoxyd 30,01 1,34265 22,35 Kohlenoxyd 28,00 1,2507 22,44 Stickoxydul 44,02 1,9706 22,34 Methan 16,04 0,71464 22,44 Ammoniak 17,07 0,7621 22,39 Würden sich die einzelnen Gase vollkommen ideal verhalten, so müßten die Zahlen der letzten Kolumne völlig identisch sein. Als Mittel aus ihnen folgt der Wert von 22,412 I für das Volumen eines Mols eines idealen Gases unter Nornualbedingungen. Aus dieser Zahl ergibt sich die Gaskonstante R, wenn man V in Litern, P in Atmosphären 22 412 zählt, zu 2>^ =0,0821, wenn man da- gegen V in ccm und P in Dynen pro qcm rechnet, so ergibt sich R zu 0,8316.10* [siehe die Mitteilung der Maßeinheiten- kommission der Bunsengesellschaft, Z. f. Elektrochem. 12, 1 (1906) und die Beschlüsse des Ausschusses für Einheiten und Formel- größen, Z. f. Elektrochem. 14, 743 (1908)]. Bezüglich der Methoden zur Bestimmung von Gasdichten sei auf den Artikel ,, Mole- kularlehre" verwiesen. 2b) Gay-Lussac-Humboldtsches Vereinigungsgesetz. Abnorme Gas- dichte. — Was die chemischen Reaktionen zwischen zwei oder mehreren verdünnten gleichtemperierten Gasen anbelangt, so ist von Gay-Lussac und Humboldt ein Gesetz gefunden worden, welches folgender- maßen lautet: Die unter gleichen Bedin- gungen gemessenen Volumina der reagieren- den (verschwindenden und entstehenden) Gase stehen untereinander in solchen Ver- hältnissen, welche sich durch einfache (d. h. ' kleine) ganze Zahlen ausdrücken lassen. 1 So entstehen aus 1 Volumen Wasserstoff l und 1 Volumen Chlor 2 Volumina Chlor- ' Wasserstoff oder aus 1 Volumen Stickstoff Gase 565 lind 3 Volumina Wasserstoff 2 Volumina Ammoniak. Nach dem Avogadroschen Prinzip treten, um bei dem ersten Beispiel zu bleiben, wenn unter den herrschenden Versuchsbedingungen n-Moleküle in 1 Vo- lumen vorhanden sind, n-Moleküle Wasser- stoff und n-Molekülc Chlor zu 2 n-Molekülen Chlorwasserstoff zusammen. Da in jedem Chlorwasserstoffmolekül Chlor und Wasser- stoff vorhanden sein muß, haben wir anzu- nehmen, daß jedes Wasserstoff- und Chlor- molekül bei der Chlorwasserstoffbildung sich halbiert hat. Untersucht man nun irgend- welche gasförmigen Verbindungen, in denen Wasserstoff oder Chlor enthalten ist, be- züglich des Gay-Lnssac-Humboldtschen Gesetzes, so ergibt sich aus den Volum- verhältnissen unter Anwendung des Avo- gadroschen Prinzips niemals eine noch weitergehende Teilung des Wasserstoff- oder Chlormoleküls als die Halbierung. Die kleinste Menge eines Stoffes, die nun in dem Molekül irgendeiner Verbindung, an der er teilhat, vorkommt, nennt man ein Atom des betreffenden Stoffes. Das Wasser- stoff- und das Chlormolekül besteht also aus je zwei Atomen, Das relative Atom- gewicht des Wasserstoffs und Chlors ist dann gleich dem halben relativen Molekular- gewicht. In ähnlicher Weise wie bei Wasser- stoff oder Chlor (H,, Clg) kann man bei allen anderen gasförmigen Verbindungen ' die Zusammensetzung des Moleküls aus Atomen feststellen. Das relative Atomgewicht in Grammen wird ein Grammatom ge- nannt. Das absolute Atomgewicht wird nach denselben oben erwähnten Me- thoden bestimmt wie das absolute Molekular- gewicht. Das Sauerstoffmolekül besteht nun ebenso wie das Ho- oder Clg-Molekül aus zwei Atomen, das relative Atomgewicht von Sauerstoff beträgt also 16, wie durch Halbie- rung aus dem konventionell angenommenen Molekulargewicht 32 folgt. Durch genaue chemische Analysen kann man die Mengen der einzelnen Elemente, die sich mit 16 g Sauerstoff zu Verbindungen vereinigen, bei beliebigem Aggregatzustand genau fest- stellen und so nach den stöchiometrischen Grundgesetzen der einfachen und mul- tiplen Proportionen (vgl. den Artikel ,, Atomlehre"), welche vom Standpunkt der Atomlehre in dem Zusammentreten von einem oder wenigen Atomen Sauerstoff mit nur einem oder wenigen Atomen eines anderen Elementes begründet sind, die relativen Atomgewichte der Elemente genau bestimmen. Diese Analysen lassen sich in einfacher Weise genauer durchführen als die komplizierten Dichtebestimmungen an Gasen. Da man aus mäßig genauen Bestimmungen der Menge (in Grammen) eines Gases, welche in 22,412 1 unter Normalbedingungen vorhanden ist, und den stöchiometrisch genau bekannten relativen Atomgewichten entscheiden kann, welche ganze Zahl m von Atomen in einem Molekül des Gases enthalten ist, so kann man durch Multi- plikation der genauen Atomgewichte mit m die genauen Molekulargewichte M er- halten, wie sie z. B. in obiger Tabelle benutzt wurden. Man sieht also, daß, wie bereits erwähnt, die Bestimmung von Gas- dichten zur ungefähren Bestimmung der Molekulargewichte wichtig ist (betreffs genauer Molekulargewichtsbestimmungen einzig und allein aus sehr genauen Gasdichte- messungen siehe weiter unten, S. 576). Vom Standpunkt der Molekular- und Atomlehre erscheint das Gay-Lussac- Humboldtsche Gesetz als notwendige Kon- sequenz, wenn man bedenkt, daß sich stets nur wenige Atome zu einem einfach gebauten Gasmolekül vereinigen und nach Avogadro die gleiche Molekülzahl im Normalliter bei den verschiedensten Gasen enthalten ist. In einer Reihe von Fällen scheint das Gasgesetz auch bei Gasen, die im ver- dünnten Zustand vorliegen, völlig zu ver- sagen. Es werden dann abnorme Gas- dichten gefunden. Bestimmt man z. B. bei 1 Atmosphäre Druck und 0" C das Vo- lumen von 1 Mol Ammoniak, so erhält man PV 22,39 1. Bildet man den Quotienten rp , so erhält man den richtigen Wert der Gas- konstanten K Erhitzt man jedoch das 1 Mol Ammoniak von 1 Atmosphäre Druck, so wird man in ein Temperaturgebiet gelangen, wo der PV Quotient ^ nicht mehr konstant bleibt, sondern immer größer wird, bis schließlich nach Erreichung von über 1000" C gelegenen PV Temperaturen der Quotient -^ wieder einen konstanten Wert, nämlich 2 R, an- nimmt. In allen solchen Fällen liegen che- mische Veränderungen der Gase, Dissoziation zusammengesetzter Moleküle in einfache (2NH3 ^ N2 + 3H.3) bezw. die umgekehrten Vorgänge, Vereinigung von einfachen Mole- külen zu komplizierteren, vor. Bezüglich der Behandlung solcher Fälle sei auf die Artikel „Chemisches Gleichgewicht" und ,, Dissoziation" (Thermische Disso- ziation) verwiesen. 3. Betrachtung vom thermodynamischen Standpunkt. 3a) Molekularwärme der Gase. — Neue Seiten des Verhaltens der Gase kann man erkennen, wenn man die zwei Hauptsätze der mechanischen Wärmetheorie (Thermodynamik), den Satz von der Er- haltung der Energie und den von der Vermehrung der Entropie, auf Gase 566 Grase anwendet. Der Satz von der Erhaltung das Gefäß von außen hinein oder von innen der Energie ist zunächst wichtig für die heraus. Der Energiegehalt des verdünnten spezifische Wärme der Gase. Führt man Gases ändert sich also erfahrungsgemäß bei einem Gramm eines Gases bei der Temperatur ! der Ausdehnung in den evakuierten Raum T eine solche Wärmemenge (gemessen in [ nicht, da außer der Wärme kein Austausch Grammkalorien) zu, daß seine Temperatur anderer Energiearten hierbei in Frage kommt, um 1", also auf T + 1, sich erhöht. Der Satz von der Erhaltung der Energie so nennt man diese Wärmemenge die besagt nun, daß der Energiegehalt eines spezifische Wärme des Gases. Die Systems eindeutig mit seinem jeweiligen Erwärmung des Gases erfordert eine ver- Zustand verknüpft ist, d. h. mit anderen schiedene Wärmemenge, je nachdem ob sie Worten, daß die Energieänderung eines bei konstantem Volumen oder bei konstantem | Systems bei XJebergang von einem Zustand 1 Druck, d. h. unter Ausdehnung vor sich (V^, T + 1) in einen Zustand 2 (Vg' T + 1) geht. Man unterscheidet also eine spezi- dieselbe ist, gleichgültig auf welchem Wege fische Wärme bei konstantem Vo- auch die Zustandsändening vorgenommen lumen cv von einer spezifischen Wärme bei konstantem Druck cp, welch letztere größer ist. Erwärmt man statt 1 g des Gases M Gramme (M Molekulargewicht), d. h. wird. Wir kommen daher zunächst zu dem wichtigen Satz, daß der Energiegeh alt eines verdünnten Gases bei einer beliebigen Temperatur T von seinem also 1 Mol, so nennt man die zuzuführenden Volumen bezw. seinem Drucke un- Wärmemengen M 0 1 e k u 1 a r w ä r m e n oder | a b h ä n g i g i s t. Man kann nun von dem Gas- Molarwärmen Cv nnd Cp. Es ist klar, zustand V^, T zu dem Zustand V,, T + 1 daß die Gleichungen gelten: auch noch auf folgende .\rt gelangen. Man ., -.f 1 p _ ^T verbindet das Gefäß I und II, die die Tem- Cv = M.cv nnd tp-i\icp. | peratiir T haben, miteinander und läßt Die spezifischen Wärmen bezw. Molarwärmen bei der Temperatur T die Ausdehnung von der Gase variieren im allgemeinen mit der V^ auf Vo vor sich gehen, was mit keiner Temperatur. Es ist also nicht gleichgültig, Energieänderung des Gases verknüpft ist; wo in der Temperaturskala man die Er- sodann erwärmt man Gefäß I und II mit wärmung vornimmt. Wir betrachten daher dem Gasmol auf T + 1, wozu die Wärme- vorläufig nur relativ kleine Temperatur- menge C^ + Cg + Cv2 nötig ist (Cv2 Mole- gebiete, in denen Cv oder Cp mit genügender kularwärme des Gases^bei dem Volumen Vg). Annäherung als konstant betrachtet werden Wenden wir auch hier den Satz von der können. Erhaltung der Energie an (Unabhängigkeit Hat man 1 Mol eines stark verdünnten der Energieänderung vom Wege bei Ueber- Gases z. B. in einem mit Hahn versehenen gang vom gleichen Anfangszustand in den Metallgefäß I bei dem Volumen Vj und der gleichen Endzustand), so erhalten wir: Temperatur T abgesperrt, so kann man es ' c\ + Cm + C.j = C^ + Ca + Cv,. um P bei konsta^item Volume^; ^i Hierbei stellt die linke Seite der Gleichung ^i^^ ^.e Cv. + c/^üÜrt S; die E.^rgieändenu.g^des^ Systen^ auf J^ ist Cvi die Molarwärme des Gases beim Volumen V^ und C^, die Wärmemenge, die das Metallgefäß um 1"^ erwärmt, die sogenannte Wärmekapazität (spezifische Wärme mal Stoffmenge in Grammen) des ersten Wege, die rechte die auf dem zweiten Wege von Zustand 1 nach Zustand 2 dar. Aus der Gleichung folgt das bemerkenswerte Resultat, daß die Molarwärme Cv eines verdünnten Gases von seinem Volumen bezw. seinem Druck unabhängig ist Gefäßes. Sodann kann man das Gasmol (Cy, = Cvo). Dagegen ist Cv noch von der bei konstanter Temperatur T + 1 vom Vo- ^eiLers^tm und der Gasart abhängig, lumen V^ auf V, ausdehnen. Dies kann man ^«^"4^^ & * etwa in der Weise durchführen, daß ein i Noch eine weitere wichtige Folgerung zweites evakuiertes mit Hahn versehenes können wir für die Molarwärme aus dem Metallgefäß II, das sich ursprünglich auf j ersten Hauptsatz der Thermodynamik ziehen, der Temperatur T befindet, um 1° er- welche Konscf|ueiiz bereits der Entdecker wärmt wird, wozu die Wärme C2 nötig ist, i des Energiepriiizips. J. R. Mayer, abgeleitet und mittels eines Verbindungsrohres mit hat. Wir erwärmen zunächst 1 verdünntes Metallgefäß I verbunden wird. Oeffnet man Gasmol (V^, P, T) bei konstantem Druck die Hähne, so dehnt sich das Gas aus und P von T auf T + 1°. Hierbei haben erfüllt gleichmäßig I und IL Hierbei tritt, wir ihm die Molarwärme C? zuzuführen, wie durch zahlreiche Experimente fest- wobei sich V^ in Y^ vergrößert. Von dem gestellt wurde, keine Temperaturänderung einschließenden Gefäß können wir hierbei des Gases ein, wenn dieses sich in sehr ver- abstrahieren, da die ihm zugeführten Wärme- dünntem Zustand befindet. Es geht bei mengen bei allen derartigen Betrachtungen diesem Prozeß also auch keine Wärme in ! sich analog dem vorigen Fall schließlich Gase 567 wegheben. Die dem Gasmole bei der Er- wärmung zugeführte Energie Cp wird teil- weise dazu verwendet, seine Wärmeenergie zu vermehren, teilweise aber auch dazu, um Arbeit zu leisten. Bei der Volumver- größerung des Gases ist nämlich der Außen- druck P, der auf dem Gase lastet, über ein ge- wisses Volumen zu übcrwiiiden. Wir können uns z. B. (siehe beistellende Figur) das Gasmol Fig. 1. in einem Metallzylindereingeschlossen denken, indem ein Stempel reibungslos und gasdicht sich bewegen kann. Der Stempel sei mit einer Kolbenstange verbunden, welche bei D (Fig. 1) gasdicht und reibungslos hindurch- geführt wird. Der Kaum CD sei evakuiert. Auf die Stange denken wir uns die Kraft P entgegen dem Gasdruck P ausgeübt. Die Volumvergrößerung (V,— V^) bei der Er- wärmung des Gases läßt sich aus dem Gay- Lussac sehen Gesetz bezw. der Gasgleichung leicht berechnen. Es gelten die Gleichungen: Vi:V2=T:T + l, V^iVg — V^ = T:l, V —V — ^ Die Arbeitsleistung A bei der Ausdehnung (Produkt aus überwundener Kraft mal Weg) ist nun bei dem angenommenen Querschnitt q des Zylinders und der vom Stempel zurück- gelegten, angenommenen Wegstrecke 1 ge- geben durch: A = P.q.l = P(V2-Vi) = ^, da die lü-aft P (gemessen in Dynen) pro Quadratzentimeter zu überwinden ist. Die Arbeitsleistung A bei der Volumaus- dehnung Vg — Vi ist also, wie man zu- nächst sieht, gleich dem überwundenen Druck P pro Quadratzentimeter mal der V 0 1 u m a u s d e h n u n g in ccm. Sodann ist die PVi Größe A = ^^^ für ein Gasmol gleich dei Konstanten R, die hier den numerischen Wert (0,8316.108) annimmt, da wir im CGS-System messen. Wir erhalten also für die Arbeitsleistung eines verdünnten Gasmoles bei seiner Ausdehnung durch Erwärmung um 1" bei konstant gehaltenem Druck die Größe R = 0,8316.108 Erg, und zwar völlig unabhängig davon, bei welchem P, V und T die Erwärmung vor sich geht und welches die Gasart ist. Nennen wir den Teil der bei Erwärmung des Gas- mols von T auf T + 1 bei konstantem Druck zugeführten Wärmemenge Cp (gemessen in Grammkalorien), der als Wärmeenergie in dem Gasmol verbleibt, x und die nach außen geleistete Arbeit A, so erhalten wir die Gleichung : Cp = x + A = x + R. Hier müssen wir, um rechts und links gleiches Maß zu haben, R im kaloriscTien Maß ausdrücken. Da 1 Grammkalorie gleich 4,19.10^ Erg ist, so erhalten wir für R im , , . , ^T o 1 w 0,8316.108 kalorischen Maße den Wert ' ^^ ^q ^r^f — 1,985 [Maßeinheiten- Kommission derBunsen- gesellschaft, Z. f. Elektrochem. 12, 1 (1906), und iVusschuß für Einheiten und Formel- größen, ib. 14, 743 (1908)]. Die Größe x können wir nun sehr leicht ermitteln. Wir dehnen das Gasmol (Druck P, Temperatur T) von dem Volumen V^ bei konstanter Temperatur T gerade bis zu dem Volumen Vg aus, welches es bei der Tem- peratur T + i und dem Druck P einnehmen würde. Diese Ausdehnung denken wir uns nicht mit dem iVpparat in vorstehender Figur, sondern so, wie früher bei Besprechung von Cv (S. 14) geschildert, mittels eines evakuierten Raumes durchgeführt. Hierbei tritt also keine Energieänderung des Gases ein. Sodann erwärmen wir das Gas bei konstantem Volumen Vg von T auf T + 1, wobei wir ihm die Wärmemenge Cv zuführen müssen, welche die gesamte Energieänderung des Gasmoles beim Uebergang vom Zustand P, T, Vi in den Zustand P, T + 1, "^2 dar- stellt. Da auch bei der früher geschilderten Erwärmung (Zufuhr von Cp) das Gasniol vom Zustand P, T, Vj^ in den Zustand P, T + 1, V2 gelangt, muß nach dem Prinzip von der Erhaltung der Energie (eindeutige Zuordnung des Energiegehaltes zu jedem Zustand) die Energieänderung des Gases in beiden Fällen die gleiche sein; es gilt somit X = Cv. Da die Arbeit A nach außen abgegeben wurde, also nicht mehr in dem Gase steckt, stellt x in der Tat die gesamte Energie- änderung bei der, Zufuhr von Cp dar.; Setzen wir dies Resultat in die Gleichung für Cp (S. 16) ein, so wird: Cp = Cv + R oder Cp — Cv = R = 1,985. Die Differenz der Molarwärmen eines verdünnten Gases bei kon- stantem Druck und konstantem Vo- lumen ist gleich der kalorisch ge- messenen Gaskonstanten. Dieses Re- sultat gilt unabhängig von der Gasart für jeden Wert von P, V und T. Eine wichtige Rolle in der Physik der Gase, besonders bei den sogenannten adia- batischen Vorgängen, auf die wir hier nicht einzugehen brauchen, spielt auch der Quotient der beiden Molarwärmen p-, der gewöhnlich mit dem Buchstaben x be- 568 Gase zeichnet wird. Bestimmt man die Größe p- mit Hilfe bestimmter experimenteller Methoden, die alle auf adiabatischen Vor2,än^en beruhen (Methode von Clement und Desor- mes, Kundtsche Staubfiguren, Quinckes akustische Methode, vgl. die Ärtikel„Th er mo- chemie" und ,,Kalorimetrie"), so hat man mit Hilfe der Gleichung Cp ^ — Cv = R auch die Einzelwerte der Molarwärmen. Es ergibt sich aus beiden Gleichungen: Cv = 1 'lind Cp = 5^. Wie bereits zu Anfang erwähnt, sind die Molarwärmen eines Gases von der Temperatur abhängig. Man unterscheidet deshalb zwischen der wahren und mittleren Molar- wärme eines Gases, welche Unterscheidung in gleicher Weise, wie die folgenden Aus- führungen, für die Molarwärmen bei kon- stantem Volumen und konstantem Druck gelten. Die wahre Molekularwärme Cw ist definiert durch die Gleichung: dW ^''' = dT' wobei dW die kleine Wärmemenge ist, die dem Gasmol bei der Temperatur T zugeführt werden muß, um seine Temperatur auf T + dT zu erhöhen. Diese Definition ist mit den früher gegebenen Definitionen der Molarwärmen identisch, insofern, als die j Werte von C\v innerhalb so kleiner Intervalle wie dT gleich 1« praktisch noch nicht variieren, sondern beträchtlich größere Tem- peraturintervalle dazu erforderlich sind. Er- wärmt man nun 1 Gasmol vom absoluten Nullpunkt auf die Temperatur T, so ist hierzu die Wärmemenge: 1 W=:/CW dT erforderlich, indem alle für die einzelnen Intervalle dT erforderlichen kleinen Wärme- mengen dW zu summieren sind. Nennt man die Wärmemenge, welche in dem Temperatur- gebiet 0 bis T im Mittel zur Erwärmung des Gasmoles um 1° nötig ist, die mittlere Molarwärme für dieses Intervall (Cm**' T)), so ist diese Größe definiert durch die Glei- chung : W = / Cw dT = C,H("'T'.T. Die Größe Cm"^T) variiert naturgemäß mit der Größe T, d. h. mit der Größe des Inter- valles, für welches sie einen Mittelwert darstellt, außerdem natürlich mit der Gasart. Weiß man die Temperaturfunktion von Cvv, so kann man auch Cm '^"' T) leicht rechnerisch ermitteln. Gilt z. B. für Cw eine Gleichung nach steigenden Potenzen von T: Cw = a + 2bT + 3cT2+ . . ., wo a, b, c usf. konstante Cxrößen sind, so gilt für Cn'cT): T T Cu.(o.T)^^/Cvv.dT = ^^'(a+2bT+3cT2+...).dT -a+bT + cT3+... Die Konstanten a, b, c . , . . variieren von Gasart zu Gasart. So erhalten z. B. Hol- born und Henning die auf die Celsiusskala bezüglichen Gleichungen für die mittleren spezifischen Wärmen : j Ng: cpo- 1 = 0,2350 + 0,000019 t C02:cp0. t = 0,2010 + 0,0000742 t — 0,000000018 t^. H20:cpwot = 0,4669 — 0,0000168 t + 0,000000044 tl Auf die experimentelle Methodik zur Be- stimmung der Molarwärmen kann hier nicht eingegangen werden (vgl. die Artikel „Thermochemie" und ,,Kalorimetrie"). Wir wollen nur erwähnen, daß zur Bestimmung j der wahren Molarwärme bei konstantem i Druck Cp eine elektrische Strömungsmethode (Scheel und Heuse), zur Bestimmung der mittleren Molarwärme bei konstantem Druck C'n. p(o, Ti ebenfalls eine Strönnmgsmethode dient, bei welcher die hocherhitzten Gase der gemessenen Temperatur T^ beim Strömen durch eine Metallschlange, die sich in einem Kalorimeter der Temperatur Tg befindet, eine gemessene Wärmemenge unter Ab- kühlung auf Tg abgeben (Regnault, E. Wiedemann, Holborn und Austin, Hol- born und Henning). Während Scheel und Heuse Molarwärmen bis — 183" C maßen, stellten Holborn und Henning solche bis zu 1400" C fest. Die besonders exakten Untersuchungen von Scheel und Heuse, sowie von Holborn und Henning wurden in der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt durchgeführt. Die wahre Molekularwärme Cv eines Gases kann mit großer Genauigkeit direkt nur bei tiefen Temperaturen bestimmt werden, da bei diesen die Wärmekapazität des einschließenden Gefäßes mit der des Gases vergleichbar wird, während bei höheren Temperaturen die des Gefäßes jene des Gases sehr stark überwiegt. Eine elektrische Me- thode zur Bestimmung von Cv bei tiefen Temperaturen ist am Wasserstoff von Eucken ausgearbeitet worden. — Die Grase 569 mittlere Molarwärme Cm.v^'''^' wird durch große Temperaturbereiche vermittels einer Explosionsmethode festgestellt (Bunsen, Berthelot und Vieille, Mallard und Le Chatelier, Langen). In neuester Zeit sind die Exaktheit und die Temperatur- grenzen (bis über 3000 abs.) der Explosions- methode unter der Leitung von Nernst durch Pier und Bjerrum beträchtlich er- weitert worden. Einen Ueberblick über die Zahlenwerte und die Temperaturabhängigkeit der wahren Molarwärmen Cv (gemessen in Gramm- kalorien) bietet die folgende Tabelle, deren zweite Kolumne erst weiter unten erklärt werden soll: Wert Cv Gas für starre Moleküle (jo C 100« c 200« C 500» C 1200« C 2000« C A 2,978 2,9s 2,98 2,98 2,98 3,0 3,0 J N2, O2 \ HCl, CO f 2,978 — — — — 3,0 3,0 4,963 4,90 4,93 5,17 5,35 5,75 6,22 H, 4,963 4,75 4,78 5,02 5,20 5,6 6,0 Cl, 4,963 5,^5 5,88 6,12 6,30 6,9. 7,4 H2O 5,955 5,93 5,97 6,45 6,95 8,6 12,1 CO2, SO3 5,955 6,80 7,43 8,53 9,43 II, I 11,5 NH3 5,955 6,ö2 6,82 7,41 8,52 — — (C,H,),0 5,955 C.32 32,6 41,6 — — — 3b) Isotherme Arbeitsleistung bei der Expansion, isothermer Arbeits- aufwand bei der Kompression der Gase. Jedes Gasvolumen stellt infolge seines Expansionsbestrebens eine Arbeits- quelle dar. Es kann mechanische Arbeit leisten. Die Berechnung der mechanischen Arbeit, die ein Gas bei der Ausdehnung von Vj auf Y^ unter Konstanthaltung seiner Temperatur im günstigsten Falle zu leisten vermag, stellt eine theoretisch und praktisch wichtige Größe vor. Wir können sie leicht ermitteln, wenn wir uns wieder der Vorrichtung bedienen, die in der Figur 1 schematisch angedeutet ist. Wir stellen uns die ganze Vorrichtung in ein sehr großes Wärmereservoir der Temperatur T versenkt vor, das infolge seiner Größe bei Austausch der im folgenden vorkommenden Wärme- mengen seine Temperatur nicht merklich ändern soll. Das Gas wird offenbar dann möglichst viel mechanische Arbeit bei der Expansion leisten, wenn die zu überwindende Kraft, die auf dem Stempelkolben lastet, möglichst groß ist. Eine größere Kraft als eine solche, die gleich dem Eigendruck der Gasmasse ist, vermag das Gas nicht zu über- winden. Wir kommen daher zu dem Schluß, daß die maximale Arbeit bei der Volum- ausdehnung des Gases dann von ihm ge- leistet wird, wenn es in jeder Phase der Aus- dehnung eine seinem Eigendruck gerade gleiche, oder genauer gesagt, eine um eine verschwindend kleine Größe kleinere Kraft überwindet. Ist die zu überwindende Gegen- kraft um endliche Größen kleiner, so wird eine kleinere mechanische Arbeit geleistet (der Kolben wird unter x\uftreten von kinetischer Energie hinausgeschleudert, es tritt auch kinetische Energie der Gasmasse, die sich schließlich in Wärme verwandelt, auf); ist die Gegenkraft größer, so tritt umgekehrt Kompression des Gases ein, welcher Fall uns jetzt nicht interessiert. Ein Vorgang, bei dem in jeder Phase Kjraft gleich Gegen- kraft ist, der also über lauter Gleichgewichts- zustände verläuft und nur unendlich langsam vor sich geht, gehört zur Klasse der rever- siblen Vorgänge. Er stellt einen idealen Grenzfall dar. Die Quelle der von dem Gase bei der Volumausdehnung geleisteten Arbeit ist die Energie des Wärmereservoirs. Bei der Langsamkeit der Expansion bezw. der angenommenen guten Wärmeleitung des das Gas umschließenden Gefäßmaterials bleibt das Gas nämlich stets auf der Tem- peratur T. Da, wie wir früher sahen, der Energiegehalt eines verdünnten Gases bei konstanter Temperatur mit seinem Volumen sich nicht ändert, so ist es klar, daß das Gas bei der Arbeitsleistung eine äquivalente Wärmemenge dem Reservoir entnimmt, um seinen Energiegehalt konstant zu halten. I Die Arbeitsleistung bei der isothermen (konstante Temperatur) und reversiblen Ex- pansion des Gases ergibt sich nun leicht quantitativ, wenn man bedenkt, daß zwar der Gasdruck bei der Expansion variiert, '• diese Variation aber leicht aus dem Gasgesetz i zu ermitteln ist. Nimmt das Volumen V ; um dV zu, so ist der Druck P über dV zu überwinden, wobei für den reversiblen Vor- gang P stets der zu jedem V nach der Gas- gleichung gehörende Druck ist. Die gesamte Arbeitsleistung A des Gases erhält man durch Summieren der in den einzelnen Etappen dV, 570 Grase in die man sich die Volumausdehnung zer- legt denkt, geleisteten Arbeitsmengen. Es wird also unter Benutzung der Gasgleichung. ^/pdV^/^.'^c.V^.KT./ dV V Vi = KT In V3 wenn wir die Expansion von 1 Gasmol betrachten. An Stelle der Volumina V^ und V2 können wir auch die molaren Konzentrationen Cj und Ca, d. h. die Anzahl der Gasmole in der Volumeneinheit, einführen, die den Volumina von 1 Mol umgekehrt proportional sind. Wir erhalten dann: A = RTln Der zweite Hauptsatz der Thermo- dynamik besagt nun, daß wir keinen iso- thermen Prozeß ersinnen können, durch welchen wir mehr mechanische Arbeit aus dem Gase gewinnen können, wenn es von dem Zustande (Pj, \\, T) in den Zustand (P,, V2, T) übergeht, als bei dem oben beschriebenen. Der in den obigen Glei- chungen angegebene Betrag stellt das Maximum der gewinnbaren Arbeitsleistung bei der beschriebenen isothermen Zustands- änderung des Gases dar. Komprimieren wir umgekehrt, das Gasmol vom Volumen V2 auf Vj isotherm, so ist die Arbeit, die in minimo aufzuwenden ist, gegeben durch V KTln ^. Durch eine kleinere Arbeit kann die Kompression nicht geleistet werden, wohl aber durch eine größere, wobei wieder kinetische Energie des Stempels und der Gasmasse auftritt. Die im vorstehenden entwickelte Formel für den Arbeitsaustausch bei einer isothermen und reversiblen Volum- änderung eines verdünnten Gases stellt eine Fundanu'iitalformel der physikalischen Che- mie dar, die in gleicher Weise für die Vorgänge in verdünnten Gasen wie für die analogen in verdünnten Lösungen wichtig ist. 4. Betrachtung vom kinetischen Stand- punkt. 4a)Kinetische Deutung der Ge- setze von Boyle-Mari otte, Gay- Lussac und Dalton. Avogadros Prin- zip. — Eine außerordentliche Vertiefung und eine große Anschaulichkeit gewinnen unsere Vorstellungen von dem Verhalten der Gase, wenn wir uns der kinetischen Gastheorie bedienen, die von Daniel Bernouilli be- gründet, von Joule und Krönig und ins- besondere von Clausius, Maxwell und Boltzmann ausgearbeitet wurde. Wir können hier nur kurz auf einige wenige Punkte eingehen und müssen im übrigen auf den Artikel ,, Kinetische Theorie der Materie" verweisen. Nach der kinetischen Gastheorie hat man sich vorzustellen, daß die Moleküle eines Gases nicht ruhen, sondern sich in lebhafter Bewegung befinden. Infolge der großen Verdünnung verschwindet einerseits der von den Molekülen tatsächlich ausgefüllte Raum neben dem Gasvolumen, andererseits üben die Moleküle außer bei Zusammenstößen keine Kräfte aufeinander aus. Jedes Molekül bewegt sich geradlinig im Raum fortschrei- tend so lange, bis es auf ein zweites Molekül oder auf eine Gefäßwand auftrifft. Bei dem Zusammenstoß wird es nach den Gesetzen des elastischen Stoßes aus seiner Bahn abgelenkt und bewegt sich dann wieder bis zum nächsten Zusammenstoß geradlinig weiter. Der Wärmeenergiegehalt des Gases stellt sich vom Standpunkt der kinetischen Gastheorie bei einatomigen Gasen als die kinetische Energie der fortschreitenden Molekülbewegung dar. Bei mehratomigen Gasen, auf die wir später zurückkommen, treten auch noch Rotationen der Moleküle und Schwingungen der Atome im Molekül auf, die ebenfalls zum Wärmegehalt des Gases beitragen. Das Expansionsbestreben des Gases erklärt sich durch die Molekül- bewegung ohne weiteres, der Druck des Gases auf die Gefäßwände ist durch die Stöße der Gasmoleküle gegen die Wandungen gedeutet. Wir wollen uns nun kurz, wenn auch nicht in sehr exakter Weise, das Boyle- Mariottesche, das Gay-Lussacsche und Daltonsche Gesetz sowie das Prinzip von Avogadro vom kinetischen Standpunkt aus ableiten. Denken wir uns ein würfelförmiges Gefäß von 1 ccm Inhalt mit einem Gas gefüllt bei der Temperatur T und dem Druck P. Die Zahl der Moleküle im ccm sei N. Die Geschwindigkeit, mit der sich die Mole- küle unter diesen Umständen bewegen, sei u. Die Geschwindigkeiten der einzelnen Mole- külewerden zwar verschieden sein Maxwell- sches Verteilungsgesetz), wir können aber für unsere Zwecke mit einer einzigen Ge- schwindigkeit u rechnen. Ebenso können wir vereinfachend von den Zusammenstößen der Moleküle untereinander absehen und nur die Zusammenstöße der Moleküle mit den Gefäßwauclungen betrachten. Wir denken uns der Einfaclilieit halber, daß die Moleküle sich nur in drei Richtungen, senkrecht gegen je ein Flächenpaar des Würfels, bewegen. Bei der Reflexion eines Moleküls an der Würfelwandung sollen die Gesetze des elasti- schen Stoßes befolgt werden. Das mit der Geschwindigkeit u senkrecht aufprallende Molekül fliegt also mit der gleichgroßen, aber entgegengesetzt gerichteten Geschwin- Grase 571 cligkeit u zurück. Die Aenderung seiner Bewegungsgröße ist 2niu, wenn m die Masse eines "Moleküls ist. Trollen Z Moleküle pro Sekunde auf eine Würl'ellläche auf, so ist die Aenderung der Bewegungsgröße bei allen 2muZ. Ebenso groß muß nach den Gesetzen der Mechanik das Produkt aus der von den Molekülen auf die eine Würfelfläche ausgeübten konstanten Kraft mal der Zeit- einheit sein. Wir erhalten somit: P.l = 2mu.Z. Die Zahl Z ist nun leicht zu ermitteln. Sind unter den Versuchsumständen N Mole- küle im Kubikzentime*ter, so bewegen sich N ^ zwischen den beiden Flächen eines Flächen- paares senkrecht hin und her. Jedesmal, wenn ein Molekül die Strecke 2 cm zurück- gelegt hat, stößt es wieder auf den gleichen Quadratzentimeter der Wandung. Da ein Gasmolekül pro Sekunde u cm zurücklegt, N stößt jedes unter den 77 Molekülen befind- Konzentration C des Gases (n Mole in V ccm), bei welcher N Moleküle im Kubikzentimeter enthalten sind, nimmt die Gasgleichung die Gestalt: PV nRT, P = -^- BT, P CRT ;j u liehe Gasmolekül ^ mal auf den Quadrat- zentimeter auf und somit ist die Zahl Z = N u Nu -rr--^ =— ZT"' Wir erhalten daher weiter 3 2 b für den Gasdruck: P= 3 Nmu2. Haben (Vi, I (V2, P. Gasmol zunächst im Zustand '], T) und expandieren , T), so wird gelten: "*■ Niinui^ und P., = -^ N isotherm an. Multipliziert man C mit dem Molekular- gewicht M, so erhält man den Ausdruck Nm. Es wird also die Gasgleichung zu: P = N.„,.f-. Vergleicht man dies mit der kinetischen Gleichung, nach welcher der Gasdruck gleich -w^ Nmu^ ist, so erkennt man, daß man zur Erzielung von Uebereinstimmung: 2 3RT zu setzen hat. Unter dieser Voraussetzung ergibt dann auch die kinetische Gastheorie eine Proportionalität zwischen Gasdruck und Temperatur bei sonst gleichbleibenden Versuchsumständen, d. h. also das Gay- Lussacsche Gesetz. Gleichzeitig sehen wir aus der letzten Gleichung, daß für jede Gasart durch die Temperatur der Wert von u unabhängig vom Druck festgelegt ist, da B und M Konstanten des Gases sind. Die Geschwindigkeit u der fortschreitenden Molekülbewegung ergibt sich leicht aus der Druckgleichung zu : Pi- 3 -1—1 — -2-3 Da die Zahlen der Gasmoleküle im Kubik- zentimeter sich aber umgekehrt wie die zugehörigen Volumina verhalten müssen, gilt weiter : Ni Vo N3 - V, • Dividieren wir diej beiden Gasdrucke P^ und P2, so wird: Pi Ni Ui2 V^ 1/ — (/Nm /3P /T' P..~ N. Vi "1' . PiVi '2 oder ^—^ UJ P9V0 Da nach dem Boyle- Mari otteschen Gesetz PjVi = P2V2 ist,' müssen wir annehmen, daß Uj gleich U2 ist, daß also die Geschwindig- keit der Moleküle eines Gases nicht von seinem Druck bezw. seinem Volumen abhängt. Unter dieser An- nahme folgt das Boyle-Mariottesche Ge- setz aus der kinetischen Gastheorie. Wohl aber variiert u mit der Gastempe- ratur. Vergleichen wir nämlich die kinetische Gleichung für P mit der Gasgleichung, so erkennen wir dies leicht. Für die molare wo d = Nm die Gasdichte ist. Bei O^^C hat u für Og den Wert 461 m/sec. für N2 492 m/sec, für H2 1839 m/sec. Wenn wir ein gleichmäßiges Gemisch mehrerer chemisch indifferenter verdünnter Gase haben, das sich in einem abgeschlossenen Gefäß auf der überall gleichmäßigen Tempe- ratur T befindet, so stellt das Gasgemisch ein im Gleichgewicht befindliches System dar. Es ist hierbei erstens ein Wärmegleich- gewicht und zweitens auch nach den Vor- stellungen der kinetischen Gastheorie ein mechanisches Gleichgewicht vorhanden, in- dem die einzelnen Moleküle zusammenstoßen und ihre Energien austauschen. Wie Max- well in strenger Weise unter Berücksich- tigung der verschiedenen Molekülgeschwindig- keiten gezeigt hat, kann nach den Gesetzen der Mechanik hierbei nur Gleichgewicht bestehen, wenn die mittlere kinetische Ener- gie aller Moleküle die gleiche ist. Nennen wir die Massen und die mittleren Quadrate der Geschwindigkeiten (nicht die Quadrate der mittleren Geschwindigkeiten) der Mole- 572 Gase küle der verschiedenen Gasarten nii, nig usf. bezw. Ul^ Ug^ usf., so gilt: 2"- "2 -••• Da das mittlere Quadrat der Geschwindig- keiten ebenso wie die früher angenommene einzige Geschwindigkeit, bei jeder Gasart nur von der Temperatur abhängig ist, gelten diese Gleichungen auch, wenn die Gase voneinander getrennt sind, sich jedoch auf gleicher Temperatur, aber unter be- liebigen Drucken befinden. Wir gewinnen so eine sehr anschauliche Deutung der Tem- peratur der Gase. Durch die Temperatur ist die mittlere kinetische Energie der fortschreitenden Molekül be wegung E unabhängig von der Gasart und Gas- menge sowie von P und V eindeutig festgelegt und umgekehrt. Die Größe -^ ist also ein Maß für die Gastemperatur, und zwar sind beide Größen einander pro- portional. Legt man nämlich die strengere Theorie zugrunde, die die verschiedenen Geschwindigkeiten der einzelnen Gasmole- küle berücksichtigt, so kommt man zu einer der früheren Druckformel ganz analogen: ^ 1^, ^o ^, RT P =^Nmu- = Nm.^, wo an Stelle des Quadrates der einzigen früher angenommenen Geschwindigkeit jetzt das mittlere Geschwindigkeitsquadrat steht. Setzt man nun in den Ausdruck für E den Wert von u^ aus der letzten Formel ein, so ward ^ mu^ 3Rm Beim absoluten Nullpunkt (T = 0) ist E gleich Null, die fortschreitende Molekül- bewegung hört daselbst gänzlich auf. Da E bei gegebenem T unabhängig von der Gasart sein muß, folgt, daß auch ^ für alle Gase denselben Wert hat. Der rezi- proke Quotient von ^ stellt die Zahl der Moleküle dar, die in 1 Gasmol enthalten sind, und heißt Loschmidtsche Zahl. Ihr genauester Wert ergibt sich aus der Strahlungstheorie zu 6,175.1023. d^ de- finitionsgemäß je ein Mol der verschiedensten Gase bei gleichem Druck und gleicher Temperatur das gleiche Volumen einnimmt und in jedem Mol, wie eben gezeigt, die gleiche Zahl von Molekülen enthalten ist, so ergibt sich hieraus auch das Avogadrosche Prinzip, nach welchem in gleichen Volumina der verschiedensten Gase bei gleichem Druck und gleicher Temperatur die gleiche Anzahl von Gasmolekülen enthalten ist. Auch das Daltonsche Gesetz folgt leicht aus unseren Annahmen. Hat man eine Mischung verschiedener Gase und sind im Kubikzentimeter insgesamt N Moleküle ent- halten und zwar Nj der ersten, N, der zweiten Art usw., so gilt zunächst: N = Ni + Na + . . . Den Gesamtdruck können wir leicht kinetiscn ausdrücken, wenn wir bedenken, daß man bei gegebener Temperatur für jedes Gas statt 1 — 2 P=z=— Nmu^ auch schreiben kannP= ^ NE, wo E die mittlere kinetische Energie der fortschreitenden Molekülbewegung bei der Temperatur T ist. Für den Gesamtdruck erhalten wir somit: P = 3 N.E = I NiE + I NgE + . . . . = Pl + P2 + ---' was das Daltonsche Gesetz darstellt. Betreffs der weiteren Eigenschaften der Gase (innere Reibung, Wärmeleitung, Diffu- sion), die sich nach Einführung des Begriffs der freien Weglänge (Weg des Moleküls zwischen zwei Zusammenstößen) behandeln lassen, sei auf den Artikel „Kinetische Theorie der Materie " hingewiesen. Wir wollen hier nur noch die spezifischen Wärmen der Gase vom kinetischen Standpunkt be- trachten. 4b) Kinetische Deutung der Mole- kularwärmen. Wir müssen hier die Be- trachtung gesondert durchführen, je nach- dem, ob die Gasmoleküle ein-, zwei- drei- oder mehratomig sind. Bei einem ein- atomigen Gasmolekül tritt nur fort- schreitende Molekülbewegung auf. Der ge- samte Wärmegehalt W eines einatomigen I Gasmols wird sich als die Summe der kine- tischen Energien aller seiner Moleküle dar- stellen und somit gegeben sein durch den Ausdruck: W=2mu^NV, wo N die Zahl der Moleküle in der Volum- einheit und V das Gesamtvolumen des I Gases ist. Führen wir hier den kinetischen Ausdruck für den Gasdruck (P = 3 Nmu^j sowie die Gasgleichung ein, so erhalten wir: W P.V R.T. Hieraus ergibt sich die Molekularwärme des einatomigen Gases durch Differentiation zu: Cv = dW dT^ Gase 573 Bedenken wir, daß R im kalorischen Maße nahe 2 ist, so bekommen wir für Cv den Wert nahe 3 cal. In der Tat wurde, wie ein Blick auf die Tabelle (S. 569) lehrt, für die Molekularwärme = Atomwärme des ein- atomigen Argons von Pier, sowie des Jodatoms von Bjerrum durch ein Tempe- raturgebiet von 0—23500 C bezw. von 1200 bis 3000" C dieser Wert 3 cal gefunden. Bevor wir uns den mehratomigen Gasen zuwenden, haben wir noch einen grund- legenden Begriff, den des Freiheitsgrades, zu erörtern. Der Bewegungszustand eines einatomigen Moleküls ist völlig beschrieben, wenn man die momentanen Werte seiner drei Geschwindigkeitskomponenten nach den drei Achsen eines senkrechten Koordi- natensystems angibt. Man sagt dann nach Maxwell, daß einem einatomigen Gas- molekül eine dreifache Freiheit der Beweg- lichkeit oder drei Freiheitsgrade zukommen, Ueberhaupt schreibt man einem Gas- molekül (den ein- und mehratomigen) so viele Freiheitsgrade zu, als die Anzahl der Variabein beträgt, die zur völligen Be- schreibung seines Bewegungszustandes nötig sind. Nun haben Maxwell und Boltz- mann einen Fundamentalsatz der statisti- schen Mechanik der Gase abgeleitet, nach welchem bei einem im Wärmegleichgewicht befindlichen Gase auf jeden Freiheitsgrad dieselbe Energiemenge kommt, da kein Freiheitsgrad etwas vor den anderen voraus- hat. Die gleichmäßige Verteilung der | Energie auf die verschiedenen Frei- heitsgrade wird durch die zahlreichen Zusammenstöße der Moleküle herbeigeführt. Voraussetzung für die Ableitung des Maxwell-Boltzmannschen Satzes ist, daß jeder Freiheitsgrad des Gases die Energie kontinuierlich aufzu- nehmen imstande ist. Wir können dem- nach sagen, daß ein einatomiges Gas pro Freiheitsgrad und Mol die kinetische Energie R (= Wärmeenergie) ,^ T besitzt bezw. bei Erwärmung um 1 " -^ cal pro Freiheits- grad und Mol aufnimmt. Es trägt also jeder Freiheitsgrad sozusagen ^ cal. zur Molekular- wärme Cv bei. Bei zweiatomigen Gasmolekülen, wie z. B. Hg, Ng, Co usf., können wir uns die Moleküle aus zwei starr miteinander ver- bundenen Atomen bestehend denken. Es treten hier außer den drei Freiheitsgraden der fortschreitenden Molekülbewegung noch weitere zwei Freiheitsgrade für die Rota- tion der Moleküle um zwei Achsen auf. Die zwei Rotationsachsen stehen aufeinander senkrecht und befinden sich in einer Ebene, die senkrecht auf der starren Verbindungs- linie der Atome steht. Die* Rotation der Moleküle trägt natürlich ebenfalls zu dem Wärmegehalt des Gases bei. In der Tat finden wir den in der ersten Kolumne der Tabelle (S. 569) für 5 Freiheitsgrade berechneten Wert von Cv( =5.2 call in dem Temperaturgebiet von 0 bis 500" C bei N2, O2, HCl, CO u. Hg experimentell ungefähr bestätigt. Für tiefe Temperaturen dagegen, wo die Verhältnisse für Wasser- stoff auf Veranlassung von Nernst durch Eucken untersucht wurden, zeigt die Mole- kularwärme Cv den in der beistehenden Kurve verzeichneten Verlauf (Fig. 2). Sie 53 — T Fig. 2. sinkt von 4,84 cal bei 273,1« abs. auf 2,98 cal bei 35" abs., d. h. die Molekularwärme des zweiatomigen Hg wird gleich der des ein- atomigen Ai-gons. Man wird leicht zu der Deutung kommen, daß bei Erniedrigung der Temperatur die Rotation der Moleküle verloren geht und nur die fortschreitende Molekülbewegung übrig bleibt. Ein derartiges Verhalten, eine allmähliche Veränderung von Cv mit der Temperatur, ist auf Grund der klassischen kinetischen Gastheorie nicht zu erklären. Nach ihr können wohl neue Freiheitsgrade plötzlich auftreten oder Frei- heitsgrade plötzlich verschwinden, doch muß sich hierbei die Molekularwärme Cv sprung- ■p weise um den Betrag ^ cal für jeden auf- tretenden oder verschwindenden Freiheitsgrad ändern. Das allmähliche Anwachsen von Cv mit der Temperatur durch allmähliches Auf- treten von Rotation erklärt dagegen die Plancksche Quantentheorie, die Nernst auf die Rotation der Gasmoleküle angewendet hat. Nach der Quantentheorie hat man anzunehmen, daß die rotierenden Moleküle wohl alle möglichen Energiebeträge der fort- schreitenden Molekülbewegung kontinuier- lich aufzunehmen vermögen, dagegen aber nicht alle möglichen Beträge von Rotations- energie untereinander beim Zusammenstoß kontinuierlich austauschen können; der iVus- 574 Gase tausch der Rotationsenergie erfolgt vielmehr nur in ganz bestimmten Quanten. Die Größe eines solchen Quan- tums an Rotationsenergie ist durch die mittlere Rotationszahl v (Umdrehungszahl pro Sekunde) der Moleküle festgelegt und zwar ihr proportional. iVus der Quanten- theorie läßt sich der Verlauf von Cv bei dem bisher allein genau untersuchten Wasserstoff quantitativ wiedergeben. Die Formeln der Quantentheorie ergeben beim Aufsteigen vom absoluten Nullpunkt (T = 0) ab bis zu einer mit der Gasart variierenden, aber bei allen zweiatomigen Gasen relativ tief liegenden Temperatur ein Anwachsen des Beitrages der beiden Rotationsfreiheitsgrade zu Cv von 0 bis zu einem Wert, der praktisch gleich R ist. Dieser Wert wird bei allen zwei- atomigen Gasen schon unterhalb der Zimmer- temperatur erreicht und bleibt von da ab konstant gleich R. Wir haben uns also bei sämtlichen zweiatomigen Gasen zudenken, daß sie bei Erwärmung vom absoluten Null- punkt aufwärts zunächst nur fortschreitende Molekülbewegung besitzen und daß erst allmählich die Rotation hinzukommt, die zuerst beschleunigt, dann konstant wächst. Aus den Formeln der Quantentheorie für den Beitrag der Rotationsenergie zu Cv ergibt sich natürlich durch Integration von T = 0 bis zu einer beliebigen Temperatur T die Energiemenge, welche die Rotations- energie zu dem Wärmegehalt des Gases bei T beisteuert. Wie wir aus Tabelle (S. 569) sehen, bleibt aber Cy für die zweiatomigen Gase auch nach Erreichung der konstant wach- senden Molekülrotation nur innerhalb eines nicht allzu großen Temperaturintervalles konstant, mit steigender Temperatur wächst es vielmehr wieder allmählich. Dies kommt daher, daß sich zu der fortschreitenden Molekülbewegung und der Rotation der Moleküle auch eine Schwingung derj Atome im Molekül längs der Atom-' Verbindungslinie gesellt, d. h. daß das Molekül nicht mehr länger starr bleibt. Auch das durch die Atomschwingungen verursachte allmähliche Steigen von Cy vermag die klassische kinetische Gastheorie nicht zu erklären. Nach ihr müßte die Atomschwin- 1 2.R gung den Betrag -^ cal. zu Cy beitragen, da die längs der Verbindungslinie der Atome vor sich gehende Schwingung zwei Freiheits- grade (einen für die kinetische und einen für die potentielle Schwingungsenergie) besitzt. Nach der klassischen kinetischen Theorie müßte der Beitrag R zur Molekularwärme Cy plötzlich mit Auftreten der Atomschwingung einsetzen und durch das ganze Temperatur- gebiet konstant bleiben. Nach der Quanten- theorie dagegen kann ein solches aus dem kontinuierlichen Energieaustausch der schwingenden Atome bei Molekülzusammen- stößen folgendes Verhalten durchaus nicht vorhanden sein, es folgt vielmehr aus dem quantenhaften Energieaustausch der schwingenden iVtome ein kontinuierlicher Anstieg von Cv mit der Temperatur. Die Quanten an Schwingungsenergie sind hierbei der Eigenschwingungszahl v (Zahl der Atom- schwingungen pro Sekunde), welche für beide Atome gleich ist, proportional. Der Beitrag der Atomschwingungen zu Cv ist nach der Quantentheorie durch die Formel: ß\v fßvy Re t \t/ ^e T-IJ gegeben, wo v die Eigenschwingungszahl der Atome und ß eine universelle, aus der Strahlungstheorie folgende Konstante von dem Wert 4,865 . 10-^^ ist. — Die obige Formel liefert für T = 0 den Wert 0, für T = oo den Wert R. Nach der Quanten- theorie steigt also der Beitrag der Atom- schwingungen zu Cv beim Aufstieg vom absoluten Nullpunkt von 0 allmählich bis zum maximalen Wert R an. Jedoch nimmt dieser Beitrag der Atomschwingungen bei den stabilen zweiatomigen Gasen (No, Og, Ho, HCl, CO) erst bei hohen Temperaturen merkliche Beträge an und erreicht analog den Verhältnissen bei der Rotation schon bei endlichen Temperaturen praktisch einen R fast völlig gleichen Wert. Für solche Werte von T, bei welchen die Rotation der Moleküle schon den konstanten Beitrag ■p 2 y liefert, ist die gesamte Molekularwärme Cv (fortschreitende Molekülbewegung, Rota- tion und x\tomschwingung) gegeben durch: Cv = 9 R + "2 I^ + ßv/ßv R.e T l T -- cal. Auch hier bekommt man natürlich durch die Integration der Formeln für den Beitrag der x\tomschwingungen zu Cy von 0 bis T wieder die Energiemenge, welche die Atom- schwingungen zu dem Wärmegehalt des Gases bei der Temperatur T beisteuern. Mit Erwärmung vom absoluten Null- punkt aufwärts setzt also, wie wir zu- sammenfassen wollen, zunächst die fort- schreitende Molekülbewegung, dann die Ro- tation und endlich auch die Atomschwingung ein. Während für die fortschreitende Molekül- bewegung der Energieaustausch ein kon- tinuierlicher ist, ist er für die Rotation der Moleküle und die Schwingungen der Atome in ihnen ein quantenhafter. Gase 575 Besonders hervorgehoben zu werden ver- dient die Tatsache, daß man nicht allein etwa aus dem Temperaturverlaut' von Cv die Zahl v nach obiger Formel bestimmen und durch sie gut eine Kurve für Cv wieder- geben kann, sondern daß man v auch direkt bei verschiedenen Gasen optisch bestimmen kann und mit gerade diesen optischen j'-Werten, wie Bjerrum gezeigt hat, den Temperaturverlauf von Cv gut darstellen kann. Sind Ucämlich die beiden schwingenden Atome entgegengesetzt elektrisch geladen. so müssen sie Strahlung der Scli\vinguni;s- zahl V, die gleich ihrer Eigenschwingungs- zahl ist, absorbieren. Man kann also durch Bestimmung der im Ultraroten liegenden Absorptionsstreifen v feststellen. Daß bei Gasen, wie Clo, Br.,, Jo nsf. (siehe auch die Tabelle S. o69) "schon bei relativ tiefen Temperaturen ein starkes Anwachsen von Cv einsetzt, beruht darauf, daß die Festigkeit der leicht dissoziierenden Halogenmoleküle keine große ist und diese daher schon frühzeitig merklich zu schwingen beginnen. Bei drei- und mehratomigen Gasen setzt sich die Molekularwärme Cv ebenfalls aus den Beiträgen der fortschreitenden Molekülbewegung, der Kotation der Moleküle und der Atomschwingungen zusammen. Nur können hier Rotationen um drei zueinander senkrechte Rotationsachsen und entsprechend der höheren Atomzahl eine größere Zahl von Atomschwingungen im Molekül auftreten. Die theoretische Behandlung ist hier die analoge wie bei den zweiatomigen Gasen und führt auch hier nach den Untersuchungen Bjerrums zur Uebereinstimmung mit dem Experiment (H2O, CO.,). II. Gase bei tiefen Temperaturen und hohen Drucken (reale Gase im ver- dichteten Zustand). I. van der Waalssche Gleichung. Aus- dehnungs- und Druckkoeffizient. Wenn die Gase im verdichteten Zustande sich be- finden, so gehorchen sie, wie erwähnt, den idealen Gasgesetzen nicht mehr. Es treten dann andere Zustandsgieichungen an die Stelle der allgemeinen Gasgleichung. Die wichtigste Zustandsgieichung, die durch ein großes Zustandsgebiet gültig ist, ist die von van der Waals aufgestellte, auf 1 Mol bezogene Gleichung: (P + v^l^'-M-RT. In ihr sind a und b charakteristische, dem betreffenden Gas eigentümliche Konstanten. Die Zusatzglieder y, und b tragen den Um- ständen Rechnung, daß die Gasmoleküle im f verdichteten Zustand anziehende Kräfte I aufeinander ausüben und daß der von den I Molekülen tatsächlich innegehabte Raum I nicht mehr neben dem Gasvolumen zu ver- nachlässigen ist. Betreffs der Ableitung der Gleichung und ihrer experimentellen Prü- fung, sowie alles sonstigen auf verdichtete Gase Bezüglichen müssen wir auf die Artikel ,, Kinetische Theorie der Materie" und I „Aggregatzustände" verweisen. Hier wollen wir nur beachten, daß für große Ver- dünnung (großes V) die van der Waalssche (Ik'icliutig in die Gasgleichung PV = RT übergeht. Im folgenden sei noch eine Tabelle Regnaults gegeben, in welcher der mittlere thermische Druckkoeffizient ap zwischen 0" und 100" C in der Gegend von 760 mm Hg und der mittlere thermische Ausdehnungs- koeffizient a\r zwischen 0 und 100° C bei 760 mm Hg für einige Gase verzeichnet ist. Thermischer Koeffizient der Untersuchtes Druckkoeffi- Wärmeausdeh- Gas zient (V = nung (P = Koiist.) ccp Ivonst.) KV Stickstoff 0,003 668 2 Wasserstoff 36678 0,003 661 3 Kohlenoxvd 3666 7 36688 Ivohlensäure 36896 37099 Cyan 3682 I 38767 Stickstoffoxvdul 36763 37195 Schweflige Scäure 3 669 6 39028 Chlorwasserstoff 36812 Luft 36653 3 670 6 2. Reduktion auf den idealen Gas- zustand zwecks genauer Molekular- und Atomgewichtsbestimmungen. Die van der Waalssche Gleichung kann nun dazu dienen, verdünnte Gase, die noch kleine Abweichungen vom Idealzustande aufweisen, auf diesen exakt zu reduzieren, wodurch, wie D. Ber- thelot zeigte, sehr genaue Molekularge- wichte bezw. bei bekannter Atomzahl im Molekül sehr genaue Atomgewichte zu er- halten sind. Die van der Waalssche Gleichung kann man für n Mole auch schreiben : Beachtet man, daß die Glieder ygp i"^^ ^ klein gegen 1 sind, so daß man ohne merk- lichen Fehler in sie die Gasgleichung ein- führen kann, so wird: PV n.RT aP \/ bP' V + (RT)2/r RT, 576 Grase und nach den Näherungsregeln für kleine Größen: Man sieht aus dieser Gleichung, daß das Produkt P.V für konstantes T und eine beliebig herausgegriffene Gasmenge (z. B. a Gramme, die m =^ ^^ ^*^^^ bedeuten, wo M, das Molekulargewicht, und n unbekannt sind) linear mit dem Druck P sich ändert. Be- stimmt man also für eine beliebige Gas- menge bei beliebiger Temperatur T eine Reihe PV Werte, so kann man durch geradlinige Extrapolation den PV-Wert für P = 0 (d. h. den idealen Gaszustand) ermitteln. Dividiert man diesen PV-Wert durch RT, so erhält man n, die Anzahl Mole, die in den angewendeten a Grammen Gas enthalten sind. Hieraus folgt endlich M durch Division von n in a. Berthelot erhält so, d. h. rein physikalisch, die unter I verzeichneten Atomgewichte, die mit den auf chemisch- analytischem Wege gefundenen Atomge- wichten (II) ausgezeichnet stimmen: 0 H N S Cl I 16,000 1,0075 14,005 32,050 35,479 II 16,000 1,008 14,01 32,06 35,45 Die ausgezeichnete Uebereinstimmung beider Zahlenreihen ist ein guter Beweis für die sehr genaue Gültigkeit des Avogad roschen Prinzips im ganz verdünnten Gaszustand. 3. Reduktion auf den idealen Gas- zustand zwecks genauer Temperatur- bestimmung. Gasthermometrische und thermodynamische Temperaturskala. Von außerordentlicher Wichtigkeit ist auch die Reduktion der Messungen an realen Gasen auf den idealen Gaszustand zum Zwecke genauer Temperaturbestimmungen (vgl. den Artikel ,,Thermometrie"). Könnten wir die mittlere kinetische Energie der fortschreitenden Molekülbewe- gung eines Gases direkt ermitteln, so wäre eine Reduktion auf den idealen Gaszustand nicht nötig, da nach unseren kinetischen Vorstellungen bei gegebener Temperatur diese mittlere kinetische Energie für reale und ideale Gase den gleichen Wert hat. Da dies jedoch nicht möglich ist, werden Druckmessungen an einem konstanten Vo- lumen einer Gasmasse bei den verschiedenen festzustellenden Temperaturen gemacht (Gasthermometer) und aus den reduzierten Drucken werden dann nach dem Gay- Lussacschen Gesetz die Temperaturen er- mittelt. Man wählt natürlich ein Gas als Thermometersubstanz, welches dem idealen Gas möglichst nahe kommt. Man verwendet Stickstoff, Wasserstoff und Helium, deren Siedepunkte bei —196» C, —253» C und —268» C liegen. Wählt man Drucke, die unterhalb 1 Atmosphäre liegen, so kann man diese Gase, ohne daß Verflüssigung eintritt, auch unterhalb ihres Siedepunktes verwenden. Man verfährt bei der praktischen Temperatur- messung z. B. mit H.2 provisorisch so, daß man H2 als ideales Gas behandelt. Man mißt zunächst den Druckkoeffizienten a, indem man in ein beliebig großes Reservoir beim Schmelzpunkt des Eises Hg bis zum Druck von 1 m Quecksilber (P^) einfüllt und nun den Druck P^qq beim Siedepunkt des Wassers (1 Atmosphäre) bei konstant gehaltenem Volumen bestimmt, a ergibt sich dann aus PlOD— Pq TÖOPo" bei Ho zu 0,003663. Man setzt nun - gleich To^\', d. h. der dem Eisschmelzpunkt ent- sprechenden absoluten Temperatur, wo der Index W andeuten soll, daß die Temperatur mit Hilfe von Hg gewonnen ist. Findet man bei irgendeiner Temperaturmessung den Druck des Ho-Thermometers zu P, so sagt man, es herrsche die Wasserstoff- temperatur T^^', die sich aus der Gleichung P TW = rfTTAT ergibt. Wählt man Helium aL? Thermometersubstanz, so bekommt man für n ebenso wie bei Hg 0,003663, wählt man Stickstoff, so wird a 0,003675. Mit allen drei Gasen erhält man durch große Tem- peraturgebiete fast völlig identische Werte, so daß, was für das Folgende festzuhalten ist, die Korrektionen auf den idealen Gas- zustand nur sehr kleine sind (bei H, z. B. bis —200» C kleiner als 0,1"). Zum Zweck der Reduktion auf den idealen Gaszustand wird man nun das Verhalten der als Gase dienenden Thermometersub- stanzen genau studieren und eine möglichst genaue Zustandsgieichung, die nicht mit der allgemeinen Gasgleichung identisch ist, auf- stellen. Man wird sowohl bei konstanter Temperatur die Kompressibilität des Gases messen, als auch bei verschiedenen Tempe- raturen die Ausdehnungs- bezw. Druck- koeffizienten. Bei dieser Ermittelung der Zustandsgieichung kann man unbedenklich z. B. die Angaben des Wasserstoffthermo- meters verwenden, man wird bei den kleinen Korrektionen die Form der Zustandsgieichung ebenso gut finden können, als wenn schon ein ideales Gasthermometer zur Verfügung stände. Wir wollen annehmen, daß man die van der Wa als sehe Zustandsgieichung für die Thermometersubstanz als gültig gefunden hätte. Es soll also für unsere Thermometersubstanz die Gleichung: (p+^^)(v-b)=RT gültig sein, wo T jetzt die Temperatur be- deute, die an einem idealen Gasthermometer Gase gefunden würde. Löst man die Gleichung Temperatur zeigen (Näheres über diesen nach P auf, so bekommt man unter Vernach "^'■'" ' ' lässigung von b gegen V in dem Korrektions gliede: p_ I^I _^=_^ ^[t a(V-b)l ^-y— b V^ (V— b) [^ Effekt s. in dem Artikel „Aggregat- zustände"). Durch Messung der kleinen Wärmetönungen des Joule - Thomson- Effektes ist nach Boltzmann und anderen die Reduktion auf den idealen Gaszustand möglich. — • Mit Hilfe des Gasthermometers kann man Temperaturen vom absoluten (V— b) L^ RVJ' Nullpunkt (Kamerlingh Onnes) bis gegen Wendet man diese Gleichung für den Siede- ^f^, ^„fflüi.^,?^" ^"1 Jfl;:!^^^l?!! RV^ punkt, den Eispunkt und eine beliebige Temperatur an, die nach den Angaben eines idealen Gasthermometers T^qq, T,, und T sein würden, so erhält man: a RV ^'> RV und To- a RV a ~RV stellen, während für noch höhere Tempera- turen (Mangel an gasdichten Gefäßen) die strahl ungs theoretische Temperatur- skala an die gasthermometrische an- geschlossen werden kann. Wir wollen noch darauf hinweisen, daß die Reduktion der Angaben eines Gas- thermometers auf den idealen Gaszustand identisch mit einer Reduktion auf eine absolute thermodynamische Tempe- raturskala ist. Bekanntlich schließt man Setzt man die Differenz T^op— T^ auch beim idealen Gasthermometer gleich 100, so kann ,. -r. ,.. , , -^ xj ^ + man aus den drei Gleichungen (bezw. den die Erläuterung des zweiten Hauptsatzes Druckmessungen) die drei unbekannten T^oo, ""-if '^T Vorbilde Carnots an emen rever- To und T berechnen, wodurch die Reduktion ! sible" Ki;eisprozeß an der mit Hilfe eines auf den idealen Gaszustand durchgeführt ist. | idealeii Gase^ durchgeführt wird. Man laßt -^ ein ideales Gasmol bei der Temperatur T^ Aus dem Wert T,, = folgt der genaue Wert sich von dem Volumen V^ auf V2 isotherm „.. , »11" 1 cf- • i 1 und reversibel in Berührung mit einem für a, den Ausdehnungskoeffizienten ^^^ y^-^,,,,^,^,^,yo\r I der Temperatur T, ent- idealen Gase. D. Berthelot hat durch ^^^^^^ ^^^^^ ^^ ^^^^^^ {^g- konstantem Aufstellung einer modifizierten van der /^j^^^^^g^^ ^p^gj.gij^gl^ j^^^^^.^1^ g^^^j^ Wa als sehen Zustandsgieichung, wie er- mit unen dlich vielen Wärmebehältern, deren wahnt, die Reduktion der Thermometer- ^^^^^^^^^^^^^^^ ^^^^^ ^^^^^ ^.p ■ ^j^ ^-^ Substanzen auf den idealen Gaszustand -^ Temperatur des Gases ist, auf die durchgeführt und für a der idealen Gase J^empemtur T, « T,) ab, komprimiert es ^i^^ gefunden. Während für höhere isotherm (T.,) und reversibel in Berührung 'iio,{j\) jnit einem Wärniereservoir (II) der Tempe- Temperaturen die Korrekturen am Gas- j-^tur T., von X^ auf V^ und erwärmt es thermometer nur sehr klein sind, werden sie endlich bei konstantem Volumen \\ reversibel bei sehr tiefen Temperaturen beträchthcher. ^uf T,. Bei der Entspannung wird die Arbeit Man führt hier die Korrekturen genau so y^ wie oben durch, indem man die bei höheren A^ = RT^ln ^^ geleistet und die äquivalente Temperaturen gefundenen Zustandsglei-^^ig^^ ^ Reservoir I chungen auch bei den medrigen als gültig ^^^t.iomment bei der Kompression ist die annimmt. So hat z. B. Kamerlingh ' ^r ^ A., V, RT2ln ^j" aufzuwenden und Onnes mit dem Heliumthermometer die ^Vrbeit tiefsten, bisher gemessenen Temperaturen, • t ttt - r\ \ die nur wenige Grade (ca. 3) über dem erscheint die Wärmemenge Q. - Ao im absoluten Nullpunkt liegen, festgestellt. Reservoir II. Beim Abkühlen oder Er- Eine andere Methode zur Reduktion der wärmen bei konstantem yolumen wird keine Gasthermometerangaben auf den idealen Arbeit geleistet, und da die Molekularwarnic Gaszustand bietet der Joule-Thomson- des idealen Gases Cv vom Volumen unab- effekt, worauf nur hingewiesen sei (Ge- hängig ist, so gibt jeder der unendhch vielen naueres s. im Artikel ,Jhermometrie"). zur Abkühlung des Gases beiiutztenWarme- Man versteht unter dem Joule-Thomson- reservoire die hierbei erhaltene W arme bei Effekt das Auftreten kleinerer oder größerer der Erwärmung wieder her. Das gesamte Wärmetönungen bei der isothermen Ex- Resultat des reversiblen Kreisprozesses ist pansion oder Dilatation realer Gase, welche daher der Arbeitsgewinn A = A^ — A2 = also zum Unterschiede von idealen Gasen ; ^j^^ ^ Ji-T, das Verschwinden der infolge geringer anziehender Kräfte zwischen Vj den Gasmoiekülen eine Abhängigkeit des Wärme Q^ bei Tj und das Auftreten von Qg Energiegehaltes vom Volumen bei konstanter bei Tg, wobei Qi — Qo = A^ — A^ ist. Es Handwörterbuch der Naturwissenschatten. Band IV. ^' 578 Gase gelten für diesen reversiblen Kreisprozeß die Gleichungen : Qi:Q2-Ti:To | bezw. I oder I Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik besagt nun, daß es keinen reversiblen Kreisprozeß geben könne, bei welchem, wenn die Wärmemenge Q^ bei T^ ver- schwindet, eine andere Wärmemenge als Q2 bei Tg erscheint bezw. eine andere Arbeitsmenge als A auftritt, wenn andere nach Schluß des lu-eisprozesses zurück- bleibende Aenderungen als das Auftreten oder Verschwinden der genannten Wärme- oder Arbeitsmengen ausgeschlossen sein sollen. Auf diesen Satz ist von Lord Kelvin (W. Thomson) eine absolute, von einer Thermometersubstanz unabhängige Tempe- raturskala gegründet worden. Diese Skala basiert auf der Gültigkeit der Proportion Q^: Q., = T^: Tg für jeden reversiblen Prozeß. Führt" man einen reversiblen Kreisprozeß zwischen dem Eis- und Siedepunkt des Wassers durch und mißt die auftretenden Wärmemengen Q^ und Qg, so kann man aus der eben genannten Proportion Tj^o und T,,, die Werte von Eis- und Siedepunkt in der thermodynamischen Skala berechnen, wenn man T, -Tq auch in der thermodynamischen Skala gleich 100 setzt. Führt man einen reversiblen Kreisprozeß zwischen der noch zu bestimmenden thermodynamischen Tem- peratur T und Tfl durch und mißt Q und Q(„ so erhält man T aus: Q:Qo=:T:To. Man sieht nun ohne weiteres, daß diese thermo- dynamische Temperaturskala mit der durch Reduktion eines Gasthermo- meters auf den idealen Gaszustand definiertenTemperatur Skala identisch ist. Das ideale Gas wurde ja den auf den zweiten Hauptsatz hinführenden Betrach- tungen (der Ableitung obiger Proportion) zugrunde gelegt. 4. Gas und Dampf. Bereits zu Beginn dieses Artikels wurde das Verhältnis zwischen gasförmigem und flüssigem Aggregatzustand gestreift. Bei jeder Temperatur unter der kritischen Temperatur des Gases ist eine Verflüssigung desselben durch genügend hohe Drucke möglich. Zu jeder Temperatur unterhalb der kritischen Temperatur gehört ein ganz bestimmter mit der Stoffart variierender Druck, der Druck des gesättigten Dampfes, bei welchem flüssige und gas- förmige Phase im Gleichgewicht neben- einander bestehen. Erhöht man den Druck bei konstanter Temperatur, so verschwindet der Dampf, vermindert man den Druck, so verschwindet die Flüssigkeit. Man be- zeichnet dann die allein vorhandene Gas- phase als ungesättigten Dampf. Ist der Druck, unter dem der gesättigte oder un- gesättigte Dampf steht, ein genügend kleiner, so gelten für den verdünnten Dampf genau so wie für jedes andere verdünnte Gas die idealen Gasgesetze mit großer Annäherung. Die Dichtebestimmungen geschehen hier analog wie bei den anderen verdünnten Gasen, nur spricht man von D a m p f - dichten statt von Gasdichten. Die Methoden zur Dampfdichtebestimmung siehe in dem Ai'tikel ,, Molekularlehre". Alles weitere betreffs Gas und Dampf in den Artikeln „Aggregatzustände" und „Dämpfe." III. Gase im Gleichgewicht mit anderen Phasen. Was das Gleichgewicht der gasförmigen Phase mit der flüssigen Phase derselben Stoffart anlangt, d. h. also das Gleichgewicht zwischen dem gesättigten Dampf und seinem Kondensat, so sei auf den Ai'tikel ,, Dämpfe" verwiesen. Steht die Gasphase aber mit einer Flüssigkeit anderer Stoffart in Berührung, so treten Lösungserscheinungen auf. Be- treffs der die Auflösung von Gasen in Flüssig- keiten beherrschenden Gesetzmäßigkeiten vgl. den Artikel ,, Absorption". Steht eine Gasphase endlich mit einer festen Phase in Berührung, so wird einerseits Verdichtung an der festen Oberfläche, andererseits Auf- lösung in der ganzen festen Phase eintreten, worüber die Artikel „Adsorption" bezw. ,, Absorption" und ,, Okklusion" zu ver- gleichen sind. Literatur, Zu dem ganzen Artikel: W. 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K(tmetlnigh-Onnes, Communications from the Physical Labor, of the Univ. of Leyden, insbesondere von Nr. 95 (1906) ab. — L. Holborn und S. Valentiner, Ann. d. Phys. (4), 22, 1 (1907). K. JellineTc. Gasseudi Pierre. Geboren am 22. Januar 1592 in Champtercier bei Digne, gestorben am 14. Oktober 1655 in Paris. Er entstammt bäiierlichen Verhältnissen ; von einem Verwandten zum Studieren nach Aix geschickt, machte er so rasche Fortschritte, daß er schon mit 17 Jahren Lehrer der Rhetorik wurde; 1616 bekam er einen Lehrstuhl für Philosophie in Aix, trat dann in den Minoriten- orden ein, war Benefiziat der Kathedrale zu Dijon und seit 1645 Professor der Mathematik und Mechanik in Paris. Gas send i war ein Ver- treter der Atomlehre und Anhänger des Koper- nikanischen Weltsystems, doch nahm er scheinbar das Thycho sehe Weltsystem an, um nicht den Verfolgungen der Kirche anheimzu- fallen. Auf dem Gebiet der Philosophie wandte er sich gegen Descartes und dessen Schule. Literatur. Bernier, Abrege de la philosophie de G., Lyon 1678. — Martin, Histoire de la rie et des ecrits de Pierre G., 1853. — Kiefl, Gassen di's Erkenntnistheorie, Fulda 1893.- E. Drude. Gastropoda. 1. Die Klasse Gastropoda. 2. Morphologie und Physiologie: a) Körperform. b) Schale und Deckel, c) Hautnuiskelschlauch. d) Nerven- system, e) Sinneswerkzeuge. f) DarmkanaL g) Exkretionsorgane. h) Atmungswerkzeuge und Kreislauf, i) Geschlechtsorgane, k) Geschlechts- produkte und Laich. S.Embryologie. Parasitische Schnecken. 4. Biologie : a) Lebensweise, b) Rege- neration. 5. Phylogenie und Systematik. 6. Ver- breitung. I. Die Klasse Gastropoda. Cuvier unter- schied 1804 die beiden Klassen Gastropoda und Pteropoda. Begriff und Umfang haben sich inzwischen geändert. Die Gastropoda umfaßten dieChitoniden oder Käferschnecken mit. Diese wurden durch v. Ihering 1877 abgetrennt und mit den inzwischen ent- deckten Aplacophoren als Klasse Amphi- neura zusammengefaßt (vgl. Anatomie des Nervensystems und Phylogenie der Mollusken im Artikel „Mollusca"). Umgekehrt wurden die Pteropoda durch Pelseneer in die Gastropoda einbezogen (Challenger- Report). Damit hätte die Klasse ihre Einheitlichkeit erreicht, wenn nicht V. Ihering (1. c.) versucht hätte, sie in zwei phylogenetisch selbständige Stämme von gesonderter Herkunft zu zer- legen, die Arthrocochlides, d. h. die Proso- I branchia, und die Platycochlides, d. h. die I Opisthobranchia und Pulmonata, wobei die j beiden letztgenannten die Klasse der Ichno- poda, die ersten dagegen die beiden Klassen der Chiastoneura und Orthoneura umfassen sollten. Diese Einteilung ist indes von den I verschiedensten Seiten zurückgewiesen wor- ! den, und man begnügt sich zumeist mit der Gliederung in die drei Ordnungen Proso- branchia oder Vorderkiemer (Prosobran- chiata H. Milne Edwards 1848), Opistho- branchia oder Hinterkiemer (Opistho- branchiata H. Milne Edwards 1848) und Pulmonata oder Lungenschnecken (Pulmones Cuvier). Die Heteropoda (Lamarck 1812") werden den Prosobranchien, die Pteropoda den Opisthobranchien zugeteilt. Gegen diese Auffassung Pelseneers habe ich mich 1911 gewandt (System der Gastropoden, Verh. d. D. Zool. Ges. 1911). Weniger durchgreifend : ist die Trennungin zwei Unterklassen : Strepto- neura (= Prosobranchia) und Euthyneura (= Opisthobranchia + Pulmonata). — Die Gastropoden oder Schnecken sind durch die Asymmetrie ihres Eingeweidesackes aus- gezeichnet, der in der typischen Form auf dem Rücken hervortritt und eine asymme- trisch aufgewundene Schale trägt. Der Kopf und der Fuß bleiben bilateral-symme- trisch, abgesehen von der einseitigen Ge- schlechtsöffnung und Penisanlage. Die große Amplitude ihres Lebensraums, der alles Land und Wasser umfaßt, so weit es nicht eine 37* 580 Gastropoda dauernde Eis- und Schneedecke trägt, und der dazu noch durch parasitische Lebensweise erweitert wird, schafft eine außerordentliche Vielseitigkeit, welche den Grundplan bis- weilen kaum noch erkennen läßt. Da die Schale vom Mantel abgesondert wird, sind es meist die Pallialorgane oder der Pallial- komplex, woran sich die asymmetrische Aufwindung oder Torsion ausspricht, After und Enddarm, Herz, Niere, Mantelhöhle und palliale Atemwerkzeuge; alle indes können abändern bis zur Unkenntlichkeit des Schemas. Nur ein System bleibt unter allen Umständen auf eine Körperhälfte be- schränkt, die Gonade und die Genitalwege; dazu das von ihnen beeinflußte Nerven- system und der Kreislauf. Das Wesen der Schnecken beruht beinahe in der Dehnbar- keit ihrer Morphologie, deren verschiedene Bahnen von beschälten Formen aus zu verfolgen sind. Alle folgenden Ausführungen sind der Einfachheit halber auf rechts gewundene Schnecken mit der Genitalöff- nung auf der rechten Seite bezogen. 2. Morphologie und Physiologie. 2a) Die Körperform. Normalerweise stellt der Körper einen schlanken Kegel dar, der mit einer abgeflachten Längsseite, der Sohle, auf dem Boden ruht und auf dem Kücken bruchsackartig den spiralig aufge- wundenen Intestinalsack trägt. Dessen Haut, der Mantel, sondert die Schale ab und ver- breitert sich um deren Mündung zum drüsen- reichen Mantelrand. Ueber dem vorderen Sohlenende liegt die Mundöffnung. Sie ist entweder eine einfache Spalte oder liegt auf einer zylindrischen oder konischen Ver- längerung, der Schnauze. Eine ausstreck- bare Schnauze haben manche gymnosome Pteropoden, namentlich aber niedere Vorder- kiemer, bei Cyclostoma (s. Ericia) mit einer runden Saugscheibe endend. Aus der Schnauze geht bei höheren Prosobrancliien der Rüssel hervor, die Schnauzenöffnung wird zum Rhynchostom, das zunächst ins Rhynchodaeum führt. Der Rüssel mit der Mundöffiiung wird vorgestreckt, indem seine innere Wand sich ausstülpt. Durch die Fühler neben und über dem Munde wird das Vorderende als Kopf abgesetzt. In der Regel sind es zwei Tentakel, die an ihrer Basis oder auf besonderen Augenstielen die Augen tragen. Bei den Stylommatophorcn sind es 2 oder 4 einstülpbare, die ()t)cr(Mi als Ommatophoren mit den Augen an der Spitze, bei den Janelliden sind nur diese vorhanden, ähnlich bei den Soleoliferen (s. unten). Vier haben, ohne Ver(|uickung mit dem Gesicht, die meisten Opisthobranchien, mit Ober- flächenvergrößerung der hinteren Riechfühler (Rhinophoren) durch Faltung (Fig. 1) oder Taschenbildung mit Längsschlitz. Bei den BuUiden verschmelzen sie zu einem Grab- schild, dessen vier Zipfel die Fühlerspitzen bedeuten. Selten verschwinden sie ganz wie bei Pterotracheen und niederen Nudi- branchien. Der Mundeingang wird bei Basommatophoren von einer gespaltenen Ober- lippe überlagert, die sich bei den Limnaeen zu zwei Mundlappen (Mundsegel) , bei den Glandiniden zu einem dritten, nicht retrak- tilen Fühlerpaar aus- ziehen; bei den Soleoli- feren des Landes, Vagi- nuliden und Rathouisi- iden, geht ein zweites Tentakelpaar daraus hervor. Aehnlich bei den Pneumodermati- den, wo diese Fühler mit Saugnäpfen ausge- stattet sind. Bei den Styl- ommatophoren ist der Muiuk'ingang v^on einem Papillenkranz umgeben, sie sind bei Clione zu Greifwerkzeugen, Ce- phaloconen oder Buc- calkegeln verlängert. Bei marinen Formen erhalten bisweilen die Fühler einen Fransen- besatz. Dann stehen wohl zwischen ihnen noch verzweigte fühler artige Ausv/üchse oder Palmetten, oder eine ebenfalls oft gefranste Hautfalte, ein Kopfsegel oder Velum, I von besonderer Größe bei Tethys : es setzt I sich nach den Seiten fort in die zusammen- hängende oder unterbrochene Epipodial- falte, die im einfachsten Falle jederseits 4 Epipodialtaster trägt (Trochus), bisweilen aber einen dichten Besatz von Tastern und Hautkiemen (Haliotis). Aehnlich bei Nudi- branchien, bald als fortlaufende Leiste, bald Taster, bald Gruppen von solchen (Fig. 2), die Fig. 1. Goniodoris nodosa. 1 Ten- takel, 2 Rhinophor, 3 After, 4 Fuß, 5 Epipodium (gewöhn- lich als Mantel be- trachtet), 6 Kiemen. Nach Hancock. Fig. 2. Aeolis. a After, b vordere, c hintere Tentakel (Rhinophore), d After, e Geschlechtsöff- nung, f Rückenpapillen. Nach Alder und Hancock. im höchsten Falle von Darmästen durchsetzt werden mit sekundären Darmöffnungen an der Spitze (Rückenhänge, Rückenpapillen, Notocerata von Polyceratiden, Tethyiden, Aeolidiern usw.). Li wieder anderen Fällen Gastropoda 581 leijt sich jederseits eine breite Epipodialfalte auf den Rücken hinauf (Elysiiden) oder dient als Ruderflosse (gymnosome Pteropo- den). Bisweilen ist das Epipodium als feine epitheliale Sinnesleiste angedeutet (Patella). Auch bei den Formen, welche äußerlich von einer Epipodialstruktur nichts erkennen lassen (Pulmonaten u. a.), ist die Region durch Epipodialner\am, die einem besonderen Zentrum entstammen, gekennzeichnet. Von Embryonalgebilden gehört das Segel oder Velum, bisweilen mit langen Velarzipfeln, zum Epipodium. Parapodien sind Verbreiterungen der unteren Sohlenfläche. Bei Bulloideen schlagen sie sich über den Rücken hinauf, bei Not- archus bilden sie einen den Eingeweide- knäuel einhüllenden Sack. Die Entschei- dung, ob seitliche Verbreiterungen als Para- oder Epipodien zu deuten seien, ist nicht immer leicht. Die beiden Flügelpaare neben der Schale der Lobigeriden werden von Pelseneer als Parapodien, von mir als Epipodialtaster aufgefaßt. Ebenso gehen die Anschauungen über die Flossen der theco- tiefe Längsfurche halbiert. Selten ist die Trennung durch eine mittlere Querfurche (Pedipes z. B.). Dagegen wird verschiedent- lich (Oliva, Natica) ein vorderer Teil des Fußes als Propodium (Fig. 5) abgetrennt. Fig. 3. Fuß und Flosse von Cavolinia, einem thecosomen Pteropoden, von der Ventralseite. fl Flosse, m Mund, ml Mittellappen des Fußes, s Schale, sl Seitenlappen des Fußes, wf Wimper- feld. Nach Meisenheimer. somen (Fig. 3) und pseudothecosomen Ptero- poden auseinander, ich halte sie für Epi- podialfalten, woran Desmopterus jederseits noch einen Taster bewahrt hat. Die Sohle bildet bei den Euthyneuren eine einfache Gleitfläche, die bei den Soleoli feren fein quergerieft, bei den übrigen glatt ist. Unter den Lissopoden trennen die Aulacopoden ein mittleres lokomotorisches Feld durch zwei flache Längsfurchen von den Seitenfeldern ab. Der sensible Vorderrand der glatten Sohle zieht sich namentlich bei Nudibranchien oft in zwei Seitenzipfel aus. Bei manchen Vorderkiemern, am stärksten bei Cyclostoma, ist die Sohle durch eine Fig. 4. Janthina, an ihrem Floß hängend, von rechts. 1 Luftblase, die eben vom Propodium (2) mit Schleim umhüllt ist, 3 Schnauze, 4 Schale, 5 Floß. Nach Lacaze-Duthiers. Nimmt man als Fuß den ganzen Körper außer Kopf und Litestinalsack, so kann man den hinteren Teil, der das Operculum trägt (s. unten), als Metapodium abtrennen. Bei den Strombiden wird der Gegensatz zwischen Pro- und Metapodium besonders deutlich, da sie sich springend bewegen und sich dabei auf das Operculum stützen. Aehnlich bei den Heteropoden, nur daß hier der mittlere Teil, das Mesopodium, d.h. die eigentliche Gleitsohle, aus dem Körper herausgezogen ist und auf einer kielartig hervortretenden Flosse ruht. Soweit die Sohle erhalten ist — vorwiegend beim Männchen — , erscheint sie als Saugnapf auf der Flosse. Die Atlantiden, die sich noch in ihre Schale zurückziehen können, zeigen diese Verhält- nisse am einfachsten. Die übrigen quellen durch Einlagerungreichlichen Schleimgewebes in ihr Litegument mächtig auf, entweder seitlich (Pterosoma) oder in der Längsrich- tung (Carinaria, Pterotrachea), wo dann die Flosse nur als medianer Anhang auf der Mitte der Bauchseite hervortritt. Das Hinterende der letztgenannten kann sich in einen langen Schwanzfaden mit eingelagerten Verdickungen ausziehen, ein kürzerer Schwanzfaden findet sich hier und da (Acura z. B.) als Fußende. Die Sohle trägt verschiedene lokalisierte Fußdrüsen, am verbreitetsten ist die am Vorderende, bei vielen Vorderkiemern tritt noch eine Sohlendrüse hinter ihr auf. Sie ist hervorgegangen aus einer Einsenkung des mittleren Sohlenteiles, welche bei Jan- thina die zähe Grundlage des Schleimflosses liefert, zu der das Propodium vorn von er- härtetem Schleim umhiUlte Luftblasen dazu- fügt (Fig. 4). Bei den Phyllirhoiden ist die Sohle nur noch durch die Fußdrüse ange- deutet. Bei den Pteropoden wird sie eben- falls rudimentär, so gut wie bei sessilen Formen (Vermetus, Rhizochilus). Bei vielen Styl- 582 Grastropoda ommatophoren kommt am Hinterende eine 1 Schwanzdrüse dazu, in der gemäßigten Zone nur als flache Grube, bei Tropenformen oft zum Beutel vertieft. Eine kreisförmige Bohrdrüse trägt Natica unter der Schnauze (Fig. 5). Fig. 5. Natica josephina. 1 Propodium, 2 Bohrdrüse, 3 Mund, 4 Sipho (vom Fuße ge- bildet), 5 Tentakel, 6 Schalenlappen des Meta- podiums. Nach Schiemenz. Der Mantelrand ist bei den beschälten Formen zunächst eine einfache ringförmige Dnplikatur, die der Schalenmündung folgt und bei den altertümlichen Prosobranchien mit Mantelsclüitz oder Mantelloch (Pleuroto- maria, Fissurella) entsprechende Ausschnitte erhält. Er kann allerlei Anhänge tragen, Taster, sekundäre Kiemen (Patelliden), eine verlängerte Rinne zum Einleiten des Atem- wassefs oder der Luft (Siphoniaten, Pupi- nellen). Bei den BuUiden stülpt sich sein Hin- terende zu einem Coecum ein, das der Naht- linie folgt. Bei den Cypraeen schlagen sich seine Ränder auf die Schale hinauf. Bei den Pulmouateii gliedern sich oft besondere Nacken- und Sclialenlappen ab, die nicht nach der Symmetrieebene des Leibes, sondern nach der Atemöffnung orientiert werden, so daß die linken Lappen bis auf die rechte Körperhälfte herüberreichen. Ein Anal- lappen trägt bei Basommatophoren den After. Die Schalenlappen greifen auf die Schale hinauf, die sie ganz einhüllen können; wenn sie verwachsen, bleibt immer eine Oeffnung, die in die Schalenkammer führt (Ostracolethe, Parmarion, Tectibranchien, Lamellariiden). Durch Herabdrücken des Intest iiialsacks in den Fuß entstehen die Nacktsclinecken. Sie zeigen ein Mantel- schild, soweit die Schale umwachsen wurde, vom gewöhnlichen Umfange der Schale bei Arioniden, Limaeiden usw., über den ganzen Rücken erweitert bei Philomycus, auf ein Ideines dreieckiges Feld ohne Haut- duplikatur herabgedrückt bei den Janelliden; der Mantel fällt dagegen ganz weg bei denen, welche die Embryonalschale abwerfen, wo man höchstens noch die Rückenfläche als Notum und die Unterseite als Hyponotum bezeichnet — Soleoliferen, Nudibranchien, gymnosome Pteropoden, Titiscania, Ptero- trachea. Unter dem Mantelrand buchtet sich die Haut einseitig ein und bildet die Atemhöhle, flach bei Tectibranchien, vertieft bei Proso- branchien und thecosomen Pteropoden, mit verengtem Atemloch oder Pneumostom bei den Pulmonaten. Von den beschriebenen Fortsätzen ab- gesehen ist die Haut glatt, nur bei den Landpulmonaten wird sie runzelig und gefurcht. Von den Furchen fallen einige durch ihr regelmäßiges Vorkommen auf, die mediane Nackenfurche, die Sohlenrand- furche und die von der Mantelöffnung nach dem vorderen rechten Sohlenende verlaufende Genitalfurche, der eine sym- metrische auf der linken Seite entspricht. Die Vaginuliden haben keine Furchen, sondern Notum und Hyponotum sind mit dichtgestellten weichen Warzen oder Tuber- keln besetzt. Sie vergrößern sich bei On- cidiiden, bei denen sie zum Teil Papillen- kränze tragen als sekundäre Kiemen. Der After liegt in der Regel asymme- trisch am Mantel neben (oder in) der Atem- öffnung. Bei solchen, die die Schale abwerfen, kann er noch in der Medianlinie des Rückens bleiben, — Dorididen; bei den Soleoliferen liegt er teils vorn, teils ist er an das Hinter- ende gerückt, infolge von Detorsion, d. h. nachträglicher Neigung zur Wiedergewinnung der Symmetrie. Bei den seitlich kompri- mierten Phyllirrhoiden liegt der After ent- weder auf der rechten Seite, oder er rückt auf den Kopf hinauf (Cephalopyge). Die männliche und weibliche Genital- öffnung, zwar immer einseitig asymme- trisch, unterliegt doch ähnlichen Verschie- bungen (s. unten). 2b) Schale und Deckel. Bei den Va- ginuliden besteht die Embryonalschale nach Sarasin aus einem flachen, dünnen Plätt- chen, das alsbald wieder abgeworfen wird. Sonst ist überall mindestens eine beutel- oder taschenförmige Embryonalschale vor- handen, mit schwach schief gestellterMündung. Sie wird abgeworfen bei Oncidiiden, Nudi- branchien, gymnosomen Pteropoden, Ptero- tracheen. Bei anderen Nacktschnecken wird sie zwar vom Mantel überwachsen und in eine Schalentasche eingeschlossen, geht aber zuweilen nachher durch Resorption ver- loren (s. unten). Die freie Schale ist anfangs exogastrisch über den Kopf ge- schlagen und erhält erst nachträglieh durch Drehung ihre normale, endogastrische Lage. Das weitere normale Wachstum geschieht in einer logarithmischen Spirale von sehr verschiedenem Lidex und mithin langsamer oder schneller Zunahme der Umgänge. Andere Differenzen werden bedingt durch die verschiedene Wölbung der flachen, gerun- Gastropoda 583 deten oder gekielten Umgänge, die Höhe der Spira, den geschlossenen oder weiten Nabel. Die Schalenspitze oder der Apex kann von dem übrigen Gewinde abweichen nach Strnktnr oder Richtnngsverschiebung. Er liegt noch exogastrisch nach vorn bei den Patellen; heterostroph ist die Schale bei Eulimiden oder Odostomiiden, sie wechselt ilire Richtnng und rollt sich schließlich in einer Ebene auf bei den Heteropoden, bei Planorbis und manchen Ampullariiden, dabei kann die Abplattung gowisseniiaßen über die Medianebene hinausgehen, so daß die Schale scheinbar linksgewuudeu, in Wahrheit aber Ultrarechts ist; der Apex ist durch verschie- dene Längs- und Querrippung von der definitiven gekennzeichnet als Embryonal- schale bei Pulmonaten, als Larvenschale bei höheren Prosobranchien. Starken Richtungs- wechsel bedingt Sessilität bei den Verme- tiden oder Wurmschnecken und bei den Coralliophiliden. Viele thecosome Ptero- poden erhalten eine symmetrisch konische oder plattgedrückte Schwimmsehale, zum Teil noch mit kugeligem Apex. Die schärfste Aus- prägung erhält die Schale beim letzten Aus- wachsen, d. h. an der Mündung. Sie kann sich vom Gewinde ablösen und eine andere Richtung annehmen, wie bei den Clausilien, oder selbst auf das Gewinde hinaufschla^en bei Opisthostoma. Bei den Pleurotomarien ist der letzte Umgang geschlitzt, der Schlitz zerfällt in eine Reihe von Löchern bei Ha- liotis, Scissurellen und Fissurellen bilden Zwischen- und Endstufe dieses Bildungs- ganges. Häufig verengert sich die Mün- dung durch Zälme und Falten, bei Clau- silien, Pupen, Heliciden, Neritiden u. a., oder sie wird schlitzförmig bei Kegelschnek- ken und Cypraeen; wo der Mantel einen Atemsipho bildet , erhält die Schale einen Ausguß oder verlängert sich zum Sipho, bei Murex z. B. Bei Landdeckelschnecken (Pupinelliden) bildet sich ein ähnlicher Aus- schnitt zur Luftzufuhr, er kann sich zum Kanal verlängern und als Spiraculum auf die Naht hinaufschlagen. Die äußere Lippe des Peristoms kann sich flügelartig verbrei- tern mit und ohne Stachelzierrat, bei Strom- bus, Pteroceras, Aporrhais, Murex u. a. Die Stachelzier kann sich auf den oberen Umgängen wiederholen. Struktur und Bildung der Schale. Die dicken Schalen der Vorderkiemer lassen deutlich, die übrigen weniger deutlich drei Schichten unterscheiden, das conchinöse Periostracum, das weiße Ostracum und das Hypostracum. Zunächst wird vom Man- telrande, meist in einer feinen Rinne, das Periostracum gebildet, dem zugleich aus Farbdrüsen die Pigmente eingelagert werden, auf denen die Färbung und Zeichnung der Schale beruht; ebenso sind ihm die gleich- zeitig und an derselben Stelle gebildeten Haare vieler Landschnecken eingepflanzt. Die Mantellinie hinter dem äußersten Rande liefert das Ostracum, durch Abscheidung eines Calciumalbuminates, das sich sogleich in das Calciumkarbonat und den organischen Rest sondert. Letzterer bildet die Conchin- härchen, welche den Kalk netzartig durch- setzen, ersteres ordnet sich in dichten Kri- stallen, deren Lagen unter annähernd rechten Winkeln miteinander abwechseln, um so die höchste mechanische Festigung zu er- langen. Das Hypostracum endlich wird fortdauernd von der ganzen Mantelfläche gebildet, bei altertümlichen Prosobranchien in welliger Lagerung als Perlmutter, bei höheren oft mit gleichmäßigen roten, gelben oder braunen Pigmenteinlagerungen. Zerbrochene Schalen werden häufig re- generiert, erhalten aber ihre normale Struktur nur dann wieder, wenn die Lage der Bruch- fläche die Beteiligung des Mantelrandes an der Reparatur zuläßt. Die Schalen erhalten ihre höchste Dicke und Festigkeit in tropischen Meeren, das Maximum bilden wohl die Nerineen der Kreide. Dabei findet bisweilen eine Um- lagerung des Kalkes statt. Bei Conus und Cypraea ist der letzte Umgang sehr dick- wandig, die inneren, älteren Teile der Spira dagegen werden papierdünn. Hier und da werden die inneren Teile ganz oder zum Teil resorbiert, bei Auriculiden, Neritiden und Calyptraeiden. Bei Crucibulum bleibt von den Innenwänden ein nach unten geöffneter Kalktrichter stehen. Bei manchen lang- gezogenen Formen zieht sich der Intestinal- sack in Intervallen aus der Gehäusespitze, die sich jedesmal durch ein kalkiges Septum verschließt, zurück. Bei turmförmigen Ge- häusen pflegt dann die Spitze abzuljrechen, dekolliert zu werden (Stenogyra, Clausilia, Melania). Mit diesem Vorgang gleitet der Ursprung des Schalen- oder Spindelmuskels allmählich an der Spindel herab. Wo das Innere der Spira resorbiert wird, teilt sich seine Insertion, und wir finden zwei Muskel- eindrücke (Neritiden) ; bei den Napfschnecken ist meist eine hufeisenförmige, vorn offene Insertionslinie vorhanden; Haliotis mit ihrer abgeflachten, spindellosen Schale hat einen großen, rundlichen Muskeleindruck am letzten Umgang u. dgl. m. Sessilität erfolgt bei den Coralliophiliden passiv, indem die Schale von Korallen um- wachsen und festgehalten wird. Die Verme- tiden befestigen sich aktiv, indem das eben abgeschiedene Periostracum mit der Unter- lage verklebt, bei Hipponyx leistet es der Deckel. Dieser Vorgang führt im Schlamm der Tiefsee zur Agglutination von Fremd- körpern, Muschel-, Schneckenschalen, See- 584 Grastropoda igelstacheln u. dgl., die bei den Xenoplio- riden der Schale anhaften. Nacktschnecken mit innerer Schale formen sie in verschiedener Weise um. Bei der Parmariongruppe, wo die Schale gekielt ist, lagert sich bloß der Seite oberhalb des Kieles Kalk an, die untere Hälfte der Spira besteht lediglich aus dem conchinösen Perio- straeum, welches mehr und mehr resorbiert wird, bis schließlich nur der kalkige Teil übrigbleibt. Parmacella setzt an den asym- metrisch kugeligen Apex eine breite Kalk- platte oder "Spatha an. Bei Ostracolethe besteht die ganze Schale aus einem dünnen, gefällelten Conchinhäutehen, welchem sich nur über dem Herzen und der Niere ein derbes Kalkplättchen anlagert. Bei den Arioniden ist anfangs eine kalkige Kappe über den- selben Organen vorhanden (Geomalacus), bei den übrigen zerfällt die Schale in einzelne Kalkkrümel, die schließlich bei Philomycus ganz fehlen, trotzdem sich die Schalen- tasche über den ganzen Rücken ausgedehnt hat. Bei den Janelliden bleiben von der Schale mehrere getrennte Stücke. Das ver- bindende conchinöse Periostracum ist re- sorbiert, an seiner Stelle sind Boden und Decke der Schalentasche verschmolzen, so daß die Schalenreste in getrennte Schalen- kammern eingeschlossen werden. Aehnlich hat unter den Pleurobranchiden Pleuro- branchus noch eine innere Schale, die bei Pleurobranchaea wegfällt. Als zweites Schalstück kommt dazu das auf dem Fuß- oder Schwanzrücken auf- gewachsene Operculum oder der Deckel, das nach dem Rückzug des Tieres in die Schale diese verschließt. Es dürfte hervor- gegangen sein aus dem E p i p h r a g m a o der dem „Winterdeckel" der Lungenschnecken, einer vom Mantelrande abgeschiedenen, aus Schleim und Kalk gemischten Platte* welche zunächst als Trockenschutz dient und nachträglich mit dem Fuße verklebt. Bei den Clausilien bleibt der Deekel noch vom Fuße getrennt, er bildet ein mit der Spindel federnd ver- bundenes Verschlußstück oder Clausilium. Parmacella hat als einziges Stylommatophor ein embryonales Operculum, das dann ab- geworfen wird, ähnlich die Oncidiiden. Die marine Amphibola ist das einzige Pul- monat mit bleibendem Deckel. Aehnlich vereinzelt ist das Operculum bei den Opisthobranchien und Pteropoden (Actaeon, Limacina usw.). Seine höchste Entfaltung erreicht es bei den Prosobranchien, von denen es die Mehrzahl bis ins Alter beibehält. Hier nimmt es verschiedene Formen an, windet sich Spiral auf, und zwar in entgegengesetzter Windungsrichtung zur Schale, bekommt Randdornen u. dgl. Am kompliziertesten wird es bei kleinen Landdeckelschnecken, trichterförmig, mit feiner Kalkkrause usf. Völlig isoliert steht der Schalenverschluß der kleinen Thyrophorella von S. Thome, bei welcher das letzte Ende der Schale ab- geknickt und gelenkig mit dem letzten Um- gange verbunden ist. 2c) Der Hautmuskelschlauch. Das Integument, mit einschichtigem Epithel, bildet einen dicken Muskelschlauch, dem verschiedentlich Drüsen, Schleim-, Farb- und Kalkzellen eingelagert sind. Die Epithel- zellen greifen mit basalen Fortsätzen zwischen die Gewebe der Cutis ein, ohne eigentliche Basalmembran. Meist ist es kubisch oder zylindrisch, flach am Mantel unter der Schale. Hier und da trägt es eine Cuticula, namentlich am Mundeingange, häufiger Cilien, zumeist an der Sohle, sonst in bestimmten Streifen, zumal in der Mantelhöhle (s. unten). Wimperstreifen auf den Flossen leiten bei den thecosomen Pteropoden die Nahrung dem Munde zu. Die Drüsen sind im all- gemeinen einzellig, entweder als Becherzellen im Epithel oder tiefer nach innen greifend. Farbstoffe, in verzweigten Chromato- phoren subkutan verbreitet, können als Farbdrüsen nach außen durchbrechen, ebenso Kalkzellen; das bindegewebige Mesenchym, dessen sehr verschiedene Zellen namentlich Cuenot untersucht hat, dient als Speicher für die verschiedensten Stoffwechselpro- dukte, Glykogen, Schleim, Guaninverbin- dungen u. a. Die großen Leydigschen Zellen sind vakuolisiert wie Pflanzen- zellen. Hier und da wird fester Kalk innerhalb der Haut abgelagert, als Kugeln bei Basom- matophoren, in Form verzweigter Spicula bei Nudibranchien, als Dermocalcite aus Drüsen abgeschieden und auf der Haut be- festigt bei'Landpulmonaten (Parmacochlea, Vaginuliden). Besondere Wehrdrüsen mit pilzförmigen Phyllaciten (Andre) liegen im Nacken von Hyalinen; eingesenkte Epithel- schläuche bedecken als Drüsengänge das Notum und Hyponotum der Vaginuliden (lokalisierte Drüsen s. oben). Die Mus- kulatur durchsetzt die Leibeswand nach allen Richtungen, zu innerst pflegt eine Ringmuskelschicht zu liegen, dazu kommen longitudinale, senkrechte und schräge, trans- versale Bündel. Ueberall, wo eine Gleit- sohle entwickelt ist, sind ihr besondere loko- motorische Längsmuskelbündel eigen. Wo ein Deckel vorhanden, wird die Sohle beim Rückgang ins Gehäuse quer eingeknickt, bei den Stylommatophoren legen sich umgekehrt die Seitenränder zusammen. Besondere Beachtung verdienen die Muskeln, die sich aus dem Schlauch gelöst und differenziert haben, der Spindelmuskel oder Columellaris für den Kopf, Pharynx, Rüssel, die Fühler und den Fuß, andere"für die Begattungswerk- zeuge. Hier herrscht eine große Mannig- faltigkeit, so daß bald das gesamte Retrak- Gastropoda 585 torensystem einheitlich aus einer einfachen Columellariswurzel sich abzweigt, bald aber umgekehrt einzelne Komponenten für sich aus dem allgemeinen Hautmuskelschlauch entspringen. Die größte Mannigfaltigkeit zeigen die Pulmonaten. Auch die Mesen- chymbänder, welche von der Körperwand aus die Leibeshöhle durchqueren und die Ein- geweide in ihrer Lage erhalten, sind meist von Muskelfasern durchsetzt. Die Muskelfasern sind einzellig und spindelförmig oder abgeflacht, nicht selten verzweigt. Kern und Cytojjlasma bilden meist die Achse, die kontraktile Substanz den Mantel, bisweilen, z. B. bei Janelliden (Plate) liegt aber das Plasma mit dem Nucleus außerhalb. Quergestreifte Muskula- tur, in allen Uebergängen, ist nicht selten, am ausgeprägtesten im Pharynx. An den Hautdrüsen der Oncidiiden werden Sphink- teren gebildet von Muskelfasern, bei denen Kern und Sarkoplasma an einem Ende liegen. Aus den Hautmuskelfasern derselben Schnecken beschreibt Stantschinsky ela- stische Stützfibrillen. 2d) Das Nervensystem. Das Nerven- zentrum ist der Schlundring, dessen obere oder Cerebralganglien über dehi Schlund untereinander durch die einfache Cerebral- komniissur verbunden sind, nach unten aber jederseits mindestens drei Kommissuren (oder Konnektive) entsenden zu entsprechenden Nervenknoten, je zwei zu den Pedalganglien und eine zu den Buccalganglien. Der zweiten Pedalganglienkommissur sind die Pleural- oder Kommissuralganglien einge- lagert, die untereinander (hirch die Visceral- kommissur mit den asymmetrischen Visceral- ganglien verbunden sind. Zwischen den Buccalganglien verläuft stets eine einfache Kommissur. Durch mediane Anastomose zweier Hirnnerven kann als eine Art vierter Schlundring noch eine Sublingualkommissur entstehen. Die Pedalganglien sind anfangs noch keine umschlossenen Nervenknoten, sondern lange, aus Nervenzellen und -fasern gemischte Markstränge, die den Fuß durch- ziehen und untereinander durch Quer- kommissuren strickleiterförmig zusammen- hängen, so etwa bei niederen Diotocardien, Cypraea, Paludina, Cyclophorus. Allmählich verkürzen sie sich zu geschlossenen Knoten, die nur noch durch eine stärkere vordere und eine schwächere hintere (Parapedal-) Kommissur kommunizieren. Eine ähnliche Verkürzung macht sich innerhalb der Visceral- kommissur geltend. Solange sie, bei niederen Prosobranchien, noch lang ist, wird sie am stärksten von der Torsion beeinflußt. Die beiden ersten ihr symmetrisch eingelagerten Parietalganglien, die ihre Nerven in die Hals- gegend entsenden, sind so verlagert, daß das rechte zum Supra-, das linke zum Lifra- intestinalganglion wird (Fig. 6). Der hintere Teil der Kommissur enthält dann das eigent- liche Visceral- oder Abdominalganglion für Fig. 6. Nerven - System von Pat eil a. 1 Cerebralganglien, 2 Cerebralkommis- sur. SLabialganglion, 4 Buccalganglien, 5 Cerebropleural- konnektiv, 6 Cere- bropedalkonnektiv, 7 Hörnerv, 8 State - Cyste, 9 Pleuralgang- lien, 10 Pedalkom- missur, 11 rechtes, 12]inkesOsphradium (als je ein kleiner Hügel in der Mantel - höhle), 13 Visceral- ganglion, 14 Supra- intestinalganglien, 15 Pedalganglien, noch als Mark- stränge, 16 Sub- intestinalganglien, nur angedeutet. die Eingeweide und den Pallialkomplex. So beschreibt die Kommissur, von oben gesehen, die Form einer 8, und der Schlundring ist strepto- oder chiastoneur. Die Asymmetrie wird einigermaßen wieder ausgeglichen durch nachträgliche Anastomosen zwischen dem Supraintestinalganglion und dem linken, so- wie zwischen dem Lifraintestinalganglion und dem rechten Pleuralganglion. So entsteht eine scheinbare sekundäre Symme- trie, auf die v. Ihering die Orthoneuren gründete. Die Visceralkommissur ist durch- weg verkürzt bei den Euthyneuren, d. h. Opisthobranchien und Pulmonaten, mit Aus- nahme von Chilina, die noch einen Anklang an die Chiastoneurie zeigt. Der Schlundring der Pulmonaten zeigt das größte Ebenmaß (Fig. 7). Die Unter- schiede betreffen nur geringen Wechsel in der Länge der Kommissuren und Verschmel- zung mehrerer Ganglien. Die Verschmel- zungen sind vielfach nur scheinbare und wer- den meist durch ein dickes Neurilem vorge- täuscht. Die Cerebralganglien zerfallen in ver- schiedene Lappen und haben außen zum Teil eine hohle Partie, die durch die Abschnü- rung von Cerebraltuben entsteht. Ja die Cerebraltuben, welche eine fortdauernde Ver- stärkung der Hirnmasse vom Ektoderm aus bedeuten, können noch offen sein bis zur Haut (Paryphanta). Die Cerebralganglien, zu denen seiner Struktur nach auch das Tentakelganglion gehört, versorgen den Kopf und den Penis, doch läßt sich der Penisnerv durch das rechte Cerebralganglion hindurch 586 Gastropoda bis ins rechte Pedalganglion verfolgen. Die Pedalganglien, welche den Fuß innervieren, haben ein besonderes laterales Zentrum für die Epipodialnerven. Die Visceralganglien ver- sorgen den Mantel und den hinteren Teil der Eingeweide, die Buccalganglien den vorderen Teil des Darmkanals. Fig. 7. Pulmonatenschlundring. epj^epi Epi- podialnerven, g.b Buccal-, g.c Cerebral-, g.p Pedal-, g.pl Pleural-, g.vi Visceralganglien. Die Opisthobranchien und Pteropoden schließen sich entweder an die Verhältnisse der Pulmonaten an oder verschieben die Ganglien sämtlich auf die Oberseite des Schlundes, so daß schließlich bei Tethys ein nahezu einheitlicher Nervenknoten über dem Hirn liegt. In dieser Konzentration über- treffen sie auch alle Prosobranchien. Wie Dreyer 1910 zeigte, gehen die peri- pherischen Nerven der Nudibranchien zahl- reiche Anastomosen ein, so daß man von jedem Punkte aus nach jedem Ganglion ge- langen kann. Aehnlich scheinen innerhalb der Ganglien des Schlundringes viele Ver- bindungen zwischen den einzelnen Zentren vorzukommen, so daß deren Fasern durch andere Ganglien hindurchtreten und die peripherischen Nerven vielfach aus verschie- denen Wurzeln gemischt sind. Dem peripherischen Nervennetz la- gern sich vielfach kleine Ganglien ein. Es wird am dichtesten am Penis, am Vorder- darm und namentlich in der Sohle der Pul- monaten, wo sich bei den Aulacopoden ein sekundäres Strickleitersystem herausbildet, zur Regulierung der lokomotorisclien Wellen. Die Ganglienzellen sind von sehr ver- schiedener Größe, die größten liegen in den Visceralknoten der Euthyneuren. Das Ten- takelganglion setzt sich aus kleinen Nerven- zellen zusammen, die den Sinneszellen der Haut gleichen, ebenso der Belag der Cerebral- kommissur bei den Euthyneuren. Die Gan- j glien des Schlundrings haben ein kompli- i ziertes Gerüst vonGliazellen, dieim Neurilemm wurzeln und vielfach in die großen Nerven- zellen eindringen. 2e) Die Sinneswerkzeuge. Die Grund- lage bildet die Sinneszelle, die mit freien Sinnesborsten über das Epithel hervorragt (Flemming). Durch lokale Häufung und Abgrenzung durch Deckzellen entstehen daraus Sinnesknospen. Dazu kommen noch subkutane Sinneszellen, welche die Endzweige ihres peripherischen Fortsatzes innerhalb des Epithels ausbreiten, ohne die Oberfläche zu erreichen. Es gelingt nicht, den verschie- denen Formen spezifische Wahrnehmungen zuzuerkennen. Getast als Drucksinn scheint zumeist ausgeschlossen, da die Tiere jede härtere Berührung meiden. Selbstverständ- lich wird auch die leiseste wahrgenommen. Möglich ist Temperatursinn. Die Sinnes- knospen als Geschmacksorgane anzu- sprechen, verbietet u. a. ihre Häufung auf den Epipodialtastern. Vielmehr liegt wohl die Aufgabe vornehmlich auf dem Gebiet der chemischen Perzeptionen schlechthin, wobei der ]\Iund hauptsächlich demGeschmack dient; seine Schleimhaut ist nicht nur reich an Sinneszellen, sondern bei niederen Proso- branchien kommen in der Mundhöhle noch Geschmackspapillen als Reste eines^ Sub- radularorgans hinzu. Aber auch der Vorder- rand der Limnaeensohle ist ein differenziertes Geschmackswerkzeug. Am besten scheint der Geruch lokalisiert zu sein, am Kopf in den Fühlern, in besonderen Sinnesleisten an den Atemorganen. Am feinsten scheint der Geruch in den Sinneskalotten der Land- schneckenfühler differenziert, in den taschen- förmigen, geschlitzten Tentakeln der beschäl- ten Opisthobranchien und in der geblätterten Endkeule der hinteren Fühler oder Rhino- phoren bei Nudibranchien. Ihr entspricht als gefiederte Leiste das Osphradinm in der 1 Kiemenhöhle höherer Prosobranchien („fausse I branchie"), das, von einem Ganglion begleitet, neben der Kieme liegt. Bei niederen ist die Leiste noch mit der Kieme selber verbunden. Aehnliche Leisten finden sich in der Mantel- höhle der Tectibranchien und bei Ptero- poden. Unter den Stylommatophoren wies Plate eine Osphradiaileiste in der Lungen- höhle von Testacella nach. Bei den meisten Basommatophoren ist das Osphradium im Einiianoe der Lungenhöhle als ein kurzer, einfacher oder gespaltener Blindsack ausge- bildet, der sich in ein Ganglion einsenkt, „Lacazesches Organ". Besondere Sinnes- Grastropoda 587 leisten stehen bei nackten Stylommato- phoren am hinteren Umfang des Mantels in dem Eingange der Schalentasche (Täuber). Bei Janeliiden, welche Decke und Boden der Schalentasche verwachsen lassen, liegen sie in einer abgekapselten Blase, die Plate als postpalliales Sinnesorgan beschrieb, in der Haut. Die Heliciniden tragen an der linken Seite des Operculums ein taschenför- miges Sinnesorgan (Bourne). Die Statocyste, deren zarter Nerv im Cerebralganglion wurzelt, verbindet sich mit dem Pedalganglion, dem sie meist in Form einer Halbkugel aufliegt. Sie fällt weg bei sessilen Formen, wie Vermetus, ebenso bei der an ihrem Floß treibenden Janthina. Sie ist eine Blase mit einschichtigem Epi- thel, das aus verschiedenen, sämtlich wim- pernden Zellformen besteht, durch welche der einzelne runde Statolith oder die zahl- reichen, wetzsteinförmigen Otoconien in unausgesetzter zitternder Bewegung erhalten werden. Eine besondere Differenzierung erreicht die Blase bei den Heteropoden da- durch, daß sich die Hörzellen zu einer erhöhten Crista gruppieren. Das Auge beginnt bei den Patellen in der Form eines offenen Bechers, der mit hohem Zylinderepithel ausgekleidet ist (Fig. 8). Es besteht aus zweierlei Zellen, - 3 Fig. 8. Längsschnitt durch das noch offene Auge von T r 0 c h u s. 1 Linse oder Glaskörper, 2 Ketina, 3 Sehnerv, 4 Stäbchenschicht der Re- tina. Nach Pelseneer. von einem Stiftchensaum umgebenen Seh- zellen und Zwischenzellen. Letztere, auf die sich zumeist das Pigment beschränkt, sondern eine farblose Cuticula ab, welche den Becher zum Teil ausfüllt und auf den Enden der Sehzellen ruht. Dadurch, daß sich die vorderen Ränder des Bechers bis zur Berüh- rung nähern und miteinander verschmelzen, schließt sich das Auge zum kugeligen Aug- apfel. Das Retinaepithel flacht sich vorn ab und wird zur inneren Schicht der durch- sichtigen Cornea, deren äußere vom äußeren Epithel gebildet wird. Die Cuticula, welche die Blase ausfüllt, ist die Linse. Wenn sich bei den höheren Prosobranchien innerhalb derselben exzentrisch nach vorn ein stärker lichtbrechender kugeliger Körper als Linse aussondert, hat der Rest zwischen dieser und der Retina als Glaskörper zu gelten. Die höchste Ausbildung und Größe des Auges zeigen die Heteropoden. Hier zieht sich dieses in die Länge und wird annähernd konisch, so daß der Aljstand zwischen der Linse und der Retina auf dem Hintergrund des Auges zu- nimmt. Die dunklen Seitenwände sind von durchsichtigen Fenstern unterbrochen, um Seitenlicht zur Wahrnehmung einzulassen. Eine andere Kombination findet sich bei Limax, eine pigmentfreie Ausstülpung in der vorderen Hälfte als Nebenretina. Gleich- wohl ist es noch nicht gelungen, bei den Pulmonaten irgendeine Bedeutung des Auges für Lichtwahrnehmung nachzuweisen. Der Augenträger oder Ommatophor reagiert bei Annäherung eines Fremdkörpers erst bei so kurzem Abstand, daß vielmehr die allgemeine Empfindung der Haut verantwortlich ge- macht werden muß. Schnecken, denen die Ommatophoren amputiert sind, verhalten sich genau so. Ja Yung leugnet bei der Weinbergschnecke auch jede dermatop- tische Funktion und erklärt sie schlechtweg für blind. Paludinen zucken dagegen zu- sammen bei plötzlich greller Beleuchtung. Für die Sohle von Limax tenellus aber wies Kunkel nach, daß das Ideinste Stückchen sein lokomotorisches Wellenspiel wieder auf- nimmt, sobald es von einem hellen Licht- strahl getroffen wird. Der geringen Bedeutung des Auges scheint es auch nicht zu ent- sprechen, daß im Dunkeln lebende Schnecken, Vitrella in Höhlen, Caecilianella im Boden, auch Janthina die Augen verlieren ; weit eher allerdings steht damit im Einklang das He- rabdrücken der Sehorgane in und unter die Haut bis zu den Cerebralganglien mit gleich- zeitiger Rudimentation bei vielen Opistho- branchien und Pteropoden. Zu den Kopfaugen kommen bei einer An- zahl Oncidiiden die von Semper entdeckten und von S t an tschinsky genauer beschrie- benen Rücken äugen. Sie stehen vereinzelt oder in Gruppen auf den Papillen des Notums, in letzterem Falle regelrecht divergierend, als Ganzes rückziehbar. Das Rückenauge ist ohne Einstülpung in der Cutis selbst ent- standen, so daß der Bulbus durch Binde- gewebe nur unvollkommen gegen die Nach- barschaft abgegrenzt wird. Ihm lagert innen eine Pigmentschicht an, gegen welche die Außenenden der in einfacher Lage an- geordneten Retinazellen gekehrt sind, inver- i tiert wie beim Wirbeltierauge. Die einschich- j tige Cornea wird nur vom äußeren Epithel gebildet. Das Innere wird erfüllt von einer 588 Gastropoda ^ einzigen oder einer Anzahl großer Linsen- zellen, in einer Bindegewebskapsel, so zwar, daß eine bikonvexe Linse von dem dahinter gelegenen Glaskörper abgetrennt ist. Zwi- schen der Cornea und dem vorderen Umkreis der Linse ordnet sich die Hautmuskulatur zu einem Sphincter, der gleichzeitig Pupillen- verengerung und Akkommodation besorgt. Dieses Auge ist wahrscheinlich leistungs- fähiger als das Kopfauge. Es scheint zurück- zugehen auf Hautsinnesorgane in der Cutis, bestehend aus einer linsenartigen Verdickung Fig. 9. Anatomie von Helix pomatia. A After, Ad fingerförmige Drüsen (Schleim-, Pfeildrüsen), AI Pneumostom aufgeschnitten, Ed Eiweißdrüse, F Fuß, Fl Flagellum (drüsiger Anhang des Penis), G Cerebralganglion, j Darm, L Leber, Lg Lunge, M Kropf oder Vormagen. Mr Penisretraktor, N Niere, Od Eileiterteil des Spermovidukts, P Penis, Ps Pfeilsack, R Fühlerretraktor, Rs Bursa copulatrix, Sk Schlundkopf, Sp Speicheldrüse, V Herzkammer, Vd Samenleiter, Vd^ Prostata, X beginnendes Divertikel am Bursagang,^ Zd Zwitterdrüse, Zg Zwittergang. Nach Leuckart. Fig. 10. Darmkanal von Troclius. 1 Speichel- drüsen, 2 Radulascheide, 3 Schlundsäcke, 4 Schlund, 5 Magen, 6 Spiralcöcum, 7 Leber, 8 Enddarm. Nach Hai 1er. der Cuticula, verlängerten Epithelzellen dar- unter, und Riesenzellen, welche den Linsen- zellen schon fast gleichen; dazu ein Nerv. 2f) Der Darmkanal (Fig. 9 bis 13). Der Tractus intestinalis beginnt bei den Pro- boscidiferen mit dem Rüssel, bei den Rostri- feren mit der verlängerten Schnauze, meist aber mit der einfach am Vorderende gelegenen Mundöffnung. Sie führt öfter erst in einen kurzen Vorraum und dann in den Schlund- kopf oder Pharynx mit der Radula. Der nimmt an seiner Oberseite den Schlund und daneben die beiden Speichelgänge auf. Bei Fig. 11. Darm- kanal von Mu- rex trunculus. 1 Pharynx, 2 Speichelgänge, 5 Speicheldrüsen, 4, 6, 7 Drüsen des Vorderdar- mes, 8 u. 7 Leib - lein sehe Drüse. 9 Mitteldarm- drüse (Leber), 10 Magen, 11 Enddarm, 12 Enddarm- (Anal-?)-Drüse, 13 After. Nach Haller. Fig. 12. Darmkan.il vonAeolis. lPhai\nx, 2 Magen, 3 Lebei mit ihren in die Rütken- papillen eintretenden Verzweigungen, 4 Aitei, 5 Enddarm. Na( h Souleyet. niederen Prosobranchien erweitert er sich zu Schlundtaschen, die weiterhin als Jabot auf den Oesophagus übergreifen und seine Beeinflussung durch die Torsion deutlich Gastropoda 589 machen. Meist ist er eng, aber erweiterungs- fähic; mit hohen Länsisfalten. l^^r pfleo't sich znm Kro])f zn erweitern. Im eiiü'achsten Fall wendet der sich anschließende Darm nach rechts nnmittelbar znm After nnd hat dabei Fig. 13. Pneumoderma mediterraneum. Seitenansicht, af After, df dorsaler Drüsenfleck, ek Endkieme, fl Flosse (Epipodium), gö (J, $ männliche und weibliche Geschlechtsöffnung, has ausgestülpter linker Hakensack, ml Mittel- lappen des Fußes (Sohle), nö Nierenöffnung, OS Osphradium, r Rüssel, sar Arm mit Saug- näpfen, sk Seitenkieme, sl Seitenlappen des Fußes, sr Samenrinne, t^ und t^ vorderes und hinteres Tentakel. Nach Meisenheimer. nur 2 Schenkel. In der Regel beschreibt er 4 Schenkel, bei Sand- und Schlammfressern unter Verlängerung weit mehr (Patelliden, Fissurelliden, Oncidiiden). Zwei überzählige Schenkel kommen auch bei Limaeiden vor, und der letzte trägt einen gerade nach hinten in der Mittellinie verlaufenden Blinddarm, vermutlich den Rest des ursprünglichen Enddarms. Wo sich, wie häufig, der Harn- leiter in den Enddarm öffnet, wird dessen Endstück zur Kloake. Ein kurzer Blinddarm kommt vereinzelt anch am ersten Darm- schenkel vor, bei Rhipidoglossen als Spiral- coecum, er kann einen Kristallstiel enthalten, wie bei den Muscheln. Lokalisierte Drüsen sind: Lippendrüsen, Speicheldrüsen, Mittel- darmdrüse oder Leber und Analdrüse. Der Mundeingang pflegt eine stärkere Cuticula zu tragen. Sie kann sich zu Kiefern verstärken, ursprünglich schmalen Con- chinplatten, die sich in verschiedener Weise zu größeren Platten zusammenschließen, zu einem Bogen über dem Mund bei den Docoglossen und Pulmonaten, glatt, gerippt, mit Mittelzahn, mit Gaumenfortsatz usw., daher Anlaco-, Gonio-, Elasmognathen; Agnathen mit reduziertem Kiefer; sonst sind meist nur die beiden Seitenkiefer entwickelt. Noch erkennt man oft die /nsammensetzung aus einzelnen Conchineiementen, die von je einer Zelle abgeschieden werden. Auf solche Bildung gehen vermutlich die beiden ausstülpbaren Hakensäcke der gymnosomen Pteropoden zurück. Bei den Janthinen ist die Mundhöhle jederseits mit einer starken Conchinplatte ausgekleidet. Die Radula, Raspel, Reibplatte, Zunge, wird im Hintergrunde der Radulascheide erzeugt, aus einer Querreihe von Zellen oder Odontoblasten, die einzeln oder in Gruppen die Zähne liefern. Mit der Radula rücken sie nach vorn, und eine andere Reihe tritt an ihre Stelle. Der Zusammenhang der Zahnreihen wird durch die Basalmembran gewahrt. Die Radulascheide ragt in der Regel eben an der Hinterseite aus dem Pharynx heraus. Bei den Patellen erreicht sie Körper- länge und windet sich in der Leibeshöhle auf. Die Raspel ruht im Pharynx auf dem löffeiförmigen Zungenbalken oder Radula- gerüst, über dessen Vorderrand sie sich hinwegschlägt. Der muskulöse Zungenbalken erhält bei den Prosobranchien versteifende Einlagerungen von knorpelartigem Chondroid- gewebe, bald ein einheitliches Stück, bald in verschiedene, paarig hintereinander liegende Teile getrennt. Die nach hinten gerichteten Zähne der Radula, die man in den Rhachiszahn, in die Lateral- und Marginalzähne einteilt, geben mit ihrem Dentikelbesatz, ihrer Zahl und Anordnung eine gute Handhabe zur Klassifikation. Troschel versuchte das ganze System darauf zu grün- den, zum mindesten für die Prosobranchien. Hier kann man unterscheiden zwischen Docoglossen oder Balkenzünglern mit wenigen, aber starken und plumpen Zähnen, Rhipidoglossen oder Fächerzünglern, mit sehr vielen Marginalzähnen, Taenioglossen oder Bandzüngiern mit je 7 Zähnen und der Formel 2 + 1+1+1+2, Ptenoglossen oder Federzünglern, mit lauter gleichgestal- teten pfriemenförmigen Zähnen und Steno- glossen oder Schmalzünglern. Diese zer- fallen wieder in die Rhachiglossen oder Schmalzüngler (s. S. 605), mit je 3 oder nur 1 Zahn in der Querreihe nnddietoxoglossen oder Pfeilzüngler, welche 2 Zahnplatten dütenförmig zusammenrollen und noch mit Widerhaken versehen, so daß sie zu gefähr- lichen Giftzähnen werden. Das Schema wird im einzelnen vielfach durchkreuzt. Das ursprünglichste, einfachste und gleich- mäßigste Gebiß findet sich wohl bei den Pul- monaten, etwa 700 gleichmäßige Zähne mit je 2, am Rand nur mit einem Dentikel bei Ostracolethe z. B. Die Differenzierung läßt die mittleren Zähne stärker und mehr- spitzig, die äußeren länger und schlanker 590 Grasti-opoda werden, die Radiila der Raiiblungen- schnecken gleicht schließlich der der Pteno- glossen. Die Tectibranchien schließen sich dem Durchschnitt der Pulmonaten an; die eu- und pseudothecosomen Pteropoden haben nur 3, die gymnosomen meist viele Zähne in einer Querreihe. Es handelt sich hier um Verschmelzung, ein Prinzip, welches die Nudibranchien am weitesten treiben, zu vielfacher Konvergenz mit den Rhachi- glossen. Die Asco- oder Saccoglossen haben vor der Radula einen Blindsack am Boden der Mundhöhle, in dem sich die abgenutzten Zähne der Radula ansammeln. Bei den Aglossen endlich ist die Radula verloren ge- gangen (Eulimiden, Doridium u. a.). Als Lippen driisen, die zur Bewältigung lebender Beute mitwirken (vordere Speichel- drüsen), finden sich ein Paar Schläuche bei manchen Vorderkiemern (Janthina, Rhachi- glossen) und unter den Soleoliferen bei Ato- pos. Bei ersteren verschmelzen bisweilen ihre Ausführgänge. Pakete einzelliger Drüsen, die einzeln nach außen sich öffnen, liegen bei vielen Stylomniatophoren im oberen Umkreis des Mundes, wo sie als Sempersches Organ bezeichnet werden. De Speicheldrüsen sind Ausstülpungen der Pharynxwand, die in Acini oder Tubuli zerfallen mit einfachem Ausführgang. Ihre Herkunft zeigen noch Gruppen einzelliger Drüsen („sekundäre Speicheldrüsen" ; Nalepa) in der Umgebung der Mündung der Speichel- gänge bei Heliclden. Die Gänge erweitern sich bisweilen zu Reservoiren, die bei Dolium und Triton freie Schwefel- oder Asparaginsäure enthalten zur Betäubung der Stachelhäuter und Zerkleinerung ihres Kalkskeletts. Im Kropf findet sich vielfach eine ventrale Rinne mit hohen Längsfalten. Wo seine Wände drüsig erweitert sind, stülpt sich diese Drüsenkrause (s. oben) bisweilen zu einer großen einheitlichen un- paaren Drüse aus — Giftdrüse der Toxo- glossen, Leibleinsche Drüsen der Rhachi- glossen. Sonst pflegen die Falten der Darm- wand höchstens einzellige Becherzellen und Wimperepithel zu tragen. Die wichtigste Verdauungsdrüse ist die Leber, die, haupt- sächlich mit zwei Zellarten, Körner- und Fermentzellen, ausgestattet, zugleich sezer- niert und resorbiert und zu diesem Zwecke die Nahrung in ihre Hohlräume aufnimmt. Im allgemeinen paarig mit sehr ungleichen Hälften, wird sie bei den Oncidiiden drei-, bei den Phyllirrhoiden vierfach. Bei Atopos ist sie ein einfacher unpaariger Sack, ähnlich bei den cladohepatischen Nudibranchien, wo sie sich aber verzweigt und ihre Aeste in die Rückenpapillen entsendet, an deren Spitze sie vielfach nach außen durchbrechen. Dabei erweitern sie sich zuletzt zu einer Tasche, in welcher die von den Beutetieren mit aufgenommenen unreifen Nesselkapseln aus- reifen, um von der Schnecke schließlich als Schutzmittel verwendet zu werden. Bei den Saccoglossen verzweigt sich der Darm bis in alle Körperteile hinein. In der Gegend, wo die Lebergänge münden, pflegt die schwache. Darmmuskulatur sich lokal zu verstärken zu einem Magenstiefel, der, innen mit verschiedenen Falten ausgestattet, die Nahrung in die Leber überzuführen hat. Man kann mehrere Abteilungen unter- scheiden. Am weitesten geht es vielleicht bei den LameUariiden, wo noch ein besonderer Drüsenbesatz dazu kommt. Bei den Sand- und Schlammfressern pflegt der Magen besondere conchinöse Wandverdickungen zu erhalten. Anfänge finden sich bei Neritiden und Limnaeen. Komplizierte Kauplatten kommen namentlich bei den Tectibranchien vor, der Magen wird zum Kaumagen. — Der Enddarm hat immer hohe Falten. Sie tragen bei Heliciden Schleinday])ten. Strombus hat eine verzweigte x\naldrüse, die mit feiner Oeffnung in das Rectum mündet (Haller). Viele Opisthobranchien haben eine unbe- deutende Analdrüse, die sich beim Embryo durch ihre gelbe Farbe als tätig erweist, nachher aber untätig und schwarz wird (Pels-eneer). 2g) Exkretionsorgane (Fig. 14,15). Die embryonalen Abscheidungsorgane sind die Fig. 14. Niere von Arion. hk Herzkammer, hv Vor- kammer, n Niere, np Oeff- nung zwischen Niere und Ureter, Uj, Ug die beiden Ureter Schenkel. Urnieren (s. unter 3). Sie werden ersetzt durch die bleibende Niere oder das Nephri- dium. Doch ist als Anfang das Pericard zu betrachten, das einzig beglaubigte Cölom der Gastropoden. Denn nur bei Neritiden fand Bourne noch einen engen Cölomraum da- neben, der sich durch einen kurzen Cölom- trichter in den Ausführgang der Gonade öffnet. Das Pericard öffnet sich durch die Nierenspritze oder den Renopericardial- gang in die Niere, welche andererseits mit oder ohne Vermittelung eines Ureters oder einer Harnrinne den Harn entweder direkt nach außen, oder erst in den Atemraum oder in den Enddarm bezw. die Kloake entleert. Bei den Diotocardien ist das Nephridium paarig. Doch wird bald die linke Niere kleiner und gibt als Papillarsack die Verbindung mit dem Pericard und die Harnabscheidnng auf. Dabei dient die rechte Niere zugleich Gastropoda 591 zum Ausleiten der Zeugungsstol'fe. Bei allen übrigen ist nur die linke Niere vorhanden, und es wird meist angenommen, daß die rechte zu den Geschlechtswegen umgewandelt Das Pericard Fig. 15. Niere von Bornella, einem Nudibranch. 1 Niere, 2 Renopericardial- gang. 3 Stück vom Pericard, 4 Ureter, 5 Nierenöffnung. Nach Hancock. ist von Plattenepithel ausgekleidet, das aber bei niederen Prosobran- chien und bei Lim- naeen durch lokale Einlagerung von Drü- sensäckchen, der Peri- cardialdrüse, seine ex- kretorische Natur be- zeugt. Sonst dient es zur Wasserabscheidung. Der Renopericardial- gang ist mit starken Cilien ausgestattet, die einen nach außen ge- richteten Flüssigkeits- strom unterhalten. Die Niere zeigt Ober- flächenvergrößerung bei Aeolidiern durch baumförmige Veräste- lung, bei den übrigen durch Lamellenbildung im Innern. Die Wand- vorsprünge tragen das meist wimpernde sekre- torische Epithel, Zellen mit distaler Vakuole, in welcher die runden, seltener kristallisierten Harnkonkretionen gebildet werden. Die Niere öffnet sich bei Prosobrancliien und Tecti- branehien in die Mantel Inihlo, bei den Nudibranchien frei an der Kürperoberfläche, mit mehrfachen Poren bei den Elysien (Pel- seneer), an wechselnden Stellen und unter verschiedenen Kombinationen bei den Pul- monaten. Bald streckt sich das Nephridium in die Länge und mündet verjüngt am Pneu- mostom (Basommatophoren,Buliminus u. a.), bald bleibt es kompakt und öffnet sich tief in der Atemhöhle. Dann bildet sich auf deren Boden neben dem Enddarm eine Harnrinne. Durch deren Abschluß zum Kanal entsteht der Ureter, mit allen Ueber- gängen, zum Teil innerhalb derselben Gattung und Art, z. B. bei Arianta arbustorum. Diese Verhältnisse veranlaßten v. Ihering, die Lunge als eine Erweiterung des Harnleiters zu betrachten und die Stylommatophoren als Nephropneusta zu bezeichnen, gegenüber den Basommatophoren oder Branchio- pneusta. Der Harnleiter beschreibt meist eine Biegung, der erste, weitere Schenkel läuft auf der Niere zurück, der zweite neben dem Rectum nach außen. Bei Vaginula und Ancylus knickt er sich mehrfach zu- sammen, so daß drei Schenkel dicht neben- einander liegen, von denen der letzte sich [ verlängert und in die Kloake mündet. Noch komplizierter wird der Verlauf bei den Janel- liden, bis zu vier langen Schenkeln, die in entgegengesetzter Richtung abwechseln, da- bei an den Wendepunkten Blindsäcke aus- senden und zum Teilnoch Kommunikationen untereinander eingehen. Bei den Arioniden umschließt eine ringförmige Niere den Herz- beutel. Der Ureter bildet ebenfalls zwei Schenkel, unmittelbar einander umfassend. So erhalten sie eine ganz andere Beziehung zur Lunge als bei den typischen Stylommato- phoren (s. unten). Li dem Ureter der Stylommatophoren wies Plate Calottenzellen nach, die zwischen den gewöhnlichen Epithel- zellen verstreut sind. Sie tragen auf einem Polster je ein Bündel starrer, auseinander- gespreizter Borsten. Stickstoffprodukte werden wohl auch außerhalb der Niere abgeschieden. Dahin gehören u. a. die Guaninablagerungen in der Haut der Urocycliden und Speicher- organe an den Seiten der Heteropoden. 2h) Atmungswerkzeuge und Kreis- lauf. Als typische Respirationsorgane gelten die der Mantelhöhle. Dazu kommt aber die ganze Haut, namentlich deren Anhänge, von denen viele lediglich im Dienst der Atmung erworben wurden. Die tiefste Einstülpung der Mantelhöhle bildet die Lunge, bei Planor- bis etwa. Bezeichnend ist der geringe Um- fang und die Verschlußfähigkeit des Atem- loches oder Pneumostoms. Chilina und Miratesta haben die Verschlußfähigkeit ein- 1 gebüßt. Unter den lissopoden Pulmo- naten fehlt die Lunge den Ancyliden, unter den Soleoliferen den Vaginuliden (nach Pelseneer) und Rathotiisiiden. Die Onci- diiden haben sie am Hinterende als einen Sack, der nach links über die Medianebene hinübergreift, im Anschluß an die Niere. Sie erhält an der Decke ein respiratorisches Gefäßnetz, dessen Ausbildung im allgemeinen mit der Körpergröße parallel geht. Bei vielen Nacktschnecken tritt es auch auf den Boden der Lungenhöhle oder das Diaphragma über, und steigert sich bisweilen durch se- kundäre Erhebung und Verschmelzung der Gefäßvorsprünge zu einem Lungenschwamm- gewebe (Parmacella, Anadenus). Die stärkste Umbildung erfährt es bei den Janelliden, bei denen Boden und Decke der Schalentasche miteinander verschmolzen sind (siehe oben). Hier geht die Verbindung zwischen den vorspringenden Gefäßen so weit, daß ein System feiner Luftröhren gebildet wird. Vom Pneumostom führt ein Atemgang in einen Lungenraum, der nach allen Seiten in die feinen Endröhren, welche in einen großen Blutsinus eintauchen, ausstrahlt. Plate wollte sie daher alsTracheopulmonaten \ allen übrigen, die er Vasopulmonaten ' nannte, gegenüberstellen. Bei den Testa- 592 Gastropoda celleii, deren Pneumostom nach rückwärts verlagert ist und zu einer entsprechenden Drehung der sämtlichen Mantelorgane, zur Opisthopneumonie, geführt hat, dehnt sich die Lunge an den Seiten der Leibeshöhle zu Luftsäcken oder Reservoiren aus (Plate). Lungenschnecken, die tief untertauchen, wie Limnaea im Genfer See, füllen ihre Lungenhöhle schließlich mit Wasser. Aehn- lich die marinen Pulmonaten. Von ihnen ent- wickelte Siphonaria im Hintergrund der Lungenhöhle eine (sekundäre) Kieme. Unter den Vorderkiemern hat Patella eine kleine Mantelhöhle ohne Kiemen, ebenso die sämtlichen Landdeckelschnecken oder Neurobranchien. Ein Lungenraum, der Luft aufnimmt, besteht noch' bei den Am- pullarien, er liegt über der Kiemenhöhle und hat seinen Zugang durch eine Oeffnung in deren Decke. Ein echtes Lungengefäßnetz an der Decke der Mantelhöhle findet sich noch bei einer Tiefsee-Pleurotomaria nach Bouvier. Im übrigen sind die Prosobran- chien durch die Kammkieme oder das Cteni- dium in der Mantelhöhle charakterisiert. Ursprünglich doppelt am Mantelrand an- gelegt, verlängert sich das Ctenidium all- mählich nach rückwärts an der Decke des Atemraums. Das ursprüngliche Verhältnis hat noch Valvata bewahrt, nur daß das rechte Ctenidium zum tentakelartigen An- hang geworden ist; bei den Diotocardien sind — mit Ausnahme der Neritiden — beide Ctenidien vorhanden, bei den Pleurotomarien stehen sie am Rande und reichen so weit zurück, wie der Schalenschlitz. Bei den übrigen, d. h. den Pectinibranchien, ist nur das linke Ctenidium erhalten. Der Blutraum in den einzelnen Kiement)Iättchen hat meist cuticular-versteifte Wände, das Epithel trägt hohe Wimpern, mit eingestreuten Becher- Schleimzellen, die bei Incisura sive Scis- surella nach Bourne in besondere Fortsätze auf der Spitze rücken. — Alle übrigen Kiemen werden als sekundäre oder adaptive zusammengefaßt, zunächst die Lamelle mit gefalteten Plächen in der wenig vertieften Mantelhöhle der Tectibranchien, die noch am meisten den Vergleich mit einem echten Ctenidium .aushält, ein schwellbarer Fort- satz am Pneumostom von Planorbis cor- neus, gefaltet bei Isidora und Miratesta, dazu die Kieme in der Lungenhöhle von Siphonaria (s. oben), spärliche Kiemen- reste bei thecosomen Pteropoden, weiterhin der kiementrageiide ^lantelraiid der Doco- glossen, das Epipodium von Haliotis, die verästelten Kiemen um den After der Dori- diden, die verzweigten Epipodialanhänge der verwandten Tritoniiden und Polyceratiden, die Rückenpapillen der Aeolidier, äußere Mantelanhänge bei gymnosomen Ptero- poden, der Mantelrand von Ancylus und Amphipeplea, die breiten Fühler der Lim- naeen, die oft mit Kiemenfäden besetzten l Rückenpapillen der Oncidiiden u. dgl. m. — Die ganze Haut endlich besorgt die Atmung allein, im Wasser bei den niedrigsten Nudi- branchien, Elysien usw., auf dem Lande I bei den Vaginuliden, deren schwellbare I Rückenpapillen besonders dafür geeignet j sind, so gut wie die pulsierenden Rücken- j runzeln der Limaeiden ( K ü n k e 1 ). Die Mantelhöhle enthält vielfach lokali- sierte Drüsenepithelien, bald in breiter 1 Fläche, bald in Streifen als Hypobran- [chialdrüse. Eine besondere Differenzie- rung erhält sie bei den Purpuriden, bei denen lein Teil des Streifens als Färb- oder Purpur- drüse erscheint, die ein blasses, am Lichte sich verfärbendes Sekret abscheidet. Aehn- lich bei Janthina, welche durch den dunklen Farbstoff bei Angriffen das Seewasser zu trüben vermag. Der Kreislauf vollzieht sich in ge- schlossenen Blutbahnen, die sich oft zu ve- nösen Sinus erweitern. Die größten Sinus sind die durch Mesenterien unvollkommen voneinander getrennten Räume der Leibes- höhle. Die Arterien haben allein muskulöse Wände. Das Herz besteht bei den Dioto- cardien aus einer Kammer und zwei anfangs gleichen Vorkammern. Letztere nehmen das Blut auf aus den Atemorganen. Das I Herz treibt es durch die bald geteilte Aorta I teils in die Eingeweide (Arteria intestinalis), i teils und hauptsächlicli nach dem Schluncl- jring (Arteria cephalica). Hier tritt es bei j den niederen Formen zuerst in einen er- weiterten Raum, der die Radulascheide ein- schließt, und von da in einzelnen Arterien in den Kopf, den Fuß und die vorderen Teile ; der Eingeweide. Bei den übrigen, die nur eine Vorkammer behalten haben, — Mono- 1 cardien unter den Vorderkiemern, Euthy- j neuren — ist der vordere Blutraum zu einer gewöhnlichen Arterie verengert, doch findet sich bei Opisthobranchien an dieser Stelle eine große Blut- oder Lymphdrüse zur Er- 1 neuerung der Blutzellen. Bei einigen Monoto- I cardien, Cypraea z. B., ist noch ein unbe- deutender Rest des zweiten Vorhofs erhalten. Bei den Prosobranchien und Pulmonaten (mit Ausnahme der Opisthopneumonen) liegt die Vorkammer vor, bei den Opistho- branchien liegt sie hinter der Kammer. Zwischen Ventrikel und Atrium findet sich eine Klappenvorrichtung, die den Rückfluß des Blutes verhindert. Die Linervierung des Herzens ist trotz vieler Untersuchungen nur unvollkommen bekannt. Die venösen Sinus im Integument der Vaginuliden ent- halten zahlreiche Spinkter, welche die Zir- kulation, teils in der Haut zur Atmung, teils nach der Sohle zur Schwellung, regeln. In der Haut sammelt sich das venöse Blut (xastropoda rm und wird durch seitliche Sinus nach den Atemwerkzeugen geführt. Diese werden von Sinus umgeben und durchsetzt, welche sich weiter in die Atemgei'äße auflösen. Aus ihnen sammelt es sich dann und gelangt zur Vorkammer. Ein Teil dieses Blutes durch- strömt erst die Niere. Im allgemeinen vereinfacht sich der Kreislauf mit abnehmender Körpergröße, so daß bei kleinen, wie Ancylus, die Sinus über die geschlossenen Gefäße überwiegen. Das Blut ist eine Hämolymphe, die nur Leukozyten enthält. Das sauerstoff- übertragende Pigment ist nicht an Zellen gebunden, es ist nur ausnahmsweise eisen- haltig und rot (Planorbis), meist kupferhaltig und blaßblau. Die Zellen wirken teils als Phagozyten, teils aber gewebsbildend, so bei der im Winterschlaf fortwachsenden Niere der Heliciden (Krahelska). 2i) Die Geschlechtswerkzeuge (Fig. 10, 16 bis 18). Sie bestehen aus der Gonade, nade, die zur Fortpflanzungszeit nach der rechten Niere durchbricht. Relativ einfach bleiben die Verhältnisse bei den getrennt- geschlechtlichen, kompliziert werden sie bei den hermaphroditischen. Alle sind zwitterig mit Ausnahme sehr vieler Prosobranchien. Fig. 18. Spermatophore einer Parniarionide. Diese letzteren werden meistens als diöcisch bezeichnet und die Ausnahmen w'erden an- gegeben, z. B. Valvata. Doch sind Fälle be- kannt geworden, wie von Patella, wo dasselbe Individuum erst männlich, dann weiblich sich verhält. Vermutlich kommen sie häufiger vor, so daß die Zahl der Hermaphroditen immer mehr praevaliert und die zwittrige Anlage durchweg zum Ausgaiigspuiüvt wird. Der Genitalschlaucli ist anfänglich einheitlich bis zur Genitalüffnung. Von hier führt eine äußere flimmernde Samenrinne zum vorn gelegenen Penis, an dem sie hinaufzieht, oder den sie als Schlauch durchläuft; weiter schließt sich die Samenrinne in ganzer Länge zum schlauchförmigen Samenleiter und ver- Fig. 16. Geschlechtsorguiic vuii Archidoris tuberculata. 1 Zwittergang, 2 Receptaculum legt gjch ins Innere, bei den Oncidiiden seminis (Befruchtungstasche), 3 Samenleiter, j allerdings so, daß neben der inneren Leitung 4 Bursa copulatrix, 6 Vagina, 6 Penis, 7 leiter, 8 Eiweiß- + Nidamentaldrüse. Nach v. Iherine;. Figr. 17. Geschlechts auch noch die äußere Rinne fortbesteht. Auf dieser Stufe ist also der männliche Porus vom weiblichen völlig getrennt. Der letztere kann sich dadurch verdoppeln, daß eine be- sondere Oeffnung für die Begattung, eine besondere für die Eiablage dient. Da die Werkzeuge von Pleuro- Begattungstasche oder Bursa copulatrix branchaea. 1 Ge- bei vielen Pulmonaten als eine Abspaltung sehlechtsöffnung, 2 des Genitalschlauchs erscheint, so kann Penisscheide 3 Penis, „lan den Eindruck gewinnen, als ob die drei 4 PenisretraktOT 5 Sa- Oeffnungen, die im höchsten Falle vor- Z^:::iii^:^^ '---e^ -f der XeHung eines einfachen 8 Atrium genitale, 9 Schlauches beruhten; v. Ihering hat daher Ovidukt, zugleich 'Va- 1 "ach der Zahl der Geschlechtsöffnungen gina, 10 Bursa copu- einen monaulen, einen di- und einen tri- latrix, 11 Befruchtungs- aulen Typus unterschieden. Doch ist die tasche,^12 Zwittergang, Einteilung kaum von grundlegender Be- jvjj^pjj deutung, da die Begattungsöffnung ursprüng- lich als sekundäre Einstülpung entstanden zu sein scheint, so gut wie der Penis nicht überall mit dem Geschlechtsgang in Ver- bindung steht, sondern unabhängig erworben wurde ohne Zusammenhang mit der Genital- öffnung bei den Neritiden am Kopf, bei Ampullaria am Mantel. Das Grundschema 38 13 Zwitterdruse Mazzarel den Geschlechtswegen, den Reiz- und Be- gattungsorganen. Bei den niedersten Proso- branchien beschränken sie sich auf die Go- Handwörterbucli der Naturwissenschaften. Band rv. 594 Gastropoda dürfte etwa sein : die Zwitterdrüse, der Zwitter- gang, dann Trennnng der Wege im Genital- schianch oder Spermovidnkt durch zwei innere Längsleisten, Besatz der männlichen Kinne mit Prostatadrüsenschläuchen, ge- trennt oder kompakt, Besatz der weiblichen Leitung mit Eiweißdrüse (= Dotterstock), Schalendrüse und Nidamental- oder Laich- drüse. Dazu die Verlängerung der männ- lichen Leitung durch die Samenrinne zum Penis. Bei den diöcischen bleibt in jedem Geschlecht nur die eine Leitung bestehen. In sehr vielen Fällen trägt der Zwittergang Erweiterungen, entweder alsVesicula semina- lis oder Samenbehälter, besonders groß bei den Pteropoden, — oder als Befruchtungstasche. Der Drüsenbesatz am Spermovidnkt oder Uterus kann sich mannigfach differenzieren zu umschriebenen Drüsen, am stärksten bei Basommatophoren. Eine Bursa copu- latrix kommt meist hinzu, doch erfolgt die Begattung bei vielen Prosobranchien, unter den Pulmonaten bei Placostylus direkt in den Eileiter. Hier und da bildet sich eine zweite sekundäre Bursa aus, bei manchen marinen Basommatophoren, bei Vaginuliden, nachdem die primäre die Selbstbefruchtung übernommen hat. Ein unterer Teil des Ei- leiters, unter dem Ansatz der Bursa, heißt Vagina. Die Bursa wird oft langgestielt, und ihr Stiel erhält wie bei Stylommato- phoren noch einen langen Blindzipfel, ein Diverticulum, dessen proximales Ende mit dem oberen Ende des Uterus kommuni- zieren kann. Bei den Neritiden ist die Bursa am schärfsten von der Eileiteröffnung ge- trennt, sie kommuniziert mit ihm durch einen engen Gang, der von ihrem Blindende abgeht. Dadurch, daß der weibliche Perus, am Mantel in der Nähe des Afters, und der männliche, am Kopf, einander entgegen- rücken, kommt schließlich eine einzige Zwitteröffnung zustande, meist mit einem besonderen Vorraum oder Atrium genitale. Seine Wand wird oft drüsig, mit einzelligen Phiolendrüsen (Parmacella, Zonites, Arion), oder mit komplizierteren Drüsenlappen (Ama- lia). Bei Oopelta enthält das Atrium einen Lap- pen, der noch die freie Samenrinne trägt und den Hergang der Zusammenziehung und Einstülpung deutlich verfolgen läßt. Bei den Stylommatophoren wird das Sperma im Epiphallus, einem Abschnitt des Vas deferens, meist in eine Spermatop höre einge- schlossen, einen länglichen Körper, der mit seinem Endfaden bisweilen Körperlänge er- reicht und mit allerlei Leisten und Haken verziert sein kann. Der Umstand, daß unter den Vorderkiemern Nerita (Bourne), unter den Basommatophoren Siphonaria (Köhler) Spermatophoren erzeugen, spricht auch diesen altertümlichen marinen Formen terrestrischen Ursprung zu. Noch tritt zu allen diesen Einrichtungen ein sekundäres Element hinzu, das, durch Funktionsweehsel, die Aufgabe eines Stimu- lationsorgans übernimmt, eine Lippendrüse nämlich. Atopos hat zwei lange symmetrische Lippendrüsen (s. oben), von denen die rechte sich bereits mit dein Penis verbindet als Pfeildrüse. Weiterhin wird die linke ausgeschaltet, und nur die rechte bleibt am Penis oder nach der Vereinigung beider Genitalporen, am Atrium, durch dessen verscliiedene Erweiterung sie bald auf die männliche, bald auf die weibliche Leitung übertritt. In der ursprünglichen Form ist sie z. B. bei Amalia cypria erhalten, ähnlich bei Oncidiiden, bei Ancylus wird sie ein ein- facher Schlauch, ähnlich bei den Pteropoden und unter den Prosobranchien bei den Heteropoden. Bei den Vaginuliden verviel- fältigt sie sich, ebenso bei manchen Zoni- tiden und Heliciden. Der Ausführgang erhält eine vorspringende Papille, die" oft zu einer Conchin- oder Kalkspitze erhärtet, d. h. zu einem hohlen Liebespfeil (Vitrina brevis, Parmarion u. a.). Bei manchen verschwindet die Drüse, und die Papille wird solid, fleischig als Clitoris (Parmacella), mit Kalksporn (Lytopelte u. a.); bei wieder anderen bleibt die Drüse, einfach oder mehrfach, erhalten, trennt sich aber von der Papille, die nun in einem besonderen Pfeil- sack liegt und den Liebespfeil enthält. Bei großen Heliciden wird er im Vorspiel zur Copula aus- und in die Haut des Partners eingestoßen, wobei er abbricht, um dann I erneuert zu werden. In den meisten Fällen I wird er indes zurückgezogen, ohne abzu- brechen. Dabei kann er sich verdoppeln und verdreifachen, indem Nebenpfeilsäcke entstehen. Das höchste leistet in dieser Hin- sicht die Urocyclidengattung Trichotoxon, bei der mehr als 12 derbe Pfeile, je 2 in engerer Muskelscheide, gebildet werden, mit dreikantiger Spitze, dazu noch mit einem borstigen Conchinüberzug. Diese wechsel- vollen Verhältnisse sind von besonderem taxonomischem Werte. Dazu kommen noch Reizorgane an- derer Natur, Reizpapillen auf chondroider Unterlage, Kalkspitzen usw., im Penis und Atrium, bei manchen Planorbis mündet der Samenleiter durch ein hohles Kalkstilet, Anadenus hat im Atrium eine kräftige Striegel aus Conchindornen. Derlei Reiz- organe finden sich, wenn auch in schwäche- rer Ausbildung, ebenfalls bei vielen Nudibran- chien. Der Penis liegt bei den Vorderkiemern einfach als äußeres Organ frei. Bei den Eutliy- neuren, ausnahmslos bei den Pulmonaten, wird er ein- und bei der Copula durch Blut- druck ausgestülpt. Deshalb bekommt er hier einen Refraktor, dem sich oft sekundäre Refraktoren und Retentoren zugesellen. Grastropoda 595 Bei verschiedenen Grujipeii bilden sich seknndäre Verbindunc;cn 1. zwisclien dem Divertikel des Bursaiiaiiiics und dem Uterns bei manchen Heliciden und Nerititlen, 2. bei letzteren zum Teil an diesem Divertikel ein Seitengang, „ductns enigmaticus" Bourne, der sich in die Mantelhöhle öffnet, als eine vierte Genitalöff nnng, 3. zwischen dem Samen- leiter und der Bursa copulatrix bei einer Testa- cella und regelrecht bei Vaginuliden. Ver- bindung 1 bildet den kürzesten Weg für das Sperma aus der Bursa in die Befruchtungs- tasche, da es sonst durch den Spermovidnkt hinaufwandern muß; Verbindung 3 dient der Selbstbefruchtung. Diese ist nicht nur aus diesem anatomischen Befund zu erschließen, sondern ebenso bei anderen Raublungen- schnecken aus der Tatsache, daß die Sper- matophoren im Penis zurückgehalten und durch verschiedene Einrichtungen, pressende FaltenwiUste oder eine Kalkpyramide in der Peniswand, geöffnet, also nicht nach außen entleert werden; unmittelbar nachgewiesen ist sie für alle deutschen Limaeiden und Arioniden durch Kunkel. Der kosmopo- litische Agriolimax laevis entbehrt namentlich in den Tropen immer des Penis und pflanzt sich dort nur durch Selbstbefruchtung fort. 2k) Zeugungsstoffe und Laich. Den gewöhnlichen Spermatozoen, die nach Retzius' Untersuchungen bei den verschie- denen Gruppen feinere Unterschiede zeigen, steht bei Vorderkiemern der zw^eite Typus der wurmförmigen Spermien gegenüber. Zuerst von Paludina bekannt, sind sie jetzt von einer ganzen Reihe von Arten nach- gewiesen. Sie sind chromatinärmer, meist walzenförmig, an den Enden mit Wimper- büscheln, und haben mit der Befruchtung anscheinend nichts zu tun. Die Copula fällt weg bei den niederen Aspidobranchien, die keinen Penis haben. Hier werden die Zeugungsstoffe, auf den vom $ ausgehenden chemotaktischen Reiz hin, ins ^leerwasser entleert und daselbst die Eier befruchtet. Hier und da lassen sich bei Vorderkiemern sekun- däre Geschlechtsunterschiede wahrnehmen. Sie bestehen, von verschiedener Färbung der Gonade abgesehen, in geringerem Umfang und etwas anderem Habitus der Schale. Bei den Stylommatophoren pflegt der Co- pula ein Liebes- oder Vorspiel voranzugehen, das in gegenseitigem, oft heftigem Belecken, Reizen durch Liebespfeile usw. besteht und teils die Umstimmung des Muskeltonus be- wirkt, um den Blutdruck zur Ausstülpung des Penis zu verwenden, teils die Abschei- dung der jetzt erst gebildeten Spermato- phore bezweckt. Die Begattung ist bei den Stylommatophoren, Pteropoden und Opistho- branchien meist gegenseitig, bei den Basommatophoren einseitig, so daß das (^ das $ besteigt und ohne Vorspiel den Penis in die weiter rückwärts gelegene weibliche Oeffnung einsenkt. Bei Limnaeen kommt es vor, daß ein drittes Lulividuum sich hinzu- gesellt. Dann wirkt das unterste Tier rein weiblich, das oberste rein männlich, das mittlere weiblich gegen das obere, männ- lich gegen das untere. Die Kette kann sich durch weitere Lidividuen verlängern. Bei weitem der größte Reichtum im einzelnen Verhalten kommt den Stylommatophoren zu. Die Dauer der Copula wechselt von we- nigen Minuten bis zu vielen Stunden. Das Ei enthält stets einen kleinen runden Dotter. Die Nahrung wird in der Form von Eiweiß mitgegeben aus der Eiweißdrüse nach der in der Befruchtungskammer vollzogenen Be- fruchtung. Weiterhin kommt eine struktur- lose Schale hinzu, die aus mehreren Schichten bestehen kann und bei vielen Landpulmonaten, namentlich xerophilen, Kalk enthält, zu- nächst in Form einzelner Kriställchen, dann in geschlossener Lage. Dazu tritt eine wechselnde Laichbildung, die natürlich bei den ovoviviparen wegfällt. Vivipar sind viele Stylommatophoren, Clausilien, Heliciden, Achatinen, einzelne Vaginuliden, das Pteropod Halipsyche und manche Proso- branchien, Paludina, Turritellen, die supra- litorale Littorina rudis. Bei den Paludinen enthält der Uterus eine kontinuierliche Ent- wiekelungsserie in allen Stadien. Der Laich kann sehr verschieden gebildet werden. Viele Stylommatophoren legen die Eier, ohne sie zu verbinden, auf einen Haufen zwischen Laub, Moos oder Humus. Helix bohrt mit dem Fuß eine rundliche Höhlung in die Erde, legt die Eier hinein und glättet die Erde darüber. Cochlostylen vom Ostpol legen die Eier nebeneinander auf Baumblätter, die sie mittels des Fußes zu einer Düte zusammenrollen oder deren Ränder sie zusammenleimen. Achatinen und Bulimus legen hartschalige Eier von Taubeneigröße. Limaeiden und Vaginuliden verbinden die Eier durch eine Schleimschicht zu einer rosenkranzförmigen Laichschnur. Bei den Basommatophoren und Opistho- branchien entsteht durch Aufquellen der äußeren Schleimschicht ein Laich, in dem die Eier eingebettet sind. DieHeteropoden tragen eine aus der ^'agina heraushängende Laich- schnur mit sich herum. DieOpisthobranchien pflegen die schlanke Laichschnur in langen Spiralen zu befestigen. Die grabende Natica stellt eine Sandschüssel her, in deren Wände die Eier eingebettet sind. Bythinellen hüllen jedes Ei einzeln in eine Kapsel, Neritina viele. Die Kapseln werden auf der Schale befestigt und springen mittels eines Deckels auf, wie ähnlich bei vielen marinen Vorder- kiemern. Die Hydrobien bilden einen Laich, den sie in Sandkörner einhüllen. Die Litto- rinen haben ähnliche Laichformen, nur bei 38* 596 Grastropoda der in der höchsten Flutgrenze lebenden Littorina littorea wird daraus ein schwim- mender Laich. Die Lamellariiden fressen ein Loch in den Mantel der Ascidien, von denen sie leben, legen ihre Eier hinein und verschließen es mit einem Deckel. Voluten befestigen große linsenförmige Laichkapseln in leere Weichtierschalen. Wie weit bei dieser und ähnlichen Formen die Drüsen der Mantel- \ höhle (s. oben) mitwirken, ist noch un- sicher. Für höhere Prosobranchien aber ist durch Felsen eer die Beteiligung der Sohlen- drüse nachgewiesen. Die Eier gleiten in deren Hohlraum und werden mit einer Kokon- hülle von wechselnder Gestalt umgeben, flach bei Fusus, bei anderen, Nassa z. B., gestielt, becherförmig, gezackt usw. Janthina befestigt solche Eikapseln auf der Unterseite ihres Flosses, andere ordnen sie in ein- oder mehrfache Reihen, Buccinum häuft sie zu Klumpen. Die Kapseln enthalten meist viele Eier, selbst Hunderte. Die Opistho- branchien lassen zum großen Teil, die Pul- monaten jeden Dotter getrennt in einer Ei- schale. 3. Ontogenie (Fig. 19 bis 21). Bereits Fig. 19. Ein Furchungs- stadium, vom animalen Pol aus gesehen. I bis IV .Macrnmere, von denen sich I" bis IV" abgeschnürt haben. 1 bis 4 Micromere (Uebereinstimmung mit Anneliden). Nach Kor- schelt und Heider. verwiesen weiden kann. Das Ektoderm wird durch drei Quartette gebildet, das Meso- derm geht aus der Zelle 4d hervor usw. Fig. 20. Embryo von Paludina. 1 Velum, 2 Mitteldarm, 3 Leber, 4 Pericard mit zwei durch ein Septum getrennten Abteilungen 4a und 4b, 5 Rand der Schale, 6 Schalenfalz, 7 After, 8 Man- telhöhle, 9 Mantelrand, 10 Fuß, 11 Statocyste, 12 Schlund, 13 Tentakel, 14 Auge. Nach v. Er- langer. in der Dotterstruktur ist die künftige Rechts- oder Linksdrehung der Schnecke angedeutet. Die Furchung verläuft spiralig radiär nach dem gleichen Schema wie bei den Polycladen undAnneliden. daher hierfür auf Wolt'erecks Bearbeitung der Anneliden (Bd. I, S. 439ff.) Fig. 21. Sagittalschnitt durch einen Embryo vonLimax maximus, bei dem die Eingeweide im Begriff sind in den Fuß einzuwandern, d Darm, ei Eiweißstock, f Fuß, g.ped Pedalganglion, hll hinter linker Leberlappen, k Herzkammer, kb Kopfblase, ma Magen, mm Mundmasse, mt Mantel, oe Oesophagus, pc Podocyste. pk Peri- card, prh Harnleiter, sd Schalendrüse, vh Vorhof. Nach Meisenheimer. Der Embryo niedrigstehender Gastropoden (Docoglossen, Saccoglossen) ist kaum von dem eines Polychäten zu unterscheiden. Ja einzelne Larven haben, wie manche Anne- liden, sekundäre Wimperringe, z. B. von Pteropoden. Die Furchung ist entweder gleichmäßig oder ungleichmäßig, je nach der Dottermenge, die das Ei enthält. Makro- und Mikromere sind bei den niederen Proso- branchien oder Aspidobranchien wenig ver- schieden. Die Zelle D ist oft kleiner oder größer als die 3 anderen Makromere, bald mit Rücksicht auf das System, bald ohne solche. Die Rhachiglossen z. B. enthalten die verschiedenen Typen. Bei der ersten Teilung bleibt, soweit Ungleichheit vor- handen ist, die Zelle AB bei denStreptoneuren kleiner als bei den Opisthobranchien, weil nach Pelseneer bei den letzteren im er- wachsenen Zustande der Kopf teil überwiegt: ja die Detorsion der letzteren soll damit zusammenhängen. Für die Rosette und das Kreuz genügt es, auf W 0 1 1 er e c k s Schilderung (1. c.) zu verweisen. Die Trochophora oder der Veliger plattet sich nicht ab, wie bei vielen Anneliden, sondern bleibt rundlich. Die Zusammensetzung des Velums oder Prototrochs aus 16 (4x4) Zellen des ersten Quartetts bleibt auf ursprünglicherem Stadium stehen, als bei den Anneliden, denn es bleibt am Rücken offen, ohne daß sich sekundäre Wimperzellen aus dem zweiten Quartett in die Lücke einschöben. Ich habe geglaubt, es auf das Epipodium der erwachsenen be- ziehen zu sollen. Die Gastrulation erfolgt auch hier epibolisch durch Umwachsung der Entodermzellen, wenn viel Dotter vorhanden Gastropoda 597 ist, sonst der Regel nach embolisch dnrch Einstülpung. Der Gastrulamnnd schließt sich ebenso von den Seiten her, so daß die Ränder beim Zusammenlegen zunächst eine Spalte lassen, die nach dem Verkleben der mittleren Teile vorn den Eingang in den Urdarm, hinten den After frei lassen. Letz- terer pflegt sich zu schließen, um später wieder an gleicher Stelle durchzubrechen. Der After liegt anfangs in der Mittellinie am Hinterende. Der Veliger der Docoglossen besitzt in der Mitte des Velarfeldes dasselbe Apikaiorgan mit Wimperschopf wie die Trochophora der Würmer. Neben dem End- darm legt sich das Mesoderm an zunächst in Form zweier symmetrischer Mesodermstreifen. Fraglich bleibt es, wie weit andere Ektoderm- elemente durch Einwanderung sich am Auf- bau des Mesenchyms beteiligen. Zwei Anal- zellen, neben dem After, liefern nach P ei- sen eer die larvale Analdrüse: sie entsprechen vielleicht der Wimperzelle neben dem After der Trochophora von Polygordius. Hinter dem Munde legt sich jetzt auf der Ventral- seite der Fuß an, entweder als einfache, kielartig vorspringende Zellreihe, wie bei Vaginuia, oder als derber Wulst mit seitlichen Ausladungen. Das Rückenepithel wird hoch und liefert die Schalendrüse, bisweilen mit mittlerer Einsenkung. Bei Vaginuia besteht die Schalenanlage nachSarasins aus einem dünnen, strukturlosen Plättchen, das durch die von den Seiten her nach oben vordrin- genden Mantelwülste abgehoben und abge- stoßen wird. Sonst vertieft es sich durch un- gleiches Wachstum an seinen Rändern und wird zu einer Kappe, die sich exogastrisch nach vorn über den Kopf legt, eine Lage, die sie schließlich als Schalenapex bei den Docoglossen noch beibehält. Nun setzt eine doppelte Bewegung ein, die eine, die Pel- seneer nicht ganz glücklich als „ventrale" Verschiebung bezeichnet, läßt den After auf der rechten Seite nach vorn wandern, so daß der Darm nunmehr eine Kj-ümmung beschreibt, die andere ist die Torsion, jene Drehung, die zur Aufwindung der Schale führt. Sie zeigt sich an der asymmetrischen Form der Schale und am Schalenmuskel (Columellaris), der von ihr zum Kopf führt. Seine vorderen Teile sind gegen den Anfang um 180" gedreht. Die Torsion, die gelegent- lich individuell, bei Littorina z. B., ausfällt, womit der Untergang der Larve besiegelt ist, führt die Schale zugleich aus der exogastri- schen Lage in die gewöhnliche endogastri- sche über, und zwar bei manch n mit großer Geschwindigkeit. Es fragt sich, ob die Fälle, in denen der After schließlich in der Mittel- linie liegt, wie bei den Dorididen, auf sekun- därer Detorsion, d. h. möglichster Rückkehr zur Symmetrie beruht, wie sie den Euthy- neuren zukommt, oder ob er die Torsion gar nicht mitmacht. Daß ich den Blinddarm der Limaeiden für den ursprünglichen End- darm halte, wurde oben bemerkt. I )ann würde der After durch sekundären Durchbruch ent- standen sein. Als typische Larvenorgane haben die paarigen Urnieren zu gelten, die eine auffällige Verschiedenheit zeigen. Sie bewahren nur bei den Pulmonaten das Verhalten, das allgemein als das ursprüng- liche gilt, nämlicli den Aufbau aus wenigen durchbohrten Zellen, deren oberste eine Wim- perflamme enthält. Bei Vorder- und Hinter- kiemern sind es dagegen Zellgruppen, oft nur oberflächlich im Ektoderm, die hier und da gefärbte Konkretionen einschließen. Die Zellen werden nachher abgeworfen. Sehr frühzeitig wird auf dem Fußrücken das Oper- kulum abgeschieden, sowohl bei Strepto- wie Euthyneuren. Es fehlt nur den Pulmo- naten in der Regel, kommt aber doch bleibend unter den Basommatophoren, — Amphibola, vorübergehend den Auri- culiden, unter den Soleoliferen ebenso vorübergehend den Oncidiiden zu, unter den lissopoden Stylommatophoren Parma- cella. Die Cerebral- und Pedalganglien ent- wickeln sich getrennt durch Ektodermver- diekung und nachherige Ablösung, wozu bei den ersteren weiterer Nachschulj kommt durch Cerebraltuben. Aehnlich entstehen vom Ektoderm aus die Augen. Die Fühler sprossen heraus. Das Stomodaeum stülpt sich ein und treibt einen ventralen Blindsack hervor, die Radulatasche, in der die ersten Zahnreihen noch nicht die volle Zahl der Zahnplatten zu enthalten pflegen. Der Darm verlängert und windet sich. Zwei Aussak- kungen, anfangs noch nahezu symmetrisch, ergeben die Lebern. Wimperepithel läßt den Dotter gleichmäßig durch Magen und Lebern wandern. Die Mantelhöhle vertieft sich. Li ihr sprießt bei Prosobranchien die Kieme in Gestalt einer Reihe von Papillen, die sich allmählich verlängern. Bei den Stylomma- tophoren kann man unterscheiden zwischen einer flachen Mantelhöhle und einer in deren Hintergrund beginnenden Lunge. Höchst auffällig ist es, daß bei den Embryonen der Nudibranchien nach Pelseneer die Mantel- hohle eine verengerte Oeffnung hat, wie die Lunge der Pulmonaten. Die Hämolymphe wird im Blastocöl umhergetrieben durch die Kopf- oder Nackenblase, eine Erweite- rung mit maschigem Mesenchym, die regel- recht pulsiert, synchronisch mit dem in- zwischen gebildeten Herzen, etwa 60-mal in der Minute. Ihr wirkt bei den Embryonen der Stylommatophoren eine Schwanzblase oder Po do Cyste entgegen. Sie wird zum Teil so groß, daß sie sich über die Schale hinüber- schlägt und mit breiter Fläche der Eischale anlegt, als eine Art Allantois der Atmung und Abscheidung zugleich dienend. Ihr weiteres 598 Gastropoda Schicksal ist unbekannt. Da sie sich aber bis zum Ausschlüpfen erhält und eine Schwanz- drüse zu dieser Zeit nach Sem per noch nicht angelegt ist, wiewohl sie nachher gleich da ist, so hat man sie wohl als Proctodaeum zu betrachten, das bei den Tieren mit Schwanz- drüse sich nach dem Auskriechen einstülpt und zur Schwanzdrüse wird. Eine Besonderheit findet sich bei vielen Khachiglossen, die, wie erwähnt, oft sehr viele Eier in einer Eischale bergen. Entweder entwickeln sich dann alle, wie bei Nassa, zu Embryonen, was bei dem beengten Kaum zu allerlei Mißbildungen und Verschmelzungen führt, oder eine Anzahl Eier bleibt unbe- fruchtet, wie bei Purpura und Buccinum. Sie dienen dann den sich entwickelnden Ge- schwistern zur Nahrung — Adelphophagie. Die geringste Veränderung haben die Bas- ommatophoren nebst den Prosobranchien des Süßwassers durchzumachen, die in der fertigen Gestalt ausschlüpfen und gleich zum benthonischen Leben übergehen, demnächst die Stylommatophoren. Vereinzelt kommt abgekürzte Entwickelung vor bei relativ großen und dotterreichen Eiern; so schlüpft von den Nudibranchien Cenia ohne Schale und Velum aus nach Pelseneer. Die ma- rinen Formen haben das Segel entweder als einfachen Troch bei den niedersten Proso- branchien, oder mit seitlichen Ausladungen zu vermehrter Schwimmfähigkeit. Diese steigert sich bei vielen Warmwasserformen, indem das Segel sich zu langen Fortsätzen auszieht. Die Velarzipfel erreichen im höchsten Falle jederseits die 4-Zahl, entsprechend den ursprünglichen Epipodialtastern, auf diesie zurückzuführen sein dürften, namentlich bei Heteropoden, höheren Taenioglossen und Stenoglossen. Solche Formen werden eupe- lagisch und führen oft weite Wanderungen aus. Damit verbinden sie besondere Abände- rungen ihrer Schale. Sie bleibt kalkarm und bildet oft ihre Mündung um mit Ausschnitten für die Velarzipfel. Man hat diese Tiere meist als besondere Gattungen beschrieben, Sinu- sigera für die Purpura-, Macgillivrayia für die Doliumlarve usw. Der Einfluß des warmen Wassers zeigt sich unter Umständen an den Arten desselben Genus; so macht die nordische Purpura lapillus keine weitere Verwandlung durch, während die südlichen Arten eupelagische Larven haben. Die auf- fälligste Uml3ildung zeigen die als Echino- spira bezeichneten Larven der Lamellariiden in den Warmwassergebieten. Hier wird das Periostracum abgehoben und erweitert zu einer symmetrischen, abgeflachten, ge- kielten Schwimmschale oder Scaphöconcha, die während des Schwimnicus nicht weiter zunimmt. Durch den Mantelrand an ilu-er Mündung befestigt, sitzt darin die kleine Larve, die allmählich wächst und dabei auf ihrem Rücken das Ostracum als flaches Kalkschälchen abscheidet. Nach dem Anlanden wird die Scaphöconcha abgeworfen und die Kalkschale von den Manteh'ändern überwachsen. Parasitische Schnecken (Fig. 22, 23). Während die postembryonale Umwandlung Fig. 22. Schematischer Längsschnitt durch Sti- lif er. 1 Scheinmantel, 2 Magen, 3 Fuß, 4 Pedal- ganglion mit Statocyste, 5 Oesophagus, 6 Mund, 7 Rüssel, 8 Auge, 9 Cerebralganglion, 10 Kieme, 11 After, 12 Leber. Nach P. und F. Sara sin. Fig. 23. Entoconcha mirabilis. 1 Vorder- ende, 2 Rest des Darms, 3 Hoden, 4 Ovarium, 5 Periintestinalgefäß der Synapta, an wel- chem der Schmarotzer haftet. Nach Joh. Müller. der terrestrischen Schnecken und der aqua- tilen vom Beginn der benthonischen Lebens- weise sich beim weiteren Wachstum im wesentlichen auf die Ausbildung der Schalen- mündung und der Geschlechtswerkzeuge beschränkt, erfahren die Schmarotzer viel- fach die tiefgreifendsten Veränderungen. Sie finden sich nur bei Echinodermen; neuer- dings hat Pelseneer 2 Formen bei Muscheln, also bei Weichtieren selbst, gefunden. Nils Rosen hat die letzte Zusammenstellung ge- geben. Sie scheinen auf 2 Wurzeln zurück- zugehen. Schon im Paläozoikum kommt Capulus seßhaft an Crinoidenkelchen vor, Eulimen fand Seniper frei kriechend im Magen einer Holothurie. Von diesen kaum veränderten Formen geht eine Kette all- mählicher Umwandlung bis zur schlauch- förmigen Entoconcha, die Joh. Müller für einen Wurm nahm, der Schnecken erzeugte. Gastropoda 599 denn er enthielt Embryonen von typischer Gastropodengestalt. Thyca, Pelseneeria und Turtonia leben ektoparasitisch auf See- igeln, einen kurzen Rüssel in deren Haut senkend, wobei Turtonia noch den Platz wechseln kann. Mucronalia senkt einen langen Rüssel in den Wirt ein, Stilifer selbst senkt sich in die Haut ein, Megadenus lebt in der Wasserlunge einer Holothurie, alle drei nähren sich von den Körpersäften des Wirtes, stehen aber noch mit der Außenwelt in Verbindung und haben daher, wie die vorige Gruppe, ihre Kieme noch behalten. Die stärkste Umwandlung durch Entoparasitismus haben Gasterosiphon, Entocolax, Entoconcha und Enteroxenos erfahren. Die allgemeinste Veränderung besteht in einem Scheinmantel, der an der Basis des Rüssels hervorwuchert und die Schnecke einhüllt. Das tritt schon stark hervor bei Stilifer, bei Gasterosiphon umhüllt er nicht nur die Schnecke, sondern zieht sich noch zu einem langen Rohr aus, so daß das Tier äußerlich eine an beiden Enden verlängerte Spindel darstellt, die aber im Innern noch die Morphologie eines Gastro- poden zeigt; diese ist bei Entocolax ganz geschwunden, Entoconcha und Enteroxenos sind endlich zu einem einfachen Schlauch geworden. Die Reduktion der einzelnen Organe geht verschiedene Wege. Die Schale schwindet von Gasterosiphon an. Der Fuß ist bei Turtonia und Pelseneeria vollent- wickelt, nahezu so bei Mucronalia, bei Stili- fer und Gasterosiphon wird er zu einem un- bedeutenden Lappen, bei Megadenus ist er vorhanden und beherbergt zwei Fußdrüsen, eine sogar von abnormer Größe, den übrigen fehlt er. Die Niere schwindet bald. Die Ra- dula fehlt durchweg. Speicheldrüsen scheinen nur noch bei Thyca vorhanden. Die Leber bleibt am längsten erhalten. Den schlauch- förmigen mangeln Enddarm und After. Kieme und Herz schwinden von Gastero- siphon an. Von den Sinneswerkzeugen sind vielfach noch Tentakel, Augen und Stato- cysten erhalten, weil die Tiere in der Jugend vermutlich eine Zeitlang frei leben. Durch- weg bleiben natürlich die Geschlechtsorgane bestehen, aber sie entbehren der sekundären Anhänge und sind hermaphroditisch. 4. Biologie. 4a) Lebensweise. Die Schnecken sind in erster Linie von der Feuch- tigkeit abhängig. Eingetrocknete Lungen- schnecken nehmen Wasser durch den Mund und die Haut auf, Nacktschnecken zunächst im Uebermaß, so daß sie erst wieder einen Teil abgeben müssen, um fressen zu können (Kunkel). Winter- und Trockenschlaf richten sich nach der Temperatur und Feuch- tigkeit. Sie können mehrere Jahre dauern, bei AmpuUaria und bei Wüstenschnecken. Süß- wasserschnecken vertragen zum Teil das Ein- frieren im Eis. LTnter dem Eis bleiben viele ' munter und lebhaft, verdauen aber nicht und sondern in der Schale keinen Kalk ab, so daß das fortwachsende Periostracum Jahresringe bildet. Die dicksten und festesten Schalen entstehen im tropischen Litoral, auf dem Lande in trockenen Gegenden. Schnecken mit turmförmiger Schale kriechen vorwiegend an senkrechten Wänden, solche mit napfförmiger sitzen meist träge auf der Unterlage, bei den Patellen so, daß die Schalenränder genau den Unregelmäßigkeiten des Felsens folgen. Gleichwohl unternehmen die Tiere nächtliche Wanderungen, von denen sie an den Ausgangspunkt zurückkehren. Die Verbreiterung der Außenlippe bei den Flügelschnecken dient zur Herstellung der Gleichgewichtslage, sie kehren, von der Woge hin- und hergeworfen, jedesmal wieder die Mündung nach unten. Die symmetrischen Schalen der pelagischen Heteropoden, bei den Atlantiden mit einem Kiel versehen, ebenso der Pteropoden stellen das Gleich- gewicht beim Schwimmen her, Pteropoden mit asymmetrischer Schale, wie Limacina und Creseis, steigen in schräger Richtung auf und ab. Die Stylommatophoren sind ans Land gebunden, mit Ausnahme der'Oncidiiden, die zum Teil in der Brandungszone leben, und der Succineen, die auch im Süßwasser sich zu benehmen wissen; manche Raublungen- schnecken, zumal Testacella, halten sich meist im Boden auf. Die Stylommatophoren haben sich von der Wärme weit unabhängiger gemacht, als die Landdeckelschnecken, die am Ost- und Westpol die Tropen kaum überschreiten, aber auch in Europa in der gemäßigten Zone haltmachen. Von den Basommatophoren leben die Auriculiden auf dem Lande, mit Ausnahme des kleinen Carychium und des höhlen- bewohnenden Zoospeum in Meeresnähe. Die übrigen sind zumeist an das Süßwasser gebunden, wo sie in der Nähe der Oberfläche bleiben, um Luft schöpfen zu können. Doch gehen auch namentlich einzelne Limnaeen bis auf den Grund der Seen, wo sie schließlich nicht nur durch die Haut atmen, sondern Wasser in die Lungenhöhle nehmen. Die marinen halten sich in der Nähe der Küsten auf, wo sie die Atemhöhle bald mit Luft, bald mit Wasser füllen. Die Opisthobranclüen sind aufs Meer beschränkt, nur Alderia geht in unseren Meeren ins Brackwasser, die Hedyliden auf dem malaiischen Archipel in den Unterlauf der Flüsse. Sie sind im all- gemeinen Bodenbewohner, doch vermögen manche mit Hilfe der Epipodien zu schwim- men, so Gastropteron, Aplysia usw. Die Phyllirrhoiden schwimmen frei im Wasser, soweit sie sich nicht, wie Cephalopyge, an Siphonophoren festhalten. Glaucus hält sich in umgekehrter Lage an der Oberfläche, wobei die seitwärts gerichten Rückenpapillen 600 Gastropocla als Ausleger dienen. Dieser Modus knüpft an die Fähigkeit aller AVasserschneckcn an, mindestens in der Jugend in umgekehrter Lage an dem vom Fuß ausgeschiedenen Schleimband am Wasserspiegel zu hängen. Das Schleimband wird vom Propodium mit Luftblasen versorgt bei Janthina. die an diesem Floß in Warmwassergebieten flot- tiert. Li ihnen halten sich die eupelagischen Larven vieler Prosobranchien auf, sowie die Heteropoden, von denen Atlanta sich noch zeitweilig festheftet, die übrigen, durch Schleim gecpiollen, zeitlebens schwimmen, indem sie sich mit dem Kielfuß vorwärts bewegen, Pterotrachea auch durch Schlänge- lungen des ganzen fischartigen Körpers. Die übrigen marinen Vorderkiemer leben benthonisch, einige festgewachsen, die meisten im Litoral, eine Anzahl bis in die Tiefsee hinunter. Die Pteropoden endlich sind durch- weg pelagisch, die meisten im warmen Wasser. Die typische Lokomotion der Gastro- poden ist ein Gleiten der Sohle auf der Unter- lage, mit zwischengeschaltetem Schleim. Da- bei ist der Fuß durch Blut geschwellt. Bei den Stylommatophoren ziehen lokomoto- rische Querwellen von hinten nach vorn über die Sohle weg, mit automatischer Regel- mäßigkeit. Sie rühren von Längsmuskeln her. Wie diese den Fuß regelrecht nach vorn treiben können, ist noch nicht aufgeklärt, trotz vieler Versuche. Bei den Holopoden nehmen sie die ganze Breite der Sohle ein, bei den Aulacopoden beschränken sie sich auf das lokomotorische Mittelfeld. Die Unterschiede sind dieselben wie bei den Landplanarien mit schmaler oder breiter Kriechsohle. Sie kommen in ähnlicher Weise vielen marinen Formen zu. Bei den Basom- matophoren sind die Wellen diffus über die ganze Sohle zerstreut, man erkennt sie nur, wenn das Tier am Wasserspiegel hängt. Bei manchen, z. B. Pomatias, sieht man Wellen von vorn nach hinten durch den Fuß ziehen, sie machen indes den Eindruck von pul- sierenden Blutwellen. Bei vielen Vorder- kiemern, welche den Fuß durch eine mediane Furche geteilt haben, wirken die beiden Hälften abwechselnd, bei manchen wird jede Hälfte wiederum physiologisch geteilt, so daß in dem einen Feld die Wellen von hinten nach vorn, im anderen von vorn nach hinten ziehen. Cyclostoma, mit dif- fusen Wellen, Ivriecht so, daß abwechselnd je eine Hälfte sich vom Boden loslöst, daß also gewissermaßen Schritte gemacht werden, wobei die kreisförmige Schnauze durch ab- wechselndes Ansaugen und Loslösen unter- stützt. Das Schwimmen der Opisthobran- chien und Pteropoden geschieht durch den Schlag der seitlichen "Fußverbreiterungen, Para- und Epipodien. Mantelanhänge können als Schwebmittel dienen. Zum Graben im Schlamm benutzen die BuUiden das aus den Fühlern gebildete Kopfschild (s. oben). Vorderkiemer tun es mit dem Fuß, der vielfach durch Wasserauf- nahme geschwellt wird, am stärkstem bei Natica. Hier liegen am Vorderrande, im Be- reiche der vorderen Fußdrüse, auf welche wohl die Einrichtung zurückzuführen ist, Poren, die durch Sphincter verschlossen werden können. Sie führen in verzweigte Räume, welche sich tief zwischen die Gewebe erstrecken. — Manche Heliciden bohren Löcher im Kalkgestein, das sie vermutlich durch ausgeschiedene Kohlensäure auflösen. Der Rückzug in die Schale erfolgt bei den besehalten Formen durch den Schalenmuskel, das Herausstrecken durch das Blut, welches durch den Muskeltonus des Litegumentes gegen den Vorderkörper ge- preßt wird. Aelinlich geschieht das Aus- stülpen des Penis. Wenn dabei sowohl die ausgestreckte Schnecke wie die retrahierte gleicherweise die Schale ausfüllt, ja wenn sie sich noch weiter ins Gehäuse zurückziehen kann, so wird der Volumunterschied ausge- glichen durch die Raumveränderung der Atemhöhle. Basommatophoren benutzen bisweilen die Luft in der Atemhöhle als Schwimmblase, um sich aus tieferen Schich- ten an die Oberfläche des Wassers tragen zu lassen. Die Nahrung der Gastropoden ist sehr vielseitig. Fast alle Familien der Stylomma- tophoren haben einen Seitenzweig getrieben, der sich vom Raube nährt. Die Raublungen- schnecken sind Spezialisten, deren Beute entweder in anderen Schnecken oder in Regenwürmern besteht. Die Tatsache er- klärt sich aus der Vorliebe namentlich alter- tümlicher Schnecken für Pilze und Flechten (Clausilien, Pupen, Nacktschnecken usw.). Die Wüstenschnecke Helix desertorum mästet sich an den Algen, die sie mit dem aufgenommenen Sande erbeutet. Die höheren sind dann vielfach zur Herbivorie übergegan- gen, so daß sie die Erwerbung vieler Schutz- mittel gegen Schneckenfraß, Haare, Bitter- stoffe, Raphiden usw. von selten der Pflanzen vermittelt haben. Hier und da kommt Befruchtung der Blüten durch Schnecken vor. Süße und saftige Früchte werden vielfach bevorzugt. Einen gleich ursprünglichen Zug zeigen die Pteropoden. Die Thecosomen nähren sich von Mikroplankton, das sie durch das Wimperfeld ihrer Flossen dem Munde zutreiben, die Gymnosomen aber von Theco- somen, wenigstens Clione lediglich von Limacina. DieDocoglossen weiden denUeber- zug der Felsen ab, der aus Algen und nie- deren Tieren besteht; daher die derben Ra- dulazähne. Niedere Rhipidoglossen fressen vielfach Tang, Neritina Süßwasserscliwämme. Die sessilen Wurmschnecken breiten den Gastropoda GOi Schleim aus ihrer großen Fußdrüse schleier- artig aus und verzehren ihn dann mit allen Organismen, die daran sitzen. Die graben- den Schnecken beuten die Kleintierwelt im Meer aus. Der dabei mitaufgenommene Sand hat zur Bildung der Kauplatten im Magen geführt (s. oben). Die Hetero- poden und Janthina sind gefräßige Räuber, die jede Beute annehmen. Die Rhachi- glossen sind vielfach Aasfresser, wieNassa, welche während der Ebbe mit den Leichen aufräumt, oder Räuber, welche namentlich andere Mollusken, Schnecken und Muscheln, angreifen. Bei letzteren brechen sie entweder die Schalenränder mittels des Peristoms auf, oder sie bohren die Schalen mit der Radula an, unter erweichender Mitwirkung von Bohr- drüsen, ähnlich Natica. Durch das kreis- runde Bohrloch wird dann der Rüssel ge- senkt. Wie die parasitischen Schnecken haben höhere Taenioglossen, Dolium, Tri- tonium, nähere Beziehungen zu den Echino- dermen, die sie mit Hilfe ihres sauren Spei- chels (s. oben) bewältigen. Die Lameila- rüden sind Spezialisten an Ascidien, an und von denen sie leben, viele Nudibranchien an Hydrozoen, deren Nesselkapseln sie dann zu eigenem Schutz verwerten (s. oben). Niederste Saccoglossen leben in Symbiose mit Zoochlorellen, von denen ihr Körper durchsetzt ist. — Aufspeicherung von Reservestoffen erfolgt namentlich in Form von Glykogen, das entsprechend während des Winterschlafs verbraucht wird. Denn wenn auch die Lebensprozesse dabei herab- gesetzt sind, der Herzschlag verlangsamt wird und das Körpergewicht abnimmt, so geht doch der Stoffwechsel weiter, und die Abscheidung der Niere wird nicht unter- brochen. Die Färbung der Schale und Haut scheint meist eine einfache Folge von klima- tischen Einflüssen auf die Pigmentablagerung zu sein, bisweilen wird sie aber auch biologisch verwertet. Im allgemeinen begünstigt die Wärme buntere Farben. Die pelagische Janthina ist violett, Glaucus, seiner Rücken- lage entsprechend auf der Bauchseite marine- blau, auf der Oberseite silberweiß, durch Einlagerung von Guaninkörnchen ins Epi- thel. Grelle Farben wirken oft als Schreck- mittel, rot bei Chromodoris, gelbe Spitzen der Rückenpapillen auf blauem Grunde bei Aeolis, Formen, die durch Ekelstoffe oder Nesselkapseln geschützt sind. Nudi- branchien zeigen vielfach Schutzfärbung, rote Doto auf Rotalgen, ähnlich Lamellarien u. a. Phyllirrhoe ist durch hohes Leu cht ver- mögen ausgezeichnet. Die Phosphoreszenz ist an bestimmte Zellen gebunden und unter- liegt dem Einfluß des Nervensystems. Das Lebensalter ist nur von wenigen Arten genauer festgestellt, namentlich durch Kunkel. Unsere Nacktschnecken und viele Nudibranchien sind meist nur einjährig, Limax maximus mehrjährig, Helixarten er- reichen 5 und 6 Jahre. Hier und da übersteht ein Individuum mehr Winter als der Durch- schnitt und zeigt dann Riesenwuchs. Die Lebensenergie erschöpft sich mit der Zeu- gungskraft, die Anzahl der Eier im Gelege nimmt ab, und das Tier geht bald ein. Die pelagischen Janthinen und Heteropoden treten oft in riesigen Schwärmen auf, die dann wieder verschwinden, ohne daß die Abhängig- keit von der Lebensdauer bekannt wäre. Die Gastropoden haben viele Feinde, insofern sie zahlreichen Tieren zur Nahrung dienen, Insektivoren, Vögeln, Echsen, Am- phibien, Fischen, vereinzelt selbst Schlangen; dazu im Süßwasser den Planarien, Rüssel- egeln. Nacktschnecken werden von Carabiden und Lampyridenlarven verfolgt. Als Schma- rotzer kommen namentlich Nematoden und Trematoden in Betracht, den letzteren dienen sie als Zwischenwirte, indem sie ihre Sporocysten und Redien beherbergen. So ist Limnaea truncatula der Zwischenwirt des Leberegels, die amphibische Lebensweise der Succineen hat die merkwürdige Anpas- sung des Distomum macrostomum veranlaßt, dessen Sporocyste in der Leber der Schnecke sitzt und einzelne Brutschläuche, als Leuco- chloridium paradoxum bezeichnet, in die Fühler der Schnecke vortreibt, wo sie von den zur Tränke kommenden Singvögeln als Insektenlarven verspeist werden. 4b) Regeneration. Zu den erwähnten Schutzmitteln der Schutz- und Trutzfarben, der erborgten Nesselkapseln, der bergenden Schale und des Deckelverschlusses, des Schleims kommt etwa noch die Abscheidung besonderer Säfte, zum Trüben des Wassers bei Janthina, von abschreckendem Geruch bei Aplysia, Hyalina alliaria und anderen, dazu endlich noch ein hohes Regenerations- vermögen, das nicht nur zerbrochene Schalen auszubessern (siehe oben), sondern auch verloren gegangene Weichteile wieder zu ersetzen erlaubt. Auf der leichten Regene- ration der Fühler und Augen beruht z. B. die erwähnte Anpassung des Leucochloridium paradoxum; denn das mit dem Brutschlauch abgerissene Tentakel wird schnell erneuert, worauf abermals von der Sporocyste aus ein Schlauch einwuchert. Zur höchsten Steigerung ist die Einrichtung gediehen, wenn sich mit dem Regenerationsvermögen Autotomie verbindet. Ein Helicarion wirft auf dem Lande, Harpa, die Harfenschnecke, im Meere auf Reiz das Ende des Fußes ab, das dem Verfolger überlassen bleibt. 4c) Verwendung. Die Verwendung der Gastropoden von selten des Menschen ist mannigfach. Als Nahrung dienen namentlich 602 Gastropoda Stylommatophoren, in Mitteleuropa die Weinbergschnecke und marine Vorderkiemer, Littorina, Buccinuni und andere, ünzivili- sierte Völker verwenden die Schalen oft als Geld, Cypraea moneta in Afrika und Indien, Haliotis-Stücke in Amerika u. dgl, ebenso als Schmuck in der verschiedensten Kom- bination und Zurichtung. Dazu der Gebrauch als Werkzeuge, Terebra als Bohrer oder Hacke, Cypraea als Löffel oder Dose usw. 5. Systematik und Phylogenie. Die großen Abteilungen sind eingangs genannt. Sie sind bloß aus praktischen Rücksichten aufgestellt, ohne daß damit über die wirk- lichen Verwandtschaftsverhältnisse etwas ausgesagt wäre. Diese sind unklar genug. Die gewöhnliche Anschauung, wonach das Leben nicht nur, sondern auch die einzelnen Tierkreise dem Meere entstammen, liegt den meisten Spekulationen zugrunde, die von einem phantastischen, noch bilateral-symme- trischen Prorhipidoglossum ausgehen, über dessen Bau im einzelnen die Ansichten stark differieren, so gut wie über die Ursachen der Auf Windung und Asymmetrie; Pel- seneer vertritt die Ableitung von Anneliden, indem er sich namentlich auf das Nerven- system stützt. Aber den Gastropoden fehlt doch die Segmentierung und Metamerie, daher man sie höchstens mit dem Anne- lidenkopf vergleichen darf. Pelseneer hat, ebenso in erster Linie nach dem Bau des Schlundrings, die Pteropoden von den Opi- sthobranchien abgeleitet, und zwar in zwei Reihen, indem er die Thecosomen an die BuUoiden, die Gymnosomen an die Aply- sioiden angliedert! Beide würden mit den Tectibranchien ins Mesozoikum zurück- reichen. Aber die Paläontologie scheint den Pteropoden ein weit höheres Alter bis ins Paläozoikum zuzusprechen; und man hat daher wohl für die Gruppen der Tectibran- chien wie für die der Pteropoden nach einer parallelen Entwicklung aus anderer Wurzel zu suchen. Siphonaria findet man noch jetzt bald unter den Pulmonaten (Fischer, Pelseneer und andere), bald unter den Opisthobranchien (Thiele). Die Euthy- neuren werden gewöhnlich als Hermaphro- diten den dioecischen Streptoneuren gegen- übergestellt. Aber unter den letzteren gibt es genug Zwitter, und zwar gerade unter altertümlichen, wie Docoglossen und Valvata. Alle solche Dissonanzen machen die üblichen Spekulationen. verdächtig, und man hat nach einem anderen Wege zu suchen. Als einziges Organ, das durchweg asymme- trisch gebaut ist, hat die Gonade und der Geschlechtsweg zu gelten. Daß die Ge- schlechtsöffnung nicht aus medianer Lage verschoben ist, wird bewiesen durch die Genitalrinne, welche bei den Stylomma- tophoren durchweg auf beiden Seiten vor- kommt. Zudem wird in Ausnahmefällen noch auf der linken Seite, symmetrisch zur rechten, ein normaler Penis gebildet, mit allen Einzelheiten, doch ohne Verbindung mit der Gonade und daher nicht funktions- fähig. Die Asvmmetrie des Eingeweidesackes kann folglich nur auf die einseitige Lage der Geschlechtsöffnung, ursprünglich am Mantel, zurückgeführt werden. Der Ursprung liegt auf dem Lande. Dafür spricht die Struktur der hinteren Hälfte des Atemhöhlen- daches bei Pleurotojnaria als Lungengefaß- netz mit randständigen, d. h. nachträghchen Kiemen, ebenso sicher die Atemhöhle mit engem Pneumostom beim Embryo der Nudibranchien, der nachher als Veliger aus- schlüpft: vor der Trochophora also die Lungenschnecke; weiter wird die größere Ursprünglichkeit des Pulmonatenembryos bezeugt' durch die Wimperflammen der Urnieren (s. oben), sie weisen auf Plat- helminthen, d. h. Turbellarien zurück, von denen ebenso die Anneliden ausgehen. Die lokomotorischen Wellen weisen in der- selben Richtung, d. h. auf Landplanarien. Das einfachste Schälchen scheint in der Tat das bald abgeworfene embryonale Conchin- häutchen der Vaginuli den zu sein. Daran schließt sich das sack- oder kugelförmige von Paraparmarion und den Embryonen von Docoglossen und Nudibranchien, es ent- spricht dem exogastrischen Apex der Pa- tellenschale, dem endogastrischen von Parma- cellilla und Pteropoden. Eine solche Rech- nung, welche die lüemen erst nach der Ein- wanderung ins Wasser entstehen läßt, hat den Vorteil, daß sie nicht mit unbewiesenen hypothetischen Kiemen zu rechnen braucht, die verschwunden sein sollen, sondern mit realen Verhältnissen. Auf dem Lande ent- wickeln sicli früh verschiedene Zweige, die Soleoliferen, die lissopoden Stylomma- tophoren und die Landdeckelschnecken. Letztere, durch ihr Operculum am besten vor den klimatischen Einflüssen geschützt, behalten ihre weite Mantelöffnung, ihre so- liden Fühler usw. Die Stylommatophoren dagegen stellen in der Gegenwart die schärfste Anpassung an das Landleben dar, ihr Schlund- ring läßt trotz starker Konzentration aUe Ganglien getrennt, den verschärften Anforde- rungen an die einzelnen Körperteüe ent- sprechend. So sind altertümliche Zuge, namentlich im Nervensystem, höchstens bei Landdeckelschnecken erhalten. Sonst finden wir die verschiedenen archaistischen Stufen im Wasser, wo sie konserviert blieben, wobei nur das Ektoderm weitere Anpassungen o-ewann. Das Svstem kann also die primi- tiven Stufen bei den marinen Vorderkiemern bestehen lassen, nur mit dem Vorbehalt, daß sie vom Lande stammen und viele ektoder- Grastropoda 603 male Einzelheiten dazu gekommen sind, namentlich tj'pische und adaptive Kiemen. So findet der Schlitz in der Schale der Pleurotomarien, die zu den ältesten gehören, seine Erklärung; so weit er reicht, so weit reicht auch der Anteil des Tieres, der nach der Einwanderung ins Wasser erworben wurde. Die gleiche Auffassung hat für die paläozoischen Bellerophonten zu gelten, nur daß bei ihnen die starke gewundene Schale noch symmetrisch und exogastrisch war, woraus für die innere Organisation der gleiche Schluß folgt. Einmal eingeleitete Konzen- trationen im Nervensystem konnten bei dem Gleichmaß des Wassers weitergehen über die Stufe der Pulmonaten hinaus. Daß sich bei alledem der Stammbaum und die Verwandt- schaft im einzelnen noch längst nicht überall nachrechnen läßt, ist ein Nachteil, der bei der umgekehrten Herleitung vom Wasser aufs Land ebenso lästig empfunden wird, nur daß bei ihr das Verständnis der großen all- gemeinen Züge wegfällt. Die erste Schale war eine erhärtete Absonderung auf dem Kücken des Turbellars, gewonnen als Trocken- schutz, und nachher mit der Rückenhaut verklebt. Bei der Ueberfülle der Gestalten kann das System nur in abgekürzter Form ge- geben werden. Klasse Gastropoda. I. Unterklasse Bellerophontidae. Paläozoische Schalen, symmetrisch und ver- mutlich exogastrisch, meist mit langem Schlitz. II. Unterklasse Streptoneura (Chiastoneura). Visceralkommissur in Form einer 8 mit ein- gelagertem Supra- und Infraintestinalganghon. I. Ordnung Prosobranchia, Vorderkiemer. Mit weitoffener Atemhöhle. Das Ctenidium liegt in der Regel vor dem Herzen. Meist diücisch. I. Unterordnung Diotocardia (Sciitibranchia, Aspidobranchia). Herz bei den altertümlicheren mit 2 Vor- kammern, die Kammer vom Enddarm durchbohrt. Tribus Docoglossa, Balkenzüngler. Schale napfförmig mit nahezu exogastrischem Apex. Kein Operculum. Nur eine Vorkammer. Einfacher Kiefer über dem Mundeingang. Radula mit wenigen Zähnen in einer Querreihe, aber einige davon mit sehr starkem Epithem. Sekun- däre Kiemen unter dem Mantelrande. Mit becherförmigen Augen. Fam. Patellidae. Napfschnecken ohne Kieme in der Atemhöhle. Fam. Acmaeidae. Mit einem Ctenidium in der Atemhöhle. Tribus Rhipidoglossa, Fächerzüngler. Radula mit sehr vielen Marginalzähnen. Kiefer paarig. Die Tribus setzt mit typischer Dio- tocardie ein, nachher schwindet eine Vor- kammer. Ebenso die Ctenidien. Epipodium meist gut entwickelt. Pedalganglien als Mark- stränge. Darm mit Schlundtaschen und einem Spiralcöcum. Schale mit Perlmutter. Fam. Pleurotomariidae. Schale mit langem Schlitz. Fam. Haliotidae. Schale mit weit offener Mündung und kurzer Spira. Ohne Deckel. Von den uralten Pleurotomarien leben noch rezente Vertreter in der Tiefsee der Antillen und der ostasiatischen Gewässer. Die Haliotiden stellen ihre umgebildeten Nachkommen im Litoral dar, deren Schalenschlitz überbrückt und in Löcher abgeteilt ist. Fam. Fissurellidae. Schale kegelförmig, schließlich ohne Gewinde. Zunächst mit Schlitz. Durch Schluß vomPeristom her wird daraus eine Oeffnung, die sich zuletzt bis auf die Spitze des Kegels verschiebt. Emarginula. Fissurella. Bei den folgenden ist nur ein Ctenidium vor- handen, nebst einer Vorkammer. Fam. T r 0 c h i d a e. Schale kreiseiförmig. Deckel hornig, Augen offen, becherförmig. Trochus mit 3 oder 4, Margarita mit 5 bis 7 Paaren von Epipodialtastern. Fam. Stomatiiden. Schale ohrförmig, wie bei Haliotis, doch ohne Schlitz. Stomatella. Gena. Fam. Delphinulidae. Gewundene Schale. Horniges Operculum. Obere Palmetten auf der Stirn. Delphinula mit 5, Cyclostrema mit 3 oder 4 Paar Epipodialtastern. Fam. Turbinidae. Schale gewunden. Dicker, runder Kalkdeckel. Epipodialtaster. Turbo mit kugeliger, Phasianella mit höherer Spira. Fam. Neritidae. Derbe Kalkschale, das Innere ist resorbiert. Kalkiges Operculum mit Muskelapophyse. Keine Epipodialanhänge. Penis am Kopf, ohne Verbindung mit der Genital- öffnung. Begattungsporus von dem für die Ei- ablage getrennt. Nerita marin, Neritina f luviatil. In den Tropen zum Teil außerhalb des Wassers auf Mangroven. Hier schließen sich die kleinen marinen Coc- culiniden an mit vorwiegend napfförmiger Schale. Fam. Helicinidae. Landformen der Tropen aus Ost- und Westpolgebiet. Ohne Kiem . Statt dessen Lungenhöhle. Helicina mit, Proserpina ohne Operculum. 2. Unterordnung Monotocardia ( Pectinibranchia). Durchweg nur noch eine Vorkammer, ein Ctenidium, Osphradium, Nephridium; die ent- sprechenden Organe der rechten Seite sind ge- schwunden. Das Zentralnervensystem ist mehr oder weniger konzentriert. Tribus Taenioglossa, Bandzüngler. Die Radula hat 7 Zähne in der Querreihe, doch kommen Abweichungen vor; manche sind agloß. Die Schale ist anfangs holostom mit ganzrandiger ^Mündung, bei den höheren sipho- nostom. Der Mund rückt allmählich auf die Spitze einer Schnauze vor. A. Platypoda, mit Kriechfuß. Fam. Paludinidae. Vivipare Süßwasser- formen. Pedalganglien als Markstränge mitQuer- kommissuren, strickleiterförmig. Niere mit Ureter. Paludina holarktisch. Cleopatra afrikanisch. Fam. Cyclo phoridae. Landschnecken mit Lunge. Pedalganglien als Markstränge. Mit 604 Gastropoda Operculum. Cyclophorus mit niedrig konischem Gewinde, tropisch und subtropisch. Pomatias mit gestreckter Spira, bis Mitteleuropa. Cyclo- surus mit abgelöster, evoluter Spira. Opistho- poma. Pupina. Pupinella. Atractus usw. Fam. Arapullariidae. Amphibisch mit Lungensack über der Kiemenhöhle. Die Luft wird durch einen Sipho hereingeholt. Tropisch. Ampullaria mit rechts-, Lanistes mit links- (ultra-rechts) gewundener Schale. Fam. Littorinidae. Mit den altertümlichen Schlundtaschen; zum Teil noch mit Stirn- palmetten. Littorina an der Meeresküste, wo die Arten nach den Höhenstufen geordnet sind, so daß die höchsten nur noch selten vom Spritzwasser getroffen werden. Cremnoconchus terrestrisch in Indien. Lacunaund Fossarus marin, letzterer mit Palmetten. Planaxis nahestend. Fam. Cyclostomatidae. Landschnecken mit konzentrierten Ganglien. Schnauze mit End- scheibe, ohne Kiefer. Fuß mit tiefer Längs- furche. Cyclostoma s. Ericia bis Mitteleuropa. Choanopoma. Omphalotropis. Cistula. Acro- ptychia. Fam. Aciculidae. Kleine Landschnecken mit länglicher Spira und hornigem Deckel. Acicula s. Acme bis Mitteleuropa. Fam. Rissoidae. Aehnliche Schale. Mit Kieme. Mit 2 Epipodialfilamenten. Rissoa litoral. Litiopa pelagisch an Sargassum. Fam. Hydrobiidae. Mit Kieme. Kleinere Brack- und Süßwasserformen. Hydrobia s. Paludestrina im Brackwasser, früher auch im salzigen Mansfelder See. Bithynia mit Kalkdeckel im Süßwasser. Lithoglyphus mit niedergedrück- ter Spira und hornigem Operculum, im Süßwasser. Bithynella kleine Süßwasserformen. Vitrella s. Lartetia in Quellen und Höhlen der Kalk- gebirge. Assiminea luftatmend, an der Küste. Einige abweichende Formen, wie die kleine Homalogyra mit abgeflachter Schale u. a. Fam. Truncatellidae. Kleine längliche Schalen. Tier mit Kieme, an warmen Meeres- küsten. Truncatella. Fam. Valvatidae. Kleine rundliche oder abgeflachte Schalen ; rundes Operculum. Zwitter. Kieme gefiedert und randständig. Von der rechten nur die Rhachis erhalten als ein Ten- takel. Süßwasser. Valvata. Fam. Hipponychidae. Schale kegelförmig. Fuß schwach, heftet sich durch eine Kalkaus- scheidung (Operculum?) fest. Hipponyx. Fam. Capulidae. Schale mützenförmig mit reduziertem Gewinde. Ihr Inneres zum Teil resorbiert, mit hufeisenförmigem Muskeleindruck. Capulus. Thyca schmarotzend an Echino- dermen, das paläozoische Platyceras an Haar- sternen. Fam. Calyptraeidae. Mit abgeflachter Spira. Im Inneren der Schale ein Kalkseptum oder -trichter. Calyptraea,Crepidula,Crucibulum. Fam. Cypraeidae. Schale mit langer, schmaler Mündung, wobei der letzte Umgang die vorhergehenden vollständig umgreift, durch die heraufgeschlagenen Mantelränder poliert. Cypraea. Trivia. Pedicularia. Ovula. Fam. Naticidae. Schale kugelig, genabelt. Augen verkümmert. Fuß mit Wasserporen, schwellbar. Grabend im Schlamm. Natica. Fam. Lamellariidae. Schale mehr oder weniger im Mantel eingeschlossen. Kein Deckel. Kiefer oben vereinigt. Mit besonderer Schwimm- larve oder Echinospira. Zum Teil Zwitter. Lameilaria. Velutina. Marsenina. Onci- diopsis. Fam. Melaniidae. Gestreckte Schalen, zum Teil dekolliert. Mantelrand gefranst. Melania. Melanopsis. Im Süßwasser der wärmeren Länder bis zu den Südostalpen. Die fossilen Pseudomelanien und Xerineen schließen sich vermutlich hier an. Fam. Cerithiidae. Mit langer, meist knotiger Spira und kurzem Sipho. Cerithium marin. Cerithidea im Brack- wasser. Triforis linksgewunden. — Ohne Sipho mit kurzer Schale: Modulus. Fam. Pyramidellidae. Lange Spira mit heterostrophem Apex. Tentakel taschenförmig. Zwischen Fuß und Schnauze ein vorspringendes Mentum. Agloß. Kleine Formen. Pyramidella. Odostomia, hermaphroditisch. Fam. Eulimidae. Aehnlich. Tentakel solid. Meist agloß. Hierzu wohl die parasitischen Familien der Turtoniidae, Stiliferidae und Entocon- chidae (s. oben). Fam. Vermetidae, Wurmschnecken. Fest- gewachsen. Die kegelförmige Spira löst sich nach- her los und wächst als unregelmäßiges Rohr weiter. Vermetus. Siliquaria mit Schalenschlitz. Fam. Caecidae. Minimale Tiere mit fast ganz abgerollter Schale, kriechen durch Wim- perung. Caecum. Fam. Turritellidae, Turmschnecken. Schale sehr schlank. Mantelrand gefranst, ohne Sipho. Turritella. Fam. Xenophoridae. Schale flach kegel- förmig, mit Fremdkörpern besetzt. Xenophora. Fam. Struthiolariidae. Schale länglich oval. Radula mit überzähligen Marginalzähnen. Struthiolaria, in südlichen Meeren. Fam. Chenopodidae. Schale mit flügei- förmig verbreiterter Außenlippe. Gewöhnlicher, schlanker Kriechfuß. Fam. Strombidae, Flügelschnecken. Schale ähnlich. Springfuß. Strombus. Pteroceras, Teufelskralle. Fam. Tritoniidae. Schale länglich, Spira zugespitzt. Sipho entwickelt. Derber Kriechfuß. Tritonium, Tritonshorn; meist große Formen. Fam. Cassididae, Helmschnecken. Spira konisch. Mündung auf der Spindelseite zurück- geschlagen und poliert. Cassis. Cassidaria. Fam. Doliidae, Tonnenschnecken. Schale aufgeblasen. Fuß groß. Sipho und Rüssel lang. Dolium. B. Heteropoda, Kielfüßer, pelagisch in wärmeren Meeren. Mit ähnlichem Fuß wie die Strombiden, aber die Pleuralganglien verschmel- zen mit den Cerebralganglien. Fam. Atlantidae. Tier ganz in das Gehäuse zurückziehbar. Mit Operculum. Gastropoda GÜ5 Atlanta. Oxygurus. Fam. Carinariidae. Körper groß, zylin- drisch gequollen, nicht in die Schale zurück- ziehbar. Carinaria. Cardiapoda mit rudimentcärer Schale. Fam. Pterotracheidae. Körper ähnlich. Ohne Schale. Pterotrachea. Fam. Pterosomatidae. Körper gequollen mit seitlichen Ausladungen. Pterosoma. Tribus Ptenoglossa, Federzüngler. Raubtiergebiß. Viele spitze pfriement'örmige Zähne in einer Querreihe. Die hier zusamme_n- gestellten Familien sind vermutlich an verschie- denen Stellen zwischen die Taenioglossen einzu- ordnen, die Tribus beruht nur auf Konvergenz der Radula. Fam. Janthinidae. Pelagische Schnecken der Warmwassergebiete, die an ihrem Floß (s. oben) treiben. Vielfach ohne Augen. Janthina, Veilchenschnecke, mit violetter, Recluzia mit hornfarbiger Schale. Fam. Sealarid ae s. Scalidae. Schlanke Schalen, deren Umgänge sich vielfach nicht be- rühren, daher man abnorme Schalen von ähn- licher Form bei anderen Schnecken als sealarid bezeichnet. Scalaria. Fam. Solariidae. Flach kegelförmige, weit genabelte Sehale. Tier mit langem Rüssel. Solarium. Tribus Rhachiglossa. Schmalzüngler. Schlundkopf klein. Radula mit je 1 oder 3 Zähnen in der Querreihe. Unpaare Giftdrüse ventral am Schlund. Fam. Fasciolariidae. Tur binellidae. Buccinidae. Spindelförmige Schalen. Die zum Teil grabenden Tiere wenig verschieden. Fasciolaria. Fusus. Turbinella. Fulgur. Buc- cinum. Nassa. Bullia, mit Augenverkümmerung. Columbella. Canidia im Süßwasser am Ostpol. Fam. Mitridae. Schlanke, schwere Schalen. Langer Rüssel. Mitra, Bischofsmütze. Fam. Muricidae, Stachel- und Purpur- schnecken. Purpura. Murex. Trophon. Urosalpinx. Fam. Corallioplülidae. Schale fest zwi- schen Korallen, rrihreiiförmig verlängert. Magilus. Rhizochilus. Fam. Volutidae. Schale sehr verschieden, mit Spiralfalten an der Spindel, z. T. ovovivipar. Voluta. Yetus. Cymba. Fam. Olividae. Schale schlank und poliert. Vorderfuß abgesetzt. Zum Teil blind. Oliva. Olivella. Ancilla. Fam. Harpidae, Harfenschnecken. Schale mit polierten Querrippen in regelmäßigen Abständen. Harpa. Tribus Toxoglossa, Pfeilzüngler. Organisation ähnlichderder Rhachiglossen,mit denen sie oft als Stenoglossa vereinigt werden. Der Radula fehlt der Mittelzahn in jeder Quer- reihe. Die beiden vorhandenen Zähne rollen sich ein und bekommen Widerhaken. Fam. Pleurotomariidae. Schale länglich, mit kurzem Schlitz. Pleurotoma mit vielen Verwandten in tro- pischen Meeren und in der Tiefsee. Fam. Conidae, Kegelschnecken. Spira flach., Mündung schmal. Conus. Tropisch bis ins Mittelmeer. Fam. Terebridae. Schale schlank. Augen auf der Spitze der Füliler. Terebra. III. Unterklasse Euthyneura. Schhmdring mit lauter abgerundeten Ganglien (ohne Markstränge). Visceralkoiiimissur verkürzt. Ohne eclites Ctenidium. Hermaphruditisch. 2. Ordnung Pulmonata. Lungenschnecken. Lagebeziehung zwischen Herz und Atemorganen wie bei den Prosobranchien. 1. Unierordnung Basommatophora. Augen an der Basis der Fühler. Fam. Auriculidae. Schale länglich oval mit Mündungsfalten. Oft noch mit äußerer Samenrinne. An der Meeresküste. Auricula. Alexia. Melampus. Pedipes. Carychium im Binnenlande. — Otina mit ohr- förmiger Schale. Fam. Amphibolidae. Mit Deckel. Marin. Nehmen Wasser in die Atemhöhle. Amphibola. Fam. Siphonariidae. Mit flach konischer Schale. Tentakel verkümmert. Im marinen Litoral. Wasseratmend. Siphonaria mit adaptiver Kieme in der Atemhöhle. Gadinia. Fam. Chilinidae. Atemhöhle weit geöffnet, nicht verschließbar. Visceralkommissur noch lang und etwas gedreht. Chilina. Fam. Limnaeidae. Schale länglich. Mit verschließbarem Pneumostom. Limnaea. Amphipeplea. Fam. Ancylidae. Schale napfförmig. Atemhöhle kaum angedeutet. Ancylus. Acroloxus. Protancylus. Gund- lachia. Fam. Planorbidae. Schale flach oder läng- lich. Unterer Mantellappen oft zur Kieme umgewandelt. Planorbis. Miratesta. Isidora (Pulmobranchia). Fam. Physidae. Mantelränder mit finger- förmigen Fortsätzen. Physa. 2. Unterordnung Stylommatophora. Augen an der Tentakelspitze. Landschnecken. Tribus Soleolifera. Ohne Schale. Sohle mit dichten Querfurchen. Fam. Rathouisiidae. After und Zwitter- öffnung vorn rechts nahe dem Penis. Ptenogloß. Atopos. Rathouisia. Fam. Vaginulidae. Zwitteröffnung gegen die Mitte. After hinten. Ohne Atemorgan. Hautatmung. Vaginina. Vaginula. Pleuroprocta. Fam. Oncidiidae. Auch die Zwitteröffnung hinten. Mit Lunge am Hinterende. Die Sohß glättet sich allmählich aus. Auf dem Lande oder im Litoral des Meeres. Oncidium. Oncidiella. Oncidina. Peronina. Tribus Lissopoda. Sohle glatt. Sie werden bald nach der vor- handenen oder fehlenden Längsfelderung der Sohle in Aulacopoda und Holopoda, bald nach der vorhandenen oder fehlenden Schwanzdrüse 606 Gastropoda in Zonitidae und Helicidae eingeteilt. Bald wieder wird die Form des stets einfachen Kiefers zugrunde gelegt, ohne daß scharfe Gliederung möglich wäre. Fam. Janellidae. Nacktschnecken, deren Schalenfragmente in engen Schalenkammern abgekapselt sind. Ohne äußerlich sichtbaren Mantel. Büschellunge (s. oben). Von Neuguinea bis Neuseeland. Janella s. Athoracophorus. Aneitea. Anei- tella. Triboniophorus. Fam. Succineidae. Mit äußerer oder innerer Schale. Elasmognath. Succinea. Hyalimax. Fam. Ostracolethidae. Innere Schale, aus einer Kalkplatte und großer Conchinmembran bestehend. Radula mit sehr vielen gleichen Zäh- nen. Samenleiter durch eine Reihe scheiben- förmiger Muskelplatten gehend. Ostracnlethe. Fam. Parmarionidae. Halbnacktschnecken mit teilweise vom Mantel überwachsener Schale. Mit Schwanzdrüse. Parmarion. Micro-, Para-, Apoparmarion. Helicarion. Mariaella. Fam. Limacidae. Nacktschnecken mit innerer Schale. Oxygnath. Ohne Pfeildrüsen und Liebespfeil. Limax. Agriolimax. Lytopelte. Paralimax. Metalimax. Fam. Vitrinidae. Die Schale durch einen Mantellappen gestützt. Oxygnath. Ohne oder mit Pfeildrüse und hohlem Liebespfeil. Vitrina und andere Gattungen. Fam. Urocyclidae. Nacktschnecken mit innerer Schale. Mit Schwanzdrüse. Ohne oder mit Pfeildrüse, dann mit soliden, oft zahlreichen Liebespfeilen. Urocyclus. Dendrolimax. Trichotoxon. Fam. Parmacellidae. Mit innerer Schale. Mit äußerer Mantelrinne. Mit fleischigem Reiz- körper. Parmacella. Amalia. Fam. Zonitidae. Mit äirßerer dünner Schale. Oxygnath. Zonites. Hyalinia. — Zonitoides. — Thyro- phorella. Fam. Naninidae. Aehnlich. Mit Schwanz- drüse. Nanina. Conulus. Fam. Arionidae. Nacktschnecken, deren innere Schale oft zerfallen ist. Aulacognath. Die Niere umfaßt rings das Perikard. Arion. Geomalacus. Anadenus. Anadenulus. Ariolimax. Prophysaon. Hemphillia. — Oopelta. Fam. Philomycidae. Die innere Schale ist goschwunden. Mantel und Schalentasche nimmt den ganzen Rücken ein. Philomycus. Fam. Achatinellidae. Schale gestreckt. Radula älmlich der der Janelliden. Achatinella von den Sandwich-Inseln. Fam. Cylindrellidae. Turmförmige Schale, vielfach dekolliert. Ohne Genitalanhänge. Cylindrella. Eucalodium. Fam. Pupidae. Längliche Schalen, meist mit Mündnngsfalten. Ohne Liebespfeil. Pupa. Isthmia. Vertigo. Acanthinula. Fam. Buliminidae. Schale ähnlich, großer. Mit Pfeildrüse, ohne Pfeil. Buliminus. Chondrula u. a. Fam. Clausiliidae. Schlanke Schalen. Mit Clausilium (s. oben). Balea ohne Clausilium. Clausilia, in viele Genera gespalten. Fam. Achatinidae. Ohne sekundäre Genitalanhänge. j Achatina. Limicolaria. Stenogyra. Cochli- ■ copa. Caecilianella. Fam. Punctidae. Kleine Schale, Kiefer aus getrennten Platten zusammengesetzt. Früher unter Heliciden und Pupiden verteilt. Punctum. Sphyradium. j Fam. Endodontidae. Kleine Heliciden ' mit einheitlichem Kiefer, aber ohne sekundäre 1 Genitalanhänge. I Patula. Endodonta. Flammulina u. a. } Fam. Helicidae. Mit Pfeilsack und zu- gehörigen Drüsen, in sehr verschiedener Kom- bination. In viele Unterfamilien zerlegt, von denen die Eulotiden oft als besondere Familie herausgehoben werden. Eulota. Helix. Tachea. Campylaea. Hygro- mia usw. ' Fam. Rapacia. Raublungenschnecken. ! Mit Ptenoglossengebiß, bald ohne Kiefer als Agnatha, bald mit Kiefer (Selenitidae, Plutonia). Eine Gruppe, die auf Konvergenz aus den ver- schiedensten Familien beruht. Die Genitalorgane entbehren durchweg der Anhangsdrüsen und j Reizorgane. Man wird sie in eine Reihe von Familien zu zerlegen haben. Glandinidae: Glandina, Oleacina (Acha- ! tinen ähnlich). ; Testacellidae: Mit kleiner, an das Ende gerückter, hyalinenartiger Schale. Testacella. Daudebardia. Libania. Helixartige, mit und ohne Kiefer: Seleni- tidae. Paryphanta. Aerope. Pupenartige: Streptaxis. Gibbus. Parmacellenartige, mit innerer Schale: Parmacelliila. Trigonochlamys. Pseudomilax. Mit einer Schale und reduziertem Mantel am Hinterende: Apera. Selenochlamys. Vitrinenartige Nacktschnecke: Plu- tonia. Dazu von den Soleoliferen die Rathouisiiden. 3. Ordnung Opisthobranchia. Die Vorkammer liegt infolge von Detorsion hinter der Kammer. Wo 4 Tentakel ausgebildet sind, ist das hintere Paar durch Flächenver- größerung zu Rhinophoren geworden. Marin. I. Unterordnung Tectibranchia. Mit Mantel und äußerer Schale, die nur bei wenigen Formen weggefallen ist. Marin. Tribus Bulloidea s. Cephalaspidea. Mit äußerer Schale. DasOperculum schwindet. Mantelhöhle mit gefalteter Kieme. Tentakel zum Grabschild verwachsen ; dessen Form wech- selt je nach den Familien. Parapodien. Visceral- kommissur ziemlich lang. Meist offene Samen- rinne, selten zum Samenleiter geschlossen. Fam. Actaeonidae. Allein noch mit Oper- culum. Parapodien kaum angedeutet. Keine offene Samenrinne. Actaeon. Fam. Riiigiculidae. Tornatinidae. Ohne Epipodien. Tornatiniden ohne Radula. Ringicula. Tornatina. Fam. Scaphandridae. Bullidae. Mit großen Epipodien. Radula mit wenig oder vielen Gastropoda 607 Zähnen in einer Qnerreihe und entsprechend verschiedenen Zahnformen. Scaphander. — Bulla. Acera. Fam. Aplustridae. Kopt'schild mit 4 freien Tentakeln. Aplustrum. Fam. Philinidae. Mit innerer Schale. Bei Doridium fehlt die Radula. Bei Gastropteron werden die Parapodien sehr groß. Philina. Doridium. Gastropteron. Fam. Peltidae. Ohne Schale. Pelta. Fam. Lophocercidae. Parapodien groß, zum Schwimmen geeignet, bei Lobiger zweilappig (Epipodialtaster). Lophocercus. Lobiger. Tribus Aplysioidea s. Anaspidea. Schale reduziert oder fehlend. 4 Tentakel. Die Fußverbreiterungen sind höher angesetzt, echte Epipodien. Samenrinne. Fam. Aplysiidae. Schale halb oder ganz eingeschlossen oder fehlend. Epipodien von ver- schiedener Größe, bei Notarchus auf dem Rücken verwachsen. Relativ groß. Aplysia. Aplysiella. Phyllaplysia. Not- archus. Tribus Pleurobranchoidea s. Not- aspidea. Ohne Mantelhöhle. Kieme daher nach außen gedrängt. Ohne Fußverbreiterungen. Keine Samenrinne, männliche und weibliche Oeffnung benachbart. Visceralkommissur kurz. Fam. Umbrellidae. Mit freier napfförmi- ger Schale. Umbrella. Fam. Pleurobranchidae. Schale innerlich oder fehlend. Pleurobranchus. Pleurobranchaea. 2. Unterordnung Nudibranchia. Ohne Schale, Mantel und Ctenidialkieme. Kiefer und Radula sehr verschieden, oft ver- schmelzen alle Zähne einer Reihe zu einem. Marin. Tribus Hedyloidea. Der Visceralsack springt nach Art der Gehäuse- schnecken auf dem Rücken vor, ist aber nicht gewunden. Fam. Hedylidae. Im Unterlauf der Flüsse am Ostpol. Tribus Pleurophyllidioidea. Mantel flach den Rücken bedeckend. Beider- seits unter dem Mantelrand Kiemen. After seitlich. Ohne Radula. Fühler zu einem Grab- schild verwachsen. Im ]\Ieer grabend. Fam. Pleurophyllidiidae. Wahrschein- lich hierher auch die Fam. Phyllidiidae. Pleurophyllidia. Tribus Holohepatica. Leber kompakt. A. Doridoidea. After in der Mittellinie, von einem Kiemenkranz umgeben. Kalkspicula in der Haut. Fam. Polyceratidae. Mit Kopfsegel. Kiemen nicht retraktil. Polycera. Euplocamus. Ancula. Goniodorisu. a. Fam. Dorididae. Epipodiallinie den Kopf umgreifend. Kiemen retraktil. Doris. Chromodoris. Fam. Doridopsidae. Ohne Radula. Doridopsis. B. Tritonioidea. After seitlich. Meist mit Epipodialkiemen. Fam. Tritoniidae. Mit Kopfsegel. Tritonia. Marionia. Fam. Scyllaeidae. Mit blattförmigen Epipodialtastern. Scyllaea, pelagisch an Sargassum. Fam. Tethyidae. Mit großem Kopfsegel und blattförmigen Epipodialtastern. Tethys. Melibe. Fam. Dendronotidae. Mit verzweigten j Tentakeln und Epipodialtastern. Dendronotus. Fam. Phyllirrhoidae. Ohne äußere An- hänge. Seitlich komprimiert. Die Leber zerfällt in vier Schläuche, als Uebergang zur folgenden Tribus. Phyllirrhoe mit seitlichem, Cephalopyge mit kopfständigem After. Tribus Cladohepatica. Leber verzweigt, die Zweige treten in die meist in Querreihen ge- stellten Rückenpapillen (Epipodialtaster) ein, wo sie sich oft durch Taschen mit erborgten Nesselkapseln (s. oben) nach außen öffnen. Fam. Aeolidi^lae. Mit spindelförmigen Rückenpapillen, die sich nach außen öffnen. Aeolis. Fam. Glaucidae. Die Rückenpapillen auf seitlichen Vor Sprüngen. Pelagisch. Glaucus. Fam. Dotonidae. Jederseits eine Reihe warziger Rückenpapillen. Doto. Fam. Proctonotidae. Anus in der Mittel- linie. Proctonotus. Janus. Fam. Fionidae. Rückenpapillen membran- artig verbreitert; pelagisch. Fiona. Tribus Sacco- s. Ascoglossa. Leber in der Haut stark verzweigt. Ohne Kiefer. Fam. Hermaeidae. Mit Rückenpapillen. Hermaea. Phyllobranchus. Alderia im Brackwasser bis zur östlichen Ostsee. Fam. Elysiidae. Ohne Rückenpapillen. Mit seitlicher Epipodialverbreiterung. Elysia. Fam. Limapontiidae. Ohne Verbreiterung. Aeußerlich planarienartig. Limapontia. Actaeonina. Cenia. ?Fam. Rhodopidae. Zweifelhaft ist die Stellung der planarienartigen Rhodope, ohne Mantel, Kieme, Radula, Tentakel usw. 4. Ordnung. Pteropoda. Flossenfüßler. Eupelagisch. Mit großen seitlichen Fuß- verbreiterungen oder Flossen. Augen- und Fühlerreduktion. I. Unterordnung Thecosomata (Eutheco- somata). Schale gewunden oder gestreckt, schließlich abgeplattet symmetrisch. Mit der Streckung verbindet sich eine Drehung der inneren Organe um ISO". 3 Zähne in einer Querreihe der Radula. Ernährung durch Mikroplankton, welches durch ein Wimperfeld der Flosse dem Munde zugeführt wird. Fam. Limacinidae. Schale gewunden. Limacina. Peraclis. Procymbulia. Fam. Cavoliniidae. Schale gestreckt. 608 Grastropoda Creseis. Hyalocalix. Styliola. Clio. Cuvie- rina. Diacria. Cavolinia. 2. Unterordnung Pseudothecosomata. Ohne Schale. Mit einer Pseudoconcha, d. h. einem verdickten Mantel, pantoffelförmig oder mehr flach. Mund vorgezogen, schließlich Rüssel- bildung. Ernährung ähnlich. Farn. Cymbuliidae. Cymbulia. CoroUa. Gleba. Tiedemannia. Bei Desmopterus fehlt die Mantelverdickung. Flossen mit je einem Epipodialtaster. 3. Unterordnung Gymnosomata. Räuberisch. Mit Hakensäcken zum Er- greifen der Beute, dazu zum Teil Cephaloconen oder Lippententakel mit Saugnäpfen. Radula anfangs mit 3, dann mit vielen Zähnen in einer Querreihe. Fam. Halopsychidae. 3 Radulazähne in einer Reihe. Körper rundlich. Halopsyche. I Fam. Thliptodontidae. Mehr Radulazähne. Körper nach unten zugespitzt. 1 Thliptodon. Fam. Clionidae. Körper gestreckt. Mit Cephaloconen oder Buccalkegeln. Clione. Paraclione. ! Fam. Notobranchaeidae. Mit dreistrahli- j ger Endkieme. j Notobranchaea. Fam. Clionopsidae. Langer Rüssel, vier-! strahlige Endkieme. Clionopsis. Fam. Pneumodermatidae. Teils Seiten-, teils Endkieme. Der ausstülpbare Mund ist mit Saugnäpfen besetzt, die sich meist auf zwei Armen (Lippenfühlern) gruppieren. Pneumoderinopsis. Spongiobranchaea. Pneu- moderma. Schizobrachium. 6. Verbreitung. Alle 4 Ordnungen haben ihren größten Reichtum in der warmen Zone, manche Familien sind auf die wärmeren Teile beschränkt. Unter den Pulmonaten gehören die echten Achatinen der äthio- pischen Region an, die Testacelliden Europa, die Janelliden dem südöstlichen alten Fest- landsrand von Neuguinea bis Neuseeland, die Rathouisiideii dem Gebiet von Hinter- intlien bis zu den Phili})i)inenusw. Viele Formen sind für geologische Probleme von Bedeutung geworden, Glazialrelikte bei uns, Ampul- larien und Melanien für die Trennung Süd- ostbrasiliens vom westlichen Südamerika durch die Verbindung zwischen Amazonas und Laplata u. dgl. Bipolarität in der Arktis und Antarktis mit Ausschluß aller Zwischen- gebiete zeigt z. B. Clione limacina. Das Durch- einander erklärt sich am besten aus der zeit- lichen Verbreitung. Alle Ordnungen treten bereits im Paläozoikum auf, allerdings zu- nächst noch mit Ausnahme der Opistho- branchien, deren meist schwache Schalen sich wenig für paläontologischen Nachweis eignen. Von den marinen Prosobranchien, die naturgemäß am besten bekannt sind, ent- hält (las Paläozoikum Docoglossen, Rhipido- glossen und einfachere, kleinere und mit einfacher Schalenmündung versehene Tae- nioglossen. Im Perm tritt eine Verarmung ein, worauf im Mesozoikum eine neue Blüte einsetzt. Manche von den alten Familien sind ausgestorben. Dafür kommen allmählich die höheren Taenioglossen, die Rhachi- und Toxoglossen dazu. Mit der Ivreide sterben wieder einige Familien aus, namentlich die dickschaligen Nerineen, andere, wie die Chenopodiden, nehmen ab, die meisten aber kontinuierlich zu bis zur Gegenwart. Von dieser Grundlage aus läßt sich die heutige geographische Verbreitung am einfachsten ableiten nach den Gesetzen der Pendulations- theorie. Die tropischen Faunen setzen zu- nächst in Mitteleuropa ein, unter dem Schwin- gungskreis, die echt tropischen rezenten Familien haben meist noch Vertreter im Mittelmeer als ihrem Nordpunkt. Manche sind gleichzeitig nach Südosten und Süd- westen, nach den Schwingpolen zu ver- schoben, so daß z. B. identische Tritonium- arten in Ost- und Westindien leben ohne Verbindung. Dasselbe gilt von den Pulmo- naten. So sind von den höheren Stylomma- tophoren, den Heliciden im weiteren Sinne, die Endodontiden zwar Kosmopoliten, haben aber ihre größte Dichtigkeit und ihren größten Formenreichtum auf der südlichen Erdhälfte, namentlich im Südosten, Austra- lien und Neuseeland, die höchsten dagegen, die Heliciden im engeren Sinne, erreichen ihr morphologisches Maximum in Mittel- und Südeuropa; ähnlich die Limaeiden, von denen Limax maximus, die größte außertropische Landnacktschnecke, geradezu unter dem Schwingungskreis in den Südalpen ihre Kulmination hat in bezug auf Körperum- fang und biologisch-histologische Sonderung, indem sie das rote Pigment nach außen ent- leert. Literatur. Eine Reihe von. Zeitschriften sind der u'ii■*'*, *1 V ' , ^• r ''■ .^* / •^ L .■>.' ,^ tr ,•-..-. K^'^ v :.-■' 4 "^f- r ^ '■■% ■■ tt_ Fig. 2. Reliefkarte des Albanergebirges, eines durch die p]iosiou bereits etwas zerstörten Vulkanberges mit halbkreisförmigem Wall im Osten, zentralem Kegelberg in der i\Iitte, und vier jungen Explosionskratern im Westen. Hell: Tuffe, schwarz: Lavaströme. Nach Aureli- Sabatini-Kavser. ■.^-'?^ ffs^imm-L.i^'^^i^mM^ 0h:^^ Fig. 3. Ansicht eines \'ulkangebirges. Die jungen Vulkane der Auvergne. Nach Puulett Scrope. Gebire-e der Eide 629 Gebiete des Mont-Dore (Fio-. 4) den Namen Stauchung, Faltung und Ueberschiebung des Vulkangebirges nicht vorenthalten, ob- der Erdschichten sowie] der in diese ein- wohl die Vulkanbeigkrater abuetragen sind, gedrungenen Eruptivgesteine und eventuell und das gleiche gilt litr den Kaiserstuhl in der sie unterlagernden kristallinen Schiefer burons M^de Geneste Puy de Pailleret Sancy Dordogr, Rigolet haut (Source cha 1/65'" SSO"" Roc du Mercier ; 1/53"' T, "iChaudeFour Fig. 4. Profil durch das vulkanische Gebirge des .AIont-Dore (Auvergne). Der Untergrund besteht aus alten Gneißen (links) und Granit ('/j), das darüber aufgebaute vulkanische Gebirge aus 'Liparittuff (pe), Phonolith (qPi), Andesittuff (p^r'), Trachyt (t'), Andesit (a^) und Basalt (§). F Verwerfung. Die Decken der vulkanischen Gesteine sind mehr oder weniger durch die Erosion zerstört. Nach Michel-Levj'. der oberrheinischen Tiefebene. Das Sieben- gebirge ist durch die von der Erosion be- wirkte Heraussehälung der trachytischen, andesitischen und basaltischen Ki'atertrichter- ausfüUungen zu seiner jetzigen Gestalt ge- kommen. Es gibt also alte und junge Vulkan- gebirge. In den verschiedenen Perioden der Erdgeschichte ist der Vulkanismus bald hier, bald dort tcätig gewesen. Vulkanische Gebirge entstanden z. B. in Deutschland in der Terticär- (Siebengebirge, Rhön, Meißner nsw.) und in der Permzeit (Thüringer Wald, Nahegebiet). Eine eigentümliche Art von vnlkanischen Gebirgen sind die Gruppen von Lakkolith- bergen, die durch eine Anzahl von Auf- wölbungen von Schichtgesteinen infolge des Eindringens einer Gesteinsschmelzflußmasse entstanden sind. Es sind Erhebungen, die sich regelmäßig zu mehreren in demselben Gebiet, wenn auch nicht immer genau in unmittelbarer Nachbarschaft voneinander finden. Das klassische Beispiel sind die Henry Mountains auf dem Coloradoplateau im westlichen Nordamerika. Es handelt sich freilich mehr um eine Berggruppe als ein eigentliches Gebirge. 2b) Tektonische Gebirge. Die tekto- nischen Gebirge sind solche Gebirge, die durch Dislokationen (vgl. den Artikel „Schichtenbau") entstehen. Entsprechend den beiden Hauptkategorien der Disloka- tionen kann man die durch tangentiale Dislokationen entstandenen Faltengebirge und die durch Verw-erfungen und Flexuren entstandenen Schollengebirge (Bruch- gebirge) unterscheiden. I. Faltengebirge oder Faltungsgebirge. Es sind dies solche Gebirge, die durch eine auf tangentialem Zusanimenschub beruhende entstanden sind. Sie stehen im Gegensatz zu dem oberflächlich ungefalteten Teile der Erdkruste, dem Tafelland oder dem Ge- biet der Flachschichtung. Bei diesem Gegensatz handelt es sich freilich nur um die Verschiedenheit der höheren Erdkrusten- teile, denn unter den Yafeln findet sich in größerer oder geringerer Tiefe stets ge- faltetes Gestein. a) Form und innerer Bau der Faltengebirge. Die jungen, nicht ab- getragenen Faltengebirge sind Kettengebirge (Fig. 5) und besitzen eine größere Längs- ais Quererstreckung. Die Richtung ihrer Längserstreckung nennt man ihr Streichen. Dieses kann geradlinig oder bogenförmig sein. Der Kaukasus z. B. streicht gerad- I linig, der Himalaya bogenförmig. Bei bogen- förmigem Streichen spricht man kurzweg von ,,Gebirgsbogen". Solche brauchen nicht einfach die Gestalt eines Kreisbogens zu haben sondern können auch S-förmige (,,sigmoide") Krümmung aufweisen, wie es der alpine Gebirgsbogen tut. Bei einem Gebirgsbogen nennt man die konkave Seite die Innen-, die konvexe die Außen- seite, den äußeren Abfall den Außenrand, den inneren den Innenrand des Gebirges. Vor dem Außenrand liegt das Vor-, hinter dem Innenrand das Rückland des Ge- birges. Bei den Alpen ist der West- und Nordrand der Außenrand des Gebirges, der Abfall gegen die Poebene bildet den Innen- rand Das Vorland des Himalaya ist das Tiefland des Ganges, sein Rückland Tibet. Solange die zerstörenden Kräfte das Faltengebirge noch nicht angegriffen haben (dies Verhältnis hat vielleicht in der Natur nie bestanden, indem die gebirgszerstören- den Kräfte schon während der Gebirgs- ents^-ehung in Wirksamkeit traten) oder 630 Gebirge der Erde doch nur insoweit, daß der innere Bau noch von bestimmendem Einfhiß auf die Form ist, bilden die Antiklinalen die einzelnen Ketten, die Synklinalen die Täler dazwischen (Fig. 5). Dies Verhältnis bleibt im wesent- lichen auch noch nach ziemlich weitgehender erosiver Umgestaltung der ursprünglichen Oberfläche bestehen. Die Ketten des schweize- rischen Juragebirges sind im allgemeinen die Antiklinalen des Faltenbaues. In den aus Ueberschiebungsdecken aufgebauten Ge- birgen liegt die Ursache der Kettengebirgs- natur in der ursprünglichen Form des von Schweizer Kettenjura hat bei einer Gesamt- länge des Gebirges von 320 km die längste Kette eine Länge von 162 km, keine läuft durch das ganze Gebirge hindurch. In den breiteren Teilen des Gebirges stehen 10 bis 12 Ketten nebeneinander, gegen das nordöstliche Ende hin nur noch 3 oder 4 und zuletzt nur noch die einzige Lägern- kette. Gleichförmig nennt Supan solche Faltengebirge, bei denen die Heraushebung der verschiedenen Faltenzüge (ihre Hebungs- intensität) ungefähr gleich stark ist, un- gleichförmig solche, bei denen die einen ,V«' JllUW >, , ,r 'r^'^ ! \\ ,i)ii 1 ij/U /.., rä^-ra \. .,»***f«t'f /W ,r ^ ^' \'^^ ^W""^ ^^ Fig. 5. Karte eines Stückes von einem Ketten- und Falten- gebirge. Ausschnitt aus dem Schweizer Ketten- jura. Schräg durch die Karte ist ein senk- rechter Schnitt durch das Gebirge gelegt und beide Stücke sind etwas auseinandergerückt, so daß man ein Profil sieht, das die Beziehun- gen zwischen der Mor- phologie und dem (durch Erosion umge- formten) Faltengebirgs- bau erkennen läßt. Nach G. Steinmann. der Faltung ergriffenen Gebietes und seiner einzelnen Zonen sowie der darauf beruhenden großen Längsausdehnung der einzelnen Decken, ihrer Stirn- und Wurzelränder sowie der durch Uebererhebung der Achsen ent- standenen kristallinen Massive. Die einzelnen Ketten eines in tekto- nischer Hinsicht einfachen Faltengebirges, wie z. B. des Schweizer Kettenjuras, streichen in mehr oder weniger gleicher Richtung neben- einander her. Hört eine Kette auf, so kann in ihrer Fortsetzung oder annähernd in derselben eine neue auftreten, wobei die Breite des Gebirges gewahrt bleibt, oder es tritt durch Abnahme der Kettenzahl eine Verschmälerung des Gebirges ein. Im Ketten höher herausgehoben sind als die anderen. Für erstere ist der Kettenjura, füi- letztere der Kaukasus ein Beispiel. Indem die Ketten eines Gebirges bogen- förmig sind und sich mit stärkerer Wölbung im Streichen voneinander entfernen, ent- steht das Bild einer komplizierten Gir- lande, wie es z. B. die in Figur 6 dargestellte Karte des Gebirgsbogens von Sewistan zeigt. lu anderen Fällen ordnen sich die Bogen konzentrisch um einen Scheitel, wie die Bogen, die sich ostwärts vom alten Scheitel Asiens bis an die Meeresküste folgen. Einige besondere Formen der Ketten- und der Gebirgsanordnung sind folgende: Gebirge der Erde 631 Die Virg-ation (E. Sueß) oder diver- c^eiite Gebirj^sgliederung (C. F. Nau- mann) ist die Auflösung eines Kettengebirges herantreten, zwingt, sich seiner Richtung an- zuschließen. Ein Beispiel für die erste Art von Scharung bietet diejenige des Himalaya, Fig. 6. Girlandenform eines Ketten- (Falten-) Gebirgsbogen. Bogen von Sewistan, Grenzgebiet von Britisch-Vorderindien, Afghanistan und Beludschistan. oder, noch allgemeiner ausgedrückt, einer [ Karakorum, Kwen-lun, Pamir, Hindukusch Faltungszone, an ihrem Ende in einzelne und Tian-schan, für die andere die Scharung ! der Ketten des Nan-schan mit dem Kwen-lun 7. Schematischer Grundriß einer Virgation. Die Linien bedeuten Faltenzüge. divergierende Ketten, mit anderen Worten eine Auseinanderspreizung, die sich mit der- jenigen der einzelnen Zweige einer Rute (virga) vergleichen läßt (Fig. 7). Unter Schar ung versteht man entweder eine Zusammendrängung und ein darauf folgendes Auseinandertreten von Falten- zügen (Supan) oder die Erscheinung, daß ein Gebirge, während es seine Streichrichtung beibehält, andere Ketten, die an dasselbe Fig. 8. ■" Scharung des Kwen-lun (Tsing-ling- Schan usw.) jnit dem sinischen System. Nach E. Kayser. (Fig. 8). Nach E. Sueß soUte! keine Benennung einer Kette über eine Scharung hinausgeführt werden. Unter dem Ast eines Faltengebirges ver- steht man ein Gebirge von geringerer Aus- dehnung, das sich von einem größeren ab- zweigt wie ein Ast von einem Stamm. So 632 Gebirge der Erde zweigt sich vom Stamme der Alpen der Ast des Juragebirges ab (Fig. 16). Ein Gebirgsknotenist eine Vereinigung von mehreren Ketten oder Faltengebirgen an einer Stelle, von der aus sie nach ver- schiedenen Richtungen ausstrahlen. Beispiel: Pamir. Unter Kettung versteht man die Ver- bindung von zwei selbständigen geographisch einheitlichen Gebirgen. Ein spezieller Fall davon ist die Endverkettung, in der z. B. Alpen und Apennin stehen. Ein Gebirgsrost oder ein Rostgebirge ist ein Kettengebirge mit paralleler Anord- nung der Längstäler (Beispiel: Nan-schan) (vgl. auch Fig. 5). Den Gegensatz dazu bildet der Gebirgsstock mit strahlen- förmiger Gliederung, der als Gesamt- form eines Gebirges beim Faltengebirge nur bei den Monoantiklinalen auftreten dürfte (vgl. Fig. 18), während er bei Faltengebirgs- teilen wohl zur Ausbildung kommen kann (Oetztaler Alpen in den Ostalpen, Fig. 9). Nach V. Richthofen gehört zur Charakteri- stik des Rostgebirges auch eine relativ be- deutende Breite. Fig. 9. Gebirgs- stock mit radial- strahliger Gliede- rung. Oetztaler Alpen. Nach Sopan. Nach dem Baumaterial unterscheidet man solche Faltengebirge, die nur aus Schicht- gesteinen bestehen, als, ,einfache"von denen, an deren Aufbau sich auch noch Eruptiv- gesteine und kristalline Gesteine beteiligen („zusammengesetzte" Faltengebirge). Aus der Kombination mit geradlinig, bogenförmig, gleichförmig und ungleichförmig ergibt sich dann eine ganze Anzahl von Typen. Der Schweizer Kettenjura ist z. B. ein bogen- förmiges, einfaches, gleichförmiges, die Alpen sind ein bugonförniiges, zusammengesetztes, ungleichförmiges Faltengebirge usf. Innerer Bau. Für den inneren Bau der Faltengebirge ist es bezeichnend, daß ihre Ge- steine, soweit es sich nicht um Kruptivmassen handelt, dienach der Faltung eiiiporgcchungon sind, gefaltet sind. Das ist freilich nicht so zu verstehen, als ob die Gesteine stets wie eine Wellenlinie regelmäßig auf- und abstiegen. Sie liegen vielmehr innerhalb von Ueber- schiebungsdecken auch wohl flach. Aber man muß berücksichtigen, daß der Ueberschie- bungsbau auch eine Folge des Tangential- schubes ist. Der Aufbau ausUeberschiebungs- decken ist gerade für viele große Ketten- gebirge charakteristisch, die man als Ver- treter des alpinen Faltengebirgstypus bezeichnet, der sich ferner durch fast völligen Mangel an Eruptivgesteinen aus der Zeit der Gebirgsentstehung auszeichnet (Fig. 10), Tertiär, transgres- siv auf wurzeln- dem archäischen Gebirge Molassezone Sandsteinzone Lepontinische Klippenzone Ostalpine Kalk- zone („nördliche Kalkalpen") Ostalpine Grau- wackenzone Ostalpines kristal- lines Deckmassiv Decke der Rad- städter Tauern Lepontinischer Zentralgneis (Fenster der hohen Tauern) Lepontinischr Wurzelzone Wurzelzone der ost- alpinen kristalli- nen Deckniassive Gailtaler Alpen, Wurzel der ost- alpinen Kalkzone 6s Gebirge der Erde 633 während im Gegenteil der aiidine Falten- 1 bogens. die in einer von der des Karpathen- gebirgstypus (Fig. 11) daran reich ist und | randes fast um 90" abweichenden Richtung Fig. 11. Faltengebirge vom Kordillerentypus. NO.-SW. -Profil durch die Cordillera Bianca entlang der Qucbrada de Quilcayluianca bei Huaraz in Nord-Peru, s kontaktmetamorphe gefaltete Schiefer und Sandsteine des obersten Jura und der Unterkreide, gd Granodiorit, a Andesit. Der Granotliorit ist in der Richtung der Längeren Striche gebankt. Nach [G. |Steinmann. nach dem jetzigen Stande unserer Kenntnisse nnter seine westliche Partie hinuntertreten die Ueberschiebungen darin fehlen oder (Fig. 12). Der Ural zeigt dagegen eine nur eine geringe Rolle spielen. Ihre Namen haben die Typen von den Alpen und von den südamerikanischen Anden. Neisse ^- ^v.v>:\v>Tr'' Symmetrische, d.h. der Länge nach aus spiegelbildlich gleichen Hälften bestehende , Faltengebirge sind sehr selten, wenn es überhaupt solche gibt. Die Bogenform schließt ja, streng genommen, die Symmetrie ' so wie so ganz aus; aber man versteht unter einem symmetrischen Gebirge mehr ein zu beiden Seiten einer zentralen Linie oder Region gleichmäßig gebautes Gebirge. Aber auch eine solche Symmetrie ist selten. Sie findet sich z. B. bei dem nur aus einer Falte bestehenden nordwestdeutschen Gebirge „Hils", nicht bei Gebirgen von großer Aus- dehnung. Li den großen Kettengebirgen Europas ist der Bau ausgesprochen ein- seitig und asymmetrisch. Der Lmen- seite des Gebirges genähert liegt die Wurzel- zone. Von hier sind die Ueberschiebungs- decken ausgegangen und nach der anderen Seite vorgestoßen (Fig. 10). Die Wurzel- zone mit ihrer steilen und die Decken- region mit ihrer flachen Lagerung stehen im Gegensatz zueinander, und ihre Ver- schiedenheit schließt die Symmetrie aus. Alle Bogenstücke des alpinen Gebirgssystems in Europa, Alpen, Karpathen, Apennin usw. haben ihre Wurzelseite innen, d. h. dem konkaven Rand genähert, während die Ueberschiebungsdecken gegen den konvexen Rand vordringen. Das von der Faltung nicht mit ergriffene Vorland des Faltengebirges kann diesem entweder geologisch gleich oder von ihm verschieden sein. Bei Verschiedenheit tritt oft eine weitgehende Ueberfaltung. d. h. Ueberdeckung des Vorlandes durch die vordringenden Ueberschiebungsdecken ein. So bedecken die Decken der Schweizer Voralpen von der Aare bis zur Arve die neogene Molasse des Alpenvorlandes (Fig. 16), so treten die Karpathendecken über die paläozoischen Zonen des variszischen Gebirgs- Fig. 12. Das Vorland der Westkarpathen unter Weglassung der transgredierenden Schollen. Ueberdeckung des variszischen Bogens durch die Decken der Karpathen. Arch Archaikum, d Devon, Cu Unter-, Ca Oberkarbon, p Rot- liegendes, tr Trias, j Jura, er mittlere und obere Kreide, sy Syenit. Nach E. Sueß gegen sein westliches Vorland, das ihm stratigraphisch gleicht, ganz allmählich aus- klingende Faltung. Als' ihre äußersten Vor- läufer erheben sich vor dem Gebirgsrande vereinzelte Antiklinalen, die Parmas, so die Hohe Parma, die Idschid Parma u. a., die parallel zum Stamm des Ural verlaufen. E. Sueß bezeichnet auch den Timan als eine Parma des Ural (das Wort Parma ist zu einer Begriffsbezeichnung geworden). Im Vorlande gelegene Massive, d. h. an die Oberfläche reichende Massen kristalliner oder früher gefalteter Gesteine, sollen der Faltung als Widerlager gedient und eine stauende Wirkung ausgeübt haben. In der Tat ist es ja auffallend, daß die Alpen dem Südostrande der böhmischen Masse folgen und daß östlich von dieser der Karpathenbogen so weit nach Norden vordringt. Der Einfluß des Schwarzwaldes dagegen auf die alpine Faltung ist schwer nachweisbar; denn das Molasseland des schweizerischen Mittellandes ist von dieser 634 Gebirge der Erde nur noch wenig betroffen, und nur im Kettenjura macht sich ein Einfluß in der Ueberschiebung der Mont-Terrible-Kette über den vorliegenden Tafeljura bemerkbar, deren Zone ja in der Tat südlich des Schwarz- waldes gelegen ist und diesem in ihrer Aus- dehnung ungefähr entspricht. Eine Wirkung auf die Faltung in dem Sinne, daß sie die Entstehung der Decken verursacht oder befördert hätte, kann den außerhalb der Alpen gelegenen Massiven nicht zugeschrieben werden, "in dieser Weise haben dagegen sicher die innerhalb der Falten gelegenen Massive mit übererhobener Achse in der Zone des Mt. Blanc als Widerlager gedient. Früher unterschied man monogene- tische und polygenetische Faltun Zonen. Erstere sollten in einem einmaligen Prozeß entstanden, in letzteren in längeren Perioden der P'altung die Ketten nach und nach aneinandergeschweißt sein. So viel wir ' heute wissen, sind die Faltengebirge, und zwar auch die großen und kompliziert gebauten in ihren verschiedenen Zonen gleichzeitig von demjenigen Prozeß betroffen worden, der sie zu den heutigen Gebirgen gemacht hat. Es beruhte auf einer Verkennung der tatsächlichen Lagerungsverhältnisse, wenn ' man früher für Alpen und Karpathen eine i allmähliche Entstehung durch lange geo- logische Perioden hindurch annahm. Aller- dings kann sich der Faltungsprozeß in mehrere Phasen zerlegen. So wurden in den Alpen und im Apennin in einer älteren i Phase der Gebirgsbildung die Ueberschie- bungsdecken gebildet, in einer späteren, { zeitlich deutlich getrennten, die Decken selbst 1 noch gefaltet. In der zweiten Faltungsphase sind die aus der Zerstörung der Ueber- schiebungsdecken hervorgegangenen Molasse- ablagerungen am Rande der Schweizer Alpen noch mitgefaltet worden. Hier liegt also ein Fall von einer Polygenesis des Gebirges vor und ähnliche Fälle sind auch sonst be- kannt, nur handelt es sich hier immer nur um randliche Ketten, die aus dem Trümmer- material der bereits durch die Faltung zu einem Gebirge gewordenen Faltungszone bestehen. Diese Erscheinung, die Angliede- Fig. 13. Scheraatische Darstellung des Wanderns der Faltung, durch das in einer zweiten Phase der Gebirgsbildung das Vorland der älteren Ketten mit deren Abtragungsprodukten in Falten gelegt und dem Faltengebirge angegliedert wird. Motiv: variszischer Bogen und Schweizer Alpen. Nach H. Stille. rung jüngerer Randketten an ein Falten- gebirge, ist von Stille das zonare Wandern der Gebirgsbildung genannt worden. Figur 13 gibt eine schematische Ansicht von dem Verlauf dieses Vorganges, der z. B. dem variszischen Gebirgsbogen, dessen Ent- stehung im wesentlichen in die Intrakarbon- zeit fällt, an seinem Außenrande Falten aus oberkarbonischen Schichtgesteinen anglie- derte, dem Himalaya die Siwalikschichten 5 5 C h VV (2 ,1 / (3 : MAS5E ■^*«^ r\ S ^ ^^k <:d| (2i>-\-^.SN^^>äecAe-r;-^^^ Q- iQj'ß""^ m, ": MASS E Fig. 14. Uebersichtskarte der nordwestdeutschen, in dem Rahmen zwischen den alten Massen •gefalteten Gebirge (,,mitteldeutsche Rahmenfaltung"). Nach H. Stille. Grebirge der Erde 635 (eine vor dem Rande des Gebirges ab- gelagerte Serie von Gesteinen, deren Material aus dem damals bereits bestehenden Himalaya- gebirge stammt) durch Faltung anfügte. Unter Rahmenfaltung versteht man die Faltung eingesunkener Regionen zwischen starren, horstartigen Massen, deren Grenzen dem Verlauf der Falten in den ,,ger ahmten Feldern" oft den Verlauf vorschreiben. So liegt nach E. Sueß das System der Alp^den innerhalb eines von den westlichen Altai den gebildeten Rahmens. Die Region des jungen Kettengebirges ist ein ein- gebrochenes Stück in den alten Falten- zügen. Nach Stille ist diesaxonischeFaltung im niederdeutschen Becken eine Rahmen- faltung innerhalb der variszischen Horste (Fig. 14). ß) Geologische Gliederung der Faltengebirge. Diese ergibt sich aus der Verteilung der Gesteine infolge der Faltung oder infolge ihrer ursprünglichen Ablage- rungsverhältnisse. Gebiete mit gleicher Stratigraphie nennt man Zonen, ein Name, der auch auf Regionen angewendet wird, die wegen ähnlicher Tektonik oder sonstiger Charakterzüge eine gewisse Einheitlichkeit aufweisen. Solche Zonen laufen meist in der Streichrichtung der Faltengebirge. Es ist eine bemerkenswerte Tatsache, daß in den großen Kettengebirgen Zonen mit gleichartiger oder ähnlicher Ausbildung der Sedimentärformationen, deren geologische Entwicklungsgeschichte innerhalb der Zone die gleichen Momente erkennen läßt, in der Längsrichtung auf sehr weite Strecken ver- folgbar sind (Fig. 15). Dadurch kommt ein ausgesprochen zonarer Gebirgsbau zustande, der in der geologischen Karte deut- lichen Ausdruck findet. Ein typisches Bei- spiel für die Ausdehnung der Zonen bietet die Glanzschieferzone der' Alpen, penninische Zone (Fig. 16), ausgezeichnet durch die Gesteinsfolge Gneiß, Triasdolomit, -rauh- wacke, -gips usw. und eine komprehensive (d. h. bei gleicher petrographischer Be- schaffenheit mehrere Formationen um- fassende) Serie von Kalkphylliten (Glanz- schiefern), in die sich Grünschiefer (um- gewandelte basische Eruptivgesteine) ein- schalten. Diese Zone erstreckt sich durch die ganzen Westalpen, indem sie in den ligurischen Alpen beginnt, auf der Innen- 1 Seite der französisch-italienischen Alpen ent- lang läuft, das walliser Gneißgebirge süd- ' lieh des Rhonetales aufbaut und die Simplon- region zusammensetzt. In der Adulagruppe tritt sie sodann in die Ostalpen ein, breitet, sich im Prättigau weit an der Oberfläche aus, tritt unter die Ueberschiebungsmasse der Silvretta wie in einen Tunnel und erscheint von hier ab in einzelnen Fenstern, so im I Unterengadiner Fenster, in dem der Hohen Tauern und vielleicht noch einmal am Semmering. Diese Zone, die gewisser- maßen das Rückgrat der Alpen bildet, setzt I sich aber in den ligurischen Alpen ohne j scharfe Grenze auch in den Apennin hinein fort, den sie zum größten Teil auf- baut, allerdings ohne hier den Metamorphis- i mus der Glanzschiefer zu zeigen. Auch in den Karpathen finden sich ähnliche schief rige und mit grünen Eruptivgesteinen vergesell- j schaftete Gesteinstypen in bestimmten Zonen j wieder. V. Uhlig hat ferner z. B. die Zonen der Ostalpen mit denen der Karpathen in Ver- bindung gebracht, wie es Figur 17 zeigt. Quert man die großen Kettengebirge, so kommt man bald von einer Zone in die andere. Diese Anordnung der verschiedenen Facies usw. beruht auf den Ablagerungs- bedingungen, die in den großen Meeres- trögen oder Geosynklinalen herrschten. Diese wiesen eine Län^suliederung durch Geoanti- I klinalen auf und ihre einzelnen Teiltröge mit großer Längs- und relativ geringer Breitenausdehnung boten für die Sedimen- I tation verschiedene Voraussetzungen, deren Kausalität im einzelnen schwer zu ermitteln ist. Der Verlauf dieser Geosynklinalen ist für die heutige Form der aus ihnen empor- I gewachsenen Faltengebirge bestimmend ge- wesen, derjenige ihrer Teiltröge für den I zonaren Bau. In den großen Faltengebirgen, in denen Aufbau aus üeberschiebungsdecken herrscht, ist das Bild der einfachen zonaren Gliederung i durch die Verfrachtung von Gebirgsstücken aus der einen Zone vermöge der Ueberschie- bungen in eine andere Zone manchmal gestört. Deckschollen und Ueberschiebungsmassen, die aus einer weiter nach innen gelegenen Zone stammen, liegen im Gebiet einer äußeren, und die äußeren Zonen werden in Fenstern innerhalb der inneren sichtbar (Fig. 16). Auch dabei bleibt aber oft die Längsausdeh- nung die des Gebirgsstreichens. So ist das Fenster der Hohen Tauern am ausgedehn- testen in der Westostrichtung, die „Klippen" der Nordschweiz ordnen sich, auf der gleichen Mulde der helvetischen Unterlage liegend, in eine gleich gerichtete Linie, der Wurzel- rand der nördlichen Kalkalpen (Ostalpen) verläuft im Streichen des Gebirges usw. (Fig. 16). Als besondere Glieder stellen sich in den großen Kettengebirgen die Massive dar. Dies sind Massen Imstalliner Gesteine von höherem Alter, die aus. ihrer Sedimenthülle heraus an die Oberfläche treten. Diese Massive können sehr verschiedener Ent- stehungsart sein. So wenig wie die großen Kettengebirge symmetrisch gebaut sind, so wenig verdienen ihre Massive den Namen 636 Gebii-o-e der Erde jb r l** II IP 11^'' IIP III" im'' aa III" lll''^ III"'"' ^^CvI3^^^^^ ----- ^ iü IV^ IV'' V A B C D E FF' q EM] m [13 E^ CZ] EZ] -^ Fig. 15. Tektonische Karte 1:2 400 000 der französisch-italienischen Alpen. I Subalpine Ketten und savoyische Kalkhochalpen, Ib Voralpen der Seealpen, Im Zone des Gapen^ais, Id Devoluy (Fortsetzung der Figurenerklärung auf nebenstehender Seite unten.) Gebii"ge der Erde und Bochaine; II Delphino-savoyische Zone oder Zone des Mont Blanc: kristalline Massive, IIa Sedimenthülle derselben, II ad Saum des Mercantour und Zone des Embrunais; III Zone des BriauQonnais, Illa Flyschzone oder Zone der Aiguilles d'Arve; IIIu Ueberschiebungsdecke der Ubaye und der Seealpen, Illb Karbonzone, deren Bau sich in der Richtung a— a in ihren jüngeren Gesteinen fortsetzt, III c Unterzone der Vanoise, Illbc die vereinigten Zonen III b und IIIc, IIIu 1— a Decken der Voralpen und KUppen; IV Zone des Piemont: IVa Gneiß, IVb Glanz- schiefer und ophiolithische Eruptiva; V Amphibolitzone von Ivrea. — Die außeralpinen Gebiete sind mit großen Buchstaben bezeichnet. A Jura, B Insel von Cremieu, C Massiv der Maures und : „„!,., rr:„i;„u 638 Cxebirge der Erde „Zentralmassive", den man ihnen in zone, die, vermutlich karbonisch-permischen einer Zeit gab, wo man sie für die zentrale, ' Alters, von der Trias konkordant überlagert am höchsten herausgehobene kristalline Achse , werden. Sie liegen zwar in der wahren des ganzen Gebirgsstamraes hielt. In den | Zentralzone der Alpen, da sie aber nicht .1^-'^ ...:w Fig. 17. Schematische Struktiirkarte der Karpathen, ihren Decken bau und ihre Beziehungen zu den strukturellen und faziellen Elementen der östlichen Alpen erkennen lassend. 1 Autoch- thones Vorland; 2 subbeskidische, 3 beskidische Decke (helvetische Decken); 4 subpieninische und pieninische Decken (Zone der südlichen Klippen); 5 hochtatrische Decke (lepontinische Decken); 6 subtatrische Decke; 7 Decke des inneren, zentrahint,'arischen Gürtels (ostalpine Decken); 8 junge vulkanische Gesteine; 9 Cenoman, Senon, Eozän, diskurdant auflagernd; 10 Gebiete, deren Bau noch unbekannt; 11 Stirnrand der Decken; 12 Deckschollen; 13 Fenster; 14 hypothetische Grenzen; 15 Formationsgrenzen und tektonische Linien, diejünger sind als die Ueberschiebungen ; 16 Klippen. [Weiß: Ablagerungen, die jünger sind als die Decken der Karpathen. Nach V. Uhlig. Alpen kann man vier Arten von Massiven unterscheiden. Die erste sind diejenigen Massive, die durch Uebererhebung der Achse des Faltenbündels, dem sie angehören, her- aufgetragene Teile des paläozoisch gefalteten Untergrundes darstellen. Sie liegen in der sogenannten ,,Zone des Mont Blanc" und zu ihnen gehören das Mercantour-, Pelvoux-, Belledonne-, Mont Blanc-, Aar- und Gott- hardmassiv, nm nur die wichtigsten auf- zuführen. Sie liegen in einer äußeren Zone des Gebirges (Fig. 15) und verdienen nicht den Namen Zentralmassive, der gerade auf sie angewendet wurde. Die zweite Art alpiner Massive sind die Kerne der liegenden Falten und Ueberfaltun^sdecken der Glanzschiefer- cigentlich wurzeln, ist für sie der Name Zentralmassiv unangebracht, auch in den Ostalpen, wo die Massive der Hohen Tauern hierhergehören, in deren Süden die nördlichen Kalkalpen beheimatet sind. Sie bilden den Uebergang zu den ganz wurzellosen „Deck- massiven", wie dem der Silvretta oder der Oetztaler Alpen, die den Kern von Ueber- schiebungsdecken bilden. Eine vierte Art sind die jungen Eruptivstöcke, wie der Adamello, die zwar den Alpen im geogra- phischen Sinne, in geologischer Hinsicht dagegen meist den Dinarden angehören Nach der Art und der Intensität de|£ Horizontalschubes, den Dimensionen und dem Baumaterial kann man verschiedene Gebirge der Erde 639 Typen von Faltengebirgen nnter- scheiden (über den Gegensatz des an- dinen zum [alpinen Faltengebirgstypus s. oben). ,//:,- r-3. Ein ganz eigenartiger Typ ist das Kuppel- gebirge oder periklinale Gebirge, das eine blasen- oder beulenförmige Auftreibung der Erdkruste darstellt. Allerdings dürfte es kein derartiges Sattelgebirge (Mono- antiklinale) geben, das in der Längs- und Querrichtung gleiche Dimensionen aufweist. Auch die Black Hills (Fig. 18) in den west- lichen Vereinigten Staaten sind durch einen einseitigen Druck (von Westen nach Osten) gefaltet, desgleichen die Bighorn Mountains, die wie jene als bezeichnende Beispiele für diese Form des Faltengebirges gelten, v. Staf f hat die Bedeutung ins rechte Licht gerückt, die den an diesen bogenförmigen Sattel- an den Abfall der Monoantiklinale ansetzen und schräg zu dieser gerichtet sind (Fig. 19). Diese Kulissen sind unsymmetrisch gestaltet, lindem sie der Gebirgsseite den steileren j Schenkel zukehren. Ganz allgemein werden I übrigens auch Faltenzüge, die schräg zur ' Hauptrichtung von einem Gebirge abzweigen, als Kulissen bezeichnet. Der Timan ist z. B. eine Kulisse des Ural Faltenzüge von einfachstem Bau, deren Gesamtheit kaum als Faltengebirge in ge- wöhnlichem Sinne bezeichnet werden kann, zeigen sich am Westrande des Columbia Lava Plateaus bei Ellensburg im Staate Washington (Vereinigte Staaten). Sie be- i treffen miozäne Lavadecken, Sande und Kiese (Fig. 20). Supan hat Faltengebirge, i die nur aus Schichtgesteinen (oder, wie bei dem oben angeführten Beispiel, aus Lava- Fig. 18. Diagramm eines Kuppelgebirges, der Black Hills in den Ver- einigten Staaten von Nordamerika. Vorn und rechts Profile, die den Aufbau aus kristallinen Schiefern und Granit (unten) und den dis- kordant darüber lagern- den, kuppeiförmig ge- wölbten Schichtkom- plex zeigen. Nach W. M. Davis und G. Braun. gebirgen auftretenden Kulissenfalten zu- decken) bestehen, als einfache bezeichnet, kommt. Es sind dies Sättel, die sich randlich im Gegensatz zu den zusammengesetzten, i die aus Zonen kristalliner und sedimentärer Gesteine bestehen Das schweizerische Juragebirge ist- zwar eigentlich nur ein Ast der Alpen (Fig. 16), ist aber doch so selbständig abgegliedert, daß man es wohl als besonderes Gebirge und dann als Typus des einfachen Falten- gebirges bezeichnen kann. Allerdings handelte es sich liier, wenn Buxtorfs Auffassung die richtige ist, um ein Gebirge, in dessen Falten kristalline Gesteine deshalb nicht zutage treten, weil die Sedimente eine vom Unter- grund abgescherte Decke bilden, die in sich zusammengestaut ist, so daß der Untergrund von [der Faltung ver- schont blieb. Vorland Fig. 19. Schematischer Grundriß eines bogenför- migen Sattelgebirges mit Kulissenfalten. Motiv: Black Hills und Bighorn Mountains in den Vereinigten Staaten. Nach v. Staf f. Beispiele für zusammengesetzte Falten- gebirge sind Alpen, Karpathen, Pyrenäen (diese mit Deckenbau; vgl. Figur 10, 21, 22), Kaukasus, die amerikanische Kordillere und viele andere. 640 Grebim-e der Erde Fig. 20. Schwach gefaltete Lavadecken (a) am Westrande des Columbia -Lava -Plateaus bei Ellensburg, Wach., U. S. Amerika, b Miozäner Sand und Kies. Nach G. 0. Smith. o a^ 1 j? tos 1 ■-<; -c o s Sa- fran z d Pen thetisc iemont 1 S ^^ s- sch-ita! 3 Me Decke schein -^ (=lJ- o §■ ^ § c &- 3 = s 2 ■* 9.^^ ^ ö N :;• ~ i^-S o §a§- ^^W= s 2 y) Faltengebirgssysteme. Unter ei iieni F a 1 1 e n g e b i r g s s y s t e in versteht man einen Komplex von Faltengebirgen, die, auch äußerlich in irgendeiner Weise mitein- ander verkettet, die gleiche erdgeschicht- Gebirge der Erde 641 liehe Entwickelung durchgemacht haben und sich im Bau oder in der Richtung als gleichartig erweisen. Unter den Leitlinien eines Systems versteht man die Haupt- streichrichtungen seiner Gebirge. Die Alpen bilden mit den Karpathen, den Transsyl- vanischen Alpen und dem Balkan einerseits, dem Apennin, den sizilianischen Gebirgen, dem Atlas und der betischen Kordillere anderseits das alpine Faltengebirgssystem oder die Alpiden. In diesem System zeigen die Leitlinien eine wirbeiförmige Anordnung, d. h. es schließt sich Bogen an Bogen. Alle diese Gebirge zeigen im wesentlichen Decken- bau (der Balkan nicht), ihre mesozoische Vorgeschichte und daher auch die Ausbildung und Anordnung ihrer Facieszonen ist die gleiche, der Zeitpunkt ihrer Entstehung, die Phasen der Gebirgsbildung sind dieselben. Die gebirgsbildende Bewegung ist überall von der konkaven gegen die konvexe Seite gerichtet, was übrigens als ganz allgemeine Regel für die Gebirgsbogen gilt. Auch die Einbruchserscheinungen am Linenrande und das Auftreten von jungen Eruptiven an demselben finden sich in ähnlicher Weise bei allen. Gewisse Abweichungen von dem gewöhnlichen Habitus zeigt nur der Balkan, mit dem die Alpiden gegen den Pontus hin ihr freies Ende zu erreichen scheinen. Einen von dem des alpinen völlig abweichenden Grundriß besitzt das System der westlichen Altaiden. Dies sind die Gebirgszüge, die vom westlichen Altai ausgehen und, be- ständig Verlängerung suchend, die gleiche Richtung einhalten. Auch sie zeigen gewisse übereinstimniciitlc Phasen der erdgeschicht- lichen Entwickelung, alle gehen von einem gemeinsamen Scheitel aus, und so erscheinen sie, trotz zum Teil recht verschiedenen Ver- haltens der einzelnen Ketten, als ein ein- heitliches System. Nach E. Sueß gehören auch die karbonisch gefalteten Gebirgs- massen Europas zu den westlichen Altaiden, obwohl sie nicht, wie die westasiatischen Gebirge, nach Süden, sondern nach Norden gefaltet sind, und die Verbindung sich auf schmale Zonen beschränkt. Am besten bekannt von diesen alten Gebirgsstücken 1 sind der armorikanische und der variszische \ Gebirgsbogen (Fig. 23), die sich im fran- zösischen Zentralplateau scharen und zu- sammen ein Gebirgssystem bilden, das durch gleiche Geschichte und ähnlichen Bau, sowie durch die unmittelbare Ver- j bindung seiner Glieder den einheitlichen [ Charakter erhält. Namentlich für die asia- tischen Gebirge ist diejenige Form der Ge- birgssysteme bezeichnend, die man mit Gir- landen oder mit aufgehängten Ketten (Fig. 6) verglichen hat. Sie zeigt sich z. B. in den ost- asiatischen Inselkränzen. Der orographische Zusammenhang von Gebirgen darf nicht immer als sicheres Anzeichen der genetischen Zusammengehörig- keit betrachtet werden. So hat E. Sueß die Verschiedenheit des ost- und des west- i sajanischen Gebirges betont, und die mit Fig. 23. Der armorikanische und der variszische Gebirgsbogen. Ihre Scharung im französischen Zentralplateau. Nach E. Kayser. Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV. 41 642 Gebirge der Erde den Alpen so innig verschweißten Dinariden müssen geologisch von diesen getrennt werden. Verschiedenaltrige Gebirgssysteme können sich gegenseitig durchdringen. Die Alpiden liegen innerhalb der x\ltaiden, von denen große Stücke versenkt sind. Aber in den Alpen ragen in den Massiven der Mont Blänc- Zone altaidische Stücke auf, und, von den Bogen des westlichen Mediterrangebietes umschlungen, liegen im westlichen Korsika und in Sardinien weitere Stücke der karbo- nischen Gebirgsmassen zutage. Europa ist, wie Sueß sich ausdrückt, zum zweiten Male wieder aufgebaut, und es ist merk- würdig, wie sich die Formen der alten in den neuen Gebirgsbogen wiederholen können, so der variszische im karpathischen und der des nördlichen Spaniens in der betischen Kordillere. ö) Die Umformung der Falten- gebirge. Die ursprünglich durch die Fal- tung entstandene Form bleibt den Falten- gebirgen nicht gewahrt, sondern sie wird durch tektonische Vorgänge oder durch die Einwirkung der exogenen Kräfte ver- ändert. aa) Die tektonische Umformung. V. Richthof en nannte Gebirge, deren innerer Bau ausschließlich tangentiale Dislokationen aufweist, homöomorphe, solche, in denen neben tangentialem auch radialer Diastro- phismus auftritt, heteromorphe Falten- gebirge. Es dürfte wenig oder gar keine homöomorphen Gebirge geben, wohl aber treten in manchen Faltengebirgen die Brüche sehr stark zurück, wie z. B. in den West- alpen. Man darf bei der Beurteilung der einzelnen Faltengebirge in dieser Hinsicht nicht vergessen, daß Blätter und Falten- überschiebungen nicht zu den Brüchen gerechnet werden dürfen, weil sie zum tangentialen Dislokationstypus gehören. Blattverschiebungen treten z. B. im Säntis- gebirge, Faltenüberschiebungen in den sub- alpinen Ketten der französischen Alpen massenhaft, auf . Trotzdem können wir viel- leicht gerade das Säntisgebirge als reinen Typus des homöomorphen Gebirges be- trachten, wenn es gestattet ist, einen solchen einzelnen Teil eines zusammengesetzten Ge- birges herauszugreifen. Eine verhältnismäßig geringe Umfor- mung durch Bruch bedeutet die innere Abrißverwerfung am Innenrande der Gebirgs- bogen. Durch sie wird zwar ein Stück des Gebirges versenkt und im allgemeinen der Beobachtung entzogen; aber der Charakter des Faltengebirges erleidet dadurch keine Aenderung. So liegt der südliche Teil der westlichen Alpen, abgesenkt durch eine Verwerfung von bedeutender Sprunghöhe in der Tiefe unter den jungen Anschwem- mungen der Poebene. Die Karpathen sind auf der Innenseite so stark zerbrochen, daß die Wurzeln ihrer Decken (Fig. 22) ganz unbekannt sind. Vom Apennin liegt ein großes Stück unter dem Tyrrhenischen Meer, so daß seine Wurzelregion nur im öst- lichen Korsika sichtbar ist. Diese Verwer- fungen sind natürlich jünger als die Faltung. Man bezeichnet diese Faltengebirge als ,, Faltengebirge mit innerem Ab- bruch". Nachträgliche Brüche — im Vergleich zu zerbrochenen Falten sind gefaltete Brüche äußerst selten (wenn überhaujit sicher beob- achtet) — können ein Faltengebirge der- artig durchsetzen, daß der Faltenbau hinter den Schollenbau zurücktritt. Unrichtig ist es natürlich zu sagen, daß eine Dislokations- form (Faltung) innerhalb eines Gebirges durch eine andere (Brüche) ersetzt wurde. Ein Gebirge, dessen Entstehung durch Faltung bedingt ist, kann nicht in einem anderen Teil durch Verwerfungen hervor- gerufen sein. So sind auch z. B. die Ost- alpen ein Faltengebirge, wenn auch in ihrem dinaridischen Teile die Brüche eine große Rolle spielen. Von Brüchen durchsetzte Faltengebirge werden zerbrochene genannt. Es soll sich bei dieser Kategorie "aber noch nicht um stark zertrümmerte Faltengebirge handeln, die Supan vielmehr in die Kategorie der Faltenschollengebirge einordnet. Diese sind durch Brüche derartig aufgelöst, daß von ihrem ursprünglichen Gebirgskörper nur noch Bruchstücke vorhanden sind, wo- bei aber der Faltenbau den ganzen Charakter noch deutlich beeinflußt. Als Beispiel ließen sich die Antillen anführen, die stehen ge- bliebene Stücke eines Gebirgsbogens sind, oder die nordwestdeutschen Gebirge, aus mesozoischen Sedimenten, deren Bau die Figur 24 schematisch erläutert, während Figur 25 ein Detailprofil aus dieser Gegend I Fig. 24. Schematisches Profil durch zerbrochene (von Verwerfungen durchsetzte) Falten. Nach H. Stille. Fig. 25. Profil aus dem nor(l\v,■st(ll"ul^(•hen Faltenschollengebirgsland. In der Mitte Ver- werfung. Links Teil eines flachen Sattels. Rechts dessen einer Schenkel und Beginn einer Mulde. Nach Stille. Grebirge der Erde 643 darstellt. Es dürfte nicht leicht sein, die einzelnen Vorkommen den bestimmten Typen znzuweisen, zumal wenn man noch die Rumpfschollengebirge besonders abtrennt. Die Ostalpen z. B. sind an ihrem Ostende stark zerbrochen; der Pri-Tian-schansche Graben liegt in der Längsrichtung des öst- lichen Tian-schan, er bildet eine „Längs- scholle". Schollen, die quer zum Streichen der Falten laufen, nennt man Querschollen. ßß ) Die Umformung durch Abtra- gung. Es gibt auf der Erde kein einziges unverletztes Faltengebirge, sondern es sind alle von dem Zerstörungswerk der exogenen Ivräfte in Angriff genommen. Die Unter- schiede liegen nur in dem Grade der Zer- störung, der im allgemeinen von der Zeit- dauer abhängig ist, während welcher die Erosion auf das Gebirge eingewirkt hat. Nach Penck sind die Gebirge Gebiete, in denen die Iirustenbewegung intensiver wirkte als die Destruktion, in denen sich aber die erodierende und akkumulierende Tätigkeit der Flüsse der Krustenbewegung anzupassen oder ihr entgegenzuarbeiten vermochte. Die Faltengebirge werden schon während ihres Aufsteigens von den exogenen Ivräften in Bearbeitung genommen; aber trotz ihrer Tätigkeit setzt sich die Emporhebung durch, so daß sie orographisch zum Ausdruck kommt. Hat die Aufwärtsbewegung des Faltengebirges haltgemacht, so muß die Abtragung sich, wenn jene nicht neu be- ginnt, bis zur Entstehung einer Fastebene vollenden. Auf die Gestaltung der äußeren Form der Faltengebirge hat natürlich der innere Bau und die durch diesen bedingte Gesteins- anordnung einen großen Einfluß, aber im allgemeinen wirken entscheidend die Nieder- schläge,Temperaturunterschiede, das fließende Wasser und das Eis vermöge der Gesteins- verwitterung, Erosion, Schuttausräumung und -ablagerung usw. Gebirge, die mehr oder weniger vergletschert gewesen sind, zeigen ein charakteristisches ,, Glazialrelief" (vgl. den Artikel „Eis"), das den anderen Gebirgen abgeht. Als oberes Denudations- niveau bezeichnet man die Höhe, über die ein Gipfel bei einem gewissen Klima nicht hinauswachsen kann. Die Tatsache, daß in größeren Gebirgs- teilen oft lauter Gipfel von gleicher Höhe auftreten, wird aber auch so gedeutet, daß die Gipfel Ueberreste einer ehemals ge- schlossenen Denudationsfläche sind, wofür spricht, daß die gleiche Gipfelhöhe keine Rücksicht auf die Gesteinsbeschaffenheit nimmt. Besondere Bedeutung für das Problem der Umformung der Gebirge durch Abtragung hat die Frage, ob der Prozeß der Abtragung sich wiederholen kann, indem nach Abschluß einer Abtragung bis zur Ausbildung einer Fastebene nach Hebung dieser letzteren ein neuer Erosionszyklus beginnt (vgl, den Artikel „Flüsse"), wofür die erwähnte Gleichheit der Gipfelhöhen und anderes als beweisend angesehen wird. Die Abtragung von Faltengebirgen bis zu einer Oberfläche mit schwachem Relief läßt sich an vielen alten Faltengebirgen beob- achten, denen gewissermaßen das Haupt fehlt, so daß nur ihr Rumpf übrig geblieben ist. Man nennt sie daher Rumpfgebirge oder Gebirgsrümpfe, auch Abtragungs- gebirge (Fig. 26). Zwischenstadien zwischen Fig.^26. Schematische Ansicht, welche darstellt, wie aus einem Faltengebirge (im Hintergrunde) durch Abtragung ein Rumpfgebirge (im Vorder- grunde) entsteht. Seine Rumpffläche, deren Niveau durch die gestrichelten Linien angedeutet ist, ist durch Flußläufe zerschnitten. Nur die Züge von hartem Gestein ragen empor, wobei der Faltenbau noch zum Ausdruck kommt. (Motiv: Alleghanies.) Nach W. M. Davis und G. Braun. ihnen und den jungen Faltengebirgen nennt man erlöschende Faltengebirge. Ein Rumpfgebirge ist ein bis zu einer Fast- ebene abgetragenes Faltengebirge, das aus dem basalen Erosionsniveau gehoben und mehr oder weniger in seinem früheren Um- fang wiederhergestellt ist. Die Streich- richtung der Falten macht sich häufig noch bemerkbar, schon infolge der zonaren An- ordnung widerstandsfähiger Gesteine. Ein ausgezeichnetes Beispiel für ein Rumpf- gebirge sind die Alleghanies im östlichen Nordamerika (Fig. 27). Ist die Einebnung des Gebirges keine vollständige gewesen, so erheben sich Restberge, Härtlinge(Mo- nadnocks) über die Rumpffläche. Sie bestehen im allgemeinen aus besonders harten Gesteinen, so die Härtlinge des Rheinischen Schiefergebirges aus Basalt (Fig. 28). Ein abgetragenes Faltengebirge ist nur dann als Rumpfgebirge zu bezeichnen, wenn es orographisch als Gebirge erscheint. Der baltische und der kanadische Schild sind altes Faltenland, aber keine Rumpfgebirge. Rumpfgebirge werden von Brüchen eben- 41* 644 Gebira-e der Erde sogut durchsetzt wie iuiige Faltengebirge. Die Brüche können entweder älter sein als die Kumpffläche, so daß sie von dieser ab- gehoben. Das mesozoische, flachgeschichtete Deckgebirge wurde dann abgetragen, so daß das gefaltete Grundgebirge zutage trat \ Karbon Devonischer ry^rr^DEvonischjRr Sandstem. ^luisn sc/iie/br ]Ober-Silur I Unzersilur ^ Schiefer UntersiUir TrentoTL'Eaßcsl Fig. 27. Profil durch ein Rumpfgebirge. Alleghanies, Nordamerika. geschnitten werden, oder sie zerlegen das Eumpfgebirge in einzelne Schollen, die gegeneinander verschoben werden (zer- brochene Eumpfgebirge). Endlich kann eine vollständige Zerstückelung von Fig. 28. Diagramm eines Stückes des Rheinischen Schiefergebirges, eines Rumpfgebirges mit der Rumpffläche im Niveau U, die von einem Härt- ung oder Monadnock (M) überragt wird. T breites, jimgtertiäres Rheintal, G heutiges Rhein- tal. Nach W. M. Davis und G. Braim. Kumpfgebirgen eintreten, so daß Rumpf - Schollengebirge entstehen. In diese Kategorie gehören die mitteldeutschen Ge- birgskerne, d. h. die hochgelegenen Stücke des variszischen Gebirgsbogens (Figur 23), die von den mesozoischen Sedimenten wie von einer Schale umgeben sind. Dieses Gebirge der Steinkohlenperiode war schon am Ende des paläozoischen Zeitalters ab- getragen, wurde dann bis auf einige Stücke (namentlich die rheinische Gebirgsmasse) versenkt, von den mesozoischen Schicht- gesteinen überdeckt und dann später, und zwar die einzelnen Stücke nicht gleichzeitig. und in diesem selbst eine ("mit dei alten nicht identische) Rumpffläche angelegt. Diese Rumpffläche, die z. B. im Rheinischen Schiefergebirge, Harz, Thüringischen Schiefer- gebirge gut erhalten ist, ist anderswo, z. B. im Thüringer Vvald, bereits wieder von der Erosion zerstört. Die Geschichte derartiger Gebirge wie der mitteldeutschen alten Ge- birgskerne ist also eine komplizierte. Zum zweiten Male zu Rümpfen geworden, fallen sie gegenwärtig wiederum der Abtragung an- heim (vgl. Fig. 28). Von Gebirgen mit gewölbten Wasser- scheiden sagt man, daß sie Mittelgebirgs- formen, von solchen mit scharfen, daß sie Hochgebirgsformen besitzen. Es kommt dabei auf die absolute Höhe nicht an. Auch kann dasselbe Gebirge beide Formen neben einander aufweisen. e) Alte und junge Faltengebirge. Tm Laufe der Erdgeschichte sind Faltungs- gebirge zu verschiedenen Zeiten und in ver- schiedenen Gebieten entstanden, derart, daß an jeder Stelle der Erdoberfläche irgend- einmal Faltengebirgsbildung stattgefunden haben dürfte, wenn auch die Gebirge in geographischem Sinne längst abgetragen und dazu noch in späteren Perioden von jüngeren Gesteinen bedeckt sein mögen. Gewisse Perioden der Erdgeschichte, wie die karbonische und die tertiäre, heben sich als Faltungsperioden besonders heraus, wäh- rend uns andere, vielleicht nicht immer mit vollem Rechtj als Zeiten der Ruhe in der Erdkruste erscheinen. Die ältesten Gesteine, Fig. 29. Profil durch die Ueberschiebungszone von Eriboll des kaledonischen Gebirges (nord- westliches schottisches Hochland) in der Gegend des Creag Dionard. Aufbau aus Schubmassen. Die großen Ueberschiebungen sind mit T, die kleineren mit t bezeichnet. Die Namen Meine und Arnaboll sind besonders wichtigen Ueberschiebungen gegeben worden. Die Oberflächen- gestaltung ist das Werk der Erosion, die ein Rumpfgebirge zerschnitten hat. Nach Peach und Hörne. Gebirge der Erde 645 jura Erwähnung. Ein Tafelschollengebirge kann durch Abtragung ein Rumpfschollen- gebirge werden. Dies gilt z. B. vom Thü- ringer Wald (Fig. 31). Dieser ist ein Kamm- gebirge, ein telvtonischer Horst von nordwest- südöstlicher Richtung. Sein innerer Bau ist der eines Faltengebirges. Seine Falten streichen senkrecht zu seinen Grenzen, nämlich von Südw^est nach Nordost. Seine Grenzen sind durch Brüche bedingt. Inso- fern kann man ihn als Scholleiigebirge bezeichnen. Will man aber hervorheben. Stockenrain Fig. 30. Profil durch ein Schollengebirge. Schweizer Tafel- jura. Nach CIoos. das Archaikum, kennen wir überhaupt nicht ungefaltet. Je jünger eine Formation ist, desto eher kann man erwarten, sie ungefaltet anzutreffen. Viele ältere Faltungen machen sich nur in diskordanter Lagerung ihres Deck- gebirges bemerkbar. Der Bau der ältesten Gebirge ist wegen der hochgradigen Meta- morphose und eruptiven Durchdringung ihrer Gesteine oft nur schwer festzustellen. Zu ihnen gehören die Falten des Archaikums im Bereich des baltischen und des kana- dischen Schildes, des australischen Konti- nentes, Brasiliens usw. Jünger sind die Kaledoniden in Nord- westeuropa (Fig. 29) und die Sahariden in Westafrika, näm- lich postsilurisch und präober- silurisch. Große Bedeutung kommt der karbonischen Fal- tung zu, durch die gewaltige Faltengebirgszüge in Mittel- und Südwesteuropa, im östlichen Nordamerika und in Asien geschaffen | daß er ein Stück eines bis auf einen Rumpf wurden. Die jungen Kettengebirge, die j abgetragenen Faltengebirges ist, so wird man im wesentlichen noch ihren Zusammenhang ihn als Rumpf(schollen)gebirge bezeichnen, in großen Systemen haben, und die sich Als die den Horst erzengende Bruchbildung im Bereich der mesozoischen Geosynklinalen, begann, lagen auf den gefalteten Schichten nämlich des alten zentralen Mittelmeeres des Paläozoiknms und auf dem Rotliegenden, (Tethys)undinderUmrandungdespazifischen das im Thüringer Wald so weite Strecken Ozeans erheben, entstammen der Tertiärzeit, einnimmt, noch die flach gelagerten Trias- i und Juraschichten, die erst bei fortdauern- II. Schollengebirge. der Hebung und fortdauernder Abtragung Es sind dies solche Gebirge, die durch Ver- 1 entfernt wnirden. Der Thüringer Wald war werfungen entstanden sind. Der innere Bau ! also damals eine Tafelscholle (ob die der Schollen ist dabei gleichgültig, es kommt Hebung die Form einer Aufwölbung mit nur daranf an, daß die Erhebung, die das i nachfolgendem Abbruch der umgebenden Gebirge darstellt, eine Folge von Bruch- Regionen hatte, möge hier unerörtert bleiben), bildung in der Erdkruste ist. Laufen die Randbrüche eines RumpfschoUen- a) Ihre Form, Gliederung nnd ihrjgebirges quer zum Streichen der alten innerer Bau. Unter den Schollengebirgen Falten, so spricht man von einer Querscholle finden sich Kamm- und Rückengebirge so- (vgl. die Karte Figur 33, auf der zahllose Querschollen erscheinen), bei parallelem Streichen von einer Längsscholle. Schwarz- wie Landstufen. Eigentliche Kettengebirge kommen bei ihnen nicht vor. Tektonisch ist ein Schollengebirge ent- weder ein Horst oder ein Halbhorst oder es besteht aus einer Anzahl gegeneinander verworfener Schollen, von denen die einen höher, die anderen tiefer liegen (Fig. 30). Der innere Bau der Schollengebirge wird einmal durch Richtung und Lage der Schollen, sodann durch die Lage der Schichten inner- halb der einzelnen Schollen bedingt. Ver- werfungen durchsetzen sowohl Schichttafeln (Gebiete flacher Schichtlage) wie anch Falten- gebirgsland. Danach kann man Tafel- schollengebirge und Faltenschollen- gebirge sowie als besonderen Fall der letzteren Gruppe Rumpfschollengebirge unterscheiden. Diese und die Faltenschollen- gebirge haben schon Erwähnung gefunden. Als ausgezeichnetes Beispiel eines Tafel- schollengebirges verdient der von Graben- ! pig. 31. Karte eines Horstgebirges (Thüringer brüchen förmlich zerhackte Schweizer Tafel- \ Wald). 646 Grebirge der Erde wald und Vogesen sind Halbhorste. Sie 1 sind dadurch entstanden, daß eine große Aufwölbung mit zwei Südwest-Nordost streichenden Großsätteln durch den Graben- bruch des Rheintals einbrach, so daß zwei ; Steilränder entstanden, die ihre Front der j oberrheinischen Tiefebene zukehren, so daß j zwei ausgesprochene Gebirgsabfälle vor- handen sind. Von der Höhe der Gebirge ist I die mesozoische Schichtfolge abgetragen, wäh- rend sieh dieselbe an ihren Außenseiten mit sanfter Neigung abdacht. Für die Natur eines Horstgebirges ist es nicht absolut nötig, daß es auf allen Seiten von Brüchen begrenzt wird. Einen Komplex von Schollen bildet das hessische Berglaiid mit dem Meißner, dem Habichtswald usw. Zu den Tafelscholleiigebirgen sind auch von Verwerfungen durchsetzte Eruptivdecken zu rechnen, wie z. B. das isländische Hoch- land, dessen Erhebungen zum Teil Horste sind. Eine Bruch stufe ist eine durch eine rengeti > J' ^\ ;Tj;ir^.^be>ne Fig. 32. Karte der ostafrikanischen Bruchstufe (des südlichen Teils des ostafrikanischen Grabens). Nach H. Mever. Verwerfung erzeugte Landstufe. Gegen die Verwerfungsfront gesehen erscheint sie als ein mauerartiges Gebirge. Man könnte den Westabfall des Schwarzwaldes als eine Bruchstufe bezeichnen, wenn sich das Gebirge nicht auch gegen Osten absenkte. Figur 32 ist eine Karte, auf der die ostafrikanische Bruchstufe, eine einseitige Fortsetzung des ostafrikanischen Grabens, dargestellt ist. Eng verwandt ist mit der Bruchstufe die Flexurstufe. Beide zusammen kann man als „tektonische Stufen" bezeichnen, im Gegensatz zur Erosionsstufe. Flexur- stufen finden sich auf den Plateaus des westlichen Nordamerika. So senkt sich z. B. das Kaibabplateau mit einer solchen zur Marble Cauon-Platte. Die Gliederung der Schollengebirge er- folgt nach Tiefenlinien, die entweder ein Werk der Erosion oder tektonischer Vor- gänge sind. ß) Schollengebirgssysteme. Schollen- gebirge verknüpfen sich im allgemeinen nicht in der Weise wie Faltengebirge, die, geogra- phisch verschieden und durch sekundäre Vorgänge voneinander getrennt, oft, wie z. B. die einzelnen Abschnitte der Alpiden, nur äußerlich getrennte Teile eines Ganzen sind, zu Gebirgssystemen. Doch kann man auch Schollengebirge, die eine überein- stimmende erdgeschichtliche Entwickelung durchgemacht haben und benachbart sind, in Systeme zusammenfassen. Die Gebirgs- rümpfe Deutschlands z. B., die empor- getragene Stücke des variszischen Bogens darstellen, können mit Recht das System der variszischen Rümpfe genannt werden. Die Gebirge z. B., die den Graben der ober- rheinischen Tiefebene flankieren, bezeichnet man als das oberrheinische Gebirgssystem. Die jungen nordwestdeutschen Faltenzüge werden wohl das „nordwestliche System" genannt. Hier ist die gemeinsame Richtung das Motiv für die Zusammenfassung. y) Die Umformung der Schollen- gebirge. Die Umformung der Schollen- gebirge findet durch Abtragung statt. Die- selbe erniedrigt die Hochschollen, unter Um- ständen bis zum Niveau der Tiefschollen, oder trägt auch noch von diesen etwas ab. Ob die Abtragung erst einsetzt, wenn die Verwerfungen vollendet sind, oder aber schon während der Entstehung der Verwerfungen im annähernd gleichen Tempo mit dieser, hängt von der Geschwindigkeit der beiden Vorgänge ab, die man nur schwer ermitteln kann. Bruchstufen können verebnet werden, indem der Steilabfall rückwärts wittert und zuletzt die Stufe ganz abgetragen wird. Verwerfungen, oft von bedeutendem Aus- maß, die durch keine anderen Zeichen an der Erdoberfläche erkannt werden, als das un- mittelbare Aneinanderstoßen stratigraphisch Gebim-e der Erde 647 verschiedener Elemente (sogenannte geebnete Verhältnis der Schollen manchmal umgekehrt, Verwerfungen), sind allgemein verbreitet so daß Horste morphologisch Hohlformen, (vgl. Fig. 33). Vielfach handelt es sich Gräben Kämme bilden. Darauf beziehen hier um abgetragene Schollengebirge. Durch sich Bezeichnungen, wie Horstkamm und die Abtragung wird das tektonische Lage- Grabenkamm. Silur. Cuirn Granitit Diabas. Kersantit JüngRanc/forma- JiA. tionen, Di/uyium Alluv Fig. 33. jGeologische Uebersichtskarte] des ^Oberharzes, der, selbst ein [Rumpfschollengebirge (Stück des variszischen Rumpf gebirges), von 'zahllosen Brüchen durchsetzt wird (auf denen viel- ^fach Erzgänge [„Züge"] auftreten). Die Brüche streichen senkrecht zu den alten Falten. 648 Gfebii'ii-e der Erde d) Alte und junge Schollengebirge. Wie es ältere und jüngere Faltenbildungen gibt, so auch erdgeschichtlich ältere und jüngere Brüche und damit auch Schollen- gebirge. Verwerfungen mit erhaltener Bruch- stufe sind im allgemeinen jünger als geebnete Verwerfungen. Vielfach sind Brüche von Tausenden von Metern Sprunghöhe im Ge- lände völlig unsichtbar, während sie doch wahrscheinlich ursprünglich sehr bedeutende Niveau differenzen bedingten. Solche ältere, nachher von jüngeren Sedimenten über- deckte Brüche kennt man z. B. aus dem Basler Tafeljura, aus dem Eggegebirge. Alte Tafelschollengebirge sind aber im Vergleich zu alten Faltengebirgen, die Eumpfschollen- gebirge eingerechnet, selten und nur von geringer Bedeutung. 2c) Erosionsgebirge. Es gibt weder Falten- noch Schollengebirge, die von der Erosion gänzlich verschont geblieben sind, und es fragt sich sogar, ob solche jemals im Laufe ihrer Entwickelung existiert haben. Alle tektonischen und dazu noch die vulka- nischen (abgesehen von den ganz frischen vulkanischen) Gebirge sind insofern erodierte Gebirge. Wenn man von den tektonischen und vulkanischen Gebirgen eine besondere Gruppe der Erosionsgebirge abtrennt, so kann man in diese nur solche Gebirge ein- reihen, die ihren Abfall ausschließlich der Erosion verdanken. Durch Ausräumung entstanden sind sie das gerade Gegenteil der durch Aufschüttung entstandenen Vul- kangebirge. Die äußeren Formen der Erosionsgebirge sind: die Landstufe, das Plateau-, das Kamm- und das Rückengebirge. Die ausschließlich durch die Erosion geschaffene Landstufe heißt im Gegensatz zu der durch tektonische Vorgänge ge- schaffenen Bruch- und Flexurstufc Denu- dationsstufe (Fig. 34). Beispiel dafür ist ..^K A Fig. 34. Erosionsstufe und Zeugenberg. die Schwäbische Alb, ferner der Ostabfall des skandinavischen Hochgebirges, dessen innere Struktur zwar Deckenbau aufweist, das aber seine Erscheinung als Gebirge auf seiner Ostseite nur der Erosion verdankt. Als Glint bezeichnet man die aus paläozoi- schen Gesteinen bestehende Denudations- stufe an der Ostgrenze des baltischen Schildes auf der Linie Weißes Meer — Onegasee^ Ladogasee — Finnischer Meerbusen. Vor einer Denudationsstufe liegen oft Einzelberge, nämlich von der Erosion noch nicht ab- getragene, aber durch einen Einschnitt von der Landstufe getrennte Stücke dieser letzteren (Fig. 34). Man nennt diese Berge Zeugen- berge. Der Name kommt nicht davon, daß diese Berge die ehemals größere Ausdehnung der Landstufe bezeugen, sondern von einer unrichtigen Uebersetzung des französischen ,,temoin" = Meßpfeiler. Ein Zeugenberg vor der Schwäbischen Alb ist der Hohenstaufen. Eine Denudationsstufe in schräg gestellten Schichten erzeugt ein Kammgebirge (Mono- klinalrücken; vgl. Fig. 35). Ein Schicht- stufengebirge (= Erosionsstufe) von be- sonderem Charakter ist die Schwelle, die aus der Vereinigung zweier einander zu- gekehrten Steilabfälie entsteht. Beispiel: die Schwelle von Artois, die aus den Fort- setzungen der den Weald im südöstlichen England begrenzenden Denudationsstufen North Downs und South Downs durch Zu- sammentritt hervorgeht. Schichtstufen- gebirge, die ihre Stufen in einer flachen Synklinale voneinander abkehren, ver- schmelzen rückwärts zu einer sanft ein- gesenkten Tafel, solche in einer flachen Anti- klinale zu einer Tafel mit sanft aufgewölbter Mitte. Erosionsgebirge von Plateaugebirgs- charakter entstehen durch Hebung einer Tafel (oder eines Gebirgsrumpfes), wodurch ihre Wasserläufe gezwungen werden, sich ein- zuschneiden. Es bildet sich auf diese Weise ein zertaltes Hochplateau aus, dessen Beste zwischen den Tälern immer schmäler wer- den. Diese Entstehung hat z. B. das Berg- land des mittleren Saaletales zwischen dem Thüringischen Schiefergebirge und dem Thüringer Becken. Durch sehr reichliche Schluchtenbildung ausgezeichnet sind die sogenannten Bad Lands in der zentralen Fig. 35. Profil durch zwei Erosionskammgebirge. 1 Dogger, 2 bis 5 Malm, 6 bis 8 unter« Kreide, 2 besteht aus widerstandsfähigen Kalken, 6 aus ebensolchen Sandsteinen. Nach Stille. Gebirge der Erde 649 Schichttafel der Vereinigten Staaten von ]S^ordamerika. D. Die geographische Verteilung der Gebirge. Die Zahl der Gebirge (in geologischem und geographischem Sinne) auf der Erde ist so groß, daß der hier zur Verfügung stehende Raum die vollständige Aufzählung aller kaum gestatten würde. Es kann daher hier nur ein Ueberblick über die Anordnung der größeren und wichtigeren Gruppen von Gebirgen gegeben werden, wobei wir uns im wesentlichen an die von E. Sueß ge- schaffene Einteilung halten. Die älteste Gebirgsfaltung Eurasiens ist die archäisch-(-proterozoische?) des ..alten Scheitels" Eurasiens. Dieser um- faßt das sibirische Gebirgsland vom Baikal- see ostwärts, nämlich ganz Sabaikalien bis zum Großen Chingan, eingerechnet das Hochland am Witim und am Patom, ferner Prismorkii Chrebet, die südlich des Baikals gelegene Gebirgsmasse, den Ost-Sajan, den Großen oder Gobi-Altai und das Gebiet der Gobi südwärts bis in die Gegend von Iche Ude. Oestlich des Amphitheaters von Irkutsk streichen die Falten dieses alten, vorkam- brisch abgetragenen Gebirges in Nordnord- ost- (der,, baikalischen"), westlich desselben in Nordnordwest- (der „sajanischen") Richtung. Brüche lösen es in Horste und Gräben auf. Der westliche Teil des Scheitels reicht, in Westsibirien durch flachgeschiclitete jüngere Ablagerungen der Beobachtung vielfach ent- zogen, nach Europa hinein, und bildet die Unterlage der russischen Tafel, unter der er im podolischen Horst einerseits, andererseits im ,, baltischen Schild" sichtbar wird. Auch hier ist Nordnordweststreichen herrschend und diesem folgt auch der jungpaläozoische Ural, ein Faltengebirge, dem in seiner ge- waltigen meridionalen 'Erstreckung in Eur- asien am ersten der Große Chingan ver- glichen werden kann. Er stellt eine posthume Faltung auf dem alten Scheitel dar. Wie dieser im pomorischen Gebiet Nordnordost- und im Granulitzug des Enarasees bogenför- miges Streichen erkennen läßt, so wendet der Ural sich vom Töll-poß ab nordnordöstlich und findet eine bogenförmige Fortsetzung in der Linie Pae-Choi— Novaja-Semlja, während sich die Kulisse des Timan über Kanin Noß in den nördlichsten Teil von Skandinavien erstreckt. Ueber den baltischen Schild tritt von Westen her das kaledonische Gebirge. Sein Ueberschiebungsbau (Fig. 29) ist postsilurisch und prädevonisch, seine heutige Erscheinungsform (skandinavisches Hoch- gebirge, schottisches Hochland) rumpf- gebirgisch, sein Ostrand (wie der des Ural) eine Erosionsstufe. Während die Ueberschie- I bungen in Skandinavien nach Südosten gerichtet sind, ist ihre Richtung im nord- westliclien Schottland (Zone von Eriboll) nordwestlich. Diese Verschiedenheit gibt dem kaledonischen Gebirge eine Sonder- stellung unter den (sonst einseitig gebauten) Ueberschiebungsgebirgen. Eine der bedeutendsten Faltungsepochen der Erdgeschichte ist die karbonische. In Asien gehen diese Faltungen vom Russischen Altai aus, der vom alten Scheitel durch das „Zwischenstück von Minussinsk" getrennt wird. E. Sueß unterscheidet die westlichen und die östlichen ,,Altaiden". Zu den west- lichen gehören die mit westnordwestlicher bis nordwestlicher Richtung vordringenden Ketten wie Tarbagatai, Dsungarischer Alatau, Tien-schan. Während in Europa die tertiäre Faltung räumlich von der karbonischen ge- schieden erscheint, ist in Asien auch in den äl- teren Gebirgen jüngere Bewegung noch be- merkbar und die jüngeren (rel)irge wie Hindu- kusch-Kaukasus schließen sich in ihrer Rich- tung an die älteren Altaiden an. Die asiatische Gebirgsbewegung tritt auf den Linien Großer Altai — Donetzbecken, Hindukusch — Kauka- sus und Tauriden— Dinariden nach Europa hinein. In ihrer nach Norden gerichteten Be- wegung stehen die karbonischen Faltengebirge Europas im Gegensatz zu den asiatischen, die nach Süden gefaltet sind. Trotzdem rechnet E. Sueß den variszischen und den armorikanischen Gebirgsbogen, die Falten des spanischen Meseta und die korsardinische Masse zu den Altaiden. In diesem Gebirgssystem sind große Einbrüche erfolgt, und innerhalb des Rahmens dieser Senkungsfelder sind als ,, posthume Altaiden" die bis auf den Atlas nordwärts gefalteten Alpiden entstanden, die Europa gewisser- maßen zum zweiten Male und nach ähn- lichem Grundplan (vgl. z. B. den varis- zischen und den Karpathenbogen) auf- bauen. Ein Stück der Alpiden liegt in Afrika. Auch karbonische Faltenzüge finden sich in diesem Kontinente in den ,, afrika- nischen Altaiden", südlich des Atlas. In der westlichen Sahara endlich bilden die Sah ariden ein Gegenstück zu den Kaledo- niden. sind aber etwas älter als diese. Was sich an Gebirgen im Hauptkörper von Afrika sonst findet,ist teils Bruch- (Ränder derGräben in Ostafrika), teils Erosions-, teils vulka- nisches (Kamerun, Ostafrika) Gebirge und nur im äußersten Süden des Erdteils er- scheint wieder Faltengebirge, nämlich das Kapgebirge, bestehend aus C^edar-, Zwarte- und Pondolandgebirge, drei Ketten, die gegen das Tafelland der Karru gefaltet sind und zwar wahrscheinlich wie die Altaiden in vorpermischer Zeit. Die vom Altai herabfließenden Erd- wellen werden im Westen durch den Jarkend- 650 Gebirge der Erde — Gebirgsbildung bogen oder West-Kuen-lun geliemmt. Mit diesem beginnen die jungen Faltengebirgs- ketten, die Tibet erfüllen und mit dem peripherischen Bogen des Himalaya bis an die Grenze des Gondwanalandes heran- treten, dem ferner Afrika außer dem Atlas und dem Kapgebirge sowie die uralten Massen Brasiliens und der größere Teil des australischen Kontinentes angehören. Die Verlängerung: des Tian-schan nach Osten bildet den Bei-shan, der von Tscholtag und Kuruk-tag eingefaßt ist. An das Ende des letzteren tritt der San-sjan-tsi, die nord- östlichste Kette des Jarkendbogens. Dieser zwingt die Ketten des südöstlich folgenden Nan-schan, sich seiner Kichtung anzu- schließen, nämlich aus der Nordwest- in die Südwestrichtung umzubiegen. Im Osten staut die alte Masse der Landschaft Ordos diese östlichen Altaiden, die, gleichfalls vom Himalaya aufgestaut, dann aber sich unter gleichzeitiger Erniedrigung verbreiternd, ihre Faltenzüge durch die hinterindische Halbinsel senden, die Sundainseln und Philip- pinen durchziehen. Vom Ostrande des alten Scheitels bis an die Küste und bis nach Sachalin, ja bis zu den Bonininseln und den Marianen, folgen Gebirgsbogen aufeinander, innerhalb deren eine Grenze nicht anzugeben ist und deren äußere immer jüngere Gesteine in ihre Faltung einbeziehen. Ein Teil von ihnen konvergiert gegen das Ochotskische Meer („Ochotiden"), andere bilden die ostasiatischen Inselkränze, auf die sich vielfach vullcanische Gebirge aufsetzen. Auf eine ähnliche Anfügung immer jüngerer Bogen an einen alten Scheitel ist vielleicht der Bauplan des australischen Kontinentes mit seinen karbonisch gefalteten ,, australischen Alpen" und den vor- gelagerten, große Bogen bildenden Insel- zügen (,,Oceaniden') zurückzuführen. Letztere sind hochgradig zerbrochene, die australischen Alpen zum Kumpfgebirge ab- getragene Faltengebirge. Von den jüngeren Bogen am besten erhalten sind die südlichen Alpen Neuseelands. Die Alaskiden, die über die Aleuten den asiatischen mit dem nordamerikanischen Kontinent in Verbindung setzen, tragen die Merkmale der peripherischen Bogen Asiens. E. Sueß rechnet auch die Kocky Mountains noch zum asiatischen Bau, während die Anden mit den kalifornischen Coast Ranges beginnen, um dann den Westen des amerika- nischen Gesamtkontinentes zu durchziehen. An ihrem Aufbau nehmen granodioritische Massen einen hervorragenden Anteil. Der Antillenbogen bedeutet ein Vortreten der Kordillere, und nach Ansicht mancher Forscher wäre auch der Uebergang des Gebirges aus Feuerland in Grahamland ein bogenförmiger. Während sich in diesem Teil von Antarktika ein Faltengebirge er- hebt, ist das Gebirge des Süd-Viktorialandes ein Erosionsgebirge, zum Teil mit Vulkanen. Die Appalachen des östlichen Nord- amerika gehören derselben Faltungsperiode wie die Altaiden an und sind als transatlan- tische Fortsetzung des armorikanischenBogens angesprochen worden. Wie dieser sind sie Kumpfgebirge. Sie und die Rocky Mountains schließen Laurentia, ein Gebiet archäischer und algonkischer Gebirgsfaltung ein, das auch Grönland umfaßt und vielleicht bis ins nordwestlichste Schottland reicht, wo es von den Kaledoniden überschoben wird. Literatur. Davis und Braun, Grundzüge der Physiogeographie, S. 1S2 bis 167, 1911. — Hand- buch der regionalen Geologie, herausgegeben von G. Stein mann und O. Wilckens, seit 1908. — H. V. Lendenfeld, Die Hochgebirge der Erde, 1899. — A. Penck, Morphologie der Erdoberfläche, Bd. II, S. U? bis 20S, 327 bis U7, 1894. — i. rhilipjison, Euro^m, 2. Aufl., 1906. — H. Stille, Zonares Wandeim der Gebirgsbildung , 2. Jahresbericht des niedersächs. geol. Ver., S. §4 bis 48, 1909. — -E. Suess, Das Antlitz der Erde, 188511909. — A. Supan, Grund säge der physischen Erdkunde, 5. Aufl., 1911. — O. Wilckens, Grundzüge der tek- tonischen Geologie, 1912. O. Wilckens. Gebirgsbildung. 1. Einteilung. 2. Ursachen der Gebirgs- bildung. a. Vulkanische Gebirge. b. Ab- tragungsgebirge, c. Dislokationsgebirge. 3. Ex- perimentelle Untersuchungen. I. Einteilung der Gebirge. Die Gebirge kann man als Erhebun<;en über die Meeres- oberfläche oder über this Geoid, die ausge- glichene Erdoberfläche, definieren. Je nach der Gegend wird man schon kleinere oder erst größere Höhen und Höhenzüge als selbstän- dige Gebirge gelten lassen. Im allgemeinen wird man Gebirge die Erhebungen mit einer mittleren Höhe von etwa 300 m ab nennen. Der Geologe wird andererseits, wenn starke Faltungen da sind, auch sehr kleine Hügel und Ketten als Gebirge bezeichnen, die geographisch kaum Beachtung verdienen. Die höchsten Hügel die im Mittel etwa 4000 m = 4 km haben, sind immer noch sehr klein verglichen mit dem Erdradius von 6860 km, dagegen schon recht gut vergleichbar mit der Dicke der festen Kruste von 80 bis 120 km. Ihrer Entstehung nach kann man der Dar- stellung,^ von E. Kays er folgend die Gebirge einteilen in: a. Vulkanische Gebirge, b. Ab- tragungsgebirge, c. Dislokationsgebirge. Gebir2rsV)ilduni 651 2. Ursachen der Gebirgsbildung. a. Vulkanische Gebirge. Die Entstehungs- ursacho der vulkanischen Gebirge ist das Emporquellen von vulkanischem Gestein und die Aufhäufung vulkanischen Materials (Tuffe usw.). Die Vulkane oder Vulkanreihen können sehr hoch, z. B. in Mexiko bis zu 5600 m Höhe, sich erheben. Die Ursache des Emiiorqiu'llcns der Gesteine und des Auswerfens kh'iiuT (resleintrümmer ist noch nicht sicher festgestellt. Man sucht sie in dem Auftrieb durch Gase, die aus den sich abkühlenden oder erstarrenden Gesteins- massen frei werden, in Differenzen des spezifischen Gewichtes, in Dislokationen be- nachbarter Gebiete u. a. (vgl. den Artikel ,, Vulkanmus"). b. Abtragungsgebirge. Die A b - tragungsgebirge gliedert E. Kayser in 2 Klassen: 1) die Erosionsgebirge, wie z. B. die Rhön. Dort hat das fließende Wasser durch das Ausgraben von Tälern erhebliche Höhendifferenzen und somit Ge- birge geschaffen. 2) Denudationsgebirge. Diese entstehen dadurch, daß bei gleich- mäßiger Abtragung eines Gebietes durch Verwitterung und fließendes Wasser nur die widerstandsfähigeren Schichten stehen bleiben, so auf der Schwäbischen Alb. c. Dislokationsgebirge. Die Dis- lokationsgebirge werden seit Alters in Bruch- und Schollengebirge einer- seits und Faltengebirge andererseits ein- geteilt. Die Bildung dieser durch tektonische Ursachen entstandenen Gebirgszüge zu er- klären, hat seit Bestehen ihrer Wissenschaft die Geologen beschäftigt. Werner, der Be- gründer des genlogischen Systems am Ende des 18. Jahihunderts luilun für alle Gebirge dieselbe Entstehung an, wie wir sie oben für die Abtragungsgebirge angegeben haben. Die Erforschung der Gebirgsketten durch H. de Saussure, Dolomieu, L. v. Buch, A. Escher u. a. im Anfang des 19. Jahr- hunderts wies dann auf andere Ursachen hin. Die „Pluto nisten", die in der inneren Erdwärme und den geschmolzenen Massen der Tiefe die Ursache aller Veränderung an der Erdoberfläche sahen, schrieben auch die Gebirgsketten einer Auftreibung der von unten nach oben dringenden flüssigen Ge- steinsmassen zu. Der berühmte französische Forscher E. de Beaumont hat wohl zuerst etwa 1830 den tektonischen Charakter der großen Gebirgsketten erkannt. Er hat auch schon die Zusammenziehung der Erde in- folge der Abkühlung des Erdinnern als Ur- sache angegeben. Er nahm an, daß jeweils plötzlich, mit einem Ruck, die Schale sich auf den zusammengeschrumpften Kern legt, und hierbei Stücke derselben sich übereinander schieben und zu Gebirgen aufgerichtet werden. Diese Zertrümmerung der Erdkruste sollte hauptsächlich auf bestimmten Linien eines Pentagonalnetzes erfolgen, und dadurch wären die Richtungen der Gebirgsketten, Spalten usw. bestimmt. Diese Lehre ist später von L. Green 1873, von A. Daubree 1860, von Michel Levy und neuerdings von W. Deecke 1910 angewandt und umgeändert worden; es dürfte ihr ein richtiger Kern zutirunde liegen, der allmäh- lich herausgeschält wird. Diese Annahmen würden die Tatsache erklären, daß Gebirgs- bildung wiederholt an derselben Stelle der Erdoberfläche stattfand. — Die Ansicht von E. de Beaumont von einer plötzlichen Aufrichtung der Gebirge ist aber bald ver- lassen worden. Hoff , Lyell, Prevost (1830 bis 1850) sahen in diesen gewaltigen Er- scheinungen nur die Summierung von vielen kleinen Einzelwirkungen. Die Bruch- und Schollengebirge denkt man sich heute wohl allgemein sowohl durch Hebungen und Senkungen, die langsam und kontinuierlich vor sich gehen, und dann durch rascher entstehende Brüche und Verwerfungen bedingt. Die großen Hochplateaus sind wohl nur durch die langsamen Bewegungen ge- bildet. Wir wissen (vgl. den Artikel ,, Niveau- verschiebungen"), daß z. B. Skandinavien sich in den letzten Jahrtausenden langsam, im Norden stärker, im Süden schwächer, aus dem Meere wie ein gewölbtes Schild (nach de Geer) hebt. Andererseits sind große Teile von Norddeutschland , von England, von den Vereinigten Staaten in langsamem Sinken relativ zum Meer begriffen. An anderen Teilen der Erde, wie wir aus Beobachtungen an dem berühmten Serapis- tenipel in Pozzuoli bei Neapel wissen, finden selbst in der kurzen Zeit der menschlichen Geschichte Hebungen und Senkungen ab- wechselnd statt. Die diskontinuierlichen mehr oder minder vertikal gerichteten Verschiebungen der Erd- kruste haben die Horstgebirge, wie z. B. Schwarzwald, Kyffhäuser, bedingt. Die- selben Ursachen haben auch die Küsten- meere, wie das Mittelmeer, Adriatische Meer, und die kleineren Randgebirge in der Um- gebung geschaffen. Ausgezeichnet klar und eingehend hat alle diese Probleme 1885 E. Sueß in seinem berühmten Werk „Das Antlitz der Erde", Bd. I vom Standpunkt des Geologen auseinandergesetzt. Man findet in diesem Werk die ganze geologische Literatur, die induktiv zur Lösung der Pro- bleme dienen kann. Die mehr theoretische geologische Literatur gibt E. Reyer in seiner „Theoretischen Geologie". Die Gebirgsbildung wurde am Anfang des 19. Jahrhunderts durch A. von Humboldt, L. v. Buch im Zusammenhang mit dem Aufdringen von Magma, feuerflüssigem Gestein, gebracht. Es ist auch kein Zweifel, daß in den früheren 652 Gebii'gsbildun£ Perioden der Erdgeschichte z. B. bei der ober- devonischen und karbonischen Gebirgsbildung Gesteinsmassen als Gneise, als Tiefengesteine und Ergußgesteine aufgedrungen sind. Doch dürfte dies eher, wie schon 1819 Breislak und später viele andere zeigten, eine Begleit- erscheinung als eine Ursache der Gebirgs- bildung gewesen sein. In den tertiären Faltengebirgen fehlen gleichzeitige Eruptiv- gesteine zwar nicht immer, sind aber keines- wegs die Regel. Die großen neuen Absen- kungen, wie die des Mittelmeeres und an der Küste des Stillen Ozeanes, werden vielfach und wohl mit Recht in Zusammenhang mit den dort sich erhebenden Vulkanreihen ge- bracht. Doch läßt sich auch da nicht sicher angeben, ob das Aufdringen der Eruptiva Ursache oder Folge ist. Wie tief die Erdkruste durch die Gebirgs- bildung beeinflußt wird, ist noch ganz un- sicher. Nach den bisherigen Beobachtungen scheint die Wirkung von Faltungen und Ueberschiebungen sich vielfach in große Tiefen zu erstrecken. Die Verwerfungen und Brüche scheinen sich dagegen nach der Tiefe wieder auszugleichen. Die zeitlichen Vorgänge der Faltung können vielleicht nach A. Geikie, A. Stille u. a. in 2 Teile zerlegt werden: 1. in lange andauernde Perioden, von kontinuierlichem seitlichen Druck; hierbei entstehen die flachen Falten von größtem Ausmaß; und 2. in kurze Perioden von gesteigertem seitlichen Druck, innerhalb deren die eigentlichen Falten- gebirge entstehen. — Man kann ferner wohl annehmen, daß die Brüche und Verwerfungen vielfach nach einer Periode starker Gebirgs- bildung auftreten; sie entsprechen einer Zerrung und Dehnung der Kjuste. Die eigentlichen Ketten- oder Faltengebirge sind im wesentlichen durch tangentiale Bewe- gungen und nach der Auffassung von E. Sueß oft durch Zusammenwirken von horizontalen und vertikalen Drucken und Bewegungen gebildet. Die einzelnen Gesteinsschichten sind, wie man schon seit etwa 100 Jahren an- nimmt, durch Falten (vgl. den Artikel ,, S c h i c h t e n b a u " ) und wie seit etwa 20 Jahren nach dem Vorgang von M. Bertrand (1887) angenommen wird, durch Ueberschiebungen, durch Decken- bildung, zu Gebirgen aufeinander gehäuft worden. Als eigentliche primäre Ursache gilt meist (1795 H. de Saussure) die Zusammenschiebung der Erdkruste, verur- sacht durch Verminderung des Erdvolumens, Zusammenziehung des inneren Kernes. Im einzelnen gehen über den Vorgang selbst die Ansichten noch sehr auseinander, 0. Ampfer er hat 1906 auf die Schwierigkeiten aufmerksam gemacht, welche die Annahme einer starken Zusammenziehung der Erd- ki'uste nur an einzelnen Stellen bieten würde. Man wird deshalb gedrängt an- zunehmen, daß gleichzeitig rings um die ganze Erde eine Gebirgsbildung stattgefun- ^ den hat. Auf die Alpen käme nach einer älteren Schätzung (1878) von A. Heim, die auch durch die neuere Deckentheorie kaum herabgedrückt werden kann, eine Zusammen- ziehung von 120 km, auf die Appalachian- Berge nach Claypole (1885) 75 km, auf die Coast Range in Kalifornien nach Le Conte etwa 8 km. — Nehmen wir an, daß rings um die Erde im Mittel eine Verkürzung der Ober- fläche um 50 km stattgefunden habe, so muß der Erdradius um 8 km kleiner geworden sein. Sowohl bezüglich der Falten- wie der Bruchgebirge besteht die Anschauung, daß ihr Platz nicht im Lauf der Erd- geschichte beliebig gewechselt hat, sondern an bestimmte Stellen gebunden war (vgl. den Artikel „Gebirge der Erde"). Was diese Stellen auszeichnet, ist allerdings noch nicht ganz klar festgestellt. Viele Forscher waren und sind der Ansicht, daß die Ozeane von jeher bestanden haben und daß auch die Gebirge im wesentlichen seit Ur beginn in denselben Teilen der Erde liegen. Anderer- seits hat auch die Anschauung viel Anklang I gefunden, daß die Geosynklinalen, das sind die Gebiete stärkster Senkung mit Mulden- I faltung (vgl. den Artikel „Schichtenbau"), j wie die Tiefen der Ozeane, später gerade j die stärksten Gebirgsbildungen und Er- hebungen zeigen. James Hall (1859), E. Sueß (1875), I. D. Dana (1873), Le Conte haben dargelegt, daß gerade in den Faltengebirgen die Sedimente in großer Mächtigkeit und gleichmäßiger Folge ab- gelagert worden sind. E. Hang hat 1894 diese Lehre von der Gebirgsbildung in Geosynklinalen weiter ausgebildet; er unterscheidet 1. neritische Sedimente, die geringe Dicke und wechselnde Facies, Zusammensetzung, besitzen, und die Küsten- oder kontinentale Bildungen wären; 2. bathyale SedinuMite, das sind Bildungen der Meerestiefe von großer Mächtigkeit und gleichmäßiger Beschaffenheit. — Man wird aber wohl eher annehmen müssen, daß die Gebirgsbildung randlich an den Küsten (in weitem Ausmaß verstanden) der großen, seit jeher bestehenden Ozeane erfolgt, und daß die gewaltigen Sedimentsmächtigkeiten, die, wie mehrere Forscher hervorheben, nicht auf Tiefsee, sondern auf Flachsee deuten, durch ein langsames Absinken der Küste erfolgte, das so lange weiter ging, bis die Gebirgs- bildung ihr ein Ende machte. Man muß auch beachten, daß meist gerade im Kern der großen Gebirgszüge die jüngeren Sedimente fehlen, und kaum stets deshalb, weil sie durch Erosion weggeschafft wurden. Ferner zeigen gerade die wichtigsten Gebirgszüge eine seit alters vielfach wiederholte Auf- Gebkgsbüdimg- 653 2 richtung-. Daher sind wohl bestimmte Linien und Züge der Erdl^ruste seit Anfang an weniger widerstandsfähig und auf ihnen können sich die Spannungen der Kruste ausgleichen. Die allgemeinen primären Ursachen der Gebirgsbildung sind nicht sicher bekannt. Am meisten war und ist wohl die Anschauung verbreitet, daß die allmähliche Abkühlung des Erdinnern und seine Erstarrung eine Schrumpfung und Zusammenziehung der inneren Erdkugel bewirkt (Lei bniz,Breislak (1819), E. de Beaumont (1829). Die äußere Schale, das Gewölbe der festen Erdkruste, liegt dann nicht mehr auf dem Erdinnern fes't auf^ oder exakter, die elastische Gegen- kraft, mit der das Erdinnere die feste Kruste stützt, wird etwas geringer. Das bedingt ein Zusammenbrechen, und dies wieder eine Zusammenschiebung der Erdkruste, die sich der kleineren Oberfläche des erkalteten Kernes anpassen muß. Diese Anschauung ist in neuerer Zeit namentlich von Dana, Heim und Sueß vertreten worden. Mit den damit zusammenhängenden mathema- tischen Problemen haben sich neuerdings G. H. Darwin, 0. Fisher, M. T. Reade, M. Davison, C. Chree, A. E. H. Lo ve u. a. beschäftigt. Die Frage, ob in einer gewissen geringen Tiefe in der festen Erdkruste eine eteeßfreie Zone, die weder Ausdehnung noch Zusammendrückung erfährt, existiert, ist viel diskutiert aber nicht entschieden. Eine von obigen Ansichten scheinbar recht verschiedene Anschauung ist von Hall, Hut- ton, Dutton, Reyer, M. Bertrand, 0. Ampferer, Lukacewitsch u. a. ausein- andergesetzt worden. Danach schwimmen die einzelnen Teile der festen Erdlvruste auf dem feuerflüssigen Kern und tauchen um so tiefer in ihn ein, je höher die Er- hebungen über der Meeresoberfläche, oder über dem Geoid an dieser Stelle sind. Die Kontinentalsockel würden demnach tiefer in das feuerflüssige Gestein reichen, und andererseits würde unter den Ozeanen die Dicke der festen Erdkruste eine geringere sein. Da das geschmolzene Gestein des Erdinnern höchst wahrscheinlich ein höheres spezifisches Gewicht hat als die feste Erdkruste , so erklären sich auch da- durch die Schwereanomalien, die größeren und kleineren Werte der Schwerkraft an verschiedenen Orten (vgl. den Artikel „Schwere"). Man muß aber, da eine derartige einzelne Säule der Erdkruste unter ihrem eigenen Gewichte zertrümmert würde, eine gegenseitige Verzahnung aller dieser Säulen annehmen. Man kommt daher schließlich zu einer Auffassung, die im wesentlichen eine kontinuierliche zusammenhängende Erd- kruste ergibt, wie sie den Untersuchungen von G. H. Darwin und den oben genannten Forschern entspricht. Die innere Begrenzung der Erdkruste auf dem Magma kann also nur ein sehr abgeschwächtes Abbild der ober- flächlichen Begrenzung sein. Inwieweit die Auffassung zutrifft, daß im wesentlichen die Bewegungen des Untergrundes j des feurigflüssigen Kernes^ auf die Erdkruste wirken und Gebirgsbildungcn verursachen, läßt sich noch gar nicht beurteilen. Man kann mit Sicherheit nur so viel sagen, daß eine allmähliche Verdickung der Erdkruste im Laufe der geologischen Perio- den stattgefunden hat, und daß im Zusammen- hang damit die Gebirgsbildung sich all- mählich auf immer schmälere Stellen der Erdkruste beschränkt, daß sie vielleicht aber dafür an diesen Stellen um so Isräftiger ist. Welches die Druckverteilung in der festen Erdkruste ist, hängt von Annahmen ab, die insbesondere von Chamberlin und Salisbury übersichtlich und exakt disku- tiert werden. Man hat aber auch, Descartes, Ludwig (1853), Babbage (1881), Rever (1888), M. T. Reade (1886), eine Ausdehnung der Erdkruste als gebirgsbildend angenommen. Das Aufsteigen der Geoisothermen, die Er- höhung der Temperatur, bei der Ausfüllung und allmählichen Versenkung der Sedimente in den Geosynklinalen soll sie verursacht haben. Doch scheint mir, daß man hierdurch wohl nur Brüche oder Verwerfungen, die durch Zerrung der oberen Erdkruste ent- stehen, nicht aber Faltungen usw. erklären könnte. Die schon vorher kurz erörterte Lehre von der Isostasie der im Mittel gleich- mäßigen Verteilung der Schwerkraftswir- kungen haben insbesondere Dutton und M. Bertrand zur Erklärung der Gebirgs- bildung herangezogen. E. Reyer (1892), dann H. Schardt, A. Penck u. a. haben in dem Abgleiten von Schichten auf geneigten, also ungleichmäßig gehobenen Teilen " der Erdkruste einen wesentlichen Faktor der Gebirgsbildung, insbesondere bei den Ueberschiebungen er- blickt. Doch ist das Abgleiten wohl mehr eine lokale Erscheinung. Neuerdings (1912) hat dann R. Lachmann in Differenzen des spezifischen Gewichts die Bewegungs- ursachen für die Faltung von Salzlager- stätten gesucht, und diese Auffassung auch auf die "Gebirgsbildung übertragen. Die Kristallisationskraft des Magmas ist auch als gebirgsbildende Kraft ange- sprochen worden; aber die ganz wesent- liche Frage, ob bei den großen Drucken in der Tiefe das Volumen des festen Gesteines kleiner oder größer ist als das des flüssigen, ist noch unentschieden (vgl. den Artikel ,, Erdinneres"). j Auch kosmische, außerhalb der Erde im 1 Weltenraum gelesfene Ursachen wurden zur 654 Gebü-gsbüdung Erklärung herangezogen, so die von Mond und Sonne verursachte Ebbe und Fhit im feuerflüssigen Erdinnern und ihre Wir- kung auf die Kruste, die Verlangsamung der Erdrotation, die direkte oder indirekte Wir- kung von Gestirnen, die einmal die Erdbahn gekreuzt hätten usw. Zusammenfassend kann man wohl sagen, daß die Beobachtungen in der Natur kaum hinreichen, um über die primären Ursachen der Gebirgsbildung sicheren Aufschluß zu geben. Die Kombination von Kontraktions- und Isostasieliypotliese scheint mir vor- läufig am wahrscheinlichsten. 3. Experimentelle Untersuchungen. Man hat schon seit langem das Experiment zur Hilfe genommen, um auf dem Wege, den die exakten Naturwissenschaften einschlagen, die Zahl der möglichen Hypothesen einzu- schränken und einzelne genauer zu fassen. Im Anschluß an die Theorie der Erde von J. Hutton hat 1812 J. Hall das Experiment zur Widerlegung von Zweifeln an den Ausführungen Huttons zur Hilfe genommen. Er hat einen Faltungsapparat konstruiert, bei dem durch Schrauben ein seitlicher Druck auf Tonschichten und ver- schieden gefärbte Tuchlager ausgeübt, die Schichten von oben her durch ein Brett am Ausweichen verhindert wurden. A. Daubree hat 1870 derartige Versuche in größerem Maße wieder aufgenommen; er hat die ver- änderte Theorie von E. de Beaumont durch Torsion von Gips- und Spiegelglas- platten, auf denen regelmäßige Risse ent- standen, zu stützen gesucht. Daubree hat ferner die Versuche von Hall wiederholt; er hat gezeigt, wie man die Zerreißung und Streckung von Belemniten (Versteinerung) in derselben Weise, wie wir sie z. B. in einigen Sedimenten der Alpen sehen, durch den Versuch nachmachen kann. A. Favre hat 1878 dann Versuche mit Tonschichten, die auf gedehnten Gummi- bändern angebracht waren, und so bei Nachlassen der Spannung verkürzt werden konnten, und andere Nachahmungen des Faltenprozesses vorgenommen. Fr. Pfaff hat 1880 das Verhalten plasti- scher Massen bei seitlichem Druck durch Schrauben untersucht. H. Seh ar dt hat 1884 härtere und weichere Schichten in Wechsellagerung verwandt, und die Anordnung von Favre mit dem sich zusammenziehenden Gummiband ge- wählt. Einen wesentlichen Fortschritt haben die Versuche von H. M. Cadeil (1888), der die Schichten auf einer stark beweglichen Unterlage anbrachte, sonst wie Hall verfuhr, und ferner die Experimente von E. Key er gebracht. B. Willis hat 1893, um den Bau der Appalachian-Bergketten zu erklären, viele Versuche mit genau diskutierten Versuchs- bedingungen gemacht, wobei er insbesondere zum erstenmal genau berücksichtigt, daß die Schichten eine so geringe Festigkeit besitzen, daß sie in horizontaler Lage ihre eigene Last nicht tragen können. Er nimmt, um diese Bedingung gut verwirklichen zu können, einen starken, aber gleichmäßigen Be- •lastungsdruck an. Es sei noch kurz auf die Apparate zur Demonstration von tektonischen Erschei- nungen von G. Linck, von W. Deecke, von J. Blaas hingewiesen. Nach dem etwas veränderten Prinzip von Favre h^t neuer- dings 1913 C. Rimbach auf einem Gummi- ball, der mit Sandschichten überzogen war, die Kontraktion der Erdkruste nachgemacht. Er hat auch durch Veränderung des Feuchtig- keitsgehaltes Sandschichten verschiedener Festigkeit hergestellt, und diese zwischen Glasplatten gestaucht, dem Verhalten 1 schwacher Stellen der Erdki-uste zwischen festen, seit alters unveränderten Schollen entsprechend. ! W. Paulcke hat 1912 mit Versuchen in großem Maßstab, bei denen der Be- lastungsdruck von oben lokal verändert werden konnte, ganz wesentliche Fortschritte erzielt. Er hat auch durch eine sorgfältige Vergleichung seiner im großen Maßstab ei-- haltenen Modelle mit den Gebirgen in der i Natur, Alpen, Schweizer Jura u. a. wesent- 1 lieh zur Klärung der tektonischen Fragen bei- getragen und in einem Buch seine und seiner [ Vorgänger Versuche eingehend erörtert. Neuerdings 1913 haben J. Koenigsberger und 0. Morath die theoretischen Grund- lagen der experimentellen Tektonik mathe- matisch abgeleitet. Sie haben gezeigt, wie, [ je nach der Größe des Modelies, alle einzelnen Eigenschaften der Schichten, die man zur I Nachbildung der Natur verwendet, beschaffen I sein müssen. Sie haben ferner bewiesen, daß I alle Eigenschaften genau durch den Maß- stab des Modells bestimmt sind, und im voraus berechnet werden können und haben einige Versuche im kleinen durchgeführt. — Die Versuche mit Modellen der experimen- tellen Tektonik können und müssen, wie gezeigt wurde, gerade so genau angestellt werden, wie die schon lange technisch ver- werteten Experimente mit Modellen im Schiffsbau und bei der Luftschiffahrt. Bekannt sind die Eigenseliaften der Gesteine: unsicher oder unbekannt die Art der wir- kenden Kräfte und die Zeitdauer. Erhalten wir im Modell Bilder, die der Natur ent- sprechen, so können wir dann umgekehrt schließen, daß die Kräfte in der Natur die analoge Größe und Richtung besaßen, wie wir sie beim Experiment angewandt haben. Gebirgsbildung — Gedächtnis 655 Literatur. Von der sehr umfangreichen Literutur seien nur einige .Abhandlungen, sowie einige Handbücher erwähnt, in denen man Hinweise auf die OriginaUiteratnr findet, und zwar nur von 1875 ab, du mif dir früheren doch nur der Spezijilforscher ZK ii(il: schaffen worden ist und viel geringere An- 668 Gedächtnis fangsstärke besessen hat. Aber aus dieser Gleichheit der Präsenzstärke in diesem Mo- ment darf nicht eine Gleichheit des weiteren Verlaufes der Abfallkurve erwartet werden, vielmehr zeigt sich von da ab bei der älteren Association der weitere Abfall viel langsamer als bei der jüngeren, da diese noch im Stadium des rascheren Abfalls sich befindet, dagegen die ältere bereits im Stadium des langsamen (Inhalt des IL Jo st' sehen Satzes). Wenn die Disposition nicht mehr im- stande ist, ihren Vorstellungsinhalt zu ge- winnen, mit anderen Worten: wenn wir nicht mehr imstande sind, ein Erinnerungsbild zu reproduzieren, dann reden wir von Vergessen. Aber daß damit die Disposition noch keines- wegs leistungsunfähig geworden ist, ersieht man daraus, daß wir Gegenstände, von denen wir uns längst kein Vorstellungsbild mehr machen konnten, doch noch wiederzuerkennen vermögen. Der Punkt, von welchem an auch dies nicht mehr möglich ist, ist der Endpunkt der meßbaren Dauer einer Disposition. Wie lange sie aber noch weiter im psychischen Leben wirksam ist, wenn auch unbemerkt, entzieht sich selbstverständlich der Fest- stellung. Immerhin wäre es etwas kühn, aus der Form der Kurve des Vergessens und aus der Tatsache, daß viele Erinnerungen durch das ganze Leben eines Menschen sich erhalten, mit Herbart zu schließen, daß die Dispositionen niemals völlig unwirksam werden können. Nur insofern niemals eine ab- solute restitutio ad integrum eintreten kann, ist ihre, wenngleich wirkungslose, Fortdauer eine logische Forderung. Dieser Abfall der Dispositionen zieht sich natürlich um so langsamer hin, je höher die Anfangs- bezw. Maximalstärke einer Dis- position war bei Gleiclilieit der übrigen Um- stände oder je öfter im Laufe der Zeit die Dispositionen durch Betätigung neu gestärkt worden sind. Daraus erklärt sich auch die klinische Erfahrung (Kußmaul), daß Eigen- namen und Konkreta, die im Denken oft durch die Objektvorstellungen ersetzt wer- den, rascher vergessen werden als Abstrakta, Zeitwörter und Adjektiva oder gar die in ihrer Zahl so beschränkten Partikelu, daß stereotype Redewendungen und Grußformeln sowie "die stets mit Affekt gesprochenen Flüche und andere Interjektionen sich trotz dem durch die geistige Erkrankung beschleu- nigten Vergessen so lange erhalten und daß bei retrograder progressiver Amnesie die jüngst erworbenen Dispositionen am ersten verloren gehen. So sind in diesem klinischen Bilde nur die Erscheinungen der normalen Schwächung der Dispositionen vergrößert. Wenn dagegen bei plötzlichem Chock, wie bei Sturz usw., die Ereignisse der letzten Stunden vergessen werden, so ist das nicht aus den eben besprochenen Prinzipien zu erklären, sondern aus der Tatsache, daß die Vorgänge noch einige Zeit perseve- rieren müssen, bis sie nachhaltige Spuren zurücklassen und dem übrigen geistigen Besitz sich eingliedern. Diese Einwurzelung wird in solchen Fällen gestört. In Fällen, wo bei Genesung die entschwundenen Er- innerungen wiederkehren, und zwar in der umgekehrten Reihenfolge ihres Verschwin- dens, die ältesten zuerst, die jüngst erworbenen zuletzt, lag nicht eine Schädigung der Dis- positionen vor, sondern nur eine Hemmung ihrer Wirksamkeit. Endlich bedingt auch das Lebens- alter einen Unterschied nicht nur, wie schon erwähnt, dadurch, daß unter gleichen Bedingungen der Einprägungswert geringer ist, also gleiche Anfangsstärke langsamer erreicht wird, sondern noch viel mehr hin- ; sichtlich der Dauerhaftigkeit. Bei gleicher Anfangsstärke fallen die im höheren Alter I erworbenen Dispositionen rascher ab als die I in der Zeit der besten Kraft gewonnenen j (Altersvergeßlichkeit). Verstärkt zeigt sich j dieses Symptom bei der senilen Demenz i und Paralyse. Die früher erworbenen und häufiger geübten Dispositionen bleiben daneben aber mehr oder weniger in Wirksam- keit; daher das sogenannte gute Gedächtnis vieler alter Leute für ihre Jugenderlebnisse. 4. Betätigung der Dispositionen (Re- produktion). 4a) Wiedererkennen und Erinnern. Die Dispositionen, ihr Entstehen, ihre Neustärkung, ihr Vergehen: das ist die eine Seite des Gedächtnisses. Die andere Seite ist die Betätigung oder die Wirk- samkeit dieser Dispositionen als ■Vorstellen, Reproduktion, Erinnern, i Wiedererkennen. Da die Dispositionen latente oder ruhende Bestimmtheiten der Psyche sind, so bedürfen sie einer Einwir- kung, durch die sie aus diesem Zustande der Latenz geweckt werden. Sie müssen durch einen Reiz oder psychischen Vorgang (Reizkomponente — Erdmann; Reproduk- tionsmotiv — Külpe, Messer, Dürr; ekphorischer Reiz — Semon) angeregt (ekphoriert) werden. Das kann eine Empfin- dung, Wahrnehmung, kurz ein psychischer Vorgang sein, der jenem ersten, der die Dis- position gestiftet hat, gleich ist, so daß wir glauben, wir hätten den nämlichen Gegen- stand wieder vor uns, wie beim Wieder- erkennen (adäquate Anregung), oder ein jenem ungleichartiger, welcher auf Grund irgendeiner assoziativen Beziehung die Dis- position anregt, weckt, wie beim Erinnern, beim bloßen Vorstellen und Phantasieren, beim Denken (inadäquate Anregung). Beim Wiedererkennen steht im Vor- dergrund des Bewußtseins das Urteil, daß der wahrgenommene oder wiedervorgestellte Gegenstand oder Vorgang von mir schon Gedächtnis 669 einmal wahrgenommen, erlebt oder vorgestellt worden ist, daß der Gegenstand, der jetzt vor mir steht, nnmerisch identisch ist einem frühe- ren oder daß der vor mir sich abspielende Vor- gang wenigstens qualitativ identisch ist einem bestimmten früheren. Im Wiedererkennen richtet sich also mein Blick auf etwas Gegen- wärtiges. Das wirkliche oder scheinbare Identitätsurteil tritt zurück beim Erinnern und — das ist das Entscheidende — das- jenige, dessen ich mich erinnere, ist nie etwas in der "Wahrnehmung oder Empfindung Ge- gebenes, nie ein gegenwärtiger Inhalt als solcher. Im Erinnern richtet sich also mein Blick auf etwas Vergangenes, freilich etwas Vergangenes, das von mir selbst erlebt worden ist. Darum sagt ein heute lebender Erwach- sener: Ich erinnere mich an den Krieg von 1870, aber nicht: ich erinnere mich an den Krieg von 1813/14. Im Wiedererkennen spielen in der Regel zwei Vorgänge zu- sammen, der vom Gegenstand ausgehende Wahrnehmungs- oder Empfindungs Vorgang und die damit zugleich hervorgerufene Er- regung der Dispositidii. Diese l)eiden qualitativ sich sehr ähiüiclieii realpsychischen Vorgänge verschmelzen. Nicht aber kann es sich handeln um Inhalte, wieviele glauben. Denn nicht nur, daß der Vorstellungsinhalt neben dem Wahrnehmungsinhalt beim Wieder- erkennen nicht beobachtet wird, wenngleich beide nebeneinander im Bewußtsein gegeben sein können, erkennen wir oft auch Gegen- stände wieder schon lange, bevor wir sie uns vorstellen können, und noch lange, nach- dem wir die Fähigkeit verloren haben sie uns zu vergegenwärtigen, und endlich auch solche, von denen wir uns meist überhaupt keine Vorstellungsbilder machen können, wie Ge- rüche und Geschmäcke. Die Verschmelzung kommt uns als Gefühl zum Bewußtsein als eine eigentümliche, unverkennbare Fär- bung, welche das Wiedererkennen oder den wiedererkannten Gegenstand regelmäßig be- gleitet. Diese eigenartige Färbung hat erst- mals Hoff ding eingehender behandelt und als Bekannt hei tsqualität bezeichnet. Hoff ding, Bourdon u. a. betrachten diese Bekanntheitsqualität jedoch nur als das gefühlsmäßige Innewerden der durch Mit- wirkung der Disposition bewirkten Erleichte- rung des Wahrnehmungsaktes. Dann müßte das Bekanntheitsgefühl um so stärker wer- den, je bekannter ein Gegenstand ist. Bei Münzen und anderen täglichen Gebrauchs- gegenständen tritt aber dieses Gefühl zurück, freilich ohne daß deshalb diese Gegenstände uns fremd erscheinen. Und in Zuständen be- schleunigten Vorstellungsablaufes (Fieber, Aufregung usw.) müßten dann auch unbe- kannte Gegenstände bekannt erscheinen, wie in Zuständen mühsam sich vollziehenden Vorstellens (Ermüdung, Depression, ver- schiedene Krankheiten) alle unbekannt, auch die bekanntesten. Beides trifft nicht zu. Somit ist das Bekanntheitsgefühl kein Gefühl der Erleichterung des Ablaufes eines psychi- schen Vorganges, wenn auch letzteres ein häufiger Begleiter des Wiedererkennens ist und damit als ein Zeichen dienen kann für die Bekaiintheit eines Gegenstandes. — Beim Wiedererkennen werden vielfach assoziierte Dispositionen mit- oder vorhererregt und gelegentlich treten auch entsprechende Vor- stellungen auf, welche dann das Wieder- erkennen zu bewirken scheinen, so wenn wir eine im Moment nicht wiedererkannte Person erst, nachdem uns ihr Name einfällt, wieder- erkennen (mittelbares Wiedererkennen im Gegensatze zum unmittelbaren d. h. sich sofort einstellenden). Als das gefühlsmäßige Innewerden solcher unter der Bewußtseins- schwelle verlaufender assoziativ angeregter psychischer Vorgänge sehen Wundt, Leh- mann, James u. a. die Bekanntheitsqualität an. Wohl spielen solche meist mit, aber sie können, wie das Experiment lehrt (Gamble) und Lehmann selbst gelegentlich beob- achtete, vorhanden sein, ohne daß das Be- kanntheitsgefühl entsteht. — Es wird uns also kaum etwas anderes übrig bleiben, als in der Bekanntheitsqualität vornehmlich das gefühlsmäßige Innewerden jenes Verschmel- zungsprozesses der realpsychischen Vorgänge zu sehen, zugleich aber zuzugeben, daß auch jene anderen Gefühle als Bekanntheits- zeichen und damit als Bekanntheitsgefühl auftreten können. Aber damit ist nicht viel gewonnen. Daß diese Qualität eben die Qualität der Bekanntheit ist, daß sie das Zeichen der Wiederkehr von schon früher Erlebtem ist, muß erst erkannt werden. Ohne diese Deutung ist sie ein Gefühl, das einen Inhalt begleitet, wie andere Gefühle auch. Wie das Individuum zu dieser Deutung kommt, ist ein neues Problem. Natorp, Cornelius, Volkelt u. a. nehmen es als eine nicht weiter auflösbare, also letzte Bewußtseinstatsache hin, daß sich unter solchen Umständen das Bekanntheits- oder Wiedererkennungsurteil einstellt. Diesen Verzicht auf einen Erklärungsversuch braucht man aber nicht mitzumachen, wenn man sich bewußt bleibt, daß das Bewußtsein des Erlebens (Aktbewußtsein) jeden Bewußt- seinsakt begleitet und annimmt, daß im Wiedererkennen das Bewußtsein des erst- maligen Erlebens reproduziert wird. In diesem Wiederaufsteigen des früheren Erlebnisbewußtseins neben dem Bewußt- sein des gegenwärtigen Erlebens müssen wir das Wesen des Wiedererkennens sehen. Mit der Bekanntheitsqualität, welche ein Bewußtseinsergebnis und ein realpsychischer Vorgang ist, darf nicht verwechselt werden die Bekannt hei t als die Möglichkeit des 670 Gedächtnis Wiedererkannt-werdens oder als die be- sprochenen, im Subjekt liegenden, unbe- wußten mehr oder weniger dauernden psy- chischen Bedingungen für ein Wieder- erkennen (Wiedererkennungsdisposition — Fischer). Als solche ist sie eine variable Größe. Sie nimmt normalerweise ab mit der Zunahme des Zeitabstandes vom Erleben. Sie ist bei kleinen Kindern und bei alten Leuten von kürzerer Dauer als bei der heranwachsen- den Jugend und beim Erwachsenen. Sie kann verloren gehen in Kranklieiten (Seelen- blindheit, Amnesie), so daß dem Ivranken alles neu erscheint, auch in Fällen, wo er die Gegenstände nach Aufforderung sich vor- stellen und beschreiben kann. Es ist hier wohl die Anregung der Disposition durch die Wahrnehmung und damit das mit der Disposition verbundene Bewußtsein des früheren Erlebens ausgeblieben. DasBekannt- heitsbewußtsein kann sich umgekehrt auch einstellen gegenüber neuen Objekten (Para- mnesie, Erinnerungsfälschung, fausse re- connaissance). Es scheint hier ein Disso- ziationsvorgang vorzuliegen. Das noch un- bekannte Objekt ist neu nur in der Zusammen- ordnung seiner Teile; diese selbst hingegen sind längst bekannt. Solange die von dem früheren Erlebnisse herrührenden Assozia- tionen, durch welche das Erinnerungsbild zusammengehalten wird, noch. wirksam sind, besteht zwischen diesem und dem neuen Gegenstand d. h. der neuen Anordnung der an sich bekannten Teile ein Gegensatz. Dieser schwindet, sowie diese Assoziationen unwirksam werden, die Teile sich dissoziieren. Und damit ist die Voraussetzung gegeben für die Entstehung des Bekanntheitsbewußt- seins (Lipps). Von anderen Erklärungs- versuchen sei hier abgesehen. 4 b) Reproduktion durch Aehnlich- keit und durch Kontrast. Neben der adäquaten und der inadäquaten Anregung kommt noch eine dritte der ersten nahe- stehende Form in Betracht. Die Disposition kann angeregt werden auch durch einen psy- chischen Vorgang, der dem sie stiftenden nicht gleich, sondern nur ähnlich ist. So vermag auch eine Nuance von Rot, die ich nie gesehen habe, die Farbenbezeichnung ,,rot" auszulösen. Das den mir bekannten Nuancen nur ähnliche und mir noch neue Rot erregt die Dispositionen der Rot-Vorstel- lungen und durch diese die mit ihnen asso- ziierte Disposition des Wortes ,,rot". Das- selbe liegt vor, wenn das unechte Veilchen- parfüm aus Iris florentina mich an Veilchen erinnert, nicht nur das echte, wenn ich einen Buchstaben auch in einer mir bisher unbe- kannten Form richtig erkenne und lese (Anregbarkeitsbreite der Dispositio- nen). Wenn dabei neben das Bild des ge- sehenen Buchstaben dasjenige des ihm nur ähnlichen und längst bekannten tritt, so haben wir Reproduktion auf Grund der Aehnlichkeit, die bei einem anderen Be- griff von Assoziation als Aehnlichkeitsasso- ziation bezeichnet wird. Seit Plato und Aristoteles als eine der Hauptformen von den meisten Psychologen verteidigt, ja zur Grundlage der Assoziation überhaupt ge- macht (Hoff ding), wurde sie in neuerer Zeit vielfach bestritten und auf Berührungs- assoziation zurückgeführt (Lotze, Bain, J. Mill, Ebbinghaus, Külpe, Lehmann u. a.). — Wir haben jedoch zwei Arten von Aehnlichkeit zu unterscheiden. Die eine besteht in der Gleichheit einzelner Be- standteile oder Merkmale bei Un- gleichheit der übrigen; so sind ähnlich rote und schwarze Quadrate, Kreise verschie- dener Größe, blaue Iris und gelbe Iris, blaue Iris und blauer Eisenhut, Photographie und Original, gleich hohe Töne ungleicher Stimmfarbe oder ungleicher Stärke usw. In diesem Falle werden, wenn der eine Kom- plex erregt ist, von dem gemeinsamen Ele- ment aus die mit ihm assoziierten Bestand- teile eines anderen Komplexes reproduziert. Das ist nun allerdingsReproduktion auf Grund der Berührungsassoziation. Auf diese lassen sich die meisten Fälle von sogenannter Aehn- lichkeitsreproduktion zurückführen, aber doch nicht alle, weil es auch noch eine andere Ai't von Aehnlicldveit gibt. Aehnlich sind Hellrot und Duiüvelrot, Kakaobraun und Kaffeebraun, hohe Töne gleicher Stärke und Tonfarbe, Bitter des Wermuts und des Kakaos, Duft des Veilchens und der Wurzel von Iris florentina, die Ellipse und der Kreis, Kühle und Kälte usw. Hier sind es nicht einzelne völlig gleiche Bestandteile der Kom- plexe, um derentwillen diese Inhaltskomplexe bezw. die in ihnen gedachten Dinge als ähnlich bezeichnet werden, sondern auch die überein- stimmenden Bestandteile oder Merkmale selbst oder einfache Eindrücke als Ganze sind nicht gleich, sondern nur ähnlich (qua- litative Nachbarschaft, Lipps). Durch mehr oder weniger Zwischenstufen gleichen Charakters läßt sich aber vom einen zum anderen ein Uebergang finden und die von mir vorgefundene Verschiedenheit beurteile ich nur als ein Mehr oder Weniger der gleichen Qualität. Diese Uebereinstimmung der Be- wußtseinsinhalte ist natürlich nur das Sym- ptom der Uebereinstimmung der zugrunde- liegenden realpsychischen Vorgänge, die wir bisher schon als das eigentlich Entscheidende erkannt haben. Und für solche, allerdings viel weniger häufige, Fälle von Reproduktion bleibt nichts anderes übrig als die Annahme, daß eine Disposition für einen bestimmten psychischen Vorgang auch durch einen diesem nur ähnlichen ohne Assoziation in Mit- erregung versetzt werden kann dank ihrer Gedächtnis 671 Anregbarkeitsbreite, gleich als ob sie nicht nur auf eine dem stiftenden Vorgang gleiche, sondern auch auf eine nur ähnliche Erregung abgestimmt wäre (Gesetz der psychischen Resonanz — Offner; ähn- lich V. Kries). — Es braucht kaum weiter ausgeführt zu werden, daß, wenn einmal ein psychischer Vorgang einen anderen auf Grund" der Aehnlichkeit hervorgerufen hat, sich dann zwischen ihren Dispositionen auch eine Assoziation bildet, so daß künftighin zwei Reproduktionstendenzen bestehen, von denen wenigstens die eine, die Assoziation, durch jede Wiederholung stärker wird. Ob auch die andere, ist nicht erwiesen. Als Gegenstück zur Reproduktion durch Aehnlichkeit wird oft, ebenfalls schon seit Aristoteles, die Reproduktion auf Grund des Kontrastes betrachtet. Indes handelt es sich hier nur um einen Fall von Aehnlichkeit. Nur gleichartige Erlebnisse können miteinander in Kontrast treten. Farbe mit Farbe, Gefühl mit Gefühl, eine außerordentlich schlechte Tat und eine außer- ordentlich edle Tat usw. Die Beobach- tung freilich scheint eine echte Reproduktion auf Grund solchen Kontrastes selten genug vorzufinden, wie denn ihr Vorkommen von manchen Forschern, wie Lotze und Wundt, völlig in Abrede gestellt wird. Was gelegent- lich als solche angeführt wird, wie die Repro- duktion des Wortes ,, Riese" auf das Wort ,, Zwerg", „weiß" auf ,, schwarz", ,,alt" auf ,,iung", ,, Himmel" auf ,, Hölle" usw., sind weiter nichts als landläufige, also durch häufigen Gebrauch stark assoziierte Gegen- satzwörter, deren Gegensatzverhältnis sie allerdings heraushebt und dadurch die Asso- ziation verstärkt (vgl. oben 3 c, rj). 