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'

Ailturildie Seillrif

herausgegeben von

Heinrich von Sybel,

ordentl. 8. Profeffor an ber Univerfität in Bonn.

Sechſter Band,

München, 1861.

Literarifch:artiftifehe Anſtalt der I. ©. Kotta’fchen Buchhandlung.

10<i:»21

Inhaſts⸗Aeberſicht.

Seite.

. Neue Mittheilungen über bie erſte Theilung Polens. Bon Georg

Waitz. 1

. Höfler's Entbedungen in Mabenonicz, Bon u. Senna . 18 . Bon dem römifhen Papſt Bon 3. Söilt! . . 22 . Behrenhorfi und Bülow. Bon %. v. Meerheimb . . . 46 . Zur Geſchichtſchreibung des alten Mexieo. Bon Theodor Waitz. 75 . Das Heidelberger Schloß in feiner funft- und aumrgeſciuütichen

Bedeutung. Bon K. B. Star! . 983 Ueberfiht der hiflorifchen Literatur bes Yahres 1860 (erfeum)

8. Die Schweiz . . . . . . . 142 I. Belgien . . . . . . . . . . 177 10. Die Niederlande . . . . . . . . 208 11. Dänemart . . . . . . . . . 228 12. Schweben und Norwegen . . . . . . . 223

13. Rußland und Polen . . . . . 14. Ungarn und Giebenbürgen . . . . . . 232 15. Die Türkei. Griechenland . . . . . . . 234 15a. Afien. Oſtaſien. China und Japan . . . . . 235 16. Borberindieun . . . . . . .. 887 17. Sinterindien unb ber inbifche Ardipel . 239 18. Kleinafien. Die Kaulafusländer . . . . . 240 19. Eyrien und Paläftina . . . . . . . 241 20 Afrika . . . . . . . . . . 2423

91. Rorbamerila . . . . 23. Mittel- und Eib-Amerila . Preisausſchreiben . . . . .

Beilage. Nachrichten won ber hiſtoriſchen Gemeifion t bei ber kgl. bayer. Alabemie der Wiſſenſchaften. Dritter Jahrgang. Erfies Stüd.

VII. Zur Geſchichte der oberbayerifchen Landeserhebung im Jahre 1705. Bon Auguf Shäffler .

IX. Ueber bie fortfchreitende Entwidiung ber geſchichtüchen Studien im Königreiche Neapel von ber zweiten Hälfte bes 18. Jabrhunderts bis auf die Gegenwart. Aus dem Italienifhen von Adolf Beer.

X. Zur Würdigung von Ranke's hiſtoriſcher Kritif. Bon Georg Waik

XI. Die Hiftorifche Kritit und das Wunder .

XII. Ueberfiht der hiftorifhen Literatur bes Jahres 1860 (Stuf).

23. Frankreich . . . 24. England . 25. Epanien unb Vortugel - 26. Italien 27. Nachträge zur eiteratur ber Nordemerilaniſchen ſqicht⸗

Beilage. Nachrichten von der hiſtoriſchen Commiſſion bei der kgl. bayer. Alademie der Wiſſenſchaften. Dritter Jahrgang Zweites Stulck.

Seite. 245 247 249

251

293 349 356

374 438 483 488 552

I.

Neue Mittheilungen über die erſte Theilung Polens,

Bon Georg Waitz.

J u

Frederic II., Cathérine et le partage de la Pologne,

D’apres des documents authentiques par Frederic de Smitt. Paris et Berlin, 1861. 8.

Seitdem in dieſer Zeitfchrift in Anlaß der Schrift Schlözer’s über die erjte polnifche Theilung gehandelt worven, ift das oben ans geführte Buch eines Autors erfihienen, der ich fchon wiererholt auf diefem Gebiete bewegt, und, wie ihm bei feinen Arbeiten die rujliihen Archive zu Gebote fanden, auch mit einer gewilfen Vor» liebe ven ruſſiſchen Standpunkt vertreten bat. Er ift, wie er fugt, gerade durch Schlözer's Darftellung zur Veröffentlichung tiefes Wer- fes veranlaßt worden, babe es aber fihon früher ausgearbeitet ge= habt und jegt nur einige nachträgliche Bemerkungen hinzugefügt. Dieß wird auch durch tie äußere Beichaffenheit wohl beftätigt, ine dem, abgejehen von der Vorrede, das Buch aus drei verjchievenen

Theilen beiteht, einer fritifchen und erzählenden Darftellung, einer Diſtoriſche Jeitſchrift VL Band. 1

2 ne Georg Waitz,

Sammlung” sa Urkunden mit einigen eingeftreuten Erläuterungen und Ausfüßtungen, und einem Anhang (Suppl&ment), ver ſich be- fonvers: mit Schlözer, aufferdem auch mit dem betreffenden Abfchnitt in Herrwann's ruſſiſcher Gefchichte befchäftigt. (Da dieſe Theile auch beſonders paginirt ſind, werde ich ſie gls J. II. III. citiren). Unſer Auſſei iheint dem Verfaſſer noch nicht bekannt geweſen zu fein.

2 Die Abficht ift zu zeigen, daß nicht Rußland, fondern Preußen, : geieprich II., ten eigentlihen Anlaß zu der Xheilung gegeben;

and infofern ſtimmt der Verfaffer mit ver früher hier vertretenen . Anficht in der Hauptjache überein. Doch geht er dann weiter, wenn

er barzuthun fucht, daß Friedrich den Plan zu einer Vergrößerung feines Staatsgebietes auf Koften Polens fehr früh in bejtimmter Weije gefaßt, unter allen Umftänven feitgehalten, eifrig und gefchickt verfolgt und dadurch das ganze Ereigniß herbeigeführt habe. Au⸗ dererſeits ift er weit entfernt, dem König in irgend einem Sinne tar- aus einen Vorwurf zumachen, und ftcht in der Würdigung des ganzen Vorganges mehr auf dem Stantpunft, den, unter fich freilich noch vielfach abweichent, Herrmann und Schlözer einnehmen, als daß er ge- neigt wäre, ſolchen Erwägungen Raum zu geben, wie fie jener Auffag in Erinnerung zu bringen für recht und nethwendig hielt. Es ift nun die Meinung nicht, jett auf dieſe Fragen noch einmal zu- rüdzufommen. Die Bedeutung des Buches Tiegt auch gewiß am we— niaften in foldyen allgemeinen Grörterungen. Aber es ift dankens—⸗ werth durch neue Mitteilungen eben aus ven rufjifchen Archiven, vie es gibt, und auch von den Fritifchen Erörterungen, die ver Verfafjer über die bisherigen Darftellungen und befenvers über einzelne Punfte anftellt, verdient Einzelne Beachtung; es fcheint mir angemeffen, mit Rüdjicht hierauf wie auf vie fonft befannten Nuchrichten etwas näher darzulegen, wie der Gang der Suche fich jett darftellt. Da⸗ bei bleibt freilich zu bevauern, daB ver Verfaffer von dem ihm zugäng- fichen Diaterial eben nur die auf Preußen bezüglichen Actenftüde mit⸗ getheilt hat, fehr wenig was Rußland unmittelbar angeht, fo gut wie gar nichts was fih auf den Verkehr mit Defterreic bezieht. Dieß erwedt dann auf's Neue wohl das Verlangen nach einer Kenntniß deffen, was die öfterreichifchen Archive felbft enthalten mögen. Und wie fchon djterd bemerkt, iſt es ſehr wahrjcheinlich, daß eine folche

Neue Mittheilungen über die erſte Theilung Polens. 3

Mittheilung die Dinge nur günftiger für den betreffenden Staat wird ericheinen lajjen, al& die bisherige Annahme war.

So ift e8 nach Allem, was jegt vorliegt und zulegt eben Smitt mitgetheilt bat, als gewiß anzunehmen, daß bei den Zuſammenkünften von Friedrich und Joſeph zu Neijje und Neuſtadt, in feiner Weife, wie man früher nach Core und Andern annahm, über eine Theilung Polens verhandelt, oder der Plan einer ſolchen entworfen worden ift; was zulcgt in diefer Beziehung von Et. Prieft und Herrmann ausge⸗ jührt worden, hat Emitt gewiß mit Recht (I, p. 62. III, p. 6) zurückge⸗ wiejen. Dian darf fich in diefer Beziehung vielleicht auch auf ben Beriht von Kaunig über die legte Zufammenkunft, die man vor—⸗ zugsmeife im Auge bat, berufen , ven U. Wolf in dem Jahrbuch für vaterländifche Gefchichte (Wien, 1860) veröffentlicht Hat, und in dem turchaus nichts der Art vorfonmt, obwohl ja möglicher Weife dieſe Angelegenheit als nicht geeignet zur Erwähnung in einem ſolchen Schreiben hätte angefehen werden können. Cine Stelle aber in einem von Smitt mitgetheilten Brief Friedrich's, wo diefer von der Maria Thereſia berichtet, fie jolle ihrem Sohne Joſeph vorgeworfen haben : que ses entrevues avec le Roi de Prusse 6taient la premiere source des embarras elle se trouvait aujourd’hui (Il, p. 186) fortert am wenigiten eine folcye Auslegung.

Aus der Zeit vor dem Anfang der 7Oer Jahre gibt die Publication Smitt's überhaupt nichts wefentlich Neues außer einem ausführlichen Aus» zug aus tem projectirten Bündniß Friedrich's LI. mit Zaar Peter III., aus dem erhellt, daß ver Vertrag von 1764 in wichtigen Punkten nur eine Wiederholung deſſelben ift, und namentlich die beiden hier im deutjchen Iriginaltert mitgetheilten Separatartifel, die fih auf Polen bezogen, und tie dienen feollten, feine Schwäche zu erhalten und zugleich die Wahl eines auswärtigen Königs zu verhindern, ſchon damals von Friedrich beantragt waren. Herr Smitt polemifirt außerbem (IIL, p. 18) gegen die Auslegung, welche Friedrich und mit ihm Schlözer YAeußerungen gegeben haben, welche der Ruſſiſche Minijter Panin bei Gelegenheit der Verhandlungen über ven Vertrag gemacht, und welde ter König glaubte auf vie Free d’un partage & faire en Pologne dans le cas d’une guerre dans ce pays-lä beziehen zu ſollen; aber gefördert wird die Suche dadurch weiter nicht,

1 »

& Georg Waitz,

Eine Depefche Friedrich's an feinen Gefandten in Peter@burg, den Grafen Solms, die früher in einer Schrift de8 Grafen Görtz be⸗ kannt gemacht worben, erfcheint hier, wie wenigften® der Herr Herausgeber meint, in einer authentifcheren Geftalt; bie Meinung, bie id) früher wohl geäußert, daß fie in ihren etwas dunkeln Wendungen über die Pacification Polens auch fchon auf eine Theilung hingedeu⸗ tet, erhält wenigftens feine weitere Beftätigung und mag dahin ger ftellt bleiben.

Wichtiger find die Vorgänge bei der Anweſenheit des Prinzen Heinrich im Jahre 1770/1771 in Petersburg. Die drei Erzählun⸗ gen, welche über feine Unterredung mit ter Katharina und bie bier ftattgefundene Erwähnung einer Xheilung Polens früher geprudt find und alle auf mündliche Nachrichten des Prinzen zurüdgehen, werben verglichen und ihre Abweichungen und Wiverfprüche gut in's Licht geftellt (I, p. 14). Dabei ijt vem Verfaſſer aber paffirt, den jetzt in der Sorrefpondenz Friedrich’ mit feinem Bruder gebrudten eigenen Bericht deſſelben (Corresp. XI, p. 345) unbeacdhtet zu laffen, und erft in vem Supplement (ILI p. 39) bei Gelegenheit ver Darjtellung Schlözer’s, der jenem gefolgt ift, kommt er auf benfelben zu fprechen. Wir werden gewiß, mas der Prinz bier erzählt, ale authentifch fefthalten und zugleich dieſe Unterredung als ten wirklichen Beginn zur Ausführung früher nur unbeftimmter Pläne betrachten müſſen. So erklärt fich, wie früher angeführt (Zeitfchr. Bo. ILL, p. 10, 13) vie Dankbarkeit, welche Friedrich wegen viefer Sache gegen feinen Bru- der empiand, tie Art und Weife, wie der Prinz fich feiner Ver: bienfte rühmte. In legterer Beziehung kommt ein bier (II, p. 114) mitgetheilter, ganz merkwürdiger Brief deffelben an den Grafen Solms in Betracht, wo er fagt: Il est vrai que je puis me dire, que mon s&jour à Petersbourg a &t€ marqu& par le commencement des negociations pour la plus grande r@union entre le Roi et la Russie. Je puis aussi me flatter, sans prevent'on, et jeen ai läa-d-ssus Paveu du Roi dans plus de vingt lettres de sa main, d’avoir mis sur le tapis l’affaire qui a donne lien & la Conven- ion Wenn Herr Smitt dagegen meint, der Prinz fei mit ber Kunde von einem beftimnten Plan Friedrich's nach Peteroburg gegangen und babe dann bier vie Gelegenheit benutzt, ja alle Mittel der

Rene Mittheilungen über bie erſte Theilung Polens. 5

Ueberredung anfgebeten, um benfelben ber Kaiferin zugänglich zu machen (I, p. 138), fo entbehrt das ver Begründung. Gewiß trug fi Friedrich mit ſolchen Gedanken, aber mehr allgemein und in weiterer Verne. Da gaben der Einmarjch ber Defterreicher in die Zips und vie dadurch veranlaßten Aeußerungen ber Katharina den Anftoß, ihnen rafch Seftalt und Ausführung zu geben, nicht in der befchränf- ten Weife, wie man zuerjt wohl nur in Rußland meinte (Bd. III rer Zeiticrift p. 10), fendern gleich in einem Umfang, welcher des Königs Wünſchen und Intereſſen zu entfprechen fchien.

Herr Emitt glaubt das entfchiedenfte Gewicht auf eine Note Friedrich's vom 2. Diärz 1771 legen zu feollen: fie wiberlege over berichtige alle bieherigen Darftellungen; fie enthalte ven erften be« ftimmten Borfchlag zu ver Theilung, und zwar von preußifcher Eeite, ehne Daß auf einen Antrag ober eine bereitd ausgeſprochene Zuftimmung Katharina's Rückſicht genommen werde. ‘Dabei ift aber zu beden⸗ fen, daß jenes eben eine gefchäftliche Depefche ift und durch fie bie Sache nun zuerft in die Wege tes gewöhnlichen diplomatischen Ber- kehrs gebracht werden fell. Der König theilt fie feinem Ges ſandten mit, tamit fie turch tiefen an den ruffiihen Miniſter ges lange. Borbergeht auch fchen ein anderes Schreiben vom 20. Fer bruar, das Shlözer (257) gegeben und ber Berfaffer erft im Nachtrage berüdfichtigt. Beide zufammen zeigen allerdings, daß un- mittelbar nach ter Rückkehr tes Prinzen aus Petersburg Friedrich) mit Lebhaftigkeit auf ven Gedanfen einging, fich jegt einiger bes ſonders wohlgelegener polnifcher Gebiete zu bemächtigen, wie er in beiten Briefen fagt, um fo das Gleichgewicht gegen Defterreich auf recht zu erhalten, und damit fie als Entſchädigung dienen für bie Eubfirien und anderes, was ihm der ruffifch » preußifche Krieg ge« feftet; damit verbindet er dann ben Gedanken, daß auch Rußland bier feine Entfchärigung erhalten möge (qu’il doit &tre indifferent à la Russie, de quel cöt& lui vient le dedommagement quelle a raison de pretendre pour les frais de sa guerre), und führt aus, wie das Ganze zugleich zu einer Vefeftigung ber mit Rußland beſtehenden engen Verbindung führen“ werde.

Es ift num ganz richtig, wie Herr Smitt hervorhebt, daß bie feitenden ruſſiſchen Stantsmänner nicht fo glei und umbebingt da⸗

6 Georg Waitz,

rauf eingingen ; doch einen principiellen Wiberftand fanden Fried⸗ rich's Vorſchläge keineewegs. Tiefer aber betreibt die Sache auf's Lebhafteſte, läßt Rußland in feinen Anfprüchen gänzlich freie Hand und fucht nur das turdhzufegen, was ihm felbft tag Wünfchene- werthefte erfcheint. Anfangs forbert er BPomerellien, jedoch mit Auénahme von Danzig, und als Erfak für diefe Stadt Eulm und Marienburg, eventuell Ermeland, Elbing, Marienburg und Eulm, fpäter für Thorn, wegen deſſen Rußland Schwierigkeiten macht, Elbing. C'est une bagatelle, fchreibt er, II, p. 35, et ıl nen cou- tera qu'un coup de plume & la Russie. Im Uebrigen ver- wantelt fich tie Eventualität, das Cine oder Antere zu erhalten, fpä- ter in eine Bereinigung von beiden. Und auch auf Danzig fommt er jurüd, intem er e8 als Entſchädigung für eine Rußland gegen Oeſter⸗ reich zu leiftente Hilfe in Anfpruch nimmt und nur aufgibt, als jenes fih entſchieden dagegen erflürte, um dann aber mwenigftens zu ver- langen, daß es als völlig freie Stadt anerkannt werte (II, p. 66. 67).

Dan mag bier wohl bemerken, daß tie häufig wieberholte Dar- ftellung, welche Friedrich fpäter felbft gegeben hat (f. Zeitfchrift III, p. 8), die Theilung fei unternommen als das einzige Mittel um einen großen Krieg unter ten Oftmächten zu vermeiten, in biefen Actenſtücken auch gar feinen Anhalt, vielmehr eine entfchievene Wi⸗ derlegung finvet. Rußland wegen feiner Siege in der Türkei zu entſchädi⸗ gen, iſt freilich ein Gedanke, den Friedrich gleich zu Anfang einmal aus: fpricht, den er dann aber wenigften® nicht befenvers verfolgt, und ter auch bei Katharina und ihren Miniftern offenbar wenig Anklang fin- bet: fie nehmen den Gewinn in Belen, ohne zunächſt an ein Aufgeben ihrer Pläne gegen bie Türken zu venfen. Oeſterreich aber, das diefe fürdtet und fich ihnen entgegenzutreten eutfchloffen zeigt, bleibt zu Anfang den polnifchen Projecten fern, und daran, daß bie Theilung gemacht wird, um biefes zu befchwichtigen und zu gewinnen, fehlt fo viel, daß längere Zeit hindurch fehr ernftlich davon Die Rebe war, fie gegen Defterreich auch mit ten Waffen purchzuführen (II, p- 49 ff.). Daher verfpricht auch Rußland ftatt Danzig dem König: & sengager à ne pas deposer les armes, jusqu’ à ce que cette puissance (Vejterreih) ait &t6 obligee & donner au Roi une in- demnit6 suflisante, c’est-A-dire, dans le cas od elle attaquerait la Prusse (p. 65).

Nene Mittgeilungen über die erſte Theilung Polens. 7

Es ift hiernach eine Frage von befonverer Wichtigkeit, in welcher Weiſe und Zeit Oeſterreich überhaupt bei den Plänen auf Polen bes theiligt werden ift. Echlözer hat zuletzt (p. 263) erzählt, ber zuffifhe Miniſter Panin habe auf Friedrich's Vorſchläge geantwor« tet, er fönne fi für bie Annahme verfelben und für ein Vorgehen Rußlands und Preußens gegen Polen unmöglich eher entfchließen, bis er nicht wenigftens darüber Gemißheit babe, wie man in Wien einen jelden Plan auffajlen, und ob etwa das dortige Cabinet zu bewegen fein würpe, mit den beiden verbündeten Höfen gemeinfchaftliche Sache zu machen. Friedrich habe in Folge davon es bereitwillig übernommen, tiche Aufklärung feweit als thunlich zu befchaffen und fei zu tem Ente perjönlic” mit dem öjterreichifchen Geſandten in Berlin van Smieten in Berhantlung getreten *), habe diefem im Allgemeinen bie Wittheilung gemacht, dag man nichts gegen die öſterreichiſche Befig- ergreifung einzumweuden habe, aber zugleich Die Abficht hege, dieſem Beijpiel zu folgen und gleichfalls einige Theile von Polen in Beſitz zu nehmen. Darauf aber ſei ven Kaunig eine entfchieven -ab« ichnente Antwort erfolgt: Oeſterreich habe nicht die Abficht, jene Gebiete zu behalten; ter Plan einer Xheilung fei mit großen Gefahren verbunden, und man möge von beinfelben abſtehen. Gegen Die Richtigkeit dieſer Mittheilungen ift gewiß fein Zweifel. Wenn Sclözer aber fortfährt, Friedrich habe ſich dadurch nicht irre machen laſſen, weil er eingefehen, Uejterreich werde, wenn Preußen und Rußland nur feft und ceinmüthig in ter Sache aufträten, nicht zurücbleiben, fondern ſich auch mit aller Unbefangenheit dem Theilungs⸗ project anfchließen, fo ilt das nun doch in der Weiſe keineswegs richtig. Vielmehr ijt in der mächiten Zeit auf eine Theilnahme Oeſterreichs offenbar nicht weiter gerechnet und Rückſicht genommen. So erllärt ſich Frietrih am 11. Juli 1771 (IL, p. 34); er fchreibt einmal ausbrüdlih (II, p. 80): Je crois qu'il faut rejeter toute idee de se concerter avec la cour de Vienne sur les acquisitions à faire en Pologne, und will, taß man ohne das zu verfuchen, Aefig ergreifen jell. Darauf beziehen fich auch die weiteren Verhandlun⸗ gen über die Möglichkeit eines Krieges gegen Oeſterreich im Sep⸗

*) Den Irrthum, vielleicht nur Drudfehler bei Schlözer, Swieten fei erfi Dez. 1771 nad Berlin gelommen, hat Smitt III, p. 54 berichtigt.

8 Georg Waitz,

tember bis Dezember des Jahres; wo allerdings zunächſt die tür- kiſchen Angelegenheiten, taneben aber auch biefe pelnifche Sache in Betracht kommen; noch in dem Vertrag zwifchen Rußland und Preußen, der im Februar 1772 zum Abfchluß kam, betrifft ein geheimer Arti⸗ fel die Eventualität eines felchen. Alle Verhandlungen find jet ganz ohne Zuziehung des Wiener Hofes gepflegen, und es wirb als etwas Beſonderes bervorgebeben, daß man in Wien wie in Warfchau und Conftantinopel duch eine gewiffe Kunde davon erhält. Dieß war im November, und am 4. Dezember tbeilt dann Friedrich eine Stelle ans tem Bericht feines Geſandten in Wien nach Petersburg mit, in ber es hieß: L’Imperatrice-Reine aussi bien que l’Empereur ont touch6 quelque chose, quoiqu’ on termes generaux et à demi-mot seulement, qu’on voulait sa part, au cas quil s’a- gissait d’un dömembrement de la Pologne, et qu'il fallait e’ex- pliquer lä-dessus, (Schlözer p. 275. Smitt II, p. 24). Mit Recht behauptet Herr Smitt, daß man von bier an die Zeit ber nä- beren Theilnahme Defterreih8 an der ganzen Angelegenheit tatiren könne. Freilich fieht man danach wohl, daß e8 mit der Forderung der Integrität Polens, vie Kaunig am 25. Oktober gegen den ruſſi⸗ ſchen Geſandten erhoben hatte, nicht eben ernftlich gemeint fein konnte, und wenn berfelbe ſchon vorher dem preußijchen Gefandten ven ver Nothwendigkeit geiprechen hatte, daß, wenn Rußland mit großen Bortheilen aus dem Kriege hervorgehe, zur Bewahrung des Gleich⸗ gewichts auch Defterreih und Breußen eine Vergrößerung erlangen müßten, jo mag e8 wohl fein, wie Schlö;er (p. 234) annımmt, daß bier an Polen gedacht werden. Die öſterreichiſche Politif war da- mals, wie zu antern Zeiten auch, offenbar vie, daß fie am liebften den status quo erhalten hätte, wenn aber andere Gewinn bavon- trugen, für fich das Gleiche verlangte; fie befand fich in einem ent- ſchiedenen Gegenfag gegen Rußlands Türliſche Pläne, hatte im Juli ben Vertrag mit der Türkei gegen vaffelbe gefchloffen, und fegte alles daran, um namentlich den Webergang der Moldau und Walachei unter ruſſiſche Herrfchaft zu verhindern, während ihre freilich an fich bie Integrität der Türkei eben nicht mehr am Herzen lag, ale Fried⸗ rich die von Polen.

Das ergab ſich in auffallenner Weife, als e6 nun wirklich zu

Rene Rittheilungen über die erſte Theilung Polens. 9

Berbantlungen mit Defterreich kam, die möglich wurden, ta Rußland jene Anſprüche auf die Donaufürftentbümer aufgab und fich zugleich, ebenfe wie Preußen, ganz bereit zeigte, Defterreich einen Antheil an tem pelnifchen Raube zu gewähren. Statt unmittelbar darauf ein⸗ zugeben, wagte fich jenes zuerft mit zwei anderen Vorfchlägen hervor. Ein von Smitt mitgetheilter Brief Friedrich's beftätigt, daß man für ten Preußen zu überlaffenren Antheil an Polen die Abtretung von Glas vorfhlug. Und die Antwort, welche Frierrich darauf gab, ver- dient wohl bier hervorgehoben zu werden. Je lui repartis, fchreibt er an Solms (II, p. 93), que je n’avais la goutte que dans les pieds et que ce serait une proposition & me faire, si je l’avais dans la t&te. Da meinte der öſterreichiſche Geſandte, man würde nicht ungerne Belgrad und Serbien nehmen. Je crus, führt Fried» ri fort, tomber de mon haut & ces paroles, auxquelles je ne pouvais m’attendre d’un alli6 des Turcs et de cette cour dont la phrase favorite étoit celle de la balance d’Orient. Er fügt binzu: Pour ce qui est de la r6pugnance que cette cour t6- moigne de partager avec nous la Pologne, c’est pour ménager les Polonais, sur les quels elle a un oeil, et pour que toute la baine de cette Nation tombe sur les Russes et sur nous. Des- balb iſt er auch ganz zufrieden, als ver Micner Hof nun bald dar⸗ anf Doch eben einen Antheil an Polen fich gefallen läßt, und erklärt ven Wechſel der Anſicht damit, daß die beiden kaiſerlichen Berjonen und Kaunig nicht übereinftimmten und bald die Anficht des einen oder andern das Uebergewicht erhielt. Die Abneigung der Maria Therefia gegen eine Betheiligung an dieſer Angelegenheit erhält auch hier volle Beftätigung; Friedrich berichtet nach den ihn zugegangenen Mitthei- (ungen von Wien, daß fie Ichhafte Gewiſſensbiſſe habe, Joſeph heftige Bormwürfe mache, und vie Streitigkeiten, die e8 täglich zmifchen ihnen gebe, häufiger und bitterer feien, als jemal® (II, p. 135); ein an- dermal, daß die Kaiferin ihren Beichtvater gefragt und dieſer geant« wertet, ta er nichts von legitimen Rechten auf die Diitricte wiffe, jo fönne er das Unternehmen nur vertammen; andere Geiftliche ba- gegen hätten gemeint, daß es Umſtände gebe, wo nur das Staate- wohl entjcheiden könne; dieſe Erklärung, fett er hinzu, werbe den Je⸗ fuiten beigelegt. Und es ijt bie, welche damals in Defterreich das

10 i Georg Waitz,

Uebergewicht erhielt, wie fie in ven andern betheiligten Staaten von Anfang an allein in Betracht gezogen ift, ohne baß es eines folchen Rathes bedurft hätte.

Oeſterreich verſuchte ſpäter noch feinen Beitritt auch äußerlich in der Form einer „Acceſſion“, nicht einer unmittelbaren Theilnahme an ber „Lonvention« zu vollziehen; es erhob dann Auſprüche von einer Größe, daß Friebrich betroffen ward, und jenes Gleichgewicht, auf das man fortwährend fo viel Gewicht legte, ernſtlich bedroht bielt. Er fand aber ald das befte Mittel, pour couper court à toute dis- cu3sion, d’6tendre les portions que nous nous sommes reserv6s; er fordert fpäter beftimmt Thorn und ein Gebiet bis an die Warthe und die fchlejifche Grenze, das er auf einer Starte näher bezeichnet; und eigenhändig fügt er ber Depefche hierüber hinzu: Je n’ai point parl& dans tout ceci de la part de la Russie, je souscris d’avance & ce qu’ils voudront se stipuler. Da Oeſterreich einiges nachpibt, ift er dann entſchieden dafür, daß man fich einig. In einem Brief vom 12. Yuli 1772 befpricht er ein Ultimatum, das jenes geftellt, und empfiehlt Rußland die Annahme Ihm liegt alles daran, daß bie Angelegenheit zu einem Abfchluß gelangt.

Bon Rüdjichten auf Polen, überhaupt von Rüdjichten des Rech⸗ tes ift nie die NRete. Bon der Begründung ver Anfprüche, die ver Form wegen vorgenommen werben fell, jagt der König in einem Brief: Cest une rögle generale dans la politique, que, faute d’argu- mens sans replique, il vaut mieux d’exprimer laconiquement, et ne point trop Eplucher la matiere. Or, je sais bien que la Russie a beaucoup plus de raisons à alleguer, mais il n’est pas de m&me de nous (Il p. 155); was nur einer Yeußerung in ben Memoiren entipricht.

Dagegen ift es denn außer dem Erwerb der nahegelegenen Land⸗ fhaften namentlich die Befeftigung der Verbindung mit Rußland, auf welche Friedrich bei dem ganzen Vorgang das entfchiebenfte Gewicht legt. Alle Briefe, die er nach Petersburg fchreibt, find voll ber Verſiche⸗ sangen, ter Heffnungen, ver befrienigenkiten Weußerungen in Bezug hierauf. Je serai bien aise, fchreibt er am 2. März 1771, de pouvoir dire, que c’est & la Russie que j’en ai principalement lobligation de cette nouvelle acquisition, qui fournirait en meme

Rene Mittheilungen über bie erſte Theilung Polens, 11

temps une nouvelle occasion de raffermir nos liens r&ciproques et de les rendre encore plus indissolubles (II p. 13); fpäter: N en re@sultera une impossibilitE morale de pouvoir jamais rompre l’union intime et 6troite qui subsiste entre nos deux monarchies (p. 144); eigenhäntig 27. Sept. 1772: Vous direz au comte Panin, qu'il peut assurer P’Imperatrice en mon nom: qu’ aujourd-hui, jour de ’hommage de la Prusse, je L’assure : qu’Elle n’a pas oblige un ingrat, et que j’epierai toutes les oc- casions, pour lui t@moigner à Elle et & la Russie ma reconnais- sance, nun pas en paroles, mais en effet (p. 177); 24. Növ.: plus qu’on m’apprend & connattre, et plus reconnaitra-t-on dans ma facon de penser et d’agir Yalli& le plus fid2le et le plus zel€E de Empire de Russie (p. 1%). Er berichtet, daß er feinen Geſandten in Deiterreich, Frankreich, Holland, England, Schwe den und Dänemark Orbre gegeben, vie engfte Verbindung mit benen Rußland's zu unterhalten und ſich gegenfeitig alle Mittheilungen zu machen.

Aber er faßt zugleich vie Diöglichkeit in's Auge, Daß bie gemein- fchaftliche Betheiligung an dieſer Eache und Die gegenfeitige Garantie ter Enverbungen in Polen Tünftig zu einer Allianz ter brei Höfe führen fünne; & la quelle, fügt er, je n’aurai certainement rien & redire (p. 102). Une union entre nos trois Cours sera tou- jours une @poque bien heureuse pour le repos de ’Europe, et je m’y pre@terai avec plaisir, aussitöt qu'elle se fait conjointe- ment avec la Cour de Russie (p. 108).

Damit, wird man fagen türfen, blickt Friedrich in eine weitere Zukunft hinaus und gewinnt Gefichtspunfte von noch allgemeinerer Be- deutung. Bei ver Beurtheilung berfelben wird man aber freilich nicht ven dem auegehen, was in fpäterer Zeit die Allianz dieſer brei Oſtmächte beteutet hat, nnd je nach tem verfchienenen Standpunkt der Borliebe over Abneigung dafür, ven der Einzelne einnimmt, Lob eter Tadel ausfprechen follen.

Ueberhaupt ift es ja gewiß genug, daß auch dieſes fo tief in bie Geſchichte ter betheiligten Staaten cingreifende, zugleich bedeutungs⸗ und verhängnißvolle Ereigniß und die Theilnahme ber handelnden Rerfönlichleiten gewürbigt werben muß nach den Grunpfägen und

12 Georg Waitz.

Tendenzen, bie überhaupt in jener Zeit obwalteten. Es hängt bie Convenienzpolitit, wie fie Kaunig genannt hat, auf das engfte zufam- men mit der Auffaffung, die man überhaupt vem Staat hatte, ber doch eben nur als eine zufällige Vereinigung von Einzelnen betrachtet ward, über teffen Bildung nach innen und außen fein höheres Gefeg entſchied, der⸗ nichts Organifches an fich hatte, ver auf keinerlei na⸗ tionale over biftorifch begründete Verhältniffe Rüdficht nahm, fondern den man eben nur nah Zwedmäßigkeitsrüdjichten fo oder anders zu geitalten fuchte. Dies zeigt fich in den innern Reformen wie in ber auswärtigen Politik. Man hat ficher Unrecht, tie einen zu preifen und die andere zu verdammen, wenn die legte auch nicht felten, ka fie eben noch über den eigenen Staat hinaus griff und auch auf das Recht anderer keine Rüdficht nahm, härter und ungerechter erfcheint.

Man geht aber am meijten in bie Irre und gibt nur ein Zei- hen des eigenen Mangels an aller wahren gefchichtlichen Erlenntniß, weun man, wie wir neuerdiugs geſehen, eine Perfönlichkeit, „wie die Friedrich's des Großen, nad einem willkürlich zurecht gemachten Maß—⸗ ftab von Moral, Recht und Patriotismus meſſen will, und meint damit, daß man Ginzelnes aneinander fügt, das man heutzutage an« ders wünjchen möchte, Anderes verkleinert und entſtellt und ein Zerr- bild ohne wirklich biftorifche Wahrheit zeichnet, der Nation eine der wenigen Geftalten nehmen zu können, an deren Anfchauung fie fich gehoben hat, und Lie auch kommenden Gefchlechtern ein Zeugniß da⸗ von fein wird, was die große Perjönlichkeit, die ihre Aufgabe zu faffen und turchzuführen verjteht, einem Volke fein kann. Wie man auch über tie polnifche Theilung denken und wie entſchieden Friedrich's Standpunkt bezeichnen mag, zu einer folden Verdammniß oder auch nur zu irgend welcher Veränterung bes Urtheils, das feit lange im deutfchen Bewußtjein lebt, gıbt fie fo wenig Grund wie irgend ein anderes einzelnes Ereigniß in feiner Gefchichte.

Dies auszufprechen, hielt ich hier um fo mehr am Platze, da dem früheren Aufjag von einer Seite her eine Auslegung gegeben ift, gegen die ich mich auf das entjchiebenfte verwahren muß.

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lI. Höfler's Entdelungen im Miadenopicz.

Bon

U. Hausrath.

Herr Profeſſor Höfler wurde bei feiner Herausgabe böhmifcher Hiſtoriler der huffitifchen Bewegung *), wie er felbft jagt, von dem toppelten Gefichtöpunft geleitet, einerfeits einer Zeit zu gerechter Wür⸗ bigung zu verhelfen, „in welcher das Cechenland mit einem Male eine europäifche Bedeutung, ja beinahe die Diktatur in Europa erlangte«, anderſeits „jenem Hin⸗ und Herreden, ven rheterifchen Scmpilationen, wie fie in ver legten Zeit in literarijchen oder religiöſen Vereinen More geworben find, dem Aufputzen einer biftorifchen Purpe, welche man Hus zu nennen beliebt, ein Ende zu machen«.

Er bat ſich tabei offenbar feinem Stoffe gegenüber in einer fehr getheilten Gemüthsverfaſſung befunden. Denn während dein ultra

*) Fontes rerum Austriscarum, herausgegeben von ber hiſt. Kommilfion der f. Alademie der Wiffenfd. in Wien. I. Abth. 2. BVd. Th. 1 Ge ſchichtſchreiber der huf. Beweg. in Böhmen, edirt von Dr. 8. Höfler.

14 A. Hausrath,

montanen Hiftorifer jene gewaltige bufitifche Bewegung nur als eine traurige Verirrung erjcheinen fonnte, fo war es doch wieder dem Prager Batrieten wohlthuend, zu fehen, wie die Weltgefchichte im berfelben Zeit den Umweg über Dejterreich genommen. Die Ausgleis Kung dieſes Zwielpaltes für das öfterreichifche Hiftorifche Bewußtſein fheint denn auch bie Hauptaufgabe unferes Herausgebers gewefen zu fein, ta er fih ein Beſonderes darauf zu gut thut, bie äußerſt fehwierigen nationalen wie die confeffionellen Nüdfichten im gleichen Maße beobachtet zu haben“. Und in der That ift das für jenen Standpunkt Feine leichte Aufgabe, denn wir Andern waren mwe« nigitens feither der Unficht gewefen, die Wichtigkeit jener hufitifchen Bewegungen beruhe hauptfächlich auf dem ungeheuern Einprud, ben das Erwachſen eines afatholifchen Staatsweſens mitten im Kreife ber fatholijchen Yänder auf die bamalige Welt machte, und auf dem na⸗ tionalen Pathos des fpezifiichen Techenthums, ven dem fie getragen waren. Höfler lehnt in katholiſchem und djterreichifchem Intereſſe Beides ab und kann dennoch die Bedeutung diefer Bewegungen nicht überjhwänglich genug preijen; fein Wunder, daß ba die „neuen Auf« fajjungen« lediglich auf fich felbjt widerfprechende Behauptungen und auf das wunderliche Unternehmen herauskommen, den Hufitismus möglichft gewaltig, Hus felbjt aber möglicyft nichtig, trivial und uns bedeutend barzuftellen.

In ver Würdigung der Wichtigkeit der huſitiſchen Bewegungen, zu welcher übrigens vie Forſchungen ganz auterer Gelehrten verhols fen haben ftimmen alle neueren Hijtoriler mit Herrn Höfler über⸗ ein, und nur das müſſen wir als einen lichbenswürpigen Lokalpatrio⸗ tiemus zurüdhweifen, wenn er behauptet, der Aufſchwung ter Geijter in Europa uud das Erblüen der neuen Cultur fei minder der Kine wirkung der flüchtigen Griechen als „Karl IV. tiefem Sinn für Kunft und Wilfenfchaft zuzufchreiben, ver Prag zum geijtigen Mittelpunkt Deutfcher und flavifcher Länder erheben“, denn auf den innern Um⸗ fhwung ver Geifter hat vie Eutvedung der alten Welt, die dadurch nahgelegte Vergleihung der alten und neuen Verhältnijfe, die von dort kommende Befruchtung und Umbiltung der Aufhauungen ganz anders eingewirkt und ver damaligen Welt ein ganz anderes Correftiv geboten, als die flavifchen Bewegungen. Wenn auch den deutſchen

Höfler’s Entbediungen im Miabenovicz. 16

Berfaffungsbeftrebungen die Furcht vor ber höhmifchen Klinge ein beteutenter Impuls war, fo wurden boch die Geifter durch ganz an⸗ vere Dinge mündig gemacht.

Das aber ift wohl fo ernft nicht gemeint, wenn biefer geijtige Aufſchwung des 15. Jahrhunderts beiläufig auch "ven den großen Gongrefien ver bebveutenpften Männer aller chriftlichen Länder“ her⸗ geleitet wird, "von beren gegenjeitiger Berührung ber eleftrifche Fun⸗ fen entjprungen«. Das willen wir denn doch, was das für Geiſtes⸗ funten waren, bie bort aufbligten und auch Mladenovicz bat (p. 276 in Höfl Ausg.) davon ein fchönes Bilt gegeben.

Doch hat Herr Höfler fi) überhaupt nicht die Mühe genommen, une über die eigentlichen Urfprünge jener Bewegung aufzuflären, ges nug Daß bie feitherige Auffaffung „banale Phrafe, ein bloßes Hin⸗ und Herreden, rhetorijche Compilation« ift, die richtige Auffaffung bogegen, bie Erfenntniß deſſen, „was wahrbaft bleibend, was von weitgefchichtlicher Bedeutung, von innerer Nothwendigkeit in dieſen Bewegungen war und eine neue Zeit anbahnte», vie will Herr Höfler erit bei feinen fünftigen Publicatienen der Welt offenbaren. Bis dahin müjjen wir uns gedulden, und mit ben negativen Reſulta⸗ ten vorlieb uehmend, ihm danken, daß er uns durch eine gleichſam nee enttedte Duelle von bem „Mythus vom Hus« befreit hat.

Diefe Duelle ijt nämlich nach Höfler die wohlbefaunte Historie de fatis et actis Magistri Johannis Hus Constanciae, aus welcher man gerade feither jenes ideale Bild Hufens geichöpft hatte. Aber freilich, wir hatten nur eine wahrſcheinlich von Hutten herftammene, von Luther durch eine Vorrede fanctionirte gefälfchte Ausgabe dieſes Buches, und jegt erft bat Herr Höfler den Ächten Mladenovicz ers mittelt und ift fo in ber beneivenswerthen Lage, mit einen Echlag Hus, Luther und Hutten moralıfch vernichten zu lönnen. Es iſt um ſo beicheivener von dem Herausgeber, daß er Die Priorität diefer Ent⸗ tedung Herrn Palady überläßt, als in der von ihm citirten Stelle der köhmifchen Geſchichte Palady davon gar nicht und in der eins jigen, in ter er fich über ten Quther’fchen Text äußert, etwas ganz anderes fagt *).

“, Nämlich daß die urfprünglich böhmiſch gefchriebenen Briefe bem Ueber-

16 A. Hautrath,

Daß die Briefe fchlecht gerathen fein mögen, glauben wir Herrn Pulady aufs Wort, daß aber bie ganze Ausgabe von 37 nur eine „von Luther fanctionirte tendenzidfe Fälſchung- fei, dafür bat Herr Höfler nichts beigebracht al8 Unwahrbeiten. Ep. 253 foll eine gefälfchte Rede des Biſchofs von Leitomiſchl ftehen, dort ftehen aber bie von den Inquiſitoren aus Hufen’6 Buch de ecclesia gezogenen Wrtifel, die in andern Worten ganz genau denfelben Sinn geben, wie bie Höfler’fche Ausgabe. In einer Note citirt dann Herr Höfler biefelbe Rede als auf pag. 194 ver Briefe. Die Zahl trifft zwar wieder nicht zu, doch findet fich dieſelbe wenigitens in ver Nähe. Die Stellen, die hier ausgelaſſen worten find, weil fie geeignet gewefen wären, bie Deutfchen über das wahre Verhältniß des cechifchen Hus gegenüber ihrer Nation aufzuklären, find nun folgende:

1) Bei den Worten quidam infamatores et abtrectatores regni Bohemise fehlt ter volitommen überflüffige Relativfag quos falsos iniquos illos (illi) videlicet reputant vermuthlich bed grammat. Fehlers wegen und ftatt notitia fteht audientia.

2) Statt bes faft unverftänrlichen Satzes licet ego cum alıis praelatis christo fidem defendere quantum in eis est cupien- tibus, exstirpatione hujus secte laboraverim, demum hic in na- tione mea germanica aliqua dolenter referens non in dedecus sed in honorem regni ipsius proposuerim quoddam novum scan- dalum . . esse subortum . . . fteht einfacher und verftändlich Kcet ego .. cum aliis .. . christi fidem defendere cupientibus .. . pro exstirpatione ejus sectae laboraverim, tamen hic in voca- tione mea non in dedecus, sed in honorem regni ipsius proposui ... Die andern Stellen find noch unbedeutendere Auelafjungen, wos bei Herr Höfler neh zudem mehr Worte als ausgelaffen zu unter ftreichen beliebt, al8 ter Wahrheit entfpricht. Was aber bei dieſen Auslajfungen Höfler zur Aeußerung veranlaßte: es fei "poffirlich zw fehen, wie ta gerate die Stellen mweggelafien feien, bie für das Ver⸗ hältniß ter Yöhmen und Deutfchen von befonderer Wichtigkeit finde,

ſeter „Außerft ſchlecht gerathen“ feien, zuweilen Unſinn, zuweilen Bere fehries berichteten. Damit bat aber Balady noch keineswegs das ganze Bud für eine tenbenzidfe Ueberarbeitung erklärt.

Höfler’s Eutbeddungen im Miabenovicz. 17

das möchten wir noch erfahren. Kin zweiter Beweis, wie bie alte Unsgabe gefälfcht fei, foll wiederum durch Palacky's Namen unter« Rügt werten. Herr Höfler fchreibt wörtlich: „Daß die ungerechte Anklage, 8. Sigmund babe ven Geleitsbrief gebrochen, aus ver falſchen Ueberjegung von Hufen’s Briefen hervorging, hat bereits Herr Pa⸗ lady bemerkt und dabei auf ven lächerlichen SYrrifum aufmerkſam ges macht, wie finnesftörend ber falſche Petrus bei Gelegenheit ver An⸗ tunft des Hus in Konftanz berichtet: rex est in regno judica- mus enim quod sequatur regem forte per 60 milliaria et rever- tatur Constanciam“ , während es im ächten Petrus heißt: rex Si- gismund est in Reno quem sequitur D. Wenceslaus et nos de nocte pergimus Constantiam judicamus enim quod esset in- utile sequi regem forte per 60 milliarıa et reverti ad Con- stanciam“'!

Die Stelle findet fich allervings bei Palacky (III 1, 31T)vals Probe, wie uncorrect auch die lateinifch gefchriebenen Briefe Hufen’s erirt find“. Daß aber Palacky daraus die Yolgerung ziehe, Hufen’s Geleit fei nicht vom Kaijer gebrochen worden, ift eine Lüge. Höfler mag die Priorität biefer Entvedung ruhig für fich behalten, denn Pa⸗ lady erzählt S. 327—30 ausführlich, wie Sigmund über den Bruch) feines Geleite® entrüftet gewejen, aber aus Furcht, das Eoncil werde feine Drohung erfüllen und auseinanvergehen, endlich nachge= geben habe, und fich mit ber geltend gemachten Meinung getröftet, daß fein zum Rachtheil des katholischen Glaubens gegebenes Berfprechen giltig fein könne, das nennt Hr. Höfler: rauf die ungerechte Anklage auf- mertjam machen, als babe Sigismund den Geleitsbrief gebrochen“.

Deiteres hat er nicht für nöthig erachtet, um Luther’s Fälſchung zu conftatiren. Wenden wir uns nun zu dem fo grünbfich purificir- ten Mladenovicz, um zu erfahren, welche ganz neue Anjchauung von ber Berfon des Hus Herr Höfler aus demſelben gefchöpft hat.

Bir wollen weiter feine Zeit mit ven Expectorationen verlieren, weldhe ber Herausgeber felbjt nicht zu begrünten beliebte. Jeder Unbefangene muß es ja Herrn Höfler zugeben, daß Hus ein „Dekla⸗ mater war, befefjen von einem unwiderſtehlichen Drang fich hören zu Laffen, daß deſſen ganzes Syſtem darauf hinauslief, fich eine durch Niemanden zu beeinträchtigende Prebigerlicenz zu vindiciren, und ber

Diſtociſqe Zeitfärift VL Bam, 2

18 A. Hausrath,

hoffte, das ganze Eoncil in Grund und Boden zu reden. Kin eitler Menſch, ver ſich mit feinem Baccalaureat brüftet, es aber nie zum Doktor gebracht hat, ein fchlechtes Mönchslatein jchreibt und feine ganze Theologie aus Wikleff geftohlen hatte. Weßhalb er denn auch feinen Aerger nicht bemeiltern Tonnte, als man ihm feine Plagiate nachwies. Seine Stärte beftand im Ausbeuten der nationalen Anti⸗ pathien; fein Ideenkreis reichte über die böhmifchen Berge nicht hinaus und war unfähig, den Gedanken Karl IV. zu faſſen, ver eine Welt⸗ univerfität aus Prag machen wollte; er ruinirte bie Univerfität nur weil die beutfchen Profefjoren feiner Carriere im Wege ftanden". Belege hiefür beizubringen, hat Herr Höfler nicht für nöthig erachtet, „Und wenn es Gründe gebe wie Brombeeren, ihr ſollt feinen einzi⸗ gen haben» er wollte ja nur „ben: bloßen Hin⸗ und Herreven ein Ende machen, wie e8 in ber legten Zeit in den literarijchen und re⸗ ligtöfen Vereinen Mode geworben“, und diefe Anfchauung drängte ſich ihm eben fo im Allgemeinen auf bei ber Lecture eines Schriftftellere, von dem er felbjt fagt, „derſelbe Tenne nichts Höheres als Johannes Hus und fege ihn unbewußt dem leidenden Chriftus gleich“. Aber ein Dann, wie Höfler, liest eben andere Dinge, als gewöhnliche Menfchen.

Neben diefen allgemeinen Einprüden trägt uns Herr Höfler aber auch zwei pofitive Entdeckungen von größter Tragmwelte vor.

Die erfte ift nämlich die, daß Hus fich feinen Tod felbft durdh einen Mißgriff zugezogen, indem er nach Konftanz kam, währenp er fih nur einen Geleitsbrief an vie kaiferliche Pfalz erwirkt hatte, ftatt ſich mit einem Geleitsbrief des Concils zu verfehen. Das Eine ft unwahr, das Andere albern. Der Geleitöbrief, ven Herr Höfler ſelbſt abdruckt, lautet nicht auf die Taiferliche Pfalz, fondern auf Con⸗ ftanz und fichert ihm ten faijerlihen Schug zu "Constantiam ve- niens et e converso ad Bohemiam rediens”. Lächerlich ift aber bie Behauptung, Hus hätte einen Geleitöbrief des Concils nehmen müſſen; feit wann wäre denn ein Concil in beutfchen Landen berech⸗ tigt geweſen, Todesurtheile zu vollftreden ohne Zuziehung des welt- lihen Armes, fo daß man ein anderes Geleit gebraucht hätte als das faiferlihe? Wozu follte denn ein Concit Geleitsbriefe ausftellen, da e6 ben Ketzer in einem wie dem andern Fall zum Tode verur⸗

IV1 Hoͤſler's Entbedungen in Nladenovicz 19

theilen mußte, ſonſt aber nichts thun durfte, als ihn dem brachium seculare überliefern? Was Rechtens im Reiche war, iſt doch durch den Prozeß Luthers in Worms befannt genug, und wenn Herr Höfler glaubt, vergleichen Thorheiten vortragen zu müſſen, fo follte er we- nigftens nicht Palacky's Namen mißbrauchen, ſolchen Entdeckungen am Decoration zu dienen. | Tie andere Entdeckung aber ijt eine, wie fie eben nur im ultras mentanen Zuger geinacht werden konnte und wie fie unter den Ultra⸗ mentanen wieder nur Herr Höfler zu Tage zu fördern vermochte. Es iſt nämlich die, daß Hus felbft dad Eoncil habe zwingen wollen, ihn zu verbrennen, um dadurch Kaifer und Concil gleich jehr in Ver⸗ iegenbeit zu fegen. Er wußte wohl, daß bie Verfammlung der größ- ten Canoniſten ſich nicht ihres cigenen rechtlichen Grundes berauben würten, fondern dem Prozeß feinen Lauf laffen müßten: fo that er denn Alles, um feinen Tod herbeizuführen. Er batte ja feine Wolle nach allen Seiten bin ausgefpielt. Er hatte fich jeder Stellung, je des Platzes in ver Sefellfchaft beraubt; Sigismund hatte die ganze Ge⸗ fährlichleit des Diannes und feiner Yehren erkannt, und auch von König Wenzel ftand vie Todesſtrafe bei der Heimkehr zu erwarten. Selbſt bas Berhalten feiner Begleiter wurde ein fälteres: fie rufen ihm zu, er möge wohl überlegen, was er thue; er hatte fich durch fein Be⸗ nehmen beim Berhör allgemein verächtlich gemacht, indem er feine Qereitwilligfeit zu revociren bis zum Ekel oft wieberholte und dann dennoch im entfcheitenden Moment tie angebotene Verfühnung von fih ſtieß da blieb ja fein anftändiger Ausweg übrig als dasjenige, was er freiwillig und mit Vorbedacht ergriff, fein Ende, dem, um tragifch zu fein, ſehr jcharffinnig! die wahre Größe fehlte. In ver That Alles was möglich ift! Wir haben ung beweifen laſſen mäffen, daß vie Protejtanten ven friepliebeuden Ferdinand II. zum Kriege nöthigten, daß die Magdeburger ihre Stadt felbjt an- ftedten nun auch noch das, daß Hus im Grunde fich felbft ver- brannt Habe, in der boshaften Intention, feine rechtgläubigen Gegner in Mißcrebit zu bringen. In der That, wer den böhmifchen Dia- sifter zu einem folchen melopramatifchen Ungeheuer "aufzuftugen“ verfucht, das aller Piychologie Hohn fpricht, ter follte doch billig feinen Dritten wegen einer „hiſtoriſchen Buppe« umb einem „mythiſchen Hus« ber- 28%

20 A. Hausrath,

Hagen. Was nun aber die Begründung ber vorgebrachten Neuig- feiten betrifft, fo ift nur das imponirend, daß Herr Höfler biefen Kram einer Evition des Mladenovicz beifügt, der Seite für Seite das Gegentheil beweift.

Huß foll von den Böhmen felbft, ja fogar von feiner Umgebung in Konftanz fo ganz aufgegeben und bei ihnen fo discreditirt gewejen fein, daß der Tod als einzig anftändiger Ausweg offen blieb. Man febe nur in das Buch, in dem Herr Höfler diefe Entvedung machte. Am 13. Mai 1415 überreichen eine Anzahl böhmifcher und polnifcher Barone eine warme Apologie Hufen’ beim König Sigismund und wieberholen biefelbe noch eindringlicher in einem Schreiben an bie vier Nationen vom 18. Mai. Am 31. widerlegen fie mit gleicher Wärme bie Angriffe des DBifchofs von Lytomisl, eine weitere Proteſta⸗ tion wird am 30. Yuguft, eine weitere am 2. Februar über- reiht. Am 8. Mai 1415 richten die Nitter und Herren der Mark⸗ graffchaft Mähren im Namen ihres Kreistages zu Brünn gleichfalls eine warme und eindringliche Vorftelung an Sigismund, und eine gleiche, verfehen mit 270 Unterjchriften ver böhmifchen Nitterjchaft, läuft aus Prag beim König, eine mit 52 beim Goncil ein. Daraus folgert Höfler, Hus fei jeder Stellung in ver Gefellfchaft beraubt und allen Theilen gleich verächtlich gewefen. Gleich wahrheitsfiebend behauptet Höfler weiter, felbit Hufen’ Umgebung fei merklich älter geworben und habe ihm felbjt anheimgeftellt, was er thun wolle. Die angezogene Stelle aber lautet: Ecce Magister Joannes, nos sumus laici et nescimus tibi consulere et ergo videas, si sentis te esse in aliquibus illorum, quae tibi objiciuntur obnoxium, non ve- reris de illis instrui et revocare. Si vero non sentis te esse reum illorum, quae tibi objiciuntur, dictante tibi conscientia tua, nullo modo facias contra conscientiam tuam, nec in conspectu dei menciaris sed pocius ista in ca ad mortem quam cognovisti veritatem.

Woher follte nun Hus die Intention kommen, fich verbrenuen zu laffen, wenn e8 nicht etwa eine eigenthümliche Moncmanie war? und wenn er biefe Intention hatte, wie fam er denn dazu, feine Be⸗ reitwilligfeit zu revociren, bis zum Cfel oft zu wieberholen? Die Briefe, in denen Herr Höfler diefe Entdeckung gemacht, verfpricht er

Höfler’s Entbedungen im Miabenovicz. 21

kiter erft im 3. Band nachzubringen. Luther's „gefälfchter, Mlade⸗ nevicz enthält allerdings davon feine Spuren. Indeſſen, wie wir kiren, hat Herr Höfler nun auch ein Tagebuch Huſen's entdeckt, und wir zweifeln nicht, daß dieſe „Entdeckung- bie früheren „Entdeckun⸗ gen“ glänzend beftätigen wird. Wir werben aber auch fie mit eini- gem Mißtrauen aufnehmen, da man wenigftens jene Entvedungen weit richtiger Erfindungen nennen muß.

ul. Bon dem römiihen Bapft.

Ein Yortrag für den römifhen König Iofeph 1.

Unter den vielen handſchriftlichen Schätzen der kgl. Hof⸗ und Staatsbibliothek zu München befindet ſich ein Aufſatz mit der Ueberſchrift:

Kurz gefaßter Begriff alles deſſen, ſo einem Neu erwöhlten Rö⸗ miſchen König, fürnemblich welcher auf dem Durchleichtigiſten hauſ Oeſterreich entſproſſen, ſowohl wegen dero hechſten Perſohn ſelbſt, alſ des Röm. Reichs, vnnd deſſen Glieder: dann aufwerttigen Poten⸗ taten: Nit weniger dero Erblandten, vnnd angebohrenen Vnnderthonen zuwiſſen anſſtendig, vnnd nöttig ift.«

Im erſten Theile des Aufſatzes wird gezeigt, wie ein Fürſt und Regent an ſich ſelbſt beſchaffen ſein ſolle, und worauf er ſeine Re⸗ gierung vornemlich zu gründen und einzurichten habe. Im zweiten zeigt der Verfaſſer, wie ſich der roͤmiſche König und Erbherr künftig gegen andere fremde Potentaten und fouveräne Häupter zu richten (babe) und was ihm von Jedem zu wiffen nöthig und vorträglich fein möchte und beginnt: Bon dem römifchen Bapfte Da in biefem Abſchnitt die Stelle vorlommt: "Und hat man zu unfern

Von dem roͤmiſchen Papſt. 23

Fiten genugfam erfahren, was Frankreich unter Bapft Alexander VII. md Junocenz X1. zu Rom felbft unternommen batu, der Letzte aber m Jahr 1689 ftarb: fo ift unzweifelhaft, daß die Schrift für ven m Jahre 1690, 14. Januar erwählten römifchen König Joſeph I. tn Sohn des Kaiferd Leopold I. verfaßt wurde -und zwar vielleicht um das Fahr 169, da derfelbe erft am 26. Juli 1678 geboren und dio wohl kaum früher fähig war, die in dem Auffate entwickelten Anfichten gehörig zu würdigen. Bon wen bie Schrift herrührt, wage ig nicht zu eutſcheiden. In „Johann Beterd von Ludwig erläuterte Germania Princepe. Das erjte Buch von Böhmen, Defterreich u. f. w. Frankfurt und Leipzig. 174. ©. 812 heißt ed: Sein (ved Römiſchen Könige) Fnformator war Franz Ferdinand Freiherr von Rummel, nachmals Bifchof zu Wien. Sein Hofmeifter Wagner informirte ihn in der Hiſtorie fonderlich des deutfchen Reichs und tes öfterreihifchen Hauſes.« Einer diefer beiden möchte alfo wohl der Berfaffer des Auffapes fein, von welchem ich bier einen Abfchnitt mittbeile *), der mir ter wichtigfte fchien. Münden, im Januar 1861. Söltl.

Bon dem römifchen Bapft.

Es ift eine allbefannte und richtige Sad, daß vie päpftliche Bürte die fürnehmfte und höchſte in der Ehriftenheit fei, inbem ber Barft ‘ale Haupt der römifchen Kirche und Statthalter Chrifti auf Erven billig vor anderen Monarchen mit geziemender Ehrerbietnng ven ihnen venerirt zu werben verbient. Nachdem aber dieſe hohe Würde fo nır auf das Geiftliche anfangs gerichtet und mit nichts Anderem befchäftigt war, als ven wahren Glauben Gottesdienft und hriftlihen Wandel fortzupflanzen und auszubreiten, mit ber weltlichen Macht und Herrlichkeit vergefellfchaftet werden: hat es nicht wohl anders fein können, als daß die damit Gewürbigte auf das weltliche Intereſſe gleichfalls ihr Abſehen zu vichten und bie Vorſicht für ber Menfchen Seel und Seligleit mit tem Anliegen und (der) Sorgfalt

“) Zu wörtfigem Abdruck nur mit ber neuen Gchreibart, und Hinweglaf- fang einiger, an ſich micht bedeutenden hiſtoriſchen Grörterungen.

24 Bon dem roͤmiſchen Papf.

um zeitliche Güter zu vereinbaren angefangen und welche ben Gipfel ber höchften geiftlichen Ehren beftiegen, zugleich auch einer Oberherr⸗ ſchaft in weltlihen Dingen über andere Fürften, welchen body ber Alterhöchfte allein aus feiner göttlichen Worfichtigleit Krone und Szepter in die Hände gelegt, fi anzumaſſen Feine Schen getragen, welches Niemand mehr und höher empfunden bat als bie vömifchen Kaifer und Könige, deren Vorfahren doch der römischen Kirche fo namhafte Schanfungen gethan und durch ihre zwar lobliche Andacht und Freigebigfeit nicht allein das Neich gefehwächt, fondern auch bem Päpften Anlaß gegeben, daß felbe ihr geiftliche® Amt jeweilen hinten gefett und ihre Gedanken auf die irdiſchen und zeitlihen Güter all zuviel gewendet und ihre Gewalt noch weiter zu erftreden, die Herrſch⸗ fucht dergeftalt überhand nehmen laffen, daß felbe auch diejenigen zu unterdrücken fich nicht entblöbet haben, von welchen fie fo hoch er- hoben und in den Stand geſetzt worden, dergleichen unternehmen zu dürfen. (Folgt eine längere Auseinanderfegung über Karl den Großen, Gregor VII., Ludwig den Bayern).

Daher fo fehr ein römischer Kaifer oder König Amts halber verbunden ift, als supremus Advocatus et defensor Ecclesise in Glaubensſachen und geiftlihen Dingen dem päpftlichen Stuhl alle Ehrerbietung und Gehorſam zu erweifen, auch venfelben kräftigft zu fhügen: alfo will hingegen eben fo nöthig und anſtändig fein, fich wider dergleichen allzuweite Erftredung ber päpftlichen Gewalt wohl zu verwahren und vorzufehen, und gleichwie ein Unterſchied zwijchen dem päpftlihen Stuhl und römischen Hof zu machen ift, weil ber erftere die Glaubensſachen und (das) geiftliche Wefen, ver andere aber die weltliche Beherrſchung zum Ziel und Abfehen hat: alfo muß man Beides wohl zu unterfcheiven wilfen und nicht zugeben, daß eines mit dem andern vermifcht werde. Denn eben biefes war die Haupt« urfache, warum bie päpftliche Gewalt auch in weltlichen Dingen über den römischen Kaifer jo hoch geftiegen und die Taiferliche Autorität fo merklich geftutt worden, weil bie Bäpfte der geiftlichen Waffen fich zu weltlichen Dingen gebraucht Haben, welche vor Zeiten fo fehr ge fürchtet worden, daß Könige und Potentaten vor dem römifchen Kirchenbann erzittern mußten, und bat die verfchmigte Art und Klug⸗ heit etlicher Päpſte fich dieſes Mittels fo vernünftig zu gebrauchen

Son dem römifchen Papſt. 5

gewußt, daß biejenigen, fo fich ihnen wiberfeßt und die fchänblichen Folgen geprüfet, lieber Alles nachgeben und einwilligen wollten, als fih in Gefahr feten, von Männiglich verlaffen auch ihrer Land und Leute Szepter und Kron gar beraubt und verlurftig zu werben. Nachdem aber nichts fo Herrliches und Lobliches auf der Welt zu finden, weldyes von dem Menſchen nicht gemißbraucht auch nichts fo Heiliges und Reines, welches nicht übel angewendet werben mag, fo bat man endlich gar zu fehr wahr genommen, daß die Päpfte bie Schranken der ihnen zukommenden geiftlichen Macht und Gewalt alls zuweit überfchritten, und anftatt ſie das Himmelveich, zu welchem uns fer Heiland ihnen die Schlüffel anvertraut, ihren Schafen als geift« liche Hüter eröffnen follten, jeweil® vielmehr dahin befliffen geweſen, wie fie die wahren Eigenthume-Herren und rechtmäßigen Befiger um ihre Länder und Herrfchaften bringen möchten, welcher Mißbrauch folder Bann und Achtserklärung, womit man öfters unndthiger und ungerechtfamer Weis zugebligt felbe nach der Hand verächtlich ge⸗ macht, fo daß auch die beiten Chriſten durch dergleichen Blitz nicht mehr gefchredt werden können, wann fie nicht eine vechtmäßige Urs fach dabei befinden, wie man beffen vielfältige exempla von Boni« faz VIII und Julius II. und mehr anderen beibringen könnte, des rentwillen denn auch heutiged Tags von den Päpften felbft hiebei größere Beſcheidenheit gebraucht und dieſes Mittel des geiftlichen Banns fonderheitlich gegen gefrönte Häupter nicht mehr fo fhlechter Dinge (wegen) ergriffen wird, nachdem bie leidige Erfahrung ges zeigt, was für ſchädliche Wirkung e8 bei Heinrid VIII, König in England, nad fich gezogen. ‘Denn es läßt fich feine Folgerung von den Zeiten der erften Kirche auf die jeßige machen, weil die Kirchen⸗ disciplin damals in viel befferem Flor und (in) Aufnahm und bie Gewilfen der Menfchen in Belennung des chriftlichen Glaubens viel eifriger und die rechtgläubigen Gemüther viel aufrichtiger gegen einans der verbunden gemwefen, da fich ein Jeder feiner Gewilfenspflicht erin« nerte und die Geiftlichleit auf nichts anderes bebadht war, als was ihr Amt eigentlich mit fich brachte. Von dieſen alten chriftlichen Zei⸗ ten, fage ih, muß gar fein Schluß auf die gegenwärtige gemacht werben, in welchen die Ketzer und Schwärmer nicht allein die (zu) vor befannte Lehr des Fatholifchen Glaubens zu fälfchen und zu ſtümmeln,

26 Bon bem römifhen Papſte.

fondern auch viel Atheiften den Grund ber evangelifchen Wahrheit zu miniren angefangen, auch die Sirchenvorfteher felbft wicht jederzeit denjenigen Zweck allein vor Augen gehabt, um welches willen ihnen Gott die Macht ertbeilet, zu binden und aufzuldfen, ſondern allzu bandgreiflich zu erfennen gegeben, daß es ihnen nicht jederzeit um ben Himmel, fondern vielmehr um die Erbe zu thun fei, zu gefchweigen, daß deren Wandel und Lebensart ihnen den vermaligen Crebit und Hochſchätzung merklich beuommen und zu großem Wergerniß Urfach gegeben haben, bevorab (zumal) da ihrer Anverwandten unerjättlicher Geiz nach Geld und Gut vielmals nicht zu ſtillen gewefen, und folche Mittel ergriffen worden, wodurch nicht allein nach dem Exempel am berer Fürſten die weltlichen Güter befchwert fondern auch mit geift« lihen Dingen Handelſchaft getrieben worden.

Durch diefe und mehr andere Unorbnungen bes römifchen Ho⸗ fes hat der päpftliche Stuhl und die fatholifche Kirche felbft hienach großen Anftoß leiden und der Madel und Zleden des Hauptes ent gelten müſſen, indem unterm Vorwand der Reformation und Abſtel⸗ lung folder Mißbräuch fo viel Königreich und Länder von ber römi⸗ fhen Kirche abgefallen, ob zwar tie Urheber der leider noch dauern⸗ ben Religionsipaltung nicht durch einen Eifer für Gottes Ehre dahin angetrieben worden, wohl wiffend, daß bei laſterhaften Geiftlichen dennoch vie Reinigfeit des Glaubens könnte gefunden werben und baß der menfchlihe Wille zwar öfters zum Böſen neigte, obſchon bie ges funde Vernunft dawider wäre, und eben diejenigen Befehle und Ges fee Gottes kraft deren wir der Geiftlichfeit Fehler meiden und flies ben follen, dennoch von uns auch dieſes erfordert, daß wir ihrer Lehre und demjenigen Weg folgen follen, auf welchem wir ben Las ftern, worein fie gefallen, entgehen mögen.

Aber die Anfänger der fo fchärlichen Glaubensneuerungen wur⸗ den durch ganz andere Bewegungen biezu verurfachet und theils durch den Geiz wegen gefuchter Ablaßprebigt theils durch den Hochmuth und (fehlt) wider ben römifchen Hof Gefchöpfen Umwillen angereizt, bergeftalt, daß anftatt fie den Fehlern und Mißbräuchen feind und ge Häffig fein follten, fie fich vielmehr an die Perfonen der geiltlichen Oberen zu reiben und dawider aufzulehnen fich (nicht) entblöret und an» ftatt fie Gottes gnädige Vorforge für feine Kirche und Gemeinde bil

Bou dem romiſchen Papſte. 27

fig yreifen und bewundern follten, baß fie mitten unter ben verberb- tn Sitten und Verfolgung dennod von ihrem Grundftein nicht ber wegt werben fünnen, haben fie vielmehr davon abtrünnig werben, fin Haupt der Kirche mehr erfennen und felbe gänzlich zergliebern wollen.

Deß ungehindert aber, gleichwie ber Allerhöchfte das niemals genug gelobte Erzhaus Defterreih als eine Säule ver chriftlichen Kirche abjonverlich erwedt bat, alfo ift deu daraus entfproffenen Kaie fen und Königen dieſes und des abgewichenen Säculi fürnehmlich zu danlen, daß ver katholifche Glaube und (die) geiftliche Würde bes Nipftlichen Stuhles fo kräftig unterftüßt und aufrecht erhalten worden.

Gleihwie aber (auf die Päpfte wieder zu gelangen) die Regie⸗ rung tverfelben wegen ihres gemeiniglich abtragenven hoben Alters uicht lange Zeit bei einer Perſon zu beftehen, fonvern ſich mehrere Abwechslung al& bei feinem antern Regiment dabei zu ereignen und folglich auch nach Unterſchied der Püpfte Particular-Neigungen, Sit« ten und Humor, auch jeweild wegen ihrer Familien Privatinterefie fih öftere Veränderungen als anderswo zu begeben pflegen, inmafjen bie fo zu folder hohen Würde gelangen wollen, fich vielmals fo mei» fterlich zu verftellen wiſſen, daß man ihre Affecten und inclinationes eher nicht wahrnehmen oder errathen kann, bis felbe den Gipfel ver Hoheit erftiegen (deſſen von Sixto V. merkwürdige Proben zu leſen): als ift leicht zu ermeifen, dann an feinem chriftlichen Hof ſchwerer zu negotüren und Elugere Leut zu gebrauchen feien, als eben au dem römifchen, wo man überaus vorfichtig und behutfam handeln und gar leife in die Suchen geben, tagegen aber wohl Achtung geben muß, daß durch eine allzugroße Ehrerbietung oder Willfährigfeit dem Staat fein Schaden und Nachtheil zugezogen werbe, weil an feinem Orte gefährlicher zu handeln und leichter irr zu geben ift.

Wie fih dann vielmals ereignet hat, daß bei den Papftwahlen felbft das Abſehen übel verftellt und manchmal Einer zu der päpft- lichen Würde befürbert worben, von welchem man glaubte, feiner Geburt oter anderer Umftänte halber alles Gutes fich getröften zu können und ſich das Widerfpiel nachmals in ver That gezeigt hat, wie fich mit Paul IV. und andern eremplificiven ließe, geftalten vie geiftliche und weltliche Dignität, kraft deren bie Päpfte über andere Menſchen ers

28 Bon tem römifchen Papfte.

hoben werben, fie von ber gemeinen Art der Menſchen nicht abge⸗ fondert und alfo fein Wunder ift, daß, nachdem Einer ſich in fo ho⸗ ber Würde befindet, als dann auch andere Gedanken fchöpfe und ben Glanz oder Strahl, womit er umgeben, viel weiter fchieffen Laffe, al8 man fih von ihm etwa eingebilvet hätte, weil gemeiniglich bie große Veränterung des Standes und der Ehren auch bes Menfchen Sitten und Humor ja bie vorher gejehte Meinungen felbft zu verän- dern pflegt. Daher fi gar nicht tarauf zu verlaffen, daß Einer nachdem er den päpftlichen Stuhl beftiegen, eben nur folche Conduite halten oder diejenige Freundſchaft pflegen werbe, deren er ſich ale ein Cardinal oder niedriger Brälat befliffen Hat.

Dep unangefehen ift doch das erfte und vornehmfte Stüd, fo ein römifcher Kaiſer oder König bei der römischen Kirche zu beob⸗ achten hat, daß er bei ver päpftlichen Wahl einen großen Teil zu haben fich bemühe, als wodurch man nicht allein noch einigen Schate ten besjenigen Rechts und (ver) Befugſame, fo die Kaifer etlich hun⸗ dert Jahr in Setung der Päpfte gehabt, erhalten, fonvern auch bei bem neu erwählten fich alfo verdient und angefehben machen möge, daß man fich feiner MWohlgewogenheit und Willfahrung in allen Vor⸗ fallenheiten defto eher verjehen könne, welche Staatemarime jeweils allzuviel auffer Acht gelaffen und fo wenig darauf reflectirt worven, daß man bei dem conclavi und fonft ven nichts als der fpanifchen und franzöfifchen action zu reden gehabt, und ein vömijcher Kaifer bei dem päpftliden Hof in feiner größeren Confiveration al® ein jeder gemeiner und Heiner Fürft gehalten worven, welches nicht nur um willen des einem römischen Saifer über alle anderen Botentaten gebürenden Vorzugrechtes etwas ſchimpflich, fondern auch in vorfal⸗ lenden Begebenheiten fehr nachtheilig ift. Daher auf alle Weis zu trachten, bie Taiferliche Partei bei dem römifchen Hof zu verftärten, und bei den Promotionen und (der) Austheilung ver Cardinalhüte fih nicht präteriren zu laffen, fondern diejenige welche man biezu bes nennt, mit allem Eifer und Nachdruck zu portiren, und ohne wohl empfindliche Ahnpung nimmermehr zu geftatten, daß, wie zumeilen ges ſchehen, auf andere Kronen mehr reflectirt und verfelben Nominirung mit Ausschluß der Taiferlichen beobachtet werde, welches deſto leichter zu erreichen in alle Weg rathſam und erforberlich ift, gegen bem

Bon dem römifchen Papf. 29

römifchen Hof in weltlichen und politifchen Dingen eine Stand und Ernithaftigfeit fpüren zu laffen und vemfelben den Wahn zu beneh⸗ men, als ob man Alles gleich gelten oder fich unfchwer wieber bes fänftigen laffe.

Es wird aber zur Verſtärkung ver kaiſerlichen Partei und ver daraus zu gewarten habenden guten Wirkung allerdings nöthig fein, daß man auf folche Subjecte jederzeit antrage, welche nicht allein ihrer hohen Verdienſte und vortrefflichen Qualitäten halber fo geftals tene Würbe wohl meritiren, und Feine Austellung leiden, fondern auch daß man fich auf deren Treu und Devotion eigentlich verlaffen, und nicht geringen Nuten ſich von deren Beförberung verfprechen möge, wie dann wohl jeweild gefchehen fein dürfte, daß man folchen Leuten dazu behilflich fein wollen, welche auszufchließen die promotiones für die Kronen gar unterlaffen oder da felbe endlich mit dem Cardinalhut begabt worben, eine fo fchlechte Figur an dem päpftlichen Hof gemacht haben, daß felbe einige erfprießliche Dienft zu leiften- nicht vermögt, auch jeweil® wohl gar ſolche Subjecta promovirt worden find, deren Intereſſe mit dem öfterreichifchen nicht in Allem zugetroffen und aus deren Erhöhung mehr Schaden als Nuten zu gewarten war.

Dahingegen (zu gefchweigen anderer und älterer Eremplen) auf gegenwärtige Stund in bes Hrn. Carbinal von Gt Eminenz ein fares Beiſpiel fich zeigt, wie gut und vortrefflich fei, wann zu fo geftalter Dignität allein Leute von großer Capacität und Weriten befürdert und dabei auf nichts anderes gefehen wird, al® wie man fich berfelben Fünftig-nutlich bedienen möge.

Eben dieſes ift bei Ernennung der Beifiger in rota Romana und in allen andern Deccurenzien zu beobachten, welche einen Rapport zu dem päpitlihen Stuhl haben, als wo einem Herrn und Regenten am alfermeiften gelegen ift, wohl bevient zu werben und fich conſi⸗ derable zu machen, welches ver vortreffliche Staatsmann Antonius Berez, (weldyer bei dem Hugiften Negenten viefer Zeiten Philipp II. König in Hijpanien in folder Gnabe und Anfehen gewefen, daß er unangemeltt bei ihm freien Zutritt gehabt und mit Beſtand Nechtens nichts anders befchuldiget werden könnte, als daß er ein Mitwiffer ber ihm alleinig anvertrauten Geheimniffe gewefen und fich zum Werts zenge einer Sache gebrauchen Taffen, welche ein großer Herr nicht

80 Bon dem römifchen Papfl.

gern von fich gefagt wiſſen will) nachdem er dem unverfchuldeten Tod zu entgehen die Flucht nehmen und fich an den franzöfifchen Hof res tiriren mußte, allwo König Heinrich IV. ihm reichlichen Unterhalt gereicht, mit wenigen aber jcharffinnigen Worten zu verftehen gegeben, da er gedachter König (gefragt), worauf er fürnehmlidy bedacht und fich mächtiger zu machen befliffen fein folle, mit bloßen drei Worten ausgedruckt und drei boch erleuchte Rathſchläg zugleich gegeben bat, da er nichts Anders erinnerte, als Roma, Confeio, Pielaga. Und biefe find in Wahrheit die drei Stud, wodurch fich von felber Zeit an die Kron Frankreich fo hoch empor geſchwungen und wonad) die zwei Carbinäle, fo an dein Steuerruder der Königlichen Regierung nach einander gefeffen, ihren Staatscompaß gerichtet haben, welche zwar felbft mit dem Purpur geziert und Glieder des päpftlichen Stuhls geweſen, jedoch eine ſolche Conduite beobachtet haben, daß die Berech tigung des Königs unverlegt geblieben und auf ven böchften Punkt hinauf getrieben worden, woran fich alle hohen Miniftri billig [piegeln und e8 ihnen nachzuthun bearbeiten follten nach tem Ausspruch uns ſeres Heilands und Seligmachers: date Caesari quae Caesaris sunt et Deo quae Dei. Wie fi denn ein Fürft und Regent in Vor⸗ falfenheiten, fo den römifchen Hof betreffen, wohl vorzufehen und nicht allen Rathichlägen zu trauen, fonbern zu erwägen hat, woher felbe kommen, venn bei Manchen fonverbeitlich den Geiftlichen der blinde und unbefcheidene Eifer oder anderweitige Regards, fo fie auf ben Papft und das Jutereſſe ihres Ordens tragen müjfen, einen Regenten oftmals zur allzugroßer Coudescenz gegen ben römifchen Hof verleiten, Andere hingegen der Geiftlichkeit fo gehäffig oder deren Rathſchläge ohne das nicht nach der Richtſchnur der Tugend und chriftlichen Politique gerichtet find, benjelben zu gefährlichen Dingen und allzu⸗ großer Widerfeglichleit oftmals zu verführen trachten, alfo hierin ein Auges Maß zu treffen vonnöthen, weil der Staat und deſſen mehren. theils verborgene Angelegenheiten nicht allezeit zulaffen wellen, daß man in Allem und Jedem ſich nach der Päpfte Willen und Aufnahme des Kirchenſtaates, fondern feiner eigenen Land und Leute Wohlfahrt und Convenienz regulire. Daher man dem Erempl Kaifer Karl V. nachzufolgen, welcher als er in Welfchland vie kaiſerliche Kron zu empfangen anlam und bie päpftlichen Legaten, fo ihm entgegengefchict

Bon dem römifchen Papfl. 8

werben andielten, ee möchte vorderift ihnen eidlich anzuloben geruhen, daß er die Freiheit der chriftlichen Kirche nicht kränken und der Brant Jeſu Ehrifti feine Schmach anthun wolle, hat er feine Zufage dahin gerichtet, er wolle keine Aenderung in den Berechtigungen ver Kirche vornehmen, aber anch dem Reich in feinen Anfprüchen nichts vergeben. Welche Wort auf Parma und Piacenza gerichtet waren, fo er für Reichslehen, der Papft aber für Lehen des päpftlichen Stuhls haben wollte.

Man muß alfo eine kindliche Liebe und Unterwürfigfeit gegen- ben allgemeinen Vater ver Chriſtenheit bezeigen, aber dabei auch der Schul- digkeit, die ein Prinz gegen fich felbft und feinen Staat ob fich tragt, nicht vergeffen. Denn obfchon vie Päpfte zu vorigen Zeiten und bei dem Anwachsthum der chriftlichen Kirche den weltlichen Botentaten mit herzlicher und ungefärbter Liebe als Väter ihren Kindern zuge⸗ than waren, weil fie fi in ihrer Bedrängniß alles Schutzes von ihnen zu verfehen hatten, nachdem fie aber über die ihnen fürnehmlich zuftändige Eigenſchaft eines geiftlihen Oberhaupts auch die Mahl- zeichen eines weltlichen Negenten angenommen, und das Intereffe der Kirche mit dem Intereſſe der Welt vermifcht worden, bat man er⸗ fahren müſſen, daß fie auch nicht jederzeit al8 Bäter gegen ihre Kin⸗ der fich verhalten haben, und wollte Gott, daß man nicht auch viel irdiſch Gefinnter leider angetroffen hätte, welche aus getreuen Seelen- hütern reiffende Wölfe worden. Deſſen z. B. dürfen wir nicht weit zurüdgehen und bie uralten Gejchichten hervorſuchen fondern wollen nur die legteren Säcula ein wenig durchgehen und vorterift Papft Alerander VI. anfchauen. War nicht diefer Papft allein auf die Er- höberung und Bereicherung feines Staatd und Haufes bedacht, ge⸗ brauchte er nicht alle hiezu dienende Mittel, fo verwerflich und unzu⸗ läßlich fie auch immer fein mochten? Mußten nicht durch Diele ungemefjene Ehrfucht vie geiftlichen Güter felbft entweiht und gemiß- brancht werben? Violirte er nicht alle geiftlichen natürlichen und welt- lichen Rechte, nur daß er feinem andern Schn Cäfari Borgiä anf ven Thron verhelfen möchte, fo daß fein ganzer Lebenslauf nach un- partelifcher Gefchichtfchreiber Verzeichniß in lauter Vergiftung Ber räthereien Meuchelmorden Meineiven und andern laſterhaften Thaten befanden? Unb wenn wir Julium II. feinen Nachfolger betrachten,

32 Bon dem römifchen Papf.

deifen Leben und Wandel zwar nicht: fo gottlo8 als feines Vorfahrers gewefen, fo war er doch zu Krieg und Blutvergießen alfo geneigt uub fein Herz durch unerfättliche Begierde zu Erweiterung bes Kirchen⸗ ſtaats jo fehr entzündet, daß Welfchland und andere Potentaten von ihm nicht ruhig und unangefochten verbleiben Ionnten, wie benn Solches Anleitung gegeben, daß im Jahr 1511 das befannte Conci⸗ lium zu Bifa wiver ihn von etwelchen Cardinalen ausgefchrieben und er bejchuldigt worden, daß er zur Reformation der Kirchenmißbränuche obngeachtet er von den chriftlichen Potentaten deſſen zum öfteren er- innert worden, Solcdyes unterlaifen und hingegen in der Chrijtenheit immerfort Krieg und Unruhe anrichte und bäge, bannenbero (weine gen) die Sardinile der Kirchen und gemeinen Ruheſtand Rath zu ſchaffen mit Hülf des römischen Kaiſers, und Könige in Frankreich (jo dazumal Maximilian I. und Ludwig XII. miteinander verbunden waren) eine Kirchenverſammlung zu halten gemüjliget worden feien, wozu fie auch vermög der Concilien-Decreten zu Conſtanz und Bafel guten Zug und Macht hatten, worurch zivar witer ihn nicht viel aus⸗ gerichtet, weniger aber die Reinigung der in (der) Kirche eingefchli» henen Mißbräuche erreicht worden. Denn obſchon eine fo nöthige als gute Sache war, wenn felbe wieder in den Stand ihrer vorigen Unſchuld und Heiligkeit gefegt werten Eönnte, fo fcheint doch, Daß biefe® vielmehr zu wünfchen als zu hoffen ftehe, weil es ein Wert langiwieriger Zeit und über menfchliches Wefen ijt, weil ſich bevorab in einem folhen Ding nicht fo leicht von einer Extremität zu der an⸗ bern fchreiten läßt und würde man in Abjchaffung der alten böfen Gebräuche noch viel gefährlichere Irrungen und Mißverftändniß und einen Zumult in der ganzen Chriſteuheit erweden.

Der weltlichen $otentaten hohes mit der Kirche gemein habendes Intereſſe und gegeneinander führenve Eiferfucht würde vergleichen Re⸗ formation der Maſſen fchwer machen, daß es zu reden leichter fallen würde, Zobte zu erweden, als die Chriftenheit zu ver alten Kirchen- Disciplin Conformität des Glaubens und einmüthigem Vernehmen in Bott und weltlichen Dingen zu bringen. Genug ijt es, baß in un jerer katholiſchen Kirche, fei fie in einem Zuftand, wie fie immer wolle, Jeder darnach durch Gottes Gnade fein Heil und (feine) Ses ligleit, wann er nur will, wirken kann, und (c8) erwedt Gott noch

Bon dem roͤmiſchen Papſt. 33

immer bei der nicht mehr fo reinen Kirchen» Disciplin einige Vors fteher,, jo verjelben wieder aufzubelfen fich befleigen, allermaffen wir zu dieſen unjeren Zeiten bei den glorwürbigen Papft Innocenz XI. mit fonverem Troſt und Nuten der Chriftenheit erfahren haben.

Diejes aber (auf Julinm II. wieder zu gelangen) ift merkwür⸗ dig und dieß Orts nicht zu übergeben, daß, als Kaifer Marimilian I. fih anftellte, al8 wenn er gedacht einen Zug nach Rom zu thun, fich allda Frönen zu laffen (welches aber um willen wider bie Venediger vorgehabten Kriegs nur zum Vorwand gebraucht wurde), der Papft aber, als tem gleich allen andern Päpften vie Gegenwart eines gewaffneten Kaiſers in Welfchland mißfällig und verdächtig war, hat einen Fund erdacht und dem Kaifer burch feinen LXegaten zu vernehmen gegeben, wie daß Seine päpitliche Heiligkeit, nachtem fie vernommen, daß Maximilian nah Rom zu veijen und daſelbſt die Faiferliche Kron zu empfangen Borhabens wäre, hiebei in Betracht gezogen, derfelbe durch bie Herrichaft Venedig an ſolchem Zug und Betretung Ihrer Lande feinvlich abgehalten werten wollte, woraus großes Blutvergießen zu beſergen, welches zu vermitteln Er der Bapft befchloffen, Seine Majeſtät durch Ihr dero Legaten abwefend mit ver Tuiferlichen Würde zu begaben und Sie alſo der Mühe und Gefahr deswegen nach Rom reifen überheben wollte. Wie er dann ben Kaiſer eine päpſtliche Bull mit gulvenen Buchftaben gefchrieben überreichte, wodurch ihm ber laiſerliche Titel beftätigt wurde, alſo daß es ſolche Wirkung haben folle, als wann er gegenwärtig von bed Papſtes eigner Hand bie Kaiſer Kron empfangen hätte.

Ich fchreite aber weiter, noch einige hernachfolgende Päpſte vor- zuſtellen, und ift weltfunbig, wasmaffen Bapft Leo X., welcher Julio II. nachgefolgt, vor das Wohlergehen und hohes Aufnehmen feiner Vet⸗ tern allzufehr bemüht gewefen, fo daß die übermäßig au fie ges wendte Geldverſchwendungen und aus verkauften Ablaß-» Briefen er- eroberte Barjchaft jogar die noch dauernden Neligionsfpaltungen in Deutfchland und den mitternächtigen Königreichen erweckt bat.

Nicht weniger hat Papft Clemens VII. fein Nachfolger fich aller Staatsfünfte bedient, damit er die Mevizeifche Familie bei dem floren» tinifchen Herzogthum erhalten und befeftigen möchte. Wie bezeigte er fih gegen Earl: V. bald fo geneigt und ftiftete die Heirath zwifchen

Diſtoriſche Zeitfärift VI. Band. 3

34 Bon dem römifchen Papſt.

Carl's natürlicher Tochter und feinem Better, auf daß tiefer zum Großherzog von Toskana von dem Kaifer erflärt wurbel Bald aber widerſetzte er fich dem Kaiſer und verurfadhte bie Belagerung unb Ausplünderung der Stabt Rom und feine eigene Gefangenfchaft. Wie eifrig hat er ſich bearbeitet, feine Bafe Katharina be Medicis zu einer Königin von Frankreich zu machen |

Diefen Mangel und Gebrechen hat man auch in dem Leben und Wandel Papft Paul III. angemerkt, welcher aber jonft ein Loblicher Bapft gewefen, durch unanftändige Unterwindungen das Farneſiſche Haus, wovon er entfproffen war, reich und mächtig zu machen und demfelben beide Herzogthümer, Parma und Piacenza, zuzuwenden, für den Hauptzwed feiner Regierung gehalten. Und mit diefer Gemüths⸗ krankheit find faft alle Päpfte behaftet geweſen, bevorab welche bie Sorge und Regierung bes Kirchenftants ihren Anverwandten und Nepoten überlaffen haben. Denn obſchon jeweils ihr Abſehen gar loblich und rühmlich, ihr Leben und Wandel auch fonft nicht zu ſchel⸗ ten gewefen, fo war doch ihr Verftand aus übermäßiger Liebe und Neigung gegen die Ihrigen allzufehr eingenommen und zu unbilligen Dingen verleitet; die Cardinäle aber, welche dieſes obriften Haupts der Kirche Gliedmaſſen find und vemfelben in der fchweren Regierung Hilfhand leiften follen, werden oftmals in dem päftlichen Gonfiftorio vielmehr um eine Sach befragt, daß fie diefelbe durch ihre Genehm⸗ haltung autorifiren al8 deren Recht oder Unrecht unterfuchen follen.

Es find aber der Cardinäle dreierlei Gattungen und wohl zu unterfcheiden, benn einige derfelben über die Geburtspflicht, womit fie dem Kirchenftaat zugetban, einem regierenden Papft ihr Glück und Defürderung zu banken haben, woraus unſchwer zu ermeffen, daß fie fonft auf nichts als ihr eigenes Intereſſe bedacht feien und benjeni« gen in Allem Beifall geben, durch welche fie erhebt worden; andere aber find geborne Fürften und folglich dem Intereſſe ihrer Häufer beigethan. Endlich depentirt der mehrere Theil der übrigen Garpinäle von auswärtigen Kronen, durch welche felbe zu folcher Ehrenftell und Hochwürde befürbert worben, theild gar durch erträgliche Beftallung ober ihnen verliehene Beneficia verpflichtet oder Durch dergleichen Verheiſſungen gewonnen find, zumal ihre Promotores oder Benefaktores nicht einerlei Ab⸗ jehen und Intereſſe haben: alfo find auch dieſe in verſchiedene Faltiones zer⸗

Bon dem römifhen Papfl. 35

teilt und aus diefer fo manichfaltigen Art und Eigenfchaft des sacrı col- legüi ergibt fich von felbft, wie ſchwer mit bemfelben zu handeln und wie viel daran gelegen fei, daß man barinnen viel wohlgefinnte Gemüther und großen Anhang haben möge, zumal vie wichtigften Gefchäfte und Borfallenheiten durch gewiſſe ‘Deputirte und anordnende Congregatig« nes aus dero Mitte überlegt und dem Papft vorgetragen zu werben pflegen: Alfo Haben die dabei intereffirten Fürften und Potentaten wohl Achtung zu geben und bahin zu unterbauen, daß Niemand PVer- bächtiger oder dem andern Theil allzufehr Gewogener hiezu verorbnet werbe, weil der Bapft nicht jederzeit durch feine eigenen, ſondern durch biefer Leute Augen fieht. Und wie kann er eine Sache recht zu Ges ficht befommen, wenn diefelben von Solchen verftellt und durch aller- hand betrügliche Anftriche gefälfcht wird ?

Nicht weniger Vorfichtigkeit haben Fürſten und Regenten zu ges brauchen, welche mit päpftlichen Legaten und Nuntiis verhandeln, um⸗ zugehen oder Etwas tractiren zu laſſen bemüjfiget find, al8 von denen man fich nichts Anderes einzubilden, al8 daß fie wohl abgeführte und fchlaue Leut feien, welche niemals eine Sache vor die Hand nehmen oder fich einlaffen, bevor fie Alles wohl überlegt und fozureven in den Grund gelegt haben. Sie find mehrentheils Taltfinnige und wohl bedachte Leut, die durch Higige Gemüthsbewegungen fich, nicht leicht übereilen ober die Heiterkeit ihres Verſtandes durch die Kunſt ver allzu fenrig aufjteigenden Dämpfe verdunkeln und bewölfen laſſen, fondern ihr natürliches wohl abgewogenes Phlegma in ihren Hand⸗ ungen thut jederzeit die Oberhand behalten, indem fie alle fich dabei ereignenden Beſchwerden mit großer Sanftmuth und Geduld zu er⸗ tragen und Huglich zu Inpiren oder temporifiren wiffen. Man muß fich deſſen von ihnen vergewiſſen, daß ihr Verſtand durch gute Erfah- rung in Staategefchäften und heimlichen Unterricht aller Bewandtniß nnd Angelegenheit des Hofs, allwo fie fich befinden, alſo erleuchtet fei, daß fie in ihrem Vorhaben nicht Teichtlich fehl fchieffen oder Et⸗ was vergeben, wohl aber jederzeit einen Vortheil davon tragen wer⸗ den. Sie wiffen in Einem und Andern zu weichen und nachzugeben, damit fie deſto mehr hernach erhalten mögen. Sie pflegen mit den wichtigften und dem vorgefegten Hauptzweck betreffenden Dingen jehr wohl bevachtlich zurückzuhalten und basjenige erft zulegt hervorſcheinen

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86 Bon dem römifchen Papſt.

zu laſſen, fo das Hauptabfehen ihrer Negsciation geweſen. Sie glei- chen ven Bots⸗ und Sciffleuten, vie demjenigen Ort ben Rüden lehren, wohin fie Doch zu fahren bedacht fine, und obſchon ber gerabe Weg für den fürzeften gehalten wird, fo erwählen fie dennoch einen Umweg, um folchergeftalt deſto ficherer zu dem Ziel zu gelangen.