4c) Sogenannte mittelbare Repro- duktion und freisteigende Inhalte. Gleichviel in welcher Form die Dispositions- anregung vor sich geht, sie ist immer eine Wirkung von Disposition zu Disposition, also stets unmittelbar. Die sich auf Bewußt- seinsinhalte beschränkende phänomeno- logische Betrachtungsweise konstatiert aber auch, daß nicht nur ein Glied a das der gleichen Reihe (Komplex) angehörige Glied c oder d erweckt, ohne daß das Glied b re- produziert wird (Formel: a [b] c), sondern daß auch ein Glied a ein Glied c einer an- deren Reihe (Komplex) reproduziert, mit dem es nie zugleich im Bewußtsein gewesen ist noch im Verhältnis der Aehnlichkeit steht, sofern nur die beiden Reihen (Komplexe) ein Glied b gemeinsam haben (Formel: a[b] — [b]c). Script ure hat diese sogenannte mittelbareReproduktion erstmals experi- mentell untersucht und festgestellt, und gleich ihm treten für sie ein Messer, Jung, Riklin u. a., während andere so wenig sichere Fälle zu beobachten vermochten, daß sie ihre Existenz überhaupt leugnen (Münster- berg u. a.). Manche (Wundt, Kiesow u. a.) lehnen sie insofern ab, als sie ein nur schein- bares Ueberspringen der Mittelglieder an- nehmen, indem sie diese nicht für unbewußt gelten lassen, sondern nur als unbemerkt, als nicht oder nur dunkel apperzipiert. In ' der Tat, ein wirkliches Ueberspringen des gänzlich ausgeschalteten Zwischengliedes ohne Vorhandensein direkter Verbindungen wäre ein psychologisches Rätsel, das man von jenem Standpunkt aus, der Psychisch und Bewußt gleichsetzt, nur lösen kann, wenn man das Vorkommen solcher Fälle von Reproduktion überhaupt leugnet oder aber das Mittelglied für nicht unbewußt an- sieht. Beiden! widerspricht die Beobachtung. Wenn man sich aber erinnert, daß das psychische Leben viel weiter reicht als das ßewußtseinsleben, so löst sich die Schwierig- keit durch die Annahme, daß das Zwischen- glied nur unterschwellig angeregt ist und die Erregung weitergegeben hat. So haben wir eine Dispositionsanregung oder Re- produktion durch unbewußt bleibende Zwischenglieder. Auf diesem Wege werden auch die so- genannten freisteigenden Vorstellungen oder Inhalte verständlich, bei denen asso- ziative oder Aehnlichkeitsbeziehungen mit dem übrigen Bewußtseinsinhalt sich auf- zeigen lassen. Sie sind aber meist nur „schein- bar freisteigend"; nicht selten treten später die Zusammenhänge zutage. — Auch ein lang perseverierender psychischer Vorgang kann, wenn andere Gedanken uns nicht mehr beschäftigen, die Bewußtseinsschwelle wieder überschreiten, wobei dann sein Inhalt als fremdes Element erscheint. Solche perse- verierende psychische Vorgänge dürfen wir in Herbarts freisteigenden Vorstellungen er- kennen.—Selbst zentrale, durch Blutumlauf, Ernährung usw. veranlaßte unbewußte Vor- gänge mögen unter Umständen Anlaß geben zur Entstehung einer dem Bewußtseins- zusammenhang fremden Vorstellung. 4d) Bedingungen der Dispositions- anregung. Damit die Disposition zur Wirksamkeit angeregt werden kann, gleich- viel in welcher Form, müssen gewisse Bedin- gungen erfüllt sein. a) Dauer und Intensität des an- regenden Vorganges. So muß vor allem der anregende Vorgang eine gewisse In- tensität und auch eine gewisse Dauer be- sitzen. Ein Gegenstand, der mir von einer befreundeten Person geschenkt worden ist, erinnert mich, wenn ich ihn wahrnehme, lebhafter an sie und an gemeinsame Er- lebnisse als nur die Vergegenwärtigung des Namens. Und denselben Bekannten, den ich im raschen Vorübereilen nicht erkenne, 672 (Tedächtnis erkenne ich sofort und selbst sein Name fällt mir ein, wenn ich ihn ein paar Augenblicke länger sehe. Was ist das aufmerksame Be- sinnen, das auch oft zum Erinnern führt, anders als ein längeres Festhalten eines Gedankens, um die mit diesem verbundenen anderen Gedanken zu wecken? Uebrigens genügt schon geringere Intensität des an- regenden Vorganges, wenn die Dispositionen stark sind. Der Lehrer, welcher den Lehrstoff wohl inne hat, versteht sofort die leisesten Einflüsterungen, mit denen die Schüler ihrem aufgerufenen Mitschüler, der die Auf- gabe schlecht gelernt hat, umsonst zu helfen suchen. ß) Dispositionsstärke. Es muß also auch die Disposition eine gewisse Stärke haben, damit der in ihr ausgelöste Er- regungszustand den zugehörigen Inhalt zur Folge hat. Ihre Stärke macht sich be- sonders bemerkbar in der Schnelligkeit, mit der dieser Inhalt sich einstellt. Je stärker sie ist, um so kürzer ist die Reproduktions- zeit. Darum hat von Silbenreihen mit gleicher Wiederholungszahl, also gleicher Anfangsstärke, aber mit ungleichem Alter die jüngere eine kürzere durchschnittliche Reproduktionszeit(Müller und Pilzecker 54), weil größere Präsenzstärke. Darum werden die geläufigen Wörter rascher reproduziert als weniger geläufige d. h. von einem Individuum oder in einem Sprachgebiet weniger oft gebrauchte (Kräpelin, Wundt; Geläufigkeitsgesetz von Marbe und Thumb); dauert das Lesen eines Wortes um so länger, je weniger geläufig es uns ist oder je weniger wir die Sprache beherrschen, zu der es gehört (Cat- tell). Und Reihen von geläufigen Silben und Wörtern werden nach gleich langem Lernen, also bei gleich starken Assoziationen, rascher reproduziert, geben mehr Treffer mit kürzerer Trefferzeit als Reihen von weniger bekannten Silben und Wörtern (Ephrussi 167). Endlich gehört hierher die bekannte Tatsache, daß wir die Zahlenreihe, das Einmaleins, eine Regentenreihe usw. rückwärts langsamer hersagen als in der rechten Richtung d. h. daß eine Assoziation rückläufig die Erregung langsamer weiterleitet (vgl. oben S. G59 , .Einseitigkeit der Assoziation"). y) Wiederholung des anregenden Vorganges. Ein psychischer Vorgang, wel- cher das erstemal die Disposition nicht zu merkbarer Wirksamkeit zu bringen ver- mochte, erreicht es nicht selten durch Wiederholung. So kann Wiederholung der ersten paar geläufigeren Zeilen tleni Stock- enden zum Rezitieren der nächstfolgenden, Wiederholung der Frage manchmal dem Gefragten zur Antwort verhelfen, im nor- malen Leben wie in pathologischen Fällen (Rieger). In allen diesen Fällen ist es ein Ansammeln der psychischen Erregung in der Disposition, durch welche die Disposition zur Wirksamkeit gebracht wird. ö)Geistige und körperliche Gesamt- lage. Es ist klar, daß alle Umstände, welche die psychische Erregung fördern, wie ge- wisse Narkotika, heitere Stimmung, Begeiste- rung, anscheinend auch die Manie (bestritten von Aschaffenburg und Liepmann), ferner Zustände, wie geistige und körperliche Frische, günstiger Ernährungszustand, welche die Entstehung der psychischen Kjaft be- günstigen oder doch wenigstens ihre An- eignung durch die einzelnen Vorgänge er- leichtern, der Anregung der Dispositionen günstig sind; man denke an das mehr oder weniger beschleunigte Tempo des Gedanken- ablaufes und die Frische und Fülle der zu- strömenden Vorstellungen in diesem Zu- stande. Und es ist nicht minder klar, daß alle Umstände, welche die psychische Er- regung hemmen, *als beruhigende und ein- schläfernde Medikamente, gedrückte Stim- mung, Angst, Befaniienheit, Langeweile, melancholische Depression usw., und solche, welche die Bildung psychischer Kraft beein- trächtigen, wie Ermüdung durch geistige und körperliche Arbeit, ungenügencle Er- nährung, Sauerstoffmangel, Ivi-ankheit u. dgl. ihr ungünstig sind, was die Armut an Gedan- ken und der schlaffe Vorstellungsablauf in diesen Zuständen deutlich zeigen. Als erster hat Mo SSO die vorübergehende Abnahme der Leistungsfähigkeit der psychischen Dispo- sitionen infolge geistiger und körperlicher Ermüdung — analog- der Abnahme der körper- lichen Arbeitsfähigkeit — genauer erforscht. Seit Ebbinghaus benützt man diese Ab- nahme, soweit sie sich in der abnehmenden Fähigkeit lückenhafte Texte kombinierend \ auszufüllen verrät, geradezu zur Messung der j Ermüdung (vgl. Iss erlin in dem Artikel „Uebung und Ermüdung"). e) Affekt. Endlich wirken auch die Affekte mehr oder weniger, wenn auch nur vorübergehend, nachteilig auf die Reproduk- tionstätigkeit. Vor Ueberraschung, Schreck und Freude stehen uns die Gedanken still; vor Zorn finden wir keine Worte. Das sind vorübergehende Dissoziationen, d. h. es findet ein Außer -Wirksamkeit -Setzen statt vor allem der Assoziationen infolge von An- sammlung und Festhalten der psychischen Kraft durch den psychischen Vorgang, der den Affekt begründet. Aber auch Steige- rungen der reproduktiven Leistungsfähigkeit treten ein. Man denke nur an die täuschende Lebhaftigkeit der Vdrstelhnmen in freudiger Aufregung, in hoffnungsvoller Erwartung, in Krankiieitszuständen, besonders im Fieber in den Angstillusionen, in der positiven Halluzination der Hypnose, und erinnere sich an die bekannte 'Schnelligkeit, mit der die Erinnerungen an das frühere Leben in Momenten der Todesgefahr im Geiste vor- überfliegen (Ribot, Heim) und an die pathologische Hypermnesie. Gredächtnis '673 g) GefühJ. Ganz anders als diese bald mehr psychisch, bald mehr physiologisch be- stimmten Zustände, welche d'en Ablauf der gesamten psychischen Vorgänge mitbe- dingen, sind — wir beschränken uns zu- nächst auf die pliänomenologische Be- trachtung — die Wirkungen, welche die Gefühle auf den Vorstellungs verlauf haben, diejenigen Gefühle nämlich, welche einen einzelnen psychischen Vorgang als Gefühls- ton begleiten. Lust- oder unlustbetonte Inhalte fesseln, sagen wir, die Aufmerk- samkeit oder, was dasselbe bedeutet, ihre zugrundeliegenden Vorgänge sammeln in sich die psychische Kraft und kommen da- durch zu größerer psychischer Wirksamkeit. Damit ist denn schon gesagt, daß die Weiter- gabe der psychischen Erregung an assoziierte Dispositionen etwas langsamer vor sich geht. So fanden Wreschner, Jung, Gott u. a. bei Reproduktionen, welche von gefühlsbetonten ! Inhalten ausgingen, eine Verlängerung der Re- produktionszeit, fanden Mayer und Orth,, Wreschner, Peters, daß Reproduktionen, bei denen sich zwischen den reproduzierenden Inhalt (Reizwort), z. B. ,,Wald", und den repro- duzierten, z. B. „grün", ein lustbetontes Zwischen- ghed einschob, z.B. das von Lustgefühl begleitete | Bild eines Waldes, länger dauern als solche mit I einem nicht gefühlsbetonten Zwischengliede, wobei die unlustbetonten Zwischenglieder die Reproduktion noch mehr verzögerten als die lustbetonten. Die Gefülilsbetonung endlich des reproduzierten Inhaltes ist jedenfalls weniger wichtig für die Reproduktionszeit; denn während Peters auch bei unlustbetonten Schlußgliedern { eine 'Reproduktionsverzögerung konstatierte { gegenüber einem nicht gefühlsbetonten, natürlich bei sonstiger Gleichheit, beobachtete Wreschner , keine Verzögerung. Neben diesem formalen Einfluß auf den Vorstellungsverlauf bestimmt das Gefühl auch mit, welcher von den andrängenden psychischen Vorgängen zu seinem Inhalt ge- langt. Das Gefühl übt eine qualitative Aus- lese, insofern psychische Vorgänge gleich- ! artigen Gefühlstones d. h. solche, deren Inhalte die gleiche Gefühlsbetonung tragen, mehr Aussicht haben sich durchzusetzen. So hat die Erzählung einer traurigen Ge- schichte zur Folge, daß auch andere traurige Geschichten erzählt werden. Uebrigens bleiben die Gefühlstöne, die einen Inhalt begleiten, sich nicht gleich. Je öfter ein psychischer Vorgang sich wiederholt, | um so mehr tritt die Gefühlsbetonung zurück. 1 Dieses Ermatten des Gefühlstones trifft | die Unlustbetonung so gut wie die Lust- 1 betonung. Dadurch können früher unlust- . betonte Erlebnisse uns allmählich indifferent ' werden, so daß wir manchmal sogar glauben, 1 das Erlebnis sei schon erstmals nicht unan- ' genehm gewesen. Ferner trifft diese Ab- [ blassung viel mehr die an Organ-, Muskel- ! Handwörterbuch der Natursvissenschaften. Band IV ; und ähnliche Inhalte sich anschließenden Gefühle als die optische und akustische In- halte begleitenden. Darum erscheint uns eine I anstrengende Bergwanderung in der Er- innerung so reizvoll, weil diejenigen Inhalte und Gefühle, in welchen uns das Unange- nehme der Wanderung zum Bewußtsein kommt, schwer oder gar nicht reproduzierbar j sind und damit auch die sie begleitenden I Gefühle, während hingegen das landschaft- liche Bild, der prachtvolle Rundblick sich jederzeit leichtest reproduzieren läßt und ebenso das erhebende Bewußtsein der sieg- reichen Ueberwindung aller Schwierigkeiten. Aus diesen und ähnlichen Umständen wird die Vergangenheit, besonders die Jugendzeit, in der Erinnerung schöner, als sie wirldich war. Und darauf vor allem, weniger auf die größere Stärke der Dispositionen zu lust- betonten Inhalten oder auf den ab und zu beobachteten (Gordon) und wohl aus einer Aenderung des psychophysischen Gesamt- ziistandes zu erklärenden Umschlag der Ge- fühlsbetonung, dürfen wir den sogenannten Erinnerungsoptimismus (Ebbinghaus, Ko- walewski, Jung u. a.) zurückführen. Diese Betrachtungsweise hatte jedoch nur die Bewußtseinserlebnisse im Auge. Von diesem Standpunkte aus konnten die Gefühlszustände als Ursachen von dieser und jener Aenderung des Vorstellungsablaufes erscheinen. Nun aber müssen wir uns erinnern, daß wir in den Gefühlen nicht minder wie in den Inhalten nur Bewußtseins- reflexe haben für realpsychische Vorgänge. Dann besteht natürlich zwischen diesen beiden als zwei verschiedenen Prozessen, in welchen diese Vor- gänge uns zum Bewußtsein kommen, kein kausaler Zusammenhang, kein Einwirken des einen Vorganges auf den anderen. Und wir müssen nunmehr sagen: Von einem realpsychischen Vor- gang, der derart ist, daß neben seinem Inhalt auch ein auf diesen zu beziehendes Gefühl im Bewußtsein sich geltend macht, wird die psy- chische Kraft länger festgehalten und nach einer assoziierten Disposition weniger rasch weiter- gegeben als von einem, dessen Inhalt nur von ganz schwachem Gefühl begleitet ist. Diese Verzögerung ist bei solchen realpsychischen Vor- gängen, deren — ■ ganz allgemein gesprochen — Mißverhältnis zur gesamten Psyche sich in einem Unlustgefühl kund gibt, stärker als bei solchen, deren Uebereinstimmung in einem Lustgefühl zum Bewußtsein kommt. Aus^ dieser längeren Dauer der gefühlsbetonten Vorgänge erklärt sich auch die oben (3 c, s) erwähnte Tatsache, daß gefühlsbetonte Inhalte bezw. Vorgänge stärkere Dispositionen hinterlassen und zwar unlustbetonte noch mehr als lustbetonte. Weiterhin scheint die psychische Kraft ceteris paribus von realpsychischen Vorgängen gleich- artigen Verhältnisses zur Gesamtpsyche leichter angeeignet zu werden als von solchen ungleich- artigen Verhältnisses. Dadurch endlich, daß die sich wiederholenden realpsychischen Vor- gänge bei jeder Wiederkelu- eine bald größere, bald kleinere Aenderung aufweisen, besonders weil der gesamte psychisch-physische Zustand 43 674 Gedächtnis eines Individuums sich ändert, ändert sich auch das Verhältnis zwischen beiden, was in einer Aenderung des Gefühlstones des sich wieder- holenden Inhaltes kund wird. i]) Bereitschaft. Die Anregung der Dispositionen kann so schwach sein, daß sie gar nicht zu Bewußtseinsinhalten führt; die Vorstellungen sind sozusagen nur in Bereitschaft zum Eintritt ins Bewußtsein, Das ist besonders der Fall beim Lesen. Was wir im Bewußtsein haben, sind meist nur die gelesenen Wörter. Der eigentliche Inhalt des Gelesenen huscht, besonders bei raschem Lesen, nur wie Schatten vor- über. Passiert uns aber ein Leseversehen, ein Mißverständnis oder begegnet uns eine uns nicht zutreffend erscheinende Ansicht, so tritt sofort diese nur unter der Schwelle mitlaufende Vorstellungsreihe hervor. Es ist also ein Gegenwärtigsein eines unan- schaulich gegebenen Wissens (Bewußtheit — Ach; Bewußtseinslage — Marbe u. a.; Ge- danken — Bühler). So stoßen wir hier wieder, wie schon bei der unterschwelligen Assoziationsbildung und -Stärkung, auf das unbewußte psychische Leben. §) Konvergente Anregung. Wie die Erregung in einer Disposition durch Wieder- holung des anregenden psychischen Vor- ganges gesteigert werden kann, so kann sie auch gesteigert und beschleunigt werden da- durch, daß die Anregung von mehreren in Erregung stehenden Dispositionen her erfolgt (Gesetz der konvergenten Anregung oder der Konstellation). Die Alltags- erfahrung lehrt, daß uns der Name einer Person, der uns, solange wir uns nur ihr Gesicht vorstellen, nicht einfällt, oft sich einstellt, wenn wir auch der Umstände ge- denken, unter denen wir sie kennen gelernt, ihrer Tätigkeit und anderer Dinge, die mit ihr zusammenhängen. Oft wird das Vor- stellen einer geometrischen Figur leichter, wenn man sie mit dem Finger in die Luft zu zeichnen versucht. So mag es sich auch erklären, wenn gewisse Wortblinde nur dann lesen können, wenn sie die vorgelegten Wörter abschreiben oder wenigstens mi+ der Hand die entsprechenden Schreibbewegungen machen dürfen. Münsterberg ließ Reihen von Farbbezeich- nungen und Zahlen auswendig lernen, indem sie nur vorgesprochen wurden, dann solche Reihen, welche nur gezeigt wurden, endlich solche, welche sowohl vorgesprochen wie vorgezeigt wurden. Mit den wenigsten Fehlern wurden die nach der letzten Methode (akustisch-visuell) gelernten Reihen reproduziert. Aus diesem Grunde ist das von Hilfsvorstellungen (Nebenassoziationen) begleitete Lernen sinnloser Silben dem rein mechanischen d. h. nur Silbe mit Silbe assozi- ierenden überlegen. Wie sich in der kürzeren Trefferzeit zeigt, wird ein Wort, welches mit mehreren gerade im Bewußtsein stehenden Wörtern assoziiert ist, rascher reproduziert, als wenn es nur mit einem einzigen assoziiert ist, gleiche Stärke der Assoziationen vorausgesetzt (Münsterberg«, Ephrussi). Man darf ver- muten, daß eine Disposition um so mehr Aussicht hat zu ihrem Inhalte zu gelangen, von je mehr Seiten her sie ceteris paribus angeregt wird oder je mehr Hilfen (Herbart) sie hat. Da es übrigens die realpsychischen Vor- gänge in den assoziierten Dispositionen sind, nicht die Inhalte, von welchen in den vor- liegenden Fällen die Disposition konvergent angeregt wird, und da fernerhin diese Vor- gänge oft erheblich länger dauern (perse- verieren) als ihre Inhalte, so kann der Schein entstehen, daß auch weiter zurückliegende Er- lebnisse konstellativ wirken können, d. h. zur Anregung einer Disposition beitragen können. So ist es in dem bekannten Fall von Wähle. Wähle mußte einmal vor dem oft gesehenen Eathause seines Wohnortes, obwohl es trotz seiner Aehnlichkeit mit dem Dogenpalast ! ihm nie venezianische Erinnerungen ausgelöst hatte, plötzlich an den Dogenpalast denken. Nach längerem Besinnen über diese über- raschende Reminiszenz fiel ihm ein, daß er vor zwei Stunden eine Brosche mit einer venezianischen Gondel gesehen hatte. Wenn von einer Disposition her mehrere andere angeregt, in Bereitschaft gesetzt sind, so wird diejenige siegen, welcher noch von einer anderen Seite her Anregung oder Unter- stützung zukommt. In diesen eindeutigen oder gebundenen Eeproduktionen (Münster- berg) oder eingeengten Reproduktionen (Wreschner) wirkt also die Konstellation auslesend. Münsterberg (1, 96ff.) verlangte, daß auf den Zuruf eines Werkes der Name seines Künstlers genannt würde. Durch diese Aufforderung wurden Kunstwerke und Künstlernamen bereitgestellt. Nannte er nun ,, Moses in Rom", so floß nur noch der Disposition für den Namen Michelangelo Er- regung zu und dieser allein wurde reprodu- ziert. So begreift es sich, wenn ,,latte" im Zusammenhang eines deutschen Textes als Stange, eines italienischen als Milch ver- standen wird, wenn Homonyma und mehr- deutige Wörter, wie Fuß, Seite, jeweils richtig aufgefaßt werden, wenn das nämliche Wort Goethe verschiedene Vorstellungen weckt je nach dem Zusammenhäng, in dem es uns entgegentritt, wenn ich in Berlin beim Wort Friedrichstraße an eine andere Straße denke wie in München beim gleichen Wort (okkasionelle Wortbedeutung — Paul). So werden im Rätsel eine Reihe von Merkmalen und Bestandteilen eines Gegenstandes angegeben, welche schließlich konvergent das Bild des Gegenstandes und seinen Namen reproduzieren bezw. andere Gegenstände ausschließen sollen. Die wich- tigste Rolle aber spielt die konstellative Auslese im zielbewußten Denken, bei dem Gedächtnis 675 ein Gedanke oder Gedankenkomplex (deter- minierende Vorstellung — Ach; Obervor- stellung — Liepmann) mehr und weniger bewußt perseverierend den Vorstellungslauf beherrscht und denjenigen Vorstellungen, welche zu ihm passen, sich durchsetzen hilft. Da hierbei diese determinierende Vor- stellung bezw. ihr realpsychischer Vor- gang nur inneren Ursachen (Gefühlsbetont- heit, Interesse, günstige Stellung im wech- selnden psychischen Zusammenhang usw.), nicht aber der Intensität oder Dauer des Reizes ihr Uebergewicht verdankt, so emp- finden wir diese Beeinflussung der Repro- duktion als von uns selbst ausgehend, nicht von außen durch Dinge und Vorgänge uns aufgedrängt. Und wir reden dann von einem besonders im Denken zutage tretenden Ein- fluß des Willens auf den Vorstel- lungsablauf, einem Problem, das im übrigen von einer Lösung noch weit ent- fernt ist. Konstellationswirkung erklärt auch die Tatsache, daß von siiinlialtigen Lernstoffen (Sätzen, Texten) in der glciclicn Zeit oder mit der gleichen Zahl von Wiederholungen viel mehr gelernt wird als von sinnlosem oder doch zusammenhanglosem Material (Silben, Zahlen, Wörtern) oder richtiger: daß ein gleiches Quantum von jenen nach kürzerer Lernzeit reproduziert werden kann als von diesen. Die durch Worte angeregten Inhaltsvorstelluugen bilden einen parallel- laufenden und obendrein in sich fester zu- sammenhängenden Strom psychischer Vor- gänge, die assoziativ die Reproduktion der Textwörter unterstützen, indem die von ihnen ausgehenden Dispositionsanregungen hinzutreten zu den von Wort zu Wort gehen- den Anregungen. Und die allbekannte Ueber- legenheit rhythmischer und gereimter Lern- stoffe, welche vor allem dadurch offen- bar wird, daß der Lernende sie rascher und leichter wiedergeben kann, also in kürzerer Lernzeit und mit kleinerer Wiederholungszahl, und nach einer Zwischenzeit sie rascher wiederlernt, also mit größerem Ersparnis- wert, beruht zum größeren Teile auf ähn- licher Unterstützung, indem von dem sicher ablaufenden rhythmischen Schema assozia- tive Anregungen zu den entsprechenden Wörtern sowie von dem ersten Reimwort zu den späteren darauf reimenden Wörtern ausgehen. Ebenso beruht auf Konstellations- wirkung die Hilfe, welche die Reproduktion eines Wortes erfährt durch die Vorstellung der Textstelle, wo es gelernt wurde, gewisser Eigentümlichkeiten des Druckes usw. i) Hemmung und divergente An- r e g u n g. Die Wirksamkeit der Disposi- tionen unterliegt ähnlichen Beeinträchti- gungen wie die Entstehung der Disposi- tionen. x\bgesehen von der Abnahme der Dispositionen mit ihrem Alter, welche schließlich in Vergessen endet, und von pathologischen Fällen von Gedächtnis- schwäche oder -Verlust (Amnesie), in welchen beiden wir teils dauernde Schädigungen teils nur vorübergehende Lähmungen der Dispositionen sehen , wobei wir das Wesen dieser Schädigung und Lähmung völlig dahingestellt sein lassen, erfährt die Wirksamkeit der Dispositionen vorüber- gehende Hemmungen, wie wir sahen, durch Ermüdung, Ivrankheit, ungenügende Er- nährung usw., wodurch die Bildung von psy- chischer Kraft gehemmt ist, während die Dispositionen selbst unangetastet bleiben. Das Gegenstück dazu sind diejenigen Be- einträchtigungen der reproduktiven Funk- tion der Dispositionen, welche nicht sowohl in einer Herabsetzung des Gesamtvorrates der psychischen Kraft besteht als vielmehr in einer Teilung desselben, bedingt durch die Konkurrenz der psychischen Vorgänge um diese psychische Kraft, wie sie am deut- lichsten vorliegt in der Teilung der Aufmerk- samkeit (effektuelle Hemmung, reproduktive Hemmung). Der theoretisch einfachste Fall liegt vor, wenn von einer Disposition aus die psychische Erregung sich verteilt auf die mit ihr assoziierten anderen Dispositionen (di- vergente Dispositionsanregung). Ex- perimentell wurde festgestellt, daß bei der Möglichkeit verschiedener Reproduktionen der über die Konkurrenten siegende psychische Vorgang später zu seinem Inhalt kommt als, gleiche Stärke der Dispositionen voraus- gesetzt, einer, der keine oder doch weniger Konkurrenten hatte. Ist von einem ge- nannten Dichter irgendein Werk, zu einer genannten Jahreszeit irgendein beliebiger Monat anzugeben usw. (mehrdeutige Repro- duktion), so ist die Reproduktionszeit größer, als wenn von einem bestimmten Werk der Name des Dichters, von einem bestimmten Monat die Jahreszeit zu nennen ist (ein- deutige Reproduktion) (Cattell, Münster- berg, Wreschner u. a.). So wird auf ein abstraktes Reizwort ein assoziiertes Reaktionswort langsamer reproduziert als auf ein konlvretes (Hirszowicz). Gleichheit der Präsenzstärke der Dispositionen und der Assoziationen vorausgesetzt, wird also der Weitergang der Reproduktion um so mehr verzögert, je größer die Zahl der assoziierten und noch nicht von anderer Seite her an- geregten Dispositionen ist (Gesetz der divergenten Dispositionsanregung). Und ebenso ist es die Verteilung der psychischen Kraft auf mehrere Vorgänge, welche bewirkt, daß wir eine mechanisch gelernte Reihe von Wörtern sicherer und rascher reproduzieren, wenn wir dabei nichts anderes denken, als wenn wir uns ihren Inhalt vergegenwärtigen, daß der laut Vor- 43* 676 Gredächtnis lesende weniger vom Inhalte erfaßt als der still Lesende, vorausgesetzt, daß er an das stille Lesen gewöhnt ist, daß das Sprechen oder hörbare Lesen anderer uns im eigenen stillen Lesen stört, daß wir, in unsere Ge- danken versunken, vorübergehende Be- kannte nicht erkennen oder doch erst ge- raume Zeit nach der Begegnung, wie wir früher gezeigte Silben, welche man uns wieder zeigt, während wir mit leichten Kechnungen beschäftigt sind, viel weniger oft wieder- erkennen, als wenn man sie uns in unbe- schäftigten Augenblicken vorführt (Abra- mowski). Diese gegenseitige Hemmung kann schließlich zu völligem Ausbleiben einer Reproduktion führen; es setzt sich keiner der psychischen Vorgänge durch. 5. Gedächtnistypen. Die Gesetze, welche die Beobachtung mit und ohne Experiment festgestellt hat, haben zwar für alle oder doch die meisten Lidividuen Gültigkeit; aber die quantitative Seite ist von Person zu Person verschieden. Wir unterscheiden danach Gedächtnis- oder Vorstellungstypen, und zwar sowohl formale wie materiale. Unter Typus verstehen wir das gegenüber dem Durchschnittlichen unter gleichen äußeren Bedingungen festgestellte, auf ange- borene oder erworbene innere Bedingungen zurückzuführende Vorherrsehen bestimmter formaler oder materialer Eigentümlich- keiten im Zusammenspiele der verschiedenen Gesetzmäßigkeiten bei der Entstehung und Wirksamkeit der Dispositionen. In formaler Beziehung unterscheiden wir zunächst die schnellen und die lang- samen Lerner, je nach der Lernzeit oder der Wiederholungszahl, welche zur Aneignung eines gleichen Lernstückes, zur Schaffung gleich starker Dispositionen nötig ist, oder je nach dem Lernquantum, das in der gleichen Lernzeit bewältigt wird. Dann, nach der Dauer der erworbenen Dispositionen gleicher Anfangsstärke, die nachhaltig oder für ab- ständige d. h. nach längerer Zeit erfolgende Reproduktion besser Lernenden und die flüchtig oder nur für sofortige Reproduktion Einprägenden; ferner die rasch und die lang- sam Reproduzierenden, also die lebhaften und schnellen und die schwerfälligen Denker; schließlich solche, welche über das durch- schnittliche Maß hinaus auf Grund der Aehnlichkeit reproduzieren, und solche, welche mehr auf Grund der Assoziation re- produzieren, und zwar entweder mehr suk- zessiv erworbene Inhalte oder mehr simultan erworbene. In diese schon von der vorwissen- schaftlichen Beobachtung aufgestellten in- dividuellen Unterschiede und ihren Zu- sammenhang mit anderen psychischen Eigen- tümlichkeiten der Individuen hat die experi- mentelle Beobachtung noch manchen tie- i feren Einblick eröffnet und manch neuen Einteilungsgesichtspunkt gewonnen. Auffälliger aber sind die materialen I Typen. Die groben Unterschiede hat auch ! die Alltagsbeobachtung längst festgestellt [ und danach ein Personengedächtnis, Orts- I gedächtnis, musikalisches Gedächtnis, Na- 1 mengedächtnis, Zahlengedächtnis usw. unter- ! schieden. Maler wie Vernet. Dore, Ma- 1 kart vermochten aus dem Gedächtnis ein- [ mal gesehene Gegenstände und Personen getreu zu malen, während es wieder andere gibt, welche sich keine Farbe lebhaft, keine I Form sicher vorzustellen vermögen. Der König Mithridates soll 22 Sprachen be- herrscht, der Kardinal Mezzofanti 66 ver- 1 standen haben, der Philologe Jos. Sealiger i soll in 21 Tagen den ganzen Homer auswendig I gelernt haben, und vom Philosophen Seneca I wird berichtet, daß er nach einmaligem An- ! hören 3000 Wörter hersagen und 200 Verse in umgekehrter Reihenfolge wiederholen konnte. Auch bei Schwachsinnigen kommt gelegentlich eine enorme Leistungsfähigkeit des Wortgedächtnisses vor, so bei einem 14 jährigen Stotterer, der ein Quartblatt gedruclvten Textes, selbst einer ihm vöUig unbekannten Sprache wie Latein, nur 2 bis 3 3 Minuten lang durchzulesen brauchte, um es dann fehlerlos, wenn auch stockend, wie er ja sonst auch las, nach einem inneren Bild her- sagen zu können (D robisch). Diesen stehen gegenüber andere sehr intelligente Indivi- duen, welchen es Mühe kostet ein kurzes, wohl verstandenes Gedicht auswendig zu lernen. — Den auffallendsten materialen Typus vertreten die Rechenkünstler. Während es normalen, selbst geistig sehr hochstehen- den und als Mathematiker hervorragen de 11 Individuen schwer wird, nach einmaligem j Anhören oder Durchlesen mehr als 12 Ziffern sich zu merken, gelang es den Kopfrechen- j genies, wie Dase, Diamandi, Inaudi, I Rückle u. a., das Fünf- bis Zehnfache nach ' einmaliger Darbietung sich einzuprägen. ' Rückle lernte in nur 8 bis 10 Minuten eine I Reihe von 200 einstelligen Zahlen (Müller An. I). Uebrigens finden sich starke Zahlen- gedächtnisse nicht selten auch bei Schwach- sinnigen (Heller). Wie es ferner Menschen gibt, denen es unmöglich ist, selbst eine ein- fache kurze Melodie auch nach wiederholtem Anhören sich sicher einzuprägen, so gibt es bekanntlich wiederum nicht wenige, welche sich durch eine unglaubliche Fähigkeit, Melodien zu merken, auszeicliiien. Daß der 14jährige Mozart Aüegris Miserere nach einmaligem Anhören fast fehlerlos aus dem Gedächtnis niedergeschrieben hat, ist das { bekannteste Beispiel. Musikalisches Gedächt- i nis wurde des öfteren auch bei Schwach- I sinnigen konstatiert, so bei einem 6 jährigen Idioten, der kein Wort nachsprechen konnte Gedächtnis 677 und doch Melodien von Kinderliedern summte (Heller), oder bei einigen Aphatischen, die trotz Verlust ihrer Sprache noch Melodien singen konnten (Kußmaul). Neben solchen abnormen Leistungen des Gedächtnisses, die bestehen können neben starker geistiger Minderwertigkeit und bedingt sind vor allem durch das Interesse (Inte- ressentypen), hat die experimentelle Beob- achtung auch feinere, zumeist angeborene Unterschiede aufgedeckt und danach so- genannte Anschauungs-, Gedächtnis- oder Vorstellungstypen aufgestellt, vor allem den visuellen oder optischen Typus, den auditiven oder akustischen, den taktil- motorischen, je nachdem die optischen oder akustischen usw. Vorstellungen domi- nieren, den gemischten. Diese Unterschiede kehren -wieder bei den WortvorsteUungen, bei denen durch Charcot und Ballet erst- mals diese typischen Unterschiede erkannt wurden. Doch besteht zwischen den Wort- vorstellungstypen und den — sagen wir — Obiektvofsteilungstypen keineswegs Paralle- lismus, sondern es ist gar nichts Seltenes, daß ein Individuum, das die Objekte, soweit möglich, nur optisch sich vorstellt, Wörter, Texte fast nur akustisch-motorisch sich ver- gegenwärtigen kann (Meumann, Feucht- wanger). — Diese individuellen Unterschiede treten deutlich hervor erst nach der Pubertät. Wenn sie auch auf angeborene Eigentümlich- keiten zurückgehen, sind sie doch nichts Unveränderliches. Durch bewußte Uebung eines weniger starken Gedächtnisses und Vernachlässigung des von Natur aus leistungs- fähigeren kann die Leistungsfähigkeit jenes Gedächtnisses schließlich über dieses hinaus entwickelt werden. — Während unter nor- malen Umständen das günstigere Gedächtnis allein tätig ist, kann bei schwierigem Lern- stoff neben dem dominierenden Gedächtnis auch ein anderes mitwirken (Radossawlje- witsch) und bei Ermüdung oder Erlvrankung des dominierenden Gedächtnisses treten die anderen in die Lücke (Aall, Cohn, Pfeif- fer). — Wie sich die Geschlechter hinsicht- lich des Gedächtnisses durch Vorherrschen dieser oder jener formalen und materialen Eigentümlichkeiten von einander unter- scheiden, ist trotz zahlreicher Beobachtungen noch lange nicht hinreichend klargestellt. Auch darüber sind die Untersuchungen noch nicht zu unbestrittenem Abschluß ge- langt, ob das Gedächtnis, wie meist ange- nommen wird, durch Uebung gesteigert werden kann oder nicht. Seine Leistungs- fähigkeit, das ist klar, kann gesteigert wer- den. Aber diese hängt ab nicht nur von dem Grade der Disponibilität als der Fähigkeit Dispositionen zu erwerben, welche um so größer ist, je mehr unter sonst völlig gleichen Umständen in der gleichen Zeit gelernt wird (gleiche Aufmerksamkeit, gleiche psychische Gesamtlage, gleiche Lerntechnik, gleiches Interesse, gleiche Vorbildung usw.), sondern auch vom Grade des Interesses, der Technik des Einprägens, der Fähigkeit, sich auf die Lernarbeit zu konzentrieren. Wälu^end I Meumann und Ebert die unleugbare Er- höhung der Lernerfolge mit der zunehmen- den Uebung zum größeren Teile auf eine Erhöhung der Disponibilität zurückführen, glauben Müller, Wreschner u. a. diese Zunahme des Lernerfolges durch Zunahme ■ der Lerntechuik und der Konzentrations- fähigkeit erklären zu können. Einstweilen ist die letzte Erklärung ausreichend. 6. Erweiterter Gedächtnisbegriff. Das I Wort ,, Gedächtnis" wird auch in einem I weiteren Sinne gebraucht. In seinem j bekannten Vortrage über „Das Gedächtnis j als eine allgemeine Funktion der organischen Materie" (1870) setzt Hering Gedächtnis und Uebung gleich und läßt durch Be- I tätigung oder Uebung von den Individuen [ erworbene Eigentümlichkeiten in der Gattung I sich vererben als Gattungserinnerungen. iMach, Forel folgten seinem Beispiele, ebenso Preyer, der von dem persönlichen Gedächtnis ein phyletisches unterscheidet, Häckel, der der Plastidüle ein unbewußtes Gedächtnis zuschreibt, Ostwald, der das Gedächtnis als eine Eigenschaft der lebenden ' Substanz betrachtet, und andere ähnlich. ' Ins einzelne durchgeführt hat den Gedanken I aber erst Semon in seinem Aufsehen er- j regenden Buch „Die Mneme" (1. Auflage i 1904), in welchem er nachzuweisen unter- I nimmt, daß die Gesetze, welche im mensch- lichen Bewußtseinsleben das Erwerben von Dispositionen und das Reproduzieren von Vorstellungen regeln, im gesamten organischen Leben bis herab zur Pflanze das Erwerben bestimmter Abänderungen und ihre Repro- i duktion in den Nachkommen beherrschen. [ Bei dieser erweiterten Auffassung ist das Ge- ! dächtnis oder die Mneme, wie Semon lieber j sagt, um den Gedanken an Bewußtseinsvor- 1 gänge ganz auszuschließen, die Fähigkeit [ eines organischen Körpers durch Betätigung irgendwelcher Art (Handlungen, Zustände, Vorgänge usw.) Abänderungen zu erfahren, welche nicht nur die gleiche Betätigung in ' späteren Fällen erleichtern, sondern auch jihr Wiederkehren ermöglichen, wenn nur ! ein Teil der erstmals vorhandenen Bedin- gungen gegeben ist, und welche zum Teil wenigstens auch auf die Nachkommen sich vererben können. Es ist in der Tat die Uebereinstimmung zwischen den Gesetzen der Gewohnheit und Uebung und denen des Gedächtnisses so groß, daß man eine innere Verwandtschaft annehmen muß. Und so dlirfen wir das Gedächtnis als einen Spezialfall der all- 678 Gedächtnis — Geffüü gemeineren Erscheinung der Uebungs- fähigkeit oder Disponibilität ansehen, als Disponibilität zu Vorstellungen. Literatur. Zusammenfassende Darstellungen: J. J. vtin BlervUet, La memoire. Paris 1902. — E. Claparede, L' association. Paris 1903. — H. Ebblnghaus, Ueber das Gedächtnis. Leipzig 1885. — Derselbe, Gnmdzüge der Psychologie I, 2. Aufl. Leipzig 1905. — E. Meumann, Oekono mieund Technik des Gedächtnisses, 3. Aufl. Leipzig 1912. — G. E. Müller, Zur Analyse der Gedächt- nistätigkeit und des Vorstellungsablaufes I. Leipzig 1911. — M. Offner, Das Gedächtnis, 3. Atifl. Berlin 1913 (worin sich die genauen Belege für das Gesagte finden). — P. Ranschburg, Das kranke Gedächtnis. Leipzig 1911. — R. Ribot, La memoire et ses maladies, 1. Aufl. Paris 1881. — JJ. Semon, Die Mneme als erhaltendes Prinzip im Wandel des organischen Geschehens, 3. Aufl. Leipzig 1911. — A, Wreschner, Das Gedächtnis im Lichte des Experimentes, 2. Aufl. Zürich 1910. — Derselbe, Die Reproduktion imd Assoziation der Vorstellungen. Leipzig, I. 1907, TL. 1910. — W. Wundt, Grundzüge der physio- logischen Psychologie, 6. Aufl. Leipzig 1908 ff. — Th. Ziehen, Das Gedächtnis. Berlin 1908. — Literaturverzeichnisse bei Claparede, Meu- mann, Müller, Offner, Ranschburg. — Au:S den wichtigeren Arbeiten über Einzelfragen seien herausgehoben: E. Ebert und E. Meu- mann, Ueber einige Grundfragen der Psycho- logie des üebungsphänomenes im Bereich des Gedächtnisses. Archiv f. d. gesamte Psych. 4 (1904). — P' Ephrussi, E.rperimentelle Bei- träge zur Lehre vom Gedächtnis. Ztschr. f. Psych. 37 (1904). — H. Höffding, Ueber Wieder- erkennen, Assoziation laid psychologische Aktivität. Vierteljahr sschr. f. wissensch. Philosophie 13 (1889), 14 (1890). — A. Jost, Die Assoziationsfestig- keit und ihre Abhängigkeit von der Verteilung der Wiederholungen. Ztschr. f. Psych. 14 (1897). — A. Lehmann, Ueber Wiedererkennen. Philos. Studien 5 (1888). — G. E. Müller und F. Schumann, Kritische Beiträge zur Unter- suchung des Gedächtnisses. Ztschr. f. Psych. 6 (1894). — G- E. Müller und A. PUzecker, Experimentelle Beiträge zur Lehre vom Ge- dächtnis. Leipzig 1900. — H. Münsterberg, Beiträge zur experimentellen Psychologie. Frei- burg 1889(93. — W. Peters, Gefühl und Er- innerung. Kr äpelins Psychologische Arbeiten 6 (1911). — A. Pohlmann, Experimentelle Bei- träge zur Lehre vom, Gedächtyiis. Berlin 1906. — P. Radossawljewitsch, Das Behalten und Vergessen bei Kindern und Erwachsenen nach experimentellen Untersuchungen. Leipzig 1907. — L. Steffens, Experimentelle Beiträge zur Lehre vom ökonomischen Lernen. Ztschr. f. Psych. 22 (1900). — W. Stern, Ueber die Psychologie der individuellen Differenzen, 2. Aufl.. Leipzig 1911. M. Offner. Gefühl. 1. Begriff des Gefühls. 2. Die Frage nach der Mannigfaltigkeit der Lust- und Unlustquahtäten. 3. Die Methoden der Gefühlsforsohung. 4. Die Ergebnisse der Gefühlsforschung: a) Die Ab- hängigkeit der Gefühle von den erregenden Be- dingungen, b) Die Ergebnisse der Ausdrucks- methode. 5. Theorien der Gefühle. I. Begriff des Gefühls. Den Empfin- dungen als den Folgeerscheinungen spezifi- scher Sinneserregungen und den Vorstellungen als deren Nachwirkungen stehen als besondere einfache Inhalte unseres Bewußtseins die Gefühle zur Seite. Dieser Name ist erst seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts für Lust und Unlust und ihnen ähnliche Zustände in Gebrauch gekommen. Damit wurde neben dem Erkenntnis- und Begehrungsvermögen ein neues, das Gefühlsvermögen, in die Psychologie eingeführt, das durch Tetens und namentlich durch Kant zur allgemeinen Annahme gelangte. Zunächst wurde hier zwischen den elementareren und den kom- plexeren Gemütszuständen ebensowenig scharf geschieden, wie zwischen den an Sinneseindrücke und den an intellektuelle oder ästhetische Verhaltungsweisen gebun- denen Vorgängen. Die moderne Psychologie sucht dagegen namentlich die letzten, ein- fachen Qualitäten festzustellen, welche in allen Gemütserregungen eine KoUe spielen, und zugleich die Bedingungen schärfer zu trennen, von welchen sie abhängen. Der Name Gefühl wird im wissenschaftlichen Sprachgebrauch nicht mehr für Begeisterung und Aerger, Sehnsucht und Trauer ver- wandt, sondern nur noch für ihre von den Em[)fiiiduiigen verschiedenen spezifischen Gefülilskomponenten. Ueber die Zahl dieser Komponenten herrscht Streit. Es stehen einander gegen- über: 1. Die einfache Lust-Unlusttheorie, die z.B. von Ebbinghaus, Külpe, Titchener vertreten wird, und nach der Lust und Un- lust die einzigen und immer gleichen Ge- fühlsqualitäten sind; 2. die pluralistische Lust- Unlusttheorie, die z. B. von Stumpf und Ziehen vertreten wird, und die eine Mannigfaltigkeit von qualitativen Nuancen innerhalb der Lust- Unlustzustände annimmt ; 3. die Lehre von der Mehrdimensionalität der Gefühle, die besonders von Th. Lipps und Wundt vertreten wird, und sowohl neben Lust und Unlust noch andere Gefühls- qualitäten, als auch innerhalb dieser Dimen- sionen eine Verschiedenheit der qualitativen Nuancieiiuig annimmt. Oskar Vogt, der sich liiiisiclitlich der Dimensionenzahl Wundt im allgemeinen angeschlossen hat, hat frei- lich in jeder Dimension nur zwei einfache, einander entgegengesetzte Gefühle unter- schieden. Die von Wundt eingeführten Dimensionsbegriffe umfassen erstlich die Lust und Unlust, sodann Erregung und Gefühl 679 Beruhigung- und drittens die Spannung und Lösung. Lip])s dagegen unterscheidet die Gegenstaiidsgelühle (z. B. des Breiten, Spitzen, liuhigenj, die Konstellationsgefühle (z. B. die Heim- und Fremdgefühle) und affektive Zustandsgefühle (z. B. der Leichtig- keit und Schwere, der Langeweile), wobei die letzteren Lust und Unlust in mannig- faltiger Kuancierung enthalten. Als Grund- gefühl gilt ihm das Tätigkeits- oder Lebens- gefühl. Alle Gefühle sind Ich-Erlebnisse. Eine Entscheidung über diese Theorien kann nur auf Grund einer genauen Ver- gleichung der als Gefühle bezeichneten Tatsachen und eines daraus gewonnenen Kriteriums gegeben werden. Unzweifelhaft kann dabei nur von der einfachen Lust- Unlusttheorie ausgegangen werden, weil alle in der Anerkennung der von ihr angenom- menen Gel'ülils(|ualitäten übereinstimmen. Durch zwei Eigentümlichkeiten scheinen sich aber Lust und Unlust von den Empfin- dungen insbesondere zu unterscheiden. Erst- lich durch die Universalität ihrer Erregung, indem alle Sinnesreize und darüber hinaus auch Empfindung, Vorstellung, Ge- danken und die psychischen Funktionen des Beachtens, Urteilens, Wollens Lust und Unlust entstehen lassen können. Zweitens durch die Aktualit<ät ihres Daseins, wo- nach Lust und Unlust den Unterschied zwischen primärem und sekundärem Er- lebnis, zwischen Empfindung und Vorstellung, zwischen ursprünglichem Eindruck und seiner Reproduktion durch das Gedächtnis nicht erkennen lassen. Was sonst noch als Krite- rium von Lust und Unlust angegeben wird, wie die Gegensätzlichkeit, die Unbeachtbar- keit, die Unselbständigkeit, die Einheithch- keit, die Unlokalisierbarkeit hat keine durch- schlagende Bedeutung, weil sich in allen diesen Fällen Gegeninstanzen namhaft machen lassen. Wenden wir die beiden be- zeichneten Kriterien auf die von den Ver- tretern der Mehrdimensionalitätslehre außer Lust und Unlust angegebenen Dimensionen an, so zeigt sich alsbald, daß die letzteren nicht in demselben Sinne Gefühle genannt werden können. Erregung und Spannung haben nicht das Merkmai der Aktualität, sondern lassen sich jederzeit ebensogut vor- stellen oder reproduzieren, wie Farben, Töne oder Gerüche, und erweisen damit ihren Empfindungscharakter. In den von Lipps angenommenen Gegenstands- und Konstel- lationsgefühlen aber fehlt, von anderem ab- gesehen, die Universalität. Denn ihr Auf- treten hängt zweifellos von einer qualita- tiven Beschaffenheit der Gegenstände ab, denen sie entsprechen. Zugleich involvieren sie unklare allgemeine Bestimmungen über die Gegenstände und offenbaren sich damit als intellektuelle Angaben von unsicherem. vorläufigem Charakter. Die Lust-Unlust- theorien sind darum deuMehrdimensionalitäts- theorien vorzuziehen, sofern wir unter Ge- fühlen die durch Universalität der Ent- stehung und durch Aktualität des Daseins ausgezeichneten und keine Gegenstands- bestimmungen enthaltenden einfachen Be- wußtseinsinhalte verstehen. Damit werden jene anderen, von Lipps und Wundt angeführten Tatsachen nicht bestritten, son- dern nur aus der Klasse der Gefühlsquali- täten ausgeschieden. 2. Die Frage nach der Mannigfaltig- keit der Lust- und Unlustqualitäten. Es gibt viele Psychologen, welche die Lust an einem warmen Bade von derjenigen an einer Farbenkombination oder an einem Wohlgeruch als Lustqualität verschieden finden. Wundt hat sogar jeder Besonder- heit der Empfindungen qualitativ eigen- tümliche Lust und Unlust beigelegt. Andere gehen nicht soweit in der Differenzierung der Gefühlsqualitäten, sondern unterscheiden nur etwa zwischen sinnlichen, ästhetischen, logischen, ethischen Gefühlen. Eine empi- rische Entscheidung ist vorläufig nur auf indirektem Wege möglich, wenn wir davon absehen, daß Vogt bei Versuchen im ein- geengten Wachsein und einer Abstraktion der Gefühle von ihren Begleiterscheinungen keine Unterschiede innerhalb der Lust und Unlust hat entdecken können. Für dieses Ergebnis sprechen noch folgende Gründe: 1. Die allgemeine Vergleichbarkeit der Lust- und Unlustgefühle untereinander und die darauf beruhende Möglichkeit einer einheitlichen Abstufung der Gefühlswerte. Wenn die Gefühle eine so große Verschieden- heit aufwiesen wie die Empfindungen, so würde sich über ihre Stärke und Ausbreitung ebensowenig ein zuverlässiges Vergleichs- urteil abgeben lassen, wie über die analogen Eigenschaften verschiedener Empfindungs- qualitäten. Tatsächlich aber lassen sich die Grade der Lust und Unlust auf allen Gebieten beurteilen. Das ist von großer biologischer Wichtigkeit, insofern es zweckmäßig ist, daß wir im Interesse unserer Erkenntnis eine möglichst große ]\lannigfaltigkeit unter- scheidbarer Empfindungsqualitäten zur Ver- fügung haben, aber bei der Stellungnahme zu den Eindrücken und Aufgaben des Lebens mit vergleichbaren Gefühlen auf sie reagieren. 2. Die Möglichkeit einer unbeschränkten Kompensation der Gefühle durch einander. Jede Unlust kann durch jede Lust inhalt- lich ersetzt und ausgeglichen werden, was nicht möglich wäre, wenn die qualitativen Unterschiede irgend erheblich wären. 3. Die Irrelevanz der begleitenden Ge- fühle für die spezifische Vergleichung von Sinneseindrücken. In der psychophysischen Maßmethodik wird auf Störungen der Emp- 680 Oefülil findlichkeit und Unterschiedsempfindlich- keit durch wechselnde Lust- und Unlust- qualitäten keine Rücksicht genommen. 4. Die UnWahrscheinlichkeit einer größeren Mannigfaltigkeit der Gefühls qualitäten und die damit zusammenhängende Schwierigkeit und Diskrepanz einer Einteilung der Gefühle. Wären Lust und Unlust auch nur annähernd von so großer qualitativer Verschiedenheit, wie hohe und tiefe Töne, oder rot und grün, so wäre ein Zweifel an ihrer Mannigfaltigkeit überhaupt undenkbar. Sie müßten sich in Reihen anordnen und extremere Glieder einer Reihe mit Leichtigkeit unterscheiden lassen. Der Zwiespalt zwischen der ein- fachen und pluralistischen Lust- und Unlust- theorie wäre dann unmöglich. Ebenso müßte eine Klassifikation der Gefühle nach gleich- artigen Gesichtspunkten auf Grund dieser Tatsachen durchführbar sein, während sie jetzt ganz verschieden ausfällt und sich nach den Empfindungen und anderen Be- wußtseinsinhalten zu richten pflegt, mit denen sie verbunden auftreten. 5. Die Tatsache allgemeiner Gefühls- übertragung oder -Irradiation. Wenn auf einen beliebigen Eindruck A (z. B. die optische Erscheinung eines Menschen) ein Gefühl G (z. B. Unlust) übergehen kann, weil zwischen A und einem B (z. B. einem üblen Geruch), woran G geknüpft ist, eine regelmäßige Ver- bindung besteht, so muß offenbar G durch keine qualitativen Unterschiede daran ge- hindert sein, von einem beliebigen B auf ein beliebiges A zu irradiieren. 6. Die Tatsache weitgehender Gefühls- analogie und die darauf beruhende Möglich- keit der Substitution eines Eindrucks für einen anderen. So reden wir von herber Trauer und süßem Behagen, von weicher Sehnsucht, von warmer Teilnahme usf. und übertragen somit die an gewissen Sinnes- qualitäten vorzugsweise haftenden Gefühle ohne weiteres auf Zustände, die davon ganz verschieden sind. .•7. Der Mangel an Gefühlskomplexionen im Sinne von Färben- und Tonverbindungen. Gäbe es merklich verschiedene Lustarten, so müßten sich bei Einzelgefühlen der Lust ebensolche Kombinationen von Lüsten nach- weisen lassen, wie etwa Tonverschmelzungen oder Farbenkontraste. 8. Der Mangel eindeutiger Reproduk- tionstendenz der Gefühle. An einem beson- deren Annehmlichkeits- oder Unannehm- lichkeitscharakter pflegen wir die Eindrücke, die wir wahrgenommen haben, nicht wieder- zuerkennen. Auch haben lust- und unlust- betonte Inhalte für das unmittelbare Behalten keinen Vorzug gegenüber indifferenten Ein- drücken, sofern gleiche Aufmerksamkeit für alle besteht. Die von Peters nachgewiesene Mehrzahl gefühlsbetonter Erlebnisse unter den erinnerten steht damit nicht in Widerspruch. i Da nun eindeutige Beziehungen dieser Art j eine charakteristische Beschaffenheit der für das Wiedererkennen oder die Reproduk- tion in Betracht kommenden Motive voraus- setzen, so kann aus dem Mangel jener Ein- deutigkeit auch auf den Mangel ihrer Be- dingung, also der qualitativen Eigenart von 1 Lüsten und Unlüsten geschlossen werden. ' Auf Grund dieser Erwägungen wird man der einfachen Lust-Unlusttheorie mindestens I eine größere Wahrscheinlichkeit zubilligen ' dürfen, als der pluralistischen. Auch stellt sie die methodologisch zu bevorzugende ein- fachere Ansicht dar und muß daher der anderen die Beweislast für ihre Richtigkeit aufbürden. Selbstverständlich wird damit nicht bestritten, daß der Gesamteindruck eines erfrischenden Bades anders ist als der einer wohlschmeckenden Speise. Aber das braucht ja nicht an der Lust in beiden Fällen I zu liegen. Wenn saure Apfelsinen und saurer Essig verschieden ,, schmecken", so braucht : doch darum nicht die Säure in beiden Fällen qualitativ verschieden zu sein. 3. Die Methoden der Gefühlsforschung. Man pflegt Eindrucks- und Ausdrucks- j methoden und Kombinationen beider an- ; zuwenden. Die Eindrucksmethoden bestehen ' in der systematischen Anwendung von gefühlserregenden Bedingungen, z. B. Sinnes- reizen. Dabei findet man alsbald, daß das Auftreten der Gefühle in hohem Maße von der Lidividualität der Versuchsperson und von ihrer jeweiligen Disposition abhängt. Die Ausdrucksmethoden bestehen in einer Registrierung der unter dem Einfluß der Gefühle erfolgenden Aeußerungen, wie z. B. der Pulsfrequenz. Li der Regel kombiniert man jetzt beide Methoden miteinander. Die Eindrucksmethoden sind besonders auf dem j Gebiet der experimentellen Aesthetik ge- nauer ausgebildet worden. Man läßt hier nach einer Methode der Wahl aus einer vor- gelegten Reihe von Eindrücken einige auf Grund ihrer besonderen Gefülilsbedeutung auswählen oder nach einer Reihenmethode die nach objelvtiven Gesichtspunkten ge- ordnete Reihe in eine solche umwandeln, die j nach Graden der Gefühlsbetonung abgestuft ist. Oder man läßt nach einer Herstellungs- methode aus einzelnen Komponenten eine gefällige Kombination erzeugen oder nach einer Methode der paarweisen Vergleichung je zwei Glieder einer Reihe auf ihren Gefühls- wert vergleichen und bestimmt aus der Zahl der auf die einzelnen Glieder entfallenen Vorzugsurteile den Gefühlswert derselben. Die Ausdrucksmethoden streben da- nach eine Korrelation zwischen Gefühlen und körperlichen Erscheinungen nachzu- weisen. Als letztere kommen Mienen und Gefülil 681 Gebärden, Frequenz, Höhe und Form des Pulses und der Atmung, der Blutdruck und das von Blutverschiebung-en abhängige Volumen eines Körperteiles, die Temperatur, die Muslvelkraft und anderes in Betracht. Man bedient sich dabei aller der Apparate, die die Physiologie für solche Messungen an- wendet, des S])hygniographen für die Puls- bestiramung, des Pneumographen für die Kegistrierung der Atmung, des Plethysmo- graphen für die Messung des Volumens usw. Die Tatsache, daß "es keinen Reiz und keine Empfindung, ebenso keine Vorstellung und keinen Gedanken gibt, die unter allen Umständen ein bestimmtes Gefühl nach sich zögen, und daß zugleich jeder von ihnen sowohl angenehm als auch unangenehm sein kann, bringt besondere Schwierigkeiten in die Untersuchung der Gefühle. Der Unterschied adäquater und unadäquater Er- reger verliert hier seine Bedeutung. Die begleitenden Umstände und die Empfäng- lichkeit gewinnen dafür einen überragenden Einfluß. Will man daher die Abhängigkeit der Gefühle von den sie erregenden Einzel- bedingungen für sich studieren, so muß man die Konstanz der Disposition und der Indivi- dualität, sowie der an die Erreger sich an- schließenden Folgeerscheinungen auf intellek- tuellem und sinnlichem Gebiet voraussetzen können. Die Folgeerscheinungen spielen insofern für die Gefühlsbetonung eines Er- regers eine nicht zu vernachlässigende Rolle, als sie auf Grund der Gefühlsirradiation diese zu modifizieren vermögen. Die Resultate der Eindrucksmethoden sind deshalb noch wenig befriedigend ausgefallen. Bei den Ausdi-ucksmethoden muß ein möglichst gefühlsfreier Normalzustand vor der Aufnahme der einer Gefühlsveränderung zuzuordnenden Kurve registriert werden, weil man sonst keinen Maßstab für die beob- achteten körperlichen Erscheinungen zur Verfügung hätte. Bisher ist dabei der Ein- fluß einer relativ andauernden Gemütslage vernachlässigt worden, indem man fast allein solche Gefühle berücksichtigte, die im Anschluß an bestimmte Eindrücke auf- tauchten. Und doch erscheinen die Einzel- wellen unseres Gemütslebens als etwas ver- hältnismäßig Unbedeutendes gegenüber der Ebbe und Flut, die das ganze Niveau ver- ändern. Ferner unterliegen die sogenannten Ausdruckssymptome mannigfachen Ein- flüssen auch unabhängig von den Gefühlen, denen sie entsprechen sollen. So z. B. steigert eine Vermehrung des Kohlensäuregehaltes des Blutes kompensatorisch die Tätigkeit des Atmungszentrums. Auch bestehen Wechsel- beziehungen zwischen den Symptomen, so hängen Pulsbesehleunigung und Pulserniedri- gung in der Regel zusammen, stärkere At- mung wirkt mechanisch auf den Blutdruck ein usf. Dazu kommt, daß die Beziehungen zwischen den Gefühlen und den Ausdrucks- erscheinungen so sehr vermittelt und schwan- kend sind. Ein Normalzustand braucht dem anderen nicht zu gleichen, und es kann bei manchen Versuchspersonen und an manchen Versuchstagen überhaupt schwierig sein, einen solchen Zustand herzustellen oder für eine gewisse Zeitdauer zu erhalten. ' 4. Ergebnisse der Gefühlsforschung. i4a) Die Abhängigkeit der Gefühle von den erregenden Bedingungen. Da es nichts gibt, was nicht die Entstehung von Lust oder Unlust veranlassen könnte, so ist allgemein zu sagen, daß Gefühle von psychi- I sehen Tatbeständen und von denjenigen ' physischen abhängig sein können, die wir ; als Bedingungen für die Entstehung von ' psychischen Tatbeständen ansehen, von den Reizen. Jene lassen sich in Bewußtseins- inhalte und in Bewußtseinsakte oder -funk- tionen einteilen. Es gibt somit Reiz- oder ! sinnliche Gefühle (z. B. die Unlust beim I Stichschmerz oder Hunger), Inhaltsgefühle ' (Lust an einer Farbe, an einem Geruch, mögen sie empfunden, vorgestellt oder ge- dacht werden) und Akt- oder Funktions- j gefühle (Unlust an einer Denkoperation, Lust an kraftvollem WoUen und Handeln). Die j Gesamtheit der für die Gefühle maßgebenden Einflüsse läßt sich danach durch folgende Funktionsformel ausdrücken: G = f [I, D, Ed, i, a)R(v, m)], wo I die Individualität des ein Gefühl er- lebenden Subjekts, D die jeweils bestehende Disposition für Gemütserregungen, E die erregenden Bedingungen (Reize, Inhalte und Akte) und R die reaktiven Folgeerschei- I nungen einer primären Gefühlserregung, teils vorstellungs- und gedankenmäßige (v), teils motorisch-kinästhetische (m), bedeuten. Ein bestimmtes aktuelles Gefühl ist also von einer so großen Zahl wirksamer Faktoren abhängig zu denken, daß es außerordentlich schwer werden muß, die einzelnen Einflüsse I gesetzmäßig festzustellen, zumal es bei der I Ausbildung resultierender Gefühlswirkungen einem Gefühl nicht angesehen werden kann, was die einzelnen Faktoren zu seiner Gestal- tung beigetragen haben. Daraus erldärt es 1 sich, daß man über die gesetzmäßigen Bezie- j hungen der Gefühle zu ihren Bedingungen ! noch nicht viel Sicheres ermittelt hat. j 1. Die Abhängigkeit von der Stärke jdes Reizes läßt sich so formulieren: Hat j ein Reiz von der Stärke S Unlust erregt, so j wirkt eine weitere Verstärkung von S bis 1 zu einem Grenzwert, über den hinaus keine ' Veränderung mehr eintritt, steigernd auf die ! Unlust ein, während eine Abschwächung ' von S auch die Unlust schwächt. Steigerung der Intensität eines Reizes kann dagegen bei 682 Cxefiüü vorhandener Lust sowohl verstärkend als auch schwächend auf das Gefühl einwirken, weil das Maximum der Lust zwischen einem aufsteigenden und absteigenden Ast der Gefühlskurve liegt. 2. Die Dauer des Reizes ist innerhalb gewisser Grenzen wie bei den Empfindungen ein Aequivalent für die Intensität, d. h. eine größere Dauer wirkt wie eine stärkere Inten- sität. Ebenso kann man von einem An- klingen und Abklingen des Gefühls und einer dem Ermüdungsabfall bei den Emp- findungen entsprechenden Gefühlsabstump- fung bei längerer Dauer oder häufigerer Wiederholung desselben Reizes reden, wobei freilich die Zeitwerte für die Gefühle merk- lich größer sind. Die Abstumpfung scheint bei Lustgefühlen rascher einzutreten als bei Unlustgefühlen (Kowalewski). 3. Die Abhängigkeit von den Inhalten spottet vorläufig noch des Versuchs einer exakten Bestimmung. Jeder Inhalt, der durch die Aufmerksamkeit isoliert oder auf Grund einer Zusammenfassung vereinheit- licht werden kann, ist möglicher Gefühls - erreger. Darum können absolute Eigen- schaften, wie süß, rot, Veilchenduft neben Beziehungen der Inhalte zueinander, wie rhythmische oder räumliche Verteilung von Tönen bezw. Farben, ferner Einzeleindrücke und -gegenstände, wie ein Tier oder eine Pflanze, neben Gesamteindrücken oder kollek- tiven Gegenständen, wie ein Städtebild, ein Wald, ein Interieur, selbständig Gefühle aus- lösen. Im allgemeinen sind die Lust und Unlust, die bei Inhalten niederer Sinne auf- treten, konstanter als diejenigen, welche die Eindrücke höherer Sinne begleiten. Man pflegt schon von Perversitäten zu reden, wenn stark bittere Geschmäcke, üble Ge- rüche, Schmerzen iudilferent bleiben oder gar angenehmen Eindruck machen. Auch scheint ein Prinzip der goldenen Mitte für die Inhalte zu gelten, wonach deren Lust- wirkung in verhältnismäßig enge Grenzen zwischen einem Zuviel und einem Zuwenig eingeschlossen ist. 4. Noch weniger wissen wir zurzeit über die Funktionsgefühle. Am meisten läßt sich darüber auf Grund ästhetischer Unter- suchungen über die Freude am Miterleben, an der Einfühlung, an der aufmerksamen Be- trachtung sagen. Die Leichtigkeit und Schwierigkeit, mit welcher sich ein solcher Akt vollzieht, das Gelingen und Mißlingen desselben im Hinblick auf ein durch ihn zu erreichendes Ziel, die Energie, mit der er sich entfaltet und durchsetzt, seine Dauer, die Geschwindigkeit, mit der er wechselt oder abläuft, die Kontinuität und Plötzlich- keit des Ueberganges in andere Betätigungs- weisen haben hier einen im einzelnen noch nicht genügend aufgeklärten Einfluß auf die Gefühle. 5. Die Abhängigkeit von der Indi- vidualität des ein Gefühl erlebenden Sub- jekts wird gewöhnlich in der Lehre von den Temperamenten berücksichtigt. Hiernach hat der Sanguiniker leicht ansprechende und rasch wechselnde, sowie zur Lustbetonung neigende Gefühle, der Choleriker starke und nachhaltige, der Phlegmatiker schwer an- sprechende und schwache, der Melancholiker starke, andauernde und zur Unlustbetonung neigende Gefühle. Ferner unterscheidet man zwischen gleichmütigen und launenhaften, heiteren und schwermütigen Naturen, zwischen Optimisten und Pessimisten, gefühls- kalten und gefühlswarmen, gefühlsrohen, grobfühligen und feinfühligen Personen, Ge- mütsmenschen und Verstandesmenschen. 6. Die Abhängigkeit von der Dis- position ist so wenig wie die vorerwähnte bisher genauer untersucht worden. Bei einem und demselben Individuum kann die Dis- position für das Auftreten bestimmter Gefühle sehr verschieden sein. ^lau ])lk'gt die Dis- position als eine Gemütsstimmung zu be- trachten, die den einzelnen erregenden An- lässen je nach ihrer Lust- oder Unlustfärbung konform oder konträr ist. Aber alle oben aufgeführten individuellen Unterschiede scheinen, wenn auch in erheblich engeren Grenzen, ebenfalls als dispositionelle Varia- tionen vorzukommen. 7. Die Abhängigkeit von den Folge- erscheinungen, von den sekundären Fak- toren auf intellektuellem und sinnlichem Gebiet ist bisher nur in ästhetischem Interesse eingehender behandelt worden. Nachdem schon im 18. Jahrhundert auf die Wichtig- keit der assoziativen Beziehungen für die ästhetische Beurteilung eines Eindrucks hin- gewiesen worden war, hat namentlich Fechners Unterscheidung eines direkten und assoziativen Faktors zu einer gründ- licheren Untersuchung dieser Tatsache ge- führt. Dabei stellte sich heraus, daß hier eine große Mannigfaltigkeit von wirksamen Sekundärbedingungen besteht. Nicht nur die Erinnerung' an "erfreuliche oder unerfreu- liche Gegenstände oder Vorgänge, welche mit einem gegebenen Eindruck verbunden sind, also ein in einem engeren Sinne so zu nennender assoziativer Faktor, sondern auch die Bezicluini;- auf einen Zweck (z. B. Be- wohnbarkeit bei einem Hause) und die daraus sich ergebenden Gradbestimmungen der Zweckmäßigkeit, ein teleologischer Faktor, ferner die Beziehung zu einem Sinn oder einer Bedeutung, welche einem primären Eindruck zukommen und Stufen der Adäquat- heit aufweisen können, ein symbolischer Faktor u. a. hat eine ohne weiteres ver- ständliche Wirkung auf die Gefühle. Dazu GefiÜil 683 kommen die sinnlichen Folgeerscheinungen, die aus den motorischen Folgeerscheinungen entspringen, die Spannung, Erregung, die den ganzen Körper ergreifen können und dann den Charakter von Gemeinempfin- dungen tragen u. dgl. m. 4b) Die Ergebnisse der Ausdrucks- methode. Nach den bisherigen zahlreichen, aber wenig erfolgreichen Untersuchungen dieser Art hat man namentlich wesentliche Unterschiede im Verhalten der Gefühle und ihrer Begleiterscheinungen zu beachten. 1. Es gibt Einzel- und Gemeingefühle ebenso wie Einzel- und Gemeinempfin- dungen. Jene beschränken sich auf die Lust- oder Unlustbetonung eines im Bewußt- sein isolierbaren Bestandteils desselben, einer Empfindung oder Komplexion, einer Vor- stellung, eines Gedankens. Solche Einzel- gefühle scheint es nur unter den sinnlichen und den Inhaltsgefühlen zu geben, da die Akte eine unmittelbare Bedeutung für das ganze Subjekt besitzen und damit auch die an sie gebundenen Gefühle Gemeingefühle werden. Diese sind somit das ganze Subjekt ergreifende, eine einheitliche Färbung oder Betonung für das Seelenleben eines Moments in seiner Totalität darstellende Gefühle. Einzelgefühle können durch einen noch nicht näher bekannten Prozeß der Aus- breitung Gemeingefühle werden. 2. Ferner hat man zwischen aktiven und passiven Gefühlen zu unterscheiden. Jene sind an die Betätigungsweisen des Subjekts, an sein Beachten und Wahrnehmen, Wollen und Handeln, Konstruieren und Ur- teilen gebunden und scheinen selbst aus der Spontaneität einer ursprünglichen Leistung zu entstammen. Die passiven Gefühle da- gegen drängen sich gewissermaßen auf, sind gegeben wie eine Empfindung und werden gleich diesen in rezeptivem Verhalten er- lebt. Es gibt aktive und passive Lust, aktive und passive Unlust, wie besonders von Dumas und Mignard an pathologischen Fällen nachgewiesen worden ist. 3. Endlich liat man affektive oder Chok- und Stimmungsgefühle ausein- anderzuhalten. Jene sind verhältnismäßig starke und plötzliche Aufwallungen des Gefühlslebens, während diese nachhaltigere, langsamer sich verändernde und weniger heftige Zuständlichkeiten desselben sind. Beide Arten gehören in der Regel zu den Gemeingefühlen, doch lassen sich nur die affektiven im allgemeinen auf bestimmte erregende Anlässe zurückführen. Da die Versuche nach der Ausdrucks- methode diese Unterscheidungen meist nicht ausdrücklich zugrunde gelegt haben, so erklärt sich wohl auch aus diesem Grunde die geringe Uebereinstimmung zwischen ihren Ergebnissen. Einige Angaben mögen zeigen. wie wenig Sicherheit und Allgemeingültig- keit den bisherigen Resultaten zukommt. Für die Lust hat man Pulsverlangsamung bei Farben und Tönen, Pulsbeschleunigung bei Geschmäcken und musikalischen Ein- drücken, ferner Pulserhöhung, aber auch Pulserniedrigung, sodann Erweiterung der Hirngefäße, Zunahme des Arm- und Ohr- volumens, aber gelegentlich auch Volum- senkung, weiterhin Steigerung, aber auch Herabsetzung der Muskeltätigkeit und der intellektuellen Betätigung und Abnahme des Eingeweidevolumens, sowie Erniedrigung des Blutdrucks gefunden. Es gibt überhaupt kaum ein allgemeingültig fixiertes Symptom, welches schlechthin für Lust bezw. Unlust charakteristisch wäre, zumal auch individuelle Unterschiede zu bestehen scheinen. Es hat deshalb wenig Zweck, die von den ver- schiedenen Autoren mitgeteilten Ausdrucks- erscheinungen sämtlich aufzuführen oder sich um die Aufklärung der zahlreichen Widersprüche zu bemühen. Weber und Leschke haben eine teleologische Betrach- tung angestellt und beluuiptet, daß bei Un- lust eine Selbstanästhcsie der Haut und eine Selbstnarkose des Gehirns und damit eine geringere Empfänglichkeit für Unlust- erregungen eintrete, während die Lust- zustände eine größere Aufnahmefähigkeit der peripheren und zentralen nervösen Organe für die entsprechenden Erregungen nach sich ziehen. Im allgemeinen erhält man den Eindruck, daß sich die Erscheinungen der Aktivität und Passivität, der Einzel- und Gemeingefühle, der affektiven und Stimmungsgefühle schärfer und deutlicher zur Geltung bringen, als der qualitative Gegensatz von Lust und Unlust. Vielleicht ist für die Lust eine hemmungs- lose Entfaltung aller organischen Tätig- keiten, für die Unlust dagegen Hemmung und Widerstand bezeichnend. Doch lassen sich darüber zurzeit noch keine abschließenden Bestimmungen geben. 5. Theorien der Gefühle. Die Theorien können nicht erklären wollen, daß es über- haupt Gefühle gibt und daß diese Lust und Unlust sind, sondern nur das Auftreten und den gesetzmäßigen Verlauf von Lust und Unlust im Zusammenhange mit anderen psychischen Tatsachen verständlich machen. Eine Uebersicht über die bisher aufgestellten Theorien ergibt sich aus folgender Ein- teilung : I. Die heterogenetischen Theorien suchen die Gefühle auf andere psychische Tatsachen, insbesondere auf Empfindungen, Vorstellungen und Gedanken zurückzuführen. Sie zerfallen in: a) sensualis tische, die a) eine selbständige Klasse von Empfin- 684 Gefühl düngen, sogenannte Gefühlsempfindungen, annehmen oder ß) die Gefühle zu den Organempfin- dungen, insbesondere den Visceralempfin- dungen rechnen ; b) intellektualistische, die a) sie aus Vorstellungsverhältnissen her- vorgehen lassen, oder ß) sie als dunkle Gedanken, als eine Art des Wissens fassen. IL Die autogenetischen Theorien er- kennen die Gefühle als eine besondere elemen- tare Ivlasse von Bewußtseinsinhalten an und zerfallen in: a) physiologische Theorien, welche Lust und Unlust als Wirkungen a) peripherischer Organe oder Funk- tionen, ß) subkortikaler Organe (namentlich des Thalamus opticus) und Funktionen fassen; b) psychologische Theorien, die die Gefühle a) als eine Wirkung von Vorstellungs- tätigkeiten, ß) als Ich-Zu stände zu begreifen suchen ; c) psycho physische Theorien, welche Lust und Unlust a) als an die Erregungen eines besonderen Gefühlszentrums der Kinde oder ß) an besondere psychophysische Pro- zesse in ihr gebunden denken. Eine ausführliche Diskussion aller dieser Theorien ist hier ausgeschlossen. Wir müssen uns auf wenige Bemerkungen beschränken, da sich noch keine von ihnen einer allgemeinen Zustimmung erfreuen kann. Die sensu- alistischen Theorien scheitern, wenn es ein sicheres Kriterium der Gefühle gibt, an deren Verschiedenheit von den Empfindungen. Auch ist es bei der Universalität der Gefühls- erreger sehr unwahrscheinlich, daß Lust und Unlust an ein Sinnesorgan und an ein bestimmtes subkortikales oder kortikales Zentralorgan gebunden seien. Mag man auch zugeben, daß Organempfindungen von großer Bedeutung für die Entstehung komplexer Gemütszustände, namentlich der Affekte und Leidenschaften sind, so geht daraus doch noch nicht hervor, daß Lust und Un- lust nichts anderes als Organempfindungen sind. Ihre aktuelle Erregung durch beliebige Anlässe spricht gegen diese Annahme. Di& intellektualistischen Theorien sind in hetero- genetischer Form namentlich durch Herbart und seine Schule ausgebildet worden. Nah- lowsky z. B. definiert die Gefühle als un- mittelbares Innewerden der Hemmung oder Förderung unter den eben im Bewußtsein vor- handenen Vorstellungen. Aus der modernen Psychologie ist diese Anschauungsweise fast ganz verschwunden, weil sie den zweifellos bedeutsamen psychophysischen Bedingungen keine Kechnun'g trägt und nur für die so- genannten höheren Gefühle in Betracht , kommen kann. Als ein dunkles Wissen er- ^ scheinen die Gefühle dem vulgären Sprach- i gebrauch. Ein sicheres Kriterium läßt diese vage Redeweise vermissen, und die auch i auf Lust und Unlust ausgedehnte Leibniz- Wolff sehe Theorie dieser Art ist mit Recht aufgegeben worden, weil in ihnen gar kein Wissen um Vollkommenheit oder Unvoll- kommenheit enthalten ist. Die physiologischen Theorien knüpfen gewöhnlich an die spezifische Tatsache des Schmerzes an und übersehen, daß dieser zwar mit Unlust verbunden zu sein pflegt, aber auch indifferent sein und auf keinen Fall für alle Unlüste verantwortlich gemacht werden kann. Die Annahme von trophischen Funktionen, die bei allen Sinnesnerven in gleichartiger Weise eine RoUe spielen, kann I höchstens für die sinnlichen Gefühle in Betracht gezogen werden. Die Lehre von I subkortikalen funktionellen Prozessen be- I rücksichtigt nur einen für die Gefühle wesent- j liehen Faktor, die sekundären Folgeerschei- nungen, und diese nur in der Form von motorischen Reaktionen. Die psychologi- j sehen Theorien lassen die namentlich durch pathologische Erscheinungen sichergestellte Einwirkung körperlicher Veränderungen außer Acht. Unter den psychophysischen Theorien, die die größte Wahrscheinlichkeit für sich haben, hat sich noch keine der all- gemeinen Anerkennung zu erfreuen. Bei den zahlreichen Herderkrankungen, die bis- her beobachtet worden sind, hätte sich ge- wiß ein Gefühlszentrum finden lassen, wenn ein solches bestände. Vielmehr ist, auch mit Rücksicht auf die oben geschilderte Aktuali- tät der Gefühle, eine dynamische Theorie anzunehmen, welche in der Eigenart gewisser psychophysischer Vorgänge, also in funktio- nellen Erscheinungen, die Grundlage und den Parallelprozeß für Lust und Unlust erblickt. Literatur. A. Lehmann, Die Hauptgesetze des Hirns, hl Irhrn G>ji}],hUJ„ HS, 1892. — Derselbe, Di, L-iifjirrlic/ieu Ariißrrungen 2^sychischer Zu- stände, 1 1899, III 1905. — Th. Ribot, Psycho- logie der Gefühle, 19US. — Th. Lipps, Vom Fühlen, Denken und Wollen, 2. Aufl. 1907. — C. Stumpf, üeber Gefühlsempfindungen, Zeit- schrift für Psychologie, 44, 1906. — G. Dumas, La tristesse et la joie, 1900. — Mignard, La joie jmssive, 1909. — Berger, lieber die körperlichen Aeußerungen psychischer Zustände, S Teile, 1904 bis 1907. — Shepard, Organic changes in feeling. Anieric. Journ. of Psych, i'j, 1906. — Cr. Störring, Experimentelle Beiträge zur Lehre vom Gefühl, Arch. für die ges. Psych., 6, 1906. — G. Martins, Ueber die Lehre von der Beeinflussung des Pulses und der Atmung durch psychische Reize, Beiträge zur Psych, und Philos., I, 1905. — E. B. Titchener, Lectures on a elementary psychology of feeling and Grefülü — Greliirn (Antlu'opologisch) 685 attention, 1908. — E. Weber, Der Einfluß psychischer Vorgänge auf den Körper, 1910. — E, Leschke, Die körperlichen Begleiter sehet- imngcn seelischer Vorgänge, Arch. Jiir die ges. Psych., 21, 1911. — M. Kelchner, Sammel- referat über die Gefühlslehre, ebd., Bd. i8, 1910. — W. Wtmcit, Grundzüge der physiologischen Psychologie, 6. Aufl., wo besonders die Leipziger Arbeiten nach der Ausdrucksmethode berück- sichtigt sind. — W. Peters, Gefühl und Er- innerung, Kraepelin's Psychologische Arheiten 6, 1911. — Utitz, Die Fanktionsfr enden im ästhetischen Verhalten, 1911. — O. Külpe, Der gegenwärtige Stand der e.rperimenteUen Aesthelik, Bericht über den IL Kongreß für experimentelle Psychologie in. Würzburg, 1907. — A. Kowa- lewski, Studien zur Psychologie des Pessimistiuis. Grenzfragen des Nerven- und Seelenlebens H. 24, 1904 und dazu O. Külpe in den Göttinger gelehrten Anzeigen 1905. O. Külpe. Gegeubaur Karl. Geboren am 21. August 1826 zu Würzburg, gestorben am 14. Juni 1903 in Heidelberg. Er widmete sich von 1845 an in Würzbnrg medi- zinischen, insbesondere anatomischen Studien unter KoUiker und Virchow ; war also Schüler der Würzburger medizinischen Schule in ihrer Glanzzeit. Er promovierte 1851 und wrkte dann als Assistenzarzt am Würzburger Julius- hospital. 1852 gab er jedoch diese Stellung schon wieder auf, um sich ausschließlich anatomischen Untersuchungen zu widmen. Zu diesem Zwecke weilte er 1852 bis 1853 an der sizilianischen Küste, um sich mit der Organisation der niederen marinen Fauna des Mittelmeers bekannt zu machen. Nachdem er sich 1854 an der Univer- sität seiner Vaterstadt als Privatdozent für Anatomie und Physiologie habilitiert hatte, erhielt er schon im nächsten Jahre einen Ruf als außer- ordentlicher Professor nach Jena, wo er 1858 zum ordentlichen Professor für Anatomie und zum Direktor der anatomischen Anstalt er- nannt wurde. Auch in Heidelberg, wohin er 1873 berufen wnirde, und 30 Jahre lang wirkte, vertrat er die Anatomie des Menschen und die vergleichende Anatomie. Gegenbau r gehörte zu den hervorragendsten Forschern auf dem Gebiete der vergleichenden Anatomie. Er ist als direkter Fortsetzer der vergleichenden Anatomie von Joh. Müller und H. Rathke anzusehen. Seine For- schungsmethode baute sich auf streng empir- ischer Grundlage auf. Seine Arbeiten er- streckten sich noch über das ganze Tierreich, namentlich betrafen sie die niederen marinen Metazoen, sowie die meisten Gebiete der Wirbel- tieranatomie mit Einbegriff des Menschen. Auf letzterem Gebiete beschäftigten ihn zunächst histogenetische Fragen, dann aber wandte er sich bald dem alten Problem der Entstehung des Wirbeltierkopfes und der Schädeltheorie zu, die im Anschluß an R. Owen und Huxley und besonders auf Grund des Studiums über das Kopfskelett der Selachier neue Formen anzu- nehmen anfing, die mehr der Entwickelungslehre entsprachen. Seine umfassendsten Untersu- chungen widmete er dem Extremitätenskelett der Tetrapoden, wonach die paarigen Extremitäten als eine biseriale Flossenform, das Archiptery- gium, entstanden sein sollten. Dieses wiederum sollte sich aus lüemenbögen herleiten. Außer diesen Arbeitsgebieten hat er jedoch auch die verschiedensten Punkte der vergleichenden Anatomie in Angriff genommen, wie wir ihm überhaupt eine Reihe der \vichtigsten Ent- deckungen in der Anatomie verdanken. Er ist als der Begründer der größten Schule auf dem Gebiete der Morphologie anzusehen. Dadurch, daß er mit seinen Schülern im lebhaften Ge- dankenaustausch blieb, gewann er die ausge- dehnteste Uebersicht über das Gesamtgebiet dieser Wissenschaft, die sich in seiner 1898 bis 1901 erschienenen klassischen ,, vergleichenden Anatomie" wiederspiegelt, in der er im Geiste der Entwickelungslehre alles bisher bekannte in knappster Form zusammenfaßte. Seit 1875 gab er das morphologische Jahrbuch heraus; dieses stellte eine Zeitschrift für Anatomie und Ent- wickelungsgeschichte dar, die noch heute in Blüte steht. Seine hauptsächlichsten Werke sind: ,, Unter- suchungen der vergleichenden Anatomie der Wirbeltiere" (HeftlbisS, Leipzig 1864 bis 1872); ,, Untersuchungen über Pteropoden und Hetero- poden(Leipzigl855); ,,Grundzüge der vergleichen- den Anatomie" (2. Aufl. Leipzig 1870); ,, Grundriß der vergleichenden Anatomie" (2. Aufl. 1878); „Lehrbuch der Anatomie des Menschen" (Leipzig 1883); „DieEpiglottis"(das. 1892); „Vergleichende Anatomie der Wirbeltie'-e" (das. 1898 bis 1901, 2 Bde.); „Erlebtes und Erstrebtes" (das. 1901). Literatur. Btirclchardt, Geschichte der Zoologie, Leipzig 1907. — M. Fürbringer, Festbericht über die Enthüllung von K. Gegenbaurs Büste von Professor Seffner am 12. 3fai 1906 in Heidelberg, in Morphol. Jahrb., Bd. 35, 1906. — Derselbe, K. Gegenbaur. In der Fest- schrift „Heidelberger Professoren aus dem 19. Jahrhundert" , Heidelberg 190S. W. Harms. Gehirn. Anthropologisch. Die Anthropologie des Geliirnes ist bis •zu gewissem Grade ein Stück aus der „Rassenmorphologie" (s. Bd. VIII, S. 106). Sie beschränkte sich bis jetzt (s. unten) auf die makroskopische Betrachtung des Gehirnes und hat dabei vor allem zwei Probleme verfolgt: man untersuchte 1. die Größe des Gesamthirnes, d. h. das Hirn- gewicht und zwar a) vergleichend-anatomisch und b) in seinen Beziehungen zur Hirn- funktion nach Individuum und Rasse; 2. die Oberflächengestaltung nach denselben zwei Seiten. 686 Gelürn (Aiitlu'opologiscli) Das Gehirngewicht des Menschen nimmt, das alier Sängetiere, insbesondere der anthropoiden Affen eine Sonderstellung ein; es ist viel schwerer. Absolut wird das menschliche Hü-ngewicht nur von dem des Elefanten und einiger Walfische übertroffen (Weber, Die Säugetiere, Jena 1904) (Elefant 5 kg, Löwe 200 bis 250 g, Pferd 600 bis 800 g, Orang und Schimpanse ca. 375 bis 400 g, Gorilla 400 bis 500 g, Mensch 1300 bis 1400 g [s. unten]). W^enn man das Hirngewicht relativ zum Körpergewicht berechnet, beträgt das Verhält- nis beim Elefanten 1:560, beim Löwen 1:546, beim Hund 1:350 bis 190, beim Gorilla 1:220, beim Schimpansen 1:75, beim Menschen 1:35 bis 40! Aber auch einige niedere W^estaffen (nur diese) haben relativ außerordentlich hohes Hkn- gewicht, so daß jenes Verhältnis auf 1:26 bis 15 (Mida s und Ateles) sinkt; das müssen (speziell auch nach den neuen Hirnuntersuchungen) (s. unten) Parallelbildungen auf etwas anderer Basis sein. ; Das ungünstige Verhältnis bei Anthropoiden ist durch die große Körpermasse und geringes Hknwachstum bedingt, in der Jugend ist das Verhältnis dem des jugendlichen Menschen | ähnlicher: Schimpanse (1- bis 4jähr.) 1:24, | Orang (2- bis 4jähr.) 1:22, Mensch (2- bis 4jähr.) i 1:16 bis 18 nach Wiedersheim (Bau des | Menschen, Tübingen 1902) das Affenhirn hört also sehr frühe auf zu wachsen. Die Kluft zwischen den Anthropoidengehkn- gewichten (absolut) und den menschlichen wkd j durch die fossilen der Hominiden etwas ausge- füllt, besonders Pithecanthropus (s. Bd. IV S. 351). Innerhalb der heutigen Menschheit sind die Unterschiede im Gehirngewicht außer- i ordentlich groß, nach Rassen und individnell. I Die individuellen Schwankungen gehen über ' die Rassengrenzen weg, also die leichtesten Gehirne einer großhirnigen sind leichter als , die schwersten einer kleinhirnigen Gruppe. — | Das Hirngewicht hängt von der Körpergröße bezw. Körpermasse deutlich ab ; über das betreffende Verhältnis liegen manche Unter- suchung vor, aber vieles davon ist noch problematisch, da man bald mit der Körper- länge (d. h. Rumpf + Beine + Hals + Kopf), bald mit dem Körpergewicht verglich. Dabei haben Gesundheitszustand (Fett), Todes- ursache, Blut- nnd Wassergehalt des Gehirns (Wassersucht, Schwindsucht) außerordent- lich großen Einfluß auf das Resultat. Auch das Alter modifiziert es stark, da senile Gehirne normalerweise beträchtlich leichter werden (10%). Das weibliche Gehirn ist bei allen Rassen — bei uns um ca. 120 bis 150 g — leichter als das männliche; relativ zum Körpergewicht aber etwas schwerer. — Die Rassenunterschiede lassen sich etwa folgendermaßen beziffern. Das mittlere Hirngewicht des Mannes beträgt: bei Chi- nesen 1428, Europäern 1361, Negern 1316. Nach dem Schädelraum darf man das Gehirn- gewicht von Australiern, Weddas, Busch- männern auf 1200 bis 900 g schätzen. Die Untersuchungen nach Beziehungen zwischen Hirngewicht und psychischen Lei- stungen sind außerordentlich zahlreich, Buschan (1904) gibt eine gnte Zusammen- stellnng. Danach kann man sagen: Geistig, d. h. kulturell hochstehende Rassen haben ein höheres Gehirngewicht als kulturell niedrig stehende; man muß dabei nicht nur den manche Differenz verwischenden arith- metischen Mittelwert berücksichtigen, son- dern vergleichen, wieviele Individuen aus den betreffenden Rassen wirklich sehr hohe und wieviele wirklich sehr geringe Gewichte haben. — Innerhalb der Knlturrassen haben die sogenannten höheren Bildungsschichten ein höheres Gehirngewicht als die anderen — nach dem Mittelwert und vor allem nach der Zahl der Individuen mit sehr schwerem Gehirn. So haben z. B. (nach Matiegka in Prag) von Tagelöhnern, Arbeitern usw. 26% Gehirne von mehr als 1400 g, von Hand- werkern und Gewerbetreibenden 43% solche, von kleinen Geschäftsleuten, niederen Be- amten, Lehrern usw. ^8% und von Studierten (höhere Beamte, Aerzte usw.) 57%. — End- lich haben innerhalb dieser letzteren Klasse geistig ganz besonders hervorragende (soge- nannte berühmte Männer) in etwa doppelt soviel Prozent Gewichte über 1450g als gleich- alterige gewöhnliche; unter 98 bekannten Gehirngewichten solcher Berühmtheiten sind 9% über 1700 g, 7% über 1750 g — dagegen unter 98 gleichalterigen Unberühmten nur 0,4% über 1700 und keine über 1750 g. — Aber das gilt nur vom Durchschnitt; einzelne Berühmte haben recht kleines Gehirn und einzelne Unberühmte, ja nachgewiesener- maßen geistig Minderwertige, haben ganz große Gehirne; aber das sind Ausnahmen — das andere ist die Regel. — Da im großen ganzen vom Schädelraum auf die Hirngröße geschlossen werden kann, kann man sagen, daß mit steigender Kultur am selben Ort — selbe Rasse (?) — die Gehirngröße zu- nimmt, das zeigte sich an Pariser Gräber- schädeln, die im 12. Jahrhundert um 35 ccm weniger faßten als im 19. — die neolithischen Schädel in Frankreich und am Rhein faßten weniger als mittelalterliche. — Endlich zeigen die mit Intelligenzschwund einher- gehenden Geisteskrankheiten eine Abnahme des Hirngewichts. So kann man sagen, Hirngewicht und Intelligenz steigen und fallen parallel; meist sagt man, jenes bedinge diese; aber es ist auch möglich, daß das Gehirn des berühmten Mannes schwerer ist, weil es viel arbeiten mußte. Gewicht könnte also Folge statt Ursache sein — wahrschein- lich ist das allerdings nicht. — Für die mindere Leistungsfähigkeit des (leichteren) Negergehirnes spricht die Tatsache, daß die Zahl der nordamerikanischen Neger, die Uehirn (Anthropologisch) 687 H im Kampf ums Dasein mit dem Gehirn versagten, d. h. geisteskrank wurden, seit der Sldavenbefreiung ruckweise stieg, während die Neger in der Sklaverei eine viel geringere Zahl Geisteskranker aufwiesen als die Weißen. Noch viel mehr als das Gewicht hat von jeher die GeliiriKilx'riliiche mit ihren so komplizierten Windungen interessiert — die Literatur darüber ist geradezu ungeheuer. Nach zahlreichen Untersuchungen auf Rassen- unterschiede im Windungsrelief verschiede- ner europäischer Gehirne und nach Auf- stellung von vermeintlichen solchen an einzelnen Gehirnen farbiger Rassen, hat zuletzt Kohlbrugge (1909) wohl das größte Material von Rassenhirnen untersucht (ca. 65 Stück, Australien, Celebes, Sumatra, Java), und kommt zu dem mit aller Schärfe ausgesprochenen und mit zahlreichen Bei- spielen erhärteten Schluß, daß Windungen und Furchen aufs äußerste variabel sind, daß es eine Regel dafür nicht gibt, daß wir Rassenunterschiede nicht nur nicht kennen, sondern daß es keine gibt bezüglich des Windungsverlaufes, des Auftretens von Varianten usw., so daß künftig jede dies- bezügliche Variationsstatistik sinnlos ist. Eine glänzende Bestätigung dieses (rein durch makroskopische Betrachtung ge- wonnenen) Resultates ergibt die moderne Hirnforschung ! (s. unten). — So können hier all die Arbeiten, die sich mit Furchen- statistik beschäftigen, Bean, Landau, Retzius, Sergi, Weinberg und viele andere übergangen werden, zumal Mall (1909) zu denselben Resultaten an Neger- hirnen kommt; er mischt bestimmt markierte i Neger- und Europäer-Männer- und -Frauen- hirne und läßt sie unabhängig von mehreren anatomischen Fachmännern sortieren — es besteht im Windungstypus, in der Häufig- keit bestimmter Varianten (auch der so- genannten Affenspalte Elliot Smiths), im Gewicht einzelner Teile keinerlei Unterschied nach Rasse oder Geschlecht. — Besonders genannt werden muß hier noch die neueste Bearbeitung durch H. Klaatsch (1911), der gerade von den verwirrenden kleineren Furchen absehen will und „morphologisch" einige große, vor allem die Zentralfurche, nach Richtung und Form studieren will; er unterscheidet einen Westtypus, der den Negern zukommt und gorilloid sei, d. h. dem Gorillagehirn eigen und einen Osttypus, bei Malayen usw., der orangoid sei. Die an sich berechtigte Methode wird der Prüfung an größerem Material dringend bedürfen, Verfasser glaubt, daß es genau gehen wird, wie mit den so oft konstatierten Rassenunterschieden einzelner Varianten, so- bald das Material groß genug wurde, ver- schwanden sie spurlos. 1 Fehlen also Rassenunterschiede im Win- dungstypus, so ist die Wahrscheinlichkeit, daß typische individuelle Unterschiede darin bestehen, etwa nach der Leistungs- fähigkeit, gleich Null. Aber auch solche sind oft behauptet. Eine Menge Hirne besonders hervorragender oder ganz einseitig begabter oder aber verbrecherischer Per- sonen sind untersucht worden — meistens wurde die eine oder andere auffälligere Variante konstatiert — aber sie kommt in Dutzenden gewöhnlichen Hirnen auch vor (Auerbach, Hansemann, Ranke, Retzius, Spitzka u. a.). Um die Ver- erbung bestimmter Furchungstypen nachzu- weisen, hat man Gehirne von Zwilhngen (Waldeyer), von blutsverwandten Indi- viduen (Eltern und Kindern, Geschwistern), Menschen und Tieren untersucht und will größere Aehnlichkeit, häufigere Gleichheit einzelner Furchen, Varianten usw. gefunden haben, so daß da eine Vererbung deutlich sei (Karplus [1905], Spitzka [1904]). Der Unterschied in den Leistungen hängt sicher nur von feinsten Unterschieden in den be- treffenden Zellen der Hirnrinde, nicht von groben Formunterschieden dieser Rinde ab, diese bezeichnet z. B. Stieda (Korre- spondenzblatt 1907) mit Recht als bedingt durch unbekannte Ursachen, ungleiches Wachstum usw. (bezüglich der Wechsel- wirkung von Hirnrelief und Schädelform vgl. den Artikel „Schädellehre"). Diese ganzen mühevollen und doch so ergebnisarmen Forschungen werden aber nun durch ganz großartige neue Ergeb- nisse der feinen Anatomie des Gehirnes ersetzt und auch der anthropologischen Forschung werden neue Hoffmmgen ge- geben. Brodmann, Vogt, E. Smith, Knauer, Campbell u. a. haben zeigen können — Brodmann (1912) gibt eine äußerst klare Uebersicht und eine um- fangreiche Darstellung (1909) — , daß man den Furchen keinerlei Bedeutung für die Größe bestimmt funktioneller Rindenfelder beimessen darf. Diese Felder dagegen haben je besondere, unterscheidbare Zellstruktur; nur Felder mit gleicher Struktur sind aber auch morphologisch homolog. Da z. B. die Feldgrenze bestimmter Felder in der Gegend der Zentralfurche keinerlei Rücksicht auf diese nimmt, also bald hinter ihr bleibt, bald ein paar Millimeter über sie nach vorn reicht, ist diese völlig irrelevant für die Vergleichung homologer Hirnpartien; dann sind es aber die kleinen Furchen 2. und 3. Ordnung noch viel mehr (infolgedessen kann hier die ganze Literatur, die sich auf das Primatengehirn bezieht und die Ver- gleichung von Menschen- und Affenhirn weggelassen werden; die wichtigere ist bei Brodmann [s. unten] zitiert). — Diese Er- 688 Grehirn (Antlu'opologiscli) — • Greliii'nnerven forschung der Rindenfelder konnte aber bis heute schon wundervolle Ergebnisse auf vergleichend anatomischem Gebiet zeigen. — Hier gibt Klaatsch (1911 — im ersten Teil der oben erwähnten Arbeit) eine glänzende Darstellung von großen Gesichtspunkten aus, auf die besonders verwiesen sei; in- zwischen ist aber die Forschung in derselben Richtung noch weiter gekommen. — Gerade das menschlich-typische Stirngebiet gelang es abzugrenzen. Früher, nach den Furchen, war die rein motorische Sphäre im hinteren Teil des Stirnhirnes vom eigentlichen Stirn- gebiet nicht abgrenzbar gewesen — so hatten relativ niedere Formen scheinbar ein mächtiges Stirnhirn — , die Formen mit furchungsloser Rinde konnte man gar nicht phylogenetisch verwenden, sie zeigen sich jetzt als besonders wichtig. Es würde zu weit führen, hier auf Einzelheiten einzugehen, es ist zu hoffen, daß die nächsten Jahre uns hier bezüglich der Stammesgeschichte der einzelnen Hirnrindenbezirke noch schöne Ergebnisse liefern werden. Schon hat man sogar mit vergleichenden Oberflächen- messungen begonnen. Die Oberfläche des eigentlichen Stirngebietes (also soweit der bestimmte Rindenbau geht, der sich durch Schichtung, Zellformen usw. auszeichnet, ohne ,, Furche" als Grenze) beträgt von der Gesamthirnrinde beim Menschen 29%, beim Schimpansen 16,9%, beim Gibbon 11,3%, ebenso beim Makak, bei zwei Pavianen 10,1 und 9,5%, beim Kapuzineraffen 9,2%, beim Maki (Lemur) S,3%, beim Hund 6,9%, der Katze 3,4%, beim Kaninchen 2,2% — die Resultate sind fast zu schön! — . Das Studium der histologischen Grenzen bestimmter Rindenfelder beginnt auch auf Rassen angewandt zu werden. Brodmann (1910) berichtet über Unterschiede des ,, Sehfeldes" am Hinterlappen, das bei Hottentotten und Javanen weiter nach der Seitenoberfläche reichen soll als beim Euro- päer — man wird auch da großes Material haben müssen, um sicheres zu sagen; aber äußerst aussichtsvoll sind diese Dinge, denn hier handelt es sich um deutlich differente Struktur solcher Rindenbezirke, die laut Tierexperiment und Erfahrung am Ivranken- bett und Sektionstisch deutlich differente Funktion haben. So dürfte auch anthro- pologisch, nicht nur anatomisch, eine neue Zeit in der Gehirnforschung angebrochen sein. An m. Bezüglich der Technik der Herausnahme des frischen Gehirnes, seiner Konservierung, oder der Konservierung im Kopf muß auf die anatomi- sclicn lind ]i;i thologischen Techniken und Konser- vieruiigsaiileitungen verwiesen werden. Ueber Gcwirhtsvcränderungen durch die Konservierung hat Hrdlicka (1906) sehr interessante Versuche angesteht; Alkohol-Formalinmischung hält er für das beste Konservierungsmittel. Literatur, üean, Some racial 2>ectilarities of the Negro brain. Am. Journ. Änat., 5, 1906. — Brodmann, Vergleichende Lokalisationslehre der Großhirnrinde usw. Leipzig 1909. — Der- selbe, Vorkommen der Affenspalte bei ver- schiedenen 3fenschenrassen. Arch.f. Psychiatr.,^8, 1909. — Derselbe, Neue Ergebnisse über die vergleichende histologische Lokalisation der Groß- hirnrinde usw. Verhandl. d. Anat. Ges. 1912. — Buschan, Kultur und Gehirn. Arch.f. Rassen- u. Ges.-Biol., i, 1904. — Hrdlicka, Brains and Brain Preservatives. Proc. Uiiit. St. Nat. 3fus., 30, 1906. — ■ Karplus, Variabilität und Vererbung am Zentralnervensystem, Leipzig- Wien 1907, und: Familienähnlichkeiten an den Qroßhirnfurchen. Arb. d. neural. Inst. Wien, 12, 1905. — Klaatsch, Die stammesgeschichtliche Bedeutung des Reliefs der menschlichen Groß- hirnrinde. Anthr. Korrespbl. 1911. — Kohl- brugge. Die Gehirnfurchen malaiischer Völker usw. Verh. K. Akad. v. Wetensch. Amsterdam (2. Sekt.), 12, 1906 und besonders 15, 1909. — Landau, Großhirnfurchen . . . bei den Esten. Zeitschr. Morph. Anthr. 1910, 1911. — Mall, On several anatomical Characters of the Human Brain usw. Amer. Journ. Anat., 9, 1909. — Retzius, Menschenhirn. Stockholm 1896. Affen- hirn. Stockholm 1906. — Sergi, Cerebra hererica. Denkschr. d. med. nat. Ges. Jena, 15, 1909. — Spitzka, Brains of three Brothers. Amer. Anthr., 6, 1904- Brain-weights of men notable in tht professions etc. 3Ied. Journ. Philadelphia 190S ; Amer. Journ. Anat., 4, 1905; Trans. Amer. Philos. Soc. 1907. — Weinberg, Gehirn bei den Esten — Letten — , Kassel 1896; der Polen, Stuttgart 1905. E. Fischer. Gehirnnerven. 1. Allgemeines. 2. Ursprung, Verlauf und Funktion der einzelnen Gehirnnerven. I. Allgemeines. Der Mensch besitzt 12 Hirn nerven paare, d. h. Nerveufaser- bündel, die in symmetrischer Anordnung im Gehirn oder in Hirnnervenganglien ent- springen, das Gehirn an seiner Unterfläche (Ge- hirnbasis) (Fig. 3) verlassen, und durch be- stimmte paarweis angeordnete Oeffnungen (Foramina) aus der knöchernen Schädelhöhle hervortreten (Fig. 1). Von diesen 12 Gehirn- nerven sind 3 spezifische Sinnesnerven für den Geruch (I), den Gesichtssinn (II) und das Gehör (VIII). Drei sind sogenannte ,,gemischte" Nerven, insofern sie sowohl Be- wegungs- als p]ni[)fiiuluiigsfasern führen (V, IX, X); von diesen ist der IX. außerdem mit einem Teil seiner Fasern Sinnesnerv für den Geschmack. Sechs Gehirnnerven sind reine Bewegungsnerven (motorische Nerven) (III, IV, VI, VII, XI und XII). Die letztgenannten Nerven gehen aus (Teliirnnerven 689 Nervenkerngruppen hervor, die in dem so- genannten verlängerten Mark (Medulla oblongata) nnd der Gehirnbrücke (Pons Varoli), sowie am Boden des IV. Hirn- ventrikels bezw. unterhalb der Vier- hügelgegendgelegen sind (Fig. 2). Die sen- siblen Hirnnerven (Gefühlsnerven) ent- springen außerhalb des Gehirns aus den sogenannten Hirnnervenganglien; das sind Anhäufungen von bipolaren grauen Ganglienzellen, von denen ein zentraler Fort- satz in die Medulla oblongata eindringt, während der andere periphere Fortsatz den zur Körperoberfläche bezw. den Sinnesor- ganen verlaufenden peripheren Nerv darstellt. Für die Gehirnnerven liegen also die anatomischen Verhältnisse ebenso wie bei den Rückenmarksnerven. Die vorderen motorischen Rückenmarkswurzeln, welche die Bewegungsfasern für die Extremitäten- und Rumpfmuskulatur führen, entspringen, analog den motorischen Gehirnnerven für Ge- sichts-, Schlund-, Kehlkopf muskeln usw., aus Gruppen von Ganglienzellen, die im grauen Vorderhorn des Rückenmarks gelegen sind. Die Gefühlsnerven (für die Körperfläche, die Knochen, Gelenke und Muskeln) gehen dagegen aus den außerhalb des Rückenmarks gelegenen sogenannten Spinalganglien her- vor, die wie die Hirnganglien aus Zellen mit zwei Fortsätzen bestehen, lieber die Ver- laufsbahn der Gehirnnerven oberhalb ihrer Kerne, also über den Verlauf in der Tiefe des Gehirns (intercerebrale Bahn) bis zur Hirnrinde, ihrer letzten End- bezw. Aus- gangsstation, sind unsere Kenntnisse zum Teil noch ganz unsicher. 2. Ursprung, Verlauf und Funktion der einzelnen Gehirnnerven. I. Nervus olfactorius. Der Geruchsnerv wird von Fig. 1. Die Hirnnerven an der Schädelbasis. Rechts ist die Dura entfernt und sind die Nerven bis zu ihren Austrittsöffnungen verfolgt (nach Heinle). I Olfactorius durch die Lamina cribrosa i. d. Nasenhöhle, II Opticus durch Foramen opticum i. d. Orbita, III Oculomotorius und IV Trochlearis durch die Fiss. orbital, sup. i. d. Orbita, V Trigeminus (1. Ast durch Fiss. orbital, sup. i. d. Orbita, 2. Ast durch For. rotund., 3. Ast durch For. ovale), VI Abducens durch Fiss. orbit. sup. i. d. Orbita, VII Facialis und VIII Acusticus durch Meatus acust. intern., IX Glossopharyngeus, X Vagus, XI Accessorius alle durch Foramen jugulare, XII Hypo- glossus durch Foramen condyloid. anterius, car Carotis interna, cia, dp Processus clinoideus anterior, posterior, gg Ganglion Gasseri, h Hypophysisstiel, t Ansatz des Tentorium cerebelli. Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV. 44 690 Gehirrmerven etwa 20 Riechfäden gebildet, die aus dem sogenannten Bulbus olfactorius, dem Riech- kolben, hervortreten, der an der Basis des Stirnhirns gelegen ist (s. Fig. 3). Von scheidenartigen Fortsätzen der Hirnhäute umgeben, gelangen die Geruchsfäden, in eine Fig. 2. Die Lage der Hirnnerv enkerne. Die Medulla oblongata und der Pons durchsichti gedacht. Nach E ding er. Fig. 3. Hirnbasis mit den austretenden Nervenwurzeln. Die Hirnnerven sind in der üblichen Weise numeriert (s. Erklärung zu Fig. 1). VII a = N. intermedius. Nach Hei nie. Grehirnnerven 691 mediale und laterale Keihe gesondert, durch eine Anzahl feinster Knochenkanälchen (Foramina cribrosa) aus der Schädelhöhle in die Nasenhöhle und breiten sich in der Schleimhaut der Nase ans, um daselbst in den Riechzellen zu endigen. IL Nervus opticus. Der Sehnerv, ein 4 mm dicker zylindrischer Nervenstamm, hat seinen ersten Ursprungsort — die eigent- liche Endstation liegt in der Rinde des Hinterhauptslappens — in der Tiefe des Großhirns im Sehhügel (Thalamus opticus), im Corpus geniculatum laterale und im vorderen Vierhügel. Aus diesen Hirn- teilen, die zahlreiche Ganglienzellen ent- halten, geht er als starker Nervenstamm hervor und gelangt an die Gehirnbasis, wo die beiden Sehnervenstämme eine teilweise Kreu- zung eingehen, so daß nach der Kreuzungs- stelle, dem sogenannten Chiasma nervi optici, jeder zum Auge hinziehende Sehnerv Fasern aus beiden Hirnhälften enthält. Um- kleidet von einer Scheide der Hirnhäute treten die Sehnerven durch die Foramina optici aus der Sehädelhöhle in die Augen- höhlen. Hier dringen sie an der Hinterseite der Augäpfel in diese ein und breiten sich in der Netzhaut (Retina) im Augenhinter- grunde aus. III. Nervus oculomotorius, IV. Ner- vus trochlearis und VI. Nervus abdu- cens. Diese drei Nerven sind die Be- wegungsnerven für den Augapfel; außerdem innerviert der III. noch den Lid- hebermuskel und den Musculus sphincter pupillae, der die Verengerung der Pupille besorgt. 1. Der Ursprungskern des Nervus oculo- motorius liegt am meisten hirnwäits im zentralen Höhlengrau am Boden des Aquae- ductus Sylvii (s. Fig. 2). Der Kern gliedert sich in mehrere Teile, was mit der Ver- sorgung mehrerer Augenmuskeln zusammen- zuhängen scheint. Die Wurzeln des Oculo- motorius (10 bis 15 Bündel) treten zu einem Stamm vereint vor der Brücke (s. Fig. 3) medial von den Hirnschenkeln an der Hirn- basis hervor, verlaufen zwischen Aquaeductus cerebellisuperior und cerebri posterior lateral- wärts zum Seitenrand des Processus olinci- deus posterior und ziehen in der oberen Wand des Sinus cavernosus zur Fissura orbitalis superior und zur Augenhöhle. Der Nervus oculomotorius hat die Haupt- arbeit unter den Augenmuskelnerven zu verrichten. Zunächst bedient er den Lid- heber (Musculus levator palpebrae). Weiter- hin dreht er das Auge nach oben, nach innen und nach unten mit Hilfe der Musculi rectus superior, rectus inferior und rectus internus. Bei einer Lähmung des Nervus oculomotorius sind wir demnach nur noch imstande, den Augapfel nach außen und nach unten zu bewegen. Außerdem zieht sich bei totaler Oculomotoriuslähmung die Pupille bei Li c h te i n f al 1 , bei der A k k o m m o - dation und Konvergenz nicht mehr zu- sammen, 2. Der Nervus abducens hat seinen Ursprungskern ventral vom Facialiskern in der Brücke nahe der Mittellinie am Boden der Rautengrube (s. Fig. 2). Die Abduzens- wurzel verläßt das Gehirn am unteren Rand der Brücke, verläuft dann an der Hirnbasis gegen denClivus und tritt hinter deniDorsum sellae durch den Porus abducentis in den Sinus cavernosus, in dem sie, von einer Scheide der harten Hirnhaut umkleidet, an der late- ralen Seite der Carotis cerebralis gelegen ist. Durch die Fissura orbitalis superior betritt der Nerv unterhalb des Nervus oculomotorius die Augenhöhle und senkt sich in den Mus- culus rectus externus, den sie als einzigen Muskel versorgt. Der Nerv besorgt demnach die Seitwärtsdrehung des Auges. 3. Die Ursprungskerne des Nervus trochlearis liegen dicht am kaudalen Ende des Oculomotoriuskerns (s. Fig. 2) unter den Vierhügeln. Die aus den beiden Tro- chleariskernen entspringenden Wurzelbündel kreuzen sich unmittelbar vor ihrem Austritt aus dem Gehirn, so daß der aus dem rechten Trochleariskern entstammende Nerv den linken Musculus trochlearis versorgt und um- gekehrt. Die Trochleariswurzeln treten an der dorsalen Oberfläche des Gehirns dicht hinter der Vierhügelplatte hervor. Der Nerv verläuft abwärts um den vorderen Klein- hirnstiel und Großhirnschenkel zur Hirn- basis, wo er unter der ventralen Fläche des Hirnschenkels vorwärts zieht, in den Porus trochlearis der Dura mater gelangt und durch die Fissura orbitalis superior die Augen- höhle betritt. Hier verläuft er über dem Ursprung des Musculus levator palpebrae superior zum Musculus obliquus, den er als einzigen Muskel innerviert. Dieser Muskel ist einerseits ein Genosse des Musculus rectus inferior, andererseits ein Helfer des Musculus rectus externus. Er be- wegt für sich allein den Augapfel nach unten außen. Die Beweglichkeitsbeschrän- kung des Auges bei isolierter Lähmung des Nervus trochlearis ist nur gering, indem beim Blick nach abwärts das Auge etwas nach innen abgelenkt wird. V. Nervus trigeminus. Der Trige- minus ist ein gemischter Nerv; er führt motorische und sensible Fasern. Er verläßt das Gehirn an der Unterseite der Brücke mit einer stärkeren (annähernd 50 Bündel umfassenden) sensiblen Wurzel und einer schwächeren motorischen Wurzel. Beide Wurzeln gelangen, sich aneinander- legend, durch den weiten Porus trigemini der harten Hirnhaut in das Cavum semilunare 44* 695 Gehirnnerven auf der dorsalen Fläche des Felsenbeins. An dieser Stelle schwillt die sensible Wurzel zu einem großen Ganglion, Ganglion semilu- nare (Gasseri) an, aus dessen konvexem Rand die di-ei sensiblen Hauptäste des Trige- mius hervorgehen. Die motorische Wurzel zieht an der unteren Fläche des Ganglion Gasseri vorüber und gesellt sich zu dem di-itten sensib- len Hauptast. Das Ganglion semilunare bildet somit das Ursprungsganglion der sensiblen Trigeminuswurzel und der sensiblen Astfolge. Von den drei aus dem Ganglion entspringenden sensiblen Haupt- ästen ist der erste, der Nervus opthalmi- cus, der schwächste; er zieht lateral vom Sinus cavernosus und Nervus abducens zur j Fissura orbitalis superior und teilt sich vor dem Eintritt in die Fissura in seine drei End- äste, den medial gelegenen Nervus naso- ciliaris, den in der Mitte befindlichen! Nervus frontalis und den lateralen Nervus lacrimalis. Der zweite Ast des Trigeminus, der Nervus maxillaris, tritt durch das Foramen rotundum in die Fossa sphenomaxillaris, von hier aus durch die Fis- sura orbitalis inferior zum Boden der Augen- höhle und in den Infraorbitalkanal des Ober- kiefers. Noch innerhalb der Schädelhöhle \ sendet er sensible Zweige zur harten Hirn- j haut und teilt sich dann in drei äußere Aeste. Nervus zygomaticus, Nervus infra- orbitalis, Nervus sphenopalatinus. Der dritte Hauptast, Nervus mandibu-j laris, ist der stärkste Ast; er enthält außer i den sensiblen Fasern auch die ganze moto- rische Wurzel des Trigeminus. Nach dem | Durchtritt des Ramus tertius durch das ' Foramen ovale des Keilbeins zweigt sich der größere Teil der Bewegungsfasern mit sen- j siblen Fasern ab als Nervus masticato-l rius. Der rein sensible Rest des dritten' Astes bildet dann den Nervus auriculo- temporalis, Nervus alveolaris inferior und Nervus lingualis. Alle drei Aeste des Trigeminus besitzen sympathische Ganglien, der erste das Ganglion ciliare, der zweite das Gan- glion sphenopalatinum und der dritte Ast, abgesehen von kleinen peripheren Gan- glien in der Peripherie desNervuslingualis, das Ganglion oticumund das Ganglion sub- maxillare. Das Verbreitungsgebiet des Trige- minus und seiner Ganglien ist sehr aus- gedehnt. In erster Linie ist er der Gefühls- nerv für die Haut des ganzen Ge- sichts und für den vorderen Teil der Kopf- haut, für die Schleimhäute des Auges, der Stirnhöhle, der Nase (zum Teil), der Lippen, des Ober- und Unterkiefers, des Ductus naso-lacrimalis, des Gaumens bis zum Arcus palatopharyngeus, für die Zunge und die Zähne. Die Versorcfung der Gesichts- kopfhaut durch die einzelnen Aeste ist aus der Figur 4 ersichtlich. Die Bewegungs- fasern (motorische) des dritten Astes ver- sorgen vor allem sämtliche Kaumuskeln, außerdem die Musculi mylohyoideus, bi- venter (zum Teil), tensor tympani und spheno- palatinus im weichen Gaumen. Bei einer Lähmung des Nervus trigeminus gehen Fig. 4. Hautnervenbeziike des Ner\ais Trige- minus im Gesicht. somit außer dem Gefühlsvermögen für die Gesichts-Kopfhaut und Mundschleimhaut gewisse wichtige Schleimhautreflexe ver- loren, so der Hornhautreflex (Lidschluß bei Berührung der Cornea des Auges), der Niesreflex und das Tränen des Auges beim Kitzeln der Nase; ferner besteht Ver- schlechterung bezw. Unfähigkeit zum Kauen. Drittens ist der Trigeminus auch noch Geschmacks nerv und zwar für die vor- deren zwei Drittel der Zunge. Die Geschmacksfasern verlaufen anfangs im Lingualast (des IIL Hauptastes) von der Zunge aus, gehen dann, diesen verlassend, in die Chorda tympani über und begleiten mit dieser den Nervus facialis eine kurze Strecke im Felsenbein. Sie gelangen dann — anscheinend ist das individuell verschie- den— entweder zum IL oder III. Tri- geminusast zurück (auf dem Wege des Nervus petrosus superficialis major zum Ganglion sphenopalatinum bezw. des Nervus superficialis minor zum Ganglion oticum) oder zum Nervus glossopharyngeus (durch den Nervus petrosus superficialis minor, Nervus Jacobsonii, Ganglion petro- sum). Bei einseitiger Lähmung des Trige- Gehimnerven 693 minus kann der Geschmacksausfall sich wenig bemerkbar machen, da der eigent- liche Geschmacksnerv, der Nervus glosso- pharyngeus (für das hintere Zungendrittel), ausreichend wirkt. Von sonstigen Funktionen des Trigeminus ist noch zu erwähnen sein Einfluß auf die Tränendrüse vermittels sekretorischer Fasern, die im ersten Ast verlaufen. Ein Ausfall dieser Tätigkeit des Trigeminus fülirt zu einer Verminderung bezw. Auf- hebung der Tränenerzeugung. Ferner beeinflußt er durch den Nervus tensor tym- pani den Trommelfellspanner und da- 1 durch das Gehör, indem bei Lähmung des Spanners das Hören tiefer Töne behindert sein soll. Ob die gelegentlich bei Trigeminus- lähmung beobachtete Veränderung der Speichelsekretion und Schweißabsonderung allein auf einer Läsion des Trigeminus beruht, ist noch ganz zweifelhaft. VIL Nervus facialis. Dieser Nerv führt von seinem Ursprungskern an, der in der oberen Hälfte der Brücke gelegen ist (s. Fig. 2), nur Bewegungsfasern für die Gesichtsmuskulatur. Erst nach dem Austritt der Facialiswurzel aus der Brücke an deren hinterem Rand gesellen sich zum Facialisstamm Nervenfasern, die ihn zum Teil nur vorübergehend begleiten und anderweitigen Funktionen dienen (Ge- schmack, Speichelsekretion). Der Facialis- stamm gelangt (einschließlich der Portio minor sive nervus intermedius) zugleich mit dem Gehörnerv, von Fortsätzen der Gehirn- häute umgeben, in den inneren Gehörgang (Meatus "acusticus internus), durchzieht dann im Canalis facialis den Schläfen- beinknochen und verläßt durch das Fo- ramen stylomastoideum die Schädelhöhle. Nach dem Austritt aus dieser gelangt er in die Ohrspeicheldrüse. Innerhalb der Drüse teilt sich der Nervenstamm in zwei Hauptäste, den Nervus temporo- f acialis und denNervus cervico-f acialis. Diese gehen weitere Teilungen und Verbin- dungen ihrer Zweige ein, und strahlen mit ihren Endverzweigungen am vorderen Rand der Drüse fäclicrfürniig aus, um die Gesichts- muskeln einsciilioßlich des Schließmuskels des Auges (Musculus orbicularis oculi) zu versorgen. Mit Hilfe des Nervus facialis runzeln wir die Stirn, schließen das Auge, rümpfen die Nase, erweitern die Nasenflügel, be- wegen die Wangenmuskeln beim Kauen, Lachen und sonstigen mimischen Bewe- gungen, bewegen die Lippen und Kinn- muskulatur. Außerdem versorgt der Nerv den Hörn er sehen Tränensackmuskel und die Ohrmuskeln, weiter den hinteren Bauch des Musculus biventer und zusammen mit den Nervi glossopharyngeus, vagus und acces- sorius den weicheu Gaumen. Vermittels des Nervus stapedius innerviert er den Steig- bügelmuskel im Ohr (Musculus stapedius), bei dessen Lähmung der Trommelfellspanner das Uebergewicht gewinnt, was sich durch eine erhöhte Empfindlichkeit besonders gegen hohe Töne bemerkbar macht. Dem Stamm des Nervus facialis gesellen sich entweder schon frühzeitig, d. h. bald nach dem Austritt seiner Wurzeln aus der Brücke, oder erst weiter unterhalb im Canalis Fallopiae im Felsenbein Nervenfasern zu, die aus anderen Hirnnervenkernen hervor- gegangen sind und dem Facialis vorüber- gehend Fasern zuführen, die der Schweiß- sekretion des Gesichts, der Speichel- und Tränenabsonderung und dem Geschmack dienen. Dadurch, daß derartige Fasern auf eine kürzere oder längere Strecke mit dem Facialis- stamm zusammen verlaufen, kommt es nicht selten vor, daß eine Läsion des Facialis- stammes außer zu Lähmungen der Gesichts- muskulatur auf der dem Nerv entsprechen- den Gesichtsseite auch zu anderweitigen Störungen wie Geschmacksverlust, Ge- hörstörung usw. führt (Fig. 5). W. trigeminus Fig. 5. Schema des Facialisverlaufs und seiner Verbindungen mit Nachbarnerven. Nach Leube. Die der Schweißsekretion des Ge- sichts dienenden Fasern scheinen nach neueren Untersuchungen (Köster) dem Nervus facialis schon von seinem Kerngebiet an zugehörig zu sein. Sie begleiten ihn bis zu seiner peripheren Verästelung. Die speichelsekretorischen Fasern treten an den Facialis bereits an seiner Wurzelaustrittsstelle am Hirnstamm heran, entspringen aber nach Kösters Unter- suchungen aus einem Kerngebiet, das zum Glossopharyngeus gehört. Sie verlassen den Facialisstamm wieder innerhalb des Felsen- beins mit der Chorda tympani und ver- 694 Grehii'nnerven laufen zu den Speicheldrüsen (Ganglion sub- i nach mit dem Gehörssinn nichts zu schaffen. maxillaris und subungualis). 1 Dagegen ist der Nervus cochlearis der Die Geschmacksfasern des Facialis ' eigentliche Hörnerv, dessen Schädigung für die vorderen 2/3 der Zunge gelangen nach [ nervöse Taubheit verursacht ohne Gleich- anfänglichem Verlauf im Nervus lingualis (Ast des Trigeminus) in der Chorda tympani zu dem Facialisstamm im Felsenbein, be- gleiten ihn eine Strecke weit und verlassen ihn noch innerhalb des Schläfenbeins, um in anscheinend individuell wechselnder Weise zum IL oder III. Ast des Nervus trigeminus oder zum Nervus giossopharyngeus zu ge- langen. Ueber den Verlauf der die T r ä n e n a b s 0 n - derung bedienenden Fasern wisssen wir soviel, daß sie sich gleich beim Austritt des gewichtsstörung. IX. Nervus giossopharyngeus. Der Giossopharyngeus ist ein gemischter Nerv, dessen motorische Fasern aus dem am Boden der Eautengrube dicht am Endkern des Nervus vagus gelegenen Kerngebiet hervor- gehen (s. Fig. 2). Die Wurzelbündel des Nervus giossopharyngeus verlassen die Medulla oblongata im obersten Teil des Sulcus lateralis posterior und sammeln sich zu einem vorderen kleineren und hinteren größeren Strang, die vereinigt in einer besonderen Facialis aus der Brücke diesem beigesellen, j Hirnhautscheide zur vorderen Abteilung des ihn bis zum Ganglion geniculi begleiten und Foramen jugulare ziehen. Hier lagert sich von hier auf dem Wege des Nervus petrosus | dem sensiblen Bündel das Ganglion superior superficialis major und des Ganglion spheno- palatinum zur Tränendrüse hinziehen. Als Ursprungskern für diese sekretorischen Fasern kommt nach Kost er wahrscheinlich der zur Portio intermedia Wrisbergii ge- hörige Teil des Glossopharyngeuskerns in Betracht. VIII. Nervus acusticus. Der Gehör- nerv nimmt seinen Ursprung mit zwei ein, und unmittelbar nach seinem Austritt aus dem Foramen jugulare schwillt der Nerv zum größeren Ganglion petrosum an, das in der Fossula petrosa seine Lage hat. Vom Ganglion petrosum an zieht der Nerv zuerst zwischen V. jugularis internus und Arteria carotis internus und später zwischen dem Musculus stylopharyngeus und dem stylo- glossus zur Zungenwurzel. Er geht mannit Wurzeln, der Radix vestibularis und i fache Verbindungen (Anastomosen) ein mit Radix cochlearis, die beide aus großen, dem Nervus facialis, Nervus vagus und Sym- pathicus. Ueber seine physiologische Stellung und im Schläfenbein gelegenen Ganglien, dem Ganglion vestibuläre (hauptsächlich im Grunde des Meatus acusticus internus gelegen) I seine gesamte Tätigkeit herrscht noch Keine und dem Ganglion spirale (in der Öhr- volle Klarheit. Sicher ist, daß er durch Schnecke gelegen), hervorgehen. Der Nervus motorische Fasern ander Innervation des vestibularis zerteilt sich in Endzweige ~ "' für die Bogengänge des Hörorgans, während der Nervus cochlearis in die Ohr- schnecke eindringt und sich daselbst auf- splittert (vgl. den Ai-tikel „Sinnesorgane"). Von den in die Medulla oblongata eindrin- genden Acusticusfasern finden die aus dem Ganglion spirale stammenden Fasern (Ramus cochlearis) ihre Endstation in dem mächtigen Nucleus nervi cochlearis ventralis und dor- salis; ersterer ist ventral, letzterer lateral und dorsal vom Corpus restiforme gelegen. Die aus dem Ganglion vestibuläre hervor- gehenden Acusticusfasern (Ramus vesti- bularis) splittern sich in zwei Endkernen, dem Nucleus acusticus dor sali s (Deiters) und vor allem dem Nucleus vestibularis auf, die im Boden des IV. Ventrikels ihre Lage haben. Beim Eintritt in den Meatus acusticus internus werden die beiden Acusti- cusbündel vom Nervus facialis begleitet, der sich gleich darauf abtrennt. Die Tätigkeit der beiden Hauptäste des Nervus acusticus ist eine ganz verschiedene. Eine Schädigung des Vestibularnerven fühi't vorzugsweise zu Störungen des Körpergleichgewichts ohne Störung des Hörvermögens; der Vestibularnerv hat dem- Schlundkopfes (Constrictores pharyngeus und Musculus stylopharyngeus) und gemein- sam mit dem Facialis und Accessorius an der Innervation der w e i c h e n G a u m e n m u s k e 1 n beteiligt ist. Weiterhin fülurt der Giosso- pharyngeus Empfindungsnerven, die sich auf der Zungenbasis, im Rachen und weichen Gaumen ausbreiten. 1) Sicher steht es außerdem jetzt fest, daß seine peripherischen Aeste die vom hinteren Teil der Zunge und den Gaumenbögen perzipierten Ge- schmacksempfindungen aufnehmen und fortleiten, und daß im Glossopharyngeus- stamm resp. in den Wurzeln dieses Nerven die für den hinteren Zungenabschnitt dienen- den Geschmacksfasern vorhanden sein kön- nen (Cassirers Beobachtungen). Ob dies jedesmal der Fall ist, muß zunächst noch unentschieden bleiben, da nach der Ansicht einzelner Forscher die Geschmacksfasern ^) Bei einer Lähmung des Nervus giosso- pharyngeus wird es demnach zu Schhngbeschwer- den infolge von Schwäche eines Teiles der Rachen- muskulatur und außerdem zu Gefühlsstö- rungen in der oberen Rachenschleimhaut kommen bei gleichzeitiger Herabsetzung der Reflexerregbarkeit vom Rachen aus. Gehirnnerven 695 für die hintere Zunge den Nervus glossopha- ryngeus wieder verlassen, um weiter zentral- wärts zum Nervus trigeminus zu gelangen. Endlich kommt dem Glossopharyngeus die Aufgabe zu, die Absonderung der Ohr- speicheldrüse anzuregen. Diese sekretorischen Fasern des Glossopharyngeus gelangen vom Ganglion petrosum sich abzweigend durch den Nervus tympanicus (Nervus Jacob- sonii) zum Ganglion oticum und mit dem dritten Trigeminusast zur Ohrspeicheldrüse. X. Nervus vagus. Die motorischen Ursprungszellen des Vagus bilden zusammen mit denjenigen des Nervus glossopharyngeus und Nervus accessorius eine dicht beieinander liegende Gruppe von Nervenkernen, die in der Rautengrube am Boden der IV. Hirn- höhle gelegen sind. Eine sichere Abgrenzung der dem X. bezw. IX. und XL Hirnnerv zu- gehörigen Nervenzellengruppen ist dadurch sehr erschwert. Da außerdem die aus dem Kerngebiet dieser 3 Nerven austretenden Nervenwurzeln ebenfalls dicht beieinander liegen, so ist es nach unseren jetzigen Kennt- nissen noch unentschieden, ob die im periphe- ren Vagusstamm verlaufenden Nervenfasern sämtlich aus dem eigentlichen Vaguskern in der Medulla oblongata herstammen, dem Nucleus ambiguus (s." Fig. 2), oder ob sie ihren Ursprung zum Teil in den Ursprungs- kernen der beiden anderen Hirnnerven (vor allem denjenigen des Nervus accessorius) haben und sich erst nach ihrem Austritt aus dem Gehirn dem Vagus beigesellen. Der I Vagus führt außer den Bewegungsfasern I auch Gefühlsfasern, die aus dem im An- fang des Foramen jugulare gelegenen Gan- glion jugulare hervorgehen. Die aus diesem Ganglion entspringenden Gefühlsfasern ge- langen in die Medulla oblongata und endigen hier zum Teil in dem sogenannten hinteren Vaguskern am Boden der Rautengrube, dem neuerdings auch motorische Funktionen (für glatte Muskulatur) zugeschrieben werden. Für einen anderen Teil der sensiblen Vagusfasern bildet nach ilu-em Eindringen in die Medulla oblongata das Solitärbündel die End- station, indem die in dem Bündel verlaufen- den Vagusfasern sich in der das Bündel begleitenden grauen Substanz aufsplittern, j Der Vagus verläßt die Schädelhöhle durch i das Foramen jugulare, schwillt zum Ganglion | nodosum an, verläuft dann vor der Vena! jugularis interna und seitlich vom Nervus ' hypoglossus nach abwärts und vor dem Grenzstrang des Sympathicus zur Brust- höhle, der rechte Vagus vor der Arteria subcla\na dextra, der linke vor dem Aorten- bogen. In der Brusthöhle tritt jeder Vagus an die hintere Wand des Bronchus seiner Seite, darauf an die der Speiseröhre, die er in die Bauchhöhle begleitet. Während dieses ;n Weges verjüngt sich der Nerv durch ' ständige Abgabe zahlloser Zweige für den Rachen, den Kehlkopf, die Speiseröhre, die Lungen, das Herz, den Magen und den Darmkanal. Bis in die jüngste Zeit wurde angenommen, daß der Vagus ein für das Leben unumgäng- lich nötiger Nerv sei, und daß der Ausfall beider Vagi stets den Tod zur Folge haben müsse. Pawlow hat aber gezeigt, daß es wenigstens beim Hunde möglich ist, beide Vagi experimentell auszuschalten und doch die Hunde am Leben zu erhalten, wenn es gelingt, die nach der Operation leicht ein- tretenden Störungen von selten der Lunge und des Magen-Darmkanals zu vermeiden, 1. Die motorischen Vagusfasern ver- sorgen in erster Linie, gemeinsam mit dem IX. und XL Hirnnerv, die Muskeln des Rachens, des weichen Gaumens und der Speiseröhre, so daß bei Lähmung des Vagus das Schlingvermögen erschwert ist, und die Sprache infolge Gaumensegellähmung näselnd klingt. In zweiter Linie hat der Vagus die wichtige Aufgabe, die Kehlkopfmuskeln zu bewegen, und zwar tut er dies vermittels des Nervus laryngeus inferior, auch Recurrens vagi genannt, und des Nervus laryngeus superior. Letzterer versorgt nur den Musculus cricothyreoideus, vielleicht auch die Kehldeckelmuskeln (Musculi thyreo- und Aryepiglotticus), während alle übrigen Kehlkopfmuskeln vom Nervus recurrens innerviert werden, und zwar der Musculus cricoarytaenoideus posterior, der die Erweiterung der Stimmritze besorgt, die Musculi vocalis, cricoarytaenoi- deus lateralis, arytaenoideus trans- versus, die vorwiegend die Verengerer der Glottis sind, endlich der Musculus cricothyreoideus und Musculus voca- lis, die als Spanner der Stimmlipjsen und zur feineren Einstellung der Stimm- lippe bei der Stimmbildung dienen. Je nach dem teilweisen oder vollständigen Ausfall der Bewegungsfasern des Nervus recurrens bei Erkrankung dieses Nerven wer- den die verschiedensten Funktionsstörungen bei der Atmung und der Stimmbildung beobachtet. Sind z. B. nur die zur Erweite- rung der Stimmritze dienenden Muskeln gelähmt (cricoarytaenoidei postici), so stehen beide Stimmbänder bei der Atmung ganz bewegungslos. Die dadurch bedingte Ver- engerung des Kehlkopfeingangs bei der Einatmung (wobei normalerweise die Stimmritze sich erweitert) verursacht ein pfeifendes und stöhnendes Geräusch (in- spiratorischer Stridor). Sind alle Fasern des Nervus recurrens einseitig oder doppelseitig gelähmt, so hat dies zur Folge, daß die Stimme teil- Geliir] weise oder völlig fehlt, während die Atmung nicht behindert ist, da die Stimmbänder in sogenannter Kadaverstellung stehen, und eine genügende Weite der Stimmritze für den inspiratorischen Luftstrom vorhanden ist. In den Lungenästen des Nervus vagus verlaufen weiter motorische Fasern für die glatten Muskeln des Luftröhrenbau ms. Von besonderer Wichtigkeit sind die zum Herzen verlaufenden Vagusäste. Da eine Reizung des Nervus vagus eine Ver- langsamung der Herzschlagfolge ver- ursacht, und andererseits der Ausfall der Vagusfunktion bei Lähmung des Nerven eine erhebliche Beschleunigung d e s H e r z- schlags zur Folge hat, so wird angenommen, daß der Vagus Hemmungsfasern für die Herz- bewegung führt. Im Hun de versuch (P a w 1 o w) kehrt die Zahl der Herzschläge bei dop{3el- seitiger Vagusausschaltung nach einiger Zeit wieder zur Norm zurück. Von manchen Autoren (Engelmann), die für die Unabhängigkeit der Herzmuskeltätigkeit vom Nervensystem eintreten, wird freilich in Abrede gestellt, daß motorische Nervenelemente in den Herzmuskel gelangen, und es werden die im Herzen vorhandenen Nervenfasern und Ganglienapparate als rein sensibel aufgefaßt. Ueber die Beteiligung motorischer Vagus- fasern an der Magen-Darminnervation herrscht noch keine Klarheit. Nach der Ansicht einer Reihe von Autoren (Bischoff, Batelli) entstammen die motorischen Magenfasern dem Nervus accessorius, indem dessen Fasern sich nach ihrem Austritt aus dem Hirn dem Vagusstamm zugesellen. 2. Die sensiblen Vagusfasern versorgen die Hinterwand des äußeren Gehörgangs, teilweise die Rachen schleim haut, die gesamte Kehl köpf schleim haut, die Schleimhaut der Luftröhren, der Speise- röhre. Dadurch, daß der Vagus die Schleim- häute der Atmungsorgane mit Empfindungs- fasern versorgt, vermag er reflektorisch an- regend auf das Atmungszentrum zu wirken und bildet außerdem den wichtigsten sen- siblen Hustennerv. Bei Tieren bedingt Durchschneidung des Vagus Verlangsamung und Vertiefung der Atmung durch Unter- brechung der Fasern, die reflektorisch das Atmungszentrum beeinflussen. 3. Sekretorische Einflüsse des Vagus, so auf die Magensaftabsonderung, sowie vasomotorische Einflüsse werden vermutet, sind aber noch nicht sicher erwiesen. Im Tierex[)erinient hat die Durchschneidung der Vai^usstämme Hyperämie der Magen- schloindiaut zur Folge, und P. Maas stellte fest, daß zu den Koronargefäßen gefäßzusam- menziehende und gefäßerweiternde Fasern hinziehen. XI. Nervus accessorius Willisii. Die Frage über die dem Nervus accessorius angehörigen Ursprungskerne ist noch nicht endgültig entschieden. Einzelne Autoren sprechen dem Nerv nur eine im Halsmark gelegene langgestreckte Nervenkernsäule zu (s. Fig._ 2), während von anderer Seite außer diesen spinalen Ursprungskernen dem Nervus accessorius noch 4 bis 5 Wurzelbündel (Accessorius vagi) zugesprochen werden, die aus Kerngruppen in unmittelbarer Nähe des Vaguskerns entstammen und sich dem Akzessoriusstamm aiiscldießen. Beide Wurzeln (Accessorius spinalis und Accessorius vagi) gelangen zu einem Stamm vereint in einer gemeinsamen Durascheide mit dem Nervus vagus in das Foramen jugulare und verlassen durch dieses die Schädelhöhle. Nach dem Austritt aus dem Schädel teilt sich der Akzessoriusstamm, in- dem das als Accessorius vagi bezeichnete Bündel sich nunmehr dem Nervus vagus zugesellt, während der andere Teil des Akzes- soriusstammes als Ramus externus sich zu bestimmten Halsmuskeln begibt. 1 Die dem Vagusstamm sich zugesellenden i Fasern des Accessorius vagi gehen in die Bahn der Rami pharyngei und laryngei sowie in die Rami cardiaci des Nervus vagus über und beteiligen sich dadurch vor allem an der Innervation der Rachen-Kehl- kopfmuskulatur. Der zweite Ast, der Ramus externus, gelangt zur inneren Fläche des Kopf- nickermuskels (Musculus sternocleidomastoi- deus) und versorgt diesen Muskel sowie den Musculus trapezius mit motorischen Fasern. Beide Muskeln, vor allem der trapezius, er- halten aber nicht allein vom Nervus acces- sorius Bewegungsfasern, sondern werden in individuell wechselndem Maße von den Halsnerven mitversorgt. Daher führt eine Lähmung des Nervus accessorius niemals zu einem völligen Ausfall der Trapezius- tätigkeit, also nicht zu einem vollständigen Verlust der Fähigkeit, die Schultern zu heben und die Schulterblätter einander zu nähern. Bei einer Lähmung des Musculus sterno- cleidomastoideus infolge Läsion des Nervus accessorius können Kopf und Kinn nicht voll- ständig nach der dem gelähmten Muskel entgegengesetzten Seite gedreht und gehoben werden. XII. Nervus hypoglossus. Der rein motorische Zungennerv nimmt seinen Ur- sprung in einer langgestreckten Säule von motorischen Ganglienzellen, die mit ilu-em Anfangsteil an der ventralen Seite des Canalis centralis der Medulla oblongata geleiion ist und am Boden der Rautengrube hinziehend bis in die Nähe der Striae acu- sticae reicht (s. Fig. 2). Die aus diesem Kerngebiet entspringenden 10 bis 15 Wurzel- bündel verlassen imSulcus lateralis anterior die Medulla oblongata, vereinigen sich ge- wöhnlich zu zwei sfrößeren Bündeln und Gehirnnerveu — Gehirn-Zentralnervensystem 697 treten durch den Canalis hypoglossi aus der Schädelhöhle heraus. Außerhalb des Schädels lie^t der nunmehrige Nervus hypoglossus anfangs hinter, später auf der lateralen Fläche des Nervus vagus und gelangt nach abwärts ziehend an die Außenfläche des Musculus hyoglossus. Der absteigende Teil des Nerven geht mit dem Vagus, den vorderen Aesten der drei ersten Halsnerven und dem oberen Halsknoten des Sympathicus Ver- bindungen ein. Der Hypoglossus versorgt alle Zungenmuskeln (Musculi genio-hyo-stylo- glossus, longitudinalis superior und inferior, traiisversus linguae), außerdem die Musculi geniohyoideus und tliyreo-hyoideus. In un- bedeutendem Grade ist er auch mitbeteiligt an der Innervation der Musculi sterno-hyoi- deus, sterno-thyreoideiis und omo-hyoideus. Doppelseitige Lähmung des Nerven führt wegen vollständiger Unbeweglichkeit der Zunge zu hochgradiger Sprach-, Kau- und Schluckstörung. Bei nur einseitiger Läh- mung sind die Ausfallserscheinungen nur geringgradig. Sprechen, Kauen und Schlucken sind gut möglich, da die nicht gelähmte Seite der Zunge sich an die veränderten Ver- hältnisse allmählich anzupassen vermag, so daß eine genügende Beweglichkeit der Zunge bestehen bleibt. Literatur. Rauber, Lehrbuch der Anatomie des Menschen, 6. Aufl., 1902. — Nagelf Hand- buch der Physiologie, Bd. 4. — Oppenhehn, Lehrbuch der Nervenkrankheiten, 4- '-^ufl-, 1905. — Köster, Klinischer und experimenteller Bei- trag zur Lehre von der Lähmung des Nervus Facialis. Ar eh. f. klin. lledizin, Bd. 68 und'j2. H. Finhelnburg. Gehirn-Zentralnervensystem. Funktionen. I. Paläencephalon. 1. Rückenmark und verlängertes Mark (s. Bd. VIII). 2. Kleinhirn: Paläocerebellum, Bahnen. Statotonus, Lokalisation. Neocerebellum. Ein- fluß des Älittelhirnes, des Großhirnes auf das Kleinhirn. 3. Mittelhirn: Eigenapparat. Sehnerv, Hörnerv, Kauregulierung, Augenbewegung, Opto- statik und dorsales Längsbündel. Viscerales Gebiet. 4. Thalamus opticus: Beziehungen zu den Rezeptionen. Ganglion habenulae und Oralapparat. Zentrales Höhlengrau. 5. Corpus striatum. 6. Riechapparat. 7. Die Gesamt- leistung des Paläencephalon. II. Neencephalon. — Großhirn. 1. Verhalten der großhirnlosen Fische, der großhirnarmen Amphibien und Reptilien. Die Vögel. 2. Die Hirnrinde der Säuger. 3. Sinnesfelder. Riechen, Oralfunktion. Sehen, Hören, Tasten usw. 4. Die Assoziationsfelder, Gnosien und Praxien. Agnosie- und| Apraxie- formen. Seelenblindheit, Sprachstörungen usw. 5. Der Intellectus. Rolle des Stirnlappens. 6. Schhißübersicht. Anhang: Die Plexus choroidei und die Cerebrospinalflüssigkeit. Unter Gehirn versteht man den Teil des Nervensystems, der im Schädel ge- legen, zum Rückenmarke früher in Gegen- satz gestellt wurde. Die Neuzeit hat aber gelehrt, daß diese Abtrennung weder ana- tomisch, noch physiologisch, noch nament- lich auch für die Psychologie richtig ist. Wenn auch hier aus lexikographischen Gründen der Name Gehirn beibehalten ist, so soll doch die Darstellung von anderen als den eben genannten topographischen Gesichtspunkten ausgehen. Bei allen Vertebraten gibt es einen im wesentlichen überall gleichen zen- tralen Nervenapparat. Dieser, das Palä- encephalon, nimmt durch die rezeptorischen Rüekenmarkwurzeln und durch die Nerven der Oblongata wie auch durch die Sinnes- nerven alle Rezeptionen von der Außen- welt auf und überträgt sie auf oft recht komplizierten Wegen auf die Offerenten Bahnen, welche in den Muskeln endend die Motus leisten. Zahlreiche regulatorische Anteile, wie etwa solche für die Erhaltung der Muskelspannungen, des Gleichgewichtes, \j^ der Raumorientierung sind über den rein ^ rezipierenden Apparat geschaltet. Die in x der Form und den Verrichtungen kon- x^ stantesten Teile sind das Rückenmark und \\ das Verlängerte Mark. Die Mehrzahl .\^ der Rezeptionen aufnehmend und alle Motus ,. ermöglichend, sind sie allein für diese ganz s.v\i unentbehrlich. Ihre Entfernung macht die ^ Tiere total lahm, vernichtet aber auch die Atmung und führt so den Tod herbei. Dem verlängerten Marke ist das wesentlich der Statotonik dienende Kleinhirn überge- lagert, weiter vorn folgen die Vierhügel, wo optische und akustische Bahnen münden, von wo wichtige andere Bahnen ausgehen, dann folgen die Ganglien des Zwischen- hirnes, die erst bei den Vögeln eine größere Ausbildung erfahren, bei den Säugern sicli aber noch viel weiter entwickeln, und die unter anderem alle Züge aus den ersten rezipierenden Zentren aufnehmen ; dann folgt der Lobus parolfactorius, ein Apparat für die Schnauzenempfindungen, die ja bei allen Tieren eine so große Rolle spielen und schließlich liegt ganz vorn der Lobus olfactorius, in den die Riechnerven ge- langen, lieber den beiden letzteren ist das Corpus striatum gelagert, ein mächtiger, allen Tieren zukommender Apparat von noch unbekannten Funktionen. Von den Amphibien ab entwickelt sich aus kleinen, doch schon bei den Fischen nach- weisbaren Anlagen — die schwarze Stelle an Figur 1 vorn oben — das Neencephalon über dem Paläencephalon. Mit ihm treten ^'~ 698 Gehirn-Zentivalnervensystem ganz neue Fähigkeiten auf. Es gewinnt immer mehr an Raum und funktioneller Wichtigkeit, wird aber erst beim Menschen fast unent- behrlich für alle Verrichtungen. Die Lei- stungen des Paläencephalons bleiben un- verändert bestehen, es kommt aber mit dem Neencephalon als neu hinzu die Fähigkeit zur Gnosis, zum Erkennen aus zahlreichen 4ie.ö^9ici.. Fig 1. Das Gehirn von Chimaeia monstrosa, fast reines Paläencephalon. ^. verschiedenartigen Eindrücken, und die Fähigkeit zur Praxis, zur Handlung, die sich aus den mannigfachsten Bewegungs- momenten zusammensetzt. Erst spät, erst bei höheren Säugern, ermöglicht das Ne- encephalon ein Weiteres, den Intellekt. I. Paläencephalon. I, Rückenmark und Medulla oblongata. Die Leistungen des Rückenmarkes und ver- längerten Markes sind im VIII. Bande be- schrieben; diese Schilderung beginnt deshalb mit den Funktionen des Kleinhirns. 2. Funktionen des Kleinhirnes. Das Kleinhirn ist dem Organismus nicht unent- behrlich wie das Rückenmark, denn wir kennen in den w^eichen, parasitisch lebenden Myxinen und in der regenwurmförmigen Amphibienart Hypogeophis, ebenso bei dem Salamander Proteus völlig kleinhirnlose Wesen und bei den meisten Amphibien, ja bei den Schlangen und den Ei- Äi^rNH = HC = CH/ HC C-NH 11 II >CH Glyoxahn N— C-N N (Imidazol, C3H4N2) Purin Pyrimidin (C5H4N4) (CJI4N2) Treten zu dem N des Purinkernes Methyl- 1 zwei Dimethyldioxypurine, gruppen, so entstehen die Methyldioxypurine j Theobromin. und zwar Trimethyldioxypurin d. i. Coffein, und Theophyllin und Genußmittel (Vegetabilische Genußmittel) 763 CH,.N— CO OC C-N.CH3 1 II >.CH CH3.N— C— N l,3,7-Trimethyl-2, 6 Dioxypurin Coffein. C,HioN402 + HoO HN— CO I i OC C— N.CH, I li >CH CH3.N-C— N 3, 7-Dimethyl-2, 6 Dioxypurin Theobromin CH3-N— CO OC C— NH I II >CH CH3.N— C— N 3-Dimethyl- 2, 6 Dioxypurin Theophyllin, C^HsN^O, + H2O. 2,6-Dioxypurin (C5H4N4O2) tritt auch als selbständiger Körper auf (Zersetzungsprodukt im menschlichen Harne, in einigen Guanosorten) und wird Xanthin genannt, daher man Coffein und Theobromin auch als Xanthinbasen be- zeichnet. b) Eine zweite Gruppe von Genußmitteln enthält Nicotin, CioHnNo, das Tabaksgift. Es gehört den Pyridinkörpern an und es ist gelungen, künstlich ein Nicotin (i-Nicotin) darzustellen, dessen physikalische Konstanten eine nahezu vollständige Uebereinstimmung mit dem natürlichen Nicotin der Tabakblätter zeigen. Nicotin ist eine Kombination des Pyridinkerns mit dem methylierten fünfgliedrigen Pyrrolkern. Die von Körner aufgestellte Konstitutions- formel des P5Tidins zeigt einen Benzolkern, in dem an Stelle einer CH-Gruppe ein N tritt: CH CH CH Pyridin (CsH.N) Wird ein H durch den (fünfgliedrigen) Pj'r- rolkern ersetzt 'cH Pyrrol (C4H5N) NH und werden dem Pyrrolkerne Methylgruppen hinzugefügt, so gelangt man zu der Konstitu- tionsformel des Nicotins: CH HC^Nc— HCw Ich H,C| CH, cm NCH, N i-Nicotin (C10H14N2) Zu den Pyridinkörpern sind auch die Areca- Alkaloide zu zählen, von denen das einzige physio- logisch wirksame, das Arecolin, CgHigNO.,, der Methylester der Nicotinsäure (Pyridinkarbon- säure) ist. c) Die Koka-Blätter enthalten Kokain (Cocain,Benzoylekgoninmethylester),CTHiiN02, das auch künstlich aus Ekgonin und dessen Verbindungen dargestellt wurde. Ekgonin ist eines der in der Koka enthaltenen, medizi- nisch unbrauchbaren Nebenalkaloide. d) Eine besondere Gruppe bilden die narko- tisch wirkenden Genußmittel, zu denen Opium und die Hanfpräparate gehören. Ersteres ist bezüglich seiner wirksamen Be- standteile in ausreichendem Maße aufgeklärt, die Hanfpräparate bedürfen noch weiteren Studiums (vgl. den Artikel „Alkaloide"). e) Schließlich sind noch einzelne, in ihrer Anwendung auf kleine Gebiete beschränkte Genußmittel zu erwähnen, wie Kawa-Kawa, Kat u. a., von denen unsere Kenntnisse über ilue spezifischen Bestandteile noch sehr gering sind. II. Einzeldarstellungen, A. Purinkörper enthaltende Genußmittel. I. Tee (chinesischer, russischer, Karawanen- tee, Ziegeltee). Die in eigentiunlicher Weise zubereiteten Blattknospen und jüngeren Blätter von Thea sinensis L. (Camellia sinensis Link, Farn. Theaceae; s. Bd. I S. 407, Fig. 67), liefern den Tee. Der Teestrauch hat seine Heimat wahr- scheinlich in Oberassam und auf der südclüne- sischen Insel Hainan ; von da soll er im Jalu-e 810 n. Chr. nach China und Japan gekommen sein. Botanisch werden zwei Hauptvarietäten unter- schieden: a) viridis L., mit ausgebreiteten Zweigen, blaßgrünen, lanzettlichen Blättern und einzelstehenden Blüten, b) Bohea L., mit aufrechtstrebenden Zweigen, dunkelgrünen, elliptischen, kleineren Blättern und paarweise oder zu dreien gereihten Blüten. Die von diesen noch weiter unterscliiedenen Rassen und Kulturformen lassen sich in der Handels- ware nicht gut erkennen, da zu dieser nur die ersten, jugendlichen Blätter verwendet werden. Doch lassen sich zwei Formen auseinander- halten, der chinesische und der Assamtee. Hartwich gibt von beiden folgende Besclnei- bung: Chinesischer Tee. „Die Blätter sind lanzettlich bis oval, gar nicht oder nur kurz zugespitzt, am Rande gesägt mit knorpelig zugespitzten Zähnen. Vom Mittelnerv gehen jederseits Seitennerven ab, die mit jenem einen Winkel von 50—60° bilden. Das Ver- hältnis der Breite des Blattes zu seiner Länge beträgt 1 : 3,5—4,0. Das Blatt ist selten länger als 12 cm (Fig. 1)." —Assamtee (Thea sinensis, var. assamica Sims). „Die Blätter sind oval, meist mit deutlich vorragender Spitze (sogenannte Träufelspitze). Der Winkel der Seitennerven mit dem Mittelnerven beträgt durchschnittlich 70^ das Verhältnis der Breite des Blattes zu seiner Länge beträgt 1 . 2,5, das Blatt wird bis 25 cm lang. Kultiviert in '64 Genußmittel (Vegetabilische Grenußmittel) Vorderindieii. auf Ceylon, Japan und in Natal" (Fi?. 2). Der anatomische Bau des Blattes ist durch das Vorkommen bizarr gestalteter Idioblasten (Astrosklereiden) charakterisiert. Die Oberhaut der Oberseite ist frei von Spaltöffnungen, während die der Unterseite zahlreiche, breitelliptische oder Fig. 1. Chinesischer Tee, a Kongosorte, voll- ständiges Blatt, b sehr junges Blatt aus derselben Sorte. Nach T. F. Hanausek. Fig. 2. Die zwei typischen Blattformen: A Blatt von Thea sinensis L., B Blatt von Thea assamica Mast. Natürliche Größe. Nach Sadebeck. rundliche Spaltöffnungen fülnt (Fig. 3). Außer- dem sind daselbst einzellige, dickwandige, an der Blattoberfläche rechtwinklig abgebogene Haare eingeschaltet (h). Die jüngsten, noch nicht ent- falteten Blättchen sind auf der Unterseite von feinen Haaren silbergrau. Das Blattniesophyll besteht aus dem meist zweireihigen, Chlorophyll führenden Palisadenparenchym und dem Schwammparenchym (p), dessen Zellen hier und da kleine Calciumoxalatdrusen enthalten. Solche Drusen sind auch in Kammerfaserzellen längs der Gefäßbündel vorhanden (kr). Die im Mesoph5dl eingeschalteten Idioblasten (id) besitzen, wofern sie in den Blattflanken vorkommen, Trägerform mit Gabelästen, in der Nähe des Mittelnerven sind sie unregelmäßig mehrästig. In sehr jungen Blättern sind sie noch wenig entwickelt und dünn- wandig. Aehnliche Zellformen findet man auch in den Blättern der nächst verwandten Kamellie, verschiedener Capparidaceen und Marcgraviaceen (vgl. Solereder, Svstematische Anatomie, S. 919). ej)- sp- 'P id- ep Fig. 3. Gewebe des Teeblattes, von der Unterseite gesehen, ep' Oberhaut mit Spalt- öffnungen sp, h Haar, darunter Gewebe aus dem Mesophyll, p Schwammparench)^! mit Interzellu- larräumen i, g Spiroiden, kr Kristallzellen, id Idioblast. Nach T. F. Hanausek. Nach der Zubereitung unterscheidet man schwarzen und grünen Tee; die als gelber Tee bezeichneten Sorten können dem ersten zugerechnet werden. Die Zurichtung besteht im wesentlichen aus dem Welkenlassen der gepflückten Knospen und Blättchen, dem Kneten und Rollen der welken Blätter, worauf sie für grünen Tee einfach getrocknet werden, währencl zur Herstellung des schwarzen Tees die gerollten Blätter einer leichten Fermen- tierung unterworfen werden müssen : sie werden in mit Tüchern bedeckten Bambnskörben auf- geschichtet und während einiger Stunden sich selbst überlassen uml hierauf getrocknet. Das Welkmachen der Blätter geschieht im Fabriks- betrieb durch künstliche Erwärmung, das Rollen mit eigenen Maschinen (Ausführliches Grenußmittel (Vegetabilische Grenuliniittel) darüber bei T i c h o m i r o vv , T s c h i r c h , v. V o g 1 und Hartwich). Cliina ist das erste und älteste Produktious- land des Tees. Außer der chinesischen Provenienz gibt es noch japanischen, indi- schen (Ceylon- und Assamtee), Java-, Eeunion- und brasilianischen Tee. Die alten Bezeichnungen der chinesischen Tee- sorten sind auch auf die übrigen Provenienzen übergegangen. Vom schwarzen Tee unter scheidet nian Congu, Souchong, Oulong, Pecco. Diese gliedern sich wieder in verschiedene Feinheitsqualitäten, insbesondere Pecco, dessen feinste aus den jüngsten noch unentfalteten, unterseits seidenhaarigen Blättchen besteht und noch einige ältere schwärzliche Blätter enthält, daher zweifarbig, grau und schwarz aussieht. „Peccoblüten" ist nur die Bezeichnung für eine feine Qualität und enthält keine Blüten des Teestrauches, die überhaupt nicht in die Ware gelangen; wohl aber finden sich in geringen Sorten unreife Früchtchen und Stiel- chen.^) Die bekanntesten Sorten des grünen Tees sind Tonkay, Haysan, Oulong, Haysan, Haysan-Skyn, Iraperial-(Perl-) Tee, Gunpowder (Schießpulvertee); vgl. meine , , Nahrungs- und G e n u ß m i 1 1 e 1"'(S. 373ff .). Haupthandels- und Ausfuhrplätze für chinesische Sorten sind Kiukiang und Hanken, Shanghai, Canton, Futschen und Anioy. „Shanghai liefert schwarzen Tee, besonders Congu und Souchong, und neben Kiukiang den besten grünen Tee, Futschen und Amoy nur schwarzen, Canton schwarzen und grünen (Cantonmade) Tee" (Vogl). Der von den asiatischenlNomaden Völkern kon- sumierte Ziegeltee wird aus älteren, zur Berei- tung des eigentlichen Geniißmittels nicht taug- lichen Blättern, aus den Zweigspitzen und Ab- fällen dargestellt und stellt nach J. Mo eller eine Art Gemüsekonserve vor. Den chinesischen Sorten macht gegenwärtig besonders der indische Tee große Konkurrenz, da er durch ganz vorzüg- liche Qualitäten auf dem europäischen Markt vertreten ist. Im Jahre 1910 exportierte Indien 236 094 700, Ceylon 191 860 000, China dagegen nur 196 193 700 engl. Pfund. Java sandte auf den Markt 37 000 000^), Japan (1906) 56 789 081, Natal 1 650 000 engl. Pfund. Der Gesamtexport betrug 681828 571 engl. Pfd. gegen 576 741493 engl. Pfund im Jahre 1896. In Europa sind London, Hamburg, Bremen und Marseille die wichtigsten Teemärkte. Der wichtigste Inhaltskörper des Tees, das Coffein (Thein), ist darinzu 1,09 bis 4,67% enthalten. Außerdem enthält Tee noch Theo- ^) Parfümieren (Beduften) des Tees durch wohlriechende Blüten (von Jasminum, Aglaia, Gardenia usw.) findet bei der Exportware nicht statt. 2) Nach anderen Berichten aber nur 15 334 689 bezw. 18 472 357 engl. Pfd. Die obige Angabe entstammt dem Bericht des Generalkonsulates in Shanghai. phyllin, Gerbsäure und Boheasäure (4,48 bis 25,20%), mineralische Bestandteile (4,1 bis 8.03%, Spuren von Teeöl usw. Das Teeöl scheint nicht ursprünglich im Tee enthalten zu sein, sondern sich erst bei der Gärung zu entwickeln, sein Hauptbestandteil ist ein Alkohol von der Formel CßHi^O. Die Beurteilung der Qualität richtet sich vor allem nach den physiologischen Ein- wirkungen, Geruch und Geschnuu-k sind die Hauptsache, chemische oder mikroskopische Prüfungen sind hierbei ohne Belang. Auch die sogenannte „Teekraft'' nach Martin, d. i. der Gesamtgehalt an Extraktivstoffen, die durch Behandhing des Tees mit einer Mischung von 3 Raumteilen Aether und 1 Raumteil absoluter Alkohol erhalten werden, gibt nur eine beiläufige Orientierung.^) Teefälschungen bestehen entweder in der Verwendung von schon gebrauchtem Tee oder in der Substituieruug durch Blätter fremder Pflan- zen; erstere läßt sich leicht durch die Nestler- sche Mikrosublimationsmethode nachweisen. Die Substitution ist selten, soll schon in China (früher wenigstens) mit den Blättern von Eurj^a japonica Thunb., von Weiden usw. geübt worden sein. Der ,,koporische" Tee (Rußland) stammt von Chamaenerium argustifolium Scop., der kau- kasische oder Batumtee von Vaccinium Arcto- staphylos L., der ,, böhmische" Tee von Litho- spermum officinale L. Die Kenntnis der Teepflanze in China ist schon von sehr alter Zeit her beglaubigt, ein chinesischer Schriftsteller erwähnt sie schon 2700 Jahre v. Chr.; nach Europa scheint Tee zuerst 1636 gekommen zu sein (nach Paris). In den Apotheken des 17. Jahrhunderts hieß die Ware Herba Schak, Herba Cha und Species Thea. 2. Mate (Paraguaytee). Paraguaytee ist ein aus den Blättern verschiedener Arten der Ac[ui- foliaceengattung Hex bereitetes Genußmittel. Hauptsächlich werden die Blätter von Tlexpara- guayensis St. Hil. in Paraguay und Südbrasilien hierzu verwendet. DerBaumiiefertvom7. Jahre an jährlich 30 bis 40 kg Blätter. Die Zubereitung besteht in Durchziehen der beblätterten I Zweige durch ein Feuer (analog dem Welken- lassen der Teeblätter), hierauf Rösten über einem offenen Feuer und sclüießlich Zerkleinern I durch Zerstampfen mitsäbelartigenHolzstücken. I In neuerer Zeit wird das Absengen auch durch Eintauchen in heißes Wasser ersetzt; auch das Rösten und Zerkleinern wird zweck- mäßiger besorgt. Die Ware erscheint als ein gröbliches Gemenge von Blatt- und Zweig- stücken, oder auch nur als ein aus den Blättern entstandenes Pulver. 1) Die in vielen Teesorten vorkommenden „Stengel" beeinflussen die Qualität nach A. Besson (Chem. Ztg. 1911) in keiner Weise. Indische und Ceylon -Teesorten von hoch- gelegenen Plantagen stehen an Güte allen anderen voran. 766 Genußmittel (Vegetabilische Cienußmittel) Das Mateblatt ist bis 16 cm lang, eiförmig bis eiförmig-länglich, in den Blattstiel ver- schmälert, an der Spitze stumpf oder ein- gekerbt, am Kande entfernt kerbig-gesägt, kahl, lederig. Das Blattgewebe enthält zwei Palisademeihen, nur in der Oberhaut der Unterseite Spaltöffnungen, in einzelnen Zellen des Schwammparenchyms finden sich große Kj-istallrosetten von Calciumoxalat. Der Gehalt an Coffein schwankt zwischen 0,2 und 3,335%, beträgt zumeist 1 bis 1,5%. — In Europa hat sich Mate nicht einbürgern können (Ausführliches s. bei Hartwich, Die mensch- lichen Genußmittel). Verwandt mit Mate ist die Cassine, die von Hex Cassine L. und anderen Arten stammt und von den Indianern im Südosten der Vereinigten Staaten (von Virginia bis zum Rio grande del Norte) wie Mate gebraucht wurde. Bei den Weißen hieß der Trank Black drink. Seine Anwendung ist gegenwärtig nicht mehr üblich. 3. Kaffee (die Samen von C off ea arabica L. Rubiaceae). Der Kaffeebaum kommt wild vor in Südabyssinien und in den Gallaländern Enarea und Kaffa, wo er nach Seh wein fürt mit anderen Gehölzen das als Woena Dega bezeichnete Vegetationsgebiet bildet. Die weiter südlich, am Njassa-See, in Uganda, in Njave aufgefundenen Kaffeesträucher gehören anderen Coffea- Arten an. Im Habitus erinnert der Kaffeebaum an unsere Kirsche, wird aber gewöhnlich strauchartig gezogen; in der Blütezeit, aber auch mit Früchten beladen, bietet der Baum einen überraschend gchönen Anblick (Fig. 4). Die Früchte sind kleinen Ivirschen ähnliche Steinbeeren, anfänglich grün, dann gelb und rot und schließlich in Voll- reife dunkelviolett. Durch die Kultur entstanden zahlreiche Varietäten, die sich besonders in der Größe, Form und Farbe der Früchte unterschei- den, z. B. var. amarella (cafe botucatu) mit gelben Früchten, var. Maragogipe (Brasilien) mit größe- ren Früchten und Samen (wie Liberia-Kaffee) u. a. Von anderen Coffea-Arten hat nur C. liberica Bull., derLiberia- oder Monrovia- kaffee, eine größere Bedeutung gefunden. Der Bourbonkaffee (Cafe Marron) von C. Mauritiana Lam., der einigemal auf dem Markte erschien, ist kein Ersatz des arabischen Kaffees, da er kein Coffein enthält (vgl. Fr 0 ebner. Die Gattung Coffea und ihre Arten, 1898; und T. F. Hau aus ek, Bourbon- kaffee, Zeitschrift für Untersuchung der Nahrungs- und Genußmittel, 1899, S. 545). Behufs Gewinnung der Kaffeebohnen sind zwei Methoden in Anwendung, die t r 0 c k e n e und die n a s s e. Nach ersterer werden die zu meist an der Sonne getrockneten Früchte mit Keulen, Stampfen oder Walzen zertrümmert und die Hüllreste durch Schwiugcn entfernt. Die nasse (westindische, brasilianische) Me- thode zeigt uach den Produktionsländern einzelne Verschiedenheiten. In Venezuela werden nach A. Ernst die frischen Früchte mit dem Descerezador von der fleischigen Hülle befreit, indem sie durch keilförmige Spalte gegen einen mit vielen stumpfen Spitzen ver- sehenen rotierenden Zylinder gedrängt werden. Darauf überläßt man sie in einem ausgemauerten Fig. 4. Kaffeebaum, A blühender Zweig, B Zweig mit Früchten. Nach Sadebeck. Genußmittel (Vegetabilische GreniLßmittel) 767 Teichbette durch kurze Zeit einer Gäruno;, mid trocknet sie auf s;roßen, mit Ziegeln gepflasterten Höfen. In der tri IIa wird dann die den Samen umhüllende Pergamentschale durch ein in einem kreisförmigen Bett laufendes schweres Holz oder Steim-ad zerquetscht und der Ven- teador trennt schließlich die Spreu von den Samen. Mitunter ist die Trilla auch ein Stampf- werk. Sehr zweckmäßig ist die Zubereitung in Indien und auf Java, worüber Tschirch ausfülnlich berichtet hat (, Jüdische Heil- und Nutzpflanzen"). Die Kaffeefrucht ist zweifächerig. Das süß schmeckende Fruchtfleisch umschließt ein dünnes, sehr zähes und festes Samengehäuse (die innerste Fruchtschicht oder Endokarp), das zwei Fächer bildet, in denen je ein Same liegt. Mitunter (meist an alten Bäumen und an den Zweigspitzen) schlägt ein Same fehl, die Frucht enthält dann nur einen zylindri- schen oder rundlichen Samen, den sogenannten Perlkaffee, der ausgelesen und als besonders gute Sorte geschätzt wird, was er aber nicht verdient. Aus dem frischen Fruchtfleisch bereitet man in Arabien ein weinartiges Getränk, den Kischr oder Geschr. — Auch die bei der IBereitung ab- fallenden Hüllen werden zur Herstellung eines Extraktes verwendet, der beim Rösten der Kaffee- bohnen als Zusatz dient. Der Same besitzt eine dünne, glänzende Samenhaut, das „Silberhäutchen", die bei der Bereitung ebenfalls größtenteils entfernt wird. Somit ist die Kaffeebohne nur der Samenkern; er besitzt die bekannte plan- konvexe Gestalt (plane Bauch- und gewölbte Kückenfläche), ist im Unniß eirund oder elliptisch und trägt auf der Bauchfläche eine Längsrinne (mit Resten der Samenhaut), ent- standen durch die Faltung des hornigen, gelben, grünlichen, bläulichen oder braunen Nähr- gewebes, das die Hauptmasse des Samens aus- macht. In einem entsprechenden Hohlräume desselben am unteren Rande liegt der Keim. In betreff des anatomischen Baues mögen folgende Angaben genügen. Die in der Furche steckenden Reste der Samenhaut zeigen im Querschnitt drei Zellschichten, deren oberste sein- charakteristische, meist gestreckte, spindel- förmige, schiefporöse Skiereiden enthält. Das Nälngewebe besteht aus polyedrischen Zellen, deren Wände von der Fläche grob netzleisten- förniig verdickt, im Durchschnitt knotig er- scheinen. Die Verdickungen sind Reserve- zellulose und werden bei der Keimung auf- gelöst. Als Zellinhalt findet sich ölhaltiges Plasma, Gerbstoff, Zucker, mitunter auch feinkörnige Stärke in sehr geringer Menge. Der Gehalt der Kaffeebohnen an Coffein schwankt zwischen 0,3 und 2,36%, das Mittel ist nach König 1,07%. Es ist nur gebunden vorhanden und zwar als chlorogen- saures Kali-Coffein. Die Chloroeensäure ist dem Kaffee eigentümlich und kann in Kaffeesäure und Chinasäure gespalten werden ; außerdem ist noch eine zweite Säure, die Coffalsänre enthalten. Der Fettgehalt beträgt 10 bis 13%, von Zucker sind 8,62, von Aschenbestandteilen 3,02% vorhanden. Von der großen Anzahl der Provenienz- sorten des Kaffees, die in ihren Qualitäten sehr bedeutende Unterschiede darbieten, mögen hier nur die Haupttypen genannt werden: Englisch- indische Sorten, die des Festlandes (die Nil- aghiri) und die Ceylonsorten, die sich in Natives und in Plantations gbedern. Holländisch- indische mit Java an der Spitze, dann Sumatra und Celebes ((ioldmenado). Nordamerikani- sche, wie .Alexiko, und mittelamerikanische, Guatemala, San Salvador, Nikaragua und Costa- rica (eine vortreffUche Sorte); Antillenkaffee, wie Kuba, Jamaika, Puertorico (eine der besten, wird schon dort gefärbt und gibt ein halt- bares, sich nicht ,, säuerndes" Getränk); Süd- amerikanische mit den guten Sorten von Vene- zuela und vor allem Brasilien, bezügUch der Quan- tität das erste Kultur- und Exportgebiet. Santos produziert allein ;3no Mill. kg. Das ganze Brasihen 636, Holländisch-Indien 35,3, Venezuela 66, Guatemala 36,8 Mill. kg; die Gesamtproduktion betrug 1905 890, 1907 über 900 Mill. kg. Der Konsum in Europa und Nordamerika beträgt per Jahr und Kopf der Bevölkerung: Holland 5,65, Belgien 4,44, Nordamerika 3,90, Schweiz 3,02, Dänemark 2,80, Skandinavien 2,60, Deutschland 2,30, Frankreich 1,14, Oesterreich 0,90, England 0,48, Italien 0,47, Portugal 0,34, Spanien 0,16, Rußland 0,083 kg. Der Kaffee wird bekanntlich nur im ge- rösteten Zustande verwendet. Durch das Rösten wird die chemische Zusammensetzung sehr bedeutend geändert, der Wassergehalt geht zurück, die Stickstoffsubstanzen werden durch Zersetzung vermindert, der Fettgehalt nimmt (relativ) zu, das Coffein ab, der Zucker wird in Karamel verwandelt. Außerdem ent- wickelt sich ein empyreumatisches Kaffeeöl, das Caffeol, das den bekannten, angenehmen, beim Rösten sich entwickelnden Geruch be- dingt. lieber die Geschichte des Kaffees vgl. Hartwich, 1. c. S. 307 ff. Eine besondere volkswirtschaftliche und nationalökonomische Bedeutung kommt den Kaffeesurrogaten zu, von denen die Zichorie, die geröstete und zerkleinerte Wurzel des kultivierten Wegwartes, Cichorium Intybus L., der Feigenkaffee (Süddeutsch- land, Oesterreich) und die aus Cerealien und Malz bereiteten Surrogate eine umfangreiche Anwendung gefunden haben. 4. Kolanuß (die Samen und die einzelnen, auseinandergebrochenen Keimblätter der Ster- cubacee Cola vera Schumann). Das Ver- breitungsgebiet des Baumes reicht in Sene- gambien vom IP n. Br. bis zum ö** s. Br. in Loango und im Kongogebiet. Diese Samen besitzen zwei Keimblätter. Südlich von diesem 768 (lenußmittel (A'egetabilisclie Genußinittel) Gebiet liefert eine Kolaart, die gegenwärtig als Cola acuminata var. Ballayi Schu- mann aufgefaßt wird, Samen mit 4 bis 6 Keimblättern. Die Samen von C. vera sind unregelmäßig eirund, die Keimblätter un- gleich, dick, bald flach, bald nach außen gewölbt, an der Oberfläche rotbraun, im Innern zimtbraun, von herbem und etwas bitterem Geschmack (Fig. 5). Der Haupt- inhalt besteht aus einfachen, vielgestaltigen | und das nördliche Südamerika, also Colum- bien, Venezuela, Guayana, Nordbrasilien, Ecuador und Peru einschließt. Die sich stetig steigernde Anwendung dieses Genußmittels hat sein Kulturgebiet bedeutend erweitert und wir finden ausgedehnte Kulturen in Tropen- gebieten anderer Weltteile; in Afrika den Kongostaat, Kamerun, die Inseln Reunion, Mauritius, Madagaskar, in Asien Ceylon, Java, Celebes, die Molukken und Philippinen. Fig. 5. Kolanuß vuii l'ula vera K. Schumann, a von der Seite gesehen; b von oben. Läßt die rechtwinkhg zur Trennuiigslinie der beiden Keimblätter laufenden Keimungsspalten und die mit diesen sich kreuzenden sekundären Spalten erkennen: c Keimblatt von innen, am oberen Ende das Würzelchen und die Phimnla. Natürhche Größe. Nach Hartwich. Stärkekörnern. Die braune Färbung rührt von einem Glykosid, dem Kolanin her, das schon beim Erwärmen in Wasser sich in Coffein, Glykose und Kolarot spalten läßt. Außer Coffein (1,8 bis 2,35%) enthält die Kolanuß noch Theobromin (0,02 bis 0,04%). Sie ist ein hervor- ragendes Handelsobjekt von der Westküste Afrikas nach dem Flachsudan und spielt im Leben der Sndaneson eine sehr wichtige Rolle als unentbehrliches Genußmittel und als Wert- messer (v. Vogl). In Europa findet sie hauptsächlich nur Verwendung als coffein- haltiges Heilmittel. 5. Guarana. Auch die Guarana, ein in Süd- amerika ausden Samen vonPaullinia sorbilis Mart. (Sapindaceae) hergestellte Paste, in der Heimat ein co ff einhaltiges Genußmittel, wird bei uns nur als Heihnittel gebraucht. Die Guarana besitzt unter allen hierhergehörigen Drogen den größten Coffeingehalt, der bis 6,5% steigen kann. Sie enlliält auch eine der Katechugerbsäure nahestehende Gerbsäure una Katechin. 6. Kakaobohnen, Kakao und Kakao- präparate. Die Kakaobohnen sind die Samen xles echten Kakaobaumes, Theobroma Cacao -L. (Ternstroemiaceae). dessen amerikanisches Verbreitungsgebiet vom 23° n. Br. bis zum 20" s. Br. reicht und Südmexiko, die zentral- amerikanischen Republiken, die Antillen Die Kakaofrucht ist eine bis 20 cm lange, eiförmige, zugespitzte, längsstreifige Beere von gelber oder roter Farbe, und enthält in weichem süßem Muß eingebettet zahlreiche, horizontal liegende Samen (Fig. 6 A, B). Die Ernte erfolgt (in Ecuador) mit Hilfe langer Stangen, die am Ende ein mit der Schneide nach oben gekehrtes Quermesser tragen. Mit einem kurzen Schnitt wird die Frucht abgetrennt, wobei die Vorsicht zu gebraiu'hen ist, die übrigen Teile des Fruchtsprosses nicht zu verletzen. Hierauf wird die Frucht mit einem Holzstück oder mit dem Messer geöffnet und entkernt. Die Samen werden von der anhängenden Pulpa befreit, diese wird in Brasilien zu Gelees und zur Dar- stellung von Branntwein und Essig verwendet. Die weitere Zubereitung der Samen bestand früher in einem einfachen Trocknen, wobei der bittere und herbe Geschmack erhalten blieb. Um dies zu vermeiden, werden die Bohnen einem Gä- rungsprozeß, dem ,, Rotten", unterworfen, indem man sie in zementierte Gruben, in Fässer u. dgl. einlegt oder auf geeignete Unterlagen aufschichtet und mit Bananenblättern und Tüchern bedeckt. Hierbei erwärmen sie sich bis über 40" und schmecken nun angenehm milde. Schließlich werden sie sehr sorgfältig getrocknet. Gewisse Sorten worden mit roter Erde gefärbt (Vene- zuela). Die Kakaobohnen (Fig. 6, C bis G) sind flach eiförmig, ziemlich unregelmäßig, bis 27 mm lang, 10 bis 15 mm breit und 5 bis 8 mm dick. Geuußmittel (Vegetabilische Genußmittel) 769 zeigen am breiten stumpferen Ende einen flachen glatten Nabel und besitzen eine dünne, zerbrechliche, rotbraune oder graubraune, mit dunkleren verwaschenen Flecken versehene Schale, die den Samenkern umschließt. Dieser ist noch von einem besonderen, sehr zarten, farblosen Häutchen bekleidet, das sich in den Kern stellenweise einstülpt und ihn in kantige der Rest eines Nährgewebes und zwar nach Tschirch eines Perisperms. Der Kern besteht nur aus den beiden fleischigen Keimblättern, die an ihrem Grunde das fast stielrunde, sehr harte Würzelchen einschließen. Die Keim- blätter sind an ilnen Berührungsflächen ge- faltet, uneben, von dunkelvioletter oder braun- roter Farbe, im frischen Zustande teils weiß Stücke zerklüftet. Dieses „Silberhäutchen" ist l (farblos), teils schon gefärbt. Fig. 6. Frucht und Samen des Kakaobaumes. A Frucht, von der eine Hälfte der Schale weg- genommen ist, B Frucht im Querschnitt, C Same von der Seite, D derselbe von vorn, E Keim (Kakaobohne), F Keimblatt, G Same im Querschnitt. Nach K. Schumann. Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV. 49 770. Genußmittel (Vegetabilisclie Genußmitte] ) Bezüglich ihres anatomischen Baues ist fol- gendes hervorzuheben. Die Epidermis der Keim- blätter trägt keulenförmige, bis 120 ft lange Trichome, die aus einer Reihe tonnen- oder ringförmiger, dünnwandiger, mit feinkörnigem Inhalte erfüllter Zellen zusammengesetzt sind und am Scheitel abgerundet mit zwei oder drei Zellen abschließen. Sie werden nach ihrem ersten Beob- achter Mitscherlichsche Körper genannt. Das von der Oberhaut umschlossene Gewebe der Keimblätter ist ein Parenehym, dessen dünnwan- dige Zellen Stärkekörner, Aleuronkörner, Oel- plasma mit ausgeschiedenen Fettsäuren (in Form strahliger Büschel von Ivristallnadeln) und Farbstoff enthalten. Die mit den Farbstoff- klumpen erfüllten Zellen sind an ihrer violetten, roten oder gelbbraunen Farbe kenntlich. Das am-egende Prinzip der Kakaobohnen istTheobromin, das zu 1,31 bis 1,66, im Mittel zu 1,490^ enthalten ist. Außerdem sind 22,92% Kohlehydrate und 45,57% Fett vorhanden. Die Bohnen vereinigen demnach die Eigen- schaften eines Genußmittels mit denen eines fettreichen Nalu-ungsmittels, wodurch sie sich von den übrigen Genußmitteln sehr vorteilhaft unterscheiden. Die besten Sorten liefert Venezuela (Caracas, Puerto Cabello), die größten Quantitäten Ecua- dor; dessen Export betrug 1911 bei 39000000kg, der Export von Venezuela etwa die Hälfte, der von Brasilien 3 277 000 kg (1908). Im Jahre 1911 betrug die Kakao -Welternte 244 545 000 kg. Nach Deutscliland wurden 1911 50 855 000 kg eingeführt, um 11 "/o ii^ehr als im Vorjahre. Kakao Präparate. Die Kakaobohnen werden nur geröstet verarbeitet. Durch das Rösten wird das Aroma erhöht, der Geschmack verbessert und das Stärkemehl teilweise dextri- niert. Die liierauf von den Schalen und den harten Würzelchen befreiten Kerne werden vermalüen und bilden die Kakaomasse, die in Blockform in den Handel gebracht wird. Zur Herstellung des Kakao pul vers wird der Masse 25 bis "30%, oder sogar fast der ganze Gehalt von Fett entzogen, indem man dieses, die sogenannte Kakaobutter, mittels hydrau- lischer Pressen abpreßt. Bei der Fabrikation des „aufgeschlossenen" oder „löslichen" Kakao- pulvers (Puder, holländischer Kakao) wird die Masse mit Natrium-, Kalium-, Magnesium-, Ammoniumkarbonat oder mit Dampf behandelt, was bezwecken soll, daß sich der Kakao beim Gebrauch in Wasser oder in Milch rasch ver- teilt und lange darin suspendiert bleibt. Ob er dadurch auch leichter verdaulich wird, wie man angibt, ist nicht ausgemacht. Ein weiteres ungemein verbreitetes Produkt ist die Schokolade, worunter man ein Fabrikat versteht, das aus geröstetem und enthülstem Kakao, feingemahlenem Konsumzucker, mit oder ohne Zusatz von Kakaobutter, Vanille, VaniUin, Zimt, Nelken oder anderen Gewürzen bereitet wird und mindestens 30% Kakao und Kakaobutter enthält (Codex alimentarius Austriacus). Schokolade zum Rohessen oder Fondantschokolade enthält noch Nüsse, Mandeln, Milch, Kaffee, Tee, Honig, Orangen u. dgl. Außerdem werden noch Ueberzugsmassen oder Couverturen und verschiedene Schoko- ladewaren erzeugt. B. Pyridinkörper enthaltende Genußmittel. 1. Tabak. Tabak, wohl das universellste, auf der ganzen Erde verbreitete Genußmittel, besteht aus den zum Rauchen, Schnupfen oder Kauen zubereiteten Blättern mehrerer Arten der Solanaceengattung Ni co ti an a , die größten- teils in Amerika einheimisch sind, woher ja auch die Kenntnis und Anwendung dieses Genußmittels nach Europa gelangt ist. Die wichtigsten tabakliefernden Arten sind Nico- tiana Tabacum L., virginischer Tabak, ein- heimisch im tropischen Amerika, und N. rustica L., Bauern-, Veilchen-, ungarischer, türkischer, gemeiner, asiatischer, mexikani- scher, brasilianischer Tabak, einheimisch in Mexiko und Texas. Beide Arten, insbesondere die erste, enthalten zahkeiche Varietäten und Hybriden; hervorzuheben ist N. macro- phylla Lehm. (N. latissima Miller), der Mary- land- oder großblätterige Tabak, der in Mary- land, Ohio, auf Kuba und Puertorico, in Ungarn und in der Tüi'kei kultiviert wird. Diese Form wird übrigens auch als gute Art angesehen (Fig. 7). Ich gebe hier (mit einigen Abkürzungen größtenteils wörtlich) eine vortreffliche Zusam- menstellung der Arten und Formen von Nico- tiana, die von Dr. K. Preißecker in den ,,Fachl. Mitteil, der k. k. österr. Tabakregie", Wien 1907, H. 3, veröffentlicht wurde; sie weicht in einigen Fällen von der bekannten Gruppierung von Comes ab. Die Einteilung nach Dunal in De Candolles Prodromus: A. Didiclya. Frucht- knoten zweifächerig.— I. Sektion. Tabacum. Rote oder rötliehe Blumenkrone mit (nahezu) regelmäßigem Saume. 1. N ico tian a Ta bacu m L. Kj-onenzipfel spitzwinklig, a) Var. fruticosa Hook.fil., Blätter in den schmal geflügelten Blatt- stiel verschmälert. Südamerika. Hierher viele Sorten des südöstlichen Asiens, dann der Latakia in Syrien, Samsun und Bafra in Kleinasien, einige Dramavarietäten, der Sennaartabak in Afrika, Moro di Cori (Italien) und Szuloker (Ungarn), b) Var. chinensis Fisch. (N. petiolata Agdh.), Blätter eiförmig-lanzettUch, mit Aus- nahme der obersten langgestielt. Stiele kaum merklich geflügelt. Brasilien. Hierher alle Tabake, die an der Süd- und Ostküste Asiens ur- sprünglich gebaut wurden, darunter auch der jetzige Fuji in Japan, dann der Tabac d'or in Persien (Tabak von Schiras, Tumbeki) und der Tabak von Sokotra. c) Var. lancifolia (W.) Com. Blätter lanzettlich, zugespitzt, am Rande gewellt. Ecuador. Hierher Domingo, Kentucky, Burley, der spitzblätterige Pfälzer, Cattaro und Brasile Ben event an o(ltalien)und einige indische Tabake d) Var. brasihensis Com. Blätter langelliptisch, kurz zugespitzt. BrasiUen. Hierher Brasil, Mary- land, Ohio, Amersforter, Veliwe und Betuwe (Holland), Palatinat, Gundi (Deutschland), die Genußmittel (Vegetaldlische Genußmittel) 771 ungarischen Gartenblätter, Debröer, Verpeleter, Csetneker (Ungarn), Herzegowina und Idsumi (Japan), e) Var. virginica (Aghd) Com. Blätter sitzend, eiförmig-lanzettlich, etwas zugespitzt. Venezuela. Hierher der Virginier und eine große Anzahl anderer nordamerikanischer Tabake. 1) Var. havanensis(Lag.)Com. Blätter breit-eiförmig-ellip- tisch, spitz. Mexiko. Hierher Havana aus den Vielta abajo-, Partido- und Remediosdistrikten, — III. Sektion Rustica. Blumenkrone grünlich bis gelb, cc) Blätter herzförmig oder nahezu herzförmig. 1. Nicotiana rustica L. Blätter gestielt, herzförmig-oval, Blumenki'one breit- bauchig-röhrig mit kurzem Saume, Röhre zwei- bis dreimal länger als der Kelch. Mexiko. Hierher gehören Machorka panska und Bakun. a) Var. humilis Sehr. In allen Teilen kleiner. Hierher: Lauskraut (Tirol), Veilchentabak, Bauerntabak Fig. 7. Tabakpflanzen: A bis C Nicotiana rustica L., A Habitusbild, B Blüte, C dieselbe im Längsschnitt. D bis J Nicotiana Tabacum L., D Habitusbild, E Blüte, F Kapsel, G Same, H derselbe im Längsschnitt, J Narbe. — A und D verkleinert, B und E in natürlicher Größe, C und F etwas vergrößert, G bis J achtmal vergrößert. Nach v. Wettstein. dann die meisten Seedleafs (Tabake aus Kuba- samen in New-England, eingeführt im 17. Jahrhundert unter Karl L), endlich Manila, Bezoeki auf Java, Deli auf Sumatra, Aya-Soluk (Kleinasien). — 2. Nicotiana macrophylla Spr. Blätter sehr groß, dicklich, breit-oval, am Grunde eng zusammengezogen, breit-wellig- geöhrlt, Seitennerven erster Ordnung fast recht- winklig abzweigend. Blumenki'one purpurrot, Zipfel stumpfwinklig. Zentralamerika. Comes zieht in seine Var. macrophylla auch Kultur- formen mit rosafarbenen Blüten und scheidet sie deshalb in zwei Formen: a) roseiflora; Comes zählt hierher: Kuba (aus dem Osten der Insel), Varinas, Xanthi (Türkei), Stolac (Herzegowina) u.a.m., b)rubriflora, das istdie als Zierpflanze ver- breitete N. atropurpurea grandiflora der Gärtner. — IL Sektion. Sairanthus. Blüten in einfacher, endständiger, einseitswendiger Traube. Rötliche rachenförmige Blumenkrone. Einzige Art: Nicotiana glutinosa L. aus Peru. Soll ehemals auch zu Rauchtabak verarbeitet worden sein. Comes stellt diese Art unter die nächste Sektion. (Deutschland), Cserbel (Ungarn), b) Var. texana (Naud). Mit bläulich überlaufenen Blumenkronen, Hierher nach Comes der Kalkuttatabak ( ?). c) Var. senegalensis hört. Blumenkronen breiter, alle Teile stärker behaart. — 2. Nicotiana pani- culata L. Kj-onenröhre sechsmal länger als der Kelch, Blätter herzförmig-rundlich, oben glän- zend. Peru. Soll den echten Varinas liefern und der schwächste aller bekannten Tabake sein. — Nicotiana glauca Grab. Eine kahle, aus- dauernde Art. Blätter graugrün, eiförmig-läng- lich. Buenos Aires. — ß) Blätter länglich bis lanzettlich. Nicotiana Langsdorfii Weinm. Kronen so breit wie bei rustica, Zipfel undeutlich, Staubbeutel bläulich. Brasilien. Soll von den Eingeborenen geraucht werden. — IV. Sektion. Petunoides. Blumenki-one weiß, regelmäßig oder symmetrisch, oder rot, dann aber nie regel- mäßig, sondern stets schief-stieltellerförmig mit ungleichen Zipfeln. Nicotiana alata Lk. et 0. (N. affinis Moore). Große weiße Blumen- kronen mit weiter Röhre. Brasilien. Die verbrei- tete Meinung, daß aus dieser Pflanze derTumbeki- 49* Grenußmittel (Vegetabilische Genußinittel) oder Schirastabak erzeugt wird, ist irrig. — Die übrigen 21 Arten dieser Sektion wurden hier nicht übercksichtigt, da sie für die Tabakfabrikation ohne Bedeutung sind. — B. Polydiclya. Nicotiana quadrivalvisPursh. Fruchtknoten vierfächerig. Missouri. Soll von den Rothäuten im Nordwesten der Union kultiviert worden sein und einen sehr aromatischen Tabak liefern. Der anatomische Bau des Tabakblattes ist der eines bifacialen Blattes. Das Mesophjdl be- steht aus einem meist einreiliigen Palissaden- gewebe und einem reich entwickelten Schwamm- parenchym, in dem zahlreiche Ki-istallsand- schläuche enthalten sind. Diese finden sich auch in den Kollenchymsträngen, die die Gefäßbündel begleiten. Die Epidermen beider Blattseiten tragen Trichome und zwar lange, mehrzellige j Deckliaare, kurze Drüsenhaare mit einzelligem Stiel und mehrzelligem Köpfchen und lange mit mehrzelligem Stiel. Die Oberhautzellen haben zu- meist einen buchtig-lappigen Umriß, die Zahl der ' Spaltöffnungen, besonders an der Unterseite ist [ sehr groß. Nach Preißecker geben Form und [ Größe der Oberhautzellen gute Anhaltspunkte i zur Erkennung der einzelnen Arten und Formen (1. c, 1908, H. 2). Die chemische Zusammensetzung der Tabakblätter ist nach der Art und Form, nach den klimatischen und Kulturverhältnissen, was die Quantitäten der Stoffe betrifft, sein- ver- 1 schieden. Tabak gehört zu den kali- und kalk- i reichsten Pflanzen und der Aschengehalt kann bis 30% steigen. Zigarren besitzen eine Asclien- menge von 16,3%. Neben den überhaupt in Blättern vorkommenden Substanzen, wie Chlo- rophyll, Fett, Stärke, Gummi, Eiweißstoffen n. a. enthält Tabak das sein- giftige Nicotin und drei Nebenalkaloide. Der Gehalt an Nicotin schwankt von 0,6 bis 6% ; es enthält davon nach Kißling Virginia 4,50, Seedleaf 3,32, Havanna 2,5 (nach Neßler nur 0,62), Elsässer 1,50, Ohio 0,68%. — Für die Güte des Tabaks ist die Nicotinmenge nicht ausschlaggebend, wohl aber bedingt sie die „Stärke" "und „Schärfe" des Tabaks. Von besonderer Bedeutung ist das längere Lagern des Kohtabaks und der ver- arbeiteten Ware, dessen Einfluß sich folgender- maßen dartun läßt: Ausgereifte, also gut aus- gebildete Rohware verträgt ein mehrjälu-iges Lagern ohne Qualitätseinbuße. Die nord- amerikanischen Tabake (Virginia, Kentucky) und die hocharomatischen türkischen (mazedo- nischen) Tabake werden durch längeres ratio- nelles Lagern verbessert. Auch Zigarren ge- winnen durch ein mehrmonatliches „Maturie- rungsverfalu'en" (Lagern in gleichmäßig tempe- rierten, gut ventilierten Räumen) an Güte und vertragen auch mehrjähriges Lagern, Rauch- tabake und Zigaretten sollen nicht länger als 6 Monate auf Lager! bleiben. Die Rauch Produkte sind nach Thoms nebst dem schon vorhandenen Nicotin Pyridin- basen, Ammoniak, Kolilensäure, Kolilenoxyd, Buttersäure, Blausäure und ätherisches, nach Kamillenöl riechendes Qel, das Phenole enthält und sehr giftig ist; diesem und dem Nicotin sind die bekannten toxischen Wirkungen des Rauchtabakgenusses zuzusclu-eiben, diese Wir- kungen werden auch auf Bakterien, wie auf Bacillus cholerae asiaticae, B. typhi abdomi- nalis, ausgeübt, wonach dem Tabakrauch eine desinfizierende Eigenschaft nicht abgesprochen werden kann. Nach Schlösing ist die Nicotinmenge einer Tabaksorte von bestimmten Kulturbedingungen abhängig. Diese sind die Abstände der Pflanzen voneinander, die Anzahl der Blätter einer Pflanze, die Stellung der Blätter und die Zeit des Wachs- tums. Der Nicotingehalt sinkt mit der Verringe- rung der Abstände der angebauten Pflanzen, er ' steigt mit der Verminderung der Blätter und be- j trägt in Vollreifen Blättern 6 bis 7 %, 14 Tage vor der Vollreife nur 3 %. Zur gedeihlichen Ent- wickelung der Blätter werden Gipfelsproß und Seitentriebe (Geize) entfernt. Bei der Ernte wer- I den die Blätter von der Pflanze abgenommen, I an Schnüre gereiht und unter Dach getrocknet. [ Oder man erntet die ganzen Pflanzen und über- , läßt die Blätter an den Stämmen einer Nachreife. Die untersten Blätter geben das E r d - oder S an d - gut (Sandblatt), die mittleren das Bestgut, die I obersten als die wenigstreifen das Mittelgut. Mit I dem Trocknen wird mitunter ein „Schwitzen- j lassen" (in Haufen abwelken) oder auch eine ! Räucherung verbunden. Die wichtigste Verände- rung erfahren die Blätter nach dem Trocknen. Die Bündel werden in Haufen zusammengelegt und einem unter Erwärmung eintretenden Gä- rungsprozeß unterworfen, bei dem sich Ammoniak entwickelt, Salpetersäure und Zucker verschwin- den, der Nicotingehalt sich verringert (um ca. 28%), der Tabak an Schärfe verliert und an Wohlgeschmack gewinnt. Einzelne Länder haben ihre eigenen Methoden. Um feinsten Zigarren- tabak zu erzeugen, wendet man in Kuba das ,, Petunieren" an, das Besprengen der Blätter mit einem Wasser, in dem feine beschädigte Blätter faulen gelassen worden waren. Die Tabakblätter werden zu Rauch-, Schneide- oder Pfeifentabak, zu Zigarren und Zigaretten, zu Schnupf- und Kautabak und zu Sauce oder Tabaklauge (als Reinigungs- mittel für das Vieh, um es von Ungeziefer zu befreien, und gegen Pflanzenschädlinge in Obst- und Hopfenkulturen) verarbeitet. Der Rauch- tabak kommt gesponnen als Roll- oder Ivi-ull- tabak oder geschnitten in den Handel. Die ursprüngliche Zigarre bestand aus einem oder melu-eren zusammengerollten Blättern (Pflanzerzigarre), wie sie noch heute die um ein Espartograslilatt gewickelte Virginiazigarre darstellt. Die Zigarre schlechtweg besteht aus der Einlage, ferner aus dem Wickel oder Um- blatt und dem gewöhnlich einem viel feineren Blatte angehörigen Deckblatt. Dieses wird spiralig aufgerollt, in Manila "der Länge nach um die Zigarre gelegt, — Zu Schnupftabak nimmt man schwere, dicke, dunkle Blätter (Kentucky, Virginia, Amersforter, russische, galizische, Südtiroler), ferner die Rippen und Abfälle feiner Rauchtabakblätter und unter- wirft sie einer scharfen Gärung. Durch Zu- satz wohkiechender Stoffe wird er%romatisiert ; Grenußmittel (Vegetabilische Genußmittel) 773 solche sind Tonkabohnen, Blätter von Trilisa odoratissima, Prunus Cerasus (Weichselblätter), Steinkleeblüteu, Kjauseminze, Veilchenwurzel (Radix Iridis) u. a. Die wichtigsten außereuropäischen Produk- tionsgebiete sind die Vereinigten Staaten von Nordamerika, Kuba, Brasilien, Sumatra und Java, diese besonders ftir Deck- und Wickel- blätter. In Europa besitzt Oesterreich-Ungarn die stärkste Produktion mit 77 Mill. kg, dann folgen Rußland, die Balkanhalbinsel und Deutscliland. Gesamtproduktion der ganzen Erde: Europa 246, Asien 435, Afrika 50, Amerika 300, Australien und Polynesien 3 jVIill. kg. Davon kommen etwa 224 Mill. zum Export. Als Surrogate des Tabaks, die aber nur in Ländern verwendet werden können, in denen kein staatliches Tabakmonopol existiert, werden die Blätter verschiedener Pflanzen gebraucht, z. B. die Blätter der Runkelrübe, Kirsche, Weich- sel, Linde, Walnuß a. u. 2. Pituri(Pitschuri,Bedgery). Pituri heißen die über Feuer getrockneten und zerriebenen Blätter der Solanacee DuboisiaHopwoodüF. V. Müller, eines in Zentralaustralien ein- heimischen Bäumchens. Sie sind linealisch, ganzrandig, kurzgestielt, bis 12 cm lang. Das Genußmittel wird zumeist gekaut, hier und da aucli geraucht. Man formt mit Holzasche und einem Pflanzensaft aus dem Pituri Bissen oder man legt sie auf ein Gidgyablatt (Acacia homalophylla). verbrennt das Blatt und schiebt den Bissen in den Mund (Hartwich). Die Wirkungen sollen dem des Kokablattes ähn- lich sein. Als erregendes Prinzip wird das Alkaloid Piturin genannt; dieses soll aber mit dem Nicotin identisch sein. 3. Betel- oder Sirihbissen. Dieses kompli- zierte Genußmittel wird aus der Arekanuß, dem Samen der Arekapalme, Ai-eca Catechu L., aus dem Betelblatt vom Betelpfeffer, Piper Betle L., ferner aus Kalk und Gambir, dem Extrakt aus Blättern und Zweigen der Rubiacee Ourouparia Gambir Baill (Uncaria Gambir Roxb.) oder Katechu, dem Kernholzextrakt von Acacia Catechu Willdenow. bereitet. In neuerer Zeit wird auch Tabak zugesetzt. Es wird vorzugsweise im südostasiatischen Archipel, auch in Vorderindien angewendet. Die Zu- bereitung gescliieht folgendermaßen: Auf die Oberseite des frischen Betelblattes wird eine dünne Schichte Kalkbrei aufgetragen oder Kalkpulver aufgestreut, darauf ein Stück einer weichen halbreifen Arekanuß und ein Stück Gambir oder ein Gambirblatt aufgelegt und das Betelblatt länglich zusammengefaltet; der Betelbissen ist fertig. Er wird gekaut oder richtiger ausgesaugt, färbt den Speichel blut- rot, und schädigt die Zähne durch starke Bildung von Zahnstein. Bezüglich der Wir- kung läßt sich sagen : Von der Arekanuß kom- men Gerbstoff und das giftige Arecolin in Betracht, dessen Wirkung mit der des Muscarins (aus dem Fliegenschwamm) übereinstimmen soll. An den Erregung erzeugenden Körpern haben auch das ätherische Oel (und harzartige Stoffe) des Betelblattes Anteil. Gambir wirkt nur durch seinen Gerbstoff, die Wirkung des Kalkes ist teils eine schleimhautreizende, teils aber auch diätetischer Art, indem er die Magensäure abstumpft und verstopfend wirkt (Ausführ- liches über Wirkung und Anwendung s. bei Hartwich, 1. c). C. Ekgoninkörper enthaltende Genußmittel. Kokablatt. Hierhergehört nur das Koka- blatt, von Erythro xylon CocaLam., einem an unseren Schwarzdorn erinnernden Strauche aus der Familie der Erytlnoxylaceae, der vor- nehmlich in Peru und Bolivia, aber auch noch nördlich in Ecuador und in Columbien kulti- viert whd. Die Blätter erfahren keine weitere Zubereitung, als ein sorgfältiges Trocknen. Hier und da läßt man dieselben eine leichte Fermentierung durchmachen. Das dünne, leicht zerbrechliche Blatt (Fig. 8) ist 3 bis 6 cm lang, 2 bis 3 cm breit, in ein 4 bis 5 mm langes Stielchen verschmälert, ei- rund, verkehrt-eiför- mig oder länglich, stumpf, spitz oder abgerundet und mit einem Stachelspitz- chen versehen, ganz- randig, einnervig, auf der Unterseite lichter gelbgrün als auf der Oberseite. Auf der Unterseite sieht man zwei bogenförmige, von der Basis zur Spitze verlaufende, Blattnerven sehr ähn- lich sehende Falten oder Epidermis- schwielen, ein vor- zügliches Kenn- zeichen dieser Droge. Nach Vorkommen der Pflanze, Form und Größe der Blätter unterscheidet man drei Varietäten: var. bolivianum Brück, var. Spru- ceanum Burck und var. novogranatense Burck. Das erregende Prinzip ist das gegenwärtig in der Heilkunde einen hervorragenden Platz einnehmende Kokain, dessen Ausbeute nach der Sorte der Blätter, nach Standorts- und Kulturverhältnissen sehr verschieden groß ist. Sie beträgt 0,78 bis 1,22%, es werden aber auch höhere Zahlen angegeben. Die Koka enthält außerdem Kokagerbsäure und ätherisches Oel. Die Koka wird gekaut, meist mit Zusatz von etwas Pflanzenasche (von Chenopodium Fig. 8. Kokablatt, die typische Form in nat. Gr. Nach Hartwich. 774 (Tenußnüttel ( Vegetabilische Crenußmittel) Qiiinoa L.) oder Kalk. Sie erweist sieb als ein selir wirksames Stärkungsmittel bei Er- müdung und vermag auch das HungergefüM in auffallender Weise abzuschwächen. Ilire Ver- wendung in den Ländern iln-er Kultur ist uralt. D. Narkotische Genußmittel. I. Opium. Der eingetrocknete Milchsaft der noch grünen, umeifen Kapselfrucht des kultivierten Mohnes, Papaver somniferum L. (Papaveraceae), wird in Kleinasien, Persien, Indien, China, in Aegypten (und in Nord- amerika) in großen Mengen gewonnen und stellt das Opium dar. das kostbare und un- entbelu-liche Heilmittel enthält und in dieser Hinsicht ein überaus wertvolles Naturprodukt genannt werden nuiß. Andererseits übt es aber als Genußmittel, dem die Bewohner eines großen Teiles von Asien frönen, einen sehr schädlichen Einfluß aus. Das von Kleinasien stammende „Srayr- naer" Opium kommt von den Städten I3ogha- titsch, Ballikessri, Affjun-Karalüssar u. a. in Gestalt flachrundlicher Brote zu 100 bis 500 g, die in ein Mohnblatt eingehüllt sind. Das Haupt- gebiet der indischen Opiumproduktion ist die mittlere Gangesregion. Hier schneidet man die Mohnkapseln mit einem mehrkantigen Messer an, sammelt den austretenden Saft in einem Gefäße und formt Kugeln von ca. 2 kg, die mit Mohn- blumenblättern eingehüllt werden, nachdem man diese mit dem flüssig gebliebenen Anteil des Milchsaftes zusammengeklebt hat. Außerdem gibt es noch persisches und chinesisches Opium, die übrigen Produktionsstätten sind von geringer Bedeutung. Frische Opiummasse ist weich, knetbar, im Innern noch feucht, zähe, klebrig, gelbbraun ; ausgetrocknet erscheint sie hart, am Bruche körnig und dunkelrotbraun. Sie riecht sein- unangenehm kräftig narkotisch und schmeckt stark bitter, nachträglich etwas scharf. Opium enthält 17 Alkaloide, die an Mekon- säure und an Schwefelsäure gebunden sind. Von diesen haben das Morphin (bis zu 14% enthalten) und das Codein die größte Be- deutung als Heilmittel erlangt. Als Genuß- mittel wird es gegessen oder geraucht. Das Opiumessen wird hauptsächlich in moham- medanischen Ländern geübt, also besonders in Vorderasien. Man genießt es in Pillenform, nicht selten mit süßschmeckenden Substanzen und mit Gewürzen in verschiedenen Zuberei- tungen. In Ostasien wird ein aus Opium bereitetes Extrakt, der Tschandu geraucht. Vogl beschreibt die Wirkung des Opium- genusses folgendermaßen: Das Opiumrauchen versetzt den Genießenden in einen angenehmen Zustand, in einen Zustand der Glückseligkeit. Der Raucher ist anfangs aufgeweckt, heiter, ge- sprächig, oft lachlustig, sein Gesicht ist gerötet, die Augen sind glänzend, lü-eislauf und Atmung beschleunigt. Ein Gefühl von Wärme und Wohl- behagen verbreitet sich über den ganzen Körper, alle Empfindungen sind lebhafter, die Einbildungs- kraft ist tätiger, alle Sorgen schwinden. Oft tauchen aus dem früheren Leben angenehme Er- innerungen auf, die Zukunft stellt sich im rosig- sten Lichte dar, alle Pläne erscheinen gelungen, alle Wünsche leicht erreichbar usw. Allmählich stellt sich ein Zustand der Betäubung ein, das Gesicht wird blaß, die Haut kühl, mit Schweiß bedeckt, es tritt unwiderstehlicher Drang nach Schlaf auf. Dieser dauert mehrere Stunden. Nach dem Erwachen zeigen sich anfänglich nur geringe Nachwehen, die in Mattigkeit und Abge- spanntheit bestehen, bei fortdauerndem Genuß aber werden diese immer heftiger und lassen sich nur durch neuerliches Rauchen und steigende Mengen zurückdrängen. Der 0])iumgenuß hat sich auch in Europa (Franlvreich, England) und in Nordamerika eingesclüichen. lieber die Geschichte dieses merkwürdigen Genußmittels vgl. Hartwich 1. c. S. 144 fi Ob das Homerische vyjiiEvd'rjQ „ein Mittel gegen Kummer und Groll und aller Leiden Gedächtnis", das Helena ihren Gästen mit Wein gemischt kredenzt, sich auf den Mohn- saft oder auf eine Zubereitung des Hanfes bezieht, ist nicht ausgemacht. Helena er- hielt ihr Mittel von Thons Gemahlin Poly- damna in Aegyptos, „wo die fruchtbare Erde mancherlei Säfte hervorbringt zu guter und schädlicher Mischung". Es ist nach Tschirch (Handbuch der Pharmacie, I, 2, 463 bis 464) die Verwendung sowohl des Mohns als auch des Hanfes in Aegypten bekannt gewesen. 2. Hanf (Haschisch). Die in Indien kulti- vierte Hanfpflanze ist eine durch besonders großen Harzgehalt ausgezeichnete Rasse des gemeinen Hanfes, Cannabis sativa L.^) Die Hochblätter und die harzreichen Blüten- stände der weiblichen Pflanze stellen ein sehi- altes Genußmittel dar, das mit allen seinen Zubereitungen als Haschisch be- zeichnet wird. Die Genußformen sind das Rauchen oder Essen. Zur Verwendung ge- langen die Ganjah oder Gunjah, das sind die durch Harz verklebten Blüten- und Frucht- stände mit stark narkotischem Gerüche, und Bhang oder Bheng, ein weniger harzreiches Gemenge von zerschnittenen Blättern, Blüten- und Fruchtästen, ferner das auf verschiedene Weise gewonnene Harz. Das indische Haschischpräparat besteht aus kleinen, mit Zucker, Mehl und Milch versetzten Kuchen, ägyptische und Herater Präparate sind schwarz- griin, starkbetäubend und von unangenehmem Geruch. Dem durch Absieden der Blüten- standspitzen in Butter und Wasser gewonnenen Extrakt werden Konfitüren und aromati- sierende Stoffe, wie Vanille, Moschus u. ä. beigemischt, das ganze wird zu Kuchen oder Pillen verarbeitet. Die indischen „Churus" oder „Charas" sind nach Hart wich fast reines ^) Vgl. Ascherson und Gräbner, Synopsis usw. IV. Bd., S. 600. Genußniittel (Vegetabilische Genußniittel) — Geoffroy-St. Hilaire Etienne 775 Harz, in Kugeln geformt. Auch Stengelchen werden erzeugt, ,,die man zu Spiralscheiben aufrollt und dann zu einer größeren Platte von 6 cm Durchmesser vereinigt" (Hartwich). Von den wirksamen Bestandteilen ist das durch Destillation des Harzes gewonnene Cannabinol zu nennen, ein schwachgelber Sirup von der Zusammensetzung C21H30O2 und von phenol- und aldehydartigem Cha- rakter. Die durch den Haschischgenuß erzeugten Wirkungeii äußern sich in großer Heiterkeit, Lebhaftigkeit und Ueberschwcnglichkeit der Phantasie, Angst, Zeit- und Raumausdehnungs- gefühl und sclüießlich in Sclilaf. Kacli v. Vin- centi gilt der Genuß in Persien als entehrend. E. Auf kleine Gebiete beschränkte Genußmittel. Kawa - Kawa. Der Kawa - Ka watrank wird als berauschendes Mittel in der ganzen polynesischen Inselwelt gebraucht. Er wird aus der Wurzel des Rauschpfeffers, Piper methysticum Forst., bereitet, indem die zer- kleinerte Wurzel von jungen Leuten gekaut und das Feingekaute mit dem Speichel in ein Gefäß ausgespien wird. Dieses von den Pflanzenteilen befreite Ausgespieene bildet den Trank. Das berauschende Prinzip ist in einem Harz enthalten, aus dem neuerlich zwei Glykoside dargestellt worden sind, denen man vielleicht die Wirkung zuschreiben kann. Kath. Catha edulis Forskai (Celastraceae) in Abessinien, liefert in den Blättern ein da- selbst beliebtes Genußmittel. Die Blätter werden frisch oder auch getrocknet gekaut, mitunter wird auch ein Aufguß daraus bereitet. Die Wirkung ist eine anregende, schlafver- scheuchende, die Arbeitsleistungen erhöhende. Der erregende Bestandteil soll ein Alkaloid sein. Fliegenschwamm. Der Fliegenschwamm (Amanita muscaria (L.) Pers.). dieser in Mittel- und Nordeuropa und in Nordasien weit ver- breitete, selu" giftige Pilz, wird in ganz Sibirien im frischen Zustande (in Suppen und Saucen) oder getrocknet als Genußmittel verwendet. Der durch den Genuß erzeugte tiefe Rausch ist mit den schönsten Träumen erfüllt. Merkwürdig ist, daß auch der Harn des Be- rauschten diese Wirkung erhält und selbst auch wieder genossen wird. Das Gift, Mus- karin, ist als ein Oxycholin aufzufassen, es sind aber noch andere toxische Stoffe im Fliegenpilz enthalten, da sich die Muskarin- vergiftung sofort durch Atropin aufheben läßt, was aber bei der Vergiftung durch den Pilz selbst nicht der Fall ist. Auch genügen vier frische Pilze für eine tödliche Vergiftung des Menschen. Literatur. Aus der überreichen Literatur können hier nur einige zusammenfassende Werke an- geführt werden, in denen ohnedies die Einzel- arbeiten enthalten sind: T. F. Hanausek, Nahrimgs- und Genußniittel. Kassel I884. — A. V. Vogl, Die wichtigsten Nahrungs- und Gemißmittel. Wien 1899. — Dammer, Lexikon der Verfälschungen. Leipzig 1887. — König, Chemie der menschlichen Nahrungs- und Genuß- ■mittel, 4. Aufl. Berlin 1903 f. — Moeller, Mikroskopie der Nahru,ngs- und Genußmittel, 2. Aufl. Berlin 1905. — Moeller-Tlioms, Realenzyklopädie der gesamten Pharmazie, 2. Aufl. Wien -Berlin. — Codex alimentarius Awstriac^is. — 2J. Sadeheck, Die Kultur- gewüchse der deutschen Kolonien und ihre Er- zeugnisse. Jena 1899. — Tschirch, Handbuch der Pharmakognosie, Leipzig 1911 ff. — C. Hart- wich, Die menschlichen Genußmittel, ihre Her- kunft, Verbreitung, Geschichte, Anwendung, Be- standteile und Wirkung, Leipzig 1911, das um- fassendste und inhaltsreichste Werk über Genuß- mittel. T, F. Hanansek. Geoden. Im besonderen syn. mit Mandeln (s. d.) im allgemeinen unregelmäßige mit Kristallen ausgekleidete Hohlräume. Geoflfroy-St. Hilaire Etienne. Geboren am 15. April 1772 zu Etampes, ge- storben am 19. Juni 1844 in Paris. Er begab sich, nachdem er zuerst chirurgische Studien betrieben hatte, nach Paris, um sich unter Bris- son, Haüy, Daubenton naturwissenschaft- lichen Studien zu widmen. Nach dem Rücktritt von Lacepedes wurde er Assistent. Im gleichen Jahre 1793 erhielt er einen Lehrstuhl für Zoologie der Wirbeltiere und hielt die ersten Vorlesungen in Frankreich über dieses Gebiet. Im selben Jahre übernahm er auch die Organisation einer Menagerie im jardin des plants und hat dann mit Cuvier zusammen die geistige Führung an diesem Institut inne gehabt. Von 1798 bis 1804 begleitete er die Expedition Napoleons nach Aegypten. Er entwickelte hier eine emsige Tätigkeit im Forschen und Sammeln und \vußte die dortigen reichen Sammlungsschätze seinem Vaterlande zu retten. Nach seiner Rückkehr übernahm er wieder sein voriges Amt und wurde 1807 zum Mitgliede des Instituts und 1809 zum Professor der Zoologie an der medi- zinischen Fakultät ernannt. 1808 wor er von der Regierung als wissenschaftlicher Kommissar auf die Pyrenäenhalbinsel geschickt worden, auch von hier kehrte er mit reichen Samm- lungen zurück. In das Jahr 1830 und die folgenden fällt der epochemachende Streit mit Cuvier, mit dem er anfangs in bestem Einvernehmen gelebt hatte. Der Streit, der in der berühmten Geoffroy-St. Hilaire Etienne — Geograplüe der Pflanzen (l'lorenreiehe) IP. A Sitzung der Akademie zu Paris zum Ausbruch I kam, hatte seinen Grund darin, daß Cuvier in : der Konstanz der Arten das Ideal der Wissen- 1 Schaft sah, während Geoffroy die Umwand- lung der Art für möglich hielt. Cuvier behielt hier allerdings infolge seiner Autorität die Oberhand. Die weittragenden Ideen Geoffroys haben aber in der Folgezeit mit dazu beigetragen, den Deszendenzgedanken ins Leben zu rufen und ihm zum Siege zu verhelfen. Geoffroy hat während der Dauer seines ganzen Lebens alle Zweige der Zoologie mit einer großen Fülle von streng wissenschaftlich gehaltenen Monogra- phien beschenkt. Er legte den Grund zur Ana- tomie der Säugetiere und erschloß die Fauna Aegyptens, wo er den Polypterus entdeckte. Die vergleichende Anatomie führte ihn zur Entwickelungsgeschichte und weiter zu der Lehre von den Mißbildungen, als deren Be- gründer er genannt werden muß. Er betrach- tete diese im vollen Umfange als Entwickelungs- störungen im Gegensatz zu Haller, der im wesentlichen eine Präformation mißgebildeter Keime als die Ursache angenommen hatte. Er suchte sogar schon experimentell ^Mißbildungen herzustellen durch Schüttelversuche, Luftab- schluß usw. Die Umwandlung der Ai-ten erklärte er sich hauptsächlich als eine Einwirkung der Außenwelt auf den Organismus. Sein Ideal war, Tiere unter ganz veränderte Lebensbe- dingungen zu bringen und dadurch konstante Varietäten zu erzeugen. Er ließ sogar schon durch einen seiner Schüler neotenische Larven der Wassersalamander auf experimentellem Wege herstellen. Geoffroy war einer der vielseitigsten und freiesten Forscher seiner Zeit. Seine Werke sind auch heute noch in jeder Hinsicht anregend und lesenswert. Außer Hunderten von Mono- graphien sind als Hauptwerke hervorzuheben: „Philosophie anatomique", Paris 1818; ,,Sur le principe de l'unite de composition organicjue", Paris 1828; „Principes de Philosophie zoologique", Paris 1830. Literatur. Carus, Geschichte der Zoologie, München 1872. — Burckhardt, Geschichte der Zoologie, Leipzig 1907. — Biographie von seinem ISohn Isidore G. Saint-Hilaire. Paris 18^7. W. Harms. K^ Geographie der Pflanzen. a) Florenreiche, b) Oekologische Pflanzen- geographie, c) Genetische Pflanzengeographie. a) Florenreiche. A. Allgemeiner Teil. Einteilungsprinzipien. L Klimatologie. 1. Die Temperatur: Ark- tische Glazial- oder Tundrenzone; Die Zone der winterharten Zapfen- und sommergrünen Laubbäume, der Moore und Wiesen; Nörd- liche Zone der wärmeHebenden, immergrünen tiolzpflanzen und der sommerheißen Steppen und Wüsten; Die Tropenzone; Südliche Zone immergrüner und periodisch - belaubter Wipfel- und Zapfenbäume, immergrüner Ge- büsche, Dornsträuchcr und sommerdürrer Step- pen; Antarktische Zone immergrüner Busch- sträucher, periodischer Gras- und Staiiden- vegetationen. 2. Die Feuchtigkeit: humides Ivlima; nivales Klima; arides Klima. 3. Kom- bination des Wärme- und Feuchtigkeits- faktors : Hydromegathermen ; Xerophyten- gebiete; Mesöthermen; Mikrothermen ; Hekisto- thermen. II. Systematik, Physiognomik und Formationslehre. III. Biologie: Phanerophyten; Chamäphyten; Hemikryptophyten; Krypto- phyten; Therophyten. IV. Florengeschichte. 1. Entwickelungszentren : Das holarktische Floren- reich (Holarktis); Das paläotropische Florenreich (Paläotropis) ; Das neotropische Florenreich (Neotropis); Das kapländische Florenreich (Ca- pensis) ; Das australische Florenreich (Australis) ; Das antarktische Ftorenreich (Antarktis). 2. Florenelemente: a) Geographisches Element, b) Genetisches Element, c) Historisches Ele- ment, d) Einwanderungselement (Anthropo- choren; Apophyten). B. Spezieller Teil. I. Holarktisches Floren- reich. 1. Arktis, a) Strauchformationen, a) Bir- kengehölze, ß) Weidengebüsche. -/) Zwergstrauch- heiden, b) Hochstaudenfloren. c) Arktische Matten, d) Die Sumpfformationen, a) Sphag- neten. /3) Moossümpfe. -/) Sumpfwiesen, e) GeröU- und Felsfluren, f) Die Fjeldformation. g) Strand- formation. 2. Eurasisch-silvestres Vegetations- reich. 3. Makaronesien. 4. Mediterraneis. 5. Pon- tisch-zentralasiatisches Vegetationsreich. 6. Nord- afrikanisch-indisches Vegetationsreich, a) Die Sahara. b) Die ägyptisch-arabische Wüste. c) Die südpersisch-sindische Provinz. 7. Ost- asiatisches Vegetationsreich. A. Auf dem Kon- tinent. B. Japanische Inselwelt. 8. Nord- amerikanisches Vegetationsreich. A. Subark- tisches Nordamerika. B. Pazifisches Nordamerika. 0. Atlantisches Nordamerika. IL Neotropisches Florenreich (Neotropis). 1. Zentralamerikani- sches Xerophytenvegetationsreich. 2. Neuwelt- liche Tropen- und Subtropengebiete. a) Ka- ribische Provinz, b) Cisäquatoriale Savannen- provinz, c) Hyläea. d) Pampasregion, e) An- dines Vegetationsreich. III. Paläotropisches Florenreich (Paläotropis). 1. Das indoafrikanische Vegetationsreich. 2. Malesisches Vegetations- reich. IV. Kapländisches Florenreich (Capensis). A. Südafrikanisches Mesophytengebiet. 1. Die südostafrikanische subtropische Waldprovinz. 2. Die kapländische Hartlaubgehölzprovinz. B. Südafrikanisches Xerophytengebiet. 3. Die Karroowüstensteppe oder die kapländische Sukkulentenprovinz. 4. Das Roggevelde- oder karroide Hochland. V. Australisches Floren- reich (Australis). 1. Das nördhche tropische Australien. 2. Die Eremäa, das zentrale Wüsten- gebiet. 3. Südwestaustralien. 4. Südaustralien (mit Tasmanien). VI. Antarktisches Florenreich (Antarktis). A. Allgemeiner TeiL Einteilungsprinzipien. Eine der Haupt- aufgaben der Pflanzengeographie besteht in der Darstellung des höchst wechsel- vollen Pflanzenkleides der Erde. Die ver- Geograpliie der Pflanzen (Florenreiche) 777 schiedene Verteilung von Feuchtigkeit, Wärme, Licht, Wind und Bodenbeschaffen- heit, die Beziehungen zu anderen Organismen, verbunden mit der ungemein vielseitig ab- gestuften Anpassungsfähigkeit der Pflanzen an ihre Umgebung (individuelle Ver- anlagung, spezifische Konstitution), die durch die Gestaltung des ursprüng- lichen und der späteren Wohngebiete be- dingten Kelationen zu anderen Erdräumen, sowie der Zusammenhang der jetzigen Pflanzenwelt mit derjenigen früherer Erd- epochen, bedingen eine große Mannigfaltig- keit von Vegetationsbildern, welche zur Unterscheidung von F 1 o r e n r e i c h e n , Florenprovinzen und Florenbezirken geführt hat. In den außerordentlich auffallenden Ver- schiedenheiten im Vegetationscharakter der einzelnen Länder kommen die mannigfachen Beziehungen zwischen der Pflanzenwelt und der Erde, die sie bewohnt, zum sichtbaren Ausdruck, Die Zahl der Arten, welche annähernd über die ganze Erde verbreitet sind, ist sehr beschränkt. Zu solchen Kosmo- politen oder Ubiquisten können nur Species mit sehr wenig spezialisierten Wärme- (,,eurytherm") und Feuchtigkeitsbedürf- nissen werden, oder Pflanzen, die durch alle Zonen ihnen zusagende Standortsverhältnisse antreffen. So sind z. B. viele Planktonalgen über ungemein große Strecken verbreitet, ähnlich j verhält sich die Wasserflora. Bei Colomb- Beschar am Nordrand der Sahara findet sich längs des Oued eüie Vegetation von durchaus nordischem Charakter, indessen die Landflora ' ganz verschieden ist. Die landbewohnenden Ubi- quisten, deren Zald sehr beschränkt ist, sind meistens Schuttpflanzen oder Unkräuter und haben wahrscheinlich erst durch den Weltverkehr diese große Verbreitung erreicht, so Poa annua | L., Erigeron canadensis L. Größer ist die Zahl der eury- topen Gewächse, die durch eine ganze Vegetationszone verbreitet sind. Warburg! hat als Pantropisten einige nahezu durch die gesamten Tropen verbreitete Arten be- \ zeichnet, so z. B. Asplenium Nidus L., j Pistia stratiotes L., Colocasia anti- quoruni Schott., Veronica javanica Bl. Bei der Auslese und Sonderung der Arten auf der Erdoberfläche sind somit biologisch- physiologische und genetische Fak-' toren tätig. Das Studium all dieser Er- 1 scheinungen muß daher einerseits zu einer Vertiefung unserer Erkenntnis der Pflanzen überhaupt führen, andererseits aber auch Wesen, Werden und Vergehen der pflanzen- geographischen Einheiten in ihren tieferen Ursachen und Wechselbeziehungen erfassen lehren. Die Einteilung der Erde m verschiedene pflanzengeographische Gebiete ist übrigens eine recht schwierige Aufgabe, indem der Wechsel der Floren fast immer ein ganz allmählicher ist, so daß die sichere Umgrenzung der Floren- reiche und ihrer Unterabteilungen viel Erfahrung erfordert und bei den einzelnen Autoren, je nach der Beurteilung der Tatsachen, oft nicht un- erhebliche Abweichungen zu verzeichnen sind. Ein zweites Moment der Unsicherheit liegt in den Einteilungsprinzipien, die nach ver- schiedenen Gesichtspunkten gewählt werden können und dementsprechend andere Um- grenzungen zur Folge haben müssen. Die Einteilung der Erde in Florengebiete verschiedener Rangordnung kann nach vier Riclituiigen erfolgen. Als (Grundlage dienen: Klimatologie, Systematik und Forma- tionslehre, Biologie oder Floren- geschichte. I. Klimatologie. Wärme und Feuchtigkeit sind die beiden für die Pflanzengeographie am meisten entscheidenden Faktoren. Während aber die Wärme vom Aequator zu den Polen all- mählig abnimmt, folgt die Verteilung der Niederschläge und der Luftfeuchtigkeit kei- nem so einfachen, regelmäßigen Gesetze. In allen Teilen der Erde gibt es trockene und feuchte Länderstrecken. I. Die Temperatur. Da für jeden Ort der Erde die mittlere Jahrestemperatur eine ziemlich konstante Größe ist, so hat man zuerst gehofft in den Jahresisothermen wertvolle Anhaltspunkte für die Verbrei- tungsgesetze der Pflanzen zu haben. Doch schon ein flüchtiger Blick auf die Jahres- isothermenkarte der Erde lehrt, wie unhaltbar [ dieser Standpunkt ist. I Welche Gegensätze zeigt nicht schon in i Europa die Jahresisotherme von +10" C. i Sie durchzieht Irland und berührt Wien und j Odessa. Dort treffen wir mehrere Vertreter der Mittelmeerflora, wie den Erdbeerbaum (Arbutus Unedo L), die mediterrane Heide ! (Erica mediterranea L.). Die Myrte hält im Freien aus, aber der Sommer ist so kühl, daß die V»''einrebe ihre Frucht 'nicht reift. In Südrußland dagegen bringt der Winter große Kälte, doch im Sommer reift die Melone. Die Jahresisotherme von 0° erreicht ihren Südpimkt bei 49" 40' N. im kontinentalen Ost- asien, ihren Nordpunkt nördlich vom Nordkap bei 72" 40' N. Es ergibt sich somit eine Differenz von reichlich 23 Breitegraden. Viel wichtiger als die Jahresisotherme ist die mittlere" jährliche Schwankung der extremen Monatsniittel,sie führt zur Unterscheidung von ozeanischenGebieten mit geringen Wärmeschwankungen und von Ländern mit kontinentalem Klima, in denen diese Temperaturamplituden ungleich größer sind. Die mittlere Temperaturschwankung Odessas übertrifft diejenige von Valentia in 778 Geograplüe der Pflanzen (Florenreiche) West-Irland um mehr als den dreifachen Betrag. Die Temperaturdifferenz der ex- tremen Monate der Färörinseln (ca. 62" N.) erreicht sogar nur 7,7" C; bei Werchojansk, dem Kältepol Ostsibiriens (67" 33' N.), aber mit 62,8" C mehr als das Achtfache. Noch entscheidender ist die Wärme- menge und ihre Verteilung während der Vegetationsperiode. Für den Haus- halt der Pflanze fallen diejenigen Zeiten, in denen die Lebenstätigkeit durch Kälte oder Trockenheit periodisch unterbrochen wird außer Betracht. In diesen Zeiten befinden sich die Gewächse in einem latenten Lebens- stadium. Die Pflanzengeographie muß übrigens immer mehr darauf ausgehen, sich klimatische Daten zu verschaffen, die den tatsächlichen Lebensverhältnissen der Pflanzen besser entsprechen, als die von der Meteorologie gelieferten Werte. Im hohen Norden und in den höheren Lagen der Hochgebirge dauert die Vegetationsperiode meistens nur 2 bis 3 Monate, die mittleren Monatstempe- raturen dieser Zeit liegen wenig über dem Nullpunkt. Auf Grund dieser Daten ist das ziemlich reiche Pflanzenleben dieser Gebiete geradezu unverständlich. Berücksichtigt man aber, daß die Temperatur derjenigen Luftschicht, in der die assimilierenden Organe der Pflanzen leben, den drei- bis sechsfachen Betrag der gleichzeitigen Lufttemperaturen erreicht, so ergibt sich, daß die Pflanzen gewissermaßen in einem ganz an- deren Klima leben, als es die Tempe- raturen der meteorologischen Sta- tionen angeben. Als Beispiel seien die Beobachtungen von G. Andersso n (am 7. Juli) vom Bel-Sund auf Spitzbergen aufgeführt. Lufttemperatur 1 m über dem Boden + 4,7° C. Temperatur an der Oberfläche eines Polsters von Silene acaulis L. +lb,b''C. Temperatur des Bodens in einer Tiefe von 8 cm, wo sich die Hauptmasse der Wurzeln befand, +9,3" C. In einer Tiefe von 30 bis 35 cm lag schon das Bodeneis. Diese Verhältnisse erklären den Zwerg-, Spalier- und Polsterwuchs der arktischen Pflanzen- welt und die oberflächliche Entwickelung ihrer Wurzeln. In vielen Fällen ist somit nicht das Klima, wie wir es aus den Annalen der meteo- rologischen Stationen kennen, sondern das Lokalklima unter dem die Pflanze tat- sächlich lebt, entscheidend. Dies erklärt auch den oft gewaltigen Gegensatz der Vege- tation zwischen Nord- und Südlage, den man nicht selten in einer Entfernung von wenigen Schritten beobachten kann. Unter denselben Gesichtspunkt fällt die verspätete Entwickelung der Sumpfflora, das Auftreten von weit nach Norden vorgeschobenen Inseln südlicher Florenbestandteile, die süd- j liehen Einstrahlungen vieler Kalkgebiete, wie auch das Vorkommen der letzten Vor- posten der Wälder und der äußersten Pioniere des Baumwuchses. Mit diesen Einwendungen soll gesagt sein, daß die ausschließliche Berücksichtigung der Wärme bei der Umgrenzung pflanzen- geographischer Gebiete nicht zu einem völlig befriedigenden Ergebnis führen wird, sie kann nur zur Unterscheidung von Vege- j tationszonen dienen, d. h. zur Aufstellung von Erdgürteln mit mehr oder weniger über- einstimmenden V e g e t a t i 0 n s f 0 r m e n. W. Koeppen gebührt das Verdienst auf bestimmte Wärmelinien, die für die Abgrenzung der wichtigsten Lebensbezirke der Pflanzenwelt von besonderer Bedeutung j sind, zuerst aufmerksam gemacht zu haben. j Die Isotherme des kältesten Monates von 18" C begrenzt am besten die tropischen Tieflandsgebiete, zu deren Charakterzug neben der gleichmäßig hohen Wärme deren I geringe jährliche Schwankung gehört. Die Isotherme des wärmsten Monates über 22" ist die Nord- bezw. Südgrenze der Mesothermengebiete, in denen der kälteste Monat ein Mittel hat, das zwischen 6 und 18" C liegt. Eine besonders wichtige Scheide- linie ist die Isotherme des wärmsten Monates von 10" C, welche ziemlich genau mit der arktischen Baumgrenze zusammenfällt. Unter Berücksichtigung dieser Koep pen- schen Wärmezonen kommt man zur Unter- scheidung von sechs ziemlich scharf ge- schiedenen Vegetationszonen : I. Arktische Glazial- und Tu ndreu- zone (= nördliche Polarzone Koeppens). Sie entspricht der Polar- und arktischen Zone der älteren Pflanzengeographen. Neben Flechten und Moosen ist das Vor- wiegen von Kleinsträuchern und Stauden mit kurzer Vegetationszeit bezeichnend. Die Haupt- entfaltung der Flora fällt in den Juli. Baum- wuchs fehlt, ein- und zweijährige Pflanzen sind sehr spärlich vertreten. Die Vegetationszeit dauert höchstens 3 Monate. II. Die Zone der winter harten Zapfen- und sommergrünen Laub- bäume, der Moore und Wiesen (= nördlicher kalter Gürtel Koeppens). Die Südgrenze wird bestimmt durch die Zu- nahme immergrüner Laubhölzer und baum- loser Grasländer, mit Sommerdürre, die im Hochsommer zu einem Unterbruch der Vegetationstätigkeit führt. In dieser Zone ist der Stillstand nur durch die winterhchen, niederen Temperaturen mit anhaltender oder rasch vorübergehender Schnee- decke bedingt. Die Vegetationsperiode dauert 3 bis 7 :\Ionate, ihren Höhepunkt erreicht sie im Sommer. Ein- und zweijährige Gewächse werden häufiger, ebenso phanerogame Süßwasser- gewächse. Geog-rapliie der Pflanzen (Florenreiclie) 79 III. Nördliche Zone der wärme- liebenden, immergrünen Holz- pflanzen und der s o m m e r li e i ß e n Steppen und Wüsten (= konstant gemäßigter Gürtel K o e p p e n s ). Die Zeit der meist auf den Januar fallenden Winterruhe ist kurz oder fehlt ganz, dagegen tritt eine mehr oder wenigerlang andauernde HochsommerdtüTe ein. Tropische Sommer- regen fehlen. Je nach den Niederschlagsverliältnissen lassen sich ein relativ feuchter Abschnitt mit vor- wiegend immergrünen Buschpflanzen und ex- zessive Trockengebiete (Sahara, Arabien, Inneres von Persien) unterscheiden. Tonangebend sind Hartlaubgehölze; verbreitet Dornsträucher, Rutenpflanzen, Filzgewächse, Sukkulenten. Starker Prozentsatz von ein- und zweijährigen Pflanzen. Nadelhölzer vorhanden, aber zurück- tretend, zumeist nicht mehr frosthart. Spärlich sind immergrüne Schopfbäume, dagegen oft vorherrschend Zwiebel-, Knollen- und Rhizomge wachse. IV. Die T r 0 p e n z 0 n e mit immer- grünen oder je nach der Regen- zeit mit periodisch belaubten Vegetationsformen (= tropischer Gürtel Koeppens). Gleichmäßig _ hohe Temperaturen, meist verbunden mit inten- siven Sommerregen, gewährleisten eine un- unterbrochene Vegetationsperiode, Es läßt sich eine feuchte Urwaldzone und eine trockene Savannenzone unterscheiden Die Hauptmasse der Wälder wird von immer- grünen Wipfelbäumen und periodisch regen- grünen Holzarten gebildet, verbreitet sind auch immergrüne, großblätterige Schopfbäurae (Palmen, Pandanus, Baumfarne) und vieljährige baumartige Stauden (Musa). Ge- waltige Formenfülle an Bäumen und Epi- phyten; reiche Entfaltung von Holzparasiten und Saprophyten. An den Meeresküsten Man- groven. V. Südliche Zone immergrüner und periodisch-belaubter Wipfel- u n d Z a p f e n b ä u m e , immergrüner Gebüsche, Dornsträucher und s 0 m m e r d ü r r e r Steppen. Umfaßt Südafrika, das südliche Australien, Tas- manien, Neuseeland, Südamerika von der Südgrenze der Tropen etwa bis zum 46° S. Die Vegetation ist im südlichen Teil durch eine mehr oder weniger ausgedehnte Winterruhe (Juli) und nahe der Tropenzone durch eine sommerliche Trockenperiode (Januar) ausge- zeichnet; dementsprechend zeigt dieser Gürtel analoge Vegetationsformen wie Zone III. VI. Antarktische Zone immer- grüner Buschsträucher, peri- odischer Gras- und Staude n- vegetationen (= südlicher kalter Gürtel Koeppens). Hierher gehört das süd- lichste Amerika südlich von 46° S., die andi- nen Hochlagen, die Kerguelen, die Bergländer Tasmaniens und Neuseelands und der antarktische Kontinent. Es herrschen imrmergrüne, niedere Sträucher^ Die Inseln und das antarktische Festland sind baumlos, letzteres ist sogar ohne phanerogame Gewächse. Wie im hohen Norden spielen Moose, Erd- und Steinflechten eine wichtige Rolle, 2. Die Feuchtigkeit. Die der Pflanze zur Verfügung stehende Feuchtigkeit hängt zunächst von der mittleren jährlichen Regen höhe der einzelnen Florenbezirke ab. Diese schwankt von 0 mm in exzessiven Wüstengebieten bis zu 12 m 70 in den feuchten Tropen von Cherrapunji (1250 m) der Khasia Hills Ostindiens. Wie bei der Wärme, so ist auch bei der Feuchtigkeit die Verteilung der jähr- lichen Niederschlagsmenge von größter Wichtigkeit. Von Interesse ist in dieser Hin- sicht ein Vergleich von Mitteleuropa mit dem Mittelmeergebiet. Nach Berechnungen von Theobald' Fischer hat die Mediterraneis sogar ein erheblich höheres, jährliches Nieder- schlagsmittel (759,4 mm) als Deutschland (708,9 mm). Trotzdem trägt die Flora ein viel xerophytischeres Gepräge. Die Er- klärung dieser auffallenden Erscheinung liegt in der Tatsache, daß zur Zeit der größten Betriebswärme dem Mittelmeerbecken das nötige Betriebswasser fehlt. Die größte Wärme und die ausgiebigste vegetative Tätig- keit fallen mithin nicht, wie in dem in dieser Hinsicht entschieden bevorzugten Mittel- europa zusammen. Die ganze Xerophilie der Mittelmeerflora ist eine Folgeerscheinung dieses Mißverhältnisses. Für die Pflanze kommt aber noch ein anderes Moment in Betracht, auf das F. W, S Chi m per zuerst mit Nachdruck hin- gewiesen hat. Was nützt ihr das Vorhanden- sein reichlicher Wassermengen, wenn sie nicht in der Lage ist, dieselben aufzunehmen und zu verwerten? Die Wasserabsorptions- fähigkeit des Wurzelsystems wird bekannt- lich durch niedere Bodentemperaturen, durch Salz- und Humussäuregehalt stark beeinträchtigt. So kann für die Pflanzen ein nasses Substrat vollständig trocken sein, während andererseits ein Boden, der uns vollkommen trocken erscheint, für manche Art noch hinreichend Wasser enthält. Ein physikalisch trockener Boden braucht dalier nicht physiologisch trocken zu sein und umgekehrt. Während die Wärmebedürfnisse einer Pflanze in ihrem Bau nicht zum Ausdruck kommen, macht sich die Wasserökonomie jeder Art im Habitus und in der feineren äußeren und inneren Struktur mehr oder weniger bemerkbar. So unterscheidet man Hygrophyten: Gewächse deren Existenz- bedingungen die Gefalu- des Austrocknens ausschließen und die daher allerlei Verrich- tungen zur Beschleunigung der Wasserabgabe aufweisen. Xerophyten sind Pflanzen rso Geograpliie der Pflanzen (Florenreiehe) mit erschwerter Wasserversorgung und dem- entsprechend mit Einrichtungen zur Herab- setzung der Transpiration. Tropophyten (F. W. Schimper) endlich zeichnen sich durch einen periodischen Wechsel von Zeiten mit Wassermangel und Wasserreichtum aus, wie dies beispielsweise bei den Laubhölzern der nördlich temperierten Zone der Fall ist. Aehnliche Typen gibt es auch in den perio- dischen Trockengebieten der Tropen und Subtropen. Die große Mannigfaltigkeit der Vegeta- tionsbilder der verschiedenen Länder der Erde beruht hauptsächlich auf der Aus- bildung von Hygrophyten-, Tropophyten- und Xerophytenklimatas. Aivf Grund des Verhältnisses vom Nieder- schlag zur Verdunstung kommt A. Penk (1910) zur Aufstellung dreier Hauptklimareiche: L Das humide Klima: in welchem mehr Niederschlag fcäUt, als durch die Verdunstung entfernt werden kann, so daß ein Ueberfluß in Form von Flüssen abfließt. IL Das nivalelvlima andern mehr schneeiger Niederschlag fällt, als die Ablation an Ort und Stelle entfernen kann, so daß eine Abfuhr durch Gletscher erfolgen muß. III. Das aride Klima: in dem die Ver- dunstung allen gefallenen Niederschlag auf- zehrt und noch mehr aufzehren könnte, also auch einströmendes Flußwasser zu entfernen vermag. — Die Grenze des nivalen Klimas bildet die Schneegrenze, d. h. die Linie, in der schneeiger Niederschlag und Ablation sich im Gleichgewicht befinden; an der Trocken- grenze herrscht Gleichgewicht zwischen Nieder- schlag und Verdunstung. 3. Kombination des Wärme- und Feuch- tigkeitsfaktors. Alphonse de Candolle hat zuerst eine klimatologische Einteilung der Erde durchgeführt, in der zugleich die Wärme- und Feuclitigkeitsverhältnisse berücksichtigt sind und welche Gebiete umfaßt, die in ihrem botanischen Ge- samtcharakter, wenigstens in den Haupt- zügen, Uebereinstimmung zeigen. Er unter- scheidet: L Hydromegatherraen: Gebiete mit viel Feuchtigkeit und hoher Wärme (Jahres- temperatur wenigstens 20" C), sie umfassen die tropischen Urwaldgebiete, so die Antillen, den größten Teil Zentralamerikas, das nördliche Südamerika, den Osten Brasi- liens, ferner die Aequatorialzone Afrikas von der südlichen Sahara bis zur Kalahari, die Küsten Südasiens, besonders Hinterindiens, den Südabfall des Himalaja, die Sundainseln, endlich Polynesien und Nordostaustrallen. Be- zeichnend ist der Reichtum an Bäumen, die hauptsächlich den Familien der Palmen, Anonaceen, Melastomaceen, Apocy- naceen, Asclepiadaceen, Rubiaceen [ usw. angehören. Groß ist auch die Zahl der Lianen und Epiphyten, so besonders aus I den Familien der Farne, der Orchideen, Araceen und Piperaceen, ! n. Xerothermen (Xerophytengebiete): , Dies sind regenarme bis regenlose, warme oder heiße subtropische Trockengebiete; sie begleiten die Hydromegathermen im Norden und Süden in einer breiten, nur wenig unterbrochenen Zone. Es sind Prärien, Savannen, Pampas, Steppen und Wüsten. Baumarmut ist die Signatur dieser Länder, Wälder treten nur in den Fluß- tälern (Galleriewälder) in den Gebirgen oder in Depressionen mit oberflächlichem Grundwasser auf. In der Trockenzeit er- folgt gewöhnlich Laubfall. Zwiebel-, Knollen- und Rhizompflanzen sind sehr verbreitet, ebenso Therophyten. Ungemein häufig und in den verschiedensten Familien wieder- kehrend sind Verdornung der Triebe, Suk- kulenz, Drüsenreichtum, Trichophyllie. Von Schlingpflanzen treten besonders die Cucur- bitaceen und in Amerika die Bromelia- ceen auf. — Yucca, Agaven, Cacteen sindfür die „Xerophyten" Amerikas charakte- ristisch, für Afrika die Aloes, die Drachen- b ä u me und baumartige sukkulente E u p h 0 r - biaceen; für Australien die genera Kingia, Xanthorrhoea, Phormium. Auf Salz- boden treten Aizoaceen, Chenopodia- ceen, Portulacaceen und Zygophyl- laceen auf. in. Mesothermen: Sie umfassen die Länder der wärmeren, gemäßigten und der subtropischen Zonen. Es herrschen warme Sommer und milde Winter. Die mittlere Jahrestemperatur schwankt zwischen 15 und 20° C. Bezeichnend ist der Wechsel von Trocken- und Regenzeiten, letztere fallen gewöhnlich zusammen mit der Zeit niedrig- ster Jahrestemperaturen, doch zeigen die südöstlichen Vereinigten Staaten, China und Japan Sommerregen. Die Mesothermen- gebiete sind von ziemlich beschränkter Ausdehnung. Der nördlichen Hemisphäre gehören an: Kalifornien, südöstliche Union, Mediterraneis, Ostasien. In Südamerika (Chile zum Teil) und Afrika (Kapland) sind die Mesophyten spärlich entwickelt, besser wieder in Australien (S. W. und S. E., Tasmanien, Neuseeland). In den feuchten Teilen sind die Wälder noch reichlich ver- treten, es herrschen Mischwaldungen aus immer- und sommergrünen Arten, besonders bezeichnend sind immergrüne Buschgehölze. Für die südliche Hemisphäre kommen in erster Linie in Betracht die Restionaceen und Proteaceen, vielfach auch Arten aus den Familien der Rutaceen, Thymelaea- ceen, Lobeliaceen, Selaginellaceen, für Australien die Epacridaceen. Von Geograpliie der Pflanzen (Florenreiche) '81 weiteren Familien, die in sämtlichen Meso- thermengebieten mehr oder weniger reich- lich vorhanden sind, seien noch erwähnt: Liliaceen, Amaryllidaceen, Iridaceen, Magnoliaceen, Berberidaceen, Cista- ceen, ßhamnaceen, Ericaceen und die Labiaten. lY. Mikrothermen: Sie werden von Pflanzen bewohnt, die eine mittlere Jahres- temperatur von 0 bis 15" C verlangen; die Sommer sind mäßig warm, die Vegetations- periode wird durch eine winterliche Ruhezeit unterbrochen. Diese Bedingungen sind auf der nördlichen Hemisphäre über ungemein ausgedehnte Länderstrecken, quer durch den ganzen eurasischen Doppelkontinent und durch Nordamerika, etwa vom 45" bis gegen den 70" N. Br. gegeben. Infolge des außer- ordentlich starken Vorherrschens des Ozeans zeigen die Mikrothermen auf der südlichen Halbkugel eine sehr beschränkte Verbreitung. Ihr gehören an das südliche Chile, Feuerland und einige Inselgruppen zwischen Südafrika und Australien. Coniferen und sommer- grüne Laubwälder sind tonangebend, daneben herrschen Moore und Wiesen. Cupuliferen, Cruciferen, Ranunculaceen, Alsineen, Saxifragaceen, PrimulaceenundGräser sind besonders reichlich vertreten. V. Hekistothernien: Dies sind Gebiete, die von Pflanzen mit den bescheidensten Wärmeansprüchen besiedelt werden. Die mittlere Jahrestemperatur ist unter dem Nullpunkt gelegen, die Mitteltemperatur des wärmsten Monats unter 10" C. DieVegetations- periode dauert 1 bis 3 Monate. Baumwuchs und Pflanzenkultur fehlen. Der Holzwuchs wird nur noch durch Zwergsträucher ver- treten; besonders zahlreich sind Cypera- ceen, Gramineen, Ericaceen, Saxi- fraga- Arten, sowie Moose und Flechten vorhanden. Tundren bedecken weite Ge- biete; die farbenprächtigen, arktischen Matten sind dagegen von recht beschränkter Verbreitung. IL Systematik, Physiognomik und Forma- tionslehre. Andere Einteilungsprinzipien sind der Systematik und Formationslehre entnommen. Leit- und Charakterpflanzen einzelner Vege- tationszonen erweisen sich zur Abgrenzung natürlicher Florengebiete mehr oder weniger brauchbar. Verbindet man die äußersten Vorposten einer Art durch eine Linie, so umschreibt diese Verbreitungs- oder Vege- tationslinie das Areal der betreffenden Art. So wird z. B. das mediterrane Floren- reich von der Vegetationslinie des Oelbaumes (Olea europaea L.) begrenzt. Das nord- afrikanisch-indische Wüstengebiet deckt sich annähernd mit dem Verlauf der nörd- lichen und südlichen Vegetationslinie der Dattelpalme (Phoenix dactylifera L.), dasjenige der Sahara mit dem Vorkommen von Gummiakazien (Acacia arabica Willd. und A. torilis Willd). Weitere Vegetationslinien von größerer Bedeutung werden bestimmt durch das Genus Elaeis, die das zentralafrikanische Urwaldgebiet begrenzt. Die Nord- und Südgrenze des afrikanischen Savannen- und Steppen- gebietes wird durch AdansoniadigitataL. markiert. Die Vegetationslinien der Buche und Stechpalme bezeichnen die Ostgrenze des atlantischen Europas. Vielfach glaubte man auch Kulturpflanzen zur Umgrenzung der Florengebiete verwenden zu können, so z. B. den Weinbau, die Kultur von Sommer- und Wintergetreide, von Mais, Reis, Tabak, Baumwolle, Kaffee, Tee, Pfeffer usw. Doch ist gegen eine pflanzengeographische Ver- wendung von Kulturzonen manches einzu- wenden: Heimat und Kulturzentren der wich- tigsten Nahrungs- und Genußmittelpflanzen decken sich nur ausnahmsweise, die Kultur- pflanzen sind außerhalb des Wettbewerbes der Arten gestellt, finden sich daher vielfach auch noch in Gebieten, wo ihre weitere Existenz sonst unmöglich wäre, die Kulturareale der Nutzpflanzen zeigen öfters innerhalb verhältnis- mäßig kurzer Zeit recht erhebliche Veränderungen, die Anpflanzung bestimmter Arten geht in einzelnen Ländern rasch zurück oder wird sogar ganz aufgegeben, dafür kann dieselbe Art andenvärts an Boden gewinnen. Verschiebungen in den Konkurrenzverhältnissen des Welthandels und in den wirtschaftlichen Existenzbedmgungen der einzelnen Länder, die Einführung neuer, wertvollerer Nutzpflanzen, durch welche die minderwertigeren verdrängt werden, neue Züch- tungen, veränderte Bedürfnisse der Bevölkerung oder auch die Vernichtung der Kulturen durch epidemische Krankheiten können in kurzer Zeit zu solchen Arealverschiebungen führen. Ein lehrreiches Beispiel für einen raschen Kulturen Wechsel bieten die kanarischen Inseln. Gegenüber der Wildflora steht eben jede Kulturpflanze unter Ausnahmebedingungen; so kommt es, daß dieselben zu pflanzengeographi- schen Einteilungen nur von sekundärer Bedeu- tung sein können. Sehr gebräuchlich sind Bezeichnungen wie Tundren, Wüsten, Steppen, Savannen, Prärien, Pampas usw., es sind dies jedoch vorwiegend geographische Begriffe, ihr pflanzengeographischer Wert wird durch die große Mannigfaltigkeit dieser Bildungen sehr beeinträchtigt. Tundra nennt der Geograph alle Gebiete nördlich von der arktischen Baumgrenze, der Phytogeograph dagegen nur eine ganz bestimmte Formation (Fjeldf ormation), die je nach den vorherrschenden Leitpflanzen — in erster Linie kommen Flechten und Moose in Betracht, — - wiederum verschiedene Facies unterscheiden läßt. Auch der Begriff ,,Steppe" ist recht schwankend. Der Geograph bezeichnet jedes, nicht zu ausgesprochene Trockengebiet mit Geographie der Pflanzen (Florenreiche) lockerer Vegetation als Steppe; demnach sind auch Prärien und Pampas der Steppe zuzuzählen. Vom Botaniker werden unter dem Begriff ,. Steppe" recht heterogene Gebilde zusammen- gefaßt: Strauchsteppen, Grassteppen, oder nach einzelnen Leitpflanzen: Wermutsteppen, Mohn- steppen, Distelsteppen; nach der Bodenbeschaffen- heit: Sand-, Fels-, Salzsteppen; nach dem allgemeinen Aussehen: Hunger- und Wüsten- steppen. So läßt sich eine ganze Stufenleiter von Vergesellschaftungen von typischen Wiesen bis zu echten Wüsten aufstellen. Die Grassteppen mit ihrem Humusgehalt und dichtem Bestands- schluß sind eher zu den Trockemviesen zu rechnen (C. Schröter), indessen typische! Steppen zweckmäßig den Halbwüsten zu- zuzählen sind, es sincl mehr oder weniger offene Vegetationen arider Böden oder Trockengebiete auf humusarmer, öfters salzhaltiger Unterlage. : In dieser physiognomischen Klassi- fikation schlummert, wie L. Di eis ganz richtig hervorhebt, bereits eine Gliederung der Pflanzendecke der Erde nach ökologi- schen Gesichtspunkten. Darauf weist auch G. Grisebach hin, wenn er sagt, die physio- \ gnomische Gliederung wolle die klimato- logische Seite der Pflanzengeographie wider- spiegeln, während die verwandtschaftliche | (systematische) Gruppierung die Entwicke- j lungsgeschichte aufzuhellen strebe. Praktisch hat aber die physiognomische Klassifikation seit deren Begründung durch Alexander V.Humboldt immer bedeutende Schwierigkeiten verursacht, an ihre Stelle | tritt nun mehr und mehr die Formations- lehre, d. h. die Erkenntnis der Vergesell- schaftung der Pflanzen zu ökologisch be- dingten Verbänden. Der Ausbau der Forma- tionslehre über sämtliche Festländer und Inseln wird für eine möglichst natürliche Umgrenzung der Florenreiche und ihrer Unterabteilungen von großem Nutzen sein (ökologische Pflanzengeographie; vgl. den folgenden Artikel). III. Biologie. Vor einigen Jahren hat der dänische Biologe C. Raunkiaer den Begriff der Lebensformen schärfer gefaßt. Es sind biologische Typen, die auf Grund des Grades und der Art der Anpassung der Knospen oder der jüngsten Sproßenden an die Ueberdauerung der ungünstigen Jahres- zeit aufgestellt wurden. C. Raunkiaer hat fünf Hauptlebensformen unterschieden und eine größere Anzahl von Untertypen, so daß im ganzen 30 Fälle zu verzeichnen sind. Die Hauptlebensformen sind: I. Phanerophyten: Die höchst ent- wickelte Lebensform ; sie umfaßt alle Pflanzen mit aufrechten, mehr oder weniger hohen Sprossen, an denen die Erneuerungsknospen frei oder unter dem Schutz von Knospen- schuppen die ungünstige Jahreszeit über- dauern. Der Knospenschutz ist mithin recht dürftig. Dieser Typus zeigt die größte Mannigfaltigkeit, es kommen nicht weniger als 15 Untertypen zur Unterscheidung, von denen einzelne die Fähigkeit haben, bei eintretender Ruheperiode die Blätter abzu- werfen oder sonst ihre Oberfläche zu ver- kleinern. II. Chamäphyten: Die Erneuerungs- knospen befinden sich nur wenig über dem Boden, so sind die nachteiligen Windwir- kungen stark abgeschwächt; während der ungünstigen Jahreszeit werden die Knospen von Schnee oder abgefallenem Laube ge- schützt. Hierher gehören vier Untertypen (z. B. Polsterpflanzen). III. Hemikryptophyten: Sie erzeugen» wie z. B. die Rosettenpflanzen, ihre Erneuerungsknospen unmittelbar an der Erdoberfläche. Der ganze übrige Teil der Pflanze stirbt periodisch ab (3 Fälle). i IV. Kryptophyten: Bei dieser sieben Untertypen umfassenden Lebensform sind die Knospen in der Erde oder am Grunde j eines Gewässers geborgen (Zwiebelpflanzen, ! Rhizompflanzen z. T.). Alle oberirdischen Teile gehen bei Eintritt der durch Kälte oder Trockenheit bedingten Ruheperiode ein. V. Therophyten: Sie besitzen keine Erneuerungsknospen; nach der kurzen Vege- tationsperiode sterben sie völlig ab und er- neuern sich nur durch ihre resistenten Samen. So sehr diese Betrachtungsweise in mehr- facher Hinsicht emen wesentlichen Fortschritt bedeutet, so muß doch zugegeben werden, daß diese Gruppen noch keine idealen Lebensformen I umfassen, mdem sie eben nur einen Teil aller Anpassungserscheinungen berücksichtigen. Raun- kiaer ist aber noch einen Schritt weiter gegangen. ' Durch statistische Erhebungen versuchte er, den prozentualen Anteil dieser biologischen Typen innerhalb der einzelnen Florengebiete fest- zustellen. So kam er zu einer Zahlenreihe, dem biologischen Spektrum, das als Ausdruck für das Khma gelten darf. Ob dieses bio- logische Spektrum ein richtiges Büd für ein Pflanzenklima liefern kann, ergibt sich daraus, inwieweit analoge Klimata, aber in verschiedenen i Erdteüen und trotz einer in floristisch-syste- i matischer Hinsicht ganz anderen Zusammen- setzung der Flora dieselben biologischen Spektren ' aufweisen, indessen verschiedene Klimata diffe- rente Spektren haben. Auf Grund dieser Studien stellte C. Raunkiaer vier pflanzengeographische Hauptklimagebiete auf. I. Das Phanerophytenklima: um- faßt die tropischen Gebiete mit nicht zu geringen Niederschlägen. ILDasTherophytenklima: umfaßt das Winterregengebiet der subtropischen Zone. III. Das Hemikryptophytenklima: Geographie der Pflanzen (Florenreiclie) 783 umfaßt den größten Teil der kälteren ge- mäßigten Zone. IV. Das Chamäpliytenklima: umfaßt die kalte Zone. Diese Hauptklimata lassen sich durch biologische Grenzlinien, sogenannte Bio- choren voneinander trennen. Dieselben bauen sich auf exakten Zahlen auf, ganz wie die klimatischen Grenzlinien, z. B. die Iso- thermen. So kommt man auf Grund der Statistik der Lebensformen dazu, nicht nur eine biologische Pflanzengeographie auf- zubauen, sondern auch die Florengebiete naturgemäßer zu umgrenzen. Die 20% Chamäphyten-Biochore bestimmt ziemlich gut die Südgrenze des arktischen Floren- reiches und verläuft nur wenig nördlicher als die Baumgrenze und als die Juli-Isotherme von 10° C. In anderer Weise gingen die Amerikaner vor. Transeau hat versucht, die Verdunstungs- kraft zur kartographischen Begrenzung der ariden Regionen zu verwerten. Er drückte den Regenfall in Prozenten der Verdunstungsgröße aus und fand in der Tat deuthche Beziehungen zwischen dieser Größe und seinen AVald- und Prärienzentren: der Regen bildet 20 bis 60% die Verdunstung in den ,,Great Plains", 60 bis 80% in der Prcärienregion mit Wäldern in den Tälern, 80 bis 100% mit lichten Eichenwäldern auf den Höhen und dichten Wäldern im Tal, 100 bis 110% entspricht dem Laubwaldzentrum, über 110% dem südöstlichen JMadelholzzentrum. IV. Florengeschichte. Bei der Verteilung der Pflanzen über die Erdoberfläche kommen aber nicht nui Klimatologie und Biologie in Betracht, ohne Berücksichtigung des Zeitfaktors würden viele Verhältnisse unverständlich bleiben. Die Pflanzengeographie der Gegenwart ist zum guten Teil ein historisches Problem und zwar nach zwei Seiten : 1. er dg e s c h i c ht- 1 lieh, indem im Verlauf der Zeit alte Land- j Verbindungen zerstört, neue geschaffen wer- den. So wurde die Pflanzenwanderung unter- bunden oder in neue Bahnen geleitet; 2. pflanzengeschichtlich, denn auch die Gewächse entwickeln sich, Arten sterben aus, neue entstehen in bestimmten Bildungs- herden, breiten sich von dort aus, um viel- fach auf ihren oft recht verwickelten Wande- rungsbahnen sich selbst wiederum zu ver- ändern. In weit voneinander entfernten Ländern können vikarisierende Arten auf- treten, die auf eine gemeinsame, vielleicht gar nicht mehr vorhandene Stammart hin- weisen. So sind Länder und Pflanzen in beständigem Fluß'begriffen. Geo-undphylo- genetischeVorgänge müssen sich daher in mannigfacher Weise auf die derzeitigen Vege- tationsverhältnisse der Erde geltend machen. I. Entwickelungszentren. Auf Grund dieser Studien ist man zur Aufstellung von sechs, schon in der Tertiärzeit vorhandenen, florengeschichtlichen Entwickelungs- zentren oder, wie ich sie bezeichnen möchte, Florenreichen erster Ordnung gekommen. Es sind: L Das holarktische Florenreich (Holarktis): weitaus das größte Gebiet, umfaßt es doch den subtropischen, gemäßigten und kalten Gürtel der ganzen nördlichen Hemisphäre. Nach seiner Lage kann es daher auch als nördliches extratropisches Florenreich bezeichnet werden. Ton- angebend ist das arktotertiäre Floren- element, dasselbe entspricht der miocäiien Flora des nordischen und zirkumpolaren Gebietes. Zahlreiche Holzpflanzen desselben sind noch heute, besonders im extratropischen Ostasien und in Nordamerika, erhalten ge- blieben. Besonders reichlich vertreten sind die Familien: Cupuliferen, Kanuncula- ceen, Cruciferen, Caryophyllaceen, Papilionaceen, Saxifragaceen, Valer- ianaceen, Compositen usw. IL Das paläotropische Florenreich (Palaeotropis): umfaßt die Tropen der alten Welt und ihre pflanzengeographischen Abkömmlinge. Vorherrschend ist das paläo- tropische Floren Clement, hauptsäch- lich charakterisiert durch das massenhafte Auftreten von Arten aus den Familien der Palmen, Pandanaceen, Dracaenen, Urticaceen, Myricaceen, Araliaceen, Myrtaceen, Mimosen, Sterculiaceen usw., und durch das starke Zurücktreten oder Fehlen der herrschenden Familien der Holarktis. In den höheren Gebirgslagen treten in größerer Menge arktotertiäre Elemente, und im südlichen Grenzgebiet australische, bezw. kapländische Florenbestandteile auf. Die Stammformen dieses Elementes gehören dem eigentlichen altweltlichen Tropen- gürtel an. III. Das neotropische Florenreich (N e 0 1 r 0 p i s) : umfaßt Mittel- und den größ- ten Teil von Südamerika. Die beiden Haupt- zentren sind das tropische Brasilien und die Inselwelt Westindiens. Aehnlich wie das paläotropische Element erstreckte sich auch das neotropiselie Florenreich zur Tertiär- zeit bedeutend weiter nach Norden und be- herrschte vor der Erhebung der Anden das ganze tropische Amerika. Erst nach dieser Zeit dürfte die Einwanderung arkto- tertiärer Typen (Abietineen, Cupuliferen erfolgt sein; sie sind in der Hauptsache auf die Hochgebirge und Hochländer beschränkt. IV. Das kapländische Florenreich (Capensis): das kleinste Florenreich, doch rechtfertigt die große Selbständigkeit seiner Plauzen weit diese Kangstellung. Bestimmend sind zahlreiche Familien und Gattungen, die nur oder doch vorwiegend Südafrika ange- hören, wie z. B. die Proteaceen, bestimmte 784 Geog-rapliie der Pflanzen (Florenreiche) Gruppen der Ericaceen und die Genera Oxalis, Pelargonium, Mesembry anthe- mum ; dazu kommen zahlreiche, oft stark veränderte tropisch-afrikanische Typen (sukkulente Euphorbien). V. Das australische Florenreich (Australis): umfaßt den größten Teil Australiens mit Tasmanien. Pflanzen- geographisch besitzt es eine ähnliche Sonder- stellung wie das Kapland. In dem Auftreten vieler Arten von isolierter systematischer Stellung dokumentiert sich der durchaus antike Charakter der Flora, es sei nur erinnert an das Vorkommen zahlreicher Arten von Eucalypten (ca. 400 Species), Banksien, Acacien, Casuarinen, Leptospermen, an die Proteaceen, Epacridaceen, Eestionaceen usw. A. Engler hat das kapländische und austra- lische Florenreich mit Einschluß der Inseln der Südsee und des südlichsten Südamerika als altozeanisches Florenreich zusammengefaßt. Obwohl gewisse gemeinsame Züge nicht zu be- streiten sind, ist die Selbständigkeit der Gebiete doch so weit vorgeschritten, daß eine Trennimg immerhin durchaus gerechtfertigt erschemt. VI. Das antarktische Florenreich (Antarktis): umfaßt den Südwesten von Südamerika, die Inselwelt südlich von 50" S. und den antarktischen Kontinent. Die Genera Nothof agus, Azorella, Pringlea, Donati a usw. sind antarktisch. Die Be- ziehungen zu den angrenzenden Floren- reichen sind recht dürftig, doch lassen sich in der Vegetation des südlichsten Afrika und in dei^enigen von Australien vereinzelte antarktische Anklänge erkennen. 2. Florenelemente. Die Pflanzen- geographie gliedert das Pflanzenkleid der einzelnen Länder in Florenbestandteile oder Florenelemente. Im weitesten Sinn des Wortes versteht man unter Floren- elementen Gruppen von Pflanzen, die jeweilen nach einem einheitlichen Gesichtspunkt aus- gewählt worden sind. Das Einteilungsprinzip entstammt der Oekologie oder der Pflanzen- geographie. Die Oekologie unterscheidet biologische und Formationselemente. In der Pflanzengeographie kann das Wort, wie M. Jerosch hervorgehoben hat, vier Bedeutungen haben. a) Geographisches 'Element: durch dasselbe wird die jetzige geographische Ver- breitung der Arten kurz charakterisiert. Dem- nach sind Dryas octopetala L. und Loiseleuria procumbens (L.) Desv, als arktisch-alpin zu bezeichnen, Stipa tena- c i s « i m a (L.) Kth., das Haifagras, als iberisch- mauritanisch. Neben Arten mit sehr großen Arealen gibt es auch Endemismen, Species von mehr oder weniger engbegrenzter Ver- breitung. Längere Zeit andauernde Floren- isolierung, bedingt durch Wanderungs- j hindernisse, führen zur Sonderentwickelung der Floren einzelner Erdräume. Inseln, besonders ozeanische Archipele, Gebirge, hauptsächlich die höheren Gebirgslagen und einzelstehende Gebirgsstöcke und Wüsten- steppen sind daher reich an Endemismen, indessen ausgedehnte Tief- und Hügelländer i fast nur Arten von großer Verbreitung auf- '. weisen. Von den 935 einheimischen Arten Neuseelands sind 677 Species endemisch, also 72%. Der Prozentsatz der Endemismen I der kanarischen Inseln beträgt 45%, Tristan 1 da Cunha 50%, der Sandwichinseln 78%, I St. Helena 84%. ! Der Begriff des Endemismus ist sowohl nach seiner systematischen wie nach seiner geogra- phischen Seite starken Schwankungen unter- ! worfen. Geographisch gibt es Endemismen, t die nur von einem einzigen Standorte bekannt sind; so z. B. Alyssum corsicum Duby, eine sehr gute Art, die nur bei Bastia auftritt. Genista murcica Coss., ein ephe- droider Ginster, wird einzig von der Sierra bei Orihuela (Südostspanien) angegeben. Neben i Endemismen, wie die soeben aufgeführten, die I nur einem einzigen größeren oder kleineren Areale 'angehören, gibt es auch disj unkte Endemis- I men, indem dieselbe Art in zwei bis mehreren, meist kleinen, mehr oder weniger auseinander I gelegenen Arealen auftritt. Als Beispiel diene Ehododendron ponticum L., heute einerseits auf den Südwesten der iberischen Halbinsel, anderseits auf die Kolchis beschränkt. Ziemlich groß ist die Zahl iberisch-orientalischer Arten, sie zeigen zwei Verbreitungszentren, einerseits die iberische Halbinsel und ihre Um- gebung und andererseits den Orient, fehlen aber im Zwischengebiet. Hierherz. B. Geum umbro- sum Boiss., Eurotia ferruginea Boiss. Systematisch kann der Endemismus von ganz isolierter Stellung, beispielsweise eine mono- typische Sippe oder gar ein monotypisches Genus sein. Solche Endemismen bezeichnet j man als Relikten- oder Paläoendemismen. JLafuenta rotundifolia Lag. ist eine mono- I typische Scrophulariacee von der Tracht einer I Labiate, also ein sogenannter Kollektivtypus. Berühmt ist die Wellwitschia mirabilis Hook. f. dersteinigen Einöden der Damaraländer, ein monotypisches Gnetaceengenus. Die meisten i Reliktenendemismen sind konservativ, d. h. in ihren Formen erstarrt, gewissermaßen auf den Aussterbeetat gesetzt. Doch gibt es auch aktive Paläo ende men, d. h. in regem Fluß befindliche Formenkreise alter Typen. Berühmt ist in dieser Hinsicht die Flora "der kanarischen Inseln. Für solche Gruppen von Pflanzen hat L. Diels (1903) die Bezeichnung progressiver Ende- mismus eingeführt. Die neueren systematischen Arbeiten haben dargetan, daß er auf der Erde fast überall tätig ist, gewöhnlich ist aber sem äußerer Effekt nicht so augenscheinlich wie bei der Kanarenflora, oder bei der Gattung Hiera- cium. Daher ist das Auffinden der von ihm geprägten Formen meistens erst nach eingehenden monographischen Studien möglich, denn ent- sprechend dem jungen Alter dieser Bildungen ist ihre Differenzierung oft erst zu schwer systematisch faßbaren, elementaren Arten Greograpliie der Pflanzen (Florenreiche) 785 (petites especes) vorgeschritten. Es ist klar, daß das Vorhandensein von Endemismen, ihre Zahl, ihre geographisch und systematisch mehr oder weniger isolierte Stellung innerhalb ihres Florengebietes wichtige Anhaltspunkte zur Be- urteilung der Florengeschichte ergeben werden, b) Genetisches Element: es fragt nach der Heimat der Arten. Auf die Gesamtflora eines Landes augewandt will es die wichtigsten Stämme aufdecken, aus denen ihre Bestandteile hervorgegangen sind. Zur Feststellung des Bildungszeutrums einer Art ist nicht nur die genaue Kenntnis ihrer jetzigen Verbreitung erforderlich, diese Studien müssen auf die gesamte Sippe, ja öfters auf Vertreter der Gattung und der nächst verwandten Genera erweitert werden, und zwar nicht nur geographisch, sondern auch systematisch. Zudem sind auch die fossilen und subfossilen Funde zu berück- sichtigen. Nur bei einer verhältnismäßig kleinen Anzahl von Arten ist diese große Arbeit schon durchgeführt worden. So ist es für den größeren Teil unserer Flora heute noch unmöglich, ihre Urheimat anzugeben. In vielen Fällen ergibt sich auch die Frage, ob der nachgewiesene Ursprungsort der wirk- liche Schöpfungsherd der Art oder nur als sekundäre Heimat aufzufassen sei. Auf Grund der derzeitigen Verbreitungsverhält- nisse müssen für die Alpen Ranunculus pygmaeus Wahlbg. und Carex capitata L. genetisch als arktische Elemente be- zeichnet werden. Die Großzahl der Pflanzengeographen hält auch heute noch an der mono top en Entstehung der Arten fest, der zufolge jede Species nur einmal an einer Stelle entstanden sein soll. Dieser Auffassung diametral ent- gegengesetzt ist die Theorie von der simul- tanen oder polytopen Entstehung der gleichen Art an verschiedenen Orten, wobei die neue Species überall ungefähr gleichzeitig oder zu verschiedenen Zeiten aus der Stammart hervorgegangen sein kann. Eine ganze Reihe Botaniker liaben sich für diese 1872 von .Wetterhan zuerst vertretene Anschauung erklärt. Das Artbildungsproblem läßt sich aber nicht auf ein einziges Schema zurückführen. Wenn einzig die äußeren Faktoren maß- gebendwären, so müßten in jedem bestimmten klimatisch-edaphischen Bezirk alle Arten nach demselben Schema (biologischen Typus) ausgebildet sein. Das ist aber be- kanntlich nicht der Fall. Daraus ergibt sich, daß die spezifische Konstitution, d. h. die innere Veranlagung der ein- zelnen Arten in diesen Fragen nicht vernach- lässigt werden darf. Auch heute noch sehen wir Arten, oder doch wenigstens Unterarten und Varietäten polytop entstehen. Der als Subspecies aufgefaßte Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band I\' Zwergwacholder ist einerseits eine Niederungs- pflanze des Nordens, andererseits ein Oreophyt südlicher Gebirge. An beiden Orten kann man aber von Juniperus communis L. ausgehend zur Unterart Uebergänge feststellen. Man kann bei dieser Pflanze direkt beobachten, wie aus der- selben Grundform an verschiedenen Stellen des Areals die Unterart hervorgeht. Wenn einzelne Autoren zugeben, daß leichte Abänderungen polytop entstanden sein können, daß aber Arten wohl durchweg monotopen Ursprungs sind, so ist dagegen einzuwenden, daß es zwischen leichten Abänderungen und guten Arten keinen prinzipiellen Unterschied gibt, sondern alle denkbaren Uebergänge vorkommen, so daß nicht einzusehen ist, warum nur elemen- tare Arten polytop entstehen sollten. Von dem durch das ganze Mittelmeergebiet verbreiteten Ruscus aculeatus L. fand ich bei Gagri am Ostufer des Schwarzen Meeres eine Abart mit auffallend schmal-lanzettlichen Phyllokladien, die ich als f. angustifolia bezeichnete. Die Durchsicht der Literatur ergab, daß diese Variante unter dem gleichen Namen bereits von Edm. Boi ssier beschrieben auch in Kleinasien beobachtet worden ist. In unseren Sammlungen fand sich eine analoge Pflanze vom Comersee. Es wird gewiß niemandem ein- fallen anzunehmen, diese Varietät sei einmal an einer bestimmten Stelle entstanden, habe sich von dort ausgebreitet und sich nun nur noch in diesen drei Stationen erhalten. Den tat- sächlichen Verhältnissen entsprechender ist die Annahme, daß diese Varietät durch Mutation polytop aus der Stammart hervorgegangen ist. Uebrigens whd auch der extremste Polytopist andererseits nie leugnen, daß viele Pflanzen monotop entstanden sind und daß ein disjunktes Areal durch Pflanzenwanderungen mit nach- träglichem Aussterben in den Zwischengebieten seine Erklärung finden kann. c) Historisches Element: es gibt Aufschluß über die Zeit der Einwanderung der Arten in bestimmte Florenbezirke. Unter diesem Gesichtspunkt sind Fumana vul- garis Spach in Nordzürich und Doryc- nium germanicum (Gremli) Rouy' in der bündnerischen Herrschaft als aquilo- nares Element, Ranunculus pygmaeus Wahlbg. und Thalictrum alpinum L. in den Alpen als Glazialpflanzen auf- zufassen. d) E i n w a n d e r u n g s e 1 e m e n t : es orientiert über den Weg der Einwander- ung. Es ist aber nicht gesagt, daß das Vor- dringen einer Art in allen Teilen eines be- stimmten Florenbezirkes immer nur längs einer Route erfolgt ist. Aus den Verbreitungsver- hältnissen von Cytisus sagittalis (L.) Koch in der nördlichen Schweiz kommt man zur Ueberzeugung, daß diese Art einerseits von E., andererseits von S. W. in das schweizerische Mittelland gelangt sein muß. Die Tatsache, daß einzelne Gebiete, d^r Erde eine sehr reiche, andere eine mehr oder weniger verarmte Flora aufweisen, hat zur 50 786 Geographie der Pflanzen (Florenreiche) Aufstellung von Florenentwickelungs- zentren geführt. Die Erklärung dieser Erscheinung ist durchaus nicht einfach und läßt sich wohl auch nicht auf einen Grundgedanken zurückführen. Verschiedene Theorien, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, so die Refugien-, die Ueber- dauerungs-, die Pendulationstheorie usw. haben versucht der Frage näher zu treten (vgl, den folgenden Artikel ,, Genetische Pflanzengeographi e" ). In unserer Zeit des Weltverkehrs macht sich, ganz abgesehen vom Kulturland, auch in der Wildflora der Einfluß des Menschen oft mit der einheimischen Flora vergesellschaftet, so z. B.Erigeron annuus (L.) Pers., Solidago serotina A'it. 6. Epökophyten, Ansiedler: sind neuere Ankömmlinge, ziemlich verbreitet und be- ständig in der Gegend, aber nur auf künstlichen Standorten (Lepidium ruderale L.). 7. Ephemerophyten, Passanten: sie treten nur vereinzelt, vorübergehend, und fast nur in Kulturbeständen auf. Beispiele sind: Centaurea solstitialis L., Potentilla nor- vegica L. B. Apophyten, Auswanderer: a) Absichtlich. 8. Üekiophyten: Kulturpflanzen, die der immer mehr bemerkbar Es gibt viele Pflanzen einheimischen Wildflora entnommen sind die sich an die Fersen des Menschen heften und Fragaria vesca L. stets in der Nähe seiner Wohnplätze und Ver- ; Nutzpflanzen, Convallaria kehrshnien auftreten. Solche Gewächse hat man g^yja bifolia L. als Zierpflanzen, Rubus idaeus L. als majalis L. und als Schutt-, Ptuderalpflanzen oder auch Anthropochoren bezeichnet. Zuweilen ver- mehren sich diese Eindringlinge so stark, daß die b) Unabsichtlich. 9. Spontane Apophyten, Abtrünn- linge: Cerastien, von trockenen, sonnigen zu sehr spezialisierten emheimischen Pflanzen V^,«^ ' ^^.^'•'^'^^i*^/^' ^\ • ii i o • völhg verdrängt werden oder sogar aussterben. Abhangen sich auf Aeckern ansiedelnd; Sa xi- DasVir bei mehreren ozeanischen Inseln der^^^/g'^ tridactvlites L von kalkig-felsigen Fall est Helena!) i i^tandorten auf Ruderaisteilen übergehend. Genetisch ist das anthropophile Element] Vertikale Gliederung. Neben der der jüngste Bestandteil unserer Flora. Die j horizontalen Gliederung der Flora über Anthropophyten(Ruderal-oder Adventiv-! die verschiedenen Zonen der Erde kommt flora, Flora adventiva) umfassen mithin | es in den Gebirgsländern auch noch zu sämtliche Arten der I^mstbestände und die nicfit j gjj^ej. vertikalen Gliederung. Da in SrÄtt?ra£ :S'ef;^um1Ä:r 1 vielen pflanzengeographischen Schilderungen Prozeß feststellen. Arten, die ursprüiiglich üi f^^^fl^e Hohengliederung verschiedene Be- der Gegend heimisch waren, verlassen mit emem zeidmungen (Regionen, Zonen, Gürtel) Teil ihrer Individuen die natürlichen Standorte angewendet worden sind und diese Namen und gehen auf Kiihstbestände über. Das sind 1 auch für horizontal umgrenzte Gebiete die Apophyten (Rikli). So tritt z. B. Satureja j gebraucht werden, hat der internationale Acinos (L.) Scheele gelegentlich apophytisch| Botanikerkongreß in Brüssel (1910) auf ^^^- j. . , ^ ,,.. ,. 1 , mi 1 ! Antrag von Chr. Flahault und C. Schröter lun^Än^h^Ä^^if. Jc;ig-t'^^ % die Höhengliederung die Katigorien gegliedert worden: | unzweideutige Bezeichnung „Hohenstufe A. Anthropochoren, durch Menschen ein- oder kurzweg „Stufe (etage) zu empfehlen, geführt: ' In jedem Hochgebirge kann man mit zu- a) Absichtlich. nehmender Höhenlage, als Ausdruck der 1. Ergasiophyten: ausländische (einschheß- : veränderten klimatischen Bedingungen, einen lieh HeU- und Zierpflanzen), vom Menschen ge- Wechsel im ökologischen Charakter der pflegte Kulturpflanzen, Arzneipflanzen, Zier- Pflanzenwelt beobachten. Je nach der pflanzen | Klimazone, der das Gebirge angehört, sind 2. Ergasiolipophyten, Kulturrelikte: sie wurden ehemals angepflanzt, haben sich aber auch ohne Pflege des Menschen in der Wildflora erhalten. 3. Ergasiophygophyten, Kulturflücht- linge, sogenannte verwilderte Pflanzen: sind ohne Absicht des Menschen den Kulturen verschiedene llülienstiilen zu unterscheiden. Der Wechsel ganzer Formationen, bestimmter wichtiger Leitpflanzen oder das Zusammen- treffen einer größeren Zahl von Pflanzen- grenzen (Sendtner) gibt jeweilen Anhalts- punkte zur Abgrenzung der Stufenfolge, entsprungen. Hierher: Silene Ameria L., Der wichtigste Schritt ist immer der Ueber- eine Zierpflanze, im Getreide; Juglans und Robinia pseudacacia L., Nutz pflanzen, verwildert in Wäldern, b) Unabsichtlich gang vom Waldgebiet zu den höheren baum- und Zier- j jQggj^ Teilen der Hochgebirge. In Steppen- und Wüstenländern hat der Wald aber auch ! eine untere Grenze, so daß dann drei Höhen- Zei^ tJi^^nSS'TiSlS'SSnS -tufei^ wildwachsende Acker- und Gartenunkräuter wustenstufe, die Waldstufe und die Agrosterama, Lolium temulentum L., Cen- Hochgebirgsstuf e. Als Beispiel mag der taurea Cyanus L. j Sahara-Atlas dienen. Ausnahmsweise kann 5. Neophyten, Neubürger: ziemlich j der Wald auch fehlen, so daß die Steppen- häufig und beständig an natürlichen Standorten, wüstenstufe allmählich in die Hochgebirgs- Geographie der Pflanzen (Florenreiche) 787 stufe überG;eht, das ist in den exzessiven Trockengebieten des westandinen Süd- amerikas (Atacama) der Fall. Wo, wie in der gemäßigten Zone und in den Hydromegathermen, eine Zweigliederung genügt, da kann man durch Aufstellung von Unterstufen (Substufen) weitere Unter- abteilungen voneinander unterscheiden. ^'J^ Für die Alpen gelangt man demnach etwa zu folgender Gliederung: A. Waldstufe: reicht bis zur oberen Wald- grenze, mithin in den Zentralalpen bis ca. 2200 bis 2300 m, in den Nordalpen nur bis 1800 bis 1900 m. a) Basale oder kolline Substufe(ehemals Hügelregion, Kulturregion): geht bis zur oberen Grenze der Weinkultur, in den Nord- alpen bis 600 m, in den Zentralalpen (Wallis) bis 800 m, im Maximum bis 1210 m. Weitere Charakterpflanzen dieser durch das Vorherrschen des Kulturlandes ausgezeichneten Höhenstufe smd die zahme Kastanie und der Nußbaum. b) Montane Substufe (Bergstufe, montane Region): umfaßt die Höhenlage von der oberen Grenze des Weinstockes bis zur oberen Buchen- grenze, also den Laubholzgürtel. Je nach den lokalen Verhältnissen reicht derselbe von 600 bezw. 800 m bis zu ca. 1300 bis 1500 m. c) Subalpine Unterstufe: sie entspricht der Höhenlage des Nadelholzgürtels, und reicht mithm von der oberen Buchengrenze bis zur mittleren Baumgrenze, von 1300 bezw. 1500 m bis ca. 1800 m in den Nordalpen und bis 2200 bis 2300 m in den Zentralalpen. B. Hochgebirgsstufe: alle Gebietsteile oberhalb der mittleren Baumgrenze einschließend. d) Alpine Substufe (ehemals alpine Region): von der oberen Baum- bis zur Schnee- grenze, also bis 2400 bis 2500 m in den nördlichen Voralpen und bis 2700 bezw. 3000 m (Maximum 3200 m) in den Zentralalpen. Es ist das eigent- liche Gebiet der Alpenflora. Als Alpen- pflanzen werden alle Arten bezeichnet, die ihre Hauptverbreitung in dieser Höhenstufe haben. L. Diels hat neuerdings (1910) um die oft störend empfundene Zweideutigkeit des Wortes „alpin"' zu beseitigen, die Bezeichnung Oreophyten eingeführt, imd versteht darunter alle Pflanzen, die den Schwerpunkt ihrer Ver- breitung oberhalb der Baumgrenze besitzen. Solche Arten gelangen durch die Wildbäche zu- weilen in tiefere Lagen, ja bis zur Meeresküste. Die auf cUese Weise herabgeschwemmten Alpen- pflanzen sind von C. Schröter als Schwemm- linge bezeichnet worden. Zwischen der Baum- grenze und den völlig baumlosen alpinen Matten schiebt sich öfters ein Gürtel von Krumm- holz (Krummholzregion, Strauchgürtel) ein; er wird gebildet von ausgebreitet nieder- liegenden Sträuchern, die keinen Hauptstamm ausgebildet haben. Auf Kalk ist es die Legföhre (Pinus montana Mill.), auf Schiefer und Ur- gebirge die Alpenerle (Alnus viridis [Chaix] DC). Auch die alpinen Alpenrosen gehören vorzugsweise dieser Höhenstufe an. e) Nivale Substufe: betrifft alle Gebiete oberhalb der örtlichen unteren Schneegrenze und gewährt als Ansiedelungsmöglichkeiten nur noch kleine Rasenplätze, Geröllfluren und Fels- bänder. Die Zahl der Arten ist sehr gering. Polsterpflanzen und Spaherwuchs sind vor- herrschend. Der einheitliche ökologische Gesamt- Charakter, der den Pflanzen der höheren Lagen sämtlicher Hochgebirge eigen ist, hat einzelne Autoren (Fl ah ault, Schimper) veranlaßt, die gesamten Gebirgsfloren als besonders Florenreich zusammen- zufassen. Wenn auch zugegeben werden muß, daß infolge der Höhenlage das Klima und damit aucli die Lebensformen der Pflanzenwelt im Hochgebirge von denjenigen der benach- barten Tief- und Hügelländer durchaus ver- schieden sind, so scheint uns ein solches Ab- lösen der Gebirge von ihrer pflanzengeogra- phischen Umgebung doch nicht zulässig, denn floristisch und genetisch bestehen zwischen beiden Gebieten jeweilen recht nahe Beziehungen. Zusammenfassung: Florenreiche und ihre Unterabteilungen. Aus diesen Ausführungen ergibt sich, daß die Floren- reiche in sehr verschiedener Weise umgrenzt werden, ebenso mannigfaltig sind die Vor- schläge einer Terminologie der Unter- abteilungen verschiedenen Grades. Ursprünglich erfolgte die Schilderung der Vegetationsverhältnisse der Erde nach geographisch - physiognomischen Gesichts- punkten, ohne daß dabei die Beziehungen der so aufgestellten Gruppen zueinander, noch die weitere Gliederung innerhalb der einzelnen Abteilungen erörtert wurden. Aus dieser Zeit stammt die indifferente Be- zeichnung ,, Flor engebiete". A. Grisebach unterschied (1872) 24 Floren- gebiete. 0. Drude folgte (1890) m der Haupt- sache der Grisebachschen Einteilung, doch mit dem Unterschied, daß er seine Gebiete zu Gruppen höherer Ordnung, sogenannten Floren- reichen vereinigte. So werden unterschieden: die borealen, tropischen, australen Florenreiche und das ozeanische Florenreich. Diese Einteilung entspricht den Hauptvegetationszonen. A. .F. W. Schimper (1898) greift sogar dhekt auf die Wärmezonen zurück (tropische, temperierte und arktische Zone). Wenn sich diese Emteilung unter dem Gesichtspunkt einer physiologischen Püanzengeograplüe durchaus rechtfertigt, so doch nicht vom Standpunkt der floristischen und genetischen Phytogeographie. Von weiteren Autoren seien noch" erwähnt: a) Ch. Flahault (1900): er kommt zur Auf- stellung folgender Emheiten: Groupe de Re- gions, Regions (Schouw 1820), Domaine, Secteur, district (sous-district, Station)* b)A. Engler: er unterscheidetFlorenreiche (genetisch gefaßt), Gebiete (vorwiegend phy- siognomisch umgrenzt), Provinzen (bestimmt nach Klimacharakter und einzelnen Leitpflanzen bezw. Vergesehschaftungen), Unter provinzen (Zonen). 50* 788 Geographie der Pflanzen (Florenreiche) c) L. Adamovic : er hat für die Pflanzenwelt ! der Balkanländer folgende Gliederung durch- geführt: Vegetationsgebiete (mediterranes, mitteleuropäisches). Als Unterabteilungen werden unterschieden: Provinzen, Bezirke, Zonen, Unterzonen, Sprengel. Mit A. Engler, L. Diels usw. geben wir dem genetischen Prinzip den Vorrang. Damit kommt man zur Aufstellung von 6 (5) H a u p t - florenreichen (s.S. 783-784) oder Floren- reichen erster Ordnung, die ebenso vielen selbständigen Florenentwickelungsge- bieten entsprechen. Als erste Unter- abteilungen werden von vielen Pflanzen- geographen Einheiten unterschieden, die als "„Gebiete" bezeichnet werden: Mittel- meergebiet, Steppengebiet, Wald- gebiet des östlichen Kontinents, andere Autoren wenden dafür auch Bezeich- nungen an wie arktisches oder mediter- ranes Florenreich. Es sind gewisser- maßen Florenreiche zweiter Ordnung, bei deren Umgrenzung der allgemeine Vegetationscharakter in erster Linie maßgebend war. Da die Bezeichnung Gebiet zu unbestimmt ist und auch ganz nicht in die übrige Rangordnung hineinpaßt, möchte ich für diese Einheiten die Bezeichnung „Vegetationsreich" vorschlagen. Dem- nach würden das arktische, das mediterrane und das temperiert-ostasiatische Vegetations- reich Teile des großen holarktischen Floren- reiches bilden. Bei detaillierterer Darstellung wird man innerhalb der Vegetationsreiche immer kleiner werdende pflanzengeogra- phische Gebiete unterscheiden, die man in folgender Reihenfolge als Provinzen, Unter- provinzen, Bezirke, Unterbezirke, als Region, Unterregion, Zone, Unter- zone und Sprengel, Untersprengel bezeichnen kann. B. Spezieller Teil.i) I. Holarktisches Florenreich. ' Holarktis, nördliches extra tropisches Florenreich. 2) I. Arktis (Arktisches Vegetationsreich). Das arktische Florenreich umfaßt alle Ge- biete nördlich von der arktischen Wald- und Baumgrenze. Diese so überaus wichtige Vegetationslinie beginnt nn der Nordwest- küste von Europa bei 70" 30' N., in der Gegend von Hammerfest, durchzieht die Halbinsel Kola etwa im nördlichen Drittel. Der Norden von Kanin und das Mündungs- gebiet der Petschora sind der baumlosen 1) Außer Betracht fallen das Kulturland und die Kulturpflanzen. 2) Vgl. S. 783. arktischen Tundra zuzuzählen. Im Ural fällt die Linie bis zum Polarkreis, um alsdann jen- seits des eurasischen Scheidegebirges der Obmündung zuzustreben; südlich vom Taß- Busen wird der 65'' N. erreicht. Von diesem Punkt an wendet sich die arktische Baum- grenze ziemlich rasch nach N., die Jenissei- mündung wird unter dem 70° N. durchquert. Li zahlreichen Ausbuchtungen, längs der großen Flußtäler jeweilen erfolgreiche Vor- stöße gegen Norden machend, zieht sie sich zu den ]\Iüntlungsgebieten der Lidigirka und Kolyma, wobei sie in wechselnder Entfer- nung, aber doch in der Hauptsache parallel zur asiatischen Eismeerküste verläuft. Auf dieser Strecke erreicht die arktische Baumgrenze unter 72" 40' N., an der unteren Chatanga ihren absoluten Polarpunkt. Von der Kolyma wendet sich die Vegeta- tionslinie nach "Südosten zur Mündung des Anadyr (ca. 65" N.). Die nördlichen Teile von Kamtschatka und die nordöstlichen I Uferländer des ochotskischen Meeres sind auch ' noch größtenteils wald- und baumlos, so daß die Waldgrenze an der Ostküste Kamtschatkas I ungefähr beim 60" N. zu suchen ist. Li Alaska durchschneidet sie in mannig- I fachen Windungen die Halbinsel von Süden j nach Norden, annähernd parallel zum 160" w. L. Für Amerika wird bereits an der Mackenziemündung bei ca. 69" N. der Polar- punkt erreicht. Von hier verläuft die Grenz- linie beständig nach Südosten, bei 59" N. wird die Hudsonbay erreicht und nach dem 57" N. durchschnitten. Zum letztenmal zieht sie sich nun nordwärts bis zur Ungavabai (ca.60"N.), um endlich parallel zur atlantischen Küstenlinie Labradors bis ins nördliche Neufundland zurückzuweichen. Hier wird bei kaum 51" N. der absolute Südpunkt der polaren Baumgrenze erreicht. Zwischen dem absoluten Süd- und Nord- punkt der arktischen Wald- und Baumgrenze ergibt sich somit eine Differenz von beinahe 22 Breitegraden, dies entspricht etwa der Entfernung Köln — Hammerfest. Alphonse de Candolle hat für den thermischen Charakter der Polargebiete den Begriff der Hekistothermen aufgestellt. Ausgezeichnet sind diese Länder durch die niedrigsten mittleren Jahrestempe- raturen der Erde, wie sie außer in den Polargebieten nur noch in den Hochlagen einzelner Hochgebirge annähernd erreicht werden. Strenge, sehr lange Winter und kurze, aber ebenfalls relativ kühle Sommer sind für sie bezeichnend. Li den nördlichen Teilen der Polarzone werden mittlere Jahrestemperaturen von —10" bis —20" C und wohl noch darunter Geograpilie der Pflanzen (Florenreiche) 789 notiert. Diese auffallend niederen Werte sind j weniger auf die abnorme Winterkälte als i auf die niederen Sommertemperaturen zurückzuführen. Der eigentliche Kältepol der nördlichen Hemisphäre liegt bekanntlich im Waldgebiet. Selbst mitten im Sommer kann die mittlere Monatstemperatnr unter den Gefrierpunkt fallen, und nur im süd- lichen Grönland und auf Island wird in der Vegetationsperiode (Juni-August) eine mitt- lere Temperatur von 4" C überschritten. Sehen wir ab von dem schon recht südlich gelegenen Godthaab, sowie von Spitzbergen und Nowaja Semlja, die noch unter dem Einfluß des Golfstromes stehen und deren | sommerliche Temperaturmittel (3,6 bis SJ^) etwa der mittleren Märztemperatur von Zürich [ (+ 3,8" C) entsprechen, so schwanken die ' Sommertemperaturen der meisten arktischen Stationen von + 0,36" bis 3,5° C, das sind Temperaturmittel, die in Mitteleuropa schon im Februar, ja an den maritimen Stationen bereits im Januar nicht nur erreicht, sondern sogar vielfach überschritten werden, zu einer Zeit, w^o die Vegetation noch völlig im Winterschlaf verharrt. Zum Vergleich [ bringen wir hier mittlere Januartemperaturen ' einiger westeuropäischen Stationen in C: Stuttgart 0,8; Heidelberg 1,3; London 3,5. Pflanzenbiologisch ist das arktische Flo- ! rengebiet zunächst durch die kurze Vege-| tationsperiode ausgezeichnet, die Vege- tationszeit dauert selten mehr als drei Monate. Die arktische Pflanze muß aber befähigt sein mit einer noch erheblich kür- zeren Zeit auszukommen. Eine eigentümliche Erscheinung ist die starke Verlängerung des Winters in die Frühjahrsmonate hinein, so daß gewöhnlich erst der Februar oder März, im nordeuropäischen Polargebiet sogar gelegentlich erst der April die größte Kälte bringt. So verzögert sich das Erwachen der Vegetation oft so sehr, daß der Wanderer [ daran zweifelt, daß die Flora überhaupt j noch mit ihrem bunten Sommerkleide sich zu ! schmücken vermag. Der ununterbrochene Sommertag hat bereits einige Zeit begonnen, doch noch immer ist kaum eine Spur wieder- erwachender Vegetationstätigkeit zu sehen. Als Folge der Vorherrschaft des Meeres über das Land zeigt das Polargebiet ein ausgesprochen ozeani sches Klima, daher denn auch die kühlen Sommer und die im Verhältnis zur Breiten- ' läge immerhin milden Winter. Die Ueppig- keit der Flora hängt in erster Linie von der während der kurzen Vegetationsperiode zur Verfügung stehenden Wärmemenge ab. In diesen Breiten bedeutet daher eine kleine sommerliehe Wärmesteigerung für das Pflan- zenleben einen ganz gewaltigen Vorteil. Diereichste Entwicklunc; der Pflanzen- welt der Arktis werden wir somit in deren kontinentaleren Gebieten zu erwarten haben: auf dem Taimyrland, im nördlichen Mackenziebecken, in Gröiüand, im Hinter- grund der tief einschneidenden Fjorde Spitz- bergens; die auch im Sommer stets vom Nebel umwallton und von kaltem Wasser um- spülten Außeiikilstcu weisen dagegen die trostlosesten, einförmigsten und dürftigsten Vegetationsbilder auf. D ie genannten W är m e - oasen sind nicht nur durch eine verhältnis- mäßig reiche und üppige Flora ausgezeichnet, sondern sehr oft auch durch das Vorkommen südlicherer Ai-ten. An solchen Stellen findet die sogenannte ,, Südflora" ihre letzten natürlichen Zufluchtsstätten, hier erreicht dieselbe ihre höchsten Breitengrade; auch der Baumwuchs und die Gebüsch- formationen machen in ihnen ihre erfolg- reichsten polaren Vorstöße. In der ökologischen Beurteilung der arktischen Flora hat sich in den letzten vier Dezennien ein bemerkenswerter Wechsel vollzogen. Noch 1872 hat Grisebach alle Eigentümlichkeiten der arktischen Flora auf den Einfluß der großen Kälte zurückgeführt. Heute wissen wir, daß die arktische Pflanzenwelt ohne jegliche in die Augen fallenden Schutzmittel oft monatelang ohne Schneeschutz, bei heftigen kalten Winden den tiefsten Temperaturen ausgesetzt ist. Wie außerordentlich frosthart wenigstens ein Teil dieser Gewächse sind, dafür ist die von F. R. Kjellman beobachtete Ueberwmterung von Cochlearia fenestrata R. Br. an der Nord- küste vom Tschuktschenland ein sprechendes Beispiel. Aus solchen Tatsachen ergibt sich, daß die Schutzmittel der arktischen Flora gegen Kälte nur in der molekularen Struktur des Protoplasmas zu suchen sind. Eine solche Unempfindlichkeit des Plasmas macht natürlich als vollkommenstes und durch- schlagendstes Schutzmittel allen weiteren Kälte- schutz vollkommen überflüssig. Nächst der Kälte ist es aber der Wasser- mangel, der am nachhaltigsten in den Haushalt der arktischen Pflanze eingreift, und der sich auch im Habitus und in ihren Anpassungsmerk- malen am deutlichsten fühlbar macht. In der Arktis sind die Niederschläge nicht bedeutend, sie nehmen von Süden nach Norden ab. In dieser Beziehung sind die Daten von der Westküste Grönlands besonders lehrreich. Ivigtut, ganz im Süden (ca. 61° N.) hat noch 124,1 cm, Godthaab (64° 10' N.) nur noch 65,4 cm, Jakobshavn am Diskofjord (69° 15' N.) 22 cm, Upernivik (72° 45' N.) 21 cm und Fort Conger an der Lady-Franklin-Bai (81° 44' N.) sogar nur 10 cm. Diese geringen Wassermengen, verbunden mit einer ganzen Reihe teils die Transpiration beschleunigender, teils die Wasseraufnahme herabsetzender Faktoren, bedingen den aus- gesprochen xerophilen Gesamtcharakter der arktischen Flora, einer Flora, die in hohem Maße den Stempel des Transpirations- schutzes gegen Vertrocknungsgefahr aufweist. 790 Geographie der Pflanzen (Florenreiche) Unter dem Gesichtspunkt des Transpirations- schutzes ist die Großzahl der Eigentümlichkeiten der arktischen Flora in ihrer kausalen Abhängig- keit von den Lebensbedingungen, die das ark- tische Klima zu bieten vermag, verständlich. Diese Anpassungen erstrecken sich auf sämtliche Vegetationsorgane, am weitesten gehend bei den Blättern. Die Mikrophyllie, d. h. die Ver- kleinerung der Blattflächen ist eine allgemein verbreitete und bei vielen Arten wiederkehrende Erscheinung. Nicht nur sind zahlreiche arktische Species auffallend kleinblätterig; Arten, die vom Süden in die Arktis eingewandert sind, treten im hohen Norden in mikrophyllen Ab- arten auf: Vaccinium uliginosum L. v. microphyllum Lge. , Ledura palustre L. V. decumbens Ait. Auch vikarisierende nordische Arten sind kiemblätteriger als ihre nächsten Verwandten, so Dryas integrifolia Vahl. gegenüber Dryas octopetala L. — Rhododendron lapponicum (L.) Wahlb. hat die kleinsten Blätter der Gattung. Die Blätter sind ferner sehr oft lederartig immer- grün, wie bei den meisten Vertretern der ark- tischen Zwergstrauchheide; öfters liegen die Nadeln oder Schuppenblätter den Sproß- achsen dachziegelartig an. Die Stomata fmden sich auf der Blattoberseite und sind an •windgeschützten Stellen vor zu weit gehen- der Wasserabgabe geschützt. So verhalten sich die zierliche Cassiope tetragona Don., Lycopodium annotinum L. f. pungens Desv. Andere Arten wieder besitzen Roll- blätter, die bei vermindertem Turgor durch Einrollen die Blattoberfläche und damit auch die Transpirationsgröße verringern. Rollblätter besitzen viel Ericaceen: Ledum, Loiseleuria, Phyllodoce, Empetrum und eine Reihe von Gramineen und Carices, die in ihrem Bau eme große Uebereinstimmung mit Steppengräsern zeigen. Die Ausbildung einer Wachsschicht Salix glauca L.) und dichter Haarfilz (mehrere Draben, Antennarien) sind weitere Möglich- keiten, über die das Blatt verfügt, um denselben Endzweck, Verminderung der Austrocknungs- gefahr zu erreichen. Aber auch der Stengel zeigt mehrere xero- phile Anpassungsmerkmale. Das Aufsuchen der Bodenwärme führt zur Spalier st rauchform oder zur Polsterpflanze. Beide Typen sind im hohen Norden sehr verbreitet. Kj eil man berichtet, daß von 23 am Cap Tscheljuskin, der Nordspitze Asiens gesammelten Blütenpflanzen 13, d. h. mehr als 56% polsterbildend waren. Sehr häufig wird eine Verkürzung der Inter- ne dien beobachtet, so wird der Pflanze der Eintritt in die kälteren höheren Luftschichten unmöglich gemacht, sie bleibt klein, zwerghaft: sie kommt nicht aus dem Bereich der rückstrahlenden Bodenwärme. Zur größeren Sicherheit wird zudem der Vegetationskegel von den dürren, abgestorbenen alten Blattresten mit einer schütz- enden Hülle umgeben. Schon C. E. v. Baer und Middendorff haben auf diesen Schutz hingewiesen. Bei Diapensia lapponica L. und vielen Polsterpflanzen ist dies der Fall. Ja selbst in der Ausbildung des Wurzel- systems lassen sich xerophile Züge erkennen. Die Wurzeln zeigen sehr oft relativ große Di- mensionen, besonders im Vergloicli zur Kleinheit der oberirdischen Teile. Es zeigt sich in dieser Hinsicht ein großer Parallelismus zu den Steppen- und Wüstenpflanzen, immerhin mit dem Unter- schied, daß die Wurzeln nach der Tiefe ent- wickelt sind, indessen bei der xerophilen arktischen Vegetation dieselben häufig unmittelbar unter der Bodenoberfläche flachsöhlig - horizontal sich ausbreiten. Eme solche Entwickelung ist natür- lich gleichbedeutend mit einer vermehrten Wasserabsorptionslähigkeit. So verfügt die Polarpflanze über eine sehr stattliche Zahl von Mitteln um einen möglichst ausgiebigen Schutz vor zu weit gehendem Wasserverlust zu erzielen. Bald genügt die Anwendung einer Möglichkeit: in extremen Fällen sieht man aber sehr oft gleichzeitig mehrere Schutzvorrichtungen durchgeführt. Wie sehr wir aber all diese Anpassungser- scheinnngen in ihrer Zweckmäßigkeit und vollendeten Ausbildung bewundern mögen, so muß doch zugegeben werden, daß das arktische lüima auf die Gesamtheit der Vegetationsorgane von sehr ungünstigem Einfluß ist, indem es dieselben zu möglichst größter Materialersparnis und damit zu weitestgehenden Reduktionen nötigt. Je nach den lokalen Verhältnissen, Je nach Bodenbeschaffenheit und Breitenlage ändert sich auch das Bild der arktischen Pflanzen- welt. Trotz der verhältnismäßig beschränkten Zahl von Blütenpflanzen ergeben sich daher doch noch recht verschiedenartige Vegeta- tionsbilder. An Hand ihrer natürlichen Vergesellschaftungen geben wir einen kurzen Ueberblick über die arktische Flora, und zwar in der Weise, daß diejenigen For- mationsgruppen, welche hauptsächlich den südlichen Breiten angehören, vorausgestellt werden ; so kommt in der Darstellung das all- mähliche Verarmen der Flora nach höheren Breiten einigermaßen zum Ausdruck. la) Strauchformationen. a) Birkenge- hölze. Vom subarktischen Island abgesehen, gibt es Birkengehölze nur noch im äußersten Südwesten von Grönland, im Hintergrund einiger der tief einschneidenden Fjorde. Ihre Nordgrenze liegt etwa beim 62° N., ihre Höhengrenze ist schon bei etwa 150 m Meereshöhe erreicht. Die üppigste Entfaltung wird am Fuß der Berge in voller Südlage erreicht. Diese meist lichten Bestände werden gebildet von 3 bis 6 m hohen und bis 20 cm dicken Stämmen der Betula tomentosa Reitt. u. Abel v. tortuosa Regel und von Betula intermedia Thom. Dazu gesellt sich das Kleingebüsch des Unterholzes: Salix glauca L., Alnus ovata (Sehr.) v. repens Wormskj., sowie amerikanische Arten: Betula glandulosa M i c h X. , S 0 r b u s a ra e r i c a n a L. Der Zwergwachohler (Juniperus communis L. v. nana Willd.) geht sowohl vertikal (bis 300 m) als horizontal weit über die Birkenregion hinaus. Von den 377 Gefäßpflanzen Grönlands gehören 50 Arten (13,2 %) nur dieser Formation an. ß) Weidengebüsche. Ueberah da, wo ein größerer Windschutz gesichert ist und im Wmter Geograpliie der Pflanzen (Florenreiche) 791 der Schnee sich anhäuft, stellen sich bis weit nach Norden Gebüsche ein, in denen die Weiden die führende Rolle behaupten. In Westgrönland erreicht die Formation erst unter dem 73" N. ihre Nordgrenze. Im Süden nehmen diese Vergesellschaftungen öfters den Charakter von Auenwäldern an und die einzelnen Stämme erreichen noch 2,5 m Höhe; im Norden dagegen nur noch 50 bis 66 cm. Das nördliche Eurasien ist dadurch ausgezeichnet, daß eine ganz statt- liche Zahl von Weidenarten dort vertreten ist, so Salix bicolor, Salix hastata L., Salix lanata L., Salix lapponum L. usw. Anders in Grönland. Mit Ausnahme des äußersten Südens bestehen die Saliceten nur aus der sehr veränderlichen Salix glauca L. An der Südküste von Disko sah ich noch Stämme von über 2 m Höhe und von einer Dicke von 4,4 cra. Die Oberfläche ist oft sehr kompakt, wie mit einer Schere abgeschnitten. Jedes Jahr bildet das Gebüsch neue aufrechte Sprosse, die, soweit sie über die winterliche Schneedecke emporragen, wieder eingehen. Die Saliceten bilden den letzten Zufluchtsort einer ganzen Reihe von Pflanzen des tiefen Waldesschattens, besonders von Farnen (Dry- opteris Linnaeana C. Christ., Cystopteris fragilis [L.] Bernh.) und Waldhumuspflanzen (Listera cordata [L.] R. Br., Coralliorrhiza innata R. Br.); eine große Seltenheit ist die zierliche Linnaea borealis L. y) Zwergstrauch hei den. Sie machen geringere Ansprüche an den Windschutz und an die Schneebedeckung. Am Fuß oder an den Abhängen der Berge und Hügel, auf weiten Ebenen, besonders auf Sand-, Lehm- und Ton- boden sind die Bedingungen zur Ansiedelung dieser Formation gegeben. Diese Heiden be- stehen aus etwa 20 Erdsträuchern. Den Haupt- anteil beanspruchen die Ericaceen mit Phyllo- doce coerulea (L.) Balb., Ledumpalustre L. V. decumbens Ait., Loiseleuria, Rhododen- dron lapponicum (L.) Wahlbg., Cassiope tetragona Don., die Vaccinien, besonders V.uliginosumL.v.microphyllumLge., ferner einige Kleinweiden, zuweilen auch Juniperus nana Willd., häufiger sind Zwergbirke (Betula nana L.) und Rauschbeere (Empe- trum nigrum L.). Die Großzahl dieser Arten besitzt immergrüne Blätter von Nadel- oder Schuppenform. Der Grundton der ,,Lyngheiden" ist ein unansehnliches Bräunlichgrün. Zur Blüte- zeit dagegen entbehrt die Heide nicht eines gewissen bescheidenen Reizes. Gemischte Heiden bilden dann wahre Blütengärtchen. Sehr monoton ist das in offenen Küsten- lagen eine führende Rolle beanspruchende Empetretum; auch die Zwergbirke bildet zu- weilen ausgedehnte, fast reine Bestände. Diese Heiden sind nicht durch die ganze Arktis ver- breitet; sie scheinen dem nordsibirischen Küsten- saum zu fehlen. AuchSpitzbergen kennt ,, Heiden" von größerer Ausdehnung nicht; die meisten ihrer Leitpflanzen fehlen der Inselgruppe ganz oder sind doch selten. In Westgrönland gehen die Heiden nicht weit über den 73" N. hinaus, doch findet man noch dürftige Reste am S mith- Sund. ib) Hochstaudenfloren. Stattliche über mannshohe Stauden, meist mit großen Blättern und weit ausladenden Blütenständen, welche auf humusreichen frischen Böden mehr oder weniger offene Verbände bilden. Es ist eigentlich eine Be- gleitformation desWaldes, die in der Ai'ktis haupt- sächlich derUebergangstundra angehört und nach Norden rasch verarmt. Trümmer derselben finden sich noch in den Archangelicafluren bis 69" 49' N an den Küsten von Süddisko. Besonders reichhaltig ist diese Formation im nördlichen Eurasien entwickelt. Wenig nördlicher schrumpft die Artenzahl stark zu- sammen. In Nordwestgrönland kann man kaum mehr von einer selbständigen Formation sprechen. Ihre dürftigen Reste haben zumeist in wasser- zügigen, offeneren Saliceten eine letzte Zufluchts- stätte gefunden, ic) Arktische Matten. Es sind, wie bereits C. E. v. Bär hervorhebt, die ,, Wärme oasen der Arktis", die lieblichsten Vegetations- bilder, die der hohe Norden hervorzuzaubern vermag, doch sie sind meistens nur von lo- { kaier Bedeutung und verschwinden gegenüber I der Tundra, der unendlichen, monotonen Cha- rakterformation dieser Zone. Die arktischen I\Iatten sind im Besitz der schwach geneigten \ Abhänge oder kleiner, nach Süden offener, nach Norden geschützter Tälchen. Diese Stellen werden t gewöhnlich zuerst schneefrei, infolge ihrer ge- neigten Lage zeigen sie auch die günstigsten Insolationsverhältnisse. Unter solchen Be- dingungen gelangen die einzelnen Individuen zu außerordentlich kräftiger Entwickelung und fast immer zur Samenreife. Auf engem Raum von wenigen Quadratmetern lassen sich da 40 bis 60 Arten pflücken; für arktische Gebiete ein ungewöhnlicher Reichtum. Hierher z. B. {mehrere Taraxacum-Arten, Erigeron uni- jflorus L., Bartsia alpina L., Veronica ialpina L., Gnaphalium norvegicum Gun., jCampanula uniflora L., Sibbaldia pro- ■cumbens L., Thalictrum alpinum L., Polygonum viviparumL., Potentilla macu- llata Pourr., Gymnadenia albida (L). ! Rieh., Piatanthera hyperborea Lindl. Im Winter liegen die arktischen Matten immer unter einer mächtigen Schneedecke. D.mk diesem winterlichen Schutz und ihren ausnahms- weise günstigen Besiedelungsverhältnissen ist dieser Formation polwärts eigentlich keine Grenze gesetzt. Reste arktischer Matten trifft man selbst noch im höchsten Norden Grönlands, id) Die Sumpf formationen. a) Sphagne- ten. Sie gehören vorwiegend der UelDergangs- tundra an. Die Hochmoore der Subarktis werden mit zunehmendem Wachstum gewöhnlich von Trockenheit liebenden Moosen oder Flechten überwuchert. /j) M 0 0 s s ü m p f e. Sie bedecken weite Gebiete, besonders auf ebenem Boden mit stagnierendem Wasser. Der Boden ist kalt und feucht. Im Sommer sind die Moossümpfe wahre Mücken- höllen. Die Vegetationsdecke ist nur ausnahms- weise kontinuierlich. Das Schmelzwasser schafft zahlreiche, sich durchkreuzende Furchen, so, aber auch auf andere Weise, entstehen einzelne Vegetationsinselchen. Die Leitpflanzen bilden Moose wie: Aulacomium turgidum (Wahlb.) Schw., Aulacomium palustre (L.) Schw., Hypnum, Bryum und Polytrichium spec. Dazu kommen kleinere Salices, zahlreiche 792 (Teograpliie der Pflanzen (Floren reiche) Carices, Cobresia, Trichophorura caespi- tosum (L.) Hartm., sowie einige farben- prächtige Blütenpflanzen: Ranunculus lap- ponicus L. und Ranunculus nivalis L., Pedicularis flammea L., Pedicularis liir- suta L. und Pedicularis lanata (Willd.) Cham. Wenn die Vegetationshöcker 20 bis 30 cm hoch geworden sind, werden sie trockener, damit ist das Zeichen zur Aenderung ihres Florenbestandes gegeben; die hygrophilen Arten gehen ein, an ihrer Stelle treten die Klein- sträucher der arktischen Zwergstrauchheide auf. y) Sumpfwiesen. Sie finden sich im Mündungsgebiet größerer oder kleinerer Flüsse und Bäche. Der Boden ist grob bis feinsandig oder lehmig, und wii-d wenigstens zeitweise be- rieselt. Die Zahl der leitenden Arten ist gering, dafür treten dieselben in größter Menge auf. Hierher gehören einige hochnordische Gräser: D u p 0 n t i a F i s h e r i R. B r. A r c t o - p h i 1 a f u 1 V a (T r i n.) R u p r. , Are ta - grostis latifolia (R. Br.) Gris., ferner Juncus biglumis L. und Juncus triglumis L., Carex aquatilis Wg. v. stans Drej., Carex rigida Good. le) Geröll- und Felsfluren. Die Geröll- und Felsfluren umfassen meistens offene Ver- gesellschaftungen, es sind die ersten Ansiedler der gewaltigen Schutt- und Felstrümmermassen, die emen großen Teil des eisfreien arktischen Landes einnehmen. Diese Pflanzen haben tiefe Pfahlwurzeln oder weit ausladende unterirdische Kriechtriebe; groß ist die Zahl' der Polster pflanzen und der spalierartig dem Boden angepreßten Erdsträucher. Dort erhebt sich gelber nordischer Mohn (Papaver radicatum Rottb., mehrere Steinbrecharten stehen in den vordersten Reihen (Saxifraga oppositifolia L., die amerikanische Saxifraga tricuspidata Rottb., die gelbe Saxifraga flagellaris Willd. mit ihren fadenförmigen Stolonen, Saxifraga cernua L.), ferner die roten Flächen der Silene acaulis L., die Kugelbälle mehrerer Draben (Draba nivalis Lilj.), sattgelbe Potentillen (Potent. Vahliana Lehm.); Cerastium alpinum L., die Silber- wurz. Auch einige xerophile Cyperaceen stellen sich ein (Carex rupestris Bell, mit langen Kriechtrieben und Carex nardina Fr., ein Massenwurzler) ; von Gräsern besonders die Poa glauca M. Vahl mit graugrünem Wachs- überzug. Dazwischen bemerkt man zahlreiche Flechten, wie die orangegelbe Xanthoria elegans Link, die weiße Cetraria nivalis L., die wurmartigen Thallome der Thamnolia vermicularis Ach., die schwarzen Flecken der Gyrophora hyperborea Hoffm., die düster grünlichschwarzen Barte der Usnea mela- xantha Ach.; die Moose treten sehr zurück. if) Die Fjeldformation. Wenn der For- schungsreisende von der Tundra spricht, so denkt er in erster Linie an diese For- mation, die in einer Reihe recht verschieden- artiger Facies wohl den größten Teil der eis- freien Gebiete der Arktis mit einer äußerst dürftigen Vegetation bedeckt. Besonders im nördlichsten Sibirien und im kontinentalen arktischen Amerika sind diese Fjelde allgemein verbreitet. Ebener flachgründiger Boden, allen Winden ausgesetzt, daher im Winter größtenteils schneefrei; das sind die Standorts- und Existenz- bedingungen dieser ungemein monotonen Pflanzen weit. Die unbeschränkten Herrscher sind Moose und Flechten. Demnach unterscheidet man zwischen Moos- und Flechtentundren. Doch selbst innerhalb dieser anspruchlosesten aller Gewächse gibt es Abstufungen. Das Polytrichetum gehört den südlicheren Ländern der Arktis an, indessen nach Norden das Di- cranetum in den Vordergrund tritt. Bei den Flechtentundren kann man eine analoge Stufen- leiter aufstellen, Typen, die ein allmählich sich verschlechterndes, kälter und windoffener werden- des Klima repräsentieren. Die Endglieder dieser Reihe sind das Cladonietum im Süden, mit Cladonia rangif er ina Hoffm. als Leitpflanze, und im Norden das Lecanoretum mit Le- canora tartarea L. , einer alles überziehenden und gleich einem Leichentuch bedeckenden Krustenflechte. Phanerogamen fehlen auch nicht völlig, doch treten sie stets in den Hintergrund, lg) Strandformation. Sehr einförmig ist die Flora des Strandes, sie besteht vorwiegend aus Gräsern, Halbgräsern und Sukkulenten. Die Flachküste läßt zwei Facies unterscheiden: f^) Sandflora. Besonders auffallend sind die breiten Blätter und kräftigen Halme des Strandhafers (Elymus arenarius L. f. vil- losa E. Mey.), die blauen Blütchen der Mertensia maritima Don., wie auch Halian- thus peploidesFr. Dies die drei Leitpflanzen. ß) Marschflora. Sie hat lehmig-tonigen, meistens salzhaltigen Boden, mit Carex ursina Dew., Carex subspathacea Wormsk., Carex salina Wg., öfters auch Phippsia algida (Sol.) R. Br., ferner eine größere Zahl von Glyceria- I arten, Stellaria humifusa Rottb., Tri- glochin palustre L. ; auch mehrere Cochle- arien und die einjährige Königia islandica L. trifft man öfter an solchen Stellen. : Eine absolute Grenze der Phanerogamen- '' flora gibt es im hohen Norden nicht. Noch auf Grinnelland, Grantland, Nares- und Peary-Land, also zwischen 80 und 83" 15' N. findet sich eine verhältnismäßig reiche Flora. In meinem Verzeichnisse habe ich aus diesen Gegenden noch 51 Blütenpflanzen notiert, die Liste ist damit aber sicher nicht abgeschlossen. Und selbst auf Nunatakkern, steilen Felspyramiden, die sich in größerer Entfernung vom Rande des Inlandeises aus der allgemeinen Vereisung erheben, fehlt es nicht an vegetativen Leben. Jensens Nunatak bei 62o50'N. im südlichen Grön- ' land, ca. 75 km vom Rande des Inlandeises hat i bei ca. 1400 m noch 26 Gefäßpflanzen geliefert. Ymers Nunatak in Nortlostgröuland, bei 770 24' N. und ca. 40 km vom Rande des Inlandeises ergab noch 17 Blütenpflanzen, ! das sind 18,5% sämtlicher Arten, welche die Danmark-Expedition 1908 aus Nordost- grönland mit nach Hause brachte. Die Zahl der durch das ganze Polargebiet verbreiteten Arten ist verhältnismäßig sehr groß, immerhin muß man sich hüten, alle arktischen Pflanzen kurzweg als zirkum- Geographie der Pflanzen (Florenreiehe) 793 polar zu bezeichnen. Die Verteilung der Arten in der Polarzone läßt hauptsächlich zwei südliche Einwanderuiii;'sbahneu er- kennen. So gelangt man dazu, innerhalb des arktischen Florenreiches zwei Gebiete zu unterscheiden: a) die arkto amerikanische Provinz, mit zahlreichen amerikanischen Typen, wie Pedicularis lanata Cham., Saxifraga tricuspidata Rottb., Sib- baldiopsis tridentata Sol., Arabis Hol- boellii Hörn., Erigeron compositus Pursh., b) die arktoeurasische Pro- vinz, die das ganze polare Eurasien, ferner Spitzbergen, Island, Franz Joseph Land umfal.ir. ]\lerkwüidigerweise nimmt Grönland eine Mittelstellung ein, indem es, obwohl Amerika viel näher gelegen, eine größere Anzahl eurasischer Typen aufweist. Eine ähnliche Sonderstellung beansprucht das nordpazifische Gebiet, zu beiden Seiten der Beringstraße. Nicht nur, daß zahlreiche amerikanische und eurasische Typen durch- einander auftreten, diese Länder erweisen sich als ungewöhnlich reich an Arten, die sonst der Arktis fehlen, und die offenbar auf eine südliche Einwanderung, sei es auf die zentralasiatischen Gebirgssysteme, sei es auf die nördlichen Teile der Rocky Moun- tains, hinweisen. Als eurasische Typen können gelten: Ranunculus glacialis L., Saxi- fraga flagellaris Willd., Pedicularis hirsuta L., Gnaphalium supinum L., Viscaria alpina (L.) Don. Neben allgemein verbreiteten arktischen Pflanzen wie z.B. Ranunculus py gm aeus Wg., Papaver radicatum Rottb., Silene acaulis L. und Cassiope tetragona Don. gibt es jedoch auch Species von sehr lokalem engbegrenztem Vorkommen, so z. B. Pleuropogon Sabinii R. Br., die bis 1901 nur von 8 weit voneinander entfernten hoch- arktischen Stationen bekannt war, 1902 aber durch P. Krylow auch im östlichen Altai nachgewiesen wurde. Saxifraga Nathorsti Düsen aus der Gruppe Porphyrion ist ende- misch in Nordostgrönland, Potentilla Ranunculus Lge. in Disko und Nord- labrador, das merkwürdige Rhododen- dron Vanhoeffeni Abr. am Karajak- Nunatak beim Umanakfjord usw. Es sind auch eine Reihe lokaler arktischer Varietäten verbreiteter nordischer Arten aufgestellt worden: Draba nivalis Ligh. v. Panschi, Juncus triglumis v.CopelandiBuchen., beide aus Ostgrönland; Potentilla pul- chella R.Br. var. Friesii (Take) Th. W. scheint auf Spitzbergen die Hauptart zu vertreten. Verweisen wir endlich noch auf die Tat- sache, daß eine größere Zahl nordischer Arten auch in den Alpen auftritt, im Zwischen- gebiet aber fehlt, oder nur wenige Relikten- stationen aufweist, so z. B. Saxifraga, aizoides L., S. Aizoon, L., S. oppositi- folia L., Thalictrum alpinum L., Loise- leuria, Veronica alpina L., Salix her- bacea L. usw. Mehrere dieser Arten finden sich noch in den Pyrenäen; umgekehrt gibt es auch Pflanzen, die im hohen Norden und in den Pyrenäen auftreten, den Alpen aber fehlen (Phyllodoce coerulea (L.) Balb.). 2. Eurasisch-silvestres Vegetations- reich. E u r a s i a t i c u m , Eurasisches Waldgebiet. Das eurasische Waldgebiet erstreckt sich über die ganze nördliche Breite des Doppelkontinents. Die Nordgrenze bildet die arktische Wald- und Baumgrenze. Die Südgrenze wird zum Teil durch Gebirge bestimmt (Pyrenäen, Alpen, Altaisystem) oder aber durch Tiefländer, die infolge ihrer geringen Niederschläge oder edaphischer Ver- hältnisse wegen (Salzgehalt des Bodens) dem Baumwuclise IVhullich sind, und daherSteppen oder selbst Steppenwüstencharakter tragen. j Die südlichen Gebirge besitzen in ihren höheren Stufen eine Hekistothermen- i Vegetation, die nicht nur nach ihrem Gesamt- fazit, sondern zum Teil auch nach ihrem ! Florenbestand Anklänge an die Arktis zeigt. Dieses so umschriebene, gewaltige Gebiet entspricht ziemlich genau den altweltlichen Mikrothermen De Candolle's. Be- I zeichnend sind mäßig warme Sommer und ! die winterliche Unterbrechung der Vege- j tationstätigkeit. Die Niederschläge sind zu ' allen Jahreszeiten genügend und erreichen meistens im Sommer ihren Höhepunkt. Innerhalb dieser weitgezogenen Grenzen gibt es je nach den örtlichen Lagen ganz ge- waltige Unterschiede, schwankt doch bereits die mittlere Jahrestemperatur zwischen 0 und 25" C. Im allgemeinen hat der äußerste Westen und Osten infolge des Einflusses des I atlantischen, beziehungsweise pazifischen Ozeans ein ozeanisches Klima. Gegen die [ Nordgrenze macht sich die Nähe des Polar- meeres ebenfalls in relativ milden Wintern und kühlen Sommern geltend. Die größten klimatischen Gegensätze zeigen einerseits das kontinentale Nordostasien, andererseits die südlichen Tieflandstationen. Erstere fallen durch ihre ungemein niederen winter- lichen Monatsmittel und ihre tiefen Minima (—67,8" C, Kältepol!), letztere durch hohe Sommertemperaturen bei abnehmender Nie- derschlagsmenge auf. Aber auch die jährliche Regenhöhe zeigt gewaltige Unterschiede. Im Norden und in den Tiefländern des Südens schw^ankt dieselbe zwischen 10 und 15 cm, im äußersten Osten und Westen erreicht sie mit 100 bis 120 cm den zehnfachen Betrag. F94 Geog-rapliie der Pflanzen (Florenreiche) Beinahe im ganzen Gebiet werden die ober- ii-disch überwinternden Teile wochenlang Tem- peraturen, die unter dem Nullpunkt liegen, aus- gesetzt. In Ostsibirien verharrt das Thermometer sogar jedes Jahr längere Zeit unter dem Gefrier- punkt des Quecksilbers. Sämtliche Arten sind durch einen hohen Grad ,, konstitutioneller Frosthärte" ausgezeichnet, ihr verdanken sie in erster Linie, daß sie diese Erdräume zu be- siedeln vermochten und sich in ihnen halten können. Unter diesen Umständen ist die Winter- kälte für diese Pflanzenwelt ohne Bedeutung. Wichtig dagegen ist, daß die Sommerwärme nicht unter eine bestimmte Grenze geht. L. Diels hat darauf hingewiesen, daß der Juli von Jakutsk (19,0« C) so heiß ist, als der von Berlin (IS,!» C), und das durch seine enorme Winterkälte bekannte Werchojansk wird im Sommer so warm wie London' (Greenwich = 16,3« C). Aus diesen Angaben ergibt sich mithin, daß trotz aller sonstiger Gegensätze, das nordeurasische Waldgebiet dem Pflanzen- leben drei annähernd übereinstimmende Züge gewährt: die Hochsommerwärmen, das sommerliche Maximum der Niederschläge und die winterliche Unterbrechung der Vegetationstätigkeit. Dank diesen gemeinsamen Lebensbe- dingungen bleibt, innerhalb der ausgedehnten Ländermassen, der Gesamtcharakter der Pflanzenwelt ziemlich gleich. Tonangebend sind tropophytische Laubhölzer und xero- phytische Nadelhölzer. Es läßt sich in großen Zügen eine nördliche Nadelholz- und eine südliche Laubholzregion unterscheiden. Doch auch diese Gliederung ist durchaus nicht durchgreifend. Laubhölzer (Birken, Espen, Wci(k'ii, p]iien) gehen wiederholt bis zur arktischen Waldgrenze und sogar noch nördlicher, und auf weite Gebiete, besonders auf Sandboden, durchsetzen Nadelhölzer (z. B. Kiefer) die Laubholzwaldungen. Oft werden die Wälder nur aus einer einzigen Ai't gebildet. Sind mehrere Species vor- handen, so ist fast stets eine Holzart herr- schend. Gegenüber der starken Mischung der tropischen und subtropischen Wälder ist die Einförmigkeit dieser Waldungen sehr be- zeichnend. Schlinggewächse fehlen nahezu ganz. Im grüßten Teile Europas ist übrigens das ursprüngliche Vegetationsbild so sehr verändert, daß man sich nur noch mit Hilfe der Aufzeich- nungen der ältesten Schriftsteller und unter Berücksichtigung der vom Menschen noch un- berührten oder doch nur wenig beeinflußten Verhältnisse im Waldgebiete Nordasiens einiger- maßen eine Vorstellung vom einstigen Zustande des Landes machen kann. Wenn auch in jenen entlegenen Zeiten der Urwald große Strecken Mitteleuropas bedeckte, so fehlte es damals doch auch nicht an mehr oder weniger wald- freien Gebieten; sie werden wohl in erster Linie dui'ch eine zu große Trockenheit (Felsfluren, Heide) oder eme zu große Feuchtigkeit (Moore, Sümpfe) bedingt gewesen sein. H o o p s hat ferner darauf hingewiesen, daß die periodischen Ueber- schwemmungsgebiete der Flüsse natürliches Grasland aufgewiesen haben, und Rob. Grad- mann hat besonders für Ostdeutschland wahr- scheinlich gemacht, daß zur Zeit der ersten An- siedelung „Waldsteppen" geherrscht haben, d.h. das Gelände wurde abwechselnd eingenommen von Wäldern und steppenartigem Grasland. Hier gab es für ein einwanderndes Volk den wohnlichsten Aufenthalt, Raum zur freien Bewegung, üppige Weide und einen viel reicheren Wildstand als in den Tiefen des Urwaldes. Reste von all diesen VergeseUschaftungen sind jetzt noch vorhanden, doch kaum mehr in ihrer vollen Ursprünglichkeit ; sie sind alle einer mehr oder weniger intensiven Bewirtschaftung unterworfen, wodurch der ursprüngliche natür- liche Gleichgewichtszustand der Arten unter- einander gestört wurde. So haftet auch dem sogenannten Naturland Mitteleuropas stets einigermaßen der Charakter von Halbkulturen an. Das Ausklingen des Waldes gegen die arktische Tundra erfolgt nicht in einer einzigen Holzart, es läßt sich vielmehr ein ziemlich lebhafter Wechsel feststellen. In der boreal-europäischen Provinz, die sich östlich bis zum Ural erstreckt, treten an die Baumgrenze Kiefer (Pinus silvestris L.), Birke (Betula tomentosa Reit. et Abel), Fichte (Picea excelsa [Lani, et DC] Link) und im Osten die Lärche (Larix sibirica Ledeb.). Die sibirische Provinz, vom Ural bis zum Werchojansker Meridiangebirge sich erstreckend, ist das ein- förmigste Gebiet. Einzig die Lärche erreicht die Waldgrenze. Kiefer, Fichte, Birke I bleiben zurück und entfernen sich von ihr nach Osten immer mehr. Nur die Grünerle und einige Weiden vermögen, wenigstens in i Strauchform, bis zur arktischen Baumgrenze j vorzudringen. Größere Mannigfaltigkeit zeigt die tschuktschische Provinz. Aus den polaren Waldungen sind Kiefer, Fichte und Eberesche vollständig verschwunden. j Die Lärche spielt immer noch eine wichtige Rolle, doch vom Kolyma an fehlt sie weiten Gebieten. Neu ist das Auftreten der Legarve (Pinus Cembra L. ssp. pumila [Regel] Palla) und besonders bezeichnend das er- neute starke Hervortreten der Laubhölzer, eine beachtenswerte Parallele zu den Verhält- nissen an der Baumgrenze im nördlichen Skandinavien. Neben Haarbirke (B. tomentosa Reit, und Abel) und Grün- erle nehmen hochstämmige Weiden und die Balsampappel (Populus balsamifera L.)an der Zusammensetzung derWälder regen Anteil. Im Seeklima von Kamtschatka bildet die im Wuchs an die Eiche erinnernde Betula Ermanni Cham, schöne Wal- dungen. Ueppige Wiesen und riesenhafte Hochstaudenfluren, in denen besonders die Doldengewächse (Augelica, Hera- cleum), aber auch andere Makrokräuter, wie die über 3 ni hohe Spiraea kamtscha- Greographie der Ptlanzen (Florenreiche) 795 tica PalL; Senecio caiiabifolius Less. Epilobium augustifolium L., unter- brechen die ausgedehnten Waldf lachen. Ober- halb 300 bis 400 m beginnt die von der Legarve gebildete Krumniholzstufe. Nur drei Bäume: Fichte, Eberesche (Sorbus aueuparia L.) und Trauben- kirsche (Prunus Padus L.) sind durch das ganze weite Gebiet vom atlantischen Ozean bis zum ochotskischen Meere vorhanden. Faßt man die Gesamtzahl der bestand- bildenden Bäume ins Auge, so fällt der größere Ai'tenreichtum Asiens gegenüber Europa auf. Es gilt dies ganz besonders für die Nadel- hölzer, westlich vom Ural treten dafür eine Eeihe von Laubbäumen auf, die diesen Gebirgszug nach Osten nicht überschreiten. Die größere Reichhaltigkeit der nordasia- tischen, gegenüber unseren mitteleuropäischen Waldungen wird auf ihr höheres Alter zurück- geführt. Sibirien war zur Glazialzeit eis- frei, indessen im größten Teil Zentraleuropas der heutige Wald erst postglazialen Ur- sprungs ist. Noch viel reicher ist dagegen der ostasiatische Wald. Die ,, Taiga", der geschlossene sibirische Urwald erstreckt sich von 58" bis etwa zum 68° N., mithin über eine Breite von reich- lich 1000 km und vom Ural bis zum pazi- fischen Ozean, also über eine Entfernung von über 5000 km. Neben der sibirischen Lärche (Larix sibirica Led.) und L. dahurica Turz Baikaliens spielt die Zirbelkiefer (Pinus Cembra L.) eine wichtige Rolle. Lärche und Arve gehören in Europa in nahver- wandten Typen nur dem Gebirge an. Die Waldföhre (Pinus silvestris L.) erreicht bei 150" östl. L. im Werchojansker Gebirge ihre absolute Ostgrenze, ihre Nordgrenze liegt etwas südlich vom Polarkreis. Dazu gesellt sich die Pichtafichte (Abies Pichta [Fisch.] Forbes), ein echtes Stangenholz. Die Pichta ist unter den Nadel- hölzern was die Pyramidenpappel unter den Laubhölzern (Middendorff). Der Baum findet sich auch noch in N. E. Rußland. Dem äußersten Osten gehören Picea ajanen- sis Fisch, und die vorwiegend im west- lichen subarktischen Nordamerika verbreitete Sitkafichte (P. sitchensis [Bong.] Carr.) an. Nach E. v. Nordenskiöld erreichen diese Holzarten schon unter dem Polarkreis sehr stattliche Höhen. Zwischen den Bäumen ist der Boden dicht mit niedergefallenen Zweigen und Stämmen bedeckt, beinahe überall sind die gefallenen Bäume von einem äußerst üppigen Moosteppich überzogen. Zwischen den dimklen Nadelhölzern erscheinen Birken (Betula pen- dula Roth.), sowie Weiden, Erlen und Eschen, dagegen fehlen in der Taiga völlig Eiche und Buche. Sümpfe (Phragmiteten, Macro- und Microcariceten) und Moose (Sphagneten) mit Vaccinien, Ledum, Andromeda, Betula nana L.,LinnaeaborealisL., Rhododendron parviflorum Adams und Pedicularis scep- trum L., sowie Hoehstaudenfluren mit Del- phinium elatum L., Aconitum septen- trionale Koel., der prachtvollen Paeonia anomala L., Crepis sibirica L., Cacalia hastata L., Veratrum album L. unterbrechen die Waldeswildnis. Im Unterholz treten Loni- cera coerulea L., Ribes nigrum L., Spiraea media Schmidt und andere sommergrüne Sträucher auf. Als Schlingpflanzen durchwirken Clematis Vitalba L. und Clematis (Atra- gene) alpina Mill. v. sibirica Kuntze das Dickicht. I Gegen Süden wird der Wald allmählig j lichter, so geht der geschlossene Urwald in I Parklandschaften über. Artenreiche Waldwiesen begleiten die Flußtäler. Schließ- lich erschöpft sich der Baumwuchs in ein- zelnen, immer kleineren werdenden Waldinsel- chen, die sich mehr und mehr in der Steppe verlieren. Eine solche Uebergangssteppe I bildet die westsibirische ,,Baraba", eine unabsehbare Wildnis mit Mooren, Grasebenen und hauptsächlich aus Birken gebildeten , Waldinseln. Sie ist von großer Fruchtbarkeit. An feuchten Orten (Depressionen) tritt das mächtige Heracleum bar batum Ledeb. auf, vergesellschaftet mit Hemerocallis flavaL. Die Flußufer begleiten hochstämmige Weiden, Populus nigra L., P. alba L. Im Araurgebiet bildet Quercus mongolica Fisch, einen wichtigen Bestandteil der Park- landschaften. Die Begleitflora der nordasiatischen Wal- dungen umfaßt zumeist bo reale und zum ! Teil auch arktisch-zirkumpolare Arten. Der Artenreichtum ist verhältnismäßig , gering. Viele Vertreter der Unterflora dieses Waldgebietes kommen auch in Europa, be- I sonders im nördlichen Teil und in den Berg- I landschaften Mitteleuropas vor. Pflanzengeo- graphische Sonderstellungen beanspruchen Baikalien, das Jablonoi- und Stanowoi- gebirge, die Tschuktschenhalbinsel und I Kamtschatka. Es erscheinen hier zum Teil Arten, deren Massenzentrum im subark- tischen Amerika liegt (Sitkafichte), größer ist die Zahl der Typend die auf Ost- und Zentral- asien hinweisen, wie die Rhododendren, die in mehreren Arten, z. B. Rh. crysantum Pallas, Rh. kamtschaticum Pallas und Rh. dahuricum L. weit noch Norden, zum Teil bis in die Tundren der Tschuktschen- halbinsel vordringen. Etwas anders gestalten sich die Verhält- nisse nach Ueberschreitung des Urals. Es sind hauptsächlich zwei Arten, die nun der Pflanzenwelt einen besonderen Stempel auf- drücken: Eiche und Buche. Von Eichen kommt in erster Linie die Stiel- eiche (Quercus Robur L.) in Betracht. Sie dringt bedeutend weiter in die Ivontinental- masse vor als die Buche, erreicht sie doch noch ■96 Geographie der Pilanzen (Florenreiohe) den Ural, indessen die Buche dem größten Teil Rußlands fehlt. Die Nordgrenze der Stieleiche fällt von der Gegend nördlich Bergen (ca. 62" 30' N.) bis zum Ural (ca. 56" N.j nur um etwa 6, die der Buche dagegen um nahezu 20 Breiten- grade. Ihre nördliche Verbreitungskurve fällt vom südlichen Norwegen (58" 49' N.) viel steiler nach Süden ab, so daß der 50. Grad n. Br. bereits in Wolynien geschnitten wird. Von da an läuft die Grenze nahezu dii-ekt nach Süden, umgeht das untere Donautiefland (Rumänien, Nord- bulgarien), um längs des Jaila-dagh zum Nord- fuß des Kaukasus (42 bis 40" N.) zu verlaufen. Die Nordgrenze der Stieleiche verläuft also stets nördlich von derjenigen der Buche. Im Westen ist der Unterschied noch nicht sehr groß, er nimmt aber nach Osten stetig zu. Diese Tat- sache ist um so auffallender, als in den südlichen Gebirgen das Verhältnis gerade umgekehrt ist, in dem die Buche überall höher ansteigt als die Stieleiche. So erreicht Quere us Robur L. im Wallis die Meereshöhe von 1247 m, Fagus silvatica L. aber 1650 m. P. Ascherson weist darauf hm, daß zur Belaubung die Stieleiche zwar eine höhere Temperatur (11,2 bis 12,5" C) bedarf (Buche nur 7,5" C) und sich daher später belaubt, aber andererseits bei gleicher Dauer der Belaubungszeit sich an ihrer Polargrenze erst bei einer Temperatur von 2,5" C entlaubt. Diese Genügsamkeit gegen Ende der Belaubungs- zeit erklärt es, daß die Polargrenze der Eiche einen vorwiegend westöstlichen Verlauf hat. Im Gebü-ge, wo die Temperatur im Frühjahr langsamer steigt und im Herbst rascher sinkt, bleibt dagegen die Eiche weit hinter der Buche zurück, (1. h. die Eiche ist eine kontinentale Holzart, die größere klimatische Gegensätze wohl zu ertragen vermag, die Buche dagegen ein Baum eines ozeanischen Klimas. In den zentral- und westeuropäischen Sommerwäldern treten noch einige weitere Arten auf, die wie die Buche nicht sehr weit in den Kontinent vordringen. Weißbuche (Carpinus Betnlus L.) und Sommerlinde (Tilia platyphyllos Scop.) überholen die Buche nur unbedeutend. Die Trauben- eiche (Quercus sessiliflora Salisb.) ge- hört nur noch dem äußersten Westen Ruß- lands an, indem sich ihre Ostgrenze von Königsberg zum Bug hinzieht, und sich als- dann in der Steppe verliert. Die Edel- kastanie (Castanea sativa Mill.) ist dagegen ein Baum von vorwiegend medi- terran-atlantischer Verbreitung, ihre atlan- tische Ostgrenze wird bereits an der Rhein- linie, ihr nordöstliches Vordringen auf der Südseite der Karpathen und die absolute Ostgrenze im westlichen Transkaukasien er- reicht. Von den Gebirgsfloren abgesehen, lassen sich im europäischen Anteil des Eurasiaticums vier Florenbezirke unterscheiden: 2a) Der skandinavische Bezirk. Er umfaßt den Norden. Einförmige Wälder von Fichte und Waldföhre bedecken das Land; Vaccinien, Calluna, Linnaea wuchern im Unterholz, zahlreiche arktische und sub- arktische Elemente sind der Flora bei- gemengt. Von Laubbäumen kommt einzig der Birke und den Weiden eine größere Be- deutung zu. Ganz im Süden erscheinen i Vorposten der baltischen Flora. Stiel- eiche, Buche und Hasel; zunächst in sehr zerrissenem Verbreitungsgebiet. Corylus Avellana L. war, wie die sorgfältigen Unter- suchungen von G. Andersson ergeben haben, früher reichlicher vorhanden und hatte ein geschlosseneres Areal. 2b) Der baltische Bezirk. Er entspricht dem zentralen Teile: Ostseeprovinzen, Polen, Deutschland mit Böhmen, Nordschweiz, Belgien und Holland. Bezeichnend ist das stärkere Hervortreten der Laubhölzer. Die Nadelhölzer sind hauptsächlich auf die mittel- deutsche Gebirgsschwelle (Fichte) oder auf Sandbodengebiete (norddeutsches Flachland) zurückgedrängt. Li ihnen ist die Kiefer (Pinus silvestris L.) die tonangebende Art. ' Für den baltischen Bezirk charakteristisch ist die norddeutsche Heidelandschaft, wie sie in besonders typischer Weise in der Lüneburgerheide entwickelt ist. Mit zu- nehmender Bodenfeuchtigkeit siedelt sich Torfmoor (Sphagnum) an; so entstehen lausgedehnte Sphagneten (Heidemoore, Hochmoore) mit ihrer so bezeichnenden Be- i gleitflora von Porst (Ledum palustre L.), Rauschbeere (V a c c i n i u m u 1 i g i n o s u m L.), lAndromeda poliifolia L., Drosera- ' Arten, usw., Litorella lacustris L., jLobelia Dort mann a L. usw. — Neben den echten Heiden treten auch Grasheiden (Molinieten, Calamagrostis-, Aera- und Nardusheiden) und Waldheiden auf, in den letzteren spielen die Waldföhre mit I Juniperus communis L., Arctosta- jphyllos, Vaccinium Myrtillus L. und ' V. Vitis Idaea L. als Unterholz, oder aber ! Birke und Eiche die führende Rolle. D ie Hauptheidegebiete sind (P. Gr ae b n e r) i die Niederlausitz, Nordwestdeutschland von ; der Zuidersee und den Gegenden nördlich 1 vom Teutoburger Walde bis zur unteren Elbe, Schleswig-Holstein und die Küsten- gebiete am Südufer der Ostsee. Die großen Flußtäler werden von ausgedehnten Niede- j r u n g s m 0 0 r e n (Flachmoore, Wiesenmoore) I begleitet, in ihnen treten besonders Sauer- gräser, Phragmites und Phalaris bestand- bildend auf. Im baltischen Bezirk findet eine größere Zahl östlicher Arten ihre Westgrenze, so z. B. in Ostpreußen Anemone patens L., i A. pratensis L., Ononis hircina L., Agrimonia pilosa Led. Bis zur Mark Brandenburg dringen vor: Campanula sibirica L. und Adenophora liliifolia Ledeb. Geographie der Pflanzen (Florenreiche) 7!>7 2c) Der pontische Bezirk umfaßt den Südosten, insbesondere die Niederungen Oesterreich-Ungarns und ihre Nachbar- länder. Dieses Gebiet ist durch die Zunahme der sommerlichen Trockenperiode aus- gezeichnet. So zeigt die Flora xerophytische Anklänge, im südlichen Teil nimmt sie gerade- zu Steppencharakter an (Grassteppen mit Stipa). Bei vielen Arten dieses Floren- bestandteiles wird das weitere Vordringen nach Nordwesten durch die zunehmende Feuchtig- keit behindert. Eine Art nach der anderen bleibt zurück, so klingt längs des Oder-Elbe- und Donautales diese Flora allmählich aus; Reste lassen sich jedoch noch bis ins Höh- gau und nach ' Nordzürich nachweisen. A. Grisebach charakterisiert den pontischen Bezirk durch das häufige Vorkommen der Zerreiche (Quercus Cerris L.), doch auch andere Eichen sind weit verbreitet. Als weitere Charakterbäume kommen in Be- tracht; Silberlinde (Tilia argentea DC), Hopfenbuche (Ostryacarpinifolia Scop.), tatarischer Ahorn (Acer tataricum L.), dessen Verbreitungsareal sich nach Osten bis zur Wolga erstreckt. Auch unser gemeiner Flieder (Syringa vulgaris L.) hat seine Heimat in der "westpontischen Waldregion, besonders an der unteren Donau, in der Um- gebung des Eisernen Tores. Perücken- strauch (Cotinus Coggygria Scop.), Weichselkirsche (Prunus Mahaleb L.), Blasenstrauch (Colutea arborescens L.) und Pimpernuß (Staphylea pinnata L.) sind häutig. Von Nadelhölzern ist die Schwarzföhre (Pinus nigra Arn. ssp. austriaca A. G.) bezeichnend, ihr Massen- zentrum liegt in den westlichen Teilen des Wienerbeckens und im kroatischen Karst- land. All diese Wälder sind licht, beherbergen eine lockere Grasnarbe; starre Festuca und Sesleria sind vorherrschend. In zahlreichen Arten sind auch die Gattungen Astragalus, Cytisus, Telekia, Centaurea, Achillea und Artemisia vertreten, ja selbst die Gattung Glycyrrhiza (Süßholz) strahlt aus dem ostpontischen Gebiet bis in die Donau- länder aus. Inseln pontischer Florain Zentral- europa sprechen dafür, daß dieser Floren- bestandteil einst (aquilonare Periode n. A. V. Kern er) erheblich weiter, nach Norden und Nordwesten vorgeschoben war. G. v. Beck hat auf die engen Beziehungen der westpontischen Flora zur Karstflora hin- gewiesen. Es handelt sich jedenfalls um einen alten Florenbestandteil, der vor oder zwischen den Glazialzeiten die Alpen um- gürtete. Eine Reihe anderer, systematisch oder pflanzengeographisch ganz isoliert stehender Typen, zeugen ebenfalls für ein höheres Alter dieser Flora. Dahin gehört der in Süd- kroatien (Velebit) nachgewiesene Rosaceen- strauch Sibiraea croatica A. v. Degen; eine zweite Fundstelle wurde 1905 in der Herzegowina entdeckt. Das bisher mono- typische Genus war früher nur aus dehi Altai und Tientschan bekannt (S, laevigata [L.] Max.). Die neuentdeckte Pflanze ist übrigens von dieser Art so wenig verschieden, daß ihr systematisch wohl nur die Bedeutung einer Rasse zukommt. Hierher ist auch zu erwähnen Rheum Rhaponticum L., vom Rilodagh und Rhodopegebirge; es ist eine Art, die im altaischen Gebiet auch in die Steppen herabsteigt. 2d) Der atlantische Bezirk. Er folgt dem atlantischen Küstengebiet und dringt nach Osten etwa bis in die Westschweiz und zur Rheinlinie vor. Er ist durch seine größere Feuchtigkeit und sein ausgeglicheneres Klima, mit kühleren Sommern und besonders mil- deren Wintern ausgezeichnet. Die Buche gelangt hier zu üppigster Entfaltung. Der Buchenwald beherbergt eine größere Zahl bezeichnender Begleitpflanzen, so Asperula odorata L., Mercurialis perennis L., Sanicula europaeaL., Allium ursinura L., Milium effusum L., usw. Als Wahr- zeichen der atlantischen Gruppe kann die frostempfindliche Stechpalme (Hex Aqui- folium L.) gelten. Dank dem Einfluß des Golfstromes geht sie an der norwegischen Küste bis zum 63'' N., ihre Ostgrenze verläuft alsdann über Rügen zum Nordraiul des Harzes, längs der Ostseite des Schwarzwaldes zum Nordufer des Bodensees um weiter dem Nordfluß der Alpen zu folgen. Auch die Schmerwurz (Tamus communis L.) ist als atlantische Art anzusprechen, ebenso Digitalis purpurea L., Sarothamnus scoparius (L.), Wimmer ex Koch, Castanea sativa Mill.; Teucrium Scorodonia L. geht östlich bis zum Böhmer- wald, Calamintha officinalis Mönch nur bis zum Albgebiet. Vorwiegend vom atlantischer Verbreitung sind ferner der Buchs (Buxus sempervirens L.), Cen- taurea nigra L., Carex strigosa Huds. Das Wechsel volle Relief Mitteleuropas mit seinen Tiefländern, Hügeln, Bergland- schaften und dazwischen liegenden Frucht- becken, die zahlreichen großen Flußtäler, die nach allen Seiten ausstrahlen und be- quem Uebergänge gestatten, die vielen großen und kleinen Seen ermöglichen auch der Flora in raschem Wechsel mannigfache Besiedelungsmöglichkeiten und liefern ihr sich vielfach durchkreuzende Wanderungs- bahnen, so daß fast in jedem Florenbezirk mehr oder weniger starke Kolonien von Arten der Nachbarbezirke vorkommen. Im baltischen Bezirk erreichen folgende atlantische Arten ihre Nordostgrenze: Myrica Gale L., Erica Tetralix L;, Cicindia fififormis (L.) Delarbre, Scutellaria minor 798 Geog-raphie der Pflanzen (Florenreiche) L., Hypericum elodes L., und zwar findet, die wichtigsten Gebirgsfloren, die inner- abgesehen von den klemen Verbreitungsinselchen halb oder an der Südgrenze des kaukasischen in der Niederlausitz, der Gagelsirauch bereits -^Waldgebirges liegen. Da fallen zunächst die im östlichen Teil der Lüneburger Heide seine Binnenlandsgrenze. Weiter östlich hält er sich streng an den Küstensaum der Ostsee. Am weitesten ins Innere des Binnenlandes gelangen Erica Tetralix L. und Myriophyllum alterniflorum DC, erstere findet schon vor beiden Meridiangebirge: Kjölen und Ural auf. Pflanzengeographisch sind sie alsWander- linien der arktischen Flora nach südlicheren Breiten von Bedeutung. In Skandinavien besitzt das südnorwegische der Oder, letztere an der untersten Weichsel Hochland bis etwa zur Breite von 60" N. eine ihre Ostgrenze. Mit diesen Linien kreuzen i sehrreiche Glazialflora: Empetrum,Diapensia sich die Verbreitungsareale pontischer Arten, j lapponica L., Phyllodoce taxifolia Salisb., die im norddeutschen Flachland ihre Nordwest- ' Cassiope hypnoides (L.) Don., Dryas octo- oder Nordgrenze erreichen. Es sind: Anemone '. petala L., Potentilla nivea L., Pedicularis pratensis L., Silene chlorantha (Willd.) lapponica L. Beachtenswert ist, daß am Fuß Erh., Scorzonera purpurea L. und Cytisus ! der gleichen Fjelde, die diese Vertreter der nigricans L. Am weitesten nach Westen geht i hochnordischen Flora aufweisen, Bürger des Anemone pratensis L. , sie überschreitet noch die untere Elbe und dringt bis in den Harz vor. Der atlantische Bezirk ist besonders an seinem Westrande durch das Vordringen wärmeren, atlantischen Europas auftreten. Einen noch erfolgreicheren Vorstoß nach Sü- den macht die arktische Flora im Ural. Dieses Element läßt sich nahezu ohne Unterbruch bis etwa zum 58" 40' N. verfolgen. Aber selbst zaJ.li.icher n^d^erranerTypen ausgezeichnet. ^,;:-S ^^ ^S^l^^^'^räen^iZ Die btemeiche (Quercns Hex L.) und die ij^g j^.g^^pi (^599 j^^ m^d des Jamau Tau (1646 m) Seestrandföhre (Pinns Pmaster Sol.) er- 1 bei ca. 54"20'N.: Juniperus nana Willd. reichen die Bretagne und sind im ganzen Vaccinium uliginosum L., Betula nana L. Unterlauf der Loire, sowie im Garonnebecken, ! (bis 59" N.), Empetrum nigrum L. In nächster mit Ausschluß der Quellgebiote anzutreffen. Nähe dieser arktischen und der silvestren Flora Ja selbst C'ornwall und Südwestirland be- des südlichen Ural drängen sich aus den nahen herbergen eine Keihe bezeichnender Mittel- trockenen Niedemngen der aralo-kaspischen De- meerpflanzen, wie z. B. Arbntus Unedo i P^'^^^^ '^l^/ Steppenelemente vor. L., Lavatera arboreaL., Ulex enropaeus I _£P!S^*.r.iif Z.^" ^^JT^-^l: L., Rubia peregrina L., dazu gesellen sich einige ausschließlich oder doch vor- wiegend atlantische Elemente: Daboe- cia polifolia Don., Erica ciliaris L. und E. vagans L., Simethis planifolia (L.)G.G., SaxifragaumbrosaL., Euphor- bia hiberna L. Laubholz- ^renze trägt die Flora den Charakter Älittel- europas. Mit zunehmender Höhe nimmt auch die Zahl der Bergpflanzen zu: Centaurea montana L., Saxifraga rotundifolia L., Ranunculus lanuginosus L., Digitalis am- bigua Murray, Vicia dumetorum L., Lilium Martagon L. An den Seegestaden und in den großen Flußtälern haben sich unter dem Einfluß I des lokal whkenden, bevorzugten See- und Großbritanniens Vegetationsbilder sind zwar ; PöhnklimasKolonien sütUicher Pflanzen (Thermo- sehr emförmig, für den Pflanzengeographen I phyten), die an die Wärme höhere Ansprüche hat aber diese Flora durch ihren starken Misch- machen, angesiedelt. Zu dieser Gruppe gehören: Charakter ein ganz besonderes Interesse. Außer \ Juniperus Sabina L., Hypericum Coris L., dem baltischen Grundstock und den erwähnten zahlreichen mediterranen und atlantischen Be- standteilen finden sich noch arktisch-alpine und selbst amerikanische Elemente vor. Das Zentrum der arktisch-alpinen Flora mit Silene 1 beschränkt. Evonymus latifolius (L.) Mill., Colutf arborescens L., Coronilla Emerus L., Asperula taurina L. usw. Auch die zahme Kastanie ist in den Nordalpen auf diese Zone acaulis L., Dryas octopetala L., Saxifra i Als geschlossener Wald geht die Buche cernuaL Saxifraga rivularisL., Saxifraga , höchsten! bis zu 1300 m, als Einzelbaum erreicht oppositifoha L., GnaphaliumsupinumL.,,^j^ ^^^^. ausnahmsweise 1600 m; sie fehlt den Carex rigida Good. und Salix herbacea L. j ^^^^^^^ Zentralalpen. In den Voralpen herrschen fmdet sich im schottischen Hochland, doch gehen ^gg^j^^j^^^ p-^l^^^ ^^^^^ Edeltanne (Abies mehrere dieser Arten an Irlands Westküste ^j^^ ^^.