So muß dieſem nad) ein Regent ben Staategriffen folcher päpft« licher Nepräfentationen mit gleichförmiger Kunft und Behutſamleit zu begegnen, ſich aber dermaſſen kluglich anzuftellen wiſſen, damit er im Öeringften nichts an ſich fpüren und merfen laffe, baß er einiges Mißtrauen in ihre Aufrichtigkeit ſetze. Er muß fich äußerlich eine einfältige Freimüthigteit anzunehmen befleigen und alle bienliche Be⸗ zeigung feiner guten Meinung ausführlich. zu erkennen geben und nicht unterlaffen, was zu feiner mehreren Verbindung und guter Vertraulichkeit erjprießlich fein mag. Denn wenn ein Zürft ober Re⸗ gent e8 dahin gebracht, dag er die Liebe und (das) Vertrauen desje⸗ nigen, der mit ihm zu handeln, gewonnen hat, wird er bernachmals über feine Sinne und Berftand den Meifter fpielen können. Wan muß ſich aber dabei befcheiden, daß vergleichen Difjimulirkunft vor feine Kunſt und Geſchicklichkeit alsdann mehr zu Halten fei, fobald fie aus Bericht and von Andern wahrgenommen oder verfpürt wird. Da⸗ ber fogeftalte Vertraulichkeit ganz ungezwungen und in gewiffer Maß beftehen muß, wofern fie ihrer Wirfung nicht beraubt fein folle. Denn ſobald felbe verdächtig wird, verliert fie alle ihre Kräfte und wirfet vielmehr das Widerſpiel. Auf daß e8 aber nicht das Anfehen gewinne, als ob ich bierinfalls von meinem vorher gefegten Princip abweichen und einen mir felbft wiberfprechenden politifchen Lehrſatz einführen wolle, nıuß ich meine Meinung bierüber bejjer erflären, wie dag man fich nämlich der Gefchidlichkeit, feine Herzensgebanten klug⸗ (ih) zu verftellen und Andern das Widerſpiel beglaubt zu machen, nicht ohne Uuterſchied in allen und jeden Staatsangelegenheiten ge⸗ brauchen und fich dieſes Mittels bevienen müfje oder folle, Andere damit Kijtiglich zu betrügen, ſondern vielmehr der Audern Fallſtricken und gefährlichen Hintergehungen mit gleicher Schlangenlift zu begeg« nen und fich nach Möglichkeit verfelben zu entbrechen und alfo das⸗ jenige nicht zu einer Vergiftung zu gebrauchen, deſſen man fich als eines Praͤſervativmittels nutzlich und beilfam bedienen fol. Denn

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gleichwie die Unmwahrheit einem ehrlichen Mann fehr übel anfteht und tobelmäffig ift, daß Mund und Herz einander zuwider fei, als hin- gegen fein Menſch zu Entdeckung feiner Herzensgedanken verbunden vielweniger ſchuldig ift, daß er einen even zum Beichtuater und Richter feiner innerften Gedanken mache, und ift uns won Gott ebenfo wohl verboten, die geführlihen Wahrheiten zu eröffnen, als er uns Kräfte verliehen hat, die nöthigen und nußlichen durch unfere Zunge auszufprehen. (Wird an den Beifpielen Cäfar Borgia's und Lud- wig des Mohren weiter erläutert).

Ich Tehre aber wiederum von wannen mich bie politifche Hand⸗ Iungsart des römiſchen Hofe in etwas entfernet, und ob zwar biefelbe veritanbtnermaijen alfo befchaffen, daß man fich wohl vorzufehen, und nicht allzuviel zu trauen hat, fo foll doch zwifchen ven beiden höchften Häuptern der Chriftenheit ein gutes Vernehmen zu unterhalten bes fonderer Fleiß angewendet werben, weil ſowohl der Religion als des Staats Intereſſe folches unumgänglich erfordern will und ift fon« derheitlich wann hriftlihe Potentaten unter fich in Krieg zerfallen bie Bermittelung des römischen Papſtes nicht auszufchlagen, wenn der⸗ felbe fich al8 einen allgemeinen Vater und feinem Theil zuviel beige- than zu fein bezeigt. ‘Dann obfchon viel Päpfte fich in ber weltlichen Botentaten Späne und Irrungen nur (um) viefelben vefto mehr zu verwirren eingemifcht und eben hieraus das deutfche Kaiferthum in fo merflihen Abfall und Verlurft feiner vorigen Macht und Autoris tät geſetzt worden: fo bat man doch auch fromme Päpſte gefehen, welche turch einen rühmlichen Eifer für ver Kirchen Wohlfahrt ent- zündet allen unmäjfigen Begierden abgefagt und fich al8 Richter und Schlichter verberblicher Zwiefpalt erwiefen haben, wozu auch Nies mand tüchtiger ift al8 ber päpftliche Stuhl, und (c8) fällt jeweils ven im Krieg begriffenen Parteien die päpftliche Mediation fehr bequem, wenn fie durch langwieriges Kriegen einander abgemattet und durch ſolche heimlich anſuchende Bermittelung wieder zufrieden geftellt und gleich“ fam wilfiglich dazu angeftrengt oder zu Hinlegung ihrer Mißverftänbniffe durch auswärtige Feinde ober innerliche Schwahheit veranlaft wer ben, wie fich heut zu Tag mit der Iron Frankreich ereignet. Denn wie e8 jenen hartnäckigen und kriegsſüchtigen Advokaten zu ergehen fheint, welcye nicht aus Liebe zum Frieden, fondern aus Unvermds

38 Bon dem roͤmiſchen Papſt.

genheit ihrer Elienten von tem vermeinten Recht ausfeßen und ſich nicht durch eine lobliche Mäffigung, fondern aus Mangel der Koften zum Dergleich bequemen und es benjenigen nachmachen, welche auf ihrer Reife nicht auszuruhen fich nieberlaffen, ſondern gar figen blei⸗ ben müffen, weil es ihnen an erforderlichen Kräften weiter fortzu- kommen ermangeln will. So haben auch etliche Päpfte nicht allein vor die Hinlegung ber zwifchen chriftlihen Potentaten entſtandenen Zwiftigfeit Sorge getragen, fondern diefelben auch vor tem Wall er- örtert und die von ihnen erlittenen Schäven geheilet und verbeffert, und weil fie doch die Ehre haben, das jichtbare Haupt der Kirche ges nannt zu werben, als fie nicht unbillig derſelben Wohlfahrt und Auf nahm zu befürdern getradhtet. (So in den Kreuzzügen gegen bie Türken, bei dem Kriege des Yuan d'Auſtria). Wir müffen uns aber mit dem begnügen, daß man dem damals drohenden Uns glüd fo glüdlich entgangen und die türkifhe Seemacht von Ueber⸗ fhwenmung ganz Italiens abgehalten und gezeigt habe, daß bie vereinbarte chriftlihe Macht noch wohl das Ottomanijche Reich zu ſtürzen vermöchte, welche unfer fiegreicher Kaiſer und allergnäpigfter Herr Leopold der Große in dieſem noch obfchwebenven Krieg mit uns fterblichem Nachruhm noch mehr bewährt hat, worin die vom Bapft Innocenz XI. vermittelte Taiferliche Liga und verwilligte geiftliche Subfidien nicht wenig geholfen haben, gleichwie auch vor Zeiten, ale Soliman wider die kaiſerliche Reſidenzſtadt Wien, um bie allda vor⸗ ber erlittene Scharte wieder auszuwegen mit graufamer Macht an« gezogen, und Kailer Karl V. alle feine Kräfte einem fo wüthenben Feind entgegenfegen mußte, ver Bapft an Volk und Geld benfelben rühmlich unterftügt hat. Wie nicht weniger Papft Paulus ILL. ihm Garolo auch wider bie Proteftirenden in Deutfchland vie Hilfreiche Hand geboten und deſſen Kriegsheer mit 10” alten wohl verfuchten Soldaten verftärtt hat. Dergleihen Hülfe man (ſich) öfter zu er- freuen und nutzlich zu bedienen hätte, ba ver allerhöchfte Wille viel jo wohl gefinnte Päpfte den Stuhl Petri befteigen ließe, welche von allen unorbentlichen Affecten befreit alleinig auf die Wohlfahrt ver allgemeinen Chriftenheit ihr Abfehen richteten und man unfrerfeits nicht allein durante conclavi fondern auch in Zeit währenver Re gierung eines jeden Papſtes durch taugliche und erfahrne Leute mache drucklich und unabläßlic Unterhandlung pflegen thäte.

Bon bem roͤmiſchen Papſt. 39

Es entfteht aber bier die fernere und einem jedem Regenten zu wiffen faft nöthige Frage, ob und wie weit einem chriftlichen Poten- taten gezieme und zugelaffen fei, wider ven Papft Krieg zu führen? Alwo man fi) wiederum oben angebeuter Diftinction oder vielmehr einer Bräcifion zu bedienen und bierinfalls einen Papft nicht als Vi- carius Chrifti, der ausprudlich bezeugt, daß fein Reich nicht von dies fer Welt fei, fondern als einen zeitlichen Potentaten und Regenten des Kirchenftaats zu betrachten hat. Zumal der gefunden Vernunft und (den) allgemeinen Rechten gemäß ift, daß bie Päpfte, fo ſolche Länder und Provinzen als das fegenannte Patrimonium Divi Petri anjegt befigen und genieffen, dem Völkerrechte eben fo wohl als bie vormaligen Inhaber unterworfen feien und fie ſich auch billig zu bes ſcheiden haben, daß bei den Geiftlichen noch eine mehre Frommheit und Gerechtigkeit als (bei) den weltlichen Regenten zu vermutben, und die Werlke chriftlicher Liebe von ihnen mehr al8 (von) weltlichen Oberherrn befürbert werben folle, denfelben aber gar wohl vergönnt und zugelaffen gegen andere Potentaten in gewiſſen Fällen und Um⸗ ftänden fich felbjt Recht zu fchaffen, wann ihnen folches verjagt wird, als (ta) es mit tem Papft Feine andere oder beforgende Bewandtniß Sat. Daher als Papit Paulus IV. Philipp II. in Spanien ven Krieg ankündigen ließ, weil er fich des Königreichs Neapolis zu be- meiftern und felbes einem feiner Nepoten zuzuwenden trachtete, (ar) ter einhellige Schluß verfchievener berentwillen gefragter Gottesge⸗ lehrten und fonderheitli des Melchior Canus dahin ausgefallen: der König wäre nicht allein befugt, des Papftes Kriegsheer fich Träf- tigft zu wiberfegen, ſondern er könnte auch mit gutem Gewiffen in den Kirchenſtaat einfallen und eine Diverfion machen um dadurch dem drohenden Kriegsungewitter vorzubauen.

Gleichwohl aber muß hierin ein großer Unterſchied gemacht wer⸗ ven, ob die Waffen zu feiner feldfteigenen Befchügung oder Wieder eroberung des Berlornen gebraucht ober aber offenfive ben Kirchen» ftaat anzugreifen und zu übergewaltigen geführt werden, welches Letz⸗ tere feinem chriftlichen Potentaten vergönnt und zugelaffen, obfchon zwifchen weltlichen Regenten vie durch das Schwert errungene Pof” feffion durch ven Titel eines rvechtmäffigen Kriegs gebilliget und ger rechtfestiget werden kann. Diefen Unterfchieb nun befier zu beleuchten

m Bon bem römiſchen Papfl.

werde ich zu einer abermaligen Digreſſion veranlagt, ken wahren Grund viefer Waffen Gerechtiame deſto volllommener verzuftellen, und dasjenige, was einen Krieg rechtfertigen Tan, zu unterjuchen.

Souveräne Häupter, die fenjt feinen Höheren al® Gott und ben Degen über fich erfennen und von feinem Dienjchen auf Erden tes penbiren, find dennoch Recht und Gerechtigkeit aus Augen zu fegen feineswegs befugt und richten ihre Actiones billig nad) dem vorge- fehriebenen Maß ein, bergeftalt daß fo oft fie tie Rechte kränken und dieſes heilige Land, welches diejes große Weltgebäu in einer loblichen Harmonie und Ordnung zufammenhält, entzweien und auflöjen durften, ein anderer hoher Potentat, welchen: bierinnen zu nahe ge⸗ treten worden, wegen des ihm dadurch zugefügten Schadens und (ter) Unbilf gar wohl Abtrag zu fordern und dazu durch feine eigene Fauſt fich zu verhelfen berechtigt if. Ein felcher Krieg lauft gar nicht wider unſer Gewijjen, weil man fich dadurch zu Folge und nach Unleitung natürlicher Rechte gewalttgätiger Zunöthigungen zu befreien und felbft in Sicherheit zu fegen befugt ift, zumal Gott fein eigenes Volk die Iſraeliten wider ihre Feinde zu Feld gerüftet und ihnen fichtbarlich beigeftanden ift, auch ein Gott ver Heerichaareu bat wollen genannt werben. Die Tapferkeit ift jeberzeit für eine ver rühmlichiten Zugenten gehalten und die Kunſt und Gefjchidlichleit vie Waffen Huglich zu führen bei ven Helven (Heiden ?) hoch gepriefen worben, taß ber Ruhm Aleranders des Großen und des Julius @ä- far oder ihres Gleichen ftreitbarer Männer, wenn fie auch 100 Yahr länger gelebt und in Fried und Ruhe zugebracht hätten, doch nicht fo boch gelommen fein würde, als er in einer fo furzen Zeit durch den Glanz der Waffen und ihre unvergleichlichen Helventhaten emporge- ftiegen if. Dürfen wir ung Menfchen ver widerwärtigen Arzneien und Inſtrumenten bedienen, unfere Adern damit eröffnen oder andere leiblihe Gliedmaſſen wieder zur Genefung zu bringen mit Gift und Feuer angreifen: um wie vielmehr follen wir zu gewaltfamen Ab« belfungsniitteln fchreiten können, wenn die gelinden nicht mehr er- Heden und die Yuftiz anders nicht zuwege gebracht oder die Gefund« beit des Staats und (ber) Seele des politifchen Körpers durch keine andere Weg laun erhalten werben. Und gleichwie bie Handhabung der Gerechtigkeit gegen bie Unterthanen in der nothwenvigen Beſtra⸗

Bon bem römifchen Papft. 41

fung des Böſen und Belohnung des Guten dem Allerhöchften fehr angenehm und der Welt hochnöthig und vorträglich ift: alſo nicht weniger diejenige Manutenenz, derer ſich Große wider Große und Mächtige wider mächtige Potentaten zu bedienen pflegen, für zuläjfig zu achten. Und wäre zwar wohl winfchenswertd, daß von bei« den die Justitiam distributivam begreifenden Theilen nur ver Eine, welcher. die Tugend zu frönen und bie guten Dienfte zu belohnen gewohnt und der Welt befannt fein möchte; nachdem aber unfere im Grund verderbte und zum Böfen geneigte Natur mehr nach Laftern als Zugenden zur ftreben pflegt: alfo hat auch berjenige Theil, jo die Lafter bejtraft, weit mehr als der andere zu thun, von welchem auch bie fouveränen Häupter ebenfo wenig als die Privatperfonen befreit find, weil fie gleichmäffigen Fehlern und Gebrechen unterworfen und noch härter uud gefährlicher als vie Unterthanen fich vergreifen. Deswegen hat Gott ihnen auch das Schwert in tie Hand ges legt und Gewalt, daß fie nicht allein die lafterhaften Delinquenten ihres Staats mit gebürender Etrafe anfehen, fonvern auch von ihres Sleihen wegen ter ihnen erwiefenen Befchimpfungen und zugefügter oder verurfachter Schäden Abtrag zu fordern berechtigt feien, weil fie och fenft feinen Richter hier auf Erden über fich erfennen. Und dies ſes verfteht fich wie gemelot allein von den Beeinträchtigungen, fo einem fouverainen Fürjten von einem andern gleicher Condition vis erfahren. Den was benjenigen Fall betrifft, da ein Regent feinen Unterthanen zu kurz und Unrecht gethan, ift es eine folche Suche, darüber andere hohe Häupter gar nichts zu fprechen haben, und ber Allerhöchite feinem oberften Aichterftuhl felbe vorbehalten. Muß ein Unterthan etwa von feiner rechtmäßigen hoben Obrigfeit leiden, fo muß er zur Geduld und Sanftmuth feine Zuflucht nehmen und ift ber Herrfchaft fich zu widerſetzen oder fremde Hülf anzurufen in eis ner Weis berechtigt. Es ijt ihm nichts mehr als die Ehre des Ge- berfams und das Flehen und Bitten zu dem Himmel zugelaffen, als (von) welchem er fich allein diesfalls Hülf und Rettung getröften fol. _ Der Unterthanen Geborfamspflicht erftredt fich nicht ſowohl auf die Perſon ihres Oberherrn als vielmehr auf die hohe von Gott ihm zugelegte Autorität. Lafterhafte Fürſten find eben dieſes hohen Anſehens von Gott gewürdigt und ſoll ihnen mit gleichem Reſpect

42 Ben dem römiihen Bapk.

und Gehorfam begegnet werden als dem Ebenbilde ver göttlichen Macht und Gewalt, wenn fie fchon nicht auch für ein Ebenbild ſei⸗ ner Güte und Gnade zu achten find.

Aus ven jet angeführten Staatsgründen ergibt fich (ver) insgemein angenommene Schluß, daß fouveraine Fürften und Botentaten in Entftehung (Bermweigerung) gütlicher Satisfaltion einander befriegen und fich Einer des Anvern Lande bemächtigen und des erlittenen Schadens bei deſſen Untertyanen erholen möge, welche mithin unfchulbiger Weiß ihrer Obern entgelten und fowohl an berfelben glüdlichen als unglüdlichen Zufällen Antheil haben und von ihren Häuptern als davon dependi⸗ rende Gliedmaſſen ihre Influenz erwarten müſſen. Unb ob zwar ein dergleichen vechtmäßiger Krieg von der ganzen Welt für einen gültigen Titel das mit dem Schwert Eroberte als ein wahres Eigen- thum befiten und innbehalten zu können erachtet wird: fo wäre doch hieraus vie Folge nicht gleich zu machen, baß wenn auch zwifchen dem Römifchen Papft und einem andern Potentaten ein vechtmäßiger Krieg fih anfpinnen follte, wodurch der Kirchenftaat oder ein Theil besjelben in fremde Gewalt gerathen thäte, mit gutem Fug der Kirche auf ewig entzogen werben lönne, ba ein Papft das Patrimonium Petri nicht veräuffern oder verwirten kann. Deswegen ber Herzog von Alba in oben angezegener Begebenheit, da er wiver PBapft Pau⸗ Ins IV. im Namen feines Königs den Krieg führen mußte, feinen Marſch, ehe und bevor bie päpftlichen und franzöfifchen Völler zu⸗ fammengeftoffen und das Königreich Neapel überziehen können, eil« fertig fortgefegt, den Kirchenftaat felbft angegriffen, unterfchiepliche Ort darinnen erobert und vie Stabt Rom felbft in Furcht und Schreden geſetzt, aber fich mit bem befriedigt hat, daß er tem Papft, welcher verber mit Glimpf bahin nicht zu bringen geweſen, zu befs ferer Beobachtung feiner geiftlichen Hirtenpflicht mit Gewalt ange⸗ ftrengt und mit Neftitution des Eroberten zu einem vergänglichen Frieden gendthigt bat, worauf er gleihfam im Triumph zu Rom eingezogen und von dem Papft geiwürdiget worden, daß er von ibm zur Zafel berufen und mit dieſem Lobſpruch aus bes Papftes Munde beebrt wurde: der Herzog hätte den päpftlichen Stuhl mitten in fei- nem feindlichen Angriff befchirmet und vertheidigt.

Es erhält ſich aber auch ein großer Unterfchieb unter ven zeit»

Ben dem xömiichen Papk. 43

lichen Gütern und Lanbfchaften des Kirchenftantes, als deren theils ber Römifchen Kirche freiwillig gefchenkt und eigenthümlich übergeben werben, welche dann eigentlich das Patrimonium divi Petri zu nen» nen, antere aber haben bie Päpfte in ander Weg und burch folche Zitel an fich gebracht, ‘welche noch wohl einen Einwurf und mehrere Unterfuchung leiden dürften und nicht fo gar für befreit und. gebeiligt zu achten, daß felbe nicht eben auf folche Weis, wie fie die Päpfte an fih gezogen, wiederum auf Andere gelangen könnten. Es ift aber die Staatskunſt des Römifchen Hofes fo hoch geftiegen, daß berglei- heu Beränderung nicht leicht mehr zu befahren iſt, da erjtlich einem zeitlichen Papſt die Macht und Gewalt felbjt benommen und abges ſchnitten worben, einige Herrichaft und Kirchengüter Andern zu ver« leihen und von dem Kirchenftaat mehr abzufondern, nachben Pau« (ns III. die Fürſtenthümer Parma und Piacenza feinem Geblüt in der Berfon Peter Ludwigs Farneſe lehenweis zugewendet und dadurch verurfacht bat, daß den Fünftigen Nachfolgern vergleichen zu unter« nehmen abgeftellt worden, auch daß die Kirche durch fo geftalte In⸗ feubationes nicht ganz erarmen möchte,

Und obſchon ein jeweiliger Papft insgemein mit feinem Kriegs⸗ volk in dem Kirchenftaat verfehen, -jo bat verfelbe doch von Auſſen ber gleichfalle Leine Gefahr zu gewarten, fo lang der römifche Hof fih an feine gewöhnlichen Staatsmarimen halten thut, welche haupt⸗ fählih in dem bejteben, daß erftlih in Welfchland ver Fried und jegtmalige Vertheilung des Landes in feinem Stand erhalten werte und Seiner ber welfchen Fürften oder Republiten an Macht und Ges walt allzufehr überhand nehme ober fich in den Stand fege, den An« dern weit überlegen zu fein, welches nicht allein ver Papft ſondern auch alle übrigen italienijchen Potentaten angelegentlich zu verhindern und einander beizufpringen pflegen, deswegen ihnen und fürnehmlich dem römifchen Hof jeberzeit verdächtig und mißfällig geweſen, daß bie Kron Spanien fo ftarfen Fuß in Welfchland gefegt, welche wiederum binauszutreiben man öfters unternommen und vielleicht noch beut zu Tag wünfchen thät, zumal aber Solches nicht anders als durch die franzöfifche Macht gefchehen könnte, und dieſes Mittel viel gefährlicher wäre, als das Uebel felbft, veffen man fich dadurch zu entledigen ver⸗ meinte: alſo läßt fih der vömifche Hof vielmehr angelegen fein, bie

4 Bon dem römifchen Papf.

beiden Kronen ſtets gegeneinander befchäftigt und in gleichem Gewicht zu halten, als werin bes Papftes felbfteigene Sicherheit fürnehmlich befteht, va auch von Seiten Deutjchlants und anderer fürftlichen Pos tentaten, fo lang felbe in bermaliger Regierungsart und Epaltung tes Glaubens und Etaatsintereffe verharren, auch das Kaiferthum nicht zu ben vorigen Kräften fich wieder erfchwingen Tann, ber roͤ⸗ mifche Hof nichts zu beforgen hat. Wann es aber einft bahin kom⸗ men fellte, daß ein römifcher Kaifer feine Macht und Gewalt wieder um alfo befeftigen könnte, taß ihm feine fremde Potenz daran bin- derlich fein möchte, dürfte es wohl noch gefchehen, daß man bie alten Gerechtfame wierer in ten Schwung zu bringen und beſſer handzu⸗ haben bedacht wäre. Daher fich billig zu verwundern, daß man jegie ger Zeit an dem römifchen Hof Frankreichs Abfehen und Vorhaben nicht kräftig zu bintertreiben fucht, fondern vielmehr dazu behülflich ift, pa doch tie allzufehr zunehmende Macht und weit ausſehenden Abzielungen viefer Kron einem Papft um fo mehr verdächtig fein follen, weil der römifche Hof von biefer Potenz mehr lingelegenbeit al® (ven) feiner andern zugewarten bat, da weltkundig ift, wie man fi der verjährten und veralteten auch wirklich fchon begebenen Zu- fprüche zu bedienen und felbe hervor zu fuchen pflegt, fo daß man anf Rom felbft und ten größten Theil des Kirchenftaats fo gut ale antere Länder Prätenfiones zu formiren und weiß nicht was für ſcheinbare Rechtogründe ex lege Salica herauszupreffen ſich nicht fhenen würde, fobald man zu dem fchon lang abzielenden Zweck ge⸗ langen und die römische Kron mit der franzöfifchen wieder vereinba- ren ober fonft fih in tem Stand befinden thäte, felbe auszuführen. Und hat man noch zu unfern Zeiten genugfam erfahren, was Frank reich unter Papft Mlerander VII. und Innocenz XI. zu Rom felbft unternommen bat, woraus dann die Rechnung zu machen ift, was bei ber feither noch mehr zugenommenen Macht und erwachfenen Kräften zu befahren fei, da die Bilanz zwifchen beiden Kronen nicht mehr gleich gehalten, fondern ver einen fo bereits das Lebergewicht bekom⸗ men, und mehr zugelegt wird. Da man fich im Oegenftand gar wohl zu entfinnen weis, welcher geftalten vor Zeiten ber Kaifer Karl V. wider die Proteftirenden in Deutfchland gejiegt und die Oberhand ges habt, der römische Hof in folche Apprebenfion geratben, daß man

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Bon dem roͤmiſchen Papſt. 45

lieber den latholiſchen Glauben hat wollen in Gefahr ſtecken laſſen ds zu völliger Ausreutung ber Ketzerei dem Kaifer weitere Hülf und Leiftand leiſten, da Paulus III. vie herausgeſandte Hüffsvölfer gleich wiederum zurüdgezogen. Nicht weniger ift erinnerlich, wie daß Gregor XV. ſich mit ten Graubündnern ungehindert felbe meiftens wirriger Religion find in dem Velbtenkrieg wider Spanien verbun⸗ den und Papſt Urban VIII. in dem 3Ojährigen ‘Deutfchl. Krieg die feinnlichen Progreß mehr gepriefen als gehemmt hat, wodurch fo viel anfehnliche Erz⸗ und Bisthümer auch andere geiftlihe Güter ben Broteftirenden in Hanten und zurüdgeblieben find, dawider zwar ver Papft bei rem Weftphal. Friedenéſchluß proteftirt, aber Solches zu rerhindern den Kathefijchen im Geringften nicht geholfen, fondern ten glerwärtigften Kaifer Ferdinand II. als felbiger die verträftete Geld⸗ bülf gefucht, nichts Anders als Ablaßbrief ertheilt hat. Une fo nun bie ratio status dem Intereſſe Religionie bei tem römijchen Hof in fe weit vorbringen thut, daß man gegen das höchftloblihe Erzhaus Defterreich deutſcher und ſpaniſcher Linie fo eiferfüchtig gewefen und ſelbes nicht hat wollen höher empor fich ſchwingen laſſen, welches doch tie fürnehmfte Säule ver römifchen Kirche iſt und noch niemals eigene Patriarchen zu fegen gebroht oder fo fchimpflihe Säulen in Rom aufzurichten die Püpfte gezwungen, noch venjelben wegen der Quar⸗ tiersfreiheit Geſetze worzufchreiben begonnen hat: mit was für Augen fol man dann billig die fo ungeheure Ausbreitung der franzöfifchen Macht und Gewaltfame unb die fchon weit gebrachte allgemeine Bes herrſchung anfeben? Diefes aber fei von dem päpftlichen Stuhl genug gefagt.

IV. Behrenhorft und Bülow.

Bon 5 v. Meerbeimb.

Zwei Lebensbilver will ich verfucyen hier vorzuführen , bie beibe als Militärs und Schriftfteller auf unfer Intereſſe Anfpruch haben, da fie das alte Syſtem ter Kriegskunft, das im vorigen Jahrhundert allgemein herrfchte, zu erfchüttern begannen, und bie Keime bes heute Geltenden legten. Beide am Schluß des vorigen Jahrhunderts ihre bebeutenpfte Wirkung ausübend, waren angeregt durch alle Ideen ih⸗ rer tiefbewegten Zeit; der Eine, Behrenhorft, durch ein langes Leben poll Schmerzen und Enttäufchungen geläutert, rang fih durch alle fittlichen und geiftigen Gefahren hindurch, bewahrte bei aller geiftigen Freiheit fein patriotifehes Gefühl und kam von dem Unglauben feiner Jugend zum feften innigen Ehriftenglauben. Der Andere, Bülow, reich mit Talenten begabt, fand für feine Kraft und fein Selbftge fühl nicht genügende Thätigfeit, jeve Zäufchung, jede Demüthigung fteigerte feinen Stolz, zerrüttete Vermögensverhältniſſe kamen dazu, und feine reiche Kraft ging auf Abwegen des Lebens zu Grunde.

Behrenhorſi und Bülow. 47

Die militairifche Literatur im eigentlichen Sinne, beginnt erft mit den Kriegen Ludwig XIV., d. 5. mit den ftehenden Heeren und igrer Bedingung, einem Officiercorps, deſſen Lebensaufgabe der Krieg and die Vorbereitung dazu if. Solche Officieecorps hatte es feit ver römljchen Kaiferzeit nicht gegeben, und nur damals finden wir rein militärwifjenfchaftliche Werke, wie die des Vegez und Hygienus. Der Berfuch, den Lebensberuf wiljenfchaftlich zu begreifen, mußte zu theoretijchen Schriften über ven Krieg führen, wie fie Feuquieres, Puhyſegur und Folard uns binterlaffen haben. ‘Durch die Magazins Verpflegung, die Louvois zuerft im franzöfifchen Heere einführte, mußte der Krieg regelmäßiger, methobifcher, abhängiger von den rück⸗ wärts gelegenen Magazinen, als ven Bebingungen ver Subfiftenz des Heeres werden. Daher drehen fich die Kriege jener Zeit auf einem Heinen Terrain herum, Feſtungen werben belagert, BVerpflegungslis wien bedroht, Lunftoolle Umgebungen angeveutet oder ausgeführt, folge lühnen Züge wie der des Banner und Zorftenfohn im dreißig⸗ jührigen Kriege, wie der des großen Kurfürften nach Sütland, von Heilbronn nady ter Mark, von Berlin nach Königsberg werden ale ber Methode wiberfprechend nicht mehr ausgeführt. In folder Krieg⸗ führung, bie ſich befonders in Luremburgs Campagne in den Nieder landen zeigt, ſahen Theoretifer wie Beaurain die Blüthe der Kriegskunft. Carf’8 XII. glüdliche Kriege fchienen zuerft ver Regeln zu fpetten; bie Schlacht bei Pultawa und ihre Folgen geben ihnen bie Betätigung. Ebenſo trat Friedrich II. in ven fchlefifchen Kriegen und in den brei erften Jahren des Tjährigen Krieges wie ein Held tes 30jährigen Krieges auf, während bie regelrechte methodiſche Kriegführung in ven Armeen der Prinzen Heinrich und Yerbinand von Braunfchweig geübt wurde. Als nun fpäter auch der große König mehr vefenfiv zu Berke ging, die Entſcheidung durch vie Schlacht zu ſcheuen fchien, ds man feine Aeußerung von Mund zu Mund trug: „Prinz Hein« rich ift der einzige General ter nie einen Fehler gemacht hat“, da jhien auch er biefer Art ver Kriegführung die Weihe gegeben zu haben. Der bayerifche Erbfolgefrieg, ſowie Lasch's Strieg gegen die Tür⸗ kn, waren bie rechten Schulen des Poften» und Cordonkrieges, der van in den Rheincampagııen von 1793 und 1794 ja bie 1806 von ven leitenden Intelligenzen des Heeres als bie richtige Methode an⸗

48 &. v. Meerheimb,

gefehen wurde. Tempelhof's Gefchichte des fiebenjährigen Krieges ift als vie Hauptquelle der Kenntniß dieſes Krieges felbft ans zufehen, namentlich aber find die Anmerkungen die Grundlagen auf der alfe Kritit militärifcher Operationen, auf der fogar die fpätern Syſteme fußen. Maſſenbach, Venturini, felbft ver revolutionäre Bülow ftehen ganz auf der Grundlage eines Räſonnements, das alle Bewe⸗ gungen und Handlungen bed Heeres von ber gebietenten Nüdficht auf die Subfiftenz deſſelben abhängig macht, auf Heere mit einem an« dern Verpflegungsmodus hat ihre Theorie alfo feine Anwendung. Es war Folge einer ſolchen Anfchauungsweife, wie die Art des Er» ſatzes es nothwendig machte, daß das Heer wie ber einzelne Soldat zu einer Mafchine gemacht wurde, daß das Erercitium wie die Dis« eiplin Außerft ftrenge war, ohne irgend einen geijtigen ober fittlichen Hebel zur Einwirkung zu gebrauchen, die Majchine wurde nach me chaniſchen Gefegen und Regeln bewegt, und das Streben war nur darauf gerichtet, die eigene noch befjer zu zimmern und auszubilven, noch gewandter zu gebrauchen als ter Gegner. Sehr wahr fagte fhon damals Guibert in feinen Essai general, „die moderne Tactif hält nur fo lange Stich, als der Geift der europäifchen Verfaffungen der alte bleikt, fobald man eine Phalanx moeralifcher Kräfte zum Gegner befemmt, wird fie den Weg aller menfchlichen Erfindungen gehen.«u Ehe nun die napolecnifchen Kriege dieß propbetifche Wort bewährten, fihrieb Behrenhorft feine Betrachtungen über die Kriegs⸗ funft, Bülow feine theoretifchen und kritifchen Werte, und beide er- fhütterten durch ſie ven Glauben an die Unfehlbarkeit der preußifchen Tactik, an die Nichtigkeit der Art den einzelnen Soldaten auszubilden, und zu behandeln, endlich die ftolze Hoffnung, daß mit der aus ben Feldzügen und Schlachten des fiebenjährigen Krieges abjtrahirten Weisheit ein Gegner beficgt werben könne, ber ganz andere Mora» liſche und phyſiſche Kräfte, eine neue Tactik und neue Art der Ver⸗ pflegung mit in den Stampf brachte.

Folard und der Marfchall von Sachſen find als Behrenborft’s Vorläufer anzufehen, fie theilen mit ihm vie Vorliebe für tie Alten, heben die moralifchen Potenzen hervor, und taveln bie zu ihrer Zeit übliche Kriegführung, vie ganze Umgeftaltung unferer militärijchen Literatur, die Revolution bie fich in Folge der pofitifchen auch auf

Behrenhorſt und Bülow. 49

biefem geiftigen Gebiete vollzog, wurde durch bie beiden Männer ein« geleitet, veren Leben und deren Werle zu betrachten, ver Zweck dieſes Aufjakes ift.

Georg Heinrih von Behrenhorft wurde 1733 in Anhalt-Deffau geboren. Der Vater war Fürſt Leopold von Anhalt» Dejfau, die Mutter die Tochter des Schultheigen Söldener in Elrih, ſpäter an ten Amtsrath Rode verheirathet. Da er zum Sobbaten bejtimmt war, hatte man auf feinen Unterricht wenig Mühe verwendet, ſchon mit 15 Jahren trat er bei vem Regiment feines Vaters in Halle ein. Seine wijjenfchaftliche Ausbildung verdankte er nur dem Selbit- ſindium; 1757 als er als Arjutant zum Prinzen Heinrich kam, konnte er noch Fein Franzöſiſch und lernte es erjt auf deſſen Ermahnung "bag man doch Fein deutſches Beeſt fein möge.» 1759 wurde er Ads jutant des Königs und muchte tie Feldzüge bis 1762 als Brigade— Major mit. Gerade diefe nähere Stellung zum großen König, der eft gegen feine perfönlihe Umgebung rauh und hart war, jcheint Behrenherft zu einer Bitterfeit gegen Friedrich II. verleitet zu haben, veren Ton in ben Betrachtungen nicht zu verfennen ift. In der Schlacht bei Zorgau rettete er den König aus größter Gefahr, und biefe Begebenheit ift fo wenig befannt und fo charafterijtifch für beine, daß ich jie mit wenig Worten erwähnen will. Die öfterrei= chiſche Gavalerie hatte anfänglich) die preußifche des linken Flügels zurückgedrängt, und auch das Fußvolk fing an zu weichen. Der Kö— nig hielt ver der vorderſten LYinie, nur umgeben von Graf Friedrich von Anhalt, ver links von ihm, und Behrenhorft, ver 10 Schritt hinter ihm hielt. Auf einmal rief Anhalt: »Behrenhorjts. Behrenhorft eilte hinzu und fah ben König zurüdjiufen; Graf Aubalt konnte we- gen feines verſtümmelten Armes nicht helfen, nur Behrenhorſt Half dem König vom Pferte und trug ihn in den nahen Wald. Den König Hatte eine Kugel auf vie Bruft getroffen und war durch ben Pelzinantel, Ueberrod, Leibrock und Wefte gedrungen. Nach einigen Minuten fagte ber König: „Voyez s'il y a du sang“! Behrenhorft nöpfte ihn auf und fand nicht. „Aa vie est ce qui importe au- jeurdhui le moins, allons faire notre devoir, malheur à ccux qui ne le font pas“, fagte ver König und beftieg fein Pferd wie— ker. Als einige Tage nach ter Schlacht Beprengorf ben König

Hißsrifge Zeitſchrift VL Ban.

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ben Rapport über ven Verluft ber Preußen in der Schlacht mit " 20,000 Dann angab, rief der König: „Es Toftet ihn den Kopf, wenn die Anzahl ruchbar wirt.u Die Gefchichte des fiebenjährigen Krieges vom großen Generafftabe giebt ven Verluſt ver Preußen nur auf 12000 14000 Mann an. Seit viefer Zeit, meint Behrenhorft, habe ihn ver König hart und rüdjichtlog behandelt, weil es ihm um« angenehm gewefen, daß jener ihn in einem Woment lörperlicher Schwäche gefehen, oder wie andere meinen, weil Behrenhorft entvedt, daß Friedrich II. ein kugelfeſtes Wamms auf der Bruft getragen; vielleicht war auch Behrenhorft durch des Bringen Heinrich humane und freundliche Behandlung feiner Untergebenen verwöhnt: gewiß ift, taß er eine bittere und gereizte Stimmung gegen ben großen König nie bat unterbrüden fünnen und daß er 1762 Urlaub nad Deffan nahm, um feinen Abſchied bat und ihm auch erhielt. Der alte Fürft Hatte ihm und feinen Brüdern Vermögen binterlaffen und mußte, wie Behrenhorft meint, in dieſem Falle wohl von der Wirk fichkeit feiner Vaterfchaft überzeugt fein. In den Jahren 1765 bie 1768 begleitete er ben Prinzen Hans Jürge auf feinen Reifen durch Stalien, England und Frankreich. Der bekannte E. v. Bülow, Beh renhorſt's Neffe, hat in feinen Nachlaß die Neifeerinnerungen heran gegeben, in denen fich vieles intereffante Detail und manches für bie Sitten damaliger Zeit höchſt charakteriftifche findet. Einige Zeit brachte er bei dem Prinzen in Stettin zu, ber bier das Regiment Bevern als preußischer General commandirte. Seit 1776 verwaltete Behrenhorſt das ganze fürftlihe Hauswefen in Deffau, war Hofmar⸗ fall, Bräfivent der Rchnungskammer und Schloßhauptmann. Seine ausgebehnte practifche, wie feine wiffenfchaftliche Tpätigfeit hielten ihn nicht ab, an fich felbjt zu arbeiten, und bie ftreng religiöfe Richtung, die feine fonft jehr vernachläffigte Erziehung in ben erften Jugend⸗ jahren gehabt, trat in feinem fpäteren Dannesalter wieder hervor. Er fpricht fich hierüber, wie über den Zuftand feiner Seele, mit einer Dffenbeit und inneren Wahrheit aus, die nur mit Rouſſeau's Con- fossions zu vergleichen ift. In diefen ebenfall® in dem Nachlaß ent« haltenen Selbftbefenntniffen, vie vie Form eines Briefes an feinen älteften Freund, den Arzt Holze in Zürich haben, fagt er, wie er in jener Zeit anfing von Epicureismus und Unglauben jener Zeit zum

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Jahren las er Kants tamald erfcheinende und vielbeſprochene Werke, und dieſe regten ihn fo an, baß er biefelbe Art per Kritik auf die Wiffenfchaft des Krieges anzuwenden befchloß. Wie jener die Art der Thätigkeit des menfchlichen Geiftes und bie Grenzen deffelben feiner Prüfung unterwirft und alles jenfeits jener Grenzen Liegende als uns unerreichbar bezeichnet, fo fucht Behrenhorft vie Kriegshunft und Wiffenfchaft, nachdem er ihre Entwidelung barges ftellt, als unzuverläffig und widerfpruchsvoll zu bezeichnen. 1790 fhon Hatte er fih von allen Gefchäften zurüdgezogen und lebte nur den Wiffenjchaften und ver Correfpendenz mit feinen zahlreichen Freun⸗ den, aus feinen Briefen hat E. v. Bülow eine Auswahl in dem Nachlaffe herausgegeben, deren intereffantefte an Valentini, Maſſen⸗ bach und Rühle von Lilienftern gerichtet find. Namentlich mit Ex fterem, dem fpätern Generallieutenant von Valentini, ftand er jahres lang in fortwährendem Briefwechfel, ber alle wichtigen militärifchen, namentlich Titerarifhen Creigniffe befpricht und für vie Kenntniß um ferer Militär - Literatur jener Zeit eine wichtige Quelle ift. Diefe Briefe enthalten Urtheile über alle Begebenheiten von 1800— 1814, namentlih vie fchärfften und treffenvjten über vie Theorieen bes Krieges, welche fih damals im Gegenfag gegen jene Artter Kriegführung geltend machten, vie in ver Schlacht bei Jena ten Todesſtoß erlitt. Nach den unglücklichen Feldzügen ven 1806 und 1807 war das re gefte Leben in der Wiffenfchaft des Krieges wie in der Bubliciftil, bie Erfolge fpäterer Fahre vorbereitend. Scharnhorjt, früher in ven Böttinger gelehrten Anzeigen Behrenhorſt's Gegner, hielt in Berlin feine trefflihen Vorträge, Archenholz Minerva ging unter dem Na⸗ men Pallas in Rühle's Hände über, und deſſen „Bericht eines Augen⸗ zeugen“ wie Müffling’$ „Bemerkungen über ven Operationsplans ftellten die Fehler und Unglücksfälle im militärifchen Gebiet dar, welche hart und ungerecht, in Cölln's vertrauten Briefen, in Maſſenbach's und Buchholz politifchen Schriften gerügt waren. Die Feuer brände, Löfcheimer und Lichtftrahlen bejprachen , regten an und vermittelten biefelben Streitfragen. Hierüber liefert diefe Correfpon- denz intereffante Auskunft und felbft einen bisher ungedruckten Nach⸗ trag zu Maſſenbach's Charakteren in einer vortrefflichen Charakteriftif Braunſchweig's und Maſſenbach's. Zum Theil durch Behrenhorſt's

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Betrachtungen angeregt, ſuchte die junge Schule, die ſich ſelbſt bieweilen, an die Betrachtungen anknüpfend, die antiſaldern'ſche nannte, ſuchten außer Balentini auch -Rühle und Müffling ihm näher zu treten, auch mit Bülow und felbft mit Maſſenbach ftand er im freund» ſchaftlichen Briefwechſel; keiner hielt treuer an ihm feft al8 Valen⸗ ti, den er feinen im Geift erzeugten Sohn nennt. Diefer war ba- mals Major beim preußifchen Generalftabe, Rühleaber Mentor des Brin- zu Bernhard von Weimar mit dem Zitel eines Kammerherrn, ihn wie Müffling hatte Carl Augnſt von Weimar nach tem Frieden von Tilſit angeftellt. Müffling, ale Kammerherr am Hofe zu Weimar Iebeub, fchrieb fchon damals unter dem Titel C. v. W., und Behren- berft fagt von ihm: „er gehört zur neuen antifaldern’fchen Schule, tritt Bülow.und mir auf bie Schultern, predigt was wir längft ges prebigt haben, ohne ſich eben deſſen ausdrücklich zu rühmen, thut es ober mit Einficht , VBerftand und Genie und unterläßt nicht in feinen Briefen des Papa grauen Bart mit wohlriechenvder Seife einzubalfa- wiren.uo In einem Briefe vom 15. Juli 1812 gibt er den Rath, ven Krieg gegen Napoleon fo zu führen, wie er fpäter geführt wurde, Hauptfchlachten zu vermeiden, mit unfruchtbarem Boden freigebig zu fin, der Krieg werde fich durch die Ungeheuerlichfeit ter Streit- mittel von felbit aufzehren. Wieder ein neuer Concurrent um ben Preis, ven Rath zu dem ruffiichen Sriegsplan von 1812 gegeben a haben.

Behrenhorft war ein treuer Patriot und Haffer Napoleon’s, hatte aber Preußens Unfälle vorhergefehen, wie fie auch zur Beftätigung des Tadels, den er in ven Betrachtungen ausgefprochen, dienten. Die Viederbefreiung des Vaterlandes erlebte er noch und ftarb 1814 in Deſſan 81 Yahre alt, als gläubiger Chrift, als welchen er fich wie- verhelt in feinen Briefen und Werfen und noch auf bem Xopbette bekannte.

Behrenhorſt war ein großer kräftiger Mann, von ſeltener Schön⸗ keit und feſter Geſundheit, nur in ven letzten Jahren ſah und hörte er fhwer. Bon ihm fagt fein Neffe Bülow, ver Derausgeber des Nachlaffes: „Er befak einen hellen und tiefen Berftand, ein treffe liches Gedächtniß, einen fchlagenden Wit und ſtarkes Gefühl. Aller £üge und Dummbeit war er unverföhnlicher Feind. Sein Charakter

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war edel, mannhaft und feſt und ſchreckte anfangs durch eine gewiſſe Rauhheit, ſein Herz war aber theilnehmend und ſein Gefühl weich . wie bei einem Kinde. Er war Chriſt im beſten Einne des Worte, und es verging fein Tag, wo er nicht aus ver Vibel, Fenelon's Wer- ten, Luther’ Schriften einen Abjchnitt lad. Behrenhorſt hinterließ einen Sohn, der kürzlich ald Kanımerherr in Deſſau geftorben, einer feiner Entel dient noch in ter preußifchen Armee. Er batte einen jüngern Bruder, der ale Major 1780 verabfchievet in Deffau ale Boftmeifter lebte, und den ich hier erwähne, weil er häufig mit dem Schriftfteller verwechfelt worben ift.

In den Jahren 1795 und 96 fchrieb Behrenhorft fein Haupt⸗ werk, begann alfo feine Schriftfteller-Laufbahn im 62. Jahre; es er- fohien anonym 1797 unter dem Titel: „Betrachtungen über die Kriege kunſt, ihre Fortfchritte, ihre Widerfprüche und ihre Zunerläffigkeit«. Als den Hauptgebanlen des ganzen Werkes bezeichnet er folgentes: „Die Kriegskunft fordert einen weiteren Umfang von Wiffen unb mehr angeborene Zalente als eine der anderen Künfte und Wiſſen⸗ haften, um eine Mechanik zu bilden, vie nicht, wie die eigentliche auf unwandelbaren Gefeten, fondern auf unbefannten, alfo auch un» Ienfbaren Mobificationen der Seele beruht und mit Hebelu und Wine ben arbeitet, vie Willen und Gefühl haben. Sie hat durch Verhäng« niß in ter neuern Zeit eine erfte bewegente Kraft befommen, welcher menschlicher Muth und menfchliche Kraft ungleich find und bleiben werbens. Kurz der Verfaſſer fucht aus ver Kriegegelehrfamleit var- zutbun, wie wenig es mit ber Sriegsgelehrtheit auf fi babe, wozu die Geſchichte auf das willigfte die Hand biete. Behrenhorſt beginnt mit einer gefchichtlichen Ueberſicht und Entwidelung ber Kriegs⸗ funft, die trot ihrer Kürze noch immer vie bei weiten befte Gefchichte berfelben ift; nachdem er das Sriegswefen ver Griechen und Römer dargeftellt, erwähnt er furz das Mittelalter und vie Zeit bes 15. und 16. Jahrhunderts und kommt dann zu der Zeit, in der bie Erfin- bung bes Pulvers eigentlich erft Die Tactik umzugeftalten begann, zu ben Kriegen Ludwig XIV. Set erft wurbe bie Stellung der Heere auf die möglichfte Feuerentwidelung berechnet, wie auch jet erſt bie Ausbildung des einzelnen Soldaten, die Elementartaftif überhaupt all» gemein eingeführt wurde. Nun gebt er auf Preußen über, wo Friebrich

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Bilheſin J. und des Schriftſtellers Vater Fürſt Leopold ein Heer, eigentlich nur eine Infanterie, bildeten, die im Sinne ihrer Zeit vor⸗ trefflich war. Die Schilderung damaliger Zuſtände im Heer und anßerhalb deſſelben iſt unübertroffen und bei aller Schärfe des Ur⸗ theils doch in mildem billigem Sinn geſchrieben. Weniger gerecht iſt er gegen den großen Helden der ſchleſiſchen Kriege, den Grund ſeiner Bitterfeit,, deſſen der ſonſt edle Mann ſich wohl nicht bewußt war, habe ich oben berührt; die kindliche Liebe läßt ihm aud glauben, daß Friedrich feinen Vater zurückgeſetzt und in feinen Schriften nicht mit genügender Anerkennung beurtheilt habe. Er fagt ſelbſt, daß er bie Facta des fiebenjährigen Krieges benuge, um feine Meinung zu be« legen, »daß bis zum Hubertsburger Frieden die moderne Kriegskunſt wegen Mangels einer haltbaren Zaftif und wegen ver Befchaffenheit ver Kriegsleute noch unter bie unfihern Künfte gehöre und die mei« fien ihrer Erfolge, günftige oder ungünftige, dem Zufall beizurechnen hatte⸗ Friedrich II. war bekanntlich in ven legten Jahren des fie- benjährigen Krieges mit feinem Heere wenig zufrieden, wenigſtens nicht mit feiner Infanterie. Er fügt in der Geſchichte deſſelben: „Rad mehrerken Feldzügen wirb fich die Infanterie immer verjchlech- tern, die Cavalerie fich verbeffern", was boch wohl faum eine halt- bare Behauptung ift. Um feine Jufanterie zu verbeffern, verinderte er Einiges an Leopolv’s und Friedrich Wilhelm's Kinrichtungen. Behrenhorſt aber meint: „Wohl verjtand er vie Mafchine zu gebrauchen, winter wohl fie zu zimmern.u “Die Elementartaktit wurde durch neue Feinheiten bereichert, durch vie ftrategifche Inſtruction, die Mandvers bei Potsdam, zu denen balb Europa Zufchauer jandte, eine haarge⸗ naue PBräcifion und mechanifche Vollkommenheit erreicht, bei ver alle moralifchen Elemente unbeachtet blieben, ja verachtet wurden. So verbrängten gegen das Ende bes Jahrhunderts die Illuſionen ber Mandvrirkunſt alle Rückſicht auf Möglichkeit ver Ausübung im Exnfte, mit den wirklichen Borzügen waren Vielwiſſerei, Mikrologie, Minus tismus, Aengſtlichkeit, höchfter Grad der Grobheit, der Härte und Dienftfllaverei verknüpſt. An den Ausprud Minutismus will ich eine charalteriftifche Anelvote von dem General Saldern anknü⸗ yien, den Behrenborft immer irrtümlich Sallern nennt. ‘Diefer war Ynfpectionsgeneral in Magdeburg und, fonft als braver Soldat und

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gewandter Führer vielfach im Kriege ausgezeichnet, beſonders durch die Pedanterie und Strenge des Dienſtes, der auf die härteſte und kleinlichſte Weiſe unter ihm betrieben wurde, bekannt. Er ſchrieb ein Reglement und tactiſches Lehrbuch, das -jelbft in vielen fremden Staaten der Ausbildung der Soldaten zu Grunde gelegt wurde, daher er vor⸗ zugsweiſe als Vertreter der ganzen Richtung angegriffen wird. In dieſem Lehrbuch ſagt er an einer Stelle, „es wäre freilich vorge⸗ ſchrieben 76 Schritt in einer Minute zu marſchiren, nach reiflichem Nachdenken und vielfältigen Beobachtungen ſei er aber dahin gekom⸗ men anzunehmen, daß 75 Schritt in der Minute noch beſſer ſeien«

Der 3te, einige Jahre fpäter erfchienene Band, befpricht bie ruffifhe Armee und befondere Münnich und feine Feldzüge, es fcheint faft als fuchte er ihm als Das gute Beiſpiel aufzuftellen, wie ihm Friebrich II. das böfe Beifpiel gewejen war. “Der Ate Theil enthält Streitſchriften. Maſſenbach, damals militärifcher Referent ver allge meinen beutfchen Bibliothek Nicolai's, Mitarbeiter ver militärifchen Monatsfchrift und Höchfte Autorität in Eriegeliterarifchen Angelegen⸗ heiten, hatte „Betrachtungen über die Betrachtungen“ herausgegeben, in tenen er mit Recht Behrenhorſt's Animofität gegen Friedrich II. tabelte und fich mit geringerem Glück zum Vertheidiger ver ftehenten Heere im damaligen Sinne aufwarf. Er greift ben in den Vetrach⸗ tungen gerühnten Marfchall von Sachſen an und fpottet über Beh—⸗ renhorſt's Vorliebe für die Kriegsweiſe der Roͤmer und Griechen und feine Empfehlung ber Lanze. Auch) Scharnhorft hatte in den Göttinger gelehrten Anzeigen Behrenhorſt's Bajonetthaß verfpottet und gemeint, er wolle die Solpaten nadt, mit Bellen behangen und mit einer Steule bewaffnet in's Feld jehiten. Mathieu Dumas hatte in feinem Precis historique einige Auejtellungen bei fonjtiger Aner- fennung gemacht, biefe beantwortet Behrenhorft im Yten Theil durch quelques remarques, wie er nöthige Randgloſſen zu den hoͤchſt un- nöthigen Betrachtungen bed Herrn von Maffenbad macht. Dieſe einzelnen Entgegnungen abgerechnet, wurben die Betrachtungen mit großem Beifall aufgenommen, man fehrieb fie den bebeutenpften Män- nern, wie dem General Schlieben, zu, und Archenholz bedauerte feine ganz Tempelhoff, dem Lobrebner Friedrich II., folgende Gefchichte des fiebenjäbrigen Krieges gefchrieben zu haben, feitbem er bie „furdht-

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baren» Betrachtungen geleſen. Noch vor Kurzem bat ein viel gele⸗ fener Schriftſteller, Pönitz, gefagt: "Nur zwei Militärfchriftfteller haben Werfe von tauerntem Werth hinterlaffen, ver Verfaffer ber Petrachtungen und Claufewig, bie Werke aller übrigen werden mit ver Zeit, in ber fie entftanten, ihren Werth verlieren. Es ift ein ſchöner Zug im Charakter unferes Behrenhorft, daß er feine Anonys mität bewahrte, als das Werk allgemein Beifall gefunden; er hatte es auch nicht um eitlen Schriftftellerruhm gefchrieben. Durd einen Zufall entdedte fein Freund, der Conſiſtorialrath Demarees, einige Yahre fpäter ven Verfaffer. Er fah bei einem Buchbinder dad Ma⸗ aufcript und erkannte die Hanpfchrift.

1805 erfchienen die Aphorismen über bie Kriegsfunft, eine Samm- lung vortrefflicher Bemerkungen und Einfälle, vie ver Herausgeber des Nachlaffes noch um einige vermehrt hat. Wie Claufewig lämpft Behrenhorſt gegen die Phrafe, gegen pas was erjterer „Vorſtellungen ehne Wirklichkeit” nennt, gegen Ausdrücke wie „aufrollen,« meinen Ochſen bei ven Hörnern anfafjen,« »ftrategifche Nüdjichten«, „Schlüſ⸗ felpumfte und Stellungen⸗, und dieß Regiſter von wiffenfchaftlichen Begriffen, venen feine Anfchauung ter Praris entfpricht, ließe fich aus unferer Terminologie noch bedeutend vermehren. Er ftreitet für die moralifchen Elemente: ver Krieger müſſe glauben an Gott und Seligkeit, jo würde er tapferer fein, al® wenn er durch Phrafen von ber Unfterblichfeit des Nachruhmes echauffirt wäre. Das Bajonett hält er für eine ungenügende Waffe, das faſt nie zur Anwendung füme. Seine Darftellung des wirklichen Verlaufs eines Gefechts ift ein Pendant zu Claufewig’ berühmter Befchreibung einer Schlacht. Das Bajonett hat feit feiner Erfindung am Ende des 17ten Jahr⸗ hunderts viele und gewichtige Gegner gehabt damals Folarb und Montecuculi, fpäter ven Marſchall von Sacfen, in fiebenjährigen Kriege Behrenhorft und Tempelhoff, dann Bülow und neuerdings den Generell Marwitz. Ein Kenner der Gefchichte und Literatur würde gewiß noch viele aufzählen können.

Wie Juſtus Möfer ift unfer Schriftfteller gegen jedes Avance⸗ ment nach Berbienften, und erwähnt, wie er von den Orden fpricht, das intereffante Factum, daß Ziethben und Ferdinand von Braun⸗ ſchweig während des ganzen fiebenjührigen Krieges feinen Dfficier zu

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einem Orden vorgefchlagen haben. (Zu Nut und Frommen ber ſtra⸗ tegifchen Kritiker a posteriori erzählt er eine Gefchichte ans dem He⸗ bammeninftitut zu Bologna, die Jedem, dev folche Kritiken lieft, oft einfallen wird.)

Im Nachlaß wird eine Betrachtung mitgetheilt, die ich zum Schluß anführe, weil fie den ganzen Mann charakterifirt, und alle einzelnen Seiten feiner Wirkſamkeit darin zufammengefaßt find. Sein Spett über die fünftlihe Taktit und über die Manövers des großen Könige, die Abneigung gegen deſſen Berfon, feine Verehrung für Leopold von Deffau, feine Forderung der Religiöfität der Heere das Alles ift hier in wenigen Worten zufammengebrängt. „Syn feiner

Wiſſenſchaft ift mehr Unnüges, blos Blendendes und Spielerei, als in der mobernen Tatil. Das Ueberfeine verfelben, was fo vielen Künftlern und Erfindern die Köpfe zerbricht, ven Offizieren vie größ- ften Verweife und dem gemeinen Mann bie verbften Schläge zuzieht, ijt gerade das, was im Ernfte nie gebraucht werben Tann. Bejahrter braver Officier, Did, den der Feind nie fchredte, den Du vaftehen oder auf Did anrüden fahft und hiernach Deine Maaßregeln mit kaltem Blute nahmft, wie dauerft Du mich, wenn ich beim kunſtvollen Manöver Dih in Verlegenheit fehe: ob nicht etwa 10 Schritt an der Diftance fehlen? oder, ob Du vielleicht in den Geiſt aller ge machten Suppofitionen eingebrungen ſeiſt? Ich will es darauf an« fommen lafjen, midy der Verhöhnung vieler meiner Lefer vom Hand⸗ werfe preiszugeben, d'rauf! b’rauf! die alte Loſung der Schwe- den unter Karl XII., der Preußen in ihren erften Kriegen ift ver Kern, die Quinteffenz der ganzen practifchen Kriegskunſt. Schon vor bem Treffen ſchwebt der Sieg über dem angreifenden Heere und nur mit Widerwillen fliegt er zu dem vertheibigenden. Der Soldat, der voll heiliger Begeifterung den Gedächtnißkelch Jeſu emporhebt, ift eben der, welcher von Gideon zum Streiter erwählt worben wäre. Seid verjichert, der Donner zerjchmetterte die Gegner jener berühmten Legion, bie davon den Namen bekam; was kann einer Schaar wider: ftehen, die Glaube und Zuverficht entflammt, die der Weg des Todes zum Leben führt? Mehr als ein tapferer Serieger, der dieß lieft, wird fih erinnern, was es fei mit Zweifeln und wunbem Gewiffen dem Tode in ben Rachen zu ſchauen. Mehr ale einem jungen Krieger

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wirb es beifallen, wenn nun die unten glimmen und ber Gefchüße Knall die Lofung zum Treffen gibt.«

Wenn wir Behrenhorſt's Streben im Allgemeinen ein negatives, gegen ven Zuftand des Heeres unter und nach Friedrich II. und ges gem bie nach dem fiebenjährigen Kriege geltend gewordenen Anfichten gerichtete® nennen mußten, jo müffen wir bei Bülow eine zweite pofis tive Thätigkeit unterfcheiven. In jener hatte er im Marfchall von Sachſen und dem Berfaffer ver Betrachtungen Vorgänger, wie gleiche zeitig mit ihm ber Prinz von Ligne, durch feine zahllofen Witzworte kefannt, in feinen prejuges militaires und Brentenhoff in feinen Paradoxen bie damalige Kriegefunft mit den Waffen bes Ernftes und Spottes anzugreifen juchten; in feinem pofitiven Streben, ein Syitem ver Kriegführung im Großen zu entveden, hatte er keinen Vorgänger, wenn er gleich durch eine Stelle der Betrachtungen angeregt zu fein befennt. Ginzelne Regeln und Borfchriften, abjtrahirt aus hiſtoriſchen Beifpielen oder aus der Natur ver Sache jelbit, Lehrbücher ver Aus» bildung ber Solvaten, bie hatte man feit des Prinzen Mori von Oranien erftem Exercirreglement, aber ein Syſtem der Kriegführung, das alle möglichen Kriegsbandlungen aus einem ober einigen allge- meinen Gruudſätzen herleitet, das hatten weder Puyſegur in feiner Art de la guerre noch Friedrich II. in feinen „Inſtructionen für meine Generale» zu geben verfucht. Wenn es ein Verdienſt ift, vie bunten, mannichfaltigen, wechjelvellen Bilder des Kriegeelebens auf Ne magere Schnur eines abftracten Princips gereiht und andere Enfteme als die Jomini's, des Erzherzog Karl und neuerdings Willi« fen’8 angeregt zu haben, fo gebührt dieß Verbienft nuftreitig Dietrich ron Bülow. Bülow erfannte in den YOger Jahren und in ten erjten biefes Jahrhunderts die Schwächen unferer Kriegführung. Friedrich IL Heeresformation, Ausbildung, Kriegführung und Angriffsmethode war auf feine Zeit und ganz befonders auf die Schwächen feiner Gegner berechnet, und da waren fie, wie taufend glänzende Er⸗ folge bezeugen, vortrefflih, nie hat er ihnen cine abfelute Gültigkeit jugefchrieben. Als nun bie Revolution ein neues Heer, in Allem von jenen Gegnern des großen Könige verjchieden, auf den Kampiplatz führte, da waren wenige, die einen deutlichen Begriff von ben völlig veränderten Gefechtöverhältniffen hatten, denen man auch mit einer

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entſprechenden Taktik begegnen müſſe. Die damals im preußiſchen Heere geltenden Anſichten, bitte ich mit Höpfner's Worten ſchildern zu dürfen. „In dem Exercitium ber preußiſchen Infanterie beſtand nach ber Anſicht ver Offiziere die eigentliche Stärle der Armee. Das Res glement hatte früher mit Recht die Norm für Europa abgegeben, Offiziere aller Nationen waren nach Potsdam gekommen, um von den Wachparaden und Manövers Friedrich II. Vortheil zu ziehen, bie älteren Offiziere glaubten fih noch 1306 auf dem Höhenpunkt takti⸗ fher Ausbildung. Der Ecellon- Angriff ftand noch im vollen Ans feben, wie im fiebenjührigen Kriege, man bielt ihn nach wie vor für das ficherfte Mittel zum Siege und übte ihn bei allen Zuſammen⸗ ziehungen, wandte ihn auch bei jeder Gelegenheit vor dem Feinde an ohne ſich etwas dabei zu denken. Alle Vortheile des Echellon-Angriffs batten feinen Werth gegen einen Feind, ber eine fehr bewegliche In⸗ fanterie und Cavalerie befaß, der eine Aufftellung in Colonnen und das zerftreute Gefecht in großer Ausbehnung und vor Allen eine Ziefiteliung von mehreren Treffen und eine Referve anwendete- und an anderer Stelle: „anfehnliche mathematifche und große Terrainkennt⸗ niffe waren es faſt ausfchließlich, die bein Generalftab zu feinem Dienft befühigten, Kenntniffe, die wefentlich zu ver Anfchauung von ber Kriegführung gehörten, die man fich theoretijch gebildet hatte und bie die Truppen auf's Genauefte mit den Terrain verband. Cine vor- züglich in der preußiichen Armee ausgebildete höhere Anficht von ver Formation des Terrain's brachte in dieſe Ktriegführung ein fcheinbar wijfenfchaftliches Moment und gab ihr ein geijtoolles Anfehen. Die örtlichen und räumlichen Verhältniſſe wurden ausfchließlicher Ge⸗ genftand der Beachtung, man fprach nur ven Straßen, Communicas tionen, DVerpflegungsrapien und Stellungen, nie von Streitkräften, deren Zahl und Befchaffenheit, niemals von meralifchen Angelegen- beiten. Der General Gramert und Maffenbah waren WRepräfen- tanten dieſer Anfchauungsweife.u Dieſe Anfichten theilt Bülow noch vielfach, fein Syſtem ruht auf ähnlicher Grundlage, feine Kri- tit fußt auf denfelben Grunbfägen. Dennoch erkannte er viele Schwächen ber damaligen Zuftände, und bie Keime ber Gebanfen der fpätern Reorganifation unferes Heeres, die Ahnung ver Folgen eines Zuſam⸗

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menſtoßes mit tem napoleoniſchen Heer finden wir zerſtreut in feinen Schriften ausgefprochen. Deßhalb und wegen feines noch bauernten Einflufjed auf unjere militärijche Literatur muß ih ein Wort das turch manchen Schatten getrübte Bild feines vielbewegten Lebens vors anichiden.

Dietrich Heinrich Freiherr von Bülow wurbe 1757 in Falten⸗ berg dem Gnte feines Vaters in der Altmark geboren. Sein älterer Bruder war ver Feldmarſchall, ver Sieger von Großbeeren und Dene wewig, zugleich ausgezeichnet durch feine Kompofitionen geiftlicher Muſik. Dietrich kam als Knabe in bie Berliner Viilitärfchule und trat mit 15 Fahren in ein Ynfanterieregiment, fpäter ging er zur Cava⸗ Ierie über. In einem feiner Werke belennt er, während feiner ganzen Dienftzeit nie einen Stall betreten zu haben. Auch fagte ihm ber Dienft der Subalternen nicht zu, er ftubirte ben Polybius und Fo⸗ lard und von nicht militärischen Schriftftellern Rouffeau; deſſen Xecs türe nährte feine Abneigung gegen vie ftaatlichen und gefelligen Zus ftände, bie fich fpäter zum bitterjten Haße fteigerte. 1790 nahm er ven Abfchieb und ging nach Belgien, wo eine Empörung gegen (Jos ſeph II. ausgebrochen war, um unter General Schönfelbt zu dienen, doch fand er Teine feinen Wünfchen entfprechende Verwendung, uud kehrte zurüd, ohne fich ausgezeichnet zu haben. In Preußen fuchte er eine Schaufpielergefellfchaft zu engagiren; als er in Tangermünde fpielen wollte, verweigerte e& ihm der Magiſtrat, weil er feine Con⸗ ceſſion Hatte; er verkaufte daher die ſchon befchafiten Coftüme und Decorationen an ben fpätern Director Butenop und ging 1792 nad Amerifa. Es mag al® Beweis dienen, wie wenig ficher die Nuch- richten über fein verlorenes Leben find, daß Behrenhorft, ter perſön⸗ lich mit ihm befannt war, von einer Reife nach Afrika fpricht; er fehrte bald zurüd und berevete feinen Bruder, ihr gemeinfames, ges ringe® Bermögen in Glaswaaren zu fteden, mit einer folchen Ladung nach Amerila zu gehen und fie dort mit Vortheil zu verkaufen, um fo ein Vermögen zu erwerben. 1795 gingen fie bin, gaben viel Credit, um bie Waaren loszuwerden, belamen nichts bezahlt und ver loren ihr ganzes Vermögen. Nach Berlin zurüdgelehrt ſchrieb Bü⸗ low fein Hauptwerk: „Geiſt des neueren Kriegsſyſtems⸗, in Folge deſſen er eine Anjtellung beim Duartiermeifterftabe hoffte, fie erfolgte

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nicht, und nachbem er noch ein Buch über das Gelb gefchrieben, das an Hogarth's Bild jenes Mannes erinnert, der im Schuldthurm einen Plan zur Bezahlung der englifchen Nationalſchuld entwirft, und nachdem er Mungo Park's Reifen überfegt hatte, ging er nach Eng⸗ land, um ta ein Journal zu fchreiben. Doch fand er keine Ab⸗ nehmer, wurbe in Schulthaft genommen, ging endlich erlöft nad Baris, foll Hier nach einer unwahrfcheinlichen Angabe der Gal⸗ lerie preußifcher Charaltere Agent der veutfchen Meichsritterfchaft ges weſen jein und kehrte 1805 nach Berlin zurüd. Bei feiner völligen Mittellofigkeit mußte er für Brod fchreiben und in dem kurzen Zeit raum dreier Jahre verfaßte er, außer mehreren Flugfchriften und vielen Artikeln in Zeitfchriften, die Lehrfäge des neuern Krieges, die Ge ſchichte des Feldzuges von 1800, die neue Taktif der Steuern, bie fritifche Gefchichte des Prinzen Heinrih, Blide auf zufünftige Bege⸗ beuheiten und ven Feldzug von 1805. Bei feinem Drang, bie im befebenven Ideen mitzutheilen, auf Andere zu wirken, genügte ihm vie Schriftftellerlaufbahn nicht; troß feines unruhigen, wehl ziemlich fitten- fofen Lebens, fanden Swedenborg's Träumereien bei ihm Kingang, und er fuchte Profelyten zu machen, Toll fchon in Amerika in frome men Gonventifeln geprebigt haben und erwartete, einer Sweden⸗ borg’jchen Weiffagung zufolge, im Jahre 1818 eine Umwandlung ver Welt und ven Beginn des taufentjährigen Reichs, in dem ihn, Bär low, eine ausgedehnte Apoftelthätigkeit beftimmt fei. Bei fcharfem Beritande, vielem Wit, auegebreiteten, aber ungeorbneten und ober flächlichen Kenntniffen, bei unmäßiger Citelfeit, mußte ihn vie ftete Stfolglofigkeit feiner Haftigen, ungeſtümen Thätigkeit "in Verachtung einer Welt bineintreiben, beren Mängel er im Einzelnen Mar genug erfannte, ohne die Höhe eines Standpunktes gewinnen zu können, von dem ans auch diefe als nothwendige Stufen der Entwidelung erfcheie nen. Seine fchnell aufeinander folgenden Schriften find im Grunte nur Wiebergeburten feines Erſtlingswerkes; um feinen Wig und feine Schärfe, um berentwillen feine Bücher gelefen und bezahlt wurden, anzuregen, trank er, wie Jean Paul, aus Probuctionseifer, trank, ım feine unendlich brüdenden Geloverlegenheiten zu vergeffen, und lebte in der erjchöpfenden Abwechfelung angeftrengter geiftiger Thätigkeit und zügellofen Genießens. Ueberallhin begleitete ihn fein überreistes

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Selbſtgefühl, das ſich, Mirabeau's Wort parodirend, in dem Urtheil über feinen Bruder ausſprach: „Mein Bruder iſt zwar der Dümmſte von uns beiten, aber doch der klügſte Officier der preußiſchen Ars me. Gebr feltfam ift das Urtheil der Gallerie preußifcher Charake tere: »Mancher, der Bülow gekannt Hat, könnte ihm vielleicht wegen feines freien und nicht eben Feufchen Lebens nur für einen unechten Schüler Swedenborg's halten, man bedenke indeß, daß es ihm mit feinem Myſticismus ebenfo gehen mußte, wie mit feinem militärifchen Syſtem. Da viefes von Niemand befolgt wurte, und er nicht im Stande war, fich eine entfprechende Welt zu fchaffen, fo trat er, turch Die Umſtände verleitet, das nit Füßen, was ihm das Heiligſte wor. Wenn fich zuweilen in ver Handlungsweife und dem Syſtem genialifcher Menſchen eine Verſchiedenheit zeigt, fo liegt der Fehler nicht fowohl in ihnen felbft, al8 in ihren Umgebungen. Die Ums fände ſetzen fie in Wiberjpruch mit fich felbft wären biefe für Bülow günftiger gewefen, er würde ein Heiliger geworben fein,“ Eine feltfame Apolegie, freilich viel, charakteriftifcher für Maſſenbach als für Bülcew. Der Feldzug von 1805, militärijch-politifch betrachtet, enthält neben einer äußerſt ſcharfen Kritik ver Operationen ber Oeſter⸗ reicher und Ruſſen eine Menge politiſcher, religiöfer, philoſophiſcher Reflerionen uud Bemerkungen von dem ungleichiten Werthe. Neben überrafchend treffenden und ſchlagenden Worten ftehen andere höchft amvahre, von fait unbegreiflicher Ignoranz zeugende, die ber Feder eines fo gewanbten Kopfes nur bei fo gebantenlofer und baftiger Viels ſchreiberei entfließen konnten. Jede Seite aber ift Zeuge grenzenlofer Bitterleit und der maaßloſeſten Eitelkeit und Selbftüberjchägung. Im Tefterreih, wohin das Buch heimlich gefchafft war, ging es reißend ab, und fein wie Rußlands Gefanbter forderte Bülow's Verhaftung. Erin letztes Lebensjahr und Ende befchreibt Behrenhorſt in feinen Briefen an Valentini und Rühle, vie bezüglichen Stellen theile ich nachſte hend mit, da fie zugleich interefjante Urtheile über ihn und feine Schriften enthalten.

"Bülow figt feit dem 7. Auguft in der Hausvegtei, feine Pa- piere find verfiegelt, und alle Exemplare den Buchhändlern wegge⸗ nommen. Man kann ihn kanm bebauern, denn die Schrift ift wirflich raſend, im dieſem Betracht verbient er einen Platz im Irrenhauſe.

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Man hat ihn bei einem Mädchen in der Kronenftraße arretirt und daſelbſt noch eine fehr gravirende Correſpondenz mit einem Herrn von Nordenſchild in Stodholm gefunden. In ver wegen feiner Ver⸗ haftung erfolgten Cabinetsordre ift verfügt, feinen Verftandeszuftanb durch Aerzte zu unterfuhen, um ihn, fall® er verrüdt befunden, im die Charite zu liefern.“

Die Aerzte erklärten ihn für völlig bei Verſtande, und man bes (bloß, da die Kataftrophe von Jena eingetroffen, ihn nach Colberg zu bringen. Als er die Nachricht von der Schlacht erhielt, fagte er: „Das kommt davon, wenn man tie Generale einfperrt und einfäl tige Menjchen commandiren läßt.“ Maffenbach foll Anfangs Oktober Bülow’s Rath noch aus ter Hausvogtei eingeforvert haben. Auf der Durchreife in Stettin wurte Bülow vom Pöbel, ter ihn für Lombard hielt, mit Eteinen gewerfen und in Colberg in ftrenger Haft gehalten. Später wurde durch den Commandanten Gneifenau feine Lage fehr verbeffert, bis er ſich in einem Weinhaufe prügelte, und Gneifenau ihn wieder in ein Zimmer über dem Thore einfperrem ließ. "Wit und Laune haben ihn nie verlaffen. Schade, daß diefer Genius fich fo oft im Ninnftein gewälzt bat, in der Wirklichkeit auf ven Straßen zu Colberg, moralifch in feinen nachgelaffenen Hands fohriften. Geift ift in Allem, aber umgeben von mancherlei Schmuß, vorzüglich von den Ausbrüchen des gröbften Egoismus”. Später wurde er nach Riga eingefchifft und übergab ein Manuſcript, das ber Empfänger verbrannt bat, mit ven Worten": „Dieß Schreiben an Napoleon über Politik und Staatsverwaltung ift das Beſte, was ich in meinem Leben gefchrieben.«

"Auf dem ruſſiſchen Schiff ift es ihm übel ergangen; da feine geringe Equipage aus Verſehen zu Colberg zurüdgeblieben war, bat er die ganze Seereife in leichtem rad und Sommerhofen machen müfjen, ein Umftand, ver wahrfcheinlich zu feinem frühen Tode bei⸗ getragen. Nah Einigen ift er 1808 in Riga am Nervenfieber, nad Anderen in Folge einer Schlägerei in's Gefängniß geworfen an er- haftenen Wunden gejtorben.« Behrenhorſt fchließt jeinen Brief an Kühle: „Er Hätte ſich ungemein gut geſchickt, der Duintus Yabins eines Friedrich II. zu werben, eines Regenten, ter ohne helle Köpfe zu fcheuen und zu fürchten, ihnen die Freiheit ließe, ihre Zungen bis

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su einem gewiljen Punkte zu gebrauchen.o „Mit 1200 Rthl. Jahre gehalt und Tafel bei Hofe, welchen Pla in ber Gefellfchaft würde Dietrich von Bülow mit dem Wiß, der Laune, und ven Kenntniſſen die ihm zu Gebote ftanten, nicht ansgefüllt Haben! Beinahe ven größten Theil feiner Immoralität muß man feinem wibrigen Schidfal . zuſchreiben: Dürftigkeit, bei Mangel an Hoffnungen und Ansfichten, m eine fo gefährliche Lage, daß Niemand, ver nicht felbft in einer ähnlichen geftedt hat, weiß, wie tief fie leider auch das ebelfte Gemüth m ven Koth zu drücken vermögen iſt.“

Bülow war ein langer, hagerer Menfch, fehr cholerifch, mit fchar- fen, ſtechenden Augen, die über eine große Habichtenafe fortfahen. Benngleich tie Gallerie ihm die Fähigkeit des mündlichen Vortrags abſpricht, fo war doch fein Gefpräch äußerſt belebt, feine Bemerknn⸗ ven von gebrängter Kürze und von fchlagendem Wit. Das Drückende feiner Lage Tonnte er nicht verbergen und fiel im Gefpräche oft fich mberoußt in tiefes Nachdenken, war bann wieder ruckweiſe fehr mun⸗ tr. Wenn wir einen Rüdblid auf ein fo wild umgetriebenes , fo dend endendes Leben werfen, deſſen Refultate Bülow’ großen Ta⸗ lenten doch wenig entfprechen, fo mögen wir an feines Rouſſeau wahres Wort uns erinnern: „Il est trop difficile de penser noble- ment, quand on ne pense que pour vivre.“ j

Bülow war der erite, der ein Syſtem der Kriegführung aus fpe- eulativen Gründen aufzuftellen verfuchte, nicht aus ver Erfahrung früherer Kriege, abſehend von ten ſtets veränderlichen Verhältniſſen des Striegstheaters, der Organifation der Heere, von den meralifchen Elementen fuchte er ein immer gültiges Syſtem nach geometrifchen Grundfägen aufzuftellen, das in der Wirklichkeit ganz auf die ba- malige Art ver Verpflegung bes Heeres aus Magazinen und bie tete Abhängigkeit deſſelben von biefen rüdwärts liegenden Punkten berechnet war. Behrenhorft hatte dagegen zu zeigen verfucht, ein Sy⸗ Rem ver Kriegführung fei für alle Zeiten unmöglich, diefe Wiffenfchaft habe nichts Pofitives, und das Streben danach führe zur Meberfchäßung ver miechanifchen, zur Unterfchägung der moralifchen und intellectuel- len Elemente des Krieges. So wenig praftifchen Werth Bülow's Sys kem auch Hat, fo ift doch feine Terminologie ber Literatur geblies ben; vie Ausprüde Taltik und Strategie, deren Definitionen dag

Hißsrifge Zeitfgrift V. Baud.

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Stedenpferb aller Theoretiker geworden find, Hatten vor ibm noch feine conventionelle Bedeutung. Friedrich IL 3. B. fpricht, etymolo⸗ gifch ganz richtig, von einer tactique oblique und meint damit feine fchräge Schlachtoronung. Die Worte und wohl auch bie Begriffe der Bafirung einer Unternehmung, ihres Objects, ihrer Subjecte find burch ihn eingeführt. Wie Valentini, Rühle von Lilienftern, Clau⸗ fewig und Ponig auf Behrenhorſt und Scharnhorft fußen, fo fin bie Syſteme des Erzherzog Karl, Jomini's, Willifen’8 und das neuer⸗ dings befannt geworbene des General Pfull auf Bülow’s Werk zu rüdzuführen: fie unterfcheiden fich von ihm wohl in den Refultaten, aber nicht in der Art der Anfchauung.

1798 erjchien der „Geiſt des neuen Kriegsſyſtem's⸗ hergeleitet aus dem Grundſatz einer Bafis der Operationen. Bei der Termine logie wird fih fein Syſtem am leichteften erläutern laflen. Der Gegenftand, auf den eine operirende Armee losmarſchirt, iſt das Ob⸗ ject, die rückwärts gelegenen Punkte ihrer Subfiftenz, Feſtungen mit Magazinen, Stügpunfte find ihre Subjecte, die Marſch⸗ und Berpfles gungswege find die Operationslinien, die die Subjecte verbindenbe Linie ift die Baſis. Diefe Bafis und die äußerften Operationslinien, bie fi) am Object ſchneiden, bilden einen Zriangel, deſſen ver Bafis gegenüber liegender Winkel 90° fein muß, wenn die Unternehmung ges hörig bafirt fein fol. Auf dieſem Grunpfag beruht fein ganzes Sy ftem, eigentlich ift dieſer Grundſatz fein Syſtem. Glaufewig fertigt ihn in feinem „Lehrbuch von Kriege“ mit den wenigen Worten ab: „Ein witiger Kopf verfuchte eine Menge von Umftänden: vie Ernäß rung bes Heeres, die Ergänzung befjelben und feiner Ausrüſtunge⸗ mittel, tie Sicherheit feiner Nachrichtenverbindung, endlich die Sicher» heit feines Rückzuges in einen Begriff, den ber Bafis zuſammenzu⸗ faffen,, und zuerft dieſen Begriff allen jenen einzelnen Beziehungen, dann aber wieder die Größe der Baſis ihr felbft und zulett den Win⸗ fel, ven die Streitfraft mit diefer Bafis macht, ver Größe verfelben zu fubftitwiren, und bieß Alles blos um auf ein rein geometrifches Nefultat zu kommen, welches ganz ohne Werth ift.« Im Sinme feiner Zeit, fcheint er im Object ber Operation nur einen Ort, eine Feſtung, ein Magazin, eine Hauptftabt, lurz ein Subject bes Feindes zu feben, nicht aber den Feind felbit, während Friedrich IL wie Na⸗

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poleon zum Ziel ihrer Unternehmungen faſt überall das feindliche Heer wählten. Das Heer aber ijt beweglich, bald bier bald da; es läßt ſich alfo unmöglich nach Winkeln und Graben ver Werth einer Operation beftimmen. Die tactifhen Regeln entiprechen dem Grmupfag einer umfaffenden Bafis: der Feind foll in der Fronte feftgehalten und dann umgangen werden daher faherin der Schlacht kei Erefeld die volllominenjte tes jiebenjührigen Krieges —; dem cons centrifchen Angriff mit umfajjenver Bafis entfprechend (vie Frontal⸗ Aszriffe zum Schein, ber Hauptangriff ftets in der Flanke) foll ver Rüdzug excentriſch zeriplittert fein. Einer feiner Kritifer wirft ihm wit Recht ver, da ber Angreifer das Heer im Ganzen gefchlagen, Irandye er ja nur fein Heer in ebenfoviele Theile zu zerjplittern und er wärbe ibn fo gut en detail fchlagen, wie vorher en masse. Bü⸗ sw fagt, er Habe die Kriegstunft aus der Förperlichen Organifation hergeleitet: von zwei Kämpfern fuche einer dem andern bie Eeite ab» moewinnen, weil unjer Körper mehr nach vorn als feitwärts zu idlagen fähig ift; ebenfo fei e8 mit Heeren, von denen eins dein an« vern die Flanke abzugewinnen fuchen müſſe. Wenn er nun auch ver Erfinder dieſes Witzes ift, was hat er mehr gethan, als längft bes lannte Dinge in nener Form ausgefprochen. Gerade jo ift es aber nit feinem Grimdfa ver Bafirung. Schon dem Cyrus wiberrieth man, in das Land ber Mafjageten zu gehen und fich fo weit von Perfien zu entfernen, aus denſelben realen Gründen, die Guſtav Adolph veranlaßten, erft Pommern zu erobern, ehe er nach Sachfen und Bayern trang; turch die abjtracte Form eines Grundſatzes wird die Sache weder Harer noch anſchaulicher, und höchitens hat ver wifjen« fchaftliche Ausdruck gewonnen. Eben durch vie fcheinbar wilfenfchaft« liche Form, namentlich durch mathematiſche Ausdrucksweiſen, gebt ſehr oft die Klarheit und Deutlichleit der Vorſtellung verloren. Wenn man Bülow's Geijt des Kriegsſyſtems burchblättert, fieht e8 aus wie ein geometrifches Handbuch, und die ftricte mathematiſche Beweisfühs zany nimmt leicht ven Geijt gefangen, gegen jeten folcher Wort- fehter ift man verloren, wenn man die Prämiſſen zugiebt, bier alſo meieht, daß fich eine Reihe Feſtungen durch einen Strich, eine Armee derch ein Heine Oblongum, wieder eine Feſtung durch einen Punft ww der Marſch einer Armee durch einen Strich verfinnlichen laſſe, . j " b*

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und daß alles, was hier von Strichen und Punkten baarfcharf ber wiefen werde, auch auf bie leibhaftige Wirklichkeit, auf Heere muthi⸗ ger und Fräftiger, von kühnen Führern geleiteter, ober feiger, er⸗ ichöpfter, planlos hin und ber gezerrter Menfchen zu übertragen ſei. Bülow und die nachfolgenden Syitematifer vergeffen, um Claufewig’ trefflichen Ausbrud zu gebrauchen, daß bie Bewegung ber Mafchine des. Heeres auf dem Papier feine Friction erleivet. Ich bitte hier vorgreifen und ein fchlagenves Veifpiel aus einem fpätern Werle Bü⸗ low's anführen zu dürfen, wo er auf faft komiſche Weife ein höchſt complicirtes Verhältniß des wirklichen Lebens durch ein vielfaches Nechenerempel zu erläutern fucht und ben Zahlenbeweis ohne Weis teres auf die Wirklichkeit überträgt; er vergißt ganz, daß eine Zahl wie eine geometrifche Figur nur begriffliche Wahrheit Hat, und baß alles Rechnen nur ein Umformen des Auspruds if. Bülow will gegen Buchholz’ Behauptung beweifen,-baß je größer ein Staat, je mehr Bortheil, je mehr Kraft für das ihm angehörige Individunm. Den 2 +2 =2x2—=4 Dagegen 200 4 200 = 200 = 200 x

x 39,600 repräjentirt den Vortheil größerer Staaten über Heine: das klingt wie Wahnfinn, aber Beifpiele ähnlicher Art, nur weniger kraß, finden fich in viel gelefenen Büchern, ſelbſt Rühle von Lilienſtern's Bericht eines Augenzeugen, enthält eine folche Bes weisführung. So fehr nun auch Bülow's Shftem noch in den Feffeln der Vorurtheile feiner Zeit ftedt, fo wenig man feine Grunpfäge als allgemein gültig wird anerkennen wollen, fo Har erkannte er bodh die Mängel des damaligen preußifchen Heeres. Behrenhorſt fchwebte immer ver Zuftand der legten Regierungsjahre Friedrichs vor, zu Bülows Zeit war fehon manches geändert, vie Disciplin war milver geworden, das Exercitium wurde fchlaffer betrieben, das Selbftver«- trauen war wanlend geworden, die gewaltigen Erfolge franzdfifcher Waffen lagen klar genug vor Augen, aber zu ben nothwendigen Re⸗ formen fam es nicht. In den Anmerkungen zur 2ten Ausgabe bes Kriegsſyſtems fagt er unter anderm: „Ein preußifches Infanterieregi⸗ ment führt 200 Pferde mit ſich (jeder Subalternoffizier hatte ein Reitpferd). Man hat es mir übel genommen, daß ich verlange, die Faͤhnriche ſollten ohne Federbetten in ben Krieg ziehen. eben betten wie unkriegeriſch! wenn’® noch Bärenbäute wären.«

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Bon dem Bajonett, ale deſſen Gegner ich ihn anführte, fagt er mehe originell als wahr, aber bezeichnend für bie formlofe Schreib«- were: „Die eulenfpiegelartige Eonftruction ber Kolben, das Fappernde, Rumpfe, verbogene Bajonett, mehr geeignet, im Kriege eine Hammeld« feule zu braten, als einen Feind zu turchitechen, die Erercice mit diefer fonterbaren Waffe, von dem Soldaten Kuhfuß, von ten Offis jieren hyberboliſch Gewehr genannt, die ganze Befchaffenheit der Ge⸗ wehre legt uns das vollfommenite Exemplar einer Schilpbürgererfin- ang dor Augen. Bekanntlich waren 1806 die Gewehre vieler Re- gimenter in faft unbrauchbarem Zuſtande. "Wenn bie Frage entjteht, eb die Infanterie zweckmäßiger zu bewaffnen fei, fo erkläre ich mich mm Bortheil ver Pile, die Folard die Königin der Waffen, Homer ven Echreden der Menſchen und Hunde nennt.“ Ueber die Salvern« und Lasch'ſchen Taktiker, die als Wertheitiger einer ausgebehnten Mauer Heiner Poften meinen, man müfje feine Feftungen haben, weil der Feind, wenn er fih in unferem Lande feſtſetzt, jchwer daraus zu vertreiben fein würbe, bemerkt er treffend: "Das ift gerade fo, als wenn man deßhalb feine Thüren in feinem Haufe haben wollte, weil ein Dieb, der hineingebrochen wäre, nur befto fchwerer hinauszuwerfen wire.a Schon 1798 fagte er prophetifch: „Kin von leichter tirailli- render Jufanterie umgebenes Duarree gehört unter die bebauerlich- fen Objectes, und verfinnlichte e8 durch eine Zeichnung des concen⸗ trifchen Feuers der Tirailfeure, des ercentrifchen ber Colonne. Die Schlacht von Jena und namentlich die fächjifchen Bataillone im Ge- fechte von Saalfeld beftätigten feine Behauptung. ‘Den Echellon-An« griff, in dem tamals das preußifche Heer ein Recept zum Siege fah, hielt er in thesi für fehlerhaft und meinte, durch ihn habe Friedrich II. feine Schlacht gewonnen, felbft bei Leuthen Habe nicht ver fchräge Angriff in gebrochener Linie, fontern ber Flankenangriff ben Sieg entſchieden. Mit gleichem Rechte tadelt er die Form bes Quarrées en cr&maillere die Form einer Levkoye fei eben fo zwedmäßig, das Echrägfenern, das Pelotonfeuer und ähnliche Künfteleien, die er Sup» yefitionen der Paratetaftif nennt. So zeigt er allerbings eine größere Einficht in vie veränderte Natur der damaligen Kriege, als die Tüh- rer des Heeres, und fein Selbftgefühl entbehrte nicht aller Begrüne vun. Den Grundfag ber Baſirung befennt er felbft aus einer

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Stelle ver Betrachtungen gezogen zu haben. Behrenhorſt fpricht ein- mal von win gehöriger Breite bafirten Unternehmungen mit Räds fiht da® Eroberte zu behaupten“ und an anderer Stelle, im $ten Theil, von einem offenfiven Dreied, deffen Bafis von Antwerpen bis Maftricht gebt, während die Schenkel in Landrech zufammenlaufen. Der 3te Theil erfchien 1799, Bülow’s Buch 1798, er behält alle ven Anfpruch auf bie Erfindung, nennt fich aber an mehreren Stellen Behrenhorſt's Schüler und fpricht überall mit böchfter Achtung von ihm. Die mehrften feiner andern Schriften Tann ich übergehen, da fie nur frühere Ideen reprobuciren, immer mehr Srembartiges in ben militärifchen Stoff hineinziehen, um das abftracte Geripp ſchon bes fannter Begriffe mit einigem Fleiſch zu bekleiven und bie nöthige Bogenzahl zu füllen; bie Art feiner Darftellung wurde immer flüch- tiger, fein Ton rüdjichtslofer und pofjenhafter. Die „neue Taktilk der Steuern, wie fie fein follte«, die wiever manches Neue und Wahre enthält, beginnt ironifh: „Die Taktik auf den Exercierplätzen ift etwas in fich felbft Vollendetes nach dem äfthetifchen Grundſatz vom Göthe und Schiller. Sie hat ihren Zwed in fich ſelbſt. Auf dem Erercierplage zu glänzen, das ift ihr Zwed. Ich hingegen befchäfe tige mich mit einem ibealifchen Heere, welches in Friedenszeiten etwa zum Kriege vorbereitet würde." Die folgenden Abjchnitte über Errichtung, Erhaltung, Ausrüftung und Webung te& Heeres find ganz im Sinne der am weiteften gehenden Vorſchläge zur Reorgani⸗ fation unferes Heeres nach dem Frieden zu Tilfit. Er fügte ſchon 1805, worauf fi unfere SHeeresorganifation zum Theil gründet: "Disciplin, Taktik, Muth find nur mitwirtende Potenzen, die Waffen, die Quantität ver Streiter entfcheidetu. Und an anderer Stelle: "Die Schlachten ver Zukunft werben durch Ziraillirfeuer entfchieden wer⸗ den«, was turch die Echlachten bei Groß- Görfchen und Lignh und neuerdings durch das Gefecht von Schleswig eine, wenn auch bedingte DBeftätigung findet. Sein neuer tactifcher Grundſatz, den er eben fo wichtig, als den der 90 Grad im ftrategifchen Gebiete findet, daß nemlich »das Dbject des tactifhen Angriffs nicht der Schlüffel ver tactiſchen Bofition, ſondern ter Echlüffel ver ftrategifchen Bafis“ fein fell, feheint mit Napoleons Angriffen auf ter innern Linie über» einzuftimmen. Diefe Taktil wollte er Antiſaldern und Antilasch«

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nennen, was bie Cenſur nicht billigte, ba die Wittwe bes General Eoldern noch lebe und dadurch gekränkt werben könne. Da ber Berleger die Gegenfchriften gegen Bülow mit der Zaktif zufanmen- zudrucken wünfchte, fo nannte er diefe „Antibülow”, da er nicht unter bie Reputationen zu gehören glaubte, die fein „Anti- zuließen. Der Ae Auffatz dieſes Antibülow ift vortrefflich, und faft möchte ich Va⸗ lentini für den Berfaffer halten; Bülow wird überall mit feinen eig. nen Waffen gefchlagen, und mit geometrifch logifchen Beweifen fein Syſtem als falſch erwiefen. Die gründlichfte Prüfung und Beur⸗ tfeilumg erfuhr er in Rühle's Auffag in ver Pallas: „Ueber Gel« tung und Bebeutung des Begriffs Operationsbafis.«

Sein Syſtem machte bei feinem Erfcheinen das größte Auffehen, ebwohl es bie erwünfchteften Früchte einer Anftellung nicht trug, mehrere feiner Werke wurten in's Dänifche und Franzöfifche überfekt, amd der bänifche General Binzer fchrieb 1803 eine Abhanplung über fie. In Deutfchland griff ihn Gaugreben heftig an, auch Maſſen⸗ bach in der allgemeinen deutſchen Bibliothek und Scharnhorft in den Göttinger Anzeigen recenfirten ihn ungünſtig. Am fchlagenditen ift er durch Rühle, Jomini und Balentini widerlegt. 1807 erſchien in Berlin eine Brodhüre: „H. v. Bülow nach feiner Hhpergenialität und feinen Abentbenern gefchilvert«, vie ich nie zu Gefichte bekommen babe; bie Artikel im Militär-Sonverfationslericon von v. d. Kühe und im Brodhaus’fchen find nur Auszüge aus dem parteiifchen Charaktere bilde der Maffenbach’fchen Gallerie. Eine neue von jenen nicht. bes untzte Duelle bieten die Briefe Behrenhorſt's. Das meifte Auf fehen machte Bülow's berüchtigtes Buch über den Feldzug von 1805, deſſen Grfcheinen für ihn fo unglüdlihe Folgen batte. Bülow, faft der Erinnerung der Gegenwart entſchwunden, ift fürzlich durch einen vielgelefenen, aber oberflächlichen, klatſchſüchtigen Wielfchreiber, Behfe, neben Maffenbach als einer ver Märtyrer Preußens dargeſtellt worden. Behſe, der vermuthlich nie eine Zeile von Bülow gelefen, meint, biefer wäre wegen feinen liberal »conftitutionellen Anfichten, wegen feiner deutſchen kriegsmuthigen Gefinnung, wegen feines Fran⸗ zefenhafjes von der damals herrichenden Partei Haugwitz, Lombard, Bob, die Vehſe Samarilla nennt, eingefperrt und geopfert worden. Run finden wir in dem in Rebe ftchennen Buche Bülow als ven

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Lobredner Haugwitzens. Er ſieht in dem Schönbrunner Vertrag, der Hannover an Preußen brachte, Preußens Rettung, er empfiehlt wie Maſſenbach und Buchholz die fraͤnzöſiſche Allianz, haßt Rußland und England und hofft im Sinne der ſpätern Continentalſperre die Vernichtung der engliſchen Seehegemonie, erwartet und hofft eine Uni⸗ verſalmonarchie Napoleons, mit einer Erhaltung: ver Dynaſtie durch Adoption, wie unter Zrajan und den Antoninen, „Gott, bat, führt er fort, die Franzoſen zur Herrfchaft beftimmt, weil fie durch Ehre und Decenz die Eorruption mildern, während die Andern, wie bie Deut ſchen, ebenfo Lafterhaft und noch mehr, weil das Judicium fie nicht zügelt, ohne Decenz und Ehre ihre Grenelthaten verüben würden, Die Weiblichkeit des franzöfifchen Charakters mildert das Herbe ihrer Tyrannei und Verachtung Ich bin deßhalb überzeugt, daß Das franzöfifche Reich von der Vorfehung zur Oberherrichaft beſtimmt ift“. Und hätte tie Samarilla, was fie nicht getban, Bülow verbaften laffen, fo wäre e8 nur zu vechtfertigen; es findet fich eine Stelle in ber Vorrede des 2ten Theils, die fih wohl zu einer Unterfuchung wegen Landesverraths qualificirte. Bekauntlich war 1805—1806 ber Krieg zwifchen Preußen und Schweden erklärt, und da fchlägt Bü— low dem König von Schweden vor, Stralfund ber Bewacung bes Aufgebotes zu überlaffen, ſich mit ver Beſatzung einzufchiffen, und eine Diverfion gegen Colberg und Danzig zu machen, Colberg fei von der Seeſeite am ſchwächſten befeftigt, und eine Xeitererfteigung würde zum Ziele führen. ‘Der König von Schweven hätte den Ger neral Kalkreuth in feinen zeritreuten Quartieren überfallen, dann Stettin, das ebenfall$ ganz vernachläſſigt fei, einnehmen follen, au ber Wafjerjeite fei e8 ohnehin ganz offen um von dba nach Polen zu marfchiren, und es zu infurgiren. Wenn wir auch ganz von ter Aus⸗ führbarfeit diefer Vorfchläge abjehen, fo geben fie doch hinreichenven Grund, den preußifchen Untertfan und ehemaligen Offizier zu vers baften, um fo mehr, wenn wir bie frühere Notiz eines Briefes über die bei ihm gefundene gravirende Correſpondenz nad Stedholm in Erwägung ziehen. Das Zitellupfer des Buchs zeigt einen Soldaten, ver ſich beſchämt die Ohren zubält, während über ihm eine Fama in den Lüften tie Gejchichte des Feldzuges von 1805 verkündet. Wenn - Bülow einmal von feinen pelitiichen und philoſophiſchen Phantafien

Behrenhorſt uud Bülow. 13

m einer Erzählung der Begebenheiten kommt, ift fie anziehenb genug. De Eapitulation von Ulm, bie Schlacht bei Aufterlig, beide find höchſt anfchaulich und lebendig befchriceben. Bon Mad fagt er: „Wenn Raroleon ihn umgangen hatte, jo hatte er Napoleon ebenſo gut ums gangen; er brauchte ihn nur zu fchlagen, fo war im Fall des Ders Infte® Napoleon in fo fchlimmer Lage ald Mad. Das ijt gewiß richtig, läßt ſich aber auf Bülow's Syitem der Umgebungen und Flankenangriffe eben fo gut anwenden. Sonft ift fein Räſonnement wie das Lichbs und Majienbachs: er hält Nördlingen für ven Schlüſ⸗ jel Bayern® rarauf mochte ibn das Studium des 30jährigen Krieges geführt haben und meint: hätte Mad fich bei Nördlingen ftatt bei Ulm aufgeitellt, fo wäre alles geivonnen gewefen. Gerade wie Llohd's Nifennement, daß Paſſau der Schlüffel von Oeſterreich fei. Die muftifche Idee von Schlüffelpuntten und Schlüffelftellungen, vie am Ende des vorigen Jahrhunderts allgemein angenommen war und felbit auf die Kriegführung nicht ohne Einfluß blieb, vie wie Clauſe⸗ wie jagt, ihr zähes Judenleben in ven Büchern an einem bünnen Baden bi® heute fortzufpinnen gewußt hat«, beherrſchte Bülow ganz. So Mnüpft er den Gewinn der Schlacht bei Aufterlig einzig an ven Bein ber Höhen vor Pragen, wie Majfenbach ten ter Schlachten ven Jena und Auerftäbt an die Aufftellung auf dem großen Etters⸗ berge; bamals, meint er, hätte Preußen den Krieg an Defterreich er⸗ Hären, in Böhmen einrüden follen, ver König hätte fich in Prag bie Krone aufgefekt: das Alles würde Feine Schwierigkeiten gehabt has ben, denn in Böhmen fei eine ftarfe protejtantijche Partei, namentlich Huſſiten, tie dem protejtantifchen König ſchnell zufallen würden, in feinem gedankenloſen Hinfchreiben vergißt er ganz was 200 Yuhre feit ter Schlacht amı weißen Berge geändert haben.