^^. -^^ ^^^^ Hochalpengebieten vielfach auch bis in unmittelbare Seenahe. Arten des j Lärche und Arve; immerhin beansprucht au ' amerikanischen Typus sind: Spiranthes ^j^ ^^^^^^ ^^^ ^^.^j^^ Flächen. Auf unfruchtbare Romanzoffiana Cham., Najas Arten des j L^j-che und Arve; immerhin beansprucht auch flexilis besonders dolomitischem Boden findet man (Willd) Rostkov. u. Schmidt Eriocauloniß^ Bestände der aufrechten Bergföhr articulatum Morong. Gevvohnhch werden S-^^^^ montana Mill.); im Oberengadi; die Vertreter dieser Typen als die letzten Reste ; ^-j^^ .^^ ^.^^^^ ^^^ Waldföhre (Pinus sil- einer \orciszeittoiva, die der heutigen herrscl^^^^^^ v. engadinensis Heer.). Die den pinzenweltvorangmg betrachtet Was j^^^^^j^^l^^^. ^j^^^j -^^ Nadelwaldgürtel spärlich jedoch das amerikanische Element anbeirifft, - .^^^^^ j^^ kommen noch vor: Berg- so haben sich verschiedene Autoren auch fur^j^^^.,» ./^^^ pseudoplatanus L.) bis ca. rezente Einwanderung und Einbürgerung aus- -^qqq ^^ Grünerle (Alnus viridis [Chaix] gesprochen. -^^^ ^^ j^^^^ ^^j^^ Geißblattarten (Lonicera Werfen wir noch einen kurzen Blick auf coeruleaL., Lonicera nigra L.) bis zu 2000 m, Greographie der Pflanzen (Florenreiche) 799 Eberesche (Sorbus aucuparia L.) bis 2000 m, niohroro Weiden. Je nach Lage, Exposition, ]\lass('tit'ilu'bung, Topographie des Geländes liegt die natiiiliche Waldgrenze in den Zentralalpen zwischen 2000 und 2300 m, in den Voralpcn dagegen beträchtlich tiefer. Einzelne Bänmc, besonders Arve (im Saas bis 2585, am Monte Viso bis 2700 m) und Lärche (überengadin nach Ed. Rubel 2660 m) gehen noch weit höher. Sehr oft wird übrigens die obere Grenze des Baumwuchses durch Krummholz eingenommen. Nach Eblin bezeichnet die obere Krummholz- und Alpenrosengrenze die einstige obere Höhen- grenze des Waldes. Legföhre, die nieder- liegende Form von Pinus montana Mill. und Grünerle sind die beiden wichtigsten Typen dieser Formation. Ausgedehnte Alpen rosenbestände besiedeln besonders die IMord- hänge. Auf Kalk Rhododendron hirsutum L.,auf Urgebirge Rhododendron ferrugine um L. Mit ihnen wechseln ab halbstrauchige 1 bis 2 Fuß hohe Saliceten, von denen drei Arten zu erwähnen sind: Salix arbuscula L., Salix lapponum L. und Salix myrsinites L. Die letzten Vertreter der Holzpflanzen bilden die alpine Zwergstrauchheide, sie zeigt zahlreiche arktische Anklänge und besteht aus kaum spannhohen, meist mehr oder weniger dem Boden angepreßten, zum Teil immergrünen Kleinsträuchern: Gletscherweiden (Salix retusa L., Salix reticulata L.), Loiseleuria, Empetrum, Vaccinium uliginosum L., Dryas, Juniperus nana Willd. usw. Ungemein reich und farbenprächtig ist die alpine Matte. Primeln, Mannsschilde, Enzianen, Alpenaster (Aster alpinus L.), Alpenvergißmeinnicht(Myosotisalpestris Schmidt), Silenen (Silene acaulis L.), Anemonen (Anemone alpina L., Anemone vernalis L.), Läusekräuter (Pedicularis verticillata L., Pedicularis foliosa L.), Rispengräser(Poa alpinaL.) und Schwingel (Festuca rupicaprina [Hackel] Kern., Festuca pumila Vill.) sind die Genera, die kaum je fehlen und meistens in mehreren Arten auftreten. In steilen Lagen und besonders in Hochregionen löst sich der zusammenhängende Rasen allmählich auf. Auf Kalk herrscht zwischen 2000 bis 2910 m der Polstersegge n- rasen (Carex firma Host.), auf Urgebii-ge etwa von 1950 bis 3000 m Krummseggenbestände (Carex curvula All.). Die drei vorzüglichsten Alpenfutterkräuter sind: Poa alpina L., die Muttern (LigusticumMutellina[L.,]Crantz, das Adelgras (Plantago alpina L.). Eine sehr würzige Futterpflanze ist auch Trifolium alpinum L. Infolge der intensiven Bewirtschaftung vieler Teile der Alpen sind die Bilder üppigster Ent- faltung der Alpenmatte stark zurückgedi"ängt; es sind Vegetationsbilder, die uns einigermaßen in jene entfernte Zeit zurückversetzen können, als der Mensch das Gebirge noch nicht besiedelt hatte, und nur Rudel von Gemsen und Stein- böcken die Ui'weide abästen. In der alpinen Stufe ist die Alpenmatte meist durch die Weide, im Bergland durch montane Fettmatten verdrängt, in beiden Fällen hat die Einwiikung des Menschen und seines Viehstandes eine Ver- armung der Flora zur Folge gehabt. Heuberge, die in Zwischenräumen von 2 bis 3 Jahren oder noch spärlicher gemäht werden, vermitteln den Uebergang zur ursprünglichen Alpenmatte. Von den weiteren alpinen Vergesellschaftungen seien iiocji erwähnt: die Karfluren in feuchten, hunidsen Depressionen, oft auf ursprünglichem Waldboden, mit stattlichen, gelegentlich manns- hohen Hochstauden (Adenostyles, Aconitum paniculatum Lam., Achillea macrophylla L.) die Lägerflora um Sennhütten und Geilstellen (Cirsium spinosissinum [L.] Scop., Aconi- tum* Napellus L., Rumex alpinus L.), die Geröllflur mit zahlreichen, an den beweg- lichen Schutt angepaßten Typen: Thlaspi ro- tundifolium (L.) Gaud., Linaria alpina (L.) Mill., Papaver alpinum L., Trisetum distichophyllum (Vill.) Pal., Saxifraga oppositifolia L. Der hochalpinen Grat- und Felsenflora gehören viele Polsterpflanzen an, so Eritrichium nanum (All.) Schrad., Silene exscapa All., Androsace alpina (L.) Lam., Cherleria sedoides L. Die acht Blüten- pflanzen, die noch oberhalb 4000 m angetroffen werden, sind: Ranunculus glacialis L. bei 4275 m am Finsteraarhorn, Achillea atrata L. bis 4270 m, Androsace alpina (L.) Lam., auf dem Lauteraarhorn 4043 m, Saxifraga muscoides L., Saxifraga biflora All. und Gentiana brachyphylla Vill. am Matterhorn bei 4200 m, und endlich Saxifraga aspera L. V. bryoides L. und Saxifraga moschata L. bei 4000 m. Besonderer Erwähnung verdient die Schneetälchenflora: Polytrichum alpi- num L. V. septentrionalis Swartz, Arenaria biflora L., Cerastium cerastioides (L.) Britt., Cardamine alpina Willd., Ale he milla pentaphylla L., Soldanella alpina L. im Kalk- und Soldanella pusilla Baumg. im Urgebirge. Der ziemlich einheitliche Gesamteindruck der Flora der Hochlagen der mitteleuropäischen Alpenländer ist nicht etwa das Ergebnis einer gleichartigen Ursprungsgeschichte, sondern nur die Folge der vereinheitlichenden Ausgleichungs- arbeit des Alpenklimas. Genetisch muß die Alpenflora als eine ausgesprochene Mischflora aufgefaßt werden. Vielfach gelingt es nur mit großer Mühe, die wichtigsten Etappen ihrer wechselvollen Einwanderungsgeschichte und die Urheimat ihrer einzelnen Bestandteile klar- ; zulegen. Schon 1866 hat H. Christ darauf hingewiesen, daß offenbar ein erheblicher Teil der Oreophyten unserer Alpen alsautochthones Element anzusprechen ist. Eigentliche Alpen- kinder sind z. B. Androsace helvetica (L.) All., mehrere Enzianen (Gentiana bavarica L., Gentiana pannonica Scop.), die herrliche Aquilegia alpina L., verschiedene Campanulae (Campanula thyrsoidea L., Campanula 'cenisia L., Campanula excisa Schleich.)* ! In verschiedenen erdgeschichtlichen Zeiten wurde dieser Grundstock durch Zuwanderung bereichert, so durch arktische (Carex capitata L., Ranunculus pygmaeus Vahl., Thalictrum alpinum L.), durch sibirische (Anemone narcissiflora L., Aster alpinus, Leonto- podium alpinum Pass.), durch aquilonare Elemente (Globularia cordifolia L., Biscu- tella laevigata L.). Aber auch das Mittelmeer (Asphodelus albus Mill., Ononis NatrixL.), ja selbst das ferne Afrika (Erica carnea L,, 800 Geographie der Pflanzen (Florenreiche) Polygala Chamaebuxus L.) haben Arten ausgesendet, die in unseren Al{3en eine neue Heimat gefunden haben und die sich offenbar daselbst nun recht wohl und heimisch fühlen. Gebirge der Balkanhalbinsel. Für den Balkan bezeichnend ist einerseits das weit bis in das nördliche Griechenland nach Süden vor- geschobene Gebiet der Sommerregen und anderer- seits das Auftreten einer größeren Zahl ganz vei'schiedener Gebirgszüge und mehr oder weniger isolierter Gebirgsstöcke. Infolge der reichlichen sommerlichen Niederschläge trägt die Vegetation der Niederungen, des Hügel- und selbst die des Berglandes noch wesentlich mitteleuropäischen Charakter, der in diesen Ländern somit bedeutend weiter nach Süden reicht, als auf der iberischen und apenninischen Halbinsel. Abgesehen von Griechenland ist die Mediterranflora haupt- sächlich beschränkt auf einen schmalen Küsten- streifen und auf Kalkgebiete, die infolge ihrer edaphischen Verhältnisse die Ansiedelung süd- licher Xerophyten begünstigen. Neben den beiden mitteleuropäischen Eichen- arten kommen auch noch Quercus cerris L. und Quercus conferta Kit. vor. Die Edel- kastanie bildet besonders auf Silikatböden (600 bis 1200 m) reine Bestände. Sehr verbreitet sind auch Schwarzföhrenwaldungen (Pinus nigra Arn.); als echte Bewohnerin der submon- tanen Stirfe steigt diese Art kaum über 1300 m an. Ist die Meereshöhe von 1200 m überschritten, so vollzieht sich ein rascher Wechsel. Wii- treten in den Bergwald, in dem neben Edeltanne (Abies alba MiU.) und Waldföhre (Pinus silvestris L.), besonders die schlanken Säulen der Picea omorica Panc. auffallen. Diese Holzart ist mit japanischen und nordameri- kanischen Sippen nächstverwandt und als Tertiärrelikt aufzufassen. Aus fossilen Funden ergibt sich eine bedeutend größere interglaziale Verbreitung. Heute ist der Baum auf die Berge (800 bis 1500 m) des mittleren und oberen Drinatales beschränkt. Auch Birke (Betula alba L.) und Buche gehören den Bergen der mösischen Länder an. Im Unterholz dieser Waldungen finden sich bereits mehrfach Typen, die auf die kaukasischen Länder hinweisen. Die Verbindung ist wohl über das pontische Gebirge und Lasistan zu suchen. Es sei nur an Prunus Laurocerasus L. (Südserbien, Thra- zien, Griechenland), an Telekia speciosa Baumg., Doronicum macrophyllum Fisch. und Senecio OthonaeM. B. ermnert; auch die Glycyrrhizaformation (Glycyrrhiza echi- 'nata L.), die sich an das Inundationsgebiet der .Ströme hält, weist auf den Orient hin. Die Roß- kastanie (Aesculus Hippocastanum L.) ■findet sich wild in Thessalien und Epirus, wie auch in Bulgarien am Nordfuß des Balkan. Die meisten Arten dieses Genus gehören dem Himalaja, China und Japan an. EinEndemismus ■ der nördlichen Balkanhalbinsel mit Ausstrahlung in die unteren Donauländer ist der Flieder (Syringa vulgaris L.). Sommergrüner Busch- wald (Sibljakformation), Fels- und Hügel- triften, öfters mit ausgesprochenen Steppenan- klängen bedecken zwischen den Waldinseln weite • Gebiete, ebenso höher im Gebirge eine sehr Teiche Bergwiesenflora. Die obere Waldstufe wird hauptsächlich von der cFichte (Picea excelsa [Lam. etDC] Link) ge- bildet, zuweilen untermischt mit Pinus montana Älill. Gewaltig entwickelte Hochstaudenfluren mit Angelica Pancicii Vand., Heracleum verticillatum Panc., Doronicum macro- phyllum Fisch, bedecken die Waldlichtungen. Eine Charakterpflanze dieser Stufe ist Pinus Peuce Grsb., deren Areal sich von Montenegro bis Ostmazedonien erstreckt, auch wohl ein Tertiär- relikt, verwandt mit Pinus excelsa Wal lieh des Himalaja. Mächtige Buchen und Fichten untermischt mit düsteren Tannen und Waldföhren, seltener auch mit Acer pseudoplatanus L., Betula alba L., Sorbus Aucuparia, Prunus avium L. und Pirus communis L. bilden bis in die Nähe der Baumgrenze jungfräuliche Urwälder. Ueber dem Waldgürtel folgen sub- alpine Gehölze. Teppichartigen Rasen bildet der Zwergwacholder (Juniperus nana Willd.), große Flächen bedeckt die kieselholde Heide Bruckenthalia spiculifolia Rchb. (bis 2300 m); die Grünerle (Alnus viridis [Chaix] DC.) bildet im nördlichen Teil kleine krummholzartige Bestände. Buche und Fichte verstrauchen. Die Rhododendrongebüsche fehlen dagegen fast ganz._ Nur im Westrhodope, im Balkan und auf der Sar Planina gibt es Alpenrosen (Rhododendron hirsutum L. und Rhodo- dendron ferrugineum L.). Rhododendron Kotschyi Simk. straldt von den transsil- vanischen Alpen und dem Banat bis ins Rho- dope aus. In der höheren Gebirgsflora tritt das arktisch-alpine Element stark zurück, doch fehlt es nicht ganz. Loiseleuria geht bis ins südkroatische Gebirge, Vaccinium uligino- sum L. erreicht noch Montenegro und den Rilodagh, Empetrum nigrum L. trifft man auf der Dinara bis zum Durmitor und auf der Vranica und dem Rilodagh. Von weiteren Arten dieser Gruppe seien noch erwähnt Saxifraga oppositifolia L., Arabis alpina L., Sib- baldia procumbens L. und Cerastium alpinum L. Auffallend groß ist die Zahl der Endemiten. Einzig für die mösischen Länder und ihre Nach- bargebiete zählt L. Adamovic 574 Endemismen auf, allerdings einschließlich der mediterranen, montanen und subalpinen Arten. Zur jung- tertiären Periode starben die empfindlichsten Arten aus, andere wurden zum Rückzug genötigt. Neue Florenbestandteile wanderten em, einzelne wurden erst heimisch nach vollzogener Anpassung. Aus solchen Typen sind die meisten Endemismen hervorgegangen. Die auffallendsten Erschei- nungen sind Pflanzen von offenbar alttertiärer Verwandtschaft; sie sind aus den Stammpflanzen durch allmähliche Anpassung an höhere Gebirgs- j lagen licrvorgegangen. Hierher die verschiedenen i systematisch und geographisch ganz isoliert ' s'teheiulcn Ramondien, ebenso die Felsen- polsterpflanze Alsine saxifraga Friv., die Hochstaude Heracleum verticillatum Panc. Einzelne dieser Endemismen besitzen ein sehr eng begrenztes Areal. 11 Arten sind auf die Rila Planina beschränkt, neun Lokalendemismen gehören der Vitosa an. Nur in der Umgebung von Razgrad-Sumen kommen 7 Arten vor; die Gegend von Burgas hat fünf Spezialitäten. Andererseits reichen einzelne Endemismen des Balkan bis in die Ostalpen (Daphne Blagayana Frey, Arabis pro.currens W. K., Silene pusilla (ieograpliie der Pflanzen (Florenreiche) 801 W. K.) oder ins Karpathensystem (Dianthus südlichen Kapverden bereits tropischen Charakter, giganteus D. Mrv., Seseli rigidum W. K.). Hier fallen übrigens die Hauptniederschläge auf den Sommer (75 %) ; bei der hohen Temperatur 3. Makaronesien. und der von Feuchtigkeit gesättigten Luft Makaronesisches Uebergangs- Vegetationsreich. | ist alsdann das Klima sehr ungesund. Die HT 1 • • * • o ^, iK^o.,.;ff fvi...i;„ ! iähi'liche Regenhöhe beträgt nur 244 mm. Makaronesien ist eni Sammelbegriff für die ;J)j^ ^^^. i^^^elgruppen bieten dem Menschen gebirgigen Inselgruppen der Kapverden, der : dagegen geradezu ideale Verhältnisse. Die am Kanaren, für Madeira und die Azoren. Der | nördlichsten gelegenen Azoren haben noch ein Grundstock der Flora trägt mediterra-j Jahresmittel von l?^« C; mit 940 mm erreicht nen Charakter. Neben zahlreichen Mittel- 1 die jährliche Regenhöhe nahezu den vierfachen meerpflanzentretenvieleNeo-Endemismen! Betrag von derjenigen der Kapverden, auf, die sich vielfach als insular-atlantische 1 Auf den Kapverden ist das Aussehen Varietäten mediterraner Arten erweisen. Die der Vegetation, während des größten Teils Sondernng ist aber öfters bereits bis zur Art- des Jahres, geradezu wüstenhaft. Mit den bildung vorgeschritten. Als insnlar-atlan- { Purpurarien, den östlichen kanarischen tische Species mediterraner Verwandtschaft j Inseln(Lanzarote,Fuerteventura), liegen sind beispielsweise Artemisia canariensis 1 sie dem afrikanischen Kontinent am nächsten. Lees., Pancratium canariense W. et B., Die Niederungen sind bedeckt mit einem fast Tamns edulis LoAve anzusprechen. Bis zur baumlosen dürren Steppenland, dessen Flora höheren Gipfelfldra der Inseln läßt sich diese ! manche Anklänge an diejenige der benach- pflanzengeographische \'erwandtschaft ver- ' harten Sahara zeigt. Dies gilt ganz besonders folgen. Dazu gesellen sich in den tieferen Lagen I für die Kapverden, auf denen der tropisch- ein recht ansehnliches Kontingent paläo- afrikanische Steppenwüstencharakter der tropisch-afrikanischer Elemente, in- j Küstengebiete sehr ausgesprochen ist, in- dessen boreale und neotropischeFloren- dessen die obere Busch- und Strauchstnfe mit bestandteile zwar nicht fehlen, doch ent- einzelnen Drachenbäumen durchsetzt wird, schieden stark zurücktreten. Eine lange | und ein mehr kanarisches und lokal- Isolierung der Inseln hat zu einer sehr eigen- endemisches Gesamtfazit hat. artigen JFlorenentwickelung geführt. Auf- 1 Die bezeichnendsten Formationen der Tief- fallend ist das Vorhandensein einer größeren : lagen der Kanaren und Madeiras sind die Anzahl von Tertiärrelikten, die in nah- j afrikanische Sukkulententrift mit Eu- verwandten Typen im Pliocän Südeuropas phorbia canariensis L. und Kleinia nerii- nachgewiesen und in ihren Formen völlig fojia Ha w. als Leit-, mit zahlreichen Blatt- erstarrt sind. Hierher der Drachenbaum sukkulenten (hemperviven) als Chaxak er (Dracaena Draco L.), die kanarische Dattelpalme (Phoenix Jubae Webb), die kanarische Föhre (Pinns canarien- pflanzen, die dürre Strauchsteppe, mit vielen Rutengewächsen (Convolvulus sco- parius L. f., Reseda scoparia Brouss., drei Ephedren, Retama rhodorhizoides W. iis Ch. Sm.). Bezeichnend ist ferner das j piocama pendula Ait. und Filzpflanzen Auftreten zahlreicher aktiver Paläo- (Sideritis canariensis L.), und die xero- endemiten, das trifft besonders zu für die phytische Steintrift, in der als häufigste Gattung Sempervivum und ihre nächst- 1 Typen mehrere An dropogonaTten auftreten, verwandten Genera. Sie zählen 60 ende- 1 J? der montanen Stufe herrscht die Erica- • , . , I-,- TT' u- +-11 • 1. I Macchie (Ericetum). In den tieferen Lagen mische Arten. Die Echien entwickeln sich i .. . „^ ^;„ i\t„.„i,;. - - zu stattlichen Sträuchern (13 Endemen) die Gattung Sonchus ist durch die 14 ende mische Arten aufweisende, baumartige Sek tion „Dendrosonchus" vertreten, usw. Das Klima Makaronesiens trägt einen aus gesprochen ozeanisch-subtropischen Charakter ist dagegen die Macchie nur noch auf Schluchten beschränkt; einst wird sie schon zwischen 200 bis 400 m weithin die Abhänge bedeckt haben. Neben den Sukkulenten stellen die Sklero- phyllen ein Hauptkontingent der Flora. Lederblätter haben Ar butus canariensis Veil., Die Niederschläge sind gering und nehmen von j Laurus canariensis W. B. usw., ferner mehrere Norden nach Süden beständig ab, sie fallen mediterrane Species: Oleaster, Daphne meistens im Winter, der Sommer bleibt nahezu GnidiumL. Groß ist auch die Zahl der C ha mä- regenlos. Häufige, trockene Winde, die zuweilen phyten, besonders auf der Steintrift. Fast all als Wüstenwinde (Harmattan, Leste) wehen, diese Klemsträucher zeigen xerophy tische An- verschärfen den xerophytischen Gesamtcharakter { passungen, die aber recht verschiedene Wege der Flora. Das Klima hat somit viel Aehnlichkeit einschlagen können: Trichoph>llie, Mikrophyllie, mit dem der südlichen Mediterraneis, unter- Nadelblätter, Rutenpflanzen. Eüie sehr auf- scheidet sich aber durch den erheblich ausge- ; fallende Erschemung ist die große Zahl der glicheneren Teinperaturgang. Die südlichsten ; Federbuschgewächse, die den verschiedensten und nördlichsten Inseln zeigen übrigens recht : Verwandtschaftskreisen entstammen, es sind große Unterschiede, die deutlich im allgemeinen kandelaberartig aufgebaute Bäume und Sträucher, Charakter der Flora zum Ausdruck kommen, deren Aeste mit einem dichten Federbüschel ohne jedoch den florengeschichtlichen Zusammen- schmaler Blätter abschließen. Als Beispiele hang des Archipels wesentlich «u verändern, mögen dienen: der Drachenbaum, Kleinia Mit einem Jahresmittel von 24,5" C haben die neriifolia Haw., einer der häufigsten Endemen, Handwörterbuch der Natunvissenscliaften. Band IV. 61 802 Geograpliie der Pflanzen (Florenreiche) ferner Euphorbia regis Jubae Webb, sowie Echium virescens DC. Der Federbuschtypus wird heute allgemein als Anpassung an die nachteilige Einwirkung des Windes betrachtet. Bezeichnend ist auch das häufige Auftreten dieser Gewächse an windoffenen Standorten. Typische Windformen gehören übrigens auf den Inseln durchaus nicht zu den Seltenheiten; berühmt sind die prachtvollen Windbäume von Juniperus phoenicea L. von Dehese, der äußersten windgepeitschten Westspitze Hierros. Die reichste Entfaltung erlangt die makaronesische Flora auf den westlichen Kanaren, den sogenannten Fortunaten oder Hesperiden und auf Madeira. Auf Teneriffa sind drei Höhenstufen zu unterscheiden: 1. Die basale Stufe. Sie geht bis ca. 800 m Meereshöhe, d. h. bis zu derjenigen Höhe, wo gewöhnlich die Passatwolke zu schatten be- ginnt. Es sind zwei Unterabteilungen zu unterscheiden: a) Die subtropische oder afrikanische Substufe bis ca. 400 m und b) die mediterrane Substufe von 400 bis 815 m. Die basale Stufe ist auch das Gebiet intensivster Kultur, die allerdings nur durch Bewässerungsanlagen möglich ist. Den all- gemeinen Charakter der afrikanischen Strauch- trift haben wir bereits kennen gelernt, die häufigsten und bezeichnendsten kanarischen Endemen gehören dieser Vergesellschaftung an. Die Felsen derBarrancos schmücken zahl- reiche endemische Semperviven. Bemerkens- wert ist auch die große Zahl von Holz- pflanzen aus Familien, die bei uns nur krautig entwickelt sind, so z. B. das kanarische Edelweiß (Allagopappus dichotomus Cass.) eine Komposite, Odontoglossum sericeum C. Schultz, ein herrlicher über meterhoher Kleinstrauch mit sil))erbehaarten Blättern und talergroßen goldgelben Blüten- köpfchen. Es sei ferner erinnert an die strauchigen Echien, die baumartigen Euphorbien und Semperviven (S. arboreum L.). Dieser Stufe gehört auch die kanarische Dattelpalme (Phoenix Jubae [Webb] Christ) an, eine Erscheinung von hervorragend ornamentaler Wirkung. Auch der Drachenbaum (Dracaena Draco L.) ist ursprünglich eine Charakterart der Barrancos. jetzt aber fast nur noch angepflanzt anzutreffen. Diese mächtige, monokotyle Baumgestalt war im älteren Tertiär auch in Mittel- und Südeuropa durch mehrere nahe- verwandte Arten vertreten. Vermehrte Feuchtigkeit, größere Wärme, stagnierende Luft gewähren den Barrancos gegenüber den freien Lagen der Strauch- trift etwas abweichende Lebensbedingungen. Hier findet man auch mehrere Senecioarten aus den Sekt. Cineraria, alles kanarische Endemismen und Stammpflanzen der so beliebten Gartencinerarien. Sehr lokali- sierte Barrancosträucher sind die endemischen Dorycnien der Sektion Canaria. Auch Labiatensträucher aus der Gattung Bystro- pogon (6 Endemismen) besiedeln öfters die Felsschluchten. Besonders reich ist die Farnflora. Die zwei auffallendsten Erschei- nungen sind Adiantum reniforme L., ; deren starres Blatt von Talergröße auf 1 dünnen, elastischen, glänzend-schwarzen Stielen federt und von Meximieux im Plio- cän von Lyon nachgewiesen worden ist, und die extrem xerophytische Davallia cana- riensis Sm.; die Wedel entwickeln sich aus den fingerdicken, schuppigen Rhizomen erst, wenn Hitze und Dürre ihren höchsten Gracl erreicht haben. Selbst die Strandflora ist \ reich an Eigentümlichkeiten. Vor allem fällt ' die gewaltige Entwickelung (15 Species) der Gattung S tat ice auf, sie bewohnt besonders die Strandfelsen. St. arborescens Brouss. I bildet kleine, bis manneshohe Bäumchen. I 2. Die montane Stufe. Sie erstreckt sich von 700 bis 2000 m in Nordlage und von 800 bis 1600m inSüdlage,es ist die,, Wolken- region" H. Christs, wo in der Regel die I Passatwolke lagert. Ausgiebige Beschattung, ' geringere Temperaturen, vermehrte Nieder- schläge bedingen gegenüber der Niederung '] ziemlich veränderte Lebensbedingungen. a) Der Lorbeerwald. Er besitzt den Charakter eines temperierten Regen- waldes. Berühmt ist besonders der Wald von Agua Garcia. Nach Schimper geben diese Wälder eine vorzügliche Vorstellung des Tertiärw^aldes von Europa zur Miocän- und Pliocänzeit. Die drei wichtigsten Holz- arten sind Lorbeerbäume: Persea indica Sprengel, Laurus canariensis W. et B. und der Til, Oreodaphne foetens Nees.; dazu gesellen sich bis 20 m hohe Bäume der Erica arborea L.; Myrica Faya Ait., fällt durch seine buschige Krone glanz- loser breitlanzettlicher Blätter auf. Pleio- meris canariensis DC. ist durch kleine, kanliflore Blüten ausgezeichnet. Visnea Mocanera L. f. ist eine monotype Tern- stroemiacee; eine glanzvolle Gestalt ist Hex platyphylla Webb mit schweren, rund- ' liehen bis handbreiten, starren Blättern von höchstem Glanz. Im Unterholz sammeln wir Viburnum rugosum Pers., Phyllis nobla L. (Rubiacee); die seltene Urticacee Gesnouinia arborea Gaud. sucht den tiefsten Schatten auf. Als Lianen durch- ziehen Convolvulus canariensis L., Smilax mauritanica W. et B., S. cana- riensis Willd. und Ruscus androgynus L. den Wald; ganz besonders fällt aber die große Zahl stattlicher Farne auf. Wood- wardia radicans (L.) Sw. bildet bis 3 m lange Wedel. Es ist ein Tertiärrelikt, der in nahverwandten Arten im Miocän und Pliocän Zentraleuropas vorhanden war. Am Waldes- saum sieht man die wunderbaren roten Glocken Geographie der Pflanzen (Florenreiche) 803 der Canarina Campannla L., einer der merkwürdigsten und schönsten kanarischen Endemen. b)pie Hartlaubgehölze. Sie sind von sehr einförmiger Zusammensetzung (niedriges Ericetum) und bedecken weite Flächen. c)Der Pinar. Er wird gebildet vonPinus j canariensis Chr. Sm., die systematisch zur amerikanischen Sektion Taeda gehört, | ein uralter Reliktenendemismus, der mit dem | sterilsten Lavaboden vorlieb nimmt und eine geradezu bewunderungswürdige Lebens- 1 Zähigkeit entwickelt. Seine Hauptverbrei- 1 tung umfaßt die Höhenlage von 1600 bis ' 2100 m. Der Unterwuchs ist ziemlich dürftig. Bezeichnend sind neben denMacchien- elementen, der „Codezo" (Adenocarpus viscosus W. u. B.) mit verkürzten, gold- gelben Blütentrauben und der „Escolon" (Cytisus proliferus L. f.), der bis 5 m hohe Bäumchen bildet und in der Blüte an die Obstgärten der deutschen Heimat erinnert. An der oberen Grenze des „Pinar" erhebt sich als Seltenheit, meist in uralten Exemplaren der „Cedro" (Juniperus Cedrus W. et B.j, heute nur noch auf Teneriffa und Palma anzutreffen. 3. Die Oreophytenstufe. Sie ist die „Region über den Wolken", die Grenze phanerogamer Vegetation liegt bei 3200 m. Ein kontinentales Klima mit starken, täg- lichen und jahreszeitlichen Schwankungen, winterlicher Schneeperiode, kräftiger Inso- lation, extrem trockener Luft und minimen Niederschlägen sind wenig verlockende An- siedelungsbedingungen. Die Charakter- pflanze ist die Retama (Spartocytisus supranubius (L. f.) Christ), ein Ruten- gewächs, das runde, stattliche Büsche von 6 m im Durchmesser und 214 m Höhe bildet. Im Juni entwickelt der Strauch eine große Menge wohlriechender, weißer Blüten. Dazu kommen noch einige Geröllpflanzen, wie das Pikveilchen, Viola cheiranthifolia Humb. und Bonpl., Nepeta Teydea W. et B. Die Gesamtflora der Hochwüsten- [ Charakter tragenden Oreophytenstufe zählt! nur 51 Spezies. Uebrigens hat fast jede Insel ihre Besonder- i heiten. Auch die Azoren sind noch Makaronesien 1 zuzuzählen, dafür sprechen die analogen Ende- mismen, das Vorhandensein makaronesischer Macchien und das Auftreten eines allerdmgs etwas verarmten Lorbeerwaldes. Besonders beachtenswert ist das Vorkommen der Baumfarne Dicksonia Cuicita l'Herit.; auf den Bergen bedeckt die irisch-pyrenäische Ericacee D a b o e c i a Europas angehört haben, so trägt dieses Vor- kommen, wie überhaupt die Pflanzenwelt Makaronesiens, den Charakter einer tertiären Rehktenflora. Als makaronesische Elemente Portugals und Südspaniens sind zu bezeichnen: Hex Perado Ait., Luzula purpurea Link Woodwardia radicans (L.) Sm. usw. polifolia Don. große Strecken. Verweisen wir endlich noch auf die Tatsache, daß eine ganze Reihe makaronesischer Typen mi äußersten Westen und Südwesten Europas wiederkelut und emige auch weiter östlich ms Mittelmeergebiet ausstrahlen. Da die gleichen oder doch nah verwandte Arten dem Tertiär 4. Mediterraneis. Mediterraneum, Mediterranes Vegetations- reich. Die Mediterraneis fassen wir ungefähr im Sinne A. Grisebachs auf als die Küs- ten- und Inselgebiete des Mittel- meerbeckens. Nirgends dringt die ty- pische Mittelmeerflora tiefer in das In- nere der Kontinente ein ; der Ueber- gang zu den benachbarten Vegetations- reichen ist jedoch nur im Norden als scharfe Grenzlinie auch dem Laien auffällig. Im Süden und Osten erfolgt der Florenwechsel ganz allmählig, so daß es schwer fällt eine naturgemäße Abgrenzung durchzuführen. Gegenüber Mitteleuropa ist das Mittel- meerbecken durch seine höheren Tempe- raturen und durch seine sommerliche Trocken- heit ausgezeichnet. Diese beiden klimatischen Faktoren drücken dem ganzen Landschafts- und Vegetationscharakter einen von unseren nordischen Verhältnissen durchaus abweichen- den Stempel auf. Die Vegetation besitzt xerophiles Gepräge, weniger infolge der höheren Temperaturen, als bedingt durch den I sommerlichen Regenmangel. Da die jälnlichen Niederschlagsmengen einerseits von Norden nach Süden, ande- rerseits von Westen nach Osten abneh- men, so wird auch der xerophile Gesamt- charakter der Flora nach Süden und Osten ausgeprägter; ferner ist die Trocken- heit auf den im Wind- und Regenschatten gelegenen Ostseiten der Mittelmeerhalb- inseln und Inseln auffälliger als auf den ent- sprechenden Westseiten. Die Mediterraneis ist ein Gebiet periodischer Regen- und Trockenzeiten. Nur im nördlichen Teil fallen regelmäßig Regen zu allen Jahres- zeiten, immerhin bereits mit einem kleinen Manko im Sommer. Der mittlere Güi'tel |ist das Gebiet der Aequinoktialregen; I das südliche Mittelmeerbcckeii hat fast nur Winterregen. Von der jährlichen Regen- j menge fallen in den Sommermuiiaten gewöhn- jlich nur 3 bis 9%, in Oran sogar nur 2,5%; umgekehrt gehen in den Wintermonaten ! 35 bis 65% der jährlichen Regenhöhe nieder, in Jerusalem aber nicht weniger als 74,5%. Im Gebirge erfolgt eine erhebliche Steigerung der jährlichen Niederschlags- j menge, aber nur bei höheren geschlossenen Gebirgsketten. Die West- und Nordküste jder iberischen Halbinsel, der Südabhang der Alpen und die Kolchis zeigen Nieder-; ! Schlagsmengen, die das mediterrane Mittel 51* 804 Geographie der Pflanzen (Florenreiche) ■weit übertreffen; damit steht im Zusammen- hang der bedeutend üppigere Charakter dieser Landschaften. Thermisch fällt gegenüber Mitteleuropa weniger die Steigerung der Sommerwärme auf, viel bezeichnender sind die hohen winterlichen Temperaturen und die meistens recht bescheidenen Minima. Einige Lokalwinde, wie Mistral und Bora imNorden,Leveche,Sirocco undChamsim im Süden, wirken wegen ihrer großen Heftig- keit und den ihneu oigeiitümlichen Begleit- erscheinungen in nachhaltigster Weise auf die Vegetation ein. So kommt neben der Bewässerung dem Windschutz für das Kulturland der Mittelmeerländer eine große Bedeutung zu. Große Trockenheit bei hohen Wärmegraden, milden Wintern und intensiver Besonnung bilden somit das Charakteristikum des mediterranen Klimas. Es sind dies Lebensbediugungen, die natur- gemäß sowohl in den Lebensformen der einzel- nen Pflanzen, als auch im ganzen Vegetations- charakter ihren Ausdruck finden müssen. Die wichtigsten biologischen Typen, in denen uns die mediterrane Pflanzenwelt entgegentritt, sind: Therophyten (Evax pygmaea DC), Zwiebel- (Urginea mari- tima Bak.) und Knollengewächse (Orchis papilionaceus L.), Chamäphyten und Hemikryptophyten (Asteriscus mari- timus Mönch), Sklerophyten (Myrtus communis L.), Filzpflanzen (Diotis candidissima Desf.). Pflanzen mit Schuppen- (Passerina hirsuta L.) oder Nadelblättern (Erica arborea L.); Saft- pflanzen (ziemlich spärlich) und zwar bald Blattsukkulenten (Crithmum mariti- nium L.) bald Stammsukkulenten (Opuntia Ficus indica Haw.), ferner Rutenpflanzen (Spartium junceum L.); Kompaßgewächse (Lactuca scariola L.) und endlich Xerogramineen (Lygeum spartum L., Stipa tenacissima L.). All diese habituell so außerordentlich verschieden- artigen Lebensformen fallen unter den Ober- begriff der Xerophyten. Phänologisch gliedern sich diese Typen in drei Kategorien. Während und unmittelbar nach der Regenzeit ei-\vachen zuerst die Zwiebel- und Knollengewächse, die Kryptophyten und Therophyten. Wie durch Zauberschlag entsprossen sie dem noch vor wenigen Tagen steinharten und kein Leben verratenden Boden und bedecken nun die Erde mit einem außer- ordentlich üppigen und farbenprächtigen Blumen- flor; dann folgen die Holzpflanzen und aus- dauernden Gräser, den Schluß bilden Fett- und Filzgewächse, Melden rmd derbblätterige Disteln, die nun grau in grau der Landschaft im späteren Hochsommer ein äußerst monotones Gepräge geben. Die vergängliche Frühlingsflora ist längst dahin, eine Art nach der anderen fällt I der zunehmenden Trockenheit zum Opfer. Das Vegetationsbild wird immer offener und arm- seliger. Doch in der Erde schlummern ungezählte Keime und ein ganzes Heer von Erneuerungs- ; knospen ; sie warten nur auf den ersten ausgiebigen i Herbst- oder Winterregen, um zu neuem Leben zu erwachen. Florengeschichtlich sind die hartlaubigen Charakterpflanzen der Mediterraneis nach A. Engler nicht mehr dem arktotertiären Elemente zuzuzählen, denn sie wurden in i den tertiären Ablagerungen der heutigen I Arktis nicht aufgefunden, wohl aber zum Teil im jetzigen Gebiet der borealen Flora, so daß wir das die Mittelmeerflora auszeich- nende Element als boreal-tertiär bezeichnen können. Floristisch enge Beziehungen be- stehen zu bestimmten afrikanischen Ele- menten, auch einzelne paläotropische Floren- bestandteile fehlen nicht. Festzustellen ist ferner, daß der spezifisch altmediterrane Florencharakter durch die fortschreitende Zunahme des xerophytischen Areales stark am Boden verloren hat, am besten ist er noch im Südwesten der Mediterraneis (Südwest- Iberien), in der Karstflora und in der Kolchis erhalten geblieben. Ln östlichen Mittel- meer und in den südlichen Teilen der Atlas- länder gelangt das Steppenelement immer mehr zur Herrschaft, so daß die Vegetations- decke große Aehnlichkeit mit den zentral- asiatischen Steppenländern hat. Man wird I daher gut tun, das Innere von Kleinasien I und Syrien diesem Vegetationsreich zuzu- I zählen, indessen die Hochsteppen der Chotts den Uebergang zum nordafrikanischen-indi- schen Wüstenvegetationsreich vermitteln. Auf den Hochgebirgen kommt die arktische und alpin-nivaie Flora nur noch in den nörd- { lieberen Breiten etwas reichlicher vor. Entsprechend der alten Kultur dieser Region ist die Wildflora stark zurückgedrängt ] oder ganz zerstört, die stets lichten Wal- dungen sind vielfach einer unverantwort- I liehen Raubwirtschaft zum Opfer gefallen. Kahlheit der Hügel und Berge ist für weite Gebiete bezeichnend. Nur Lorbeer und Steineiche (Quercus Hex L.) bilden dichtere Wälder, in denen stets Halbdämme- rung herrscht und deren Begleit- und Unter- flora eine Reihe ombro philer Species aufweist. Der Lorbeerwald ist streng an das Küstengebiet gebunden, er scheint besonders [ dem Osten anzugehören. Ln Gebirge wird I er kaum über 300 m angetroffen. Von großer Wichtigkeit ist die Korkeiche (Quercus Suber L.); sie ist eine Charakterpflanze des westlichen Mittelmeerbeckens, im Süden wird sie zum Gebirgsbaum. Li Nordportugal und Nordspanien wird sie durch die ebenfalls Kork liefernde Quercus occidentalis J. Gay ersetzt. Der Korkeichenwald ist Geographie der Pflanzen (Florenreiche) 805 immer licht, meistens bilden Macchien das Unterholz. Als dritter immergrüner Laub- holzwald ist der Steineichenwald zu er- wähnen. Die Steineiche (Quercus Hex L.) ist eine kraftvolle Gestalt. Ein häufiger Wechsel von Lichtfülle und stimmungs- vollem Dunkel ist für diese Waldungen be- zeichnend. Im Saharaatlas ist die Art zwischen 1200 und 1800 m häufig. Im süd- lichen Teil ihres Verbreitungsareals tritt sie in der v. Ballota Desf., einer Abart mit süßen eßbaren Eicheln, auf. Einige weitere Eichen gehören dem östlichen Mittelmeer- gebiet an: Quercus macedonica A. DC. geht von Süditalien bis Mazedonien; Q. aegi- lops von Griechenland durch Kleinasien, sie dient als Gerbmittel; Q. infectoria Oliv, von gleicher Verbreitung, liefert die Aleppogallen. Nadelholzwälder bilden in der Niede- rung die Pinie (Pinus Pinea L.), die Aleppoföhre (Pinus halepensis Mill.), dieSeestrandkiefer(Pinus pinaster Sol.) und die Thuya (Callitris quadrivalvis Vent). — Die Pinie mit ihrer schirm- förmig ausgebreiteten Krone gehört zu den (^•haraktergestalten der Mediterraneis. Der Pinienwald hält sich fast immer an den Küstensaum. Der Aleppoföhrenwald ist durch das ganze Mittelmeerbecken ver- breitet, indessen der Seestrandkiefern- wald vorwiegend westmediterran ist. Calli- tris c|uadrivalvis Vent., ein Endemismus der westlichen Atlasländer, ist ein uralter Typus, dessen nächste Verwandte heute Südafrika und Australien angehören. Von Buschbeständen sind für das Mittelmeer bezeichnend die Sibljakforma- tion und die Macchie (Maquis). Die erste Vergesellschaftung bedeckt besonders in den nördlichen Uebergangsgebieten zum Eurasiaticum weite Strecken, sie besteht aus laubwerfenden*thermophilen Sträuchern. In Istrien spielt die Haselnuß (Corylus Avellana L.) eine wichtige Rolle; auch Paliurus, Cotinus, Zizyphus, Prunus Chamaecerasus Jacq. und Amygdalus nana L. kommen für die Balkanhalbinsel und zum Teil auch für Kaukasien als Leit- pflanzen verschiedener fazieller Ausbildungen der sibljakformation in Frage. Die bezeichnendste Formation aber der Mittelmeerländer ist der immergrüne Buschwald (Macchie, Monte bajo), die Hartlaubgehölze der deutschen Pflanzen- geographen. Sie sind besonders flu- die feuchteren Urgebirgslandschaften charak- teristisch, kommen aber auch auf Kalk- gebieten (Monte Argentario) vor. Be- vorzugt wird eine etwas frischere, tief- gründigere LTnterlage. Die meisten Arten sind immergrün, so Arbutus Unedo L., Cistus monspeliensis L., Cistus ladaniferus L., Viburnum Tinus L., Pistacia Lentiscus L., Olea europaea L. V. Oleaster DC; doch kommen auch sommergrüne Arten vor(Cytisus triflorus l'Herit.). Von Gymnospermen trifft man Juniperus Oxycedrus L. und J. phoeni- cea L. in baumförmigen Individuen, an Bachläufen siedelt sich der Oleander (Nerium Oleander L.) an; dazu kommen noch einige Erikoiden (Erica arborea L., E. scoparia L.). Als Stachelsträucher be- merkt man die Genera Calycotome und Ulex. Ganz besonders fällt aber die große Zahl stacheliger Schlingpflanzen auf, die wesentlich zur Undurchdringlichkeit üppiger Macchien beitragen. Asparagus acutifolius L., Smilax aspera L., Rosa sempervirens L. Ohne Stacheln sind: Clematis cirrhosa L., Lonicera implexa Ait. Vielerorts vermag die Macchie wenig- stens einigermaßen den fehlenden Wald zu ersetzen. Besonders schön ist sie in Westkorsika entwickelt. Die meisten Arten sind durch das ganze Mittelmeerbecken ver- breitet. Sehr große Strecken bedecken die Garigues und Felsenheiden, sie begnügen sich mit flachgründigerem, trockenerem und steinigerem Boden. Es sind mehr oder weniger offene Vergesellschaftungen von Zwiebelgewächsen, Kleinsträuchern, Stauden und Kräutern; auch viele einjährige Pflanzen i stellen sich ein. Die Garigues bilden das I Bindeglied zwischen typischer Macchie und Felsenheide. Sie entsprechen denTomillares der Spanier, welche hauptsächlich aus nie- deren Halbsträuchern (Thymus, Teu- crium, Sideritis,Lavandula, Santolina), also hauptsächlich aus Labiaten bestehen. Die Flora dieser Vergesellschaftungen ist außerordentlich reich und zeigt einen regen Wechsel, oft auf kurze Entfernungen. Die meisten Endemismen der Niederungen der Mediterraneis gehören diesen Formationen an. Auffallend ist ferner der rasche Ver- lauf des Vegetationszyklus und andererseits das massenhafte Auftreten vieler Arten; letzteres gilt sogar für Pflanzen von ganz lokal begrenzter Verbreitung. Als besonders bemerkenswerte Typen kommen in Betracht: Die Palmitof ormation. Leit- j pflanze ist die Zwergpalme (Chamaerops humilis L.), die einzige spontane mediterrane Palme und zugleich eine spezifisch westmecü- terrane Facies der Garigues. In vornehmer Pracht beherrschen Asphodillfluren (Asphodelus i microcarpus Viv.) weite Länderstrecken. Die Passerinaheide (Passerina hirsuta L.) besteht aus meterhohen Büschen mit zypressen- artigen, dem Stengel dachziegelig angedrückten Schuppenblcättern. Auffällig kontrastiert damit die : Helichrysumheide(HeIichrysumStoechas [L.] Cav.); in grauweiß bis schneeweiß bedeckt I sie den Abhang. Die Lavendelheide (Lavan- 806 Greog-raphie der Pflanzen (Florenreiche) dula Stoechas [L.] Cav.) besteht aus emer etwas über Fuß hohen weißfilzigen Staude, deren kleine unscheinbare Blüten von einem Schopf stark vergrößerter, lebhaft violett ge- färbter Deckblätter überragt werden. Zu den farbenprächtigsten Gestalten der Felsenheide gehört ;\Iatthiola tricuspidata R. Br., ein niedriger, dicht weißwolliger Kreuzblütler mit intensiv violetten Blüten, der oft ganze Mulden wie Reinkulturen erfüllt. Von weiteren Charakterarten seien noch erwähnt: Rosmarinus officinalis L., Globularia alypum L., Quercus coccifera L., Thymus vulgaris L. DieFelsenheide kann aber auch sehr reich gemischt sein. Sie gewährt alsdann zur Blütezeit ein farbenprächtiges Bild, das seinesgleichen sucht. Bei Kap Pertusato an der Südspitze von Korsika, auf den Hügeln nördlich von Lalla Marnia an der marokkanischen Grenze haben wir solche reichhaltige Vegetationsbilder kennen gelernt. Als Variante wäre noch zu erwähnen die Vege- tation der Block meere. Im Windschutz der Blöcke, wo etwas mehr Erde angesammelt ist und der Boden längere Zeit feucht bleibt, siedeln sich Riesenstauden an. Ferula nodi- flora L. wird bis 5 m hoch. An solchen Stand- orten sind auch Thapsiaarten, Athamanta sicula L., anzutreffen, hin und wieder erheben sich die purpurnen Blütentrauben der Digitalis purpurea L. oder die prachtvollen Blütendolden emer Amaryllidacee (Pancratium illyricum L.). Die Zwischenräume werden ausgefüllt von den graufUzigen buschigen Halbsträuchern der Santolina chamaecyparissus L.; Cineraria maritima L. und Bupleurum fruticosum L. gehören ebenfalls dieser Gesellschaft an. Große Mannigfaltigkeit zeigt auch die Flora des Strandes. Auf der feuchten Flugsandzone sind Crithmum mariti- mum L., Diotis eandissima Desf., Medi- cago marina L., Convolvuhis Solda- nella L., Cakile maritima Scop. an- gesiedelt. Weiter landeinwärts wird der Boden trockener. Auf den Dünen stockt öfters Pinus halepensisMill., Sarotham- nus scop ar ins Koch bildet Unterholz. Auf Salztriften trifft man neben den Sali- cornien, Suaeda fruticosa Forsk., Gomphocarpus fruticosns R. Br. und vonBänmen die beiden Tamarix. Periodisch überfluteter, feinsandig-lehmiger Boden be- herbergt eine sehr eigenartige Teichflora kleiner zierlicher Miniatnrgestalten: Cicen- dia filiformisDelarb., Heleocharis aci- cularis R. Br., Isolepis Saviana Schult. Die landeinwärts, durch Rückstauung der Flüsse entstandenen Sümpfe tragen durch- aus nordisches Gepräge. Erlen, Weiden, Schwarzpappeln sind tonangebende Ge- stalten. Das größte Interesse beansprucht die Strandfelsenflora, viele ihrer Ver- treter haben ein engbegrenztes oder öfters auch sehr zerrissenes Areal. Von Felspflanzen, welche die Felsen der Küstengebiete, be- sonders Strandfelsen bewohnen, mögen er- wähnt werden: Anthyllis barba Jovis L., Stachys marrubiifolia Viv., Euphorbia de ndroi des L., ganz besonders aber Ameria- und Staticearten. Höhengliederung : Die bisher erörterte Vegetation bildet die unterste mediterrane Haupthöhenstufe, nämlich : a) Die immergrüne oder mediter- rane Höhenstufe. Nach ihrer wichtigsten Kulturpflanze kann sie als,, Olivengürtel", nach ihrer charakteristischen Formation als ,,Macchiengürtel" bezeichnet werden. Die obere Grenze wird zumeist nach dem höchsten Vorkommen der Olivenkulturen oder der Macchien bestimmt. Anf der iberischen Halbinsel liegt sie zwischen 500 und 850 m, in Italien zwischen 600 und 700 m, in Nordafrika zwischen 800 und 1200 m, im Nordbalkan zwischen 130 und 500 m, in Griechenland bei 600 bis 800 m, im Peloponnes aber bei 1000 m, und für Vorder- asien berechnet Koch einen Mittelwert von 475 m. Im allgemeinen ergibt sich somit eine Steigerung der Höhengrenze der mediter- ranen Niederungsflora von Norden nach Süden, und eine Abnahme von Westen nach Osten. Die thermische Höhengrenze liegt im Mittel bei einem Januarmittel von 5" C. b) Die mediterrane Bergstufe. Sie ist charakterisiert durch einen regen Wechsel bestandbildender Holzarten. a) Nadelhölzer: Abies alba Mill. ist ein Gebirgsbaum der Mediterraneis, ihre Süd- grenze liegt in Sizilien bei 37° 45' N., im Osten geht sie bis zu den nordgriechischen Gebirgen und bis in den NW. Kleinasiens. Alle anderen mediterranen Abiesarten sind von bedeu- tend engerer Verbreitung. Abies Pinsapo Boiss. gehört Südspanien, A. numidica de Lannoy dem Babormassiv im östlichen Al- gerien, Abies cephalonica (Endl.) Link dem höheren Gebirge Griechenlands und der Insel Kephalonia an, Abies cilicica Ant. et Kotschy ist ein Gebirgsbaum Klein- asiens. Ganz ähnlich verhält sich die Gat- tung Cedrus, die jedoch nur den südmedi- terranen Gebirgen angehört. In jedem der drei Zentren tritt sie in einer besonderen Variante auf. Nach Osten werden die Nadeln länger und weicher, so schon in Cypern und noch mehr im dritten Verbrei- tungsgebiet im Libanon. Noch weiter vor- geschritten ist die Rassenbildung bei der Schwarzkiefer (Pinus nigra Arn.), die var. Poiretiana Ant. geht von Spanien über Korsika-Süditalien bis Kreta; v. austriaca A. et Gr. gehört den Ostalpen und dem nördlichen Balkan an; v. Salz- manni (Dunal) A. et Gr. den Cevennen und Pyrenäen, v. Pallasiana A. et Gr. der Krim und Kleinasien, v.Heldreichii Christ dem Thessalisclren Olymp, v. pindica Form, dem Pindus. Zum Verwandtschafts- kreis der P, silvestris L. ist dagegen Pinus Geographie der Pflanzen {Florenreiche) 807 nevadensis Christ zuzuzählen und P. leuco dermis Ant. bildet vom Thessalischen Olymp bis nach Dalmatien und Serbien im Norden, vielfach in der Nähe der Baumgrenze (1200 bis 1800 m) ausgedehnte Bestände, ß) Laubhölzer: Castanea sativa Mill.ist durch das ganz nördliche und mittlere Mittelmeerbecken der Charakterbaum der submontanen Gebirgswaldungen. Im Norden erreicht sie das Meeresufer, im Süden liegt die untere Grenze zwischen 300 bis 700 m. In der Sierra Nevada geht sie bis 1455 m. Graswuchs oder Pterideten begleiten die Kastanie, Als Charakterpflanzen der Unter- flora der Kastanienselven sind hervorzu- heben Cyclamen repandum Sibth., Anemone apennina L, Fagus silvatica L. greift von West- und Mitteleuropa weit ins Mittelmeergebiet hinein. NachSüden wird die Buche immer mehr zum ausgesprochenen Gebirgsbaum. Auf Sizilien erreicht diese Holzart bei 37" N. ihre absolute Südgrenze. Es ist in erster Linie die vermehrte Feuchtigkeit, welche in der Mediterraneis die Buche zum Gebirgs- baum werden läßt. In nächster Nähe ihres Aequatorialpunktes wurde am Aetna mit 2124m (Schon w.) auch ihre höchste Gebirgs- lage festgestellt. Die Begleitflora ist fast die gleiche wie in Mitteleuropa. M. Koch hat von 145 Orten je weilen die- jenige Holzart aufgezeichnet, welche in der Mediterraneis die Baumgrenze bildet. Er kommt zu folgender Reihenfolge: Fagus silvatica L. 27,6%, Abies alba Mill. 25,5%, Juniperus nana Willd. 15,87%, Picea excelsa (Lam. u. DC.) Link. 16,56%, Pinus nigra Arn. 6,9%, Quercus Ilex(L.) 3,45%, Pinus silvestris L. 2,76%. Das trifft für das mittlere und nördliche Mittelmeerbecken zu. Im Atlas fehlen nicht nur Buche und Edeltanne, sondern auch Fichte, Schwarz- und Waldföhre. Die Baumgrenze wird gebildet von der Zeder, im Saharaatlas auch von der Steineiche imd von Juniperus Oxycedrus L. c) Die Oreophytenstufe. Alpine, kurzrasige Matten sind ziemlich selten, offene Geröllfluren horstbildender Fels- pflanzen, alpine Polsterstaudentriften tonangebend. Die Bestockung des Bodens ist zumeist so spärlich, daß das Hochgebirge aus einiger Entfernung völlig kahl erscheint. Arm an Individuen, arm an Arten ist die Signatur mediterraner Hochgebirgsfloren. Trotzdem ist aber die Gesamtzahl mediterraner Oreo- phyten sehr groß, und dies dank dem ge- waltigen Endemismus dieser Höhenstufe, Auch das Auftreten zahlreicher vikarisieren- der Arten ist hervorzuheben. Vielfach hat fast jede Gebirgskette, jeder Gebirgsstock seine Eigentümlichkeiten; das gilt ganz be- sonders für die Gebirgsinseln, für Spanien und die Sierren des südlichen und östlichen Mittelmeeres. Verhältnismäßig spärlich sind arktisch-alpine Elemente. Vaccinium uliginosum L. geht bis zur Sierra Nevada, Empetrum nigrum L. bis Lucca in Italien und Lasistan in Kleinasien, Juniperus nana Willd. findet sich sogar noch in den Bergen der Atlasländer. Auf der Sierra Nevada kommen noch folgende arktisch- alpine Typen vor: Gnaphalium supinum L., Saxifraga oppositifolia L., Sibbal- dia procumbeus L., Cerastium alpinum L. und C. cerastioides (L.) Britt., ferner Alchemilla alpinaL., Arabis alpina L. und Eanunculus glacialis L, Dazu gesellen sich zahlreiche boreale Arten. Es sei nur an die Buchenwald- Begleitflora erinnert. Stattlich ist ferner die Zahl alpiner Oreophyten, die dem Norden fehlen. Am reichsten vertreten sind sie in der apenninischen und in der Balkanhalbinsel, wo die mit den Alpen verbundenen Ketten- gebirge die natürlichen Einwanderungs- linien bezeichnen. Aber auch die Pyrenäen und übrigen iberischen Gebirge Jiesitzen solche Pflanzen. Eine weitere Kategorie von Arten ist ebenfalls nordischen Ursprungs, hat aber auf der Wanderung nach S, eine mehr oder weniger tief gehende Veränderung er- fahren (z. B. Alnus viridis DC, v, sua- veolens Fiori et Paol. v. Korsika), Die arktisch-alpine Arabis alpina L, ist im südlichen und östlichen Mittelmeer durch die dicht-wollige A, albida Stev. vertreten, Potenilla caulescens L., eine sehr poly- morphe Art, bildet in den Südalpen zahlreiche Rassen und Abarten, in der eigentlichen Mediterraneis aber tritt sie in einer ganzen Reihe von Subspecies oder nahverwandten Arten auf, die meistens eine sehr enge Ver- breitung haben. So machen sich in der medi- terranen Gebirgswelt nordische und speziell alpine Einflüsse bis beinahe an deren Süd- grenze bemerkbar. Andererseits dringen spezifisch mediterrane Arten vielfach bis hoch ins Gebirge vor, oft auch wieder in um- geprägter, abgeänderter Form. Die höheren Lagen des Saharaatlas sind durch Mediterran- pflanzen charakterisiert. Von Süden fluten einzelne Saharapflanzen in das Atlas- system, und Steppen- und Hochgebirgs- gewächse dringen von Osten bis weit in das Innere der Mediterraneis vor. Es sei nur an die prachtvolle Plumbaginaeee Acantholimon Echinus L,, die noch auf den Gebirgen Griechenlands angetroffen wird, erinnert. So ergibt sich eine äußerst mannigfaltige Geschichte der mediterranen Gebirgsflora, Verweisen wir noch auf den Endemismus. Nach Grisebach sind 60% des Floren- bestandes des Mittelmeerbeckens in der Mediterraneis endemisch. Gewaltig ist der Endemismusreichtum der iberischen Halb- insel, nach M. Willkomm sind 27,1% der Geograplüe der Pflanzen (Florenreiehe) Wildflora endemisch. Für Nordafrika gibt E. Bonnet folgende Uebersicht der Ende- mismen: Marokko 8%, Algerien 15,6% (nach von Battandier nahezu 23%), Tunis 1,4% Tripolis und Cyrenaika 4,8%, Marmarika- Aegypten 3,8%. Einzelne Teile der Mediterraneis zeigen bereits ausgesprochenenSteppen Charakter, so besonders in Spanien und Nordafrika, doch erst im Osten des Mittelmeerbeckens gelangt die Steppe zur vollen Entfaltung. 5. Pontisch-zentralasiatisches Vegeta- tionsreich. Zentrasiatikum, Steppengebiet. Von jeher hat die Abgrenzung dieses Vege- tationsreiches Schwierigkeiten bereitet. A. Grise- bachs ,, Steppenreich" umfaßt alle Länder von der Donauniündung nach Zentralasien mit Einschluß von Tibet und im Osten bis zum Amur (30 bis 120" östl. L.), von der mittleren Wolga bei Syran (53" N.) im Norden bis zur Küste des arabischen Meeres in Behitschistan (26" N.). P. Ascherson schließt sich annähernd dieser Auffassung an, erweitert das Gebiet aber noch durch das untere Donaubecken, das ungarische Tiefland und Teile Westasiens. A. Englers ,, Zentralasiatisches Gebiet" dehnt dasselbe noch mehr nach Osten aus, indem auch die alpinen Teile des Himalaja, Kansu, Yünnan und Sztschewan eingeschlossen werden, dagegen schließt dieser Autor aus: a) ganz Südrußland und sogar die nordkaspische Steppe; beide werden als pontische Provinz dem mitteleuropäischen Gebiete zu- gezählt und b) Kleinasien, Syrien, Armenien, Persien, welche als Teile des Mediterrangebiets figurieren. So sehr man der Erweiterung nach Osten zustimmen kann, so wenig kann ich mich mit der Einschränkung des Areals im Westen befreunden. Südrußland möchte ich unbedingt dem ,, Steppengebiet" zuzählen. Es geht nicht wohl an, Länder, die nicht nur nahezu waldlos sind, sondern in denen selbst Versuche, Wald anzupflanzen, meistens mißlingen, als Unter- abteilung dem eurasischen Waldgebiet anzu- gliedern. Andererseits ist hervorzuheben, daß auch die inneren Teile Westasiens nicht nur ausgesprochenen Steppencharakter zeigen, son- dern in ihrem Florenbestand viel mehr Anklänge an die zentralasiatischen Länder als an das Mittelmeerbeeken aufweisen. Gerade die bezeichnendsten Mediterranpflanzen fehlen; vorherrschend sind die xerophil-rupesteren Florenbestandteile, die nach Osten weisen. Es scheint mir auch wenig zweckmäßig, die Hoch- länder Asiens pflanzengeograplusch so ausein- anderzureißen, daß ein Teil der .Mittelmeerflora, ein anderer Teil dem Zentrasiatikum und der Rest dem nordafrikanisch-indischen Wüsten- gebiet zugeteilt wird. Immerhin muß darauf hingewiesen werden, daß die Abgrenzung gegen die Mediterraneis im Westen und besonders gegen die Wüstenregion im Süden keine scharfe ist, sondern immer mehr oder weniger willkürlich sein whd. Umgrenzung: Im Westen reicht das Gebiet bis ins untere Donaubecken und mit einer Abzweigung ins ungarische Tiefland; I eingeschlossen sind Südrußland, Zentral- asien und die Gobi bis zum Chingangebirge. Die Nordgrenze verläuft etwa von Tarnopol I über Samara zum Altai, dessen Nordseite ' bewaldet ist, dessen Südseite aber Steppen- charakter trägt. Im Westen schließe ich das innere Kleinasien, etwa östlich vom 31. " östlicher Länge in unser Gebiet ein. Die Süd- grenze wird bestimmt durch das nördliche Syrien, das mit seiner regelmäßigen winter- lichen Regenperiode noch als Steppengebiet gelten darf, durch das südiranische Rand- gebirge, den Sulimandagh und den Hinia- i laja. Das so umgrenzte gewaltige Gebiet i umfaßt nahezu den vierten Teil von ganz Asien. Steppen, Steppeuwüsten und selbst ausgesprochene Wüsteiibildungen verleihen diesen weit ausgedehnten Ländereien einen einheitlichen, allerdings äußerst mono- [ tonen Gesamtcharakter. Die Zahl der Arten ist zwar recht an- sehnlich, denn der Endemismus ist wenig- ! stens stellenweise sehr stark tätig; die Be- 1 Stockung ist aber beinahe überall dürftig, weite Strecken sind oft nahezu vegetations- 1 los. Das Durchwandern dieser Erdräume I muß der Pflanzenwelt große Schwierigkeiten bereiten, um so mehr, da zu den ungünstigen klimatischen und zum Teil auch prekären edaphischen Verhältnissen die gewaltigen Gebirgserhebungen ein weiteres, die Pflanzen- wanderung erschwerendes Moment darstellen. So bildet das Zentrasiatikum einen ge- i waltigen Keil, eingeschaltet zwischen den I einförmigen, subarktischen Waldungen Nord- I asiens und dem Reichtum tropischer Vege- I tation im Süden des Kontinentes, sowie zwischen den an Arten relativ armen somnier- : grünen Wäldern Mitteleuropas , den sich daran anschließenden mediterranen Trocken- gebieten im Westen einerseits und den un- gemein reichhaltigen Mischwäldern Ost- I asiens andererseits. Mit der Mediterraneis verglichen, ver- ändert sich das Klima nach zwei Rich- tungen: es wird nach Osten immer kontinen- 1 taler und die Niederschläge sind noch weit dürftiger. Für Westturkestan gibt Ficker folgende Mittelwerte der jährlichen Regenhöhe an: Steppe (120 m Meereshöhe) 13 cm, Süd- I rand derselben (280 m) 16 cm; Ferghana (510 m) 17,5 cm, Pamirhochsteppe 12 cm. I Und an den Flanken der Gebirge: West- j rand des Thianschan (480 m) 36 cm, Nord- i rand 32 cm, Naryn Issikul (1890 m) 37 cm. ! Abgesehen von einigen extremen und aus- I nahmsweisen Fällen schwankt mithin die mittlere jährliche Niederschlagsmenge etwa zwischen 12 und ca. 35 cm, d. h. die I an Regen reichsten Gebiete der Steppe I haben ungefähr so viel Niederschläge als Murcia in der spanischen Litoralsteppe, Geographie der Pflanzen (Florenreiche) 809 einer der trockensten Orte der Mediter- 1 ran eis. j Bei diesen minimalen Niederschlags- mengen ist man überrascht, daß die Pflanzen- welt nicht noch dürftiger ist, und es nur stellenweise zur Ausbildung eigentlicher Wüsten kommt ; die Erklärung dieses schein- baren Widerspruches liegt in der vorwiegend tonig-lehmigen, zum Teil humösen oder salzhaltigen Bodenbeschaffenheit, welche das Wasser besser festhält und damit sowohl dessen Abfließen in größere, der Pflanze nicht mehr zugängliche Tiefen als auch die Verdunstung verlangsamt. Zu den sehr spärlichen Niederschlägen, mit denen eine ungemein trockene Atmosphäre verbunden ist, kommen nun als weiteres erschwerendes Moment die gewaltigen Tempe- ratursprünge, die alle empfindlicheren Mittel- meerpflanzen von diesen Erdräumen aus- schließen müssen. Je weiter man sich in das Innere des Kontinentes begibt, desto strenger wird die Winterkälte. Das Klima läßt somit drei Jahreszeiten unter- scheiden: einen langen heißen, regenlosen Sommer, daran schließt sich fast unmittelbar an der etwa fünf Monate andauernde harte Winter mit seinen Schneefällen. Um den jährlichen Vegetationszyklus abzuschließen, bleibt der Pflanzenwelt nur ein kurzer Früh- ling von etwa 3 Monaten zur Verfügung. Die Vegetationsperiode dauert mithin kaum länger als in der Arktis. In ihrer Vollent- wickelung befindet sich die Flora des europäi- schen Teiles etwa von Anfang April bis in den Juni. Im Mai gibt es zuweilen noch Fröste, die sich gelegentlich bis zu den Ufern des Schwarzen Meeres erstrecken. Der klimatische Unterschied, den die ver- schiedene Breitenlage unbedingt zur Folge haben müßte, wird ziemlich ausgeglichen durch die bedeutenden Gebirgserhebungen im südlichen Teil des Centrasiaticums. So bleibt sich der allgemeine Klimacharakter im ganzen gewaltigen Gebiet in den Haupt- zügen ziemlich gleich. Die Lebensformen der Steppe zeigen große Aehnlichkeit mit denjenigen der mediterranen Trockengebiete, immerhin sind entsprechend der größeren Dürre die An- passungen an Trockenheit verstärkt, anderer- seits gelangen einzelne biologische Typen, die in der Mediterraneis an Zahl zurück- treten, zu großer Bedeutung, dies gilt ganz besonders für die Dornsträucher und Saftpflanzen. Zugenommen haben entschieden auch die Therophyten (darunter viele Cruciferen, Chenopodiaceen). Für einjährige Pflanzen ist das Ausreifen der Samen eine Grund- bedingung ihrer Existenz. In der Steppe, wo auf die kurze normale Vegetationszeit eine lange Dinreperiode folgt, ist die voll- ständige Ausbildung der Samen völlig ge- währleistet. Einfache Hilfsmittel gegen clie Gefahr zuweitgehender Wasserabgabe findet man besonders bei kleineren oder mittel- großen Kräutern oder Stauden, so die Aus- bildung eines dichten, wollig-filzigen Haarkleides (Leontopodium alpinum Cass., Steppen Südsibiriens und Gebirge Zentralasiens), die Entwickelung starrer eingerollter Blätter mit harter Ober- haut, wie bei vielen Stipaarten und anderen Xerogramineen ; ferner das Auftreten j ätherischer Oelbehälter (Teucrium Orientale L.). Bedornte Laubblätter (Cirsium, Cousinia) sind wohl mehr als Schutz gegen Tierfraß aufzufassen. Sehr groß ist die Zahl der Zwiebel-, Rhizom- und Knollengewächse, noch auffälliger als ihre Arten- ist aber ihre Individuenzahl. Neben der roten Tulipa Gesneriana L., der weißen T. biflora und der gelben T. Biebersteiniana R. et Seh., kommen mehrere Fritillarien, Scilla sibirica Andr., Bulbocodium ruthenicum Bunge und Iris aec^uiloba Led. vor. Für diese Zwiebelgewächse erscheint selbst die kurze Dauer des Steppenfrühlings noch wie ein Uebermaß, von dem nur wenige Wochen oder selbst nur Tage zum Abschluß des jährlichen Vegetationszyklus benötigt werden. Die Sukkulenten gehören besonders dem Salz- boden an; Chenopodiaceen stehen an I erster Stelle. Zwei Typen gehören aber ganz besonders zur physiognomischen Charakteristik der zentralasiatischen Steppenländer: Ruten- i sträucher, die in sandigen Halbwüsten reich vertreten sind. Die Genera Anabasis, Brachylepis, Eremosparton (mono- typisch), C allig onum liefern dafür zahl- reiche Beispiele, auch Pterococcus aphyl- lus Korr. et Kirr, gehörte hierher; der be- I rühmteste Fall ist aber der Saxaul (Halo- xylon Ammodendron [C. A. Mey] Bunge), eine von den Aralgegenden über Turkestan bis Persien verbreitete Chenopodiacee, die grün gefärbten Reiserbündeln gleicht. Sie bildet 15 bis 20 Fuß hohe Gebüsche, mit sehr hartem, brüchigem Holz. In den Hochsteppen und Gebirgen tritt die Spartiumf orm etwas zurück, an ihrer Stelle finden sich Dornsträucher. In einer erstaunlichen Fülle von Arten, deren Massenzentrum von Anatolien bis Afghani- stan reicht, treten Tragantsträucher auf. In dem Räume zwischen Tibet, Altai und Dahurien sind es die Caraganae (Leguminosen), die an ihre Stelle treten. Durch die Ver- kürzung der Stengelglieder entstehen Polster- I pflanzen, die den Vorteil der winterlichen Schnee- decke genießen. Einzelne Arten schwitzen Gummi- harze aus. Auch das Genus Acantholimon gehört diesem Typus an. Von Süden fluten aus dem eigentlichen Wüstenterritorium Mimosen 810 Cxeograplüe der Pflanzen (Florenreiclie) ins Centrasiatikum hinein. Die stechenden Organe entstehen auf verschiedene Weise, bei Acacia albida Del. sind es umgeformte Nebenblätter, bei Prosopis Stephaniana Kunth dagegen Epidermalgebilde. Oefters ist mit der Dorn- die Rutenbildung verbunden, es sei nur an die stachelige Kamelfutterpflanze Alhagi camelo- rum Fisch erinnert. Bei Halimodendron sind die Stechapparate erhärtete Blattstiele, bei Alhagi, Balanites, Eversmannia aber verkümmerte Sprosse; bei den Acantholimon und bei Saxifraga juniperina Adams die Blattspitze. Die einfachblätterige Rosaceen- gattung Hulthemia hat Stacheln und bei der fremdartigen Draba hystrix Hook. Afgha- nistans verwesen die seitlichen Partien eines einfachen Blattes, und die Mittelrippe wird zum Dorn. ^ Bei etwas tiefgründigerem, humösem und daher feuchterem" Boden tritt in der Steppe zuweilen ein Typus auf, der in dieser Umgebung ganz fremdartig anmutet. Es sind Hochstauden von öfters geradezu gigantischen Größenverhältnissen, sie zeigen, welch energisches Wachstum in der Steppe innerhalb ganz kurzer Zeit möglich ist, so- bald nur etwas mehr Feuchtigkeit zur Ver- fügung steht. Da erheben sich besonders gegen die Ostgrenze gewaltige Rhabarber- stauden (Rheum), anderorts hochwüchsige Compositen (Echinops), über manns- hohe Dolden (Ferula) und Euphorbien (E. agraria M. B.). Für das Aralgebiet bezeichnend sind einige Gummiharze liefernde riesige Umbelliferen, wie Ferula asa foe- tida L., Nartex asa foetida Fale, Dorema ammoniacum Don.; auch der Sumbul gehört zu diesen mächtigen, kurzlebigen Dolden, er tritt südlich von Samarkand auf und überragt die Karawanen (Euryangium Sumbul Kaufm.). Die Steppe ist zwar waldfeindlich, Baumwuchs ist aber nicht ganz ausgeschlossen, stellenweise kommt es sogar zur Bildung kleiner Wäldchen, doch haben dieselben stets nur eine ganz lokale Bedeutung. Etwas reichlicher trifft man in den höheren Lagen der Gebirge Waldungen. Es ist dies eine Folge zunehmender Niederschläge (von etwa 30 bis 50 cm Regenhöhe an). Doch auch diese Wälder sind zumeist trocken und licht. Unter ganz ausnahmsweisen Verhältnissen, wie auf der Südseite des westlichen Kau- kasus (Kolchis) und am Südufer der Kaspisee (Talysch, Gilan, Massenderan), kann es so- gar zur Ausbildung üppiger urwaldartiger, ausgedehnter Waldlandschaften kommen. In der offenen Steppe hält sich der Wald hauptsächlich an Depressionen, an Flußläufe, an die mehr oder weniger windgeschützten Erosionsfurchen der Hügellandschaften (Regenschluchten) und an Stellen mit hohem Grundwasserstand. Wo das Klima nicht zu trocken und kontinental ist, da kann '■ man auch den umgekehrten Fall beobachten, daß nämlich die Steppenwäldchen den Kammlinien der Hügel und den flachen '' Wasserscheiden folgen, also auf die wind- offensten und trockensten Stellen beschränkt sind. Solche Fälle schildert G. J. Tanfiljew aus gewissen Gegenden Südrnßlands, sie sind immer ein Hinweis auf Salzboden. Die zuerst ausgelaugten erhöhten Lagen ge- währen daher dem Baumwuchs die ersten Ansiedelungsmöglichkeiten. In diesen Ge- bieten kann man mit zunehmendem Aus- laugungsprozeß ein Vordringen des Waldes feststellen , es sind dies dann edaphische : und nicht klimatische Steppen. Bis an die Ufer des Schwarzen Meeres und ! der Kaspisee lassen sich Auenwälder von durch- i aus borealem Charakter verfolgen. Es sind vor- I wiegend Weidendickichte mit eingestreuten Pappeln und Espen. Die trägen Flußläitfe ! sind vielfach von Rohrgräsern (Ar undo, Phrag- mites L.) begleitet. Ob das Wasser süß oder salzig ist, hat dabei keine Bedeutung. Am I Syr-Darya erreicht dieses undurchdringliche I Dickicht gelegentlich eine Höhe von 20 Fuß. Wo der Boden natriumhaltig ist, wie im zentralen Teile Turkestans, da kommt es zu- weilen zur* Ausbildung dichter Gestrüppe von Tamarisken, von Chenopodiaceen-, Poly- gonaceen- und Zygophyllaceensträuchern. Unter günstigeren Verhältnissen nehmen diese Sträucher nahezu Baumform an und erreichen I doppelte bis vierfache Mannshöhe. Die wich- i tigsten Vertreter dieser Strauchsteppen sind: j Tamarix laxa Willd., Calligonum arbores- icens Litv., Salsola arbuscula Pallas und I der Saxaul, Haloxylon ammodendron I Bunge. Der Saxaul ist der größte Baum (bis 8 ra) Turkestans, er bevorzugt Sanddünen mit tonigem oder kalkigem Unterboden. Nach W. Paletzky soll er im transaralischen Gebiet eigentliche Wälder bilden. Alle diese Arten haben sehr tiefgehende, stark verzweigte Ankerwurzeln. Auch die Hochsteppe von Russisch-Hoch- armenien weist noch einige Holzpflanzen auf: : Calligonum polygonoides L., Crataegus Orientalis Pall., Pirus salicifolia L., Pi- stacia mutica Fisch, et M., Paliurus acu- letus Lam., Zygophyllum atriplicoides F. et M., Lycium ruthenicum Murr, sowie Atraphaxisarten. Eine Charakterpflanze dieses Gebietes, die aber ihr Massenzentrum auf den öden Kalkfelsen des transkaspischen Kopet- dagh erreicht, ist Gypsophila aretioides Boiss. Sie bildet mächtige, kompakte Polster, die oft mehrere Fuß hoch aufgeschwollen sind, und 4 bis 6 Fuß im Durchmesser erreichen. Auch Kurdistan ist nicht völlig baumlos, es gibt stellenweise sogar parkartige Landschaften. Nach Frhr. v. Handel-Mazzetti sind die Berge beim Dorfe Tumok (Vilajet Bitlis) bis ca. 1100 m Meereshöhe mit sehr lichten Be- ständen von Quere us BrantüLindl. bestanden. Die graugrüne Farbe dieses Baumes bringt jedoch keinen frohen Ton in die Landschaft. Beigemengt sind Quercus lusitanica Lam. und Quercus Libani Oliv., sowie Pistacia Khinjuk Stocks und Celtis Tournefortii Lam. Im Geographie der Pflanzen (Florenreiche) 811 Inneren Kleinasiens gibt es xerophytische Gebüsche und kleine Bäume, die sich zuweilen zu Strauchsteppen vereinigen. In seinen höheren Lagen hat der Tientschan Wälder von Abies Schrenkiana Lindl., von Lärchen und Eschen. Ja selbst das Tibet ist nicht ganz baum- los. Die Vegetation des bis 3930 m über Meer gelegenen Lhassa ist sogar üppig. Bemerkenswert sind die Klagen der Reisenden über fast fort- währenden Regen im Sommer in diesen Teilen Tibets. Zahlreiche Fruchtbäume werden gehalten. Die Täler sind bewaldet, das Land ist gut kulti- viert. Kotzloff fand den Südhang der südlichen Kuku-nor-Berge dicht mit Nadelholz bedeckt. Die Verhältnisse sind somit ganz anders als man bisher angenommen hat. Col. Waddel nennt Lhassa ,,one of the most delightful residential places in the world". Die Steppe ist eine Vorstufe der Wüste. Bei abnehmender Feuchtigkeit geht die- selbe ganz allmählich durch Steppenwüsten in typische Wüstenbildung über. Die Vege- tationsdecke ist offen, doch herrscht in der Steppe die Vegetation vor, die nackten Zwischenräume treten zurück. Wo sich die beiden annähernd die Wage halten, da sind wir im Uebergangsgebiet und zwar so, daß bei einer Bodenbedeckung von 50 bis 30% die Steppen allmählich Wüstencharakter anneh- men. Es sind dies wüstenhafte Steppen oder Wüstensteppen. Geht die Bodenbedeckung auf 30 bis 20% zurück, so überwiegt bereits der Wüstencharakter, wir sind im Gebiet der Steppenwüsten. C. Schröter sagt von der Steppe: Legt man sich auf den Boden und schaut gegen die Steppe, so erscheint die Vegetation durch Zusammenschluß der hintereinander liegenden Pflanzen lücken- los, was bei der Wüste nicht der Fall ist. Wüste und Steppe durchdringen einander vielfach, es sind die Charakteristika arider Regionen, denen diejenigen der humiden Regionen diametral gegenüberstehen. Wüsten- und Steppenpflanzen zeigen dieselben An- passungen, es sind immer ausgesprochene Xerophyten. Als phytogeographische Bezeichnung ist der Begriff ,, Steppe" dagegen noch nicht abgeklärt. Nach G. J. Tanfiljew bezeichnet das Wort „Steppe" überhaupt keinen pflanzengeographi- schen Begriff, weil Steppenpflanzen formations- bildend auch auf Flußauen, steilen Abhängen und im Gebirge vorkommen können, ohne da- | durch Steppen zu erzeugen. Ich kann mich dieser Auffassung nicht anschließen, denn ebenso- gut könnte man dann den Wald als einen rein geographischen Begriff erklären, denn baum- artige Holzpflanzen treten auch vielfach, ohne Wälder zu bilden, in sonst baumlosen Gebieten auf. Die Bezeichnung Steppe stammt ursprüng- lich von Ungarn und Südrußland, und bezeichnet eine VergeseHschaftung von Arten, die man wegen ihres Humusreichtums und des dichteren Rasens wohl besser zu den Trockenwiesen zählt. So komme ich zu folgender Definition der Steppe: Steppen sind-waldlose oder waldarme (Uebergangssteppen, Steppenwald- inselchen), über der Ueberschwemmungs- zone der Flüsse gelegene Trockengebiete, deren Boden meist keinen oder nur wenig Humus enthält, aber öfters ziemlich reich an leicht löslichen Salzen ist. Die Vegetations- decke ist immer mehr oder weniger offen, doch beansprucht der nackte Boden normaler- weise nicht mehr als 40 bis 60 %der bewach- senen Fläche. Die Flora zeigt xerophy- tischen Gesamtcharakter und eine mehr oder weniger ausgesprochene Periodizität. Die starke Entwickelung bestimmter Familien (Chenopodiaceen, Zygophyl- laceen) und Gattungen ist für das Centr- asiaticum bezeichnend. An erster Stelle steht die Gattung Astragalus. E. Boissier zählt in seiner Flora orientalis 757 Species auf, seither ist noch eine größere Zahl neuer Arten beschrieben worden, so daß heute die Gesamtzahl wohl nahezu 1000 erreichen dürfte. Ungewöhnlich groß ist auch die Zahl der Disteln, die nach Boissier 230 Arten zählen, verteilt auf die drei Genera Cousinia (136), Cirsium (70), Carduus (20). Die Artemisien sind mit 37 Arten vertreten, nach ihrer Individuenzahl spielen sie aber eine viel wichtigere Rolle als dieser Zahl entspricht. Mehrere Species treten als Domi- nanten bestimmter Steppentypen auf. Sehr wichtig sind ferner eine Anzahl monokotyler Zwiebel- und Rhizomgewächse, am arten- reichsten ist dieGattung All i um (141 Species), es folgen Iris (52), Fritillaria (33), Tulipa (23) und Scilla (10). Unter den Gräsern sind besonders die Pfriemgräser (30) hervor- zuheben, davon entfallen 10 Arten auf die Gattung Aristida und 12 auf Stipa. Ungewöhnlich groß ist mit 206 Arten auch die Gattung Silene. Auf die igelartigen Acantholimon (80 Species) ist bereits hingewiesen worden. Auch die meisten Anabasisarten gehören West- und Zentral- asien an, die Gattung Calligonum hat mit 12 Arten ebenfalls in diesem Gebiet den Schwerpunkt ihrer Entwickelung, dasselbe gilt für das 20 Arten zählende Leguminosen- genus Caragena, die hauptsächlich die Hochsteppen Tibets bewohnt. Die Hälfte aller Süßholzarten (Glycyrrhiza) besiedelt das Centrasiaticum. Endlich sei noch auf die zahlreichen (30) Tamarixbäumchen verwiesen; es ist ein kritisches Genus, von dem mehrere Arten nur sehr lokal auf- treten. Genetisch beansprucht das pontisch- zentralasiatische Vegetationsreich eine scharf ausgesprochene Sonderstellung, indem das endemische Steppenelement einen sehr hohen Prozentsatz ausmacht, besonders in den südlichen Hochlandschaften. Die Zahl der Arten wird von A. Grisebach auf 8000 geschätzt, wovon 75% endemisch. Im Westen 812 Geographie der Pflanzen (Floreni-eiche) ist das mediterrane Element stark ver- treten, im Norden auch das subarktische. In den Gebirgen trifft man, vom Kaukasus und dem westliehen Vorderasien abgesehen, ziemlich viele arktisch-nivale Elemente. Der boreale Florenbestandteil ist dagegen überall schwach entwickelt, eine Ausnahme machen die Kolchis und die Auenwälder, die sich längs der nördlichen Flüsse weit in die Steppe vorwagen. Geographisch gliedert sich das Centra- siaticum in eine nördliche Tieflandszone und in die südlichen Gebirgs- und Hochländer. Das Tiefland läßt zwei Regionen unter- scheiden: 1. Die südrussische oder pontische Provinz. Sie geht im Norden und Westen durch die Uebergangssteppen in das Wald- gebiet über. Kleine Waldinseln von Kiefern, im Westen auch von Eiche, Hainbuche und Linde bezeichnen diese Grenzdistrikte. Der Boden ist zum Teil sehr humusreich; es ist dies der Fall im ,,Tschernosem", der sogenannten ,, schwarzen Erde", einer äußerst fruchtbaren Ackerkrume, die stellenweise eine Mächtigkeit von 3 bis 5 m erreicht. Im Süden und Osten kommen aber auch Löß- (schwerer Lehm und Ton) und Salzböden vor. Die Ostgrenze dieser Region verläuft etwa bis zur Wolga und südlich über die Jergenihügel gegen den Kaukasus, woselbst die Niederungssteppe allmählich in die Berg- steppe übergeht. Westlich reicht eine breite Zunge über das unterste Donautiefland bis in das zentrale Ungarn, um dann, besonders mehreren Flußsystcnien lolgeiul. in selimalen und sich allmähhch erschöpfenden Streifen nach Mitteleuropa auszustrahlen. Dieses ganze weite Gebiet wird vorwiegend durch Grassteppen eingenommen. Stipa capillata L., St. pennata L., Pollinia Gryllus Spreng., Andropogon Ischae- mon L., Poa bulbosa L. sind die wichtig- sten Leitpflanzen. Die langen, silberglänzen- den weißen Federgrannen der Stipen wogen vom Winde bewegt gleich einem Kornfelde. In den Regenschluchten bilden strauchig- krüppelige Erlen, Birken, Linden und Eichen kümmerliches Gestrüpp. Die gleichen Arten begleiten die Flüsse als üppige Auenwälder, indessen auf den Hügeln thermophile, laub- werfende Sträucher, die aber ziemlich hohe Winterkälten zu ertragen vermögen, eine Art ,,!Sibljak" bilden. Hierher gehören Paliurus aculeatus Lam., Amygdalus nana L., Prunus Chamaecerasus Jacq., Spiraea hypericifolia Lam., Caragana frutescens (L.) DC. ; Coniferen und Eri- caceen fehlen ganz. Uebrigens wird die Grassteppe von zahlreichen Blütenpflanzen durchwirkt. Starkes Vorherrschen einzelner Arten und deren rascher örtlicher und zeit- licher Wechsel sind bezeichnend. Gegen Ende April erscheinen die Tulpen, Fritil- larien, Iris, Adonis und Pulsatillen, sowie viele Therophyten, später machen sich Alyssum, Dracocephalum, Salvia- I Arten bemerkbar; im Juli beginnt dieHaupt- I blute der Dolden (Libanotis,Peucedanuni) und Kompositen (Cirsien, Centaureae, , Serratulae). Nun ist der Vegetations- ; Zyklus bereits abgeschlossen, ein fahles Gelb 1 bildet jetzt den Grundton der Steppe. Die Gräser treten jedoch zuweilen stark zurück; zur Herrschaft gelangen andere Arten: Mohnsteppe, Distel- und Sisymbrium- j steppe, Flachs- und Irissteppe; weiter im Osten bekommt dieWermut steppe mehr ; und mehr das Uebergewicht. Mehrere Ge- I müse-(Armoracea, Brassica, Co chlearia) und Zierpflanzen (Tulipa Gesneriana L.) I sind im östlichen Gebiete heimisch. Mithin besitzt die pontische Provinz ein ausge- sprochenes Grasflurklima, ausgezeichnet durch häufige, wenn auch nur schwache, die Feuchtigkeit des Obergrundes erhaltende Niederschläge während der Vegetations- zeit und gleichzeitig mäßige Wärme. ! 2.Die aralo-kaspisciie Pro vinz. Der Boden ist oft stark salzhaltig, nicht selten machen sich sogar Salzausblühungen bemerk- ibar; auch Strecken reinen Sandes kommen vor. Das Klima wird kontinentaler und noch trockener (unter 20 cm Niederschlag), daher ! herrschen Wüstensteppen und Halbwüsten, ' stellenweise selbst typische Wüsten. Wermu t- steppen (Artemisia maritima L., A. pontica L. und A. pauciflora Web.) geben der Landschaft im westlichen Abschnitt eine unansehnlich graubraune Färbung. Die sparrig-verzweigten, im unteren Teil ver- ; holzenden Stengel liefern den ,,Burian", i vielerorts das einzige Brennmaterial. Aestige j Kräuter, mit zähem ineinander geflochtenem Gezweige werden durch die Herbststürme losgerissen; als Steppenläufer sind sie ein Spielball der Winde. So sorgt die Natur für die Samenausstreuung. In den sandigen Depressionen um den Aralsee verleihen die be- reits erwähnten, eigenartigen Rutensträucher den Niederungen einen ganz eigenartigen Charakter. An erster Stelle stehen der Saxaul, der nach Osten bis in die Gobi ausstrahlt, und mehrere Tamarisken (Tamarix Pallasii Desv.) sowie mächtige, aber kurzlebende Doldenpflanzen. Die Calligonum-Arten und der Turanga (Populus euphratica Oliv.) sind aber ! jetzt in der Umgebung des Sees nahezu aus- gerottet. Ein hochwüchsiges Steppengras, das Dyrissun (Lasiagrostis splendens Kunth) geht ebenfalls von den Ufern des Kaspi bis 3600 m ins Tibet und in die jDsungarei, zum Kuku-nor, dem Nanschan 1 und Marco Polo-Gebirge. In den Niederungen Geographie der Pflanzen (Florenreiche) 813 wechseln Salzmoore mit Röhricht und Gestrüpp. In den im Süden und Osten anschließenden Gebirgen gibt es neben der mit der kauka- sischen Fichte verwandten Picea Schren- ckiana Li ndl. einen kräftigen Wacholder- bauni (Juniperus pseudosabina Fisch, et Mey.), der noch in einer Meereshöhe von 2500 bis 3400 m auftritt. Birken, Espen und andere mitteleuropäische Holz- arten sind herrschend, sie zeigen üppiges Wachstum und steigen ungewöhnlich hoch empor. So wird der Sanddorn (Hippophae rhamnoides L.) bis 20 m hoch und am Kuku-nor noch bei 3600 m augetroffen, in seiner Begleitung findet sich öfters Myri- caria germanica (L.) Desv. Die nörd- lichen Ketten zeigen Alpenmatten von durchaus alpinem Charakter, doch fehlen Moore, Zwergweiden und die Dryade. In den mittleren, trockeneren Teilen des Ge- birges kommt es zur Ausbildung von ,,Alpen- ■ prärien" mit Festuca- und Pilagrostis- Arten. Das Edelweiß ist häufig, elaenso die graubehaarte Pulsatilla albana Stev. Noch weiter südlich und östlich herrschen ,, Alpensteppen", mit trocken - staubigem Boden. Die sehr offene Vegetationsdecke besteht hauptsächlich aus Artemisia (A. frigida Willd.) und Stipa- Arten. Die Täler | sind öfters nahezu vegetationslos. Je weiter wir nach Süden vordringen, desto mehr treten die arktisch- borealen Typen im Hoch- gebirge zurück, dafür bemerkt' man eine Zunahme glazialer Anpassungen der Steppen- ' flora. 3. Die kaukasische Provinz. Die Pflanzenwelt des Kaukasus zeigt mehrere, sehr beachtenswerte Eigentümlichkeiten. Am Ostufer des Schwarzen Meeres schaffen die Riesenmauer des kaukasischen Hochgebirges und das südliche, pontische Gebirge ein feucht-warmes Waldklima. Die jährliche Niederschlagsmenge der Küstenorte schwankt ! zwischen 121,8 cm (Ssuchum-Kale) und 235,7 cm (Bat um). Das Maximum der Niederschläge fällt auf den Sommer. Bei Tuapse beginnt die kolchische Wald- region, indessen westlich von diesem: Ort, infolge der zu geringen Gebirgs- { erhebung der xerophytisch-taurische Cha- rakter der Flora noch Vorwiegt. Gewaltige Waldsümpfe bedecken im Riondelta weite ; Strecken. Alnus glutinosa (L.) Gärtn. und die Juglandacee Pterocarya cauca- sica C. A. M. sind besonders häufig. Die Hügelländer und das Mittelgebirge sind von reichhaltigen Mischwäldern bedeckt. Neben vielen mitteleuropäischen Arten tritt der Kirsch- lorbeer (Prunus laurocerasus L.) auf. Zwei bis sechs Meter hohe Rhododendron, das immergrüne, violettblütige Rhododen- dron ponticum L. und das sommergrüne, safrangelbe Blütensträuße tragende Rhodo- dendron flavum Don. bilden öfters fast undurchdringliche Dickichte, Die Buche ist nicht unsere Art, sondern Fagus orientalis Lipsky; sie ist der japanesischen Buche Fagus Sieboldi Endl. näher verwandt als der west- europäischen Species. In gewaltigen, öfters bis ins Geäst moosbewachsenen Exemplaren tritt sie uns entgegen. Dazu gesellen sich submedi- terrane Elemente, wie die Hopfenbuche (Ostrya carpinifolia Scop.), der Zürgel- baum (Celtis australis L.), die Dattel- pflaume (Diospyros Lotus L.), sowie Arten, die mehr auf den Osten hinweisen (Philadelphus Corona rius L.). Ferner bemerkt man auch einige kaukasische Endemismen (Carpinus duinensis Scop., Staphylea colchica Stev.). Dazu kommen zahlreiche Kletter-und Schling- pflanzen. Neben vielen mitteleuropäischen und mediterranen Arten fallen ganz besonders einige spezifische Kmder des Kaukasus auf: Hedera colchica C. Koch, Dioscorea cau- casica Lipsky, Calystegia silvatica (W. K.) Choisy, und ganz besonders Vitis vinifera L., die hier ihre Heimat hat und bis in die Wipfel der Waldriesen vordringt. Die Großblätterigkeit, der Reichtum epiphytischer Farne und ^loose sowie an Schlingpflanzen, das Auftreten immer- grüner Arten und die überaus große Feuchtigkeit erinnern einigermaßen an subtropische Regen- wälder. Höher im Gebirge folgen düstere Bergwälder derNordmannstanne(AbiesNordmanniana Stev.) und der orientalischen Fichte (Picea Orientalis Carr.). Im Unterholz wachsen neben Heidelbeerbäumchen (Vaccinium Arctosta- phyllos L.) Acer Trautvetteri Medw. und Prunus Padus L. In den Lichtungen und un- mittelbar über der Waldgrenze machen sich riesenhafte Hochstaudenfluren breit, die so gewaltige Dimensionen erreichen, daß zuweilen Roß und Reiter darin verschwinden. Hera- cleum Mantegazzianum Som. et Lev., Mulgedium macrophyllum (Willd.) DC, Valeriana allariifolia Vahl., Campanula latif olia L., Senecio Othonae M. B., Senecio stenocephalus Boiss., Cephalaria tatarica (Gml.) Schrad., Telekia speciosa (Schreb.) Bau mg. sind einige der glanzvollsten Gestalten. Die meisten dieser Pflanzen sind im Gebiet endemisch. Ueberaus üppig sind auch die an Arten sehr reichen Alpen matten. Der Ende- mismus spielt noch eine größere Rolle. In noch vermehrtem Maße trifft dies aber zu für die hochalpine Felsflora, die außerordentlich viele, sehr charakteristische Lokalendemismen aufweist (Saxifraga caucasica S. et. L., Potentilla Oweriana Rupr.). Doch fehlen auch arktische (Saxifraga flagellaris Willd.) und arktisch-alpine Arten (Sibbaldia pro- cumbens L., Trisetum flavescens [L.] Pall., Linnaea borealis L.) nicht. — Die Nordseite des Gebirges ist viel einförmiger und trockener; die Hochstaudenfluren sind verarmt (Aconitum Lycoctonum L. v. Orientale Mill.) und der Wald erinnert sehr an denjenigen des sub- montanen Mitteleuropas. Die Föhre (Pinus silvestris L.) ist recht häufig. Im östlichen Kaukasus (Daghestan) verliert sich diese üppige Flora mehr und mehr, die Steppenvegetation dringt bis hoch ins Gebirge, der Wald ist dürftig 814 Greographie der Pflanzen (Florenreiche) entwickelt, doch ist der Endemismus kaum weniger ausgeprägt. Für den Kaukasus bezeichnend ist ferner die wenig scharfe Abstufung der Höhengrenzen. Viele Arten gehen vom Meeresniveau bis zur Baumgrenze und darüber, so z. B. die Buche (0 bis 2250 m); Rhododendron ponticum L. tritt im Tiefland als Unterholz der Buchenhoch- wälder auf, wird aber im Bergwald noch bei j 1500 m angetroffen, Rhododendron flavum j Don. sogar bis 2100 m, ebenso geht Prunus Laurocerasus L. von 0 bis 2100 m. Wie im Himalaja, aber im Gegensatz zu den Alpen, ist die Schneelinie auf der Südseite des west- lichen Kaukasus (bei ca. 3050 m) etwa 600 m tiefer gelegen als auf der Nordseite (3650 m). Aehnliche Verhältnisse zeigt der Getreidebau. Der Ort der höchsten Getreidekultur (Gerste, Winterweizen) ist nach G. Radde mit 2600 m Kurusch im Daghestan. Verweisen wir endlich noch auf die besonders im Vergleich zu den Alpen ungewöhnlich späte Entwickelung (Ende Juli bis Anfang September) der subalpinen und alpinen Flora des westlichen Kaukasus. Talysch (Gilan, Massenderan). Am Süd- ufer der Kaspi kehren ähnliche Verhältnisse wie in der Kolchis wieder. Auch liier herrsclien, im Gegensatz zu den übrigen Uferlandschaften dieses Binnenmeeres für die Vegetation sehr günstige klimatische Verhältnisse: ein sub- tropisches Klima mit reichlichen Nieder- schlägen. Lenkoran hat ein Jahresmittel von 14,70 0, Januar 2,8» C, Juli 25,7" C; jähr- liche Regenhöhe 1187,4 mm. So fanden auch im Talysch manche Arten der ausgehenden Tertiärzeit ein Refugium. Hervorzuheben ist der völlige Mangel an zapfentragenden Nadelhölzern und der Rhodo- dendren. Von den 10 Holzarten, die nur am Südkaspi vorkommen, sind 5 endemisch, die 5 übrigen gehen nur wenig über das Gebiet hinaus. Die wichtigsten Arten dieser Urwälder sind: Quercus castaneifolia C. A. M. (sonst nur noch bei Schemacha), Quercus macran- thera F. et M., geht durch den Antikaukasus bis über Borshom, Gleditschia caspica Desl, die im vegetativen Zustand an Baumfarne er- innernde Albizzia Julibrissin (Willd.) Dur., die Hamamelidacee Parrotia persica C. A. M., das Eisenholz der Tataren und Melia Azederach L. von durchaus tropischer Verwandtschaft. Hier kommt auch Platanus orientalis L. wüd vor. Wahre Riesen bilden die Ulmacee Zelkowa crenata (Desf.) Spach., Ptero- carya caucasica C. A. M., Acer insigne Boiss. et Buhse, Rubus Raddeanus Focke, die Asclepiadacee Periploca graeca L. ; die wilde Rebe undSmilax excelsa L. durchwirken Urwald und Dschungel. So trägt die Flora der Südufer der Kaspi antiken, ausgesprochen subtropischen Charakter; manche Formen weisen sogar auf Indien hin. Südliche Hochländer. Es sind drei Hauptgebiete zu unterscheiden: a) Das armenisch-persische Hoch- land. Vorherrschend ist die xerophil-rupestre Flora. Zur Ausbildung einer spezifisch alpinen Pflanzenwelt kommt es kaum. Selbst am Großen Ararat sind davon nur Spuren vorhanden; das Felsenmeer der dunklen, trachytischen Gesteine beherbergt eine fast ausschließlich xerophile Vegetation. Noch viel trockener und dürftiger be- wachsen ist der größte Teil des iranischen Hochlandes. In höheren Lagen treten als Holzpflanzen Juniperus excelsa M. B. und Pistacia mutica Fisch, et M. auf; im östlichen Teil hat Sven Hedin wochen- lang absolut vegetationslose Wüsten durch- wandert; diese nehmen etwa ein Drittel des Hochlandes ein. Die Steppen Irans sind meistens Strauchsteppen mit Dornbüschen: Amygdalus, Rhamnus, Lycium, Atra- phaxis, Astragalus sind einige der wichtigsten Genera, Acantholimon -Arten finden sich noch bei 4000 m und bestimmen streckenweise allein den Vegetationscharakter. b) Tibet. Es zerfällt in zw^ei Ge- biete: Die nordtibetanische Schnee- region, nördlich von der Wasserscheide des Indus, mit außerordentlich extremem j Klima, ist fast völlig vegetationslos, zum j Teil mit dürftiger Wüstensteppenflora be- wachsen. Der Sommer ist sehr feucht, 1 die übrigen Jahreszeiten trocken. Bäume gibt es nicht; nur Ivrüppelsträucher von Hippophae, Potentilla, Reaumuria ; kommen vor. Fruchtbarere Stellen sind engbegrenzt und von Grasfluren bewachsen. Auf den Gebirgen gibt es viele Polster- pflanzen und die zähe Kobresia tibetica Maxim. JJie osttibetanische Wald- steppenregion zeigt bedeutend günstigere Verhältnisse, sie vermittelt den Uebergang zu den immergrünen Waldlandschaften des südchinesischen Berglandes. Die Flora ist recht bunt und reichhaltig. Fichten und Birken gehen im Kuku-nor und Nanschan bis 3000 m. Das Auftreten einer größeren I Zahl von Rhododendren ist bemerkens- i wert, Alpengrasfluren herrschen noch zwischen 3600 bis 4000 m. Die gewaltige Insolation ersetzt nicht nur die Abnahme I der Temperatur, sondern auch die Kürze des I Sommers und ermöglicht den Getreidebau 1 bis gegen 4000 m. Die Gerste wird in Leh i in der zweiten Hälfte des Mai gesät und bereits im September geerntet. Die bisher bekannt gewordene höchstgehende Blüten- I pflanze ist Saussurea tridactyla Hook, fil, welche in Westtibet noch bei 5800 m beobachtet worden ist; sie wird etwa 15 cm hoch und ist durch eine mächtige Hülle wolliger Haare gegen Transpiration geschützt. c) Gobi, Mongolei. Die Gobi ist keine Wüste. Die östliche Mongolei hat Regen, die im Sommer oft 2 bis 3 Tage an- halten, und im Winter auch etwas Schnee. Sie ist daher stellenweise mit Gras bewachsen, das im Sommer allerdings verdorrt, aber doch den Kamelen und Pferden der Teekarawanen Geograpliie der Pflanzen (Florenreiche) 815 das nötige Futter gewährt. Bloß der zentrale Teil der Depression ist Wüste, der übrige Teil Steppe. Pozdneff, welcher die Gobi im Juni durchkreuzte, vergleicht sie mit den Prärien im Osten der Rocky Mountains. Von besonders bezeichnenden Pflanzentypen seien neben dem Saxaul noch erwähnt: der bis 90 cm hohe strauchartige Sulchir (Agrio- phyllum gobicum Bunge), eine stachelige Salsolacee, die den östlichen Teil Innerasiens bewohnt. Graugrüne Büschel bildet das stattliche, bis 2,7 m hohe Dyrisungras (Lasiagrostis splendens Kunth), auch der Chamykstrauch (Nitraria Choberi L.), dessen Beeren von Mensch und Kamel ge- nossen werden, fehlt nicht. Die Crucifere Pugionium dolabratum Maxim, liefert grüne Früchte. Auch hier herrscht fast die gleiche Xerophytenflora von den tiefsten Stellen der Depression bis hoch ins Gebirge. Der Altai, dessen Nordseite mit seinen saftigen Wiesen, Weiden und Wäldern aus Lärchen und Arven ganz dem eurasisch- silvestren Vegetationsreiche zuzuzählen ist, trägt auf der Südseite dagegen größten- teils typischen Steppencharakter. Ganz ausgesprochenen Wüstentypus zeigen große Teile Ostturkestans. So das ungeheure Sandmeer der Akkla Makr anwüste im Tarim- becken, das Sven Hedin in 11 Tagereisen auf seiner todesmutigen Expedition durch- querte, ohne eine Spur von Wasser und Leben zu finden. 6. Nordafrikanisch - indisches Vegeta- tionsreich. Paläoaridis. Dieses vorwiegend aus Wüsten bestehende Vegetationsreich bildet ein Uebergangs- gebiet zwischen der Holarktis und dem paläotropischen Florenreich. Es wird daher zuweilen demersteren, häufiger dem letzteren zugezählt. Das nordafrikanisch-indische Vege- tationsreich durchzieht die ganze Breite des afrikanischen Kontinents von der südlichen Abdachung des Saharaatlas im Norden, bis etwa zu IS" n. Br. im Süden. Einzuschließen ist ferner das ganze nördliche und innere Arabien mit Mesopotamien, aber mit Aus- nahme der südwestlichen und südlichen Küstenlandschaften, ferner das südliche Per- sien und Belutschistan südlich vom süd- armenischen Randgebirge und endlich das nordwestliche Indien mit der Wüste ,,Sind". Dieses gewaltige Ländergebiet deckt sich annähernd mit dem Verbreitungsareal einiger paläotropischer Elemente, die gleichzeitig als Leit- und Charakterpflanzen dieser Wüstenregion auftreten, nämlich mit den- jenigen der Dattelpalme, und einiger Gummiakazien (Acacia Seyal Del., A. tortilis Hayne); da südlich von 25" N. die Zahl paläotropischer Florenbestandteile ziem- lich ansehnlich ist, so wurde auf Grund dieser beiden Tatsachen das nordafrikanisch- indische Vegetationsreich von verschiedenen Autoren der Paläotropis zugewiesen. An- dererseits muß aber betont werden, daß in dessen nördlichen Abschnitten die Zahl mediterraner und orientalischer (Alhagi, Anabasis, Calligonum, Tamarix) Arten sehr groß ist. Die Gesamtartenzahl ist natur- gemäß unbedeutend. Für die ganze Sahara gibt J. Massart nur 1000 Species an. Die Hauptmasse der Flora besteht übrigens aus Endemismen von oft sehr ausgeprägter Eigenart, zum Teil aus Arten von stärkster systematischer Isolierung. Ganz besonders i&'t aber auch noch auf die vielfachen gemein- samen Züge zwischen dem Centrasiaticum und der nordafrikanisch-indischen Wüsten- flora hinzuweisen, die in Syrien, Persien, Belutschistan eine einigermaßen befriedigende Abgrenzung kaum gestatten. Schon aus diesem Grunde scheint es mir zweckmäßiger, das nordafrikanisch-indische Wüstengebiet auch noch der Holarktis anzugliedern. lüimatisch schließt sich dieses Vegetations- reich durch seinen ausgesprochen kontinen- talen Charakter und seine Regenarmut dem Centrasiaticum an, immerhin mit dem Unter- schied, daß einerseits, mit Ausnahme großer Teile Tibets, die jährlichen Niederscldags- mengen eher noch niedriger sind und anderer- seits die winterliche Kälteperiode kaum in Betracht kommt. Die jährliche Ruheperiode ist für die Wüstenpflanze wenigstens ebenso- lang als für die Steppenflora. Zu Ungunsten der Wüstenflora fällt aber noch sehr stark ins Gewicht, daß die spärlichen Regen außer- ordentlich unregelmäßig fallen, so daß die Ruhezeit zuweilen eine ganz abnorme Ver- längerung erfährt, ja selbst mehrere Jahre andauern kann. Temperaturen. Das Wüstengebiet hat ein subtropisches Klima. Das Jahresmittel der Sahara schwankt zwischen 20 und 24" C, das Januarmittel zwischen 8 und 12" C. In einem großen Teil der Sahara erreicht das Juli- mittel 36" C und mehr. Die mittleren Extreme süid groß, sie betragen für Ghardaia (32" 35' N.) 47,3" C und 0,1" C und für In-Salah (27" 17' N.) 49,9 und —1,4" C. Absolute Extreme smd: Ouargia 51" und — 5" C, El Golea 49,2 und — 4,7 " C und für In-Salah 52" und —3,4" C. Die absoluten Extreme im Schatten schwanken zwischen 52,4" bis — 7,5" C. Bodentemperaturen wurden dagegen bis über 70" C beobachtet. Die täglichen Schwankungen der Lufttemperatur können 30" C überschreiten, in Innerarabien nach Nohlde sogar 35" C erreichen. Die geringste Temperatur- amplitude hat der Winter (In-Salah, im Büttel 14,3" C), die höchste der Sommer (In-Salah 19,5" C). Bei der starken nächtlichen Aus- strahlung kühlt sich der Boden so stark ab, daß das Gestein mit lautem Knah springt. Feuchtigkeit. Der Nordrand der Sahara 816 Geographie der Pflanzen (Florenreiche) hat eine mittlere jährliche Regenhöhe von etwa 17,5 cm, lokal werden selbst 50 cm nnd mehr erreicht. Weiter im Süden fällt dieselbe auf 10 bis 7 cm. Der nördliche Teil, insbesondere Tripolitanien bis Unterägypten, fällt noch in das Gebiet der mediterranen Winterregen, die Süd- grenze der Sahara gegen den Sudan wii-d be- stimmt durch die Nordgrenze der tropischen Regengüsse (Zenithregen). Nach J. Hann liegt dieselbe nördlich von Timbuktu bei 18 bis 20" N. und verläuft weiter über In-Ouzel nach In- Azaoua (21" N.). Monate-, ja jahrelang kann der Regen aussetzen, um dann plötzlich mit unerhörter Kraft niederzugehen. Diesen spärlichen Niederschlägen ent- sprechend ist auch die Luftfeuchtigkeit sehr gering. Sie beträgt in El Golea 37 % (Min. 14%), Ghardai'a 34%. • J. Massart fand zwischen Tougourt und Ouargla (32» 30' N.) am 18. I\Iai 1898 morgens 5 Uhr, 18% relative Luftfeuchtig- keit, 10 Uhr 30 Mmuten noch 7 %, 1 Uhr 30 Mi- nuten aber nur 4% und zwischen 2 Uhr 45 Mi- nuten bis 4 Uhr 10 Minuten nur 3%^ ^^'^ 6 Uhr wieder 6%; am 23. Mai mittags sogar nur 2%. ,,Die Lippen springen auf, die Nägel zerbrechen wie Glas, die Tinte trocknet an der Feder." Insolation, Winde, B o d e n b e s c h a f - f e n h e i t. Die Insolation ist zwar durch die staubreiche Atmosphäre geschwächt, aber ihre lange Dauer ersetzt diesen Verlust, denn die Bewöl- kung ist sehr gering (C. Schröter). Diese ungün- stigen Lebensbedingungen werden verstärkt durch die ständigen Win de, welche die Verdunstungs- gefahr noch vermehren. Die Wüste ist ein Sturmgebiet. Der Wüstensturm bedroht die Pflanze mit Schleifwirkung und Entwurzelung. Die Verdunstungsgröße übertrifft nicht selten den 50- fachen Betrag der Regenhöhe. Auch die Bodenverhältnisse sind nichts weniger als günstig. Humusboden fehlt der Wüste fast ganz, Salzboden dagegen ist sehr verbreitet. Die dürftige Flora gliedert sich hauptsächlich nach der Bodenbeschaffenheit. Felswüste oder Hammada sind ausgedehnte Felsplateaus mit anstellendem Gestein urid eckigem Trümmer- schutt. Mit Kieswüste. Reg oder Serir, bezeich- net man (iebiete, die mit zahllosen, rundlichen, windgeschliffenen Kieseln bedeckt sind; Erg sind die schwer zu durchwandernden kahlenSanddünen. Auch feintoniger, salzgeschwängerter Boden aus- getrockneter Salzseen (Sebkas) kommt vor. Als Wüsten bezeichnet man klimatisch bedingte, exzessive Trockengebiete, die ent- weder ganz vegetationslos (absolute Wüsten) oder von vereinzelten xerophy- tischen Stauden und Sträuchern besiedelt sind, so daß der nackte Boden weit vor- herrscht (C. Schröter). Durch Regen oder Nebel kann aus dem scheinbar nackten Boden dichtere Vegetation vorübergehend hervorbrechen (temporäre Wüsten). F. Foureau schildert das Erwachen einer ephemeren Wüstenflora als Folge eines reichlichen Gewitterregens: „wie durch ein Zauberwort verwandelt sich die trostlose Wüste in ein irdisches Paradies. Zwei Stunden genügen, um das Bild vollständig zu verändern. All die unzähligen kleinen Samen keimen unter der Einwirkung des Regens sofort, sprießen empor, bilden neue Samen und sterben wieder ab. Aber dieses kurze Leben genügt, um wieder neue Samen auszustreuen, die im Sande liegen bleiben. Wenn nach mehreren Jahren wieder einer jener seltenen Regengüsse fällt, dann wird wiederum neues, ebenso vergängliches Leben in der Wüste entstehen." Durch Bewässerungsanlagen, das Auf- treten von Quellen (Oasen), oder durch die Nähe von Grundwasser (Oasen, Oued, Wadi oder Trockentäler) kann derWüsten- charakter lokal gemildert oder aufgehoben werden. Solche Gebiete sind besonders für die Randteile derWüste bezeichnend, kommen aber auch noch in den zentralen Abschnitten der ariden Region vor. Depressionen mit leicht erreichbarem Grundwasser, aber ohne Kulturmöglichkeit, werden in der Sahara als Dayas bezeichnet. Diese Dayas, die gelegentlich auch Wasser führen, sind die einzigen Standorte der wenigen Wüsten- bäume, welche mit ihren tiefgehenden Wurzeln die verborgenen Wasserschätze auf- suchen. An solche Stellen gebunden sind mehrere Tamarisken, die Dattelpalme, die Gummiakazien; die heterophylle Euphratpappel (Populus euphratica Oliv.) kommt auch noch an einigen ver- einzelten Stellen der Sahara vor, der ,,Betoun" (Pistracia Terebinthus L. v. atlantica Desf.) am Nordrand der Sahara. Eine ähnliche Rolle hat P. mutica Fisch, et Mey. in Mesopotamien. Im nördlichen Grenzgebiet der Wüste folgt auch der Oleander (Nerium Oleander L.) den Wadis. Der südmarokkanische Argan (Argana sideroxylon R. et S.) und Rhus oxyacanthoides Dum. weisen auf tropische Verwandtschaft hin. Aus dem Sudan haben sich nach der Sahara verbreitet: Die Dumpalme (Hyphaene thebaica[L.] Mart.), der Suak (Salvadora persica L.) und der Oschar (Calotropis procera (Willd.) R. Br.), eine Asclepiadacee, deren Verbreitungsareal über die Nilländer bis nach Arabien reicht. Eine vorsintflutliche Gestalt ist Anabasis aretioides Coss. et Mo q., eine Riesenpolster bildende Cheno- podiacee der nördlichen SaJiata. Der Chou- fleur der Kolonisten ist ein imbrikatlaubiges Vollkugelpolster; er bildet feste, harte Halb- kugeln von 1,20 m Durchmesser und 50 bis 60 cm Höhe und bedeckt in offenen Assozia- tionen weite Strecken der Kieswüsten. Auf- fallend ist, daß Polsterpflanzen sonst der Sahara fehlen, ebenso kaktoide Stamm- sukkulenten. Die Vegetationsfeindlichkeit der Wüste ist eine direkte Folge ihrer Wasserarmut; bei zunehmender Bodenfeuchtigkeit verliert die Wüste rasch ihren spezifischen Charakter. Ent- Greographie der Pflanzen (Florenreiche) 817 scheidend ist ferner der bedeutende Ueberschuß der Verdunstung über den Niederschlag (Mac Dougal). So erhält die Wüstenflora den Stempel einer ausgesprochenen Kampfesflora. Bei klima- tisch gesteigerter Trockenheit geht die Steppe in die Wüste über, und damit ist auch gesagt, daß Steppen- und Wüstenpflanzen prinzipiell diegleichen Anpassungen zeigen, nur haben die- selben bei der letzten Kategorie vielfach noch eine Steigerung erfahren. Groß ist die Zahl der Therophyten und der Arten mit unter- ii-dischen Speicherorganen, welche die Trocken- periode im latenten Zustande der Trockenstarre überdauern, und bei vorübergehender Anfeuch- tung des Bodens eine ephemere Regenflora hervorbringen. Auch Flechten und ]\Ioose besitzen in hohem Grade die Fähigkeit der Trockenstarre, so beispielsweise die Manna - flechte (Lecanora esculenta [Fall.] Spr.). C. Schröter bezeichnet diese vorübergehenden Kinder des Regenfrühlings sehr treffend als ,, Feiglinge", welche vor der Trockenzeit die Waffen strecken. Die meisten Wüstenpflanzen aber nehmen den Kampf mit der Trockenheit auf. Die Xerophyten der Wüste lassen je nach ihren Einrichtungen für Trockenheitsschutz vier Kate- gorien unterscheiden: 1. G e s t e i g e r t e W a s s e r a u f n a h m e. Es bestehen Vorrichtungen für eine gesteigerte Aufnahme der spärlichen zur Verfügung stehen- den Wassermengen. Bei Aristida pungens D e s f . , dem typischen Gras der Sand- wüste, erreichen die Wurzeln eine Länge von 20 m. H. Fitting hat neuerdings gezeigt, daß bei der Wasserversorgung aus wasserarmen Böden die Anhäufung osmotisch wirksamer Stoffe, die sehr hohe Saugkräfte entwickeln, entscheidend ist. So können die Pflanzen auch noch Spuren von Feuchtigkeit ausnützen. Viele Wüsten- und Steppenpflanzen, die keine äußerlichen Anpassungen an Trockenheit auf- weisen und deren anatomischer Bau auch nicht auf Wassermangel schließen läßt, sind auf diese Weise instand gesetzt, der Trockenheit zu widerstehen. Es sei erinnert an Peganum Harmala L., Zizyphus Lotus L., Capparis spinosa L. Von 46 untersuchten Formen entfalteten die Hälfte einen Druck von 37 Atmo- sphären, bei 35% wax er 53 Atmosphären groß und bei 21 % stieg er sogar auf 100 Atmo- sphären. Sandpflanzen zeigten niedrigere, Felspflanzen höhere Werte. Dazu kommt, daß viele Wüstenpflanzen ihren osmotischen Druck je nach dem Standort zu regulieren vermögen. 2. Sukkulenz, die Wasserspeicherung in oberirdischen Organen ist bei den Saharapflanzen auffallenderweise gar nicht vertreten. 3. Herabsetzung der Verdunstung: durch Kantenstellung der Blätter (Capparis), Selbstbeschattung durch Zusammenballung zur Kugelform während der Trockenperiode (echte Jerichorose, Anastatica hierochuntica L.), durch Abwerfen der Blätter (sogenannte trockenkahle Pflanzen ; Z i 1 1 a m a c r o p t e r a C o s s. , Zizyphus), durch Mikrophyllie (so z. B. die cupressoiden Schuppenblätter der Tamarisken, ferner Capparis aphylla Rth.), durch Roll- blätter (Aristida pungens Desf.), durch Verkümmerung der Blätter und Uebertragung der Assimilationstätigkeit auf den Stengel [RutenformJ (Retama Retam Spach, Calli- gonum comosum L. (Poylgon.), Randonia africana Coss. (Resed.), Zilla macroptera Coss. et Dur., eine Crucifere mit gleichzeitiger Ausbildung der Aeste zu Dornzweigen; ferner Deverra scoparia Coss. et Dur. (Umbell.). Dazu kommen eine Reihe anatomischer Ein- richtungen zur Herabsetzung der Verdunstung, wie: derbe Oberhaut mit dicker Cuticula (so- genannte Sklerophyllie; sie ist in der Sahara nicht häufig, ferner Wachs Überzüge, filzige Bekleidung der Blattflächen (Trichophyllie, sehr verbreitet), verborgene Lage und Schutz- vorrichtungen des Spaltöffnungsapparates. 4. Starke Ausbildung des me- chanischen System s. Endlich sei auf die starke Ausbildung des mechanischen Systems in Stengel und Blatt verwiesen; vielfach führt diese zur Dornbildung als relativem Schutz gegen Tierfraß. Gegen diesen schützt auch das Vorhandensein unangenehm riechender Sub- stanzen, von Bitterstoffen oder Giften. Bitter schmecken die Retama und die Coloquinte (Citrullus Colocynthus Sm.), eine Boden- liane aus der Familie der Cucurbitaceen, sie geht vom Orient durch Nordafrika nach dem Fezzan, wo sie noch häufig ist. Peganum Harmala L. ist giftig und riecht unangenehm. Für das nordafrikanisch-indische Vegetations- reich ist die große Zahl von Halophyten be- zeichnend, sie vermögen zum Teil selbst aus trockenen, salzarmen Böden Salz in größerer Menge zu entreißen, so z. B. Traganum nuda- tum Del. (Salsol.), Limoniastrum Guyo- nianumCoss. et Dur. (Plumbag.), Reaumuria vermiculata L. (Fico'idee), Anabasis articu- lata Moq. Andere wieder, wie Limoniastrum Feei Batt. nehmen nur wenig Kochsalz auf. Auch die Dattelpalme bleibt auf salzreichemBoden ganz salzfrei. Die Salzaufnahme muß also ent- weder vom Transpirationsstrom unabhängig, eine spezifische Eigentümlichkeit spezieller Pflan- zen sein, oder aber ist die Erscheinung vielleicht auch darauf zurückzuführen, daß die Wurzeln der letzteren Arten so tief gehen, daß sie in nicht mehr salzführenden Erdschichten endigen. Bei der Verbreitung der Wüstenpflanzen spielen Anemochorie und Hygrochasie (Asteriscus pygmaeus Coss. et Dur.) eine wichtige Rolle. Hygrophile Vergesellschaftungen gibt es selbst in der Wüste. Sie sind an Quellen, Salzseen, Flnßläufe gebunden. G. Schwein- furt h beobachtete in der ägyptischen Wüste Ohara foetida A. Br., Nitella, Ruppia, Zanichellia, Potamogetonen. Um die Quellen findet man Dickichte von Typha und Juncus. An den Natronseen bildet Typha latifolia L. einen Ufersaum. Die beiden großen Flüsse Mesopotamiens be- gleiten Auenwälder von Pop ulus euphra- tica Oliv., Salix acmophylla Boiss. und S. alba L., und Hochgrasfluren der Savannenpflanze Imperata cylindrica (L.), Beauv., die auch in Aegypten oft weite Strecken bedeckt. Im Silberglanz ihrer Rispen täuscht sie von Ferne Wasserflächen vor. Im Irak Arabi bedecken riesige Sümpfe von Schilf und Typha große Strecken, die Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV. 818 Geograplüe der Pflanzen (Florenreielu jedes Frühjahr unter Wasser gesetzt werden. Man unterscheidet innerhalb des nord- afrikanisch-indischen Vegetationsreiches drei ; Provinzen, nämlich: a) Die Sahara. Sie reicht vom atlanti- schen Ozean bis zum westlichen Kand des Nil- tales. Füi- diese Provinz bezeichnend ist die relativ große Zahl an paläotropischen Elementen. Von Norden her sind aber zahlreiche mediterrane Arten oder von medi- terranen Typen abzuleitende Species in die Wüste hineingeflutet ; das gilt ganz be- sonders für die Halbwüsten längs des Nord- randes der Sahara. Daneben lassen sich aber auch östliche Einstrahlungen nach- weisen. Auf der Ebene von Bagdad, südöstlich von der Oase Figuig fanden wir eine neue afrika- nische Varietät der Euphorbia Dracun- culoides Lam., einer indisch-arabischen Art. Von L. Di eis und mir wurde in der | Kieswüste bei Colomb Bechar ein neuer Con volvulus (C 0 n V 0 1 V u 1 u s T r a b u t i a n u s Schweinf . u. Muscheler) entdeckt, nächst verwandt mit Con volvulus spinosus Burm. aus Persien; er bildet ähnlich Zilla einen halbkugeligen Dornbusch. Es sei ferner an Calligonum und Anabasis aphylla erinnert. Nitraria retusa (Forsk.) Aschers, wird im Osten durch Nitraria Schoberi L. ersetzt. Die Acacia tortilis Hayne tritt zum erstenmal (Nordgrenze 28** 20' * N.) im Wüstenplateau der zentralen Sahara südlich von Tugurt auf, aber selbst hier finden sich neben der paläotropischen Asclepiadacee Calotropis procera Dryand (Nordgrenze 26** 30' N.) noch mediterrane Typen. Nerium Oleander L. und Ampelo- desmos tenax (Vahl) Link. Auch die Flora der Hochländer von Tibesti, Ahaggar, Fesan in der zentralen Sahara hat noch viele Arten, die auch dem Wüstengebiet Algeriens angehören. Erst in Azaoua bei 20" 49' N. treten Acacia arabica Willd., Salva- dora persica L., Cocculus Leaeba DC. und Capparis decidua (Forsk.) Pax. auf. Vor allem wichtig ist aber das Vor- kommen von Hyphaene thebaica Mart. und Acacia arabica Willd. bei 19" 43' N. Mit dem Eintritt in die Ebene von Bornu sind wir entschieden bereits in einem anderen Florengebiet. Während gegen das Niltal die Wüste wie abgeschnitten ist, läßt sich vom Sudan gegen den Wendekreis ein ganz allmähliches Ausklingen des tropischen Ur- waldes und der Savannenlandschaften durch Steppenbildungen zu Halbwüsten und schließ- lich zur reinen, fast pflanzenlosen AVüste feststellen. b) Die ägyptisch -arabische Wüste In Mesopotamien und Nordarabien sind die Temperaturextreme größer als in der nördlichen Sahara, doch sind in den nördlichen Abschnitten die Niederschläge im Winter und Frühjahr viel reichlicher. Dies hat zur Folge, daß in diesen Strichen die Vegetation reicher ist und daher Steppen auftreten. Die Wüste beginnt vielmehr erst südlich von Ana am Euphrat und Tekrit am Tigris. In Bagdad kam es vor, daß im Verlauf von 20 Monaten nur vier kurze Gewitterregen fielen. Kies- und Sandwüste Mesopotamiens decken sich, sogar in den Species, mit den entsprechenden Bildungen am Nordrand der algerischen Sahara. Aus dem mesopotamischen Steppen- gebiet erhebt sich der aus Kalk bestehende Dschebel Abd el Asis; er beherbergt eine Strauchvegetation, die einerseits an die kurdischen Vorberge, andererseits an die Gebirge bei Palmyra in der ,, Syrischen Wüste" erinnert. Die wichtigsten Arten sind Prunus Orientalis (Mill.) Köhne mit beiderseitig schneeweißfilzigen Blättern, der kahle dornige Prunus microcarpa C. A. Mey. und Crataegus Azarolus L. Be- achtenswert ist das Auftreten von Triticum Thaoudar Keut., einer wilden Form aus der Verwandtschaft des einkörnigen Weizens. Zu der Dattelpalme gesellt sich in den Oasen auch noch die Palmyrapalme (Borassus flabelliformis L.), eine gigantische Fächer- palme, die von Senegambien durch die tro- pischen Savannen Afrikas bis nach Ceylon und Vorderindien verbreitet ist, in Syrien aber ihren Nordpunkt erreicht. c) Die südpersisch -sin diso he Provinz. Sie schließt sich sehr eng der Flora Irans und der zentralasiatischen Wüsten an. Wie jeder Wüstenregion, so fällt auch dem nordafrikanisch-indischen Vegetations- reich florengeschichtlich eine doppelte Mission zu: einerseits ist sie AVanderungshindernis und Grenzscheide zweier Florenreiche, die ge- wissermaßen nur schüchtern vereinzelte Vor- truppen in den vegetationsfeindlichen Raum entsenden, andererseits bilden diese ariden Regionen für die Pflanzenwelt eine harte Schule, in der unter dem Druck exzessiver Lebensbedingungen neue Gestalten ent- stehen. Wüsten sind daher Florenbildungs- herde oder letzte Refugien altertümlicher Formen, die anderswo im Konkurrenzkampf mit lebenskräftigeren Alten zugrunde ge- gangen sind. Neben Neoendemismen be- sitzt unser Gebiet auch eine Reihe endemi- scher Gattungen von oft recht isolierter Stel- lung. Sie verleihen der Saharaflora ein antikes Gepräge. 7. Ostasiatisches Vegetationsreich. Chinesisch-japanisches Gebiet, Uriasia- ticum. Ostasiatische Ländergruppe. Extratropiseh-ostasiatisches Gebiet (zum Teil nach A. Eiigler). Temperiertes Ost- asien. Das ostasiatische Vegetationsreich grenzt Geog-rapliie der Pflanzen (Florenreiche) 819 im Norden an die sibirische Provinz des enrasischen Waldgebietes, im Westen an das Centrasiaticnm nnd im Süden ' an die nordöstlichen Teile des paläotro- , pischen Florenreiches. Die Südgrenze ver- länft etwas nördlich von Canton nnd Hong- kong. Das Orasiaticum nmfaßt mithin Japan, die südhche Mandschurei mit Korea, Ost- und Zentralchina. Auch das Innere von Yünnan und Birma, sowie der östliche Himalaja sind floristisch Ostasien zuzuzählen. Klimatisch erinnert das Gebiet einigermaßen an die .Mediterraneis und zwar mehr an deren atlantischen Teil. Es hat aber den Vorzug bedeutend ausgiebigerer Niederschläge. Nur in Charbin (48,4 cm) und Tientsin (48,7 cm) fällt die jährliche Regenhöhe unter 50 cm. In Nordchina, der Mandschurei und auf Yezo liegt sie zwischen 53 und 100 cm, meistens wird jedoch 120 bis 160 cm erreicht, ja vielfach über- schritten. Als Maximalwerte seien Kanazava (Japan) mit 253,2 cm und Kochi mit sogar 283,1 cm hervorgehoben. Ostasien hat ebenfalls seine Regen- und Trockenzeiten, doch auch in dieser Hinsicht liegen die Verhältnisse viel günstiger als im Mittelmeergebiet, in dem die Regenzeit auf den Sommer fällt. Thermisch ist der Winter im Süden und auf den japanischen Inseln noch sehr mild, im nörd- licheren Binnenlandabschnitt aber bereits rauh und frostreich. Der Winter Japans ist schneereich. Acht Monate sind sicher frostfrei. Der Frühling be- ginnt schon Ende Januar. Ein großer Nachteil ist die Bespülung der nördlichen Küsten durch die kalten Oja- und Limanströmungen, welche durch die Berings- straße an die Ostküste Japans, bezw. aus dem ochotskischen Meere ins japanische Meer nach Süden triften, so daß der Hafen von Wladiwostok, in der Breitenlage von Neapel gelegen, im Winter 3 bis 4 Monate zugefroren ist (Januarmittel — 15<'C). Selbst Port-Arthur (Breite von Palermo) hat noch einen sehr harten Winter, wogegen Japan unter derselben Breitenlage eine wesent- liche Milderung der Winterkälte und reichlichere Niedersclüäge aufweist. Für Nordwest-Nippon kommt noch die weniger scharf ausgesprochene Periodizität derselben hinzu. ,,Der Regenfall hat hier zumeist zwei Maxima, ein Frühsommer- maximum und ein Herbstmaximum; von Mitte Juli an und im August lassen die Regen etwas nach." Der Himmel bleibt dann völlig mit Wolken bedeckt und mehr oder weniger Regen fällt jeden Tag. Und 0. Drude sagt: ,,Man kann die Reihenfolge der ostasiatischen Vegetations- regionen vielleicht durch den Vergleich der Landstriche von Großbritannien südwärts über Spanien nach der atlantischen Flora veranschau- lichen, nur mit dem Unterschiede, daß hier ein viel reicheres Florengebiet südwärts Anschluß hat als dort." Ein weiterer Vorzug, der sich besonders in der Florengeschichte geltend machen mußte, ist der vorherrschend nordsüdliche Verlauf der wichtigsten Gebirgssysteme. So wurde in dieser Richtung dem Austausch der Floren kein ernstliches Hindernis entgegengestellt. Paläotro- pische Florenbestandteile konnten, besser als anderswo, wo Wüsten und Hochländer ihrer Ausbreitung hindernd entgegentraten, durch das subtropische Klima begünstigt, weit nach Norden vorstoßen. Aber auch nordische Elemente vermochten, wenigstens in den Gebirgen, erfolg- reich nach Süden zu wandern. Keine Eiszeit hat, wie in Europa, die Kontinuität mit der Tertiärflora ernstlich gestört. Einzig die höheren Gebirge von Nippon und Nordkorea hatten kleine isoherte Eiszentren entwickelt, doch kam den- selben kaum eine florengeschichtliche größere Bedeutung zu. Diese erdgeschiehtlichen Momente, ver- bunden mit den sein- günstigen klimatischen Verhältnissen bedingen im Oriasiaticnm eine nngewöhnlich reiche Pflanzenwelt. Es ist ein ausgezeichnetes Uebergangsgebiet, mit vielen alten Typen, vor allem aber mit einer außerordentlich reichen Waldflora. Während in den nördlichen Teilen boreale, subarktische und arktisch-nivale Elemente vorherrschen, kommt in den südlichen Abschnitten das subtropische Element immer mehr zur Gel- tung. Nach Asa Gray zeigt die Flora Japans merkwürdigerweise eine viel nähere Verwandt- schaft mit derjenigen des atlantischen als mit der des pazifischen Nordamerika (vgl. den folgenden Artikel „Genetische Pflanzen- geographie"). Im reichen Mischwald Japans smd 66 Gattungen von Holzpflanzen mit 188 Arten vertreten; ebenso viele Gat- tungen, aber nur 155 Arten hat das atlanti- sche Nordamerika, indessen die Wälder der pazifischen Union kaum halb so viele Gat- tungen und Arten zählen, und Europas W^älder noch wesentlich einförmiger sind. Horizontal lassen sich drei Vegetations- zonen unterscheiden: a)Die subtropische Zone mit immergrünen Eichen, Myrtaceen, und Lauraceen, umfaßt den größten Teil Südchinas,nördlich etwa bis Shanghai,wie auch das südliche Nippon; b) die warme ge- mäßigte Zone sommergrüner Wälder, mit Nordchina, dem größten Teil Koreas und Nordnippon; c) die kalte gemäßigte oder Coniferenzone in der nördlichen Mand- schurei, Nordkorea nnd auf Jesso. Das ostasiatische Vegetationsreich wird in sieben Provinzen gegliedert, davon ent- fallen vier auf das Festland nnd drei auf die vorgelagerte Inselwelt. A) Auf dem Kontinent. 1. Die südchinesische Provinz. Sie ist ursprünglich in ihren feuchteren Gebieten durch einen überaus artenreichen, subtro- pischen Regenwald ausgezeichnet ge- wesen. Infolge der intensiven Kultur ist der- selbe allerdings vielfach auf die abgelegenen Berglandschaften zurückgedrängt. Er zeigt enge Beziehungen zum malesischen Vegeta- tionsreich. Der nach Norden allmählich ab- nehmende Niederschlag und die rauheren 52 82(J Geog-raphie der Pflanzen (Florenreiche) Winter setzen einem Vertreter des Regen- waldtypus nach dem anderen eine nicht zu überschreitende Nordgrenze, so daß die sommergrünen Arten immer mehr an Boden gewinnen. Wichtige Charakterpflanzen dieser Vegetationsprovinz sind: Der Oelfirnis- baum (Rhus vernicifera DC), der den feinen chinesischen Lack liefert, und der Wachsbaum(Stillingia sebiferaWilld.), eine Euphorbiacee. Aralia papyrifera Hook, hat glänzende, handförmig geteilte Blätter. Panax Ginseng C. A. Mey., auch eine Araliacee, steht bei den Chinesen als Heilpflanze in hohem Ansehen und wird von Schmidt noch am Suifunfluß bei Wladiwostok wild angegeben. Ausgezeichnete Bastfasern liefern die Nesselgewächse Boeh- meria tenacissima (Roxb.) Gaud. und B. nivea (L.) Gaud. Nahezu bis zur Nord- grenze wächst der Kampferbaum (Cani- phora off icinalis N. v. E.) wild, noch nörd- licher sieht man ihn in Kultur. Auch sommer- grüne Laura ceen fehlen nicht (Lindera). Eine verbreitete Charaktergattung ist die Ternstroemiacee Eurya, so besonders E. chinensis Brow^i und E. japonica Thunb. Selbst Palmen kommen vor. Die stattliche Trachycarpus excelsa (Thunb.) Wen dl. erreicht im oberen Hantal ihre Nordgrenze ; T. F o r t u n e i (H o ok) W^endl. gehört Japan an. Doch auch einige eigenartige Nadel- hölzer spielen in der südchinesischen Land- schaft eine wichtige Rolle, wie die nur etwa 6 m hohe Thuja (Biota) orientalis L., ferner die Gattung Cephalotaxus mit vier Arten in China und Japan. Das monotypische Genus Cunninghamia (C. sinensis R. Br.) ist im südlichen China und in Cochinchina heimisch, ganz besonders aber der Gingko (G. biloba L.) mit seinen fächerförmigen, derben, im Herbst abfallenden Blättern. Er fehlt wohl in keinem chinesisch-japanischen Tempelhain. Die Gattung Glyptostrobus ist auch in China heimisch. Wegen ihrer Be- vorzugung sumpfiger Orte wird sie als ,,Then- tsong" (= Wasserfichte) bezeichnet. Stattlich ist auch die Zahl i m m e r g r ü n e r E i c h e n und Magnoliaceen. — Der ostasiatische Regen- wald erstreckt sich von den Hängen des östlichen Himalaja über das südliche und mittlere China nach Formosa und Südnippon. Neben der Großblättrigkeit fällt der Reich- tum an Lianen (Wistaria chinensis DC.) und Epiphyten, unter denen Farne und Orchideen besonders hervorzuheben sind, auf. An trockenen Stellen bedecken immer- grüne Hartlaubgebüsche nach Art der mediterranen Macchien weite Strecken. Doch es sind ganz andere Ai'ten, vielfach sogar an- dere Genera. Durch die fortschreitende Ent- waldung gewinnt diese ,, Maquisformation" immer mehr an Boden. Aus derselben ragen einzelne Bäume empor. Nach Richthofen steht mit der Entwaldung auch das Vor- dringen östlicher Steppenelemente im Zu- sammenhang. Unter den Ternstroemia- ceen ist die Gattung Camellia mit ca. 15 strauchigen Arten vertreten, C. japonica L. wird auch noch in Südjapan angetroffen. Nah verwandt ist die Gattung Thea, doch ist der für Chinas Nationalreichtum so wichtige Teestrauch (Thea sinensis L.) höchst wahrscheinlich daselbst nicht ur- sprünglich. Er findet sich wild im Innern der südchinesischen Insel Hainan. Manche Autoren verlegen seine eigentliche Heimat in das östliche assamische Grenzgebiet, von wo derselbe im Jahre 810 n. Chr. als Kultur- pflanze nach Ostasien gelangte. Erwähnt seien noch die bei uns öfters als Zierpflanze gehaltene A u c u b a c h i n e n s i s B e n t h . , ferner Evonymus chinensis Lindl. und E. alata Rupr. , deren Aeste Korkleisten tragen, sowie zahlreiche Bambusen. Syringa sempervirens Franchet ist ein immergrüner Strauch Yün-nans. 2. Die Yün-nan-Szetschwan- Berg- land- und Gebirgsprovinz. Sie umfaßt die südwestlichen Provinzen Chinas und geht bis in die nördlichen Grenzgebiete von Cochin- china, von Birma und dem östlichen Hima- laja. Diese Länder sind erst im Erschließen begriffen. Ihr ungeahnter Reichtum an Endemismen, von zum Teil sehr isolierter Stellung, andererseits aber auch das Vor- handensein von zahlreichen Arten aus Gat- tungen,die in den mehr nördlicheuAbschnitten der Holarktis nur durch eine oder wenige weitverbreitete Species vertreten sind, gibt diesem Gebiet als wichtigem Florenbil- dungsherd eine große Bedeutung. Mit Nachdruck hat L. Diels darauf hingewiesen, daß in den Wäldern und in den Gebirgs- floren des Innern von China eine hochbedeut- same Anhäufung von allgemein borealen Zügen zu erkennen ist. Beziehungen sowohl zu Nordamerika, Nordasien wie auch zu Europa sind nicht zu verkennen. Die Nord- grenze bildet der Tsin-ling-schan, die Grenz- scheide zwischen der üppigen Vegetation von Sze-tschwans und der zur Mongolei gehörenden Steppen des mittleren Hoangho- tales. Seit langem hat sich hier die Vegeta- tion ohne erhebliche Störung entwickeln können. L. Diels charakterisiert treffend diesen Erdenraum, wenn er sagt: ,, Breiter als irgendwo auf der Erde berühren sich tropische und ge- mäßigte Lagen. Hohe Feuchtigkeit trägt der Monsum bis zu den innersten Grenzen der Gebirge. In Osttibet legen sich die Ketten nicht wie ein Riegel vor die Leben spendenden Luft- ströme, wie am Himalaja. Durch zahlreiche I Pforten ergießt sich der milde Hauch in die Ge- birgswelt. Feine Tönung des Klimas vereint sich Geograpliie der Pflanzen (Florenreiclie) 821 mit der tausendfältigen Gliederung des Geländes, der Höhe, dem Wechsel der Böden. Dies alles macht das Gebiet geeignet, aus der tropischen Fülle die nordische Flora auszulesen, die heute die (nördliche) Halbkugel beherrscht, da konnten sich laubwerfende Bäume bilden, da wurden Spezies erzeugt, die dem rauhen Klima Tibets gewachsen waren, die zum trockneren Himalaja wanderten, welche die Steppen weiter westlich besiedeln konnten. Osttibet nebst Westchina erscheint als em in seiner Fernwirkung vielleicht i unerreichtes Land. Wenn es auch nicht gerade die Stammflora jener Vegetation enthält, die heute die Holarktis bewohnt, so hat es jedenfalls von ihrem Bestände noch die treueste Kunde bewahrt." Nach David soll die Baumgrenze stellen- weise erst zwischen oOOO und 3500 m erreicht werden. Fünf Nadelhölzer bilden die herr- schenden Waldbäume. Alnus setchua- nensis geht bis 2000 m. Die feuchten Wälder sind sehr reich an Rhododendron, die zum i Teil epiphytisch wachsen. In tieferen Lagen treten Magnoliaceen, Lauraceen, Eichen i mehr und mehr in den Vordergrund. Bam- 1 b u s e n gehen m it R h u s , C 0 r y 1 u s , R 0 s a no ch bis 3100 m. Nach Delavay, Forbes und Hemsley wissen wir, daß wenigstens 40% , der Flora Yün-nans endemisch sind. Von den 20 Primeln sind 16 neu, ebenso von 16 Gen- tianen 10. Von den 141 Ranuncnlaceen Chinas sind 49 nur von Yün-nan bekannt; sogar neue Familien wurden hier noch ent- deckt. Viele boreale Arten erreichen in diesen Ländern ihre höchste Entfaltung, so- wohl nach Artzahl, wie nach der Ausbildung der einzelnen Typen, so z. B. Polygona- tum,Lilium,Delphinium, Epimedium, Berberis, Saxifraga, Rhododendron, Primnla, Gentiana, Senecio. 3. Die nordchinesische Provinz. Sie ist wiederum ein Gebiet lanbabwerfender Sommerwälder. Die Artzahl ist noch recht groß, doch gegenüber dem Süden entschieden im Rückgang. Die paläo tropischen Elemente treten immer mehr zurück, der Uebergang ist aber ein ganz allmählicher. Auch die Epi- phyten und Lianen verlieren mehr und mehr an Bedeutung. Immerhin sind die AVälder noch erheblich reicher an Arten, als dies in Europa der Fall ist. Neben Gattungen, welche auch bei uns vorkommen, wie Acer, Alnus, Betula, Jnglans, Quercus, Tilia, die aber in Ostasien viel artenreicher entwickelt sind, gibt es zahlreiche Gattungen, die wir nur als Park- und Kulturbäume halten, die der einheimischen Flora aber fehlen. Morus alba L. ist als Grundlage der Seiden- raupenzucht von größter Bedeutung, ferner Gleditschia(Gl. sinensisLam.), Sophora (S. japonica L.), Ailanthus (A. glandu- losa Desf.), der wichtige Papiermaul- beerbanm (Broussonetia papyrifera Vent.), der Catalpa (C.Bungei C. A.Mey.), die Scrophulariacee Paulownia imperialis Sieb, et Zucc. (Japan) und die Ulmacee Microptelea chinensis Desf. Im Unter- wuchs dieser Wälder treten besonders Sträu- cher aus den Genera Deutzia, Hydrangea, Rhododendron, Ligustrum, Syringa, Lonicera häufig auf. Die unfruchtbaren Hügel haben steifen Graswuchs und Gestrüpp von Lycium chinense Mill., Vitex Negundo L., Zizyphus Kämpferi. Bis 2000 m sind die höheren Berge mit Birken- und Haselgehölz bestanden. Nadelhölzer sind im Gebirge reichlich vorhanden. 4. Die mandschurische Provinz. Sie umfaßt neben der Mandschurei auch noch Nordkorea, den Ussnridistrikt und Nordjesso. Neben Laub- und Nadelwäldern tretenWiesen, Moore und im östlichen Teile ausgedehnte Steppen auf. So trägt das Land auf weite Strecken den Charakter einer Parkland- schaft. Als Leitpflanze tritt Juglans mandschurica Maxim., ein sehr be- zeichnender arktotertiärer Typus auf. Sie ist überall den Laubwaldungen der Hügel und Berge eingesprengt und bis zur Bureja und zum Amur verbreitet. Nördlich davon verläuft die Vegetationslinie von Pinus mandschurica Rupr., sie ist nächstver- wandt mit der Arve, südlich diejenige von Pinus ussuriensis Maxim. Alle diese Linien fallen gegen die kalte Küstenregion um reichlich 4 Breitengrade steil nach Süden ab. Andere Arten wie Corylns hetero- phy IIa Fisch, erreichen die Küste überhaupt nicht. Von den mandschurischen Charakter- pflanzen geht Quercus mongolica Fisch, nördlicher als alle anderen Arten, sie wird noch amAmur nördlich vom53" N. angetroffen. Auch zwei Ahorne: Acer Mono Maxim, und A. spicatum Lam. erreichen 52" 30' N,, bezw. 54" N. Pinus koraiensis S. et Z. der Gebirge Koreas gehört ebenfalls zur Cembragruppe. Als Liane durchzieht Vitis amurensis Rupr. den Wald. Mit Betula dahurica Pall. und Larix dahu- rica Turcz., die bereits über das Jablonoi- gebirge hinausgehen, erfolgt der Anschluß an die ostsibirische Provinz des eurasischen Waldgebietes. Die Wiesen fallen durch das Auftreten zahlreicher Hochstauden auf, sie erinnern so an die Savannen, nur ist das Vegetationsbild viel üppiger, frischer, reiner grün und blumenreicher. B) Japanische Inselwelt. Die über 20 Breitegrade sich erstrecken- ' den, gebirgigen japanischen Inseln zeigen pflanzengeographisch eine ähnliche Drei- teilung, wie wir sie soeben, unter Ausschluß von Innerchina (Yün-nan, Szetschwan), auf dem benachbarten Festlande kennen ge- lernt haben. Infolge der insularen Absonde- 822 Geograplüe der Pflanzen (Florenreiche) rung trägt die Pflanzenwelt aber immerhin ihren ganz spezifischen Charakter. Doch hat sich bei fortschreitender floristischer Durchforschung Chinas gezeigt, daß viele früher für Japan als endemisch betrachtete Arten auch dem Kontinent angehören. Die herrlichen Landschaften Japans, die Vielgestaltigkeit seiner Flora, die zahl- reichen graziösen, wirklich dekorativen Ge- stalten, die in der modernen Gartenbau- kunst Eingang gefunden haben, sind all- bekannt. Der Frühling taucht das Land in ein Meer von Blüten (Prunus pseudocera- sus Lindl., P. japonica Thunb.). In üppiger Pracht schmücken im Sommer die ' langen herabhängenden Trauben der Gly- cine die Lauben des japanesischen Teehauses, und das zarte Rot der Lotusblume erfüllt die zahlreichen Teiche. Im Herbst sieht man in allen Gärten, in den verschiedensten Größen- und Farbennuancen die Chrysan- themums, die japanesische Nationalblume (Wappen) in voller Blüte, und der Wald verfärbt sich in einer wunderbaren Fülle der verschiedensten grünen, gelben oder intensiv roten Farbentöne. In rotem und weißemBlütenschmuck,der sich vom glänzend- grünen Laubwerk besonders wirkungsvoll ausnimmt, prangen die Kamellien im milden Winter. Zu äußerst im Süden erscheinen einige tropische Typen wie Ficus Wightiana Wall., die Fächerpalme Livistona chinensis R. Br., ferner Cycas revoluta Thunbg., Piper Tutokadzura S. et Z., Podocarpus Nageia R. Br. Der außerordentlich reichhaltige Misch- wald Mittelnippons besteht aus verschiedenen Ahornarten (Acer palmatum Thunbg., A. pictum Thunbg.), etwa 20 Eichen, unter denen besonders hervorzuheben sind: Quercus glauca Thunb., Q. serrata Thunb., Q. glandulifera Bl. Die süße Kastanie ist in einer besonderen Rasse ver- treten. Dazu gesellen sich zahlreiche Juglan- daceen wie Juglans Sieboldiana Maxim., Pterocarya stenoptera DC, Platy- carya strobilacea S. et Z. Die Gattung Hex zählt gegen zwanzig Arten, es sind teils stattliche Bäume, teils bilden sie Unterholz (I. latifolia Thunb., I. crenata Thunb.). Ganz besonders häufig und in verschiedenen Gattungen sind die Magnoliaceen (Mag- nolia Kobus DC, Trochodendron aralioides S. et Z., Illicium anisatum L., Katdura japonica Dun.) anzutreffen. Von weiteren tertiären Typen finden sich eine Reihe von Ternstroemiaceen, wie Thea sinensis L., Camellia japonica L., mehrere Actinidia- und Euryaspecies, Stachyurus praecox S. et Z. Die Olea- ceen sind vertreten durch mehrere Eschen (Fraxinus Sieboldiana BL), ferner Osmanthus aquifolium S. et Z., 0. fragrans Laur., Syringa japonica Descaisne, Ligustrum japonicum Thunb. Aber auch boreale Typen wie Lin- den, Erlen (Alnus glutinosa (L.) Gärtn., A. japonica S. et Z.), Buchen (Fagus Sieboldii Endl.), Hainbuchen (Car- pinus japonicus Bl.) und im Gebirge mehrere Birken (Betula grossa S. et Z., B. Ermann i Cham.) fehlen nicht, ebenso- wenig die Genera Populus (P. balsamifera L., P. tremula L. v. villosa Wesm.) und Salix (S. japonica Thunb., S. capreaL.), die zum Teil in denselben Arten wie bei uns auftreten. Ganz besonders reichlich sind endlich die Coniferen vorhanden , darunter mehrfach Typen von ganz isolierter Stellung, wie Cryptomeria japonica (L.) D. Don., Sciadopitys verticillata S. et Z. Auch Gingko bilobia L. ist verbreitet, ferner Podocarpus macrophylla D. Don., Cephalotaxus drupaceä S. et Z., Taxus cuspidata S. et Z., Thuja japonica Maxim., Thujopsis dolabrata S. et Z., die Gattungen Chamaecyparis und Tsuga (T. Sieboldi Carr.). "Dazu kommt noch eine Reihe von Föhren (Pinus Thunbergii Pari., P. densiflora S. etZ.), Fichten (Picea polita Carr.) und Edel- tannen (Abies firma S. et Z., A. Veit- schii Lindl.). Auch Wacholder (Juni- perus rigida S. et Z., J. chinensis L.) fehlen nicht. Endlich sei noch L ar i x 1 e p t o - lepis (S. et Z.) Gord. erwähnt. Nicht weniger mannigfaltig und zum Teil farbenprächtig ist Unterholz und Boden- flora. Groß ist die Zahl der Rhododendren (Rh. quinquefolium Bisset et S. Moore, Rh. dilatatum Miq.). Von Ericaceen kommen z. B. auch die Gattungen Clethra (Clethra barbinervis S. et Z.), Leuco- thoe, Tripetalia (T. paniculata S. et Z.) vor, ebenso mehrere Elaeagnus i mit silberschuppigen Blättern, dazu einige iCornus (C. Kousa Buerg.), Aucuba ja- ponica Thbg., Aralia, Acanthopanax, Rhamnus (Rhamnus crenata S. et Z., Rhamnus japonicus Maxim, usw.), Evonymus japonicus Thunbg. und Pittosporum Tobira (Thunbg.) Ait. Erwähnt sei schließlich noch der Reich- tum an Schlingpflanzen, es sind Meni- spermaceen (Cocculus Thunbergii DC), kletternde Hortensien (Schizophragma hy drangioides S. et Z., Reben (Ampelo- pis heterophylla Thbg., Vitis flexuosa Thunbg., Vitis Veitchi Lynch.) Smilax, Glycine, Dioscorea. Zur Bodenflora gehören Cimcifuga japonica Spreng., Anemone japonica S. et Z., Sanicula chinensis Bl., Salvia splendens Kar- Gawl. Vielfach besitzt der japanische Wald Greographie der Pflanzen (Florenreiche) 823 noch den Charakter eines Urwaldes ; im Norden herrscht Mischwald, im Süden immergrüner Wald. Eine besondere Eigentümlichkeit bildet endlich die „Hara" eine Art Wald- und Gebirgswiese, welche im Gebirge bis 2500 m vorkommt, sie weist keine dichten Gras- polster auf, alles steht locker nebeneinander, ohne geschlossenen Zusammenhang (Rein), aber in sehr artenreicher Vergesellschaf- tung. Nach J. Rein ergibt sich für Japan folgende Höhengliederung: 1. Unterste Stufe: bis 500 m, Pinus Thun- bergii-Stufe mit zahlreichen immergrünen Eichen, Myrtaceen, Lauraceen (Kampher- baum), Cycas, vereinzelte Palmen. 2. Cryptomeria-Stufe: von 500 bis 1100 m, die Bäume erreichen eine Höhe bis zu 40 m, untermischt mit sommergrünem Laubwald, Castanea, Magnolien, Hortensien. Untere „Hara", Bergwiese mit lockerstehenden hohen Kräutern. 3. Abies firma-Stufe: 1100 bis 1700 m, und oberer sommergrüner Laubwald mit Buchen, Eichen und Eschen. 4. Abies Ve itchii-Stufe: obere Coniferen- stufe, 1700 bis 2480 m. Neben Abies Veitchii gehört derselben besonders auch Larix lepto- lepis (S. et Z.) Gord. an. 5. Pinus parviflora-Stufe: Krummholz- stufe von 2480 bis 2800 m. 6. Arktisch-alpine Mattenstufe: mit Zwergsträuchern und Kräutern, von 2800 bis 3300 m, im Norden viel tiefer: Empetrum nigrum L., Vaccinium uliginosum L., Juniperus nana Willd., Ledum palustre L., Loiseleuria, Phyllodoce coerulea G. Godr. 8. Nordamerikanisches Vegetationsreich. Septamericanum, Waldgebiet der westlichen Hemisphäre. Dieses Vegetationsreich erstreckt sich von der arktischenWald- und Baumgrenze bis nach Mexiko, es umfaßt somit nahezu das ganze Nordamerika. Nach Klima- und allgemeinem Vegetationscharakter zeigen diese Länder große Uebereinstimmnng mit dem eurasischen Waldgebiet, doch ergeben sich einige be- achtenswerte Abweichungen : 1. Das Klima ist kontinentaler, im Sommer heißer, im Winter kälter. Selbst die atlantischen Küstengebiete unterscheiden sich hierin nicht wesentlich von den mehr kontinen- talen Teilen im Inneren des Festlandes. Das Vor- herrschen kalter Landwinde aus Nordwesten und die Bespülung der Küsten durch Ausläufer der arktischen Labrador- und Ostgrönlandströmung bedingen strenge Winter. Im Sommer herrschen heiße Landwinde aus Südwesten und Westen, auch macht jetzt der Golfstrom seinen Einfluß weiter nach Norden geltend, so daß selbst an der Küste recht hohe Temperaturen erreicht werden. Das sind Verhältnisse, die mehr an Ost- asien als an Europa erinnern. 2. Nordamerika hat zwei N ie der Schlags - maxima, das eine liegt im Südosten (Florida, Louisiana), das andere im Nordwesten (Nord- kalifornien), dort fallen jährlich 150 bis 180 cm, hier 175 bis 330 cm. Das sind die größten Regen- mengen derVereinigten Staaten. Doch hat das letz- tere Regenzentrum keine große Ausdehnung, denn bis San-Franzisko vermindert sich die jährliche Regenhöhe von 170 auf 56 cm und von da bis San-Diego (32" T N.) auf weniger als 25 cm. Andererseits nimmt vom südöstlichen Regen- zentrum die Niederschlagsmenge nach Norden und Westen ab. Da die spärlicher werdenden Regen zudem vorwiegend im Frühjahr niedergehen und die Sommer sehr trocken und heiß sind, so ent- wickelt sich im Zentrum des Kontinentes vom 98 bis 150" w. L. ein typisches Grasflurklima, das durch das Auftreten von Prärien charakteri- siert ist. Im Windschatten zwischen den west- lichen und östlichen Rocky Mountains nimmt der jährliche Niederschlag noch weiter ab, so daß es hier zur Ausbildung einer ariden Region mit Hochsteppen und Wüsten kommt. Gegen- über dem nördlichen Eurasieu fällt mithin auch die viel stärkere Entwickelung von Grasfluren imd Steppen auf. Dort waren sie auf das Ueber- gangsgebiet zum Centrasiaticum beschränkt, hier dagegen dringen sie m ehier breiten zentralen Zone durch einen großen Teil des Kontinentes, vom Golf von Mexiko bis über den 60° nach Norden. 3. Die Hauptgebirgszüge verlaufen von Norden nach Südsüdost bezw. nach Südsüdwest. Zur Glazialzeit, deren gewaltige Eismassen den nörd liehen Teil des Kontinentes bis zum 39." N. mit einem zusammenhängenden Eismantel bedeckten, konnte sich die Flora ohne Schwierigkeiten nach 1 Süden zurückziehen, um hernach wiederum nach I Norden vorzustoßen. So zeigt die Pflanzenwelt, besonders in den Alleghanys und in Kalifornien, eine ähnlich ungestörte Entwickelung wie in Ostasien. Andererseits ist die Verbindung mit den Tropen weder durch Hochgebirgsmauern, noch durch einen breiten Wüstengürtel so scharf abgeschnitten, wäe in der Alten Welt. Ueber den östlichen Küstensaum Mexikos und über die Antihen haben neotropische Elemente in die südlichen Staaten der Union Eingang gefunden; neotrope Xerophytenelemente drangen von Mexiko nach den ariden Regionen von Arizona, Neu-Mexiko und Utah vor. Einzelne wenig Wärme beanspruchende Formen gehen sogar bis in die nivale Höhenstufe. — Vorherrschend sind boreale und subarktische Elemente; in den Gebirgen dringen arktisch-nivale Floren- I bestandteile, besonders in den Rocky Älountains, weit nach Süden. Zahlreich sind die Nadelhölzer, ' hauptsächlich im subarktischen Gebiet und in der Sierra Nevada Kaliforniens. Ein großer Reichtum an Laubhölzern ist für die Alleghanys bezeichnend; weiter nach Westen tritt eine Ver- armung ein, auch sind die laubwerfenden Bäume hauptsächlich an die Flußläufe gebunden. Pflanzengeographisch werden drei Haupt- gebiete unterschieden: a) im Norden das subarktische Nordamerika, ganz Ka- nada, südlich von der arktischen Waldgrenze ; bis zu den großen Binnenseen umfassend. j Weiter im Süden schließt sich an b) das Ge- jbiet des pazifischen Nordamerika, östlich bis zum Ostrand des Felsengebirges 824 Geographie der Pflanzen (Floreni-eiche) und c) das Gebiet des atlantischen Nordamerika, östlich obiger Linie bis zum Atlantischen Ozean. A) Subarktisches Nordamerika. Gewaltige, einförmige, vorwiegend aus Nadelhölzern aufgebaute, stellenweise von Mooren und Seen, im Süden auch von Steppen- inseln unterbrochene Wälder bedecken den größten Teil des subarldischen Amerika. Verhältnismäßig reich an Arten ist der Wald Alaskas. Der Hauptcharakterbaum ist die Spruce-Fichte (Picea alba [Ait.] Link), daneben findet sich aber auch noch die für Nordostasien bezeichnende Sitkafichte (Picea j sitchensis [Bong.] Carr.). Die Lärche fehlt. | Andere Nadelhölzer sind mehr von untergeord- ; neter Bedeutung, so die Zwergkiefer (Pinus i contorta DougL), die nur in kleinen Be- ständen m der Nähe der Waldgrenze auftritt. Ferner kommen vor: die Hemlocktanne (Abies Mertensiana Lindl.), die Balsamtanne I (Abies balsamea [L.] Mill.). Wichtiger ist das Auftreten einiger Laubbäume, wie Kanu- birke (Betula papyrifera Marsh.), Alpen- erle (Ainus viridis [ChaixJLam. et DC.) und einer Espe (Populus tremuloides Michx.). An Ufern wachsen die Balsampappel (P. balsamifera L.) und die auch bei uns ver- breitete Grauerle (Alnus incana [L.] Mönch). Von Sträuchern bemerkt man: Ribes rubrum L., Spiraea salicifolia L., Cornus stoloni- fera Michx., Viburnum pauciflorura Pyl. Die Bodenflora hat Linnaea borealis L., Arctostaphylos uva-ursi [L.] Spreng., Cornus canadensis L. und das arktische Element Arabis Holboellii Hörn. Nirgends ist der polare Wald so reich an verschiedenen Baumarten wie in Alaska, besonders fällt die große Zahl von Laubhölzern auf; sie bilden in den Flußtälern die Vorposten der Fichten- wälder. Nach Petroff geht der Baumwuchs kaum über 300 m Meereshöhe. Die Hügel und Bergländer sind daher noch mit ausgedehnten Tundren bedeckt. Der Wald ist an die tieferen Lagen des Landes gebunden. Jenseits der Hauptwasserscheide der Rocky Mts. ändert sich das Bild. Bezeichnend ist das erneute Auftreten der Lärche, in einer von der altweltlichen Art etwas abweichenden Variante (Larix americana Michx.), die besonders auf Sumpfboden durch das ganze subarktische Amerika verbreitet ist, westlich jedoch nur bis zum Beil-River geht. Der ,,Tamarack" hat jedoch nicht dieselbe führende Rolle wie die sibirische Lärche. Wie in Alaska, so sind auch hier vorhanden: Balsampappel, Kanadaespe und Kanubirke. Diese Arten finden sich überall trappenweise, besonders auf Waldbrandboden. An die Flußalluvionen halten sich Erlen und Weiden, sowie Ribes petraeum L'Her., Betula occidentalis Hook., auf Sandboden Elaeagnus argentea Pursh. Als Begleit- formationen treten auf üppige Hochstauden- fluren, Sümpfe und Moore mit Betula nana L., Lonicera coerulea L., Rubus Chamae- morus L., Kalmia glauca Ait., doch kornmen auch einige spezifisch nordwestamerikanische Elemente hinzu: Zygadenus elegans Pursh., Douglasia arctica Hook., Arnica Chamis- sonis Less. — Von Süden reicht Pinus Banksiana Lamb. in diese Zone hinein, macht aber stets einige Breitengrade südlich von der Baumgrenze halt. Das Unterholz ist überall auffallend dicht. Vorherrschend sind jedoch Fichten, die diesen fast unbewohnten Wald- gebieten ein einförmiges, düsteres Aussehen verleihen. Die Leitart des Mackenziebezirkes ist die Weißfichte (Picea alba [Ait.] Link). Im Delta des ^lackenzie erreicht sie mit 68° 55' N. und daiuit auch das nordamerikanische Waldgebiet ihren Polarpunkt. Im Labrador- bezirk, östlich von der Hudsonbucht, tritt die Weißfichte stark zvu-ück. An ihrer Stelle erscheint die Schwarzfichte (Picea nigra [Ait.] Link), ganz im Süden auch Thuja occidentalis L. Die Moore sind hier ganz besonders reichlich vorhanden. Nördlich von der Waldgrenze ist die arktische Flora sehr stark entv/ickelt. B) Pazifisches Nordamerika. Es ist ein außerordentlich mannigfach gestaltetes, von zahheichen Gebirgsketten durchzogenes, größtenteils nach dem Pazi- fischen Ozean entwässertes Gebiet. Ebenso vielgestaltig sind seine Vegetations Verhält- nisse. Tiefländer mit zum Teil subtropischer Pflanzenwelt wechseln wiederholt mit Steppen-, ja sogar Wüstencharakter tragen- den Hochländern ab. Die dazwischen sich auftürmeiulen Gebirge sind in ihren mittleren Lagen vielfach noch gut bewaldet, die Hoch- gebirge beherbergen eine sehr eigenartige alpine Flora. 1. Die pazifische Küstenprovinz. Sie hat ein gemäßigtes Seeklima mit milden, feuchten Wintern und trockenen, heißen Sommern und erinnert somit einigermaßen an' die südliche Mediterraneis. Das kalifornische Küstenland ist in seinen tieferen Lagen haupt- sächlich von Hartlaubgehölzen bedeckt. Aus diesen Buschbeständen erheben sich nur ver- einzelte Bäume. Es sind meistens Eichen mit kleinen, lederartigen, ganzrandigen oder stacheldornigen Blättern, wie Quercus agrifoliaNee,Quercus dumosaNutt. und Quercus oblongifolia Torr., dazu gesellt sich der kalifornische Lorbeer(Umbellu- laria californica Nutt.) und Castanop- sis chrysophylla A. DC. Vorberge und Hügel bedecken schwer durchdringbare Macchien, die wie im Mittelmeer vorwiegend aus SkkMopliyllen bestehen. Diese Vergesell- schaftungen, iin denen alle möglieben Familien beteiligt "sind, werden als „Chaparral" be- zeichnet. Da finden sich Ericaceen wie Arctostaphylos tomentosa Lindl., \ Rosaceensträucher (Prunus ilicifolia IWolp., Adenostoma fasciculatum H. 1 v. A.), ferner Rhamnaceen (Rhamnus f ran- guloides Willd., Ceanothus cuneatus |Nutt.); aber auch Zygophyllaceen, Anacar- diaceen (Rhus), Legtiniinosen und Labiaten [fehlen nicht, selbst die Papaveraceen (Den Geograpliie der Pflanzen (Florenreiche) 825 dromecon) sind unter den Hartlaubhölzern vertreten. Als Begleitpflanzen erscheinen viele Zwiebel- und Knollengewächse. Phy- siognomisch erinnern diese Bestände somit sehr an die mediterranen Macchien, zeigen aber floristisch eine total andere Zusammen- setzung. Neu treten hinzu einige Sukkulenten, darnnter mehrere Cacteen, als Ausstrah- lungen des neotropischen Xerophyten- gebietes von Mexiko. In den Gebirgslagen sieht man die kalifornischen Hartlaubgehölze vielfach auch als Unterholz der Waldungen. Unter den laubwerfenden Arten fällt Aes- culus californica Nutt. besonders auf. Auch auf dem ganzen Küstengebirge sind die gegen das Meer gekehrten Abhänge mit „Chaparral" bedeckt, indessen in den tiefereu Faltungen der Berge Hochwald vorkommt. In freien Lagen treten lichte Bestände von Cupressus macrocarpa Hartw. auf; auch immergrüne Eichenwälder ( Q u e r c u s c h r y s o - lepis Liebm.) sind im Küstengebirge wie in den unteren Lagen der Sierra Nevada sehr häufig. Qnercus Kellogii Newb. ist laub- werf end, Qu e r c u sBr e w e r i E n g 1 m. strauchig, sie bildet schwer zu durchwandernde Dickichte. Das nordkalifornischeKüstengebirge hat reich- lichere Niederschläge und ist dementsprechend besser bewaldet. Prachtvolle Hochwälder von Sequoia sempervirens Endl. be- decken die Berge bis etwa zu einer Meeres- höhe von 700 m. Ganz nah am Meeresufer, besonders auf felsigen Klippen, stockt Pinus radiata Don., durch ihre Schirm- krone einigermaßen an die Pinie erinnernd. Ganz im Süden endlich ist nahe San-Diego Pinus Torreyana Parry auf dem zer- klüfteten Abfall der Küstenfelsen angesiedelt. Sie hat hier ihren einzigen Standort. Ganz anders die westliche Abdachung der Sierra Nevada. Auf die Chaparral- stufe der tieferen Strichen folgt bald der außerordentlich reiche Bergwald. In den niederen heißen Lagen herrschen lichte Be- stände der Diggerkiefer (Pinus Sabin iana Dougl.). Von 800 m an beginnen die ge- schlossenen Waldungen der Pinus ponde- rosa Dougl. Im Talboden des Yosemite- tales mischen sich bei: der thujaähnliche Libocedrus decurrensTorr.,dieDouglas- tanne (Pseudotsuga taxifolia Britt.), die schöne Abies concolor Lindl. und Gord. Etw^as höher ist der Wohnsitz der Zucker kief er Pinus L a m b e r t i a n a D o u g 1. , mit ihren langen, wagerecht abstehenden Seitenzweigen und gewaltigen bis 50 cm langen Zapfen. Aber der König der Bäume ist doch die gewaltige Sequoia gigantea D C, welche nicht selten über 100 m erreicht. Alle diese Riesenbäume zeichnen sich durch schmale, steil kegelförmige Kronen aus, so- daß bei der verhältnismäßig schwachen Ent- wickelung der Seitenäste der Gesamtumriß der Bäume sehr an die schlanke Zypresse erinnert. Diese Sequoia steigt im Gebirge bis zu 3000 m und ist nur von der Sierra Nevada bekannt, doch ist sie daselbst noch verbreitet. Einige Gattungen wie die Sectio n Chamaecyparis der Gattung Cupressus und das Genus Torreya hat das Gebiet mit Ostasien und den atlantischen Staaten gemein. Das Genus Libocedrus findet sich auch in den südamerikanischen Anden und auf Neu- seeland. Der Norden (Oregon) hat einige Besonderheiten, so Thuja gigantea Nutt. und Abies Mertensiana Lindl. Im Unter- holz trifft man schönblühende Sträucher, die wie Ribes sanguineum Pursh, Mahonia aquifolium Nutt. in unseren Gärten Ein- gang gefunden haben. Auch die in Europa vielfach eingebürgerte Gauklerblume (Mimulus Intens L.) hat hier ihre Heimat. Gegenüber den Nadelhölzern kommt den kalifornischen Laubholzbeständen (Acer macrophyllum Pursh, Castanopsis chrysophila A. DC, Arbutus Menziesii Pursh) nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Wie der ^Icditeiraiieis, so gehört auch dem pazifisch-amerikanischen Subtropen- gebiet nur eine einzige Palme an, nämlich die Washingtonia filifera Wendl., die übrigens nur ganz im Süden vorkommt. 2. Die pazifische Binnenlands- Steppenwüstenprovinz. Sie umfaßt das weite, in einer mittleren Meereshöhe von 900 bis 1400 m gelegene Hochlandgebiet zwischen Sierra Nevada und Kaskadengebirge im Westen und der Hauptkette des Felsen- gebirges im Osten. Zahlreiche Gebirgs- züge zerteilen dasselbe in eine Reihe mehr oder weniger für sich abgeschlossener Becken. Ein trockenes, sonniges Klima (bis 80% der möglichen Sonnenscheindauer) ist diesen Ländern eigen. Die hohen Randgebirge fangen den Regen ab, so daß die inneren Hochländer sehr dürftige und zudem un- regelmäßige Niederschläge zu verzeichnen haben. Nach Süden steigert sich nicht nur der kontinentale Charakter des Klimas, sondern auch die Wasserarmut. So nehmen gegen die mexikanische Grenze die Land- schaften mehr und mehr Wüstencharakter an. Im Grand Canon (2090 m) fallen im Mittel von 3 bis 5 Jahren noch 64 cm Regen; der mittlere Regenfall über dem Coloradotal be- trägt weniger als 28 cm, Tucson 29,8 cm, Fort Mohave hat 7,9 cm, Fort Yuma sogar nur 6,8 cm. Die Luft ist vielfach staubig, am Boden sieht man weißliche Salzausblü- hungen (Glaubersalz, Soda). Die Verwitte- rungsprodukte werden nur ungenügend aus- gelaugt, so enthält die Erde oft reichlich Kaliphosphat, Salpeter und ist daher, so- bald das nötige Wasser zur Verfügung steht, außerordentlich fruchtbar. Die Alkaliböden sind mithin eine Funktion des Klimas. Mitten 826 Geograpliie der Pflanzen (florenreiche) in der Wüstenlandschaft zanbern Bewässe- rungsanlagen (aus Flüssen, artesischen Brunnen) kleine, aber sehr ertragreiche Oasen hervor. Banmwnchs ist nur längs der Wasser- läufe und in den höheren Gebirgslagen an- zutreffen. Zudem sind diese Waldungen meist sehr offen, unansehnlich, die Bäume vielfach krüppelig. Um Helena in Montana bestehen sie hauptsächlich aus Pappeln und Weiden, auch Espen (Populus tremu- loides Mchx.) fehlen nicht, daneben be- merkt man die glänzenden Elaeagnaceen- sträucher des Genus Shepherdia. Die wichtigste und verbreitetste Holzart ist aber die Gelbkiefer (Pin US ponderosa Dougl.), sie geht im Süden bis ins Hochland von Ari- zona. In den S. Franzisko-Mts. erscheint sie auf vulkanischen Gesteinen und Kalk als Charakterbaum der Höhenlage von 1830 bis 2440 m; vereinzelt gesellt sich Abies concolor Lindl. et Gord. bei. Pinus Engelmannii Englm. beginnt in Colorado erst bei 2740 m, indessen Picea alba (Ait.) Link in Nordmontana nur bis 1000 m ansteigt. Auch Pinus flexilis Jara. ist ein Baum der Hochlagen. Nach Drude soll sich die Baumgrenze in Colorado bis über 4000 m erheben. Besonderes Interesse ver- dient die Korktanne (Abies arizonica Merr.), die einzige Conifere, deren Stamm sich mit regelrechtem Kork bedeckt (A. Purpus). Endlich sind noch eine Reihe Wacholder- arten (Jnniperus occidentalis Hook. V. utahensis, Juniperus virginiana L.). zu erwähnen. Es fehlen die Genera Tsuga und Lar i X, auch die Cupuliferen sind schwach vertreten. Eichen gibt es drei Arten: Quer- cus Emoryi Torr., Q. macrocarpa Michx. und besonders die außerordentlich veränderliche Q. undulata Torr., welche immer strauchartig bleibt und so eine Art Scrub bildet. Die alpine Stufe hat eine zwar arme, aber recht eigenartige Flora. Neben ark- tischen Elementen wie Silene acaulisL. und Sibbaldia procumbens L. bemerkt man zahlreiche Arten aus den Gattungen Primula Polemonium, Senecio, Arenaria, Saxi- frag-aErigeron,aber auchgras-undblumen- reiche Flächen kommen vor, sie sind von Stauden und Therophyten besiedelt. Polster- pflanzen sind häufig; Steppenelemente wie Astragalus in endemischen Arten und Oxytropis steigen sehr hoch, auch amerika- nische Gattungen wie Phlox, Pentstemon, Oenanthera, Petalostemon fehlen in der Gebirgsflora nicht. Die Hochgebirgs- lagen sind zumeist kahl und dürr, so fehlt den zentralen Rocky Mountains ,,der un- vergleichliche Reiz und Schmuck der frischen herzerfreuenden Flora unserer Berge, der hiureißende Gesfensatz zwischen dem Ernst des hochaufragenden Urgesteins und der Jugendlichkeit des Pflanzenkleides, das Berg und Tal in den Alpen überzieht". ' Die Depressionen, besonders um den großen Salzsee von Utah, sind sehr spärlich bewachsen: Chenopodiaceen, Salsola- ceen, Xerogramineen und einige I Artemisien sind tonangebend. Stellen- weise herrscht weithin reine Artemisiasteppe, aufgebaut aus der aromatischen, über halb- meterhohen Artemisia tridentata Nutt. und der kleinen Artemisia trifida Nutt.; dazu gesellt sich die filzige Atriplex canes- cens (Pursh.) Jam.; Sarcobatus vermi- culatus (Hook.) Torr, hat fleischige Blätter, sie kommt neben H al o s t a c h y s o c c i d e n t a - lisWats. in einzelstehenden Büschen, selbst noch auf Böden mit hohem Salzgehalt vor. i Von weiteren Arten dieser Vergesellschaf- j tung seien noch erwähnt: Eurotia lanata .(Pursh) Moq., Kochia prost rata ! Schrad., mehrere Suaeda- und Sali- corniaarten. Von Gräsern sind häufig Distichiis maritima Raf., Spartina gracilis Trin. und Sporobolus asperi- folius (Nees et Mey.) Thurb. Auch Strauchsteppen kommen vor. In Südkalifornien (Mohavewüste), be- sonders aber in Arizona (Gilawüste), ferner im Südwesten von Neumexiko und von Texas wird der Wüsten Charakter immer aus- gesprochener. Die Zahl der Ai-ten nimmt rasch ab, doch haben diese Wüsten noch j über 300 Species, von denen ein Drittel I endemisch ist. Indem bereits zahlreiche neo- [ tropische Typen auftreten, die als Aus- strahlung der Xerophytenflora von Zentral- I mexiko aufzufassen sind, bekommt die Flora \ einen so abweichenden Charakter, daß diese Gebiete wohl besser schon zum mittelameri- kanischen Xerophytenvegetationsreich ge- rechnet werden. I)ie Zahl der Sukkulenten ist recht groß. So sind die Cacteen durch mehrere Opuntien, Echinocereus, Mam- millarien usw. vertreten. Da erhebt sich bis zu 4 m die reich verzweigte Opuntia Bigelowii Englm.; 0. leptocaulis DC. hat bleistiftdicke Glieder und lange, gelbe Stacheln. Die auffallendsten Erscheinungen sind aber die kandelaberartigen, bis 18 m hohen Säulen des Cereus giganteus Engelm. Von April bis Juni entwickeln sie große, weiße, glockig-trichter artige Blüten. Nicht selten ist der stachelbewehrte Echino- cereus Engelmannii Lem.; die statt- lichen unförmlichen Klumpen sind mit einem herrlichen Flor großer rosaroter Blüten be- deckt. Dazu gesellen sich als weitere Charakte- ristika Yuccas, besonders Yucca radiosa Trel. mit derben, allseitig sparrig abstehen- den Blätteru; oft bedecken sie in offener Vergesellschaftung ganze Abhänge. iVuch Yucca macrocarpa Englm. tritt vielfach Greographie der l'flanzen (Florenreiche) 82-i auf. Agaven kommen in mehreren Arten vor. Dazu gesellt sich eine größere Zahl von Rutenpflanzen (Parkin so nia niicro- phylla Torr., Prosopis juliflora DC, zwei Leguminosen, Larrea mexicana Moric. (Zygophyll.) und xerophile Dorn- gehölze (Acacia, Lycium). Fouquieria spien den s Englm". bildet eine eigene Familie der Parietales und vereinigt in sich den Rutenwuchs und die Dornbildung. Zur Regenzeit bedeckeu Stauden und Thero- phyten die kahlen Flächen; besonders statt- lich ist die Polemoniaceengattung Gilia vertreten. Aus ephemeren Regenpflanzen bestehend entbehrt diese Florula meistens xerophiler Anpassungen. C) Atlantisches Nordamerika. 3. Die Prärienprovinz. Sie besitzt ein Grasflurklima mit einem mittleren jähr- lichen Niederschlag von etwa 50 bis 60 cm. Die Winter sind streng (— 25o bis —40" C), trocken und windig; die Sommer sind heiß, doch gehen gelegentlich Regen nieder, die das frühzeitige Vergilben der Flora behindern. Die reichlichsten Niederschläge fallen in die Frühsommermonate. Das Prärien- gebiet ist ein unabsehbares, monotones Flachland; jetzt zum großen Teil ein sehr ertragreiches Getreideland. Gegen Westen nehmen die Prärien mehr und mehr Steppen- charalvter an, gegen Osten gehen dieselben allmählich in Parklandschaften und in Wald- land über. Der Beweis, daß dieses Land einst mit Wald bedeckt war, ist nicht erbracht worden. Die Prärie ist wohl das größte zusammenhängende Wiesengebiet der Erde. Infolge der heißen Sommer und der kalten Winter ist die Hauptvegetationstätigkeit auf wenige Monate zusammengedrängt. Der nördliche Teil der Prärie wird von Gras- f hl reu eingenommen. Als Leitpflanzen kommen einige xerophytische Gräser in Be- tracht, so das niedrige, Ausläufer treibende Buffalogras(Buchloedactyloi des Englm.) und das Mesquitegras (Bouteloua oligo- stachya Torr.), dessen Halme 1 bis iVo' Höhe erreichen. An günstigen Stellen bean- spruchen diese Gräser 75 bis 90% der Gras- narbe. Oefters sieht man auch Kompaß- pflanzen, wie Silphium laciniatum L., dazu gesellt sich eine sehr reiche, farben- prächtigeStaudenflora: Nachtkerzen (Oenan- thera), Phlox, Pentstemon-, Helian- thus-, Erigeron-Arten. Li den mehr Steppencharakter tragenden Teilen stellen sich auch zahlreiche Astragalus ein. So wird die Grassteppe stellenweise zur Blumen- steppe. Dies ist zwischen 96 und 98" w. L. der Fall. Geyer schreibt: Durch ununterbrochenen Blütenwechsel ersetzen sie sich den Frühling und den ganzen Sommer hindurch. Im April erscheinen einzelne Frühjahrspflanzen; im Mai und Juni steht auf unermeßlichen Weiten die ganze Fläche in Blüte, z. B. von Amorpha canescens Nutt., Batschia, Castilleja, Cypripedium candidum Muhl. ; dann folgen höhere Stauden Petalostemon, Baptisia, Asclepias tuberosa Roxb., Lilium cana- dense L., Melanthium virginicum L. ; und zuletzt im späteren Sommer fast aus- schließlich Kompositen, hohe Heliantheen bis zum niedrigen Aster sericeus Vent. Baum- und Waldwuchs sieht man nur in den Einschnitten der Flußtäler. Diese Gallerie- wälder bestehen hauptsächlich aus Populus balsamifera L., Populus monilifera Ait. und Fraxinus pubescens Lam. Im Westen geht die Prärie in Salsolaceen- und Artemi- siensteppen über, wobei der Boden allmählich von 400 bis 1000 m ansteigt. Auch Stipa (Stipa Setigera J. Presl. und Stipa viridula Trin.) und Andropogonarten (Andropogon macrurus Michx. und Andropogon virgi- nicus L.) fehlen nicht. Südlich vom Arkansas- tale wird die Prärie zur Dornbuschsteppe, die sich aus lichten, starren Strauchgebüschen aufbaut. Ihr mischen sich bereits eine Reihe neotropischer Xerophytenelemente bei, so Cac- teen (Cactus giganteus Engelm.), Agaven und Mimosen (Prosopis juliflora DC. und Prosopis pubescens Benth.). Es sind das Typen, die auf zentral- und südamerikanische Einwanderung hinweisen. 4. Die atlantische Küstenprovinz. [ Sie besitzt ein Gehölzklima mit 80 bis 100 cm : und mehr Niederschlag. Die Regen fallen j zu allen Jahreszeiten. Artenreiche Wälder, besonders aus Laubhölzern, bedeckten ur- sprünglich das Land, sind aber heute viel- fach auf den weniger dicht bevölkerten Norden und auf die Alleghanys zurück- gedrängt. Je nach der Zusammensetzung I der Wälder werden drei Unterprovinzen unterschieden: a) Die nördliche oder Seen-Unter- provinz. Sie umfaßt das Gebiet der großen Binnenseen und die nordöstlichen Küsten- staaten. Im nördlichen Abschnitt herr- schen Nadelwälder, im Süden sind diese vielfach von sommergrünen Laubwäldern durchsetzt. Besonders bezeichnend ist die Weimutskiefer (Pinus strobus L.), welche auf den sandigen Ebenen des Lorenzo- beckens oft große Wälder bildet und auch noch weit nach Süden, in das Gebiet der sommergrünen Wälder ausstrahlt. Auch Pinus Banksiana Lamb. bildet hier noch stattliche Bestände. Neben den Kiefer- wäldern ist Tsuga canadensis (L.) Carr. bestandbildend, ihr gesellen sich öfters Betula lutea Michx., zuweilen Acer pensylvanicum L. bei; auch Taxus canadensis Will d. tritt öfters auf. Sandis^e Ebenen sind bedeckt mit Vaccinium pen- sylvanicum Torr. In den Sumpfwäldern (,,Swamps") bemerkt man Thuja occi- 828 Geographie der Pflanzen ( Floreru-eiche) dentalis L., besonders im atlantischen Küstengebiet, aber auch Larix americana Michx. und Abies balsamea (L.) Mill., die häufig von Coptis trifolia Salisb. begleitet wird. Die Insektivore Sarra- cenia pur pure a L. ist bereits hier zu finden. Dazwischen erscheinen Moore und feuchte Wiesen, die, obwohl allerlei Eigentümlich- keiten aufweisend, immerhin gegenüber den eurasischen Mooren keine wesentlichen Unter- schiede zeigen. Im Gebiet von Massachusetts, Connecticut, im südlichen Teil des Staates New York und Pennsylvanien vollzieht sich ein Wechsel, indem mehr und mehr die Laubwälder zur Vorherrschaft gelangen und so eine Uebergangszone zur folgenden Unter- provinz bilden. b) Die zentrale Unterprovinz s 0 m m e r g r ü n e r Lau b w aide r. Sie umfaßt die mittleren Teile der Alleghanys und der angrenzenden Hügel und Tiefländer. Diese Sommerwälder erinnern an diejenigen Ost- j asiens, sind aber immerhin doch nicht ganz j so reich an Arten. Der ungewöhnliche Reich- tum dieser Waldgebiete kommt besonders im Herbst durch das prachtvolle Farben- spiel des sich verfärbenden Laubes zum Aus- druck. Die wichtigsten Typen sind der Tulpenbaum (Liriodendron tulipifera' L., Magnolia acuminata L.), die Laura-! ceen Lindera Benzoin (L.) Meiß. und Sassafras officinale Nees. Der Zucker- ahorn (Acer saccharinum L.) gedeiht be- j sonders auf Hügeln, indessen Acer Negundo L. westlich vom Obersee an Flußufern | auftritt. Aesculus arten (Aesculus] glabra Willd. und Aesculus Pavia L.) begleiten die Flußläufe, und in den südlichen Landschaften sieht man auch Celtis occi- dentalis L. und Morus rubra L. in den Uferwäldchen. Juniperus virginiana L. findet sich an den Abhängen enger Tal- einschnitte. Von Myricaceen geht Myrica asplenifolia L. südlich bis nach Virginien, dazu gesellen sich Juglans nigra L., Fraxinus americana L., Carya alba Nutt. Noch weiter im Süden nimmt die Zahl der Eichen zu. Quercus laurifolia Michx., Quercus Michauxii Nutt., Quercus rubra L. stellen sich ein, ferner bemerkt man: Gleditschia tria- canthos L., Robinia Pseudacacia L., die hier ihre Heimat hat, sowie die amerikanische Silberlinde (Tilia alba Michx.) und die Platanacee Liqui- damber styracifluum L. Von Coniferen stocken in flachen sandigen Niederungen Pinus Taeda L. Die Nadelholzstufe etwas höherer Lage hat: Abies Fraseri Lindl. und Picea nigra Link. Längs der Ost- küste st Pinus echinata Mill. von den immergrünen südatlantischen Staaten bis nach Long Island zu verfolcen. Pinus rigida Mill., die Piteh-Pine, geht von Karolina bis Braunschweig. Besonderes Interesse gewähren Unterholz und Begleitflora. Da sieht man mehrere Rhododendren, so das prächtige, bis 6 m hohe Rhododendron maximum L., ferner Rhodo- dendron arborescens Torr. Die ,,Swamps" bewohnen Rhododendron nudiflorum Torr, und Rhododendron viscosum Torr. Dazu gesellt sich Clethra acuminata Michx., Clethra alnifolia L., Diospyros virginiana L., Ilex verticillata A. Gray, Hamamelis virginiana L., Hydrangea-Arten, Rhus aromatica Ait., die Schneebeere (Symphori- carpus racemosus Michx., Ostrya virginica Willd., die Sapotacee Bumelia lycioides Willd., ferner Viburnum prunifolium, Magnolia tripetala L., Diervilla trifida Mönch, Philadelphus hirsutus Nutt., Ber- beris canadensis Pursk., die Theacee Stu- artia pentagyna L'Herit. und viele andere. Die prächtige Kalmia latifolia L. geht nördlich bis zum Staate ]\Iaine. Dazu kommt endlich eine große Zahl von Schlingpflanzen, so besonders mehrere Reben, die bis in die Wipfel I der höchsten Bäume klettern (Vitis aestivalis Michx., Vitis cordifolia Lam., Vitis La- hr usca L.); zu ihnen gesellt sich die ,, wilde Rebe" (Parthenocissus quinquefolia) und Smilax (Smilax hispida Mühl.), Rosa Setigera Michx., Clematis virginiana L., 'die Bignoniacee Tecoma (Campsis) radicans I Juss. und Menispermum canadense L. c) Die Südatlantisehe Unterprovinz immergrüner Laubwälder zieht sich i von Louisiana durch das südliche Alabama nach Florida, das bereits starke neotropische I Anklänge aufweist, und durch Georgien bis 1 Nordkarolina. Doch Ausstrahlungen dieser Flora sind noch erheblich weiter nach Norden ! zu verfolgen, die äußersten Vorposten gehen j bis Rhode Island. Bezeichnend ist, besonders i für den Süden, das Auftreten dreier Fächer- palmen (Sabal), sie gehen bis nach Virginien, dazu gesellen sich Yucca filamentosa L., und Wälder der langnadeligen Sumpf- kiefer (Pinus palustris Mill.). Sehr charakteristisch sind auch die Taxodium- Sumpfwälder (T. distiehum Rieh.) der Küste, mit ihren 3 bis 6 dm hohen Atem- wurzeln. Das altamerikanische Element, dem sich weder arktische, noch subarktische Bestandteile beigemengt haben, herrscht vor. Der Unterprovinz gehört auch Quer- cus virginiana Mill. an (diese Eiche er- reicht über 20m), dazu gesellt sich Magnolia grandiflora L. Alle Bäume sind mit der wurzellosen Bromeliacee T i 1 1 a n d s i a u s n e o i- des L. behangen. Aehnlich wie in Ostasien sind auch hier zahlreiche, vorwiegend nordi- sche Genera durch immergrüne Arten ver- treten. Sommergrüne Laubbäume fehlen jedoch nicht ganz. Wichtige Bestandteile des Waldes Ijilden Quercus laurifolia Michx. und Q. nigra L. Das Unterholz besteht aus Ilex Cassine Greographie der Pflanzen (Florenreiche) 829 L., Vac'cinium arborcum JMarsh., Myrica inodora Bart., Osmaiithus amcricanus Bentli. et Hook. Im Inneren erreicht die „Palmetto-Palme" (Rhapidophyllum Hystrix H. Wen dl. et Drude ihre schönste Entfaltung; auf kaum erheblich über meterhohem Stamm treibt sie 3 m lange Blätter. Etwas höher im Gebirge wachsen Nyssa biflora Michx., Carya aquatica Nutt., Quercus lyrata Walt., Acer rubrum L., Carpinus americana Michx. Auch zahlreiche Lianen durchziehen diese Wälder, so Vitis cinerea Engelm., Vitis rotundifolia Michx., Ampelopsis, Smilax, Wistaria speciosa Nutt., Rosa laevigata Michx., Lonicera sempervirens L. und die Rhamnacee Sageretia Michauxii Britt. Selbst epiphy tische Orchideen (Epidendron conopseum [R. Br.] Ait.) stellen sich ein. So erhalten diese Waldungen einen tropischen Anklang, derselbe wird noch verstärkt durch die bläulich-dichten Klumpen einer saprophytischen Burmanniacee (Apteria setacea Nutt.), wie auch durch die große Zahl stattlicher Farne : Ono- cleasensibilisL.,Osmunda regalisL.,Wood- wardia areolata(L.) Moore, und Woodwardia virginica (L.) Sm. sowie durch einige Araceen (Peltandra virginica Raf.). Auf dem Tafel- land gibt es noch Sphagnum-Moore, sie ent- halten zum Teil die gleichen Arten wie bei uns (Drosera intermedia Drev. et Hayne, Rhynchospora), daneben aber auch eine Reihe höchst interessanter Typen, so Eriocaulon compressum Lam., die moosähnlichen Polster der M a y a c a A u b 1 e 1 1 i i M i c h x. , die Gentianacee Sabbatia macrophylla Hook, und besonders mehrere fleischfressende Sarracenien sowie die Venusfliegenfalle (Dionaea muscipula L.). II. Neotropisches Florenreich. Neotropis. ,, Mittel- und Südamerika nehmen klima- tisch eine Mittelstellung ein, zwischen Malesien, dem inselreichen Erdgebiet, und 1 Afrika, dem gedrungenen Kontinent. Sie sind besser bewässert als Afrika, doch weniger gleichmäßig warmfeucht als die malesischen Länder. Dabei hat Mittelamerika ein ziem- lich buntscheckiges Klima, wäluend in Süd- amerika die hohe Anschwellung der Anden der Witterung etwas Ausgeglichenes und j Kegelmäßiges verleiht. Der regenbringende Südost findet dort auf weiten Strecken nn- , gehinderten Zugang zu den innersten Flächen. Nur die küstennahe Erhebung in Nordost- brasilien bildet einen Wall und schafft trockene Gegenden auf der Leeseite. Sonst j erreicht der feuchte Wind erst weit im Westen die Gebirgsleiste des Erdteils. Dort j steigt er auf, um von neuem große Wasser- j mengen zu verdichten ; daher der Oberlauf des Amazonas ein so regenreiches Gebiet, i und daher weiter südlich keine öde Kalahari, sondern die gut bewässerten Striche des ,,Gran Chaco" (L. Di eis). Physiognomisch zeigen die Tropen der Alten und Neuen Welt, besonders in ihren ; feuchten Teilen, vielfach gemeinsame Züge ': und auffällige Uebereinstimmungen. Lii Florenbestande ergeben sich aber reclit wesentliche Unterschiede. Sie bringen zum Ausdruck, daß die beiden Tropengebiete als differenteFlorenentwickelungszentren auf- zufassen sind. Ganz abgesehen von der ge- waltigen Menge endemisclier Arten, hat Süd- amerika eine größere Zahl von Familien, Unterfamilien, Sektionen oder Genera, die entweder auf diesen Kontinent beschränkt sind, oder doch hier ihr ausgesprochenes Massenzentrum aufweisen. Die physiogno- mische Uebereinstimmung ist daher ein- fach der Ausdruck der Vereinheitlichung der Flora infolge der gleichartigen Lebens- bedingungen. Entsprechend der langen Trennung der beiden Kontinente, die erst im Miozän zu einem Doppelkontinent verbunden wurden, ist der Austausch der nördlichen holarkti- schen Florenelemente mit der neotropischen Flora des Südens noch nicht weit vorge- schritten: Daß dieser Austausch so langsam erfolgt, hat zum Teil wohl auch seinen Grund in der schmalen Verbindung und in der Aus- bildung eines mittelamerikanischen Xero- phytengebietes, das einerseits relativ arm an Arten ist, und andererseits dem weiteren Vordringen der großen Heeres- masse der neotropischen Hygrophyten eine kaum zu überwindende Schranke entgegen- stellt. So ist die tatsächliche Vordringungs- möglichkeit auf einen schmalen Küsten- streifen und auf die Vermittelung der west- indischen Liselwelt nach Florida beschränkt. Innerhalb des neotropischen Florenreiches sind vier Hauptentwickelungszentren zu unterscheiden: 1) Fast ganz beschränkt auf die neotropischen Xerophytengebiete sind die Famüien der Cacteen und Bromeliaceen sowie die Gattungen Yucca, Dasylirion, Agave mit den verwandten Genera Fourcroya, Polianthes. 2) Die neotropischen Hydro- megathermen haben als ihr eigen die Cyclan- thaceen, Canaceen, fast alle Maranta- ceen uncl Bombacaceen (87 von 110 Arten). Unter den Piilmen den ganzen Tribus der Cocoi- neen, ausgenommen Cocos nucifera L. und Elaeis guineensisL. AberauchdieMauritieen und Bactrideen sowie die Gattungen Sabal, Copernicia, Geonoma (mit 80 Arten), Phyt- elephas und viele andere Palmen sind amerika- nisch. Ueberhaupt sind die meisten Palmengenera entweder alt- oder neuweltlich. Die Länder und Inseln des karibischen Mittelmeeres beherbergen ein ganzes Heer von Orchideen. Große Gruppen mit Hunderten von Arten sind hier zu Hause, so z. B. die Oncidieen mit über 700 Arten, wovon 300 allein auf die Gattung Oncidium entfallen. Auch Stanhopea mit 20 Species ist tropisch-amerikanisch. Vanilla planifera Andr. hat im östlichen Mexiko ihre Heimat. Auch die Euphorbiaceen sind reichlich vor- handen. Die Kautschukbäume Hevea umfassen 20 tropisch-amerikanische Arten. Manihot zählt 80 Arten, die alle zwischen Argentinien 830 Geographie der Pflanzen (Florenreiche) bis Mexiko auftreten. Hierher der Explosions- früchtler Hiira crepitans L., ebenso die Selition Poinsettia der Gattung Euphorbia. Erwälmt seien endlich die als Ameisenpflanzen bekannten und ebenfalls Kautschuk liefernden Cecropien (Moraceen), und die Sinnpflanze (Mimosa pudica L.); damit ist der ungewöhnliche Reich- tum dieses Florengebietes an eigenartigen ihm an- gehörenden Typen wenigstens angedeutet. 3) Das Andengebiet beherbergt zum Teil noch Bäume von tropischer Verwandtschaft, die aber oft sehr hoch ansteigen, so die Wachspalme (Ceroxylon andicola H. B. Kth.), dann be- sonders die Fieberrindenbäume (Cinchona mit ca. 40 Species, alle in den Anden von Süd- amerika. Die Fuchsien zählen 60 Arten, nur wenige treten außerhalb Amerika, in Neuseeland, auf. Calceolaria hat 134 Arten, die in den' Anden von Chüe bis Mexiko verbreitet sind, nur 2 Spezies gehören Neuseeland an. Aizch die alpine Strauchformation besitzt ihre Eigenheiten. Hierher gehören die über 300 Arten zählenden KompositensträucherBaccharis und die Kompo- sitengattung B a r n a d e s i a (ISSpecies) ; B u d dl e j a (Loganiaceen) mit 70 Arten ist wenigstens vor- wiegend andin. Die Saxifragaceensträucher Escallonia zählen 50 ausschließlich südameri- ' kanisch-andine Species. Das Magnoliacceengenus Drimys ist mit 10 Species von Mexiko bis zur ;\Iagelhaensstraße verbreitet. Die hochalpine Flora zeigt womöglich noch eine ausgeprägtere Sonder- stellung. Groß ist die Zahl eigenartiger Rose tten- (Eryngium humile cav.), Polster- (Azorella diapensioides A. Gray) und Schuppen- blattpflanzen (Loricaria ferrugineaWedd., Comp.). Auch da^jS Rosaceengenus Polylepis (10 Species) ist zum größten Teil hochandin. 4) Die südamerikanischen Subtropen. Die Flora dieser Länder hat etwas weniger eigenartiges Gepräge, doch Spezialcharakter ist auch ihr nicht abzusprechen. Araucarien, verschiedene II ex arten, die Gattung Bougain- villea aus der Familie der Nyctaginaceen, die ebenfalls ihren Schwerpunkt in Amerika hat, die Fächerpalme Thrithrinax sind einige der hervorragendsten Gestalten. I. Zentralamerikanisches Xerophyten- vegetationsreich. Der Schwerpunkt liegt im Hochland von Mexiko; die hauptsächlich nach Südkalifornien, Arizona nnd Xeu- Mexiko irerichtetcn Ausstrahlungen haben wir bereits kennen gelernt. Dominierend ist das neotropische Xerophytenelement. Doch i ist Mexiko ein hochinteressantes Misch- und Uebergangsgebiet, indem die dem Hochland aufgesetzten Gebirge eine Flora von vorherr- schend nordischem Charakter beherbergen. Quercus und Pinus bilden auf den hohen Bergen große Waldungen. Die Koniferen j sind in Mexiko durch 3 Cupressus, 5 Juni- peru s, je eineT a x u s-, T a x o d i u i^i-, P s e n d o- tsuga-, Abies-Art nnd nicht weniger als 17 Pinus vertreten. Der Kiefernwald be- stimmt vielfach die Baumgrenze, die Randge- birge sind auf ihrer dem Ozean zugewendeten Seite bis hoch hinauf bewaldet, indessen die Regenschattenseite meist nur baumlose For- mationen aufweist. G. Karsten fand in der Nähe der Paßhöhe (1950 m) im hinteren Zacatale sogar einen Podocarpus, der in Amerika hier seine Nordgrenze erreicht. Am Orizaba geht Pinus Montezumae Lamb. bis 4400 m. Die Begleitpflanzen sind fast alles holarktische Elemente: Arenaria decussata Willd., Po- tentilla candicans H. B. K., Ranunculus, Helianthemum, Alchemilla; Abies reli- giosa Lindl. steigt an der Westküste bis in die tropische Region hinab. Die Südgrenze der Kiefer verläuft übrigens bei 13" N., indessen die Eichen nahezu bis zum Aeciuator vorstoßen. Am Ixtaccihuatl und am Popocatepetl wird die Baumgrenze von Pinus Hartwegii Lindl. bei 4000 m gebildet. Darüber folgen hartblätterige Gräser(Sporobolus,Calamagrostis, Festuca livida Willd., Muehlenbergia), vereinzelt Senecio calcarius H. B. K., Pentstemon gentianoides Poir. Das höchstgehende Gehölz ist Juniperus tetragona Schlecht. Bei der Schneegrenze, die hier bei etwa 4400 m liegt, wachsen Arenaria bryoides Willd., Cre- astium vulcanicum Schlecht., Alchemilla pinnata Ruiz und Draba orbiculata Rose, meistens Rasen - oder Polsterpflanzen. Die höchsten Gebirgslagen zeigen wohl Mikrothermen-, aber kaum Hekistothermenelemente. Die Pflanzenwelt der Hochebene hat ein ganz anderes Gepräge. Weite Gebiete sind nahezu baumlos und tragen Steppen- wüsten-, Ja selbst Wnstencharakter. Nur an Flußläufen trifft man vereinzelt Taxodium mucronatum Ten.; am berühmtesten ist der Riesenbaum bei Oaxaca. Besonders bezeichnend ist aber das Heer sukkulenter Cacteen. In Hunderten von Arten nnd in den abenteuerlichsten Formen treten Opun- tien, Cereus, Mamillaria, Echino- c actus mit ihren meistens sehr vergäng- lichen farbenprächtigen Blüten auf. Hier ist die Heimat von Opnntia Ficus Indica Haw., das Greisenhaupt (Cereus senilis Salm-Dyck.) ist wohl eine der bizarresten Pflanzengestalten, C. nycticalus Link., die ,, Königin der Nacht", hat Blüten, die so ver- gänglich sind, daß sie nur wenige Nacht- stunden frisch bleiben. Gleich Orgelpfeifen erheben sich die bis 10 m hohen Säulen des C. gemmatus Zucc. Noch gewaltiger und reich verzweigt, von ganz vorsündflutlicher Gestaltung ist C. pecten-aboriginum Engelm. Neben der in einer ungezählten Zahl von Typen variierenden Kaktusform, treten aber im trockenen Hochlande noch andere Gestalten auf, die nicht weniger da- zu beitragen dem eigenartigen Vegetations- bild den Stempel des Bizarren aufzudrücken. Neben Yucca aloifolia L. ist die Agave- vegetation reich entwickelt. Mit Agave americana L. sieht man öfters A. ferox C. Koch nnd A. horrida Lem.. ferner die eigenartigen Dasylirion -Arten, eine Liliaceengattung, deren" sämtliche 10 Arten diesem Florengebiete angehören; der kurze Geographie der Pflanzen ( Floroni'oiche) 831 Stamm trägt einen Schopf langer, flacher, grasartiger, am Rande gezähnter Blätter. Das niedrige Gestrüpp besteht aus Vertretern der Gattung Hechtia (Bromeliacee), sie haben scharf dornige Blattränder; dazu ge- sellen sich viele blattlose, dornige Sträucher oder niedere Gewächse mit lederigeii, weiß behaarten, am Rande umgerollten Blättern. Ganz besonders merkwürdig nimmt sich der vom Grunde an verzweigte, schön rotblühende Tamaricaceenstrauch Fouquieria splen- dens Engelm. aus. Auch Crassulaceen (Echeveria) kommen vor. Eine saxikole Brom- eliacee ist Aechmea paniculata R. et P. Unter den Dornsträuchern fallen besonders Mimosen auf. Dem Hochland fehlen Savannen, dagegen gibt es solche auf der pa- zifischen Abdachimg. DerHändchenbaum, die Sterculiacee Cheirostemon platanoi- des Humb. et Bonpl., galt lange Zeit als Endemismus der Gebirge von Toluca, süd- westlich Mexiko, doch fand sie sich später in Menge an der Grenze der Eichen- und Pinusstufe Guatemalas. Alle diese Pflanzen sind an eine lange und strenge Trockenzeit angepaßt. 2. Neuweltliche Tropen- undSubtropen- gebiete. Dieses Vegetationsreich umfaßt die atlantischen und pazifischen Küstenland- schaften Mexikos, Zentralamerika, die west- indische Inselwelt, und mit Ausschluß der Anden die nördlichen Teile Südamerikas, das ganze Amazonenstromgebiet, sowie das südliche Brasilien mit Ostbolivia und Pa- raguay, südlich etwa bis zum 33** S. Vorherrschend sind feucht-tropische Ge- ' biete von Hydr Omegathermencharakter. Im ursprünglichen Zustand sind dieselben i mit Urwald bedeckt. Daneben kommen aber j auch Länder mit periodischen Trocken- 1 Zeiten vor, die entweder laubwerfende, regen- j grüne Wälder aufweisen, aber auch steppen- artige Grasfluren (Llanos, Pampas ge- nannt) oder immergrüne Hartlautjgehölze tragen. Man kann sie als Xerothermen bezeichnen. Sie spielen stellenweise im Land- schaftsbild eine wichtige Rolle, so besonders ; im Orinokogebiet und im Süden der Provinz [ Minas Geraes bis San Paolo. Die borealen Florenelemente, die sich noch bis Zentralame- rika verfolgen lassen, fehlen in Südamerika nahezu ganz. Dieser Mangel ist ein beredtes Zeugnis für die florengeschichtliche Sonderstellung dieses Erdenraumes. Der Artenreichtum ist sehr groß, doch zeigen viele Species ein ziemlich beschränktes Ver- breitungsareal. Diese Verhältnisse erlauben die Unterscheidung mehrerer Florenpro- 1 vinzen, die in ihrem Florenbestand und zum | Teil auch in ihrem allgemeinen Charakter j nicht unerhebliche Unterschiede aufweisen. 2a) Karibische Provinz (Karibis). Sie umfaßt die Randlaudschaften Mexikos, Zentralamerikas, die Antillen und die zum karibischen Meere entwässerten Teile Süd- amerikas, mit Ausschluß der höheren Anden. Hat man vom inneren Hochlande Mexikos (mittlere Erhebung ca. 2000 m) kommend die Randgebirge durchquert, so sieht man sich mit einem Schlage in ein ganz anderes Vegetationsgebiet versetzt. Es sind die Tropen in ihrer erstaunlichen Formenfülle und in ihrer verschwenderischen Ueppig- keit, die hier im Gegensatz zur Kahlheit der inneren Landesteile um so überwältigen- der wirken. Die Grenze der xerophilen und hygrophilen Vegetation ist außerordentlich scharf. Einst bedeckte der tropische Regenwald die ganze Ostnordostflanke des Randgebirgszuges. In den oberen Teilen treten noch immergrüne Eichen, ferner Alnus, Juglans, Myrica, Magnolien, Liquidamber, Cedrela auf; in den tieferen Lagen spielen Palmen, deren Mexiko allein 50 Arten zählt, eine wichtige Rolle. Da erhebt sich die durch ihre Schön- heit berühmte Königspalme (Oreodoxa regia H. B. K.), die Kohlpalme (0. oleracea Mart.) wird bis zu 50 m hoch. Auch die als Zimmerpflanzen bei uns viel gehaltenen Chamaedorea sind verbreitet, ferner mehrere Thrinax-Arten und Sabal Palmetto R. et S. Dazu gesellen sich Baumfarne, Cycadeen (Gerat ozamia mit 6, Dioon mit 2 Spezies), Musaceen aus der Gattung Heliconia, sowie Musa paradi- siaca L. (eingebürgert). Von Nutzhölzern kommen in Betracht der Mahagonibaum (Swietenia Mahagoni L.), eine Meliacee, und das Kampesche- oder Blauholz(Hae- matoxylon campecheanum L., Legu- minose). Die Zingiberaceen sind nur in der Genera Costus und Renealmia vertreten. Cecropien begleiten die Flüsse. Gewaltige Bäume bildet die Combretacee Terminalia. Dazu kommen Lauraceen, Myrtaceen, Anonaceen, Sapotaceen und Wollbäume (Bombax). Die Küsten sindvonMangrove- wäldern (Rhizophora Mangle L.) um- säumt, sie bilden einen vortrefflichen Küsten- schutz. Besonders bezeichnend ist aber die intensivere Raumausnutzung. Bis weit ins Geäst sind alle Bäume mit Epiphyten und Lianen über und über bedeckt, auch der Reichtum der Bodenflora ist sehr groß. Da bemerkt man samtblätterige, kletternde Begonien und zahlreiche Araceen mit 5 bis 8 m langen, seilartig herabhängenden Luftwurzeln, wie z. B. das als Zimmerpflanze geschätze Philodendron pertusum Kth. mit seinen durchlöcherten, oder Ph. Imbe Schott mit großen herzförmigen Blättern. Anthurien entwickeln leuchtend rote Spathen. Carludovica utilis Benth. et Hook, ist ein Wurzelkletterer mit zwei- 832 (reograpliie der Pflanzen (Florenreiche) spaltigen Blättern (Cyclanthaceen). Groß ist die Zahl der Moose, Farne, Hymeno- phyllaceen, der Selaginellen und Bro- meliaceen, die epiphytisch auftreten. Vor allem beriihmt sind aber die eine ungeahnte Fülle und Farbenpracht entwickelnden Orchidaceen, bald als grüne Erdorchideen, bald als Saprophyten oder besonders als Epiphyten. Der Endemismenreichtum ist ein außerordentlich großer. Gesneraceen| und Melastomaceen sind durch mehrere' anisophylle Arten ausgezeichnet. Die Pole- i moniacee unserer Gärten Cobaea scandens | C a V. stammt aus Mexiko, ebenso C o m m elin a coelestris Willd. | Auch das übrige Zentralamerika zeigt nach ü. Drude ,,die Gegensätze zwischen den Ab- hängen zum Stillen Ozean und zum karibischen Meer, vermittelt durch eine zentrale Plateau- flora ohne Coniferen und mit höher hinauf- gerückten Eichenformationen". An der West- : küste geht der tropische Wald bis 1000 m, alsdann folgen Savannen und über 1300 m Agaven. Noch reicher ist der mit undiuchdring- lichen Wäldern bedeckte Osthang. Bei 10» n. Br. herrschen dagegen unter dem Einfluß einer von Juni bis Oktober andauernden Regenzeit auch im Inneren des Landes lichte, regengrüne Wal- dungen von Cedrelen, Bombax-, Bursera-, j Cupania- (Sapind.) und Diga- (Leguminosen) arten, begleitet von dornigen Mimosen. Del- pino hat auf die große Zahl von Pflanzen mit leuchtend roten, wagerecht abstehenden (Ges- nera, Lobelia, Stachys), von Kobbris be- fruchteten Blüten dieser Region hingewiesen. 1 Die Flora Westindiens hat dagegen mehr Aehnlichkeit mit derjenigen Südamerikas als mit | der von Zentralamerika. Uebrigens zeigen die ein- ! zelnen Inseln sehr weitgehende Abweichungen, zurückzuführen auf die nach ihrer Loslösung vom südamerikanischen Festland erfolgte früh- zeitige Sonderentwickelung. Kuba und Jamaika besitzen viele für diese Inseln bezeichnende Genera, von oft ausgesprochen konservativem , Gepräge. Die Antillen zählen gegen 100 ende- mische Gattungen. Theobroma cacao L. ist auf den Antillen und von Mexiko bis Guayana emheimisch. In dem feuchtwarraen Klima erreichen die Ueberpflanzen eine erstaunliche Entfaltung, die Hauptmasse, mehrere tausend Arten, stellt wiederum die Familie der Orchi- deen. Neben Bromeliaceen, Gesneraceen und Rubiaceen trifft man auch epiphytische Ericaceen, Cacteen und Clusiaceen (Guti- feren), ja selbst Sträucher wie die Bignoniacee Schlegelia violacea Griseb. treten epiphytisch auf und entwickeln große Blattflächen. Von borealen Elementen haben die Antillen Pinus occidentalis H. B. et K. ; sie entwickelt Stämme von 60 m Höhe und 3 bis 4 m im Umfang, und bildet in einer Meereshöhe von 1200 bis 2300 m prachtvolle Waldungen, doch wird sie vereinzelt bis zur Küste angetroffen. Auch Juniperus virginiana L. und Juniperus bermudiana L. sind auf einigen Inseln anzutreffen, früher lieferten sie fast alles Holz der Bleistifte und Zigarrenkistchen. Nur Kuba, Haiti und Jamaika besitzen eine Hochgebirgsflora (2300 bis 2900 m). In der Bergstufe wachsen Lauraceen wie Phoebe montana Griseb. und Nectandra sanguinea Roland., ferner Podocarpus und eine Walnuß (Juglans jamaicensis C. DC, darüber folgen Farnwälder. Im Regenschatten trifft man auch dürre Croton und Cacteen sowie von Palmen die stachelbewehrte Acro- comia lasiospatha Mart. und die fächer- wedelige Sabal umbraculiferum Mart. Die kolombisch-venezuelische Tropen- region. Dieses Gebiet zeigt in den Vegetations- typen und in der Höhengliederung Ueberein- stimmung mit der atlantischen Küstenzone Mexikos; im Florenbestand ergeben sich dagegen viele Unterschiede, indem zahlreiche vikari- sierende Arten auftreten. Die Tropenregion erreicht im Andengebiet etwa eine Höhe von 1500 m. Als Charakterpflanze tritt die Elfen- beinpalme (Phytelephas macrocarpa R. et P.) an Flüssen, Bächen, Quellsümpfen der Niederung und Bergstufe auf. Auf kurzem, kaum 2 m hohem Stamm entwickelt sie die mächtigen, schön geschwungenen Fiederblätter. Ihre Stein- nüsse liefern vegetabilisches Elfenbein. Auch die Kokospalme (Cocos nucifera L.) scheint hier heimisch zu sein. Im Tropenwalde sind andere Palmen aus den Genera Cocos, Attalea und Iriartea reichlich vorhanden. Aus den jungen Blättern der Carludovica palmata Ruiz et Pav. werden die echten Panamahüte verfertigt. Die verbreitetste Fächerpalme ist aber Mauritia flexuosa L. f., ihr Verbreitungsareal erstreckt sich von Trinidad bis .Minas Geraes. Zum Landschaftbild gehören auch die Myr- taceenbäume Couroupita guianensis Aubl. und weiter westlich Cour oupita nie araguensis DC. Der Kuhbaum (Galactodendron utile H. B. Kth.) liefert einen genießbaren Milchsaft. 2b) Cisäquatoriale Savannenpro- vinz. Die cisäquatoriale Savannenprovinz umschließt die Llanos des Orinokobeckens, mit Einschluß der Insel Trinidad und der inneren TeUe Guayanas. Küstenketten ver- wehren den feuchten Meerwinden das Ein- dringen in den Kontinent, so daß sich ein ge hölzf ein dlichesKlima ausbilden mußte. Während unseres Winters und Vorfrühlings herrscht eine etwa fünf Monate dauernde intensive Trockenheit. Die nachteiligen Wirkungen der fehlenden Niederschläge werden noch erhöht durch große Hitze (Mittel 30» C) und durch den trockenen Ostpassat. In dieser Zeit bleibt sogar Tau- j bildung vielfach aus. Daher ist der Wald auf den ziemlieh schmalen Küsteusaum be- schränkt. An Flußläufen trifft mauiiu Biuneu- ' land Galeriewald oder in begünstigten Strichen der Savannen lichten Parkwald. i In Guyana, wo das Randgebirge niedriger und mehrfach unterbrochen ist, findet ein wiederholter Wechsel von Savanne und Urwald statt. Die anhaltenden Nieder- ' schlage der Regenzeit bedingen im Inneren ein Grasflurklima. So bildet dieses Trockengebiet für die meisten brasilianischen Urwaldbäume eine absolute Schranke. Ein Florenaustausch zwischen Hylaea und Karibis erfolgt fast nur längs der ungesunden Geograpliie der Pflanzen (Florenreiche) 833 Küstenzone. Im Amazonas- und Orinokodelta 1 gesprochener ist der Gegensatz der Jahres- wächst die Hutpalme (Manicaria saccifera I zeiten auf der Leeseite der ostbrasilianischen Gaertn.), um dann weiter nach Trinidad und Zentralaraerika auszustrahlen. Aehnlich verhält sich eine Barbacenia (Velloziacee). Der guayanische Küstenwald ist reich an Pfeffer- gewächsen. Einen „Wald über dem Walde" bildet die riesenhafte ,,Mora" [Dimorphandra guianensis (Schomb.) Bn.], eine Leguminose. Im Galeriewald sieht man besonders Cecropien Gebirge. Im gewaltigen Binnenland gibt es weite Ländereien mit Niederschlägen, die das ganze Jahr andauern. Der außer- ordentlich reich gemischte Urwald läßt zwei Formen unterscheiden, der ,,Ete"- Wald auf niemals überschwemmten Boden und der „Igapo"-Wald der tiefsten Lagen, und Araceen. — Die Llanos am Orinoko sind die periodisch unter Wasser gesetzt werden weite Flach- und Hügelländer, die mit bis 2 hohen Grasfluren bedeckt sind; vorherrschend sind derbe, xerophy tische Paspal um arten, Leptochloa virgata Beauv., Hymmachne amplexicaulis Nees, sowie Panicum und in denen die Palmen (ca. 180 Arten) ihren größten Reichtum entfalten. Der Etewald ist viel reicher gemischt, die meisten Endemen des Gebietes gehören ihm an. Erst Cyperus-, Kyllingiaspecies. Hin und wieder 1 an den Abhängen der Kordillere findet der erheben sich einige schlanke Mauritia- und Copernicapalmen oder Einzelbäume aus der Familie der Proteaceen (Roupala acuminata Kth.), der Ternströmiaceen oder Legumi- nosen (Swartzia). Reicher sind die Savannen Guyanas. Schom- burgk gibt folgende Schilderung: ,,Aus dem zarten Grün leuchten die blauen und hellroten Blütenfarben von Xyrideen und Gentianee Regenwald seine Grenze ; der Uebergang zum Gebirgswald bezeichnet eine allgemeine Ver- armung und Verkümmerung der Bäume, die schließlich zu flechtenbehangenen Busch- dickichten werden. Gegen Süden ist die Grenze wenig scharf. Der Regenwald geht hier in laubwechselnde Monsnmwälder über, die mit zunehmender Trockenheit und ganze Strecken einnehmend, wie Blumenbeete ; stärkeren Temperaturschwankungen mehr hervor, zwischen ihnen die weißen Sterne einer Amaryllis und die Orchideen; an den ver- dorrten Halmen rankende oder aufrechte Legumi und mehr von xerophytischen Strauch- formationen und Savannen unterbrochen werden. Ostbrasilien, Nordargentien und nosenMalvaceen mit großen Bmen und andere Ostbolivien sind dafür Beispiele SfniiHpn in Bplfpnpr TTrcriphiofli-pif: Tn der \nrtp 1 „. . . „ ,^ Stauden in seltener Ergiebigkeit. In der Mitte des Oktober verliert die 3 bis 4 m hohe Grasflur ihre grüne Farbe und gleicht nun einem reifen, sehr dünn gesäten Getreidefelde, wo die Hitze den verdorrenden Ueberresten der Vegetation ein gelbes oder fahles Kolorit erteilt. Mit dem Eintritt der Regenzeit treiben die Knospen rasch aufs neue, manche Blüten erscheinen schon vor der Entfaltung der Blätter, andere mit ihnen Eine der gemeinsten Palmen des unteren Amazonas, die besonders auf Sandbänken wächst, ist Astrocaryum Tucuma Mart., dazu gesellt sich häufig Manicaria sacci- fera Gaertn. Die „Jarina" (Phytelephas microcarpa R. et P.) umsäumt die Fluß- ufer des mittleren und oberen Amazonas und dessen Nebenflüsse, und in etwas größerer und in kurzer Zeit Jst das üppige Grto^^^^ ^^^^ ^^^^^^^ ^^^^^^^^^ ^^^^^^ semem sonstigen Farbenschrauck ..^v-^v^^xv^x- 1 , ,^ , , z^, . . gestellt" mehrere Kokospalmen (tocos Inajai ^ Auf' den baumlosen Gebirgskämmen sind [Spruce] Trail). In den trägen, oft see- strauchigeEricaceenverbreitet, auf der Küsten- : artig erweiterten Flußläufen sieht man die kette die ,,Peioales" (Gaultheria odorata [ gewaltigen, bis 1,5 ni im Durchmesser Willd.) und die an imsere Heidelbeere erinnernde I erreichenden Blätter der Victoria regia Gaylussacia buxifolia H. B. et K. Das Lindl. fast stets begleitet von der herrlich höchste Gebirge, die Roraima (2600 m), hat U,laublütigen Eichhornia azurea K. oder Savannen. Selten schon ist der Anblick derselben, ! PmitPrlpria rnrrlata T Tn flaehpn wenn die Ericaceen und Bejarien, die die J^^} Fontederia coidata L. In flachen, Rhododendren der Alten Welt ersetzen, in i fast stagnierenden Gewässern siedelt sich da- voUer Blüte stehen. In den Erosionsfurchen und zwischen massenhaft Oryza sativa L. an, an Flußufern ziehen sich Dickichte der herrlichen J. Huber hält die Pflanze wahrscheinlich Kielmeyera angustif olia Pohl (Ternstroem.) für einheimisch. Angeschwemmtes Holz hm. Sie sind über und über mit prächtig j und Gras bilden öfters der Schiffahrt sehr karminroten, großen, oleanderartigen Blüten , hinderliche Barren. bedeckt und blenden beim Sonnenschein durch j j^jg Küstenlinie wird hauptsächlich von Ihre leuchtende Färbung das Auge. ^-^^ Vegetationsformen begleitet. An 2c) Hylaea. Das größte und ausgepräg- Flußmündungen, Lagunen, stillen Buchten teste Regenwaldgebiet der Erde, das bis zu trifft man den Mangrovewald mit seinen 3 m Regenhöhe aufweist. Es umfaßt das drei Leitpflanzen: Rhizophora Mangle ganze Amazonasgebiet, die Quellgebiete des Orinoko-, und des Paranasystems. Wir schließen auch noch Ostbrasilien ein. Nur L. V. rascemosa Mey., Avicennia nitida Jacq. (Nordbrasilien) und A. tomentosa Jacq. (Verbenacee). Auf sandigen Flächen in der Nähe der Küste kommt es durch das und den Außendünen herrscht die halo- zeitweise Herrschen trockener Winde zu phile Pes caprae-Formation. Charakter- einer nicht sehr scharfen Gliederung in pflanze ist die an allen tropischen Dünen- Regen- und Trockenzeiten. Etwas aus- ! küsten verbreitete Ipomoea pes caprae Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV. 53 834 Greograpliie der Pflanzen (Florenreiche) Sweet mit ihren lang hinkriechenden krau- tigen Stengeln nnd seitlichen Kurztrieben, die große fleischige Blattbiischel tragen. Weitere langstengelige Sandkräuter sind Ipomoea carnosa R. Dr., das Halbgras Remirea maritima Aubl. nnd das Stolonengras Stenotaphrum americanum Schrank., \ Polygala Cyparissias St. Hil. ist Tief- 1 wurzler. An Felskttsten sind zahlreiche starr- blätterige Felsenbromeliaceen angesiedelt. Besonderes Interesse gewährt aber die Restinga-Formation, die hinter den Außendünen, öfters in einer Breite von ' mehreren Kilometern auftritt. Sie besteht hauptsächlich aus immergrünen, dicht be- laubten Sträuchern, in offener Vergesell- schaftung nnd wird begleitet von sand- bewohnenden Cacteen. Reichhaltiger ist der „Ete"-Wald, der sich aus mehreren Etagen aufbaut: zuerst die Schattenflora des Bodens, dann kleines Gesträuch, mittelgroße Bäume, hohe Bäume mit stattlicher, ansgebreiteter Krone nnd Waldriesen, die das zusammenhängende Laub- dach weit überragen. Die Palmen fehlen nicht, treten aber ziemlich zurück. Da sieht man Oenocarpus distichns Mart. mit fächerförmig angeordneten Wedeln. Aus dem tropischen Regenwald Südbrasiliens er- heben sich die schlanken Enterpe edulis Mart.; Astrocaryum Mumbaca Mart. ist eine der wenigen als Unterholz auftreten- den Palmen. Die Hauptmasse bilden Laub- hölzer (über 2000 Arten), die zum Teil sehr wertvoll sind, so besonders die ,,Seringnei- ras". Die wertvollste Kautschukpflanze ist Hevea brasiliensis Müll. Argov. (Eu- phorb.), deren Südgrenze bei 15*' S. liegt. Dieses Genus ist im Gebiet mit 12 polymorphen Arten vertreten. Die „Seringueira" kommt sowohl auf periodisch überschwemmten als auf trockenen Böden vor. Sehr wichtig ist auch die 50 m hoch werdende Bertholletia excelsa H. B., die der hauptsächlich neo- tropischen Familie der Leythidaceen an- gehört. Sie liefert die Paraniisse. Die kleine Familie der Caryocaraceen ist ausschließ- lich neotropisch, ihr hervorragendster Ver- treter istCaryocar villosum (Aubl.) Pers. Auch die Humiriaceen sind vorwiegend tropisch-amerikauisch, die zu ihnen gehörige Saccoglottis Uchi Hub. liefert eine öl- haltige Frucht. Parkia pendula Benth., eine Mimosoide, bildet schöne Schirmbäume mit lang herabhängenden Infloreszenzen. Bäume erster Größe sind auch die Legumi- nosen Andira retusa H. B. und Dipteryx odorata Aubl. Die Sapindacee Paullinia Cupana H. B. liefert koffeinhaltige Samen. Was diese Urwälder aber ganz besonders auszeichnet, das ist die große Zahl an Lianen, Epiphyten und Ameisen- pflanzen. Unter den Lianen bemerkt man häufig die Guirlanden der Vanille (Vanilla aromatica Swartz) sowie die undurchdringlichen Netze von Smilax Spruceana A. DC., einer Art SassapariUe. Die Gattungen Ficus undCoussa- poa (Morac.) entwickeln Baumwürger. Epi- phytisch treten hauptsächhch auf Moose, Bärlappe, Farne (meist als hygrophytische Luftpflanzen), Platycerium andinum Bak., Polypodium decnmanum Willd., Tricho- manes punctatumPoir., Aspleninm juglan- difolium Lam., Orchideen, Araceen (An- thurium,Monstera,Philodendron), Pipera- ceen (Peperomia), Guttiferen (Clusia), Moraceen, Rubiaceen (Hillia), Bromelia- ceen (Aechmea, Billbergia, Nidularia) und im xerophytischen Waldgebiet sogar Cacteen (Rhipsalis spec). Cereus megalanthus K. Seh. hat weiße, die größten bisher bekannten Cacteenblüten, mit einem Durchmesser von 4 dm. Die Epiphytenflora scheint ihr ]\Iassen- zentrum in den Gebirgs- und Küstengegenden Südbrasiliens zu haben. Vom grüßten Interesse ist endlich die stattliche Zahl von Ameisen- pflanzen (vgl. den Artikel ,, Ameisenpflan- zen"). Als Wohnräume dienen meistens die Achsenorgane. In erster Linie kommen die Cecropien (Morac.) mit wirtelig gestellten Aesten und großen, meist bandförmig gelappten Blättern in Betracht. Oefters gehören sie zu den Charakterpflanzen der Flußufer, wie Cecropia riparia Warb, und C e c r o p i a stenostachya Warb, des Amazonas. Diese Arten stehen meistens auf Stelzenwurzeln, so daß bei Hochwasser nur die Kronen aus den Fluten hervorragen. Cecropia sciado- phylla Mart. gehört der ,, Terra fnma" an, Cecropia arenaria Warb, bevorzugt offene, sandige Orte. In der Familie der Polygonaceen sind mehrere T r i p 1 a r i s myrmekophil. Myrmeko- phyten kommen auch bei Euphorbiaceen (Sapium taburu Uhle usw.), Melastomaceen (Pterocladon Sprucei Hook, f.), Rubiaceen (Duroia hirsuta K. Seh.), Boraginaceen (Cordia nodosa Lam.) usw. vor. Ameisen- wohnstätten können auch Blattschläuche (Tococa guianensis Aubl., Melastom.) sein. Spruce berichtet, daß auf seinen Wanderungen auf eine Entfernung eines Breiten- und Längengrades die Hälfte der Flora sich geändert habe, ein sprechen- des Zeugnis für die Kleinheit der Areale und die durch die Dichtigkeit des Urwaldes erschwerte : Wanderung. 2d) Pampasregion. An die Hylaea schließt sich im Süden die Pampasregion an, sie umfaßt den gauzen Süden Amerikas, öst- lich von der Kordillere, mit Ausnahme des südlichsten Patagoniens und Feuerlands. Vorherrschend sind Grasländer und Steppen. Wie in Afrika, so löst sich auch in der Neotropis der tropische Regenwald I gegen die Savannen, hier ,, Pampas" geuaunt, allmählich auf. Baumarmnt macht sich zu- erst auf den höheren Teilen der Plateaus und der Inselgebirge bemerkbar, später folgt der Wald mehr und mehr den Fluß- tälern und wird so allmählich zum Gallerie- wald. Zuletzt sielit mau Bäume nur noch in Depressionen, in Form sehr stark gelichteter Geographie der Pflanzen (Floreni-eiche) 835 Parklandschaften. Nach Süden nimmt die ' Banmlosigkeit immer mehr zu, so daß am Kio Negro in Patagonien eine einzelne Akazie von den Eingeborenen wie ein Heiligtum verehrt wird. Einzig am Ost- 1 fuß der Anden ermöglicht der reichlichere \ Niederschlag einen Vorstoß eines schmalen Streifens subtropischen Waldes bis zum 27" s. Br. (Catamarca). Die Pampas sind mit den Prärien Nordamerikas zu vergleichen, doch ist das Ivlima weniger extrem und etwas feuchter, zwei Momente, die für die wirt- schaftliche Entwickelung dieser Gebiete zu j Getreidekammern und Viehzuchtländern größten Maßstabes von hohem Wert sind. Die Pflanzenwelt der Pampasregion ist übrigens keineswegs so einförmig, wie diese kurze Vegetationsskizze vermuten lassen könnte. Im Uebergangsgebiet zum sub- tropischen und tropischen Regenwald gibt es laubwerfende Waldungen, die nur zur Regenzeit frisch-grüne Laubniassen tragen, im Juli und August aber kahl, doch über und über mit Blüten bedeckt sind, — ein höchst eigenartiger Anblick. Th. Herzog gibt ein solches Vegetationsbild aus Ost- Bolivia. „Wir kamen durch leicht welliges Gelände, in dem Savanne und Wald fort- während wechselten. Die ganze Gegend prangte im entzückendsten Blütenkleid. Sie war der reine Blumenwald, wo die mächtigen, selbst unsere alten Eichen und Linden an Umfang noch übertreffenden Baumkronen ein einziges, volles Blumenbukett bildeten und die buntesten Farben sich zum Strauße ballten. Nicht ein Fleckchen Grün, so weit das Auge blickte, und trotzdem diese Kraft und Fülle in der Pflanzenwelt! Selbst die schlanken, hohen Cusipalmen, die ihre Kronen auf kerzengeraden Säulen noch über die blühenden Kuppen der Waldbäume er- heben, schmiegen sich in ihrem zart blau- grauen Kolorit harmonisch in das fremd- artige und doch so schöne Bild." Diese Wälder bekunden durch ihre bezeichnendsten Bäume nahe Beziehungen zu den brasilia- nischen ,,Caatingas". Bis weit in die Savanne hinein bildet die Wachspalme (Copernicia cerifera Mart.) große, lichte, inselartige Haine, ihr Hauptareal liegt zwischen 20 bis 25" S. Ihr Vorkommen zeigt immer periodisch überschwemmte Böden an. Diese Palmen erheben sich aus hochwüchsigen Gras- savannen. Als Begleiter bemerkt man dornige Mimosen (Mimosa cebil Griseb., M. hexandra Micheli) und Akazien (A. Farnesiana Willd.) und Leguminosen- sträucher (Bauhinia microphylla Vog.), Verbenaceen (Baillonia amabilis Bocci.) oder Capparidaceen (Crataeva coriacea Herzog). Der Graswuchs der Savannen ist überall üppig. Die Halme von Paspalum- Andropogon- und Pennisetum-Arten, der drei herrschenden Gattungen, erreichen durchschnittlich 2 m. Das mesopotamische Gebiet zwischen Parana und Uruguay ist besonders in den Stromtälern noch reich an brasilianischen Typen (ca. 25%), hier und in Paraguay ist die Heimat des Mate (Hex paraguaiensis St. Hil.) und der in den Mittelmeerländern nun allgemein verbreiteten Kermesbeere (Phytolacca dioica L.), die obwohl nicht verholzend, doch fast Baum- form annimmt und in der Pampas vielfach als Schattenspender gehalten wird. In den niederschlagsärmeren Teilen herrscht von Ostbolivia bis zum Rio Colorado vielfach die Chanjarsteppe, der ,, Monte" des Süd- amerikaners, dichte Dorngebüsche mit einge- streuten Sukkulenten. Es dominieren dornige Krüppelbcäume und Sträucher, besonders Mimo- seen, wie der ,,Espino" (Acacia Farnesiana Willd.), der langstachelige ,,Kisal" (Prosopis ruscifolia Griseb.), der, .Retortono" [Prosopis strombulifera (Link) Benth.] mit gerbstoff- haltigen Früchten und oft von einem Wurzel- schmarotzer, der Hydnoree Prosopanche Bur- meisteri de Bary befallen. Dazu kommt widerhakiger Zizyphus (im Norden Zizyphus oblongifolia J. Moore, südlicher Zizyphus Mistol Griseb.), die Celastracee Maytenus vitis Idaea Griseb., dann Capparidaceen wie Capparis salicifolia Griseb., ferner der Chanar, die Leguminose Gourliea decorti- cans Gill. Ferner stellen sich ein: Kandelaber- cacteen (Cereus stenogonus K. Seh.), krie- chende oder bäumclienformige Opuntien, die dickblätterige, rosar(itl)lütige Peireskia sacha- rosa Griseb. und die stachelige Zwergpalme Trithrinax brasiliensis Mart. Der Boden whd vielfach von einem nahezu lückenlos ge- schlossenen Bestand von Bromeliaceen mit starren Rosettenblättern bedeckt. Dominierend sind Bromelia Serra Griseb. und Aechmea polystachya (Vell.) Mez. Aus diesen bald dichten, bald offeneren Gestrüppen erheben sich zuweilen vereinzelte Bäume, die Apocynacee Aspidosperma Quebracho blanco Schld., einförmige Gestalten mit runder, breiter, stets flechtenbehangener Krone, die B u 1 n e s i a Sarmienti Lor. (Zygophyll.) mit sehr unregel- mäßiger, armseliger Krone, die nur dürftig mit einpaarigen Fiederblättern besetzt ist und schließ- lich die Caesalpinia melanocarpa Griseb. Viele dieser Arten sind im Gebiet endemisch, andere sind brasilianische Emstrahler, dritte finden sich im chilenischen Mesophytengebiet wieder. Auf dem 600 bis 1000 m über Meer ge- legenen südbrasilianischen Hochland von Parana finden sich lichte Waldungen einer zweihäusigen Konifere, der Araucaria brasiliana A. Rieh. Neben 2 Podocarpus ist dies das einzige Nadelholz Brasiliens. Die älteren Bäume haben Stämme bis zu 2,5 m Durchmesser und 50 m Höhe, sie tragen eine weitausladende korymbusartige Schirmkrone. Das Verbreitungsgebiet dieses Nadelholzes erstreckt sich von 18 bis 29» 30' S. In diesen Wäldern wächst in den südlichen Provinzen 53* 836 Greographie der Pflanzen (Florenreiclie) häufig der Matebaum, sonst ist der Boden nur mit Gras, Stauden und niedrigem Ge- sträuch bewachsen. In Südargentinien kommt die Gras- steppe immer mehr zur Hegemonie. Das gilt auch für Patagonien, wo Opuntia Darwinii Hensl. die Südgrenze der Cacteen bezeichnet. 2e) Andines Vegetationsreich. Un- unterbrochen erstreckt sich die gewaltige dem pazifischen Ozean stark genäherte Gebirgsmauer der Anden von 9*' N. bis zur Magelhaenstraße, um selbst auf Feuerland nochmals ansehnliche Berge zu bilden und erst bei 56" S. auszulaufen. Der größte Teil der Anden fällt in die Tropenregion, der Rest gehört den Subtropen und der südlich gemäßigten Zone an. Infolge der bedeutenden Erhebungen ist aber der tropische Floren- charakter nur wenig ausgeprägt und auf die tieferen Lagen beschränkt. Da die Gebirgs- züge im mittleren Teil der Kordillere aus- einander weichen, so entstehen hier sanft gewellte, sehr niederschlagsarme Hoch- ebenen (Puna), die nur späiliclie Sommer- regen und somit Wtistenoharakter haben. Im Gebiet von Atacama (Südperu bis Nord- chile) ist sogar die Küste nahezu regenlos und daher arid. Kulturoasen vermögen hier einzig die wenigen aus dem Gebirge kommen- den Bäche zu schaffen, nur während der Winternebel bedeckt sich das Gelände mit einem dürftig grünen Anflug. Doch ist in Südamerika die Wüste im Vergleich zu anderen Kontinenten schwach entwickelt. Am Westfuß der Anden läßt sich von Norden nach Süden folgender Wechsel der Pflanzendecke feststellen. Von ca. 9" N. bis zur Bucht von Guayaquil herrscht der immergrüne tropische, mittelamerikanisch- karibische Vegetationstypus. Südlich folgt bis zum 18" S. eine Zone mit wenigstens drei- monatlicher Trockenperiode. Vorherrschend sind immergrüne Laubhölzer, die sich zu Urwäldern vereinigen, dazwischen erscheinen xerophytische Vergesellschaftungen, welche besonders weiter südlich immer mehr in den Vordergrund treten. Von 18 bis 28" S. dominieren Wüstensteppen und Wüsten, die später durch eine Zone immergrüner Gebüsche mit mehr oder weniger fehlendem Baumwuchs abgelöst werden. Sie erinnert in mancher Hinsicht an die mediterranen Macchien. Wie die südlichen Mittelmeerländer ist auch dieses Gebiet durch Winterregen (Juli) ausgezeichnet. Mit 34" S. gelangt man in die Kegion dichter, immergrüner Laubwälder und Gebüsche, neben den letzten Palmen stellen sich südhcniisphärische Zapfenbäume ein. Regen fällt zu allen Jahres- zeiten. Schon von 40" S. an tritt das ant- arktische Element mehr und mehr in den Vordergrund. Südöstlich von Iquique liegt im Gebirge das Hauptverbreitungsareal von Prosopis tamarugo, längs der Küste nördlich Caldera (24" 30' bis 27" S.) dasjenige von Euphorbia lactiflua Phil. Um Valparaiso (32 bis 35" 30' S.) bemerkt man Jubaea spectabilis H. B. et K. Südlich und südöstlich von Coneepcion (37" 30' bis 41" S.) bildet Araucaria imbricata Pav. Waldungen. Das Areal von Nothofagus oblicjua Bl. liegt zwischen Valparaiso im Norden (33" S.) imd Puerto Pont (41" 33' S.) im Süden. Wichtige Südgrenzen sind: für Polylepis 22" S., Oxalis gigantea Barn. 31" S., Prosopis 35" S., Echinocactus 36" 40' S., die Rosacee Eucryphia cordifolia Cav. 43» 30' S., die Bromeliaceen 44" 40' S., die Colihue-Bambusen 49" 25' S. und die baumartigen Myrtaceen, wie Myrtus luma Barn. 53" S.. In den südlichsten Anden trifft man merkwürdigerweise auch einige boreale Typen wie die Mehlprimel (Primula farinosa L.); südlich von 39" 30' S. ferner: Draba incana L., Empetrum nigruni L., zum Teil in einer rotfrüchtigen Rasse, Erigeron alpinus L., Trisetum subspicatum Pal., Phleum alpi- num L. usw. Beachtenswert sind ferner Bezie- hungen zum nordpazifischen Florengebiet. Es sei an Libocedrus, an Mimulus Intens L. er- innert, die sowohl Kalifornien als Chile angehören, im Zwischengebiet aber fehlen. Die Polemonia- cee Colloma grandiflora Dougl. gehört Kalifornien an, die nah verwandte Colloma Cavanillesii Hook, et Arn. Chile. Auf das häufige Auftreten von Elementen der Chanjar- steppe Argentiniens in Chile ist schon hin- gewiesen worden. Aber selbst zur Flora Neu- seelands ergeben sich auffallende Beziehungen. K. Reiche erwähnt nicht weniger als 64 Arten, von denen 14 antarktische Elemente sind. Beziehungen zur Tropenflora sind wesentlich nur in den Farnen zu bemerken. Chile und be- sonders dessen südliche Teile besitzen somit eine höchst merkwürdige Mischflora. Von besonders hervorragenden Bäumen sind noch hervorzuheben die in bewässerten Tälern mit der Seifenrinde (Quillaja saponaria ÄIol.) auftretende Laura- cee Boldu chilanum Nees, sowie die in Peru und Chile mit 6 Arten heimische Rosaceen- gattvmg Kageneckia. Die Form der Lilien- bäume ist in mehreren Arten durch die Brome- liacee Puya vertreten. Die zentralandine ,,Pnna" hat eine Flora, die viel Aehnlichkeit mit derjenigen des trockenen mexikanischen Hochlandes zeigt. Auf weite Gebiete herrscht eine Dorn- busch- und Cacteensteppe. Einzelne Arten, wie Alvaradoa amorphoides Liebm. (Sapind) finden sich sowohl in Mexiko als in der ,,Tucuman-Zone", fehlen aber dem Zwischengebiet. Die Mehrzahl der Holz- gewächse sind dornige, dicht-beastete Ge- strüppe: Colletia spinosa Lam., Acacia macracantha H. B., Capparis retusa Griseb. Bestimmend für das Landschafts- bild sind die Kandelaberstämme von Cereus peruvianus Mill., deren Dornstacheln öfters goldgelbe Flechten oder buntblühende Tillandsien schmücken. Saftiges Grün Geographie der Pflanzen (Florenreiche) 837 bemerkt man nach Th. Herzog nnr am Ufer der schnell dahinfließenden, silber- klaren Bäche. Schinus Molle L. säumt überall die Ufer, an feuchten Hängen sieht man Büsche vou Alnns jorullensis H. B. K. krummholzartige Bestände bilden. Passi- flora nmbilicata Griseb. und Mutisia viciaefolia Cav. (Comp.) und zwei Weiden durchziehen das Gebüsch und schmücken dasselbe mit violettpurpurenen und orange- roten Blüten. In der Grassteppe der Hoch- lagen begegnet man vereinzelten Podo- carpus Parlatorei Pilger und Iviüppel- wäldchen von Polylepis incana Kth. Zwischen 4ÜÜÜ und" 50U0 m verschwinden auch diese Gewächse. In der wüstenhaften Hochgebirgssteppe sieht man die riesenhaft verholzten Polster von Azorella arten, Krüppelbüsche der Baccharis Tola Thil. die harten Grasbüschel der Stipa lehn Kth. und bizarre Säulencacteen. Besonders auffällig ist der prächtige, bis 3 m hohe Pilo- cereus Celsianus Geis., dessen hechtblauen Säulen an der Spitze große, zartgclbe, von einem ganzen Strahlenkranz siihersciiiinmern- der Haare umgebene Blutenkelche ent- sprossen. Die eigentliche Puna ist fast vege- tationslose Wüste. Unter den Pflanzen der höheren Gebirgslagen spielen holzige Kom- positen (Barnadesia, Chucjuiraga, Muti- sia) und noch höher weißfilzige Stauden der- selben Familien eine wichtige Rolle, so Culcitium nivale H. B. Kth. in Ecuador; Espeletia grandiflora Humb. Bonpl., ein ,,baumförmiges Edelweiß" wird bis 6 m hoch und bedeckt bei Bogota mit Zwerg- palmen weite Strecken. Unter den Stauden und Kräutern der alpinen Stufe findet man einerseits boreale (Saxifraga, Alchemilla, Astragalus, Gentiana), andererseits süd- liche Typen (Acaena, Azorella, Bolax). Die Kartoffel wächst in der trockenen Region, auch im größten Teil von Chile wild. Der Ostabhang der Kordilleren von Bolivia, sowie die beiden Hänge nördlich von 10" S. haben reichere Niederschläge, so daß der Hydromegathermencharakter bis hoch ins Gebirge (3400 m) gewahrt bleibt. Der wert- vollste Bestandteil dieser Wälder sind die Fieberrindenbäume (Cinchona), und der Cocastrauch (Erythroxylon Coca Lam.), das beliebte, allgemein verbreitete Genußmittel der Eingeborenen (vgl. den Artikel „Genuß mittel"). Im nebel- reichen, kühlen Gebirgsklima fühlt sich sogar noch eine Palme, Oreodoxa frigida H. B. Kth. heimisch. In den Kordilleren von Columbia geht die stattliche Wachspalme Neugranadas (Ceroxylon andina Humb. Bonpl.) bis 2924m. Auch andere, tropische ! Formen, wie Bambusen, steigen außergewöhn- j lieh hoch an. Die Bambuse Chuscjuea aristata Munro findet sich bei Quito zwischen 3950 bis 4570 m; die verwandte Ch. Fendleri Munro geht von der Küste bis zu 3625 m. Im Tiefland beträgt die mittlere Jahrestemperatur 25° C, an der oberen Grenze nur 6,5" C. In der Kordillere Columbiens liegt die Südgrenze der Eichen und Nußbäume. (\ III. Paläotropisches Florenreich P a lä 0 t r 0 p i s. Die Paläotropis zerfällt in 2 Gebiete: I. Das indoafrikanische Vegetations- reich (Indoafricanum). Das Indoafricanum umfaßt Vorderindien mit Ausschluß von Ceylon und den größten Teil Afrikas, vom Südrand der Sahara bis zum Orange River, nebst den ostafrikanischen Inseln. Im Norden bilden ausgedehnte Wüstenländer und Hoch- gebirge eine wirksame Florenschranke gegen die Holarktis. Im Süden bewirkt die pflanzen- feindliche Kalahari eine ähnliche Sonderung gegenüber der Kapflora. Gegen das Malesi- cum bildet der weite indische Ozean eine wirksame Barriere; einzig in Assam und im östlichen Bengalen vermittelt eine verhältnis- mäßig schmale Landbrücke den Uebergang nach dem malesischen Gebiet. So ist das indoafrikanische Vegetationsreich nach allen Seiten scharf abgegrenzt. Es umschließt Hydromegathermen- und Xerophytengebiete, ausgedehnte Wald- und Steppenländer. Bald herrscht der eine oder der andere dieser Landschaftstypen auf weite Strecken, bald findet ein ziemlich reger Wechsel statt, bedingt durch entsprechende klimatische Differenzen. Die Niederschläge sind durch- schnittlich geringer als in Malesien, die thermischen Verhältnisse zeigen größere Schwankungen. Damit geht Hand in Hand ein lebhafterer Wechsel der Formationen, obwohl wie L. Diels hervorhebt, die Formenmannigf altigkeit der Flora entschieden geringer ist. Der Wechsel im allgemeinen Landschafts- bild vollzieht sich in doppelter Weise. Die reichsten Niederschläge hat die Aequatorial- region. Von hier nehmen dieselben nach Norden und nach Süden ziemlich gleichmäßig ab, so daß man in beiden Richtungen aus dem gewaltigen Urwaldgebiet der tropischen Regenwälder, durch offene Parldandschaften, in Savannen mit Galleriewäldern, in Steppen und schließlich in Wüstenländer gelangt. Im Süden vollzieht sich der Wechsel rascher als im Norden. Diese Verhältnisse treffen ganz besonders für Westafrika, das klima- tisch unter atlantischem Regiment steht, zu. Im gebirgigen Ostafrika und in Vorder- indien wird durch die lokale Topographie ein regerer Klima- und Florenwechsel bedingt. Hier sieht man das Waldgebiet von Steppen durchsetzt, die stellenweise sogar beinahe Greograpliie der Pflanzen (Florenreiche) Wüstencharakter annehmen. In dieser viel mannigfaltiger gestalteten ostafrikanischen Kegion wird die Pflanzenwandernng weder durch lange Gebirgsketten, noch durch einen ausgedehnten, zusammenhängenden Urwald- gürtel behindert. Sie ist daher für den Aus- tausch der Floren von großer Wichtigkeit. Die Hochländer tragen eine Mesophyten- vegetation. Eine ganze Reihe von Savannen- bäumen und xerophytischen Kräutern (im Westen an die Uebergangsregion gebunden) sind im Osten durch das ganze Gebiet ver- breitet. Südafrikanische Typen, wie Podo- carpus und Blaeria (Ericacee) treten auch in Hochabessinien und am Kilimandscharo neben mediterranen Einstrahlungen, wie Erica arboreaL., auf, selbst boreale Wald- pflanzen (Sanicula europaea L.) fehlen nicht ganz. Der nordische Einfluß macht sich aber noch auf andere Weise geltend. Mehrere mediterrane und boreale Typen treten in abweichenden, vikarisierenden Formen auf. So kennt man tropisch-afrika- nische Varianten der mediterranen Arabis albida Stev., wie des borealen Cerastium caespitosum Gilib.; Veronica Chamae- drys L. ist durch die verwandte V. javanica Bl., die auch im Himalaja und auf Java wiederkehrt, vertreten. Das boreale Antho- santhum odoratum L. tritt in Zentral- afrika in mehreren abweichenden Rassen auf; dasselbe gilt für Koeleria cristata (L.) Pers. Die Luzula abyssinica Pari, ist wahrscheinlich von L. spicata (L.) DC. abzuleiten. AVenn immerhin die Zahl mediter- raner und borealer Typen der afrikanischen Hochgebirge gering ist, so liegt dies, wie A. Engler betont, darin, daß in der Schnee- region Afrikas der Boden mehrere Monate länger schneefrei ist, als in den Alpen und daß während der Trockenzeit bei der starken Insolation der Tau schon in wenigen Stunden verschwunden ist. Alpine, hygrophile Pflanzen finden sich nur an kleinen Bächen und in feuchten Felsspalten. Die Trocken- heit ist aber andererseits auf den nebel- reichen afrikanischen Gebirgen nicht so groß als auf mediterranen Gipfeln, daher das Zurücktreten vonDorn-, Filz- und Stachel- pflanzen; einzig Steppengräser gehen bis zu bedeutenden Höhen hinauf. Die niedersclihigiciehsten, wenigstens 200 cm jährliche Regenhöhe erreichenden Gebiete sind: Der Golf von Guinea mit dem Kamerunberg als Hau})tregenzentrum, die südliche Abdachung Abessiniens. die West- Ghats Indiens (bis 663 cm), der Südabfall des Himalaja, und die Khasia-Hills. Das Regenmaximum wird bekanntlich mit einem Mittel von 1252,5 cm erreicht in Tscherra- pundshi auf dem Plateau der Khasia-Hills. Das sind auch die Länder mit der üppigsten Entfaltung des tropischen Regenwaldes. Die meisten Niederschläge hat fast immer der Sommer. Regenbringer sind im Norden ' die alsdann herrschenden Südwestwinde, weiter im Süden aber hauptsächlich süd- östliche Luftströmungen. Weniger die Wärme- schwankungen, als vielmehr die Unter- I schiede in den Niederschlags- und Feuchtig- keitsverhältnissen der Atmosphäre bedingen • einen bald schwachen, bald ausgesproche- , neren Witterungswechsel, der öfters auch in 1 der Vegetation eine entsprechende Periodi- zität zur Folge hat. Das bezeichnendste Landschaftsbild Afrikas ist aber nicht der Urwald, sondern die Grasflur, ein helles, blendendes Gelände, voll Lichtfülle. Nach Geschlossenheit, Wuchsform und Höhe des Graswuchses gibt es zahlreiche Varianten, ebenso wechsel- voll sind die eingesprengten Begleitbäume. Aber trotz regem floristischem Wechsel bleibt der Gesamtcharakter monoton, überall kehrt die fahle Färbung des Laubwerkes, der öfters von Trockenrissen durchzogene rötlich- braune Boden wieder. Vorherrschend sind weite, ebene Flächen, einförmig wellige Hügel- und Bergländer, hin und wieder unter- brochen von einem dem Tafelland auf- gesetzten Gebirgsstock oder einer erloschenen Vulkankuppe. So erscheint die afrikanische Savannenlandschaft von dem saharischen Uebergangsgebiet an der Grenze von Sene- gambien bis zu den Nilländern, und von dem Somali- und Gallaland bis zum Sambesi und nach Transvaal. Zahlreiche Andropogon-, Aristida-, 1 Chloris-, Eragrostis-, Panicum-, Pennisetum-Arten und andere Gräser bilden hohe, Getreidefeldern ähnliche Be- ' stände. Sehr oft herrscht eine Art weit vor. i Diese Gräser sindausschließlich hart-und steif- blättrig, sie erheben sich garbenähnlich aus j scharf gesonderten, etwas erhabenen Wurzel- j Stöcken. Zwischen ihnen bleibt immer ein mehr oder weniger beträchtlicher Teil des ■ Bodens nackt. Bald sind die Gräser unter Manneshöhe, so daß das Durchstreifen und ; eine genügende Umschau keine Schwierig- keiten bereitet oder die Grasflur ist 2 bis 3 m hoch, und so fest geschlossen, daß das Abweichen von gebahntem Wege teils sehr erschwert, teils ganz unmöglich ist. Die geschlossene Grasflur wird fast ausschließ- lich von Paniceen, deren Halme 4 bis 5 m hoch sind, gebildet. Eine ganz andere Hoch- grasvegetation begleitet den Tsadsee, die Ufer des oberen Nils, des Kongos und Nigers, es sind die Bestände der Papyrusstaude (Cyperus Papyrus L.), meilenweite Strecken werden ununterbrochen von ihren 5 bis 6 m hohen, dunkeli^rünen Mauern be- gleitet. Der undurchdringliche Papyrus- sumpf wird öfters von Cucurbitaceen und anderen Lianen durchflochten. Phrag- Geographie der Pflanzen (Florenreiche) 839 mit es communis Trin. ist über das ganze tropische Afrika verbreitet. Infolge der zeitweisen Trockenperioden sind die in der Savanne eingesprengten Bäume und Sträucher meistens genötigt eine längere Ruhoperiode zu duichhuifen. Die häufigsten und vcrbreitetsten sind daher laubwerfend. Bezeichnend ist besonders das mehr oder weniger reichliche Vorkommen von Akazien mit tiefgehenden Wurzeln und meistens doppeltgefiederten Blättern. Die nördliche Verbreitungslinie der weiß- blütigen Gummiakazie (Acacia Verek G. P. R.) bezeichnet die Grenze der Savannen- region gegen die eigentliche Sahara, an ihren Stämmen schwitzt sie Gummi aus. In der laubwerfenden Dornbuschsteppe sind die meisten Gehölze nur 2 bis 4 m hoch, so A. mellifera Benth. Abessiniens. A. subu- lata Vatke hat liräftige Nebenblattdornen und tritt auch in 8 bis iO m hohen Bäumen auf. A. Seyal Delile bildet an Obstbaum- haine erinnernde Vergesellschaftungen, A. Spiro carpa Höchst, sehr charakteristische Schirmbäume. Zu parkartigen Gehölzen vereinigt, tritt auch die Tamarinde (T ama- rin du s indica L.) auf. Einer der inter- essantesten und bezeichnendsten Savannen- bäume ist der gewaltige Affenbrotbaum (Adansonia digitata L.). Der nicht selten 3 bis 4 m dicke, fleischige Stamm hat nur wenig verholzte Substanz und dient als ausgezeichnetes Wasserreservoir; gleich einer gewaltig-vergrößerten Eiche trägt die Krone ein knorriges, weit ausladendes Geäst. Auch die Sapotacee Butyrospermum Parkii (G. Don) Kotschy ist ein charakteristischer Steppenbaum, der niemals in die Wälder eintritt, sondern sonnige, trockengründige Bergabhänge besiedelt. Ein sehr großer Baum, von nicht weniger eigenartigem, vor- sündflutlichen Aussehen ist der Seiden- baumwollbaum (Eriodendron [CeibaJ anfractuosum DC, eine Bombac), der eine sehr große tropische Verbreitung be- sitzt, indem er sowohl in Mexiko, auf den Antillen, in Guyana, als auch in Afrika, in ganz Ostindien und im malayischen Archipel auftritt. In den Savannen um den Nyassa- see sieht man auch Bombax rhodogna- phalon und die Leguminose Afzelia afri- cana Smith. Zu den Baumsteppen gehört ferner die Dumpalmsteppe, sie tritt besonders in der Nähe von Flußufern und Seen auf. Aus dem hohen Gras von Chloris myrio- stachya Höchst, und Sporobolus robu- st us Kunth haben sich zahlreiche, ver- zweigte Hyphaene coriacea Gaertn. mit ihren Fächerblättern angesiedelt. Wie die Hyphänen, so ist die Borassus -Palme (Borassus flabellifer L.), ein lichtbedürf- tiger Bürger der offenen Grasflur. Sie kann zu den echten Grundwasserbäumen gerechnet werden. Einige Terminalia- und Com- br et um arten, die Anacardiacee Heeria insignis (Del.) 0. Kuntze, sowie Ster- culia triphaca R. Br. und Zizyphus mucronatus Willd. werden in den Sa- vannen angetroffen; an Fluß- und Bach- ufern wohl auch der in Aegypten seit den ältesten Zeiten angepflanzte Ficus Syco- niorus L. Baumgrassteppen treten zwar schon im Küstenland auf, doch viel reich- licher sind sie im Binnenland anzutreffen. In anderen, trockeneren und vor allem steinigeren Gegenden herrscht Dornbusch- und Sukkulent ensteppe. Beispiele dieser extremen Vergesellschaftungen, die bald als Trocken-, bald als Wüstensteppen be- zeichnet werden, liefern einzelne Partien der Somaliländer mit der Insel Socotra, Teile von Hochabessinien und die Kalahari. DiePflanzenwelt Socotras ist nachmehreren Richtungen von besonderem Interesse. Etwa 30% der Arten sind endemisch und verraten durch ihre isolierte systematische Stellung ein hohes Alter, darunter finden sich mehrere ganz antike Typen. In den obersten Lagen des 1506 m erreichenden Gebirges stockt ein lichter Drachenbaumwald (Dracaena Cin- nabari Balf. f.), der sich aus fast undurch- dringlichem Buschholz erhebt. Im Soniali- land tritt D. schizantha Bak., in Niibien D. Ombet Kotschy et Peyer an seine Stelle. Ganz phantastisch nehmen sich die unförmlichen, wenig verzweigten, verdickten, säulenförmigen Stämme der endemischen Apocynacee Adenium socotranum Vierh. aus. Der Stamm erreicht 2 m im Durch- messer und trägt am Ende der wulstigen Zweige dürftige Blattbüschel; dazu gesellt sich Croton socotranus Balf. f. Von ähnlicher Tracht ist die steinige Trümmer- felder bewohnende Dendrosicyos soco- trana Balf. f., die einzige baumförmige Cucurbitacee. Auch das Genus Euphorbia ist durch mehrere Endemismen vertreten, so die baumförmige E. arbuscula Balf. f., nächst verwandt mit E. aphylla Brouss. der Kanaren. Die artenarme Burseraceen- gattung Boswellia hat auf Sokotra nicht weniger als 5 Repräsentanten, In den Trockentälern Abessiniens trifft man die durch Nordafrika bis Yemen ver- breitete Hyphaene thebaica Mart. Während der sechsmonatlichen winterlichen Dürre behält die Begleitflora zum Teil ihr derbes Laub (Gymnosporia senegalensis [Lam.] Loesm.), meistens wird aber das Blattwerk abgeworfen, so bei Acacia melli- fera Benth. und Commiphora africana Engl. Als Seitenstück zu den neuweltlichen Xerophytengebieten mit ihren Cacteen bildet die kräftige Stammsukkulente Euphorbia abessynica Raeusch große Bestände; so- weit das Auge sieht, bedecken zwischen 1500 840 Geographie der Pflanzen (Florenreiche) -bis 2000 m die grasgrünen Kandelaber die Berghänge über dem Koten Meere. In felsigen Schluchten wächst die Blattsukkulente Aloe Schimperi Tod.; auf meterhohem Schaft bringt sie ihre feuerroten Blüten zur Ent- wickelung. Boswelliapapyrifera Höchst, hat wollig-behaarte, vier- bis fünfjochige Blätter, die aber nur während der sommer- lichen Kegenzeit zu sehen sind. Den größten Teil des Jalu-es ist der auf sonnig-dürren Abhängen wachsende Baum kahl, aber gerade zu dieser Zeit entwickelt er an den Astenden seine rosaroten Blüten. Füi- die obere Berg- stufe ist der bis 40 m Höhe erreichende Juniperus procera Höchst, bezeichnend, es ist einer der wichtigsten Waldbäume der Hochgebirge des tropischen Afrika. Wie Rosa abyssinica R. Br. ist dieser Wachol- der als südlicher Ausläufer einer sonst aus- schließlich nördlichen Gattung aufzufassen, doch geht der Wacholder viel weiter nach Süden, er überschreitet den Aequator und dringt bis in die Bergländer Deutsch-Ost- afrikas vor. Mit Ausschluß der Atlasländer ist dies die einzige Conifere des nördlichen äquatorialen Afrika. Von Süden her, bis nahe an den Nyassasee reichen dagegen Ver- treter des Südhemisphärischen Genus Calli- tris. Das ausgesprochenste Trockengebiet ist aber die Kalahari. Der Uebergang zum tropischen Regenwald wird durch Wald- steppen bezeichnet. Die wichtigsten Vertreter sind meist schwachstämmige Caesalpiniaceen, wie Burkea africana Hook, und Bau- hinien. Copaifera coleosperma Benth. ist weitaus die mächtigste, einigermaßen an Adansonia erinnernde Gestalt. Auf den Kalksandsteinflächen der mittleren Kalahari herrscht Strauch steppe, gebildet von -Acacia horrida Willd., Cassia obovata Coli, und den Asclepiadaceen Sarcostemma viminale R. Br. undPterodiscusluridus Hook. Als einzigen Baum bemerkt man die noch 5 m hoch werdende Commiphora betschuanica Engl. Auch um den im Schwinden begriffenen Ngamisee herrscht Buschsteppe mit Acacia giraffae Willd., A. hebecladaDC. und demAsclepiadaceen- strauch Boscia Pestalossiana Gilg.; im Gebüsch rankt die tropische Cucurbitacee Momordica Charanthia L. Ein großer Teil der Kalahari hat unregelmäßige Sommer- regen, doch die Westküste ist nahezu völlig regenlos. Diese Wüstenregion ist das Ver- breitungsgebiet einiger höchst eigenartiger Gewächse, die sowohl habituell, als biologisch- systematisch und pflanzengeographisch eine ausgesprochene Sonderstellung einnehmen. Der bekannteste Vertreter ist das monoty- pische Gnetaceengenus Tumboa(T. Baine- siiHook.=WelwitschiamirabilisHook. f.), das nur 2 bandförmige, an der Ansatz- stelle jahrzehntelang nachwachsende, derbe Laubblätter entwickelt; dazu gesellt sich der sukkulente Zwergbaum Vitis Bainesii Hook. f.; Sesamothamnus Seiner i Engl, ist ein bis 2 m hoher Pedaliaceenstrauch der mittleren, östlichen Kalahari, der bisher nur in 2 Exemplaren beobachtet worden ist. Er besitzt eine große, als Wassergewebe dienende, oberflächlich verkorkte Stammknolle mit dicken, kurzen Aesten und winzigen, grau- weißen Blättern. A d e n i a (E c h i n o t h a m n u s) Pechuelii (Engl.) Harms ist eine Felsen- passifloracee mit sukkulentem, kugeligem Stamm, von dem nach allen Seiten stark verzweigte Aestchen wie die Borsten eines Igels abstehen, habituell erinnert die Pflanze ganz an neuweltliche Kugelkakteen. Cissus Cramerianus Schinz, eine Vitacee, wird 4 m hoch und hat bis 30 cm dicke, am Ende dichotom verzweigte, kurz knollige Aeste, welche Büschel fleischiger Blätter tragen. Von ähnlichem Habitus, doch nur wenig über 2 m erreichend, ist die Apocynacee Pachypodium giganteum; Copaifera Mopane Kitk. hat zweijochige Blätter, die wie die australischen Eukalypten Kanten- stellung zeigen. Euphorbia Dinteri A. Berg bildet mannshohe, vielkantige Säulen; noch bizarrer ist die im trockensten Kies wachsende E. namibensis Marloth, sie ist einem verdickten Doppelkegel ver- gleichbar, dessen über die Erde vorragender oberer Teil mit zalüieichen kurzen Inflores- zenzachsen dicht besetzt ist. Sarcocaulon rigidum Schinz ist eine Geraniacee mit bis 4 cm dickem, wasserspeicherndem Stamme und ausgespreizten, eine Harzschicht ab- sondernden, mit langen Stacheln besetzten Aesten. Acacia detinens Busch bildet längs den meist trockenen Flußbeeten Ge- büsche und ist über und über mit Dornen besetzt. Ein fürchterlicher Stachelstrauch ist auch die Dünenpflanze Acanthosicyos horrida Weber, eiue Cucurbitacee. In den Trockentälern der Walfischbai und am Orange River gedeiht Tamarix usneoides Busch. Nach F. Seiner ist der Grundstock dieser Flora tertiär. Das Auftreten von Pelargo- nium ceratophyllum l'Herit. und von mehreren Mesembryanthum weist deut- lich auf die Capensis hin. Bemerkenswert ist die Abwesenheit der Palmen des Sudans und der Gesträuchformation des Kaplandes mit ihren Proteaceen. Neben Savannen- und Wüstensteppen wird das afrikanische Landschaftsbild in zweiter Linie durch tropischen Regen wald bestimmt. Seine Hauptentfaltung gehört dem Kongo- und Nigersystem an. Die west- afrikanische Urwaldregion ist reich an eigentümlichen Typen, die daselbst ihr Massenzentrum haben, zum Teil aber auch, jedoch mehr vereinzelt, bis Ostafrika vor- Geographie der Pflanzen (Florenreiche) 841 kommen. Daneben ergeben sich eine Reihe beachtenswerter Uebereinstimmungen mit dem tropischen Südamerika. An FormenfüUe und Großartigkeit steht der westafrikanische Wald sowohl hinter dem neotropischen, als auch, und zwar in noch erhöhtem Maße, hinter dem malesischen Regenwald entschieden zurück. Auch an Anstlehnnng ist derselbe den beiden anderen tropischen Waldgebieten durchaus nicht gewachsen. In einem ver- hältnismäßig schmalen Streifen folgt der Regenwald der Küste von Senegambien bis Kamerun und weiter südlich bis ins mittlere Angola. Noch schmaler, und vielfach unter- brochen ist dieWaldzone in tropisch Ostafrika. Von den Küsten Westafrikas aus folgt der Wald den großen Flußläufen, dieselben in einem breiten Gürtel begleitend, um gegen die innerafrikanische Seenplatte allmählich zu verarmen und sich mehr und mehr in zerstreute, von der überhand nehmenden Savanne getrennte Waldinseln aufzulösen. Als Ausläufer des großen Waldgebiets treten in den peripherischen Flußtälern Galerie- .wälder, Wald- und Buschsteppen und schließ- lich die Begleitbäume der Savanne auf. Von wichtigen Charakter- und Nutz- pflanzen der westafrikanischen Waldregion seien erwähnt, die Gel pal nie (Elaeis guineensis Jacq.), die hervorragendste Nutzpflanze des äcpiatorialen Westafrika, und gleichzeitig einer seiner schönsten Charakterbäume. Seine natürliche Verbrei- tung fällt ziemlich zusammen mit der des j ehemaligen großen Waldgebietes. Dem i ganzen Nilsystem, wie auch Ostafrika ist | sie fremd. Doch ist die Oelpalme vorzugs- weise ein Baum der offenen Landschaft, der j dichte primäre Urwald sagt ihr nicht zu. Für ; die Guinea-Kongoländer ist auch die Wein-I palme (Raphia vinifera Beauv.) be- zeichnend. Ein Bürger des Regenwaldes ist die Leguminose Erythrophloeum guineense Don. Die Rinde enthält ein selir wirksames Herzgift. Der Baum findet sich von Togo und Kamerun bis ins Land der Niam-Niam und zum Nyassagebiet. Kokabäume (Coca acuminata [B. de B.] R. Br. und C. Vera K. Seh.) liefern ein den Völkern Afrikas unentbehrliches Anregungsmittel, das seit einiger Zeit sich auch im Welthandel einer zunehmenden Nachfrage erfreut. Diese stattliche Steculiacee mit ihrer edel be- laubten I{jrone bevorzugt feuchte Niederungen und begleitet öfters die Wasserläufe bis in deren Mündungsgebiete. Dort erhebt sich Vernonia conferta Benth., ein hoher weichholziger Kompositenbaum mit riesigen Blättern und langen endständigen Blüten- rispen. Auf verlassenem Farmland stellt er sich gern als erster Ansiedler ein. Ver- breitet ist auch die Moracee Musanga Smithii R. Br. dazu kommen zahlreiche Combretaceen, mehrere Ficusarten, im Osten ist Musa Ensete Gmel. verbreitet. In Ober- und Niederguinea wächst der Liberia-Kaffee (Coffea liberica Hiern.); wichtiger ist C. arabica L., heimisch vom Seengebiet (Viktoria Nyansa) bis Südabessi- nien. Die Gattung Coffea ist auf die Tropen der alten Welt beschränkt, in Afrika ist zwischen 15" N. bis 12» S. ihr Haupt- verbreitungszentrum. Von den 35 Arten gehören 20 Westafrika an, dann folgt Ost- afrika. Südasien hat nur wenige Arten; am weitesten nach Norden geht C. bengalensis Roxb. (bis in die tropischen Gebiete des Himalaja); im Osten findet sich der letzte Vertreter auf Neu-Guinea (C. uniflora K. Seh.). Von den Wäldern zwischen Nil und Kongo gibt Schweinfurth folgende Schilderung: ,, Bäume mit gewaltigem Stamm und von einer Höhe, die alles im Gebiete der Nilflora Gesehene weit in den Schatten steht, bilden hier dicht- geckängte, lückenlose Reihen, in deren Schutz sich minder imposante Gestalten m wüstem Ge- menge stufenweise abgliedern. Im Inneren dieser Hochwälder gewahrt man Säulengruppen, ägyptischen Tempelhallen ebenbürtig, in ewig tiefen Schatten gehüllt und von aufeinander gelegten Laubdecken oft dreifach überwölbt. Von außen betrachtet erscheinen sie wie eine undurchdringliche Wand des dichtesten Blatt- werkes, im Inneren eröffnen sich dagegen überall Laubgänge unter den SäulenhaHen, voll murmeln- der QueUen und Wasseradern. Die durchschnitt- liche Höhe des obersten Laubdaches beträgt 80 bis 100' und scheint nngends unter 70' herab- zusinken. Am Boden füllen fast un durch di-ing- liche Staudenmassen der verschiedensten Art die noch übrig gebliebenen Lücken in diesem großartigen Laubgewirr. Vor ahem sind es die 15 bis 20' Höhe erreichenden Dschungeln der Anoma und von Costus. Und nun die wunder- volle Farnwelt, zwar nicht mit baumförmigen Formen imponierend, aber mit um so riesiger entwickeltem Laube." An der Küste, am Rande von Lagunen und an Flußmündungen herrschen die für alle Tropen bezeichnenden dunkelgrünen Mangrovebestände. Die häufigste, mit ihren Stelzenwurzeln am weitesten ins Meer vordringende Art ist Rhizomorpha mu- cronata Lam., sie erreicht eine mittlere Höhe von 7 bis 10 m. Mehr landeinwärts, auf den Ebbe und Flut noch ausgesetzten Sandflächen bemerkt man die Lythrariee ! Sonneratia caseolarisunddie Verbenacee i Avicennia officinalis L., zusammen weit- I ausgedehnte Bestände bildend, zu denen sich auch öfters der Farn Acrostichum aureum L. gesellt. Auch mehrere Schrauben- bäume (Pandanus), teils strauchig, teils baumartig entwickelt begleiten die Meeres- ufer. Südlich dringen sie an der Ostküste bis ins Mündungsgebiet des Sambesi. Doch bemerkt man vereinzelte Pandanusarten auch im Binnenland, meist an Flußläufe ge- 842 Geographie der Pflanzen (Florenreiche) bimden, bis etwa zu 800m. An Ufern und auf Flußinseln bildet die mit der Dattelpalme nahverwandte Phoenix reclinata Jacq. massige Dickichte. Die ostafrikanische Man- grove setzt sich mithin aus ostindischen Elementen zusammen, indessen die west- afrikanische Mangrove amerikanischen Ur- sprungs ist. Diese Tatsache ist eine unmittel- bare Folge der herrschenden Meeresströ- mungen ( S 0 1 m s - L a u b a c h). Die ruhigen Fluten des oberen Nil schmücken die weiße und blaue Seerose, fälschlich als Lotosblume bezeichnet (Nymphaea Lotus L. und Nymphaea coerulea auct.); öfters whd in diesen Gewässern die Schiffahrt durch Pflanzenbarren gehemmt oder gesperrt. In der oberen Regenwaldstufe nimmt der Reichtum an Schlingpflanzen (Cissus, D i 0 s c 0 r e a) und E p i p h y t e n zu. Da sieht man Asplenium nidus L., auch Baumfarne fehlen nicht. Am Kamerunberg, bei ca. 1400 m, tritt Alsophila Kamerunensis Diels massenhaft auf. Für das I\Iittelgebh-ge (ca. 1500 m) kommen auch noch Podocarpus usambarensis Pilg. und der Bambuswald (Arundinaria alpina K. Schum.) in Betracht. Von ca. 3800 m an tritt in den Hochlagen des äquatorialen Afrika eine sehr eigenartig zu- sammengesetzte Hochsteppe auf. Am Kiliman- djaro besteht sie hauptsächlich aus dem baum- förmigen Senecio Jolmstoni Oliv., dem sich derbe Gräser, Helichrysum- und Blaeria- sträucher beigesehen. Um 4000 m treten am Ruwenzori ähnliche Vergesellschaftungen auf. Aus den über kniehohen Büscheln von Carex runssoroensis Schum. erheben sich phantas- tisch, gleich gewaltigen Fackeln, Lobelia Wolla- st onii Oliv, und der baumartige Senecio adnivalis Stapf. Nach Drude stellt sich Südarabien als ein merkwürdiges Gemisch eigener Tropen- erzeugnisse ostafrikaiiischer Verwandtschaft mit abessinischen Arten und tief nach Süden eingreifenden Wüstenformationen dar. Zu den Charakterpflanzen gehören waldbildende Akazien, Weihrauch- und Balsambäume und der Katstrauch (Celastrus edulis Vahl.). Die ostafrikanischen Inseln haben eine in mancher Hinsicht eigenartige Flora, die aber naturgemäß die meisten Anklänge an die afrikanischen Tropen zeigt. Daneben gibt es Beziehungen zu Malesien, ja selbst zu den Kanaren und Amerika, in dem die Musacee Ravenala mit ihren gewaltigen, fächerförmig am Ende des Stammes an- geordneten, großen, eingerissenen Blättern in Madagaskar durch eine Art (R. mada- gascariensis J. F. Gmel.) und im tropi- schen Amerika durch eine zweite Art (R. guyanensis Steud.) vertreten ist. Lager- stroemia und Areca weisen auf Indien. Auch die Gebirgsflora stellt merkwürdige pflanzengeographische Probleme. Das einzige Veüchen des tropischen Afrika.Violaabyssinica Steud.. findet sich außer in Abessinien nur noch I 1 auf dem Kamerungebirge und im Hochlande [Madagaskars. Scilla Berthelotii W. et B. gedeiht auf den Kanaren, am Kilimandjaro, auf Sokotra und Madagaskar; von ähnlicher Verbreitung ist Geranium simense Höchst. Für eine lange Absonderung vom afrikanischen Kontment spricht auch der gewaltige Endemis- mus. Baron zählt 4100 einheimische Arten, davon sind 3000 (73%) endemisch. In der Niederung herrscht tropischer Niede- rungswald, zum Teil von Savannen durch- setzt. Unter den Pandaneen fällt besonders Pandanus obeliscus Thou mit meter- dickem bis 18 m hohem Stamm und 3 bis 4 m langen, dichtrosettig gehäuften Blättern auf. Wichtiger ist P. utilis Bory, dessen Blattfasern technisch verwertet werden, in- dessen die orangeähnlichen Früchte eßbar sind. Der Wald hat zahlreiche Epiphyten, besonders viel Orchideen, in zum Teil sehr aben- teuerlichen Formen. Angraecum sesqui- pedale Thou hat 25 cm im Durchmesser erreichende Blüten, deren Sporn 30 cm lang ist. Das zentrale Hochland ist nur spärlich mit Bäumen und Sträuchern besetzt, vor- herrschend sind wellige, moorartige Hoch- flächen mit kümmerlicher Grasvegetation. Für die Maskarenen gibt 0. Drude folgende Charakteristik. Bestimmend sind Baumfarne und Orchideen. Für Reunion werden als Charakterbäume genannt Imbricaria petiolaris A. DC. (Sapot.) mit unverwüst- lichem Holz, Elaeodendron Orientale Jacq. (Celastr.), Sideroxylon cinereum Lam. (Sapot.) und die sehr häufige Acacia hetero- phylla Willd. Sie gehen bis etwa 1300 m, wo ein Gürtel von Nastus borbonicus J. F. Gmel. (Gram.) von 950 bis 1300 m den Tropen- wald abschließt, doch steigt Monimia rotundi- foliaThou. (Monim.) mitimmergrünenBlättern bis zu 2000 m Höhe. Auf Reunion leben allein 240 Farne, darunter vier hohe Cyatheaceen. Die Palmen sind ihrem Charakter nach gemischt. Latania als Borassinee ist afrikanisch, Hypo- phorbe und Arecineen sind teils indisch, teils von amerikanischer Verwandtschaft, alle ende- misch. Auf Mauritius vertreten Phyllica und Philip pia das Kapelement. Die dem Aequator nahe gerückten Sey- schellen haben bei 338 Arten 60 (18 %) Endemen, darunter 5 Palmen. Berühmt ist die einzig hier vorkommende Seychellennuß (Lodoicea sey- chellarum Labill.), deren bis 15 kg schweren Früchte lange vor der Pflanze bekannt waren. Vorderindien mit Ausschluß von Ceylon ist noch ein Stück Afrika in Asien, und zwar sowohl nach dem geologischen Aufbau, wie auch nach der Vegetation, die nicht nur nach ihrem Wechsel von feuchtem Urwald (Assam, West Ghats mit Malabar- küste) und trockenen Steppengebieten (Dekanplateau) an Ostafrika erinnert, sondern auch in der Zusammensetzung der Vegetation selbst sehr ausgesprochene Be- ziehungen zum schwarzen Kontinent auf- weist. Das eilt in erster Linie für das Dekan- Greograpliie der Pflanzen (Florenreiche) 843 hochland, auf dem, je nach der Regenmenge Dornbusch oder Steppe herrscht. Einzelne Autoren suchen die engen Beziehungen zur afrikanischen Flora auf eine einstige direkte Landverbindung (Lemurien) zurückzuführen, andere sind der Ansicht, daß eine mehr oder weniger kontinuierliche Inselreihe, wie sie in Kesten zum Teil noch heute erhalten ge- blieben ist, genügt haben mag, um einen Florenaustausch der jetzt entfernten Länder zu ermöglichen. Das größte Urwaldgebiet ist das untere Tal des Brahmaputra im N. E. Durch dichte Bevölkerung und intensive Bodenkultur ist die ursprüngliche Vegetation im Gangestal stark beeinträchtigt. Ueber- haupt ist Indien das erste und älteste Tro- penkulturland. Das Mündungsgebiet des Ganges wird bis in unsere Zeit von Dschun- geln aus riesenhaften, schilf artigen Gräsern eingenommen. Im äußersten Nordwesten nimmt die Regenarmut (ca. 60 bis 30 cm) so zu, daß dadurch allmählich der Uebergang zum nordafrikanisch-indischen Wüstengebiet vermittelt ward. Auch auf dem Dekan gibt es einzelne, fast regenlose Strecken. Der Temperaturgang ist ziemlich ausgeglichen, so daß weniger die Wärmeunterschiede als die Niederschlagsverhältnisse ausschlag- gebend sind. Nur in den mittleren und oberen Lagen des Himalaja kommt es zur Aus- bildung einer warmen und kalten Jahres- zeit und damit auch zu einer entsprechenden Periodizität der Vegetation. Die nur einmal blühende, dann absterbende Talipotpalme (Corj^pha umbraculi- fera L.) schmückt die Malabarküste. Als ,, Papierlieferant" war sie schon bei den alten Indern geschätzt ; ebenso bezeichnend ist Caryota urens L. Die schlanke Kokos- palme erreicht hier ihre "VVestgrenze. In den tropischen regengrünen Waldungen des westlichen Dekhan gibt es Bestände des Teak- holzes (Tectona grandis L., Verbenac), sie liefern das kostbarste Schiffsbaumaterial; dazu gesellen sich mehrere Palmen, wie Phoenix silvestris Roxb. und Borassus flabellifer L., ferner das Sandelholz Santalum album L., die Acacia Cate- cha Willd., die gelbblütige Leguminose Butea frondosa Roxb. und Cedrela Toona Roxb. (Meliac). Vielfach sieht man den heiligen Feigenbaum (Ficus reli- gio sa L.). Mit seinen aus den Aesten hervor- wachsenden säulenförmigen Luftwurzeln ver- größert er sein Areal nach allen Seiten, so daß ein einziges Exemplar einen kleinen Wald für sich bilden kann. Besonderes Interesse beansprucht der Hima- laja. Der tropische Wald reicht bis etwa 1000 m. Acacia Catechu Willd., Dalbergia Sissoo Roxb., eine Leguminose, sind neben Pinus longifolia Roxb. und der bereits erste Andeutungen einer Winterruhe zeigenden Dipteracee Shorea robusta Gaertu. bestand- bildend. Ficus arten mit gürtelförmigen Kletterwurzeln, die Aracee Raphidophora decursiva Scott, umschlingen den Stamm oder ziehen von Baum zu Baum. Die Liane Bauhinia anguina Roxb. hat einen band- förmig gewellten, verholzten Stengel. — Oberhalb 1000 m beginnt die subtropische (1000 bis 2100 m) und sp;Uer die warm gemäßigte tropophile Waldstufe (2100 bis 3600 m). Erstere zeigt Anklänge an die Mediterraneis (Celtis australis L., Rhus coggygria ScopJ, noch mehr aber an das warmtemperierte China und Japan (Cornus macrophyllaWall.,Rhus semialata Murr.). In den unteren Partien sieht man im Unterholz und auf Lichtungen noch Baumfarne, weit(M- oben Rhododendren. Die Hauptwald- pflanzen sind jetzt immergrüne Eichen wie (|)uer- cus incana Roxb., Quercus dilatata Lindl., In der kalttemperierten Zone überwiegen Nadel- hölzer, wie die auch bei uns viel gehaltene Pinus excelsa Wall., dazu kommen Abies Webbiana Lindl. und die Himalajazeder (Cedrus Deodara Loud.), ferner boreale blattwechselnde Laubbäume wie verschiedene Ahorne, Ulmen, Eschen, Weiden, Erlen, Hain- buchen, zum Teil mit europäischen (Prunus Pa- dus L., Juglans regia L.), zum Teil mit ostasia- tischen (Aesculus indica Coleb.) Typen über- i einstimmend. Die Baumgrenze wird bei 3660 m von Betula Bhojpattra Wall, gebildet. In der bis zur Schneelinie (3900 m) reichenden [alpinen Region wachsen strauchige Rhodo- 'dendren (Rhododendron anthopogon D. Don., Rhododendron lepidotum Wall.), also meistens boreal-hiraalajensisch-ostasiatische Elemente, im Osten stellen sich zahlreiche malesiche Typen ein. Ueberhaupt zeigt der viel trockenere Westhimalaja von dem feuchten Osten einen so verschiedenen Vegetationscharakter, daß j die beiden Gebiete pflanzengeographisch scharf I zu unterscheiden sind. 2. Malesisches Vegetationsreich (Male- sicum). Große Feuchtigkeit, verbunden mit gleichmäßiger Wärme ist das Charakteristi- j kum dieses Vegetationsreiches, das abgesehen I von Hinterindien aus einem wahren Laby- I rinth großer und kleiner Inseln und Insel- gruppen besteht. Mit der Gleichmäßigkeit ; des Klimas geht Hand in Hand die Entwicke- lung einer zwar außerordentlich tippigen, I aber physiognomisch auf weite Strecken ' sich ziemlich gleichbleibenden Vegetation. Damit ist natürlich nicht ausgeschlossen, daß die einzelnen Gebiete öfters eine statt- liche Zahl Endemismen aufweisen. Die Zer- stückelung des Landes in Inselschwärme und die damit verbundene Florenisolierung mußte zur Entwickelung insularer Rassen, Ab- arten und Arten fuhren. Die jährliche Regen- höhe übersteigt meistens 2 m, doch gibt es Orte mit mehr als 12 bis 14 m. Der Sommer hat meistens mehr Niederschläge als der Winter, so daß es dann stellenweise sogar zu mehr oder weniger ausgesprochenen Trockenperioden kommt. Im ursprünglichen Naturland hat daher der tropische Regen- 844 Greograpliie der Pflanzen (Florenreichej wald unter allen Formationen weitaus vor- geherrscht. Selbst heute ist dies der Fall für die von der Kultur noch wenig berührten Teile Malesiens, und dies trifft für den größten Teil des Vegetationsreiches immer noch zu. Baumfarne, Palmen, Bambusen, zahlreiche Epiphyten (Moose, Farne, Orchideen) und Lianen, wie die bis über 200 m lange Rotangpalme (Calnius Rotang L.), beherrschen auch im male- sischen Regenwald das Vegetationsbild. Vom Meeresspiegel bis in die Nähe der Baum- grenze bleibt sich der Gesamtcharakter des Urwaldes ökologisch und physiognomisch ziemlich gleich, nicht aber floristisch. Auch in Südasien baut sich der Tropenwald in mehreren Etagen auf. Die Riesen erster Größe erreichen 50 bis 70 ni Höhe und mehr. Häufig sieht man Schirm- und Kandelaberbäume, erstere besonders bei Leguminosen (Caes- alpinia, Pithecolobium), letztere bei Garuga (Burserac), Argyrodendron amboinense (Euphorb.). Daneben erheben sich schwerfälhge, gewaltige Feigenbäume. Am Südfuß des Hima- laja und in Südindien wächst der Banyon (Ficus bengalensis L.). Aus der Unterseite seiner weitausladenden Aeste entsprossen Un- mengen von Stützwurzeln. Aehnlich verhält sich der vom östlichen Vorderindien durch ganz Malesien verbreitete Ficus retusa L., aber auch der besonders in Assam heimische Ficus elastica L. bildet Stützwurzeln. Andere Ficus- arten, wie auch Bignoniaceen, Dipteraceen, Meliaceen,Sterculiaceen entwickeln Bretter- wurzeln, soCanarium decumanum Rumph. (Burser.) von Sumatra und den Molukken und Ficus glabella Bl. Die Blätter der süd- asiatischen Tropenbäume sind meist dunkel- grün, glatt und glänzend, viel häufiger als bei uns ganzrandig, oft sind dieselben mit einer ,, Träufelspitze" versehen. Die meisten Bäume sind immergrün, während des ganzen Jahres werden neue Blätter gebildet, alte abgeworfen, ohne daß die Bäume je selbst kahl stehen. Selbst in diesem gleichmäßig feuchten Tropen- klima gibt es nicht wenige Arten, die wie Pala- q u i u m m a c r o p h y 1 1 u m ( S a p o t. ) sich periodisch belauben; doch werfen die einzelnen Bäume ihr Laub nicht gleichzeitig ab. Ungemein verbreitet, wie sonst wohl nirgends, ist die Kauliflorie. Man trifft sie in den ver- schiedensten Familien. Die Blüten brechen aus alten Aesten, aus dem Stamm, ja sogar aus Wurzeln hervor. Beispiele sind Ficus variegata BL, Ficus heteropoda Mic]. und Ficus Roxburghii Wall. (Birmas), ferner Phaleria longifolia Boerl. (Thymel.) und Saurauja cauliflora DC. (Ternstroem.). Die Reisenden berichten häufig von der Blumenarmut des südasiatischen Tropenwaldes. Dies trifft aber nur zum Teil zu. Während in unseren Breiten der Blütenreichtum sich jeweilen auf wenige Wochen konzentriert, ist derselbe in den Tropen fast ununterbrochen über das ganze Jahr ver- teilt und daher nicht so auffällig. Gerade Süd- asien besitzt einige Pflanzen mit abenteuerlich geformten, sehr großen Blüten. Die absonder- liche, auf wilden Reben (Oissus) wachsende Rafflesia Arnoldi R. Br. Sumatras entwickelt j die größte, 1 m im Diuxhmesser erreichende ! Blüte der Welt. Andere Rafflesien mit wenig kleineren Blüten kennt man aus dem Inneren Borneos, Javas und von den Philippinen. Einen der gewaltigsten Blütenstände entwickelt Amorpho- phallus Titanum Bec, eine Aroidee West- sumatras. Der Blattstiel wird bis 5 m lang, die einzelnen Abschnitte der geteilten Blätter erreichen eine Länge von 3 m und der mit zahl- losen Blütchen besetzte Kolben ragt über 2,5 m in die Höhe. Nicht weniger bezeichnend sind für das Malesicum die daselbst in zahlreichen Arten verbreiteten Nepenthes, deren Blätter für den Insektenfang zu kannenartigen Fallen umge- bildet sind. Das Massenzentrum der Gattung liegt in Westmalesien, die äußersten Vorposten ge- hören dem Himalaja, den Seyschellen, Madagaskar und Australien an. Auch in diesem Vegetationsreich wird die Meeresküste vielfach von Mangrovewäl- dern begleitet. Rhizophora conjugataL. wandert mit ihren Stelzenwurzeln am weite- sten in die Flachsee hinaus. Zur Zeit der Ebbe ist der Boden weithin mit dünnen, fingerförmigen oder dickkegelförmigen senk- recht aufgerichteten Atem würz ein (Pneu- matophoren) bedeckt. Avicennia offici- nalis L., Sonneratia alba Smith., Xylocarpus granatum Koen. sind weitere Leitpflanzen. Mit der Mangrove ver- gesellschaftet und meist ilu-en Innensaum bezeichnend tritt die Nipaformation auf, charakterisiert durch die stammlose, gesellig auftretende Nipa fruticans Wurmb., sie bedeckt z. B. am javanischen Strande ungeheure Strecken. Von den Küsten Lidiens bis zu den entferntesten Eilanden Ozeaniens ist die Kokospalme (Cocos nucifera L.), eine der wichtigsten Nutz- pflanzen Malesiens, verbreitet; sie ist das Wahrzeichen meerumtoster Atolle. Der tropische Niederungs- und Berg- wald ist meist reich gemischt, doch gibt es auch nahezu reine Bestände. Etwa ein Drittel der Wälder Javas wird von dem zur Trocken- zeit kahl werdenden Tiekbaum, derVerbenacee Tectona grandis L. gebildet; nur wenige andere Bäume, wie Acacia leucophloea Willd., einige Albizzien, Lagerstroemia speciosa Pers. (Lythrac.) mit prachtvoll blauen Blüten, begleiten den Tiekwald. — Mehr im Gebirge, etwa von 800 bis 1600 m, trifft man vielfach Bambuswälder. In elegantem Schwung erheben sich die leicht gebogenen Stämme mit ihren schmalen, zitternden Blättern. Alles wird aber durch die an Arten un- gemein reichen Mischwälder übertroffen. Gegen 300 verschiedene Palmen hat das südasiatische Monsumgebiet, davon sind nahezu die Hälfte Lianen. Die Sundainseln allein zählen gegen 200 Arten. Die Talibot- palme (Corypha umbraculifera L.) stirbt nach der Blüte ab, die schlanke Areka- palme (Areca Catechu L.) liefert Betel- G-eograplüe der Pflanzen (Florenreiche) 845 nüsse, das unentbehrliche Kaumittel der Malaien. Sehr bezeichnend sind auch Caryota mitis Lourr., eine Palme mit doppelt-fiedersehnittigen Wedeln, und die Zuckerpalme (Arenga saccharifera Labill.), die zuckerhaltigen Saft (Palmwein) liefert. Die im malaiischen Archipel heimischen echten Sagopalmen M e t r o x y 1 o n R u m p h i i Mart. und Metro xylon sagus Rottb. enthalten die beste Sago. Zwischen den Palmen erheben sich einige laubholzähnliche Südhemisphärische Nadelhölzer der Genera Dammara und Podocarpus, oder die als Nahrungspflanzen so wichtigen Bananen (Musa paradiaca L.); auch zwei Diptera- ceen, der Kampferbaum Borneos, Dryobala- nops aromatica Gaertn., und der Sal- baum, Shorea robusta Gaertn. f., sind zu erwähnen. Die Myrtacee Eugenia aroma- ticus L. liefert die Gewürznelken und der Mangobaum (M an gif er a indica L.), eine Anacardiacee, große pfirsichartige Früchte. Beide Bäume werden daher vielfach in Kultur genommen. Zingiberaceen, besonders die riesigen Elettarien undDillenia penta- gyna Roxb. werden bis 20 m hoch und ent- wickeln gewaltige Blattflächen. Am üppig- sten ist der Mischwald übrigens zwischen 700 und 1350 m. Anonaceen, Guttiferen, Moraceen erreichen gewaltige Dimensionen, die holzigen Lianen sind am zahlreichsten vorhanden. .Jede Insel hat übrigens ihre Besonderheiten; darauf gründet sich die Unterscheidung ver- schiedener Bezirke, nämlich: a) Ceylon; b) Hinterindien (Birma, Siam, Annam) mit vielen Clusiaceen, immergrünen und sommergrünen Mischwäldern, zahlreichen Magnoliaceen, borealen Typen wie Quercus, Pinus Merkusii Jung, (auch auf Sumatra); c) Westmalesien (Sumatra, Java, Borneo, Philippinen), letztere bereits schon mit starken Anklängen an Formosa und Südchina; mit dem Hauptreichtum der malesischen Flora, einer der artenreichsten Teile der Erde; d) Ostmalesien (Celebes und Mo- lukken) scheint gegenüber dem Westen ent- schieden ärmer zu sein; e) Papuasien mit Neuguinea und Nachbarinseln hat wiederum viele Enderaen, zum Teil von ganz isolierter Stellung und vielfach antikem Gepräge. Neben Regenwäldern gibt es in den trockenen Gebieten Malesiens auch Monsum- wälder. Sie beherrschen diejenigen Teile Hinterindiens und der Inseln, welche eine ausgesprochene Periodizität einer feuchten und einer trockenen Jahreszeit aufweisen. Mit Beginn der Trockenzeit erfolgt bei vielen Arten der Laubfall; es sind dies mit- hin regengrüne Wälder, wie sie besonders in Hinterindien und im östlichen Java ver- breitet sind. Die bereits erörterten Tiek- wälder gehören hierher. Die gegenüber dem Regenwald kleineren Bäume zeigen Jahr- ringbildung, die Blätter sind ebenfalls kleiner, Lianen und Epiphyten spärlicher und in geringerer Mannigfaltigkeit. Kauliflorie fehlt nahezu. Der Wald ist meist lichter und zeigt öfters Parkcharakter. Palmen sind spär- licher. Für diese periodischen Trockengebiete ist auch die Palmyrapalme (Borassus flabelliformis L.) bezeichnend. Große Strecken sind mit mehr oder weniger dicht- haarigen Sträuchern bedeckt, zwischen denen sich Lygodi um arten winden. In den malaiischen Savannen ist der 1,5 m hohe Alang (Imperata arundina- cea Cyr.) bestandbildend, er bedeckt oft weithin ausgedehnte, einförmige Fluren, dürfte aber ursprünglich nicht Südasien an- gehört, sondern erst sekundär durch Rodung der Urwälder diese Bedeutung erlangt haben. In den Trockengebieten Hinterindiens bilden die riesenhaften Halme von Arundo mada- gascariensis Kunth. ähnliche Vergesell- schaftungen, sie werden 3 bis 4 m hoch. Mit etwa 1350 m ändert sich das Vegetations- bild allmählich. Viele Typen der unteren Stufe verschwinden. Lauraceen und Eichen be- herrschen in mehreren stattlichen Arten den Berg- wald. Von 1500 m an folgt die Nebelregion. ausgezeichnet durch die Fülle von Moos und Farnen. Baumfarne, Lianen, Orchideen nehmen ab. Der Wald wird lichter, die Blätter kleiner. In meterlangen Strängen hängen die Moose von den Aesten herab, in mächtigen Polstern legen sie sich an die Stämme, selbst das zarte Blattwerk wird nicht verschont. Solche ,, Moos- wälder" machen einen ganz eigenartigen, greisen- haften Eindruck. In einer Höhe von etwa 2800 m wird in den Sommermonaten die Luft trocken und hell. Mit diesem Wechsel der Lebensbedingungen ändert sich auch die Vegetation. An Stelle des Mooswaldes treten Krumm holz bestände, deren Stämme und Aeste in schlangenartigen Windungen sich zu dichten Geflechten verwirren und an ihren Enden lederartige Laubblätter tragen. Sie erheben sich höchstens 4 bis 5 m über den Boden. Das trifft für die Gipfelregion des Pangerango und des Gedeh auf Java zu. Die wichtigsten Arten dieser Vergesellschaftung sind Ericaceen, besonders Vaccinium flori- bundum Miq. und Vaccinium varingiae- folium Micj., das dicht beschuppte, in Blatt- form und Blütengröße an unsere Alpenrosen erinnernde Rhododendron retusum Benn., die Myrtacee Leptospermum floribundum Jungh., die Ternstroemiacee Eurya japonica Thunb., die breitblätterige Myrica javanica Reinw., die Araliacee Heptapleurum rugo- sum Seem., ferner Myrsine avenis DC. Die Bodenflora ist reich an eigenartigen und zum Teil engbegrenzten Arten. Auf dem Pangerango ist endemisch die prachtvolle, bis 50 cm hohe Primula imperialis Jungh., daneben er- heben sich Ranunculus javanicus Reinw. PolygonumchinenseL. entwickelt lianenartige Sprosse. Weitere Vertreter der Gipfelflora sind Valeriana javanica Bl., Sanicula montana Reinw., Sweertia javanica Bl. und die zierliche Gentiana quadrifaria BL, eine der kleinsten Blütenpflanzen. Es stellen sich mithin 846 Geographie der Pflanzen (Florenreiche) in den Hochlagen Malesiens zahlreiche boreale ' Genera ein. Ueber der Kruraniholzstufe folgt endlich ein dichtes mannshohes Gesträuch, mit meist kleinen xerophil gebauten Blättern. Nur ganz vereinzelt sieht man noch kleine, knorrige Usneen-behangene Bäumchen von Lepto- spermum floribundum Jungh., ihre schirm- förmigen Kronen sind im Dezember dicht mit weißen Blüten bedeckt. Unter den Sträuchern dominiert Anaphalis javanica Schultz, eine blendend weißfilzige Komposite; dazu kommen zahlreiche glattblätterige SklerophyUen, zum Teil mit schwacher Neigung zur Sukkulenz, so Gaultheria punctata Bl., Eurya glabra Bl., selbst gedrungene Farnbäume kommen vor. Im Osten verarmt die Fülle der malesischen Flora. Es lassen sich, wie L. Diels hervor- hebt, gewissermaßen drei Arme unterscheiden. Der südliche Arm geht nach Nordaustralien und folgt alsdann der Ostküste in schmalem, wiederholt unterbrochenem Bande nach Sü- den, um in den letzten Spuren bis Tasmanien auszustrahlen. Wir werden auf diese Floren- laestandteile bei Erörterung der Australis zurückkommen. Der nördliche Arm um- faßt Mikronesien und Polynesien und zeigt nach Osten eine zunehmende Verarmung seiner Vegetation. Eine Ausnahme machen die stark nach Norden vorgeschobenen ozeani- schen S a n d w i c h i n s e 1 n , welche eine höchst eigenartige, malesisch-amerikanische Mischflora aufweisen. Von den 705 Blüten- pflanzen sind jedoch 653 Arten, d. h. 92,6% endemisch. Das amerikanische Element wiegt aber vor; manche Gattungen zeigen einen ausgesprochenen progressiven Endemis- mus. Dabei muß hervorgehoben werden, daß die ältesten Teile der Inselgruppe die reichhaltigste Flora aufw^eisen, und zwar nicht nur nach Artenzahl und Endemismus, sondern auch nach der Mannigfaltigkeit der Vegetationsbilder. Der interessanteste Abschnitt der öst- lichen Teile des Malesicums ist aber ohne Zweifel der zentrale Inselbogen, haupt- s<ächlich die Salomonen, Neuen Hebriden, Neukaledonien und endlich Neuseeland um- fassend. Jede dieser Inselgruppen hat pflanzen-geographisch ihr eigenes Gepräge und jeweilen eine sehr große Anzahl markanter Endemismen aufzuweisen. Neukaledonien zerfällt in ein südwestliches niederes Flach- land mit Savannencharakter und in ein nordöstliches, wenigstens ursprünglich wald- bestandenes Gebirge. Der Grundstock der Flora ist malesisch, hat aber dadurch ein besonderes Interesse, als die feuchtmalesische Flora hier viele anderswo sonst fehlende xerophytische Abkömmlinge hervorgebracht hat. Daneben sind sehr deutliche Anklänge an die australische Flora festzustellen. Der Grundstock der Flora Neuseelands ist ebenfalls melanesisch. Der Osten ist trocken und hat Heiden, Grasfluren und Trif- ten; der Norden und Süden sind reich an Niederschlägen und tragen hauptsächlich Regenwälder, in denen sich bereits eine Reihe geringere Wärmeansprüche machender Pflan- zengruppen, wie Nadelhölzer und Farne, bemerkbar machen. Die mannigfaltigen Ge- ländeformen, Trift- und Hügelländer, Seen- platten, Schluchten, Fjorde, einzelstehende Vulkankegel, Hochgebirge, Hochländer, be- dingen auch einen regen Formations- und Florenwechsel. Auf den südlichen Hoch- plateaus und Gebirgen sind antarktische Elemente in größerer Zahl vorhanden, auch die eigentliche Alpenflora trägt antarktisches Gepräge. Die Solanderbuche der Gebirgs- wälder (Fagus Solandri Hook, f.) ist antarktisch. Proteaceen, wie Knightia excelsa R. Br., weisen auf Australien. IV. Kapländisches Florenreich Capensis. Die Capensis ist weitaus die kleinste pflanzengeographische Einheit der Erde, doch die große Selbständigkeit ihrer Pflanzen- decke, die sowohl systematisch, als auch in dem Auftreten einer großen Zahl eigenartiger biologischer Typen zum Ausdruck kommt, berechtigt deren Loslösung vom indoafrika- nischen Abschnitt der Paläotropis. Streng genommen ist der ,, Kapflora" eigentlich nur der südlichste Teil des Kap- lands, südlich der „Langen Berge", und die westliche Küstenlandschaft bis gegen den Olifants River zuzuzählen. Weiter nördlich kommen in den Inselgebirgen der Karroo noch einige größere Kolonien dieser Flora vor. Weit vorgeschobene zerstreute Posten im südlichen Teil Zentralafrikas sprechen für eine früher weitere, zusammenhängende Verbreitung der ,, Kapflora". An diese Kapflora s. str. schließt sich im Norden eine höchst eigenartige Pflanzenw'elt an, die, obwohl genetisch der Paläotropis zu- zuzählen, ein so spezifisch eigenartig-einheit- liches ,, südafrikanisches" Gepräge auf- weist, daß man dieselbe, wie das bereits P.Ascherson und neuerdings wieder L.Diels und R. Mario th getan haben, auch der Kapflora zuzählt, — es ist das die Karroo und daran weiter nördlich anschließend das ,,Roggeveld" mit seiner karrooiden Flora. L. Diels sagt: ,, Floristisch liegt in dem kap- ländischen Florenreich eine Zweiheit vor: eine Kategorie von tropisch-afrikanischen Typen, die oft starke Veränderung durch- gemacht haben, und eine andere ganz eigener Elemente, die sich aus einer uralten Flora der südlichen Erdhälfte herzuleiten scheinen. Es ist also ein ähnliches Verhältnis wie auf Neuseeland, nur daß auf Neuseeland die tropischen Formen das Uebergewicht haben. Geographie der Pflanzen (Florenreiche) 847 im Kaplaud die eigenartig südliehen. Des- halb muß am Kap ein eigenes Floreiireich an- genommen werden." In diesem erweiterten Sinn würde mithin die Kapflora annähernd das ganze Kapland südlich vom Oranje Kiver umfassen, so daß im östlichen Küsten- gebiet (Natal) auch noch subtropische Wälder in die Capensis einstrahlen. Mithin <;liedert sich die Kapflora in ein litorales ^lesophyten- und in ein inneres Xerophytengebiet, trotz des Vorherrschens von unfruchtbaren Böden, trotz relativer Kleinheit des Areals und ein- förmigem geologischem Aufbau ist die Flora ungewöhnlich reich. Man zählt gegen 10000 Gefäßpflanzen, wovon die Großzahl dem Ge- biet eigentümlich ist, sehr viele Arten haben ein ungemein beschränktes Areal. Nur ein kleiner Bruchteil überschreitet die Grenzen des Kaplandes. Die höheren, trockenen Gebiete des Sudans und Ostafrikas beherbergen eine Keihe kapländischer Elemente, andererseits sind verwandtschaftliche Beziehungen zur Flora Madagaskars und der Maskarenen, zu den ozeanisch-südatlantischen Inseln (St. He- lena, Tristan da Cunha-Gruppe), zu Süd- amerika und Australien nicht zu verkennen. A. Südafrikanisches Mesophytengebiet. Küstenregion. Das südafrikanische Mesophytengebiet läßt zwei Provinzen unterscheiden: I. Die südostafrikanische subtropische Waldprovinz. Sie umfaßt den Küstenstreifen von der Knysnabucht im Süden (34° S.) bis gegen die Delagoabai (ca. 26° S.). Das Klima ist sehr gleichmäßig und hat eine jährliche Niederschlagsmenge von 70 cm bis zu 1 m. Der Sommer ist feucht, ohne Extreme der Temperatur und Feuchtigkeit. Infolge der periodisch auftretenden heißen, trockenen Winde zeigen die Bäume trotzdem mehr oder weniger xerophilen Bau. Der immergrüne Wald trägt durchaus paläotropisch-afri- kanischen Charakter mit ganz wenig ein- gesprengten Kapelementen. Das Laub ist oberseits meist stark glänzend. Der Wald baut sich aus mehreren Stockwerken auf. Im Knysnawald ist am häufigsten (18,8%) das bis '25 m hohe, in Abessinien wieder auf- tretende Eisenholz (Olea laurifolia Lam.). Die beiden größten, über 30 m hohen Bäume sind das endemische Gelbholz (Podocarpus Thun- bergii Hook.) mit 10,8% und Podocarpus elongata I'Herit. (0,6%), die auch noch Ostafrika und Abessinien angehört. Die dritte häufige Art ist (15,24%) die raonotypisch- endemische Apocynacee Gonioma Kamassi E. Mey. Diese vier Arten zusammen bean- spruchen 45,5% des Waldbestandes. Von Charakterpflanzen dieser Region seien noch erwähnt: Hex capensis Sond. et Harv. (auch Ostafrika) und Baumfarne aus der Gattung Hemitelia (Hemitelia capensis R. Br.); Todea barbara (L.) Moore gehört nicht nur Südafrika von Kapstadt bis zu den Drakens- bergen an, sondern findet sich auch wieder in Ostaustralien und im nördlichen Neuseeland. Ferner die Cycadeengenera Encephalartos (in Australien durch Marcrozamia ersetzt) und Stangeria (monotypisch). In Afrika reicht an der Ostküste das Palmenareal am weitesten nach Süden; Phoenix reclinata Jacq. geht bis zur St. Francisbai (34" S.). ! Als Begleiter feuchter Waldpartien und Fluß- ufer tritt die ,,CaUa" unserer Blumentische, die j Aroidee Richardia africana Kth. auf. Aehn- I liehe Standorte besiedelt auch die merkwürdige j Musacee Strelitzia; ihre 5 Arten sind ahe auf das Kapland und das angrenzende Gebiet be- schränkt. Für die kapländische Waldregion [besonders bezeichnend ist Elaeodendron icapense Eckl. et Zeyh. (Celastr.). Das kap- ländische Florenelement wird durch Faurea I saligna Harv. repräsentiert. Diese Proteacee bildet stattliche, bis meterdicke Bäume. Lianen, die wie Cissus (Vitis) capensis Willd. arms- dicke Stämme entwickeln und große Bäume bedecken, zahlreiche Epiphyten und im Schatten des Waldes Gleichenia polypodioides Sm., Hymenophyllum, Davallien, Lomarien vervollständigen das subtropische Waklesbild. Kleine Waldinseln von ähnlicher Zusammen- setzung finden sich selbst noch in den Schluchten des Tafelberges. 2. Die kapländische Hartlaubgehölz- provinz. Klimatisch hat diese Provinz viel Aehnlichkeit mit der südlichen Mediterraneis. Das trifft besonders für den äußersten Süd- westen, das Gebiet der reichsten Entfaltung der Kapflora zu. Die jährliche Kegenhöhe schwankt in Mittel zwischen 30 bis 70 cm, in Gebirgslagen wird öfters 1 m überstiegen. Das südliche Kapland ist ein Winterregen- gebiet, fallen doch die meisten Regen in dieser Jahreszeit (30 bis 70%o)? indessen im Sommer die Regenmenge meist nur 10 bis 20% der jährlichen Regenhöhe beträgt. Starke Schwankungen werden übrigens be- dingt durch die wechselvolle Gliederung des Geländes. In der ungemein großen Mannig- faltigkeit der Flora finden diese Verhältnisse ihren beredten Ausdruck. Die Temperaturen sind ausgesprochen ozeanisch. I Für das unberührte Naturland Süd- afrikas ist das Fehlen eigentlicher Wälder bezeichnend. Wald gibt es nur in wenigen ' Schluchten. Was man von Bäumen sieht, ist I angepflanzt und meistens eingeführt. Um die Wohnungen der Kolonisten bemerkt man Eukalypten und Akazien Australiens, mediterrane Nadelhölzer (Pinus), nordische Eichen und längs der Bäche unsere Erlen. Weite Strecken sind jetzt dem Weinbau tributär. In den Gebirgen kommt die Einheitlich- keit der Kapflora besonders scharf zum Aus- druck. Für die ursprüngliche Landschaft sind physiognomisch bestimmend Hart- laubgehölze und Felsenheiden; letztere entwickeln periodisch eine Unmenge eigen- 848 Geographie der Pflanzen (Florenreiche) artiger Knollen-, Zwiebel-, Rhizomgewächse und Therophyten. Doch wir wollen uns mit einer kurzen Charakterisierung der ersteren begnügen. Physiognomisch und ökologisch zeigen die Hartlaubgehölze mit den mediter- ranen Macchien die größteUebereinstimmung, die floristische Zusammensetzung ist aber eine ganz andere. Ueppig ist die südafrikanische Macchie nur in schluchtenartigen, von Wasseradern durchzogenen Tälern entwickelt. Hier nehmen die Sträucher öfters Baumform an, und er- reichen eine Höhe von 3 bis 5, zuweilen aber von über 12 m. An offenen Hängen wird die Mannshöhe selten überschritten. Klein- blätterigkeit ist ein Hauptmerkmal der Sklerophyllen Südafrikas. Vorherrschend sind Oliven- und Myrtenblätter, oder ericoide und zypressoide Typen. Das Laub ist glanz- los, oft mit Harz- oder Wachsüberzug ver- sehen. Auch Filzpflanzen kommen vor. Von untergeordneter Bedeutung ist die Dorn- bildung. Einzelne Arten werden unter günstigen Verhältnissen zu ansehnlichen Bäumen. Das gilt für Olea verrucosa Link, die Proteacee Leucadendron argenteum R. Br., den berühmten Silber- baum des Tafelberges, die lorbeerblätterige Celastracee G y m n o s p o r i a 1 a u r i n a (Thunb.) Szysz. Auch Callitris cupres- soides Schrad., die sogenannte Zwerg- zypresse, tritt im offenen Gelände auf. Sie bedeckte einst die Felskämme der Kalk- gebirge, oberhalb 900 m. Floristisch sind an der Zusammensetzung der kapländischen Macchien zunächst besonders die Proteaceen beteiligt. Den 262 Arten des südwestlichen Kaplandes stehen nur 30 Arten im ganzen übrigen Afrika gegenüber. Protea mellifera R. Br. wird 3 m hoch. Diese Gattung allein z<ählt in der Kapprovinz GO Species, dazu kommen 70 Leucadendren, 52 S er rurien, 24 L e u c 0 s p e r m u m , um nur die 4 artenreichsten Gattungen aufzuzälüen. Fast alle Genera faUen durch ihre blendende Farbenpracht und [ durch die Mannigfaltigkeit ihres Laubwerkes auf. Leucospermum conocarpum R. Br. ist das Krüppelholz der Kolonisten. Besonders reichlich sind die Ericaceen vertreten. Die Gattung Erica zählt in Südafrika 456 Arten, sie tritt uns in einer ungeahnten Fülle meist kleinwüchsiger, aber farbenfreudiger, oft großblütiger Species [ entgegen. Alle übrigen Florenreiche zusammen i haben nicht so viele verschiedene Erica aufzu- weisen wie Südafrika. Eine häufige charakteri- 1 stische Ericacee ist auch Blaeria ericoides L. i Die Gattung Rhus weist mehrere Arten auf. i Metrosideros angustifolia Sm. ist die j einzige Myrtacee Kaplands. Fast grasartig j schmale und steife Blätter besitzt die häufige, i sehr merkwürdige Rosacee Cliffortia grami- nca L. Dazu kommen zahlreiche Kompositen, 1 besonders aus den Gattungen Helichrysumi (137 Arten) und Helipterum (12 Species), j ferner Metalasia muricata R. Br. Die Rhamnaceen sind durch Phvlicaarten, die Polygalaceen durch Mundia spinosa L. und durch mehrere endemische Polygala spec, die Myrsinaceen durch Myrsine africana L. vertreten. Besonderes Interesse gewährt ferner die etwa 30 Arten zählende Gattung Peiargo- nium. Das bis über 2 m hohe Pelargonium cucullatum Ait. bildet' im Frühling dichte rote Blütenmassen. Von kleineren Familien fallen besonders noch Vertreter der Rutaceen- Diosmeen (180 spec), der Penaeaceen (22 spec), Bruniaceen (44 Arten) und San- talaceen auf. Unter den Papilionaceen entwickelt Podalyria calyptrata Willd. große, herrlich duftende Blüten. Aspalathus gehört den Genisteen an. Als Begleiter- dieser Buschbestände bemerkt man in den Lücken zwischen den Gesträuchen zahlreiche Iridaceen (161 Arten), Restionaceen (80 spec.) und Gräser (z. B. Tristachya leucotlirix Trin.). Im südlichsten Südafrika findet sich so- mit eine beispiellos große Zahl endemischer Arten, Gattungen und Ordnungen auf kleinstem Räume zusammengedrängt. R. Marloth hebt hervor, daß fast alle Arten, mögen sie noch so differenten, systematischen Gruppen angehören, die gleiche äußere Tracht angenommen haben. Für diese Ein- heitlichkeit muß in erster Linie das durch lange Zeiträume in gleicher Weise einwirkende Klima verantwortlich gemacht werden. Der Ursprung dieser Flora dürfte in den Anfang des Tertiär zu verlegen sein. Die Kap- pflanzen müssen nicht nur die sommerliche Trockenperiode, die winterliche Nässe, son- dern auch die alles zarte Laubwerk zerstören- den sommerlichen Südwinde ertragen. Das sind die drei Faktoren, welche den einge- sessenen Pflanzen, wie auch allen Eindring- lingen dasselbe Gewand aufzwangen und allen Formenkreisen, die sich diesen Verhältnissen nicht anzupassen vermochten, unerbittlich das Ueberschreiten der Grenzen ihrer Herr- schaft unmöglich machten. So wurde das südwestliche Kapland zu einem Erhaltungs- und Bildungsherd ersten Ranges und seine Pflanzendecke zu einem eigenen Florenreiche umgestaltet. B. Südafrikanisches Xerophytengebiet. Binnenlandregion. 3. Die Karroowüstensteppe oder die kapländische Sukkulentenprovinz, Ganz verschieden, aber nicht weniger eigenartig ist die Pflanzenwelt der an die kapländische Skle- rophytenprovinz anschließenden Karroo. Wie bereits betont, ist sie genetisch dem großen paläotropischen Florenreiche zuzuzählen, doch von demselben physiognomisch und ökolo- gisch kaum weniger scharf geschieden, als die eigentliche Kapflora. Wohl 90% der Vegeta- tion bestehen aus Sukkulenten, beträchtliche Strecken werden nur von Saftpflanzen be- wohnt, den Rest bilden Zwergsträucher und Dornbüsche. In den fast stets trockenen Greograpilie der Pflanzen (Florenreiche) 849 Flußbetten haben sich Akazien (Acacia horrida Willd.) und Karreebäume (Rhus viminalis Vahl.) ancjesiedelt. Gegenüber den Küstengebieten sind die Sommerregen viel spärlicher. Die jährliche Regenhöhe liegt meistens unter 60 cm und fällt zuweilen bis unter 20 cm. Das ist das Reich der Mesembrianthemum-, der Kleinia-, Cotyledon-, Crassula-, der Portulacaria-, Aloearten, sowie der Sta- pelienundsukkulentenEuphorbien, diean aus Wassergewebe bestehen. Die alten Triebe verholzen und bilden ein wirres Dorngeflecht, das später allmählich abgestoßen wird. — Südafrika ist aber auch das „Paradies der Blumen". Mit der Regenzeit entsproßt dem scheinbar toten Boden eine Unmenge schönblühender Gewächse, Knollen- (Irideen) und Zwiebelpflanzen (Lilia- ceen, Amaryllidaceen, Oxalis). Bei Bu- phane sind die Zwiebeln über köpf groß. Wasser- speichernde Wurzeln haben beispielsweise Fockea angustifolia K. Schum., Euphorbia tuberosaL. ; wasserspeichernde Knohen: Cissus Mannigfaltigkeit der Form den Cacteen nicht nachstehen. Unter den Sukkulenten steht Mesembrianthemum obenan. Von den cirrhosa Willd., Eriospermum latifoliui Jacq. Auch die im Mittelmeergebiet einge- schleppte Oxalis cernua Thunb. besitzt Saftwurzeln. Vertikalstellung der Blätter ist 300 Arten sind lb% auf die Karroo und ihre häufig. Beispiele sind: Protea grandiflora Nachbargebiete beschränkt. Die Mannig- Thunb., Crassula falcata Willd. Neben der faltigkeit der Form ist fast unbegrenzt, noch Sukkulententrift kommen besonders in der wunderbarer ist die Anpassung an die Um- Randpartie der Iiarroo auch Dornbuschforma- gebung. Einige Arten liefern die schönsten tionen, Felsenheide und Gangues-artige Ver- Beispiele von Schutzfärbung im Pflanzen- S?f!"'^^.*£^^^^ . ,^ * pilanzen oiters auitreten, so Lada ba juncea (L.) '^®^*^"- Benth. et Hook. (Capparid.) und Sarcostem- Mesembrianthem'um canum Haw. hat ma viminale (L.) R. Br. (Asclepiad.). Vasal- Blätter, deren Form nicht nur den Sternen, lenpflanzen nennt Marloth Gewächse, die zwischen denen sie lebt, völlig gleicht, auch die immer im Schutz dorniger oder starrer Büsche rötlich-bläuliche Schieferfarbe beider ist identisch, auftreten und so vor Tierfraß mehr oder weniger Mesembria iitliemum calcareum Marl, geschützt sind. kommt auf Kalktuff vor Gestein und Blätter j^j^ j^^^^^^ j.^^^^^ ^^^^^-^ ^^^ ^j,^ Bildungs- smd weißlich, hier und da dunkelbraun ge- . i • , i • +•■ r i 7 i + sprengelt. Anacampseros ustulata E. uly. ^^erd,]a geradezu als eme natürliche Zuch - hat iturztriebe, die den sukkulenten Stengeln j anstalt für Sukkulenten gelten. Mit der all- aufsitzen, und nur winzige Blättchen besitzen Und erst die absonderlichen Formen von Cras- sula: selbst im blütenlosen Zustande sind sie ein Schmuck der öden Felsen- und Schotterfluren dieser Halbwüsten; gar abenteuerlich nehmen sich ihre oft weißlichen, rot geränderten Blätter aus. C. pyramidalis L. bildet kleine vier- kantige, äußerst zierliche, aus unzähbgen gegen- ständigen Blattpaaren aufgebaute Säulen, mählichen Aushöhlung der Karroo zwischen den großen Zwartbergen im Süden und dem Nieuwveldgebirge im Norden wurde das Klima wärmer und trockener. In dieser lang- samen, aber kontinuierlichen Veränderung sieht Marloth den von außen auf die Pflanzenwelt stets einwirkenden anregenden Reiz, der eine der Hauptursachen für den Trichocaulon piliferum N. E. Br., eine Sta- überraschenden Artenreichtum, aber auch peliacee, erinnert an kleine Cereussäulen. Bei Lamgsburg sind weite Strecken des steinig- wüstenhaften Bodens mit Euphorbia mauri- tanica L. besetzt, sie geht auch auf das karrooide Terrain über. Cotyledon fascicularis Ait. bildet einen mannsdicken bis 2 m hohen Stamm, der als Wasserspeicher dient, er findet sich an den trockensten, steinigsten Stellen der Ivarroo. Die Aloes haben ihr Hauptverbreitungszentrum in den Grassteppen der Kafferiüänder und Natals. Ganz isobert steht Aloe plicatilis Mill., mit ihrem dichotom verzweigten Stamm und der für die ökologische Einheitlichkeit der Flora sein dürfte. 4. Das Roggeveld- oder karrooide Hoch- land. Es umfaßt den größten und pflanzen- geographisch wie floristisch noch am wenig- sten bekannten Teil des nördlichen Kap- lands. Nach Nordwesten nimmt das Land Wüstencharakter an, nach Nordosten geht es in die Savannen und Grassteppen der öst- lichen Kalahari und Transvaals über. Die dürftige Vegetation scheint in gewissen Be- zweizeiligen Blattstellung bUdet sie eme eigene | wirken hauptsächlich aus strauchartigen Com- Untergattung(Kumara). Aloe africana Milk : j^en zu bestehen, daher hat Bolus dieses entwickelt bis 7 m hohe Stämme und bis 50 cm ' i-, lange, gelbe Blütenähren. Bei Cotyledon Gebiet als ,,Coinpositenregion" be- retic'ulata Thb. ist auch der Stamm sukkulent, zeichnet. Gegenüber den siidlichen Gebieten die seitlichen Infloreszenzachsen verholzen und ist das karrooide Hochland durch in der Regel bleiben stehen, die Blätter werden im Lauf des noch geringere Niederschläge (15 bis 40 cm) Sommers abgeworfen. Sarcocaulon Pater- ! und vor allem durch die Unregelmäßigkeit der- sonii Eckl. et Zeyh. ist eine fleischige Gera- niacee, deren Stamm sich durch Ausschwitzung von Harz wie mit einem Panzer gegen Wasser- verdunstung schützt. Nicht im ebenen Gelände, sondern in der Hügel- und Berglandschaft tritt Testudinaria Elephantipes (l'Pferit.) Burch. auf. Sie bildet bis metergroße Knollen, ! die mit Ausnahme der korkigen Außenschicht ! Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV selben ausgezeichnet, so daß öfters Perioden großer Dürre zu verzeichnen sind. Wenn endlich reiche Regengüsse fallen, so werden die weiten Ebenen in kurzer Zeit zu grünen- den und blühenden Fluren. Im Winter herrschen Fröste und Schneestürme. Bolus sagt: „Der vorherrschende Charakter ist 54 850 Greographie der Pflanzen (Florenreiehe) der einer Heide, welche mit niederem Gebüsch von graugrüner Farbe bedeckt ist und nur so wenige andere Pflanzen trägt, daß sie den allgemeinen Eindruck nicht beeinflussen." V. Australisches Florenreich Australis. Australien trägt Hochlandcharakter. Aehn- lich der Karroo ist die Mitte gegenüber der Umgebung vertieft. Die Randpartien haben zum Teil Gebirgsnatur und sind meistens von einem relativ schmalen Küstenstreifen begleitet. So kommen die Niederschläge hauptsächlich den Küstenregionen zu gut, das Binnenland ist daher ein ausgesprochenes, vielfach Wüstencharakter annehmendes Trockengebiet. Aber selbst die Nieder- schlagsmengen der Randlandschaften sind meistens dürftig, so daß der größte Teil der australischen Flora mehr oder weniger aus- gesprochene Xerophytenstruktur aufweist. Aus diesen topographischen Verhältnissen ergibt sich somit eine allmähliche Abnahme bezw. ein Dürftigerwerden der Vegetation gegen die zentralen Teile des Kontinentes hin größten Teil Australiens herrscht jedoch das australe Florenelement, mit deutlichen Be- ziehungen zur Kapflora Südafrikas und zu derjenigen des südlichsten Südamerikas, Nordaustralien mit sämtlichen mittleren Monatstemperaturen über 20° C gehört noch zur tropischen Zone, weiter südlich folgt eine subtropische Region. Südaustralien liegt im gemäßigten Gürtel mit heißen Sommern und milden Wintern an der Küste, kalten Wintern im gebirgigen Hinterland. Die 10° C Isotherme des kältesten Monats streift gerade noch die Nordküste Tasmaniens. In bezug auf die Regenverteilung gehört der Norden zum tropischen Sommerregengebiet, der Süden hat Regen zu allen Jahreszeiten, aber mit etwas vorherrschendem Winter- regen. Die Dürre des Binnenlandes beein- flußt jedoch lüima und Vegetationsverhält- nisse der feuchteren Küstengebiete, indem die heißen und trockenen, aus dem Innern wehenden Glutwinde der Pflanzenwelt nicht selten sehr schädlich werden. Das gilt ganz besonders für Südaustralien. Das Innere ist zwar nicht regenlos, aber, wie alle Wüsten- Ander Peripherie ist der Wald vorherrschend | gebiete durch große Unregelmäßigkeit der und zwar je nach Breitenlage und örtlichen | Niederschläge ausgezeichnet. Die zentrale Verhältnissen in verschiedener Ausbildung, j ,,Eremäa" hat eine verarmte Flora, gewisser- als tropischer oder subtropischer Regenwald, i maßen eine Auslese der extremsten Typen als Sklerophyllen- oder Savannenwald, dann der Nachbarfloren, ohne besondere selb- folgen in mehrfachen Varianten Savanne und Skrub und im Zentrum verschiedene Wüstentypen. Die vegetationsfeindliche zentrale Wüstenregion und das Auseinander- reißen des Waldgebietes durch gelegent- liches Vordringen von Sla'ub, Savanne oder Wüste bis zur Küste hat zur Folge, daß das Florenreich in einzelne, mehr oder weniger selbständig entwickelte Provinzen zerfällt. In den Hauptzügen läßt sich ein nördliches und östliches Hydromegathermen-, sowie je ein Mesothermengebiet im Südwesten und in den östlichen Gebirgen unterscheiden. Die Hauptmasse bildet aber die große zen- trale Xerophytenregion, zu der die ganze Wüsten-, Savannen- und Slvrubregion, aber auch noch Teile des Waldgebietes zuzu- zählen sind. Nach unserer heutigen Kenntnis umfaßt die Gesamtzahl der Gefifljpflanzen Australiens etwa 10000 Species, davon kommen nur ca. 1400 Arten auch in anderen Floren- gebieten vor. Schon aus diesen Zahlen er- gibt sich die große Selbständigkeit der Flora Australiens, immerhin darf dieselbe nicht als Einheit aufgefaßt werden. Es sind viel- mehr drei Hauptflorenbestandteile zu unter- scheiden. Der Norden und die Ostküste, südlich bis über den Wendekreis, trägt in der Hauptsache mal es i seh es Gepräge. Im Bergland von Tasmanien und in den Alpen von Viktoria und Neusüdwales ist dagegen das antarktische Element reichlich vertreten. Im ständige Zutaten. Klimatisch ist Ostaustra- lien gegenüber dem Westen ganz entschieden begünstigt, das zeigt sich auch in der Vegeta- tion. Die Pflanzendecke ist übrigens nicht so einförmig, als man vielfach annimmt. 0. Drude sagt: Die Formationen bestehen in tropischen Waldungen und Savannen, in sehr reichen, feucht-immergrünen, tropisch und subtropisch gemischten Wäldern und Gebüschen, in kühl temperierten immer- grünen Bergwäldern mit Coniferen und Buchen, und in Grassteppen, Kräuter- und Dornbuschsteppen, nebst ausgesprochenen Wüstenformationen. I. Das nördliche, tropische Australien. Das nördliche tropische Australien trägt noch durchaus malesischen Charakter. Ueberall be- drängt und umringt vom Savannenwald der Eukalypten, hält er sich doch unvermischt in seinem rein malesischen Gepräge. Hart und unvermittelt, sagt L. Di eis, stoßen beide aneinander; durch die lichten Bestände des Eukalyptusparkes sieht man plötzlich im Hintergrund die schwarze Kulisse des tropischen Regenwaldes aufgetürmt, wie eine schroffe Mauer. Trotz seiner tropi- schen Elemente, und obgleich ein Rotang (Calamus australis Mart.) an den Bäumen emporklettert, erwecken der nordaustralische Tropenwald und der Palmenwald von Queens- land lange nicht den lebensfrohen Eindruck Indiens oder gar Ceylons. Es ist nicht leicht, Geograpliie der Pflanzen (Florenreiche) 851 in diese dichten Busehwälder zu dringen. Nur längs der Flüsse atmet man freier auf, und hier eröffnet sich dem Wanderer oft eine reizende Szenerie. Der Tropenwald wird be- herrscht durch indisch-malaiische Palmen- und Pandan US arten. Hohe Bäume mit Plankenwurzeln (Ficus) und kauliflore Lianen durchziehen den Wald. Schling- palmen und eine Bambuse (Bambusa Morcheadiana Balley) sind am häufig- sten. Die Stämme werden von den mächtigen Laubmassen verschiedener Araceen, wie Epipremnum mirabile Schott, (auch Java) und von Pothos. longipes Schott., sowie von Scitamineen und Piperarten umsponnen und bedeckt. Platycerium alcicorne Desv., Asplenium Nidus L., andere Farne und Orchideen treten epiphy- tisch auf. Pi San garten (Musa) vervoll- ständigen das echt nialesische Waldesbild. Schon bei 400 bis 500 m über Meer wird der tropische Regenwald lichter, die Lianen spär- licher und weniger mächtig, das Unterholz düi-ftiger. Einige der wichtigsten Elemente sind ein mit Java gemeinsamer Podocarpus (Podocarpus amarus Bl.), die mächtige Agathis Palmerstoni (Pinac), Cedrela (Meliac), Lauraceen, die Euphorbiacee Aleu- rites moluccana Willd. Ihr besonderes Ge- präge erhalten aber diese Regenwälder durch die Beimischung der beiden australischen Araucarien, Araucaria Bidwillii Hook, und Araucaria Cunninghamii Sweet., welche aus dem Laub- dach der dikotylen Baumgestalten emporragen. Archontophoenix Alexandrae H. Wendl. et Drude, eine überaus schlanke, zierliche Palme, die Cyatheacee Alsophila australis R. Br. gehen "in lokal bevorzugten Lagen bis 34" 30' S. , die Palme Livistona australis Mart. erreicht in Ostaustralien ihre Südgrenze sogar erst bei 37** 30' S. In Westaustralien liegt die Südgrenze jedoch schon erheblich nördlicher (bei ca. 30** S.). Wo die Winterregen regelmäßiger und ergiebiger werden, verändert sich der Anblick und die Zusammen- setzung des Waldes allmählich, so daß man von einem subtropischen Regenwald sprechen kann. Er ist formenärmer. Auch infolge der Durchdringung mit Eucalypten nimmt er ein abweichendes Aussehen an. Weiter südlich tritt er nur inselartig in i\Iulden und engen Tälern auf. soweit sie geschützt sind vor der Ein- wii-kung der kalten antarktischen Winde. Hier herrscht ein. außerordentlich dichter Pflanzen- wuchs. Riesenhafter Eucalyptus amygdalina Labill., die Myi-tacee Eugenia Smithii Poir., Pittosporum bicolor Hook., Elaeo- carpus cyaneus Sims, und der baumförmige Aster argophyllus Labill. sind emige der wichtigsten Bestandteile dieser Waldungen. Durch das Gewirr der Bäume spinnen sich Smi- lax australis R. Br. und Clematis ari- stata R. Br., ferner Baumfarne wie Dicksonia antartica R. Br. und Todea barbara (L.) Moore bilden den Stolz dieser Wälder. Der mächtige ,, Sassafrasbaum" Atherosperma moschatum Labill. mit buchenartigem Stamm ist ganz mit Moosen besetzt. Dazu kommen bereits antarktische Typen, wie z. B. Notho- fagus- Arten und strauchige Kompositen. Aller- orts sieht man in diesen Waldungen Eucalypten, sie werden vielfach zur vorwaltenden Gattung und damit kommt hier im Süden eine ganz eigen- tümhche Verbindung zwischen dem malesischen Regenwald und dem australischen Eucalyptus- wald zustande, zwei Bildungen, die im Norden überall scharf vonemander getrennt sind. Die Zusammensetzung des tropischen und subtropischen Regenwaldes Australiens weist, wie bereits betont, auf tropische Verbindung mit dem malesischen Gebiet der Paläotropis hin. Im gleichen Sinne pflanzengeographisch tributär sind die Palmen Australiens, ebenso die zahlreichen Myrtaceen, die außer- ordentlich mannigfaltige Tracht zeigen. Einige dieser Ai'ten, wie Melaleuca (100 Arten) und Eucalyptus (über 150 Arten), wohl auch auf tropisch-malesische Typen zurückzuführen, sind aber fast ausschließ- lich australisch. Nur ganz wenige Spezies gehören auch den Malaien an; dasselbe gilt für die strauchigen Leptospermum spec. mit ihren w^eißen an Rosaceen erinnernden Blüten. Tropische Anklänge lassen auch die wohl 400 Arten zählenden Acacien, die sich in ihrer Formenfülle fast allen Formationen Australiens angegliedert haben, erkennen. Dasselbe gilt für zahlreiche Baumfarne, Orchideen,SterculiaceenundRutaceen. 2. Die Eremäa, das zentrale Wüsten- gebiet. Die Eremäa, das zentrale Wüsten- gebiet, hat jährliche Regenhöhen unter 20 cm. Völlig vegetationslos sind fast nur die Salzpfannen. Sonst ist der Pflanzen- wuchs dlü-ftig, aber nicht ohne eine gewisse Mannigfaltigkeit. Die Zusammensetzung wechselt nach der Bodenbeschaffenheit. Blatt- sukkulente Chenopodiaceen herrschen auf lehmigen Böden. Steiflaubige Acacien bil- den das wichtigste Gehölz der Lehmwüste. Auf den großen Binnenlandsdünen sieht man die dunklen Kronen der Frenela (Callitris), die blattlosen Zweiggewirre von Casuarinen und Exocarpus-(Santal.)Arten, oder aber kümmerlicher Eucalyptus, niedriger F u s a - nus (Sant.), wohl auch das Wahrzeichen der australischen Wüste, den sogenannten „S p i n i f e x", Verbände äußerst starrer, hochgradig xerophytischer Gräser. Es sind Trio'diaarten, die dichten Bänder und Matten ihres fahl-gefärbten, stechenden Blattwerkes bezeichnen die traurigsten Striche des australischen Binnenlandes. Im Herzen der Wüstenregion schaffen die Gebirgsketten etwas günstigere Bedingungen. Am Fuß der Berge gibt es Salzseen, umgeben von Salzbuschvegetation aus Atriplex nummu- laria Lindl., Rhagodia, Polygonum und Muehlenbeckia (Polygon.). Am Gebii-gsrande und im Gebirge (Macdonnell Rge.) entsteht eine breite Oase, wo die stärkeren Sommerregen eine Art Savanne mit Graswuchs schaffen und in den Flußtälern etwas Baumwuchs gestatten. Eucalyptus rostrata Schlecht. wü:d bis 54* 852 Geograplüe der Pflanzen (Florenreiclie) 30 m hoch. Von Grevillea striata K. Br. sieht man 20 m hohe Exemplare, Frenela (Callitris) verrucosa Cunn. bedeckt die Ab- hänge der Erosionsschluchten. Als weit ver- sprengtes Fragment des Palmenareals tritt Livistona Mariae F. Muell. auf. Das dunkle Laub dieser Fächerpalme hebt sich wirkungsvoll ab vom Hellgrün der Eucalypten. 3. Südwestaustralien. Hier tritt die echt australische Flora fast ungemischt und in reinster Ausbildung auf. L. Di eis hat darauf aufmerksam gemacht, daß sowohl im tro- pischen, als auch im extratropischen Bezirk sich ein stark ausgesprochener, progressiver Endemismus geltend macht: Mj^rtaceen, Kutaceen, Proteaceen, und die „Gras- bäume" sind artenreicher als im übrigen Au- stralien. Dazu kommen einige altertümlich an- mutende Endemismen von durchaus isolierter Stellung, so z. B. Nuytsia floribunda R. Br., einLoranthaceenbaum, aus einem Genus, dessen übrige Arten alle Madagaskar und Abessinien angehören. Das spezifisch-austra- lische Element zählt etwa 300 endemische Ge- nera, es zeigt geringe Beziehungen zur antark- tischen, stärkere zur malesischen Flora. Es umfaßt die Hauptmenge der in Australien vorkommenden Pflanzen. 82% der Blüten- pflanzen dieses Gebietes sind endemisch. Von Familien und Sippen sind ganz besonders hervorzuheben: dieRhynchosporeen,Centro- lepidaceen, Restionaceen, mehrere Unter- abteilungen der Liliaceen, Amaryllidaceen, Iridaceen und Orchideen, Casuarinaceen, Santalaceen, Proteaceen, Droseraceen, Pittosporaceen; unter den Leguminosen die Podalyrieae, Genisteae, Acacia; die Bo- ronieen (Rut.), Stackhousiaceen, die Bütt- nerieen und Lasiopetaleen unter den Stercu- liaceen, die Chamaelaucieen und Lepto- spermen unter den Myrtaceen, die Epacrida- ceen, Myoporaceen, Goodeniaceen, Styli- daceen usw. Die Flora des Südwestens macht einen sehr einheitlichen, ausgeglichenen Eindruck. Wir müssen uns damit begnügen, einen kurzen Blick auf die wichtigsten Vegetations- bilder Westaustraliens zu werfen. Es sind: 3a) Der Eukalyptuswald. Wegen der Vertikalstellung der Blätter gibt der Eukalyptus w a 1 d sozusagen keinen Schatten. Das sind die berühmten ,, schatten- losen Wälder" Australiens. Der Eukalyptus ist mit seinen graugrünen derben Blättern, mit seiner in Längsstreifen unordentlich ab- geschälten Rinde und seinem schlanken hohen Wuchs ein Wahrzeichen der austra- lischen Landschaft. Der Eukalyptuswald hat meistens nur eine geringe Anzahl von Leitarten. Oft besteht er aus einer einzigen dominierenden Species, oder es sind mehrere Arten gemischt, zuweilen stellen sich jedoch auch Casuarinen und Acacien oder kleine Banksiabäuim^ ein. In den regenreichen Teilen Öüdwestaustraliens (30 bis 35» S.) herrschen Eucalyptus marginata I Sm. und Eucalyptus diversicolor F. Muell., sie bilden nahezu reine Eukalyptus- waldungen. Einzelne Eukalypten erreichen Riesondimensionen, die mit den berühmten Mammut bäumen Kaliforniens wetteifern, so Eucalyptus amygdalinaLabill. und Euca- lyptus Globulus LabilL, eine Höhe von über 130 m. Das junge Laub ist meist röt- lichgrün, der strauchige Unterwuchs sehr mannigfaltig. Der Eukalyptus tritt übrigens auch als Begleitbaum der Savanne, des Skrubs, und vereinzelt des Regenwaldes auf. 3b) Sklerophylle Buschgehölze. Sie erinnern lebhaft an die mediterranen Macchien; und stocken besonders auf Kalk oder Dünen der Litoralzone. Mittlere Nieder- schläge (50 bis 100 cm) und ausgeprägte Trockenheit in der heißen Jahreszeit sind für diese Gebiete bezeichnend. Annähernd mannshohe, meist immergrüne Sträucher wachsen in dichtem Gewnrr. Acacia cyclopis A. Cunn. ist häufig. Die Rhamnacee Spyridium globulosum Benth. hat große habituelle Aehnlichkeit mit niederen Formen der Steüieiche. Glänzendes Lederlaub trägt die Apocynacee Alyxia buxi- folia R. Br. Meist herrschen sonst fahle Farben im Laubwerk, nur die Dilleniacee Hibbertia cuneiformis Sm. mit ihren gehäuft frisch- grünen Blättern macht eine Ausnahme. Sie ist die stattlichste Erscheinung dieser westaustra- lisch so artenreichen Gattung. Starres Astwerk von seidigem Silbergrau hat die Leguminose Jacksonia furcellata; bei Rhagodia Bil- iar dieri R. Br. (Chenop.) sind die fleischigen Laubtriebe mehlig bestäubt, woUig-filzig bei den Kompositensträuchern Olearia candi- dissima und Calocephalus Brownii F. Muell. Auf Kalkfelsen erheben sich die breiten, weit ausladenden Kronen von Callitris ro- busta R. Br., ihr Grün ist düsterer selbst als das der Zypressen. 3c) Der Savannen wald. Er ist in West- australien von verhältnismäßig begrenzter Verbreitung, um so größer ist seine Bedeu- tung in Süd- und Ostaustralien, wo er in den äußeren Zonen des australischen Tafel- landes ausgedehnte Flächen in Anspruch nimmt. Es sind offene, mehr oder weniger parkähnliche Bestände; das Unterholz ist spärlich, die Bodenflora wird von derben hohen Gräsern gebildet. Die herrschenden Bäume sind vf'ie überall verschiedene Eukalypten und Casuarinen; von kleineren Bäumen sind Akazien (Acacia acuminata Benth.) zu nennen. Doch treten auch andere Typen in den Savatnionwald über, so Nuytsia, das Wahrzciclicu der Südwestprovinz, ein Relikt- endemisimis von ausgesprochenem Kollektiv- typus, der in sich Merkmale der Lorantha- ceen und Proteaceen vereinigt. Auch Bank- siaarten, in gewissem Sinne die ausgezeich- netste Gattung des Südwestens, indem sie im übrigen Australien fast völlig fehlt, gehen vereinzelt auf die offenen Savannenflächen Geographie der Pflanzen (Florenreiche) 853 über, so z. B. Banksia attennata R. Br. und Bansksia ilicifolia R. Br. Dazu kommen Casuarinou; auch Macrozamia Fräs er i Miq. übersciueitet das eigentliche Waldgebiet, es ist tlio einzige Cycadee des Süd- westens. Unter den Wahrzeichen Australiens stehen die der Liliiflorenreihe angehörigen „Grasbäume" in erster Linie. Im Kern- lande des Südwestens und in den Land- 1 Schäften der Ostküste sind sie am mannig- faltigsten entwickelt und am meisten ver- breitet. Sie bilden eine der bizarrsten Ge- stalten der an Eigentümlichkeiten so reichen australischen Flora. Ostaustralien hat nur eine Reihe von Arten aus der Gattung Xantorrhoea, im Südwesten treten aber neben dieser Art das morphologisch recht selbständige Genus Dasypogon und die durch ihren einfachen, säulenförmigen, mit einem riesigen Blattbüschel abschließenden Stamm palmenähnliche Kingia hinzu. Alle diese Typen lassen wohl noch Spuren einer gewissen Verwandtschaft erkennen, stehen aber im übrigen so gesondert da, daß an unmittelbare Beziehungen nicht zu denken ist. Der wichtigste Grasbaum des Südwestens ist Xantorrhoea Preisii Endl., sie schließt sich den verschiedensten Formationen an. Auf Tafel VIII seines klassischen Werkes gibt L. Di eis nach photographischer Aufnahme von E. Pritzel ein höchst originelles Vegetationsbild dieses Grasbaumes als Bestandteil eines Savannen- waldes, aus dem Distrikt Darling, vergesell- schaftet mit Kingia australis R. Br., Xylomelum occidentale R. Br. (Pro- teac.) und Federbuschbäumen von Banksia grandis R. Br. 3d) Der Skr üb. Der Skrub ist die am meisten bezeichnende Vegetationsform Australiens. Sie bedeckt besonders im Innern Westaustraliens ungeheure Strecken. Diese Strauchgestrüppe treten in recht verschie- denen Varianten auf. Man unterscheidet 3 Haupttypen: a) Der Malleeskrub: Landschaften von abschreckender Dürre und Einförmigkeit. Vielästige, fahlgrüne Sträucher, die, wo sie dicht stehen, fast nicht zu durchqueren sind. Trotz der Einförmigkeit des ersten Eindruckes erweist sich das Gebüsch floristisch als recht mannigfaltig. Verschiedene strauchige Euka- lypten spielen auch in diesen Vergesellschaf- tungen eine wichtige Rolle: ,,Die gleich- mäßige Höhe der Gewächse, die mattbläu- liche Farbe des Laubes sehen von weitem aus wie eine bis zum Horizont sich dehnende Meeresfläche." Oft ist dieser Sla-ub auch artenreicher ; neben Eukalypten treten Casua- rinen, Melaleuca, starre Exocarpus, Dodo- naea (Sapind.) und Frenela in den Bestand hinein. Große Uebereinstimmung der Tracht systematisch oft weit abstehender Genera ist bezeichnend. Im Unterwuchs bemerkt man hauptsächlich Xerogramineen. ß) Der Brigalowskrub: gehört mehr Nordaustralien, dem westlichen Queensland an, und grenzt landeinwärts an die Wüste. Akazien sind hier Leitpflanzen, so z. B. Acacia harpophylla F. Muell., deren bläulichgraues Laub den Beständen von weitem ein merkwürdig düsterfahles Kolorit verleiht. Die Verzweigung der Zwergbäume ist unregelmäßig knorrig, die Stimmung ernst, fast traurig. Zur Leitart treten andere Gesträucher, besonders aus den Familien der Rhamnaceen, Sterculiaceen, Apocy- naceen, Leguminosen, Sapindaceen, Malvaceen (Sida), Compositen (Vitta- dinia), Convolvulaceen usw.; auch Euka- lypten kommen vor, doch immer nur spär- lich. Die Brigalow ist somit eine sehr xero- phile Gehölzformation, xerophiler als der Savannenwald. y) Der Mulgaskrub: steht genetisch näher den Savannenwäldern. Im Westen beginnt er etwa nördlich von 30" S. Herr- schend sind Akazientypen (besonders Acacia aneura F. Muell.) mit starren, schmal- oblongen Phyllodien und graugrünem Kolorit. 4. Südostaustralien (mit Tasmanien). Alle diese Formationen finden sich auch in Süd- ostaustralien, doch großenteils in floristisch anderer Zusammensel4|ing. Dazu kommt das Auftreten des subtropischen Regen- waldes und eigentlicher Farnwälder mit ungemein wirkungsvollen Perspektiven. F. Cohn sagt: ,,Von märchenhaftem Reiz, wie eine Landschaft der Urwelt, sind die Wälder der Baumfarne an den feuchten Küsten- abhängen von Südaustralien, wo Cyatheen, Aslophilen, Dicksonien auf 16 bis 20 m hoher, überschlanker Säule ein Kapital spit- zenartig fein gefiederter Spitzenwedel tragen, während zwischen ihnen die plumpen, nur meterhohen Stöcke der Todea verwittern, mit Farnlvraut bewachsenen Felsblöcken gleichend." Acacia pendula A. Cunn. mit trauerweidenartig herabhängenden Zweigen hält sich an die Flußläufe. Verbreitet ist in Ostaustralien auch der Savannenwald; im Hinterland ganz besonders aber die Savanne, sie bildet unabsehbare Grasfluren; es sind wellige Länder, mit sehr wenig Baumwuchs, der fast nur längs der Wasserläufe auftritt. Andropogon sericeus R. Br. (Blue- Grass.), Astrebla pectinata F. Muell. (Michell-Grass.), ferner mehrere Panicum, Danthonia, Sporobolusarten treten ab- wechselnd bestandbildend auf. Viele Sa- vannen sind wichtige Weidegründe. Die südaustralischen Alpen von 1200 bis 2000m zeigen ein merkwürdiges Florengemisch. Neben antarktischen Buchen gesehen sich alpine Eucalyptusarten (Eucalyptus alpina Lindl., alpine Ericaceen (Wittsteinia) und 854 Geographie der Pflanzen (Florenreiche) Matten, die in ihrer generischen, aber nicht m ihrer artlichen Zusammensetzung an unsere Alpen erinnern (Alchemilla, Aster, Gen- tiana). Nicht weniger interessant ist die Pflanzen- welt Tasmaniens, der antarktische Charak- ter ist noch stärker ausgesprochen. Die auch in Victoria vorkommende Fagus Cunning- hamii Hook, bildet skrubartige Bestände, F. Gunnii Hook, ist endemisch. Tasma- nien hat 12 Koniferen, davon kommen nur 2 auf dem australischen Festlande vor, die übrigen 10 Species sind endemisch. Arthro- taxis cupressoides D. Don. bildet auf den höheren Bergen undurchdringliche Dickichte. Außer dieser Art sind auch die beiden an- deren Species auf der Insel heimisch, ebenso Dacrydium Franklinii Hook., Phyl- locladus asplenifolia Hook, f., Fitz- roya Archeri Benth. et Hook., sowie je eine Podocarpus-, Callitris-, Micro- stachys-, und Phaerosphoraart. Im inneren Taffeiland trifft man Grasflächen und waldige Gebirge. Ueber das dichte Unter- holz ragen hohe Eukalypten empor, in den Küstengebieten treten aber auch mehrere Proteaceen auf, Casuarinen entfalten ihre zierlichen Formen, Melaleuca bildet kompakte Dickichte, gleich anmutig durch ihre gefälligen Formen, wie durch das lieb- liche Grün ihres Laubes und durch ihre eigentümlichen Blüten. VI. Antarktisches Florenreich. Antarktis. Eings um das antarktische Festland findet sich, verloren im Südmeere, eine Insel- welt mit meist sehr verarmter, aber ungemein eigenartiger Vegetation. AVeitaus am reich- sten entwickelt ist dieselbe noch im südwest- lichsten Südamerika, wo sie das südlichste Chile mit Feuerland und die benachbarten Archipele umfaßt. In Neuseeland, Tasmanien und Südaustralien ist diese Flora auf die höheren Gebirgslagen zurückgedrängt. J. D. Hooker hat zuerst auf den zirkumantarkti- schen Charakter dieser Flora hingewiesen. Seither spricht man von einem antarktischen Florenelement. Die südlichsten Ausläufer des Anden- systems bilden eine scharfe Grenzscheide zwischen der ungemein regnerisch -stür- mischen, ozeanisch-pazifischen Westseite, wo der Himmel fast stets bewölkt, die Tempe- ratur gleichmäßig kühl ist, und Nebel bei- nahe immer über dem Lande liegen, — und der trockenen atlantischen Ostseite, die eine Steppenvegetation von Stipa humilis Cav. oder Polster- und Horstpflanzen, wie Mulinum spinosum Pers. (Umbellifere) und steinharte Azorella madreporica Clos. aufweist. Besonders bezeichnend für das austral- andine Gebiet ist die Entwickelung eines überaus üppigen temperierten Regen- waldes und die große Verbreitung von Moos- mooren. Die Baumgrenze liegt tief, um Valdivia bei etwa 1300 m, in Feuerland schon zwischen 400 und 500 m. Darüber folgen Bergmoore, lichte Strauchtriften, Geröll und Felsfluren von zum Teil Tundrencharakter. Ganz im Süden durchstoßen einzelne Gletscherzungen die ganze Breite des tempe- rierten Regen Waldes, und erreichen wie in Grönland den Meeresspiegel. Die wichtigsten Leitpflanzen des austral- temperierten Regenwaldes stellt das aus 7 Arten bestehende Genus Nothofagus, nächst verwandt mit den holarktischen Buchen. 4 Species sind sommer-, 3 immer- grün. Die dauerblätterige N. Do mbeyi Bl. bildet geschlossene mehr oder weniger reine Bestände. Die meisten Arten treten aber in Mischung mit immergrünen Bäumen auf. Das Laubwerk ist ziemlich kleinblätterig, tief-dunkelgrün, das Geäst weit ausladend horizontal abstehend, so daß sich die Krone etagenartig aufbaut. N. antartica Oerst. folgt dem Ostfuß der südlichen Anden; in den höheren Gebirgslagen, südlich von 40" S. bildet sie nur noch fußhohe Laub- kissen. Die südlichste Buche ist die immer- grüne N. betuloides (Mirb.) Bl, sie wird selten über 12 m hoch. Zu den Buchen ge- sellen sich eine Reihe Gewächse von sub- tropischer oder selbst tropischer Verwandt- schaft, so die Magnoliacee Drimys Winteri Forst, die Lauracee Persea Lingue R. et P., mehrere Myrtaceen (Luma apicu- lata [Hook.] P'hil.), Monimiaceen wie Laurelia und Peunius ; Euphorbiaceen, wie Aextoxicum punctatum R. et P. An Australien erinnern einige Proteaceen, so Embothrium, Guevina, Lomalia. Die Celastr acee M a y t e n u s m a g e 1 1 a n i c a L a m. bildet zuweilen" Unterholz. Auch die Raum- ausnutzung erinnert an den Tropenwald. Neben Bambusen bemerkt man vereinzelte Lianen und viele kryptogame Epiphyten. Die starke Entwickelung von Moosen und Farn- kräutern kehrt auch im Regenwald Neusee- lands wieder. Stamm und Astwerk der Bäume sind zumeist mit einem schwellenden Moosmantel bedeckt. Dickichte bilden Ber- beris ilicifolia L. f., undPernettya mu- cronata (L. f.) Gaud. Zu den Charakter- pflanzen Feuerlands gehört auch ein blatt- loser, phanerogamer Parasit (Myzodendron punctulatum Banks et SoL) Cyttaria Darwini, verwandt mit den Morcheln, schmarotzt auf den Buchen und bildet, neben einigen Beerenfrüchten, die einzige vegetabilische Nahrung der Feuerländer. Am Waldrande bemerkt man die Riesen- blätter von Gunnera scabra R. et P. Geographie der Pflanzen (Florenroiche) 855 (Haloracee). Neben den vorherrschenden antarktischen Elementen treten auch andine (Fuchs ia) Florenbestandteile und nordische Typen auf, zum Teil in Formen, die unseren Arten sehr nahe stehen. Antarktische Typen dringen, wie wir bereits 2;cs('lu'n haben, in den hohen Kordilleren, wenigstens vereinzelt, sehr weit nach Norden. Gegen Osten und Norden geht der vorwiegend immergrüne temperierte Regenwald in sommergrünen Wald über, wobei die laubwechselnden No t ho f agil s arten tonangebend sind. Die waldlosen Teile der Südspitze Amerikas sind mit einer Polsterheide bestanden, die man als Bolaxheide bezeichnen kann, indem Bolax glebaria Co mm. (UmbeUif.) öfters die wich- tigste Pflanze ist; sie bildet große kompakte Polster, dazu kommen Gesträuche von Chilio- trichum diffusum (Forst.) Reiche (Comp.) Berberis empetrifolia Lam. Die Komposite Abrotanella emargjnata Cass. ist ebenfaUs polsterbüdend. Sehr charakteristisch ist auch Euphrasia antarctica Benth. Auf der Gebirgsheide treten als Polsterbildner auf Bolax Bovei (Speg.) P. Dus., Azorella selago Hook. f. und Azorella lycopodioides Gaud. Die antarktischen Moore, obwohl von Wäldern umsäumt, erinnern durch ihre Artenarmut be- reits an die arktischen Moore; auch Sphagnum- moore kommen vor. Von ähnlich monotonem Charakter und viel- fach mit derselben floristischen Zusammen- setzung folgen weiter östlich die mikrothermen, waldlosen Falklandinseln. Graue Steppen, deren wichtigster Bestandteil das Steppengras Cortaderia pilosa (Urv.) Hack, ist, schwärz- lich-grüne Empetr um beide und moorige Sümpfe beanspruchen den größten Raum. Am Strande wächst die auch in Südgeorgien heimische, prachtvoüe kugelrunde, bis 2 m hohe Rasen bildende Poa flagellata (Forst.) Hook, f.; strauchig ist Senecio falklandicus Hook, f.; Azorella und Bolax glebaria Comm. fehlen auch nicht. Von den 135 Blütenpflanzen sind 26 (20%) endemisch. Südgeorgien, zwischen 54 bis 55" S. ge- legen, ist bereits größtenteils vergletschert, nur in geschützten Tälern und an der Küste gibt es spärliches Pflanzenleben. Das Klima ist kühl und außerordentlich ozeanisch. Auf Sumpfböden ist die Rosacee Acaena adcendens Vahl. häufig, sie büdet einen Bestandteil der Festuca- (Festuca erecta Urv.) Steppenwiese. Am Fuß der Abhänge machen sich Flecken von Des- champsia antarctica (Hook.) Desv. be- merkbar. Auch die mikrotherme Kerguelengruppe ist baumlos und vorwiegend von Jloorbildungen eingenommen. Das Klima ist nebelig-feucht. Unter den 25 Phanerogamen nimmt die ende- mische Crucifere Pringlea antiscorbutica R. Br., der Kerguelenkohl, systematisch eine sehr isolierte SteUung ein. 'Monotypisch ist die Caryophyllaceengattung Lyallia" (Lyallia kerguelensis Hook, f.), sie steht der andinen Pycnophyllum am nächsten. Ein Drittel der Flora sind Farne, davon zwei südafrikanisch, der Rest magellhaenisch. In der Nähe von Neuseeland liegen bereits die Campbell- und Aucklandinseln, sie sind wohl als Trümmer einer einst weiter in die Antarktis hineinragenden neuseeländischen Ge- birgsachse aufzufassen. Auch sie haben manche Endemen von antarktischem Gepräge, doch ist die Flora wiederum sehr verarmt. Obwohl in der Breitenlage von Berlin gelegen, zählen diese Inseln nur 75 bezw. 150 Arten. In der Antarctis, dem ,, Kontinent des eisigen Südens", hat man bisher keine einzige Blütenpflanze aufgefunden. Aira antarc- tica Hook, ist die am weitesten gegen den Südpol vorgeschobene Phanerogame, doch schon bei 62" S. hat sie ihren absoluten Süd- punkt erreicht. Auf der nördlichen Hemi- sphäre entspricht diese Breitenlage etwa der- jenigen der Farorinseln, oder derjenigen von Südfinnland bezw. von Jakutsk, mitten im sibirischen Urwalde. Bis zur Expedition des Norwegers C. E. Borchgrevik (1898 bis 1900) galt die Antarktis sogar iür völlig vegetationslos, seither sind auf Südvictoria Land (ca. 71 bis 720 S.) „i^d a„i MacMurdo Sund (770 30' S.) einige Algen, Pilze, Flechten und Moose, darunter die neue antarktische Gattung Sarconeurum nachgewiesen worden. Die Temperaturverhältnisse der Antarktis sind nicht der Art, daß sie höheres vegetatives Leben absolut ausschließen müssen; auch fehlt es durchaus nicht an Ansiedelungs- möglichkeiten. Im antarktischen Sommer werden einzelne Teile dieser Länder schnee- frei. Die tiefsten Temperaturen (ca. 57o C) bleiben hinter denjenigen des Kältepoles im ostsibirischen Urwalde zurück. Das Auffinden von Kohlen und von Pflanzenabdrücken lehrt, daß auch dieses Land einst mit Vegetation bedeckt war. Doch muß die Vereisung den sechsten Kontinent zeitweise ganz mit seinem weißen Leichentuche bedeckt haben, denn wo auch immer das Land jetzt eisfrei ist, da sprechen Moränen- und Rundhöckerlandschaften nur zu deutlich von der ehemaligen völligen Ver- gletscherung. In dieser Zeit ist wohl die höhere Pflanzenwelt zugrunde gegangen. Sie konnte sich nicht, wie die arktische Vegetation, nach begünstigteren Erdstrichen zurückziehen, um von diesen Refugien aus, nach dem Rückgang des Eises, das verödete Land neuerdings zu besiedeln. Auf ihren gesamten Rückzugslinien begegnete die prä- glaziale antarktische Flora einer unüberwind- lichen Schranke: einem tiefen, sich beinahe überall über 20 Breitengrade und mehr er- streckenden Weltmeere. Es sind also nicht thermisch-klimatische, sondern wohl eher erdgeschichtliche Momente, welche die voll- ständige Verödung des antarktischen Kon- tinentes verursacht haben. 856 Greographie der Pflanzen (Florenreiche) Es ist nur die Hauptliteratur berücksichtigt. Größere Literaturverzeichnisse in den mit einem Stern (*) versehenen Werken. Literatur. J. Pflanzengeographie der ganzen Erde. A. de Candolle, Geographie bolanique raisonnee. 2 Bde. Paris 1855. — A. Grisehach, Vegetation der Erde. 2 Bde. Leipzig 1872. — A. Engler, Versuch einer EntwickelungsgescMchte der Pflanzenwelt. 2 Bde. 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M, Rikli. 858 Geographie der Pflanzen (Oekologische PflanzengeogTapliie) ))) Oekologische Pflanzengeographie. Einleitung. 1. Lebensbedingungen der Pflanzengesellschaften: a) Klimatische Faktoren. ec) Wärme, ß) Feuchtigkeit. 7) Licht, d) Wind. f) Physiographische Faktoren, b) Edaphische Faktoren. «) Minerogene Böden, ß) Humusböden (Bodenstetigkeit). c) Biotische Faktoren. a) Phytobiotische Einwirkungen (Forraations- stetigkeit). ß) Zoobiotisch6 Einwirkungen, d) Gesamtwii'kung der Faktoren. a) Klima- charakter, ß) Ersetzbarkeit der Faktoren. y) Die ökologischen Wuchsforraen. d) Floristi- sche Zusammensetzung. 2. Uebersicht über die Pflanzengesellschaften der Erde: a) Definition der Einheiten, b) Einteilungen, c) Vegetations- typus Lignosa, Gehölze, a) Formationsklasse Pluviüignosa, Regengehölze, au) Formations- gruppe Pluviisilvae, Regenwälder. ßß) For- mationsgruppe Pluviifruticeta, Regengebüsche. ß) Formationsklasse Laurilignosa, Lorbeerge- hölze, cm) Formationsgruppe Laurisilvae, Lorbeerwälder. ßß) Formationsgruppe Lauri- fruticeta, Lorbeergebüsche, y) Formationsklasse Durüignosa, Hartlaubgehölze, aa) Formations- gruppe Durisilvae, Hartlaubwälder, ßß) For- mationsgruppe Durifruticeta, Hartlaubgebüsche. ^) Formationsklasse Ericilignosa, Heidengehölze. ciu) Formationsgruppe Ericifruticeta, Heiden, f) Formationsklasse Deciduilignosa, Fallaub- gehölze. aa) Formationsgruppe Aestatisilvae, Sommerwälder, ßß) Formationsgruppe Aestati- fruticeta, Sommergebüsche. yy) Formations- gruppe Hiemisilvae, Monsunwälder. f) For- mationsklasse Conilignosa, Nadelgehölze. aa) Formationsgruppe Conisilvae, Nadelwälder. ßß) Formationsgruppe Conifruticeta, Nadelholz- gebüsche, d) Vegetationstypus Prata, Wiesen. a) Formationsklasse Terriprata, Bodenwiesen. aa) Formationsgruppe Duriprata, Hartwiesen. ßß) Formationsgruppe Sempervirentiprata, immergrüne Wiesen. yy) Formationsgruppe Altherbiprata, Hochstaudenwiesen. ß) For- mationskiasse Aquiprata, Wasserwiesen, aa) For- mationsgruppe Emersiprata, emerse Wasser- wiesen, ßß) Formationsgruppe Submersiprata, submerse Wasserwiesen. y) Formationsklasse Sphagniprata, Hochmoore, e) Vegetationstypus Deserta, Einöden, a) Formationsklasse Sicci- deserta, Steppen, ß) Formationsklasse Siccissimi- deserta, Wüsten, y) Formationsklasse Frigori- deserta, Kälteeinöden. d) Formationsklasse Litorideserta, Strandsteppen. e) Formations- klasse Mobilideserta, Wandereinöden, f) Vege- tationstypus Phytoplankton. 3. Die Suk- zessionen oder der Formationswandel: a) Be- griffe, b) Neulandbesiedelung. c) Offene Dauer- formationen, d) Offene Wander-, geschlossene Dauerformationen. e) Geschlossene Wander- ; und Dauerformationen. i Einleitung. Die Vegetation der Erde ist von nnge- heurer Mannigfaltigkeit, kein Fleck Erde ist identisch mit einem anderen. Um aber dem menschlichen Geiste verständlich zu •werden, muß Aehnliches in Begriffe zu- sammengefaßt werden und Namen er- halten , damit man sich verständigen kann. Man muß eine Einteilung schaffen, ohne die jede Masse von Dingen eine unge- gliederte Masse bleibt. Als Grundlage, "als Einheiten der Vegetation, drängen sich gesetz- mäßig wiederkehrende Verbindungen von Pflanzen auf: ,,die Pflanzengesellschaf- I ten". Es hat sich mit der Zeit eine umfang- I reiche Lehre der Pflanzengesellschaften, die ,,Syn Ökologie" (Schröter), entwickelt, als ein Teil der Oekologie einerseits, der Pflanzengeographie andererseits. Unter Oekologie versteht man die Gesamtheit der Beziehungen zwischen der Einzelpflanze oder der Pflanzengesellschaft einerseits und dem Standort andererseits; mit anderen Worten: Die Oekologie (in der Botanik, das entsprechende auch in der ; Zoologie) oder die ökologische Pflanzen- geographie studiert die Pflanzen und ihre Gesellschaften in ihren Beziehungen zur Außenwelt. Die Oekologie umfaßt demnach die Lehre von den Standortsbedingungen und Anpassungserscheinungen der einzelnen Art (Autökologie) und der Pflanzengesellschaften (Synökologie oder Formationslehre). Die Synökologie studiert also die Pflanzengesellschaften in ihrer Zu- sammensetzung, ihren Standorts- bedingungen und Anpassungserschei- nungen. Unter Standort versteht man die Gesamtheit der an einer geographisch be- stimmten Lokalität wirkenden Faktoren (der klimatischen, edaphischen und biotischen Faktoren, nicht nur der edaphischen), so- weit sie die Pflanzenwelt beeinflussen. Der Standort ist die Ursache der Pflanzen- gesellschaften, daher bildet das Studium des Standorts die Grundlage für die Synökologie. Er wird direkt an seinen Faktoren studiert und indirekt an seinen Wirkungen, den angepaßten Pflanzen und Pflanzengesell- schaften. I. Lebensbedingungen der Pflanzen- gesellschaften. Die Lebensbedingungen der Pflanzengesellschaften sind die ökologischen Faktoren, unter denen die Pflanzengesell- schaften leben, kurz ihr ,, Standort". Im speziellen muß dieser bei jeder besprochenen Cresellschaft herangezogen werden, hier soll im allgemeinen die Einzelwirkung der Fak- toren und ihre Gesamtwirkung besprochen werden. la) Klimatische Faktoren, a) Wärme. Jede Pflanze hat für jedes Stadium ihres Daseins in betreff Wärme ein Minimum, Optimum und Maximum, das Gleichbleiben der übrigen Faktoren vorausgesetzt. Jede einzelne Art hat daher ihr Wärmeareal. Dieses läßt sich aber nicht durch die jährliche Durchschnittstemperatur ausdrücken, diese meteorologischen Zahlen sagen sehr wenig für Geographie der Pflanzen (Oekologische Pflanzengeographie) 859 die Pflanzen aus. Viel mehr sagen die Durch- schnitte des wärmsten und kältesten Monats und die Temperaturminima und -maxima, jedoch sollte man diese unmittelbar bei der Pflanze kennen, nicht am Haus der meteorologischen Station. Pflanzen unter einer Schneedecke leben unter ganz anderen Wärmeverhältnissen, als das Sta- tionsthermometer angibt. Daher entspricht be- sonders in kontinentalen Gebieten die mittlere Jahrestemperatur der meteorologischen Station durchaus nicht der mittleren .Jahrestemperatur, welche die Pflanze genießt; diese ist meist be- deutend höher, da die kalten Wintertemperaturen der Luft am Pflanzenwuchsort unter der Schnee- decke nicht vorhanden sind. Doch sind diese Jahrestemperaturen des Pflanzenwuchsortes noch vollständig unbekannt. Von großer Wichtigkeit sind gewisse Schwellenwerte, speziell, ein wie großer Teil des Jahres über dem nötigen Minimum liegt. Die eine Pflanze braucht nur geringe Tempe- raturen, aber diese lange Zeit, eine andere hohe, wenn auch nur kurz, usw. Relativ hohe Werte braucht die Blüten- und Frucht- produktion. In kalten Gegenden nehmen daher die einjährigen Pflanzen ab, da es nicht mehr zur Fruchtproduktion reicht, wenn nicht die übrigen Wuchsfunktionen aus der Wärme eines früheren Jahres befriedigt sind. Die meteorologischen Messungen, die vor- sind meist im Schatten ausgeführt; der Standort der Pflanze ist aber auch Sonnen- temperaturen ausgesetzt, die ihm große Wärme- quantitäten zuführen. Besonders groß ist der Unterschied zwischen Sonnen- und Schatten- temperatur im Gebirge, er nimmt mit der Höhe zu, im selben Sinne wie der Unterschied zwischen diffusem und direktem Sonnenlicht. Zu berück- sichtigen ist natürlich auch die Sonnenschein- dauer. Die Wärmeverteilung auf der Erde hat großen Einfluß auf die Vegetation: eine Reihe Pflanzengesellschaften lassen sich charakteri- sieren durch ihr Wärmebedürfnis; es ist daher schon eine Gruppierung nach diesem vor- genommen worden, doch ist sie nur in einzelnen Fällen und nicht allgemein anwendbar wie alle Einteilungen, die sich auf einen einzelnen Fak- tor gründen. Die Wärme nimmt vomAequator nach den Polen zu ab, in erster Linie der Durchschnitt, es ändert sich aber auch die Verteilung der Wärme innerhalb der Tages- und Jahres- zeiten, indem der Wechsel der Jahreszeiten mit dem Abrücken von den Wendekreisen an Größe zunimmt. Auch mit der Höhe nimmt die Wärme ab, das Maß ist von der Konfiguration des Landes, der Exposition usw. abhängig, es wird jedoch ein annähern- des Mittel der Abnahme' von 0,6» C auf 100 m Steigung angenommen. ß) Feuchtigkeit. Von allererster Wichtigkeit ist das Wasser, als Regen, als Schnee, als Luftfeuchtigkeit. In hohem i Maße ist die Vegetation davon abhängig. Ohne Wasser kann die Pflanze nicht leben und ihre Tracht richtet sich nach der Wasser- I bilanz. Daher wird oft das Wasser zur Ein- I teilung der Pflanzengesellschaften gewählt, wovon später. In erster Linie steht das Wasser I in Form von Re^en zu Gebote. Aber auch j Tau und Nebel können von Bedeutung für die ! Vegetation werden. So wäre z. B. ohne Tau die Frühjahrs Vegetation der libyschen Wüste nicht möglich; andere Einöden erhalten Nebel von kalten Meeresströmungen. Was der Vegetation an Wasser zur Verfügung steht, ist sehr schwer zu bestimmen. Da es sich um die Wasser bilanz handelt, nicht nur um die Einnahme, so gibt die Niederschlags- menge nur kleine Anhaltspunkte. Ist die Luft feucht und kühl, so ist die Transpiration gering, daher kann ein geringer Nieder- schlag doch eine reichliche Wasserversorgung gestatten. Es ist also das Verhältnis von Absorption und Transpiration, auf das es ankommt. Bei der Absorption kommt es wiederum darauf an, was die Pflanze vom vorhandenen Wasser benützen kann, dies hängt einerseits von der Konstitution ab, \ andererseits von der physikalischen und chemischen Zusammensetzung des Bodens. Auch die Transpiration ist von vielerlei ab- hängig. An den Messungen des Wassers arbeiten in I erster Linie die Amerikaner. Es sei hier hinge- wiesen auf Clements' Messungen vom ganzen (holard), vom verfügbaren (chresard) und vom ! festgehaltenen (echard) Wassergehalt des Bodens I und auf die Untersuchungen mit Livingstones Atmometer, einem Tongefäß, in dem die Ver- dunstung einer porösen Tonoberfläche gemessen wird. Da das Wasser, in großer Quantität vorhanden, die Fähigkeit besitzt, eine Menge Differenzen im Klima, in der Gesteinsunterlage usw. zu verdecken, so wirkt es in hohem Maße ausgleichend; die Hycü-ophyten haben meist eine weite Verbreitung auf der Erde, sie sind nicht klimastet, sondern eher Klimaubiquisten. y) Licht. Das Licht ist wie Wärme und Feuchtigkeit für die Pflanzen von funda- mentaler Bedeutung. Die Verteilung des Lichtes auf der Erde ist im Gegensatz zu der der beiden früheren Faktoren eine gleich- mäßigere in dem Sinne, daß nirgends Minima oder Maxima vorkommen, die der Pflanzen- welt tödlich wären. Daher ist der Einfluß des Lichtes nicht so auffällig, das Licht wurde nie allein zur grundlegenden Einteilung der Pflanzengesellschaften verwendet. Das Licht der roten Hälfte des Spektrums ist für die Assimilation das Wichtigste (vgl. den Artikel ,, Photosynthese"), die chemischen Strahlen für den Wuchs. Geringe Licht- menge erzeugt im allgemeinen Streckung der Glieder und starke vegetative Ausbildung; es werden viele Blattorgane erzeugt und diese dünn gebildet, um durch Oberflächen- vergrößerung das wenige Licht auszunützen. Die Stauden des schattigen Waldinnern Geographie der Pflanzen (Oekologische Pflanzengeographie) trao-en meist „Schattenblätter" mit dünnen mittel für Mittagsbeobachtungen ist 237 im Spreiten. Auch die Föhrenzapfen zeigen Dezember 1905 auf dem Bermnahospiz; dem ] iu^ r>r.r.f Av.i^wi TTno-lar ('7nviT.]i\ gegenüber steht Wien mit dem Januarmittel dasselbe._ Prof Arnold Engler (Z mich) b^b^ ^^^^ ^^ ^^^^^^ Kremsmünster Dezember 125. hat gezeigt daß die_ Schattenzapfen flache , 33 j^ Maximalmonate sind Juli Wien 982, Juli Apophysen hervorbrmgen, die Lichtzaplen Kremsmünster 929, August Berninahospiz 1008. dagegen dicke, stark gewölbte (diese Zapfen- Das Gesamtlicht zerfällt in das diffuse Licht formen eignen sich also nicht zur Aufstellung und das direkte Sonnenlicht. Für die Pflanzen systematischer Sippen). Intensives Licht j der Ebene spielt das diffuse die weitaus grüßte erzeugt die aus den Alpen so bekannte ! Rolle, im Gebirge kommt das dhekte in viel Blütenpracht, die Blüte tritt gegen das Blatt ] höherem Maße in Betracht; Mittel aus aUen Mit- viel mehr hervor und auch ihre Farben sind \^^'^'''^'''^''''^}^'''tT^,'Z^^^ 1 X, j • 1 4. u • fi ß+ n;^ rv..i.,„„r, ^1«^ hospiz vor. Von dem Mittel des Gesamtlicntes durchs Licht beeinflußt. Die Ord mng der ^,J^q^ ^.^^^^^ ^^^^ ^^^ ^^^^^^^^ 334^ .^^j ^j^^ direkte Verzweigung wird eine höhere. Da die Licht- 1248; während der Vegetationszeit (mittlere Strahlung immer mit Wärmestrahlung ver- 1 Tagestemperatur über 5" C) sogar von 875 bunden ist und diese die Transpiration er- j mittlerem Gesamtlicht bei 430 mittlerem dif- höht, muß auch sie wieder anders geregelt fusem volle 445 auf das mittlere direkte Sonnen- sein als an Schattenstellen. Ueberhaupt ist ' licht. „ , . .. ,. , . die Oekologie eine ganz verschiedene, ob Den vollen Lichtgenuß, der m diesen absoluten die meisten Pflanzen einer Gesellschaft | Zahlen angegeben ig, genießen nur die Pflanzen uie iiieisLcii i iimi c t,;„mj„„ „„^ die bei offenem Horizont ganz unbeschattet das Licht erhalten wie 111 den Linoden und j ^^^j^^^_ j^ ^..^^^^ .^^ durch Berge ein Ted des Wiesen, oder ob nur die dominierenden 1 ^-ff^^^gj^ Himmelslichtes abgehalten, in mehr- Pflanzen, die Bäume oder Sträucher das | stöckigen Pflanzengesellschaften durch die oberen volle Licht genießen, während der Großteil 1 Stockwerke. Das Verhältnis des am Pflanzen- der Pflanzen, der Unterwuchs, mit sehr Standort herrschenden Lichtes zu dem unter gedämpftem Licht vorlieb nehmen muß. freiem Himmel bildet den relativen Licht- Bei dieser ganz verschiedenen Oekologie gen uß, der für jede^Pflanze Minima Optim- ist es daher nicht angezeigt, wie es hier und ind Maxima hat. Dieser ist immerhin auch ist cö uaiici iiiv^ii. c...^^..y., ,,.v v.o ..... ^... absoluten Lichtmenge, indem da geschieht, einen Wald mit emer Wiese '^^^ J^f^^^^.^^^^dl.^j^ ^^^^ ^^b^^l^^^^^^^^^/^^^^l^t,^ m dieselbe Formation einzureihen. ^ur Verfügung stehender Lichtmenge das Licht- Lichtmeßapparate haben sich relativ spät 1 bedürfnis zunimmt. Es hat sich auch gezeigt, entwickelt. Da das Licht aus Strahlen ganz j daß das Licht teUweise die Wärme ersetzen kann, verschiedener Wellenlänge besteht, ist es als daß also in höheren, kälteren Breiten das Opti- Ganzes fast nicht zu fassen. Die genauesten I nium des Lichtgenusses steigt. Auch für das Messungen beruhen daher auf dem Spektroskop, Liclitklima läßt sich wie für Wärme und Feuchtig- indem man das Licht zerteilt und die Strahlen keit der Charakter der Ozeanität und Kontinenz der ehizelnen Welleidängen mißt, doch gibt dies ; talität unterscheiden, doch sind diese Verhältnisse einerseits eine Menge Einzelzahlen, aus denen \ noch sehr wenig studiert. eine Abstraktion schwierig ist, andererseits; <3) Wind. Eine große Bedeutung des Windes sind es große Apparate, die für eine Station i jj^ (. -j^ g^jj^^^ Eigenschaft als Samenverbreiter sehr wichtig sind, aber schwer benutzbar für den 1 ^^^^ geringere oder größere Strecken, ferner als Pflanzengeographen, der die Lichtmtensitaten poHenverbreiter fiü- die Befruchtung der un- ungezählter Pflanzenstandorte braucht. Hierfür „phe^^er großen Gruppe der Windblütler. Da- brauchbar ist die von Wiesner vereintachte | j^^.^^^,^ macht sich die Wirkung andauernder Bunsen-Roscoe-Methode, die auf der Schwär- I^Yjj^^g ^^^^ ^üg pflanzenformen bemerkbar, zung von Chlorsilberpapier beruht und alle i p-^ Knospen der Wmdseite können sich nicht gemessenen Intensitäten auf eine festgelegte 1 entwickeln, die der Leeseite werden daher ge- Einheit der Papierschwärzung, die Bunsen- ^^3^.^^^.^ Bäume und Sträucher nehmen „Wind- einheit, bezieht(Farbe einerMischung von einem formen" an. Wo starke Wmde häufig herrschen, Ted Lampenruß und 1000 Teilen Zinkoxyd), nähern sich viele Pflanzen der Polsterform. Mit Chlorsüber werden nur die chemisch wirk- i Kommen Polsterpflanzen schon an und für sich samen Strahlen gemessen, doch sind es ja diese, 1 jj^ findiger Gegend vor, so nehmen sonst anders welche als g^staltbestimmend in der okolo- | geformte Pflanzen Kugelbuschform oder besser gischen Pflanzengeographie, wo das ^'enialtnis | (. pfjnenform an, so z. B. Pistacia lentis- der Pflanzen zur Außenwelt studiert wird, die °^jg°j^jj ^^jgj. Rjviera. Hauptrolle spielen. Ganzjährige Beobachtungen j ' ^ ,.._.., , liegen nach dieser Methode nur von Wien l Die Hauptwirkung des AVindes ist jedoch (Wiesner), Kremsmünster in Oberösterreich ] das Wegführen von Feuchtigkeit. Trockene (Schwab) und dem Berninahospiz (Rubel) vor (nach spektroskopischer Methode von Kiel durch L. Weber und von Davos durch C. Domo). Das Jahresmittel der Mittagsbeob- achtungen für das Gesamtlicht ist in Bunsen- emheiten 463 für Wien, 495 für Kremsmünster, und 582, also ganz bedeutend höher, für das ^ ^ ^. hochalpine Berninahospiz bei 2309 m ü. M. : sein. Erst im Boden kommt dieser zur Geltung Die klare Alpenluft macht sich hauptsächlich , in undurchlässigen Böden in Form von Sauerstoff im Winter bemerkbar, das niederste Monats- 1 armut oder -mangel. Winde erzeugen rasche Transpiration, die durch Absorption nicht mehr gedeckt werden kann, es tritt Welken und Trockentod ein. Was die chemische Zusammensetzung der Luft anbetrifft, so sind die Differenzen nicht groß genug, um von wesentlichem Einfluß zu Geographie der Pflanzen (Oekologische Pflanzengeographie) 861 e) Physiogräphische Faktoren. Es sind hier noch eine Reihe Momente zu erwäh- nen, die nicht direkt an und für sich, sondern mehr als Ursachen zu bestimmter Wirkung der schon besprochenen Faktoren dienen. Die Meereshöhe bringt Veränderungen des Lichts, der Wärme, der Dauer der Vege- tationszeit usw. mit sich. Die Richtung der Gebirge hat großen Einfluß auf die Wind- richtung und auf den Fall der Elevations- niederschläge. Die Steilheit der Ab- hänge beeinflußt die Wirkung der Nieder- schläge, daß diese rasch ablaufen oder lang- sam in den Boden eindringen und dadurch für die Vegetation benutzbar werden. Die Exposition der Abhänge verteilt die Quan- tität an Sonne und Schatten. Unter je steilerem Winkel der Hang zu den Sonnen- strahlen steht, um so mehr Wärme wird er empfangen. ib) Edaphische Faktoren. Die Boden- faktoren bilden einen großen, noch nicht ganz entwirrten Komplex. Man kennt eine Unzahl verschiedener Böden je nach den ver- schiedenen physikalischen und chemischen Eigenschaften. Die einen Autoren haben den Einfluß auf die Vegetation mehr den chemischen Eigenschaften zugeschrieben, andere mehr den }3hysikalischen. Wie weit jede Eigenschaft in Betracht kommt, ist noch nicht zu ermitteln; Tatsache ist wohl, daß beide Kategorien von Einfluß sind, wohl bald mehr die eine, bald mehr die andere. Erschwerend bei der Erkenntnis wirkt noch mit, daß einerseits die chemischen und physi- kalischen Eigenschaften sich teilweise er- setzen können, andererseits, daß gewisse chemische oft sehr konstant an gewisse physikalische gebunden sind und man daher nicht trennen kann, was diesem, was jenem zuzuschreiben wäre. Außerordentlich kom- pliziert wird die Sache noch dadurch, daß an derselben Lokalität in verschiedenen Schichten übereinander ganz verschiedene Böden vorkommen; also auch Pflanzen der- selben Lokalität ihre Wurzeln in Böden verschiedenster Zusammensetzung ausbreiten können. Die Eigenschaften der Böden, die also als Faktoren auf die Pflanzenwelt wirken, mögen an verschiedenen Bodenarten gezeigt werden. li) Mineralböden. Wir haben minerogene und organogene Böden. Nach der Korngröße können wir mit Schröter die Mineralböden unterscheiden als Fels, Blöcke, bis herab zu 25 cm Durchmesser, Grobschutt oder Grand, Gesteinsstückdurchmesser 2 bis 25 cm, Fein- schutt, bei einer Korngröße von 2 cm bis 2 mm; wenn er eckig ist, nennt man ihn Grus, Sand, bei einer Korngröße von 2 mm bis 0,25 mm, was noch feiner ist, wird als Ton bezeichnet. Diese Korngrößen treten natürlich in allen Mischungen auf, das Maßgebende für die Pflanzen sind die feineren Partikel. Gemische von Sand und Ton geben Lehm. Je nach der Zusammen- setzung sind diese Böden eugeogen oder dys- geogen, d. h. sie zerfallen leicht oder schwer zu feineren Bestandteilen, also Erde, wobei die Ncähr- stoffe bei raschem Zerfall schneller in größerer Konzentration zur Verfügung stehen als bei langsamem, bei dem das wenige aufgeschlossene jeweils verbraucht oder weggeführt wird. Nach der chemischen Zusammensetzung kommt es besonders auf das Vorhandensein löslicher Nähr salze an; ferner relativ leicht erkennbar ist der Einfluß des Kalkes. Nicht alle Pflanzen können größeren Kalkgehalt ertragen, es gibt kalkfliehende, kalkholde, kalkstete. Bei den meisten trifft dies aber wiederum nur für be- stimmte Gegenden, bestimmte Klimate zu, was wieder auf die später zu besprechende Ersetzbarkeit der Faktoren hindeutet. Eine besondere Rolle spielt das Kochsalz; nur wenige Pflanzen können dieses in größeren Mengen ertragen, es wachsen auf solchen Böden immer eigene Assoziationen. Betreff Wärme und Wassergehalt scheiden sich die Böden wiederum, und zwar bilden Sand und Ton in gewissem Sinne Gegensätze: Sand läßt Wasser leicht passieren, hat eine kleine Wasserkapazität, erhitzt sich rasch und kühlt rasch wieder ab, Tonboden hingegen kann viel Wasser aufnehmen und lange festhalten (cha- rakteristische Pflanzen der Sandböden werden Sandpflanzen oder Psammophyten genannt, die Gesamtheit eine psammophile Vegetation, im Gegensatz zur pelophilen auf Tonboden). Da das Wasser Temperaturen ausgleicht, d. h. sich nur langsam ändern läßt, ist ein nasser Boden nach dem Winter ein kalter Boden. Kalkböden lassen oft das Wasser durchfließen, erwärmen sich rasch. Ist das Wasser zu kalt, so kann es von der Pflanze nicht leicht verwendet werden; der kaltnasse Boden wirkt wie ein trockener, man nennt ihn physiologisch trocken. Ge- löstes Kochsalz macht ebenfalls den Boden physiologisch trocken. Diese physiologische Trockenheit bietet noch große unerforschte Probleme. Alle diese Bodenarten lassen sich in zwei Gruppen fassen, die der humiden Gebiete und die der ariden, je nachdem die Nieder- schläge die vom Boden mögliche Verdun- stung übertreffen oder noch mehr verdunsten könnte, als durch die Niederschläge zugeführt wird. Die humiden Böden unterliegen der Auswaschung, in den ariden dagegen sammeln sich die Verwitterungsprodukte an; in den humiden wechselt daher nach der Tiefe der Gehalt an verschiedenen Stoffen beträcht- lich, es wechselt also die ganze Bodenöko- logie; in den ariden ist gewöhnlich keine so starke Schichtung vorhanden. Humide Böden sind absorptiv meist ungesättigt, zeigen starke kolloide Aufquellung, sind meist stark bindig; die ariden sind absorptiv ge- sättigt, enthalten konzentrierte Boden- lösungen, zeigen die kolloide Aufquellung nicht oder wenig und haben geringe Bindig- keit. 86'. Geographie der Pflanzen (Oekologische Pflanzengeographie) ß) Humusböden. AU diesen minero- genen Böden und Bodenbestandteilen stehen gegenüber die organogenen, der Komplex der Humusböden. Wo die Verwesung von Pflanzenbestandteilen nicht rasch bis zu den einfachsten Zersetzungsprodukten, Kohlen- säure und Wasser, schreitet, bildet sich eine Masse verschiedener, sehr schwer analysier- barer Stoffe, der sogenannten Humusstoffe, ,.die aus unveränderten Kolloiden der ur- sprünglichen Pflanzensubstanz gemischt mit kohlenstof freichen Zersetzungsprodukten be- stehen" (Ramann). Kolloide enthalten absorptiv gebundene Bestandteile. Je nachdem sie an solchen gesättigt oder un- gesättigt sind, verhalten sie sich sehr ver- schieden. Der gesättigte Humus ist für die Nahrungsaufnahme der Pflanzen günstig, der ungesättigte (bisher als „saurer" Humus bekannt) ungünstig. Die ungesättigten suchen noch zu absorbieren, binden also Nährstoffe und Wasser stark, so daß sie der Pflanze nicht oder schwer zur Verfügung stehen. Diese Böden wirken daher als nähr- stoffarm und physiologisch trocken. Die minerogenen und organogenen Boden- bestandteile treten natürlich in allen mög- lichen Kombinationen auf, woraus sehr viele ökologisch verschieden wirkende Boden- arten entstehen, die einen Bestandteil des Studiums der Assoziationen, besonders ihrer Standorte bilden. Es sei noch auf das Problem der Boden- stetigkeit hingedeutet. Neben Pflanzen, die auf den verschiedensten Böden gedeihen, d. h. bodenvag sind, gibt es solche, die eine Bodenart stark bevorzugen oder gar nur auf dieser vorkommen. So sind z. B. die Sapro- 1 phyten humusstet. Wir haben die „Salz- j pflanzen", die sich an kochsalzhaltigen Boden halten, die Kalkpflanzen auf Kalk- ! boden, die ,, Kieselpflanzen", die Kalkgehalt nicht vertragen, auf kalkarmem Boden. Es handelt sich bei vielen dieser bodensteten Pflanzen wohl meist weniger um das Be- düi-fnis nach dem bestimmten Boden als um die Fähigkeit zu ertragen, was anderen nicht möglich ist. Die für einen Boden charakteristischen Pflanzen w^erden bezeichnet als Humuszeiger, Düngerzeiger, Kalkzeiger, ihre Eigenschaften als kalkstet oder bloß kalkhold,kalkfliehend, kalkfürchtend ; dünger- fliehend, düngerfordernd usw. ic) Biotische Faktoren. Mannigfaltiger Art sind die Einwirkungen der Pflanzen und Tiere auf die Vegetation. Im Boden angefangen sind es zunächst die Bodenbakterien, die verändernd auf den Standort einwirken, indem die emen als Stickstoff bildner auftreten, andere Fäulnis und Verwesung verursachen und beschleunigen usw. Bei diesen Bodenbearbeitern seien auch die Tiere erwähnt, besonders die Würmer, deren 1 Wühlarbeit für dieDurclilüftung und somit für die 1 Fruchtbarkeit des Bodens m starkem Maße sorgt. [ Pflanzliche und tierische Parasiten leben auf 1 den Pflanzen und können oft sehr zerstörend ■■ auf die Vegetation wirken. Von den vielen parasitären Püzarten möge an den Getreiderost erinnert werden, der in der Frucht sich ansiedelt, an Cintractia caricis, von der die Früchte [vieler Carices zerstört werden, an den Gitter- j rost, der die Birnbäume heimsucht usw. Von tierischen Parasiten gibt es unendlich viele Käfer und Motten, wie z. B. die Arvenmotte, welche die ; Arvennadeln zum Absterben bringt. AUe diese j Feinde der höheren Vegetation gehören in das Kapitel der Pathologie in Land- und Forst- whtschaft, mußten hier aber der Vollständigkeit halber erwähnt werden. a) Phytobiotische Einwirkungen. Abgesehen von den eben besprochenen pathologischen bestehen sehr viele Ein- wirkungen der Vegetationskomponenten auf- einander. Es ist dies besonders die Kon- kurrenz um den AVuchsort. Im Boden tritt Wurzelkonkurrenz auf. Nicht nur wenn oberirdisch die Vegetationsdecke geschlossen erscheint, sondern oft auch bei oberirdischer Offenheit kann ein geschlossener Wurzel- filz auftreten, in welchem schwer um die Nährstoffe gerungen wird. Im Haushalt der Pflanzengesellschaften suchen die einzelnen Komponenten ihre Nahrung in verschiedenen Tiefenlagen des Bodens, so daß die Vege- tation für eine Sorte Pflanzen geschlossen sein kann, aber noch offen für solche, die in einer anderen Schicht ihre Nahrung suchen, so z. B. zeigen die Untersuchungen von Woodhead (Ecology of woodland plants in the neighbourhood of Huddersfield. Linn. Soc. Journ. Bot. 37, 1906) in einem englischen Eichenwald, wie dicht zusammenwachsende Pflanzen einander im Boden keine Kon- kurrenz machen, indem sie verschiedene Bodenschichten einnehmen: Holcus moUis oberflächliche, Pteridium aquilinum die nacht folgenden, die Zwiebeln von Scilla nonscripta noch tiefere und die Eichen die untersten. Ueber dem Boden tritt die Blattkonkurrenz ein, die nicht nur um den Raum geht, sondern auch um das Licht. In Blattkonkurrenz treten auch die Blätter ein und derselben Pflanze. Art der Verzweigung und Blatt- drehungen wirken auf günstige Ausnützung des belichteten Raumes hin ; selu" stark ist die Ausnützung z. B. bei der Buche. Daher herrscht auch die starke Dunkelheit im Buchenwald, welcher wiederum nur wenige Pflanzen ge- wachsen sind. Diese wenigen kommen daher auch fast immer mit der Buche vor, da sie, ohne von anderen erdrückt zu werden, unter Buchenschutz leben. Hock nennt sie Buchenbegleiter, z. B. Anemone hepatica, Veronica montana, Lysimachea nemorum, Melica uniflora usw. Es führt dies zum Begriff der Formationsstetigkeit. Außer den schon erwähnten Buchenbegleitern sei Geographie der Pflanzen (Oekologisehe Pflanzengeographie) noch darauf hingewiesen, daß die pracht- [ vollen epiphytischen Orchideen regen- waldstet sind, daß die Lianen gehölzstet ; sind. Ein ausgezeichnetes Beispiel ist Phyteuma pedemontanum das in den Zentral- alpen — in den Ostalpen ist es vertreten ! durch Phyteuma pauciflorum — eine sehr ausgesprochene Curvuletumstetigkeit zeigt, d. h. in jedem Bestand, der von Carex cur- vula dominiert wird, ist mit sehr großer Wahr- scheinlichkeit Phyteuma pedemontanum zu finden, außerhalb des Bestandes fast gar nicht. Findet man das Legföhrengebüsch in den Alpen, besonders den Ostalpen, charakteri- stisch an den steilen, wenig fruchtbaren Kalkhängen in der Nähe der Baumgrenze, so ist das nicht, w^eil Pinus montana jene i Standorte bevorzugt, sondern weil sie j sich mit ihnen begnügt. Anderwärts durch die Konkurrenz vertrieben, bleiben diesem Bestand diese schlechten Standorte. Ebenso könnte der Lärchenwald in der Ebene gut j gedeihen, wenn nicht andere Waldarten die : stärkeren in der Konkurrenz wären, so daß I die genügsame Lärche nur dort oben sich behaupten kann, wo die Konkurrenten nicht | mehr gedeihen. Es sei hier auch auf die Beschreibung des Engadiner Lärchenwaldes | und des kaukasischen Föhrenwaldes ver- wiesen fS. 882), wo erwähnt ist, daß durch Beschattung der eigene Jungwuchs dieser Bäume am Wachsen verhindert wird und den schattenertragenden Arven oder Fichten den Kampfplatz überläßt. ß) Zoobiotische Einwirkungen. Hier sind die Wirkungen auf die Verbreitung der , Pflanzen und diejenigen auf die Pflanzen- ' gesellschaften als solche zu besprechen. Im Artikel „Fortpflanzung" ist die Bedeu- i tung der Insekten, der Kolibri usw. zu ersehen. 1 Die Verbreitung wurde beim Wind erwähnt, durch i den die ,,anemochoren" Pflanzen verbreitet werden, hier sind die ,,zoochoren" zu besprechen. Die Beerenfrüchte werden von den Vögeln gefressen und die Samen wieder anderwärts abgesetzt und dadurch verbreitet, wenn sie auf einen zusagenden Wuchsort fallen, wo nicht etwa die dichte Vegetation das Eindringen in den Boden verhindert. Ferner werden Samen j durch Ameisen verschleppt, Häkelfrüchte hängen sich an den Schafspelz. Mittelbar gehören zu diesen zoogenen Verbreitungsmitteln die Straßen ; und Eisenbahnen. Auf diesen Wegen kommt starke Verbreitung auf große Distanzen vor, denn mancher Same kann durch Anhängen an Tier und Mensch, durch Mitverpacktwerden mit Getreide, mit Kisten usw. seinen Weg auf diese Art machen. Die adventive Vegetation ist also auf zoobiotische Faktoren zurückzuführen und dies kann zu wohlbestaUten Assoziationen führen, wie z. B. die noch nicht sehr lauge aus Amerika eingeführte Elodea canadensis che von ihr dominierte Assoziation in Europa ausgedehnt hat. Von den zoobiotischen Wirkungen auf die Pflanzengesellschaften sind von größerer Bedeutung das Weiden, Düngen, Mähen» Treten, Brennen, die Brache, die Erd- aufwerfung. Viele dieser Faktoren werden oft als künst- liche den natürlichen gegenübergestellt, weit sie unter menschlichem Einfluß stehen. Aber einerseits, w^enn auch die Ursache eine mensch- liche ist, geht die Wirkung von den Eigen- schaften der Vegetation aus, also von etwas ,,natürlichem"; andererseits ist das Zoon Mensch doch ein Teil der Natur, auch wenn es sich außer Zahn, Fuß usw. noch andere ,, künstliche" Werkzeuge zur Beeinflussung der Natur geschaffen hat. Der Einfluß des Weidens wie des Düngens ist derselbe, ob er durch wilde Tiere oder durch Haustiere geschieht. Nicht einmal die Intensität, auf die abgestellt wird, ist verschieden. Die früher als so enorm hingestellten wilden Büffelherden werden kaum w^eniger intensiv gehaust haben als manche zahme Herde; und wie intensiv ist z. B. die Arbeit der „wilden" Kaninchen in England und ander- orts, die so gut wie die zahmen Schafe auf überstoßener Weide jedes Hähnchen ab- knabbern und jede Stelle düngen. Das W^eiden und Düngen trivialisiert die Flora, die Arten, welche das so oft wieder- holte zerstörende Eingreifen in ihre ober- irdischen Teile nicht aushalten, gehen zu- grunde, es bleiben nur die, welche es er- tragen. Ebenso begünstigt das Düngen gewisse Pflanzen, die bei der intensiven Nähr- stoffzufuhr die stärkeren werden und viele andere vertreiben. Aehnliches gilt auch vom Treten, das stete Niederdrücken auf den Boden durch den Fuß von Mensch und Tier zerdrückt viele Pflanzenteile und nur wenige besitzen die Fähigkeit, dies auszuhalten, sei es durch diese oder jene Umstände: Biegsamkeit, Elastizität oder dgl. Der Zahn des Menschen, die Sense, wirkt ähnlich, jedoch nicht gleich wie der Zahn des Viehs und dies hauptsächlich dadurch, daß der Ein- griff nicht immer und immer wieder eintritt, sondern nur vereinzelte Male und nur ganz wenige Male im Jahr, was noch manche Pflanze aushalten kann, die das Weiden nicht erträgt. Gemähte Vegetation ist daher auch reicher an Arten als geweidete. Es wirkt jedoch auch auslesend; z. B. Holzgewächse ertragen auch einmaliges Abschneiden am Fuße schlecht. Sogar artbildenden Einfluß kann das Mähen, dieser seit langen Zeiten wirkende Faktor haben. Nach den Unter- suchungen von V. Wettstein und anderen haben sich wäesenbewohnende Arten getrennt in Rassen, die ihr Blühen und Fruchten vor dem Schnitt fertig bringen und solche, die erst nach dem Schnitt beginnen. Diese saisondimorphen Formen sind bei den endo- trichen Enzianen bekannt, bei Euphrasia, bei Rhinanthus, Melampyrum. 864 Geograpliie der Pflanzen (Oekologisclie Pflanzengeographie) Ein weiterer Einfluß macht sich in der alten Brandkultur geltend, die wohl schon der uralte „wilde" Mensch geübt hat und die auch jetzt noch geübt wird. Nicht jede Pflanze kann nach Abbrennen der ober- irdischen Bestandteile sich rasch aus den unterirdischen wieder erneuern. Das Brennen von Moor und Heide ist bekannt, auch die mediterranen Gebüsche wurden und werden gebrannt, um wieder frischeres Futter zu liefern. In der insularen Macchie auf Korsika sah ich, wie Arbutus unedo nach dem Ab- brennen als erster sehr stark und reichlich ausschlug. Durch das Brennen wird also in der Konkurrenz der Sträucher dort Arbutus wesentlich begünstigt. Das dürfte beigetra2;en haben, daß dieser eher feuchtig- keitslieben de Strauch nicht nur im feuchteren collinen Gürtel zum Dominieren gelangt, sondern auch schon in tieferen, trockeneren Lagen. Acker und Ruderalschutt sind aufs intensivste vom Menschen beeinflußte Stand- orte. Im Acker wird die „wilde" Vegetation ferngehalten; wird sie dann zugelassen durch die Brache, so erhalten wir die Moment- aufnahme der biotisch bedingten Steppe, doch ist der eine Faktor Mensch so über- wiegend, daß das Studium der gesamten Faktoren an Interesse verliert und man sich mit späteren Stadien der auf diesem Boden rasch verlaufenden Sukzession beschäftigt, Formationen, die klimatisch und edaphisch dorthin gehören, wie z. B. eine Macchie auf mediterranen Feldern, eine Wiese oder ein Wald weiter nördlich. Aehnliches gilt von den Ruderalstandorten. Das Aufwerfen des Schuttes stellt einen biotisch beweglich gemachten Boden dar, dessen Besiedelung durch ein offenes Steppenstadium geht, auch in diesem verharren kann, wenn die Bewegung des Untergrundes periodisch ständig ist, aber bei längerem Ruhen bald in die dazu passende klimatische oder eda- phische Pflanzengesellschaft sich ver- wandelt. id) Gesamtwirkung der Faktoren. a) Klimacharakter. In den Pflanzen- gesellschaften gelangt nicht der einzelne Faktor, sondern die Gesamtheit zur Wir- kung, die als solche schwer zu fassen und zu beschreiben isi. Das Gesamtklima wirkt in zwei Hauptrichtungen auf die Vegetation. Einerseits ist die Lage des Ortes nach dem Breitengrade maßgebend, andererseits nach der Verteilung großer Land- und Wasser- massen. Die erste Richtung ist allgemein bekannt; nach ihr wird die Erde in die Hauptzonen geteilt, die tropische, sub- tropische, gemäßigte und kalte. Vom Aequator zum Pol nimmt die allgemeine Temperatur ab, andererseits der Wechsel der Jahreszeiten zu. i Die andere, ebenso wichtige Haupt- j richtung ist die Abhängigkeit des Klimas i von großen Land- und Wasserflächen. Es I gibt dies dem Klima seinen Charakter. Dieser Klimacharakter gruppiert sich um zwei Typen: das ozeanische und das kontinentale Klima, so benannt, da das eine an den Meeresküsten, das andere im Innern der Kontinente waltet. Das extrem ozeanische Klima kennzeichnet sich durch Gleichmäßigkeit in Wärme und Feuchtig- keit und zwar zugleich starker Feuchtigkeit. Dies tritt in Küstengegenden ein, wo die feuchten Seewinde herrschen; die Nähe des Wassers gleicht die Temperaturen aus. Dazu kommen im selben Sinne wirkend größere Nebel- und Wolkenbildung, häufige Nieder- schläge. Das kontinentale Klima dagegen zeigt große Temperaturschwankungen im Laufe des Tages wie des Jahres, Trockenheit der Luft, weniger Bewölkung, daher stärkere Insolation, weniger Niederschläge im Ver- hältnis zur möglichen Transpiration. Geht ■ man vom Ozean landeinwärts, so kommt man aus dem ozeanischen ins mittlere nnd weiter ins kontinentale Klima. Gebirge bringen Störung in diesen Uebergang, da die Winde an diesen anprallen, ihre Feuchtigkeit ab- geben, usw.; kurz auf der Luvseite der Gebirge wird das Klima beim Ansteigen bis zu einer gewissen Höhe ozeanischer, die j Temperaturen gleichen sich aus, die Wolken- i bildung nimmt zu mit der Luftfeuchtigkeit [ und der Niederschlagsmenge. Im Gegensatz I dazu ist die Leeseite eines Gebirge~s kon- j tinentaler. Da im großen ganzen die Klima- j f aktoren eines Ortes im gleichen Sinne wirken — ein Land mit geringen Niederschlägen ' wird meist klareren Himmel aufweisen, infolgedessen auch größere Ein- und Aus- strahlung haben — kann als Haupteinteilung ein ozeanisches, ein mittleres und ein kon- tinentales Klima genommen werden. Im I Einzelfall jedoch treten mancherlei Modi- I fikationen ein, verschiedene Wirkung in verschiedenen Jahreszeiten, verschiedener Gang einzelner Faktoren. Die Gesanit- wirkung wird sich dann dem im allgemeinen ungünstigeren Teil anpassen, da ja die Vege- tation diesen ertragen muß. Z. B. hat das Mittelmeergebiet neben einem milden, ozeani- schen Winter einen heißen trockenen kon- tinentalen Sommer, den die Vegetation aus- zuhalten hat und der ihr ein kontinentales Gepräge gibt. Auf den kanarischen Inseln kommt das ozeanische Klima in der Wolken- stufe zu schöner Ausbildung, in der basalen j Stufe erzeugt die extreme Trockenheit trotz ; gleichmäßiger Temperaturen einen kontinen- [ talen Vegetationscharakter, Im ozeanischen Klima kann sehr vieles beieinander wachsen, was sonst getrennt I vorkommt. Die im kontinentalen Klima Geographie der Pflanzen (Oekologische Pflanzengeographie) 865 schön ausgesprochenen Vegetationslinien wer- sind. Das Wasser zeigt seine überhaupt den verwischt, Elemente verschiedener ausgleichenden Eigenschaften auch darin, Pflanzengesellschaften können zusammen vor- daß die Wasservegetation in sehr ähnlicher kommen, da dieser Bestandteil aus dem einen, Weise in den verschiedensten Klimaten vor- jener aus einem anderen Grund nicht ver- kommt, wie das bei den Emersiprata und noch hindert ist zu gedeihen. Dies erschwert viel mehr bei den Submersiprata zu sehen natürlich ungemein die Einteilung der Pflanzengesellschaften. Sie ist oft nicht direkt durchzuführen, nur durch Vergleich mit ähnlichen anderer Gegenden, in denen die Komponenten getrennt vorkommen (vgl. die Analyse des Killarney-Waldes, die Zu sein wird. Umgekehrt ersetzen klimatische die eda- phischen Faktoren, wenn das feuchtigkeits- liebende Phragmitetum, das an der Wolga am Kaspischen Meer einen Gürtel bildet in ziemlich tiefem Wasser, im kühlfeucht- sammensetzung des Quercetum sessiliflorae ozeanischen nordwesteuropäischen Klima aufs laurineum aus Elementen der Deciduisilvae, ] trockene Feld gehen kann. Da die Verdun- Laurisilvae, Laurifruticeta und Ericifruticeta ! stung mit abnehmender Temperatur abnimmt, in: E. Rubel, The Killarney Woods; The 1 wirkt dasselbe Quantum Niederschlag, also International Phytogeographical Excursion sozusagen derselbe Faktor, ganz verschieden, in the British Isles V. in ,,The New Phyto- indem er in heißem Land sehr wenig dar- logist" 1912). Dies mag auch der Grund sein, daß sich in England unter der Be- zeichnung ,, Formation" (homonym, nicht stellt, im feuchtkühlen sehr viel im Ver- hältnis zur Wasserbilanz ; es ist also Feuchtig- keit durch geringere Wärme ersetzt. Ebenso ganz synonym mit der Formation der | läßt sich Feuchtigkeit durch Schatten er- Pflanzengeographen anderer Länder) eine ' setzen, da auch dieser die Transpiration herab- andere Art ökologischer Einheit herausge- bildet hat, die sich hauptsächlich auf einzelne Bodenfaktoren stützt. Auch dieser Begriff dürfte für die Wissenschaft fruchtbringend wirken, nur schade, daß durch die Benützung des für einen anderen Begriff schon verwen- deten Wortes ,, Formation" viele Mißver- ständnisse entstanden sind. ß) Ersetzbarkeit der Faktoren. setzt. Bei allgemeiner, andauernder Luft- feuchtigkeit braucht nicht viel Niederschlag wirklich zu fallen, er wird durch jene ersetzt. Dieselben Pflanzen haben in kühlen Gegenden einen größeren Lichtgenuß als in warmen und zwar nicht nur den relativen, auch den ab- soluten. y) Die ökologischen Wuchsformen. Die Wuchsformen bedingen die Physio- Dieses Moment ist von außerordentlicher gnomik der Vegetation und diese ist der Wichtigkeit. Es gestattet einer Vegetation j Ausdruck der Gesamtwirkung der ökologi- das Fortkommen an Stellen, wo verschiedene sehen Faktoren. Schon Alexander Faktoren gewechselt haben, es ermöglicht also die Ausbreitung von Pflanzengesell- schaften. Für uns erschwert es aber die V. Humboldt unterschied gewisse Haupt- formen, doch hatte er mehr die Flora als die Vegetation im Auge. Grisebach erweiterte Charakterisierung und alle Einteilungen, die die Zahl der Wuchsformen auf 54, viele auf einen Faktor abzustellen versuchen, können deswegen nicht konsequent durch- geführt werden. davon sind aber systematischer und anderer Art und konnten nicht mehr verwendet werden, als man sich den Pflanzengesell- Es können edaphische Faktoren die j schaffen zuwandte. Was den Pflanzengesell- klimatischen ersetzen, umgekehrt klimatische schaffen den Charakter gibt, sind die Wuchs- die edaphischen, und auch in den einzelnen | formen der dominierenden Gewächse; diese Arten einer Kategorie können sich die Fal^ toren unter sich ersetzen. Ein Beispiel zur ersten Gruppe — edaphische Faktoren er- sind, wie oben erwähnt, besonders durch das Klima bestimmt, das auf die Gestalt des vegetativen Sprosses und besonders des setzen die klimatischen — bietet die Vegetation j Blattes wirkt. Da die angewandte Einteilung trockener Kalkhügel, die infolge der Trocken- sich auf die ökologischen Wuchsformen heit des Bodens und der starken Erwärmung ! gründet, braucht hier nicht weiter darauf desselben eine Vegetation tragen, die klima- 1 eingegangen zu werden, sondern es sei dorthin tisch südlicher und kontinentaler anmutet. | verwiesen. Ueberhaupt ist die Flachgründigkeit, die j ö) Floristische Zusammensetzung, starkes Erwärmen und Abkühlen mit sich j Macht uns die Systematik mit den Pflanzen- bringt, ein kontinentales Moment. Umgekehrt I arten bekannt und die floristische Pflanzen- können sich tiefgründige Böden nicht so | geographie mit deren Verteilung auf der rasch erwärmen, austrocknen und abkühlen, Erde, so haben wir in einer bestimmten sie wirken also ausgleichend wie ein ozeani- j Gegend mit einer gegebenen Flora zu rechnen. sches Klima. In heißem Gebiet erzeugt Bodenwasser z. B. an Bächen Tropophyten Wie diese sich zur gruppiert, hängt von Pflanzengesellschaft der Gesamtwirkung gehölze, die klimatisch viel weiter nördlich der Faktoren ab und der Fähigkeit der ein- und in ozeanischeren Gebieten zu Hause zelnen Art, ihren Haushalt danach einzu- Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV. 55 866 Geographie der Pflanzen (Oekologische Pflanzengeograpliie) richten. Die floristische Znsammensetznng ist also ein Resultat der Gesamtwirknng und für das Studium der Pflanzengesell- schaften von hoher Bedeutung. Und zwar gehört die gesamte Florenliste dazu. Dabei spielen aber die Mengenverhältnisse eine hervorragende Rolle und zwar in zwei Rieh- tungen, in betreff der Häufigkeit einer Art und in betreff der Konstanz der Verbreitung. Die Häufigkeit der Arten wird oft bei einer Aufnahme schätzungsweise angegeben durch Beisetzung der Zahlen 1 bis 10, indem 10 eine absolut dominierende Art bezeichnet, 1 eine in bloß vereinzelten Exemplaren vorkommende; statt der Zahlen ist die Drudesche Bezeich- nungsweise auch verbreitet: Sociales (soc.) dominierende Arten, gregariae (greg.) in Herden vorkommende, copiosae*, cop.^, cop.^, in ab- nehmender Häufigkeit beigemischte, sparsae (sp.) spärliche, solitariae (sol.) vereinzelte. Was die Konstanz anbetrifft, so ist ja eine Assoziation eine Pflanzengesellschaft von bestimmter floristi- scher Zusammensetzung, dies ist natürlich auch nur relativ richtig, indem man nie auf jedem Fleck einer Assoziation alle und jede Art finden wird, die darin vorkommen kann. Es handelt sich also um größere oder geringere Konstanz. Auf Grund vieler Aufnahmen von Einzel- beständen einer Assoziation kann man nach B r oc k mann -Jero seh (1907) unterscheiden zwischen konstanten Arten, die in mindestens der Hälfte der Aufnahmen vorkommen, akzesso- rischen Arten, die in mindestens einem Viertel vorkommen und den zufälligen Beimischungen (nach dieser Methode sind die Angaben in dieser Arbeit gemacht). Von den Konstanten sind die- jenigen Charakterpflanzen oder Leitpflanzen, die mehr oder weniger nur in dieser Assoziation vorkommen, dagegen Formationsubiquisten, die in verschiedenen Pflanzengesellschaften als Ivon- stante auftreten. Adamovic unterscheidet faciesbildende Leitpflanzen, bestandbildende Leit- pflanzen, herdenbildende Hauptbestandteile, Koloniebildende Hauptbestandteile, zerstreut vor- kommende Hauptbestandteile, zerstreut vor- kommende Nebenbestandteile, einzeln vorkom- mende Nebenbestandteile. Da die Konstanz von der Anzahl der gemachten Aufnahmen abhängt und die Häidigkeit im besonderen ein Moment der subjektiven Schätzung ist, werden von vielen Autoren .Methoden ver- sucht, um genauer und objektiver untersuchen zu können. Die meisten Älethoden (mit vielen Variationen) laufen darauf hinaus, klemere Partien ganz genau zu untersuchen durch Abzählen oder Abwägen jeder einzelnen darauf vorkommenden Art. Natürlich liegt doch wieder viel Subjektives darin bei der Auswahl der Stelle, wo das ,, Quadrat" oder dgl. untersucht wird, und die größere Genauigkeit dürfte hier und da mehr scheinbar sein. Durch Vermehrung der Anzahl der Aufnahmen wird natürlich auch hier die Fehlerquelle verringert. Da auf die einzelnen Methoden nicht weiter eingegangen werden kann, seiauf deren Beschreibungen verwiesen:C 1 e me n ts 1905, Brockmann- Jerosch 1907, P. Jaccard, Lois de la distribution florale dans la zone alpine (Bull. Soc. Vaud. Sc. nat. 38, 1902 und mehrere andere Aufsätze), Oliverund Tansley, Methods of surveying Vegetation on a large scale (The New Phytologist 3, 1908), Raunkiär 1909, Rubel 1912, Stebler und Schröter 1892. 2. Uebersicht über die Pflanzengesell- schaften der Erde, a) Definition der Einheiten. Die Pflanzengesellschaft bezeichnet als allgemeiner Ausdruck die synökologische Einheit jeden Ranges d. h. jeder ökologischen Wertigkeit. In der älteren und auch noch der neueren Literatur be- gegnet man häufig dem Ausdruck Formation in "der allgemeinen Bedeutung von Pflanzen- gesellschaft. Er sollte aber nicht mehr all- gemein gebraucht werden, nachdem eine bestimmte Wertigkeit der Pflanzengesell- schaften dafür durch den Kongreß angenom- men worden ist. Unter ökologischer Wertigkeit ver- stehen wir die Tatsache, daß die verschie- denen Pflanzengesellschaften verschieden stark auf die ökologischen Faktoren reagieren, diesen gegenüber also verschiedenwertig sind. Von diesen Rangstufen werden im folgenden verwendet: Vegetationstypus, Formations- klasse, Formationsgruppe, Formation, Asso- ziation, Subassoziation. Nötigenfalls können Untergruppen und Subformationen da- zwischen eingefügt w^erden. In Detailstudien werden, besonders von englischen und ameri- kanischen Autoren, noch eine Reihe kleinerer Einheiten als die Assoziationen verwandt. Unter einer Assoziation verstehen wir eine Pflauzoiigesellsohaft von bestimmter floristischer Zusammensetzung, einheitlichen Standortsbedingungen und bestimmter Physiognomie. Die beiden letzten Forde- rungen verhalten sich wie Ursache und Wirkung, nicht als Gegensätze. Stimmen sie scheinbar nicht zusammen, so dürfte die Erkenntnis des Standorts mangelhaft sein oder die Physiognomie unrichtig erfaßt. Dabei muß aber die gesamte Assoziation ins Auge gefaßt werden ; sie kann aus „Schichten"' aufgeljaut sein wie z. B. ein Wald aus Boden- decke, Krautunterwuchs, Gebüsch und Bäumen; jede Schicht bildet einen ökolo- gischen Verein eigener Art mit Spezial- standort, der nicht der Standort der Asso- ziation als solcher ist. Früher wurde im Deutschen für die Asso- ziation wie auch für die folgende früher nur unklar abgetrennte Einheit der Ausdruck For- mation verwendet, in anderen Sprachen als ,, Assoziation" übersetzt. Am Kongreß in Brüssel 1910 ist man überein gekommen, diese Einheit international Assoziation zu nennen. Die internati* nal am leichtesten und sichersten zu verstehende Bezeichnung der Assoziation ge- schieht durch Anhängen der Endung -etum an den Gattungsnamen der dominierenden oder bezeichnenden Art; dabei muß zur Kenntnis der Art dieser Gattung der Artname im Genitiv beigefügt werden (Caricetum elatae, scU. caricis). Wenn eine Begleitflora in den Namen hinein- genommen werden soll, kann dies durch ein Adjektiv geschehen: Arvenwald mit Unterwuchs Geographie der Pflanzen (Oekologische Pflanzengeographie) 867 von Vaccinien = Pinetum cembrae vacciniosum. Es können auch Vulgärnamen benutzt werden, doch nur mit Vorsicht, da die Pflanzennamen der Umgangssprache von Gegend zu Gegend wechseln und dadurch sehr leicht Mißverständ- nisse entstehen. Will man sicher gehen, daß man auch von denen verstanden wird, die den be- treffenden Spoziesnamen nicht kennen, füge man noch den A'ainen der Formationsgruppe bei, der allgemein verständlich den Vegetationscharakter angibt: Das Muhlenbergietum racemosae Semper- virentipratae, diesen amerikanischen Bestand, wird wohl mancher Europäer erst durch die beigefügte Formationsgruppe als immergrünen Wiesenbestand erkennen. _ < Unter einer Formation verstehen wir | eine Gruppe von Assoziationen, die in ihrer [ floristischen Zusammensetzung verschieden sind, jedoch ähnliche Standortsbedingungen [ und Physiognomie aufweisen. Sie verhält sich zur Assoziation wie die Gattung zur Art. Wie die Begriffe von Gattung und Art Abstraktionen sind, so sind es auch diese. In der Systematik ist bald diese, bald jene Einheit die leichter faßliche: bei der Pflaume ist es die Art ; bei den Weiden oder Hieracien ist die Art schwer, aber die Gattung leicht erkennbar; bei Gräsern und Cruciferenist die Familie leicht erkennbar, während die Abgrenzung der Gattungen Schwierigkeiten bereitet. Ganz dasselbe ist bei den Pflanzengesellschaften der Fall. Bei den Sempervirentiprata z. B. (s. diese) lassen sich die Assoziationen leicht erkennen, im Buchenw-ald hingegen haben wir eine ganze Reihe x\ssoziationen von ver- schiedener floristischer Zusammensetzung, die sich aber erst bei der oft vernach- lässigten genaueren Betrachtung zeigt, während das Dominieren der Buche in all diesen Assoziationen ins Auge springt und diese höhere Einheit mit Komponenten ver- schiedener floristischer Zusammensetzung, aber einheitlicher Physiognomie und ähn- lichen Standortsbedingungen, die leichter erkennbare ist. Wenn die Formation durch einen Pflanzennamen ausgedrückt werden kann, so kann die Endung -ion benutzt werden. Meist ward aber ein allgemeinerer Ausdruck verwandt werden, dem man das Wort Formation selbst beigeben muß, um auszudrücken, daß der besprochenen Pflanzen- gesellschaft die Wertigkeit einer ,, Formation" zuerkannt werden soll. Zu einer Formationsgruppe fassen wir die Formationen zusammen, die in wesent- lichen Merkmalen des Standorts und der Physiognomie übereinstimmen. Die Zusammenfassungen von Formations- gruppen zu Fo r m a t i 0 n s kl a s s e n , und dieser zu Vegetationstypen erfolgt in Rück- sicht auf die mehreren Formationsgruppen resp. -klassen gemeinsamen Standorts- und physiognomischen Merkmale. Solche wissenschaftliche Abstrakte haben natürlich im Volk keine Namen, es müssen daher wohldefinierte Kunstausdrücke ver- wandt werden; will man aber doch einen Vulgärnamen dafür verwenden, so muß er genau definiert sein, sonst versteht jede Landesgegend etwas anderes darunter und in andere Sprachen läßt er sich meist gar nicht übertragen. Unter Vegetations typen verstehen wir die wenigen größten Abteilungen der Vege- tation. Unter einem ökologischen Verein verstehen wir edaphisch sich nahestehende Gesellschaften (also Gesellschaften, die ein- zelne Faktoren gemeinsam haben). Es können dies die verschiedenen Schichten einer Assoziation sein: wir haben z. B. im Phragmitetum folgende ökologische Vereine in derselben Assoziation: im Boden den Schlamm bewohnenden Schizophyzeenverein, im Wasser das Plankton, den freischwim- menden Hydro Chariten verein, wurzelnde Wasserpflanzen des Limnäenvereins, auf den Steinen einen Nereidenverein und in die Luft hinausragend den Sumpfpflanzenverein. Da für den Gesamtstandort die Physiognomie und Oekologie des dominierenden Vereins maß- gebend ist, wird die ganze Assoziation nach diesem benannt. Eine Komplikation, die schon zu vielen Mißverständnissen geführt hat, tritt dadurch ein, daß einzelne dieser Schichten, die für sich ölvologische Vereine bilden, immer in Abhängigkeit von anderen I vorkommen, andere aber auch selbständig als Dominierende einer Assoziation vorkommen können, so daß man z. B. wohl unterscheiden j muß zwischen der Limnäenschicht desPhrag- mitetums, die dafür nur mehr oder weniger wesentlich ist, und der Limnäenformation, I die in einer Reihe von Assoziationen unsere ' Teiche und Seen bevölkern kann. Eine Ein- \ heit ähnlicher Art wie diese Vereine scheint I mir die auf die Gesteinsunterlage gegründete Einheit der Vegetation auf ,, britischen Sandsteinen", auf ,, britischen Tonen und Lehmen" usw. zu sein, deren Abgrenzung und Studium seine eigene Berechtigung und Be- deutung hat. wobei aber dadurch, daß zu ihrer Bezeichnung das sonst anders ver- wendete W^ort „Formation" wiederum ge- wählt wurde, viele Verwechselungen und Mißverständnisse entstanden sind. 2b) Einteilungen. Warming 1895. Hydrophytenvereine. Xerophytenvereine. Halophytenvereine. Mesophytenvereine. Schimper 1898. A. Klimatisch bedingte Formationen. Gehölz. Grasflur. Wüste. 55* 868 Geographie der Pflanzen (Oekologische Pflanzeng-eogTaphie) B. Edaphisch bedingte Formationen. Durch Bodenwasser bedingt. Galeriewälder. Sümpfe. Offene edaphische Formationen. Felsformationen. Sandfluren. Drude 1905. A. Geschlossene Landformationen. - I. Wälder. 1. Aequatoriale Regenwälder. 2. Monsunwälder. 3. Savannen- und Dornwälder. 4. Subtropisch-temperierte Regenwälder. 5. Hartlaubgehölze. 6. Sommergrüne Laubwälder. 7. Nadelwälder. IL Niederholzformationen aus Gebüsch und Gesträuch. 1. Immergrüner Busch. 2. Lichtes Niederholz. 3. Dornbusch. 4. Gebhgsniederholz. 5. Heidegesträuche. 6. Immergrünes Alpengesträuch. 7. Niedergestrecktes Zwerggesträuch. III. Grasfluren a) bei genügender und stetiger Boden- feuchtigkeit. 1. Wiesen. 2. Torfwiesen und Grünlandsmoore. 3. Prärien und Hochgrasfluren. 4. Savannen. b) bei im Sommer ungenügender Bodenfeuchtigkeit. 5. Grastriften. 6. Grassteppen. IV. Staudenmatten, Moos- und Flechten- formationen. B. Offene Landformationen. V. Wüstensteppen und Wüsten. VI. Fels- und Gratformationen, Geröll- und Schotterbestände. C. Aquatische Formationen. VII. Litoralformationen von Halophyten. VIII. Süßwasserformationen der Seen, Flüsse, Bäche. 1. Alluvionen, Ufersümpfe und Ufer- gebüsche. 2. Flach- und Seichtwasserbestände, Röhrichte. 3. Tief wasserbestände, Limnoplankton. Gräbner (1898) 1910. A. Vereine mit stark wachsenden Pflanzen. I. Trockener Boden. Steppenartige Pflanzen- vereine. 1. Wüsten. 2. Steppen, Prärien, Savannen usw. 3. Felsenvegetation. 4. Gebüschformatione und trockene lichte Wälder. IL Pflanzengemeinschaften auf mäßig feuch- tem Boden. Pflanzenvereine mit Hemmung des Waldwuchses. 1. Kultur- und Halbkulturformationen. 2. Natürliche Wiesen. 3. Alpme und arktische Matten. Ohne Hemmung des Waldwuchses. 4. Laubwechselnde Wälder. 5. Immergrüne Wälder. 6. Tropische Regenwälder. 7. Subtropische Regenwälder. III. Pflanzengemeinschaften auf dauernd nassem Boden. 1. Waldbildung (Brücher). 2. Wasserpflanzen. 3. Rohrgräser. 4. Wiesen- oder Niederungsmoor. B. Vereine mit langsam und schwach wachsenden Pflanzen. IV. Heideformationen. 1. Sandfelder. 2. Zwergstrauchheide. 3. Heide- oder Hochmoor. 4. Tundra. 5. Heidegewässer. C. Pflanzenvereine auf Salzboden. V. Salzformationen. 1. Trockene Salzformationen (Salzwüsten). 2. Stranddünen und Meeresstrand. 3. Salzwiesen und Salzsümpfe. 4. Mangrove. 5. Salzgewässer. Diels 1908, 1910. I. Hydatophytia, Formationen im Wasser. 1. Thalassium, Meeresvegetation. 2. Limnium, Seevegetation. 3. Potamium, Flußvegetation. IL Hygrophytia, Formationen von hoch- wertiger Wasserbilanz. 4. Halodrymium, Mangrove. 5. Hygrodrymium, Regenwald. 6. Hygropoium, Wiese. 7. Hygrophorbium, Flachraoor. 8. Hygrosphagnium, Hochmoor. III. Mesophytia, Formationen von mittlerer Wasserbilanz. 9. Tropodrymium, Savannenwald. 10. Therodrymium, Sommerwald. 11. Conodrymium, Nadelwald. 12. ]\l('s(itliamnium, Hartlaubgebüsch. 13. ^Ies(i])(iiuin, Savanne. 14. Mesdphorbium, .Matte. IV. Xerophytia, Formationen von niederer Wasserbilanz. 15. Xerodrymium, Trockenwald. 16. Xerothamniura, Dornbusch. 17. Xeropoium, Steppe. 18. Xerophorbium, Trift. Warming-Vahl 1909. A. Sehr nasser Boden. 1. Hydrophyten, Formationen in Wasser. 2. Helophyten, Formationen in Sumpf, B. Boden physiologisch trocken. 3. Oxylophyten, Formationen auf ,, saurem" Boden. 4. Psychrophyten, Formationen auf kaltem Boden. 5. Halophyten, Formationen auf Salzboden. C. Boden physikalisch trocken. 6. Lithophyten, Formationen auf Fels. 7. Psammophyten, Formationen auf Sand und Kies. 8. Chersophyten, Formationen auf Oedland. D. Sehr trockenes Klima. 9. Eremophyten, Formationen auf Wüste und Steppe. 10. Psilophyten, Formationen auf Savannen. Geographie der Pflanzen (Oekologische Pflanzengeographie) 869 11. Sklerophylle Formationen (Gebüsch und ; Wald). E. Boden physikalisch oder physiologisch trocken, i 12. Coniferenformationen (Wald). i F. Boden und Klima fördern die Entwickelung mesophiler Formationen. 13. Mesophyten. Das hier zugrunde gelegteSystem nach öko- logisch - physiognomischen Gesichtspunkten von Brockmann- Jerosch und Rubel 1912. I. Lignosa, Gehölze. 1. Pluviilignosa, Regengehölze. a) Pluviisilvae, Regenwälder. b) Pluviifruticeta, Regengebüsche. 2. Laurilignosa, Lorbeergehölze. a) Laurisilvae, Lorbeerwälder. b) Laurifruticeta, Lorbeergebüsche. 3. Durilignosa, Hartlaubgehölze. a) Durisilvae, llartlaubwälder. b) Durifruticeta. llartlaubgebüsche. 4. Ericilignosa, Heidengehölze, a) Ericifruticeta, Heiden. 5. Deciduilignosa, Fallaubgehölze. a) Aestatisilvae, Sonimerwälder. b) Aestatifruticeta, Sommergebüsche. c) Hiemisilvae, Monsunwälder. 6. Conilignosa, Xadelgehölze. a) Conisilvae, Xadclwäldcr. b) Conifruticeta, .Xadelliolzgebüsche. IL Prata, Wiesen. 7. Terriprata, Bodenwiesen. a) Duriprata, Hartwiesen. b) Sempervirentiprata, immergrüne Wiesen. c) Altherbiprata, Hochstaudenwiesen. 8. Aquiprata. Wasserwiesen. a) Emersiprata, emerse Wasserwiesen, Sumpfwiesen. b) Submersiprata, submerse Wasser- wiesen. 9. Sphagniprata, Hochmoore. IIL Deserta, Einöden. 10. Siccideserta, Steppen. 11. Siccissimideserta. Wüsten. 12. Frigorideserta, Kälteeinöden. 13. Litorideserta, Strandsteppen. 14. Mobilideserta, Wandereinöden. IV. Phytoplankton. 2c) Vegetationstypus : Lignosa, Ge- hölze. Unter Gehölz verstehen wir die aus Bäumen und Sträuchern bestehenden Pflanzengesellschaften, die auf unbeweg- lichem Boden so geschlossen sind, daß sie den Pflanzen der niederen Stockwerke wesentlich andere ökologische Bedingungen schaffen, als wenn diese selbst dominierend wären. Es ist dies ein anspruchsvoller Typus von großer Wasser- und Kälustolfbilanz. Mehrere Stockwerke von Vegetation kommen über- einander vor. Die Wälder sind im allgemeinen klimatisch bedingt. Eine Grenze wird diesem Vegetationstypus im großen ganzen durch die Kälte der arktischen und alpinen Stufen gesetzt sowie durch die Trockenheit der Steppen und Wüsten in warmen Gegenden. Nicht nur das Gehölz im allgemeinen, sondern auch die einzelnen Formationsklassen sind für ein bestimmtes Klima bezeichnend. a) Formationsklasse Pluviilignosa, Regengehölze. Pluviilignosa, Regengehölze, sind epiphytenreiche Gehölze, die aus immer- grünen, häufig caulifloren Holzpflanzen be- stehen, welche meist keinen Knospenschutz besitzen und deren Blätter unbehaart und oft wie lackiert sind. aa) Formationsgruppe Pluviisilvae, (Regenwälder. Als Pluviisilvae, Regen- I Wälder, bezeichnen wir die Pluviilignosa, die vorzugsweise aus Bäumen bestehen. Das Klima, das diese Gruppe verlangt, ist ein heiß-ozeanisches, wie wir es in den Tropen finden. Diese Gebiete zeigen eine Niederschlagsmenge von 200 bis 40Ö cm im Jahr und zwar ziemlich gleichmäßig auf das ganze Jahr verteilt. Die mittlere Jahres- temperatur ist eine hohe, die Schwankungen sind sehr gering. Das Bild eines tropischen Regen- waldes ist ein ungemein üppiges. Die Vege- tation breitet sich in 4 bis 5 Stockwerken übereinander aus. Die Umrisse des Waldes sind sehr unruhig, da große und kleine Bäume, in hellereu und dunideren Tönungen von Grün ein sehr reichhaltiges Mosaik bilden. Es herrscht unter den Bäumen große systema- tische Verschiedenheit. Wir sind im Phane- rophytenklima Raunkiärs, wo die hoch- gewachsenen Arten in großer Zahl vorhanden sind. Was in der gemäßigten Zone nahe am Boden der Fall ist, daß die blumenreiche Matte große Mengen verschiedener Pflanzen- arten aufweist, ist hier weiter vom Boden weg der Fall unter den Bäumen. Der Kampf um das Licht gibt diesem Wald sein Gepräge. Die hohen Bäume, die ohne weiteres im starken Tropenlicht sich entwickeln, haben glänzende Blätter ohne Behaarung, die wie lackiert aussehen. Durch den Reflex wird das überschüssige Licht weitergegeben. An dem glatten Laub läuft der häufige Regen ab, oft unterstützt durch die sogenannte Träufelspitze, das weit ausgezogene Ende des Blattes. Die Blätter sind immergrün; zwar dauert ein Blatt nicht viel mehr als ein Jahr, aber der Laubfall ist ganz unregelmäßig und unabhängig von Jahreszeiten, so daß der Wald nie kahl erscheint. Groß ist der Epiphytenreichtum des Waldes. Diese Pflanzen gelangen zum Licht, indem sie auf den schon hochgewachsenen Bäumen sich ansetzen. Eine andere Art zum Licht hinauf- zuklettern haben die Lianen, die ohne viel eigene Produktion von Stoff zu Festigkeits- zwecken sich emporranken. Der tropische Regenwald ist sehr reich an Lianen, diese können zu ungeheuren Längen auswachsen; es sind schon' solche von 240 m gemessen worden (s. unter Lianen). Die Pflanzen der 870 Geographie der Pflanzen (Oekologische Pflanzengeograpliie) Bodendecke sind sehr üppig, sie zeigen sich in ihrem Bau oft hygrophil, da eine große Feuchtigkeit herrscht. Die klimatische Feuchtigkeit ist schon immer 80 bis 90%, im Wald steht sie über 90%- Da genügen dünne Blätter ohne Epidermis, ohne Cuticula. Dies ist besonders bei den Farnen ausgebildet. Ueber Ornithophilie siehe im Artikel ,,Be- stäubung". Bemerkenswert sind die Plankengerüste der Bäume. Die Stämme zerteilen sich am Grunde, daß es aussieht, als seien Bretter mit der Schmalkante aneinander nach allen Richtungen gestellt. Die Blüten entstehen oft nicht an Sproßenden, sondern am Hauptstamm und den dicken Aesten (Cauli- florie). Die Gliederung in kleinere ökologische Einheiten kann heute noch nicht durch- geführt werden. Verbreitet ist der tropische Regenwald vor allem in größter Ueppig- keit im tropischen Australasien in Ceylon, den Sundainseln, Hinterindien, Neu-Guinea. In ähnlicher üppiger Fülle finden wir ihn in Amerika im südlichen Mexiko, in Mittel- amerika und Nord-Brasilien. Nicht ganz so reich ausgebildet finden wir ihn in Afrika, am stärksten im tropischen West- Afrika, etwas weniger im Osten. Die Bodenart scheint keine große Rolle zu spielen. Der subtropische Regenwald unter- scheidet sich vom tropischen mehr durch negative Eigenschaften. Die Plankengerüste und die Cauliflorie nehmen ab, ebenso der Reichtum an Epiphyten und Lianen, be- sonders der verholzten. Die Mannigfaltigkeit der Arten ist nicht mehr so überwältigend. Solche Wälder finden wir in Süd-Brasilien, in Nord-Mexiko, Florida, auf afrikanischem Boden in Natal, auf Australien, in Queens- land und Neusüdwales. In Florida fand Seh im per diesen Wald hauptsächlich durch die immergrüne Quercus virens charakteri- siert, durch Sabal Palmetto (Palme), durch Magnolia grandiflora und die alles über- spinnende Bromeliacee Tillandsia usnoides. Im Wolkengürtel der Berge der West- indischen Inseln gedeihen in der immer- feuchten Atmosphäre Farnwälder, gebildet aus baumförmigen Farnen, worunter die Gattungen Cyathea und Alsophila. Einen ähnlichen Charakter wie der sub- tropische trägt der montane Regenwald tropischer Gegenden. Feuchtigkeit der Luft wechselt mit etwelcher Trockenheit, die Gesamttemperatur ist geringer. Die Bäume sind gedrungener, die Höhe geringer, das Holz fester. Die Epiphyten rekrutieren sich nicht mehr so sehr aus den Blüten- pflanzen, als aus Moosen und Farnen. Die Blätter der Bäume wie der Epiphyten sind kleiner. Es tritt eine Annäherung an den temperierten Regenwald oder Nebelwald ein, der in der Formationsgruppe der Lorbeer- wälder besprochen wird. Edaphische Regenwälder finden sich in Klimaten, deren Feuchtigkeitsgrad die allge- meine Ausbildung von Pluviisilvae nicht mehr gestattet, längs der Flüsse, deren Feuchtig- keit sie benutzen, als Galeriewälder aus- gebildet. In weit verzweigten Flußauen ist auch der Galeriewald ausgedehnt und kaum vom eigentlichen tropischen Regenwald auf Distanz zu unterscheiden; an schmalen Flüssen sind es auch nur schmale Ränder dieser Ausbildung. An den Flüssen des tropischen Südamerika gedeihen Palmenwälder, so in Brasilien die Buritysales, Wälder der Buritjqjalmen Mau- ritia vinifera und Mauritia flexuosa. In Nord- westargentinien bildet Copernicia cerifera lichte Palmwälder. ßß) Forniationsgruppe Pluviifruti- ceta, Regengebüsche. Als Pluviifruti- ceta, Regengebüsche bezeichnen wir die Pluvii- lignosa, in denen die Gebüsche dominieren. In einem JKlima, in dem diese anspruchs- vollen Gebüsche wachsen, gedeiht auch der Regen wald. Diese Gruppe zählt daher kaum klimatische Formationen. Hingegen ein sehr bekanntes edaphisch bedingtes Gehölz ist hier zu betrachten, die Mangro ve, das tropische Strandgehölz oder Flutgehölz aus Sträuchern und niederen Bäumen, die durch reiche Ausbildung von Stelzwurzeln etwas strauchartig werden. Diese Stelz- wurzeln dienen zur Befestigung in dem losen Schlamm, indem dieses Gehölz nur bei Ebbe ganz aus dem Wasser auftaucht, bei Flut er- heben sich nur die Kronen über die W^asser- linie. Das salzige Meerwasser macht den Standort physiologisch trocken, daher zeigen diese Gewächse auch xerophytische An- passungen. Dem Sauerstoffmangel im Schlammboden entsprechen die Pneumato- phoren, vertikal emporgerichtete, spargel- artige Gebilde, die in die Luft hinausragen. Die Sicherung der Keimung an dem un- günstigen Standort ist eine ganz eigenartige. Bei Rhizophora z. B. ist hochgradige Viviparie ausgebildet. Aus der nußgroßen Frucht wächst bei der Reife ohne Ruhe- periode der Keimling heraus, bei Rhizophora bis zu 60 cm, bevor er abfällt. Dieser schwere Keimling bohrt sich beim Abfallen in den Schlamm und wächst sehr rasch an. Diesen schwierigen Bedingungen sind nur wenige Arten gewachsen, wir zählen derer nur 26(4 aus dem Westen, 22 aus dem Osten). Die Assoziation der amerikanischen Man- gro ve besteht aus Rhizophora Mangle der Combretacee Laguncularia racemosa und den Verbenaceen Aviceunia tomeu- tosa und A. nitida. Am weitesten ins Wasser dringt Rhizophora Mangle ein, bildet also den Pionier der Gesellschaft. Die Geograpliie der Pflanzen (Oekologische Pflanzengeographie) 871 Assoziation besiedelt die tropischen Schlamm- strande und drins;t an der Küste nordwärts bis Süd-Florida (27 bis 28« n. B.) vor. Die viel reichere östliche Mangrove, die man als Rhizophoretum mucronatae bezeichnen kann, hat ihr Zentrum in Hinter- indien und dem malayischen Archipel, die letzten verarmten Ausläufer reichen bis Süd-Japan (Rhizophora mucronata bei 32« n. B.), Avicennia officinalis bis Neu- seeland, wo sie zum niedrigen Strauch geworden ist. Neben den genannten Arten kann auch Sonneratia acida zum Domi- nieren kommen, an anderen Stellen die graue Avicennia officinalis var. alba. Weiter vom Meere entfernt in den Lagunen, wo die Gezeiten noch fühlbar, aber das Wasser nur noch brackig ist, herrscht im tropischen Ostasien und Australien die beinahe stammlose Nipa fruticans. Stellenweise bedeckt diese strauchartige Palme weite Strecken ganz allein, es finden sich aber auch hier und da in diesem Nipetum fruticantis Avicennia officinalis, Sonneratia acida und sehr häufig der Farn Chrysodium aureum. An den Flüssen wuchert oft ein undurch- dringliches Bambusdickicht. Humboldt erwähnt solche, die den Magdalenenstrom un- unterbrochen begleiten. Auf sandigem Tropenstrand in Westindien finden wir die Coccoloba-Assoziation, ein Gemisch, dominiert von Coccoloba uvifera mit großen steifen, aufwärts gerichteten Blättern. Die kriechenden Zweige können Wurzel schlagen. In Java ist es die durch dichtes Gebüsch und Lianen fast unpassierbare Ba rring ton ia- Asso- ziation, dominiert von der großblätterigen, groß- blütigen Myrtacee Barringtonia racemosa, die als kleiner Baum die Assoziation vielleicht eher zu den Silvae gehören läßt. Verwandt scheinen auch die Restingawälder und -ge- büsche Brasiliens zu sein. Der edaphisch eher trockene Standort gibt ihnen aber ein so xero- phytisches Aussehen, daß es sich vielleicht eher um Durilignosae handelt. Sie sind noch nicht gut bekannt. ß) Formationsklasse Laurilignosa, Lorbeergehölze. Laurilignosa, Lorbeer- gehölze, sind Gehölze, deren dominierende Holzpflanzen, falls es Dikotylen sind, immer- grünes, meist unbehaartes^ senkrecht zum einfallenden Licht gestelltes Laub von frisch grüner Farbe, häufig mit relativ großen Interzellularen und mit Knospen geschützte Sproßenden besitzen, oder, falls es Gymno- 1 Spermen sind, breites grünes, oft schuppen- förmiges, das Holz der Zweige häufig ver- deckendes, immergrünes Laub tragen. Diese Gehölze schließen an die sub- tropischen Regenwälder an. Sie sind, wenn auch nicht mehr so stark, an gleichmäßige Temperatur, regelmäßige Niederschläge und große Luftfeuchtigkeit gebunden, daher er- setzen sie den Regenwald, wo Abnahme der Temperatur und Zunahme der Schwankung diesen nicht mehr aufkommen lassen. Wo die Temperatur gering wird, verlangt diese Klasse um so ausgesprochenere Ozeanität des Klimas. Dieser Klimacharakter mit seiner starken Bewölkung und Dunstigkeit der Atmosphäre bewirkt auch die Stellung der Blätter senkrecht zum Licht, da die Intensität nicht so groß ist und daher in stärkerem Maße ausgenutzt wird. Zu den Laurilignosa stellen sich durch ihre Verbreitung, durch ihre Physiognomie und offenbar auch Oekologie auch eine Reihe Gymnospermengehölze, deren vege- tative Organe im Gegensatz zu den nadei- förmig reduzierten Blättern der Koniferen ' gemäßigter Zonen breit oder schuppenförmig sind, wie die Cupressaceen, Araucaria u. a. Einen Uebergang scheinen Taxus und Cephalotaxus darzustellen, die zwar Nadeln tragen, welche sich aber so breit machen als sie können. aa) Formationsgruppe Laurisilvae, Lorbeerwälder. Unter Laurisilvae, Lor- beerwäldern, verstehen wir Laurilignosa, die vorzugsweise aus Bäumen gebildet werden. Wir werden an den tropischen Regen- wald erinnert, doch fehlen die Charakteristika jener heißen Klimate. Es fehlen die Träufel- spitzen, die Bretterwurzeln, die Cauliflorie, , es fehlt die Massenhaftigkeit der Epiphyten, Es ist wohl noch ein Regenwald, aber ein temperierter; der Wald eines mehr oder weniger immerfeuchten, mäßig warmen Klimas. Das Blatt ist fest, lederig und wird oft mit zum Hartlaub des Klimas mit naß- kühlen Wintern und trocken-heißen Sommern gerechnet, unterscheidet sich aber wesentlich von jenem, das dem kontinentaleren Klima derselben Zone angehört. Ein hervorragendes Beispiel aus dieser Formationsgruppe ist die Formation des makaronesischen Lorbeerwaldes (Lau- I rion macaronesicum). Seine Teneriffafazies finden wir im unteren Teil des Wolken- gürtels der Insel in einer Meereshöhe von 400 bis 1300 m, am üppigsten von 700 bis 1000 m. Tonangebend sind die großleder- blättrigen Lauraceenbäume Laurus canarien- I sis, Persea indica, Ocotea foetens und Apol- lonias canariensis. Das Unterholz wird von ; ebenfalls großlorbeerblättrigen Sträuchern gebildet, Ilex canariensis, Ilex platyphylla, Viburnum rugosum. Persea indica mit Ilex platyphjdla herrscht in den feuchtesten Teilen des Waldes von Agna Garcia, in den etwas weniger feuchten dominiert Laurus canariensis mit Erica arborea, die hier ihren Namen Baumheide verdient, da sie 20 m hoch wird. Ocotea foetens ist hier selten, dagegen tritt sie auf der Insel Palma als Hauptbestandbildner hervor. Durch die dicken Lorbeerblätter hindurch Geographie der Pflanzen (Oekologisehe Pflanzengeograpliio) kann kein Licht dringen, wohl aber gelangt das Licht von den Glanzblättern reflektiert ' ins Innere. Der Lichtgenuß im Innern ist nur Vio bis 1/40- Ganz ähnlichen Wald tragen die übrigen großen kanarischen Inseln ; den viel niedrigeren Purpurarien fehlt er. Auf den Azoren hin- gegen ist er vertreten. Madeira trägt den- selben Wald, dort ist er mehr nur auf die Schluchten beschränkt durch den Einfluß des Menschen. Wunderschön ausgebildet ist der Lorbeerwald im Kapland. Dieses Wald- gebiet liegt östlich von Kapstadt in der Gegend von Knysna , bekannt unter dem \ Namen Knysnawald, von Marloth meister- haft beschrieben. In den Gebirgslagen des feuchten Süd- hangs des Himalaya entwickeln sich die Rhododendren zu mächtigen Wäldern, be- sonders wohl entwickelt ist diese Waldart auf dem mesotherm insularen Japan. Dort bieten solche Wälder einen sehr großen Formenreichtum, von dort stammen die meisten unserer immergrünen Garten- pflanzen. Dort auf der langgestreckten Insel läßt sich der Uebergang in allen Stufen vom typischen Lorbeerwald bis zum typischen Sommerwald beobachten, wie ganz allmäh- lich nordwärts ein immergrüner um den anderen verschwindet oder laubwechselnd wird. Auch die neue Welt zeigt einen ähnlichen Wald in ähnlichen Klimaten. Es sei hier nur kurz hingewiesen auf die Nebelwälder von Mittel- und Nordflorida, auf die Valdivia- wälder in Chile. Diese antarktischen Lorbeerwälder sind meist beherrscht durch die immergrünen Buchen Nothofagusbetu- loides u. a. m. Das Klima zeigt jährliche Mitteltemperaturen von nur 5 bis 7", aber nur Q'' Differenz zwischen Winter und Sommer 1 bei großen Niederschlagsmengen das ganze Jahr über. Farne, besonders Hymenophyl- laceen, Moose und Lebermoose bekleiden in Masse den Boden. In höheren Berglagen dominieren schuppige Koniferen, die Arau- caria imbricata u. a., die ja ebenfalls zu den lorbeerblättrigen zu rechnen sind. Pata- gonien und auch Neuseeland trägt solche Wälder. Noch weiter südlich werden die Oberständer laubwechselnd, die immer- grünen gehen als Unterholz weiter. Fossil finden wir, daß im feuchtwarmen Tertiär Lorbeerwälder auch in Mitteleuropa häufig waren, jetzt finden wir nur noch An- klänge im Lorbeergebüsch. ßß) Formationsgruppe Laurifruti- ceta, Lorbeergebüsche. Unter Lauri- fruticeta, Lorbeergebüschen, verstehen wir Laurilignosa, die vorzugsweise aus Gebüschen gebildet werden. In der ozeanischen südlichen Halbkugel gehen diese Glanzlaubgebüsche bis an die Holzgrenze hinauf und bilden z. B. in Süd- amerika den Strauchgürtel oberhalb des Waldes. Auf der nördlichen Halbkugel sind sie nicht so selbständig, sondern bilden meist biotisch beeinflußte Pflanzengesellschaften oder gehen als Unterholz in Wälder, deren dominierende Bäume schon einem kühleren Klima angehören. In den trocken-heißen Sommern des Mittelmeeres können sie sich in niederen Meereshöhen nicht halten, wohl aber auf den feuchteren Inseln und besonders im Gebirge, das ja immer einen ozeanischeren Anstrich hat. So ist das Gebüsch des Laurus nobilis, das uns ja so bekannt ist als mediterran, ein Gebirgsgebüsch. Hier ist auch ein Gebüsch zu besprechen, das meist mit den mediterranen Macchien vermischt wird, da es sich in mittlerem Klima in Uebergängen mit diesem findet und dort durch biotische Bedingungen Vorzüge im Ge- deihen genießt (siehe auch unter Durifruticeta, besonders Arbuteta unter Brandkultur; S. 875). Es sind dies die Gesellschaften mit vorherrschendem Arbutus unedo. Diese Assoziation kommt zu schöner Ausbildung in Portugal und den feuchten Teilen Spaniens, dann in hervorragendem Maße auf der Insel Korsika, dort aber schon zeigt sie ihre üppigste Ausbildung nicht im trockenen Flachland, sondern in höherer Lage. Fast alleinherrschend tritt Arbutus unedo auf Korsika waldartig am Col de Teghime bei St. Florent (ca. 200 bis 400 m) auf und bildet mit seinem stark reflektierenden Laub eine glänzende Erscheinung. Auf der Balkan- halbinsel bedeckt eine Formation dieser Gruppe weite Gebiete. Adamovic hat sie einläßlich charakterisiert und der mediter- ranen Macchie gegenübergestellt unter dem Namen Ps endo macchie, da es eine den Macchien scheinbar ähnliche Formation ist, die aber unter ganz anderen ökologischen Bedingungen lebt. Die Macchie verlangt viel Wärme und lange Vegetationszeit, er- trägt die Sommerdürre gut, die Pseudo- macchie hingegen begnügt sich mit viel kür- zerer Vegetationszeit und geringerer Wärme, erträgt auch schon ziemlich bedeutende Winterkälte, fordert aber mehr Feuchtig- keit. Sie bekleidet die submontane und montane Stufe der Balkanhalbinsel, wo bald die eine, bald eine andere Art bestand- bildend auftritt, wobei sich einerseits eigent- liche Hartlaub- und andererseits Tropo- phytenelemente beimischen. Sehr verbreitet ist Juniperus oxycedrus und J. excelsa, ferner Buxus sempervirens durch Albanien, Altserbien, Mazedonien, Nordepirus. In Bulgarien bildet Prunus laurocerasus eine eigene Assoziation, in Tlu-akien herrscht die Steinlinde Phillyrea media vor. Die j Hauptbestandteile der Pseudomacchien sind ' Buxus sempervirens, Prunus laurocerasus, Geograplüe der Pflanzen ((Jekologische Pflanzengeographie) 873 Juniperus oxycedrus und J. excelsa, Phillyrea media, dann Hex aquifolium, Juniperus communis, Pistacia terebintluis und P. mutica, Quercus ilex und Q. macedonica. Von Tropophyten mischen sich Syringa, Prunus spinosa, Crataegus monogyna, Ligustrum vulgare u. a. bei. In den ozeanischen Gebieten des Kau- kasus ist das Lorbeergebüsch selbständig und als Unterholz verbreitet, letzteres bildet hauptsächlich Rhododendron ponticum und im Bergwald massenhaft Prunus laurocerasus. An der Baumgrenze bedecken weite Fluren die Gebüsche von Rhododendron caucasicum. Hierher gehören natürlich auch die aus- gedehnten Rhododendrongebüsche im Hima- laya. Ein ganz schwacher Abglanz spiegelt sich in unseren alpinen Zwergstrauch- gebüschen wieder. Unsere Alpenrosen ge- deihen am besten im ozeanischen subalpinen Klima, wo sie auch besonders den Schutz des Nadelwaldes lieben. Trotzdem verlangen sie dann doch noch Schneeschutz. Als Unter- holz und Beimischung gehen die Laurifruti- ceta auch weit nördlich, sich in Falllaub- wälder ziehend. Wunderschön entwickelt finden war in Killarney in Irland in jenem extrem ozeanischen Landstrich unter den Kronen der laubwechselnden Quercus sessili- flora geschützt ein üppiges glänzendes Unter- holz "von Ilex aquifolium und Arbutus nnedo. Eine weitere Assoziation, die hierher zu rechnen ist, stellt die Buschweide von Buxus sempervirens dar, die sich dem feuchten Jurarand entlang zieht, von Cho dat als Gar i de beschrieben. y) Formationsklasse Durilignosa, Hartlau bgehölze. Unter Durilignosa, Hartlaubgehölzen, verstehen wir Pflanzen- gesellschaften, in denen Holzpflanzen mit Hartlaub oder mit axillärem Assimilations- gewebe (Spartiumform) dominieren. Unter Hartlaub (im engeren Sinn) verstehen wir versteiftes, ziemlich kleines, vielfach behaartes, immergrünes Laub. Es meidet das stärkste Licht dadurch, daß es sich nicht senkrecht zum Licht einstellt, oft wie bei Eucalyptus direkt Kantenstellung ein- nimmt. Aehnlichen Schutz erreichen andere Pflanzen dadurch, daß ihre Blätter kleiner und hinfällig oder gar nicht mehr gebildet werden. Die Zweige übernehmen die Assimi- lation. Dahin gehören die blattlosen Casua- rinen, dann die Sträucher der sogenannten Spartiumform (nach Spartium junceum) Die Spaltöffnungen an den Zweigen sind erst noch meist in Rinnen vertieft und durch Haare geschützt. Das Hartlaub enthält Skiereiden, harte Zellen, die der Versteifung dienen. Dadurch kann das Blatt die Trockenheit aushalten, da es trotz Mangel an Turgor wegen der Steif- heit nicht zusammensinkt. Diese Gehölze bewohnen die kontinen- taleren Gegenden der Subtropen. Die Tempe- raturschwankung ist viel größer als in den Gebieten der Laurilignosa. Ein heißer trockener Sommer muß überdauert werden, hingegen keine große Kälte. Es ist was Koppen das Olivenklima nennt. Im Mittelmeergebiet finden wir diese Vegetation sehr ausgedehnt wie auch in Australien. aa) Formationsgruppe Durisilvae, Hart Laubwälder. Unter Durisilvae, Hart- laubwäldern, verstehen wir die Durilignosa, die vorzugsweise ans Bäumen bestehen. Im Mittelmeergebiet waren diese Wälder früher verbreitet, der weitaus größte Teil ist aber abgeholzt und es wächst dort nur jnoch Gebüsch. Die starke Holznutzung von ; alters her und zugleich die Nutzung als Weide haben den Wald zerstört, den Boden ärmer gemacht, so daß er jetzt nicht einmal mehr i einen Wald tragen könnte , besonders da das kontinentale Klima eher waldfeindlich ist. Vereinzelt finden wir kleinere Wälder; auf Kalkboden ist Quercus ilex der haupt- sächlichste Baum mit dem typischen immer- grtinen, kleinen, etwas behaarten, harten Laub. Korkeichenformation. Hauptsäch- lich auf Urgestein treffen wh diese Formation sehr zerstreut im Mittelmeergebiet und meist nur noch in kleinen Waldgruppen, außer wo die Korkgewinnung im großen betrieben wird. Einen schönen Korkeichenwald finden wir z. B. in Terni bei Tlemcen im algerischen Teil-Atlas in einer Höhe von 1300 m. Weitere sind noch zerstreut auf Korsika I anzutreffen. Ein großer Wald findet sich ! im Süden der Insel bei Porto Vecchio. Der Unterwuchs besteht aus Macchienpflanzen. ' Auch in Spanien ist der Korkeichenwald { verbreitet. Nicht so allgemein bekannt, aber von großer Ausdehnung sind die Hartlaubwälder Australiens, besonders Südwest-Australiens, die uns Diels (1906^ so meisterhaft schildert. ! Das ganze Land der Südwestprovinz und der ' Eremaea scheint das „mediterrane" Klima i in allen möglichen Variationen zu haben, \ so daß dort die Reichweite des Typus in allen Richtungen studiert werden kann. Etwa \ ein Drittel der Südwestprovinz von Australien i ist von Wäldern bedeckt, in denen Eucalyptus- ! arten herrschen. Die Eucalypten haben sehr I ausgeprägten Sklerophyllentypus mit ihrem ' kantig gestellten Hartlaub. Drei Arten Eucalypten dominieren die Wälder, sie sind ' klimatisch bedingt, namentlich durch die Niederschlagshöhe. Diesen Wäldern gemein- sam ist, daß sie nahezu reine Bestände einer Art darstellen, daß keine anderen Bäume 874 Geographie der Pflanzen (Oekologische Pflanzengeograpliie) außer hier und da ein Eucalyptus calophylla darin vorkommt, daß das Unterholz nur aus jungen Bäumen derselben Art zusammen- gesetzt ist, daß aber ein reicher mannig- gehende, so daß nicht mehr Wald, sondern nur noch Gebüsch gedeiht. In Australien ist es meist wohl klimatisch bedingt, im Mittelmeergebiet jedoch meist biotisch und faltiger, strauchiger Unterwuchs vorkommt, jedaphisch; dies, wo der Boden so flach- Der ausgedehnteste ist der Jarrawald. der gründig und trocken wird, daß kern Wald Wald der Eucalyptus marginata. Dieser j mehr gedeihen kann. Das Fällen und Wald zieht sich in breite/n Streifen am 1 Weiden wird in der Mehrzahl der Fälle der Abfall des Tafellandes vom Moore River Grund sein. In diesem alten Kulturgebiet im Westen bis zur Two People Bav im Süden haben diese Faktoren schon sehr lange über nahezu vier Breitengrade. Dieser ; gewirkt und ist eine Verschlechterung des Wald verlangt über 75 cm Niederschlag. Die Bodens eingetreten, der jetzt edaphisch den lichte Belaubung erlaubt starken Unter- wuchs trotz ziemlich dichtem Stand der Bäume. Der Unterwuchs ist wie zu erwarten immergrün und in blütenlosem Zustand oft schwer zu erkennen wegen der Konvergenz des Laubes zum Typus. An der Südküste vom 115.« bis 118.» Länge, wo die Niederschlagshöhe 100 und mehr Zentimeter beträgt, treffen wir einen Wald nicht' mehr gestatten würde. Diese Gebüsche heißen Macchie und Garigue, das eine ein korsikanisches, das andere ein südfranzösisches Wort. Die Ueber- nahnie dieser Vulgärnamen erzeugte Diffe- renzen in ihrer Auslegung. Flahault wollte als mäquis das Gebüsch auf Urgesteins- boden, als garigue das auf Kalkboden, wo es infolge der Trockenheit auch dürftiger anderen Wald, den Karriwald von Euca- Nächst, "bezeichnet wissen. Andere legen lyptus diversicolor. Es sind dies mäch- g^^j (\[f, üppigere oder dürftigere Ausbildung tige Bäume von 60 bis 70 m Höhe; bis ^^^ Hauptgewicht, so bezeichnet Briquet zu 50 m sind sie meist gereinigt und erst (j^s dichte Gebüsch, das einen gemeinsamen darüber breitet sich machtvoll die Krone. Schatten wirft, als Macchie, ärmlicheres Dieser Wald ist noch nicht gut bekannt, getrennt stehendes, das viele Einzelschatten Macrozamia (Cycad.), Podocarpus und Pteri- dium sind häufig. Ueber bedeutendere Unterschiede in Klima und Boden herrscht der Wandoowald von Eucalyptus redunca, besonders im Westen, so im Darling Range. Der Wandoo zeigt gedrungenen Wuchs, weiße Borke und wirft, als Garigue. Rikli nimmt die praktisch leichter durchzuführende Einteilung, daß Macchie das üppige über mannshohe dichte Gebüsch sein soll, Garigue das kleinere offene. In Oesterreich und dem Balkan wird die ganze Gesellschaft überhaupt Macchie genannt. Mir scheint weniger der steht licht. Alles ist xerophytischer, die Kalkgehalt, als die im allgemeinen größere Sträucher fester, Stauden sind nicht mehr j Trockenheit des Kalkbodens die Oekologie so häufig, jedoch treten mehr Annuelle auf. ^jer Gesellschaft zu verändern, die Nährstoff- Acacia liefert wieder wichtige Bestandteile ; ^^d Wasserbilanz zu verringern. Die For- in den Arten A. urophylla und A. nervosa. 1 mation mit geringerer Bilanz kann großen- Die Wälder der Ereraaea, des Binnenlandes ' teils auf Kalkboden gedeihen, aber auch auf von Südwestaustralien, tragen den sklerophyllen ausgesogenem oder sehr trockenem L gesteinsboden. Der Kalkgehalt wird mehr auf die floristische Zusammensetzung ein- wirken, also verschiedene Assoziationen dieser Formation hervorbringen. Die Höhe der Macchie geht mit der Intensität der Be- weidung und der Mächtigkeit des Bodens. So ausgesprochen der mediterrane Klima- Charakter noch viel stärker zur Schau, da das Klima kontinentaler, trockener ist. Beherrscht werden sie wiederum von Eucalypten, deren Stamm sich weiter unten verzweigt als die bisher besprochenen. Nochist des westaustralischen Savannen- waldes zu gedenken, der am Saume der Eremaea in die Südwestprovinz übergreifend auftritt in der Regenzone von ca. 50 cm, beherrscht von j typus ist, so zeigt er doch nach allen Richtungen Eucalyptus loxophleba und Acacia acumi- ; Uebergänge. Was gegen die ozeanischere Seite nata, deren Blatt nur durch feine Behaarung '■ j^j^ neigt, sind die Uebergänge zu den Lorbeer- von Eucalyptuslaub zu unterscheiden ist. Eine , gebüschen, die schon besprochenen ozeanischen ganze Reihe Akazien mischt sich bei, der strau- ; pseudomacchien, die Arbuteta, ferner die noch chige Unterwuchs ist jedoch spärlich. Größere folgenden kühler-ozeanischen Ericeten. Im fol- Bedeutung erlangen die Annuellen, besonders genden werden wir auch den Uebergang zu den schön wirken die Immortellen Kompositen, j trockener kontinentalen Steppen berühren. RR\ T^nrmitinii^o-rnnnp Durifruti-i Außer dem eigentlichen Hartlaub und den /P)^^ormationsgruppe Uurilrli ^^^^ , ^.^^^^^ Sträuchern (Spartiumform nn ceta, Hartlaubgebusche. Unter I^^n- ! ^.ei^tln Sinn inklusive Dornstrauch) Schemen fruticeta, Hartlaubgebüschen, verstehen wir die Durilignosa, bei denen die Gebüsche dominieren, auch die stark aromatischen Gewächse diesem Klima sehr wohl angepaßt zu sein. Es ist ver- ständlich, daß die aromatischen Ausscheidungen Diese Gruppe ist durch die ökologischen die Transpiration herabsetzen; daher der starke Faktoren ungünstiger gestellt als die vorher- 1 Anteil von eisten und duftenden Labiaten Geographie der Pflanzen (Oekologische Pflanzengeographie) 875 Das eigentliche Hartlaub wird noch sehr gern vom Vieh gefressen, darum tritt es häufig zurück oder bildet halbkugelige Grotzen. Die aroma- tischen Cistusarten hingegen werden vom Vieh nicht berührt, sie können sich daher ausbreiten und bedecken oft allein die größten Strecken Landes in Spanien, in Frankreich, auf Korsika, in Algier usw. Zur Blütezeit im April bieten sie einen wunderbaren Anblick. Weiß sind der großblumige weiter nach Norden dringende Cistus salvifolius und der kleinblumige, ungemein verbreitete Cistus monspeliensis, dazwischen tritt das Rosa des Cistus albidus, des Cistus corsicus. Vielerorts herrscht noch die alte Brandkultur: die dichte Macchie wird abgebrannt, die Asche bildet Dünger für die jung aufsprießende Vegetation, die dann wieder zur Weide dient. Dadurch entsteht wieder eine Bevorzugung der Pflanzen, die aus den Wurzeln rasch und leicht wieder austreiben, da ist vor allem Arbutus unedo zu nennen, der diesem Umstand gewiß einen TeU seiner starken Verbreitung verdankt in dem ihm sonst nicht optimal angepaßten kontinentalen Klima. Es sind eine ganze Anzahl Arten, die zum unbedingten Vorherrschen gelangen können. Wie schon gesagt, Cistus monspeliensis und andere Cisten, Arbutus unedo, Quercus coccifera vor allem an der französischen Küste, von deren provenzalischem Namen Garoulia das Wort CJarigue abgeleitet sein soll. Die strauchige Quercus ilex, dann aber auch Juniperus oxy- cedrus und Juniperus phoenicea, häufig Pistacia lentiscus, Phillyrea variabilis (Oleac.) sind ton- angebend. Stachelige Leguminosen und Kletterer wie Tamus communis und Lonicera implexa ver- vollständigen das Bild. Für Bodenwuchs bietet die typische Macchie wenig Raum. Die offene Garigue hingegen enthält schon viele Geophyten und Annuelle, duftende Labiaten u. a. , Wird der Boden noch ärmer oder das Klima noch ungünstiger, so wird das Gebüsch noch niederer, eigentliche Sträucher werden seltener, die Vegetation wird offener, wir haben die Formation der sogenannten ,, Felsenheide". Geophyten und filzige Pflanzen bilden einen hervorragenden Anteil. Der Boden kann dicht besetzt sein oder es tritt die Erde, oft übersät mit Steinen, mehr und mehr hervor. Eine sehr bemerkenswerte Assoziation dieser Formation sind Asphodillfluren. Auf Korsika nimmt Asphodelus microcarpus große Strecken Landes ein (auch auf anderen Standorten, die nicht hierher gehören), in Spanien wird er öfter durch den kleineren Asphodelus fistulosus gemischt mit dem großen Asphodelus albus vertreten. Andere Strecken sind reich an filzigen Pflanzen, den Helichrysen, Phlomis, verschie- denen Lavandulae, Rosmarinus officmalis, Plantago, Matthiola tricuspidata usw. Dies sind die Tomillares (spanischer Ausdruck von Tomillo, Thymus), bestehend aus Halb- sträuchern, besonders Labiaten, mit Stauden, Meophyten und Gräsern. Sie sind im ganzen Mediterrangebiet weit verbreitet. Besonders in Spanien nehmen sie m den Tiefländern und im zentralen Tafelland ungeheure Strecken ein; Willkomm unterscheidet die Lavendel- tomillares, die Thymustomülares und die Rosmarintomillares. In Spanien, auf Korsika und auch anderwärts gedeihen die Helichrysen- Felsenheiden mit sehr großer Artenzahl. In den mösischen Ländern und Griechenland im medi- terranen Gebiet herrschen auf Kalk die Tomillares des Salvietum officinalis bis 800 m an sonnen- reichen, frei exponierten, steilen südlichen Lagen. In den ostrumelischen Tomillares herrschen Salvia ringens, Artemisia austriaca, Achillea clypeolata, Salvia grandiflora neben Thymus- und Satureiaarten u. a. m. Die trockensten, sandig steinigen Hügel der mediterranen Gegenden der Balkanhalbinsel nimmt eine extremere zwar nahe verwandte Gesellschaft ein, die Phrygana. In Thrakien und Südaltserbien ist sie die herrschende Pflanzengesellschaft, wo Poterium spinosum und Astragalus thracicus dominieren. Die Labiaten treten zurück, der Rutentypus und der dornige Strauchtypus herrschen vor, es sind also die früher besprochenen mit dem Hartlaub nahe verwandten Spartiumformen im weiteren Sinn. Wo der Wind stark fegt, kann eine Kugel- busch-Felsenheide entstehen, die ohne die Un- gunst des Windes nach dem Boden zu schließen, zur ]\Iacchie auswachsen könnte. Es sind die extremen Windformen von Pistacia lentiscus, Phillyrea variabilis, Oleaster. Wieder em ganz anderes Aussehen zeigt die Form des Passerina hirsuta-Bestandes. Die ökologischen Ursachen dieser verschiedenen Ge- sellschaften zu untersuchen, bietet noch ein weites Arbeitsfeld. Im Gegensatz zu den mediterranen Hart- laubgebüschen sei noch auf die weit aus- gedehnten australischen eingegangen. Es ist der berühmte Scrub, der ungeheure Strecken Landes bedeckt. Unregelmäßig- keit der Niederschläge zeichnet diese Gebiete vor allem aus ; das eine Jahr ziemlich regen- reich, das nächste ganz regenlos, muß die Vegetation einen harten Kampf aushalten. Auf kiesigem, steinigem Boden dehnen sich in einförmigem Graugrün die durchschnitt- lich ein Meter hohen Büsche in unendliche Fernen. Zur Blütezeit erst sieht man die Einförmigkeit der konvergenten Formen auf- gelöst in ein artenreiches, blumenreiches Gewirr. In den langen Artenlisten stechen besonders die formenreichen Proteaceen, sowie die Podalyrieae der Leguminosen, die Sterculiaceen und Myrtaceen hervor. Das Sinken des Niederschlags gebietet oft nur den Bäumen Halt, der tjnterwuchs gedeiht weiter als selbständiger Scrub. Der Mallee-Scrub am Südsaum des Tafel- landes besteht hauptsächlich aus verschiedenen strauchförmigen Arten von Eucalyptus und Casuarina. Dazwischen findet sich Melaleuca (Myrt.), Exocarpus (Santal.). Einzelne xero- morphe Gräser wie Stipa, Neurachne, Anthi- stiria mischen sich bei. Es herrscht das rigide Laub in allen Formen. In den feuchteren Küstengegenden Südwest- 876 Geographie der Pflanzen (Oekologischo Pflanzengeograpliie) australiens endet der Mallee-Scrub und macht dem sublitoralen SklerophyllgebüschPlatz, in welchem nicht mehr die Eucalypten herrschen, sondern mannigfaltige Elemente in großer Zahl. Diese Ausbildung trifft man auch in Ostaustralien bei Sidney, im Süden bei Melbourne. Auf den flachen Rücken des schwach welligen Tafellandes treffen wir die „Sandheiden"! bei einer Niederschlagsmenge von 50 cm abwärts. ] Starke Insolation und reichlicher Taufall treten auf. An Arten ist diese Pflanzengesellschaft sehr reich. Mehr im Norden des Erdteils deckt Mulga- Scrub den Boden. Die Eucalypten sind zurück- getreten. Vorherrschend sind die Akazien mit ihren starren, schmal-oblongen, graugrünen Phyl- lodien. Dem seltenen Regen folgt eine Kraut- flora, die oft jahrelang ausbleiben kann. In Queensland herrscht noch eine andere Art Scrub, der Brigalow-Scrub von Acacia harpophylla, anderen Akazien und Casuarina. i Von ähnlichen Gesellschaften sei nur noch I der Chaparral in Kalifornien erwähnt. Der: Name wird leider auch verschieden gebraucht, bald nach Purp US für einen Hartlaubwald immer- grüner Eichen und ein Gebüsch dieser Eichen mit Adenostoma fasciculatum (Rosca.), einem ge- selligen immergrünen, erikenartigen Strauch, bald für den ebenfalls dickichtbildenden Ceano- thus cuneatus; Warming spricht von Chaparral- steppe. In Mittelchile herrschen zwischen 1000 und 1 2000 m schwer durchdringliche Hartlaubgebüsche von Quillaja saponaria, begleitet von Kage- neckia oblonga und Litsaea caustica u. a. ö) Formationsklasse Ericilignosa, Heidengehölze. Unter Ericilignosa, Heiden- gehölzen, fassen wir die Gehölze zusammen, deren dominierende Arten erikoide Blätter besitzen. Erikoide Blätter sind solche, die nach unten so zusammengerollt sind, daß sich die Blattränder rinnenförmig nähern oder nur noch durch eine schmale Spalte getrennt bleiben, die zudem oft durch Haare bedeckt ist, wodurch das Blatt bei seiner langgestreckten Form von außen als Nadel ! erscheint. Die bei den anderen Gehölzen durchgeführte Trennung in Wälder und Gebüsche ist hier nicht durchführbar, da eigentlich erikoide Wälder nicht vorzukommen scheinen. Eine Anzahl Arten wie z. B. Erica arborea kommt bald 1 baumförmig, bald buschförmig vor; wo sie j jedoch dominierend wird, ist es meist als Busch, j Es fallen also die Ericisilvae weg. aa) Formationsgruppe Ericifruti- ceta, Heiden. Unter Ericifruticeta, Heiden, verstehen wir die Ericilignosa, die vorzugs- weise aus Sträuchern zusammengesetzt sind. Der Begriff Heide bedeutete bei den alten j Germanen das unbebaute Land im Gegensatz j zum Kulturland, es können Baumgruppen, Gebüsche, Wiesland, Sümpfe gewesen sein. Später verstand man darunter das allgemeine Land,wo jeder Bewohnerweiden und schneiden durfte. Um den Begriff in der Synökologie | brauchen zu können, muß er auf eine be- ' stimmte Pflanzengesellschaft präzisiert wer- den und zwar auf die Ericaceenheide der ozeanischen Gebiete, wo der Betriff schon am klarsten gefaßt und beschrieben vor- liegt. Die Oekologie des erikoiden Blattes ist unbekannt, aber die Verbreitung erikoider Bestände zeigt deutlich gemeinsame Züge. Diese Pflanzengesellschaften brauchen große Luftfeuchtigkeit; es brauchen nicht große Niederschlagshöhen zu sein. Sie meiden daher trockene kontinentale Gebiete. Die Heiden gehen der ozeanischen West- küste von Afrika und Europa entlang bis zur Baumgrenze. In der gemäßigten Zone bekleiden sie die Ebene, in den wärmeren Zonen finden sie sich im Gebirge in den Stufen, die ein gemäßigtes Klima besitzen. Die Heide ist also einerseits klimatisch bedingt, andererseits wird sie durch eda- phische und biotische Faktoren befördert. Auf gutem Boden kann sie nicht konkur- rieren mit anderen anspruchsvolleren Pflanzengesellschaften, hingegen nimmt sie vorlieb mit Böden, die wenig Nahrung bieten und breitet sich dort ungestört aus. Durch die Zerstörung der Wälder, durch starke Nutzung der Pflanzendecke durch Weiden usw. sind große Gebiete nährstoff- arm gew^orden und bieten nur noch der Heide ein Fortkommen. Sandboden und Roh- humusboden genügen der Heide, während andere Gesellschaften auf den Rohhumus- böden, die aus ungesättigten Kolloiden, den sogenannten ,, Humussäuren" bestehen, nicht gedeihen können. Durch Gräbner sind war am besten bekannt mit der Heide Norddeutschlands. Die verbreitetste Assoziation der Nord- westeuropäischen Heideformation ist das Callunetum. Calluna vulgaris, das gemeine Heidekraut, dominiert auf weiten Strecken von Nordwest-Deutschland, von Holland, von Großbritannien usw. Das ganze schottische Hochland ist davon be- deckt. Von den begleitenden Arten können einige zum Vorherrschen kommen und eigene Subtypen bilden; so Anemone pulsatilla auf trockenen Hügeln, ebenso Genista pilosa; an feuchteren Orten, also in den westlichen Gebieten Genista angelia. Auf gefestigten Dünen kann als innerer Gürtel eine Callunaheide auftreten, der viel Soli- dago virga-aurea und Crepis tectorum bei- gemischt ist. In klimatisch und edaphisch feuchteren Standorten gedeiht Calluna nicht mehr so gut, wir haben dann das Ericetum tetra- licis, das offenbar noch luftärmeren Boden verträgt und durch zeitweises Austrocknen vor dem Ueberwuchern des immer Feuchtig- keit benötigenden Sphagnum geschützt ist. In Großbritannien sind die Ericaceen Geographie der Pflanzen (Oekologische Pfianzengeogi'aphie) 871 mannigfaltioer. Besonders Erica cinerea ist den Heiden immer stark beigemischt und kann dominierend werden. Einige südlichere Typen sind auch hier zu erwähnen. Da ist vor allem die Cornwallheide mit vorherrschender Erica vagans, der die übrigen beigemischt sind. Auf ganz kleinem Fleck kommt die portugiesische Art Erica ciliaris zum Herrschen. In Westirland gesellt sich die großglockige Boretta cantabrica (= Dabeocia polifolia) bei. An dieser Stelle muß auch der alpinen Zwergstrauchheide gedacht werden. Dem I erikoiden mischt sich der Lorbeertypus in seinen letzten kleinsten Repräsentanten bei, so daß mehrere Assoziationen ebensogut zu i den Laurifruticeta gezählt werden können. Diese Heide findet sich in der subalpinen Stufe, die Hauptverbreitung geht bis zur Krüppelgrenze. Die subalpine Stufe hat ozeanischen Klimaanstrich, und um noch etwas mehr Gleichmäßigkeit zu haben, i ziehen sich die Gesellschaften als Unterholz in den Nadelwald. Das Callunetum z. B. im Berninagebiet besiedelt die tieferen lichteren Lagen, den Schatten des Waldes j liebt mehr das Vaccinietum rayrtilli, | dort kann auch bei ganz ähnlicher Oekologie ein Gras, Calamagrostis villosa, zum Dominieren kommen. Gegen die Bauni- und Krüppelgrenze treten lichtliebendere Typen auf, das Arctostaphyletum uvae ursi und besonders ausgedehnt das Loise-: leurietum procumbentis. | In den ,, Landes" in Südwest-Frankreich | treffen wir ausgedehnte Heidegebiete, wo | neben den für Großbritannien genannten noch einige Ericaarten mehr vorkommen. Am artenreichsten treffen wir die Heide in Portugal. Je südlicher man geht, um so mehr zieht sich der Heidegürtel in die kühleren Berge. Im Mittelmeergebiet j mischen sich Heidenelemente wie Erica mediterranea den ozeanischeren Insular- ' macchien bei und können in diesem Misch- typus vorherrschend werden. Auf Teneriffa treffen wir den „Monte verde", die kanarische Heide je nach der Lage von 500 bis 1400 m in mannshohen Büschen, gekühlt und befeuchtet durch den Wolkengürtel (beim Eintritt in die Passat- wolke beim Abstieg vom Pik von Teneriffa sank mein Thermometer von 16" auf 6" C am 8. April 1908; die Lichtintensität sank von 900 auf 83 Bunseneinheiten). Fast überall herrscht Erica arborea vor in bis 5 m hohen Büschen, ganz lokal auch auf dem Anagagrat Erica scoparia. Von wunderbarer Formenfülle sind die Kapheiden, die in der Hügelstufe des Kaplandes die feuchteren Gegenden ein- nehmen, während die Macchien die trockeneren bedecken. Es sollen etwa 400 Arten beteiligt sein. Weniger häufige Niederschläge als ziem- lich feuchte Luft erlauben diesen Typus. Stark vorherrschend ist Blaeria ericoides Daneben kommen Ericaarten vor. Eben- falls erikoides Blatt zeigen Thymelaeazeen, Rutaceen, Rhamnaceen, Penaeaceen usw. Aus der neuen Welt erwähnt Reiche in Chile spärlich entwickelte Heiden: Empetrum rubrum-Heiden im Küstenlande der Provinz Arauco, im südlichen Patagonien usw. ; Ericaceen- heiden derselben Gebiete aus Pernettya oder Gaultheria, auf sandigem Boden des Südens. f) Format ionsklasseDeciduilignosa, Fallaubgehölze. Unter Deciduilignosa, Fallaubgehölzen, fassen wir alle Gehölze zusammen, deren dominierende Holz- pflanzen Tropophyten sind, d. h. Bäume und Sträucher, die ihr Laub regelmäßig in einer ungünstigen Jahreszeit fallen lassen und die in der Regel Knospeiiscluitz besitzen. Diese Gehölze sind sehr charakteristisch für einen großen Teil der gemäßigten Zone und für Gegenden des Tropengürtels, wo zeitweise Trockenheit den Laubfall hervor- ruft (Monsungebiete). Es ist der Wasser- mangel, der diese Schutzmaßregel hervor- ruft, einerseits direkt durch die Trocken- heit, andererseits durch die Kälte, eine physiologische Trockenheit, bei der eben- falls das Wasser für die Pflanze unzugäng- lich wird. Diese Gehölze schließen an die Duri- und Laurilignosa an mit vielen Uebergängen, die sich durch allmähliche Durchdringung bei allmählichem Klimaübergang kundtun. Besonders finden die Laurifruticeta im Schutz von Falllaub-Hoclistämmen ihnen zusagende Bedingungen noch weit nördlich, so besonders in Irland, vor allem Hex aquifolium, im Ge- birge Buxus sempervirens. Sie können auch noch durch die Sommerwälder hindurch bis hinauf in die Nadelwälder gehen, wie z. B. die Alpenrosen, die unter Schnee- schutz in den Alpen ausgedehnte Bestände im Fichtenwald bilden. aa) Formationsgruppe Aestati- silvae, Sommerwälder. Unter Aestati- silvae, Sommerwäldern, verstehen wir die Deciduilignosa, deren vorherrschende Holz- pflanzen Bäume sind, welche in einer kalten Jahreszeit ihr Laub abwerfen. Es ist dies der Wald der gemäßigten Zone, besonders des mittleren und mäßig ozeanischen Klimas: gegen das kontinentale zu gehen sie in die Nadelwälder über. Neben der guten Jahreszeit mit starkem Wachstum geht der Winter mit ganz schwachem Wachs- tum, zu welcher Zeit sich die Assimilate in den Stamm zurückziehen. Da das Laub nur in der günstigen Zeit vorhanden ist, nimmt es zarten Bau an und ist meist frischgrün. Die Verzweigung ist reich und von zierlichen Formen wie in keinem anderen Wald. Zweige 878 Greographie der Pflanzen (Oekologisehe Pflanzengeograpliie) achten Grades zeigt die Buche, während die Tropenb.äume den fünften Grad selten über- schreiten. Dagegen ist die Artenzahl viel geringer als im Regenwald. Es dominieren meist nur eine kleine Zahl Arten oder gar nur eine, wie zumeist in Mitteleuropa. Die Lichtverhältnisse sind ganz andere als in immergrünen Wäldern; statt der Gleich- mäßigkeit der tropischen Gegenden und der einfachen Sommerlichtkurve immergrüner Wälder anderer Gegenden, begegnen wir einer mehrgipfeligen Kurve: Das Licht im Wald erreicht im Frühjahr ein Maximum vor der Belaubung, diese drückt es im Sommer herab, beim Laubfall entsteht noch ein sekundäres Maximum. Da die meisten Pflanzen mehr Licht zur Bildung der Blüten als der Blätter benötigen, herrschen im Sommerwald die frühen Blüher, die im Sommer nur noch Blätter tragen oder ganz verschwinden wie z. B. unsere Anemone nemorosa. Epiphyten bestehen nur noch aus Moosen und Flechten. Für Europa ist eine der wichtigsten die Buchen waldformation. Und zwar ist die Buche, Fagus silvatica, der typische Baum des mittleren Klimas. Ihre Ostgrenze zieht sich von Ostpreußen zum schwarzen Meer, das kontinentale Rußland vermeidend. Im Westen vermag sie im stark ozeanischen Großbritannien nur auf dem südwestlichen Kreidegebiet Wälder zu bilden, einerseits weil das Klima dort schon weniger feucht ist, andererseits der trockene Kreideboden der klimatischen Feuchtigkeit entgegenwirkt. Im jMdrtU'ii bekleidet der Buchenwald die Ebene, gegen Süden steigt er allmählich ins Gebirge. Seine obere Grenze bildet in ozeanischen Gebieten zugleich die Baumgrenze, daneben bildet sich noch eine Grenze gegen unten aus. Im Sottoceneri des Tessin z. B. geht der Buchenwaldgürtel von 800 m bis zur Baum- grenze bei 1400 m, auf Korsika von 1200 bis 1800 m. Im westlichen Kaukasus an den immerfeuchten Südhängen ist der Buchen- wald stark verbreitet." Seine Hauptstufe liegt zwischen 700 und 1500 m; jedoch geht er auch höher und bildet die Baumgrenze; andererseits mischen sich die Buchen dem tiefergelegenen Laubmischwald bei bis zum Meeresniveau. Die Buche gibt und erträgt viel Schatten, ihre Blätter gedeihen noch bei einem Minimal- Hchtgenuß von Veo — Vso (nach Wiesner). Der Grund des Frühblühens des Buchenunterwuchses sei an Anemone hepatica gezeigt (in der Umgegend von Wien nach Wiesner). Die Blütenentwickelung braucht viel Licht, im Mittel Lichtgenuß: L = 14 — Vs (Intensität = Imax = 500—333, IniPd = 242—166). Die nachfolgende Blattentwickelung geht vor sich bei L = Vs—Va (Imax = 330—123; L,,. rl = 170—62). Aus- j gewachsene Blätter gedeihen noch bei L = V16. 1 verkümmern bei L = V27) darunter verschwinden l [sie; bekanntlich findet man sie im schattigen I Sommer nicht mehr. In anderen Gegenden werden die Zahlen etwas wechseln, da ja Faktoren j ersetzbar sind, also bei mehr Wärme weniger I Licht imd umgekehrt benötigt wird. Vielerorts finden wir im dichten schattigen Buchenwald überhaupt keinen phanerogamen Unterwuchs, höchstens Saprophyten stecken im feuchten Laub auf dem Boden. Man könnte diese Assoziation F a g e t u m s i 1 v a t i c a e purum be- nennen. Anderorts kommt ein ziemlich mannig- faltiger Unterwuchs vor, in dem je nach den lokalen ökologischen Nuancen verschiedene Pflanzen diesen Unterwuchs dominieren können. In der Schweiz z. B. zeigen feuchte Teile einen dichten Wuchs von Allium ursinum (Fagetum silvaticae ursino-alliosum); kalkreicher, windgeschützter Boden ist von lockeren niederen ftasen von Carex alba bedeckt; auf kalkarmem, mäßig feuchtem Boden dominiert Bromus ramosus. In England dominiert Mercuriahs perennis j oft den Untergrund (Fagetum silvaticae perenni- ! mercurialosum). In einigen Gegenden kommt 1 auch heidiger Unterwuchs vor mit Deschampsia flexuosa, Trientalis europaea usw. Was als j Assoziationen und was als bloße edaphische oder geographische Assoziationsvarietäten zu betrachten ist, werden floristisch-statistische Aufnahmen zu erweisen haben. Häufige Pflanzen im Buchenwald sind Anemone nemorosa, A. hepatica, A. ranunculoides, Asperula odorata, , Mercurialis perennis, Oxalis acetosella, Sani- cula europaea, Stellaria nemorum usw. Von Bäumen ist Hex acpiifolium, Taxus bac- cata, Abies alba zu nennen. Auf eine Asso- ziation des feucht-ozeanischen Voralpenlandes am Rande schweizerischer Buchenwaldverbrei- tung muß noch aufmerksam gemacht werden, das Fagetum silvaticae acerosum. Hier mischen sich dem Buchenwald bei vor allem Acer pseudoplatanus, der lokal dominieren kann, j dann Acer campestre, A. platanoides, Tilia j platyphyllos. Eichenwald (von Quercus robur und Q. sessiliflora). Weiter nach Westen und Osten als die Buche gehen diese Eichen als Waldbildner. Ihr Schatten ist nicht so dicht I wie der der Buche, daher ist der Unterwuchs viel reicher. Die Wälder waren früher viel mehr verbreitet als jetzt, weil sie der Mensch als Fruchtwald zur Schweinemast benutzte und dafür die Eiche begünstigte, sowohl im germanischen Altertum wie auch noch im Mittelalter (Brockmann- Jerosch). Der Kiedcrwaldbetrieb fördert den Eichenwald, da die liiichen auch buschförmig fruchten im Gegensatz zur Buche. Die Verschiedenheit der Ansprüche zwischen Quercus robur und Quercus sessiliflora liegen noch nicht ganz klar; im ganzen scheint Quercus sessUiflora die anspruchslosere zu sein, indem sie sich einerseits mit flachgründigem Boden begnügt, wie z. B. auf den paläozoischen Gesteinen Irlands, andererseits trockeneres Klima verträgt, wie an den heißen Kalkfelsen des Jura- hangs gegen das schweizerische Mittelland, in dem kontinentalen Churer Kheintal und bei Disentis. Eine sehr bemerkenswerte Assoziation Geographie der Pflanzen (Oekologische Pflanzengeograpliie) 879 ist das Quercetum sessiliflorae aqui- foliosum in Irland. Auf flachgründigem paläo- zoischem Sandstein steht ein Eichenwald, dessen Unterholz infolge des äußerst milden Klimas dem Lorbeergebüsch sehr ähnlich ist. Wii- finden Hex aquifolium dominierend, ferner Arbutus unedo, am Boden die zarten Hymeno- phyllum tunbrigense und Hymenophyllum pelta- tum (Rubel). Im feuchten England gibt es noch aus- gedehnte Eschenwälder (Fraxinus excel- sior). In höheren Lagen finden wir in ganz Westeuropa Birkenwälder (Betula pubes- cens). Am stärksten entwickelt sind die Falllaub- wälder in Nordamerika. Sie bedecken dort ein ungeheures Gebiet von der Ostküste in großer Breite zu den Prärien und treten nordwestlich der Prärien noch einmal auf. Bekannt durch die reizvollen Herbstfär- bungen sind die nordamerikanisch- kanadischen Ahornwälder, in denen viele Arten von Acer, Liquidambar, Quer- cus, Crataegus, Juglans, Carya usw. vor- kommen. In Michigan wächst nach Living- ston (The distribution of the upland plant societies of Kent county, Mich. Bot. Gazette, Bd. 35) auf dem besten Boden ein Buchen-Ahorn-Mischwald, dann folgt Ahorn- Ulmen-, weiter Eichen-Caryawald , in den schlechtesten Lagen Eichen-Hasel- und Eichen-Föhrenwald. In ozeanischen Gegenden gehen die Laub- wälder bis zur Baumgrenze, so die schon genannten Eichenwälder in Nordeuropa, die Buchenwälder an der alpinen Baum- grenze des insubrischen Tessin und des Kaukasus, die antarktischen laubwechselnden Buchenwälder Patagoniens von Nothofagus antarctica,N.obliqua, N.procera, N.Montagnii, N.pumilio. An Arten äußerst reich entwickelt ist der Falllaubwald Nordjapans, in dem außer Eichen, Buchen und Ahornen noch viele andere Bäume sich entwickeln, Betula, Tilia, Fraxinus, Pterocarya, Zelkova, Juglans usw. Gehen wir über zu den feuchteren Wäldern. Die ausgleichende Wirkung des Wassers zeigt sich darin, daß wir in ganz Europa die- selben Arten finden im 'Auenwald. Quer- cus, Populus, Salix und Alnus kenn- zeichnen diese Wälder, die an Flüssen und Bächen das fließende Wasser benutzen. Besonders ausgedehnt sind die Donauauen. Die schweizerischen Auen heißen Schachen, sie sind an der Aare schön entwickelt. Weiden und Pappeln begleiten die Wasserrinnen bis in die ungarischen Steppen wie auch im Süden ins Mediterrangebiet und die algeri- schen Steppen. Im Grebirge sind es immer noch Erlen und Weiden, jedoch buschförmig. Steigt der Grundwasserstand noch höher, so gelangen wir zum Sumpfwald oder Bruch- wald. Er ist meist nur 5 bis 6 m hoch. Sumpfpflanzen wachsen zwischen denBäumen. Dem geringen Sauerstoffgehalt des Bodens ist von den Bäumen am besten Alnus rotundifolia gewachsen, dies ist daher in ganz Europa der dominierende Baum. Der Boden ist fruchtbar, wird daher durch Ent- wässerung häufig für die Kultur gewonnen. Daher sind die Bruchwälder nicht mehr so verbreitet wie ehedem; in der Schweiz be- stehen keine mehr; bekannt sind die aus- gedehnten Brücher des Spreewaldes. In Südost-England in den Norfolk broads befinden sich prachtvolle Bruchwälder, eng- lisch ,,Carr" genannt, die sich in zwei sukzes- sionale Assoziationen scheiden lassen, das Sumpfcarr, das unter der Alnus rotundi- folia Verlander (vgl. S. 889 ff.) trägt wie Carex paniculata, C. acutiformis und Dryopteris thelypteris. Der Boden ist noch größten- teils schwimmend. Die andere Assoziation, das Fencarr, von etwas festerem Bau enthält neben der dominierenden Alnus rotundifolia noch Rhamnus cathartica und R. frangula, Viburnum opulus, Ligustrum usw. Das ,,Schlußcarr", aus den beiden vorhergehenden entstehend, gleicht dem letzteren, zeigt aber einen reicheren Wuchs; besonders auffallend in dem Dickicht ist die Masse Lianen, hauptsächlich Humulus lupuliis, Solanum dulcamara und Rubi (Marietta Pallis in Tansley 1911). Hierher düiite der große ,,Dismal swamp" m Virgmia und Nordkarolina eingereiht werden, ein schattiger Sumpfsommerwald, in welchem Schwarzgummi = Nyssa biflora (Cornac.) und Taxodium distichum vorherrschen. Häufige Bäume darin sind Acer rubrum, Nyssa uniflora, Fraxinus platycarpa, Quercus phellos. Im Unterwuchs begleitet Saururus cernuus die Flußufer. |Ö/S) Formationsgruppe Aestatifruti- ceta Sommergebüsche. Unter Aestati- fruticeta, Sommergebüschen, verstehen wir die Deciduilignosa, deren vorherrschende Holzpflanzen Sträucher sind, die ihr Laub in der kalten Jahreszeit abwerfen. Die meisten dieser Gebüsche sind biotisch bedingt, viele edaphisch. Wo das Klima ge- schlossene Falllaub Vegetation zuläßt, genügt es in der Regel auch für Baumwuchs, daher sind Sommergebüsche nirgends rein klima- tisch, kommen jedoch in der waldlosen Arktis an edaphisch begünstigten Stellen halbklimatisch vor. Es ist'dies die Wei de n - gebüschformation. An Grönlands West- küste findet man bis weit in den Norden in geschützten Tälern, an warmen Stellen, wo gute Dammerde liegt und Bäche für reich- liche Bewässerung sorgen, üppiges Sali- cetum glaucae, das außer dieser Art an Büschen nur noch eingestreute Betula nana und im südlichen Teil Alnus viridis enthält. 880 Geographie der Pflanzen (Üekologische Pflanzengeograpliie) Ein ziemlich reicher Unterwuchs von der i prächtigen Angelica archangelica , ferner Alchemilla alpina, Sibbaldia procumbens, I Cerastium alpinum, verschiedenen Saxi- fragen usw. gedeiht darunter. Einige Wald- pflanzen wie Pyrola gedeihen noch in diesem ! Miniaturwald. In den norwegischen Bergen sowie in Sibirien, Lappland usw. ist das Weiden- l gebüsch viel reicher entwickelt. Es ist ein ' Salicetum mixtum von Salix lapponum, j S. lanata, S. arbuscula, S. glauca, S. phylici- j folia, S. nigricans mit reichem Unterwuchs. i Ganz ähnliche Assoziationen treffen wir in ] den Alpen. Zwerggebüsche von Salix hastata, ! S. glauca, S. arbuscula, S.helvetica, S. myrsinites, j S. caesia begleiten die Bäche in der unteren ; alpinen Stufe und niedersteigend in die subalpine. Assoziationen höherer Weiden- gebüsche finden sich im ganzen gemäßigten Europa auf Alluvionen und den Bächen entlang bis weit ins subtropische Mediterrangebiet hinein. Hier zeigt sich wieder, wie das Wasser ausgleichend whkt, indem der feuchte Standort dieser Formation ermöglicht, durch verschiedene Klimazonen vorzukommen. Auch Asien und Nordamerika weisen Weidengebüsche auf. Weit herum in der subalpinen Stufe und subarktischen Region kommt auch die Grünerlenformation (Alnion viridis) vor, je nach der floristischen Zusammensetzung in den verschiedenen Ländern verschiedene Assoziationen bildend. Häufig wurde ein Alnus viridis -Gürtel mit Legföhren als über der Baumgrenze vorkommend be- zeichnet. Wo aber die Baumgrenze natür- lich ist, hat es sich nicht bestätigt; Bäume gehen ebenso hoch wie Alnus viridis. Diese Formation ist auch sehr feuchtig- keitsliebend und folgt ebenfalls den Bächen; sie liebt Urgestein. Die biotisch bedingten Sommergebüsche gehören zu den Busch weiden, wie viele der Dnrifruticeta. Besonders hervorzuheben t ist die Corylusformation (Corylion avel- ; lanae). Durch das Fällen der Bäume und die ' Beschädigung durch weidende Tiere wird der Laubwald zurückgehalten, die Gebüsche : kommen zum Dominieren, am häufigsten j Corylus avellana, besonders in der Schweiz, wo sie Bro ckmann fürs Puschlav beschreibt, ! ferner erwähnt sie Geiger im Bergeil, j Bettelini im Tessin, Rob. Keller im Val Blenio. Li Bosnien und der Herzegovina 1 gehören nach Beck 49 resp. 79% des ,,Wald- : landes" zu dieser „bebuschten Viehweide'", in der neben Corylus auch Ligustrum vulgare, Pirus communis, Crataegus mono- ' gyna, Juniperus communis, Acer campestre, Acer tataricum, Prunus spinosa, Viburnum I lantana, bestandbildend auftreten ' können. , Auch in den mösischen Ländern wird die sub- j montane und montane Stufe großenteils von dieser Formation beherrscht, wo wiederum i Corylus meist bestimmend ist, daneben Car- j pinus betulus, Acer campestre und buschige Fagus silvatica (auch im Kaukasus) Neben- typen bilden. Anschließend an diese For- mation, die ein etwas ozeanisches, ge- mäßigtes Klima liebt, ist die von Adamovic benannte Sibljakformation zu behandeln. Während das Corylion die submontane und montane Stufe Mitteleuropas wählt, sind diese Stufen in dem Teil des Mediterran- gebietes, in dem auch sie einen kontinen- talen Anstrich haben, von der sibljakfor- mation eingenommen, welche also die lauri- folen Pseudomacchien der ozeanischeren Mediterrangebirge vertritt und als höhere Stufe an die kontinentale Macchie anschließt. Am besten studiert ist diese Formation von Adamovic in den mösisclieu Ländern, wo er 15 Typen unterscheidet nach den vorherrschenden Pflanzen, die oft fast zu Kciul^eständen sich aus- wachsen können: das trockene kalkholde Paliu- retum australis, das weitverbreitete Kalk und Serpentin bewachsende C o t i n e t u m c o g g y g r ia e, das litoral-mediterrane Rhoetum coriariae (Rhus, gen. rhois), das endemisch bulgarisch- ostserbische, Kalk und Sonne liebende Sy rin- ge tum vulgaris, das kalkstete, meist reine Bestände bildende Cytisetum (Petteria) ramentacei, das südliche Cercidetum sili- quastri, das indifferente begleitliebeude Pru- netum chamaecerasi, das prächtige, kalk- stete, warme Amygdaletum nanae, das reine Forsythietum europaeae, das westbalkani- sche "Zizyphetum lotoidis und loti, das griechische Punicetum granati, das weit- verbreitete Viburnetum lantanae, das im Osten bestaiidbildende Berberidetum vul- garis, das weitverbreitete und weit nach Westen (Oesterreich, Deutschland) dringende, den Ueber- gang zu den mitteleuropäischen Buschwäldern bildende Quercetum pubescentis, sowie einen Mischtypus. In den Kaukasusländern ist von diesen Typen besonders das Paliuretum noch weit verbreitet, es bildet einen breiten Gürtel als äußerster Gehölzwuchs gegen die Steppe. Als äußersten Vorposten der Formation in der Steppe an edaphisch durch Feuchtigkeit be- günstigten Stellen möchte ich das Gebüsch von Spiraea hypericifolia in den Jergeni- schhichten in der Nähe von Sarepta bezeichnen. yy) Formationsgruppe Hiemisilvae, Monsunwälder. Unter Hiemisilvae, Monsun- wäldern, verstehen wir die Deciduilignosa, deren voi herrschende Holzpflanzen Bäume sind, die ihr Laub im trockenen Sommer regelmäßig abwerfen, dagegen in der Regen- zeit belaubt sind. Wie beim Vorhergehenden ist auch hier in der ungünstigen Jahreszeil Wassermangel, nur nicht infolge Kälte, sondern infolge Trockenheit in der heißen Zeit. Wo im Tropengürtel eine Jahresperiodizität sich fühlbar macht, geht der Regenwald in den laubwechselnden Monsunwald über. Die Gebiete dieser Gruppe sind weiter ausgedehnt als die des Regenwaldes. Die Wälder treten teils noch in" großer Mischung auf, teils herrscht eine Art vor, die Verzweigung ist Geographie der Pflanzen (Oekologische Pflanzengeograpliie) 881 stärker als bei den Kegenbäumen, die Blätter meist kleiner, Plankengerüste und Canliflorie usw. fehlen. Das Licht hat Zutritt, es herrscht im Wald nicht das Halbdunkel der Regen- wälder. Im ganzen sind diese Wälder noch sehr schlecht ökologisch erforscht, auch die Grenzen gegen andere Gruppen noch nicht überall bekannt. Am besten bekannt sind darunter die anspruchslose Larix. Anspruchs- loser als Laubhölzer stellen sie sich da ein, wo jene nicht mehr gedeihen: klimatisch, wo es zu kalt oder zu kontinental wird, also in der subarktischen Region und der sub- alpinen Stufe, ferner im kontinentalen Innern des Kontinents (Rußland); edaphisch, wo der Boden zu arm ist, also auf den Sandböden die asiatischen Monsunwälder in Hinter- der gemäßigten und subtropischen Zone; Indien und Ostjava. Auf leicht trocknendem, \ in sauerstoffarmen Sümpfen. Nicht alle schwer durchlässigem Boden herrscht in | Koniferen gehören hierher, nur die mit Ostjava der Djatiwald, dominiert vom pinoidem Laub; die breitlaubigen haben wir wertvollen, großblättrigen Djatibaum oder ! zum Teil bei den Laurilignosa getroffen. Tiekbaum, Tectona grandis. aa) Formationsgruppe Conisilvae, Begleitet ist dieser Baum von der schirm- ! Nadelwälder. Unter Conisilvae, Nadei- förmigen Acacia leucophloea, der birken- rindigen Albizzia procera. Während diese kahl smd, bleiben Butea frondosa, Schleichera trijuga (Sapindac.) und Albizzia stipulata immergrün. Lianen und reicher Unterwuchs von Legumi- nosen schmückt zur Regenzeit mit großer Blüten- pracht die Gegend, besonders zu Anfang der Monsunregen im November. Viele Annuelle gehen dann auf. Ist der Boden trockener so treten hohe Gräser, den Unterwuchs dominierend, auf wie Alang-Alang = Imperata arundinacea und Saccharum spontaneum. Dadurch gelangt man hinüber zu den S a v a n n e n w ä 1 d e r n , Wäldern mit grasigem Unterwuchs, deren es auch viele laubwechselnde gibt neben den oben be- sprochenen immergrünen hartlaubigen. In Ost- afrika gibt es auch Winterwälder, deren physio- gnomische Aehnlichkeit mit den asiatischen Engler betont. Im Innern von Südamerika liegen die tropo- philen, von Warming geschilderten Monsun- wälder auf felsigen Kalkhügeln der Minas geraes. Der Laubwechsel geht da so rasch, daß die Bäume nie ganz kahl werden Wäldern, verstehen wir die Conilignosa, deren dominierende Arten Bäume sind. Große Gebiete der nördlichen Hemisphäre sind von Nadelwald bedeckt, auf der süd- lichen dagegen spielen sie keine große Rolle. Oft ist auf ungeheuren Strecken eine einzige Art herrschend. So überzieht in der subalpinen Stufe der mitteleuropäischen Gebirge und im subarktischen Nordost-Europa Fichten- wald mit allein dominierender Picea excelsa große Gebiete. Dieser Baum gehört unter den Koniferen zu den anspruchsvollen, er bedarf viel Wasser. Mit dem Laubwald kann er nicht konkurrieren, daher bildet er seine Wälder in der Stufe, wo der Laubwald nicht mehr seine Stärke entwickelt. In der Ebene gedeiht er gut, wird aber von der Buche erdrückt. Da die Fichte sehr geschätzt wird, pflanzt sie der Mensch in großen Massen an und unterstützt sie durch den Forstbetrieb. Daher haben wir ausgedehnte Fichtenwälder auch in der Ebene in Deutschland und der Ausgedehnte Gebiete Nordbrasiliens zwischen | Schweiz. Im Jura sind Fichtenwälder von den Regenwäldern und den südlichen Savannen- 1 700 bis 1500 m verbreitet, am üppigsten gedeihen Wäldern nehmen die Catingas ein, lichte Wälder, sie in den nördlichen Kalkvoralpen von 1400 Die Bäume sind laubwechselnd, nicht sehr hoch; I bis 2000 m; in den trockenen Zentralalpen das reiche Gesträuch besteht großenteils aus smd sie beschränkt auf den Gürtel von 1500 bis Dorngebüschen, Mimoseen. Betreff Boden sind j 1800 m und sind auch dort nicht in voller Ueppig- die Catingas nicht wählerisch, sie decken Sand, i keit entwickelt. In Rußland dehnen sich weite Urgranit und Jurakalk. Charakteristische Ver- treter sind Spondias tuberosa, Anona obtusi- folia, Caesalpinia pubescens, Caesalpinia glan- dulosa, Bombax, Cereus, Mimoseen, Bromeliaceen usw. Reine Gebüsche ohne Bäume scheinen nicht vorzukommen, daher bleibt eine entsprechende Formationsgruppe der Hiemifruticeta noch offen. ^) Formationsklasse Conilignosa Fichtenwälder. Die verbreitetste Assoziation ist das Piceetum excelsae vacciniosum in seinen verschiedenen geographischen Varietäten. Die Fichte schattet sehr stark. Im schattig feuchten Wald bildet sich Humus, daher ist diese humusliebende Assoziation so häufig. Der feuchte Wald schafft seinem Unterwuchs ozeanisches Lokalklima, das von den klein- en HpIo-pIiöI/p TTntpr Conilio-nosa ''Nadel- 1 ^°'"^^^''^l^**^^^'iS^^ Sträuchlem benutzt wird. Naclelgeliolze unter bonmgnosa, mciei K^^^^^. ^^^^ Vaccinien finden sich Pyrolae, geholzen, verstehen wir die Bestände mit vor- Trientalis europaea im Norden, Anemonen wiegend nadeltragenden Holzpflanzen. Unterland Veilchen. Noch dichtere Wälder haben Nadeln sind schmale, lineale Blätter, die meist weder mechanische Verstärkung noch besonders ausgebildete Interzellularen ent- halten, zu verstehen. Zu den Nadelgehölzen gehören nur Koniferen; diese anspruchslose taxonomische Gruppe enthält auch eine ökologisch-phy- siognomische. Die Blätter dieser Pflanzen dauern in dei Regel längere Zeit, sind also immergrün, einige jedoch sind laubwechselnd, Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV, einen bloßen Moosunterwuchs oder überhaupt kernen Unterwuchs mehr. Andererseits beschreibt Grisch (Beiträge zur Kenntnis der pflanzengeo- graphischen Verhältnisse der Bergünerstöcke, Bei- hefte z. Bot. Zentralbl. Bd. 22, 1907) am Südhang der Bergünerstöcke in Graubünden einen etwas lichteren Fichtenwald mit geschlossenem Rasen als Unterwuchs, also ein Piceetum excelsae pratosum. In Norwegen gehen die Fichtenwälder bis 69" n. Br. ; in Sibirien ist es die sibirische Fichte 56 882 Geographie der Pflanzen (Oekologische Pflanzengeographie) Picea excelsa Lk. var. obovata Lebed., die die Wälder beherrscht. Viel anspruchsloser als die Fichte ist die Waldföhre, Pinus silvestris. Sie bedeckt die trockeneren und nährstoffärmeren I Böden. Daher finden wir die Föhrenwald- formation vorzugsweise auf den Sand-; und Heideböden. Die norddeutschen dilu- '. vialen Sande sind von diesem Wald bestockt. Er geht in Skandinavien bis zu 70" n. B. Die lichtbedürftigen Heidepflanzen können gut wachsen in den lichten Föhrenbeständen. Die Föhre selbst ist lichtbedürftig und hält j ihre Nadeln nur 3 bis 4 Jahre. Die häufigste | Assoziation des nördlichen Flachlandes ist I das Pinetum silvestris ericetosum. ' In den Alpen bewohnen diese Wälder die j kontinentalen Innentäler wie das untere Puschlav und obere Albulatal in Graubünden. Eine eigen- ! artige Assoziation bildet die Pinus silvestris \ var. engadinensis im Engadin im Plaun God ; bei 1800 m. In diesem Pinetum engadinensis vacciniosum steht gemischt mit den Föhren Pinus cembra und Larix decidua. Den Unterwuchs beherrscht Vaccinium vitis-idaea. ' Daneben sind noch häufig: Vaccinium myr- tUlus, Linnaea borealis, Calluna, Cala'm- agrostis vülosa, Deschampsia flexuosa, Homo- gyne alpina, Hieracium murorum. Aehnlich > findet sich dieser Wald auch im Unterengadin bei Zernetz (St. Brunies, Die Flora des Ofengebietes, Ber. d. Nat. Ges. Graubündens. Bd. 48, 1906). Im Puschlav hingegen bei 50(j bis 1500 m dominieren im Föhrenwald, der die Südhänge bekleidet, abwechselnd Carex humilis, Festuca capillata, Stipa calam- i agrostis, Festuca heterophylla. j Die Arvenwaldformation vermag 1 höher zu steigen in den Alpen als die vorher- ! gehenden. Die Arve, Pinus cembra, ist sehr häufig mit der Lärche gemischt, bildet aber doch noch hie und da reine Wälder, besonders im Engadin das Pinetum cem- brae suffruticosum im Scarltal, im Eosegtal, Morteratsch und Languard. Wundervoll sind die dicht und weit herab benadelten, dunkelgrünen, gewölbtkronigen Bäume, wie sie die steilen Hänge hinanziehen von 1800 bis 2300 m, einzelne Hochstämme noch bei 2400 m, Zwergarven im Morteratschtal noch bis 2580 m. Den Unterwuchs bilden Zwerg- strauchtypen, besonders massenhaft sind Rhodo- dendron ferrugineum, Vaccinium myrtillus, Calamagrostis vülosa, Loiseleuria procumbens, Empetrum nigrum, Oxalis acetosella. Die alpinen Arvennüsse sind sehr hart, ebenso der Schnabel des nußknackenden Hähers, im Gegensatz dazu hat die sibirische Arve weichere Nüsse und der sibirische Häher einen weicheren Schnabel. In Sibirien ist die Arve bestandbildend verbreitet in den Gouvernements Perm, Wjatka, Wologda und geht am Jenissei bis 68" n. Br. Im selben Gebiet und noch weiter finden sich Lärchenwälder von Larix sibirica und L. dahurica. In den Alpen sind die Lärchenwälder von Larix decidua viel ; häufiger als die Arvenwälder. Sie bilden die i Waldgrenze in den Zentralalpen (Wälder von 1800 bis 2300 m) und am südlichen Alpenhang im Sopraceneri des Tessin (Wälder I von 1500 bis 1900 m). Die Lärche ist sehr anspruchslos. Zum pinoiden Blatt kommt der : Laubfall noch hinzu. Ihr Haupterfordernis ist viel Licht. Sie kann humusloses Neu- land leicht besiedeln, während die Arve nur auf gutem, festem Boden gedeiht. Darum nehmen die Lärchenwälder im Engadin mehr die unteren Teile der Hänge ein, Halden, Schuttkegel, Alluvium; Arvenwälder die festen Felsen. Hat sich im Lärchenwald nach und nach eine Humusdecke angesammelt und ist der Stand dichter geworden, so besteht der Jung- wuchs aus lauter Arven, die sehr lichtbedürftige Lärche kommt nicht mehr auf. Die Assoziation ist infolge des vielen Lichtes ein Laricetum deciduae pratosum. Die Bodendecke der Lärchenwälder des Berninagebietes gehört nach Rubel zu den Wiesentypen des Trifolietum alpini, des Nardetum strictae und des Trifolietum repentis. In Zwischenstufen kommen auch Misch- wälder vor von Lärche und Fichte, Lärche und Buche, wie auch die Weißtanne, Abies alba, so häufig sie ist, als allein waldbildend hier kaum in Betracht kommt, jedoch eine bedeutende Rolle spielt in den höheren Buchenwäldern des schwei- zerischen Mittellandes und des oberen Tessin. In den submontanen Stufen von Südost- Bosnien, von Serbien und dem Sandzak Novipazar tritt die österreichische Schwarzföhrenformation auf (Pinus nigra var. austriaca) mit sehr variabelm Unterwuchs. Im Mittelmeergebiet bildet eine andere Varietät, die korsische Schwarzkiefer oder Lariciokiefer, Pinus nigra var, Poire- tiana, ähnliche Wälder, besonders be- kannt von Korsika und den österreichischen Küstenlandinseln. Im meist spärlichen Unterwuchs tritt Erica arborea und E. verticillata, Juniperus oxy- cedrus und J. phoenicea, Arbutus unedo, Viburnum tinus hervor. Häufig ist mitdomi- nierend, besonders auf Korsika, Pinus pinaster. Hier auf Korsika geht der Kiefernwald bei 1100 m nach oben in einen Buchenwald über. Ein anderer Koniferenwald des Mittel- meergebietes ist der Aleppokiefernwald (Pinus halepensis). Er bestockt die trockenen nährstoffarmen Sande. Die Aleppokiefer ist aber in jenem ganzen Gebiet nicht ursprüng- hch einheimisch, sondern nur seit alters an- gepflanzt. Zu erwähnen sind noch die illyrisch-mösischen Wälder auf Kalk in der Bergstufe von Picea omorica, in der subalpinen Stufe von Pinus peuce und Pinus leucodermis. Die Nadelwälder des Atlasgebirges sind die Z e d e r n w ä 1 d e r von Cedrus libani var. atlantica. Sie kommen im Teilatlas zerstreut vor als subalpine Stufe zwischen 1000 und 1600 m auf Kalk und Sandstein. Weiter östlich in Kleinasien und C3'pern ist es Geograpliie der Pflanzen (Oekologische Pflanzengeographie) 883 Cedrus libani, die ausgedehnte Wälder bildet 1 von 1300 bis 2000 m, vergesellschaftet mit | Abies cüicica und Juniperus foetidissima. Noch weiter östlich im Himalaya und den Ge- | birgen von Afghanistan und Belutschistan ] ist es Cedrus libani var. deodara, die von I 1300 bis 3200 m Wälder bildet auf Kalk und Urgestein. Beigemischt sind diesen öfters Pinus excelsa und Picea morinda, hier und da Abies Webbiana. Die Länge der Nadeln nimmt ; ostwärts zu von der kurznadeligen atlantica bis zur langnadeligen deodara. , Die subalpine Stufe der Kanaren, 1600 bis ! 2400 m, beherrscht der Wald von Pinus canariensis. Diese Föhre gedeiht auf trockenen j Halden auf noch sehr jungen Laven. Die Wasserversorgung wird großenteils dem Nebel i entnommen. Der Wald hält bedeutende Tem- peraturextreme aus, verlangt aber doch einen milden Winter. Das Unterholz besteht meist : aus mediterranen Typen. Es seien genannt: Cistus monspeliensis, der endemische Cistus ! vaginatus, Adenocarpus viscosus, A. franke- noides. Weit ausgedehnt sind die Nadelwälder in I Nordamerika. Sie bekleiden die breite sub- arktische Zone, die subalpinen Stufen der Ge- birge, besonders im kontinentaleren Westen vorherrschend bis in die Ebene. Ferner behaupten sie im Süden die trockenen sandigen Flächen der Pine barrens. Wo der Boden ein beinahe reiner Sand ist, der auch nach Regen sehr rasch trocknet, herrscht Pinus palustris, die Pitch pine; im Unterholz treten kümmerliche Eichen auf. Wird der Boden etwas besser, d. h. lehmiger, so kommt Pinus taeda zum Dominieren. ßß) Formationsgruppe Conifruti- ceta, Nadelholzgebüsche. Unter Coni- fruticeta, Nadelholzgebüschen, verstehen wir die Conilignosa, deren dominierende Arten Sträucher sind. Diese Gruppe gehört zu den selteneren. In Europa ist die bedeutendste hierher gehörige die Legföhrenformation. Pinus montana findet sich besonders in den Py- renäen, aber auch in den Alpen, teils hoch- stämmig und Wälder bildend, öfters aber und besonders gegen Osten als Legföhre entwickelt und mit ihren zahlreichen, schlangenartigen, aufsteigenden Aesten fast undurchdringliche Dickichte bildend. Ausgedehnte Bestände kommen in der subalpinen Stufe von 1500 bis 2300 m vor in den Pyrenäen, den Alpen, den deutschen Mittelgebirgen, den Karpathen. In Nieder- österreich sind sie so stark entwickelt, daß Beck eine eigene Krummholzstufe einschiebt zwischen Voralpen- und Alpenstufe. Es sind besonders trockene Kalkhänge, wo keine Bäume mehr fortkommen können, die von Legföhren bestanden sind, ferner Lawinenzüge, in denen die Legföhre aushält, deren biegsame Aeste den Lawinen nachgeben ohne zu brechen. Ob der Krummholzgürtel über der Baumgrenze, wo er den untersten Teil der alpinen Stufe bildet, wirklich klimatisch ist, wie oft angenommen, ist zu bezweifeln. Wahr- scheinlich ist er eher biotisch bedingt durch Herabdrücken der Baumgrenze durch Holz- schlag und Weide. In der Schweiz wenigstens steigt die Legföhre überhaupt nicht höher als die Nadelbäume. Der Unterwuchs ist wechselvoll je nach der Unterlage. Am häufigsten sind wohl Zwergsträucher. In den Ostalpen herrschen meist Rhododendron ferrugineum und R. hir- sutum, wir haben also ein Pinetum montanae rhododendrosum. Häufig ist Juniperus communis var. nana, die Vaccinien, Arcto- staphylos uva ursi, so daß ich die Assoziation im Berninagebiet Pinetum montanae suffru- ticosum genannt habe. In den illyrischen Gebieten sind nach Beck dieselben Arten zu nennen, dazu etwa noch Sorbus chamaemespilus, Rhamnus fallax, Ribes alpinum usw. Juniperusarten, die oft den Unterwuchs in Wäldern bilden, bleiben als dominierende übrig nach Abschlag des Waldes. So treffen wir im Mittelmeergebiet Gebüsche von Juniperus oxy- cedrus und J. phoenicea; in den Alpen Juni- perus communis var. nana. In den Gebirgen Japans treffen wir zwischen 2200 und 2500 m ein Gebüsch von Pinus parviflora. 2d)VegetationstypusPrata, Wiesen. Die Wiesen sind Pflanzengesellschaften aus Gräsern, Kräutern und unverholzten Krypto- gamen, die den unbeweglichen Boden derart bedecken, daß das einfallende Licht von den dominierenden Arten so benutzt wird, daß die Bodendecke dadurch wesentlich beein- flußt wird. Auf mit Wasser bedecktem Boden wird naturgemäß die Pflanzendecke öfters weniger dicht sein. Dieser Typus ist im allgemeinen weniger anspruchsvoll als der vorhergehende in bezug auf die Größe von Wasser- und Nährstoff- bilanz. Nicht so viele Stockwerke kommen übereinander vor. Es ist meistens nur ein Stockwerk, höchstens darunter noch eine Bodendecke von Kryptogamen. Klimatisch bedingt sind die Präta, wo durch die Kälte der arktischen Zonen und alpinen Stufen den i Lignosa eine Grenze gesetzt ist. Ueber- '' wiegend sind die Prata edaphisch oder : biotisch bedingt, was bei den einzelnen Gruppen auszuführen ist. a) Formationsklasse Terriprata, Boden wiesen. Unter Terriprata, Boden- wiesen, verstehen wir vom Grundwasser unbeeinflußte Pflanzengesellschaften aus Gräsern, Kräutern und Moosen, die den Boden so bedecken, daß sie auf eine all- fällig untere Lage einen wesentlichen Einfluß ausüben. ! aa) Formationsgruppe Duriprata, Hartwiesen. Unter Duriprata, Hart- wiesen, verstehen wir Wiesen, bei denen die dominierenden Arten Vegetationsorgane be- sitzen, die weniger durch Turgor als durch mechanische Gewebe versteift sind und die im Winter vollständig absterben. Gramineen undCyperaceen, die mechanisch 56* 884 Geog-raidiie der Pflanzen (Oekologisclie Pflanzengeograpliie) versteift sein können, herrschen vor. Deren ! oberirdische Organe verdorren im Herbst; | auch die meisten Begleitpflanzen verlieren ihre oberirdischen Bestandteile, so daß das Ganze ein gelbbraunes Aussehen bekommt, das i etwas an die Steppen erinnert. Sie unter- scheiden sich aber von diesen schon dadurch, daß die für die Steppen charakteristischen Halophyten, Therophyten, die verholzten Standen und die Zwiebelpflanzen, alle diese , vier Kategorien teils vollständig fehlen, teils nur schwach vertreten sind. Die Hart- wiesen sind charakteristisch für ein mittleres | Klima der gemäßigten Zone, sie vertreten die ; immergrünen Wiesen der ozeanischen Ge- j biete und die Stej)pon der kontinentalen. | Sie kommen meist auf trockenen Böden vor, \ sind aber nicht daran gebunden. , Eine sehr ausgesprochene Gesellschaft dieser Art ist das Festucetum vallesiacae, eine | Assoziation, die in der Schweiz in wenigstens ' di-ei Varianten, Subassoziationen, vorkommt. Im Wallis finden wir von der Talsohle bis gegen 2200 m an sonnigen, trockenen, flachgründigen Stellen Festuca vallesiaca mit ihren dünnen, borstigen, dicht gedrängten BLättern herrschen. Von ähnlicher Tracht sind die begleitenden Stipa pennata, Koeleria vaüesiana. Zwiebeln tragen die Poa concinna und Poa bulbosa, I sowie die Frühjahrsbliiher Gagea saxatilis, 1 Muscari comosum; daneben finden wir die be- [ haarten Artemisia vallesiaca und Oxytropis HaUeri, die fetten Semperviven. ' Eine ähidiche Gesellschaft finden wn nach j Brock mann in der Montanstufe (850 bis 1450 m) | des Puschlav auf ebenem bis geneigtem, flach- bis tiefgründigem Ursgesteinsboden, wo Festuca vallesiaca vergeseUschaftet ist mit Koeleria cri- stata, Avena pratensis, Anthoxantum odoratum, Trifolium montanum, Helianthemum nummula- rium usw. In der Kulturstufe unter 850 m wird die Ausbildung schon mehr steppenartig; die sonnigen Südhänge des Veltlin tragen neben der , herrschenden Festuca vahesiaca, der Koeleria cri- i stata var. gracilis, Andropogonischaemum, Phleum ] Boehmeri usw., eine ganze Reihe Annueller wie l Bromus squarrosus, Cerastium semidecandrum, I usw. Auf steilen Hängen auf Kalk und Urgestein j ist es die Brachypodium pinnatum-Asso- j ziation auf festliegendem Gesteinsschutt. Auch ^ hier ist Koeleria cristata gracilis und Phleum Boehmeri beigemischt; letzteres kann sogar zum vorherrschen kommen, wenn der Boden [ ins Rutschen gerät, wir haben dann einen Ueber- j gang zum Mobilidesertum. j Nahe verwandte Gesellschaften beschreibt Domin im böhmischen Mittelgebii-ge in seinen ,,pontischen Formationen". Vor allem die , ,p on tisc he Hügelformation" auf den warmen felsigen Gebirgen niederer Lagen ist sehr ver- breitet in jener Gegend. Domin nennt sie Steppenformation oder Steppenwiesen (Domin, Das böhmische Mittelge- birge. Eine phytogeographische Studie. E n g 1 e r s Bot. Jahrb., Bd. 37, 1906), doch verbietet uns der dichte Graswuchs sowie besonders das fast gänzliche Fehlen der Einjährigen, das Fehlen der Halophyten, in diesen böhmischen Mitte 1- gebirgshartwiesen, sie zu den wirklichen Deserta zu rechnen. Hierher gehört auch die Alvarformation in Skandinavien, in Gotland und auf Oeland (Grevillius 1897). Sehr geringe Niederscliläge während der Vegetationszeit, starke Insolation, trockener, silurischer Kalksteinboden sind die Faktoren, die hier wirken. Nur die feuchte Luft bewirkt, daß der Klimacharakter nicht so kontinental wird, um Steppen zu verlangen. Das sanft geneigte Kalkplateau von Oeland trägt auf große Ausdehnung diese xerophytische Zwergvegetation. Festuca ovina ist sehr charakteristisch, daneben kommen u. a. vor Festuca oelandica, Nardus, Trifolium repens, von Zwiebelpflanzen nur Allium schoenoprasum, hingegen sind viele Annuelle vorhanden. Zu den Hartwiesen dürfte auch die Karst- heide von Beck gehören. Diese nimmt die kahlen, öden Hänge des Velebitgebü-ges, einen Teil des dalmatinischen Berglandes, des bosni- schen Hinterlandes, der Herzegowina und von Montenegro ein. Trockener Kalkstein bildet den Untergrund. Sie grenzt an das Durifruticetum der mediterranen dalmatinischen Felsenheide, unterscheidet sich jedocli durch das Vorherrschen der Gräser, den dichteri'n Wuchs, verursacht durch die nicht so ungünstigen klimatischen Verhältnisse. Gegen die dalmatinische ,, Felsen- heide" zu mischen sich mediterrane Arten, gegen die feuchteren höheren Stufen Uebergänge zu den Voralpenwiesen bei. Einen verwandten Charakter zeigt die ,,san- dige Hügeltrift" von Adamovic, in Ost- rumelien und Thrazien. Es ist eine schüttere Grasvegetation mit nicht immer geschlossener Narbe, in der Andropogon ischaemum und Andropogon gryllus, Elymus crinitus, Vulpia myurus und Vulpia sciuroides, Melica cUiata, Aegilopsarten von Bedeutung sind. Dazwischen tritt eine große Menge von Stauden auf. Eine verwandte Assoziation ist das Festu- cetum variae. Im Wallis, Tessin und südlichen Graubünden bekleidet sie die alpinen steilen felsigen Hänge auf Urgestein. Weitaus domi- nierend darauf ist Festuca varia in üppigen Horsten mit ihren harten stacheligen Blättern. Sie ist eine Felsenoberflächenpflanze, die sich in ihren Horsten den trockenen Humus selbst sammelt und dadurch für die anderen Pflanzen Standorte schafft. Die Konstanten dieses Typus sind nach Brockmann im Puschlav, wo er verbreitet ist: Festuca varia, Carex sempervirens, Juncus trifidus, Silene rupestris, Campanula barbata, Galium asperum, Avena versicolor, Sieversia montana, Leontodon pyrenaicus. ßß) Formationsgruppe Semper- virentiprata, immergrüne Wiesen. Unter Sempervirentiprata, immergrünen Wiesen, verstehen wir die Wiesen, deren dominierende Arten Vegetationsorgane be- sitzen, bei denen der Turgor neben der mecha- nischen Versteifung noch eine wesentliche Rolle spielt und welche die Winter in der Regel in grünem Zustande überdauern. Die immergrünen Wiesen können klima- tisch, edaphisch oder biotisch bedingt sein; jedoch sind auch die klimatischen fast immer Geographie der Pflanzen (üekologische Püanzengeograpliie) 885 Eingriffe auf demselben Boden nebeneinander ganz verschiedene Rasen ziehen. In wenigen Jahren haben sich die Bestände gemischt. C. A. Weber hat sich in Westholstein sogar überzeugt, daß auf ursprünglich angesäten Wiesen nach 5 Jahren keine einzige der angesäten Pflanzenarten mehr vorhanden war, wenn sie nicht ein Bestandteil der dem Boden angehörigen Assoziation war, sondern daß die Flächen ganz dieselbe Zusammensetzung aufwiesen wie die benachbarten, die von jeher als Mähewiese benutzt worden waren. Die durch den Menschen , -^ 1 T 1 • - 1 , TTnKnv I immerfort ausgeübten Eingriffe wirken durch der Baumgrenze, edaphisclie m üen ueoer- ^^^^ Regelmäßigkeit sozusagen wie natürliche schwemmungs teristischen Pflanzen zeigen stark vegetative j Vermehrung, wodurch oft reine Teppiche einer 1 Art entstehen. Am ausgeprägtesten sind die Subassoziationen des Polytrichetum, des Sali- cetum herbaceae, des Alchemületum penta- phylleae, seltener herrscht Plantago alpina, Gnaphalium supinum, Sibbaldia procumbens, Cerastium cerastioides, Ligusticum mutellina, '< Alchemilla glaberrima. Außer diesen fazies- bildenden Elementen sind als charakteristisch noch zu nennen Chrysanthemum alpinum, Cardamine alpina, Soldanella pusilla, Luzula ' spadicea, Taraxacum officinalis alpinum. Arenaria i biflora, letztere besonders in den Polytricheten. Diese bedecken auf vielen Alpenpässen große 1 Strecken Landes (alpine Moostundra). Die i Schneetälchen finden sich auch in Schottland, z. B. auf Ben L»wers, besonders im noch nicht geschlossenen Stadium, in dem Anthelia noch eine große Rolle spielt. Am wenigsten Feuchtig- 1 keit unter den Schneetälchenpflanzen erfordern ; Sibbaldia procumbens und Gnaphalium supinum. ! Wir finden sie daher oft schon im Curvuletum oder an Stellen, die nicht so viel Detritus ent- ' halten. Anklänge fand ich am Kluchorpaß im Kaukasus, wo bei 2400 m eine Sibbaldia herrschte, begleitet von Ranunculus und Corydalis und noch ausgesprochener am Ararat. Dort waren ober- ! halb 2700 m die Mulden bekleidet von Sibbaldia, begleitet von Gnaphalium und Arenaria, während i auf den Erhöhungen darum herum Nardus stricta herrschte, begleitet von Lycopodium selago, ! Solid9,go virgaurea und einigen Gräsern. Unter- ' halb 2700 m, wo es noch trockener ist, herrschte | Nardus in den Mulden, auf den Hügeln war [ Steppe. i Außerhalb der Alpen sei noch das natür- liche Grasland der hohen Geest in Westholstein i erwähnt, nach C. A. Weber. Unbekümmert | um die Bodenunterlage richtet sich die Zusammen- 1 I Setzung nach dem Grundwasserstand. Auf Sand-, I Humus- und Moorboden nimmt die Assoziation [ der Deschampsia flexuosa im westlichen, Poa nemoralis im östlichen Hügelland, den I höchstgelegenen, trockenen Boden ein. Bei einem I Grundwasserstand von 2 bis 3 m folgt die mäßig feuchte Assoziation der Poa pratensis, bei ' 1 bis 1^ m der Poa trivialis, bei 0,4 bis 0,7 m der Deschampsia caespitosa und darunter die schon zu den Sumpfwiesen gehörenden Assoziationen der Carex panicea und Carex gracilis. Weiter zu erwähnen sind die ,,Gräsli", ! Grashänge der Fferöer (Ostenfeld), von Island und Skandinavien, natürliche Grashänge, meist stark beweidet, mit dominierender Agrostis tenuis nebst Anthoxantum odoratum, Festuca ovina, Brunella vulgaris, Leontodon autumnalis, ; Trifolium repens, Nardus stricta; daneben I auf kultiviertem Boden die ,,Bö", eine blumen- reiche Wiese mit viel Agrostis tenuis, Poa pratensis, Holcus lanatus, Holcus mollis, Antho- xantum odoratum. Von den arktischen ,, Urteil", die aus drei I verschiedenen Teilen bestehen, den Weiden- gebüschen, den Engelwurz-Hochstauden und den Blumenmatten, gehören die letzteren hierher, yy) Formationsgruppe Altherbi- I prata, Hochstaudenwiesen. Unter j Altherbiprata, Hochstaudenwiesen, verstehen ' wir Terriprata, in denen hohe Stauden 1 dominieren. Es ist dies eine anspruchsvolle Vegeta- tion. Reichliche Nährstoffe und Feuchtig- keit sind vonnöten. Sie findet sich an Orten mit guten Yegetationsbedingungen auf ; humusreichem frischem oder feuchtem Boden, wo sich aus irgendwelchen Gründen kein Wald gebildet hat. Hohe Stauden, meist großblättrig, verlegen die Stoff- produktion höher als die immergrünen Wiesen, Der Boden ist meist nicht ganz dicht be- wachsen, da ihn die platzversperrenden hohen Stauden so stark beschatten, daß eine dichte Untervegetation nicht möglich ist. Die weiteste Verbreitung dieser Gruppe liegt in der subalpinen Stufe. Hierher gehört die Formation der Karflur, Kerner hat diesen Ausdruck gewählt, da in den österreichisch ,,Kar" genannten, humusreichen Gebirgsgletscher- tälchen, diese Vegetation herrscht. Diese Formation gedeiht ferner in Waldlichtungen, in der Tropfregion der Felsen, wo das Wasser nährstoffreiche Erde anhäuft, in den Löchern der Karrenfelder, am Fuß von Schutt- halden, im Ablagerungsgebiet von Lawinen usw. In den tieferen Lagen finden sich häufig in Miüden von Waldlichtungen reüie Bestände von Petasites oder Epilobium angustifolium oder Mulgedium alpinum. Im Engadin ist meist die hohe großblätterige Dolde Peucedanum ostruthium tonangebend, begleitet von den rosa Blütenbüscheln der Drüsengriffel Adeno- styles, von Heracleum sphondylium, Centaurea 888 Geographie der Pflanzen (Oekologische Pflanzengeographie) rhaponticum, Geranium silvaticum, .Veratrum album, Rumex arifolius, Aconitum napellus und A. paniculatum. Häufig, besonders in den Bergünerstöcken Graubündens (Grisch), sind auch noch Chaerophyllum Vülarsii, Aconitum lycoctonum, Senecio Fuchsii. Eine hierher gehörige Gesellschaft bilden die Schlagpflanzen. XVenn ein Waldbestand geschlagen wird, so ändern sich durch diesen Eingriff des Menschen die ökologischen Be- dingungen in hohem Maße. Vor allem sind die Lichtverhältnisse ganz andere, d. h. statt Schatten herrscht intensives Licht. Sodann geht ein großer Teil des Humus in Verwesung über, wodurch viele Nährstoffe frei werden. Auf diesem guten Boden schießen alsobald die Hochstauden in großer Menge auf. Ein Meisterbeispiel von Hochstaudenwiesen finden wir im Kaukasus in der sehr feuchten subalpinen Stufe der Südseite von ca. 1600 bis 2300 m. Am auffälligsten sind die bis 4 m hohen Doldengewächse verschiedener Arten Heracleum, unter denen ein Reiter, ohne sich zu bücken, durchreiten kann. Es ist eine wahre Mammut- vegetation. Bei 1960 bis 2000 m notierte ich auf einem weit ausgedehnten Hochstaudenfeld, dem ,,Nacharlager" (Abzweigung des Nacharpasses vom Kluchorpaß an der Suchumschen Heerstraße des zentralen Kaukasus), 60 Arten, die meisten zwischen 1 und 3 m hoch, wobei Polj'gonum alpinum mit seinen großen, weißen Blüten- köpfen das Grün der üppigen, blattreichen Gesellschaft weiß betupfte. Daneben herrschten die Wedel der Dryopteris filix mas var. rigida und die mastigen Blätter des Rumex alpinus. Der Gebirgslage entsprechend erwarten wir auch in der Arktis solche Hochstaudenwiesen, die wir in spezieller Ausbildung auch treffen: die Assoziation der Angelica archangelica. Wo sich an geschützten Stellen Grönlands De- tritus und Wasser sammelt, wird die Leit- pflanze bis mannshoch, ihre Stengel bilden das einzige Gemüse der Grönländer. Auf Disko fand Rikli diese gelben Dolden fast allein- herrschend in geschützten Tälchen. Epilobium angustifolium und Calamagrostis Langsdorfii sind noch dabei. Aehnliche Angelicafluren finden sich in Lappland, im nördlichen Norwegen, wo Mulgedium alpinum, Onoclea struthiopteris, Filipendula ulmaria außer den schon genannten noch beigemischt sind. In reicherer Ausbildung gedeiht diese Assoziation an der Waldgrenze im Ural. Formation der Läger. Die „Läger" sind die überdüngten Stellen, wo das Vieh sich „lagert" oder sonst sich aufhält. Solche Gebiete kommen regelmäßig um die Senn- hütten vor, ferner auch höher auf Gipfeln und unter Felsen die Schafläger und die Läger der wilden Tiere. Es ist eine Formation vornehmlicli der subalpinen und der alpinen Stufe. Ein dicker schwarzer, sehr stick- stoffreicher Humus bezeichnet diese Stellen, auf denen die Pflanzen zu großer Ueppig- keit kommen. Es sind aber große, mastige, meist giftige Standen, die hier wachsen. Da die einzelne üppige Staude sehr viel Platz braucht und im Schatten ihrer dicken Blätter nichts aufkommen kann, ist der Bestand an der Erdoberfläche meist offen, während über der Erde in der Vegetations- zeit dichter Blätterschluß alles zudeckt. Die Formation zerfällt in zwei LTnterabteilnngen, das Staudenläger und das Rasenläger, die in bezug auf Klima niul Boden die gleichen Bedingungen zu haben scheinen; ein biotischer ^ Faktor wirkt jedoch so stark, daß eine sehr j verschiedene Vegetation entsteht. Wo die Tiere nicht nur düngen, sondern I wirklich regelmäßig lagern, würden die mastigen I Hochstauden ständig geknickt, es gedeiht daher nur geschmeidiger Rasen. Bei der stärksten Düngung und Beanspruchung durch Liegen hat weitaus den Vorsprung der Fax, Poa annua var. supina, dessen hellgrüne Farbe schon von weitem um die Sennhütten leuchtend her\'ortritt. Dieses Gras kann den Bestand bis zu 99,9% \ ausmachen. Die konstantesten Begleiter sind Cerastium cerastioides, das wir auch schon in den Schneetälchen getroffen haben, welches aber dort an dem kühlen Standort Sommer- blüher ist, während es hier in dem warmen Standort Frühlingsblüher wii'd und im Sommer kaum mehr aufzufinden ist; ferner Taraxacum officinale, Phleum alpinum, Chenopodium bonus < Henricus und vor allem Poa alpina, die einen Nebentypus bildet an weniger durch Liegen be- anspruchten, nicht so intensiv überdüngten Stellen, also besonders bei den Wildlägern, an den Geilstellen der Weiden usw. Wenn auch das Aeußere dieses Bestandes durch den über- wiegenden Formation subiquist Poa alpina viel Aehnlichkeit mit den hochgelegenen Fettwiesen hat, so ist doch die Zusammensetzung der Flora eine ganz verschiedene. Das Staudenläger kann in geographisch wie edaphisch verschiedenen Ausbildungen auf- treten. Auf den trockeneren Orten dominiert die überall dem Menschen folgende Brennessel Urtica dioeca und Urtica urens. La den Nord- und Zentralalpen werden oft große Gebiete vom ,,Bluzgenläger"' eingenommen, auf denen ganz allein der großblätterige Senecio alpinus wächst. Den Südalpen, dem ganzen Engadin sowie den Bergünerstöcken felüt dieser Bestand. Auf hochgelegenen Schaflägern dominiert Aco- nitum napellus mit Cirsium spinosissimum; wo starke Feuchtigkeit dazu kommt, Cardamine a m a r a mit Stellaria nemorum, Aconitum napellus, ]\lentha silvestris. Eines der verbreitetsten ist flas ,,Blackenläger", Bestände des Rumex alpinus. Die Rumices suchen meist die dünger- reichsten Stellen aus. In vielen Tälern Grau- bündens wird dieser geradezu als Schweine- futter kultiviert. Nicht nur in den Alpen ist dieser Bestand häufig, z. B. auch im Kaukasus. Dort herrschte auf einem großen Läger am Klu- chorpaß bei 2000 m Rumex alpinus ganz all- gemein. ß) Formationsklasse Aquiprata, Wasserwiesen. Unter Aquiprata, Wasser- wiesen, fassen wir die vom Grundwasser beeinflußten Pflanzeiigcscllschaften von Kräutern, Gräsern und ]\ln()S(Mi mit den Be- ständen wurzelnder unverholztei Wasser- gewächse zusammen. Geographie der Pflanzen (Oekologische Pflanzengeographie) Ozeanität und Kontinentalität des Klimas wirken gegenüber der enorm ausgleichenden Wirkung des Wassers nur noch in sehr geringem Maße ; so kommt noch als einziger Klimafaktor die Temperatur in Betracht, und auch diese ist durch das Wasser so sehr ausgeglichen, daß sich diese Pflanzen- gesellschaften in allen Breitengraden in hohem Maße ähnlich sind. Einzig beim Gefrier- punkt wird die Temperatur indirekt durch den Wechsel des Aggregatzustandes von großer Bedeutung für unsere Vegetation. Diese Formationsklasse ist also nicht klima- tisch bedingt, sondern größtenteils eda- phisch, in vielen Fällen auch biotisch, was bei den Gruppen weiter zu betrachten sein wird. Unter den edaphischen Faktoren ist natürlich das Wasser der bedingende, aus- lesend whken der Nährstoffreichtum und der Sauerstoff gehalt des Wassers, ferner der Salzgehalt^ Dieser letztere läßt uns zwei parallele Reihen von Formationen dieser Klasse unterscheiden, eine Reihe der Süß- wasser- und eine der Salzwasserformationen, dazwischen vielleicht auch noch die des Brackwassers, die aber nicht große Selb- ständigkeit besitzt, sondern sich bald mehr der einen bald der anderen nähert. Sumpf- gehölze sind bei den Gehölzen eingereiht. ad) Formationsgruppe Eniersi- prata, emerse Wasserwiesen oder Sumpfwiesen. Unter Emersiprata, Sumpf- wiesen, verstehen wir Aquiprata, die von Sumpfpflanzen gebildet werden. Dieses sind solche Gewächse, die im mit Wasser bedeckten Boden festgewurzelt oder an wasserreiche Stellen gebunden sind, deren Laubsprosse sich aber wesentlich über die Wasserfläche emporheben. Von der folgenden Gruppe unterscheiden sich diese Gesellschaften dadurch, daß ihre vegetativen Organe noch genügend Steif- heit und Biegungsfestigkeit besitzen, um sich selbst aufrecht tragen zu können. Viele Autoren Bringen einen Teil dieser Gruppe bei den Sumpffluren oder Mooren unter, den anderen Teil bei den Teichformationen, doch sind diese Teile so nahe verwandt, daß sie nur als Untergruppen behandelt werden sollen. Eine Assoziation wie das Phragmitetum geht in sehr ähnlicher Zu- sammensetzung von dem ziemlich^ tiefen Wasser bis weit in die „saure Wiese". Man kann die Untergruppen so unterscheiden, daß bei der einen nur die Wurzeln im Grund- wasser stecken, bei der anderen noch Teile | der Stengel und Blätter, daß also bei den i letzteren überall das Wasser sichtbar her- vortritt. Die Abtrennung eines Teiles der sauren Wiesen als Flachmoor und Zusammen- ziehen mit den Hochmooren zu den Mooren j ist nicht eine pflanzengeographische Gruppie- rung, sondern eine geologische oder besser pedologische vom rein praktischen Stand- punkt der Verwertbarkeit aus, indem beid Gruppen Torf, wenn auch sehr verschiedenen bilden können. Das läßt sich noch besser erkennen bei der Definition des Moores. Es wird meist eine Torf dicke von 20 cm ver- langt, um von einem Moor zu sprechen, es können aber dieselben Pflanzengesellschaften auf meterdicker wie auf dünner Torfschicht, d. h. humusreichem Untergrund wachsen. Untergruppe Humidiprata, „saure Wiesen". Diese Vegetation lebt in hohem Grundwasser, jedoch sind die Laubsprosse nicht im Wasser wie bei den folgenden Ge- sellschaften. Der durch das Wasser bedingte Luftabschluß läßt die absterbenden Pflanzen- teile vertorfen, daher werden diese Bestände, wenn sie sich in vorgeschrittenem Stadium befinden, wie oben angegeben, Moore genannt, Wiesenmoore, Grasmoore, Grünmoore, weil die vorherrschenden Pflanzen Gräser im weitesten Sinne d. h. meist „saure Gräser", Riedgräser oder andere grasähnliche Pflanzen wie die Juncaceen sind. Sie heißen auch Flachmoor oder Niedermoor wegen der flachen Form im Gegensatz zu dem am Rande „hochgewölbten" Hochmoor. Das Wasser der sauren Wiesen ist nähr- stoffreich, es enthält viel Kali und Kalk. Dem Standort entsprechend sind die Pflanzen meist ausdauernd, es herrschen wie oben gesagt die Monocotylen vor, denen aber auch Dicotylen beigemischt sind. Die Frühlings- wärme kann nur sehr langsam eindringen, da das viele Wasser große Mengen Wärme absorbiert; daher ist die Vegetationszeit sehr verspätet gegenüber trockeneren Pflanzen- gesellschaften. Im Winter sind die ober- irdischen Sprosse der Pflanzen der sauren Wiesen zum größten Teil abgestorben In der Formation der Riedwiese ist das Molinietum coeruleae Emersipratae von weiter Verbreitung. Wir werden dieselbe Art noch in einer ganz anderen Gruppe dominierend finden, nämlich in den Hochmooren. Während Molinia in dem südlichen Mitteleuropa auf den nährstoffreichen Böden der Riede herrscht, ist sie in Norddeutschland und Großbritannien eüie typische Bewohnerin der nährstoffarmen Hochmoore. Aehnliches treffen wir auch bei Trichophorum caespitosum. Das Ried, Molinietum, bedeckt große Strecken Landes in der mittelschweizerischen Ebene und geht auch ziemlich hoch ins Gebirge. Das Molinietum ist oft das Schlußglied der \er- landung von Gewässern, aber oft auch die ur- sprüngliche Vegetation auf nassem undurch- lässigem Boden. An quelligen Berghängen geht der Bestand über in einen von Deschampsia caespitosa, welche bei einer leichten Bewegung des Wassers am besten gedeiht und daher zu den Qnellfluren überleitet. In den höheren Lagen ersetzt das Tricho- p höre tum caespitosi das Molinietum. Es kann üi den Alpen schon von 1000 m an vor- 890 Geographie der Pflanzen (Oekologische Pflanzengeograpliie) kommen und geht im Bernmagebiet bis 2450 m. Trichophorum caespitosum, die Rasenbinse, die wir später auch wieder im Hochmoor treffen, läßt wenige andere Arten zwischen sich auf- kommen. Carex panicea, Juncus alpinus und Molinia sind meist vertreten. An anderen Orten bildet das Parvocari- cetum, Bestände aus niederen Carexarten, be- sonders Carex panicea und vikarisierend Carex Goodenowii den entsprechenden Gürtel der Ver- landung; so z. B. im Puschlav, wo Carex Goode- nowii das Endglied der Verlandung bildet. Diese Typen folgen als 100 bis 200 m breiter Streifen den Flüssen Westholsteins, vom Flusse durch den Verlanderbestand des Magnocaricetum noch getrennt. j Letzteres ist eine Gruppe von Assozia- tionen, die meist schon mit den Stengeln im Wasser stehen, also zur Untergruppe der „Verlandungsbestände" gehören, zur Formation der Süßwasserverlandungs- bestände oder Rohrsümpfe, aber doch auch mit weniger Wasser als Riedwiesen vorkommen. Besonders macht sich hier das Klima, wenn es auch nicht der bedingende Faktorenkomplex ist, doch modifizierend geltend. Die Magnocariceten und Rohr- sümpfe kontinentaler Gegenden brauchen viel Wasser, sie sind schon zum Teil unter Wasser, während im ozeanischen Klima die gleichen Bestände auf die festen Riedwiesen gehen. Ein sehr weit verbreiteter Typus ist das Caricetum elatae (= strictae). Die Pflanze bildet sehr feste Polster, zwischen denen das Wasser steht. Meist ist diese Segge fast allein- herrschend, oft begleitet von Carex limosa, C. inflata, C. lasiocarpa, Menyanthes trifoliata oder Phragmites und Juncus. In der Schweiz dominiert diese Assoziation viele Sümpfe in der Ebene bis ca. 1000 m. Außerordentlich ausgedehnt ist sie nach Kerners meisterhafter Beschreibung als Zsombek im ungarischen Tieflande. Aber auch über Nordamerika er- streckt sie sich, am Missouri (Pound und Clements) ist Carex elata ebenso begleitet von Carex lasiocarpa, ferner von Carex striata und Spartina cynosuroides. Wenn das Wasser eine geringe Bewegung zeigt, so ist dies der Standort des Caricetum gracilis und seiner Subassoziation, des Cari- cetum paludosae: beigemischt finden wir an den Ufern der Seen und Flüsse der Schweiz Carex disticha und C. vesicaria, Juncus obtusi- florus. Auch in Westholstein begleitet diese Assoziation die Flüsse in breitem Gürtel. In der montanen und subalpinen Stufe der Alpen geschieht die Verlandung der Tümpel und Seen sehr häufig durch das Caricetum inflatae. Oft liefert diese Segge 99 "/o des Bestandes, dazwischen stehen vereinzelt viele Seggenarten, Eriophorum angustifolium, Trichophorum alpi- num und T. caespitosum, Comarum palustre, Potentilla erecta u. a. In der alpinen Stufe übernimmt die Haupt- verlanderrolle das Eriophoretum Scheuch- zeri. Zur Fruchtzeit bieten die massenhaften Wollgrasköpfe einen sehr hübschen Anblick, so häufig im Engadin. Beigemischt finden wir im allgemeinen sehr wenig Arten: Eriophorum angustifohum, Carex Goodenowii, Juncus fili- formis, J. triglumis, Cerastium cerastioides, Triglochin palustre usw. Weiter in das Wasser hinaus folgt auf den Magnocaricetumgürtel der Röhrichtgürtel, der in vielen Gegenden die Verlandung auch ganz allein besorgt, in ozeanischen Gegenden bis ins Riedwiesenstadium, da seine herumkriechenden Rhizome auch dort tief ins Grundwasser gelangen können. Weit über die Erde verbreitet ist das Phrag mite tum communis in verschiedenen geographischen Varietäten, d. h. mit den den betreffenden Ländern angehörenden Begleitpflanzen. Ton- angebend ist Phragmites communis, das Schilf, das mit seinen kräftigen, tiefgehenden Rhizomen im Seeboden feststeht. Bis zu einer Wassertiefe von ca. 2 m geht dieser Bestand, wird dann von Schpus lacustris abgelöst. Typha latifolia und Typha angustifolia sind häufige Begleiter und können auch herrschend werden. Auch Glyceria aquatica herrscht oft vor, besonders an schwach- fließendem Wasser. So finden sich diese Typen im schweizerischen Mittelland; das Schilf geht bis in die subalpine Stufe. Dieselben Arten bilden den ,, geschlossenen Rohrsumpf" in Eng- land, wo Marietta Pallis (in Tansley 1911) die ausgedehnten Sumpfgegenden Ostenglands eingehend behandelt. In den Flußtälern von Thurne, Ant und Bure dominieren Phragmites und Typha angustifolia; im Tal der Yare Glyceria aquatica und Phalaris arundinacea. Deltagebiete sind beliebte Standorte für Phragmitesbestände. Haben wh- schon in den 1 Donaugebieten riesige Röhrichtstrecken, so ist I das Delta der Wolga weit herum damit bestockt. Dasselbe Bild zeigt sich am Aralsee und auch in Australien. Wie kaum eine andere Gesellschaft ist das Röhricht verbreitet. Im Mediterrangebiet mischt sich Arundo donax bei. Von weiteren Verlandern seien noch die folgenden genannt: Juncus arcticus in Grön- land, Juncus effusus und J. compressus in Dänemark, Cyperus syriacus in Sizilien, Cyperus ' papyrus am oberen Nil, Typha domingensis in Venezuela, Malacochaete tatora am Titicacasee, Typha sagittaria in den Südstaaten der Union. Gehen wir über zur Reihe der S al z w as s er- Emersiprata. Das Kochsalz (NaCl) ist den meisten Pflanzen schädlich und nur eine bestimmte Anzahl Arten können es in größerer Menge ertragen. Diese sind meist xerophil gebaut, woraus geschlossen wird, daß das salzhaltige Wasser für die Pflanze schwer verwertbar ist (hoher osmotischer Druck)^ und der, wenn auch sehr nasse, Boden physio- logisch trocken wirkt. Häufig treten Suk- kulenz von Blättern oder Stengeln, ebenso eingerollte Grasblätter usw. auf. Da es sich wiederum um ein graduelles Zunehmen der Wassertiefe handelt, so ist die Anordnung der einzelnen Gesellschaften wieder eine gürtelförmige. Den Riedwiesen des Süßwassers entsprechend, kann man die Formation der Salz wiesen ausscheiden, den Rührsümpfen oder Süßwasserverlandern entsprechend, die Salzsümpfe, An vielen, Geographie der Pflanzen (Oekologische Pflanzengeograplüe) 891 besonders südlichen oder dann sandigen, Küsten vermögen sich keine geschlossenen Gesellschaften zu halten infolge der Ungunst des Standorts; diese werden bei den Strand- steppen zu besprechen sein. Der trockenste Gürtel der Salzwiese ist in Nordeuropa meist ein Ju nee tum. i In Jütland dominiert Juncus Gerardi, inj England Juncus maritimus. An der Holsteinschen Küste dominiert Festuca rubra littoralis an diesen Stellen, die: nicht regelmäßig von der Flut überschwemmt ; werden. Glaux maritima, Plantage maritima und P. coronopus, Agropyrum pungeiis können beigemischt sein. In all diesen Ländern folgt meerwärts ein Gürtel des Festucetum thalas- sicae (synonym Glycerietum maritimae). Festuca thalassica herrscht meistens vor, darin treflen wir die hübschen violetten Limonien, haupt- sächlich Limonium vulgare (= Statice limonium), | ferner Statice (Armeria) maritima. Lokal dominieren undbildenSubassoziationen Atriplex j portulacoides und Artemisia maritima, häufig ist ferner Silene maritima, Suaeda mari- tima und Suaeda fruticosa. ! Den nächsten, äußersten Gürtel bilden in ] verschiedenen Gegenden zwei verschiedene Asso- \ ziationen. Am häufigsten ist das Salicor-j nie tum herbaceae. Diese kleine einjährige rötliche Sukkulente, Salicornia herbacea, bedeckt manchmal allein das Gebiet; ein wunderbares Bild bietet sie an der Ostküste Englands, wo sich in das Rot dieser Pflanze, die Zwischen- räume ausfüllend, dicke Lager von ganz schwarzer Pelvetia canaliculata mischen. Größere Mischung bieten die reichen Salzsümpfe von Hayling Island in Südengland. Zwischen der Salicornia herbacea finden wir Salicornia ramosissima, S. disarticulata Moss, S. perennis var. lignosa, Suaeda maritima, Aster tripolium. Im übrigen ist Südengland die Hauptgegend für das Spartinetumals Verlander. In dichten Massen begleiten das Ufer, für andere Pflanzen fast uneindringlich, die harten Stengel von Spartina stricta und Spartina alterniflora, im Southampton-Meerarm ist es meist deren fertiler Bastard Spartina Townsendii, der sich dort im letzten Jahrhundert enorm ausgedehnt hat. ßß) Formationsgruppe Submersi- prata, submerse Wasserwiesen. Unter Submersiprata, submersen Wasserwiesen ver- stehen wir Aquiprata, die von makrophy- tischen Wasserpflanzen gebildet werden, deren Laubsprosse sich unter Wasser oder auf der Wasseroberfläche befinden. Die Vegetationsorgane besitzen nicht mehr, wie bei der vorherigen Gruppe, genügend Festigkeit, sich selber zu trageu, sie fluten im Wasser und sind dafür zugfest gebaut. In der Physiognomie gleichen diese Gesellschaften unter Wasser teils den immer- grünen Wiesen, so z. B. die dichten Seegras- bestände, teils auch den Hochstauden- wiesen, so z, B. die Potamogeton- und die Seerosenbestände. Diese Gruppe ist das Phytobenthos von Häckel, die Ufervegetation. Nach dem Salzgehalt läßt sich wieder eine Süßwasser- von einer Salzwasserreihe trennen, in jeder Keihe bestehen durchgreifende Unterschiede, je nachdem die Pflanzen im Bodenschlamm wachsen oder an den Steinen festhaften. Wir haben daher vier Formationen zu unter- scheiden, in deren jeder sich nach dem abnehmenden Licht Gürtel verschiedener Assoziationen bilden. Daran sind noch an- zuhängen die Bestände des Brackwassers, und der Schmutzwässer. Limnäenformation, eine Süßwasser- formation. Die Pflanzen wurzeln in der Erde, bleiben ganz untergetaucht und ent- wickeln Schwimmblätter an der Wasser- oberfläche. Sie gliedern sich als tiefer ins Wasser gehender Gürtel an die Rohrsümpfe an, in die ihre Komponenten auch noch hineinreichen. Zum Unterschied von der folgenden Formation der an Steinen fest- haftenden bestehen die Limnäen meist aus Blütenpflanzen. In den warmen Wassern der Tropen finden wir die bekannte Victoria regia und ihre phy- siognomischen Verwandten als Repräsentanten. In der gemäßigten Zone bilden den obersten Gürtel, vom Rohrsumpf bis etwa 5 m vor- dringend, die verschiedenen Seerosen, Nym- phaea alba, Nuphar luteum und N. pumilum mit Myriophyllum und Sparganiumarten, Hip- puris. In alpinen Seen kommen Gürtel von Sparganium affine und S. minimura vor, von Hippuris vulgaris rhaetica; hier blühen auch prachtvoll die alles weiß übersäenden Sterne von Ranunculus flaccidus. Im nord- europäischen Flachland sowie in einzelnen Teilen Englands, besonders dem Flußgebiet der Ant in Ostnorfolk, bildet die sich stark vegetativ vermehrende Stratiotes aloides eigene subaquatische ,, Aloewiesen". An anderen Orten ist es Lobelia Dortmanna, die eine ähnUche Rolle spielt und in Westirland findet sich Eriocaiüon septangulare, die zu den amerikani- schen Limnäen gehört. Auch diese subaquatischen Wiesen werden geweidet. In der ariden Gegend des Titicacasees wird das Vieh in den See ge- trieben, dort weidet es, nur mit dem Kopf aus dem Wasser ragend, die Ceratophyllen und ! Potamogefconen ab. Einen tieferen Gürtel bildet das Potamo- ge tone tum, viele Arten der Gattung Potamo- geton nehmen daran teil. Bis 8 m tief ins Wasser können diese Armleuchtergewächse gehen und bilden ausgedehnte subaquatische Hochstauden- wiesen. In diesen Gürtel gehört auch Elodea canadensis, die früher nur in Kanada Bestände bildete, sich aber seit der Einführimg in Europa durch Babington weit verbreitet hat. 1 Am tiefsten geht das Characetum, eine ; Assoziation aus Charen und Nitellen gebildet, ! sie dringt im Bodensee bis 30 m unter Wasser- oberfläche vor. Diese in den Seen häufige Assoziation vermag auch in die Alpen zu steigen, ! sie gedeiht z. B. noch im Lago Nero auf der Bernina bei 2220 m, es ist ein Wiesengürtel bei Geograpliie der Pflanzen (Oekologiselie Pflanzengeograpliie) durchschnittlich 1 m unter Wasser von Xitella gracilis. Im Schutze all dieser Pflanzen leben auch die freischwimmenden Pleustonpflanzen, die wir nach Ostenfeld nicht als eigene Formation airfzählen, sondern als Bestandteil der Limnäen. Die entsprechende Formation des Salz- wassers ist nach Warming die Enaliden- formation. Sie ist im allgemeinen viel einfacher gebaut als die des Süßwassers in bezug auf ihre Makrophytenvegetation. Am bekanntesten sind die Seegras wiesen der nord- und mitteleuropäischen Küsten, das Zoster et um marinae, meist aus reinen Beständen der Zostera marina gebildet, der sich Zostera nana gegen Süden in steigendem Maß beimischt. Das Zosterablatt zeigt sehr ausgeprägt den Typus des flutenden Blattes, dem bewegten Wasser angepaßt: lang und schmal, der Bänder- typus. Diese Bestände gehen bis 14 m Tiefe. Eine andere Pflanze bildet die gleichartigen submarinen Wiesen des ]\Iittelmeeres, es ist Posidonia oceanica. Der Enalidengiirtel des Brackwassers besteht meist aus Ruppia- und Zanichelliaarten. Nereiden. Diese haben ausgesprochene Haftorgane, da sie nicht im Erdboden wurzeln, sondern an den Felsen haften. Faden- und Bänderformen herrschen, oder die Pflanzen bilden gar eine Ivruste auf den Steinen. Eher arm an Formen ist das Süß- wasser gegenüber dem Meerwasser. Die Limno-Nereiden-Formation setzt sich meist aus Chlorophyceen und Cyanophyceen zusammen, wie die Nereiden überhaupt meist aus Algen bestehen. Hingegen wächst eine Ge- sellschaft von Blütenpflanzen an den Felsen tropischer Wasserfälle, d.h. also in stark bewegtem Wasser, alle aus der Familie der Podostemaceen. Standort und Bau sind ziemlich verschieden von den anderen Limnonereiden. so daß man das Podestemacetum wohl in eine eigene Sub- formation fügt. An den Steinen der schweizerischen Seeufer haften Grünalgen, die Schröter für den Boden- see zusammenfaßt als Encyonemetum, da es aus Encyonemaarten mit eingestreuten Moosen besteht. Dazu gehören eine Reihe Suhtj^oen, der der Spirogyra adnata, der Tolypothrix penicillata in der Spritzstufe und der Schizo- thrix fasciculata, die mit anderen mit Kalk inkrustierten Schizophyceen auf dem Grenz- gürtel ,, Furchensteine'' bildet. Die kalten Alpenwässer nähren Hychurus und ähnliche Steinhafter. Viel reicher in Ausbildung und Formen ist die nur aus Algen bestehende Hai o -Nereiden - Formation. Nach der Tiefe des Meeres nimmt das eindringende Licht rasch ab und danach kann man Tiefenstufen unterscheiden. Im allgemeinen verlangen die Grünalgen am meisten Licht, es folgen die Braunalgen und zuletzt die Rotalgen. Nach der Wärme, dem Salzgehalt und der Bewegung des Wassers tragen die ver- schiedenen :\Ieere verschiedene Assoziationen. Die üppigste Ausbildung findet man merkwürdi- gerweise in den kalten Meeren, wo geradezu große Dickichte gebildet werden von enorm langen Algenbändern; Laminaria longicruris ist in Grönland bis zu 25 m Länge beobachtet worden. Sehr gut bekannt ist diese Formation in Island durch die eingehende Arbeit von Helgi Jonssen (1912). Gürtelweise unter- scheidet er eine große Anzahl Assoziationen. In der Litoralstufe, die bei jeder Ebbe aus dem Wasser heraustritt, zu oberst die Prasiola stipitata-Assoziation, dann einen Gürtel von einer Gruppe Gesellschaften fadenförmiger Algen wie Ulothrix flacca, Urospora mirabilis, Mono- stroma groenlandicum, Bangia fuscopurpurea, Porphyra umbilicalis. Es folgt der stärkste Gürtel der Fucaceen in sechs Assoziationen als Untergürtel, der der Pelvetia canaliculata, des Fucus spü-alis, des Fucus vesiculosus, des Asco- phyllum nodosum, des Fucus inflatus und des Fucus serratus. Dieser Gürtel hat auf jeden Fall auch außerhalb dieses Gebietes weite Ver- breitung, indem ich die ersten vier Untergürtel auch an der Küste von Westirland antraf, wie auch die nächstfolgende Assoziation der Entero- morpha intestinalis. Nach dieser folgt die Acrosiphonia incurva. Die nächste Stufe, die semilitorale, die nur bei starken Ebben aus dem Wasser heraustritt, beginnt mit der Assoziation des Monostroma fuscum und M. Grevillei, es folgen die der Chorda filum, der Rhodymemae, der Polysiphonia urceolata, der Corallinen. In der sublitoralen Stufe, die immer von Wasser bedeckt bleibt, also von der Ebbengrenze bis etwa 30 m sich abwärts erstreckt, folgen die Laminariaceengesellschaften von Sacorrhiza dermatodea, Alaria Pylaii, Laminaria faero- ensis, Alaria esculenta, Laminaria saccharina, L. digitata, L. hyperborea. Weiter zu nennen ist die Assoziation von Desmarestia aculeata, die Tiefwassergesellschaften von Florideen wie Polysiphonia arctica. In den Fjorden treten Lithothamnion Ungeri und L. tophiforme dazu. Als Unterwuchs unter den verschiedensten Domi- nierenden der Gürtel treffen wir Krustenalgen. y) Formationsklasse Sphagniprata Hochmoore. Unter Sphagniprata, Hoch- mooren, verstehen wir Pflanzeugesellschaften. die, unabhängig vom Grundwasser, nur auf das Meteorwasser angewiesen sind, Sümpfe bilden und ihren Boden, vorzugsweise durch eine Sphagnumdecke, selber erzeugen. Ver- hältnismäßig wenige Arten kommen hier vor. Diese Klasse genießt eigentümliche, von allen anderen abweichendeBodenbedingungen, Bedingend ist die Gattung Sphagnum, Moose von feinporösem Bau, die große Mengen Wasser kapillar festhalten können und durch diesen Schwamm einen Abschluß gegen unterliegenden ^Mincialboden bilden. Das Moos schafft also selber den Boden; an der Spitze wächst es immer weiter, die absterbenden unteren Teile bilden den mine- ralarmen Grund. Die Gesellschaft braucht viel Wasser, ist aber durch den Abschluß nach unten ganz auf Meteorwasser an- gewiesen. Diese Verhältnisse geben dem Geographie der Pflanzen (Oekologische Pflanzengeogra[)hie) 893 Hochmoor eine isolierte Stellung, sie er- scheint von so hoher ökologischer Wertig- keit, um daraus eine eigene monotypische, also nur die eine Formation Hochmoor enthaltende Formationsklasse zu machen, Ist es in erster Linie der selbstgebildete Boden, also ein edaphischer Faktor, der das Hochmoor bedingt, so gehören doch ganz be- stimmte Klimafaktoren dazu, um die Entstehung zu gestatten. Das große Wasserbedürfnis kann nur ein ozeanisches Klima befriedigen, anderer- seits geht die Bodenstoffproduktiou am besten in der kalt gemäßigten Zone vonstatten, da in der arktischen die Stoffproduktion zu gering, in wariuen Gegenden die Konkurrenz zu groß, in trockeneren die Verwesung zu rasch ist, um die Vertorfung herbeizuführen, diesen Prozeß, der zwischen der durch ( »xydation herbeigefühitenVer- wesung und der durcli Reduktion lici beigcführten Fäulnis steht, also bedingt ist von Sauerstoffarmut, die durch den Wasserabschluß entsteht. Da die tieferliegenden Nährstoffe nicht nachgezogen werden, sondern nur Humus auf Humus gehäuft wird, von ebenfalls nährstoffarmem Regenwasser begossen, so ist der Sphagnumtorf sehr nähr- stoffarm. Nur wenige Pflanzenarten können auf solchem Substrat wachsen, sie bilden daher eine sehr charakteristische Pflanzengesellschaft. Die Gebiete, die Hochmoor tragen, sind Gegenden von ozeanischem Klima mit einer mittleren Jahrestemperatur unter 10", also größere Teile von Nordeuropa, Nordamerika, auf der südlichen Halbkugel die antarktischen Inseln, Patagonien, Neuseeland, Tasmanien. Wohl am häufigsten entsteht das Hochmoor auf einem Flachmoor. Letzteres wird oberhalb des limnotelmatischen Punktes von einzelnen Sphagnumbülten durchwachsen, dann haben wir das Uebergangsmoor, für welches Scheuchzeria palustris charakteristisch ist nebst Rhynchospora alba und Rh. fusca, Carex chordorrhiza und Lycopodium inundatum. Auf diesem kann dann das eigentliche Hochmoor, Sphagnummoor, auf- bauen. Diese Art des Aufbaus ist in der Schweiz am häufigsten, ebenso in den Niederungen von Nordengland, wo diese Sukzession auf altem Aestuariumboden und Seeböden auftritt. An der Westküste von Schweden und Norwegen fand Warming das Hochmoor auf nacktem, über- rieseltem Silikatgestein aufgebaut, nach Gräbner auf dem sterilen nassen Sand des Heidebodens und andererseits auf dem Humus der Wälder und der Heiden. Sitensky fand es in Böhmen auch auf Tonboden entstanden. Die Sphagnen haben zentrifugales Wachstum. Da es nach oben und nach der Seite wächst, bekommt es eine gewölbte Polster- oder Uhrglas- form; von dieser Hochwölbung stammt der Name ,,Hoch"moor. Dieses zentrifugale Wachsen geht unabhängig von der Bodengestaltung über Hügel und Gehänge. Wenn irgendwo Moos abstirbt durch Beschattung, die es sehr schlecht erträgt, oder Austrocknung, bildet sich ein Loch, Kolk genannt, durch welches Luft eintritt und cladurch weiteren Zerfah herbeiführt. Solche Löcher können 4 bis 8 m Tiefe und 10 bis 20 m Breite erhalten. Kleinere Löcher, durch Menschen- tritt veranlaßt oder durch Flechten, die das Wachsen des Torfmooses hindern, heißen Schienken. Solche Löcher, die sich natürlich mit Wasser füllen, werden von wasserliebenden Spha- gna besiedelt, die ganz dunklen Torf liefern. Sie füllen nach und nach das Loch aus bis zum Wasser- spiegel hinauf. Darauf können dann wieder die gewöhnlichen hellen Sphagna aufbauen. Solche wiederholte Auswachsungen sehen in späteren Torfstichen jahrringartig aus und sind schon für Klimaschwankungen gehalten worden. Wenn das Moor niclit all sein Wasser halten kann, so fließt es in sogenannten ,, Ruhen" ab, kann sich am Rand in Tümpeln, den ,,Flarken" sammeln oder zentripetal fließend, in der Mitte ein ,,Lagg" (v. Post und Sernander) bilden, eine Mischung von Torf mit bis 97 % Wasser. Auf diesen kann Schwimmrasen entstehen, der sehr ge- fährlich wird, wenn man ihn zu betreten versuchen sohte. Können die seitlichen festeren Partien den Druck dieser Schlammasse nicht aushalten, so gibt es einen ,, Moorbruch", zu vergleichen mit einem Dammbruch: Die torfige wässerige Masse wälzt sich muhrgangartig weg, ahes einhüllend. Das Wasser verliert sich und Hügel ohne Schichtung setzen sich ab. An den Rändern ist das Hochmoor natur- gemäß trockener, aber auch das ganze kann durch mannigfache Ursachen trockener werden; durch Zurückgreifen von Bächen, die das Wasser auf- nehmen, durch ^loorbrüche, die einen Ablauf schaffen, durch Torfstich und Drainierung usw. Das Resultat ist dasselbe, ein Trockenerwerden und damit ein Wechsel der Assoziation, bis man bei der Heide angelangt ist als dem trockensten Schlußglied. Die Flora der Hochmoore setzt sich außer den Sphagna und einer Reihe anderer Moose hauptsächlich zusammen aus Ericaceen und Wollgräsern, ferner treten fleischfressende Arten auf: Drosera in Europa und auf der süd- ' liehen Hemisphäre, in Nordamerika Sarracenia und Dionaea. Die Ericaceen werden auf der süd- i liehen Halbkugel ersetzt durch die Epicridaceen. i Aus allen Phasen und Uebergängen lassen sich etwa folgende Assoziationen herausschälen. Der nasseste Typus ist das Sphagnetum. Sphagnum cymbifolium, S. recurvum u. a. j bilden weitaus die Hauptmasse. üxycoccos I quadripetalus und Andromeda polifolia durch- spinnen den ;\Ioosschwamm und hängen ihre zierlichen Blüten aus. Drosera rotundifolia, D. intermedia und D. anglica sind da, es treten 1 Eriophorum vaginatum und E. angustifolium I auf, im Norden auch Rubus chamaeraorus i und Erica tetralix. Die nächste Stufe ist das Eriophoretum jvaginati. Dieselben Arten wie im vorher- gehenden kommen vor, dazu noch Vaccinium myrtülus, Empetrum nigrum, Cahuna vulgaris, Trichophorum caespitosum, Molinia coerulea, im Norden Narthecium ossifragum, aber Erio- phorum vaginatum ist, besonders auf englischen Mooren, alles beherrschend und oft ohne Be- gleiter große Hügelzüge der Penninen ganz be- deckend, besonders zwischen 350 m und 600 m. Mit diesem wechselnd kommt in den Wicklow- bergen in Irland das Trichophoretum caespi- tosi vor. Auf den Penninen sind die Kuppen meist bedeckt von dem Vaccinietum myrtilli Sphagniprati; darin sind die Pflanzen des Sphagnetum meist schon alle zugrunde gegangen, häufig ist Empetrum und Cahuna, hier und da fhidet sich noch Eriophorum angustifolium und selten E. vaginatum, Rubus chamae- 894 Geograpliie der Pflanzen (Oekologische Pflanzengeograplüe) morus, dann aber schon Nardus, Deschampsia flexuosa, Festuca ovina, Juncus squarrosus, Rumex acetosella. Es findet hier schon eine Andeutung statt zum Uebergang in trocken- torf haltige Narduswiesen. Dies tritt in den höheren Lagen der Penninen ein; in tieferen Lagen Englands bedeckt diese trocken gewordenen \ Moore ein Callunetum, das nur noch nach dem darunter liegenden Moorboden meist zu den Hochmooren gezählt wird, aber nach dem Pflanzenwuchs, der Pflanzengesellschaft, die hier doch beschrieben werden soll, zu den Heiden gehört. Diese Heidemoore oder besser Moor- heiden, sind der klassische Boden für die Reb- huhnjagd (Lagopus scoticus), für welche aus- gedehnte Gebiete Englands und Schottlands gepflegt und nicht anders genutzt werden, nur hier und da abgebrannt, damit neue Schöß- linge dem Wild wieder gute Nahrung bieten. Weite Flächen Irlands sind von einer anderen Assoziation bedeckt, dem Molinietum coeru- | leae depauperatae, in welchem die Leitart fast allein herrscht. Zu gedenken ist hier noch der Bäume, die das Moor betreten können, aber allerdings meist in krüppeliger Form, der typischen Hoch- moorform, den Kuscheln. Es ist dies in den i Alpen Pinus montana, im Norden Pinus silvestris. Solange die Bäume, wie meistens, dünne Stämme und magere Benadelung zeigen, geben sie nur unbedeutenden Schatten, so daß die licht- | liebende Pflanzengesellschaft noch leben kann. Die Hochmoore können aber schließlich in Föhren- oder Birkenwälder übergehen. ; 2e) Vegetationstypus Deserta, Ein- j öden. Unter Deserta, Einöden, fassen wir alle ans wurzelnden Pflanzen gebildeten Gesellschaften zusammen, die den beweg- lichen oder nnbewegliehen und von Wasser nicht bedeckten Boden andauernd nicht so zu bekleiden vermögen, daß sie auf ein all- i fällig niedereres Stockwerk einen wesent- lichen Einfluß ausüben, die also offene Pflanzengesellschaften sind. Uebt bei allen vorhergehenden Pflanzen- gesellschaften infolge der Geschlossenheit der Vegetation jedes höhere Stockwerk einen Einfluß auf das tiefere aus — Gesträuch auf Bodendecke, Gehölz auf alles andere — , so sind in diesem Vegetationstypus solche vereinigt, bei denen dies nicht mehr der Fall ist. Die vereinzelten Bäume, zerstreut stehende Sträucher, lassen der^taude, dem Gras, das nicht darunter, beschattet, sondern mehr oder weniger weit daneben steht, jede Entwickelungsfreiheit, insbe- sondere lassen sie ihnen das Licht. Indem diese Pflanzen mit Zwischenräumen nebeneinander wachsen, haben sie geringen Einfluß auf die ökologischen Bedingungen ihrer jeweiligen Nachbarn. Ganz anders liegt der Fall bei denen, die stockwerkartig übereinander wachsen. Dies gab Veran- lassung zur Trennung in verschiedene Vege- tationstypen. Die Bewachsung besteht daher meist aus einem Gemisch von Sträuchern, zum Teil auch Bäumen, von Gräsern und Kräutern; besonders beliebt ist Spalier- wuchs und Polsterwnchs im weitesten Sinn. Alle Faktorengruppen können Einöden bedingen, die klimatisch bedingten ragen aber hervor durch ihre ungeheure Ausdeh- nung. Die Hochdruckgebiete der Subtropen bilden zwei riesige Einödengürtel um die Erde. Im Innern der Kontinente, wo das Klima stark kontinental ist, dehnen sie sich noch weiter nach Norden aus. Es sind die Gebiete großer Trockenheit. Eine andere Gruppe von klimatisch bedingten Einöden bilden die physiologisch trockenen Kälte- einöden in den polaren sowie hochalpinen Gegenden. Edaphisch bedingte Einöden kommen in jedem Klima vor, überall kann der Stand- ort so ungünstig werden, daß die Vegetation eine offene bleibt. Hier wirkt die Beweg- lichkeit des Bodens bei Geröllhalden, bei Dünen, bei Flußschottern oder der Salz- gehalt bei den Strandsteppen. Hier kann eventuell auch noch eine andere Vegetations- gruppe angefügt werden: Die Beweglichkeit des Bodens kann nicht nur eine natürliche sein, sondern auch eine künstliche durch Pflügen, Umgraben, Auf werfen, so daß die Ruderal- und Segetalvegetation entsteht. Weitere Einöden entstehen auch dadurch, daß die oberirdischen Vegetationsorgane wiederholtem Druck und Quetschen aus- gesetzt sind, also die Ruderalstandorte von Straßen und Plätzen, wo der Fuß von Mensch und Tier auf das Gedeihen der Vegetation hemmend wirkt. a) Formationsklasse Siccideserta, Steppen. Unter Siccideserta, Steppen, ver- stehen wir die Einöden, bei denen mehr als die Hälfte des Bodens von der Vegetation bedeckt wird, von der viele Arten zu den Therophyten, Halophyten, Sukkulenten, Halbkugclsträuchern und Polsterpflanzen ge- hören. Sie zeichnen sich dadurch aus, daß die mehrjährigen Arten reduzierte, aber mechanisch versteifte Vegetationsorgane von graugrüner Farbe besitzen, so daß die Gräser durch viel Bast, die Stauden durch Holz strauchartig werden. Die Steppen sind klimatisch bedingt durch ein trockenes, zeitweise heißes Klima von kontinentalem Charakter. Sie begleiten die Wüsten meist in breitem Gürtel. Steppe und Wüste sind nicht prinzipiell, sondern nur graduell voneinander verschieden, zum Teil sind es dieselben Pflanzen in beiden, die weiter auseinander rücken, indem den extremeren Verhältnissen der Wüste nur die kräftigsten gewachsen smd. Betreff Trockenheit läßt sich etwa sagen, daß die Wüste eine jähr- liche Niederschlagsmenge von 0 bis 25 cm hat, I die Steppe von 25 bis 50 cm. Die Baumlosigkeit ist für diese Einöden charakteristisch, doch will das nicht sagen, daßgarkeine Bäume vorkommen, Geog-raphie der Pflanzen (Oekologische Pflanzengeographie) 895 sondern nur, daß deren so wenige sind, daß sie : nicht das Wesentliche der Landschaft ausmachen, nicht einen wesentlichen Einfluß auf das untere Stockwerk ausüben. Einzelne Bäume gibt es ' überall dort, wo das Grundwasser in für sie \ erreichbarer Tiefe liegt, also in den kleinen Depressisonen, den Dayas und Wadi des Sahara- nordrandes, andererseits bekanntlich in den Savannen. So natürlich die Steppen auf den ersten Blick erscheinen, so sind sie doch oft zoogen beeinflußt. Sie werden als Weide ver- ( wendet, zu diesem Zweck auch viel abgebrannt, j Wo die Weidewirtschaft vorteilhaft ist, sind auch die Steppen künstlich auf Kosten des Waldes ] vergrößert worden. Die einmal umgewandelte Steppe läßt sich dann schwer oder nicht mehr in 1 den ursprünglichen Wald zurückverwandeln. Die ungarische Pußta ist jedenfalls auf diese Weise vergrößert worden, und auch aus Deutsch- Ostafrika ist solche künstliche Steppenbildung bekannt. Der Name ,, Steppe" ist wie so mancher Vulgärname ein rein geographischer oder wii"t- schaftlicher Begriff und nicht geobotanisch, daher wird er auch von verschiedenen Autoren , ganz verschieden gefaßt. Die russischen Autoren ; möchten den Ausdruck auf die auf humus- reichem, salzhaltigem Boden wachsende Gras- vegetation beschränkt wissen, ihre Schwarz- erdsteppe, Tschernosjom Stjep; demgegenüber steht aber der allgemein eingebürgerte Begriff der Steppe in nichtrussischen Sprachen als humusarme, offene Gras-, Kraut- und Strauch- vegetation arider Gegenden. Auch der Ausdruck Grassteppe für diese südrussischen Steppen ist | nicht unzweideutig, da auch viele ökologisch ganz : anders geartete Steppen von Gräsern dominiert werden, so die Haifasteppen (Stipa tenacissima) j und Drinnsteppen (Aristida pungens) Algeriens. \ Die Russen möchten alle Einöden, die nicht zur Tschernosjom Stjep gehören, mit Wüsten als Uebersetzung von Pusstynja bezeichnen. Der deutsche Ausdruck Wüste jedoch erweckt die Vorstellung einer viel stärker offenen, extremeren Pflanzengesellschaft, wie sie hierbei nicht mit eingeschlossen wäre. Andererseits ist das rus- sische Wort Pusstynja Wüste, von pusstoi, leer, öde, ins ungarische als Pußta eingedrungen für eine Pflanzengesellschaft, die der russischen Stjep und nicht der Pusstynja entspricht. Die Steppen tragen viele Therophyten, Sukkulente und Polsterpflanzen neben mehr oder weniger niedrigen Stauchern. Die Vegetationsorgane der perennierenden Pflan- zen sind großenteils mechanisch versteift durch Holz oder Zellulose. Man kann nicht eigentlich zwischen Grassteppen unterschei- den, da aus der systematischen Gruppe der Gräser in den subtropischen Steppengebieten Arten vorkommen, die durch Zellulose so versteift sind, daß sie strauchwertig werden (Stipa tenacissima in Algerien) und mit ihren perennierenden Vegetationsorganen zur selben Vegetationsform zu rechnen sind, wie die mit ihnen zusammenwachsenden Sträucher, ähnlich wie wir es bei den ,, Kräutermatten" der Alpen gesehen haben, von denen manche Assoziation durch Gräser dominiert wird. Einen Uebergang zwischen den Einöden und den Wiesen bildet eine Gruppe von Pflanzen- gesellschaften, die noch einen mesophilen Cha- rakter trägt, indem in der Vegetationszeit der Regen ein ziemlich reicher ist; diese Zeit ist aber zu kurz, um Baumwuchs zu gestatten. Es sind hauptsächlich Gräser, die dominieren; die Vege- tationsdecke ist eine zwar lückenhafte, kann aber doch noch fast als eine mehr oder weniger geschlossene betrachtet werden. Warming nennt sie Wiesensteppen. Es ist die Frage, ob sie nicht besser zu den Duriprata gestellt werden; immerhin unterscheiden sie sich von jenen dadurch, daß sie viel mehr Zwiebelpflanzen und Einjährige besitzen und wahrscheinlich neben der Winterruhe eine mehr oder weniger ausgesprochene Sommerruheperiode durch- machen, was aber noch nicht ganz klargestellt ist. Sie gehören der gemäßigten Zone an. Es sind das die eurasiatischen und amerikanischen Grassteppen oder Rasensteppen (wie ich sie nennen möchte, um eine Verwechselung mit den nicht rasigen, aber von Gras dominierten sub- tropischen Steppen auszuschließen): die unga- rische Pußta, die südrussische Tscher- nosjom Stjep (als Steppe im engsten Sinn oft beschrieben), die Prärien Nordamerikas (nicht alle, da unter dem geographischen Be- griff Prärien wiederum auch ökologisch anders geartete Steppen mit bezeichnet werden), die Pampas in Südamerika. Kalte mehr oder weniger schneereiche Winter bilden ein wichtiges Moment für die Wasserversorgung; starker Wind ist jedoch damit verbunden, der dem Baum- wuchs sehr schädlich ist und daher zur Erhaltung der Steppe beiträgt. Der Boden ist ziemlich reich an Humus, sowohl in Rußland wie in Amerika. Kußlands und Ungarns herrschende Steppengräser sind Stipa capillata und Stipa pennata, weitverbreitet, besonders in Ungarn ist das Andropogetum grylli, die besten Schwarzerdlagen nimmt die Asso- ziation mit dominierender Festuca vallesiaca und Koeleria cristata ein. Großer Blumen- flor belebt das Steppenfrühjahr, zuerst von Zwiebelpflanzen, später von höheren i Stauden, vielen Umbelliferen, Labiaten und I Papilionaceen. Der Sommer zeigt dürre I Oede, im Herbst tritt wieder eine spärliche- Flora auf ; in den besseren Lagen kann auch die Vegetation etwas länger dauern,, so besonders in einzelnen Präriegegenden. Die nordamerikanische Prärie wird von j nahe verwandten Gräsern dominiert. In der I ,, Präriegrasassoziation" sehen wir wiederum ! Koeleria cristata, diesmal vereint mit Sporobolus i asperifolius, Eatonia obtusata und Panicum Scribnerianum dominieren, in der ,, Büffelgras- assoziation" Bouteloua curtipendula und B. oligostachya neben dem Typus der BulbiHs- dactyloides. Wo der Boden sandiger ist, tritt Andropogon scoparius, bestandbildend mit Stipa comata, weiterhin Aristida purpurea und A. basiramae usw. auf. In dem dort nicht so^ trockenen Sommer treten hohe Kompositen besonders hervor. Die Kontinentalität des Klimas kann aber 896 Geographie der Pflanzen (Oekologische Pflanzengeograpliie) auch auf dem starken Wechsel von Trocken I bewachsen, Assoziationen von Artemisia und Naß allein beruhen ohne die großen | tridentata nach Pound und Clements Temperaturdifferenzen. Geht man von den : auf den Hochebenen, von Artemisia fili- Pampas äquatorwärts, so nehmen diejfolia auf ausgedehnten Sandgebieten und Wintertemperaturen stark zu, die Tempe- in den „Bad lands" der dornige Strauch raturen der verschiedenen Monate zeigen [ Sarcobatus vermiculatus und Eurotia keine sehr großen Unterschiede mein-, wirjlanata. haben aber eine starke Regenzeit und eine j j^^ ^^^ subtropischen Steppe des starke Trockeuperiode, welch letztere wieder { algerischen Hochlandes fehlt die Kälte- sich als mehr oder weniger baumtemdlich j pgj.jQ^lg ^^^. ^^^^^ beschriebenen Steppe; der kälteste Monat bleibt über 0°, nur die Minima gehen darunter. Es tritt keine Winter- ruhe mehr ein, aber eine Sommerruhe. Die Niederschläge belaufen sich auf 20 bis 50 cm. Große Strecken zwischen dem Tell- atlas und dem Saharaatlas sind von diesen Steppentypen bewachsen. Hier ist in erster Linie die Haifa steppe, das Stipetum tenacissimae, zu erwähnen. Der kiesige Boden ist mit dicken Horsten des «weist. Hier tritt uns die Savanne ent- gegen. Sie ist von Gräsern beherrscht, Sträucher und Bäume sind eingestreut nebst zahlreichen Stauden, in den Llanos von Britisch-Guyana besonders Kompositen, Leguminosen und Amarantaceen. Je nach der Ergiebigkeit der Regen wird die Grasflur bis über mannshoch, zwischen den Rasen aber doch immer nackte Zwischenräume lassend. Wo die Bediugungen weniger bäum ^^^ ^^^^^ ^ i^uuen ist feindlich sind, nehmen die Bäume mehr j ^J'^Jj^^^^^JI^ j^^^^^ und mehr zu, bis man von einem Savannen- ' ^^.^^.^ ^^^^.pjj Zellulose versteift, seine Blätter wald sprechen kann, in dem aber naturgemäß ; j^i^^i mehrjährig (mindestens zweijährig), es ist viele der ökologischen Faktoren gewechselt j ükologisch" also eigentlich als Strauch anzu- haben, er gehört zu den Wäldern, nicht , sprechen. Der Bast wird in großen :\Iengen ge- mehr zu den Steppen. Wenn die Trocken- 1 wonnen und als vegetabilisches Roßhaar ver- perio iode eintritt, werden diese blumenreichen ; wendet. \Venn der Boden weniger durchUissig Dieses Khma ist m den Tropen und teilweibc ^^^^. artemisia herba alba-Steppe, in den Subtropen sehr verbreitet, es nehmen | ^j^ °^^^^ Lehmboden im selben Klima wächst daher diese Savannen sowohl in den Ebenen : m-^^i g^oßg strecken bedeckt. Artemisia cam- als den tropischen Gebirgen große Strecken pestris ist beigemischt, ferner Schismus caly- ein, in Brasilien, in Australien und besonders cinus, Plantago albicans, sowie das vom Weide- in Afrika. Wo die Kälte zunimmt, erhalten i vieh nicht berührte Pegamon harmala. Selbst- wir Uebergänge zu den Prärien; wo das ' redend gedeihen dazwischen die kurzlebigen Klima wenige^ba^imfeindlich ist, zeigen sich ^ Anr^l- ^^ s^^^S'^oÄf ^^ je nach der Trockenheit Uebergänge zu den ; j^.^^^^^ ^.^^^j^^^^ ^.^^ ^^%^^^^ ^^^i^,, ^^^ ,^ Hiemisilvae, die sich durch Laubtall gegen ^^.jj.^i^pj^ ^^.^^. ^j^ typische Salzsteppe, die m die Dürre schützen, oder zu den immer- (^gjiajgei-ischen Schotts von Halocnemon strobila- grünen Durisilvae von Eukalypten in Au- ; ceum beherrscht wird, dem verschiedene Salsolae, Salicornia herbacea, Atriplex halimus, Anabasis articulata, Halogeton satyrus usw. beigemischt sind. Die Frühlingsflora fehlt der Salzsteppe. Zwischen den Sträuchern sieht man weiße Salzausblühungen, die nach Hartwich 43 "/o MgSO^, 240/0 CaCOa, 12% Kochsalz, das übrige an Eisen, Kieselsäure und organischer Substanz enthalten. Die Salzsteppe ist meist feucht, kann aber Trockenrisse aufweisen. Wir besuchten die Salzsteppe in ei Kreider, wo die wenig salz- haltigen Gebiete von Lygeum spartum einge- nommen sind. Bei Salzzunahme folgt ein Gürtel von Frankenia thymifolia und sodann die eigent- liche Salzsteppe von Halocnemon. Die spanische stralien Gehen wir über zur nächsten Gruppe von Steppen, den winterkalten Strauch- steppen (Steppenwüsten, Wüstensteppen, der russischen Polupusstynja). Zwischen den subxerophilen Schwarzerdsteppen Südruß- lands uud den asiatischen Wüsten liegt ein großer Gürtel Strauchsteppe, in der Arten von Artemisia vorherrschen, und die daher Wermutsteppe genannt wird. Hierzu gehurt die Kalmückensteppe zwischen dem unteren Wolgalauf, dem Kaspi, demManytsch und den Jergenibergen, welche von der Wolga- j Salzsteppe zwischen Elche und Orihuela wird von bei Sarepta südwärts verlaufen. Die typlsclie Wermutsteppe hat emen hellbraunen Lehmboden, Humus wie im Schwarzerdgebiet kann sich nicht bilden, das Klima ist zu extrem (eingehend in Rubel, Die Kalmückensteppe bei Sarepta, Festband von Englers Botanischen Jahrbüchern 1914). Von einer ähnlichen Steppe siud große Strecken in Nordamerika zwischen den Eockv Mountains und der Sierra Nevada Salicornia fruticosa beherrscht mit Atriplex halimus, Beta maritima, Suaeda fruticosa, Inula crithmoides. Die spanischen Steppen zeigen auch Haifasteppe, Lygeumsteppe und Klein- strauchsteppen. In Südafrika liegen ungeheure Steppen- gebiete, die noch sehr wenig erforscht sind. Was davon bekannt ist, findet sich in Mario ths Kapland. Da ist vor allem die Karroo (karroo heißt dürr), deren Gebiet wohl größtenteils Geographie der Pflanzen (Oekologiscke Pflanzengeographie) 897 zur Steppe zu zählen ist, teilweise vielleicht schon zur Wüste. Um ein geringes feuchter, aber auch kälterem Winter unterworfen, sind die nördlicher gelegenen Hochebenen des karroiden Hochlandes; dort ist aber die Unregelmäßigkeit der Nieder- schläge auch sehr bedeutend; es hatte z. B. das dort gelegene Hanover bei einer mittleren jähr- lichen Niederschlagsmenge von 423 mm im Jahre 1903 nur 45 mm, also bloß ungefähr den zehnten Teil des gewöhnlichen. Im Nieuwveld herrschen die Kompositen weitaus vor, am häufigsten sind Peutzia globosa und Chrysocoma tenuifolia. Wo intensiv geweidet wird, tritt die nutzlose Chrysocoma massenhaft auf gegenüber der durch Abfressen vertriebenen Peutzia. Zahlreich und weit verbreitet sind auch noch andere Kompositen wie Euryops und Othonnaarten, Tripteris sptnes- cens. Pteronia glomerata. Im weiter westlich gelegenen Roggeveld ist die Vegetation etwas dichter, wohl wegen anderer Verteilung der Niederschläge. Auch hier herrschen Kompositen, hauptsächlich die durch Harz gegen die Trocken- heit geschützten Euryops lateriflorus, ein ^^j^gj^ ^^j^J ^g ^i^^ .^g ^ytlste auch noch eine des halbkugelpolsterartigen Mesembryanthemum calamiforme bei Prince Albert Road in derKarroo, das wie mit Zwergraännchen von Aloe ferox besetzte Steinfeld bei Cradock (Bilder in Mar- loth). Die Steppen von Mexiko und Texas sind von Cactaceen und sukkulenten Liliifloren be- herrscht. Hoch in die Luft ragt das Ungetüm Cereus giganteus, dicke auf den Boden gesetzte Kuppeln bildet Cereus tngens, die Agaven spielen eine große Rolle, ferner Yucca, verschiedene Opuntien, Dasylirien, Kompositen, Dornsträucher von Mimoseen usw. ß) Formationsklasse Siccissimide- serta, Wüsten. Unter Siccissimideserta, Wüsten, verstehen wir Trockenheitseinöden, bei denen weniger als die Hälfte des Bodens mit Pflanzen bedeckt ist. Streng genommen wäre eine ,, Wüste" ein pflanzenleerer Raum, also nichts für den Botaniker, aber solche Gebiete sind sehr Frühlingsblüher und Euryops oligoglossus, ein Herbstblüher, Gegend bezeichnet, die eine zwar sehr lockere, aber doch auffällige Vegetation aufweist. Ein wärmerer Steppentypus, der in Viele Pflanzen der Steppen dringen noch ariden Gegenden, wo kein Frost mehr auf- weit in die Wüste vor.* Der Unterschied von tritt, große Verbreitung erlangt, ist die Sukkulentensteppe. Die Speicherung des Wassers durch Sukkulenz macht die Pflanzen sehr resistent gegen Wassermangel; in kühleren Gegenden sind solche Pflanzen charakteristisch für salzigen Boden (s. oben die Salzsteppe). In der alten Welt sind Euphorbien die hervorragendsten Vertreter der Sukkulentensteppe, in der neuen Welt die Cactaceen. Auf den kanarischen Inseln treffen wir in Steppe und Wüste ist mehr ein gradueller als ein prinzipieller. Oekologie und Physio- gnomie sind in den beiden analog. Im trockenen Subtropenklima zieht sich ein Wüstengürtel um die Erde von der Sahara Afrikas durch Arabien, Gobi, fast zum Stillen Ozean und weniger ausgedehnt durch Mexiko und Texas. Auf der Südhalbkugel nimmt die Wüste in Australien und in der Kalahari Südafrikas viel Raum ein. Der Boden ist mit Ausnahme von Stellen, wo giftige Stoffe der basalen Stufe hauptsächlich die kanarische ausblühen, sehr nährstoffreich, aber es fehlt Sukkulentensteppe. Das Klima wäre, was die Feuchtigkeit, um eine üppige Vegetation die Temperaturverhältnisse anbetrifft, ein sehr entstehen zu lassen. Im allgemeinen rechnet ozeanisches zu nennen: Orotava z. B hat als j^^^^,^ Gebiete mit weniger als 25 cm Nieder- Mit^teld^es^ kaitesten Monats^l^^^^ schlag zu den Wüsten, ein Teil des fehlenden ändern^ den Ch'arakter jedoch vollttändig. Die i Niedersclilages kann aber durch Luftfeuchtlg- 300 bis 350 mm Regen fallen zum grüßten Teil keit und Nebel ausgeglichen sein, so daß im Winter, die Sommermonate erhalten nur auch noch steppendichte Vegetation unter 1 bis 12 mm. Der Boden ist vulkanisches Gestein, felsig und kiesig. Die auffallendste Pflanze ist die Euphorbia canariensis, die ihre armdicken, milchgefüllten, prismatischen Stengel durchschnittlich 1 bis 2 m hoch aufreckt. Viel- leicht noch häufiger ist die ebenso große Euphorbia regis Jubae. Außer diesen sind noch die kleineren Plocama pendula und Kleinia neriifolia bestand- bUdend. Dazwischen finden sich Sträucher von Sonchus spinosus, Chrysanthemum frutescens, Micromeria varia und die kletternde Rubia fruticosa. In den Felsspalten setzen sich die vielen Arten und Formen der Semperviven an, von denen viele endemisch sind. Geophyten und Therophyten fehlen natürlich nicht. 25 cm vorkommen kann. Es muß nicht nur die absolute Menge, sondern auch die Launenhaftigkeit der Niederschläge berück- sichtigt werden. An vielen Orten kann es lange Zeit, ja jahrelang, gar nicht regnen, dann erfolgt ein plötzlicher Platz- regen, der das Mittel stark hinaufrückt. Also müssen die Pflanzen auf große Trocken- heit abgestimmt sein. Dies geschieht in zwei Weisen, wir haben ökologisch zwei Arten der Anpassung, die sich ausdrückt durch die Grundwasserflora und die Regen- flora. Die Grundwasserflora besteht aus ^, ... ,. , „ ., • , T. ^1 j xerophilen Sträuchern, die ein starkes wr/'if'p"f'''^'"Vi!''^f'"''i^%^^^l^i Wurzelwerk besitzen, das die tieferen, hat ähnliche Pflanzengesellschaften. In Sudafrika L , ^ -r, , i-i+ i i, ; ,+ sind Sukkulentensteppen vorhanden, in denen fe^\chteren Bodenschichten duichsi)innt, Euphorbia mauritanica, ferner Mesembryan- während die Vegetationsorgane durch ver- themumarten herrschen, wie z. B. das Feld schiedene Wuchsarten sich gegen die Ver- Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV. 5' 898 Geograpliie der Pflanzen (Oekologische Pflanzengeograpliie) trocknung schützen. Die eine Wuchsart ist die Ausbildung als Polsterpflanzen. Der halbkugelige Wuchs und das sich an den Boden Drücken hindert die Verdunstung in hohem Grade. Eine andere Art ist das Speichern der Flüssigkeit im Innern der Pflanze, es sind die Stammsukkulenten, die typische Wüstenpflanzen sind. Endlich ist die Herabsetzung der Verdunstungsfläche durch die Wuchsformen der Eutengewächse, Filzpflanzen und blattlosen oder klein- blätterigen Dornsträucher sehr häufig. Ganz anders richtet sich die Regenflora ein. Die trockene Zeit wird in unempfindlichem Dauerzustand in der Erde zugebracht, von den Therophyten als Samen, von den Geo- phyten als knollige Gebilde. Die Vegetations- organe sind bei beiden Gruppen vergänglich und nicht besonders an Trockenheit ange- paßt. Nach einem Regen sprießen sie heraus, blühen meist reichlich und reifen ihre Früchte sehr rasch, um wieder im geschützten Zu- stand eine neue lange Trockenzeit zu über- dauern. Die Samen können viele Jahre keimfähig im Boden verharren. Nach der Bodenbeschaffenheit kann man Felswüsten, Kieswüsten, Sandwüsten, Salz- wüsten unterscheiden. Fels- und Kieswüsten sind Abtragungswüsten, der Wind entführt das verwitterte feinere Material, die Sand- wüste ist Aufschüttungswüste. Letztere ist am landläufigsten unter dem Namen ,, Wüste" bekannt, nimmt aber z. B. von der Sahara höchstens ein Drittel ein. Eine ausgesprochene Assoziation der Sahara ist das Anabasetum aretioidis, das in Inneralgerien weitherum wächst. Die Tempe- raturen der Gegenden schwanken zwischen einem Maximum von 51" (' und einem [Minimum von — &" C, Temperatursehwankungen von 30*^ innerhalb eines Tages sind nicht selten. Die Luftfeuchtigkeit kann bis auf 2"/o hinunter- gehen. Tonangebend in der Vegetation ist Anabasis aretioides, ein Halbkugelpolster der dichtesten, festesten Art, auf dem das Ge- wicht eines Mannes z. B. keinen Eindruck macht, so sehr ist alles versteift und durch imbrikates Laub ineinander verwachsen (siehe H. Hauri, Anabasis aretioides Moq. et Coss., eine Polsterpflanze der algt'iischcii Sahara. Mit einem Anhang, die Kenntnis der angio- spermen Polsterpflanzen überhaupt betreffend. Beih. z. Bot. Zentralbl. 28, 1912). Zerstreut, je ein Polster auf ca. 10 bis 40 cjm Fläche, klammern sich diese Pflanzen fest an den Boden. Die durchschnittliche Größe der Halbkugel dürfte von 10 bis 30 cm Radius sein, sie variiert aber von ganz kleinen Pölsterchen bis zu solchen mit einem Durchmesser von 120 cm und darüber. Die übrigen Pflanzen der Assoziation sind meist Ruten- und Dornsträucher. Alle nähern sich halbkugeliger Form. Von Bedeutung sind u. a. Zilla macroptera, Limoniastrum Feei, Marrubium deserti usw. Es sind nicht so wenige Arten wie man denken sollte, besonders wenn die Regenflora dazu kommt. In Colomb Bechar im Südoranais sammelten wü-, trotzdem kein Regen gefallen war, in dieser Assoziation in kurzer Zeit über 30 Arten. Die tonangebende Anabasis aretioides ist auf die Sahara und be- sonders deren Nordrand beschränkt und merk- wüi-digerweise in dieser Gegend die einzige ausgesprochene Polsterpflanze. Viel reicher an solchen ist Südamerika. Die Stammsukkulenten spielen hier in der Sahara gar keine Rolle, in Nordamerika sind diese hmgegen die hervor- ragendsten Wüsten- und Steppentypen. Eine eigenartige Wüste ist die alpine Stufe am Pik von Teneriffa, der sich aus der Ebene bis zu einer Höhe von 3730 m erhebt. Ueber der Wolkenstufe gelegen ist sie das Reich des trockenen Antipassatwindes, der starken Sonnen- strahlung. Die Luftfeuchtigkeit ist minimal, sie bewegt sich meist zwischen 10 und 30 7o- Der winterliche Schnee geht bis auf 1600 m herunter. Es tritt also eine Winterkälte-Ruhe- periode ein neben der Trockenruheperiode im Sommer. Der Boden ist aus vulkanischem Gestein, meist mit einer Lapillidecke bedeckt, die sehr dazu beiträgt, der Frühlingsflora die Feuchtigkeit des winterlichen Schnees zu er- halten, da sie wie eine Isolierschicht wirkt. Die Pflanzenassoziation wird ausgesprochen von einer einzigen Art beherrscht, dem Spartocj'tisus supranubius, der ,,Retama blanca". " Von 2000 bis 3000 m sind die vereinzelten Ruten- büsche das einzige sichtbare an größeren Pflanzen. Die Büsche sind durchschnittlich 3 m hoch, sie tragen nur kurze Zeit während der Frühjahrsniederschläge ihre behaarten, drei- teiligen Blättchen und zugleich ihren Blütenflor, zu dessen Ausnützung die Hirten ihre Bienenstöcke in die Canadashochebene hinauftragen. Von be- gleitenden Pflanzen sind das seltene Pikveilchen, Viola cheiranthifolia und Silene nocteolens be- merkenswert, perennierende Stauden, die im Bimsteingeröll weitherum kriechend mit flei- schigen Wurzelstöcken versehen sind. Ausgedehnte winterkalte Wüste liegt in Transkaspien mit 1 bis 3 Monatstemperatur- mitteln unter 0" und Sommermitteln von 25 bis 30", also heißer als die Cafiadas, aber nicht so extrem lufttrocken, nämlich 50 bis 70%. Nach dem Boden unterscheidet Ove Paulsen, dem wir eine sehr schöne öko- logische Studie über jene Gegenden ver- danken, Salzwüste, Tonwüste, Stein- wüste, Sandwüste. Ein Teil, besonders die Tonwüste, dürfte nach unserer Abgren- zung noch zu den Steppen gehören; Richt- hof en nennt sie die normale Steppe von Zentralasien, sie ist verwaudt mit der oben besprochenen Wermutsteppe in ihrem Frühlings- und Herbstaspekt. In der Salz- wüste sind Acluropus littoralis, Halostachys caspica, Halocnemon strobilaceum und Sali- cornia herbacea die Herrschenden. In den großen Zwischenräumen sieht man Thero- phyten, lauter Sommerannuelle, es fehlen nämlich in der Salzwüste dieFrühlinosblüher. In der winterkalten Stein- oder Kieswüste Geographie der Pflanzen (Oekologische Pflanzengeographie) 899 treten u. a. auf: Salsola rigida, S. arbus- 1 cula, Keanmiiria oxiana, Halimocnemis ' macranthera, Alhagi camelorum usw. Die Sand wüste beginnt ihre Festigung mit A r i s t i d a p e n n a t a. Es folgen ver- schiedene Rutensträucher, Ammodendron Conollyi, Calligonum caput niedusae, Sal- sola arbuscula usw. Bei weiterer Zunahme von Alhagi camelorum, Goebelia alopecu- roides, Zygophyllum Eichwaldii, Peganum harmala geht der Bestand in eine Steppe über. y) For m at io n s kl as s e Frigori- deserta, Kälteeinöden. Unter Frigori- deserta, Kälteeinöden, verstehen wir die Einöden, die vorherrschend aus einer Vege- tation von krautigen, perennierenden, selten verholzten Arten von zumeist frischgrüner Farbe zusammengesetzt sind, bei denen die Horst-, Rosetten- und Polsterform sehr häufig vorkommen. Die Kälteeinöden sind wie die bisher besprochenen klimatisch bedingt. Infolge der Kälte ist das meist genügend vorhandene Wasser für die Pflanzen nicht verwertbar; der Standort ist ein physiologisch trockener. Da der Boden die erhaltene Wärme eher fest- hält als die Luft, so ist den Pflanzen Boden- nähe von Vorteil. Es ist ein ausgesprochenes Chamaephytenklima. Polster-, Rosetten- und Horstform herrschen vor und zwar von perennen Stauden. Die Versteifung durch Holz und Zelhüose fehlt wie auch die Speiche- rung durch Sukkulenz, und vor allem sind die Massen der Therophyten ganz zurück- gegangen und spielen gar keine Rolle mein:. Die Vegetationszeit ist meist günstig, was Feuchtigkeit anbetrifft, jedoch von sehr kurzer Dauer; den größten Teil des Jahres herrscht Winterruhe. Man kann nicht mehr von Frühling und Herbst sprechen, alles drängt sich auf kurze Zeit zusammen. Die Kälteeinöden sind die polarsten Pflanzen- gesellschaften, horizontal sind sie das Wahr- zeichen der arktischen Zone, vertikal der nivalen und subnivalen Stufe. In beiden Richtungen beginnen sie außerhalb der Baumgrenze, meist liegt noch ein Wiesen- gürtel zwischen Baumgrenze und Kälte- einöde. Es gehört hierher ein großer Teil der Tundra, soweit diese, ein geographischer, nicht phytökologischer Begriff, offene Pflanzengesellschaften trägt. Der kalte austrocknende Wind ist von großer Bedeutung. Der Boden ist sehr ver- schiedener Natur. Man kann zwei Gruppen von Gesellschaften unterscheiden, die ark- tische und die alpine. In vielen Hinsichten sind die Bedingungen ähnlich, in anderen , nicht. Besonders die Lichtverhältnisse sind sehr verschieden. Dem schwachen arktischen steht das intensive Alpenlicht gegenüber, das mag vielleicht die so intensiven Farben der Alpenblumen verursachen. Die arktische Schuttflur (syn. Fjäld- mark dän. == Felsenflur Warming 1902 = Fell field Warming 1909 = Rocky flat Ostenfeld 1908) kommt rings um den Pol vor auf Island, Grönland, in Noidamerika, Sibirien. Als Beispiel diene die von Osten- feld beschriebene Faeröer-Fjäldmark. Auch noch auf diesen sehr nördlich gelegenen Inseln findet sich diese Pflanzengesellschaft ntir auf den Bergen von 400 m aufwärts, besonders auf den Bergplateaus, über die der Wind hinfegt, der wohl die Kahlheit hauptsächlich verursacht. Der Boden kann als Gruswüste bezeichnet werden, Grus und gröberer Schutt bedecken den Boden. Darin suchen sich Moose und Blütenpflanzen festzusetzen. Rhacomitrium hypnoides (L.) Lindb. (= Grimmia hypnoides L.) spielt dabei meist eine hervorragende Rolle, hier und da aucli Rhacomitrium ericoides. Von dominierenden Pflanzen kann man eigentlich nicht sprechen, der nackte Boden dominiert. Zu den häufigsten Arten gehört Armeria elongata, Cerastium Edmondstonii, Thymus serpyllum und die Polster der Silene acaulis. Dazwischen treten einige Gräser auf, Saxifragen u. a. und die vielköpfige Salix herbacea. An den exponierten Stellen bleibt diese offene Formation im Gleichgewicht, an geschützteren Lagen finden sich Uebergänge zu geschlossenen Pflanzengesellschaften, be- sonders zum Rhacomitriumbestand(Grimmia heath bei Ostenfeld), der eine ebene Ober- fläche oder schwach geneigte Hänge mit nicht zu nassem Boden und ziemlich gutem Windschutz verlangt. Er bedeckt zum Teil Islands Lava- felder und scheint eine gewisse Verwandtschaft mit dem Schneetälchen zu besitzen, was noch zu untersuchen wäre. Ganz ähnlich liegen die Verhältnisse in Schottland, wo sie Smith (in Tansley 1911) beschreibt. Die Arten sijid großenteils dieselben. Flechten und Moose sind häufig, besonders wieder Rhacomitrium hypnoides. Es gesellen sich die Polster der Silene acaiüis imd Minuartia sedoides bei, ferner Loiseleuria procumbens, Sibbaldia procumbens, Saxifraga oppositifolia usw. Da die in kon- tinentalem Klima wohl getrennten Höhenlagen und deren Gesellschaften im ozeanischen Gebiet unentwhrbar ineinanderfließen, finden sich auch hier wieder alle ]\Iischungen und Uebergänge zu den geschlossenen ]\Iatten, ja zu den Heiden und Mooren. In der subnivalen und nivalen Stufe der Alpen sind die PflanzengeseUschaften auf wenige zusammengeschrumpft; an gün- stigen Stellen kann im Engadin und ander- wärts noch die Wiesenassoziation des Cur- vuletum vorkommen (s. oben), aber Schutt und Fels herrschen und diese beiden Sub- strate nähern sich in ihrer Bewachsung, es finden vielfache Uebergänge statt; haften ja die höheren Pflanzen nie direkt auf dem Fels, sondern verlangen ein Minimum von feinerem Material. 57* 900 Geographie der Pflanzen (Oekologisehe Pflanzengeograpliie) Die beiden Unterlagsarten sind oft eng ge- mischt, da ist die Grenze schwer zn ziehen nach der Frage: Wie groß darf die Felsspalte sein, eine Verwandtschaft. Der Boden kann recht feucht sein, aber durch den Salzgehalt immerhin physiologisch trocken. Die Strand- wie tief muß sie sein und wieviel Schutt darf sie g^eppe kann in allen Klimazonen vorkommen und zwar ni zwei Aus biidungs arten. enthalten, um noch zu den Felsstandorten gerechnet zu werden oder um schon als Schutt- standort zu gelten. Die Natur des Untergrundes läßt Urgesteinsschuttflur und Kalkschuttflur An flachen Meeresufern entsteht Strand- steppe im zeitweisen Ueberschwemmungs- unterscheiden. In den Zentralalpen im Bernina- j^jg^.^ Nachdem das Gebiet überflutet war gebiet reicht die subniyale Stufe von 2750 bis ^^j^^^ ^^^^^ ^j^^ rp^j^ ^^^ Wassers zurück, ein L'lsTrSentfinX'lh^n^t verdunstet, wobei der Salz- auf Gipfeln, die größtenteils als Schuttgipfel : gehalt dem Boden zurückgelassen wird, ausgebildet sind, prachtvolle Schuttfluren; Grob- Eine andere Art der Entstehung treuen wir Schutt und Feinschutt ist immer gemischt, aber an felsigen Küsten. Das aufbrandende je mehr Feinschutt vorhanden ist, um so stärker \ Seewasser zerstäubt, der salzhaltige Gischt ist unter sonst gleichen Jicdingungen die Be- yg^-^güt gidi auf dem Land und läßt wiederum siedelung. Fest drücken sich die meisten Arten j^^j ^^^, Verdunstung Salz zurück, wodurch an den Boden um sich d'^.f™;,^'^^,.]^^»,;"^;,^ wieder nur die offene Halophvtenvegetation und die Feuchtigkeit möglichst zu erhalten. , , Prächtig leuchten die intensiven Farben der ^loit riatz grellen Kann, reichblühenden Pflanzen. Sehr konstant treffen ggj^j. schön ausgebildet ist die felsige wir in schönen Polstern Älinuartia sedoides, gtrandsteppe am Mittelmeer, das sich haupt- Anckosace alpina, das schuttüberkriechende j^^j j ^^^^^j^ Felsküsten auszeichnet. Auf "^'^Z^T^^'lX^Z^'^'^^^^ ^^ sanguinahes vor Ajaccio, besonch^rs im intensivsten Blau leuchtenden Blüten, das auf Mezzomare, treffen wir einen breiten Chrysanthemum alpinum, Saxifraga exarata, Gürtel des Senecionetum_ cmerariae. Saxifraga aspera bryoides u. a., den scheinbar Der Boden, der aus Urgestein besteht, ist äußerlich nicht an den extremen Standort felsig, kiesig mit feinerem Schutt eingelagert, angepaßten Ranunculus glacialis, die Poa ygj^ Beck für die Adria als ,.Felsstrand- laxa, ferner Draben, Artemisien, Primeln usw. gp|^Q^^pj.u ijßzeiehi^et ; Senecio cineraria Auf Kalkgrus sind außer vielen Indifferenten ; ^^j^ j ■ ^^^^^ seidigen, dichten zu nennen: Cerastium latifohum, Saxifraga ^"^ ? t- ' aphylla, S. Seguieri, Draba aizoides und D. Hoppeana, Papaver aurantiacum und besonders die sehr festen Kugelpolster der Androsace Behaarung als dominierende Art. Em anderes Sträuchlein, Helichrysum angustifolium, auch dicht behaart, aber in ein helvotica. Die Pflanzen dieser Assoziation sind | jjiein wenig dunklerem Ton, tritt ebenfalls in größtenteils „Nivalpflanzen", d. h. sie kommen j yiassen auf, diesem gesellt sich in ähnlichem ol)erhalb der klimatischen Schneegrenze vor, , Habitus Artemisia arborescens bei. Passerina eine interessante Gruppe, die auch für das Ver- hirsuta fehlt natürlich nicht, auch Inula viscosa ständnis der Eiszeitflora von großer Bedeutung ist. und Asphodelus microcarpus süid ziemlich häufig. Alle Hochgebirge der Erde tragen ähnliche Zwischen diesen großen Pflanzen ist der Boden Kälteeinöden,%s lei nur an die wunderbaren betupf mit Massen der kle neu Endemen Polster von Haastia pulvinaris, einer Komposite, Nananthea perpusilla und Eyax lotundata. dem „vegetabihschei Schaf", auf den nWisee- : Eme ganze Keihc anderer Alten sc_hh^^^^^ InuHischen Gebirgen erinnert i Dieser (.nrtel geht dort von 0 bis 30 m u. M. landiscnen üeDugen eiinneu. | ^^jj^i^^,,j.^,,,.^,,t,,,„i,. ^on Korsika am Felsstrand von ^) Formationsklasse Litorideserta, , lle Rousse findet sich dieselbe Assoziation mit Strandsteppen. Unter Litorideserta, i einer Reihe and.Tcr beigemischter Pflanzen wie Strandsteppen, verstehen wir die unter dem i Senecio leucanthemifohus, Genista corsica, wohin- Einfluß des nahen Meeres entstandenen gegen die beiden klemen Sangiimaires-Enderaen Einöden, die sich besonders ans Halophyt.n |f ien.^^Die^m^^^^^ und Sukkulenten zusammensetzen, wahrend , ^^^^^^ ^^^^ ^^^^^ ^^^.^ treffen auf dem Kalkstrand die Therophyten und Polsterptlanzen zurück- [ ^.^j^ Südfrankreich eine andere Assoziation, die treten. ich Artemisietum gallicae nennen möchte. Dip^P Urninnp ist pdanhisch bediiio-f i ^"^ dem ebenfalls kiesig-felsigen Ufer am Cape Diese Crruppe _ist edapniscn Deain^l u,^^^^.,^^^ dominierten die füzigen Sträuchlem stimmt aber in vielen Punkten mit der kliniatisc-hen Steppe überein. Die Pflanzen- gcsellsohaften sind offen; Baumwuchs fehlt fast ganz. Sukkulente und Halophyten von Helichrysum serotmum und Artemisia gaUica. Passerina hhsuta, Lotus cytisoides, Dorycniiim hirsutum waren u. a. beigemischt, ferner die aus der russischen salzigen Wermut- spielen wie in vielen Steppen die Haupt- 1 steppe bekannten Camphorosma monspeliacum roUe. Viele Pflanzen zeigen dichte Behaarung, und Aster acer, einige durch den Wind gerundete Ein mattes Graugrün ist den Pflanzen eigen, di'lite Büsche aus der nahen Garigue, Pistacia frischgrüne Farbe fehlt auch hier fast ganz. , entiscus, Myrtus communis, Cistus monspe- Therophyten finden sich nicht viele, aus- ^^^"''''' "^^^■ genommen die halophytischen Annuellen. Eine eigenartige Gesellschaft dieser Es zeigt sich also besonders zur Salzsteppe Gruppe bekleidet die gischtumbraudeten Geograplüe der Pflanzen (Oekologische PflanzengeogTaphie) 901 Lavaklippen der kanarischen Inseln. Ende- 1 mische und zum Teil auch innerhalb der Kanaren nur an vereinzelten Punkten vor- ! kommende Arten von Limonium (Statice) recken ihre großen Blumenstr.äuße hoch empor, in prachtvoll zarter Farbenskala von blauvioletten bis roten Blüten. An anderen Küsten, z. B. der algerischen, herrschen oft Mesembryanthemumarten und Asteriscus maritimus. An den Felsen der Adriaküste beherrscht nach Beck Crithmum maritiuuim die Strandfelsen mit Statice cancelhita und Inula crithmoides. Häufig sind beigemischt Atriplex pedunculata, Salicornia glauca, Lotus cytisoides. Crithmum charakterisiert diese Stand- orte auch noch weit in den Norden, Englands Klippen bedeckt es nebst Armeria mari- tima, Statice limonium (Limonium vulgare), Plantago coronopus u. a. Die zweite Reihe bilden die lehmigen bis sandigen Strandsteppen, im Ueberschwem- mungsgebiet der stärksten Fluten. Der Salzgehalt des Bodens ist groß, daher sind es nur ausgesprochen halophile Pflanzen, welche die offene Vegetation dieser Strecken bilden. Weiter inlandwärts, sobald der Salz- gehalt nicht mehr allzu stark ist, die Bedin- gungen also nicht mehr so ungünstig sind, kann eine geschlossene Vegetationsdecke sich bilden, es sind die Salzsumpfwiesen. In Kordeuropa beherrscht diese offenen Gesellschaften Salicornia herbacea häufig ganz allein. In England mischt sich je nach dem Untergrund " auf lehmigem Boden Festuca thalassica (= Atropis = Gly- ceria maritima), Triglochin maritimum und Aster tripolium bei, auf mehr sandigem Boden Salicornia perennis. Atriplex portu- lacoides. Diese von Warming Tonstrand- verein genannte Assoziation findet sich auch in den Marschgegenden an den östlichen Küsten der Nordsee. Im Mittelmeergebiet an der Adria findet sich in dieser Formation neben der Salicornia herbacea Salicornia fruticosa herrschend nebst Salicornia glauca, Atriplex pedunculata, Suaeda maritima, Glyceria distans und G. festuciformis und anderen, auch einigen der oben besprochenen auf Kiesstrand vorkommenden. Andere Stellen mit dem am Mittelmeer nicht so häufigen Flachstrand zeigen ähnliche Vegeta- tion. An der Rhede von Hyeres dehnt sich weite Strandsteppe mit dominierender Salicornia fruticosa, der sich Innla crithmoides, Atriplex portulacoides und Triglochin Barrelieri bei- mischen. Flahault erwähnt von Montpellier dieselbe Vegetation von Salicornia fruticosa mit Atriplex portulacoides, Statice limonium und S. bellidifolia und Scirpus holoschoenus. Auch in den anderen Erdteilen ist die For- mation ähnlich ausgebildet. Diels gibt aus den Watten von Südwestaustralien, die übrigens dort nur spärlich vorkommen, wieder Salicornien an; Salicornia australis und S. arbuscula nebst Samolus repens, Suaeda maritima und Atriplexarten sind dort zu nennen. Ist der Boden sandiger, so ist es ('akile maritima, die herrscht. Aus dem Sandstrand der Tropen, z. B. von Java, kennen wir die ,,Pes-caprae"-Asso- ziation durch Schimper. Die dunkelgrünen fleischigen Sprosse dieser Convolvulacee, Ipomoea pes caprae, übcrkricclien den Sand und bewurzeln sich. Die Sprosse können mehrere Meter lang werden. Auf den Molukken kennt Warburg eine ganz ähnliche Canavalia-Assoziation, deren Dominierende in ihrer Wuchsart der Ipo- moea ganz ähnlich ist. Dazwischen kommen andere Pflanzen vor wie das sukkulente Sesuvium portulacastrum. Am asiatischen Strand spielt Spinifex squarrosus eine ähnliche dominierende Rolle. Daneben treten kleinblätterige saftreiche Rosettenpflanzen auf wie Euphorbia thymifolia, E. pilulifera usw. e)Formationsklasse Mobilideserta, Wände rein öden. Unter Mobilideserta, Wandereinöden, verstehen wir die Einöden, die durch mechanische Eigenschaften des Bodens verursacht sind und sich beständig als Einöden erhalten. Es sind dies also edaphisch bedingte Einöden und zwar bedingt durch die mecha- nischen Kräfte, die auf den Boden verändernd wirken. Die hierher gehörenden Pflanzen- gesellschaften findet man in den meisten Werken an sehr verschiedenen Stellen ein- gefügt, doch haben sie in ihrer Oekologie und Physiognomie so viel Gemeinsames, daß eine Zusammenfassung zu dieser Klasse sich rechtfertigt. Die Pflanzen müssen die dauernden, sich immer wiederholenden Schädigungen des beweglichen Bodens er- tragen können. Zugleich ist dieser Boden meist auch nicht sehr fruchtbar. Nur eine relativ geringe Anzahl Arten vermag diesen Anforderungen gerecht zu werden und alle diese zeigen gewisse Eigentümlichkeiten in ihren Wuchsformen. Die Bewegung des Bodens wird von drei verschiedenen Agentien verursacht, vom Wind, von der Schwerkraft und vom Wasser. Die beweglichen Standorte, die der Wind schafft, sind die Dünen; und diese gehören natürlich auch nur hierher, solange sie be- weglich sind, sobald sie gefestigt sind, der Boden also nicht mehr durch mechanische Kräfte die Pflanzen beansprucht, können irgendwelche andere geschlossene Pflanzen- gesellschaften, die jenem Klima entsprechen, darauf wachsen. Die Schwerkraft wirkt bewegend bei Steilhängen, je nach der Gesteinsart bei verschiedenen Steilheits- graden, sobald der Reibungswinkel über- schritten wird. Es ergibt dies die GeröU- halden. Wo das Geröll sich nicht mehr 902 Geograi.hie der Pflanzen (Oekologische Pflanzengeographie) sehr charakteristische Salix repens. Diese Pflanze kann sehr gut mit der Aufschüttung weiterwachsen und den Sand ganz durchspinnen. Windwirbel können wieder bis tief hinunter alles bloßlegen. Ich sah einen solchen „Auf- schluß", eine 5 m hohe, 1 bis 2 m dicke Pyramide ganz aus Salix repens-Astgewirre und dazwischen festgehaltenen Sand bestehend. In diesen Saliceta repentis trifft man unter anderem häufig Pyrola rotundifolia var. maritima, Carex arenaria, Cen- taurium vulgare, Chlora perfoliata, Lotus corni- culatus, hier und da Parnassia palustris, Gentiana baltica, Euphorbia paralias und E. portlandica usw. Für die europäischen Dünen ist auch Elymus arenarius charakteristisch. Von Amerika haben wir die schöne Arbeit von Co wies über die Dünen des Michigan- sees. Die Wanderdünen sind wiedernm in erster Linie von Ammophila arenaria durchsponnen. Dazn kommen Agropyrum dasystachyum, Elymus canadensis, Calam- agrostis longifolia, Salix adenophylla und S. glaucophylla; also teils dieselben Arten wie in Europa, teils entsprechende Arten derselben Gattung. In Virginien und Nord- Carolina wird Ammophila begleitet von Uniola paniculata, Panicnm amarum und Iva imbricata; in Nebraska finden wir Calamovilfa longifolia, Redfieldia flexuosf, Eragrostis tenuis usw. Ein in der Regel feuchterer Standort beweglichen Bodens, speziell beweglichen Sandes und Kieses, sind die AUuvial- fluren der Flüsse. Auch hier fehlt es an Feinerde und Humus, es ist auch eine rein mineralische Unterlage. Einen Teil des Jahres ist der Boden sehr feucht, kann aber auch wieder sehr trocken w^erden. ^ _ .. An einzelnen Orten kann der Teil des Jahres, durchsponnen sind. Arenaria peploides und ^^^. j^^jj^g starke Bewegung der Schottermassen bewegt, die Bedingungen also vollständig geändert sind, können wiederum Gehölz oder "Wiesen darauf wachsen. Dasselbe gilt auch von der dritten Serie, den durch Wasser bewegten Böden, den Kiesbänken der Flüsse, der Ällnvialflur. Diese Bestände bleiben dauernd offene, da eine Zunahme von Feinerdegehalt ver- hindert wird, indem, was sich ansammelt, wieder fortgeführt wird durch Wind, Wasser oder Abbröckeln. Dagegen wird wiederum neues Rohmaterial zugeführt. Dies kann Jahrtausende andauern, man kann auch hier von Dauerformationen sprechen. Es sind also nicht notwendigerweise Anfangs- oder Uebergangsstadien, so wenig wie die übrigen Einöden, sondern sie befinden sich eben- falls in einem Gleichgewicht. Die Pflanzen dieser Einöden müssen mit starken Befestigungsorganen ausgerüstet sein. Kriechende und^ horstförmige Pflanzen wiegen vor. Ein fester Horst kann sich der Bewegung des Bodens entgegenstemmen, ein Uebexkriechen den Wurzelort schützen vor dem Weggetragenwerden. Die Formation der Wanderdünen scheint auf der ganzen Erde außerordent- lich ähnliche Assoziationen zu bilden, so daß die Zusammenfassung in eine Formation gerechtfertigt erscheint. Der Standort ist ein trockener, der Salzgehalt ist nur noch in größter Meeresnähe vorhanden und auch dort beschränkt und prägt der Vegetation nicht mehr seinen Stempel auf. Als Beispiel der europäischen Dünen sei auf die der enghschen Lancasterkiiste näher eingegangen. Dem Meere zunächst liegen ganz kleine Dünen, die von Agropyrum junceum Senecio vulgaris var. radiatus mischen sich bei, Carex arenaria läuft durch den Sand. In Somerset ^ führt Moß noch verschiedene andere Pflanzen | cfö'ch'bald 'wird der Sand wieder vom Wasser zeigt, lang genug sein, um einjährigen Pflanzen eine rasche, kurze Vegetationszeit zu gestatten, wie Glaucium flavum, Cakile maritima, Atriplex- arten als für diese Assoziation charakteristisch auf. Werden die Dünen höher, so whd daraus ein Ammophiletum arenariae, die Hauptasso ziation der Wanderdünen in Europa und Amerika durchwühlt. In der Schweiz ist für diese Standorte das Myricarietum germanicae die typische Assoziation. Myricaria germanica ist die dominierende Art von der Ebene bis hinauf auf 2000 m. Im Alluvialschotter der Der Wind führt immer neue Sandmassen herzu, Gletscherbäche des Berninagebietes mischen so müssen die Pflanzen die Fähigkeit besitzen, gj^j^ ^.q^. j^jjgj^ ^gj Epilobium Fleischeri, das mit die Verschüttung zu ertragen und durch den ggjnen großen wehiroten Blüten die graue Stein- Sand wieder hhiaufziiwachsen. Reich verzweigte, belebt, ferner Anthyllis vulneraria. Ruinex weit ausgedehnte Rhizome spinnen durch den gc^t^tus, Oxyria digyna", Juncus arcticus und losen Sand, suchen die feuchteren,^ tieferen Partien des sonst sehr trockenen Standort; viele andere können^sich dazu gesellen. Höher :elegene Alluvialflur, wo Myricaria nicht mehr des losen Sandes auf. Die Dünen wachsen so | j^-j^ggj.jj^g,- (|m.(.jjj.pij^nt^ieveisiaieptans, Papaver immer höher hinauf, wenn der sandbindenden aurantiacu'm u. a Die dritte Serie Wandereinöden sind die Wirkung der Ammophila nicht wieder durch das Ausblasen dui-ch stärkeren Wind entgegen- ,,, , , , r. , • gewirkt wird. Ammophila herrscht unbedingt Gerollhalden der Gebirge, vor, dazwischen treffen wir Eryngium maritimum, Schröter teilt die Gefäßpflanzen, die im Senecio jacobaea, S. vulgaris, Carlina vulgaris, j alpinen Schuttmaterial wachsen, in ökologische Hieracium umbellatura u. a., außer dem domi- | Gruppen ein als 1. Schuttwanderer, mit ver- nierenden Gras also hauptsächlich Kompositen, längerten horizontalen, wurzelnden Kriechtrieben In den Dünentälern, wo Sand angesammelt den Schutt durchspinnend (Typus: Trisetum whd, wächst in Massen die für diesen Standort distichophyllum), 2. SchuttuberJaieclier, mit Geograplüe der Pflanzen (Oekologische Pflanzengeographie) 903 schlaffen oberirdisch beblätterten, von einem Punkt entspringenden und nicht wurzelnden Stengeln sich über den Schutt legend (Typus: Linaria alpina), 3. Schuttstrecker, durch Verlängerung aufrechter Triebe und üliitter sich durcharbeitend (Typus: Aronicuni). 4. Schutt- decker, wurzelnde Rasendecken bildeiul (Typus: Saxifraga oppositifolia), 5. Schuttstauer," mit kräftigen Triebbündeln oder Polstern sich dem Schutt entgegenstemmend (Typus: Papaver aurantiacum). Die oberen Teile der Geröllhalden, wo das Material abbröckelt, nennt Heß in seiner Ab- handlung über die Wuchsfonnen der alpinen Geröllpflanzen Abwitteruugslialden. In den Winkeln von Fels und Schutt kann sich Feinerde ansammeln, natürlich bei eugeogenem ^Material mehr als bei dysgeogenem. Im Albulagebiet nennt Heß als typische Besiedler von Schief er- abwitterungshalden u. a. Minuartia verna, Saxifraga aizoides, Oxytropis montana, Veronica fruticans, dazu kommen als ,, Geröllpflanzen" Campanula cochleariifolia, Trisetum disticho- phyllum, Viola calcarata, Cerastium latifolium, während von anderen Beständen her einge- drungen sind Saxifraga aizoon, Sesleria coerulea, Festuca pumila, Thymus serpyllum usw. Für Gipsabwitterungshalden sind Saxifraga oppositi- folia, S. aizoides, Trisetum spicatum, Arte- misia Genipi und Hutchinsia alpina charakte- ristisch. Der untere Teil der Halde ist die eigentliche ,, Geröllhalde", wo sich das ]\Iaterial anhäuft. Im Sommer kann das Material die Pflanzen erdrücken, quetschen, verschieben; im Winter legt sich das neue Geröll auf den Schnee. Es besteht für die Pflanzen also haupt- sächlich Verschüttungsgefahr. Im rieselnden Grus des Granitgerölls wandern mit biegsamen Zweigen Linaria alpina und Androsace alpina, gestaut wird der Grus durch ^lyosotis pyrenaica und Oxyria digyna, die sich strecken können bei Verschüttung. Kalkgeröllhalden enthalten Feinmaterial erst in größerer Tiefe, die Stein- luftschicht ist hier am größten und sterilsten. Am geselligsten treten im Kalkgeröll des Bernina- gebietes der vielköpfige Leontodon montanus, Helianthemum nummularium und H. alpestre, Doronicum scorpioides, Senecio doronicum, Lotus corniculatus und Anthyllis vulneraria auf. 2f) Vegetationstypus Phytoplank- ton. Unter Phytoplankton versteht man eine Pflanzengesellschaft, die aus nicht wurzeln- den, frei im Wasser schwebenden Mikro- phyten besteht. Die Gesellschaft lebt frei im Wasser, sie ist in keiner Verbindung mit dem Erdboden. Dieser Umstand gibt ihr zu allen anderen Vegetationstypen eine gegensätzliche,, wohl- abgegrenzte Stellung. Das Wasser' ist der ganz überwiegende Faktor; das Klima hat nur sekundären Einfluß. Das Studium des Phytoplanktons hat sich, vereint mit dem Studium des Zooplanktons, zu einer eigenen Disziplin, der Planktonkunde, ausgewachsen, auf die hier verwiesen sei (vgl. den Artikel ,,Plankton". 3. Die Sukzessionen oder der For- mationswandel. 3a) Begriffe. Einen ab- soluten Stillstand gibt es auf der Erde nicht, alles bewegt sich, alles entwickelt sich, so auch die Pflanzen, so auch die Pflanzengesell- schaften. Diese Bewegung erörtert War min g in seinem am Schluß zitierten Buch in dem Kapitel über den Kampf zwischen den Pflanzenvereinen. Das Studium dieser Ver- änderungen ist besonders in Amerika gefördert worden, es hat sich der Zweig der „dyna- mischen Pflanzengeographie" heraus- gebildet. Ilu- Arbeitsfeld sind die Suk- zessionen. Unter Sukzession verstehen wir eine Reihe von Pflanzengesellschaften, die in einer Lokalität chronologisch aufeinander folgen. Es kann dies eine Reihe Gesellschaften verschiedener ökologischer Wertigkeit sein: mit anderen Worten: Es können eine Anzahl Assoziationen oder Subassoziationen der- selben Formation eine Sukzession bilden, es können aber auch mehrere Formationen oder selbst Formationsgruppen zur selben Sukzession gehören. Deshalb wird auch in der Definition von derselben Lokalität gesprochen und nicht vom Standort, da letzterer nicht derselbe bleibt, sondern sich verändert im Laufe der Sukzession. Es werden verschiedene Arten Sukzessionen unterschieden. C 1 e m e n t s (1905) teilt in primäre imd sekundäre Sukzessionen. Die primäre Sukzession beginnt auf Neuland und schreitet vorwärts bis zu der dem Klima entsprechenden Schlußformation, genannt Klimaxformation. Sekundäre Sukzessionen smd solche, die durch Störung einer primären entstehen, durch Waldbrand, durch Rodungen, durch Drainieren usw. Andere Autoren scheiden in progressive und retrogressive Sukzessionen, doch wird darunter verschiedenes verstanden. Progressiv ist nach Cowles eine Sukzession, wenn sie sich dem Mesophytischen nähert, retrogressiv, wenn sie sich vom Mesophytischen entfernt. Nach Moß hingegen ist diejenige Sukzession retrogressiv, die einen Zerfall darstellt, z. B. von Wald zu Grasland, von einem britischen Moor zu Heide. Nach Clements kennt die Vegetation kein Rückwärts, jede Sukzession ist progressiv. Alle Sukzessionen faßt Cowles zusammen in dreierlei Arten von Vegetationszyklen. Er unterscheidet klimatische, topographische und biotische Vegetationszyklen. Die k 1 i m a t i s c h e n Vegetationszyklen gründen sich auf die Veränderungen des Klimas, sie be- handeln die großen Sukzessionen, die mit den großen Veränderungen auf der Erde, den geolo- gischen Perioden, zusammengehen. Sie können nicht in einem ^lenschenleben beobachtet, sondern nur an Fossilien studiert werden. Auf dieses Studium kann hier nicht eingegangen werden, es hat sich zu einer eigenen Disziplin ausgebildet, der pflanzengeographischen Paläontologie (s. den nächsten Artikel und den Artikel ,,Paläobotanik"). Die topographischen Vegetationszj^klen gründen sich auf die Veränderungen der Erde durch Erosion, Alluvion, vulkanische Tätigkeit, überhaupt die Neulandbildungen durch die jetzt 904 Geographie der Pflanzen (Oekologische Pflanzengeograpliie) Avii-kenden physiographischen Faktoren. Wo die Erde reife Formen aufweist, sind diese Ver- änderungen gering, jedoch stark und viel rascher in Gegenden mit jungen Formen, also besonders in Hochgebirgen. Die biotischen Vegetationszyklen behandeln die Sukzessionen, welche durch Lebewesen ver- ursacht werden. Unter diesen gehören zu den wichtigsten die durch Humusakkumulation her- vorgerufenen, ferner alle Eingriffe des Menschen ! wie Brand, Rodung usw. Im großen ganzen brauchen die klimatischen Vegetationszyklen ,,Aeonen'\ die topographischen Jahrhunderte und die biotischen Jahrzehnte. Von dieser allgemeinen Regel gibt es jedoch auch Ausnahmen. Im zerklüfteten Gebirge wirken Erosion und Alluvion rasch; andererseits kann man die Humusanhäufung in einem Torf- moor nicht nur Jahrzehnte und Jahrhunderte verfolgen, sondern bis in frühere Erdperioden. 1 Die Zyklen schachteln sich vielfach ineinander. | Während eines klimatischen Zyklus können ! viele topographische stattfinden und in einem ! topographischen eine ganze Reihe biotischer. I 3b) Neulandbesiedelung. Für die Besiedehmg von Neuland hat Warming (1902) einige allgemeine Sätze aufgestellt, die von Clements (1905) übernommen und weiter ergänzt wurden. Warming schreibt: ,,1. Die erste Vegetation ist offen. Es vergeht immer einige Zeit, bevor sich eine zusammen- hängende Vegetationsdecke bildet. Die Indi- viduen stehen anfangs sehr zerstreut, aber allmählich wird ihre Menge größer. ,,2. Die Artenzahl ist anfangs gering, wächst jedoch und ist nach Verlauf einer gewissen Zeit größer als später, indem viele Arten anfäng- lich einen günstigen Platz finden, aber später verdrängt werden, wenn sich die Decke schließt und sich tyrannischere Arten eingefunden haben. Verschiedene Teile des neu bewachsenen Ge- ländes werden sich oft sehr ungleichartig mit Pflanzen bedecken. Allmählich wird die Vege- tation gleichartiger und artenärmer. ,,3. Sehr oft werden ein- und zweijährige Arten zuerst viel zahlreicher als später sein, indem sie auf dem offenen Gelände günstigere Bedingungen finden als auf dem bedeckten; viele werden der Unkrautflora der Gegend an- gehören. Darauf werden die mehrjährigen Kräuter oder die Holzpflanzen überwiegen. ,,4. Die zuerst einwandernden Arten werden die sein, welche in der Nähe vorkommen und die besten Mittel für die Verbreitung durch Wind oder Vögel haben. Die Geröllhalden der Alpen werden zuerst von Arten mit fliegenden Samen besiedelt. Wird in Norwegen ein Nadelwald zerstört, so wandern zuerst Birke und Pappel nebst Sorbus (Beeren) ein. „5. Handelt es sich um die Einwanderung von Bäumen, so werden die Lichtbäume oft vor den schattenertragenden erscheinen; das Um- gekehrte kann nicht stattfinden. ,.6. Die Ausbildung zu ausgeprägten Vereinen geht allmählich vor sich. Die ersten miteinander gemischten Individuen gehören in Wirklichkeit zu verschiedenen natürlichen Vereinen, die sich erst nach und nach auf die passenden Standorte verteilen. Man kann demnach von Anfangs-, Uebergangs- und Schlußvereinen sprechen. Von dem Angeführten gibt es natürlich Aus- nahmen. ' ' Diesen Warming sehen Sätzen fügt Clements noch einige weitere bei, von denen erwähnt sei: ,,Die Zahl der Arten und Individuen in jedem Stadium (Formation) nimmt konstant zu liis zu einem Maximum, von da an nimmt sie nach und nach ab vor den Formen des nächsten Stadiums. Das Intervall zwischen zwei Maxima wird von einer gemischten Formation eingenommen. Eine sekundäre Sukzession beginnt nicht mit dem Anfangsstadium der primären, die sie ersetzt, sondern gewöhnlich mit einem viel späteren Stadium." Crampton (1912) bringt eine Xeugrnp- pierung, indem er die Stabilität und Labilität des Standorts einer Einteilung zugrunde legt. Er unterscheidet zwei Klassen von Standorten, die sich in den Pflanzensukzes- sionen und in den Grenzen, die der Stabili- sation gesetzt sind, unterscheiden, und zwei Klassen der darauf wachsenden Pflanzen- gesellschaften: die ,, Stahle formations" oder Dauerformationen und die „Migratory forma- tions" oder Wanderformationen. Die Faktoren, die die beiden Standortsklassen definieren, sind die folgenden: ,,Bei den Dauerformationen kommt in Be- tracht: „1. Das Klima, wie es bedingt ist durch die Geographie, die Menge und jahreszeitliche Ver- teilung von Licht, Wärme, Wind, atmosphärischer Feuchtigkeit und Regen. ,,2. Die Natur des Bodens, hervorgegangen aus der geologischen Verteilung der Gesteine in ihren jetzigen und früheren Verhältnissen zu Klima, Vegetation und geographischem Wechsel." ,,Bei den Wanderformationen ist zu beachten: ,,1. Das Verhältnis von Standort zu Klima ist größtenteils topographischer Art. 2. Der Boden wechselt in jedem Fall mit der Natur des geologischen Agens der Überflächen- veränderung, seinen topographischen Verhält- nissen zu Erosion und Alluvion, seinem kon- stanten, periodischen oder zufähigen Charakter und dem Stadium und der Art der Sukzession der daraufwachsenden Pflanzenassoziationen." Cramptons Dauerformationen scheinen sich zu decken mit den Schlußvereinen Warmings, den Klimaxformationen anderer Autoren, die Wanderformationen mit Anfangs- und Ueber- gangsformationen. 3c) Offene Dauerformationen. Dem Satz: Anfangsformationen sind offen, fügt Clements bei: Schlußformationen sind ge- schlossen. Dazu ist zu bemerken, daß dies nur Gültigkeit haben kann für Gebiete, die klimatisch und edaphisch geschlossene Pflanzengesellschaften tragen, also in den Gebieten der Lignosa und Prata, daß es aber nicht gültig ist für den ganzen Vegetations- typus der Deserta. Heß (1909) hat sich schon Geograpliie der Pflanzen (Oekologische PflanzengeogTaphie) 905 in lichtvollen Ausführungen dagegen ge- wandt. Man ist oft geneigt, die offenen Pflanzengesellschaften, besonders in den Alpen, als Pioniervegetation zu be- zeichnen. Dieser Ausdruck trifft aber nur auf vorübergehende Bestände zu, die dauernd offenen werden von diesen am besten unter- schieden als Vorpostenvegetation, wo- mit ausgedrückt ist, „daß "die Vegetation nicht merklich vorwärts schreitet, sondern stillesteht". AUuvioneu aller Art, Moränen usw., werden, wenn sie zur Ruhe kommen, in einem Klima, das geschlossene Vegetation trägt, nach und nach wiesenartig überwachsen. Bäume können Fuß fassen und zuletzt resultiert derselbe Wald, der sonst die be- treffende Gegend kleidet. Wird aber in einer Wtiste durch Platzregen ein großes Flußbett eingerissen, das alsbald wieder austrocknet, so wird dieses Neuland wieder von Wüsten- pflanzen besiedelt werden und diese werden dort ebenso offen stehen wie auf der un- gestörten Wüste nebenan. Dasselbe gilt von den edaphischen Einöden. Wo die Zunahme des Feinerdegehaltes verhindert wird, bleiben die Bestände offen. An Felswänden, auf GeröUhalden usw. wird das Verwitterungs- produkt, sowie es entsteht, auch schon wieder fortgetragen, oder es wird zugedeckt durch neue Zufuhr unverwitterten Materials. Dort finden sich also offene Dauerformationen, die auch nach jeder Neulandbildung wieder nur offen besiedelt werden. Rechnet man aber mit größeren Zeiträumen, wie Crampton, so gehören die edaphischen Einöden zu den Wanderformationen, daer Gebirge zu Wander- standorten zählt, d. h. bloß Jahrtausende stehende Felsgebiete nicht zu den stabilen Formen nimmt. 3d) Offene Wander-, geschlossene Dauerformationen. Im Gegensatz zum bisherigen tritt offene Vegetation als Ent- wickelungsphase zu einer geschlossenen Vege- tation auf, wo nicht dauernde Faktoren das Offenhalten bewirken, sondern vorüber- gehende, einmalige Katastrophen. Solche Katastrophen können von der Natur her- rühren, als da sind Bergstürze, Verschüttung durch Vulkanausbrüche usw. oder dann vom Menschen durch Brand, Rodung und dgl. Gebiete mit dieser Art Sukzessionen bieten hauptsächlich gebirgige Gegenden, in denen Erosion noch stark tätig ist und auch dort, wo die entsprechende Alluvion stattfindet. Es ist das Hauptgebiet für Cramptons ,,Migratory plant formations", die Wander- formationeu. In Mittelgebirgen und Hügel- ländern gestaltet sich die Erdoberfläche noch langsam um, größere Länderteile sind schon zur Ruhe gekommen, werden also Dauer- formationen tragen, aber in der Nähe der Gewässer, seien es Flüsse oder die Meeres- küste, treten noch starke Formverände- rungen auf und infolgedessen Wanderforma- tionen, die also Sukzessionen bilden. Ein wundervolles Sukzessionsbeispiel gibt Co wies in seinen Dünenstudien am Michigansee. Die Wanderdünen werden besiedelt und gefestigt von Ammophila arenaria und Agropyrum dasystachyum. Auf dem be- festigten Substrat kommt Gebüsch auf, aus dem nach und nach ein Coniferenwald wird. Durch die Umwandlung des Unter- grundes wird der Standort für die dortige Klimaxformation, einen gemischten Falllaub- wald, besiedelbar. Sekundäre Sukzessionen kehren meistens zur Klimaxformation zurück, die vor dem zerstörenden Eingriff bestanden hat. Der Boden enthält im Gegensatz zu Neuland eine Masse schlafender Samen und Wurzel- stöcke, die sehr rasch zum Aufgehen kommen, wenn die sie zurückhaltenden Dominierenden verschwinden. Wird ein Buchenwald ge- schlagen, so gehen in dem neuen Licht, das nun nicht mehr durch die Buchen vom Boden abgehalten wird, viele Samen auf. Dazu kommt noch, daß der ungeschützte Humus in starkem Maße zur Verwesung kommt, so daß ein sehr nährstoffreiches Keimbett entsteht. Anspruchsvolle hohe Stauden entwickeln sich machtvoll. Es ent- steht eine Hochstaudenwiese, z. B. mit überwucherndem Epilobium angustifolium. Doch bald bekommen Gebüsche die Ober- hand, dieselben, welche die lichtreicheren Waldränder bekleiden. Unterdessen wachsen wieder Bäume auf, erst mehr lichtliebende, dann schließt sich wieder der ehemalige Buchenwald. Befand sich aber die Dauerformation vorher nicht in ihr durchaus günstigen Be- dingungen, so kann es vorkommen, daß sie sich nachher nicht mehr durchzusetzen vermag. Aus südrussischen Schwarzerd- steppengegenden wird vielfach behauptet, daß ganze Gebiete früher mit Wald bestockt gewesen wären, die nun Grasflur bleiben; daß der Wald nicht mehr von sich aus die Gebiete wiedererobern könne. Im Mittelmeergebiet haben gewiß in alter Zeit viel ausgedehntere Hartlaubwälder bestanden. Aber bei dem wiederholten Ab- schlagen und der starken Nutzung ist der Boden stark verarmt; auch haben Regen- güsse -Feinerde fortgeführt, so daß die Be- dingungen auf ungeheuren Strecken als Klimax nur noch Macchie erlauben. Solche Macchien werden oft gerodet, eine Zeitlaug als Acker benutzt und dann wieder ruhen gelassen. Auf dem Brachfeld machen sich erst eine Menge einjährige und zweijährige Pflanzen breit. Bald erhält es ein „felsenheidenartiges" Aussehen, wird „garigueähnlich" und kehrt 906 Geographie der Pflanzen (Oekologische Pflanzengeographie) zur Macchie zurück (s. weiteres bei 2y, ßß Durifruticeta). 36) Geschlossene Wander- und Dauerformationen. Wo die Erde reife Formen aufweist, kommen Entblößungen und Verschüttungen nicht mehr vor. Die Verwitterungsprodukte bleiben an Ort und Stelle liegen. Wenn geschlossene Vegetation klimatisch möglich ist, so bedeckt sie das Land, es herrscht die mit dem Klima über- einstimmende Klimaxvegetation. Wo aber die Verwesung geringer ist als die Stoff- produktion, geht eine aufbauende Sukzession vor sich. Ueberall, wo kleinere Wasserflächen im Waldklima vorkommen, beobachten wir Sukzessionen geschlossener Formationen. In der Limnäenformation erhöht sich der Boden, bis ein Röhricht gedeihen kann, das fortan dominiert und die bisherigen Limnäen nur noch als Bestandteil, als ökologischen Verein, enthält. Die Verlandung geht weiter. Es werden Sumpfwiesen daraus. Auf diesen aufbauend kann ein Hochmoor entstehen, oder die Sumpfwiesen werden von Sträuchern und Bäumen besiedelt und ein Wald baut sich als Klimax auf. Die allgemeine Tendenz der Vegetation geht dahin, den Standort auszunützen, d. h. die dem Standort am besten angepaßte Klimaxformation zu gestalten. Clements nennt dies Stabilisation und definiert sie als ,,die Tendenz, die für Sukzes- sionen typisch ist, in denen die sukzessiven Stadien dauerhafter werden". Es gibt aber auch Ausnahmen, wo statt eines Endstadiums ein fortlaufender Zyklus entsteht. Gräbner kennt einen solchen Zyklus in Nordwest-Deutschland. Das Moor vermag nach und nach in einen Wald ein- zudringen, die Bäume gehen zugrunde, das Moor dominiert. Felilt aber dem Moor das nötige atmosphärische Wasser zum Weiter- wachsen, so trocknet es allmählich ein und es wird daraus eine Heide. Wird diese Heide nicht genutzt, so können sieh Bäume darin ansiedeln und der Wald wird regeneriert werden, aber es wird auch wieder so viel Feuchtigkeit erzeugt, daß das Moor wiederum sich ausbreiten und den Wald töten kann. So kann der Zyklus weitergehen, wenn nicht Mensch oder Natur einen Eingriff machen, welcher der einen oder anderen Pflanzen- gesellschaft zu dauerndem Siege verhilft. Zum Schlüsse sei hier noch folgendes er- wähnt über die sukzessionale Zu- und Abnahme der Artenzahl. Aus den Warmingschen und Giemen tsschen Regeln ist zu sehen, daß die Artenzahl in einer Sukzession bis zu einem Maximum zu- und dann wieder abnimmt, und daß Gegenden, die schon lange mit derselben geschlossenen Vegetation bewachsen waren, a,rtenarm sind, da in dem Schluß etwaige neue Samen kein Keimbett mehr finden. Scharfetter j (lieber die Artenarmut der ostalpinen Ausläufer der Zentralalpen, Oesterr. Bot. Ztschr. Jahrg. 1909) erklärt die Artenarmut der Lavanttaler und Gurktaleralpen dadurch, daß diese, soweit sie eisfrei waren, zur Zeit des Rückganges der Gletscher eine Pflanzendecke mit zum größten Teil Dauerformationen trugen, in welche einzu- dringen für die in die Alpen zurückkehrenden Formen kein Raum war. Die mit Eis bedeckten Gegenden hingegen sind reicher, da die Eiszeit viele neue besiedelbare Standorte geschaffen hat und sie sind na ch D e C a n d o 1 1 e um so reicher, je kürzer sie von Eis bedeckt waren, d. h. ie länger das Zimehmen der Arten in der Sukzession gegen das Maximum hin gedauert hat. Literatur. Die allgemeinen und floristischen Werke siehe im vorhergehenden, Artikel (Floren- reiche). Zusammenfassend ökologisch : E, War- ming, Lehrbuch der ökologischen Iflanzengeo- graphie, 2. Aufl., Berlin 1902 ; demnächst erscheint eine S. Aufl. — Derselbe, Oecology ofplants, O.v- ford 1909 ; dort die Literatur bis 1909. — F. E. Cienients, Research melhods in Ecology. Lincoln (Neb.) 1903. — H. C. Coivles, Ecology, 3. Teil von : A texlbook of Botany for Colleges and universities by members of the botanical staff of the university of Chicago, 1911. — C RaunJciär, Planterigets Livsformer og deres Betydning for Geografien. Copenhagen 1907. — Derselbe, Formations- undersögelse og Foi-mationsstatistik. Sonderabd. Bot. Tidsskrift, Bd. 30, 1909. — Derselbe, Statistik der Lebensformen als Grundlage für die biologische Pflanzengeographie. Beih. Bot. Centralbl, Bd. 27, 1910. — H. BrocJcmann- Jerosch un d E. Rubel, Einteilung der Pflanzen- gesellsehaften nach ökologisch-physiognomischen Gesichtsjnmkten. Leipzig 1912. Zu Teil 1: J. Hann, Handbuch der Klimatologie, 3. Aufl. Stuttgart 1912. — Gr. Kraus, Boden und Klima auf kleinstem Baum. Jena 1911. — W. Koppen, Versuch einer Klassifikation der Klimate. Leipzig 1901. — J. Wiesner, Der Lichtgenuß der Pflanzen, Leipzig 1907 ; da auch weitere Lichtliteratur. — J*. F. Schwab, üeber das photochemische Klima von Kremsmünster. Sonderabd. Denksch. k. Akad. Wiss. math.-nat. Kl. Bd.f^, Wien I904. — E. Rubel, Untersuchungen über das photo- chemische Klima des Berninahospizes. Viertel- jahrsschrift Nat. Ges. Zürich, Jg. 53, 1908. — C. Domo, Studie über Licht und Lvft des Hochgebirges. Braunschweig 1911. — E. Ra- mann, Bodenkunde. 3. Aufl. Berlin 1911. Zu Teil 2 ; Für alle Arbeiten über einzelne Gebiete siehe den vorhergehenden Artikel (Floren- reiche), besonders die jewriliirii A'n/titcl über die verschiedenen PflanzengeseU.y(lutft(n. h in- seien nur einige Spezialarbeiten iihrr 1 in:, Ine l'/hi n~< ngesell- schaften erwähnt : Moss, ItmiUhi uiul Tansley, The woodlandsof Engl, 1 11,1 . S,,i,,h r,th,lni(k aus The New Phytologist 1910 ; die britischen ökologischen Arbeiten sind zusammengefaßt in A. G. Tansley, Types of Brituh Vegetation. Cambridge 1911. — H, und M, BrocTcniann-Jerosch, Die natür- lichen Wälder der Schweiz. Ber. d. schiveiz. Bot. Ges. Jg. 1910. — F. G. Siebter und C. Schröter, Beiträge zur Kenntnis der ßlatten und. Weiden der Schweiz, X. Versuch einer Uebersicht über die Wiesentyjjen der Schweiz. Landwirtsch. Jahrbucli der Schweiz, Bd. 6, Geogra})hio der Pflanzen (Genetische Pflanzengeo^raphie) 907 1892. — C. Weber, Ueber die Zitsammensetzting des ■natürlichen Graslandes in Westholstein, Dithmarschen und Eiderstcdt. Schriften d. nat.- wiss. Vereins f. Schlesiuig- Holstein, Bd. 9, 1892. — H. Jonnson, The marine algal Vege- tation. 1. Teil von The Botany of Iceland, herausg. von Rosenvinge nnd Warming , Kopenhagen 1912. — M. Oettli, Beiträgezur Oeko- logie der Fehflora. S. Heft der Bot. Exkursionen undpflamengeogr. Sludim inder Schweiz, herausg. von C. Schrot ( r , Soinlvnibdruck aus dem Jahr- buch der St. Gull. .V^it. iri.^s. Ges. 1903. — F. A. Schade, Pflanzenökologische Studien an den Fels- wänden der sächsischen Scliweiz. Englers Bot. Jahrb. Bd. 48, 1912. — Ove Paulsen, Studies on the Vegetation of the Transcaspian lowlands. The second Danish Pamir Expedition conducted by 0. Olufsen, Koj^enhagen 1912. — E.Hess, Ueber die Wuchsformen der alpinen Geröll- pflanzen. Beih. Bot. Zentralbl. Bd. 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Das Areal, a) De- finition, b) Schwierigkeiten der fehlerfreien Fest- stellung des spontanen Areals, c) Entstehung des Areals, u) Allgemeine Ausbreitungstendenz, ß) Fördernde und hindernde Faktoren. 7) Schwierig- keit der ökologischen Erklärung, cca) Das Stand- ortsklima, ßß) Unvollendete Wanderung. 77) Oekologische Variation, d) Kontinuierliche und disjunkte Areale, e) Schrittweise oder sprung- weise Wanderung; die Disjunktionsschwelle: Wind, Meeresströmungen, Vögel, Drift, f) Formen der Disjunktion, cc) Nach der Sippe, ß) Nach der geographischen Natur, aa) Arktoterticäre Disjunktion, ßß) Arkto-glaziale Disjunktion usw. g) Die Reliktfrage (Relikte und Restanzen). a) Reliktpflanzen und Reliktareal, ß) Definition des Reliktareals. 7) Reliktnatur und Disjunktion. d) Beispiele von Relikten. Tertiärrelikte, Glazialrelikte, Xerotherme, Interglaziale Re- likte. 2. Die Phylogenie der systematischen Sippe. a) Bedeutung systematischer Mono- graphien, b) Entstehung neuer Formen, c) Mono- und polytope Entstehung, d) Das Alter der Sippen, a) Absolutes Alter, cca) auf Fossil- funde gegründet, ßß) Indirekt bestimmt (Grad der systematischen Isolierung, Grad der ökolo- gischen Anpassung, Analogie mit gut datierten Tierverbreitungen, ß) Relatives Alter (Höhe der Sippe), ej Das Alter der heutigen Verbreitung (das ,, Märchen" von der tertiären Mischflora, Alter der Tropenfloren, der Extra tropischen, der Gebirgsf loren ; ökologische Harmonie), f) Heimat, Entstehungszentrum, Massenzentrum. II. Ver- breitungsgeschichte der autökologischen Einheit: Beispiel: Die physiologischen Gruppen De Can- doUes. III. Verbreitungsgeschichte der syn- ökologischen Einheit. Formationswechsel und Klimawechsel (Stubbenlagen und Grenzhorizonte der Moore). Klimatische oder edaphische Formation; säkulare Wechselwirtschaft. B. Vom Florengebiet ausgehend : Entwickelungsgeschichte der Florengebiete. I. Gliederung in Elemente. 1. Heimatselemente. 2. Beziehungselemente (geographische, genetische und historische Ele- mente. II. Das Alter der Floren. 1. Oekologische Ausgeglichenheit. 2. Endemismus (konservativer und progressiver Endemismus, absoluter und relativer Endemismus). 3. Beziehung zu den Faunen. III. AUgememe Ergebnisse. Einleitung. I. Definition. Die genetische Pflanzen- geographie ^) oder „Epiontologie" (De Candolle) beschäftigt sich mit der Ent- wickelung der Pflanzenverbreitung im Laufe der Zeit, mit ihrer „geschichtlichen Bedingtheit" (Di eis). Wie alle Eigen- schaften der Pflanze, ist auch die Raumaus- füllung der Art, ihr „Areal" etwas Gewordenes, aus dem verwickelten Zusammenspiel zahl- reicher ineinandergreifender, in ständigem Fluß befindlicher Faktoren hervorgegangen. Wir können die florengeschichtlichen Be- dingungen etwa folgendermaßen gruppieren: 1. Geogene Faktoren: Veränderungen in der festen und flüssigen Erdrinde: Hebung und Senkung des Landes, Entstehen und Vergehen von Landbrücken und Inseln, Transgressionen des Meeres, Austrocknen von Bmnenseen, Vorstoß oder Rückzug von Eisbedeckungen, Hebung und Abtragung von Gebirgen, die Erscheinungen des Erosionszyklus, das Sinken oder Steigen des Grundwasserspiegels, Entstehung von be- siedelbarem Neuland, lange dauernde Isolierung eines Gebietes. 2. Klima togene Faktoren: Klimasehwan- kungen, primär kosmisch bedingt oder sekundär als Folgerungen von Aenderungen in der Plastik der Litho- und Hydrosphäre; Entstehung und Verschwinden von klimatisch bedingten Wande- rungshmdernissen, z. B. Wüsten. 3. Biogene Faktoren: Veränderungen m der lebenden Umwelt: Aufkommen schattender Waldbäume als Verdränger der lichtliebenden, säkulare Wechsehvirtschaft durch Veränderung des Bodens durch die Pflanzen; Einwanderung oder Aussterben von bestäubenden, samen- 1) So bezeichnet sie Diels (1908). Engler nennt sie 1899 die ,,entwickelungsgeschichthche" [andere nennen sie ,, historische"; ersteres ist 1 etwas schleppend, letzteres kommt in Konflikt I mit der Bedeutung ,, historisch" im Sinne i der Geschichtswissenschaft. Flahault (1907) l versteht in der Tat unter „Phytogeographie historicjue" die Beziehungen der Pflanzen- verbreitunar zum Menschen. 908 Geographie der Pflanzen (Genetisclie Pflanzengeographie) verbreitenden oder schädigenden Tieren, von pflanzHchen Konkurrenten oder Schädlingen. 4. Anthropogene Faktoren: die flora- verändernde Einwirkung des Menschen: Kultur- maßregeln, Einführung von neuen, konkurrieren- den Pflanzen oder schädigenden Tieren. 5. Phylogenetische Faktoren: nicht nur die äußeren Bedingungen (exogenen Faktoren) sind im Fluß begriffen, auch die Pflanze selbst ändert sich, teils von innen heraus, teils durch den Reiz oder die Auslese durch die äußeren Faktoren: Erzeugung neuer Rassen und Arten Absterben alternder Typen, Aenderung der ökologischen Bedürfnisse (ökologische Variation). 2. Bereinigung des Gebietes. Streng genommen nmiaßt das Gesamtgebiet unserer Disziplin die Verbreitungsgeschichte aller Pflanzensippen und die Entwickelungsge- schichte aller Florengebiete des Landes und der Meere von den ersten fossil erhaltenen Anfängen der Pflanzenwelt bis heute. Aus praktischen Gründen beschäftigte sich die -Epiontologie aber bis jetzt vorwiegend mit den Gefäßpflanzen, das Phytoplank- ton und die höheren Litoralalgen aus- genommen, teilweise auch die Moose i); erstens ist ihre Verbreitung besser bekannt, zweitens sind ihre fossilen Reste ans dem Känozokium zahlreicher und drittens ist ihre Migrationsfähigkeit geringer. Ferner wird gewohnheitsgemäß die heutige spon- tane Pflanzenverbreitnng in den Vorder- grund gestellt; man greift also nur so weit zurück, als die ehemalige Verbreitung einen kontrollierbaren Einfluß auf die heutige ge- wonnen hat, also für die Gymnospermen auf das Mesozoikum, für die Angiospermen auf das Känozoikum; das übrige überläßt man der Paläobotanik.^) 1) Ueber die florengeschichtliche Verwendung der Moose schreibt mk mein Kollege Dr. Th. Herzog freundlichst folgendes: „Soweit die heutige Kenntnis der Bryophyten floren- geschichtliche Schlüsse zu ziehen erlaubt, decken sich dieselben recht gut mit den aus den höheren Pflanzen gewonnenen Daten. Es ist auch zweifel- los, daß weitere Ermittelungen noch viel wert- volle Aufschlüsse bieten können, und es wäre daher sehr erfreiüich, wenn die Moose bei der monographischen Schilderung eng umgrenzter Gebiete mehr als bisher die ihrer Wichtigkeit ge- bührende Beachtung fänden. Eine ,, Geographie der Moose" ist aber heute noch nicht am Platze, da der Stand der Durchforschung in den ver- schiedenen Ländern der Erde zu unvohkommen und ungleichwertig ist, auch die großen Gat- tungen wie Campylopus, Fissidens, Grim- mia, Bryumsowie die Gruppe der llypiiaceae im alten Sinn noch einer monograpliisrhe Hurch- arbeitung bedüi-fen, bevor sich eine natürliche Gliederung derselben, die im Einklang mit ihrer Verbreitung stehen würde, vornehmen läßt." -) Siehe Bd. VII dieses Werkes S. 408ff. Dort werden am Schlüsse dieselben Probleme Vom „Formationswandel" (Sukzession), der gesetzmäßigen Aufeinanderfolge der Pflanzengesellschaften, wird zunächst von den drei Typen von Co wies (vgl. oben S. 903) die klimatische Sukzession in der Epiontologie behandelt; die topo- graphische überläßt man der Synökologie, die biotischen Sukzessionen ebenfalls; aber die strittigen Fälle, ob eine Sukzession biotisch oder klimatisch sei. spielen wieder auch epiontologisch eine wichtige Rolle (der „Grenzhorizont" der norddeutschen Moore z. B.). — Die Geschichte der Kulturpflanzen macht ein wichtiges, aber meist gesondert behandeltes Gebiet aus. Die so bereinigte Aufgabe der Epionto- logie umfaßt also die Entwicklung der Pflanzenverbreitung seit der Tertiärperiode unter dem Einfluß geogener, klimatogener, biogener, anthropogener und phylogene- tischer Veränderungen. Sie stellt dabei, dem Standpunkt des Pilanzengeographen ent- sprechend, das Raumproblem in den Vor- dergrund; nicht die Entwickelung der Pflan- zenwelt an sich, sondern die Entwickelung ihrer Raumausfüllung studiert sie. Gegen- über der Tendenz älterer Richtungen, die Biosphäre in scharf getrennte Leljens- gebiete zu gliedern, betont sie den ständigen Fluß der Erscheinungen, das komplizierte In- einander und Uebereinandeiuroit'eu der Wan- derungen, die tausendfachen ehenuüigen Be- ziehungen der Erdräume zueinander. 3. Gründe der Unsicherheit epi- ontologischer Resultate. Es liegt in der Natur der Sache, daß die Resultate der genetischen Pflanzengeographie oft einen stark hypothetischen Charakter tragen und unter der Unsicherheit und Mehrdeutigkeit ihrer Grundlagen leiden. Diese Grundlagen sind einerseits geologisch, paläontologisch und historisch beglaubigte Tatsachen der Vergangenheit, andererseits die Pflanzen- verbreitung der Gegenwart, aus welcher rückschließend diejenige der Vergangenheit rekonstruiert wird; als Prüfstein dieser Hypo- thesen dient dann das paläontologische Material. Aber die Grundlagen der Hypo- thesen wie die Prüfsteine leiden an Unsicher- heit. Die fossilen Reste sind spärlich, lücken- haft und ihre Bestimmung ist häufig strittig, weil nur auf Blätter gegründet; auch die geologische Datierung ist oft unsicher (Löß! diluviale, insbesondere interglaziale Ablage- rungen, vgl. den Artikel ,, Eiszeiten"). Die behandelt wie hier; aber dort geschieht es im Anschluß an die früheren Perioden, hier von oben herab, von der heutigen Verbreitung ausgehend. Greographie der Pflanzen (Genetische Pflanzengeographi« 909 gegenwärtige Verbreitung ist selten voll- ständig bekannt, der Einfluß des Menschen auf dieselbe schwer einzusehätzen, das wirk- lich natürliche Vorkommen auch selbst durch fossile Nachweise nicht ganz sicher- gestellt, da die Kontinuität des Areals schwer zu beweisen ist. Strittie; ist ferner namentlich die Wirkung der Vcrhreitmi zur anderen gelangt sind. ,, Genetischer Zu- zu Schlüssen auf ihre Geschichte benutzt sammenhaiig bedingt räumlichen Zusammen- werden kann. Aus der Disjunktion schließen hang". Das ist das offizielle, klassische Dog- wir auf ehemalige Wanderungsmöglichkeiten, ma der Epiontologie, auf dem in letzter Linie Aber über die ursprüngliche Heimat einer alle ihre Spekulationen über ehemalige Land- Sippe, über die Richtung der Wanderungs wege, über das Entstehungszentrum können wir erst urteilen, wenn wir die Phylogenie der Sippe, z. B. einer Gattung, kennen, wenn wir wissen, welches ihre primi tivsten Formen sind Formen sind. Bloße Verbindungen und Wandeniiigswege der Arten aufgebaut sind. Demgegenüber nimmt die Hypothese polytoper Entstehung an, daß aus einer ^ . weit verbreiteten Stammform an zwei weit welches abgeleitete , auseinander liegenden Punkten ihres Areals Statistiken, „kahle i durch den Einfluß analoger Bedingungen Zahlen, sagen darüber nichts aus, wir müssen ^jggg^jjg abgeleitete Art entstehen könne, wägen, nicht bloß zählen. So erfordert die ^^ braucht also kein Transport zwischen zwei Epiontologie als sicherste Grundlage die ^^^j^ entfernten Arealen, dieser neuen Species allseitige Monographie von Verwandt- j^Qj^^j^^gj^ 2u werden; disjunkte Areale Schaftskreisen; erst wenn wir auf Grund morphologischer Vergleiche einen Einblick in den Verwandtschaftsgrad und die Organi- sationshöhe der Untersippen erhalten haben, können wn Ausgangspunkt und Wanderungen der höheren Sippen beurteilen. 2b) Entstehung neuer Formen. Fol- gende deszeudenztheoretische Grundlagen sind für die epiontologische Spekulation von großer Bedeutung: Die jetzt lebenden Arten sind älter als der jetzige Zustand der Dinge verlangen also in diesem Falle keine Wande- ruiigsmögiichkeit für die so entstandene Art. Polytopie darf nicht mit Polyphylie verwechselt werden. Unter Polytopie ver- steht man die räumlich getrennte Entstehung einer und derselben systematischen Sippe aus einer und derselben Stammform. Unter Polyphylie versteht man die Ent- stehung derselben im System als einheitlich betrachteten Sippe aus verschiedenen Stammformen. Unter Konvergenz verstellt man eine Neue Formen entstehen auf verschiedenen 1 epharmonische Aehnlichkeit durch Anpas- Wegen; die Verschiebung der genotypischen sung an ähnliche Lebensbedingungen. Sie Grundlage kann durch spontane oder indu- kann, wenn sie in nahe verwandten Ki'eisen zierte Mutation, durch Kombination oder auftritt, zu systematisch ununterscheid- durch Erblichwerden exogener Einflüsse zu- baren Formen führen: das ist Polyphylie, Stande kommen. Die neuere Erblichkeits- die zum gleichen Resultat führt wie Poly- lelu-e bestreitet allerdings diese „lamarcki- topie, zu einer disjunkten Art nämlich, so stische" Auffassung; de Vries betrachtet findet z. B. Diels die Exemplare der Dro- Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV. OU 930 Geographie der Pflanzen (Genetische Pflanzeugeographie) sera brevifolia Pursh in Brasilien und in Florida vollkommen ununterscheidbar und führt diese Identität auf Konvergenzerschei- nungen zurück. Die Ansicht von der mehrfachen Ent- stehung derselben Art an getrennten Orten ist sehr alt: Schon unter der Herrschaft der Kreationstheorie ist sie von Gnielin (1752) Murray(1789), Schouw(1816),vonAgassiz (1850) ausgesprochen worden. Alphonse De Candolle diskutiert sie 1855 sehr ein- läßlich und erklärt sie zuerst für die wahr- scheinlichste für extrem disjunkte Areale, wie z. B. Saururus cernuus L. (China, Nordamerika) und Phryma leptostachya (Nepal und Japan, Amur, Nordamerika) u. a. Für polytope Entstehung sprechen sich Wetterhan (1872), Bonnier (1880), Sa- portaundMarion (1881), Falsan, Nägeli und Peter aus; Drude gibt die Möglichkeit polytoper Entstehung höherer Sippen: Ord- nungen, Familien, Unterfamilien zu, hält die Gattungen und die Art für monophyletisch und nionotop,ebenso die gut charakteristierten Abarten, nur leichte Abänderungen dagegen für polytop. Auch Hackel (1882) kommt auf Grund seiner monographischen Studien in der Gattung Festuca zum Resultat, daß nur Subvarietäten und zum Teil auch noch Varietäten sich unabhängig an ver- schiedenen Orten aus derselben Grundform bilden können, daß es aber für Subspecies und Species ,,im höchsten Grade unwahr- scheinhch" sei. Am energischsten hat Briquet (1890, 1901, 1905) die Möglichkeit des polytopen Ursprungs verfochten. Von der von nie- mand angezweifelten Möglichkeit der poly- topen Entstehung kleiner homogener oder vikarisierender Abänderungen ausgehend, be- tont er die Natur der Varietäten als werdender Arten; was man für 'die einen zugibt, muß man auch für die anderen für möglich halten. Er verlangt also, ,,daß man in jedem einzelnen Fall untersuche, welche der beiden Alter- nativen (monotope Entstehung und Wande- rung, oder polytope Entstehung) die wahr- scheinlichere ist; beim gegenwärtigen Stand der Wissenschaft kommt man aber über Wahrscheinlichkeiten nicht hinaus." Briquet wendet die Theorie auf die Alpen- flora Korsikas an; er konstatiert in derselben 53 Arten gemeinsam mit den Alpen; er geht von der Anschauung aus, daß die Wanderung der Pflanzen nur in kleinen Schritten erfolge; da eine eiszeithche Verbindung mit Korsika nicht nachgewiesen ist, hält er die gesonderte Ent- stehung dieser 53 Arten auf den korsischen Bergen aus Matterarten der Ebene, die über die frühere Landverbindung eingewandert waren (die schon Engl er in Betracht gezogen hatte) für die wahr- scheinlichste. 2sun haben sich seither, wie oben auseinander- gesetzt, besonders unter dem Emflusse einer Arbeit von Vogler, die Ansichten über die Wirksamkeit ' des Windes für die Samenverbreitung wesent- ; lieh geändert; wenn der Wind SalzkristaUe von I 0,7 g Gewicht 200 km weit transportieren kann, so kann er auch alle Samen der in Betracht kommenden Pflanzen über die 300 bis 800 km von den Westalpen oder vom Apennin bis nach Korsika bringen. Engler stand 1879 ebenfalls noch unter dem Banne der Kerner sehen Arbeit • über die Unwirksamkeit des Wmdes, darum zieht er nur die sehr unwahrschemhche Hilfe der Vögel herbei. Aber selbst unter der Annahme, daß sich die Alpenformen Korsikas dort als ParaUelformen zu denjenigen der Alpen aus derselben Stamm- art entwickelt haben, brauchen wir doch eine Wanderungsmöghchkeit für eine Stammform 1 Und Engler und Briquet erblicken diese in der tertiären Landverbindung. Solms-Laubach hat also vollkommen Recht, wenn er sagt, daß die Annahme der Polytopie z. B. bei Trisetum subspicatum (boreale Hemisphären, Magellans- länder, Neuseeland) die Frage einfach teUe queUe nach rückwärts in die uns unbekannte Vergangen- heit verlegt. Auch Engler, der 1879 für einzelne Fähe (Gregoria vitaliana, Alpenflora von Korsika) i die Polytopie, wenn auch mit Widerstreben, ; nicht ausschheßt, betont neuerdings (1905) die Notwendigkeit, daß irgendwo in der Ante- 1 zedenz der fraghchen disj unkten Form einmal ! eine räumliche Verbindung bestanden habe. „Mag also auch der Eine für zwei verwandte Formen den hypothetischen Ausgang von einem ' gememsamen Ursprung mehr zurüclcversetzen, als der andere, so bleibt dabei doch immer die Annahme bestehen, daß die Ursprungsformen sich einmal unter wesentlich gleichen Bedingungen befunden haben. Damit ist gesagt, daß man für Pflanzen engerer Verwandtschaft immer ein Areal anzunehmen hat, auf welchem die Ver- breitung der Samen zur Ursprungszeit möglich war, also entweder einen Kontinent oder Inseln, I zwischen denen Aleeresströmungen, Wind oder Flugtiere den Transport der Samen vermittelten." Wir kommen also zum Schluß: Polytope Entstehung ist bei Sippen jeglichen Ranges ' möglich, enthebt aber nicht der Notwendig- I keit, für die Stammformen disjunkter Arten nach der räumlichen Verbindung zu suchen. ! Es wird also durch den Nachweis polytoper Entstehung keineswegs der Epiontologie der ! „Ast abgesägt, auf dem sie sitzt". Andererseits gewinnt durch die moderne j Erbhchkeitslehre, die uns mannigfache, von 1 exogenen Faktoren mehr oder weniger unab- hängige Entstehungsmöglichkeiten neuer Formen kennen gelehrt hat: durch Mutation und durch Kombination, die Frage in der Tat ein dem Polytopismus günstigeres Gewicht. Schon Briquet hat auf die von de Vries konstatierten ; Fähe polytoper, wiederholt entstandener Muta- tionen hingewiesen; daß identische erbliche Kombmationen polytop entstehen können, er- , scheint sehr wahrscheinlich. In neueren Mono- graphien mehren sich die FäUe, für welche j Polytopie wahrscheinlich gemacht wird (Di eis i für Drosera, Schulz für Cardamine, Becker j für- Viola). Andererseits gewinnt die Annahme genetischen Zusammenhangs weit entfernter ' Areale einer Art durch die von den Erblichkeits- Geographie der Pflanzen (Genetische Pflanzengeographie) 931 foischern (T r a n s e a u , S h iill , J a c c a r d) geltend 1 gemachte MögUchkeit der Uebertragung bloß durch Pollen eine wichtige Stütze. { Auf die Praxis der Epiontologie hat die Polytopie bisher wenig Einfluß ausgeübt. | Bei" den Zoologen spielt sie gar keine | Rolle; Otto Stell schreibt mir darüber i freundlichst folgendes: „Es ist mir nicht bekannt, daß von irgend jemandem auf zoologischem Gebiet die Ansicht einer \ ,Polytopie' zoologischer , Arten' aufgestellt und verteidigt worden wäre, seitdem in den ; ersten Dezennien des vorigen Jahrhunderts i der speziell für den Menschen tobende Streit ] der ,Polygenisten' und ,Monogenisten' zur i Ruhe gelangt war." ! Methodologisch scheint mir der von Bri- ; quet selbst gegebene Rat das Richtige zu treffen, nur auf Grund eingehender mono- graphisch-systematischer Studien ein Urteil von Fall zu Fall zu versuchen, keinenfalls aber die Polytopie in Bausch und Bogen für schwierig zu erklärende Fälle von Dis- junktion zu Hilfe zu nehmen. 2d) Alter der Sippen, a) Absolutes : Alter. aa) Durch Fossilfunde be-, stimmt. Entscheidend für die Wirkung früherer Zustände auf die jetzige Verbreitung ist die zuerst von Lyell betonte Tatsache, daß die jetzigen Arten in vielen Fällen älter sind als der jetzige Zustand der Dinge. j Ueber das absolute Alter der Sippen werden wir direkt durch die fossilen Reste und indirekt durch den Vergleich des Ver- breitungstypus mit den zeitlich viel besser fixierten Verbreitungstypen der Tiere auf- geklärt. Dafür einige Beispiele: Langlebige Sippen: Zu den ältesten Arten unserer heutigen Geiäßpflanzen gehören: Ginkgo biloba (Eocen), Populus euphra- tica, beginnt im ]\Iiocen und hat in der nahe yer- wandten Populus primaeva der Ivreide eines der allerältesten bekannten Laubhölzer zum Vor- läufer; Taxodium distichum, Sequoia gigantea, S. sempervirens, Glypto- strobus heterophyllus, Liriodendron tulipifera, Liquidambar Orientale (als eu- ropaea imMiocen), Corylus avellana(Miocen) sind ebenfalls in identischer oder kaum unter- scheidbarer Form im Tertiär vertreten: auch die Farnkräuter Onoclea sensibilis, Wood- wardia radicans und Pteris creticia sind solche Typen tertiären Alters. Zu den ältesten Gattungen gehört u. a. Gingko, zuerst im Jura, vielleicht schon im Perm auftretend, ferner Arau- cari a (Jura), Sequoia (unterste Kreide), Calli- tris (obere Ivreide), Thyrsopterris (Jura), Sassafras (Gault, zu den ältesten Dicotylen gehörig)Liriodendron (obere Kreide), Populus (Gault), Artocarpus( ein Brotfruchtbaum aus der Kreide Grönlands), Eucalyptus (mit Blüte in der oberen Kreide Grönlands). In Miocän smd die meisten Gattungen identisch mit jetzt- lebenden. Das alles zeigt das hohe Alter der gegen- wärtigen Gefäßpflanzenflora: Engler hat wohl recht, wenn er sagt, daß ,,sehr frühzeitig, schon vor der Tertiärperiode, die Haupt- stämme der zahheichen Pflanzenfamilien existierten". Wenn wir bedenken, daß im Gault (Ivreide), der ältesten Schicht, in welcher bis jetzt Angiospermen nachgewiesen sind, schon eine ganze Reihe sehr differenter Typen auftreten (in der v. Berry neuerdings wieder revidierten „Patapsco"flora Nordamerikas), daß durch die Entdeckung der Organisation der Bennettitales und der Pteridospermen die ganze „Uhr der Entwickelung" erheblich zurückgestellt wurde (vgl. den Ailikel „P a 1 ä 0 b 0 t a n i k") so unterliegt es keinem Zweifel, daß schon im Mesozoikum die Grundlagen der heutigen Pflanzenverbreitung gelegt wurden und daher schon die Geo- graphie jener Zeiten in heutigen Daten sich widerspiegeln kann. So erscheint das Ver- falnen Englers, seine Geschichte der afri- kanischen Flora mit dem großen Südkonti- nent der Ivi'eidezeit zu beginnen und auf diesem die pantropischen Arten ihre Ver- breitung gewinnen zu lassen, durchaus ge- rechtfertigt. Obige Liste zeigt auch, daß die an anderer Stelle dieses Buches (Bd. VII, S. 461) aus- gesprochene Regel, daß im allgemeinen ein Typus, je älter er ist, gegenwärtig desto aus- schließlicher den Tropen angehöre, doch zahlreiche Ausnahmen zeigt: Cringko, aus dem Perm stammend, hat überhaupt keine tropischen Vertreter, ebene Secpioia und die meisten der ältesten Dicotyledonen. pß) Indirekte Altersbestimmung, Indirekt kann aus verschiedenem Wege auf das Alter einer Sippe geschlossen werden: Systematische Isolierung. Fehlen der Zwischenglieder durch Aussterben deutet auf um so höheres Alter, je höher die so isolierte Sippe ist (,,Restanztypen", siehe oben). Neben der absoluten systematischen Isolierung gibt es aber auch eine relative, nur in einem bestimmten Gebiet zutreffend: Paris quadrifolia ist in Mitteleuropa systematisch vollkommen isoliert, m Asien aber treten zahlreiche Verwandte auf. Zusammenhängende Formenschwärme mit gleitenden Reihen von Zwischengliedern werden im allgemeinenals junge Sippen charakteri- sierend aufgefaßt. Aber das trifft nicht immer zu; eine reiche polymorphe Entfaltung mit zahlreichen, räumlich lokalisierten Endemismen in epharmonischen Parallelreihen, in engem Anschluß an fem abgestufte lOima-, namentlich Feuchtigkeitsdifferenzen deutet auf eine lange ungestörte Entwickelung: solche Verhält- nisse liegen am Cap und in Westaustrahen vor, beides Gebiete von unerhörtem floristischen Reichtum, der uns durch die prächtigen Arbeiten von Mario th und Diels verständlich gemacht wurde. Für beide Länder ist die Verbindung eines konservativen Endemismus (Cephalotus, Kingia, Franklandia für Westaustralien) mit 59* 932 Greographie der Pflanzen ((xenetische Pflanzengeographie) einem ungeheuer fruchtbaren progressiven Ende- 1 misraus bezeichnend. j Weitgehende ökologische Anpassung:! Die saprophytischen Triuridaceen sind in tro- pisch Asien, den Seychellen, im tropischen Amerika und neuerdings auch im tropischen Westafrika | nachgewiesen. An diese Entdeckung knüpft \ Engler folgende Erwägung. „Dann ist zu be- denken, daß diese Saprophyten, wie alle Hetero- bionten, lange Zeiträume brauchen, bis sie aus demAutobiontenstadium in die Abhängigkeit von anderen Pflanzen gerieten. Das Geschlecht muß also ein sehr altes sein, und in die Zeiten zurückreichen, als die Entwicklung von Regen- wäldern auf den Kontinenten ausgedehnter und : zusammenhängender war, also über die Tertiär- periode hinaus. So spricht hier disjunktes Areal bei geringer Migrationsfähigkeit, und hohe systematische und ökologische Spezialisierung für hohes Alter. Die Verbreitung dieser Sapro- phyten und Parasiten fällt noch ganz anders ins Gewicht für die Pflanzen- und Erdgeschichte, als die der zahlreichen autotrophen Gattungen, welche Westafrika mit dem tropischen Amerika gemein hat. — Sie haben eine ebenso große Be- deutung als die Tatsache, daß Diplodocus- ähnliche Saurier jetzt auch fossil in Ostafrika 1 gefunden wurden." j Weite und disjunkte VerbreitungiDiese ist nur unter folgenden Bedingungen als Zeichen | hohen Alters zu betrachten: Wenn nicht eine starke Migrationsfähigkeit ! diese weite Verbreitung erklärt, wie u. a. bei den ' litoralen Pantropisten. Wenn eine Parallelentwickelung durch starke systematische oder ökologische Differenzierung ausgeschlossen ist (siehe oben). Analogie mit T i e r v e r b r e i t u n g: Durch Benutzimg der durch die Tier Ver- breitung zeitlich fixierten Wanderungsmög- lichkeiten und Landbrücken kann das absolute Alter analog verbreiteter Pflanzensippen fest- gestellt werden. ,, Der geographischen Verbreitung nach, sagt K o e h n e, braucht das Alter der L y t h r a- ceen über das Alter der Säugetiere nicht hin- auszugehen (also Trias). Denn die Verwandt- schaft der brasilianischen Lythraceengattimg Diplusodon mit der tropisch-altweltlichen Pemphis könnte man z. B. als ein Seitenstück zu dem Vorkommen von Tapiren in Südamerika und im malayischen Archipel betrachten." ß) Das relative Alter der Sippen. Zur Altersbestimmung einer Sippe ist in erster Linie der morphologische Vergleich maßgebend; die geographische Verbreitung ist nicht entscheidend. Organisations- höhe und Ausbreitungsfähigkeit sind unab- hängig voneinander: uralte Formen von primitivster Organisation können sehr weit verbreitet sein: so die Bakterien, die Tange, die Farne, die in keiner Weise eine Senilität zeigen, sogar so alte Gruppen nicht, wie die Marattiaceen. Andererseits gibt es alte syste- matisch völlig isolierte Formen von engster Verbreitung (Gingko, Welwitschia), Wenn De CandoUe zum Schlüsse kommt, daß die Gramineen und Cyperaceen als „primitive" Formen ihrem hohen Alter ihre oft sehr weite Verbreitung verdanken, so ist dem entgegenzuhalten, daß auch junge Formen durch große Migrationsfähigkeit weite Verbreitung erhalten können; das schlagendste Beispiel dafür ist der Mensch. Sippen höheren Grades sind selbstver- ständlich älter als solche geringeren Grades: die Gattung ist älter als die Art usw. 2 e) Das Alter der heutigen Ver- breitung. Das ,, Märchen", daß im Meso- zoikum und Känozoikum eine ganz diffuse Verteilung der Pflanzen über die ganze Erde geherrscht habe (namentlich von Etting- hausen vertreten), gilt heute für definitiv überwunden. 1) Schon im Karbon finden sich Anzeichen verschiedener Floren, trotz des gleichmäßigen Klimas, noch stärker in der Trias, während im mittleren Jura eine auf- fallende Gleichmäßigkeit herrschte; im oberen Jura beginnt eine Ausbildung von Klimazonen, durch die Jahrringbildung der Bäume be- sonders in hohen Breiten nachgewiesen, die sich in der unteren Kreide noch verschärft, wo schon eine deutliche ,,boreale Provinz" sich zeigt (vgl. die Artikel „Paläobotanik" und „Paläoklimatologie"). Im Tertiär haben wir allerdings merkwürdige Verschie- bungen: die Proteaceenreste Europas (,, Neu- holland in Europa" Ettinghausens) wur- den zwar von der kritischen Strömung der neuern Phytopaläontologie fast allgemein zu- rückgewiesen (s. Bd. VIII, S. 452), aber wir haben als Verbreitungsanomalien doch das durch Blüten absolut sichergestellte Vor- kommen von Eucalyptus, einer jetzt durchaus australen Gattung in der Kreide Grönlands (Heer) und als Gegenstück das Vorkommen von Quercus im südameri- kanischen Tertiär, wo die Gattung jetzt fehlt. Aber solche Sprünge haben wir in der heutigen Flora auch (Fagus boreal, Notho- f agus austral, usw.), ohne daß dadurch das Gesamtbild der Ausgliederung differenter Floren aufgehoben würde. Die heutige Verbreitung der Sippen besitzt ein sehr verschiedenes Alter: Allgemein wird zugegeben, daß die Tropenflora auto- chtiion ist, daß in ihrem Gebiet die längste ungestörte Entwickelung stattfand. Das wird durch die Fortdauer alter Typen be- wiesen, z.B. der Farne. ,,Das Sammelgebiet der tertiären Farntypen ist die tropische Waldflora der alten und neuen Welt", sagt Christ, ,, hier haben sich die tertiären und noch ältere Typen erhalten, wenn auch im Lauf der Zeiten vielfach abgeändert. Stellen, wo sichArchäotypen zusammenfinden, sind der Mount Ophir und die Carimons in Malakka und Stellen in Borneo. wo Matonia und 1) Ueber die angebliche „Universalfauna' des Unterkarbon siehe dieses Werk Bd. VII, S. 465. Geographie der Pflanzen (Genetisehe Pflanzengeogra[ihie) 938 Dipteris bestandbildend auftreten, oder Südchina, wo Archangiopteris und Neocheiropteris im gleichen Gebiet (Yün- nan) sich finden," Doch ist die Konservierung alter Typen kein Privileg der Tropen: ich erinnere an Gingko in China, an Welwitschia in Süd- afrika, an Populus euphratica im Orient usw. Die Spärlichkeit pflanzlicher Fossilien aus den Tropen bedingt freilich eine sehr geringe Kenntnis über das Alter der dortigen Typen, das wir vielfach nur aus ihrer Verbreitung erschließen können. Ganz anders als in der Tropenzone liegen die Dinge in extratropischen Gebieten, ins- besondere auf der nördlichen Hemisphäre, wo die Flora durch mannigfaltige Ereignisse geophysikalischer Natur hin- und hergejagt wurde, und wo die ehemalige fossil nach- gewiesene Verbreitung mit der heutigen in den meisten Fällen nicht übereinstimmt. Der europäische Tertiärwald zeigte eine bunte Mischung der verschiedensten Ele- mente. Die jetzt nordamerikanischen Gat- tungen Sequoia, Carya, Nyssa, Taxo- dium, die japanisch-chinesischen Gattungen Glyptostrobus und Gingko, die kali- fornisch-chinesische Libocedrus, die afri- kanische Widdringto nia, die sundanesische Engelhardtia, die australische Eucalyp- tus waren alle zur Tertiärzeit auch in Europa zum Teil weit verbreitet, bis in arktische Gegenden, In der borealen Hemi- sphäre hat die Eiszeit in Europa eine große Zahl dieser thermophilen Typen ver- nichtet, die anderwärts erhalten blieben, und andererseits den,, Glazialpflanzen" zu weiterer Verbreitung verholfen. Die bessere Erhal- tung dieser Genera in Ostasien und Nord- amerika, die Vernichtung in Europa, hängt nach allgemeiner Annahme mit der Richtung der Gebirge zusammen: dort vorwiegend Nordsüdrichtung und daher kein Versperren der Rückzugslinie, was in Europa dagegen der Fall war. Die „Glazialpflanzen" Englers („Gla- zialmigranten" s. oben), bestehend aus anspruchslosen, insbesondere durch Früh- blühen an kurze Vegetationszeit angepaßten Mikrothermen und aus Hekistothermen des Nordens und der Gebirge, zeigen eine weite und oft disjunkte Verbreitung (,,zerrissene" Areale mit „glazialer Ausdehnung"). Daß gerade solche „abgehärteten Elemente" be- sonders deutlich die Spuren eiszeitlicher ,, Ver- schiebung der Vegetationslinien und Vege- tationsgrenzen" aufweisen, spricht für eine Begünstigung speziell ihrer Wanderungsmög- lichkeiten und also für alpin-arktisches KMma, nicht ozeanisches Klima der Eiszeit, Es ist bis jetzt wenigstens nicht der Versuch gemacht worden, für Pflanzen ozeanischen Klimas ähnliche Schicksale, ähnliche Dis- junktionen systematisch nachzuweisen. Die ökologische Natur der eiszeitlichen Wanderungsbedingungen im Sinne einer Ausdehnung oligothermer (arktisch-alpiner) Gebiete läßt uns auch die Rolle der Gebirge als Florenrefugien verstehen; und damit die Tatsache, daß unter den Oreophyten sich die ältesten Bestandteile unserer Flora finden. Zweifellos trugen die tertiären Ge- birge schon ihre Oreophytenflora, aus den thermophilen Typen der Ebene abgeleitet. Die Ausdehnung der Nivalregion nach unten zur Eiszeit verschob nur deren Wohnsitz nach unten, aber vernichtete sie nicht; die abgehärtetsten konnten selbst in der eiszeit- lichen Nivalregion die Glazialzeit über- dauern, die anderen wanderten nachher wieder wenigstens in die alpine Stufe ein, und so enthalten die borealen Oreophyten- floren zum Teil die ältesten, präglazialen Be- standteile der Floren. Da die thermophilen tertiären Mutterarten wenigstens in Europa vielfach völlig vernichtet wurden, so bietet die Hochgebirgsflora einen besonderen Reich- tum an „Tertiärrelikten", die in unserer Flora ganz isoliert dastehen (s. oben). Die Gebirgsfloren haben wohl zu allen Zeiten in der Geschichte der Pflanzenwelt eine wichtige Rolle gespielt: einmal als Ent- stehungszentren neuer Formen, die bei späterer Abkühlung die Ebenen bereicherten: leitet doch Nat hörst einen guten Teil der arktischen Flora von den arktischen und borealen Gebirgen her. Es ist freilich eine durch keine Tatsachen gestützte Ueber- treibung dieser Rolle, wenn Ball die Gebirge überhaupt als die Entstehungszentren un- serer jetzigen Flora schon in der Karbon- periode auffaßt, Wohl aber spielten sie in glazialen Zeiten die Rolle der Florenrefugien. Oekologische Harmonie und Alter des Areals, Eine Sippe befindet sich in ökologischer Harmonie mit ihrer Umgebung, wenn sie normal fruktifiziert, wenn sie an die vegetativen Bedingungen und an die In- sekten des Gebietes eine normale Anpassung zeigt, wenn sie infolgedessen ausbreitungsfähig ist, und wenn sie als Bestandteil einer stabilen geschlossenen Formation auftritt. Alles das läßt auf ein hohes Alter des betreffenden Areals schließen, Oekologische Disharmonie kann sehr verschiedene Gründe haben und bald hohes, bald junges Alter des betreffenden Areals anzeigen, aber auchKlimaänderungen: Mangelhafte Ausbreitungsfähigkeit, schlech- tes Fruktifizieren ohne kompensierende vege- tative Verbreitung kann eine einer alternden Sippe innewohnende Eigenschaft sein und läßt nicht notwendigerweise einen Schluß auf das Alter des Areals zu; es kann aber auch einer Klimaverschlechterung zugeschrieben 934 Geograpliie der Pflanzen (Genetische Ptlanzengeograpliie'i werden^), wenn es allgemein ist ; so haben 1 Nathorst, Andersson, nnd Hesselmann - nachgewiesen, daß etwa 30 °o der Spitz- bergerflora nicht imstande sind, Früchte zu erzeugen; sie schließen daraus und aus an- deren Tatsachen, daß zur Einwanderungszeit dieser Flora das Klima wärmer gewesen sein muß. Ferner kann schlechtes Fruktifizieren, wenn es bei isoliert auftretenden Pflanzen vor- kommt, für deren KeHktnatur sprechen (s. oben). Nicht kongruierende Anpassung j an Insektenwelt und Standort spricht füi- , relativ junges Alter: aus dem Umstand, daß arktische Pedicularisarten eine komplizierte Bestäubungseim-ichtung zeigen, die aber aus Mangel an Insekten nutzlos ist, zieht Dielsj contra Prain den Schluß, daß die Urheimat dieser Pedicularis nicht die Arktis sein kann; ob freilich nicht früher die betreffenden Insekten in der Arktis vorhanden waren und durch Klimaverschlechterung ausstarben, i ist nicht ohne weiteres erwiesen. j 2f) Heimat, Entstehungszentrum; und Massenzentrum. Noch schwieriger! als die Ermittelung des Zustandekommens eines Sippenareals ist die Frage nach dem Ausgangsort, nach der Heimat, zu lösen.! Hier gelten folgende Erfahrungen: 1. Der Ausgangspunkt kann außerhalb ; der jetzigen Heimat liegen: Beispiel: zalil- j reiche arktotertiäre Gattungen mit ark- 1 tischen Entstehungszentren. ! 2. Das Massenzentrum braucht nicht mit j dem Entwickelungszentrum zusammenzu- 1 fallen; es kann eine Sippe sekundäre Ent- wickelungszentren erzeugen: so hat die uralte Gattung Gentiana nach Kusnezow vier sekundäre Entwickelungszentren: in Europa und Westasien, in Ostasien, im pazifischen Nordamerika und im atlantischen Nord- amerika. Wo freilich ihr Ausgangspunkt liegt, ist dunkel. — Namentlich auf Inseln erlangen manche Gattungen eine reiche Entwickelung endemischer Arten, ohne daß deshalb die Gattung dort zu Hause wäre: so die Sem per - viven auf den Kanaren, die Veronica- arten auf Neuseeland. 3. Die Heimat wird bei weit verbreiteten Sippen am wahrscheinlichsten dort gesucht: a) wo die primitivsten Formen der Sippe sich finden (lebend oder fossil). b) wo sonst getrennte Formen durch Uebergänge verbunden sind, c) wo die Sippe am polymorphsten]auftritt. So hat Diels kontra Prain füi- Pedic^aris Avahrscheinlich zu machen gewußt, daß sie nicht vom hohen Norden ausging, wo die primitive Sektion der Anodontae nicht vertreten ist, ^) Umgekehrt hat S einander die Abnahme der Yerbreitungsfähigkeit nordischer Pseudo- rehkte in Schweden als Anzeichen einer KUma- Verbesserung aufgefaßt. Die Tatsache whd aber von Andersson bestritten. sondern vom östlichen Asien, wo die altertiim- ücheu und verbindenden Formen zahh-eich sind. Die neuen Ergebnisse der botanischen Durch- forschung des zentralen Asiens, namentlich Osttibets, West- und Zentralchinas, und eüie Reüie von Monographien borealer Famihen haben dieses Gebiet als einen Entwickelungsherd ersten Ranges füi- die eurasiatische Flora erwiesen. Diels nennt spezieU Osttibet ,,em in seüier Fernwhkung vieUeicht unerreichtes Florengebiet der Erde". Als Entstehungszentrum ist es emmal dadurch charakterisiert ist, daß hier das boreale Element unstreitig den Höhepunkt semer Entwickelung erreicht. ,,Tofieldia ist auf dem Gipfel ihrer Entfaltung"; Paris hat ,,im inneren China eine Formenmenge, die jeder Beschreibung spottet". Und andererseits konvergieren hier morphologisch und geographisch manche sonst getrennte Gattungen, so Primula und Andro- sace; der Ausgangspunkt der Gattung Primula, die Sektion der Sinenes berührt sich dort mit der Sektion Pseudoprimula der Gattung Androsace. So gibt sich dreifach das Gebiet als Entstehungs Zentrum kund: durch reiche Ent- faltung, primitive Formen und Verbindungsglieder. II. Verbreitungsgeschichte^ökologischer Gruppen (Lebensformen). Die ökologische Betrachtungsweise der Pflanzenwelt faßt ,, Anpassungseinheiten" sy- stematischer Sippen als ,, Lebensformen" zu- sammen, die analogen Lebensbedingungen sich angepaßt haben. Die geographische Verbreitung dieser Einheiten fällt zusammen mit der V^erbreitung des Bedingungs- komplexes, dem sie entsprechen: das Areal der Xerophyten entspricht grosso modo dem der ariden Gebiete, das der Hydromegathermen dem tropischen Regen- wald usw. Die Wandlungen der ökologi- schen Bedingungen im Verlauf der Floren- geschichte drücken sich durch die wechselnde Verbreitung der Lebensformen aus. Dafür nur ein Beispiel, das der „physio- logischen" Gruppen De Candolles. A."^ De Candolle hat 1874 die Pflanzen eingeteilt in ,, physiologische Gruppen, welche auf die frühere und jetzige Verbreitung der Gewächse anwendbar sind". Er ging von der Tatsache aus, daß die heutigen Floren denen der Vor- welt nicht entsprechen: die heutige Medi- terranflora erstreckte sich im Pliocän bis Paris, die heutige Alpenflora herrschte zur Eiszeit in der Ebene usf. Er suchte also nach Gruppen, welche auch für die Vorzeit brauch- bar sind und fand solche in klimatologischen Gruppen, auf Feuchtigkeits- und Wärme- bedürfnissen basiert : H y d r o m e g a t h e r m e n , Mesothermen, Xerophyten, Mikro- thermen und Hekistothermen: (Er- klärung s. im vorhergehenden Artikel „Florenreiche", S. 780). Er bestimmte nun den Charakter der fossilen Floren der nördlichen Hemisphäre nach den Ana- logien ihrer Konstituenten jnit^rezenten Be- Geographie der Pflanzen (Genetische Pflanzengeograpliie) 935 standteilen dieser Gruppen; er fand z. B. im Eocän von Sheppey bei London eine me- gatherme Flora, in der miocenen Flora Spitz- bergens ein Gemisch von Mesothermen und Mikrothermen, in den Dryastonen eine hekistotherme Flora usw. So konstruiert er auf einer Tafel die Geschichte seiner Gruppen auf der nördlichen Hemisphäre seit Beginn der Tertiärperiode. Es zeigt sich daß jede der Gruppen im Norden beginnt und sukzessive, mit steigender Abkühlung, nach Süden wandert, bis sie ihre jetzigen Grenzen erreicht hat. Nur für die Xero- phyten sind keine fossilen Daten da, weil ihre Wohngebiete für fossile ^Erhaltung sehr wenig geeignet sind. III. Verbreitungsgeschichte der synöko- logischen Einheiten (Formationsge- schichte, Entwickelung der Pflanzen- gesellschaften). Auf diesem Gebiet sind amerikanische und enghsche Forscher bahnbrechend vor- gegangen (Cowles, Clements, Tansley, Mo SS, Crampton). Sie haben das große Verdienst, auf den engen Zusammenhang der gesetzmäßigen Aufeinanderfolge der Pflanzengesellschaften mit klimatischen, geophysikalischen und biotischen Ver- änderungen hinzuweisen (s. S. 903). Wenn die floristische Genetik die Ein- wanderungswege und die Herkunft der Floren- elemente studiert, so stellt die synökologische Genetik den Wechsel des Vegetationskleides und damit des gesamtenNaturcharakters eines Gebietes fest. Für die Rekonstruktion namentlich der Idimatischen Verhältnisse der Vorzeit durch die Deutung fossiler und sub- fossiler Pflanzengesellschaften ist nun be- sonders folgende Frage von entscheidender Bedeutung: ist ein fossil konstatierter For- mationswechsel auf klimatische oder auf topographische oder biotische Aenderungen zurückzuführen? Diese Streitfrage spielt namentlich in den Diskussionen über die Vegetationsgeschichte Fennoskandias, Nord- deutschlands und Schottlands eine große Rolle und ist einer der folgenschwersten Fälle von Mehrdeutigkeit pflanzengeschichtlicher Tatsachen. Die sorgfältigen Untersuchungen der skandi- navischen Hochmoore haben gezeigt, daß hier oft ein Schichtenwechsel stattfindet, indem zwischen baumfreien Schichten sogenannte „Stubbenlagen" oder Waldtorfschichten auf- treten, welche einer Waldvegetation entsprechen (die ,,Forest-beds" der EngLänder). Darauf gründete der Norweger Axel Blytt seine kühne Hypothese eines säkularen 6- maligen Wechsels von feuchteren und trockeneren Ivlimaperioden ; die Stubbenlagen sollen jeweils einem trockeneren Klima entsprechen. In den 6 Perioden wanderten dann jeweilen die durch das lüima begünstigten differenten Pflanzengruppen ein. Blytt gründet sich auf die allgemeine Verbreitung der Wald- schichten und auf ihr wiederholtes Auftreten(e in - mal in tiefer gelegenen, später aus demJVIeer auf- tauchenden, zweimal bis dreimal m höher gelegenen, länger existierenden Mooren). Ser- nander in Upsala und seine Schüler schließen sich Blytt an (indem sie die Zahl der Perioden auf 4 reduzieren), und erwähnen als weitere Stützen trockener Perioden die humusreichen Streifen m Kalkschichten, und die Stubbenlagen, die jetzt von Seen überdeckt sind. Dem gegenüber sind Andersson, Tolf, Haglund und Kurck in Schweden, Holmboe und Stangeland in Norwegen, Hartz in Dänemark der Ansicht (und auch Weber und Stoller für die nord- deutschen Moore), es handle sich um eine lokale Erscheinung und es liege kein Beweis für die gleichzeitige Bildung der Stubbenschichten vor. Sie stützen sich dabei auf die zahlreichen Aus- nahmen (fehlende oder zu wenige Waldschichten, zerstreute statt schichtweise angeordnete Holz- reste) und suchen die weiteren Stützen derBlytt- Sernan der sehen Theorie anders zu deuten. Eine ähnliche Diskussion herrscht über die Deutung des sogenannten „Grenzhorizonts" der norddeutschen und der holländischen Moore. Der beste Kenner der Torfmoore, Weber, hat m der reichen Serie von gesetzmäßig aufeinander- folgenden Schichten der norddeutschen Torf- moore nur eine gefunden, die auf eine säkulare Klimaschwankung deutet und zwar auf eine Periode trockenen Klimas: die mächtigen oberen Schichten von Sphagnumtorf gliedern sich in einen älteren, stark zersetzten und ehien jüngeren, schwach zersetzten Torf; dazwischen liegt eine dünne Schicht von Wollgras- oder Heidetorf, eben jener ,, Grenzhorizont". Daß während der Bildung dieser auffallenden Zwischen- j Schicht, die in weiter Verbreitung seither auch von Wahnschaffe und Stoller, sowie von van Baren in Holland konstatiert wurde, eine größere Trockenheit geherrscht habe, schließt Weber aus dem Aufhören der Sphagnum- vegetation, und aus der raschen Zersetzung des darunterliegenden Sphagnumtorfes durch die ungehindert eindringenden Atmosphärilien. Die zwei Grenzhorizonte, die Potonie im Gifhorner Moor nachgewiesen haben wül in Be- stätigung der Ra mann sehen Deutung der Grenzhorizonte als lokaler, wiederholter Bildung, deutet Weber als ,, Brandlagen". Dieser Grenzhorizont als Beweis säkularer lüima- schwankung erscheint als das best begründete Bei- spiel der Verwertung der subfossilen Pflanzen- formationen zu Klimaschlüssen; während die Stubbenlagen diese Bedeutung wohl nicht haben. Für Schottland besteht dieselbe Streitfrage wie für Skandinavien; hier hat Lewis mehrfache „Forest-beds" konstatiert, zum Teil oberhalb der jetzigen Waldgrenze, und schließt daraus auf Ivlimaschwankungen ; und neuerdings hat auch Schreiber für die Vorarlberger und Salzburger Moore ähnliche Beobachtungen publiziert. Eine zweite Ursache der Mehrdeutigkeit fossiler Formationsfunde liegt in der Frage, ob ehie klimatische oder edaphische Formation vorliegt, ob mit anderen Worten die Zusammen- setzung der Formation auf den klimatischen Verhältnissen oder ob sie auf Bodenverhält- , nissen beruht. Es können hfl^anntlich letztere i die ersteren ersetzen. '936 Greograpliie der Pflanzen ((renetische Pflanzengeograpliie) Wii' dürfen endlich nicht vergessen, welche Formationskontraste unter demselben Klima nebeneinander vorkommen: Neben der Wüste die Galeriewälder längs der Flüsse, in den Steppen ausgedehnte Hochmoore (Bara bin sehe Steppen nach Tanfilief), arktische Tundravegetation neben mediterraner Unkrautflora und pontische Steppenpflanzen (Findelental bei Zermatt); welches Rätsel für einen Pflanzengeographen, wenn er neben Blättern von arktischen Gletscher- weiden die Früchte von Stipa penn ata ein- gebettet finden würde! Gerade solche lokalen Gegensätze wer- den von den Monoglazialisten benützt, um das von ihnen postulierte Nebeneinandervor- konimen derDryasflora und einer ozeanischen Waldvegetation wahrscheinlich zu machen. Noch komplizierter als das Problem der Torischichten und ihrer Auffassung (zum Teil damit verbunden) ist dasjenige des ,, säku- laren Waldwechsels", da hier mit Klima und Boden der Einfluß des Menschen und der weidenden Tiere sich kombiniert. Das ist ein Stück postglazialer Einwanderungsge- schichte, das bei dem frühen Auftreten des Menschen hauptsächlich zu einem prähisto- risch-historischen Problem wird. In Dänemark (und ganz ähnlich liegen die Dinge in Norddeutschland und Skandi- navien) ist, wie schon oben erwähnt, durch Steenstrup, Vaupell und Müller kon- statiert worden, daß in postglazialer Zeit zunächst Birke und Espe, dann die Föhre geherrscht hat; in die Föhrenzeit fällt die Ansiedelung des Paläolithikers. Heutzu- tage gibt es in Dänemark keine wild- wachsenden Föhren.^) An ihre Stelle trat die Eiche, nach Warming (und Weber) hauptsächlich durch ein ozeanisches Ivlima begünstigt, zu ihrer Zeit trat das namentlich durch die skandinavischen Forscher nach- gewiesene postglaziale Wärmemaximum auf. ! Dann folgte die Buche, die jetzt vielfach ! durch die eingeführte Fichte verdrängt wird. In Norddeutschland treten Birke und Föhre gleichzeitig auf, die Föhrenzeit dauerte nur kurz, die milde und feuchte Eichenzeit sehr lange; am Ende derselben wanderte die; Fichte ein, hier also vor der Buche; in die Eichenzeit fällt auch in Norddeutschland und Holland die durch den ,, Grenzhorizont" an- gedeutete Trockenperiode, dann kam die Einwanderung der Buche. Die Reihenfolge der sukzessiven Ein- wanderung von Birke, Föhre, Eiche und Buche wird verschiedenen Momenten zuge- schrieben: dem milder, resp. ozeanischer Werden des Klimas (Warming, Krause^), ^) Die letzten Kiefernwälder auf Laesoe und Anholt wurden im Beginn des 18. Jahrhunderts ausgerottet, woh Izur Speisung der holzfressenden Salinen. -) Krause weist besonders auf das nachträg- liche Verschwinden der Fichte in Schleswig- Weber, Gr aebner), der Verdrängung der lichtliebenden Holzarten durch die schatten- den, unduldsamen (Vaupell), der geringeren Wanderungsfähigkeit der schwersamigen Eiche und Buche (Focke, zum Teil auch Weber), wobei die letztere noch weiter durch das spätere Eintreten und die Selten- heit der Samenjahre beeinträchtigt ist (Graebner); der Veränderung des Bodens im Sinne einer steigenden Verbesserung (Elias Fries), der Veränderung des Bodens im Sinne der „Bodenmüdigkeit" (Graebner). Auch hier tritt als Hauptgegensatz der- jenige der Annahme von klimatischem oder biotischem Formationswechsel hervor; die- jenigen, welche letzteren betonen (vor allem Weber und Graebner), treten gleichzeitig für die Auffassung der „Relikte" als Neu- einwanderungen auf, während die „Ivlima- tiker" die ,, Konstanz des Areals" (W ange- rin) betonen, nur schrittweise Einwanderung gelten lassen und sowohl für Glazial- wie für xerotherme Relikte eintreten. B. Vom Gebiet ausgehend. (Die Epiontologie der Florengebiete.) I. Die Gliederung der Flora in ,, Elemente". I. Die Heimatselemente. Die Geschichte eines Florengebietes besteht aus der Ent- stehungs- oder Einw-anderungsgeschichte seiner Arten und aus dem Verlauf ihrer Gruppierung zu Formationen. Da macht sich zunächst das Bedürfnis nach Zusammen- fassung der florengeschichtlich verwandten Formen geltend. Wir gruppieren sie zunächst nach der Natur ihrer Heimat und ihrer Einwanderung in Heimatselemente, nämlich: a) Einheimische: d. h. ohne Mithilfe des Menschen vorhanden. a) Autochthone Pflanzen: in dem be- treffenden Gebiete entstanden: hierher ge- hören vikarisierende geographische Rassen, vikarisierende Gebirgspflanzen, junge Ende- mismen, in den Tropen, auf den (j^ebirgen und in der Arktis auch alte Endemismen. jö) Einwanderer: von außen her auf natürlichem Wege, ohne Mithilfe des Menschen eingewanderte und dauernd an- gesiedelte Arten. b) Adventive oder Ankömmlinge: durch Mithilfe der Menschen eingeschleppt (Anthropochoren). Holstein und Hannover hm, die dort schon mit der Föhre eingewandert war: das könne nur durch das Wärmerwerden des Ivlimas erklärt werden, wie auch das Verschwinden der Kiefer. Die neuen eingehenden Untersuchungen D englers über die Fichtengrenze geben ihm hierin Recht. Die Fichte scheint namentlich die wärmeren Winter des atlantischen Klimas zu scheuen. GeogTai)liie der Pflanzen (Genetische Pflanzengeograpliie) 937 2. Die Beziehungselemente. Die x\uto- chthonen und die Adventiven klären uns nicht weiter auf über die natürlichen Be- ziehungen des Gebietes zu anderen Ge- bieten, wohl aber die Einwanderer. Diese müssen nach drei verschiedenen Gesichts- punkten in Elemente gruppiert werden; Marie Jerosch (1903) gebührt das Ver- dienst, zuerst diese drei Gesichtspunkte klar auseinander gehalten zu haben (siehe auch im vorhergehenden Artikel „Floren- reiche" S. 784). 