Und dennoch nennt er ſich "burd feine Schriften zum Range erfter Feldherrn erhoben“ und fagt an anderer Stelle: „Ich habe nun einmal nichts gelernt, als Staaten zu regieren und Armeen zu com⸗ mantiren, meine vorhergehenden Schriften haben es bewiefen, und meine fünftigen werben e8 noch nehr beweifen, daß ich mein Metier verftche» und mehrmals ruft er entrüftet aus: „Mich zu leſen und wichts zu lernen! Nicht ummwigig erwähnt er ten Galembeurg ber Sorfehung, daß Mad auf hebräifch Nieberlage bedeute, als hätte ber

14 5. v. Meerheimb, Behrenhork und Bülow.

Stammpater Mad die Beftimmung feines Enfel® vorbergefehen, 1794 und 1805 Nieverfagen zu veranftalten. Bei jpäter erwähnten, un entfchloffenen, ſchwachen Handlungen Anderer fagt er: „I ya du Mack la dedans.“ Als ver Herzog von Würtemberg Napoleon um die Königswürde bat, antwortete ihm dieſer nach Bülow's Erzählung: „Mais apr6s avoir fait pleurer vos sujets tant d’anndes, vous voulez faire rire tout le monde?“ Sehr viele Wite und Bes mertungen lafjen ſich ihrer Obfrönität wegen gar nicht mittheilen, aber begreiflich wird es, wie ein Buch fo voller Wit, Bitterkeit und Schärfe, wenn auch voller Irrthum, Unwiſſenheit und Selbftüber- fhägung viel gefefen wurde. Wahrheit und Unfinn, Ernft und Spott, humane, moralifche Abfichten und freche Zoten, das Alles wechfelt mit einander ab, und bei ben treffenbften Bemerkungen ift man ins bignirt über den Ton, in dem fie gefprochen werben, bei ber robeften Berhöhnung des Baterlandes, jeder Sitte und Zucht, kann man ein Lächeln nicht unterbrüden,, jo daß fich die Zwiefpaltigleit des Buches felbft der Empfindung des Leſers unwillkührlich mittheilt.

So können wir fein tragifches Geſchick, nicht aber das beffagen, daß die Eataftrophe feines Lebens zugleich feiner Schriftftellerei ein Ende machte; auf der geneigten Fläche eines regellofen Wandels und polemifcher Schriftftellerei mußte er immer abwärts gleiten, und jebes Jahr, das das Schidjal ihm noch gegönnt, jedes folgenbe feiner Werte hätte ihn tiefer gefunfen, dem Vaterlande, ber angeſtammten Treue und jeber heiligen Sitte entfremveter gezeigt.

V.

Zur Geſchichtſchreibung des alten Merico. Bon Theodor Waith.

RB. A. Wilson, A new history of the conquest of Mexico. Philad., 1859. 1 vol 8.

Brasseur de Bourbourg, Histoire des nations civilisces du Bexique. Paris, 1857—59. 4 vol. 8.

Die Geichichte der Völker von Mexico und Central» Amerika, teren relativ hohe Eultur die Entveder und Eroberer tiefer Länder bewunberten, ift in Folge der gründlichen Zerftörung des einheimifchen Heidenthums Durch tie Spanier in eine Dunkelheit zurüdgetreten, bie zu lichten bis jet nur noch wenig gelungen ift. Zwar fehlt es nicht an einer Menge von Denkmälern und biftorifchen Nachrichten, welche uns von jener Kultur Kunde geben, aber theils erfchwert die Eigen tbümlichkeit der letzteren, die oft in hohem Grade von Allem abweicht, was jich bei andern Völkern findet, und durchaus einzig in ihrer Art dafteht, die richtige Beurtheilung des Einzelnen und deſſen fichere Zus fanmenfaffung zu einem befrievigenden Geſammtbilde, theil hat die Kritik bis jet noch nicht dermocht, in Rückſicht diefes uns fo fremd

76 Theobor Waitz,

anfprechenven und fo fern liegenden Gegenſtandes zu einigermaßen feften Refultaten über den Werth und die Zuverläffigkeit ter Quellen felbft zu gelangen, die uns zu Gebote ftehen. Die monumentalen Ueberrefte, nur erft unvollflommen durchforſcht, find größtentheilsg nur in Abbildungen bekannt, deren Genauigkeit vieles zu wünfchen übrig läßt, ja deren Treue im Einzelnen, fo weit fie eben gebt, manche Zweifel erregt bat. Die von Lord Kingsborougb gefammelten Bil- berfchriften ftellen nur zu einen Heinen Theile Hiftorifche Gegenftänbe bar, das Meifte bezieht fich auf ven Feſtkalender, die Wahrfagefunft und die Mythologie und verfpricht, ſelbſt wenn es verftinplicher wäre, als es ift, kaum einen tieferen Auffchluß. ‘Die fchriftlichen Denkmäler, welche noch übrig find, ftammen theils von Eingebornen, theils ven Spaniern, fie liegen uns in fpanifcher Sprache vor und fchöpften ihren Inhalt aus der Tradition und aus Bilderſchriften, vie fpäter verleren gingen. Welcher Grab von Glaubwürdigkeit diefen zu Grande gegangenen einheimifchen Annalen felbjt zukam, Täßt fich ſchwerlich noch ermitteln, ebenjo wenig ob und wie weit fie von denen, bie fie benutzten, richtig verftanden und treu wiebergegeben wurben, nicht minder, ob das in ben einheimifchen Sprachen Gefchriebene mit der erforverlichen Sorgfalt und Genauigkeit in's Spanifche übertragen werben ift.

Erklärt fih aus dieſen Umftänden die große Verſchiedenheit des Urteils über bie mericanifche Gefchichte und ihrer Darftellung, fo ftaunt man doch über ven Gegenfaß ver Anfichten, ver fich in ven obengenannten Werken zeigt. Wilfen, deſſen neneres Buch durch eine frühere Schrift (Mexico and its religion, New-York 1855) vor« bereitet ift, erflärt die Aztelen für ‚eine Horde amerilanifcher Wil⸗ ben”, teren Tempel nur klein und unbedeutend, deren Bauten und Götterbilver nur aus Lehm gemacht waren, während alferbings bie viel älteren Tolteken in Gentral» Amerika ein wahrbaftes Culturvolt gewefen feien. Die Bilverfchriften find ihm eine Erfindung fpanifcher Mönche, und tie einheimifchen wie fpanifchen Schriftfteller gelten ihm für durch und durch unglaubwürtig. Er geht darin fo weit, daß er die Memoiren des Bernal Diaz ale nntergefchoben bezeichnet und Torquemaba, ven er allerdings eine fchägenswerthe Quelle nennt, an⸗ verwärts gelegentlich als einen Lügner hinſtellt.

EEE... Zur Geſchichtſchreibung des alten Mexico. 77

Daß er hierin viel zu weit geht, bedarf keines ausführlichen Beweiſes. Die Aechtheit der Briefe des Cortez an Earl V. iſt bis iegt unbezweifelt, felbit von Wilfon: vie mannigfachen Gold» und Echmudjachen, bie jener, als an ten Kaiſer von ihm abgefendet, tarin erwihnt, und was er in Verbindung damit von dem hohen Stante vieler Künfte und Handwerke in Mexico berichtet, Tann nicht. erlogen jein. Die vorhandenen Altertbümer genügen zu ven Beweiſe, daß bie Mexicaner ſich auf Steinbauten wohl verftanden, und baß etwa fpa= nifcbe Mönche die fteinernen Götzenbilder verfertigt hätten, die man gefanden bat, wird man boch wohl fchwerlich behaupten wollen. Eine Bilderfchrift von fo hoͤchſt eigenthümlichen Typus zu erfinven, wie tie mericanifche, dürfte leicht für einen Europäer eine unlösbare Aufe gabe fein. Sollen wir glauben, daß fich ihre Erfinder biefe Mühe gegeben haben, nur um einen ganz nuglofen Betrug zu fpielen, daß fie geſchikt genug waren, zugleich auch alles das zu erbichten, was bisher für bie mericanifche Mythologie und für den mericanifchen Kalender gegolten bat, die in jenen Bildern deutlich genug dargeſtellt find, gefchidt genug, um all ihren Zeitgenoffen und felbft ven Eon» guiftaberen vie Eriftenz einer einheimifchen Bilderfchrift einzureden over in beren Berichte tie Erzählung von einer folchen allerwärts einzufchwärzen? Dieß Alles läßt fich nebft der behaupteten großen Unglaubwürbigfeit ter alten Schrijtfteller über Merico ganz direct wirerlegen, wenn man anders als unmöglich zugibt, daß eine große Anzahl von Dienjchen, welche ſich Jahre lang in einem neu entveckten Kante aufhalten, ausſchließlich Tügenhafte Berichte mit nach Haufe bringen, vie aber gleichwohl in allen Hauptfachen faft volltonmen miteinander übereinftimmen.

Fe. Martyr fammelte in Italien ven Inhalt zu feinen aller ringe zum Theil ziemlich flüchtig gefchriebenen Briefen über die neue Belt. Er entuahm ihn aus fchriftlichen und mündlichen Mittheilun« gen einer Menge von Minnern, die an Ort und Stelle gewefen was ven, bie felbft geſehen und gehört und einen großen Theil deſſen was fie gefchrieben, ſelbſt miterlebt hatten. ‘Die Abfafjung jener Briefe fälit theil® noch ins 15. theil® in den Anfang des 16. Jahrhunderts. Gomara fchöpfte in gleicher Weiſe Kauptfächlich aus perfönlichen Be⸗ richten vieler Conquiſtadoren; eine feiner Hauptquellen find die Briefe

18 Theodor Waitz,

des Cortez, deſſen Verherrlichung bei ihm nicht ſelten als eine ab⸗ ſichtliche erſcheint. Er brachte ſein Material in Spanien zuſammen und fein Werk. wurde zum erftenmale im I. 1652 herausgegeben. Der Mönd Sahagun fam 1529 nad) Mexico, winmete fi) 61 Jahre fang dem Stubinm ver mericanifchen Sprache und Gefchichte und ftarb dort in einem Alter wen mehr ald 90 Jahren in einem Kiofter (Torquemaba XX, 46). Seine Wahrheitsliebe und feine Gelehr⸗ famfeit fine bis jetzt unbezweifelt geblieben, wenn man auch bie hiſto⸗ riſche Kritik nicht als feine ftarle Seite bezeichnen mag.

Die vorurtheilsfreie Erwägung dieſer Thatſachen führt zus dem Schluſſe, daß die älteften Schriftjteller über Merico durchaus nicht fo unglaubwürdig find, als Wilfon fie machen möchte, felbft wenn wir ganz abfehen wollten von ven Beltätigungen, bie fie durch eine ganze Reihe von kleineren Originalberichten in allen Hauptſachen us halten wir erwähnen von tiefen nur beifpieleweife die des anonh⸗ men Begleiters des Cortez und bes Nuäo de Gunzman (beive bet Ramufio), bie Ritos antiguos (1541) bei Kingeborougb vol. IX, die Befchreibung bes großen Tempels von Merico durch Fr. Her- nandez*) ebendef. vol. VII und bei Nieremberg Hist. nat. VIII, Zurita bei Ternaux⸗Compans, die Briefe des Alvarabo an Cortez. Wilſon fcheint freilich diefe Quellen nur zum Theil gelannt oder zu wenig forgfältig benugt zu haben; er würde fonft fehwerlich in feinen Zweifeln an der Wechtheit der Denkwürdigkeiten des B. Diaz befan« gen geblieben fein, eines Buches, das in fehr hohem Alter geſchrie⸗ ben, manche Irrthümer in Folge von Gedächtnißfehlern enthalten und von einigen Webertreibungen ber Großjprecherei nicht frei fein mag, in ber großen Menge tes Details aber völlig zufammenftinmt wit dem, was wir aus andern Quellen über bie Eroberumgsgefchichte willen und überall in der Darftellung bis auf die nicht feltene Con⸗ fufion des Stile herab den alten Solvaten zeigt, ven die Erinnerung feiner Thaten und Crlebniffe in lebhafteften Eifer bringt.

Sinen zu hohen Werth bat man bisher wohl auf Xcofta gefekt,

e) Er wurde von Philipp TI. nah Merico gefhidt, um bie Naturgeſchichte des Landes zu fubieren; fein äußert reichhaltiges Wert wurde bis au immer uur auszugäweife gebrudt.

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deſſen Berichte aus ziemlich oberflächlich aufgerafften Notizen entſtan⸗ ven ſcheinen. Leber Merico gibt er fajt nur einen Auszug aus Du- ran, Hist. antig. de la N. Espaüa (Ms. Bibl. Madrid), der feiner- feits mit Borficht benutzt fein will, da er vieled Sagenhafte aus bem Bolfe (des contes populaires) völlig kritiſlos in feine Gefchichtserr üblung aufnahm (Brasseur 1II, 568 note). Aelter zwar als Tor⸗ guemaba , trreicht er biefen toch bei weiten nicht an Sorgfalt und Heiß. Das Werl des letzteren zu Anfang des 17. Jahrh. geſchrie⸗ ben nad auf fechzehnjährige Stutien bafirt, enthält allerdings manche Widerſprũche und unmögliche Angaben, begnügt fich meiſt mit bloßer Rebeneinanverftellung deſſen, was fich in älteren Quellen vorfand, vie mehrfach beſtimmt angeführt werden, doch iſt es keineswegs fo ganz unfritifch, wie man oft behauptet hat, und ſcheint völlig freie geiprechen werben zu bürfen von jeder abfichtlichen Unwahrheit. Wenn Gallatin (Transactt. of the Am. Ethnol. Soc. I), einer der tüch⸗ tigften und gelebrteften Kritifer ver neueren Zeit auf biefem Felde, samentlich an den trefflichen feierlichen Reden Anftoß genommen bat, bie von Sahagun und Torquemada mitgetbeilt werden, weil fie wegen - ber Reinheit ihrer Moral nnd Neligiofität unmöglich für ächt meri- caniichen Urfprungs gehalten werben könnten, fo bat er wohl über» fchen, daß Torqnemada felbft fich durch fie an die Bibel und insbe fondere an Paulus erinnert findet, daß er Hinzufügt, wie auch bie Chriften über dieſe Dinge nichts Beſſeres zu jagen wüßten, und wie fewehl die Dominicaner als auch die Franciscaner und Auguftiner veshalb Tiefen Gegenſtand mehrfach unterfucht, alle aber gleiche Ber richte über venfelben gegeben hätten (Zorg. IX 32, XIII 28). Die ſes Zeugniß wiegt fchwer bei ver befannten Eiferſucht und Feindſchaf⸗ ten ber beiden erften ter genannten Orden untereinander, und es er⸗ fcheint als vollkommen zuverläffig, wenn mau beveuft, daß gerabe vie Mönche, welche jene Reden mittbeilen, fich keine Gelegenheit entgehen laffen, um zu zeigen, wie biefe elenden Heiden, vie fie belehren wol⸗ len und bie fie nie beffer ſondern nur oft fchlechter darſtellen, als fie wirtlich waren, in Allem, was fie venfen, thun und treiben, nur durch vie Künfte des Teufels verblenvet und ber ewigen Verdammniß ent» gegengeführt worven ſeien. Kounte es diefen Mönchen wohl in ben Siun kommen, folche Reben zu erbichten und ben Heiden in ven Mund

80 Theodor Waitz,

zu Tegen als deren eigene Lebensanficht? Und wenn fie felbit e6 nicht thaten, wer hätte dieſen Betrug begangen und bie Miffionäre getäufcht? Gab es aber in Mexico moralifche und religiöfe Ans fihten von verhältnißmäßig großer Lauterfeit, wenn vielleicht auch mehr in der Theorie als in der Praxis und überhaupt nur bei we nigen bochgebilveten Männern, fo wird dadurch in Rüdficht der Cul⸗ turftufe, auf welcher jene Völker ftanten, gar manches glaubhaft, was es vorher nicht war.

Welchen Grad von Zuverläffigfeit man ven einheimifchen Schrift ftellern Tezozomoc und Srtilxodhitl (beide fehrieben um das J. 1600) zuerfennen bürfe, tft fchwer zu fagen, ba es faft an allen Anhalte punkten für ihre Beurtheilung fehlt. Dei dem letteren, einem Nach⸗ fommen bes Königshaufes von Tezcuco, tritt das Beſtreben feine Ahnen zu verberrlichen, oft fo ftark und beutlich hervor, daß wir ſei⸗ ner Wahrhaftigkeit kein Vertrauen fchenfen können.

Das Vorftehende fcheintzur Würdigung des Buches von Wilſon hin reichend, und wir haben nur noch hinzuzufügen, daß er in feiner Schilperung des focialen Zuftandes ver Azteken, die er in biefer Hinficht ven Iroke⸗ fen glaubt gleichftellen zu dürfen, eine Wenge von Einzelnheiten aus Morgan's Werk über die legten ohne Weiteres aufnimmt, daß er bie Reſte toltelifcher Cultur in Gentralamerifa kurzer Hand für phönis zifch erflärt, daß er linguiftifche Gründe in etbnographifchen Dingen für ganz unerheblih Hält. Er glaubt die Unmöglichkeit einer bichten Bevölkerung im Thale von Anahuac erwiefen zu haben, während bie großartigen Vauwerke die in Yucatan noch heute zu fehen find, une widerlegbar dafür zeugen, daß felbit die Schwierigkeiten, welche äuſ⸗ ferft waſſerarme Länder ber Civilifation in den Weg legen, von je nen Völkern glüdlich überwunden worten find.

Wer ſich vor entgegengefegten Fehlern in ber Gefchichte des alten Mexico hüten will, wird wohl daran thun, die Werke von Wilfon und von DBrafjeur näher miteinander zu vergleichen. Jener erklärt felbft in ver Geſchichte der Eroberung die Berichte der Conquiſtado⸗ zen und Miſſionäre in ben wejentlichiten Dingen für Fabel und läßt daher auch die Reihe der mericanijchen Könige von Acamapichtli bie auf Moteuczoma II., welche von ven meiften älteren Onellen faft ohne alle Abweichung mitgetheilt wird, nicht für hiſtoriſch gelten, ob»

Zur Geſchichtſchreibung bes alten Mexico. 81

gleich die vielen aber nicht eben fehr erheblichen Differenzen ihrer Re— gierungszeiten, welche fich angegeben finden*), bafür zu zeugen fchei« nen, daß jene Regentenliſte nicht erfunden ift und jebenfalls nicht von einem Schriftiteller aus dem andern abgefchrieben wurbe. Un- ſicherer mögen zum Theil die Ereignijje fein, welche in bie Zeit der einzelnen Könige von den Berichterjtattern gefeßt werben, aber mit Recht fcheint man mit Gallatin annehmen zu dürfen, daß die Grün- tung der Stabt Merico, welche nach den zuverläffigften Quellen in’s Jahr 1325 fällt, das Ältefte Datum von wahrhaft hiftorifchem Cha- talter in der mericanifchen Geſchichte if. Sehr verſchieden Hievon urtbeift freilich Braffeur. Er glaubt vie Gefchichte diefer Völker mit völliger Sicherheit bis zum 8. Jahrhundert zurücverfolgen zu kön⸗ nen und gibt von biefer Zeit an bejtimmte Jahreszahlen.

Faſſen wir zunächft die Mittel in's Auge, durch welche er zu tiefem überrafchenden Reſultate gelangt ift, fo müffen wir geftehen, daß dieſe allerdings viel erwarten lafjen. Er hatte nach den aus jährlichen Angaben der Vorrede nicht bloß über eine Menge von fel- tenen gedruckten Werken zu verfügen, fonvern es ftanden ihm auch ältere und neuere Manufcripte in fpanifcher und in mehreren einhei« mifchen Sprachen von Mittelamerila in reichem Maße zur Benugung zu Gebote, und zu diefen Schäßen Fam noch eine Anzahl von Bilver- ſchriften, die ebenfalls noch nicht publicirt find und fi) in Herrn Anbin's Beſitze in Paris befinten. Als Hauptquellen für bie ältere Zeit bezeichnet er hauptſächlich ven Cod. Chimalpopoca , eine Ge- ſchichte ver Reiche von Culhuacan und Merico in aztelifcher Sprache, angeblich verfaßt von einem anonymen Zeitgenofjen Diontezuma’s IL; ferner das Manuſer. Quiché von Chichicaftenango von Pater Xime⸗ nez entdeckt und von Braſſeur, wie er fagt, felbft überfegt; dann das Mi. Eakchiquel orer Dem. de Zecpan-Atitlan von einem Sohne des vorfegten einheimifchen Könige von Duaubtemalan (Guatemala) geichrieben.” Das an zweiter Stelle erwähnte Werk ift daſſelbe, wel- des zum Theil von Scherzer in ver fpanifchen Ueberfegung bes Xi⸗

9 6. die Zufammenftelung derſelben in L’art de verifier les dates 3me partie IX p. 135 und vollflänbiger bei Gallatin in Transaott. of the Am. Ethnol Soc. I p. 162.

Piſtociſche Zeitfarift VI. Bam. 6

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menez (Hist. del origen de los Indios de Guatemala trad. de la lengua Quiche. Vienna 1857) herausgegeben worben ift. Braſſeur erklärt dieſe Ueberfegung für fehr ungenau und ift auf ben beutfchen Herausgeber ſchlecht zu fprechen, da er fich ſelbſt die Priorität dieſes Fundes vindicirt. Müffen wir biefes Letztere dahin geftellt fein laf« fen, fo ift dieß nicht weniger mit ver Trage der Fall, ob Braſſeur felbft ver genannten drei‘ Sprachen hinreichend mächtig ift, um jene brei Manufer. wiffenfchaftlich verwertben zu Können. Mit franzöfl cher Rapidität reifte er im Oktober 1848 von Neu-Orleans nach Mes zico, verweilte dort 2 Jahre, machte dann große Reifen, boch „a petites journdes“, im Norben dieſes Landes bis nach Galifernien hin, befand fich zu Ende des Jahres 1850 ſchon wieder in Mexico, lernte nun bort die aztefifche Sprache und war gleichwohl 1851 fchen wieder in Paris! Später hielt er jich noch zwei Jahre hauptfächlich in Guatemala und anderen Theilen Centralamerika's auf.

Wir hegen nicht den Verdacht gegen Braffeur, daß er den Befig literarijcher Schäge blos vorfpiegele, obwohl e8 leicht Mißtranen ger gen ihn erregen kann, daß er unter ihnen ein antiles Drama nemmt, welches ein einheimifcher Königsfohn von Rabinal i. J. 1856 ihm bictirte und vor ihm aufführen ließ, fo daß er auch die zugehörige Mufif in Noten gewinnen fonnte, wogegen bei Ximenez ed. Scherzer p: 179 not. ausprüdlich bemerkt wird, daß eine hohle Schilpfräte und ein hohles Stüd Holz, auf denen getrommelt wurde, die einzigen Muſikinſtrumente feien, die es dort gegeben habe. So lange Braffeur bie neu entdedten und von ihm benußten Handſchriften nicht felbft berausgibt, wird fich nie mit Sicherheit beurtheilen lafien, was fie werth find, noch auch in wie weit feine jedenfalls fehr freie Bear beitung verfelben Zutrauen verdient. Judeß läßt fich fchon jeßt er⸗ weiſen, daß das lettere troß des großen Fleißes den man anerfennen muß, nur ein fehr fchwaches fein darf. Wir geben zuvörberft einige Beifpiele, tie dieß zur Gewißheit erheben.

Daß in dem Mf. Quiché, ebenfo nach Braſſeur wie in ver Ausgabe von Scherzer, von weißen und fchwarzen Menfchen die Rebe ift ein fohlagender Beweis für fein relativ geringes Alter fin» det jener nur ſehr merkwürdig (I 106 not.), es hindert ihn aber durchaus nicht in dem Buche die wahre Urgefchichte der mittelameri⸗

Zur Geſchichtſchreibung bes alten Merico. 88

laniſchen Böller zu ſuchen. Die eingebornen Riefengefchlechter, von denen fo häufig die Rebe ift, gelten ihm für hiftorifche Völker von ſehr großer Statur, und die bis zur Unmöglichkeit lange Lebensdauer und Regierungszeit vieler Könige fucht er durch den Hinweis auf bie ricken Weifpiele ausgezeichnet hoben Alters eingeborner Amerikaner amehmbarer zn machen, (I 66, 153, IL 279), ganz als ob er bei den ra⸗ tiswaliftifchen Erklaͤrern der biblifchen Wunder in die Schule gegan- gem wäre. Es erregt feine Verwunberung, daß ver mericanifche Gott Texcatlipoca eine Brille trug und daß e8 alfo ſchon Brillen vor Ankunft der Spanier in Mexico gab (III 507 note.), ohne za bevenfen, daß viele Brille des Gottes eben nur in zwei glänzen- ven Heinen Spiegeln beitand, welche die Allwiffenheit deſſelben, bie Spiegelung des Univerfums in feinem Geifte darftellen.

Ya ver willlürlichen Behandlung der Quellen, in Rüdjicht der Deutung, die er mit ihren Worten vornimmt, ift Braſſeur nicht minder flart als in der Ausfchmüdung und betaillirten Ausmalung igrer Angaben, von deren Bedenflichkeit er eben fo wenig eine Ah⸗ nung hat, als von ber Unftattbaftigkeit auf eine weit frühere Zeit eine Schilderung zu übertragen, die für eine fpätere gilt.

Bon ben Hnaftecas erzählt er als charakteriftifch im 11ten Jahr⸗ handert, was ber fogenannte anonyme Eroberer im 16ten über fie ſchreibt, fchildert die Märkte ver alten Toltekenſtadt Totllan mit ih⸗ ren Waaren, obne auch nur ein Gitat ver Duelle nöthig zu finden, und entwirft aus der Zeit des Toltekenheros Quetzalcohuatl Bilder, als Hätte er felbft dieſe Zeit mit durchlebt (I 401, 271, 266): De quelque cöt6 que la suite de Quetzalcohuatl laissät tomber ses regards sur la valle& d’Anahuac, elle leur offrait des scönes €galement ravissantes.. Autour des grands lacs, profond&ment encaisses au centre des masses porphyritiques qui la separent des plateaux voisins, on ne voyait partout que des for&ts mag- nifiques, que riches prairies, que champs fertiles s'inclinant vers le rivage. Du fond des eaux, les villes toltöques, à demi cach@es dans la verdure s’@lancaient, avec leurs blancs t&ocallis. Au milieu de toutes se distinguait, comme une reine entre ses compagnes, la noble cit6 de Culhuacan . . . So werben im Zen Bande die Verwaltung, das Gerichtäweien und die inneren

6*

84 Theobor Waitz,

Berhältniffe von Yucatan in alter Zeit überhaupt: viel weiter in’e Detail ausgemalt als die Quellen erlauben, und baffelbe fcheint zu Anfang des Aten in ver Befchreibung der Stabt Merico ftattgefunben zu haben, welche mehrfach aus dem ergänzt ift, was ber Verfaſſer heutzutage dort beobachtete. Müſſen wir demnach erwarten, daß er feine literarifchen Schäe durchgängig auf die Weife benutzt bat, baß er fie viel beftimmter fprechen und weit mehrere Einzelnheiten erzählen läßt als fie wirklich enthalten, fo ift fein Buch mindeſtens zur Hälfte ein Roman.

Mit einzelnen Angaben verfährt er meift fehr willkührlich. Ohne einen Grund anzuführen, erklärt er öfters, wohl wegen ver Lautähn- lichkeit, die Stadt Champoton an der Weftfüfte von Yucatan, fel identifch mit Potonchan am Fluſſe Zabasco, und e& beruhe nur auf einem Irrthume Gomara’s, daß beide al8 verfchieben bezeichnet wär ben (IV 43 not.), was Übrigens durchgängig in ven Duellenfchriften ber Sal iſt. Die Ausprüde, welche er in feinen hanbdfchriftlichen Chroniken findet, deutet er auf eine Weile, deren Berechtigung oft als ſehr zweifelhaft erfcheint. „Es gab keine Sonne“ beißt nady feiner Auslegung „es gab noch Feine Civilifation«, und wenige Seiten weiter verfteht er unter bem „Großvater der Sonne⸗- ben Urheber des Kalenders. Eine andere Stelle des Textes lautet: „Da meldete man ber Sonne, daß 5 Andere eben geboren worven waren⸗, bie heißt nach feiner Deutung: „da hörte man, daß andere Chichimelen (neue Einwanderer) auf den benachbarten Bergen ſich ſehen ließen⸗ (I 113, 122, 200).

Braffeur verfichert wiederholt, daß er in feiner @efchiehte ber Eulturvölfer von Merico und Gentralamerifa fein vorgefaßtes Syſtem zu vertreten babe, fontern überall nur die Hiftorifchen Thatfachen fprechen laſſe. Indeſſen gibt er zu veritehen, daß bie ältefte Bevol⸗ ferung Amerika's aus Europa, eine fpätere aus Afien gekommen fein möge. Die Typen von Wegypten und Paläftina, bie Typen welche fih an den Monumenten von Niniveh und von Theben finden, treten uns dort entgegen und auf biefen orientalifchen Stamm find in fpäteren Zeiten Formen aufgepfropft worden, welche an bie Mon⸗ golen und Tataren erinnern; das blonde Haar des Gottes Ca—⸗ martli, das man in Zlarcallan unter deſſen Reliquien gefunden, tft eine Thatjache mehr zu Gunſten berer, welche die Toltelen aus

86 Theodor Waitz,

das Maya, fcheint nur durch deſſen räumliche Ausbreitung veran- laßt, und daher unmotivirt, auch ift fie viel zu vag und allgemein gehalten al8 daß fie Zutrauen verbiente. Daß Votan als der äl- tefte Eultucheros der mittelamerifanifchen Völker zu betrachten fei und im erſten Jahrtauſend v. Chr. gelebt babe, ift nicht nur mer⸗ weislich, ſondern entbehrt jelbjt jedes Wahrfcheinlichleitsgrundes, ebenfo wie die Verbindung, in bie ihn Brafjeur mit den Ruinen von Ba lenque gebracht hat. Gleich willfürlih und nur durch bie vorge faßte Theorie des Verfaſſers geftügt, ift die Annahme, daß die Tol⸗ tefen aus ben füblichen Gegenven, fei e8 zu Wafler oder zu Laube, nach Mexico gefommen feien. ‘Die mythologiſche Erzählung von Hu⸗ nahpu und Xbalanque bei Ximenez ed. Scherjer ©. 36 ff. läßt dieſe Heroen in bie Unterwelt wandern und bort die Götter durch ihre Thaten in Erftaunen und Bebrängniß fegen, Braffeur aber erlärt biefe Sage fo, daß unter jenen Helven Toltelen zu verftehen feien, bie an den Hof der Votaniden in Palenque kamen und fehließlich de⸗ ven Reich zerftörten! Es iſt leicht erfichtlich, daß durch ein folches Verfahren fi) Alles aus Allem machen läßt und daß neu entdeckte Duellen in folchen Händen feine neuen Auffchlüffe gewähren. Braf- feur ift nicht der Erfte, welcher eine Einwanderung ber Tolteken und ihrer Verwandten nad) Dierico von Süben ber behauptet hat. Viel⸗ mehr hat fchon im vorigen Jahrhundert Cabrera die alte Tolteken⸗ ftabt Huehuetlapallen in den Ruinen von Palenque wieberzufinden geglaubt (vergl. Del Rio, Descr. of the ruins of an ancient city near Palenque Lond. 1822), wogegen Juarros in feiner Gefchichte von Guatemala merkwürdig genug die legteren mit dem Ramen Cul⸗ buacan und bie Baurefte von Ocofingo mit dem Namen bes alten Zoltefenfiges Tulha bezeichnet hat. Bei ber weiten Verbreitung ag tetifcher Ortsnamen in Mittelamerifa nachgewiefen von Buſch⸗ mann (Abh. ver Preuß. Alab. der Wiff. 1852) verliert indeſſen biefe Angabe das VBefremdende und fann ald Grund für bie Eimwan⸗ derung vom Süben ber, für die fich überhaupt kaum irgend etwas von Bedeutung fagen läßt, nicht mehr geltend gemacht werden, nach bem ber oben genannte Gelehrte durch feine Entvedung ber fonori« ihen Spracdfamilie die Herkunft dieſer Völker aus dem Morben, wenn nicht enbgältig entfchieben, doch zu einem fo hoben Grabe ber

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Bahrfcheinlichleit gebracht hat, daß die wenigen und wagen biftorifchen Analogteen, aus denen man das Gegentheil hat fchließen wollen, ba- gegen nicht in Betracht kommen können.

Auch die allgemeine Sage des fpäteren Eulturvolfes von Mes zico, ter Aptefen, behauptet beitimmt eine Cinwanberung von Norden. Vie aber diefe Sage in Einflang zu fegen fei mit jener angeblichen Herlunft der Toltelen vom Süpen, obgleich beide Völker eines Stam- mes find, kümmert Braffeur nicht. Er ftellt die erftere Angabe vurch- ans nicht in Abreve, findet fie vielmehr höchſt wahrfcheinlich, fucht fe fogar zu beweifen (II 190 ff.), bleibt aber troßven bei feiner Lehre von dem Urfprunge aller viefer Völfer aus Mittelamerika fte- ben. Am fchlimmften geht er mit ver Chronologie und ben Perfonen- samen nm. Die erftere fcheint er durchgängig zu ben zerftreuten thatfächlichen Notizen, die ihm feine Quellen lieferten, aus eigenen Mitteln für die ältere Gefchichte Hinzugemacht zu haben, und läßt feine Willlür ſehr naiv in den Worten durchblicken (II 37 note): Si ces details que nous trouvons @pars dans un petit nombre d’auteurs, sont d’accord avec la chronologie Maya que nous y avons adaptee . . . und an einer andern Stelle, wo ter Zuftand des Duichereiches und was fich dort zugetragen hat, fehr ge— nau gefchilvert wird, beißt e8, über vie Zeit der Regierung bes da— maligen Käniges Dilab „Tann mau nur Vermuthungen wagen, aber man weiß, daß fie an das Ende bes Idten und in den Anfang bes 15ten Jahrhunderts fiel« (II 509).

Bas die Perfonen betrifft, fo werten bald die verfchievenften Ramen auf nur eine Perjon bezogen, bald verfelbe Name auf viele Berfonen vertheilt oder für einen Titel genommen, je nach Bebürfniß. Ein ſolcher Titel mehrerer Herrfcher fol 3. B. der Name des alten miuthifchen Königs ver Chichimelen Xolotl fein, dem eine Regierungs— zit von 200 Jahren zugefchrieben wird. Allerdings iſt wahrfchein- ich, daß ver angeblihe Stammpvater der Mexicaner, Mecitl oder Des ritli diefelbe Perſon ift mit Huigilin, ver ſpäter Opochtli beigenannt, als Huigilopochtli vergöttert wurde. Auch mag e8 ferner Billigung finden, daß Votan ter Culturheros im Lande ver Tzendals iventifi- art wird mit dem Cucumatz der Duiches, dem ufulcan der Yuca⸗ tefen nud dem Quetzalcohuatl der Mericaner, da dieſe Perfonen, wie

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die Gulturen deren Träger fie find, viele Analogien miteinander ha⸗ ben und die Wortbeveutung aller dieſer Namen bie gefieberte Schlange ift, wie Braffeur angibt; aber e8 muß VBebenlen erregen, wenn nun wieder ein König Gugumatz, verfchieden von jenem Halb⸗ gotte, im 13. Jahrhunderte als Hiftorifche Perfon auftritt und bie Hanptftabt des Duichereiches, Utlatlan gründet (II 4%), und wenn in gleicher Weife ein angeblich Biftorifcher Toltekenkönig Quetzalco⸗ huatl, identiſch mit dem Könige Ceacatl, aber verfchieben von bem mythiſchen Dueßalcohuatl, ver die erfte Auswanderung ber Tolteken von Süben her leitete, Anahuac mit einem Gefolge von Künftlern aller Art verläßt, nach Tlapallan zieht und fpäter zurücklehrt, ja wenn es weiterhin heißt, der Name Quetzalcohuatl fei fpäter als Bel name von Herrfchern fo oft gebraucht worben, baß man eine Menge verfchiedener Perfonen darunter zu verftehen habe. Jener Toltelen- fönig num wurbe durch Tezcatlipoca vertrieben und civilifirte theils felbft auf ven Reiſen, vie er in Folge hievon machte, vie öftlich und füplih von Merico gelegenen Länder Cholula, das Land der Mix tefen und ver Zapotefen, theil® fenbete er Schüler aus, bie das Gleiche thaten, während Tezcatlipoca unter dem Namen Huemac in Zollan regierte. Diefer Fürſt, der die mildere und reinere Religion des Quetzalcohuatl ausgerottet und ven alten blutigen Cultus mit feinen Menfchenopfern wieder Hergeftellt hatte, wurde gleichwohl ſpä⸗ ter al8 die Seele der Welt angebetet. Trotz dieſer Feindſchaft auf Erden wurden aber dieſe beiden Perfonen im mericanifchen Götter bimmel miteinander iventificirt (III 484), und es kann uns eben nicht wundern, daß nach Braſſeur's Darftellung in dem legteren ganz bie nämliche Verworrenheit herrfcht wie in der mericanifchen Geſchichte felbft, die er mit vieler Gelchrjamleit aus einem Garten voll Une traut in einen unburcheringlichen Urwald umzufchaffen gewußt hat.

Aus häufigen Andeutungen geht die Art hervor, auf welche er feine Quellen benugt hat. Er verwerthet ben ganzen Sagenfchag, ben cr aus Manufcripten, Bilderfchriften, ‘Drudwerten und münd« lichen Ueberlieferungen gefanmelt hat, jo, daß er fie zu einer fu ſammenhängenden Erzählung ver alten Gefchichte jener Völfer verar- beitet. Er nennt dieſe Sagen „biftorifche Monumenten in dem Sinne, daß fie die volle Hiftorifche Wahrheit enthalten, wenn man fie nur

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von Mexico und Mittel» America Betrifft, faft nur das äußerſt We⸗ nige als brauchbar, was er wörtlich aus ihnen mitgetheilt hat.

Dan kann es nur aufrichtig bedauern, daß man von einem fo umfangreichen Werke, welches von fo vielem Fleiße und von fo großer Liebe und Ausdauer des Studiums Zeugniß gibt, fich genöthigt fickt, mit einem folchen Urtbeile zu ſcheiden, und wir würden es ſchwerlich zum Gegenftanbe einer fo ausführlichen Beiprechung gemacht haben, wenn es nicht auch einige lobenswerthe Seiten befäffe, die wir noch zu erwähnen baben.

Allerdings brachte e8 die Gefammtanficht des Verfs. mit fich, dag er geneigt war, Verſchiedenheiten zu überjehen ober zu gering zu ſchätzen, welche vie Eulturzuftände ver einzelnen von ihm behandelten Länder varbieten, denn überall fieht er nur Tolteken, alle Etoilifation in Amerifa führt er auf diefe als ihre Urheber zurüd, alle höheren Leiftungen und Beftrebungen follen von biefen ausgegangen fein. Dieß ift fein „Sufteme. Aber er Hat dabei fich zugleich das Verdienſt er⸗ worben, ausführlich nachgewiefen zu haben, daß die Stufe der Civi⸗ liſation, auf welcher mehrere Völfer von Mittel-America ftanden und bie Geftalt, welche fie bei ihnen angenommen hatte, in ben we⸗ fentlichen Punkten identifh war mit ber des alten Mexico. Die große Webereinftimmung der Sagen, des Eultus und bes Kalenders bei beiden bieten in dieſer Hinficht eine beſonders wichtige und fchla- gende Parallele dar.

Ferner wird Braffeur’s Arbeit in ihren fpäteren Theilen immer: beffer, fie wirb um fo zuverläffiger, je mehr fie fich ver biftorifchen Zeit nähert. In ver Gefchichte des mericanifchen Reiches unter ben einbeimifchen Königen feit dem Jahre 1384 folgt er den Quellen ftrenger, und erlaubt fich viel feltener die Angaben, die er in ihnen fand, zu ventwideln« (developper), wie er es nennt, d. h. fie aus⸗ zufhmüden und in's Einzelne auszumalen. Die gegebenen Eitate find größtentheil® richtig, wenn auch oft zu fparfam, und wir müffen ge jtehen, daß wir uns erft hier von der Wahrheitsliebe des Verfs. hin⸗ reichenb überzeugen konnten. In diefem Theile dürfte er fich Leicht etwas zu nabe an feine Gewährsmänner angefchloffen haben, denn wenn dieſe 3. B. ausführlihd von den Vorgängen und Berathungen erzählen bie in Tlaſscala, Merico und andern Städten ver Einnahme

Zur Gekäiätfiärelbung bes alten Serleo. 9

berfelben durch die Spanier voransgingen, fo Tann zwar ber Treue, mit weicher man fie nacherzählt, an fich kein Vorwurf gemacht wer⸗ ben, aber es wird fich Taum behaupten Lafjen, daß in dieſen und ähn⸗ Eichen Dingen vie fpanifchen Duellenfchriftfteller zuverläßig feien, da es ſchwerlich möglich war, längere Zeit nach der Eroberung hierüber noch etwas Sicheres zu erfunden.

As den werthvollſten Theil des Ganzen betrachten wir ven 4ten Band, obgleich gerave für dieſen die neuen Hilfsquellen, aus denen ver Verf. fhöpfen konnte, bei weitem am fparfamften floffen. Wie ih die Eroberung der Spanier von Mexico aus allmälich über die umliegenden Länter verbreitete, wie Michoacan und die füplichen Län- ber gewonnen wurben und welche Zuftände nach ver Eroberung eins traten, ift lebhaft und offen, ohne Verhüllung der geſchehenen Greuel und des furchtbaren Drudes gefchilvert, ver auf ver eingebornen Be⸗ wölterung laftete. Die Darftellung diefer Verbältniffe liefert manche bisher unbelannten Details und manche nicht unwichtigen Auffchlüſſe.