2a) Geographische Elemente. Geo- graphische Elemente ij eines Gebietes nennen wir die Summe seiner Arten gleicher oder wenigstens in den großen Zügen ähnlicher Verbreitung. Für die aus 420 Arten be- stehende Flora der alpinen Höhenstufe der Schweizeralpen z. B. stellte M. Jerosch folgende geographische Elemente auf: I. Hauptgruppe: Arten der Ebene. 1. Ubiquistenelement (7,4%). IL Hauptgruppe. Arten, die der Arktis und den asiatiscbenHochgebii-gen fehlen (57,3%). 2. Alpin -nordeuropäisches Element (4,3%). 3. Mitteleuropäisch-alpines Element (37,6%). 4. Alpenelement (15,4%). III. Hauptgruppe: Arten, die in der Arktis vorkommen. 5. Arktisch-altaisches Element (22,5%). 6. Arktisches Element (nicht im Altai) (8,2%). IV. Hauptgruppe: im Altai, aber nicht in der Arktis. 7. Altaisches Element (4,8%). Diese geographische Zusammenstellung ist zunächst weiter nichts als eine bequeme Uebersicht über die mit unserem Gebiet in Beziehung tretenden Länder und die numerische Stärke dieser Beziehung^); über die Heimat der einzelnen Arten und ihre Wanderungswege sagt sie zunächst nichts aus. Ein klassisches Beispiel für die erfolgreiche Ausnützung geographischer Elemente zur Eruie- rung der Emwanderungswege bildet die Unter- suchung von P. u. F. Sara sin über die Ge- schichte der Fauna von Celebes, insbesondere der MoUusken, Reptilien, Amphibien und Vögel, dann auch der Säugetiere und Landplanarien. Diese Forscher schätzen die transozeanische Migrationsfähigkeit namentlich für die Mollusken, denen sie em besonderes Studium widmeten, sehr gering ein; sie stützen sich ferner vorzugs- weise auf die Verbreitung der Species, da die Gattungen zu subjektiv begrenzt seien, und begnügen sich infolgedessen mit der Eruierung ^) Es möge hier darauf aufmerksam gemacht werden, daß der Begriff ,, Element" verschieden gebraucht whd: einmal für eine ganze Gruppe gleichartiger Arten: „das alpine Element", andererseits aber auch für eine einzelne Art; man sagt: Primula auricula ist ein alpines Element. 2) Die Beziehungen zu Nordamerika sind hier nicht angedeutet: es kommen 19 Arten (4,5 %) der Alpenflora auch auf den nordamerika- nischen Gebirgen vor. der jüngsten geologischen Vergangenheit. Sie schheßen von ihren Untersuchungen die allgemein verbreiteten Arten und diejenigen Endemiten aus, die mit solchen nächstverwandt sind; ; sie untersuchen unter sorgfältiger kartographischer Darstellung die Verbreitung der auf den indo- australischen Archipel beschränkten nicht endemi- schen Arten von Celebes und namentlich ihre Beziehungen zu den Nachbargebieten. Von dem Grundsatz ausgehend, daß eine Art, die Celebes nur mit einer Nachbarmsel gemein hat, eine ehemalige Landverbindung voraussetzt, gelangen sie zu dem Postulat von 4 Landbrücken als Einwanderungswegen der celebesischen Fauna: einer Javabrücke, einer Philippinen-, Molukken- und Floresbrücke; auf diesen 4 Wegen ist im Pliocän nach P. und F. Sara sin die Fauna in das geologisch junge, erst seit der Miocänzeit aus dem Meer aufgetauchte Celebes eingewandert; diese Resultate erhalten durch die auffallende Uebereinstimmung der grundlegenden Verbrei- ' tungstatsachen besonders bei MoUusken, Rep- tilien, Amphibien und Vögeln einen hohen Grad von Wahrscheinlichkeit. Die Straße von Makassar erwies sich dabei als eine uralte Scheidelinie: es gibt kein Tier, das Celebes mit Borneo allein gememsam hat, das also eine Ueberbrückung dieser Straße fordern würde. 2b) Genetische Elemente. Genetische Elemente eines Gebietes bestehen aus den- jenigen Arten seiner Flora, welche gleiche Heimat, gleiche Herkunft haben. Es sollen also mit der Erforschung der genetischen Elemente „aus den inorpliologischen und geo- graphischen Verbindungen, welche die heutige Flora eines Gebietes mit den übrigen Floren der Erde besitzt, die Stämme aufgedeckt werden, aus denen ihre Bestandteile hervorgegangen sind (Di eis 1910)". Es werden also hier die Arten als Teile eines Stammbaums ver- folgt. Das kann natürlich nur auf Grund eingehender Monographien geschehen. Der einzige derartige bis jetzt vorliegende Ver- such ist derjenige von Diels idjer ,, Gene- tische Elemente in der Alpenflora". Er gibt folgende Uebersicht: j A. Autochthone Flora, der alpmen Tertiär- vegetation entsprechend. I I. Arktotertiärer Stamm: schon im jüngeren Tertiär in den Alpen vorhanden, oberhalb der Gehölzzonen tropischen oder sub- tropischen Wesens; sie bilden ein vorherrschendes Element der Alpenflora bis zur Gegenwart. 1. Borealer Zweig: Aus der holarktischen Flora nördlich der eurasiatischen Faltengebhge, i im westlichen Asien und in Nordamerika ent- wickelten sich selbständige Oreophyten in den i einzelnen Gebhgen. Für die Alpen haben wir 3 Fälle. a) Die Alpen besitzen von der Stammflora noch gewisse Vertreter, aber keine oder wenige Oreophyten; die letzteren sind zahlreicher in Hochasien(Aconitum,Delphinium, Swertia, Wulfenia). b) Die Alpen besitzen von der Stammflora kerne oder wenige Vertreter, aber zahlreiche Oreophyten; die Stammflora ist oft besser erhalten in Ostasien und Nordamerika. Die 938 Geographie der Pflanzen (Genetische Pflanzengeograpliie) Oreophyten sind zahlreich auch im östlichen Hochasien: eine der wichtigsten Gruppen: Aquilegia, Saxifraga, zum Teil Gentiana, Primulinae, Pedicularis. c) Die Alpen und alle übrigen Länder besitzen nur Oreophyten: Carex, Gruppe der Ferru- gineae. 2. Meridionaler Zweig: Aus weiter ver- breiteten Gattungen der genetisch ungleich- mäßigen Flora, die im jüngeren Tertiär südwärts der Alpen wohnte, entwickelten sich in den Alpen Oreophyten, andere auf den übrigen Hoch- gebirgen. Aber die alpinen Arten gehören zu mediterranen Verwandtschaften: Saxifraga zum Teil, Geranium,Valerianaceen, Silene, viele Cruciferen. IL Mediterraner Stamm: Von derselben südlichen Flora entnahmen die Alpen auch Oreophyten aus genetisch anders gearteten Gattungen. Diese fehlen den übrigen Hoch- gebhgen der Holarktis, sind aber reich vertreten im Mediterrangebiet und stehen mitunter zu afrikanischen Formenkreisen in Beziehung (eine sehr wichtige Gruppe der Alpenflora). Campanula, Phyteuma, Achillea, Heli- anthemum, Anthyllis, Semper- vivum, Globularia, Horminum, Erinus — fraglich Alchimilla. B. Quartäre Zugänge. Im Quartär flössen eleu Alpen noch einige Ele- mente zu, genetisch meist gleichfalls dem arkto- tertiären oder dem mediterranen Stamm ang- ehörend, sich der Alpenflora aber von allen vorigen Gruppen durch ihre Heterochtonie unterscheidend. 1. Arktisches Element. 2. Sibirisches Element: Anemone narcissiflora, Saussurea pygmaea, Aster alpinus, Leontopodium. 3. Aquilonai-e Elemente: vielleicht Erica carnea, Globularia cordifolia, Biscutella laevigata. 2c) Historische Elemente. 'Histo- rische Elemente (Jerosch) eines Floren- gebietes sind diejenigen Arten, welche im gleichen Zeitraum der Florengeschichte im Gebiet entstanden oder eingewandert sind. Man könnte sie auch, in Anlehnung an die ,, Tierschichten" der Zoogeographie, als „Florenscliichten" bezeichnen, den Schichten der Erdrinde entsprechend. In der Alpenflora hat der enormen Kom- plikation der Florenverschiebungen wegen noch niemand versucht, diese Elemente systematisch herauszuschälen. Die klas- sischen Länder für die Eruierung historischer Elemente sind Fennoskandia und Dänemark: hier ist die Flora rein postglazial einge- wandert, da in der letzten Eiszeit nach Andersson und den meisten anderen Forschern ,, keine einzige höhere Pflanze in Fennoskandia lebte", und nach Warming die Eiszeit ,,den absoluten Nullpunkt der Flora" bedeutet; die zahlreichen meist geologisch sicher datierbaren Quartärab- lagerungen lassen die Sukzession der Ai'ten- einwanderung in den meisten Fällen ein- deutig konstatieren. Wir haben schon oben die verschiedenen Perioden genannt und auch die Differenzen hervorgehoben, die in bezug auf die vermutlichen Ivlimaänderungen unter den skandinavischen Forschern herrschten. Eine Untergruppierung der historischen Elemente nach dem Einwanderungs weg (in ,, Einwanderungselemente", siehe im vorher- gehenden Artikel „Florenreiche" S. 786) liegt ebenfalls firr die schwedische Flora vor: in ,, südwestliche" Einwanderer, über Däne- mark gekommen, und in östliche Einwanderer. A. Schulz hat für die postglaziale Ge- schichte der mitteleuropäischen Flora auf Grund der von ihm mit besonderer Sorgfalt ermittelten gegenwärtigen Verbreitung vier ,, historische" oder ,,Einwanderungseleniente" unterschieden, deren jedes in einer kühleren oder wärmeren besonderen Periode einge- wandert sein soll. II. Das Alter der Floren. I Definition. Wir verstehen unter dem Alter einer Flora die Zeit, innerhalb welcher * sie ilnre jetzige Zusammensetzung ungestört erreicht hat. Für Festländer also die Zeit, seitdem das Land zum letzten Male frisch zu besiedeln war oder seit der letzten Klima- : änderung. Denn das Alter der Flora braucht durchaus nicht mit dem geologischen Alter des Landes übereinzustimmen: Skandinavien ist ein uraltes Festland, aber seine Flora ist postglazial eingewandert, also, geologisch gesprochen, eine junge. Das Alter einer Flora braucht auch nicht mit dem Alter seiner Konstituenten übereinzustimmen: die ganz junge Flora von Krakatau besteht zum Teil aus uralten Tropentypen. Die allerälteste Flora der Erde ist zweifellos diejenige der konstanten Ozeanbecken, auf dem Festland vielleicht diejenige der tro- pischen Anteile des alten Festlandes, soweit sie nicht einmal durch Wüstennatur verarmte, wie das z. B. Christ vom tropischen Afrika annimmt. In den von glazialen Verwüstungen heimgesuchten extratropischen Ländern ge hören die überdauernden Oreophytenfloren zu den ältesten, wohl auch ein Teil der arktischen. Altersbestimmung. Folgende, mit dem Alter der Flora zusammenhängende sonstige Eigenschaften derselben können zur Altersbestimnumg verwendet werden : I. Oekologische Ausgeglichenheit der Flora. Je älter eine Flora, desto mehr befinden sich ihre Elemente im ökologischen Gleichgewicht, haben durch Konkurrenz und den Erosionszyklus ihre Grenzen erreicht, bilden ,, stabile" Formationen, zeigen Kon- stanz in ihrer Verbreitung bei voller Lebens- fähigkeit und harmonischer Anpassung an die Umgebung und verwischen die Spuren ihrer Einwanderungsgeschichte. Unvollendete Wanderungen, wie sie für Buche und Fichte Geograpliio der Pflanzen (Grenetische PflanzongeograjDliie) 939 für Skandinavien angenommen werden, zeugen für das junge Alter. Auch Relikte sind unausgeglichene "Wanderreste, und ebenso Pflanzen mit mangelnder Insekten- anpassung. 2. Der Endemismus. Jede Art wird für das Gebiet, in dem sie spontan allein vor- kommt, als endemisch bezeichnet; je kleiner das Gebiet, desto bedeutungsvoller der Endemismus, er ist ein Hauptmittel zur Cha- rakterisierung der Florengebiete, denn es ist einleuchtend," daß die einem Gebiet allein angehörigen Arten für dasselbe besonders bezeichnend sind. Endemisch ist nicht gleich- bedeutend mit autochthon, es kann auch eine eingewanderte Art schließlich nur in einem ihrer Einwanderungsgebiete erhalten bleiben. Es wird unterschieden nach dem Alter : 2a) Konservativer Endemismus, auf der Erhaltung alter Arten in einem Reste ihres Areals beruhend; das Areal ist ein Relikt, das Erhaltungs-, nicht ein Erzeugungsgebiet der betreffenden Form: Klassische Beispiele dafür sind Ginokg bi- loba, Taxodium distichum, Sequoia gigantea und sempervirens usw. (s. oben). Auch die Alpenflora bietet eine ganze Reihe solcher Reliktendemismen. Allgemein muß an den selbstverständlichen Grundsatz erinnert werden, daß die Sippe um so älter ist, je höher ihr Rang, und je isolierter ebenfalls. Eine Flora mit Gattungsendemis- mus ist älter als eine solche mit nur spezi- fischem Endemismus. 2b) Progressiver Endemismus, be- ruhend auf der Erzeugung neuer vollkommen autochthoner Formen, die als neue sich durch die Bildung kohärenter Formenschwärme er- weisen. Die Beziehungen dieser Endemismen zum Alter der Flora sind sehr kompliziert und wechselnd, und durch die Einwanderungs- bedingungen (Isoliertheit!) modifiziert. Wir können hier etwa folgendes aussagen: Reicher konservativer Endemismus durch das Vorkommen zahlreicher mono- typischer Gattungen unter den Endemismen deutet auf hohes Alter der Flora und geringe Bildung von Neuland (Japan mit 89%, Ceylon mit 86%, Neu-Seeland mit 79% monotypischer Gattungen unter den endemi- schen Gattungen). Reicher progressiver Endemismus wird durch reiche klimatische Abstufung (Diels) und durch Bildung von Neuland begünstigt (Engler). Diels hat für Floren mit fein abgestuften Uebergängen von feuchtem zu trockenem Klima den Ausdruck „Ueber- gangsfloren" geschaffen und rechnet dazu die durch hohe Eigentümlichkeit der Flora und durch Isolierung ausgezeichneten Gebiete des Kap, des westlichen Asien, Kalifornien und vor allem Westaustralien (80% Ende- men). Alle diese Floren sind alt: dafür spricht die erstaunlich feine Anpassung. Engler betont vor allem die Ausbrei- tungsmöglichkeit im trockenen Neuland, welches die Konkurrenz beschränkt und zählt als Gebiete reichen progressiven Ende- mismus die Steppen Spaniens und Zentral- asiens, die Prärien Nordamerikas, die Cam- pos des inneren Brasiliens, aber auch trockene Gebirgsländer auf (Armenien, Persien, Kap- land, westliches Nordamerika, Hochland von Mexiko, chilenische Anden). ; Die Gebirgsfloren als alte Floren sind reich an konservativen Endemismen (s.oben); als Gebiete abgestufter klimatischer Gliede- rung sind sie reich an progressivem Ende- [ mismus, besonders durch Bildung vikari- sierender Artenpaare auf kalkarmem und kalkreichem Boden desselben Gebietes, und aus derselben Grundform in verschiedenen Untergebieten. Nur junge Gebirge entbehren des Endemismus. I Die Inseln sind durch ihre"5Isolierung j besonders günstige Gebiete für Endemismus. Auch hier ist die Beziehung zum Alter klar! Junge vulkanische, oder als Atolle aufge- tauchte, oder nach Vernichtung ihrer Vege- tation frisch besiedelte Inseln (Krakatau) oder erst relativ spät vom Festland getrennte I Inseln (Großbritannien) haben keine Ende- I mismen. Sie verhalten sich analog wie Fest- laudsteile, in welchen die Flora durch die I Eiszeit vernichtet wurde und nachher wieder j einwandern mußte (z. B. Skandinavien). Solche Gebiete zeigen, welche enorm langen Zeiträume zur Entstehung neuer Arten not- wendig sind. Alte Inseln dagegen, seien es nun ,, kontinentale" („Restinseln", früheres Festland!) oder „ozeanische" (,, echte" Inseln), sind reich an Endemismen, sowohl an kon- servativen, wie an progressiven (Makarone- sien, Madagaskar, St. Helena, Galapagos, Sandwichinseln). Hemsley (1885) teilt die Inseln ^nach ihrem Endemismus in 3 (Alters-) Klassen: 1. Mit reichem Endemismus und eigentümlichen Gattungen, die oft ohne jede Beziehung zu irgendeinem Kontinent zu sein scheinen. 2. Mit schwachem Endemismus, meist nur endemische Arten, deren Beziehungen zu kon- tinentalen leicht ersichtlich sind. 3. Ohne En- demismus (zu 1 gehören: St. Helena, Juan Fernandez, Sandwichinseln, Galapagos und Seychellen, zu 2: Bermudas, Azoren, Ascen- sion, südlich-pazifische Inseln z. B. die Admi- j ralitätsinseln, zu 3: alle Atolle (Keeling usw.). 1 ^~~ Bei der Beurteilung des Alters ende- i mischer Gattungen sind auch ihre syste- matischen Beziehungen zu den übrigen Gat- I tungen desselben Gebietes vor Bedeutung. Diels gliedert danach die 85 endemischen ! Gattungen Westaustraliens in 3 Gruppen: 940 Geographie der Pflanzen (Cxenetische Püanzengeograpliie) 1. Endemismen erster Ordnung, ohne er- 1 kennbareu Anschhiß an andere (teils Mono- \ tvpen, teils artenreich, letztere also als Gat- 1 timgen zum konservativen, in ihrer Art- bildung aber zum progressiven Endemismus o-ehörig; Rikli nennt solche alte Ende- niiten „aktiv"). 2. Endemische Gattungen mit erkennbarem Anschluß und 3. solche mit un- mittelbarem Anschluß an panaustralische Gattungen. Die bisher besprochenen Formen des Endemismus sind absolute, d. h. sie beziehen sich auf die Sippe selbst. Engler unter- scheidet noch einen zur Charakterisierung nebeneinander gelegener Gebiete verwendeten Endemismus, den „relativen" Endemismus, welcher sich dadurch äußert , daß ein Bezirk vor seinen Nachbarbezirken desselben o-rößeren Gebietes Arten voraus hat, die lonst nur aus anderen Gebieten bekaimt sind- so z. B. kommen im ganzen Alpengebiet Gen'tiana frigida und Saxifraga hie- racifolia nur in den norischen Alpen vor, während sie sonst noch m den Karpathen häufig sind. Sie sind also nicht absolut en- demisch in den norischen Alpen, sondern nur in Beziehung zu deren Kachbargebieten. 3. Die Beziehungen zu den Faunen. Analoge Verbreitung läßt auf gleiche^ Ge- schicke schließen: So parallehsiert Diels z. B. die Einwanderung nordamerikanischer Tiere nach Südamerika über die im oberen Miocän erst entstandene Brücke mit der Einwanderung der Gattungen Ribes Hydrangea, Quercus, Monotropa nach den Gebirgen Südamerikas. Die Invasion Afrikas durch asiatische Säugetiere im Pliocän (Antilopen!) besitzt nach Di eis em \nalogon in den Wanderungen der Gattuiig Rhus; Engler läßt um diese Zeit und inj der darauf folgenden „Pluvialzeit" auch die Großzahl der afrikanischen Oreophyten aus 1 dem Osten einwandern. Andererseits lassen | sich vielfach die Verschiedenheiten im Floren- i und Faunencharakter auf verschiedenes Alter | und dadurch bedingte verschiedene Wände- 1 rungsmöglichkeiten zurückführen: so hat 1 die indomalesische Flora bis weit nach Ost- australien und Melanesien einen einheitlichen Grundstock, der auf ihre Ausgleichung m jener älteren Periode hinweist, da dieses ganze Gebiet zusammenhing, und damit ihr hohes Alter beweist. Die Säugetierfauna dagegen zeigt östlich und westlich der Makassarstraße bedeutende Unterschiede, da zur Zeit ihrer Einwanderung die Brücke nicht mehr be- stand. Es erscheint als eine dankbare Aufgabe, einmal diesen Analogien und Differenzen in der pflanzlichen und tierischen Epiontologie svstematisch nachzugehen; in dem großen zoologischen Werk von Arldt sind die Pflanzen nur gestreift. III. Allgemeine Ergebnisse. Durch die überraschenden Ergebnisse der Forschungen über die Nordpolarflora war unter Heers Einfluß die Idee einer „monobo- realen" Entstehung der Organismenwelt herrschend geworden: der Nordpol als der erste Schauplatz klimatischen Neulandes 1 durch die allmähliche Abkühlung der Erde ist ' der einzige Entstehungsherd neuer Floren (und ' Faunen), die sich von ihm aus in sukzessiven 1 Wellen nach Süden ergossen; im Jura, im Tertiär, im Glazial. Demgegenüber stellte iBall die Hypothese einer „mono-orealen Entstehung der Flora auf, die Gebirge (als die I frühesten „Kühlstellen") als Entstehungs- zentren der Floren supponierend. Beides hat sich als eine Uebertreibung tatsächlicher Verhältnisse herausgestellt. Dem Nordpol 1 wurde sukzessive sein Monopol entzogen und [die Pluralität der Entstehungszentreu im steigenden Maße nachgewiesen: für- die Flora der Holarktis enthüllte sich Hochasien mehr 1 und mehr als ein unerschöpflicher Floren- quell, und die Rolle der Arktis im engeren 1 Sinne wird als diejenige einer sekundären 1 Vermittlerin mehr und mehr erkannt : im Tertiär für zentralasiatische Typen, im Glazial für altaische. Die Natur der Arktis als Ausgangspunkt von Stämmen bleibt noch I näher festzusetzen. Für die Südhemisphäre Gewinnt die Hypothese eines vermittelnden I Südkontinents durch die neuesten paläonto- logischen Funde eine wertvolle Stütze, und 'die Nachweise „australer" Gattungen, die umgekehrt die boreale Flora bereichert I haben, mehren sich (Drosera!). I So erscheinen die im Laufe der Erdge- ' schichte sich folgenden Floren als sukzessive Querschnitte durch die mannigfaltig ver- ' schlungenen Aeste zahlloser Stammbäume, deren Wurzeln auf der ganzen Erde verstreut isind, immerhin mit Bevorzugung einzelner I besonders begünstigter Nährgebiete. Und die Grenzen der Florengebiete erweisen sich als schwankend; durch starke geophysi- kalische Aenderungen der Wanderungs- und Austauschmöglichkeiten im Laufe der Erd- Igeschichte greifen die „Florenschichten mannigfach übereinander. Dazu kommt i im Detail des Vegetationsbildes der ständige Fluß des Geschehens in biotischen und topo- 1 o-raphischen Sukzessionen, im Entstehen und in der Besiedelung von sprungweise er- 1 oberbarem Neuland. Dieser dynamisch- i polyzentrischen Auffassung der Florenent- i Wicklung erscheinen die weitreichenden Be- ziehungen der einzelnen Gebiete wichtiger ' als die doch stets willklnlichen Grenzen der Florem-eiche; sie ist überzeugt, daß jedes noch so kleine Gebiet seine eigene Geschichte hat. I Inwieweit Polverschiebungen durch I Klimaänderung in die Florengeschichte ein- GreogTa])hie der Pflanzen (Genetisclie Pflanzengeographie) 041 gegriffen haben, ist eine noch wenig abgeldärte j Frage, lieber die von Neumayr nnd Nat-| hörst verteidigte Polverschiebung im Miocän zur Erklärung der subtropischen arktischen Miocänflorenreiche wird an anderer Stelle be- richtet (Bd. VII dieses Werkes S. 459 bis 460). Neuerdings (1907) hat H. Simroth, auf Rei bisch gestützt, in umfangreichen Scluriften die Pendulationstheorie als eine einheitliche Hypothese zur Erklärung geologischer, geophysikalischer und bio- geographischer Tatsachen zu begründen ge- sucht.^) Sie nimmt an, daß neben der Ro- tationsachse noch eine Pendulationsachse besteht, deren Pole am Aequator in Ecuador und Sumatra liegen. Um diese Achse pendelt die Erde mit Ausschlägen von 10 bis 40"'; die Ausschläge entsprechen den geologischen Perioden, der „Schwingungskreis", d. h. derjenige Meridian, der von den beiden Schwingungspolen gleich weit entfernt ist, ist der Meridian 10*' 0. L. v. Green wich; er geht durch Europa und Nordafrika. i\.uf diesem Kreis wandern also die Pole langsam hin und her; Europa soll sich während des Paläozoikums dem Pol genähert haben, ebenso im Tertiär, im Mesozoikum und Quar- tär fand und findet eine südwärts gerichtete Verschiebung statt. Diese Verschiebung der Rotationsachse bedingt zunächst eine Ver- schiebung von Land und Meer: Die Geoid- form (Aequatioralachse 40 km länger als Polarachse) wird nur vom Meer angenommen, das Land ist zu starr; da nun die Aequa- torialhebung der Meere mit der Polverschie- bung wandert, so muß jeder Punkt der Erde bei Annäherung an den Pol aus dem Meer auftauchen, umgekehrt bei Annäherung an den Aequator untertauchen. Für die Or- ganismenwelt hat die Pendulation folgende Resultate : Sie bedingt klimatische Aenderungen, am stärksten auf dem Schwingungskreis, am geringsten an den Rotationspolen. Die Gegenden des Schwingungskreises, nament- lich Europa und Nordafrika sollen deshalb die Hauptentstehungszentren neuer Formen sein. Von dort aus mußten die Organismen, um in gleichen Ivlimaten zu bleiben, nach Osten und Westen ausweichen: so erklärt Simroth die disjunkte Verbreitung vieler Gruppen (z. B. sind Japan und Kalifornien solche symmetrische Punkte). Bei äquatorialer Verschiebung wandert der Organismus in das Gebirge und eventuell, wenn das Gebirge den Aequator kreuzt, jenseits wieder in die Ebene hinab: so erklärt Simroth die meridiale Symmetrie (Analogien zwischen Kalifornien und Chile z. B.). 1) Siehe die Kritik derselben von Arldt in Gerlands Beiträgen zur Geophysik, Bd. lo (1910). Simroth zieht namentlich zoogeogra- phische Tatsachen und die Geschichte des Menschengeschlechts als Beweise für die Rich- tigkeit seiner kühnen und durch ihre Einheit- lichkeit bestechenden Theorie herbei. Die pflanzliche Epiontologie läßt sich nicht damit in Einklang bringen: die zahlreichen australen Sippen, die Rolle des Südkontinents und namentlich Zentralasiens als Entstehungs- zentren lassen sich nicht mit der Simroth- schen Hypothese vereinigen, nach welcher Europa und Nordafrika die einzigen Ent- stehungszentren gewesen sein sollen. Und ebensowenig lassen sich alle Beispiele dis- junkter Verbreitung in das Schema meri- dialer oder transversal symmetrischer Punkte zwingen. Literatur. K. L. WiUdenow, Grundriß der Kräuterkunde. Berlin. 1. Aufl. 1792 ; 5. Aufl. 1808; 6. und 7. Aufl. v. Link 1821 und 1831. — jB. Brown, Allgemeine geogrcqMsche und systematische Bemerkungen über die Flora Australiens. Vei-mischte botanische Schriften Bd. I, Nürnberg 1825. — J. B. HooTcer, The botany of the antarctic voyage of H. 31. ships Erebus and Terror. I. Flora antarctica I844 bis I847. IL Flora Novae Zelandiae 183S — 1855. ILL. Flora Tasmaniae 1860 (hier der berühmte ,,hitroductory essay" über die Pflanzengeographie Australiens und Neuseelands). — Verseihe, On Lnsular Floras. British Association 1866. — W. B. Hemsley, Report on the scientiflc results of the voyage of H. M. Challenger dunng the years 1873—1876. Botany vol. L 1885. — Fr. Unger, Versuch einer Geschichte der Pflanzenwelt. Wien 1852. — A. De Candolle, Geograjyhie botanique raisonnee. 2 Bde., Paris 1855. — A. Engler, Versuch einer Ent- tvicklungsgeschichte der Pflanzenwelt, insbesondere der Florenreiche seit der Tertiärperiode. Leipzig 1879 — 1882. — O. Heer, Flora tertiaria Helvetiae. Winterthur 1855 — 1859. — Derselbe, Florafossilis arctica. Zürich und Winterthur 1S68—1S83. — O. Drude, Handbuch der Pflanzengeograpkie. Stuttgart 1890. — ^Ad. Engler, Die Entwicklung der Pflamengeographie in den letzten hundert Jahren und weitere Aufgaben derselben. Humboldt- Centennar- Schrift der Gesellschaft für Erdkunde, Berlin 1899. — »Derselbe, lieber die neueren Fortschritte der Pflanzengeographie (seit 1899). Englers Jahrbücher Bd. 20, Lit.-Ber. 1902. — *J/. Graf V. Solfns-Laiibach, Die leitenden Gesichtsjyunkte der allgemeinen Pflanzengeo- graphie. Leipzig 1905. — CJi. Flahanlt, Les jyrogres de la geographie botanique depuis I884. Progr. rei bot. Vol. I Jena 1907 — H. Simroth, Die Pendulationstheorie. Leipzig 1907. — Ludiv. Diels, Pflanzengeographie. Sammlung Göschen 1908. — Derselbe, Genetische Elemente in der Flora der Alpen. Englers botanische Jahrbücher Bd. 44, Beiblatt Nr. loz, Leipzig 1910. — ■^Marie Jerosch, Geschichte und Herkunft der Schweizerischen Alpenflora. Leipzig 1903. — G. Anderson, Die Geschichte der Vegetation Schwedens. Englers botanische Jahrbücher 22, 1897. — H. Christ, Die Geographie der Farne. Jena 1910. — J. Briquet, Recherches sur la Flore des montaqncs de la Corse et ses origines. 942 Geograpliie der Pflanzen (Genetische Pflanzengeograpliie) — Geologische Karten Annuaire du Conservatoire et du jardin botanique de Geneve 1901. — E. Warming, Den Danske Planteverdens Historie ejter Istiden. Kopen- hagen 1904. — P. Graebner, Die Entwick- lung der deutschen Flora. Leipzig 1912. — Für die Florengeschichte wichtige Arbeiten finden sich ferner in: Verhandhingen des internatio- nalen Botaniker-Kongresses. Wien 1905, Jena 1906; — Verhandhingen des internationalen Geologenkongresses. Stockholm 1910. — Engler und Drude, Die Vegetation der Erde. Samm- lung pflamengeographischer Monographien. Leipzig, Bd. i — 13. — A. Engler, Das Pflanzenreich. Regnivegetabilis conspectus. Samm- lung systematischer Monographien. Berlin 1900 ff. C. Scliröter, Geologie. Geologie ist die Wissenschaft von der Geschichte der Erde und ihrer Tier- und Pflanzenwelt, also von der Entwickelung der unbelebten und belebten Natur, ferner vom Material und Bau der festen Erdkruste (Lithosphäre), deren Gesteine die Urkunden für die Erdgeschichte darstellen, sowie von den Kräften, die den Verlauf der Entwicke- lung bestimmt haben und noch bestimmen. Infolge der fortschreitenden Arbeitsteilung in der AVissenschaft überläßt die Geologie ihren physiographischen Zweig, der die Erde als Himmelskörper, ihre allgemeinen physikalischen Eigenschaften, ihre Ober- flächenbeschaffenheit, Hydro- und Atmo- sphäre betrachtet, mehr der Astronomie, Geophysik, Geographie, Ozeanographie und Meteorologie. Die Petrographie (Gesteins- kunde) ist ebenso wie die Paläontologie (Ver- steinerungskunde) mehr und mehr eine selbständige Wissenschaft geworden. Das eigentliche Gebiet der Geologie bilden heute die dynamische Geologie (Lelu'e vom Vulkanismus, von der Gebirgsbildung, den Erdbeben, der Tätigkeit des Wassers, Eises, Windes und der gesteinsbildenden Organis- men), die tektoni sehe Geologie (Lehre vom Schichtenbau) und die Stratigraphie (Schicht- oder Formationskunde), ferner die Paläogeographie (Gestaltung der Erdober- fläche in früheren geologischen Perioden), Paläoklimatologie und Geomorpho- logie (Lehre von der Gestaltung und Ent- wickelung der Oberflächenformen) und end- lich die zusammenfassende historische Geo- logie (Erdgeschichte). Dieser und der Stratigraphie stellt man wohl die petrogra- phische, dynamische, tektonische und physio- graphische Geologie als allgemeine Geologie gegenüber. Eine dritte Abteilung ist dann die regionale oder topographische Geologie, die geographische Beschreibung der einzelnen Weltteile und Länder. Außer der Palä- ontologie und Petrographie sind wichtige HiHswissenschaften der Geologie: Minera- logie, Chemie, Physik, physikalische Chemie, Zoologie, Botanik, Geophysik, Ozeano- graphie. Die Geographie ist eine Schwester- wissenschaft der Geologie und weist zahl- reiche Berührungspunkte und gemeinsame Grenzgebiete (Geomorphologie, regionale Geologie) mit ihr auf. Die Bedeutung der Geologie liegt nicht nur auf wissenschaftlichem Gebiet, auf dem sie ihrerseits der Mineralogie, Petro- graphie, Geophysik, Geographie, Paläonto- logie und Entwickelungslehre unentbehr- lich ist, sondern auch auf dem praktischen, insofern als sie sich mit dem Vorkommen der nutzbaren Mineralien und Gesteine, des Quellwassers usw. beschäftigt und die Grund- lage für die landwirtschaftliche Bodenkunde bildet Daher dienen ihrer Pflege nicht nur die geologischen Institute der Hochschulen, sondern auch die in fast allen Kulturländern bestehenden geologischen Landesanstalten. Literatur. H. Credner, Elemente der Geologie, 10. Aufl., 1912. — Handbuch der regionalen Geologie, herausgegeben von G. Steinmann und 0. Wilckens , seit 1910. — E. Haug, Traite de Geologie, WOVjll. — E. Kayser, Lehrbuch der Geologie, 2 Bde., 4. Aufl., 1911J12. — K. Keilhack, Lehrbuch der praktischen Geologie, 190S. — E. Sttess, Das Antlitz der Erde, S Bde., 1883J1909. — K. v. Zittel, Ge- schichte der Geologie, 1899. — Geologische Bund- schau (Leipzig). — Geologische und paläonto- logische Abhandlungen (Jena). — Geologisches Zentralblatt (Berlin). — Neues Jahrbuch für Mineralogie, Geologie tmd Paläontologie (Stutt- gart). — ■ Gesellschaftszeitschriften und Ver- öffentiichiingen der Landesanstalten. O. Wilckens. Geologische Karten. A. Allgemeiner Teil. 1. Begriff. 2. Auf- gabe. 3. Bezeichnung. Geognosie und Geo- logie. 4. Geschichtliche Entwickelung. 5. Geo- logische Karten und Bergbau. 6. Geologische Landesanstalten. 7. Die neueren Landesauf- nahmen. 8. Uebertreibung in der Darstellung. 9. Farbige Darstellung. 10. Farbenerklärung. Legende. 11. Besondere Symbole. 12. Spezial- und Uebersichtskarten. 13. Agrogeologische Karten. B. Spezieller Teil. Die geologischen Landesaufnahmen der einzelnen Kulturstaaten. A. Allgemeiner Teil. I. Begriff. Eine geologische Karte ist die Darstellung des geologischen Auf- baues irgendeines Teiles der Erdrinde in Horizontalprojektion im Kahmen irgend' einer topographischen Unterlage; sie entsteht aus Einzelbeobachtungen und deren logischer Verknüpfung, beruht auf wissenschaftlicher Geologische Karten 943 Erfahrung und bringt gewissermaßen die Summe, den jeweiligen Stand dieser wissen- schaftlichen Erfahrung für das dargestellte Gebiet in präziser und klarer Form graphisch zum Ausdruck. So ist die geologische Karto- graphie aufs engste mit der Entwickelung der geologischen Wissenschaft verbunden. 2. Aufgabe. In ihrer vollendetsten Form der neuzeitlichen Spezialkarte soU die geo- logische Karte Auskunft geben über geo- logisches Alter, stoffliche Beschaffenheit, Entstehung, räumliche Lagerung und Ver- breitung der jeweils zur Darstellung ge- brachten Bildungen, auch über die Bezie- hungen zwischen Terrain und geologischem Aufbau, über Form und Inhalt der Erd- oberfläche; sie soll endlich, seitdem die Geologie hervorragend in den Dienst des praktischen Lebens getreten ist, alle mög- lichen technischen Fragen aus dem Gebiete der Wasserversorgung, Gesteinsverwertung, der Bodenkultur für Land- und Forstwirt- schaft usw. beantworten helfen. In früherer Zeit ließen die geologischen Karten gemäß dem unentwickelten Zustande der Wissenschaft naturgemäß vielerlei zu W'ünschen übrig. Idealisierung und Kon- struktion spielten beim Entwerfen des Kartenbildes oftmals eine große RoUe. Mit Vorliebe zeichnete man sogenannte ab- gedeckte Karten, d. h. man ließ einer gewissen abgerundeten glatten Darstellung zu Liebe jüngere und jüngste Formationen als eine das geologische Bild des älteren Gebirgs- grundes störende, lästige Decke einfach weg. Die moderne geologische Kartierung verfolgt wesentlich andere Grundsätze für die Dar- stellung; sie betont, um zu einem objektiven Bilde zu gelangen, die gleichmäßige Berück- sichtigung aUer geologischen Bildungen, auch der jüngsten und strebt die Herstellung von wirklichen Speziallvarten an. Der glänzende Aufschwung, den die Geologie in den letzten 3 bis 4 Jahrzehnten genommen hat und ihr steigender Einfluß auf die geistige und materielle Kultur der Menschheit haben sehr viel zu einer bedeutenden Vervollkommnung der geologischen Karten beigetragen. Von jeher hat sich die geologische Karto- graphie in Deutschland einer besonderen Pflege erfreut, sie ist überhaupt auf deut- schem Boden erwachsen, wie sich auch die erste Zusammenfassung der Geologie als Wissenschaft in Deutschland vollzogen hat. 3. Bezeichnung. Geognosie und Geo- logie. Früher teilte man die erdgeschicht- liche Wissenschaft in zwei große Abschnitte, unterschied zwischen Geognosie und Geo- logie und bezeichnete mit Vorliebe die kartographischen Darstellungen als geo- gnostische. Diese Scheidung war zu einer Zeit berechtigt, als man noch der Spekulation in der Wissenschaft einen großen Raum j gewährte, als nochphantastischeVorstellungen über selbst die einfachsten Vorgänge vielfach eine große Rolle spielten, so daß es zweck- mäßig schien, das tatsächlich Erkannte, die Geognosie, von der Theorie, der Geologie, ! zu trennen. Die Geognosie sollte der Geologie i das Material zu ihrem Ideengebäude liefern. Doch hat sich die Fortführung dieser Doppel- bezeichnung auf die Dauer als unhaltbar er- wiesen und wenn sich, wie bemerkt, heute noch die Bezeichnung „geognostisch" vielfach für die Karten erhalten hat, geschieht das wohl in der Voraussetzung, daß diese in erster Linie auf reiner Erkenntnis und Beobach- tung beruhen sollten. Genau genommen trifft aber diese Voraussetzung selbst bei den objek- tivsten, den neuen Spezialkarten, nicht voll- kommen zu und bei den älteren, im kleineren Maßstab ausgeführten Karten noch weniger, denn alle Karten können als integrierende Bestandteile der unausgesetzt sich ent- wickelnden geologischen Wissenschaft theo- retischer Vorstellungen nicht entbehren und bringen diese mehr oder weniger, init oder gegen den Willen des Verfassers zum Aus- druck, manche der neuesten Karten oft in hohem Grade, man denke nur an die neueren Alpenkarten, die tatsächlich mehr „geolo- gische" als ,,geognostische" Karten sind. So legt man mit Recht heute keinen Wert mehr auf die gesonderte Beibehaltung der beiden Bezeichnungen, man verwendet sie als gleichbedeutend, doch hat sich der Sprachgebrauch mehr für ,, Geologie" und ,, geologisch" entschieden. Diesem folgend soll auch hier immer, Zitate ausgenommen, von ,, geologischen" Karten die Rede sein. 4. Geschichtliche Entwickelung. Die ersten Anfänge kartographischer Darstellung aus vor-Wernerscher Zeit sind noch nicht als geologische Karten im engeren Sinne zu bezeichnen, es sind mehr nur Mineralkarten, d. h. Einzelangaben von Mineralvorkommen. Aber wie die Mineralogie, d. h. die Kenntnis vom Stoff der Erdrinde, der Geologie, der allgemeinen Erdkunde, vorangehen mußte, so sind auch jene ersten Versuche als die Vorläufer der geologischen Karten anzusehen. Schon im Jahre 1545 schuf der Knapp- schaftsarzt Georg Agricola von Joachims- tal in dem erst heute wieder durch die Radiumfabrikation aus Uranpechblende be- rühmt gewordenen erzgebirgischen Berg- städtchen mit dem in einem klassischen Latein geschriebenen Werke: „De natura fossilium" die erste wissenschaftliche Mineral- kunde, aber erst nach 250 Jahren wird G. A. Werner, der Lehrer für Mineralogie und Bergbaukunde an der Bergschule in Freiberg, ebenfalls auf erzgebirgischem Boden, der Begründer der geologischen Wissenschaft. Zweieinhalb Jahrhunderte werden ausgefüllt mit fruchtlosen Streitigkeiten; Fragen über 944 Geologische Kai-ten das Wesen der Versteinerungen und den Einfluß der biblischen Sintflut auf die Bil- dung der Sedimentformationen stehen im Vordergrund des Interesses. Werner sichtet zum ersten Male, auf seine unmittelbaren Beobachtungen in der Natur gestützt, kritisch das Tatsachenmaterial, er schafft klare Definitionen, die zum Teil heute noch mustergültig sind und trennt zum ersten Male von der Mineralogie einen neuen Wissens- zweig, die Geognosie, ab. Er führt den Formationsbegriff ein, den Cuvier etwa ein Jahrzehnt später paläontologisch begrün- det, und lehrt die aufbauende und zerstörende Tätigkeit des Wassers auf der Erde kennen, unterschätzt dagegen ganz und gar die Be- deutung des Vulkanismus, den er auf die heute tätigen Vulkane beschränkt. So sind nach ihm alle Gesteine mit Ausnahme der von den heutigen Vulkanen produzierten Laven wässerigen Ursprungs, Diese aus einem gewissen engen Gesichtskreis er- klärhche einseitige Auffassung (Werner ist niemals über das Erzgebirge hinaus- gekommen) war auch von Einfluß auf seine räumlichen Vorstellungen über den Gebirgs- bau, Werner kannte keine Dislokationen. Die Wer n ersehe Lehre von der wässerigen Entstehung der Gesteine, der Neptunismus, rief den Widerspruch verschiedener Zeit- genossen hervor und die Betonung des Ein- flusses des feurigflüssigen Erdinnern, den Plutonismus, den der Engländer Hutton schuf und den die deutschen Naturforscher Lehmann und Füchsel als Gegner Werners eifrig verfochten. Füchsel, ein geborener Thüringer, aus Rudolstadt, Arzt in Ilmenau, ist auch der Autor der ersten wirklich geologischen Karte und ein nach seinen Verdiensten viel zu wenig ge- würdigter ungemein scharfer Beobachter, der in mehrfacher Hinsicht Werner über- ragt. Er ist der erste, der die entwickelungs- geschichtliche Betrachtungsweise, gewisser- maßen die ontologische Methode, in die Geologie einführt und zweifellos der Vorläufer des 6 bezw. 8 Jahrzehnte später von Hoff und von Lyell begründeten Mtualismus, der Anschauung, daß die verflossenen Vorgänge aus den gegenwärtigen zu erklären seien, wenn er in einer bei der Erfurter Akademie 1761 veröffentlichten Denkschrift mit dem Titel: „Historia terrae et maris ex historia Thürin- giae per montium descriptionem eruta" sagt: „Modus vero, quo natura hodierno adhuc tempore agit et corpora producit pro norma assumendus est — alium non novimus." Die der genannten Denkschrift beigegebene Karte umfaßt das ostthüringische Berg- vorland und einen Teil des südlich angren- zenden Gebirges. Sie ist nicht nach dem Gradnetz orientiert und besitzt die xVus- stattung der alten geographischen Karten jener Zeit, d. h. ist eine Art landschaftlicher Darstellung aus der Vogelperspektive. Füch- sel unterscheidet auf dieser Karte: 9 series montanae (Gebirgsformationen) und 6 Unter- lager (series statuminis), dann noch ein fundamentum serierum, veteris terrae lapi- dosa superficies, also erstmals ein altes Grundgebirge in dem noch heute üblichen Sinne. Füchsel beobachtete auch Diskor- danzen und Dislokationen und deutete sie richtig, indem er zu deren Erklärung sich in § 95 seiner Denkschrift folgendermaßen äußert: ,,Strata, inclinatione magna, ne dicam per- pendiculari proxima procumbentia, a vi quodam movente, cum jam indurata fuerint, in talem irregulärem decubitum debent esse redacta." Werners großes Ansehen verhinderte die Anerkennung Füch- seis richtiger Vorstellungen, aber mit Wer- ners Tode trat ein völliger Umschwung ein, denn auch seine bedeutendsten Schüler Alexander v. Humboldt und Leopold V. Buch mußten auf Grund ihrer auf zahlreichen Reisen gesammelten Erfahrungen die große Bedeutung des Vulkanismus für den x\ufbau der Erdrinde anerkennen. Damit war der Neptunismus endgültig beseitigt und die letzte mittelalterhche Fessel von der Geo- logie genommen. Unter Führung L. v. Buchs vollzieht sich ein schneller glänzender Auf- schwung im zweiten Jahrzehnt des 19. Jahr- hunderts. Die Paläontologie kommt durch Cuvier als Hilfswissenschaft hinzu. Cuvier aus Mömpelgard, in Stuttgart auf der Karls- schule erzogen, später in Paris, erkennt das Wesen der Leitversteinerungen, unabhängig von ihm der Ingenieur William Smith in England. Die Chronologie der Sedimente wird sicherer, die Gliederung der Formationen genauer und damit der mehr oder weniger verwickelte Bau der Gebirge der Deutung zugänglicher, zumal nunmehr dynamische Vorgänge in Zusammenhang mit dem Vul- kanismus erklärt werden, zunächst von L. V. Buch, dann von B. S tu der, der die Aufrichtung der Alpen auf den hebenden Ein- fluß der granitischen Zentralmassive zurück- führt. Die fortschreitende Erkenntnis dieser Zusammenhänge führt Elie de Beaumont dazu, die Abkühlung der Erde, allerdings zunächst in sehr schematischer Weise, als agens movens heranzuziehen, das später, in den 60-er und 70-er Jahren, E. Dana und E. Süß mit besserer physikalischer Be- gründung zurückführen auf die durch Wärme- abgabe an den Weltenraum bedingte Schrumpfung, die sich in den oberen Teilen der Erdrinde in Tangentialschub und Fal- tung umsetzt. Die gewaltige Vermehrung des Tatsachen- materiales fördert immer mehr das Bedürfnis nach kartographischer Darstellung größerer Geologische Karten 945 zusammenhängender Gebiete. Schon 1799 entwirft L. v. Buch auf Veranlassung des preußischen Ministeriums eine „mineralo- gische Karte" von Schlesien, und im Jahre 1826 kann der unermüdliche Forscher eine geologischeUebersichtskarteDeutsch- lands und der angrenzenden Gebiete heraus- geben. Dadurch wird das Interesse für Geo- logie in weiteste Kreise getragen. ohne zu verkümmern. Und die Beziehungen der Geologie zum praktischen Leben und den technischen Wissenschaften sind ungemein vielseitig. Ganz besonders naheliegend fand man diese Beziehungen zwischen Geologie und Bergbau, so daß man, freilich irrtümlicherweise, behaupten konnte, die Geologie sei aus dem Bergbau hervorgegangen, während dieser doch erst durch die Geologie Ueberaus bemerkenswert ist es, daß im aus seiner vormals rem empu'ischen Aus- Gegensatz zu diesen eifrigen Bestrebungen Übung m rationelle Bahnen geleitet wurde in dieser ersten Periode der Entwickelung ^i"d sich erst dadurch zu jener gewaltigen der geologischen Wissenschaft und Karto- Leistungsfähigkeit erheben konnte, die ihn graphie zunächst und bis in den Anfang l", der Gegeiiwart kennzeichnet und in der des 19. Jahrhunderts hinein, wie schon Jährlichen Pi;oduküon von Mmeralschätzen Zittel gelegentlich bemerkt, die deutschen | iraWerte von Ib Mimarden Mark ihren zahlen- Universitäten keinen nennenswerten Anteil mäßigen Ausdruck findet. Ganz sicherlich an den grundlegenden Arbeiten hatten, durch welche die Geologie und Paläontologie in die Reihe der Naturwissenschaften traten haben die Bedürfnisse des Bergbaues von Anfang an (andere praktische Interessen kamen erst später hinzu) geologisch-karto- Zu jener Zeit gab es an unseren Universitäten i graphische Aufnahmen verschiedener Art nur einen einzigen Professor der Natur- ! ™d verschiedenen Umfanges ganz außer- geschichte, der sich meist mit Zoologie und ordentlich gefördert und es waren wohl auch Botanik, in seltenen Fällen mit Mineralogie ^ erster Linie praktisch montanistische beschäftigte. Neben Werner, an der Berg- Erwägungen, welche gegen Mitte ck^s vorigen schule in Freiburg, waren es Männer wie Jahrhunderts zur Einrichtung systematisch Lehmann, Füchsel, Alexander v. Humboldt, Leopold v. Buch, Freies- leben, Graf zu Münster, v. Hoff, Cuvier, Brogniart, Saussure, Hutton, W. angelegter Landesdurchforschungen führten. 6. Aeltere Geologische Landesanstalten. Lag früher die Pflege geologischer Kartographie vornehmlich in den Händen einzelner For- SmithinDeutschland, Frankreich und Eng- scher oder gelehrter Gesellschaften, so land, die in erster Linie den Ausbau der nahmen später die Staaten diese wichtige Geologie besorgten, aber keinem akademischen Kulturaufgabe selbst in die Hand und grün- Lehrkörper angehörten und als dann im deten zu diesem Zwecke besondere geolo- Jahre 1808 in Deutschland ein erster Lehr- ojsche Land es an st alten, d. h. wissen- stuhl für Mineralogie errichtet wurde, lag schaftliche geologische Institute, denen die noch lange nicht der Schwerpunkt der Ent- Herstellung der geologischen Karten über- wickelung der Geologie auf akademischem tragen wurde und damit die systematische, ßoden. wissenschaftliche und praktisch-geologische Nach Leopold v. Buch übernimmt Durchforschung des Landes. Man ist längst die Führung in der geologischen Karte- darüber einig, daß gewisse große Fragen der graphie v. Dechen, ein Bergmann, der im I Geologie nur auf diesem Wege gelöst werden, Jahre 1839 eine geologische Uebersichts-j viele praktische Aufgaben aus dem Gebiete karte von Zentraleuropa (1:1300000) I der Hydrologie, des Weg-, Eisenbahn- und herausgibt, welche Deutschland, England, Tunnelbaues usw. nur mit Hilfe der Geologie, Frankreich und die Nachbarländer, nach mit Hilfe geoh)^isclier Spezialkarten durch- Süden auch die gesamten Alpen umfaßt geführt werden können, und nach Osten bis Ofenpest reicht. Die j ^^j^j ^„^ frühesten, schon im Jahre 1835 Karte seilt m 29 Farben die Buntheit des begann das Königreich Sachsen eine äußerst komplizierten geologischen xVufbaues ^^^^^ Landesaufnahnie unter der Leitung dar und erscheint 30 Jahre spater m einer ^^^ Freiberger Geologen C. F. Naumann neuen Autlage. Hauptsachhch hat aber ^^^^^ g v. Cotta im Maßstab 1:70000 V. Dechen m der Herstellung der schon ziemlich speziellen Karte der Rheinlande und Westfalens in 23 Blättern, 1:80000, eine ganz hervorragende Lebensarbeit ge- leistet. 5. Geologische Karten und Bergbau. Wohl ist die Geologie als Wissenschaft welche eine für lange Zeit und in mancher Hinsicht heute noch musterhafte Karte schuf. Die erste wirkhche geologische Landesanstalt als festgefügte, staatlich organi- sierte Behörde entstand 1849 in der geo- logischen k. k. Reichsanstalt in Wien unter Haidinger, bald darauf der Geo- Selbstzweck, aber sie kann ebensowcMiig logical survey of Great Britain und wie andere Wissenschaften, z.B. die ^Medizin, der Service de la carte geologique de auf die praktische Nutzanwendung verzichten, ! la France; 1865 wird die Schweizer 60 Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV. 946 Geologische Karten Landesaufnahme beschlossen, 1869 trennt sich die Ungarische Landesaufnahme von der österreichischen ab und im gleichen Jahre erfährt die bis dahin nur als Kom- mission bestehende Bayrische Landes- untersuchung eine festere Organisation. Im Jahre 1857 wurde in Württemberg die erste geologische Landesaufnahme vom Finanzministerium angeordnet und einer aus Quenstedt, 0. Fraas und Deffner bestehenden Kommission übertragen, im Maß- stab 1:50000 auf der vorhandenen mit Berg- schraffierung versehenen topographischen Karte ausgeführt und in den 80-er Jahren vollendet. Um dieselbe Zeit entstanden in dem benachbarten Baden und Hessen ähiiliche Aufnahmen, blieben aber zum Teil unvollendet. 7. Die neueren Landesaufnahmen. Die erste württembergische Landesauf- nahme bedeutete zweifellos einen erhebhchen Fortschritt in der geologischen Kartographie und war bis zu einem gewissen Grade vor- bildlich. Als aber in den 60-er Jahren Preußen auf Anregung von Beyrich sich; entschloß, in einem Maßstab 1:25000 zu i kartieren, auf den sogenannten Meßtisch- 1 blättern der Generalstabskarte mit der Terraindarstellung durcli Höhenkurven an Stelle der bisher üblichen Bergschraffierung, da war der Anstoß für eine moderne, wirk- liche geologische Spezialaufnahme gegeben. Ueberall erkannte man sofort an, daß nur auf einer derartigen topographischen Unterlage den neuzeitlichen wissenschaftlichen und praktischen Anforderungen an eine geolo- gische Spezialkarte Rechnung getragen wer- den könne. 1873 trat die preußische geo- logische Landesanstalt definitiv ins Leben; in demselben Jahre folgten mit dem Auftrage, ingleichcmMaßstabezu kartieren, d. h. mit der Neubegründung einer geologischen Landes- anstalt, das Königreich Sachsen und die Reichslande, 1882 Hessen, 1889 Baden, 1903 Württemberg, 1910 Bayern imd verschiedene andere außerdeutsche bezw. außereuropäische Kulturstaaten, z. B. die Schweiz, Ungarn, Japan, die Vereinig- 1 ten Staaten von Nordamerika u. a. .-/ j 7a) Die topographische Grundlage. [ Die Ausführung und ganze Ausstattung der topographischen Unterlage ist für das geologische Kartenbild von ganz erheblichem Einfluß; neben einer korrekten Darstellung im Weg- und Wassernetz gilt das hauptsächlich für die Terrain darstellun g. — In gewissen : Fällen, nämhch bei Uebersichtskarten, be- sonders kleinen Maßstabes, verzichtet man viehach auf jede Terraindarstellung zugunsten eines klaren geologischen Farbenbildes und einer möglichst weitgehenden Ausnutzung des kleinen Maßstabes für die geologischen Ein- tragungen (internationale geologische Karte von Europa, herausgegeben von der könighch preußischen geologischen Landesanstalt, 1:1500000; Lepsius, geologische Karte von Deutschland, 1:500000; Regelmannsche Uebersichtskarte des südwesthchen Deutsch- land 1:600000). Doch sollte ein derartiger Verzicht, der sieh aus den angeführten Gründen sehr wohl rechtfertigen läßt, mög- Mchst eingeschränkt werden. Im übrigen kann man hier den Mangel an Terrain- darstellung etwas ausgleichen durch zweck- mäßig verteilte, nicht zu vereinzelte Höhen- zahlen. Bekanntlich stellt man das Terrain in der Fläche durch zweierlei graphische Sym- bole dar: 1) dnrch Bergschraffierung und 2) durch Höhenkurven (Isohypsen oder Aequi- distanten). So plastisch die Bergschraffierung als Ausdruck der Geländeform meist wirkt, besonders auf Uebersichtskarten in kleinerem und kleinstem Maßstabe, so unzweckmäßig erweist sie sich für Eintragung geologischer Details und unsicher für die Fixierung der Feldbeobachtungen auf der Karte. Die Folge davon ist, daß der Geologe den Maßstab auf einer derartigen topographischen Unterlage bei weitem nicht ausnutzen kann und so zu einer mehr generellen Darstellung, als ihm lieb und nach dem Maßstabe der Karte nötig ist, gezwungen wird. Demgegenüber Hefert die Hölienkurvenkarte eine für die geologische Kartierung geradezu ideale Geländedarstellung. Die jetzt von allen deutschen Staaten herausgegebenen Meßtisch- blätter 1:25000 sind sämtlich mit Höhen- kurven ausgestattet, seit kurzem auch die Karte des Deutschen Reiches 1:200000; auch außerdeutsche Kulturstaaten, wie be- sonders die Schweiz, ferner Nordamerika, Kanada, Japan u. a. bedienen sich dieser Geländedarstellung bei Maßstäben noch bis zu 1 : 100000, die Uebersichtskarte der Schweiz sogar noch bei einem Maßstab 1:500000! Die vertikalen Abstände der Höhenkurven voneinander werden in der Regel durch Meter ausgedrückt, in Nordamerika und Kanada durch englische Fuß und sind nun, je nach dem größeren oder kleineren ^Maßstab der Karte und der steileren oder sanfteren Ge- ländeneigung, in verschiedenen Abständen gezogen und eingetragen von 50:50 bezw. 20:20 m auf Uebersichtskarten, von 10:10, 5:5 bezw. 2,5:2,5 m auf den topographischen Spezialkarten, den Meßtischblättern. Eine äußerst sorgsam ausgeführte Höhen- schichtenkarte wurde dem Mittelrhein- tal auf badischer Seite zuteil, wo wegen der flachen, zum Teil tischebenen Gelände- gestaltung mit 5 selbst mit 2,5 m-Kurven kein anschauliches Oberflächenbild zu ge- winnen war. Zwecks asfronomisch-ireolo- Geologische Karten 947 gischer Kartierung war aber eine Darstellung der Oberfläche durch Höhenkurven nicht zu entbehren und so entsclili)!.) sirli das groß- herzoglich badische topoj^M-aphische Bureau auf Antrag der geologischen Landesanstalt | im Jahre 1892 die Höhenkurven zunächst versuchsweise auf Blatt Schwetzingen im Abstände von 1:1 m zu zieheu. Der Ver- such übertraf alle Erwartungen und lehrte, wie in überraschender Weise auch hier topo- 1 graphische Gestaltung den geologischen Auf- bau zum Ausdruck bringt, w ie die geologischen Grenzen sehr genau den Höhenlinien folgen. Man pflegt jetzt meist die Höhenschichten- karten im Gegensatz zu der in Preußen üb- lichen einfarbigen Darstellung (Gewässer, Wegnetz, Höhenkurven sämtlich in Schwarz gehalten) in Dreifarbendruck herauszu- geben und erzielt damit eiue ausgezeichnet klare und übersiehtlichf !);iistellung, wie das die neuen Höhenschichtenkarten, z. B. von ' Hessen, Baden, Württemberg u. a. be- weisen. Die neue württembergische topo- 1 graphische Karte besitzt noch ihre besonderen ! kleinen Vorzüge z. B. darin, daß die Namen für die Gewässer blau gedruckt sind, daß an den Hauptstraßen die Kilometerzahlen stehen, daß sie überhaupt viel Einzelheiten enthalten. Nun ist allerdings mit dem Streben nach möglichster Vollständigkeit und kräf- tiger Betonung auch der kleinsten Details für diese topographischen Karten die Gefahr nahe gerückt, sie zu überladen, das geht dann natürlich auf Kosten der Uebersicht- Hchkeit und des Gesamtbildes. Unmittelbar unschön wirkt die auf mancliou dieser Karten beliebte übermäßige Verdichtung der Wald- signaturen an ihren Außengrenzen und ge- radezu irreführend deshalb, weil sie einer Art Schummerung gleichend, Geländewölbungen vortäuschen, die gar nicht vorhanden sind. Außerdem bereiten diese und ähnhche für das topographische Bild zum mindesten unnötigen Uebertreibungen dem Geologen für seine koloristische Darstellung die größten Schwie- rigkeiten. Kartographische Musterbilder von un- übertroffener Harmonie in der Gesamtwir- kung sind die schweizerischen Höhenschich- tenkarten des Siegfriedatlas 1:25000 und 1 : 50 000 ; sie zeigen sich auch den schwierigsten alpinen Geländedarstellungen gewachsen. 7b) Methode der Darstellung neue- rergeologischer Karten. Diese richtet sich in erster Linie nach dem besonderen Zweck der Karte, ob sie als Spezialkarte oder als Uebersichtskarte, ob sie als geo- logische Karte mit besonderer Berücksich- tigung verwickelter tektonischer Verhältnisse oder zur Darstellung technisch wichtiger Lagerstätten oder zur Erläuterung der Boden- verhältnisse in land-und forstwirtschaftlicher Hinsicht usw. dienen soll. — Im allgemeinen wird man bei der Herstellung eines geologi- schenKartenbildes zunächst mit dem zur Verfü- gung stehenden Maßstab der topographischen Unterlage zu rechnen haben, denn Geolo- gisches sollte in die Karte weder zu wenig noch zu viel eingetragen werden, d. h. es sollte der Maßstab einerseits so viel als mög- lich ausgenutzt, andererseits aber auch eine die Uebersichtlichkeit störende Ueberladung mit Details vermieden werden. Ganz be- sondere Mißstände entstehen dann, wenn in schon topographisch überladene Karten noch zahlreiche geologische Details einge- tragen werden müssen, dann wird in der Regel die Lesbarkeit der Karte illusorisch. Im übrigen hat man zu berücksichtigen, daß die Detaiüierung in der Darstellung mit dem Maßstab in geometrischer Progression zu- nehmen darf. Wie weit man darin zu gehen hat, hängt vom Takt und der Uebung und dann natürlich auch von den an die Karte zustellen- I den x\nf orderungen ab. Dann muß man sich bewußt bleiben, daß die geologische Karte ! nicht Selbstzweck, sondern dazu da ist, wissenschafthch und praktisch ausgenutzt zu werden und daß diese Ausnutzung mit dem Maßstab ihre Grenzen hat. Wir haben Uebersichtskarten, die sehr detaiheich, aber deshalb noch keine Spezialkarten sind, z. B. die bayrische Karte 1:100000, die von Aufnahmen 1:25000 reduziert wurde. Auch die von der preußischen geologischen Landes- anstalt herausgegebene internationale geo- logische Karte von Europa 1:1500000, Lepsius' geologische Karte von Deutsch- land, die vom könighch württembergischen statistischen Landesamte herausgegebene Regel mann sehe Karte von Süd Westdeutsch- land 1 : 600000 gehören hierher. Die im Ver- hältnis zu einem kleinen Maßstab allzu zahl- reich eingetragenen Einzelheiten können nur- i mehr einem bestimmten allgemeinen Ueber- j bhck zur Erkenntnis gewisser großer Zu- sammenhänge dienen, nicht aber einer un- ! mittelbaren Verwertung, da mit der Möglich- keit genauer topographischer Orientierung auf solchen Karten auch jede speziellere geologische Ausnutzung ausgeschlossen ist. 7c) Uebertreibung in der Dar- stellung. Bei den geologischen Eintragungen in die Karte ist auf eine maßstäbliche Wieder- gabe großer Wert zu legen, sonst erhält man ein geologisches Zerrbild. Oft leiden die Ein- tragungen von Einzelvorkommen an nam- hafter Uebertreibung, und zwar begegnet man dieser Erscheinung begreiflicherweise häufiger auf Uebersichtskarten als auf ; Spezialkarten, doch ist sie auch auf diesen I nicht ganz zu vermeiden, zuweilen sogar ge- boten, besonders wenn es sich um Einzeich- nung von an sich wenig mächtigen, aber geologisch oder technisch wichtigen Bildungen handelt; man denke nur an Erz- oder Mineral- 60* 948 Geologische Karten gänge, an Erzlager oder petrographisch inter- ] essante untergeordnete Einlagerungen. Erz- j und Mineralgänge müssen auf einer Spezial- karte, auch wenn sie nur wenig mächtig sind, möglichst vollständig eingetragen werden. Wenn man aber z. B. einen vielleicht 2 m starken Gang, der als Erzgang eine bedeutende Masse darstellt und deshalb auf einer Karte 1:25000 eine gut sichtbare Darstellung ver- langt, durch eine etwa zwei Drittelmillimeter starke farbige Linie wiedergibt, dann macht man sich schon einer achtfachen Uebertrei- bung schuldig. Maßstäblich dürfte die Gang- linie nur VigiTini dick sein, aber eine derartig feine Linie wäre kaum erkennbar, der Zweck der Darstellung demnach verfehlt, also muß ich in diesem Falle übertreiben. Und wenn ] man z. B. bei der Kartierung von Sediment- 1 formationen bemerkenswerte fossilführende Horizonte, die vielleicht kaum einen Meter mächtig sind, durch kräftige farbige Linien markiert, um damit dem Kartenbilde charak- teristische Züge hinzuzufügen, die den Aufbau klarer hervortreten lassen und auch palä- ontologisch von Wert sind, dann muß ich wiederum die Darstellung stark übertreiben, aber auch beachten, daL> gewisse Grenzen hierbei nicht überschritten werden dürfen und eine Häufung solcher stark übertreibender I Darstellungen auf eine«! verhältnismäßig kleinen Räume das Gegenteil von dem hervorruft, was bezweckt wird: ein zwar deutliches, aber doch verzerrtes, falsches Bild. DieHerstellung guter Spezialkarten erfordert viel Geduld, große Hingabe, reich- lichste Erfahrung und Gewissenhaftig- keit. Gelegentlich aber werden nicht bloß i üebersichtskarten, sondern auch Spezial- 1 karten veröffentlicht, denen die Unwahr- 1 scheinlichkeit an der Stirn geschrieben steht, j Weniger bedenklich sind noch solche, die mehr darstellen als möglich ist, bedenklicher andere, die geradezu auf falscher räumlicher Vorstellung beruhen. Bei der Bewertung der Spezial- karten muß man auch wissen, welcher Grad von Genauigkeit den zur Unter- scheidung und Abgrenzung ge- brachten Massen zukommt. Eruptiv- gesteine, die mit durchgreifender Lagerung durch Sedimentformationen hindurchsetzen, z. B. Basaltgänge in der Trias, Porphyrgänge im Gneißgebirge, lassen sich, sofern nicht lokale Ueberschüttung die Beobachtung überhaupt verhindert, in der Regel mit aller Schärfe verfolgen, abgrenzen und eintragen. Oft recht schwierig kann sich dagegen die Abgrenzung im Sedimentgebirge gestalten, ganz besonders gilt das auch für die jüngeren und jüngsten Ablagerungen. Bei fossil- reichen Sedimenten sind Leitfossilien sichere Wegweiser; in anderen sind es charak- teristische petrographische Merkmale, die sich oft auf erstaunlich weite Erstreckung vollkommen gleich bleiben, man denke nur an die schwäbischen Posidonienschiefer, an die Kupferschiefer des Perm, an die Lehr- bergbank im Keuper u. a. Dagegen bereiten z. B. die fossilarmen bis fossilfreien und dazu petrographisch unscharf ausgebildeten ver- schiedenen Horizonte der mächtigen Bunt- sandstein- oder Rotliegendablagerungen der Abgrcuziiiig und Parallelisierung für die kartographische Darstellung große Schwierig- keiten. Eine durchaus einwandfreie über- einstimmende Gliederung, Parallelisierung und kartographische Darstellung dieser in Deutschland so weit verbreiteten mächtigen Formationen ist noch nicht völlig geglückt. 7d) Farbige Darstellung. Die geologi- schen Karten sind in der Regel koloriert; an Stelle der farbigen Darstellung tritt, besonders bei kleineren Karten, um Kosten zu sparen, die Unterscheidung durch lediglich schwarze Symbole, Schraffierung und Aehnliches. Nur ein staatliches Institut, nämlich die geologische Landesanstalt von Bosnien - Herzegowina, gibt keine kolorierten Karten heraus, sondern Schwarzdrucke, nur schwarz eingezeichnete Grenzen, es dem Käufer überlassend, sich die Karte durch nachträgliches Handkolorit selbst fertig zu stellen, ein Verfahren, welches besonders bei einem komplizierten Verlauf der Grenzen, die Keime zu reichlichen karto- graphischen Irrtümern in sich trägt. Die Farbensymbolik der geologi- schen Karten ist eine ungemein mannig- faltige; beinahe die ganze internationale Rad de sehe Farbenskala findet man ver- treten, dazu kommen noch alle möglichen Kom- binationen, die durch andersfarbige Auf- drucke in Form von engen und weiten, hori- zontalen, diagonalen, vertikalen, zusammen- hängenden oder unterbrochenen, gleichen oder alternierenden Strichlagen, auch Kreuz- strichlagen erzielt werden, auch Strichlagen auf weißem Grunde bezw. verschiedenartige weiße Aussparungen der Vollfarben usw. Ein beliebtes Mittel, von gewissen kräftigen Voll- farben Halbtöne zu erzeugen, ist eine Schraf- fierung mit dieser Farbe auf weißem Grunde, die so fein ist, daß sie, ohne Lupe betrachtet, j wie eine Vollfarbe wirkt. I Es würde natürlich das schnelle Lesen und Verstehen der verschiedensten geolo- gischen Karten wesentlich erleichtern, wenn man sich für die F a r b e n b e z e i c h n u n g der Formationen und Eruptiv- gesteine international v e r - I s t ä n d i g t hätte.' Allein das ist bis jetzt noch nicht oder nur bis zu einem 1 gewissen Grade geschehen anläßlich der von der preußischen lioologischon Laiulesanstalt im Auftrage der internationalen (ieologen- kongresse herausgegebenen internationalen Geologische Karten 949 Karte von Europa. Diese hierbei aufgestellte internationale geologische Farhenskala sollte wenigstens bindend für Uol)ersiclitskarten sein und wird auch von einigen, z. B. von der Regel mann sehen und Lepsiusschen TJebersichtskarte angewendet, obwohl sie einige Verbesserungen vertragen könnte, Das gilt nicht bloß für die Farben, sondern auch für die Buchstabensymbolik z. B. der Eruptivgesteine. Für die Kolorierung von Spezial- karten ist die internationale Skala deshalb nicht ohne weiteres zu übernehmen, weil sie nicht umfangreich genug ist. Einige Farben dieser haben sich ja für gewisse Formationen eingebürgert, z. B. Hellgrün für Kreide, Gelb für Tertiär, Hellbraun für Diluvium und möglicherweise hätte sich noch eine weitere Annäherung und Uebereinstimmung erreichen lassen, wenn man nicht den richtigen Augen- blick zur Verständigung verpaßt hätte. Heute, wo sich die meisten, Spezialkarten herausgebenden Kulturstaaten schon auf ihre Farbenskalen festgelegt haben, stößt jeder Versuch in dieser Richtung auf unüber- windliche Schwierigkeiten und so muß man sich schon mit der Tatsache abfinden, die allerverschiedensten, weitest voneinander ab- liegenden Formationen mit der gleichen Farbe dargestellt zu finden. Das gilt z. B. für das beliebte Karminrot, das eigentlich nach dem Vorgange von L. v. Buch und v. Dechen für saure kristalline Gesteine reserviert schien, das wir aber einmal für Trias, ein andermal für Glazial verwendet finden. Nachdem die Uebereinstimmung glücklich dahin gelangt ist, daß ziemlich allgemein lebhafte gelbe Farbentöne für Tertiär, lebhaft grüne für Kreide verwendet werden, muß es stören, wenn diese Farben unerwartet auf gewissen geologischen Karten eine umgekehrte Verwendung finden. Im allgemeinen sollte, im Interesse eines plastisch wirkenden Kartenbildes, darauf ge- sehen werden, daß gewisse Kontraste im Alter, in der Lagerung und stofflichen Zusammensetzung auch entsprechend farbig zum Ausdruck k 0 m m e n , daß z. B. Grund- und Deckgebirge sich scharf abheben. Auf verschiedenen Karten vermißt man das. Wie sehr darunter der Gesamteindruck leidet, lehren manche sächsische Blätter des östlichen Erzgebirges, wo sich z. B. gneißiges Grundgebirge und kretaceisches Deckgebirge farbig nur wenig unterscheiden. Umgekehrt ist es wieder nötig, alle dem Alter und der Entstehung nach zusammengehörigen Schichtengruppen koloristisch möglichst einheitlich zu be- handeln. Abgedeckte Karten. Wo es darauf ankommt, besonders auf Uebersichtskarten ein möglichst klares Bild vom Aufbau des älteren Untergrundes zu geben, läßt man, sofern hinreichend zahlreiche Beobachtungen die Konstruktion gestatten, die das ältere Gebirge verhüllende Decke von jüngeren und jüngsten Bildungen weg, d. h. man liefert abgedeckte Karten. Blatt Chemnitz der sächsischen geologischen Spezialkarte liefert ein gutes Beispiel für die Anwendung dieses Prinzips auf Spezialkarten: es ist in zwei Ausgaben hergestellt, erstens mit der weitverbreiteten Diluvialhülle und dann abgedeckt, ohne diese und lehrt, welche große Vorteile diese Methode für die übersichtliche Beurteilung der Untergrunds- verhältnisse eines stark besiedelten Gebietes darbietet. England veröffentlicht überhaupt zweierlei Ausgaben, abgedeckte und nicht abgedeckte. Nicht zu empfehlen ist es, j auch nicht auf Uebersichtskarten, einen Teil eines größeren Gebietes abzudecken und den anderen nicht. Will man den älteren Untergrund, wo es möglich ist, neben der i diluvialen Decke zur Darstellung bringen, so I kann das nach einem Prinzip geschehen, das j auf Blatt Leipzig vom Verfasser, dann in um- ! fangreicher Weise auf der geologischen Ueber- sichtskarte der Mansf eider Mulde von Bey- schlag, auf der internationalen Uebersichts- karte des südlichen Rußland, auf badischen und württembergischen Spezialkarten zur Anwendung gelangt ist und farbensymbohsch darin besteht, daß man auf die lichte diluviale Vollfarbe die gesättigtere Farbe für den älteren Untergrund aber nur als S t r i c h 1 a g e aufdruckt, also gewissermaßen den Unter- grund hindurchschimmern läßt. Man kann so durch zweckmäßig gewählte Schraffen das Profil: älterer Untergrund mit dünner Dilu- vialdecke in allen möglichen Kombinationen zur Anwendung bringen (wie das z. B. vom Verfasser zuerst auf Blatt Neckargemünd geschehen ist), und gleichzeitig durch hori- zontalen Verlauf der Schraffen einen schwer durchlässigen, durch einen vertikalen einen leicht durchlässigen Untergrund anzeigen. Ganz besonders wichtig ist diese Methode auf Spezialkarten, wo es sich darum handelt, zwecks Berücksichtigung bodenkundlicher Verhältnisse dünne Decken von agronomisch wichtigen DiluvialbiUluiigen auf älterem Ge- birge möglichst vollständig zu verzeichnen. Neben den Farben kommen entsprechende Buch Stäben Symbole zur Anw^endung; sie werden in die Karte eingetragen und erleich- tern ganz wesentlich das Lesen der Karte und machen die Farbenareale eindeutig. Manchen Karten fehlen sie leider, so den meisten der übrigens vortrefflichen neueren Schweizer Blätter. Das Buchstabensymbol soll im erkenntlichen Zusammenhange mit der Gesteins- oder Formationsbezeichnung stehen, w^elche es markiert, also am ein- 950 Geologische Karten fachsten dem Anfangsbuchstaben entsprechen, so:m = Muschelkalk, k = Keuper, c = Car- bon, t — Tertiär bezw. mi = Miocän. Für Unterabteilungen kommen weitere Buch- staben bezw. " Zahlen hinzu, demnach be- deutet : mu = unterer Muschelkalk und mup mu2, mug = untere, mittlere, obere Stufe des unteren Muschelkalkes. Einzelne fossile Leithorizonte sind dann durch farbige Linien mit beigesetzten, griechischen Buchstaben auszuzeichnen, z. B. die Spiriferinenbank in dem mittleren Abschnitt des unteren Musclielkalkes (mua) durch o. Die Eruptivgesteine, die primären Ur- ausscheidungen der Erdrinde, die stofflichen Ursprungsmaterialien für die Sedimente pflegt man prinzipiell durch große x\n- fangs buchst ab en auszudrücken, also Gra- nit durch G, Syenit durch S, PorphjT durch P und im Gegensatz hierzu die Sedimente und metamor])he Schiefer durch kleine ; j Urtonschiefer (Phyllit) = p, Sandstein = s usw. Eine davon abweichende Darstellung z. B. auf der internationalen Karte }' = Gra- nit, ß = Basalt ist nicht em})fehlenswert, noch weniger die Bezeichnung der Sedimente durch große Buchstaben, wie auf der älteren württembergischen Karte. 7d) Farbenerklärung, Legende. Alle auf der Karte zur Anwendung kommenden Farben und Buchstabensymbole findet man schließlich in der Farbenerklärung (der Legende) am Rande vereinigt in Farben- täfeichen mit eingesetztem Buchstabensymbol in geologischer Reihenfolge vom Jüngsten zu dem Aeltesten fortschreitend. In der Regel beschränkt sich die Erläuterung des Täfelchens auf eine knappe Formations- oder Gesteinsbezeichnung, z. B. : mo^ 1 = Trochitenkalk oder sie ist ausführlicher i gehalten und gibt, wie auf den preußischen und noch mehr auf den württembergischen Karten auch Aufschluß über die stoffliche Zusammensetzung. Auf den ungarischen Blättern sind die Buchstaben Symbole in den Farben- feldern durch Zahlen ersetzt, d. h. die Schilder der Legende sind fortlaufend mit Nummern versehen und diese als Symbole in die Karte eingetragen, was zur Folge hat, daß dasselbe Farbenfeld auf nahe beieinander liegenden Blättern verschiedene Nummern er- hält, da zwar die Reihenfolge der Farben- ' Schilder immer die gleiche durch das geo- i logische Alter bedingte ist, die Zahl aber der ausgeschiedenen Bildungen von Blatt ■ zu Blatt wechselt. i 7e) Besondere Symbole. Zum Ver- i ständnis der Tektonik sind Angaben über! die Schichtenlagerung erwünscht, Zeichen für Streichen und Fallen der Schichten, für schwebende, sattelförmige, muldenförmige Lagerung, Verwerfungen und Flexuren, ganz besonders aber Rand pro file. Diese fehlen leider vielen Spezialkarten, sie wurden erst- mals nach dem Vorgange der alten säch- sischen Naumann sehen Karte, den neueren sächsischen Spezialkarten beigegeben, finden sich auch auf den hessischen und elsässer Blättern, auf den neueren württembergischen und seit kurzer Zeit auch auf den preußischen Karten. Daß man solche schnell orientie- rende Profile auch auf manchen Uebersichts- karten anbringen kann, sieht man auf der Regelmannschen Karte. — Eine sogenannte Schicht entafel, d. h. eine Zusammenstel- lung aller auf der Karte vertretenen Sedimente in maßstäblicher Mächtigkeit und normaler Uebereinanderfolge eines Vertikalschnittes zusammengefaßt, ergänzt das Bild des Schich- tenaufbaues und kann für gewisse praktische Feststellungen, z. B. bei Tiefbohrungen, von Nutzen sein. Wir finden diese Einrichtung auf badischen, württembergischen und neueren preußischen Karten und auf den sogenannten Folioausgaben des Geological survey of the United states. Endlich sind auf den meisten geologischen, besonders den speziellen geologischen Karten noch Angaben vorgesehen fiir gewöhnliche und Mineralquellen, für Thermen, für Erd- fälle, Stollen, Schächte, für Steinbrüche, Lehm-, Sand- und Kiesgruben, für Mineral- und Erzvorkommnisse und Fossilfundorte. 8. Spezial- und Uebersichtskarten. Nach dem größeren oder kleineren Maßstabe und der mehr oder weniger detaillierten Dar- stellung unterscheidet man, wie das schon aus den bisherigen Darlegungen zu ersehen ist, geologische Spezialkarten und Ueber- sichtskarten, wobei jedoch zu berück- sichtigen ist, daß die Trennung nicht konventionell feststeht und nicht an einen ganz bestimmten Maßstab gebunden ist. Wohl wird man nicht zweifelhaft sein, einerseits geologische Karten im Maßstab 1:25000 oder 1:50000 (vielleicht auch noch 1:75000 für nicht zu weitgehende praktische Anforderungen) als Spezialkarten zu bezeich- nen, andererseits Karten mit einem Maßstab 1:200000 und darunter als Uebersichtskarten, dagegen kann unter Umständen z. B. für einen Maßstab 1:100000 die Entscheidimg unsicher werden, wenn man etwa an die bayrische Karte denkt, die sich durch eine mJnutiöse Darstellung eines großen Details auszeichnet, weil sie durch Reduktion aus Auf- nahmen 1:25000 hervorgegangen ist. Sie versagt aber trotzdem im allgemeinen für die praktische Ausnutzung, besonders weil die Terraindarstellung fehlt und damit jede genauere topographische Orientierung aus- geschlossen ist. Als Spezialkarte ist sie darum nicht zu bezeichnen. Geologische Karten 951 9. Agrogeologische Karten. Einen be- sonderen Typ bilden die agrogeologischen Spezialkarten. Zwar ist jede gute geolo- gische Spezialkarte bis zu einem gewissen Grade und insofern Bodenkarte, als allen darauf unterschiedenen geologischen Bil- dungen besondere Bodenarten entsprechen, die sich in ihrem physikalischen und stoff- lichen Verhalten aus- dem geologischen Unter- grund erklären. Aber den Anforderungen der Bodenkunde ist mit diesen rein geolo- gischen Angaben, besonders in den großen Diluvialgebieten wegen des ungemein schnell wechselnden tieferen geologischen Unter- grundes und vertikalen Aufbaues nicht ge- nügt. Es müssen noch speziell bodenkund- liche Ergänzungen hinzukommen; so ent- stehen die agrogeologischen Karten. Auch bei der Ausgestaltung dieser ging Preußen bahnbrechend voran. Im norddeutschen Flachlande hatte dieser größte deutsche Bun- desstaat eine ungeheure Fläche diluvialer Aufschüttungen zu kartieren. Der hoch- entwickelte Ackerbau dieses Gebietes nötigte zwecks rationeller Ausnutzung der Boden- werte zu eingehendster Untersuchung auch des Untergrundes, so gelangte man zum Studium des Bodenprofiles, dann zur Eintragung desselben in die Karte, endlich zu seiner Darstellung in der Fläche. Der Name Orth ist mit dieser Entwickelung der agro- geologischen Kartographie rühmlichst ver- bunden. Diese Methode ist von Elsaß- Lothringen, Sachsen, Hessen, Baden, von Württemberg, unlängst auch von Bayern übernommen worden und beschränkt sich zunächst auf das Quartärland. Eine üeber- tragung derselben auf das ältere Bergland fehlte bisher. Diese Lücke wurde durch die neue württembergische geologische Lan- desaufnahme ausgefüllt. Nähere Angaben über diese Arten agrogeologischer Karten finden sich der nachfolgenden Besprechung der geologisch-kartographischen Leistungen der einzelnen Kulturstaaten eingefügt. Eine weitere Gruppe bilden die reinen Boden karten, die nur stoffliche Bestands- karten sein wollen, von den geologischen Beziehungen möglichst oder ganz absehen und gewissermaßen Ertragskart'en darstellen; man findet auf diesen die Böden nach dem alten T harschen Einteilungsprinzip in Ton- böden, Sandböden usw. und nur nach diesem, dargestellt; sie fallen deshalb schon außerhalb des Rahmens dieser Besprechung und mögen hiermit nur kurz erwähnt werden. Dagegen verdient zuletzt noch ein Karten- typ, der zwar auch in die Gruppe der Ertrags- karten fällt, aber doch in enger Fühlung mit der Geologie steht, besondere Berücksichtigung, das ist die von der königlich preußischen geologischen Landesanstalt herausgegebene Karte der Erzlagerstätten des deut- jschen Reiches; diese beruht auf einer eigenartigen, sinnreichen graphischen Dar- stellung und soll im Anschluß an die preußischen Publikationen näher besprochen werden. B. Spezieller Teil. I Die geologischen Landesaufnahmen der einzelnen Kulturstaaten. Der nachfolgende Ueberblick beginnt mit Deutschland, daran schließen sich die übri- gen europäischen Kulturstaaten in alpha- betischer Ordnung: Belgien, Bulgarien, Däne- mark, Frankreich, Großbritannien mit Irland, Italien, Niederlande, Norwegen, Oesterreich i mit Ungarn, Herzegowina-Bosnien, Galizien, j Kroatien und Slavonien, Portugal, Rumä- j nien, Rußland mit Finnland, Schweden, I Schweiz, Spanien und die anderen Erdteile: Asien mit Japan und Indien, Afrika, Austra- lien, Nordamerika, Südamerika. Europa. Deutschland. — I.Preußen. Die königlich preußische geologische Landesanstalt trat im Jahre 1873 unter Beyrich und Hauche- corne ins Leben. Vor ihrer Begründung waren schon verschiedene Teile der Monarchie in kleinerem oder größerem Maßstab auf- genommen worden. Zu diesen Vorläufern der geologischen Landesaufnahme zählt in erster Linie die großeDechensche Karte der Rhein- provinz und von Westfalen 1859 (1:80000 in 35 Blättern). Als ganz hervorragende Leistung eines einzelnen Mannes gibt diese Karte schon ein recht detaiUiertes Bild eines großen und zum Teil recht kompliziert aufgebauten Teiles der preußischen Monarchie (vul- kanische Eifel!) und leistet auch heute noch namhafte Dienste. Zu den bedeutenderen Karten dieser Art gehören noch folgende, (sämtlich im Maßstabe 1:100000): Ewalds Provinz Sachsen 1864, Niederschlesien von Beyrich, Rose, Roth, Runge 1860; F. Römers und Carnalls Oberschlesien 1870; Strombecks Karte von Braunschweig 1856, Berendts Flachlandskarte der Pro- vinz Preußen, herausgegeben von der phy- sikalisch-ökonomischen Gesellschaft in Königs- berg. Schon 1862 hatten sich die thüringischen Staaten, 1866 die neu hinzugekommenen Provinzen Hannover und Hessen zum Zwecke gemeinsamer Kartierung mit Preußen ver- einigt und im Jahre 1866 wurden bereits die ersten Versuche unternommen, die Kar- tierung mit einem spezielleren Maßstabe als bisher auszuführen. Die an die Spitze der geologischen Landesanstalt berufenen Männer sahen voraus, daß es nur so gehngen werde, den sich steigernden, wissenschaftlichen und praktischen Anforderungen an eine syste- matisch durchgeführte Landesaufnahme voll 952 Geolocrische Karten gerecht zu werden. Da die ersten Versuche j überaus günstig ausgefallen waren, wurden nunmehr die sogenannten Meßtischblätter, d. h. die damals auch erst in Publikation begriffenen Generalstabsblätter mit Maß- stab 1:25000 zur offiziellen Grundlage der neuen geologischen Landesaufnahme gewählt. Zurzeit verfügt die königlich preußische geologische Landesanstalt über einen Stab von 76 kartierenden Geologen, einschließlich der 11 freiwilligen Mitarbeiter, dazu kommen noch 4 Chemiker. Der Etat beziffert sich auf 900 000 M. In ihrer festgefügten Or- ganisation, zielbewußten Arbeits- teilung und - 1 e i s t u n g und Aus- stattung mit Hilfsmitteln über ragt sie alle geologischen Landesanstalten der Gegenwart. lu den 40 Jahren seit Be- stehen der Anstalt sind rund 1100 Blätter 1:25000 veröffentlicht worden, ein nam- hafter Teil aus dem Bereiche der norddeut- schen Tiefebene, also in agrogeologischer Aufnahme. Im ganzen werden von ihr folgende verschiedene Kartenwerke heraus- gegeben : 1. Die gewöhnlichen geologischen Karten 1:25000; 2. die agrogeologischen Karten der nord- deutschen Tiefebene; 3. die Erzlagerstättenkarten des deut- schen Reiches; 4. verschiedene Uebersichtskarten nach Bedarf; 5. die internationale geologische Karte Euroj^as. 1. Die gewöhnlichen Karten. Bei diesen kommen die üblichen Methoden der Darstellung und Ausstattung in Betracht, die schon im allgemeinen Teil besprochen w^urden. Das braucht hier nicht wiederholt zu werden. 2. Die agrogeologischen Karten. Die agrogeologischen Karten dagegen haben : namhafte Abweichungen und Ergänzungen aufzuweisen, mit denen wir uns jetzt be- 1 kannt machen wollen. Die in den Jahren 1864 bis 1867 auf Ver- 1 anlassung des preußischen Landwirtschafts- j ministers vom Major v. Bennigsen- Förder ausgearbeitete Bodenkarte des Erd-, Schwemm- und Flachlandes der Umgegend von Halle a. S. dürfte den ersten Anstoß gegeben haben. Dann folgt die Cr th sehe Kartierung des schlesischen Schwemmlandes, wo zum ersten Male der Versuch gemacht wird, an Stelle zusammenhangloser Einzel- eintragungen das Bodenprofil flächenhaft darzustellen, eine Neuerung, die prinzipiell entscheidend wird für die gesamte agrogeo- logische Kartierung nicht bloß in Preußen, sondern auch auswärts. Sie erfährt dann in der preußischen Landesanstalt durch Be- rendt, Wahnschaffe u. a. eine wesentliche Ergänzung und Vervollkommnung und bringt gegenwärtig die Bodenverhältnisse durch folgende Zeichensprache zum Ausdruck. Sie erweitert zunächst die geologische Darstel- lung, denn die preußische agrogeologische Karte will zuerst eine geologische sein und stellt die zutage tretenden Schichten — es handelt sich um die in Norddeutschland ungemein mannigfaltig ausgebildete Serie der alluvialen und diluvialen Ablagerungen — dar, wie sonst auf den Spezialkarten, durch gewisse Farben und schwarze Buchstaben- symbole (a = Alluvium; dm = Diluvial- mergel; ds = Diluvialsand usw.). Dann kommen, was neu ist, farbige Symbole hinzu, die die besondere petrographisclie Ausbildung markieren, eine schräge, z. B. braune, Strich- lage bedeutet Lehm, eine vertikale Ton, feine Punkte bedeuten Sand, Ringel: Kies, Kreuz- chen: Blöcke. Stehen diese Signaturen eng, dann beziehen sie sich auf die zutage gehenden Schichten, stehen sie weitläufig, dann auf den Untergrund. Es würde also ein Feld mit feinen, dicht gestellten Punkten und nicht enger, sondern weitläufiger schräger Reißung bedeuten: Sand wird unterlagert von Lehm; und in entsprechender Weise wird auch das schwarze Buchstabensymbol er- gänzt zu einem Bruche und würde etwa entsprechend lauten: ^^ Alluvialsand wird unterlagert von Geschiebelehm. Soweit ist die Darstellung eine rein geologische mit petrographischen Ergänzungen. Zur boden- kundlichen Charakteristik dienen nun in deutlich hervortretendem Druck (in Zinnober) eingesetzte Mächtigkeitszahlen, die Dezi- meter bedeuten, und Buchstabensymbole: L, M, H, K, G, S für: Lehm, Mergel, Humus, Kalk, Grand (Kies), Sand oder in Kom- bination SL = sandiger Lehm, HL = humo- ser Lehm und mit dem prosodischen Zeichen kurz = " versehen : wenig, lang = ~ : stark, d. h. HSL = stark humoser Lehm usw. Durch diese Zeichen werden nun auch die durch Bohrungen ermittelten Bodenprofile 5 HL ausgedrückt, so bedeutet 6 SL : die bis 2 m 8 KM Tiefe gehende Handbohrung hat erschlossen : oben 5 dem schwach humosen Lehm, dar- unter folgen 6 dem sandiger Lehm, zu Unterst 8 dem kalkreicher Mergel. Solche Bodenprofile sind in gewissen, ihrer Gül- tigkeit entsprechenden "Abständen auf der Karte eingetragen, sie sind in der Regel die Mittelwerte der in großer Anzahl ausgeführten Handbohrungen, von denen zur Ermittelung • der Boden- und Untergrundverhältnisse auf I der Fläche einer Karte 1:25000 eine recht 1 große Anzahl, je nach der einfacheren oder Geologische Karten 953 komplizierteren Znsammensetznng 1000 bis 5000 nötig sind. Von diesen kommt, wie bemerkt, nur ein kleiner Teil von charak- teristischen Mittelwerten in die Karte. Ein weißes Blatt mit der Situation aller Bohrun- gen und ein Verzeichnis aller Bohrwerte bilden die Bohr karte und das Bohrregister. Sie wurden früher jeder Karte beigegeben, jetzt geschieht das nur auf besonderen Wunsch und gegen geringe l^jitschädigung. In diesen agrogeologischen Karten sind demnach alle wesentlichen Angaben ver- einigt, die zur Beurteilung des Boden- w^ertes gebraucht werden: wir erkennen die Beschaffoulieit des gesamten Bodeuprofiles von der Ackerkrume bis in den tieferen Untergrund nach seiner stofflichen Zu- sammensetzung und seinem physikalischen, insbesondere hydrologischen Verhalten und dann — aus dem Verlaufe der Höhenlinien — die Oberflächengestaltung. luden beigegebenen Erläuterungen werden diese Feststellungen durch chemische Analysen und dann auch durch zahlreiche mechanische, d. h. Schlämm- analysen ergänzt, welche den cpiantitativen Aufbau der verschiedenen Böden aus Grob- sand, Feinsand, Ton zum Ausdruck bringen und damit einen näheren Einblick in die Bodenphysik, Verhalten gegen Wasser, Er- ' wärmungsfähigkeit usw. gewähren. So ist alles angegeben, was man füglich von einer agrogeologischen Karte im Maßstab 1: 25000 zur Aufklärung der Bodenverhältnisse er- warten kann. Preußen wird das ganze norddeutsche Flachland in über 1000 solchen Blättern in dieser Weise auf- nehmen und damit ein Bodenkulturwerk schaffen, das seinesgleichen nicht hat. Han- delt es sich darum, noch speziellere Boden- karten zu entwerfen, sogenannte (iutskarten, deren Ausführung die geologische Landes- anstalt auf Antrag und Kosten der Besitzer übernimmt, dann liefern diese geologischen Meßtischblätter ebenfalls die zuverlässigste Grundlage, auf welcher weiter zu bauen ist. 3. Die Lagerstättenkarte des deut- schen Reiches (herausgegeben von der preußischen geologischen Landesanstalt unter Leitung von F. Bey schlag). Ein zweifellos volkswirtschaftlich un- gemein wichtiges, gemeinnütziges karto- graphisches Unternehmen, das durch eine sinnreiche, originelle Symbolik geologisches Vorkommen, Zusammensetzung und Wert- verhältnisse der technisch nutzbaren Lager- stätten Deutschlands auf das Jahr der Herausgabe bezogen, veranschaulicht. Die Eintragungen erfolgen auf der vortrefflichen neuen Isohypsenkarte des Deutschen Reiches 1:200000 mit Dreifarbendruck. Die Karte ist als solche geologisch nicht koloriert und enthält nur geologische Farbenangaben in der unmittelbaren Nähe der eingetragenen Lagerstätte bezw. da, wo es sich darum handelt, das Ausstreichen einer flözförmigen Lagerstätte mit der Außeiigrenze zu mar- kieren, demnach nach außen scharf, nach innen abgetuscht erscheinende Bänder in der Formationsfarbe der betreffenden Ab- lagerung. Die Karte soll einen klaren Ueber- blick geben über die nachgewiesene Verbrei- tung der nutzbaren Lagerstätten Deutsch- lands und im einzelnen Aufschluß über folgende sechs Punkte: a) Die Substanz der Lagerstätten und ihre Form, ob gangförmig, lagerartig, ob Zink-, Blei- oder Eisenerze usw. b) Das geologische Alter des Nebengesteins, c) Die Namen der Bergwerke, die auf schmale, in drei verschiedenen Farben (gelb, weiß, braun) gehaltene Streifen gedruckt sind und an- zeigen sollen, ob die Gruben in Förderung, im Aufschluß oder außer Betrieb sind. Nicht praktiscli gewordene Mutungen wurden nicht berücksichtigt, d) Die relative wirtschaftliche Bedeutung der Jahresproduktion, umfassend Abstufungen von weniger als Vio Million, V2 Million, 5 Millionen Mark, ausgedrückt durch verschiedene schwarze Umrandungen um die vorgenannten Farbenfelder mit den Grubennamen, wobei aber nur Gruben mit gelber Marke (Gruben in Betrieb) in Betracht kommen, e) Die regionale Zugehörigkeit zu einer gleichartigen Gruppe, ausgedrückt durch ein diese Regio)i umschließendes farbiges Band mit dem entsprechenden Formations- kolorit, z. B. Grenze des unterdevonischen Gangbezirkes, x\usgehendes der Minette- formation in Lothringen, der Braunkohlen- formation im Odergebiet bei Frankfurt (mit Angaben über die Mächtigkeit der Kohle und des Deckgebirges), f) Produktion der Lagerstätten nach Menge und Wert, durch konzentrische Kreisflächen ausgedrückt, wo- bei die zur äußeren Peripherie reichende, mit feiner blauer Schraffierung bezeichnete Kreis- fläche die Menge des Kaufwertes, die innere farbige Kreisfläche das Verkaufserz und die einzelnen farbigen Sektoren in dieser die Beteiligung verschiedener Erze bedeuten, g) Schmale rechteckige farbige Diagramme drücken das W^ertverhältnis des lokal ge- förderten Erzes zur Gesamtproduktion des Deutschen Reiches aus. — Es sind bereits drei Lieferungen mit 17 Blättern erschienen; jeder Lieferung ist ein Begleitwort (Er- klärung der Darstellungsmethode) und eine Farbenerklärung beigegeben. 4. Die U e b e r s i c h t s k a r t e n. Die Zahl der von der preußischen Landesanstalt herausgegebenen Uebersichtskarten ist eine große; sie sind meist 1:100000 aus- geführt. Einige seien hier erwähnt : Harz- gebirge (Lossen), Umgegend von Berlin (Dam es und Bereu dt), Umgegend von Halle (Beyschlag), Thüringerwald (Bey- 954 Greologische Kai'ten schlag), Niederschlesisch-böhmisches Stein- kohlenbecken (Schütze), nordwestlicher Spessart (Bücking), Kalisalzvorkommen im Werragebiet nnd am Siidharz (Bevschlag), Schleswig-Holstein 1:300000 (Mevn), Trias am Nordrande der Eifel 1:50000" (Blanken- horn), Quartärbildnngen der Umgegend von Magdeburg 1:200000 (Wahnschaffe), Gegend zwischen Taunus und Spessart (Kinkelin), Umgegend von Baden-Baden Kothenfels, Gernsbach und Herrenalb 1 : 50000 (H. v. Eck), Umgegend von Salzbrunn (E. Dathe), Goslar und Zellerfeld 1:40000 (Beushausen), Geologisch-morphologische Uebersichtskarte der Provinz Pommern 1 : 500000 (Keilhack), Vorgebirge am Nieder- rhein (Fliegel). Ein ausgezeichnetes Mittel, das Interesse und Verständnis für die agrogeologischen Karten in die landwirtschaftlichen Kreise zu leiten, sind die seit kurzem herausgegebenen Karten, die als Lehrfelder für die land- wirtschaftlichen Schulen die Boden- verhältnisse in deren unmittelbarer Um- gebung behandeln. Das Archiv für Lagerstättenfor- schung bringt Arbeiten mit reiclüich karto- graphischer Ausstattung (z. B. Gangverhält- nisse des Siegerlandes und seiner Umgebung mit Gangkarten von Bornhardt); Die Ab- bau d 1 u n g e n d. kgl. pr. geol. L. A. liegen in 67 Heften vor, das Jahrbuch in 30 starken Bänden. 5. Endlich wnrd von der königlich preu- ßischen geologischen Landesanstalt die inter- nationale Karte von Europa herausge- geben 1 :1500 000. Sie besteht aus 49 Blättern, ist jetzt vollendet und in einzelnen Blättern sogar vergriffen, so daß man dabei ist, eine zweite Auflage vorzubereiten. Die Aus- führung wurde erstmals auf dem internatio- nalen Kongresse in Bologna 1881 beschlossen und kam nur dadurch zustande, daß Bey rieh und Hauchecorne sich zur Uebernahme bereit erklärten. Die topographische Grund- lage hierzu wurde im kartographischen Institut von Kiepert geschaffen und ist zweckentsprechend nicht überladen, freilich ohne Terrainzeichnung, mit Gewässern, wich- tigsten Höhenpunkten, Ortschaften, Landes- grenzen, Eisenbahnlinien und geologisch bemerkenswerten Namen versehen (Mans- feld, St. Cassian usw.). Die Buchstabensymbole entsprechen den Anfangsbuchstaben (a = archäisch, s = Silur, d = Devon, t = Trias). Die Gliederung und Gesteinsbezeichnung ist nicht mehr in jeder Hinsicht einwand- frei und es wäre wohl zu erwägen, ob man nicht gelegentlich einer Neuherausgabe Korrekturen vornehmen sollte. Im übrigen darf man mit großer Befriedigung das ge- lungene Werk überblicken, das hier durch gemeinsame Ai'beiten zahlreicher europäischer Geologen entstanden ist und doch schon zu mancher iVnnäherung und Verständigung über schwebende Fragen geführt hat. In diesem Zusammenhange ist zuletzt noch mitzuteilen, daß von der königlich preußischen geologischen Landesanstalt auch noch eine geologische Uebersichtskarte der Erde hergestellt werden soll im Maß- stabe 1 : 5000000, und zwar in 80 Blättern von 50:50cm Größe. Das Zustandekommen wäre sehr zu begrüßen, da die Mar cou sehe geo- logische Uebersichtskarte der Erde längst veraltet ist. 2. Königreich Sachsen. In der Mitte des vorigen Jahrhunderts wurde durch C. F. Naumann und B. v. Cotta eine vor- treffliche Aufnahme des Landes im Maßstab 1:75000 von der königlichen Bergakademie Freiberg herausgegeben mit einer für die damalige Zeit sehr guten topographischen Grundlage (Terrain durch Bergschraffierung), weit über die Grenzen Sachsens liinaus- reichend nach Westen bis Jena, nach Osten bis Görlitz, nach Norden bis Leipzig, nach Süden bis ins Fichtelgebirge und nach Theresien- stadt. Mit 70 verschiedenen Farbenbezeich- nungen und entsprechenden Buchstaben- symbolen ist die außerordentliche Fülle der geologischen Tatsachen zur Darstellung ge- bracht worden. Randprofile ergänzen das Bild. Die neue geologische Landes- aufnahme trat 1873 ins Leben und konnte bereits nach 35 Jahren mit 125 Blättern abgeschlossen werden. Die topographische Grundlage bildet die Karte 1:25000 mit Höhenlinien im Dreifarbendruck. Wo immer nur möglich, enthält der Rand außer der Farbenerklärung Randprofile im gleichen Maßstab. Die Erzgänge wurden von H. Müller in Freiberg eingetragen und auch besonders bearbeitet. Für die Darstellung der agronomischen Verhältnisse schließt sich die sächsische Karte Preußen an, jedoch mit beachtenswerter Vereinfachung der Sym- bolik (zum ersten Male auf Blatt Liebert- wolkwitz angewendet). Nur in den lockeren, leicht durchlässigen Sand- und Kiesab- lagerungen wird "der petrographische Cha- ralvter durch Punktierung betont, alle übrigen Aufscliiittungen tics Quartär( Geschiebemergel, ' Alluviallehm usw. erhalten eine reine Voll- farbe, ohne jede Schraffierung, wenn die- selben in größerer Mächtigkeit ent- ! wickelt sind (mehr als 1,5 m). Tritt aber lein andersgearteter Untergrund nahe an die Oberfläche hinzu, etwa leicht durch- [ lässiger Diluvialkies unter Geschiebelehm ! in 0,5 m Tiefe, dann erhält dieser eine j vertikale Strichlage in Diluvialbraun, ist es schwer durchlässiger Tertiärton, der darunter liegt, dann eine horizontale Strichlage "mit Tertiärgelb. Zinnoberrote Geologische Karten 955 Zahlen geben Aufschluß über die ver- schiedenen Mächtigkeitsverhältnisse. Von lieber sich ts karten erschienen: 1884 diejenige des Granulitgebietes 1 : 100000, 1907 die von ganz Sachsen 1: 250000, 1910 eine solche 1:500000, sämtlich von H. Credner. 3. Elsaß-Lothringen. Gleichzeitig mit Preußen und Sachsen, also im Jahre 1873, erhielt Elsaß-Lothringen eine geologische Landesanstalt im modernen Sinne. Von vornherein hatte diese mit schweren Hem- mungen zu kämpfen, abgesehen davon, daß in den ersten Jahren noch keine karto- graphischen Unterlagen 1:25000 vorhanden waren und hier ein umgekehrter Weg ein- geschlagen werden, nämlich mit Uebersichts- karten begonnen werden mußte, die sonst den Abschluß bilden. Die Anstalt hatte von Anfang an drei Direktoren und nur zwei stän- dig aufnehmende Geologen, die außerdem viel durch örtliche Begutachtungen von ihrer eigentlichen Aufnahmetätigkeit abgehalten wurden. So erklärt es sich, daß jetzt nach 40 Jahren etwa 40 Blätter 1:25000 publi- ziert sind (in der üblichen Ausstattung und mit Randprofilen), also kaum ^/a des Ganzen. Von dem in intensivster Bodenkultur stehen- den Rheintalanteile ist lediglich die unmittel- bare Umgebung von Straßburg in Anlehnung an die preußische Darstellung agrogeologisch aufgenommen; auch um Mülhausen herum liegen einige Spezialaufnahmen vor, aber ohne agronomische Ergänzung. Das ganze übrige Rheintalgebiet ist auf Elsässer Seite agro- geologisch wenig bekannt. Daß die Geologen ihre Schuldigkeit in vollem Umfange getan haben, ist hinreichend bekannt und nicht Ursache des langsamen Fortschrittes. Um schneller vorwärts zu kommen, müßte 1. auf eine Erhöhung der Betriebsmittel, 2. auf eine einheitliche Leitung, 3. dahin gewirkt werden, daß die geologische Landesanstalt als ein in seiner Existenz anerkanntes, gesichertes Staatsinstitut betrachtet wird, was bis jetzt nicht der Fall war, sehr gegen das Interesse des deutschen Grenzlandes selbst und auch ganz Deutschlands, denn es ist wirklich hohe Zeit, daß hier einmal die geologische x\ufnahme zum Abschluß ge- bracht wird. An Uebersichtskarten sind erschienen : westhches Deutsch-Lothringen 1 : 80000; südliche Hälfte des Großherzogtums Luxemburg 1:80000; Elsaß-Lothringen 1 : 500000; Elsaß-Lothringen 1 : 200000 (fertig Blatt Saarburg). Von der Lagerstätten- karte des Deutschen Reiches (s. Preußen) ist fertig: x\bteilung Lothringen mit den Blättern Mettendorf, Metz, Pfalzburg. Die kartierende Arbeit wird zurzeit fast ausschheßlich von L. van Werveke ausgeführt. Großherzogtum Hessen. Die geolo- gische Landesanstalt wurde 1882 gegründet. Als Vorarbeiten sind an älteren Karten anzusehen besonders die aus privater Ini- tiative des mittelrheinischen Geologenver- eines 1:50000 aufgenommenen Blätter mit zum Teil hessischem Gebiete. 15 Vollsek- tionen sind hiervon veröffentlicht worden. Hessen hat im Maßstab 1:25000 75 Blätter zu kartieren und bisher, innerhalb 30 Jahren, mit 2 bis 3 Landesgeologen 25 Blätter herausgegeben. Anfangs fehlte die Höhen- schichtenkarte 1:25000 und dann stellte es sich als notwendig heraus, größere Gebiete des sehr kompliziert aufgebauten Oden- waldes kurz nach ihrem Erscheinen neu auf- zunehmen. Die im Rheintale gelegenen Gebiete wurden unter Zugrundelegung der preußischen Methode mit einigen Abände- rungen und im Benehmen mit den seit 1889 von badischer Seite her kartierenden Geologen zugleich bodenkundlich behandelt. Durch vereinzelte, zweckmäßig über das Blattgebiet verteilte Tiefbohrungen findet man den im Rheintalgebiete auch in vertikalem Sinne schnell wechselnden diluvialen Aufbau bis zu größerer Tiefe ermittelt, als es durch die üblichen Handbohrungen sonst zu geschehen pflegt und die Resultate wie die Boden- I profile mit zinnoberroten Zahlen und Zeichen in die Karte eingetragen. 4. Großherzogtum Baden. Die geo- logische Landesanstalt trat 1888 ins Leben. Seit 1858 wurden als Beiträge der Statistik der inneren Verwaltung Badens heraus- gegeben: die Blätter 1:50000 Stockach, Rastatt, Freiburg, Lahr und Offenburg, Oppenau, Waldshut, Möhringen und Meßkirch, Triberg und Donaueschingen, Forbach und Ettlingen und Karte des Kinzigtäler Berg- baues, die bis 1873 reichen. Sie bedeuten einen ersten Abschnitt der geologischen Landesaufnahme. Ein zweiter Abschnitt wird durch die erfolgreiche Kartierungs- arbeit Ecks bezeichnet, der ohne jede staat- liche Unterstützung in der Zeit von 1872 bis 1884 den Schwarzwald und angrenzende Gebiete zum ersten Male nach einheitlichen Gesichtspunkten aufnahm und folgende Blätter veröffentlichte: 1. Umgegend von Baden-Baden, Rothenfels, Gernsbach, Herren- alb; Umgegend von Ottenhöfen 1:50000; I weitere Umgebung der Renchbäder ; weitere ' Umgebung der Schwarzwaldbahn, sämtlich 1:50000; Uebersichtskarte des Schwarz- waldes in 2 Blättern 1:200000; Sektion Lahr 1:25000. Eine den Eckschen Karten ebenbürtige Leistung ist die geologische Karte der weiteren Umgebung von Heidelberg in 2 Blättern 1:50000 mit Höhenkurven von B e n e c k e und Cohen; weiter ist anzuführen : A. Knop, Kaiserstuhl 1:25000, Gräff, Kaiserstuhl, in: St ein mann und Gräff Führer von Freiburg 1:100000 (1890). Die neue Aufnahme Badens umfaßt 170 Blätter 1 : 25000 (topographisch mit Höhenkurven und 956 Geologische Karten Dreifarbendruck), bisher sind rund 50 Blätter veröffentlicht. Das badische Land umfaßt mit Niveauunterschieden von fast 1400 m einen überaus mannigfaltigen geologischen Aufbau, ungemein große Bodengegensätze: die rheinische Tiefebene, das angrenzende fruchtbare sonnige Gehänge von Heidelberg bis ins Markgräfler Land, das Bauland der Kraichgauer Senke, den Schwarzwald bis an die Baumgrenze. Im Rheintale werden agrogeologische Karten mit Höhenlinien 1:1 m (vgl. allgemeiner Teil S. 951) her- gestellt, im angrenzenden Hügellande wird dies Prinzip teilweise eingeführt (z. B. erst- mals auf Blatt Neckargemünd) und auch der weitverbreitete Löß wird agronomisch ge- gliedert und mit seiner verschieden starken Decke auf ungemein wechselndem älterem Untergrund (Granit, Buntsandstein, Muschel- kalk, Keuper, Tertiärmergel) usw. dargestellt, indem man bei geringer Mächtigkeit den Untergrund durch die ihm zukommende Farbe, aber in eine Strichlage aufgelöst auf der diluvialen Vollfarbe aufgedruckt dar- stellt (durch eine vertikale Strichlage, w^enn durchlässig, durch eine horizontale, wenn undurchlässig) und ihn gewissermaßen durch- schimmern läßt; die Beschaffenheit der dilu- vialen Deckschicht wird noch weiter durch einzelne zinnoberrote Mächtigkeitszahlen er- gänzt. Gewisse Verbesserungen und Er- leichterungen im Lesen der agrogeologischen Symbole werden sodann dadurch angestrebt, daß man z. B. schreibt: 3hsL 3HSL 4 caL statt 4 KL iöIk IoTg" d. li. die adjektivischen Buchstabensymbole klein schreibt und den geologisch anders- gearteten Untergrund im Bodenprofile durch einen dicken Strich markiert. (Vgl. S. 952.) 5. KönigreichBayern. Auch in Bayern Avurde schon Mitte vorigen Jahrhunderts eine geologische Landesaufnahme angeordnet, 1869 kam sie an das neugegründete Ober- bergamt. Die erste Leitung erhielt C. W. Gürabel. Lange Zeit dienten für die Feld- aufnahme Katasterblätter 1 : 5000. Tausende dieser ausführliclien Karten ruhen im Archiv, den Interessenton jedoch zur Einsicht zu- gänglich. Später bediente man sich weniger ausführlicher topographischer Unterlagen, (1:25000 und 1:50000). Diese Originalauf- nahmen gelangen nicht in gleichem Maß- stabe, sondern stark reduziert, aber mit allen Einzelheiten versehen, zur Veröffentlichung und stellen die bekannten bayrischen Über- sichtskarten 1:100000 dar, die man leider trotz ihrer weitgehenden Kleindarstellung nicht voll ausnutzen kann, weil die terrainlose Unterlage und der kleine Maßstab der Karte die Identifizierung der Lokalitäten ungemein erschweren (vgl. allgemeiner Teil S. 950). Bis jetzt sind erschienen: 1. Das bayrische Alpen- gebirge 1861. — 2. Das ostbayrische Grenz- gebirge 1868. — 3. Das Fichtelgebirge mit dem Frankenwald 1879. — 4. Der Franken- jura 1891. — 5. Die Rheinpfalz 1902. — Diese Lieferungen sind von starken Textbänden begleitet. — In neuerer Zeit beginnt die Publikation in 1:25000, zum Teil auch in agrogeologischer Aufnahme. 6. Königreich Württemberg. Die erste geologische Landesaufnahme Württem- bergs wurde unter Q neuste dt, 0. Fr aas und Deffner im Maßstab 1:50000 auf ähnlicher Grundlage ausgeführt wie in Baden und Hessen, und Ende der 80-er Jahre des vorigen Jahrhunderts beendet: sie kann für jene Zeit als eine bedeutende Leistung gelten und wird nach Bedarf auch heute noch ergänzt, so lange die Spezialaufnahme nicht fertiggestellt ist. Eine L^ebersichtskarte von anerkannter Brauchbarkeit ist die Regel mann sehe, 1:600000, sie wird wie die übrigen geologi- schen und toi)ogra|)]iischen Karten vom statistischen Landesanite herausut'geben und umfaßt, seit 1903 erweitert, nach Westen bis BeLfort, nach Osten bis Nördlingen reichend, das ganze Rheintalgebiet, betont besonders die tektonischen Linien, auch die seismischen Herde und schließt sich in der Farbengebung der internationalen Vereinbarung an. Sie ent- hält für die topographische Orientierung nur Wassernetz- und in größerer Anzahl Höhen- angaben und Ortschaften, dagegen weder Terrainzeichnung noch Weg- noch Eisen- bahnnetz verzeichnet. Welchem dringenden Bedürfnis sie entspricht, beweisen die schnell hintereinaiuler folgenden 8 Auflagen in 20 Jahren. Als im Jahre 1903, also ziemlich spät, in Württemberg eine moderne Landesanstalt ein- gerichtet wurde, war der Zeitpunkt ge- kommen, um auf den bisherigen Erfahrungen weiter bauend, eine Anzahl noch offener geologischer Kartierungsfragen in Angriff zu nehmen, d. h. die geologischen Spezial- karten noch weiter für jegliche wissenschaft- liche und praktische Ausnutzung leistungs- fähig zu machen und besonders auch den Wünschen einer rationellen Bodenkultur nachznkommen. Am nötigsten erschien dem- nach die Erweiterung der Gebirgskarten im agrogeologischen Sinne. Württemberg ist vor- wiegend Bergland, das drückt sich schon darin aus, daß es die Mittelhöhe des Deutschen Reiches um das 2V2 fache übertrifft. Bekanntlich leisten schon die rein geologi- schen Spezialkarten auch im Berglande für die Erkenntnis der Bodenverhältnisse mehr als der Praktiker im allgemeinen annimmt, man muß diese nur herauszuholen verstehen. Geologische Karten )57 Doch waren zweifellos noch Ergänznngen nötig, besonders in Hinblick auf die im Berg- lande bodenkundlich eine große Rolle spielen- den Schuttbildungen, die bis dahin auf den Spezialkarten ziemlich vernachlässigt wurden. Es gibt da zweierlei Schutt, der an Ort und Stelle gebildete Verwitterungs- schutt, und der mehr oder weniger weit talwärts geglittene Gehängeschutt und außerdem vollkommen schuttfreies Ge- lände, wo das Gestein unverändert zutage tritt. Diese drei Zustände wurden bisher in der Regel nicht oder nur teilweise auf den i Spezialkarten unterschieden und finden sich nunmehr auf den neuen württembergischen Karten berücksichtigt: 1) anstehendes Ge- stein wird durch eine ganz neutrale, für jede Formationsfarbe anzuwendende Signatur, nämlich eine feine schwarze vertikale Strich- lage ausgedrückt ; 2) normaler, an Ort und Stelle gebildeter Verwitterungsschutt durch die betreffende Formations-" bezw. Gesteinsfarbe wie bisher; 3) fremder Schutt durch weiße Auss])arung dieser Formationsfarbe mit ein- gesetzten farbigen Dreiecken oder Kreuzclien, um die Art des Schuttes zu kennzeichnen. Bei- spiel: Granitgehänge mit zum Teil tiefem Granitverwitterungsboden, zum Teil Granit- fels,überlagert oben am Gehänge von Buntsand- stein, dessen Schutt teilweise über den Granit herübergreift und damit das bodenkundlich mineralkräftige Granitgehänge hochgradig verschlechtert: Den anstehenden Granit zeigt die Karte durch eine feine schwarze vertikale Strichlage auf Granitfarbe an, ! die Ueberschüttung mit Bnntsandstein da- gegen durch weiße strichfürniige Aussjtarung dieser . mit eingesetzten braunen Dreiecken in Buntsandsteinfarbe, den normalen Granit- 1 boden durch Granitfarbe ohne jeden weiteren j Zusatz. Auch die Farbenerklärung verlangt eine sorgfältigere Behandlung als bisher übhch war. In der Regel begnügte man sich mit i einer knappen Erklärung der Farbenschild- chen, wie sie dem Geologen genügt (z. B. für mol : Trochitenkalk), aber nicht dem Praktiker. Die württembergische Karte hat nun eine dop])elte Bezeichnung, eine rein geologische (neben dem Scliildchen) und außer- dem (unter dem Schildchen) eine stoffliche, d. h. in dem angezogenen Beispiel außer dem geologischan Namen : Trochitenkalk für mol noch die Erklärung: knorrige Bänke von blauem hochprozentigem Kalk mit spärlichen dünnen Zwischenlagen von grauem Mergel, eine Bezeichnung, die stofflich das Gebilde: | Trochitenkalk genau charakterisiert. Um für die agronomische und forstliche Benutzung den Ueberblick über die auf einem Blatte vertretenen Hauptbodenarten zu i erleichtern, finden wir am Ende der eigent- 1 liehen Farbenerklärung am rechten Rande der Karte nochmals alle Farbenschildchen zu- sammengestellt, nicht in der regelrechten geo- logischen Anordnung, sondern lediglich nach agronomischen Gesichtspunkten geordnet, nach Hauptbodenarten des Gebietes : als Lehm- böden, Tonböden, Sandsteinschuttböden, Kalksteinschuttböden usw., und in den Farbenschildchen dieser Zusammenstellung außer den geologischen Farben und Buch- staben die Buchstaben K, Ca, Mg in dreierlei starkem Druck, um dadurch anzugeben, ob von den drei wichtigen Pflanzennähr- stoffen Kali, Kalk, Magnesia ein ge- ringer bis verschwindender, ein mittlerer oder starker Gehalt in dem betreffenden Boden vorhanden ist. Endlich ist am rechten Rande noch eine sogenannte Schichten- tafel gezeichnet, eine Zusammenstellung aller Formationen mit iVngabe ihrer Mächtig- keit; am unteren Rande findet man zur schnellen Orientierung über den tektonischen Aufbau des Gebietes ein typisches Profil (oder zwei). In Oberschwaben, dem Gebiete der diluvi- alen Aufschüttungen entspricht die Dar- stellung den preußischen agrogeologischen Karten mit gewissen sächsischen und badischen Abänderungen und eigenen Er- gänzungen. In den deutschen Bundesstaaten Meck- lenburg-Schwerin, Mecklenburg- Stre- ut z und Oldenburg sind Anfänge einer Landesaufnahme im Werden. Uebriges Europa. — Belgien. Schon im Jahre 1855 wurde von D u m out eine Carte geologi(pie de la Belgique et des contrees voisines veröffentlicht, die weit nach Frank- reich und Deutschland (ins Mainzer Becken und bis Straßburg) hinüberreicht, dann wird zu Beginn der 8Ö-er Jahre eine geologische Spezialkarte vom Musee d'histoire naturelle herauszugeben begonnen und 1889 der eigentliche Service geologique de Belgique begründet, der mit großer Energie seine Aufgabe anfaßte. Die Aufnahme erfolgt 1:20000, die Veröffentlichung der Blätter (226) 1:40000. Die topographische Grund- lage ist eine Höhenschichtenkarte in sauberem Stich und Dreifarbciulruck. Die Landesanstalt hat noch die besondere Aufgabe, sich mit der Aufsuchung praktisch nutzbarer Boden- schätze zu befassen und auf bibliographischem Gebiete die Anlage eines die Weltliteratur umfassenden allgemeinen geologischen Re- pertoriums zu besorgen. Bulgarien. Bulgarien hat seit 1905 eine gelegentlichen praktischen iVufgaben dienende Landesaufnahme, jedoch noch keine eigene topographische Karte, ist vielmehr auf die russische Generalstabskarte 1:126000 an- gewiesen. iVußerder geologischen Uebersichts- karte 1:750000 sind erst einige Blätter im kleineren Maßstabe erschienen. 958 Geologische Karten Dänemark. Danmarks geologiske under- sögelse wurde 1888 gegründet. 12 geologische Blätter 1:100000 sind bisher erschienen, daneben Abhandlungen wissenschaftlichen und populär-geologischen Inhalts mit ein- zelnen Karten, ebenso liegen geologische Aufnahmen vor von Grönland. Frankreich. Der Service de la carte geologique de la France wurde 1868 gegründet. Die Karten der geographischen Landesauf- nahme 1:80000 (267 Blätter, zum großen Teil veröffentlicht) sind reichlich mit tech- nischen Notizen, zum Teil mit ausführlicher Legende versehen, dazu kommen noch: eine geologische Uebersichtskarte 1 : 1000000 in 4, eine andere 1:320000 in 16 Blättern, die sogenannten Departementskarten und spe- ziellere Aufnahmen einzelner Gebiete, so die Umgebungskarte von Paris 1:40000 in 4 Blättern, des Beckens von Antun 1:40000. Großbritannien und Irland. Der Geological survey trat als eine der ältesten Landesanstalten schon 1855 ins Leben, 1905 wurde der Survey of Ireland abgetrennt, an- geschlossen ist ein hervorragendes Museum für praktische Geologie. Neben den geologischen Karten in kleinerem Maßstabe (1 : 253 440) sind von geologischer Bedeutung die Blätter der one inch maps (1 Zoll: 1 Meile, 1:63360, 435 Blätter), die seit 1893 veröffent- licht werden und mancherlei Beachtenswertes bezüglich der Darstellung aufweisen, indem sie dreierlei Buchstabensymbole haben : kleine la- teinische für Sedimente, große lateinische für Eruptiva, große deutsche für kristalline Schiefer, dann sichere und konstruierte Grenzen unterscheiden, glazialen Schutt auf koloriertem älterem Gebirge durch schwarzen Aufdruck angeben und tiefgreifende Ver- witterung des Untergrundes (desintegrated rocks) abtrennen und reichliche sonstige Zeichen : für Einfallen, Streichen, Antiklinalen, Synklinalen, Faltungen, Gletscherstreif en usw. verwenden. Im übrigen erscheinen diese Blätter in doppelter Ausgabe als : solid geo- logy maps (abgedeckt) und with drift (mit dem Quartär). Für die Kohlengebiete gibt es Karten mit dem sehr speziellen Maßstab 1:10560. Italien. Die geologische Landes- aufnahme begann mit einer Kommission 1867, aus ihr ging 1874 ein Ufficio geo- logico (geologisches Landesamt) hervor, dem ein ziemlich vielgliederiger Beirat (Comitato geologico d'Italia) zur Seite steht. Für die Feldaufnahme stehen Karten 1:25000 und 1:50000 zur Verfügung, während die Ver- öffentlichung auf der Carta delregno 1 : 100000 erfolgt. Wichtige Gebiete werden in größerem Maßstabe dargestellt: Elba 1:25000, die apuanischen Alpen, Massa marittima, Igle- sienti, Surabus (Sardinien) 1:50000, Car- rara 1 : 2000. — Die technische Ausführung der Karten ist recht gut; die geologischen Buchstabensymbole (kleine für Sedimente, große für Eruptivgesteine) haben blauen Druck (wie zum Teil bei den Schweizer Karten); loei der Darstellung der Vulkane wirkt es sehr plastisch, daß der nach außen abnehmen- den Intensität der Ueberschüttung mit Schlacken, Lapilli, Sauden ein Abklingen der betreffenden Farbe auf der Karte ent- spricht, wie z. B. beim Lago di Braciano auf der Karte der Campagna romana. — Ein vortreffliches Gesamtbild liefert die geo- logische Uebersichtskarte 1:1000000 in 2 Blättern. In umfassender Weise wird das Ufficio geologico zur Lösung praktischer Aufgaben herangezogen. Niederlande. Die Anfänge einer ersten Landesaufnahme sind Staring zu verdanken, der schon 1844 eine erste geologische Dar- stellung des Landes 1:800000 gab und mehrere Blätter 1 : 200000 ausführte. Seither ist nichts Erhebliches mehr in der geologischen Kartographie des Landes geleistet worden. Norwegen. Die geologische Landes- anstalt (Norges geologiske undersögelse), 1858 gegründet, hat jetzt etwa 26 Blätter im Maß- stab 1:100000 herausgegeben; von den ursprünglichen Begründern der Anstalt (Kje- rulf und Dahll) rührt eine Uebersichtskarte 1:1000000 über das nördliche und südliche Norwegen her. Sehr beachtenswert sind die zahheichen, oftmals kartographisch gut ausgestatteten Abhandlungen. Geplant ist die Herausgabe einer neuen Uebersichtskarte des ganzen Landes 1:400000. Öesterreich (mit Ungarn, Bosnien, Ga- lizien, Kroatien). Die geologische k.k. Reichs- anstalt trat 1849 unter Haidinger ins Leben, ist also die älteste geologische Landes- anstalt auf dem Kontinent; sie hat zurzeit 22 Geologen und Mitarbeiter und veröffentlicht im eigenen Verlage, angegliedert ist ein Quellenschutzdienst für die Thermalquellen, abgetrennt seit 1869 die ungarische Landes- anstalt. 1872 wurde die Hau ersehe Ueber- sichtskarte 1:576000 in 12 Blättern ver- öffentlicht. Die offizielle Aufnahme erfolgte auf Blättern 1 : 75000 (einfarbiger Druck mit Bergschraffierung), doch wurden diese nur auf besondere Bestellung, und zwar mit Hand- kolorit abgegeben. Seit 1892 ist man zur farbigen Drucklegung übergegangen; bis jetzt sind 9 Lieferungen mit 47 Blättern er- schienen. Die geologische Ghederung ist auf diesen eine ziemlich eingehende. Die Dislokationen heben sich durch kräftige Striche mit chromgelber Deckfarbe gut heraus. Ungarn. Ungarn, seit 1869 mit selbständi- ger Landesanstalt, veröffenthcht die geologi- schen Karten 1:75000 und 1:144000, dann agrogeologische Karten zum Teil spezieller. Auf den Karten sind die Buchstabensymbole Geologische Karten 959 durch fortlaufende Nummern ersetzt. Die agrogeologischen Karten betonen die geolo- gische Bezeichnung der Böden; braune, von einem Kreis umschlossene Zahlen zeigen die Mächtigkeit der Oberkrume in dm an, rote in Form eines Bruches geschriebene Zahlen den Kalkgehalt in Oberkrume und ' Unter- grund. In Galizien wird seit 1887 ein geologischer Atlas 1:75000 herausgegeben, bereits 80 Blätter sind erschienen, doch fehlt die '■ feste Organisation einer Landesanstalt. Bosnien-Herzegowina hat seit 1898, Ivi-oatien-Slavonien seit 1910 eine eigene Landesaufnahme. Die kartographische Unterlage ist die österreichische 1:75000. Portugal. Die Commissäo do Servigo geologico besteht seit 1854, doch schreitet eine systematische Untersuchung des Landes nur langsam fort und besteht mehr aus einzel- nen wissenschaftlichen Abhandlungen. Indes ist eine geologische Uebersichtskarte 1 : 500000 unlängst erschienen. Rumänien. Rumänien steht noch ziem- lich am Beginne einer geologischen Durch- forschung, während mit Rücksicht auf die großen Aufgaben, welche die praktische Geologie zur rationellen Erschließung der Erdölschätze hier zu lösen hat, die energische Durchführung einer solchen in liohem Grade erwünscht wäre. Rußland. Das Comite geologique, die offizielle geologische Landesbehörde, ver- öffentlicht seit 1884 Uebersichtskarten des europäischen Rußland 1 : 420 000 (erschienen 22), dann Rußland in 6 Blättern 1 : 2252 000, j in noch kleinerem Maßstab 1 : 6800000 1 Blatt. Für wirtschaftlicli wichtige Gebiete kommen wesentlich speziellere Aufnahmen zur An- wendung, so für das karbonische Donetz- becken und die Umgebung von Moskau 1 : 42 000; für die Striche längs der sibirischen Bahn, für die goldführenden Regionen am Jennissei, an der Lena, am Amur, Karten 1:42000 bezw. 1:84000. Einfand. In Finland setzt eine rührige geologische Landesdurchforschung schon in [ den 60-er Jahren des vorigen Jahrhunderts ein, 1886 wird die eigentliche Landesanstalt gegründet als Finlands geologiska Under- sökning (jetzt geologische Kommissionen in Finland). 37 Blätter des südlichen Finn- land 1:200000 sind bereits erschienen, dazu kommen 12 andere Blätter 1 : 400 000. Eine beachtenswerte Neuerung zum Verständnis des Grundgebirges besteht in der Anwendung fortlaufender farbiger Strukturlinien in der Kartenfläche für Gneiße und sonstige kristallinen Schiefer, die zugleich als farbiges Symbol dienen. Schweden. Die Sveriges geologiska undersökning kam 1858 im gleichen Jahre wie die norwegische Landesaufnahme zu- stande und hat wie diese und die finische sich rege betätigt. Sie veröffentlicht Karten in 5 verschiedenen Maßstäben: 1:50000 (130 Blätter erschienen), 1 : 200 000 (12 Blätter erschienen), 1 :100000 (8 Blätter erschienen) und Uebersichtskarten 1:500000, endlich eigentliche Spezialkarten für besonders wich- tige Gebiete. Schweiz. In der Schweiz vollzieht sich die geologische Landesaufnahme durch die ,, Geologische Kommission", die 1865 ge- gründet wurde. Der ersten systematischen Aufnahme liegt die bekannte Dufour- Karte zugrunde (1:100000 in 25 Blättern mit Bergschraffierung, einfarbig). Die meisten der geologischen Blätter zeigen in der Le- gende die bekannte Trennung : Farbe mit Buchstabensymbolen auf dem einen Rande und Buchstabensymbole und deren Er- klärung auf dem anderen Rande der Karte, eine Einrichtung, die so unzweckmäßig wie nur möglich ist und die Benutzung der Legende unnötig erschwert. Eine zweite neuere Aufnahme der Schweiz vollzieht sich imMaßstab 1 : 25000 und 1 : 50000 mit dertopographisclien Unterlage des ausge- zeichneten Siegfried -Atlas im Dreifarben- druck. Die geologische Bearbeitung ist dement- sprechend gleich vorzüglich. Nur wirkt es einigermaßen störend, daß auf diesen neuen Blättern auf eine gewisse Uebereinstimmung in der Farben- und Buchstabensymbolik kein Wert gelegt wird. Von diesen neueren Blättern seien hier angeführt: Lugeon, das Kandergebiet ; Argand, das Dent-blanche- Massiv; Oberholzer und A. Heim, die Glarner Alpen; Schmidt und Preis werk, die Simplongruppe (1:50000); — A. Heim und Oberholzer, Walensee; Buxdorf, Burgenstock; Mühlberg, Umgebung von Aarau (1:25000). Die Uebersichtskarte der Schweiz, 1 : 500 000 (mit Höhenkurven!), jetzt in 2. Auflage und in kräftigeren Farben (wie bisher) von A. Heim und C. Schmidt, reiht sich diesen Leistungen würdig an. Spanien. Das Instituto geolugico de Espaüa hat eine Uebersichtskarte 1:400000 in 16 Blättern herausgegeben. Asien. Japan. Der Imperial geological survey wurde 1879 von E. Naumann ge- gründet, unter gleicher Leitung auch die topographische Aufnahme, die recht gute Höhenschichtenkarten liefert. Neben den sogenannten geologischen Spezialkarten 1:200000 in 99 Blättern gibt es auch wirk- liche Spezialaufnahmen wichtiger Gebiete 1:20000 und auch agrogeologische Dar- stellungen und eine technisch geologische Karte 1 : 200 000 vom Jahre 1908 mit lokaler geologischer Kolorierung der eingetragenen 960 Geologische Karten duktionswerte, endlich ist eine Uebersichts- karte 1:1000000 erschienen. Die staatlichen geologischen Aufnahmen in Ägypten, Algier, Kapland, Natal, Transvaal haben namhafte kartographische Leistungen nicht aufzuweisen, dagegen ist Australien, besonders Neusüdwales in dieser Hinsicht recht rührig. Hier sind es in erster Linie bergbauliche Unternehmungen, welche allerdings mehr nur Lokahinter- suchungen veranlaßten, die in reports mit kartographischen Beilagen niedergelegt sind. Vereinigte Staaten von Nord- amerika. Der Geological Survey wurde 1880 gegründet; seine Vorläufer sind die rail road surveys in den 60-er Jahren und die meist mit den Universitäten verbundenen surveys of the territories. Das Personal be- steht aus rund 50 Geologen und 80 Topo- graphen, denn die topographische Aufnahme ist mit der geologischen in demselben Survey vereinigt. Die topographischen Karten im Maßstab 1:125000, 1:62000, 1:10000 mit Höhenlinien in Dreifarbendruck sind in der Ausführung sehr gute Leistungen. Von diesen Karten sind rund 2000 veröffentlicht. Der Gesamtetat des Survey beträgt zurzeit etwa 6 Millionen Mark. Eine eigenartige Aus- stattung haben die offiziellen geologischen Spezialkarten in den sogenannten Folioaus- gaben, das sind wirkHche Musterdarstellungen. Ein solches Folio faßt in einem Umschlage 6 verschiedene Ausgaben desselben Blatt- gebietes: 1. Eine rein topographische Karte 1:125000 im Dreifarbendruck mit Höhen- kurven. 2. Dasselbe Blatt mit geologischer Kolorierung (areal geology). 3. Oeconomic Geology, mit besonderer Auszeichnung der technisch wichtigen Mineralien, in Kohlen- gebieten mit dem unterirdischen Verlauf der Flöze usw. 4. Tektonische Karte mit ver- schiedenen Querprofilen, welche die geolo- gisch kolorierte Fläche in Form breiter Streifen unterbrechen. 5. Eine Illustrations- tafel mit Landschaften. — Auf der inneren Seite des Umschlages zur Mappe ist, immer gleichlautend, eine populär geologische und topographische Erklärung zur Einführung in das Lesen der Karte zu finden. Nach- ahmenswert ist auch die einheitliche Fest- setzung von gewissen schwarzen Strukturhnien zur Darstellung von Kalksteinen, Sandsteinen, Schiefern, Konglomeraten, alluvialen, gla- zialen, äolischen Aufschüttungen usw. in Profilen. Sonstige Pubhkationen bilden die Annual reports (ca. 60 dicke Bände), die Bulletins (450), die Monographs u. a. — Eine große praktische iVrbeit leisten daneben noch die Surveys der einzelnen Territorien. Canada. Der Geological survey besteht I seit 1843 und ist damit einer der ältesten ; ! eine besondere Minenabteilung zur Er- I forschung der Mineralschätze ist ihm an- I geghedert. Das gesamte Personal der An- ' stalt besteht zurzeit aus etwa 48 Beamten. Außer Uebersichtskarten 1:1562510 bezw. 1 1:2812500 kommen hauptsächlich die Maps to accompany the annual reports in Betracht, Karten 1 : 126700 mit schöner topographischer { Unterlage in Dreifarbendruck, zum Teil mit j einer kurzen geologischen Beschreibung am Rande und besonderen Symbolen für Gold, Eisen, Kupfer, Nickel, 'Ghmmer, x\patit, Graphit, Marmor usw. Süd a m e r i k a. In Südamerika haben geologische Landesanstalten: Argentinien, ; wo seit etwa 10 Jahren Aufnahmen im Gange sind, vorläufig aber nur Karten 1:100000 bez. 1:500000 bearbeitet werden und Brasilien, aber nur im Staate Sao Paolo, seit 1886, wo die Aufnahme noch der Organisation entbehrt. Literatur. Die nachfolgende Literaturzvscnnmen- utellung kmm nur die wichtigeren, und zwar diejenigen Schriften umfaissen, die im Rahmen des vorliegenden cdlgemein orientierenden Ueber- hlickes über die geologische Kartographie diesen mit Bezug a\if gewisse Einzelheiten zu ergänzen ver- mögen. Die Angaben über Einrichtung und Aus- stattung der geologischen Karten und die Methoden der Darstellung beruhen auf eigener Anschaming des Verfassers. — W. Ouitzow, Geologenkcdender für die Jahre WlljlS. Leipzig 1911. Enthält eine systematische Zusammenstellung der geo- logischen Landesanstalten mit zahlreichen statistischen Angaben. — F. Bei/schlag, Geo- logische Spezinlauf nahmen. Zeitschrift für praktische Geologie, lfi93, S. 2, 89. — Der- selbe, Die internationale geologische Karte von Eurojm. Ebenda, 1895, S. 1. — L. van Werveke, Die geologische Landesunter- suchnng von Elsaß- Lothringen. Ebenda, 1894, Ä. S. — R. Lepsius, Die geologische Landes- uiitcrsiichung des Groß her zogtums Hessen. Ebendll, 189S. — A, Sauer, Die neue geo- logische Sjtezial karte des Großherzogtums Baden. Eberida, 1893, S. 833. — A. Lejtpla, Die geologischen Untersuchungen des Königreichs Bayern. Ebenda, 1894, S. 1. — A. Sauer, lieber den Stand der agmgeologischen Aufnahmen in Süddeutschland und ihre Bedeutung für die praktische Landwirtschaft. Archiv des deutschen Landwirtsckaff srats , Jahrgang 35, 1911. — R, Michael, Die geologische Landes- aufnahme Belgiens. Zeitschrift für praktische Geologie, 1898, S. 4I. - A. Stella, Geo- logische Spezialaufnahme von Italien. Ebenda, 1894, S. 77. — f. Kriisch, Lieber französische geologische Karten. Ebenda, 1899, S. 123. — C. Schmidt, Die geologischen Karten der Schweiz (eine sehr vollständige Zusammenstellung der geologi.-chen kartographischen Literatur der Schweiz bis 1894), Ebenda, 1894, S. 297. — M. Klittke, Entu'irkchtng, Organisation und Leis- tungen der geologischen Landcsanstalten in den Vereinigten Staaten. Ebenda, 1895, S. 209, 289. Eine sehr vollständige Zusammenstellung ! Geologische Karten — Gerbimg und Gerbstoffe 961 — Verselbe, Die geologische Aufnahme des Dominiums von Canada. Zeitschr. f. prakt. Geo- logie, 1896. — A. Berg, Einführuiuj in die Geo- logie. Jena 1906. A. Sauer. Geothermische Tieienstufe. Der Ausdruck bezeichnet die Anzahl der Meter, die man in die Erde eindringen muß, um 1*' C Temperaturzunahme zu haben. Sie beträgt im Mittel 33 bis 35 m. Die Linien gleicher Temperatur im Erdinnern bezeichnet man als Geoisothermen. Sie verlaufen etwa parallel der Erdoberfläche, sind aber besonders nach außen an den Polen stärker abgeplattet als das Geoid, steigen unter Bergen etwas an und senken sich unter Täern etwas ein (vgl. den Artikel „Erd- wärme"). Gerbung und Gerbstoffe. 1. Einleitung. 2. Die Rohhaut, a) Anato- mische Beschaffenheit. h\ Chemische Zusammen- setzung. 3. Das Verhalten von Gelatine und von Haut gegen a) Säuren und Alkalien, b) Halogene, c) Aluminium- und Chromverbindungen, d) vege- tabilische Gerbstoffe, e) Formaldehyd und Chinon, f) wasserlösliche Kondensationspro- dukte von Phenolen und Forniaklehyd, g) un- gesättigte Fette. 4. Die vorbereitenden Arbeiten, a) Weichen, b) Entfernen der Epidermis, c) Ent- fernen des Unterhautzellgewebes, d) Entkalken und Beizen. 5. Gerbstoffe. I. Einleitung. Die Fähigkeit, Haut in Leder zu verwandeln, ist den Menschen schon auf niedriger Kulturstufe eigen gewesen. Die älteste Gerbmethode war wahrscheinlich eine Art Fettgerbung, und es kann noch heute bei kulturell unentwickelten Völkerschaften be- obachtet werden, daß das Fell des erlegten Wildes mit dem Fett und Hirn des Tieres bearbeitet und durch mechanische Be- handlung weich gemacht wird. Die Verwen- dung vegetabilischer Gerbstoffe in Form von Früchten, Blättern, Rinden usw. ist wohl späteren Datums, die Alaungerberei wurde erst im Mittelalter von den Mauren nach Europa eingeführt und einige Gerbarten, wie z. B. die Gerbung mit Chromsalzen, Handwörterbuch der Naturwissenschatten. Band IV Formaldehyd, Chinon, Halogenen und Kondensationsprodukten von Phenolen mit Formaldehyd gehören den letzten Jahr- zehnten an. Das Bestrebeu, Einblick in die Vorgänge bei der Lederbereituug zu gewinnen, datiert kaum mehr als 100 Jahre zurück, und ihm ist neben der Einführung maschinellen Großbetriebs die rasche Entwickelung der Gerberei in den letzten Dezennien zu ver- danken. 2. Die Rohhaut. 2 a) Anatomische B e s c h a f f e n h e i t. Die Häute (Felle) der für die Ledererzeugung in erster Linie in Betracht kommenden Säuge- tiere (Bind, Schaf, Ziege) sind einander trotz äußerlicher Verschiedenheit (Größe, Dicke usw.) in anatomischer Hinsicht sehr ähnlich. Den größten und wichtigsten Teil der Haut bildet das Corium (Lederhaut); dieses ist von der Epidermis (Oberhaut) bedeckt und grenzt andererseits an das Unterhautzellgewebe, welches die Verbin- dung mit dem Fleisch herstellt. Im fertigen Leder liegt nur das gegerbte Corium vor, während sowohl die Oberhaut wie das Unterliautzellgewebe vor beginnender Ger- bung durch besondere vorbereitende Arbeiten (s. S. 965) entfernt werden. Das Corium besteht aus feinen Hautfasern (Durchmesser 1 f/), die in dem der Oberhaut zu- gewendeten Teile ein außerordentlich dichtes Gewebe bilden (Pars papillaris), das von derOber- haut durch eine dünne, widerstandsfähige Mem- bran (die hyaline Schicht) getrennt ist und mit dieser zusammen die sogenannte Narbe bildet. Der Hauptteil des Coriums (Pars reticularis) besteht aus Faserbündeln, die sich zu einem, im Vergleich zur Narbe gröberen Gewebe ver- schhngen. Die Einzelfasern sind in diesen Faser- bündeln durch eine mucinartige Substanz (Corio- mucoid) miteinander verkittet und isolieren sich allmählich beim Uebergang in die Narbe. Durch diese Struktur bildet das Corium einen außer- ordentlich oberflächenwirksamen Komplex, was für die bei der CJerbung primär verlaufenden Adsorptionsvorgänge von großer Wichtigkeit ist. Erhöht wird diese Oberflächenentwickelung noch durch die teilweise Entfernung des Corio- mucoids, das bei den vorbereitenden Arbeiten mehr oder weniger herausgelöst wird. Die Epidermis bildet bei den Säugetieren nur einenrelativ kleinen (dünnen) Teil der Haut; sie besteht aus der widerstandsfähigeren Hornschicht, welche die Haut nach außen abgrenzt, und aus der Schleimschicht (rete :\I a 1 p i g h i), welche aus lebenden, weichen Zellen besteht, die sich durch Teilung fortpflanzen, gegen die Hornschicht zu allmähüch flacher werden, absterben und dann die Hornschicht bilden. Dm-ch Hych-olyse der Schleimschicht (mittels Alkalien oder durch leichte Fäulnis) kann tue ganze Oberhaut vom Corium losgelöst und mechanisch entfernbar gemacht werden. Da auch die Haare, Fett- und Schweißdi-üsen in Einstülpungen der Oberhaut stecken, also nicht bis in das Corium dringen 61 962 Grerbung' und Gerbstoffe so werden bei der mechanischen Entfernung der Oberhaut auch diese Bestandteile der Haut beseitigt. Das U n t e r h a u t z e 1 1 g e w e b e ist ein lockeres, mit Fettzellen duix-hsetztes Zellgewebe, das auf mechanischem Wege (durch Schaben oder Schneiden) vom Corium entfernt werden muß. 2b) Chemische Zusammensetzung. In chemischer Hinsicht sind als wichtigste Bestandteile der Haut einige Proteine (Col- lagen, Keratine, Mucine, Elastin), ferner Fett und Wasser (60 bis 80%) zu bezeichnen. Die Hörn Schicht der Epidermis besteht haupt- sächlich aus Keratinen, deren relative Bestän- digkeit gegen Säuren, Alkalien und Enzyme hervorzuheben ist, während Alkalisulfide eine hydrolysierende Wirkung ausüben. Deshalb werden auch Haare und Wolle in sulfid- haltigen Lösungen viel stärker angegriffen als in rein alkalischen. Die Schleim sc hiebt besteht im wesentlichen aus Mucinen, die in Alkalien recht leicht löslich sind und auch bei beginnender Fäulnis früher als andere Bestandteile der Haut angegriffen werden. Das Unterhautzellgewebe ist durch seinen Fettreichtum ausgezeichnet; Fette finden sich auch in den Fettdrüsen der Oberhaut (cholesterinartige Fette) und in den Fettzellen des Coriums (zumeist tri- glyceridartige Fette). Den wichtigsten Be- standteil der Haut aber bildet das Collagen, welches das Material der Hautfasern im Corium darstellt und beim Gerbprozeß jene Veränderungen erleidet, die für die Leder- bildung charakteristisch sind. Obgleich manche Anzeichen dafür sprechen, daß das Collagen der Häute versclüedener Tiere nicht eine bestimmte einheitliche Substanz dar- stellt (Unterschiede im Schwefelgehalt, in der Leichtigkeit der Gelatinebildung usw.), so sind doch unsere diesbezüglichen Kenntnisse zu gering, um von mehreren Collagenarten sprechen zu können. Von physikalischen Eigenschaften des Collagens sind hervorzuheben : Die Unlöslich- keit in Wasser, verdünnten Säuren und Salzlösungen (die stark verbreitete Ansicht Keimers, daß 10-prozentige Kochsalzlösung auf das Corium lösend wirkt, ist unrichtig); kalte verdünnte Lösungen von Alkalien (z. B. Kalkwasser) und Enzymen (Trypsin und Pepsin) wirken nur sehr langsam hydro- lysierend. iVlkohol und einige starke Salz- lösungen wirken entwässernd, und diese Wirkung scheint neuerdings auch technische Bedeutung zu erlangen. Die Wirkung des Alkohols ist auch eine denaturierende, und andauernd „gehärtetes" Collagen wird durch Kochen mit Wasser nicht mehr in Gelatine verwandelt. Verdünnte Säuren und iVlkalien wirken schwellend und diese Schwellungs- erscheinungen sind sowohl wissenschaftlich interessant (s. S. 963 als technisch wichtig. Durch anhaltendes Kochen mit Wasser oder — rascher — mit verdünnten Säuren und Alkalien wird Collagen in Glutin (Gelatine) verwandelt; dies stellt die erste Stufe der Hydrolyse dar, in deren weiterem Verlauf Gelatosen, Peptone und Amino- säuren entstehen. Diese Produkte der Hydro- lyse bilden den Hauptteil unserer Kenntnis der chemischen Zusammensetzung des Col- lagens; denn bei der außerordentlichen (und nicht bestimmbaren) Größe des Col- lagenmoleküls gibt die Elementaranalyse nur wenig Aufklärung. Immerhin ist der für alle Kindercollagene konstante Stick- stoffgehalt von 17.8% ( Schaf coUagen hat 17.0%, ZiegencoUagen 17.4% N) für tech- nische Berechnungen des Durchgerbungs- grades wichtig und mag daher erwähnt sein. Eine weitgehende Aehnlichkeit besteht zwi- schen Collagen und seinem ersten Hydrolyse- produkt, der Gelatine. Letztere ist durch die leichtere Reindarstellung und durch die Löslichkeit in Wasser dem Studium leichter zugänglich als das Collagen; ihr Verhalten läßt in ziemlich weitgehendem Maße auf das Verhalten des Collagens zurückschließen, was für die iVufklärung gerbereichemischer Fragen von Wichtigkeit ist. 3. Das Verhalten von Gelatine und von Haut. Gelatine gehört insofern zu den best- studierten Proteinen, als ihre hydrolytischen Abbauprodukte qualitativ und quantitativ recht genau bekannt sind. Die beträchtlichen Mengen von GlykokoU, Glutaminsäure und von Diaminosäuren, sowie das Fehlen von Tyrosin weisen darauf hin, daß nur die so- genannte Antigruppe der Eiweißstoffe im Gelatinemolekül vorhanden ist. Darauf beruht wohl die relative Beständigkeit dieses Proteins (und auch des Collagens). Zum Verständnis des chemischen Ver- haltens der Gelatine wird man ihren ampho- teren Charakter zu berücksichtigen haben, während viele Reaktionen der Gelatine aus der Kolloidnatur dieses Stoffes abge- leitet werden müssen. Der amphotere Charakter ergibt sich aus dem Wesen der Aminosäure R<^ und wird in modi- ' ^COOH' fiziertem Grade auch jenen Stoffen eigen sein, die aus mehreren Aminosäuren (ver- mittels — CO— NH-Bindung) zusammenge- setzt sind. Je komplizierter das Protein- molekül, desto geringer wird die Zahl der freien Amine- und Carboxylgruppen sein (verglichen mit den genannten CO — ^NH- Gruppen) und desto weniger ausgeprägt wird daher der basische oder saure Charakter des Moleküls erscheinen müssen, sofern man nicht den CO — NH- Gruppen eine säuren- resp. basenbindende Fähigkeit zusprechen will. Andererseits wird der Kolloidcharakter Gerbung und Gerbstoffe 963 eines Proteins mit wachsendem Molekular- gewicht offenbar gesteigert, wie z. B. aus dem abnehmenden Diffusionsvermögen in der Keihe Aminosäuren, Peptone, Gelatosen, Gelatine ersichtlich ist. Diese zweifache Betrachtungsweise der Gelatine (und des CoUagens) als schwache amphotere Elek- trolyten und als Kolloidsubstanzen ist für die verschiedenen Erklärungen wesentlich, welche für die Vorgänge bei der Gerbung und bei den der Gerbung vorausgehenden vorbe- reitenden Arbeiten vorgeschlagen wurden. 3a) Verhalten gegen Säuren und Alkalien. Die Einwirkung von Säuren auf Gelatine kann im Sinne des Gesagten entweder rein chemisch oder kolloidchemisch aufgefaßt werden ; im ersten Falle kann man die Bildung von Gela- tinesalzen annehmen, deren Kation nicht diffusibel ist (und deshalb die Bildung eines Membranpotentials verursacht), deren x\nion mit dem x\nion der Außenflüssigkeit in Gleichgewicht steht; dieses Gleichgewicht wird auch durch die Wasserstoffiouen- konzentration in und außerhalb der Gelatine ■ beeinflußt (wobei die weitgehende Hydrolyse der Gelatinesalze zu berücksichtigen ist), und sein Zustandekommen wird in hohem Maße durch den Eintritt von Wasser in die Gelatine (Schwellung) ermöglicht. Nach kolloidchemischer Betrachtungsweise wird die Säure durch die disperse Gelatinei)liase resp. durch das sehr oberflächenwirksame Fasergewebe der Haut adsorbiert und die dabei auftretende Schwellung wird von Neutralsalzen in ähnlicher Weise beeinflußt, wie dies für andere Vorgänge (Löslichkeits- und Schmelzpunktserhöhung der Gelatine, Löslichkeitserhöhung von Kohlendioxyd, Schwefelwasserstoff, Essigäther usw. in Wasser, Zusammendrückbarkeit und innere Keibung der Salzlösungen, Beeinflussung der sauren und alkalischen Esterkatalyse usw.) der Fall ist. Bei all diesen Vorgängen ergibt sich bezüglich des Wirkungsgrades diefolgende Keihenfolge der Anionen: CNS'— J' — Br'— C1O3'— NO3' — er CeH50/"-P0/"-S0/'. In der Lederbereitung findet eine Säiue- wirkung auf Haut häufig statt, so z. B. bei der Entkälkuiig der zwecks Haarlockerung mit Kalkbrühen behandelten Häute, ferner im so- genannten Pickelprozeß, welcher der Gerbung unmittelbar vorhergehen kann, und aus einem Säure-Kochsalzbad besteht; dann bei allen jenen Gerbverfahren, bei denen in angesäuerten Brühen oder mit sauer reagierenden Stoffen (Aluminium- und Chromsalzen usw.) gearbeitet wird. Die Einwirkung von Alkalien auf Gela- tine und Haut ist insofern der Säurewirkung analog, als neben der Aufnahme einer ge- wissen, von der Außenkonzentration ab- hänsiieen Alkalimenge auch eine beträcht- liche Wasseraufnahme (Schwellung) statt- findet. Zum Unterschied von der Säure- wirkung wird jedoch die alkalische Schwel- lung durch den Zusatz von Neutralsalzen nicht merklich beeinflußt; auch tritt schon bei mäßigen Alkalikonzentrationen ein hydro- lytischer Angriff auf das Gelatine- (Haut-) Molekül zutage. Als praktisches Beispiel für die Verwendung von Alkali in der Gerberei sei die Wirkung der Kalkbrühen erwähnt, welche die Schleimschichte lösen, das Corium schwellen und die Haut da- diu'ch für die spätere Gerbung aufnahmsfähiger machen. 3b) Verhalten gegen Halogen, Halo- gene (Chlor und Brom) sind vor kurzem in die Gerbereitechnik eingeführt worden. Ihre W^irkung auf Gelatine ist eine schmelzpunkt- erhöhende und führt schließlich zur Unlöslieh- keit in heißem Wasser; die hierzu notwendige Brommenge beträgt 0,9% vom Gewicht der trockenen Gelatine. Eine sehr schwache Chlorierung wirkt konservierend auf die Rohhaut, ohne die nachfolgende gerberei- technische Behandlung derselben ungünstig zu beeinflussen; dies soll für die Schafleder- industrie praktisch verwertet werden. • 3 c) Verhalten gegen Alumi- nium- und C h r 0 m V e r b i n d u n g e n. A 1 u m i n i u m s a 1 z e erhöhen die Gelati- nierungstemperatur einer Gelatinelösung, und zwar um so mehr, je stärker die verwendete Aluminiumsalzlösung ist; dies gilt bis zu einer Aufnahme von 0,64% AI2O3 durch Gelatine: stärkere Lösungen bedingen dann wieder eine Erniedrigung der Gelatinierungstemperatur. Aequivalente Mengen verschiedener Aluminiumsalze üben gleiche Wirkung aus; basische Salze wirken stärker und rascher als normale. Es kommt aber niemals zur Unlöslichkeit der Gelatine, sowie auch die Haut durch Gerbung mit Aluminiumsalzen niemals gegen heißes Wasser beständig gemacht wird. Chromsalze verursachen weitergehende Aenderungen an der Gelatine und technisch wertvollere Veränderungen der Haut als Aluminiumsalze. Es ist die Wirkung von Chromisalzen und diejenige von Chromaten (Bichromaten) zu unterscheiden. Chromi- salze erhöhen die innere Reibung und den Schmelzpunkt der Gelatine und bewirken schließlich völlige Unlöslichkeit der Gelatine in heißem Wasser. Je konzentrierter die Lösung und je basischer das Chromsalz, desto rascher erfolgt diese Wirkung, desto reichlicher ist auch die Menge des von Gelatine aufgenommenen Chroms. Analog ist die Wirkung von Chromisalzen auf die Haut (Einbad-Chromgerbung). Die dies- bezüglichen Vorgänge lassen sich kurz folgendermaßen beschreiben: Das in der Gerbbrühe befindliche schwach basische 61* 964 Gei'liung lind Gerltstoffe Chromsalz (etwa CrOHS04) ist hydrolytisch iii freie Schwefelsäure und ein stärker basisches Chromsalz s;espalten; diese beiden Bestandteile der Brühe werden von der Haut aufgenommen und zwar findet die Aufnahme der kristalloiden Schwefelsäure rasch und'reversibel statt (wobei allzu starke Schwellung der Haut durch Kochsalzzusatz gehemmt werden kann), während das semi- kolloide, stark basische Chromsalz lang- samer durch die Kapillaren der Haut dringt und an den Hautfasern allmählich einen Film von basischem Chromsalz ablagert, ähnlich wie kolloide Lösungen beim Passieren von Glaskapillaren eine Trennung von Dispergens und Dispersum erleiden. Die gegerbte Faser vermag weniger Schwefel- säure aufzunehmen oder festzuhalten als die ungegerbte, und tatsächlich wird während der Gerbung ein Teil der anfangs aufge- nommenen Säure wieder abgespalten. Bringt man Hautstücke in eine basische Chromsiüfatlösung von bekanntem Verhältnis zwischen Cr und SO4 und bestimmt dieses Ver- hcältnis von Zeit zu Zeit, so zeigt sich, daß anfangs mehr SO4 als Cr der Lösung entzogen wird, wäh- rend nach vollendeter Gerbung eine saurere Brühe zurückbleibt. In analoger Weise färbt sich eine violette, neutrale Chromsalzlösung auf Zusatz von Gelatine oder Haut sofort grün, da an- fangs reichlich Schwefelsäure aufgenommen wird und das ziu'ückbleibende basische Chromsalz grün gefärbt ist. Das von der Faser adsorbierte basische Chromsalz erleidet bald sekundäre Aende- rungen, welche die Irreversibilität der Ger- bung bewirken. Diese allmählich ver- laufenden Aenderungen beruhen wahrschein- lich auf Anhydrisierungen der Chromverbin- dungen und auf kolloiden Zustandsänderungen derselben. Bei der Alaungerbung, die ganz analog verläuft, lassen sich diese Erschei- nungen des ,, Alterns" besser verfolgen, da sie wesentlich langsamer verlaufen und durch eine stete Abnahme des ,, Auswaschbaren" kontrollierbar sind. Bei der Chromgerbung, die sich auch durch die Unempfincllichkeit der gegerbten Faser gegen heißes Wasser von der Alaungerbung unterscheidet, sinkt dieses Auswaschbare sehr bald auf Null. Chromate haben weder auf Gelatine noch auf Haut eine gerbende Wirkung, sondern lassen sich unverändert wieder auswaschen, sofern man eine Belichtung der Gelatine (oder Haut) vermieden hat. Durch Belichtung Avird nämlich ein Reduk- tionsvorgang hervorgerufen, der zum so- genannten Chromdioxyd (basischem Chromi- chromat) führt. Dies hat bei Gelatine für die Vervielfältigungstechnik Bedeutung, während die Einwirkung von Chromaten auf Haut bei der sogenannten ,, Zweibad- Chromgerbung" in Betracht kommt. Danach wird die Haut zuerst mit Kaliumbichromat und Salzsäure behandelt und dann in ein Reduktionsbad (Thiosulfat und Säure) ge- bracht, um das gerbende basische Chromisalz in der Haut zu erzeugen und dort zu binden. Die im Reduktionsbad verlaufenden Vor- gänge sind recht kompliziert, indem die aus dem ersten Bad aufgenommene Dichromsäure das Thiosulfat zum Teil gänzlich zu Sulfat, zum Teil zu Tetrathionat und zum Teil unter Schwefelabscheidung zu Sulfat oxydiert, wobei der gebildete Schwefel teilweise kolloid- gelöst bleibt und teilweise sich mit dem Tetrathionat zu Pentathionat vereinigt. 3 d) Verhalten gegen vegeta- bilische Gerbstoffe. Die für den Gerbereichemiker interessanteste Gelatine- reaktion ist die Fällung mit vegetabili- schen Gerbstoffen, denn diese Reaktion stellt ein einfaches Analogon zu dem kompli- zierten Vorgang der vegetabilischen Gerbung dar. Die Gelatine- Gerbstoff fällung wird vielfach als Salzbildung aufgefaßt, obgleich die Annahme einer Kolloidfällung aus folgen- den Gründen wahrscheinlich die richtigere ist: Weitestgehend gereinigte Gelatine wird durch reines Tannin nicht gefällt, die Gegen- wart von sehr geringen Elektrolytmengen genügt, um die Fällung hervorzurufen; die Zusammensetzung der Fällung ist in hohem Maße von dem Mengenverhältnis der Kom- ponenten, den angewandten Konzentra- tionen und der Art des Zusatzes (ob Gelatine- lösung zur Gerbstofflösung oder umgekehrt) abhängig; Schutzkolloide (die Hydrosole des Eisenhydroxyds und Thoriumhydroxyds, ferner Chondromucoid) verhindern die Fällung, auch Ueberschuß von Gelatine wirkt in diesem Sinne; schließlich spricht die Analogie mit der kolloiden /5-Kieselsäure, die durch Gelatine gefällt wird, während die kristalloide a-Kieselsäure dies nicht tut, ebenfalls deut- lich für die Annahme einer Kolloidfällung bei der Gelatine- Gerbstoff reaktion. Man wird daher auch bei der vegetabili- schen Gerbung von einer chemischen Ver- bindung zwischen Collagen und Gerbstoff absehen dürfen (obwohl diese Ansicht noch vielfach vertreten wird) und eine primäre Adsorption des (lerbstoffs an den Haut- fasern sowie darauffolgende sekundäre Aende- rungen des adsorbierten Gerbstoffs anzu- nehmen haben, wobei man chemische Vor- gänge (Anhydrisierungen, Polymerisationen, Oxydationen) und Zustandsänderungen des kolloiden Stoffes (Umwandlung des Hydrosols in ein Hydrogel) zur Erklärung wird heran- ziehen müssen. Die Annahme eines sekun- dären Vorganges zwischen Gerbstoff und Collagen ist wohl kaum nötig, es wäre denn, daß man die Bildung eines Kolloidkom- plexes ins Auge faßt. Bei der vegetabilischen Gerbung, die bei dem heutigen Stande der Tchnik für mehr als ^U der Grerbunc,- und Gerbstoffe 965 konsumierten Ledermengen in Betracht kommt, ] sind die bestehenden Verhältnisse so kompli- ziert und unsere Kenntnis der beteiligten Stoffe, ' Haut und Gerbstoff, so ungenügend, daß die Auf- findung der für verschiedene Ledersorten gün- 1 stigsten Arbeitsbedingungen noch fast aus- schließlich auf empü-ischem Wege erfolgt, Wcäh- rend die Tätigkeit des technischen Chemikers I auf eine Betriebskontrolle zur Einhaltung dieser Bedingungen beschränkt bleibt, und der XVissen- : schaftler nur langsam den wahren Ursachen nach- ■ zuspüren vermag, die für das Zustandekommen des gewünschten Effektes maßgebend sind. Die Mannigfaltigkeit des Hautmaterials, das nicht nur für verschiedene Tiere, sondern bei demselben Tier nach Alter, Geschlecht, Ernährung us\v. verschieden ist, und das an ein und derselben Haut große Verschiedenheiten aufweist; ferner die noch vielfach ungeklärten Veränderungen, welche die Haut bei den vorbereitenden Arbeiten (s. unten) erfährt und die sich in geänderter Oberflächenwirksamkeit geltend machen; schließ- lich die Mannigfaltigkeit der vegetabilischen Gerbstoffe, von denen jeder einzelne aus un- verstandenen Gründen in spezifischer Weise wü'kt und Gerbeffekte verschiedener Art (in bezug auf Weichheit, Festigkeit, Wasserbe- ständigkeit usw. des Leders) verui-sacht: all dies schafft ein an ungeklärten Verhältnissen über- reiches Feld für die gerbereichemische Forschung. 3e) Verhalten gegen Formaldehyd und Chinon. Von weiteren Reaktionen mit Gelatine sind die von Chinonen und Formal- dehyd erwähnenswert. Beide bewirken voll- ständige Unlöslichkeit der Gelatine in kochen- dem Wasser. Die Formaldehydgerbung wird zumeist in alkalischer Lösung vorgenommen, doch erscheint es nach neueren Beobach- tungen wahrscheinlich, daß das beigefügte Alkali (Kaliumkarbonat) hauptsächlich durch seine hautentwässernde Wirkung die Ger- bung fördert. iVuch für die Wirkung von Chinon auf Gelatine oder auf Haut ist die alkalische Reaktion der Gerbflüssigkeit wich- tig; die dabei auftretende Gerbung wird auch von jenen Polyphenolen ausgeübt, welche bei der Oxydation (in alkalischer Lösung) Chinone bilden. Die mit Chinonen gegerbte Gelatine oder Haut ist sowohl gegen kochendes Wasser als auch gegen verdünnte Säuren und Alkalien außer- ordentlich beständig. Mit Formaldehyd gegerbte Gelatine scheint w'ohl auch gegen kochendes Wasser beständig zu sein, wird aber bei anhaltendem Kochen unter Form- aldehydabspaltung hydrolysiert, sowie auch trockenes Erhitzen allmähliche Formaldehyd- entwickelung verursacht. 3 f ) Verhalten gegen wasser- lösliche Kondensationsprodukte von Phenolen und F o r m a 1 d e h y d. Vor kurzem wurde auch das Verhalten von wasserlöslichen Formaldehydkondensations- produkten sulfonierter Phenole gegen Gela- tine und Haut studiert und eine weitgehende Aehnlichkeit in Wirkung und Eigenschaften (z. B. Gelatinefällung) dieser ,, synthetischen Gerbstoffe" mit den natürlichen vegetabi- lischen Gerbstoffen erkannt. 3g) Ungesättigte Fette. Während bei den bisher besprochenen Gerbungsarten eine deutliche Analogie zwischen dem Verhalten gegen Haut und gegen Gelatine besteht, scheint dies bei der Fettgerbung nicht der Fall zu sein. Zur Fettgerbung sind nur solche Fette geeignet, deren Fettsäuren wenigstens zwei doppelte Bindungen aufweisen. Bei der Gerbung findet Autoxydation des Fettes (Tranes) unter lebhafter Wärmeentwickelung statt. Aus dem fettgaren (säiuischgaren) Leder läßt sich ein beträchtlicher Teil des Fettes weder durch organische Lösungsmittel noch durch Alkalien entfernen. Dies wird vielfach durch die Bildung chemischer Ver- bindungen zwischen oxydierten Fettsäuren und Collagen erklärt, doch erscheint eine solche xVnnahme unnötig, da man ähnliche Veränderungen der Tranfettsäuren auch ohne Gegenwart von Collagen bewirken kann. 4. Die vorbereitenden Arbeiten. Bevor die Häute auf irgendeine der oben be- j sprochenen Weisen gegerbt werden können, j müssen gewisse vorbereitende Arbeiten vor- genomm'en werden, welche hauptsächlich darauf hinauslaufen, die Epidermis und das Unterhautzellgewebe zu entfernen und das isolierte Corium möglichst oberflächenwirk- sam zu machen. Die zur Gerbung vorbereitete Haut wii'd Blöße genannt und folgende Behandlungen sind zur Herstellung der Blöße nötig: a) Das Weichen. Die Haut wü'd mit Wasser gereinigt, leicht geschwellt und erweicht, was durch mechanische Hilfsmittel oder durch Zusatz sehr geringer ]\lengen von Alkalien oder Säuren (Ameisensäure) gefördert werden kann. b) Die Entfernung der Epidermis. Dies kann entweder durch eine leichte Fäiünis der Häute (Schwitzprozeß) in besonderen Bäumen (Schwitzkammern) erfolgen, wobei die Schleim- schicht der überbaut hycü'olysiert wird und eine mechanische Entfernung der gesamten Ober- haut samt Haaren usw. gestattet; oder es kann eine solche Lockerung der Epidermis durch mehr- tägige Einwirkung von Kalkmilch hervorgerufen werden, wobei ebenfalls die Schleimschicht ge- löst, die interfibrilläre Substanz (Coriomucoid) teilweise entfernt, die Faser geschwellt und natürliches Fett verseift wii-d. Bei dieser Arbeits- weise (Aescherverfahren) kann man durch Zusätze von Sulfiden (z. B. Schwefelnatrium) oder durch Erhöhung der Alkalität der Brühe (z. B. dvuch Sodazusatz) die Haarlockerung beschleunigen und den Schwellungsgrad erhöhen. c) Entfernung des U n t e r h a u t - Zellgewebes. Dies geschieht ohne weiteres auf mechanischem Wege (Entfleischmaschinen). d) E n t kä 1 k e n u n d B e i z e n. Zur Entfer- nung des Kalkes werden die Blößen mit Wasser gewaschen und mit verdünnten Säuren behandelt; für viele Zwecke ist auch eine Ueberführung der geschwellten, elastischen Haut in einen weichen 9Ü6 Gerbuiis und Gerhstoffe unelastischen Zustand nötig. Dies wurde bis vor kurzem durch natürliche Beizen (Hundemist-, Taubenmist- und Kleienbeize) bewii-kt, Wcährend neuerdings künstliche Beizen dazu verwendet werden, deren Zusammensetzung auf Grund aus- gedehnter Untersuchungen der natürlichen Beiz- wirkung aufgefunden wurde. Einige dieser künst- lichen Beizen bestehen aus Enzymen (Trypsin) in Gemisch mit Ammoniumsalzen, andere be- stehen aus einer Reinkultm- der aus natürlichen Beizen isolierten Bakterien und aus entsprechen- den Nährböden, wieder andere trachten mit rein j chemischen Mitteln die gewünschte Wii"kung zu erzielen. i Für die Gerbung der so vorbereiteten Häute und Felle werden die oben skizzierten Gerbmethoden oder Kombinationen der- selben verwendet. ! 5. Gerbstoffe. Die in der Lederindustrie verwendeten vegetabilischen Gerbstoffe sind in den Rinden, Früchten, Blättern, Wurzeln und im Holz mancher einheimischer und zahl- reicher exotischer Pflanzen enthalten; ihre Bildung in der Pflanze geht vermutlich derart vor sich, daß Formaldehyd als erstes Produkt der Kolilensäureassimilation auftritt und sich zu Hexosen und Inosit polymerisiert, die dann durch -weiteren Aufbau und durch Wasserabspaltung und Oxydation mehr- wertige Phenole und Phenolkarbonsäuren bilden, welche sich schließlich zu Gerbstoffen kondensieren. Die Methoden zur Isolierung der Gerbstoffe aus Pflanzen und Pflanzen- extrakten sind noch recht unvollkommen und bestehen entweder in der Abscheidung unlöslicher Bleitannate und Zerlegung der- selben mittels Schwefelwasserstoff oder in : der Anwendung organischer Lösungs- und ' Fällungsmittel. Zuverlässige Reindarstel- lungen sind wohl nur selten gelungen. Die Schwierigkeiten liegen einerseits im amorphen Charakter der Gerbstoffe (die wässerigen Lösungen sind ausgesprochen kolloid), anderer- seits in dem gemeinsamen Auftreten so nahe verwandter Stoffe wie Gerbstoffe, phenol- artige Kichtgerbstoffe, Oxj^dations- oder Anhydrisierungsprodukte der Gerbstoffe (Phlobaphene, Rote), sowie schließlich in dem häufigen Auftreten verschiedener Gerb- stoffe in derselben Pflanze, ja sogar in dem- selben Pflanzenteil (z. B. in der Eichen- rinde). Konstitutionell aufgeklärt erscheinen heute nur das Tannin (der Gerbstoff der Gallen), das Katechin (ein unlöslicher Be- gleitstoff der Katechugerbsäure) und die j Ellagsäure (ein häufig in Gerbbrühen auf- tretendes Urawandlungsprodukt der meisten i Holz- und Fruchtgerbstoffe). Zur Unterscheidung der technisch wert- vollen Gerbstoffe dienen einige Reaktionen (über_ Gelatinefällung s. S. 964), deren Chemismus mangels Kenntnis der Kon- stitution der Verbindungen vollkommen im unklaren liegt. Immerhin lassen sich deutlich zwei Gruppen von Gerbstoffen unterscheiden, die man allgemein mit den Namen P r 0 t 0 - catechugerbstoffe und P y r 0 - gaUolgerbstoffe bezeichnet, obgleich die Berechtigung dieser Nomenklatur neuer- dings zweifelhaft geworden ist. Die sogenannten Protocatechugerb- Stoffe geben mit Eisensalzen (z. B. ein- prozentiger Eisenalaunlösung) grüne bis grün- schwarze Färbung resp. Fällung, mit Formal- dehyd und Salzsäure bei halbstündigem Kochen vollständige Fällung (so daß das Fütrat keine Eisenreaktion mehr- gibt), mit Bromwasser Fällung und mit Bleizucker einen in Essigsäure vollständig löslichen Niederschlag. Die sogenannten P y r 0 g a 1 1 0 1 g e r b - Stoffe geben mit Eisensalzen blaue bis blau- schwarze Färbung resp. Fällung, mit Formal- dehyd und Salzsäure keine oder nur unvoll- ständige Fällung (so daß das Fütrat starke Eisenreaktion gibt), mit Bromwasser keine Fällung und mit Bleizucker einen in Essigsäure nicht oder nur wenig löslichen Niederschlag. Die Eisenreaktion ist insofern nicht zuver- lässig, als sie von der Gegenwart schwach saurer oder schwach alkalischer Stoffe beeinflußt wii-d und bei manchen Gerbstoffen (z. B. Eichenrinde, Mimosarinde) nicht mit den anderen Gruppen- reaktionen übereinstimmt. Die Kalischmelze sollte bei den Protocatechu- gerbstoffen zu Protocatechusäure, bei den Pyro- gallolgerbstoffen zu Gallussäiu'e führen, was nicht immer der Fall ist. Es liegen daher den beiden Gerbstoffgruppen wahrscheinlich andere konstitutionelle Verschiedenheiten zugrunde, wo- bei auf den höheren Kolilenstoffgehalt der Proto- catechugerbstoffe (58 bis 617o) bn Vergleich zu den Pyrogallolgerbstoffen (50 bis 54%) auf- merksam gemacht sei. Die cjuantitative Gerbstoffbestimmung geschieht für gerbereitechnische Zwecke nach der sogenannten Hautpulvermethode, d. h. nach einem den Gerbvorgang im Kleinen nachahmenden Analysenverfahren. Es wird der Gerbstofflösung durch überschüssiges Hautpulver der Gerbstoff vollständig ent- zogen, und seine Menge aus der Differenz der Abdampfrückstände (vor und nach der Entgerbung) ermittelt, Literatur. H. R. Procter, Prindples of Leather manufacture . London. — Josef Jettniar, Leder- erzeugung. Berlin 1901. — J. T. Wood, Puering, Batcing and Drenrhing. London. — Wilhelm Eltner, Der Gerber. Wien 1S78 bis 1913. — Edmund Stiasny, Gerberei in E. 0. Herzog's Chemischer Technologie. Heidelberg 1918. — M. Nierenstein, Chemie der Gerb- stoffe 1910. — Höhnet, Die Gerberrinden. — A. G. Ferkln, Tannins. In Thorpe's Dictio- nary 1913. — Zahlreiche Fachartikel in „Colle- gium", 1902 bis 1913. E. Stlasny' Gerhardt — Geruch 967 Gerhardt | Carl Friedrich. Geboren zu Straßburg am 21. August 1816, gestorben daselbst am 19. August 1856, studierte Gerhardt an deutschen Hochschulen (Leipzig, Gießen) besonders unter Liebigs anfeuernder Leitung. Er war als Professor der Chemie in Montpelher, zuletzt in vStraßburg tätig, j Weniger durch seine Experimentalforschungen, die fast nur der organischen Chemie angehören, als durch seine Abhandlungen theoretischen Inhalts, bei denen A. Laurent stark beteiligt war und durch sein Lehrbuch der organischen Chemie, das der nach ihm benannten Typentheorie starke Ver- breitungverschaffte, wurde Gerhardt bekannt und berühmt. Daß er und Laurent schon im 5. Jahr- zehnt des vorigen Jahrhunderts einen starken Anstoß zur Anerkennung der Avogadro- schen Molekulartheorie gaben, ist beiden als großes Verdienst anzurechnen. Gerhardts Ab- handlungen erschienen meist in der Annales de Clümie et de Physique, zum Teil in den Annalen der Chemie, in denen Liebig selbst Gerhardts Ansichten scharf bekämpfte. Sehr wichtig für die Entwickelung der Stellung G e r h a r d t s und Laurents zu chemischen Fragen sind die von beiden herausgegebenen Comptes rendus mensuels des travaux chimiques de l'etranger ainsi que des laboratoires de Bordeaux et de Montpellier (1845 bis 1848). Als Quelle für Gerhardts Leben und Wirken kann das 1900 erschienene ziemlich ein- seitig geschriebene Werk von Ed. Grimaux und Ch. Gerhardt ,, Charles Gerhardt. Sa vie, son oeuvre, sa correspondance" dienen. E. t'ow Meyer. Gerolle und Geschiebe. Früher unterschied man wohl bei den durch mechanischen Transport abgehobelten und abgeschliffenen Gesteinsstücken die mehr rundlichen als GeröUe, die mehr flachen als Geschiebe. Heute bezeichnet man die durch das Wasser transportierten Gesteins- stücke als Gerolle, die durch das Eis trans- portierten als Geschiebe Geruch. 1. Einleitung. 2. Biologische Bedeutung. Ver- dauungsreflexe. 3. Riechstoffe. 4. Odoriphoreund ihi-e Zerstörung durch ultraviolettes Licht. 5. Ad- sorption von Gerüchen. 6. Diffusion. 7. Gustatori- sches Riechen. 8. Klassifikation der Gerüche. 9. Minima perceptibilia. 10. Olfaktometrie. 11. Anosmien. 12. Normale Schwellenwerte (Olfaktie- begriff). 13. Unterschiedsschwelle. 14. Reaktions- zeit. 15. Ermüdung. 16. Fixantsinder Parfümerie. Kompensation von Gerüchen. Mischung. 17. Dar- stellung durch Vektoren. 18. Riech theorien. I. •^.Einleitung. Vom experimentellen und psychologischen Standpunkt betrachtet er- scheinen uns Geruch und Geschmack (vgl. den Artikel „Geschmack") als verwandte Sinne. Die Empfindungen werden, auch wenn sie für sich allein auftreten, fast durchweg von einem deutlichen, mitunter sehr starken, positiven oder negativen Affekt begleitet. Ferner ist ihnen die Beziehung zur Nahrung gemein- schaftlich. Dabei fällt zugleich ein Unter- schied auf, indem der Geschmack an den gelösten, der Geruch an den gasförmigen Bestandteilen haftet. Hiermit in Ueberein- stimmung ist der Geschmack dem Verdauungs- kanal, der Geruch dem Atemweg zugeordnet. Während das Tier atmet, nimmt es die Düfte bloß aus den Luftschichten vor den Nasenlöchern in sich auf. Nichtsdesto- weniger kann durch Bewegungen des Kopfes und namentlich durch Anpassung an die in der Atmosphäre zufällig vorhandenen Strömungen, der Raum, aus welchem der Duft genommen wird, ziemlich groß werden. So wird der Geruch zu einem Geschmack aus der Ferne (Kant), der den meisten Tieren außerordentlich große Dienste er- weist. Man versteht die große Bedeutung, welch3 dem Geruchssinn sowohl bei der Wahl des Futters als beim Aufsuchen der Beute zukommt. Für die Mehrzahl der höheren Tiere ist es der Hauptsinn (Buffon, E ding er), welcher bei allen instinktiven und bewußten Handlungen eine führende Rolle hat (makrosmatische Tiere). Der Mensch, so wie auch die übrigen Primaten, gehört zu den mikrosmatischen Geschöpfen. Man muß dies schließen aus der morphologischen Reduktion der peri- pheren und der zentralen Teile des Sinnes- organes und ferner aus der Tatsache, daß, physiologisch betrachtet, die Geruchsreize schwerlichaufeinemanderen Gebiete nennens- werte Bedeutung haben können, als auf jenem der von Pavlow im Zusammenhang studierten Verdauungsreflexe. In dieser Hinsicht ist auch uns der Geruchssinn gewiß außerordentlich wichtig und diesem Umstände ist es zuzuschreiben, daß er, trotz seiner morphologischen Verkümmerung dennoch eine erstaunliche Schärfe beibe- halten hat. Bei einigen Riechstoffen sind wir imstande noch Stoffmengen scharf zu er- kennen, welche kleiner sind als die, welche die Spektralanalyse im günstigsten Falle nach- weist (Merkaptan und Chlorphenol einer- seits nach Fischer und Penzoldt, das Na- trium andererseits). Gelegentlich zieht der Mensch von seiner großen Riechschärfe auch Nutzen in technischen Dingen. So bedienen sich ihrer die Parfümeure, die Teehändler, die Weinhändler in ihrem Beruf, während wohl jeder sich einmal mit Hilfe des Geruchs der defahr einer Gasintoxikation entzogen haben wird. Die neueren CO-reichen Leucht- gase werden mit Rücksicht hierauf ab- sichtlich parfümiert. 2. Biologische Bedeutung. Verdauungs- reflexe. Die biologische Bedeutung des Ge- 968 Geruch ruchssinnes liegt aber für uns in erster Linie ' im Spiel der bedingten Verdauungsreflexe und nur nebenbei in den Gerüchen der äußeren Welt. Dennoch ist die Zahl der letzteren auch für uns unendlich groß. Es findet sich fast kein Gegenstand, derwirklich geruchlos ist. Jedem Zimmer in unserem Hause, jedem Lokal des Laboratoriums, jeder Werkstätte, jedem Laden, wenn der Raum nur kurze Zeit ver- schlossen blieb, kommt sein eigentümlicher Geruch zn. Daß wir denselben gewöhnlich nicht bemerken, hängt außer mit unserer Un- achtsamkeit, mit der Ventilation zusammen. Letztere schwächt ihn bedeutend und was vielleicht noch wichtiger ist, sie schafft Uebergänge, infolge derer wir nur allmählich hineinkommen. Im Freien verhält sich die Sache nicht anders. In der Kähe einer Fabrik, auf einer Wiese, im Walde, auf der Heide spürt der aufmerksame Beobachter immer irgendeinen bestiiumten Geruch, an der Küste des Meeres sogar ist die Luft (im Sommer wenigstens) nicht völlig ge- ruchsfrei. Vielleicht, daß in arktischen Gegenden Abwesenheit aller Gerüche in der Natur vorkommen mag, bei uns wird solches zu den allergrößten Seltenheiten gehören. 3. Riechstoffe. Unter den unendlich vielen riechenden Körpern gibt es eine Reihe chemisch genau definierter, die bei gewöhnlicher Temperatur auch in großer Verdünnung einen Geruchsreiz abgeben. Diese hat man sich gewöhnt speziell Riechstoffe zu nennen. Auch ihre Zahl ist außerordentlich groß und die Emp- findung, welche sie hervorrufen, ist ge- wöhnlich in hohem Grade charakteristisch. So viele Riechstoffe, so viele Qualitäten. Nur einige wenige Ausnahmen sind bekannt, wie z. B. Benzaldehyd und Nitrobenzol, die, obgleich grundverschieden in Konstitu- tion, den gleichen Geruch haben. Aber im allgemeinen hat jeder Stoff seinen ihm eigentümlichen Geruch und solange die chemische Eigenart des Körpers sich nicht ändert, ändert sich auch nicht die Qualität des Geruchs. Selbstverständlich ist der Aggregatzustand dabei gänzlich gleichgültig: der sublimierte Kampfer, die ölige Kampfer- lösung, der Kampferdampf haben genau denselben Geruch. Es handelt sich offenbar um eine konstitutive Eigenschaft, die am Molekül als solchem haftet. 4. Odoriphore. Manchmal kann man die Anwesenheit irgendeines bestimmten Atoms verantwortlich machen (As, S, Te, Br, J), manchmal jedoch zwingen die Tatsachen auf eine mehr oder weniger komplizierte Atomen- gruppe als Geruchsträger, Odoriphor, zurück- zugehen. Als solche Atomengruppen seien die Ester-, die Aldehyd-, die Keton-, die Karboxyl-, die Nitril-, die Nitrogruppe erwähnt. Machen chemische Umänderungen die Gruppen schwinden, führen sie sie zu neuen Konstellationen zusammen, die ge- ruchlos oder geruchsverschieden sind, so geht mit dem chemischen Charakter auch der spezifische Geruch verloren. Neuerdings hat man im ultravioletten Licht ein Agens kennen gelernt, das in dieser Weise sehr viele Gerüche zerstört. Unter dem Einfluß des ultravioletten Lichtes sind die verschiedensten chemi- schen Reaktionen möglich. Oxydationen, Synthesen, Polymerisationen, einfache Dis- soziationen sind in großer Zahl beobachtet worden. Besonders in größerer Verdünnung sind viele chemische Körper dem Einfluß des ultravioletten Lichts zugänglich. Die Reaktion verläuft selten zu Ende. Ge- wöhnlich macht sie an einer Stelle halt, wo sich ein chemisches Gleichgewicht her- stellt zwischen gewissen Mengen des Aus- gangsstoffs und der Reaktionsprodukte, Die desodorisierende Wirkung des Lichtes zeigt sich in den speziellen Fällen ver- schieden intensiv. Es gibt Stoffe, von denen pro Sekunde 9 6x10^^ ^'"^^ Gramm- moleküls des Odoriphors beraubt wird, während von anderen in derselben Zeit z. B. eines Grammoleküls dem Zerfall 3,9x10« unterliegt. Zwar werden diese Verhältnisse begreiflicherweise mit der zufälligen Kon- zentration zusammenhängen, worin der Stoff dem Versuch unterworfen wird, aber auch prinzipiell liegen Verschiedenheiten vor. Weil ultraviolette Strahlen im gewöhn- lichen Tageslicht nicht fehlen, werden ver- dünnte Riechgase oder verdünnte wässerige Lösungen im Laufe der Zeit nahezu geruchlos werden, während dieses wegen des Nichtzu- endegehens der Reaktion mit konzentrierten Lösungen nicht notwendig der Fall zu sein braucht. Gleiches beobachtet man bei an einer Oberfläche adsorbierten Düften. 5. Adsorption von Gerüchen. Die Ad- sorption von Riechgasen ist eine weit ver- breitete Erscheinung, die sogar in erstaun- lichem Grade vorhanden sein kann, so daß sie der Induktion radioaktiver Substanzen ähnelt, während sie andererseits manchmal auch vollkommen fehlt. Es gibt Düfte, welche fast gar nicht anhängen, und andere, die un- mittelbar an allen Gegenständen haften, die mit ihrem Dampf in Berührung kommen. Der Moschus, dessen riechendes Prinzip, das Muskon, 1906 von Wal bäum entdeckt worden ist, gehört zu den ungemein fest adhärierenden Riechstoffen. Eine Berührung mit Muskondampf während 5 Minuten ge- nügt, um eine Fläche stundenlang und länger riedien zu lassen. Namentlich Bleiwände Geruch 969 halten den Moschusduft tagelang fest. Glas- wände tun es weniger. Es scheint die Eiechstoffsubstanz selber zu sein, welche anhaftet, denn man spürt an Watte, mit welcher man eine derartige OberHäche gerieben hat, einen unverkennbaren, sogar sehr charakteristischen Geruch. Dagegen hält eine stählerne Fläche das Muskon gar nicht fest. Umgekehrt fesselt Stahl so- wohl lonon als "Skatol. Vorläufig lassen sich alle diese Erscheinungen noch am besten als spezifische Adsorptionen auffassen. 6. Diffusion. Alle Düfte haben die Eigen- schaft, sich durch Diffusion zu verbreiten und verhalten sich in dieser Hinsicht, soweit bekannt, als echte Gase. Die Diffusions- geschwindigkeit ist ungemein verschieden. Amylacetat z. B. verbreitet sich sehr rasch, Naphtagas außerordentlich langsam. Den gleichen Gegensatz kannte bereits Cloquet zwischen dem Duft der Reseda und jenem der Rose. Ersteren spürt man aus großer Ent- fernung, letzterer bleibt in der unmittelbaren Umgebung des Blumenbeetes hängen. Solche zusammenhaltenden Düfte (wie z, B. nach den alten Reisejournalen die Spezereiinseln umschwebt haben sollen) werden vom Winde meilenweit mitgenommen. Namentlich diese Erscheinung spricht entschieden für die korpuskulare Natur des riechenden Prinzips. Wo man einem charakteristischen Geruch begegnet, dort befindet sich sicher etwas, sei es auch eine winzige Menge, des betreffenden Riechstoffes. Durch spezifische Adsorption haftet sie an der Spur und verleiht ihr ein Geruchsgepräge, das mit nichts anderem verwechselt werden kann. Die makrosmotischen Säugetiere nützen diese Erscheinung aus und suchen aus- schließlich mit Hilfe des Geruchssinnes die Nahrung, die Beute, die Artgenossen des anderen Geschlechts. Gleiches gilt mutatis mutandis für die Wassertiere, denn der Sinn, den der Nervus olfactorius versorgt, ist, wie gesagt (gerade weil er sich auf eine konstitutive Eigenschaft der Materie stützt), vom Aggregatzustand unabhängig. 7. Gustatorisches Riechen. Dem Men- schen, der, wenn auch nicht makrosmatisch, so doch einigermaßen osmatisch ist, werden die Geruchsreize auf drei verschiedenen Wegen zugeführt : 1. mit der Nahrung, 2. durch Zugwind, 3. durch Diffusion aus der um- gebenden, ruhenden Luft. Auf alle Fälle ist die Atmung die Vermittlerin. Am wenigsten übersichtlich war der Zusammenhang im ersten Fall. Seitdem man jedoch die soge- nannte Schluckatmung kennen gelernt, d. h. die kleine, ganz flache Atmung, welche während des Schluckakts in der dabei obli- gatorischen Atempause eintritt, hat es damit keine Schwierigkeit mehr. Die langsam strömende Ausatmungsluft streift erst an der mit der Nahrung gerade in Berührung gewesenen Pharynxschleimhaut vorbei und erreicht dann auf kürzestem Weg durch die Choanen das auf der oberen Muschel und auf der ihr gegenüberliegenden Fläche gelegene Endorgan des Nervus olfactorius. Wegen des zeitlichen Zusammenfallens hat das gusta- torische Riechen die Eigentümlichkeit voll- ständig mit den gleichzeitig vorherrschenden Geschmacks- und Gefühlsempfindungen zu verschmelzen, sogar in einem solchen Grade, daß der Laie sie davon nicht zu trennen versteht. Daher werden vielfach solche Gesamtempfindungen nicht dem Geruch, sondern dem Geschmack zugeordnet. Von vornherein ohne weiteres verständlich ist der Mechanismus in den beiden anderen Rieehweisen. Dabei fließt die Inspirations- luft bogenförmig durch die Nasenhöhle bis in die Nähe der oberen Muschel, an der medialen Fläche der mittleren Muschel ent- lang. Die Riechgegend wirklich erreichen wird sie wahrscheinlich bloß beim Schnüffeln. Bei ruhiger Atmung bleibt der Strom einiger- maßen vom Nasendach entfernt, und es hat die Diffusion hinzuzutreten, um die riechen- den Moleküle bis ans Endorgan zu führen. Die Vorteile der beschriebenen geschützten Lage der Sinnesschleimhaut sind augen- fällig. Die Riechzellen bleiben vollkommen geschützt, sowohl gegen den Staub als gegen mechanische Beschädigung, Kälte und Austrocknung. Es läßt sich auch eine experimentelle Konsequenz ziehen. Wenn überhaupt, so kann bloß ein Teil der Luft und zwar jener, der während der Atmung an der konvexen Seite der Strombahn fließt, mit der Riechgegend in Berührung kommen. Dieser Teil tritt durch die vordere Hälfte des Nasenloches ein und, wie ein Ver- such von Fick lehrt, hat auch gerade dieser und nur dieser Bedeutung für das Riechen. Noch eine Erscheinung endlich läßt sich aus den beschriebenen Bedingungen ab- leiten. Das nicht gustatorische Riechen kommt ausschließlich inspiratorisch zu- stande, so daß man sich für einen kurzen Moment gegen einen Gestank wehren kann durch Anhalten der Atmung. Die nächst- folgende Inspiration bringt ihn dann aber um so sicherer zurück. Wenn diese zweite Inspiration zu Ende geht, schneidet die Empfindung plötzlich scharf ab, was viel- leicht den im Augenblick des Atemumschlags auftretenden Wirbeln zuzuschreiben ist. 8. Klassifikation der Gerüche. Wenn man beabsichtigt, die zahlreichen in der Natur verbreiteten Gerüche zu klassifi- zieren, so begegnet man großen Schwierig- keiten. Die Gerüche haben keine besonderen Namen; sie werden einfach nach den Stoffen, aus welchen sie ihren Ursprung nehmen, bezeichnet. In dieser Weise spricht man 970 Gerueli von einem Fleischgeruch, von Fischgeruch, von Blunienduft, von Zwiebel- und Moschus- geruch usw. Solchen Begriffen haftet jedoch etwas Unbestimmtes an, denn wirklich definiert erscheint ein Duft nur, wenn der Name wirklich seine genaue Herkunft angibt. Dies wird wohl so bleiben, bis es gelungen ist, den einfachen Gerüchen auf die Spur zu kommen und sie zu ordnen. Sinnesphysiologisch kann man gleichwohl auch jetzt annähernd einfache Gerüche bekommen, indem man einen Riechreiz allmählich bis auf eine Spur von Geruchs- empfindung abschwächt. Es läßt sich j erwarten, daß in einem solchen Falle nur 1 derjenige Geruchskomponent übrig bleibt. | welcher alle übrigen an Intensität übertrifft, ! Inzwischen macht sich aus praktischen Gründen das Bedürfnis einer Systematik der Gerüche geltend. Von den in der Literatur vorliegenden Einteilungen der Gerüche genügt die von Linne angegebene unseren vorläufigen Anforderungen am besten, namentlich wenn man sie durch Hinzufügen zweier, auch bereits in der Literatur hervorgehobenen Klassen vervollständigt. Vielleicht hat die Linnesche als natürliche systematische Zusammenstellung auch bleibenden Wert, j Die Klassifikation beschäftigt sich in j erster Reihe mit den rein olfaktiven Ge- 1 rüchen, d. h. mit solchen, die, wenn sie in gasförmigem Zustand dargeboten werden, , ausschließlich den Geruchssinn und keinen anderen Sinn erregen und unterscheidet darin neun Klassen: | Klasse I. Aetherische Gerüche (Lorry).: Beispiele: Isoamylacetat, Methylheptenön, j Aceton, Chloroform. " 1 Klasse IL Aromatische Gerüche (Linne). i Beispiele: Kampfer, Borneol, Eukalyptol, Zimmtaldehyd , Karvon , MethylnonyL keton, Thymol, Citral, Nitrobenzol. Klasse III. Balsamische Gerüche (Odores fragrantes Linne). Beispiele: Geraniol, Terpineol, anthranilsaurer Methylester, Piperonal, lonon, Iron, Vanillin. Klasse IV. Moschusgerüche (Odores am- brosiaci Linne). Beispiele: Trinitrobutyl- toluol (Kunstmoschus), Muskon. Klasse V. AUylkakodylgerüche (Odores alliacei Linne). Beispiele: Merkaptan, Aethylsulfid; Trimethylamin ; Brom. Klasse VI. Empyreumatische Gerüche Haller). Beispiele :Toluol,Kresol,Naphtalin. Klasse VIL Kaprylgerüche (Odores hircini Linne). Beispiel: Kapronsäure. Klasse VIII. Widerliche Gerüche (Odores tetri^ Linne). Beispiel: Pyridin. Klasse IX. Erbrechenerregende Gerüche (Odores nauseosi Linne). Beispiel: Skatol. Parallel mit dieser Reihe verläuft eine ähnliche Klassifikation prickelnder Riech- stoffe. Zu Klasse I gehört z. B. der Form- aldehyd, zu Klasse II der konzentrierte Euge- noldampf, zu Klasse III der konzentrierte lonondampf, zu Klasse V das Jod, zu Klasse VI das Ammoniak, zu Klasse VII die Ameisensäure, zu Klasse VIII der konzen- trierte Pyridindampf. Als dritter Reihe begegnen wir endlich den schmeckenden Riechstoffen. Von diesen ge- hört der süße Chloroformduft und der bittere Aetherduft zu Klasse I, das süße Anethol zu Klasse II, das süße Kumarin zu Klasse III, der schwach süße Schwefelwasserstoff zu Klasse V, die Fettsäuren zu Klasse VI und das einigermaßen süße Skatol zu Klasse IX. 9. Minima perceptibilia. In den späteren Jahren ist man vielfach, und nach oben- stehendem durchaus rationell, bestrebt ge- wesen, von möglichst vielen Riechstoffen die kleinsten Mengen zu bestimmen, die von einem normalen Sinne unter Wieder- erkennung der ihnen eigenen Qualität wahr- genommen werden können (sogenannte Er- kennungsschwelle). Umgekehrt hat man in derar.tigen Bestimmungen ein Mittel gefunden zur Messung der normalen oder abnormen Sinnesschärfe. Die erste Fragestellung ist die ältere und wurzelt bereits in den Arbeiten Valentins. Ausgearbeitet wurde sie von Fischer und Penzoldt, von Passy und vom Referenten. Im Prinzip schreitet sie zur sukzessiven oder unmittelbaren Ver- dünnung einer abgewogenen, meistens winzigen Menge Riechstoffs in einem ge- messenen Luftvolum. Einige Zahlen dürfen hier folgen : Minima perceptibilia nach absoluter Größe pro com Klasse L Aceton 0,4.10—3 g Isamylacetat . . . 9 . 10— " „ Klasse II. Caraphora .... 1,6.10—11 ^^ Nitrobenzol .... 4,1.10—1'^ ^^ Klasse IIL lonon i .10—" „ Terpineol i,S.io-io „ Klasse IV. Trinitrobutyltoluol . i . 10—12 ^^ Klasse V. Aethylbisulfid . . 3 .io-i3 „ Klasse VI. Guajakol 3,7.10—12 „ Klasse VII. Valeriansäure . . . 2,1.10—12 ,_ Klasse VIII. Pyridin 4 .lo-n „ Klasse IX. Skatol 4 .io-=3 „ Rechnet man die Zahlen der Tabelle in Grammoleküle um, so bekommt man einen Eindruck von der Riechstärke des Stoffes pro Molekül. Der reziproke Wert dieser Zahl sei die spezifische Riechkraft des Stoffes genannt. Sie ist für Kampfer 1x10^-, für Jonon 2xl0i8. 10. Olfaktometrie. Die zweite Frage- stellung ist jüngeren Datums. Um sie in ausgiebiger Weise lösen zu können, bedarf es bequemerer Methoden als die der suk- zessiven oder der unmittelbaren Verdünnung abgewogener Mengen in der gemessenen Geruch 971 Atemluft. Namentlich wenn die Olfakto- metrie zu klinischen Zwecken herangezogen werden soll, muß sie drei Dinge ermöglichen: 1. rasch von schwächeren zu stärkeren Reizen überzugehen ; 2. eine Durchmusterung der ganzen Reihe von Intensitätsgraden in wenigen Augenblicken zu erlauben; 3. dabei die natürliche Atmung unge- ändert zu lassen. Diesen drei Anforderungen genügt eine vom Referenten 1888 angegebene Methode, welche auf dem Prinzip ineinander ver- schieblicher Zylinder beruht. Wie man in der Optik die durchtretenden Lichtmengen nach Spaltbreiten abmißt, so kann man in der Olfaktologie die Geruchs- mengen nach Zylinderlängen bemessen, in- dem man ein Zylinderrohr, dessen Innen- wand als Riechquelle dient, durch ein genau hineinpassendes zweites Zylinder- rohr mehr oder weniger abdeckt. Das erstere Zylinderrohr heiße der olfaktometri- sche Zylinder des Systems, das zweite das Innen- oder Riechrohr. Wenn man die Luft, welche beim Atmen aspiriert wird, zuvor durch ein solches System leitet, so wird sie sich mit Riech- stoff beladen in einem Grade, der der Länge der frei gegebenen Innenfläche des olfakto- metrischen Zylinders proportional ist. Dabei bleibt die Geruchsquelle in allen Versuchen in gleicher Entfernung vom Sinnesorgan und auch die natürliche Aspiration (Schnüf- feln oder allmähliches Einatmen) kann in normaler Weise stattfinden, voraus- gesetzt, daß man den Röhren keine allzu große Länge und keine allzu geringe Weite gegeben hat. In unseren Versuchen haben wir dem olfaktometrischen Zylinder eine Länge von 10 cm und eine innere Weite von 0,8 cm gegeben. Zu orientierenden Be- stimmungen bei normalen Personen wählten der Referent, Griesbach, Myers und viele andere Autoren als Geruchsquelle ein gewöhn- liches, zuvor unbenutztes Kautschukrohr von 0,8 cm Lichtweite. Dann genügt es, den olfaktometrischen Zylinder 1 cm vorzu- schieben,um beim Beobachter eine Schwellen- empfindung hervorzurufen (1,0 cm wurde als Mittelwert, 0,7 cm als frequentester Wert gefunden). Raucher bedürfen ein etwas längeres Stück der Kautschukinnenfläche (im Mittel 2,5 cm). Im allgemeinen macht man rechts und links die gleichen Befunde und wo man auf abweichende Verhältnisse stößt, erklären diese sich manchmal aus ungleicher Luftdurchgängigkeit, worüber der Atembeschlag der Exspirationsluft auf einem Metallspiegel leicht Aufschluß geben kann. Die angegebenen Dimensionen, 10 cm maximale Zylinderlänge und 0,8 cm innere Weite, werden auch in der Präzisions- olfaktometrie beibehalten. Manche festen Riechstoffe, wie gelbes Wachs, Ammoniacum- guttapercha, Borneokampfernaphtalin (im Eutecticum), können ohne weiteres zu Zylindern ausgegossen werden. Aber wenn der olfaktometrische Zylinder mit poröser Wand ausgestattet wird, können ebensogut Lösungen benützt werden und zwar wässerige Lösungen, oder, weil sie haltbarer sind und sich durch völlige chemische Indifferenz auszeichnen, Lösungen in flüssigem Paraffin. Mehrschichtiges Filtrierpapier, von Nickel- gaze gestützt, bildet ein zweckmäßiges Material, aus welchem sich diese porösen Zylinder anfertigen lassen. Wird die poröse Wand dann noch von einem Flüssigkeits- mantel umgeben, so verfügt man über ein System, daß, wohl verschlossen aufbewahrt, mehrere Jahre vollkommen gleichmäßige Dienste leisten kann (Magazinzylinder). Nach vollständiger Imbibierung des Filtrierpapiers kann ohne weiteres eine Messung der Riechkraft, bezw. bei bekannter Riechkraft der Quelle, eine Messung der Empfindlichkeit der Versuchsperson statt- finden. Man schiebe den Magazinzylinder ein wenig über das Riechrolir vor, so daß ein Teil der Innenfläche unbedeckt bleibt, im selben Augenblick aspiriere man rasch und merke sich, ob man eine Geruchs- empfindung bekommt oder nicht. Im positiven Falle frage man sich, ob es mög- lich ist, die Qualität des Riechstoffs anzu- geben; wenn nicht, so blase man flüchtig durch und schiebe weiter aus, bis man eine qualitativ definierbare Empfindung be- kommt. Alle Aspirationen sollen durch die vordere Hälfte des Nasenlochs stattfinden, weil nach dem Fickschen Versuch die aus der Innenröhre kommende Luft sonst nicht in die Riechbahn gelangt. Schwierig- keiten machen bloß die Versuche mit stark adhärierenden Gerüchen. Bei diesen kann es notwendig sein, recht oft eine Reinigung des Innenrohrs durch Sandspülung vor- zunehmen. II. Anosmien. Mit Hilfe der be- schriebenen Methode sind namentlich die Anosmien (Abschwächungen des Geruchs- sinnes) näher studiert worden; man hat sie in respiratorische, essentielle und zentrale unterscheiden gelernt, je nachdem die Lokali- sation des ursachlichen Prozesses in dem nasalen Luftwege, in der Riechschleimhaut oder in den osmotischen Teilen des Zentral- nervensystems gedacht werden muß. Zu den temporären, essentiellen Anosmien sind die toxischen zu rechnen, die interessanterweise durch Insufflation eines kokainhaltigen Pulvers hervorgerufen werden. und nach der Anosmie läßt sich eine Hyperosmie (Schärfung des Geruchssinnes) feststellen. Bei Präzisionsmessungen wird die freie 972 Genicli Atmung mit einer artifiziellen Aspiration vertauscht. Man schiebt einen 100 ccm fassenden, mit Glashähnen versehenen Glasbehälter ein und riecht an diesem, nachdem er durch einen gleichmäßig fließen- den Luftstrom mit äußerst verdünntemRiech- stoff gefüllt worden ist. Die Geschwindig- keit wird von einem Aerodromometer (einem zwischen zwei Spiralfederchen aufgehängten, dem Luftstrom in einem weiten Glasrohr ausgesetzten, leichten Aluminiumscheibchen) gemessen. Die Konzentration des Riech- gases wird, was die gröberen Stufen angeht, durch sukzessive Verdünnungen, was die feineren betrifft, nach dem Prinzip der übereinander geschobenen Zylinder geregelt. Minima perceptibilia in cm der Olfaktometerskala V2% Isoamylazetat in flüssigem Paraffin 0,29 5 % Kitrobenzol „ ,, ,, 0,06 2,5% Terpineol ,, „ ,, i,f)0 0,627 % Miiskon in Myristinsänre 0,22 IVooo Aethylbisulfid in flüssigem Paraffin 0,012 IVoo Guajakol ,, ,, ,, 0,62 l%oo Valeriansäure „ ,, ,, 0,04 IVoo Pyridin ,, ,, ,, 0,03 17oo Skatol ,, ,, ,, 0,002 12. Normale Schwellenwerte (Olfaktie- begriff). Obenstehende Werte siiul Schwellen- werte. Sie lassen sich als Einheiten für alle intensiveren Reize derselben Art ver- wenden, unter welchen Umständen ihnen l)assend der Namen ,,01faktie" zufällt. Man findet sie, indem man mehrere Tage hintereinander die Schwelle mit einem gegebenen Olfaktometer bestimmt. Aus den gefundenen Werten berechnet man das arithmetische Mittel oder, was bequemer, man sucht den Wert der größten Frequenz. Zur ersten Annäherung genügen zehn Be- stimmungen, vorausgesetzt, daß sie an verschiedenen Tagen, bei nahezu lö" C Temperatur und in geruchloser Umgebung vorgenommen werden. Es existiert in dieser Weise eine Olfaktie für Kampfer, für Jonon usw. Von einer Olfaktie als solcher kann man nicht reden. Auch ist die Schwelle eines normalen Geruchsorgans an sich keine physikalische Größe, aber die Be- dingungen, sowohl die physikalischen als die physiologischen, können angegeben werden und durch diese ist die Olfaktie bestimmt. 13. Unterschiedsschwelle. AVenn man von der Schwelle ausgehend die Reize um verschieden große Werte steigert, läßt sich dieGültigkeit des Weber-FechnerschenGe- setzes auch auf dem Gebiet des Geruchsinnes dartun (vgl. den Artikel „Psychophysik"). Um unterscheidbar zu sein, hat jede iolgeiide Stufe die vorhergehende in minimo um einen bestimmten Bruchteil zu übertreffen. Diese sogenannte Unterschiedsschwelle ist vom Referenten, von Miss Coli och Gamble und von Hermanides gemessen worden. Letztgenannter fand folgende Werte : mit schwachen mit starken Reizen Reizen .0 /o für Isoamylazetat . . 30 24 ,, Nitrobenzol ... 25 26 ,, Terpineol .... 40 36 ,, Museen 45 46 ,, Aethylbisulfid . . 30 36 ,, Guajakol 35 46 ,, Valeriansäure . . 45 38 ,, Pyridin 30 30 „ Skatol ')0 62 im Mittel . . . . 38 38" Eine Erhöhung der unmittelbar vor- hergehenden Reizstärke um ungefähr ^/g ergibt also eine gerade merkbar stärkere Empfindung. Li dieser Weise fortschreitend erreicht man zuletzt ein Gebiet, in welchem das Web er sehe Gesetz versagt und weitere Verstärkung des Reizes keine Verstärkung der Empfindung zustande bringt. Die Grenze dieses Gebiets wird die Reizhöhe genannt. Merkwürdigerweise gibt es Riechstoffe, für welche jene Grenze sehr bald erreicht wird, z. B. Vanillin, Kumarin usw. Passy hat diese Riechstoffe als ,,parfums" von den übrigen Riechstoffen, von ihm ,,odeurs" genannt, getrennt. Die Ursache der Er- scheinung ist noch immer dunkel. 14. Reaktionszeit. Nicht bloß dieLitensi- täten, auch die Zeitverhältnisse interessieren uns. Li erster Linie die Reaktionszeit, d. h. die Zeit zwischen dem Moment der Reizung und dem Zeitpunkt der Reaktion, mit welcher man eine Reizung beantwortet (ruft, signalisiert, abwehrt usw.). Li solchen Ver- suchen kommt es darauf an, den Augen- blick der Reizung scharf zu begrenzen und man hat also eine stoßweise Insufflation oder eine Schnüffelaspiration zu benützen. Mit letzterer Methodik fand Hermanides untenstehende Werte : Reaktionszeiten Reaktionszeit Isoamylacetat 0,50 sec. Nitrobenzol 0,56 „ Terpineol 0,65 „ Muskon 0,51 „ Aethylbisulfid 0,66 „ Guajakol 0,42 „ Valeriansäure 0,42 ,, Pyridin 0,50 ,, Skatol 0,44 ,, im Mittel ~ 0^4 sec. Von diesem Mittelwert 0,54 sec. kommen 0,02 sec. auf die Bewegung der Luft im Apparat und also 0,52 sec. auf die Ketto- reaktionszeit. 15. Ermüdung. Wenn die Reizung nicht kurz, abgebrochen ist, sondern lange anhält, zeigt sich eine sehr auffallende Ermüdung Genick 973 Ihre Entwickelung läßt sich an sogenannten Ermüdungskurven verfolgen, graphischen Registrierungen der Schwellenwerte, wozu man gelangt, wenn man nach 0,2, 0,4, 0,6, 0,8 usw. Sekunden die Riechschärfe einer Person bestimmt, die der Einwirkung des nämlichen Duftes in gemessener Stärke anhaltend ausgesetzt war. i6. Mischung von Gerüchen. Fixants. Kompensation. Eine neue Welt von Ge- rüchen nicht allein, sondern auch ein neues Gebiet von l!;isclieinun£ion tut sich auf, wenn man zurMischuii'j,einiaclier(rerüche schreitet. Die Technik der modernen Parfümerie macht ausgiebige Anwendung von der auf diesem Gebiete gesammelten Erfahrung, denn erst durch Mischung gelingt es, den künstlich hergestellten Riechstoffen jene eigentümliche Vollheit und Weichheit zu geben, die den klassischen natürlichen Riechstoffen zu- kommt. Eine sehr große Rolle spielen dabei die Fixants, d. h. gewisse Stoffe, die in unendlich geringer Menge zugefügt der künstlich hergestellten Mischung eine un- vergleichlich viel längere Dauer des Duftes verleihen. Es seien als Beispiel das Indol, das Skatol, der anthranlisaure Methylester und neuerdings der Duodecylaldehyd ge- nannt. Eine vollständige Erklärung der Wirkung des Fixants in der Parfümerie steht noch aus, doch einige jetzt zu be- schreibende Beobachtungen geben jedenfalls einen Fingerzeig in der Richtung, in welcher vielleicht die Erklärung zu suchen ist. Wenn man in einem Doppelolfakto- meter die 9 Standardgerüche, deren Olfaktie- werte wir oben angegeben haben, paarweise zusammenfügt, so erhält man 36 Kombina- tionen, von welchen die meisten die Eigen- tümlichkeit haben, statt einen Mischgeruch herzustellen, eine gegenseitige Abschwächung der von den Komponenten hervorgerufe- nen Geruchsempfindungen zu veranlassen. Dieser Erfolg kann bei sehr genauer Ab- wägung der beiden zusammengebrachten Gerüche bis zur vollständigen Aufhebung der Empfindung gehen, bei weniger genauer Kompensation oder auch bei sehr intensiven Reizen tritt von den abgeschwächten Emp- findungen eine besonders hervor oder auch es folgt die eine der anderen nach (Wettstreit der Gerüche). Ist der Unterschied der zu- sammengebrachten Intensitäten sehr groß, so unterdrückt der eine Geruch den anderen gänzlich. Werden die beiden Komponenten jedoch schwach gewählt, so ist es mög- lich, eine gewisse Breite von Zusammen- stellungen ausfindig zu machen, innerhalb welcher eine für eine gewisse Kombination aufgefundene Verhältniszahl über angren- zende Reizintensitäten ihren Wert an- nähernd beibehält (Zone der kardinalen Proportionen). Wenn p Olfaktien eines Stoffes durch q Olfaktien eines anderen bis zur gegenseitigen Vernichtung kompensiert werden, wird dasselbe auch mit 2p und 2q, mit 3p und 3q der Fall sein. Es existieren zwei von verschiedenen Beobachtern vollständig durchgeführte Untersuchungsreihen über die Kompen- sation der 9 Standardgerüche. Greifen wir aus diesen jene heraus, die dabei und auch noch in einer dritten Reihe Resultate von derselben Ordnung gegeben haben und lassen wir die übrigen als individuell zu verschieden beiseite, so kommen wir zu drei Kombinationen, für welche die kardinalen Proportionen innerhalb der Fehlergrenzen die gleichen sind. Die Riechstoffe: Terpineol und Valeriansäure, Aethylbisulfid und Skatol, Guajakol und Valeriansäure führten bei drei unabhängig voneinander wahrnehmenden Beobachtern zu vollständiger Geruchlosigkeit oder wenigstens zu einer solchen Abschwächung, daß bloß ein un- bestimmter, nicht definierbarer Rest übrig blieb. Diese drei Riechstoffe müssen also, als Geruchsreize verwendet, im allgemeinen auf den Sinn-Bewußtseins-Komplex den nämlichen Einfluß ausgeübt haben. Man denke sich, daß in einer derartigen Mischung einer der Gerüche ein Fixant sei, so ist es klar, daß, gleichmäßige Ver- flüchtigung vorausgesetzt, eine ganz leichte Vermehrung der anderen Komponenten das Gemisch zu einer fast unerschöpflichen Geruchsquelle machen muß. Neben dieser physiologischen Erklärung der Erscheinung läßt sich auch als Arbeitshypothese eine mehr physikalische aufstellen, nach welcher das Fixant ein negativer Katalysator sein soll im chemischen Zerfallsprozeß, dem manche sich selbst überlassene Riechstoffe im verdünnten Zustande anheimfallen. Ab- gesehen von der Lehre des Fixants in der Parfümerie ist die Tatsache der Geruchs- kompensation auch für die Pharmazie von Wichtigkeit. So benutzt man den Mandel- geruch um den Moschusgeruch, ätherische Oele um den Jodoformgeruch zu ver- treiben usw. In allen Fällen kommt es dabei auf ein genaues Abwägen der Geruchs- mengen an, wenn man einen störenden Wettstreit der Gerüche vermeiden will. Eine vollkommene Maskierung erreicht man erst durch ein Uebermaß eines der Kom- ponenten, wie bei den Räucherungen des Orients und bei der Verbrennung der Geruchs- pastillen in Japan. Das in der Parfümerie so vielseitig ge- pflegte qualitative Studium ist in der wissen- schaftlichen Olfaktologie ziemlich vernach- lässigt worden. Es existieren bloß einige Ansätze von selten Aronsohns und 974 Geruch Nagels, aber die betreffenden Versuche sind nicht messend verfolgt. Das Doppel- olfaktometer diente bishernur als Differential- instrument. Im allgemeinen lassen sich alle im natürlichen System verwandten Gerüche zu Mischungen zusammenstellen. Außerdem nach Nagel Vanillin und Schwefelammo- niiim und einige andere Kombinationen. Indem man an solchen Mischungen im Laufe längerer Zeit (etwa eines Tages) wiederholt riecht, gewinnt man erst "ein sicheres Urteil über die neue Qualität. Man erkennt dann mit Sicherheit, daß der neue Geruch keinem der beiden Kompo- nenten gleicht. Es muß jedoch dahingestellt bleiben, ob nicht inzwischen chemische Vorgänge eingetreten sind. Bloß wenn die Mischung doppelseitig vorgenommen wird, ist diese Möglichkeit unbedingt ausgeschlossen. Im Doppelolfaktometer läßt sich dieser Versuch ohne weiteres vornehmen. Nament- lich Hermanides hat hierüber ein statt- liches Material zusammengetragen. Als allgemeines Ergebnis läßt sich behaupten, daß die Intensität eines aus nicht ver- wandten Gerüchen hergestellten Misch- geruchs immer zurückbleibt hinter der Summe der Intensitäten der Komponenten. Nur verwandte Gerüche verstärken sich. 17. Darstellung durch Vektoren. Aus diesen Erfahrungen geht die Notwendig- keit hervor, einen Geruchsreiz durch einen Vektor darzustellen, also durch eine Linie im Raum, an welcher sich Richtung und Größe unterscheiden lassen. Die Länge des Vektors entspreche der Intensität, seine Richtung der Qualität des Geruchs. Geruchs- arten, die in allen Konzentrationen die gleichen bleiben (die überwiegende Mehr- zahl der Riechstoffe), werden von geraden Linien, die mit der Konzentration ihren Charakter ändernden Gerüche (anthranil- saurer Methylester, lonon) werden von ge- krümmten Linien dargestellt. Unter sich \^erwandte Gerüche werden Bündel von Vektoren bilden, unter sich verschie- dene Gerüche weitausspreizende Vek- toren, wenn man, was erlaubt und empfehlenswert, den Vektoren einen gemein- samen Ausgangspunkt gibt. Die Mischung von Gerüchen wird nun selbstverständlich durch Addition von Vektoren angegeben werden. Die Länge der Vektoren in der graphischen Abbildung soll nach Olfaktien resp. in Uebercinstimmung mit dem Weber- Fechnerschen Gesetz nach den Loga- rithmen der Olfaktienzahlen bemessen werden. Leider sind die in dieser Weise für verschiedene Beobachter angefertigten Raum- modelle für die meisten Kombinationen unter sich noch sehr verschieden, was teil- Aveise mit dem ziemlich großen wahrschein- lichen Fehler jeder Beobachtung zusammen- hängt, teilweise vielleicht auf tieferen Gründen beruht. Die Vektorkonstruktionen, wie nützlich sie auch sein mögen, gestatten bisher noch keinen einheitlichen Ueberblick über die Qualitäten des Sinnes. Es ist dies auch nicht zu erwarten, weil das Reich der Gerüche nicht wie das Reich der Töne einer zwei- dimensionalen oder wie das Reich der Farben einer dreidimensionalen Mannig- faltigkeit angehört, sondern nach Wundt als multiple Mannigfaltigkeit gedeutet werden muß, wofür uns die anschauliche Vorstellung fehlt. Sogar wenn wir, was ungewiß ist, in den neun Klassen des Linne- schen ein natürliches System sehen und annehmen dürften, daß in jeder Klasse ; irgendein typischer Repräsentant vor- handen ist, der in großer Verdünnung als eine der elementaren Qualitäten betrachtet werden kann, so ist doch der qualitative Gegensatz, resp. die Verwandtschaft so un- gemein kompliziert, daß eine Einsicht uns 1 verborgen bleibt. Jedenfalls wird die I physikalische Analyse der Gerüche vorher- zugehen haben. 18. Riechtheorien. Neben der Frage nach den spezifischen Energien macht sich in der Physiologie eine andere nicht weniger dringend fühlbar, jene, die sich mit der Einwirkung riechender Partikel- chen auf die Riechschleimhaut beschäftigt. , Als Arbeitshypothese kann man sich die 1 riechenden Moleküle nach dem Muster I des in der Parfümerieindustrie üblichen ! Prozesses der Effleurage (Aufnahme der I Moleküle aus dem Dampf in Oel oder flüssigem Paraffin) von den Haaren der Riechzellen aufgenommen denken. Dann würde der Verteilungsfaktor zwischen einer Dampfphase und einer festen Phase, der den 1 Riechstoff in fester Lösung aufnimmt, die treibende Kraft sein. Der Vorgang kann aber auch als eine Adsorption gedeutet werden. Für letztere Ansicht spricht die Tatsache, daß sehr viele feste Riechstoffe in Pulverform auf eine reine Wasseroberfläche geworfen, lebhafte Bewegungen ausführen, I was auf ein rasches Ausströmen von Mole- külen, nachder Wasseroberfläche hin, zurück- ! geführt wird. Zu mehr als Vermutungen ge- langt man jedoch nicht. Da weder mecha- nische, nocli osmotische Kräfte wirksam sein können, da auch die Annahme eines Einflusses I der Lösungswärme, die die spezifische Riech- j kraft der verschiedenen Stoffe unbeachtet läßt, nicht in Betracht kommt, da end- ilich bei den meist neutralen Molekülen der riechenden Körper rein chemische Wir- kungen ausgeschlossen sind, denken sich die ' Olfaktologen die Wirkung am liebsten als eine sogenannte olfaktochemische, die, von den mit den Riechhaaren in Berührung Geruch — Geschlechterverteilung und Geschlechtsbestimnuing (bei Pflanzen) 975 kommenden oder darin in wirkliche Lösung übergehenden Molekülen ausgehend, ihren letzten Grund in den als Ödoriphore be- zeichneten Atomengruppen (s. o.) haben soll. Literatur. Cloquet, Osphresiologie. Paris 1S21. — Fick, Lehrbrich der Anatomie und Physiologie der Sinnesorgane. Lahr 1864- — von Vintschgau, Der Geruch, in Hermanns Handbuch der Physiologie, Bd. 2, 1880. — J. Ch, Sawer, Odorigraphia. 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Formenkreise ohne aus- gesprochenen Generationswechsel. a) Algen. ß) Pilze. — Terminologisches. — Dichogamie. B. Geschlechtsbestimmung. 1. Geschlechtsver- erbung, a. Blütenpflanzen. a) Getrennt- geschlechtige Arten (Uiöcisten). ß) Polyöcische Arten, b. Uebrige Kormophyten (mit Anschluß der vorausgenommenen Blütenpflanzen). c. Thallophyten. 2. Geschlechtsbeeinflussung. Einleitung. Geschlechtlich nennen wir jede Vereinigung von Kernen, mit oder ohne vorangehende oder begleitende Verschmelzung von Zellplasma, wenn auf sie früher oder später eine Reduktionsteilung folgt, durch die die verdoppelte Chromo- somenzahl wieder auf die Hälfte herabgesetzt wird. Sie umschließt also sowohl die Amphi- mixis als die Pseudomixis Winklers (vgl. den Artikel ,,F 0 r t p f 1 a n z u n g"), die wir nur als Unterabteilungen gelten lassen, weil das Merkmal des Ersatzes der normalen geschlechtlichen Fortpflanzung, das für die Pseudomixis charakteristisch ist, sich prak- tisch nicht immer erkennen läßt und über- haupt erst in zweiter Linie in Betracht kommen dürfte. Die bei der geschlechtlichen Fortpflanzung sich vereinigenden zwei Zellen oder Kerne nennen wir Gameten. Gewöhnlich ist ein deutlicher Unterschied zwischen ihnen vor- handen. Der eine Gamet ist dann durch be- deutendere Größe und geringere oder fehlende Beweglichkeit charakterisiert, war nennen ihn w^ ei blich. Der andere Gamet, von geringerer Größe und gesteigerter aktiver Beweglichkeit oder passiver Transport- fähigkeit, heißt männlich. Wie allbekannt, hat man diesen äußeren Unterschied der Gameten als sekundär erworben anzusehen, und es verbinden alle möglichen Uebergangs- stufen solche Gameten, die in typischer Weise männlich und weiblich ausgebildet sind, mit ihrer phylogenetischen Grundform, den äußerlich ununterscheidbaren Isogameten, seien es nun kopulierende, wie sie 1809 Pringsheim bei Pandorina entdeckt hat, seien es konjugierende, deren Vereinigung Vaucher schon 1803 bei Spirogyra als Sexualakt ansprach. Ob zwei sich vereinigende äußerlich völlig ununterscheidbare Gameten wirklich ganz identisch sein können, oder ob sie auch dann immer noch innerlich verschieden sind, dürfte zurzeit nicht feststellbar sein: wahrscheinlicher ist die letztere Annahme. Die Tatsache, daß sich (bei Acetabularia) mehr als zwei Isogameten zur Bildung einer Zygote vereinigen können, spricht nicht da- gegen, denn wir finden das auch gelegent- lich bei deutlicher geschlechtlicher Differen- zierung der Gameten (Spirogyra). Sicher ist, daß zuweilen wohl ein äußerlicher sexueller Unterschied nachw^eisbar ist, der sich jedoch nicht in das Schema männlich-w^eiblich fügt (manche Mucorineen), und daß in anderen Fällen sich nicht einmal ein solcher Unter- schied nachweisen läßt, obschon die Gameten, und die sie bildenden Individuen, doch irgend- wie verschieden sein müssen (Dasycladus). I Man kann nun die Behälter, in denen nur männliche oder nur weibliche Gameten I gebildet werden, auch männlich und weiblich 1 nennen und diese Bezeichnung auf ganze Organe, ganze Generationen und ganze Individuen übertragen. Mit abnehmender Schärfe des Unterschiedes zwischen den Gameten steigen natürlich die Schwierig- keiten einer solchen Bezeichnung, und beim Extrem (wenn z. B. die Geschlechter nur daran erkannt werden können, ob sich die Gameten des einen Individuums mit denen eines anderen vereinigen können oder nicht) hat man die Bezeichnung + und — zur Unter- scheidung anwenden müssen. Das verschiedenartige Vorkommen der Gameten bei den Individuen einer Species beschreibt die Geschlechterverteilung, i Die Fälle von Pseudomixis lassen wir außer Betracht, da hier von vornherein feststeht, daß nur Teile desselben Individuums dabei 976 Geschlechterverteilung und Gesclüechtsbesümnumg (bei Pflanzen) eine RoUe spielen. Dagegen haben wu- noch die Frage, wie das Geschlecht eines ganzen Individuums, eines Organs, eines Gameten, entschieden wird, kurz das Problem der Geschlechtsbestimmung zu erörtern. A. Gesclilecliterverteilung. Da die gebräuchliche Terminologie zu- erst für die höchststehenden Pflanzen, die Blütenpflanzen, geschaffen wurde, wollen wir, der historischen Entwickelung folgend, mit diesen beginnen, daran die übrigen An- gehörigen der Kormophvtenreihe, die Farne und Moose, und hieran die Thallophyten anschließen. — Wir müssen die Bekanntheit mit dem sogenannten Generationswechsel zwischen der haploiden und der diploiden Generation voraussetzen (vgl. den Artikel „F 0 r t p f 1 a n z u n g"). I. Kormophyten. a. Angiospermen. Hier ist die h a p 1 o i d e G e n e r a t i o n stets getrenntgeschlechtig (einge- schlechtig), entweder männlich (Pollen- korn -> männlicher generativer Kern) oder weiblich (Embryosack -> Eizelle). Die diploide Generation, die eigentliche „Pflanze", istdagegen gewöhnlich gemischt- geschlechtig, d. h. sie sorgt dafür, daß die haploide Generation im männlichen und im weiblichen Zustand gebildet wird. Meist | sind dann Zwitterblüten vorhanden, die aus Staubblättern (Mikrosporophyllen) und Fruchtblättern (Makrosporophyllen) und einer Hülle zusammengesetzt sind. Es bleibt sich dabei gleich, ob wir von der x\ntho- strobilustheorie aus uns die Entstehung der Angiospermenblüte klarzumachen suchen oder sie (mit v. Wettstein) als einen Blütenstand anffassen, der aus getrennt- geschk'clitigeii Blüten mit je einem Sporo- phyll zusammengesetzt ist. a) Aus diesen zwitterigen (monokli- nen, hermaphroditischen)Blüten werden eingeschlechtige (dikline), indem die eine oder die andere Art von Sporophyllen unterdrückt wird, männliche Blüten, wenn die Fruchtblätter, weibliche Blüten, wenn die Staubblätter betroffen werden. Un- geschlechtliche Blüten entstehen, wenn beiderlei Sporophylle reduziert sind, und die Bedeutung der Blüte nur mehr auf der Hülle beruht. Urform: zwittrige (^) Blüte abgeleitet: männliche (o) Blüte weibliche (?) Blüte ungeschlechtliche, agame (o) Blüte Die Unterdrückung der Sporophylle kann mehr oder weniger weit gehen. ' Es lassen sich alle Uebergangsstufen zusammenstellen von völligem Schwund und ganz rudimentärer Entwickelung bis zu einer Ausbildung, die äußerlich kaum etwas von der physiologischen Untauglichkeit der Pollenkörner und Embryo- Säcke verrät. Welches Geschlecht eine Blüte I besitzt, kann also für uns in Zweifelsfällen aUein durch ihr physiologisches Verhalten entschieden werden. Die Unterdrückung braucht ferner nicht alle Teile eines Organs gleichmäßig zu treffen, weil ein Funktionswechsel oder eine Neben- funktion für die Erhaltung bestimmter Teile sorgen kann. So bleibt z. B. das Griffel- polster in den männlichen Blüten mancher Doldengewächse als Honigapparat erhalten und der Griffel in den männlichen Blüten mancher Körbchenblütler als Pollenbürste. Die Unterdrückung braucht endlich, wenn sie in beiden Richtungen erfolgt und zur Bildung von männlichen und weiblichen Blüten führt, die beiderlei Organe auch dann nicht gleich stark zu treffen, wenn diese keine erkennbare Nebenfunktion mehr besitzen. Bei Rhodiola rosea haben z. B. die weib- lichen Blüten keine Staubgefäßrudimente, die männlichen dagegen deutliche (sterile) Fruchtblätter; bei Akebia quinata sind umgekehrt die Fruchtblätter in den männ- lichen Blüten stärker reduziert als die Staub- blätter in den weiblichen. I In manchen Fällen, wo gar keine Spuren des einen Geschlechtes in der Blüte nach- weisbar sind, hat man (ohne zwingenden Grund) angenommen, die Blüten seien von vornherein eingeschlechtig, primär diklin. b) Gehen wn nun von den Blüten zu den Individuen über, die diese Blüten hervor- bringen, so können sie sich verschieden ver- halten, je nachdem sie entweder nur einerlei j oder verschiedenerlei Blüten hervorbringen, und je nachdem dann weibliche oder männ- I liehe" oder beiderlei Blüten entstehen. Wir I können danach folgende Eigenschaften des Individuums unterscheiden: 1. Zwitter ig, $: alle Blüten zwitterig, (hermaphrodit), 2. gynomonöcisch, ^$: die Blüten teils zwitterig, teils weiblich, 3. weiblich (gynöcisch), $: alle Blüten weiblich, . 4. andromonöcisch. ^S- die Bluten teils zwitterig, teils männlich, I 5. männlich (andröcisch), ($: alle I Blüten männlich, 1 6. trimonöcisch, (^ ^ ?: die Bluten I teils zwitterig, teils männlich, teils weiblich, 7. einfach m o n ö c i s c h (a n d r o g y n) , (^ $ : I die Blüten teils männlich, teils weibhch. 1 Der Zusammenhang dieser sieben Zu- stände untereinander läßt sich am emfach- 1 sten so darstellen : Gesclüecliterverteilmig und Geschlechtsbestimmuiig (bei Pflanzen) 977 Zwitterigkeit Andromonöcie Trimonöcie Gvnomonöcie ■■■■■•■.. I . ■ 1 Männlichkeit Monöcie Weiblichkeit (Andröcie) (Gynöcie) Dabei sind durch die ausgezogenen Linien sichere, durch die punktierten mutmaßliche phylogenetische Zusammenhänge angedeutet. Der Hauptgegensatz besteht zwischen den gemischtgesehlechtigen Individuen, die, in irgendeiner Form, beiderlei Keimzellen hervorbringen, und den ge- trenntgeschlechtigen, männlichen oder weiblichen Individuen. Wenn zweierlei (oder gar dreierlei) Blüten zusammen vorkommen (Gynomonöcie, An- dromonöcie usw.), kann ihr Zahlenverhältnis sehr verschieden sein. Es können die zwit- terigen oder die getrenntgeschlechtigen über- wiegen, so daß sich die verschiedensten Zwischenstufen zwischen rein zwitterigen und rein eingeschlechtigen Individuen finden (wieweit diese Unterschiede erblich oder durch äußere Einflüsse bedingt sind, ist freilich im einzelnen Fall erst festzustellen). Speziell kann eine andromonöcische oder monöcische Pflanze fast rein männlich, 1 subandröcisch, sein (Cirsium arvense), ! oder eine gynomonöcische fast rein weiblich, subgynöcisch. | Kommen zwitterige und eingeschlechtige | Blüten bei derselben Pflanze vor, so spricht ' man von Polygamie (bei Linne auch die | Polyöcie S. 978 umfassend); mit Dimon-j öcie hat man überhaupt das Vorkommen i von zweierlei Blüten bei demselben Indivi- duum bezeichnet. c) Ist demnach schon das Verhalten der , einzelnen Individuen hinsichtlich ihrer Blüten sehr verschieden, so wird das Verhalten der einzelnen Species hinsichtlich ihrer Indi- 1 viduen fast unübersehbar, auch wenn alle | durch äußere Einflüsse bedingten Modi- [ fikationen ausgeschlossen sind. I 1. Zunächst gibt es Arten, die nur aus ; einerlei Individuen bestehen, aus: I lauter zwitterigen: Bohne, Erbse, Linde,! Tulpe; lauter a n d r o m o n ö c i s c h e n : Roßkastanie, | viele Doldenpflanzen (Astrantia, Scan-j dix, Torilisusw.), Asperula taurina, Veratrum album und nigrum usw.; lauter gynomonöcischen : sehr viele Körb- chenblütler (Maßliebchen, Wucherblume, Kamille, Schafgarbe usw.), Parietaria (Urticaceen); lauter trimonöcischen (auch cönomon- öcischen): Dimorphotheca pluvialis (Körbchenblütler), Poterium Sanguis- orba (Rosaceen), Saponaria ocymoi-i Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV des (Caryophyllaceen), Ferula (Dolden- gewächse) ; lauter monöcischen : Haselnuß, Hainbuche, Erle, Birke, Rotbuche, zahme Kastanie, Eiche; kleine Brennessel (Urtica urens), Platane, Wolfsmilch, Kürbis, Gurke, Bergahorn (Acer Pseudoplatanus), Ringelblume, Huf lattig (Körbchenblütler) ; Mais, Riedgräser, Rohrkolben usw. Nur männliche oder nur weibliche Indi- viduen können natürlich bei Spezies, die auf geschlechtliche Fortpflanzung angewiesen sind, nicht vorkommen; fast ausschließ- lich in weiblichen Exemplaren kommt die apogame Antennaria alpina (Körbchen- blütler) vor, ebenso, wenigstens strecken- weise, die gleichfalls apogame Balanophora globosa usw. 2. Häufig besteht eine Spezies aus zweierlei oder dreierlei und noch mehrerlei Individuen. Noch relativ einfach verhalten sich die ge- trenntgeschlechtigen, zweihäusigen, diöcischen Arten mit männlichen (an- dröcischen) und weiblichen (gynöcischen) Indi- viduen, z. B. Dattelpalme (hier ist wohl die Zweihäusigkeit am frühesten erkannt worden), Weiden und Pappeln, Hanf, Hopfen, Feige, große Brennessel (Urtica dioica), Spinat, Bingelkraut ( M e r c u r i a 1 i s a n n u a ) , Mistel usw. Doch ist die Geschlechtertren- nung oft nicht rein; bald zeigen beide Ge- schlechter (regelmäßiger oder selten) einzelne Blüten des entgegengesetzten Geschlechtes oder zwitterige (Subdiöcie, z. B. Mercurialis annua), bald ist die Trennung für das eine Geschlecht schärfer als für das andere (Cirsium arvense rein weiblich und sub- andröcisch). iVndere Kombinationen verschiedenartiger Individuen bei derselben Species sind: Gynodiöcie: ein Teil der Individuen zwitterig, ein Teil weiblich, z. B. viele Labiaten, Dipsaceen, Caryophyllaceen, Geraniaceen, Plantaginaceen, Boraginaceen, einzelne Körb- chenblütler. Androdiöcie: ein Teil der Individuen zwittrig, ein Teil männlich, z. B. manche Rosaceen (Geum, Dryas), Caltha palu- stris. In beiden Fällen sind wohl stets auch noch Zwischenstufen, gynomonöcische, resp. andromonöcische Individuen, vorhanden. Ja die rein zwitterigen Individuen fehlen sicher oft gänzlich, und es gibt dann entweder nur solche, die mehr oder weniger gynomonöcisch und solche, die rein weiblich sind (Sa- tureia hortensis, weiblich pleomorph, besser gynomonodiöcisch) oder nur solche, die mehr oder weniger andromon- öcisch und solche, die rein männlich (Geum, männlich pleomorph, besser andro- monodiöcisch) sind. Die gynomon- 62 Gesclilechterverteilung und Gesclilechtsbestimmimg (bei Pflanzen) öcischen oder andromonöcischen Individuen können dann wieder in (erblich) verschie- denen Abstufungen vorkommen, die den zwitterigen mit dem weiblichen Zustand fast gleitend verbinden (Plantago lan- ceolata). Triöcie: dreierlei Individuen, außer zwitterigen noch männliche und weibliche, ist selten, z. B. Esche, Spargel, Empetrum nigrum, Evonymus europaeus (?) (die Orchidee Catasetum, die Darwin hier- herzieht und bei der die „zwitterigen", weib- lichen und männlichen Pflanzen so ver- schiedene Blüten besitzen, daß man drei verschiedene Gattungen Myanthus, Mona- chanthus, Catasetum" daraus gemacht hatte, soll nach Rolfe einfach diöcisch sein). Gewöhnlich sind die zwitterigen Exemplare sehr viel seltener als die eingeschlechtigen, und es sind außer den drei Hauptformen jedenfalls oft noch Zwischenstufen vorhanden (Subdiöcie Darwins). Sicher sind sie bekannt für Silene inflata mit männlichen, andromonöcischen, zwitterigen, gynomon- öcischen und weiblichen Exemplaren. Man hat alle Species, bei denen mehrere wesentlich verschiedengeschlechtliche Indi- viduen vorkommen, zusammenfassend als polyöcisch bezeichnet. Als seltene Kombinationen werden ange- geben: Individuen männlich (andröcisch) und gynomon- öcisch : Rumex, zwitterig und monöcisch, ,,androgyno- diöcisch": Scirpus caespitosus, monöcisch und männlich: Arctopus (Umbellifere; nach Linne), monöcisch und weiblich: Morus, mon- öcisch, männlich und (selten) weiblich, triöcisch-androgyn: Acer platanoides, andromonöcisch und weiblich: Gledi- tschia. Im übrigen sind bis jetzt nur relativ sehr wenige Spezies einigermaßen genau, d. h. experimentell, untersucht. Hinsichtlich der Verbreitung der Ge- schlechtertrennung sei noch bemerkt, daß die völlige Trennung in männliche und weib- liche Exemplare (Diöcie) in sehr zahkeichen Verwandtschaftskreisen auftritt; selten fehlt sie einem größeren Kreise, z. B. den Papi- lionaceen, ganz oder ist darin sehr selten. Die Glieder einer Familie können alle getrennt- geschlechtig sein (Salicaceen) oder teils monöcisch, teils getrenntgeschlechtig (Mo- raceen, Cucurbitaceen), oder es sind nur ein- zelne Arten oder Gattungen getrenntgeschlech- tig in Verwandtschaftskreisen, die über- wiegend zwitterig sind oder allerhand andere Formen der Geschlechtsverteilung zeigen. b. Gymnospermen. Sie schließen sich ganz an die Angiospermen an. Die haploide Generation ist stets getrennt- geschlechtig, die diploide, die eigentliche Pflanze, ist bald gemischtgeschlechtig, bald getrenntgeschlechtig. Im ersten, häufigeren Falle haben wir aber (als Regel) Mo n öcie, nicht Zwitterigkeit (Kiefer, Tanne, Fichte, Lärche, Zeder, Zypresse). Diöcisch sind einige Coniferen (Wacholder, Eibe usw.), ferner Ginkgo und die ganzen Familien der Cycadaceen und Gnetaceen. Dabei fehlen den eingeschlechtigen Blütenzapfen bei Coniferen und Cycadaceen fast stets die Rudi- mente des anderen Geschlechtes, so daß sie (wohl im scharfen Gegensatz zu den eingeschlechtigen Angiospermen - Blüten) primär getrenntge- schlechtig sind. Nur bei den Gnetaceen ist in den männlichen Blüten der Welwitschia regel- mäßig eine rudimentäre Samenanlage vorhanden, und bei Gnetum selbst verraten bei den männ- lichen Exemplaren rudimentäre weibliche Blüten wohl frühere Monöcie. Sonst kommen nur hier und da als B i 1 d u n g s a b w e i c h u n g e n zwitterige Blütenzapfen vor (bei Pinus mari- tima , J n n i p e r u s usw.). c. Farnpflanzen. Hier ist nur bei den höherstehenden Formen die haploide Generation noch getrennt- geschlechtig; bei den tief erstehenden ist sie gemischtgeschlechtig, so daß wir in diesem Verwandtschaftskreis also auch auf die Ge- schlechterverteilung der haploiden, nicht bloß der diploiden Generation zu achten haben. Diese diploide Generation ist fast immer gemischtgeschlechtig und nur ganz ausnahmsweise getrenntgeschlechtig, so daß ,, Diöcie" im Sinne der Angiospermen und Gymnospermen kaum vorkommt. Ganz an die höheren Pflanzen schließen sich Selaginella und Isoetes an, wo wir noch Makro- sporophylle und Mikrosporophylle finden, die bei Selaginella zu Blüten mit F"rucht- und Staub- blättern vereinigt sind. Eine solche Blüte ist meist zwittrig. Selten kommen eingeschlechtige Blüten vor, gynomonöcisch (Selaginella p e c t i n a t a) oder gynodiöcisch (Selaginella Martensii) verteilt; selbst Neigung zur Triöcie (Selaginella substipata) soll vorkommen. Für Isoetes wird neben „Polygamie" (Isoetes melanopodium) sogar Diöcie (Jsoetes But- leri) angegeben. Ebenfalls getrenntgeschlechtig in der ha- ploiden Generation sind die Hydropterides (Mar- silia, Pilularia, Salvinia, Azolla). Doch bildet dasselbe Sporophyll oder derselbe Ab- schnitt eines Sporophylls(Sorus)Makrosporangien und Mikrosporangien; die Spornphylle sind also nicht mehr selbst geschlerlitlich differenziert. Noch primitiver sind die Scliachtelhalme, bei denen dasselbe Sporangium zweierlei, äußerlich ununterscheidbare Sporen hervorbriiigt, von denen die einen eine vorwiegend männliche (sub- andröcische) die anderen eine vorwiegend weib- liche (subgynöcische) haploide Generation geben. Hier sind also auch nicht einmal mehr die Sporan- gien der diploiden Generation, sondern erst die Sporen selbst geschlechtlich getrennt. Am einfachsten liegen die Verhältnisse bei den Farnki-äutern und Bärhippgewächsen, bei denen jedes Sporangium nurmehr einerlei Sporen Greschlechterverteilung und Geschlechtsbestimmung (bei Pflanzen) 979 hervorbringt und die haploide Generation beider- lei Gameten, Spermatozoen in Antheridien und Eizellen in Archegonien. Ausnahmsweise (bei deiu Farn Struthiopteris) scheint eine wirk- liche Neigung zur Bildung diöcischer Prothallien vorzukommen. Im allgemeinen ist aber die haploide und die diploide Gene- ration ge misch tgeschlechtig. Das Prothallium eines solchen Farnes oder Bärlappgewächses wird meist „zwitterig" ge- nannt, ebensogut kann man es „monöclsch" nennen. Diese Ausdrücke, geschaffen für die diploide Generation der Angiospermen, passen hier eigentlich nicht mehr; wir können sie aber übertragen gebrauchen oder uns mit dem Aus- druck ,,gemischtgeschlechtig" behelfen. d. Moose. Bei Laub- und Lebermoosen findet sich dieselbe Geschlechterverteilung wie bei den niedriger stehenden Farnpflanzen. Die noch am weitgehendsten differenzierten (Mar- chantia, Sphaeroearpus, überhaupt viele Lebermoose und Laubmoose) stehen etwas höher als die Schachtelhalme. Die diploide Generation, das Sporogon, bringt in derselben Kapsel Sporen hervor, die scharf differenziert sind und entweder eine männ- liche haploide Generation nur mit Antheridien oder eine weibliche haploide Generation nur mit Archegonien hervorbringen. Man nennt sie diöcisch. Die übrigen Moose entsprechen den gewöhnlichen Farnen und Bärlappgewächsen, mit dem Unterschied, daß, bei der viel reicheren Ausgestaltung der haploiden Gene- ration, auch die Verteilung der Sexualorgane (Antheridien und Archegonien) viel mannig- facher sein kann. Das Sporogon bringt dann in der Kapsel nur einerlei Sporen hervor, aus denen gemischtgeschlechtiges Protonema hervorgeht. Wir können des weiteren unterscheiden: 1. Es entstehen (bei Laubmoosen) männliche und weibliche beblätterte Pflänzchen am selben Protonema; die Pflänzchen sind dann wohl stets zwergig und einfach (Ephemer um, Bux- baumia). Solche Arten nennt der Syste- matiker ebenfalls „diöcisch" oder, besser, rhizautöcisch. 2. Es entstehen (bei Laubmoosen) an dem ProtonemazunächstSprossevoneinembestimmten Geschlechte (z. B. mit Antheridien), und daran, als Aeste, Sprosse mit dem anderen Geschlecht (z. B. mit Archegonien), Beispiel: Funaria hygrometrica ; monöcische oder aut- öeische Arten. Zwischen 1 und 2 vermitteln jene (pseudomonöcischen oder pseudantöci- schen) Moose, wo die Sprosse des einen Ge- schlechtes an sekundärem, stengel-oder blatt- bürtigem Protonema aus Sprossen des anderen Geschlechtes entstehen — oder entstehen sollen. Denn manche der hierhergezogenen Formen sind sicher völlig diöcisch im strengsten Sinne. 3. Es wachsen (bei Laub- und Lebermoosen) 1 am selben Sproß als Aeste sowohl Seitensprosse mit dem einen als solche mit dem anderen Ge- I schlecht hervor (pleurocarpe Laubmoose); ebenfalls monöcisch oder autöcisch ge- nannt. 4. Es sind (bei Laub- und Lebermoosen) am selben Sproß unter terminal stehenden Arche- gonien Antheridien vorhanden (paröcische Moose), oder es stehen sogar Antheridien und Archegonien in derselben Hülle beisammen (synöcische Moose). Beide Zustände werden als „zwitterig" zusammengefaßt. Daneben gibt es noch allerlei Kombinationen, z. B. polyöcischeArten, die aus zwitterigen und ,,diöcischen" (Webera cruda) oder monöcischen und ,,diöcischen" Individuen (Leptobryum) bestehen, und heteröcische Arten, bei denen ,, zwitterige" und monöcische Individuen vor- kommen. Die ,, Blüte" der Moose: Archegonien und Antheridien für sich umhüllt oder beide in einer gemeinsamen Hülle, hat mit der Blüte der Angiospermen usw. nichts zu tun. Deshalb hat natürlich der Ausdruck zwitterig hier einen anderen Sinn. Ehe wir die Kormophyten verlassen, soll das Verhalten der zwei Generationen in den vier großen Abteilungen in einem Schema zu- sammengestellt werden: Bryophyten Pteridophyten ' Gymnospermen Angiospermen haploide gemischt- oder getrennt- geschlechtig gemischt- oder getrennt- geschlechtig gemischt- geschlechtig (ausnahmsweise getrennt- geschlechtig) getrennt- geschlechtig gemischt- oder getrennt- geschlechtig getrennt- geschlechtig haploide Generation Generation gemischt- oder getrennt- geschlechtig diploide Generation gemischt- geschlechtig diploide Generation 62^ 980 Geschlechterverteilung und Gesclilechtsbestinmiung (bei Pflanzen) 2. Thallophyten, a. Formenkreise mit ausgesprochenem ,i Generationswechsel. Hierher gehören die Dictyotales, Florideen und Ascomyceten. Die Geschlechtsverteilung entspricht bei ihnen wohl im Prinzip stets ganz derjenigen der Bryophyten: die diploide Generation ist stets gemischtgeschlech- tig, die haploide kann gemischtge- schlechtig oder getrenntgeschlechtig sein. Danach kann man, ebensogut wie bei den Bryophyten, gemischt- und ge- trenntgeschlechtige, monöcische und diöci- sche Arten unterscheiden. 1. Dictyotales. Die diploide, Tetrasporen bildende Generation ist, wie gesagt, stets ge- mischtgeschlechtig, die haploide, Antheridien und Oogonien bildende, bei der Minderzahl der Gat- tungen (Padina) monöcisch, bei der Mehrzahl (Dietyota, Dictyopteris usw.) diöcisch. 2. Florideen. Die diploide Generation (die den Sporophyten oder den Sporophyten + Tetrasporangien tragende Pflanze umfaßt) ist wohl gemischtgeschlechtig, die haploide, Antheridien und Karpogone bildende Generation selten monöcisch (Batrachospermum, Cryp- tonemia, Bonneraaisonia usw.), meist di- öcisch, wobei jedoch bei manchen Arten einzelne monöcische Exemplare gefunden werden (Nema- lion, Callithamnium tetragonum, Du- dresnaya coccinea). Im selben engeren Verwandtschaftskreis kann Monöcie und Diöcie auftreten. Die meisten Batrachospermum- artensind z. B. monöcisch, einige jedoch diöcisch; die Chantransiaarten sind diöcisch, die davon kaum zu trennende Gattung Balbiania ist monöcisch. 3. Ascomyceten. Wirfassen(mitClaussen) bei den sexuellen Arten das Entwickelungsstück vom befruchteten Ascogon bis zur Ascospore als diploide Generation auf (trotz der so lang hinausgeschobenen definitiven Vereinigung der Kerne); sie dürfte stets gemischtgeschlechtig sein. Die haploide Generation (von der Ascospore bis zum Carpogon und Antheridium) ist meist monöcisch ; sicher z. B. bei Dipodascus, Erem- ascus, Pyronema confluens, Ascodesmis, wohl aucli bei den Erysiphaceen. Umgekehrt kommt Diöcie sicher bei der kleinen (auch sonst höchst eigenartigen) Gruppe der Laboulbenia- les, lieben viel häufigerer Monöcie, vor. Bei den einschlägigen Gattungen (Dimorphomy- ces, Dimeromyces, Amorphomyces) sitzen die Pflänzchen stets paarweise, ein Männchen und ein Weibchen, beisammen; es erklärt sich das dadurch, daß von der Sporenbildung im yiersporigen Ascus her stets eine männlich- bestimmte und eine weiblichbestimmte Spore durch eine Gallerthülle verbunden bleiben. Bei den Flechtenpilzen mit mehr oder weniger sicher nachgewiesener Sexualität sind (nach Stahl) die meisten ebenfalls monöcisch, bilden also Spermogonien und Ascogone im selben Thallus (Collemaceen). Manche entwickeln diese Organe besonders nahe beieinander, wenn näm- ich das Ascogon regelmäßig im Grunde des Sper- mogoniums entsteht (Arten von Physma; Ver- rucaria.?) und sind dann „zwitterig" genannt worden. Auf der anderen Seite wird auch Diöcie angegeben: Spermogonien auf den einen, Asco- gone auf den anderen Thalli (Synalissa und Ephebe). Besonders merkwürdig sind die gynodiöcischen C o 1 1 e m a arten (Collema pulposumund crispum, Baur),wo monöcische Thalli mit Spermogonien und Ascogonen vor- kommen, die reichlichst Apothecien bilden, und mindestens ebenso üppig entwickelte weib- liche Thalli nur mit Ascogonen oder mit Asco- gonen und rudimentären Spermogonien, die fast völlig steril bleiben. Die Uredineen, die ebenfalls einen ausge- sprochenen Generationswechsel besitzen, sind pseudomictisch und kommen deshalb für ims nicht in Betracht, so wenig wie die übrigen I Basidiomyceten; sie sind von vornherein j ,, gemischtgeschlechtig". I b. Formenkreise ohne ausgesprochenen I Generationswechsel. Hier ist, nach unseren jetzigen Kennt- nissen, teils das haploide Entwickelungs- stadium auf die Gameten beschränkt, so daß der Thallus diploid ist, teils das ; diploide Entwickelungsstadium auf die Zygote \ beschränkt, so daß der Thallus haploid ; ist. Die Unterscheidung der zwei Kategorien [ ist für das Problem der Geschlechts- bestimmung von großer Wichtigkeit. Unsere Kenntnisse reichen aber noch lange nicht zu einer auch nur provisorischen Unter- j bringung aller Sippen der Algen und Pilze in ' die eine oder andere Kategorie aus. In die I erste Kategorie gehören wahrscheinlich die IFucaceen, vielleicht auch die Ecto- jcarpaceen, Siphoneen, Bacillariaceen i unter den Algen, dieMucorineen, Perono- Isporineen, Saprolegniaceen, Chytri- diaceen unter den Pilzen, in die zweite Kategorie wahrscheinlich Chara, Ulothrix, Oedogonium, die Conjugaten. j Wir können auch hier unschwer ge- : mischtgeschlechtige (monöcische oder ! zwitterige) und getrenntgeschlechtige Ai'ten unterscheiden, solange jedes Indivi- duum mehr als einen Gameten bildet und die Gameten auch äußerlich irgendwie als männlich und weiblich zu erkennen sind. I Schwierig kann die Unterscheidung in ! Verwandtschaftskreisen werden, die äußer- j lieh identische Gameten (Isogameten), ! wenn auch in großer Zahl, bilden. Als KJrite- j rium bleibt schließlich nur noch übrig, ob ! die Gameten desselben Individuums sich ! vereinigen können, oder die Gameten eines anderen Individuums zur Befruchtung nötig sind. Dabei ist vorausgesetzt, daß das Aus- bleiben der Vereinigung zwischen den Ga- meten desselben Individuums dann nicht auf i Selbststerilität beruht, wie sie für Blüten- j pflanzen längst nachgewiesen, für Thallo- phyten aber zurzeit nicht bekannt ist. Ihr Vorkommen ist immerhin denkbar, und es Geschlechterverteiluiif;' und Geschlechtsbestimmiing (l)ei Pllanzei)) 981 mögen später vielleicht manche isogametische Thallophyten, bei denen wir jetzt von Diöcie sprechen," als selbststeril erkannt werden. Wenn der Thallus reicher ausgestaltet ist, können bei gemischtgeschlechtigen Arten die Gameten njiher beieinander, oft in unmittel- barster Nähe (Basidiobolus, Dipodascus, Peronosporineen usw.) entstehen, oder weiter voneinander entfernt. Man hat da- nach — willkürlich — ,, zwitterig" und ,,mon- öcisch" unterschieden. Bei ganz einfachen, einzelligen Thallo- phyten, die einen einzigen Gameten bilden (wo Gamet und Individuum zusammenfallen), müssen wir natürlich von Diöcie sprechen, wenn wir nicht ein bisher außer acht ge- lassenes Kriterium anwenden und die Ab- stammung der sich vereinigenden Indi- viduen berücksichtigen wollen. x\uf diesen Punkt ist bisher überhaupt wenig geachtet worden. Wo die Fortpflanzung ausschließ- lich geschlechtlich ist (D a s y c 1 a d u s , S p h a e - roplea, Chlorochytrium Lemnae) können wir ja ohne weiteres von Getrennt- geschlechtigkeit oder Gemischtgeschlechtig- keit sprechen, je nachdem die Gameten des- selben Individuums oder die verschiedener Individuen sich vereinigen. Anders, wenn auch ungeschlechtliche Vermehrung vor- kommt. Von den getrenntgeschlechtigen höheren Pflanzen und den Moosen wissen wir, daß der Geschlechtscharakter bei un- geschlechtlicher Fortpflanzung (fast aus- nahmslos) aufs strengste gewahrt wird. Es ist deshalb auch wahrscheinlich, daß das männliche oder weibliche Geschlecht einer diöcischen Vaucheria oder eines diöcischen Oedogonium bei der Vermehrung durch Zoosporen weitergegeben wird; bewiesen ist das aber wohl nur für die Vermehrung durch Sporangiosporen bei den getrenntgeschlech- tigen Mucorineen. Es wird sich empfehlen, s])äter einmal bei solchen Thallophyten von Geniisc litgos( hlech- tigkeit dann zu sprechen, wenn sich Gameten vereinigen können, die von demselben Keimling stammen, direkt aus der Zygote (wenn der Thallus diploid ist) oder nach einer Reduktionsteilung (wenn er haploid ist), und von Diöcie nur dann, wenn Ga- meten zusammenkommen müssen, die von verschiedenen Keimlingen stammen. Von den Komplikationen, die möglicher- weise durch Selbststerilität bedingt sein könnten, sehen wir jetzt ab. Dann wird man auch da, w^o Individuum und Gamet zusammenfallen und ungeschlechtliche Ver- mehrung vorkommt, Monöcie und Diöcie unterscheiden können. Einstweilen reichen unsere Kenntnisse dafür lange nicht aus. Wie ein Studium der einzelnen Thallo- phytenstämme zeigt, tritt die Diöcie immer wieder, in den verschiedensten Ver- wandtschaftskreisen, auf, im einen sehr oft, im anderen selten. Sie dürfte wohl stets sekundär, abgeleitet sein, wenn sich das auch bei ihrer sicher polyphyletischen Entstehung wohl nicht in jedem Einzelfalle nachweisen lassen wird. Terminologisches. Durch die verschie- dene Entwickehmg der beiden Generationen, der haploiden und diploiden, ist es schon in der Kormophytenreihe bedingt, daß die Ausdrücke ,, zwitterig",,, einhäusig",, ,zweihäusig" usw. nicht immer auf den gleichen Entwickelungsabschnitt, (die gleiche Generation) angewendet werden. Wenn die haploide Generation getrenntge- schlechtig, die diploide gemischtgeschlechtig ist, nennt man ein Moos diöcisch, eine Blüten- pflanze zwitterig, weil man sich eben nur an die in die Augen fallende Generation htält, und diese bei einem Moose die haploide, bei einer Blütenpflanze die diploide ist. Durch die An- wendung der fraglichen Ausdrücke auf die Thallophyten wird die Sachlage noch kompli- zierter. Darin liegt unzweifelhaft ein Uebelstand. Um ihm abzuhelfen, hat Blakeslee, ausgehend von seinen Mucorineenstudien, folgende Be- zeichnungen vorgeschlagen, wobei er ,, Thallus" für die haploide, „Phytum" für die diploide Gene- ration verwendet: Pflanzen mit gemischtgeschlechtiger haploider Generation: homothallisch, Pflanzen mit getrenntgeschlechtiger haploider Generation: heterothallisch, Pflanzen mit gemischtgeschlechtiger diploider Generation: homophytisch, Pflanzen mit getrenntgeschlechtiger diploider Generation: heterophytisch. Ein gewöhnliches Farnki-aut, ein monöcisches Moos wäre also homothallisch homophy- tisch, eine Marsilia, eine Selaginella, eine 1 Tulpe, eine Erbse oder Linde, eindiöcisches Moos heterothallisch homophytisch, eine Weide oder eine Hanfpflanzeheterothallisch hetero- phytisch. Es wäre ferner z.B. Pyronema homothallisch homophytisch, Dictyota, Polysiphonia, eine diöcische Laboulbeniacee heterothallisch homophytisch usw. Natürlich läßt sich diese Bezeichnungsweise auch auf die Thallophyten ohne ausgesprochenen Generationswechsel übertragen. Es ist das ohne weiteres möglich dort, wo die diploide Generation (das „Phytum") auf die Zygote reduziert ist (S. 980): eine Ulothrix zonata, ein Oedogo- nium curvum, eine Ohara crinita oder aspera ist nach unserer Annahme hetero- thallisch, ein Oedogonium capillare, eine 'Chara foetida homothallisch. Die An- wendung ist an und für sich auch da möglich, wo die haploide Generation auf die Gameten beschränkt ist. Fucus vesiculosus hieße dann aber heterophytisch, Fucus platycarpus homophytisch, obwohl das Verhalten seines Thallus gemeint ist. Darin scheint mir ein wesentliches Hindernis für die allgemeine Durch- führung der neuen Terminologie zu liegen. Der Begriff ,, Thallus" ist eben ohne Rücksicht auf die Reduktionsteilung gebildet worden und wird sich nicht auf die haploiden Vegetationskörper beschränken lassen. In allererster Linie stehen ; der Durchführung aber unsere ungenügenden 982 Gesclüechterverteilung und Gesclüechtsbestimmung (bei Pflanzen) Kenntnisse vom Entwickelungsgang der meisten Tliallophyten im Weg. Den Mucor Mucedo selbst erklärt z. B. Blakeslee für heterothal- lisch heterophytisch; ich halte es nicht für aus- geschlossen, daß er einfach heterophytisch ist. Weniger dürfte in Betracht kommen, daß die Bezeichnungsweise etwas schleppend ist, mehr, daß es mit ihr kaum möglich sein wird, die feineren Unterschiede in der Geschlechterverteilung auszu- drücken (Gynodiöcie usw.). Ich habe deshalb die alte Bezeichnungsweise beibehalten. Kennt man den fraglichen Organismus einigermaßen, so weiß man schon, worauf sich die Ausdrücke ,,diöcisch", ,,monöcisch" ,, zwitterig" usw. allein beziehen können (die diploide Generation kann erst dann getrenntgeschlechtig werden, wenn die haploide es schon ist). Dichogamie. Außer von der im vorher- gehenden behandelten ,, r ä u m 1 i c h e n " Trennung der Geschlechter spricht man noch von einer ,,z ei t liehen" Trennung, wenn die männlichen und weiblichen Keimzellen oder die Organe, die sie mehr oder weniger direkt hervorbringen (Mikro- und Makro- sporophylle z. B.), nicht zur gleichen Zeit reif sind: Dichogamie (im Gegensatz zur Homogamie), bald Prot(er)andrie, wenn das männliche, bald (seltener) Prot(er)- ogynie, wenn das weibliche Geschlecht vorangeht. Derartiges kommt schon bei Thallophyten vor (Volvo X ist z. B. protandrisch, vielleicht auch die Collemacee Physma), es findet sich bei Moosen (Funaria hygrometrica prot- andrisch) und vor allem beiden gemischtgeschlech- tigen Farnprothallien (ebenfalls protandrisch). Es ist sehr häufig bei gemischtgeschlechtigen Blütenpflanzen, nicht nur bei solchen mit Zwitter- blüten (z. B. viele Geraniaceen, Onagraceen, Mal- vaceen, Umbelliferen, Campanulaceen sind prot- andrisch, manche Plantaginaceen, viele Aristo- lochiaceen, Juncaceen protogyn), sondern auch bei monöcischen (z. B. Carex, Euphorbia protogyn). Auch bei getrenntgeschlechtigen Arten kann das eine Geschlecht früher zu blühen an- fangen, beim Hanf z. B. die Weibchen 4 bis 5 Tage vor den Männchen. Der Grad der zeitlichen Trennung ist bald sehr gering, so daß sie eben wahrnehmbar ist, bald sehr ausgesprochen; bei Luzula campestris schiebt sich sogar ein 4- bis 7-tägiges ungeschlechtliches Stadium der Blüte zwischen das erste (1- bis 2-tägige) weibliche und das zweite (1 -bis 2-tägige) mänrüiche Stadium ein. Meist verhält sich ein Verwandtschaftskreis einheitlich, indem er bei Dichogamie mehr oder weniger protandrisch oder protogyn ist, doch können sich die Arten derselben Gattung (Saxi- fraga) imd die Individuen derselben Art ver- schieden verhalten (die Haselnuß- und Wal- nußpflanzen sind teils proterandrisch, teils prot- erogyn: Heterodichogamie; Ajuga reptans ist teils dichogam, teils homogam: Homo- dichogamie). Es wird sich dann um Sippen mit erblich verschiedenem Verhalten handeln. Die Wirkung der „zeitlichen" Trennung der Geschlechter entspricht natürlich der der ,, räum- lichen", indem die Selbstbefruchtung in der Blüte oder beim ganzen Individuum erschwert imd selbst völlig verhindert wird. B. Geschlechtsbestimmimg. Die Untersuchungen der letzten Zeit haben es wahrscheinlich gemacht, daß das Geschlecht eines Organismus, wie dessen andere Eigenschaften auch, von der Ent- faltung von Anlagen abhängt, die in seinem Keimplasma stecken, daß das Geschlecht, mit einem Wort, vererbt wird. Wie die anderen Anlagen können sich aber auch die für das Geschlecht nur unter dem Ein- fluß äußerer Faktoren (zu denen natürlich die korrelativen Wirkungen gerechnet sind) entfalten. Diese Faktoren können wenig wirksam oder sehr wirksam sein. Das Ge- schlecht eines Organismus hängt also einer- seits von seinen Anlagen, andererseits von den äußeren Einflüssen ab. Danach unter- scheiden W'ir Geschlechtsvererbung und Geschlechtsbeeinflussung. I. Geschlechtsvererbung. Am eingehendsten untersucht sind die diöcischen Angiospermen und Gymnospermen. Das Problem liegt bei ihnen ganz ähnlich wäe bei den Metazoen, und wenn man von Ge- schlechtsbestimmung bei Pflanzen spricht, so denkt man in erster Linie an sie. Sie sollen deshalb zuerst besprochen w^erden, obschon sie am Ende einer Entwäckelungs- reihe stehen, die von den gemischtgeschlech- tigen Moosen und isosporen Farngewächsen ansteigt. Auch bei diesen gibt es natürlich schon eine ,, Geschlechtsbestimmung", eben- so bei den Thallophyten. Auf sie werden wir später zurückkommen. a. Blütenpflanzen. a) Getrenntgeschlechtige Arten (Diöcisten). lieber den Modus der Ge- schlechtsbestimmung haben wir hauptsächlich durch Vererbungs-, Bastardierungs- und B es täubungs- Versuche einige Einsicht bekommen (vgl. die entsprechenden Artikel). Die zytologische Untersuchung und die Fälle geschiechtsbegrenzter Vererbung, die im Tier- reich so viel Aufschluß gegeben haben, haben hier, einstweilen wenigstens, ganz versagt. Jede Erklärung muß mit folgenden Tat- sachen rechnen: 1. Jedes getrenntgeschlechtige Indivi- duum hat auch die Fähigkeit, die Merkmale des anderen Geschlechtes zu entfalten. Das geht aus spontanen Geschlechtsänderungen, z. B. bei Weidenbäumen, und aus dem Ein- fluß gewisser Parasiten (Ustilago violacea auf Melandrium album $) hervor. 2. Jede Keimzelle enthält den vollstän- digen männliclien und den vollständigen weiblichen Anlagenkomplex für die primären und sekundären Geschlechtscharaktere. Es folgt das natürlich noch nicht aus 1, läßt sich aber experimentell beweisen, durch Geschlechterverteilung und Geschlechtsbestimmung (bei Pflanzen) 983 Bastardierung zweier Sippen, die sich in ihren Geschlechtscharakteren, primären oder sekundären, unterscheiden (Melandrium album und Melandrium rubrum). Das Pollenkorn überträgt Merkmale des Frucht- knotens, die Samenanlage Merkmale des Pollens auf die Bastarde. 3. Jeder getrenntgeschlechtige Organis- mus enthält also zweimal die iVnlage für die männliclien und zweimal die für die weib- lichen Merkmale, weil er ans der Vereinigung zweier Keimzellen entstanden ist. 4. Der Prozeß der Geschlechtsbestim- mung kann nur in der Unterdrückung der weiblichen oder der männlichen Merkmal- komplexe bestehen, nicht in ihrer Besei- tigung. 5. Die Keimzellen haben schon eine be- stimmte geschlechtliche ,,Tendenz". Diese Tendenz kommt dadurch znstande, daß von den beiden in jeder Keimzelle vorhandenen Anlagenkomplexen (dem männlichen und dem weiblichen) der eine gefördert, der andere gehemmt ist. Man kann sich vorstellen, daß das durch eine besondere Erbanlage (ein „Gen") geschieht, die unabhängig von den Anlagenkomplexen für die männlichen und weiblichen Geschlechtsmerkmale, neben ihnen, vorhanden ist (und die man „Ge- schlechtsbestimmer" nennen könnte). 6. Die Tendenz der Keimzellen ist nicht unabänderlich festgelegt, oder braucht es doch nicht zu sein. Die definitive Entschei- dung über das Geschlecht der Nachkommen ist erst nach der Befruchtung (dem Zusammen- kommen zweier Keimzellen) gefallen, wie die Entscheidung über die übrigen Eigenschaften des Organismus auch, soweit sie von den An- lagen abhängen. Treffen bei der Befruchtung zwei Keimzellen mit verschiedener Tendenz zu- sammen, so dürfte die Entscheidung nicht von zufälligen (individuellen) Differenzen in der Stärke der Tendenzen abhängen, sondern von Unterschieden in der Stärke, die von vorn herein (erblich) festgelegt sind (und wohl auf ungleicher Entfaltungsstärke der Geschlechtsbestimmer beruhen). Die eingangs genannten Vererbungs- und Bastardierungsversuche haben nun wahr- scheinlich gemacht, daß die Keimzellen des einen, ,,homogame tischen" Geschlechtes alle in ihrer Tendenz übereinstimmen, die des anderen ,,heterogametischen" Ge- schlechtes aber von doppelter Natur sind. AUe Beobachtungen weisen ferner darauf hin, daß das weibliche Geschlecht die einerlei, das männliche die zweierlei Keimzellen hervorbringt. Die Geschlechtsbestimmung bei der Befruchtung beruht dann darauf, daß von den Keimzellen (Eizellen) des homogameti- schen, weiblichen Geschlechtes die eine Hälfte Nachkommen mit ihrer eigenen, unveränder- ten, weiblichen Tendenz, Weibchen, hervor- bringt, während bei der anderen Hälfte der Keimzellen (Eizellen) diese weibliche Tendenz durch die männlichen Keimzellen geändert wird, so daß männliche Nachkommen ent- stehen. Entscheidend ist also schließlich das Verhalten der männlichen Keimzellen, die teils die Tendenz der weiblichen unverändert lassen, teils sie unterdrücken. Im einzelnen hat man sich darüber verschiedene Vorstel- lungen gemacht. Man nimmt an (Noll, Strasburger), daß sämtliche Keimzellen des männlichen Geschlechtes (m) männliche Tendenz ent- hielten, daß aber in der Hälfte der Keim- zellen (ml) diese Tendenz stärker, bei der HäKte (m III) schwächer sei, als die weib- liche Tendenz der Eizellen (f II), so daß beim Zusammentreffen der Keimzellen bei der Befruclitiing die stets weibliche Tendenz der weiblichen Keimzellen in der Hälfte der Fälle siege, in der Hälfte der Fälle unterliege (f 11 + ml = männlich, f II + mlll = weib- lich). Oder man nimmt an (Correns), daß die Hälfte der Keimzellen des männlichen Ge- schlechtes die männliche Tendenz m, die Hälfte die weibliche Tendenz f besäßen, und daß dann die männliche Tendenz stärker sei als die weibliche (f + m = männlich, f -j- f = weiblich). Für die erste Annahme spricht die Tatsache, daß isolierte Exemplare fast rein getreimtge- schlechtiger Pflanzen bei Selbstbefruchtung lauter oder fast lauter Nachkommen mit dem gleichen Geschlecht geben. Die fast rein männlichen In- dividuen bringen also z. B. aus Samen ihrer ein- zelnen weiblichen oder zwitterigen Blüten wieder männliche Pflanzen hervor, die fast rein weib- lichen Individuen mit dem Pollen ihrer einzelnen männlichen Blüten wieder weibliche, während die- selben fast rein weiblichen Individuen mit dem Pollen der fast rein männlichen etwa gleichviel fast männliche und fast weibliche Nachkommen geben [Mercurialis annua (^ und $ (Bitter, Strasburger), Hanf $ (Molliard), Vale- riana dioica (J (Correns)]. Nach der zweiten Annahme müßten die fast rein weiblichen In- dividuen zwar ihresgleichen, die fast rein männ- lichen aber außer ihresgleichen auch noch fast rein weibliche Nachkommen geben. Für die zweite Annahme spricht der Ausfall von Bastardierungsversuchen zwischen getrennt- und gemischtgeschlechtigen Pflanzen. \Yenn die getrenntgeschlechtige Tendenz der Keimzellen der einen Art über die gemischtgeschlechtige Tendenz der Keimzellen der anderen Art domi- niert, kann man aus dem Ergebnis der reziproken Bastardierungen auf die Tendenz der getrennt- geschlechtigen Keimzellen schließen. Unter- sucht sind die Bastarde zwischen Bryonia dioica (getrenntgeschlechtig) und Bryonia alba (monöcisch). 984 Geschlechterverteilung- und Gesclilechtsbestiramimg (bei Pflanzen) 2 Keimzellen cJ Keimzellen Ergebnis (Bastarde) j a)B. alba^ + dioica ^J = i/^männl., i^weibl. b)B. dioica$+ alba ^ = alle weiblich. Daraus geht hervor, daß alle Keimzellen desBryonia dioica -Weibchens weibliche Ten- denz haben, von den Keimzellen des Bryonia dioica-Männchens aber die Hälfte weibliche, die Hälfte männliche. Ein entsprechendes Ke- sultat gab der Bastard Melandrium album § + Silene viscosa ^: alle Individuen weiblich. Die zweite Annahme hat den Vorzug, daß nach ihr die Geschlechtsbestimmuiig genau wie die Rückbastardierung eines mendelnden Bastardes (= Männchen) mit seinem rezessiven Elter ( = Weibchen) verläuft. Damit erklärt sich ohne weiteres, daß das eine Geschlecht homogametisch, | das andere heterogametisch ist, und daß das j heterogametische Geschlecht zweierlei Keim- zellen im Verhältnis 1:1 bildet. Mit dieser zweiten Annahme stehen auch die Ergebnisse der zytologischen Untersuchung imd der Ex- perimente über geschlechtsbegrenzte Vererbung im Tierreich in Einklang (vgl. den Artikel ,,Vererbung"). Die Entscheidung über die Tendenz der männlichen Keimzellen fällt dann bei der' Reduktionsteilung in der Pollenmutter- 1 zelle, indem die beiden verschiedenen Ten- denzen, die bei der Entstehung des Männchens zusammentreffen, wieder gespalten werden; die Entscheidung über das Geschlecht des Embryos geschieht bei der Befruchtung, i Eigentlich wäre dann das Geschlechts- j Verhältnis 1 : 1 zu erwarten ; die bekannten Abweichungen sind w^ohl durch sekundäre Einflüsse bedingt, die von der Keimzell- bildung an bis zu dem Moment wirken I können, wo das Geschleclitsverhältnis er- ] mittelt wird; sie mögen u. a. auf einer un- gleichen Resistenz der verschiedenen Keim- , Zellen oder Embryonen gegen Schädigungen beruhen. Versuche (von G. H. Shull) mit Zwittern, die bei dem sonst getrenntgeschlechtigen Melan- drium album aufgetreten waren, haben noch kein abgeschlossenes Resultat gezeitigt. — Einen besonderen Weghat Strasburg er eingeschlagen; doch ist über den Ausfall der Versuche (für die Elodea canadensis benutzt wurde) noch nichts bekannt. Ist nämlich das männliche Ge- schlecht wirklich heterogametisch, und wird die Tendenz der männlichen Keimzellen bei der Reduktionsteilung bestimmt, so müssen von den 4 Pollenkörnern, die aus einer Mutterzelle hervor- gehen, immer 2 die eine, 2 die andere Tendenz erhalten. Bleiben nun die 4 Pollenkörner zu einer ,, Tetrade" vereinigt, und zeigt eine getrennt- geschlechtige Art solche Tetraden, so müssen die Blüten der Weibchen dieser Art (voraus- gesetzt, daß genügend Samenanlagen vorhanden sind), mit je einer Tetrade bestäubt, unter je 4 Nachkommen immer 2 Männchen und 2 Weib- chen (oder unter je 3 Nachkommen stets 2 vom einen und 1 vom anderen Geschlecht) geben. Sind dagegen von den 4 Nachkommen eines Versuches hier und da auch 3 und gelegentlich selbst alle 4 gleichen Geschlechtes, so geht daraus sicher hervor, daß die männlichen Keimzellen (Pollenkörner) nicht die ausschlaggebende Rolle, oder doch nicht allein, spielen können. ß) Polyöcische Arten. Wir sind einst- weilen nur über die Geschlechtsbestimmung der Gynodiöcisten (S. 977) einigermaßen unterrichtet. Die Weibchen bringen mit dem Pollen der Zwitter mehr oder w^eniger aus- schließlich ihresgleichen (also Weibchen) hervor, die Zwitter (oder Gynomonöcisten) mit ihrem eigenen Pollen ebenfalls mehr oder weniger ausschließlich ihresgleichen (also Zwitter usw.). Besonders typisch ist S atu r ei a hortensis. Auch Silene dichotoma ver- hält sich z. B. so, trotzdem hier auch Ueber- gänge zur Andröcie vorkommen. ^ Bei Plantago lanceolata, wo viele Abstu- fungen zwischen weiblichen und zwitterigen Stöcken vorkommen, ist nachgewiesen, daß dasselbe Weibchen mit dem Pollen ver- schiedener Zwätter eine Nachkommenschaft mit verschieden viel Weibchen geben kann, und daß verschiedene Weibchen mit dem Pollen desselben Zwitters ebenfalls eine Nachkommenschaft mit verschieden viel Weibchen geben können. Das beweist, daß sow'Ohl die Beschaffenheit des Pollenliefe- ranten als die der w^eiblichen Pflanze von Einfluß auf das Geschlecht der Nachkommen sein kann. Ueber die Androdiöcisten liegen noch keine abgeschlossenen Versuche vor; soviel ist aber schon sicher, daß die nahezu rein männ- lichen Stöcke bei Selbstbestäubung überwiegend ihresgleichen geben, und die überwiegend zwitte- rigen Stöcke, mit dem Pollen dieser mehr männ- lichen bestäubt, mehr nahezu männliche Nach- kommen hervorbringen, als mit ihrem eigenen Pollen (Geum). b. UebrigeKormophyten (mit Anschluß der vorausgenommenen Blütenpflanzen) . Sie können nach ihrer geschlechtlichen Differenzierung — und damit auch für das Problem der Geschlechtsbestimmung — in folgende ansteigende Stufenleiter gebracht werden. 1. Stufe: Gemischtgeschlechtige Moose, isospore Farngewächse. Die Geschlechtsbestimmung besteht hier in der Entscheidung darüber, ob ein größeres oder kleineres Stück der haploiden (geschlecht- lichen) Generation xAntheridien oder Arche- gonien, männliche oder weibliehe Gameten, bilden soll. Beiderlei Organe sind entfalt- bar; zu den Anlagen der Species gehört aber außerdem, daß sie beide auch wirk- lich entfaltet werden, und daß dies in be- stimmter Weise geschieht. Es ist eine Anlage für Gemischtgeschlechtigkeit vorhanden. An ihr wird bei der Bestim- mung nichts geändert; das Archegonium oder der Sproß mit der weiblichen Blüte erhält nicht weibliche, das Antheridium oder Geschlecliterverteitiinc,' und Gesclileclitshestimmimg (bei Pflanzen) 98.'^ der Sproß mit der männlichen Blüte nicht männliche Tendenz. Jede Zelle, also auch jede Keimzelle, behält die gemischtgeschlech- tige; es wird nur über die Bildung von Zellen von bestimmter Form und Funktion entschieden. Zur parthenogenetischen Ent- wickelung gebracht, würde die Eizelle nicht ein weibliches, das Spermatozoon nicht ein männliches Individuum geben, sondern beide würden zu zwitterigen. Die Geschlechts- bestimmung ist hier "kein anderer Vorgang, als etwa der, der in einem Laubblatt die einen Zellen zu Pallisaden, die anderen zu Schwammparenchym usw. bestimmt. Des- halb wirken auch äußere Einflüsse relativ stark dabei ein. Die entgegengesetzte Ansicht, daß mit der Bestimmung zu Antheridien und Archegonien die Zellen selbst männliche und weibliche Ten- denz erhielten, unterscheidet nicht zwischen dem physiologischen A^erhalten der Keim- zellen beim Befruchtungsprozeß und ihrer An- lagengarnitur. Sie läßt sich auch experimen- tell widerlegen: Die Hüllblätter um die Arche- gonien eines weiblichen Astes des mon- öcischen Laubmooses Physcomitrium, das sich wie Funaria (S.979) verhält, bringen Protonema hervor, das zimächst Sprosse mit Antheridien bildet, wie das aus Sporen oder aus den Hüll- blättern und Paraphysen der (männlichen) Anthe- ridienstände entstandene Protonema. Zusammenfassend können wir für diese unterste Stufe der Kormophyten also sagen: Alle Zellen der haploiden Generation haben gemischtgeschlechtige Tendenz, an der bei der Bildung der männlichen und weiblichen Keimzellen nichts geändert wird. So er- klärt sich, daß auch die aus der Vereinigung zweier solcher Keimzellen entstandene, di- ploide Generation(Sporogon,resp. beblättertes Farnkraut) gemischtgeschlechtig ist, und daß bei der Eeduktionsteilung jede Spore diese Tendenz erhält, also eine gemischt- geschlechtige haploide Generation gibt. 2. Stufe: Getrenntgeschlechtliche Moose, Schachtelhalme. Die haploide Generation ist schon getrenntgeschlechtig, die diploide noch gemischtgeschlechtig, wie Regenerationsversuche mit Laubmoossporo- gonen(E. Marc hal) direkt gelehrt haben. Die Geschlechtsbestimmung besteht in der Hem- mung der Fähigkeit der haploiden Generation, eine Jaestimmte Art Sexualorgane zu bilden. Teils werden die Antheridien, teils die Arche- gonien getroffen: je nach dem entstehen weibliche oder männliche Pflanzen. Die Be- stimmung ist gewöhnlich außerordentlich fest (bei den Moosen) und das Geschlecht dann durchaus nicht beeinflußbar, selten lockerer (bei den Schachtelhalmprothallien), und dann kommt es leicht zur Bildung von beiderlei Geschlechtsorganen, statt von nur einerlei, auf allerlei Einflüsse hin. Es steht fest, daß schon zweierlei (äußer- lich ununterscheidbare) Sporen vorhanden sind, daß dieselbe Sporenkapsel resp. dasselbe Sporangium beiderlei Sporen enthält, end- lich, daß aus derselben Sporenmutterzelle zwei Sporen mit männlicher und zwei Sporen mit weiblicher Tendenz entstehen (Sphaero- carpus. Strasburger). Man wird sich die Geschlechtsbestimmung auf dieser zweiten Stufe so vorstellen dürfen, daß zu der Anlagengarnitur der vorher- gehenden, ersten Stufe neue Anlagen für die haploide Generation hinzukommen, bei den einen Individuen ein ,,Weibchenbe- stimmer", der für die Unterdrückung der Antheridien sorgt, bei den andern ein ,,Männchenbestimmer", der für die Unter- drückung der Archegonien sorgt. Die Keim- zellen bekommen diese neuen Anlagen mit, bei der Befruchtung treffen sie zusammen, i sie werden in der diploiden Generation zu- sammen weitergegeben, bei der Reduktions- teilung aber wieder getrennt, so daß jede Spore nur die eine oder die andere enthält und also eine weibliche oder eine männliche haploide Generation gibt. 3. Stufe: Heterospore Farnpflanzen, gemischtgeschlechtige Blütenpflan- zen. Auch hier ist die haploide Generation getrenntgeschlechtig, die diploide gemischt- geschlechtig, wie auf der vorhergehenden Stufe. Doch fällt die Entscheidung über das Geschlecht der haploiden Generation nicht erst ganz am Ende der diploiden, bei der Reduktionsteilung, sondern schon früher, bei der Anlegung des Sporangiums (Marsilia), des Sorus (Salvinia), des Sporoph^lls (Isoetes, Selaginella, zwitterblütige Blütenpflanzen) oder des Sporophyllstandes (einhäusige Blütenpflanzen). Sie besteht in einer Unterdrückung des einen Anlagen- ] komplexes. Das zeigen z. B. jene ,, Monstro- sitäten", bei denen ein MikrosporophyU (Staubblatt) Samenanlagen und Antheren tragen kann (Sempervivum) oder in der Samenanlage PoUenkörner entstehen (Petu- j nia hybrida, Begonia usw.). Wann und wie die Entscheidung fällt, gehört zu den Merkmalen der Species und muß durch mindestens eine Anlage erblich fixiert sein, die zu der Anlagengarnitur der vorhergehenden zweiten Stufe neu hinzu- \ kommt. Die Entscheidung trifft aber nur das Geschlecht der haploiden Generation, sie bestimmt nur, ob Mikro- oder Makro- sporen gebildet werden, und läßt den ge- mischtgeschlechtigen Charakter der diploi- den Generation selbst unberührt. Die übrigen Zellen eines Staubblattes enthalten keine andere Tendenz als die eines Fruchtblattes; erst die Sporen (PoUenkörner und Embryo- säcke) erhalten sie und nur für die Dauer der haploiden Generation. Sehr hübsch beweist das das zwitterige Geschlecht der 986 GeschJechterverteilung und Geschlechtsbestimmuiig (bei Pflanzen) aus Adventivembryoueu oder durch soma- tische Parthenogenese entstandenen Nach- kommen zwitteriger Angiospermen, die aus Zellen von Fruchtblättern (weiblichen Sporophyllen) hervorgehen. Bei Anlage eines Staubblattes wird so entschieden, daß Pollenkörner gebildet wer- den, wie etwa bei Camellia bei der Anlage eines Blattes entschieden wird, daß später Idioblasten gebildet werden. 4. Stufe: Getrenntgeschlechtige Blütenpflanzen. Hier sind beide Gene- rationen, die haploide und die diploide, getrenntgeschlechtig. Die diploide hat die Fähigkeit verloren, normalerweise beiderlei haploide Generationen hervorzubringen (ob- schon die Anlagen dafür vorhanden bleiben), bei den ,, männlichen" Pflanzen kann nur mehr eine männliche, bei den ,, weiblichen" eine Aveibliche haploide Generation ent- faltet werden. Die Bestimmung ist wieder, im Gegensatz zu der vorhergehenden Stufe, gewöhnlich eine außerordentlich feste; sie wird bedingt sein durch neu dazukommende Anlagen, einen ,,Weibchenbestimnier", der hier die haploide männliche Generation unter- drückt, und einen ,,Männchenbestimmer", der hier für die AusJjildung der haploiden männlichen Generation sorgt. Wie man sich von dieser Annahme aus die Geschlechts- bestimmung des Embryo, und damit also der diploiden Generation zurechtlegen kann, ist schon angedeutet worden (S. 983). Ueberblickt man die vier Stufen, so kann man sagen, daß die Entscheidung über das Ge- schlecht zu immer früheren Zeitpunkten der Entwickelung fällt, immer weiter zurückverlegt wird. Der ursprüngliche zwitterige Zustand wird auf einen immer kürzeren Abschnitt der Ent- wickehmg eingeengt. Auf der ersten Stufe fällt die Entscheidung bei der Bildung von Arche- gonien und Antheridien (oder von Sprossen mit Archegonien und solchen mit Antheridien) der haploiden Generation. Auf der zweiten Stufe bei der Bildung der Sporen, aus denen entweder eine nur männliche oder eine nur weibliche haploide Gene- ration entsteht. Auf der dritten Stufe schon bei der diploiden Generation bei a) der Bildung der Sporenbehälter, b) der Sporophylle oder c) der Sporophyllstände (Blüten). Auf der vierten Stufe endlich schon bei der Entstehung der diploiden Generation; der entfaltete zwitterige Zustand fehlt ihr ganz. Zweimal, auf der ersten und dritten Stufe, bleibt bei der Bestimmung der Anlag e n- zustand unverändert (wird nur die Ontogenese geändert), zweimal, auf der zweiten und vierten Stufe, spielt die ungleiche Verteilung erb- licher Anlagen eine entscheidende Rolle, auf der vierten außerdem noch die liombination der Keimzellen bei der Befruchtung. Sehr scharf tritt der Unterschied zwischen der Bestimmung, ob eine Blüte oder ob ein ganzes Individuum ein bestimmtes Geschlecht erhält, bei den Gyno- raonodiöcisten hervor: die weiblichen Blüten der gynomonöcischen Individuen der Satureia hortensis geben, wie die zwitterigen, gynomon- öcische Nachkommen, die weiblichen Individuen, mit dem selben Pollen, lauter Weibchen. — Es ist ganz ausgeschlossen, daß die Bestimmung auf allen vier Stufen durch den gleichen Vor- gang geschieht. Die vier Stufen sollen durch das folgende kleine Schema noch deutlicher werden, das sich wohl selbst erklärt. Stufe IV A ?^ A ?^ nie III b Illa 7\ U 7^ ^ a 7V ? ä Ä ^ ^ Embryo Blüten Sporophylle Sporangien fReduktions- I teilung Sporen (Antheridien u \ Archegonien Keimzellen Embryo Fig. 1. Stufe I. Ge- mischtgeschlechtige Moose, isospore Farnge- wächse. IL Getrennt- geschlechtige Moose, Schachtelhalme. III a. Marsilia, Salvinia. Illb. Isoetes, Sela- ginella, zwitterblütige Blütenpflanzen. III c. Einhäusige Blütenpflan- zen. IV. Getrenntge- schlechtige Blütenpflan- zen. c. Thallophyten. i gesprochenem Wechsel zwischen einer haploi- Hier haben wir über den Modus der den und einer diploiden Generation (S. 980) Geschlechtsbestimmung einstweilen wenig dürfte bei den Diöcisten die Geschlechts- mehr als Vermutungen. bestimmung wie bei den diöcischen Moosen In den Verwandtschaftskreisen mit aus- erfolgen (S. 985), d. h. bei der Reduktions- Geschlechterverteiluiig und Gesclüechtsbestinimiing (bei Pflanzen) 987 teilung erhält die Hälfte der Sporen einen männlichen, die Hälfte einen weiblichen Geschlechtsbestimmer für die haploide Gene- ration, die beide zusammen bis zur Sporen- bildung (unentfaltet) weitergegeben worden waren. So gut wie fest steht dieser Modus für die diöcischen Laboulbeuiaceen, wo die paarweise verbunden bleibenden, in Vierzahl im Askus entstandenen Askosporen je einem männlichen und einem weiblichen Pflänzchen den Ursprung geben. Bei den Florideen und Diktyotales muß sich die Frage experimentell lösen lassen, besonders bei den Formen, deren Tetra- sporen ,,zonatim divisae" sind. Einstweilen wissen wir nur (durch Hoyt), daß das Tetrasporen tragende Dictyota-Exemplar männliche und weibliche Geschlechtspflanzen in annähernd gleicher Zahl hervorbringt. Von den getrenntgeschlechtigen Arten aus jenen Verwandtschaftskreisen, denen ein richtiger (,, antithetischer") Generations- wechsel fehlt, wollen wir zunächst die ins Auge fassen, wo die Reduktionsteilung ver- mutlich bei der Keimung der Zygote erfolgt, die diploide Generation aufs Mmi- mum reduziert ist und die Geschlechtsbestim- mung also die haploide Generation trifft, j Hier könnte ebenfalls recht gut die Ent- scheidung über das Geschlecht bei der Reduk- tionsteilung fallen. Bei Ulothrix, den diöcischen Oedogonium- Arten würde die Zygote zwei weiblichen und zwei männ- lichen Zellfäden den Ursprung geben. Wenn Spirogyra wirklich diöcisch ist, würde der Zufall entscheiden, welche Tendenz der eine im Keimling erhalten bleibende Kern mit- bekommt. Auch die diöcischen Charen ließen sich hier anschließen, wenn die Reduk- tionsteilung bei der Keimung der Gospore erfolgte. Wieder würde der Zufall bestimmen, welche Tendenz der in die erste Knotenzelle gehende Kern erhielte. Ein anderer Modus der Geschlechtsbe- stimmung muß bei den getrenntgeschlechtigen Arten aus jenen Verwandtschaftskreisen vorkommen, wo die Reduktionsteilung ver- mutlich bei der Gametenbildung erfolgt, die haploide Generation also auf ein Mini- mum beschränkt ist, und die Bestimmung | sich auf die diploide Generation bezieht. Bei einem diöcischen Fucus könnte z. B. (wenn die Angaben über die Reduktions- teilung bei der Bildung der Spermatozoen und Eier richtig sind) die Geschlechtsbestim- mung in ähnlicher Weise wie bei den diö- cischen Blütenpflanzen erfolgen. Das eine Geschlecht wäre homogametisch, das andere heterogametisch, die Eier enthielten z. B. die weibliche, die Spermatozoen teils diese, teils die männliche geschlechtliche Tendenz, und die Entscheidung über die diploide Gene- ration fiele bei der Befruchtung. Es wird aber voraussichtlich sehr schwer sein, diesen Analogieschluß zur Gewißheit zu erheben. Zu den Thallophyten, für die wir keine sicheren cytologischen Anhaltspunkte über den Zeitpunkt haben, zu dem in ihrer Ent- wickelung die Reduktionsteilung erfolgt, gehören noch immer die sonst so gut unter- suchten Mucorineen. Sollte die Reduktions- teilung bei der Keimung der Zygoten eintreten, so müßte bei den diöcischen Species jedes- mal eine Sorte Kerne vor dem Auswachsen eliminiert werden; sollte sie bei der Gameten- bildung eintreten (was nach dem Verhalten des Basidiobolus wahrscheinlicher ist), so müßte das -f oder das — Geschlecht hetero- gametisch sein. — Daß der bei der Keimung der Zygote gebildete erste Sporangienträger eine diploide Generation darstellt und die Reduktion bei der Sporenbildung in seinem Sporangium erfolgt, erscheint wenig wahr- scheinlich. Der Annahme, die Bestimmung des Geschlechtes bei den Thallophyten wie bei den Kormophyten geschehe durch Anlagen, „Bestimmer",' stünde nicht im Wege, daß die Bestimmung selbst nicht immer scharf ist (Spirogyra- Rhynchonema, Phycomy- ces) und auch durch äußere Bedingungen beeinflußbar (Schachtelhalmprothallien) ist. Handelt es sich doch auch hier bei der Geschlechtsbestimmung des Individuums ge- wiß nur um die mehr oder weniger feste Unterdrückung eines Geschlechtes und nicht um die Beseitigung seiner Anlagen. 2. Geschlechtsbeeinflussung, Für die getrenntgeschlechtigen Angio- spermen ist experimentell beweisbar, und für alle getrenntgeschleciitigen Pflanzen wenig- stens sehr wahrscheinlich, daß jedes Ge- schlecht, ja alle Keimzellen eines Geschlechtes, auch die Anlagen des entgegengesetzten Ge- schlechtes (s. S. 982) enthält und die Ge- schlechtsbestimmung nur in der Unter- drückung des einen Anlagenkomplexes zu- gunsten des anderen besteht. Damit ist auch bei ihnen theoretisch stets noch die Möglich- keit einer Geschlechtsänderung gegeben. Es ist bekannt, daß diese hier und da, z. B. bei getrenntgeschlechtigen Bäumen (Weiden) an größeren oder kleineren Teilen ohne erkennbare äußere Ursache ein- tritt, hier und da auch wohl regelmäßig mit dem iVltern (Mercurialis annua, Schachtel- halmprothallien). Wir wissen ferner, daß der Brandpilz Ustilago violacea bei den Weibchen der getrenntgeschlechtigen Sileneen vorallem beiMelandrium albumund rub- rum, eine weitgehende Ausbildung der sonst ganz rudimentär gewordenen Staubgefäße und daniit( Schein-)Zwitterigkeit veranlassen kann. Alle Versuche aber, derartige Veränderungen Geselilechterverteilung- und Geschlechtsbestimmung (bei Pflanzen) künstlich zu veranlassen, durch veränderte Ernährung sind einstweilen gescheitert. Das gilt sowohl für die getrenntgeschlechtigen Arten der Blütenpflanzen wie für die der Moose und der Mucorineen (Versuche von Stras- burger, Noll, Blaskeslee) und geht auch aus dem Verhalten bei der Vermehrung durch Ableger im Freien hervor. Das Kunst- stück der U s t i 1 ag 0 v i o 1 a c e a läßt sich einst- weilen nicht nachmachen, sie verwendet gewiß ganz spezifische Stoffe dazu. Selbst- verständlich ist die Entwickelung der Rudi- mente zu Staubgefäßen mit starker Nahrungs- zufuhr verbunden; sie muß aber die Folge, braucht also nicht die Ursache des An- stoßes zur Entwickelung zu sein. Die vielen Angaben über eine Abhängig- keit des Zahlenverhältnisses der Männchen und Weibchen von Blütenpflanzen vom Alter des Saatgutes, den Ernährungsverhältnissen der Keimlinge (Dichtsaat, Düngung, Para- siten), vom relativen Alter der Pollenkörner und Eizellen haben teils einer kritischen Nach- prüfung nicht standgehalten, teils haben sie nicht das primäre Sexualverhältnis ge- troffen, sondern haben nur das sekundäre noch weiter verschoben und sind durch eine ungleiche Resistenz der verschiedenen Keim- zellen oder jungen Pflanzen schädlichen Ein- flüssen gegenüber zu erklären (durch welche die Abweichungen des sekundären Verhält- nisses vom primären überhaupt zustande kommen werden). Denkbar ist natürlich auch eine Beeinflussung der Keimzellen, die zu einem ,, Umschlagen" ihrer geschlechtlichen Tendenz führen könnte, aber sie ist nicht bewiesen und kaum wahrscheinlicher als die Beeinflussung des Embryo oder der Pflanze (der diploiden Generation). Andere, günstigere Ergebnisse lassen sich bei monözischen und polygamen Ge- wächsen erzielen, überhaupt überall da, wo die beiden Anlagenkomplexe nicht nur vor- handen, sondern in gleich entfaltbarem Zustand vorhanden, resp. zur Entfaltung bestimmt sind. Hier wnrken oft äußere Ein- flüsse sehr stark. Es ist im Prinzip immer das gleiche, ob, um nur einige Beispiele zu geben, ein gynomonöcisches Individuum von Satureia hortensis durch geeignete Behandlung fast rein weiblich gemacht wird, oder ein andromonöcisches Individuum von Lilium rein männlich, ob eine monöcische Maispflanze durch den Ersatz der schwefel- sauren Magnesia in der Nährlösung durch unterschwefelsaure rein männlich oder durch Ustilago Maydis teilweise zwitterig wird, ob man ein sonst gemischtgeschlechtiges Farn- prothallium durch schlechte Ernährung rein männlich macht, ob eine Saprolegnia sich durch 0,1% Kaliumphosphat zur Bildung der Antheridien, durch 0,05% Hämoglobin zur Bildung der Oogonien anregen läßt: es handelt sich dabei um Aenderungen, die nur das Soma des betreffenden Individuums nicht seine erbliehen Anlagen, treffen. Bei den Kormophyten ist ganz deutlich (und bei den Thallophyten ist es gewiß auch so): Spielt die Reduktionsteilung, und damit wohl die ungleiche Verteilung von vererbten Anlagen, von ,,Bestimmern", eine Rolle bei der Entscheidung des Geschlechts (Stufe 2 und 4, S. 985), so bleiben die äußeren Einflüsse (meist) wirkungslos ; trifft die Ent- scheidung nur das Soma, nicht diese bestimm- ten Aiüagen, so ist sie von außen her leichter modifizierbar (Stufe 1 und 3, S. 984). Der Unterschied ist z. B. bei der gynodiö- cischen Satureia-hortensis höchst auffallend: Die weiblichen Individuen lassen sich durch keinerlei Eingriffe dazu bringen, auch nur einzelne Zwitterblüten hervorzubringen; die gynomon- öcischen Individuen reagieren auf äußere Einflüsse prompt und lassen sich für einige Zeit sogar ganz weiblich machen — ohne Einfluß auf ihre Nachkommenschaft. Daß in einem Falle, wo die Bestimmung wohl auch durch die Reduktionsteilung erfolgt, bei den Schachtelhalmprothallien, eine starke Be- einflußbarkeit nachgewiesen ist, schließt natür- lich nicht aus, daß die Bestimmung bei diesem Mo'Jus sonst fester ist. Denn alle die einzelnen Merkmale, die uns ein Organismus zeigt, hängen einerseits von inneren Anlagen ab, zeigen sich aber andererseits doch nur so, wie die äußeren Bedingungen es ihnen gestatten; es handelt sich bei der Bestimmung und Beeinflussung des Ge- schlechts auch nur um ein Ueberwiegen auf Seiten der Anlagen oder ein Ueberwiegen auf Seiten der äußeren Einflüsse. Literatur. Es sei auf die Artikel „Bestäub u n g" und „Fort])/ lan zun g der Pf l amen" und die dort angeführte Literatur, sowie auf die Artikel über die einzelnen Pflanzen grtippen hin- gewiesen. Spezielle Literatur : C. Correns, Die Bestimmung und Vererbung des Geschlechtes nach neuen Versuchen mit höheren Pflanzen. Berlin 1907. — Derselbe, Die Rolle der männ- lichen Keimzellen bei der Geschlechtsbestimmung polygamer Blutenpflanzen. Berichte der Deut- schen Botanischen Gesellschaft 26a, 1908. — C. Correns und R. Goldschmidt, Die Ver- erbung und Bestimmung des Geschlechtes. Berlin 1913. — Ch. Darwin, The dijfferent Forms of Flowers. London 1877. — L. Errera und G, Gevaert, Sur la structure et les modes de fecondation des fleurs etc. Bull. soc. roy. de botan. de Belgique i8, 1878. — Fr. Hilde- brand, Die Geschlechterverteilung bei den Pflan- zen. Leipzig 1867. — M. Moebius, Beiträge zur Lehre von der Forlpflanzung der Gewächse. Jena 1897. — Fr, Noll, Versuche über die Geschlechtsbestimmung bei diöcischen Pflanzen. Sitzungsberichte der Niederrheinischen Gesell- für Natur- und Heilkunde zu Bonn 1907. — A. Schulz, Beiträge zur Kenntnis der Bestäu- btmgseinrichtungen imd GescMechterverteilung bei den Pflanzen. Bibliotheca Botanica, Heft 10, 17. — G. H. Shull, Reversible sex mutants in Lychnis dioica. Botanical Gazette 52, 1911. — E, Strasburger, Vers'uche mit diöcischen Pflan- Geselilechtsbestimmung- (bei Tieren) 989 zcn in Rücksicht auf Geschlechtsverteilung. Bio- Logisches Centralblaft 20, 1900. — Derselbe, Zeit- punkt der Bestimmung des Geschlechtes usw. Jena 1909. — Derselbe, lieber geschlechts- bestimmende Ursachen. Frings heims Jal^r- buch für wissenschaftliche Botanik 47, 1910. — M. V. UexküU-Gyllenband, Phylogenie der Blütenformen und der Geschlechterverteilung bei den Compositen. Bibliotheca bota7iica, Heft 52, 1901. C. Correns. Geschlechtsbestimmung (bei Tieren). 1. Zahlenverhältnis der Geschlechter. 2. Zeit- punkt der Geschlechtsbestimmung: a) progame; b) syngame; c) epigame Geschlechtsbestimmung. 3. Einfluß des Zustandes der zeugenden Eltern auf die Geschlechtsbestimmung : a) Einfluß des Alters der Zeugenden, b) Einfluß geschlecht- licher Inanspruchnahme, c) Einfluß von In- zucht und Incestzucht. 4. Einfluß des Zustandes der Geschlechtsprodukte: a) Einfluß des Alters der Geschlechtsprodukte, b) Einfluß des Er- nährungszustandes der Geschlechtsprodukte. c) Temperatureinflüsse. 5. Vererbung des Geschlechts: a) Die allgemeinen Regeln, b) Die cytologischen Grundlagen, c) Die Anwendung der cytologischen Befunde auf die allgemeinen Regeln. 6. Die auf der Kernplasmarelation beruhende Geschlechtsbestimmungshypothese. 7. Die Geschlechtsbestimmung bei Tieren mit Generationswechsel: a) Die Räder tiere. b) Die Daphniden. c) Die Aphiden. Die geschlechtliche Fortpflanzung be- ruht auf der Produktion und Vereinigung von Ei- und Samenzellen. Ist die Produktion der beiderlei Geschlechtszellen in ein ein- zelnes Individuum gelegt, so haben wir einen zwittrigen Organismus vor uns, ist sie dagegen auf zwei verschiedene Individuen verteilt, so erhalten wir den Gegensatz von zwei Geschlechtern, von Weibchen und Männchen. Ursprünglich beruhte dieser Gegensatz wohl nur auf der Verschieden- artigkeit der erzeugten Geschlechtsprodukte, also auf dem Besitze eines Eierstockes oder eines Hodens; dazu traten aber dann entsprechend den besonderen Anforderungen, welche der Besitz dieser oder jener Ge- schlechtsdrüse an die Betätigung ihres Trägers stellte, Umformungen der Organi- sation, welche schließlich zu überaus hoch- gradigem Dimorphismus der Geschlechter führen konnten. Wie kommt es nun, daß der eine Keim sich zum männlichen, der andere zum weiblichen Geschlecht ent- wickelt? Eine Frage, zu deren Beant- wortung schon eine große Zahl der aller- verschiedensten Theorien aufgestellt worden ist, deren Lösung aber erst in neuerer Zeit auf streng wissenschaftlicher Grundlage in Angriff genommen ist. I. Zahlenverhältnis der Geschlechter. Als erste und wichtigste Vorfrage jeglicher Behandlung des Problems mußte zunächst das tatsächlich bestehende Zahlenverhältnis der Geschlechter festgestellt werden, und dabei zeigte sich, daß im allgemeinen die beiden Geschlechter sich ziemlich die Wage halten, wie einige Zahlen dartun mögen. Es kommen durchschnitthch beim Menschen beim Rind beim Schwein beim Pferd beim Haushuhn bei der Taube auf 100? 106 <^ „ 100$ 107,3 (^ „ 100$ 111,8 ^ „ 100? 99,7 (^ „ 100 ? 94,7 (^ 1000 115 ^ bei den Schmetterlingen ,, 100 $ 105 ^ Es handelt sich hierbei um Geburten- zahlen. Im erwachsenen Zustande kann das Verhältnis der Geschlechter gegenüber diesen ' Zahlen sehr stark modifiziert werden, vor j allem dadurch, daß das eine Geschlecht eine größere Sterblichkeit aufweist. Wie ■ es ja beispielsweise gerade auch beim Menschen der Fall ist, wo die höhere Sterb- ' lichkeit des männlichen Geschlechts später das ursprüngliche Verhältnis direkt umkehrt. 2. Zeitpunkt der Geschlechtsbestim- mung. Hierin ist eine zweite Vorfrage gegeben. Es sind für den Zeitpunkt der Geschlechtsbestimmung drei Möglichkeiten vorhanden, derselbe kann vor, in und nach der Befruchtung liegen. jÄ 2a) Progame Geschlechtsbestim- ^ mung. Danach erfolgt ■ die Geschlechts- "i. bestimmung bereits in der noch im Ovarium "j -Vr eingeschlossenen Eizelle. Einen solchen vCs Fall kennen wir von Dinophilus apatris,. ^ wo schon im Ovarium deutlich zwei Arten' n^ von Eiern unterschieden werden können,; ^\ - größere, die zu Weibchen werden, und ^ kleinere, welche Männchen ergeben. Die Kj"^ Ursache dieser divergierenden Entwickelung ^ zu zweierlei Eiformen wollen neuere Unter- \- suchungen darin gefunden haben, daß in o einen Teil der heranwachsenden Eizellen Spermatozoen eindringen, ihr Chromatin- material neben dem der jungen Eizelle in Tätigkeit setzen und so eine intensivere Stoffwechselenergie und mithin intensiveres Wachstum hervorrufen — es entstehen Weibcheneier. Wogegen andere Eier auf ihren eigenen ursprünglichen Chromatin- bestand beschränkt sind, klein bleiben und Männchen liefern. Auch bei Phylloxera- arten kommen aus größeren Eiern Weibchen, aus kleineren Männchen hervor. 2b) Syngame Geschlechtsbestim- mung. Hiernach würde die Entscheidung über das Geschlecht des Individuums im Momente der Befruchtung erfolgen. Und 990 Gesclilechtsbestimmurig- (bei Tieren) zwar wäre dies zunächst derart denkbar, daß sowohl die Eizelle wie die Samenzelle je eine besondere geschlechtliche Tendenz aufweisen und daß erst aus der Vereinigung und dem Zusammenwirken dieser beiden Tendenzen das Geschlecht des neuen In- dividuums hervorgeht. Es sind im be- sonderen die Fälle, wo der Vorgang der Geschlechtsbestimmung eine Vererbungs- erscheinung darstellt, bei welchen der syn- game Modus heranzuziehen wäre. Eine syngame Geschlechtsbestimmung besteht ferner da, wo Eintritt oder Nichteintritt der Befruchtung über das werdende Ge- schlecht entscheidet. Das bekannteste Beispiel dieser Art bilden die sozialen Wespen, Bienen und Ameisen, vor allem auch unsere Honigbiene, wo aus den be- fruchteten Eiern der Königin stets weib- liche, aus den unbefruchteten männliche Tiere entstehen. 2c) Epigame oder metagame Ge- schlechtsbestimmung. Beiderlei Ge- schlechtszellen verhalten sich bei der Be- fruchtung noch sexuell völlig indifferent, und erst in der auf die Befruchtung fol- genden Entwickelungsperiode bildet sich früher oder später das betreffende Ge- schlecht des neuen Individuums aus. Hier wäre eine Beeinflussung des Geschlechts durch äußere Einflüsse denkbar, indessen kennen wir sicher bewiesene Fälle einer epigamen Geschlechtsbestimmung bis jetzt noch nicht. 3. Einfluß des Zustandes der zeugenden Eltern auf die Geschlechtsbestimmung. Von den Faktoren, welche zur Erklärung der Geschlechtsbestimmung herangezogen worden sind, war in früheren Zeiten der Zustand der Eltern einer der allerwichtigsten. Die Begründung der darauf basierten Auf- fassung beruhte in erster Linie auf sta- tistischen Erfahrungen. 3a)EinflußdesAlters der Zeugenden. Ein Einfluß des Alters ist in sehr verschieden- artiger Weise für die Geschlechtsbestimmung in Anspruch genommen worden. Beim Menschen sollten ältere Erstgebärende vor- wiegend Knaben gebären, oder es sollte das Weib kurz nach Eintritt der Geschlechts- reife sowie am Ende seiner Geschlechts- tätigkeit mehr Knaben, auf der Höhe seiner Reife dagegen mehr Mädchen er- zeugen, oder aber es sollte die Mehrzahl der Kinder das gleiche Geschlecht haben, wie der ältere (nach anderen der jüngere!) der beiden Eltern. Die einzigen bisher aus- geführten experimentellen Untersuchungen an der Maus haben keine dieser statistisch begründeten Auffassungen zu stützen ver- mocht; im Gegenteil, nirgends war ein Einfluß des Alters der Zeugenden auf das Geschlecht der Nachkommen nachweisbar. 3b) Einfluß geschlechtlicher In- anspruchnahme. Ein solcher wurde in der Form behauptet, daß bei starker In- anspruchnahme des Genitalapparates des einen der Zeugenden das Geschlecht der Nachkommen dem des stark beanspruchten Erzeugers entspräche. Düsing leitete daraus eine für die Regulierung des Ge- schlechtsverhältnisses wichtige Regel ab, welche besagt: Je größer der Mangel an Individuen des einen Geschlechts ist, je stärker diese also in Anspruch genommen werden und im Verbrauch ihrer Geschlechts- produkte erschöpft werden, um so mehr Individuen ihres eigenen Geschlechts sind sie befähigt zu erzeugen. Damit würde dann zugleich eben diesem Mangel natur- gemäß am schnellsten abgeholfen. Indessen konnte für diese Regel weder statistisch ein überzeugender Beweis erbracht werden, noch ergaben präzise experimentelle Unter- suchungen an der Maus irgendwelche An- haltspunkte für diese Annahme. 3c) Einfluß von Inzucht und Incest- zucht. Nach Düsing sollte Inzucht all- gemein eine Mehrproduktion männlicher Individuen im Gefolge haben. Doch ließ sich auch dafür bisher weder statistisch noch experimentell ein einigermaßen über- zeugender Beweis liefern. 4. Einfluß des Zustandes der Ge- schlechtsprodukte. 4a)Einfluß desAlters der Geschlechtsprodukte. Die nach diesem Gesichtspunkt aufgestellte Theorie lautet, daß jedes Ei unmittelbar nach seinem Austritt aus dem Ovarium weibliche Tendenz besitze, später aber männlich umgestimmt werde, mithin jung befruchtete Eier Weib- chen, spät befruchtete Männchen liefern würden. Die an Haustieren ausgeführten Prüfungen dieser Regel haben indessen zu gesicherten Ergebnissen nicht geführt. Für diese Regel ist kürzlich von neuem R.Hert- wig eingetreten, gestützt vor allem auf seine Erfahrungen an- Fröschen. Hier liefern normal befruchtete Eier beide Geschlechter in ziemlich gleichem Prozentsatz, wogegen spät befruchtete vorzugsweise oder aus- schließlich Männchen ergeben, und zwar in um so höherem Prozentsatz, je weiter zeitlich die Ueberreife des Eies vorge- schritten ist. Während eine erste normale Befruchtung 185 Weibchen auf 164 Männ- chen lieferte, traten bei einer 94 Stunden älteren Spätbefruchtung ausschließlich (271) Männchen auf. 4b) Einfluß des Ernährungszu- standes der Geschlechtsprodukte. Mannigfach sind die Geschlechtsbestim- mungshypothesen, welche unter der Vor aussetzung aufgestellt wurden, daß Er- nährungszustände der Mutter und mithin der Eizelle die maßgebenden Faktoren Geschlechtsbestimmung (bei Tieren) 991 seien, wobei dann zniajleich die Möglichkeit einer metagamen Beeinflnssung möglich schien. Am meisten Anfsehen hat nnter den hierher gehörigen Hypothesen wohl die Schenk sehe erregt, welche das zn- künftige Geschlecht der Nachkommen in der Mutter durch Darreichung bezw. Ent- ziehung besonderer Nährstoffe regulieren wollte. Haustierzüchter meinten, daß aus der Paarung schlecht genährter Männchen mit gutgenährten Weibchen vorzugsweise Männchen hervorgehen sollten, während für die Erzeugung von Weibchen das Umgekehrte gelten sollte. Von vielen dieser Theorien läßt sich ihre innere Unwahr- scheinlichkeit unschwer erweisen, zudem verfügen wir aber über ihre exakte Wider- legung in einer Reihe von Experimenten, welche Schnitze an Mäusen anstellte. In keinem der zahlreichen Versuche gelang es hier, einen Einfluß schlechter Ernährung der Eltern auf das Geschlecht der Nach- kommen nachzuweisen, weder dann, wenn man beide Eltern hungern ließ, noch dann, wenn man gut genährte Weibchen mit schlecht genährten Männchen paarte. Ebensowenig hatte besonders reichliche Ernährung (durch Gewährung eiweißreicher Kost) irgendwelchen Einfluß. Positive Ergebnisse glaubt neuerdings Russe an Kaninchen erhalten zu haben. Er unter- scheidet im Ovarium der Weibchen zweierlei Eier, lecithinreichere weibliche und lecithin- ärmere männliche, und glaubt sogar durch Zufuhr größerer Mengen Lecithins männ- liche Eier in weibliche umwandeln und damit den Prozentsatz der weiblichen Nach- kommenschaft erhöhen zu können. Indessen werden diese Angaben bereits mehrfach bestritten. 4c) Temperatureinflüsse. Bei der Kröte (Bufo) soll eine höhere Temperatur die Zahl der Männchen, eine niedere die der Weibchen steigern. Es ist ferner fest- gestellt, daß bei Dinophilus in der Wärme die Zahl der Männchen, in der Kälte die Zahl der Weibchen zunimmt. Es scheint dies hier im besonderen mit den eigenartigen Bildungsvorgängen der männlichen und weiblichen Eier zusammenzuhängen, deren Entstehung abhängig ist von der größeren oder geringeren Nahrungszufuhr (vgl. oben), welch letztere dann beim Temperatur- experiment beeinflußt wird. 5. Vererbung des Geschlechts. 5 a) Die allgemeinen Regeln. Alle bisher betrachteten Theorien der Geschlechtsbe- stimmung können in keiner Weise An- spruch darauf erheben, eine allgemeine Lösung des Problems zu bieten. Sehr viel mehr Aussicht für eine solche Lösung ge- währt dagegen die Behandlung des Pro- blems, welche augenblicklich im Vorder- grunde des Interesses steht und welche in der Geschlechtsbestimmung eine Vererbungs- erscheinnng erblickt. Das neue Geschlecht wird bestimmt durch das Zusammentreffen und Zusammenwirken bestimmter, in der Erbsubstanz der Ei- bezw. Samenzelle enthaltener Geschlechtstendenzen, Der erste, welcher eine solche Theorie auf- stellte, war wohl Schmaltz (1899). Er läßt die Bestimmung des Geschlechts eines Sprößlings abhängig sein von der Kom- bination besonderer Geschlechtsdetermi- nanten, welche in den Samenzellen des Vaters wie in den Eizellen der Mutter ent- halten sind und sich aus den eigenen Ge- schlechtstendenzen der Eltern wie aus denen der Großeltern ergeben. Noch mancherlei andere Voraussetzungen haben als Grund- lagen hierher gehöriger Vererbungshypothesen gedient, von ihnen hat nur eine große allgemeine Bedeutung gewonnen, nämlich die Auffassung der Geschlechtsbestimmung als eines Spezialfalls des Mendel sehen Vererbungsgesetzes, wie sie zuerst von Castle (1903) begründet wurde. Vor- aussetzung dafür ist zunächst, daß jede Eizelle und jede Samenzelle ein besonderes Geschlecht besitzt, ferner, daß jedes Ge- schlechtsindividuum einen Heterozygoten oder, wie es hier wohl besser heißt, Hetero- gameten darstellt, d. h. männliche und weibliche Eigenschaften gleichzeitig in sich enthält. Beim Männchen ist dann der männliche Charakter dominant, der weib- liche rezessiv, beim Weibchen umgekehrt der weibliche dominant, der männliche rezessiv. Als solche Heterozygoten wären nun die Geschlechter den Gliedern der ersten Tochtergeneration bei Bastard- kreuzungen zu vergleichen (vgl. den Ar- tikel „B a stardierun g"), und in ihren Gameten wäre dann, ganz wie bei jeder ersten Tochtergeneration, bei der nach- folgenden Kreuzung eine Spaltung der Merkmale entsprechend den Mendelschen Regeln zu erwarten. Die Gameten erhielten so entweder rein männliche oder rein weibliche Charaktere, und zwar je zur Hälfte; ihre Vereinigung würde dann er- folgen nach der Mendelschen Formel: ra + f (Eier) X m -)- f (Samenfäden) = mm4- 2mf + ff (m = männlicher, f = weiblicher Cha- rakter), oder aber graphisch ausgedrückt nach dem Schema: (Siehe das Schema Fig. 1 auf S. 992 oben.) Und dies würde bedeuten, daß von der Nachkommenschaft der beiden heterozygoten Geschlechter ein Viertel reine Männchen, ein anderes Viertel reine Weibchen sein würde, wogegen zwei Viertel beide Ge- schlechter (potentialiter) enthalten würden. 992 Geschlechtsbestim iniing (bei Tieren) Ueber das zutage tretende Geschlecht hätte im letzteren Falle dann die Dominanz zu entscheiden. Welche Faktoren diese letztere bestimmen, bleibt unbekannt, ebenso wird nicht die notwendige Annahme erklärt, daß ziemlich genau in der einen Hälfte dieser letzten zwei Viertel das männliche, in der Männchen Weibchen I m I f [ I.Generation | f_ m[ M [f] Gameten 0] |^ Irnff I |mrm|2.Qener.rnT| [Tl^ Flg. 1. anderen das weibliche Geschlecht dominant wird. Eine fernere Schwierigkeit erhebt sich dadurch, daß Ja nach der Voraus- setzung eines heterozygoten Baues der Geschlechter geschlechtlich einheitliche (homozj^gote oder homogameet), entweder rein männliche (mm) oder rein weibliche (ff) Individuen, wie sie die Formel ergibt, gar nicht vorkommen dürfen. Man "hat sich hier mit der Hilfshypothese geholfen, daß ein Ei, welches einen bestimmten Geschlechtscharakter trägt, sich eben nur mit einem Spermatozoon von entgegen- gesetztem Charakter vereinigen könne, wodurch von selbst die Kombinationen mm und ff in Wegfall kommen (selektive Be- fruchtung). Man sieht, es bestehen hier mancherlei Schwierigkeiten, die kaum überwindlich sind. Besser den Tatsachen anpaßbar er- scheint dagegen eine zweite Fassung dieser Gedankengänge, nämlich die, welche an- nimmt, daß nicht beide Geschlechter hetero- zygot sind, sondern daß nur das eine hetero- zygot, das andere dagegen homozygot ist. Zuerst begründete diese Auffaissung Correns durch seine Versuche an Pflanzen (Bryonia), und zwar nahm er an, daß das weibliche Geschlecht in bezug auf seine Geschlechts- anlagen weiblich homozygot, das männ- liche dagegen heterozygot (männlich domi- nant + weiblich rezessiv) wäre. Diese Auf- fassung läßt sich durch folgendes Schema veranschaulichen: (Siehe Fig. 2 njichste Spalte oben) Man sieht, wie bei der Wiedervereinigung der gespaltenen Gameten in der zweiten Generation genau wieder der Zustand der ersten Generation hergestellt wird; andere Kombinationen ?ind im Gegensatz zu der Castle sehen Auffassung nicht möglich und alle Schwierigkeiten der letzteren kommen so in Wegfall. Auch müssen beide Ge- schlechter in jeder Generation stets wieder Männchen Weibchen |mlf I I.Generation | f J f | [^ [1] Gameten [f] [t] |mff I 2.6eneration | f f f | Fiff. 2. in ungefähr gleicher Zahl auftreten, was ja gleichfalls durchaus den Tatsachen ent- spricht. Man kann aber diese Correns sehe Auffassung auch umkehren und annehmen, wie es durch Bateson geschehen ist, daß das männliche Geschlecht männlich homo- zygot sei, das weibliche dagegen heterozygot (weiblich dominant + männlich rezessiv). Dann würde sich das Schema folgender- maßen gestalten: Männchen Weibchen |mjm I I.Generation [ m j _£ | \m\ [m]Qameten[mJ |f| [m[ m[ 2.Generation | m[ f | Fig. 3. Es scheint, daß beide Formulierungen zu recht bestehen, daß man also bald die eine und bald die andere in Anwendung bringen muß. Wirklich sicher begründete Einwände sind bis jetzt gegen sie nicht vorgebracht, im Gegenteil, es haben die" Untersuchungen über geschlechtsbe- grenzte Vererbung eine wichtige Stütze für sie geliefert. Man versteht unter ge- schlechtsbegrenzter Vererbung die Er- scheinung, daß der Modus der Vererbung eines bestimmten Merkmals von dem Ge- schlecht abhängig ist, daß die Erblichkeit im männlichen Geschlecht sich anders ver- hält als im weiblichen. In Verbindung mit dem Mendelschen Gesetz läßt sich dies dann ebenfalls durch die Annahme homo- und heterozvgoter Geschlechter erklären. Geschlechtsbestimmimg (Geschlechtsbestimmung- bei Tieren) 993 5b) Die cytologischen Grundlagen. Ihre stärkste Stütze hat die Auffassung der Geschlechtsbestimniung als einer Ver- erbungserscheinung indessen erhalten durch das Auffinden der akzessorischen Chromo- some, wie man die jetzt zu besprechenden Gebilde zuerst bezeichnete. Die Zellen jeder einzelnen Tier- oder Pflanzenart weisen eine konstante Zahl von Chromo- somen auf, die bei jeder Teilung halbiert und zu gleichen Teilen in die Tochterzellen übergeführt werden. Vertiefte Erkenntnis hat dann zu der Annahme geführt, daß diese Chromosome einer tierischen oder pflanz- lichen Zelle keineswegs alle derart gleich- artig seien, wie sie sich gewöhnlich dem Auge darstellen, sondern daß jedes derselben eine besondere Struktur, einen besonderen Inhalt an Erbsubstanz, kurz eine besondere Individualität besitze. Und man konnte weiter wahrscheinlich machen, daß diese Chromosome von besonderer Individualität dann, wenn sie an Größe und Form sich überhaupt unterscheiden lassen, in Gruppen | weiter von je zwei gleichartigen auftreten. Dies | Figur somen enthalten, 6 normale und 1 Idiochro- mosom. Bei einem zweiten Typus (vgl. Figur 4, II) — es gehört hierher die Gattung Lygaeus — liegen die Verhältnisse im weiblichen Geschlecht genau ebenso wie bei Nezara, im männlichen Geschlecht dagegen ist eine Modifikation eingetreten, insofern die Samenmutterzellen zwar die 6 normalen Chromosomenpaare unverändert erhalten zeigen, das Idiochromosomenpaar dagegen eine Zerlegung in ein größeres und ein kleineres Idiochromosom erfahren hat. Wenn nun bei der letzten Eeifeteilung eine Halbierung der Chromosomenzahl durch Spaltung der Chromosomenpaare statt- findet, so erhält notwendigerweise die eine Samenzelle das größere, die andere das kleinere Idiochromosom zugeteilt. Und damit ist eine Wesensverschiedenheit in dem Aufbau zweier Gruppen von Samen- zellen gegeben. Aber diese Differenzierung geht noch Bei einem dritten Typus (vgl. 4, III) — ihm ist die Gattung ist auf das ein i ^f f tcff «ff tot ! 9 mußte zum Verständnis des folgenden vor- Protenor zuzuzählen — ist im weiblichen ausgeschickt werden. Geschlecht wiederum alles wie bisher. Die grundlegenden Tatsachen sind von 1 Im männlichen Geschlecht begegnen wir E. B. AVilson an wanzenartigen Insekten ebenfalls wie bisher den 6 normalen festgestellt worden. Bei einem ersten Typus Cliromosomenpaaren. dagegen (vgl. nebenstehende Figur 4, I), zu dem clie Idiochromosomenpaar reduziert Gattung Nezara ge- ^"^.^ hört, sind in den Ge- schlechtszellen 14 Chro- mosome vorhanden, die sich der Größe nach in 7 Paare anordnen lassen. Von diesen 7 Paaren nimmt aber das eine Paar gegenüber den übrigen eine Son- derstellung insofern ein, als es einmal das kleinste ist und dann sich bei dem Reifungs- prozeß der Geschlechts- zellen , während der sogenannten Synapsis, abweichend von den anderen verhält. Dieser Sonderstellung wegen gab man dem erwähn- ten Chromosomenpaar den Namen der Idio- chromosomen oder auch der Heterochromoso- men. Nach den Reife- teilungen werden in- folge der damit ver- bundenen Halbierung der Chromosomenzahl alle Eizellen und alle Samenzellen 7 Chromo- i ; IM ift nr i Fig. 4. Schematische Darstellung der Chromosomenverhältnisse in den Geschlechtszellen von Nezara (I), Lygaeus (II) und Protenor (III). i Idiochromosome. (Kombiniert nach E. B. Wilson, 1906.) Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band lY. 63 994 GreschlechtsbestimmuDg (Greschleclitsbestmmmiig bei Tieren) einziges Chromosom. Und zwar ist das größere Idiochromosom allein erhalten ge- blieben, das kleinere des Lygaeustypus dagegen vollständig geschwunden. Dieses unpaare Idiochromosom ist es, welches man früher als akzessorisches Chromosom beschrieb. Bei der letzten Reifeteilnng wird es der einen der beiden Tochterzellen zugeteilt, und es besitzt also schließlich die eine Hälfte der ausgebildeten Samen- fäden ein solches akzessorisches Chromosom, während die andere Hälfte eines entsprechen- den Gebildes völlig entbehrt. Damit ist aber ein noch stärker ausgeprägter Dualis- mus im Aufbau der männlichen Samenzellen gegeben, als es beim Lygaeustypus der Fall war. Sowohl beim Lygaeus- wie beim Protenor- typus ist es also das männliche Geschlecht, welches zweierlei Keimzellen hervorbringt, und so ist es auch in allen den Fällen, wo sonst noch Idiochromosomen nachgewiesen sind. Eine einzige Ausnahme scheinen nur die Seeigel zu bilden, bei welchen das weib- liche Geschlecht zweierlei, durch verschieden geformte Idiochromosome ausgezeichnete Keimzellen hervorbringt. Im übrigen sei noch bemerkt, daß der erste, der Nezara- typus, in seiner reinen Form selten zu sein scheint. Sogar bei Nezara selbst ist es zweifelhaft geworden, ob nicht doch kleine Unterschiede zwischen beiden Idio- chromosomen bestehen. Dagegen scheint bei einigen Käfern, Schmetterlingen und Ohr- würmern dieser Typus verwirklieht zu sein. Der Lygaeustypus findet sieh dann außer bei Hemipteren noch bei Coleopteren und Dipteren vor, dem Protenortypus gehören neben Hemipteren vor allem noch Ortho- pteren und Nematoden an. Im allgemeinen sind dann ferner akzessorische Chromosome noch gefunden worden bisher bei Echiniden, Myriopoden, Mollusken, Vögeln und Säuge- tieren. 50) Die Anwendung der cytolo- gischen Befunde auf die allgemeinen Regeln. Wenn wir die Seeigel bei Seite lassen, so werden auf Grund der vorstehen- den Betrachtungen in jedem der drei Typen stets alle Eizellen dann, wenn ihre un- reduzierte Chromosomenzahl n beträgt, nach der Reife ^ Chromosome (einschließ- lich je eines Idiochromosoms) aufweisen. Für die Samenzellen gilt das gleiche aber nur für den ersten Typus, wo alle Samen- zellen nach den Reifeteilungen ebenfalls 2" Chromosome besitzen werden. Anders liegen dagegen die Verhältnisse hier bei den beiden übrigen Typen. Beim Lygaeus- typus wird zwar zahlengemäß jede Samen- zelle ebenfalls 0 Chromosome aufweisen. aber in diesen Chromosomen ist ent- weder das größere (J) oder das kleinere (i) Idiochromosom enthalten; und beim Pro- tenortypus endlich wird die eine Hälfte der Samenzellen, auf welche das unpaare Chro- mosome besitzen, die andere Hälfte dagegen, welche desselben entbehrt, nur -^ — 1 Chro- mosome. Die Befruchtungsformeln würden also in den drei Fällen lauten : 1. Typus (Nezara): Ei (^inkl. j)+ Samen ( " inkl. j) = n inkl. 2J =2 und ^ Ei (I inkl. j)+ Samen (|- inkl. j) - n inkl. 2J == ? 2. Typus (Lygaeus): 3. Typus (Protenor): Ei (^ inkl. jl-j- Samen (^ inkl. i| = ninkl. i\ = S Ei (~ inkl. j)-f Samen (" inkl. j) - n inkl. 2J = $ Ei [-^ inkl. J, Samen [-^ Das heißt also: Im ersten Falle würden uns keinerlei äußere Merkmale für die Bestimmung zum einen oder anderen Ge- schlecht gegeben sein. Im zweiten und dritten Falle dagegen werden uns die jeweiligen Kombinationen der gleichgebauten Eizellen mit den verschieden strukturierten Samen- zellen ohne weiteres das entstehende Ge- schlecht voraussagen lassen. Und zwar können wir uns über das Zusammenwirken der einzelnen Elemente eine ganz ähnliche Vor- stellung machen, wie wir sie früher, zur Erläuterung der Vererbung des Geschlechts im allgemeinen zu Hilfe nahmen (S. 992). Wir erhalten dann in Schematen, bei denen die hellen Ringe normale Chromosome, Geschlechtsbestiminung (Geschlechtsbestimmung bei Tieren) 995 die schwarzen Ovale und Punkte Idio- chromosome darstellen mögen, für den 2. Fall: Fig. 5. und für den 3. Fall: 'i Fig. 6. Wir sehen, daß wir statt ff nur den Be- sitz zweier gleicher Idiochromosome, statt mf im einen Fall J/i, im anderen J/ — i zu setzen brauchen, und die Schemata decken sich. Es scheint also in der Tat, als ob in diesen Idiochromosomen die morpho- logischen Grundlagen der geschlechts- bestimmenden Faktoren zu suchen seien, weshalb man sie wohl auch schon direkt als Geschlechtschromosome bezeichnet hat. Die Kichtigkeit dieser Auffassung wird bestätigt durch cytologische Beobach- tungen an Furchungs- und Blastoderm- zellen von Hemiptereneiern. Es gelang nämlich hier zweierlei Typen von Em- bryonen nachzuweisen, solche, die in ihren Kernen eine gerade, und solche, die eine ungerade Zahl von Chromosomen aufwiesen. So fand man beispielsweise bei Protenor einmal Embryonen, deren Zellen sämtlich 14 Chromosome aufwiesen, und daneben andere mit nur 13 Chromosomen, Es ist unzweifelhaft, daß erstere die Weib- chen, letztere die Männchen repräsentieren, und damit erscheint eine Forderung der Theorie tatsächlich durch exakte Beobach- tung dargetan (Morrill, Biological Bulletin, 1910). Wie nun die Geschlechtschromosome im besonderen ihre Wirkung ausüben, dar- über gehen die Ansichten recht sehr aus- einander. Die sogenannte Qualitätshypothese geht von der Annahme aus, daß die Ge- schlechtschromosomen qualitativ ver- schieden sind, daß sie teils Männchen- bestimmer, teils Weibchenbestimmer sind. Nehmen wir zur näheren Erläuterung den Protenortypus voraus. Das Geschlechts- chromosom, welches sich hier als akzesso- risches Chromosom nur im männlichen Geschlecht vorfindet, hat zweifellos eine mannbestimmende Tendenz. Da aber die Samenfäden, welche es nach der Reife- teilung enthalten, bei der Vereinigung mit Eizellen stets nur weibliche Individuen liefern, so bleibt allein die Annahme übrig, daß das Idiochromosom der Eizelle, mit welchem es bei der Befruchtung zusammen- trifft, weibbestimmend sein muß, und zwar in dominantem Sinne. Es entstehen ferner dann, wenn Samenzellen ohne akzesso- risches Chromosom Eizellen befruchten, stets nur Männchen; hier muß also das dem fehlenden Idiochromosom der Samen- zelle entsprechende Idiochromosom der Ei- zelle mannbestimmende Tendenz in domi- nantem Sinne gegenüber der weiblich re- zessiven Samenzelle haben. Und so zwingt diese ganze Interpretation zu der Annahme, daß, wie es zweierlei Arten von Samenfäden gibt, so auch zwei Arten von Eizellen, beide in ungefähr gleicher Zahl, zur Hälfte männlicher, zur anderen Hälfte weibhcher Tendenz. Im Lygaeustypus würden die Verhältnisse ähnlich liegen. Das größere Idiochromosom der Samenzellen wäre als Homologen des akzessorischen Chromosoms rezessiv mannbestimmend und würde als solches stets mit einem dominant weib- bestimmenden Idiochromosom zusammen- stoßen. Und andererseits wäre das kleinere Idiochromosom der Samenzelle rezessiv weib- bestimmend gegenüber einem dominant mannbestimmenden Idiochromosom der Eizelle. Die Hauptschwierigkeit, welche dieser Qualitätshypothese entgegensteht, ist die notwendig damit verbundene An- nahme, daß — um wieder den Protenor- typus heranzuziehen — die mannbestim- menden Eizellen stets nur von Samenfäden, 63* 996 Gresclüechtsbestimniung- ((Teschlechtsbestinimung- l)ei Tieren) welchen das akzessorische Chromosom fehlt, befruchtet werden dürfen, weibbestimmende Eizellen dagegen nur von solchen Samen- zellen, denen es zukommt. Andernfalls müßte man Weibchen mit unpaarem Ge- schlechtschromosom und Männchen mit paarigem antreffen, was indessen nie der Fall ist. Es müßte also hier eine gegen- seitige Auswahl der Geschlechtszellen bei der Befruchtung, eine selektive Befruchtung stattfinden. Diese Schwierigkeiten haben zur gleich- zeitigen Aufstellung einer zweiten Hypothese, der Quantitätshypothese, geführt. Es sollen die durch den abweichenden Besitz von Geschlechtschromosomen verschieden struk- turierten Samenzellen nicht qualitativ, sondern quantitativ verschiedene Chromatin- massen in das Ei bei der Befruchtung hineinbringen ; und größere Chromatinmengen sollen dann Weibchen, kleinere Männchen entstehen lassen. Es läßt sich diese Auf- fassung zur Erklärung vieler Tatsachen recht wohl verwerten. Daneben besteht endlich noch eine dritte Hypothese, die Indexhypothese. Diese meint, daß die Geschlechtschromosomen als solche gar nicht die eigentlichen Ur- sachen der geschlechtlichen Differenzierung seien, sondern daß sie nur in irgendeiner Weise an das eine oder andere Geschlecht gebunden wären. Es entstehen zunächst aus unbekannten Ursachen männliche und weibliche Geschlechtszellen und mit diesen vereinigen sich dann die entsprechenden Geschlechtschromosome, so daß letztere gewissermaßen nur einen Index für die bereits vollzogene Geschlechtsbestimmung darstellen würden. 6. Die auf der Kernplasmarelation beruhende Geschlechtsbestimmungs- hypothese. Xach Richard Hertwig besteht für jede Zelle ein bestimmtes Massenverhältnis von Kern und Plasma, ]j ausgedrückt durch den Quotienten — . Dieser b P Quotient kann entsprechend den wech- selnden Funktionszuständen der Zelle starke Veränderungen erleiden, insofern bald der Kern, bald das Plasma eine Größenzunahme durch Wachstum erfährt. Nun besteht einer der augenfälligsten Unterschiede der Geschlechter in den extremen Differenzen der Massenverhältnisse von Kern und Plasma in Samen- bezw. Eizelle. Und zwar ist in der Samenzelle durch fast völligen Schwund des Plasmas der Quotient - extrem vergrößert, bei der Eizelle durch enormes Wachstum des Plasmas sehr ver- kleinert. Geschlechtsbestimmend müssen also die Faktoren wirken, welche die be- 1 treffende Kernplasmarelation herbeiführen i bezw. verändern können. Bei Fröschen I beispielsweise liefern frühreife Eier deshalb i vorwiegend Männchen, weil bei ihnen das Protoplasma noch keine genügende Aus- bikhuig erfahren hat, mithin eine männliche Kernplasmarelation besteht. Auf der Höhe I der Laichperiode zeigen die Eier dagegen leine weibliche Relation, es entstehen dann 1 vorzugsweise Weibchen. Mancherlei Ex- I perimente und Tatsachen sind des ferneren Ifür oder gegen die Theorie verwertet worden. I ein einigermaßen abschließendes Urteil über j ihre Berechtigung läßt sich zurzeit noch : kaum gewinnen. 7. Die Geschlechtsbestimmung bei Tieren mit Generationswechsel. Es handelt sich hier zum Schlüsse um eine ; Reihe von Tierformen, bei denen in ge- [schlossenen Zyklen rein parthenogenetisch sich fortpflanzende, also rein weibliche Generationen abwechseln mit zweigeschlecht- liehen. Es tritt hier zu dem Problem der ge- schlechtsbestimmenden Ursachen noch hinzu dieFrage nach der Entstehungsursache dieser Zyklen. Es sind besonders drei Formen- Igruppen, welche in intensiver Weise auf diese Probleme hin bearbeitet worden sind, die Rädertiere, die Daphniden und die j Blattläuse. [ 7a) Die Rädertiere (Rotatoria). Aus dem befruchteten Dauerei entsteht ! hier, wenn wir im besonderen die am ge- I nauesten erforschten Verhältnisse von jHydatina senta zugrunde legen, stets ; ein Weibchen, welches sich partheno- genetisch fortpflanzt und wiederum, nun- mehr aus dünnschaligen Eiern hervor- kommende Weibchen erzeugt. Die neue Generation von Weibchen kann sich ent- weder parthenogenetisch vermehren und aus dünnschaligen Eiern Weibchen und Männchen hervorbringen oder dickschalige Eier erzeugen, die der Befruchtung be- 1 dürfen und zu Dauereiern werden. Diese I verschiedenen Fortpflanzungsweisen ver- teilen sich auf zwei Stämme von Weibchen: die einen liefern auf parthenogenetischem Wege wieder nur Weibchen, die anderen erzeugen dann, wenn die Begattung aus- j bleibt, stets Männchen, dann aber, wenn 1 die Begattung frühzeitig erfolgt, befruchtete und dickschalige Dauereier, die zu Weib- chen werden. Jedes Weibchen dieser beiden Stämme vermag aber stets nur eine einzige Art dieser verschiedenen Eier zu erzeugen. Ob Männchen oder Weibchen entstehen, darüber entscheidet nach dem Gesagten also allein Ausbleiben oder Ein- tritt der Befruchtung, ganz wie bei der Honigbiene. Das Auftreten des zweiten Stammes, der durch seine zunächst natürlich aus- GescMechtsbestimmimg — Gesclilechtsorgane der Tiere 997 schließliche Männchenerzeiiguiig die zwei- geschlechtliche Generation einleitet, scheint weniger von änßeren Ursachen abhängig zu sein, wie man wohl zunächst annehmen durfte, als vielmehr in erster Linie durch innere Ursachen bedingt zu sein. Und diese letzteren beruhen wieder auf erb- lichen Eigenschaften einzelner Rassen mit verschiedengradigen sexuellen Tendenzen. Immerhin vermögen äußere Faktoren diese Tendenzen bis zu einem gewissen Grade zu beeinflussen, wobei neben Temperaturein- flüssen hauptsächlich die Wirkung im Wasser gelöster chemischer Substanzen in Betracht zu ziehen ist. 7 b) Die Daphniden. Bei diesen Krebstierchen wird eine kürzere oder längere Folge parthenogenetisch sich fort- pflanzender, also rein weiblicher Generationen abgelöst von einer zweigeschlechtlichen, die aus Männchen und Weibchen besteht und Dauereier produziert. Zunächst nahm man auch hier an, daß äußere Faktoren diesen Wechsel der Generationen beeinflussen würden, und zwar sollten reichliche oder ungenügende Ernährung, Wärme und Kälte, chemische Beschaffenheit des Wassers, Trockenlegung des nur zeitweise feuchten Milieus es sein, welche teils die partheno- genetische, teils die zweigeschlechtliche Vermehrungsart begünstigten. Demgegen- über vertrat Weis mann als erster die Auffassung, daß innere Ursachen diese Zyklen regelten, worin ihm dann die neueren experimentellen Untersuchungen im wesent- lichen recht gegeben haben. Sowie eine bestimmte Zahl von Generationen aufein- ander gefolgt ist, oder aber, nach einer an- deren Auffassung, sowie eine gewisse Zeit seit der Produktion des letzten befruchteten Dauereies verstrichen ist, tritt die Produktion von Geschlechtstieren ein. Erst sekundär können dann auch hier äußere Faktoren (Temperatur, Nahrungsverhältnisse) den Verlauf dieser primär auf inneren Ursachen beruhenden Zyklen modifizieren. 7c) Die Blattläuse (Aphiden). Bei den Blattläusen folgt in ganz ähnlicher Weise wie bei den Daphniden auf eine größere Zahl parthenogenetischer Genera- tionen eine zweigeschlechtliche, befruchtete Dauereier produzierende Generation. Nur ist hier der Jahreszyklus außerordentlich genau gewahrt, insofern im Frühjahr und Sommer nur parthenogenetisch sich fort- pflanzende Weibchen anzutreffen sind, gegen den Herbst hin dagegen Geschlechtsformen auftreten. Es lag daher hier die Annahme ganz besonders nahe, daß Einflüsse der Temperatur wie der Ernährung von aus- schlaggebendem Einfluß wären, indessen scheint nach neueren Untersuchungen die Festlegung der Zyklen auch hier in erster Linie aus inneren Ursachen heraus zu erfolgen. Literatur. W. Bateson, Hendels principles of heredity. Cambridge 1909. — J". Beard, The determination of sex in animal development. Zool. Jahrb. (Anatomie), Bd. 16, 190^. — W. E. Castle, The heredity ofse.v. Bull. Mus. Harvard Coli., vol. 40, 190S. — C. Correns, Die Be- stimmung und Vererbung des Geschlechts nach neuen Versuchen mit höheren Pflanzen. Berlin 1907. — C. Diising, Die Eegulierung des Ge- schlechtsverhältnisses bei der Vermehrung der Menschen, Tiere und Pflanzen. Jen. Zeitschr. Xaturwiss., Bd. 17, lS8i. — A. Grell, Richt- linien des EnUvickelungs- und Vererbungs- problems, 2. Teil. Jena 1912. — J. Gross, Heterochromosomen und Geschlechtsbestimmung bei Insekten. Zool. Jahrb. (Allg. Zoologie), Bd. 32, 1912. — S. Guthers, Ueber den gegenwärtigen Stand der Heterochromosomen forschung. Sitzber. Gesell, naturf. Fr. Berlin 1911. — B. Hertwig, Ueber das Problem der sexuellen Differenzierung. Verh. Deutsch. Zool. Gesellsch., 1905. — Ver- seihe, Weitere Untersuchungen über das Sexualität sproblem. Verh. Deutsch. Zool. Gesell- schaft, 1906 tind 1907. — Derselbe, Ueber den derzeitigen Stand des Se.vualitülsproblems. Biol. Centraibl., Bd. 32, 1912. — M. v. Lenhossek, Das Problem der geschlechtsbestimmenden Ur- sachen. Jena 1903. — Th. H. Morgan, E.c- perimentelle Zoologie. Leipzig-Berlin 1909. — A. Bitsso, Studien über die Bestimmung des weiblichen Geschlechts. Jena 1909. — W. Schleip, Geschlechtsbestimmende Ursachen im Tierreich. Ergebn. u. Fortschr. der Zool., Bd. 3, 1912 (Sehr ausführliche Zxisammenfassung mit umfangreichem Literaturverzeichnis). — -K. Schntalts, Das Geschlechtsleben der Haus- säugetiere. In: Lehrbuchtierärztlicher Geburtshilfe (C. Harms). Berlin 1S99. — O. Schultse, Zur Frage von den geschlechtsbestimmenden Ursachen. Arch. mikrosk. Anat., Bd. 63, 1903. — E. B, Wilson, Studies on chromosomes. Journ. experim. Zool., vol. 2, 3, 6, 1905 bis 1909. Journ. of Morph., vol. 22, 191 L. — Derselbe, The sex chromosomes. Arch. mikrosk. Anat., Bd. 77, 1911. J. Meisenheimer. Geschlechtsorgane der Tiere. 1. Einleitung. Die Verteilung der Geschlechts- organe auf die Individuen der Art. 2. Einteilung der Geschlechtsorgane. Die keimbereitenden Or- gane: a) der Wirbellosen; b) der Wirbeltiere. c) Biologisches. 3. Die Leitungswege: a) die mtännlichen ; b)die weiblichen. 4. Die Begattungs- organe: a) beim Männchen: a) primäre, ß) akzes- sorische; b) beim Weibchen: a) äußere, $) innere, 7) gesonderte Begattungsgänge. 5. Allgemeine Betrachtungen. I. Einleitung. Für eine vergleichende Be- sprechung der Geschlechtsorgane der Tiere kommen nur die Metazoen in Betracht, da 998 Geschlechtsorgane der Tiere die Protozoen keine Organe besitzen, sondern nnr Organellen. UnterGeschlechtsorganen verstehen wir alle Organe desMetazoenkörpers, die der Produktion von Geschlechtszellen, Spermien undEiern, dienen und deren Leitung an den Ort ihrer Bestimmung besorgen, er sei im eigenen Körper des Tieres, in dem eines anderen Individuums der Species, oder end- lich in der Außenwelt gelegen. Mit dieser Funktion der Leitung der Genitalzellen kann auch der ihrer Aufbewahrung bis zu einem bestimmten Termin verbunden sein. — Organe, die weibliche Keimzellen, Eier, produzieren und leiten, heißen weibliche, solche die Spermien, männliche Keimzellen, liefern und ausführen, männliche Geschlechts- organe. Männliche und weibliche Organe können in einem einzigen Individuum ver- einigt sein (Zwittertum, Hermaphrodi- tismus), oder sie sind auf getrennte männ- liche und weibliche Individuen der Art ver- teilt. Bei stockbildenden Tieren können die einzelnen Tierstöcke (z. B. Polypenstöcke) aus lauter männlichen oder weiblichen Tieren zusammengesetzt sein (Monöcie) oder beide Geschlechter in sich vereinigen (Diöcie). Die Verteilung der Ge- schlechter auf die Individuen einer Species. Wir finden im Tierreich fast ebenso häufig Hermaphro- ditismus wie Geschlechtertrennung (Gono- chorismus). Für die Verteilung der Ge- schlechtsorgane innerhalb größerer Abtei- lungen des Tierreiches, Klassen und Ord- nungen, läßt sich keine bestimmte Kegel aufstellen. Wir finden ganze Stämme, in denen der Gonochorismus zur fast ausnahms- los geltenden Kegel geworden ist. Dahin ge- hören die Echinodermen, Arthropoden und Vertebraten ; wenige Holothurienarten. einige hermaphroditische Krebse und von Wirbel- tieren die Myxinoiden und Serranusarten bilden hier die Ausnahmen. Umgekehrt haben wir bei anderen Tiergruppen ganz überwiegend Hermaphroditismus festzu- stellen, sobeidenPlathelminthen, Hirudineen, Chätognathen und Tunicaten. Wieder andere Klassen, wie die der Mollusken, zeigenin schein- bar bunter Kegellosigkeit neben hermaphro- ditischen Formen (Lungenschnecken, Hinter - kiemer, Pteropoden) andere Ordnungen, die getrenntgeschlechtlich sind (Prosobranchier, Heteropoden, Cephalopoden , Scaphopoden immer, Muscheln meist). Eine phylogene- tische Erklärung für diese oft scheinbar willkürliche Verteilung der beiden Zustände läßt sich häufig nicht geben. In vielen Fällen ist wohl sicher der Gonochorismus erst aus dem Hermaphroditismus entstanden, so bei den wenigen getrenntgeschlechtlichen Plathelminthen, wahrscheinlich auch bei den Vertebraten, deren Vorfahren (Entero- pneusten, Tunicaten) zwitterig sind. In solchen Fällen ist die Eingeschlechtlichkeit durch Unterdrückung des männlichen oder des weiblichen Anteiles eines Genitalappa- rates entstanden zu denken. Schwerer zu verstehen sind die Fälle, in denen in einer Klasse mit getrennten Geschlechtern plötz- lich eine Gruppe mit Hermaphroditismus auftaucht, wie unter den Ivrebsen die Cirrhi- pedien und die parasitischen Asseln der Gattung Cymothoe. Vielleicht noch schwie- riger ist die Tatsache zu erklären, daß gerade bei diesen hermaphroditischen Cirrhipedien zuweilen außer den Zwittern noch kleine ,,suppeditäre" Männchen vorkommen, die wahrscheinlich aus reduzierten Zwittern ent- standen sind. Tierspecies, bei denen nur ein Geschlecht — es könnte naturgemäß nur das weibliche sein — vorkäme, kennen wir nicht. Wohl aber bildet bei einigen zu den Orthopteren gehörigen Insekten (der Locustide Saga serrata und mehreren Phasmiden oder Stabheuschrecken) das Vorkommen von Männchen eine außerordentliche Seltenheit, ! so daß hier fast nur weibliche Individuen vor- kommen. Viele Generationen pflanzen sich rein parthenogenetisch fort, ohne daß irgend- eine Schädigung der Art ersichtlich wäre. Doch dürfte es, solange noch Männchen dieser Arten gefunden werden — und das ist, wenn auch sehr selten, der Fall — , verfrüht sein, wie es vorgeschlagen worden ist, von einer „obligaten Thelytokie" zu sprechen, und es dürfte kaum angängig sein, anzu- nehmen, daß sich bei diesen Ajten eine vöUige Unterdi'ückung des männlichen Geschlechtes anbahne. 2. Einteilung der Geschlechtsorgane, Die bereits besprochenen Aufgaben der Ge- schlechtsorgane bedingen eine Differen- zierungsmöglichkeit in keimbereitende und keimleitende Organe. Mit diesen können etwaige Organe zur Aufbewahrung von Genitalprodukten und zur Ueberleitung männlicher Geschlechtszellen in ein anderes Individuum, Begattungsorgane, vereinigt sein. Indessen sind absolut notwendige Be- standteile jedes Geschlechtsapparates nur die keimbereitenden Stätten. Besondere Leitungs- wege sind zwar außerordentlich weit ver- breitet und können sich wieder in eine große Anzahl von Unterorganen differenzieren, aber sehr häufig fehlen sie völlig. Das ist bei den primitivsten Metazoenformen sogar regel- mäßig der Fall. Die keimbereitenden Organe. Man nennt die Stellen im. Metazoenkörper, die befähigt sind, Keimzellen zu pro- duzieren, ganz allgemein Gonaden, auch wohl mit einem nicht immer berechtigten, und deshalb in dieser verallgemeinerten Be- deutung zu vermeidenden Ausdruck Keim- drüsen. Männliche Gonaden, d. h. solche, Greschlechtsorgane der «Tiere 999 die Spermien (Spermatozoen) produzieren, Graden ihrer Ausbildung, bei denen man oft heißen Hoden (Testis, Testiculus),: verschiedener Meinung darüber sein kann, ob solche, die Eier hervorbringen, Eierstöcke sie Vorstadien zu oder Rückbildungsstadien (Ovarium), solche endlich, in denen beide aus Medusen darstellen. In Hydra, demnicht Arten von Keimdrüsen reifen, Zwitter- 1 stockbildenden Süßwasserpolypen, haben wir drüsen. Solche gemischten Gonaden sind | eine Polypenform mit sehr einfach gebauten verhältnismäßig selten, weit häufiger besitzen Gonaden in der Körperwand. Betrachten wir auch zwitterige Organismen getrennte mann- — gleichgültig, ob phylogenetisch mit Recht liehe und weibliche Gonaden. — Hydra hier als Ausgangspunkt, so haben wir 2a) Die keimbereitenden Organe ' ektodermale Gonaden, die in zwitteriger der Wirbellosen. Die Bezeichnung, ,Hode" ; oder getrenntgeschlechtlicher Anordnung an und ,, Eierstock" kann eigentlich nur dann mit einem Individuum vorkommen können. Recht auf eine Gonade angewandt werden, wenn sie ein zirkumskriptes, von den Geweben der Umgebung wohldifferen- ziertes Organ darstellt, was keineswegs bei allen vielzelligen Tieren der Fall ist. So ist es für die niedrigst organisierten aller Metazoen, die S p o n- gien (Schwämme) cha- rakteristisch (Fig. 1), daß an den verschieden- sten Stellen des Körpers, stets aber in der inneren Schicht des Mesoekto- derms, Keimzellen ent- stehen können, und zwar innerhalb jedes Spongienkörpers meist nur entweder männ- liche oder weib- liche. Man spricht in solchen Fällen von dif- fusen Gonaden, ob- wohl eigentlich von einer Gonade als Organ erst dann die Rede sein kann, wenn sie eben nicht diffus, sondern lokalisiert ist. Die diffuse Schwamm- gonade kann immerhin einige Komplikationen er- fahren. So können die Mesodermzellen in der Umgebung der Eizellen besonders differenziert sein. Phylogenetisch ist Fig. ]. stufen. Sycandra raphanus, Oocyten in verschiedenen Alters- ei junge Oocyten, kg Kragengeißelzellen, n Nadeln. Nach F. "E. Schulze. Aus Korschelt-Heider. die diffuse wohl zweifellos als die Vorstufe der lokalisierten Gonade zu betrachten. Die Ausbildung einer solchen treffen wir in verschiedenen Graden bei den Hydrozoen unter den Cölenteraten an. Hier ist in sehr vielen Fällen das Vorkommen von Gonaden an die freischwimmenden Geschlechtstiere, die H y d r 0 m e d u s e n , geknüpft. In zahlreichen anderen Fällen treten an deren Stelle die „sessilen Gonophoren" in den verschiedenen Die Hoden sind brustwarzenartige Er- hebungen in der Nähe des Mundpoles, unter deren Epitheldecke zahlreiche Spermien reifen (Fig. 2). Jedes Ovarium enthält nur ein zur Reife kommendes Ei, das — wie auch die Eier der Spongien — amöboid beweglich ist, und das durch Platzen der es überziehenden Epithelschicht frei wird. Die Ovarien sind regelmäßig mehr dem aboralen Körperpol genähert als die Hoden. — Zwei der eben angeführten Merkmale: 1000 Grescklechtsorgane der Tiere Fig. 2. Längsschnitt durch Hydra viridis- sima. ekt Ektoderra, ei Eizelle, ent Entoderm, fbl Fußblatt, m Mund, mbl Mauerblatt, nk Nessel- kapseln, sl Stützlaraelle, t Hode, tk Tentakel. Nach Kükenthal. ektodermale Entstehung der Keimzellen und amöboide Beweglichkeit des Eies, finden sich auch bei anderen Hydrozoen, doch braucht hier, nach Weimanns Unter- suchungen, der Ort der Ausreifung der Keim- zellen nicht übereinzustimmen mit der Stelle ihrer ersten Entstehung. Das ist nur möglich durch eben jene amöboide Beweg- lichkeit der Eizellen, die ihnen Wanderungen durch den Tierkörper erlaubt. So kommt es, daß Eizellen von Hydrozoen sogar ins Entoderm gelangen können (Fig. 3). Diese Wanderungen werden auch von den männlichen Keimzellen in ihren Jugend- stadien ausgeführt. Als der Ort, an dem die Gonaden der Hydromedusen oder der ihnen homologen Gonophoren liegen, haben wir die Außenwand des Magenstieles zu betrachten. Prinzipiell nach Art der Gonaden der Hydro- zoen sind auch die der Siphonophoren gebaut, die ja nichts anderes als schwimmende Hydrozoenstaaten darstellen. Schärfer lokalisiert, auf das Entoderm verlegt, sind die Gonaden der Scyphozoen, Anthozoen und Ctenophoren, Hier haben wir die Gonade bereits in einer Form ausgebildet, die uns auch bei den Bilateralien wieder begegnen wird, und die man als Flächengonade bezeichnen kann. Da die Gonaden entodermal sind, so müssen sie in der Wand des Gastrovaskularraumes liegen. Hier können sie, wie bei den Antho- ent ect Fig. 3. Stück vom Stiel eines Seitenhy- dranthen von Eudendrium racemosum. Ein- wanderung der Keimzellen (ei) aus dem Ekto- derm (ect) in das Entoderm (ent). Nach Weis- mann. Aus Korschelt-Heider, zoen, in Form verdickter Stränge oder Bänder in die Darmhöhle hervorragen. Eine höhere Stufe der Ausbildung erlangen sie bei Scyphomedusen und bei Ctenophoren. Hier wird die flächenhafte Gonade durch kon- kave Einkrümmung ihrer keimerzeugenden Fläche zu einer Tasche, einem Sack mit einem Lumen, das von dem des Gastral- raumes scharf abgekapselt wird. Bei den Ctenophoren sind es die Rippengefäße, deren Entodermauskleidung sich zu den sackförmigen Gonaden ausstülpt, von denen in dem hermaphroditischen Organismus die Hoden auf der einen, die Ovarien auf der anderen Seite jedes Rippengefäßes so an- gebracht sind, daß die Gonaden gleichen Ge- schlechtes einander zugekehrt sind. Bei den getrenntgeschlechtlichen Scyphozoen sind die großen Sackgonaden in der Vierzahl an- geordnet, entsprechend der Vierstrahligkeit des Körpers. Wenden wir uns der Besprechung der Gonaden der Bilateralien zu, so sind hier einige allgemeinere Bemerkungen voraus- zuschicken: Die Gonaden sind immer lokali- siert, niemals diffus. Während bei deii radiär gebauten höheren Cnidariern und bei Ctenophoren die Gonaden gleichfalls radiäre Anordnung aufweisen, ist bei den Bilate- ralien fast allgemein paariger Bau der Gonaden vorherrschend. Ausnahmen von dieser Regel können primär (Nematoden, Geselilechtsorgane der Tiere 1001 Akanthocephalen) oder sekundär (asymme- trische Gasteropoden, Echinodermenj ent- standen sein. Bei den höchst entwickelten Formen verschiedener Stämme treffen wir oft ein Paar Gonaden an, doch sind sehr häufig auch mehrere Paare vorhanden, die bei metamer gebauten Tieren sich an dieser Metamerie beteiligen. Theoretisch besonders wichtig ist das multiple iVuftreten paariger Gonaden bei Plathelminthen, deren Körper ungegliedert ist. Bei den Plathelminthen (die Nemertinen sind hier nicht zu diesen gerechnet) stellen die Gonaden beiderlei Geschlechtes, die fast ausnahmslos in einem Individuum ver- einigt sind, in der einfachsten Form bläschen- förmige, hohle Gebilde dar, die in großer Zahl, symmetrisch angeordnet, durch das Körper- parenchym verteilt sind. Diesen bläschen- förmigen Charakter behalten insbesondere die Hoden bei, während die Ovarien meist weiteren Modifikationen unterliegen, von denen zum Teil später zu sprechen sein wird. Das, worauf es hier zunächst an- kommt, ist die Tatsache, daß sich die Gonaden der Plathelminthen nicht ohne weiteres auf Flächengonaden zurückführen lassen, son- dern als wohlumschriebener Typus sowohl von den Gonaden der Cölenteraten wie auch von denen der Anneliden wesentlich verschieden gebaut sind. Das ist deswegen wichtig, weil man gerade für die Platoden einen Anschluß an die beiden genannten Klassen gesucht hat, um so die Cölomtiere von Cölenteraten ableiten zu können. Nun finden sich bei den Ringelwürmern (Anne- liden) echte Flächengonaden, die der epithe- lialen x\uskleidung der Leibeshöhle, dem Peritoneum, aufsitzen. Es besteht eine theo- retische Möglichkeit, sich die Flächengonaden der Anneliden aus Hohlgonaden von Plathel- minthen entstanden zu denken ; nimmt man an, daß in einer hohlen Gonade der größere Teil des die Wand bildenden Epithels die Fähigkeit verliert, zu Keimzellen zu werden, und wieder somatische Eigen- schaften annimmt, so würde an Stelle der hohlen Gonade ein Körperhohlraum treten, der auf einem Teil seiner Epi- thelfläche Geschlechtszellen hervorbringt, der also eine Flächengonade tragen würde. Ein solcher Hohlraum könnte einem ein- zelnen Leibeshöhlensegment einer Körper- seite bei einem Anneliden gleichgesetzt wer- den. Einen derartigen Standpunkt vertritt im w^esentlichen die von Ed. Meyer, Lang u. a. verfochtene Gonocöltheorie, die also in der Leibeshöhle der Cölomaten ein Homologon des Gonadenhohlraumes der Pla- toden erblickt. Die Gonaden der Plathelminthen weisen noch einige hier zu erörternde Besonder- heiten auf. Zunächst können die zahlreichen verstreuten Gonadenbläschen beiderlei Ge- schlechts zu kompakten größeren Gonaden (die hier bereits den Namen ,, Keimdrüsen" verdienen) vereinigt werden. Eine zweite Eigentümlichkeit betrifft die weiblichen Go- naden. Schon bei den freilebenden Turbel- larien beginnt innerhalb der Ovarien eine Differenzierung, die dahin gerichtet ist, daß von einem normalen, keimbereitenden Ova- Fig. 4. Die weiblichen Geschlechtsorgane von Aphanostoma diversicolor (A), Cylindro- stoma quadrioculatum (B) und Provortex balteus (C). A Ovarien, B Keimdotter- stöcke, C Keim- und Dotterstöcke, dst Dotterstock, Kst Keimstock, oe Geschlechtsöffnung. Nach V. Graff. Aus Korschelt-Heider. 1002 Geschlechtsorgane der Tiere rialabschnitt ein zweiter abgeteilt wird, der i insbesondere bieten sie keine Anknüpfungs- abortive, mit Reservestoffen beladene Ei- punkte an den eben besprochenen Typus. zeUen, die Dotterzellen, produziert, die Vielmehr zeigen sowohl Hoden wie Ovarien den unverändert gebliebenen eigentlichen Eizellen während ihrer Entwickelung zur Ernährung dienen. Figur 4 zeigt uns drei Ovarien von TurbeUarien, in denen sich schrittweise die Teilung in ein eigentliches Ovar, den Keimstock (Germarium) und den Dotterstock vollzieht. Eine viel vorgeschrittenere Trennung zwischen beiden Organen findet sich bei den große Eigentümlichkeiten. Die Hoden stellen ovale, zu zwei oder drei hintereinander in einem die Körperhöhle durchziehenden liga- mentösen Strang gelegene drüsige Körper dar, die einen hohen Grad der Ausbildung aufweisen. Die Ovarien erleiden während ihrer Entwickelung insofern höchst eigen- artige Veränderungen, als sie das erwähnte Ligament, den Ort ihrer Entstehung, ver- höchstentwickelten TurbeUarien, dann aber lassen und sich in einzelne frei in der Körper- besonders bei den parasitischen Platoden den Trematoden und Cestoden, wo regel- mäßig Keim- und Dotterstöcke sogar ge- trennte Ausführungsgänge erhalten. Dabei entfernt sich das Produkt der Dotter- stöcke mehr und mehr von der Beschaffen- heit normaler Eizellen, aus den stark dotter- höhle flottierende Ballen auflösen, die so- genannten flu ktuierendenOvarien. Jeder solche Ballen enthält neben reifenden oder reifen Eizellen indifferente, zum Teil viel- leicht die Eier ernährende, somatische Zellen. Wieder anders gestaltet sind die Gonaden der gleichfalls cölomlosen Nemertinen, haltigen Abortiveiern wird schheßlich ein ! die von vielen den Platoden zugezählt wer- selo-etartiges Dotterkonglomerat. Sowohl | den. Hier münden metamer angeordnete. Keim- wie Dotterstöcke beider Körper- jn beiden Geschlechtern übereinstimmend selten können zu einem unpaaren Gebilde gebaute, hohle Gonaden durch temporäre verschmelzen. , dorsale Oeffnungen ins Freie. Es ist fraglich. Nicht wohl auf die Gonaden der Plathel- ob sich dieser Typus auf den der Platoden- minthen zurückführbar scheinen die der , gonade zurückführen läßt, zumal er eigentlich Rundwürmer oder Nematoden, die mit den eine recht primitive Ausbildungsform darsteUt. Platoden den Mangel einer echten, epithelial . , i *•■•/-. i p- ausgekleideten Leiheshühle teilen. Hier:, Ausgesprochen sackförmige Gonaden fin- haben wir einen wesentlich anderen Gonaden- i^.^ ''f bei den Rotatorien wo sie beim typus, den wir als den der Schlauch- P^^^^^^^e" immer, beim Weibchen meist un- oder Röhrengonade bezeichnen können. ! P^^^/"^^, bei den wahrsclieinlich zwitterigen Der gesamte Genitalapparat besteht hier ^.^^^^rot^^i^^A^^f bei den Entoprokten aus einem langen, in der Körperhöhle ^.^^ ^% phyletische Anschlußmoglichkeit flottierenden, beim Männchen einfachen, dieser Formen fehlen bisher noch feste beim Weibchen meist gegabelten Schlauch, ^^^''^J^^P""'^*^' ^^enso für das \erstandms dessen blinder Endabschnitt, der gegen die^.«^ hier nur anhangsweise erwähnten, m übrigen wenig scharf abgesetzt " ist, als «"^7 Gegensatz zu den Gonaden aUer Gonade fungiert. Für die Gonaden beiderlei I f"^*'^«^' vielzelligen Tiere s ehenden zen- Geschlechts ist besonders charakteristisch ! ^r^]^" .^•^"i^''^!^/!!^" ^^'^ Orthonecetiden ein axialer, syncvtialer Strang, dem die ! ^^"^ ^^^^^^^'^6"- heranreifenden" Keimzellen ringsum an-! Nach einer bereits erwähnten Theorie geheftet sind, und der ihnen als Ernährungs- \ würden die Gonaden der Tierformen, die Organ dient, die Rhachis. Die gereiften ! i" reinster Form ein echtes, gekammertes Genitalprodukte werden frei und geraten Cölom besitzen, der Anneliden, auf die in das Lumen des Genitalschlauches, der Gonaden der Plathelmmthen zurückführbar nun in seinen weiteren Abschnitten Leitungs- zwecken dient (Fig. 5). sein. In bestimmten Segmenten des Anneliden- körpers, den Geschlechtssegmenten, fin- den sich auf besonderen Stellen der Cölom- wand Flächengonaden, die von einfachen Epithelverdicknngon zu etwas komplizier- teren Gebilden werden können, die aber eine prinzipielle große Einfachheit des Baues nie überschreiten, und die in beiden Ge- schlechtern den gleichen Bauplan aufweisen. Fig. 5. Querschnitt durch eine der feinsten ^'^""^^ L-^f ^^ ontogenetische Stadien in Hodenröhren von Ascaris, die Rhachis zeigend. Nach 0. Hertwig. Aus Korschelt-Heider. der Entwickelung der periodisch sich er- neuernden Gonade eines Anneliden, die ebensogut vergleichend anatomische Bilder Ganz isoliert stehen die Gonaden der in des Baues verschiedener Annelidengonaden manchen Punkten den Nematoden ähneln- sein könnten. Die gereiften Gesclilechts- den parasitischen Akanthocephalen dar, ' zellen müssen hier in die Leibeshöhle fallen. Geschlechtsorgane der Tiere 1003 Die Größe des Raumes, den die Gonade innerhalb eines Genitalseijmentes auf dessen Leibeshölileiiwand beansprucht, kann scliwan- ken. Wie die Fi^ur zeigt, kann anßertlem das somatische Cölomepithel zur Bildung einer Art von Kapsel der Gonade verwandt werden. Wenn nun, wie es bei den Oligochäten der Fall ist, die Genitalorgane beim Erwerb Fig. 6. Schema des Baues und der Entwickelung eines Ovariums von Amphitrite rubra, gdr Geschlechtsdrüse, ge Genitalepithel, gz in Los- lösung begriffene Geschlechtszehen, pm Perito- neum, Vv Vas ventrale. Nach E. Meyer. Aus Korschelt-Heider. terrestrischer Lebensweise (Lumbriciden) auf sehr wenige Segmente beschränkt, dabei aber mit komplizierten Leitungswegen ver- sehen werden, so bleibt im wesentlichen ihr Bau unverändert. Andere Entwickelungs- wege schlagen die Gonaden der Hirudineen ein. Hier wird die Metamerie im höchsten Maße gewahrt, dagegen kapseln sich die Hohlräume der Gonaden vom völlig ver- engten eigentlichen Cölom vollständig ab und gewinnen ein kompliziertes System von Leitungswegen, wie es von dem" gemeinen Blutegel her bekannt ist. Der Hermaphro- ditismus, der hier wie bei den Lumbriciden herrscht, trägt noch dazu bei, diese Kompli- ziertheit des Baues zu vergrößern. In ganz anderer Weise durch Reduktion der Leibeshöhle beeinflußt sind die Gonaden derMollusken. Beiallen anderen Anneliden- abkömmlingen (Gephyreen, Prosopygier, Ektoprokten) läßt sich der echte Typus der Annelidengonade trotz eines Zusammen- flusses der metameren Segmente deutlich erkennen. Bei den Mollusken ist diese ! Verschmelzung des Cöloms zu einem ein- heitlichen Ganzen, verbunden mit seiner Verkleinerung, noch viel weiter gegangen. Denken wir uns nun bei einer solchen Ver- kleinerung des Cöloms den fertilen Teil seiner Wand fast völlig von dem sterilen abge- schnürt, so bekommen wir eine hohle Go- nade, die mit dem Cölom (im Falle der Mollusken dem Perikard) kommuniziert, und deren Genitalzellen noch immer das Cölom passieren können oder müssen, um ins Freie zu gelangen. Dieser theoretisch angenommene Fall findet sich bei den phyle- tischen Vorläufern der Mollusken, den So- le nogast res, verwirklicht, er ist außerdem auch noch für einen Teil der Mollusken selbst bis zu einem gewissen Grade gültig. Bei der Mehrzahl dagegen verliert das fertile Cölom (..der Hohlraum der Gonade") den Zu- sammenhang mit dem sterilen Teil der Leibeshöhle (der zum ,, Perikard" reduziert wird), und die Gonade muß nun selbständige Ausführungswege gewinnen. Die Gonaden der Mollusken sind wie die der Anneliden ur- sprünglich paarig, werden aber in vielen Fällen (die meisten Gasteropoden,, Cephalo- poden) unpaar. Bei den zwitterigen Gastro- poden ist die Gonade eine echte Zwitter- drüse, und zwar sind hier beiderlei Ge- schlechtsprodukte in ein und demselben Drüsenläppchen vereinigt. Zur Verhinderung von Selbstbefruchtung (die nur ganz ver- einzelt bei Schnecken vorkommt) müssen die beiden Arten von Keimzellen zu ver- schiedenen Zeiten reif sein, und zwar sind es die Samenzellen zuerst (Fig. 7). Fig. 7. Stück einer Zwitterdrüse von Hei ix. Im Durchschnitt, ei Oocyten, ep Keimepithel, sp verschiedene Reifungsstadien von Spermato- zoen. Nach Korschelt-Heider. 1004 G-escliIeclitsom-aue der Tiere Von der Gonade der Anneliden mnß zweifellos die große Mannigfaltigkeit der Formen abzuleiten sein, die uns bei der der Arthropoden entgegentritt. Ueber das Wie dieser Ableitung vermögen wir indessen kaum Vermutungen aufzustellen. Ganz allgemein kann gesagt werden, daß die Gonaden der Arthropoden schlauch- oder röhrenförmig sind. Bei den Crustaceen ist meist ein Paar solcher Schläuche vor- handen, das an der Basis ganz bestimmter Extremitäten auszumünden pflegt. Diese Ex- tremitäten gehören bei Männchen und Weib- chen meist verschiedenen Paaren an. Die zwitterigen Cirrhipedien besitzen Hoden und Ovarien, ebenso die Cymothoiden, die prot- andriscli sind, unter den Asseln. Die Zahl der Gonadenschläuche kann auf jeder Körperseite vermehrt sein, so haben z. B. viele Asseln jederseits 6 Hoden- schläuche. Bei den Palaeostraken und Spinnentieren können die Gonaden, die an der Basis des Abdomens zu münden pflegen, ebenfalls als ein Paar verästelter Drüsenkörper auftreten, nur bei den ältesten terrestrischen Formen, bei denen die Metamerie des Körpers am meisten gewahrt ist, den Skorpionen, bilden die Gonaden ein weitverzweigtes Eöhren- werk. Hoden und Ovarien sind topographisch und anatomisch einander homolog. Bei Phalangiden kommt es zu einer Ver- schmelzung der Gonaden beider Körper- seiten, auch ist hier die überraschende Tat- sache festzustellen, daß in den Hoden der Männchen immer abortive Eier vorkommen (Anzeichen eines früher vorhandenen Hermaphroditismus ?). Von denen der eigent- lichen Spinnentiere abweichend gebaut sind die aus sehr langen Schläuchen bestehenden Gonaden der Linguatuliden, ferner auch die unpaaren Sackgonaden der wohl mit Unrecht oft in die Nähe der Spinnentiere gestellten Tardigraden. Bei den Panto- poden treffen wir lange, in die Extremitäten reichende Gonadenschläuche an. Die Onychophoren besitzen ein Paar von Gonaden, während bei den Myria- poden, und zwar bei Diplopoden und Chilopoden, sehr häufig die Gonade in beiden Geschlechtern, oder nur beim Weib- chen (Pauropoden) einen unpaaren Schlauch darstellt, der sich durch eine große Strecke des langen Körpers hinziehen kann. Die Insekten endlich haben paarige Gonadenschläuche, die bei den Männchen zu einem äußerlich unpaaren Hoden ver- schmelzen können, aber auch dann bei der Präparation die paarige Anlage erkennen lassen. Charakteristisch für die Insekten- gonade ist ihre Verzweigung in mehrere, oft sehr viele, blindgeschlossene Röhren, be- sonders beim Ovarium, während jeder Hoden auch aus einem einzigen Blindschlauch bestehen kann. Oft sind die Hoden außer- ordentlich lebhaft bunt gefärbt und fallen dadurch bei der Präparation gleich in die Augen. Bei den Echinodermen sind, wie bei allen Cölomtieren, die Gonaden mesoder- maler Herkunft, und zwar ist es auch hier das Cölom epithel, das ihnen als erster Entstehungsort dient. Sie sind im allgemeinen radiär angeordnet, hängen durch das ,, Axialorgan" noch bei mehreren Familien in erwachsenem Zustande mit dem Peritoneum zusammen, während bei an- deren (Echinoiden, viele Crinoiden) dieser Zusammenhang gelöst ist. Bei den rein radiären, regulären Echinodermenformen sind auch die Genitalien radiär angeordnet, zu 5 Paaren. Doch wird mit dem strahligen Bau des gesamten Körpers auch der des Genitalsystems oft aufgegeben (Holothurien). Bei der l'räparation imiKinieren die bei beiden Gesciilechtern (die Echinodermen sind mit ganz wenigen Ausnahmen gonochoristisch) oft sehr ähnlichen Gonaden als traubige, drüsige Organe. Einfache, weite, paarige Säcke oder Schläuche stellen die hermaphroditischen Gonaden der Chätognathen dar. In der Schwanzregion des Körpers liegen die Hoden, unmittelbar vor ihnen die Ovarien in je einem Paar. Entwickelungsgeschichtlich stammen die beiden Gonaden einer Körper- hälfte aus einer Zelle, die, gleichzeitig mit den Mesodermanlagen, sich vom Grunde des Urdarmes sondert. — Die Enteropneusten besitzen metamer angeordnete Sackgonaden, die bei Balanoglossus und Cephalodis- cus getrenntgeschlechtlich, bei Rhabdo- pleura zuweilen zwitterig angeordnet sind, Zwitterdrüsen kommen nicht vor. Die ebenfalls nicht als Zwitterdrüsen aus- gebildeten Gonaden der immer zwitterigen Tunicaten sind sackförmige Cölomderivate, die in der Magengegend liegen und drüsen- artig, mit eigenen Ausführungsgängen, ge- staltet sind. Sie sind stark verschieden von den Gonaden des Amphioxus (Fig. 8), die aus einem besonderen Abschnitt der Cölomwand, dem Gonotom, hervorgehen. Diese Stelle liegt im Ursegmentstiel, d. h. in dem später schwindenden Verbindungs- stiel zwischen Myotom und Seitenplatte des Mesoderms. Die Gonaden von Amphi- oxus sind wie die von Balanoglossus meta- mer angeordnet, was im Hinblick auf die in nur einem Paar vorhandenen Gonaden der Tunicaten und cranioten Wirbeltiere bemerkenswert erscheint. Die bläschen- förmigen einzelnen Gonaden entleeren perio- disch ihre Produkte durch Platzen in den Peribranchialraum und zwar zunächst in (.Tesclüechtsorgane der Tiere 1005 dessen dorsale, seitliche Ausbuelitiingen. Die Tiere sind getrenntgeschlechtlicli. 2b) Die keimbereitenden Organe der Wirbeltiere. Wesentlich anders gebaut sind die durch den Erwerb einheitlicher Leitungs- wege selbst einheitlich gewordenen, d. h. der Metamerie verlustig gegangenen Go- naden der eigentlichen Wirbeltiere. Ueberall Fig. 8. Quer- schnitt der Go- nadeeinesjungen Amphioxus. bm Ventraler Quermuskel, g Blutgefäß, gd Gonadenanlage, w Scheidewand zwischen Gono- und Nephrotom- höhle. Nach Boveri. entstehen sie, wie bei Amphioxus, aus dem Gonotom des Mesoderms, und ihre ursprüng- liche anatomische Lage im erwachsenen Tier ist beiderseits der Wirbelsäule auf dem parietalen Blatt des Bauchfelles, dicht vor dessen Uebergang in das viscerale Blatt. Insofern finden sich also bei den Vertebraten Uebereinstimmungen mit Wirbellosen (Anne- liden), als bei beiden die Gonaden Wuche- rungen des Cölomepithels darstellen. Li ganz verschiedener Weise aber gewinnen die Gonaden in beiden so weit voneinander entfernten Formkreisen Beziehungen zur Außenwelt. — Die Vertebraten sind fast durch- weg getrenntgeschlechtlich. Nur bei M y xi n e unter den Cyclostomen kommt regelmäßig ein Hermaphroditismus mit Bildung einer Zwitterdrüse vor, der von den einen (Nan- sen) alsProtandrie, von anderen (Schreiner) als Üeberwiegen des einen oder anderen An- teiles der Zwitterdrüse beim Männchen oder Weibchen aufgefaßt wird. Die Zwitter- gonade von Myxine ist in ihrem einen Ab- schnitt männlich, im anderen weiblich an- gelegt, außerdem kommen (ähnlich wie bei den Phalangiden unter den Spinnentieren) bei Amphibien und Fischen in normalen Hoden Eianlagen vor, die, außer bei den zu den KnocIuMifischen gehörigen Serranus- arten, nicht zur Entwickelung kommen. Die Gonade entsteht auf dem Perito- neum als Keim epithel, das bei Selachiern diffuser angelegt wird als bei den anderen Vertebraten. Es scheint erwiesen, daß bei vielen Wirbeltieren der definitive Ort der Gonade nur der Eeifungsort, nicht der Sonderungsort der Keimzellen ist, die sich vielmehr schon viel früher von den soma- tischen Zellen differenzieren. Die Anlagen der Hoden und Ovarien sind im Anfang nicht zu unterscheiden, obwohl sie sich später in recht verschiedener Weise differenzieren. Die nächste Umgebung der Gonaden, das indifferente Bauchfellepithel, wird zur Bil- dung von Aufhängebändern der Gonaden herangezogen, die beim Männchen als Mesor- chium, beim Weibchen als Mesovarium bezeichnet werden. Die Gonaden sind paarig, können aber durch Schwund auf einer Körperhälfte (Myxine, Ovarium der Vögel) oder durch Verwachsung (Petro- myzon) unpaar werden. Ln Hoden wie im Ovarium wachsen vom Keimepithel aus Stränge in die Tiefe der Gonade, die durch Wucherung ihrer bindegewebigen Unterlage ein festes Stroma erhält. Ursamenzeilen und Ureizellen sind in den frühen Stadien der Strangbildung nicht zu unterscheiden, erst später differenzieren sie sich nach ihrer Eigenart. Ein frühes Stadium eines solchen Keimstranges im Ovarium eines Kaninchens zeigt Figur 9, ein entsprechendes Stadium im Hoden eines Selachiers Fisiur 10. Durch Fig. 9. Schnitt vom Ovarium eines neugeborenen Kaninchens. ke Keimepithel, st Stroma des Eierstocks. Nach Bühler. Aus Korscheit- Heider. Fig. 10. Einwuche- rung des Keim- epithels (ke) in das Stroma (st) des Hodens einer jungen Squatina. Nach Semper. Aus Kor- schelt-Heider. 1006 Greschleclitsorgane der Tiere das Auftreten bläschenförmiger Anschwel- lungen der Keimstränge im Ovarium können Eifollikel zustande kommen. Im Hoden werden aus den Keimsträngen die Tubuli seminiferi, die den Zweigen einer zu- sammengesetzten tubulösen Drüse ent- sprechen. Das Ovarium hat nie in dem Sinne drüsigen Bau wie der Hoden. Im einzelnen ist noch zu bemerken, daß bei den Cyclo stomen die Gonaden durch lang- gestreckte Gestalt (hier sind noch Reste der verloren gegangenen Metamerie erkenn- bar) und durcii ihr schon erwähntes Un- paarwerden ausgezeichnet sind. Der Cj'clo- stomenhoden besitzt keine Ausführungs- gänge, die Ovarien haben keine Follikel. Bei den Selachiern sind die Ovarien beider Körperseiten meist median am vorderen Ende verwachsen, bei einigen Rochenarten ist nur der linke Eierstock ausgebildet. Die Hoden dagegen sind immer paarig und stellen kompakte ovale Gebilde vor. Bei den Dipnoern ist die männliche Gonade auffallend gestreckt, bei den Ganoiden und Teleostiern sind es oft auch die Ovarien. Die der Knochenfische sind mit ihrer pro- duzierenden Fläche nach innen konkav ein- gerollt, so daß ein relativ weites Lumen des Ovariums entsteht, durch das die Eier nach außen zur Genitalöffnung geleitet werden, ohne daß hier von der Bildung eines be- sonderen Leitungsorganes gesprochen werden könnte; höchstens ist das Peritoneum der Umgebung des Ovariums in Mitleidenschaft gezogen. Bei manchen Salmoniden dagegen sind die Ovarien massiv und besondere Leitungswege vorhanden. — Bei den Amphi- bien finden wir paarige, traubige Ovarien und bohnenförmige kompakte Hoden; beider- lei Gonaden schwellen zur Brunstzeit mächtig an, während sie sonst unscheinbar sind. Die Reptilien haben paarige Genitalien, die sich in ihrer Gesamtform, wie übrigens auch die der Amphibien, stark nach der Körperform des Tieres richten. Während bei Schlangen und schlangenförmigen Ei- dechsen die Gonaden nicht nur außerordent- lich langgestreckt, sondern auch in An- passung an den ihnen zur Verfügung stehen- den Raum so verschoben sind, daß eine Gonade vor der anderen liegen kann, sind bei den breiten, flachgedrückten Schild- kröten die Gonaden gleichfalls in die Breite entwickelt und kompakter gebaut. Die Ovarien sind im Zustand der Reife durch das Anschwellen der dotterhaltigen Eier, die an die Oberfläche der Keimdrüse treten, traubenförmig gestaltet, die Hoden glatt, bohnenförmig bis zylindrisch. Bei der nahen Verwandtschaft der Vögel mit den übrigen Sauropsiden ist es nicht erstaun- lich, daß auch die Vogelgonaderi prinzipiell mit denen der Reptilien gleichgebaut sind. Doch ist im weiblichen Geschlecht auf- fallenderweise (es wird oft behauptet, in Anpassung an das Flugvermögen) regelmäßig nur der linke Eierstock vollkommen ent- wickelt, der andere zu einem unbedeutenden Rudiment geworden, das oft kaum mehr selbst als solches erkennbar ist. Die Hoden dagegen sind paarige, ovale am oralen Nierenpol liegende Körper. Außerordentlichen Schwankungen ist je nach dem Zustande der Ruhe oder Tätigkeit die Hodengröße unterworfen, in der Begattungszeit schwellen sie oft auf das zehnfache ihrer Größe im Ruhezustand an. Bei allen Sauropsiden sind die Gonaden an Aufhängebändern, Mesova- rien und Mesorchien, an der Leibeshöhlen- wand aufgehängt. Bei den Säugetieren sind die stets paarigen Gonaden ursprünglich nach einem ähnlichen Plane, wie bei den Sauropsiden gebaut und an der Körperwand befestigt. Aber gerade bei dieser Klasse findet sich eine Reihe höchst auffälliger Besonderheiten an ihnen ausgebildet. Die niedersten Säuge- tiere, die Monotremen, zeigen darin eine eigentümliche Uebereinstimmung mit den bei Vögeln herrschenden Zuständen, daß beim Weibchen nur das linke Ovarium funktioniert, das rechte aber mehr oder minder verkümmert ist. Worin hier die Ur- sache für diese Erscheinung zu suchen ist, außer etwa in der bloßen Sauropsiden- verwandtschaft, darüber lassen sich keine Vermutungen aufstellen. Bei allen anderen Säugern, den Beutlern und Placentaliern, sind beide Gonaden symmetrisch entwickelt. Die Ovarien sind bei Monotremen immer, bei Placentaliern selten traubig, in ihrer Oberfläche liegen die sprungreifen Graaff- schen Follikel oder aber, nach deren Platzen, die Corpora lutea, von Blutgerinnseln oder Bindegewebe erfüllte Narben. Die Ovarien sind ursprünglich durch kurze Mesovarien an ihrer Entstehungsstätte, rechts und links der Wirbelsäule, angeheftet, rücken aber unter Verlängerung dieses Auf- hängebandes im Embryonalleben mehr und mehr kaudalwärts, ein Vorgang, der als Descensus ovariorum bezeichnet wird. Er führt nie zu so tiefgreifenden Veränderun- gen in der topographischen Lage der Gonade, wie dies im männlichen Geschlecht bei den Säugern fast allgemein der Fall ist. Nur sehr wenige Säuger, wie die Monotremen und Elefanten, behalten die Hoden un- gefähr an der ursprünglichen Lage (primäre Testicondie), bei anderen (Faultiere) machen die Hoden nur eine ähnlich geringe Wande- rung durch wie die Ovarien der Weibchen. Bei der großen Mehrzahl der Säuger ver- lassen die Hoden die Bauchhöhle, um ent- weder temporär oder dauernd außerhalb ihr**- in einer besonderen Tasche der Bauch- Geschlechtsorgane der Tiere 1007 haut, der paarigen Skr o t alt a sehe zu liegen, in die mit dem Hoden noch eine Bauch- felltasche, Muskulatur der Bauchwaud und ein Teil des sogenannten Leitbandes des Hodens, Gubernaculum testis s. hunteri eingestülpt werden. Wenn die beiden Skrotal- taschen gegen die Bauchhöhle völlig abge- schlossen werden, wobei ihr Verbindungs- stiel mit dieser, der Processus vaginalis peri- tonei, obliteriert, so entsteht ein Skrotum, Ho den sack, in dem ein abgekapseltes Stück der Peritonealhöhle mit parietalem und visceralem Blatt enthalten ist und das außen von einer Aussackung der all- gemeinen Körperhaut überzogen ist. Figur 11 Fig. 11. Zwei Schemata zur Veranschaulichung des Descensus und der Bildung der Hüllen des Hodens. A. Der Hode in der Nähe des Leisten- rings, B im Hodensack. 1 Bauchhaut, 1' Scro- tum, 2, 2' Fascie, 3 Muskelschicht und Fascie, 3' Tunica vaginalis communis Cremaster, 4 Bauchfell, 4' parietales Blatt des Hoden- bauchfelles, 4" Bauchfellüberzug des Hodens, Ir Leistenring, h Hode, sl Samenleiter. Nach 0. Hertwig. zeigt schematisch zwei Stadien des Ein- tritts des menschlichen Hodens in das Skrotum. Bei Huftieren, Raubtieren, Pri- maten ist ein Skrotum entwickelt, ebenso bei Beutlern, wo es vor der männlichen Ge- schlechtsöffnung liegt, dagegen zeigen viele Wassersäugetiere (Wale, Sirenen^ Pinni- pedier) die Erscheinung der sekundären Testicondie, d. h. die Hoden sind wieder in die Bauchhöhle zurückverlagert. 2c) Biologisches. In den Go- naden reifen die Geschlechtszellen als Epithelzellen der Keimdrüse. Die Spermien werden, da sie sehr kleine Elemente dar- stellen, nur sehr selten besonderer Er- nährungsvorrichtungen bedürfen (Rhachis der Nematoden, Sertolisehe Zellen bei Säuge- tieren), während die großen, oft dotter- reichen Eizellen häufig besondere Nähr- zellen zugeteilt bekommen. Solche Nähr- zellen können abortive Eizellen sein, wie solche nicht nur in den erwähnten Dotter- stöcken der Platoden ausgebildet werden, sondern sich auch bei Krebsen, Insekten, Anneliden finden. Oder aber es werden in- differente, somatische Zellen aus der Um- gebung der eigentlichen Eizellen zu Nähr- leistungen bei diesen herangezogen. Es können die Eizellen durch einen stielförmigen Fortsatz mit solchen Zellen verbunden sein, wie die Nematodenovogonien mit der Rhachis, oder es werden die Zellen der Eifollikel der Ovarien mit ernährenden Funktionen betraut. Bei den meisten Tieren ist die Tätigkeit der Gonaden an besondere Sexual- perioden gebunden, außerhalb deren das Keimepithel unproduktiv, oft nicht Von dem der Nachbarschaft zu unterscheiden ist, wenn die Gonade sonst keine zellulären Nebeuapparate besitzt. Bei Tieren mit getrennten Geschlechtern hat die Gonade durch ihre bloße Anwesenheit im Körper einen wichtigen Einfluß auf dessen ganze Gestaltung, was experimentell durch den Eingriff der Kastration im Einzelfall kon- trolliert werden kann. Der spezifisch männ- liche oder weibliehe Habitus des Organis- mus wird durch die Anwesenheit der Keim- drüsen bedingt (vgl. im einzelnen Meisen- heimer). Diese Tatsache beweist wiederum die bereits ausgesprochene Behauptung, daß die Gonaden den eigentlich essentiellen Teil des gesamten Geschlechtsapparates darstellen. 3. Die Leitungswege. Bei der Schil- derung der einfachsten Gonaden niederer Metazoen mußte bereits darauf hinge- wiesen werden, daß hier oft die Gonade den ganzen Geschlechtsapparat darstellt, daß also Leitungswege vollkommen fehlen. So ist es bei den Hydrozoen unter den Cölenteraten. Aber schon bei manchen Spongien bleiben die befruchteten Eier (z. B. bei Oscarella lobularis) in erweiterten Abschnitten der Radialkanäle liegen und machen dort einen Teil ihrer Entwickelung durch. Damit werden diese Kanäle vorübergehend und nebenbei zu Leitungswegen und Aufbewahrungsorten für Geschlechtszellen. Auch bei den Cölen- teraten, die entodermale Gonaden besitzen (Scypho-, Anthozoen, Ctenophoren) geraten die frei gewordenen Geschlechtsprodukte nicht gleich nach außen, sondern erst in den Gastralraum, der somit neben seiner sonstigen, verdauenden Tätigkeit auch die der Leitung der Sexualzellen versieht. Da- zu kommt bei Actinien noch die Funktion der Aufbewahrung der Eier bis zur Aus- bildung der Planulalarve. Einen ähnlichen, obwohl unter anderen morphologischen Be- dingungen zustande gekommenen Fall zeigen uns viele Anneliden. Die Genitalzellen treten hieraus der peritonealen Flächengonade 1008 Gesclüechtsorg-aue der Tiere aus und gelangen zunächst ins Cölom. Von da können sie (sowohl Eier wie Spermien) auf verschiedene Weise nach außen ge- langen: im einfachsten Falle durch Platzen der Leibeswand, in anderen aber dadurch, daß die Exkretionsorgane (Nephridien) die für gewöhnlich die Funktion der Aus- scheidung flüssiger Exkretstoffe haben, in den Genitalsegmenten temporär die Lei- tung der Geschlechtszellen übernehmen und somit aus reinen Nephro du kten zu Gono- nephrodukten werden, d. h. zu Wegen für Exkrete und Geschlechtszellen. Auf diese Art könnte man bereits bei Anneliden von einer Urogenitalverbindung reden, wie sie, bei viel größerer Komplikation der Leitungswege, für alle echten Vertebraten charakteristisch ist. Bei Amphioxus da- gegen, dem Vorläufer dieses Tierstammes, ist es wieder ein ganz anderes Organ, näm- lich der der Atmung dienende, mit dem Vorderdarm kommunizierende Peribran- chialraum, der neben dem Atemwasser auch die Geschlechtszellen passieren läßt. Alle diese Beispiele zeigen, was für ver- schiedene Organe, die ursprünglich absolut nichts mit der Geschlechtsfunktion zu tun haben, doch sekundär mit ihr in Verbindung gebracht werden können. Wesentlich anders zu beurteilen sind Organe, die von vorn- herein ausschließlich zur Ausfuhr der Ge- schlechtsprodukte im Körper angelegt wer- den, wie z. B. die Geschlechtswege der Platoden, der Arthropoden und der meisten Mollusken. Ganz allgemein werden weibliche Lei- tungswege als Eileiter oder Ovidukte, männliche als Samenleiter oder Vasa deferentia bezeichnet. An den Leitungs- wegen pflegen, sowie sie einen höheren Ent- wickelungsgrad erreichen, bestimmte Differen- zierungen in einzelne Abschnitte aufzutreten, die, bei aller Verschiedenheit des morpho- logischen Ursprungs der Sexualwege, doch eine gewisse konvergente Uebereinstimmung ergeben. So kommt es, daß die Nomenklatur, die sich für die sexualen Leitungswege ent- wickelt hat, eine von der morphologischen Betrachtung unabhängige allgemeinere Be- deutung erlangt hat. ' Aus der Beschaffen- heit der männlichen und weiblichen Sexual- zellen ergibt sich, daß der Hode in viel höherem Maße für das Sperma einen un- mittelbar an das Gonadenlumen anschließen- den Leitungsweg nötig hat, als das Ovarium, wenigstens wenn es umfangreiche, stark dotterhaltige Eier produziert. So finden wir bei den meisten Wirbeltieren für das Sperma kontinuierliche Leitungswege, nicht aber für die Eier. 3a)^Die männlichen Leitungswege. Das Vas deferens, der Leitungsweg fih- den Samen, kann paarig oder unpaar sein. Da wo aus zwei oder mehr Hoden Kanäle austreten, die sich dann zu einem gemeinsamen Leitungsweg für das Sperma vereinigen, bezeichnet man erst diesen als I Vas deferens, die ersterwähnten paarigen Kanäle dagegen als Vasa efferentia. Ein 1 Vas deferens fehlt völlig bei den Spon- > gien, Cölenteraten, Nemertinen, polychäten ' Anneliden : Ueberraschend reich ent- j wickelt sind die Leitungswege bei denPlathel- minthen, wo der eben erwähnte Fall des Zusammenschlusses mehrerer Vasa efferentia ; zum Vas deferens eintritt. Bei den Arthro- j poden, Mollusken und Tunicaten ist ein Vas deferens vorhanden, bei den Gastropoden ! mit Zwitterdrüse wenigstens der periphere Teil der Leitungswege in Vas deferens und ; Ovidukt gespalten. Ganz besonders eigen- I tümlich liegen die Dinge bei den Wirbel- tieren: hier werden die Leitungswege für das Sperma in den allermeisten Fällen durch die sogenannte Urogenitalverbindung hergestellt. Mit der embryonalen männlichen 1 Gonade treten Kanäle eines Exkretions- I organes, der Urniere, in Verbindung, die j bei den niederen Wirbeltieren zeitlebens, 1 bei den Amnioten dagegen nur während der ! Embryonalentwickelung funktioniert. Je j nach der Dauer dieser Tätigkeit der Urniere wird entweder ein Teil von ihr (die Geschlechts- niere, z. B. der männlichen Amphibien) oder die gesamte Urniere (bei den Amnioten) zu dieser Sexualverbindung benutzt. Ebenso wird der Ausführungsgang der Urniere, der Urnieren- oder Wölfische Gang, nur bei den Amnioten zum ausschließlichen Samen- leiter, bei den Anamniern dient er gleich- I zeitig als Harnleiter. Die quer verlaufenden j Urnierenkanälchen treten als Vasa efferentia ; mit den Samenkanälchen des Hodens in Verbindung und zwar findet diese Vereini- gung im Corpus Highmori des Hodens (bei den höheren Formen) statt. Die Vasa effe- rentia fließen zum Vas deferens zusammen, i das bei den meisten Vertebraten jederseits I in den Enddarm, bei den höheren Säugern in einen besonderen Sinus urogenitalis masculinus mündet. Dabei wird das End- I stück des Vas deferens, das auf dem Colli- j culus seminalis am Blasengrunde in den Sinus I urogenitalis eintritt, als Ductus ejacu- latorius bezeichnet, eine Benennung, die ! auch für das oft modifizierte, z.B. mit Musku- latur ausgestattete Ende des Vas deferens bei Wirbellosen (so bei Plathelminthen) an- gewandt wird. Da, wo sich bei Säugetieren ein Descensus testiculorum findet, muß das Vas deferens die Bauchdecken schräg durch- setzen. Auf seinem Wege vom Hoden bis zu dieser Durchbruchsstelle ist es von Mus- keln, Blutgefäßen und Nerven umgeben; dieser gesamte Komplex wird als Funiculus Geschlechtsorgane der Tiere 1009 seminalis s. spermaticus, Samenstrang, be- zeichnet. Die Gesamtheit der Urnierenkanälchen, die die Verbindung zwischen dem Hoden und dem Vas deferens herstellen, wird als Neben- hoden, Epididymis bezeichnet. Auch dieser Name ist mit geringem Recht in die Anatomie der Wirbellosen übergegangen. Für manche Säugetiere (Beutler, v.d.Broek) wird übrigens der Ursprung der Nebenhoden- kanäle aus der Urniere bestritten. Andere Urnierenkanälchen, die den Anschluß an den Hoden nicht erreichten, bleiben in rudimentärem Zustand als Giraldes'sches Organ, Paradidymis, und als gestielte Morgagnische Hydatide bestehen. Das Vas deferens kann ohne besondere Komplikationen auf der Körperoberfläche eines Tieres, oder, wie bei den Wirbel- tieren, in einen anderen Körperhohlraum münden, oder endlich durch Vermittelung besonderer Organe, der später zu besprechen- den Begattungsorgane. In seinem Verlaufe erfährt es meist eine Ausstattung mit Neben- apparaten, die darauf beruht, daß das Sperma sehr häufig in dem Zustand, in dem es den Hoden verläßt, nicht geeignet ist, an seinen Bestimmungsort transportiert zu werden. Es bedarf vielmehr sehr oft einer Beimischung von Sekreten, die ein Medium liefern, in dem die Spermien lange lebensfähig bleiben, und das als „Sperma", Samenflüssig- keit, den männlichen Körper verläßt. Die Einrichtungen, die hierzu dienen, sind die akzessorischen Drüsen, deren Nomen- klatur wiederum meist aus der Wirbeltier- anatomie genommen ist. Betrachten wir die männlichen Geschlechtswege beim Men- schen, so haben wir am Vas deferens Drüsen- bildungen, die als Glandulae vesicales, Glandulae vasis deferentis, fälschlich auch als Vesiculae seminales bezeichnet wer- den. Es handelt sich bei ihnen keinesfalls, wie der letzte Name sagt, um S a m e n b 1 as e n , d. h. Behälter, in denen das Sperma bis zu seiner Ejakulation aufbewahrt würde, son- dern um richtige Drüsen, deren Sekret bei vielen Nagern als besonderer gerinnender j Pfropf, bouchon vaginal, ausgeschieden wird. Weiter ist von Drüsen die am Blasengrunde liegende Prostata, Vorsteherdrüse, auch Glandula prostatica, zu erwähnen, die ein sehr wesentliches Quantum der im ejaku- lierten Samen enthaltenen Flüssigkeit liefert. Es können noch von größeren Drüsen die Cowperschen Drüsen dazu kommen, die, wie auch die kleinen Littrcschen Drüsen bereits zweifellos dem Sinus urogenitalis angehören. Von diesen Bezeichnungen ist der Ausdruck ,, Prostata" für allerlei unter sich recht verschiedenwertige Drüsenbil- dungen am Vas deferens bei Evertebraten übergegangen. Außerordentlich kompli- Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV zierte drüsige Organe sind da vorhanden, wo das Sperma der Männchen nicht in flüssiger Form, sondern in Gestalt von Sper- matophoren, d. h. von mehr oder weniger festen, geformten Körpern abgegeben wird. Während also bei vielen Tieren die akzesso- rischen männlichen Drüsen den Zweck der Verflüssigung des Spermas haben, bewirken die hier erwähnten das gerade Gegenteil. Die am vollkommensten organisierten Sper- mataphoren mit Spermabehältern, oft auch mit Austreibungsmechanismen, finden sich bei deuTritonen unter den Wirbeltieren, dann bei Cephalopoden, Onychophoren und Egeln (Fig. 12), außerdem unter den Insekten Fig. 12. Spermatophore von Nephelis. A iso- liert, B dem Körper aufsitzend, bp Basalplatte, sp Sperma. Nach Brandes. Aus Korscheit- Heider. bei Käfern (Dytiscus, Blunck), Gryl- liden und besonders bei Locustiden, bei denen vielleicht die voluminösesten Sperma- tophoren im Tierreich vorkommen, die seltsamerweise nach ihrer Entleerung ganz oder teilweise vom Weibchen gefressen werden. Einfacher gestaltet sind die Sperma- tophoren vieler anderer Insekten, auch die der meisten Crustaceen, sowie der Lungen- schnecken. 3b) Die weiblichen Leitungswege. Die weiblichen Leitungswege werden ganz allgemein als Eileiter, Ovidukte, be- zeichnet. Bei Cölenteraten, vielen Anne- liden, Nemertinen usw. kann von eigent- lichen Ovidukten nicht die Rede sein, außer da, wo Nephrodukte zu reinen Gonodukten umgewandelt sind. Bei Nematoden, Arthro- 64 lülO GescMeclitsorg-ane der Tiere poden, Mollusken und Tunicaten schließt sich der Leitungsweg für die Eier unmittel- bar dem Gonadenlumen an, bei Wirbeltieren ist dies meist nicht der Fall, vielmehr findet sich nur in seltenen Fällen ein kontinuier- licher Leitungsweg für die Eier aus dem Ovarium heraus, wie bei den Knochenfischen, bei denen aber von einem eigentlichen Ovi- dukt morphologisch kaum gesprochen wer- den kann. Sonst wird das aus dem Ovarium in die Leibeshöhle ausgetretene Ei von einem besonderen Gang aufgenommen, der, im embryonalen Leben angelegt, nur bei dem Weibchen zu einem dauernd tätigen Gebilde wird. Es ist dies der Mttllersche Gang, der parallel zum Urnierengang, nach einer Auffassung als eine Abspaltung von ihm entstanden, verläuft. Beim männlichen Tier schwindet der Müll er sehe Gang bis auf einen unbedeutenden Rest, die un- gestielte Hydatide des ^vebenhodens, völlig. Außerdem erhält sich als Rest der Müll er sehen Gänge bei manchen Säugern, so dem Biber, dem Braunfisch (Phocaena) der Uterus masculinus (Vesicula pro- statica), der in der Prostatagegend in den Sinus urogenitalis mündet. Ein gleich- namiges Gebilde beim Kaninchen wird neuerdings als drüsiges Organ (Rauther) aufgefaßt. Dafür fällt im weiblichen Ge- schlecht der Urnierengang und die Urniere einem fast völligen Schwunde anheim, und es erhalten sich nur als ürnierenrest der Nebeneierstock, Epoophoron oder Par- ovarium, und das Paroophoron, als Rest des Urnierenganges der Gartnersche Kanal im Peritonealüberzug der Geschlechtsorgane. Dafür treten die Müllerschen Gänge als paarige Eileiter in Funktion, und sie er- leiden in ihrem Verlaufe besondere Differen- zierungen, die sich, als reine Konvergenz- erscheinung, auch bei anderen, wirbellosen Tieren in analoger Weise wiederfinden können, so daß auch hier die von der Wirbel- tieranatomie abgeleitete Nomenklatur eine allgemeinere Verbreitung bekommen hat. Diese Differenzierung kommt hauptsäch- lich dadurch zustande, daß sich innerhalb des Eileiters ein Raum besonders ausbildet, der das sich entwickelnde, oder auch das legereife Ei eine Zeitlang aufbewahrt. Solche Bildungen werden als Uterus bezeichnet, im Gegensatz zu dem Eileiter im engeren Sinne, der das Ei vom Ovarium zum Uterus führt. Außerdem kann, wie der männliche, so auch der weibliche Genitaltrakt mit drüsigen Apparaten ausgestattet sein, die hier naturgemäß einem wesentlich anderen Zweck dienen als dort, nämlich dem, das Ei mit verschiedenen, weichen oder festen Hüllen zu umgeben. An den als Uterus bezeichneten Teil schließt sich im allgemeinen die nach außen führende Scheide oder Vagina an, die meist eine zweifache Funk- tion hat: die, das Ei (oder das Junge) vom Uterus nach außen gelangen zu lassen und außerdem die, dem Sperma Eintritt zu gewähren. Die Anhangsgebilde der Vagina, die dieser zweiten Funktion ihre Entstehung verdanken, sollen bei den Begattungs- organen besprochen werden, hier ist nur von den Gebilden die Rede, die mit der Leitungs- funktion der Vagina etwas zu tun haben. Es würden somit Ovidukt s. str., Uterus und Vagina die Differenzierungsgebiete des weiblichen Genitaltraktus darstellen. Die eigentlichen Eileiter werden naturgemäß da komplizierter, wo die Eierstöcke in Keim- und Dotterstöcke differenziert sind. Hier werden besondere Keim- und Dotter- gänge unterschieden, wie es bei der Mehr- zahl der Plathelminthen der Fall ist. Ueber- haupt werden, ganz entsprechend der Ver- einigung mehrerer Vasa efferentia zu einem Vas deferens, mehrere Gänge, die Eiergänge, sich zu einem einheitlichen Ovidukt, dem Eileiter, da vereinigen können, wo die Eierstöcke in einem oder mehreren Paaren auftreten. Andererseits können die Ovidukte paarig bleiben und getrennt in zwei Ge- schlechtsöffnungen nach außen münden. Die Eileiter stellen durchweg röhrenförmige Ge- bilde dar, über ihre allgemeine histologische Struktur läßt sich eigentlich nur sagen, daß sie immer epithelial ausgekleidet sind, zuweilen mit Flimmerepithel. Bei den Wirbel- tieren wird im einfachsten Falle der be- reits erwähnte Müllersche Gang in ganzer Länge zum Ovidukt oder der Tube (Tuba Fallopii s. uterina der Säugetieranato- mie). Sein kraniales Ende bleibt offen zur Aufnahme des Eies, das aus dem Ovarium ins Cölom entleert wurde. Bei einigen Ganoiden (Amia) und bei manchen Säuge- tieren (Muriden, Lutra) ist der Peritoneal- überzug der Tube, Meso Salpinx genannt, zu einer völlig geschlossenen Tasche um das Ovarium, Bursa ovarica, geworden, bei ande- ren Säugern (Caniden) ist die Abkapselung dieses Raumes nicht vollständig, und er kom- muniziert noch mit der Bauchhöhle. Im einfachsten Falle stellen die Müllerschen Gänge zwei annähernd parallele Kanäle dar, die mit Mesenterialfalten an der Dorsal- wand der Bauclihöhle beiderseits von der Wirbelsäule befestigt sind. Sie bleiben bei der Mehrzahl der Wirbeltiere unvereinigt, bei Selachiern verwachsen ihre offenen kranialen Enden, die Ostien der Müller- schen Gänge (bei Säugern Ostium abdo- minale tubae), zu einem einzigen Schlitz. Bei den lebendiggebärenden Haien ist ein auch bei den eierlegenden Selachiern schon vorhandener, dort zur Bildung des beschallen, legereifen Eies dienender, erweiterter Ab- schnitt des Eileiters als Uterus ausgebildet, Q~. ^.^^^^.'-r Gesclilechtsorgane der Tiere 1011 und in ihm findet während der Entwicke- hing des Eies eine ziemlich enge Verbindung zwischen kindlichen und mütterlichen Blut- gefäßen statt. Die erwähnte Schale des Eies der oviparen Arten wird von einer besonderen Drüse, der Schalendrüse, geliefert. Bei Amphibien sind die Ovidukte im unteren Teil besonders bei den Anuren (Fröschen und Kröten) stark erweitert. Sie liegen hier stark gewunden (bei Schwanzlurchen ge- streckter) in der Bauchhöhle, und zu ihren Ostien führen in der Brunstzeit besondere Streifen von Flimmerepithel, die die Eier in die Tuben hineinleiten. Bei Reptilien sind die paarigen Ovidukte, die getrennt in die Kloake münden, mit Eiweiß- und Schalen- drüsen versehen, ebenso bei den Vögeln, wo aber nur der linke Ovidukt entwickelt ist, und wo er außerdem in seiner kaudalen Partie zu einem sogenannten Uterus er- weitert ist, in dem das Ei völlig erhärtet bis zur Ablage. Bei den Monotremen unter den Säugern sind die Verhältnisse denen bei den Vögeln ziemlich gleich, nur ist hier der rechte Ovidukt, obwohl nicht funktionierend, vor- handen. Auch hier münden beide Ovidukte getrennt in die Kloake, ihr Endteil wird auch hier als Uterus bezeichnet. Doch tritt eine wesentliche Komplikation gegenüber den Sauropsiden ein. Hier wird nämlich den bisher beschriebenen Teilen des Genital- traktes noch ein weiterer, distaler Abschnitt dadurch hinzugefügt, daß die beiden beim Männchen schon in ihren zentralen Teilen so innig verbundenen Systeme der Fort- pflanzung und der Exkretion auch hier, in ihren distalen Partien, eine enge Ver- einigung eingehen, die zur Bildung des weiblichen Sinus u r o g e n i t a 1 i s führt. Die Grenze des Sinus urogenitalis, der stets unpaar ist, gegen die zunächst paarigen Abschnitte der Müll ersehen Gänge wird durch die Einmündung der Harn- blase angegeben. Der Sinus urogenitalis kann mit dem Enddarm bei weiblichen Beutlern noch zu einer allerdings sehr ober- flächlichen Kloake vereinigt sein. Bei allen Beutlern sind die distalen Partien der Müllerschen Gänge, die Scheiden, paarig (daher der Name Didelphia), doch können sie an der Grenze gegen die Uteri verschmolzen sein und von da aus einen unpaaren Scheiden- blindsack kaudal entsenden, der bei einigen Känguruharten als ,, dritte Vagina" beim Geburtsakte in den Sinus urogenitalis durch- brechen kann. Die Uteri sind spindel- förmige, muskulöse Anschwellungen, die scharf gegen die dünnen, oft geschlängelten, mit weitem Ostium mündenden Eileiter abgesetzt sind. Sehr ausgeprägt sind die bei den Monotremen und Walen fehlen- den, das Ostium umgebenden Fransen, die Fimbriae tubae, von denen eine, die Fimbria ovarica, zum Eierstock hin- zieht. Bei allen Säugetieren, die die Organi- sationshöhe der Beutler überschreiten, findet sich nicht nur der Sinus urogenitalis, sondern auch die Vagina als unpaarer Kanal, so daß also im Vaginalabschnitt eine völlige Verschmelzung der Müllerschen Gänge stattgefunden hat. Ist innerhalb dieses Ab- schnittes die Verschmelzung allgemein, so ist wenigstens eine Tendenz zu ihr auch in dem Uterusabschnitte der Müllerschen Gänge vorhanden, die im allgemeinen mit der Ge- samtentwickelung der in Betracht kommen- den Säugetiergruppe fortschreitet. So kommt es zu Uterusformen, die als Uterus duplex mit zwei getrennten Mündungen in die Vagina, als Uterus bipartitus, bicornis und schließlich, bei vollständiger Verschmelzung der beiden Uteri als Uterus simplex (bei Fledermäusen, manchen Edentaten, den katarrhinen Affen und dem Menschen) bekannt sind. Die Verwachsung beider Müllerschen Gänge hat kopfwärts eine ganz bestimmte, nie überschrittene Grenze, von der ab die Ovidukte immer paarig bleiben. Es ist dies die Abgangsstelle des runden Mutterbandes, Ligamentum uteri ro tun dum, das kaudal zur Leistengegend zieht. Der ganze Uterusapparat ist auf- gehängt im Mesometrium, das beider- seits fortgesetzt ist zum Ligamentum latuni der menschlichen Anatomie, in dem der Uterus mit seinen Adnexen liegt. Der Uterus ist durch Drüsen in seiner Schleim- haut, die Uterindrüsen, durch seine starke Muskulatur und, in ausgesprocheneren Fällen, durch eine scharf in das Lumen der Vagina vorspringende Mündung, das Os uteri (exter- num) ausgezeichnet, auch unterscheidet man in der menschlichen Anatomie ein Corpus von der kaudal gelegenen Cervix uteri. — Die Tube stellt jederseits einen sehr engen Kanal vor, der oft geschlängelt verläuft, dessen Peritonealüberzug als Meso Salpinx einen Teil des Ligamentum latum bildet. Im Innern ist die Tube bei Säugetieren mit Flimmerepithel ausgekleidet, dessen Bewegungen uterinwärts gerichtet sind. Die Weite des Ostium abdominale schwankt, wie auch die Anwesenheit von Fimbrien nicht konstant ist (Fig. 13). Betrachten wir nun die entsprechenden Einrichtungen bei Evertebraten, so können wir auch da in den meisten Fällen fest- stellen, daß der weibliche Genitaltraktus in einen dem Ovarium mehr oder weniger eng angeschlossenen Ovidukt, in etwaige Uteruseinrichtungen und in einen distal ihm folgenden Vaginalabschnitt zerfällt. Die Eileiter sind dabei meist paarig, die Vagina ist fast immer unpaar. Diese Ab- schnitte können mehr oder weniger scharf voneinander abgegrenzt sein. Sehr wenig 64* 1012 Gesclileehtsorgane der Tiere sind sie es bei den Nematoden, wo ja selbst die Gonade nur durch ihre innere Struktur, nicht aber äußerlich vom Eileiter zu unter- scheiden ist. Bei den Akanthocephalen Fig. 13. Schema des Ovariums und der Tube der Primaten, ut Uterus, lo Ligamentum ovarii, t Tube, eo Epoophoron, ot Ustium tubae, f Fimbrien, fo Fimbria ovarica, ov Ovarium, 11 Ligamentum latum. Unter Benutzung einer Figur aus Gegenbaur. Nach Gerhardt. haben wir eine ganz besonders merkwürdige Gestaltung des Uterus, der hier mit einem besonderen, in den Körperhohlraum ge- öffneten Sortierapparat versehen ist, der nur völlig ausgereifte Eier in den eigentlichen Uterus passieren läßt, die „Uterusglocke". Hier wie bei vielen anderen Wirbellosen finden sich wohlentwickelte Drüsen, die auch an den Eileitern der Mollusken und Arthropoden in ausgebildetem Zustande vorhanden sind. Häufig auch (Tunicaten) sind die Eileiter glatte Schläuche ohne bemerkenswerte Differenzierung. Uterusbildungen, d. h. Käume, in denen Eier oder Embryonen aufbewahrt werden, finden sich in besonderer Ausbil- dung bei Plathelminthen (s. unten), in großer Vollkommenheit bei den lebendig- gebärenden Arten unter den Onychophoren (Peripatus). Im übrigen können die Funktion eines Uterus auch morphologisch nicht als solcher zu betrachtende Bildungen übernehmen, wie die Eiersäcke der Copepoden, die Hautausstülpungen darstellen, und die Bruträume in der Schale der Daphnien. Ganz besonders kompliziert, mit einer Fülle von Nebenapparaten ausgestattet, sind die weiblichen Leitungswege der zwitte- rigen Plathelminthen. Bei den frei- lebenden acölen und rhabdocölen Turbel- larien sind im wesentlichen, abgesehen von der Trennung von Keim- und Dottergängen, nur relativ geringe Komplikationen vor- handen, die aber bei den Dendrocölen bereits einen sehr viel höheren Grad erreichen können. Am weitesten ausgebildet ist der Reichtum an Nebenorganen bei den parasi- tischen Formen (Fig. 14). Figur 14 zeigt uns die Genitalorgane von Distomum lanceolatum. Wir sehen Vas deferens und Vagina unmittelbar hinter- einander münden (vd, v) wir sehen den durch den ganzen Körper sich erstreckenden, an den darin enthaltenen, dunklen, be- schälten Eiern kenntlichen, geschlängelten Uterus (u), in den die Gänge aus dem unpaaren Keimstock p^ und den (oV) paarigen Dotterstöcken (dst) einmünden. An dieser Stelle ist ein Raum für die Be- DffS- Fig. 14. vDistomum lanceolatum. $ männ- liche, $ weibliche Geschlechtsöflnung, Bs Bauch- saugnapf, D Darm, Dg Darmgabelung, Dgg Dot- tergang, Dst Dotterstock, Ggl Ganglion, Lg Laurerscher Kanal, Ms Mundsaugnapf, Oe Oeso- phagus, Ov Eierstock, P Penis, Ph Pharynx, Sd Schalendrüse, T Hoden, U Uterus, Vd Vas deferens. Nach Küken thal. Geschlechtsorgane der Tiere 1013 sehahms; und Dotter Versorgung des Eies (der Ootyp) vorhanden, ferner mündet hier eine besondere Schalendrüse. Außerdem zieht von dieser Stelle, die oft noch mit einer bei der Begattung fungierenden Sameutasche versehen ist, ein Kanal quer durch das Körperparenchym dorsalwärts, aul der äußeren Haut ins Freie mündend, der Laurersche Kanal, der sicher kein Begattungskanal ist, dessen Funktion aber nicht ganz geklärt ist. Man nimmt an, er diene zur Ausfuhr überschüssiger Sperma- tozoen und Dotterzellen. Der Teil des Uterus, der von der Gegend des Ootyps nach vorn zur Geschlechtsöffnung zieht, wird seiner Funktion nach als Scheide, Vagina, seinem morphologischen Wert nach als Met ra- ter m bezeichnet. Diese Anordnung gilt für die digenetischen Trematoden; bei den Monogenea ist kein L au r er scher Kanal vorhanden, dagegen ein vom Dottergang zum Darm ziehender Ductus vitello-intesti- nalis, der von manchen jenem homologisiert wird, wahrscheinlich aber eine selbständige Bildung ist, außerdem dient der Endab- schnitt des Uterus nicht der Begattung, die durch besondere Vaginen geschieht, die vielleicht, wenigstens teilweise, dem Laurer- schen Kanal entsprechen. Bei den Cestoden ist das Homologon des L au r er sehen Kanals wahrscheinlich die Vagina, die lediglich Begattungszwecken dient. Der Uterus ist entweder (Bothriocephalus) wie bei Disto- mum ein gewundener Kanal mit eigener Oeffnung, oder aber blindgeschlossen (Tänien) und dann meist mit Aussackungen ver- sehen. Hier wäre also kein Homologon des Metraterms vorhanden. Für die Cestoden ist die Multiplizität der Geschlechtsapparate charakteristisch, die nur den primitivsten Formen (Archigetes, Caryophyllaeus) fehlt, und die eine Gliederung des ganzen Wurmkörpers (außer bei Liguliden) bedingt. Innerhalb jedes Körpergliedes können noch die Genitalapparate in jedem Glied doppelt vorhanden sein (vgl. den Artikel ,,Plathel- minthes"). Besondere Modifikationen des weiblichen Teiles der Leitungswege treten da auf, wo, wie bei den Pulmonaten und Opisthobranchiern unter den Schnecken, der gesamte Geschlechts- apparat zwitterig ist. Es wurde auf die unvollkommene Teilung mancher Partien der leitenden Gänge schon bei Besprechung der männlichen Wege hingewiesen. Bei der Weinbergschnecke, dem bekanntesten Ver- treter der hierhergehörigen Formen, ist der zentral zwitterige Leitungsgang später un- vollkommen in Eiergang und Vas deferens geteilt; hier mündet in den weiblichen Gang die Eiweißdrüse ein; an dem weiter peripher gelegenen, vom männlichen völlig abgespaltenen Eileiter finden sich noch einige Besonderheiten, wie der Pfeilsack und die fingerförmigen Drüsen. Im Endabschnitt sind die männlichen und weiblichen Organe wieder zu einem Genitalatrium oder einer Geschlechtskloake vereinigt, ähnlich wie sie sich auch bei Cestoden findet. Die Umgebung der äußeren weiblichen Geschlechtsöffnung (Vulva) kann noch mit in den Dienst der Ableitung der Eier ge- zogen werden. Entweder kann die Wand der Geschlechtsöffnung selbst zu einer temporär vorhandenen Verlängerung ausgezogen sein (Bitterling) oder es können allerhand chiti- nöse, hornige Bildungen das zusammen- setzen, was man als Leg er Öhre, Ovipo- sitor, bezeichnet. Bei manchen Tieren (Phalangiden, manche Hymenopteren, Käfer) ist die Legeröhre in der Ruhe in den Körper eingezogen, bei anderen (Locustiden, Schlupf- wespen) ragt sie dauernd über das Leibes- ende hinaus und stellt ein festes, weniger schutzbedürftiges Organ dar. Ihre größte Vollkommenheit erreichen die Legeröhren- bildungen bei den Insekten, wo sie noch mit vom Bienenstachel her allgemein be- kannten Giftapparaten in Verbindung treten können (Welustachel), so daß das ganze Organ sekundär seiner ursprünglichen Auf- gabe, der der Eileitung, völlig entfremdet werden kann. 4. Die Begattungsorgane. Es wurde bereits darauf liingewiesen, daß in vielen Fällen im Tierreich die weiblichen Leitungs- wege außer der Funktion, das Ei oder das, was aus ihm im Laufe der embryonalen Entwickeluug geworden ist, nach außen zu transportieren, noch eine zweite Auf- gabe haben : die männlichen Sexual- zellen in den weiblichen Körper einzulassen. Das setzt natürlich eine Besamung der Eier im weiblichen Körper voraus, clie in den allermeisten Fällen (Ausnahmen bilden die Chilopoden, und die Mehrzahl der Uro- delen, die Chernetiden) mit einer eigent- lichen Begattung verbunden ist. Wir würden beim Weibchen alle die Apparate als Begattungsorgane betrachten, die be- sondere Vorrichtungen zur Aufnahme des Samens, oder aber des samenübertragenden männlichen Organes bilden. — Beim Weib- chen sind diese Organe der Natur der Sache nach rein passiv, beim Männchen dagegen sind die der Kopulation dienenden Apparate durchaus aktiv tätig. 4a) Die Begattungsorgane beim Männchen. Die männlichen Begattungs- organe können wieder in verschiedene Kategorien eingeteilt werden. Einmal können bei der Begattung Haftorgane verwandt werden, mit denen das Männchen das AVeib- chen ergreift, festhält usw. Solche Organe sind zum Teil zweifellos sekundäre Ge- 1014 Gesclüechtsorgane der Tiere ^\ ^ schlechts merk male, aber keine Geschlechts- organe. Dahin gehören die Haftantennen mancher Cepopoden, die Saugnäpfe der männlichen Schwimmkäfer usw. Andere Haftorgane dienen zur Fixierung der männ- lichen Geschlechtsöffnung in einer bestimmten Stellung zur weiblichen. Dahin gehören die Cerci mancher Insektenmännchen (Locu- stiden), die als Bursa copulatrix be- zeichneten glockenförmigen Bildungen am Schwanzende von Nematoden und Akantho- cephalen (da das Wort Bursa copulatrix bereits ein bei Insekten vorkommendes weib- liches Begattungsorgan bezeichnet, so ist der Name in der eben erwähnten Bedeutung besser zu vermeiden). Ferner gibt es auch Organe, die in die weiblichen Genitalien eingeführt werden, und hier ebenso zur Fixierung der männ- lichen Genitalien dienen, wie in den anderen Fällen die erwähnten äußeren Haftorgane. Dazu wären zu rechnen die Spicula der Nematodenmännchen,auchdieTitiriiatores mancher Orthopteren. Solchen Organen wird man ihre Bedeutung bei der Begattung nicht absprechen können, es kann aber doch fraglich sein, ob man sie als Begattungs- organe im engsten Sinne aufzufassen habe. Dabei kommt es auf den oft recht verschieden angewandten Sinn des Wortes ,, Begattungs- organ" an. Es wird zweckmäßig sein für unsere Betrachtung, das Wort nur für solche Organe zu gebrauchen, die die Einführung des Samens in die weiblichen Genitalorgane unmittelbar bewirken. Auch unter diesen Organen sind zwei prinzipiell voneinander verschiedene, ja mor- phologisch miteinander nicht vergleichbare Kategorien zu unterscheiden: Erstens solche, die direkte Fortsetzungen der inneren Lei- tungswege des Samens bilden. Sie können entweder aus den umgeformten Endpartien der Genitalwege selbst bestehen, oder aber aus Gebilden aufgebaut sein, die in der unmittel- baren Umgebung der männlichen Geschlechts- öffnung liegen. Solche Bildungen nennen wir ganz allgemein primäre Kopulationsorgane im Gegensatz zu der zweiten Kategorie, die solche Gebilde umfaßt, die zwar physiolo- gisch durchaus als Begattungsorgane im eng- sten Sinne wirken, die aber morphologisch ursprünglich mit dem Genitalapparat nicht das mindeste zu tun haben, die also erst durch einen Funktionswechsel in den Dienst der Geschlechtstätigkeit getreten sind. Sie nennen wir sekundäreoder akzessorische Kopulationsorgane. In der allergrößten JMehrzahl der Fälle sind es umgewandelte Extremitäten (Cephalopoden, Spinnen, Cru- staceen) oder Teile von solchen (Selachier), die zu Begattungsorganen umgewandelt sind, in einem Falle (Libellen) Bildungen uner- klärter Herkunft. Bei manchen Ors-anen kann es zweifelhaft sein, ob man in ihnen primäre oder akzessorische Begattungsorgane zu er- blicken hat (plagiotreme Reptilien, Gym- nophionen). a) Die primären Begattungsorgane beim Männchen. Primäre Kopulations- organe werden ganz allgemein, ohne Rücksicht auf ihren morphologischen Aufbau, mit dem dem Vulgärlatein entstammenden, der mensch- lichen Anatomie entnommenen Ausdruck Penis bezeichnet. Alle derartigen Bil- dungen haben das eine gemeinsam, daß sie immer während ihrer Tätigkeit die Ober- fläche des Körpers ihres Besitzers überragen. Verschieden verhalten sie sich dagegen während ihrer Ruheperiode, also außerhalb des Begattungsaktes. Es gibt Penisformen, die als stationäre Bildungen dauernd die Körperoberfläche überragen, sie sind ver- hältnismäßig nicht häufig. Dahin gehört der ,,Petiolus" der Wassermilbengattung Ar- rhenurus, ferner der Penis der Proso- branchier und Heteropoden unter den Schnecken. Hier liegt meist dicht hinter dem rechten Fühler (Fig. 15), seltener weiter von p^t'f:T^. br ._ Fig. 15. Anatomie von Cypraea tigris. oc Auge, ph Pharynx, in Magen, r Enddarm, h Leber, re Niere, t Hoden, df Vas deferens, pe Penis, br Kieme, c Herz, N oberes Scldundganglion. Nach Quoy und Gaimard. Aus R. Hertwig. ihm entfernt (Heteropoden), noch seltener in ihm selbst (Paludina) ein lappenförmiges oder zylindrisches Gebilde, in das das Vas deferens entweder direkt einmündet oder unter Vermittelung einer auf der äußeren Haut entlang ziehenden Flimmerrinne. Bei den Heteropoden zeigt das Organ noch weitere Differenzierungen. Sehr viel häufiger ist das Kopulations- Geschlechtsorgane der Tiere 1015 organ im Kuhezustand zu seiner Schonung und zur Erhaltung seiner Reizbarkeit in eine Kavität des Körpers zurückgezogen, die von den Genitalwegen, oder aber auch von der äußeren Haut (Säugetiere), dem Enddarm (Krokodile, Schildkröten) gebildet werden kann. Diese Kavität kann sekundär durch Verlagerung so klein werden, daß, gleichfalls sekundär, der Penis wieder dauernd die Körperoberfläche überragt (Penis pen- dulus einiger Säuger und des Menschen). Der Unterschied in Form und Lage zwischen dem ruhenden und dem tätigen Zustand des Ürganes kann auf verschiedene "Weise ausgeglichen werden. Der Penis ist ein in der Mehrzahl der Fälle unpaares, doch zuweilen auch paariges Gebilde, das, ent- sprechend seiner Funktion, bei der Begat- tung in einrohrförmiges Lumen einzudringen, meist annähernd zylindrisch gestaltet ist. Ein solcher Zylinder kann im wesentlichen nach drei verschiedenen Methoden über das Niveau der Körperoberfläche gebracht wer- den: entweder 1. durch Umstülpung des Endteiles eines schlauch- oder rohrförmigen Leitungsweges. Wir finden diesen Modus bei Plathelminthen, Mollusken (Pulmonaten), mit gewissen Einschränkungen auch bei Wirbeltieren (Eidechsen, Schlangen, Vögel) angewandt. In diesem Falle muß bei dem Akt der Umstülpung das Epithel, das vorher ein Rohr (oder eine Rinne) innen aus- kleidete, nach außen zu liegen kommen. Oder aber es kann 2. ein starres Rohr, das aus dem Endstück des Vas deferens gebildet ist, in toto aus dem Körper her- vorgeschoben- werden, wobei allerdings eine Dehnbarkeit der zentral von ihm gelegenen Rohrstrecke Voraussetzung ist. Hier ist es die Tätigkeit von Muskeln, die die Her- vorstreckung des Penis bewirkt. Schließlich kann 3. ein im Innern des Körpers liegendes Penisrohr durch Aufnahme von Flüssigkeit ins Innere seiner verdickten Wandung an- schwellen und dadurch nach außen hervor- treten. Diese Schwellung nennt man Erektion, sie kann durch Blut oder durch lymphatische Flüssigkeit hervorgerufen wer- den. Sie findet sich in größter Vollkommen- heit bei Säugetieren entwickelt. Nun können diese drei verschiedenen Modi der Hervorstreclvung des Penis untereinander kombiniert sein. So gibt es erektile Begat- tungsorgane, bei denen der Erektionsvorgang mehr eine Nebenerscheinung ist und die Her- vorstreckung durch Muskeln in. den Vorder- grund tritt (Schildkröten und Krokodile), es gibt Vereinigungen von derartiger Her- vorstreckung mit Umstülpung eines Blind- schlauches (Vögel), auch bei Insekten sind die chitingestützten, hervorschiebbaren Ko- pulationsorgane in manchen Fällen erektil (Dytiscus). Seiner Aufgabe, den Samen zu leiten, kann ein Penis sowohl als Rohr, wie als Rinne gerecht werden. Bei den Mollusken, Arthropoden und Vertebraten können in jeder Klasse Röhren oder auch Rinnen vor- kommen. Im einzelnen ist zu bemerken, daß bei Cölenteraten, Nemertinen, Annehden, Bryo- zoen, Echinodermen, Chätognathen, Entero- pneusten, Gephyreen, Tunicaten und Amphi- oxus keine Begattungsorgane vorhanden sind. Ferner fehlen primäre Kopulations- organe den Muscheln und einigen kleineren Gruppen unter den Mollusken, den Ivrebsen, den meisten Spinnentieren (außer den Phalangiden und wenigen Milben) sowie unter den Wirbeltieren den Cyclostomen, Fischen, den Amphibien und den meisten Vögeln. Daraus ergibt sich, daß ihr Vor- kommen sich hauptsächlich auf die Plathel- minthen, Hirudineen, Schnecken unter den Mollusken, Insekten und Phalangiden unter den Arthropoden, sowie auf zahlreiche Wirbeltiere beschränkt, die zu den höheren Formen, den Amnioten gehören. Bei einigen Mollusken, Arthropoden und Wirbeltieren treten später zu besprechende akzessorische Bildungen an ihre Stelle. Bei den Plathelminthen ist das regel- mäßig vorhandene Begattungsorgan das modifizierte Ende des Vas deferens. Es kann im ganzen vorstreckbar sein (manche Tur- bellarien), meist ist es aber umstülpbar und wird in diesem Falle als Cirrhus bezeichnet, der in einem besonderen, muskulösen, kon- traktilen Hohlraum, dem Cirrhusbeutel liegt. Bei den digenetischen Trematoden und den Cestoden mündet der Cirrhus unmittel- bar neben oder hinter der weiblichen Ge- schlechtsöffnung, bei den Tänien wird sogar ein echtes Atrium genitale von einem gemein- samen Muskelwall umschlossen, das nach außen mit dem Porus genitalis mündet. Hier ist in vielen Fällen Selbstbefruchtung einer Proglottis, bei Distomeen einmal auch! die eines Individuums beobachtet worden. Bemerkenswert ist, daß bei einigen auf niedriger Entwickelungsstufe stehenden Turbellarien zwar Gonaden und Kopulations- organe, nicht aber eigentliche Leitungswege für die Geschlechtsprodukte vorhanden sind, die sich also ihren Weg durch das Körper- parenchym suchen müssen. Bei den Kiefer- egeln unter den Hirudineen ist der Penis das umgestülpte, muskulöse Ende des Vas deferens, bei Rüsselegeln wird ein Begattungs- organ gewissermaßen durch die ,,Iniektions- kanülen" der Spermatophore ersetzt. Unter den Mollusken haben die gonochoristischen Schnecken den bereits erwähnten, dauernd die Körperoberfläche überragenden Penis, bei den Zwitterschnecken ist es wiederum das umstülpbare Ende des Vas deferens, ^-^ -^y. >Äyy^^'-: 1016 G-esclilechtsorgane der Tiere das zur (meist wechselseitigen) Begattung hervorgestreckt wird. Bei den Landpul- monaten ist eine Geschlechtskloake vor- handen, hier hängt bei den Arten, die eine lange Spermatophore bilden, ein besonderer geißeiförmiger, hohler Anhang, das Flagel- liim, mit dem Penislumen zusammen. Bei den Süßwasserschnecken mündet der Penis weit entfernt von der weiblichen Genital- öffnung, so daß keine gegenseitige Begattung möglich ist. Wie bei den Prosobranchiern und Heteropoden kommen auch bei manchen nackten Pulmonaten noch besondere Flimmer- rinnen für die Leitung des Sperma zum Begattungsapparat hinzu. Unter den Arthropoden sind nur wenige Arachnoiden, dagegen wohl fast alle männ- lichen Lisekten mit primären Begattungs- werkzeugen versehen. Von Spinnentieren sind es, außer einigen parasitären Milben (Sarcoptes) besonders die Phalangiden, die ein echtes, vorstreckbares, chitinöses, in der Ruhe in einer Tasche liegendes Kopulations- organ besitzen, das in ausgestrecktem Zu- stande aus einem stärkeren basalen und einem feinen Spitzenteil besteht. Bei den In-; Sekten haben wir eine außerordentliche! Mannigfaltigkeit von Begattungsapparaten, von denen aber zu sagen ist, daß nur ein Teil von ihnen eigentliche Kopulations- organe nach unserer Definition sind, also in die weiblichen Organe einzuführende Gebilde, die das Sperma übertragen. Die ' Bei den männlichen Wirbeltieren treffen wir natürlich nur da Begattungsorgane an, wo eine innerliche Befruchtung stattfindet, aber auch dann (Glaridichthys unter den Knochenfischen, Philip pi), können zwar Hilfsorgane für diese Befruchtung vor- handen sein, ohne daß von eigentlichen Be- ' gattungsorganen gesprochen werden kann. Bei den meisten Schwanzlurchen nimmt, wie ' bei den Chilopoden unter den Tausend- füßlern, das Weibchen das vom Männchen I abgesetzte Sperma aktiv auf. Bei den Sela- chiern finden wir zweifellos akzessorische Organe; für die Gymnophionen mag es zweifelhaft sein, ob man die dem Männchen eigentümliche, mmstülpbare, der Begattung dienende Kloake als primäres oder sekundäres Kopulationsorgan betrachten soll. Echte primäre Kopulationsorgane kom- men bei den meisten Amnioten vor. Doch ist für die paarigen, in der Ruhe hinter der queren Kloakenspalte gelegenen umstülp- baren, mit einer Samenrinne versehenen Kopulationsschläuche der Eidechsen und Schlangen von einer Seite die Annahme ge- macht worden, sie seien aus Drüsen ent- standen, hätten also den Wert sekundär zu Begattungsorganen umgewandelter Bil- dungen. Von anderer Seite dagegen sind diese Organe, ihrer Entstehungsgeschichte wegen, als primäre Kopulationsorgane in Anspruch genommen worden. Völlig ohne Kopulationsorgane ist Hatteria. Zweifel- V^ \ Fig. 16. Schema des Baues des Penis von Thalassochelys corticata. f Corpus fibrosum, sp Corpus spongiosum, d dorsale-, v velvtrale Endpartie des Penis. Nach Gerhardt. Haftapparate, die während der Begat- tung den männlichen Hinterleib am weib- lichen fixieren, sind gerade bei den Insekten in unendlichen Variationen ausgebildet. Ein echter Penis ist aber meist vorhanden, auch er schwankt außerordentlich in seiner Form und Größe. Zur Verstärkung seiner Wände werden außerdem sehr häufig chitinöse Bestandteile der letzten Hinterleibssegmente mit verwendet (Parameren der Käfer), so daß zwischen diesen Skeletteilen und dem eigentlichen vom Vas deferens gelieferten Penis wiederum zu unterscheiden ist. los primär sind die unpaaren Begattungs- organe (Phallus) der Schildkröten und Kj-o- kodile, die als medianer, rinnentragender Vorsprung der ventralen Kloakenwand auf- sitzen (Fig. 16). Die beigefügte Figur zeigt auf den Querschnitten die wichtigsten Struk- tureigentümlichkeiten dieses für das Verständ- nis des Säugetierpenis wiclitigen Organes: Ein starker fibröser Körper (Corpus fibrosum), der hier kaum erektil ist (f), trägt in seiner dorsalen rinnenförmigen Längsvertiefung einen Belag von stark erektilem Gewebe, das Corpus spongiosum Geschlechtsorgane der Tiere 1017 M sp das die von Schleimhaut überzogene Samenrinne r auskleidet. Unter den Vögeln besitzt eine diesem Typus ähnliche Penisform der Strauß (Fig. 17), bei dem aber noch ein besonderer f Fig. 17. Querschnitt durch den Penis von Struthio. f, fS Cor- pus fibrosuni^ c Corpus elasti- cum, r/ Samenrinne. Nach i/ Boas. elastischer Körper auf der ventralen Penis- f lache entlangzieht. Außerdem findet sich hier eine Anhäufung spougiösen Gewebes an der Penisspitze, die vielleicht der Eichel vieler Säugetiere homolog ist. Bei Apteryx und Tinamus ist der Penis mit seinem Corpus fibrosum und seiner Rinne spitz und von oben gesehen fast dreieckig, etwas nach links gedreht wie jeder Vogelpenis (wahrscheinlich in Anpassung an das Fehlen des rechten weiblichen Eileiters). Bei allen übrigen Ratiten (Dromaeus, Rhea, Casu- arius) bei allen Enten vögeln und beim Hokko (Crax) kommt zu den beschriebenen Bestandteilen des Penis noch ein neuer hin- zu, nämlich ein umstülpbarer, in die Spitze des Penis mündender Blindschlauch, der auf seiner in der Ruhe ventral, im ausge- stülpten Zustand dorsal gelegenen Fläche eine Fortsetzung der Samenrinne trägt (Fig. 18). Bei den Entenvögeln übertrifft dieser Blindschlauch den sehr derben, aber kurzen festen Teil des Penis bedeutend an Länge. Die übrigen Vögel außer den genann- ten besitzen keinen Penis, und es kann wohl kein Zweifel sein, daß dieser Mangel sekundär entstanden ist. Dafür sprechen auch embryo- logische Befunde(Fleischmann). Bei einigen Störchen, Raubvögeln und anderen großen Vögeln ist ein zungenförmiges Penisrudiment beschrieben worden. Der Penis der Säugetiere besteht wie der der Schildkröten, Krokodile und Vögel immer aus einem fibrösen und einem spongiösen Körper. Nur ist ein wesent- licher Unterschied gegenüber den bisher besprochenen Formen aufzuführen. Die Samenrinne ist zum Rohr geschlossen und dementsprechend auch ihre Auskleidung, das Corpus spongiosum, zylindrisch ge- worden. Das Corpus fibrosum ist bald un- paar, bald paarig, in diesem Falle durch ein Fig. 18. Schematischer Längsschnitt des Penis von Rhea, Blindschlauch eingestülpt, f Corpus fibrosum, g Grenze der beiden Abschnitte des Blindschlauches, o dessen Oeffnung an der Penisspitze, r Samenrinne. Nach Boas. Septum corporis fibrosi in seine beiden Längshälften geteilt. Bei den Monotremen (Fig. 19) dient der Penis nur dem Samen, nicht dem Harn als Abflußrohr, bei allen anderen Säugern ist sein Lumen zum Sinus urogenitalis masculinus, der sogenannten männlichen Harnröhre geworden. Das Corpus fibrosum ist in den meisten Fällen mit seinen beiden Ursprungsschenkeln (Crura corporis fibrosi) an den Schambeinen des Beckens befestigt, das Corpus spongio- sum verläuft in einer ursprünglich dorsalen Längsfurche des fibrösen Körpers, die aber bei einer Verlagerung des Penis (Umbiegung in ventraler und oraler Richtung) auf die Ventralfläche zu liegen kommt. Der Penis, der ursprünglich in der Kloake liegt, entfernt sich mit deren Schwinden bei den Beutlern und noch mehr bei den Monodelphen immer weiter von der Mün- dung des Enddarmes. Dabei behält er Fig. 19. Schematischer Längs- schnitt des Monotremen- penis in eingestülptem Zu- stande, bi Bindegewebe, bl Harnblase, cl Kloake, f Corpus fibrosum, h Harnleiter, ps Penisscheide, ps' deren Oeff- nung, r Saraenröhre, s Samen- leiter, u Urogenitalkanal. Nach Boas. 1018 Gesclilechtsorgane der Tiere die Umkleidung mit einer besonderen, ihn in der Ruhe schützenden Tasche, der Penis- tasche, Präputialtasche, bei. Diese Tasche ist zunächst eine Aussaclvung derekto- dermalen Ivloakenwand, sie wird aber mehr und mehr zu einer Vertiefung der äußeren Haut, bis sie schließlich bei der Ausbildung des Penis pendulus, wie er sich bei fliegenden (Chiropteren) und aufrecht gehen- den (Mensch) Säugern findet, zu einer sehr unbedeutenden Hauttasche wird, oder so- gar (bei einigen Fledermäusen) ganz schwin- den kann. Beim Menschen kommt durch diese Reduktion der Penistasche die Haut- falte zustande, die als Praeputium, Vor- haut, bezeichnet wird, und die die all- gemeinere Anwendung des Namens Präputial- tasche veranlaßt hat. Daß bei den Affen der alten Welt die Reduktion des Präputial- raumes noch nicht so weit gediehen ist wie bei dem Menschen, zeigt Figur 20. Fig. 20. Schematischer Lcängsschnitt des Penis der katarrhinen Affen. Corpus fibrosum quer gestrichelt, Glans und C. spongiosum ge- netzt, Knochen punktiert. Nach Gerhardt. Im Innern des Säugerpenis können einige Neueinrichtungen auftreten. So können akzessorische Schwellkörper, außer dem Cor- pus spongiosum, vorkommen. Bei vielen Säugern bildet sich ein kutaner Schwell- körper an der Penisspitze aus, der eine gewisse Selbständigkeit gewinnt und mit dem Corpus spongiosum in Beziehung treten kann. Dies ist die Glans penis, Eichel, die in der äußeren Form stark variiert. Andere akzessorische Schwellkörper kommen bei Edentaten und Chiropteren vor. Das Corpus fibrosum wird selbst erektil. Das Septum corporis fibrosi behält aber seinen fibrösen Charakter stets bei, und das Corpus kann distalwärts einen verknoriieinclen (Beutler, v. d. Broek) oder verknücliernden Fortsatz entsenden, der im zweiten Fall als Penisknochen, Os penis, Os priapi, bezeichnet wird. Er fehlt unter den Placenta- liern den Huftieren, Sirenen und Walen, dem Menschen, sonst ist er, auch in dem Primaten- stamme weit verbreitet. Erwähnt sei, daß in der menschlichen Anatomie das Corpus fibrosum als Corpus cavernosum penis. das Corpus spongiosum als Corpus caver- nosum urethrae bezeichnet wird. Die Penisoberfläche ist auf der von äußerer Haut überzogenen Fläche inner- halb des Präputiums von zwei Hautblättern umgeben, einem parietalen und einem vis- ceralen Blatt. Das viscerale ist glatt, meist drüsenlos, das parietale mit oft besonders modifizierten Hautdrüsen, beim Moschus- ochsen (nach Garrod) sogar mit Haaren ausgestattet. Das freie Penisende trägt regelmäßig sensible Nervenendigungen mit besonderen Endapparaten, den Genital- oder Wollustkörperchen. /S) Die akzessorischen Begattungs- organe beim Männchen. Ueber die akzessorischen Begattungsorgane ist noch einiges zu bemerken. Sie begegnen uns unter den Mollusken bei den Cephalo- poden in Form eines oder mehrerer von den anderen abweichend gebauter Fangarme. Beim männlichen Nautilus ist eine Anzahl Arme zum Spadix ver- schmolzen, bei den dibranchiaten Cephalo- poden ist beim Männchen entweder ein Arm einer Seite, oder auch jeder Arm eines Paares durch irgendwelche Besonderheiten ausge- zeichnet. Er dient dazu, bei der Kopulation die Spermatophoren in die Mantelhöhle des Weibchens, in die Nähe der weiblichen Ge- schlechtsöffnung, einzubringen. Bei den Philonexiden unter den Oktopoden (z. B. bei Argonauta) ist dieser Arm besonders entwickelt, sehr viel länger als die anderen, und imstande, nach seinem regelmäßig er- folgenden Abreißen bei der Begattung in der weiblichen Mantelhöhle noch einige Zeit- lang am Leben zu bleiben und gewisser- maßen selbständig die Befruchtung auszu- üben. Wegen dieser Eigentümlichkeit wurde dieser Arm lange Zeit als selbstän- diger Organismus, Hectocotylus argo- nautae, beschrieben (Fig. 21). Unter den Arthropoden sind akzesso- rische Kopulationsorgane relativ am weite- sten verbreitet. So sind die Begattungs- organe der Crustaceen, selbst die ,, Ruten" der Krabben, eigentlich umgewandelte Füße oder Fußteile. In diese Kategorie gehören auch die Kopulationsfüße (gleichfalls oft als ,, Ruten" bezeichnet) der Diplopoden- männchen: es sind hohle Chitingebilde, die von der Geschlechtsöffnung aus erst mit Sperma gefüllt werden müssen. Bei Argulus unter den Crustaceen und bei C u r vi p es unter den Wassermüben entleert das Männchen sein Sperma erst in zwei Taschen der Bauch- haut, aus denen es dann erst mit einem bestimmten Fußpaar herausgeholt und in die weiblichen Genitalien eingebracht wird. Unter den Spinnentieren iDenutzen nach Heymons die männlichen Solifugen (Walzen- spinnen) ihre Freßzangen, Cheliceren, neben- Geschlechtsorgane der Tiere 1019 bei als Uebertragungsorgane für das auf den därer Herkunft, sondern auch Haft- und Boden ejakulierte, zähflüssige Sperma. Hier Klammerorgane vorhanden, die den Taster ist es also ein Paar von Freßextremitäten, an der weiblichen Geschlechtsöffnung fixieren das in den Dienst der Begattung getreten ist. Das Relief der Taster ist für die Arten kon- V Fig. 21. Männchen von Argo- nauta argo. tr Trichter. Die Ziffern bezeichnen die Zahlen der Armpaare. A mit noch in der Hülle eingeschlossenem, B mit ausgestülptem Hectocotyhis. Nach H. Müller. Aus R. Hertwig. Ein anderes Paar von Mundextremitäten, das der Kiefertaster, ist es, das bei den IVebspinnen zu Kopulationsorganen um- geformt ist. Diese Taster männlicher Spinnen enthalten einen Behälter für das Sperma, das aus der am Bauche gelegenen Geschlechts- öffnung auf ein Gespinst entleert und mit den Tastern aufgenommen wird. Außerdem sind an diesem Behälter nicht nur Uebertra- gungsorgane für das Sperma, also eigentliche einzuführende ,, Begattungsorgane" sekun- Fig. 22. Taster von Epeira quadrata. v Ver- bindungsstück zwischen Tasterstiel und Kopu- lationsapparat. 1 löffelförraige Schuppe, m mus- kulöser Strang, bl Tasterblase, h hakenförmige Anhänge, p eigenüiches Begattungsorgan. Etwas verändert nach Her man. Nach Gerhardt. staut und ein vielverwertetes systematisches Merkmal (Fig. 22). Unter den Insekten sind es die männ- lichen Libellen, die ein ganz eigenartiges akzessorisches Kopulationsorgan besitzen, das j an der Bauchseite, am zweiten Hinterleibs- Segment liegt, und das aus einem Sperma- I behälter und einem einzuführenden ,, Penis" besteht. Vor der Begattung muß es durch Krümmung des Hinterleibes von der am 9. Segment gelegenen Mündung der Genital- gänge aus gefüllt werden. Durch diese An- ordnung, die als Hilfsapparat besonders gestaltete hakenförmige Cerci am Hinterleibs- ende verlangt, wird die seltsame schleifen- förmige Haltung sich begattender Libellen- paare bewirkt. Eine morphologische Zurück- führung des Organes auf andere, etwa auf rudimentäre Abdominalextremitäten, ist bisher nicht gelungen. Daß unter den Wirbeltieren die Kopu- lationsorgane der Gymnophionen und der plagiotremen Reptilien als akzessorisch auf- I gefaßt werden können, wurde schon er- örtert. Ohne Zweifel als solche anzusprechen sind die paarigen Pterygopodien oder j Myxipterygien der Selachier. Es sind ! dies die bei den Männchen selbständig ge- j wordenen medianen Strahlen der Bauch- , 1 flössen, deren jede mit einem besonders aus-l 'gebildeten Knorpelskelett, einer Rinne und]"'^ i einem drüsigen Apparate ausgestattet ist. \ Bei der Kopulation wird nach Bolau nur eines dieser Organe in die Kloake des Weib- chens eingefülii't. 4b) Die weiblichen Begattungs- organe. Beim weiblichen Tier sind als Be- ^ gattungsorgane alle Einrichtungen zu be- ; trachten, die an dem Genitaltraktus ange- bracht sind, und deren Funktion nicht mit der 1020 Geschlechtsor2,-ane der Tiere Leitung des Eies oder Embryos nach außen, sondern mit der der Beförderung des Samens nach innen und mit seiner Aufbe- wahrung zu tun hat. Es kann die äußere weibliche Geschlechtsöffnung und der distale Abschnitt des weiblichen Genitaltraktus be- sondere Vorrichtungen aufweisen, um den Penis aufzunehmen, zu fixieren u. dgl., ja es können für diesen Zweck sogar besondere Nebenräume des Genitalkanales vorhanden sein. Sodann können weiter nach innen eigene Behälter für das bei der Begattung inji- zierte Sperma existieren, die sicli bei Wirbel- losen einer weiten Verbreitung erfreuen. Außerdem gibt es Tierformen, bei denen der Genitalkanal zwei oder sogar mehr Oeffnungen besitzt, von denen dann nur eine der Ableitung der Geschlechtsprodukte dient. Auch solche Apparate finden sich nur bei Wirbellosen. a) Äußere Begattungsorgane beim Weibchen. Was zunächst die Ausgestaltung der äußeren weiblichen Geschlechtsöffnung (Vulva) betrifft, so kann der weibliche Pe- rus genitalis, ohne irgendwelche bemerkens- werten Gebilde in seiner Umgebung, einfach eine enge Oeffnung darstellen, wie z. B. bei den Spulwürmern. Bei vielen zwitterigen Tieren gehört das x\trium genitale ge- wissermaßen mit zur äußeren Umgebung der weiblichen Geschlechtsöffnung. Bei manchen Cestoden umschließt die Muskulatur des Perus genitalis während der Begattung den in die benachbarte Vagina eingesenkten Cirrhus; bei der Weijnbergschnecke wird die weibliche Geschlechtsöffnung erst sicht- bar, wenn bei geschlechtlicher Erregung das Genitalatrium ausgestülpt ist. Sehr mannig- fach ist die Ausstattung der Insektenvulva mit chitinösen Gebilden, die in jedem Falle zu den entsprechend mannigfach aus- gestalteten männlichen Organen passen. Besonders genau bekannt und mit einer ausgebildeten Nomenklatur belegt sind die äußeren weiblichen Begattungsorgane der in Betracht kommenden Wirbeltiere und speziell der Säugetiere. In der mensch- lichen Anatomie bezeichnet man die eine sagittale Spalte darstellende weibliche Ge- schlechtsöffnung als Vulva, Kima vulvae, Scham. Sie wird beiderseits umschlossen von den kleinen Schamlippen, Labia minor a, die mit kavernösem Gewebe, den Bulbi vestibuli, ausgestattet sind. Bei ihrer Erektion, deren diese Körper wie die Schwell- körper des Penis fähig sind, umfassen sie den eindringenden Penis fest und gewähr- leisten so den nötigen engen Kontakt der männlichen und weiblichen Organe. Nach außen von den kleinen liegen die großen Schamlippen, Labia majora, nach Klaatsch die Homologa des Skrotums der Männchen. Sie fehlen der Mehrzahl der Säuger, auch einigen anthropoiden Affen, in ihrem Innern liegen niemals Schwell- körper. Dagegen ist, wenigstens bei Säuge- tieren, in hohem Maße erektil das den Amnioten eigentümliche verkleinerte Homo- logen des Penis, die Clitoris oder der Kitzler. Bei den Säugetieren ist das Ge- bilde mit Schwellkörpern versehen,^) die dem Corpus fibrosum der Männchen ent- sprechen, die aber durch einen bei der Erektion nicht aufgehobenen, geknickten Verlauf dann die Clitoris senkrecht zur Rima vulvae aus dieser hervor oder in sie hineinragen lassen (Fig. 23). Damit stellt ruPj, Fig. 23. Clitoris von Cebus capiicinus. Cli Clitoris, Gc (ilans clitoridis, Pp Praeputium clitoritis, R Rinne an der Ventralfläche der Clitoris. Nach Wiedersheini. sich die erigierte Clitoris dem Penis gewisser- maßen in den Weg und dient, mit Nerven- körperchen besonders reichlich ausgestattet, als ,, passives Wollustorgan" (Kobelt). Die Figur zeigt, daß auch ein besonderes Prae- putium clitoridis vorhanden ist, ferner kann die Clitoris die verschiedenen Formeigen- tümlichkeiten des Penis einer Art oder Gruppe wiederholen. So hat sie oft bei Formen, deren Männchen einen Penisknochen be- sitzen, gleichfalls ein kleines Os clitoridis (Musteliden, Anthropoiden), beim Schwein ist sie wie der Penis des Ebers gewunden, bei der Hündin besitzt sie einen besonderen Schwellknoten usw. Bei den Vögeln und den Reptilien, die einen unpaaren Penis besitzen, ist die Clitoris vorhanden, bei Schildkröten oft sehr groß, bei Struthio klein und vielleicht nicht erektil. Ihre Funktion ist hier nicht bekannt, doch ist anzunehmen, daß sie der der Säugerclitoris ähnlich ist. Auch für die paarigen Kopu- lationsschläuche der Eidechsen und Schlangen sind im weiblichen Geschlecht Homologa vorhanden, die im embryonalen Leben, während dessen sie wie die Penes nach außen umgestülpt sind, sogar diesen an Größe fast gleichkommen können. Das Vorkommen der Clitoris bei den Amniotenweibchen bildet ein interessantes Beispiel der Uebertragung eines Organes von einem Geschlecht auf das andere, wenn man eine solche aner- kennen und nicht die verschiedene Ent- ^) Bei Ateles, dem amerikanischen Spinnen- affen, ist die Clitoris sehr groß, aber nicht erektil. Gesclüeclitsoraane der Tiere 1021 Wickelung eines indifferenten Organes bei 1 bei manchen Nagern (Cavia, Mus) die Vagina beiden Geschlechtern annehmen will. | samt Vestibulum nur in der Brunst weg- Zu den äußeren Begattungsorganen wird in der menschlichen Anatomie der sehr flache Scheidenvorhof, Vestibulum vaginae, gerechnet. Er ist das verkürzte sam ist, sonst aber durch epitheliale Ver- klebung ihrer Wände kein Lumen besitzt. Unbedingt als Begattungsorgane anzu- sprechen sind bestimmte Anhangsorgane Aequivalent für ein bei den meisten Säuge- des weiblichen Genitaltraktes, die ganz all- tieren sehr viel längeres Organ, den Sinus gemein mit dem Namen Samentasche, urogenitalis des Weibchens. Es gibt aller- j^gceptaculum seminis, bezeichnet wer- dings auch weibliche Säugetiere (Lemuriden), f[^^^^ ^^jid die, wie so viele besprochene Bil- bei denen ein Sinus urogenitalis deshalb düngen, unter sich morphologisch durch- fehlt, weil hier die aus der Blase kommende ^us nicht gleichwertig sind. Es kommt häufig Harnröhre die Clitoris durchbohrt undlij^j Tierreiche vor, daß das Sperma, das in von der Vulva getrennt mündet. Beim einen weiblichen Körper eingebracht wurde, Menschen führt die Vulva unmittelbar in ! dort nicht sofort zur Befruchtung der Eier das Vestibulum, das mit besonderen Drüsen, verwendet wird, sondern eine Zeitlang an den Vorhofs- oder Bartholinschen Drüsen iejjiej. gtelle des weiblichen Genitaltraktus ausgestattet ist, und das von der Vagina | aufbewahrt wird. Ohne besondere Vor- durch ein in seiner Bedeutung nicht ganz j-jd^tung ist das der Fall bei Fledermäusen, aufgeklärtes Gebilde, den Hymen oder daS|^Q^ wenigstens in unserem Klima, während Jungfernhäutchen, bei virginellen Indi- - "^ ...... viduen teilweise geschieden ist. Der Hymen stellt eine meist halbmondförmige, in das Lumen des Sinus urogenitalis in der Gegend der Einmündung der Harnröhre vorspringende Schleimhautfalte dar. Es findet sich beim Gorilla, bei einigen Huftieren, fehlt aber den meisten Säugetieren; doch treten bei anderen Arten anders gestaltete, aber topo- graphisch ihm vergleichbare Bildungen an seine Stelle. Ueber die phylogenetische Entstehungsweise dieses Organes, dessen forensische Bedeutung beim Menschen be- kannt ist, lassen sich kaum Vermutungen aufstellen. ß) Innere Begattungsorgane beim Weibchen. Der als Vagina, Scheide, bezeichnete Teil des weiblichen Genital- kanales dient zwar zweifellos biologisch, j sichtspunkten aus in zweierlei Richtung ein wenigstens zeitweise, als Begattungsorgan, \ Bedürfnis vorliegen : entweder wird ein und der Funktion, den Penis aufzunehmen, «gewisses Quantum Sperma für eine größere verdankt er seinen Namen. Aber in niorpho- 1 Anzahl von Eiergelegen gebraucht, so daß logischer Beziehung finden sich an der j ypj^ einem Samenreservoir aus beim jedes- Vagina kaum besondere Vorrichtungen, außer | maligen Legeakt Eier befruchtet werden, daß sie immer so gestaltet sein muß, daß oder aber es kommt bei Hermaphroditen sie ihrer eben besprochenen Funktion ge- j^^j^ Zwitterdrüse darauf an, eine Selbst- recht werden kann. Sie darf also in keinem befruchtung zu vermeiden. Dieser Fall ist Mißverhältnis zur Größe und Gestalt des ^ g bei den Lungenschnecken verwirldicht, Penis stehen. — Proximal von der Vagina , bei denen das früher als die Eier reife Sperma hören die Teile des eigentlichen weiblichen jj^ das Receptaculum seminis eines anderen Geschlechtskanales im allgemeinen auf, Be- Individuums bei der Begattung eindringt, gattungsorgane zu sein. Beim Schwein ist ^ j^^j-t muß es so lange aufbewahrt werden, allerdings "der Cervikalteil des Uterus zur bis die Eier des empfangenden Tieres reif Aufnahme des gewundenen Penisendes ein- ^^^^^ befruchtungsfähig geworden sind, gerichtet, dieser Fall ist aber als eine inter- Receptacula als Anhänge des weiblichen essante Ausnahme zu betrachten. Erwähnt Genitaltraktus finden sich bei Plathel- soll noch sein, daß bei manchen Säugetieren j „^ji^then, Mollusken und Arthropoden. Auf- die Blase so weit proximal in den Genital- 1 fallend ist, daß das Receptaculum auch bei kanal mündet, daß es fraglich ist, ob eine ^.jgej^ Genitalapparat meist unpaar ist. Vagina existiert, und ob es sich nicht nur g^j^^g L^ge jgt durch seine Funktion ziem- um einen Uterus und einen Sinus urogeni- 1 talis handelt (Edentaten), der in diesem! Fall als Begattungskanal dient, ferner, daß' i) MündUche Mitteilung von E. Philippif. des Winterschlafes das in den Uterus injizierte Sperma dort aufbewahrt wird und erst im nächsten Frühjahr in den Eileiter wandert, der bei Säugetieren der Ort der Befruchtung der Eier ist. Hier dient also der Uterus temporär als Receptaculum seminis. Bei einem Fisch mit innerer Befruchtung, der eine Art von äu ßerer Begattung vorhergeht, Gl ari-i dichthys, können Spermatozoen in denk Falten der Eileiterschleimhaut lebensfähig ^ aufbewahrt bleiben und mehrere Serien von Eiern befruchten. i) Dieser Fall leitet zu den häufigen über, in denen es besondere Aus- sackungen des Eileiters sind, die ausschließ- lich die Funktion eines Receptaculum, nicht nur nebenbei, wie in den angeführten Fällen, ausüben. Für das Zustandekommen eines solchen Organes kann von biologischen Ge- 1022 Gesclüechtsorgane der Tier( lieh sicher von vornherein bestimmt: Ein- mal muß es von dem Begattungswege aus zugänglich sein, andererseits von den Eiern während ihres Weges aus dem Ovarium nach außen so passiert werden können, daß das in der Samentasche aufbewahrte Sperma zu den Eiern Zutritt hat. Somit pflegt das Receptakulum bei paarigen Gonaden an der Vereinigungsstelle der Eileiter zu liegen. Bei den digenetischen Trematoden liegt es ungefähr an der Stelle der Vereinigung der Dotter- und Eiergänge, des Ootyps und der Einmündung der Schalendrüse. Eigentümlich ist die Tatsache, daß hier das Receptakulum als ein blindsackartiger Anhang des Lau r er- sehen Kanals auftritt. Diese Tatsache spricht dafür, daß dieser Kanal auf phylogenetischen Vorstadien als Begattungskanal gedient hat, während er jetzt diese Funktion an das Metraterm abgegeben hat. Ferner spricht für diese Auffassung der umstand, daß bei den Tänien das Receptakulum eine spindel- förmige Anschwellung des Begattungs- kanales, der Vagina, bildet, die wohl mit Sicherheit dem L au r er sehen Kanal der digenetischen Trematoden zu homologi- sieren ist (Fig. 24). Bei den Bothriaden unter sind. Das Receptakulum spielt in dem Leben der weiblichen Insekten eine große Rolle. Hier ist, wie nirgends sonst im Tier- reich, die nur einmalige Begattung im Leben beider Geschlechter zur freilich nicht ausnahmslosen Regel geworden. Bei dieser Begattung wird das Reeeptaculum seminis mit Sperma gefüllt, und dies bleibt, meist unter der Einwirkung besonderer, in die Samentasche mündender Drüsen längere Zeit lebensfähig, bis die Eiablage erfolgt. Das kann sehr bald nach der Be- fruchtung geschehen, kann aber auch erst Tage, ja Monate hinterher vor sich gehen. Schließlich kommt es bei den Weibehen staatenbildender Hymenopteren (das all- bekannte Beispiel hierfiirist die Bienenkönigin) zu der Tatsache, daß nicht nur das Weib- ehen durch eine einzige Begattung auf Jahre hinaus befruchtet wird und das Sperma des längst gestorbenen Männchens immer wieder neuen Eierserien zusetzen kann, sondern daß auch, durch einen be- sonderen, von Breßlau eingehend studier- ten Muskelapparat der Samentaschenmün- dung das Weibchen imstande ist, das Receptakulum gegen vorbeigleitende Eier abzusperren. Dann bleiben die Eier un- befruchtet, und in dem Falle der Honigbiene entstehen nun aus diesen Eiern nur Männ- ehen. Sehr häufig sind es bei den Insekten Spermatophoren, die in das Receptakulum eingeführt werden, oder aber es dringt aus in die Vagina eingebrachten Spermatophoren (einige Örthopterenfamilien) Sperma aktiv in die Sanientasche ein. Am häufigsten ist das Vorkommen nur eines Receptakulums, doch existieren auch Fälle, in denen mehrere Receptacula vorhanden sind (Fig. 25 b). AVir sehen in der Figur 25a die weibliehen Genitalorgane vag ov rs sdr dt ül Fig. 24. Geschlechtsapparat einer reifenden Proglottis von Taenia saginata. N Nerven- strang, Neph Wassergefäß, t Hoden, vd Vas deferens, ob Cirrhusbeutel, K Perus genitalis, vag Vagina, ov Ovar, rs Reeeptaculum seminis. sdr Schalendrüse, dt Eiweißdrüse, ut Uterus. Nach Sommer. Aus Kükenthal. den Tänien fehlt ein Receptakulum seminis, bei den Turbellarien ist es meist vorhanden. Außerordentlich verbreitet ist ein Reeep- taculum seminis bei den Insekten, wo es zu einer ständigen Einrichtung geworden ist und sehr selten fehlt. Sein Mangel ist ^,„ .,._ ^^^.^^.^^^ Geschlechtsorgane von Eiröhren, ov Ovidukt, j. . ^. ^.^^^.., XU ^^^^^^^. lum seminis mit An- die nicht befruchtungsbedürftig und, durch hangsdrüse, v Vagina, bc Bursa copulatrix. diesen Mangel, auch nicht befruchtungsfähig I " Nach Stein. Aus R. Hertwig. Fig. 25 a. besonders bemerkenswert bei den partheno- ; -^;,;-ius 1^0™ oEirc genetischen Weibchen der Pflanzenlause, igi"' Drüsen, rs Reeeptaculum Geschlechtsorgane der Tiere 1023 eines Wasserkäfers. Das Receptakuhmi (rs) bei den zwitterigen Regenwürmern während nimmt eine Art von zentraler Stellung in ' der gegenseitigen Begattung das Sperma des dem gesamten Apparat ein. Deutlich er- Partners aufzunehmen haben, kennbar ist auch die lange, ihm auf- sitzende Anhangsdrüse, die ein Sekret zur Konservierung des Spermas liefert. Das C W II ^-^ Receptakulum mündet hier nicht direkt ' ^"^ in die Vagina, sondern durch Vermittelung eines später zu besprechenden Nebenorganes i (bc). Figur 25 b zeigt die weiblichen inneren Fig. 25 b. Ausführender Abschnittder weiblichen Geschlechtsorgane von Musea domestica. Od Ovidukt, Rc die drei Receptacula semi- nis, Dr Anhangsdrüse der Vagina, Bl "Blind- säcke. Nach Stein. Aus Claus-Grobben. 1 Geschlechtsorgane einer Stubenfliege. Hier sehen wir drei lange, schlauchförmige Recepta- cula, die mit einigen drüsigen Gebilden zu- sammen unmittelbar in die Vagina ein- münden. Bei Insekten mit häufiger Be- gattung, z. B. der Feldgrille, bildet das Receptakulum des befruchteten Weibchens einen dicken, bis 4 mm im Durchmesser haltenden kugeligen weißen Körper, der bei der Präparation der Genitalorgane sofort auffällt. Ein Receptaculum seminis findet sich unter den Mollusken bei Gasteropoden, und ^- zwar nur selten bei den gonochoristischen, ^, dagegen regelmäßig bei den zwitterigen ^ Formen. Figur 26 zeigt die Geschlechts- ^ Organe von Helix pomatia, der Wein- es bergsschnecke, und man erkennt deut- ^x lieh das durch einen langen Gang in die ) -^^ Scheide mündende, fast kugelige Recepta- i vi^^kulum (rebl.). Der lange Stiel zeigt noch einen gegen das Receptakulum hin gerichteten kleinen Blindsack, Hier haben die Spermato- zoen also einen langen Weg zum und vom Receptakulum zurückzulegen. Die Länge des Receptakulumstieles hängt zusammen mit der gleichfalls sehr bedeutenden Länge i der Spermatophore, des „Capreolus". Bei ' Arten mit kurzem Capreolus(Arion empiri- 1 corum) besitzt auch das Receptakulum einen wesentlich kürzeren Stiel. Anhangsweise sei hier noch erwähnt, daß bei manchen Tierformen eine Art von Samentaschen vorkommt — die auch als solche bezeichnet ! wird — , die nichts mit den bisher beschriebenen Organen zu tun hat, die vielmehr Anhangsgebilde der Vagina darstellr. Es sind dies die von der äußeren Haut gebildeten Samenbehälter, die ^ Flg. 26. Geschlechtsorgane von Helix pomatia. atr Atrium, bft Befruchtungstasche, eiw Eiweiß- drüse, fd fingerförmige Drüsen, fl Flagellum ovid Ovidukt, p Penis, pfs Liebespfeilsack, rebl Endblase des Receptakulum, ret Retractor penis, rst Stiel des Receptakulum, vd, vd' Vas ^ deferens, zd Zwitterdrüse, zg Zwittergang. Nach Meisenheimer. Bei Besprechung der Figur 25 a wurde bereits kurz darauf hingewiesen, daß hier das Receptakulum nicht direkt, sondern unter Vermittelung eines besonderen Organes in die Vagina münde. Dies Organ ist die Begattungstasche, Bursa copnlatrixi), die im wesentlichen eine Besonderheit der Weibchen einiger Insektenarten bildet (ein Gebilde gleichen Namens kommt aber auch bei Turbellarien vor). Unter einer Bursa copulatrix verstehen wir eine be- sonders differenzierte, erweiterte Partie des Endweges des weiblichen Geschlechtstractus, die lediglich zur Aufnahme des Penis während der Begattung bestimmt ist. Sie kommuni- ziert naturgemäß einmal mit dem Ort der Aufbewahrung des Samens, andererseits mit der Begattungsöffnung. So sehen wir auf der Figur 25 a die Bursa gewissermaßen als sehr stark erweiterten Stiel oder Hals des Receptaculum seminis. Man kann im all- gemeinen sagen, daß eine Bursa copulatrix bei Insekten nur da vorkommt, wo ein besonders voluminöses Begattungsorgan vor- handen ist, wie es z. B. bei Käfern der hall 0 Es wurde bereits oben (S. 1014) darauf hin- gewiesen, daß der Name Bursa copulatrix auch für einen äußeren Haftapparat am Schwanzende männlicher Nematoden und Akanthocephalen angewandt wird. 1024 Gesclilechtsorffaue der Tiere ist. Bei den Schmetterlingen ist die Bursa von dem Receptakulum ziemlich weit ent- fernt gelegen, besitzt eine eigene Oeffnung nach außen und einen inneren Leitungsweg zur Samentasche. Die Bursa fehlt bei Aptery- goten und Orthopteren, also den ältesten Insektenordnungen, und muß als eine Neu- erwerbung höher differenzierter Gruppen betrachtet werden. Ihr Vorkommen ist im wesentlichen beschränkt auf die Schmetter- linge und viele Käfer. Bei den Hymenopteren, die ein großes Receptakulum besitzen, fehlt sie. y) Gesonderte Begattungsgänge. Es wurde bereits erwähnt, daß die Bursa copulatrix der Schmetterlinge eine besondere Ausmündung besitzt. Wir haben also hier einen Fall, der sich öfters im Tier- reiche findet, daß der weibliche Genital- apparat zwei verschiedene Oeffnungen nach außen besitzt, von denen die eine nur zur Aufnahme des Spermas (oder des Penis), die andere lediglich als Lege- oder Geburts- öffnung dient. Es ist hiermit, ein höherer Differenzierungsgrad erreicht gegenüber den Formen mit einfacher weiblicher Oeffnung, der aber keineswegs in Einklang zu stehen braucht mit der Gesamthöhe der Organisation des Trägers dieser Organe. Gesonderte Begattungsöffnungen und -wege treffen wir bei einigen Plathelmin- then an. Einige Turbellarien besitzen Begat- tungskanäle, ferner die nuinogeiictischen Tre- matoden, bei denen wiederum unterschieden wird zwischen einer eigentlichen, dem L au r er sehen Kanal der Digenea homologen Vagina und oft paarig auftretenden Ductus vaginales. Auch die Bothriaden unter den Cestoden haben eine von dem Uterus ge- sonderte Vagina, die ausschließlich der Begattung dient, während die Eiablage durch eine selbständige Mündung des Uterus nach außen erfolgt. Bei manchen Zwitterschnecken (triauler Typus der Geschlechtsmündungen) löst sich der Zwittergang in seinen End- partien in drei Gänge auf, einen männlichen, einen ableitenden weiblichen und einen Be- gattungsgang. Bei manchen Insekten sind Begattungsöffnungen vorhanden, die in den Ilauptleitungswog für die Eier münden. So legen Locustiden und Grylliden ihre Eier durch die Legeröhre, während die Spermato- phore in eine gesonderte, an der Legröhren- basis angebrachte Oeffnung eingebracht wird. Bei den Wirbeltieren wird das Sperma immer durch die eileitenden Wege eingeführt. Erwähnt sei noch, daß bei manchen Crusta- ceen (Phyllopoden) zwar eine Befruchtung der Eier im weibhchen Körper stattfindet, aber nicht innerhalb eines zu den Genitalien gehörigen Raumes. Da der in Frage kommende Prozeß gewöhnhch als „Begattung" bezeichnet wird, muß hier auf den Gegenstand kurz eingegangen werden. Der Brutranm der weiblichen Wasser- flöhe liegt streng genommen nicht einmal inner- halb des eigentlichen Rumpfes dieser Tiere, sondern nur zwischen den beiden Schalenklappen, aber außerhalb der Körpermasse. Von der weib- lichen Genitalöffnung aus gelangen die Eier in diesen Schalenraum, und in ihn bringt das Männ- chen bei der Begattung seine außerordentlich großen und in auffallend geringer Zahl vorhan- denen Spermatozoen ein. Diesen Prozeß stellt die Weismann entnommene Figur 27 dar. abd^ Fig. 27. Begattung bei D a p h n i d e n (Lynceiden). Entleerung des Samens sp in den Brutraum des Weibchens $. abd o Hinter- leib des Männchens. Nach Weis mann. 5. Allgemeine Betrachtungen. Ueber- blicken wir die große Formenfülle der tierischen Geschlechtsorgane noch einmal im Zusammenhange, so können wir im ganzen keine absolut stetig fortschreitende Entwickelungsreihe vom Niedrigen zum Höheren, vom Einfacheren zum Differen- zierteren feststellen. Zunächst fehlt uns bei tierischen Organismen eine direkte Ver- bindung zwischen Proto- und Metazoen, wenn uns auch in dieser Beziehung durch das Vorhandensein pflanzlicher Uebergangs- stufen zwischen Ein- und Mehrzelligen die Vorstellung nicht schwer gemacht wird, die wir uns von dem Zustandekommen von Geschlechtsorganen, von Gonaden, machen können. Nehmen wir an, die Metazoen seien aus Protozoenkolonien entstanden — und diese Vorstellung wird sich nicht umgehen lassen — , so können wir uns eine Kolonie von Protozoen denken, die sich ähnlich ver- hält, wie Volvo X unter den Flagellaten (Fig. 28), bei dem innerhalb eines schwimmen- den Stockes von Geißlern bereits somatische, d. h. nicht fortpflanzungsfähige Zellen von Geschlechts-Zellindividuum gesondert sind. Bei höher entwickelten Tierformen, also bei denen, die wir Metazoen nennen, ist der Gegensatz zwischen somatischen und Keim- oder Geschlechtszellen größer s:eworden, die Geschlechtsorgane der Tiere 102r Körperzellen haben sich zu Schichten, zu Keimblättern, geweblich und morphologisch gesondert, und an bestimmten Stellen dieser Körperschichten entstehen Keimzellen. Die primitivsten „Gonaden" verdienen diesen Namen nicht; bei den Cölenteraten tritt eine Lokalisierung der Geschlechtszellen in einem bestimmten Keimblatt und auch eine räum- 5: Fig. 28. Volvox aureus, t große, partheno- genetische Eizellen, 0 befruchtete Eizellen, a männliche Keimzellen in der Entwickelung. Nach Klein und Schenk. Aus Weismann. liehe Konzentration gegenüber den soma- tischen Zellen der Umgebung auf. Bei den Bilateraltieren ist es fast ausnahmslos das Mesoderm, also genau genommen die Schicht zwischen den Keimblättern, das den Go- naden zum Ort ihres ersten Auftretens dient. Nun erhebt sich eine Frage, die neuerdings oft erörtert worden ist. Sind die Keim- zellen und auch die ganzen Gonaden um- gewandelte somatische Zellen, oder stehen sie in einem prinzipiellen Gegensatz zu diesen ? Die Geschlechtszellen müssen nach der oben erörterten Vorstellung schon existiert haben, ehe es Keimblätter gab. Die Frage läßt sich also auch so fassen: entstehen die Keimzellen unabhängig von den somatischen Keimblättern ? Hier kann nur kurz erwähnt werden, daß die Befunde sich mehren, die für eine bejahende Antwort auf diese Frage sprechen, so besonders die von Boveri ent- deckte Tatsache, daß beim Pferdespulwurm, A_scaris megalocephala, die Stammzelle für~die Keimzellen, kenntlicli an ihrem vollen, unverminderten Chromatingehalt, bereits eine der beiden ersten Furchungszellen des Eies ist. Auch anderswo im Tierreich hat man ge- funden, daß viel früher als man sonst an- Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band I\ genommen hatte, oft schon mit oder vor der Sonderung der Keimblätter, die Vor- läufer der Geschlechtszellen erkennbar sind. Das läßt darauf schließen, daß die definitive Gonade zwar der Ort der Ausreifung für die Geschlechtszellen ist, nicht aber mit Notwendigkeit auch ihr erster Entstehungs- ort zu sein braucht. Was die Ausbildung der Gesamtform des Geschlechtsapparates betrifft, so können wir die Beobachtung machen, daß er sich im allgemeinen der des Organismus selbst an- paßt. Radiärer Bau bedingt radiäre An- ordnung der Geschlechtsorgane, bilateraler Bau paarige, Asymmetrie des Körpers ein- seitige Ausbildung der Genitalien. Kompli- zierte Leitungsw^ege fehlen im allgemeinen da, wo die Leistungen der Genitalapparate ein- fach sind, wo weder Begattung noch eine Aufbewahrung der Eier im weiblichen Orga- nismus statthat, wo beiderlei Genitalpro- dukte ins umgebende Wasser entleert werden. Wo aber eine Begattung vorkommt — und das ist in recht bunter Auswahl bei weit voneinander entfernten Tierstämmen der Fall — , pflegt sich der Genitalapparat in seinen Leitungswegen gleich wesentlich zu komplizieren. Das zeigt uns am besten eine Vergleichung zwischen den höchst differen- zierten Cölenteraten und den primitivsten Bilaterien, zwischen den Ctenophoren und Plathelminthen. Beide sind hermaphrodi- tisch, aber diese hermaphroditischen Gonaden bedingen bei den Ctenophoren keinen be- sonderen Leitungsmechanismus, während unter den Plathelminthen, besonders bei parasitischen Formen, eine solche Kompli- kation der leitenden Wege vorhanden ist, wie wir sie vielleicht nur noch bei zwitterigen Mollusken antreffen. Somit öffnet sich" in dem Differenzierungsgrade des gesamten Genitalapparates eine weite Kluft zwischen Cölenteraten und Bilateraltieren, die bisher wohl noch nicht in befriedigender Weise über- brückt ist. Die verschiedenen Stämme der Bilate- ralien haben recht verschiedene Wege in der Entwickelung ihrer Genitalien ein- geschlagen. Die einfachste Methode der Besamung der Eier durch Entleerung der Genitalprodukte ins Wasser findet sich bei wasserlebenden Tieren in weitester Ver- breitung, auch bei solchen, deren Organi- sation keineswegs auf tiefer Stufe steht. Nemertinen, Anneliden, Muscheln, Echino- dermen, Tunicaten, Amphioxus und die Mehrzahl der Anamnier unter den Wirbel- tieren, also Angehörige der verschiedensten Stämme, stimmen in dieser Methode der Eibesamung überein, die sie mit den primi- tivsten Cölenteraten teilen. Es ist schwer zu entscheiden, was im Einzelfalle das Auftreten der Besamung des Eies im weiblichen 65 102G Gesclilechtsors-ane der Tiere Körper veranlaßt hat, kein Zweifel aber ist, daß wir in dieser Art der Besamung einen Fortschritt zu erblicken haben. Das geht vor allem aus der erwähnten Differenzierung ^, ■ , der Genitalapparate solcher Tiere hervor, die ^ >V~iz. B. bei einem Leberegel einen höheren Grad -V erreicht hat als'bei Amphioxus. Wir können sagen, daß überall, wo Tiere eine völlig terrestrische Lebensweise angenommen haben, die innere Besamung und entsprechende Ausgestaltung des Geschlechtsapparates stattfinden mußte. Weshalb aber auch viele Wassertiere, wie Schnecken, Cephalopoden, Selachier, die innere Besamung und mit ihr die Begattung angenommen haben, ist schwerer aus einer zwingenden äußeren Not- wendigkeit abzuleiten. ^ _ Bei Gelegenheit der Besprechung der L >^_-^! Genitalwege der Anneliden (S. 1008) wurde c^ schon darauf hingewiesen, daß bei ihnen ^ Exkretionsorgane in den Dienst der Keira- zellenleitung treten können. Wenn man nun Anneliden und Vertebraten noch so wenig als Verwandte betrachten kann, so ist es doch eine auffallende und interessante Tat- sache, daß auch bei den Wirbeltieren eine enge Verbindung zwischen Exkretions- und Genitalsystem auftritt, und zwar bei den höchstentwickelten Formen, den Säuge- tieren, an zwei verschiedenen Stellen, einer (nur beim Männchen ausgebildeten) zentralen und einer distalen im Sinus urogenitalis. Damit ist aufs neue Gelegenheit zu einer Komplikation gegeben, die bei den Amphi- bien, Sauropsiden und Monotremen durch eine andere ersetzt wird, durch die Ver- bindung zwischen Urogenitalsystem und Enddarm. So kommt es, daß bei "den Wirbel- tieren, auch bei solchen Formen, die einen primitiven Besamungsmodus haben (z. B. den Froschlurchen), das gesamte Leitungs- system für die Geschlechtsprodukte einen hohen Grad von Differenzierung und eine komplizierte Zusammensetzung zeigt. Wenn gesagt wurde, die Gonaden ent- stünden bei Bilaterien aus der Körperschicht, die wir als Mesoderm bezeichnen, so kann hinzugefügt werden, daß auch die Leitungs- wege in ihren inneren Teilen meist meso- dermaler Herkunft sind, daß dagegen zur Ausbildung der Organe, die an der Körper- überfläche liegen, sehr häufig das Ektoderm mit herangezogen wird. Als Beispiel mögen wieder die höheren Vertebraten dienen: Hier entstehen Gonaden und Hauptleitungs- wegc (Müllersche und Wolffsche Gänge) aus dem Mesoderm. Beim Aufbau der Be- gattungsorgane ist in erster Linie das Ekto- derm, bei dem des Sinus urogenitalis das Entoderm beteiligt. So sehen wir in den verschiedenen Aus- bildungsgraden der Genitalapparate eine, {längst nicht immer durch die Funktion für uns hinlänglich erklärbare Fülle von Formen, die sogar zu großen Bauverschiedenheiten zwischen eng verwandten Familien, ja sogar Arten führen kann. Es gibt nahe verwandte Lisektenspecies, die wegen der Verschieden- heit ihrer Begattungsorgane keine Kreuzung eingehen können, und man hat in dieser Verschiedenheit der Geschlechtsorgane das Hauptmittel zur Reinerhaltung der Art er- blickt. Immer aber ist innerhalb der großen Tierstämme die Einheitlichkeit des Gesamt- baues gewahrt, und alle die zahllosen Modi- fikationen können immer nur Variationen eines für jede Klasse, Ordnung usw. gültigen Hauptplanes darstellen. Mehr als andere Organe des Körpers sind die Geschlechtsorgane periodischen Schwan- kungen ihrer Gestaltung unterworfen. Es ist fraglich, ob es Tierformen gibt, die ihr ganzes Leben, von einem einmal erlangten Reifezustand an, gleichmäßig sexuell tätig sind. In der erdrückenden Mehrheit der Fälle trifft dies nicht zu, und dieser sexuelle Rhythmus, der sich, wie schon kurz er- wähnt, zunächst an den Gonaden äußert, kann auch an den peripheren Teilen Er- scheinungen verursachen. Die Verklebung der Scheide mancher Nager wÄteeiid der BrunsTT das periodische Auftreten der Legeröhre des Bitterlingweibchens, das Schwellen der Kloakenlippen der weiblichen Tritonen wäh- rend der Geschlechtstätigkeit gehören hierher. Das zeigt uns wieder, wie die Gonade das in morphologischer wie in biologischer Beziehung eigentliche Zentrum des ganzen Geschlechtsapparates ist, deren Anwesenheit i im Körper (vielleicht durch eine Art innerer i Sekretion) so starke Wirkungen auf den Gesamtorganismus hervorruft, und die auf die ganzen einfachen oder komplizierten Apparate, die immer nur ihre HiKsorgane darstellen, eine regulierende Funktion ausübt. Dabei ist es gleichgültig, ob sie einem männlichen, weiblichen oder zwitterigen Organismus angehört und ob sie selbst in diesem zweiten Fall ein Hode, ein Ovarium oder eine Zwitter- drüse ist. Literatur. Bergmann und Leuckart, Äna- tomitsch-jßhysiologische Uehersicht des Tierreiches. Stuttgart 1882. — H. Blunck, Das Geschlechts- leben des Dytiscus inanjinalis. I. Teil: Die Be- gattung. Zt^chr. f. tviss. ZooL, Bd. 102, 1912, S. 169. — J. E. V. Boas, Zur Iforphologie der Begattungsorgane der amnioten Wirbeltiere. Morphol. Jahrb., Bd. Vj, 1891, S. 271. — E. Bresslau, Der Samenblas6ngang der Bienen- königin. Zool. Anz., Bd. 29, 1905, S. 299. — Claus- Grobben, Lehrbuch der Zoologie, 2. Aufl. Marburg i. H. 1910. — A. Fleischmann, Das allgemeine Resultat meiner Phalhisstudien. Sitzungsber. phys.-med. Sozict. Erlangen, Bd. 38, 1906, iS. 857. — II. Gadow, Remarks on the cloaca and the copulatory organs of Amniota. \ ><( Geschlechtsorgane der Tiere — Greschmack 1027 Phil. Transact. Roy. Soc. London, Vol. 178B, 18S9, p. 5. — C Gegenbatir, Vergleichende Anatomie der Wirbeltiere, Bd. z. Li ij)-:i^ dunkle Fläche gerichtet ist, kann man auf ^ dieser insbesondere die größeren Netzhaut- ^ gefäße sehr deutlich wahrnehmen. Kennt 'i^ man das Ausmaß der Bewegungen der Licht- ^ quelle und die Größe der scheinbaren Be- « wegungen der ..entoptisch" gesehenen Netz- ^ hautgefäße auf der schwarzen Fläche, so ^^ ^ läßt sich daraus der Ort der lichtempfind- ' >> liehen Schicht berechnen. Er entspricht angenähert dem Orte der Stäbchen und Zapfen. V Durch vergleichende Untersuchungen über ^ das Sehen der Tagvögel (s. u.) konnte ich ^ die viel erörterte Frage, welcher Teil der yH Neuroepithelzellen, Innenglied oder Außen- glied, als optischer Empfänger fungiert, dahin entscheiden, daß letzterer in den Außengliedern zu suchen ist. Damit eine Lichtwahrnehmung zustande kommt, ist, wie wir sahen, die Reizung von Stäbchen und Zapfen erforderlich. Sehnerven- fasern und Sehnervenstamm sind nicht durch Licht erregbar, daher vermag in jedem Auge jene etwas nach innen vom hinteren Pole gelegene Stelle der Netzhaut, die dem Eintritte des Sehnerven ins Auge entspricht (s. Fig. 1), kein Licht wahrzunehmen; man nennt sie den blinden oder (nach dem ersten Beobachter der einschlägigen Erscheinungen) Mariott eschen Fleck. Die perzipierenden Elemente vermitteln Lichtwahrnehmungen nicht nur bei Reizung durch Licht, sondern auch bei mechanisclier oder elektrischer Reizung. Die bekannten Lichterscheinungen, die man wahrnimmt, wenn man mit dem Finger einen leichten Druck auf das Auge ausübt, wenn man nießt oder hustet, oder wenn man stärkere zuckende Augenbewe- gungen macht, sind durch solche mechanische Reizung des Neuroepithels bedingt. Geht ein galvanischer Strom durch das iVuge, so erhält man eigenartige Lichterscheinungen, die je nach der Stromrichtung in charak- teristischer Weise verschieden sind. Die ältere Physiologie nahm an, daß auch mechanische Reizung des Sehnervenstammes Lichtempfindung hervorrufe; neuere Unter- suchungen habwi die Irrigkeit dieser Annahme dargetan. Durchsehneidung gesunder Sehnerven, wie sie vonAugenärzten gelegentlich vorgenommen werden muß, ruft keine Lichtempfindung hervor j (die Durchschneidung ist sehr schmerzhaft, da I I die Hüllen des Sehnervenstammes reichlich mit ' sensiblen Nerven versehen sind). / j Die Stäbchen und Zapfen (deren grob anatomisches Verhalten z. B. aus Figur 3 ' zu entnehmen ist) sind nicht gleichmäßig Gesichtssinn 1035 üoer die Netzhaut verteilt; im menschlichen Auge sind die Stäbchen weitaus in der Ueberzahl: man zählt deren scliätzuna;sweise | 130 Millionen gegenüber nur etwa 7 Millionen Zapfen; letztere linden sich vorwiegend in den mittleren Netzhautpartien, in un- mittelbarer Nähe der Stelle des direkten Sehens („Fovea centralis") begegnen wir in einem kleinen Bezirke ausschließlieh Zapfen und zwar solchen mit besonders langen, fast fadenförmigen Außengliedern; (der Durchmesser der letzteren beträgt etwa j 0,004 bis 0,005 mm (über die Frage der | funktionellen Verschiedenheit von Stäbchen und Zapfen siehe weiter unten). Dieses ,,foveale Gebiet" unterscheidet sich von der übrigen Netzhaut dadurch, daß in ihm die (Netzhaut beträchtlich verdünnt und nur etwa 0,1 mm dick ist; sie ist hier durch Ein- lagerung eines diffusen Farbstoffes in mehr oder weniger großer Ausdehnung gelb ge- 1 färbt, daher wird die betreffende Partie als i gelber Fleck oder Macula lutea bezeichnet. | Diese Gelbfärbung ist bei verschiedenen Menschen verschieden stark und nimmt außerhalb des fovealen Gebietes an Inten- sität ziemlich rasch ab. Eine wesentliche Verschiedenheit des chemischen Verhaltens von Stäbchen- und Zapfenaußengliedern ist in folgendem er- kennbar: Die Netzhaut eines lange dunkel gehaltenen Säugetier- oder Froschauges er- scheint, rasch ans Helle gebracht, schön purpurrot: die rote Farbe bleicht im Tages- lichte in wenigen Sekunden aus; sie ist be- dingt durch die Ansammlung eines äußerst lichtempfindlichen roten Farbstoffes („Seh- purpur", Boll, Kühne, 1877) in den x\ußen- 1 gliedern der Stäbchen. Dagegen hat man bis jetzt in den Außengliedern der Zapfen keinen Purpur nachweisen können; auch in den Netzhäuten der vorwiegend oder aus- schließlich Zapfen führenden Augen ver- schiedener Tagvögel und Reptilien ist Seh- purpur bisher nicht gefunden worden. Es ist wahrscheinlich, daß die Ansammlung des Sehpurpurs im Dunkeln das Auge be- sonders geeignet macht, bei schwacher Beleuchtung zu sehen (vgl. auch S. 1050). Verbindung des Auges mit dem Zentralorgan. Die Regungen, die das Licht im optischen Empfangsapparate, also in den Außengliedern der Stäbchen und Zapfen der Netzhaut hervorruft, werden durch die Fasern des Sehnerven dem Zentral- organ zugeleitet. Diese Fasern, die mit den Ganglienzellen der innersten Netzhautschicht in kontinuierlichem Zusammenhange stehen, gehen an einer als Chiasma bezeichneten Stelle an der Basis des Gehirns eine partielle Kreuzung ein, derart, daß die den beiden schläfenwärts gelegenen Netzhauthälften zu- 1 gehörigen Fasern jedes Sehnerven ungekreuzt ' zum Gehirn ziehen, während die den nasen- wärts gelegenen Notzliauthälften zugehörigen Fasern sich im ('iiiasma kreuzen und somit zur gegenüberliegenden Hirnhälfte verlaufen. Daher müssen, wenn zentralwärts von diesem Kreuzungspunkte die Leitungsbahn an irgend- einer Stelle, z. B. in der rechten Hirnhälfte, durch einen krankhaften Prozeß unterbrochen ist, die beiden rechten Netzhauthälften beider Augen funktionsunfähig sein, d. h. es fallen bei solchen Kranken für beide Augen die linken Gesichtsfeldhälften aus (,, homo- nyme Hemianopsie"). Indem man eine genügend große Zahl von Gehirnen anatomisch untersuchte, die von solchen mit Hemianopsie behafteten Kranken herrührten, konnte man den Ver- lauf der Sehfasern im Zentralorgan ziemlich genau verfolgen und feststellen, daß das ,, Sehzentrum", d. i. jene Gruppe von Ganglienzellen der Großhirnrinde, bis zu welchen die Sehfasern verfolgt werden können, an einer bestimmten Stelle des Hinterhauptlappens des Gehirnes gelegen ist, die von der Hirnanatomie als Cuneus be- zeichnet wird. Auch Zerstörung dieser Stelle hat halbseitige Blindheit zur Folge. Wird das Chiasma in seiner Mitte in der Richtung von vorn nach hinten durch- trennt, was z. B. infolge schwerer Ver- letzungen oder durch den Druck von Ge- schwülsten zustande kommen kann, die sich unter dem Chiasma entwickeln, so werden die beiden nasalen Netzhauthälften, also die beiden seitlich gelegenen Gesichts- feldhälften funktionsunfähig. Man bezeichnet die so bedingte Störung als bitemporale oder Scheuklappenhemianopsie. Das Gesagte zeigt, in welcher Weise bestimmte Anomalien des Gesichtsfeldes für die Lokalisation von Krankhcitslioiden im Gehirne verwertet werden können. Die Aderhaut (a, Fig. 2) dient wesentlich der Ernährung der lichtempfindlichen Netz- hautpartien und stellt sich dementsprechend in der Hauptsache als ein außerordentlich gefäßreiches Kapillarnetz dar, das die ge- nügende Zufuhr von Nährmaterial zu jenen garantiert. Der Glaskörper ist nur als ein durchsichtiges Füllmaterial für den zur Er- zeugung geeigneter Bilder auf der Netzhaut erforderlichen Zwischenraum zwischen letzterer und der Linse zu betrachten, die Lederhaut bildet die feste Hülle, die den ganzen, so empfindlichen Apparat zusammen- hält und schützt. Der Eintritt der Strahlen ins Auge wird dadurch ermöglicht, daß an der Vorderseite der Lederhaut eine angenähert kreisförmige Partie von ca. 12 mm Durchmesser durch das nahezu durchsichtige Gewebe der Horn- haut ersetzt ist. 1036 Gresichtssiiin Zwischen Hornhaut und Linse ist die Iris oder Regenbogenhaut in den optischen Apparat eingeschaltet; die von ihr um- schlossene runde Pupille dient wesentlich dazu, die Menge des in das Auge einfallenden Lichtes einigermaßen zu regulieren, indem sie sich bei zunehmender Helligkeit ver- engt, im Dunkeln erweitert. Außerdem hat sie die Aufgabe, die peripheren Partien von Hornhaut und Linse in ihrer optischen Wirkung auszuschalten; diese sind im all- gemeinen wesentlich weniger regelmäßig gewölbt als die mittleren, daher wird ein durch letztere allein entworfenes Netzhaut- bild im allgemeinen schärfer sein als ein solches, an dessen Zustandekommen auch die peripheren Hornhaut- und Linsen- partien beteiligt wären. Damit das vom brechenden Apparate entworfene Bild an der richtigen Stelle, d. i. in der Ebene der Stäbchen und Zapfen zustande kommt, ist erforderlich, daß den Krümmungen der brechenden Medien sowie ihren gegenseitigen Abständen bestimmte Werte zukommen. Die für die Dioptrik des normalen Auges wichtigsten einschlägigen Zahlen sind folgende: v^ mm Der Krümmungsradius der mittleren Hornhautteile beträgt im Mittel ca. 7,8 Der Krümmungsradius der vorderen Linsenfläche im ruhenden Auge 10,00 Der Krümmungsradius der hinteren Linsenfläche . .... . . . 6,00 Die Dicke der Hornhaut in deren Scheitel etwas weniger als 1,00 Die Tiefe der vorderen Kammer, d. i. der Abstand von der hinteren Hornhautfläche zur vorderen Lmsenfläche 2,G Die Dicke der Linse ca. 4,00 Der Abstand der lichtempfindlichen Netzhautschicht vom Scheitel der Hornhaut, d. i. die Achsenlänge des Auges ca. 24,00 Ueber die Schärfe der durch die brechen- den Medien des Auges auf der Netzhaut entworfenen .Bilder herrschen vielfach un- zutreffende Ansichten. Schon die Unregel- mäßigkeiten in der Wölbung der Hornhaut, die auch in ihren am besten gewölbten pupillaren Teilen nicht aplanatisch ist, bedingen eine gewisse, mehr oder weniger große Unscharfe des Netzhautbildes; diese wird noch erhöht durch Unregelmäßigkeiten der Brechung in der Linse, sowohl an deren beiden Flächen als insbesondere in der Linsen- masse selbst: Letztere besteht aus zahl- reichen annähernd konzentrisch umeinander- gelagerten Faserschichten, deren Brechungs- index von der äußersten Rinde zu den mittleren, als Kern bezeichneten Partien allmählich zunimmt; die durch die Linse tretenden Strahlen erfahren bei jedem Ueber- gange von einer Schicht zu einer anderen mit anderem Brechungsindex eine Ablenkung, die zum Teile keine ganz regelmäßige ist und so zu weiterer Unscharfe des Netzhaut- bildes beiträgt. ,An jeder einzelnen Linsen- faser wird (ebenso wie auch in der Hornhaut) eine gewisse Menge Lichtes diffus zerstreut, im Vergleiche mit der Lichtzerstreuung in einer homogenen Glaslinse ist jene in der menschlichen Linse verhältnismäßig groß. Auch der Glaskörper ist nicht vollkommen durchsichtig, sondern enthält, auch im normalen Auge, insbesondere in seinem hinteren Abschnitte feine Trübungen in Form von Flöckchen und Fasern, die ins- besondere bei Betrachtung großer, gleich- mäßig heller Flächen durch die von ihnen auf der Netzhaut entworfenen Schatten sichtbar werden können und unter dem Namen Mouches volantes bekannt sind. Eine weitere Beeinträchtigung der Rein- heit des Netzhautbildes wird dadurch be- dingt, daß die brechenden Medien nicht achromatisch sind. Wenn wir trotz aller dieser Unregel- mäßigkeiten und trotz des entsprechend unscharfen Netzhautbildes doch verhältnis- mäßig scharf zu sehen vermögen, so beruht dies, wie Hering zeigte, wesentlich auf der von ihm als Nebenkontrast bezeichneten und in der Wechselwirkung der Sehfeld- stellen begründeten Eigentümlichkeit unseres Sehorgans, vermöge deren auf der Netzhaut schwächer belichtete Stellen neben stärker belichteten dunkler erscheinen und umgekehrt stärker belichtete neben weniger lichtstarken heller gesehen werden (vgl. auch S. 1048). Die von einem leuchtenden Punkte aus- gehenden Strahlen erfahren an den Rändern der Pupille eine Ablenkung durch Beugung des Lichtes, in deren Folge z. B. bei einem Pupillendurchmesser von 4 mm von einem punktförmigen Objekte ein scheibenförmiges Netzhautbild von ca. 0,0061 mm Durchmesser ! entsteht (die Größe desselben hängt auch von der Wellenlänge des einfallenden Lichtes ab). Nach dem Gesagten ist es physikalisch vollständig ausgeschlossen, daß von einem leuchtenden Objektpunkte auf der Netzhaut ein Bild entstehen kann, das nicht größer ist als der Durchmesser eines einzelnen Zapfenaußengliedes; auch bei genauester Einstellung des Auges auf ein punktförmiges Objekt kommt nicht ein punktförmiges, sondern stets ein scheibenförmiges Netz- Gresichtssinn 1037 hautbild von mehr oder weniger großem Dnrchmesser zustande, dessen Lichtstärke an verschiedenen Punkten des Schcihchons infolge jener unregelmäßigen Lichtbrechung nicht unwesentlich verschieden sein kann. Von dieser ,, Lichtfläche" müssen wir nach Hering die wesentlich durch physiologi- sche Vorgänge bestimmte „Empfindungs- fläche" unterscheiden. Die Helligkeitsver- teilung in der letzteren wird wesentlich beeinflußt durch die eben erwähnte Wechsel- wirkung der Sehfeldstellen, d. i. den auf Kontrast beruhenden subjektiven Hellig- keits- bezw. Dunkelheitszuwuchs an der Grenze von Hell und Dunkel. 2. Akkommodation, Anomalien der Re- fraktion, Sehschärfe. Mit dem photo- graphischen iVpparate hat das Auge auch die Fähigkeit gemein, in verschiedenen Abständen befindliche Gegenstände nach- einander deutlich abzubilden, d. h. auf ver- schiedene Entfernungen einzustellen; bei ersterem geschieht dies bekanntlich durch Aenderung des Abstandes zwischen Objektiv und Mattscheibe, im menschlichen Auge dagegen durch Aenderung der Wölbung, insbesondere der vorderen Linsenfläche. DieseWölbungsänderung(,, Akkommodation") geht im wesentlichen in der folgenden Weise Fig. 5. vor sich: Die Linsenfasern, die von einem zarten homogenen Häutchen, der Linsen- kapsel, umschlossen und zusammengehalten werden, bilden im jugendlichen Alter eine verhältnismäßig weiche Masse, die bei Ein- wirkung äußerer Kräfte entsprechend leicht ihre Gestalt ändert. Zahlreiche feinste radiär verlaufende Fäserchen, das Aufhänge- band der Linse (,,Zonula zinnii") befestigen letztere an dem sie umgebenden Gewebe, dem Ciliarkörper (vgl. auch Fig. 1 und 5). Die dunklen, radiär gestellten Leisten des letzteren sind im wesentlichen für die Er- nährung des Auges und die Produktion der intraokularen Flüssigkeit von großer Be- deutung; außerdem birgt der Ciliarkörper zwei Muskeln, von welchen der eine aus zirkulären Fasern besteht, die einen zum Linsenäquator angenähert konzentrisch ver- laufenden Ring bilden, während die anderen, radiären Muskelfasern von der Grenze zwi- schen Hornhaut und Lederhaut entspringend nach rückwärts ziehen und sich in der Ader- haut ausbreiten. Beide wirken in der Weise, daß durch ihre Zusammenziehung die Fort- sätze des Ciliarkörpers und damit die Ur- sprungsstellen der Zonulafasern dem Linsen- rande genähert werden. Dies führt zu einer Entspannung der Zonulafasern, in deren Folge sich die Linse ihrem stärker gewölbten RuhoBuntnudc nähern muß, und zwar ist} es wesentlich die Vorderfläche der Linse, die bei der Akkommodation stärker gewölbt wird ; der Radius derselben, der im ruhenden Auge ca. 10 mm beträgt, verkleinert sich bei stärkerem Akommodieren im jugend- lichen Auge bis zu einem Werte von nur etwa 6 mm. Die Frage nach dem Mechanismus der Akkommodation im Menschenauge ist lange Zeit Gegenstand lebhafter Erörte- rungen gewesen. Während Helmholtz zuerst die eben erwähnte Ansicht äußerte, daß die Wölbungsvermehrung der Linse Folge einer Entspannung, der Zonula sei, vertreten andere Autoren die Meinung, daß die Akkommodation durch vermehrte Zonulaspannung zustande komme. Den endgültigen Beweis für die Richtigkeit der Helmholtzschen Auffassung konnte ich durch den Nachweis erbringen, daß bei starker willkürlicher oder durch lirampf- gifte (Eserin) hervorgerufener Kontraktion des Ciliarmuskels die Linse der Schwere folgend nach unten sinkt und bei zuckenden Bewegungen des Auges hin- und herschlottert, was natürlich nur bei völliger Erschlaffung der Zonula möglich ist. Helmholtz hatte weiter die Annahme ge- macht, daß die Linse, ihr Aufhängeband und die Aderhaut eine vollständig geschlossene, vom Glaskörper prall ausgefüllte Kapsel bilden sollten und daß der Druck der Flüssigkeit die Spannung der genannten Teüe werde unterhalten müssen. Dieser Teil der Helmholtzschen Theorie ist heute nicht mehr haltbar. Denn hiernach müßte die verminderte Spannung bezw. Entspannung des Aufhängeapparates bei der Akkommodation von einer entsprechenden Herabsetzung des Glaskörperdruckes begleitet sein. Ich konnte aber zeigen, daß die fraglichen Teile bei unver- ändertem Glaskörperdrucke das eine Mal gespannt, das andere Mal völlig entspannt sind. 'J. 1038 Gesichtssinn Der vorher erwähnte Beweis der akkommo- dativen Entspannung des Aufhängeapparates der Linse läßt sich unter anderem durch folgende Versuche erbringen: Jede normale Linse zeigt gewisse Unregelmäßigkeiten ihres Baues in Gestalt kleiner, in oder zwischen den Fasern gelegener Herde oder Kügelchen, die man sich mittels ,, entoptischer" Beob- achtung leicht sichtbar machen kann: Man hält dazu in die Ebene des vorderen Brenn- punktes des Auges (ca. 13 mm vor den Hornhautscheitel) einen schAvarzen Karton, in dessen Mitte sich eine feinste Oeffnung befindet. Die durch diese tretenden Strahlen sind nach der Brechung in der Linse zuein- ander parallel (vgl. Fig. 6), dahfer wird Fig. 6. jede kleine Trübung usw. in der Linse einen entsprechenden Schatten auf die Netzhaut werfen und so im ,, entoptischen Linsenbilde" leicht sichtbar werden. Wenn man nun bei unveränderter Blickrichtung stark akkom- modiert, sieht man das entoptisch gesehene Linsenbild sich in seiner Lage zum Pupillen- bilde verschieben; Analyse und Messung dieser Verschiebungen bei verschiedenen Kopfhaltungen ergibt, daß bei maximalem Akkommodieren die Linse der Schwere nach um ca. ^/i mm heruntersinkt. Der graue Star beruht auf ausgedehnteren Trübungen der lü-istalUinse. Die durch ihn hervorgerufenen Sehstörungen lassen sich bei sonst normalem Auge durch operative Entfer- nung der Linse beseitigen. Ein derartiges star- TV-t^^- operiertes Auge verhält sieh im wesentlichen ■^ wie ein hochgradig übersichtiges; durch Vorsetzen einer passenden Konvexlinse vor das Auge („Starglas") läßt sich die optische Wirkung der aus dem Auge entfernten Kristalllinse ersetzen ; da ein solches staroperiertes Auge natürlich ak- kommodationslos ist, bedarf es, um in verschie- denen Entfernungen scharf zu sehen, verschieden starker Gläser. Für die meisten praktischen Bedürfnisse genügt ein Glas für die Ferne, ein zweites für deutliches Sehen in Leseentfernung. Auch über den x\kkommodationsvorgang in der Tierreihe sind die Meinungen lange geteilt gewesen ; erst die Untersuchungen der letzten Jahre haben hier Klarheit gebracht. kxxi der niedersten Stufe in der Wirbeltier- reihe, beim Amphioxus, stellen sich die Sehorgane als einzelne lichtempfindliche Zellen dar, die zum Teile von Pigment umhüllt I sind. Das Bedürfnis zu einer Einstellung ! auf verschiedene Entfernungen liegt in 1 solchen Augen noch nicht vor. Auf einer etwas höheren Stufe stehen die Augen von Nautilus (Kopffüßer), die im wesentlichen nach dem Prinzip der sogenannten Loch- kamera gebaut sind: Die lichtempfindliche Schicht kleidet die innere Oberfläche eines angenähert kugeligen Hohlraumes aus, der an seiner distalen Seite mit einer kleinen, runden Oeffnung versehen ist. Durch eine I solche Lochkamera werden bekanntlich auch ohne Linse umgekehrte Bilder von der Außen- welt entworfen, doch sind diese im allge- meinen ziemlich lichtschwach; verschieden weit entfernte Gegenstände werden in solchen Augen augenähert gleich scharf auf der Netzhaut abgebildet, daher ist auch hier ein Bedürfnis für akkommodative Aende- rungen noch nicht vorhanden. Ein solches tritt erst ein, wenn verhältnismäßig große Linsen reelle Bilder auf der Netzhaut ent- werfen, die aber nur für einen bestimmten Objektabstand, d. h. für eine bestimmte Einstellung des Auges maximal scharf sind. Solches ist der Fall bei Amphibien, Saur- opsiden und Säugern, unter den Wirbellosen bei den meisten Cephalopoden. Bei Fischen und Amphibien erfolgt die akkommodative Einstellungsänderung durch Aenderung des Abstandes der Linse von der Netzhaut, während die Wölbung der hier sehr harten Linse unverändert bleibt. Das Prinzip der Einstellungsänderung ist also hier im wesentliclien ein ähnliches wie bei unseren gewöhnlichen photographischen Apparaten. Bei den meisten Fischen ist das Auge im Ruhezustande für mehr oder weniger große Nähe eingestellt, durch Kon- traktion eines unten an die Linse tretenden Muskels kann diese der Netzhaut genähert und dadurch das Auge auf größere Ent- fernung eingestellt werden. Bei den Amphibien ist das Auge im Ruhe- zustande auf große Entfernung eingestellt, durch Kontraktion eines Muskels (bei den Anuren) oder zweier Muskeln (bei den Urodelen) wird die Linse von der Netzhaut entfernt und dadurch das Auge auf größere Nähe eingestellt. Bei Reptilien und Vögeln erfolgt, wie ich zeigen konnte, die akkommodative Ein- stellungsänderung in wesentlich anderer Weise und zwar so, daß ein in der Iris nahe deren Wurzel gelegener ringförmiger Muskel, indem er sich kontrahiert, auf die peripheren Teile der hier sehr weichen Linse drückt; dadurch wird diese im Pupillargebiete stark nach vorn gewölbt. Am leichtesten lassen diese interessanten Veränderungen sich bei Tauchervögeln (z. B. beim Kormoran) verfol- gen, da diese, um sowohl in Luft als auch unter AVasser deutlich sehen zu können. Gesichtssinn 1039 eine verhältnismäßig sehr große Akkommo- dationsfähigkeit besitzen müssen. Also nur bei Saiiropsiden und Säugern erfolgt die Akkommodation durch Gestalts- veränderung der Linse, der Mechanismus ist aber bei beiden durchaus verschieden. Bei den Sauropsiden steht die Linse während der Akkommodation unter erhöhtem Drucke und entfernt sich dabei von ihrer weniger stark gewölbten Ruheform, im Säugerauge dagegen steht die Linse während der Akkom- modation unter verringertem Drucke und nähert sich ihrer stärker gewölbten Ruhe- form. Die Fähigkeit der Akkommodation wird beim Menschen mit zunehmendem Alter immer geringer; dies ist aber nicht etwa durch Abnahme der Kraft des Akkommodations- muskels, sondern durch die mit dem Alter zunehmende Härte der Linse bedingt. Die jugendliche Linse bildet, wie wir sahen, eine verhältnismäßig sehr weiche Masse, während die Linse eines 70-jährigen so hart geworden ist, daß sie bei Einwirkung äußerer Kräfte ihre Gestalt nur wenig oder gar nicht mehr ändert. Die Abnahme der Weichheit der Linse mit zunehmendem Alter kommt beim Sehen normaler Augen darin zum Ausdrucke, daß der kleinste Abstand vom Auge, in dem noch scharf gesehen werden kann, mit den Jahren immer größer wird. Wir bezeichnen diese kleinste Entfernung, in der wir z. B. feinste Schrift noch entziffern können, als den Nahepunkt (punctum proximum). Für ein normales Auge liegt dieser z. B. im Alter von 10 Jahren in einem Abstände von ca. 7 cm, das heißt ein solches Auge kann feinste Schrift noch in 7 cm Abstand deutlich lesen. Im Alter von 20 Jahren ist der Nahepunkt schon auf 10 cm, beim 30-jährigen auf ca. 14 cm hinausgerückt, beim 45-jährigen liegt er in ca. 33 cm Entfernung. Da wir beim Lesen und Schreiben das Buch bezw. die Schrift gewöhnlich ca. 30 bis 35 cm entfernt vom Auge halten und da die Ab- y nähme der Weichheit der Linse in ver- schiedenen Augen in sehr ähnlicher Weise vor sich geht, stellen sich bei den meisten >^ Menschen mit normalen Augen um das \45. Jahr die Beschwerden ein, die man als Alterssichtigkeit (Presbjopie) bezeichnet ; s^ diese bedeutet also nicht, wie der Laie viel- ^ fach meint, eine Abnahme der ,, Sehkraft", ^ sondern erklärt sich einfach aus der Zunahme der Härte der Linse; die Störung ist durch passende Gläser leicht zu beheben. Im Alter von 65 bis 70 Jahren ist die Linse so hart geworden, daß sie akkommodativer Gestalts- veränderungen überhaupt nicht mehr fähig ist ; dabei kann sie aber im wesentlichen durchsichtig geblieben und daher die Seh- schärfe des Auges ebenso gut sein, wie früher. I Alles bisher Besprochene gilt für das !,, normale" x\uge. Als normalsichtig oder emme tropisch bezeichnen wir ein Auge, das im Ruhezustande, also bei entspannter i Akkommodation, auf unendhche Entfernung j eingestellt ist, d. h. parallel auf die Hornhaut • fallende Strahlen auf der Netzhaut vereinigt. Es ist dazu erforderlich, daß die Wölbungen von Hornhaut und Linse die oben ange- j führten normalen Werte zeigen und daß das Auge die normale Achsenlänge von 24 mm hat. Ist eine dieser Bedingungen nicht er- füllt, so werden i)arallel auffallende Strahlen im ruhenden Auge nicht auf der Netzhaut vereinigt; man bezeichnet solche Augen als ametropisch. \ K u r z s i c h t i g k e i t. Von den so zustande- ■ kommenden ,, Refraktionsanomalien" interessiert uns hier in erster Linie die Kurz- sichtigkeit oder Myopie. Sie ist allgemein da- durch gekennzeichnet, daß parallel auf das Auge fallende Strahlen vor der Netzhaut zur Vereini- gung kommen, daher in größerer Entfernung befindliche Gegenstände ohne optische Hilfs- mittel nicht deutlich gesehen werden können, wohl aber dem Auge nähere Objekte. Die ! häufigste Ursache der Kurzsichtigkeit ist eine Verlängerung der Augenachse infolge von Dehnung des hinteren Augenabschnittes. Das kurzsichtige Auge braucht also in seiner vorderen Hälfte vom normalen nicht wesent- lich verschieden zu sein, dagegen ist der hintere Abschnitt mehr oder weniger stark und mehr oder weniger unregelmäßig nach hinten ausgebuchtet. In Figur 7 zeigt E das Aussehen eines angenähert normalen, M dasjenige eines hochgradig kurzsichtigen Auges. Von den verhältnismäßig gering- fügigen absoluten Verschiedenheiten, die hier in Betracht kommen, geben folgende Zahlen eine Vorstellung. Ein sonst normales Auge, dessen Achse nur um einen Millimeter größer als normal (also 25 statt 24 mm lang) 1040 Gresichtssinn ist, vermag ohne Glas nur solche Gegen- stände deutlich zu sehen, die 33 cm oder weniger vom Auge entfernt sind. Bei hohen Graden von Kurzsichtigkeit ist die Augen- achse um 6 bis 8 mm oder noch mehr ver- längert, ein derartiges Auge kann ohne Glas nur solche Gegenstände deutlich sehen, die etwa 5 bezw. nur 4 cm von ihm entfernt sind. Wird aus solchen kurzsichtigen Augen die Linse entfernt, wie es z. B. bei der Star- operation der Fall ist, so können sie, sofern sie sonst gesund sind, jetzt ohne BriUe auf größere Entfernungen deutlich sehen, da die auffallenden Strahlen nur noch an der Hornhaut gebrochen werden, deren hintere Brennweite etwa 30 bis 31 • mm beträgt. Auf diesen Umstand hat man den vor etwa 20 Jahren viel erörterten Vorschlag gegründet, aus solchen hochgradig kurzsichtigen (,,achsen- myopischen") Augen die Linse, auch wenn sie völlig klar und durchsichtig ist, zu entfernen (sogenannte operative Behandlung der Myopie). Das Verfahren bringt, wenn es gut gelingt, zweifel- los dem hochgradig Kurzsichtigen wesentliche Vorteile, leider ist es aber nicht ganz ungefährlich, insbesondere wird nach den meisten bisher vor- liegenden Statistiken die Gefahr der Netzhaut- ablösung, die schon für das nicht operierte myo- pische Auge nicht ganz gering ist, durch die Ope- ration noch etwas vergrößert; auch Glaskörper- trübungen und Netzhautveränderungen werden danach nicht selten beobachtet. Diese Umstände sind für die Mehrzahl der Operateure bestimmend gewesen, das Verfahren, das in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts viel geübt worden war, wieder zu verlassen. Die Kurzsichtigkeit durch Achsen Ver- längerung ist nicht ein angeborener, sondern ein erworbener Zustand, d. h. der Myopische kommt im allgemeinen mit normaler Augen- achse zur Welt und erst während des Lebens erfolgt deren allmähliche Verlängerung durch Dehnung des hinteren Abschnittes; in der Regel nimmt diese am meisten etwa zM'ischen dem 8. bis 20. Jahre zu, bei einem kleineren Teile der Kurzsichtigen auch noch im späteren Leben. Der Umstand, daß gerade während der Schulzeit diese ,, Progression der Myopie" auffällig ist, macht es wahr- scheinlich, daß das fortgesetzte Nahesehen hier eine wesentliche Rolle spielt (,, Schul- myopie"), und es ist wohl nicht zweifelhaft, daß, wenngleich auch bei der Landbevölke- rung mit verhältnismäßig kurzem Schul- besuche hochgradige Kurzsichtigkeit vor- kommt, die starke Inanspruchnahme der Augen durch Lesen und Schreiben im Ent- wickelungsalter dem Fortschreiten der Myopie förderlich ist. Die meisten Augenarzte stimmen heute darin überein, daß der wesentlichste die Myopie fördernde Faktor in der Konvergenz der Augenachsen beim Nahesehen zu suchen ist: denn mit dieser [ Konvergenz ist, wie sich leicht nachweisen , läßt, eine deutliche Steigerung des Binnen- ] druckes im Auge verbunden, und unter der längere Zeit andauernden Wirkung dieses Druckes kommt es bei den zu Myopie ., disponierten" Augen zur Dehnung des hinteren Abschnittes. Was wir freilich unter dieser ,, Disposition" zur Myopie zu ver- stehen haben, ist noch nicht genügend geklärt. Einen das Auftreten der Myopie wesentlich begünstigenden Faktor stellt zweifellos die Erblichkeit dar: Für Kinder eines oder zweier kurzsichtiger Eltern ist die Wahrscheinlichkeit, daß sie kurzsichtig werden, viel größer als für die Kinder normal- sichtiger Eltern. Aus dem über den Einfluß der Konvergenz Gesagten ergibt sich, daß Bestrebungen, das Auftreten oder Fortschreiten der Myopie j zu hindern, wesentlich auf eine Minderung der Konvergenz gerichtet sein müssen ; in den Schulen hat dies insbesondere durch möglichst günstige hygienische Bedingungen hinsichtlich Beleuchtung usw., dann durch I tunlichste Einschränkung andauernder Nah- j arbeit zu geschehen, bei den kurzsichtig werdenden oder gewordenen Kindern durch ständiges Tragen angenähert vollkorrigieren- der Gläser, d. h. solcher, die dem Kurzsichtigen das Lesen in größerem iVbstande, also bei möglichst geringer Konvergenz der Augen- achsen gestatten. Uebersichtigkeit. Bei Uebersichtigkeit (Hypermetropie) vereinigen sich die Strahlen im ruhenden Auge hinter der Netzhaut; die häufigste Ursache für diese Anomalie ist eine abnormeKürze der Augenachse. Während aber bei der Myopie nur die Länge des Auges ab- ' norm, und zwar zu groß ist, finden wir im hypermetropischen Auge im allgemeinen alle Durchmesser verkürzt, d. h. das Auge als Ganzes ist etwas zu klein. Während der Kurzsichtige ohne Hilfsmittel in der Ferne überhaupt nicht deutlich sehen kann, ver- mag der Uebersichtige innerhalb gewisser Grenzen (wenigstens in der Jugend) seinen dioptrischen Fehler durch Akkommodation auszugleichen. Die gesteigerte Inanspruch- nahme der Akkommodation beim Ueber- sichtigen führt zu einer Reihe von Störungen, die durch zweckmäßige Behandlung zu einem großen Teile leicht behoben werden können. Insbesondere können verschiedene Formen von Kopfschmerzen, die man früher vielfach als neuralgische usw. aufgefaßt und behandelt hat, wesentlich durch zu starke Inanspruch- nahme der Akkommodation bedingt sein (,, akkommodative Asthenopie"). Astigmatismus. Wir hatten für die bisher besprochenen Refraktionszu- stände angenommen, daß die Wölbung der Hornhaut eine angenähert gleich- Gesichtssinn 1041 mäßig sphärische sei; dies ist aber auch in den als völlig normal zu bezeichnenden Augen nicht der Fall; vielmehr pflegt auch in solchen die Hornhautkrümmung im senkrechten Hornhautschnitte eine etwas stärkere zu sein als im wagerechten; daher wird von einem punktförmigen Objekte auf der Netzhaut nicht wieder ein punkt- förmiges Bild entworfen, weshalb man die fragliche Abweichung als Astigmatismus, bezeichnet; im „normalen" Auge ist dieser so gering, daß er keine für die gewöhnlichen Berufstätigkeiten störende Minderung der Sehscliärfe bedingt; ist dagegen die Differenz in der Ki'ümmung der beiden Hauptschnitte der Hornhaut eine größere, so können da- durch stärkere Störungen (Undeutlichsehen, Verzerrtsehen usw.) hervorgerufen werden, die sich innerhalb ziemlich weiter Grenzen durch geeignete Zylindergläser ausgleichen lassen. Sehschärfe. Die mehr oder minder große Fähigkeit eines Auges, kleine Gegenstände deutlich zu unterscheiden, pflegt man als dessen Sehschärfe zu bezeichnen. Man kann sie ausdrücken durch das ,, kleinste Netzhaut- bild", d. h. den kleinsten Abstand zwischen zwei eben noch gesondert wahrgenommenen Netzhautbildpunkten; die Sehschärfe ist diesem kleinsten Netzhautbilde umgekehrt proportional. Die Größe des letzteren wird bei gleichem optischem Apparate wesenthch beeinflußt durch die Lichtstärke der Objekt- punkte bezw. den Unterschied zwischen der Lichtstärke von Objekt und Grund. i In der Kegel benutzt man als Maß der Sehschärfe die Werte des „kleinsten Ge- sichtswinkels", d. i. des Winkels, welchen die von den beiden Endpunkten des kleinsten Netzhautbildes durch den hinteren Knoten- punkt des schematisclien Auges gezogenen Strahlen einst-liließen. Bei Beobachtum;('ii an dunklen Punkten auf hellem Grunde ergab sich für diesen Winkel ein Mittelwert von ca. einer Minute. Diesem Werte entspricht eine Netzhaut- bildgröße von 0,00430 mm, was ungefähr mit den Werten für die Durchmesser der Zapfen an der Stelle des direkten Sehens übereinstimmt (s. oben). Man bestimmt auf dem eben angeführten Wege, wie Hering hervorhob, nur die Grenze des optischen Auflösungsvermögens, nicht aber die Feinheit des optischen Raumsinnes. Messungen über die kleinsten noch eben erkennbaren Lageverschiedenheiten, wie sie z. B. Wulf ing anstellte, indem er einen feinen Spalt über einem anderen seitlich verschob, ergaben, daß noch Verschiebungen erkannt werden können, die einem Gesichtswinkel von nur 10 bis 12 Sekunden entsprechen. Hering untersuchte die Frage nach den Grenzen der Sehschärfe mit Hilfe des Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV binokularen Sehens, indem er eine Glastafel benutzte, auf der sich jederseits mehrere Gruppen von vertikalen Strichen befanden, deren gegenseitiger Abstand für das eine Auge ziemlich genau 1 mm, für das andere zum Teil um kleine Bruchteile eines Milli- meters kleiner war. Bei binokularer Ver- schmelzung erscheinen einzelne Striche deut- lich näher oder ferner als die benachbarten. Es ergab sich so als Grenzwert des bin- okularen stereoskopischen Sehens ein Winkel von 11 Sekunden; zu ähnhchen, zum Teil noch etwas kleineren Werten war auch Pulfrich gekommen. Hering zeigte, daß auch diese Werte sich nach der üblichen Auffassung der Zapfen als räumhcher Seh- einheiten erklären lassen. 3. Raumsinn, Binokulares Sehen. Aus der Lehre vom Raumsinne des Auges können hier nur einige der wesent- lichsten Fragen berührt werden; zu ein- gehender Orientierung verweisen wir auf die klassische Darstellung von Ewald Hering (1879), dem wir auch auf diesem Gebiete die bedeutendste Förderung verdanken. Unser Sehorgan im weiteren Sinne wird gebildet von den beiden Augen, den beiden Sehnerven und den zugehörigen (d. h. am Zustandekommen der Gesichtswahrnehmun- gen beteihgten) Hirnteilen. Mit Hering bezeichnen wir dieses ganze Organ als ,, Doppelauge" und unterscheiden an ihm den dioptrischen Apparat als das ,, äußere Auge", von dem als ,, inneres Auge" zu be- zeichnenden nervösen Sehorgan. Wenn ein normales Augenpaar nach weit entfernten Gegenständen, z. B. gegen den Sternhimmel, blickt, so tritt in der räum- Hchen Erscheinungsweise der Sterne keine Aenderung ein, wenn eines der Augen ganz oder teilweise verdeckt wird; die Lage der Bilder auf beiden Netzhäuten, bei welcher solches der Fall ist, bezeichnen wir als die korrespondierende, und die Stellen der beiden Netzhäute, auf welchen hierbei das Bild eines und desselben Sternes liegt, nennen wir korrespondierende oder Deck- stellen. Jedem solcher Deckstellenpaare entspricht in einem gegebenen Sehfelde ein und derselbe Ort, an dem die von ihnen ausgelösten Empfindungen erscheinen. Solche zwei Punkte auf beiden Netzhäuten, welche nicht Deckpunkte sind, heißen dis parate; für das Folgende interessieren uns in erster Linie die querdisparaten, das sind solche Punktpaare, die korrespondierenden Quer- schnitten, aber disparaten Längsschnitten der Netzhaut angehören. Ist die Anordnung der korrespondierenden oder Deckpunkte beider Netzhäute bekannt, so läßt sich ermitteln, welche Punkte des Außenraumes für jede bestimmte Augen- 66 1042 Gesichtssinn Stellung auf Deckpunkten zur Abbildung kommen. Man bezeichnet die Gesamtheit der Punkte, die dieser Bedingung entsprechen, als den Horopter. Allgemeine Lösungen der mathematischen Aufgabe des Horopter- problems haben Hering und Helmholtz gegeben. Als empirischen Horopter be- zeichnet man den Inbegriff aller Stellen des binokularen Gesichtsraumes, an welchen für eine gegebene Augenstellung kleine, genügend deutliche Gegenstände nicht in Doppelbildern, sondern einfach gesehen werden. Ueber die Richtung, in welcher die Außendinge gesehen werden, sei aus Herings Untersuchungen nur folgendes angeführt: Wenn wir bei geradeaus gerichtetem Kopfe unsere Gesichtslinien kreuzen, so erscheinen uns Gegenstände, die auf einer der beiden Gesichtslinien sich befinden, also in ganz verschiedenen Richtungen vor dem Kopfe liegen, dennoch in einer und derselben Richtung, und zwar bei symmetrischer Kreuzung der Gesichtslinien auf der schein- baren Medianlinie, d. i. einer etwa von der Mitte zwischen beiden Augendrehpunkten senkrecht zu der letztere verbindenden Linie nach vorn verlaufenden Geraden. Als Hauptsehrichtung bezeichnen wir die Linie, in der alle auf der Stelle des direkten Sehens abgebildeten Gegenstände erscheinen. Auch je zwei anderen korrespondierenden Richtungslinien oder Visirlinien (das sind die Geraden, die einen Außenpunkt mit seinem Bildpunkte auf der Netzhaut verbinden), entspricht im Sehraume eine einfache Seh- richtungslinie, auf welcher alles das gesehen wird, was im Räume auf ersteren gelegen ist. Man kann nach Hering ein annäherndes Bild von den Sehrichtungen erhalten, wenn man sich an Stelle der beiden wirklichen Augen in der Mitte zwischen diesen ein einziges Auge denkt, auf dessen Netzhaut die Netzhautbilder der beiden wirklichen Augen so übertragen sind, daß sie in Beziehung zum horizontalen und vertikalen Mittel- schnitte dieses Mittelauges ebenso angeordnet sind, wie auf jeder Netzhaut in Beziehung zum mittleren Längs- und mittleren Quer- schnitte. Die Richtungslinien in einem solchen imaginären Einauge (,,Cyclopenauge") ent- sprechen dann annähernd den Sehrichtuiigen. Die Stellung der Augen ist abhängig von der Lokalisierung der Aufmerksamkeit; letztere bestimmt zugleich die Lokalisierung des Kernpunktes und damit den scheinbaren Ort des fixierten Objektes. Stellung und Bewegungen der Augen an sich haben somit keinen Einfluß auf die Lokalisierung und sie beeinflussen diese letztere nur scheinbar insoweit, als sie der Ausdruck der jeweiligen Lokalisierung der Aufmerksamkeit und des dadurch bedingten absoluten Raumwertes der NetzhautsteUen sind. Eine derartige Auffassung ist zuerst von Hering vertreten worden, gegenüber der früheren Annahme, nach der die Lokalisierung auf Grund von Muskelempfindungen oder von Innervations- gefühlen der Augenbewegungsmuskeln er- folgen sollte. ,, Denkt man sich, daß der jeweilige Ort der Aufmerksamkeit bedingt ist durch einen bestimmten psycho-physi- schen Prozeß, so kann man diesen Prozeß auch zugleich als das physische Moment gelten lassen, welches die entsprechende Innervation der Augenmuskeln auslöst." Als das Motiv für Augenbewegungen sind also im allgemeinen Ortsveränderungen der Aufmerksamkeit anzusehen, wenngleich es im besonderen Falle möglich ist, die Aufmerk- samkeit wandern zu lassen, ohne daß sofort auch entsprechende Augenbewegungen aus- gelöst werden. Betrachten wir den Sternhimmel, so werden, da die Bilder aller binokular ge- sehenen Objektpunkte angenähert auf Deck- stellen liegen, je zwei Deckstellen in angenähert gleicher Weise gereizt. Fallen dagegen die Bilder von nicht im Horopter gelegenen Dingen auf die Netzhaut, so können Bilder verschiedener Außendinge auf DecksteUen fallen. Von den unter solchen Verhältnissen wahrnehmbaren Erscheinungen seien hier nur die folgenden erwähnt. Bildet sich auf korrespondierenden Netzhautteilen beider- seits ein Grund von derselben Farbe, auf der einen Netzhaut aber zugleich eine gut vom Grunde abstechende Figur ab, so sehen wir letztere im allgemeinen ebenso deuthch, als wenn sie sich zugleich auf der anderen Netzhaut in korrespondierender Weise ab- bildete. Wenn somit auf der einen Netzhaut eine scharfe Grenze zwischen zwei verschie- denfarbigen Flächen liegt, während über die korrespondierende Stelle der anderen Netzhaut das Bild eines gleichartigen Grundes gebreitet ist, so wird im gemeinsamen Ge- sichtsfelde der Grenzkontur sichtbar, weil die dem Kontur angrenzenden Teile des Grundes über die entsprechenden Teile des anderen Netzhautbildes den Sieg davon- tragen und die ihnen entsprechende Empfin- dung gleichsam unterdrücken: ,, Prävalenz der Konturen" (Hering). Verlaufen in beiden Netzhautbildern Konturen so, daß sie nur mit je einem Punkte auf Deckstellen liegen, so scheinen sie zwar an der diesem Deckstellenpaare entsprechenden Stelle des Sehfeldes sich zu durchkreuzen, aber immer so, daß bald der eine Kontur mittels der ihn umsäumenden Teile seines Grundes den anderen unterbricht, bald wieder dieser den ersteren: ,, Wettstreit der Konturen". Die Bedeutung von Prävalenz und Wettstreit der Konturen liegt nach Hering darin, daß durch sie die Fusion beider Netzhaut- Gesichtssinn 1043 bilder verhindert und jedem derselben eine gewisse Selbständigkeit gewahrt wird. Die Querdisparation zusammenge- höriger Netzhautbilder ist von besonderem Interesse durch die Bedeutung, die ihr bei der binokularen Tiefenwahrnehmung zu- kommt. Von den einschlägigen Verhältnissen mögen die folgenden, von Hering angegebe- nen Versuche eine Vorstellung geben: Man blicke durch eine kurze, weite, vor beide iVugen gehaltene Röhre nach zwei matt- schwarzen steifen Drähten, die in vertikaler Stellung auf passenden Stativen (etwa Bleiklötzchen) vor einem gleichmäßigen Hintergrunde verschieblich sind, und fixiere den einen, in mittlerer Sehweite fest- stehenden Draht. Nähert man, während der eine Draht binokular fixiert wird, den zweiten dorn Auge, so liegen dessen Bilder auf disjiaraten Stellen beider Netzhäute, und zwar lialien sie in diesem Falle gekreuzte (ungleichseitige) quere Disparation; befindet sich dagegen der zweite Draht in größerer Entfernung als der fixierte, so haben die zugehörigen Netzhautbilder ungekreuzte (gleichseitige) Disparation. Ueberschreitet die Disparation eine gewisse Größe, so erscheint der Draht in Doppelbildern; im folgenden ist nur von solchen Disparationen die Rede, bei welchen noch nicht doppelt gesehen wird. Die syste- matische Untersuchung in der angedeuteten Weise ergibt, daß alle im Längshoropter gelegenen und daher auf korrespondierenden Längsschnitten abgebildeten Linien oder Punkte mit großer Bestimmtheit in einer Fläche erscheinen, welche entweder eine Ebene oder eine sehr schwach gekrümmte Zylinderfläche ist, sowie daß alle diesseits der Längshoropterfläche gelegenen Punkte oder Linien, deren Netzhautbilder also eine gekreuzte quere Disparation haben, vor jener Fläche erscheinen, dagegen alles jen- seits des Längshoropters Gelegene und des- halb mit ungekreuzter Disparation Abge- bildete hinter der Fläche erscheint, in der das im Längshoropter Gelegene gesehen wird. Letztere Fläche heißt die Kern fläche des Sehraumes; in ihr erscheint alles, was sich korrespondierend oder nur mit Längs- disparation abbildet; sie scheidet im Seh- raume das mit gekreuzter Disparation Ge- sehene von dem mit ungekreuzter Dis- paration Gesehenen; je größer die Quer- disparation eines doppelten Netzhautbildes ist, desto weiter erscheint das entsprechende Sehding hinter oder vor dieser Kernfläehe. Solange man den einen, feststehenden Draht mit beiden Augen fixiert, genügt, wenn der andere vom beobachtenden Augen- paare entfernt oder ihm genähert wird, schon eine sehr geringe Verschiebung, um ihn deutlich näher bezw. ferner erscheinen zu lassen als den anderen. Schließt man dagegen ein iVuge, beobachtet also nur unokular, so begeht man in der Schätzung der gegenseitigen Lage der beiden Drähte überraschend große Fehler. Der geschilderte Versuch, der in der praktischen Augenheil- kunde zur Beantwortung der Frage nach der Tiefenwahrnehmung Augenkranker große Be- deutung erlangt hat, zeigt, daß die Lokali- sierung nach der Tiefe nur bei zweiäugigem Sehen eine sichere, bei einäugigem dagegen sehr unbestimmt ist. r$ Fig. Fig. 8 a. Bringt man (Fig. 8) vor jede der beiden horizontalen, geradeaus gerichteten Gesichts- linien unter einem Winkel von 45" je einen kleinen Spiegel (s und s^) und auf den beiden Ebenen abc und a',b', c' eine in geeigneter Weise hergestellte projektivische Zeichnung eines Außendinges, so erhalten beide Netz- häute das gleiche Bild, wie sie es beim Be- trachten des wirklichen Außendinges selbst haben. Eine solche Vorrichtung, mit deren Hilfe jedem einzelnen Auge ein besonderes Gesichtsfeld geboten wird, der Inhalt beider Gesichtsfelder aber im Sehfelde vereint zur Erscheinung kommt, heißt eine haplo- skopische (Hering). Sie läßt sich unschwer auch zur Beobachtung bei wechselnder Konvergenz der Gesichtslinien herrichten (Fig. 8 a) und eignet sich gut zum Studium der binokularen Verschmelzung korrespon- dierender oder disparater Netzhautbilder bei ruhendem Blicke. Im wesentlichen ähnlichen Aufgaben dienen verschiedene von Wheatstone, Brewster u. A. angegebene stereoskopische Vorrichtungen, mit dem Unterschiede, daß es bei letzteren sich darum handelt, auch bei bewegtem Blicke durch Verschmelzung der beiden Stereoskopbilder 66* 1044 Gresiehtssimi ähnliche oder die gleichen Wahrnehmungen j zu vermitteln, wie die betreffenden wirk- [ liehen Objekte sie vermitteln würden. j Die in den gebräuchlichen Stereoskopen , benutzten Stereoskopbilder müßten, um den wirklichen Objekten räumlich ähnliche Bilder zu geben, bei sehr starker Konvergenz der Gesichtslinien betrachtet werden. Die Be- j trachtung mit geringerer Konvergenz, wie | es bei den üblichen Stereoskopen der Fall ist, führt zu einer Verzerrung der Gegenstände insbesondere nach der Dimension der Tiefe. Bei weit entfernten Gegenständen sind die von ihnen auf beiden Netzhäuten ent- worfenen Bilder nicht wesentlich voneinander verschieden, daher fehlt hier die durch die Disparation vermittelte Wahrnehmung des Reliefs mehr oder weniger vollständig; sie kann aber beträchtlich gesteigert werden, wenn man künstlich den gegenseitigen Ab- stand beider Augen genügend vergrößert, so daß die jetzt von zwei entsprechend weit von- einander entfernten Punkten aufgenommenen Netzhautbilder entsprechend mehr vonein- ander verschieden sind. Hierzu dienen die von Helmholtz angegebenen telestereo- skopischen Vorrichtungen, deren Prinzip nebenstehendes Schema erläutert. Die beiden Spiegelpaare SS bezw. S^S^ bedingen, wie Fig. 9. leicht ersichtlich, daß die auf den beiden Augen 1 und r entworfenen Netzhautbilder so erscheinen, als ständen die Augen so weit voneinander ab, wie L und R der Figur. Die Möglichkeit, auf diese Weise auch für weit entfernte Gegenstände genaue Ent- fernungsmessungen vorzunehmen, hat in neuerer Zeit zur Konstruktion stereosko- pischer Entfernungsmesser geführt. Hierher gehören u. a. die Relieffernrohre von Zeiß, bei deren größtem die beiden Objektive 2 m voneinander entfernt stehen. Auf photographischem Wege erhält man telestereoskopische Bilder, indem man einen entfernten Gegenstand von zwei genügend weit voneinander entfernten Standpunkten aufnimmt. Beträgt der gegenseitige Abstand der beiden Aufnahmepunkte z. B. 65 m, so kann man an passenden Aufnahmen noch auf 2 km Abstand Tiefenunterschiede von 1 m deutlich wahrnehmen. Zur Aus- messung der relativen Abstände der ge- sehenen Gegenstände geht man entweder so vor, daß man unter den beiden Okularen der stereoskopischen Vorrichtung je eine feine Marke anbringt, von welchen die eine gegen die andere meßbar verschoben werden kann (auf diesem Prinzip beruht der viel- benutzte Stereo-Komparator von Pulfrich), oder man bringt an passender Stelle auf einer durchsichtigen Platte zwei Skalen mit verschieden weit voneinander entfernten vertikalen Strichen (s. oben) an. Die binokular gesehenen Striche scheinen in verschiedener Entfernung zu schweben und dienen zur Bestimmung des wirklichen Abstandes der in gleicher Entfernung wie die betreffenden Striche erscheinenden Gegenstände. Die binokulare Tiefenwahrnehmung kommt nach Hering wesentlich dadurch zustande, daß den Deckstellen der Netzhaut zwar identische Breiten- und Höhenwerte zu-, kommen, daß sie dagegen hinsichtlich der Tiefenwahrnehmung nicht gleichwertig sind; vielmehr kommt den von den Deckstellen ausgelösten Empfindungen angeborener- maßen ein verschiedener räumlicher Charak- ter, ein verschiedener „Tiefen wert" zu; Helmholtz nahm zwar gleichfalls an, daß die Tiefenwahrnehmung durch ange- borene Verschiedenheit der Empfindungen zweier Deckstellen ermöglicht werde, glaubte aber, daß die von der rechten Netzhaut ausgelösten Empfindungen sämtlich durch ein unbekanntes Quäle von jenen der linken verschieden seien, welches Quäle aber keinen räumlichen Charakter habe, sondern nur mit dazu benutzt werde, aus der Empfindung die entsprechende räumliche Vorstellung gestalten zu lernen. Jedes einzelne Auge kann durch sechs Muskeln in ansehnlichem Umfange nach verschiedenen Richtungen gedreht werden. Vier von diesen heften sich hinter dem Horn- hautrande oben, unten, innen und außen an die Lederhaut an, sie werden als die vier geraden Augenmuskeln bezeichnet. Weiter dienen der Bewegung des Auges zwei schiefe Muskeln, die von oben innen und von unten innen nach rückwärts verlaufend hinter dem Aequator des Augapfels sich an letzteren anheften. Der oben besprochenen sensorischen Korre- spondenz beider Netzhäute entspricht eine motorische Korrespondenz der beiden Augen: Wir können diese nicht unabhängig von- einander bewegen, vielmehr erfolgen die im Dienste des Sehens erforderlichen Bewegungen beider Augen stets so, wie wenn es sich um ein einziges Organ handelte; ein und der- Gesichtssinn 1045 selbe Willensimpiüs beherrscht beide Augen gleichzeitig (Hering). So heben und senken wir beide Augen gleichzeitig, in analoger Weise geht die Rechts- und Linkswendung vor sich und ebenso erfolgt bei allen, auch bei i unsymmetrischen Konvergenzbewegungen eine auf beiden Augen gleich große Inner- vation zur Mehrung bezw. Minderung der Kon- vergenz. Fixiere ich z. B. einen rechts von mir ziemlich nahe gelegenen Gegenstand, so erfolgt eine derartige unsymmetrische Kon- vergenz; sie kommt dadurch zustande, daß mit dem beiderseits gleich großen Impulse zur Rechtswendung gleichzeitig ein beider- seits gleichgroßer Konvergenzimpuls auf das Augenpaar wirkt. Für das linke Auge addieren sich diese beiden Impulse, während ; für das rechte Auge der Konvergenzimpuls j allein zu einer Linkswendung führen würde, die aber durch den gleichzeitigen Impuls zur Rechtswendung mehr oder weniger aufgehoben wird, so daß das rechte Auge fast oder ganz unbewegt bleiben kann; dadurch entsteht gegebenenfalls der Ein- druck, als wirkte der Bewegungsimpuls nur auf ein einziges (im vorliegenden Falle das linke) Auge. Ebenso wie die Innervation der äußeren erfolgt auch die der inneren Augenmuskeln auf beiden Augen in gleichem Maße: unsere Pupillen sind normalerweise gleich groß und . verengern sich, auch wenn nur ein Auge belichtet wird, beide in wesentlich gleichem Umfange. Entsprechendes gilt von der Akkommodation. Alle diese sowie auch die zwischen Konvergenz- und Akkommodationsinner- vation bestehenden iVssoziationen sind an- geboren, nicht erst im individuellen Leben erworben: Hering hat sie schon bei Neugeborenen nachgewiesen. Für die sen- sorische Korrespondenz war eine derartige Auffassung u. a. schon von Johannes Müller vertreten, später aber vielfach bestritten worden, bis ihr die Heringschen Untersuchungen allgemeine Anerkennung ver- schafften. 4. Störungen der Augenbevi^egungen. Schielen, Störungen der Augenbewegungen und in Zusammenhang damit stehende merk- würdige Störungen des sensorischen Appara- tes können in einer Reihe von Fällen als Folge von Erkrankungen der Augen- bewegungsnerven entstehen. Wir sprechen von paralytischem oder Lähmungsschielen, wenn die motorischen Bahnen einzelner oder mehrerer Augenmuskeln gestört sind und infolgedessen das betroffene Auge im Wirkungsbereiche des erkrankten Nerven weniger als das andere oder gar nicht bewegt werden kann. Die w^esentlichste funktionelle Störung infolge solcher Schwäche oder Lähmung besteht in dem Auftreten von Doppelbildern (zum Teil auch in eigenartigen Orientierungsstöniiigen). Die gegenseitige Lage der Doppcltjihler ist je nach dem ge- lähmten Muskel verschieden und gibt die hauptsächlichsten Anhaltspunkte für die Erkennung des erkrankten Nerven. Eine weitere wichtige Gruppe von Schiel- fällen, die als nicht paralytisches Schielen bezeichnet wird, hat in letzter Linie ihren Grund in folgenden interessanten Be- ziehungen: Wird ein Gegenstand den Augen genähert bezw\ von ihnen entfernt, so ist zu binokularer Fixation desselben eine Mehrung bezw. Minderung der Konvergenz nötig. Die hierzu erforderlichen Augenbewegungen bezeichnen wir als Fusionsbewegungen. Kon- vergiert ein normales Augenpaar auf einen — Meter entfernten Punkt, so bringt es im n allgemeinen auch eine entsprechende Akkom- modationsleistung von n Dioptrien ^auf und umgekehrt erfolgt mit einer Akkommodations- größe von n Dioptrien im allgemeinen auch die Konvergenz auf einen Meter entfernten Punkt; es besteht also ein inniger Zu- sammenhang zwischen der Innervation der Akkoramodationsmuskeln und jener der Ad- duktorengruppe beider Augen, die den Fu- sionsbewegungen dient; dieser Zusammen- hang kann innerhalb gewisser, ziemlich enger Grenzen gelöst werden, den Spielraum, innerhalb dessen diese Lösung erfolgen kann, bezeichnen wir als ,, relative Alikom- modationsbreite" bezw. ,, relative Fusions- breite". Der gleiche Zusammenhang zwischen Konvergenz und Akkommodation (den wir uns als" eine angeborene, sehr innige Asso- ziation vorzustellen haben) besteht auch bei Abweichungen von der normalen Refraktion. Die Lösbarkeit dieses Zusammenhanges er- möglicht, daß auch Augenpaare mit nicht genau emmetropischer Refraktion bei Kon- vergenz auf einen bestimmten Abstand in diesem Abstände noch scharf sehen können und umgekehrt. Ueberschreitet aber die Refraktionsanomalie eine gewisse Höhe, so führt die Schwierigkeit bezw. Unmöglichkeit, den fraglichen Zusammenhang in dem er- forderlichen Maße zu lösen, zu charakte- ristischen Störungen, unter welchen das ins- besondere bei mäßigen und mittleren Ueber- sichtigkeitsgraden oft auftretende Einwärts- schielen das wichtigste ist. Damit der Uebersichtige in einem bestimmten Ab- stände deutlich sehen könne, muß er ent- sprechend stärker akkommodieren als der Normalsichtige ; mit dieser stärkeren Akkom- modation ist eine entsprechend stärkere Konvergenzinnervation verknüpft, so daß nunmehr nur bei einem gewissen, Verhältnis- 1046 Gesichtssinn mäßig hohen Grade von Konvergenz in der gewünschten Entfernnng noch genügend scharf gesehen werden l^ann (auf Einzel- heiten kann nicht eingegangen werden). Daß die Hypermetropie nicht etwa die einzige Ursache des konvergierenden Schielens ist, zeigen uns die nicht eben seltenen Fälle von sol- chem Schielen bei normalem Refraktionszustande. Die anatomischen Verhältnisse, Form, Größe und Oeffnungswinkel der beiden Augenhöhlen, sowie Gestalt vmd Größe der Augen und die Bezieh- ungen der letzteren zur unmittelbaren Umgebung bestimmen die sogenannte Ruhelage, d. i. die- jenige Lage der Augen, die letztere nach Aus- schalten aller nervösen Einflüsse einnehmen würden. Als Orthophorie bezeichnet man jene ideale Ruhelage, bei der ohne alle nervösen Ein- flüsse beide Gesichtslinien parallel geradeaus gerichtet sind ; Abweichungen von dieser Ruheform (,, Heterophorien") können innerhalb ziemlich weiter Grenzen auf nervösem Wege durch den okulomotorischen Apparat im Interesse des bin- okularen Einfachsehens überwunden werden (,, Fu- sionszwang"). Sinkt der Fusionszwang, z. B._ in- folge von Herabsetzung der Sehschärfe eines Auges, über ein bestimmtes Maß, so nehmen die Augen jene Stellung ein, die ihnen vermöge der vorher erwähnten mechanischen Verhältnisse allein zukommt. Bei den infolge von Hypermetropie Schielenden kann in einem Teile der Fälle durch Vorsetzen der korrigierenden Gläser die Schielstellung sofort beseitigt werden; in einem anderen Teile dagegen wird sie so nur etwas verringert oder überhaupt nicht beeinflußt. Häufig ist bei solchen Schielenden die Sehfähigkeit des Schielauges mehr oder weniger stark herabgesetzt, indem die j dauernde Unterdrückung der Eindrücke des Schielauges schließlich zu Schwach- ' sichtigkeit führt, ein Zustand, den man als Amblyopia ex anopsia bezeichnet. Die große praktische Bedeutung dieser Tatsache liegt darin, daß eine derartige, infolge von Nichtgebrauch eingetretene Schwachsichtig- keit durch geeignete Uebung des kranken Auges allmählich gebessert, ja gelegentlich ganz beseitigt werden kann. Der Umfang dieses Verfalles des Sehens durch Nicht- gebrauch ist individuell verschieden, im allgemeinen um so höhergradig und stärker, in je jugendlicherem Alter das Schielen auftritt. Eine erst in den letzten zwei Dezen- nien genauer bekannt gewordene Eigen- tümlichkeit des Sehens Schielender besteht in der Entwickelung einer der Schielstellung angepaßten „anomalen Korrespondenz der Netzhäute". Während bei normaler Korre- spondenz die Erregung zweier Deckstellen in eine und dieselbe Sehrichtung lokalisiert wird, entsprechen bei der anomalen Korre- spondenz der Schielenden den beiden Foveae, ebenso wie auch je zwei anderen zur Fovea gleichliegenden (korrespondierenden) Stellen stets je zwei Sehrichtungen, die um den Betrag des Schielwinkels voneinander abweichen. Die genaue Analyse der einschlägigen Fälle zeigt, daß hier nicht etwa die normale Korrespondenz fehlt und jene anomale sich an deren Stelle entwickelt hat ; vielmehr dürfte die normale Korrespondenz in der Regel in der Anlage vorhanden und nur während des Schielens mehr oder weniger zurückgedrängt sein; unter geeigneten Be- dingungen gelingt es in vielen Fällen, normale Korrespondenz mit ihren charakteristischen Merkmalen auch bei verschiedenen Schiel- formen wieder hervorzurufen. 5. Lichtsinn und Farbensinn. Wir müssen uns begnügen, aus dem weiten Gebiete der Farbenlehre nur einige der wichtigsten Punkte hervorzuheben; wir legen dem Folgenden die klassischen Abhand- lungen Ewald Herings zugrunde, die zu einer tiefgreifenden Umwälzung unserer An- schauungen nicht nur auf dem Gebiete des Lichtsinnes selbst geführt haben, sondern auch für das Verständnis der Vorgänge in der lebenden Substanz überhaupt von ein- schneidendem Einflüsse geworden sind. Ich verweise insbesondere auf seine ,, Lehre vom Lichtsinne" (Sechs Mitteilungen. 1872 bis 1874) und auf die „Grundzüge der Lehre vom Lichtsinne" im Handbuch der gesamten Augenheilkunde (1905 bis 1913). Hering" legt seiner Darstellung die Auf- fassung zugrunde, daß jeder Farbe i) als Seh- qualität in gesetzmäßiger Weise ein bestimm- ter Vorgang in der nervösen Substanz des Sehorganes entspricht. „Bezeichnen wir diejenigen Teile des inneren Auges 2), an deren Zustand die Farben des psychischen Sehfeldes unmittelbar geknüpft sind, als die Sehsubstanz, so dürfen wir sagen, es ent- spricht jeder Farbe eine ganz bestimmte Regung des bezüglichen Teiles dieser Sub- stanz derart, daß Farbe und Regung un- abänderlich aneinander gebunden sind." 1 Während man früher das tiefste Schwarz als die der völligen Ruhe des Sehorganes entsprechende Empfindung und alle zwischen 1) Hering umfaßt alle Qualitäten des Ge- sichtssinnes mit dem einen Wort Farbe und unterscheidet die bunten oder ,, getönten" Farben (Rot, Gelb, Grün, Blau und die Uebergänge zwischen je zwei dieser Sehqualitäten) von der Gruppe der „tonfreien" Farben, welche alle schwarzen, grauen und weißen Farben umfaßt. Die Lehre vom Lichtsinne behandelt die letz- teren, die Lehre vom Farbensinne im engeren Sinne die bunten Farben. 2) Als „inneres Auge" oder somatisches Sehfeld bezeichnet Hering das nervöse Seh- organ, d. i. Netzhaut, Sehnerv und die ent- sprechenden Hirnteile. Gesichtssiim 1047 diesem Schwarz und dem hellsten Weiß liep;enden farblosen Empfindungen nur als Intensitätsstufen einer und derselben Emp- findungsqualität auffaßte, nimmt Hering an, daß jeder farblosen Helligkeitsstufe eine bestimmte Art des Stoffwechsels der Seh- substanz entspricht, dem dunkelsten Schwarz ebensowohl als dem hellsten Weiß. Wie in jeder lebenden Substanz findet nach seiner Auffassung auch in der Se]isul)stanz ein fortwährender Verbrauch (Dissimilation) und Ersatz (Assimilation) statt, und solange beide, stets gleichzeitig verlaufende Prozesse von gleicher Größe sind, ändert die Substanz ihre Beschaffenheit nicht. Jedes Ueberwiegen der Dissimilation über die gleichzeitige Assimilation bedingt eine ,, absteigende", jede überwiegende Assimilation eine ,, auf- steigende" Aenderung, wobei die Substanz ersterenfalls ,,unterwertig", letzterenfalls ,, überwertig" wird. Die unter der Wirkung des Lichtes unterwertig gewordene Seh- substanz verliert mit wachsender Unter- wertigkeit mehr und mehr an Erregbarkeit gegenüber dem Lichte und kehrt nach j Aufhören der Belichtung von selbst durch eine wieder aufsteigende Aenderung in den Zustand der Mittelwertigkeit zurück. Dem durch Gleichheit der Dissimilation und Assimilation gekennzeichneten Zustande entspricht als psychisches Korrelat das mittlere Grau, jeder absteigenden Aenderung eine hellere, jeder aufsteigenden eine dunklere Empfindung derart, daß, je geschwinder die j absteigende Aenderung verläuft, um so größer die ihr entsprechende Helligkeit und Weißlichkeit ist, und daß umgekehrt mit der Geschwindigkeit der aufsteigenden Aende- ! rung die Dunkelheit und Schwärzlichkeit der Empfindung wächst. Somit bedeutet jede im Sehfelde erscheinende tonfreie Farbe, welche heller ist als das mittlere Grau, zugleich eine Art Ermüdung, jede dunklere tonfreie Farbe aber eine Art Erholung der Seh- 1 Substanz. Dissimilation und Assimilation sind sozusagen die beiden Variablen ihres Stoffwechsels, so, wie Weiß und Schwarz die beiden Variablen der Empfindung sind, wenn man sich jede beliebige tonfreie Farbe als ein entsprechendes Gemisch aus Weiß und Schwarz denkt. Die Farben im engeren Sinne, das sind die bunten, lassen sich nach ihrem Farbentone auf einem ,, Farbenzirkel" derart angeordnet denken, daß die Farbentöne überall stetig ineinander übergehen und der Zirkel durch vier Stellen, die Stelle des Urgelb, Urblau, Urrot und Urgrün, die um je 90" voneinander abstehen, in vier Quadranten geteilt wird; das Urgelb und Urblau einerseits, das Urrot und Urgrün andererseits liegen auf diesem Zirkel um je 180° voneinander entfernt einander gegenüber. Als Urgelb bezw. Urblau ist hier jenes bezeichnet, das für den Be- schauer keine Spur von Rötlichkeit oder Grünlichkeit erkennen läßt, als Urrot bezw. Urgrün jenes, das nicht merklich bläulich oder gelblich ist. In einem solchen Farbenzirkel kommt u. a. zum Ausdrucke, daß keine Farbe gleichzeitig rötlich und grünlich, ebenso keine gleichzeitig bläulich und gelblich ist, weshalb Hering die betreffenden Farben als Gegenfarben bezeichnet hat. Es ist danach auch anzunehmen, daß im Auge ein physiologischer Prozeß, dessen psychisches Korrelat von gleichzeitig deut- licher Röte und Grüne bezw. Gilbe und Bläue wäre, entweder gar nicht oder nur unter besonderen, ungewöhnlichen Bedingungen möglich ist. In jeder farbigen Empfindung kann man einen farbigen und einen farblosen Emp- findungsanteil unterscheiden. Das Ver- hältnis der Deutlichkeit, in welchem der farbige Empfindungsanteil zu dem farblosen steht, bestimmt die sogenannte Sättigung der Farbenempfindung; man pflegt eine Farbenempfindung um so gesättigter zu nennen, je mehr der farbige Empfindungs- anteil hervortritt, um so weniger gesättigt, je weißlicher, graulicher oder schwärzlicher sie erscheint. Das mehr oder minder große Vermögen eines Lichtes, farbige Empfindung zu er- zeugen, wird nach Hering als die bunte Valenz dieses Lichtes bezeichnet, zum Unter- schiede von ihrer mehr oder minder großen Weißvalenz. Denn alle farbig wirkenden Lichter haben zugleich eine mehr oder minder große weiße Valenz, und auch ihre bunte Valenz hat im allgemeinen zwei Komponenten, d. h. zwei farbige Valenzen (z. B. Orange eine rote und eine gelbe. Violett eine blaue und eine rote Valenz), mit Ausnahme der- jenigen Lichter, welche eine der vier oben als Urrot, Urgelb, Urgrün, Urblau bezeichneten Empfindungen erzeugen; diese Lichter be- sitzen neben ihrer weißen nur je eine farbige Valenz. Eine blaue und eine gelbe Valenz verhalten sich nach dem oben Gesagten wie zwei Werte von entgegengesetzten Vorzeichen. Man kann beispielsweise die blaue Valenz als positive, die gelbe als negative blaugelbe Valenz bezeichnen. Mischt man ein Licht von gelber Valenz mit einem Lichte von gleich großer blauer Valenz, so heben sich die beiden farbigen Valenzen in ihrer Wirkung auf das Auge auf und es kommt also nur die Summe der weißen Valenzen beider Lichter zur Wirkung, das Mischlicht erscheint farblos (grau oder weiß). Ist die gelbe Valenz des einen Lichtes größer (bezw. kleiner) als die blaue des ande- ren, so wirkt das Mischlicht nur mit dem nicht 1048 Gresiclitssinn aufgehobenen Reste der gelben (bezw. blauen) Valenz und mit der Summe der weißen | Valenzen beider Lichter. i Entsprechendes gilt bei der Mischung j eines Lichtes von roter mit einem von grüner Valenz. Die scheinbare Helligkeit eines farbigen Lichtes hängt ab von seiner weißen sowie von der Art und Größe seiner farbigen j Valenz. Unter sonst gleichen Umständen erscheint ein farbiges Licht von bestimmtem Farbentone um so heller, je größer seine w^eiße Valenz ist. Verschiedenfarbige Lichter von gleich großer weißer und gleich großer farbiger Valenz müssen indes keineswegs gleich hell erseheinen; denn die Helligkeit der Gesamtempfindung wird noch wesent- lich mitbestimmt durch die Art des farbigen (bunten) Empfindungsanteiles. So erscheint ein Gelb deutlich heller als ein Blau von gleicher farbiger und gleicher weißer Valenz, und dasselbe gilt, nur in geringerem Grade, von Rot und Grün. Kontrasterscheinungen. Legt man von zwei gleich grauen Papierscheibchen das eine auf eine schwarze, das andere auf eine weiße Unterlage, so erscheint uns das erstere heller als das letztere ; auf roter Unter- lage erscheint ein gleiches Scheibchen grün- lich, auf blauer gelblich usw. Die hierher gehörigen Erscheinungen faßt man unter dem Namen ,, Kontrast" zusammen (,,Hellig- keits- bezw. Farbenkontrast"). Als reiner Simultan- oder Nebenkontrast sind jene Erscheinungen zu bezeiclmen, die auf- treten, wenn die Beobachtungsdauer eine so kurze bezw. die Versuchsanordnung eine solche ist, daß das Auge während des Versuches keine störenden Bewegungen macht. Als Sukzessivkontrast oder Nach- kontrast dagegen bezeichnet man jene Er- scheinungen, die als Nachwirkung der Be- lichtung einer Netzhautstelle bemerklich werden, sobald die Belichtung der Stelle sich ändert. Letzteres ist z. B. bei Augen- bewegungen der Fall, bei welchen das Netz- hautbild des Objektes während des Versuches seine Lage ändert und damit auf Netzhaut- stellen gelangt, die vorher stärkerer oder schwächerer bezw. andersfarbiger Belichtung ausgesetzt waren. Beim gewöhnlichen Sehen mischt sich infolge der Augenbewe- gungen der Simultankontrast mit dem Sukzessivkontraste, so daß man dabei von einem gemischten Kontraste sprechen kann. Die Erscheinungen des reinen Simultan- kontrastes waren von Helmholt z und seiner Schule als ,, Urteilstäuschungen" aufgefaßt worden, während Plateau und Mach in ihnen den Ausdruck physiologischer Vor- gänge im Sehorgane erblickten. Auch hier verdanken wir E. Herings umfassenden Untersuchungen die wesentlichste Klärunc; durch die experimentelle Feststellung, daß es sich bei den einschlägigen Erscheinungen um eine Wechselwirkung der Sehfeld- stellen handelt. Von großer Bedeutung ist der von ihm erbrachte Nachweis, daß ,,die wichtigsten Folgen jener Wechselwirkungen sich gar nicht in Kontrasterscheinungen, d. h. in dem vermeintlichen Falschsehen der ,wirklichen' Farben der Außendinge äußern, vielmehr gerade das sogenannte Richtigsehen dieser Farben sehr wesentlich j^ mit auf diesen Wechselwirkungen beruht rS» Der Wechselwirkung der somatischen Seh- ^ feldstellen (s^_oben) verdanken wir ferner zu k sK einem wesentlichen Teile sowohl unsere X jO- Sehschärfe als auch die Möglichkeit, die ^^ Außendinge an ihrer Farbe wieder zu er- \ kennen". ^ Unter den Methoden zur Beobachtung ^ der Erscheinungen des Simultankontrastes seien hier nur einige wenige von allge- ^J^ meinerem Literesse angeführt. Herings ,, Doppelzimmeranordnung" besteht in fol- gendem: Ein ebener Scliirm mit passendem Ausschnitte ist zwischen zwei Zimmern senkrecht derart aufgestellt, daß die Licht- stärke des Ausschnittes durch Aenderung der Belichtung einer hinter ihm im zweiten Zimmer passend aufgestellten hellen Fläche, die Lichtstärke des Schirmes selbst aber durch Aenderung der Belichtung in dem vor ihm befindlichen ersten Räume variiert werden kann. Ist der Ausschnitt dauernd durch passende Belichtung der Fläche im hinteren Zimmer mit einer mittleren Licht- stärke bestrahlt, so kann das dem Ausschnitte entsprechende Feld ohne Aenderung seiner eigenen Lichtstärke, durch bloße Aenderung der Lichtstärke der Umgebung (Verdunkelung bezw. Erhellung des vorderen Raumes) bald hell weiß, bald tief schwarz erscheinen. Auch mit noch einfacheren Versuchen läßt sich zeigen, ,,daß bei Tag ein kleines Feld bei passender konstanter Lichtstärke jede zwischen einem nicht allzu tiefen Schwarz und einem ziemlich reinen Weiß liegende tonfreie Farbe annehmen kann, je nachdem seine Umgebung mehr oder weniger lichtstark ist". Der Farbenkontrast bei der eingangs erwähnten einfachen Anordnung (Auflegen grauer Scheibchen auf farbigen Grund) wird eindringlicher, wenn man einerseits die Konturen der Scheibchen, andererseits das Korn des Papieres in passender Weise tunlichst unsichtbar macht; solches kann man z. B. erreichen, indem man sein Auge mit solchen Gläsern bewaffnet, daß es nicht genau auf die fixierte Fläche eingestellt ist, oder indem man über Scheibchen und Grund ein feines Florpapier breitet (,, Florkontrast"). Li vollkommenerer Weise erreicht man das Verschwinden des Kornes durch Benutzung Gesichtssinn 1049 der bekannten Maxwellschen Kreisel- scheiben. Ein besonders eindringliches Verfahren znr Wahrnehmung des Farbenlvontrastes ist das der „farbigen Schatten", die u. a. schon von Lionardo da Vinci und von Goethe studiert wurden; auch hier ver- danken wir Hering die Ausbildung be- sonders wirksamer und vielseitig verwend- barer Methoden. Allen gemeinsam ist das Prinzip, daß zwei verschiedenfarbige, in ihrem Tone leicht veränderbare Lichtquellen von einem passenden Gegenstande (z. B. einem vertikal aufgestellten Stabe oder Lineal) zwei nebeneinander liegende Schatten auf eine weiße Fläche werfen; ist die eine Lichtquelle angenähert farblos, die andere lebhaft gefärbt, so wird die ganze Fläche mit Ausnahme der den beiden Schatten ent- sprechenden Stellen von dem sehr weißlich erscheinenden Mischlichte beider Licht- quellen bestrahlt. Der eine Schatten auf der Fläche entspricht der Stelle, die nur farbiges Licht erhält, der andere jener Stelle, die nur von weiß wirkendem Lichte getroffen wird. Dieser letztere Schatten erscheint ' nun im Nebenkontraste zu dem gefärbten Grunde in der Gegenfarbe zu letzterem. Durch passende kontinuierliche Aenderung der Färbung der einen Lichtquelle in der von Hering vorgeschlagenen Weise läßt sich die im Kontraste erscheinende Farbe des fraglichen Schattens entsprechend konti- nuierlich variieren. Das Heringsche Ver- fahren hat, abgesehen von der überraschenden Eindringlichkeit der hier sichtbaren ,,sub- ! jektiven" Kontrastfarben noch den Vorzug, : zur Untersuchung auf Farbenblindheit usw. j vielfach verwendbar zu sein. I Von leicht zu improvisierenden Methoden zur Beobachtung farbiger Schatten sei nur auf den bekannten Versuch hingewiesen, bei welchem ein Bleistift senkrecht auf eine horizontale weiße Fläche gehalten wird, die von einer Seite von einer Petroleumlampe, von der anderen etwa von passend abgestuftem Tageslichte oder einem Auerbrenner in ge- eigneter Weise bestrahlt ist. Simultaner Grenzkontrast. Als simultanen Grenzkontrast bezeichnet man die Erscheinungen, die sichtbar werden, wenn zwei Felder von verschiedenen Licht- stärken aneinandergrenzen. Bei geeigneter Anordnung sieht man in der Nähe der Grenzlinie am lichtstärkeren Felde eine Zu- nahme seiner Helligkeit, die an der Grenz- linie selbst maximal wird; umgekehrt ist die Helligkeit des lichtschwächeren Feldes an der Grenzlinie am kleinsten und nimmt mit dem Abstände von dieser rasch zu. Diese Erscheinungen, die sich in mannig- fachen Versuchsanordnungen leicht zum Aus- drucke bringen lassen, haben Mach und He- ring darauf zuriickgefüln-t, ,,daß die durch Bestrahlung bedingte Kegung eines Sehfeld- elementes auf die gleiciifalls durch Bestrah- lung gereizten Elemente seiner Umgebung um so stärker wirkt, je näher sie dem ersteren sind." Die scharfen Umrisse, die die Seh- dinge zu zeigen pflegen, sind wesentlich ein Ergebnis dieser Wechselwirkung der Seh- feldstellen. Es wurde schon oben (S. 1036) angedeutet, daß die Genauigkeit der vom dioptrischen Apparate unseres Auges ent- worfenen Netzhautbilder nicht entfernt so groß ist, als vielfach angenommen wird. ,,Das Netzhautbild ist stets verwaschen; gleich dem Photographen aber, der eine mangelhafte Kopie retouchiert, korrigiert die Wechselwirkung das Bild der Außendinge, indem sie dort, wo durch Abirrung Licht verloren geht, den dadurch bedingten Hellig- keitsverlust mehr oder minder entsprechend ersetzt, dort aber, wo das abgeirrte Licht fälschlich hingerät, es durch Verdunklung unschädlich macht. Nicht dem dioptrischen Apparate verdanken wir z. B. die Schwärze und die Deutlichkeit der Umrisse dieser Buch- staben, sondern den Wechselwirkungen im somatischen Sehfelde". Die Auffassung, wonach der Stoffwechsel jedes Elementes der Sehsubstanz auch den Stoffwechsel seiner Umgebung mit beein- flußt, indem die Aenderung des ersteren eine gegensinnige Aenderung des letzteren mit herbeiführt, demgemälB auch umge- kehrt der Stoffwechsel jedes Elementes mitbestimmt wird durch den jeweiligen Stoffwechsel seiner Umgebung, hat Hering in einer umfassenden Darstellung begründet. Die Erscheinungen des Nebenkontrastes sind auch messender Behandlung zugtängig; aus einschlägigen Messungen des farblosen Hellig- keitskontrastes ergibt sich unter anderem, daß eine kleine helle Fläche, die auf einem Grunde von anderer Helligkeit sichtbar gemacht wird, trotz wechselnder Lichtstärke beider Flächen stets den gleichen Helligkeitseindruck gibt, solange die Lichtstärke des Grundes und die Lichtstärke der Fläche in bestimmten, kon- stanten Verhältnissen zunehmen. Adaptative Vorgänge im Seh- organ. Nach dem Vorgange von Aubert bezeichnete man als Adaptation des Auges früher nur die allmähliche Zunahme der Lichtempfindlichkeit beim Aufenthalte in einem sehr schwach oder gar nicht beleuch- teten Kaume, während man die mit wach- sender Beleuchtungsstärke einhergehende Abnahme der Lichtempfindlichkeit als eine bloße Ermüdungserscheinung auffaßte. He- ring zeigte, daß auch diese Abnahme, wie sie z. B. in der Zeit von i\.nbruch des Tages bis zur Mittagshöhe sich entwickelt, auf dem Vermögen des Sehorganes beruht, sich ver- 1050 Gresichtssi schiedenen Stärken der Beleuchtung anzu- passen; er stellte diese Adaptation als ,, Helladaptation" der ,,Dunkeladaptation"' als einen durchaus gleichwertigen Vorgang an die Seite. Unser Sehorgan vermag sich der ver- schiedenen Stärke der im Außenraume herrschenden Beleuchtung in dreifacher Weise anzupassen: Eine Anpassung unseres äußeren Auges (d. i. im wesentlichen des dioptrischen Apparates) erfolgt vermittels der Aenderungen der Pupillenweite; die An- passung des inneren Auges (Netzhaut, Seh- nerv und die entsprechenden Hirnteile), er- folgt in doppelter Weise: Einmal durch die vorher erwähnte Wechselwirkung der soma- tischen Sehfeldstellen aufeinander, dann durch die Zustandsänderungen, welche das soma- tische Sehfeld infolge dauernd stärker oder schwächer werdender Gesamtbelichtung der Netzhaut erfährt. Wir können jene als simul- tane oder Momentananpassung, diese als sukzessive oder Daueranpassung bezeichnen. Die große Bedeutung dieser Selbststeuerungen oder Kegulierungsvorriclitungen für das Sehen liegt unter anderem darin, daß sie es ermöglichen, daß die Außendinge auch bei Aenderung der Belichtung, wenigstens inner- halb gewisser Grenzen, ein ziemlich unver- ändertes Aussehen bewahren: Die schwarzen Buchstaben einer vom Himmel (nicht direkt von der Sonne) beleuchteten Druckschrift waren, wie Hering im besonderen Falle feststellte, bei Mittagsbeleuchtung etwa drei- mal lichtstärker, als bei einer zum bequemen Lesen bereits hinreichenden Morgenbeleuch- tung das weiße Papier; die Lichtstärke des letzteren betrug also morgens nur etwa Vs der Lichtstärke, welche die Buchstaben selbst am Mittag hatten; trotzdem erschienen beide Male die Buchstaben schwarz, das Papier weiß. Treten wir nach längerem Aufenthalte in einem hellen Baume in einen viel schwächer belichteten, so sehen wir bekanntlich zunächst wenig oder fast gar nichts. Bei längerem Aufenthalte im Halbdunkel wächst unser Unterscheidungsvermögen bis zu der durch die herrschende Beleuchtung gezogenen Grenze. Ebenso kann man bei Uebergang aus einem schwach belichteten in einen stark belichteten Raum zunächst nur mangel- haft unterscheiden; auch hier nimmt das Unterscheidungsvermögen erst allmählich zu. Die Helmholt zsche Schule hatte den Zu- stand eines ausgiebig für Hell adaptierten Sehorgans lediglich als „Ermüdungszustand" aufgefaßt. Hering zeigte demgegenüber, daß das vöUig ,,unermüdete", d. h. gut für Dunkel adaptierte Auge im Hellen zunächst sogar geringeres Unterscheidungsvermögen zeigt als das ,, ermüdete". Die verschiedenen Grade der allgemeinen Beleuchtung erfordern also verschiedene Anpassungszustände des Auges, und umgekehrt entspricht jedem Anpassungszustande eine besondere, für diesen Anpassungszustand optimale Beleuch- tungsstärke, wenn das Auge das unter den gegebenen Verhältnissen mögliche Maxi- mum der Deutlichkeit des Sehens erreichen soll. Während die auf Wechselwirkung der Einzelteile der Sehsubstanz beruhende simultane Adaptation ausschließlich in der Sehsubstanz erfolgt, hat an der Daueradap- tation des inneren Auges auch das Sehepithel der Netzhaut einen wesentlichen Anteil. Das Licht, d. h. die optischen Strahlungen, vermögen nicht die nervöse Substanz und also auch nicht die Sehsubstanz, an deren Zustandsänderungen die Empfindungen ge- knüpft sind, direkt zu erregen, sondern tun dies nur unter Vermittlung lichtempfindlicher ,, Empfangsstoffe", welche in den Stäbchen und Zapfen gebildet werden und durch ihre chemische Umsetzung das absorbierte Licht erst zu einem Nervenreize machen. Mit der jeweils in einem Elemente des Sehepithels enthaltenen Menge des Empfangsstoffes wächst die Menge der absorbierten Licht- energie und hiermit auch die Stärke des Reizes, welchen die absorbierte Strahlung auf die Sehsubstanz ausübt. Die Menge des Empfangsstoffes kann nur solange eine kon- stante sein, als die Produktion desselben eben- so groß ist, wie der gleichzeitige, durch das absorbierte Licht bedingte Verbrauch. Ist der letztere größer als die gleichzeitige Neu- bildung, so mindert sich die Menge des Emp- fangsstoffes und mit ihr die Menge der ab- sorbierten Lichtenergie und des Verbrauches so lange, bis Verbrauch und Ersatz wieder gleich werden. Ist jedoch der Verbrauch kleiner als die Produktion, so wächst die Menge des Empfangsstoffes und mit ihr der Verbrauch, bis derselbe wieder gleich groß ist wie die gleichzeitige Produktion. Zu dieser Selbstregelung des Reizes, den bei einer längeren Zeit konstant bleibenden Beleuchtung das Licht mittelbar auf die Sehsubstanz ausübt, gesellt sich nun die Adaptation der letzteren an den konstant gewordenen Reiz. Die Steigerung der Lichtempfindlichkeit, wie sie sich nachts oder bei längerem Aufent- halte in schwach belichteten Räumen voll- zieht, erfolgt nicht an allen Netzhautstellen in gleicher Weise, vielmehr ist sie in den fovealen Netzhautpartien geringer als in der übrigen Netzhaut: Wenn man eine Gruppe von kleinen Aveißen Papiersclieibchen auf scliwarzeui Grunde, die l)ei Tagesbelichtung gleich hell erscheinen, nach längerem Dunkel- aufenthalte bei genügend herabgesetzter Lichtstärke betrachtet, so erscheint jetzt das jeweils fixierte, also foveal abgebildete Gresiolitssinn 1051 Scheibchen weniger hell als die anderen, ja es kann völlig unsichtbar sein, während die übrigen, extrafoveal abgebildeten, noch deutlich gesehen werden. Dies gilt jedoch nur von Objekten, deren Licht Strahlen von kürzerer Wellenlänge und entsprechender Weißvalenz (s. oben) enthält, während spektralrot oder rotgelb erscheinende Dinge beim Fixieren derselben dem dunkeladap- tierten Auge ebenso erscheinen wie bei [ einer nicht allzu indirekten Betrachtung. I Auch hat an dem erwähnten Verschwinden \ farbloser oder vorwiegend kurzwelliges Licht I aussendender Objekte das der lichtempfind- lichen Schicht vorgelagerte und vorwiegend ;V nur kurzwellige Strahlen absorbierende gelbe i ^ Pigment der Macula^ lutea (s. S. 1035) be- deutenden Anteil. Man hat aus derartigen Beobachtungen ^ zu Unrecht geschlossen, daß der foveale Netzhautbezirk adaptativer Aenderungen überhaupt nicht fähig sei; tatsächlich sind solche auch hier unschwer nachweisbar, nur erfolgen sie in geringerem Umfange als auf der übrigen Netzhaut. LokaleAdaptation. Beim gewöhnlichen Sehen ist das Auge in fortwährender, und zwar, wie zuerst Hering gezeigt hat, sprung- weiser Bewegung, so daß bald lichtstärkere, bald lichtschwächere Dinge sich auf derselben Netzhautstelle abbilden. Von einer Adap- tation an eine bestimmte Beleuchtung kann also unter solchen Umständen nur in bezug auf die durchschnittliche Belichtung die Rede sein, welche eine Netzhautstelle dabei empfängt. Wenn wir aber einmal ausnahmsweise das Auge stillstehen lassen, indem wir einen bestimmten Punkt fest zu fixieren suchen, empfängt jede Netzhaut- stelle andauernd die durch die Lichtstärke des auf ihr abgebildeten Außendinges be- dingte Belichtung. Dabei adaptieren sich die einzelnen Sehfeldstellen allmählich an ihre konstante Belichtung derartig, daß die Unterschiede der Helligkeiten, in welchen die bezüglichen Dinge erscheinen, immer kleiner, relativ lichtstärkere dunkler, relativ lichtschwächere heller werden. Bei länger andauerndem Stillstande des Auges ver- schwinden infolgedessen zunächst die schon anfangs sehr kleinen, nur eben merklich gewesenen Unterschiede gänzlich, dann auch anfangs sehr deutlich gewesene, weiterhin immer größere Unterschiede. So wird z. B. ein auf eine weiße Fläche fallender schwacher Schatten bald ganz unsichtbar. Da es aber sehr schwer ist, das Auge längere Zeit ganz still stehen zu lassen, und da bei jeder kleinen Schwankung desselben sich die Bilder der Außendinge auf der Netzhaut verschieben, so läßt sich auf diese Weise die Bedingung einer beliebig lange anhaltenden, ganz konstanten Belichtung begrenzter Netzhautstellen nicht erfüllen. Wäre es möglich, so würden schließ- lich alle und selbst die größten Helligkeits- unterschiede verschwinden und das ganze Sehfeld nur eine und dieselbe mittlere Hellig- keit zeigen. Wenn wir auf eine weit ausgedehnte Fläche von überall gleicher Lichtstärke blicken, so ist das Netzhautbild dieser Fläche keineswegs überall gleich lichtstark; wir sahen schon (s. S. 1034), daß die Blutgefäße / der Netzhaut, weil sie vor der lichtempfind- lichen Netzhautschicht verlaufen, ihren Schatten auf letztere werfen, welcher bei den größeren, fast undurchsichtigen Gefäßen ein recht tiefer ist. Gleichwohl sehen wir auf der betrachteten weißen Fläche nichts von diesen Schatten ; denn da sie trotz aller Bewegungen des Auges immer auf genau denselben Stellen der lichtempfindlichen Schicht bleiben, so sind diese und die zugehörigen Teile der Sehsubstanz für die von der Umgebung ab- weichende schwächere Belichtung adaptiert. Verfinstern wir aber das Auge so lange, bis die Folgen dieser lokalen Adaptation wieder verschwunden sind, und blicken dann auf eine nicht zu lichtschwache Fläche, so können wir den Gefäßbaum und seine stärkeren Aeste sogar schwarz auf derselben Fläche sehen. Wir erwähnten auch schon verschiedene Mittel, um die Schatten der Gefäße von ihrer gewöhnlichen Stelle auf Nachbarstellen rücken zulassen, die noch nicht für die Schatten adaptiert sind ; dann werden sie sofort und jetzt sogar bis in ihre feinsten Verzweigungen sichtbar (Purkinjes Ader- figur). Auch das gelbe Pigment der Macula lutea, welches in der Gegend der Netzhaut- grube der lichtempfindlichen Schicht vor- gelagert ist (s. S. 1035), wirft auf letztere einen gelben Schatten, der unter günstigen Umständen sichtbar wird, für gewöhnlich aber infolge der lokalen Adaptation nicht bemerk- bar ist. Insbesondere auf einer Fläche, welche z. B. für uns blaue, vorwiegend oder ausschließlich kurzwellige, vom gelben Pig- mente stark absorbierte Strahlen ins Auge schickt, kann dieser Schatten als ein dunkler Fleck an derjenigen Stelle der Fläche er- scheinen, auf die man eben blickt. Nachbilder. Es ist auch dem Laien be- kannt, daß die durch das Licht in unserem Sehorgan ausgelösten Vorgänge nach Auf- hören des Lichtreizes noch mehr oder weniger lange Zeit nachwirken können; die mannig- fachen, hierher gehörigen Erscheinungen werden unter dem Namen der Nachbilder zusammengefaßt. Das Studium der ein- schlägigen Fragen ist für das Verständnis gewisser Vorgänge in unserem Sehorgan von besonderem Interesse. Auch hier müssen wir uns auf einige wenige Beispiele be- schränken. 1052 Gesichtssinn Klebt man eine kleine weiße Seheibe auf ein großes, ganz ebenes, graues Blatt, fixiert ihren Mittelpunkt etwa V2 Minute und setzt dann die gemeinsame Beleuchtung der Scheibe und des Blattes stetig, aber nicht allzu geschwind herab, so wird die anfangs weiße Scheibe immer grauer und erscheint bei einer bestimmten Abschwächung der Beleuchtung ebenso grau, wie ihre Um- gebung, ja sie kann jetzt sogar, wenn das Auge ganz unbewegt geblieben ist, infolge der Gleichheit ihrer Farbe mit der des Grundes ganz verschwänden. Nach der Ermüdungs- theorie von Helmholtz, welche noch immer Anhänger hat, sollte dies der Fall sein, weil für die von der weißen Scheibe be- leuchtete Netzhautstelle das Produkt aus der wirkenden Lichtstcärke und der durch Ermüdung stark geminderten Erregbarkeit jetzt gleich sei dem Produkt aus der kleineren Lichtstärke und der wegen der geringeren Ermüdung größer gebliebenen Erregbarkeit auf den von der grauen Fläche beleuchteten Netzhautstellen, kurzum, weil die beiden Lichtstärken und die beiden Erregbarkeiten jetzt umgekehrt proportional seien. Verhielte es sich wirklich so, dann müßten Scheibe und Umgebung auch dann untereinander gleich bleiben, wenn ihre gemeinsame Be- leuchtung wieder beliebig gesteigert wird; es könnte dann nur die auf beiden Teilen gleiche Helligkeit immer größer werden. Wenn man aber die Beleuchtung wieder w^achsen läßt, so wird die Scheibe zusehends wieder heller, und ist die Beleuchtung wieder so gut, wie sie anfangs war, so erscheint auch die Scheibe wieder ebenso weiß auf grauem Grunde, wie zu Beginn des Versuches. Klebt man statt der weißen eine schwarze Scheibe auf das graue Papier und verfährt im übrigen ebenso wie bei Benutzung der weißen Scheibe, so sieht man bei Abschwä- chung der Beleuchtung die schwarze Scheibe immer heller und bei einem bestimmten, aber meist anderen Grade der x\bschwächung als beim ersten Versuche gleichfalls ebenso grau werden wie ihre graue Umgebung. Ver- stärkt man jetzt die Beleuchtung wieder, so wird die Scheibe wieder schwärzHcher und schließlich ebenso schwarz wie sie an- fangs war, sobald die Beleuchtung wieder dieselbe ist wie bei Beginn der Fixierung. Dieser Versuch ist nach der Ermüdungs- theorie noch weniger verständlich, weil hier die bei schwächerer Beleuchtung grau er- scheinende Scheibe bei wachsender Beleuch- tung statt heller zu werden immer schwärzer wird. Es handelt sich hier, wie man sieht, um die oben besprochene lokale Adaptation, auf welcher auch die als negative Nachbilder bekannten Erscheinungen beruhen. Benutzen wir z. B. wieder das graue Blatt mit der kleinen weißen Scheibe, fixieren ihren Mittelpunkt ^/.^ Minute und schieben dann nicht zu geschwind ein zweites ganz ebenes Blatt von derselben grauen Farbe J- ' wie das «äs&eit? über dieses, so sieht man auf '60'^^ dem in Wirklichkeit jetzt überall gleich lichtstarken Papier eine dunklere Scheibe auf hellerem Grunde; machen wir den ana- logen Versuch mit einer schwarzen Scheibe, so sehen wir auf dem übergeschobenen Papier eine hellere Scheibe auf dunklerem Grunde. Wenn man bei den beschriebenen Ver- suchen statt der weißen oder schwarzen Scheibe eine farbige Scheibe auf grauem Grunde benutzt, so erhält man entsprechende Ergebnisse: Fixiert man z. B. während einer halljen Minute oder länger eine gelbe Scheibe auf grauem Grunde und schwächt die Be- leuchtung nicht zu rasch ab, so verliert die Scheibe an Gilbe, wird bei einem gewissen Grade der Abschwächung farblos, laei noch größerer Abschwächung blau, bei wieder ! verstärkter Beleuchtung aber gelb wie an- i fangs. Schiebt man nach längerer Fixierung ! der gelben Scheibe ein zweites graues Blatt über das erste, so sieht man auf demselben I an Stelle der gelben Scheibe eine mehr oder j minder deutlich blaue usf. I x\n Stelle der anfangs gesehenen Farbe tritt allgemein die mehr oder minder genaue Gegenfarbe. Daß meist nicht die genaue Gegenfarbe erscheint, ist darin begründet, daß das Scheibe und Grund beleuchtende ' Himmelslieht selbst nicht ganz farblos ist. Wir nehmen unter gewöhnlichen Umständen diese Farbe nicht wahr, weil sich das Auge an eine allgemeine farbige Beleuchtung des ganzen Gesichtsfeldes ebenfalls rasch adap- tiert. iVuch die folgenden, unschwer festzu- stellenden Tatsachen stehen in unverein- barem Widerspruche zur Ermüdungshypo- ! these. Das Nachbild, das man sich z. B. durch längeres Fixieren einer genügend hellen Scheibe auf dunklem Grunde erzeugt, klingt nach Aufhören der Reizung nicht, wie ! Helmholtz annahm, allmählich bis zur i völligen Unsichtbarkeit ab, vielmehr ist bei I geeigneter Anordnung ein oft sehr deutliches I ,, phasisches" Abklingen nachzuweisen, der- art, daß das nach Aufhören des Lichtreizes w^ahrnehmbare Nachbild zunächst sehr deut- lich sichtbar ist, weiterhin allmählich weniger deutlich, oft vollständig unsichtbar wird, danach aber ein zweites, oft noch ein drittes Mal deutlich hervortritt (wenn auch nicht j gleich deutlich und lebhaft wie das erstemal), ' ehe es dauernd schwindet. Besonders schön und eindringlich läßt I sich dieses phasische Abklingen der Nachbild er beiVersuchen mitkurzdauernder Gesichtssinn 1053 Reizung des Sehorganes wahrnehmen. Es genüge hier die Anführung eines einschlägigen Versuches : Schwingt man eine glühende Kohle im Kreise, so sieht man derselben bekanntlich einen langen leuchtenden Schweif folgen, der oft viele Sekunden sichtbar bleiben kann. Man hatte früher vielfach angenommen, daß die durch die glühende Kohle gesetzte, den ,, primären Reiz" überdauernde Regung im Sehorgan nach Aufhören des Reizes ganz allmählich abnehme, bis sie = Null geworden sei. Demgegenüber haben Plateau und insbesondere Hering darauf hingewiesen, daß auch dieses Abklingen nach momentaner Reizung nicht kontinuierlich erfolgt, sondern deutliche Phasen erkennen läßt. Einzelne hierher gehörige Erscheinungen hatte schon Purkinje beschrieben; die Untersuchungen der letzten Jahre haben ge- lehrt, daß auch schon in dem eben geschilder- ten, einfachsten Falle nach kurzdauernder Reizung mit einer bewegten leuchtenden Fläche sich mehrere helle und dunkle („posi- tive und negative") Nachbildphasen unter- scheiden lassen, von welchen die ersten, der Reizung unmittelbar folgenden sehr rasch ablaufen und entsprechend schwer zu beob- achten sind, während die folgenden, oft viele Sekunden andauernden Phasen bei passen- der Versuchsanordnung verhältnismäßig leicht wahrgenommen werden können. Alle diese Erscheinungen sind mit der ,,Erniü- dungstheorie" nicht vereinbar. Einige hierher gehörige Erscheinungen lassen sich schon mit der folgenden einfachen Anordnung bei einiger Uebung unschwer feststellen. Bewegt man einen ca. 1 cm breiten, 20 cm langen, geraden Streifen aus mattweißem Karton, der z. B. von einer Glühbirne beleuchtet wird, des Abends vor einem dunklen Hintergrunde mäßig rasch vor dem Auge vorüber, so gelingt es bald, hinter dem uns leicht gelblich erschei- nenden Streifen, zu ihm angenälunt ])arallel und durch einen tief dunklen Zwiselienraum von ihm getrennt, in einem Abstände von 1 bis 2 cm einen nicht scharf begrenzten hellen, bläulichen Streifen wahrzunehmen; auf diesen folgt wieder ein dunkler Zwischen- raum, darauf ist wieder eine helle angenähert farblose Nachbildphase sichtbar, die aber weniger hell als die erste und entsprechend weniger leicht sichtbar ist und mehrere Se- kunden lang wahrnehmbar bleiben kann. Bei einiger Uebung kann man nach dieser hellen nochmals eine dunkle, oft viele Se- kunden dauernde Nachbildphase wahr- nehmen. 6. Farbenblindheit. Physiologische Farbenblindheit der peripheren Netz- hau tpartien. Die Fähigkeit der Farben- wahrnehmung kommt nicht allen Stellen der normalen Netzhaut in gleichem Maße zu, vielmehr besitzt nur ein verhältnismäßig kleiner Bezirk an der Stelle des direkten Sehens und in deren nächster Umgebung die Fähigkeit, alle Farben in ,, normaler" Weise wahrzunehmen (von dem Einflüsse des der Fovea und ihrer nächsten Umgebung vorgelagerten gelben Pigments der Macula lutea auf die Farbenwahrnehmung kann hier zunächst abgesehen werden). Schon auf verhältnismäßig wenig von der Fovea- mitte entfernten Netzhautstellen zeigt sich im gesunden Auge eine deutHche Abnahme des Farbensinnes derart, daß zunächst die Fähigkeit, Rot und Grün wahrzunehmen, allmählich und für beide Farben gleichmäßig abnimmt und bei zunehmender Exzentrizität nahezu vollständig schwindet; auf diesen letzteren, als relativ rotgrünblind zu bezeich- nenden Netzhautpartien ist die Fähigkeit Hell und Dunkel sowie Blau und Gelb wahrzunehmen, noch vorhanden, doch er- scheinen blaue und gelbe Objekte hier in weniger freien, d. h. mehr mit Grau ver- hüllten Farben, als unter sonst gleichen Bedingungen auf mehr zentralen Netzhaut- partien. Bei noch mehr indirektem Sehen nimmt auch die Fähigkeit, Blau und Gelb wahrzunehmen, immer mehr ab und geht schließlich so weit verloren, daß die äußerste Netzhautperipherie nur noch die Wahrneh- mung von Hell und Dunkel zu vermitteln vermag. Man kann somit sagen, daß einer- seits der Rotgrünsinn, andererseits der Blaugelbsinn vom Zentrum nach der Peri- pherie der Netzhaut allmählich abnimmt, und zwar ersterer wesentlich rascher als letzterer. Wird daher ein farbiges Objekt von nicht zu großer ,, Sättigung" und Ausdeh- nung auf der äußersten Netzhautperipherie eines normalen Auges zur Abbildung ge- bracht, so erscheint es hier farblos, hell- oder dunkelgrau. Schiebt man es nun all- mählich gegen den Fixierpunkt des unbewegt gehaltenen Auges vor, so wird zunächst nur das in ihm etwa enthaltene Blau und Gelb sichtbar, violette und blaugrüne farbige Objekte erscheinen, mit diesen Netzhaut- steilen gesehen, blau, gelbgrüne und orange- farbige Objekte gelb; erst bei weiterer An- näherung gegen den Fixierpunkt kommt auch das in den farbigen Gegenständen ent- haltene Rot oder Grün zur Wahrnehmung, d. h. sie erscheinen jetzt in ihrer ,, richtigen" Farbe. Vier bestimmte Farben, das den Heringschen Urfarben entsprechende reine Rot, Gelb, Grün und Blau, werden bei zunehmend indirektem Sehen immer mehr mit Grau verhüllt und schließlich ganz farb- los, ohne ihren Ton geändert zu haben, alle übrigen Farben ändern bei zunehmend in- direktem Sehen nicht nur ihre Verhüllung, sondern auch ihren Farbenton, indem sie 1054 Gesichtss: zunächst immer mehr bläulich oder gelblich, Aveiterhin blau oder gelb erseheinen, bevor sie ganz farblos werden. Die Grenzen, die man bei derartigen, als Farbenperimetrie bezeichneten Bestim- mungen für die einzelnen Farben ermittelt, hängen, wie schon angedeutet, von der Aus- dehnung der farbigen Objekte und von der mehr oder minder starken Verhüllung der Farbe mit Weiß, Grau oder Schwarz ab; unter sonst gleichen Verhältnissen erscheint ein farbiges Objekt bei zunehmend indirektem Sehen um so länger annähernd in seiner richtigen Farbe, je freier (,,gesättigter") diese und je größer das Objekt ist Der Frei- heitsgrad der Farbe aber hängt außer von der Zusammensetzung des bezüglichen far- bigen Lichtes auch sehr wesentlich von der Lichtstärke des Grundes ab, auf dem das farbige Objekt erscheint. Ist derselbe dunkel, so verhüllt sich die Farbe infolge des Kon- trastes mit Weiß oder Hellgrau, ist der Grund hell, mit Schwarz oder Dunkelgrau. Am zweckmäßigsten ist deshalb ein grau er- scheinender Grund. Zu vergleichenden Untersuchungen der Gesichtsfeldgrenzen für verschiedene Farben müssen nach dem Gesagten die far- bigen Objekte nicht nur gleiche Größe, son- dern es muß auch ihr Licht die gleiche Zu- sammensetzung und der Untergrund dieselbe Helligkeit haben. Bei den in der Praxis üblichen Methoden der Farbenperimetrie ist diesen letzteren Bedingungen in der Regel nicht genügend Rechnung getragen. Bei Be- stimmung mit den üblichen roten und grünen Pigmenten findet man die Grenzen für Rot weiter als jene für Grün, weil die grünen Pigmente in der Regel mehr mit farbloser Empfindung verhüllt sind, als die meist sehr „gesättigten" roten. Prüft man den Farbensinn bei indirektem Sehen mit Objekten von gleichem farbigem j Reizwert, deren Herstellung auf einem von Hering angegebenen Wege möglich ist, so ergibt sich, daß einerseits die Grenzen für Rot und Grün, andererseits die Grenzen für Blau und Gelb zusammenfallen, d. h. bei zunehmend indirektem Sehen nimmt, wie schon angeführt, einerseits die Fähigkeit Rot und (irüii wahrzunehmen, andererseits die Fähigkeit Blau und Gelb wahrzunehmen, in gleicher Weise ab. Mit zunehmendem Alter wird die menschliche Linse auch im normalen Auge immer mehr gelb- lich gefärbt, bei 60- bis 70-jährigen ist diese Färbung nicht selten sehr ausgesprochen, zu- weilen erscheint dieselbe hier dunkel braungelb. Die dadurch bedingten Störungen des Farben- sinnes kommen hauptsächlich darin zum Aus- drucke, daß Farben, die ein jugendliches Auge schön blau sieht, von Augen mit derartig gelben Linsen mehr blaiigrau oder rein grau ge- sehen werden können. Es ist von Interesse, aus solchen Gesichtspunkten den Aenderungen in der Malweise alternder Maler nachzugehen. Angeborene Farbenblindheit. Es ist lange bekannt, daß manche Menschen zwar Farben wahrzunehmen vermögen, diese aber großenteils wesentlich anders sehen als wir; eine der ersten genaueren Selbstbeob- achtungen bei derartiger ,, partieller Farben- blindheit" verdanken wir dem englischen Chemiker Dal ton. Helmholtz beschrieb verschiedene Arten solcher Farbensinnstö- rungen als Rotblindheit und Grünblindheit, indem er von der Annahme ausging, daß die betreffende Anomalie durch Fehlen einer der drei von ihm angenommenen Faser- arten in der Netzhaut (s. unten) zustande käme. Hering zeigte die Unhaltbarkeit dieser Auffassung und stellte die fundamental wichtige Tatsache fest, daß allen Augen, welchen von Geburt die Fähigkeit fehlt, Rot wahrzunehmen, auch die Fähigkeit der Grünwahrnehmung abgeht und umgekehrt; er bezeichnet dementsprechend solche Kranke als Rotgrün blinde. Bei diesen ist die Fähigkeit Schwarz und Weiß sowie Blau und Gelb wahrzunehmen, im allgemeinen in wesentlich ähnlicher oder gleicher Weise vorhanden wie beim Normalen, während ihnen die Fähigkeit Rot und Grün wahrzu- nehmen, völlig abgeht. Neue Beweise für die Richtigkeit der Heringschen Auffassung erbrachte u. a. die Untersuchung eines Falles von einseitiger Rotgrünbbndheit bei nor- malem zweiten Auge durch A. v. Hippel. Die angeborene Rotgrünblindheit findet sich nach statistischen Erhebungen bei etwa 3 bis 47o aller Männer, während sie merk- würdigerweise bei Frauen viel seltener ist (weniger als l^/o). Man begegnet ihr vielfach in mehreren Generationen einer Familie, wobei im allgemeinen die weiblichen Glieder übersprungen werden, d. h. ein rotgrün- blinder Vater hat eine normalsichtige Tochter, deren männliche Nachkommen wieder die Rotgrünbbndheit zeigen können usw. Die Rotgrünblindheit hat große praktische Bedeutung im Hinblicke auf die verbreitete Benutzung roter und grüner Signallichter im Bahn- und Schiffsdienste; daher wurden zahlreiche Verfahren zur Ermittelung dieser Anomabe angegeben, die hier nicht alle aufzuzählen sind. Nur zwei einfache und leicht anzuwendende Methoden seien kurz besprochen. 1. Die Seebeck sehe Wollprobe besteht im wesentlichen darin, daß dem zu Unter- suchenden aus einer großen Zahl farbiger Wollbündel z. B. ein gelblichrotes gegeben wird mit der Aufforderung, unter den anderen Bündeln die ihm ähnlich oder gleich erschei- nenden auszusuchen und zu dem ersten zu legen. Während der Normale nur die vor- Gesichtssinn 1055 wiegend roten Bündel wählt, legt der Rot- grünblinde auch grüne zu den roten. Zu einem für uns blaßblauen Bündel wird er u. a. für uns bläulichrote legen usw. Wir erfahren so in wenigen Minuten und ohne daß der Untersuchte die Farben der Bündel zu bezeichnen, ja ohne daß er über- haupt zu sprechen braucht, ob er farben- tüchtig ist oder nicht; ein für die meisten praktischen Zwecke nicht ins Gewicht fallender Nachteil dieser Methode besteht darin, daß der Untersuchte solche farbige Bündel zusammenlegen muß, die ihm meist nur ähnlich, aber nicht vollkommen gleich ersclieinen; denn auch wenn man die Zahl der verschiedenen farbigen Wollbündel sehr groß nimmt, werden doch immer nur wenige Bündel, die für den Normalen wesentlich verschieden sind, für den Rotgrünblinden vollkommen gleich sein. Zu wissenschaftlichen Untersuchungen ist die Herstellung genauer, nicht nur ange- näherter Gleichungen erforderlich. Solche lassen sich in einer auch allen praktischen Anforderungen genügenden Weise mittels sinnreicher Apparate herstellen, die von Hering angegeben sind und im wesent- lichen im folgenden bestehen: Es wird für den zu Untersuchenden ein frei rotes Feld (Bestrahlung einer weißen Fläche mittels roten Glaslichtes) sichtbar gemacht, dessen Farbe durch passende Zumischung eines blauen Glasliclites (mittels Verstellung eines Schiebers) in allmäldichen Uebergängen von einem gelblichen Rot durch reines Rot zu bläulichem Rot gewandelt werden kann. Unmittelbar an dieses rote grenzt ein frei grünes Feld, dessen Helligkeit durch Ver- stellung eines zweiten Schiebers innerhalb genügend weiter Grenzen von Hellgrün zu Dunkelgrün gewandelt werden kann. Durch entsprechende Verstellung beider Schieber während der Belichtung lassen sich unschwer ein Rot und ein Grün finden, die für den Rot- griinblinden sowohl in Farbe als in Hellig- keit vollkommen gleich sind, somit genaue Gleichungen zwischen frei farbigen roten und grünen Lichtern herstellen. Die weitere Untersuchung solcher Fälle von Rotgrün blindheit zeigt, daß sie sich nicht alle gleich verhalten; vielmehr kann man im all- gemeinen zwei Gruppen unterscheiden: Die der ersten Gruppe angehörenden Rotgrünblinden stellen ein für uns sehr dunkles Grün bezw. Grau mit einem für uns beträchtlich helleren und leicht ins Gelbe gehenden Rot als gleich ein; m der Gleichung, welche die der zweiten Gruppe An- gehörenden einstellen, erscheint das Grün für uns mit dem Rot angenähert gleich hell, und letzteres spielt für uns leicht ins Bläuliche. Man kann nach Hering die der ersten Gruppe ange- hörenden als relativ blausichtige, die der zweiten Gruppe als relativ gelbsichtige Rotgrünblinde bezeichnen. Nach Vorsetzen eines passenden I gelben Glases vor das Auge eines der ersten Gruppe angehörenden Rotgrünblinden verhält dieser sich im wesentlichen ähnlich wie ein der zweiten Gruppe angehörender. Die von der v. Kriesschen Schule aufge- stellten beiden Gruppen der ,,Protanopen" und ,,Deuteranopen" entsprechen im wesentlichen den hier besprochenen. Auch unter den Farbentüchtigen lassen sich zwei Gruppen als relativ blausichtige und relativ gelbsichtige Normale unterschei- den. Hering hat gezeigt, daß diese beiden Typen in ähnlicher Weise voneinander ver- schieden sind, wie die beiden Typen der Rot- grünblinden. Im Spektrum sehen alle Rotgrünblinde nur zwei Farben, Gelb und Blau. Jene Stelle des Spektrums, welche für uns dem reinen Grün entspricht und welche für den Rot- grünblinden zwischen der gelb erscheinenden und der blau erscheinenden Hälfte liegt, sieht derselbe farblos; sie ist zwischen den Linien b und F des Spektrums gelegen und wird als die neutrale Stelle bezeichnet. Der relativ blausichtige Rotgrünblinde sieht das Spektrum am roten Ende weniger weit als der relativ Gelbsichtige oder als das ge- sunde Auge. Fälle von Blaugelbblindheit bei normalem Rotgrünsinne gehören zu den größten Selten- heiten und haben keine nennenswerte prak- tische Bedeutung. Die angeborene totale Farbenblind- heit ist wesentlich seltener als die angeborene Rotgrünblindheit. Es sind in den letzten 20 Jahren etwa 30 Fälle dieser Anomalie beschrieben worden, deren großes prinzipielles Interesse eine kurze Darstellung wünschens- wert macht. Zum Verständnisse des Folgenden ist die Besprechung einiger Eigentümlichkeiten des Farbensehens normaler Augen erforder- lich, deren Kenntnis wir wiederum Herings klassischen Untersuchungen verdanken. Betrachten wir mit einem an mittlere oder höhere Lichtstärken angepaßten (,, hell- adaptierten") Auge ein lichtstarkes Spektrum, so erscheint uns dieses in der Gegend des Gelb am hellsten, seine Helligkeit nimmt von da nach dem roten Ende ziemlich lang- sam, nach dem kurzwelligen rascher ab. Setzen wir nun die Lichtstärke dieses Spek- trums durch Verengerung des Spaltes ge- nügend herab und betrachten es mit einem durch längeren Dunkelaufenthalt entspre- chend lichtempfindlich gemachten (,, dunkel- adaptierten") Auge, so erscheint uns jetzt das Spektrum als farblos helles Band. Die größte Helligkeit desselben liegt aber jetzt nicht mehr in der Gegend des Gelb, sondern in der Gegend des Gelbgrün bis Grün, etwa entsprechend den Linien E bis b. Sie nimmt von hier nach dem lansf welligen 1056 Gesichtssinn Ende rasch ab, etwas langsamer nach dem Blau und Violett. Die Aenderungen des Helligkeitsverhält- nisses, in dem uns farbige Lichter bei Aende- rung von Lichtstärke und Adaptationszustand erscheinen, werden als Purkinjesehes Phä- nomen bezeichnet; man kann sich dieses besonders eindringlich in einfacher Weise zur Anschauung bringen, indem man etwa zwei Flächen, von welchen die eine mit möglichst gesättigtem, nicht glänzendem rotem Papier vom Tone des Spektralrot oder orangefarbenem, die andere mit ebensolchem blauem Papier bespannt ist, nebeneinander legt und bei verschiedenen Lichtstärken und Adaptationszuständen betrachtet: Bei passender Wahl beider Papiere erscheint dem helladaptierten, bei höheren Lichtstärken sehenden Auge das Rot oder Orange deutlich, zum Teile beträchtlich heller als das Blau, während bei genügend herabgesetzter Licht- stärke dem dunkeladaptierten Auge das nun farblos erscheinende Rot als tief dunkles, fast schwarzes Grau, das Blau daneben als beträchtlich helleres Grau erscheint. Hering zeigte nun in berühmt gewordenen Untersuchungen, daß der total farben- blinde Mensch das Spektrum bei allen Lichtstärken so sieht, wie der normale dunkeladaptierte bei pas- send herabgesetzter Licrhtstärke. Gleichungen, clie der total Farbenblinde zwischen zwei beliebigen farbigen oder zwi- schen einem farbigen und einem farblos grauen Lichte herstellt, stimmen annähernd oder genau auch für das dunkel adaptierte bei geringen Lichtstärken sehende Auge des Nor- malen. In Laienkreisen ist vielfach die Meinung ver- breitet, der total Farbenblinde vermöge über- haupt keinen Unterschied zwischen verschie- denen Farben wahrzunehmen. Dies ist, wie schon das vorhergehende zeigt, irrig; auch der total Farbenblinde besitzt bis zu einem gewissen Grade das Vermögen, Farben zu unterscheiden, nur unterscheiden sich für ihn die verschiedenen farbigen Lichter nicht durch ihre Farbe, sondern durch ihre verschiedene Helligkeit: Legen wir ihm z. B. ein für uns schön rotes und ein grünes Papier vor, so erscheint ihm ersteres tief dunkel, fast schwarz, letzteres im allgemeinen viel heller grau, fast weiß. Fordert man ihn auf, aus einer Keihe farbiger Papiere die roten zu wählen, so trifft er dies oft richtig, indem er die für ihn dunkelsten wählt, und erweckt dadurch den Anschein einer gewissen Fähigkeit der Farben- wahrnehmung. Legt man ihm aber außer den farbigen auch noch dunkelgraue, bezw. fast schwarze Papiere vor, so vermag er diese von den roten nicht zu unterscheiden, ebenso be- stimmte hellgraue nicht von grünen Papieren usw. Die Frage nach dem Farbensinne bei Tieren ist erst in den letzten Jahren mit Hilfe der Methoden der wissenschaftlichen Farbenlehre in Angriff genommen worden. 1 Dabei hat sich im wesentlichen folgendes j ergeben : Die Amphibien, Reptilien, Vögel I und Säuger verhielten sich in allen von mir angestellten Versuchen so, wie es der Fall sein muß, wenn ihre Sehqualitäten ähnliche oder die gleichen sind, wie die eines normalen Menschen. Die Reptilien und Vögel verhielten sich im wesentlichen so, wie ein normaler ! Mensch, der sein Auge mit einem passenden rötlichgelben Glase bewaffnet. Die Erklärung für dieses eigentümliche Verhalten ist darin : zu sehen, daß hier, bei den Sauropsiden, zwischen den Innengliedern und den Außen- } gliedern der Netzhautzapfen sich farbige, vorwiegend gelbe und rote Oelkugeln finden, j so daß zu den Außengliedern der Zapfen vorwiegend nur die langwelligen Strahlen j des Spektrums gelangen können, die nicht I von jenem, dem optischen Empfangsapparate vorgelagerten rotgelben Farbfilter absorbiert werden. Diese Untersuchungen wurden zum Teile so angestellt, daß den Tieren als Futter weiße Reiskörner usw. geboten wurden, die auf schwar- zer Unterlage ausgestreut und durch die Strahlen eines geeigneten Spektrums gefärbt waren; es : ergab sich entsprechend dem eben Gesagten z. B. für Huhn und Schildkröte eine beträchtliche Verkürzung des Spektrums am kurzwelligen (violetten) Ende. Die bisher untersuchten Fische und sämtliche bisher untersuchten Wirbellosen I verhielten sich bei allen von mir angestellten Versuchen so, wie es der Fall sein muß, wenn ihre Sehqualitäten ähnliche oder die gleichen sind, wie die eines total farbenblinden Menschen. In besonders eindringlicher i Weise läßt sich solches bei jungen Fischen : und kleinen Krebsarten zeigen, die die Eigen- tümlichkeit haben, stets nach der für sie ; hellsten Stelle ihres Behälters zu schwimmen. j In einem passenden Behälter ins Spektrum I gebracht, schwimmen sie rasch nach der I Gegend des Gelbgrün bis Grün; stellt man Gleichungen in der Weise her, daß man die eine Haßte des Behälters mit einem be- stimmten homogenen, die andere mit einem meßbar variablen Mischlichte bestrahlt, so zeigt sich, daß die Lichtstärken beider I Lichter, bei welchen die zum Hellen schwim- [ menden Tiere sich in angenähert gleicher Weise in beiden BassinhäKten verteilen, an- nähernd odergenaumitjenenübereinstimmen, bei welchen die beiden Lichter dem total I farbenblinden Menschenauge gleich hell er- scheinen. xVuch bei Fütterungsversuchen an erwachsenen Fischen läßt sich in zum Teil überraschender Weise zeigen, daß vor- wiegciul rote, unserem normalen Auge sehr i hell erscheinende Lichter für das Fischauge j ebenso wie für den total farbenblinden Menschen (siehe oben) einen äußerst ge- ringen Helligkeitswert besitzen. Gesichtssinn 1057 Die Untersuchung des Lichtsinnes bei hiftlebenden Wirbellosen läßt sich für manche Arten in ähnlicher Weise durchführen wie bei den Fischen, da auch z. B. manche Raupen, Bienen, Käfer, Mücken und andere eiue ausgesprochene Neigung zeigen, den für sie jeweils hellsten Teil ihres Behälters aufzusuchen. Bei anderen Arten, wie Cephalo- poden, führt die Untersuchung des Pupillen- spieles bei Bestrahlung mit verschiedenen spektralen Lichtern zu interessanten Ergeb- nissen, Manche Muscheln besitzen einen ,,Sipho", d. i. eine weiße oder etwas pigmen- tierte häutige Röhre, die sie, wenn sie un- gestört sind, zwischen ihren Schalen hervor- strecken; bei Belichtung ziehen sie dieselbe ein, im allgemeinen um so stärker, je heller das Reizlicht für sie ist. Auch für diese Siphonen, an welchen besondere lichtemp- findliche Elemente anatomisch bisher nicht nachgewiesen sind, haben die verschiedenen homogenen Lichter ähnliche oder gleiche relative Helligkeitswerte wie für den total farbenblinden Menschen. Besonderes Interesse bietet ferner der Nachweis, daß bei allen eben besprochenen Tieren sich ausgiebige adaptativeAenderungen nachweisen lassen, derart, daß nach längerem Dunkelaufenthalte zur Auslösung bestimmter Reaktionen auf Belichtung eine wesentlich, zum Teile um das Vieltausendfache kleinere Lichtstärke genügt, wie nach längerem Aufenthalte im Hellen. 7. Theorien des Licht- und Farben- sinnes. Die Frage nach einer funk- tionellen Verschiedenheit zwischen den Stäbchen und Zapfen der Netz- haut hat zuerst Max Schnitze (1866) aufgeworfen; er machte die Annahme, daß die Stäbchen nur farblose Empfin- dungen vermitteln, die Zapfen daneben auch farbige Empfindungen, letztere stellten also gewissermaßen eine höhere Entwickelungsstufe der Stäbchen dar. Er gründete seine Auffassung teils auf die Ab- nahme des Farbensinnes von den mittleren relativ zapfenreichen Netzhautpartien nach der stäbchenreicheren Netzhautperipherie, teils auf die Tatsache, daß bei vielen Nacht- tieren (Eulen usw.) die Netzhaut besonders reich an Stäbchen gefunden wird, während bei Tagtieren (Hühnern usw.) die Zapfen in der Netzhaut an Zahl überwiegen. An diese Schultz eschen Vorstellungen schheßen sich die Anschauungen an, die nach Kühnes Entdeckung des Sehpurpurs von Pari- naud (1881—84) entwickelt wurden. Auch er nimmt an, daß die Stäbchen die Vermitt- ler farbloser Empfindungen und vermöge ihres Gehaltes an Sehpurpur vorwiegend zum Sehen bei herabgesetzter Beleuchtung, in der Dämmerung geeignet seien. Diese von Parinaud als die Theorie der Doppel- 1 Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV, netzhaut (Stäbchen- und Zapfennetzhaut) bezeichneten Anschauungen kehren in wesent- lich älinlicher Form in der sogenannten DupHzitätstheorie wieder, die insbesondere von V. Kries und seinen Anhängern ver- treten wird. Nach dieser Theorie sollen bei Tage nur die Zapfen das Sehen vermitteln, die Stäbchen aber, 1 . welche den weitaus überwiegenden Bestandteil >^ des Sehepithels ausmachen (siehe oben), nur wäh- L/-»^ ^ rend der Dämmerung fungierehr'Hiernach wären, ^ wie Hering einmal bemerkte, die Stäbchen ge- 55/^ wissermaßen den Nachtwächtern zu vergleichen, >^ und die Netzhaut emer Stadt, in welcher die Zahl der Nachtwächter viel größer wäre als die der übrigen Bürger. Parinaud sah eine wesentliche Stütze seiner Auffassung in der verbreiteten Mei- nung, daß die Tagvögel mit ihrer an Stäbchen relativ armen Netzhaut ,, nachtblind" seien. In manchen Gegenden Deutschlands be- zeichnet mau eiue eigentüniHche Erkrankung des menscldichen iVuges, die wesentlich durch die Unfähigkeit des Sehens bei schwacher Beleuchtung gekennzeichnet ist, als ,, Hühner- blindheit". Demgegenüber konnte ich mit geeigneten Methoden nachweisen, daß die Hühner durchaus nicht nachtblind, vielmehr einer Dunkeladaptation in beträchtlichem Umfange fähig sind. Manche Schildkröten- arten, in deren Netzhäuten ausschließhch Zapfen nachweisbar sind, führen sogar eine vorwiegend nächtliche Lebensweise. Auch der von Parinaud und seinen An- hängern gemachte Versuch, die eben er- wähnte Nachtblindheit des Menschen als eine auf die Stäbchen der Netzhaut be- schränkte Erkrankung aufzufassen, hat ein- gehender Prüfung nicht Stand halten können. Weiter hatten Parinaud und seine Anhänger angenommen, daß der foveale, stäbchen- freie Netzhautbezirk wie des Sehpurpurs so auch der Dunkeladaptation ermangele. Hering und seine Schüler zeigten aber, daß auch dieser für das deuthche Sehen wichtigsten Stelle des Auges die Fähigkeit zu adaptativen Aenderungen zukommt, wenn auch in weniger großem Umfange, als der übrigen Netzhaut. ^ Den ersten Versuch einer theoretischen Zusammenfassung der bis dahin bekannten Tatsachen aus dem Gebiete des Licht- und Farbensinnes beim Menschen verdanken wir Thomas Young (1807). Ausgehend von der durch Newton ermittelten Lichtmischungs- regel, nach welcher sich durch Mischung von drei passend gewählten farbigen Strahlungen in passenden Mengenverhältnissen alle ge- tönten und ungetönten Farben erhalten lassen würden, machte Young die Annahme, daß in der Netzhaut sich dreierlei verschie- dene Empfangsorgane fänden, durch deren isolierte oder mehr oder weniger gleich-. 67 1058 Gesichtssinn zeitige Erregung alle farbigen und farblosen Empfindungen zustande kommen sollten; es handelt sich hier im wesentlichen um einen „trügerischen Analogieschluß von der Addi- tion der physikalischen Reize auf die Zu- sammensetzung der physiologischen Re- aktion, des psychischen Endeffektes, speziell der Weißeniplindung"' (v. Tschermak). Youngs Anschauungen wurden später durch H e 1 m h 0 1 1 z aufgenommen und zu der bekannten ,, Dreifasertheorie" ausgebildet. Danach sollte die Netzhaut dreierlei ver- schiedene Faserarten enthalten, von welchen die eine nur durch rotwirkende, die zweite nur durch grünwirkende, die dritte nur durch blau- oder violettwirkende Strahlen erregt werden sollte. Die Empfindung Gelb sollte durch gleichzeitige und gleichstarke Erregung der rot und der grün empfindenden Fasern, die Empfindung Blau durch gleich- zeitige und gleichstarke Erregung der Grün- und der Violettfasern, die Empfindung Weiß durch gleichzeitige und gleichstarke Erre- gung aller drei Faserarten zustande kommen. Bei den sogenannten Rotblinden sollte die erste Faserart, bei den Grünblinden die zweite Faserart fehlen, bei den total Farben- blinden nur eine Faserart vorhanden sein usw. Wir verdanken den umfassenden Dar- legungen Ewald Herings den Nachweis von der Unhaltbarkeit der Dreifasertheorie und von deren Unvereinbarkeit mit zahl- reichen teils schon früher bekannten, teils von Hering selbst gefundenen Tatsachen. Auch bei Besprechung der Heringschen Theorie der Gegenfarben muß die An- deutung einiger weniger, besonders wichtiger Punkte genügen, so weit diese nicht schon im vorhergehenden zur Sprache gekommen sind. Es wurde schon erwähnt, daß Hering zuerst die Notwendigkeit einer strengen Scheidung zwischen den physikalisch-opti- schen Reizen und den durch sie veran- laßten psychischen Phänomenen erkannte; seiner Lehre liegt die methodische Analyse unserer Gesichtsempfindungen nach ihren spezifischen Aehnlichkeiten bezw. Ver- schiedenheiten zugrunde. Nach anfänglichem lebhaften Widerspruche haben auch frühere Anhänger der Dreifasertheorie sich in wesent- lichen Punkten den von Hering entwickelten Anschauungen genähert, zunächst insbe- sondere darin, daß man heute allgemein die Notwendigkeit der Annalime einer von der farbigen Empfindungsrcilie unabhängigen farblosen Empfindungsreihe anerkennt. Alles Sehen ist nach Hering gleichsam der psychische Ausdruck der Regungen in der Sehsubstanz des inneren Auges, wenn wir unter dieser den physischen Träger derjenigen Vorgänge verstehen, mit welchen die Farben als psychische Phänomene un- mittelbar verknüpft sind. Diese Sehsub- stanz läßt sich betreffs bequemerer Dar- stellung auffassen als ein Gemisch von 3 verschiedenen Substanzen, deren jede in zwei gegensätzlichen Richtungen einer Ver- änderung fähig ist, oder richtiger als eine Substanz, deren Stoffwechsel in 3 ver- schiedenen Hauptrichtungen einer doppel- sinnigen quahtativen Aenderung fähig ist. Wir können die 3 supponierten Substanzen nach dem früher Gesagten als die Schwarz- Weiß empfindende, als die Blau-Gelb empfin- dende und als die Rot- Grün empfindende Substanz, die beiden gegensinnigen Verände- rungen, deren jede dieser Substanzen fähig ist, als Dissimilation und Assimilation be- zeichnen. Einem dissimilatorischen Vorgange in der Schwarz- Weiß cni] »findenden Substanz entspricht die Walirnelimung des Weißen, einem assimilatorischen Vorgange in der gleichen Substanz die Wahrnehmung des Schwarzen; in analoger Weise wäre das psychische Korrelat dissimilatorischer Vor- gänge in der Gelb-Blau bezw. der Rot- Grün empfindenden Substanz die gelbe bezw. rote Farbe, das psychische Korrelat der ent- sprechenden ' assimilatorischen Vorgänge die blaue bezw. grüne Farbe. Die physiologische Farbenblindheit der Netzhautperipherie des normalen Auges er- klärt sich nach dieser Lehre einfach so, daß von der Netzhautmitte aus nach der Peripherie zunächst jene Teile der Sehsub- stanz an Menge allmählich abnehmen, deren Regungen die roten und grünen Farben ent- sprechen, weiterhin auch jene, deren Regungen die blauen und gelben Farben entsprechen, so daß von der äußersten Netzhautperipherie aus nur noch jene Regungen vermittelt wer- den können, deren psychisches Korrelat die ungetönten Farben Weiß, Grau und Schwarz sind. Bei der angeborenen Rotgrünbhndheit würden von Hause aus jene Teile der Sehsub- stanz fehlen, deren Regungen die Wahrneh- mung von Rot und Grün vermitteln, bei den total Farbenblinden würde sich nur die Schwarz-Weiß empfindende Substanz finden. Literatur. H. v, Helniholtz, Physiologische Optik, 1. Aufl. 1856J66. — E. Hering, Beiträge zur Lehre vom Lichtsinne, 1876. — Derselbe, Grundzüge der Lehre vom Lichtsinne. Handbuch der gesamten Augenheilkunde, 1905 j 13. — Der- selbe, Raumsinn des Auges, Augenbewegungen. In Hermanns Handbuch der Physiologie der Sinnesorgane, 1879. — C. v. Hess, Refraktion und Akkommodation des menschlichen Auges und ihre Anomalien. Handbuch der gesamten Augen- heiikunde von Graf e - Sä misch, 1910. — Der- selbe, Vergleichende Physiologie des Gesichts- sinnes. Jena 1912. — J, v. Kries, Die Gesichts- Gesichtssinn — Gesteinseinteilnng 1059 empfindumjen in Nagels Handbuch der Physio- logie, 1904. — A. V. Tschei'tnah, Die Hell- Dunkeladaptalion des Auges und die Funklion der Stäbchen und Zapfen. Ergebnisse der Physio- logie, 1902. — Derselbe, Ucbcr Kontrast und Irradiation. Ebenda, 190S. C. v. Hess. Oesuer Konrad. Geboren am 26. März 1516 in Zürich, gestorben am 13. Dezember 1565 daselbst. Er studierte in Straßbnrg, Bourges, Paris und Venedig und erhielt dann in seiner Vaterstadt ein ärmliches Schulamt. Bald darauf bezog er wieder die Universität Basel, wo er vorzugsweise Medizin studierte, um sich eine bessere Stellung zu er- ringen. 1537 wurde er Professor der griechi- schen Sprache in Lausanne und nach kurzem Aufenthalt in Montpellier Professor der Physik zu Zürich, wo er auch als praktischer Arzt wirkte. Er ist auf den verschiedensten Gebieten tätig gewesen; in der Literaturgeschichte betrat er neue Bahnen durch seine ,,Bibliotheca universalis, seu catalogus omnium scriptorum locupletissimus in tribus Unguis, graeca, latina, et hebraica exstantiiim (Zürich 1545 bis 1555, 4 Bde.); die Naturgeschichte erhob er erst zu einer selbständigen Wissenschaft und bereicherte sie durch eigene Beobachtungen und Forschungen. Er ist der eigentliche Begründer der wissen- schaftlichen Zoologie. Er ging vor allem kritisch vor, um die vorhandenen Tatsachen übersicht- lich zu ordnen. Er schilderte die Tierformen vom wirklich naturhistorischen Standpunkte, vernachlässigte aber auch die Beziehungen zur Medizin und Naturgeschichte nicht. Wie ihm nun aber die Auffassung des Tierreiches als eines organischen Ganzen fehlte, so fehlte ihm auch der richtige Artbegriff. Auch eine strenge Nomenklatur und Terminologie führte er nicht durch und konnte so auch nicht zu einer syste- matischen Anordnung kommen. Immer muß man jedoch bei seiner Einschätzung berück- sichtigen, daß er der Zeit nach der erste deutsche Zoologe ist. Auf botanischem Gebiete tat er sich besonders dadurch hervor, daß er den großen Wert der Blüten und Früchte für die Verwandtschaft der Pflanzen erkannte. — Er legte einen botanischen Garten an und gründete ein Naturalienkabinett. Von seinen vielen Werken seien nur genannt: ,,Historiae animalium liber primus qui est de cpiadrupedibus viviparis cum figuris ad vivum expressis", Zürich 1551. „Historiae ciuadrupedum oviparium liber", Zürich 1554. ,, Historiae avium liber", Zürich 1555. ,, Historiae anima- lium liber cpii est de piscibus et aciuatilibus," Zürich 1558. ,,Gesnerus redivivus auctus et amendatus, oder allgemeines Tierbuch", Frank- furt 1669 bis 1670, 5 Bde. „Descriptiones et icones plantarum et de hortis Germaniae liber", Straßburg 1561. „Stirpium historia", als „Opera botanica", von K. K. Schmied el (Nürnberg 1753, 2 Bde.; 1759) herausgegeben. ,, Icones animalium cjuadrupedum" Zürich 1553. ,, Icones animalium ac^uatilium" Zürich 1560. ,, Icones animalium omnium", Zürich 1555, neue Aufl. 1560. Literatur. J. Hauhart, Conrad Gesner, Winter- thur I824. — Biographie universelle (von Cuvier). — Allgemeine deutsche Biographie, Bd. g, 1879. W, Harms. Gesteinseinteilung. 1. Allgemeines. 2. Definition des ,, Ge- steines". 3. Die Einteilung: a) Eruptive, ^b) Sedi- mente, c) Metamorphe. 4. Schluß. 1. Allgemeines. Die Einteilung der Ge- steine oder ihre Systematik ist seit den Zeiten eines G. A. Werner, der die Petro- graphie inauguriert hat, einem starken Wech- sel unterworfen gewesen, weil die Gesichts- punkte für eine solche Einteilung zu ver- schiedenen Zeiten in schwankendem Maße bekannt waren. Aber auch heute, wo wir tiefer in das Wesen der maßgebenden Tat- sachen eingedrungen sind, ist man noch keineswegs zu einer einheitlichen Auffassung gelangt. Dies hat seinen Grund einerseits in der einseitigen Hervorhebung irgendeines der zur Verfügung stehenden Gesichts- punkte und andererseits darin, daß inner- halb der drei großen Klassen von Gesteinen meist eine sehr enge Verwandtschaft der ein- zelnen Gruppen, Ordnungen und Familien besteht, so daß es vollkommen willkürlich bleibt, wo man die Grenze setzen will. Jede Einteilung natürlicher Gegenstände soll aber natürlich und nicht künstlich sein und die natürliche Einteilung soll tunlichst alle Eigentümlichkeiten berücksichtigen. Dies ist verhältnismäßig leicht an biologischen Objekten herbeizuführen, weil im Laufe der Entwickelung die Zwischenglieder ausgestor- ben und damit die verbleibenden Teile mehr oder minder scharf voneinander getrennt sind. Es ist anders bei den Gesteinen, bei welchen uns alle Glieder von den ältesten Zeiten bis auf unsere Tage vorliegen: zeitlich und räumlich in Provinzen und Gauver- wandtschaften getrennt und doch wieder zusammengehörig, oft verschieden durch spätere Veränderungen — Verwitterung und Metamorphose — , die im Laufe der geologi- schen Epochen, aus sonst gleichen Gliedern, scheinbar verschiedenartige Dinge gemacht haben. 2. Definition des „Gesteines". Ein Gestein ist ein Gemenge von Mineralien oder mineralähnlichen Körpern — z. B. Ge- steinsglas — . Aber nicht alle Mineral- aggregate sind Gesteine, sondern nur die, welche einen wesentlichen Anteil an dem 67* 106U Gesteinseinteilung- Aufbau der Erdkruste nehmen, d. h. sich in erheblicher Menge vorfinden, an ver- schiedenen Orten in charakteristischer Ver- bindung auftreten. Das Gestein ist ein geo- logisch selbständiger Teil der Erde und muß einem einheitlichen Bildungsprozeß seine Entstellung verdanken. Es muß sich von den umgebenden Massen deutlich abgrenzen. Betrachten wir ein Beispiel: Feldspat, Quarz, Biotit sind Mineralien, d. h. nach stöchio- metrischen chemischen Gesetzen gebaute Verbindungen, die zum Granit gemengt sein können. Der Granit bildet einen wesent- lichen Anteil an dem Aufbau der Erdkruste. Er findet sich in großer Menge an den ver- schiedensten Orten und von Verschiedenem Alter in gleicher Weise zusammengesetzt, ist von den Nebengesteinen deutlich unter- schieden oder getrennt, und verdankt seine Entstehung einem einheitlichen Bildungs- prozeß — Schmelzfluß. Andererseits ist ein Aggregat von Schwerspat und Silber kein Gestein. Es nimmt keinen wesentlichen An- teil an dem Aufbau der Erdrinde, es ist keine sich regelmäßig wiederholende Assoziation, verdankt seine Entstehung keinem einheit- lichen Bildungsprozeß usw. Nicht jedes Gestein besteht aus mehreren Mineralien, sondern es gibt auch solche, an deren Aufbau nur ein einziges Mineral be- teiligt ist — z. B. Marmor, Die ersteren nennt man gemengte, die letzteren einfache Gesteine. 3. Die Einteilung. Die Gesichtspunkte, aus denen sich eine Gesteinseinteilung her- leiten läßt, sind etwa folgende: die Ent- stehung, das geologische Vorkommen, Textur und Struktur, der Mineralbestand, die che- mische Zusammensetzung. Nach der Entstehung werden die Gesteine in drei große Klassen geteilt, die je einem besonderen Bildungsprozeß angehören: 1. Entstehung aus dem Schmelzfluß, welche zur Bildung der Eruptivgesteine oder massigen Gesteine fülu't. 2. Entstehung unter Beihilfe der Atmo- spärilien, welche uns die Sedimente schafft. Haben wir also bei dem ersten Vorgang, bei den Eruptivgesteinen, als grundlegend die hohe Temperatur zu betrachten, so übt bei der Bildung der Sedimentgesteine die niedrige Temperatur ihre Herrschaft aus. Das führt zu charakteristischen Unterschieden in bezug auf die oben genannten weiteren 4 Gesichts- punkte: die Eruptivgesteine sind durch- greifend gelagert, die Sedimente geschichtet; die Eruptivgesteine haben eine massige Struktur und im allgemeinen unregelmäßige Textur, die Sedimente hingegen geschichtete und im allgemeinen regelmäßige Struktur und Textur; die Eruptiven bestehen vorzugs- weise aus ganz oder nahezu wasserfreien Silikaten, die Sedimente aus wasserhaltigen Silikaten oder Salzen anderer Säuren als der Kieselsäure und dementsprechend ist auch die Verschiedenheit in der chemischen Zu- sammensetzung. Aber diese beiden Klassen sind trotzdem nicht so scharf voneinander getrennt, wie man auf den ersten Blick annehmen möchte, denn bei den heute weitaus überwiegenden Tuffvulkanen, die es in allen geologischen Epochen in großer Anzahl gegeben hat, wird die überwiegende Masse des aus dem Schmelz- fluß erstarrten Materials bei der Eruption zerstäubt und setzt sich nachher aus der Luft oder aus dem Wasser wieder ab. Es sind demnach bei der Bildung dieser Gesteine, welche man als Tuffe bezeichnet, zwei gänz- lich getrennte Vorgänge miteinander ver- knüpft. Man wird also die Wahl haben, ob man die Tuffe den Eruptiven oder den Sedi- menten zurechnen will. Wenn man freilich nach den für die Bildung der Bestandteile des Gesteins herrschenden physikalischen Bedingungen fragt, dann muß man fest- stellen, daß hohe Temperatur ausschlaggebend war und danach gehören die Tuffe zu den j Eruptiven. ' 3. An die beiden ersten Klassen gliedert sich nun noch eine dritte an, deren Bildungs- vorgang charakterisiert ist durch erhöhten Druck und erhöhte Temperatur, die aber im i allgemeinen die Schmelztemperatur der Mine- ralien nicht erreicht. Jede der beiden ersten Gesteinsklassen kann unter Verhältnisse geraten, die den Bildungs- oder Gleichge- wichtsbedingungen für ihre Mineralien nicht mehr entsprechen. So z. B. kann ein Eruptiv- gestein bei niedriger Temperatur einem hohen Druck unterworfen werden — Gebirgsbil- dung — oder ein Sediment kann bei erhöhter i Temperatur hoheniDruck ausgesetzt sein, d.h. es können sich die physikalisch-chemischen Bedingungen, Temperatur und Druck ändern, dann entsprechen Mineralbestand, Struktur und Textur nicht mehr dem Gleichgewichts- zustand und es vollzieht sich eine Umwand- lung, eine Metamorphose. Wir erhalten die dritte Klasse, die metamorphen Gesteine, welche charakterisiert sind durch einen be- sonderen Mineralbestand, durch besondere Struktur und Textur, die aber in ihrem geo- logischen Auftreten bald mit den Eruptiv- gesteinen, bald mit den Sedimenten überein- stimmen. Im Mineralbestand nähern sie sich mehr den Eruptiven, in bezug auf die Textur aber mehr den Sedimenten. Da nun aber der Grad der Metamorphose ab- hängig ist von der Höhe der Temperatur und des Drucks, von der Zeitdauer der Ein- wirkung, so ist es nur natürlich, daß eine scharfe Grenze dieser Gruppe gegenüber den Eruptiven sowohl, als den Sedimenten nicht festgesetzt werden kann. Gesteinseinteümig 1061 3a) Eruptive. Betrachten wir weiter diese drei Klassen im einzelnen, indem wir uns dabei an die heute in Deutschland gebräuch- lichste Einteilung halten. Die Eruptiven können nach ihrem geologischen Vorkommen in drei Gruppen geteilt werden: a) die Erguß- gesteine, welche bei ihrer Eruption die Erd- oberfläche erreicht und sich dort ausgebreitet haben; ß) die Tiefengesteine, welche in großen intratellurischen Hohlräumen stecken geblieben sind, eine weite Ausdehnung in den drei Dimensionen des Raumes be- sitzen und in Form von Stöcken und Massiven auftreten; y) die Ganggesteine, welche gleichsam die Tiefengesteine mit den Erguß- gesteinen verbinden, Spalten innerhalb der Erdrinde ausfüllen und somit eine mehr flächenhafte Ausdehnung besitzen. Diese drei Gruppen von Eruptiven brauchen sich nicht oder nur unwesentlich zu unterscheiden in bezug auf chemische Zusammensetzung und Mineralbestand, aber sie zeigen eigen- tümliche textureile und strukturelle Ver- hältnisse. Die Tiefengesteine sind stets holo- kristallin und ihre Struktur zumeist hyp- idiomorphkörnig. Die Gang- und Erguß- gesteine sind vielfach hypokristallin bis glasig und im allgemeinen porphyrisch struiert. Doch finden sich allenthalben Uebergänge zwischen den letzteren und den ersteren Gesteinen. Nur die hypokristalline und glasige Textur ist bei den Tiefengesteinen nie zu beobachten. Da die strukturelle und texturelle Verschiedenheit ihre wesent- liche Ursache in der Dauer des Erkaltens hat, also abhängt von der Masse des Gesteins und von dem Wärmeschutz, so sind die Uebergänge zwischen den Gesteinen leicht verständlich. Die weitere Einteilung der Eruptiven in Ordnungen, Gattungen und FamiHen whd im wesentlichen bedingt durch die chemische Zusammensetzung und den damit in erster Linie zusammenhängenden Mineralbestand, der freilich auch bei nahezu gleicher chemi- scher Zusammensetzung nicht ganz gleich zu sein braucht, weil Druck, Temperatur, Lösungsgenossen und Keime für die Mineral- bildung von Bedeutung sind. Da jedoch der chemische Bestand im allgemeinen wenigstens mit dem mineralogischen zusammentrifft, so kann man danach weiter teilen. Es kommen drei große Ordnungen in Betracht, deren eine durch das Ueberwiegen der Alkalien, deren zweite durch das Ueberwiegen des Kalks gekennzeichnet ist. Damit Hand in Hand geht ein höherer Gehalt an Tonerde bei den ersteren, ein geringerer bei den letz- teren und damit konform auch im allgemeinen ein höherer Kieselsäuregehalt bei den ersteren und ein geringerer bei den letzteren. Mit sinkendem Gehalt an Kieselsäure ist im all- gemeinen eine Zunahme des Magnesiums und Eisens — der sogenannten femischen Be- standteile — verknüpft und umgekehrt. Da die Tonerde in ihrer weit überwiegen- den Menge in Form von Feldspat oder seiner Vertreter — Leucit, Nephelin, Hauyn- gruppe — gebunden wird, so ist die alkali- I reiche Ordnung ausgezeichnet durch Alkali- ; feldspäte oder ihre Vertreter, die alkaliarme { Ordnung hingegen durch das Ueberwiegen I von Kalknatronfeldspäten oder deren Ver- ' tretern — Melilith —.Da nun bei den Fami- lien mit Kalknatronfeldspäten der Kiesel- ! Säuregehalt am geringsten wird, der Gehalt an femischen Bestandteilen am meisten zu- nimmt und damit der Tonerdegehalt bis auf Null sinkt, so gliedert sich an sie eine dritte Ordnung an, die man als feldspat- freie Gesteine bezeichnet. Bei den beiden feldspathaltigen Ordnun- gen unterscheidet man gewöhnlich noch zwei Unterordnungen, eine kieselsäurereichere und eine kieselsäureärmere. Die alkalireichen und kieselsäurereichen Gesteine führen keine Feldspatvertreter. Gattungsunterschiede können in dem Verhältnis Kali zu Natron und Kalk und in der An- oder Abwesenheit von Quarz gefunden werden. Bei den alkali- reichen, kieselsäurearmen Gesteinen hat man stets Feldspatvertreter und unterscheidet Gattungen, die noch Feldspat enthalten, neben anderen, die frei von Feldspat sind. Bei den ersteren wiederum solche, die Alkali- feldspat haben und andere mit Kalknatron- feldspat. Bei den letzteren und bei den feldspatfreien Gesteinen werden dann noch zwei Arten unterschieden, je nachdem die Gesteine Olivin enthalten oder olivinfrei sind und bei allen wird ein Unterschied gemacht, je nachdem der Feldspat Vertreter Leucit oder Nephelin ist. Bei den alkaliarmen Ge- steinen haben die kieselsäurereichen einen natromeichen Kalknatronfeldspat, die kiesel- I säureärmeren dagegen einen kalkreichen. Bei j den ersteren wird in zwei Gattungen geglie- j dert, je nachdem sie cpiarzhaltig oder cjuarz- j frei sind ; bei den letzteren erfolgt die Glie- derung einerseits danach, ob sie rhom- bischen Pyroxen enthalten (Norit) oder nicht (Gabbro), andererseits danach ob sie olivinhaltig oder olivinfrei sind, doch ist diese Gliederung nicht streng durchgeführt. Bei den Gesteinen, die vollkommen frei von Feldspat und Feldspatvertretern sind, erfolgt eine Gliederung in zwei Gattungen nach vorhandenem oder fehlendem Olivin- gehalt. Bei allen so entstehenden Gattungen kann man nun, wie oben bereits auseinander- I gesetzt, Tiefengesteine, Ganggesteine und Ergußgesteine unterscheiden und erhält da- durch die Familien. Aus didaktischen Gründen hat man die Ergußgesteine in jüngere, tertiäre und 10G2 Gresteinseinteiluns: posttertiäre, und in ältere, prätertiäre ge- gliedert. Diese Gliederung ist insofern wenigstens für Europa berechtigt, als hier von dem Ende des Paläozoikums bis gegen Ende des Mesozoikums die vulkanische Tätig- keit fast vollständig geruht hat. Daherkommt es, daß die jüngeren Gesteine einen frischen, unzersetzten oder wenig zersetzten Sanidin haben, ältere hingegen einen verwitterten Ortholdas. Aber auch diese Gliederung ist nicht überall streng durchgeführt oder durchzuführen, so z. B. macht man den Unterschied nicht bei den alkalireichen, kieselsäurearmen, und bei den alkali- armen, kieselsäurearmen hat man sogar noch präkarbonische Erguß- und Gang- gesteine und postdevonische unterschieden. Die ersteren, die Familie der Diabase oder Grünsteine, umfaßt sogar chemisch so ver- schiedenartige Dinge, daß sie wahrscheinlich im Laufe der Zeit noch in verschiedene Gat- tungen oder Familien wird zerlegt werden müssen. Ihre gemeinschaftlichen Kennzeichen sind offenbar die Folge metamorphischer Veränderungen. Bei allen Erguß- und Ganggesteinen können glasige Ausbildungsformen vor- kommen, die man dann dadurch bezeichnet, daß man den Familiennamen die Worte: Obsidian, Pechstein, Bimsstein anhängt, je nachdem die Gläser wasserfrei oder wasser- haltig sind, oder eine blasige Textur be- sitzen. Gewöhnlich gliedert man nun den Erup- tivgesteinen nocJh eine besondere Gruppe an, welche man als gangförmige Spaltungs- produkte der Tiefengesteine bezeichnet. Es sind dies gangförmig auftretende Gesteine, die in inniger zeitlicher, räumlicher und gene- tischer Verbindung mit Tiefengesteinen j stehen, d. h. diese regelmäßig begleiten. Sie ' entstehen durch Saigerung oder fraktionierte Kristallisation und sind bald reicher, bald ärmer an Alkalien als das zugehörige Tief en- gestein. Die ersteren bezeichnet man als aplitische, die letztere als lamprophyrische Keihe. Man unterscheidet dann weiter die einzelnen Gesteine nach ihrem Bestand in chemischer und mineralogischer Hinsicht in Familien. Der aplitischen Keihe dieser letzteren Gesteine gliedern sich endlich noch die sogenannten Pegmatite oder Schrift-; granite (Riesengranite) an, welche mit' den Apliten durch Uebergänge verbunden sind, über deren Entstehung man aber noch nicht vollkommen im Klaren ist. j Endlich mag an dieser Stelle noch er- 1 wähnt werden, daß alle Ergußgesteine mit Tuffen, d. h. lockeren Auswurfsprodukten der Vulkane verknüpft sein können. Man bezeichnet sie dadurch, daß man dem Fami- , liennamen das Wort „Tuff" anhängt. i 3b) Die Sedimente oder Schicht- gesteine. Die Sedimente oder Schicht- gesteine, auch sekundäre Gesteine genannt, erfahren eine Gliederung dadurch, daß nach ihrer Entstehung eine Dreiteilung möglich ist. Bei der Zerstörung anderer Gesteine entstanden, können sie entweder die unge- lösten Reste jener darstellen, oder sie kön- nen aus den gelösten Produkten wieder ab- geschieden worden sein; das letztere entweder auf physikalisch-chemischem Weg oder durch Organismen. Die letzteren bezeichnet man j als organogene, die ersteren als che- i misch-physikalische oder minerogene Sedimente, die, welche die ungelösten Bestandteile, also im wesentlichen Ton und Quarz oder unzersetzte Mineralien enthalten und nur auf rein mechanischem Wege trans- portiert worden sind, als mechanische Sedimente, als klastische oder Trüm- mergesteine. a) Die klastischen oder Trümmei- g est eine erfahren eine weitere Gliederung, indem sie unterschieden werden einerseits nach der von der Länge des Transportweges abhängigen Korngröße, der Form und dem Zersetzungszustand der Bestandteile und andererseits nach dem mineralogischen Be- stand, indem die einen reicher, die anderen ärmer an Tonsubstanz sind. ß) Die chemisch -physikalischen Sedimente kann man in vier Ordnungen trennen, je nachdem sie wesentlich aus Hydraten, z. B. der Kieselsäure, des Eisen- oxyds, der Tonerde, oder aus Silikaten, oder aus Karbonaten, z. B. des Kalks und der Magnesia, oder aus Sulfaten und Chloriden z. B. des Natrons, der Magnesia, des Kalis aufgebaut sind. Die letzteren Gesteine um- fassen die Bestandteile der Salzlager. y) Die organogenen Sedimente end- lich erfahren eine Dreiteilung dadurch, daß sie entweder kalkig, kieselig oder organischer Natur (Kohle, Bitumen) sind. Man kann hier noch zwei Ordnungen unterscheiden, von denen die eine durch Tiere, die andere durch Pflanzen gebildet ist (zoogene und phyto- gene Sedimente). Man darf aber nicht vergessen, daß bei den Sedimenten Dinge verschiedener Ent- stehungsart gemischt sein können, und daß somit in vielen Fällen eine scharfe Trennung nicht durchzuführen ist. Man darf auch nicht vergessen, daß die Sedimente ebenso wie die Eruptiven einerseits durch das Alter und andererseits durch hindurchsickernde Lösungen (Diagenese) eine Veränderung so- wohl in ihrem chemischen als in ihrem mine- ralogischen Bestand erfahren können. Viel- leicht wird im Laufe der Zeit die Gliederung der Sedimente noch eine etwas andere werden, weil man bis jetzt weder über ihren Chemismus noch über ihre strukturellen Gesteinseinteüung 1063 und texturellen Eigenschaften genügend unterrichtet ist. 3c) Die metamorphischen Gesteine. Bis vor verhältnismäßig kurzer Zeit hat man die metamorphischen Gesteine in drei große Gruppen gegliedert, indem man die einen als kontaktmetamorph, die andere als dyna- mometamorph und eine dritte Gruppe als kristalline Schiefergesteine bezeichnete. Diese Dreiteilung war ein Ausdruck unserer Kennt- nis von der Entstehung dieser Gesteine, in- dem die erste Gruppe nur solche Sedimente umfaßte, welche durch die Berührung mit einem erkaltenden Tiefengestein eine mehr oder minder starke Umkristallisation er- fahren hatten, während die zweite Gruppe Eruptivgesteine und Sedimente umfaßte, die ihre Veränderung gebirgsbildenden Vor- gängen verdankten, und in die dritte Gruppe alle diejenigen Gesteine eingereiht wurden, von denen man glaubte, annehmen zu müssen, daß sie archäischen Alters seien und ihre Entstehung bis dahin unbekannten oder nur vermuteten Vorgängen verdankten. Neuerdings hat nun die Erfalu'ung gelehrt, daß letzteres nicht zutrifft, daß für die Metamorphose der Eruptivgesteine und Sedi- mente wesentlich nur eine Verschiebung der Gleichgewichtsbedingungen, d. h. Erhöhung oder Erniedrigung von Temperatur und Druck ist maßgebend, und daß demnach die Bildung aller nietamorphen Gesteine aus einem einheitlichen Gesichtspunkt zu be- trachten ist. Wollte man aus diesem Gesichts- punkt teilen, so könnte man unterscheiden: a) Diejenigen, welche ihre Veränderung wesentlich einer Temperatursteigerung ver- danken; ß) diejenigen, deren Metamorphose wesentlich nur durch eine Drucksteigerung bedingt wird, und y) solche, bei denen Druck und Temperatur gleichzeitig erhöht waren. Die erste Gruppe würde dann mit den alten kontaktmetamorphen Gesteinen zusammenfallen, die zweite Gruppe wenig- stens im wesentlichen mit den dynamo- metamorphen und die dritte Gruppe würde den größeren Teil der alten Gruppe der kristal- linischen Schiefergesteine umfassen. Jede von diesen Gruppen wäre charakterisiert durch einen bestimmten Mineralbestand, durch bestimmte strukturelle und texturelle Eigenschaften, aber sie wäre von den anderen nicht unterschieden oder wenigstens nicht wesentlich unterschieden durch den chemi- schen Bestand und durch das geologische Auftreten, auch nicht durch das geologische Alter, zumal man in den letzten Jahren ge- sehen hat, daß die meisten kristallinischen Schiefergesteine nicht archäischen Alters sind. a) Bei der alten Einteilung hat man bei den kontaktmetamorphen Gesteinen nach der Stärke der Veränderung, oder was dasselbe ist, nach der Entfernung von der Berührungsstelle unterschieden und die am stärksten veränderten Gesteine als Hornfelse bezeichnet. Bei den letzteren findet man nicht selten auch noch eine pneumatolytische durch die Gase des Eruptivgesteins hervorgebrachte Beeinflussung. Man bezeichnet dies als pneumatolytischen Kontakt, Die stärkst veränderten Gesteine, die Hornfelse, enthalten entsprechend dem Temperaturgesetz im wesentlichen nur wasserfreie oder wasser- arme Mineralien und haben die planparallele Textur der Sedimente gänzlich verloren. ß) Die dynamometamorphen Ge- steine hat man gegliedert nach der Stärke und Dauer des einwirkenden Druckes oder, was dasselbe ist, nach der Stärke der Umwandlung. Die wenig veränderten Gesteine bezeichnete man als Phyllite, die stark veränderten als Glimmerschiefer, Gneise, Quarzite usw., je nach ilu-em mineralogischem Bestände, ähnlich wie wir es bei den kristallinischen Schiefergesteinen sehen werden. Die dyna- mometamorphen Gesteine sind je nach der Stärke der Metamorphose alle mehr oder weniger planparallel struiert, was sie dem einseitigen Drucke verdanken. Sie bestehen aus Mineralien, welche dem Druckgesetz folgend, diejenige Stoffassoziation darstellen, welche den kleinsten Raum einnimmt. Die Mineralien sind je nach der Höhe der herr- schenden Temperatur bald mehr oder minder wasserhaltig, bald wasserfrei. Im übrigen ist der Mineralbestand natürlich abhängig von der chemischen Zusammensetzung des veränderten Gesteins und wir werden daher bald die chemischen Verhältnisse der Sedi- mente, bald die der Eruptiven antreffen. Da i nun aber manche Sedimente sich nach ihrer chemischen Zusammensetzung den Erup- tiven nähern, so wird man die Trennung nicht überall durchführen, wohl bei vielen sagen können, das Gestein muß ein Sediment, I aber nicht, es muß ein Eruptivgestein ge- wesen sein. Diejenigen, bei welchen der j Nachweis gelingt, daß sie aus einem Erup- j tivgestein entstanden sind, hat man als Orthogesteine, die aus Sedimenten ent- standenen als Paragesteine bezeichnet. y) Alles das, was eben bei den dynamo- metamorphen Gesteinen auseinandergesetzt wurde, gilt auch für die alte Gruppe der kristallinischen Schiefergesteine. Man unterscheidet auch hier neben den wenig ver- änderten Phylliten stärker veränderte Ge- steine. Beide werden dann nach ihrem Mineral- bestand weiter gegliedert. Entsprechend ihrer Abstammung bestehen sie bald wesent- I lieh aus Silikaten, bald aus Karbonaten, aus Oxyden, oder aus Elementen (Graphit). Die Einteilung der Silikatgesteine erfolgte nach den Prinzipien, wie sie bei den Eruptiven angewendet wurden, also im wesentlichen nach dem mineralogischen Bestand. So 1064 Gestein seinteiluriti' — Gesteinsstniktur und Gesteinstextur bezeichnete man Gesteine aus Feldspat und farbigen Gemengteilen mit oder ohne Quarz als Gneise; Gesteine, denen der Feldspat mangelt, als Schiefer (Glimmerschiefer, Hornblendeschiefer usw.); Gesteine, die nur aus Hornblende oder aus Augit oder aus Olivin usw. bestanden, als Amphibolit, Augitfels, Olivinfels usw.; Gesteine, die nur aus Quarz oder nur aus Kalzit bestanden, als Quarzit bezw. Marmor. Dann griff bei der Klassifikation der Gneise und Schiefer noch eine weitere Unterteilung Platz, je nach dem wesentlichen oder unwesentlichen Mineral- bestand oder nach Struktur und Textur. Diese Einteilung ist ganz neuerdings ver- lassen worden, um einer anderen, sinngemäße- ren Platz zu machen. Aber diese letztere ist noch nicht in allen Teilen durchgeführt und zu allgemeiner Annahme gelangt, darum haben wir auch in dem Vorstehenden die alte Einteilung noch mitgeteilt. Die neue Einteilung gründet sich einerseits auf den Gedanken, daß alle metamorphen Gesteine einem einheitlichen Prinzip, nämlich dem Temperaturgesetz und dem Druckgesetz ihre Metamorphose verdanken, daß bald das eine, bald das andere Gesetz in den Vordergrund tritt, manchmal auch Temperatur und Druck gleichzeitig steigen. Diese Umstände führen natüiiich bei Gesteinen von gleich chemischer Zusammensetzung zu verschiedenartigem Mineralbestand und verschiedenartigen struk- turellen und textureilen Verhältnissen. Das letztere besonders auch deswegen, weil der Druck entweder ein einseitiger oder ein allseitiger sein kann. Bei einseitigem Druck ist stets eine mehr oder minder ausgeprägte Planparallelstruktur vorhanden, bei all- seitigem Druck hingegen kann diese ver- schwinden. Bei niedriger Temperatur bilden sich wasserreiche, bei hoher wasserarme Silikate. Bei niedrigem Druck kann die Planparallelstruktur verloren gehen und es bilden sich Stoffassoziationen, welche nicht den Ideinsten Raum beanspruchen, bei hohem einseitigem Druck entsteht Planparallel- struktur und die gebildeten Stoffassoziatio- nen beanspruchen den kleinsten Raum. Hoher Druck befördert im allgemeinen die Löslich- keit und kann so zum Verschwinden leicht löslicher Salze beitragen. Hohe Temperatur führt zur Vorherrschaft der Kieselsäure über die anderen Säuren und damit zur Neubildung von Silikaten und umgekehrt. Da nun nach dem eben Gesagten auf den Bestand des metamorphen Gesteines in «rster Linie die chemische Zusammensetzung des Ausgangsgesteines von Einfluß ist, so hat man danach 12 Klassen unterschieden, von denen 1 — 6 im wesentlichen aus Erup- tiven und 7 — 12 im wesentlichen aus Sedi- menten entstanden sind. Diese 12 Klassen sind folgende: ; 1. Alkalifeldspatgneise (granitisch und sye- I nitisch), ! 2. Kalknatronfeldspatgneise (dioritisch), 3. Eklogite und Amphibolite (gabbroid), 4. Magiiesiumsilikatschiefer (peridotitisch), 5. Jadcitgt'steine (foyaitisch), I 6. Chloromelanitgesteine (theralithisch), I 7. Tonerdesilikatgneise (pelitisch), 1 8. Quarzitgesteine (psammitisch), 9. Kalksilikatgesteine (mergelig, kalkig- sandig), [ 10. Marmore (kalkig), 11. Eisenoxydgesteine, 12. Aluminiumoxydgesteine. I Diese 12 Gruppen werden sodann weiter j geteilt in je drei Ordnungen je nach der Tiefe, in welcher sich die Umwandelung vollzogen hat, d. h. also nach der Höhe von Temperatur und Druck, und es werden dem Gruppennamen für die tiefste, mittlere und obere Zone die Worte Kata-, Meso- und Epi- vorgesetzt. Endlich werden dann noch I nach dem Mineralbestand Familien unter- schieden. Nicht vollkommen umgewandelte Gesteine, in denen der ursprüngliche Mineral- bestand noch erkenntlich, aber zertrümmert ist, erhalten beim Ordnungsnamen noch das Wort Kataklas eingefügt und heißen bei den Schiefern Phyllite. Es unterliegt keinem Zweifel, daß bei weiterem Eindringen in den Chemismus der Sedimente und bei fortschreitender Erkennt- nis der Gleichgewichtsbedingungen unter Temperatur- und Drucksteigerung auch die Klassifikation der Sedimente und Meta- morphen noch manche Aenderung erfahren wird. Literatur. L. Milch, Die Systematik der Eruptiv- gesleine, Fortschritte der Mineralogie usu>. Bd. 3, 191S iind 4, 1914. — U. Grubemann, Zur Klassifikation der Metamorphen. Ebenda 3, 1913. — Whttman Cross, The natural Classification of igneous rocks. Quart, journ. geol. Soc. 1910. — G, Linck) Tabellen zur Gesteinskunde. 3. Aufl. 1909. — Außerdem die Lehrbücher der Petrographie . G. Linck. Gesteinsstruktur und Gesteinstextur. Einleitung. A. Gesteinsstrukturen. 1. Struk- turen der Sedimente. 2. Strukturen der magma- tischen Gesteine: a) Glasige Struktur, b) Holo- kristalline Strukturen, c) Hemikristallin-por- phyrische Strukturen. 3. Strukturen der meta- morphen Gesteine. B. Gesteinstexturen. 1. Tex- turen der Sedimente. 2. Texturen der magma- tischen Gesteine. 3. Texturen der metamorphen Gesteine. Einleitung. In der Charakteristik von Gesteinen wurde von jeher neben der Art Gesteinsstruktur und Gesteinstextur 1065 der Komponenten auch die Formentwickelung und Dimension derselben berücksichtigt. Man unterscheidet verschiedenartig körnige, dann blätterige oder schuppige, auch faserige Gesteine und pflegt den phaneromeren Ausbildungsweisen, deren Gemengteile schon mit bloßem Auge oder mit Hilfe einer Lupe bestimmt werden können, die kryptomeren (dichten, aphanitischen oder adiagnos- tische n)gegenüberzustellen, an welchen ohne Mikroskop keinerlei Komponenten unter- schieden werden können. Solche Angaben über den Gesteinsbau erscheinen ohne weite- res verständlich und notwendig. Der tiefere Einblick jedoch, welcher durch die Anwen- dung des Mikroskopes in die Zusammen- setzung der Gesteine gewonnen wurde, ergab auch über die Art und Weise, wie sich die einzelnen Gemengteile sowohl monominera- lischer, als polymineralischer Gesteine unter- einander zusammenfügen, ungeahnte Auf- schlüsse und führte allmählich dazu, be- sondere Gesteinsstrukturen und Gesteins- texturen zu unterscheiden. Allerdings gaben ihnen die verschiedenen Autoren ganz un- gleiche Deutungen und nach und nach kam man auch vielfach dazu, die Begriffe ,, Struk- tur" und ,, Textur" als synonym anzusehen, während von anderer Seite an ihrer Trennung und genaueren Unterscheidung festgehalten wird. — Man versteht dann unter Gesteins- struktur das Gesteinsgefüge, wie es durch die Formentwickelung und die relative Größe der Komponenten erzeugt wird und bedingt ist durch die zeitlichen, chemischen und physikalischen Relationen der Mineral- und Gesteinsbildungsprozesse. Die Gesteins- textur gilt daneben mehr rein deskri])tiv als das stereometrische Gefüge, hervorgolu-acht durch eine bestimmte Art der räumlichen Anordnung oder Verteilung der Kompo- nenten eines Gesteins. — Da die beiden Er- scheinungsformen in letzter Linie, wenn auch meist nach verschiedenen Richtungen einen genetischen Hintergrund haben, können sie sich auch etwa gegenseitig bedingen oder in- einander fließen; im allgemeinen jedoch lassen sie sich scharf voneinander scheiden und ihre Trennung erscheint für die An- schaulichkeit und Prägnanz der Gesteins- beschreibung von wesentlichem Vorteil. A. Gesteinsstrukturen, Genetische Gefüge im engeren Sinne. Diese hängen ganz enge mit der Ent- stehung des Gesteines zusammen und werden zunächst bedingt vom stofflichen Komplex, aus welchem ein Gestein entstand (Suspen- sion, wässerige oder schmelzflüssige Lösung, Umkristallisation im Festen) ; sie ergeben sich ferner aus dem Fehlen oder Vorhandensein einer Reihenfolge in der Ausscheidung und erscheinen weiter als Funktionen der chemi- schen Zusammensetzung des Gesteins, sowie der während dessen Bildung herrschenden Zeit-, Temperatur- und Druckgrößen. End- lich sind sie auch abhängig von den Viskosi- tätsverhältnissen des Bildungsmediums, vom Kristallisationsvermögen, der Kristallisations- geschwindiskeit und Kristallisationskraft der entstehenden Mineralien. I. Strukturen der Sedimente (vgl. Bd. VI S.930 „Mineral- und Gesteinsbildung auf wässerigem Wege"). Chemische Präzipitate, wie Steinsalz, Anhydrit, Kalk- stein, Dolomit usw., sowie andere monomine- ralische Gesteine sedimentären Ursprungs ent- wickeln bei der Ausbildung ihrer kristallini- schen Aggregate jene Formen der Kristal- loide, welche als Ausfluß ihrer dominierenden Kristallgestalt erscheinen ; statt isometrischer Oktaeder, Würfel, Rhombendodekaeder, Rhomboeder erwachsen wegen gegenseitiger Behinderung während der Kristallisation nur noch (groß-, grob-, klein-, fein-) körnige Ge- bilde, statt begrenzter Flächenpaare blätte- rige oder schuppige Formen, statt Prismen I spießige, stengelige, nadelige oder faserige Gestalten und diese alle können in I der Größe der Individuen so weit zurüek- I bleiben, daß sie nur noch mikroskopisch wahr- I nehmbar sind, in welchem Falle ihre Struktur I als dicht bezeichnet wird. — Ihnen steht gegenüber der strukturlose Bau amorpher j Substanzen, der Gele (z. B. der Opale). Von besonderem Interesse sind die Struk- turen der Trümmergesteine oder klastischen Sedimente, die aus der Wiedervereinigung von Trümmern ehemali- i ger Gesteine hervorgehen, indem solche ent- ! weder direkt untereinander adhärieren oder 'durch irgendein Bindemittel (Quarz, Ton, j Calcit, Mergel, Limonit) gegenseitig ver- I kittet werden. Es handelt sich dabei um die \ erneuerte Bindung des groben Materiales von Schutthalden, Bergstürzen oder Moränen, j von Flußgeschiebe und Gerollen an See- oder Meeresufern, von Fluß- oder Meersand, Fluß-, Tiefsee- oder Gletscherschlamm. Die dabei j entstehenden Gesteinsgefüge gelten als jBreccien struktur, wenn die Trümmer groß und eckig, Konglomeratstruktur, i wenn dieselben groß und rund, als Psammit- struktur (auch Sandsteinstruktur) bei j kleinen Trümmern, und als Pelitstruktur (Tonsteinstruktur), wenn die Trümmer kaum fühlbar fein sind. Die Breccien- und Konglomeratstruktur pflegt man auch zu einer Psepliitstruktur zu vereinigen, die alsdann das Gefüge bedeutet, welches durch die Verbindung großer Trümmer entsteht. — Durch vulkanische Explosionen in die Luft geschleuderte und wieder niedergefallene Staub- und Aschenmassen, Sande und Kristallbruchstücke führen durch ihre Wieder- verkittung zur Tuff struktur, gekenn- 1066 Gesteinsstruktur und Gresteinstextur zeichnet durch das Auftreten von krumm- linig konvex oder konkav begrenzten Glas- oder auch Kristallbruchstücken innerhalb eines feinen Gesteinspulvers. 2. Strukturen der magmatischen Ge- steine (Erstarrungsgesteine, Massengesteine; vgl. Bd. VI S. 919 Mineral- und Gesteins- bildung aus dem Magma). Die Kausal- beziehungen, welche bei der Bildung dieser (sogenannten ursprünglichen) Strukturen herrschen, sind in der neuesten Zeit weit- gehend aufgeklärt worden und liegen nach ihren Haupterscheinungen wohl jenseits des Gebietes der Hypothese. Der normale Ver- lauf der Verfestigung eines ]\Iagmas führt zur vollständigen Individualisierung der in ihm gelösten Substanzen unter bestimmter Reihenfolge der auskristallisierenden Kom- ponenten (vgl. 1. c. S. 920 ff.); dadurch ent- stehen die typischen Massengesteinsstruk- turen. Wenn eine solche Sequenz gänzlich unterbleibt, oder eine völlig amorphe Er- starrung eintritt, handelt es sich stets um Grenzfälle, hervorgebracht durch vorherr- schenden Einfluß gewisser Faktoren. 2a) Glasige Struktur. Ist die Ab- kühlungszeit sehr kurz oder ist ein saures Magma hoch viskos, so daß die Moleküle nicht meiir die nötige Frist oder Bewegungsfreiheit haben, um zu kristallisierten Verbindungen zusammenzutreten, so entsteht die glasige (hyaline, amorphe) Struktur. Sie ent- wickelt sich besonders an den peripherischen Partien hochsaurer Ergußgesteine (Obsidiane, Pechsteine), gelegentlich auch an den Rändern von Gesteinsgängen oder -lagern. 2b) Holokristaliine Strukturen. Vollständige Individualisierung der in einem Magma gelösten Substanzen führt zu den holokristallinen Strukturen die unter dem Wechsel der Bedingungen ver- schiedenen Habitus annehmen können. Kristallisiert die ganze Masse auf einmal aus, z. B. durch plötzliches Aufheben einer weit- gehenden Unterküldung infolge von Be- wegung oder Gasentwickelung, so entsteht die panidiomorphe Struktur (Rosen- busch; nachRamsay panallotriomorph; nach Brögger autallotriomorph). in welcher alle Komponenten wegen gleich- zeitiger Ausscheidung in der Formeutwicke- lung mehr oder weniger gehemmt und beein- trächtigt erscheinen. Sie ist charakteristisch für Aplite und manche dunkle Gangge- steine. Die Eutektstruktur (Impli- kationsstruktur, „Pegmatit struktur", Schriftgranitstruktnr) ist das Resultat einer gleichzeitigen Kristallisation gewöhn- lich zweier Komponenten, wobei das Magma ein eutektisches Gemisch derselben darstellt, worauf zuerst J. H. Teall (British Petro- graphy 1888) aufmerksam gemacht hat; da- bei findet zugleich eine einheitliche Orien- tierung der sich ausscheidenden Kompo- nenten statt. Entwickelt sich dagegen der eine Gemengteil unorientiert innerhalb des anderen, so spricht man von poikili tischer Struktur. — Wenn aus unter Druck über- kalteten Magmen sich die Komponenten in gesetzmäßiger Reihenfolge ausscheiden, allerdings auch mit starkem Uebergreifen der Kristallisationsperioden, und zwar die farbigen Silikate vor den Feldspäten, so ent- steht die eugranitische Struktur (hyp- idiomorph körnige Struktur; Rosen- busch). Naturgemäß erscheinen hierbei die zuerst auskristallisierten Gemengteile besser entwickelt (automorpli, idiomor])h), als die zuletzt entstellenden (xenoniorphen, allotrio- morphen) Komponenten, welche nur die noch übrig gebliebenen Zwischenräume aus- füllen können. Werden die Feldspäte vor den farbigen Silikaten ausgeschieden, so bildet sich die Gabbrostruktur; verschränken sich dabei balkenartig oder strahlig geformte Feldspäte gerüstartig untereinander und werden die Lücken zwischen ihnen von Augit (oder Hornblende) ausgefüllt, so wird von ophitischer Struktur (auch diaba- sisch-körniger oder divergentstr ahliger S t r u k tu r) ges])rochen. Def Grund für die in diesen beiden letzten Fällen eintretende Um- kehrung in der normalen Ausscheidungsfolge liegt w-^ohl im Ueberwiegen der Plagioklas- substanz relativ zum eutektischen Gemisch (Plagioklas, Augit). Ein bedeutsames Charakteristikum für sämtliche bisher unter b) erwähnten Strukturen liegt darin, daß von jedem Gemengteil nur eine Generation vorhanden ist. Die im weiteren besonders an der eugranitischen nnd Gabbrostruktur häufig zu beobachtende größere und gleich- mäßige Ausbildung der Individuen mag auf sogenannter Sammelkristallisation beruhen, indem schon vorhandene größere Kerne die kleineren in ihrer Umgebung aufzehren. Zweifellos ist auch die Mitwirkung von im Magma enthaltenen Gasen (Mineralisatoren, Kristallisatoren, vgl. Bd. VI S. 928) an der Kornvergrößerung beteiligt. Erhalten dalaei einzelne bevorzugte Kristalle ungewöhnlich große Dimensionen, so entsteht eine por- phyr artige Struktur. Die eugrani- tische und Gabbrostruktur sind typische Strukturen von Tiefengesteinen und es mag ihre gröbere Ausbildung überdies noch durch die Größe der Stöcke, Kerne und Lak- kolithen begünstigt werden. Erscheint in der Ausbildiuig der ophitischen Struktur neben farbigen Silikaten in der Zwisclienklemmungsmasse auch noch etwas Glas, so hat man die In te r se r tal s tru ktu r vor sich, die besonders an Diabasen, Melaphyren und Basalten getroffen wird. Eine zweite Abteilung holokristalliner Strukturen ist dadurch gekennzeichnet, daß Gresteinsstrvüvtur und Gesteinstextur 1067 sich innerhalb einer „Grundmasse" von kleinerem bis feinerem, gleiclimäßigem Korn der Gemengteile, die von bloßem Auge nicht mehr bestimmbar sind, eine Anzahl größerer meist gut ausgebildeter Kristalle, ,, Ein- sprengunge", „Phenokristalle", unterscheiden lassen. Dann spricht man von holokristallin- porphyrischer Struktur. Nach Rosen- busch sind die Einsprengunge intratelluri- sche Bildungen, d. h. bereits in der Erdtiefe ausgeschiedene Gemengteile, während die Grundmasse das Erstarrungsprodukt aus der Zeit nach dem Emporsteigen des Magmas darstellt. In der Tat kann die Entstehung der porphyrischen Strukturen in vielen Fällen mit einem Sprung in den Ent- stehungsbedingungen in Zusammenhang ge- bracht werden, wobei das erstarrende Magma rasch in andere Verhältnisse, besonders aus hohen Drucken und Temperaturen durch Dislokation in Zonen weniger hoher Tempera- turen und Drucke versetzt wird und dort seine endgültige Auskristallisation findet. Dabei werden die gesetzmäßigen Ausscheidungen einer ersten Gesteinsbikluiigsphase, die zu den Einsprengungen führte, jählings unter- brochen und es muß an anderer Lokalität eine zweite Phase, die Ausbildung der Be- standteile einer Grundmasse, nachfolgen. Nach der Auskristallisation der Einspreng- unge kann dann die chemische Zusammen- setzung des Restmagmas derartig werden, daß in der Grundmasse ein Gemengteil in neuer, der ersten analoger Generation sich zu bilden vermag, und gilt es geradezu als das Wesen der porphyrischen Struktur, daß in ihr der eine und andere Gemengteil in mehr als einer Generation auftritt. Die Ausbil- dung solcher porphyrischer Strukturen läßt sich aber oft auch mit dem Eutektikum in Beziehung bringen. Herrscht nämlich die eine Komponente desselben gegenüber dem eutektischen Verhältnis bedeutend vor, so kann sie zuerst für sich in größeren Kristallen ausscheiden und dadurch Einsprengunge er- zeugen gegenüber einer nachher entstehenden eutektischen Grundmasse, ein Fall, der relativ oft bei granitporphyrischen Ganggesteinen getroffen wird, deren Struktur man nach Löwinson-Lessing dann als eutekto- phyrisch bezeichnet. Dasselbe trifft für manche Quarzporphyre mit mikroaplitischer oder mikropegmatitischer Grundmasse aus der Randfazies von sauren Tiefengesteinen und auch für viele lamprophyrische Gang- gesteine zu. 2c) Hemikristallin-p orphyrische Struktur. Findet in der Ausbildung der porphyrischen Struktur eine nur teilweise Individualisierung der Substanz statt, d. h. muß ein Teil derselben, und das kann natür- lich nur in der Ausbildung der Grundmasse geschehen, wegen rascher Abkühlung und hoher Viskosität amorph erstarren, so ent- steht eine hemi- oder hypokristallin- porphyrische Struktur. Bei derselben liegen die Einsprengunge innerhalb einer dichten (kryptomeren) Grundmasse, die unter dem Mikroskop als eine Mischung von kleinsten Kriställchen und mehr oder weniger Glas erscheint. Sie ist insbesondere charak- teristisch für Oberflächengesteine (Erguß- oder Effusivgesteine) und ihre Entstehung spielt sich nach Rosenbusch in der Regel wiederum in zwei Phasen ab: in der ersten oder intratellurischen Periode entwickeln sich die Einsprengunge, in der zweiten oder effusiven unter beschleunigtem Erstarren die Grundmasse. Indessen kann hier auch wieder der zweite der oben für porphyrische Struk- turen angeführte Bildungsweg ins Auge ge- faßt werden, nur muß dalDei wegen des raschen Temperaturfalles ein Teil der eutek- tischen Mischung amorph erstarren. In der Tat haben nach J. H. L. Vogt gewisse hoch- saure (,,mikrofelsitische") Grundmassen bei der chemischen Analyse die Zusammen- setzung eines Quarz-Orthoklaseutektikums gezeigt. Im besonderen pflegt man noch zu unterscheiden: eine trachytische Struk- tur, wenn bei Glasarmut der Grundmasse in ihr als Hauptbestandteil viele leisten- förmige Orthoklase mehr oder weniger parallel angeordnet erscheinen (sie ist hauptsächlich an Trachyten entwickelt, ! daher der Name) ; treten dieselben dagegen I wegen mehr isometrischer Formentwickelung vorwiegend in quadratischen Querschnitten I hervor,' so spricht man von orthophyri- scher Struktur. Bleiben die Grund- massenfeldspäte fein nadelig, so entsteht die pilotaxitische Struktur, die durch Zu- nahme der Glassubstanz in die hyalopili- tische übergeht, in welcher die Grund- masse ,, einen glasdurchtränkten Mikrolithen- filz darstellt" (Rosenbusch); beide Modi- fikationen kommen besonders oft an Ande- siten vor, — In der vitrophyrischen Struktur der Pechsteinporphyre liegen die Einsprengunge in einer nahezu rein glasigen Grundmasse. Umgekehrt können bei hoher Basizität des Magmas, das infolgedessen bei der Abkühlung lange flüssig und kristalli- sationsfähig bleibt, vorhandene Einspreng- unge einfach weiterwachsen, so daß die Bil- dung einer Grundmasse unterbleibt und die Struktur einen holokristallin eugranitischen oder ophitischen Habitus annimmt, was an Lager- und Kuppengesteinen der Diabase und Basalte gelegentlich konstatiert werden kann. 3. Strukturen der metamorphen Ge- steine (Kristalline Schiefer, Kontakt- und Injektionsgesteine: vgl.Bd.VI S.934ff). Wie nun allgenu'in aiu'rkannt sein dürfte, voll- zieht sich die Metamorphose am festen Ge- stein so, daß nur minimale Partien desselben 1068 Gesteinsstniktur und Gesteinstextur unter Mitwirkung von bestimmten Tempera- turen und Drucken gleichzeitig in Umwand- lung begriffen sind. Darauf basieren auch die beiden Hauptkennzeichen der Struktur metamorpher Gesteine, die vor wenigen Jahren unter der Bezeichnung kristallo- blastische^) Struktur (Becke, Ber- werth, Grubenmann) in die Wissenschaft eingeführt worden ist: die mangelhafte Formentwickelung der Komponenten und das Fehlen einer Ivristallisationsfolge. Die erstere dürfte daraus hervorgehen, daß die Kristallisation im eingeengten Räume er- folgt, so daß die vorhandenen Mineral individuen die Gestaltung der werdenden beeinträchtigen und auch diese wiederum einander in der Erreichung ihrer eigenen Kristallgestalt hemmen In der Kristalhimgrenzung treten besonders gern die Flächen vollkommenster Spaltbarkeit auf, wenn auch buchtige, rundliche und besonders linsenförmig abgeplattete Gestalten und die Formentwickelungen, wie sie bei den Kristalloiden der kristallinischen Aggregate angetroffen werden, weitaus überwiegen. Kristallographisch relativ gut entwickelte Gemengteile werden Idioblasten, schlecht ausgebildete Kompo- nenten Xenoblasten genannt. Eine Reihenfolge der Ausscheidung fehlt im allgemeinen deshalb, weil die verschiedenen, im Gestein verteilten Lösungen einen un- gleichen Inhalt besitzen mögen, so daß gleichzeitig ganz verschiedene Komponenten zur Bildung gelangen können. Hieran knüpft sich als eines der am meisten charakteristi- schen Merkmale dieser Struktur die Er- scheinung, daß jeder Gemengteil eines meta- morphen Gesteins den anderen einschließen kann. — Manches in der Erklärung dieser Struktur ist noch hypothetisch, und es wird eine dankbare Aufgabe sein, zunächst in sorgfältiger Einzelforschung, und wenn irgend möglich auch auf experimentellem Wege, einen Grundstock sicherer Erfah- rungen zu sammeln. Aus der Genesis der metamorphen Ge- steine geht ohne weiteres hervor, daß die- selben ausnahmslos holo kristalline Ausbildung erlangen. Geschieht das Wachsen aller Komponenten gleichmäßig, so resultieren h o m ö o b 1 as ti s ch e S tr u kt ur e n , welche zunächst nach der Form der ver- wachsenen Gemengteile wieder in grano- blastische (körnige), lepidoblastische (schuppige) und nemato- oder fibro- blastische (faserige) Strukturen sich unter- gliedern lassen. Zu den granoblastischen Strukturen zählt auch die Pflaster- struktur (Hornfels-, Bienenwaben-, Mosa^ik- oder zyklopische Struktur) der Kontaktgesteine. Nach der besonde- ^) Von ßlaarnva), keimen, wachsen, hervor- sprossen. ren Art der gegenseitigen Beziehungen der Gemengteile können weiter unterschieden werden: die poikiloblastische Struktur, bei der größere xenoblastische Individuen eines Gemengteiles sich so aneinander schließen, daß eine Art grobkörnigen Grund- gewebes entsteht, in welchem kreuz und quer wesentlich kleinere Idioblasten anderer Ge- mengteile liegen (besonders in Grünschiefern und Glaukophanschiefern verbreitet). Sie hat wiederum große Aehnlichkeit mit der Siebstruktur der Kontaktgesteine, in welcher die einzelnen Gemengteile von anderen (meist Quarz oder Feldspat) sieb- artig durchlöchert erscheinen. Bei den dia- blastischen Strukturformen (im speziellen noch als mikro- und krypto- di ablas tisch unterschieden) sind die ein- zelnen Gemengteile miteinander ver- wachsen und durchdringen sich gegenseitig ähnlich wieim Eutektikum; dabei erscheinen strauchartig verzweigte, radiale und parallel- faserige Gebilde. Diese Strukturen pflegen dann aufzutreten, wenn zwei Komponenten unter Entmischung aus einer einzigen her- vorgehen und die Auskristallisation im ein- geengten Räume erfolgt mit Ausbreitungs- möglichkeit nur nach einer Seite (häufig bei Amphiboliten) oder bei stofflicher Wechsel- wirkung zwischen zwei Komponenten. In letzterem Falle entstehen in der Regel eine 1 oder mehrere radialstrahlige Zonen um ein Zentrum, das durch den Rest der einen sich I umwandelnden Komponente gebildet wird. Dies gilt im besonderen als Kelyphit- struktur (yJlv/o^ Schale), typisch für Eklogite und Granatamphibolite. Eilen gewisse Mineralspecies den übrigen Komponenten eines metamorphen Gesteins im Wachstum in der Größe voran, so kommen die heteroblastischen Struk- turen zustande. Dabei entsteht gerne eine Art Struktur, welche in ihrer äußeren Erscheinung große Aehnlichkeit hat mit der porphyrischen Struktur der Er- starrungsgesteine und deshalb als por- phyroblastische (auch pseudoporphy- rische) Struktur bezeichnet wird, wobei man die großen Kristalle als Porphyro- blasten und die feiner struierte Haupt- masse als ,, Grundgewebe" unterscheiden kann. Die Aehnlichkeit mit der porphyri- schen Struktur ist indessen nur eine formelle, keine genetische; bei dieser sind nämlich die Einsprenglinge älter als die Grundmasse, während bei porphyroblastischen Gesteinen die großen Kj-istaUe entweder gleichzeitig gebildet sind mit den kleinen Individuen des Grundgewebes oder sogar sich als jünger er- weisen, indem zuweilen nachgewiesen werden kann, daß sie die kleineren Gemengteile des Grundgewebes verdrängt und durch Sammel- kristallisation aufgezehrt haben. Granat, Gesteinsstruktur und Gesteinstextur 1069 Staurolith, Disthen, Hornblende und Magnetit treten in Glinuneischierern und Amphi- boliten gern als INupliyniblasten auf. Wenn die Metamorphose eines Erstar- rungsgesteins oder Sedimentes noch nicht vollständig zum Abschluß gelangt ist, lassen sich, halb versteckt durch die neuen Struk- turen, oft noch Reste der alten erkennen; in diesem Falle spricht man von Relikt - struktur (Palimpseststruktur, Seder- hol m) und kennzeichnet sie im speziellen durch die Vorsilbe ,,blasto" als blasto- granitisch, blastophitisch, blasto- porphyrisch, blastopsammitisch, blastopelitisch usw., je nachdem die eugranitische, ophitische, porphyrische, psammitische oder pelitische Struktur dem Ausgangsgesteine eigen war. — Endlich können sowohl aus Massengesteinen, als auch aus grobkörnigen Sedimenten durch mecha- nische Zertrümmerung (Kataklase) aller Komponenten noch besondere Strukturen sich entwickeln, die man als Kataklasstruk- turen (auch mechanische Strukturen) bezeichnet. Sie können oft auch den Charak- ter von Reliktstrukturen haben, so z. B. wenn in der Zertrümmerung von Gesteinen größere Mineralbrocken erhalten bleiben und einsprenglingsartig in einem Grundgewebe liegen, das aus einem Zerreibsei der übrigen Komponenten besteht; dann spricht man von klastoporphyrischer (mechanisch porphyrischer) Struktur. Werden die Komponenten eines deformierten Gesteins von dem gegenseitigen Gereibsel kranzartig eingefaßt, so liegt die Mörtelstruktur vor (findet die Zertrümmerung statt unter gleichzeitigem Vorwärtsbewegen eines sich verfestigenden Massengesteins, so gilt der Vorgang nach Brögger als Protoklase und die Struktur als Protoklasstruktur). — Die Struktur vieler Injektionsgesteine ist charakterisiert durch lokalen Wechsel aplitisch und kristalloblastisch struierter Partien; für die Festlegung einiger ohne Zweifel vorhandener gesetzmäßiger Er- scheinungsformen fehlt heute noch eine breitere, wissenschaftlich gesicherte Grund- lage. B. Gesteinstexturen. Räumliche oder stereometrische Gefüge. Die Texturen sind weniger eng mit dem substantiellen Wesen der Gesteine ver knüpft, sondern hängen zum großen Teil mehr von äußeren Umständen und Faktoren ab, die sich während der Gesteinsbildung geltend machen (Einfluß der Schwerkraft, Richtung und Größe der herrschenden Differential- drucke, Strömungen und andere Bewegungs- erscheinungen, Entbindung von Gasen usw.), welche aber imstande sind, die räumhche Anordnung der entstehenden Komponenten und dadurch das Gesteinsgefüge zu beein- flussen. 1. Texturen der Sedimente. Wenn bei chemischen oder Idastischen Sedimenten ihre Individuen in isometrischen Gestalten, d. h. als große, grobe oder feine Körner vorliegen, so werden diese sich räumlich zusammen- lagern ohne Bevorzugung irgendeiner Rich- tung und es werden dadurch die Gesteine eine richtungslose Textur annehmen, wiez. B. am Steinsalz, Anhydrit und an Trümmer- gesteinen beobachtet werden kann. Bei lamel- larer Ausbildung der Individuen können sich die Blätter und Schuppen beim Absatz im fließenden Wasser dachziegel- oder fisch- schuppenartig niedersetzen; in ruhigem Medium dagegen werden sie, einzig der Schwerkraft folgend, ihre größte Fläche senkrecht zu jener einstellen. So entsteht, häufig in kryptomerer Ausbildung, die schuppigschieferige und ebenscliiefe- rige Textur mancher Tone. Für lineare Ge- bilde besteht die Möglichkeit, sich im Räume parallel, radial oder verworren zu lagern, wo- durch die faserige Paralleltextur, die Radialtextur und die filzige Textur ent- steht (vgl. Fasergyps, manche Kalksinter, Taraspitk Bei der oolithischen Textur des Kalksteins ordnen sich die linearen Kri- stalle des Calciumkarbonates entweder radial- oder tangential-schalig zu kleinen Kugeln oder Ovoiden an, in welchen die beiden Arten des Zusammentretens auch miteinander abwechseln oder untereinander sich kom- binieren können. Ursprünglich richtungslose Dolomite und Kieselkalke werden durch Auslaugung des leichter löslichen CaCOa eine zellige Textur annehmen. 2. Texturen der magmatischen Ge- steine. Die Erstarrung eines Magmas erfolgt im allgemeinen ohne Bevorzugung irgend- einer Richtung, weswegen die richtungslose Anordnung der Komponenten oder die massige Textur für die Erstarrungsge- steine typisch ist. Da frühere Ausscheidungen gelegentlich jüngeren auch als Ansatzpunkte dienen, kann dies zu einer roh zentrischen Textur führen, die sich oft bis zur sphäri- schen oder Kugeltextur steigert. Auch hier kann dabei wiederum ein radial-strahliges oder ein konzentrisch-schaliges Gefüge be- stehen, je nachdem die linearen Individuen sich entsprechend den Radien oder den Tangenten anlagern, wobei sich mit den Schalen oft auch ein Wechsel in der Substanz vollzieht, indem durch Ausscheidung der einen im Ueberschuß sich befindlichen Kom- ponente eine Uebersättigung und damit Aus- scheidung der anderen herbeigeführt wird, was an Kugelgraniten und Kugeldioriten zum Ausdruck gelangt. Findet kein Wechsel in der Substanz statt, so spricht man von 1070 Gresteinsstruktur imcl (Testemstextm- sphärolithischer Textur. Parallele An- ordnung lamellarer oder linearer Gemeng- teile, erzeugt durch Strömung oder durch seit- lichen Druck, kann während des Er- starrens eine primärschieferige oder primärlineare Textur hervorbringen. Findet hierbei in Lagen oder Bändern ein Wechsel der Substanz und Farbe statt, so ist die Bezeichnung Lagentextur oder Bändertextur gebräuchlich; sie kann ihre Entstehung einer Spaltung des erstarren- den Magmas verdanken, was für einzelne Gabbro der Hebriden und die Ornöite geltend gemacht wird. Fließende Bewegungen des Magmas, wie sie bei der Bildung von Decken, Strömen und auch Gängen stattfinden, rufen in der Anordnung der ausgeschiedenen Ge- mengteile die fluidale Textur (Fluktua- tion stextur) hervor, die von den vorher erwähnten Paralleltexturen nicht immer leicht zu unterscheiden ist. Strömungen innerhalb eines erstarrenden Magmas können auch eine ungleichmäßige Verteilung der bereits aus- kristallisierten Komponenten bewirken, wo- durch die schlierige oder durchflochtene Textur (auch Eutaxittextur) entsteht. Der Austritt von Gasen und Dämpfen während des Erstarrens wird zu poröser Textur führen, die man ie nach ihrem be sonderen Habitus noch als schlackige, schwammige, schaumige (auch Bims- steintextur) zu bezeichnen pflegt. Endlich können die Hohlräume solcher Gesteine durch nachträgliche Sekretionen sich wieder ausfüllen, was dann zur Man d eist ei n- textur (amygdaloiden Textur) führt, die z. B. an Quarzporphyren und Melaphyren recht oft angetroffen wird. 3. Texturen der metamorphen Gesteine. Da solche Gesteine sowohl aus Sedimenten, als auch aus Erstarrungsgesteinen hervor- gehen können, liegt die ]\lüglichkeit vor, daß die Metamorphose die Textur des ursprüng- lichen Gesteins nicht ganz verwischt, wobei dann am metamorphen Gestein die frühere Textur noch als Relikttextur oder Palimpsesttextur mehr oder weniger durchschimmert, z. B. an Konglomerat- gneisen und Granitgneisen; poröse Texturen erhalten sich in metamorphen Gesteinen nicht. Für diese kommen hauptsächlich die verschiedenen Abänderungen der schiefe- rigen Textur in Betracht, welche alle der Einwirkung eines gerichteten Druckes zu- geschrieben werden. Sie bestehen in einer mehr oder weniger vollkommen parallelen Lage der Komponenten nach einer Ebene, ! womit eine verschiedengradige Ablösbarkeit nach derselben Fläche verbunden sein kann. : Diese mag bloß die einzelnen Mineralkörner voneinander abtrennen, was besonders bei schlechter spaltbaren Komponenten ein- tritt, wie bei schieferigen Quarziten und i Granuliten, dann spricht man von Adhä- sionsschieferung; sie kann aber auch her- vorgebracht werden durch die parallele Lage der Spaltflächen der Gesteinskompo- nenten, in welchem Falle die Kohäsion innerhalb der einzelnen Gemengteile geringer ist, als die Adhäsion zwischen den ver- schiedenen Mineralien, weshalb diese Schiefe- rung als Kohäsionsschieferung gilt. Sie setzt Komponenten mit ausgezeichneter Spaltbarkeit voraus, wie Glimmer, Chlorite usw. — An ursprünglichen Sedimenten mag Schieferung etwa dadurch sich allmählich ausbilden, daß die Massen unter dem Drucke von überlagernden Gesteinen durch Aus- pressung von Wassermengen mehr oder weniger zusammenschrumpfen, kleinste lamellare Komponenten dabei ihre Blatt- flächen senkrecht zur Druckrichtung ein- stellen und etwa neu entstehende blätterige Individuen in gleicher Lage sich entwickeln. In solchen Fällen gehen ursprüngliche Schichtung und die Schieferung parallel und stehen auch in Konkordanz mit einem vor- handenen Gesteinswechsel. Von größerer Bedeutung dürfte aber diejenige Schieferung sein, die aus seithcher Pressung oder Streß hervorgeht. Sie gilt als Druckschieferung im engeren Sinne (sekundäre Schiefe- rn ng, Trans Versals chief er ung,Cli vage) und ist häufig mehr oder weniger geneigt, gelegentlich sogar vertikal gestellt; ohne Be- rücksichtigung des Gesteinswechsels kann sie quer durch Schichten, Lager oder Gänge, oft durch ganze Gebirge hindurchsetzen. Es liegt nahe, in dieser Art Schieferung in oberen Partien der Erdrinde eine rein mechanische Streßleistung zu sehen, denn wenn Ausweichungsmöglichkeit vorhanden ist, werden die Mineralien gebogen, zer- brochen, verschoben und zu linsen- oder lagenförmigen Aggregaten umgeformt (,, Kristalle klastese"), deren kleinste Durchmesser in der Druckrichtung liegen, während die größten sich annähernd senk- recht dazu stellen. In größeren Tiefen da- gegen kann bei herrschenden hohen Drucken und Temperaturen unter dem Einfluß der Plastizität der Kristalle auch an eine bruch- lose Umformung (,,Kristalloplastese") der Komponenten gedacht werden. Die Er- scheinungen der Gesteinsmetamorphose er- möglichen aber auch eine Schieferung auf demWegederUmkristallisation(,,Kristallo- blastese"), welche nach Becke als Kristal- lisationsschi ef er ung bezeichnet wird. Unter Mitwirkung minimalster Wassermengen vollzieht sich nach dem Prinzip von Riecke (Bd.VIS.940) durch Stoiiauflösung an Stellen stärksten Druckes und AViederabsatz des Ge- lösten an die Orte geringster Pressung lang- sam ein Molekulartransport, der solange un- unterbrochen in Aktion bleibt, bis die Druck- Gesteinsstruktur imd Gesteinstextur 1071 Wirkung ausgelöst ist und eine scheinbar rein nu'chanischc Lcistnng vorliegt. So werden unter Streßwirkung säulige Aggregate von scliieferliolden Biotiten in breite Blätter um- geformt, größere Körner von Quarz oder Feldspat in flache Linsen und Tafeln umgewandelt (f laserige, linsige oder lentikulare Textur). In ganz ähnlicher Weise kann auch Kristallisations- streckung zustande kommen, welche z. B. zu Stengelgneisen führt. — Amerikanische Forscher (Van Hise, Leith) erklären die Kristallisationsschieferung als Folge der in den Gesteinen herrschenden Streß- und Strainverhältnisse, weil an Stellen größter Spannung Löslichkeit und Keaktions- fähigkeit erhöht werden. Jeder Streß kann in drei aufeinander senk- recht stehende Komponenten zerlegt werden, deren Intensität durch die Länge der Senkrechten ausgedrückt wird; damit läßt sich ein Streß- ellipsoid konstruieren, das im allgemeinsten Falle ein dreiachsiges ist. Streß erzeugt in den ihm unterworfenen Körpern Spannungszustände (Strains) und jedem Streßellipsoid entspricht dann auch ein Strainellipsoid, dessen Achsen denen des ersteren invers proportional sind: die größte Strainachse hegt also in der Richtung der kleinsten Streßachse und umgekehrt. Die Energiesteigerung schließt sich an das Strain- ellipsoid an. Neubildungen entstehen dann unter dem geringsten Arbeitsaufwand, wenn sie das Strainelhpsoid nachbilden, also plattige Formen annehmen, welche sich annähernd parallel zur Hauptstreßrichtung stellen. Werden größter und mittlerer Streß und damit auch kleinster und mittlerer Strain gleich groß, so müssen lineare Kristallformen entstehen, und dadurch wird die Kristallisationsstreckuug zu- stande kommen. Wenn die Lage der Achsen während der Strainwirkung sich ändert, spricht man von Rotationsstrain; unter seinem Einflüsse wird die Parallelität der früher und später ent- standenen Komponenten bloß eine annähernde sein und die Texturlläche wird zur Haupt- streßrichtung einen schiefen Winkel bilden. Diese Verhältnisse führen auch dazu, zwischen ebener und schuppiger Schieferigkeit zu unterscheiden. Der Vorgang der Kristallisationsschiefe- rung wurde durch den Amerikaner F. E. Wright experimentell bestätigt. Mit der- selben ist oft die helizitische Textur verknüpft, welche vielfach als eine Art Pseudomorphose nach einer schon vorhande- nen Fältelung angesehen wird; öfter mag sie aber durch Verschiebungen in der Streß- richtung zustande kommen, unter Lage- änderung schon entstandener Komponenten und teilweiser oder vollkommener Anpassung derselben an die veränderten Strainverhält- nisse durch RekristaUisation. Der Ort für die Ausbildung der erwähnten schieferigen Texturen liegt in den oberen und mittleren Zonen der Erdrinde; in tieferen Niveaus dagegen geht der einseitig gerichtete Druck in allseitigen oder statischen Druck über, unter dessen Einfluß sich metamorphe Ge- steine mit richtungsloser oder massiger Textur ausbilden, wie sie Eklogiten, vielen Granuliten, auch Marmoren zukommt. — Injektionsgesteine bevorzugen besonders die Augen-, Lagen- und Streifen- textur mit vielfachen Uebergängen dieser Formen ineinander; sie kann in sehr vielen Fällen mit einer Injektion apli- tischer Massen in dunkle biotitreiche oder hornblendeführende Schiefer in Zusammen- hang gebracht werden. Die in sehr launen- hafter Verteilung auftretende Fältelung von Injektionsgneisen, die Torsionstextur, wird einer mit Erweichung verbundenen Bewegung des von der Injektion betroffenen Gesteins während des Eindringens der frem- den Massen zugeschrieben. Literatur. H. Rosenbusch, Elemente der Gesteinslehre, 3. Aufl. Stxittgart 1910. — H. Rosenbu»ch und E. A. Wülflng, Mikro- skopische Physiographie der Gesteine, Bd. 2, 4. Avfl. Stuttgart 1907. — F. Zirkelf Lehr- bttch der Petrographie, Bd. i, 2. Aufl. Leipzig 1893. — F. Rinne, Praktische Gesteinskunde, 3. Aufl. Hannover 190S. — Derselbe, Salz- petrographie und Bletallographie im Dienste der Eruptivgesteinskunde. Fortschritte der3Iineralogie, Kristallographie und Petrographie, Bd. i. Jena 1911. — E. Weinschenk:, Grundzüge der Ge- steinskunde. Freiburg 1902. — 17. Gruben- niann, Die kristallinen Schieftr, 2. Aufl. Berlin 1910. — Derselbe, Struktur und Textur der metamorphen Gesteine. Fortschritte der 3Iinera- logie, Kristallographie und Petrographie, Bd. 2. Jena 1912 {mit weitereji Literaturungaben). — J. H. L. Vogt, Physikalisch-chemische Gesetze der Kristallisationsfolge in Eruptivgesteinen. Tscher maks mineralogisch - petrographische Mitteilungen, Bd. 24, 25 und 27. Wien 1904105 und 1908. — F. 1,0 winson- Lessing , Studien, über Eruptivgesteine. C. R. des internationalen Geologenkongresses in St. Petersburg, 1899. — Derselbe, Porphyrische Struktur und Eutektik. Verhandlungen der russischen kaiserlichen minera- logischen Gesellschaft in St. Petersburg, 1906. — i. Milch, Die primären Strukturen und Texturen der Eruptivgesteine. Fortschritte der Mineralogie, Kristallographie und Petrographie, Bd. 2. Jena. 1912 (mit vielen Literaturan gaben). — F. Recke, lieber ßlineralbestand und Strtiktur der kristalli- nischen Schiffer. Denkschrrift der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, Bd. 76. Wien 1903. — Ch. K. Leith, Rock cleavage, U. S. Geological Survey, Bull. 239. Washington 1905. — f». Niggli, Die Chloritoidschiefer und die sedimentäre Zone am Nordostrand des Gotthard- massivs. Beiträge zur geologischen Karte der Schweiz, neue Folge, Lieferung 36. Bern 1912. U. Grubenmann. 