Endlich darf als ein Gegenftand von hohem Intereſſe nicht un⸗ erwähnt bleiben, daß bie Vorrebe des ganzen Werkes den wejentlichen Juhalt einer im ‘Drude unvollendet gebliebenen und deshalb nicht in den Buchhandel gelommenen Schrift von Aubin (Memoire sur 6criture figurative et la peinture didactique des anciens. Me- xicains, Paris 1849) auszugsweife mittheilt, einer Schrift, bie vom ‚böchften Intereſſe ift, da fih in ihr die Reſultate von Aubin's lang» jährigen Unterfuchungen über die mericanifhe Bilderſchrift niederge- legt finden. Wach ven gegebenen Proben fcheint es unzweifelhaft, daß es ihm gelungen ijt, vieles glücklich zu entziffern, vieles nämlich von derjenigen Schriftart, die, wie er bemerkt, gewöhnlich zur Darftellung hiſtoriſcher Gegenſtände, gerichtlicher Verhandlungen und abminiftra- tiver Angelegenheiten, angewenvet wurde, wogegen die Schrift, welche ver Mantik, Aftrologie und dem religiöfen Eultus diente, von anderer Urt war und fih wohl faum jemals wird enträthfeln laffen. ‘Der Entveder befindet fich im Beſitze vieler unebirten Bilderſchriften und das Weſentlichſte bei feiner Entdedung, auf die wir bier nicht näher eingehen können, kommt barauf hinaus, daß ähnlich wie bei unjeren Rebus die Wörter durch ein Bild oder turch eine Combination meh⸗ rerer Bilder bargeftellt wurben, deren jedes entweber ein ſelbſtſtän⸗

92 Theodor Waite, Zur Geſchichtſchreibung des alten Nexico.

diges Wort, den Laut des abgebildeten Gegeuſtandes, oder bie An fangsſilbe deſſelben oder auch nur den Anfangsvocal bezeichnete. Manche Ungenauigkeiten und Uubejtimmtbeiten ver Schreibweiſe wa⸗ sen hierbei unvermeidlich, einzelne Andeutungen ſcheinen indeſſen ſchlie Ken zu laſſen, daß die Schrift der Mericaner für manche Fälle dem Uebergange in eine wirkliche Silbenfchrift, welche ven Laut felbft be zeichnet, nicht mehr fern ſtand.

VI.

das Heidelberger Schloß in ſeiner funft- und tulturgeſchicht⸗ lien Bedentung.

Bon K. B. Start.

Es war im Jahre 1693, als Ludwig XIV. von Frankreich eine Münze prägen ließ mit einer in Flammen aufgehenden Statt und Schloß, den jammernden Flußgott des Nedar und eine Yungfrau, des Balatinat, im Vordergrund. Die Inſchrift des geiftreichen Boi⸗ lean meldete latonifch Heidelberga deleta: das zerjtörte vernichtete Heivelberg, erinnernd damit an das alte Wort des Romers Cato und au Rom’s Erbfeinbin Carthago. Das Refivenzfchloß der Pfalzgrafen am Rhein und Kurfürften des deutſchen Reiches war eine Ruine und he iſt es geblieben bis auf ven heutigen Tag, währenn bie Stadt zu jeinen Yüßen, bie noch fchwerer faft heimgefucht war von den Banden franzöfifcher Plũuderer und Worbbrenner, fich wieder erhoben hat als ein Gig regen Bürgertfums und eine Stätte geiftigen Lebens.

Nicht allein jene brutale Gewalt mit ihren Bulverminen, mit iſren Brecheiſen und zerftörenden Fäuſten hat das Heidelberger Schloß

94 8. 3. Stark,

zur Ruine gemacht, ſondern in noch höherem Grade bie Herrſchaft der von Paris ausgehenden Anfchauungsweife und Eultur bed mobernen Defpotismus und ebenfo fehr die unglüdjelige Richtung, welche das wenige Jahre vor der traurigen Kataftrophe von 1689 und 1698 zum Befige ver Kurwürbe und ber Rheinpfalz gelangte Haus Pfalz Zweibrüden in ber materiellen und geiftigen Verwaltung des Landes verfolgte.

Den Anfchauungen und Bebürfniffen fürftlicher Allgewalt, dem Genußleben an den Höfen, das abgezogen von plebejifcher Berufung geführt werben follte, dem Streben von einem Mittelpunfte aus in wohl abgezirkelten Kreifen Handel und Wandel, Kunft und Wiffen- Schaft zu leiten, entfprachen die immerhin engern Räumlichkeiten eines ans dem mittelalterlihen Burgenbau bervorgegangenen Schloffes auf kecker Höhe nicht, nicht die nahen Beziehungen zu ven engen and gemwundenen Gafjen, zu ven fpigen SKirchenbächern, zu ben Höfen, alademifchen Burfen und Collegien einer Bürger- und Uniners fitätsftabt. Nein, es galt neue Mittelpunkte zu fchaffen in weiter Ebene, in flachiter Umgebung, nach gleichen Wuftern breite Straßen anzulegen, Kirche und Schule, Rathhaus und ftäptifche Lokale in glei⸗ hem Hofftile zu bauen. Der Fürft zog wo möglich noch weiter hin⸗ aus, um fernab vom ftädtifchen Treiben Sanphügel, Wald und Sumpf in große, weite Parks mit weitgevehnten Schloßflügeln und architelte« nifchen Kunftftücden aller Art umzuwandeln. So tft Mannheim mit feinem koloſſalen unvellendeten Schlofje neben Heibelberg entftauben, fo ift Schweßingen das Verſailles der Pfalz geimorben.

Doch Kurfürft Karl Philipp zog im Sabre 1720 nicht allein als glänzender moderner Fürft von feiner Burg zu Heidelberg, fondern zürs nend und drohend verließ er die Stadt, tie ber kirchlichen Reftauratiom in ihren legten Forderungen mannhaften Widerſtand geleiftet: Gras jollte auf ihren Gaſſen wachſen. Und bereits hatte diefe Reaktion weithin Wurzel gefchlagen, ver es um die Vernichtung bes geiftigen freien Culturlebens zu thun war, beffen Schug und Pflege die Kur⸗ fürften von der Pfalz feit Generationen in ven Nheinlanden übernom⸗ men, für bas fie gekämpft und gelitten Hatten. ‘Die proteftantifche Kirche ſah fich bedroht im eigenen Haufe, ja felbft im Necht ver Exi⸗ ſtenz. Die Univerfität, an ber bie größten Männer bes XVL uns

96 8. 3. Stark,

bie Verwäftung dem Ban und in bemfelben dem bentfchen Vaterlande gefchlagen. Um fo greller mußte der armfelige Gemäfe-, Dbft- und Cichorienbau erfcheinen, der die verwilberten Flächen ber großartigen Gartenterraſſen deckte. Noch dazu wurben alle plaftifchen Dentnäler von denfelben nach Schwegingen und Mannheim verfekt.

Die Begeifterung: für Naturfchönheit, das Schwelgen in wehmüthig füßen Gefühlen beim Anblid einer Ruinenwelt, die Richtung auf das allgemein Wenfchliche, von dem politifchen Kampf, vor dem bie nationale Stellung als Befchränktheit erſchien, wie fie in der zweiten Hälfte des vori⸗ gen Jahrhunderts in per Durchſchnittsbildung und deren Literatur eine fo allesbeherrſchende Geltung gewann, fanben bier reiche Nahrung. In ein« fachen, trefflichen Worten hatte zuerft ver Naturforfcher de Luc in feinen Reifen Heibelberg’8 Gegend und Schloß gefchilvert. Bon deut⸗ fen Dichtern war es wohl der, Maler Müller, ein Pfälzer, zuerſt, ber feine interjectionenreichen, übervollen Kraftworte der Vergangen- heit des Schlofjes weihte. Matthifon aus Magdeburg ließ bald dar anf feine elegifchen weichen Klänge über viefe Stätte ertönen unb er⸗ warb ihr als ver fpecififchen Burgruine in ganz Deutſchland Auer⸗ kennung. Wer kennt nicht jene Worte:

„Hier auf biefen waldumkränzten Höh'n „unter Trümmern ber Vergangenheit, „wo ber Borwelt Schauer mid ummeh'n, „lei dies Bild, o Wehmuth, Dir geweiht“ ?

Bei der Jubelfeier ber Univerfität im Jahre 1786 fang ein ein⸗ beimifcher Dichter, Reimold, von ber Stätte:

„wo neben lachenden Gefilben

ſich drohendes Bebürg erhebt

und Gegen über wilden

verjährten Belfen ſchwebt,

wo große Scenen abzufhildern

Die Schöpfung ſelbſt zum Griffel fuhr“.

Der ſchwäbiſche Hölderlin nennt Heidelberg „der Vaterland ftäbte ländlich fchönfte”; er befingt „bie gigantifche ſchickſalskundige Burg, nieder bis auf den Grund von ven Wettern zerriffen«.

Clemens Brentano, Kogebue, Lafontaine, Amalie Imhof bil ben ben weitern Kranz romantiſcher Dichter und Dichterinnen

a. _ Das Heidelberger Schloß zc. 97

m biefen einen lolalen Mittelpunft. Göthe hat in wenigen ein- ishen Worten feiner unmittelbarften Situation, da er als Gaft in Zhibant’6 Haufe fich aufhielt, den bleibenden idealen Ausdruck ver- lieben :

„Rof und Lilie morgenthaulich

blüht im Garten meiner Nähe,

hintenan bebuſcht und traulich

Reigt ber Felſen in die Höhe

und mit hohem Wald umzogen

und mit Ritterfchloß gefrönet

lenkt fi bin bes Gipfels Bogen,

bis er fih dem Thal verſöhnet“.

Uhland endlich und Mar von Schentendorf griffen zurüd in vie gekbichtliche Vergangenheit, inpividuelle Sceneu auf biefer Stätte poetijch neu zu ſchaffen.

Parallel diefer mächtigen Anziehungstraft der Heidelberger Schloß- rume auf die deutſchen Dichter am Anfange unferes Jahrhunderts bit eine neue deutſche Landſchaftsmalerei geradezu fich in ihren edel— ften Bertretern an ihrer Zaubermacht herangebilvet. Seit 1787 fing man überbaupt wieder an, das Schloß zu zeichnen. Auf die Namen Ernſt Fried, Karl Fohr, vor allem Karl Rottmann bat Heidel⸗ berg Urſache ftolz zu fein. Die Präcifion und Schärfe der Zeich- nungen, der großartige Gefammetcharakter landfchaftliher Gruppen, tie Meifterbaftigleit der Beleuchtung, die ten Bildern ber zwei von ihnen zu voller Entwidelung gelangten aus Stalien und Hellas einen jo unwanvelbaren Werth verleihen, find bier an ver Schloß- ruine zuerit geübt worden.

Aus Poeſie und Kunft. erwuchs das praftifche Intereſſe, dieſe Stätte zu fchüten gegen weitere Verwahrlofung und durch die ord⸗ ende Hand des Gärtners einen einheitlichen malerifchen Eindruck ber Umgebungen mit der Ruine bervorzurufen. Seit 1804, feit 1811 find die herrlichen Baumgruppen, die bequemen Wege entjtanten, die int Zaujenven aus Nah und ern eine Stätte der Erholung und des laudſchaftlichen Genuffes bieten. Mit dem Eintreten bes neuen badiſchen Regentenhauſes in den Befig der Pfalz hat dieſe äfthetijche Bürforge von oben dem Schloffe bleibend ſich zugewenpet.

Oißerifge Beisfgrift YL Baus. 7

98 8. B. Stark,

Noch lebt als ehrwürdiger Greis Herr Ch. de Graimberg, wel⸗ her feit 1810 das Studium der Schloßruine, bie Bekanntmachnug ihrer architeltonifchen Detail, vie Anfammlung eines großen hifte rifehrantiquarifchen Upparates für und in berfelben fich zur Lebens aufgabe gefekt hat.

Wenn ich es wage, meine Xefer zu einem Gange auf die Heivel- berger Schloßruine einzulaten, fo gefchieht dies nicht mit dem An» fpruche unter der Fülle literarifcher und maleriſcher Hilfemittel, Die fih uns al8 Führer bdarbieten, nur Neued und völlig Unbelanntes mitzutbeilen, noch weniger in der Abficht, die landſchaftlichen Schön- beiten mit ſchwachen Worten zu zergliedern, bie bie eigene Anfchauung in ihrer Geſammtheit fo unmittelbar vor die Seele rüdt, noch eine Reihe intereffanter Anekdoten aus ter pfätzifchen Regentengefchichte an die Lokalitäten anzufnüpfen. Es ſchien mir aber feine umplirbige Aufgabe, eines ver größten fünjtlerifchen und biftorifchen Denkmäler Deutfchlands näher zu betrachten und den inneren Zuſammenhang fei- ner Theile mit dem Qulturleben ter deutfchen, beſonders rheinifchen Lande aufzuweifen und feine Epochen an bie Epochen ber veutfchen Sultur- und Kunftgefchichte anzufnüpfen.

Wer von der Bergſtraße kommend bei dem Dorfe Neuenheim in die tiefe großartige Thaldffuung umbicgend eintritt, welche ber Nedar, indem er tie fünweftliche Erhebung des Odenwaldes fenkrecht durchjchneibet, bildet, dem wird vie Anfchauung es unmittelbar klar machen, daß der Vorfprung tes hochragenten Königſtuhles, der Heine Geisberg das natürliche Centrum ciner gefhügten menfchlichen An lage innerhalb des Thales bildet, daß von den Ausgängen des feinen Fuß umziehenden Heinen Thales, ver Klinge, bis hinab zu dem Fluf fich die Afteften Anlagen bürgerlicher Xhätigfeiten finten werben. Die Höhe felbft Hat auch in den Särnpfen des 17. und 18. Sahrhundert® ihre militärifche Bedeutung immer bewährt. Hier ift zugfeich ber Punkt, wo auch dem Webergange über den Fluß die wenigjten Schwier rigfeiten entgegentreten. Unmittelbar oberhalb durchziehen Riffe von Sranitfelfen das Strembett, um vieffeits wie jenfeits als fcharfe Kanten an den Bergmaffen fich empor zu ziehen, bis fie enblich ber Sandſtein wieder überlagert. Ein folher Granitvorfprung ift ber Hügel des ES chloßes, der Yettenbühel in ältefter Weberlieferung ges

Das Heidelberger Schloß ıc. 099

nannt. Aber er lehnt fich nur an die oben bezeichnete Sandſteinklippe Des Geisbergs. Und das Schloß felbit ift nur ein Sind des älteften Herrnfitzes auf bem lettern Punkte. Won dort aus beginnt die Ges ſchichte ver rheinischen Pfalz als eines felbftjtändigen Ländercomplexes, sen dert bie Gefchichte des Schlofjes und der Stadt Heidelberg.

Wir haben allen Anlaß an jener die Gegend beherrſchenden Stätte bereits ein Meines vrömifches Saftrum, einen Nömerthurm anzunehmen. Die neueren Forſchungen im Gebiete ver Topographie und Befefti- zungékunſt liefern einen fchlagenden Beweis dafür, daß ber mittel- alterliche Burgenbau fich zuerft in ven Gegenden römifcher Eultur mit römifcher Technik auf den von den Römern mit dem ihnen eige- nen Scharfblid herausgefundenen, ftrategifih wichtigen Punkten aus« gebildet hat. Nun ziehen fich zwar vie äußerften öſtlichen Grenzbe⸗ feftigungen in tiefer Gegend vom Main bei Seligenftabt durch das Erbachiſche Gebiet im Odenwalde zum Nedar in die Nähe von Moe» bach und ftehen dann mit den größern Anlagen bei Wimpfen in Ver⸗ Eindung, und wir willen, daß das Nedarthal aufwärts von Heidel⸗ berg nach Mosbach zu Feine Römerftraße zog, diefe vielmehr ver gro- ken weiten Niederung des Kraichgau’ bei Wiesloch nach den Steins- berg bei Sinsheim folgte, aber die Spuren Hleinerer, dem äußerten rimes paralleler Reiben von Befeftigungen find hier wie am Taunus rehrfach nachgewicjien, und vor allem tft der Kranz der die Ausgangs« sunfte ter Odenwaldthäler in die Rheinebene deckenden römifchen Thürme zuleßt noch aus ver Zeit tes PValentinian (369) bezeugt. inmittelbar bei Heidelberg hat auf der Norbjeite bes Nedar der bie Fde des Thales bildende Abhang des Heiligenberge® reiche vömifche unbe aller Art ergeben, an feinem Fuße warb das Mithreum von Kenenheim aufgededt, auf feinem Gipfel find römifche Altäre und Rotivfteine gefunden worden.

Auch mag der Mebergang über ven Nedar bireft unter der Höhe a der Stelle des jeßigen Warftallhofes irgendwie militärisch geſchützt zeweſen fein, jeboch ift e8 ein Irrthum, die gewaltigen Boffagemanern tieſes Gebäudes in Nömerzeiten zu verlegen, während fie authentifch in Werk des 16. Jahrhunderts find.

Tat acht Jahrhunderte liegen zwifchen jener letten Epoche rö- miſcher Herrſchaft am Nedar unter Valentinian und bem Zeitpunkt,

23

100 K. B. Stark,

wo die Geſchichte des Schloßes und der Stadt Heidelberg anhebt. Die Kirche war inzwiſchen weſentlich in die Erbſchaft römiſcher ſtädti⸗ ſcher Mittelpunkte und der dortigen fränkiſchen Königeburgen, römi⸗ ſcher Cultur und Herrſchgewohnheit eingetreten und hatte die frän⸗ tifche Bevölkerung, vie ſchließlich alle germanifchen und Provinzialbe- ftanbtheile in fich aufgefogen, in ihren materiell freilich zu bezahlen den Schuß und in ihre Zucht genommen. Hier am Nefar war es das Bistyum Worms, das zunächſt ven Ladenburg aus feinen Län- verbefig, feine Schug- und Gerichtsrechte am linken Nedarufer weit ausgedehnt hatte und oben vom Heiligenberg gebot am rechten fer die Filiale des fürftlichen Kloſters zu Xorfch, die Benediktiner vom Michaelektofter. Aderbau, Obſtzucht, Fifcherei, Mühle und Fähre, Weg und Steg ftanden in ihrem Dienjt und unter ihrer Fürſorge. Ein fleines Kirchlein, Maria zur Eindde genannt, ftand unter dem Heinen Geisberge und Eremiten, vie fpäter unter dem Namen bes hl. Auguftin fefte Ordnungen erhielten, hatten dabei ihren Wohnfig. Auch auf jener Granithöhe des jegigen Schloſſes beftand eine uralte Kapelle, bie der SYetta ober Jutta nach dem Namen ver Lolalität genannt; bie Bezeichnung als Heivenfapelle läßt fie wohl als eine Gründung der erften fränfifchen Zeit erfche inen.

Im Jahre 1135 Hatte Das Klofter Lorſch eine neue Klöfterliche Stiftung auf der Neuenburg des veichen Anfelm am Nedar (jekt Stift Neuburg) gemacht und fichtlih im Wetteifer damit Biſchof Burkhard von Worms Gliever des damals in jugenvlicher Begei⸗ fterung aufjtrebenden vie Beneviftiner weit überflügelnden Orkens vom Citeaur in die Schönau an ver Steinach gezogen. Da war es Konrad der Hoheuftaufe, ver Bruder bes Kaiſers Barbaroffa, welcher mit den Stammgütern ber Staifer falifhen Stammes am Mittel- thein, der mütterlichen Erbſchaft begabt, feit 1147 feinen Sig im einem castrum am Heidelberg, einem Lehen des Bisthums Worms nahm, und von dba aus mit ftarker gefürcdhteter Hand die Güter felbft Ihügte, die erworbene Vogtei und Örafenrechte zum Stahlbühel, einer Dertlichleit zwifchen Ladenburg und Schriesheim über bie kirchlichen Güter im Lobdengau handhabte. Bald darauf ward ihm das Amt und die Würde des kaiſerlichen Pfalzgrafen, des Hofrichters an Kö» nigöftatt am Rhein, die bis dahin von Achen, Cöln, Stahled aut

. . * ... . -

Das Heidelberger Schloß ıc. J 101

geübt war, Übertragen. Wit ihm tritt ein weltliches Regtinent zuerſt vurchgreifend in diefem Thale auf und zwar ansgeftattet mit -All ben Iutereffen für Handhabung des Rechtes, für Schug und Eichereit, für Unterricht und feinere Sitte, wie fie das Hohenſtaufiſche Raifth- hans in fo glänzenvder Weife verfolgte. "_

Bon der Burg Konrads von Hohenftaufen, feiner nachſten Mai: u felger, des Welfen Otto, endlich der Wittteldbacher, vie feit Ludwig 1215 und Otto dem Erlauchten 1228 nun erblic jene Befigungen md bie rheinifche Pfalzgrafeuwürde erhielten, find Heutzutage nur tümmerliche Reſte auf dem Plate des alten Schloßes geblieben. Aber nech weift ber tiefe Welseinfchnitt, der ihn vom Königftuhl trennt, nech die abgefchrofften Felewände und ber tiefe Graben im Nord und Rorbweit, die an ven Fels ſich anfchließenden Mauern auf tie Si« derbeit bin, die hier einft vor Allem gefucht ward. Auf geglätteter Hechfläche erhob ſich die eigentliche Burg im unregelmäffigen Viereck verfpringend davor ein Vorthurm in ber aüßern Mauerumfchließung, während das Herrenhaus felbit in feinem untern Theile, die innere Mauer varftellend, mit anderen Fleineren Bauten ven engften Bereich derſelben bildeten, in deren Innern ber Burgfried, der Hauptthurm mit fonifcher Spike fich erhob.

Im Ganzen können wir uns die Burgenbauten bes 12. Yahr- bunderts nicht einfach, beſcheiden, unbequem genug für das hansliche Leben denken. Da begegnen uns noch nicht hohe gewölbte fänlengetragene Räume, zierlihe Wenveltreppen, anmutbhige Erker, befchattete Hofpläge, prächtige Thorfahrten. Doch bilden Die Mauern, in ihrem obern Theil meift noch aus Holz beftehend , die Hauptſache, an fie lehnen fich vereinzelt die Wohnungen und Ställe an, hoch hebt fih nur das Wohnhaus, nach normannijcher Art mit vem Hauptthurm zum Donjon verfchmolzen, in Deutfchland als Pa- (a6 vom Burgfried gefchieden. Die Fenſter find eng, Hein, ſchlitzar⸗ tig, fchlecht verwahrt, von Holzwerk ift Dede und Boben, bie Thüren niebrig und eng, die obere Etage mit ihren Kemenaten oft nur burch Leitern zugänglich.

Allerbings ift die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts bie Zeit, in welcher vie kaiferlichen Pfalzen, auch einzelne Sige mächtiger Lchensträger, wie der Landgrafen von Thüringen, der Herzöge von

mn 2. B. Surt,

Sadjen,. die feit Generationen bereit bewohnt und erweitert waren, einen + rechern Charalter annehmen. Der Kaiſerpalaſt zu Gelnhauſen, das. Schloß Münzenberg in der Wetterau, die Wartburg bei Eiſenach, ſivd pafür Beiſpiele. Da war das Wohnhaus mit zierlichen Bogen ‚"gängen nach tem Hefe zu ausgeftattet, und zwei bi® brei Etagen .„Abereinanber. Zu dem großen Saal im Innern, den immer noch

„eine Holzdecke det, öffnet jih ein oberer Umgang. Einzelne, aber

" wenige ftügende Steinfäulen femmen vor. Zierlihe Stufen (Quadern) führen zur Hauptthüre. Das alte Schloß zu Heidelberg, jegt erft neu als ein Herrenfchleß gebaut, kaun in die Reihe biefer glänzenden Bauten nicht gerechnet werten. Im weiteren Verlauf feines Beſte⸗ hens ift allerkings an tem Herrenhaus tem Palas viel wohl geän⸗ bert; bie Fenſter auf ber Zeichnung von 1519 erfcheinen gothifch ges glievert, in großer Zahl, auch auf der Norbjeite vortretend ein breiter Feuſtererker.

Wollen wir eine Anſchauung gewinnen von der Größe und dem Style ver Bauten, die bie. Fürſorge und das volle Intereſſe Pfalz- graf Konrads und feiner mächjten Nachfolger in Aufpruch nahmen, fo müjjen wir und nad) Schönau wenden, bort bie Ucherrefte der ge- waltigen Klofterfirche ter Cijtercienfer, ver Ruheſtätte ver Pal; grafen, ihres Ktlejterganges, tert tie uch erhaltene prächtige Zwi- ſchenhalle mit dem ſchönen Kapitelſaal, die jegige proteftantifche Kirche mit ihrer mittleren Pfeilerreihe und ven einfach ſtrengen Gewälbrip pen in Augenfchein nehmen. Nicht jewehl ver Grabſtein felbft ſollte prunfent die Nerbienfte tes Verftorbenen fünten, ſondern ber über ihm jich erhebente ſtelze Bau, und bie Gefünge und Gebete der Kloſter⸗ brüter für das Scelenheil tes Verftsrbenen follten jein Antenten er- halten. Und das erjchien als eine der wictigjten Angelegenheiten auch für die Männer, welche im Leben eft mit ter Kirche im hejtig- jten Conflict geftanten und ihren weltlihen Anſprüchen oft ſehr kräf« tig ſich witerjegt haben.

Unter tem Schuge ter pfalzgraͤflichen Burg hatten unten am Neckar und allmälig anſtützend am Weg zur Burg ſich auf dem Ter⸗ ritorium des Pfalzgrafen Wohnungen von niedern Hofhörigen, auch einzelner Freien geſammelt. Die Ueberfahrt über den Neckar galt bereits als eine wichtige Einnahme, bald, noch im 13. Jahrhundert,

Das Heidelberger Schloß ꝛc. 103

war eine bölzerne Brüde daſelbſt entitanden. Aus ben burgus, wie aukdrücklich tiefe Häufer zuerft genannt werben, bem offenen, im Schuß des castrum gelegenen Häufercompler entſtand eine civitas, ein um- mauerter Ort nur mit Schultheiß und Schöffen, aber durchaus ale ein Anhängfel ber Burg betrachtet. Noch war bie Fleine Kapelle zum geiligen Geiſt eine Bezeichnung, vie erft feit Innocenz III. und weiten großer Stiftung ©. Spirito in Rem, und ber gleichnamigen zen Die Ketzerei gegründeten Bruderſchaft in Südfrankreich bei Kirchen auftritt Feine felbftjtändige Pfarrkirche, fondern eine Filiale ;a der vor dem Ort gelegenen alten St. Peterskirche, ver Pfarrkirche ver benachbarten fchon lange blübenten Dörfer in der Ebene. Das Augnitinerklofter nahm in feine erweiterten Räumlichkeiten bie Pfalz« zrafen oft gaſtlich auf.

Ludwig ter Strenge war im Jahre 1294 auf feiner Burg zu Heidelberg in derſelben Kemenate, wo er geboren war, getorben.” Der Drand, ver 1288 Burg und Stadt vermwältete, mußte in erjierer wenigſtens bald wieber bergeftellt fein. Unter ſei⸗ mn Söhnen, bie ben Känperbefig am Rhein ausprüdlich in Gemein» ihaft behielten, aber jonft in verhängnißvoller Weife ben Zwieſpalt im Reiche in fich darjtellten, unter Rudolf I. und Ludwig, der ale vudwig ter Bayer feit 1314 bie deutfche Königs, dann Kaiſerkrone mug, wird und zum erften Male im Jahre 1308 auch ein unteres Schloß von Heidelberg genannt *).

Bir betreten biemit den Boden, auf bem ber Glanzpunkt des rfälziichen Daufes fich ausgelebt hat, an deſſen gewaltigen und fchös sen Bauten unjer ganzes fünftlerifches und genießendes Intereſſe zu⸗ nächjt haftet. Und doch werben wir auch heute neben viefem reichen Cinblick den großartigen Weberblid um feinen Preis vermiſſen mögen, den uns die Höhe des alten Echloßes in das volle Gebirge und in bie Rheinebene gewährt, und türfen ebenfo wenig des fühnen fe

) In bem berühmten Bertrage von Pavia vom Jahre 1329 , in dem Lud⸗ wig fid mit ben Söhnen feines Bruders, Rudolph II. und Ruprecht, anseinanderſetzte, und wo bie Theilung ber zwei Linien, welde Bayern und die Pfalz beherrihten, dauernd ausgeiprodhen warb, eine Tren⸗ nung, bie bis 1777 ſich erfitedte, da wird jenen die obere und bie un- tere Burg von Heidelberg ausbrüdlich zugeſchrieben.

104 8. 3. Stark,

ften Mutterſitzes des pfälztichen Haufes neben ber reicher prangenben Tochter vergeffen.

Es drängt fi) und zumächft die Frage auf, welches die Urfache zur Anlage einer zweiten Burg nun tiefer am Abhang des Berges in unmittelbarer Verbindung mit der darunter liegenden Stabt waren. Die Erfcheinung felbft ift feine ifelirte, begegnet uns vielmehr zur felben Zeit in verfchievenen Gegenden. Gewiß war es einestheils die allmälige Aenderung bes ganzen Qulturlebens, das Bedürfniß nach größern, gefehmüdteren Räumen für bie Herren felbft, ſowie ihre num zahlreicher werdende böfifche und Beamtenumgebung, Ges fihtspunfte der Bequemlichkeit, mit dem Aufblühen ver Städte die Nothwendigkeit, viefen fich auch äußerlich mehr anzufchließen, eine Ver⸗ bindung ter Schugmittel mit denfelben herzuftellen, was zu folchen neuen Anlagen führte. Auf der andern Seite ift e8 aber meift eine ganz beftimmte Veranlaffung in der Yamiliengefchichte der Dynaſten, nämlich der Herftellung beſonderer Site für Gefchwifter, die Antheil an bemjelben Zerritorium behalten, dieſes gemeinfam verwalten und bo in der Stammburg felbft nicht Raum für eine Selbſtſtändigkeit des Haus- und Hofweſens finden. Ich kann es nicht für einen Zu- fall halten, daß bier in Heidelberg vie zwei castra gerade auftreten in der Zeit des gemeinjchaftlichen Beſitzes ver Pfalz durch Rudolph und Ludwig, zugleich in ver Zeit ihrer feindfeligen Stellung gegen einander. Rudolf fcheint vor Allem in der untern Burg feinen Wohn- fig gehabt zu haben. Seit dem Vertrage von Pavia, woburd bie gegenfeitigen Befigverhältniffe genau beftimmt wurben, wird entfchie- ben bie untere Burg der eigentliche Hoffig ver Pfalzgrafen, pie cbere bagegen blieb al® fchügende, das Kriegsmaterial enthaltende Beſte noch wohl im Stande, bis im Jahr 1537, alfo in verfelben Zeit, wo die untere Burg zu einem prächtigen Schloß ſich umgeftaltete, eine furchtbare Pulvererplofion jene in eine Ruine verwandelte. Die Schanzen der Kaiferlichen wie der Franzoſen haben das Ihrige ger than, dieſe Ruinen unkenntlich zu machen.

Ehe wir uns zu dem älteften Nern und feinen großartigen Er⸗ welterungen wenden, haben wir in Gebanfen bie ganze Umgebung in den urſprünglichen Zuſtand zurüdzuverjegen. Alſo weg denken wir uns bie Terraffen des Schloßgartene, weg den ganzen künſtlich ge-

Das Heidelberger Schloß ꝛe. | 105

hobenen Städgarten, weg die gewaltigen YAufmauerungen ber ganzen nördlichen Schloßfacade, weg bie drohenden weit hinaus gerüdten Eck⸗ thärme, überall alfo Berghang mit Wiefen und Wald, fowie einzel« nen hervorragenden Klippen des Granitgrabens. Noch ftand abwärts an ter Nortfeite, ganz außerhalb ber Burg, aber bereits im vollen Berfallen die alte Juttakapelle.

In zwei Hauptepochen koͤnnen wir bie Geftaltung bes ganzen Schloffe& zu erfaflen hoffen, deren jede wieder in zwei Abfchnitte fich theilt. Zunächſt find die Bauten des 14. und 15. Jahrhunderts an ver Weſtſeite des jetigen Schloßhofes, an denen ber Name Rudolf und Ruprecht haftet, weiter Friedrichs des Siegreichen durch ihre Maſſen und Wehrhaftigfeit imponirende Bauten an der Südſeite zu beſchanen. Mit dem 16. Jahrhundert, wohl fchon mit Philipp dem Aufrichtigen, vor Allem mit Ludwig V. (1508— 1544) beginnen bie eußerorbentlichen Erweiterungen und vie großen Subftructionen ber ganzen Norbjeite bis zum biden Thurm, zugleich die Erneuerung und Ausftattung des alten Schloßbaues.

Die zweite Hauptepeche hebt an von der Anlage Friedrichs III., von dem fogenannten neuen Hof und den an ben achtedigen Thurm ſich anfchließenden Bauten. Bon da ftredt fi) dann der Otto Hein⸗ rihebau (1556 1559) an ber Oftfeite hin, fchließt auf der Norb- feite fi der neue Schloffapellenbau, das Schloß Friedrich's IV. (1592 —1607) mit der prächtigen Altane an. Weiter nach der Nord⸗ weitede zu, vermittelt durch einen Heineren durch Johann Gafimir über dem großen Keller errichteten Zwijchenbau ſtreckt fich tann ber englifhe Bau unter Friedrich V. (1610 1618) und entet mit vem tiden, im Innern zu Geſellſchaftszimmern umgemwandelten Thurm (1619). Die umfaffenden künſtlichen Gartenanlagen fchließen endlich das GSefammtbild des Schloffes am Beginne des breißigjährigen Krieges (1615— 1619).

Diefe beiden Hauptepochen Lönen wir als bic der Gothik und Renaiffance ſcheiden. In jener haben wir wieder den leichten, idea⸗ im Schwung, ten anmutbhigen Reichthum ber Gotbil an einem Rit—⸗ terichloffe und die Maſſenhaftigkeit, die Xrefflichkeit des feften Ge⸗ wölbe und hochragende, ſtarke Thürme einer Feftung einander gegenüber, zuftellen. Unter ven Gebäuden der Renaiſſance ericheinen ver Friedrichs⸗

106 j 8. B. Stark,

und der Ottoheinrichsbau als nahe verwandt, Bauten weſentlich auf die Wirkung für den inneren Hofraum berechnet, jener ſoeben aus gor thifchen Ruinen in antife übergehend, viefer in ſchönſtem Maße ans tite Formen offenbarend und boch in wahrhaft freier Weife fie ver wendend. Saum vierzig Jahre find vergangen und bereits Tünbet fih durch alle entjchickene Nachahmung des Dttoheinrihebaues ein nener Geift in dem Werke Friedrichs IV. an: berechnet in die Ferne zu wirken, das befeftigte Schloß als Luftfchloß öffnend nach Außen, überfüllt in unrubigem Drange des Schmudes und mit genealogifcher Weisheit prunfend. Endlich in Friedrich V. Anlagen bricht fich der moterne Geift in Hauseinrihtung und Fünftlihem Park - vollftändig Bahn. So können wir den Ottoheinrichsbau als einen eveln Pa⸗ lazzo eines fürjtlichen Bürgers, eined Medicäers auf beutfchem Bo⸗ ben bezeichnen, dagegen dieſe letzten Bauten tragen bie Anfpräche ver mobernen Eultur fördernden Monarchie an ber Stimm, wie fie in Heine ri IV. von Frankreich fich verförperte. Mitten im böchften Glüd, um Reichthum der gentalen Entwürfe eines über feine Zeit weit bins ausgreifenden Stammes bricht die Gefchichte bes herrlichen Baues ab. Der vreißigjährige Krieg, ver Deutſchlands Eultur und gefchichtliches Bewußtſein in zwei große Hälften zerriffen hat, bildet auch den SchInf unferer Aufgabe. Was im Laufe der wechjelnden Eroberumgen durch Kaijerlihe und Schweden, was von dem endlich in bie Heimath und auf den herrlichen bereits fo verwüſteten Sig feiner Väter zurückkeh— renden Fürften, von Karl Ludwig und Karl gefchehen it, kann nur als Reftauration und als äußerliche, meift wieter verſchwundene Zu« that betrachtet werden. Zwiſchen 1350 und 1620 fpielt vie Gefchichte bes jüngern Heidelberger Schlofjes. Welche Fülle Hochbebeutenter, glänzender, tapferer von frommem Sinn und eblem Wiffensprang getragener Fürſten haben inzwifchen die Kurwürde getragen! Und wie hat ihr Natur fich gleichjam ausgeprägt in Stein ver Architektur und Plaftit, wie haben fie ben herrlichen Ring allmälig gefchleffen, ber zufammen die Schloßmaner bilvet! Ueber allen ragt als Edel⸗ ftein in diefem Ringe der Ottoheinrichebau hervor. In ihm reichen bie Elemente, auf denen unfere Qultur fortan ruhen wird, fich bie Hände: deutſche Tüchtigkeit und Gedankenfülle, antikes Maß und Schönheit, die fittlih rein bildende Weligiofität. Es ift ein feltener

Das Heibelberger Schloß ıc. 107

Zauber barüber ausgegoffen, ver Blüthenduft wahrer Kunſt webt um ihn, der aus ten Kunftwerfen ber erſten Hälfte des 16. Jahrhun⸗ derts und fo wunterbar anmeht.

Berſuchen wir nun diefe allgemeine Charalteriſtik im Einzelnen, in inbivituellem Zuge nachzumweifen! Die Zeiten von NRupredt I. Ruprecht II. und Ruprecht III. (1353 1410) find für die Macht ſtellung der furpfälzifchen Fürſten unter den beutfchen Fürften, für das Aufblühen der Stadt Heidelberg, für die Gründung eines gei- tigen Mittelpunftes in der unmittelbarften Verbindung mit dem fur» fürftlichen Hofe von entſcheidender Bedeutung. Die goldene Bulle vom Jahre 1336 ficherte die feite Verbindung ver Kurwürde mit ben Pefigungen ber älteren WittelSbacherlinie und gab dem Pfalzgrafen tie erſte Stelle nach dem Stönige von Böhmen, gab ihn das Neiche« Bicariat im Südweften Deutſchlands. Im Fahre 1400 warb Rup⸗ recht III. zum beutfchen König gewählt, und Hat in zehnjährigem, freilich oft fruchtlofem Kampfe bie hohe, allgemeine Aufgabe bes dentſchen Königthums vertreten. Die Bifchöfe von Worms und Speyer, tie Aebte von Lorfch, Schönau und Maulbronn ftehen unter tem Schube des Pfalzgrafen, eine Menge edler Gefchlechter, wie die Leiningen, Eponheim, die Herren von Steinach, Hirſchhorn, nehmen Ehrenämter vom kurfürſtlichen Hofe an, bauen fich ihre Herrenhäufer unten in ver Stabt unter dem Schloſſe.

Im Jahre 1386 gründete Ruprecht I. im Wetteifer mit ven ven ben Luremburgifchen Haus beſonders geförberten Anftalten in Prag und Wien eine Univerſität wefentlich nach dem Vorbild ver Barifer hoben Schule, und reiche Begabungen, fowie kräftiger Schutz gegen ten Uebermuth bed Adels warb ber jungen Anftalt von ihrem Stifter und feinem Nachfolger zu Theil. Die engen Grenzen bes alten Stabtbereiches, fchienen nicht mehr auszureichen für Burgen, Herrenhöfe, Klöjter und Burſen der Stupirenden. Daher warb feit 1392 das Heranziehen des Dorfes Bergheim befchlojjen und ausge: rührt, die Vorſtadt Heidelberg hart an ver Stadt gegründet und mit Bejeftigungen umgeben.

Die Scheitung beider Theile hat jich im Sprachgebrauch bis heu⸗ tigen Tages erhalten und ber lantwirtbfchaftliche Charalter ver Vor⸗ ſiadt ift noch heute in ven entlegeneren Theilen nicht verwifcht. Wie

108 8. B. Start,

bie Petersfirche nun als Hauptlirche der Borftabt einen Neuban er bielt, jo ward die Meine Kirche zum hl. Geift nun felbftftändig ale Pfarrkirche ter älteren Stadt, und eine Reihe geiftlicher Einkünfte ward an jie gefmüpft, um fo ein unmittelbar unter dem päpftlichen Stuhl ſtehendes Stift herzuftellen, deſſen Canonici weſentlich aus ben Univerfititslehrern genommen wurven. Was bas entferntere Schönau den eriten Pfalzgrafen geweſen, warb nun die Stiftöfirche zum. heili⸗ gen Geiſte feit Ruprecht III, die Begräbnißftätte der Kurfürſten. Daher ift ſeit 1398 ver herrliche Bau des Chores der Kirche begon- nen worden, an ten in allmälig fich ändernden Formen ber Spätgothil das Hauptſchiff mit feinen intereffanten Emporen die Seitenfchiffe und endlih der Thurmbau fich durch das Jahrzehent des 15. Jahrhun⸗ derts anfchloß.

Kehren wir zum Schloffe zurüd und fuchen vie Alteften heile auf, denen das Gepräge jener eben bezeichneten Epoche aufgebrüdt ift. Yon der Höhe des Stüdgartens überfchaut man befonders in winter licher Zeit am Beften den älteften Bau, ven fogenannten Rudolphs— bau. Als mäßiges Viereck jteigt er in fünf Etagen faft thurmartig aus der Tiefe empor mit ber einen epheuüberwachjenen Außenwand, mit den dunklen Mittelgängen und Erpgefchoffen, mit ben Gewölb⸗ vejten auf zierläch geformten Rippen, endlich durchblickend bie herrfi- chen, ſpißbogigen, reich Durchbrochenen Fenſter des Erkers. Nach ber Wußenfeite zeigen fich nur wenige Benfteröffnungen, zwei vorfpringende Strinbalfen auf der Süpfeite, um bier einen befcheivenen hölzernen Bipvorfprung zu tragen. Nach Innen bilvet ver Rudolphsbau ven weſtlichen Abſchluß des älteften Schloßhofes, auf den jener polygone Wär freundlich berabblidt; die bervortretenden Steinbalfen weifen auf den doppelten hölzernen Umgang, ver einft bier am Bau fich bin» zog. In der Witte des Heinen Hofes befand fich ein Brunnen, und darüber auf einer Säule ver pfälzifche Löwe.

Sur Seite nach Süden weiter eingerüdt fchließt fich an den Ru- duphebau der leider ven bem plumpen jungen Thorthurm ges nafte Ruprechtebau an, an und für fich betrachtet ein treffliches Wern wine reichen Herrenhaufes im gothifchen Stile. Ein Tängliches nd Im Grundriß bildend, fteigt es in drei Etagen empor mit dehenn Dtufengiebel nach Nord und Süd. Der deutſche Reichsadler

Das Heidelberger Schloß ıc. | 109

in Stein gehanen kündigt nach dem Hofe zu einfach die Würbe bes Erbaners an. Kine fpigbogige Pforte, mit einem einft zierlich geglie⸗ verten Fenfterbild darüber, führt in der Witte der Front in ben ven tern Raum theilenden Gang, dem ein achtediger Treppenthurm nach ver Außenſeite fich anfchließt. Schmale Fenfter markiren auch oben den in der Mitte liegenden Vorraum. Rechts und links fchließt fich au den Gang je ein großer von einer gewaltigen Säule getragener Saal mit treiflichen Kreuzgewölben; ver eine ift erhalten, ber andere Begt allerdings in Trümmern, doch find die Details, fo die Anfäge ver Gewölbe noch fehr gut zu erfennen. Wir können bie beiden un⸗ ten Räume als bie bei feitlichen Schmäufen oft genannten Junker⸗ uud Jungfernſääle bezeichnen, während ver einjt wegen feiner Pracht fe gerühmte Sönigfaal mit veichem Täfelwerk eine Treppe hoch zu fehen iſt. Ich mache hier auf die Bildung der Fenſter aufmerkſam, es find keine fpitbogigen Yenfter, fondern vieredig abfchließend , lang gezogen, zu je brei gruppirt, fo baß das mittlere höher emporragt. In ver feinen Ablantung ver Wand- und tenfterftäbe liegt vor Als lem vie künftlerifche Durchbiltung

In wunderbarer Weife hat fich endlich über dem Schlußftein tes Epigbogens der Thürpforte ſchwebend ein höchſt cnmuthiges Wert ver Plaſtik des gotbifchen over germanijchen Stile erhalten. Zwei Engelgeftalten mit hoch gehobenen Flügeln (Aplerfittigen), von einem weiten Mantel befleivet, ſchweben auf Heinen Wölfchen und halten ge⸗ meinfam einen Kranz mit fünf NRofen, in deſſen Mitte ein etwas ge⸗ dffneter Zirkel fich befindet. Die Geſichter, vie lodigen Haare, bie Gemwänber in großen und reichen Maſſen machen den Eindruck füßer Anmuth, Spuren ver Bemalung find noch taran fihtbar. Eine Mei» ſterhand Hat dies gebildet. Die Bedeutung des Ganzen ijt noch nicht recht Mar. Auch bie Statue ves Gründers Ruprecht III. an dein Bau Fried» rich IV. zeigt ven Zirkel neben ver Himmelskugel neben ſich. Es fcheint fich dies auf vie von Ruprecht für den Bau der föniglichen, wie fie jpe- ciell genannt wird,. hl. Geifttirche, wie für dieſen Königlichen Schloß- bau geftiftete Bauhütte, beren erſter WMeilter von der Straßburger Hätte fam, zu beziehen.

Bereits früher als der Ruprechtebau war mit dem älteren Ru« delphoban, der vie eigentliche Bamilienwohnung ber SKurfürften blieb,

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eine kirchliche Anlage in Verbindung gefett, bie fo ganz an® bem Sinne und Bepürfniß der Zeit hervorgegangen, als ein wichtiger Theil eines reicheren Schloßbaues betrachtet wurbe; es ift dies bie Hoftapelie, im J. 1348 dem bi. Udalrich, Bifchof von Augsburg, ge- weiht, ber religidfe Mittelpunkt für die Burgbewohner und bie im Schute der Burg von der Stadt weftlich ganz getrennt lebenven Bes twohner der Bergſtadt. Unter Friedrich dem Siegreichen ift die Ka pelle ebenfo fehr baulich ganz erneuert worben, wie in Einkünften, Koftbarkeiten und Ausftattung des Cultus zur Bedeutung gelangt feit 1467. Die Tage der großen Gefahr vor den Schlachten bei Pfeb- bersheim und Sedenheim (1462) ließen ben fo entſcheidenden Sieg als göttliche Gnade lebhaft erfcheinen. Der Schladhttag bei Secken⸗ heim ward nun burch eine Stiftung in ber Hoffapelle alljährlich feiere ih begangen. Die Kapellmeifterei ward im 16. Jahrhundert als bie reichfte in Deutfchland von ven Päpften anerfanıt. Mehrere Geift- liche verfahen ben ‘Dienft und am Fuße des Berges war eine eigene Sängerfchule eingerichtet für ben mit befonderer Sorgfalt gepflegten Kirchengeſang.

Auf die Yage dieſer Kapelle und deren Reſte iſt es nöthig, etwas genauer einzugehen, da biefer Punkt bisher noch nicht mit Schärfe in's Auge gefaßt ift. Allgemein wird das fogenannte Bandhaus, wel ches an die Norpfeite des älteſten Schloßhofes ſtößt, als die alte Hoffapelle bezeichnet, die fpäter unter Friedrich V. in einen Banket⸗ faal umgewandelt worden fei. In den allein erhaltenen Barterrmauern dieſes Raumes, Über denen fich jest ein plumpes Dach erhebt, find die Reſte gothifcher Fenſter an ver Weftfeite noch zu finden, aber uns geſchickt den modernen fonftigen Fenftern angepaßt. In der Mitte anf dem Erdboden zeigen fich Spuren der 4 einſt die ‘Dede tragenden dicken Pfei⸗ ler. Der nördliche Theil des Raumes ijt erhöht mit einer Stufe und bier findet fich noch unverfehrt eine erferartig vortretende, aber: gerad abſchließende Wand mit zwei gothifchen Fenſtern, zwiſchen Strebepfeileen. Der vieredige Unterbau eine® Thurmes ift an ver Weftfeite nahe der Nordweſtecke noch erhalten.

Nun aber ift es fchon fehr auffallend, dieſe Kapelle ganz ent- gegen ber fejten Regel über Anlage ber Kirche, fpeciell der Altäre, von Nord nah Süd, nicht von Oft nad Weft gebaut zu benfen, un«

Das Helbelberger Schloß ıc. 111

erhoͤrt iſt es, geradezu einen Bau für den eigentlichen Gottesdienſt in der Mitte durch Pfeiler in zwei gleiche Schiffe ſich getheilt zu venfen. Schließlich wiberfprechen dem burchaus die älteften Abbil⸗ dungen aus tem J. 1540, und der urkundliche Bericht von dem Neus ban Friedrich's IV. erweilt, daß um dieſen, ©. h. den jetzigen Schloß« tapelienbau herzujtellen, der Theil der Yurg, in dem vie alte Stapelle ſich befand, ver zur linfen Hand ver nördlichen Schloßpferte lag, zer tört werten mußte. Nein, vie Kapelle lag von Weft nach Oft, nahm ben binteren heil tes Banchaufes und einen Theil des heutigen Ka⸗ vellenraumes ein. An ihrer Weitjeite befand fich ganz naturgemäß ver Kirchthurm. Jene vom Schloßaltan aus gefehenen gotbifchen Fenfter zwifchen den eifernen Strebepfeilern bilden nicht ven Chorab⸗ ſchluß, ſondern wieberholten fich noch zweimal an ber Nord» alſo der Yangfeite ver Kapelle. An tiefe Rorpfeite konnte fich dann die Ne— bentapelle um fo beſſer anfchließen, die über dem gewaltigen Stellers gewölbe, das ſpäter pas große Faß aufnahm, errichtet ward. Was wor aber nun ber Haupttheil des Bandhaufes? Es war ver zur Nas relle gehörige Saal zur Verſammlung ter Geiftlichen, ver Sänger, zur Aufbewahrung ter Schäße ber Kapelle, burch jie war für bie jürftliche Familie die Verbindung zwifchen Wohnung und Kirche uns mittelbar bergeitellt. Die Form felbjt mit der einen Reihe von Pfeis ler iſt durchauo bie eines Capitelſaales oder einer großen Sacriftei.

Ueberbliden wir noch einmal dieſe ältejten Beſtandtheile des SEchloſſes, fo tritt uns bie große Entwidelung der Gejanuntanlage und Einrichtung gegenüber dem alten Schloße fehr beſtimmt entgegen. Bercits ijt ein Nord- und Südthor vorhanden, nah Süpen fchneibet em Graben in ben lebendigen Feld das Schloß vom Berge ab, dop— schte Mauern mit einem Zwinger bazwijchen umziehen es bahinter, im Innern ein ftattliches Wohnhaus, vaneben ein Gebäude für feſt⸗ liche Berfammlungen, eine große Kapelle mit Nebenanlagen, hohe ge⸗ welbte Räume, zierlihde Steintreppen und Umgänge, ein ſchöner Er⸗ tr, Thürme mit Machlcoulis und vortretenden Eckthürmchen charak⸗ trrifiren «8.

Wie nun tiefe gothijchen reichen Bauten feit Friedrich) dein Sieg- reichen (14491477) von einen Kranz gewaltiger Befeftigungen ums geben wurben, zu denen bie Kämpfe mit dem Saifer, mit dem Lehns⸗

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adel, mit den weltlichen und geiſtlichen Nachbarn, welche ber Kurfürft fo fiegreich beftand, Veranlaſſung gaben, das will ich im Einzelnen nicht näher nachweifen. Die ganze Süd⸗ nnd Oftfeite wurbe da⸗ mals in ber jegt noch erhaltenen Weife befeftigt. Bor allem ift es der gefprengte Thurm, deſſen Riefenmauern und inneren Räume jet fo offen vor uns liegen, welchen Friedrich erbaute, aber auch fchon die Grundlagen zum achtedigen Thurme wurden damals gelegt. Die neue Befeltigungsweife mit Caffematten und Baſtionen, bereits berech⸗ net für die neue Kriegführung mit Geſchützen und Solbtruppen, ift dann von Philipp dem Aufrichtigen und Ludwig V. fortgeführt wor ven. Der legtere (1508— 1544) Hat gegen Weften und Norbweiten bie Bauten weit vorgejchoben. Die älteren zierlihen Schloßbauten verjchwinden fichtbar vor der Mafjenhaftigkeit der neuen Anlagen, vor ber gewaltigen hohen Bajtei des Stüdgartens, vor dem Rieſenban bes

dicken Thurmes, der aus ver Tiefe des Thales über 200 Fuß em

porgeführt ward und Ted als drohender Vorpoften über die Stadt fi vorſchob. Ueberall galt es, durch unterirpifche Gewölbgänge bie Verbindung berzuftellen und die Vertheidigung zu erleichtern. Da warb auch ver fchwere vieredige Thorthurm vorgefett, die Steinbrüde über den Graben geführt. Alle diefe Werke tragen nicht das Ge präge ber Schönfeit, ſondern ber Maſſe, der Feſtigleit. Die gothie ichen Glieder werden bereits ſchwer und voll, der Spikbogen weicht mehr einem Rund» oder Nachbogen. Man fehe fich nur bie beiden wachthaltenden Schilpfnappen an unter ihren Heinen Balbachinen zur Seite des großen pfälzifchen und witteldbadyiichen Wappens über bem Thore. Wie handfeft, kräftig, aber plump fie daftehen!

Auch in dem Innern des Schloßhofes erjcheint Lubwig V. ae Berordentlich thätig. Er wird durch eine Inſchrift am Ruprechtsben als Erneuerer deffelben bezeichnet. Daß diefe Erneuerungen ein fünft- lerifcher Gewinn nicht eben waren, zeigen bie großen und bogigen Benfter in dem innerlich zerftörten Theile des Parterres. Es kündigt fih damit ein modernes Bedürfniß für durchgehende Erhellung ber Innenräume an. Auch wenn unter Ludwig V. nur von dem Schmade des Königfaales in den Bildern der Ahnen gefprecdhen wird, fo haben wir Dies als eine neue Zugabe durch die eben unter niederlänbifchem Einfluße fo reich erblühte Tielmalerei zu betrachten; auch Borträts von Dürer’8 Band jollen ſich darunter befunden haben.

Das Heidelberger Schloß ıc. 113

Gegenüber ven Ruprechtsbau zieht unfer Auge die freie Brun- nenbalfe mit Tem darauf leicht ſchwebenden Eckzimmer an. Noch er. ſcheint Hier ver Spitzbogen in feiner vollen reinen Anwendung; auch tie Granitfäulenfchäfte, aus dem Palaft zu Ingelheim hierher vers fest, Haben gethifches Fußgeſtell und Capitelle. Es ijt nicht unwichtig za hören, daß dieſe Anlage noch in das erjte Negierungsjahr Lud⸗ wig's 1508 gehörte.

Die bereits von Philipp begonnenen, von Ludwig vollendeten green Delonomiegebäute liefern ven augenjcheinlichen Beweis, welche Ansvehnung das ganze Hofleben gewann, in welchen Größenverhäfte ziffen Küche und Keller, Magazine, Schlachthäufer, Bäckerei für bie Hefhaltung, für all’ die glänzenren Schmauſereien bei Turnieren, Hochzeiten, Empfang faiferlicher Berfonen zum Bedürfniß geworden waren.

Ludwig war es auch, der bereits getrennt von dem alten Wohn⸗ bauſe, an der Oſtſeite des Hofes und zwar auf dem alten Burgwall fich ein neues Wohngebäude gründete. Heutigen Tages erregt nur nech der achteckige Treppenthurm mit dem zierlich gehauenen Wappen ven 1524 unſer Intereſſe; er ſtand einſt in der Mitte ver in ftunts rem Winkel gebauten Fronte des Haufes, ter nörtliche Flügel hat der Façade bes Otto Heinrichbaues weichen müſſen. ‘Der noch vor« bantene Theil, fpäter um eine Etage überhöht, erfcheint mit feinen Neinen Fenſtern völlig ſchmuck- und kunſtlos.

Es Tonnte feine größeren Gegenſätze geben zwifchen Brüdern, ald bie uns in Ludwig V. und dem ihm nachfolgenten Frietrich IL. entzegentreten. So ernſt und wortfarg, fo wenig beweglich und ge⸗ wantt, fo vorſorglich und zuverläffig, fo Acht deutfch. bürgerlich, fo abgeneigt fremder Sprache und Sitte jener war, fo lebhaft, unter- baltend, unruhig, verfchwenterifch, voli hochfliegender und wieder iehlichlagenver Pläne, fo empfänglih für ven eben ſich ausbildenden hranzäfiichen Hofton zeigte ſich Friedrich. Bei allem Intereſſe für Naffiiche Sturien, für freie Wiffenfchaft, für die neue Iutherifche Lehre war er Doch cin zu großer Breund des Genuffes, ein zu großer per= jönliher Anhänger des Kaifers Karl V., um für ten Glauben, für freiheit der Lehre große Opfer zu ringen. Gr war in Stalien, öranfreih, Spanien viel und oft gereijt und trug ſich in Folde (einer

daoxiſqe Zeitſqtiſt VL Bear, 8

114 K. 8. Stark,

Verheirathung mit Dorothea von Dänemark mit dem Gedanken ſehr lebhaft die drei Kronen Dänemark, Schweden und Norwegen auf ſei⸗ nem. Haupte zu jehen.

Hatte Friedrich II. früher über die Bauluſt feines Bruders und den dadurch verurfachten Geldaufwand fich tadelnd ausgefprocdyen, fo finden wir ihn als Kurfürſt fofort darin mit jenem wetteifern, ja ihn weit übertreffen. Sein Begleiter und Biograph Thomas Leodius Hatte einen befondern Abfchnitt ven YBauunternefmungen bes Kurfürften ger widmet und muß befennen, wenn er nicht Fürſt gewejen wäre, würde er gerechtem Tadel verfallen fein. Mit ihm wirb von einem neuen Ausgangspunkt im Bereiche ter Schloßbefeitigungen begonnen; ver neue Hof tritt in Gegenfag zum alten. Neue Bauformen machen fih dabei geltend, im bizarrer Weife wird das antike ven Italien in Deutjchland einpringende Syſtem angewendet, dabei in andern Thei⸗ fen noch vollſtändig die Formen der entarteten Gothik befolgt. Nur in einem höchſt intereffanten Kaminbau tritt die volle italienifche Re naiffance dabei auf.

An der Norboftede des Hofraumes, tie Grundmauern ber Hei- nen Settafapelle überbauend, beginnt Friedrich feine Bauten und führt fie weit über die innere Schloßmauer hinaus, fie an ben großen Eck⸗ thurm anfchließend. ‘Diefer felbjt erhält einen achtedigen Oberbau mit Kuppeldach; im Innern ftügt je ein ungeheurer Mittelpfeiler vie Gewölbe; große, mit ſpätgothiſchem Maßwerk gegliederte [pigbogige Fen⸗ fter beweifen ſchon, daß er der Befeſtigung nicht hauptfächlich mehr bienen follte; vielmehr warb eine gewaltige Glocke hineingehängt, um- ent- fprechend dem franzöjifchen tours de l’horloge fein Glodenfpiel tö⸗ nen zu lajfen. Davor zieht fich ein großer langer Pelaft Hin, jekt eine ausgebrannte Ruine, zum großen Theil durch ſpäter eingebrochene große Yenfter nach Norven noch verunftaltet. Alles war berechnet auf den Eintrud vom Hofe aus: Hier fpannen ſich in brei Etagen über einanver die in antiker Weife profilirten Bogen von Stein auf kurzen, jchweren, aber mit antiker Cannelirung und Capitellen ausge⸗ ftatteten Säulen und barüber erhob fich einjt noch eine hölzerne Bo⸗ gengalerie. In der Mitte war ber zierliche Treppenthurm angebracht. Nur die eine Hälfte diefer Fronte ift jet noch fichtbar, Die andere warb bald durch den Otto» Heinrichsbau verbedt. Zur Seite firedt

Das Heibelberger Schloß ıc. 115

ih in ven Hof ein Flügel mit wohl erhaltenem Giebel, an dem an- tilen Wafferjungfrauen in wunderlicher Weife vie Abfätze ver⸗ serend angebracht find. Nah Außen, mit dem herrlichen Blick in das Redartbal, an ter Oftfeite ragt noch ein ftattlicher Erker mit ges drũcktgothiſchen Fenſterformen heraus. In einem großen gewölbten Saale follte Hier die Bibliothek zuerft aufgeftellt werden, jedoch man beftimmte ihn dann für bie Rechnungsfammer. Den Baumeifter dies ſes Theiles kennen wir dem Namen nach als einen Jalob Haidern.

Wie an tem NRuprechtebau bereits die große deutſche Inſchrift ans dem Jahre 1545, bie ven Erbauer Ruprecht und den Reftaurstor Ludwig V. melvet, umgeben ift von Säulen und Gebälk in gefchweife ten Renaiffancefornien, welche in auffallenpfter Weife an Zeichnungen von Säulen von Albrecht Dürer erinnern, fo bietet endlich der große Vrachtkamin im Königsfanle des Ruprechtbaues und das erjte Bei⸗ friel einer durchgängig wahren und ebenmäßigen Anwendung antiker Gliederung in den Wantpilaftern, in ben hoben Tragfteinen oder Con⸗ felen, in dem befrönenten Gefimd und der Attika. In feinften Flachrelief find auf denfelben die Verzierungen angebracht. ‘Die beutfche Yufchrift ift bereits in Lateinifchen Fnitialen gegeben. Die Kamine als natürlicher Schmuck ter Wanpdfläche, als Sammelpläte der Fa⸗ milie und der Gefellfchaft fpielen in ver Gejchichte ver Stilummand- (ung des 15. Jahrhunderts auch in Italien, wie fpäter in den Nie» derlanden eine fehr große Wolle.

An diefem Kamine ift zugleich in Wappen und Bruftmebaillons der Einn der Kurfürften für äußeren Glanz und Ehre auf merfwür- tige Weife ausgeprägt: auf der einen Seite ter pfälzifche Kurhut, darunter das pfälzifche und wittelsbachifche Wappen und in ver Mitte ver Reichsapiel, deſſen Aufnahme in das Wappen von Karl V. ale beſendere Gunft an Friedrich II. verliehen wurde; daran hängt das goldene Vließ, auf der anderen Seite bie königliche Krone, gehalten über den Wappen von Schweren, Dänemark und Norwegen, eben« falld mit einem Orden daran, „Drei Stönigreiche ftart” war ja Frau Dorothea. Das Symbol des Todes im Todtenkopf und Sanduhr, des Lebens in ver freffenden Schlange find burchaus moderne Sym⸗ bele dabei.

"Sein Regiment wol lang befton«: biefer Wunfch der Kamin

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116 8. B. Stark,

inſchrift ging an Friedrich IL. nach tem Maße des böhern Alters, in dem er bie Wegierung ‚angetreten, in Erfüllung; aber doch iſt Friedrichs II. Zeit wefentlid nur als Vorbereitung anzufehen für bie durchgreifenden Schöpfungen feines Neffen und Nachfolgers Otto Heinrichs. Selten hat eine Regierung von drei Jahren ſoviel ges jchaffen als die des DOttbeinrich von 1556 —1559. Wie durch einen Zauberfchlag brechen alle die Blüthen auf, die bis dahin zurüdiges halten waren. Die Reformation ward, wie fie von Sachfen ausge gangen war, unter des Pfälzers Melanchthons Beiſtand durchgeführt, nachdem fie ſchon 1545/1546 wefentlich begonnen, einmal nach bem unglüdlihen Ende des ſchmallaldiſchen Krieges zurüdgefchoben war. Daran ſchloß fich eine vollſtändige Reformation der Univerfität im ihrer Organifation und mit dem Gewinne einer Reihe neuer Kräfte, der Humanismus fiegte velljtändig über die Scholajtif, dann weiter eine Einrichtung der höheren Stabtfchulen und envli eine Schul ordnung für die Volfsichulen. Die palatinifche Bibliothek auf dem Schloße wurde mit ver der hl. Geiftkicche vereint und ihre werth⸗ vollſten Schäße von Otto Heinrich erft durch umfichtige Aufträge am reifende Gelehrte erworben. Und die Betheiligung des Kurfürften an allen diefen Dingen war eine nicht bloß äußerliche oder pflichtge- mäße, nein, fie entjprach feinen innerften Intereffer. Eine Reife im Italien und dem Drient hatte frühzeitig ihm großartigen Anfchaunns gen gewährt. Selbſt techniſche Geſchicklichkeit unterftügte ihn im jeinen wijfenfchaftlichen Vefchäftigungen, jo zeigte man noch fpäter eine Sonnenuhr von feiner Eunftfertigen Hand.

In denjelben drei Jahren ijt der fehönfte Theil des Heidelber⸗ gerfchlojjes auf wunderbarſte Weife aus der Erbe emporgeftiegen und legt noch Heute von jener harmonifchen Entfaltung der Bildungsele⸗ mente in feinem fürftlichen Erbauer das herrlichſte Zeugniß ab. Otto Heinrich hatte Schon in Neuburg an der Donau beveutende Schloß. bauten gemacht, über ihren Styl fehlt es bis jet an näherer Kennt⸗ niß, bier nun tritt uns in dem feinen Namen tragenden Bau bie volle Ueberlegenheit eines vurchgreifenden, bewußten fpezifiich künſtle⸗ rifchen Gedankens und trefflichfter Ausführung über alle vorausgehenden, mehr von Gefichtöpunften des Berürfniffes und vereinzelten Kunfttenben- zen ausgeführte Bauten des Uebergangsityles entgegen. Es weht uns ein füblicger, antiter eift aus den Tormen on, und man bat wohl den Gin

Das Heidelberger Schloß x. 117

trud, daß biefe Blüthe unter veutfchem Himmel doch nur das Er⸗ zengniß einer befonders günftigen Conftellation, daß fie mehr ein ſchöͤner Fremdling als ein bier ächt heimiſches Kind ift.

Betrachten wir den Bau möglichit einfach und feharf, che wir an die Gefammtausdentung und an die Frage feines baulichen Urs ſerunges berantreten. Unter möglichft verjchievenen Beleuchtungen giit es fein Details auffaſſen. Immer bleibt zu beflagen, daß man ven immeren Theil gegen eine freie, ungehemmte Beichauung des PBablitums abgefperrt hat.

Der Ottoheinrich&bau ift zwifchen ven Ludwigs⸗ und Friedrichsbau angelegt und nahm von beiden einen Theil ihrer Ausbehnung weg. Nach Anßen, nach Often ragt er durchaus einfach und ſchmucklos über ber Tiefe ber Thalſenlung und den hohen Baftionen hervor. In drei Etagen reiben fich vechtedige Fenſter über einander, in ihrer Zahl 9, dann m 11 nach oben gemehrt; vie Profilirung ber Fenſterbekleidung und Stäbe ift wefentlich noch im gothifchen ever beutfchen Stil, nur aus dem einen Sauptfaal treten Hermen aus den Fenfterftäben hervor. Die einft darüber emporfteigenden zwei hoben Giebel, venen eine turchgebenbe Bildung zweier Firſtdächer entſprach, neben einander find verfchwunden. Aller fünftlerifcher Glanz ift auf die Façade nad) tem Hof zu und auf bie innere Ausfchmüdung ber Räume verwen- bet. Hier find ed bie Thürfronten und inneren Thürbelleidungen, ſind es vie Kamine, find es die einft die Gewölbe tragenten Eonfolen, ſind es die Reſte der in ver Dlitte der größten Ruine ftehenden, das Gewölbe ſtützenden Säulen, deren Haupttheile im Schloßgarten als Tijchſtũtzen u. dgl. leiver verwendet find, tie unfer Intereſſe in An« ipruch nehmen.

Die Fagçade erhebt fich in trefflihen Quaderbau von Heilbron⸗ ser Santftein über dem ungleichen Terrain breit und doch leicht. Gin heher einfacher Sodel gibt ihr gleichfam eine Unterlage zum elafti« ſchen Auffchwunge. Eine Prachttreppe führt in ber Mitte deſſelben zum Hauptportal, einft mit funftreichen Eifengelänvern geziert. Die gewölbten Gingänge in vie unteren Tellerartigen Gewölbräume, ſowie bie wenigen enfteröffnungen haben breite Berhältniffe und find ein- fach gethifch profilirt. Die Gefammtflüche des Hauptaufbaues er⸗ ideint nach dem Verhältniß von drei zu fünf nach Höhe und Breite

118 8. B. Stark,

gegliedert. Zugleich macht ſich in den drei durchgehenden Hauptabtheilun⸗ gen ein feines Abnehmen ver Höhenverhältniſſe bemerlbar. Die un terfte Abtheilung ruht außerdem noch auf einem burchgebenven be fonderen Scdel. Die Gliederung wird gebildet durch je ſechs Bilafter und Halbfäulen und darauf ruhenden Gebäffjtreifen. Elegante Con- folen ftügen das Gebälk zwifchen je zwei Pilaftern und dadurch wird mit den den Conſolen entfprechenden Nijchen für Aufnahme von Sta tuen jene Fünftheilung verboppelt und fo für je zehn Fenſter die Vor bereitung gegeben. Der ganze Bau fchließt oben jett wejentlich ho⸗ rizontal, aber noch ragen zwei Statuen und vie Reſte fenfrechter ar- chiteftonifcher Glieder hervor, die für die zwei hohen Giebel, in be nen diefelben fich befanden, Zeugniß ablegen. Der berportretenben Treppenrampe entfpricht das reiche Portal mit einem Bogeneingang und fchlanfen Zenftern zur Seite, in der Breite aus der “Dreitheilung allmälig nach oben fich in eine Schlußmaffe zufammenziehend, in ver Höhenrichtung durch zwei ftarfe Gebälfe, in den von vier Atlanten geftügten Haupttheil, in bie Attifa mit zwei Kryatiden und endlich ben reich gefchweiften freien Schluß dreifach ſich abjtufend.

Sehen wir uns die Detailbildung näher an. Jene flachen ver- titalen tragenden Reihen find als ionifche und korinthiſche Pilafter, in der oberften Reihe als Torintbifche Halbſäulen charalterifirt. Die Einzelnturchbildung verändert fich bier fehr glüdlich von unten nad oben. Das darauf ruhende Gebälfe ift zu unterft ein doriſches mit rein or⸗ namentiftifch behandelten Triglyphen und dazwiſchen wechfelnden Bukre⸗ nien und Opferfchalen, in zweiter Reihe ein ionifches mit einem Wellen- ornament des Friefes, und Zahnfchnitt, in ver oberften aber durch eine Palmettenreihe in wechjelnder Aufitelung und verbindenden Ran⸗ ten geſchmückt. Auch jener bejondere Sodel des hohen Barterraumes mit feinen ſchwach vorfpringenden Bojtamenten, die zur Aufnahme ver Pilafter und Statuen in ten Nifchen vorbereiten, bat in facettirten aus eingefenkten Mechteclen hervortretenden Steinen eine fehr glück⸗ liche Durchbildung erhalten. Die mit ven Pilaftern wechfelnden Con⸗ folen oder Tragſteine, mit Afanthusblättern übertedt ftehen in der wechſelnden Richtung ihrer Profilirung in glüdlicher Beziehung zu ver Mufchelbilvung ver Nifchen. In den Nifchen nehmen vie Poftamente der Statuen in entfprechender Weije nach oben hin ab.

Das Heidelberger Schloß ꝛc. 119

In beſonderem aber wohl abgewogenen Reichthum find vie denjter gebildet; in ver unterjten Reihe galt e8 die große Schwierig- kit, das aus ter Gothif herübergenommene Fenjterfreuz in antikifi« vente Formen zu überſetzen und es gelang dies, indem bie untere Ab« tbeilung als breite, vorbereitenve Unterlage zu der oberen, dem eigent- lichen Fenſter aufgefaßt wurde. Pilafter oder Halbfäulen tragen in allen Etagen ein fchweres, reiches Gefims, über dem fich unten ein Giebelvreied erhebt, während in ven oberen Etagen ein leichter Ara- bestenfchmud von einem fich erhebenden menjchlichen Oberkörper rechte und links verläuft oder ein Gorgonenbruftbild in der Mitte einer an ven gefchweiften Seiten fich umſchlagenden Aegis geftellt ift und darin ald bekrönender Abjchluß dient. Ju ven Giebelvreieden iſt je ein Medaillon aufgeftellt, umgeben von zwei muficirenden Genien. Eine beſondere Eigenthümlichkeit des Fenſterſchmuckes liegt in der burch- - zingigen Belegung bes mittleren vertifalen Fenſterſtabes mit Her- wen, tie auf Poltamenten ftchen; an ihnen wechjeln männliche und weibliche Bildungen und fowohl das von ihnen getragene Capitell wie ter fich verjüngende Pfeiler, endlich das Poſtament haben wech» ſelnde Formen erhalten. Die plajtifchen, ftehenden Geftalten, deren Be- ventung uns bald bejchäftigt, find mit Glück für die Nifchen berechnet.

Bei ver künſtleriſchen Ausfchmüdung des Portals bat für den Haupttheil fichtlich das Vorbild eines römijchen Zriumphbogens be ftimmene gewirkt. Feſte männliche Gejtalten, vie zwei äußeren bär- tig und reifen Alters, bie mittleren jugentlih und bartlos in treffe lihen, wechſelnden Draperien halten gleihfam Wache an venfelben, auf Boftamente geftellt und nach oben durch Schmale, ioniſche Voluten su Trägern ber oberen Portaltheile gemacht. Wir werben bei ihnen an jene gejangenen Barbarenfönige römifcher Triumphthore und unter- worfenen Provinzen erinnert. Alles deutet an diefem Haupttbeil auf hriegerifche Thätigfeit Hin; in feinſtem Flachrelief umgeben Waffen- küäntel in bunter Miſchung des Alterthums und mittelalterlicher Be— waffnung, ja felbjt von Stanenen, ven Bogen des Cinganges und bie Voſtamente. Biltorien reichen aus ven Eden tes Bogens ihre Palmen. Mufitalifhe Inſtrumente für ernfte und beitere Muſik zieren den breiten Fries, in deſſen Mitte eine deutfche Inſchrift uns den Nas men und die Würden Otto Heinrichs vorführt. Die obere Attifa

120 8. DB. Start,

wird Durch zwei meifterhaft gearbeitete Karyatiden wieber in beſonders reicher Gewandbildung in ein Hauptfeld und zwei offene, fehräg ab faufende Seitenfelver getheilt. Jenes ijt mit ten großen Wappen des Kurfürsten angefüllt. Cine Meijterhand fpricht fich in ver freien Durchbildung aller heraldifchen Theile, ver Wappenfchilde von Balz, Vayern und des kurfürftlichen mit dem Reichsapfel auf dem Orunde bes Baumzweiges, des Helmes, ver gefränten Löwen, des Laubwerkes ans. In den Seitenfeldern rechts und links, welche vie gefchweiften, fich umlegenden Ränder eines Wappenſchildes haben, ijt ver Kampf eines Mannes mit einem Löwen in zwei Situationen targeftellt mit fieg- reicher Weberlegenheit hier ve8 Mannes, dort des Töwen. Das ganze Bortal bekömmt endlich einen reich jich Fräufelnden Auffag mit dem Medaillon des Kurfürften, zwei Iuftig flötenblafenve Genien zur Seite.

Kchren wir nun zu einem Gefammtüberblid ver Façade zuräd, fo wird die Klarheit und Weberfichtlichleit ter Gliederung, das Maaß des Schmudes, feine Mannigfaltigfeit und feine Derchbildung uns doppelt erfreuen. Noch blieb aber ein wichtiger Theil bisher un- beachtet, und zwar ein folder, ver gewöhnlich zuerft gleich den Be⸗ fchauer zu Fragen verarfaft; es find die Statuen, welchejene Nifchen ver drei Etagen füllen und endlich einfam jegt auf ter Höhe des Schloßge⸗ fimfes ftehen, im Ganzen fechzehn; es find ferner die Köpfe ber Heinen Medaillons der befrönenden TFenftergiebel der unterften Etage.

Bier Helvdengeftalten durch Inſchriften bezeichnet bilden bie untere Reihe, Joſua, der Herzog, „ber durch Gottes Kraft ein und dreißig König hat umbradht«, in römischer Königstracht, ven Fuß auf ein gefröntes Haupt gefegt, Simſon, „ver Starke, ein Naſir Gottes“ kurz gefehürzt mit dem Löwenfell, den Ejelskinnbaden in ber Rech— ten, den topten Löwen zur Seite, Hercules als »Yovis Sun« bezeichnet, durch feine herrlichen Thaten wohl Bekannte» , auf die Keule geftüßt, unter dem der Eberkopf fich zeigt, entlich der Jüngling David, age⸗ berzt und Hug” im Furzen Hirtengewanh, in ter Rechten das große Schwert, in der Linken das Haupt Goliaths gefenft haltend. Wir ſehen alſo vier Helten, alle in göttlihem Dienft ftehenn, Führer, Richter, Könige des Volkes, unbedenklich Herkules neben einem Sim⸗ fon, wie die Aehnlichkeit ihrer Tradition fehon früßzeitig in dem chrift- lien Bolt ſich geltend machte.

Das Heidelberger Echloß ꝛc. 121

Die Köpfe der Medaillons geben ſich als wirkliche ober fcheine bare Rachbildungen vömifcher Münzen zu erfennen. Unb zwar fol« gen fie bier von der Linken zur Rechten nach den Inſchriften, vie aber einer genauern Unterfuchung aus nächjter Nähe noch bevürfen: Vitellius imperator, Antonius (sic!) Pius, Tiberius Claudius Nero, Nero Caesar, C. Marius, M. Antoninus, Rom. N. Pamphilius, M. Brutus, alfo vier römische Kaifer: Nero, Claudius, Antoninus Pius und Vitellius, dann zwei mädftige Männer ver Republik, Ma⸗ rius und Antonius, endlich Numa Pompiliud und Brutus ver Ael⸗ tere aus der Königezeit. Ob bier bei ver einzelnen Auswahl beſon⸗ dere Gefichtepunfte gewaltet haben, möchte ich faft bezweifeln. Mög- lich iſt es 3. B., daß man Bitellius gewählt als einen von den ger« manifchen Legionen zum Kaifer Ernannten. Doch ijt es eher eine freie Benügung berühmter römifcher Herrjcher und Staatslenfer ver- fhietener Zeiten, um bier an eine Contimiität des Imperiums zu erinnern.

Die mittlere Statuenreihe beiteht aus lauter weiblichen idealen Geitalten, Hinlänglich charafterifirt ald Virtutes (Zugenden) und'zwar als Glaube, Liebe, Hoffnung, Stärke und Gerechtigkeit. Die Liebe mit einem Kind auf dem Arme bifvet vie Mitte und ift fchon wegen tes bechragenten Portals höher geſtellt. Der Olaube mit einem Buch und tie Hand auf’8 Herz, auch mit einen Echleier befleivet, vie Stärfe eine zerbrochene Säule haltend, die Hoffnung mit dem Anker, die Gerechtigfeit mit Schwert und Wage, vertheilen fich rechts und inte. In den bewegten Öewäntern, tie zum Theil vie cine Schulter frei laffen, iſt außerordentlich viel Leben, aber durchaus antikiſirende Eiudien. Wir haben alfo die chriſtlichen Tugenden, die Liebe als bie höchfte unter ihnen und dazwiſchen von ven heidniſchen Zugenben bie einem Regentenhaufe nöthigften: Stärke und Gerechtigfeit.

Wir kommen zur oberften Weihe. Da begegien uns antife Göt⸗ trr und Göttinen: Eaturn mit einem lebhaft bewegten Kind, das er zu fich gehoben, Mars in voller Rüftung mit dem Schild zur Eeite, Venns in freier und doch decenter Bildung mit dem an ber Mitte bin aufreichenden Amor, Merkur und die hochgefchürzte Diana mit der Ronpfichel. Noch gehören fichtlich Die zwei darüber allein ftehenden Geſtal⸗ ten der Giebel dazu : den eine kennzeichnet ald Jupiter der gehobene dro⸗

122 8. B. Etarf,

bende Arm mit Donnerleil und der Adler zur Seite, doch wer ift der Andere? Bisher ſchwankt man in feinen VBenennungen, man nennt ihn Pluto oder Vulkan. In xömifcher Imperatorentracht fteht er da, fein Haupt umgibt die Strahlenfrone Es ift Niemand an- vers als der Sonnengott, ber römifche Sel, der mit Sarapis zu einer Bildung verfhmolzen ift, daher nicht als jugendliche Geftalt, wie in Hellas, ſondern als König gebildet ward.

Haben wir dieß richtig erfimnt, dann ergibt fich fofort auf bie einfachite und befriebigenpfte Weife die Grundlage der Götterauswahl und tamit ihre ganze Bedeutung. Was hat man nicht berumges beutet, um biefe Götter für bie Regierung Otto Heinrich gleichſam genießbar zu machen! Es find feine anderen, als die fieben mächti- gen Geftirngötter des Alterthums und des Mittelalters: Sonne, Mond und die fünf alten Blaneten: Saturn, Yupiter, Merkur, Mars Venus: alfo die himmlifchen Mächte, ver Geburtftunde des Men» fchen und aller entfcheivenden Stunven des Menfchenlebens, die im aftrologifchen Glauben gerade des 16. Jahrhunderts fo feſt wurzeln, für einen Melanchthon, den Rathgeber Dtto Heinrichs volle Geltung befigen, mit beren Lauf noterifch der Kurfürft jelbit fich eingehen befchäjtigte. Nun ordnet fih auch Alles in beitem Zufammenbange. Wir fehen, die plaftiichen Darftellungen ver Façade des Palajtes bilven zufammen einen fchönen Spiegel der fürftlihen Regierung. Auf ber Kraft der Perfönlichkeit, auf den Heldenthum des Volles baut fich ficher die fürftiihe Gewalt auf; fie hat ihr Centrum in der Uebung der chriftlichen Tugenden vereint mit Stärke und Ges rechtigfeit, fie fteht envlih unter dem Einfluß höherer Potenzen, einer himmlischen Leitung, die fih im Laufe der Geſtirne kundgibt.

Und dieſe Zufammenftellung ift feine außer dem Gedankenkreiſe jener Zeit liegende, im Gegentheil fo recht begründet in der chriftlich- humaniftifhen Anfchauung der Künftler und Kunſtförderer. Wir finven in Italien, aber auch in Deutjchland treffende Belege dafür. So malte im Palaft Schifanoja zu Ferrara Pier della Francesca (+ 1484) geſchichtliche Thaten eines Herzogs von Ferrara, darüber in Reihen Zeichen des Thierkreiſes, Götter und Tugenden, fo ordnete Bes rugino im Saale des Collegio di Cambio zu Perugia um 1500 Männer bes alten Zeftamentes und antike Helden, Tugenden, Apollo und bie

Das Heibelberger Schloß ꝛe. 123

Planetengötter über einander, fo zeichnete Rafael feine herrlichen Pla⸗ netengötter für die Kapelle Chigi der Kirche S. Maria del popolo. a, entfprechende Darftellungen an Hausfacaben begegnen uns aus dem⸗ felben Decennium, wo das Werk in Heidelberg entftanden iſt: an anem Haus in Florenz malte im %. 1554 Meijter Gherardo, gen. Deceno, eine Friesreihe und einzelne Geſtalten übereinander, ba bes gegnen uns bie fieben Blanetengötter, vie ficben Lebensſtufen, die fieben Ingenden, bie fieben freien Künſte; die Befchreibung der Götter fimmt in auffaflender Weife mit dem unfrigen zufammen. An einem Hanfe in Unteröjterreih in Eggenburg find vie Sgraffitomalereien (dell auf dunklem Grunde) vom %. 1547 erhalten, mit den horizonta⸗ in Reihen von Darftellungen; bie “oberften find wieder die Planeten- götter. Aber noch eine fpeciellere Beziehung ver fieben leitenden Ge⸗ fine zu der Würde und Stellung Otto Heinrich’8 ergeben gleich- kitige Denkmäler. Was Schiller in jeiner Ballade vom Grafen von Habsburg fo ſchön fagt: Und alle bie Wähler, bie fieben

Wie der Sterne Chor um bie Sonne fih ftellt,

Umftanden gefchäftig den Herrſcher der Welt

Tie Würde des Amtes zu üben, das war bis zum J. 1811 an der dem Rathhaus zu Nürnberg gegenüber einft befinplichen Kapelle des Schatzamtes als befrönendes Gefims zu fehen; fie war 1526 erbaut worden. Da unigeben eine gewal« tige Sonne, die zugleih Uhr iſt, der Kaiſer und ber König von Böh— men und rechts und links orpnen fich die Kurfürjten, vie geiftlichen und die weltlichen und zu jedem ift eine planetarifche Gottheit ges ftellt, jo ver Mars zu Kurpfalz. Die zwei weiblichen Gottheiten und ver friedliche Merkur find ven geiftlihen Kurfürſten zugetheilt. Das Bild ver Welt, des Kosmos, ift auf das Reich übertragen. Unter ver bimmlifchen Leitung der Geftirne ftehen ſpeciell dic Leiter des Rei— bes, die Kurfürften, ihr irdiſcher Abglanz. Und das ift offenbar auch bier an ter Facçade ausgefprochen.

Rachdem wir jo in eingehenverer Weife das Berftinpniß der Fa— sabe in architeftonifcher und plaftifcher Hinficht uns gefichert haben, darf ih auf vie Einzelbetrachtung der erhaltenen wenigftens fünf Thũrportale bes Innern verzichten. Diefelbe Sauberkeit der Arbeit

124 8. 8. Star,

zeigt fich bier wie ſchon bort befonvers im Flachrelief der Thürbe- kleidung, viefelbe Weichheit und Gefchid in Behandlung der Körper formen der männlichen und weiblichen Hermen, ber ftehenben ober ſchwebenden Viktorien, ver zwei ruhenden antiten Geftalten, etwa Fluß⸗ gottheiten im Giebelauffag, ver Blumen und Fruchtgehänge haltenden Genien, derſelbe in die komiſche Arabesfe Hinüberfpielende Humor ber bär- tigen Masten, dieſelbe doch noch im Zaum gehaltene Neigung zu über» quellenden, etwas unruhigen gefünftelten Ornamentbilvungen, bie bem Wappenrefte entftammen, und fo bietet enplich jeber Blid auf eine ber zurüdgebliebenen Conſolen ber Gewölbe eine - anmuthige und eigenthümliche Form bar.

Wohl haben wir nun aber däs Recht, uns die Frage nach ben bildenden Händen, nach dem Tünftlerifchen Geijte, ver hier gewaltet, vorzulegen und genauer zu zergliedern. Leider find wir bis jetzt dar⸗ über noch ohne allen bocumentalen Anhalt. Eine immer in Büchern wiederholte Tradition fchreibt ven Entwurf des Ganzen Michel Ans gelo zu, eine andere will einen Heidelberger zum Künſtler machen. Es fteht wohl zu hoffen, daß genauere Nachforfchungen in ven Ba- pieren über die Hofverwaltung der Zeit Otto Heinrich's in dem Reichsarchiv und in dem Hausarchiv zu München ung Auffchläffe beftimm« tefter Art bringen werben. Inzwiſchen Fönnen wir boch zu gewiffen aligemeineren Refultaten aus der Funftgefchichtlichen Betrachtung ges langen. Zunächft ftehen wir nicht an, zu behaupten, daß ber Plan bes Ganzen wie die Detaildurchführung fehwerlich von einem italieni⸗ ihen Baumeifter und Bilphauer, am wenigften ven einem römifchen ober Florentiner berrührt, fondern von einem deutſchen, ver allerdings in Stalien, und zwar vorzugsweife in Oberitalien, in der Lombardei und Venedig feine Studien gemacht hat. Bei der Beichreibung haben wir ſchon mehrfach auf die noch vielfach durchklingenden gothifchen For⸗ men aufmerkfam gemacht, fo auf Thür⸗ und Fenfterladung der Sou- teräns, jo auf die Langbildung und Eintheilung der unteren Fenſter⸗ reihe. Wir können noch viel dem Entfprechendes hinzufügen: fo bie Bildung der an und für fich fehr teilen SFenftergiebel, beſonders bie Umbiegung der Profilirung in den Eden, dann ver ganz mittelalter- liche, romaniſche Charakter ver vie oberen Fenfter umgebenden Säul- hen vomanifche Formen treten befanntlich in ber Schlußzeit ber

Das Heibelderger Schloß ıc. 125

Gothik wieder mehrfach hervor. Ein Staliener dieſer Zeit würde ſchwerlich doriſchen Triglyphenfries mit ionifchen Bilaftern verbunden haben. Auch die hoben Giebel deuten nicht eben auf italienische Bau⸗ meifter bin, ebenfo wenig jene gefräufelten veichen giebelartigen Ab⸗ Ihluffe über den Portalen. Was die Plaftif betrifft, fo machte einer ver biftorifch gebilvetiten Bildhauer, mit dem ich das Vergnügen hatte, ten Yan aufmerkfam zu burchmuftern, Herr von der Yannig, auf bie überaus reiche, ächt nordiſche Behandlung des mittleren Wappens aufs merffam, ebenfo wenig entfprechen vie muficirenden Genien ober Engel irgend ber fonftigen italienifchen Bildung viefer fo reich ver« tretenen Gattung.

Endlich ijt auch zu erwähnen, daß wenigſtens an einzelnen ber ins nern Portale Steinmebzeichen fich finden, die noch auf einen Bau⸗ hättenverband hinweifen, wie er bei den Stalienern, wenigitens den florentinifchen und römifchen, in dem 16. Jahrhundert nicht mehr nachweisbar ift.

Treten uns alfo ſehr bezeichnente Unterfchiede dieſer Renaiffance auf deutfchem Boden von der italienijchen derſelben Zeit entgegen, je haben wir fchon oben die Bildung des Künftlers auf italifchem Boden als ganz ficher bezeichnet, wir haben zugleich das nähere Ter⸗ ritorium anzugeben fein Bedenken getragen. Zunächft ift zu fagen, in der Schule des Michel Angelo haben wir den Künftler nicht zu ſuchen. Finden ſich auch bereits einzelne Anflänge an veifen plaftifche germen, wie in jenen männlichen Portalgeftalten, wie in den nadten Relieffiguren über einer Thüre, wie in einzelnen Gewandungen, fo ift tie Gefammtanordnung, ift die reiche, zierliche Behandlungsweiſe ver Flähenernamentation ihm ganz fremd. Jene Anklänge weifen nur anf den in jenen Jahrzehnten bereits über ganz Italien fich verbrei⸗ tenden Einfluß bin, dem auch tie Schulen Oberitaliens ſich nicht ent= pyen. Oberitalien, das mailändifche Gebiet und das Gentrum der tortigen Bilchauerfchule des 16. Jahrhunderts, die Karthauſe von Paria Haben aber fpeziell auf unferen Künftler beftimmend gewirkt. Die Belebung ver Balaftfronte turch Statuen in Nifchen iſt dert auf das reichfte durchgeführt, Lombarden haben baffelbe auch in Rom an Paläften angewendet. Dort finden wir ganz diefelbe reiche Flaächen⸗ deloration der Pilafter, dort genau denſelben belrönenden Arabesten«

126 2. 3. Earl,

fhmud über ten Fenftern ftatt tes Giebeld wierer, dort dieſelben Medraillons mit Kaijerlöpfen, tert tiejelbe Berwendung von Hermen an ten Fenſterſtäben, tert auch tie Neigung zu einer dem gothijchen Etilgefühl entſprechenden teforativen Ueberfülle, dort in ftatuarifcher Beziehung treifliche Zorbilver für tie Anmuth bes Ausprudes, ber Bewegung und ten reichen Zaltenwurf unjerer Statuen. Daß aud bie venetianifche PBalaftarchiteftur des Jacopo Sanjovino, feine Münze von 1535 und Bibliethef 1536 unjerm Baumeijter nicht unbekannt geblieben waren, möchte ich 3. B. aus jenen die Edflidyen über den Portalen füllenden Tiktorien und aus Maslenbildungen ſchließen.

Immerhin bleibt tem Künſtler jelbftjtäntiges Verdienſt in hohem Maße. Und vor Allem leuchtet durch das Ganze ter finnige, auf das wahrhaft Bedeutungsvolle und Entſprechende gerichtete Geiſt bes fürftlichen Erbauers durch. Che wir von ihm Abfchied nehmen, fei e8 und verjtattet, auf den merfwürbigen Eonflift hinzuweifen, in wel chen tiefe künſtleriſche Richtung Otto Heinricy’8 mit der in Heidel⸗ berg bereit fcharf fih ausprägenden Richtung der fchweizerifchen Re formation gerieth, aber auch auf vie entfagenve Schonung, die ber Kurfürft in derfelben bewies. Er hatte der Sitte feiner Zeit gemäß, ſpeciell als ver Lebte feines Zweiges, ein prächtige® Grabdenkmal ven weißem Marmor für fih in Angriff nehmen laffen, weiches im Chor ter hi. Geiftlirche errichtet werden follte. Da erregte die Frei⸗ heit im Nadten, bie die Künftler bei der Darftellung ver fieben klu⸗ gen Jungfrauen wie ber Cherubim fich erlaubten, .bei vem Pfarrer ver Kirche Johann Flinner großen Anftoß, ihm fchloffen ſich die andern Geiftlihen im Widerſpruch zu dem lutheriſch gefinnten Hofprebiger Zileman Heßhuſius an und der Kurfürft ließ darauf Alles, was Ans ftoß erregen fonnte, vom Denkmal entfernen.

Unter den nächften Nachfelgern Otto Heinrich's, unter Fried⸗ rich III. dem Frommen (1559 1576), deſſen Sohne Ludwig VL (1576 1583), unter der Adminiftration von Johann Eafimir (1583 1592) ruhte die gewaltige Bauthätigfeit, welche unter Fürfter ber mit Otto Heinrich erfofchenen Heidelberger Linie faft ununterbrochen auf dem Schloſſe zu Heivelberg geherrfcht hatte. Das religiöfe, das ſpecifiſch theologiſche Intereffe trat ganz in den Mittelpunkt des fürfte lichen wie des Vollslebens; die ftreng reformirte Richtung, welche

Das Heidelberger Schloß ıc. 127

durch Friedrich III, dann von Neuem durch Johann Caſimir in voll⸗ ftem Umfang und mit vollſtem ſittlich regelnden Einfluß auf alle Le— bensverhältniffe in der rheiniichen Pfalz zur Herrfchaft gelangte, war einer wahren Kunftentwidiung durchaus ungünftig. Andererſeits freie id wurde Kurpfalz durch dieſe religiöfe Stellung zugleich zu einer fehr bedeutenden politijchen geführt und nirgendwo in Deutfchland fanten fo frühzeitig die neuen Elemente ter Eultur in Induſtrie, !andesanbau und Verwaltung, in reicherer Gewöhnung des häuslichen Lebens, in Eleganz und weltmännifcher Feinheit des Hoflebens, in glänzenden, aber auch auf Gelehrjamfeit bajirten Fejtlichkeiten, frucht« bareren Boden als gerade in der Pfalz durch die einwandernden refor- mirten Franzoſen und Wallonen, durch die engen Beziehungen zu ben Zührern ver Hugenotten und zum königlichen Hofe von Tranf- reich, zu den Generalftaaten und England. Sowie das politifche und Sulturintereffe das religiöfe überwog, wie e8 unter Friedrich IV., dem Zögling Johann Safimir’d der Fall war, finden wir daher auch neue up fehr bedeutende Unternehmungen, um feine Intereſſen äußerlich m imponirender Weife auszuprägen.