107 Gesteinsabsonclerung Gesteinsabsonderung. 1. Klüftiing der Erstarrungsgesteine. All- gemeines: a) Plattige Absonderung, b) Säulige Absonderung. c) Kubische Absonderung, d) Kugelige Absonderung. e) Kombination verschiedener Absonderungsformen. 2. Klüftung der Sedimentgesteine: a) Austrocknungsformen. b) Schichtung und Schichtfuge. 3. Klüftung der metamorphen Gesteine: a) Die Schieferungs- ebene (Hauptbruch), b) Zerrklüfte (Querbruch). c) Längsklüfte (Längsbruch), d) Schär- oder Gleitflächen. Die verschiedenen Gesteinsarten, Er- starrungsgesteine, Sedimente und kristalline Schiefer sind von verschiedenen Arten von Klüften durchsetzt, welche im allgemeinen für sie charakteristisch sind und mit ihrer spezifischen Bildungsweise in genetischem Zusammenhang stehen. Da es sich dabei um Trennungsfugen innerhalb ein und desselben Gesteins oder doch innerhalb ein und des- selben Gesteinskomplexes handelt, heißt diese Klüftung Absonderung und liefert die Absonderungsformen der Gesteine. Ihre ver- schiedene Entstehungsart in den genannten Gesteinsklassen erfordert eine getrennte Be- handlung nach denselben. I. Klüftung der Erstarrungsgesteine- Allgemeines. Die Klüftung der Erstarrungs- gesteine wird auf einen Schrumpfungsprozeß zurückgeführt. Es ist in hohem Grade wahr- scheinlich, daß das Volumen aller Magmen größer ist, als das der aus ihrer Verfestigung resultierenden Eruptivgesteine, wobei noch die Kontraktion bei kristalliner Erstarrung größer ist als bei glasiger. Das Resultat clieser Volumenverringerung sind die Ab- sonderungsklüfte. Die Beobachtung lehrt, daß dieselben frühestens während oder nach der Erstarrung entstehen, denn sie zerlegen fertige Kristalle in aufeinander passende Hälften und beeinflussen in keiner Weise eine etwa auftretende Fluidaltextur. Da die Ge- steinserstarrung und die sie begleitende Kon- traktion im wesentlichen durch Wärmeabgabe erzeugt wird, ist für die Zahl, Art und Lage der Klüfte maßgebend das Wärmegefälle innerhalb des Gesteinskörpers neben dem chemischen und mineralogischen Charakter des Gesteins, mit welchem die Schrumpfungs- größe variiert. Lieber eine Klüftung bei an- nähernd isothermer Erstarrung, welche immerhin der Ausnahmefall sein mag, fehlt uns heute die Erfahrung. Im allgemeinen geht die Gesteinssehrumpfung von der Ab- kühlungsfläche aus und wird durch deren Form beeinflußt. In Wirklichkeit ist nur in- sofern die Form der Abkühlungsflächen für die Klüftung maßgebend, als ihr die Flächen gleichen W^ärmeverlustes folgen. Dies ist bei einfacher Oberflächengestalt durchaus der Fall, bei komplizierter aber und stark gegliederter wird die Parallelität nur eine sehr ungefähre sein, die Linien der Flächen gleichen Wärmeverlustes sind einfacher, ganz analog wie sich die Geoisothermen zur Oberflächengestalt der Gebirge verhalten. Auch kommen Abweichungen von der Lage der Abkühlungsflächen zustande an Stellen stärkerer Gasausströmung, in der Nähe von Spalten, infolge unterirdischer Wasserläufe, welche die Konvektion modifizieren, durch lokale Porosität des Gesteins selbst, durch Art, Beschaffenheit und Schichtstellung der umgebenden Gesteine. Immerhin dürften doch die Abkühlungsflächen am meisten be- stimmend sein für die Flächen gleichen Wärme Verlustes. Die Abkühlungsfläche er- starrt zuerst. Gesteine sind schlechte Wärme- leiter, darum wird die Wärmeabgabe um so langsamer, je dicker die Kruste wird. Solange alles flüssig ist, ist kein Widerstand gegen die Schrumpfung vorhanden; derselbe wächst mit zunehmender Verfestigung. Der Wider- stand ist am geringsten 1 1 zur Abkühlungs- fläche, am größten J_ dazu, demzufolge wird eine Klüftung zunächst stattfinden J_ zum Widerstandsmaximuni, also annähernd || zur Abkühlungsfläche. Da nach innen der Widerstand wächst, wird die Zahl der Klüfte nach innen zu abnehmen. Bei fortschreitendem Widerstand gesteins- einwärts kann derselbe endlich 1 1 zur Ab- kühlungsfläche größer werden als _L dazu, zur Parallelklüftung tritt eine senkrechte, die ausgeprägter werden kann als diese oder sie endlich ersetzt. An Hand dieses scWieß- lieh eintretenden maximalen Widerstandes senkrecht zur Abkühlungsfläche ist der Be- griff des Schrumpfungswinkels aufgestellt worden, der für jede Substanz eine Kon- stante ist. In der Ebene, in welcher zuerst der Schrumpfungswiderstand JL zur Ab- kühlungsfläche kleiner ist als 1 1 zu der- selben, wird im gegebenen Augenblick die Schrumpfung größer sein als in jeder anderen zu ihr parallelen Ebene nach dem Gesteins- innern zu. Ein Riß wird also zuerst in dieser Ebene eintreten und wird nach innen zu an Weite abnehmen, sich endlich verlierend. Ist in der angenommenen Ebene das Maxi- mum der Rißweite erreicht, so wird auch der Riß eine bestimmte Länge erhalten haben, die man als Einheit annimmt. Bezeichnet man mit a den halben Winkel, welchen die nach innen konvergierenden Rißwände mit- einander bilden, so ist die maximale Schrum- pfung = 2tga, der Schrumpfungswinkel a. Die Schrumpfungsdifferenz zwischen zwei sich folgenden Lagen muß bei rascher Ab- kühlung größer sein als zwischen zwei sich langsam abkühlenden, der Schrumpfungs- winkel der ersteren a größer als der der letzteren a. Dies ist von Einfluß auf die Zahl der Klüfte. Diese muß im ersteren Fall größer sein als im zweiten und zwar müssen Gesteinsabsonden 1073 -^ — mal mehr Risse entstehen. Die Klüfte tga treten übrigens nicht überall klaffend auf; vielmehr bedeuten sie vielfach nur ein Mini- mum der Kohäsion, eine Prädisposition nach bestimmten FLächen zu spalten. Die Ver- witterung folgt diesen Flächen und bringt die ib) Säulige Absonderung. Als ein- fachste Erklärung für die säulige oder prismatische Absonderung erscheint die Annahme eines Widerstandsminimums gegen die Kontraktion X zur Abkühlungs- fläche. Etwas davon abweichend ist eine von W. Salomon aufgestellte Betrachtungs- Fig. 1. Granit, Schneeberg, Fichtelgebirgc, riaLtigo Absoudeiunj. Risse hervor, auch Gangbildungen aller Art folgen der Klüftung. Für die technische Bearbeitung der Gesteine ist sie von großer Wichtigkeit, da sie den Steinhauern die j Formen ihrer Blöcke vorbildet. Die große | Zahl der technischen Ausdrücke für die Flächen leichtester Trennung, Bahn, Gare, filo mastro usw. zeugen für ihre Bedeutsamkeit. Die verschiedenen Arten der Absonderung finden im vorstehenden ihre Erklärung. Man unterscheidet eine plattige, säulige, par- allelepipedische und kugehge Absonderung. la) Plattige Absonderung. Die plattige Absonderung erfolgt dann, wenn das Widerstandsmaximum gegen die Schrum- pfung _L zur Abkühlungsfläche liegt und wird also im allgemeinen 1 1 zu derselben verlaufen. Die Dicke der Platten kann von wenigen Zentimetern bis 30 und 40 m gehen. Danach unterscheidet man blätterige, plattige und bankförmige Absonderung. Bei unebenen Begrenzungsflächen heißt die Ab- sonderung krummschalig. Ergußgesteine sind häufig plattig abge- sondert und es können Phonohthe und Basalte so dünne Platten Hefern, daß sie zum Dach- decken benutzt werden. Im Innern der Tiefengesteinsmassive, wo die Schrumpfung starkem Widerstände begegnet, dürfte die Bankung die größte Mächtigkeit erreichen (Fig. 1). Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV. weise. Er denkt sich das sich abkühlende Er- starrunsfsgestein durch seine isothermalen Fig. 2. Basalt, Kuru Seraj, Kleinasien. Absonderung. Säulige 1074 Gesteinsabsonderun.s: i 1 fß. J r ■ W " •*^* .^^A-^-'. ""^^ ^ ^^^S^^^^l ■^ ■J^ Fig. 3. Basalt, Feldberg, Themar. Säulige Absonderung. Flächen in eine be- liebig große Anzahl von Schalen zerlegt. Jede derselben hat infolge der Abküh- lung das Bestreben sich von allen Seiten her in sich selbst zu kontrahieren, wo- durch ,,ie nach der Intensität der Schrumpfung eine größere oder gerin- gere Zahl von Klüf- ten oder Klüftbar- keitsflächen J_ zur isothermalen Fläche entstehen muß". — Bei vollständig ho- mogenem Material nnd gleichmäßiger Fig. 4. Granit, Kordofan. Kubische Absonderung. )tte, Bertrich, Eifel. sonderung. Kugelige Ab- Kontraktion müßte ein hexa- gonaler Querschnitt der Säuleu erwartet werden, doch trifft dies meist nicht zu, die Anzahl der Säulenflächen kann in einem und demselben Gesteinskörper eine ganz ver- schiedene sein. Länge und Dicke der Säulen schwanken ebenfalls stark (Fig 2). Durch eine schwächer entwickelte Absonderung 1 1 zur Abküh- lungsfläche tritt QuergUederung ein,"wobei die einzelnen Säulen- glieder bald mit ebenen, bald mit gebogenen Flächen anein- ander stoßen. Auch die ganze Säule kann gebogen sein. Die prismatische Absonderung eignet den verschiedensten Erstarrungs- gesteinen, ist aber besonders schön bei Basalten entwickelt (Fingalshöhle auf Jaffa, Hebri- den-Antrim (Maud), Pallisaden- diabase Hudson; Fig. 3). ic) Kubische Absonde- rung. Die kubische oder parallelepipedische Abson- derung kann als Kombination einer säuligen und einer plattigen Absonderung angesehen werden bei großem Abstand der Ab- sonderungsflächen und quadrati- schem Durchschnitt der Säulen. Es setzt also ein Widerstands- minimum 1 1 zur Abkühlungs- fläche und zwei solche JL dazu voraus, welche alle einander un- gefähr gleichwertig sein müssen. Die kubische Absonderung ist nur von Tiefengesteinen mit granitischer Struktur bekannt Gresteinsabsondeining 1075 geworden. Bei der Verwitterung liefern Gesteine mit kubischer Absonderung die Felsenmeere (Fig. 4). id) Kugelige Absonderung. Die sphärische oder kugelige Absonde- rung setzt eine allseitig gleichmäßige Schrumpfung voraus und wird daher eher bei lang- samer Abkühlung ein- treten können. Die Durchmesser der Kugeln variieren von mikrosko- pischen Dimensionen (perlitische Ergußgestei- ne) bis mehr als Meter- länge (Granite, Diorite u. a.). Es hängt dies von der Entfernung der Schrumpfungszentren voneinander ab, welche wiederum durch die Schnelligkeit der Wärme- abgabe bedingt ist. Die Schrumpf ungszentren liegen einander um so näher, je rascher dieselbe erfolgt. Die Kugeln be- rühren einander oder sie liegen vereinzelt im Ge- stein, was mit einer örtlich ungleichen Di- stanz der Schrumpfungs- zentren in Zusammen- hang gebracht wird. Der konzentrisch schahge Bau der Sphäroide geht mit Notwendigkeit aus Schrumpfungskörper hervor. Kugehge Ab- sonderung wird sowohl bei Tiefengesteinen als auch bei Ergußgesteinen und Gängen gefunden. Sehr schöne Beispiele liefern Granite, Liparite und Diabase (Fig. 5 und 6). le) Kombination verschiedener Ab- sender ungsformen. Schon bei der Be- sprechung der einzelnen Absonderungsarten wurde mehrfach auf eine Kombination der- selben hingewiesen und die kubische Ab- sonderung wurde als solche gedeutet. In der Natur können sich aber nicht nur 2, sondern 3 und 4 Kluftsysteme kombinieren. Innerhalb der gegliederten Säulen eines Säulenbasaltes kann noch sphärische Ab- sonderung auftreten, in der Wollsackabson- derungsform vereinigt sich die kubische oder die dickplattige mit der kugeligen Ab- sonderung. Ein und dasselbe Kluftsystem kann auf weite Strecken von ganz konstanter Orientierung sein, aber auch allmähliche Aenderungen in der Stellung der Klüfte lassen sich konstatieren. Es dürfte dies mit einer Aenderung in der Lage der Abküh- lungsflächen zusammenhängen. Sind z. B. bei einem Ethmoliten, wie das Adamello- massiv, die oberen Teile durch Abtragung so weit entfernt, daß an den Bändern schon die trichterförmig einfallenden Grenzflächen zutage treten, so wird man auch die Klüfte denselben folgen und sich in einem spitzeren Fig. 6. Perlitpechstein, Ungarn. Kugelige Absonderung. Mikroskopisch. ihrer Natur als oder stumpferen Winkel umbiegen sehen. Geringfügigere Ablenkungen mögen durch Spalten und alle jene Umstände hervorge- bracht werden, welche Differenzen zwischen der isothermalen und der Abkühlungsfläche verursachen (vgl. S. 1072). 2, Klüftung der Sedimentgesteine. 2a) Austrocknungsformen. Bei den Sedimentgesteinen kann die Austrocknung zu ähnlichen Absonderungserscheinungen führen wie bei den Eruptivgesteinen, da sie ebenfalls mit einem Schrumpfungsvorgang verknüpft ist. Die RoUe der Abkühlungs- oder isothermalen Fläche wird dann von der Austrocknungsfläche übernommen. Immerhin ist das Auftreten der oben angeführten Ab- sonderungsformen ein mehr ausnahmsweises, sporadisches. Die plattige Absonderung modifiziert sich meist zur dünnplattigen und gibt sich im Blättern mancher Kalksteine, Sandsteine und Tone kund. Kubische Ab- sonderung wird nur bei Sandsteinengefunden, prismatische entstand bei derselben Gesteins- art in der Nachbarschaft brennender Braun- kohlenflöze. Sphärische Absonderung scheint den Sedimenten im allgemeinen fremd zu sein. 68* 1076 Gesteinsabsonderung 2b) Schichtung und Schichtfuge. Die für diese Sedimentgesteine charakteristische lüuftbildung ist die Schichtfuge. Dieselbe gehört zum Wesen der Schichtung und bildet sich mit dieser. Ueber die Entstehung der Schichtung herrscht heute noch keine Ein- stimmigkeit und die Zahl der einschlägigen Arbeiten ist eine sehr geringe. Es bestehen drei wesenthche Hypothesen, deren älteste, welche in der Schichtung eine Absonderung infolge der Erdumdrehung sieht (Jäger 1839) jetzt kaum mehr diskutiert wird. Die zweite, die Unterbrechungstheorie, schreibt die Schichtung einem zeitüchen Hiatus im Ab- ' absatz ein satz zu ; während der Unterbrechung verhärtet die Oberfläche der zuletzt abgesetzten Schicht (Studer, Naumann, v. Fritsch u. a.), Lösungsmittels. Konzentrationsänderungen werden durch den Niederschlagsprozeß selbst hervorgerufen. Heim möchte die Erklärung ,,für die hundertfache Periodizität in der Schichtung der chemischen oder chemisch- organogenen Sedimente mit oder ohne Gesteinswechsel in einer Oszillation der chemischen Bedingungen um eine Gleich- gewichtslage herum" suchen. ,, Setzt z. B. ein Meer Kiesel ab, mehr als der Zufuhr entspricht, so wird sein Wasser kieselärmer und relativ kalkreicher. Dadurch hört der Kieselabsatz auf und es setzt der Kalk- Einmal eingeleitet gehen die Um- setzungen in diesem Sinne fort bis die Gleich- gewichtslage um eine Spur überschritten ist." Außerdem werden im kalkreichen Meer woraus eine geringere Adhäsion für das neuer- ' sich kalkschalenerzeugende Organismen an- dings abgesetzte Material folgt. Die dritte siedeln und zu organogenen und chemischen Theorie nimmt an, daß Schichtung durch einen 1 Kalkniederschlägen Veranlassung geben. Wechsel im abgesetzten Material entsteht, also ihren Grund im Wandern der Facies hat. Sie wird hauptsächüch durch J. Walt her vertreten. Gegen die Unterbrechungs- theorie wird von ihm eingewendet, daß die Tiefseebohrungen im rezenten Gestein deut- lich geschichtete Bohrkerne zutage gefördert hätten. Für sie läßt sich aber unmöglich eine zeithche Unterbrechung in der Sedimentation annehmen, der für die Verhärtung der ein- zelnen Scliichten ausgereicht hätte, vielmehr beweisen sie, daß „nur der unvermittelte Wechsel im Gesteinsmaterial Schichtung hervorruft". Auch da wo große Schichtreihen nur durch Schichtfugen getrennt, aus dem- selben Material bestehen, ist die Gleichartig- keit nur eine scheinbare. In vielen Fällen ließ sich konstatieren, daß ein zarter Belag einer fremden Substanz der Schichtfuge Dadurch kann das Wasser an Kalkgehalt verarmen und die Lebensbedingungen jener Organismen werden verschlechtert. Zugleich steigt der Kieselgehalt, es mögen Kiesel- bildner zur Herrschaft gelangen, bis sie dem gleichen Schicksal verfallen wie die Kalk- bildner und ihnen wieder weichen müssen. Auch die Arbeiten von Philippi über die Entstehung der Schichtung müssen hier noch erwähnt werden. Dieselben knüpfen sich an die neuesten Tiefseeforschungen an, welche einen bedeutenden Unterschied im Kalk- gehalt der verschiedenen Schichten ergaben. Zu ihrer Erklärung wird die Veränderung wichtiger klimatischer Faktoren oder Krustenbewegung herbeigezogen, ein drittes Moment scheint es nach Philippi nicht zu geben. 3. Klüftung der metamorphen Gesteine. folgt, z. B. Ton bei Kalksteinbänken. „Die 3a) Die Schieferungsebene. Die bei der als Schichtfugen auftretenden Trennungs- großen Klasse der kristallinen Schiefer fast ebenen im gleichartigen Gestein sind dann j ausnahmslos auftretende Fläche größter nichts als petrographisch verschiedenartige Trennbarkeit ist die Schieferungsebene. Da Schichten von sehr geringer Dicke." Die I dieselbe aber die Gesteinstextur wesentüch klaffende Fuge wäre dann wiederum das | bestimmt, wird ihre Entstehung in dem Resultat der Verwitterung oder der Kontrak- Artikel über Gesteinstexturen klar gelegt tion durch Schrumpfung beim Austrocknen. ! (s. 0.), hier kann sie nur kurz erwähnt Die Gründe, welche den Wechsel des Materials | werden. bedingen, scheinen sehr mannigfaltige zu sein, j 3b) Zerrklüfte. Neben der Schieferungs- Es werden dafür angegeben, Wechsel der | ebene, dem Hauptbruch, treten in gestreckten Jahreszeiten, periodische Klimaschwan- j Gesteinen noch 2 Klüfte, Längs- und Quer- kungen, Wechsel der Niederschläge und der i klüfte auf. Die Querklüfte werden durch die Hochwasser auf dem Festlande, sukzessive 1 Tension bei der Streckung hervorgebracht; Entblößung verschiedener abschwemmbarer j sie setzen zwei Eichtungen maximalen und Gesteinsmassen, das Pendeln der Ströme auf eine minimalen Druckes oder eine Zug- ihren Deltas, tektonische Veränderungen der : richtung voraus und liegen in einer Ebene, Uferzonen oder des Abspülungslandes u. a. I welche auf die Achse der größten Elongation (Heim). Diese Faktoren, mit Ausnahme der des Gesteins annähernd J_ steht. Ihrer zwei erstgenannten, kommen wesentlich für klastische Sedimente in Betracht. Für die chemischen Niederschläge ist vor allem die verscliiedene Löshchkeit derselben zu nennen, neben dem Wechsel in der Temperatur des Entstehung gemäß heißen sie auch Zerrklüfte. Gewöhnhch sind sie scharfrandig und folgen einander oft in dichter Scharung. 3c) Längsbruch, Anders die Längs- klüfte, welche uneben und parallel gerieft Gesteinsabsonderung — Gesteine (Technisch wächtige Gesteme) 1077 sind, denn auf ihnen findet eine scherende Bewegung während der Streckung statt. Ein Längsbruch kann sich nur dann bilden, wenn die Intensitäten in den beiden Richtungen des maximalen Druckes nicht ganz gleich sind ; bei ganz reiner Streckung verschwindet der Unterschied zwischen Haupt- und Längs- bruch. 3d) Scherflächen oder Gleit- flächen. Von großer Bedeutung für die metamorphen Gesteine sind die Scher- oder Gleitflächen. Jeder Differentialdruck, der zwischen zwei Gesteinspartikeln wirkt, er- zeugt nämlich eine gleitende oder scherende Spannung in Ebenen, welche im einfachsten Fall (keiner Drehung der Hauptdruckrich- tung während der Dauer der Einwirkung) die Hauptdruckrichtung in einem Winkel von ca. 45" schneiden. Man nennt sie Ebenen des maximalen tangentialen Strains. Zu jedem Strainellipsoid (vgl. im vorhergehenden Artikel „Strukturen und Texturen der m e t a m 0 r p h e n Gesteine") gehören zwei Gleitflächen. Hu'e Lage im EUipsoid entspricht prinzipiell den beiden möghchen Kreisschnitten. Daher liefern sie bei einfachem Streß zwei sich schneidende, gleichwertige Systeme leichtester Ablösbar- keit, welche zur Schieferungsfläche geneigt sind. Der Winkel von 45" wird modifiziert durch kompliziertere Stresse, durch Inhomo- genität und Sprödigkeit des Gesteins, durch Schnelligkeit und Dauer der Streßwirkung. Bei kompUzierterer Streßwirkung, dem ge- wöhnhchen Fall, verhalten sich die beiden Ebenen verschieden. Die eine Fläche ist (was sich mathematisch nachweisen läßt) während der ganzen Deformation in gleicher Lage und kann sich daher gut entwickeln. Die andere verändert ihre Lage stetig und kommt nicht zur Wirkung. Die klastische und die soge- nannte falsche Clivage, gewisse Parallelklüfte und die Richtungen ausgequetschter Mittel- schenkel bei Fältelungen folgen der ersteren Fläche, welche oft von Gleitspuren oder Mineralneubildungen bedeckt ist. Literatur. H. Rosenbusch, Elemente der Ge Steinslehre. Stuttgart 1910. — J. P. Iddings, The columnar structure in the igneous rocks of Orange Mountain. N. J. Am. Journ. 18S6, 31. — W, Salomon, Die Adamellogruppe. Abhand- lungen der geologischen Reichsanstalt Wien, 21, 1908. — J. Walther, Einleitung in die Geologie als historische Wissenschaft. Jena 1893194. Ab- schnitt: Die Auflagertmgsflächen. — Alb. Heim, Einige Gedanken über Schichtung. 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Dekorations- und Skulpturensteine. 3. Rundsteine. 4. Pflaster- steine. 5. Kleinschlag. 6. Schieferplatten. 7. Gesteüie für chemische Industrie. IL Technisch wichtige Gesteine: A. Eruptivgesteine: Granit, Syenit, Diorit, Gabbrogesteine; Granitporph}T, Apht; Quarzporphyr, Diabas, Basalt, Melaphyr, Trachyt, Phonolith, Andesit, Porphyrit. B. Sedi- mente (ausgenommen Salzlager, Karbonatge- steine und Eisenerze): Vulkanische Tuffe, Sand- stein, Grauwacke, Quarzit, Kieselschiefer, Kiesel- gur, Sand; Tonschiefer, Kaolin, Ton, Lehm, Bauxit; Phosphorit, Flußspat, Schwerspat, Strontianit, Gips. C. Metamorphe Gesteine (aus- genommen Karbonate und Eisenerze): Kontakt- gesteine (Hornfels, Fruchtschiefer); Kristalline Schiefer: Gneis, Granuht, Hornblendeschiefer, Nephrit, Jadeit, Granatfels, Eklogit, Chlorit- schiefer, Serpentin, Asbest, Topfstein, Smirgel. HI. Makroskopische und mikroskopische Kenn- zeichnung der wichtigsten Gesteine. I. Verwendung der Gesteine im allgemeinen. Für die Verwertbarkeit eines Gesteins sind viele Gesichtspunkte maßgebend. Sie betreffen nicht nur Eigenschaften des Ge- steins selbst, wie Festigkeit, Beständigkeit gegen Verwitterung, Frost, hohe Temperatur, Härte, Art der Abnützung, Farbe, Politur- fähigkeit, geologisches Vorkommen, z. T. chemische Zusammensetzung, sondern auch die Absatzverhältnisse: Transportwege, ZöUe, Arbeitslöhne, Geschmacksrichtung. Je nach ihren Eigenschaften finden Gesteine Ver- wendung als: I. Hau- oder Werksteine. Hau- oder Werksteine werden gewöhnUch roh gespalten oder behauen im Bauwesen gebraucht. Ver- langt wird eine gewisse Druckfestigkeit, Wetter- und Frostbeständigkeit, gleich- mäßige Beschaffenheit und die Gewinn- barkeit in größeren, rißfreien Stücken. Dieselben Ansprüche werden auch an ge- wöhnliche Mauersteine gestellt, die außer- dem nur wenig Wasser aufnehmen dürfen, wenn sie zu Grund- oder Kellermauern 107 Gesteine (Teehnisch wichtige Gesteine) verwendet werden ; für höher gelegene Mauer- ] teile ist eine gewisse Porosität günstig. 2. Dekorationssteine. Dekorationssteine sollen gefällige, beständige Farbe oder Farben- zeichnung haben, dürfen vor allem nicht „rosten", d. h. durch Zersetzung eisenhaltiger j Gemengteile (meist Eisenkies) gelbe Flecke und Streifen bekommen. Sie sollen für Außendekorationen wetterbeständig, meist auch politurfähig sein, sich in großen Blöcken gewinnen und leicht bearbeiten lassen. Für die Verwendung als Skulpturenstein ist außerdem noch gleichmäßiges, nicht zu | grobes Korn erforderlich. j 3. Rundsteine. Rundsteine für Mühlen- und Holzschleifereibetrieb müssen bei spär- licher und gleichmäßiger Abnützung rauh , bleiben ; etwas poröse, verbandfeste Gesteine sind bevorzugt. Für Schleif- und Wetzsteine zur Bearbeitung von Werkzeugen wird kom- paktes Gefüge, sehr gleichmäßig feines Korn und meist Quarzhärte gefordert. 4. Pflastersteine. Pflastersteine fertigt man aus druckfesten Gesteinen (gewöhnlich über 1000 kg auf 1 qcm), die sich langsam, gleichmäßig und rauh abnützen, an den Kanten scharf bleiben, also zäh, nicht spröde sind, wenig Wasser und Schmutz aufsaugen. Poröse Gesteine sind untauglich, weil sie sich schlecht reinigen lassen. Zur Herstellung von Mosaikpflaster werden plattige Gesteine von den angegebenen Eigenschaften benützt. 5. Kleinschlag. Kleinschlag (Steinschlag, Klarschlag, Knack) wird als Straßenschotter, Gleisbettung u. dgl. verwendet und erfordert ebenfalls druckfeste, zähe und schwer ver- witternde Gesteine von geringer Abnützung und geringem Wasseraufnahmevermögen ; sie sollen keinen zähen Schlamm liefern, der ein Aufwickeln der Wegoberfläche zur Folge hat. Während bei der Gewinnung von behauenen Pflastersteinen immer noch eine gewisse Größe der Gesteinsstücke und die leichte Erzielung ebener Bruchflächen Bedingung ist, lassen sich zu Kleinschlag auch kurzklüftige Gesteine mit unregel- mäßigem Bruch sowie die Abfallstücke von Werk- und Pflastersteinen verarbeiten, die bei noch geringeren Dimensionen Beton- steinschlag (als Zumischung zu Zement) liefern. Geringere Anforderungen betreffs Festigkeit werden an Packlagersteine gestellt. 6. Schieferplatten. Schieferplatten wer- den aus Gesteinen mit ebenen Spaltflächen hergestellt; die Kluftflächen, welche die Schieferungsebene durchschneiden, dürfen nicht zu eng geschart sein. Für Dachschiefer sind dünnplattige, leichte und wetterbe- ständige (besonders eisenkies- und karbonat- freie) Schiefer von gleichmäßig dunkler Farbe gesucht, die wenig Wasser aufnehmen und sich leicht lochen lassen. 7. Gesteine für die chemische Industrie. Die Verwendung von Gesteinen in der chemischen Industrie hängt von einem Gehalt an erwünschten Stoffen und oft von dem Grade der Reinheit des Materials ab. II. Technisch wichtige Gesteine. In allen Gesteinsgruppen, Eruptivge- steinen, Sedimenten und metamorphen Ge- steinen finden sich technisch nutzbare Vor- kommen; am wenigsten ergibt die letzt- genannte Gruppe. A. Eruptivgesteine. Unter den Eruptivgesteinen eignen sich besonders Tiefengesteine wegen ihrer häufig bankförmigen Absonderung zur Gewinnung großer Blöcke und liefern dadurch das Hauptmaterial für Werk- und Dekorations- steine. Obenan steht die am weitesten verbrei- tete Famihe der Granite. Mittel- und fein- körnige Arten werden bevorzugt, grobkörnige wegen geringerer Druckfestigkeit und Wetter- beständigkeit selten gebraucht, desgleichen glimmerreiche Vorkommen, die sich zudem schlecht poHeren lassen und leicht Wasser saugen. Die Druckfestigkeit schwankt bei frischen Graniten von 700 bis 3000 kg/cm^ (schwedische Granite geben z. B. 2200 als Mittelwert). Wetter- und Frostbeständigkeit sind bei glimmerarmen Arten verhältnismäßig groß, die Politurfähigkeit ist gut, die Bearbei- tung nicht schwierig. Die hellen, oft lebhaften Farben, hellgrau und besonders rot, geben in Verbinclung mit dunklen Plagioklasgesteinen (Diorit, Gabbro) oder mit Serpentin wir- kungsvolle Gegensätze bei der Verwendung als Denkmal- und Dekorationsstein. Be- sondere Farbwirkungen zeigen Granite mit milch- bis violblauem Quarz (Schweden) oder mit großen, einsprenglingsartigen Feld- spaten, meist Ortlioklaseu, die bisweilen, wie in dem finnländischen Rapakiwi, anders gefärbte Mäntel von Plagioklas tragen. — Weiterhin finden mittel- und feinkörnige Granite wegen ihrer gleichmäßigen, etwas rauhen Abnutzung ausgedehnte Verwendung als Trottoirplatten, Treppenstufen und be- hauene Pflastersteine, deren Herstellung die Hauptaufgabe nicht weniger Bruchbetriebe ist. Mehr nebenbei werden Mauersteine, Packlagerstücke und Kleinschlag (Schotter) gewonnen. — Hauptgebiete für die Granit- industrie sind in Deutschland: das König- reich Sachsen im Bereich des mittelkörnigen Lausitzer Granitits besonders um Bischof s- werda-Kamenz (die Südlausitz ist wegen der dort durchsetzenden großen Verwerfungs- zone steinbrucharm); das Elbtal unterhalb Meißen mit glimmerarmem Ganggranit und Aplit; die erzgebirgischen Granitmassive (Eibenstock, Schneeberg, Kirchberg, Aue, Lauterbach-Bergen).— Das Fichtelgebirge im Gresteine (Technisch wichtige Gesteine) 1079 Granitgebiet Ochsenkopf- Kösseine- Schnee- berg nnd den nördlich vorgelagerten Massen: Renth (besonders nni Gefrees), Waldstein, Kornberg. — Der Odenwald mit regem Be- ' trieb: u. a. die grauen hornblendeführenden Granite vom Felsberg und die roten der Tromm. — Der Schwarzwald im Murg-, Kin- zig-, Acher- und oberen Enztale, bei Triberg und Kandern. — Die Gegend von Passau. — Schlesien: bei Striegau, Jauer, in den Kreisen Neiße, Schweidnitz, Strehlen. — Schweden mit großen Betrieben, die fast alle an der \ Südwest- und Südostküste liegen; billige Fracht, wenig Abraum, intensive Farben begünstigen Gewinnung und Absatz. Die Südwestküste liefert die grauen Granite von Bohuslän, die Ostküste u. a. den roten Vangagranit mit rauchgrauem Quarz (Scho- nen), den roten Virbo- und den Vänevik- granit (Smäland), letzteren wie auch den Grafversforsgranit (Vestergötland) mit blauem Quarz, den grauen Stockholmgranit. — Italien: weißer und blaßroter Granit von Baveno. — Im Altertum wurde der ziegel- rote Hornblende-Biotitgranit von Syene (Assuan) zu Obelisken, Riesenstatuen, Sarko- phagen u. dgl. viel verarbeitet. — In der Gesteinstechnik wird übrigens der Name Granit auch auf andere körnige Gesteine von ganz abweichender Mineralzusammen- setzung übertragen, ,, Schwarzer schwedischer Granit" ist Diabas und Gabbro; granito verde smeraldino ein korsischer Saussurit-Sma- ragditgabbro; belgischer, sardinischer, eifeler, Rohrdorf er (S, von Rosenheim in Bayern) Granit und granito d' Istria sind Kalksteine. Syenit hat dieselben Eigenschaften wie Granit, ist wegen des fehlenden Quarzes etwas leichter zu bearbeiten und neben Granit der einzige Hartstein, der auch in roten Arten vorkommt. Die Druckfestigkeit hält sich meist zwischen 1500 und 2200 kg/cm^. Seine Verbreitung ist weit geringer als die des Granits. Große Betriebe finden sich im roten Hornblendesyenit des Plauenschen Grundes bei Dresden; wegen reichlicher Zerklüftung werden hier ebenso wie in dem dunkelgrauen Augitsyenit von Riesa a. d. Elbe seltener Werkstücke, hauptsächlich Pflaster- und Mauersteine, auch Kleinschlag gewonnen. Dagegen liefern Alkalisyenite des südlichen Norwegen, besonders dunkel blaugraue iVi'ten mit labradorisierendem Anorthoklas (so- genannter schwedischer Labrador) aus dem Langesundfjord gesuchte und viel gebrauchte Dekorationssteine. — Unter dem Namen Syenit gehen in der Gesteinstechnik auch körnige Diabase (Lausitz) undDiorite („Oden- waldsyenit"). Die Diorite stehen in Eigenschaften und Verwendungsmöglichkeit den Graniten und Syeniten nahe. Wo sich größere Blöcke gewinnen lassen, benutzt man die mittel- körnigen, schwarzgrün und weiß gesprenkelten Gesteine zu Denkmälern und Dekorations- zwecken, wie z. B, die Odenwälder Vorkomm- nisse von Lindenfels und Bensheim. Kürzer- klüftige Diorite geben gute Pflaster- und Schottersteine. Viel verarbeitet werden Gesteine der Gabbrofamilie (Gabbro, Hyperit, Norit). Ihre dunkle, zum Teil schwarze Farbe, gute Politurfähigkeit und Wetterbeständigkeit, machen sie zu Grab- und Denkmalsteinen geeignet, wie die schwedischen Vorkommen vom Wetternsee, von Kristinehamn und aus Smäland (sogenannter schwarzer schwe- discher Granit). Die ophitische Verschrän- kung der Mineralgemengteile verleiht dem Gestein große Zähigkeit und Druckfestigkeit und macht mittelkörnige Arten zu einem ausgezeichneten Pflaster- und Schotter- material, wie z. B. die helleren und dehalb als Dekorationssteine weniger gesuchten, auch kürzer brechenden Gabbro und Norite des Harzer Radautals, Lebhafte Farben- wirkung gibt auf polierten Flächen Saussurit- Smaragditgabbro (Korsika, Wurlitz im Fichtelgebirge), dessen Diallag in smaragd- grüne Hornblende umgewandelt ist. Erguß- (und Gang-) gesteine sind wegen der Häufigkeit und meist geringen Entfernung ihrer Absonderungsklüfte nur ausnahmsweise in größeren Blöcken zu ge- winnen und als Denkmal- und Dekorations- steine zu verwenden. Sie liefern aber wegen ihrer großen Verbandfestigkeit zum Teil ausgezeichnetes Pflaster- und Schotter- material und Bruchsteine. Dies ist z. B. die Hauptverwendung der Granitporphyre (Schwarzwald, Odenwald, Sachsen), wenn auch gelegentlich (Beucha bei Leipzig) mächtige Werkstücke gewonnen werden. Ebenso verarbeitet man die belgischen Quarzdioritporphyrite (Quenast) und viele Granitaplite (Meißen) ganz vorzugs- weise zu Pflastersteinen. Früher brauchte man fast glimmerfreie Aplite in der Glas- und Porzellanfabrikation; heute verwendet man hierzu mehr die mächtigen Feldspat- massen granitischer und syenitischer Peg- matite (Südnorwegen, Schweden), deren Muscovittafeln bei genügender Größe Ofen- fenster, Lampenzylinder u. dgl. liefern (Kanada, Sibirien). In großer Menge werden Quarz- porphyre, lokal auch ihre jungen Vertreter, Liparite, abgebaut. Der Quarzreichtum, große Härte, geringe Abnutzung, hohe Verband- und Druckfestigkeit (1500 bis 3000 kg/cm^) und minimale Wasseraufsaugung machen die Gesteine zu einem vorzüglichen Pflaster- und Schottermaterial. Ausgedehnte Betriebe finden sich im südlichen Odenwalde (zwischen Dossenheim und Schriesheim), imNahegebiete, in der Gegend von Baden-Baden, im nord- 1080 Gesteine (Technisch A\ichtige Gesteine) westlichen Sachsen (besonders die dunklen Pyroxenquarzporphyre des Leipziger Kreises), in Schlesien (Ivreise Liegnitz und Waiden- burg). Plattig abgesonderte Porphyre liefern Mosaikpflaster, poröse Arten des Thüringer Waldes und manche Liparite Oberungarns Mühlsteine. Selten nur gewinnt man Denk- mal- und Dekorationssteine, wie aus dem Bozener und dem Elfdalener Porphyr (Bly- bergporphyr). Nächst Quarzporphyr werden Erguß- gesteine der Diabas-Basaltfamilie am meisten abgebaut. Wie Gabbro liefern auch körnige Diabase wegen ihrer dunklen Farbe, Politur- fähigkeit, Wetterbeständigkeit und bedeuten- den Druckfestigkeit (200Ö bis 2850 kg/cm^) gute Denkmal- ,"Dekorations- und Grabsteine. Schweden, die Lausitz (hier Syenit genannt) und das Fichtelgebirge (zum Teil als Diorit- porphyr bezeichnet) enthalten die Haupt- betriebe. Die große Zähigkeit, bedingt durch oft vorhandene ophitische Struktur, gleich- mäßige Abnutzung und geringes Wasser- aufsaugevermögen machen mittelkörnige Diabase zu einem geschätzten Pflaster- und Schottermaterial; dichte Arten nutzen sich , glatt ab und sind deshalb als Pflastersteine ■ wenig geeignet, weil sie ein Ausgleiten der Zugtiere veranlassen. — Auch die ver- schiedenen Arten Basalt liefern haupt- sächlich Pflaster- und Schottersteine. Die Druckfestigkeit (1000 bis 5000, meist zwischen 2500 und 3500 kg/cm^) übertrifft noch die des Diabases. Zähigkeit und geringe Abnutzung sind dieselben, ebenso das Glattwerden dichter Arten im Pflaster. Als Schotter liefert Basalt zwar dauerhafte, aber auch harte Straßen, deren Decke infolge Bildung eines zähen Schlammes zum Aufwickeln unter den Wagenrädern neigt. Nicht brauch- bar zu Pflastersteinen und Bauzwecken sind sogenannte ,, Sonnenbrenner", das sind Basalte, die bei kurzem Liegen an der Luft durch Zersetzung ihres Nephehns rundliche graue Flecke bekommen und in eckige Körner zerfallen. Wie Leppla angibt, erkennt man solche Basalte daran, daß frische Sphtter nach mehrstündiger Behandlung mit warmer Ammoniumkarbonatlösung oder warmer Essigsäure bereits die Flecke zeigen. — Die säulenförmige oder plattige Absonde- rung der Basalte gestattet leichtes Gewinnen ohne Sprengarbeit. Die Säulenstücke ver- wendet man zu Uferbauten, Grund- und Festungsmauerwerk, als Prellsteine und zu Gartenziergruppen. Manche poröse Basalt- laven (Niedermendig am Laacher See) liefern Mühlsteine und große Quadern für Mauer- werk. — Im ganzen mitteldeutschen Basalt- gürtel von der Eifel über Siebengebirge, Westerwald, Vogelsberg mit seinen Aus- läufern (Anamesitströme von Steinheim bei Hanau), Hessen, Rhön, Fichtel- und Erz- gebirge bis nach der Lausitz und nach I Schlesien hinein, ebenso im nördlichen Oden- I walde, im Kaiserstuhl und im Hegau findet I reger Steinbruchbetrieb statt, der nicht nur die Umgebung, sondern bei günstigen Fracht- j Verhältnissen (Wasserwege) auch den stein- armen Norden versorgt. Wegen der Dauer- \ haftigkeit des Materials werden in basalt- armen Gegenden auch kleine Vorkommen benutzt und bis in erreichbare Tiefe völlig abgebaut. Aehnlich liegen die Verhältnisse in außerdeutschen Basaltgebieten: Nord- böhmen, Italien, Zentralfrankreich, Schonen, Nordirland u. a. Zu Pflaster- und Schottersteinen werden auch die ganz ähnlich zusammengesetzten Melaphyre gebraucht, deren frische Ai'ten dem Basalt an Güte kaum nachstehen. Besonders die Nahegegend, dann auch der Südharz (Ilfeld), Thüringerwald, Sachsen (Zwickau, Oschatz) und Schlesien (Kreis Landshut) enthalten große Bruchbetriebe. Gegenüber Porphyr, Diabas und Basalt finden andere Ergußgesteine geringere Ver- wendung; so Trachyte, deren Druckfestig- keit sich meist zwischen 600 und 700 kg/cm^ hält und die, zumal wenn sie reichlich Sanidineinsprenglinge führen, wenig wetter- beständig und überhaupt nicht politurfähig sind. Sie werden als Werk- und Pflaster- steine gebraucht, da sie sich leicht behauen lassen und bei der Abnutzung rauh bleiben, auch wohl zu Kleinschlag verarbeitet (Sieben- gebirge, Westerwald, nördhcher Odenwald, Ungarn, Euganeen, Kampanien). Verwandte Gesteine vom Cabo de Gata an der spanischen Ostküste benutzt man wegen ihres Kali- reichtums und des örtlich 7 bis 30% be- tragenden Apatitgehalts als Düngemittel. Bekannt ist die Verwendung liparitischen und trachytischen Bimssteins, von welchem die Insel Lipari die Hauptmenge liefert, als Schleif- und Putzmittel. Phonolithe werden wegen ihrer dick- plattigen Absonderung und der 1700 bis 2300 kg/cm- betragenden Druckfestigkeit öfter als Mauersteine, Fußbodenplatten (obwohl sie sich glatt abnützen), zum Eindecken von Gräben und Schleusen, auch als Packlager und Gleisbettung benutzt. Die Lausitz, Nord- böhmen, die Rhön zeigen Bruchbetriebe. Leucithaltige Phonolithe gebraucht man ihres Kaligehaltes wegen gemahlen als Dünge- mittel (Eifel). Andesite und Porphyrite finden als Mauer- und Pflastersteine und als Klein- schlag Verwendung. Siebengebirge und Ungarn sind die Hauptgebiete für die Ge- winnung von Andesit, die Umgegend von Dresden und das Nahegebiet für Porphyrit. Im Altertume verarbeitete man den durcli Manganepidot rot gefärbten Hornblende- porphyrit vom Dschebel Dokhan zwischen Gesteine (Teclinisch wichtige Gesteine) 1081 Nil und Rotem Meer, den porfido rosso antico, zu Vasen, Sarkophagen, kleinen Statuen und Mosaikplatten, wegen seiner schönen Farbwirkung auch den grünen Labradorporphyrit von Marathonisi, den porfido verde antico, zu Dekorationssteinen und Mosaikplatten. B. Sedimente (mit Ausschluß der Salzlager, Karbonat- gesteine und Eisenerze)*). Von vulkanischen Tuffen finden Por- phyrtuffe, Trachyt- und Phonolithtuffe und Diabastuffe Verwendung. Porphyrtuffe werden trotz ihrer geringen Druckfestigkeit (200 für das Gestein des Rochlitzer Berges in Sachsen, 180 bis 340 für das des Zeisig- waldes bei Cliemnitz), der leichtenAbnutzung. geringen Wetterbeständigkeit und des großen Wasseraufnahmevermögens als Bau- und Verblendsteine, zu Säulen, Treppenstufen und gröberen Ornamenten verarbeitet. Sie lassen sich leicht behauen und zeigen (Roch- litz) einen warmen, beständigen Farbenton. Verkieselte und deshalb sehr feste und wider- standsfähige PorphjTtuffe geben vorzügliche Schottersteine. Buntgestreifte Tuffe dieser Art, z. B. von Gnandstein in Sachsen (soge- nannter Bandjaspis) wurden früher zu kleinen geschliffenen und polierten Gegenständen verarbeitet. — Im Brohltale und seinen Seitentälern baut man Trachyttuff (Traß, Tuffstein, Duckstein) in großen Brüchen ab. Die weichen, sehr wenig druckfesten Tuffe werden zu Werksteinen zersägt oder zur Herstellung von Wassermörtel gemahlen auch als AUagit zur Wasserreinigung benutzt. Auch der in der Umgegend von Neapel viel gewonnene graue kampanische Tuff läßt sich bergfeucht leicht zu würfelförmigen Bausteinen zurechtschlagen oder sägen. Die besonders bei Bajae im großen abgebaute Pozzolana, gleichfalls ein Trachyttuff, dient zur Mörtelbereitung. — Leucitphonolith- ' tuff aus dem Laacher Seegebiet (Weibern, Bell, Rieden) gibt wegen seiner Feuerfestig- keit gute Herdsteine, ist leicht zu bearbeiten und dauerhaft und wird deshalb auch als Baustein und zu Bildhauerarbeiten benützt, obwohl seine Druckfestigkeit nur 150 beträgt. — Gelegentlich verwendet man auch festere, wenig oder nicht schieferige Diabastuffe als Mauer- und Verblendsteine (Vogtland, Nassau), auf wenig beanspruchten Wegen auch als Schotter, obwohl sie sich bald ab- nutzen und zähen Schlamm liefern. Wie sich die Sandsteine durch Korn- größe, Farbe, Ai't und Menge des Binde- mittels und infolgedessen abweichende Druck- festigkeit, Abnutzung, Bearbeitbarkeit und *) Siehe die Artikel ,, Karbonatgesteine" „Salzlagerstätten" und „Erzlagerstätten". Wetterbeständigkeit unterscheiden, ist auch die Verwendungsart und -möglichkeit eine recht wechselnde. Grobkonglomeratische Arten sind unbrauchbar, gleichmäßig mittel- und feinkörnige bevorzugt. Von großer Bedeutung ist das Bindemittel. Kieselige (quarzitische) Sandsteine geben die höchsten 1 Werte für Druckfestigkeit, die im ganzen I zwischen 150 und 2200 schwankt, erleiden die geringste Abnutzung und sind am wetterbeständigsten, bei reichlicher Ver- kieselung aber auch am schwierigsten zu bearbeiten. Tonige und mergelige Sandsteine lassen sich besonders im bergfeuchten Zu- stande leicht behauen, bei feinem, gleich- mäßigem Korn und angenehmer Farbe auch zu Bildhauerarbeiten verwenden ; sie liefern die Hauptmenge aller gewonnenen Sandsteine. Bei reichlichem Bindemittel nehmen sie aber viel Wasser auf, lassen dann in ihrer Druckfestigkeit stark nach, zerfrieren auch leicht. Auch kalkige und dolomitische Sandsteine sind leicht be- arbeitbar, werden aber durch schweflig- und schwefelsäurehaltige Rauchgase (be- sonders in Städten mit vorwiegender Braun- kohlenfeuerung) bald stark angegriffen. Darauf ist z. B. die Zerstörung des am Kölner Dom viel verwendeten Schlaitdorfer Sand- steins zurückzuführen, aus dessen dolo- mitischem Zement sich Bittersalz und Gips bilden, die ein Abblättern des Gesteins bewirken. Eisenkiesgehalt im Sandstein führt zur Bildung von Brauneisen (Rost- flecken), Eisenvitriol und Schwefelsäure, die dann weiter etwa vorhandenes karbona- tisches Bindemittel angreift. Kohlereiche, graue oder schwärzliche Sandsteine bleichen, weil sich die organische Substanz an der Luft oxydiert. — • Sandsteine werden aus den ver- schiedensten geologischen Formationen ge- wonnen. Präkambrische Sandsteine (z. B. der Gäflesandstein und der zu Mühlsteinen verarbeitete quarzitische Dalasandstein) und j solche silurischen Alters werden in Schweden gebrochen. Aus dem Karbon (und Perm) j stammen grünliche und graue Bausandsteine I der Pfalz und der glimmerreiche Kohlesand- 1 stein von Flöha in Sachsen, der wegen seiner I Feuerbeständigkeit zu Feuerungsanlagen ver- j wendet wird. Reich an Steinbrüchen ist das Gebiet des Buntsandsteins, dessen mittlere (Hauptbuntsandstein) und obere Abteilung (der dickbankige Voltziensandstein) bei oft kieseligem Bindemittel gesuchte Werk- und Mauersteine von meist rötlicher Farbe hefern. Nordvogesen und die Pfalz (hier auch die als Flurplatten gebrauchten „Platten- sandsteine" des oberen Buntsandsteins), der ganze Ostrand des Schwarzwaldes, der rote „Mainsandstein" des Vorspessart, der „Neckarsandstein" zwischen Neckarelz und Heidelberg enthalten die Hauptbetriebe. 1082 Gesteine (TeeJmisch wichtige Gesteine) Im Keuper sind besonders zwei Sandstein- liorizonte der mittleren x\bteilung technisch wichtig: der graugelbe „Schilfsandstein" oder Stuttgarter Werkstein, den man u. a. in der Gegend von Maulbronn und Heilbronn gewinnt, und der weiße, sehr weiche ,, Stuben- sandstein" oder Tübinger Werkstein, beide wenig wetterbeständig. Einen Ruf hat der Keupersandstein Unterfrankens (Burg- reppach) und der gelbe, zu Bildhauerarbeiten taugliche, feinkörnige Rhätsandstein an den Seebergen bei Gotha erworben. Der Jura liefert besonders in den Eisensandsteinen des Doggers aus Mittelfranken und der Oberpfalz, die Wealdenformation im Deister- sandstein brauchbare Werksteine. Für die Kreideformation liegt das Hauptgewinnungs- gebiet mit zahlreichen Brüchen im sächsischen Eibtale oberhalb Dresden. Den Betrieben kommt die durch drei Absonderungs- bezw. Kluftrichtungen bedingte quaderförmige Zer- teilung der Felsmassen und der unmittel- bar benachbarte bilhge Wasserweg zugute. Außer Werkstücken und Mauersteinen werden hier auch warmgelbe, feinkörnige Bildhauer- sandsteine gewonnen (Großcotta). Spärlicher sind die Brüche in dem anschließenden nordböhmischen und lausitzer Kreidegebiete verteilt (Gegend von Zittau). Weiter werden die gelblichen bis weißen Sandsteine des schlesischen Heuscheuergebirges, des Hils- gebirges und die grünlichen glaukonitischen Sandsteine der Gegend von Regensburg und Westfalens (Ruthen) gebrochen. Der ,,Karpathensandstein" des Wiener Waldes, dem Tertiär und der Kreide angehörig, gibt einen gesuchten Baustein. Während die Hauptmenge der Sandsteine zu Werk- stücken und Mauersteinen benutzt wird, finden einige wenige Vorkommen auch andere Verwendung. Tertiäre kieselige (und etwas kalkhaltige) Sandsteine von Fontainebleau im Pariser Becken geben gute Pflastersteine. Als Mühlsteine sind die durch Basaltgänge etwas gehärteten, rauhen Kreidesandsteine von Jonsdorf bei Zittau in Sachsen unüber- troffen. Schleifsteine werden mehrorts hergestellt. Sehr gleichmäßig feines Korn macht quarzitische Kulmsandsteine Ober- frankens und Molassesandsteine Oberbayerns zu Wetzsteinen geeignet. Hingewiesen sei auf den Abbau glaukonitreicher, mürber Sandsteine Nordwestdeutschlands zu Dünge- zwecken, kaolinhaltiger SandsteineThüringens zur Gewinnung des Kaolins, und der blei- glanzführ enden Sandsteine von Commern in der Eifel des Erzes wegen. Grauwacken geben außer Mauersteinen besonders Pflastersteine und Kleinschlag. Bestimmend für ihre Brauchbarkeit ist wäe bei den Sandsteinen die Korngröße und namentlich die Art des Bindemittels. Kiese- lige (quarzitische) Grauwacken sind am festesten und w^etterbeständigsten, kalkreiche Arten weniger geeignet, schieferige, sehr fein- körnige Gebilde wegen geringer Druck- festigkeit und Zähigkeit unbrauchbar. Nord- sachsen und das Vogtland liefern Mauer- steine und Schotter, der Harz außerdem behauene Pflastersteine (Wildemann mit einer Druckfestigkeit von 2500 und darüber), ebenso die quarzitische Grauwacke von Gommern bei Magdeburg (Druckfestigkeit 1150 bis 2880), das Rheinland, Schlesien (besonders im Regierungsbezirk Oppeln) und die Pfalz. Die festen und sehr wetterbeständigen Quarzite sind allenthalben ein gesuchtes Schottermaterial. Reine, besonders eisen- freie Arten werden zur Glasfabrikation benutzt. Poröse Quarzite geben wegen ihrer Härte und rauhen Abnutzung Mühl- ! steine, wie namentlich die jungen Süß- w^assercjuarzite des Pariser Beckens und Ober- ungarns. Sehr gleichmäßig feinkörnige und dichte x\i-ten liefern Schleif- und Wetz- steine. Viel gebraucht w^erden Quarzite I zur Herstellung feuerfester Steine. Reiner i Quarz ,, wächst" in der Hitze. Um dies auszugleichen, verwendet man entweder Quarzite mit gewissen Beimengungen oder setzt diese künstlich zu. Die Dinassteine z. B. enthalten 1 bis 2% Kalkkarbonat; zu ihrer Herstellung gebrauchte man anfäng- lich den Quarzit vom Dinasfelsen in Englancl, i während jetzt hauptsächlich oligocäne Braun- kohlenquarzite,diesogenannten Knollensteine, hierzu verwendet werden. Der zur Aus- kleidung von Bessemerbirnen gebrauchte Ganister ist gemahlener und mit wenig Ton versetzter Quarzit. — Wie Quarzite j werden auch Quarzitsehiefer hin und wieder als Schotter und Mauersteine benutzt, obwohl ' sie weniger druckfest sind. Die harten und festen Kieselschiefer eignen sich wegen ihrer Sprödigkeit und glatten Abnutzung nicht zu Pflastersteinen, geben aber dauerhaften Schotter, auch Gleisbettungen. Vogtland und Ostthüringen, der Harz und Westfalen enthalten Bruch- betriebe. Zu gleichen Zwecken benutzt mau auch die verwandten, weniger verbreiteten I Adinole und Hornsteine. I Lose Anhäufungen von kieseligen Diatomeenschalen, die Diatomeenerde oder Kieselgur, und ihre dünnschief erigen Ver- festigungsprodukte, der Polierschiefer (Tripel, Saugschiefer) verwendet man wegen des sehr gleichmäßig feinen und dabei harten Materials als Putz- und Poliermittel für Metalle, wegen ihrer großen Porosität als Wärmeschutzhüllen und zum Aufsaugen des Nitroglyzerins in der Dynamitfabrikation, auch zu Wasserfiltern. Nordböhmen (Fran- zensbad, Bilin), Lüneburger Heide, Habichts- wald, Vogelsberg, Ungarn, die Vereinigten Gesteine (Tecliniscli wichtige Gesteine) 1083 Staaten Nordamerikas, Japan enthalten mächtige Lager, Bekannt ist die Verwendung loser Sande und Kiese beim Wegebau, bei der Mörtel- bereitung, zu Filterzwecken, als Schleif- material für weiche Gesteine. Reine Quarz- sande braucht man in der Glasfabrikation, schwach tonige (sogenannte Formsande) zur Herstellung von Gußformen. — Hinge- wiesen sei auf die Ausbeutung der Seifen, das sind Sande mit Gehalt an Edelmetallen (Gold, Platin) oder Edelsteinen (Diamant, Rubin, Spinell) oder anderen nutzbaren Mineralien (Zinnstein, Monazit). Sie er- möglichen leichte Gewinnung der wert- vollen Beimengungen, erschöpfen sich aber gewöhnlich bald. Konglomerate und Breccien finden nur ausnahmsweise Verwendung, wie manche Nagelflue der Schweiz und manche Kon- glomerate des Alleghanygebirges als Mül- steine, Porphyrbreccien des Odenwaldes als Schotter, Vogtländische Diabasbreccien als Baustein. Die Gewinnung von Tonschiefern und Phylliten zu Dachschiefern ist an dünn- plattig und ebenflächig spaltende Gesteine von gleichmäßiger, dunkler Farbe gebunden. Eingelagerte Linsen und Knauern von Quarz, Eisenkies, Kalkspat sowie enge Faltung stören das Herauslösen ebener Platten, zu eng gescharte Vertikalklüfte den Abbau hinreichend großer Stücke. Die Wetter- beständigkeit wird beeinträchtigt durch einen Gehalt an feinverteiltem Kalkspat oder Eisenkies, die sich bald lösen oder zersetzen und den Schiefer mürbe und brüchig machen. Dichtes Gefüge wird gefordert, damit die Gesteine möglichst wenig Wasser aufnehmen, eine gewisse Zähigkeit, damit sie sich lochen lassen. Als die besten Schiefer gelten eng- lische a,us den Brüchen von Wales; auch liefern die belgischen und französischen Ai'dennen, Angers in Frankreich, viele Ge- biete Deutschlands (Thüringen, Rheinland, Harz, Westfalen) gesuchte Dachschiefer, auch dickere Tisch- und Fußbodenplatten. — • Als Tafelschiefer werden weichere und kohle- reichere, schwarze Tonschiefer von gleich- mäßig feinem Korn und ebenen Spalt- flächen benutzt, die durchaus frei von untergeordneten Fältelungen sein müssen. Wales, Thüringen (Gräfenthal, Sonneberg), Ludwigstadt in Bayern, Elm in der Schweiz, Ronen, Lavagna bei Genua sind Hauptsitze der Industrie. — Bei den Griffelschiefern ermöglichen zwei einander in geringen Ab- ständen durchsetzende Kluftrichtungen das Herausspalten langer stengeliger Stücke. Thüringen (Haasenthai) liefert die Haupt- menge, — Sehr kohlereiche, schwarze, fein- erdige und milde Tonschiefer, sogenannte Zeichenschiefer, geben unmittelbar oder aus ihren Schlämmprodukten Schreib- und Zeichenstifte. Man gewinnt sie in Thüringen (Hasselbach, Saalfeld), LudwigstadtinBayern, Marvilla in Andalusien. Manche Tonschiefer und verwandte Ge- steine werden wegen eines Gehalts an nutz- baren Stoffen verarbeitet; so der bituminöse ■ Kupferschiefer aus dem Mansfeldischen wegen seines Kupfer- und Silbergehaltes. Bitumen- reiche Oelschiefer und Brandschiefer liefern bei der Destillation Paraffin, Schmieröl, und ähnliche Produkte, wie z. B. die im ^ w^ürttembergischen Lias mehrorts (Boll) ab- gebauten Vorkommen, die 28 bis 36% I Bitumen enthaltenden Mergelschiefer von Garmisch und Mittenwald in Oberbayern, die Brandschiefer von Oschatz in Sachsen, schwedische und nordamerikanische der- artige Gesteine. — • Die kohlereichen Alaun- schiefer (Vitriolschiefer) verdanken ihren Alaungehalt einer reichlichen Beimengung von Eisenkies, bei dessen Zersetzung Eisen- vitriol und wegen der dabei freiwerdenden Schwefelsäure Alaun entsteht; bei hinreichen- der Menge laugt man ihn aus. Lose Tonmassen finden in der kera- mischen Industrie und im Bauwesen aus- gedehnte Verwendung. Die reinste Art, ! der schneeweiße Kaolin, ist ein Umwand- lungsprodukt verschiedener feldspatreicher Gesteine, besonders von Granit (Karlsbad, Aue im Erzgebirge, Limoges in Frankreich), von Quarzporphyr (Altenburg, Halle) oder dessen Pechstein (Meißen), auch von Liparit und Trachyt (Japan). Er liegt teils noch auf primärer, teils auf sekundärer Lagerstätte und enthält in beiden Fällen fast immer für das Brennen schädliche Beimengungen, die durch Schlämmen entfernt werden müssen. Das sind namentlich Quarzkörner, unzer- setzte Feldspatreste, Glimmerschüppchen, Zirkonkriställchen u. dgl. Die Verwendung reinen Kaolins in der Porzellanindustrie ist bekannt. Minder reine Massen, mit Quarzsand, Glimmerschuppen, Kohlestäub- chen, Kalk und anderen Substanzen ge- mengt, haben als Ton weite Verbreitung. Ihre Eigenschaft, mit Wasser befeuchtet plastisch zu werden, in der Glühhitze aber den Wassergehalt zu verheren, harte, feste, feuer- und säurebeständige Massen zu liefern, bedingen die Verwendung zu Gefäßen, ' Leitungsröhren und feuerfestem Material. I Beimengungen von Eisen, Alkalien und Kalk drücken den Schmelzpunkt herab und ver- mindern dadurch die Feuerbeständigkeit, Eine Zumischung von feinem Quarzsand, Graphit oder gepulverter Schamotte wirkt dem Schwinden und Rissigwerden beim I Brennen entgegen. Tonlager sind besonders im Tertiär an vielen Orten reichlich vor- j banden und haben den Anlaß zur Ent- ! stehung reger Tonwarenindustrie gegeben. 1084 Gesteine (Teclmisch wichtige Gesteine) Auch das Dihivium und die jüngeren meso- { zoischen Formationen, seltener paläozoische ; Schichten enthalten brauchbare Tonlager. — Durch reichlichen Gehalt an Eisenkies, bei dessen Zersetzung sich Eisenvitriol und Alaun i bilden, ist der Alaun ton ausgezeichnet, den man wie Alaunschiefer auslaugt. — Die Verwendung des Lehmes, eines durch! Quarzsand und Eisenoxyd, auch wohl durch Kalk und Glimmerschuppen stark verun- reinigten Tones diluvialen und alluvialen Alters, der wie Ton im feuchten Zustande knetbar, aber nicht in so hohem Grade plastisch und wegen seiner Beimengungen weit weniger feuerbeständig ist, zur Her- stellung von Ziegeln, Estrichfußböden, Lehm- i mauern und zu Formen für Metallguß ist allbekannt. — Auf der Eigenschaft, Fett und Oel begierig aufzusaugen, beruht die Verwendung der Walkerde, eines ton- artigen Zersetzungsproduktes von Gabbro, j in der Tuchindustrie. Roßwein in Sachsen ! und Riegersdorf in Schlesien sind die Haupt- fundorte. Aehnliche, aber nicht an Gabbro gebundene Massen kommen an mehreren Orten im württembergischen Keuper, als ,,fullers earth" auch im Jura von Kent und Bedfordshire vor. j Nicht Aluminiumhydrosilikat (wie im Ton), sondern Aluminiumhydroxyd gemischt mit Eisenoxyd liegt im Bauxit vor, dessen gelbliche, braune oder rote Massen zur Her- 1 Stellung sehr feuerfester Schmelztiegel und i Steine und zur Aluminiumgewinnung dienen. | Die Hauptnienge stammt von Baux bei ' Arles, aus dem Vogelsberge, aus Kärnten, Kanada und den Vereinigten Staaten von Nordamerika (besonders aus einer Zone von Georgia bis Alabama). Mächtigere Lager und Nester von Phos- phorit, oft durch Eiuwirkung der Phosphor- säure benachbarter Schalsteine oder Diabase auf Kalkstein entstanden, werden zur Ver- j Wendung des Kalkphosphats als Düngemittel abgebaut und mit Schwefelsäure aufgeschlos- 1 sen. Die Lagerstätten im Nassauischen (Staffel an der Lahn) sind so gut wie er- schöpft, andere von Amberg in Bayern, | in Nordfrankreich und Belgien, in Nord- ! amerika (Florida), in Algier und die reichen Vorkommen von Tunis noch im Betriebe. Gleichem Zwecke dient der Sombrerit, ein durch Guanoabwässer in Phosphat um- gewandelter Kalkstein der westindischen j Insel Sombrero. l Flußspat, dessen Gänge früher mehr als heute als Zuschlag beim Erzschmelzen ab- gebaut wurden, wird jetzt hauptsächlich zur Darstellung von Flußsäure, gewisser Glasuren und des Milchglases gewonnen. Solche Gänge finden sich im südlichen Schwarz- 1 walde, im Thüringerwalde, im Fichtelgebirge, im Bayerischen Walde, im Erz- und Riesen- gebirge und im Harz (vgl. den Artikel „Mineralien", optisch wichtige Mineralien). In der chemischen Industrie werden reine, weiße Vorkommen von Schwerspat (Baryt) zur Darstellung von Baryumpräparaten ge- braucht. Bruchbetriebe bestehen in Gängen des Schwarzwaldes, Odenwaldes, Spessarts,des Rheinlandes, im Dillenburgischen, auch im Thüringerwalde. Desgleichen benutzt man den Stron- tianit der 0,3 bis 3 m mächtigen Gänge der Umgegend von Münster in Westfalen zur Darstellung von Strontiumverbindungen und in der Zuckerfabrikation. Von den zahlreichen Gipsvorkommen werden fast nur die reineren, namentlich die wasserklaren, spätigen Arten gewonnen und zu mannigfachen Zwecken gebraucht. Sie liefern durchsichtige Tafebi, die sich aber nicht als Ofenfenster eignen, weil sie schon bei 75'^ durch Wasserverlust trübe werden. Schwach gebrannt und gemahlen dient Gips, der das verlorene Wasser leicht wieder aufnimmt und dann bald erhärtet, zur Herstellung von Stuck, Figuren, Ab- güssen und Formen, Wänden, Gipsverbänden, künstlichen Marmors. Auch als Zusatz bei Glasuren, zur Glas- und Porzellanmasse wird reiner Gips gebraucht, weniger reines Material als Düngemittel. — Die iMabaster (Marmor di Castellina) genannte feinkörnige Abart des Gipses verarbeitet man zu aller- hand geschnitzten und gedrehten Gegen- ständen. Der Porphyrgips des Röt von Jena wird in Plattenform zu Innendekora- tionen verwendet. C. Metamorphe Gesteine (ausgenommen Karbonate und Eisenerze). Im Kontaktbereiche von Tiefengesteinen erlangen sonst unbrauchbare Sedimente, z. B. weiche Tonschiefer, Grauwackeschiefer, oft dadurch technischen Wert, daß' in der inneren Kontaktzone die Schieferung un- deutlicher oder völlig verwischt wird und das feinklastische, weiche Gestein durch Umkristaüisieren bedeutende Festigkeit,Härte und W^etterbeständigkeit erhält. Die zähen, Andalusit und Cordierit führenden Hornfelse aus Schieferkontakthöfen geben ein vor- zügliches Schottermaterial; ebenso gewinnen die aus Grauwacken und Grauwackeschiefern entstandenen Quarzglimmerfelse große Ver- bandfestigkeit und eignen sich zur Verwen- dung als behauene Pflastersteine, Mauer- steine und Schotter. Auch Gesteine der Fruchtschieferzone werden in großen Be- trieben gewonnen (Theuma und Tirpersdorf im Erzgebirge) und zu Flurplatten, Grab- steinen, Wegesäulen, säurefesten Tischplatten und Bottichen, als Wandverkleidung, auch als Mauersteine verwendet. Ausder Reihe der kr ist allinen Schief er Gesteine (Tecliniscli wichtige Gesteine) 1085 sind dünnschieferige oder feinflaserige und i glimmerreiclie Gesteine bei hölieren An- forderungen unbrauchbar, weil diese Eigen- schaften die Druck- und Verbandfestigkeit sowie die Politurfähigkeit stark vermindern j und das Wasseraufnahmevermögen und die Gefahr des Zerfrierens erhöhen. j So werden von Gneisen nur die schwach- 1 flaserigen, granitähnlichen und nicht zu | glimmerreichen Arten als Werk- und De- korationssteine benutzt, minder gute Vor- ', kommen für den lokalen Bedarf auch als Mauersteine und Schotter verwendet. Schwe- dische Gneise zeichnen sich (wie die Granite) zum Teil durch lebhaft rote (grobkörnige Augengneise von Bohuslän und Halland) oder grüne Farbe aus, wie der Pyroxengneis von Warberg (,, Warberggranit"). — Glimmer- armut, feines Korn und festes Gefüge machen manche, besonders fast richtungslos struierte \ Granulite zu gesuchten Bau-, Pflaster-; und Schottersteinen, namentlich die schwarzen \ Pyroxengranulite des sächsischen Mittel- gebirges mit ihrer 1600 übersteigenden Druckfestigkeit sind bevorzugt. Hornblendeschiefer und Amphibolite t werden hin und wieder als Schotter, seltener als Bausteine gewonnen. — Den Nephrit, ^ ein grünes, aus dicht verfilzten, feinen Strahlsteinnädelchen bestehendes Gestein, verarbeitete man früher wegen seiner außer- ordentlichen Zähigkeit viel zu Steinbeilen. Jetzt fertigt man aus ihm, da er auch gute Politur annimmt, im Orient Säbelgriffe, Becher, Schalen, Amulette, Siegelsteine i u. dgl. Bis vor kurzem anstehend nur im turkestanischen Karakaschtale, im Sajan- gebirge südlich von Irkutsk, in den chine- sischen Provinzen Kansu und Yunnan, von ^ der Westküste der Südinsel Neuseelands, i aus Alaska, Britisch-Kolumbien und der brasilianischen Provinz Bahia, in Europa ' lediglich als schmale iVdern zu Jordansmühi und Reichenstein in Schlesien bekannt und als loses GeröU mehrorts in Sibirien und j einigen Alpenflüssen, auch im norddeutschen Schwemmlande angetroffen, ist Nephrit in den letzten Jahren, nachdem seine Bildungs- bedingungen in Gabbro- Serpentingebieten [ bekannt waren, an nicht wenigen Orten ! anstehend gefunden worden: bei Sestri Levante, im Harz (Harzburg), in Grau- bünden (Oberhallstein), im Fichtelgebirge. Aehnliche Verwendung fand und findet noch der weißliche bis apfelgrüne Jadeit, ein dichtes und zähes Aggregat von Natrium- Aluminiumpyroxen, das anstehend in Birma, in Piemont und Ligurien bekannt ist. Granatfelse besonders des sächsischen Mittelgebirges werden in geringem Umfange zur Verarbeitung auf Schleifmaterial ge- wonnen. Dies geschieht auch mit Eklogit, den man seiner schönen Farbe wegen (roter Granat und grasgrüner Pyroxen sind die Gemengteile) auch zu Platten verschliffen hat; doch ist das Gestein schwer zu be- arbeiten und nur selten in größeren Blöcken zu gewinnen (Gegend von Münchberg im Fichtelgebirge; Norwegen). — Chlo rit- schiefer erlangen nur ausnahmsweise ge- nügende Druckfestigkeit (zu Einsiedel bei Chemnitz z. B. 1048) und werden dann als Mauersteine gebrochen. Vielseitige Verwendung finden dagegen Serpentine. Gefällige dunkle Farben oder Farbenzeichnung, die Weichheit, die ein leichtes Schneiden und Bearbeiten auf der Drehbank gestattet, verbunden mit Politurfähigkeit machen das Gestein zur Herstellung geschliffener und polierter Platten und allerlei geschnittener und gedrehter Gegenstände (Schalen, Vasen u. dgl.) ge- eignet. Sowohl Bronzit- als auch Granat- serpentin wird hierzu verwendet, letzterer nur dann, wenn die Granate in weiche chloritische Aggregate umgewandelt sind. Hauptsitze der Industrie sind seit langem Zöblitz und Waldheim in Sachsen, Epinal in den Vogesen. Als Dekorationsstein wird er besonders im Innern von Gebäuden ge- braucht. Schönfarbige Arten liefert besonders Oberitalien, bekannt als Verde di Susa (Florenz), Verde di Prato und Verde di mare (Genua); Verde di Genova und Verde di Pegli sind Serpentinbreccien. Aus Korsika stammt der Verde Stella (Vert de mer), aus Griechenland die Serpentinbreccie von Larissa (,,Thessalischer Marmor"). Wegen seiner Feuerbeständigkeit benutzt man Serpentin bisweilen zu Ofengestellen, Herd- und Brandmauern. Seine Weichheit und geringe Druckfestigkeit (750 bei dem Zöb- litzer Gestein) machen ihn als Baustein und Schotter ungeeignet. Der feinfaserige Serpentinasbest (Chry- sotil) und der säurebeständige Hornblende- asbest (Amiant) werden wiegen ihrer Feuer- beständigkeit und schlechten Wärmeleitung als Wandausfüllung feuersicherer Kassen, Umhüllung von Dampfrohren, zu unver- brennlichen Geweben (Feuerwehrhandschuhe, Bühnendekorationen) und Asbestpappe ge- braucht. Die Hauptgewinnung findet in Kanada und Oberitalien statt Den weichen und dabei wetterfesten Topf- st ein, ein Gemenge von Talk und Chlorit, ver- wendet man zu Ornamenten und Skulpturen, seiner Feuerbeständigkeit wegen auch zu Schmelztiegeln und Feuerungsanlagen. Brüche liegen in der Gegend von Handöl in Jemtland. Smirgel, hauptsächlich aus Korund- körnchen bestehend, wird zur Verwendung als Schleif- und Poliermittel besonders auf den Insebi Naxos und Samos, bei Magnesia in Kleinasien und zu ehester in Massachu- setts gew^onnen. 1086 Gesteine (Teclinisch "«iclitige Gesteine) III. Makroskopische und mikroskopische Kennzeichnung der wichtigsten Gesteine (mit Ausschluß der Karbonat- und Salzgesteine)*). I. Eruptivgesteine. Granit. Granite sind hellfarbige, grob- bis fein- körnige Gesteine, die als wesentliche und mit bloßem Auge erkennbare Gemengteile Feld- spat, Quarz und Glimmer oder auch statt oder neben diesem Amphibol oder seltener Pyroxen enthalten. Akzessorisch führen alle geringe Mengen mikroskopisch kleiner Kjiställchen von Apatit und Zirkon, meist auch Eisenerz, in manchen Ai'ten Titanit, Orthit, Monazit, Tur- malin, Topas, Flußspat, Cordierit (Pinit) u. a. Unter den Gemengteilen herrscht quanti- tativ der Feldspat vor, der auch durch seine weiße oder rote, bei Verwitterung gelbliche Farbe die Gesamtfärbung des Gesteins be- stimmt. Von manchen Alkaligraniten abge- sehen, kommen Kali- und Kalknatronfeldspat nebeneinander vor. Der Kalifeldspat, bald Orthoklas, bald gegitterter Mikroklin, die beide bisweilen (in Alkaligraniten meist) perthitisch ausgebildet sind, kommt in dick- tafeli^en. häuliii' nach dem Karlsbader Gesetz verzwillingten Kristallen vor. Der Plagioklas ist Oligoklas bis Andesin, in Alkaligraniten auch Albit, in der Regel mit zahlreichen Zwillingslamellen nach dem Albitgesetz ver- sehen und wie Orthoklas durch Umwandlung in Serizit oder Kaolin mehr oder weniger ge- trübt. Beide Feldspate verwachsen bisweilen in paralleler Stellung miteinander, wobei Plagioklas meist den Kern, seltener (wie u. a. im Rapakiwi) die äußere Hülle bildet. Die Menge des Plagioklases nimmt mit der der dunklen Gemengteile, besonders mit dem Eintreten von Hornblende, zu und ver- mittelt dadurch Übergänge in Quarzdiorite; in typischen Alkaligraniten fehlt er ganz. — Der Quarz bildet als zuletzt festgeworde- ner Gemengteil unregelmäßig l)egrouzte Körner von rauchgrauer, seltener bläulicher oder roter Farbe; nur in quarzreichen, besonders Zwei- glimmergraniten, macht sich eine Neigung zur Ausbildung roh doppelpyramidenförmiger Individuen bemerkbar. Die im Dünnschliffe wasserklaren Quarzschnitte lassen allerlei mi- kroskopische Einschlüsse besonders deutlich erkennen, vor allem Züge von Flüssigkeitsein- schlüssen, Apatitnädelchen, Zirkonkriställchen. — Der Glimmer ist meist braunschwarzer Biotit mit starkem Pleochroismus und sehr kleinem Achsenwinkel. Um eingeschlossene Zirkone zeigen sich dunkle, pleochroitische Höfe. Die Umwandlung erfolgt meist in Chlo- rit unter Abscheidung ^des Titansäuregehalts als Rutil oder Titanit, oder der Biotit bleicht, *) Siehe die Artikel „Karbonatgesteine" und „Salzlagerstätten". wird erst tombakbraun, dann muscovitähnlich silberweiß. Neben Biotit, nie neben Horn- blende oder Augit, findet sich in manchen Graniten Muscovit in selbständigen Schuppen oder paralell mit Biotit verwachsen. Ein hell- blonder, eisenhaltiger Lithiumglimmer ist Graniten mit Gehalt an Turmalin, Topas und gewöhnlich auch Zinnstein eigen. Von Am- phibolen findet sich in Kalk-Alkaligramten gemeine grüne Hornblende in kurzen, ge- wöhnlich nur in der Vertikalzone von Kristall- flächen begrenzten Prismen, die sich häufiger in Epidot als in Chlorit umwandeln; in Alkali- graniten sitzt Riebeckit oder Arfvedsonit. Unter den im ganzen wenig verbreiteten Pyroxenen ist farbloser bis blaßgrünlicher D'iopsid am häufigsten, Hypersthen auf eine bestimmte Gruppe beschränkt, der saftgrüne ! Aegirinnur in Alkaligraniten zu treffen. — Die l kleinen, farblosen Nädelchen des Apatits durchspießen alle Hauptgemengteile und i nehmen im allgemeinen mit wachsender Ba- sizität des Gesteins an Menge zu. Auch die gedrungenen, stark licht- und doppelbrechen- den Prismen des Zirkons liegen in allen anderen wesentlichen Gemengteilen. Von Eisenerzen kommen Magnetit, seltener Titaneisenerz, gelegentlich auch Pyrit oder Magnetkies vor, alle nur vereinzelt. Das Mengenverhältnis der genannten Mi- jneralien, namentlich der wesentlichen Ge- mengteile, ist nicht nur in den verschiedenen Granitarten und -vorkommen, sondern auch in einem und demselben Granitkörper ziemlich großen Schwankungen unterworfen. Im all- gemeinen wiegen die hellen Mineralien (Feld- spate und Quarz) stark vor, so daß die farbigen Gemengteile z. B. in muscovitführen- den und Lithionitgraniten nur wenige Pro- zente betragen. In Hornblende- und Diopsid- graniten können sie bis zur Hälfte der Ge- steinsmasse ansteigen. Innerhalb größerer Granitkörper wird häufig ein Gegensatz zwischen Mittel- und Randpartie beobachtet derart, daß letztere gewöhnlich dunkler und basischer ist, auch wohl durch Aufnahme neuer mit oder ohne Ausfallen alter Gemeng- teile nicht nur in andere Granitarten, sondern in andere Gesteine übergeht (nicht selten in Diorit oder Syenit). Außerdem durchziehen frühzeitige Anreicherungen dunkler Gemeng- teile als basische Schlieren und Putzen (nicht zu verwechseln mit fremden, oft stark umge- arbeiteten Gesteinsbruchstücken) den Granit. Die Struktur normaler Granite ist die für Tiefengesteine charakteristische hypidio- morph-körnige, wobei zuerst Akzessorien, dann die dunklen Gemengteile, darauf Feld- ' spate und zuletzt Quarz ausgeschieden wurden (* Fig. 1). Gleichmäßig und *) Sämtliche Figuren aus Reinisch: Petro- graphisches Praktikum II. Gresteine (Teclinisch wichtige Gresteine) 1087 richtungslos körniges Gefüge ist die Kegel, porphyrartige Struktur mit großen In- dividuen von Kalifeldspat, selten von Quarz, ^ ,[ ebenso wie primäre Parallel- struktur m^ist auf dift Eandpartiftn hfi- schränkt, Kugelbildung mehioitb bekannt Eine fcindru'-ige, miarolitisolie btiuktur Fig. 1. Biotitgiaiut Tul'^iut/, bcuhsen Quarz hell J chKpite tiube Biotit schi iftieit \ergroßerung 15. wird öfter durch Ausfüllung der Hohkäume mit Quarz, Miiscovit oder, wie in den so- genannten Kalkgraniten, durch Kalkspat ver- deckt. Alle diese Strukturen verwischen sich teilweise oder vollständig, wenn der Granit im Gebirgsdruck, z. B. längs großer Ver- werfungen, kataklastisch deformiert wird. Das Gestein zerfällt dann in polyedrische Klötzchen, die Quarze zeigen undüiöse Aus- löschung und Trümmerränder (Mörtelstrak- tur), die Glimmer Stauchung unter Chlorit- bildung aus Biotit und Abscheidung des Titangehalts als Rutil, die Feldspate Biegung und Zertrümmerung unter reichlicher Serizit- bildung. Die feinkörnigen Trümmeraggregate und die Serizitmenge erleichtern das Gleiten der zerdrückten Massen und ihre Streckung zu serizitgneis- und serizitschieferartigen Ge- steinen oder zu äußerlich tonschieferähnlichen Produkten, denen jeder Anklang an den früheren Granit abgeht. Syenit. Syenite sind grob- bis feinkörnige Ge- steine von roter, weißlicher oder seltener (Laurvikit) blaugrauer Farbe, die makro- skopisch als wesentliche Gemengteile Feld- spate und Hornblende oder Biotit oder Py- roxen erkennen lassen. Von akzessorischen Mineralien sind Titanit und Apatit immer, etwas Eisenerz und Zirkon meist, Quarz nicht selten vorhanden, aber mit Ausnahme des Titanits gewöhnlich mikroskopisch klein. Die Feldspate gehören vorwiegend (in manchen Alkalisyeniten ausschließlich) dem Alkalifeldspat an. Weißer oder roter Ortho- klas von denselben Eigenschaften wie im Granit herrscht vor, Mikroklin ist weit sel- tener; Perthit und Anorthoklas, z. T. als Rhombenfeldspat ausgebildet und labradori- sierend, gewinnen in Alkalisyeniten große Verbreitung. Der Plagioklas, meist Oligoklas oder Andesin, in Pyroxensyeniten zuweilen Labrador, gleicht ebenfalls dem der Granite. Die Amphibole sind in gewöhnlichen Syeniten durch gemeine grüne Hornblende vei treten, die sich gern in Epjdot umsetzt, in Alkali- syeniten durch braunen Barkevikit oder grünlichblauen Arfvedsonit. Von Pyroxenen ist farbloser bis blaßgrüner Diopsid am ver- breitetsten, bisweilen begleitet von Hy- persthen; in Alkalisyeniten findet sich grüner Aegirin oder Aegirinaugit selbständig oder als Rinden um Diopsid. Der Biotit (Muscovit kommt nicht vor) gleicht dem der Granite, ebenso der Quarz. Titanit zeigt verschiedene Ausbildung; in Kalk- Alkalisyeniten sind seine diamantglänzenden Kjiställchen schwarz- braun im Handstück, bräunlichgelb im Dünn- schliff, in Alkalisyeniten honiggelb bezw. hell- gelblichgrau, in beiden Fällen nicht selten verzwillingt. Die Struktur der Syenite ist die hypidio- morph-körnige (Fig. 2). Neben richtungs- Fig. 2. Hornblendesyenit. Meißen. Feldspat trübe, Hornblende dunkel, in der Mitte Titanit. Vergrößerung 15. losen Arten sind primär parallelstruierte mit gleichgerichteten Feldspattäfelchen oder -rhomben häufiger als bei Granit, porphyr- artige seltener, Kugelbildungen nicht bekannt. Wie bei den Graniten finden sich auch hier Schwankungen im Mengenverhältnis der Mineralien, Bildung von Schlieren und Rand- fazies sowie Uebergänge in andere Gesteine, besonders in Granite, selten in Diorit. Diorit. Diorite sind grünliche oder weiß und grün- schwarz gefleckte Gesteine, die als wesentliche Gemengteile dem bloßen Auge Plagioklas und Hornblende oder Biotit oder Pyroxen (Di- opsid, Hypersthen), in manchen Arten auch 1088 Gesteine (Teclmiscli mehtige Gesteine) Quarz zeigen; dazu kommen im Dünnschliffe als akzessorische Mineralien Apatit, Eisenerze, Zirkon, bisweilen Titanit. Der weiße oder grünliche, vielfach ver- zwillingte Plagioklas gehört Mischungen vom Oligoklas bis zum Labrador an; die sauren Glieder firden sich besonders in quarz- oder biotitführenden, die basischen in pyroxen- haltigen Arten. Die gemeine, grüne, seltener braune Hornblende, aus welcher oft Epidot entstellt, der braune Biotit und der immer allotriomorphe Quarz zeigen keine Ab- weichungen von der Ausbildung in Graniten oder Syeniten, auch Diopsid tritt in denselben farblosen bis blaßgrüuen Körnern oder kurzen Säulchen, Hypersthen (gern mit Biotit ver- gesellschaftet) in pleochroitischen Prismen auf. Ebenso schwankt das Mengenverhältnis dieser IVIineralien ; im allgemeinen überwiegen in Quarzglimmerdioriten die hellen, in py- roxenführenden Arten die dunklen Gemeng- teile, Hornblendediorite haben eine Mittel- stellung. Schlierenbildung ist häufig. Ueber- gänge erfolgen besonders durch die Grano- diorite mit ihrem Orthoklasgehalt nach Gra- niten hin, seltener in Syenit, auch in Norite. Die Struktur ist hypidiomorph-körnig, die Ausscheidungsfolge (Äkzessorien, dunkle, dann helle Gemengteile) bei Glimmer- und Hornblendedioriten schärfer ausgeprägt als bei basischen Augitdioriten, wo die Bilduugs- perioden von Augit und Plagioklas weit über- einandergreifen und dadurch Anklänge an die Struktur der Gabbrogesteine zuwege kommen, Richtungslose Gesteine von mittlerem bis feinem Korn herrschen vor, porphyrartige, parallelstruierte und Kugeldiorite sind selten. Gabbrogesteine. Die Gabbrofamilie umfaßt grob- bis fein- körnige, dunkle Gesteine, die als wesentliche Gemengteile außer basischem Plagioklas noch Diallag (im Gabbro) oder rhombischen Py- roxen"(im Norit) oder beide enthalten; das Hinzutreten von Olivin bedingt Unterab- teilungen. Von Nebengemengteilen kommen Biotit, braune Hornblende, seltener Quarz, bisweilen so reichlich vor, daß Gesteins- abarten entstehen. Apatit und titanreiches Eisenerz ist immer, Magnetkies oft zugegen. Der leistenförmige Plagioklas (Labrador bis Anorthit), weiß, bläulichgrau, nie rot, zeigt im Dünnschliff meist eine charakte- ristische bräunliche oder graue Bestäubung und eine gleichzeitige Zwillingsbildung nach dem Albit- und Periklingesetz. Reich an mikroskopischen, blatt- oder stäbchenför- migen Einlagerungen ist auch der bräunliche oder ölgrüne, stets allotriomorphe Diallag und der gewöhnlich eisenarme, schwach pleo- chroitische Hypersthen. Verbreitet ist eine Umwandlung des Diallags in grüne Horn- blende (Uralit oder Smaragdit), oft be- gleitet von Saussuritbildung aus dem Feld- spat. Wo Olivin auftritt, bildet er umegel- mäßige Körner, die an den Berührungsstellen mit Plagioklas (nicht mit Pyroxen) einen aus lichtgefärbten Amphibolstengelchen bestehen- den ^ Reaktionsrand entwickeln (Fig. 3). Fig. 3. ()li^ ingal)l)i (). ( )elme, m liw eden. Dial- lag dunkel, Plagioklas staubig, Olivm hell, zum Teil mit Hoinblendesaum. Veigiußerung 15. Nicht selten liegen im Olivin kleine Oktaeder von Chromspinell, mitunter auch massenhaft winzige, staub- oder nadeiförmige Inter- positionen eines unbekannten Minerals. Die Struktur ist gröber oder feiner hyp- idiomorph-körnig. Während aber bei dem Norit die normale Ausscheidungsfolge (erst dunkle, dann helle Gemengteile) noch inne- gehalten wird, wenn auch mit weit über- einandergreif enden Bildungsperioden, kehrt sich das Verhältnis in dem so häufig ophitisch struierten Gabbro (und Hyperit) um. Außer den vorherrschenden richtungslos körnigen kommen auch gebänderte Gabbrogesteine vor, in welchen pyroxenreiche mit plagioklasreichen Lagen abwechseln. Schwankungen im Mineralbestande sind bei Gabbrogesteinen häufig und so weitgehend, daß eine Anzahl besonderer, geologisch mit ihnen verbundener Felsarten zustande kommt. Durch Ausfallen des Pyi'oxens aus Olivin- gabbro oder Olivinnorit' entsteht der weiße, dunkelgrüngefleckte Forellenstein oderTrokto- lith, welcher wesentlich nur allotriomorphen basischen Plagioklas und mehr oder weniger serpentinisierten Olivin enthält. Verliert sich auch noch der Olivin, dann resultieren helle Labradorfelse oder Anorthosite^). An- dererseits bilden sich durch Ausfallen des Plagioklases feldspatfreie, dunkle Gesteine heraus. Sie enthalten entweder, wie in den Peridotiten, wesentlich Olivin rein (Dunit) oder mit großen, schillernden Enstatitindivi- >) Andere, weiter verbreitete Anorthosite stehen mit H>T)ersthengranit in geologischem Verbände. Gesteine (Technisch wichtige Gesteine) 1089 diien (Harzburgit) oder mit Diallag (Wehrlit) oder Diopsid " und rhombischem Pyroxen (Lherzolith) oder Amphibol (Amphibolperi- dotit); oder sie führen, wie in den Pyroxeniten hauptsächlich Pyroxen, selten weit vor- wiegend Hornblende (Hornblendite) oder schwarze Eisenerze (Magnetitfels, Ilmenit- fels). Ganggesteine. Diese weit verbreitetenGranitporphyre sind holokristallin-porphyrische Gesteine von grauer, roter oder bräunlicher Farbe mit Einsprengungen von Kalifeldspat, Plagioklas, Quarz und Glimmer, seltener von Pyroxen, in einer nicht völlig dichten Grundmasse, die wesentlich aus Feldspat und Quarz bei ge- ringer Beteiligung farbiger Gemengteile be- steht ; akzessorisch finden sich Apatit, Zirkon und spärlich Eisenerze. Unter den Feldspat- einsprenglingen ist Orthoklas und saurer Pla- gioklas vertreten. Die dihexaedrischen Quarze führen neben Flüssigkeits- auch wohl Glas- einschlüsse und sind magmatisch korrodiert, die braunen, idiomorphen Täfelchen des Biotits (Muscovit ist nur selten vorhanden) ohne Kesorptionsrand, Enstatit und Bronzit gern in bastitische Faseraggregate um- gewandelt. In der Grundmasse sind die stark vor- herrschenden Feldspate (meist Orthoklas) und Quarz mikrogranitisch oder mikro- pegmatitisch oder poikilitisch verwachsen; hin und wieder liegen kleine Biotitschuppen eingestreut. Unter den hellen Ganggesteinen sind Granitaplite am häufigsten, hellgraue bis rötliche, feinkörnige Gesteine von panidio- morph-körniger Struktur, welche fast nur aus Kalifeldspat (Orthoklas oder Mikroklin), etwas Oligoklas und Quarz bestehen, der hier dem Feldspat gegenüber selbständigere Formentwickelung zeigt als im Granit (Fig. 4). Gewöhnlich kommt noch spärlicher Muscovit, vereinzelt etwas Biotit, akzessorisch Apatit, Zirkon, bisweilen Turmalin hinzu. Fig. 4. Granitaplit. Warnsdorf, Böhmen. Quarz hell, Feldspat trübe. Vergrößerung 15. Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV Bei den Lamprophyren lassen sich Minette und Kersantit im Handstück nicht immer sicher unterscheiden. Beide sind dunkelgraue bis schwarze Gesteine, die in feinkörniger Grundmasse glänzende Einsprengunge von Biotit führen. Im Dünn- schliffe zeigen beide in der panidiomorph- körnigen Grundmasse trübe Feldspate, Biotit- schuppen, oft auch größere Diopside (meist in Chlorit und Calcit umgewandelt), bisweilen Olivin (durch Calcit verdrängt oder von spießiger Hornblende ersetzt), dazu reichlich Apatit und etwas Eisenerz. Aber der Feld- spat ist in der Minette fast ausschließlich Orthoklas, im Kersantit Plagioklas. Quarzporphyr und Liparit. Quarzporphyre sind altvulkanische, graue oder braune, selten schwarze Erguß- gesteine, die in dichter Grundmasse Ein- sprengunge von Orthoklas und Plagioklas, Quarz, etwas Biotit, in einer Art auch Pyroxen führen. Dabei sind die roten oder gelblichen Einsprengunge von Orthoklas und Oligoklas (in Pyroxenquarzporphyren auch Labrador) ebenso wie die oft korro- dierten und mit Glaseinschlüssen versehenen Quarze (Fig. 5) bald zahlreich und groß, Fig. 5 Quai/.poi phvi. Eu;genta], Tuol Ein- sprenghnge von koiiodieiteni ()ua)/. (hell), Feld- spat (tiube) und Biotit (dunkel) in Quaiz-Feld- spatgrundmasse. Vergrößerung 15. bald klein und nur spärlich vorhanden, die gewöhnlich stark resorbierten Täfelchen des braunen Biotits nur in geringer Menge zu- gegen, die Pyroxene (Diopsid und Enstatit bis Bronzit) teilweise in bastitische Faser- aggregate umgewandelt. Recht wechselnd ist die Struktur der hauptsächlich aus Quarz und 'Feldspat aufgebauten Grundmasse; neben holokristalliner (mikrogranitischer, -pegmatitischer oder -poikilitischer) kommt hypokristalline Ausbildung vor, die durch wachsende Menge des Glases zur vitrophy- rischen der Porphyrpechsteine hinüber- führt. Verbreitet ist die Umwandlung glasiger Grundmasse in Mikrofelsit. Fluidale und 69 1090 Gesteine (Teclmisch wichtige Gesteine) sphärolithisclie Struktur ist gewöhnlich schon im Handstück zu erkennen, blasiges oder poröses Gefüge (z. B. in den sogenannten Mühlsteinporphyren) verhältnismäßig selten. In den jung vulkanischen Lipariten (Rhyolithen) ist der Kalifeldspat wasser- klarer Sanidin, die Zusammensetzung sonst wie bei Quarzporphyr, das Gestein aber frischer, hypokristalline Struktur häufiger, graue oder grünlichgraue Farbe vorherr- schend. Auch glasige Ausbildung ist häufiger. Die meist dunkelgrauen bis schwarzen lipari- tischen Obsidiane zeigen dem bloßen Auge in ihrer muschelig larechenden Masse entweder gar keine oder nur vereinzelte ! Einsprengunge von Feldspat, seltener von Quarz, manchmal sphärolithische Kugel- Fig. 6. Sodalith-Trachyt-Ischia. Sanidin- chen: im Dünnschliffe gewahrt man meist | ^insprengling in fluidaler Gründmasse aus Sanidin eine Unzahl winziger, durchsichtiger Nadel- leistchen. Vergrößerung 25. chen oder opaker Trichite von verschiedener I Gestalt und Aggregierung, gern zu fluidalen Phonolith. Zügen geordnet. — Die weißen oder hell- n- •• r i i • i i u grauen Liparitbimsteine haben öfter ßiese grünlichgrauen bis M Fangfaseriges' Gefüge und Seidenglanz als «^/^^^^-^^P/XaLn'at rundblasig schaumigen Habitus, die Glas- f*^.f ®"'^ enthalten als wesentliche Gemeng- fäden langgezogene Gasporen, auch wohl ,f^S^^^"^ (/^f- Anortholdas), Nephelm, Sanidin- und " Diopsidkriställchen einge- "V a t feuert, immer Aegirin schlössen ^ Aegirinaugit, die sämtlich (Nephehn ; und Aegirin selten) als Einsprengunge auf- treten. Von akzessorischen Gemengteilen Trachyt. fehlt Apatit und honiggelber, im Schliffe Trachyte sind hellgraue oder rötliche, gi'auer Titanit wohl nie, Hauyn selten junge Ergußgesteine mit Einsprengungen ! gelegentlich findet sich em arfvedsonit- von Sanidin,^ meist auch Plagioklas, dazu artiger Amphibol in makroskopischen Säul- spärlicher Biotit oder Amphibol oder Pyroxen chen, m Leucitophyren gern Melanit. Die in einer dichten, sich gewöhnlich rauh an- Grundmasse ist m Nephehnphonohthen bald fühlenden Grundmasse. Die großen, oft ein- reich an Nephelm m kurzen, sechsseitigen schlußreichen Sanidine zeigen bald tafelige, Pnsmen (Fig. 7) und dann im Handstück bald stabförmige Ausbildung, ebenso die Plagioklase, die in Biotit- und Hornblende- trachyt dem Oligoklas bis Andesin, in basi- schen Augittrachyten auch dem Labrador angehören. BiotiteinsprengHnge und die Säulchen der braunen Hornblende erweisen sich im Schliffe oft stark resorbiert, nicht die in vielfach durchbrochenen oderzerlappten Individuen auftretenden Natronamphibole (Arfvedsonit, Katophorit, Aenigmatit) der Alkalitrachyte. Von Pyroxenen kommt am häufigsten blaßgrüner Diopsid vor, seltener Hypersthen, in Alkalitrachyten zum Teil Aegirin. Die Grundmasse vieler Trachyte ist ein ausgezeichnet fluidales Gewebe von Sanidinleistchen (Fig. 6) mit eingestreuten [ spärlichen dunklen Gemengteilen (trachy- pjg. 7. Nephelin- Phonolith. Brüx, Böhmen. tische Struktur). Akzessorisch kommen I Rechtecke von Nephelin, lange Schnitte von Apatit und Eisenerz, gelegentlich wenig Sanidin, Aegirin dunkel. Vergrößerung 35. Zirkon. Titanit, Quarzkitt, Tridymit in wasserhellen, dachziegelähnlich gruppierten { schwach fettglänzend, bald reich an fluidalen Schuppen, in manchen Alkalitrachyten ! Sanidin- ode'r Anorthoklastäfelchen bei nur Sodalith vor. — Trachytische Obsidiane und | spurenhaftem, allotriomorphem Nephelin, Bimssteine sind oft nur durch Analyse oder dauii im Stück etwas schimmernd, und führt ihre geologischen Verband Verhältnisse von , in beiden Fällen Aegirin als kleine Säulchen liparitischen zu unterscheiden. oder gcubenförmige Büschel oder allotrio- Gesteine (Technisch wichtige Gesteine) 1091 morphe Partien. In Leucitophyren tritt | Leucit hinzu. Weitverbreitet sind zeolithi- sche Neubildungen (besonders Natrolith aus Nephelin und unter Kall^'abscheidung auch aus Haüyn; Analcim aus Leucit), ebenso die Bildung einer charakteristischen weißen Ver- witterungsrinde am Gestein. Porphyrit und Andesit. Porphyrite sind altvulkanische, Andesite Junge Ergußgesteine, die wesentlich aus Plagioklas" und Biotit oder Hornblende oder Pyroxen bestehen, zu welchen in manchen Arten noch Quarz kommt. Biotit- und horn- blendehaltige Glieder haben mehr graue oder braune, die pyroxenreichen dunkle bis schwarze Farbe. Alle Hauptgemengteile bilden Einsprengunge, gewöhnlich in der Kombination von Plagioklas mit einem dunklen Mineral. Diese großen Plagioklase (Andesin bis Labrador) zeigen im Dünnschliffe nicht selten zahlreiche Glaseinschlüsse oder ein Glasgeäder; Biotit und die braune Hornblende sind, wie in Ergußgesteinen üblich, oft stark resorbiert, die Pyroxene Diopsid oder rhombische Pyroxene von ver- schiedenem Eisengehalt, selten gemeiner Augit. Die Grundmasse ist bald holokristallin, aus vorwaltendem Plagioklas, wenig dunklen Gemengteilen (nie Hypersthen) und oft etwas Quarzkitt in körnigem Gemenge aufgebaut, bald hypokristallin und dann gern pilotaxitisch oder bei größerem Glas- reichtum hyalopilitisch aufgebaut (Pyroxen- andesite). Akzessorisch finden sich Apatit und titanhaltiger Magnetit wohl immer, etwas Orthoklas oft in quarzführenden Arten, besonders in Daziten. Quarzfreie Andesite und Dazite unter- liegen durch Thermalwirkungen vielorts einer Propylitisierung, wobei aus den dunklen Gemengteilen grüne Mineralien, besonders Chlorit und uralitische Hornblende (auch Epidot) gebildet und die Gesteine gewöhn- lich mit sulfidischen Erzen imprägniert werden. Basalt, Melaphyr, Diabas. Basalte sind dunkelgraue bis schwarze, junge Ergußgesteine, die immer ein Pyroxen- mineral (gemeinen oder Titanaugit, selten Diopsid mit Rändern von Aegirinaugit) und reichlich titanhaltigen Magnetit oder Titaneisen enthalten. Dazu kommen je nach der Basaltart einzeln oder zu mehreren vergesellschaftet basischer Plagioklas (Lab- rador bis Anorthit). Nephelin meist als Fülle, Leucit gewöhnlich mit Kornkränzchen, oder Melilith, oder helle Gemengteile fehlen ganz und Glas von meist brauner Farbe tritt reichlich auf. Weitere Unterschiede entstehen durch das Hinzutreten oder Fehlen von wesentlichem Olivin. Besonders Olivin und Augit, oft Leucit, seltener Plagio- klas bilden in den porphyrischen Arten makroskopische Einsprengunge. Alle ge- nannten Mineralien, am wenigsten Olivin, dazu oft Glas, beteiligen sich auch am Auf- bau der Grundmasse, die bei plagioklas- reichen Arten bisweilen fluidal (Fig. 8) oder Fig. 8. P 1 a g i 0 k 1 a s - E a s a 1 1. Trickhof en, Wester- wald. Kleine EinsprengUnge^ von Augit (schraf- fiert) und Olivin (hell) in einer Grundmasse aus Plagioklas, Augit, Magnetit. Vergrößerung 20. intersertal, sonst regellos körnig, bald holo-, bald hypokristallin ausgebildet ist. Akzes- sorisch ist Apatit reichlich, Picotit oft als Einschluß im Olivin vertreten, Perowskit auf Melilith führende Arten, braune Horn- blende, Haüyn oder Sodalith, Rhönit und geringer Kitt von Alkalifeldspat auf Basalte der Alkalireihe beschränkt, lokal Hypersthen, Graphit, gediegen Eisen zu finden. Von akzessorischen Bestandmassen haben Olivin- knollen weite Verbreitung. Außer kompakten Basalten sind Mandelsteine mit Calcit, Delessit oder häufiger mancherlei Zeolithen in den Hohlräumen nicht selten, poröse und schlackige Varietäten als oberflächliche Par- tien von Decken und Strömen oft erhalten. In den makroskopisch körnigen Doleriten, die besonders von plagioklasreichen sowie von Nephelinbasalten und Nepheliniten be- kannt sind, pflegt Olivin zurückzutreten. Die bei Plagioklasdoleriten verbreitete ophi- tische Struktur ist (besonders im angewitterten Gestein) schon mit bloßem Auge sichtbar. Melaphyre, die altvulkanischen Aequi- valente der (echten) Plagioklasbasalte, haben denselben Mineralbestand wie diese (basischen Plagioklas, Augit, Eisenerz, fast immer Olivin), sind aber im allgemeinen unfrischer, Plagioklase und Augite oft unter Abscheidung von Calcit zersetzt, Olivin in Serpentin oder braunroten Iddingsit umgewandelt, die Ge- steine dann violettbraun statt schwarz. Sie zeigen bald reichliche Einsprengunge von Plagioklas und Olivin in basisarmer Grundmasse (Navittypus), bald makrosko- pische Olivine (und Augite) in glasreicher Grundmasse (Weiselbergittypus), bald inter- sertale Struktur ohne nennenswerte größere 69* 1092 Gesteine (Teclmiscli wichtige Gesteine) Ausscheidungen (Tholeiittypus). Mandel- steine sind weit verbreitet, die HoWräume sind meist mit Kieselmineralien (Achat) oder Calcit, selten mit Zeolithen ausgekleidet. Wie die Plagioklasdolerite zu den Plagio- klasbasalten, so verhalten sieh die Diabase zu den Melaphyren, deren Doleritform sie darstellen. Es sind mittel- bis kleinkörnige, vortertiäre Gesteine, die wesentlich basischen Plagioklas und Augit enthalten, öfter olivin- arm und olivinfrei als olivinreich sind und akzessorisch Titaneisenerz, reichlich Apatit, oft Pyrit, gelegentlich Magnesiumdiopsid oder, wie besonders im Proterobas, Biotit und primäre Hornblende führen. Gleich den Plagioklasdoleriten sind sie häufig ophitisch struiert. Im gefalteten Gebirge tragen sie infolge Umwandlung des Augits in grünen Chlorit und grüne Hornblende statt der schwarzen Farbe der ungestörten frischen Vorkommen dunkelgrüne und statt des doleritischen den Grünsteinhabitus an sich. 2. Sedimentgesteine. Vulkanische Tuffe. Porphyrtuffe sind rote oder grün- lichgraue, bisweilen geflammte oder gebän- derte Gesteine von feinerdigem bis sand- steinähnlichem Aussehen und mehr oder weniger deutlicher Schichtung, welche haupt- sächlich aus zersetzten Aschenteilchen (im Tonstein) bestehen oder neben diesen Kri- stalle von Quarz und Feldspat sowie Biotit- schuppen (im Kristalltuff), mitunter auch Lapilli und fremde Gesteinsbröckchen ent- halten. Zersetzungsvorgänge haben außer Kaolin und Sericit besonders Kieselmineralien (Quarz, Chalcedon,Hornstein) geliefert, welche oft Spalten erfüllen oder Drusenräume aus- kleiden oder in verkieselten Tuffen das ganze Gestein durchtränken, es hart und fest machen. Trachyttuffe zeichnen sich durch weiß- liche, hellgraue oder gelbliche Farbe und lockeres Gefüge aus. An ihrer Zusammen- setzung beteiligen sich außer trachytischen Glas- und Bimssteinsplittern meist auch Kristalle oder Kristallbruchstücke von Sanidin, Hornblende, Augit sowie Biotit- schuppen, nicht selten (z. B. im Traß) weiße, kaolinisierte Trachytbröckchen und Frag- mente fremder Gesteine. Oft finden sich Nester und Adern von gemeinem, selten von Edelopal. In Basalttuffen, braunen oder ziegel- roten Verfestigungsprodukten von ursprüng- lich losem, basaltischem Auswurfsmaterial, herrschen bald feine Aschenteilchen vor, bald wohlausgebildete Kristalle und Ki'istall- bruchstücke, besonders von Augit, Horn- blende, Olivin, auch von Leucit, bald bilden Lapilli die Hauptmasse. Das Bindemittel ist gewöhnlich reich an Calcit oder an Zeo- lithen. Im schwarzbraunen, harzglänzenden Palagonittuff bilden die rundlichen, bräun lichgelb durchscheinenden Palagonitkörner den Hauptbestandteil. Die feinerdigen, grünen Diabastuffe lassen meist infolge weitgehender Umwand- lung nur wenig von ihrer ursprünglichen Zusammensetzung aus diabasischen Glas- splittern und ausgeworfenen Plagioklasen, Augiten und Titaneisenerzkörnern erkennen. Heute bilden, wie auch in den durch Kalk- und Tonschlamm verunreinigten, schmutzig grünen bis lederfarbenen oder violetten und meist geschieferten Schalsteinen Chlorit, Calcit, sekundäre Hornblende, Epidot, Quarz, Tonsubstanz, Sericit und feinkörnelige bis erdige Titanitaggregate die Hauptmasse, welcher mitunter diabasische Lapilli und Bomben, auch fremde Gesteinsbruchstücke beigemengt sind. Kieselgesteine. Am verbreitetsten sind Sandsteine, d. s. verfestigte Quarzsande von vorherr- schend weißer, gelblicher oder roter Farbe, die außer weit verwaltenden gerundeten oder eckigen Quarzkörnern verschiedener Herkunft in geringer Menge auch andere, schwer zerstörbare Mineralien (Muscovit, Zirkon, Granat, Turmalin), oft auch frische oder kaolinisierte Feldspatbröckchen, lokal Glaukonit, kohlige Substanz oder Bitumen enthalten. Dazu kommt ein verschieden- artiges Bindemittel in w^echselnder Menge. In den harten und festen kieseligen Sand- steinen ist es meist Quarz (mitunter als sogenannte ergänzende Kieselsäure, Fig. 9, Fig. 9. Sandstein, Wildbad. Schwarzwald. Um die runden Quarzkörner Säume von ergänzendem Quarz. Vergrößerung 25. gleichsinnig um die alten, klastischen Quarz- körner orientiert), seltener Chalcedon oder Opal; in Kalksandsteinen Calcit, in den selteneren dolomitischen Dolomit; in tonigen Arten ein Gemenge von Ton und Sericit; in eisenschüssigen vorwiegend Brauneisen. Außer der regelmäßigen Schichtung (bis- weilen mit abweichender Korngröße oder Gesteine (Teclmisch wichtige Gesteine) 1093 Färbung der einzelnen Lagen) kommt hin und wieder auch Diagonalschichtung vor. Auch die dunkelgrauen oder grünliehen Grauwacken bestehen hauptsächlich aus klastischen Quarzkörnchen, enthalten aber in ihren körnigen Arten daneben reichlich Feldspate, Glimmer- und Chloritsohuppen, und Ideine Bruchstücke verschiedener Ge- steine, namentlich Kieselschiefer, Quarzit- schiefer, Tonschiefer, Hornstein. Geringe Beimengungen von Zirkon, Turmalin, Rutil, Granat und anderen widerstaudsfähigen Mineralien fehlen auch hier nicht. Das Biude- mittel ist meist ein feinkörniges Gemenge von Quarz, Sericit- und Chloritschuppen, seltener wesentlich Quarz oder Calcit. Die vorherrschenden mittel- bis" kleinkörnigen Arten werden durch Aufnahme von Gerollen zu konglomeratischen Grauwacken, während audererseits in den scheinbar homogenen dichten Grauwacken und Grauwackeschiefern das Korn bis zu Staubfeinheit herabsinkt. Die Quarzite, weiße oder durch Braun- eisen gelblich gefärbte, harte und feste Gesteine, setzen sich vorzugsweise aus ver- zahnten Quarzkörnern zusammen und ent- halten gewöhnlich nur spurenhaft andere Gemengteile, besonders silberweiße Schuppen von Muscovit. Bei grob- und mittelkörnigen Arten zeigen die Gesteinsbruchflächen aus- gesprochenen Fettglanz. Die hellfarbigen, porösen Süßwassercjuarzite dagegen be- stehen hauptsächlich aus Chalcedon und Opal, haben auch ihre Hohlräume mitunter von Chalcedonkrusten überzogen und zeigen oft Abdrücke von Blättern, Süßwasser- konchylien und Grashalmröhren. Die dunkelgrauen bis sammetschwarzen Kieselschiefer sind dichte und spröde, oft von weißen Quarzadern kreuz und cpier durchzogene Gesteine, die sich im Dünn- schliffe wesentlich als ein sehr feinkörniges Gemenge von Quarz, Chalcedon und etwas Opal erweisen. Die dunkle Farbe wird be- dingt durch zahlreich eingelagerte Partikel einer kohligen Substanz, clie sich bisweilen auf Kluft- oder Rutsohflächen zu glänzenden, anthrazitischen Häuten anreichert. Manche Vorkommen zeigen im Dünnschliffe Reste von Radiolarien, an welchen in einigen Fällen noch das Maschenwerk und die Stacheln der Gitterkugel erkennbar sind; meist ist die organische Struktur verwischt, so daß nur wasserhelle, runde, von Chalcedon erfüllte Partien den ehemaligen Reichtum an Radiolarien verraten. Tongesteine. Die Tonschiefer erscheinen dem bloßen Auge als dünnschieferige, homogene Gesteine mit matten oder etwas schimmernden Spal- tungsflächen. Sie bestehen, wie der Dünn- schliff zeigt, zur Hauptsache aus winzigen Quarzkörnchen oder flachlinsenförmigeu Quarzschmitzen, Sericit, Chlorit und toniger Substanz. Grünlichgraue Farbe der Schiefer wird durch reichlicheren Gehalt an Chlorit hervorgerufen, rötliche und violette durch Beimengung von staubförmigem Roteisenerz oder von Eisenglanzschüppchen, schwarze durch kohlige Substanz. Außerdem finden sich in den meisten Vorkommen kurze, haar- förmige Nädelchen von Rutil, hin und wieder kleine Turmaline, auch Pyrit, manchmal feinverteilte Partikel von Calcit. Die tiefschwarzen Alaunschiefer sind Tonschiefer mit bedeutendem Gehalt an Kohlesubstanz, die nicht selten auf den Schichtflächen anthrazitische Häute oder im Gestein Nester bildet, und mit reichlicher Beimengung von Pyrit oder Markasit. Durch Oxydation der Eisensulfide bildet sich neben Eisenvitriol freie Schwefelsäure, aus deren Ein- wirkung auf den Toiigehalt des Schiefers Alaun hervorgeht. Gips. Gipsmassen sind weiche, schon mit dem Fingernagel ritzbare Gesteine von dichtem, kleinkörnigem oder spätigem Gefüge und weißer oder grauer, gelblicher bis roter Farbe, welche sich unter dem Mikroskope als körnige oder strahlig-blätterige Aggregate von vorwaltendem Gips erweisen. Nur vereinzelt sieht man mit bloßem Auge akzessorische Beimengungen: glänzende Kri- stalle von Boracit, Pyrit, Glimmerschuppen, in den mit Solfataren genetiscli vei-huu(hMien Vorkommen bisweilen Schwefel; mikrosko- pisch kleine Bergkristalle, Tonilocken, An- hydrit sind öfter, aber spärlich vorhanden, im dunklen Stinkgips zum Teil reichlich Bitumen. 3. Metamorphe Gesteine. Kontaktgesteine. Die aus Tonschiefer und Phylliten in der äußeren Zone eines Kontakthofes hervorgegangenen Fleck schiefer unter- scheiden sich von dem Ausgangsmaterial durch dunkle, rundliche Flecke auf den Schieferungsflächen, welche sich im Dünn- schliffe als Anreicherungen kleiner Kohle- oder Eisenerzpartikel oder Chloritschuppen erweisen; die Gesteine sind sonst nicht weiter verändert. Die Frucht- oder Knoten- schiefer der mittleren Zone haben deutlich kristalline Struktur und etwas gröberes Korn angenommen, sind härter, auf den Schicht- flächen glänzender geworden und lagen- weise oder durch ihre ganze Masse von getreidekornähnlichen, dunklen Prismen durchsetzt. Wie das Mikroskop zeigt, be- stehen diese Knoten in den allermeisten Fällen aus Cordierit, sind oft als Drillinge ausgebildet und von zahlreichen Eisenerz- partikeln und Glimmerschuppen durch- stäubt. Die ehemalige klastische Schiefer- masse ist zu einem ' feinkörnigen Aggregat 1094 Gesteine (Teelmiscli mchtige Gesteine) von Quarz, Biotit und Muscovit geworden, die Schieferung des Gesteins ist erhalten ge- blieben. — In den Gesteinen der inneren Zone ist das Korn noch gröber. Sie sind entweder als Andalusitglimmerschiefer mit reichlichem Muscovit, Biotit, Quarz und Andalusitprismen ausgebildet, oder als ungeschieferte, bläulichschwarze andalusit- und cordieritreiche Hornfelse oder Cor- nubianite; diese zeigen im Schliffe außer polygonalen, von runden Biotitscheibchen durchwachsenen Quarzkörnern hauptsäch- lich noch Cordierit, Andalusit in vielfach durchbrochenen Körnern oder Säulchen, Biotit und Muscovit, dazu Eisenerzkörnchen, vereinzelte Zirkone und Turmaline. Auch aus Grauwacken entstehen in der äußeren Zone gefleckte Gesteine ohne sonstige nennenswerte Veränderungen, die Fleck- gr auwacken, in der mittleren Knote ngrau- wacken mit größeren, oft zersetzten Cor- dieriten in der durch neugebildeten Quarz, Biotit und Muscovit feinkristallin gewordenen Gesteinsmasse. Die Quarzglimmerfelse der inneren Zone sind durchaus kristalline, dunkle Gesteine aus vorherrschendem Quarz. Muscovit und Biotit, die oft noch Cordierit, Feldspat, Strähne dünner Sillimanitnädel- chen, auch etwas Turmalin oder bei ur- sprünglich kalkreichem Bindemittel Epidot enthalten. Die Quarzglimmerfelse zeigen ebenso wie die aus denselben Mineralien bestehenden, aber dichten und splittrig brechenden Grauwackenhornfelse ausge- zeichnete Pflasterstruktur im Dünnschliffe. Die aus Diabasen und Diabastuffen hervorgehenden grünlichschwarzen oder (be- sonders wenn aus Tuffen entstanden) ge- bänderten Kontaktprodukte bestehen haupt- sächlich entweder aus grünen, strahlstein- artigen Hornblendesäulehen oder aus blaß- grünen Körnern von Malaknlith. Den Horn- blendeschiefern ist gewöhnlich Plagioklas und Quarz, manchmal auch lagenweise ange- reichert oder gleichmäßig verteilt Epidot, den ]\I al a k o 1 i t h s c h i e f e r n und -f eisen außer wccliselnden Mengen von Hornblende manch- mal Skapolith beigemengt. Schwarze Eisen- erzkörnchen, Biotit, auch kalkreiche Granate kommen gelegentlich in beiderlei Gesteinen vor. Gneis. Gneise sind grob- bis feinkörnige, flaserige, schieferige oder gebänderte Gesteine, die in ihren verbreitetsten Arten wesentlich aus Quarz, Kalifeldspat, Plagioklas, Glimmer oder Hornblende bestehen. Außer den allgemein verbreiten Akzessorien Zirkon, Apatit, wenig Eisenerz und gelegentlich vorkommen- dem Turmalin, Titanit, Rutil und Spinell treten zahlreiche andere Mineralien bald spärlich, bald in solcher Menge auf, daß sie besondere Gneisarten bedingen. Es sind, meist schon makroskopisch erkennbar, be- sonders Granat, Cordierit, Sillimanit, Epidot, Pyi'oxen, Graphit. Der Kalifeldspat (Ortho- klas oder Mikroklin) und der Plagioklas (Albit bis Andesin) gleichen in Farbe und Ver- witterungserscheinungen granitischen Feld- spaten, sind aber kaum jemals idiomorph. Auch dem Quarz fehlt Kristallumgrenzung. Von Glimmern kommen Biotit und Muscovit, in Gneisen der oberen Stufe auch Sericit vor, von Amphibolen vorwiegend gemeine, grüne Hornblende, sehr selten Arfvedsonit. von Pyroxenen hellgrüner Diopsid und Hypersthen. Der im Handstück rote Granat, teils Almandin, teils gemeiner Granat, bildet meist rundliche Körner mit zahlreichen Einschlüssen von Quarz. Cordierit, blau im Handstück, ist im Dünnschliffe fast farblos und quarzähnlich, aber an gelben, pleochroitischen Höfen um eingeschlossene Zirkone und an chloritischen oder seri- citischen Zersetzungsprodukten längs der Sprünge und Ränder kenntlich. Sillimanit kommt gewöhnlich in Lagen und Strähnen feiner ]Yädelchen vor, die im Handstücke als seidenglänzende, weiße Partien erscheinen; er begleitet gern den Cordierit. Epidot in gelblichen Körnern und Säulchen findet sich besonders in Gneisen der oberen Stufe. Nicht nur das Mengenverhältnis zwischen hellen und dunklen Mineralien schwankt bei verschiedenen Gneisarten und -vorkom- men, bei Paragneisen mitunter in einem Block, in weiten Grenzen, so daß einerseits fast weiße, andererseits recht dunkle Gesteine vorliegen, sondern ebensosehr auch der Grad der Flaserung oder Schieferung. Glimmer- arme oder hornblende- und besonders pyroxen- führende Arten sowie Gneise der tiefsten Stufe zeigen bisweilen nur Andeutung einer Parallelstruktur, glimmerreiche Gesteine und solche der oberen Stufe dagegen werden mitunter dünnschieferig. Flaserung und Schieferung wird nicht nur durch annähernd parallel gelagerte Glimmerschuppen (Fig. 10) oder Hornblendesäulchen, sondern auch durch langgestreckte Quarz- oder Feldspatkörner oder schmitzenförmige Quarz-Feldspataggre- gate hervorgebracht. In Augengneisen sind die großen, einsprenglin<;sartig hervortreten- den Gemengteile meist Kalifeldspat, seltener Muscovitpacken, Granate oder andere Mine- ralien. In allen Gneisen ist das Fehlen einer Ausscheidungsfolge charakteristisch, wenn auch einzelne Gemengteile ihre Kristall- form besser zur Geltung bringen als andere. Granulit. Diese in ihren typischen Arten weißen, ebenschieferigen Gesteine sind hauptsächlich feinkörnigeGemenge von perthitischem Ortho- klas und Quarz, zu welchen häufig roter Granat in makroskopischen kleinen Körnchen tritt. Biotit ist dann nur spurenhaft zugegen, nimmt aber in Biotitgranuliten zum Teil an Gesteine (Teclinisch wichtig-e Gesteine) 1095 Fig. 10. Gneis. Nollendorf, Erzgebirge. Paral- lele Gliinmerzüge und Quarz-Feldspatgemenge. Vergrößerung 15. Menge bedeutend zn, während Granat ver- schwindet. Von akzessorischen Gemengteilen ist wohl immer Rutil in goldgelben mikro- skopischen Nädelchen, bisweilen Cyanit in makroskopischen, hellblauen Täfelchen, mit ihm vergesellschaftet Sillimanit in kleinen, fächerförmigen Nadelbüscheln, lokal grüner Spinell als Haufwerke kleiner Körner, Korund und Turmalin vertreten. Die granoblastische Struktur ist oft durch kataklastische Be- einflussung etwas verdeckt. Ganz abweichend hiervon bestehen die schwarzen, sehr feinkörnigen und unge- schieferten Pyroxengranulite aus einem granoblastischen Gemenge von Plagioklas, Hypersthen und graugrünem Augit, zu weh luMi Eisenerz, Apatit, Rutil und wech- selnde Mengen von Orthoklas, rotem Granat, Quarz und Biotit kommen. Glimmerschiefer. Glimmerschiefer sind hellgraue, gelbliche oder seltener schwarzbraune, schieferige Ge- steine, die wesentlich aus Muscovit oder Biotit oder beiden Glimmern und Quarz bestehen. Dabei bildet Muscovit glänzende, oft wellig gebogene Häute, Biotit mehr schuppige Lagen, Quarz flache Linsen zwischen ihnen, die besonders auf dem Querbruche des Gesteins zu sehen sind, außerdem nicht selten große, dicklentikuläre Knauern. Von Nebengemengteilen sind makroskopisch wahr- nehmbar brauner oder roter Granat in Kürnern oder Rhombendodekaedern, schwarz- braune Prismen von Staurolith, blaue bis farblose Säulchen von Disthen, graublauer Glaukophan, Chloritoidblättchen, Turmalin, selten Beryll, andere, wie "z. B. Zirkon, Rutil, Eisenglanz, Epidot, schwarze Eisen- erze meist mikroskopisch klein, Graphit, Calcit oder Dolomit, auch Feldspat in ge- wissen Arten reichlich vorhanden. Die dünnschief erigen, grauen oder bei ; Gehalt an Eisenglanz violetten Sericit-I [schiefer bestehen hauptsächlich aus schwach I seidenglänzenden Häuten von Sericit und dazwischengcschalteten dünnen Lagen von Quarzkörnchen; hin und wieder kommt I Chlorit, Albit oder Calcit hinzu. Die Ge- steine sind meist dünnschieferig und zeigen im Mikroskope die Merkmale starker Kata- klase. In den weißen, dünnschieferigen Para- gonitschiefern findet sich neben vor- waltendem Paragonit mikroskopischer Quarz, Rutil, manchmal Biotit, makroskopisch zu- weilen Cyanit in blauen, Staurolith in dunkel- ^ braunen Prismen. I Aus den Muscovitschiefern entwickeln sich durch Zurücktreten des Glimmers : Quarzitschiefer, weiße, graue oder röt- liche, schieferige Gesteine aus gestreckten, I verzahnt ineinandergreifenden Quarzkörn- chen und vereinzelten Schuppen, kurzen Membranen oder dünnen Ueberzügen von i Muscovit auf den Schieferungsflächen. Die akzessorischen Mineralien sind dieselben wie ! in Quarziten. Chloritschiefer. Die dunkelgrünen und weichen, gewöhn- lich mehr schuppigen als schieferigen Gesteine bestehen wesentlich aus Chlorit (häufiger Klinochlor als Pennin) und wenig Quarz, der auch größere, linsenförmige Massen bildet. Von akzessorischen Mineralien er- reichen Rhombendodekaeder von rotem Granat bisweilen Walnußgröße und darüber, Oktaeder und Zwillinge von Magnetit sowie Rhomboeder von Magnesitspat oder Breun- nerit 1 cm und mehr im Durchmesser; auch I Hornblende- oder Strahlsteinsäulchen und . Turmalinprismen sind oft schon makro- skopisch sichtbar, ebenso Talk- und Glim- merschuppen, dagegen Rutil, Chromit, Apatit, Albit meist erst im Dünnschliffe zu er- kennen. Talkschiefer. Die sehr weichen und fettig anzufühlenden Talkschiefer sind gelbliche oder grüngraue Gesteine, die wesentlich aus Talkschuppen oder -blättern und oft etwas Quarz, Chlorit oder Glimmer bestehen. Wie die Chlorit- schiefer enthalten sie manchmal große Kri- stalle von Magnetit, Magnesitspat oder Strahlstein, hin und wieder mikroskopisch Apatit. Die Gesteine sind bald feinschuppig, bald großblätterig, ebenschieferig oder wellig verbogen. — Durch reichliche Aufnahme von Chlorit geht aus Talkschiefer der dichte, im Dünnschliffe feinfilzige Topf stein, durch Anwachsen des Quarz- und Magnesitgehalts der Listwänit hervor. Phyllite. Die Phyllite, vollkommen schieferige, sehr feinkörnige bis dichte Gesteine von 1096 Gesteine (Teclmiscli A^aelitige Gesteine) grünlichgrauer, braunvioletter oder schwarzer Farbe und glimmerglänzenden Schieferungs- flächen bestehen wesentlich aus Quarz- körnchen und Schuppen von Muscovit, Sericit und Chlorit. Akzessorisch kommen außer mikroskopischen Rutilnädelchen und vereinzelten Zirkonen zum Teil makro- skopische Kriställchen von Magnetit, grün- lichschwarze, glänzende Schuppen von Öttre- lith und Albitkörner vor. Grüne Farbe der Gesteine rührt von feinverteiltem Chlorit her, violette von Eisenglanz, schwarze von anthrazitischem Staube her. Kalkphyllite sind reich an Körnern, Linsen oder Lagen von Calcit. Amphibolgesteine. In den bald schieferig, bald richtungslos- struierten Amphibolgesteinen ist der Haupt- bestandteil entweder gemeine, grüne Horn- blende (Hornblendeschiefer und Amphibolite) oder Strahlstein (Strahlsteinschiefer) oder Glaukophan (Glaukophanschiefer und Glauko- phanite). Die grünlichschwarzen, mittel- bis fein- körnigen Hornblendeschiefer (Amphibol- schiefer), öfter dick- als dünnschieferig aus- gebildet, und die richtungslosen Amphi- bolite bestehen hauptsächlich aus länglichen Körnern oder Säulchen oder feinen Nädelchen der gemeinen, grünen bis olivgrünen Horn- blende. Dazu kommt in den meisten Fällen allotriomorpher Quarz und albitischer Plagio- klas in wasserhellen Körnchen, bisweilen einschlußreicher, roter Granat, Biotit, licht- grüner malakolithischer Augit, wenig Diallag oder rhombischer Pyroxen, beide nur in größeren Individuen", in den Amphibol- 1 schiefern der oberen Stufe gern Chlorit, gelb- grüne Körnchen oder Säulchen von Epidot, farblose von Zoisit. Mikroskopisch kleine Apatite, tropfenförmige Titanitkörnchen, Ti- ' taneisenerz, auch Rutil sind weit verbreitet. Hin und wieder finden sich Relikte der Dia- base und Gabbrogesteine, aus denen der größte Teil der Amphibolschiefer hervorging: nicht ganz verwischte ophitische Struktur, teilweise bestäubte Plagioklase, dunkle Titan- eisenhaufwerke in der Hornblende als Reste der Einschlüsse im ehemaligen Diallag. In den lauchgrünen Strahlsteinschie- fern (AktinolitJiscIiietcrn) bilden dünnere oder dickere Stengel von Strahlstein die Hauptmasse; untergeordnet treten hinzu, Quarzkörnchen, Epidot, Talk und Chlorit, ! auch Rutil und wenig Eisenerze. — Eine eigentümliche Abart ist der grüne bis grau- grüne Nephrit, ein dichtes und zähes,] in dünnen Platten durchscheinendes Gestein von splitterigem Bruche, welches wesentlich aus feinen Strahlsteinnädelchen besteht. ! Gelegentlich kommt Chlorit, etwas Diopsid, grünlicher Granat oder Chroinspinell hinzu. ! Im Dünnschliffe liegen die Strahlstein- I nädelchen gewöhnlich wirr filzig durchein- ander, seltener schlicht oder büschelig grup- piert. i Die meist dickschieferigen, dnnkel blau- grauen Glaukophanschiefer und die rich- tungslos struierten Glaukophanite be- stehen wesentlich aus Säulchen von Glau- kophan. Unter den zahlreichen Neben- gemengteilen sind Muscovitschuppen, Körner von rotem Granat, blaßgrüner Diopsid, Epidot, Rutil, Titanit und Eisenglanz am weitesten verbreitet, die vier erstgenannten oft schon makroskopisch kenntlich. Eklogit. Die schönen, wesentlich aus gras- grünem Omphacit und rotem Granat" be- stehenden Gesteine zeigen meist richtungslose Struktur bei mittlerem bis feinem Korn, selten eine Bänderung durch abwechselnd granat- und omphacitreiche Lagen. Die Gra- nate bilden einschlußreiche Rhombendode- kaeder (Fig. 11), selten Körner, der Omphacit Fig. 11. Eklogit. Fattigau, Fichtelgebirge. Große, einschlußreiche Granate, Omphacit (reich an Spaltrissen), Rutil (dunkel). Vergrößerung 15. nur Körner. Als Nebengemengteile finden sich makroskopisch erkennbar Muscovit, dunkelgrüne Hornblende, selten Cyanit, meist erst im Dünnschliffe festzustellen sind gold- braune Körner und Körnerhaufen von Rutil, allotriomorpher Quarz, gelegentlich Säulchen von Zoisit. In dem sehr feinkörnigen bis dichten, grünlichgrauen Jadeitit macht auch ein PjTOxen^ der im Schliffe farblose Jadeit, als allotriomorph - körniges Aggregat die Hauptmasse des Gesteins aus, welches außer- dem nur geringe Beimengungen von Chlorit, Muscovit, Sericit und Rutil enthält. Serpentin. Serpentine sind düster gefärbte, grünlich- schwarze oder rotbraune, auch geflammte oder geäderte Gesteine von geringer Härte und dichtem Gefüge, an deren Aufbau wesentlich entweder Chrysotil (Faserserpen- Gesteine (Technisch A\ichtige Gesteine) — Gesteinsteclmik 1097 tin) oder, wie in den selteneren schieferigen Arten, Antigorit (Blätterserpeiiiin) botcilii^t ist; in diesem Falle zeii;rii die (n'stcine mikro- skopische Balken- oder Gitterstruktiir, C'hry- sotilserpentine dagegen Maschenstruktur. Beide Arten enthalten nicht selten in ver- schiedener Menge noch frische Olivinreste als wasserhelle, mikroskopische Körnchen. Makroskopisch sichtbar liegen in manchen Serpentinen Individuen von Bronzit oder Diallag, in anderen blutrote Körner von Pyrop, die gewöhnlich von einer Kelyphit- rinde umgeben (Fig. 12), manchmal in chlori Steinbruchindustrie und Stcinbrurligeologie. Berlin 1899. — Gähert, Sphlmann und Steuer, Handbuch der Slri),hr,irlni,dustrie. Stuttgart 1918. — Brackehn.^— ^^ d f Fig. 4. Verschiedene Formen von Epithelgeweben in senkrechtem Schnitt, a einschichtiges kubisches Epithel; b einschichtiges Plattenepithel; c dasselbe im Flächenbild; d einschichtiges Zylmderepithel (Darmkanal des Menschen); c Cuticularsaum; e Schema des einschichtigen Zylinderepithels zm- Demonstration des Cuticularsaums und der Schlußleisten; f mehrschichtiges Zylinderepithel mit Flimmer haaren; g mehrschichtiges Plattenepithel. Ausbildung der Zellen : 1. Deckzellen, i tozoen der meisten Tiere. Epithelien aus Geißel- 2. Sinnesepithel, 3. Flimmerepithel, 4. sezer- ' zellen sind bei Spongien und Cölenteraten sehr nierendes oder Drüsenepithel, 5. resorbieren- verbreitet. . , ,. . ^^ ^ des, und 6. Pigmentepithel. , .4; Drüsenepithelien: sind dadurch charak- ' *= ' terisiert, daß ihre Zellen im Plasmakorper be- 1. Deckzellen: kubisch platt oder zylin- stimmte Stoffe ausbilden, die sie an der Ober- drisch, haben an der freien OberfLäche eine fläche abgeben. Es gibt Drüsenzellen, die die Cuticula, oder sind verhornt. ' Tätigkeit der Ausbildung des Sekrets öfter wieder- 2. Sinnesepithelzellen: haben meist zyUn- holen können, während andere nur einmal ihr der- oder fadenförmigen Zellkörper, auch bim förmige kommen vor. Ihr Kern ist langgestreckt oder rundlich. An ihrer freien Oberfläche sind sie mit kurzem starrem Fortsatz versehen, dem Sinnesstift. Sie stehen in verschiedener Sekret bilden: die Abgabe des Sekrets ist zugleich die Auflösung der Zelle. Drüsenepithelien werden sowohl im Ektoderm, wie im Entoderm und Mesoderm ausgebildet. 5. Resorbierendes Epithel: fast alle Weise zu Nervenfasern in Beziehung, indem Epithelien haben die Fähigkeit unter bestimmten eine Nervenfaser entweder als die kontinuierliche Verhältnissen Stoffe, die mit ihrer Oberfläche Fortsetzung von der Basis der Zelle in die Tiefe in Berührung kommen, aufzusaugen, ohne daß tritt, oder indem eine Nervenfaser zur Zelle tritt besondere Einrichtungen hierfür bestehen. Die und diese mit ihren endbäumchenartigen Auf- resorbierenden Zellen des Darmepithels ragen zweigungen umspinnt. entweder mit nacktem Plasmakörper, der amö- 3. Flimmerepithel: die freie Oberfläche boide Fortsätze aussenden kann, ins Darmlumen der Zellen dieses Epithels ist mit feinen faden- ; vor, oder sie sind mit einem aus Chitin be- förmigen Fortsätzen versehen, die lebhaft schwin- stehenden Kutikularsaum versehen, der, von gende Bewegungen ausführen können. Die Porenkanälchen durchsetzt, für den Speisebrei Flimmerhaare, auch als Cilien oder Wimpern be- durchgängig ist. An Stelle des Kutikularsaums zeichnet, sind aktive Bewegungsorgane der Zelle, kommt auch ein feiner Besatz von starren Borsten Jedes Flimmerhaar geht von einem unter dem vor, Bürstenbesatz. Zwischen den Cuticulis, Kutikularsaum der Zelle gelegenen Basalkörper- resp. Bürstenbesätzen der benachbarten Zellen chen aus, von welchem meist noch feine Strei- ■ besteht ein Netzwerk starrer Kittleisten, fungen als Wimperwurzeln in die Tiefe des Zell- 1 6. Pigmentepithel: besteht aus Zellen, in Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV. 'U 1106 Gewebe (Gewebe der Tiere) deren Plasmakörper feine Farbstoffkörner aus- gebildet wurden und eingelagert sind. Alle Epithelien besitzen eine basale und eine freie Oberfläche und alle Epithelzellen sind polar differenziert, d. h. sie besitzen einen basalen und einen freien Pol. Die Epithelzellen sind in den meisten Fällen lebende protoplasmatische Elemente, in man- chen Fällen aber erfahren sie chemische Umwandlungen, wobei sie absterben, z. B. Verhornung. Ausbildung der Epithelien. Der spezielle Bau eines Epithels hängt ab von dessen Anordnung im Organismus, durch diese sind die Keize bedingt, welche auf ein Epithel wirken. Auf diese Reize reagiert das Epithel und bildet sich dementsprechend aus. Man braucht nur das Oberhautepithel und das Epithel der Darmschleimhaut zu vergleichen, um das zu verstehen. Auf die Oberhaut wirkt direkt das äußere Medium, auf die Darmschleimhaut wirkt die Nahrung, welche den Darm passiert. Daraus ergibt sich eine ganz verschiedene Funktion, die auchimungleichenBau zum Ausdruck kommt. Auf dieses" Beispiel ist näher einzugehen, es hat besondere Bedeutung, weil gerade bei der Bildung dieser beiden Epithelien die erste Arbeitsteilung und daraus folgende anato- mische Differenzierung der vielzelligen Orga- nismen (Metazoen) sich vollzieht. Bei allen Metazoen sehen wir nach den ersten Entwickelungsvorgäiigen, die zur Bil- dung einer Keimblase führen, durch Ein- stülpung, oder nach anderer Ansicht bei gewissen Formen durch Delamination, die Gastrula entstehen. Während die Wandung der Keimblase aus gleichartigen Zellen in epithelialer Anordnung, dem Blastoderm, besteht, besitzt die Clastrula eine zwei- schichtige, ebenfalls epitheliale Wandung. Die beiden Lamellen stellen die primären Keimblätter, das äußere Keimblatt oder Ektoderm (Epiblast), das innere Keim- blatt oder Entoderm (Hypoblast) dar (Fig. 5). Aus diesen entwickelt sich dann in verschie- dener Weise als drittes Keimblatt das mittlere, oder Mesoderm (Mesoblast), welches bei niederen Formen als eine zwischen den primären Keimblättern entstehende Stütz- lamelle auftritt, in welche später Zellen einwandern. In dieser Form ist das mittlere Keimblatt kein Epithelgewebe, sondern stellt die erste Anlage der Stütz- oder Bindegewebe dar. Bei höheren Wirbellosen uncl allen Wirbeltieren aber bildet sich das mittlere Keimblatt zum Teil durch Ausstülpung vom Entoderm aus und stellt dann ebenfalls ein Epithelgewebe dar. Daraus ergibt sich, daß alle drei Keimblätter Epithelgewebe bilden können. Schon bei der zweischichtigen Gastrula gleichen die Zellen des äußeren Keimblattes nicht mehr denen des inneren; die Zellen werden verschieden, different von- einander, sie differenzieren sich, da sie in ganz verschiedener Beziehung zur Umgebung stehen und als Teile eines Organismus ganz verschiedene Funktionen übernehmen ; diesen entsprechend bilden sie sich ungleich aus. Fig. 5. Gastrula des Amphioxus. Durch- schnitt, ak äußeres Keimblatt (Ektoderm); ik inneres Keimblatt (Entoderm), erste Diffe- renzierung des Epithels; ud Urdarm; u Urmund. Die Stoffe, welche die Zellen aufnehmen und verarbeiten, werden nicht immer assimi- liert, d. h. werden nicht immer zur Ver- mehrung der Zellsubstanz verwendet, son- dern die Zelle kann aus ihnen auch andere Stoffe synthetisch ausbilden, die verschiedenen Zwecken der Zelle und des Organismus dienen ; die Zelle kann z. B. Schleim ausbilden, den sie dann wiederum abgibt. Sie wird da- mit zu einer sekretbildenden oder Drüsenzelle. Die Zelle kann auch Substanzen ausbilden, welche sie an ihre Oberfläche ablagert, wo sie erhärten: auf diese V/eise entstehen Zellmembranen, Cuticulae z. B. aus Chitin. Auch Farbstoffe kann sie aus aufgenommenen Ingredienzien ausbilden, die in Körnchen- form oder gelöst die Zelle erfüllen. Alle diese Substanzen sind das Produkt der Tätigkeit des Zellkörpers. Ob daran der Kern aktiv beteiligt ist, ist nicht sicher nachgewiesen. Diese Betätigungen der Zellen spielen gerade bei dem Ausbau der Epithelien eine große Rolle. Andererseits können die Zellen auch Substanzen, Schleim und andere Stoffe, sowie Fibrillen verschiedener Art, ausbilden, die an die Oberfläche der Zelle gelangen und als Grundsubstanzen, Inter- zellularsubstanzen dauernd im Organismus bleiben und auch an den Stoffwechsel- vorgängen teilnehmen. So werden Pro- dukte der Tätigkeit der Zellen Bestandteile der tierischen" Gewebe (Bindesubstanzen, Muskeif ibrillen, Nervenfibrillen). I. Epithelien der Wirbellosen. Das Epithelgewebe der Cölenteraten ist sehr ungleichwertig in morphologischem Sinne: im allgemeinen einschichtig zeigt Gewebe (Gewebe der Tiere) 11U7 es bei Hydroidpolypen und Aktinien an seiner Basis Sonderungsvorgänge, die es in ganz anderem Sinne als bei Wirbeltieren zu einem mehrschichtigen Gewebskomplex machen. An seiner Basis finden Wachstums- vorgänge statt, Ausbildung von Fibrillen kontraktiler und nervöser Art, welche die stammesgeschichtliche Anlage des Muskel- gewebes und des Nervengewebes höherer Formen darstellen. Diese Teile können sich in Form einzelner Elemente oder durch Aus- wachsen von Lamellen als mehrzellige Ge- webseinheiten vom Epithel ablösen und selb- ständig werden. Solange sie noch mit dem Epithel in Verbindung sind, haben wir natür- lich in einem solchen Gewebe ein viel kom- plizierteres morphologisches Gebilde vor uns, als es das Epithel darstellt, nachdem es jene Muskel- und Nervciielomente abgestoßen hat. Auch hierbei vollzielit sich unter dem Vor- gange einer fortschreitenden Arbeitsteilung eine anatomische Differenzierung der Gewebe. Bei manchen Cölenteraten bleiben Muskel- und Nervenelemente dauernd in Zusammen- hang mit ihrem Mutterboden, dem Epithel, bei anderen lösen sie sich ab. Nach der Ab- lösung ist das Epithel stets einschichtig. Auch in diesem Epithel können die einzelnen Zellen eine sehr verschiedene Ausbildung erfahren. Bei den Spongien ist die gewebliche Differenzierung noch wenig ausgebildet, jede Zelle hat noch die verschiedensten Funk- tionen und größere Selbständigkeit, als bei anderen Metazoen (Fig. 6). Im ektodermalen Fig. 6. Epithelien einer S p o n g i e (S y c o n). Ec ektodermales Epithel; En entodermales Epithel (Kragenzellen); Mes Mesoderm; sk Kalkskelett- nadel; gz Bindegewebszelle des Schleimgewebes; ov Eizellen. Aus Hat seh ek. Nach F. E. Schnitze. Epithel finden sich platte, sehr zarte große Zellen, welche ramifizierte Fortsätze in die Tiefe senden. Im Entoderm findet man größere Elemente, vielfach Geißelzellen und die charakteristischen Kjagenzellen, die an die einzellig lebenden Flagellaten erinnern. Die zierlichen Kalk- und Kieselsäureskelette, welche von mesodermalen Zellen ausgebildet werden, erinnern an andere Protozoen (Fora- miniferen und Radiolarien). ia)EktodermalesEpithel. BeiCnida- riern findet man im ektodermalen Epithel Schleimzellen verschiedener Art, Flimmer- zellen, mit Kutikularsäumen versehene Zellen und die für diese Gruppe charakteristischen Cnidoblasten: Kubische oder zylindrische Zellen mit kurzem Stiftfortsatz (Cnidocil), Fig. 7. Querschnitt durch den Tentakel einer Actinie. Im ektodermalen Epithel zu unter- scheiden: stf fadenförmige Deckzellen mit zarter oberflächlicher Cuticula; cn Cnidoblastenzelle; ke Schleimzelle; eiw.z Drüsenzelle; n.z Nerven- zelle; n.f Nervenfaserschicht; la.m.f Muskel- fibrillenim Querschnitt; St-Ljund amesodermale Stützlamelle; b.z Bindegewebszelle. Am entoder- malen Epithel sind zu unterscheiden: nä.z resor- bierende Entodermzellen mit Geiselfaden und basalen Muskelfibrillen (re.m.f); schl.z sezer- nierende Schleimzelle; zov Parasiten (Zooxan- thellen). Nach K, C. Schneider. 70* 1108 Geweite (Gewebe der Tiere) dessen Reizung die Entleerung der Nessel- kapseln zur Folge hat. Diese Nesselkapseln sind im Zellkörper gelegene ovale Tropfen ätzender Flüssigkeit, die einen spiralig auf- gewundenen Faden enthält, der auf äußeren Reiz hin mitsamt der Flüssigkeit heraus- geschleudert wird. Das ganze Epithel ist in der Regel einfaches Zylinderepithel (Fig. 7). Von weiteren Differenzierungen des ekto- dermalen Epithels bei Wirbellosen ist hervor- zuheben, daß bei wasserlebenden und in feuchter Erde lebenden Formen ein ein- schichtiges Schleimhautepithel besteht; zwischen schleimbildenden Zellen sind Deck- zellen mit Kutikularsäumen ausgebildet. In Jugend- und Larvenstadien ist auch häufig Flimmerepithel entwickelt (Würmer, Echi- nodermen-, Crustaceen-, Mollusken- larven). Bei Echinodermen besteht es aus niedrigen platten Zellen, nur an den Füßchen und an den Bauchfurchen findet sich kubisches oder Zylinderepithel. Bei manchen Anneliden (Hirudo) und Mollusken (Schnecken) sind die Schleimzellen größer ausgebildet und sinken mit ihrem kolbigen Plasmakörper in die unterliegende Binde- gewebsschicht ein. Der Plasmakörper ent- hält entweder glashellen Schleim, oder dieser ist in Form feiner Tröpfchen im Zellkörper verteilt und verleiht ihm eine trübkörnige Struktur. Der Kern ist rundlich oder ab- geplattet und liegt in der Tiefe der Zelle, wandständig. Der Hals der flaschenförmigen Zelle durchsetzt als feines Röhrchen das Epithel und mündet an der freien Ober- fläche aus, er fungiert als Ausführgang (Fig. 8). Bei luftlebenden Formen der Wirbel- losen mit lufttrockener Haut (Insekten) fehlen schleimbildende Zellen imektodermalen Epithel. Es besteht eine Lage kubischer Zellen (Matrix), die eine mächtige aus Chitin bestehende Cuticula ausbilden. Ihre zier- lichste und komplizierteste Ausbildung er- fahren die Kutikularbildungen in den feinen Haaren vieler Insekten und den Schuppen der Schmetterlinge. Bei den Haar- bildungen, die aus Chitin bestehende Borsten darstellen, ist ein Epidermisbezirk in die Tiefe gesunken als Keimlager der Borste. Daß solche Bildungen das Leben in der Luft nicht notwendig voraussetzen, ergibt sich daraus, daß Hautborsten von ähnlichem Bau auch bei gewissen Formen der Würmer, bei den Chaetopoden (Borstenwürmern), be- stehen. Auch bei Krebsen ist der Haut- panzer eine mächtige Cuticula, welche von dem einschichtigen kubischen Oberhaut- epithel abgesondert ist. Sie enthält außer Chitin sehr reichlich anorganische Substanz (Kalksalze). ib) Entodermales Epithel. Das entodermale Epithel besteht bei Cnidariern vielfach aus großen kubischen Zellen, die einen GeißeKortsatz tragen. Ihr Zell- körper zeigt große, mit Flüssigkeit gefüllte Vakuolen. Auch kann man häufig in ihrem Plasma Körnchen resorbierter Nahrung nach- weisen (Fig. 9). Bei Würmern und höheren iniu schl./ — -Ä ?h W * ' ''^"; Y^ Fig. 8. Ektodermales Epithel einer Muschel (Ano(lonta) mit unterliegendem Bindegewebe und Mesenchymmuskelzellen (m.f); d.z Zylinder- zellen mit Cuticularsäumen; sehl.z Schleimzellen mit ihrem Drüsenzellkörper in die Tiefe gerückt. Senkrechter. Schnitt. Nach K. C. Schneider. Fig. 9. Durchschnitt der Körperwand einer Hydra. Dz Ektodermepithel; Cn Cnidoblasten; C Cuticula; En entodermales Epithel mit Va- kuolen und Geißelfäden. Nach F. E. Schulze. Wirbellosen findet sich im Vorderdarm häufig Flimmerepithel, im Magendarmkanal Zylinderepithel: teils mit Bürstenbesatz ver- sehene resorbierende, aufsaugende Zellen, teils absondernde, sezernierende Schleim- oder andere Drüsenzellen. Besonders er- wähnt seien Epithelbezirke im Vorderdarm der Sclmecken, welche komplizierte Cuticiüae (Radula) zur Zerkleinerung der Nahrung aus- bilden, ferner die großen langgestielten Speicheldrüsenzellen vieler Arthropoden, so- wie die Spinndrüsen der Insektenlarven, schlauchförmige Drüsen, deren Wandung aus einschichtigem Epithel von großen kubischen Gewebe (Gewebe der Tiere) 1109 Zellen gebildet wird, die mächtige veräs- telte Kerne besitzen. Auch die schlauch- förmigen Mal pighi sehen Gefäße der In- sekten am Mitteldarm besitzen eine Wandung aus großen kubischen Epithelzellen mit ver- ästelten Kernen (Fig. 10). Im allgemeinen Fig. 10. Epithelzelle mit verästeltem Zell- kern aus der Spinndrüse der Seidenraupe. Nach Helm. Aus Hatschek. ist das entodermale Epithel bei den ver- schiedenen Klassen der Wirbellosen viel gleichartiger, eintöniger ausgebildet als das ektodermale, da es ja überall die gleiche Funk- tion hat und die Aenderung des äußeren Mediums keinen Einfluß auf dasselbe gewinnt, ic) Meso dermales Epithel. Das mesodermale Epithel der Wirbellosen stellt, wo es vorhanden (Anneliden, Echino- dermen), ein zartes einschichtiges Platten- epithel (Endothel) dar mit gezähnelten Zellgrenzen. Auch die Blutgefäße sind von solchem Epithel ausgekleidet. Bei manchen Formen trägt das Coelomepithel zarte Flimmerhaare (Asteroiden). Auch besitzen diese Zellen einen feinen basalen Faserabschnitt (Stützfasern). Hier ist also das Epithel noch sehr primitiv, die Arbeits- teilung ist noch nicht durchgeführt. Auch bei Anneliden besitzen die Peritonealepithel- zellen häufig Flimmerhaare. Zu den meso- dermalen Epithelien gehören auch die Ni er e n - epithelien und das Keimepithel. Das Nierensystem ist in einfachstem Zustand durch eine einzige Zelle dargestellt (Ascariden), die einen langen Schlauch formiert, das Lumen ist dabei ein intrazellulares. Bei höheren Formen, z.B. Nemertinen, bestehen Schläuche, die mit Zylinderzellen ausgekleidet sind, diese tragen einen hohen Stäbchen- oder Bürstenbesatz. Die Terminalzellen am Ende der Nierenkanälchen sind kolbig verdickte Zellen, die mächtige, weit ins Lumen hinein- ragende verklebte Flimmerhaare, sogenannte Wimperflammen tragen. Bei den Mollusken sind die Nierenkanälchen von sehr ver- schiedenem Epithel ausgekleidet: Kubisches oder Zylinderepithel ohne Wimpern und Bürstenbesatz bei Chitonen. Bei Lamelli- branchiaten haben die Zellen Stäbchen- besatz, auch einen oder mehrere Geißel- fäden, ferner kommen zwischen solchen Zellen auch Schleimzellen vor. Bei Gastro- poden findet man Zylinderzellen mit großen Exkretvakuolen, die ein Konkrement ein- schließen, welches Harnsäure enthält. Zu den mesodermalen Epithelien gehört bei den meisten Metazoen auch das Keim- epithel. Die Keimzellen sind bei Spongien und Hydroidpolypen Abkömmlinge des Ekto- oder Entoderms. Bei Spongien sind sie sehr selbständig, kriechen im Parenchym umher wie Amöben, die günstigsten Plätze für ihre Ernährung aufsuchend. Von den Würmern an ist die Bildungsstätte der Keimzellen das Mesoderm. Bestimmte Bezirke dieses Epithels stellen ein Keimepithel dar. Aber nicht alle Zellen dieses Bezirks werden zu Keimzellen, sondern ein Teil der Elemente wird zu Stütz-, Ernährungs-, kurz Hilfszellen in verschiedenem Sinne ausgebildet. Die weiblichen Keimzellen (Eier) vermehren sich durch Teilung und lösen sich entweder einfach ab und fallen in die Bauchhöhle (Anneliden), oder es wächst das Keimepithel zu Säcken (Echinodermen, Arachnoiden, Mollusken) oder Schläuchen (Nematoden, Crustaceen, Insekten) aus (Sack- oder Schlauchgonaden), welche direkt nach außen münden. Auch die männlichen Keimzellen bilden sich aus dem Keimepithel. Dieses formiert zunächst kompakte Zellstränge, in welchen aber dann ein Lumen auftritt, so daß auch hier Schläuche entstehen. Während die Eizellen voluminös ausgebildete Zellkörper erhalten, in welchen Dottertröpfchen als Nahrungsmaterial in j verschiedener Menge abgelagert werden, sind die Spermatozoen sehr Ideine Geißelzellen, deren wichtigster Bestandteil der Kopf ist, welcher die Chromatinsubstanz des Kerns enthält ; an diesen schließt sich ein Mittel- stück an, welches das Zentrosom enthält und darauf folgt ein Geißelfaden von sehr kompliziertem Bau (fibrilläre Struktur). Die Form der Spermien ist bei Wirbellosen sehr verschieden. Besonders abweichend von der geschilderten Form sind die Spermien der Nematoden, Crustaceen, Myriopoden und Arachnoiden. Beim Flußkrebs sind sie z. B. sternförmig, mit langen starren Fortsätzen. 2. Epithelien der Wirbeltiere. Auch hier kann man die Epithelien nach ihrer Her- kunft in ektodermale, mesodermale und entodermale einteilen. 2a) Ektodermales Epithel. Das ekto- dermale Epithel ist nur bei Amphioxus einschichtiges Zylinderepithel, dessen Ele- mente zum Teil Cuticulae besitzen, zum Teil Schleimzellen sind. Bei allen höheren Formen ist das Oberhautepithel mehr- schichtig und besitzt bei allen Fischen sehr mannigfaltige Schleimzellen, einzellige Drüsen. Unter ihnen seien die Kolben- zeUen der C y c 1 o s t o m e n und vieler Teleo stier hervorgehoben (Fig. 11 u. 12). Neben ihnen finden sich becherförmige oder flaschenförmige Zellen von sehr verschiedener Größe, welche teils glashellen, teils trüb- 1110 Gewel)e (Gewebe der Tiere) körnigen Schleim ausbilden und lange ein- geschlossen enthalten, bis sie im Epithel emporrückend abgestoßen werden. Diese Schleimzellen liegen zwischen einfachen kleinen Zellen zerstreut, die in vielen Schichten ausgebildet sind und deren oberflächlichste (s. S. 1104) sind stets ausgebildet. In den interzellularen Spalträumen finden sich zahl- reiche eingewanderte Lymphzellen. Bei Am- phibien ist das ekt})dermale Epithel ein Schleimhautepithel. Bei Larven erinnert es noch an Fische: zwischen kleinen Zellen, deren oberflächlichste Lage Kutikularsäume trägt, liegen zerstreut große Schk'inizellen (Leydig- sche Zellen; Fig. 13). Nach der Metamor- Fig. 11. Ober haut epithel von B d e 1 1 o s t o ma. Im senkrechten Schnitt. Die obertlächlichen Schichten werden durch zahlreiche kleine Schleim- zellen gebildet, b und c große Schleimzellen; d Körnerzelle. Aus Gegenbaurs vergleichender g Anatomie. Nach Maurer. Fig. 12. Oberhautepithel von Petromyzon. Im senkrechten Schnitt. K Kolbenzellen; S Körnerzellen. Aus Gegenbaur. Nach Maurer. Lage Kutikularsäume trägt. An bestimmten Stellen tritt schon bei Fischen Verhornung der oberflächlichen Epidermiszellen auf (Hörn zähnchen der Cyclostomen, Perlausschlag der Knochenfische). Interzellnlarstrukturen =ss ■ ,)a.: Fig. 13. Oberhautepithel d er S a 1 a m a n d e r - larve. Senla-echter Schnitt, eiw.z. Leydig- sche Schleimzellen. Nach K. C. Schneider. phose tritt innerhalb des ekto dermalen Epithels eine schärfere Arbeitsteilung ein, insofern die Drüsenzellen nicht mehr zer- streut im Epithel liegen, sondern zu Gruppen vereinigt in die Tiefe gesunken sind und kleine kugelförmige Bläschen (alveoläre Drüsen) bilden (Fig. 14). Die sekretbildenden Zellen, welche diese Drüsenbläschen aus- kleiden, sind sehr verschieden gebaut, ent- sprechend der großen Mannigfaltigkeit der chemischen Zusammensetzung des von ihnen gebildeten Schleims. Zwei Arten von Zell- strukturen seien besonders hervorgehoben: 1. Zellen, deren mächtiger Plasmakörper dicht eituUt ist mit kleinen Selvrettröpfchen, die tkn Zelle ein trüb-küniiges Aussehen ver- leihen: solche Zellen enthalten einen großen kugeligen, zentral angeordneten Kern; sie finden sich überall in der Haut der Amphibien, besonders in den sogenannten Parotiden am Kopf der Kröten und in den Kückendrüsen der Salamander. 2. Zellen, die Meiner sind: ihi Zellkörper ist mit glashellem Schleim erfüllt und der Kern dieser Zellen liegt an der Basis der Zelle und ist abgeplattet; Drusen mit solchen Zellen finden sich eben- falls selir verbreitet zwischen den erst- genannten in der Haut der Amphibien. Es sei noch besonders erwähnt, daß in der Wan- dung aller dieser Hautdrüsen bei Amphibien der Außenfläche der Drüsenzellen angelagert eine Lage längs vorlaufeuder glatter Muskel- zellen sich fiiuiet, die aucli als iliftVrenzierte Zellen des Uberliautepithels zu betrachten sind. Die oberflächlichen Zellen der Oberhaut erleiden eine Verhornung, es kommt zur ersten Anlage eines Stratum corneum. An Gewebe (Gewebe der Tiere) 1111 der Basis ist stets eine Lage Zylinderzellen sind, folgen darüber Schichten, in welchen erhalten, welche die Matrix der höheren die Zellen einen Verhornnngsprozeß erleiden, Lagen darstellt. Auch hier kommt es häufig nach dessen Abschluß sie abgestorben sind, durch lokale stcärkere Verhornung zur Bil- Zunächst folgt über der Malpighi sehen düng von Warzen und Zapfen (Pleurodeles, Schicht eine Lage von Zellen, in deren Plasma- Bufo). Während bei Amphibien das Ober- körper feine Körner auftreten (Keratohyalin) hautepithel stets schleimbildend bleibt, in- als Vorläufer der Hornsubstanz. Ob diese folge seines Gehaltes an alveolären Drüsen, | Körner nur vom Plasma gebildet werden, Fig. 14. Oberhautepithel mit Hautdrüse und Sinnesknospe von Triton. Dr alveoläre Hautdrüse, s Sinneszellen. Nach Maurer. \ ^ -r ■■ ist es bei Reptilien und Vögeln luft- trocken geworden: mehrschichtiges Platten- epithel mit stark entwickeltem Stratum corneum (Hornschicht), aus festzusammen- gefügten verhornten Zellplättchen (Horn- schüppchen) bestehend. Dieses erfährt eine beträchtliche Steigerung auf den Schuppen der Reptilien, die echte Hornschuppen dar- stellen (Schildpatt), auch zu Stacheln ver- größert sein können. Besondere Hornorgane sind die Schenkelporen am Oberschenkel mancher Eidechsen. Sie haben ein in die Tiefe der Lederhaut eingesenktes Keim- lager, wo die Zellen unter starker Verhornung mächtige, über die Hautoberfläche empor- ragende Zapfen bilden. Mit Drüsen haben diese Organe nichts zu tun. Sie sind vor- gebildet in Hornleisten am Oberschenkel mancher Urodelen (Diemyctilus viridescens) (v. Eggeling). Die mächtigste Ausbildung erfährt das Schuppenkleid der Reptilien in dem Gefieder der Vögel. Die Federn sind aus den Schuppen der Reptilien hervor- gegangene rein epitheliale Hornbildungen. Bei Säugetieren und dem Menschen ist das ektodermale Epithel auch ein mehr- schichtiges Plattenepithel mit Verhornung der oberflächlichen Zellen. Man kann an diesem Oberhautepithel mehrere Schichten unterscheiden (Fig. 15). In der Tiefe findet man die als Stratum Mal p ig hü (Stratum germinativum) bezeichnete Schicht. Sie besteht aus einer basalen Lage zylindrischer Zellen und darüber mehreren Lagen kubischer Ele- mente. Zwischen allen diesen Zellen ist eine deutliche Interzellularstruktur erkennbar. Während alle diese Elemente lebende Zellen oder ob auch der Kern der Zelle daran teil- nimmt, ist nicht entschieden. Auf diese Schicht, die als Stratum granulosum bezeichnet • Teil des Stratum corneum stiitum lucidum sti itum granu- losum 'fe '* Vt Teil des Stratum l)ai)illare corii W-'^ Fig. 15. Oberhautepithel des Menschen (Fuß- sohle), senkrechter Schnitt. Mehrschichtiges Plattenepithel, oberflächlich Stratum corneum. Schichten bezeichnet. Nach Stöhr. wird, folgt eine als Stratum lucidum be- zeichnete Schicht. Diese besteht aus hellen, stark lichtbrechenden platten Zellschüppchen, in welchen der Verhornungsprozeß eben abgeschlossen ist, und daran schließt sich als oberflächlichste Schicht das Stratum corneum, aus zahlreichen dicht zusammen- geschlossenen verhornten Zellschüppchen be- 1112 Gewebe (Grewebe der Tiere) stehend, in welchen Kerne nicht mehr nach- ] weisbar sind. Die Dicke der Epidermis ist sehi- verschieden. Während an den TastbaJlen der Füße, beim Menschen in Handteller und Fußsohle sehr zahlreiche Zellenlagen eine beträchtlich dicke Oberhaut bilden, ist die Epidermis an der Ventralfläche des Rumpfes und den Beugeflächen der Extremitäten nur aus wenigen Zellenlagen gebildet. Beim Menschen ist das Oberhautepithel Sitz des ; Hautpigments. Bei farbigen Menschen- , rassen findet sich das Pigment in Form feiner Körner in den Plasmakörpern der Zellen des Stratum Malpighi. Die Hautfärbung bei Säugetieren ist überhaupt eine rein epitheliale, d. h. der Farbstoff sitzt im Oberhautepithel, während bei Reptilien die Hautfärbung vor- nehmlich eine Lederhautfärbung ist, d. h. in dem Bindegewebe der Lederhaut liegen pigmentierte Bindegewebszellen, Chromato- phoren. — Das Oberhautepithel bildet auch Drüsen aus und zwar tubulöse und alveoläre. Beim Menschen sind die ersteren die Schweiß-, die letzteren die Talgdrüsen. Bei vielen Säugetieren sondern aber auch die tubulösen Drüsen der Haut ein öliges Sekret ab. Die tubulösen Drüsen sind stammes- geschichtlich älter als die alveolären. Sie besitzen, wie die Hautdrüsen der Amphibien außerhalb der Drüsenzellen einen Belag längs- verlaufender glatter Muskelzellen. Aus diesen Drüsen sind auch die Milchdrüsen der Säuge- tiere abzuleiten. Die Talgdi'üsen sind Neuerwerbungen der Säugetiere, sie sind Hilfsorgane der Haare und als solche ent- standen. Die granulierten großen Zellen der alveolären Talgdrüsen können nur ein- mal Sekret bilden, sie gehen unter der Selaet- bildung zugrunde. Die hellen Drüsenzellen der Schweißdrüsen können öfter Sekret aus- bilden. Bei den Milchdrüsen findet aber auch ein reichlicher Verbrauch sezernieren- der Zellen statt. Die Hornorgane der Säugetierhaut, die Haare, hat man vielfach von den Schuppen der Reptilien und den Federn der Vögel ab- geleitet, es bestehen aber bei diesen Horn- organen Besonderheiten in der Entwicke- lung und im Bau, die einen anderen An- schluß richtiger erscheinen lassen, man kann sie von den Hautsinnesorganen niederer Wirbeltiere ableiten, in deren Umgebung als Schutz für die zarten Sinneszellen intensivere Verhonunig der Oberhautzellen eintritt (vgl. den Ai-tikcl „Hautdecke der Tiere"). Vom ektodermalen Epithel leitet sich auch das Sinnesepithel ab, sowohl bei den Geschmacksorganen, als beim Riechorgan, und dem Gehörorgan. Die lichtempfind- liche Membran des Auges, die Retina (Netz- haut), geht aus der Anlage des Gehirns, also auf einem Umweg auch aus dem Ektoderm hervor. Die Sinnesepithelzellen sind meist fadenförmig oder birnförmig und ragen mit einem feinen Stift über die freie Oberfläche hervor. Beim Riechorgan und bei der Netz- haut setzen sich die Sinnesepithelzellen an ilu-er Basis direkt in eine feine Nervenfaser fort, bei allen übrigen Sinnesorganen werden die Sinnesepithelzellen von einem Nervenend- bäumchen umsponnen (s. Nervenendigungen in diesem Aufsatz S. 1142). Die Sinneszellen können in einem Epithelbezirk zerstreut an- geordnet sein, wie im Riechorgan, sie können auch zu kleinen Gruppen vereinigt, knospen- förmige Bildungen herstellen, wie in den Geschmacksknospen der höheren Wirbeltiere, die einen spärlichen Rest von den bei niederen, im Wasser lebenden Wirbeltieren in der ganzen Oberhaut verbreiteten Haut- sinnesorganen darstellen. Vom ektodermalen Epithel nehmen bei Wirbeltieren noch einige Gewebsformen ihren Ausgang, deren Bau man die epitheliale Her- kunft nicht mehr ansieht: es ist das Gewebe der Linse des Auges, der Schmelz der Zähne, das Neurogliagewebe und das Ge- webe des Glaskörpers. Alle diese Bildungen zeigen die Anpassungsfähigkeit der Gewebe an die ihnen im Organismus gestellten Auf- gaben. Diese ergeben sich aus der Anord- nung der Elemente im Organismus und den dadurch auf die Gewebe wirkenden Reizen. Das Gewebe der Linse entwickelt sich direkt aus dem ektodermalen Epithel, indem sich vor der Augenblase ein kreisrunder Be- zirk grübchenförmig in die Tiefe senkt und sich dann zu einem geschlossenen Bläschen vom Epithel ablöst. Die epithelialen Zellen der Wandung des zuerst kugelförmigen, dann ellipsoiden Bläschens machen an der vorderen und hinteren Wand ungleiche Ausbildung durch: die Zellen der vorderen Wand bleiben kubische Zellen und formieren das Linsen- epithel der vorderen Linsenkapsel, die Zellen der hinteren Wand aber bilden das eigent- liche Linsengewebe und damit die Haupt- masse der Kristallinse des Auges (Fig. 16). Fig. 16. Entwicke- lung der Linsen- fasern, a Linsen - epithelzelle; b bis d Ausbildung der Linsenfaser ; e Stücke von Linsen- fasern (kernlos) ; f Linsenfasern im Querschnitt. Nach Fürbringer. Gewebe ( Gewebe dei' Tiere) 1113 Sie wachsen zu langen faserartigen Elementen | aus, die zunächst ihren Zellcharakter be- ! halten, indem sie stets einen zentral an- 1 geordneten ovalen Kern besitzen. Später \ schwindet der Kern. Die Fasern stellen langgezogene prismatische Gebilde dar, von glasheller Beschaffenheit. Sie sind durch eine Kittsubstanz miteinander verbunden und sind im Querschnitt regelmäßig hex- agonal. Die Schmelzsubstanz der Zähne ist eine Hartsubstanz, die von bestimmten Zellen des Ektoderms, dem Schmelzepithel, an ihrer Basis abgesondert wird. Dabei ist stets das Produkt jeder einzelnen Zelle ge- sondert zu erkennen. Die ganze Epithelzelle wird bei der Abscheidung jener Substanz all- mählich von ihrer Basis her aufgebraucht und ihre freie Oberfläche zeigt zuletzt eine kutikulare Bildung, das Schmelzoberhäut- chen. Der Schmelz besteht zuerst aus Schmelzprismen, die unter fortdauernder Absonderung von Seiten der Epithelzellen zu langen Fasern werden, diese Fasern sind sehr fest miteinander verbunden ohne stärkere Zwischensubstanz. Jedes Prisma, resp. jede Faser ist das Abscheidungsprodukt einer Schmelzepithelzelle. Die Schmelzepithel- zellen treten zuerst bei Selachiern auf, wo sie den Schmelz auf der Oberfläche der im ganzen Integument verbreiteten Hautzähn- chen, aber auch auf den Zähnen der Mund- höhle abscheiden. Bei den höheren Formen der Wirbeltiere ist das Schmelzepithel wie die Zähne überhaupt auf die Mundhöhle beschränkt. Der Schmelz überkleidet kappen- artig die Krone der Zähne und hat unter sich stets das Zahnbein, gegen dessen Ober- fläche das Schmelzepithel eben den Schmelz abscheidet (Fig. 17). Die Schmelzfasern .,C u 4\ Fig. 17. Entwickelung der Schmelzpiismen aus den Schmelzepithel- zellen. Nach Fürbringer. zeigen oft welligen oder Zickzackverlauf. Man erkennt an den Schmelzfasern häufig eine Querstreifung, die der Ausdruck der schicht- weisen Abscheidung von selten der Schmelz- epithelzellen ist. Das Neurogliagewebe ist das Stütz- gewebe des Zentralnervensystems bei Wirbel- tieren. Es geht aus ektodermalen Epithel- zellen hervor, ebenso wie die Nerven- oder Ganglienzellen. His unterschied die beider- lei Zellen in der ektodermalen Anlage des Medullarrohres als Neuroblasten oder Nerven- bildner und Spongioblasten oder Gerüst- bildner. Das Neurogliagewebe besteht dann aus einem Netzwerk, das von Zellen mit ihren Fortsätzen gebildet wird (Fig. 18). Man unterscheidet auch GliazeUen und Gliafasern, die letzteren sind aber immer hervorgegangen aus Fortsätzen der Zellen. : In den Maschen des Gerüstes sind die ner- vösen Gewebsbestandteile des Nervensystems angeordnet. GliazeUen werden unterschieden als Ependymzellen und Astrocyten oder Deiterssche Zellen. Die Ependymzellen kleiden die Lumina des Gehirns und Rücken- marks aus. Sie sind an ihrer freien, dem Lumen zugekehrten Fläche häufig mit Flimmerhaaren versehen, erstrecken sich aber an ihrer Basis mit langen Fortsätzen zwischen das Nervengewebe hinein. Die Astrocyten sind abgelöst von dem Lumen und liegen frei zwischen dem Nervengewebe des Gehirns und des Rückenmarks. Man unterscheidet sie als langstrahlige und kurz- 1 strahlige. Jene sind verbreitet in der weißen, ' diese in der grauen Substanz des Zentral- i nervensystems. Die Gliafasern sind feine Fibrillen, die in den Fortsätzen der Glia- zeUen gebildet werden. Ob auch außerhalb der Zeilfortsätze, gleichsam als Interzellular- substanz, Gliafasern entstehen, ist sehr zweifel- haft. Die Fibrillen bilden Bündel, die sich vielfach aufsplittern und ein außerordent- lich feines Filzwerk herstellen. In chemischer Beziehung sind die Gliafibrillen nicht aus leimgebender Substanz und nicht aus Elastin gebildet, sie stehen eher der Hornsubstanz j (Neurokeratin) nahe; sie sind außerordent- ilich resistent. [ Das GUagewebe ist bei WirbeUosen vor- gebildet, man findet Stützzellen, die in der ' Umgebung und zwischen den Ganglien- zeUen und Nervenfasern in den Nerven- strängen und -ganglien bei aUen Wirbel- losen sehr verbreitet sind, mag das Nerven- system als ein epitheliales noch im Epithel j liegen, oder vom Epithel abgelöst eine subepitheliale Lage angenommen haben. VieUeicht kommt aber diesen Gewebs- elementen bei Wirbellosen eine größere Bedeutung zu als eine bloße Stützfunktion; sie sind ektodermaler Herkunft (Konnektiv- zeUen, Medialzellen der Hirudineen). : Das Gewebe des Glaskörpers im Auge j der Wirbeltiere wird zuerst als homogene GaUerte abgesondert von den Zellen, die die Innenwand der sekundären Augenblase bilden. Diese ZeUen, die später die Netzhaut IIU Gewebe (Gewebe der Tiere) hervorgehen lassen, scheiden an ihrer basalen Fläche jene Gallerte in frühembryonaler Zeit ab. Man findet auch im Glasivörper des ausgebildeten Auges nur sehr spärlich Zellen, beutelhölile) in gleichartiger Form auf: einschichtiges Plattenepithel, aus zarten Zelltafeln gebildet, die mit gezähnelten Rändern aneinander grenzen. Es ist das Aus der Sul>staiitia pels inosa einer neugeborenen Ratte. Gliazelle Zentralkanal Ependymzellen*^ Gliazelle der weißen Substanz Hauptfortsatz von einer (i Wochen alten Katze iazelle der grauen Sub- stanz. Hinter- säulenbasis eines menschl. Embryo Fig. 18. Gliazellen aus dem Rückenmark verschiedener Säugetiere. Nach Stöhr. Konzentrische Gliazelle von einer 6 Wochen alten Katze die wahrscheinlich als von außen eingedrun- gene Bindegewebselemente zu beurteilen sind. In der Gallerte des Glaskörpers (Humor vitreus) hat man feine, sehr resistente Fi- brillen in sehr spärlicher Menge gefunden. Sie scheinen teils radiär, teils in konzentri- schen, zirkulär verlaufenden Zügen an- geordnet zu sein. Auch in dieser Substanz, die eigentlich kein Gewebe darstellt, hat man ein Derivat des ekto dermalen Epithels vor sich, denn die Augenblase ist eine Ausstülpung des Vorderhirnbläschens, das als ein Teil des MeduUarrohrs vom Ektoderm aus entsteht. Da durch die Augenspalte ins Innere der Augenblase bindegewebige Elemente mit den Blutgefäßen eindringen, sind Binde- gewebszellen wolil auch am Aufbau des Glaskörpers beteiligt, so daß dieser nicht ausschließlich ektodermaler Herkunft ist, sondern ein Mischgewebe darstellt. Die Bestandteile der beiden Ursprungsgewebe sind nicht klar zu trennen. 2b) M esodermale Epit hellen. Die mesodermalen Epithelien der Wirbel- tiere treten als Auskleidung der großen Körperhöhlen (Brust-, Bauch- und Herz- Epithel der serösen Häute, so genannt, weil sie eine serumartige Flüssigkeit absondern. Zwischen den Zellen sind Lücken als Stomata und Stigmata beschrieben, durch welche ein Zusammenhang der Körperhöhlen mit den Spalträumen des unterliegenden Binde- gewebes i hergestellt wird (Fig. 19). Die Fig. 19. Epithel einer serösen Membran (Peri- toneum eines Säugetiers). Zellgrenze durch Behandlung mit 1% Argentum nitricum sichtbar gemacht, a Flächenbild; b senkrechter Schnitt. Gewebe (Grewebe der Tiere) 1115 gleiche Form des Epithels kleidet die Lumina | des o-anzen Blut- und Lym])lii^efäßsystems aus, es wird als Gefäßendotliel bezeichnet, im Herzen bildet es das endokardiale Epithel, i In den Ai'terien sind die Zellen längergestreckt, j besitzen platte, langovale Kerne, in den j Venen sind die Zellen breiter und die Kerne i kreisrunde Scheiben, in den Kapillaren ! l)ilden die Endothelzellen den einzigen ' Bestandteil der Gefäßwand. In den größeren Lyni})hget'äßen stimmen die Endothelzellen ' mit denen der Venen überein. Dem Mesoderm entstammt auch das Keimepithel, die Anlage der männlichen; und weiblichen Keimdrüse. Ein kleiner Bezirk des Epithels der Leibeshöhle wird ; zu Zylinderepithel, ans welchem durch ; Sprossung in das unterliegende Bindegewebe, Stroma, die Primordialeier resp. Hoden- schläuche hervorgehen. Nach neuesten Be- obachtungen liegen die Keimzellen zuerst im Entdderm und wandern l)eim Embryo erst ins Mesoderm hinein (Selachier und Am- phibien). Die Ausführwege der Geschlechtsorgane sind mit Epithel ausgekleidet, das meist einschichtiges Zylinderepithel mit Flimmer- haaren ist. Die Harnorgane, ebenfalls mesodermaler Herkunft, zeigen mannigfaltige Epithelformen. Die Nieren stellen schlauch- förmige (tubulöse) Drüsen dar. Das Epithel der Schläuche ist in den gewundenen Harn- kanälchen kubisch, aus großen trübkörnigen Drüsenzellen gebildet. In der basalen Hälfte ihres Zellkörpers finden sich senkrechte Streifungen, die als Sekretfibrillen mit Sekret- körnern gedeutet werden. In den geraden Harnkanälchen ist das Epithel aus niedrigen, fast platten Zellen gebildet, in den als Ausführgänge dienenden Sammelröhrchen wird es einschichtiges Zylinderepithel. Im Harnleiter findet man mehrschichtiges Ueber- gangsepithel. 2c) Entodermales Epithel. Das entodermale Epithel der Wirbeltiere ist in seiner Grundlage durch das den ge- samten Darmkanal auskleidende Epithel dargestellt. Im Bereich des Vorderdarms ist es bei den verschiedenen Wirbel- tierklassen sehr ungleich ausgebildet: bei Fischen und Amphibien meist, mehrschich- tiges flimmerndes Zylinderepithel ist es bei manchen Fischen auch anders, und zwar gerade wie das Oberhautepithel gebaut, mehrschichtig, reich an Sclüeimzellen, und die oberflächlichen Elemente sind mit Kuti- kularsäumen versehen. Bei den höheren Wirbeltieren, speziell bei den Säugern, zeigen Mundhöhle, Schlund und Speiseröhre mehr- schichtiges Plattenepithel, die Nasenhöhle mehrschichtiges flimmerndes Zylinderepithel. Im Magen besteht bei allen Wirbeltieren einschichtiges Zylinderepithel, dessen Zellen an der Oberfläche zierliche kleine Schleim- becher enthalten. Im Mitteldarm findet man allenthalben einschichtiges Zylinderepithel (Fig. 20), das zwischen ihn resorbierenden ^"^ \(.inU A B Fig. 20. Darmepithel des Kaninchens. Senk- rechter Schnitt. A isolierte Schleimzellen; Beine Schleimzelle zwischen resorbierenden Zylinder- zellen mit Cuticularsäumen. Nach Stöhr. Zylinderzellen, die Kutikularsäume oder Bürstenbesatz tragen, sezernierende Becher- oder Schleimzellen erkennen läßt. Zwischen den Cuticulis der Zylinderzellen sind Kitt- leisten ausgebildet. Die Kerne der Zellen sind langoval und liegen meist in der Tiefe der Zellen. Die Schleimzellen sind mit glashellem Schleim erfüllt, das Protoplasma ist durch diesen Sekrettropfen an die Wand gedrängt und auch der Kern ist wandständig und plattgedrückt. Nach Entleerung des Schleims nehmen diese Zellen Zylinderform an und der Kern wird oval und rückt in die Mitte der Zelle. Eine solche Zelle kann wiederholt Schleim ausbilden. Im Zell- körper der resorbierenden Zellen sieht man reichlich verschiedenartige Tröpfchen auf- genommener Nahrung. Im Enddarm besteht clas gleiche Epithel: Zylinderzellen mit Kutikularsäumen oder Bürstenbesatz, da- zwischen sind aber viel zahlreichere Schleim- zellen eingelagert. Das entodermale Epithel bildet sehr mannigfaltige Drüsen aus: man unter- scheidet tubulöse und alveoläre (Fig. 21), Beide Formen können einfach oder ver- ästelt sein. Durch starke Verästelung, die eine mächtige Vergrößerung der sezernieren- den Oberfläche hervorbringt, kommt es zur Bildung recht voluminöser Drüsenorgane, die nicht nur weit aus der Scldeimhaut, sondern auch aus der ganzen Darmwand herausrücken. Nur durch ihren Ausführ- gang behalten sie den Zusammenhang mit ihrem Mutterboden, dem Darmepithel. Die Mündungsstelle ihres Ausführganges ist zu- gleich der Punkt, von welchem aus die Drüse sich durch Aussprossung aus dem Darm- epithel bildete. Die einfachsten schlauchförmigen Drüsen bestehen im Mitteldarm und Enddarm. Kurze fingerförmige Schläuche, im Dünn- darm, als Lieberkühnsche Krypten be- zeichnet, sind sie mit kleinen kubischen IIIG Gewebe (Gewebe der Tiere) hellen Zellen ausgekleidet (Kerne kugelig und zentral gelagert). Sie sondern einen dünnflüssigen Darmsaft ab. Die Drüsen des Enddarms (Glandulae colicae und rectales) A Bi. TMTiA ßüim üi^sni Fig. 21. Schema mehrzelliger Drüsen. A tubulöse Drüse; Bj Ausführgang und sekretorisches End- stück gesondert; B2 verästelt tubulöse Drüse; C alveoläre Drüse. sind mit Schleimzellen ausgeldeidet, deren Kern abgeplattet eine basale Anordnung in der Zelle zeigt; sie sondern einen zähen Schleim ab. Zusammengesetzt tubulös sind die meisten Magendrüsen, insofern mehrere Drüsenschläuche am Grunde eines trichter- förmigen Magengrübchens gemeinsam aus- münden. Man unterscheidetDrüsenderCardia, des Magenfundus und des Pylorus- oder Pförtnerteils des Magens. Die Cardiadrüsen gleichen den verästelt tubulösen Schleim- drüsen der Speiseröhre. In den Fundusdrüsen unterscheidet man zweierlei Drüsenzellen, die den dünnflüssigen sauren Magensaft ab- sondern. Man bezeichnet sie als Haupt- und Belegzellen. Erstere sind klein, rundlich, haben kugeligen Kern, der in der sekret- gefüllten Zelle an die Basis rückt, der Zell- körper ist hell. Die Belegzellen sind sehr groß, haben trüb-körnigen Zellkörper und zentral angeordneten kugeligen Kern. Sie stehen mit dem Drüsenlumen oft nur durch einen dünnen Fortsatz ihres Zellkörpers in Verbindung, so daß sie der Oberfläche des Drüsenschlauchs angelagert erscheinen, daher ihr Name. Man hat feine Kanälchen (Sekretkapillaren) in ihrem Innern erkannt. In den Pylorusdrüsen sind Schleimzellen ausgebildet. Verästelt schlauchförmige Drüsen bestehen in der Mundhöhle, im Pharynx und in der Speiseröhre, ferner im Gar diateil des Magens und als Brunner'sche Drüsen imAnfangsteil als Duodenum in großer Zahl. Als mächtige voluminöse Organe sind ferner ausgebildet die großen verästelt tubulo-alveolären Drüsen: die großen Speicheldrüsen der Mundhöhle, das Pankreas (die Bauchspeicheldrüse) und die Leber, letztere als plexiform tubulöse Drüse. Ihre verzweigten Schläuche ver- binden sich zu einem Netzwerk. Die Drüsenzellen zeigen je nach dem Sekret, das sie absondern,Verschiedenen Bau : Zellen, deren Sekret dünnflüssig ist, besitzen einen fein granulierten Zellkörper und einen kugeligen Kern in zentraler Anordnung; Zellen, die ein schleimiges Sekret liefern, zeigen glashellen Inhalt, das Plasma ist andständig und der abgeplattete Kern liegt an der Basis der Zelle (Fig. 22). An den sekretorischen Endstücken der Speichel- drüsen bestehen besonders bei Säugetieren insofern Komplikationen, als sekretleere Drüsenzellen von sekretgefüllten an die Basis des Schlauchs gedrängt werden. Sie erscheinen hier sichelförmig, man hat sie als Giannuzzische Halbmonde bezeichnet. Diese können allerdings auch aus mehreren Zellen bestehen und brauchen nicht sekret- leere Zellen zu sein, sondern es sind Gruppen von serösen Drüsenzellen, die von den Schleim- I drüsenzellen nach außen gedrängt werden. Man findet diese Halbmonde in der Unter- I Zungen- und Unterkieferspeicheldrüse auch I beim Menschen. Pankreas- und Leberzellen i zeigen komplizierteren Bau. Die schlauch- 1 förmigen Endstücke des Pankreas sind mit sekretorischen Zellen ausgeldeidet, an deren Plasmakörper stets zwei Abschnitte unter- ' scheidbar sind: ein basaler Teil ist aus trübem Plasma gebildet und enthält den kugeligen Kern, die freie, dem Lumen zugekehrte Hälfte enthält zahlreiche helle Seki-ettröpfchen (Zymogenkörner). Außerdem findet man den sekretorischen Zellen kleine Elemente auf- gelagert, welche als Ausführgangsepithelien aufzufassen sind, die sich in die Endstücke fortsetzen. Man hat sie, ihrer Anordnung entsprechend, als zentro-acinöse Zellen be- zeichnet. In den Drüsenzellen hat man Sekretkanälchen erkannt. Die Leberzellen kleiden die Leber- schläuche aus. Bei Säugetieren werden die Schläuche zerteilt durch von außen ein- ch-ingende Blutgefäße und die Netze der Leberschläuche werden zu Netzen von Leber- zellketten (Fig. 23). In den Leberzellen sind ebenfalls Sekretkanälchen nachgewiesen. Zwischen den Leberzellen liegen die Gallen- kapillaren, jede von zwei Leberzellen begrenzt. Die LeberzeUen sind polyedrische Zellen mit zentral gelegenem kugeligem großem Kern, der meist ein deutliches Kernkörperchen (Nukleolus) enthält. Der Zellkörper ist wabig strukturiertes Plasma, das sehr man nii;f altige Einschlüsse, teils in Tropfen, teils in Kürnchen- form enthält. Auch Farbstoff körnchen treten Gewebe (Grewel)e der Tiere) 1117 darin auf. Der komplizierte Bau ist die 1 Blut in anderer Form wieder zugeführt Folge der sehrl mannigfaltigen Funktion der j werden (Fett, Glykogen usw.). Leberzelle, die nicht nur sekretbildende Alle diese voluminösen Drüsen lassen Drüsenzelle ist (das Sekret der Leber ist die j an ihren Schläuchen die Ausführgänge und Aus 8 serösen Zellen bestehender Halbmond Stuck eines Aus- fuhrungsganges rangentialschuitt (Querschnitt mit Schleimzellen und nks .dicker Mem- brana propria Bindegewebe Fig.22. Glandula subungualis des Menschen, seröse und Schleimdrüsenzellen. Giannuzzi '[sehe Halbmonde durch seröse Zellen gebildet. Nach Stöhr. Galle, ihr Farbstoff Gelb oder Grün das Bilirubin oder Biliverdin). Die Leberzelle Fig. 23. Netzwerk der Zellen in der Leber Menschen. Schnittbild. Nach Gegenbaur. ist vielmehr ein chemisches Laboratorium, in welchem mannigfaltige Stoffe, aus dem Pfort- aderblut aufgenommen, verarbeitet und dem die mit Drüsenzellen ausgekleideten sekreto- rischen Endstücke unterscheiden. Das Epithel der Ausführgänge ist meist ein- schichtiges Zylinderepithel. Wenn die Aus- führgänge in verschiedene Abschnitte ge sondert sind, wie bei einigen Speicheldrüsen, so ist das Epithel ungleich ausgebildet, z. B. findet man einfaches Plattenepithel in den sogenannten Schaltstücken. Dem Entoderm entstammen auch die Kespirationsorgane der Wirbeltiere.. In der Luftröhre und den Bronchien findet man flimmerndes Zylinderepithel, in der Luft- röhre mehr-, in den Bronchien einschichtig. In den respiratorischen Endbläschen der Lungen mit den Alveolen besteht sehr zartes einschichtiges Plattenepithel (respiratorisches Epithel). Die Lunge der Säugetiere ist nach dem Typus einer verästelt alveolären Drüse j gebaut!^ bei Amphibien bildet sie einen weiten ] Sack, von dessen Wand sich bienenwaben- artige Falten erheben. Bei den Reptilien werden die Falten komplizierter. Die Innen- fläche ist mit Plattenepithel ausgekleidet. Auch die Harnblase bildet sich als eine I Ausstülpung des Enddarms, ihr Epithel ist also entodermaler Herkunft, es ist ein mehrschichtiges Uebergangsepithel (Fig. 24). Aus den geschilderten Tatsachen sieht man, wie alle drei Keimblätter die verschiedensten Formen des Epithels ausbilden können. Die 1118 Gewebe (Gewebe der Tiere) spezielle Form ist immer angepaßt den An- forderungen, welche an das Epithel gestellt werden, die Leistung wirkt alsformativer Keiz. IL Bindesubstanzen. Man teilt sie ein in 1. zelliges Binde- gewebe, 2. Gallertgewebe, 3. fibrilläres Binde- gewebe, 4. adenoides Gewebe, 5. Ivnorpel- gewebe, 6. Knochengewebe (Gewebe der Hartsubstanzen), 7. Fettgewebe, 8. Blut und Lymphe, 9. pigmentiertes Bindegewebe (Chromatophoren). a) Wirbellose. Bei den Wirbellosen bestehen ver- schiedene Formen von Stützgeweben: I. Zelliges Stützgewebe. Zelliges Stütz- gewebe, wird dargestellt durch Zellen, die Flüssigkeitsvakuolen in ihrem Plasmakörper enthalten und dadurch ein blasiges Aussehen Fortsätze, durch welche sie untereinander I verbunden sind. In der Grundsubstanz kommt es zur Bildung von Fibrillen, wo- : durch der erste Schritt zur Bildung fibrillären Bindegewebes aus Gallertgewebe getan ist. I Solches Gallertgewebe findet sich schon bei i Spongien, in derberer Ausbildung im Schirm der Medusen. Auch bei Würmern ist es ' verbreitet (Fig. 26). Nicht alle mesodermale I Stützzellen scheiden schleimige Grund- substanz aus, manche Elemente nehmen vielmehr anorganische Substanzen, wie Kalk- I salze oder Kieselsäure, auf, die sie in zier- j liehen Formen wieder absondern oder intra- i zellular niederschlagen zur Bildung von : Hartskeletten (Kiesel- und Kalkschwämme). Auch festere organische Substanz wird bei anderen Formen abgesondert und bildet zierliche netzförmige Gerüste aus Spon- geolin (Hornschwämme). Von der Hart- r. ü( ^ Zylinderzellen mit Cuticular- saum ;/ ' Lympliorit Timica propria Fig. 24. Senkrechter Schnitt durch das Epithel der Schleimhaut der Harnblase vom M 6 n s c h e n. ^eo^^ Uebergangsepithel. Fig. 25. Zelliges Bindegewebe eines Plattwurms. Aus Hatschek. Nach Lorenz. zeigen, die strafferen peripheren Teile des Zell- körpers fungieren als Stützsubstanz. Solches Gewebe findet sich ausEntodermzellen gebildet in den Tentakelachsen der Hydrozoen und Me- dusen, ferner ist blasiges Bindegewebe sehr verbreitet bei Plattwürmern und Mollusken. Des weiteren bildet den Ausgangspunkt für zahlreiche Stützgewebe eine struktur- lose schleimige Substanzlamelle, welche von den Elementen der beiden ersten Keimblätter an deren Basis abgeschieden wird. In diese Substanz wandern dann Zellen ein, die sich verschieden verhalten, indem sie ent- weder in der Gallertsubstanz fixiert liegen bleiben, dieselbe vermehrend und ernährend, oder indem sie freie Beweglichkeit behalten und ernährende oder phagocytäre Funktion übernehmen (Blutzellen und Wanderzellen). Die erstere Form bildet das eigentliche Bindegewebe, welches zwei Bestandteile, Zellen und Interzellular- oder Grundsubstanz, unterscheiden läßt. Die Zellen, in der Grund- substanz verteilt, besitzen feinverzweigte Substanz, welche die Korallen absondern, wurde stets angenommen nach den Arbeiten von G. V. Koch, daß sie von den Zellen des äußeren Keimblattes gebildet würde. k kc rg.m.i bact Fig. 26. Fibrilläres Bindegewebe eines Ringel- wurms. Ke Kern einer Bindegewebszelle. Nach K. C. Schneider. In letzter Zeit sind Beobachtungen gemacht worden, wonach auch hier die mesodermalen Gewebe (Gewebe der Tiere) 1119 Zellen die Bildner der Stützsiibstaiiz sein sollen. Bei den Echinodermen werden die Kalk- skelette stets von mesodermalen Zellen gebildet. Bei Mollusken besteht Gallert- gewebe, mit Ausbildung von Fibrillen in der Crundsubstanz. Die Fibrillen sind k'iint!,('b('nde Fasern, elastische Fasern kommen bei Wirbellosen nicht vor. Die Schalen der Mollusken sind alle ektoderniale Kutikularbildungen. Bei Arthro- poden bestehen erstens Leydigsche Zellen, das sind Elemente, welche im Innern ihres Zellkörpers, also intrazellular Schleim aus- bilden und so zu großblasigen Zellen werden. Solche Zellen kommen auch bei den Mol- lusken vor. Außerdem besteht bei Arthro- poden Sehnengewebe, aus Bündeln feiner Fibrillen, die durch Kittsubstanz mitein- ander verbunden, einerseits mit den Muskel- fasern, andererseits mit der Basis der Ober- haut in Verbindung stehen. Da man Zellen zwischen diesen Sehnenfasern nicht nach- gewiesen hat, nimmt man an, daß sie bei der Bildung der Fibrillen ganz aufgebraucht und geschwunden sind. Es fragt sich aber, ob die Muskelfibiilk'u selbst nicht durch chemisch -pliysikalische Umbildung ihrer Enden die Sehnenfibrillen ausbilden. Die Bindegewebszellen, wo man sie nach- weisen kann, sind zarte l'^lemonte mit stern- förmig verästelten! P]asiiial;öi|)er. Neben diesen fixen Zellen sind auch Wauderzellen, die nach Art von Amöben in den Binde- gewebslücken umherkriechen, sehr verbreitet bei Wirbellosen. 2. Knorpelgewebe. Knorpelgewebe findet sich bei Mollusken und zwar im Schlundkopf einiger Gastropoden sowie im Kopfskelett der Cephalopoden. Es besteht aus rundlichen oder abgeplatteten Zellen, die einzeln oder in Gruppen inmitten einer von ihnen aus- geschiedenen (Irundsubstanz liegen. Sie besitzen verästelte Fdrtsätze, durch welche die benachbarten Zellen miteinander in Ver- bindung stehen. Die Grundsubstanz ist hyalin und gleicht derjenigen des Hyalin- knorpels der Wirbeltiere. 3. Fettgewebe. Fettgewebe kommt unter den Wirbellosen nur den Insekten zu, und zwar bildet es hier in Schlauch- und Lappenform geschlossene Komplexe in der Leibeshöhle, lieber die Herkunft der Zellen besteht keine Einigkeit, sie werden vom Mesoderm oder vom Ektoderm abgeleitet. Das Element des Fettgewebes ist die Fettzelle. Es sind große, von zahlreichen kleinen Fetttröpfchen er- füllte Zellen, deren ovale Kerne eine zentrale Anordnung in der Zelle zeigen. Bei Mollusken ist die Leber das Organ, in deren Zellen Fett in Tröpfchenform aufgespeichert wird. 4. Blut. Das Blut der Wirbellosen ist in der Regel eine farblose Flüssigkeit, das Blut- plasma, in welcher als Blutkörperchen farb- lose, amöboid bewegliche Zellen suspendiert sind. Blut und Lymphe sind also noch nicht gesondert. Wo rotes Blut besteht, ist der rote Farbstoff im Blutplasma gelöst ent- halten, nicht in den Blutkörperchen (einige Insekten). Die Blutzellen können die Gefäß- lumina verlassen, gelangen durch Diapedesis in die Spalträume des Bindegewebes, wo sie die obengenannten Wanderzellen bilden. I 5. Chromatophoren. Chrom atophoren sind verästelte Bindegewebszellen, dieinihrera Plasma körper feine Körner von verschiedenen Farbstoffen enthalten. Der Farbstoff ist das 1 Produkt der Tätigkeit der Zelle. Solche Zellen sind bei Wirbellosen besonders im Bindegewebe unter der Oberhaut bei Würmern, Mollusken, Echinodermen sehr verbreitet. b) Wirbeltiere. I Bei Wirbeltieren treten die Bindesub- I stanzen in den oben genannten Formen auf. I I. Zelliges Bindegewebe (Chordage- I webe). Zelliges Bindegewebe findet sich in der Chorda dorsalis der Tunicaten und der I Wirbeltiere. Es besteht aus großblasigen j Zellen, die im Innern ihres Zellkörpers Schleim absondern, an ihrer Oberfläche, also interzellu- lär, spärliche Mengen einer Grundsubstanz ausbilden, die der leimgebenden Substanz. nahe steht. Die Zellen sind bald kugelig mit zentralem oder wandständigem rundlichem Kern (Selachier, Cyclostomen), bald abge- plattet, so daß sie wie Geldstücke in einer Geld- rolle angeordnet erscheinen (Amphioxus). Beim Menschen erhält sich dieses Gewebe in den Nucleis pulposis der Zwischenwirbel- scheiben. Bei allen Wirbeltieren bleibtdauernd Chordagewebe in der Achse der Wirbelsäule erhalten in verschiedener Anordnung. 2. Schleim- oder Gallertgewebe. Schleim- und Gallertgewebe wird aucli als embryonales Bindegewebe bezeichnet, weil es bei allen j Wirl)eltiereii tlie zuerst auftretende Form der ! Stützgewebe darstellt. Man unterscheidet an I ihm Zellen mit sternförmig verästelten! Plas- !nakörper, die in eine homogene Grundsubstanz ! eingelagert sind. Die benachbarten Zellen stehen durch ihre Plasmafortsätze niitein- j ander in Verbindung (Fig. 27). Die Grund- oder Interzellularsubstanz ist das Ab- scheidungsprodukt der Zellen, die auch für I die weitere Ernährung dieser Substanz. 1 sorgen. Gerade dadurch unterscheidet sich * die Abscheidung dieser Grundsubstanz von der Sekretbildung, wie wir sie bei Drüsen- epithelien kennen gelernt haben, daß das Bildungsprodukt nicht ausgestoßen wird, sondern als Teil des lebenden Organisiüus dauernd in dessen Verband bleibt und an den weiteren Lebens- und Bildungsvorgängen teilnimnit. Von mancher Seite wird der Grundsubstanz auch aktive Lebensbetätifi'unff 1120 Gewebe (Gewebe der Tiere) zugesprochen, ohne daß dazu die Beihilfe | sich beim Kochen auf und beim Erkalten der Bildungszelle nötig wäre. Das gewinnt gelatiniert die Lösung. Auch in schwachen besonders bei den strukturellen Umbildungen Säuren lösen sie . sich nach Quellung auf. der Grundsubstanz große Bedeutung. Man Die elastischen Fasern sind Einzelfasern, hat geradezu gesagt, die lebende Substanz die sich teilen und miteinander zu Netzen Fig. 27. Gallertgewebe vom Salamander (Schnitt) bz Bindegewebszelle; for Fortsätze der Zellen; die ein Netzwerk bUdcn, welches die Grund- substanz durchsetzt und die Zellen miteinander verbindet. Nach K. C. Schneider. trete in verschiedenen Formen auf, von welchen die eine die Zelle sei, die andere aber durch die verschiedenen Formen der Grundsubstanzen dargestellt sei. Man sollte aber nicht vergessen, daß alle diese Grund- substanzen doch nur Abscheidungsprodukte der Zellen sind und daß vieles dafür spricht, daß die strukturellen Umwandlungen jener Substanzen im lebenden Organismus sich unter der Direktive der Bildungszellen abspielen. Das Gallertgewebe bleibt bei niederen Wirbeltieren oft längere Zeit bestehen, z. B. bei Amphibienlarven im Schwanzsaum, bei höheren Formen, besonders bei Säugetieren im Nabelstrang, wo es als Whartonsche Sülze bezeichnet wird. Aber auch hier ist es meist schon durch das Auftreten feiner Fibrillen in der Grundsubstanz kompliziert. Fast durchweg wandelt sich das Gallert- gewebe im Organismus zu fibrillärem Binde- gewebe weiter. 3. Fibrilläres Bindegewebe. Fibrilläres Bindegewebe kommt im Wirbeltierorganis- mus vor als a) lockeres, b) straffes, c) elastisches Bindegewebe. 3a) Das lockere, faserige Bindege- webe besteht aus 1. Zellen (Bindegewebs- körperchen), meist spindelförmig, mit spindel- förmigem Kern; 2. Grundsubstanz; diese besteht aus einem engen Filzwerk von Fi- brillen zweierlei Art : Bindegewebsfibrillen oder leimgebenden (Collagen-)Fasern und elasti- schen Fasern. Erstere zahlreicher, sind alle von gleicher Dicke, unendlich fein und in ver- schiedener Zahl zu Bündeln vereinigt (Fig. 28). Die Primitivfibrillen teilen sich nicht, die Bündel durchflechten sich lose. Sie lösen Fig. 28. Lockeres faseriges Bindegewebe vom Menschen. Leimgebende und elastische Fasern. Nach Fürbringer. verbunden sein können, sie sind von ver- schiedener Dicke, bilden niemals Bündel und sind viel resistenter als die leimgebenden Fasern. Unlöslich in Säuren, gehen sie auch beim Kochen nicht in Lösung. Außer diesen Fibrillen zeigt das lockere faserige Bindegewebe auch Spalträume. Diese sind mit Flüssigkeit, dem Gewebssaft erfüllt und stellen die Wurzeln des Lymphgefäß- apparates dar. In ihnen sind Wanderzellen verschiedener Herkunft, ferner Fettzellen und pigmentierte Bindegewebszellen, Clu-o- matophoren, eingelagert. Das lockere faserige Bindegewebe ist das verbreitetste Gewebe im ganzen Körper. Es bildet bei Vögeln und Säugetieren nicht nur die Lederhaut und bei allen Wirbeltieren nicht nur das Unter- hautbindegewebe, sondern es fehlt auch in keinem Organ, denn es begrenzt als fibröse Kapsel alle Organe und dringt als interstitielles Bindegewebe in ihr Inneres ein (Drüsen, Muskeln), wobei es teils als Stütz-, teils als ernährendes Gewebe funk- tioniert, als ernährendes, insofern die Blut- gefäße in ihm ihre Verbreitung in den Organen nehmen. Im Zentralnervensystem ist es spärlicher ausgebildet, da hier als Stützgewebe das vom ektodermalen Epithel abstammende Neurogliagewebe ausgebildet ist; es hat das von außen eindringende lockere Bindegewebe hier nur ernährende Funktion. In den ver- schiedenen Organen wird es ungleich be- zeichnet: in den Muskeln als Perimysium, in der Leber als Glissonsche Kapsel, im Grewebe (Grewebe der Tiere) 1121 Ovarium als Stroma ovarii, in den Nerven als Perineurium, in den übrigen Organen führt es die Bezeichnung des interstitiellen Bindegewebes des betreffenden Organs. In den Schleimhäuten (Tunicae mucosae) des Darmkanals, der Atmungsorgane und der Ausführwege der weiblichen Geschlechts- organe bildet es eine Schicht unmittelbar unter dem Epithel. Lagen, in welche zusammenhängen, im wesentlichen aber parallel verlaufen. Zwischen ihnen sind spärliche Bindegewebsfibrillenbündel an- geordnet und die spindelförmigen Binde- gewebskörperchen. Letztere treten im fertigen Gewebe ganz zurück, man darf aber nicht vergessen, daß sie die Bildner der ganzen komplizierten fibrillären Grundsubstanz sind. Man pflegt die tieferen ! Das elastische Gewebe kommt ferner noch in das Bindegewebe der den Wandungen der Blutgefäße, besonders Schleimhaut direkt übergeht, als Tunica sub- der Arterien der Wirbeltiere vor, wo es in mucosa zu bezeichnen. In dieser findet die der mittleren Wandungsschicht, der Tunica gröbere Verteilung der zur Schleimhaut media, in Form von elastischen Netzen, oder tretenden Blut- und Lymphgefäße und auch in stärkerer Ausbildung, als gefensterte Nerven statt. Membranen, reichlich ausgebildet ist. Im 3b)Dasstraffefaserige Bindegewebe, Alter erfahren diese elastischen Bestandteile auch als Sehnengewebe bezeichnet, kommt allenthalben im Bindegewebe und besonders nicht nur in den Sehnen der Muskeln vor, son- 1 auch in den Gefäßwandungen einen Schwund. dern auch im Periost der Knochen, in der harten Hirnhaut, in den fibrösen Kapseln der Gelenke, und endlich zeigt es sich auch in be- sonderer Ausbildung in der Lederhaut der niederen Wirbeltiere, sowie damit überein- stimmend in der fibrösen Hülle des Auges, der Sclerotica und Cornea. Es besteht auch aus Bindegewebszellen und Grundsubstanz. Die Zellen zeigen den Fibrillen angepaßt eine regelmäßige Anordnung, z. B. in den Sehnen in Längsreihen. Sie haben Spindelform oder sie sind mit feinen lamellösen Fortsätzen versehen (Flügelzellen der Sehnen). Die Fibrillen sind ausschließlich Bündel leim- gebender Fasern, elastische Fasern fehlen, oder sind wenigstens äußerst zart und spär- lich. Im Gewebe der Muskelsehnen sind die Fibrillenbündel alle parallel angeordnet, der Richtung der Muskelfasern entsprechend, deren Fortsetzung sie sind. In neuerer Zeit hat man einen direkten Uebergang der quer- gestreiften Muskelfibrillen in die Sehnen- fibrillen erkannt. Im Perichondrium, Periost und der Dura mater durchkreuzen sich die Fibrillenbündel, aber sie sind sehr dicht zu- sammengefügt, so daß die Gewebsspalten auf ein Minimum reduziert sind. Das Gewebe ist weiß atlasglänzend. In der Lederhaut der niederen Wirbeltiere bilden die Fibrillen- bündel Lamellen; in jeder Lamelle verlaufen die Fibrillenbündel parallel, in den benach- barten Lamellen kreuzen sie sich rechtwinklig. 4. Adenoides Gewebe. Das adenoide Ge- webe reihen wir hier an. Es läßt als kompli- zierte Gewebsbildung zwei Bestandteile unter- scheiden: erstens einen stützenden Teil, das retikuläre Bindegewebe, eine besondere Art fibrillären Gewebes, und zweitens in den Maschen des Reticulums lose eingelagerte lym- phatische Elemente, Lymphzellen (Fig. 29). Reticiüunizellen Netzwerk =; Lymphzellen Fig. 29. Schnitt durch adenoides Gewebe einer Lymphdrüse des M e n s c h e n. Retikuläres Bindegewebe, in dessen Maschen Lymphzellen liegen. Letztere sind durch Schütteln größten- teils entfernt. Nach Stöhr. Das retikuläre Gewebe besteht aus einem Netz- werk zarter, aber sehr resistenter Fasern, Ferner treten Fibrillenbündel, darunter auch die eine feine Längsstreifung erkennen lassen, sehr reichlich elastische, senkrecht durch die Lamellen empor. Die Hornhaut des Auges zeigt die gleiche Struktur, doch fehlen die elastischen Fasern. 3c) Das elastische Gewebe findet sich bei höheren Wirbeltieren in einigen Bändern ein Beweis, daß sie aus feinsten Fibrillen zusammengesetzt sind, die aber mechanisch nicht zu trennen sind. Die Fibrillen sind resistenter als die leimgebenden, aber nicht so resistent wie die elastischen Fasern. Dem Netzwerk sind ans-elasert, mit Vorliebe an der Wirbelsäiüe, besonders in den Ligamenta den Knotenpunkten, ovale Kerne mit Plasma- intercruralia, zwischen den Wirbelbogen und resten, fixe Bindegewebskörperchen. In den im mächtigen Nackenband, dem Ligamen- 1 Maschen dieses Gerüstes liegen, bei niederen tum nuchae. Die Grundsubstanz ist hier j Wirbeltieren, z. B. Amphibien, je eine, bei vorwiegend aus elastischen Fasern von be- höheren Formen, wie beim Menschen, eine trächtlicher Dicke gebildet, die netzförmig ' Gruppe von kleinen rundlichen oder ovalen Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band ]V. 71 112i Gewebe (Gewebe der Tiere) Zellen, die, in fortwährender Vermelirung begriffen, ans dem Gewebe auswandern, als kleine Wanderzellen mit amöboiden Fort- sätzen. So stellt das adenoide Gewebe die Brutstätten indifferenter Zellen dar, die im Organismus sich verbreitend die verschiedenste Verwendung finden. Das adenoide Gewebe findet sich in den Follikeln der Darmschleimhaut, in den Tonsillen, den Agmina Peyeri des Dünndarms, in den Follikeln der Lymphdrüsen, den Malp ig bi- schen Körperchen der Milz und in der Thymus, wo es durch die nähere Beziehung zum Epithel der Kiemenspalten als etwas Besonderes zu betrachten ist. Abgesehen da- von, daß diese Lymphzellen die verschiedenen Wanderzellen (unter diesen auch die Phago- cyten oder Freßzellen) im Körper hervor- gehen lassen, entstammen dem adenoiden Ge- webe auch die Formelemente der Lymphe und viele weiße Körperchen des Blutes (Leuko- cyten; s. S. 1127). Das erste adenoide Gewebe tritt bei Cyclostomen als Lymphscheide um die Darmschlcimhaut auf. Bei Fischen sind vom 1 larmkanal aus die Ai'terien mit Lymph- scheiden umgeben, aber auch die Schleim- haut des Darms zeigt LymphfoUikel in reicher Ausbildung (Oesophagus der Selachier). Bei den niederen Wirbeltieren bleibt die Bezie- hung des adenoiden Gewebes zu den Arterien, als deren Scheiden, erhalten. Bei den Säuge- 1 tieren haben sich die adenoiden Organe j (Lymphdrüsen) selbständig gemacht, wie | der ganze lymphatische Apparat. In der i Milz sind auch bei Säugetieren die alten Beziehungen des adenoiden Gewebes zu den Arterien erhalten (Malpighische Körper- chen). 5. Knorpelgewebe. Das Knorpelgewebe tritt bei Wirbeltieren in 3 Formen auf: a) Hyalinknorpel, b) Faserknorpel, c) elastischer oder Netzknorpel. Vorläufer bei Wirbellosen hat das hyaline Knorpelgewebe im Schlundkopf einiger Krebse (Limulus) und Mollusken, sowie in dem Kopfknorpel der Cephalopoden. Besonders der letztere ist wichtig. Wir finden eine hyaline Grundsubstanz, in welcher teils abgeplattet eiförmige, einzeln angeordnete, teils rundliche Zellen in Gruppen eingelagert sind. Diese sind alle mit zarten, zum Teil verästelten Fortsätzen versehen, durch welche die benachbarten Zellen miteinander in Verbindung stehen. Solche deutlich erkennbaren Fortsätze finden sich an den Knorpelzellen der Wirbeltiere nicht mehr. Das Knorpelgewebe der Wirbeltiere ist charakterisiert durch Knorpelzellen und Knorpelgrundsubstanz. Die Knorpelzellen scheiden die Grundsubstanz aus und er- nähren sie. 5a) Hyalinknorpel. Er besteht aus rundlichen Zellen, die umseben sind von einer homogenen Kapsel und ohne erkenn- baren Zusammenhang gleichmäßig zerstreut in einer homogenen Grundsubstanz liegen (Fig. 30). Bei den Cyclostomen sind die ^ 0 ^ Q 0 Fig. 30. Hyaliukiiurpel vom Frosch. Sclmitt- bild. kno.z Knorpelzellen; x solche nach Teilung; kno.su Grundsubstanz. Nach K. C. Schneider. Zellen blasig, d. h. mit Schleimtropfen er- füllt, die von einem Plasmanetz durchsetzt werden. Sie besitzen zwei, im Zentrum der Zelle angeordnete kugelige Kerne. Auch bei Amphibienlarven bestehen diese blasigen Zellen, haben aber nur einen Kern. Bei den übrigen Wirbeltieren, auch bei den meisten Fischen fehlt im ausgebildeten Knorpelgewebe der Schleim in den Zellen, sie sind kleiner, kugelig und die Knorpelgrundsubstanz ist reichlicher gebildet, wodurch die Zellen weiter auseinander gerückt sind. Die Zellen vermehren sich durch Teilung und die Tochter- zellen falu-en fort Grundsubstanz abzu- scheiden, so daß diese Zellen auseinander- rücken und ein inneres Wachstum des Ge- webes stattfindet. Im Alter erleidet das hyaline Knorpelgewebe Veränderungen, die sowohl die Zellen, als die Grundsubstanz betreffen. Letztere ist in jugendlichem Knorpel homogen, von der charakteristischen Konsistenz, schneidbar, elastisch und von weißlicher oder bläulicher Farbe. Sie besteht aus Chondrin. Bei bestimmter Konservie- rung und Färbung gelingt es in ihr eine Struktur nachzuweisen, nämlich ein feinstes 1 Filzwerk von Fibrillen. Im Alter hört die Fähigkeit der Zellen, Grundsubstanz abzu- scheiden, früher auf, als ihre Fähigkeit, sich durch Teilung zu vermehren. Dadurch tritt als Alterserscheinung an den Zellen eine Anordnung in Nestern auf; sie liegen in kugeligen oder reihenförmigen Komplexen zusammen, die von einer gemeinsamen Kapsel umgeben sind. Dabei treten auch Vakuolen mit verschiedenem Inhalt in iliren Zellkörpern oder Kernen auf. In der Grundsubstanz treten im Alter häufig Cfewebe (Grewebe der Tiere) 1123 Fibrillen und Kalksalze in körniger Form auf, wodurch der Knorpel seine Elastizität verliert. Das hyaline Knorpelgewebe ist bei Cj^lostomen noch spärlich, bei Knorpel- fischen (Selachiern und Ganoiden) reich- lich im knorpeligen Innenskelett ausgebildet. Bei höheren Wirbeltieren ist es als embryo- nale Anlage des späteren knöchernen Skelettes auch reichlich entwickelt, erleidet aber im Verknöchern iigsprozoß eine RiickbikUmg, in- dem das leistungsfähigere Knochengewebe an seine Stelle tritt. Nur an einigen Stellen bleibt es auch bei Säugetieren und beim Menschen erhalten; an den Gelenkenden der Knochen, an den Rippenknorpeln, in der Nasenscheidewand und im Kehlkopf- und Bronchialskelett. 5b) Faserknorpel. Solcher tritt ent- weder als Altersveränderung des hyalinen Knorpels auf, oder als echtes von vornherein aus Vorknorpel sich bildendes Gewebe auf. Nur die letzte Form ist als typischer Faser- knorpel anzusprechen. Er zeigt rundliche Zellen, mit Knorpelkapseln umgeben, zer- streut in einer Grnndsubstanz liegen, die aus einem Filzwerk von Fibrillenbündeln besteht. Diese sind leimgebende Fasern. Bei höheren Wirbeltieren findet sich dieses Gewebe am typischsten in den Intervertebral- scheiben und zwar in deren peripherem Teile, den man als Annulus fibrosus bezeichnet. Es hat makroskopisch betrachtet weißen Atlasglanz. Auch in den Symphysen kommt es als Verbindungsgewebe zwischen knöchernen Skeletteilen vor. 5c) Elastischer- oder Netzknorpel. Dieser zeigt rundliche Knorpelzellen von Kap- seln umgeben in einer hyalinen Grundsubstanz eingelagert, die ein zierliches Netzwerk von elastisclien Fasern enthält, (Fig. 31). Die Fig. 31. Elastischer Knorpel des Kehldeckels vom Men- schen, z Knorpelzelle; k Knorpelkapsel. Nach St Öhr. elastischen Fasern sind bei den verschiedenen Tierformen von ungleicher Dicke. Er wächst wie der hyaline Knorpel. Sein Vorkommen ist ein auf w^enige Stellen beschränktes: die Ohrmuschel der Säugetiere, Kehldeckel, Nasenflügelknorpel, Stellknorpelfortsätze im Kehlkopf. 6. Gewebe der Hartsubstanzen. Diese Gewebe kommen nur den Wirbeltieren zu. Man unterscheidet Ganoin, Dentin und Knochengewebe. Eine weitere Hartsub- stanz, der Schmelz, ist eine vom Oberhaut- epithel an der Basis der Zellen abgeschie- dene Substanz, die von den im Mesoderm entstehenden Hartsubstanzen ganz zu trennen ist (s. S. 1113). Die ersten Hartsubstanzen treten in der Haut der Fische (Selachier und Ganoiden) auf. Man kann vom histologischen Standpunkt aus unterscheiden: Hartsubstanz, bei welcher die Zellen, che sie abschieden, an der Oberfläche angeordnet bleiben; dann kann man nicht von einem zellenhaltigen Gewebe sprechen; und zweitens tritt ein Hartgewebe auf, bei dem die Zellen, welche die Hartsubstanz abschieden, ins Innere dieser Substanz ein- rücken ; dann haben wir ein echtes Knochen- gewebe vor uns, an welchem man die Zellen als Knocheukörperchen und die Grund- substanz, die Knochensubstanz (Interzellular- substanz), unterscheiden kann. Die Knochen- zellen sind bald kleine rundliche Elemente ohne nachweisbare Fortsätze, bald sind sie mit verästelten Fortsätzen versehen, durch welche die benachbarten Zellen in Verbindung stehen (Fig. 32). Auch sehr Fig. 32. Einige Knochenzellen mit ihren Fort- sätzen (Siebbein des Menschen). Aus Gegen- baur. große Zellen sind in manchen Hautschuppen der Fische ausgebildet. In den Schuppen mancher Fische (Ceratodus) findet man kleine Zellen zerstreut, daneben aber liegen der Außenfläche dieser Schuppen große Zellen an, welche lange, verzweigte Fort- sätze ins Innere der Hartsubstanz schicken. Die Grundsubstanz in den Schuppen der Haut bei Fischen ist sehr verschiedener Struktur: sie kann homogen sein, oder sie zeigt Fibrillen ausgebildet; sie kann ferner lamellöse Struktur zeigen und die Lamellen können wiederum aus Fibrillen zusammen- gesetzt sein. Ein Teil dieser Strukturen tritt auch in dem Knochengewebe der höheren Wirbeltiere auf. Die Hartsubstanz ist in allen Fällen zusammengesetzt aus einem organischen Bestandteil, dem KnochenknorpeJ, und einem 71* 1124 Geweihe (GeAvebe der Tiere) anorganischen Bestandteil, der Knochen- erde, die im wesentlichen aus phosphor- saurem Kalk besteht, daneben auch kleine Mengen von phosphorsaurer Magnesia, kohlen- saurem Kalk und kohlensaurem Natron enthält. Während die Hautschuppen der Fische sehr verschiedene Formen der Hart- gewel)e unterscheiden lassen, sind bei den höheren Wirbeltieren im Innenskelett nur das Dentin oder Zahnbein an den Zähnen und zwei Formen von Knochengewebe, das grobfaserige und das feinfaserige, am Innen- skelett zu unterscheiden. Ersteres tritt verbreiteter bei niederen Wirbeltieren (Amphi- bien) auf, während es bei höheren Formen nur embryonal besteht, um später durch das jüngere, feinfaserige ersetzt zu werden. Im feinfaserigen, dem stammesgeschichtlich jüngsten Knochengewebe zeigt die Hart- substanz eine deutlich lamellöse Struktur | (Fig. 33) und jede Lamelle setzt sich aus S;tii Fig. 33. Knochengewebe eines Säugetiers. A Längsschnitt eines Köhrenknochens; B Quer- schnitt. Knochenzellen mit ihren zahh-eichen Fortsätzen zwischen den Lamellen der Grund - Substanz angeordnet. feinen Fibrillen zusammen, die in der Lamelle alle parallelen Verlauf zeigen, in den benach- barten Lamellen sich im allgemeinen recht- winklig kreuzen. Im grobfaserigen Knochen- gewebe ist sowohl die lamellöse als auch die fibrilläre Struktur nur undeutlich zu erkennen. Die embryonal zuerst auftretende Knochensubstanz ist ganz homogen. Das Zahnbein ist stets homogen, nur ist meist eine tangentiale Streifung zu erkennen als der Ausdruck einer allmählich erfolgenden schichtweisen Abscheidung von selten der Bildungszellen (Odontoblasten). Knochenknorijcl und Knochenerde sind aufs innigste miteinander gemischt, so daß jede für sich genau die Form des ganzen Ske- letteils erkennen läßt. Man kann durch Be- handlung mit Säuren die Knochenerde auf- lösen und behält dann den Knochenknorpel allein übrig, umgekehrt kann man durch Ausglühen (Calcinieren) den Knochenknorpel beseitigen und die Knochenerde allein er- halten. Das Knochengewebe tritt als kom- pakte Masse auf (Substantia compacta) z. B. in den Schäften der Köhrenknochen , zum Teil zeigt sich es sich als Substantia spongiosa aus einem Netzwerk feiner Knochenbälk- chen gebildet, z. B. in den Endstücken der Rölu-enknochen, im Inneren der Wirbel- körper und der Schädelknochen. In den Knochen des Schädeldachs bildet die spon- giöse Substanz die sogenannte Diploe. Entwickelung des Knochenge- webes. Das Knochengewebe ist das stammes- geschichtlich und in der Embryonalentwicke- lung am spätesten auftretende Gewebe. Beim menschlichen Embryo erscheinen die eisten Knochenbildungszellen in der 8. Woche dei intrauterinen Entwickelung. Dem Auftreten der ersten Knochen- hildungszellen geht immer eine Wucherung (U^i Blutgefäße an den Knochenbildungs- stellen voraus. Die in der Umgebung dieser (xcLiße erscheinenden großen Zellen legen sich ^ an bereits vorhandene Bindegewebs- bestandteile, z. B. Bindegewebsfibrilleii, an und beginnen an ihrer Basis Knuchensubstanz abzuscheiden. Dadurch erweisen sie sich als Knochenbildungszellen (Osteoblasten) (Fig. 34). Man unterscheidet nach der Grund- '^. ^^^aA-, Fig. 34. Schnitt durch in Büdung begriffenes Knochengewebe, a Osteoblasten; b Knochen- zellen. Aus Gegenbaur. läge, auf welcher die Verknücherung ein- setzt, Bindegewebs- und Knorpelverknöche- rung. Die letztere beginnt an der Oberfläche der knorpelig vorgebildeten Skeletteile als perichondrale Ossifikation. Indem der unter- liegende Knorpel durcli Verlust seiner Funk- tion eine Rückbildung erfährt, dringen Blut- gefäße mit Knuchenbildungszellen ins Innere des zugrunde gehenden Knorpels ein, und es schließt sich an die perichondi'ale oder primäre Knorpelverknöcherung die enchon- Gewebe (Gewebe der Tiere) 1125 drale oder sekundäre Ossifikation an (Fig. 35). i Schcädeldachs, der Unterkiefer und das Die Folge der Beziehung der Osteoblasten- [ Schlüsselbein durch Bindegewebs verknöche- zellen zu Blutgefäßen ist eine bei dem rung. Alle übrigen Skeletteile sind durch Knochengewebe der höheren Wirbeltiere ! Hyalinknorpel in der 5. bis 6. Woche des Fötallebens vorgebildet und entwickeln sich durch Knorpelverknöcherung. Ergänzend sei hier noch angeführt, daß das Knorpel- gewebe, wo es durch das leistungsfähigere Knochengewebe ersetzt wird, nicht einfach zugrunde geht, sondern sich gegen das eindringende Knochenbildunj , Verkalkte Knorpel- grundsubstanz Zackiger Fortsatz der verkalkten Knorpelgrund- siibstanz nachweisbare gröbere Struktur. Man findet den Knochen von zahlreichen Blutgefäß- kanälchen durchzogen (Haversische Kanäle) und in ihrer Umgebung bestehen konzentrisch angeordnete Lamellensysteme des Knochen- gewebes, die man als Spezial- oder Haversi- sche Lamellensysteme bezeichnet. Außerdem bestehen auch soge- nannte Grund- oder Generallamellensysteme, die um die ganze Zir- kumferenz z. B. eines Köhrenknochens ver- laufen. Das Wachstum des Knochengewebes ist aus- schließlich ein appositio- nelles, es lagern sich an der Oberfläche des Knochengewebes neue Osteoblastenzellen an und scheiden Knochensub- stanz aus. Indem sie ins Innere der von ihnen ausgeschiedenen Substanz hineingelangen, werden sie zu Knochenzellen. Eine jede Knochenzelle geht also aus einer Osteoblastenzelle hervor. Jede Knochenzelle ist am Ende ihrer Lebens- tätigkeit angelangt. Sie kann sich nicht mehr durch Teilung vermehren. Sie existiert mit der von ihr abgesonderten Grund- substanz nur eine ge- wisse Zeit. Im Knochen- gewebe findet fortwäh- rendes Zugrundegehen und fortwährende Neubil- dung des Gewebes statt. Das kommt auch in der ;._. i » js-^ feineren Struktur der Knochen zum Aus- einen komplizierten Kampi einläßt, nach druck. Durch Riesenzellen (Osteoklasten) : dessen Verlauf es an den meisten Stellen findet allenthalben eine Auflösung von 1 ganz schwindet. Der normale Verlauf dieses Knochensubstanz statt, so daß mit Knochen- 1 Gewebskampfes ist aber unerläßlicli zum mark gefüllte Hohlräume im Knochen ent- normalen Aufbau des knöchernen Skelettes. stehen. Indem dann neue Osteoblasten \ Wo dieser Kampf gestört wird, bleiben die wiederum ihre knochenbildende Tätigkeit Knochen im Wachstum zurück. Das zeigt anfangen, werden die Markräume wieder sich besonders an den Röhrenknochen, bei mit Knochengewebe erfüllt. So entstehen welchen das Mittelstück (die Diaphyse) und eingeschachtelte Lamellensystenie. Aber die beiden Enden (Epiphysen) selbständig ossi- auch die dauernd bestehenden Markräume fizieren. An den sogenannten Epiphysen- kommen durch die Tätigkeit der Osteoklasten grenzen findet während der ganzen Dauer zur Ausbildung. der Skelettentwickelung, die sich bis gegen Beim Menschen wie bei den meisten das 30. Lebensjahr für einige Knochen er- Säugetieren entstehen nur die Knochen des streckt, ein reger Verknöcherungsprozeß Vergrößerte Knorpelzellen' Blutgefäß mit farbigen Blutzellen' Enchondraler Knochen Perichondraler Knochen Perichondraler Knochen Fig. 35. Längsschnitt durch die Anlage eines in',Ossifikation be- griff enen Röhrenknochens (Fingerglied des Menschen). Nach Stöbr. 1126 Grewebe (Gewebe der Tiere) statt, während dessen Verlauf das Knorpel- gewebe seine Zellen sich fortwährend in einer Kichtung gegen das vordringende Knochenbildungsgewebe teilen läßt, auf diese Weise die Zellen in lange Eeihen an- geordnet zeigend (Säulenknorpel). Wo diese Knorpelzellen mit dem Knochenbildungs- gewebe in Berührung kommen, werden die Knorpelkapseln durch Blutgefäße und Knochenbildungszellen aufgelöst und die Knorpelzellen zerstört. Es rücken aber lange Zeit immer neue Knorpelzellen nach und hier- durch spielt das Knorpelgewebe besonders bei dem normalen Längenwachstum der Köhrenknochen eine sehr wichtige Eolle. Bei gewaltsamer Trennung der Epiphyse vom Schaft (Epiph^'senlösung) bleibt der be- treffende Röhrenknochen in seinem Längen- wachstum dauernd gestört. 7. Das Blut (sanguis). Das Blut wird als Bindegewebe mit flüssiger Literzellularsub- stanz aufgefaßt. Bei Wirbeltieren besteht es aus B 1 u t p ] a s m a, einer blaßgelblichen Flüssig- keit von dünn sirupartiger Konsistenz und alkalischer Eeaktion, in welcher kompli- zierte Eiweißkörper gelöst enthalten sind. Jn dem Blutplasma sind die Formelemente suspendiert, die man als 1. rote Blutkörper- chen (Erythrocyten), 2. weiße Blutkörper- chen (Leukocyten) und 3. Blutplättchen unterscheidet. Das Blut gerinnt, wenn man es aus den Gefäßen ausfließen läßt. Dabei bildet sich Fibrin, indem sich fibrinoplastische und fibrinogene Substanz unter der Wirkung des Fibrinfermentes verbindet und sich in Form eines feinen ver- filzten Faserwerkes niedersclüägt. Das Fibrin sinkt unter Einscliluß der Blut- körperchen zu Boden und bildet den Blut- kuchen (Cruor sanguinis). Die den Blut- kuchen enthaltende Flüssigkeit ist das Blut- serum: Blutwasser, Blutplasma minus Fibrin. Die roten Blutkörperchen sind bei allen Wirbeltieren außer den Säugetieren kernhaltige Zellen, in deren Zellkörper der rote Blutfarbstoff, das Hämoglobin, gelöst enthalten ist (Fig. 36). Ihre Form ist ver- schieden: bei Fischen rundlich, sind sie bei Amphibien, Reptilien und Vögeln bikon- vexe ovale Scheiben. Am größten sind sie bei Amphibien (beim Frosch sind sie 22 fx lang, 15 /( breit; // = Viooo m™)» a'i^ kleinsten bei Knochenfischen. In dem Zellkörper der scheibenförmigen roten Blutkörperchen der Amphibien ist von Meves in der Nähe des Randes ein zierliches Netz von elastischen Fasern nachgewiesen worden. Bei Säugetieren und dem Menschen sind die Erythrocyten kern- lose Elemente. Siegehen aus kernhaltigen Ery- throblasten hervor. Der Kern schwindet durch Auflösung (Karyolyse), nach Anderen durch Ausstoßung. Ihre Form ist meist rundlich, nur beim Kamel und Verwandten sind sie oval. Früher schrieb man ihnen bikonkave Schei- benform zu, nach neueren Arbeiten sind sie glockenförmig, kugelig mit einer dellen- artigen Vertiefung, und die Scheibenform ist eine Veränderung, die sich nach dem Aus- strömen des Blutes aus den Gefäßen herstellt. Der Durchmesser eines roten Blutkörperchens des Menschen beträgt 7,5 Mila-en. Die Bil- dungsstelle der roten Blutkörperchen ist bei den niederen Wirbeltieren die Milz, bei den höheren, speziell den Säugetieren und dem Menschen, das rote Knoclieumark. 1 Kubik- millimeter Blut enthält 5 Millionen Erythro- cyten und 5000 bis 10000 Leukocyten. In dem aus den Gefäßen gelassenen Blut legen sich die roten Blutkörperchen der Säugetiere mit ihren Breitseiten zusammen (geldrollen- artige Anordnung); weiterhin schrumpfen sie und nehmen StechapfeKorm an. Zusatz Geldrollenform \ Stechapfelform /• Blutplättchen y Leukocyten in Bewegunc o / in Rulie .^-^ Seitenansicht farbiger Blutzellen Leukocyt Fig._ 36. Blutkörperchen: 1, 2 u. 3 rote Blutkörperchen (3: Glockenform) vom Menschen, 4 bis 6 vom Frosch. Darunter weiße Blutkörperchen: links vom Menschen, rechts vom Frosch. Links unten: Blutplättchen. Aus Stöhr. Grewebe (Gewebe dei- Tiere) 1127 schwacher Säure bringt sie zur Quellung und Auflösung, nachdem vorher der rote Farbstoff ausgezogen war und das Blut, das sonst Deckfarbe hat, Lackfarbe angenommen hatte. Die roten Blutkörperchen sind in ihrer Form fixiert und sehr elastisch. Das Hämoglobin, der rote Blutfarbstoff, kann kristallisieren und zwar meist im rhombischen System, beim Menschen prisma- tisch. Es geht leicht durch Zersetzung in Hämatin über. Letzteres bildet mit Koch- salz und Eisessig erhitzt salzsaures Hämatin oderHämin, das in dunkelbraunroten rhom- bischen Tafeln ausgefällt wird (Te ich mann - sehe Kristalle). Die Häminkristalle waren früher forensisch zum Nachweis von Blut von Bedeutung. Heutzutage hat man andere Methoden zu diesem Zwecke. Die weißen Blutkörperchen sind weniger zahlreich als die roten, so daß etwa ein weißes auf 500 rote kommt im aus- gelassenen Blut. Die Leukocyten sind amöboid bewegliche Zellen, die also fort- während ihre Form ändern und frei beweg- lich umher kriechen. Sie können auch durch die Gefäßwand hindurch schlüpfen (Dia- pedesis) und gelangen dann als Wanderzellen in die Bindegewebsspalten. Der Zellkörper zeigt eine fein granulierte Struktur und ist farblos. Alle besitzen sie einen Kern, der aber sehr verschieden geformt sein kann: bald ist er kugelig, bald oval, ferner kann er eingeschnürt sein. Mehrfache Einschnü- rungen machen ihn perlschnurartig ge- krümmt angeordnet. Endlich können auch die einzelnen Teilstüeke sich voneinander lösen, so daß er aus mehreren Fragmenten besteht (Kernfragmentierung). Man be- zeichnet diese Leukocyten als Zellen mit polymorphem Kern. 'Die Bildungsstätten der Leukocyten sind die lymphatischen Organe des Körpers: bei Fischen, Amphibien, Eeptilien und Vögeln die lymphatische Darmscheide, sowie die Lymphscheiden der Arterien, ferner die Milz. Bei Säugetieren und beim Menschen die Milz, welche die Leukocyten direkt ins Blut abgibt (Hämoleu- kocyteu), sowie die Lymjihdrüsen und Lymph- follikel, welche sie zunächst in die Lymphe ab- geben. Da die Lymphe sich ins Blut ergießt, gelangen sie auf diesemWege ebenfalls ins Blut. Beim Menschen besitzen die Leukocyten durchschnittlich einen Durchmesser von 10 Mikren, sind also größer als die Erythro- cyten, bei Amphibien sind sie bedeutend kleiner als diese. Besonders hervorgehoben seien die Leuko- cyten des Knochenmarks. Sowohl im roten, wie im weißen Knochenmark findet man solche von verschiedener Größe. Unter ihnen lassen sich auch zahlreiche Riesen- zellen nachweisen, große kugelige Plasma- körper, die eine größere Anzahl von Kernen enthalten, meist in kranzförmiger Anord- nung (Myeloplaxen). Die Kerne sind durch Fragmentierung aus einem Kern ent- I standen. i Die Blutplättchen sind kleine rundliche oder, beim Frosch, mit strahligen Fortsätzen versehene Gebilde (Thrombocyten), die meist kernlos sind, zuweilen aber, besonders in der letztgenannten Form, Kerne besitzen. Die kernlosen Gebilde hat man als absterbende Teile des Blutes, Fragmente zerschnürter Erythroeyten beurteilt, man fand auch, daß in ihrer Umgebung die ersten Gerinnungs- erscheinungen auftreten. Im ganzen sind es noch hinsichtlich ihrer Herkunft und ihrer Bedeutung unklare Gebilde. Sie sind auch hinsichtlich ihrer Zalü sehr inkonstant, I 8. Die Lymphe. Die Lymphe besteht aus Lymphplasma, das dem Blutplasma sehr ähnlich ist, undLymphkörperchen (Lym- phe cyten). Letztere sind amöboid beweg- liche Zellen, die verschiedene Form und Größe haben können. Sie werden in den lympha- tischen Follikeln des Körpers allenthalben gebildet und finden sich nicht nur in der Lymphe und dem Blut, sondern überall im Körper zerstreut als Wanderzellen in den Saftspalten des Bindegewebes. Nicht nur ihre Kerne zeigen verschiedene Größe und Form, sondern auch ihr Plasmakörper ist i sehr verschieden strukturiert, kann die ver- schiedensten körnigen Einschlüsse enthalten , (granulierte Zellen). An Stellen entzündlicher Reizung treten sie in Massen als Eiterkörper- chen auf. Sie spielen eine große Rolle bei der Zerstörung von Krankheitserregern im Körper, die sie teils in sich aufnehmen, auf- fressen (daher Phagocyten genannt), teils j durch Abscheidung giftiger Stoffe vernichten. ! 9. Fettgewebe. Das Element des Fett- gewebes der Wirbeltiere ist die Fettzelle , (Fig. 37). Sie ist ein kugeliges Element, das j einen einzigen Fetttropfen enthält. Der Plasmakörper erscheint als ein dünner ober- I flächlicher Wandbelag um den Fetttropfen und j enthält den abgeplatteten rundlichen Kern, j der also wandständig angeordnet ist. Das tierische Fett besteht aus den Glycerin- äthern der Tripalmitin-, Tristearin- und Trioleinsäure. Es treten häufig strahlen- artig angeordnete Kristallnadeln von Margarin im Fetttropfen auf. In manchen Fällen erscheint auch das Fett in Form einer großen Anzahl von kleinen Tröpfchen im Plasma- körper der Fettzellen, dann behält der Kern eine zentrale Lage und kugelige Form. Die Fettzellen liegen zu Gruppen vereint im lockeren faserigen Bindegewebe. Bei reichlichem Auftreten bilden sie traubige Massen. So kommt das Fettgewebe zu- stande, das bei Wirbeltieren in mannigfaltiger Anordnung im Körper gefunden wird. Bei 1128 (jewebe (Gewebe der Tiere) Kaltblütern (poikilothermen Tieren) findet ■ zwei Formen : 1. bewegliche, Wanderzellen, es sich meist in dem Darmgekiöse[ und in | die wie Amöben in den Gewebsspalten des der Umgebung der Urogenitalorgane. Bei I Körpers umherlvriechen und auch in die wenigen Fischen (Aal, Zitteiwels) und Amphi- Interzellularräume des Oberhautepithels bien (Proteus) findet es sich im Unterhaut- bindegewebe verbreitet, oder wie beim Lachs Flächenansicht von Fettzellen in deren Kernen Fetttröpfchen sichtbar sind Binde- gewebe- zellen Blutgefäß mit Blutzellen Fettzelle unc ihr Kern iE Seitenansicht Blutkapillare Fibrillares Bindegewebe Fig. 37. Fettgewebe des ]\Ien sehen. Aus Stöhr eindringen können, 2. fixe Chromatophoren, die an einen bestimmten Platz gebunden sind, aber bewegliche Fort- sätze haben, die sie ausstrecken und einziehen können. Diese Bewegungen stehen unter dem Einfluß von Nervenfasern, die endbäumchenartig sich um die Zellen auf zweigen, ein feines Korbnetz bildend. Die Farb- stoffe, die in diesen Zellen ein- gelagert sind, sind in chemi- scher Beziehung und hinsicht- lich der Farbe sehr verschieden (Fig. 38). Sie sind bei Fischen, Amphibien und Reptilien im Bindegewebe der Lederhaut angeordnet und bedingen die so mannigfaltige Färbung dieser Tieiformen. Dadurch, daß verschieden gefärbte Zellen übereinander liegen und bald die oberflächlichen, bald die lokalisiert in der Fettflosse. Bei den Warm- tiefen sich kontrahieren oder ausbreiten, blütern (homoiothermen Tieren) bildet es kommt der bekannte, oft sehr plötz- ini Unterhautbindegewebe das Fettpolster lieh eintretende Farbenwechsel dieser der Haut, den Panniculus adiposus. Es Tiere zustande (Chamaeleo). Auch in findet sich ferner im Gelaöse des Darmes, um tieferer Lage, z. B. unter dem Epithel die Nieren, im gelben Knochenmark, im des Bauchfells, findet man Chromatophoren Wirbelkanal, das Rückenmark umhüllend, bei Fischen sehr verbreitet. Dies alles sind zwischen dessen beiden Duramatersäcken, fixe Zellen, während die pigmentierten im breiten Mutterband, unter der innersten W^anderzellen meist bei Fischen und Amphi- Schicht der Kapselbänder vieler Gelenke bien in der zarten Bindegewebsschicht un- (subsynovial), wo es Bedeutung für die mittelbar unter der Oberhaut sich finden, Mechanik der Gelenke hat. Endlich tritt es in der Thymus, bei deren Rückbildung auf, und bei vielen Säugetieren, die Winter- schlaf halten, bildet es die Winterschlaf- drüse, die mit der Thymus in gewissem Zu- sammenhang zu stehen scheint (Igel, Hamster u. a.). Bei krankhafter Vermehrung der j Fettzellen können diese im interstitiellen Bindegewebe aller Organe auftreten (Lipoma- tosis) und zu Funktionsstörungen führen, so z. B. in den Muskeln, in der Herzwandung usw. Bei Krankheiten kann das Fettgewebe im Körper rasch schwinden. Die fettleeren i f'' Zellen sind dann kleine, mit verschieden- artigem Granula erfüllte Elemente, die später- hin sich wieder zu Fettzellen heranbilden können. 10. Chromatophoren. Pigmentierte Bindegewebszeilen sind verästelte Zellen, die bei allen Wirbeltieren im lockeren faserigen Bindegewebe vorkommen. Sie sind dadurch charakterisiert, daß sie in ihrem Zellkörper \ Farbstoffe der mannigfaltigsten Art in p^g. gg. Chiomatophoien vom SaLimandei ^orm leiner Kornchen oder lo-istalloider i. Zelle mit gelbem Pigment; 2. Zelle mit braun Plättchen enthalten. Man unterscheidet schwarzem Pigment. Aus K.C.Schneider /^V^^)'^;^u2 '»^ ,V">' Gewebe (Gewebe der Tiere) 1129 von wo ans sie zwischen die Epidermis- zellen, also ins Oberhantepithel eindringen können. Man hat ihnen hier anch die Be- dentnng von Farbstoffträgern znm Ober- hantepithel zugeschrieben. Sie sollen die Bildner des Pigments sein und es in die Epidermiszellen transportieren, so daß das Oberhautpigment nicht in den Epidermis- zellen selbst gebildet würde. Chromato- phoren kommen endlich auch ganz allgemein im Auge vor und zwar in der Gefäßhant des Auges der Wirbeltiere, sowohl in der Chorioi- dea, als auch in der Iris, wo sie die Farbe des Auges bedingen. Bei Vögeln und Säuge- tieren sind Chromatophoren in der Haut nicht mehr vorhanden, die Hautfäibungen sind dort rein epidermoidale (in den Federn undHaaren). Auch bei den dunkeln Menschen- rassen ist das Hautpigment in den Zellen der tiefen Epidermislagen zu finden, also I zufttUen ; ferner sind die Elemente dieser Gewebsgruppe meist nicht einfache Zellen, sondern an ihrem Aufbau ist eine größere Anzahl von Zellen beteiligt, deren Zell- j körper eine Einheit bilden (Syncytium). Die I Zahl der dabei verwendeten Zellen ergibt [ sich aus der Zahl der darin enthaltenen j Kerne. Solche Gebilde sind mit einer struktur- losen elastischen Hüllmembran umgeben, dem Sarkolemma. I a) Wirbellose. Bei Spongien und den meisten Cölenteraten haben die Zellen, welche kontraktile Fibrillen enthalten, noch andere Funktionen, erst bei den höheren Wirbel- ! losen sind unter fortschreitender Arbeits- teilung die Muskelzellen ausschließlich kon- traktile Elemente. Bei Spongien sind es i zarte spindelförmige Zellen mit peripheren j homogenen Fibrillen (Fig. 39). Bei Cölente- j raten kommen fast nur epitheliale undepithe- Fig. 39. Kontraktile Faserzellen von Euspongia. ke Kern der Zelle. Nach F. E. Schulze. rein epithelial. Nur im Auge, an den oben- genannten Stellen, sind auch bei diesen höchsten Wirbeltierklassen Chromatophoren noch erhalten und reichlich ausgebildet. B. Animale Gewebe. I. Muskelgewebe. Die Muskelelemente sind die aktiven Be- wegungsorgane des Körpers. Das Muskel- gewebe besteht aus Zellen oder Syncytien, in deren Plasmakörper feine kontraktile Fibrillen, zur Ausbildung kommen. Je nachdem diese Formelemente im Mesenchym oder in Epithelgewebe auftreten, unter- scheidet man mesenchymatöse und epi- theliale Muskulatur. Die letztere Form unterscheidet man wieder in epitheliale und epithelogene Muskulatur, je nachdem die Elemente im Verbände des Epithels bleiben oder sich davon ablösen. Die kon- traktilen Fibrillen sind entweder homogen oder sie zeigen die Struktur einer Quer- streifnng in verschieden komplizierter Form. Die Bestandteile eines kontraktilen Ele- mentes sind bei der mesenchymatösen Muskelzelle: das Sarkoplasma, in diesem die Fibrillen, entweder als peripherer Fibrillen- mantel oder in einseitiger Anordnung, und der längliche, zentral oder seitlich gelagerte Kern. Die gleichen Bestandteile findet man in den epithelialen und epithelogenen Muskel- elementen, doch sind hier die Fibrillen zu- erst stets nur im basalen Teil des Zellkörpers angeordnet, um erst später sich zu ver- mehren und die Zellkörper mehr und mehr an- logene Muskelelemente vor, nur die Cteno- phoren besitzen verzweigte mesenchyma- töse Muskelelemente. Bei den epithelialen Muskelzellen ist im basalen Teil des Plasma- körpers vieler Epithelzellen , sowohl des Ektoderms wie des Entoderms, eine homogene kontraktile Fibrille ausgebildet (Fig. 40). Fig. 40. Ektodermale Epithelmuskelzelle von Hydra. Nach K. C. Schneider. Die Fibrillen der benachbarten Zellen verlaufen parallel und bilden eine einfache Lage. Durch Mazeration gelingt es, die einzelnen Epithelmuskelzellen zu isolieren. Indem die Basis des Epithels in Form von Falten, die weiter zu langen Blättern aus- waehsen können, in che Tiefe wächst, ver- größert sich die basale Fläche und die Fibrillen vermehren sich, es bestehen epithehale Muskelblätter, die bei Medusen und Korallen sehr verbreitet sind (Fig. 41). Wenn dann diese Blätter sich von der Basis des Epithels 1130 Gewebe (GreA^'ebe der Tiere) abschnüren, so kommt es zu röhren- oder bandförmigen selbständigen kontraktilen Ele- menten, die dann nicht mehr als epitheliale, Fig. 41. Epitheliale Muskellamellen einer Meduse. Im Quer- schnitt. NachHert- wig. sondern als epithelogene Muskelbänder zu beurteilen sind (Fig. 42 c). Bei Ctenophoren 'MM MlLüil iSf§ c Fig. 42. Epitheliale (a u. b) und epithelogene (c) Muskulatur einer Actinie. In senkrechtem Schnitt. Nach Hertwig. findet man pinselartig aufgezweigte mes- enchymatöse Muskelelemente, die zahlreiche Kerne enthalten; ihre Fibrillen sind sehr fein und homogen (Fig. 43). Fig. 43. Teil einer mesenchymatösen Muskelfaser einer Ctenophore. Ver- ästelt mit zahl- reichen Kernen. Nach Hertwig. Bei Würmern kommen mesenchymatöse und epithelogene Muskelelemente vor. Sie bilden sich vom Mesoderm aus. Die Kerne in den mesenchymatösen Elementen liegen entweder zentral und die Fibrillen bilden einen peripheren Mantel (Fig. 45), oder die Kerne in den spindelförmigen Zellen nehmen eine seitliche Lage ein uncl die Fibrillen sind einseitig ausgebildet (Fig. 44). Bei den Anne- Fig. 45. Muskelfasern eines Anneliden (B r 0 n c h i 0 b d e 1 1 a). Im Querschnitt. Aus Hatschek. liden bestehen große Muskelbänder (Lum- bricus), die bei manchen Formen (Eisenia) in kleinere drehrunde Fasergebilde zerklüftet sind (Fig. 46). In ihnen findet man im Sarkoi)lasma bandförmige homogene Fibrillen Fig. 46. Muskelbänder zweier A n n e 1 i d e n. Im Querschnitt, a vom Regenwurm (einheitlich). Nach Hatschek. b von Eisenia veneta (in Fasern zerklüftet). Nach Schneider. Fig. 44. Isolierte Muskelzelle eines Sp ulwur ms. n Nerv; F Fibrillen. Nach Hertwig. Gewebe (Gewebe der Tiere) 1131 und mehrere Kerne. Bei Mollusken be- stehen nur mesenchyniatöse Muskelzellen mit j^lattcii Fibiillen. Wo eine Querstrei- funi< .uiuedeutet ist, handelt es sich nur um eigentümlich spiialigen Verlauf der Fibrillen (Schließmubkeln mancher Muscheln; Fig. 47). '\^///. \; h Fig. 47. Stück einer Schließmuskelfaser vonAnodonta. Dop- pelt schräg gestreift. m.iiMuskelfibrillen,die sich kreuzen; ke Kern. Etwas schematisch. Nach Schneider. Die kompliziertesten Muskelfasern unter Wirbellosen besitzen die Insekten. Hier bestehen runde Fasern, die zahlreiche Fi- brillen im Sarkoplasma enthalten. Die Fibrillen zeigen die Querstreifung in der kompliziertesten Form. Während die Fi- brillen der Muskelelemente bei den meisten Wirbellosen glatt sind, tritt bei einigen Formen die Struktur der Querstreifung auf und zwar sind quergestreifte Fibrillen in den spindelförmigen Muskelzellen der Subumbrella bei Medusen, sowie in den epithelialen Muskelelementen in der Wan- dung des Oesophagus beim Pferdespulwurm (Ascaris megalocephala) gefunden worden. Die Querstreifung kann verschieden aus- gebildet sein. Man unterscheidet solche ersten und zweiten Grades. Bei den genannten Wirbellosen scheint die Querstreifung noch einfacher zu sein als diejenige ersten Grades, die in deutlicher Ausbildung bei Wirbeltieren besteht. Die Querstreifung zweiten Grades findet sich in voller Ausbildung nur bei Insekten. Bei der Querstreifung ersten Grades setzt sich jede Muskelfibrille aus gleichmäßig sich folgenden kleinen Kästchen zusammen, die durch feine querverlaufende Membranen, die Krause sehe Zwischen- scheibe, voneinander getrennt sind und ebenso an ihrer Oberfläche durch eine zarte elastische Membran umsclüossen sind. Die Substanz im Innern jedes solchen Kästchens läßt drei Abschnitte unterscheiden: eine mittlere breite Lage doppelt lichtbrechender (anisotroper) Substanz und oberhalb wie unterhalb dieser je eine etwa halb so breite Lage einfach lichtbrechender (isotroper) Sub- stanz. In der Mitte der anisotropen Substanz findet sich meist eine etwas hellere Zone, die Mittelscheibe (Fig. 48a). Bei der Kon- traktion mischen sich anisotrope und iso- trope Substanz, so daß die Schichtung sich verwischt. Bei der Querstreifung zweiten Grades der Insektenfasern treten in der i^^^äü j "" n z .T Z ,T Z il>OTSi?»^ -i^;^«>^ fJK-T'r-Tyl-? m^'..^ z — N Fig. 48. a Schema der Querstreifung I. Grades einer Muskelfibrille der Wirbeltiere; b ein solches der Querstreifung IL Grades der Arthropodenmuskeln; Q Anisotrope Sub- stanz; Qh deren hellere Mittelscheibe; J isotrope Substanz; N Nebenscheibe der isotropen Sub- stanz; Z Krause'sche Zwischenscheibe. Nach Fürbringer. oberen wie in der unteren Lage isotroper Substanz feine mittlere Nebenstreifen auf, oft in Form von Körnchenreihen, und ebenso erscheinen inmitten der mittleren aniso- tropen Substanz, im aufgehellten Teil dunk- lere Streifen (Fig. 48 b). Diese Neben- scheiben sind alle bezüglich ihres feineren Verhaltens noch nicht aufgeklärt, manche halten sie für sarkoplasmatische Strukturen. Die Muskelelemente sind bei einigen Arthro- poden in der Darmwand auch verästelt und können Netze bilden (Onicsus, Por- cellio; Fig. 49). b) Wirbeltiere. Bei Wirbeltieren unter- scheidet man auch 1. mesenchymatöse Muskelelemente als Muskelzellen, die als glatte und quergestreifte vorkommen, und 2. epithelogene Muskelelemente, Muskel- bänder und Muskelfasern, die alle quer- gestreifte Fibrillen besitzen. 1. Glatte Muskelzellen sind spindelförmig oder lang faserartig, drehrund oder band- artig. Sie besitzen immer einen stäbchen- förmigen, 'Zentral angeordneten Kern. Ihr Zellkörper besteht aus kontraktiler Substanz. Er erscheint oft matt glänzend, homogen, bald läßt er eine feine Längsstreifung er- kennen als Ausdruck einer feinen fibriUären Struktur (Fig. 50). Diese Zellen liegen, durch eine Kittsubstanz verbunden, dicht zu- sammen und bilden Bündel, die sich ge- flechtartig durchkreuzen (Harnblase), oder sie bilden Schichten von parallel verlaufen- 1132 Gewebe (Gewebe der Tiere) den Bündeln (Darmkanal). Sie sind die 1 bilden sich aus der medialen LameUe der Elemente der unwillkürlichen Muskulatur Sie finden sich in der Wandun«; des Darm Ursegmente der Wirbeltierembryonen, m ihrer Gesamtheit bilden sie also einen paarigen kanais7 der Blut- und Lymphgefäße, in der 1 und gegliederten Komplex epithelialer Ele- mente (epithelogene Muskulatur). Fig. 49. Netzwerk quergestreifter Mus- kelzellen aus dem Darm einer Assel. Aus Hatschek. Nach Weber. Fig. 50. Glatte Muskelzellen aus der Darmwand eines Salaman- ders. Wand der Ausführwege der Harn- und Geschlechtsorgane, sowie der Luftröhre und der Bronchien, in der Haut, sowohl in Ver- bindung mit Drüsen, als auch mit den Federn und Haaren, in der Brustwarze und dem Skrotum und endlich im Ciliarmuskel des Auges, wo ihre Kontraktion dem Willen unterworfen ist. Quergestreifte Muskelzellen sind kurze spindelförmige oder zylindrische Ele- mente, welche zu Ketten verbunden sind. Sie besitzen seitliche kurze, sogenannte treppen- artige Fortsätze, durch welche auch seit- liche Verbindungen der Ketten, Netze, zu- stande kommen. Sie besitzen einen ovalen, zentral liegenden Kern und der Zellkörper besteht aus Sarkoplasma, das eine große Zahl feiner Fibrillen enthält, die eine deut- lich quergestreifte Struktur besitzen. _ Diese Zellen kommen im wesentlichen in der Muskulatur des Herzens der Wirbeltiere (Myocardium) vor (Fig. 51), auch in der Darmwandung einiger Fische hat man ciuer- gestreifte Muskelzellen nachgewiesen (Cobitis). Die quergestreiften Muskelbänder und ^luskclfasern sind die Elemente der willkürlichen Muskulatur der Wirbeltiere, die bei den höheren Formen mit dem Skelett in Verbindung treten, weshalb man sie auch als Skelettmuskulatur bezeichnet hat. Sie Herzmuskelfaser Quer- Sarko- gestreifte Seitliche Kern plasma Substanz Verbindung W "SiMMI* ^^^i Quer- Kerne von linien Bindegewebe Zellen Fig. 51. Quergestreifte Muskelzellen aus der Herzwand eines Säugetiers. Längsschnitt. Zwischen den Muskelzellen Bindegewebe. Aus Stöhr. Quergestreifte Muskelbänder bilden sich bei den niedersten Wirbeltieren, dem Amphi- oxus und den Cyclostomen, embryonal auch bei Selachiern, Ganoiden und Dipnoern aus. BeiAmphioxus stellen sie dünne Lamellen dar, deren Kerne eine laterale Anordnung zeigen, während die kontraktile Substanz medial liegt. Zwischen die Lamellen ist Binde- gewebe eingedrungen. Bei Ammocoetes, der Larve von Petromyzon, sind die Muskel- bänder sehr voluminöse Gebilde, die durch eine einheitliche Hülle, das Bandsarkolemm, abgeschlossen sind (Fig. 52). Ln Innern liegen die kontraktilen quergestreiften Fi- brillen in dichten Massen dem Sarkolemm eingelagert und zwar sind sie in Zonen an- geordnet. Zwischen ihnen liegen allent- halben zerstreut die zahlreichen rundlichen Kerne. Bei Petromyzon läßt jedes Muskel- band an seiner Peripherie eine Lage rund- Gewebe ((iewebe der Tiere) 1133 lieber, dureh Sarlcolemm und Bindegewebe abgegrenzter Muskelfasern unterscheiden, im Fig. 52. Querschnitt durch ein Muskelband von Ammocoetes. Nach F.Maurer. Innern besteht noch eine einheitliche Masse von Fibrillen (Fig. 53). Was hier beginnt, der Wirbeltiere ist eine drehrunde Faser von sehr verschiedener Länge und Dicke. Sie ist immer von einer glashellen struktur- losen Membran, dem Sarkolemm, umhüllt, im Innern enthält sie im Sarkoplasma, das eine helle, zuweilen mit feinen Körnchen durchsetzte Flüssigkeit darstellt, eine große Zahl feiner drehrunder oder bandförmiger quergestreifter Fibrillen. Sie zeigen eine komplizierte Querstreifung erster Ord- nung (s. S. 1131; Fig. 55). Die Kerne liegen bei niederen Wirbeltieren und bei höheren Formen embryonal in der ganzen Faser zerstreut, als innere Muskelkerne (Fig. 56). Bei höheren Formen im aus- gebildeten Zustand findet man sie nur an der Peripherie der Fasern, der Innenfläche Fig. 53. Querschnitt eines Muskelband es von P e t r o m y z o n p Parietalfasern. Beginn einei Zerklüftung. Nach F. Maurei -C^xicj: Fig. 54. Querschnitt durch ein Muskelband von Myxine. Das ganze Band zu Fasern zerklüftet. Nach F. Maurer. ist bei Myxinoiden durchgeführt, insofern hier die Bänder zwar noch abgrenzbar sind, ein jedes aber in eine große Zahl drehrunder Muskelfasern zerteilt ist, deren jede durch ein Sarkolemm abgeschlossen und durch Bindegewebe von der benachbarten Faser getrennt ist (Fig. 54). Man hat die Muskelbänder von Ammocoetes als zu La- mellen ausgewachsene Muskelepithelbezirke erster Ordnung aufgefaßt. Bei Petromyzon beginnt ihre Zerteilung zu Bezirken zweiter Ordnung, die bei Myxinoiden durchgeführt ist. Das Sarkolemm, das jedes Band und dann jede Faser umschließt, ist morpho- logisch als die Basalmembran dieses Epithel- bezirks zu beurteilen. Bei allen höheren Wirbeltieren bilden sich aus dem Epithel der Ursegmente sofort drehrunde Muskel- fasern aus, bei den meisten Formen kann man aber noch ihre Zusammenlagerung zu Bändern zeitlebens (Selachier) oder wenig- stens embryonal (Ganoiden, Dipnoer) nach- weisen. Die quergestreifte Muskelfaser des Sarkolemms angelagert (äußere Muskel- kerne oder Sarkolemmakerne; Fig. 57 u. 58). Man hat je nach der Ausbildung und Zahl der Fibrillen im Plasma sehr verschiedene Fig. 55. 1. Stück einer quergestreiften Muskel- faser vom Menschen, a anisotrope, i isotrope Substanz; z Zwischenscheibe; k Kerne. 2. Mus- kelfaserstück vom Frosch, Zerfall in Fibrillen (f). Aus St Öhrs Lehrbuch der Histologie. 1134 Gewebe (Gewebe der Tiere) Formen der Muskelfasern unterschieden, j letzteren finden sich die Fibrillen in dem Es sei vor allem die sarkoplasmaarme und reichlichen Sarkoplasma der Faser zu Gruppen sarkoplasmareiche Muskelfaser erwähnt. Bei verteilt angeordnet. Man bezeichnet die Fibrillengruppen als Muskelsäulchen ; auch als Cohn heim sehe Felder sind sie benannt wor- den. Auch rote und blasse Muskelfasern hat man unterschieden (Rollet). Die Enden der Muskelfasern sind meist schrcäg abgestutzt und man nimmt an, daß der Sarko- lemmaschlauch an beiden Faserenden ab- geschlossen ist. Die neuere Beobachtung (0. Schnitze), daß die quergestreiften Fibrillen der Muskelfasern sich kontinuier- lich in die Sehnenfibrillen fortsetzen, erweckt Bedenken dagegen (Fig. 59). Beim Menschen r — 1 Fig. 56. Querschnitt einiger quergestreifter Muskelfasern in Längst eihtng von einem Hai- fisch. Innere Muskelkerne. Nach Maurer. Fig. 57. Querschnitte durch Muskelfasern eines Knochenfisches. Ausbildung der Fibrillen. Nach ^laurer. ^ ,-.— r^,_.,,„.— - Kern dev !\Inskelfascr i^arkoleimiia Fig. 58. Querschnitt einer quergestreiften Muskel- faser der Zunge des Jlenschen. Die dunkleren Punkte sind die Fibrillenciucrschnitte, dazwischen das Sarkoplasma. Aus Stöhr. Sehnenfibrillen l'i ;l III ^ Uebergan zone In» »im mi Anisotrope y'%l"ZTl Substanz ,,,^' ,^ in« «« ^ Zwischen ' ,„ jtn " "i» p n Scheibe ,,>,:-;;5i;ii Fig. 59. Länesschiutt eines Teils einer Muskel- faser des Menschen Uebeigang der quergestreif- ten Muskeif ibiillen in die Sehnenlibrillen^ Nach 0. Schultze. Aus Stöhrs Lehrbuch der Histologie» besteht die willkürliche Skelettmuskulatur aus drehrunden Muskelfasern durch Sarko- lemm abgeschlossen. Die quergestreiften- Fibrillen sind sehr fein, drehrund, und erfüllen das Sarkoplasma der Faser gleichmäßig. Die Muskelfasern sind sarkoplasmaarm und rot gefärbt. Die Kerne finden sich als Sarko- lemmakerne oder äußere Muskelkerne der Innenfläche des Sarkolemms in großer Zahl angelagert. Embrj^onal findet man auch beim Menschen zentrale Kerne und peri- pheren Fibrillenmantel in den Fasern. Sarko- plasmareiche Muskelfasern findet man bei sehr angestrengten Muskeln, z. B. den Flossen- muskeln der Seepferdchen, aber auch die Parietalfasern in den ^luskelbändern von Petromyzon sind protoplasniareich. Blasse Muskelfasern findet man besonders bei Gewebe (Grewebe der Tiere) 1135 teruriis electriciis) ein; sie liegen unter der Haut, längs der ganzen Rumpfseite. Ihrem Bau nach sind sie kaum von quergestreiften als domestizierten Tieren, z. B. Huhn und Kaninchen. Bandförmige Fibrillen finden sich in den Muskelfasern mancher Fische, (Cyprinoiden, Salmoniden), sonst sind die ! Muskelfasern ableitbar, man hat sie Fibrillen meist so fein, daß ihr Querschnitt punktförmig erscheint. Zu jeder quergestreiften Muskelfaser tritt eine mark- haltige Nervenfaser und zwar zur Mitte der Faser, wo sie eine komplizierte motorische Nervenendplatte bildet (S. 1141). Elektrisches Gewebe. Das Element dieses Gewebes ist die elektrische Platte, deren jede als eine umge- wandelte cpiergestreifte Muskelfaser zu beurteilen ist ; nur die Elemente des Zitter- welses machen davon eine Ausnahme. Das elektrische Gewebe kommt nur bei eini- gen Fischen und zwar bei wenigen Formen von Hai- fischen, Rochen und Knochen- fischen vor. Jede Platte läßt drei Schichten unter- scheiden, deren mittlere aus der modifizierten querge- streiften Substanz der Muskel- faser besteht, während die anderen Schichten, die je nach der Anordnung der Ge- bilde als vordere und hintere oder als obere und untere zu unterscheiden sind, aus den beiden Enden der modifizierte Hautdrüsenelemente beurteilt, Muskelfaser hervorgehen. Sie bestehen aus wahrscheinlich entstammen sie glatten Sarkoplasma mit zahlreichen Kernen. Zu Muskelelementen, wie sie in der Haut der einer dieser Schichten, z. B. der vorderen, \ Wirbeltiere verbreitet vorkommen. Sicher tritt eine markhaltige Nervenfaser, die steht ihre Herkunft nicht, eine komplizierte elektrische Endplatte bildet Fig. 60. Bildung der elektrischen Platte (e) aus Muskelfasern bei Raja. Nach Engelmann. (Fig. 60). Die Platten sind säulenartig an- einander gereiht und bilden so das elek- trische Organ, das durch isolierende Hüllen abgeschlossen ist. Zu beachten ist, daß hici- der Nerv nicht zur Mitte der Elektro- II. Nervengewebe. Unter den Metazoen ist nur bei den Schwämmen, den Spongien (Poriferen), Nervengewebe nicht nachgewiesen worden. blastenzelle tritt, wie es bei Myoblasten sich ! Bei allen höheren Metazoen ist es ausgebildet, verhält, sondern zum einen Ende derselben, i Im einfachsten Zustande tritt es bei Hj^droid- Die Ausbildung der Platten ist eine graduell 1 polypen (Hydrozoen) auf, wo es ein an der verschiedene, man unterscheidet pseudo- Basis des Ektoderms sowie in zarterer Form elektrische und elektrische Elemente. Zitter- an der Basis des Entoderms angeordnetes rochen und Zitteraal haben starke elektrische Geflechte von Zellen und Fasern darstellt Organe, andere Selachier (Raja) und Knochenfische (Gymnarchus und Mormyrus) pseudoelektrische. Es sind sehr verschiedene (Fig. 61). Darin sind bereits die Formelemente des Nervengewebes gegeben: Nervenzellen und Nervenfasern. Die Nervenfasern sind Teile der Körpermuskulatur, die embryonal unter allen Umständen Fortsätze der Zellen, zu elektrischen Platten herangebildet werden: Die Zellen sind epitheliale Elemente, sie bald Kopfmuskeln (Augen- oder viscerale sind nur in die Tiefe des Epithels gerückt. Kopfmuskeln), bald Rumpf- oder Flossen- Durch ihre Faserfortsätze stehen sie einer- muskeln. Eine Sonderstellung nehmen die seits mit den Deckzellen des Epithels in elektrischen Organe beim Zitterwels (Malap- Beziehung. Manche dieser Fasern treten 1136 G-ewelje (Grewebe der Tiere) aber andererseits auch mit den Muskel- elementen in Verbindung, und damit ist zu- gleich der ganze animale Apparat des Meta- zoenkörpers in nuce gegeben. Reize, welche auf die Deckzellen der Oberhaut wirken, werden durch Nervenfasern den Nerven- zellen zugeführt, von diesen aus durch andere Fortsätze den Muskelelementen zugeleitet, Fig. 61. Ektodermaler Nervenplexus einer Hydra. Die parallelen Linien sind Muskel- fibrillen. Nach K. C. Schneider. die dadurch zu Kontraktionen veranlaßt werden können. Indem zwischen Deckepithel- zellen und Muskelzellen nicht nur eine, son- dern mehrere Nervenzellen eingeschaltet sein können, erfährt der nervöse Apparat eine komplizierte Weiterbildung, seine Zellen erhalten verschiedene spezielle Funktionen, unter fortschreitender Arbeitsteilung spielt sich eine anatomische Differenzierung ab. Während bei Hydrozoen der epitheliale Nervenplexus diffus" in der ganzen Ausdeh- nung des Ekto- und Entoderms gleichmäßig besteht, ist bei Korallen schon insofern ein höherer Zustand erkennbar, als das Geflechte an bestimmten Stellen eine stärkere Aus- bildung zeigt, z. B. an der Mundscheibe, am Schlund und den Mesenterialwülsten, während er au der Basalplatte nur schwach aus- gebildet ist. Dies wird bei Medusen weiter geführt, wo das Nervengewebe nur an be- stimmten Stellen lokalisiert auftritt, so daß Nervenringe (Schlundring, Mantelring) ent- stehen. Bei Würmern und allen höheren Wirbellosen ist dann die Lokalisierung durch- geführt. Es bestehen bei Würmern meistens Längsstämme, die eine seitliche oder ven- trale Anordnung zeigen. Während sie hier häufig noch im h^ktoderm selbst angeordnet sind, lösen sie sich bei anderen vom Ektoderm ab und liegen dann subepithelial. Allgemein tritt ein am vorderen Körperende dorsal vom Darm gelegenes oberes Schlundganglion auf. Bei Wirbeltieren ist allenthalben das dorsal vom Darmrohr und der Chorda dor- salis angeordnete Medullarrohr ausgebildet, das sich außer bei Amphioxus, bei allen Formen in einen vorderen mächtigeren Ab- schnitt, das Gehirn und einen sich aus dem Gehirn kontinuierlich foitsetzenden schmäch- tigeren Teil, das Rückenmark sondert. Von diesen das nervöse Zentralorgan darstellen- den Teilen gehen die peripheren Nerven- fasern aus, in deren Verlauf auch Nerven- zellen enthaltende Ganglien eingelagert sind. Mit diesem sogenannten spinalen Nerven- system steht das sympathische in Ver- bindung, das nähere Beziehung zum Darm- kanal und dem Gefäßapparat hat und stammesgeschichtlich mit dem entodermalen Nervengeflechte niederer Formen verglichen werden kann. Alle diese Organe sind nun aus Nervengewebe aufgebaut, Nervenzellen und Nervenfasern, und die Nervenfasern sind immer Fortsätze von Nervenzellen. a) Nervenzellen. Der Zellkörper der Ganglienzellen besteht aus nervöser Sub- stanz, die bei Wirbellosen und bei Wirbel- tieren eine charakteristische Struktur besitzt ; zwischen einer feinstreifigen, aus sehr feinen Fibrillen bestehenden Substanz, welche als die Dauersubstanz der Zelle bezeichnet wird (Fig. 62), sind bald gröbere, bald Fig. 62. Nervenzelle aus dem Rückenmark eines ! H u n d e s. Fibrilläre Struktur der nervösen i Substanz. Aus Stöhr. feinere Körner in der ganzen Zelle zerstreut eingelagert, die während der Tätigkeit der Zelle schwinden und in Ruheperioden wieder gebildet werden (Verbrauchsstoffe der Zelle, Nißlsche Körperchen; Fig. 63). In manchen Ganglienzellen, z. B. den Spinal- und sympa- thischen Ganglienzellen der Wirbeltiere sind Haufen kleinster Pigmentkörnchen häufig nachweisbar. Jede Ganglienzelle besitzt einen meist zentral angeordneten großen rundlichen Kern, der durch eine sehr deut- liche Membran abgeschlossen ist und in der Regel ein großes Kernkörperchen (Nukleolus) enthält. Durch verschiedene Methoden ist es gelungen, im Zellkörper vieler Ganglienzellen Gewebe (Grewebe der Tiere) 1137 feine zierliche Fibrillennetze nachzuweisen (Apathy) (Fig. 64), von welchen man ein Nißlsche Körper Fig. G3. Nerven- zelle aus dem Rückenmark eines Kindes. Nißlsche Körper. Aus St Öhr. den Fortsätzen unterscheidet man uni-, bi- und multipolare Zellen. Während bei den uni- und bipolaren Zellen die Fortsätze in Nervenfasern übergehen, hat man bei niulti- polaren Zellen zweierlei Fortsätze unter- Fig. 64. Ganglienzelle eines Blutegels. Fibrillen- gitter. Nach Apathy. Aus Schneider. inneres, den Kern umspinnendes und ein äußeres, im peripheren Teil der Zelle ge- legenes unterscheiden kann. Beide Netze stehen durch radiäre Fibrillen miteinander in Verbindung. Die Fibrillen gehen auch in die Fortsätze der Zellen über. Ferner hat man ein etwas derberes Netzwerk er- kannt, das aus feinen Kanälchen besteht, die Flüssigkeit enthalten (Golgi, Ho Imgren) (Fig. 65); man hat sie als Trophospongien bezeichnet und sieht in ihnen für die Er- nährung der Zelle wichtige Gebilde. Alle diese Bestandteile hat man in den Ganglien- zellen der verschiedensten Wirbellosen wie Wirbeltiere gefunden. Die Form der Ganglienzellen ist sehr verschieden und zum Teil von der Art und Zahl ihrer Fortsätze abhängig; man unter- scheidet birnförmige, polyedrische, spindel- förmige und pyramidenförmige Zellen, Nach Handwörterbucb der Naturwissenschaften. Band IV. Fig. 65. Spinalganglienzelle eines Kaninchens. Holmgrensche Kanälchen. Aus Schneider. schieden: eine größere Zahl von Fortsätzen, die aus dem oberflächlichen Teil des Zell- körpers hervorgehen und sich sofort nach dem Verlassen der Zelle in deren unmittel- barer Nachbarschaft baumartig verzweigen, die sogenannten Dendriten, und einen ein- zigen aus dem inneren, den Kern umgebenden Teil des Zellkörpers hervorgehenden, in eine Nervenfaser von längerem Verlauf über- gehenden Nervenfaserfortsatz oder Neurit (Fig. 66). In neuerer Zeit neigt man der Ansicht zu, daß auch die Dendriten nervöse Fortsätze sind, während man ihnen früher unter der Bezeichnung „Protoplasma- fortsätze" dieseBedeutung absprach. Während die Ganglienzellen der Wirbeltiere, welche im Geliirn und Rückenmark liegen, keine besondere Hülle besitzen, kommt eine solche den in die peripheren Bahnen eingelagerten Zellen, sowohl den spinalen, als den sympa- thischen Ganglienzellen zu, und zwar sind es feine strukturlose Membranen, deren Innenfläche Kerne angelagert sind. Diese Hüllen sind durch einen feinen Spaltraum von der Oberfläche der Zelle getrennt und gehen kontinuierlich in die äußere Scheide der aus der Zelle hervorgehenden Nerven- fasern über. In den Ganglienzellen hat man auch Zentrosomen nachgewiesen und zwar findet man inmitten eines neben dem Kerne ge- legenen Sphärenapparates meist 2 Zen- triolen. Um einige besondere Formen von Gan- glienzellen zu erwähnen, sei angeführt, daß bei Würmern schon verschiedene Zelltypen als große und kleine unterschieden werden. Sehr große multipolare Zellen finden sich z. B. im Bauchmark der Ringelwürmer. Kolossalzellen finden sich im Rückenmark 72 1138 Gewebe (Gewebe der Tiere) des Amphioxus, in der MeduUa oblongata der Cyclostomen. Ihre Größe kann bis zu Fig. 66. Multipolare Ganglienzelle. Darstellung eines Neuron. Schematisch, ke Kern, dn Den- driten, ax Achsenzylinder, It Kollateralast, My Markscheide, Schw Seh wann 'sehe Scheide, ter Endbäumchen. Aus Schneider. Fig. 67. Pyramidenzelle der Großhirnrinde, ab- wärts verlaufend der Neurit. Nach Kölliker. Aus Fürbringer-Gegenbaur. 0,2 mm betragen. Bei Wirbeltieren liegen die meisten Ganglienzellen in der grauen Substanz des Gehirns und des Rückenmarks, fehlen aber auch in der weißen Substanz nicht. Besonders seien erwähnt die Pyra- midenzellen der Großhirnrinde (Fig. 67), die in sehr verschiedener Größe vorkommen, die größten sind die motorischen Pyraniiden- zellen in der Tiefe der Rinde der präzentralen Windung. Ferner sind hervorzuheben die Purkyn eschen Zellen der Kleinhirnrinde, in einfacher Lage in der ganzen Rinde ver- breitet. Sie gehören zu den größten Ganglien- zellen der Säugetiere und des Menschen, während die Körnerzellen der Ivleinhirn- rinde mit ihren vogelkrallenähnlichen Den- driten und dem einen Neurit die kleinsten Nervenzellen sind (5 bis 10 Mikren). Im Rückenmark seien die großen multipolaren Zellen der grauen Vordersäulen erwähnt und die spindelförmigen Elemente der C 1 a r k e sehen Säulen. Beim Menschen schwankt ihre Größe zwischen 75 und 135 Mikren. Die Spinalganglieuzellen der Wirbel- tiere sind scheinbar unipolar, tatsächlich umgebildete bipolare Elemente. Die Ganglien- zellen im Ganglion der Schnecke des Gehör- ; Organs haben deu bipolaren Charakter bei- I behalten. i b) Nervenfasern. Alle Nervenfasern sind Fortsätze von Ganglienzellen. Sie sind drehrund oder abgeplattet bandartig und bestehen ebenfalls aus nervöser Substanz, j sie zeigen stets eine feine Längsstreifung, da j sie aus feinen Fibrillen (Neurofibrillen) [zusammengesetzt sind. Sie bilden die Lei- itungsbahnen des Nervensystems. Zwi- schen den Neurofibrillen der Fasern sind feine Körnchen eingelagert, besonders in der Nähe der Ganglienzellen. Eine Ganglien- zelle kann, wie oben geschildert, eine größere Zahl von Fortsätzen abgeben. Eine Ganglien- zelle mit ihren sämtlichen Fortsätzen bildet eine nervöse Gewebseinheit, ein Neuron (Fig. 66). Indem die Neurone sich zusammen- gliedern, bilden sie in ihrer Gesamtheit das Nervensystem. Jedes Neuron kann neben seiner Haupteinlagerung im Nervensystem zahlreiche Nebenanschlüsse haben. Das ist begründet in dem speziellen Verhalten der Verzweigung der Nervenfasern. Die Dendriten der multipolaren Ganglienzellen treten mit Fortsätzen anderer Zellen in Beziehung, ferner gibt der Neurit auf seinem Wege von Strecke zu Strecke Fortsätze, sogenannte Kollateralen, ab, die unter Auf- zweigung ebenfalls mit Fortsätzen anderer Ganglienzellen Verbindung zeigen. Die Details dieser Verbindungen können wir noch nicht übersehen, jedenfalls sind sie außerordentlich kompliziert. Abgesehen von den im Zentralorgan und auch außer- halb desselben bestehenden Verbindungen Grewebe (Gewebe der Tiere) 1139 der Neurone untereinander, treten ferner die Nervenfasern auch mit anderen Gewebs- elementen in Verbindung, denen sie bestimmte Reize zuführen, oder von welchen sie Reize aufnehmen, um sie dem Nervensystem zu übermitteln. Indem man die Ganglien- zellen als die Zentralapparate des Nerven- systems auffaßt, unterscheidet man die von ihnen ausgehenden Nervenfasern als fort- leitende, zentrifugale oder zuleitende, zentri- petale Fasern. Auf ihren oft weiten Wegen im Organismus umgeben sich die von den Ganglienzellen ausgehenden Nervenfasern mit Scheiden, die eine verschiedene Aus- bildung zeigen. Danach hat man verschiedene Formen von Nervenfasern unterschieden: Den wesentlichen, allein leitenden Bestand- teil der Faser bildet immer der Fortsatz der Nervenzelle. Man hat ihn seiner Anordnung in der Faser entsprechend alsAchsen Zylinder bezeichnet. Dieser, aus feinsten Neuro- fibrillen zusammengesetzt, kann nackt ver- laufen, so findet er sich bei vielen niederen Wirbellosen, aber auch in der grauen Sub- stanz des Zentralnervensystems der Wirbel- tiere kommen solche nackte Achsenzylinder weit verbreitet vor. Ferner unterscheidet man marklose und markhaltige Nerven- fasern (Fig. 68). Die ersteren, auch blasse «r\. *■/ ^' . ,-— ^ Bündel mark- >( k V loser Nerven- enthält außer dem Myelin auch Neuro- keratin, welches die Markscheide sowohl an ihrer inneren, als an ihrer äußeren Fläche röhrenartig umgibt. Das innere und äußere Rohr stehen durch feine, sehr zahlreiche Neurokeratinf asern, die die Markscheide radiär durchsetzen, miteinander in Verbindung, so daß auf dem Querschnitt für die Mark- i scheide eine Radspeichenstruktur zustande 1 kommt. Die markhaltigen Nervenfasern, 1 nur aus Achsenzylinder und Markscheide j bestehend, finden sich sehr verbreitet in der i sogenannten weißen Substanz des Rücken- ' marks und Gehirns bei Wirbeltieren und I beim Menschen, deren Hauptbestandteile i sie darstellen. Von dem Punkte an, wo die ä markhaltigen Nervenfasern das Zentral- i nervensystem verlassen und in die peripheren i Nervenfasern übergehen, umgeben sie sich außerhalb der Markscheide noch mit einer weiteren Scheide, einer strukturlosen Mem- bran, deren Innenfläche von Strecke zu Strecke Kerne eingelagert sind, sie wird als Neurilemma oder Schwannsche Scheide bezeichnet. Während Achsenzylinder und \ Neurilemm der Nervenfaser in ihrer ganzen Länge zukommen und keine Unterbrechung zeigen, ist die Markscheide aus einer größeren Zahl von Folgestücken zusammengesetzt, sie besitzt also in gleichmäßigen Abständen Unterbrechungen, die als Einschnürungen der Faser erscheinen (Ran vi er sehe Ein- schnürungen; Fig. 69). ._ Schwannsche Scheide Markscheide Achsenzylinder mit Nervenflitrillen I- — Ranviersche Einschnürung / / einzelne marklose Nervenfasern Fig. 68. Marklose und markhaltige Nervenfasern von Kaninchen. Aus Stöhr. ader Ranviersche Fasern genannt, bestehen außer dem Achsenzylinder aus einer feinen strukturlosen kernhaltigen Scheide, dem Neurilemma. Solche Fasern finden sich allgemein im sympathischen Nervensystem der Wirbeltiere und des Menschen. Die markhaltigen Nervenfasern besitzen um den Achsenzylinder eine aus Nervenmark, Myelin, bestehende Markscheide. Die Markscheide -- Lautennannsche Einkerbung - Ivcrn der Sehwannschen Scheide Markhaltige Nervenfaser. Gegen baur-Für bringer. 72* Aus 1140 Grewebe (Gewebe der Tiere) In der Markscheide treten auch feine, die Scheide schräg durchsetzende Spalten auf, die aber keine Unterbrechungen der Scheide veranlassen, sie sind als Laut er- mann sehe Einkerbungen bekannt geworden Im Vorstehenden wurden die Nerven- fasern der Wirbeltiere genauer geschildert, bei Wirbellosen bestehen einfachere Zu- stände. Die Cölenteraten haben nur nackte Nervenfasern, von Ganglienzellen ausgehend. Bei Würmern und Mollusken treten Hüllen um Ganglienzellen und Nervenfasern auf. In den Scheiden der Nervenfasern mancher Würmer hat man sogar schon Myelin (Nerven - mark) nachgewiesen. Die Neurofibrillen zeigen in den Nervenfasern vielfach ge- schlängelten und unregelmäßig spiraligen Ver- lauf (Fig. 70). Bei Würmern treten im Fig. 70. Verzweigte Nervenfaser mit Neuro- fibrillen von einer Qualle (Velella). Nach K. C. Schneider. Bauchmark auch sehr mächtige, sogenannte Kolossalfasern auf. Solche bestehen auch im Rückenmark von Amphioxus und Cyclo- stomen (MüUersche Fasern), sowie bei Salamandrinen (Mauthnersche Fasern). c) Nervenendigungen. Die Endigungen der Nervenfasern werden heute von den meisten Forschern als freie, knopfförmige aufgefaßt. Die Achsenzylinder zweigen sich, nachdem sie ihr Endorgan erreicht haben, endbäumchenartig auf, und indem die Neurofibrillen sich dicht an die Oberfläche der Zellen, denen sie Reize zuführen oder von welchen sie Reize empfangen, anlagern, wird durch Kontaktwirkung der Reiz über- tragen. Dieser Auffassung steht gegenüber die Ansicht, daß die Nervenfibrillen in die Elemente der Endorgane kontinuierlich über- gehen. Dann würde der Reiz durch die Kontinuität der Teile übergeleitet. Für beide Auffassungen sind zahlreiche Gründe vorgebracht worden. Sicher ist, daß kontinuierliche Zusammenhänge zwischen Fortsätzen verschiedener benachbarter Gan- glienzellen bestehen, also ist Kontinuität in bestimmten Fällen einwandsfrei nach- gewiesen. Ob ein kontinuierlicher Zusammen- hang allgemein besteht, ist aber nicht sicher- gestellt. Physiologisch erscheint es irrelevant, ob ein Reiz durch Kontakt oder Kontinuität von einem Neuron auf das andere, oder von einer Nervenfaser auf ein bestimmtes End- organ übertragen (Muskelfaser, Drüsenzelle) oder von ihm aufgenommen (Empfindungs- und Sinneszelle) wird. Vom morphologischen Standpunkt aus ist es aber natürlich ein sehr bedeutsamer Unterschied und da erscheint der Zusammenhang durch Kontinuität als der naturgemäßere. Von Nervenendigungen sind in erster Linie die außerordentlich zahl- reichen Aufzweigungen der Dendriten der Ganglienzellen im Z'entralorgan zu nennen, von deren letztem Endverhalten wir noch nichts Sicheres wissen. Ebenso sind die zahlreichen Kollateralen der Neuriten im Gehirn und Rückenmark zu erwähnen. Hier wissen wir, daß solche sehr zahlreich in dem Fasergewirre der grauen Substanz in un- bekannter Weise ihr Ende finden, ferner daß viele solche Kollateralen und Endbäumchen sich um die Körper von Ganglienzellen auf- zweigen, die durch sie von einem Korbnetz umgeben erscheinen. Aber auch hier wissen wir nicht, ob die letzten Enden der im End- bäumchen sich aufsplitternden Neurofibrillen sich frei mit knopfförmigen Enden nur an die Ganglienzelle anlegen, oder ob sie irgendwie in die Substanz der Ganglienzelle kontinuier- lich übergehen. Dieselbe Unsicherheit herrscht in bezug auf das letzte Endverhalten im Falle das Endbäumchen einer Faser sich gegen das Endbäumchen oder den Dendriten eines anderen Neurons auf zweigt. Von Endigungen peripherer Nervenfasern sind zu betrachten: a) Die E n d i g u n g d er 'moto- rischen Nervenfaser. Zur Mitte jeder quergestreiften Muskelfaser tritt bei Wirbeltieren eine markhaltige Nerven- faser. Das Neurilemm geht kontinuier- lich ins Sarkolemm über. Die Mark- scheide hört mit freiem Ende auf, ihr letztes Segment reicht gerade bis an die Muskelfaser. Der Achsenzylinder allein tritt in die Muskel- faser ein und bildet eine motorische End- platte von verschiedener Form, die für jede Wirbeltierart eine besondere ist. Bei Amphi- bien, z. B. beim Frosche, erstrecken sich die bajonettartig sich verzweigenden Neuro- fibrillen im Sarkoplasma verlaufend weit in die Faser hinein; bei Reptilien, z. B. der Eidechse, ist die Endplatte eine kleine ovale Scheibe: In reichlichem Sarkoplasma mit zahlreich eingelagerten Kernen bildet der Achsenzylinder ein zierliches End- Gewebe (Gewebe der Tiere) 1141 bäumchen unter hirschgeweihartiger Auf- zweigung der Neurofibrillen, deren jede mit einem freien knopfförmigen Ende auf- hört (Fig. 71). Dieser letzteren Form ähneln die Endplatten an den Muskelfasern der Fig. 71. Stück i'iner Muskelfaser von der Eidechse mit der motori- schen Nervenend- platte. Profilan- sicht. Nach Kühne. Aus Gesrenbaur. Säugetiere (Fig. 72) und des' Menschen.', Zu jeder Muskelfaser tritt auclr noch eine andere Nervenfaser, deren Endigung einfacher ist Endigung der Fibrillen und Reizübertra- gung durcli Kontakt angenommen. Besonders reichlich finden sich solche Fibrillen in dem Hornhautepithel des Auges. Manche sen- sible Fasern erreichen das Oberhautepithel nicht, sondern endigen in kleinen sogenannten Tastkörperchen der Lederhaut. Auch hier handelt es sich um Endbäumchen von Fig. 73. Verz^vei- gung sensibler Nervenfibrillen im Oberhautepithel eines Kindes. Nach Retzius. Nervenfibrillen zwischen Zellen, die zu ihre Bedeutung ist noch nicht aufgeklärt, einem kleinen ei- oder wurstförmigen Kom- plex zusammengelagert sind (Grandrysche und Meißner sehe Körperchen; Fig. '74), Fig. 74. Meißner- sches Tastkörper- chen aus einer Haut- papüle desMenschen. Nach Kölliker.l oder die Nervenfaser endigt ohne stärkere Auf- zweigung des Achsenzylinders inmitten einer feinkörnigen Masse, die von zahlreichen kern- haltigen Lamellen in zwiebelschalenartiger Anordnung umgeben ist. Das ganze Gebilde (Vater-Pacinisches Körperchen; Fig. 75) ist eiförmig und hat etwa einen Durchmesser von 1 mm. Zwischen Innenkolben und den Lamellen ist noch ein feineres Neurofibrillen- netz gefunden worden, das von einer zweiten sekundären Nervenfaser dem Gebilde zu- geführt wird (Fadenapparat T i m o f i j e w s ; Fig. 76). Letztere Gebilde liegen im sub- kutanen Bindegewebe der Tastballen an den Zehen der Säugetiere, kommen aber auch im Mesenterium einiger Raubtiere (Katze) Fig. 72. Motorische Nervenendigungen an quer- gestreiften Muskelfasern vom Kaninchen. Aus Gegenbaur -Für bring er. Die Endigung der sensiblen Nervenfaser. Die Endigung der sensiblen Nervenfasern in der Haut stellt sich bei Wirbel- tieren so dar, daß an der Basis des Ober- hautepithels nur der Achsenzylinder in das Epithel eintritt und sich endbäumchenartig in den interzellulären Spalträumen der Epidermis aufzweigt. Die Neurofibrillen sind bis in das Stratum corneum hin ver- folgbar (Fig. 73). Auch hier wird freie 1142 Geweite (Gewebe der Tiere) vor, sowie im Periost der Knochen in der Nähe mancher Gelenke. Die Endigungen der Sinnesnerven in den verschiedenen Sinnesorganen stellen sich beim Geschmacksorgan, den Hautsinnes- organen wasserlebender Säugetiere, sowie beim Gehörorgan ebenfalls als endbäumchenartige Aufzweigung der Nervenfasern um die Sinnes- epithelzellen dar, beim Riechorgan aber senden die Riechzellen des Epithels der Riechschleimhaut der Nasenhöhle an ihrer Basis direkt Nervenfibrillen aus, die im stellen : Sie geben einen Nervenfaser- fortsatz ab, was für die Ganglienzellen charakteristisch ist. Auch im Auge bestehen ähnliche Verhältnisse, da die Zellen der äußeren Körnerschicht der Netzhaut mit den Stäbchen und Zapfen zugleich Sinnes- epithel und Ganglienzellen sind. Doch nimmt das Auge unter den Sinnesorganen bei Wirbeltieren überhaupt eine Sonderstellung ein, da es als eine Ausstülpung vom Gehirn aus entsteht (Fig. 77). i ■Jnn.Cl. Fig. 75. Pacinisches Körpeichen. Nach Ecker. ] Fig. 77. Nervenendigungen an verschiedenen Riechlappen des Gehirns sich in Endbäum- ^^?^^^^^f^^f^"t''■ T4■•^''u''^'''^'p''^ it ^'' 1 ^/ • o 1 1 r>- 1 n -1 schmackszelle; b Horzelle; c. Riechzelle: c, chen au zweigen. Solche Riechzellen sind , Rje^i^^^^n^j, ,.,^ zwischen Stützzellen (stz): noch sehr kompbzierte Elemente, da sie j d Stäbchenzelle der Netzhaut: k Kern, n Nerven- zugleich Sinnesepithel- und Nervenzelle dar- fibrillen; Inn.Gl. Auß.Gl. Innen und Außeii- glied der Stäbchenzellen. Nach F ür bringer- Gegenbau r. Besondere Endigungen von Nervenfasern bestehen in eigentümlichen, in den Sehnen der Muskeln mancher Wirbeltiere ein- gelagerten Gebilden, die man als Muskel- und Sehnenspindeln bezeichnet hat. Hier bestehen reiche endbäumchenartige Auf- lösungen von Nervenfasern inmitten von Zell komplexen von unbekannter Bedeutung. Vielleicht stehen diese Gebilde zur Neu- bildung von Muskelfasern in Beziehung. 1 )ie spezielle Art der N e r v e n e n d i - g u n g e n i n den D r ü s e n z e 1 1 e n , sowie in dem Epithel der D a r m s c h 1 e i m h a u t und in den glatten und quergestreif - t e n M u s k e 1 z e 1 1 e n ist noch nicht sicher erkannt. Es scheint, daß auch hier zu jeder solchen Zelle eine feine Neurofibrille Fig. 76. Pacinisches Körperchen aus dem Binde- gewebe der Prostata vom Himd. Aus Gegen- baur-Fürbringer. Gewebe (Grewebe der Tiere) 1143 tritt. Ob sie hier sich anhi2;ert, um frei zu endigen oder ob sie kontinuierlich in die betreffenden Zellen übergeht, ist noch nicht festgestellt. In der Wandung der Blutgefäße sind feine Geflechte sympathischer Nervenfibrillen erkannt, im Pankreas hat man Nervenfibrillen bis zu den Drüsenzellen verfolgt und auch zu den glatten Muskel- zellen der Darmwand fand man zu jeder Muskelzelle eine Neurofibrille hinzutretend. Schluß. Wir haben in den Zellen die Bausteine der Gewebe kennen gelernt. Nur bei manchen Gewebsformen aber bilden die Zellen als solche allein die Gewebe, das ist vor allem bei den Epithelien der Fall. Bei allen anderen Geweben entstehen durch die Tätigkeit der Zellen andere Substanzen, die als Bestandteile des lebenden Organismus ebenfalls Teile der Gewebe bilden und lebende Substanz darstellen. Diese können von den Zellen auswachsende Fortsätze sein, die sehr komplizierte Ausbildung erfahren (Nerven- fasern), oder die Zellen bilden Fibrillen in ihrem Innern aus und lassen unter Ver- mehrung ihrer Kerne und AVachstuni des Zellkörpers syncytiale Bildungen entstehen (Muskelfasern), "oder endlich die Zellen scheiden zuerst in ihrem Innern, dann an ihrer Oberfläche Substanzen von verschieden- ster chemisch-physikalischer Beschaffenheit aus, die dann in den Gewebskomplexen als Interzellularsubstanz erscheinen (verschiedene Formen des Bindegewebes). Bei allen diesen Formationen ist doch, das soll besonders betont werden, die Zelle der Ausgangspunkt. Wie in diesem Sinne die Zelle den Baustein der Gewebe darstellt, so sehen wir. daß die verschiedenen Gewebe wiederum die Bau- steine der Organe sind. Zur Herstellung eines Organes werden immer mehrere Gewebe ver- wendet, die sich in verschiedenster Weise durchdringen. So baut sich z. B. die Wan- dung eines Blutgefäßes, etwa einer Arterie, auf aus Epithelgewebe (einschichtiges Platten- epithel bildet die innere Auskleidung), ferner aus Bindegewebe (lockeres faseriges Binde- gewebe mit elastischen Fasern und Mem- branen bildet die mittlere und äußere Schicht der Wandung), ferner Muskelgewebe (glatte ]\luskelzellen sind in der mittleren Schicht in zirkulärer Anordnung vorhanden), end- lich Nervengewebe (marklose Nervenfasern durchsetzen die Wandung und endigen teils in den Muskelzellen, teils im innersten Epithel). Wir sehen also, daß sowohl vegeta- tive wie animale Gewebe am Aufbau dieser Organe teilnehmen. Oder betrachten wir einen Skelettmuskel: Er besteht aus quer- gestreiften Muskelfasern. Zwischen diesen aber findet sich lockeres faseriges Binde- gewebe, das an der Oberfläche des Muskels eine fibröse Hülle bildet, inneres und äußeres Perimysium. In diesem Perimysium nehmen die Blutgefäße und Nerven ihren Weg, sie gelangen mit dem inneren Perimysium bis zu den Muskelfasern und stellen ebenfalls integrierende Bestandteile eines jeden Muskels dar. Also auch hier nehmen verschiedene vegetative und animale Gewebe teil am Auf- bau des Organs. Das Gleiche begegnet uns bei allen anderen Organen, für jedes in besonderer Form. Näher darauf einzugehen ist hier nicht am Platze. Literatur. JE. Bannwarth, Histologie. Leipsig 1894. — H, Frey, Das ßfikroskop und die mikroskopische Technik. Leipsig 1886. — C, Gegenbaur, Vergleichende Anatomie der Wirbel- tiere. Leipsig 1898 und 1901. — Derselbe, Lehrbuch der Anatomie, bearbeitet von M. Fürbring er , Bd. i , 8. Aufl., Leipsig 1909. — Hatscheh, Lehrbuch der Zoologie. 1. Lieferung, Kap. 8. Jena 1888. — M. Heidenhain, Plasma und Zelle. Jena 1907 und 1911. — O. Hertwiff, Die Zelle und die Gewebe, 1893 und 1898. — Derselbe, Lehrbuch der Ent- unckelungsgeschichte des Menschen und der Wirbeltiere. — Derselbe, Handbuch der ver- gleichenden und experimentellen Entwickelungs- lehre der Wirbeltiere. Jena. — JJ. Hertwig, Lehrbuch der Zoologie, 5. Aufl. Jena. — A, Kölliker , Handbuch der Gewebelehre des Ifenschen. Leipsig 1889 bis 1899. — Korschelt tmd Heider, Lehrbuch der vergleichenden Ent- wickehmgsgeschichtc der wirbellosen Tiere, 1890 bis 1902. — M. Krause, Kursus der normalen Histologie. Berlin und Wien 1911. — A, Lang, Lehrbuch der vergleichenden Anatomie der wirbel- losen Tiere. Jena. — F. Leydig, Lehrbuch der Histologie. Frankfurt a. 3L 1857. — Der- selbe, Zelle und Geivebe. Bonn 1885. — Oppel, Lehrbuch der vergleichenden mikroskopischen j Anatomie der Wirbeltiere. 1. Teil: Der Magen, ! 1886. IL Teil: Schlund und Darm, 1897. \ III. Teil: BLmdhöhle, Bauchspeicheldrüse und ! Leber, 1900. — K. C. Schneider, Lehr- brich der vergleichenden Histologie der Tiere (Literatur!). Jena 1902. — J. Sobotta, Atlas und Grundriß der Histologie (Lehmanns medi- zinische Handatlanten). München 1902. — Ph. Stöhr, Lehrbuch der Histologie, 15. Auf- lage, bearbeitet von 0. Schultze. Jena 1912. — Die Spesialliteratur findet sich in diesen Lehr- und Handbüchern angegeben. Fr. Maurer. f~.\ ^\V,l 1144 GeAvebe (Gewebe der Pflanzen) Gewebe. Gewebe der Pflanzen. 1. Einleitung. 2. Vorkenntnisse aus der Zellenlehre. 3. Die Bildungsgewebe. 4. Die Hautgewebe. 5. Die Leitgewebe. 6. Die Festi- gungsgewebe. 7. Die Grundgewebe. 8. Ex- kretionsorgane und Exkietbehälter. 9. Der Bau der Blätter. 10. Der primäre Bau der Stengel. 11. Der primäre Bau der Wurzeln. 12. Das typische sekundäre Dickenwachstum. 13. Das Holz. 14. Bast, Periderm und Borke. 15. Das atypische Dickenwachstum. I, Einleitung,? I. Begriff der Gewebe. IL Gegenstand und Richtungen der Pflanzenanatomie. III. Ein- teilung der Gewebe. IV. Symmetrieverhältnisse im Bau der Organe. I. Der Begriff der Gewebe. Der Aus- 1 druck „Gewebe" in seiner botanischen Be- 1 deutung stammt aus der Geburtszeit der \ Pflanzenanatomie, dem Ende des 17. Jahr- [ hunderts ; den Vätern dieser Wissenschaft, welche zuerst dünne Schnitte aus Pflanzen- teilen unter dem Mikroskop betrachteten, fiel die Aehnlichkeit des Netzwerkes von Zellwänden mit einem lockeren Gewebe auf. Der Name ist geblieben, obwohl sein Inhalt \ sich bedeutend erweitert hat und jetzt j auch solche Fälle umfaßt, wo die Aehnlich- ist locker, zwischen den Zellreihen sind noch reichlich lufthaltige Zwischenräume, soge- nannte Interzellularen, vorhanden. In Figur 2 hingegen sind die Interzellularen Fig. 1. Fig. 2. Fig. 1. Längsschnitt durch den Stiel des Frucht- körpers des Steinpilzes (Boletus edulis). 300/1. Nach Strasburg er. Fig. 2. Längsschnitt durch das Mutterkorn (Sklerctium von Claviceps purpurea). 300/1. Nach Strasburger. verschwunden, die Zellen sind in allseitige Ver- keit mit einem Gewebe im gewöhnlichen bindung miteinander getreten und zu einem Sinn des Wortes nicht vorhanden ist, wie bei { dichten, lückenlosen Gewebe verwachsen ; in vielen pflanzlichen und namentlich bei den solchem Fall ist die Entstehung des Gewebes tierischen Geweben. Unter dem Gewebe durch Vereinigung von Zellreihen im er- im weitesten Sinn des Wortes versteht man wachsenen Zustande nicht mehr kenntlich, jetzt in der Botanik die Gesamtheit der mit- Diese Art der Gewebebildung ist bei einander zusammenhängenden Zellen; der Pilzen und Algen verbreitet, sonst aber sehr Satz „Die Zellen befinden sich im Gewebe- selten. Bei den höheren Pflanzen (und auch verbände" besagt, daß sie nicht isoliert sind bei vielen niederen) entsteht das gesamte und einander auch nicht bloß äußerlich be rühren, sondern in fester Verbindung mit Gewebe durch Wachstum und Vermehrung von Zellen, welche von vornherein mitein- einander stehen. Oft ist damit freilich noch ander lückenlos verbunden waren; die be- etwas mehr gemeint, nämlich eine Verbin- fruchtete Eizelle, von der in letzter Instanz düng der Zeilen in allen drei Richtungen des der ganze Pflanzenkörper abstammt, ver- Raumes, also zu einem Zellkörper, oder ' wandelt sich schon durch die paar ersten wenigstens in zwei Richtungen des Raumes, Teilungen in einen lückenlosen Zellkörper zu einer einschichtigen Zellfläche; die Be- (den Embryo), dessen Zellen fortfahren sich Zeichnung eines nur aus einer Reihe von durch Teilung zu vermeliren. In dem auf Zellen bestehenden Zellfadens als Gewebe solche Weise entstehenden Gewebe können wäre zwar prinzipiell zulässig, ist aber kaum freilich ebenfalls Interzellularen zwischen gebräuchlich. i den Zellen vorhanden sein ; sie sind aber hier, Ein Gewebe in obigem Sinn kann auf \ im Gegensatz zu dem erstbetrachteten Fall, zweierlei Weise zustande kommen. Erstens | nicht von Hause aus da, sondern bilden sich durch Zusammenschluß und Verkittung von , erst nachträglich ursprünglich getrennten Elementen. So bilden sich die Zellkörper der höheren Pilze zwar nicht aus isolierten ZeUen, aber aus einreihigen Zellfäden, welche sich miteinander verflechten und an den Berührungsstellen verwachsen. In Figur 1 ist diese Entstehung Wir wollen bei dieser Gelegenheit gleich erwähnen, daß interzellulare Räume in dem ursprünglich lückenlosen Gewebeverband auf dreierlei Weise zustande kommen können: a) durch Spaltung der die Zellen trennenden Wände ohne Verletzung der Zellen selbst (schi- zogen), b) duj-ch Desorganisation einzelner des Gewebes noch deutlich erkennbar, da hier ; Zellen oder von Reihen oder Gruppen von Zellen die Berührung und Verwachsung der Fäden (lysigen), c) durch Zerreißung von Gewebe- nurstellenweisestattgefundenhat;dasGewebe i Partien, welche dem Wachstum des übrigen Gewebe (Gewebe der Pflanzen) 1145 Gewebes nicht folgen (r hexigen). Wir weiter Grelegenheit haben, diese Vorgänge näher kennen zu lernen. Die schizogenen Inter- zellularen sind fast allgemein verbreitet und bilden gewöhnlich ein die ganze Pflanze kontinuierlich durchziehendes lufthaltiges Interzellularsystem; sie sind anfänglich stets sehr eng, können sich aber bei dem Wachstum des Gewebes beträchtlich vergrößern. Die weit selteneren lysigenen Hohl- räume haben, wie aus ihrer Entstehung folgt, von Anfang an die Größe von mindestens einer ganzen Zelle, die rhexigenen sind noch beträcht- lich größer. Außer in dem obigen allgemeinen Sinn wird der Ausdruck Gewebe noch in einer zweiten, speziellen Bedeutung gebraucht. Ein Ge- webe in diesem engeren Sinne oder eine Ge- webeart bedeutet die Gesamtheit von unter- einander gleichartigen Zellen; in diesem Sinne kann man von Geweben in der Mehrzahl sprechen, und tatsächlich besteht jeder er- wachsene Teil einer höheren Pflanze aus mehreren oder vielen verschiedenen Geweben (vgl. z. B. Figur 14, S. 1160 und 130, S. 1240). Die Gleichartigkeit der Zellen eines Gewebes erstreckt sich auf Größe, Form, Inhalt und Membranbeschaffenheit der Zellen usw., auch auf ihre Funktion und ihre Entwickelung. Sie braucht aber nicht absolut zu sein, und ist in Wirkhchkeit immer nur angenähert; selbst die Zellen eines Gewebes eines bestimmten Pflanzen- teils, um so mehr noch die Zellen des gleichnami- gen Gewebes verschiedener Teile oder verschie- dener Pflanzen, können in jeder der genannten Hinsichten in mehr oder weniger ansehnlichen Grenzen voneinander abweichen. Die begriffliche Umgrenzung eines Gewebes ist daher nie eine ganz scharfe, die verschiedenen Gewebe sind durch oft ganz allmähliche Uebergänge mitein- ander verknüpft, und es ist meist Geschmacks- sache, wie man ein gegebenes Gewebe definieren, wo man die Grenzlinien zwischen ihm und anderen Geweben ziehen will. Geschmackssache ist es auch, ob man die , obige Definition eines Gewebes (im engeren Sinn) noch durch die Bestimmung ergänzen will, daß die annähernd gleichartigen Zellen auch miteinander im Zusammenhang stehen müssen. Es kommt nämlich häufig vor, daß gewisse Arten von untereinander gleichartigen Zellen zwar in gewisser Menge in einem Pflanzenteil vorhanden sind, aber miteinander in keiner Richtung des Raumes verbunden, sondern einzeln , in ein anderes Gewebe (oder mehrere andere Gewebe) eingestreut sind (z. B. Fig. 70, S. 1198, 95, S. 1215). Will man die Gesamtheit solcher isolierter Zellen nicht als ein besonderes Gewebe j gelten lassen, so nennt man sie allgemein (im | Gegensatz zu den Gewebezellen) Idioblasten. ; II. Gegenstand und Forschungsrich- tungen der Pflanzenanatomie. Der Gegen- stand des vorliegenden Artikels bildet einen Teil der Lehre von dem inneren Bau der Pflanzen, der Pflanzenanatomie. Es ist vielleicht nicht überflüssig zu bemerken, daß der Gegenstand der Anatomie bei den Pflan- zen nicht ganz derselbe ist wie bei den Tieren. Die tierische Anatomie beschäftigt sich haupt- sächlich mit dem gröberen Aufbau des Tierkörpers aus scharf differenzierten und hochgradig indivi- dualisierten, bei den größeren Tieren meist schon makroskopisch sichtbaren Organen, wie Knochen, Muskeln, Nerven usw., welche in bestimmter, sehr komplizierter Weise angeordnet sind. Die Pflanzen, selbst die höchst organisierten, weisen nichts derartiges auf; der innere Bau nament- lich ihrer vegetativen Teile erscheint im Vergleich mit demjenigen der höheren Tiere höchst einfach und gleichmäßig, und wenn wir ein dickes Blatt, einen krautigen Stengel oder einen Baumstamm in verschiedenen Höhen durchschneiden, so finden wir (wofern nicht Differenzen des Ent- wickelungsstadiums eingreifen) an allen Stellen jedes Objekts im wesentlichen das gleiche Bild. So ist es denn verständlich, daß sich in der Bota- nik eine besondere Disziplin, welche das Studium des gröberen Baues der Pflanzen zum speziellen Zweck hätte, nicht entwickelt hat. ^j Die Pflanzenanatomie ist eine fast ausschließlich mikroskopische Disziplin (obwohl sie das wenige, was sich makroskopisch von dem inneren Bau der Pflanzen erkennen läßt, nicht aus- schließt); sie entspricht im wesentlichen dem, was der Zoologe unter miki-oskopischer Anatomie und Histologie versteht. Die Pflanzenanatomie läßt sich in drei Unterdisziplinen zerlegen: 1. Die Anatomie der Zellen (Zellenlehre, Cytologie). 2. Die Anatomie der Gewebe (Gewebelehre); dieser gebührt eigentlich der Name Histo- logie nach seiner wörtlichen Bedeutung, doch ist es in der letzten Zeit üblich geworden hierunter einen Teil der Cytologie, nämlich die Lehre vom Protoplasma und Zellkern zu verstehen. 3. Die Anatomie der Organe, d. i. die Lehre von der Art und An- ordnung der Gewebe in den verschiedenen Organen; diesen Teil nennt man auch die Anatomie im engeren Sinne, oder, da er sich mit der Vergleichung des Baues der ver- schiedenen Organe untereinander und der gleichnamigen Organe bei verschiedenen Pflanzenklassen befaßt, die vergleichende Pflanzenanatomie. Von diesen drei Teilen wird die Zellenlehre in einem besonderen Artikel des Handwörter- buchs behandelt (vgl. den Artikel ,,Zelle"); der vorliegende Artikel behandelt die beiden übrigen Teile, und zwar sind die Kapitel 3 bis 8 der Gewebeanatomie, die Kapitel 9 bis 15 der Organanatomie gewidmet. Eine völlig scharfe Trennung beider ist freilich nicht durch- geführt, denn einerseits läßt sich schon bei Be- handlung der einzelnen Gewebe die Besprechung 1) Hingegen ist die äußere Gliederung der Pflanzen ungleich verwickelter und während des individuellen Lebens veränderlicher als bei den Tieren; sie bildet den Gegenstand einer beson- deren Disziplin der Botanik: der Morphologie oder Organ ographie. Die äußeren Glieder der Pflanzen (Blätter, Stengel, Wurzeln in ihren verschiedenen Modifikationen) werden auch die Organe genannt, und wenn in diesem Artikel von Organen die Rede ist, so ist der Ausdruck in diesem Sinne gemeint. 1146 Grewebe (Gewebe der Pflanzen) ihrer Lage in den Organen manchmal nicht umgehen, andererseits empfiehlt es sich, ge^wisse Gewebe, welche auf bestimmte Organe be- schränkt oder doch hier in besonderer Weise ausgebildet sind, erst im Zusammenhang mit der ganzen Struktur dieser Organe näher zu besprechen. Unberücksichtigt bleiben in diesem Artikel der Bau und die Besonderheiten der Gewebe der niederen Pflanzen bis zu den Moosen einschließbch, sowie der Reproduktionsorgane, weil bei diesen der anatomische Bau mit der Morphologie in engstem Zusammenhang steht und in anderen Artikeln ohnehin eingehend genug behandelt werden muß (vgl. die Artikel ,, Algen", ,, Pilze", ,, Moose", ,, Gymnospermen", „Angiospermen", ,, Blüte", ,, Frucht", „Fortpflanzung"); wir beschränken uns auf die Anatomie der vegetativen Organe (Blätter, Stengel, Wurzeln) der Gefäßpflanzen und der in diesen vorkommenden Gewebe. Auch von den Geweben besprechen wir diejenigen nicht oder nur ganz kurz, welche nur bestimmten Pflanzen im Zusammenhang mit deren besonderen physio- logischen Befähigungen eigentümlich sind und im Anschluß an diese behandelt werden müssen. Solange die Pflanzenanatomie noch in den Kindersclnihen steckte — nnd das war lange Zeit, bis gegen die Mitte des 19. Jahr- hunderts, der Fall — , war die Erkenntnis des Baues der Pflanzen und der sie zusammen- setzenden Elemente an sich der haupt- sächliche Zweck der Forschung. Diese Forschungsrichtung, die beschreibende oder deskriptive Anatomie, ist natür- licherweise in den Hintergrund getreten, nachdem allmählich ein ungeheures Beob- achtungsmaterial angesammelt worden ist und der Zweck in der Hauptsache als erreicht angesehen werden kann. Gegenwärtig handelt es sich nur noch um allmähliche Ausfüllung der immerhin noch vorhandenen Lücken und Mängel, was mehr gelegentlich geschieht; als Selbstzweck wird die rein deskriptive Anatomie heutzutage kaum mehr betrieben. — Gegen Schluß der obigen Periode wandte sich das Interesse der Forscher in erster Linie der genetischen Anatomie zu, und zwar zuerst der Entwickelung der Gewebe, später auch derjenigen der Zellen und ihrer Bestandteile. Während die Entwickelung der plasmatischen Zellbestandteile, vor allem die Kernteilung, auch jetzt noch im Vorder- grunde des Interesses steht, ist im übrigen in der genetischen Anatomie in den letzten Jahrzehnten ebenfalls ein Stillstand ein- getreten, den wir aber nur für vorübergehend halten können, da hier von einer Erschöpfung des Gegenstandes noch bei weitem nicht die Rede sein kann. — Die neueste und gegenwärtig fast unbedingt herrschende Rich- tung ist die physiologische Anatomie, welche die Struktur der Pflanzen von physiologischen und ökologischen Gesichts- punkten, allgemeiner gesagt vom Standpunkt ihrer Nützlichkeit für die Pflanze betrachtet (den vielgebrauchten Ausdruck „Zweck- mäßigkeit" ziehen vär vor zu vermeiden); sie bezweckt den Zusammenhang zwischen dem Bau und der Funktion (resp. den Funk- tionen) der Pflanzenteile und ihrer anato- mischen Elemente zu suchen und aufzudecken. Dieser Standpunkt ist nicht prinzipiell neu, zu allen Zeiten haben ihn die iVnatomen im Auge gehabt, aber allerdings nur gelegentlich und nebenbei; erst gegen Ende des vorigen Jahrhunderts ist er als leitendes Prinzip in die Pflanzenanatomie eingeführt und eine besondere physiologisch-anatomische Rich- tung und Schule begründet worden. Diese Richtung hat unstreitig bedeutende Erfolge gezeitigt und hat der Pflanzenanatomie neues Leben eingeflößt. Sie birgt aber auch Gefahren in sich, denn nirgends ist die Verlockung zu leichtfertigen und willkürlichen Deutungen größer wie auf diesem Gebiet. Vorsicht und Kritik sind daher in der physiologischen Anatomie in hohem Grade nötig, sind aber von ihren Ver- tretern nicht immer in dem erforderlichen Maße geübt worden. Mit diesen Bemerkungen soll keineswegs die physiologisch-anatomische For- schungsrichtung an sich verurteilt werden; auch unsere Darstellung wird ihr weitgehend Rechnung tragen, nur werden wir bestrebt sein ihre Aus- wüchse zu vermeiden, und daher wird der Ein- geweihte manches physiologisch-anatomische Dogma in dem vorliegenden Artikel vermissen. Einen besonderen Zweig der Anatomie, welcher ebenfalls neueren Datums ist, bildet die systematische Anatomie. Man kann sie als die Anatomie im Dienst der Syste- matik bezeichnen, denn sie hat zum Zweck die anatomischen Unterschiede der Familien, Gattungen und eventuell selbst der Arten festzustellen und dadurch der Systematik eine breitere Grundlage zu geben. Diese Grundlage kann zwar im wesentlichen nur eine empirische sein, denn es hat sich heraus- gestellt, daß der anatomische Bau der Pflanzen mit ihrer natürlichen Verwandt- schaft nicht parallel zu gehen braucht, daß systematisch weit entfernte Pflanzen eine ähnliche, nahe verwandte eine zum Teil recht verschiedene anatomische Struktur haben können. Dennoch ist die systematische Anatomie zu einem wertvollen Hilfsmittel der Systematik geworden. Sie ist auch praktisch von Nutzen, da sie es oft ermöglicht, Pflanzenteile, welche keine Blüten und Früchte tragen, auf Grund anatomischer Merkmale zu unterscheiden und zu bestimmen, was namentlich für die Phytopaläontologie von großer Bedeutung ist. Man kann die systematische Anatomie in gewissem Sinne schon zur angewandten Anatomie rechnen, da bei ihr die Anatomie nicht Selbstzweck ist. Im vollen Sinne des Wortes gehören hierher die Anwendungen, welche die Pflanzenanatomie in der Phar- makognosie, Nahrungsmittelkunde, Waren- (3e\vebe (Gewebe der Pflanzen) 1147 künde, Forstwirtschaft usw., zuweilen selbst in der Kulturgeschichte findet. III. Einteilung der Gewebe. Von ver- schiedenen Gesichtspunkten aus zerfallen alle Gewebe in je zwei große Kategorien; die wichtigsten Zweiteilungen sind folgende: a) In Entwickelung begriffene Gewebe (Bildungsgewebe oder Meristeme) und definitiv ausgebildete (lewebe (Dauer- gewebe). Die ersteren sind nicht allein als der Jugendzustand der letzteren an- zusehen, sie haben vielmehr auch Funktionen für sich: sie besorgen das Wachstum der Organe, und liefern durch die in ihnen stattfindende Zellenvermehrung das Zellen- material, aus dem nach Aufhören der Zell- teilungen und des Wachstums die Dauergewebe sich herausbilden. — In den Zellen eines Dauergewebes können zuweilen Wachstum und Teilungsfähigkeit wiedererwachen; als- dann entsteht in dem Dauergewebe ein neues Bildungsgowebe, welches nun seinerseits neue Dauergewebe erzeugt. Solche nach- träglich entstandene Bildungsgewebe nennt man sekundäre Meristeme im Gegensatz zu den ursprünglichen oder primären, und ebenso unterscheidet man unter den Dauer- geweben primäre und sekundäre Gewebe, je nachdem sie von einem primären oder sekundären Meristem erzeugt sind. b) Die Gewebezellen können ihren leben- den Protoplasmakörper dauernd behalten, derselbe kann aber auch früher oder später absterben. Die abgestorbenen Gewebe ; bleiben vielfach bis zum Lebensende der Pflanze erhalten, und ausdauernde Pflanzen- teile bestehen oft zum größten Teil aus leeren ; Zellgehäusen. Man hat demnach lebende i und tote Gewebe zu unterscheiden. Die toten Gewebe nehmen zwar an den Lebens- yorgängen keinen Anteil, sie können aber indirekt, dank den physikalischen Eigen- schaften und der Struktur ihrer Membranen, eine für die Pflanze wichtige Rolle spielen und bestimmte physiologische oder ökolo- j gische Funktionen haben. j c) Nach den am häufigsten vorkommen- 1 den Zellformen zerfallen die Gewebe in zwei Kategorien, Parenchym und Prosen- chym. Parenchymatisch heißen Zellen von kurzer und breiter Form mit stumpfen Enden, prosenchymatisch — lange und , schmale Zellen mit spitzen Enden (Fig. 13, 1 S. 1158). . Beide Grundformen, welche übrigens durch allmähliche Uebergänge miteinander verbunden sind, können im einzelnen mannigfach variieren; so sind die Parenchymzellen bald isodiametrisch (mit in allen drei Dimensionen ungefcähr gleichem Durchmesser), bald abgeflacht-tafelförmig, oder umgekehrt in der einen Richtung mehr oder weniger gestreckt, bis einigemal so lang als breit; Prosenchymzellen können äußerst eng bis relativ weit röhrenförmig sein, sie können an beiden i Enden ziemlich kurz einseitig (meißeiförmig) oder zweiseitig (dachförmig) zugeschärft sein, oder die Form allnrählich zugespitzter Spindeln haben. d) Ein weiteres wichtiges Moment ist die Art der Zusammenfügung der Zellen; man kann hiernach dichte und lockere Gewebe unterscheiden, welche im Extrem sehr verschieden, aber ebenfalls durch eine Reihe von Uebergängen verbunden sind. Das Gefüge der Gewebe hängt ab von der An- oder Abwesenheit und der relativen Größe der schizogenen Interzellularen (Fig. 3). Fig. 3. A Längsschnitt durch das Stengelmark von Arrothoxylon rigidum (Acantha- ceae), B Querschnitt durch die Rhizomrinde des Maiglöckchens (Convallaria majalis). Die Interzellularen schraffiert. 120/1. Fehlen dieselben ganz, so grenzen die Zellen lückenlos mit ihrer ganzen Oberfläche an- einander und das (unvebe ist so dicht gefügt me überhaupt möglich. Sind die Interzellu- laren sehr eng, so beeinflussen sie die Dichtig- keit des Gewebes nur wenig; je größer aber die Interzellularen im Verhältnis zu den Zellen sind, um so lockerer wird das Gefüge des Gewebes, dessen Zellen schließlich nur mit kleinen Teilstücken ihrer Oberfläche mit den Nachbarzellen zusammenhängen, zum größten Teil aber an Interzellularen grenzen. Des weiteren kann man die Gewebe unter- scheiden nach der Anordnung der Zellen, welche oft eine bestimmte Gesetzmäßigkeit aufweist, nach dem Grade der Verdickung der Zellmembran (zartwandige und dick- wandige Gewebe), nach deren Struktur und chemischer Beschaffenheit, nach der An- oder Abwesenheit von Chloroplasten (Chloro- phyllkörnern), Stärkekörnern und anderen auffallenden Inhaltsbestandteilen, usw. AUe die genannten Merkmale können sich in der mannigfaltigsten Weise miteinander kom- binieren, und erst durch die Gesamtheit dieser Merkmale ist ein Gewebe charak- terisiert; manchmal gehört zu seiner Charak- teristik auch noch die Lage im Organ (ob oberflächlich oder im Innern gelegen) und zu anderen Geweben. Um nun in das Chaos der Gewebearten übersichtliche Ordnung zu bringen, ist es 1148 Gewebe (GeAvel)e der Pflanzen) erforderlich, sie in Einheiten höherer Ordnung (Gewebesysteme) zusammenzufassen. Es wäre gewiß sehr erwünscht, dies in logisch befriedigender Weise auf Grund eines be- stimmten obersten Einteilungsprinzips zu tun ; mehrfache Versuche haben aber gezeigt, daß das nicht ausführbar ist, ohne der Natur Gewalt anzutun. Zusammengehöriges aus- einanderzureißen und Verschiedenartiges zu vereinigen; die Natur ist eben nicht logisch. Dem Beispiel der meisten Autoren folgend, verfahren wir daher eklektisch und suchen, unter Verzichtleistung auf konsequente Durchführung eines einheitlichen Einteilungs- prinzips und logische Koordination der Kategorien, in unserer Klassifikation den natürlichen Verhältnissen möglichst nahe zu kommen; auch so läßt es sich aber nicht vermeiden, daß einige Gewebearten gleich gut in verschiedenen Systemen untergebracht werden könnten. Wir unterscheiden sechs Systeme: die Bildungsgewebe, Hautgewebe, L'eitgewebe, Festigungsgewebe, Grund- gewebe und die Exkretionsorgane und Ex- kretbehälter; dieselben sind möglichst auf Grund der Funktionen der Gewebearten zusammengestellt, doch sind auch andere Merkmale herangezogen, manchmal (nament- lich bei den Grundgeweben) in erster Linie. Einige dieser Gewebesysteme, besonders die Bildungs-, Leit- und Festigungsgewebe, stel- len recht natürliche Gruppen dar; bei anderen ist das freilich nicht in gleichem Grade der Fall. IV. Sjrmmetrieverhältnisse im Bau der Organe. xVlle Organe der höheren Pflanzen haben eine Basis und eine Spitze, also auch eine Haupt- oder Längsachse, welche meist zugleich auch die längste Achse ist (nur selten ist die Breite resp. Dicke eines Organs größer als die Länge). Mit vereinzelten Aus- nahmen ist die Gestalt der Organe insofern eine regelmäßige, als sich durch die Längs- achse eine oder mehrere Ebenen legen lassen, welche das Organ in symmetrische Hälften teilen.!) Nach dem Grade der Symmetrie unterscheidet man: 1. Radiäre Organe, mit mehreren (mindestens drei) bis vielen Symmetrie- ebenen; als Modell kann ein zylindrischer oder regelmäßig prismatischer Stab dienen. Hierher gehören fast alle Stengel und Wurzeln sowie einige Blätter und Blattstiele, also die große Mehrzahl der vegetativen Organe. ^) Freilich ist bei Pflanzen (wie auch bei Tieren) die Symmetrie nur eine angenäherte. Kleine Abweichungen sind stets vorhanden, und auch größere nicht selten. Man hat sich überhaupt bei der Anwendung geometrischer Begriffe auf Organismen stets das Wörtchen „ungefähr" hinzuzudenken. Wenn diese Organe zugleich längsgestreckt sind, so kann man sie auch zylindrisch im weiteren Sinn nennen, wobei unter Zylinder ein radiärer Körper zu verstehen ist, dessen Quer- schnitt in jeder Höhe die gleiche Form hat ; diese kann kreisförmig, eckig oder mit Ein- und Ausbuchtungen versehen sein. 2. Bilaterale oderisolaterale Organe (Modell: ein Stab von elliptischem oder rechteckigem Querschnitt) lassen sich nur durch zwei zueinander senkrechte Ebenen symmetrisch teilen, nämlich in eine rechte und linke und in eine vordere und hintere Hälfte. Dieses Verhalten ist bei Pflanzen relativ selten, es findet sich z. B. bei den Blättern der Schwertlilie. 3. Dorsiventrale Organe (Modell: ein halbzylindrischer Stab) lassen sich nur durch eine Ebene symmetrisch teilen, näm- lich in eine rechte und linke Hälfte, während die senkrecht zur ersten geführte Ebene ausgesprochen unsymmetrische Hälften (Vor- der- und Hinterseite oder Ober- und Unter- seite) ergibt. Dieser Kategorie, welche im Körper der Tiere die herrschende ist, gehören unter den pflanzlichen Organen in erster Linie die meisten Blätter an. Der Symmetrie der äußeren Form ent- sprechen nun im allgemeinen auch die Symmetrieverhältnisse des anatomischen Baues. Stengel und Wurzeln sind demnach radiär gebaut (Fig. 59, S, 1193), ihr Bau ist entweder ringsherum im wesentlichen der ; gleiche und die verschiedenen Gewebe bilden konzentrische Zonen, oder es wechseln radiale Streifen von verschiedenem Bau miteinander regelmäßig ab; jedenfalls lassen sich iin Querschnitt eines solchen Organs mehrere Radien ziehen, auf denen der Bau identisch ist. Dagegen ist in dorsiventralen Blatt- spreiten die Beschaffenheit und Anordnung der Gewebe oberseits und uuterseits wenig- stens zum Teil verschieden (Fig. 111, S. 1227); rechts und links von der Medianebene ändert sich aber der Bau in symmetrischer Weise. Dazu kommt, daß die Lage und Anord- nung der Zellen bestimmte einfache Beziehun- gen zu der Form der Organe aufzuweisen pflegt; die Längsachsen gestreckter Zellen, die Reihen und Schichten von Zellen sind zur Längsachse, zu den Radien und zur j Oberfläche des Organs entweder parallel j oder senkrecht gestellt, schräge Richtungen ! finden sich nur ganz ausnahmsweise. Auf dieser Regelmäßigkeit beruht die Eleganz, welche man namentlich an Querschnitten durch pflanzliche Organe nicht umhin kann zu bewundern. Zur kurzen Charakteristik der paar immer wiederkehrenden bestimmten Richtungen ist in der Pflanzenanatomie eine Nomenklatur üblich, die wir hier ein für allemal erklären wollen, da wir von ihr fortwährend Gebrauch machen müssen. In radiären Organen unter- Gewebe (Gewebe der Pflanzen) 1149 scheidet man drei zueinander senkrechte lineare Richtungen: die der Achse parallele Längs- richtung, die mit einem Radius zusammen- fallende, zur Achse senkrechte Radialrichtung, und die zu beiden senkrechte und der Übert'läche parallele Richtung, welche man die Tangental- richtung nennt; durch jeden Punkt des Pflan- zenkörpers kann man sich Linien in diesen drei Richtungen gelegt denken, und einer derselben folgen die Achsen der Zellen, die Zellreihen, die Wachstumsrichtungen der Zellen usw. — Ebenso unterscheidet man drei zueinander senkrechte Fläclienriclituiigen, in denen z. B. die Teilungs- wände der Zellen, die Zellschichten usw. liegen können: die zur Längsachse senkrechte Quer- richtung, die durch die Längsachse und einen Radius gelegte Radialrichtung und die der Oberfläche parallele, zum Radius senkrechte Tangentalrichtung. In einer dieser Flächen- richtungen müssen wir auch die zu mikroskopischer Untersuchung bestimmten Durchschnitte durch Pflanzenorgane führen, da nur solche Schnitte klare Bilder der Struktur bieten können ; unsere Abbildungen sind denn auch als Quer-, Radial- oder Tangentalschnitte bezeichnet. Um ein vollständiges Bild der Struktur zu erhalten, sind gewöhnlich alle drei Arten von Schnitten erforderlich; in Spezialfällen kann freilich der Radialschnitt und der Tangentalschnitt ein im wesentlichen gleiches Bild gewähren, so daß es auf Unterscheidung derselben nicht ankommt; man faßt dann beide als Längsschnitte zu- sammen. Man könnte die gleichen Bezeichnungen auch bei flachen, isolateralen und dorsiventralen Organen anwenden, wenn man ihre Oberfläche als Teil einer Zylinderfläche mit unendlich großem Radius auffaßt. Ueblich ist das aber nicht, und man pflegt hier die Flächenrichtungen und Durchschnitte in folgender Weise zu bezeichnen: a) quer (senkrecht zur Längsachse und Ober- fläche), b) längs (parallel der Längsachse und senkrecht zur Oberfläche), c) parallel zur Ober- fläche (Flächenschnitt). Literatur. Ausführlichere Lehr- und Handbücher der allgemein cn Ana- tomie : A. de Bary, Vergleichende Anatomie der Vegetationsnrgane der Gefäßpflanzen, 1877. — L. Dippel, Das Mikroskop und seine An- tcendung. 2. Teil: Die Anwendung des Mikro- skops auf die Histologie der Gewächse, 2. Aufl., 1898. — G. Haber landt, Physiologische Pflcmzen- anatomie, 4. Aufl., 1909. — A. Tschirch, An- gewandte Pflanzenanatomie. Bd. I: Allgemeiner Teil, 1889. — Systematische und ange- wandte Anatomie: H. Solereder, Syste- matische Anatomie der Dikotyledonen, 1899, und Supplement dazu, 1908. — J. Wiesner, Die Rohstoffe des Pflanzenreichs, 2. Aufl., 1902. — Geschichte der Pflanz eiianatomie in J. Sachs, Geschichte der Botanik, 1875. 2. Vorkenntnisse aus der Zellenlehre. I. Allgemeines. II. Der Bau der Zellmembran. III. Zusammensetzung und Eigenschaften der Zellmembranen. I. Allgemeines. In der Pflanzenanatomie ist der Begriff der Zelle nicht in seiner moder- nen, physiologischen Bedeutnng als Elemen- j tarorganismus, sondern in der ursprünglichen, anatomischen Bedeutnng als Bauelement 1 zu fassen; die Zellen sind die (freilich sehr mannigfach gestalteten und mit mannig- ' faltigen Eigenschaften versehenen) Bausteine, aus denen der ganze Pflanzenkörper aufge- baut ist. In diesem Sinne ist an der Zelle nicht der lebende Protoplasmakörper das wesentliche, sondern die Zellmembran; denn nur diese besteht aus einer zusammen- : hängenden Masse fester Substanz, welche : geeignet ist, das Gerüstwerk des Pflanzen- körpers zu bilden. Die Protoplasten in den j lebenden Zellen sind zwar auch anatomisch j von größter Wichtigkeit; sie können aber I zugrunde gehen, ohne daß die abgestorbenen Zellen aufhören, Zellen im anatomischen Sinne zu sein und als Bausteine eine unent- behrliche Rolle zu spielen. Diejenigen Daten aus der Zellenlehre, die wir hier als für das { Verständnis der Gewebelehre unumgänglich '•vorausschicken müssen, betreffen denn auch i fast ausschließlich die Zellmembran. Anders ist es bei den Tieren, deren Proto- 1 plasten in der Regel nicht von einer festen, j geschlossenen Membran umhüllt sind ; sie sind j also nicht Zellen in dem obigen, pflanzenanato- mischen Sinn. Daher ist auch der Aufbau der Gewebe wie des ganzen Körpers bei den Tieren ein prinzipiell anderer als bei den Pflanzen. Auf die mannigfaltigen Formen der Zellen der höheren Pflanzen gehen wir an dieser Stelle nicht ein, wir werden sie bei Besprechung der einzelnen Gewebe kennen lernen. lieber ihre Dimensionen genügt es zu sagen, daß der Durchmesser meist zwischen Yio und Vioo mm schwankt; die Länge kann bei gestreckten Zellen allerdings auch bedeutend größer sein und in einzelnen Fällen mehrere Zentimeter oder selbst Meter betragen, im allgemeinen ist aber schon eine Länge von 1 mm als sehr groß anzusehen. In der Pflanzenzelle ist zunächst die Me m- bran und der von ihr umgebene Hohlraum, .das Lumen, zu unterscheiden; gewöhnlich nimmt das Lumen weit mehr Raum ein als die Membran, doch kann in dickwandigen Zellen auch das umgekehrte der Fall sein, im Extrem kann sogar das Lumen im größten Teil der Zelle vollkommen durch die sich verdickende Membran verdrängt sein (Fig. 22 c, S. 1165), so daß die Zelle fast nur aus der Membran besteht. Solche fast lumenlose Zellen sind im ausgebildeten Zustande stets abgestorben. In dem Lumen hat der Protoplasma- körper oder Protoplast seinen Sitz. Selten füllt er dasselbe ganz aus (Fig. 12 A, S. 1157), meist finden sich in dem Plasma- körper Vakuolen, welche Zellsaft, d. i. eine wässerige Lösung verschiedener minera- lischer und organischer Stoffe, enthalten. In ausgewachsenen Pflanzenzellen pflegen 1150 Gewebe (Gewebe der Pflanzen) die Vakuolen zu einer einzigen großen Vakuole, dem zentralen Saftraum, ver- schmolzen zu sein, welcher Aveitaus den größten Teil des Lumens einnimmt (Fig. 12 C, S. 1157); der Protoplasmakörper ist dann meist auf eine zarte, oft ohne Anwendung von Kunstgriffen nicht sichtbare geschlossene Schicht reduziert, welche man den Plasma- schlauch oder plasmatischen Wand- beleg nennt, da sie unter natürlichen Ver- hältnissen der Zellwand dicht angeschmiegt ist und den Saftraum von ihr trennt. Bezüglich des Protoplasten (inklusive Zellkern und Piastiden) und der von ihm produzierten leblosen Inhaltskörper der Zellen (Stärkekörner usw.) können wir auf die Artikel „Zelle" und „Zellteilung" ver- weisen. Erwähnen müssen wir hier aber, als von unmittelbarer Bedeutung auch für die Gewebelehre, den vom Zellsaft entwickel- ten osmotischen Druck, welchen man sich am anschaulichsten als eine wasseranziehende Kraft der in Lösung befindlichen Teilehen (Molekeln und Ionen) vorstellen kann. Während nun das osmotisch angezogene Wasser leicht durch Zellmembran und Plasma- schlauch hindurchtritt, ist der lebende Proto- plast für viele der im Zellsaft gelösten Stoffe nur schwer oder so gut wie gar nicht durchlässig und läßt sie nicht hinaustreten. Die Folge ist, daß bei hinreichendem Wasser- gehalt in der Pflanze der Zellsaft Wasser einzusaugen und sein Volumen zu ver- größern strebt und dabei einen hohen Druck auf den Plasniasclilauch und durch ihn hindurch auf die Zellmembran ausübt; da- durch wird die Zellmembran soweit gedehnt, bis ihr elastischer Gegendruck dem Druck des Zellsaftes die Wage hält. Der von dem Zellsaft ausgeübte Druck heißt Turgor, und den Zustand gegenseitiger Spannung zwischen dem Zellsaft und der Membran nennt man Turgeszenz; mit diesen Be- griffen werden wir weiter mehrfach zu operieren haben. Die beim Turgor wirksame Kraftquelle liegt zwar im Zellsaft, aber ihre Betätigung ist durch die Eigenschaften des lebenden Protoplasten bedingt; turgeszieren können daher ausschließlich lebende Zellen. IL Der Bau der Zellmembran. Die Zellmembran ist ein lebloses Produkt der Lebenstätigkeit des Protoplasten; sie bleibt nach seinem Tode zwar bestehen, aber nur solange die Zelle einen lebenden, wenn auch noch so dünnen Plasmaschlauch enthält, kann ihre Membran in die Fläche wachsen, sich verdicken, sowie Aenderungen ihrer chemischen und physikalischen Beschaffen- heit erleiden. Wie ein Zimmer, welches an mehrere andere Zimmer stößt, so hat auch eine im Gewebeverbande befindliche Zelle mehrere Wände, welche sie von je einer der Nachbar- zellen trennen; einige dieser Wände können übrigens nicht an andere Zellen, sondern an Interzellularen oder, falls sie Zelle an der Oberfläche des Organs liegt, an das Außen- medium grenzen. Jedenfalls besteht die Mem- bran einer Gewebezelle aus einer iVnzahl von verschieden gerichteten Wänden, und man kann z. B. bei einer gestreckten Zelle Längs- wände und Querwäjide, bei einer oberfläch- lich gelegenen Zelle (z. B. in Figur 18, S. 1162) eine Außenwand, eine oder mehrere Innen- wände und mehrere Seitenwände unter- scheiden, usw. Diejenigen Wände, welche an das Außen- medium oder an Interzellularen grenzen, gehören ausschließlich der gegebenen Zelle an; eine Wand aber, welche zwei Zell lumi na voneinander trennt, ist beiden Zellen gemein- sam. Auch wenn eine solche gemeinsame Wand einfach erscheint, ist sie doch in Wirk- lichkeit eine Doppelwand; jede Zelle ist rings von ihrer eigenen Membran umgeben, und wo zwei Zellen aneinanderstoßen, da besteht die gemeinsame Wand aus den gleichgroßen Stücken der beiderseitigen Eigenmembranen, welche durch eine Kittsubstanz miteinander fest verklebt sind. Man nennt diesen Kitt die Interzellularsubstanz. In den Geweben der höheren Pflanzen bildet dieselbe in der Regel eine so äußerst dünne Schicht, daß sie selbst bei stärkster Vergrößerung nicht direkt unterscheidbar ist (es sei denn zuweilen in den Zwickeln, wo drei oder vier Zellen ohne Interzellularraum aneinanderstoßen und wo die Interzellularsubstanz dicker zu sein pflegt, s. Figur 4, i). Da aber die Inter- Fig. 4. Querschnitt durch das Stammholz der Kiefer (Pinus silvestris). 400/1. 1 ter- ticäre, 2 sekundäre, 3 primäre Membran (Mittel- lamelle), i ein Zwickel der Primärmembran, in dem die Interzellularsubstanz sichtbar ist. Zellularsubstanz eine andere chemische Zu- sammensetzung und andere Eigenschaften als die Eigenmembran der Zellen hat, so gibt es Mittel, sich von ihrer Existenz zu über- zeugen. Eines dieser Mittel ist die Maze- ration, d. i. die Behandlung mit Reagenzien (z. ß. eiueni Gemisch von Salpetersäure uud Kaliumchlorat in der Wärme), welche die Gewebe (Gewebe der Pflanzen) 1151 Interzellulcirsubstanz schneller zerstören als die Eigenmembran; die Verbindung der Zellen untereinander wird also aufgehoben und das Gewebe zerfällt in seine Bestand- teile, — • eine oft angewandte Methode zum genaueren Studium der Zellen und Gewebe. Eine ähnliche Wirkung haben die Ausschei- dungsprodukte gewisser Bakterien, man kann also die Gewebe auch durch Fäulnis mazerieren. Die Festigkeit der Interzellularsubstanz ist relativ gering. Da nun die Zellen infolge des Turgors streben sich abzurunden und infolgedessen in den scharfen Ecken und Kanten starke Spannungen entstehen, so findet hier leicht ein Zerreißen der Interzel- lularsubstanz statt, die gemeinsamen Wände spalten sich auf gewisser Strecke und es entstehen schizogene Interzellularen (Fig. 71, S. 1199). Eine soeben gebildete Zellwand ist äußerst zart, glatt und homogen. Gewöhnlich wächst sie nun zunächst in die Fläche (wo- durch das Wachstum der Zelle bedingt wird) und zugleich auch in die Dicke. Oft ist die Membranverdickung absolut unbedeutend und die Zelle bleibt dauernd dünnwandig; sie kann aber auch nach Erreichung der defini- tiven Zellengröße noch fortschreiten und einen manchmal sehr bedeutenden Grad erreichen. Bei stärkerer Verdickung bleibt die Zell- membran nur selten in ihrer ganzen Masse gleichartig; meist lassen sich in ihr zwei oder mehr Schalen unterscheiden, welche sich in ihrer chemischen oder physikalischen Beschaffenheit unterscheiden und mehr oder weniger deutlich voneinander abgesetzt sind (Fig. 4, 5j. Das sieht so aus, als seien mehrere Fig. 5. Aus dem Mark von Hoya carnosa. 370/1. Dünnwandige und dickwandige Paren- chymzellen ; in der geschichteten Sekundär- membran der letzteren Tüpfelkanäle, in der oberen Zelle verzweigt; in der unteren Zelle sind die Mündungen der Tüpfelkanäle auch in der Aufsicht zu sehen, p primäre, s sekundäre Membran, i Interzellularen. Frei nach Dippel. Membranen ineinandergeschachtelt, und zu- weilen handelt es sich auch wirklich um eine wiederholte Membranbildung: nach eini- ger Zeit (zuweilen erst nach Jahren) scheidet der Protoplast eine neue Membran aus, welche sich der alten von innen anlagert. Die ursprüngliche primäre Membran der Zellen, welche meist dünn ist, bildet dann in dem Gewebe ein zusammenhängendes Netz- werk, dessen Maschen (die Zellräume) von je einer in sich geschlossenen, oft stark ver- dickten sekundären Membran ausge- kleidet sind; in gemeinsamen Wänden bildet die Primärmembran eine unpaare mittlere Lamelle (sie wird daher auch die Mittel- lamelle genannt), und beiderseits von ihr liegen die Sekundärmembranen der beiden Zellen. Wenn der Prozeß der Membranbil- dung sich wiederholt, so entsteht eine weitere Schale, die tertiäre Membran, usw. Eine solche Zusammensetzung aus Schalen braucht aber nicht notwendig die Folge sprungweise unterbrochener Membranbildung zu sein; sie kann auch durch nachträgliche innere Differenzierung in der kontinuierlich wach- senden, anfänglich homogenen Membran zustande kommen, und dies ist wohl der häufigere Fall. Unabhängig von der besprochenen Zu- sammensetzung aus gröberen Schalen weisen verdickte Membranen, besonders in der Se- kundärmembran, sehr oft eine zarte Schich- tung auf, d. i. eine Differenzierung in eine Anzahl dünner, konzentrischer, durch Dichte und Lichtbrechung sich unterscheidender Schichten oder Lamellen (Fig. 5).^ Die Membranverdickung ist fast nie ringsherum ganz gleichmäßig. Zuweilen be- schränkt sich die stärkere Verdickung nur auf eine oder mehrere Wände der Zelle, während die übrigen Wände dünn bleiben oder doch sich schwächer verdicken (Fig. 18, S. 1162). Eine andere Form der Ungleichmäßig- keit besteht darin, daß nur schmale Streifen der Membran verdickt werden. Die ent- stehenden Verdickungsleisten, deren Ge- samtheit eine unterbrochene Sekundärmem- bran darstellt, sind der dünnen Primär- membran von innen aufgelagert und ragen an Durchschnitten wulstförmig in das Lumen der Zelle vor (Fig. 6) ; sie sind zu einem Netz- werk verbunden, oder sie haben die Form von Spiralen oder Ringen, welche die Zelle ringsherum umziehen (netzförmige, s p i r a - lige und ringförmige Membranverdickung). Weit verbreiteter als diese Formen der ungleichmäßigen Membranverdickung, welche nur in bestimmten Geweben vorkommen, ist die sogenannte Tüpfelung der Membran; diese findet sich in nicht gar zu dünnwandigen Zellen allgemein. Unter einem Tüpfel (Fig. 7) hat man eine begrenzte dünne Stelle in einer mehr oder weniger verdickten Mem- bran zu verstehen; der Name kommt daher, daß eine solche dünne Stelle, von der Fläche 115-2 Grewebe (Gewebe der Pflanzen) gesehen, bei geeigneter Einstellung des Mikroskops als ein hellerer Fleck (Tüpfel) in der Membran erscheint. Der Umriß der Fig. 6. Querschnitt durch das innere Rinden- gewebe der Wurzel von C u n n i n g h a m i a s i n e n - sis (Coniferae). 260/1. Zellmembran mit Ver- dickungsleisten, welche im Durchschnitt, in einigen Zellen auch in der Aufsicht zu sehen sind. In der innersten Zellschicht a bilden die Leisten Ringe, in den übrigenZellen ein lockeres Netzwerk. Tüpfel kann kreisförmig, elliptisch oder auch schmal spaltenförmig sein (Fig. 7). Tüpfel kommen zustande, indem bei der Verdickung N. Fig. 7. Schema der Tüpfel; links ein einseitiger, rechts ein zweiseitiger Tüpfel im Durchschnitt, in der Mitte verschiedene Umrisse solcher Tüpfel in der Aufsicht. der Membran begrenzte Stellen ausgespart werden und unverdickt bleiben; an solchen Stellen ist die sekundäre Membran (oder all- gemeiner gesagt, die Verdickungsschicht) durchlöchert. Im Durchschnitt präsentiert sich ein Tüpfel als ein von dem Zelllumen ausgehendes Grübchen in der Membran, welches außen durch eine dünne, zur Primär- membran gehörige Schließ haut abgeschlos- sen ist. Die Tiefe des Grübchens ist natürlich von dem Grade der Membranverdickung abhängig; bei schwacher Verdickung sind die Tüpfel flach, bei sehr starker Verdickung werden sie zu langen schmalen Kanälen (Tupf elkanäle,Fig.5,S.1151); zwei oder mehr solche Kanäle können sich nach innen zu vereinigen und mit gemeinsamer Oeff- nung in das Zelllumen münden, so daß verzweigte Tüpfelkanäle zustande kommen. Grenzt eine dickwandige Zelle an eine dünnwandige, ist also die beiden gemeinsame Wand nur von der einen Seite her verdickt worden (Fig. 5, 7), so finden sich Tüpfel nur auf dieser Seite, während auf der anderen die Membran glatt bleibt, — die Tüpfel sind einseitig; ebenso in Wänden, welche an Interzellularen grenzen (obwohl solche Wände nur selten Tüpfel führen). Wenn dagegen beide aneinandergrenzenden Zellen ihre Membran ver- dicken, so pflegen die beiderseitigen Tüpfel genau aufeinander zu passen (zu korrespondieren), es bilden sich zweiseitige Tüpfel, genauer Tüpfelpaare; ein solches Tüpfelpaar bildet einen die ganze Dicke der gemeinsamen Zellwand durchquerenden, von Lumen zu Lumen reichen- den Kanal, welcher aber in der Mitte durch die Scldießhaut unterbrochen ist (Fig. 5, 7). Manch- mal ist (He Membran so dicht mit Tüpfeln über- sät, daß zwischen ihnen nur ein schmales Gitter- werk von verdickten Membranstreifen übrig bleibt und die Membran im Durchschnitt an eine lockere Perlenschnur erinnert; solche Fälle bilden einen Uebergang zu der netzförmigen Membran- verdickung. Die Bedeutung der Tüpfel besteht darin, daß sie leichter permeable Stellen in der sich ver- dickenden Membran darstellen und so den Stoffaustausch zwischen den Zellen ermöglichen ; je dicker die Membran wird, desto schwerer läßt sie Wasser und gelöste Stoffe durchtreten, und wenn die Verdickungsmasse nicht durch Tüpfel unterbrochen wäre, so würde der Protoplast sich in seinem eigenen Grabe einmauern. So wird die allgemeine Verbreitung der Tüpfel in dickwandigen Zellen verständlich. Von den geschlossenen Tüpfeln scharf zu unterscheiden sind die ungleich selteneren, nur auf einzelne Gewebearten beschränkten offenen Perforationen oder Poren, welche durch Auflösung (Resorption) bestimmter Partien der Zellmembran entstehen. Meist sind es die Schließhäute von Tüpfeln, welche bald nur siebartig durchlöchert, bald ganz resorbiert werden; im extremen Fall kann aber auch eine Resorption bestimmter Zell- wände in ihrer ganzen Ausdehnung statt- finden (Näheres bei den einzelnen Geweben). Durch die Perforationen treten ganze Kom- plexe von Zellen (gewöhnlich sind es aus- gedehnte Zellreihen) in offene Verbindung und verwandeln sich in eine sogenannte Zellfusion, in der übrigens meist die Gren- zen der einzelnen Zellen (der Glieder der Zellfusion) an den nicht resorbierten Resten der trennenden Wände deutlich kenntlich bleiben. Man hat früher die Zellfusionen den Zellen als etwas wesentlich Verschiedenes gegenüber- gestellt. In neuerer Zeit hat es sich aber ge- zeigt, daß die Protoplasten lebender Zellen sehr häufig durch äußerst feine, aber zahl- reiche Fäden, die Plasmaverbindungen oder Plasmodesmen, miteinander in direk- ter Verbindung stehen; vielleicht ist das sogar ganz allgemein der Fall, was jedoch infolge der Schwierigkeit der Untersuchung noch nicht als sichergestellt gelten kann. Gewöhnlich durchsetzen die Plasmodesmen in größerer Zahl die Schließhäute der Tüpfel. Obwohl die von ihnen ausgefüllten Membran- Gewebe (Gewebe der Pflanzen) 1153 poren viel feiner sind, als die oben be- sprochenen, durch Resorption entstehenden Poren, so erscheint doch der Unterschied zwischen Zellen und Zellfusionen nach dieser Entdeckung nicht mehr als ein prinzipieller, sondern nur als ein gradueller. Inkrustation versteht man die innige Vermengung der organischen Substanz der Membran mit den genannten Mineralstoffen, derart, daß die kleinsten mikroskopisch sichtbaren Membranpartikel noch aus einem Gemenge beider bestehen und daß nach Herauslösung der inkrustierenden Substanz III. Zusammensetzung und Eigenschaf- . , jg,^^,^ gkelett, nach Entfernung ten der Zellmembranen. 1)r> Grundsubstanz L^,„.. „p ;..k„„ c...u„x!„„ ,i....„u m.-.i,... der Membranen fast aller Zellen der höheren Pflanzen bildet die Zellulose, ein hoch- 1 konstituiertes Kohlehydrat, welches sich durch I große chemische Beständigkeit auszeichnet. Aus reiner Zellulose besteht die Membran frei- der organischen Substanz durch Glühen ein mineralisches Skelett übrigbleibt, welches die Form und Struktur der Membran bei- behält. Die Inkrustation kann soweit gehen, daß die Membran vorwiegend aus der in- krustierenden Substanz besteht. Die Mem- lich nur selten; gewöhnlich sind verschiedene ^^^'^^ ^.^^ hierdurch außerordentlich hart und andere, chemisch weniger widerstandsfähige, zum Teil noch ungenügend bekannte höhere Kohlehydrate oder verwandte Körper (Henii- zellulosen, Pektinstoffe) in wechselnder Quan- tität beigemengt. Die Reaktionen und die allgemeinen Eigenschaften der Membran werden aber durch die Beimengungen, wenn bekannte Substanzen, welche, wenigstens diese nicht gerade überwiegen, nur in be- zum Teil, von den Kohlehydraten gänzlich starr. c) Die Verholzung: dies ist die häufigste Modifikation der Membran. Die verholzten Membranen enthalten in mehr oder weniger großer Menge gewisse noch nicht genügend schränkten! • Maße beeinflußt daher diejenigen zellulosehaltigen Meni brauen, deren Zusammensetzung nicht tiefer- greifend verändert ist, als Zellulosemem- branen zusammenzufassen. Hierher ge- pflegt verschieden sind (Benzolderivate); es ist noch unsicher, ob diese Substanzen der Zellulose nur mechanisch beigemengt sind (nach iVrt der inkrustierenden Substanzen), oder in chemischer Verbindung mit ihr hören die Membranen der Mehrzahl der stehen. In ihrem Verhalten gegen Reagenzien Pflanzenzellen, insbesondere aller jungen, weichen die verholzten Membranen von den noch wachsenden Zellen sowie der meisten Zellulosemembranen in vielen Hinsichten ab, dünnwandig bleibenden Zellen, aber auch viele stark verdickte Membranen. Die Zellulose- u. a. werden sie durch Jodlösungen gelb gefärbt, in Schwefelsäure quellen sie wenig zinkjod (Jod in einem Gemisch von Chlor zink und Jodkali gelöst) mcmbranon zeichnen sich aus durch ver- und lösen sich schwer. In physikalischer hältnisniäßig große Dehnbarkeit und, als Hinsicht zeichnen sie sich durch stärkere Folge hiervon, Geschmeidigkeit, sowie durch Lichtbrechung aus, sie sind daher im niikro- verhältnismäßig leichte Permeabilität für j skopischen Bilde auch ohne Reagenzien an Wasser und wasserlösliche Stoffe. Sie sind dem größeren Glanz und den schärfer gezeich- an einer Reihe von Reaktionen kenntlich, j neten Konturen von Zellulose nie inbra neu von denen als die wichtigsten zu nennen sind unterscheidbar. Ihre wichtigste Eigenschaft die starke Quellung und darauffolgende ist aber die sehr geringe Dehnbarkeit und die Lösung in konzentrierter Schwefelsäure und daraus folgende Starrheit; durch Verholzung die Biäuuno- durch das sogenannte Chlor- wird die Membran auch bei geringer Dicke steif. Eine Folge dieser Eigenschaft ist es auch, daß verholzte Zellen, auch wenn sie c , o^ t ■, r ^ II 1 u lebend bleiben, nicht mehr wachstumsfähig Sehr oft erfahren die Zellulosemembranen ^^^^^ nach dem Auswachsen der Zellen Verände- rungen, durch welche ihre physikalischen d) Die Verkorkung (im weiteren Sinne und chemischen Eigenschaften erheblich ver- des Wortes, mit Einschluß der Kutini- ändert werden. Solche Modifikationen | sation): sie ist weniger häufig, aber doch der Zellmembran sind: ' '' ' -' ■ --'• > i.^ _.-i? .i--t:-:.. a) Die Verschleimung: beruht auf einer Umwandlung der Bestandteile der Membran in gallertige oder schleiraartige, in Wasser stark quellende Substanzen. Sie ist eine Degenerationserscheinung und relativ wenig verbreitet. b) Die Verkalkung und Verkie sein ng: beide ebenfalls von nur beschräidvtor Ver- breitung, beruhen auf der lidcrusiation der Die Verkorkung beschränkt sich meist nur Zellulosemembran mit Calciumkarbonat resp. auf eine bestimmte Lamelle der Membran, amorphem Kieselsäureanhydrid (SiOa). Unter diese kann aber im extremen Fall ganz Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV. 73 nocn recht verbreitet. Sie beruht auf der Ein- lagerung von fettähnlichen Substanzen (ester- artigen Verbindungen höherer Fettsäuren), welche durch die Unlöslichkeit in den Lösungs- mitteln der Fette sich von diesen unterschei- den ; es sind anscheinend Gemische mehrerer, in den Einzelfällen nicht identischer Substan- zen, welche aber noch nicht hinreichend be- kannt sind und vorläufig zusammenfassend Suberin oder Kutin genannt werden. 1154 Gewebe (Gewebe der Pflanzten) aus Suberin ohne Beimengung von Zellulose bestehen. Verkorkte Membrcanen resp. Lamellen färben sich mit Jodlösungen gelb bis braun, in konzentrierter Schwefelsäure sind sie weder löslich noch quellbar. Sie haben eine sehr starke Lichtbrechung (wie die fetten Gele), daher im mikroskopischen Bilde sehr scharfe dunkle Konturen, so daß dünne verkorkte Lamellen in Durchschnitten fast schwarz erscheinen. Von der verholzten Membran unterscheidet sich die verkorkte durch größere Dehnbarkeit, und von allen anderen Membranmodifikationen durch ihre geringe Durchlässigkeit für Wasser, gelöste Stoffe und Gase; sehr stark verkorkte und nicht zu dünne Membranlamellen sind fast vollkommen undurchlässig. Durch diese Eigenschaft wird hauptsächlich die physio- logische Bedeutung der Verkorkung bestimmt. Literatur. Siehe die Artikel „Zelle" und „Zellteil »»;/•'. 3. Die Bildungsgewebe. I. Der Ort der Bildungsgewebe. IL Ur- meristeni, Scheitelzelle und Liitialzellen. IIL Primäre und sekundäre Meristeme. I. Der Ort der Bildungsgewebe. Es ist eine der Eigentümlichkeiten, durch welche sich die Pflanzen, insbesondere alle höheren Pflanzen, von den Tieren unterscheiden, daß ihr Wachstum ein dauerndes, aber lokali- siertes ist. Die Pflanze wächst, solange sie lebt, wenn auch mit periodischen Unter- brechungen; sie wächst aber nicht als ganzes, sondern es wachsen ihre einzelnen Organe oder wenigstens einige derselben; und in jedem wachsenden Organ ist, wenn wir von seinem embryonalen Jugendzustand absehen, nur eine bestimmte Region im Wachstum begriffen. In dieser Region, der Wachstumszone, haben wir die Bildungs- gewebe zu suchen. Bei den in die Länge wachsenden, meist annähernd zylindrischen Stengeln und Wurzeln nimmt die Wachs- tumszone die konisch verschmälerte Gipfel- partie (den Vegetationskegel) ein, welche bei deu Stengeln von den jungen Blättern uudiidlt, bei den Wurzeln von der Wurzel- haube bedeckt ist; an der Spitze des Vege- tationskegels, welche dem bloßen Auge jmr als ein Punkt erscheint und daher Vegeta- tionspunkt genannt wird, befindet sich das in embryonalem Zustand verharrende Bildungsgewebe, von welchem direkt oder •indirekt alles Gewebe des Organs abstammt, — das Urmeristem. Die Wachstumszone liegt jedoch nicht immer ausschließlich und dauernd am Gipfel des Organs. Unter den Blättern der Gefäßpflanzen wachsen nur diejenigen der Farne längere Zeit mittels eines am Gipfel befindichen Urmeristems in die Länge; bei den übrigen Blättern wird das Wachstum am Gipfel bald eingestellt, das Meri- stem geht hier zuerst in Dauergewebe über, wähi-end die Basis noch eine Zeitlang (bei den linealen Blättern einiger Monokotylen, z. B. der Hyazinthe, noch ziemlich lange) zu wachsen fortfährt; hier ist also eine basale Wachstums- zone vorhanden. Auch bei manchen Stengeln, sehr ausgesprochen z. B. bei denen der Gräser, bleibt an der Basis jedes Gliedes (Internodiums), wenn es aus dem embryonalen Zustand heraus- tritt, eine Wachstumszone erhalten, durch deren Tätigkeit die Stengelglieder sich zu verlängern fortfahren, nachdem das Urmeristem nach Aus- bildung der Infloreszenz seine Tätigkeit ein- gestellt hat. Das Meristem dieser interkalaren (eingeschobenen) Wachstumszonen leitet sich aber direkt von dem Urmeristem im Vegetations- punkt des Stengels ab und ist nichts weiter als eine Querzone des ursprünglichen gipfelständigen Meristems, welche den Meristemcharakter noch bewahrt, wenn andere Querzonen bereits zu Dauergewebe geworden sind. II. Urmeristem, Scheitelzelle und Ini- tialzellen. Wenn man die Bildungsgewebe überhaupt als solche Gewebe definieren kann, deren Zellen in Wachstum und zugleich in Vermehrung begriffen sind, so läßt sich das Urmeristem gegenüber anderen Bildungs- geweben u. a. dadurch charakterisieren, daß in ihm Wachstum und Vermehrung der Zellen im Gleichgewicht sind ; sobald die Produkte einer Zellteilung (welche in vegetativen Meristemen stets eine Zweiteilung ist) sich durch Wachstum soweit vergrößert haben, daß ihr Volumen ungefähr doppelt so groß ist als es unmittelbar nach der Teilung war, j teilen sie sich ihrerseits wieder in je zwei ' Zellen, und so fort. Das Resultat ist, daß die Zellen des Urmeristems durchschnittlich die gleiche Größe beibehalten. Es sind I Zellen von annähernd gleicher, sehr geringer ! Größe (mit bald zu erwähnenden Aus- i nahmen) und von parenchymatischer Form, mit äußerst zarter Membran, reichlichem dichtkörnigem Plasma, welches das Lumen gänzlich ausfüllt oder nur kleine Vakuolen enthält, und relativ großem Zellkern (Fig. 12A, S. 1157). Die Verbindung der Zellen untereinander ist meist noch eine lücken- jlose, seltener beginnt schon im Urmeristem I die Bildung sehr enger schizogener Inter- zellularen. Die Zellteilungen erfolgen in verschie- [ denen Richtungen des Raumes ; man unter- scheidet zwei Richtungen derselben: der Oberfläche parallele oder perikline und j zur Oberfläche senkrechte oder antikline.^) /) Diese Begriffe fallen mit den früher charak- terisierten Richtungen (der Querrichtung und der Längsrichtung, welche ihrerseits die radiale und die tangentale Richtung umfaßt) nicht ganz zusammen, weil letztere für zylindrische Körper gelten, erstere aber für den kuppenförmigen Vegetationskegel, in dem die Richtung der GeAvebe (Gewebe der Pflauzon) 1155 Andere, schräg zur Oberfläche gerichtete Teillingsrichtungen kommen im allgemeinen nicht vor, und damit ist eine gewisse Regel- mäßigkeit der Zellenanordnung im Ur- meristem (in Schichten oder Reihen) gegeben. Wenn in bestimmten dieser Schichten oder Reihen die eine, in anderen die andere Teilungsrichtung dominiert, so haben die Zellen eine je nach ihrer Lage verschiedene Anordnung und auch etwas verschiedene Form, es kommt also eine gewisse Differen- zierung des Urmeristems zustande, doch unter Wahrung der oben angegebenen all- gemeinen Charaktere des Gewebes. Auf diese Differenzierungen kommen wir später noch zurück. Trotz des beständigen Wachstums seiner Zellen behält das Urmeristem als ganzes ein unverändertes Volumen, und trotz der beständigen Zellteilungen wächst die Zahl seiner Zellen nicht ins Unendliche, sondern bleibt annähernd konstant. In dem Maße nämlich, wie Wachstum und Zellvermehrung fortschreiten, verlieren die vom Scheitel w^eiter entfernten Zellen den Charakter des Urmeristems. Gewisse am Scheitel oder in dessen Nähe liegende Zellen behalten aber unbegrenzt (solange das Urmeristem über- haupt als solches existiert) die Fälligkeit zu wachsen und sich zu teilen; diese Zellen reproduzieren das Urmeristem beständig, während seine übrigen Zellen — die Ab- kömmlinge der obigen — früher oder später das Wachstum und die Teilungen einstellen. Diese dauernd teilungsfähigen Mutterzellen des Urmeristems heißen Initialzellen. Im einfachsten Fall ist nur eine solche Zelle vorhanden, welche den Scheitel selbst einnimmt und daher die Scheitelzelle genannt wird; sie zeichnet sich gewöhnlich nicht nur durch ihre Lage, sondern auch durch ihre Größe und Form auffallend vor den übrigen Urmeristemzellen aus, und ist daher ohne weiteres kenntlich, sowohl bei Betrachtung des Vegetationspunktes von oben, wie an medianen Längsschnitten durch denselben. Bei der Teilung der ScheitelzeUe entstehen zwei ungleichwertige Produkte ; das eine derselben bleibt Scheitelzelle, es wächst heran, teilt sich wieder, und so weiter ohne Grenze; das andere Produkt, die Segment- zelle oder kurz das Segment, kann zwar ebenfalls wachsen und sieh teilen, aber nur begrenzt. So produziert die Scheitelzelle, ohne sich selbst bleibend zu verändern, ein Segment nach dem anderen. Oberfläche zur Längsachse am Scheitel anders ist als an den Seiten. Perikline Wände sind am Scheitel senki-echt zur Längsachse, an den Seiten ihr ungefähr parallel (tangental); antikline Wände sind am Scheitel radial, an den Seiten können sie sowohl quer als radial sein. Ohne auf die sehr mannigfaltigen Ver- hältnisse bei den niederen Pflanzen einzugehen, wenden wir uns gleich zu den Gefäl.;i)llanzcn, unter denen die meisten Pteridophyten mit Scheitelzellen wachsen. Die Scheitelzelle tritt hier gewöhnlich in einer der zwei folgenden Formen auf: die zweiseitige Scheitel- zelle (Fig. 8) hat die Form eines Keiles mit zwei schwach gewölbten Seiten, die drei- seitige (Fig. 9) die Form einer Pyramide Fig. 9. Fig. 8 und 9. Schemata von Scheitelzellen und ihrer Teilungsweise, A in der Aufsicht, B im me- dianen Längsschnitt. — Fig. 8 zweiseitig-keil- förmige Scheitelzelle (Modell: Stamm von Pteris aquilina). —Fig. 9 dreiseitig-pyramidale Scheitel- zelle (Modell: Stamm von Equisetum). s die Scheitelzelle. Ihre Teilungswände der Reihe nach beziffert und durch stärkere Konturen hervor- gehoben . Frei nach N ä g e 1 i und S c h w e n d e n e r. mit drei flachen Seiten; beide haben außer- dem noch eine gewölbte Grundfläche, welche nach außen gekehrt ist und mit der Oberfläche des Vegetationspunktes zusammenfällt. Die Teilungen erfolgen in beiden Fällen in der- selben gesetzmäßigen Weise: durch Teilungs- wände, welche abwechselnd je einer der Seitenflächen ungefähr parallel liegen, werden von der Scheitelzelle tafelförmige Segmente abgeschnitten; die zweiseitige Scheitelzelle produziert also zwei, die dreiseitige drei Längsreihen von Segmenten. Die Segmente wachsen ihrerseits und teilen sich in gesetz- mäßiger, aber in den Einzelfällen ungleicher Folge, bis sie in einiger Entfernung vom Scheitel in ein kleinzelliges, nahezu gleich- artiges Meristem verwandelt sind, in dem sich infolge der stattfindenden Verschiebungen und Brechungen der Zellwände die Grenzen der aus den einzelnen Segmenten entstandenen Zellkomplexe nicht mehr erkennen lassen. 1156 Gewebe (Gewebe der Pflanzen) Die ausnahmsweise vorkommende vierseitig- pyramidale Scheitelzelle bietet prinzipiell nichts Neues. Die Komplikation, welche bei den mit einer Haube versehenen Wurzeln stattfindet, wird im Kapitel ii besprochen werden. Zwischen dem Wachstum mit einer Scheitelzelle und dem mit mehreren Initial- zellen ist prinzipiell kein großer Unterschied, und es gibt Pflanzen, bei denen je nach Individuum oder Alter bald das eine, bald das andere sich findet. Denkt man sich in Figur 8 die zweiseitige Scheitelzelle durch eine mediane Ltängswand in zwei plankonvexe Zellen geteilt, von denen die eine die linke, die andere die rechte Reihe von Segmenten produziert, so hätte man zw^ei Initialzellen statt einer Scheitelzelle, ohne daß sich sonst das geringste zu ändern brauchte; wenn noch eine zweite, mit der ersten sich recht- winkelig kreuzende Längsteilung stattfände, so hätten wir eine Gruppe von vier Initialen. Verhältnisse, welche von diesen beiden imaginären Fällen nur in unwesentlichen Punkten abw^eichen, sind tatsächlich bekannt. In beiden Fällen liegen die Initialen neben- einander in derselben Ebene, beiderseits von der Mediane oder rings um die Längs- achse gruppiert und in ihr sich berührend. Die Initialen können aber auch überein- ander, in zwei oder mehr Etagen liegen, und auch dieser Fall ist unschwer von einer Scheitelzelle abzuleiten. Man denke sich in Figur 8 B oder 9 B die Scheitelzelle durch eine perikline Wand in zw^ei übereinander liegende Zellen zerlegt; jede dieser Zellen kann nun als Initiale fungieren, indem sie fortfährt sich in derselben Weise zu teilen, wie es die Scheizelzelle tat. Die untere Initiale wird dann einen zentralen Kern von Meristem produzieren, die obere einen peripherischen Gewebemantel, welcher jenen Kern so-\vohl am Scheitel wie seitlich umhüllt. — Ebenso können wir uns die Scheitelzelle durch mehrere perikline Wände in eine axile Reihe von mehr als zwei Initialen zerlegt denken, von denen jede sich selbständig weiter teilt und nach Maßgabe der Teilungen wächst; es werden sich dann außer dem zentralen (iewebekern mehrere mantelförmige Gewebe- lagen bilden, welche einander gegenseitig umhüllen und von denen jede von einer eigenen Initiale produziert wird. Wir können noch einen Schritt weiter gehen und die beiden von uns gemachten Annahmen kombinieren. Von den in einer Längsreihe übereinander angeordneten Initial- zellen können sich nämlich einige (oder alle) durch eine oder zwei antikline Wände, welche einander in der Längsachse des Vegetationspunktes schneiden, in je eine Gru-|)pe von zw^ei oder mehr nebeneinander liegejiden Initialen teilen; wir haben dann eine körperliche Gruppe von kleinen Initial- [ Zellen, welche in zwei oder mehr Etagen angeordnet sind, — der bei den höheren Pflanzen wohl häufigste Fall (Fig. 10, 11). Fig. 10. ^Medianer Längsschnitt durch den Vege- tationskegel des Stengels von Hippuris vul- garis. 240/1. d Dermatogen, pr Periblem, pl Plerom, i dessen Initialgruppe; f jüngste Blatt- anlage. Nach Strasburger. Fig. 11. Längsschnitt durch den Stammscheitel eines Samenkeims der Gartenbohne (Phase olus multiflorus). ss der Scheitel, pb Teile der Keimblätter. Nach Sachs. Bei den Teilungen dieser Initialen bleibt jedesmal die dem Scheitel nähere resp. die die Längsachse berührende Tochterzelle die Initiale, die andere ist eine Segmentzelle. Wesentlich ist hierbei, daß die Initialen, mit Ausnahme der untersten (innersten) Etage, sich nur antiklin, aber nicht periklin teilen, so daß die Zahl der Etagen sich nicht vermehrt. Ein oder wenige Mal im Laufe der Entwickelung kann das allenfalls geschehen; wenn aber die oberen Etagen ständig an Zahl zunähmen, so würde offenbar die unterste Etage immer weiter vom Scheitel entfernt und schließlich ganz aus Gewebe (Gewebe der Pflanzen) 1157 dem Urineristem hinausgerückt werden. Erst die Segmentzellen der oberen Initialen oder ihre Abkömmlinge können sich auch periklin teilen, da dies nur zu einer Vermehrung der seitlichen Schichten führt; mit anderen Worten, es können mehrere seitliche Zellschichten sich scheitelwärts vereinigen und in eine einzige Schicht von Initialzellen zusammenlaufen. — Für die unterste Etage von Initialen gilt die obige Einschränkung nicht, diese Zellen können sich sowohl antiklin wie periklin teilen ; oft teilen sie sich faktisch nur periklin (d. h. im gegebenen Fall c^uer, wobei jedesmal die obere Tochterzelle eine Initiale bleibt, die untere ein Segment ist), und erst in ihren Segmentzellen finden auch L'ängsteilungen statt (Fig. 10, i). Natürlich sind in solchem Fall die untersten Initialzellen nicht nach unten zugespitzt (wie es bei unserer der Anschaulichkeit halber gemachten Ableitung derselben von einer spitzen Scheitelzelle der Fall sein müßte), sondern cjuer abgestutzt. Wenn mehrere Initialzellen vorhanden sind, so brauchen sie sich weder in Form noch in Größe auszuzeichnen, sondern können den Segmentzellen ganz ähnlich sein, so daß das Urmeristem bis zum Scheitel aus ungefähr gleichartigen Zellen besteht (Fig. 10). Welche Zellen die Initialen sein müssen resp. können, läßt sich alsdann nur nach ihrer Lage gegenüber den anderen erkennen, und es kann unsicher bleiben, ob eine Zellschicht am Scheitel nur eine oder mehr Initialen hat. Bei weniger regelmäßigem Bau des Ur- meristems (wie in Fig. 11) kann manchmal auch die Zahl der Etagen der Initialen nicht mit Sicherheit festgestellt werden. III. Primäre und sekundäre Meristeme. In dem Maße, wie die Zellen des Urmeristems älter werden und sich von dem Sclieitel entfernen, werden ihre Teilungen seltener, während ihr Wachstum nicht nachläßt, meist vielmehr noch zunimmt. Damit ver- liert das Gewebe den Charakter des Ur- meristems und wird zu primärem Meri- stem. Das durchschnittliche Volumen der Zellen nimmt mit steigender Entfernung vom Vegetationspunkt zu, aber die Ver- mehrung des Protoplasmas hält mit ihrem Wachstum nicht gleichen Schritt, dieses wird vielmehr hauptsächlich durch Aufnahme von Wasser zuwege gebracht: es bilden sich also im Plasma alsbald Vakuolen (wofern sie nicht schon im Urmeristem vorhanden waren), dieselben wachsen schnell heran und vereinigen sich schließlich zu einem großen Saftraum (Fig. 12). Etwa gleichzeitig mit diesen Vorgängen erfolgt eine Differenzierung des Meristems. Die einen Zellen, gewöhnlich die Haupt- masse bildend, teilen sich nach Maßgabe ihres Längenwachstums ausschließlich oder doch ganz vorwiegend durch Querwände, sie bleiben also relativ kurz und breit, paren- chymatisch; zugleich bilden sich zwischen ihnen (wenn auch oft nicht überall) schizo- gene, zunächst enge Interzellularen aus, welche im mikroskopischen Bild infolge ihres Luftgehalts als schmale schwarze Streifen J Fig. 12. Entwickelung der Meristemzellen der j Wurzelrinde der Kaiserkrone (Fritillaria im- perialis). 550/1. A aus dem Urmeristem, B j2 mm oberhalb des Vegetationspunktes, C fast erwachsene Zelle, 8 mm oberhalb des Vegetations- punktes. Frei nach Sachs. zwischen den Längsreihen der Zellen erschei- nen (Fig. 11). In anderen Längsreihen von Zellen, welche einzeln zwischen den vorigen eingestreut oder zu Gruppen oder zu einem Hohlzylinder vereinigt sind, werden die Querteilungen allmählich seltener, dagegen treten häufige, verschieden gerichtete Längs- teilungen ein; auf diese Weise verwandelt sich die Längsreihe von Zellen in ein Bündel enger aber langgestreckter, also prosen- chymatischer Zellen (Fig. 13). Dazu kommt gewöhnlich noch, daß hier die Bildung ! von Interzellularen ausbleibt, und daß die ab und zu entstehenden Querwände nicht genau quer, sondern mehr oder weniger schräg gestellt sind, so daß die Zellen spitze Enden haben ; mit dem weiteren Wachstum nimmt die Zuspitzung allmählich noch zu. In [ Figur 13 ist die Grenze zwischen dem prosenchymatischen und dem parenchyma- ; tischen Meristem eine sehr scharfe ; es kann I aber auch an der Grenze beider ein mehr I allmählicher Uebergang stattfinden. — Die äußerste Zellschicht des parenchymatischen Meristems (e in Fig. 13, A, B) hat zwar die allgemeinen Eigenschaften mit diesem gemein, : setzt sich aber schon durch ihre oberflächliche Lage, oft auch durch häufigere Teilungen von dem übrigen Gewebe mehr oder weniger auffallend ab, und zeichnet sich gewöhnlich noch dadurch aus, daß ihre Zeilen sich nur 1158 Gewebe (Gewebe der Pflanzen) antiklin teilen, weshalb sie dauernd den Charakter einer regelmäßigen, einzelnen Zell- schicht bewahrt. — So kann man also dreierlei primäre Meristeme unterscheiden: 1. Die 'v;,A - Fig. 13. A Längsschnitt, B Querschnitt durch ein sehr junges Blatt von Pandanus utilis. 400/1. d Desmogenstränge (aus denen Skleren- chymstränge hervorgehen), p, h Grundmeristem, e Epidermis (Dermatogen). Nach Haberlandt. äußere iJarenchymatische ZeUschicht oder das Dermatogen, 2. das übrige, die Grundmasse bildende parenchymatische Meri- stem oder das Grundmeristem, 3. das prosenchymatische Meristem oder Des- m 0 g e n ^) , welches in Form von längs verlauf en- den Strängen oder Bändern oder auch in Form eines zusammenhängenden Hohl- zylinders der Grundmasse eingesetzt ist. Wir werden später sehen, daß aus diesen primären Meristemen verschiedene Dauer- gewebesysteme hervorgehen, nämlich aus dem Dermatogen das Hautgewebe (speziell die Epidermis), aus dem Grundmeristem ^) Der Ausdruck Desniogen (Russow) ist wenig gebräuchlich, aber sehr bezeichnend und treffend ; wir ziehen ihn daher dem gebräuchliche- ren, aber irreführenden Ausdrnck Prokambium das Grundgewebe, aus dem Desmogen das Stranggewebe (Leitgewebe und Festigungs- gewebe). Die Differenzierung der drei primären Meri- steme ist nicht etwa an einen fest bestimmten Moment der Entwickelung gebunden; sie voll- zieht sich allmählich und kann auf einen längeren Zeitraum verteilt sein. So können sich im Grundmeristem noch neue Desmogenstränge differenzieren, während andere bereits angefangen haben in Dauergewebe überzugehen; andererseits ist manchmal die Differenzierung in Desmogen und Grundmeristem schon im Urmeristem an- gedeutet (Fig. 10, plund pr), und das Dermatogen (d) ist oft sogar schon am Scheitel des Vegeta- tionspunktes unterscheidbar. Nach der Differenzierung der primären Meristeme finden in den nur in die Länge wachsenden Organen (fast allen Stengeln und Wurzeln und den langen schmalen Blättern) die Zellteilungen meist nur noch in querer Richtung statt. Man findet daher an Längsschnitten das Bildungsgewebe aus regelmäßigen Längsreihen von Zellen be- stehend; eine Querreihung kommt dagegen nicht zustande, weil die Querteilungen in den benachbarten Längsreihen unabhängig von- einander in verschiedener Höhe erfolgen (Fig. 13). Diese charakteristische Anordnung bleibt meist, wenigstens im großen und ganzen, auch in den ausgewachsenen Ge- weben erhalten (vgl. z. B. Fig. 71, S. 1199). Wenn wir die Entwickelung des Bildungs- gewebes weiter verfolgen, so sehen wir mit zunehmender Entfernung vom Vegetations- punkt die Zellteilungen allmählich seltener werden und schließlich ganz aufhören; es tritt ein Uebergangszustand zwischen Meri- stem und Dauergewebe ein, den man als junges, unfertiges Dauergewebe bezeichnen kann. Das geschieht aber nicht im ganzen Querschnitteines Organs gleichzeitig, sondern an verschiedenen Stellen desselben, oft sogar in benachbarten Zellen oder Zellschichten, zu recht verschiedener Zeit. Je länger die Teilungen andauern, desto kleinzelliger wird (wofern nicht andere Umstände entgegen- wirken) das Gewebe der betreffenden Stelle im erwachsenen Zustande sein. Solange eine gegebene Querzone des Organs als Ganzes noch wächst, nehmen alle sich nicht mehr teilenden Zellen gleichmäßig an Vo- lumen zu. Einzelne Zellen, oder auch ganze Zellgruppen, können aber auch unabhängig von diesem Gesamtwachstum selbständig wachsen, und dieses Eigenwachstum bestimm- ter Elemente dauert oft auch dann noch eine Zeitlang fort, wenn das Gesamtwachs- tum bereits erloschen ist. So können einzelne Zellen ihren Querdurohniesser bedeutend ver- größern, wobei sie tUe Nachbarzellen drücken, dehnen und zur Seite schieben; andere, prosenchymatische Zellen wachsen in die Länge, indem ihre spitzen Enden sich Grewebe (Gewebe der Pflanzen) 1159 zwischen andere Zellen einschieben nnd die- selben auseinanderdrängen; noch andere wachsen an mehreren Punkten ihrer Ober- fläche aus und nehmen verzweigte Formen an. Weitere Differenzen in der Zellenform werden durch die verschiedenartige Ausbil- dung der Interzellularen während des Wachs- tums der jungen Gewebe verursacht Haben endlich die Zellen ihre definitive Größe und Form erreicht, so beginnt die endgültige Ausbildung ihrer Membran und ihres Inhalts, welche, wie wir schon sahen, ebenfalls eine sehr verschiedene sein kann. Wenn wir alle diese Momente in Betracht ziehen, welche die schließliche Ausbildung der Zellen und Gewebe beeinflussen — das ungleich- zeitige x\ufhören der Zellteilungen, das verschiedenartige Eigenwachstiim bestimmter Zellen, die ungleiche Ausbildung der Inter- zellularen, der Zellmembran und des Zell- inhalts — , so wird es verständlich, wie aus den drei primären Meristemen eine ganze Anzahl von Dauergeweben hervorgeht, welche untereinander weit größere Verschieden- heiten aufweisen, als jene Meristeme, aus denen sie entstehen. Es bleibt noch ein Umstand zu erwähnen, nämlich daß die Zellen gewisser Gewebe unmittelbar vor ihrer endgültigen Ausbildung oder selbst nachher von neuem in Teilung treten können. So zerfallen z. B. gewisse faserförmige Zellen, manchmal nachdem sie bereits ihre Membran ansehnlich verdickt haben, zu guter Letzt durch mehrere Quer- teilungen in eine ganze Längsreihe von kurzen parenchymatischen Gliedern; von den langprismatischen Zellen der Siebröhren werden vor ihrem Uebergang in den Dauer- zustand durch Längswände eine bis mehrere schmale Schwesterzellen abgeschnitten. In den eben genannten Fällen ist die Sache mit einer bis wenigen sozusagen verspäteten Teilungen abgetan, denen kein Wachstum mehr zu folgen braucht. _ Es kann aber auch in gewissen Schichten eines schon fertig ausgebildeten Gewebes, wofern dasselbe lebend ist und wenig verdickte Zellulosemembranen hat, die Teilungs- und Wachstumsfähigkeit von neuem erwachen, also eine Ait Verjüngung eintreten. So entstehen neue Bildungsgewebe, welche zum Unterschied von den direkt vom Urmeristera abstammenden primären Meristemen als sekundäre Meristeme oder Folge- meristeme bezeichnet werden. Von den Teilungsprodukten jeder verjüngten Dauer- zelle kann eines die Eigenschaften einer Initialzelle annehmen, also dauernd wachsen und sich teilen und neue, sekundäre Dauer- gewebe produzieren, manchmal in sehr be- trächtlicher Menge. Die sekundären Meri- steme entstehen fast stets im Innern eines Organs und bilden gewöhnlich eine dünne. der Oberfläche parallele Schicht; ihre Tätig- keit beginnt gewöhnlich erst in älteren Quer- zonen der Organe, in denen die primäre Gewebeentwickelung schon völlig abgeschlos- sen ist, und kann sehr lange Zeit andauern, wobei die produzierten sekundären Gewebe zwischen die primären Dauergewebe ein- geschoben werden. Ein solches, ganz typisches Folgemeristem mit einer Schicht von Initialzellen ist das Phellogen, welches den Kork erzeugt, — zum Teil auch das Kambium, welches das Dickenwachstum der Baumstämme bewirkt; wir werden uns mit beiden an anderen Stellen eingehender beschäftigen. Wie so häufig, ist die in der Theorie sehr scharfe Grenze zwischen primären und sekundären Meristemen in der Natur oft durchaus nicht scharf gezogen. So gehen gewisse Partien des Kambiums, manchmal selbst das ganze Kam- bium, direkt aus einer Schicht des Desmogens hervor, ohne daß diese zuvor zu Dauergewebe geworden und dann erst neu in Teilung getreten wäre. Da aber solche Partien des Kambiums, welche gewissermaßen die Fortsetzung eines primären Meristems sind, sich in ihrer charak- teristischen Tätigkeit nicht von anderen Kam- biumpartien typisch sekundären Ursprungs unterscheiden, so bleibt nichts anderes übrig, als sie ebenfalls zu den sekundären Meristemen zu rechnen. Es ist das ein gutes Beispiel dafür, wie man oft bei der Einteilung der Gewebe genötigt ist, ein Auge zuzudrücken, will man nicht entweder ganz widernatürliche Grenzen schaffen oder auf eine Einteilung überhaupt verzichten. Literatur. C. Nagelt, Die neueren Algensysteme, 18 47. — J. Sachs, Uebcr die Anordnung der Zellen in jüngsten Pflanzenteilen. Arbeiten des Botanischen Instituts in Würzburg, II, 1878. — 6?. Krahhe, Bas gleitende Wachstum bei der Gewebebildung der Gefäßpflanzen. — Ferner einige der im Kapitel 10 genannten Werke. 4, Die Hautgewebe, L Epidermis. IL Haare. III. Spaltöffnungen. IV. Kork. V. Lenticellen. Alle j Organe der höheren Pflanzen sind von einer zusammenhängenden Hülle be- deckt, weiche aus einer bis mehreren oder selbst vielen Schichten ungefähr gleichartiger, regelmäßig angeordneter Zeilen besteht. Dieses Hautgewebe grenzt den Pflanzen- körper gegen das Außenmedium ab, schützt ihn vor allerlei schädlichen Einwirkungen, vermittelt den Stoffaustausch mit dem Außenmedium und reguliert ihn, indem sie ihn unter Umständen einschränkt und in unschädlichen Grenzen hält. Unter den einzelnen Teilfunktionen, aus denen sich diese Gesamtfunktion der Hautgewebe zu- sammensetzt, tritt eine insofern besonders her- vor, als zu ihr die auffälligsten anatomischen Charaktere der Hautgewebe in Beziehung stehen, — nämlich die Regulierung des Wasserverlustes IIGU Gewebe (Gewebe der Pflanzen) durch Verdunstung (Transpiration), mit anderen Worten, der Schutz vor übermäßiger Verdunstung. Eines solchen Schutzes bedürfen aber offenbar nur die von Luft umgebenen Pflanzenteile, und zwar um so mehr, je trockener die Luft, je stärker die Beleuchtung (welche auf die Verdunstung der Pflanzen großen Einfluß hat), und je geringer zugleich die Wasseraufnahme durch die Wurzeln ist. Besonders charakteristisch beschaffen sind daher die Hautgewebe an den oberirdischen Organen der Landpflanzen, zumal bei den Xerophyten (Bewohnern trockener, stark be- sonnter Orte) und Epiphyten (baumbewohnenden Pflanzen ohne Boden wurzeln); hingegen sind bei unterirdischen Organen und noch mehr bei den submersen Wasserpflanzen, welche überhaupt kein Wasser verdunsten, manche Charaktere des Hautgewebes schwach oder gar nicht aus- geprägt, so daß hier oft die Hautgewebe sich viel weniger von den angrenzenden Gewebe- schichten unterscheiden. Es gibt mehrere verschiedene Arten von Hautgeweben, von denen zwei weit verbreitet sind: die Epidermis oder Oberhaut und das Korkgewebe (kurz: der Kork).^) Die Epidermis findet sich ursprünglich bei allen höheren Pflanzen und an ihren sämt- lichen Organen; sie bleibt aber nur an solchen Organen zeitlebens erhalten, welche entweder nur eine Vegetationsperiode hindurch exi- stieren, oder trotz längerer Lebensdauer nicht erheblich in die Dicke wachsen; das sind vor allem die Blätter, bei krautigen Pflanzen auch alle oder die meisten übrigen Organe. Bei den ausdauernden und sich verdickenden Pflanzenteilen (Stämme, Zweige und Wurzeln der Holzgewächse, die meisten Rhizome und Knollen der dikotylen die Epidermis auch dann, wenn ihre Zellen sich in Form und Größe nicht von den angrenzenden Geweben unterscheiden, an Durchschnitten doch als eine besondere, regelmäßige Zellschicht hervor. Eine solche regehnäßige peripherische Zell- schicht — die junge Epidermis, Dermatogen — überzieht, wie wir oben sahen, gewöhnlich schon die embryonalen Anlagen der Organe und oft selbst die Vegetationspunkte (Fig. 10, S. 1156). Nur bei wenigen Pflanzen (z. B. an den Blättern mancher Arten von F i c u s , P e p e r o m i a , B e g 0 n i a ) erfährt das Dermatogen eine bis mehrere tangentale Teilungen, und es entsteht eine mehrschichtige Epidermis, welche aus 2 bis über 10 Zellschicliten bestehen kann (Fig. 74, S. 1200, Fig. 104, S. 1220); diese Schichten, deren gemeinsame Herkunft sich oft auch noch im er- wachsenen Zustande deutlich in der Anordnung der Zellen zu erkennen gibt, können indes nur im genetischen Sinne alle zur Epidermis gerechnet werden; funktionell ist nur die «äußerste Schicht als eigentliche Epidermis anzusehen, während die übrigen Schichten zu dem Wassergewebe gehören (vgl. Kap. 7). Ein ganz allgemeiner Charakter der Epi- dermis, welcher für ihre Funktion als ab- schließendes Hautgewebe fundamentale Be- deutung hat, ist der lückenlose Zusammen- schluß ihrer Zellen, mit anderen Worten die Abwesenheit von Interzellularen zwischen ihnen (abgesehen von den bald zu be- sprechenden Spaltöffnungen). Hierin unter- scheidet sich die Epidermis in der Regel von dem angrenzenden parenchymatischen Gewebe, welches meist mehr oder weniger locker gebaut ist; auch zwischen den Zellen der Epidermis und denen der subepidermalen Fig. 14. Blattquerschnitt von Thunia alba (Orchi- daceae). 120/1. eo obere, eu untere Epidermis, s Skleren- chymstränge, 1 ein Leitstrang mit Sklerenchymbelegen und Leitscheide; das Phloem schraffiert. Stauden) wird die Epidermis fast ausnahmslos früher oder später, meist schon im Laufe der ersten Vegetationsperiode, durch das sekun- däre Hautgewebe, den Kork, ersetzt. I. Die Epidermis (Fig. 14, eo, eu) besteht iiu allgemeinen nur aus einer Schicht lebender Zellen, welche (mit den weiter unten zu be- sprechenden Ausnahmen) untereinander nahezu gleich groß und gleich geformt sind, insbesondere gleiche Höhe (Durchmesser in radialer Richtung) haben. Hierdurch tritt 1) Andere Arten von Hautgeweben, welche nur bei gewissen Wurzeln vorkommen, werden im Kapitel ii besprochen werden. Schicht sind in solchen Fällen gewöhnlich Interzellularen vorhanden, und oft ist der Zusammenhang beider Zellschichten so locker, daß sich die Epidermis leicht in großen Stücken als intakte Haut von dem Organ abziehen läßt. Doch fehlt es nicht an Fällen, wo unter der Epidermis zunächst eine oder mehrere Schich- ten von mit ihr und untereinander ebenfalls lückenlos verbundenen Zellen liegen, welche von dem die Grundmasse des Organs bildenden Gewebe abweichend ausgebildet sind (Wasser- gewebe, Exodermis, Kollenchym usw.); solche besondere subepidermale Gewebeschichten, welche man allenfalls als Hilfsschichten der Epidermis Gewebe (Gewebe der Pflanzen) 1161 mit zum Hautgewebe rechnen könnte, werden ganz allgemein als Hypoderm bezeichnet. Ueber die Form der Epidermiszellen läßt sich nichts Allgemeines sagen. Sehr oft ist sie tafelförmig, d. i. der radiale Dnrchmesser kleiner als die Durchmesser parallel der Oberfläche. Die Form der Zellen in der Aufsicht steht meist in gewisser Beziehung zu derjenigen des Organs, indem in relativ breiten Organen (z. B. den meisten Diko- tylenblättern) die Epidermiszellen ungefähr isodiametrisch (Fig. 15), an in die Länge gestreckten Organen (z. B. den meisten Sten- geln, den langen und schmalen Monokotylen- blättern) auch die Epidermiszellen mehr oder weniger längsgestreckt zu sein pflegen (Fig. 16); in letzterem Fall sind sie zugleich oft Fig. 15. Epidermiszellen eines Buchenblattes (Fagus sylvatica). In der Aufsicht. Nach Kny. Fig. 16. Fig. 16. Blattepidermis von Hyacinthus orientalis, mit Spaltöffnungen. In derAufsicht. Nach Kienitz Fig. 17. Blattepidermis von Elymus arena- rius (Gramina), mit Spaltöffnungen. 80/1. In der Aufsicht. in Längsreihen angeordnet. Ausnahmsweise können die Epidermiszellen auch die Form von Fasern mit spitzen Enden haben, so z. B. im Blatt der Kiefer (Pinus silvestris). Manchmal wechseln lange und kurze Zellen miteinander ab (Fig. 17), z. B. bei den Gräsern. Unabhängig von diesen allgemeinen Gestaltungen zeichnen sich die Epidermis- zellen nicht selten dadurch aus, daß ihre Seitenwände mehr oder stark gewellt oder gebuchtet sind (Fig. 15, 17), wobei die Vor- sprünge der einen Zelle genau in die Buchten der Nachbarzellen passen, so daß der lücken- lose Zusammenhang gewahrt bleibt. Während diese Wellung der Seitenwände natürlich nur in der Aufsicht der Epidermis sichtbar ist, erkennen wir hingegen im Durchschnitt durch die Epidermis, daß auch die Tangental- wände ihrer Zellen nicht immer eben sind (Fig. 14); oft ist die Außenwand jeder Epi- dermiszelle mehr oder weniger konvex ge- wölbt, und noch häufiger bilden die Innen- wände, mittels deren die Epidermiszelle an zwei oder mehr subepidermale Zellen (resp. zum Teil an Interzellularen) grenzt, zusammengenommen einen gebrochenen, nach innen konvexen Bogen; in beiden Fällen ist der radiale Durchmesser der Epidermiszellen in ihrer Mitte größer als am Rande. Der Zellinhalt besteht aus einem zarten Protoplasmawandbeleg und in der Haupt- masse aus wässerigem Zellsaft, welcher ge- wöhnlich farblos, nicht selten aber, nament- lich bei stark belichteten Organen, durch Anthocyan rot gefärbt ist (die verbreitete Rotfärbung vieler Pflanzen hat oft ihren Sitz nur in der Epidermis) ; anders gefärbter Zellsaft kommt fast nur bei Blumenblättern vor. Oft enthält der Zellsaft so reichlich Gerbstoffe oder andere nicht näher bekannte Substanzen gelöst, daß er auffallend stark lichtbrechend erscheint. Feste Ablagerungen, wie Stärkekörner, Kristalle, sind in der Epidermis in der Regel nicht vorhanden. Auch Chloroplasten sind meist abwesend und durch die ihnen homologen, aber kleineren und farblosen Leukoplasten ver- treten. Bei grünen Organen, insbesondere den Laubblättern, bildet der Mangel der Chloroplasten gewöhnlich ein Merkmal, durch welches sich die Epidermis als farblose Zell- schicht von dem chlorophyllreichen Innen- gewebe scharf abhebt. Dieses Merkmal ist jedoch keineswegs durch- greifend. Bei in tiefem Schatten wachsenden Pflanzen sowie bei den submersen Wasserpflanzen enthält auch die Epidermis der grünen Organe Chloroplasten, sie kann hier sogar sehr reich daran sein (Fig. 75, S. 1201). Selbst in demselben Blatt ist bei manchen Pflanzen die oberseitige Epidermis chlorophyllfrei, die unterseitige chloro- phyllhaltig. Die An- oder Abwesenheit von Chloroplasten steht somit in unverkennbarer Abhängigkeit davon, ob die Epidermis gedämpftes oder intensives Licht erhält. Dies legt die An- nahme nahe, daß die Epidermis, deren wässeriger 1162 Grewebe (Gewebe der Pflanzen) Zellsaft gewisserinaßeii eine kontinuierliche Wasserschicht um die ganze Pflanze bildet, u. a. die Aufgabe hat, bei stark beleuchteten Organen als eine Art Lichtfilter zu dienen, welches gewisse Lichtstrahlen absorbiert und da- durch das Chlorophyll der inneren Gewebe vor der zerstörenden Wirkung starken Lichtes schützt; nur wo das Licht ohnehin gedämpft ist, wie im Waldesschatten oder unter Wasser, wird dieser Lichtschutz überflüssig, und hier können Chloroplasten auch in der Epidermis selbst existieren. Von großer Wichtigkeit und zugleich oft sehr eigenartig ist die Beschaffenheit der Membran der Epidermiszellen, speziell der an das Medium grenzenden Außenwand. Erstens zeichnet sich dieselbe sehr häufig, bei oberirdischen Organen in der Regel, vor den Seiten- und Innenwänden durch stärkere Verdickung aus (Fig. 18) ; in extremen Fällen '{K T^ Fig. 18. Epidermis. Im Querschnitt. A vom Blatt ; der Federnelke (Dianthus plumarius), B vom Stamm von Cactus (Cereus) triangularis, C vom Stamm von Kleinia neriif olia. 330/1. c Kutikula, m Mittelschicht, i Zelluloseschicht I der Epidermis-Außenwand; e Lumen der Epi- i dermiszellen. Frei nach Mo hl. kann diese Verdickung so weit gehen, daß die Dicke der Außenwand größer ist als der Durchmesser des Zellumens (Fig. 18 C). Bemerkenswert ist dabei, daß die Außenwand | selbst bei sehr starker Verdickung keine Tüpfel enthält (von seltenen Ausnahmen abgesehen), w^ährend die Seiten- und Innen- wände getüpfelt zu sein pflegen. Die Ver- dickung kann sich auch auf den äußeren Teil | der Scitenwände erstrecken, welche alsdann ' im Durchschnitt zahnartige Vorsprünge der | Außenwand bilden. Nur selten ist das Verhalten ein wesentlich anderes; so sind in den Blättern mancher Bro- mehaceen die Innen- und Seitenwände viel i stärker verdickt als die Außenwand, so daß das i zu einer Spalte reduzierte Lumen ganz nach außen gerückt erscheint; bei Pinus -Arten ist die Wand der faserförmigen Epidermiszellen ringsum so stark verdickt, daß das Lumen zu einem schmalen Kanal reduziert ist (Fig. 64, S. 1195). Eine zweite Eigentümlichkeit der Epi- dermisaußenwand ist ihre partielle Ver- korkung.i) Die innere Schicht (Fig. 18 A, i) besteht aus Zellulose und setzt sich in die gleich beschaffenen Seitenwände ununter- brochen fort. Die äußere Schicht hingegen, die Kutikula (Fig. 18, c), enthält keine Zellulose, sondern besteht ganz aus Suberin. Die Kutikula fehlt nur den Wurzeln und den submersen Teilen der Wasserpflanzen, wo sie durch eine dünne Schicht einer schleim- artigen Substanz vertraten ist; alle übrigen Organe überzieht die Kutikula als ein kontinuierliches Häutchen. Meist ist sie dünn bis sehr dünn, erheblich dünner als die Zelluloseschicht; doch kann sie auch ansehn- liche Dicke erreichen und selbst dicker als die Zelluloseschicht werden. Die Kutikula ist gegen die Zelluloseschicht scharf abgegrenzt und hebt sieh an Durchschnitten dank ihrer starken Lichtbrechung sehr deutlich von letzterer ab; sie ist meist glatt und von gleichmäßiger Dicke, zuweilen aber gefältelt (Fig. 18 A) oder außen mit feinen Leisten oder Wärzchen versehen. Durch Kochen in Kalilauge kann die Kutikula zerstört wer- den; umgekehrt löst konzentrierte Schwefel- säure die Zelluloseschieht auf, während sie die Kutikula intakt läßt; man kann daher mittels dieses Reagens die Kutikula als feines Häutchen isolieren. Wenn die Außenwand stark verdickt ist, kann zwischen Kutikula und Zelluloseschicht noch eine dritte Schicht eingeschaltet sein, welche weniger stark verkorkt ist als die Kutikula und aus einem Gemenge von Zellulose und Suberin besteht. Diese Mittelschicht-) (Fig. 19 B, m), welche ge- wöhnlich die mächtigste ist, kann ihrerseits feingeschichtet (Fig. 18 C) oder in Schalen differenziert sein; sie kann auch noch durch im Querschnitt keilförmige Leisten ver- stärkt sein, welche an den Zellgrenzen in die Zelluloseschicht der Außenwand und even- ^) Wir halten es nicht für angezeigt, die „Kutinisation" von der Verkorkung zu unter- scheiden. „Suberin" wie ,,Kutin" sind Gemische von noch ungenügend bekannter und vermutlich variabler, jedenfalls aber recht ähnlicher Zu- sammensetzung, und es ist sehr zweifelhaft, ob sie chemisch mehr differieren, alsdie ,,Suberine" verschiedener Pflanzen untereinander. Das wesentliche sind bei dieser Sachlage die physi- kalischen Eigenschaften, und diese sind bei ver- korkten und ,,kutinisierten" Membranen die gleichen. ^) Gewöhnlich als kutinisierte Schicht oder als Kutikularschichten bezeichnet. Gewebe (Gewebe der Pflanzen) 1163 tiiell auch in die verdickte Partie der Seiten- wände hineinragen (Fig. 30, S. 1170). Sie ist gegen die beiden anderen Schichten, ins- besondere gegen die Zelluloseschicht, bald scharf abgegrenzt, bald geht sie allmählich i in dieselben über. In extremen Fällen i (Fig. 18 C) erstreckt sich die Yerkorkung auf ' die ganze Dicke der Außenwand, so daß diese nur aus Kutikula und dicker Mittel- schicht besteht, während eine Zelluloseschicht fehlt. — Optisch und chemisch verhält sich die Mittelschicht der Kutikula ähnlich, doch wird sie durch kochende Kalilauge nicht ganz zerstört, sondern hinterläßt einen Zellu- 1 loserückstand. j Was nun die Bedeutung der besprochenen ' Eigentümlichkeiten der Epidermisaußenwand ! betrifft, so ist ohne weiteres klar, daß die Verdickung ihre Festigkeit in entsprechendem Grade erhöhen muß; zugleich muß auch die Durchlässigkeit der Membran für AVasser mit ihrer steigenden Dicke abnehmen. Noch viel wirksamer ist aber in letzterer Hinsicht die partielle Verkorkung der Außenwand; je stärker die Kutikula und eventuell die Mittelschicht ausgebildet ist, um so mehr wird der Wasserverlust des Organs infolge Verdunstung durch die Epidermisaußenwand hindurch — die sogenannte kutikuläre Tran- spiration — herabgesetzt. Läßt man Blätter mit dünner Epidermis- außenwand und zarter Kutikula an der Luft liegen, so welken und vertrocknen dieselben sehr schnell; bei lederigen Blättern hingegen, welche eine dicke und stark verkorkte Epidermisaußen- wand haben, geht das Welken und Vertrocknen ungleich langsamer vor sich. Bekanntlich können Aepfel, welche ebenfalls eine sehr dicke Kutikula haben, tage- und wochenlang an der Luft liegen, ohne merklich zu welken, wenn man aber die Epidermis durch Abschälen entfernt, so schrump- fen sie sehr bald; Versuche haben gezeigt, daß durch Abschälen der Epidermis der Wasserverlust eines Apfels in den ersten 3 Stunden auf das 25-fache gesteigert wird. Diese Daten geben aber, wegen der Anwesenheit von Spaltöffnungen (S.1167), noch keine hinreichende VorsteUung von der Verminderung der Wasserverdunstung durch die Epidermisaußenwand. Wir führen daher noch das Ergebnis von Versuchen an, in denen die Ver- dunstung aus Spaltöffnungen künstlich aus- geschlossen war; es zeigte sich, daß die kutikuläre Transpiration abgetöteter Blätter, auf die Zeit- und Flächeneinheit berechnet, bei verschiedenen Pflanzen rund 40- bis 160-mal kleiner ist als die Verdunstung einer freien Wasserfläche. Die Kutikula und die Mittelschicht sind bei vielen Pflanzen noch mit Wachs durch- tränkt. Seine Anwesenheit hier ist nicht direkt sichtbar, kann aber daran erkannt werden, daß beim Erwärmen eines Schnittes in Wasser das schmelzende Wachs aus der Membran in Tropfen austritt, die beim Er- kalten erstarren und in heißem Alkohol löslich sind. — Das Wachs kann aber auch. als Ausscheidungsprodukt der Epidermis- zellen, ihrer Membran aufgelagert sein. Am häufigsten tritt es in Form feiner Körnchen auf, mit denen die Kutikula mehr oder weniger dicht bestreut erscheint; von solchen Wachskörnchen rührt der zarte bläuliche, mit dem Finger abwischbare Reif her, wel- cher auf den Pflaumen, den Blättern der Gartennelke und vielen anderen Pflanzen- organen vorkommt. Weit seltener wachsen die Körnchen durch fortgesetzte Ausschei- dung zu Stäbchen heran, welche auf der Oberfläche der Epidermis senkrecht stehen; so an den Halmen des Zuckerrohrs, wo die Wachsstäbchen an den Internodien kurz, an den Knoten aber recht lang sind und so dicht stehen, daß sie sich gegenseitig berühren (Fig. 19). Eine zweite Erscheinungsweise Fig. 19. Querschnitt durch einen Stengelknoten des [Zuckerrohrs (Saccharum officinarum) mit Wachsstäbchen auf der Epidermis. 142/1. Nach de Bary. der Wachsausscheidung ist die einer dünnen, glashellen und spröden Kruste, welche die Kutikula in ununterbrochener Schicht be- deckt. Auch die Wachskruste kann in be- stimmten Fällen größere Mächtigkeit errei- chen; bei der Palme Klopstockia cerifera bildet sie sogar eine mehrere Millimeter dicke Schicht, welche eine deutliche Struktur erkennen läßt (nämlich eine feine, der Ober- fläche parallele Schichtung und eine zu ihr senkrechte, den Zellgrenzen entsprechende Streifung) und nur über den Spaltöffnungen durch feine Kanäle unterbrochen ist. — Sowohl das die Membran durchtränkende, wie das ihr aufgelagerte Wachs hat den Effekt, die Durchlässigkeit der Membran für Wasser noch mehr herabzusetzen. Zugleich macht es die Epidermis unbenetzbar ; taucht man einen mit einem Wachsüberzug versehenen Pflan- zenteil unter Wasser, so bleibt er von einer silberglänzenden, feinen Lufthülle umgeben. Weiter werden in der Membran der Epidermiszellen und namentlich in ihrer dicken Außenwand bei manchen Pflanzen anorganische Stoffe resp. Mineralsalze ab- gelagert. So tritt hier zuweilen Calcium- oxalat in kleinen Kristallen auf (Fig. 20 A), 1164 Gewebe (GeAvebe der Pflanzen) J Fig. 20. Epidermiszellen im Querschnitt mit in die Membran eingelagertem Calciumoxalat. A aus dem Blatt von Dra- caena reflexa. 1/1200. B von Mesembry anthemum, mit Kristallsand in der äußeren Partie der Zelluloseschicht. 375/1. k Kutikula, m Mittelschicht, c Zelluloseschicht der Außenwand; i größere Kriställchen in der Innenwand. A nach Pfitzer, B nach Solms. welche nach Auflösung durch Salzsäure 1 Dies geschieht selten bei allen Zellen, meist entsprechende Hohlräume in der Membran ' nur bei einem Teil oder nur bei einer geringen zurücklassen; manchmal sind es sehr zahl- Anzahl von Epidermiszellen, welche sich reiche, aber winzige Kriställchen von nicht manchmal auch sonst in Form und Größe deutlich erkennbarer Form (Kristallsand, von den übrigen unterscheiden. Das Aus- Fif 20 B) Im Gegensatz hierzu tritt das wachsen kann sich auf die Außenwand Caleiumkarbonat nicht in Form distinkter der Zelle in ihrer ganzen Ausdehnung er- Einschlüsse auf, sondern es inkrustiert strecken oder nur auf eine begrenzte Partie gleichmäßig die ganze Masse der Membran; derselben beschränken, m welch letzterem solche Verkalkung tritt namentlich bei Fall das Haar auch im ausgebildeten Zustand als eine Auszweigung der B Epidermiszelle erscheint. Im einfachsten Falle wachsen die Epidermiszellen nur zu relativ kurzen, stumpf kegelförmigen Papil- len aus (Fig. 21): von sol- chen Papillen rührt z. B. das sammetartige Aussehen vieler Blumenblätter her. Häufiger nimmt der Aus- wuchs zylindrische Gestalt an und erreicht eine Länge, welche den Durchmesser der erzeugenden Epidermiszelle um das Vielfache übertrifft (Fig. 22 A), er wird also haarförmig im gewöhnlichen Sinne des Wortes; solche Ge- gewissen Samen und Früchten (z. B. von j stalt, mit bis gegen 1 cm Länge, haben z. B. Lithospermum officinale) auf, welche I die sogenannten Wurzelhaare, welche bei dadurch eine ganz steinartige IBeschaffenheit j annehmen. Weit häufiger ist die Verkiese- lung der Epidermismembranen, welche eben- falls auf gleichmäßiger Inkrustation beruht und bei manchen Gräsern und Schachtel- halmen (Equisetum) soweit geht, daß die Außenwand der Epidermis ganz vorwiegend aus Kieselsäureanhydrid besteht; die Mem- bran erreicht dadurch einen solchen Härte- grad, daß die Stengel gewisser Schachtel- halme zum Polieren benutzt werden können. II. Haare. Die Oberfläche der meisten Pflanzenorgane ist nicht glatt, sondern mit Auswüchsen besetzt, welche man als Haare (Trichome) bezeichnet, auch wenn ihre Form nicht dem gewöhnlichen Begriff eines Haares entspricht. Es gibt nur wenige dermis und die subepidermale Zellschicht des Pflanzen, welche überhaupt keine Haare j ^^"^^'^^lattes von LiL,pin"s Intens. 350/1. produzieren; oft sind solche freilich nur in ^^^ Irank. der Jugend vorhanden, während sie beim I Auswachsen der Organe oder schon vorher \ den meisten Pflanzen die jungen Teile der vertrocknen und sich ablösen. Wurzeln bedecken (IXäheres über dieselben Die Haare sind Anhangsgebilde der Epidermis. Sie entstehen aus je einer Epider- miszelle (selten aus einer Gruppe solcher), wüchsen, an deren Entstehung außer der Epider- indem deren Außenwand, meist schon sehr ' n^is auch noch eine bis mehrere subepidermale früh, sich vorwölbt und über die Oberfläche Zellschichten beteiligt sind. Die Emergenzen der Epidermis auswächst^) (Fig. 139, S. 1246) können äußerlich Haargebilden ähnlich sein, ^ ^ ^ 1 sind aber meist derber als diese; zu ihnen gehören i die meisten Stachel (obwohl es auch Trichom- 1) Durch die Entstehung ausschließlich aus stachel gibt, welche nur durch Wachstum und der Epidermis unterscheiden sich die Ilaare von i Vermehrung einer größeren Gruppe von Epider- den Emergenzen, d. i. oberflächlichen Aus- ; miszellen entstehen). Fig. 21. Querschnitt durch die papillöse Epi- Gewebe (Gewebe der Pflanzen) 1165 in Kap. ii). Neben solchen einfachen Formen | beiden Fällen sind die Haare einzellig. Die kommen aber auch noch viele andere vor (Fig. 22 bis 25, vgl. auch Fig. 85 bis 88, S. 1211); so können die Haare hakenförmig gebogen oder verschiedenartig gekrümmt sein, an der Spitze zu einem kugeligen oder ab- geflachten Kopf aufgetrieben sein (Köpf- chenhaare), zu keuligen oder kugeligen Blasen auswachsen, sie können sich flächen- förmig entwickeln (Spreu haare), können nach kurzem Längenwachstum ausschließlich in die Breite wachsen und sich zu Schuppen (Fig. 22 D, 24) ausbilden, welche der Epider- Fig. 22. Einzellige Haare. A zylindrisches Haar von einem F uc hsia- Blatt. 200/1. B kurze Borsten am Blattrand des Roggens (Seeale cereale), von besonderen kurzen Epidermis- zellen produziert. 200/1. C Borste vom Blatt von Onosma simplicissimum (Borraginaceae) ; die Zellmembran ist im größten Teil des Haares bis zum Schwund des Lumens verdickt, außen mit kleinen warzenförmigen Verdickungen ver- sehen. 70/1. D sternförmige Schuppe vom Blatt von Deutzia scabra, in der Aufsicht; im Zentrum scheint der Kontur des kurzen Fuß- stückes der Schuppe durch. Nach Kin'. mis dicht anliegen und nur durch einen kurzen Stiel mit ihr verbunden sind ; daneben können die Haare sich noch in mannig- faltiger, oft regelmäßiger Weise verzweigen. Ebenso mannigfaltig ist auch die innere Struktur der Haare. Im einfachsten Falle bildet das Haar zusammen mit der erzeugen- den Epidermiszelle nur eine Zelle (Fig. 22); oder es grenzt sich von ihr durch eine Wand ab, so daß die Epidermiszelle gewissermaßen als solche restituiert wird, während das von ihr erzeugte Haar eine selbständige Zelle darstellt (dies erfolgt stets in den Fällen, wo die Haare im erwachsenen Zustande absterben und eventuell sich ablösen). In Haare können aber auch mehrzellig sein (Fig. 23, 24), indem der Haarkörper sich nicht Fig. 23. Mehrzellige Haare. A vom Stengel der Gartenbohne (Phaseolus multiflorus). 200/1. B vom Blatt von Plectranthus f mucosus. 150/1. C Durchschnitt durch das Blatt von Hieracium piliferum, mit dreierlei Haaren. 90/1. — B und C nach de Bary. nur von der erzeugenden Epidermiszelle durch eine Wand abtrennt, sondern auch seinerseits eine, mehrere oder viele Zell- teilungen erfährt. Und zwar unterscheidet man einreihige oder mehrreihige Haare, je nachdem der Haarkörper nur durch Quer- wände oder auch durch Längswände gefächert wird; beides kann auch kombiniert sein, indem z. B. bei einem Köpfchenhaar der Stiel einzellig oder einreihig ist, während sich das Köpfchen durch radial gestellte Wände 1166 Gewebe (Gewebe der Pflanzen) fächert und zu einer Zellschicht wird. Lange und dicke, mehrreihige Haare (Fig. 23 C, b) nennt man Zotten haare; äußerlich ganz Fig. 24. Vielzellige Schuppe von einem Elaeag- nus- Blatt. Inder Aufsicht. 125/1. NachDippel. ähnliche Zotten können aber entwickelungs- geschichtlich auch in die Kategorie der Emergenzen gehören. Was den ZeUinhalt betrifft, so sind die Haare bald lebend, mit Plasmaschlauch und Zellsaft, bald im ausgewachsenen Zustande abgestorben, lufthaltig. Die Membran ist bald zart, bald mehr oder weniger verdickt (nicht selten so stark, daß das Lumen fast vollkommen schwindet), und in solchem Fall oft verholzt, verkalkt oder verkieselt. Die Haare bieten also in Form und Struk- tur eine geradezu endlose Mannigfaltigkeit dar; nicht selten trägt sogar dasselbe Organ zwei oder mehrere wesentlich verschiedene Haarformen durcheinander (Fig. 23 C). Be- merkenswert ist dabei aber, daß die Haar- formen spezifisch konstant, ja oft auch für größere systematische Gruppen charakte- ristisch sind; sie bilden daher ein wichtiges Hilfsmittel für die Systematik. Die Funktion der Haare (wofern sie vorhanden und nachweisbar ist, was oft, vielleicht sogar meist nicht zutrifft) kann ebenfalls überaus mannigfaltig sein. Zuweilen hat sie mit der Funktion der Epidermis nichts zu tun; so erleichtern z. B. die haken- förmigen und ankerf örmigen Haare (Fig. 23 A), welche sich häufig bei lüetterpflanzen finden, das Haften derselben an der Stütze; ähnlich geformte Haare bei gewissen Früchten tragen zur Verbreitung derselben bei, indem sie sich klettenartig am Fell von Tieren anheften; bei anderen Früchten und Samen dienen lufthaltige Haare als Flugapparate ; usw. Weit häufiger aber sind die Haare in physiolo- gischer resp. ökologischer Hinsicht Hilfs- organe der Epidermis, indem sie an einer der Funktionen des Hautgewebes — Schutz gegen Schädigungen, oder Vermittelung und Regu- lierung des Stoffaustausches — einen oft her- vorragenden und hoch spezialisierten Anteil nehmen. Hierfür einige ausgewählte Beispiele. Manche Wüsten-, Steppen- und Alpen- pflanzen, welche infolge der Bedingungen ihres Wohnortes einer intensiven Sonnen- strahlung und zugleich starken Temperatur- schwankungen ausgesetzt sind, zeichnen sich dadurch aus, daß sie mit einem dichten grauen oder weißen Haarfilz bekleidet sind (erinnert sei z. B. an das Edelweiß). Dieser Filz besteht aus langen und dünnen, wirr verflochtenen, abgestorbenen Haaren; von der Oberfläche der ihr Lumen ausfüllenden Luft wird das Licht reflektiert, was die weiße Farbe verursacht. Ein solcher Haarfilz schützt die Pflanze in hohem Grade sowohl vor übermäßiger Erwärmung durch die Sonne, wie vor zu starker und plötzlicher Abkühlung; daneben setzt er auch die Transpiration bedeutend herab. — Eine schützende Rolle ganz anderer Ai't spielen Haare mit einer scharfen Spitze und dicker, oft stark verkieselter oder verkalkter Mem- bran; solche stechende Borstenhaare (Fig. 22 C) schützen vor pflanzenfressenden Tieren (wenn auch nicht vor aUen), ähnlich wie Stachel und Dornen. — Einen noch wirksameren Schutz in dieser Richtung dürften die Brennhaare gewähren, welche Fig. 25. Brennhaar der Brennessel (Urtica dioica). A bis C (schwach vergrößert): A er- wachsen, Bjung, Csehr junge Stadien. D (stärker vergrößert): die knopfförmige Spitze mit der dünnwandigen Stehe zz, in welcher das Abbrechen stattfindet. A bis C nach Kny, D nach Haber- landt. Gewebe (G-ewebe der Pflanzen) 1167 gewissen Pflanzen eigentümlich sind. Bei den Brennesseln z. B. besteht das Brennhaar (Fig. 25 A) aus einer großen konischen Zelle, deren Basis in eine becherförmige Emergenz eingesenkt ist. Oben schließt die Zelle mit einer knopfförmigen Verbreiterung ab, unter der sich eine ringförmige verdünnte Partie der Membran befindet (Fig. 25 D, bei zz). Da die Membran oberwärts infolge Verkiese- lung sehr spröde ist, so bricht der Knopf bei Berührung leicht ab, der sich bildende scharfe Bruchrand dringt wie eine Hohl- nadel in die Haut, und zugleich ergießt sich in die entstehende Wunde ein Teil des Zell- saftes der verletzten Haarzelle, welcher einen ätzenden Giftstoff von wahrscheinlich eiweiß- artiger Natur enthält. Bei einigen tropischen Pflanzen ist der Stich der Brennhaare noch weit schmerzhafter und gefährlicher als bei unseren Brennesseln. Die Wurzelhaare spielen eine sehr wichtige Eolle als Absorptionsorgane zur Aufnahme des Wassers und der in ihm gelösten Salze aus dem Boden. Wasserabsorbierende Haar- gebilde finden sich aber auch in mannig- faltiger Ausbildung an den oberirdischen Organen mancher Pflanzen, namentlich bei Wüstenbewohnern, und in besonders aus- gezeichneter Weise bei den epiphytischen Bromeliaceen, welche zum Teil ganz wurzellos sind und ihren Wasserbedarf nur aus dem Regen und Tau durch eigentümliche Schup- penhaare aufnehmen können. Absorbierende Haare finden sich ferner bei den insektivoren Pflanzen; hier werden neben Wasser auch die darin gelösten organischen Verdauungs- produkte der gefangenen Insekten von den Haaren aufgenommen. Sehr verbreitet sind ausscheidende Haare verschiedener Art; doch sollen diese erst im Kapitel 8 im Zusammenhang mit anderen Exkretionsorganen besprochen werden. III. Spaltöffnungen. Wir sahen, daß die Außenwand der Epidermiszellen ober- irdischer Organe derart beschaffen ist, daß die Abgabe von Wasserdampf aus ihnen mehr oder w^eniger eingeschränkt wird; zugleich ist die Epidermisaußenwand, falls einiger- maßen stark verkorkt, für Gase so gut wie völlig undurchlässig. Nun unterhalten aber die Pflanzen einen regen Gaswechsel mit der Außenluft, indem bald Kohlensäure aufge- nommen und Sauerstoff ausgegeben wird, bald umgekehrt; und was die Transpiration anbetrifft, so bildet dieselbe zwar eine der größten Gefahren für die Pflanze, sobald die Wasserabgabe dauernd die Wasserauf- nahme übertrifft, — ein gewisses Ausmaß von Wasserabgabe ist aber für die Pflanze notwendig, uncl die x\ufgabe des Hautgewebes ist es daher nicht, die Transpiration zu unter- drücken, sondern sie so zu regulieren, daß sie in unschädlichen Grenzen bleibt. Als Wege für den Gasaustausch und als Regula- toren der Transpiration dienen in der Epidermis die S p a 1 1 ö f f n u n g e n ( S t o m a t a), das sind interzellulare Spalten, welche sich von gewöhnlichen Interzellularen u. a. dadurch unterscheiden, daß sie je nach den äußeren Verhältnissen verbreitert oder verengt bis völlig geschlossen werden können. Sie be- finden sich nicht zwischen den gewöhnlichen Epidermiszellen (welche, wie schon erwähnt, lückenlos zusammenschließen), sondern zwischen je zwei modifizierten Epidermis- zellen, den Schließzellen, welche dank ihrem eigenartigen Bau die Weite der Spalte zu regulieren vermögen und mit ihr zusammen den Spaltöffnungsapparat darstellen. Der Spaltöffnungsapparat weist bei allen Gefäßpflanzen (und auch schon bei den Laub- moosen) einen im wesentlichen gleichartigen Bau auf. Die Schließzellen, welche meist bedeutend kleiner als die übrigen Epidermis- zellen sind, haben in der Aufsicht (Fig. 26 A) Fig. 26. Epideimis mit Spaltoffnungsappaiat vom Blatt des Thymians (Thymus serpyllum). A in der Aufsicht, B im Durchschnitt, s Zen- tralspalte, v Vorhof, h Hinterhof, c Kutikula, ah Atemhöhle. In den Schließzellen Chloro- plasten. Nach Kny. gewöhnlich bohnenförmige Gestalt; mit den Enden schließen sie aneinander, während in dem mittleren Teil ihrer Länge die gemein- same Wand gespalten ist und einen luft- 1168 Gewebe (Gewebe der Pflanzen) erfüllten Interzellularraum umschließt. Auch durch ihren Inhalt weichen die Schließzellen meist auffallend von der übrigen Epidermis ab, sie führen nämlich fast stets Chloropla- , sten, und in diesen meist reichlich Stärke. ! Ein durch die Mitte des Spaltöffnungs- apparates senkrecht zu seiner Längsachse geführter Querschnitt (Fig. 26 B) zeigt, daß die Spaltöffnung eine ziemlich komplizierte Form hat, welche durch die Gestalt der , Schließzellen und die ungleichmäßige Ver- dickung ihrer Membran bedingt ist. Die einander zugekehrten Wände der Schließ- zellen (die Bauchwände derselben) sind gegen die Spalte vorgewölbt: am Eingang und Ausgang der Spaltöffnung sind sie mehr oder i weniger stark verdickt und überdies meist mit ' vorspringenden Leisten versehen, welche sich im Querschnitt als Höcker oder Zähnchen präsentieren; das äußere Leistenpaar ist oft so stark entwickelt, daß es im Querschnitt einer kräftigen Zange gleicht, während das innere Paar schwächer zu sein pflegt und zuweilen ganz fehlen kann (Fig. 27 B, S. 1169). Durch diese beiden Leistenpaare wird ein äußerer Vorhof und ein innerer Hinterhof der Spaltöffnung begrenzt; zwischen beiden liegt der engste Teil der Spaltöffnung, die Zentralspalte, welcher ganz geschlossen werden kann, wenn die Bauchwände, der ; beiden Schließzellen in ihrem unverdickten . mittleren Teil einander berühren. An den Hinterhof stößt innen ein geräumiger sub- 1 epidermaler Interzellularraum, die sogenannte Atemhöhle (zu Unrecht so genannt, da sie mit der Atmung nichts speziell zu tun hat), in welche die luftlialtigen Interzellularen des inneren Gewebes einmünden. So steht das Interzellularsystem der Pflanze durch die Spaltöffnungen in offener Verbindung mit der Außenluft. Der oben in den wesentlichen Zügen skizzierte Bau des Spaltöffnungsapparates kann im ein- zelnen vielfach variieren. Außer den schon an- gedeuteten Verschiedenheiten in der Ausbildung der Leisten, welche die Form des Vorhofes und Hinterhofes wesentlich bestimmen, kann auch der Grad und die Verteilung der sonstigen lokalen Membranverdickung recht verschieden sein, und in Abhängigkeit davon ist das Lumen der Schließzellen im medianen Querschnitt bald rundlich oder elliptisch, bald ungef<ähr drei- eckig, bald fast spaltenförmig. Fast allgemeine Regel ist aber, daß außer dem mittleren Streif der Bauchwand auch die Rückenwand (welche die Schließzelle von der angrenzenden Epidermis- zelle trennt) in ganzer Ausdehnung oder doch zum Teil unverdickt bleibt. Was die Kutikula anbetrifft, so überzieht sie nicht nur die Außen- wand der Schließzellen, sondern kleidet auch die Spaltiiffnung aus und verliert sich erst in der Atemhöhle (Fig. 26 B, c); die Leisten, welche den Vor- und Hinterhof begrenzen, werden oft nur durch lokale Verdickung der Kutikula (ohne Beteiligung der Zelluloseschiclit) gebildet. Nur ganz kurz sei darauf hingeweisen, daß der Spaltöffnnngsapparat zuweilen einen von dem geschilderten etwas abweichenden Bau hat. Ein eigenartiger Typus findet sich z. B. bei den Gymnospermen (Fig. 64, S. 1195), ein anderer bei den Gräsern und Cyperaceen; noch andere Ab- weichungen sind nicht an bestimmte systema- tische Gruppen gebunden, sondern finden sich bei einzelnen, im System zerstreuten Gattungen oder Arten. Mit Ausnahme relativ weniger Fälle (in denen der Spaltöffnungsapparat als rück- gebildet anzusehen ist) haben die Schließ- zellen die bemerkenswerte Fähigkeit, durch Aenderung ihrer Form die Weite der Spalte in erheblichem Grade zu verändern (Fig. 27). Diese Aenderungen stehen in Abhängigkeit von der Turgeszenz der Schließzellen. Legt man einen abgezogenen Epidermisstreifen in Wasser, wobei der Turgor aller Zellen sein mögliches ^laximum erreicht, so findet man die Spaltöffnungen weit geöffnet: wasserent- ziehende Mittel hingegen rufen Verengerung und endlich vollkommenen Verschluß der Spaltöffnungen hervor, und denselben Effekt hat unter natürlichen Verhältnissen das Welken der Pflanzenteile. Solange also die Pflanze Ueberfluß an Wasser hat und folglich alle ihre Zellen stark turgeszieren, geht die sogenannte stomatäre Transpiration durch die maximal geöffneten Spaltöffnungen un- gehindert vor sich; sobald aber die Wasser- aufnahme aus irgendeinem Grunde abnimmt und ein entsprechendes Sinken der Turges- zenz erfolgt, wird auch die Transpiration automatisch herabgesetzt, und wenn der Wassergehalt so weit sinkt, daß der Turgor aufgehoben wird (Welken) und weiterer Waisserverlust gefährlich wäre, wird durch Spaltenschluß die stomatäre Transpiration gänzlich sistiert und es bleibt nur die un- bedeutende kutikuläre Transpiration be- stehen. — Bemerkenswert ist, daß bei den meisten Pflanzen außer dem Wassergehalt auch das Licht einen großen Einfluß auf die Spaltweite hat: das Licht, besonders das Sonnenlicht, bewirkt Oeffnung der Spalten (genügenden Wassergehalt vorausgesetzt), während im Dunkeln die Spalten sich schlie- ßen; daher sind die Spaltöffnungen in der Regel bei Tage geöffnet, in der Nacht geschlossen. Wie diese Wirkungen zustande kommen, ist noch nicht recht klar; jedenfalls handelt es sich um einen Einfluß des Lichtes 1 auf den Turgor der Schließzellen, und vermutlich spielt dabei der die Schließzellen auszeichnende Gehalt an assimilationsfähigem Chlorophyll eine Rolle. ! Es fragt sich weiter, auf welche Weise die I Turgorschwankungen in den Schließzellen die I besprochenen Bewegungen bewirken. Es wurde j bereits erwähnt, daß die Bauchwand jeder Schließ- zelle an ihrem Außen- und Innenrand verdickt ist, I während die Rückenwand unverdickt bleibt. Gewebe (Gewebe der Pflanzen) 1169 Diese ungleichmäßige Verdickung der Membran j hat zur notwendigen Folge, daß bei steigendem Druck des Zellsaftes in der Schließzelle die Rückenwand stärker gedehnt wird als die Bauch- wand, die Schließzelle muß sich also krümmen (wie etwa ein Kautschukschlauch mit einseitig dünnerer Wand, wenn man in ihn Wasser unter Druck einpreßt), und zwar so, daß die Rücken- wand stärker konvex, die Bauchwand konkav wird; dabei weichen die Bauchwände der beiden Schließzellen auseinander, die Spalte zwischen ihnen öffnet resp. erweitert sich. Bei abnehmen- dem Innendruck in den Schließzellen findet das Umgekehrte statt: die Rücken wand verkürzt sich stärker als die Bauchwand, die löümmung der Schließzellen nimmt ab und die Spalte wird verengt resp. geschlossen. Ein Vergleich von lA mit IIA in Figur 27 illustriert das Gesagte, also nur da vorkommen, wo die Pflanze an Luft (oder luftführenden Boden) stößt, und wo zugleich das subepidermale Gewebe lufthaltige Interzellularen führt. Hiernach erscheint es gewissermaßen selbstverständ- lich, daß die rings von Wasser oder nassem Schlamm umgebenen Organe der Wasser- und Sumpfpflanzen der Spaltöffnungen ent- behren (abgesehen von den bald zu be- sprechenden Wasserspalten, welche sich auch bei manchen Wasserpflanzen finden), und ebenso, daß die Schwimmblätter der Wasser- pflanzen nur oberseits Spaltöffnungen führen; ferner fehlen Spaltöffnungen überall da, wo lückenloses Gewebe (Sklerenchym, KoU- enchym) lokal bis an die Epidermis reicht, Fig. 27. Spaltöffnungsapparat vom Blatt der Zuckerrübe (Beta vul- garis). I offen, II geschlossen; A in der Aufsicht, B im Durchschnitt. Die Chloroplasten in den Schließ- zellen mit kleinen Stärkekörnchen. Frei nach Frank. Fig. 28. Abgezogene Epidermisstücke von Blättern mit Spaltöffnungen. Schwach ver- größert. A von der Zuckerrübe (Beta vul- garis), B vom Hafer (Avena sativa). Die spaltöffnungsfreien Partien nn liegen über Blatt- nerven. Nach Frank. und zeigt wie die Gesamtbreite des Spaltöffnungs- apparates sich bei diesen Vorgängen ändert, während seine Länge die gleiche bleibt. Der Mechanismus des Spaltöffnungsapparates ist übrigens nicht immer der gleiche. Außer dem geschilderten Verhalten, welches als typisch gelten kann, ist noch eine Reihe mehr oder weniger abweichender Fälle nachgewiesen worden, welche aber sämtlich soviel mit jenem gemeinsam haben, daß die Form der Schließzellen in der Aufsicht und eventuell auch im Querschnitt sich mit dem Grade des Turgors ändert und da- durch auch die Weite der Spalte geändert wird. Durch gänzlichen Mangel der Spaltöff- nungen an allen vegetativen Organen zeichnen sich unter den Gefäßpflanzen einige wenige laubblattlose und chlorojjliyllfreie Parasiten und Saprophyten aus, deren Gaswechsel und Transpiration sehr gering ist. Spaltöffnungsfrei sind ferner durchgängig die Wurzeln. Die Ver- breitung und Verteilung der S])altöffnungen an den übrigen Pflanzenteileii wird durch die Tatsache bestimmt, daß dieselben Ver- bindungswege zwischen der Außenluft und der interzellularen Luft sind; sie können Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV z. B. über den stärkeren Nerven der Blätter (Fig. 28), und oft beschränkt sich aus diesem Grunde ihr Vorkommen nur auf bestimmte Längsstreifen der ( »igaiie. An Laubblättern sind die Spaltöffnungen oft unterseits reich- licher als oberseits, oder selbst nur unterseits vorhanden; doch kommt auch das um- gekehrte Verhalten vor. Im übrigen ist ihre Verteilung über ein gegebenes Organ meist gleichmäßig, nur selten sind sie gruppenweise genähert. — Die Zahl der Spaltöffnungen pro Flächeneinheit variiert sehr je nach Species und Organ. Am spärlichsten sind sie an unterirdischen Stengel- und Blatt- organen, am reichlichsten an grünen Laub- blättern, deren Gaswechsel und Transpiration am intensivsten sind. Hier finden sich meist 100 bis 300 Spaltöffnungen pro Quadrat- millimeter Oberfläche, doch kann ihre Zahl auch erheblich größer sein (bis über 700, bei Typ ha angeblich sogar 1326), und anderer- seits auch erheblich kleiner, so namentlich bei Pflanzen trockener Mmate (Xerophyten). An flächenförmigen Organen sind die 74 1170 Grewel)e (Gewebe der Pflanzen) Spaltöffnungen meist regellos orientiert, d. h. ihre Längsachsen haben alle beliebigen Eichtungen (Fig. 28 A) ; ist aber das Organ längsgestreckt (wie die meisten Stengel und Blattstiele und viele Monokotylenblätter), so pflegen die Spaltöffnungen longitudinal gestellt, also sämtlich einander parallel zu sein (Fig. 28 B). Oft grenzt der Spaltöffnungsapparat nicht direkt an gewöhnliche Epidermiszellen, sondern ist von mehreren Zellen umgeben, die sich von jenen durch andere (meist einfachere) Gestalt und geringere Größe unter- scheiden. Solche Neben Zellen pflegen in bestimmter regelmäßiger Weise angeordnet zu sein, z. B. sechs in zwei I{Jreisen um die Schließzellen bei Sempervivum (Fig. 33); ein Paar rechts und links von den Schließ- zellen, ein zweites Paar größere über und unter ihnen (die Längsachse des Spaltöffnungs- apparates aufrecht gedacht) bei Trade s- cantia (Fig. 29), usw. Die An- oder Ab- 1 der ersteren bald etwa ebenso groß wie bei den letzteren, bald erheblich kleiner. Meist liegen I die Schließzellen im Niveau der Epidermis, d. h. ihr äußerer Kontur fällt mit dem der [übrigen Epidermiszellen nahezu zusammen; selten sind die Schließzellen mehr oder weni- ger über das Gesamtniveau der Epidermis i emporgehoben. Kecht häufig kommt es [ hingegen vor, daß der Spaltöffnungsapparat I unter die Oberfläche der Epidermis hinab- I gesenkt ist, also am Grunde eines Grübchens [ in der Epidermis liegt (Fig. 30). Durch eine Flg. 29. Blattepidermis von Tradescantia crassula, mit Spaltöffnungsapparat und Neben- zellen. A in Aufsicht, B im Durchschnitt. 220/1. Ui erstes, n.^ zweites Paar von Neben- zellen. Die in A punktierten Konturen sind bei [ tieferer Einstellung gezeichnet. | Wesenheit der Nebenzellen und ihre Anord- i nung sind von systematischer Bedeutung, da diese Merkmale für die Gattung resp. Familie 1 konstant zu sein pflegen. Betrachten wir das Verhältnis der Schließ- zellen zu den übrigen Epidermiszellen im Querschnitt durch die Epidermis, so finden wir den radialen Durchmesser (die Höhe) Flg. 30. Queisthnitt duich das Blatt \on Aloe di Stic ha. 230/1. e Epidermis, a Kutikula, b Mittelschicht, c Zelluloseschicht ihrer Außen- wand, v Grübchen in der Epidermis, s Schließ- zellen, h Atemhöhle, cl grünes Blattgewebe (Chlorenchym). solche Lage wird die Wasserdampfabgabe durch Diffusion aus der Spaltöffnung ver- mindert, da diese in eine ,, windstille Kammer" mündet, in der sich ein höherer Wasserdampf- gehalt erhalten muß als draußen; die ein- gesenkte Lage der Spaltöffnungen findet sich denn auch namentlich bei xerophytischen Pflanzen. Zuweilen wird die Mündimg des Grübchens noch durch leistenförmige A"or- wölbungen oder Membran verdickungen der angrenzenden Epidermiszellen umwallt oder überwölbt, wodurch die Spaltöffnungen in eine noch geschütztere Lage kommen; oder die Spaltöffnungen liegen sämtlich am Grunde tiefer Längsfurchen, deren Mündung verschmälert oder durch ein Haargeflecht fast verschlossen ist. Ueberhauptwird'bei den Xerophyten, deren Wasserversorgung schwach oder periodisch unterbrochen ist, nicht nur die kutikuläre, sondern oft auch die stoma- täre Transpiration durch die mannigfaltigsten anatomischen Einrichtungen eingeschränkt. Die Entwickehmg der Spaltöffnungsapparate beginnt meist in einem Stadium, wo die Zellen der jungen Epidermis zwar noch stark wachsen, sich aber nicht mehr durch Teilung vermehren. Einzelne derselben erfahren dann eine Teilung in zwei ungleiche Zellen, deren kleinere die Mutterzelle des Spaltöffnungsapparates ist und durch eine weitere Teilung in die zwei Schließ- zellen zerfällt (Fig. 81). Erst wenn diese erheblich herangewachsen sind und ihre halbrunde Form Gewebe (Gewebe der Pflanzen) 1171 angenommen haben, spaltet sich allmählich ihre gemeinsame Wand und die Spaltöffnung bildet sich aus (Fig. 31 D, 32). — Oft wird dieser Entwickelungsgang aber dadurch kom- pliziert, daß die abgetrennte kleinere Zelle nicht ohne weiteres die Schließzellen produziert, sondern zunächst noch einige weitere Teilungen B ^ C Fig. 31. Entwickelung des Spaltüffnungs- apparates im Blatt von Iris pumila. A die Spaltöffnungsmutterzellen s soeben von den jungen Epidermiszellen abgetrennt; B dieselben vergrößert und gerundet; C soeben in die 2 Schließzellen s' geteilt; D beginnende Spalten- bildung. 350/1. Frei nacli Strasburger. ren physiologisch-anatomischen Begriff der P n e u m a t h 0 d e n (Durchtrittstellen für Luft) fallen. Es gibt aber auch eine zweite Art von Spaltöffnungen, welche als Austrittswege für das bei manchen Pflanzen unter gewissen Bedingungen in Tropfenform ausgepreßte Wasser dienen und zu der Kategorie der Hydathoden (Durchtrittstellen für Wasser) Fig. 33. Spalt- öffnungsapparat von Sempervivum spec. mit Neben- zellen. In der Auf- sicht. Alle Neben- zellen sind aus einer Mutterzelle durch sukzessive Teilungen entstanden; sie sind nach der Reihen- folge ihrer Abtren- nung beziffert. Nach Haberlandt. gehören. Diese Wasserspalten (Fig. 34), welche sich phylogenetisch zweifellos von den Lnftspalten ableiten, sind weit weniger ver- breitet als jene; nicht nur sind sie auf be- stimmte (wenn auch recht zahlreiche) Pflan- zen beschränkt, sondern auch bei diesen Fig. 32. Entwickelung des Spaltoffiuingsapparats des Blattes von Hyacinthus orientalis. Im Querschnitt. A junges Stadium (zwischen den Stadien C und D der Fig. 31 liegend), B er- wachsener Zustand. S Spaltöffnungsapparat, e Epidermiszellen, i Atemhöhle, p grünes Blatt- gewebe (Chlorenchym). Nach Sachs. in bestimmter Ordnung erfährt; eines der Pro- dukte der letzten Teilung wird zur Mutterzelle des Spaltöffnungsapparates, während aus den übrigen Teilungsprodukten Nebenzellen hervor- gehen (Fig. 33). Das bisher Gesagte gilt für die ver- breitetste Kategorie von Spaltöffnungen, die Luftspalten, welche unter den allgemeine- Fig. 34. Blattrand von Kapuzinerkresse (Tro- p a e 0 1 u m m a j u s). Epidermis mit Wasserspalte. In Aufsicht. 240/1. d Kontur des Vorhofes, s Kontur der Zentralspalte. Nach Strasburger. kommen sie nur in begrenzter Zahl an be- stimmten Stellen der Blätter vor, meist an der Blattspitze und den Zähnen des Blatt- randes, einzeln oder in kleinen Gruppen. Sie finden sich bei einigen submersen Wasser- pflanzen als einzige Repräsentanten der Spaltöffnungen, während sie bei Landpflan- zen stets neben viel zahlreicheren Luftspalten vorkommen. Die Wasserspalten unter- scheiden sich von den Luftspalten durch den stark vereinfachten Bau der Schließ- zellen, deren Membran dünn, ohne oder mit nur unbedeutenden lokalen Verdickungen 74* 117: Gewel;»e (Gewebe der Pflanzen) ist; dementsprechend sind die Schließzellen unbeweglich und die Spalte ständig sehr weit geöffnet. Die Schließzellen sind meist weit größer und die Spalten breiter als bei Luft- spalten, und bei manchen Pflanzen zeichnen sich die Wasserspalten durch relativ riesige Dimensionen aus. Auch unter den Wasser- spalten befindet sich eine geräumige Inter- zellularhöhle, die aber, wenigstens periodisch, Wasser anstatt Luft führt und mit den gewöhnlichen luftführenden Interzellular- räumen des Innengewebes nicht kommuniziert. IV. Der Kork. Der Kork wird von einem besonderen sekundären Meristem, dem Phel- logen(Korkkambium), produziert (Fig. 35, 36, 37). Dieses entsteht in den bereits ausge- Fig. 36. Fi?. 37. Fig. 36. Innere Partie der Korkkruste der Kork- iilme (Ulmus suberosa). — Fig. 37. Periderm eines 1-jährigen Zweiges von Prunus Padus. e Epidermis, k Kork, k' dessen jüngste, noch lebende Schicht, ph Phellogen, pd Phelloderm. Beide Figuren nach Haberlandt. wachsenen Pflanzenteilen durch Teilung einer bestimmten Schicht parenchymatischer Zellen; jede Zelle dieser Schicht teilt sich tangental in zwei oder drei abgeflachte Zellen, von denen die innere oder die mittlere meristematischen Charakter hat und eine Phellogenzelle darstellt. Das Phellogen besteht demnach aus einer Scliicht par- enchymatischer, radial abgeflachter, dünn- wandiger und plasmareicher Zellen, welche Wachstums- und teilungsfähig bleiben. Jede Phellogenzelle wächst in radialer Richtung und teilt sich jedesmal nach Erreichung des doi)pelten radialen Durchmessers durch eine tangentale Wand; die äußere der beiden Tochterzellen teilt sich nicht weiter, erfährt nur ein beschränktes Wachstum in radialer Richtung und wird zu einer Korkzelle, wäh- rend die innere Tochterzelle als Meristem- Initiale das frühere Spiel wiederholt. All- mählich entsteht so aus der Phellogenschicht eine Anzahl von Korkzellschichten, deren innerstes Glied die Schicht von Phellogen- zellen darstellt; das Ergebnis ist so, wie wenn die Phellogenschicht, selber unverändert bleibend, sukzessive eine Anzahl von Kork- schichten nach außen^abgliederte. Bei manchen Pflanzen wird die Tätigkeit des Phellogens dadurch kompliziert, daß ab und zu bei der Teihmg nicht die innere, sondern die äußere der Tochterzellen eine Phellogenzelle Fig. 35. Bildung des Phello- gens und Korkes im Stengel von Scuteliaria splendens. A erste Tangentalteilungen in der Epidermis e, B älterer Zustand: das Phellogen ph hat 2 Korkzellschichten k produ- ziert, deren innere noch körniges Protoplasma enthält. Nach Haberlandt. bleibt, während die innere zu einer Dauerzelle wird. In solchen Fällen produziert also die Phel- logenschicht neue Zellschichten nicht nur nach außen, sondern auch nach innen, letztere jedoch meist in erheblich geringerer Zahl, oft nur 1 bis 2. Diese nach innen vom Phellogen abgelagerten Zellen werden nicht zu Korkzellen, sondern bilden sich ähnlich dem angrenzenden Rinden- ewebe aus, also in oberirdischen Organen meist zu chlorophyllhaltigem Parenchj-m (Fig. 36, 37); sie werden Phelloderm genannt. Das Phello- derm gehört in physiologisch-anatomischer Hin- sicht nicht mit zum Hautgewebe ; entwickelungs- geschichtlich hingegen bildet das Phellogen nebst allen von ihm produzierten Zellschichten ein zusammengehöriges Ganzes, welches den Namen Periderm führt. Die Tätigkeit des einmal gebildeten Phel- logens dauert meist jahrelang an, sie ist aber bei den meisten Pflanzen so langsam, daß die produzierten Korkzellen nur ein dün- nes Häutchen bilden, zumal die äußeren Schichten derselben allmählich abgeschilfert werden. Nur bei wenigen Pflanzen ist das Phellogen intensiver tätig und es kommt zur Bildung massiger Korkkrusten: ein be- kanntes Beispiel hierfür sind die Korkeichen (Quercus Suber u. a.), welche den Flaschenkork liefern. Mit relativ seltenen Ausnahmen, die wir erst im Kapitel 14 bei der Borkenbildung besprechen werden, entsteht das Phellogen und folgüch auch der Kork hart an der Oberfläche der Organe, nämlich entweder in der Epidermis selbst (Fig. 35), oder häufiger in der subepidermalen Zellschicht. In beiden Fällen liegt die Epidermis (im ersteren Fall genau genommen die äußere Gewebe (Gewebe der Pflanzen) 1173 Hälfte der Epidermiszellen) außen der Kork- haut auf; sie stirbt aber alsbald ab, da der undurchlässige Kork ihr die Zufuhr des Wassers abschneidet, und wird früher oder später abgestoßen, so daß nun der Kork die Oberfläche des Organs einnimmt. — In welcher Zellschicht das Phellogen entstanden ist, läßt sich auch noch nachträglich aus der Stellung der , Epidermiszellen zu den Kork- zellen ersehen; liegen beide auf ■ gleichen Eadien (Fig. 35 B), so zeigt das ihre gemein- same Abkunft an; wechseln aber beide miteinander ab (Fig. 37), so stammt das Korkgewebe von der subepidermalen Zell- schicht ab. Die jungen Korkzellen wachsen nur in radialer Richtung, während sie in den übrigen Eichtungen die Dimensionen der erzeugenden Phellogenzelle beibehalten; in- folgedessen sind die Korkzellen in regel- mäßigen radialen Eeihen angeordnet, deren jede von einer Phellogenzelle abstammt, und diese regelmäßige Anordnung biklet ein sehr charakteristisches Merkmal des Korkes. Auch in radialer Eichtung ist übrigens das Wachs- tum der jungen Korkzellen oft ein sehr ge- ringes oder selbst gleich Null, alsdann haben die Korkzellen auch im ausgewachsenen Zustand die gleiche, abgeflacht tafelförmige Gestalt, wie die Zellen des Phellogens (Fig. 37); doch kann die radiale Streckung auch erheblicher sein, bis so stark, daß die Quer- schnittsform der Korkzellen ungefähr qua- dratisch wird, wie im Flaschenkork und ähnlichen Fällen (Fig. 36). Gleich den Zellen der Epidermis sind auch die des Korkes miteinander lückenlos verbunden (abgesehen von den Lenticellen, s. unten); das Fehlen von Interzellularen, insbesondere von radial den Kork durch- querenden Interzellularen, ist für die Funk- tion des Korkes als Hautgewebe von wesent- licher Bedeutung. — Hingegen ist der Kork im Gegensatz zur Epidermis ein totes Ge- webe; seine Zellen sterben nach Erreichung ihrer endgültigen Ausbildung ab und ent- halten im ausgewachsenen Zustande Luft oder daneben noch körnige Inhaltsreste von gerbstoffartiger oder harzartiger Natur (die bekannte weiße Farbe des Birkenkorkes rührt von Körnchen einer harzartigen Sub- stanz, des Betulins, in den Zellen her). Seltener sind die Zellen von einer homogenen ' braunen Masse ausgefüllt. Die Verdickung der Membran variiert bei den Korkzellen sehr, je nach der Species; von ziemlich dünnen Membranen (Fig. 35 bis 37) bis zu ringsum sehr stark verdickten (Steinkork) finden sich alle Uebergänge. Die Verdickung kann auch einseitig sein, indem entweder nur die äußere oder nur die innere Wand jeder Zelle stärker verdickt ist; in ersterem Fall erinnern die Korkzellen ganz an Epidermiszellen. Es kommt endlich auch vor, daß je mehrere Schichten von dünnwandigem Kork und von Steinkork miteinander regelmäßig abwechseln (Fig. 38), Fig. 38. Geschichteter Koik von Liiiodendron tulipifera. Im Querschnitt. 300/1. k dünn- wandiger Kork, st Steinkork; w Weichbast. Nach Möller. Sehr charakteristisch ist der Bau der Kork- zellmembran. Dieselbe ist stark verkorkt, aber die Verkorkung erstreckt sich nicht auf die ganze Dicke der Membran, sondern be- schränkt sich auf eine gewisse Schicht der- selben, die Suberinlamelle, welche ganz aus Suberin besteht. Zum Unterschied von der Kutikula der Epidermiszellen ist die Suberinlamelle der Korkzellen rings um die ganze Zelle herum ausgebildet (Fig. 39). Innen c s i s c Fig. 39. Schema der Membranstruktur der Korkzellen, i Mittellamelle, s Suberinlamelle, c Zelluloseschicht. 1174 Grewebe (Gewebe der Pflanzen) (nach dem Zellumen hin) ist die Suberin- lamelle von einer Zelhiloseschicht bedeckt, welche auch verholzt sein kann; die Suberin- lamellen je zweier benachbarter Korkzellen sind voneinander durch eine Mittellamelle getrennt, welche die Grenze der Zellen bildet. Die zweien Korkzellen gemeinsame Wand besteht demnach aus fünf Schichten; in dünnwandigem Kork kann sie aber auch nur dreischichtig sein, indem entweder die Zellu- loseschicht fehlt, oder auch die Mittellamelle verkorkt, und mit den Suberinlamellen zu einer Schicht zusammenfließt; nur die Su- berinlamelle ist in echten Korkzellen stets vorhanden.^) Da der Kork mindestens aus mehreren Zellschichten besteht, deren Membran rings- um verkorkt ist, so ist er noch viel schwerer durchlässig als die Epidermis auch bei extrem- ster Ausbildung; der Ersatz der Epidermis durch Kork bedeutet daher eine bedeutende Einschränkung der Transpiration. Wie wirk- sam in dieser Hinsicht selbst ein zartes, aus nur wenigen Zellschichten bestehendes Kork- häutchen ist, zeigen Versuche an Kartoffel- knollen, Avelche nach Entfernung der Kork- haut durch Schälung 64-mal mehr Wasser gewächse von großer Bedeutung, da die Verdunstung, wenn auch in vermindertem Grade, auch bei Temperaturen unter 0'' fortdauert, während die Wasseraufnahme durch die Wurzeln bei diesen Temperaturen völlig sistiert ist. Dank dem Luftgehalt seiner Zellen ist der Kork ein sehr schlechter Wärmeleiter; er schützt daher die Organe vor starken Temperaturschwankungen in weit höherem Grade, als dies die Epidermis zu tun vermag. Auch in dieser Hinsicht ist der Kork speziell für überwinternde Organe ein der Epidermis überlegenes Hautgewebe. Andererseits hat aber der Luftgehalt der Zellen zur Folge, daß der Kork schon in dünner Schicht fast völlig undurchsichtig ist. Daher erscheinen die Zweige der Holzgewächse, sobald sie sich mit einem noch so dünnen Korkhäntchen bekleidet haben, grau oder braun, ohne Spur von Grün, trotzdem ihre Einde grün ist (was zutage tritt, wenn man das Korkliäutchen abschält). Ebenso schließt natürlich die Korkschi cht auch den Zu- tritt des Lichtes zu den unter ihr liegenden Ge- weben fast vollkommen aus. Da nun die Kohlen- säurezersetzung in den Chloroplasten an eine hinreichende Lichtintensität gebunden ist, so kann dieser Prozeß unter einer Korkschicht .- r'^uvö■'^/7-- Flg. 40. Querschnitt durch eine Lenticelle und das angrenzende Periderm des Hollunders (bambucus nigra). 90/1. pl das poröse Meristem, 1 die Füllzellen der Lenticelle; k Kork, ,ph Phellogen, pd[PheUoderm, e Epidermis. Nach Stahl. pro Gewichtseinheit verdunsten, als im ungeschälten Zustande. Dieser verstärkte Schutz gegen Wasserverlust ist namentlich für die überwinternden Zweige der Holz- ^) Bei gewissen Pflanzen mit massigem Kork fehlt die Suberinlamelle in einem Teil der Zell- schichtcu; solche Zellen, welche im übrigen ganz ebenso wie die echten Korkzellen ausgebildet sind, werden von diesen als Phelloid unter- schieden. Es pflegen je mehrere Schichten von Phelloidzellen mit mehreren Schichten echter Korkzellen abzuwechseln. nicht oder doch nur in minimalem Maße vor sich gehen; es erscheint daher verständlich, daß die Spreiten der Laubblätter, deren Haupt- funktion eben die Kohlensäureassimilation ist, nie Kork ausbilden, selbst wenn sie mehrjährig sind. V. Lenticellen. Auch im Kork finden sich fast stets Pneumathoden, welche den Spaltöffnungen in der Epidermis analog, aber ganz verschieden gebaut sind. Es sind das die Lenticellen oder Rindenporen (Fig. 40), d. i. verdickte, poröse Partien Gewebe (Gewebe der Pflanzen) 1175 des Periderms, welche an den Zweigen der Holzgewäehse meist schon makroskopisch als erhabene Warzen hervortreten. Das Phellogen in diesen Partien ist von radial verlanfenden Interzellnlaren durchsetzt, und das von ihm nach außen abgeschiedene Ge- webe, welches hier besonders reichlich produ- ziert wird, stimmt zwar mit dem Kork meist darin überein, daß es ebenfalls verkorkt, abgestorben und lufthaltig ist, aber seine Zeilen, die sogenannten Füllzellen (Füll- gewebe) der Lenti Celle, sind gerundet und lassen reichlich Interzellularen zwischen- einander übrig. Bei den meisten Pflanzen sind die Füllzellen so lose miteinander ver- bunden, daß sie eine lockere, pulverartige Masse darstellen. In solchen Fällen werden von Zeit zu Zeit Lamellen von dichterem, nur von engen radialen Interzellularen durch- setztem Gewebe gebildet, welche das Füll- gewebe zusammenhalten und der Lenticelle eine geschichtete Struktur verleihen; diese festen Häutchen werden sukzessive durch den Druck der neugebildeten Füllzellen ge- sprengt. — In dicken Korkkrusten, z. B. im Flaschenkork, erscheinen die Lenticellen makroskopisch als enge, von lockerem Pulver erfüllte Kanäle oder Poren, welche die Kruste in ihrer ganzen Dicke radial durch- setzen. Verkorkt man eine leicht flüchtige Flüssigkeit in einem Fläschchen mit einem Korkstöpsel, der so geschnitten ist, daß die Poren längs verlaufen, so wird man sich bald von ihrer Durchlässigkeit für Dämpfe überzeugen können. Die Lenticellen sind zwar meist viel weni- ger zahlreich als die Spaltöffnungen, indem ihrer nur einige pro Quadratzentimeter vorhanden sind; da sie aber auch viel größer sind als jene und zahlreiche Luftkanäle enthalten, so lassen sie den Gasaustausch und die Transpiration in hinreichendem Maße zu. Wo das Periderm in oder direkt unter der Epidermis entsteht, da stehen die Lenticellen in einem gewissen Zusammen- hang mit den Spaltöffnungen, indem sie sich nur unter diesen bilden. Die an die Atemhöh- len grenzenden Parenchymzellen wachsen und teilen sich, es bildet sich unter der Ateni- höhle eine uhrglasförmige Schicht porösen Lenticellenphellogens aus, welche reichlich Füllzellen zu produzieren beginnt, und durch den Druck dieser wird bald die Epidermis über der jungen Lenticelle gesprengt. Erst nachdem die Lenticellen angelegt sind, setzt die Phellogen- und Korkbildung, von ihnen aus beginnend, auch unter der übrigen Ober- fläche des Organs ein. • — Wenn hingegen die Peridermbildung in tiefer gelegenen Gewebeschichten erfolgt, so entstehen die Lenticellen ohne Beziehung zu Spaltöffnun- gen, indem einfach das Phellogen an ge- wissen Stellen von vornherein mit radialen Interzellularen versehen ist und hier anstatt des gewöhnlichen Korkgewebes gerundete Füllzellen produziert. Literatur. H. Mohl, Ueber die Cuticula der Gewächse. Vermischte Schriften, 1845. — E. Pfltzer, Beiträge zur Kenntnis der Hautgeivcbe der Pflanzen. Jahrb. f. wissensch. Botanik, VII, VIII, 1869 bis 1870. — A. de Bary, Ueber die Wachsüberzüge der Epidermis. Botan. Zeitung, 1871. — A. Weiss, Die Pflamenhaare. Karsten's Botan. Untersuchtingen, 1867. — E, Strasburg er , Beiträge zur Entwickelungs- geschichte der Spaltnffaungen. Jahrb. j. wissensch. Botanik, V, 1866. — S. Schwendener, Ueber Bau und ßlechanik der Spaltöffnungen. Monats- berichte der Berliner Akademie, 1881. — O. Forsch, Der Spaltöffnung sapparat im Lichte der Phylogenie, 1905. — C Sanio, Vergleichende Untersuchungen über den Bau und die Ent- wickelung des Korkes. Jahrb. j. wissensch. Botanik, II, 1860. — F. Höhnet, Ueber Kork und verkorkte Gewebe überhaupt. Sitzimgsber. d. Wiener Akad., 1877. — E. Stahl, Ent- wickelungsgeschichte und Anatomie der lenti- cellen. Botan. Zeitung, 1873. 5. Die Leitgewebe. L Allgemeines. IL Gefcäße. III. Siebröhren. IV. Die Leitstränge. I. Allgemeines, Mit der Lebenstätigkeit der Pflanzen ist eine beständige Stoffwande- rung verbunden. Einerseits wird das durch die Wurzeln absorbierte Wasser nebst den darin gelösten Mineralsalzen in die Laubblätter befördert, welche es in großen Mengen ver- dunsten, und außerdem in alle wachsenden Partien, wo vor allem die Bildung des Zell- saftes der wachsenden Zellen viel Wasser i beansprucht. Andererseits werden die in den I Laubblättern produzierten organischen Sub- stanzen an oft weit entlegenen Orten beim Zellwachstum verbraucht oder zeitweilig gespeichert. Von diesen sogenannten plasti- schen Stoffen kommen in erster Linie zwei Kategorien in Betracht: die stickstoffhaltigen Stoffe (Eiweißstoffe und ihre Zerfallsprodukte) und die löslichen Kohlehydrate (Zuckerarten, besonders Glykose). Sowohl das Wasser wie die plastischen Substanzen (soweit sie löslich und diosmier- [ fähig sind) können sich nun freilich in allen ■ lebenden Geweben fortbewegen, indem sie durch Diosmose aus einer Zelle in die benach- barte übergehen. In den meisten Geweben wird aber der Stofftransport durch die sehr häufig zu passierenden Zellmembranen und die sie auskleidenden Plasmaschläuche der- maßen behindert, daß er außerordentlich langsam vor sich geht und daher praktisch nur für ganz geringe Entfernungen in Be- tracht kommen kann. Der Massentrans- port auf größere Entfernungen vollzieht sich hingegen in besonderen Leitgeweben, 1176 Gewebe (Gewebe der Pflanzen) deren Bau deutlich dieser Funktion angepaßt ist. Die Anpassung an den Stofftransport äußert sich in folgenden Merkmalen, welche allen Leitgeweben gemeinsam sind: 1. Die Zellen sind mehr oder weniger (oft sehr erheblich) gestreckt, und zwar in derjenigen Richtung, in welcher der Stoff- transport stattfindet, das ist meist in der Längsrichtung der Organe; die wandernden Stoffe haben daher verhältnismäßig selten Zellmembranen zu passieren. 2. Interzellularen fehlen (oder sind doch äußerst eng); das Schema Figur 41 illustriert, Fig. 41. Schema. A: eine Zelle mit Teilen der Nachbarzellen, ohne Interzellularen. B: infolge der Bildung von Interzellularen in den Ecken ist die Berührungsfläche der Zelle mit ihren Nachbarzellen auf die Hälfte verkleinert. welch bedeutenden Einfluß das auf die Größe der Berührungsfläche der Zellen hat, der die Schnelligkeit des Stoffaustausches offenbar proportional sein muß. 3. Die Membran ist entweder durchweg zart und unverholzt, also relativ leicht per- meabel, oder falls dies nicht zutrifft, so ent- halten wenigstens diejenigen Wände, welche der Stoffstrom zu ])assieren hat, reichlich leicht permeable Tüpfel oder gar offene Poren. Dank diesen Eigenschaften der Leitgewebe sind die Hindernisse, welche die w^andernden Stoffe zu überwinden haben, hier bedeutend geringer als in anderen Geweben. Dazu kommt noch als wesentliches Moment, daß 4. die Leitgewebe nie disj unkte Zell- gruppen bilden, sondern zu einem zusammen- hängenden System verbunden sind, welches den gesamten Pflanzenkörper durchzieht und ununterbrochene Bahnen für die wan- dernden Stoffe darstellt. Wir haben zwei hochdifferenzierte Kate- gorien von Leitgeweben zu unterscheiden, welche zum Transport bestimmter Stoffe dienen und außer den obigen allgemeinen Eigenschaften noch weitere, sehr charak- teristische Anpassungen an ihre spezielle Funktion aufweisen. Das sind a) die Ge- fäße, das Leitgewobe für Wasser nebst den darin gelösten Miueralsalzeu, b) die Sieb- röhren, welclie, soviel wir wissen, dem Trans- port der kolloidalen, nicht diosmierfähigen Eiweißstoffe dienen. Außer diesen gibt es endlich noch c) undifferenzierte Leitgewebe, welche, abgesehen von den allgemeinen Eigenschaften der Leitgewebe überhaupt, keine weiteren, besonderen iVnpassungsmerk- male haben und oft ohne scharfe Grenze in das Grundgewebe übergehen. Wir werden dieselben in ihrer Gesamtheit kurz als Leitzellen bezeichnen. Ueber sie läßt sich kaum mehr Allgemeines sagen, als daß sie stets zusammen mit einem der anderen Leit- gewebe vorkommen, lebend sind und meist gestreckt-parenchymatische , seltener pros- enchymatische Form haben. Sie dienen, so- weit "bekannt, der Leitung der löslichen und relativ leicht diosmierenden plastischen Stoffe, vor allem der Glykose. II. DieGefäße. Die Gefäße^) bestehen aus röhrenförmigen, im erwachsenen Zustande toten Zellen, deren Inhalt je nach den Um- ständen Wasser allein oder Wasser mit ver- dünnter Luft abwechselnd ist. Der allen Leit- geweben gemeinsame Mangel der Interzellu- I laren hat für die Gefäße als Wasserleitungs- bahnen noch eine besondereBedeutung ; erstens kann das Wasser nicht unterwegs verdunsten, I zweitens kann Luft nur äußerst langsam (durch Diffusion in gelöstem Zustand) in die Lumina der Gefäße eindringen, so daß die in ihnen unter Umständen herrschende starke Luftverdünnung (welche bei dem Aufsteigen des Wasserstroms sicher eine wesentliche Rolle spielt) lange erhalten bleiben kann. Die Membran ist verdickt und verholzt, i doch ist bei typischen Gefäßen ihre Ver- I dickung stets mäßig, so daß das Lumen, welches die Wasserbahn darstellt, nicht zu sehr verengt ist. Auch erstreckt sich die i Verdickung und Verholzung nie auf die gesamte Membranfläche ; vielmehr wechseln j in den Wänden aller Gefäße verdickte und verholzte mit dünnen und unverholzten Partien ab. Die Anordnung und Form beider ist sehr charakteristisch, aber im einzelnen sehr verschieden, besonders an den Längs- wänden, und hiernach unterscheidet man vier Unterarten von Gefäßen: Tüpfel-, Netz-, Spiral- und Ringgefäße, welche bei typischer Ausbildung recht verschieden aussehen. Wir werden weiter sehen, daß trotzdem ein gemeinsames Bauprinzip in der Membran- struktur aller Gefäße herrscht. Bei den Tüpfelgefäßen ist die Membran, soweit sie an Gefäße oder Leitzellen grenzt, mit behöften Tüpfeln versehen, welche fast ausschließlich dieser Gewebeart zu- kommen. Die Tüpfel überhaupt haben wir in Kapitel 2 (S. 1151/2) besprochen. Von den dort beschriebenen, allgemein verbreite- ten einfachen Tüpfeln (Fig. 42 A) unterscheiden sich die behöften Tüpfel oder Hoftüpfel (Fig. 42 B) dadurch, daß ^) Ueber den Sinn,in dem wir diesen Ausdruck gebrauchen, s. die Anmerkung auf S. 1181. Gewebe (Gewel:e der Pflanzen) 1177 sie sich innerhalb der Membran mehr oder meisten übrigen Pflanzen sind dieJHoftüpfel weniger erheblich nach anßen erweitern; ein viel kleiner, aber sehr zahlreich nnd dicht Hoftüpfel hat im Dnrchschnitt etwa die Form gestellt; sie pflegen anf jeder Wand mehrere eines Trichters, bestehend aus dem breiteren : Längsreihen zu Isilden, wobei meist eine mehr A \^....... B "^ faYr^^f^'^^f-^ ^ vVK'y^^^J^ ^ yy Fl n Fig. 42. Schema: A der einfachen Tüpfel, B der Hoftüpfel. Links einseitige, rechts zweiseitige Tüpfel im Durchschnitt, in der Mitte verschie- dene Formen solcher Tüpfel in der Aufsicht. Hof räum und der engeren Mündung (Tüpfelkanal), durch welche der Hofraiim mit dem Lumen des Gefäßes in Verbindung steht. Hoftüpfel entstehen, indem bei der Membranverdickung begrenzte Partien der Primärmembran — die späteren Schließ- häute der Hoftüpfel — unverdickt bleiben, aber von der wachsenden Verdickungsmasse allmählich überwölbt werden; nur in der Mitte der Wölbung bleibt eine Oeffnung erhalten, d. i. die Tüpfelmündung. Wo ein Tüpfelgefäß an eine Leitzelle grenzt, bilden sich einseitige Hoftüpfel (Fig. 42 B, linke Wand), indem die Ueberwölbung nur auf der Gefäßseite stattfindet; auf der Leitzellenseite bleibt die Primärmembran entweder unverdickt und glatt, oder, falls auch die Membran der Leitzelle sich verdickt, so entspricht hier dem Hoftüpfel ein flacher einfacher Tüpfel von dem Durchmesser der Schließhaut. Wo hingegen zwei Tüpfelgefäße aneinander grenzen, da korrespondieren die beiderseitigen Hoftüpfel paarweise und die gemeinsame Wand enthält zweiseitige Hoftüpfel (Fig. 42 B, rechte Wand); diese bilden einen linsenförmigen Hohlraum in der Membran, welcher durch die Schließhaut in zwei (ursprünglich) symmetrische Hälften geteilt ist und durch symmetrisch gelegene Oeffnungen in die Lumina der beiden Gefäß- zellen mündet. In der Aufsicht erscheint der Hoftüpfel nicht als ein Kontur, wie der einfache Tüpfel, sondern in der Form zweier ungefähr konzentrischer Konturen (Fig. 42 B, in der Mitte); der innere ist der Umriß der Tüpfel- mündung, der äußere der Umriß des Tüpfel- hofes. Ln einzelnen kann die Form der Hof- tüpfel in der Aufsicht, wie auch ihre Anord- nung, verschieden sein. Bei den großen, nur eine Längsreihe in jeder Eadialwand bil- denden Hoftüpfeln der Koniferen sind die Konturen des Hofes wie der Mündung ungefähr kreisförmig (Fig. 43 A). Bei den Fig. 43. Aus dem Holz der Kiefer (Pinus silvestris). 540/1. A Stück eines Gefäßes (Tracheide) im Radialschnitt, mit einem Hof- tüpfel in Aufsicht. B ein Hoftüpfel im Durch- schnitt, mit angepreßtem Torus t. C Querschnitt eines Gefäßes mit 3 Hof tüpfeln; m die Mittel- lamelle. Nach Strasburger. oder weniger regelmäßige spiralige Anordnung erkennbar ist (Fig. 47 1, S. 1181). Der Umriß ihres Hofes ist meist elliptisch, die Mündung ebenfalls elliptisch oder spalten- förmig. Bei sehr dichter Lagerung können die Hoftüpfel auch polygonal sein; die Höfe sind alsdann voneinander nur durch ein zartes Gitterwerk verdickter Membranpartien ge- trennt (Fig. 44). ^ Bei manchen Pflanzen Fig. 44. Stück eines Gefäßes aus dem Holz von Rhamnus frangula. Im Längsschnitt. 575/1. Die in der Ebene des Papiers Hegende (hintere)\Vand ist dicht mit kleinen Hof- tüpfeln mit polygonalem Hof- umriß bedeckt. Die Seiten- wände grenzen rechts und links an Holzfasern und sind unge- tüpfelt. enthält jede Längswand der Tüpfelgefäße nur eine dichte Reihe von Hof tupf ein, deren Hof die Form einer schmalen, quer- gestreckten, fast die ganze Breite der Längs- wand einnehmenden Ellipse hat, mit eben- falls quergerichteter, spaltenförmiger Mün- dung; diese charakteristische Abart der Tüpfelgefäße wird Leiter- oder Treppen- gefäße genannt (Fig. 47 II, S. 1181). Bei den zweiseitigen Hoftüpfeln der Koni- feren, welche dank ihrer relativ bedeutenden Größe am genauesten untersucht sind, ist ein ziemlich komplizierter Bau der Schließhaut fest- gestellt worden (Fig. 43). Nur der Rand derselben 1178 Gewebe (Geweihe der Pflanzen) ist dünn, während ihre mittlere Partie scheiben- förmig verdickt ist; der Durchmesser dieser Scheibe, des sogenannten Torus, übertrifft etwas denjenigen der Tüpfelmündungen. In der Aufsicht ist der Kontur des Torus als ein dritter Ki-eis zwischen den Umrissen des Hofes und der Mündung des Tüpfels erkennbar. An medianen Durchschnitten durch die Hoftüpfel zeigt sich ! nun, daß die Schließhaut meist einseitig verlagert und der einen Hofwölbung angepreßt ist, wobei der Torus die eine Tüpfelmündung verschließt; die Ursache dieser Verlagerung ist wahrscheinlich in Differenzen der Luftverdünnung in den beiden Nachbargefäßen zu suchen. ]\Ian nimmt daraufhin an, daß die zweiseitigen Hof tüpfel kleine Klappen- ventile sind, welche die Kommunikation zwischen benachbarten Gefäßen je nach den lokalen Druckverhältnissen regulieren und wohl von AVichtigkeit für den Mechanismus der Wasser- bewegung sind ; da wir aber über diesen Mechanis- mus noch sehr wenig wissen, so läßt sich zurzeit nicht sagen, worin die Bedeutung dieser Klappen- ventile eigentlich bestehen mag. — Ob auch bei anderen Pflanzen die Schließhaut der zwei- seitigen Hoftüpfel immer einen solchen Baii auf- weist, ist nicht sicher; bei ihrer Kleinheit ist es hier meist schwer, die Schließhaut überhaupt deutlich zu sehen, obwohl ihre durchgängige Anwesenheit nicht zweifelhaft ist. In den einseitigen Hoftüpfeln ist die Schließ- haut stets in ihrer ganzen Ausdehnung gleich- mäßig dünn. Durch den einseitigen Druck, dem sie unterliegt (da die lebende Leitzelle turgesziert, die tote Gefäßzelle aber nicht), ist die Schließhaut hier meist nach dem Gefäß hin vorgewölbt und der Tüpfelwölbung angepreßt. — Auch sonst 1 können die einseitigen Hoftüpfel in Einzelheiten j der Ausbildung von den zweiseitigen Hoftüpfeln des nämlichen Gefäßes abweichen. Namentlich i ist bei ersteren die Hofwölbung schwächer aus- gebildet, die Tüpfelmündung also breiter. Be- } sonders groß ist der Unterschied bei den Koni- 1 feren ; im Holz derselben finden sich zwischen den 1 längsverlaufenden Tüpfelgefäßen und den c^uer- gestreckten lebenden Markstrahlzellen große einseitige Hoftüpfel mit sehr schwach ausgebil- deter Hofwölbung, welche bei der Gattung Pin US (Kiefer) fast die ganze Berülirungsfläche j beider Zellen einnehmen (Fig. 164, 165, S. 1266); ihr Hof ist in der Aufsicht gerundet rechteckig, die Mündung breit rhombisch, — sie haben also mit den kreisförmigen zweiseitigen Hof tupf ein, welche sich in den Berührungsflächen der Tüpfel- gefäße untereinander finden, scheinbar gar keine Aehnlichkeit. Diese Differenzen in Einzelheiten des Baues entsprechen sicherlich einer etwas verschiedenen Funktion der beiden Arten von Hoftüpfeln. Daß die Funktion beider nicht ganz identisch sein kann, folgt schon daraus, daß die einen den Wasseraustausch zwischen benachbarten Ge- fäßen, die anderen zwischen Gefäßen und lebenden Leitzellen zu vermitteln haben, welch letztere wahrscheinlich eine wesentliche Hilfsrolle bei der Wasserbewegung spielen; doch ist auch über diese vermutlichen funktionellen Differenzen zurzeit nichts Näheres bekannt. _ Bei den Netz-, Spiral- und Kinggefäßen (Fig. 45) tritt die Membranverdickung in Form von schmalen Leisten auf, welche nr- sprünglich fast stets sehr dicht angeordnet sind. In den Netzgefäßen sind diese Leisten zn einem Netzwerk mit schmalen quer- gestreckten Maschen verbunden. In den Spiralgefäßen haben die Leisten die Form von Spiralen, und zwar ist entweder nur eine Spiralleiste vorhanden, oder zwei bis mehrere parallel verlaufende; die Zahl der- Fig. 45. Radialschnitt durch den Stengel von Oenothera odorata. r Ringgefäß, s älteres Spiralgefäß mit 1 Spirale, Sj Spii-algefäß mit 2 Spiralen, s, dto mit mehreren Spü'alen, n Netz- gefäß (die Netzleisten hell, die Tüpfel dunkel dargestellt), g junge Gefäßanlage, c Kambium, p, h Xylemparenchym. Nach Haberlandt. selben kann infolge Gabelung der Spiral- leisten in der nämlichen Gefäßzelle lokal ver- schieden sein. Benachbarte Spiralumgänge können durch Anastomosen verbunden sein, und wenn dies häufig stattfindet, so kommen Uebergangsformen zwischen Spiral- und Netz- gefäßen zustande. In den Ringgefäßen endlich bilden die Verdickungsleisten ge- schlossene, quer zur Längsachse der Gefäß- zelle orientierte Ringe. Auch zwischen Ring- und Spiralgefäßen gibt es Uebergänge, indem die Ringleisten hier und da durch einen Spiralumgang verbunden sein können, und es finden sich auch Gefäßzellen, deren Membran in gewisser Strecke ringförmig und weiterhin spiralig verdickt ist. Untersuchen wir die Querschnittsform der Verdiokuiigsleisten, welche wir an medianen Längsschnitten durch Ring-, Spi- ral- und Netzgefäße zu Gesicht bekommen (Fig. 46), so zeigt sich, daß die Leisten nicht in ihrer ganzen Dicke gleichmäßige Breite haben, sondern sich nach außen (vom Zentrum des Gefäßes aus gerechnet) stark und mehr oder weniger plötzlich verschmälern, so daß jede Leiste nur mit einem mehr oder weniger schmalen Fuß der Primärmembran Gewebe (Gewebe der Pflanzen) 117( aufsitzt.^) Betrachten wir die Querschnitts- form des zwei genäherte Leisten voneinander trennenden Zwischenraums, so ist derselbe innen, zwischen den breiten Leistenköpfen, ^^^>^^ Fig. 46. Medianer Längsschnitt durch Spiral- gefäße imStengel des Kürbis (Cucurbita Pepo). 560/1. nur schmal, nach außen aber, wo die Leisten sich verschmälern, verbreitert er sich be- trächtlich. Mit anderen Worten, ein solcher Zwischenraum ist nichts anderes als ein ein- seitiger Hoftüpfel, mit breitem Hof, enger Mündung in das Gefäßlumen und zarter Schließhaut. Ein Längsschnitt durch die Wand eines Gefäßes mit dicht gestellten Verdickungsleisten kann dem Längsschnitt durch die Membran eines Tüpfelgefäßes mit dicht angeordneten Hoftüpfeln vollkommen gleichen, und wenn beide doch gewisse Diffe- renzen aufweisen (was freilich oft der Fall ist), so sind diese nicht wesentlicher, sondern sekundärer Natur. iVm meisten unterscheiden sich die Hoftüpfel der Ring- und Spiral- gefäße von denen der Tüpfelgefäße durch ihre Form in der Aufsicht: ihr Hof sowohl wie ihre Mündung sind nicht ringsum ge- schlossene Räume, sondern laufen ring- resp. spiralförmig um das ganze Gefäß herum. Die Netzgefäße stehen den Tüpfelgefäßen, nament- lich der als Treppengefäße bezeichneten Abart, noch viel näher und bilden einen Uebergang zwischen ihnen und den Spiral- und Ringgefäßen. Die Hoftüpfelstruktur der Membran ist nicht nur das wichtigste anatomische Merk- mal der Gefäße, welches alle Abarten der- selben unter einen Hut bringt und um so charakteristischer ist, als sie bei anderen ^) Aus diesem Grunde lösen sich die Ver- dickungsleisten bei der Anfertigung von Schnitten leicht von der Primärraembran ab, und wir finden in den Präparaten namentlich die lockenförmigen Spiralleisten oft auf langen Strecken aus den Spiralgefäßen herausgerissen. I Geweben so gut wie nie vorkommt; sie bildet zugleich auch eine wichtige Anpassung an die Funktion der Gefäße, und stellt sozusagen ein gelungenes Kompromiß zwischen zwei widersprechenden Anforderungen dar, denen die Membran toter wasserleitender Elemente genügen muß. Einerseits muß die Membran fest und steif genug sein, um durch den Druck der angrenzenden turgeszierenden Zellen, dem die toten Gefäßzellen keinen ak- tiven Gegendruck entgegensetzen können, nicht eingedrückt zu werden, was die Eignung des Lumens zum Wassertransport beeinträch- tigen oder vernichten würde ; die erforderliche Aussteifung der Membran kann nur durch hinreichende Verdickung und Verholzung erreicht werden. Andererseits darf die Membran dem Eintritt des Wassers aus den angrenzenden Gefäßen und Leitzellen keinen großen Widerstand bieten, sie muß also unverholzt und möglichst dünn sein. Wir sehen nun in den Längswänden aller Gefäß- arten verdickte und verholzte Partien, welche die Membran gegen den seitlichen Druck festigen, init dünnen unverholzten Membranstellen — den Tüpfelschließhäuten — abwechseln ; und die Form beider ist eine solche, daß bei dichter Stellung der Tüpfel die Primärmembran fast in ihrer ganzen Fläche dünn und unverholzt ist, trotzdem aber auch die verholzte Verdickungsschicht fast die ganze Fläche der Membran bedeckt und nur von schmalen Oeffnungen unter- brochen ist, welche dem Wasser zu den permeablen Tüpfelschließhäuten Zutritt ge- währen. Ein scheinbar unlösbares Problem ist hier in geradezu glänzender Weise gelöst. Bezüglich der Festigung kann man alle Gefäße in dehnbare und nicht dehnbare Gefäße einteilen. Die letzteren umfassen die Tüpfel- und Netzgefäße, bei denen die verdickten Membranpartien in der Längs- richtung zusammenhängen; diese Gefäße sind daher nicht nur gegen seitliche Kom- pression, sondern auch gegen longitudinale Dehnung gefestigt. Bei den Spiral- und Ringgefäßen hingegen, deren Verdickungs- leisten longitudinal nicht verbunden sind, steht einer Längsdehnung nichts im Wege. Die nicht dehnbaren Gefäße sind also mecha- nisch vollkommener gebaut; dafür ist aber ihr Vorkommen auf die nicht mehr in die Länge wachsenden Partien der Organe beschränkt, denn da ihre Membranstruktur eine Längsdehnung unmöglich macht, so würde ihre Gegenwart das Längenwachstum auch der übrigen Gewebe verhindern. In wachsenden Zonen können also nur dehnbare Gefäße Verwendung finden, und in der Tat werden in jungen Pflanzenteilen nur Ring- oder Spiralgefäße (meist beide) ausgebildet. Ihre Verdickungsleisten sind, wie schon er- wähnt, ursprünglich sehr dicht gelagert; in dem 1180 Gewebe (Gewebe der Pflanzen) ]\Iaße aber wie ihre Primärmerabran durch das Wachstum der angrenzenden lebenden Zellen . passiv gedehnt wird, rücken die Ringleisten und die Windungen der Spiralleisten auseinander. Hierdurch wird freilich die Festigung der Gefäße gegen radialen Druck allmählich vermindert, ihr Lumen wird zwischen tien Verdickungsleisten seitens der lebenden Nachbarzellen mehr und ■ mehr zusammengepreßt, bis die Gefäße zur | Wasserleitung untauglich werden. Bevor es aber | soweit kommt, sind bereits neue Ring- oder Spiralgefäße mit dicht gelagerten Verdickungs- leisten ausgebildet worden, welche ihre Vor- gänger in der Wasserleitung ersetzen ; diese werden ihrerseits gedehnt (obwohl schon in geringerem Grade) und durch neue ersetzt, und so geht es fort, solange der betreffende Organteil in die Länge wächst. Erst wenn das Längenwachs- tum erloschen ist, pflegen nichtdehnbare Gefäße aufzutreten. In geeigneten Schnitten durch eine bereits ausgewachsene Partie finden wir daher stets mehrere oder viele Gefäße nebeneinander, unter denen Ring- oder Spiralgefäße nie fehlen ; dieselben sind von verschiedenem Alter und in verschiedenem Grade gedehnt, was auch noch im erwachsenen Zustande an der ungleichen Entfernung ihrer Verdickungsleisten zu erkennen ist (Fig. 45, S. 1178). In stark in die Länge wach- senden Organen sind die ältesten Ring- und Spiralgefäße dermaßen gedehnt, daß ihre Ringe weit auseinanderliegen (dabei oft schräg bis aufrecht stehen) und die Spiralen sehr steil ver- laufen, manchmal fast ganz geradegestreckt sind. { Solche Gefäße sind längst außer Funktion gesetzt; ihre Dehnung kann sogar soweit gegangen sein, j daß die Primärmembran und eventuell auch die Spiralleiste zerrissen ist und von dem Gefäß j nichts als ein paar isolierte Ringe oder Spiral- 1 fetzen übrig ist. Die jüngeren Ring- und Spiral- gefäße sind schon weniger, die jüngsten nur un- bedeutend oder gar nicht gedehnt, ihre Ver- dickungsleisten also noch mehr oder weniger dicht gelagert. Die jüngeren oder jüngsten Spiral- gefäße haben oft mehrere Spiralleisten. Am ' jüngsten sind die Netz- und (oder) Tüpfelgefäße, welche nur selten gar nicht gebildet werden. Aus dem beschriebenen Verhalten erklärt sich u. a. die Tatsache, daß die verschieden- artigen Gefäßzellen in demselben Pflanzen- teil sehr ungleich lang sind. Zwar sind bei , allen Abarten der Gefäße die Zellen (mit seltenen Ausnahmen) stark längsgestreckt und können eine relativ große Länge erreichen (bis über 1 mm, in einzelnen Fällen noch i mehr); da aber diejenigen der nicht dehn- baren Gefäße dauernd die Länge behalten, welche sie bei ihrer Auslnldung hatten, wäh- rend die Zellen der dehnbaren Gefäße meist j noch eine gewisse bis sehr bedeutende nach- trägliche Längsdehnung erfahren, so versteht es sich, daß letztere caeteris paribus länger werden, und zwar um so länger, je früher sie entstanden sind. Bezüglich des Querdurchmessers der ver- schiedenen Gefäße in dem gleichen Objekt trifft im allgemeinen das umgekehrte Ver- hältnis zu. Die Ring- und Spiralgefäße pflegen durchschnittlich enger zu sein als die Netz- und Tüpfelgefäße, und zwar um so enger, je früher sie ausgebildet worden sind. Der Durchmesser der weitesten Netz- oder Tüpfelgefäße kann denjenigen der ältesten Eing- oder Spiralgel'äße in dem nämlichen Querschnitt um das Hundertfache übertreffen. Die ersteren erreichen bei ge- wissen Pflanzen eine solche Weite, daß sie sehr gut mit bloßem Auge sichtbar sind; so sind z. B. die groben Poren im Frühlings- holz der Eiche, welche bis 0,3 mm Durch- messer haben, so daß man ein Pferdehaar in sie einführen kann, nichts anderes als be- sonders weite Tüpfelgefäße. In solchen Fällen kann der Durchmesser eines Gefäßes ebenso groß oder selbst größer sein, als die Länge seiner Zellen. Diese Verhältnisse stehen nun zum Teil in Beziehung zu dem Wasserbedarf der Objekte. Die noch sehr jungen Teile eines Sprosses z. B. verbrauchen Wasser nur in relativ geringer Menge für das noch langsame Wachstum der Zellen ; für die Zuführung dieses Wasserquantums genügt die Anwesenheit weniger und sehr enger Gefäße. Später, wenn das Wachstum zunimmt, und gar wenn die Blätter sich entfalten und zu transpirieren beginnen, steigt der Wasserverbrauch enorm, und dementsprechend bilden sich zahl- reichere Gefäße mit größerem Durchmesser aus. — Auch beim Vergleich verschiedener Pflanzen untereinander beobachtet man oft eine deutliche Parallele zwischen dem Grade des Wasser- verbrauches und dem damit zusammenhängenden Bedarf an Wasserzuleitung einerseits und der quantitativen Ausbildung der (iefäße anderer- seits. So weisen die submersen Wasserpflanzen, bei denen die Transpiration ganz fortfällt, eine auffallende Reduktion der Gefäße auf; meist treten zwar in ihren jungen Organen einige sehr enge Gefäße auf, welche bei der Streckung zer- reißen, weiterhin werden aber keine mehr aus- gebildet; in den erwachsenen Stengelin ternodien fehlen daher Gefäße gänzlich, und nur in den Knoten, welche keine Streckung erfahren haben, sind einige enge Gefäße vorhanden. Das ent- gegengesetzte Extrem repräsentieren die Kletter- pflanzen, deren Stengel im Verhältnis zu ihrer Länge und zu der transpirierenden Laub- masse sehr dünn sind, so daß pro Querschnitts- einheit des Stengels besonders viel Wasser zu transportieren ist; hier sind die Gefäße ungewöhn- lich zahlreich und zugleich ungewöhnlich weit (wie man z. B. in dem Querschnitt durch einen Kürbisstengel schon mit bloßem Auge sehen kann). In den Stämmen einiger tropischer Lianen erreichen die Gefäße die größten Durchmesser unter allen Pflanzen, bei einer Species bis zu 0,7 mm. Von einem ganz anderen Gesichtspunkt aus, als die bisher berücksichtigten, zerfallen die Gefäße in zwei Unterabteilungen: die Tracheen und Tracheiden. Die letzteren sind einzelne Zellen mit ringsum geschlossener Membran. Die Tracheen hingegen sind Längs- reihen von Zellen, welche durch Perforation der trennenden Querwände zu kontinuier- lichen Röhren verschmolzen sind, also Zell- Grewebe (Gewebe der Pflanzen) 1181 fusionen.^) Sind die Querwände der Tracheen ungefähr senkrecht zur Längsachse, also ungefähr kreisförmig (Fig. 47, I), so ent- halten sie ursprünglich einen einzigen runden rudimentären Hof tupf el (d.i. mit sehr schwach ausgebildeter Hofwölbung und entsprechend sehr weiten Mündungen), welcher die ganze Fläche der Querwand mit Ausnahme eines schmalen verdickten Ringes am Rande ein- nimmt; vor dem Absterben des plasmatischen Zellinhalts wird die Schließhaut dieses Fig. 47. A Schemata von Tracheen im medianen Längsschnitt. 1 weite Trachee mit kleinen ellip- tischen Hoftüpfeln und mit einfacher Perfora- tion der Querwände, cjq; die Hinterwand ist im oberen Teil der Figur weggeschnitten gedacht. II enge Treppentrachee mit leitei-förmiger Per- foration der Querwände q. — B Querwände beider Tracheen, von der Fläche gesehen. 1) Es muß hier erwähnt werden, daß wir den Terminus „Gefäß" in einem Sinn verwenden, welcher von dem üblichen Sprachgebrauch abweicht. Was wir ,, Tracheen" nennen, nennt man gewöhnlich ,, Gefäße", und stellt somit ,, Gefäße" und ,,Tracheiden" als gleichwertige Begriffe einander gegenüber. Ein besonderer Terminus für den übergeordneten, beide um- fassenden Begriff ist bei diesem Sprachgebrauch nicht vorhanden; läßt sich ein Ausdruck hierfür einmal nicht umgehen, so gebraucht man eben- falls das Wort „Gefäß". Tüpfels aufgelöst, so daß sich der Tüpfel in einen großen runden Porus verwandelt, dessen Durchmesser nur wenig hinter dem des Gefäßes selbst zurückbleilit (einfache Perforation). Im ausgebildeten Zustand sind die Grenzen der einzelnen Gefäßzellen, durch deren Verschmelzung die Trachee entstanden ist, nur noch an den ringförmigen Resten der ehemaligen Querwände zu er- kennen. Sind hingegen die Querwände mehr oder weniger stark geneigt, also von gestreckt- elliptischer Form, so kommen zwei Fälle vor. Entweder entsteht, wie im vorigen Fall, nur ein großer runder Porus, welcher aber der Länge nach nur den mittleren Teil der Querwand einnimmt; ihre übrige Fläche ist dicht mit gewöhnlichen kleinen Hoftüpfeln bedeckt, deren Schließhäute bestehen bleiben. Oder (Fig. 47, II) die Querwand enthält eine Reihe von quergestreckten rudimentären Hoftüpfeln, deren Schlieflhäute aufgelöst werden, so daß eine Reihe von queren, durch ein leiterartiges Balkenwerk getrennten Poren resultiert (leiterförmige Perforation). Die Art der Perforation ist meist spezifisch konstant. — Es hat sich herausgestellt, daß in den Tracheen ab und zu einzelne Quer- wände vorkommen, welche zwar im all- gemeinen ganz ebenso beschaffen wie die übrigen, aber nicht perforiert sind, indem die Auflösung der Schließhäute der großen Tüpfel unterblieben ist. Ist dies in allen Querwänden der Fall, dann haben wir es eben nicht mit einer Trachee, sondern mit einer Längsreihe von Tracheiden zu tun. Da beide Arten von Gefäßen im übrigen völlig gleich ausgebildet sein können, so ist es in der Praxis oft schwer zu entscheiden, ob wir eine Trachee oder eine Tracheidenreihe vor uns haben; nur geeignete Längsschnitte durch die Querwände können darüber Aufschluß geben. Das schließt aber nicht aus, daß in konkreten Fällen die Tracheen und Tracheiden desselben Objekts sehr verschieden sein können, wie wir bei Be- sprechung der Gefäße des Holzes (Kapitel 13) sehen werden. Hier sei nur erwähnt, daß die einzelnen Zellen (Glieder) der Tracheen oft kürzer sind als die Tracheiden und jedenfalls keine solchen extremen Längenmaße er- reichen, wie das bei diesen vorkommt. Be- trachtet man jedoch nicht die Länge der einzelnen Glieder, sondern des ganzen von einer Trachee repräsentierten geschlossenen Hohlraumes, welcher aus einer großen Reihe von Gliedern besteht, so pflegen die Tracheen viel länger zu sein als die Tracheiden. Da in den Tracheen einzelne unperforierte Querwände vorkommen, so ist ihre Länge zwar nicht, wie man früher meinte, der der I ganzen Pflanze gleich, sie rechnet aber I immerhin meist nach Zentimetern oder Dezimetern, und bei einzelnen Bäumen, z. B. der Eiche, wurde sogar das Vorkommen 1181 Gewebe (Gewebe der Pflanzen) ununterbrochener Traclieenröhren von meh- ' reren Metern Länge festgestellt. Während Tracheiden in allen Klassen der Gefäßpflanzen verbreitet sind, sind j Tracheen im allgemeinen nur den Angio- spermen eigentümlich ; unter den Gefäß- kryptogamen sind sie als seltene Ausnahme nur bei einzelnen Farnen (z. B. im Rhizom des Adlerfarns, Pteris aquilina) gefunden worden, unter den Gymnospermen kommen sie nur bei den Gnetaceen vor. Die Angio- 1 Spermen haben meist Tracheen und Trache- ' iden nebeneinander; doch sind unter ihnen' mehrere bekannt, welche nur Tracheen füh- ren, und einzelne, welche nur Tracheiden ausbilden. Daß sowohl Tracheen wie Tracheiden das Wasser zu leiten vermögen, und daß die Pflanzen j sowohl mit den einen wie mit den anderen allein gut auskommen können, ist also sicher. Die i Frage ist jedoch berechtigt, ob da, wo beide • nebeneinander vorkommen, nicht eine gewisse Arbeitsteilung zwischen beiden existiert. Diese Frage ist gegenwärtig kaum mit Sicherheit zu lösen, denn so lange uns der Mechanismus der Wasserbewegung noch dunkel ist, läßt sich nicht sicher sagen, welchen Einfluß die Perfora- , tion der Querwände auf sie hat. Plausibel er- j scheint jedoch die verbreitete Ansicht, daß in den Tracheen das Wasser sich caeteris paribus schneller bewegen kann als in den Tracheiden, und daß folglich erstere vorwiegend dem Wasser- transport auf größere Entfernuugen, letztere vorwiegend der lokalen Wasserzufuhr dienen. Wir müssen noch einer merkwürdigen Erscheinung gedenken, die in breiteren Gefäßen nicht selten zu beobachten ist. Es wurde bereits erwähnt, daß da, wo lebende Leitzellen an ein Gefäß grenzen, die Schließ- sogenannten Thyllen (Fig. 48). Dieselben erscheinen auf den ersten Blick als runde, im Gefäßlumen befindliche Zellen; doch läßt sich an geeigneten Schnitten leicht feststellen, daß sie nur Ausstülpungen der an das Gefäß stoßenden Zellen sind (nur ausnahmsweise grenzen sich die Thyllen durch eine Quer- wand von ihrer Mutterzelle ab). Sie sind meist zartwandig, plasmahaltig und bilden oft reichlich Stärke. — Wenn aus mehreren Leitzellen im Umkreis eines Gefäßes Thyllen entstehen (Fig. 48 B), so berühren sie ein- ander in dessen Mitte, platten sich durch den gegenseitigen Druck ab und vereinigen sich zu einem parenchymatischen Gewebe, welches das Gefäßlumen streckenweise vollständig ausfüllen und funktionsunfähig machen kann. Dies geschieht bei manchen Pflanzen ganz regelmäßig in den älteren Gefäßen ; im Holz von Robin ia pseudacacia werden sogar alle im gegebenen Jahr entstandenen Gefäße im Herbst durch Thyllenbildung ver- stopft. Sehr häufig tritt ferner reichliche Thyllenbildung als Folge von Verwundung auf und dient als eines der Mittel, um die Wunde zu schließen, indem die angeschnitte- nen Gefäße durch Thyllen ausgefüllt werden. III. Die Siebröhren. Die Siebröhren sind in bezug auf Zellinhalt und Membranbe- schaffenheit das gerade Gegenstück der Gefäße : ihre Membran ist unverholzt, weich und mehr oder weniger zart, und die Zellen sind lebend. Freilich unterscheiden sie sich in mehreren Hinsichten erheblich von allen anderen leben- den Zellen. Vor allem sind sie der einzige be- kannte Fall von Zellen, welche im ausgebil- deten Zustande ZAvar einen lebenden Plasma- Fig. 48. Thyllen. A im Längsschnitt eines Spiralgefäßes von Musa Ensete. 300/1. p Leit- zellen, t Thyllen, t' Ansätze zur Thyllenbildung. B aus dem Querschnitt eines Blattstiels von Cucurbita Pepo. 230/1. Zwei Spiralgefäße mit Thyllen; im linken ist das Lumen fast ganz von ihnen ausgefüllt, im rechten sieht man die Verbindung der Thyllen mit den Leitzellen, zu denen sie gehören, durch die Verdickungsleiste des Gefäßes hindurchscheinen; in einigen Thyllen ist der plasma tische Inhalt eingezeichnet. Nach Molisch. häute der einseitigen Hoftüpfel gegen das Lumen des Gefäßes vorgewölbt sind. Nicht selten kommt es nun vor, daß es nicht bei der bloßen Vorwölbung bleibt, sondern daß die Schhcßhäute in die Fläche zu wachsen beginnen und sich blasenartig ins Gefäß- lumen hineinstülpen. So entstehen die schlauch, aberkeinen Zellkern enthalten; dieser wird vor der endgültigen Ausbildung der Sieb- röhren desorganisiert.^) Eine weitere Besonder- ij^Nach^E. W. Schmidt (Ber. d. D. j Botan. Gesellsch., 1913, p. 78) ist der Zellkern vorhanden und nur durch den Siebröhreninhalt I verdeckt. — Nachträgliche Anmerkung. Grewebe (Gewebe der Pflanzen) 1183 heit der Siebröhren ist die (soweit bekannt) alkalische Keaktion ihres Zellinhalts. Ihre dritte Eigentümlichkeit, welche als die wichtigste erscheint, da sie in deutlicher Beziehung zu der Funktion der Siebröhren als Bahnen des Eiweißtransports steht, ist ihr Reichtum an Eiweißstoffen; dieselben treten entweder im Plasmaschlauch in Form schleimiger Tropfen auf, oder sind im Zellsaft gelöst, so daß dieser eine zähflüssige, beim Erhitzen gerinnende Eiweißlösung darstellt. Daneben enthalten die Siebröhren auch gelösten Zucker und manchmal kleine Stärke- körner; man hat daraus schließen wollen, daß sie außer Eiweißstoffen auch Kohle- hydrate leiten, — ob mit Recht, bleibt fraglich. Andererseits weisen die Siebröhren manche Analogien mit den Gefäßen auf, und die Analogie beider würde vielleicht noch weit- gehender erscheinen, wenn nicht die Unter- suchung der Siebröhren durch ihre Zartheit erschwert wäre, weshalb sie noch lange nicht so gründlich und allseitig bekannt sind wie die Gefäße. Vor allem zerfallen auch die Siebröhren in zwei Unterarten, welche den Tracheen und Tracheiden unter den Gefäßen ent- sprechen; besondere Namen für diese Unter- arten bestehen . nicht, wir wollen sie als tracheenartige und tracheidenartige Sieb- röhren unterscheiden. Man hat bisher bei den Pteridophyten und Gymnospermen nur die letzteren, bei den Angiospermen nur die ersteren beobachtet; ob aber diejenigen Pflanzen beider Kategorien, bei denen Tracheen und Tracheiden zugleich vorkom- men, nicht auch die beiden Ai'ten von Siebröhren führen, scheint uns nicht gesichert und der Untersuchung wert. Die tracheidenartigen Siebröhren sind lang- gestreckte röhrenförmige Zellen mit sehr schräg gestellten Querwänden, also mit stark zugeschärften Enden. An den Längs- wänden und namentlich an den geneigten Endwänden ist die Membran, soweit sie zweien Siebröhrenzellen gemeinsam ist, mit flachen Tüpfeln versehen, welche den rund- lichen Hof tupf ein der Tracheiden entsprechen ; bei den Koniferen, wo die Tracheiden nur an den Radialwänden getüpfelt sind, gilt dasselbe auch für die Siebröliren, und selbst die Größe der Tüpfel ist die gleiche. Die Schließhaut der Tüpfel der Siebröhren ist fein siebartig punktiert, weshalb man diese Tüpfel Siebtüpfel oder Siebfelder nennt; offene Poren, die für den Stofftransport durch die Membran hindurch in Betracht kommen würden (wie bei den bald zu be- sprechenden Siebplatten), liegen hier aber, soweit bekannt, nicht vor, allenfalls dürfte es sich um relativ grobe Plasmodesmen handeln, so daß also die Zellen in demselben Sinne, wie das für andere lebende Zellen gilt, als ringsum geschlossen zu betrachten sind. Die tracheenartigen Siebröhren der Angio- j Spermen bestehen aus Längsreihen von eben- I falls gestreckt-röhrenförmigen Zellen von i sehr verschiedener Weite; bei einigen Kletter- pflanzen (bei denen überhaupt die Siebröhren am größten zu sein pflegen) erreichen sie bis zu 0,08 mm Durchmesser, bei anderen j Pflanzen sind sie mehr oder weniger eng. I Die je zwei Siebröhren gemeinsamen Längswände sind auch hier mit Siebtüpfeln versehen (Fig. 49 A, B) ; die Querwände j aber, welche die Zellen einer Längsreihe ! trennen, enthalten weit größere Tüpfel, die I Sieb platten, mit offenen, durch nachträg- liche lokale Resorption der ursprünglich geschlossenen Schließhaut entstandenen Poren. Die tracheenartigen Siebröhren sind also Zellfusionen. Wie bei den Tracheen, so kann man auch hier je nach der Stellung der Querwände einfache und leiterförmige Perforation unterscheiden. Ist die Querwand horizontal (ungefähr senkrecht zur Längs- achse der Siebröhre), so enthält sie nur eine große Siebplatte von rundlichem Umriß, - welche die ganze Wand mit Ausnahme eines peripherischen Ringes einnimmt (Fig. 49 j A, B, C) ; stark geneigte Querwände hingegen I enthalten eine Reihe von quergestreckten elliptischen Siebplatten, welche durch leiter- förmig angeordnete dickere Querleisten von- einander getrennt sind (Fig. 50). Jede Sieb- platte stellt im fertig ausgebildeten Zustande ein Gitterwerk mit zahlreichen Poren dar (Fig. 49 C, 50 B). Meist sind die Poren eng, ; aber bei den großen Siebröhren einiger Kletterpflanzen erreichen sie ansehnliche Dimensionen; im Stengel des Kürbis (Cucur- bitaPepo)z.B., welcher eines der günstigsten I Objekte für die Untersuchung der Siebröhren I ist, haben sie bis zu 5 /^ Durchmesser. Durch die Poren der Querwände stehen i die Zellinhalte der einzelnen Glieder einer Siebröhre in offener Verbindung miteinander. Daß der Eiweißschleim durch die Poren hindurchgeht, ist an geeigneten Präparaten ohne weiteres sichtbar; besonders deutlich tritt das aber zutage, wenn man die Membran durch Schwefelsäure auflöst (Fig. 49 D). Eine Siebröhre stellt daher, obwohl sie aus einer langen Reihe von Zellen besteht, eine offene Bahn dar, in der das schleimige Eiweiß sich als solches fortbewegen kann. Wenn man einen Pflanzenteil durchschnei- det, so werden die längsverlaufenden Sieb- röhren geöffnet. Durch den Druck der an sie grenzenden turgeszierenden Zellen wird die weiche Wand der Siebröhren komprimiert und ihr Inhalt in Massenbewegung nach der Oeffnung hin versetzt; an durchschnittenen Kürbisstengeln tritt er an den Stellen, wo sich Gruppen von Siebröhren befinden, in IISI Gewelie (Gewebe der Pflanzen) böoaoooüoüc;; I 1 ! Ä B Fig. 49. Siebröhren des Kürbis (Cucurbita Pepo). A TeUe zweier Siebröhren im Längs- schnitt, rechts eine Geleitzellenreihe. 115/1. B Grenze zweier Glieder einer Siebröhre, stärker vergrößert. 310/1. Halb schematisch. Die linke Längswand grenzt an eine andere Siebröhre und enthält zahlreiche kleine Siebtüpfel, die rechte Längswancl ist ungetüpfelt. C Querschnitt durch eine Siebröhre, mit einer Querwand in Aufsicht. 54Ü/1. s Geleitzelle. D Grenze zweier relativ enger Siebröhrenglieder nach Quellung und Auflösung der Membran durch Schwefelsäure, zeigt den Zusammenhang der beiderseitigen Schleimmassen. E dasselbe wie B, nach Verschluß der Siebplatte und der Siebtüpfel durch Kallose; der Zellinhalt ist weggelassen. 310/1. Halbschematisch. C frei nach Strasburger, D frei nach Sachs. und zu analysieren. Schon die Dimensionen dieser Tropfen zeigen, daß dieselben nicht nur aus den direkt durchschnittenen Sieb- röhrengliedern, sondern aus einerlangen Keihe derselben herstammen. Die Siebplatten der Querwände stellen jedoch immerhin einen ansehnlichen Filtrationswiderstand dar, so daß bei dem schnellen Strömen, wie es durch das Anschneiden hervorgerufen wird, nur der leichtflüssige Zellsaft ungehindert durch sie hindurchtreten kann, während der zähe Eiweißschleim sich unter jeder Quer- wand aufhäuft und nur partiell durch die Poren hindurchgepreßt wird. Solche Bilder findet man an mikroskopischen Präparaten I in eiweißreichen Siebröhren regelmäßig I (Fig. 49 A, B, 50 A). Daß sie aber Kunst- produkte sind, welche nur durch das Zer- schneiden des Organs bedingt werden, läßt ! sich zeigen, wenn man einen Pflanzenteil, ! ohne ihn abzuschneiden, durch Eintauchen in kochendes Wasser plötzlich erhitzt (wo- durch alle Zellen abgetötet werden und ihren Turgor verlieren) und dann erst die Präparate herstellt; man findet alsdann keine An- sammlungen an den Querwänden, sondern der geronnene Eiweißschleim ist gleichmäßig in jeder Siebröhrenzelle verteilt. Fig. 50. A Grenze zweier Siebröhrenglieder des \\'einstocks (Vitis vinifera). Die schräge Quer- wand ist längsdurchschnitten. GOO/1. Nach de Bar}'. B eine solche Querwand von der Fläche gesehen. Schema, mit Benutzung einer Figur von de Bary. Tropfen von solcher Größe hervor, daß es möglich war, den Siebröhrensaft zu sammeln (iewebe (Gewebe der Pflanzen) 1185 Schon während der Entwickelung der j ganzen Pflanzenkörper ein ziisammenhängen- Siebplatten pflegt sich auf ihnen Kallose I des Netzwerk bildet. Da sie ganz vorwiegend abzulagern, eine gallertige Substanz von j aus engen Elementen bestehen, die zudem unbekannter Zusammensetzung, aber mit [ keine Interzellularen zwischen sich lassen, charakteristischen Farbenreaktionen (u. a. so unterscheiden sie sich von dem umgebenden rotbraune Färbung mit Chlorzinkjod), welche weiterzelligen Grundgewebe durch ihre auch außerhalb der Siebröhren in manchen größere Dichtigkeit, und dank diesem Um- Zellmembranen neben Zellulose und Pektin- ! stand pflegen sie an Durchschnitten schon Stoffen vorkommt. Anfänglich überzieht mit bloßem Auge sichtbar zu sein; in dünnen die Kallose die Leisten des Gitters nur in oder hinreichend durchsichtigen Organen, dünner Schicht. Allmählich aber nimmt z. B. in den meisten Blattspreiten, in den ihre Menge zu, die Poren der Siebplatten werden verengt und schließlich ganz ver- stopft, und gegen Ende der Vegetations Stengeln der Balsamine (Impatiens bal- samina), kann man sie auch ohne jede Prä- paration sehen. Man nennt sie Leitstränge Periode findet man meist alle Siebplatten [ oder LeitbündeP). beiderseits von dicken, eigenartig glänzenden Jeder Leitstrang besteht aus einem kom- Kallosekissen bedeckt (Fig. 49, E); kleine binierten Gewebe, an dem mindestens zwei Kallosekissen bilden sich auch auf den Sieb- Leitgewebearten teilnehmen. Es gibt zweier- tüpfeln der Längswände. Damit sind die Sieb- jlei solche kombinierte Gewebe: das Xylem platten unwegsam und die Siebröhren funk- 1 und das Phloem^). Das Xylem setzt sich tionsunfähig geworden: meist sterben sie bald aus Gefäßen und Leitzellen zusammen; ab und werden zu einer homogenen Masse in dem Phloem bilden Siebröhren das maß- komprimiert, während im nächsten Frühjahr j gebende Element, zu dem sich bald nur deren neue Siebröhren sich bilden. Bei einigen j Geleitzellen, bald außerdem noch Leitzellen Pflanzen aber bleiben die Siebröhren mehrere ! gesellen, bald endlich (bei Gymnospermen Jahre hindurch lebend; in solchen Fällen und Pteridophyten) nur die letzteren. Ge- wird die Kallose im Frühjahr wieder weggelöst wohnlich sind Xylem und Phloem in jedem und so die Wegsamkeit der Siebplatten einzelnen Leitstrang vereinigt: man be- wiederhergestellt, zeichnet sie in solchem Fall auch als Ge- Es bleibt noch zu erwähnen, daß die faß teil und Sie b teil oder Vas alteil und Siebröhren der Angiospermen im jungen Cribralteil des Leitstranges. Stränge, Zustande eine oder mehrere Längsteilungen 1 die aus Xylem allein oder aus Phloem zu erfahren pflegen, durch welche Schwester- ' allein bestehen, sind relativ selten, sie finden Zellen von meist bedeutend geringerem ' sich nur bei bestimmten Pflanzen und zwar Durchmesser von ihnen abgetrennt werden. Diese sogenannten Ge leitzellen der Sieb- röhren (nicht zu verwechseln mit den Leit- zellen!) verwandeln sich gewöhnlich durch ein paar Querteilungen in je eine kurze Reihe von parenchymatischen Zellen, welche reichliches Plasma' mit Zellkern enthalten (Fig. 49, A, C). Als Bahnen des Stofftrans- portes können die Geleitzellen kaum dienen, da sie oft kürzer sind als die zugehörigen Siebröhrenglieder und keine kontinuierlichen Längsreihen bilden. Der Umstand, daß die Längswände der Siebröhren, welche an Geleitzellen grenzen, mit Siebfeldern ver- sehen sind (in Figur 49 nicht dargestellt), während solche an den Berührungsflächen der Siebröhren mit anderen heterogenen Zellen fehlen, läßt vermuten, daß die Geleit- zellen in einer gewissen Beziehung zu der Tätigkeit der Siebröhren stehen; worin aber diese Beziehung besteht, ist unbekannt. IV. Die Leitstränge. Die Leitgewebe finden sich in den pflanzlichen Organen (wenigstens solange dieselben ihren ursprüng- lichen, primären Bau bew^ahren) in Form von Strängen, welche meist parallel der Längsachse der Organe verlaufen und an bestimmten Orten durch Anastomosen ver- bunden sind, so daß ihre Gesamtheit in dem Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV tets zusammen mit den typischen, aus einem Xylemteil und einem Phloemteil zusammen- gesetzten Leitsträngen. Nach der gegenseitigen Lage der beiden Teile unterscheidet man zwei Typen von Leitsträngen. In den konzentrischen (oder amphivasalen) Leitsträngen (Fig. 51) ist das Phloem rings von dem Xylem um- geben-); dieser relativ seltene Typus findet sich hauptsächlich in den Rhizomen mancher Monokotylen. Den gewöhnlichen Typus 1) Andere, noch oft gebrauchte, aber ihrem Sinne nach veraltete und nicht allgemein an- wendbare Namen sind Gefäßbündel und Fibrovasalstränge. Die letztere Bezeichnung bezieht sich auf diejenigen Leitstränge, welche von Sklerenchymfasern begleitet sind (vgl. Kapite!6) und n'ni faßt diese mit; in solchenFällen wird der Leitstrang zum Unterschied von e der Pflanzen) Desmogen(vgl. S. 1158undFig-. 13). Die Aus- 1 Letzt durch ein paar Querteilungen in eine bildung des Desniogenstranges zum Leit- Reihe gestreckter Parenchymzellen, und Strang erfolgt ganz allmählich. Während werden so zu Kambiform resp. zu Xyleni- seine mittleren Schichten sich noch durch oder Phloemparenchym. Längsteilung vermehren, beginnen sich an Wenn auch diejenige Desmogenschicht, welche an der Grenze von Xylem und Phloem liegt, schließlich zu Dauergewebe wird, so ist die Entwickelung des Leitstranges ab- geschlossen und derselbe erfährt keine wei- teren Veränderungen mehr. Solche Leit- j stränge nennt man geschlossene; zu 1 ihnen gehören die konzentrischen Leitstränge, ! aber auch viele kollaterale, namentlich die- jenigen aller Monokotylen (Fig. 54). Den meisten Dikotylen und Gymnospermen kom- men hingegen offene Leitstränge zu (Fig. 56, Fig. 55. Leitstrang aus dem Blattstiel der gelben Teichrose (Nuphar luteum), um- geben von lamellösem Aerenchym mit großen (1) und kleineren (i) Luftgängen, s Stärkescheide. Im Leitstrang unten Phloem mit Siebröhren v, oben Xylem, bestehend aus der Lakune x und den sie umgebenden Leitzellen. 110/1. zwei opponierten Stellen des Eandes schon Dauerelemente zu differenzieren: es treten , einerseits die ersten, sehr engen Gefäße auf, andererseits die ersten, ebenfalls sehr engen und relativ dickwandigen Phloemzellen, welche vermutlich Siebröhren sind; man nennt dieselben die Erstlinge oder Pri- 1 manen des Xylems und Phloems, oder das | Protoxylem und Protophloem. Von den Erstlingsgruppen ausgehend, entwickeln sich nun Xylem und Phloem einander gewisser- maßen entgegen (oder, wie in den konzen- trischen Leitsträngen, aneinander vorbei); sukzessive stellen die Desmogenzellen ihre Längsteilungen ein und bestimmte von ihnen bilden sich, eventuell nach mehr oder weniger bedeutender Vergrößerung ihres Durchmessers, zu weiteren Gefäßen und Siebröhren aus; die übrigen hören auf zu wachsen, ohne wesentliche Aenderungen zu erfahren, oder zerfallen noch zu guter Fig. 56. Offener Leitstrang aus dem Stengel von Ranunculus repens. 180/1. px Proto- xylem, s Spiralgefäße, m Tüpfelgefäße, c Kam- bium, V Siebröhren, pp Protophloem, sei Skleren- chymbelege. Frei nach Strasburger. vgl. auch Fig. 121, S. 1235); bei diesen behält nach vollendeter Differenzierung aller übrigen Teile des Leitstranges eine an der Grenze des Xylems und Phloems liegende Zellschicht ihren meristematischen Charakter und fährt fort zu wachsen und sich durch tangentale (zur Mediane des Leitstranges senkrechte) Längswände zu teilen. Dieser Meristem- streif zwischen Xylem und Phloem der Leitstränge heißt Kambium. Das Kam- bium produziert an der Xylemseite neue Gewebe (Gewebe der Pflanzen) 1189 Xylemelemente, an der Phloemseite neue Phloemelemente, welche sich an die schon vorhandenen anlagern, so daß der Leitstrang allmählich in die Dicke wächst; das Dicken- waclistum ist bald nur unbedeutend, bald aber so stark, daß es zu einer totalen Aenderung des Baues des ganzen Pflanzenteils führt. Die vom Kambium gebildeten Gewebe heißen sekundäre, im Gegensatz zu den primären, direkt vom Desmogen herstammen- den Geweben des Leitstranges; sie bestehen zwar, wenigstens teilweise, aus denselben Elementen wie diese, weichen aber in Bau und Anordnung mehr oder weniger von ihnen ab. Erheblich ist besonders der Unter- schied zwischen primärem und sekundärem Xylem; letzteres enthält erstens keine King- und Spiralgefäße, sondern in der Regel nur Tupf elgef äße, und zweitens sind normalerweise alle seine Elemente verholzt, während im primären Xylem das Leit- parenchym unverholzt ist; dank dem letz- teren Umstand ist in sich verdickenden Leitsträngen die Grenze zwischen primärem und sekundärem Xylem meist leicht er- kennbar. — Auf das Kambium und seine Produkte kommen wir in den Kapiteln 12 bis 14 noch näher zurück. Leitstrangsysteme. So nennen wir zu- sammengesetzte Komplexe von Leitgeweben, welche nicht, wie die bisher betrachteten ein- fachen Leitstränge, aus einem Phloemteil (oder höchstens zweien) und einem Xylemteil, sondern aus je mehreren bis vielen Xylem- und Phloem- teilen bestehen. Solche Systeme entsprechen anatomisch mehreren einfachen Leitsträngen oder selbst der Gesamtheit der Leitstränge anderer Pflanzen oder anderer Organe, und sind als durch Verschmelzung mehrerer Leit- stränge entstanden zu denken. Der Grad der Verschmelzung kann verschieden sein. Im einfachsten Fall bilden nur die Leit- zellen eine gemeinsame Grundmasse, in welche getrennte Gefäßgruppen und Siebröhrengruppen eingebettet sind (Fig. 137, S. 1244). Oder auch die Gefäßgruppen sind miteinander verschmolzen oder wenigstens in direkter Berührung, und nur die Siebröhrengruppen bleiben getrennt (Fig. 136, S. 1244). Wenn endlich auch diese letzteren mit- einander verschmelzen, so kommt ein System zustande, welches den Eindruck eines einfachen konzentrischen Leitstranges machen kann, in dem das Xylem rings vom Phloem umgeben ist (Fig. 129, S.1240). Die Entwickelungsgeschichte zeigt jedoch, daß auch in solchen Fällen ursprüng- lich mehrere getrennte Gefäßgruppen entstehen, die erst bei der weiteren Entwickelung zu- sammenstoßen. Auch im erwachsenen Zu- stande sind meist noch die Erstlingsgruppen erkennbar, von denen die Differenzierung aus- gegangen ist, und aus ihrer Zahl läßt sich schließen, wie viele Xylem- und Phloemstränge in das Leitstrangsystem eingegangen sind. Die Leitstrangsysteme haben eine beschränkte Verbreitung; sie finden sich in den Wurzeln, ferner in den Stengeln einiger Phanerogamen (namentlich bei Wasserpflanzen), endlich bei den meisten Pteridophyten. Wir werden bei Besprechung des Baues der Stengel und der Wurzeln (Kapitel 10, 11) auf sie zurückkommen. Literatur, E. Strasbiirger, lieber den Bau und die Verrichtungen der Leitungsbalinen in den Pflanzen, 1891. — E, Jtussow, Zur Kenntnis des Holzes, insonderheit des Coniferenholzes. Botanisches Zentralblatt, 1883. — W. Rothert, Ueber den Bau der ßfembran der pflanzlichen Gefäße. Sitzungsberichte der Krakauer Akademie (polnisch) und Bulletin derselben (deutsch), 1899, — E, tlancsewshi, Etudes comparees sur les tubes cribreiix, 3Iem. Soc. Sc. Nat. Cherbourg, t. 23, 1881. — E. Russow, Ueber den Bau und die Entwickelung der Siebröhren. Sitzungs- bericht der üorpater Naturforschenden Gesellschaft, 1882. — A. Fischer, Das Siebröhrensystem der Cucurbitaceen, I884, und Neue Beiträge zur Kenntnis der Siebröhren. Sitzungsberichte der Sächsischen Akademie, 1886. — E. Russow, Be- trachtungen über die Leitbündel- und Grund- gewehe. Festschrift, 1875. — Ferner einige der in den Kapiteln 11, 13, 14 genannten Werke. 6. Die Festigungsgewebe. L Allgemeines. IL Das unverholzte Skleren- chym. III. Das mechanische Prinzip in der An- ordnung des Sklerenchyms. IV. Das verholzte Sklerenchym. V. Das Kollenchym. VI. Die Entwickelung der Festigungsgewebe. VII. An- hang: Die sklerotischen Parenchymzellen und Idioblasten. I. Allgemeines. Es ist klar, daß die Pflanzenteile eine hinreichende Festigkeit haben müssen, um nicht durch das eigene Gewicht und die Last der von ihnen ge- tragenen Organe, durch den Druck des Windes oder den Zug des strömenden Wassers usw. zerdrückt, zerbrochen, zerrissen oder aus der ihnen zukommenden Lage gebracht zu werden. Die nötige Festigung wird ganz allgemein durch die Zellmembranen bewirkt, weiche in dem Pfhinzenkör])er ein zusammen- hängendes dichtes (ierüstwerk bilden. Zwar ist die zarte Zellulosemembran, welche den Zellen der meisten Gewebe zukommt, an sich weich und biegsam; sie wird aber steif, wenn sie durch den Turgor straff gespannt ist, wie etwa ein Kautschukballon durch den Druck der eingepreßten Luft. Daher haben auch diejenigen Pflanzenteile, welche nur aus zartwandigen Zellen bestehen (wie die jungen, noch wachsenden Organe, aber bei vielen Pflanzen auch die ausgewachsenen), Festigkeit genug, um sich aufrecht zu halten. Doch zeigt jede welkende Pflanze, daß diese von der Turgeszenz abhängige Festigkeit eine bedingte ist; sie ist übrigens absolut gering und würde für Pflanzenteile von be- trächtlichen Dimensionen nicht ausreichen. Eine weit vollkommenere, von der Tur- geszenz unabhängige Festigung kann durch Zellmembranen erreicht werden, welche ent- weder hinreichend verdickt, oder aber ver- 1190 Gewebe (Gewebe der Pflanzen) holzt sind. Jedes Gewebe mit verholzten oder stark verdickten Membranen kann wesentlich zur Festigung der Pflanzenteile bei- tragen, vorausgesetzt, daß es in genügender Menge vorhanden ist und daß es zusammen- hängende Massen bildet. So verdanken manche lederige Blätter ihre Festigkeit in erster Linie der dickwandigen Epidermis, welche sie als ein kontinuierlicher Panzer umhüllt, dem Chitinpanzer der Insekten vergleichbar; in anderen Fällen spielen die Tüpfelgefäße oder das Grundgewebe eine festi- gende Rolle. Wir sahen indes bereits, daß Epidermis und Tüpfelgefäße ihre besonderen Aufgaben haben, zu denen die Verdickung resp. Verholzung ihrer Membranen in direkter Beziehung steht; wenn diese Eigenschaften zugleich zur Festigung des ganzen Pflanzen- teils beitragen, so ist das nur als ein ge- wissermaßen zufälliges Nebenresultat zu be- trachten. Es gibt aber auch Gewebe, bei denen die Festigung des Pflanzenkörpers unverkennbar die einzige oder wenigstens die wesentliche Funktion bildet und welche in Bau und An- ordnung deutliche Anpassungen speziell an diese Funktion aufweisen. Dies sind die spezifischen Festigungsgewebe (gewöhn- lich mit dem weniger glücklichen Namen „mechanische Gewebe" bezeichnet). Im Gegensatz zu den bisher besprochenen und einigen der später zu besprechenden GeAvebe sind die Festigungsgewebe nicht allgemein verbreitet. "Während z. B. ohne Leitgewebe keine einigermaßen höher orga- nisierte Pflanze und keines ihrer Organe auskommen kann, ist die Festigung durch besondere Gewebe gewissermaßen ein Luxus, den sich nur bestimmte Pflanzen (freilich die große Mehrzahl) erlauben, und zwar in sehr ungleichem Grade; sowohl die Menge als die Qualität der Festigungsgewebe kann nämlich bei verschiedenen Pflanzen, selbst bei Arten derselben Gattung und auch bei gleichen äußeren Lebensbedingungen, sehr verschieden sein, und neben Pflanzen, welche in ganz ausgezeichnetem Grade gefestigt sind, gibt es auch solche von sehr schwachem Bau. Die mechanische Beanspruchung der Pflanzenteile ist je nach ihrer Form, Lage und dem umgebenden Medium eine qualitativ ungleiche, und demgemäß muß auch die Art ihrer Festigung verschieden sein. Nur die wichtigsten unter den mancherlei vorkommen- den Fällen seien hier genannt. Gewisse Organe, z. B. die Ranken, mittels derer Kletterpflanzen sich an Stützen befestigen, die Stengel von Wasserpflanzen, welche in strömendem Wasser wachsen, sind einem longitudinalen Zug ausgesetzt, ebenso die Rhizome und Wurzeln von Landpflanzen, wenn ihr oberirdischer Teil vom Sturm hin- und hergezerrt wird. Solche Organe bedürfen der Festigung gegen Zerreißen (Zugfestig- keit). Aufrechte Stengel reich verzweigter Pflanzen, vor allem aber die Baumstämme, welche die Last einer mächtigen Ivrone zu tragen haben, sind gerade umgekehrt einem longitudinalen Druck ausgesetzt, welcher sie zu zerdrücken und zu deformieren strebt. Endlich sind alle ungefähr aufrechten ober- irdischen Pflanzenteile (also die meisten Stammorgane, viele Blätter und Blattstiele) dem einseitigen Drucke des Windes aus- gesetzt, welcher sie zu biegen und zu brechen strebt; bei horizontalen oder überhaupt stark geneigten Organen (Zweigen, Blättern) wirkt überdies ihr eigenes Gewicht in dem- selben Sinne (obwohl in anderer Richtung). Die in diesem Fall erforderliche Art von Festig- keit wird als Bieguno-sfestigkeit bezeichnet. II. Das unverholzte Sklerenchjmi. Das unverholzte Sklerenchym (die einzelnen Elemente heißen Sklerenchymfasern) i) zeichnet sich durch hochgradige Wider- standsfähigkeit gegen Zerreißen aus und ist daher zur Herstellung der Zugfestig- keit und der Biegungsfestigkeit geeignet. Für diese Widerstandsfähigkeit kommt es auf zweierlei an : daß die einzelne Faser nicht reiße, und daß die Verbindung der in der Längsrichtung aufeinanderfolgenden Fasern nicht gelöst werde ; zu der einen oder anderen dieser Anforderungen lassen sich alle anato- mischen Charaktere des Sklerenchyms in Beziehung bringen. Beginnen wir mit der zweiten Anforderung, da zu'ihr die Form der Sklerenchymfasern in Beziehung steht. Dieselben haben bei geringem Querdurchmesser (selten mehr als 0,01 bis 0,02 mm) eine sehr bedeutende Länge, welche meist 1 bis 2 mm beträgt (für Pflanzen- zellen schon recht viel!), oft aber noch größere, in einzelnen Fällen sogar exzessive Werte erreicht; so werden die Fasern des Leins 20 bis 40, der Brennessel bis 77 mm lang, bei Boehmeria nivea sollen sie gar 220 mm erreichen. Die Fasern (Fig. 57) sind schmal spindelförmig, nach beiden Enden allmählich zugespitzt, und ihre verschmälerten Spitzen schieben sich oft weit zwischen die oben und unten angrenzen- den Fasern ein. So ist erstens die Verwach- sunffsfläche der in der Längsrichtung auf- 1) Die physiologisch-anatomische Schule be- nutzt hierfür die Ausdrücke Bast und Bast- fasern, während sie unter Sklerenchym und Skiereiden dickwandige und verholzte Zellen von nicht faserförmiger Gestalt versteht. Ste- roiden und Stereom sind zusammenfassende Ausdrücke für alle dickwandigen Zellen (unab- hängig von ihrer Form), denen festigende Eigen- schaften zukommen oder zugeschrieben werden, resp. für alle aus solchen Zellen bestehenden Gewebe. (jewebo (Gewebe der Pflanzen) 1191 einanderfolgenden Fasern eine sehr viel größere, als in anderen Geweben, deren Zellen mit stumpfen oder mäßig zngeschärften Enden aneinandergrenzen; und zweitens Fig. 57. Stück eines isolierten Sklerenchym- faserbiindels. Körperlich dargestellt, in der Längsansicht und oben im Durchschnitt. Halb- schematisch. Rechts an- haftende Parenchym- zellen. Frei nach Tschirch. •^^^iiiu^' ist bei einem längsgerichteten Zug diejenige Komponente der wirkenden Kraft, welche zur Verwachsungsfläche der Fasern senk- recht ist und ihre Verbindung zu lösen strebt, auf ein Minimum reduziert, da die Verwachsungsflächen mit der Zugrichtung fast parallel sind. — Dazu kommt dann noch die t Tatsache, daß Interzellularen, welche die Berührungsfläche der Fasern vermindern und ihren Zusammenhang lockern müßten (vgl. das Schema Figur 41, S. 1176), in typischem Sklerenchym gänzlich fehlen. Was nun die Festigkeit der einzelnen Fasern anbetrifft, so ist vor allem die Mem- bran ringsum stark verdickt, und zwar in typischen Fällen so stark, daß das Lumen auf einen engen Kanal reduziert ist, welcher stellenweise, namentlich in den zugespitzten Endpartien, sogar ganz schwinden kann; die Faser besteht also ganz vorwiegend aus Membran. Während weiter in vielen anderen Geweben (z. B. in den Gefäßen) die ver- dickten Membranschichten durch zahlreiche Tüpfel unterbrochen sind, was ihre Zug- festigkeit notwendig vermindern muß, ist dies bei den Sklerenchymfasern nur in sehr geringem Grade der Fall. Ganz fehlen können Tüpfel freilich auch hier nicht, da, solange die Zelle lebt und ihre Membran verdickt, das hierzu erforderliche Material eben durch Tüpfel Zutritt erhält; die Tüpfel sind aber verhältnismäßig sehr spärlich, und sie haben die charakteristische Form schmaler Spalten, oder genauer, die Form eines ganz flachgepreßten Trichters, der mit seinem breiten, spaltenförmigen Ende in das Zellumen mündet, mit dem schmalen kreisrunden Ende aber an die Schließhaut grenzt. Die Spalten sind schräg zur Zell- achse gerichtet, und zwar alle in gleichem Sinne und unter gleichem Winkel (Fig. 57), so daß sie in Spirallinien liegen; die Spalten der korrespondierenden Tüpfel in der zweien Fasern gemeinsamen Wand müssen sich daher kreuzen, wie die Windungen zweier nebenein- ander gehaltener gleichsinniger Spiralen sich in der Berührungsfläche kreuzen. Die schräge Spaltenform der Tüpfel ist ein sichtbarer Ausdruck einer feinsten (ultramikroskopi- schen) Spiralstruktur der Membran, welche sich aus den Quellungsverhältnissen derselben erschließen läßt und bei manchen Skleren- chymfasern auch in einer mikroskopisch sichtbaren zarten Spiralstreifung zutage tritt. Durch diese spiralige Struktur, welche eine Eigentümlichkeit der typischen Sklerenchym- fasern ist (in den Membranen anderer Zellen kommt ähnliches nur selten vor), sind höchst wahrscheinlich "die eminenten mecha- nischen Eigenschaften ihrer Membran be- dingt, auf die wir jetzt zu sprechen kommen. Direkte Messungen, welche an aus frischen Pflanzen herausgeschnittenen Sklerenchym- streifen ausgeführt wurden, haben ergeben, daß der Tragmodul (das Gewicht, welches ein Sklerenchymstreifen tragen kann, ohne die Elastizitätsgrenze zu überschreiten) außer- ordentlich hoch ist: er schwankt je nach der Pflanze zwischen 12,3 und 25 kg pro Quadrat- millimeter Querschnittsfläche der Mem- branen. Die niedrigsten gefundenen Werte kommen ungefähr denen für Kupferdraht und Schmiedeeisen gleich, der höchste beob- achtete Wert erreicht den Tragmodul des Stahls; hinsichtlich der Zugfestigkeit inner- halb der Elastizitätsgrenze gehört also das Sklerenchym der untersuchten Pflanzen zu den vollkommensten Materialien, die wir kennen. Dabei ist die Dehnbarkeit innerhalb der Elastizitätsgrenze eine relativ bedeutende ; bei denselben Pflanzen beträgt sie zwischen 4,4 und 50 (meist zwischen 10 bis 15) pro 1000, während sie bei den erwähnten Metallen nur um Viooo herum schwankt. Dank dieser bedeutenden elastischen Dehnbarkeit des 'Sklerenchyms können die durch dasselbe gefestigten Pflanzenteile eine recht starke Biegung aushalten, ohne zu brechen und ohne bleibend deformiert zu werden. Die Dehnbarkeit ist wesentlich dem Umstände zuzuschreiben, daß die Membran der ty- pischen Sklerenchymfasern aus reiner oder doch fast reiner Zellulose besteht, speziell daß sie nicht oder höchstens schwach ver- holzt ist; daher ist sie trotz der starken Verdickung geschmeidig. 1192 Cxewebe (Gewebe der Pflanzen) Die mit Biegsamkeit verbundene hohe Zug- festigkeit des unverholzten Sklerenchyms macht dasselbe zu einem auch technisch sehr wertvollen Material; die Sklerenchymstränge des Hanfes (Cannabis sativa), der Jutepflanze (Cor- c h 0 r u s), des Leins (Li n u m u s i t a t i s s i m u m) und mancher anderer Pflanzen werden, auf künstlichem Wege von anderen Geweben befreit, als Gespinnstfasern und zur Herstellung von Fäden, Schnüren und Seilen verwandt. Der Zelliiihalt ist für die mechanischen Eigenschaften der Sklerenchymfasern ohne jegliche direkte Bedeutung." Das Proto- plasma bleibt denn auch in der Regel nur so- lange erhalten, als die Membran noch in die Dicke wächst; es wird schließlich meist ganz für die Membranverdickung aufgebraucht, und im fertig ausgebildeten Zustande ent- halten dann die typischen Sklerenchym- fasern nur Luft oder Wasser. Das Sklerenchym hat mit den Leit- geweben außer der prosenchymatischen Zell- form und dem lückenlosen Gefüge auch das gemeinsam, daß es ebenfalls in Form konti- nuierlicher Stränge auftritt: und da dies alles, wie im voraus bemerkt sei, auch für die anderen Abarten der spezifischen Festi- gungsgewebe gilt, so werden die Festigungs- gewebe mit den Leitgeweben auch als Stranggewebe zusammengefaßt. Stränge, welche nur aus Leitgeweben bestehen, also reine Leitstränge sind, und gemischte, aus Leitgeweben und Sklerenchym bestehende Stränge kommen ungefähr gleich häufig vor. Das Sklerenchym allein bildet hingegen nur ziemlich selten isolierte Stränge, welche meist dünn sind und zuweilen im Querschnitt nur aus ein paar Fasern bestehen (Fig. 14, S. 1160, Fig. 60); in der Regel begleitet es die Leitstränge in Form von Sklerenchym- belegen auf der Phloemseite oder (seltener) der Xylemseite oder auf beiden Seiten zu- gleich (Fig. 58). Solche Belege können nur aus einer bis wenigen Schichten von Skler- enchymfasern bestehen und dem Leitstrang gegenüber zurücktreten, sie können ihn aber auch an Masse weit übertreffen. Oft bilden die beiderseitigen Belege zusammen eine förm- liche Scheide von Sklerenchym um den Leit- strang, die in der Mediane des Stranges am dicksten ist, an seinen Flanken hingegen sich verdünnt und hier wenigstens streckenweise Unterbrechungen hat (Fig. 54, S. 1187). In solchen gemischten Strängen pflegen Leit- gewebe und Sklerenchym streng getrennt und scharf gegeneinander abgesetzt zu sein; nach außen hingegen geht das Sklerenchym oft ohne scharfe Grenze in das Grundgewebe über. — Recht häutig bildet das Sklerenchym ferner einen zusammenhängenden Hohlzylinder, im Querschnitt einen Ring; auch in diesem Fall steht es gewöhnlich mit den Leitsträngen in Verbindung, indem diese sich dem Skler- enchymring anlehnen oder teilweise in ihn eingebettet sind (Fig. 59). Fig. 58. Blatt von Carex spec, Querschnitt (vgl. Fig. 62). Leitstrang mit Sklerenchymbelegen beiderseits. 200/1. sp Spiralgefäße, g Netz- gefäße, ph Phloem, sei Sklerenchym, eo obere, eu untere Epidermis, L lysigene Luftgänge. in. Das mechanische Prinzip in der Anordnung des Sklerench3rms. Im Gegen- satz zu manchen anderen Geweben (z. B. zu den Leitgeweben) ist bei den Festigungs- geweben ihre Verteilung im Querschnitt der Pflanzenteile von großer, ja oft aus- schlaggebender Bedeutung für ihre Funktion, Soll ein Körper, der aus mechanisch schwachem Material besteht, durch Ein- fügung von widerstandsfähigem Material ge- festigt werden, so muß dieses in bestimmter Weise in ihm verteilt sein, um seinen Zweck zu erfüllen, und die Mechanik entwickelt mathematisch die Prinzipien, nach denen die Verteilung erfolgen muß, um mit einer ge- gebenen Menge Material den größtmöglichen Effekt zu erreichen; diese Prinzipien sind wesentlich verschieden, je nach der x\rt der mechanischenBeanspruchung, also je nachdem es auf Erzielung von Zug-, Druck-, Biegungs- festigkeit usw. ankommt. Nun ist es freilich nicht zu erwarten, daß die Anordnung der Festigungsgewebe in den Pflanzen sich vollständig nach jenen mechanischen Prinzipien richte, denn die Pflanzen sind ja nicht bloß mechanische Konstruktionen, und das Prinzip der Festi- gung tritt in ihrem Aufbau oft anderen Rück- sichten gegenüber in den Hintergrund. Auch ü-ewehe (Gewebe der Pflanzen) 1193 Fig. 59. A Thalietrum simplex, Stengelquerschnitt. 44/1. e Epidermis, r Rinde, s Skleren- chymzylinder, p Phloem, x Xylem der Leitstränge (die größeren Gefäße eingetragen), p' ein kleiner, nur aus Phloem bestehender Leitstrang; m Mark (seine äußere, hell schraffierte Partie dickwandig, die innere, weißgelassene zartwandig), 1 zentraler Hohlraum. — B die punktiert umrandete Partie der Fig. A (bei *) stärker vergrößert. 260/1. a verkorkte Epidermis- außenwand, g Tüpfelgefäße; übrige Zeichen wie in A. ist überhaupt der Bau der Pflanzen keines- wegs in jeder Hinsicht ideal ,, zweckmäßig"; nur direkt zweckwidrig kann er nicht sein, da die Pflanze sonst nicht existenzfähig wäre. So darf also auch die Anordnung der Festi- gungsgewebe mit den mechanischen Prin- zipien nicht in Widerspruch stehen, weil sonst diese Gewebe eben nicht festigend wir- ken würden; sie muß diesen Prinzipien wenigstens annäherungsweise, in groben Zügen, entsprechen; jedoch erreicht die Annäherung an das Ideal bei verschiedenen Pflanzen einen sehr ungleichen Grad. Wir beschränken uns hier auf Bespre- chung der zugfesten und biegungsfesten Konstruktionen der Pflanzenteile, da das unverholzte Sklerenchym nur für diese in Betracht kommt. Die Zugfestigkeit hängt nur von dem Totalquerschnitt des festigenden Materials ab, während dessen Verteilung über den Querschnitt des Organs gleichgültig ist. Wir finden denn auch in Pflanzenteilen, die nur auf Zugfestigkeit beansprucht werden, das Sklerenchym (wenn vorhanden) in mannigfaltiger Weise ange- ordnet. In den Bodenwurzeln einiger Palmen, in den flutenden Stengeln und Blättern mancher Wasserpflanzen ist es in ein- zelnen Strängen gleichmäßig über den Quer- schnitt zerstreut, oder auch nur auf den peripherischen Teil der lockeren Rinde be- schränkt (Fig, 60) ; in anderen Monokotylen- wurzeln bildet es hingegen nur einenfaxialen Strang, und in unterirdischen Stengeln ü wimttm: a i Fig. 60. Zostera marina, Querschnitt des peripherischen Teils (c. ^/^ der Dicke) der Stengel- rinde. 170/1. e Epidermis, a äußere, dichtes Piüidengewebe, mit eingestreuten kleinen Skleren- chymsträngen; i inneres Rindengewebe mit Luftgängen (lamellöses Aerenchym). 1194 Gewebe (G-ewel>e der Pflanzen) (Rhizomen) pflegt es einen der Achse mehr oder weniger genäherten Hohlzvlinder zu bilden (Fig. 61). Fig. 61. Carex glauca, Rhizomquerschnitt. Sehr schwach vergrößert, r Rinde, m Mark, s ein HohlzyUnder dickwandigen Gewebes, zusammengesetzt aus den Tüpfelgefäßen der dicht gedrängten Leitstränge und verbindenden Sklerenchymfasern. Frei nach Haberlandt. „zentrifugalen Tendenz" des Sklerenchyms geltend. Unter den flächenförmigen Organen sind die bandförmigen, mehr oder weniger derben Blätter vieler Monokotylen hervorragend biegungsfest gebaut, indem an beiden Blatt- flächen starke Sklerenchymstränge in gleich- mäßigen iVbständen direkt unter der Epi- dermis verlaufen. Bald sind es mächtige Sklerenchymbelege der Leitstränge, welche beiderseits bis zur Epidermis reichen, bald oberseits isolierte Sklerenchymstränge, welche den unterseitigen Sklerenchymbelegen einzeln gegenüberliegen (Fig. 62), oder breite Skier- Ganz anders liegt die Sache bei der Biegungsfestigkeit. Wird ein Organ gebogen, so erfährt die konvexe Seite eine Dehnung, die konkave eine Kompression, und zwar sind diese Deformationen am \ größten an der Oberfläche, während die i Mittellinie sich ohne Längenänderung biegt. ' Offenbar bedürfen die verschiedenen Stellen um so mehr der Festigung, je stärkerer De- formation sie ausgesetzt sind ; ein gegebenes Quantum Sklerenchym wird also um so | wirksamer sein, je näher der Oberfläche es gelegen ist, während es bei zentraler Lage ' für die Biegungsfestigkeit nutzlos wäre. ! Das mechanische Prinzip erfordert also eine ! möghchst peripherische Lage des Skler- enchyms. " i Die Oberfläche selbst kann das Skler- enchym nun freihch im allgemeinen nicht einnehmen ; denn — auch abgesehen von der I Epidermis — ist in oberirdischen Organen (die allein der Biegungsfestigkeit bedürfen) noch ein anderes Gewebe vorhanden, dessen Funktion ebenfalls eine möghchst periphe- rische Lage erfordert, da sie an genügenden Lichtzutritt gebunden ist; dies ist das grüne, Kohlensäure assimilierende Chlorenchym. EntAveder tritt nun das Sklerenchym hinter ', dem Chlorenchym zurück (das umgekehrte ist nur ausnahmsweise der Fall) oder beide liegen unter der Epidermis in]^abwechselnden Längsstreifen. Im einzelnen ist die Anordnung des , Sklerenchyms sehr verschieden und oft für Gattungen oder selbst Familien charak- , teristisch. Die verschiedenen Typen seiner > Anordnung repräsentieren in mechanischer Hinsicht recht ungleiche Grade der Voll- kommenheit. Jedenfalls aber macht sich in biegungsfesten Organen die Herrschaft des mechanischen Prinzips, wenn auch nicht immer in einer möglichst peripherischen Lage, so doch in einer unverkennbaren Fig. 62. Carex spez., Blattquerschnitt. 35/1. sei Sklerenchym, p Leitstränge, chl Chlorenchym, L Ivsigene Luftgänge (vgl. die Detailzeichnung in Fig. 58). enchymbänder, deren jedes mehreren der unterseitigen Sklerenchymbelege opponiert ist (Fig. 63). Endlich "kann die Oberseite auch in ganzer Ausdehnung von einer mehr- schichtigen Lage subepidermalen Skler- -^Bmilillillii^^ Fig. 63. Zea Mais, Blattmittelrippe. Quer- schnitt. Das Sklerenchym schraffiert. Die unterseitigen Sklerenchymstränge umschließen je einen Leitstrang. Nach Haberlandt. enchyms bedeckt sein. — Auch in anderen lederartigen Blättern findet sich oft ein aus Sklerenchymfasern bestehendes Hypoderma, welches aber nur eine bis zwei ZeÜschichten dick ist; wenn ein solches an beiden Blatt- seiten vorhanden ist, wie bei manchen steifen Koniferenblättern (Fig. 116, S. 1229), so ist es freilich wenigstens unterseits durch Längsstreifen unterbrochen, in denen das Chlorenchym mit der Spaltöffnungen fiihren- den Epidermis in Berührung tritt. Bei einigen Koniferen (z. B. der Kiefer) besteht sogar die Blattepidermis selbst aus dickwandigen Sklerenchymfasern (Fig. 64). Aufrechte. un2;efähr zvlindrische Organe Gowel)e (Gewel:)e der Pflanzen) 1105 (Stengel, manche Blattstiele) müssen all- . liegen. — Bei dem zweiten Typus (viele seitig biegungsfest gebaut sein, da sie vom , Cyperaceen und Juncaceen, Fig. 66) reichen Winde in allen möglichen Richtungen ge- die äußeren Sklerenchymbelege aller oder bogen werden können ; das Sklerenchym 1 einiger Leitstränge bis ^ an die Epidermis, muß also möglichst gleichmäßig auf den oder es sind außer den Sklerenchym- ganzen Umfang verteilt sein. Wir können belegen auch isolierte subepidermale Skler- Fig. 64. Ecke des Blattquer- schnittes einer Kiefernart (Pinus laricio). 230/1. Älembran der Epidermiszellen (E)extremverdickt,mit engen Tüpfelkanälen. Am Grunde der Grübchen a, b je eine Spaltöffnung. Unter_ der Epidermis ein 1- bis 2- schichtiges, mäßig dickwan- diges Hypoderm (H), an den Spaltöffnungen unter- brochen. HC ein Harzgang, mit Epithel und dick- wandiger Scheide. Das Uebrige ist Chlorenchym mit Membranfalten (Armpalis- sadenzellen) ; die Chloro- plasten sind nur in einem Teil der Zellen eingetragen. Is'ach Kny, hier drei Haupt- Konstruktionstypen unter- scheiden. Beim ersten, am wenigsten voll- kommenen Typus (u. a. durch viele Palmen und einige Dikotylen vertreten) findet sich das Sklerenchym nur in Form von Leit- strangbelegen und erreicht nirgends die Epidermis (Fig. 65). Da aber die Leitstränge Fig. 65. R h a p i s flabelliformis (Pal m a e). Quer- schnitt durch den p('rii>lu'risclu'n Teil des Stammes. 20/1. p Leitstränge, s Sklerenchym, r Rinde. Nach Schwendener. oder doch die Mehrzahl derselben der Ober- fläche sehr nahe liegen, so gilt das auch für die Hauptmasse des Sklerenchyms; seine zen- trifugale Tendenz kommt überdies darin zum Ausdruck, daß die Belege auf die Außenseite der Leitstränge beschränkt oder doch hier stärker sind als auf der Linenseite, und daß, wenn mehrere Schichten von Leitsträngen vorhanden sind, die Sklerenchymbelege um so mächtiger werden, je peripherischer sie enchymstränge vorhanden. — Bei dem dritten Typus, welcher am meisten verbreitet ist (Stengel der meisten Monokotylen und vieler krautiger Dikotylen), bildet das Sklerenchym einen kontinuierlichen Hohlzylinder (Fig. 67, Fig. 66. June US glaucus. Querschnitt durch den Oberteil des hohlen Stengels. 45/1. s Skleren- chym, 1 Leitstränge, a grünes Rindengewebe, e Epidermis. Nach Haberlandt. Fig. 67. Molinia coerulea (Gramina). Quer- schnitt des hohlen Stengels. 70/1. Bedeutung der Zeic hen wie in Fig. 66. Nach Seh w e n d e n e r. 1196 Grewebe (Gewebe der Pflanzen) auch Fig. 59 A, S. 1193). Der Hohlzylinder stellt theoretisch die vollkommenste An- ordnung des Materials behufs Erzielung allseitiger Biegungsfestigkeit dar; ein Hohl- zylinder z. B., dessen Wanddicke y^o seines Radius beträgt, ist d'^/^mal biegungsfester als ein Vollzylinder mit gleicher Querschnitts- fläche. Der Sklerenchym-Hohlzyliuder liegt nun freilich fast nie direkt unter der Epidermis, sondern ist von ihr durch Chlorenchym ge- trennt; da aber die Dicke des letzteren mit- samt der Epidermis meist nur \\q bis V25 des Stengelradius ausmacht, so wird hierdurch die festigende Wirkung des Sklerenchyms nur wenig vermindert. Bei den Gräsern, deren Halme bei ihrer außerordentlichen Schlank- heit besonders biegungsfest gebaut sein müs- sen, ist der Sklerenchym-Hohlzyliuder noch mit äußeren Längsrippen versehen, welche bis zur Epidermis reichen und den Mantel von Chlorenchym in eine Reihe von Längs- streifen teilen (Fig. 67). IV. Das verholzte Sklerenchym. Das \ verholzte Sklerenchym bildet die zweite ' Abart der Festigungsgewebe, welche übrigens dem unverholzten Sklerenchym sehr nahe steht und durch Uebergänge mit ihm ver- bunden ist. Es findet sich in typischer Ausbildung voruehmlich im Holz, bei dessen Besprechung (Kapitel 13) wir noch auf dieses Gewebe zurückkommen. Seine spezifische Eigentümlichkeit bildet die starke Ver- holzung der Membran und ihre hierdurch bedingte Starrheit; dank dieser Eigenschaft bildet das verholzte Sklerenchym da^s wesent- liche Element zur Herstellung der Festig- keit gegen longitudinalen Druck, wozu das unverholzte Sklerenchym mit seinen bieg- samen Membranen ungeeignet ist. Es hat daneben auch die Biegungsfestigkeit herzu- stellen, welche für die Stämme und Aeste unentbehrlich ist; hierzu ist es aber wegen seiner sehr geringen Dehnbarkeit weniger gut befähigt, und deshalb setzen die Stämme und Aeste der Biegung zwar einen großen Widerstand entgegen, wenn aber die wirkende Kraft groß genug ist, um doch eine Biegung zu bcAvirken, so erfolgt alsbald ein Bruch. Der Bau des Gewebes und der einzelnen Fasern ist im übrigen im wesentlichen der [ gleiche wie beim unverholzten Sklerenchym. Die Fasern sind durchschnittlich kürzer, die Membran ist oft weniger stark verdickt, so daß ein relativ geräumiges Lumen erhalten bleibt; in solchem Fall können die Fasern auch im fertig ausgebildeten Zustande lebend ; bleiben, und sie können sich nach Abschluß der Membranverdickung noch durch ein paar dünne Querwände kammern, so daß die | Faser mehrzellig wird (Fig. 160, S. 1264). ' Die lebend bleibenden Sklerenchymfasern j vermögen ziemlich reichlich kleinkörnige Stärke oder fettes Oel zu bilden; zu ihrer Funktion als festigendes Gewebe kommt alsdann die Speicherung von Reservestoffen als I^ebenfunktion hinzu. V. Das Kollenchym. Das KoUenchym unterscheidet sich von dem Sklerenchym am auffallendsten durch die nur lokale Ver- dickung der Zellmembran. Entweder ist die Membran nur an den Längskanten, wo drei oder mehr Zellen zusammenstoßen, mehr oder weniger stark verdickt, während die da- zwischen Hegenden, je zweien Zellen gemein- samen Längsstreifen gar nicht oder nur un- bedeutend verdickt werden (Ecken kollen- chym, Fig. 68 A); oder aber die tangentialen Wände sind in ganzer Ausdehnung verdickt, während die Radialwände dünn bleiben (Platte nkollenchvm, Fig. 68 C). Beide mm H^ ri Fig. 68. Kollenchym. A Eckenkollenchym des Blattstiels von Salvia sclarea im Querschnitt, B dasselbe im Längsschnitt (der Schnitt ist teils durch die dicken, teils durch die dünnen Membranpartien gegangen). C Astrantia major, IJlattstielquerschnitt; e Epidermis, kl Plattenkdllenchym, ch Chlorenchym, i Inter- zelhdaren; die "winzigen Chloroplasten des Kollenchj'ms und die größeren des C hlorenchyms sind eingetragen. Frei nach Haberlandt. gewähren im Querschnitt ein sehr charak- teristisches Bild, welches durch einen eigen- artigen Glanz der verdickten Membran- partien noch auffallender wird. Das Zelllumen Gre welle (Gewebe der Pflanzen) 1197 ist ziemlich geräumig;, meist mindestens von i gleichem Durchmesser wie die verdickten Membranparticii. Die Zellen sind stets lohend, mit wandständigem Protoplasma niul Zellsat't, und führen in der Regel kleine Chloroplasten in mäßiger Menge. In typischen Fällen be- steht auch das Kollenchym aus mehr oder weniger spitzen Fasern, welche bis zu 2 mm Länge erreichen; die Fasern sind aber oft durch dünne Querwände in eine Reihe ge- streckt parenchymatischer Zellen gekammert. Wenn die dünneren Membran])artien j des Kollenchyms doch ein wenig verdickt sind, | so enthalten sie spaltenförmige Tüi)i'e] : diese Tüpfelform ist also für die Festigungsgewebe ebenso charakteristisch, wie die Hoftüpfel für die Gefäße. Die Spaltentüpfel sind aber im Kollenchym nicht schräg, wie bei den Sklerenchymfasern, sondern meist längs ge- richtet, was auf eine abweichende feinste Struktur der Membran hinweist. Die Membran der KoUenchymzellen ist stets unverholzt; sie besteht aus einer eigen- tümlichen, wasserreichen und weichen Zellu- lose-Modifikation. In mechanischer Hinsicht weicht sie von derjenigen des unverholzten Sklerenchyms liau])tsächlich durch ihre weit niedrigere' Elastizitätsgrenze wesentlich ab; schon bei einer Belastung von 1\/., bis 2 kg pro Quadratmillimeter Membranquerschnitt findet eine bleibende Verlängeruug statt. Wegen seiner relativ schwachen und nur partiellen Membranverdickung und nament- lich infolge der niedrigen Elastizitätsgrenze ist das Kollenchym, obwohl dem Grundgewebe an Zugfestigkeit noch weit überlegen, doch ein minderwertiges Festigungsgewebe. Es bietet aber gegenüber dem Sklerenchym den Vorteil, daß es, eben dank der niedrigen Elastizitätsgrenze und mäßigen Verdickung der Membran sowie dem lebenden Zustand der Zellen, wachstumsfähig ist ; es kann daher auch schon in jungen, noch in Längsstreckung begriffenen Teilen der Organe Verwendung finden. Das Kollenchym findet sich fast aus- schließlich in den oberirdischen Stengeln und Blattstielen krautiger Dikotylen, hier ist es aber sehr verbreitet. Im Gegensatz zum Sklerenchym steht es in der Regel nicht im Zusammenhang mit den Leitsträngen, sondern es bildet einen mehrschichtigen subepidermalen Hohlzylinder, welcher nur unter den Spaltöffnungen auf kurzen Strecken unterbrochen ist (Fig. 121, S. 1235), oder eine Anzahl isolierter subepidermaler Stränge, die mit grünen Längsstreifen von Chlor- enchym abwechseln ; in Organen mit vorragen- den Längsrippen findet es sich mit Vorliebe in diesen (Fig. 122 A, S. 1236). Das Koll- enchym hat also eine mehr peripherische, in Rücksicht der Biegungsfestigkeit günstigere Lage als das Sklerenchvm. wodurch die in mechanischer Hinsicht geringere Vollkommen- heit seiner Struktur teilweise kompensiert wird. Bildet das Kollenchym einen Hohl- zylinder, so kommt das Chlorenchym nach innen von diesem zu liegen, was den Licht- zutritt zu ihm beeinträchtigt; die Beein- trächtigung ist aber nicht bedeutend, da das Kollenchym als lebendes Gewebe mit saft- führenden Zellen durchsichtig ist, und andererseits wird sie dadurch aufgewogen, daß das Kollenchym selbst Chlorophyll ent- hält, somit als Nebenfunktion zur Kohlen- säureassimilation befähigt ist. Diese Um- stände machen es verständlich, daß das Kollenchym eine mehr peripherische Lage einnehmen kann, als das aus toten Zellen bestehende Sklerenchym. VI. Die Entwickelung der Festigungs- gewebe. Sklerenchym und Kollenchym ent- stehen aus ebensolchem Desmogen (Fig. 13, S. 1158), wie die Leitstränge; in dieser gemein- samen Abstammung kommt wieder die nahe Verwandtschaft der Festigungs- und Leitgewebe zum Ausdruck. In frühem Ent- wickelungsstadium sind die Desmogenstränge ganz homogen und untereinander gleichartig, und mau kann ihnen nicht ansehen, ob sie einen Leitstrang oder einen Sklerenchym- Strang oder endlich einen Leitstrang mit Sklerenchymbelegen bilden werden. Es besteht aber ein Unterschied in der Zeit der Ausbildung der Leitgewebe und des Sklerenchyms: während die Differenzierung der ersteren, wie wir sahen, schon früh an- fängt und allmählich fortschreitet, beginnt die Umwandlung des Desmogens zu Skler- enchym erheblich später, nämlich erst dann, wenn die betreffende Partie des Organs ihr Längenwachstum eingestellt hat ; das kann auch nicht anders sein, da die Sklerenchym- fasern, sobald ihre Verdickung begonnen hat, nicht mehr wachstumsfähig sind. Ferner erfolgt die Ausbildung aller Sklerenchym- fasern eines Stranges gleichzeitig (simultan), wieder im Gegensatz zu der sukzedanen Aus- bildung des Leitstranges. Wenn also ein Desmogenstrang einen Leitstrang mit Skler- enchymbelegen produzieren soll, so beginnt zunächst in seinem mittleren Teil die Aus- bildung der Leitstrangelemente; erst wenn diese soweit fortgeschritten ist, daß die Bil- dung von nicht dehnbaren Gefäßen einsetzt, fangen die peripherischen Schichten des Stranges an, sich zu Sklerenchym auszu- bilden. Obwohl die Zellen eines Desmogenstranges ursprünglich alle ungefähr gleiche Länge haben, sind im ausgebildeten Zustande die Sklerenchymfasern doch meist länger (oft mehrfach länger) als die mit ihnen gleich- alterigen Leitstrangelemente. Die Ursache dieses Unterschiedes ist das selbständige, von der Längsstreckung des gesamten Ge- 1198 de webe (Gewebe der Pflanzen) webes unabhängige Spitzenwachstuni der jungen Sklerenchymfasern, durch welches dieselben auch die ihnen eigentümliche schmal-spindelförmige Gestalt annehmen. Ueber die Entwickelung des KoUenchyms ist nichts Besonderes zu bemerken, außer daß seine Ausbildung, in x\nbetracht seiner Wachstumsfähigkeit, schon früher beginnen kann als diejenige des Sklerenchyms. VII. Anhang: Sklerotische Parenchym- zellen und Idioblasten. Wir haben oben nur die typischen, faserförmigen Festigungsgewebe berücksichtigt. Dieselben sind aber durch ganz allmähliche Uebergänge — abnehmende Membranverdickung, größerer Querdurchmesser und geringere Längsstreckung der Zellen, Ab- stumpfung ihrer Enden, Auftreten kleiner Inter- zellularen — mit dem parencliymatischen Grund- gewebe verbunden, so daß eine scharfe Grenze zwischen diesen beiden Gewebesystemen über- haupt nicht existiert. Solche Uebergangsgewebe können, wenn ihre Anordnung den mechanischen Prinzipien nicht widerspricht, ebenfalls in gewis- sem Grade festigend wirken, und manche Pflanzen begnügen sich mit solchen Surrogaten der spezifi- schen Festigungsgewebe. Andererseits kann auch typisches, iso- diametrisches Parenchym den Festigungs- geweben in gewisser Hinsicht ähnlich werden, wenn es der Sklerose unterliegt, worunter allgemein eine mehr oder weniger starke, meist mit Verholzung verbundene Membran- verdickung zu verstehen ist. Man nennt ein solches Gewebe sklerotisches Par- enchym oder Steinzellen (Fig. 69); es Wir erwähnen dieses Gewebe hier nur an- hangsweise, weil es nur relativ selten eine festigende Wirkung hat und daher nicht zu den spezifischen Festigungsgeweben zu rechnen ist. Es ist zwar sehr gut zu einer bestimmten Art von Festigung, nämlich Fig. 69. Eine Steinzelle aus der Schale der Wal- nuß (Juglans regia), mit Membranschichtung und verzweigten Tüpfelkanälen (die unvollstän- flig dargestellten Tüpfelkanäle verlaufen schräg zur Ebene der Zeichnung). Frei nach Reinke. ist im Längsschnitt ohne weiteres an der Zellenform, meist aber auch im Querschnitt leicht an dem erheblich größeren Querdurch- messer der Zellen von den Sklerenchymfasern zu unterscheiden. Die dicke, sehr harte, gewöhnlich schön geschichtete Membran ist von zahlreichen zylindrischen (nicht spaltenförmigen) Tüpfelkanälen durchzogen. Fig. 70. Aus dem Querschnitt durch die Blatt- mittelrippe von Camellia japonica. 225/1. i ein verzweigter dickwandiger Idioblast im Paren- chym p. gegen radialen Druck, geeignet, aber nur unter der Bedingung, daß seine Zellen eine zusammenhängende, gewölbeartig geformte Schicht bilden. Das trifft zu in der harten Schale vieler Früchte (Nüsse) und Samen, welche oft nur aus mehreren lückenlosen Schichten von Steinzellen besteht. Wenn aber die Steinzellen in kleinen sandkorn- artigen Gruppen in weiches Gewebe einge- bettet sind, wie das z. B. im Fruchtfleisch der Birne, in den Knollen von Dahlia und be- sonders häufig in der Rinde von Holzge- wächsen der Fall ist, so sind sie in mecha- nischer Hinsicht ohne Bedeutung; allenfalls können sie durch ihre Härte zum Schutz gegen Tierfraß beitragen. Dasselbe gilt auch von den sehr mannigfaltig geformten, oft verzweigten sklerotischen Zellen, welche einzeln, als Idioblasten, in weiches Parenchym ein- gestreut sind (Fig. 70), wie das in der Rinde und namentlich in den derben Blättern mancher Pflanzen vorkommt. Literatur. S. Schucjidcuer, Ihis iiu'rh,t hnitt diuxh Fig 144. Medianer Längsschnitt diu'ch die Spitze einer jungen Hauptwurzel von Brassica Napus. Die Grenzen der Histogene durch still kere Linien hervorgehoben. PI, Pbl Initial- giu]ipc'n des Pleroms und Periblems. a der zentrale Teil des Dennatokalyptrogens, b bis f sukzessive Kappen der Wurzelhaube; in ihren Zellen die als Statolithen fungierenden, am physi- kalisch unteren Ende jeder Zelle angesammelten Stärkekörner. Nach Kny. Jloggens (becale cereale). Mit euigetiagi nein Zellinhalt Ep Dermatogen, R und SS Peiibk^n, ('(' Pleiom. Nach Kny. 2. Wurzelhaube und Dermatogen haben eine gemeinsame Initialschicht (Dermatokalyp- trogen), deren Zellen sich nach Art des Derma- togens durch antikline Teilungen vermehren; von Zeit zu Zeit teilt sich überdies die ganze Initialschicht periklin in zwei Schichten, von denen die äußere sich der Wurzelhaube anfügt, während die innere den Charakter der Initial- sphicht beibehält. Dieses Verhalten (Fig. 144) findet sich bei den meisten Dikotylen. 3. Eine gemeinsame quere Initialzone (Fig. 145) produziert einerseits nach unten den mitt- leren, konischen Teil der Haube, andererseits nach oben das Wurzelkörpermeristem; das Fig. 145. Medianer Längsschnitt durch die Wurzelspitze der Erbse (Pisum sativum). 105/1. pp Grenze des Pleroms, rr Außengrenze der Periblems. hh Wurzejhaube, J. die gemein- Dermatogen und der scheidenförmige Randteil same quere Initialzone, c deren seitliche Fort- der Haube werden von einer sich nach oben um- setzung. Nach Janczewski. Gewebe (Gowehe der Pflanzen) 1251 schlagenden und das Periblem außen iinigreifen- den Fortsetzung der Initialschicht gebildet. So bei Leguminosen und Cucurbitaceen. 4. Bei den Gymnospermen und einigen Diko- tylen ist zwar ein scharf abgegrenztes, mit eigener Initialgruppe wachsendes Plerom vor- handen, aber Periblem, Dermatogen und Wurzel- haube lassen sich nicht gegeneinander abgrenzen. Das Plerom ist mantelförmig von einer größeren Anzahl Zellschichten, jede mit einer Initialzelle resp. Initialgruppe in der Mittellinie, umhüllt; die inneren dieser Schichten vermehren sich all- mählich durch perikline Teilungen der Initial- zellen, während die äußeren, schon ausge- wachsenen Schichten als Haube fungieren und sukzessive abgestreift werden. Die Wurzelhaube ist in diesem Fall mit der Rinde des Wurzel- körpers gewissermaßen verschmolzen, und ein Dermatogen ist überhaupt nicht vorhanden; man kann sagen, daß Rinde, Epidermis und Wurzelhaube gemeinschaftlich von dem Periblem abstammen. Man sieht, wie in dieser Reihe die gene- tische Selbständigkeit der Wurzelhaube und zugleich auch der Wurzelepidermis mehr und mehr abnimmt und schließlich ganz schwindet. Literatur. C Nilgell und H. Leitgeb, Entste- hung und Wachstum der Wurzeln, in Nägeli's Beiträgen zur wiss^schaftlichen Botanik, lieft 4, 186S. — ■ Ph. van Tiegheni, Recher ches sur la Symmetrie de structxre des jüantes va.iculnires. I. La racvne. Annales des Sciences Natur., Botanique, ser. V, t. 13, 1871. — H. Kroemer, Wurzelhaut, Hypodermis und Endodermis der Angiospermenwurzel. Bibliotheca Botanica, Heft 59, 190S. — F. Schwarz, Die Wurzel- haare der Pflanzen. Untersuchungen aus dem Botanischen Institut zu Tübingen, I, 1883. — H. Leitgeb, Die Luftwurzeln der Orchideen. Denkschriften der Wiener Akademie, 24, I864. — E. Jancsewshif Recherches sur l'accroissement terminal de la racine des Phanerogames. An- nales des Sciences Naturelles (Botanique) serie V, t. 20, I874. 12. Das typische sekundäre Dicken- wachstum. I. Primäres und sekundäres Dicken Wachstum ; Begriffsbestimmungen. IL Die Entstehung des Kambiumringes im Stengel und seine Produkte. III. Die Entstehung des Kambiumringes in der Wurzel. IV. Näheres über die Markstrahlen. V. Das Kambium. l. Primäres und sekundäres Dicken- wachstum. Es wurde schon wiederholt er- wähnt, daß die Stengel und Wurzeln fast aller Gymnospermen und Dikotylcdonen ein so- genanntes sekundäres Dickenwachstum be- sitzen, während ein solches den Pterido- phyten und Monokotylen abgeht (mit sehr Fig. 146. Querschnitte durch den Stengel der Sonnenblume (Helianthus annuus). A jüngeres Internodium, im primären Zustand (21/1), B älteres Internodium, nach Ausbildung eines schiiialen Holzringes (dreifach schwächer vergrößert, 7/1); der Vergleich beider zeigt das ansehnliche primäre Dickenwachstum durch Vergrößerung der Markzellen, r primäre Rinde, m Mark, p pri- märe? Phloem, pg primäres Xylem (Spiralgefäße), ic primäre Markstrahlen, h Haare; bb Skleren- chymstränge, sb Bast und Kambium, sh Holz. Nach Frank und Tschirch. 79* 125:; Grewelje (Gewebe der Pflanzen) seltenen Ausnahmen)!). Bevor wir jedoch zur näheren Betrachtung dieses sekundären Dickenwachstums übergehen, muß erwähnt werden, daß es auch ein primäres Dicken- wachstum gibt, welches bei den Stengeln und Wurzeln aller Gefäßpflanzen und auch bei den Blättern in größerem oder geringerem Grade auftreten kann und sie sogenannte Erstarkung der Organe bedingt. Dieses Dickenwachstum wird durch Wachstum der Zellen des Grundgewebes in der Quer- richtung verursacht, welches (abgesehen von jungen, noch meristematischen Entwicke- lungszuständen) nicht von Zellvermehrung begleitet wird. Betrachtet man den jüngeren Teil eines lebhaft wachsenden Stengels, so wird man meist finden, daß die sukzessiven Internodien zugleich mit der Längenzunahme auch deutlich, oft sehr erheblich an Dicke zunehmen, und die mikroskopische Unter- suchung von Querschnitten (Fig. 146 A, B, von denen B 3-mal schwächer vergrößert ist als A) zeigt, daß diese Dickenzunahme auf der VergrößeTung des Durchmessers der Zellen des gesamten Grundgewebes beruht; wenn daneben, wie in Figur 146 B, auch schon se- kundäre Veränderungen stattfinden, so haben diese doch zunächst nur einen unwesentlichen Anteil an der Dickenzunahme. Ebenso wird man finden, daß ausgewachsene Blätter dicker sind als junge, und das ist wiederum darauf zurückzufüiu'en, daß die Zellen des Grundgewebes in allen Richtungen, also auch in die Dicke, gewachsen sind. In diesen Fällen, und überhaupt in der Regel, geht das primäre Dickenwaohstum mit dem Längen- resp. Flächenwachstum Hand in Hand. Die Dauer und das Maximum beider Vorgänge braucht aber nicht zusam- menzufallen; die Erstarkung kann auch nach Abschluß des Wachstums in anderen Rich- tungen noch fortdauern, eventuell sogar lange Zeit. So ist es z. B. bei den Stämmen mancher Palmen, deren Grundgewebe zart- wandig und unverholzt bleibt; jahrelang nehmen dessen Zellen langsam an Durchmesser zu, und daher kommt es, daß solche Stämme, trotzdem sie des sekundären Dickenwachs- tums entbehren, doch von oben nach unten 1) Unter den Monokotylen haben die Stämme und Wurzeln der baumförmigen Liliaceen und die lüiollen einiger Dioscoreaceen ein sekundäres Dickenwachstum. Von den jetzt lebenden Pteri- dophyten kommt ein solches in schwachem Grade nur bei Botrychium und Isoetes vor; ein weit stärkeres sekundäres Dickenwachstum haben die baumförmigen Pteridophyten des Karbons: die Calamiten, Lepidodendren und Sigillarien, vielleicht auch gewisse fossile Farne besessen. — Wir gehen auf diese Fälle nicht weiter ein, mit Ausnahme des bemerkenswerten Dicken- wachstums der baumartigen Liliaceen, welches im Kapitel 15 besprochen werden soll. hin allmählich dicker werden, ähnlich den Stämmen dikotyler Bäume. Im Gegensatz zu dem primären beruht nun das sekundäre Dickenwachstum auf Zellvermehrung, und zwar nicht auf der Teilung beliebiger Zellen, sondern auf der Tätigkeit eines besonderen, der Oberfläche des Organs parallel (tangental) liegenden Meristems, dessen Zellen in radialer Richtung wachsen und nach Maßgabe ihres Wachstums sich tangental teilen; auf diese Weise ent- stehen neue, sekundäre Gewebemassen (der Sekundärzuwachs) zwischen den primär vorhandenen, welch letztere dabei keine direkten Veränderungen erleiden. Das Me- ristem, welches das sekundäre Dickenwachs- tum bewirkt, nennt man ganz allgemein den Verdickungsring. Dieser kann an verschiedenen Orten des Organs entstehen und seine Produkte können verschieden sein, mit anderen Worten, es gibt verschiedene Modifikationen des sekundären Dicken- wachstums. Eine bestimmte von diesen Modifikationen ist aber die bei weitem vor- herrschende; man könnte sie auch das kambiale Dicken Wachstum nennen, da diejenige Abart des Verdickungsringes, welche hierbei wirksam ist, Kambium heißt; das Kambium ist also ein Spezialfall des all- gemeineren Begriffes Verdickungsring. Die charakteristischen Merkmale, durch welche sich das Kambium von anderen Modi- fikationen des Verdickungsringes unter- scheidet, sind die folgenden: 1. Seine Lage ist eine solche, daß es zwischen den Xylem- und Phloemteilen der Leitstränge !) hindurchläuft, so daß die Xylemteile nach innen, die Phloemteile nach außen von ihm liegen. 2. Es produziert sekundäre Gewebe nach beiden Seiten hin. Alles sekundäre Gewebe, welches vom Kambium nach innen hin produziert wird, heißt Holz; was vom Kambium nach außen hin produziert wird, heißt Bast. Mit anderen Worten: Holz ist, was zwischen dem Mark und den primären Xylemteilen einerseits und dem Kambiumring andererseits liegt; Bast ist, was zwischen dem Kanibiumring einerseits und der primären Rinde und den primären Phloemteilen andererseits liegt^j. 1) Bei bikollateralen Leitsträngen zwischen Xylem und äußerem Phloem. 2) Es ist zu beachten, daß hiernach Holz und Bast (sekundäre Rinde) topographische Begriffe sind, welche außer ihrer Herkunft vom Kanibium hauptsächlich durch ihre Lage zu diesem definiert, histologisch aber nicht einheitlich sind, sondern jedes aus sehr verschiedenen Geweben bestehen. Es darf aber nicht verschwiegen werden, daß in der Literatur die Begriffe Holz und Bast nicht immer in dem oben definierten Sinn gebraucht werden. Nicht selten gebraucht man sie in einem Gewebe (Gewebe der Pflanzen) 1253 Bei Holzgewächsen pflegt man die ganze äußere Region der Achsenorgane, vom Kambium nach auswärts, übereinstimmend mit dem gewöhn- lichen Sprachgebrauch auch als Rind e zu bezeich- nen; der Bast ist demnach ein Teil der Rinde in diesem weiteren Sinn, und zum Unterschied von der primären Rinde (vgl. S. 1234) nennt man ihn auch die sekundäre Rinde. In der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle gelten für die Kambinniprodukte die Sätze, daß 1. das Holz in erheblicli größerer Menge gebildet wird als der Bast, 2. im Holz wie im Bast die Stranggewebe weitaus über- wiegen, und 3. alle Elemente des Holzes mehr oder weniger verdickte und verholzte Mem- branen haben, das Holz also (der Bedeutung des Wortes im gewöhnlichen Sprachgebrauch entsprechend) eine zusammenhängende harte und steife Masse bildet. Wir beschränken uns im folgenden zu- nächst auf die Betrachtung des typischen, d. h. den obigen Bedingungen entsprechenden Dickenwachstums, während die in verschie- dener Hinsicht hiervon abweichenden Modi- fikationen (die Fälle atypischen Dickenwachs- tums) in Kapitel 15 besprochen werden sollen. Vorauszuschicken ist noch, daß es unter den krautigen Dikotylen auch solche gibt, bei denen es überhaupt zu keinem sekundären Dickenwachs- tum kommt oder doch dieses auf einem rudi- mentären Anfangsstadium stehen bleibt, so daß also der primäre Bau zeitlebens erhalten bleibt, ebenso wie bei den Monokotylen (Fig. 59, S. 1193). In den Stengeln vieler Wasserpflanzen z. B., besonders in clenen, wo alle Leitstränge zu einem axilen Strangsystem vereinigt und Gefäße nicht ausgebildet sind, findet eine Kambium- bildung überhaupt nicht statt; dasselbe gilt auch für die Wurzeln dieser Pflanzen, und in den feinsten Nebenwurzeln letzter Ordnung ist es wohl auch bei vielen Landpflanzen ebenso. In anderen Fällen, z. B. in den Stengeln vieler krauti- ger Ranunculaceen, sind zwar die Leitstränge mit einem Kambiumstreifen an der Grenze von Xylem und Phloem versehen (Fig. 56, S. 1188), aber es kommt nicht zur Bildung eines Kambium- ringes auf dem ganzen Umkreis des Stengels. Diese isolierten Kambiumstreifen bleiben manch- mal fast ganz untätig, sie sind dann als rudinu'ntär zu betrachten. Sie können aber auch tätig sein und eine gewisse Menge Holz und Bast produ- zweifachen Sinn, nämlich neben der obigen Bedeutung auch noch als Synon}Tue von Xylem und Phloem; daher die Ausdrücke ,, Holzteil" und „Bastteil" (der Leitstränge), die Bezeichnung von Xylem und Phloem als ,, primäres Holz" znd ,, primärer Bast". — Andererseits wird der Ausdruck Bast auch in einem von dem obigen prinzipiell verschiedenen Sinn gebraucht, nämlich als Synonym unseres Begriffes Sklerenchym (vgl. S. 1190). — Auch das Wort Kambium wird oft in einem weiterem Sinn gebraucht als wir es tun, nämlich bald gleichbedeutend mit unserem „Verdickungsring", bald in noch umfassenderer Bedeutung. zieren; das führt hier jedoch nur zu einer be- schränkten Verdickung der einzelnen Leitstränge (wie in den größeren Strängen der Blätter), nicht aber zu einem Dicken Wachstum des ganzen Organs. Auch in den Wurzeln derselben Pflanzen und in den feineren Wurzeln mancher anderer kommt es nur zur Bildung einzelner isolierter Kambiumstreifen, welche unter den Phloem- gruppen liegen. II. Die Entstehung des Kambiumringes im Stengel und seine Produkte. Der kon- tinuierliche Kambiumring entsteht nicht in seiner ganzen Ausdehnung gleichzeitig. In den Stengeln setzt er sich zusammen aus Streifen von Faszikularkambium, welche in den Leitsträngen an der Grenze von Xylem und Phloem liegen, und aus Streifen von Interfaszikularkambium, welche seit- lich an jene ansetzen und die Faszikular- kambien der einzelnen Stränge miteinander verbinden. Das Faszikularkambium ent- steht zuerst, und zwar, wenn die Leitstränge des Stengels ungleich stark sind, in den stärkeren früher, in den kleineren später; in den ersteren kann das Kambium bereits eine ansehnliche Menge sekundäres Gew^ebe gebildet haben, wenn es sich in den letzteren erst ausziibikU'n beginnt. Dann erst erfolgt aUmählicIi, von den Bändern der Leitstränge ausgehend, die Bildung der interfaszikularen Kambiumstreifen, bis schließlich das Kam- bium den ganzen Umfang des Stengels um- greift. Das Faszikularkambium ist keine eigent- liche Neubildung, sondern es geht direkt aus dem Desmogen hervor. Während die übrigen Zellen des Desmogenstranges sich sukzessive zu Xylem- und Phloemelementen ausbilden, fahren die Zellen einer mittleren Schicht j desselben fort sich zu vermehren und ver- harren auf die Dauer in meristematischem Zustand; wenn Wachstum und Vermehrung hier nicht in beliebigen Kichtungen erfolgen, sondern die Zellen nur radial wachsen und nur tangental sich teilen, so stellt diese Zell- ' Schicht bereits einen Kambiumstreifen dar; man kann das daran erkennen, daß die Zellen der jungen Gewebeschicht an der Grenze von Xylem und Phloem regelmäßig radial gereiht sind (Fig. 121, S. 1234). Der Ueber- gang von der regellosen zur regelmäßigen Teilungsweise in der Mittelschicht der Des- mogenstränge kann schon sehr früh erfolgen; alsdann sind auch schon im primären Xylem die Zellen radial gereiht (Fig. 52, S. 1186), und der üebergang vom primären in den sekundären Zustand der Leitstränge ist ein I fast unmerklicher. Die Bildung der interfaszikularen Kam- biumstreifen erfolgt in verschiedener Weise, je nachdem ob ein die Leitstränge seitbch verbindender Desmogenring vorhanden ist, oder ob das Zwischengewebe der Intermediär- 1254 Gewebe (Gewebe der Pflanzen) Zone aus Grundgewebe besteht (vgl. S. 1235). Im ersteren Fall geht die Sache ebenso vor sich wie innerhalb der Leitstränge: eine Schicht des Desmogenringes wird zu Kam- bium, indem sie eine ganz bestimmte Wachs- tums- und Teilungsrichtung annimmt; in Figur^l47 ist der Uebergang zu tangentaler Fig. 147. Prosenchymatisches Interfascikular- gewebe im Stengelquerschnitt von S a 1 v i a Horminum. A primärer Zustand. B Beginn des sekundären Zustandes: die Zellen der inneren Schichten verdicken ihre Membran und werden zu Sklerenchymfasern, die Zellen der äußeren Schichten teilen sich tangental und bilden das interfascikulare Kambium. Nach Haberlandt. Teilung in B im Vergleich mit der regellosen Anordnung des Desmogens in A deutlich zu sehen. — Sind hingegen die Leitstränge durch ; primäre Markstrahlen getrennt, welche aus i weitzelligem Grundgewebe bestehen, so bildet \ sich in diesen ein Folgemeristem im eigent- lichen Sinne des Wortes: die bereits in Dauerzustand befindlich gewesenen Zellen einer Parenchymschicht teilen sich ein- oder mehrmals durch tangentale Wände (Fig. 121, S. 1234), und es entstehen Streifen von radial abgeplatteten Zellen, welche, die { Markstrahlen überbrückend, die Känder der faszikularen Kambiumstreifen miteinander verbinden. j Ist einmal ein zusammenhängender Kam- biumring hergestellt, so beginnt auch die Bildung eines zusammenhängenden Holz- ringes nach innen von ihm und eines eben- solchen Bastringes nach außen, und damit ein mehr oder weniger ausgiebiges Dicken- wachstum des Stengels; hierdurch wird der ganze Bau des Organs ein gänzlich anderer, sein primärer Zustand macht dem sekundären Zustand Platz (s. das Schema Figur 148 und Figur 149). Bei krautigen Pflanzen, deren oberirdische Vegetationsorgane nur eine Vegetationsperiode hindurch ausdauern, ist die Verdickung eine beschränkte und oft relativ unbedeutende. Bei den Holzgewächsen aber wird der Holzring meist schon im ersten Jahr so stark, daß er den größten Teil des Stengel- radius einnimmt; und da die Kambiumtätig- keit jahrelang, eventuell durch Jahrhunderte oder selbst Jahrtausende andauert (wenn auch mit periodischen Unterbrechungen), so er- reicht der Holzring oft mächtige Dimensionen. Die Stämme und Aeste unserer Bäume be- stehen fast ganz aus einem Holzring, der hier schon besser Holzkörper genannt wird. Auch der Bastring wächst beständig, aber viel schwächer als der Holzring, und da aus später anzuführenden Gründen meist früher oder später ein Zustand eintritt, in welchem sein von innen her stattfindender Zuwachs durch Abnahme von außen aufgewogen wird, so erreicht der Bast keine bedeutende Dicke ; aus denselben Gründen ist auch die primäre Kinde in späterem Alter gewöhnlich nicht mehr vorhanden, und dann bildet das meist winzige Mark im Zentrum des Organs den einzigen Ueberrest seiner priinären Gewebe. In bezug auf den gröberen Bau des Holz- ringes sind zwei Fälle zu unterscheiden, die wir als den homogenen (gleichartigen) und den inhomogenen (ungleichartigen j Holzring bezeichnen können. Ein inhomogener Holzring kommt zustande, wenn die primären Leitstränge durch relativ weite Zwischenräume voneinander getrennt sind und wenn zugleich die faszikularen und inter- faszikularen Teile des Kambiums verschiedene Fig. 148. Schema des sekun- dären Dickenwachst ums eines Dikotylenstengels. A pri- märer Zustand nach Bildung eines gesclilossenen Kambium- ringes, B sekundärer Zustand. In beiden Figuren: r primäre Rinde, m Mark, s primäre Markstrahlen, p primäres Phloem, X primäres Xylem, c Kambiumring. In B: b Bast, h Holz, s' ältere, s" jüngere sekundäre ^ilarkstrahlen. Grewebe (Gewebe der Pflanzen) 1255 t Fig. 149. Querschnitt durcli einen dieijälirigen Zweig der Linde (Tilia europaea). Schwach vergrößert. Außen (oben) ein nielu-schich- tiges Korkhäutchen, von der Epidermis bedeclit. K primäre Rinde. Phl Bast oder sekundäre Rinde, durch zwei nach außen stark verbreiterte Mark- strahlen in fascikulare Abschnitte zerlegt; in die- sen Gruppen von Bastfasern (Hartbast, hell) in den Weichbast eingebettet. Cb Kambiumring. Zwischen diesem und dem Mark M das Holz, mit drei Jahrringen und vielen 1- und 2-schich- tigen Markstrahlen; JR die Jahrringgrenzen, Gef weitlumige Tracheen. Nach Kny. Produkte bilden ; alsdann sind auch im Holzring faszikulare und interfaszikulare Ab- schnitte zu unterscheiden, welche seitlich nebenein- ander (auf verschiedenen Radien) liegen und mitein- ander abwechseln. Dies ist ein bei ki-autigen Pflanzen ziemlich verbreiteter Fall; unter den Holzgewächsen ist er selten, fast nur auf einige Lianen (z. B. den Weinstock, Fig. 150) beschränkt, und auch hier weniger ausgeprägt. Die faszikularen Kambiumstreifen bilden ein reich differenziertes, aus verschiedenen Geweben bestehendes Holz, in dem u. a. Gefäße nie fehlen; das inter- faszikulare Holz hingegen be- steht aus einem gleichartigen Gewebe, welches keine Gefäße enthält (Fig. 146B, S. 1251). Ist das interfaszikulare Kambium aus einem Desmogenring entstanden, also prosenchymatisch, so bildet es nach der Holzseite hin ausschließ- lich verholztes Sklerenchym (Holzfasern). Wo Markstrahlen vorhanden sind, produziert das sie überbrückende Interf aszikularkambium ein paren- chymatisches Gewebe, welches zwar in radiale Reihen geordnet, im übrigen aber dem primären Grundgewebe der Markstrahlen mehr oder weniger ähnlich ist (Fig. 150; vgl. auch Fg. 172, S. 1274). Die breiten Markstrahlen halten also mit dem Dickenwachstum des Holzringes Schritt und zerspalten denselben in so viele keilförmige Stränge von Faszikularholz, als primäre Leit- stränge vorhanden waren. Die Markstrahlen ziehen sich ununterbrochen durch die ganze Länge eines Laternodiums, so daß die Stränge von Faszikularholz nur in den Knoten mit- einander in Verbindung treten. Viel häufiger ist der homogene Holzring, welcher sich außer bei fast allen Holzgewächsen auch bei vielen krautigen Stengeln findet; er kann ebenfalls auf verschiedenem Wege zu- stande kommen, je nachdem die primären Leit- stränge durch Desmogenstreifen oder durch Älarkstrahlen voneinander getrennt sind. In ersterem Fall kann das Kambium auf seinem ganzen Umkreis gleichartiges, faszikulares Holz bilden, und so wird eine homogene Beschaffenheit des Holzringes auf die einfachste und zugleich vollkommenste Weise erreicht; so verhält es sich bei vielen krautigen Pflanzen. Auch bei Anw^esenheit von Markstrahlen kann der Holz- ring ohne weiteres homogen werden, wenn die Leitstränge zahlreich und dicht gedrängt sind, so daß sie zwischen sich nur sclimale, aus wenigen Zellreihen bestehende ^larkstrahlen übrig lassen; alsdann wird zwar auch der Holzring von paren- ' chymatischen Markstrahlen durchsetzt, da aber i diese relativ sehr schmal und in größerer Zahl j über den Umkreis verteilt sind (Fig. 149), so tragen sie nur zur Mannigfaltigkeit der Struktur I des Holzringes bei, ohne den Eindruck hervorzu- 1 rufen, daß er aus ungleichartigen Stücken zu- Fig. 150. Querschnitt eines 1-jährigen Zweiges des Weinstocks (Vitis vinifera) 21/1. e Epidermis, r primäre Rinde, sk Sklerenchymstränge in ihr, k Kork, b Bast, wb Weichbast, hb Hartbast, h Holz, g Tracheen, pm primäre, sm sekundäre Markstrahlen, mk Markkrone, m Mark (vgl. die DetaUzeichuung in Fig. 172, S. 1274). 1256 Grewebe (Gewebe der Pflanzen) sammengesetzt sei. Dieser Fall ist unserem Schema Figur 148 S. 1254 zugrunde gelegt, doch sind dort der Uebersichtlichkeit halber nur acht Leitstränge angenommen und die Markstrahlen (s) noch ziemlich breit dargestellt. Sind aber die Markstrahlen breit, so wird eine ebenso homogene Beschaffenheit des Holz- ringes auf komplizierterem Wege erreicht. In den Markstrahlen entstehen durch verschieden ge- richtete Längsteilungen kleine Desmogenstränge, welche sich zu Leitsträngen differenzieren; diese kleinen, erst nach Abschluß des -Längenwachs- tums gebildeten stammeigenen Zwischen- stränge unterscheiden sich von den Blattspur- strängen durch den Mangel dehnbarer Gefäße, manchmal bestehen sie auch nur aus Phloem. Ihr Längsverlauf durch das Internodium ist wellig, so daß sie sich miteinander und mit den benach- barten Blattspursträngen zu einem Netzwerk mit schmalen Maschen vereinigen. Dadurch wird der ursprünglich breite und durch die ganze Länge des Internodiums sich erstreckende Markstrahl in eine größere Zahl schmaler Mark- strahlen von beschränkter Höhe zerlegt, es wird also der gleiche Zustand hergestellt, wie wenn die Leitstränge von vornherein zahlreich und dicht gestellt sind. Dieses scheint das häufigste Ver- halten zu sein. Es kommt noch ein weiteres Moment hin- zu, welches erheblich dazu beiträgt, den Holzring homogener zu machen. In dem Maße wie die Keile von Faszikularholz mit steigen- dem Umfang des Holzkörpers an Breite zu- nehmen, werden im Kambium derselben in später zu besprechender Weise neue Markstrahlen angelegt, welche man im Gegen- satz zu den von vornherein vorhandenen primären Markstrahlen als sekundäre Markstrahlen bezeichnet (Fig. 150). Ist ein solcher Markstrahl einmal angelegt, so bleibt er dauernd bestehen und wächst mit dem Holzring in radialer Richtung weiter. Wie also die breiten primären Markstrahlen durch Entstehung von Zwischensträngen in mehrere schmale Markstrahlen zerfallen, ebenso werden andererseits die breiten Keile von Faszikularholz, welche aus den primären Leitsträngen hervorgehen, von einer sukzes- sive steigenden Zahl von sekundären Mark- strahlen durchsetzt und im Querschnitt in schmälere keilförmige Platten zerteilt; und so kommt es, daß Markstrahlen und Faszikularholzplatten auf der ganzen Fläche des Holzquerschnittes in gleichmäßiger Weise miteinander abwechseln (Fig. 148, 149, 150). . Das über den Holzring Gesagte gilt mutatis mutandis auch für den Bastring. An den näm- lichen Stellen, wo das Kambium nach innen faszikulares resp. interfaszikulares Holz bildet, produziert es nach außen faszikularen resp. inter- faszikularen Bast (Fig. 150 und Fig. 172, S. 1274). Der erstere besteht aus gemischtem Gewebe, in welchem Siebröhren das charakteristische, den Gefäßen des Holzes entsprechende Element darstellen; der interfaszikulare Bast besteht ent- weder nur aus dünnwandigem Prosenchjan oder ! nur aus Markstrahlenparenchym. j Noch ein paar Worte über das Schicksal des Xylems und Phloems der primären Leit- stränge. Dieselben werden durch die Massen sekundären Gewebes, welche sich zwischen sie einlagern, immer weiter auseinandergeschoben, und bald wird ihr ursprünglicher Zusammenhang unkenntlich. Das Schicksal der beiden Teile ist ein verschiedenes. Das primäre Phloem wird nach außen geschoben, es unterliegt stetig zu- nehmendem radialem Druck und tangentaler Dehnung, es wird daher bald bis zur Unkenntlich- keit plattgedrückt und -gezogen (Fig. 148, S. 1254), und endlich früher oder später durch Borkenbildung abgeworfen. Anders die primären Xylemteile. Diese bleiben an Ort und Stelle und unterliegen keiner Deformation, da alle sekundären Veränderungen außen von ihnen stattfinden; sie ragen an der Innengrenze des Holzringes als keilförmige oder flache Vor- sprünge in das Mark hinein (Fig. 146, S. 1251, Fig. 148, S. 1254), und dieses charakteristische Bild bleibt selbst in den ältesten Stummen (wofern sie nicht durch Verwesung hohl werden) in ihrem Zentrum erhalten. Die Gesamtheit dieser Vor- sprünge, welche dem Mark einen mehr oder weniger sternförmigen Umriß erteilt, nennt man die Markkrone. III. Entstehung des Kambiumringes in der Wurzel. Entsprechend der vom Stengel ganz abweichenden Anordnung der primären Xylem- und Phloemgruppen in der Wurzel geht hier auch die Bildung des Kambiumringes in abweichender Weise vor sich. Zuerst entstehen Streifen von Kam- bium in der Schicht von Zwischengewebe, welche von innen an die Phloemgruppen grenzt (Figur 138, S. 1245, wo in dieser Schicht eben die ersten tangentalen Zellteilungen eingetreten sind). Diese Streifen entsprechen dem Faszikularkambium der Stengel, sie pro- duzieren faszikulares, gefäßreiches Holz und faszikularen Bast. Der letztere schließt auch hier direkt an das primäre Phloem an, wäh- rend das faszikulare Holz, im Gegensatz zu dem Verhalten in den Stengeln, in die Zwi- schenräume zwischen den primären Gefäß- gruppen zu liegen kommt und gewöhnlich durch eine oder mehrere Schichten von Zwischengewebe von ihnen getrennt bleibt. Erst später bilden sich durch tangentale Teilungen in den Zellen des Perizykels auch über den Gefäßplatten Kambiumstreifen aus, welche den interfascikularen Kambium- partien des Stengels gleichwertig sind, und dadurch wird der Kambiumring geschlossen (Fig. 151). Er hat anfänglich eine gewellte Form mit Einbuchtungen unter den Phloem- gruppen und Ausbuchtungen über den Gefäß- platten (bei zwcistrnliligen Wurzeln ist der Kambiumriug elliptisch) ; da aber die Tätigkeit der eingebuchteten, faszikularen Kambium- partien nicht nur früher beginnt, sondern anfänglich auch intensiver ist als diejenige GeAvebe (Gewebe der Pflanzen) 1257 der interfaszikularen Partien, so werden die Einbuchtungen bald ausgeglichen und der Kambiumring wird auch in der Wurzel kreisförmig. mit Markstrahlen von beschränkter Höhe gebildet; die faszikularen Abschnitte weiden, wie dort, durch sekundäre stärkst ralilen zerklüftet, und der Sekundärzuwaclis der Wurzel nimmt eine ganz ähnliche Beschaffen- heit an wie im Stengel. Holz und Bast einer älteren holzigen Wurzel sind von denen des Fig. 151. Schema des Diekemvachstums einer krautigen Dikotylen wurzel. A primärer Zu- stand kurz nach Beginn der Tätigkeit des Fasci- kularkambiums, B sekundärer Zustand, nach Abwerfung der primären Rinde. pr primäre Rinde, e Endodermis, p l^ericykol, s' primäres Phloera, -c Kambium, g' primäre Gefäüplatten, s" fascikularer Bast, g" fascikulares Holz. Nach Strasburger. Das von den interfaszikularen Kambiuni- partien produzierte Gewebe ist parenchy- matisch und entspricht den primären Mark- strahlen. Diese gehen also nicht, wie im Stengel, bis zum Mark durch (selbst wenn die Wurzel ein solches enthält), sondern stoßen innen auf die primären Gefäßplatten. In den Wurzeln vieler krautiger Pflanzen bleiben die keilförmigen faszikularen Partien des Zuwachses dauernd durch mehr oder weniger breite, ununterbrochen längsver- laufende primäre Markstrahlen getrennt, deren Zahl derjenigen der primären Gefäß- platten entspricht ; oft bleibt das Markstrahl- gewebe auch in seinem Holzteil dauernd dünn- w^andig und unverholzt, so daß also ein fester Holzring im gewöhnlichen Sinne des Wortes überhaupt nicht zustande kommt (Fig. 152). In den ausdauernden Wurzeln der Holzpflanzen wird hingegen auf ähnlichem Wege wie in ihrem Stengel ein zusammen- hängender homogener Holz- und Bastring Fig. 152. Querschnitte durcli eine Seitenwurzel der Kapuzinerkresse (Tropaeolum majus). A primärer Zustand. Schwach vergrößert. B sekundärer Zustand. 2-mal schwächer ver- größert, r primäre Rinde, e Endodermis, p pri- märes Phloem, g primäre Gefäßplatte; b Bast, h Holz, m, primäre, m^ sekundäre Markstrahlen. Frei nach van Tieghem. Stammes und der Aeste derselben Pflanze j nicht oder doch nur an gewissen unwesent- lichen Differenzen der feineren Struktur 1 zu unterscheiden. Ein bleibendes Merkmal der Wurzel bilden aber die primären Gefäß- platten im Zentrum, welche die Stelle des Markes und der Markkrone der Stengel- i Organe einnehmen. IV. Näheres über die Markstrahlen. Markstrahlen fehlen im Sekundärzuwachs nur bei einigen krautigen oder halbstrauchigen Pflanzen mit beschränktem Dickenzuwachs (Fig. 146 B, S. 1251). In der Regel, insbcson- ! dere bei allen eigentlichen Holzpflanzen, sind Markstrahlen mehr oder weniger reich- lich vorhanden. Die Markstrahlen setzen sich aus dem Holz durch das Kambium hindurch in den Bast fort. Das ist eine Folge der Tatsache, daß jede Kambiumzelle sowohl nach innen wie nach außen Tochterzellen abscheidet; ist die Beschaffenheit einer gegebenen Kam- biumzelle eine solche, daß ihre Tochterzellen parenchymatisch, also Markstrahlgewebe sind, so gilt das in gleicher Weise für die auf beiden Seiten gebildeten Produkte. Jeder Markstrahl besteht demnach aus einem im Holz und einem im Bast verlaufenden Teil, welche man als Holzmarkstrahl und Bastmarkstrahl (kürzer: Holzstrahl und Baststrahl) unterscheiden kann. Die Gesamtform eines Markstrahls kann man mit einem flachen, zweischneidig zu- geschärften Lineal vergleichen, welches in radialer Eichtung und auf der Kante stehend in den Holz- und Bastkörper des aufrechten Organs eingesetzt zu denken ist. Die Figur 153 1258 Gewebe (Gewebe der Pflanzen) stellt das in etwas schematisierter Weise dar und illustriert, wie sich die Markstrahlen in verschieden gerichteten Durchschnitten prä- sentieren. Fig. 153. Stück aus einem 4-jährigen Stamm der Kiefer (Pinus silvestris). Im Winter ge- schnitten. 6/1. q Querschnitt, 1 Radialschnitt, t Tangentalfläche. 1, 2, 3, 4 die Jahrringe des Holzes, i ihre Grenzlinien, f Frühholz, s Herbst- holz, h Harzgänge; m Mark, c Kambium, b Bast, br Borke, ms, ms', ms", ms'" Mark- strahlen in den verschiedenen Ansichten; in der Radialansicht ms', ms" lassen sich die bis zum Mark resp. bis zur Borke durchlaufenden primären Markstrahlen gut von den sekundären I\Iarkstrahlen verschiedenen Alters unterscheiden. Nach Strasburger. In Querschnitten durch Holz und Bast bekommt man die Markstrahlen der Länge und Breite nach, aber nicht der Höhe nach zu sehen; sie erscheinen als mehr oder weniger schmale, radial gerichtete Streifen. Im radialen Längs- schnitt sieht man statt der Breite der Mark- strahlen ihre Höhe, welche stets größer ist als die Breite; sie erscheinen als horizontal ver- laufende Bänder. Der Tangentalschnitt endlich zeigt uns die Markstrahlen quer durchschnitten, wir sehen ihre Höhe und Breite zugleich, aber natürlich nicht ihre Länge; sie haben hier die Form aufrecht stehender, beiderseits zugespitzter Spindeln. Man unterscheidet (ohne scharfe Grenze) große und kleine Markstrahlen. Die großen können mehrere Zentimeter Höhe und bis gegen 1 Millimeter Breite erreichen und bestehen wenigstens im mittleren Teil ihrer Höhe, wo sie am breitesten sind, stets aus vielen (bis über zehn) Zellschichten, sie heißen daher auch vielschichtige Mark- strahlen (Fig. loO, S. 1255 und Fig. 172, S. 1274). Die kleinen sind dem bloßen Auge nicht oder eben noch unterscheidbar; sie bestehen der Breite nach nur aus wenigen (zwei bis drei) oder selbst nur aus einer Zellschicht (Fig. 149, S. 1255, Fig. 167, S. 1268), und besonders kleine Markstrahlen sind ijiuchmal auch nur ein bis zwei Zellen hoch I iMg. 1(39, S. 1269). Im extremen Fall kann ,ii-o ein Markstrahl nur aus einer einzigen I^ldialreihe von Zellen bestehen. Die primären Markstrahlen sind meist größer (sowohl höher wie breiter) als die sekundären, und wo Markstrahlen von er- heblich verschiedener Größe nebeneinander vorkommen, sind gewöhnlich die großen primär, die kleinen sekundär. Das trifft jedoch nicht immer zu, und z. B. bei der Kiefer, welcher die Figur 153 entnommen ist, besteht in dieser Hinsicht kein Unter- schied zwischen primären und sekundären Markstrahlen. Stets hingegen sind die primären Markstrahlen dadurch aus- gezeichnet, daß sie durch den ganzen Dicken- zuwachs, vom Mark (resp. in Wurzeln von den primären Gefäßplatten im Zentrum) bis zur primären Rinde verlaufen. Bei den sekundären Markstrahlen ist das nicht der Fall, sie erstrecken sich vom Kambium j aus beiderseits nur auf begrenzte Entfernung in das Holz und den Bast hinein und endigen in beiden blind. Das ist die notwendige Folge davon, daß sie erst nachträglich ent- standen sind, nachdem die Stelle des Kam- biums, welche sie erzeugt, vorher bereits ! eine gewisse Menge faszikuläres Holz und Bast gebildet hatte. Je später die sekundären j Markstrahlen angelegt wurden, um so kürzer ! sind sie, und daran, in welcher Entfernung i von dem Kambium sie aufhören, läßt sich die Reihenfolge ihrer Entstehung erkennen (Fig. 150, S. 1255, Fig. 152, S. 1257). Da mit steigender Verdickung immer neue sekundäre Markstrahlen angelegt werden, so ist ihre ! Zahl in einem Umkreis um so größer, je näher dieser dem Kambium liegt, sie steigt \ also im Holzkörper von innen nach außen, I im Bastring von außen nach innen. Die 1 Zahl der Markstrahlen pro Flächeneinheit des Querschnitts ist an allen Stellen des : Holzkörpers ungefähr die gleiche. \ V. Das Kambium. Das Kambium be- steht, wie alle Meristeme, aus plasmareichen Zellen mit einem Zellkern, welcher, der Form der Zellen entsprechend, langgestreckt ist. Die Zellen haben die Form längsgestreck- ter, an beiden Enden zugeschärfter, in radialer Richtung mehr oder weniger stark abgeplat- teter Tafeln ; die Zuschärfung ist gewöhnlich einseitig, meißeiförmig, seltener zweiseitig, dachförmig ; die zuschärfenden Endflächen sind radial gerichtet, weshalb man die Zuspitzung nur im Tangentalschnitt sieht. Gewebe (Gewel)e der Pflanzen) 1259 während im Radialschnitt die Zellen stumpf erscheinen. Unser Schema Fiour 154 stellt die Formen der Kambiiinizcllen körperlich dar (nur sind die Zellen gewöhnlich relativ länger als gezeichnet), und zeigt ihr Aussehen in den drei Durchschnitten. B Fig. 154. Schemati- sche Darstellung der Form der Kambium- zellen. A, I und II die zwei vorkommen- den Formen körper- lich, die Breitseite (Tangentalfläche) zeigend, B Radial- schnitt, C Quer- schnitt. Die Membran ist unverholzt und weich, aber von auffallend ungleichmäßiger Dicke (vgl. Fig. 156, S.1260). DietangentalenWände, welche bei den Teilungen jedesmal neu eingeschaltet werden, sind dünn, um so dünner je jünger sie sind, bis zu äußerster Zartheit bei den soeben entstandenen. Die radialen Wände hingegen sind ziemlich dick; sie enthalten eine Art Reserve für die fort- währende Dehnung in radialer Richtung, der sie unterliegen, und in der Tat sieht man sie von der mittleren, jüngsten Kam- biumschicht aus nach beiden Seiten zunächst merklich an Dicke abnehmen. Es wurde schon erwähnt, daß die Kam- biumzellen in radialer Richtung wachsen und nach Maßgabe ihres Wachstums sich tangen- tal teilen, wobei sie nach außen Bastzellen, nach innen Holzzellen produzieren. Da es nicht ganz leicht ist, sich von diesem Ver- halten eine ganz klare Vorstellung zu machen, so fügen wir hier das möglichst einfach ge- haltene Schema Figur 155 bei; es geht von einer einzelnen Kambiumzelle aus, die zwi- schen der Holzzelle x und der Bastzelle r liegt und eben ihren maximalen Radialdurch- messer erreicht hat, und zeigt anschaulich, wie aus dieser Zelle in vier sukzessiven Teilungs- schritten abwechselnd die neuen Holzzellen x^ Xg und die neuen Bastzellen r^ r^ hervor- gehen, während die (durch Schraffierung hervorgehobene) Kambiumzelle sich immer wieder regeneriert und scheinbar unverändert bleibt. Man sieht wie von den zwei Tochterzellen einmal die innere zur Holzzelle, die äußere wieder zur Kambiumzelle wird, bei der folgenden Teilung aber die äußere Tochterzelle zur Bastzelle wird, während die innere eine Kambiumzelle bleibt. Man sieht ferner, wie die neugebildeten Holz- und Bastzellen eine nach der anderen zwischen das Kambium und die ursprünglich vorhandenen Holz- und Bastzellen eingeschaltet werden. Das Schema zeigt zugleich auch die mit der Kambium- tätigkeit verbundenen Verschiebungen: während die Holzzelle x an ihrem ursprünglichen Ort verbleibt (und ebenso die beiden neugebildeten Holzzellen), ist die Kambiumzelle von dem Stadium la bis zum Stadium Va beträchtlich nach außen gerückt, nämlich um den radialen Durchmesser der beiden neu eingeschalteten Holz- zellen; noch stärker, nämlich um den radialen Durchmesser aller vier neugebildeten Zellen, ist die Bastzelle r nach außen geschoben worden. Auf die Konsequenzen dieser Ver- schiebungen kommen wir später zurück. Im obigen Schema sind der Vereinfachung halber mehrere Voraussetzungen gemacht, welche in Wirklichkeit nicht zutreffen. Erstens ist angenommen, daß bei den sukzes- siven Teilungen der Kambiumzelle abwech- selnd je eine Holz- und eine Bastzelle ab- geteilt wird. Wir wissen aber bereits, daß das Kambium normalerweise erheblich mehr Holz t: ./« pj j-i Mh Wa m Fig. 155. Schema der Teilungsfolge einer Kambiumszelle, im Querschnitt; die Kambiuminitiale schraffiert; f die Richtung zur Peripherie des Organs, x, Xj, x., junge Holzzellen, r, r^, r^ junge Bastzellen. Die mit a bezeichneten Stadien unmittelbar vor, die mit b bezeichneten unmittelbar nach einer Tangentalteilung der Initialzelle. 1260 Geweihe ((xeAvebe clei' Pflanzen) als Bast produziert; in Wirklichkeit ist denn auch die Bildungsfolge von Holz- und Bast- zellen nicht regelmäßig alternierend, sondern OS werden nach einer Bastzelle durchschnitt- lich zwei bis drei oder selbst mehr Holz- zeUen gebildet und dann erst wieder eine Bastzelle. Zweitens wurde in unserem Schema an- genommen, daß die jungen Holz- und Bast- elemente ohne weiteres, nur nach einem gewissen Wachstum in radialer Richtung, zu Dauerzellen werden. Das ist in Wirklich- keit meist nicht der Fall, vielmehr teilen sich die von der Kambiumzelle abgetrennten Zellen ihrerseits durch eine tangentale Wand in je zwei Tochterzellen (Fig. 156), und von I nur amicähernde Schlüsse. In der in Figur 156 dargestellten Radialieihe kann nur eine von den Zellen bj, i, h/ und h/' die Initiale sein; am wahrscheinlichsten ist es die Zelle i, und ! auf Grund dieser Annahme sind die übrigen I als Jungholzzellen hj, h^, hg und Jungbastzellen bj, b.,, bg bezeichnet (davon nur die jüngste ! Jungbastzelle bj noch nicht weiter geteilt). 1 Oben sahen wir, wie durch die zunehmende Produktion von Holzelementen das Kambium immer weiter nach außen geschoben wird ; dem- entsprechend nimmt natürlich auch der Umfang I des Kambiumringes stetig zu. Die Kambiumzellen wachsen alsc» nicht nur, wie wir bisher annahmen, [ in radialer Richtung, sondern allmählich auch j in tangentaler Richtung, und ebenso ist auch der tangentale Durchmesser der von ihm gebildeten i Holz- und Bastelemente um so größer, je später Fig. 156. Eine Radialreihe der Kambiumzone aus dem Stamm von Pinus silvestris 650/1. ■^ die Richtung zur Stammperipherie, i die vermutliche Kambinminitiale ; h■^, h.,, hg und bj, b,, bg die sukzessive abgeteilten Holz- und Bastmutterzellen, alle mit Ausnahme der jüngsten (bj schon in je 2 Tochterzellen (h/, h/' usw.) geteilt. Frei nach Sanio. diesen kann sich die eine oder auch beide nochmals in gleicher Weise teilen; jedes I Segment der Kambiumzelle gibt also nicht j einer, sondern drei bis vier Holz- oder Bastzellen den Ursprung. Diese noch in radialem Wachstum und tan- gentaler Teihmg begriffenen Zellen, Jungholz 1 und Jung hast genannt, haben den meriste- matischen Charakter mit der Kanibiumzelle : gemeinsam und sehen ihr sehr ähnlich. In einem queren oder radialen Durchschnitt durch das tätige Kambium sehen wir also (Fig. 167, S. 1268) nicht eine einzige Schicht, sondern mehrere Schichten von Meristem, welches nach außen und innen allmählich in das ausgebildete Dauer- gewebe übergeht, und man bezeichnet dieses ganze Meristem als die Kambiumzone, da es nicht ohne weiteres deutlich ist, welche von den Schichten das eigentliche Kambium ist. Theoretisch ist nicht zu bezweifeln, daß in jeder Radialreihe der Kambiumzone nur eine Zelle die Fähigkeit hat unbegrenzt zu wachsen und sich zu vermehren ; dies ist die Initiale der betreffen- den Radialreihe, während die übrigen Zellen ihre Segmente und deren Teilungsprodukte sind. Aber feststellen, welche von den Zellen einer gegebenen Radialreihe die Initiale ist, können wir — tla ja die Teilungen an Schnitten nicht mehr stattfinden — nur 'udirekt, auf Grund sorgfältiger Vergleichung des Durchmessers der Zellen und des aus ihrer Dicke und den Brechun- gen der Radialwand zu erschließenden Alters der Tangentalwände; und dieses Verfahren erlaubt sie entstehen; im Holz wächst die Breite der Radialreihen von innen nach außen (entsprechend dem nach außen zunehmenden Abstand der Radien), im Bast umgekehrt von außen nach innen, da hier die innersten Zellen die jüngsten sind. Dieser Breitenzunahme ist aber eine Grenze gesetzt; von Zeit zu Zeit teilt sich nämbch eine { Kambiuminitiale durch eine radiale Wand in zwei Zellen, und jede von diesen produziert nun Zellen, \ die nur halb so breit sind wie die unmittelbar vor der Radialteilung gebildeten. Solche Teilungen der Kambiuminitialen treten einzeln an ver- i schiedenen Stellen des Umkreises ein, und zwar in solcher Häufigkeit, daß die durchschnittliche Breite aller Kambiumzellen ungefähr die gleiche bleibt. Verfolgen wir im Querschnitt durch ein Holz mit nicht zu sehr gestörter Radialreihung eine Radialreihe von innen nach außen, so sehen wir sie allmählich an Breite zunehmen; hat sie ungefähr das Doppelte der ursprünglichen Breite erreicht, so zerfällt sie plötzlich in zwei schmälere Radiaheihen, und mit diesen geschieht weiter I nach außen wiederum dasselbe ; so nimmt im Holz die Zahl der Radialreihen nach der Peri- pherie hin zu, proportional der Verlängerung des Radius (in Figur 149, S. 1255, ist diese Ver- doppelung der Radialreihen an mehreren Stellen, besonders im inneren Teil des Holzringes zu sehen). Im Bast hingegen nimmt die Zahl der Radial- : reihen umgekehrt von außen nach innen zu. Wir haben bisher nur das Faszikular- j kambium berücksichtigt, dessen Zellen ! prosenchymatische, Längsgestr eckte Form Gewebe (Gewebe der Pflanzen) 1261 haben und dementsprechend auch längs- gestreckte Produkte bilden. Ganz anders geformt sind die Zellen derjenigen Kambium- partien, durch deren Tätigkeit die Mark- strahlen wachsen, des Markstrahlkam- biums. Es sind, entsprechend der Form ihrer Produkte, mehr oder weniger niedrige, parenchymatische Zellen mit horizontalen Querwänden; nur die Zellen, welche den Markstrahl oben und unten abschließen, sind am einen Ende keilförmig zugeschärft. Ein Markstrahl sieht also im tangentalen Durchschnitt durch das Kambium ganz ebenso aus wie anderwärts (Fig. 157). Fig. 157. Tangental- schnitt durch Kam- bium und (rechts) Herbtsholz eines Zweiges des Gold- regens (Cytisus La- b u r n u m) , im Winter geschnitten. Im Kam- l)ium ist die Initial- gruppe eines Mark- strahles getroffen. 145/1. Nach de Bary. Bei der Entstehung eines sekundären Markstrahls findet zunächst im Kambium die Umbildung einer oder mehrerer Kam- biuminitialen oder — wenn es sich um einen großen Markstrahl handelt — einer ganzen Gruppe solcher in Markstrahlkambium statt. Die betreffenden gestreckten Kambiumzellen fächern sich durch Querwände und eventuell auch durch radiale Längswände in eine oder mehrere Keihen kurzer parenchymatisclier Zellen; ist das einmal geschehen, so können diese Zellen in alle Ewigkeit nur noch Mark- strahlgew^ebe produzieren. In Figur 157 sieht man im tangentalen Durchschnitt des Kambiums die Initialgruppe eines kleinen sekundären Markstrahls, der es ganz deutlich anzusehen ist, wie sie durch Quer- und Längs- teilungen aus einer prosenchymatischen Kambiumzelle entstanden ist. Bei der Bildung sehr kleiner, nur wenige Zellen oder gar nur 1 bis 2 Zellen hoher einreihiger Markstrahlen wird nicht eine ganze Kambium- initiale verbraucht, sondern es wird zunächst von ihr durch eine schräg gerichtete oder plankonvexe Wand ein größeres oder kleineres Stück ab- geschnitten und dieses zerfällt dann eventuell noch durch Querteilungen in eine kurze Zell- reihe. Da die Markstrahlzellen der meisten Pflanzen radial mehr oder weniger gestreckt sind und in dieser Richtung mehrmals länger zu sein pflegen als alle übrigen Elemente des Sekundärzuwachses, so müssen die Mark- strahlinitialen sich seltener tangental teilen als die übrigen Kambiuminitialen und folglich ebenfalls radial mehr gestreckt sein. An Quer- und Radialschnitten hebt sich daher das Markstrahlkambium durch die ab- weichende Form seiner Zellen auffallend von den radial abgeplatteten Zellen der übrigen Kambiumzone ab (Fig. 167, S. 1268, Fig. 172, S. 1274). Oft sieht es so aus, als ob der Mark- strahl überhaupt keine Initialen im Kambium habe, sondern die Kambiumzone unverändert durchsetze; in Wirkhchkeit sind jedoch diejenigen Zellen eines Markstrahls, welche die Kambiumzone durchqueren, allein durch die Fähigkeit ausgezeichnet, in radialer Rich- tung zu wachsen und sich durch ab und zu stattfindende tangentale Teilungen zu ver- mehren; sie haben also ebenfalls meriste- matischen Charakter und unterscheiden sich nur graduell von den übrigen Kambium- initialen. Literatur. Siehe die in den Kapiteln 5, IG, II, 13 genannten Werke. 13. Das Holz. I. Die Gewebearten: 1. Holzgefäße, 2. Holz- fasern, 3. Holzparenchym, 4. Markstrahl- parenchym. IL Verbreitung und Anordnung der Gewebearten. III. Jahrringe. IV. Splint- und Kernholz. I. Die Gewebearten. Der Holzring oder Holzkörper vereinigt in sich drei verschiedene Funktionen, von denen keine gegenüber den anderen in den Vordergrund tritt, da aUe von gleicher Wichtigkeit sind: die Wasser- leitung aus den Wurzeln zu dem transpi- rierentien Laub, die Festigung gegen longi- tudinalen Druck und zugleich gegen Biegung (vgl. S. 1190) und die Speicherung von orga- nischen Reservestoffen. Diese drei Funktionen verteilen sich meist auf drei auch anatomisch verschieden ausgebildete Gewebegrnppen oder Systeme, nämlich: 1. das wasserleitende System oder die Gefäße, 2. das festigende System oder die Sklerenchymfasern (Holz- fasern), 3. das speichernde System oder das Holzparenchym. Diesen drei Gewebe- systemen, aus denen sich das Faszikularholz zusammensetzt, reiht sich noch 4. das Gewebe der Markstrahlen an, welches funktionell wie anatomisch dem Holzparenchym nahe \ steht, sich aber davon in gewissen Hinsichten unterscheidet. Die Grenze zwischen den genannten Gewebe- \ Systemen des Holzes ist jedoch nicht ganz scharf i gezogen, vielmehr findet sich zwischen ihnen eine i Reihe vermittelnder Uebergänge, nämlich Ge- webe, welche die Funktionen und anatomischen Charaktere je zweier Systeme in verschiedenem Grade in sich vereinigen. Wir wollen gleich hervorheben, daß an der Festigung in typischen 1262 Gewebe (Gewebe der Pflanzen) Hölzern ihre sämtlichen Elemente in gewissem 1 und Tracheiden (vgl. b. llbO/1; Fig. 47, Grade teilnehmen, indem alle ohne Ausnahme | Fig. 158); je nach der Pflanzenspecies ent- eine verholzte und etwas verdickte Membran ^ j^^lt das Holz nur die einen oder nur die haben; während aber bei den anderen Geweben ^^^^j^j-pj^ q^Jpj. ijgjjjg nebeneinander, des Holzes die Festigung nur Nebenfunktion ist, ! ist sie bei dem Holzsklerenchym die haupt- sächliche und im typischen Fall die alleinige | Funktion. Nur selten kommen im Holz außerdem auch ExkTetbehälter vor; so finden sich Harzgänge bei vielen Koniferen (Fig. 153, S. 1258, Fig. 166 S 1267), Kristallbehältersind besonders unter den Leguminosen verbreitet (Fig. 168, S. 1269). Diese Fig. 158. Aus dem Tangentalschnitt des Holzes von Cytisus L a b u r n u m. Zwei unwesentSeii \md"^gewissermäßen zufälligen Holzgefäße mit ellip- (obwohl für die Spezies konstanten) Bestandteile ! ^^^^-^^^^ Hoftüpfeln und des Holzes werden wir nicht weiter berück- sichtigen. Spiralfasern, median I. Die Holzgefäße. Die Holzgefcäße sind durchschnitten. Das ausschließlich nicht -dehnbare Netz - und | jj^^^^^ q^^.^q j^^ eine Tüpfelgefäße ; bei den Holzgewächsen finden I , . , , . , sich meist nur die letzteren (mit Einschluß der j Tracheide, das rechte Treppengefäße). Das gemeinsame Merkmal eine enge Trachee mit dieses Gewebesystems im Gegensatz zu den runden Poren pp in den anderen Geweben des Holzes bilden die be- höften Tüpfel (vgl. S. 117G/7), welche jedoch in der nämlichen Gefäßzelle lokal ungleich verteilt und verschieden ausgebildet sind, je nachdem an was für Elemente das Gefäß grenzt. In den Wänden, welche zweien Ge- fäßzellen gemeinsam sind, finden sich zwei- seitige Hoftüpfel, meist sehr dicht gedrängt (Fig. 44, S. 1177, Fig. 47, S. 1181). Wo einGefäß an lebende parenchymatische Zellen (Holz- parenchym oder Markstrahlzellen) grenzt, sind Tüpfel meist ebenfalls reichlich vor- Endwänden. — Die Spiralfasern sind in der Reproduktion zu breit geraten. — Frei nach Haberlandt. Die Tracheen sind die einzigen Holz- elemente, welche während ihrer Entwicke- handen, sie sind hier aber einseitig behöft, , ^^^j ^^^^g ^jgj^ Jungholzzellen erheblich in mit schwach entwickelter Hofwölbung und ^j^ Breite wachsen (nicht nur in radialer. breiter Mündung. An den Grenzflächen gegen Sklerenchym fehlen endlich Tüpfel meist ganz und die Gefäßwand ist hier glatt. Bei regelmäßiger Anordnung der Gewebe- arten können demnach die Gefäße in ver- sondern auch in tangentaler Richtung); sie unterscheiden sich daher von allen übrigen Elementen meist ohne weiteres durch ihren größeren Querdurchmesser und sind dadurch , besonders auffällig (Fig. 150, S. 1155 ; Fig. 168, schieden gerichteten Schnitten ein ganz g_ -^269). Ein Längenwachstum der Jung- verschiedenes Bild darbieten, je .nachdem k^^^^gUgj^ findet hingegen bei ihrer Aus- ob glatte, zweiseitig oder einseitig behöft bü^ung zu Tracheen nicht oder doch nur in getüpfelte Wände derselben zur Ansicht gelangen. In manchen Hölzern (z. B. bei der Linde, dem Ahorn, Weinstock, der Eibe) sind die Tüpfel- gefäße überdies sämtlich oder teilweise mit Spiral- oder Ringfasern versehen, welche über alle, auch die ungetüpfeltenLängswände verlaufen (Fig.158). Solche Gefäße sind nicht mit den Spiral- oder Ringgefäßen zu verwechseln, welche auch bei diesen Pflanzen auf das primäre Xylem beschränkt sind. Während nämlich bei den Spiral- un 80" 1268 Gewebe (Gewebe der Pflanzen) e) Wie c und außerdem gelächerte Holz- fasern : V i t i s , H e d e r a. f) Tracheen, Tracheiden, tote Holzfasern und Holzparenchym: Quercus, Castanea, Ribes. g) Wie f, aber Ersatzfasern statt des Holz- parenchyms: Caragana. h) Wie f und außerdem Ersatzfasern: die Mehrzahl der Laubhölzer, z. B. Salix, Po pu In s, Betula, Tilia, Robinia. Fig. 167. Querschnitt durch Holz und Jungzu- wachs eines im Sommer abgeschnittenen Zweiges von Rhamnus Frangula. 255/1. vv Grenze des erwachsenen Holzes (unten) und des Jung- holzes (oben); cc die (gebogene) Kambiumzone, oberhalb von ihr der Jungbast; mm Markstrahlen, durch punktierten Zellinhalt hervorgehoben; tt ausgebildete, t't' in Ausbildung begriffene Tracheen; die als Holzparenchym erkennbaren Zellen sind dm-ch Eintragung von Stärkekörnchen hervorgehoben; die übrigen Elemente des Holzes sind schwach verdickte tote Holzfasern, s junge Siebröhren; die angrenzenden Zellen mit schraf- fiertem Inhalt sind ihre Geleitzelleu. Wie man sieht, ist die Mannigfaltigkeit groß genug. Dazu kommt, daß diejenigen Hölzer, deren Zusammensetzung die gleiche ist, sich in der Anordnung der Elemente und in Einzelheiten ihres Baues unterscheiden, z. B. durch An- wesenheit oder Mangel von Spiralfasern bei den Gefäßen, durch einfache oder leiterförmige Perforation der Tracheen usw. Gute dia- gnostische Merkmale bieten namentlich die Mark- strahlen: sie sind entweder sämtlich breit, viel- schichtig (Fagu s), oder sämtlich schmal, ein- bis zweischichtig (Po pu lu s), oder beide Arten finden sich nebeneinander (Quercus); sie bestehen nur aus liegenden oder auch aus stehenden Zellen, ': usw. Mit Hilfe aller dieser Merkmale läßt sich ! jedes Holz (wenigstens die Gattung, zuweilen auch die Arten) charakterisieren und von den ! anderen unterscheiden, so daß es möglich ist j auf anatomischem Wege die Herkunft selbst eines I kleinen Holzstückes festzustellen. I Was die Anordnung der Gewebe im Holz anbetrifft, so wollen wir, ohne anf Einzel- ' heiten eingehen zu können , nur einige allgemeinere Prinzipien anführen, von wel- chen dieselbe beherrscht wird. 1. Das Gefäßsystem bildet in der Längs- richtung zusammenhängende Bahnen. Tracheen und Tracheiden können in der Querrichtung ringsum von ungleichnamigen Elementen umgeben sein, unten und oben schließen sie aber ausnahmslos an Gefäßelemente an. Dies ist, wie ohne weiteres einleuchtet, eine wesentliche Bedingung für die wasserleitende Funktion der Gefäße. 2. Die lebenden, Reservestoffe speichern den Gewebe des Holzes (also Markstrahlpar- enchym, Holzparenchym und Ersatzfasern, eventuell auch die lebenden ungefächerten und gefächerten Holzfasern) bilden ein zu- sammenhängendes System. Oft sieht es in einem Schnitt freilich so aus, als sei ein lebendes Holzelement oder eine kleine Grupper solcher vöUig isoliert und rings von toten Elementen umgeben ; verfolgt man aber die Sache an einer Serie sukzessiver Schnitte, so wird man stets finden, daß dieses Element irgendwo in seinem Verlauf an ein anderes lebendes Element grenzt. Eine Längsreihe von Holzparenchynr z. B. kann freilich an ihrem einen Ende blind zwischen Gefäßen oder toten Holzfasern endigen, am anderen Ende oder auch in der ]\Iitte schließt sie aber an eine weitere Holzparenchymreihe oder an einen Markstrahl an. Die ]\Iarkstrahlen sind es, welche die lebenden Holzzellen zu einem Ganzen verbinden, und von ihnen strahlen die längsgerichteten lebenden Gewebe des Faszikular- holzes in Form von kurzen oder langen Fäden oder Platten in verschiedenen Richtungen aus. Das kann auch nicht anders sein, denn ohne eine solche Verbindung könnten die zu speichernden Stoffe nicht in alle lebenden Zellen des Holzes gelangen; und eine Zelle oder Zellreihe, die rings von toten Elementen umgeben und dadurch von der Zufuhr organischer'Stoffe abgeschlossen wäre, müßte notwendig alsbald absterben. In der Längsrichtung hingegen bilden die lebenden Elemente, im Gegensatz zu den Gefäßen, im allgemeinen keine auf weite Strecken zusammenhängenden Bahnen. Das ist auch nicht erforderlich, da sie (ent- gegen einer ziemlich verbreiteten Meinung) keine durchgehende Stoffleitung in der Längs- richtung zu besorgen haben. Es ist experimentell nachgewiesen, daß der absteigende Strom der Assimilationsprodukte sich nur im Bast und nicht im Holz bewegt; und der im Frühling zur Zeit des Knospenaustriebes aufsteigende Strom ge- löster Reservestoffe bewegt sich zwar im Holz, aber in den Gefäßen zusammen mit dem Wasser. In den lebenden Elementen des Faszikularholzes werden organische Stoffe nur lokal auf geringe Gewebe (Gewebe der Pflanzen) 1269 Ü Fig. 168. Fig. 169. Fig. 168. Querschnitt durch Stammholz der weißen Akazie (Robinia Pseudacacia). 180/1. m^ ein breiter (5 -schichtiger), nu ein schmaler (2 -schichtiger) Markstrahl; T weitlumige Tracheen, t englumige Tracheen (oder Tracheiden); f dickwandige Holzfasern, zum Teil nahe der Spitze durchschnitten; p Holzparenchym; k Kristallbehälter. Markstrahlzellen und Holz- parenchym führen Stärkekörner. Zwischen den Zellen des Holzparenchyms befinden sich an mehreren Stellen enge Interzellularen. Fig. 169. Tangentalschnitt durch das Holz des Oleanders (Nerium Oleander). 350/1. ti, t, Tracheen, in t^ auch die hintere Wand sichtbar mit kleinen Hoftüpfeln in der Aufsicht; hp Holzparenchym, 1 dünnwandige Holzfasern, m^, mg Markstrahlen (m^ nur eine Zelle hoch). In den Holzparenchym- und Markstrahlzellen ist der plasmatische Inhalt eingetragen. Entfernungen geleitet, nämlich von dem nächsten Markstrahl aus bis zu den äußersten Zellen, in denen sie sich ablagern. 3. Die Gefäße stehen mit den lebenden Elementen im Znsammenhang. Jede Gefäßzelle ist mindestens in einem Teil ihrer Oberfläche von lebenden Elementen um- geben, und wenn dies nicht der Fall zu sein scheint, so handelt es sich wiederum nur um eine scheinbare, lokale Ausnahme. Wo Holzparenchym reichlich vorhanden ist, wie in vielen Laubhölzern, daist sein Zusammenhang mit den Gefäßen meist sehr augenfällig; die Gefäße pflegen, soweit sie nicht an andere Gefäße oder an Markstrahlen stoßen, von einem (wenn auch oft unterbrochenen) lü-anz von Holzparenchym umgeben zu sein (Fig. 168). Anders is^t es im Holz der Koniferen, wo Holzparenchym fast ganz fehlt; hier grenzt aber jede Tracheide in einem Teil ihrer Länge an einen oder mehrere der kleinen, aber sehr zahlreichen Markstrahlen, wie das an hinreichend ausgedehnten Tangentalschnitten leicht festzustellen ist. Dieser Zusammenhang zwischen Gefäßen und lebenden Elementen ist von großer physio- logischer Bedeutung. Vieles spricht dafür, daß die lebenden Elemente des Holzes, welche an Gefäße grenzen, eine aktive Rolle bei der Wasser- bewegung spielen, indem sie Wasser in dieselben hineinpressen und die Druckkräfte liefern, welche das Wasser aufwärts befördern; dies ist freilich eine noch strittige Ansicht. Sicher ist hingegen, daß beim Erwachen der Vegetation im Frühjahr die Reservestoffe des Holzes teilweise gelöst werden und aus den lebenden Elementen in die Gefäße übergehen, in denen sie mit dem Wasser- strom den austreibenden Knospen zugeführt werden. Ein anatomischer Ausdruck dieses stofflichen Verkehrs mit den Gefäßen ist die schon oben betonte Tatsache, daß die Membran der Holzparenchym- und Markstrahlzellen da, wo 1270 GeAvebe (GeAvebe der Pflanzen) sie an Gefäße grenzt, dicht mit relativ großen Tüpfeln versehen ist, denen auf der Gefäßseite schwach behöfte Tüpfel entsprechen. Das Gefäßsystem und das parenchymatische System des Holzes (mit Ausschluß der Mark- strahlen) bilden zusammen eine komplexe Ein- heit, welche dem primären Xylem der Leitstränge entspricht und welche man das sekundäre Xylem nennen kann ; es sind freilich anatomische wie physiologische Unterschiede zwischen beiden vorhanden (das primäre Xylem enthält dehnbare Gefäße, seine Leitzellen sind unverholzt, sie dienen nicht zur Speicherung organischer Stoffe, nehmen aber wahrscheinlich an der Leitung der- selben teil), dennoch aber ist die Uebereinstim- mung im ganzen eine große. Im Gegensatz zu dem Xylem steht das Fasersystem des Holzes, welches dem primären Sklerenchym entspricht. Wie dieses, so können auch die Holzfasern manchmal fehlen. — In der Anordnung von sekun- därem Xylem und Holzfasern herrscht keine durchgehende Gesetzmäßigkeit, sie wechselt spezifisch und auch lokal. Bald bilden die Holz- fasern breite tangentale Binden, welche mit ebensolchen Binden von Xylem mehr oder weniger regelmäßig abwechseln; bald ist das Xylem in Strängen verschiedener Stärke dem vorherrschenden Sklerenchym eingebettet, oder umgekehrt. IIL Jahrringe. Sehr verbreitet ist die Differenzierung des Holzes in konzentrische Zuwachszonen, was durch die periodisch wechselnden Bedingungen der Kambium- tätigkeit verursacht ist. Gewöhnlich fällt der Wechsel der Bedingungen mit dem Wechsel der Jahreszeiten zusammen — in unserem Klima ist es der Winter, in anderen Klimaten eine alljährliche Trockenperiode, welche die Kambiumtätigkeit periodisch unterbricht — , so daß die Zuwachszonen den jährlichen Vegetationsperioden ent- sprechen; man nennt dieselben daher ge- wöhnlich Jahrringe. Die Jahrringe sind allgemein bekannt, man sieht sie meist mit bloßem Auge an jedem Querschnitt unserer Hölzer und kann durch Abzahlung derselben das Alter eines Stammes oder Zweiges bestimmen. Die Breite der Jahrringe variiert sehr, von Bruchteilen eines Millimeters bis zu mehreren Zentimetern ; sie ist um so größer, je günstiger die Lebensbedingungen der Pflanze waren. Bei einer) Kiefer z. B., die auf einem Torf- moor gewachsen und krüppelhaft entwickelt ist, sind die Jahrringe äußerst schmal, bei einer auf günstigem Boden gewachsenen sind sie vielmals breiter. Auch bei dieser variiert aber die Jahrringbreite im selben Stamm querschnitt erheblich, je nachdem der betreffende Sommer warm oder kalt, feucht oder trocken war usw.; durchschnittlich nimmt sie vom Zentrum nach außen zunächst bis zu einem Maximum zu, das dem kräftigsten Lebensalter des Baumes ent- spricht, und dann mit dem Altern allmählich wieder ab. So stellt uns ein Baumquerschnitt in seinen Jahrringen gewissermaßen eine Chronik dar, aus welcher sich die ganze Geschichte des Baumes ablesen läßt. Der innerste Teil eines Jahresringes ist am Anfang, der äußerste am Schluß einer Vegetationsperiode gebildet; man bezeichnet sie als Frühholz und Spätholz, oder, unseren Jahreszeiten entsprechend, als Früh- lings- und Herbstholz, und die mittleren Schichten kann man als So mm er holz unterscheiden. Das Frühlingsholz geht nach außen mehr oder weniger allmählich und unmerklich durch das Sommerholz in das Herbstholz über; dagegen ist der der Winter- ruhe des Kambiums entsprechende Ueber- gang vom Herbstholz zum Frühlingsholz des nächstäußeren Jahrringes ein plötzlicher, sprungweiser. Je größer der Unterschied im Bau des Herbst- und Frühlingsholzes, desto plötzlicher ist dieser Sprung und desto schärfer grenzen sich die Jahrringe gegeneinander ab. Besonders scharf ist diese Grenze bei den Nadelhölzern, in denen das Herbstholz einen auffallend dichteren und dunkler ge- färbten Saum am Außenrande der Jahr- ringe bildet. Der Unterschied zwischen Frühlings- und Herbstholz beruht hier, wo die Fasertracheiden praktisch allein das ganze Holz zusammensetzen, nur auf einer ungleichen Ausbildung derselben (Fig. 166, S. 1267). Im Frühlingsholz sind sie ziemlich dünnwandig und von ungefähr quadra- tischem (Querschnitt oder selbst etwas in radialer Kichtung gestreckt, mit zahlreichen großen Hoftüpfeln; nach außen nimmt die Membrandicke allmählich zu, der radiale Zelldurchmesser ab, bis in den äußersten Herbstholzschichten die Tracheiden stark radial abgeplattet und ihre Lumina auf eine schmale tangentale Spalte reduziert sind. In den Frühlingselementen überwiegt also der Tracheidencharakter, während die Herbstelemente den Holzfasern viel näher stehen und für die Wasserleitung kaum in Betracht kommen können; das kommt auch in der geringen Größe und Zahl der Hof- tüpfel in den Herbstholztracheiden zum Ausdruck. Bei den Laubhölzern (Fig. 149, S. 1255) findet sich ebenfalls häufig die radiale Abplattung der am Schluß der Vegeta- tionsperiode gebildeten Elemente (ohne stärkere Membran verdickung); daneben ist es aber die ungleiche Verteilung der ver- schiedenen Gewebearten, welche die Bil- dung der Jahrringe bedingt. Das Frühlings- holz besteht ausschließlich oder vorwiegend aus Xylem, Tracheen finden sich nur hier oder erreichen doch hier den größten Durch- messer; bei der Eiche z. B. bilden die weiten Tracheen nur eine Keihe an der Innengrenze jedes Jahrringes. Weiter nach außen ist das (refäßsystem durch engere Tracheen oder nur durch Tracheiden vertreten, und das Gewebe (Gewebe der Pflanzen) 1271 dominierende Element bilden meist die Holzfasern. Im allgemeinen ist die Grenze der Jahrringe bei den Laubhölzern, nament- lich im mikroskopischen Bilde, weniger scharf markiert als bei den Nadelhölzern. Eines ist beiden Arten von Hölzern gemeinsam, nämlich die Konzentration der wasserleitenden Elemente im Frühlingsholz, welches vorwiegend aus diesen] besteht, und ihr Zurücktreten in den später erzeugten Partien des Jahrrings. Und das ist vom physiologischen Gesichtspunkt ver- ständlich. Im Frühjahr treiben in kurzer Zeit die Ivnospen aus und entwickeln sich rapid zu beblätterten Zweigen, wozu viel Wasser ver- braucht wird; und sind die Blätter entfaltet, so steigt der Wasserverbrauch noch infolge ihrer Transpiration. Beim Erwachen der Vegetation muß also vor allem für die Schaffung reichlicher Wasserbahnen gesorgt werden; die Gefäße der älteren Jahrringe genügen nicht mehr, denn sie stehen nicht in direkter Längsverbindung mit den diesjährigen Zweigen und Blättern, und um zu diesen zu gelangen, müßte das Wasser ältere Jahrringe in radialer Richtung durchsetzen, was zwar möglich ist, aber viel zu langsam geht; bei weitem die Hauptmasse des aufsteigenden Wasserstroms bewegt sich also im diesjährigen Frühlingsholz, dessen Gefäße sich direkt in die- jenigen der jungen Laubtriebe fortsetzen. Sind einmal genügende neue Wasserbahnen gebildet, um den Wasserverbrauch des entfalteten Laubes zu decken, so brauchen nicht mehr viel neue im Laufe des Jahres hinzuzukommen, denn dieTrans- spiration steigt im Sommer nicht mehr erheblich; jetzt kann der weitere Holzzuwachs in erster Linie dazu benutzt werden, die Festigkeit des Stammes entsprechend der jährlich steigenden Last der Krone zu vermehren, es wird also vorwiegend Festigungsgewebe gebildet. Die Grenze des Holzkörpers gegen das Kambium muß offenbar je nach der Jahres- zeit ein sehr verschiedenes Aussehen dar- bieten. Im Winter, während das Kambium untätig ist und jedes Wachstum ruht, grenzen an die zartwandigen Zellen der Kambiumzone nach innen unvermittelt die völlig ausgebildeten, mehr oder weniger dickwandigen Elemente des letzterzeugten Herbstholzes (Fig. 172, S. 1274); der Ueber- gang vom Holz zum Kambium ist ein ganz plötzlicher. Ist aber das Kambium in voller Tätigkeit, so liegen nach innen von ihm zunächst die noch im Wachstum begriffenen Jungholzzellen, dann folgen die schon aus- gewachsenen, aber noch nicht fertig differen- zierten Holzelemente, welche allmählich ihre Membran verdicken, und endlich das schon definitiv ausgebildete Holz; die Kambium- zone geht also allmählich und ohne scharfe Grenze in das Holz über (Fig. 167, S. 1268). Man kann demnach auf Grund eines Quer- schnitts durch die Grenzregion des Holzes gegen das Kambium mit Leichtigkeit fest- stellen, ob ein Baum im Winter oder während der Vegetationsperiode gefällt worden ist; und danach, wie weit die Ausbildung des äußersten Jahrringes fortgeschritten ist, läßt sich auch annähernd bestimmen, ob das im Frühjahr, Sommer oder Herbst ge- schehen ist. IV. Splint- und Kernholz. Wir sahen, daß es im wesentlichen der diesjährige Jahr- ring ist, welcher zur Wasserleitung dient. Je älter die Jahrringe, desto geringer ist ihre Beteiligung an dieser Funktion, und in alten Stämmen kommen die inneren Par- tien des Holzes für sie gar nicht mehr in Betracht. Auch zur Speicherung von Ke- servestoffen in den lebenden Elementen kann das Holz mit zunehmendem Alter immer weniger gebraucht werden, schon ■weil der Weg, welchen die Reservestoffe aus dem Bast in radialer Richtung zurückzu- legen haben, mit dem Durchmesser des Holzkörpers immer größer wird; schließlich kommt es dazu, daß alle vorhandenen Reservestoffe schon unterwegs abgelagert werden und zu den inneren Jahrringen keine mehr gelangen. Mit der Erschwerung des Zutrittes organischer Stoffe (und ebenso auch des Sauerstoffes) werden aber zugleich die Lebensbedingungen unterbunden, und so ist es unausbleiblich, daß die lebenden Zellen des Holzes früher oder später ab- sterben; damit ist das alte Holz definitiv funktionsunfähig geworden. Nur als festigen- des Material kann das Holz auch im Alter seine Bedeutung behalten, denn diese Funk- tion ist vom Leben unabhängig. So sind denn in Stämmen, Aesten und Wurzeln von einem gewissen Alter an nur die peri- pherischen Jahrringe des Holzes mehr oder weniger funktionsfähig, die übrigen sind tot; und in dem Maße wie das lebende Holz von außen zuwächst, stirbt es von innen her ab, so daß seine Dicke annähernd konstant bleibt. Bei verschiedenen Baumarten ist die Zone des lebenden Holzes sehr ver- schieden dick, sie umfaßt von einem Jahr- ring bis zu mehreren Zehnern von Jahr- ringen. Auch im selben Baumquerschnitt kann ihre Dicke lokal ungleich sein. Das Altern und Absterben des Holzes wird von gewissen Veränderungen in den Zellen begleitet, welche ihrerseits meist eine Aenderung der technischen Eigenschaften und auch der Färbung des Holzes zur Folge haben. In solchem Falle bezeichnet man das jüngere, lebende Holz als Splint, das alte tote als Kernholz. Der Splint hat die bekannte weißliche oder gelbliche ,, Holzfarbe", der Kern ist gewöhnlich dunkler und zwar meist braun, manchmal aber sehr auf- fallend gefärbt, z. B. orangerot bei der Erle, blutrot bei der Zypresse, dunkel violettrot beim Kampecheholz, dunkel blaugrün beim Guajak- holz, tiefschwarz beim Ebenholz. — Hölzer, welche beim Absterben keine sichtbaren Ver- änderungen erfahren und speziell die ursprüng- liche Farbe beibehalten (z. B. die Ahornarten) i nennt man Splinthölzer, 1272 Gewebe (G^e^^'ebe der Pflanzen) Die mikroskopischen Veränderungen, welche das Altern und Absterben begleiten, bestehen vor allem in der Auflösung der Stärke und son- stiger Inhaltstoffe der lebenden Holzzellen; aus diesen Stoffen gehen höchst wahrscheinlich die Farbstoffe und andere organische Stoffe hervor, welche die Membranen des Kernholzes infiltrieren und zum Teil auch die Lumina aus- füllen. Die Gefäße werden durch Thyllenbildung oder durch Ablagerung eines gummiartigen Stoffes im Lumen verstopft. Dazu kommt gewöhnlich, wohl als Folge der träge gewordenen Wasserströmung, eine Ablagerung von Mineral- salzen, unter denen meist Kalziumkarbonat oder Kieselsäure dominieren. Dank diesen Ver- änderungen \vird das Holz wasserärmer, sein spezifisches Gewicht und oft auch seine Härte und seine Widerstandsfähigkeit gegen Zersetzung durch Mikroorganismen nehmen zu ; das Kernholz ist daher meist technisch viel wertvoller als das Splintholz. Das trifft aber nicht immer zu. Es gibt Pflanzen, bei denen die Veränderungen eine andere Richtung einschlagen und das Kernholz nicht nur leicht und weich, technisch unbrauchbar bleibt, sondern sogar besonders leicht den An- griffen von Pilzen und Bakterien unterliegt; wird durch Astbruch oder sonstige Verletzungen eine Eintrittspforte für die Mikroorganismen geschaffen, so vermodert solches Kernholz schnell und der Baum wird hohl. So ist es bekanntlich bei den Weiden und manchen anderen Bäumen. Literatur. Th. Hartig, Vollständige Natur- geschichte der forstlichen Holzpßamen, 185]. — C. Sanio, Vergleichende Untersuchungen über die Zusammensetzung des Hohköriiers. Botanische Zeitimg, 1863. — Derselbe, Anatomie der ge- meinen Kiefer. Jahrbuch für wissenschaftliche Botanik, 9. — J. Möller, Beiträge zur ver- gleichenden Anatomie des Hohes. Denkschriften der Wiener Akademie, 36, 1876. — Ferner mehrere der in Kapitel 5 nnd 10 genannten Werke. 14. Bast, Periderm und Borke, L Die Gewebearten des Bastes und ihre An- ordnung. IL Nachträgliche Veränderungen im Bast. III. Peridermbildung. IV. Borkenbildung. I. Die Gewebearten des Bastes und ihre Anordnung. Der Bast oder die sekundäre Rinde nnterscheidet sich vom Holz auf den ersten Blick in auffallender Weise dadurch, daß sein gesamtes Gewebe unverholzt und — mit Ausnahme der Bastfasern — mehr oder weniger zartwandig ist. Nichtsdesto- weniger weisen die Gewebearten eine recht weitgehende Aehnlichkeit mit denen des Holzes auf, mit dem hauptsächlichen Unter- schiea, daß das wasserleitende Gefäßsystem des Holzes im Bast durch das ihm in mancher Hinsicht homologe, eiweißleitendeSiebröhren- system ersetzt ist. 1. Siebröhrensystem. Das Siebröhren- system besteht aus Siebröhren und (mit Aus- nahme der Gymnospermen) ihren Geleitzellen, über welche dem auf S. 1182 ff. Gesagten nichts hinzuzufügen ist. Die Siebröhren zeichnen sich oft (nicht immer) durch größeren Durchmesser unter den übrigen Elementen des Bastes aus und sind hieran wie an dem mäßig reich- lichen, meist stärkefreien Zellinhalt auch in Querschnitten zu erkennen; doch bleibt ihr Durchmesser in mäßigen Grenzen und ^vird auch nicht annähernd so groß, wie bei den weiten Tracheen des Holzes. Die Geleit- zellen hingegen sind eng und ganz von dichtem eiweißreichem Inhalt erfüllt, woran sie leicht kenntlich sind (Fig. 167, S. 1268, Fig. 172, S. 1274). 2. Fasersystem. Das Fasersystem des Bastes besteht aus Sklerenchymfasern, welche man zum Unterschied von den Holzfasern als Bastfasern bezeichnet. Ihre Membran ist in der Regel unverholzt oder doch nur schwach verholzt, aber meist erheblich stärker als bei den Holzfasern, bis fast zum Schwund des Lumens verdickt (vgl. die Figuren aui" S. 1273/4); sie enthält ebenfalls spärliche schräge schmal-spaltenförmige Tüpfel. Die Zellform ist die gleiche wie bei den Holz- fasern, nur werden die Bastfasern bei vielen Pflanzen länger als jene (bis zu mehreren mm lang). Die Bastfasern sind fast stets abgestorben, wie das bei der gewöhnlich extremen Membranverdickung auch kaum anders möglich ist. Die Funktion der Bastfasern ist zweifelhaft. Zur Festigung des Stammes gegen longitudinalen Druck sind sie wegen ihrer geschmeidigen Be- schaffenheitungeeignet; zu seiner Biegungsfestig- keit können sie nur in verschwindendem Maße beitragen, da ihreMenge gegenüber der Masse des Holzkörpers gar zu unbedeutend ist. Manche Autoren greifen daher zu der Annahme, daß die Bastfasern die zarten Elemente des Bastes gegen radialen Druck schützen. Uns erscheint auch diese Annahme unhaltbar, schon weil die Bast- fasern nie einen zusammenhängenden Hohl- zylinder bilden, sondern wenigstens durch die Markstrahlen in Stränge zerteilt sind, welche beim Eintreten eines hinreichenden radialen Druckes sich verschieben und auf die innen an- grenzenden weichen Bastelemente drücken müßten; daß damit für letztere kein Schutz gegeben wäre, liegt auf der Hand. 3. Parenchymatisches System. Das parenchymatische System ist durch das Bast - p ar e n c'h y m repräsentiert, welches bis auf die dünnere, unverholzte Membran mit dem Holz- parenchym übereinstimmt ; seltener findet sich eine Zellform, welche den Ersatzfasern des Holzes entspricht. An der Grenze gegeneinan- der und gegen das Markstrahlparenchym sind die Parenchymzellen mit einfachen Tüpfeln versehen, welche aber bei der geringeren Mem- branverdickung weniger auffällig sind als im Holzparenchym. Das Parenchym des Bastes kann etwas Chlorophyll enthalten. AVie im Holz, so speichert das Parenchym auch im Bast Stärke auf, und an deren Anwesenheit (jrewebe (Growebe der Pflanzen) 1273 kann es meist auch in Querschnitten leicht von den Siebröhren unterschieden werden. Bei niedriger Temperatur, also im Sp.ätherbst, verschwindet die Stärke, um bei wiederkehrender Wärme wieder regeneriert zu werden; sie geht, wenigstens zum größten Teil, in Zucker über. Die Bedeutung dieser Erscheinung dürfte darin zu suchen sein, daß durch die Steigerung des osmotischen Druckes im Zehsaftund Protoplasma für die Dauer des Winters der Gefrierpunkt erniedrigt und die Zellen widerstandsfähiger gegen Frost gemacht werden und zugleich die Transpiration während der Periode der mangeln- den Wasseraufnahme herabgesetzt wird. Die Speicherunc; von Reservestoffen ist aber im Bastparenchym wohl nur eine Neben- funktion. Seine Hauptfunktion ist in der Leitung der aus den Blättern kommenden gelösten Assimilationsprodukte (hauptsäch- lich Zucker) zu sehen. Daß diese Stoffe aus- schließlich im Bast sich abwärtsbewegen, ist sicher, und zum mindesten wahrschein- lich ist es, daß dies, wenigstens überwiegend, nicht in den Siebröhren, sondern im Bast- parenchym erfolgt. Gespeichert wird hier nur der Ueberschuß der Assimilate, die Hauptmenge wird teils für die Kambium- tätigkeit verbraucht, teils durch die Mark- strahlen in das Holz befördert und dort auf- gespeichert. Durch seine Beteiligung an dem Massentransport der Assimilations- produkte ist das Bastparenchym funktionell von dem Holzparenchym verschieden, und anatomisch drückt sich diese Verschieden- heit darin aus, daß das Bastparenchym zu kontinuierlichen Längsreihen angeordnet ist. Von den bisher genannten Bestandteilen des Bastes fehlen die Bastfasern bei vielen Pflanzen, das Siebröhrensystem und das Bastparenchym sind hingegen stets vor- handen, und zwar das letztere reichlich, auch da, wo im Holz das Parenchym nur spärlich vertreten ist. Siebröhren und Bast- parenchym bilden gemeinsam im Quer- schnitt zusammenhängende Gruppen, welche dem primären Phloem der Leitstränge ent- sprechen; diese Gruppen bilden das sekun- däre Phloem des Bastes, homolog mit dem sekundären Xylem des Holzes. Man faßt sie auch als Weichbast zusammen, im Gegensatz zum dickwandigen Hartbast (d. i. den Bastfasern). Weichbast und Hartbast bilden oft alter- nierende tangentale Bänder, welche durch die Markstrahlen unterbrochen und in Stränge zerteilt sind. Einen ganz besonders regel- mäßigen Bau hat der Bast bei den Cupressa- ceen (Fig. 170, 171), z. B. dem gemeinen Wacholder: hier folgt je eine Schicht von im Querschnitt rechteckigen, dick- wandigen Bastfasern auf je drei Schichten Weichbast, und von diesen besteht die mittlere aus Bastparenchym, die beiden anderen aus Siebröhren. "^So zierlich und regelmäßig ist die Anordnung der Bast- elemente bei den Dikotylen nie; die tan- gentalen Binden des Hartbastes sind hier mehrschichtig und meist von lokal wech- selnder Dicke, oft auch durch Weichbast Fig. 170. Querschnitt dun li dai Bast von Thuja occidentalis. 300/1. Je eine tangentale Schicht von dickwandigen Bastfasern (stellweise dm-ch einzelne unverdickte Fasern unterbrochen) wechselt mit je 3 Schichten von Weichbast ab. In diesen besteht die mittlere Schicht aus Bast- parenchym, die anderen aus Siebröhren. Zwei einschichtige Markstraliien verlaufen in radialer Richtung. Alle Kadialwände enthalten feinen Ivristallsand. unterbrochen; endlich können die Bastfasern auch in Strängen verschiedener Größe regellos im Weichbast eingebettet sein (Fig. 172 — 174). Die Stränge sowohl von Weichbast wie von Fig. 171. Radialschnitt durch den Bast des Wacholders ( J u n i p e r u s com m u n i s). 300/1. f Bastfasern, s Sieb- röhren, p Bastparenchym. In den Siebröhren Sieb- tüpfel, im Bastparenchym neben Stärkekörnern einige einfache Tüpfel in der Aufsicht, in den Bast- fasern Tüpfelkanäle im Durchschnitt sichtbar. Frei nach Dippel. S s P s f Hartbast hängen in der Längsrichtung unter- einander zusammen und bilden Netzwerke mit spitzen Maschen, durch welche die Markstrahlen hindurchtreten. Die netzförmig zusammenhängenden Stränge von Hartbast sind es, welche im gewöhnlichen Sprachgebrauch den Namen ,,Bast" führen, und welche wegen ihrer Festigkeit und Geschmeidig- keit zum Binden und Flechten verwendet werden. Wenn die abwechselnden Bänder von Weich- und Hartbast einigermaßen regelmäßig ausgebil- 1274 Grewelje (GeweV>e der Pflanzen) det und nicht zu dünn sind, so kommt im Bast eine auch makroskopisch sichtbare feine konzen- trische Schichtung zustande, welche etwas an die Jahrringe des Holzes erinnert. Es handelt sich hier aber in Wirklichkeit nicht um jährliche Zuwachsringe, denn es werden meist je mehrere abwechselnde Bänder von Weichbast und Hart- bast in. jeder Vegetationsperiode gebildet. 'OB, ^>^»P£i 2c ^. ^ hb Fig. die 17^ Querschnitt diuxh den Bast und äußere Holzschicht eines im Winter ge- schnittenen Zweiges des Weinstocks (Yitis vini- fera). 180/1. pm Rand eines breiten primären Markstrahles, sm ein schmälerer, sekundärer Markstrahl; die Markstrahlzellen führen im Holz reichlich, im Bast sehr spärlich Stärkekörner, c Kambiumzone. Im Holz: g Randpartie einer weitlumigen Trachee; t englumige Tracheen und Tracheiden des Herbstholzes, radial gereiht, kenntlich an den strichförmigen Tüpfelhöfen in ihren Wänden; die Tracheen und Tracheiden werden von Holzparenchym (mit punktiertem Inhalt) begleitet; hf Holzfasern. Im Bast: hb Bastfasern, wb Weichbast, bestehend aus Siebröhren (leer gelassen) mit Geleitzellen (Inhalt schraffiert), und Bastparenchym (mit feinkör- nigem Plasmaschlauch); am Rande der Mark- strahlen einzelne kristallführende Zellen. — Vgl. das Gesamtbild Fig. 150, S. 1255. 4. Markstrahlparenchym. Das Mark- strahlparenchym des Bastes unterscheidet sich von demjenigen des Holzes, dessen direkte Fortsetzung nach außen vom Kam- bium es bildet, nur durch die dünneren un- verholzten Zellmembranen und den oft an- sehnlichen Chlorophyllgehalt. Es hat auch die gleiche Funktion wie dort, nämlich die Stoffleitung in radialer Richtung, und da- neben, gleich dem Bastparenchym, die Speicherung von Stärke; diese wird auch hier für den "Winter in Zucker umgewandelt. Flg. 173. Bast der Kastanie ( C a s t a n e a v e s c a ). Querschnitt. 160/1. b Bastfasern, bp Weich- bast; p Kork. Nach Möller. y^k^ Fig. 174. Bast der L'lnic (L'lniiis effusa). Querschnitt. 160/1. b Bastfasergruppen, im Weichbast eingestreut; m Markstrahlen. Nach Möller. Bei gewissen Koniferen weist das Gewebe der Markstrahlen im Bast eine Differenzierung in liegende und stehende Zellen auf. Die letzteren nehmen gewöhnlich den oberen und unteren Rand des Markstrahls ein und bilden die Fort- setzung der Quertracheiden des Holzmarkstrahls, wo solche vorhanden sind (Fig. 175); sie sind stärkefrei aber eiweißreich, durch große Zell- kerne ausgezeichnet und durch Tüpfel mit den Siebröhren verbunden. Die Bedeutung der Er- scheinung ist also offenbar die gleiche wie bei der ähnlichen Differenzierung in den Holzmarkstrah- len mancher Dikotylen (S. 1265/6): die liegenden Zellen dienen dem Stofftransport in radialer Richtung, während die stehenden Zellen den Stoffaustausch zwischen ihnen und den Sieb- röhren vermitteln. Die stehenden Markstrahl- zellen vertreten gewissermaßen die bei den Gym- nospermen fehlenden Geleitzellen, denen sie in der Beschaffenheit ihres Inhalts gleichen. Ebenso wie die Geleitzellen anderer Pflanzen sterben sie gleichzeitig mit den Siebröhren ab und kollabieren. 5, Exkretbehälter. ' Während solche im Holz sich nur bei relativ wenigen Pflanzen Grewel)e (Gewel.e der Pflanzen) 1275 finden, sind im Bast Harzlücken, Milch- 1 mittel röhren usw. eine verbreitete Erscheinung. Ganz besonders häufig aber sind Kristalle von Calciumoxalat; diese finden sich meist Fig. 175. Radialschnitt durch die Grenze von Holz und Bast der Zwergkiefer (Pinus Pumilio), im Sommer geschnitten, ft Fasertracheiden, c Kam- bium und Jungzuwachs, sr Siebröhren mit Sieb- tüpfeln. Im Markstrahl : mt Quertracheiden, ml lebende Holzmarkstrahl- zeUen; me eiweißführende, ml' stärkeführende Bast- markstrahlzellen. Nach Haberlandt gegen Tierfraß sind. Infolge seiner peri- pherischen Lage und des Nährstoffreichtums seiner Gewebe ist der Bast den Angriffen tierischer Schädlinge besonders ausgesetzt und bedarf Li ® ,0 0 MS Gh ^'hn & ^ f^mx 0 0 0 F 3 ® ® © ^ 0 o 0 © (^ ® ® © 0 P i- mt .ß in großer Zahl, bald im Faszikularbast, bald in den Markstrahlen oder in beiden (Fig. 172, 173, 174); nur bei relativ wenigen Pflanzen fehlen sie ganz. Das Calciumoxalat tritt manchmal in Form von Drusen oder Ra- phidenbündeln auf; am meisten verbreitet sind aber im Bast Einzelkristalle, welche in besonderen kleinen Zellen liegen und diese fast ganz ausfüllen; namentlich werden die Bastfaserstränge oft von Längsreihen kurzer Kristallkammern begleitet, welche durch Querteilung der Jungbastzellen entstehen (Fig. 173; vgl. Fig. 102^ S. 1219). Bei vielen Koniferen ist das Calciumoxalat in Form kleiner Kriställchen der Membran eingelagert, und zwar meist in der Mittelschicht aller Kadialwände (Fig. 170). Im Zusammenhang mit den Exki'etbehältern ist der große Gerbstoffgehalt des Bastes zu er- wähnen,_ welcher bekanntlich bei manchen Bäumen' so hoch ist, daß ihre Rinde zum Gerben des Leders benutzt wird. Der Gerbstoff findet sich hier freilich nicht in besonderen Behältern, sondern ist diffus im ganzen Parenchym des Bastes vorhanden. Diffus verteilt sind auch die nicht selten vorkommenden Alkaloide (z. B. in den sogenannten Chinarinden der Cinchona- Arten) und andere Exkretstoffe, dank denen die Rinde so vieler Holzgewächse pharmazeu- tische Verwendung findet. Diese Konzentration verschiedener Exkret- stoffe gerade im Bast wird uns nicht Wunder nehmen, wenn wir berücksichtigen, daß diese Stoffe zugleich sehr wirksame chemische oder (Kalkoxalatkristalle) mechanische Schutz- eines solchen Schutzes in hohem Grade. Zugleidi mit dem Bast werden aber auch die nach innen von ihm liegenden Gewebe vor Tierfraß geschützt, namentlich auch das Kambium, welches ebenfalls reich an Nährstoffen ist, dabei aber sich durch besondere Zartheit auszeichnet und selber keine Exkrete enthält. Auf den Schutz des Kambiums kommt es w^ohl sogar in erster Linie an; denn ' solange das Kambium intakt ist, kann eine lokale Verletzung des Bastes bald durch Neu- ! bildung ausgeglichen werden; ist aber das Kam- bium lokal weggefressen, so bleibt an der be- treffenden Stelle die Bildung sowohl des Bastes wie des Holzes aus, bis durch einen komplizierten Ueberwallungsprozeß die Wunde geschlossen und das Kambium regeneriert wird. II. Nachträgliche Veränderungen im Bast. Wir haben schon früher betont, daß der einmal gebildete Bast infolge der be- ständigen Verdickung des Holzkörpers und der Einschiebung neuer Bastlagen schnell nach außen geschoben wird (vgl, Fig. 155 S. 1259). Die älteren Partien des Bastes unterliegen daher einer radialen Zusammen- drückung zwischen dem Holz und dem neu- gebildeten Bast einerseits und der primären Rinde nebst Epidermis andererseits, und zugleich einer stetig zunehmenden Dehnung in tangentaler Richtung, da ja der ur- sprüngliche Umfang der sukzessiven Bast- schichten um so kleiner war, ihr faktischer Umfang aber um so größer werden muß, je älter sie sind. Der Bast vermag der tangen- talen Dehnung zu folgen, dank der Fähigkeit 1276 Gewebe (Gewebe der Pflanzen) seiner parenchymatischen Gewebe zu wachsen und sich durch Teilung zu vermehren , — ein als Dilatation bezeichneter Vorgang. Die Dilatation erfolgt bei manchen Pflanzen, z. B. bei der Linde (Fig. 149, S. 1255), nur in den Markstrahlen, und zwar anfänglich nur in den breiteren, primären Markstrahlen. Man sieht daher diese an Querschnitten sich rapid und sehr stark nach außen verbreitern, wobei sowohl die Zahl wie der tangentale Durchmesser ihrer Zellen zunimmt. Die faszikularen Partien des Bastes hingegen bleiben zunächst unverändert und verschmälern sich nach außen; später werden sie durch die auch auf die sekundären Mark- strahlen übergreifende Dilatation in je mehrere zusammenneigende keilförmige Stücke zerlegt. So erhält der Bast ein sehr charakteristisches „flammiges" Aussehen, welches im Durchschnitt eines Lindenzweiges schon dem bloßen Auge auffällt. — Bei der Mehrzahl der Pflanzen beteiligt sich an der Dilatation auch das Bast- parenchym der faszikularen Partien; seine Zellen verbreitern sich tangental und vermehren sich, die Siebröhren und Bastfaserbündel werden dadurch auseinandergerückt, und so nehmen die älteren Bastzonen einen immer vorwiegender parenchymatischen Charakter an und sehen nach einigen Jahren ihrem ursprünglichen Zu- stand gar nicht mehr ähnlich. Sehr häufig ist mit diesen Vorgängen eine nachträgliche Sklerose von Parenchym- zellen verbunden. Einzelne Bastparenchym- zellen oder Markstrahlzellen, kleine Gruppen oder zu^v eilen selbst ganze Schichten der- selben verdicken mehr oder weniger be- trächtlich ihre Membran und verholzen, und verwandeln sich so in Steinzellen (Fig. 176). Diese bilden einen sehr häufigen Bestandteil Fig. 176. Viburnum Lantana, älterer Teil des Bastes. Querschnitt. 300/1. Mit Stein- zellen im Weichbast. Nach Möller. des Bastes, aber nur seiner älteren Zonen, denn sie entstehen frühestens im zweiten i Jahr durch die bezeichnete Metamorphose aus Zellen, welche bis dahin dünnwandige Bastparenchymzellen waren; nach außen, also mit steigendem Alter der Bastzonen, nimmt ihre Zahl meist stetig zu, und in manchen Pflanzen bilden sie die Hauptmasse des alten Bastes. Die Steinzellen können die ursprüngliche Form der Bastparenchym- zelle beibehalten; oft geht aber der Sklerose ein erhebliches Breitenwachstum, zuweilen auch eine unregelmäßige Verzweigung der betreffenden Parenchymzelle voraus, und man findet alsdann einzelne sehr große und j eventuell eigenartig geformte Steinzellen im Bast eingestreut. Diese Produktion von Steinzellen, welche hier keine festigende Bedeutung haben können, ist als eines der mannigfaltigen Mittel zum Schutz des Bastes und Kambiums gegen Tierfraß anzusehen. Die übrigen, nicht wachstumsfähigen Bast- elemente verhalten sich bei der Dilatation ganz passiv. Die Siebröhren nebst Geleit- zellen, welche meist schon nach der ersten Vegetationsperiode abgestorben sind, wer- den tangental gedehnt und radial zusammen- gedrückt, bis ihr Lumen ganz geschwunden ist. Wenn sie sich einzeln zwischen Par- enchym befinden, so werden sie dabei ganz unkenntlich; wo sie aber größere Gruppen bilden, verwandeln sich diese in eine homo- gene knorpelartige, nur aus den zusammen- gepreßten Membranen bestehende Masse, welche man Hornbast genannt hat. Ein gleiches Schicksal erfahren Milchröhren und andere Exkretbehälter, mit Ausnahme der Kjistallbehälter, welche dank den sie aus- füllenden harten Ivristallen sich nicht zer- drücken lassen und daher unverändert bleiben. Die Bildung von Calciumoxalatlvristallen pflegt übrigens während des Dilatationsvor- ganges noch stetig fortzuschreiten. Unverändert bleiben natürlich auch die dickwandigen Bastfasern. Wo sie aber aus- gedehntere tangentale Bänder bilden, werden diese, da sie dem Wachstum des Bastpar- enchyms nicht folgen können, schließlich durch die zunehmende Dehnung gesprengt und zer- fallen in kleinere Bündel. In die entstehen- den Lücken zwischen den Bastfasern wachsen alsbald die angrenzenden Parenchymzellen hinein, füllen dieselben aus und tragen durch ihr Wachstum zur weiteren Zerklüftung der Bastfasermassen bei. Oft ist aber auch der Erfolg ein anderer; die Parenchymzellen, welche zwischen die Bastfasern eingedrungen sind, unterliegen nämlich der oben be- sprochenen Sklerose, und die entstandenen Lücken im Hartbast werden durch Stein- zellen gewissermaßen wieder zugemauert. So entstehen gemischte, aus langen engen Bastfasern und kurzen breiteren Steinzellen zusammengesetzte Sklerenchymbänder (Fig. 177, S. 1278). III. Peridermbildung. Bevor wir das Schicksal des alten Bastes weiter verfolgen, müssen wir eine Abschweifung zu den außen Gewebe (Gewebe der Pflanzen) 1277 von ihm liegenden Geweben machen. Die primäre Rincle nnterliegt mit znnehmendem Dickenwachstum den gleichen Einwirkungen von radialem Druck und tangentalem Zug wie die äußeren Bastzonen, und folgt ihnen ebenfalls durch Dilatationswachstum ihres lebenden Parenchyms; die Erscheinungen der nachträglichen Sklerose von Parenchym- zellen, der Kompression nicht wachstums- fähiger weicher Elemente, der Sprengung des Sklerenchymringes, welcher häufig an der Grenze des Zentralzylinders gegen die primäre Rinde vorhanden ist, finden sich auch hier. Auch die Epidermis kann durch Dilatation ihren Umfang vergrößern, und es gibt Holz- pflanzen, bei denen dies jähre- oder selbst jahrzehntelang geschieht (Vis cum, Ilex- Arten, Acer striatum); dies läßt sich äußer- lich daran erkennen, daß Stamm und Zweige grün bleiben, da die Epidermis lichtdurch- lässig ist und die Farbe des Chlorophylls der Rinde durchscheinen läßt. Das sind aber ganz seltene Ausnahmen. Bei fast allen Holzgewächsen wird die Epidermis der Stengel und Zweige schon im ersten Jahr, nach Abschluß des Längenwachstums der Internodien, in Mitteleuropa gewöhnlich zwischen Ende Mai und Ende Juli, durch Periderm ersetzt, was zur Folge hat, daß die grüne Farbe des Organs einer anderen, meist grauen bis braunen, weicht. Entstehung, Bau und Eigenschaften des Periderms sind schon im Kapitel 4 (S. 1172 ff.) besprochen worden, und wir bringen hier nur in Erinnerung, daß Periderm die zu- sammenfassende Bezeichnung für das Phel- logen und alle Produkte seiner Tätigkeit ist, also Kork (eventuell nebst Phelloid) und Phelloderm. Bezüglich Phelloderm und Phelloid, welche uns hier nicht weiter inter- essieren, sei auf S, 1172 und 1174 (Anmerkung) verwiesen. Nach dem Ort seiner Entstehung unter- scheidet man oberflächliches und inneres Periderm. Das oberflächliche Periderm, welches den Stengelorganen der meisten Holzpflanzen zukommt, entsteht manchmal in der Epidermis selbst (z. B. bei den Weiden), viel häufiger in der subepidermalen Zell- schicht oder, wenn diese aus verdickten, nicht teilungsfähigen Zellen besteht, in der nächstinneren Zellschicht. Die Epidermis bedeckt das Periderm zunächst von außen, sie stirbt aber alsbald ab, und da sie nun .der weiteren Dehnung nicht durch Wachs- tum folgen kann, wird sie gesprengt (wie in Figur 149, S. 1255, an einer Stelle zu sehen ist und mit der Zeit abgeworfen. — Das innere Periderm, welches sich bei den Stengelorganen der Cupressaceen (z. B. dem Wacholder), Ribes, Lonicera, Vitis u. a. sowie bei fast allen in die Dicke wach- senden Wurzeln findet, entsteht in einer tieferen Rindenschicht, den Leitsträngen mehr oder weniger genähert, manchmal in der direkt an das Phloem angrenzenden Zell- schicht, innen von den Sklerenchymbelegen resp. dem Sklerenchymring (Fig. 150, S.1255); in den Wurzeln bildet es sich stets im Peri- zykel. Alles nach außen vom Periderm be- findliche Gewebe, also die ganze primäre Rinde oder ein großer Teil derselben, stirbt aus bald anzuführenden Gründen ab und wird mit der Zeit abgestoßen, so daß das Periderm an die Oberfläche des Organs kommt. Uebergäiige zwischen oberflächlicher und innerer Peridermbildung finden sich bei manchen j kantigen oder gefurchten Stengeln; hier entsteht I das Periderm unter den Furchen subepidermal j oder überhaupt nahe der Peripherie, unter den I Kanten aber in der Tiefe der Rinde; die Kanten werden also bald abgeworfen und der Stengel 'rundet sich ab. I Das einmal gebildete Phellogen bleibt bei den Holzgewächsen meist jahrelang, oft jahrzehntelang tätig; nach Maßgabe der zu- nehmenden Dicke des Organs vergrößert es, ebenso wie das Kambium, seinen Umfang durch Wachstum in tangentaler Richtung und vermehrt die Zahl seiner Zellen durch ab und zu stattfindende Radialteilungen (wes- halb auch in dem produzierten Kork die Zahl der Radialreihen mit dem Alter zunimmt). Die gewebebildende Tätigkeit des Phel- logens ist aber bei der großen Mehrzahl der Pflanzen nicht nur viel geringer als beim Kambium, sondern auch absolut sehr schwach; sie beschränkt sich auf die Pro- duktion einiger, zuweilen (z. B. bei den Wei- den) nur einer Schicht von Korkzellen jährlich. Die älteren, äußeren Korkschichten folgen dem Dickenwachstum des Organs relativ lange Zeit durch passive Dehnung; schließlich wird aber ihre Festigkeitsgrenze überschritten, sie reißen und schilfern ab. So werden in dem Maße, wie neue Kork- schichten von innen hinzukommen, die äußeren eine nach der anderen abgestoßen; der Kork nimmt also nicht oder kaum an Dicke zu und bildet dauernd nur ein dünnes, aus wenigen Zellschichten bestehendes Häut- chen, Die mit solcher Korkhaut ver- sehenen Organe behalten, so lange keine weiteren Veränderungen eintreten, eine glatte Oberfläche. — Zuweilen, z. B. bei der Birke, wird die Tätigkeit des Phellogens nach den ersten paar Jahren intensiver, so daß die Korkhaut einige Millimeter Dicke erreicht. Auch hier blättert sie bekanntlich von außen allmählich in feinen Blättchen ab, diese bestehen aber nicht aus einzelnen, sondern aus je mehreren Zellschichten. Viel seltener ist die Korkproduktion so massig, daß mächtige K 0 r k k r u s t e n zustan de 1278 Gewebe (Crewebe der Pflanzen) kommen, welche bis zu mehreren Zentimetern Aeste immer ihr glattes weißes Oberflächen- Dicke erreichen können; solche bestehen periderm behalten, — Auch bei den holzigen immer aus relativ geräumigen, zartwandigen Wurzeln wird mit der Zeit eine Borke ge- Korkzellen. So ist es bei den Korkeichen bildet, welche derjenigen des Stammes und (Q u er cu s s üb er und einigen anderen Arten, der Aeste derselben Pflanze ähnlich be- welche den Flaschenkork liefern), der Kork- schaffen ist. ulme (Fig. 36, S, 1172) und noch einigen Die Entstehung der Borke ist die Folge weiteren Pflanzen. Diese Korkkrusten einer fortschreitenden Bildung neuer, innerer blättern nicht gleichmäßig unter Bei- Peridermlamellen. Alles lebende Gewebe, behaltung einer glatten Oberfläche ab, wie welches nach außen von einer solchen die Korkhäute, sondern reißen infolge des Peridermlamelle liegt, stirbt alsbald ab, da Dickenwachstums von außen durch un- ihm durch die undurchlässige Korkschicht regelmäßige, allmählich an Zahl und Tiefe die Zufuhr der Nährstoffe und des Wassers zunehmende Längsrisse auf. i abgeschnitten ist. Die Borke ist also ein IV. Borkenbildung. Nur bei wenigen gemischter toter Gewebekomplex, bestehend Holzpflanzen (z. B. bei der Buche) bleibt aus Schichten abgestorbenen Kindenge- es bei der einmaligen Peridermbildung; die webes, welche zwischen je zweien ebenfalls erstgebildete Korkhaut bleibt dauernd er- toten Korkschichten eingeschlossen sind, halten, und Stamm und Aeste behalten zeit- Die Art und Weise der Bildung der Borke lebens ihre glatte Oberfläche. Bei den übrigen und ihre Beschaffenheit ist verschieden je Holzpflanzen wird früher oder später das nach der Lage des ursprünglichen, ersten ursprüngliche Oberflächenperiderm durch Periderms. Borke ersetzt, und die Kinde nimmt, auch Ist das erste Periderm oberflächlich, so wenn sie anfänglich eine glatte Oberfläche haben die folgenden, in dem Kindengewebe hatte, die bekannte rauhe, meist rissige entstehenden Peridermlamellen eine be- Beschaffenheit an. Diese Veränderung be- schränkte Flächenausdehnung und schließen ginnt meist schon nach einigen Jahren, manch- mit ihrem Kande an das Oberflächenperiderm mal aber erst in höherem Alter der Stämme, an; sie schneiden aus der Rinde je eine flache, bei der Eiche z. B. im 25- bis 35-sten, bei aus einer beschränkten Zahl von Zellschichten der Edeltanne erst gegen das 50-ste Lebens- bestehende, unregelmäßig konturierte jähr, und bei der Birke bleibt die Borken- Schuppe heraus. Dies geschieht zunächst bildung auf den unteren Teil des Stammes regellos an verschiedenen Stellen des Um- beschränkt, während der obere Teil und die fanges, bis die ganze Oberfläche mit solchen Borkenschuppen bedeckt ist. Der Prozeß geht dann in gleicher Weise weiter, wobei die Känder der neugebildeten Periderm- lamellen an die jeweilig nächsten äußeren Peri- dermlamellen ansetzen. So wird aus dem lebenden Kindengewebe ein Stück nach dem anderen heraus- geschnitten und in^, eine Borkenschuppe verwandelt; bald ist die ganze primäre Rinde auf diese Weise ent- fernt, und der Prozeß greift nun auf den |Bast über. Diese Abart dei Borke, welche am meisten verbreitet ist, heißt Schup- penborke (Fig. 177). Da die Borke aus- schließlich aus toten Gei- weben besteht, ?o vermag' sie der Zunahme des Organumfanges nicht zu Fig. 177. Querschnitt durch die Borke der Eiche (Quercus ?olf " ""(J jhre älteren, sessiliflora). 35/L p Korkschichteii, f Bastfasern, s Stein- äußeren Partien müssen Zellen, g ein aus Bastfasern und Steinzellen gemischter Streif. entweder abblättern oder Nach Kny, zerreißen. Welches von Gewebe (Gewebe der Pflanzen) 1279 beiden geschieht, das hängt von den mechanischen Eigenschaften der Kork- lamellen ab. Ein exquisites Beispiel für das Abblättern der Schuppen borke bietet die Platane. Hier bestehen die Korklamellen aus einigen äußeren dünnwandigen und einigen inneren dickwandigen Zellschichten; an der Grenze beider erfolgt sehr leicht ein Zerreißen der dünnen Radialwände, und die Borkenschuppen lösen sich einzeln ab, bevor noch unter ihnen neue Borkenschuppen ge- bildet sind. Daher die charakteristische Buntscheckigkeit der Platanenstämme, weil die durch Ablösung einer Borkenschuppe frisch entblößte Oberfläche viel heller ist als die alten, noch anhaftenden Schuppen. Aehnlich verhält sich die Sache in den jüngeren Stammteilen und Aesten der ge- meinen Kiefer (P i n u s s i 1 v e s t r i s), doch mit dem Unterschied, daß die Ablösung der Schuppen (welche hier kleiner, dünner und rötlich gefärbt sind) später erfolgt, nach- dem sich unter ihnen schon mehrere weitere Schuppen gebildet haben; die Rinde bleibt also hier ringsum gleichmäßig mit mehreren Schichten von Borkenschuppen bedeckt, die sich außen sukzessive ablösen, während von innen neue hinzukommen. In der Mehrzahl der Fälle, auch bei der gemeinen Kiefer in höherem Alter, sind die Peridermlamellen widerstandsfähiger und es findet keine Ablösung von ganzen Borken- schuppen statt, sondern nur eine langsame Abnutzung der Borkenoberfläche durch Reibung und atmosphärische Einflüsse. Die Borke nimmt daher allmählich an Dicke zu und kann einen Durchmesser von mehreren Zentimetern erreichen. Im Durchschnitt sieht man leicht die Zusammensetzung der Borke aus zahlreichen Schichten von flachen, fest miteinander verbundenen Schuppen, welche durch dünne hellere Korklamellen vonein- ander abgegrenzt sind. Das Dickenwachs- tum des Organs führt hier aber zu einer Zer- spaltung der Borkenoberfläche durch un- regelmäßig anastomosierende Längsrisse, welche mit Zunahme des Umfanges und der Dicke der Borke immer zahlreicher, breiter und tiefer werden. Dieses ist das häufigste Verhalten; es ist das bekannte Bild, welches uns die Eichenstämme und überhaupt die älteren Stämme und Aeste der meisten Bäume bei äußerlicher Betrachtung dar- bieten. Verfolgt man den Uebergang von dem glatten zum rissigen Zustand der Ober- fläche eines Stammes, welcher sich natürlich ganz allmählich vollzieht, so zeigt sich, daß das Aufreißen an den Lenticellen beginnt, welche poröse, also leichter zerreißbare Stellen in dem Oberflächenperiderm sind, und sich von hier aus allmählich nach oben und unten ausbreitet; an Stämmen ge- eigneten x\lters hat man in verschiedener Höhe alle Stadien dieses Vorganges sehr schön nebeneinander. Wenn das erste Periderm ein inneres ist, so wird durch dasselbe von vornherein eine zu- sammenhängende Borkenschicht abge- schnitten, welche den ganzen Pflanzenteil mantelförmig umhüllt. Auch die folgenden Peridermlamellen haben in diesem Fall die Form in sich geschlossener, das ganze ' Organ umgreifender Zylinderflächen, welche [ einander nirgends berühren; auch sie schnei- den also von dem Rindengewebe nicht begrenzte kleine Schuppen, sondern ganze konzentrische Zylindermäntel ab, und^es bildet sich sogenannte Ringborke. Jede neue Borkenschicht bildet ursprünglich eine zusammenhängende Hülle um das ganz^ Or- gan ; bald erhält sie aber infolge des Dicken- wachstums unregelmäßige Längsrisse und ; wird allmählich mehr und mehr in eine Anzahl von einzelnen Längssträhnen zer- spalten, die nur noch hier und da mitein- ander zusammenhängen und schließlich sich ganz loslösen. So ist es z. B. bei Wacholder, Zypresse, Weinstock. In besonders regelmäßiger Weise erfolgt die Ringborkenbikhing bei der letztgenannten ! Pflanze: gegen Ende jeder Vegetationsperiode j entsteht eine ringförmige Peridermlamelle, durch welche im ersten Jahr die ganze primäre I Rinde, in jedem folgenden Jahr (Ter ganze vor- ! jährige Bast abgeschnitten wird, so daß im Winter immer nur die im letzten Jahr gebiklete Bastzone noch am Leben ist (Fig. 150, S. 1255). Funktionell ist die Borke ein zusammen- gesetztes Hautgewebe, welches die von ihr bedeckten Organe in verschiedener Hinsicht gegen äußere Unbilden schützt. Wenn schon eine einfache Korkhaut ein für aus- dauernde Organe vollkommeneres Haut- gewebe darstellt als die Epidermis (vgl. S.1174), so gilt das noch in höherem Maße von der Borke und ganz besonders von der dicken, nicht abblätternden Schuppenborke, welche I bei Bäumen die häufigste ist. Sie hat alle I Eigenschaften einer Korkhaut, aber in ver- stärktem Grade, da sie ja zahlreiche Kork- I häute in sich einschließt; und die abge- j storbenen Partien von Rindengewebe, welche zwischen den Korklamellen liegen, tragen noch erheblich dazu bei sowohl die Durch- lässigkeit für Wasser wie die Wärmeleitungs- fähigkeit herabzusetzen. Die Borke bietet daher einen ganz vorzüglichen Schutz sowohl gegen Austrocknung wie gegen Temperatur- schwankungen, insbesondere gegen das Er- frieren im Winter, indem dank ihr die Tem- peratur der lebenden inneren Gewebe nur ganz langsam abnimmt; man kann die Borke den warmen Pelz der Bäume nennen. Dazu kommt noch, daß das tote Rinden- gewebe der Borke reich an Stoffen ist, welche als Schutzmittel gegen Tierfraß wirken, namentlich an Gerbstoffen und ihren 12 so Gewebe ((lewebe der Pflanzen) dunkelfarbigen Umwandlungsprodukten, den Phlobaphenen, von denen die meist dunkelbraune Farbe der Borkenschuppen herrührt. Werfen wir noch einen Rückblick auf die Bedeutung der besprochenen Vorgänge für den Bast. Wir sahen, daß die Bildung innerer Peridermlamellen früher oder später auf den Bast übergreift und die Umwandlung seiner äußeren Partien in tote Borke zur Folge hat. Von einem gewissen Alter des Organs an nimmt daher der Bast nicht mehr an Dicke zu, denn in dem Maße, wie er durch die Kambiumtätigkeit von innen zu- wächst, nimmt er außen durch Borken- bildung ab. Die lebende Bastzone ist je nach der Pflanze bald breiter, bald schmäler, doch selten mehr als ein paar Millimeter breit; manchmal umfaßt sie nur den im letzten Jahr produzierten Bast, welcher übrigens, wegen des baldigen x\bsterbens der Siebröhren, allgemein der einzige voll funktionierende Teil des Bastes ist. Dieses Verhalten des Bastes entspricht in gewisser Hinsicht ganz demjenigen des Holzkörpers, welcher durch Kernholzbildung allmählich von innen her abstirbt, so daß nur seine jüngere, äußere Zone, oft nur einen bis wenige äußerste Jahrringe um- fassend, funktionsfähig ist. So sehen wir denn, daß die stetige Dickenzunahme der holzigen Pflanzenteile gewissermaßen nur eine scheinbare ist: lebend und tätig ist nur die jüngste Zone zu beiden Seiten des Kambiumringes; die Dicke dieser Ringzone bleibt von einem gewissen Alter an unver- ändert, und nur ihr Umfang vergrößert sich von Jahr zu Jahr, entsprechend der zu- nehmenden Größe der Krone und ihrer Laubmasse. Literatur. J. Hanstein, Untersuchungen über den Bau und die Entwickelung der Baumrinde, 1853. — J. Möller, Anatomie der Baiimrinden, 1882. — H. Mohl, Untersuchungen über die Entwickelung des Korkes und der Borke, in Vermischte Schriften, I845. — Ferner mehrere der im Kapitel 4, 5, lo, 13 genannten Werke. 15. Das atypische Dickenwachstum. I. Einleitendes. II. Ausgewählte Beispiele. III. Komplizierende Begleiterscheinungen. I. Einleitendes. So einförmig der Modus des sekundären Dickenwachstums in seinen Hauptzügen bei der enormen Mehr- zahl der Pflanzen ist, so viel Mannigfaltigkeit herrscht unter den relativ wenigen, aber absolut doch ziemlich zahlreichen Fällen, in denen das Dickenwachstum von dem ge- wöhnlichen Typus abweicht. Das Haupt- kontingent stellen zu dieser Kategorie die holzigen Lianen (obwohl viele unter ihnen dem normalen Typus des Dickenwachstums folgen), und hier ist auch die Mannigfaltigkeit am größten. Die bei ihnen vorkommenden Abweichungen vom Typus führen, obwohl auf sehr verschiedenen Wegen, doch ifast stets zu einem in gewisser Hinsicht ähnlichen Resultat, nämlich zu einer Stammstruktur, welche zug- fest, aber zugleich biegsam und torsionsfähig ist; die Stämme von Kletterpflanzen bedürfen nämlich, da sie sich nicht selbständig aufrecht zu halten brauchen, weder der Biegungs- festigkeit noch der Festigkeit gegen longi- tudinalen Druck, dagegen kommt alles darauf an, daß diese langen und verhältnis- mäßig sehr dünnen Stengelorgane bei den Biegungen und Drehungen, denen sie in der Natur ausgesetzt sind, weder reißen noch brechen. Hierfür ist es von Nutzen, daß der Holzkörper nicht eine einheitliche steife Masse bilde, sondern durch weiches ge- schmeidiges Gewebe in eine Anzahl von Strängen oder dünneren Teil-Holzkörpern zerlegt sei, die möglichst nur in der Längs- richtung miteinander anastomosieren. Dies ist in gewissem Grade schon dann realisiert, wenn die faszikularen Partien des Holzes durch breite Markstrahlen in der ganzen Höhe der langen Internodien voneinander getrennt sind. Ist das Markstrahlgewebe dabei verholzt, so liegt freilich dennoch ein kompakter Holzkörper vor, und diesen Fall rechnen wir noch zum typischen Dicken- wachstum; wenn aber das Markstrahlgewebe ; unverholzt, also weich bleibt, so ist das bereits einer der „Lianentypen", der aber von dem gewöhnlichen Typus der Stamm- struktur nur unbedeutend abweicht. Einen ökologisch verschiedenen Typus re- präsentieren viele fleischige, rübenförmige Wurzeln und Knollen, welche als Reserve- I Stoffspeicher funktionieren ; diese brauchen I nicht fest gebaut zu sein, dagegen müssen sie möglichst viel Speichergewebe mit ge- räumigen Zellen und leicht permeablen zarten Membranen enthalten, in welchem Stärke, Zucker, fettes Oel usw. und daneben auch Wasser aufgehäuft werden kann. Dies kann freilich auf dem Wege erreicht werden, daß das sekundäre Dickenwachstum schwach bleibt oder ganz ausbleibt, während das Grundgewebe des Markes oder der primären Rinde oder beider mächtig ausgebildet ist, und so ist es auch tatsächlich vielfach, z. B. bei der Kartoffelknolle. In anderen Fällen aber sind es gerade die eigenartig ausge- bildeten Produkte des sekundären Dicken- wachstums, welche die Speicherfunktion übernehmen. So wirft der ökologische Gesichtspunkt zwar einiges Licht auf die Abweichungen von dem gewöhnlichen Typus des Dickenwachs- tums, aber nur in den allgemeinsten Zügen; die einzelnen vorkommenden Abweichungen Gewebe (Gewebe der Pflanzen) 1281 ökologisch deuten zu wollen, wäre ein ver- gebliches Unterfangen. Ist doch schon die Existenz der Abweichungen überhaupt vom Nützlichkeitsstandpunkt nicht erklärbar, da der prinzipiell gleiche Nützlichkeitseffekt auch ohne sie erreichbar ist. So kann es denn nicht Wunder nehmen, daß es auch Fälle atypischen Dickenwachstums gibt, welche zu keiner der beiden oben besprochenen ökologischen Kategorien gehören und einer ökologischen Bedeutung wohl gänzlich ent- behren . Es ist hier natürlich nicht angebracht, die ganze Legion der bekannt gewordenen Ano- malien des Dickenwachstums Revue pas- sieren zu lassen. Wir beschränken uns auf Betrachtung einiger ausgewählter Beispiele, um von den Hauptrichtungen, in denen sich die Abweichungen vom Typus be- wegen können, eine Vorstellung zu geben; wir beginnen mit den einfachsten, vom Typus am wenigsten abweichenden Fällen und gehen sukzessive zu den wesentlicheren Abweichungen über. II, Ausgewählte Beispiele. 1. Typischer Kambiumi-ing mit normaler Tätigkeit, aber das Holz besteht vorwiegend aus dünnwandigem unverholztemParenchym, welches ein lufthaltiges InterzeUuIarsystem enthält; nur durch seine Anordnung in Radiaheihen pflegt dieses Gewebe seine Herkunft vom Kambium 1 zu verraten. In diese Grundmasse sind stellweise Gruppen von sekundärem Xylem, aus einigen Gefäßen und verholztem Parenchym bestehend, eingestreut (Fig. 178), welche in der Längsrichtung zu einem Netzwerk von Strängen zusammen- hängen; manchmal finden sich daneben isolierte Gruppen von Holzfasern, auch Exkretbehälter können eingestreut sein. Der Bau des Bastes : ist dem des Holzes mutatis mutandis ganz ähnlich. — Dieser Typus findet sich bei einigen wenigen Bäumen, welche sich durch weiches, saftiges Holz auszeichnen (z. B. bei dem Melonenbaum, Carica Papaya), ferner bei einigen Lianen, besonders aber bei vielen fleischigen Wurzeln; als Beispiel kann R a p h an u s s a t i v u s (Rettig und Radies - chen) dienen. Bei manchen Wurzeln, z. B. bei der fleischigen Kulturform der Möhre (Daucus Carota), kommt noch die weitere Anomalie hinzu, daß Bast in größerer Menge produziert wird als Holz; das letztere pflegt in solchen Fällen eine merklich festere Konsistenz zu haben als der Bast, woran 1 es bei der Möhrenw-urzel neben seiner helleren Farbe schon makroskopisch unterschieden werden kann. 2. Typus der Bignoniaceen-Lianen. Kambium mit normaler Tätigkeit und normalen Produkten, aber an vier einander ki'euzweis gegenüber- liegenden schmalen Stellen produziert es viel weniger Holz und dafür viel mehr Bast als sonst. Der Holzkörper ist daher mit vier tiefen Längs- fmchen versehen, welche von Vorsprüngen des Bastes ausgefüllt sind (Fig. 179), und der Kam- Fig. 179. Bignonia capreolata, Querschnitt eines älteren Stam- mes. 1/1. Die schraffierte Rinde besteht aus einer dünnen Borke und Bast. Die dunkler gezeich- neten Ringe im Holz (Jahr- ringe?) sind Zonen von dicht ge- stellten großen Gefäßen. o biumring ist in acht getrennte Abschnitte zer- fallen, von denen vier breitere der Peripherie, vier schmälere der Achse des Stengels genähert sind. Bei manchen Gattungen verbreitern sich die Furchen stufenweise nach außen (Fig. 180), Fig. 178. Querschnitt durch (Ue fleischige Wurzel der Tohkirsche (Atropa Belladonna). R Bast, C Kambiumzone; das Uebrige ist wei- ches parenchymatisches Holz mit eingestreuten { Fig. Xylemmseln; G Gefäße. Nach Tschirch. i Handwörterbuch der Naturwissenschaften. Band IV. 180. Stammquerschnitt von Bignonia spec. Nach Frank. 81 1282 Gewebe (Geweihe der Pflanzen) weil an ihren Rändern weitere schmale Kam- biumstreifen ebenfalls vorwiegend Bast zu bilden beginnnen. Endlich können periodisch neue, weniger tief in den Holzkörper eindringende Fur- chen hinzukommen, indem von Zeit zu Zeit neue Kambiumstreifen anfangen eine anormale Tätigkeit zu entwickeln (Fig. 180); so wird der Holzkörper allmählich immer mehr zerspalten und erhält eine kompliziert gelappte Form. 3. Polystelischer Typus (Sapindaceen-Lianen). Kambiumtätigkeit uiid ihre Produkte typisch, aber das Kambium bildet von vornherein nicht einen, sondern mehrere nebeneinanderliegende Ringe (Stelen). Schon im primären Zustand der Internodien sind die Leitstränge zu einem unregelmäßigen, mit sehr tiefen Ausbuchtungen versehenen "Kreis angeordnet; das Kambium folgt bei seiner Entstehung diesen Ausbuchtungen nicht, sondern jede derselben erhält einen be- sonderen geschlossenen Nebenring von Kambium. Indem nun jeder Kambiumring in normaler Weise nach seinem Zentrum hin Holz, nach seiner Peripherie hin Bast bildet, entstehen mehrere Holzkörper von meist ungleichem Durchmesser, die voneinander vollkommen durch Streifen von Grundgewebe und Bast getrennt sind. Diese Holzkörper sind von einer gemeinsamen Rindenschicht umgeben, der Stamm ist also äußerlich einheitlich, nur oft mit Längswulsten und Furchen versehen. Das Querschnittsbild ändert sich vielfach mit wechselnder Höhe (Fig. 181), da einzelne Holzkörper hier und da Fig. 181. Querschnitte desselben Stammes von Serjania paniculata, in verschiedener Höhe. Nach Frank. miteinander verschmelzen und sich weiter- in anderer Anordnung wieder abtrennen. 4. Das normale Kambium ist nur kurze Zeit tätig oder kommt überhaupt nicht zur Aus- bildung. Statt seiner entsteht ein parenchyma- tischer Verdickungsring außerhalb der primären Stränge, durch tangentale Teilungen in einer der innersten Schichten der primären Rinde oder in den äußersten parenchymatischen Schichten des Zentralzylinders (dem Perizj'kel). Dieser Verdickungsring bleibt dauernd tätig und pro- duziert neues, sekundäres Gewebe in ähnlicher Weise wie der Kambiumring, aber nur nach innen (nach außen allenfalls wenige Zellschichten). In dem Jungzuwachs entstehen durch Längs- teilungen einzelner Zellreihen Desmogenstränge, welche sich zu sekundären Leitsträngen ent- wickeln; die übrigen Zellen des Jungzuwachses gehen ohne Teilung direkt in den Dauerzustand über und bilden ein sekundäres Grundgewebe oder Zwischengewebe, in welches die sekundären Leitstränge eingebettet sind. Dieser, von dem typischen schon stark ab- weichende Modus des Dickenwachstums findet sich erstens in den Stengelorganen vieler Cheno- podiaceen, Amarantaceen und einiger ver- wandter Dikotylen -Familien; es sind das meist krautige Pflanzen (darunter einige unserer ge- meinsten Unkräuter). Sträucher oder Bäume, nur wenige Lianen. Die sekundären Leitstränge, welche ja nach der Lebensdauer des Organs in geringer bis großer Menge gebildet werden und ' meist regellos in das Zwischengewebe eingestreut sind, haben den gleichen kollateralen Bau wie die primären Leitstränge (nur ohne dehnbare Erstlingsgefäße im Xylem). Das Zwischengewebe |ist bei krautigen Pflanzen meist zartwandig, parenchj'matisch; bei den Holzpflanzen wachsen seine Zellen teilweise zu langen spitzen Skleren- chymfasern aus, ihre Membran verholzt und verdickt sich manchmal sehr stark, so daß der j Sekundärzuwachs ganz die Beschaffenheit festen j Holzes annimmt und minunter sogar sehr [hart wird; er unterscheidet sich aber von echtem Holz leicht dadurch, daß er die Phloemteile der sekundären Leitstränge einschließt. Ein besonderes Interesse erhält dieser Modus des sekundären Dicken Wachstums dadurch, daß ihm ferner auch die Stämme und stärkeren Wurzeln der baumartigen Liliaceen- Gattungen Dracaena, Cordyline, Yucca und Aloe folgen, d. i. der einzigen Monokotylen, welche ein den holzigen Dikotylen und Gymnospermen in bezug auf die Intensität vergleichbares sekun- däres Dickenwachstum haben; der berühmte Drachenbau m (D r a c a e n a D r a c o ) von Teneriffa ■war einer der dicksten bekannten Baumstämme ; auf der Welt. Das Dicken Wachstum dieser Pflanzen (Fig. 182) unterscheidet sich in keinem wesentlichen Punkt von dem der hierhergehörigen Dikotylen. Eine Eigentümlichkeit der baum- f örmigen Liliaceen ist es aber, daß die sekundären Leitstränge konzentrisch gebaut sind (auch wenn die primären Leitstränge des Stammes kollateral sind , w'e bei Dracaena und Yu c c a) ; sie be- i stehen aus einem kleinen Phloem, \yelches rings von einer bis mehreren Schichten dickwandiger, mit runden Hoftüpfeln versehener Fasertrachei- j den umgeben ist. Das Zwischengewebe ist paren- chymatisch, aber mit verholzter und etwas ver- dickter ]\Iembran, so daß auch hier ein fester jund kompakter Scheinholzkörper zustande kommt. j 5. Dieser Modus unterscheidet sich von dem I vorigen darin, daß die Tätigkeit des außerhalb j der primären Leitstränge gebildeten Verdickungs- ringes eine begrenzte ist: sie erlischt nach Pro- duktion eines Kreises von sekundären Leit- I strängen. Außerhalb von diesen entsteht dann jin gleicher Weise ein zweiter Verdickungsring, I welcher ebenfalls einen Kreis von sekundären Leitsträngen (nebst Zwischengewebe) bildet und dann in Dauergewebe übergeht, um einem dritten Verdickungsring Platz zu machen usw. So entsteht allmählicli eine ganze Reihe von ungefähr konzentrischen Strangkreisen, von denen jeder (mit Ausnahme des innersten, pri- mären) einem besonderen Verdickungsring seine 1 Entstehung verdankt (Fig. 183). ! Ein solches Verhalten ist verhältnismäßig verbreitet. Es findet sich erstens in den Wurzeln der meisten der unter 4. genannten Dikotylen- Familien ; ein bekanntes Beispiel bietet die Wurzel Gewebe (Gewebe der Pflanzen) 1283 Fig. 182. A Querschnitt durch den Stamm von Dracaena marginata. r primäre Rinde, V Verdickungsring und Jungzuwachs; unten ausgebildetes sekundäres Gewebe mit konzentrischen Leitsträngen. B Anlegung von Desmogensträngen im Jungzuwachs, stärker vergrößert. Nach Haberlandt. der Zuckerrübe (Beta vulgaris), deren mit bloßem Ange im Querschnitt sichtbare konzentri- sche Ringzonen eben Kreise von sekundären Leit- strängen sind. Ebenso ist es bei den aufrechten Stämmen einiger Pflanzen aus denselben und anderen Familien, und endlich bei verschiedenen Lianen. Die sekundären Leitstränge sind kollateral und den primären ganz ähnlich (Fig. 183). Sie können, wie diese, ein normales Kambium an der Grenze von Xylcm und Phloem ausbilden, welches eventuell auch das Zwischengewebe \ä^>S^iifi durchsetzt, sich zu einem Kambiumring schließt und eine Zeitlang in der gew(ilin liehen Weise Holz nach innen, Bast nach außen produziert; es ent- stehen alsdann mehrere konzentrische, alter- nierend ineinander geschachtelte Holz- und Bast- ringe, von denen das innerste Paar seiner Ent- stehung nach normal, die folgenden sozusagen akzessorisch sind. III. Komplizierende Begleiterschei- nungen. Alle besprochenen Typen des Dickenwachstunis können noch durch Be- gleiterscheinungen kompliziert werden, die an sich nicht als Anomalien des sekundären Dickenwachstums betrachtet werden können und zum Teil auch bei Pflanzen mit typi- schem Dickenwachstum (besonders bei Lia- nen) vorkommen. a) Exzentrisches Dickenwachstum. Die Exzentrizität geht bei Lianen oft so weit, daß das Kambium resp. der Verdickungsring nur in bestimmten Partien des Umkreises überhaupt entsteht und der Zuwachs nicht in Form von Ringen, sondern nur von Ringstücken erfolgt. Geschieht dies an mehreren Stellen des Um- ki-eises, so entstehen, je nach der relativen Breite der wirksamen Kambiumstreifen, tief gefurchte oder mit mehreren flügeligen Längsleisten ver- sehene Stämme. Erfolgt aber das Dickenwachs- tum vorwiegend oder ausschließlich an zwei opponierten Längskanten oder nur an einer Fig. 183. Stück eim^s Zweigc^uerschnittes von Gnetum sc an den s. 8/1. m Mark, außen von r primäre Rinde, von rissigem Kork bedeckt. 1 Kreis der primären Leitstränge, 2, 3 Kreise von sekundären Leitsträngen. Das Xylem der Leitstränge schraffiert mit Aussparung der größeren Gefäße, das Phloem umrandet. Nach de Bary. Fig. 184. Querschnitt eines extrem exzentrisch verdickten Stammes vonElissarrhena grandi- f 0 1 i a (M e n i s p e r m a c e a e). 1/1. Nach Schenck. 81* 1284 Gewebe (Gewelie der Pflanzen) Seite, so kommt es zur Bildung mehr oder [ weniger stark abgeflachter, bandförmiger Stämme (Fig. 184; das Dickenwachstum dieser Liane gehört im übrigen dem Typus 5 an). b) Zerklüftung des 'Holzkörpers kommt! zustande durch nachträglich einsetzendes Wachs- ' tum und Vermehrung (Wucherung) der im Holz enthaltenen lebenden parenchymatischen Gewebe. Fig. 185. Querschnitt eines alten Stammes von Bauhinia spec. , mit zerklüftetem Holzkörper. Die Holzmassen punktiert, weiches Parenchym und Bast weiß gelassen. V» der natürlichen Größe. Nach Schieiden. Ist der hierdurch entwickelte Druck groß genug geworden, so wird das Holz gesprengt; in die entstehenden Lücken wachsen die Parenchyiu- zellen hinein, füllen sie aus und vergrößern" die Klüfte des Holzes noch durch ihre fortgesetzte Wucherung. So kann ein anfänglich zusammen- hängender Holzkörper allmählich in eine große Zahl isolierter Holzstränge zerlegt werden, wobei kochst komplizierte Strukturen zustande ! kommen, wie z. B. bei der in Figur 185 dargestell- 1 ten Liane. j c) Um die durch Zerklüftung entstandenen Holzstränge, und ebenso um die isolierten Xylem- stränge bei den Dickenwachstumstypen 1, 4, 5, können sich durch Teilungen in dem sie rings umgebenden Parenchym kleine lokale Ver- dickung sr in ge bilden (Fig. 186), welche : Holz nach innen und eventuell auch Bast nach i außen (bezogen auf ihr eigenes Zentrum) bilden, | so daß inmitten der sekundären Gewebemassen isolierte, selbständig sich verdickende kleine j Holz- oder Holzbastkörper zustande kommen. Auch unabhängig von den bereits vorhandenen Xylemsträngen können in dem Parenchym ebensolche akzessorische Meristeme auftreten, teils ebenfalls in Form kleiner in sich geschlossener Kreise, teils in Form offener Streifen (Fig. 186 links unten), oder selbst als zusammenhängende, dem Kambiumring parallele innere Verdickungs- ringe; auch diese bilden Holz und Bast, entweder Fig. 186. Querschnitt des peripherischen Teils der Jalapenknolle (von Exogonium purga). k Kork, c Kambium; zwischen beiden die Rinde, unterhalb von c' das saftige Holz mit einge- streuten Xylemgruppen h; teils um diese, teils unabhängig von ihnen entstehen lokale Ver- dickungsringe c; m Müchsaftzellen. Nach Tschirch. in der normalen oder auch in in verser Richtung, d. i. Holz nach außen, Bast nach innen. Damit ist der Gipfel der Verwickelung erreicht. Literatur. C. Nägeli, Das Dickenwachstvm des Ste7igels bei den Sapindaceen, in Beiträge zur wissenschaftlichen Botanik, Heft 4, 1868. — H. Schenck, Beiträge zur Anatomie der Lianen, 1893. — Millardet, Anatomie des Yucca et Dracaena. Memoires Soc. Sc. JVat. de Cherbour(j, II, 1865. Wladislaiv Rothert. Berichtigung. Y Bei der Biographie „Endlicher'- füge unter „Literatur" hinzu: Haberland, G„ „Briefwechsel zwischen Franz Unger und Stephan Endlicher", Berlin 1899. Dort wird der Nachweis erbracht, daß E. eines natürlichen Todes gestorben ist. Ct. Pätz'sche Buchdruckerei Lippert & Co. G. m. h. H.. Naumburg a. d. S. ]W i i iiifiiiiiiiiiiiiit iiiiiiii iiiil .-lilL mm iiii wm m ilJ^i'icJPfJ^J 4111 üliiiUiililll .h MM UUUVi n if] :iiiiiiiii