Der Bau Friedrich's IV., welcher die Schloßkapelle und darüber m zwei Etagen bie furfürftlichen Wohnzimmer enthielt, ijt heutigen Tages ber in die Augen fullendfte und wohl erhaltenjte Theil des ganzen Schloffee. Er bildet tie Hauptmafje ver Norpfeite und ent« faltet, über vie breite, prachtvolle Zerafje frei hinausſchauend, auch für ben fernen Beſchauer feinen Glanz, während feine andere Facade mit fpecififch plaſtiſchem Schmude tem Schloßhofe zugefehrt ift, aber hier fichtlich durch feine tiefere Tage fchon in der Wirkung beeinträch- tigt wird. Friedrich IV. ließ im Jahr 1601 vie dort vorhantenen alten Baulichkeiten, befonders einen großen Theil ter alten Kapelle abreigen und am 2, Auguft warb ter Gruntftein zum neuen Bau gelegt. Im Verlauf von ſechs Jahren war das Werk vollendet. Die bildneriſchen Werke taran wurten im Laufe eined Jahres von tem Meifter Sebaftian Götz aus Chur, der mit acht Gefellen dazu ges lommen war, gefertigt. Am J. 1608 ward an Stelle eines Theile tes nördlichen Schloßwalles ver Schloßaltan mit feinen Eckpavillons und der fchönen in Bogen geöffneten Gewölbhalle erbaut. Auch ber Schloßhof, bieher in feinen Abfägen die verfchiedenartige Erweiterung,

128 2.2. Stath,

barlegent, wart nun turch Planiren, durch Errichtung von Rampen, durch Anlage eines großen Waſſerbaſſins mit Springbrunnen, durch Aufs ftellen ven Thelisfen, von antiken Gegenitänten, wie einer Statue det Merkur, eines Altars, Funden der Umgegend, zu möglichiter Einheit umgebilret.

Wir ſehen bereits ein neues architeltenijches Princip hier fich zuerſt geltend machen, welches in Italien feit Viichel Angelo’8 Bauten, feit Piero Ligerio und Vignola zu immer durchgreifenderem Einfluße ge langt war, und jo eben in Frankreich unter Heinrich IV. ben neuen Anlagen veffelben in Paris eine bejonvere Bedeutung verlied id meine das Prinzip der perjpectivifchen Wirkung, ter Berechnuug bes einzelnen Banes als Glied einer großen räumlich imponirenden Ans lage. Noch erſcheint diefe Richtung bier gemäßigt, aber fie ift voll ftändig eingetreten. Damit hängt eine völlig andere Behandlung ber einzelnen architektonijchen Glieder zujanımen; fie werden maffenbafter, wirkjamer im Schattengeben over als reine Flachverzierung gebilvet.

Die Aufgabe war für diefen Bau, wie die fateinifche, nicht mehr beutfche Injchrift über dem Durchgang es ausfpricht, nem Gottete bienft und einer bequemen Wohnung zu dienen und die Bilder ver Borfahren zu zeigen». Es mußte daher das Parterre mit feinen Senftern bedeutend höher gebilvet werben, als bie oberen Stockwerke, und an den Fenſtern ver Eirchliche Charakter noch hervortreten. ‘Das bei macht fich unverkennbar ter vorbildliche Einfluß des Otto⸗Hein⸗ rich'sbau's geltent.

Die Gejammtverhältnijfe find entfchieden weniger günftig, wie bert: das Ganze erfcheint fteiler, Schlanker und vicl unruhiger. Wüh- rend dort die Theilung nad) Höhe und Breite nach ten Zahlen 3:5 erfolgt, ifi fie hiernah 3:4 durchgeführt. Zwei Eingänge in ver Mitte und an dem einen Ente entiprehen fich und theilen bie Breite in zwei gleiche Hälften. Die Facadenfläche wird durch Pilajter mit Gebäft eingetheilt und zwar felgt bier tosfanifche, berifche, römische Ordnung auf einander. Die beiten noch erhaltenen Giebelmände aber erfcheis nen ſchon als Dekoration ohne entfprechenten durchgehenden Giebelban, fügen nech eine korinthiiche Ordnung darauf und jchließen mit Spi⸗ valen und Halbkreiſen ab. Die Nifchen, je vier in jeder Etage zur Auf nahme der Statuen find in die Pilafter eingejenkt und auf ſchweren Krag⸗

, Das Heidelberger Schloß ꝛc. 129

feinen tritt tie Fläche mit den Statuen hervor. Die Fenfter, je 8 in einer Reihe, folgen in der Bildung ihrer Pfeiler der Ordnung ber Etage, fie find alle von Giebeldreiecken befrönt, die Kapelleufenfter enden im Halbkreis und haben in einem Rund und den zwei einge- sreneten Rundbogen noch eine Neminiscenz wie gothiſches Maßwerk. Bärtige alte Männerlöpfe, troßige Lanzinechtgefichter, endlich feine Ruaben- und Mädchenköpfe fchauen aus den Giebeln bizarr hervor. Un gefchnörkelten Wappenſchildern, Löwentöpfen, Confolen, reich ger ſchliffenen Cvelfteinen ift fein Mangel, ſpröde und fcharf fpringen ihre Zierrathen wie von Blech ober Leber gejchnitten hervor. Und wieber überveden Riemengeflechte mit fehnallenartigen Punkten bie ſchmalen längeren Flächen. Es iſt als wenn Schloffer und Riemer bier im Stein alle ihre Geſchicklichleit zur Schau gelegt Hätten.

Die Yufchrift bezeichnete bereits die Statuen als Ahnen Yried- rich's und die Gelehrſamkeit Marquard Freher's, des trefflichen Ver⸗ faffers der Origines Palatinae hat ihr Mögliches geleiſtet, ſechzehn Ahnen geſchickt auszuwählen. Namen und Todesjahr ift in lateiniſcher Yafchrift beigefügt. Von oben nach unten folgen ſich die Reihen auf einander. In den Giebeln finden wir Karl ven Großen (814), Otto von Wittelebach (1183), Ludwig I. (1213 sic!), Rudolph I. (1329); Karl ven Großen als Stifter der rheinifchen Pfalzgrafenwürbe, ob auch als Ahn ift mir nicht näher befannt. Die andern drei bezeichnen alſo Die erften Uebertragungen an vie Witteldbacher und fpeciell an ven einen Zweig feit Rubolph I. Die zweite Reihe befteht ans lau⸗ ter Königen aus wittelsbachiichem Stamme; da reihen fich Kaifer Lud⸗ wig ver Bayer, Ruprecht von der Pfalz, König Ludwig von Ungarn (1312) und Chriftop& II. von Dänemark (1539 sic!) an einander. Die dritte Reihe führt vier bedeutende Fürften ver Pfälzer Linie vor, NAuprecht I., den Begründer ver Ehren des Kurhauſes, Wriebrich ven Giegreihen, Friedrich II. und Otto Heinrid. Die vierte bilven bie vier legten Kurfürften der Linie Pfalz- Sinmmern von Friedrich ILL. bis zum Stifter des Baues Friedrich IV. Das Coſtüm iſt bei allen trefflich und mit eingehenver Kenntniß behandelt, die Gefichter und bie ganze Haltung zeigen eine energifche, etwas rohe Naturmwahrbeit..

Ein anderer Geift lebt fichtlich in viefen Bildwerken, al8 in be-

nen des Ottoheinrichsbaues. Das fürftliche Hausintereffe überwuchert Oepeciſche Zeitfarift YL Baus. 9

130 8. 3. Siark,

ben Trang nach einer idcalen begeiſtert verfolgten Cultur. Zugleich ipricht jich eine gewilie Unrube, ein Streben, Kraft und Würde zu jeigen, bier aus, aber noch nicht geipreist unn hohl. Die Justitia die oben zwijchen ven Giebeln doppelt verhanten ift, war reine Allegorie. Mit ihr jteht in einer Ortbeziehung ver hebräiſch und lateiniſch ge gebene Spruch über rer Kapellenthüre; „das ijt die Thüre bes Herrn, bie Gerechten werten durch jie eingehen.“ Die Gelehrfamfeit und zwar eine grünkliche philologiſche hatte durch Friedrichs Lebendige Fürſorge in Heitelberg und in naher Beziehung zum Hofe eine treff- lihe Stätte gefunten. Männer wie Janus Gruter, Baul Melijjus, Friedrich Sylburg, Heinrich Smetius, Pitiscus, Pitheus, ber Jurift Gothefredus, ver Orientaliſt Chriſtmann wirkten damals an ter Univerſität, an Regierungeſtellen, an ver Bibliothek hier vereint. Aber dieſe Gelehrſamkeit, teren wilfenjchaftliche Rejultate fo hochbe- beutend waren, ijt weit verjchieten ven jenem lebendigen, poetiſch ges ftaltenden Humanismus, wie er fünfzig Jahre früher in einem Jalob Michlius und anderen jich thätig erwies.

Gleichzeitig mit dieſen für ven Charalter der Zeit fo bezeich- nenten Bauten im Bereiche des alten Sites ver rheinifchen Kurfür- ſten fällt eine Anlage von Friedrich IV. der umfaſſendſten Art, welche fo recht aus der weltpolitifchen Stellung, die das Kurfürſtenthum fo eben ji) errang und aus modernen Gulturbejtrebungen hervorging, eine Anlage, welche hundert Jahre fpäter die Stadt und das Schloß Heidelberg ganz in den Hintergrund drängen follte. Ich meine bie Grüntung Mannheims: am Zufanmenflug von Nedar und Rhein als eines feſten Bollwerks der protejtantijchen Union, als eines Siges ber täglich mehr in der Pfalz zufammenftrömenten fremden proteftanti« ſchen Familien, als eines trefflichen Plages für Handel und Lebens⸗ thätigfeit. Am 17. März 1606 ward ter Grunpjtein in feierlichiter Weiſe dazu gelegt, im Jahre 1610 meldete bereits die Juſchrift des Neckarthores, daß Friedrich IV. bieje gemeinnügig edle Stadt mit Wall und Mauern umfchlojfen, ven guten Bürgern das Thor dazu geöffnet habe.

Friedrich IV. ftarb im felben Jahr noch in jüngerem Maunes alter, jein Erbe war der vierzchnjährige Friedrich V., zunächft unter die Vormundſchaft des Pfalzgraf Johann von Zweibrüden geftellt,

Das Heidelberger Schloß ıc. 131

jet 1614 aber ſelbſtſtändig vegierend. Nie hat die rheinifche Pfalz umd jpeziell Heibelberg glängenvere Tage gejehen, als bei dem Ein- mge des 17jäbrigen Fürſten mit ver jungen Gemahlin aus engli- ſchem Königsſtamme, Elifabeth, im Sommer 1613, nie bat ritter- liche Gefchicklichkeit , franzöfifche Weltfitte, antike Gelehrſamkeit mehr gewetteifert in Feſtbauten, Aufzügen und Spielen, nie find hochflie- gnbere Plane für die Pfalz genährt werben, als in ven Jahren 1613 Ks 1619 aber audy nie ſtand ber furdtbare Umſturz des Kur⸗ hanſes näher, nie die Drangfale des Krieges für das ganze Land, wie bie zerftörende rohe Gewalt für die Herrlichkeit des Heidelberger Schloßes. Und tiefe Herrlichkeit zu mehren, die ganze Umgebung wie wit einem Zauberichlag aus dem Charakter einer kräftigen Gebirge- natur in ein wohlgezogenes, zierlich gefchmüdtes Kind menfchlicher Kunft zu vereveln, daran arbeitete Friedrich V. mit größtem Eifer und mit maßlofer Verſchwendung der Mittel.

Zunächſt galt es ter jungen Fürftin eine neue glänzende Wohe aung zu fchaffen, tanı aber rechts und links ältere Räume für große Ruuftjammlungen wie für fürjtliche Banquets umzugeftalten. Auf den tihn aus ver Tiefe unter Ludwig V. emporgeführten Befejtigungs- manern, bie den diden Thurm mit bem eigentlichen Gebäubdecompler bes Schloßes zur Verbindung brachten und hohe gewölbte Kafematten im fich einfchließen, warb nun der fogenannte engliiche Bau errichtet, jest nur noch in den Außenwänden, aber auch nach der Stabt zu aur in dem untern Stode erhalten. Kleine Gartenanlagen zieren in dem Innern den fogenannten englifchen Bau und nur vereinzelte Reſte ver feinften Stuccaturarbeit in ben Fenſterniſchen lajjen vie Pracht des Innern ahnen, zu deſſen Ausſchmückung ver angefehene Maler Fonquiered aus Antwerpen berbeigerufen ward. Eine kunſtvolle Dreh⸗ bräde ließ unmittelbar von einer Thüre des unteren Stodes hinüber in den jogenannten Stüdgarten gelangen, ver feine Bedeutung ale Baftion nun ganz verloren und als ein herrlicher Ziergarten Eli- ſabethens durch vie noch erhaltene Elifabethenpferte aus dem Jahre 1615 fi zum Haupteingange- des Vorhofes des Schloſſes öffnete.

Das Gebäude erhob ſich über der riefigen Untermauer in zwei Stodwerten und zwei Giebeln. Die Glieverung nach der Außen-, wie Yunenfeite überrafcht gegenüber dem eben betrachteten Schlokbau

g*

132 8. 3. Stark,

Friedrich's IV. durch ihre Einfachheit; nach Außen erſtrecken ſich zehn flache, fchlante Wunppfeiler mit einem Fußgeſims und einem beirö- nenven vorgelirpften Gebälf ungetheilt durch beide Etagen durch und zwifchen fie fügen fich je zwei neue große Bogenfeniter ein. In ven hohen Erkergiebeln machten ſich nach den erhaltenen Zeichnungen durch» aus einfachere gefchwungene Linien geltend. Die Zacade nad) dem Schloß. graben und dem Stüdgarten zu hat gar feine ſenkrecht durchgehenden Glieder, fonvern nur ein einfaches Horizontales Band und demgemäßes Hauptgefims und imponirt fenjt mit ihrem einfachen Duaberban. Die rechtedigen Fenfter find fauber umrandet und durch ein kräftiges Ger bält befrönt, an dem eine convere Fläche herrfcht.

Wie kommt dieſe fo einfache, fait nadte aber auf das künftleri- [he Auge wohlthätig wirfende Form auf einmal in vie Reihe ber bisher von ung kennen gelernten, barod überreichen Stilentwidelungen bes Schloßes, wie paßt fie zu der Prachtliebe ihrer Beivohner? Unver- fennbar fpricht ſich bier ein ſehr beftimmter, aus der Fremde friſch bereingebrachter Stilgevanfe aus. Es ift in einfachlter Weife das von Balladio in Vicenza durchgeführte Syitem, das damals foeben von Inigo ones, dem jugendlichen Baumeifter des 1612 ver- ftorbenen Prinzen von Wales, nach England gebracht wurte und in dem von ihm fpäter das berühmte Schloß zu Wpitehall gebaut war. Zu gleicher Zeit brach taffelbe in Frankreich unter Heinrich IV. ſich Bahn und ift in großartig einfacher Weife an tem Schloß zu Et. Germain, dem Lieblingsaufenthalt jenes Königs, durchgeführt.

An die Vollendung des englifchen Baues im Jahre 1615 fchloß fih jofort die völlige Umgeftaltung ver anftoßenden Baulichleiten, aber kaum ift ein Theil des Schloßes fo zerftärt, al8 der auf ber Grund» lage eines Theiles der alten Schloßkapelle und der anftoffenben kirch⸗ lihen Räume aufgeführt nun dem Glanze der rafch wechfelnben Seite dienen fellte. Auch der Eunftreiche Oberbau des dien Thurmes mit feinem ſich frei tragenden Gewölbe, einem Werte eines Nürnberger Architekten, ift zum größten Theil längft in die Tiefen geftürzt. Nur noch an dem erhaltenen Theile ber gewaltigen Wauerfchale, den ber be⸗ rühmte Epheu überkleibet, fteht die pompöfe Inſchrift, die das Werk Friedrichs aus dem Jahre 1619 meldet und dabei im Grün faft ver- ftect die Statuen des ehrenfeften männlichen Ludwig V. nnb des ga Sant fi) drehenden jugenblichen Friedrich's.

Das Heidelberger Schloß ıc. 133

Ter Geift der modernen Cultur und der damit eng verbundenen Menarchie batte von Stufe zu Stufe fich feit den Zeiten Ludwigs V. m Schloß zu Heidelberg ausgeprägt; noch fehlte die legte Signatur, und fie ift ihm noch aufgetrüdt von bemfelben jugendlichen Friedrich, ver in Zäufchungen über tie Dinge und eigene Kraft, in falſchem bauſchen nach göttlihen Rufen einer Königswürbe zuftrebte. Noch bo- ten die Umgebungen tes Schloßes mit Ausnahme des Klifabethen- garten® auf ter Weftbaftion und eines ältern fogenannten Hafengar- tens, eines Heinen Wildgartens fünlich vom Schloffe, feine irgend ine Architektur in näherer Verbindung ftehenden Anlagen dar. Der prachtvolle Abhang des Königftuhles mit Baumwuchs und Bergiwiefen erſtreckte ſich hart an ven Fuß ver Mauern heran. Ye mehr bie mererne Architeltur and ten Innenbau der Höfe, aus der feinen Deteration zur Maſſenwirkung in die Ferne, zum imponirenven, glän- men Gefammteindrud fortjtrebt, um fo näher war es ihr gelegt, auch die Naturumgebung, auch ten vegetabiliichen Charakter berjelben ihren Gefichtspunften zn unterwerfen, durch jene auf die Bauten vor« bereitend einzuwirten, die Natur gleichfam einzufchließen in bie ma- thematifchen Formen und durch die Plaftif zugleich mannigfache Ueber- gngeftufen zur Natur jelbft zu fuchen. So entftanten die großartig änfachen Parkanlagen in Stalien, wie die Billa d'Eſte vor Tivoli, ie Billa des Papftes Yulius III, ver Garten Boboli in Flo— renz, fo bie Gärten von Fontainebleau und St. Germain. Der Pilanzencharalter der fünlichen Natur, vie fanften Abhänge ter Berge, teten treffliches Material dazu dar und bie antiken Wafferleitun- gen Vorbilder für ähnliche Conſtructionen. Ein folcher moderner Perf follte nun auch bas Heidelberger Schloß umgeben.

Anfcheinend eine Unmöglichkeit -- und doch hatte Friedrich V. dazn bereits einen Mann gefunden, ter den ſchwierigſten Aufgaben ver Mechanik gewachfen war, ver Gelehrfamfeit und einen gewiſſen Geſchmack in ſich vereinte, einen Dann, der in biefen Anlagen zu« eich wilfenfchaftliche Probleme zu liefern ftrebtee Der Normanne Eslomen de Caus als ingenieur gebildet, war in die Dienfte des Prinzen von Wales, Johann Jakob I., wie Inigo Jones, deſſen wir eben gebachten, getreten. Dort hatte ihn Friedrich V. bei feinem Aufenthalt zur Bermählung in England im inter 1612— 1613 offen-

134 8. B. Stark,

bar kennen gelernt. Der Prinz ſtarb in dieſem Winter, und Salo⸗ mon de Caus muß der Prinzeß, der Schweſter ſeines Fürſten, bald nach Heidelberg gefolgt ſein. Da hatte er ſein erſtes Werk über die Perſpektive in London im J. 1612 bereits herausgegeben, es folgten dann zwei Werke, die in Deutſchland erſchienen, im Jahre 1615 bie Theorie der bewegenten Sräfte mit verfchievenen Dlafchinen und Zeichnungen von Grotten und Fontainen (les raisons des forces mouvantes avec diverses machines et plussieurx dessins de grot- tes et fontaines) in Frankfurt und feine Harmonielehre (Institutions harmoniques) in Heidelberg. In demſelben Jahre 1615 beginnt feine große Thätigkeit für die Schöpfung des Heidelberger Gartens und er hat bier eine Reihe von Entwürfen der Deleration wie ven Mafchinen für Herftellung des Wafferbrudes, von genau geftimmten Tönen durch Wafferergeln fofort angewendet. Im Herbft 1619 war das in ber That riefenhafte Werk großentheile vellenvet, als ber böhmifche Krieg hemmend dazwiſchen trat. Noch am 20. December 1619 vollendete aber ve Caus fein Werk über den hortus Palatinus mit einer Reihe von Abbilvungen, um an feinem Antheil bie fpätere Bollendung möglichft zu fördern. Er rühmt, daß der Kurfärft fi durch keine Schwierigkeiten und often habe abjchreden laſſen, vaß fehr vieles aus beffen eigenen Angaben und gnäpigften Verordnen herrührt.

Es galt zunächſt durch Sprengen der Felſen, durch Aufführen von ſeſten, zum Theil mit Gewölbniſchen verſehenen Manern von SO —80 F. Höhe, durch Ausfüllen der Zwiſchenräume den Ranın ber- zuftellen. Man wird fich heutzutage diefer Tünftlichen Schöpfung ges wöhnlich nur bei den fogenannten Bögen bewußt. In vier Terraffen ftieg ver in vie Ede des Gebirges eingefenfte Garten herab, deren zweite von unten ben eigentlichen Mittelpunkt bildete. Da begegnen und nun alle Wotive derartiger Anlagen; ein Syſtem gewölbter Laub⸗ gänge, Blumenbeete mit zierfichen buntfarbigen Steinmofailen und einem reichen Wechfel ver Linien, Irrgärten, Baumſchulen, Baſſins mit felfigen Inſeln mit Urania und den acht Mufen, mit rubenven Fluß⸗ göttern, mit gewwänberringenben Nymphen, fprigenven wilden Dännern, mit Venus und Amor ; weiter Portale, freiſtehende Facaden, Prachttreppen, Nifhen mit der Statue des Kurfürften, Bogenhallen mit fchattigen

Das Heidelberger Schloß ꝛc. 135

Grotten und darüber die Thaten des Herkules im Relief. Einen Stolz bildete die prachtvolle Reihe von Orangenbäumen, die zum Theil bereits in dem frühern kurfürſtlichen Luſtgarten unten in der Ebene, in der Vorſtadt neben dem Turnierplatz ſich befunden hatten. dür fie warb ein großes ſteinernes Gebäude im Angriff ges sunnen mit beweglichen Wänden. Ueberhaupt wurben num feltene Gewächle, Blumen wie Bäume bier vereint. Noch fteht heute als an ebrwürbiges Zeugniß biefer Eultur ein Lebensbaum (Thuia orientalis, unter bein jungen Gefchlechte der Bäume der jekigen An- lagen. Die äußerjten Gränzen des Gartens nach dem Thale zu follte ein heher und breiter vierediger Thurm bilten, aus deſſen Loggia ber Bid hinaus in die Herrliche Ebene unbegränzt ſchweifte. Ebenſo waren fchon große Bogen gewölbt, Mauern geführt aus ver Nähe des Schloßthores am andern Ende der Anlage, um bier für warme Bäder, für warme Pflanzenhäujer und endlich Wafferorgeln zur Dar fellung ver antilen Zongejchlechter Räume zu erhalten.

Mitten aus tiefen jo eben ſich vollendenden Echöpfungen ber eigen- fen Neigung und des Reichthums eines hochblühenden Landes, aus dem Schloße, dem herrlichen Denkmal eines ruhmvollen glänzenden Gefchlechtes zog Friedrich V. am 24. Septenber 1619 aus, um bie Königskrone von Böhmen in Empfang zu nehmen, um, wie er nicht ahnte, nie wieder in das Schloß feiner Väter zu kehren. Mit dieſem Tage jchließt die Blüthezeit ver rheinifchen Pfalz, fchließt die Ge- Ihichte bes Heibelberger Schloffes, des Sitzes ver rheinifchen Kur⸗ fürften. Schon nach kaum trei Fahren war dafjelbe und die Stadt ver Gegenftand ber heftigften Kämpfe, und das Schloß mit all feinen Echigen und Vorräthen fiel in Tilly's Hände. Der Stolz und das Kleinod des Kurfürften, vie bibliotheca Palatina, warb weggeführt, une wanderte in Folge geheimer Stipulation zwifchen Bayern und vem Bapft nach Kom. Im J. 1624 bildete e8 den Mittelpunkt ver im Glück wechſelnden, im Erfolg gleich verberblichen Operationen ver Raiferlichen, Schweren und Franzoſen in ber biefjeitigen Pfalz. Ein halbes Jahrhundert fpäter ward durch die Franzofen unter Melac zweimal im Jahre 1689 und 1693 ein förmliher Bernichtnngs- lampf gegen die gewaltigeu Mauern und Thürme des Schloſſes ge⸗ führt und das Teuer verwültete den reichen Innenbau.

136 8. B. tert,

Wir find an das Ziel unferer Betrachtungen gelangt, bie Leident⸗ geſchichte des Schloſſes, ver Stadt Heivelberg, ber Pfalz felbft zu geben, fiegt nicht in unferem Plane. Die gewaltige Mahnung für Deutfchland, welche aus den Decennien des 17. Jahrhunderts und aus ber ZJer⸗ ftörung des Schloſſes fo vernehmlich uns entgegentönt, in einbring licher Weife und auf der Grundlage lebendiger Schilverung ber Sce⸗ nen auszufprechen, muß ich dafür Befähigteren überlaffen. Nicht ums fonft aber, hoffe ih, find wir an ber Hand der Anfchauung, mitten aus dem Genuffe der Betrachtung des gegenwärtigen Zuſtandes zu- rüdfgeleitet worben in bie frühern Culturepochen unfere® Volles, ba ben vor allem verweilt in jenem fo unendlich reichen Seit. alter der Reformation und bei feinen herrlichen Blüthen in Kunft und Bildung, deren Schimmer und noch heute entgegenglängt, deren Früchte wir noch heute genießen. Dorthin werben wir auch unferes Erachtens immer zurüdgreifen müffen, wenn es fi darum handelt, in Gebilven der monumentalen Kunft nicht einfeitige Theorien nur zurückgewendeter Sehnjucht, fonvern bie ebelften bewegenden Kräfte ver deutjchen Nation zur Geltung und zum vollen Ausbrud zu bringen.

Kiterarifche Wotis.

Die äußere Korm dieſer Abhandlung war zunächft bebingt burch ben Zweck afe Borlefung einem großen SKreife von Mäunern unb Frauen in ben Mufenm zu Heibelberg in einem für das Denkmal Steins zufammengetretenen Vereine vorge⸗ tragen zu werben. Yür die allgemeine hiftorifhe Unterlage war mir durchaus Dudle Ludwig Häußers Geſchichte der Rheinifhen Pfalz nad ihren politifhen, kirchlichen und Literarifhen Berhältniffen. 2 Bde 2. Ausgabe. Heidelberg, 1856, ein Wert, dem die vielfeitigfte Anregung unb Belehrung auch für meine Gefihtspunfte zu verbanfen ich gerne Öffentlich befenne.

Spezielle Quellen:

Hub. Thom Leodii de Heidelborgae antiquitatibus bei befr felben: Annales de vita ot rebus gestis Friederici II. (1556 ge ſchrieben). Franlfurt 1624.

Melchior Adami apographus monumentorum Heidelber- gensium. Heidelberg. 1612.

Das Heidelberger Schloß ıc. 137

Marqu. Freheri Origines Palatinae, bannchronicum breve eiritatis Heidelbergae. Ed. Heidelbergae 1612.

9. &. Widder, Berfuh einer geogr. Hifl. Befhreibung ber tnrfüäral Pfalz Erſter Theil 1786.

Topographiſche pfäl ziſhe Bibliothek. Mannheim. ©. 789. e 1 54.

Fr. Beter Wundt, Geſchichte und Befhreibung der Stabt Seidelberg. Bd. 1. (der einzige). Mannheim 1806.

Alois Schreiber, Heidelberg und feine Umgebung. 1811.

Dr. Th. Alfr. Leger, Führer für Fremde, bie die Ruinen bes Seinelberger Schloßes beſuchen. Erſte Auflage 1814. Vierte herausgeg. von 8. v. GSrainsberg. 1849 (turz und genan).

Johann Metger, Beihreibung bes Heibelberger Schloßes nd Bartens Mit 24 Kupfertafeln. Heibelberg 1829 (ein fehr grünb- bes Werl)

8. E. v. Leonhard, Fremdenbuch für Heidelberg um. bie Um- segent. 2 Ubthlgu. Heidelberg 1834. 8.

Richard Janillon, Wanderungen durch bie Ruine bes Hei. beiberger Schloßes und feine Umgebungen. 1857.

Monographie du chäteau de Heidelberg dessinde et gravde pr Rod. Pfnor, accompagnde d'un texte historique et descriptif par Da- ziel Ram'e. Paris. Morel et C'*. 1859. folio. 24 Kupfertafeln, ein zum geßen Theil jehr gelungener Text, warm unb geſchickt gefchrieben.

Unter ben überaus zahlreichen Abbilbungen mit umb ohne Text waren für mi von befonberem terefle:

Beb. Hunsteri, Cosmographia. Baſel, Herm. Peri 1548. y. 495. NUutgabe von 1628 p. 1043.

Merian, Topograpbhia Palatinatus Rheni. 1649. p. 87. ff.

Ch. deGraimberg, Antiquitds du chäteau de Heidelberg. Euerfelio. 7 Hft. (unfhägbear für das architeftonifche Detail, leider unvollenbet).

Primavesi, 12 Anſichten bes Heidelberger Schloßes. 1802.

38 ©. 6 |. de Luo phyfilalifhe Reifen. 1781. 1 ©. 666 fi; SL and Abt v. Berola maleriihe Reiſe. ©. 81.

©. 7. Das Gebdicht von Hölderlin erfhlen 1801 in ver Aarkiiht

138 E. B. Stark,

Aglaja, dann in feinen Gedichten. Stuttgart bei Cotta. Bon Klemens Brer tano ift das “Lied von eines Studenten Ankunft in Heibelberg und feinem Traum auf der Brücke.“ In ber Nacht wor bem Danffefte den 26. Yuli 1806*, als fliegenbes Blatt bei Mohr und Zimmer gebrudt, ein Lieb, welches ſehr verdiente, nach feiner löfchpapiernen Erfheinung im mobernen Gewanb wieder anfzutreten. Die Worte Göthe's ſtehen im weſtöſtlichen Divan Buch, im bem Gedicht: In Gegenwärtigem vergaugen. Die Kenntuiß ihrer Beziehung anf Heidelberg verdanke ich meinem verewigten Collegen, geb. Kirchenrath Umbreit

©. 12. Für die römischen Dentmale in ber Pfalz, fpeciell bei Heibelberg vergl. Ereuzer, zur Geſchichte altrömifher Kultur am Oberrhein und Nedar in deutſche Schriften. II. 2. & 385 530, bef. ©. 446 fi. Für bie römifchen Straßenzüge vergl. jet Paulus archäologifhe Karte von Würtemberg. Etatif. Bureau 1859. Bl. 1. Weber römifhe Befeftigungen f. Kriegk. v. Hochfelden. Geſchichte der Militärarditeltur in Dentfchland. Stuttgart 1859 bef. &. 83 ff.

S. 16. Bon dem alten Scloße zu Heidelberg erifiirt eine intereffante Zeihnung v. J. 1518 im Beſitz des Herrn v Oraimberg, eine Kopie bei Herrn Wagner auf ber Molkenkur.

©. 31. 32. Eine Abbildung dieſes plaftifchen Werkes bisher allein bei Mebger, Geſetze der Pflanzen- und Mineralienbildung angewenbet auf altbentidhe Bauftyle. Stuttgart 1835. Titelblatt dazu 6. 13 f. Ebenbafelbfi Genfer ber bl. Geiſtkirche Taf V Pig. 58. 59. Rundfenſter vom Rupretebau. Taf. 12. Fig 57. Steinmebzeihen von ben Bauten Ruprechts, Lubwige und Fried⸗ richs 11. auf Tafel 8. Fig. 81. 92. 97.

€. 34. Leger führt a. a. D. ©. 51 Anm. 37 aus ben von jemer Seit erhaltenen Dienftiahrbüchern folgente Etelle an: Martius anni 1601 8. Im aula electorali consilium agi coepit de distruenda illa parte arcis Heidel- bergensis, qua teınplum continchbatur, ad latus sinistrum ejus portae, quae cancellariam (am Fuße bes Berges nahe dem jetigen Carlsplatz gelegen) atque ipsaın urbem montemque sacrum respicit. Cum itaque staret sententia, decima hujus mensis initium destructionis factum est,

S. 37. Ein intereffantes Zeugniß für dasjenige, was unter Lubwig damals am meiften im Edjloße bewundert wurde, vor Allem Pracht ber Kirche umb Kriegsapparate liefert der Brief Luthers an Spalatin vom 18. Mai 1518 im der Sammlung ber Briefe von be Wette Br. I n. 65. ©. 111: Suscepit me egregius, illustrissimus princops Wolfgangus comes Palatinus et magi- ster Jacob Simler sed et Flavius curiae magisterr. Dulei jucundaque Conversatione inviccm gaudebamus cdentes et bibentes et omnia sacelluli

Das Heidelberger Schloß ıc. 139

castrensis ornamenta deinde bellicos apparatus denique ommia fere quae kabet regale illud et plane illutrissimum castrum decora illustrantes.

©. 40. Thomas Leodius de acdificiis illustrissimi prineipis Frie- deriei etc. libellus singularis in dem angeführten Werte p. 298 fi. unter Underem : antequam factus esset Elector prinoeps Friedericus detestabatur magnificentiam et sumtus quos frater Ludoricus in reparatione arcis Hei- delbergensis faciebat et se in alios potiores usus 608 sumtus mutaturum pollicebatur, cum mortuo fratre et ad eleotionem admissus mox majores inchearvit et inprimis vetustatem aedificii, ubi fuerat Ihettse formae, sumtu mazimo reponere instituit. Et in bibliothecae usum elegantem et maxi- nam cCarcerem asdificare fecit; summitatem vicinae turris a fratre dudum aastrustam demoliri fecit. Quod aedificium postquam consummavit, mu- tsta sententia de bibliotheca in usum computationum conrertit et maximam ecampanam in praedieta turri appendere fecit.

©. 45. Bergl. Froher Orig. palat. p. 105: elegans illud et vere rsgiicum singulari artificio et sapientia spectandum et pulcherrimis pluri- misguo statuis insigne Ottonem Honricum elecotorem habere auctorem ipsum loquitur.

©. 55. Zu ben planetarifhen Darftellungen vgl. vor allem Piper My⸗ helsgie und Symbolik ber rifl. Kunſt I. 2. &.228—243, dem ich die wei- teren menumentalen Belege zu ber von mir bier zuerft aufgeflellten Deutung ver Bildwerke ganz werbanfe; vgl. dazu auch Burkhardt Cicerone ©. 784, 813, 835. atereffent if es, daß bie Heibelberger Bibliothek ein für Pfalzgraf Dtte Heinrich gearbeitetes, mit prachtvollen Miniaturen verziertes Kalenderbuch vom 3. 1552 handſchriftlich befißt (Cod. Palat. 833), iu dem auf E. 98 bie Hanetengätter um eine Sonne im Kreis geftellt find und zwar auf Wagen fehrend; da erſcheint Bol, unter berjelben war Luna, jener bärtig, mit Strab- lentrone genau in berfelben kriegeriſchen Kleidung, wie hier mit Mantel; er hält im der Hand einen Etab mit Eonnenfcheibe baranf, ben wir aud hier in feiner Hand als einft vorhanden vorausfegen können. Was bie Beziehung bem Kurfürflen betrifft, To iſt bie Sonne fichtlih Doppelrepräfentant bes Raifers und des erfien weltlichen Kurfürften, des Königs von Böhmen, Würden, vie ja oft, ja von ber Zeit bes 16. Jahrhunderts (feit 1526) an dauernd in einer Perſon vereinigt waren. Die Abbildung bes Schatzamtes, ſ. Heibeloff Ernamentit bes Mittelalters VII. t. 5, ber Text, wie gewöhnlich, ſehr unge-

©. 59. Ruglec Haube. d. Lunſtgeſch. 3. Mafl. I. ©. 608 und Heine Gärten IL ©. 408 findet bereite das Gchloß ben Iombarbifchen Bauten ver»

140 8. 3. Stark,

gleihbar; ber Tert zu Suhl und Kaspar Atlas Taf. 87 A. 91 erinnert eu die Certofa von Pavia.

Zu den Dentmälern lombardiſcher Kunft im 15. u. 16. Sahrhundert, vgl. Burdharbt Eicerone S. 201. 648 f., Kugler Hanbbud der Kunſtgeſchichte 11, &. 622 Der Palazzo Spada in Rom, ber Gtatuen in Nifchen ale Facaden⸗ ſchmuck Hat, unb reihen Friesfhmnd, war das Werl eines Leombarben, Ginulie Mazzoni, |. Burkhardt ©. 814

©. 60. Die Geſchichte findet fi) in Henr. Altingii historia eoclesiast. Palatina, abgebrudt in Monument pietat. literar. I. p. 178: occasio refor- mationis plenioris fuerunt certamina Heidelbergae nata declinante prinei- patu Ottonis Henrici Electoris 1558. Otto Henricus Eleetor prinoeps magnificus, quod orbus esset, ultimus suae stirpis, quae in ipso deficiebat mandavit sibi monumentum sive mausoleum splendidum excitari, in quo tumularetur. Structum fuit ex solido marmore summo artificio ac ornatu, sed ita ut sculptoria licentia multa adderentur, quae lasciviam ae cultum meretricium ostenderent partim in forma Cherubinorum partim in adspecte septem virginum. Id quis scandalum daturum erst tenerae eoclesise, ma- xime quod in templi sacrario Collocaretur, unde amotae erant pridem imagines sanctorum et ubi s. coena celebrabatur, monuit Electorem Joan- nes Flinnerus pastor Heidelbergensis, ne id fieret: Elector consuluit dos- torem Tilemanem Heshusium, an id sibi licere arbitraretar, qui id affr- mavit et probavit exemplis regum ac principum, quibus id in usu. (8 folgt nun die Schilderung bes Streitee, die Übrigen Geiflichen fiimmen Flum⸗ mer bei unb unterfchreiben nicht bie Erflärung bes Heshnfins. Das Reſultat it: quo motus Elector pleraque, quae offensam eoclesiae datura videbantar amoveri jussit.

©. 68. Bgl. Beſchreibung der Reiß Empfahung bes ritterlihen Orbene, Vollbringung bes Heirathe und glüdlicher Heimführung, wie aud ber anfehn- fihen Einführung gebaltener Ritterſpiel und Freudenfeſts das bie Fürſten umb Herrn Frieberihen des Fünften ber mit ber Königlichen Priuzeffin Cfifabethen, bes großmechtigſten Herrn Jakobs des Erſten Könige in Großbritannien einzigen Tochter Mit fhönen Kupferflihen gezieret. In Gotthard Vögelius Verlag. Anno 1613 Unter ben gehaltenen Aufzügen und Kingelrennen erfchien ber Argonantenzug, ber bes Ariovift, des Bacchus und des Apollo, ber Königin Beutafllea (sic!), des türkifhen Kaiſers Bajazetto

©. 78. Hortus Palatinus a Frederico rege Boemise electore Palaiino, Häidelbergae exstrustus Balomone de Caus architeoto. 1620; nen abge»

Das Heidelberger Schloß ꝛc. 141

drudt 1795 von Mebicns in Mannheim, dann von Megger feiner Beſchrei⸗ bung bes Heidelberger Schloßes unb Gartens. 1829 beigefügt.

©. 76. Ueber die Zerfiörung des Schloßes durch bie Franzoſen ſetzen wir Vier nur ein franzöftihes Urtheil bei. Daniel Ramée fagt in dem oben ange- führten Werk wörtlih p. 4: il nous reste maintenant une tAche & remplir, une täche beaucoup plus penible, qui est de faire I’histoire de la de- straction de ce chäteau, consommede par les ordres d’un roi de France « la sauvagerio furieuse de capitaines frangais. L’andantissement de eet «ddifice n’avait aucun pretexte raisonnable et admissible.e Le temps et les mosurs en avaient fait, non un chäteau fort, un point mili- taire et stratögique, mais un chäteau sans fortifications, un simple pa- iais de plaisanoe. Les convoitises les plus basses, les passions les plus viles, la vengeances acerdotale, concoururent toutes ensemble & concentrer sar co malheureux edifice les effets d’une colere cause par la betise, l’or- gesil et l’ignorance! La ruine du chäteau de Heidelberg est cause, en grande partie, d'une haine nationale d’outre-Rhein que plus d’une sitcle « demi n's pudteindre. Ou comprendra la ldgitimitd de cette haine, quand on eomnaltre l’histoire detaillde de la brutalitd exercde par les gändraux francais qui furent chargés de prendre et de detruire cette magnifique ha- bitation des princes dlecteurs palatins du Rhin.

vu.

ueberſicht der hiftorifchen Literatur des Jahres 1860. (Fortſetzung.) 8. Zie Schweiz.

1. Allgemeines.

Anzeiger für ſchweizeriſche Geſchichte und Alterthume⸗ kunde. .6. Jahrgang. 4 Nummern. Zürich ac.

Tortfegung bes in ber hiſtor. Zeitfchrift von 1860 (3. Heft S. 187) angezeigten Blattes.

Wolf, Rudolf, Dr, Prof. der Aftronomie in Zürih, Biographien zur Eulturgefhidhte der Schweiz. 3. Cyelus. Zürich u. f. f.

Auch dieß ift Fortſetzung einer bereits in der hiſt. Zeitihr. (S. eben- dort ©. 186.) angezeigten Sammlung. Diefer dritte, der Hochjchule Baſel zu ihrem Jubiläum gewidmete Band der verbienftlichen Arbeit ent- hält, wie der vorhergehende, zwanzig Biographien von fehmeizerifhen Ma— thematikern und Naturforfchern, von Theophraftus Paraceljus von Ein: fieveln (+ 1541) bis auf Jean Frederic Ofterwald von Neuenburg (t 1850). Voran fteht ein Bildniß von Daniel I. Bernoulli.

Die Schweiz. 143

Wir können nur das anerfennende Urtheil wieverholen, mit welchem ver frühern beiden Bände gedacht worden ift. Umficht und Grimdlichkeit ver Forſchung find aud bier mit der lobenswertheften Einfachheit ver Darftellung vereinigt, wie in ven bisher erjchienenen Biographien, und für die Geſchichte der mathematifchen und der Naturwiflenichaften wiebe- rum eine Fülle intereffanter Nachweije gegeben. In ver Abficht, mit einem vierten Cyclus den Abſchluß feiner Arbeit zu machen, hat der Verfafler für den vorliegenden dritten eine etiwa8 veränderte Auswahl von Biogra⸗ phien getroffen, als im Vorworte des zweiten Cyclus angelündigt worden. Gemäß feinem Streben bieten übrigens wirflih die drei Bände feiner Sammlung ein ſtets ſich fteigerndes Intereffe Dar und wird der verheißene Schlußcyclus, der die Sauffure, Euler, Ejcher von ver Linth, de Sans dolle u. A. darjtellen joll, von dieſer Kegel feine Ausnahme wachen.

_y—

Lorenz, Dttocar, Leopolb II. und die Schweizer Blinde, Bortrag, mit Erenrfen und einer Beilage Wien, ©. Geroflb’s Eohn, 1860. IV, 50.

Nah dem Stande ver heutigen Forſchung wird bier in populärer gebilveter Form ein Ueberblid über die Geſchichte ver alten Schmeizer- Bünde gegeben, um jo dankenswerther, als eben vie ältern Zuſtände ber betreffenven Landſchaften feit 25 Jahren in ein vielfach ganz neues Ticht geftellt werben und bie Arbeiten auf diejem ebiete ſehr maſſenhaft angewachſen find und ven Ueberblick erfchweren. Der Verfaſſer fchließt fih im Gan⸗ zen der Kopp’ihen Richtung an, doch mit nicht unmejentlihen Modifi⸗ cationen, indem es ihm mit Recht ungerecdhtfertigt erfcheint, die Ideen des Landesfürftentbums des 14. Jahrhunderts in die frühere Zeit hin- einzutragen. In diefem Sinne erörtert er den ewigen Bund von 1291. Aus der Regiftratur zu Baden im Argau, deren Einrichtung näher bes fhrieben ift, wird als Nachtrag zu Lichnowsky's Regeſten eine Reihe von Inhaltsangaben über Urkunden von 1301 1380 mitgetheilt. Bon ho⸗ bem Intereffe iſt die Mritifhe Unterfuhung über Winkelried und vie Schlacht bei Sempach. Ohne Beweis hatte ſchon Lichnowsky fih dahin ausgeiprochen, daß von Winkelried Feine Rede fein könne. Lorenz läßt die Berfon ftehen, feine That aber ift wahrfcheinlich nicht gefchehen, und wenn der Erzählung irgend ein Ereigniß zu Grunde liegt, fo hat bafjelbe

VI. Heberficht der hiftorifchen Literatur des Jahres 1860. (Fortſetzung.)

8. Zie Schweiz.

1. Allgemeines.

Anzeiger für ſchweizeriſche Geſchichte und Altertfuame unbe. .6. Jahrgang. 4 Rummern. Zürich xc.

Fortſetzung des in ber hiſtor. Zeitfchrift von 1860 (3. Heft S. 187) angezeigten Blattes.

Wolf, Rudolf, Dr , Brof. der Aftronomie in Zürih, Biographien zur Culturgeſchichte der Schweiz. 3. Cyelus. Zuürich m. f. f.

Auch dieß ift Yortjegung einer bereits in der hiſt. Zeitihr. (S. eben- dort ©. 186.) angezeigten Sammlung. Dieſer dritte, der Hochſchule Baſel zu ihrem Jubiläum gewinmete Band der verbienftlihen Arbeit ent- hält, wie der vorbergehenve, zwanzig Biographien von ſchweizeriſchen Ma⸗ thematitern und Naturforfchern, von Theophraftus Paraceljus von Ein⸗ fieveln (+ 1541) bis auf Jean Frederic Ofterwald von Neuenburg (t 1850). Voran fteht ein Bildniß von Daniel I. Bernoulli.

Die Schweij. 143

Bir lömmen mr das anertennende Urtheil wieverholen, mit welchem ver früßern beiten Bände gedacht worben ift. Umficht und Grünvlichkeit ver Forſchung find aud hier mit ver lobenswertheften Einfachheit ber Turftellung vereinigt, wie in den bisher erjchienenen Biographien, und für tie Gefchichte ver mathematischen und ver Naturwiffenfchaften wiede⸗ ram eine Fülle intereffanter Nachweiſe gegeben. In der Abjicht, mit einem virten Cyclus den Abſchluß feiner Arbeit zu machen, bat der Verfaſſer für den vorliegenden dritten eine etwas veränderte Auswahl von Biogra⸗ rhien getroffen, als im Borworte des zweiten Cyclus angekündigt worben. Gemäß jeinem Streben bieten Übrigens wirflih die drei Bände feiner Sammlung ein ſtets fich fteigerndes Intereife dar und wird der verheißene Schlußcyclus, der die Sauffure, Euler, Ejcher von der Linth, ve Can⸗ tele u. U. darſtellen fol, von biejer Regel feine Ausnahme wachen.

_y—

Lorenz, Dttocar, Leopold IN. und die Schweizer Bünde. kortrag, mit Erceurfen und einer Beilage Wien, C. Gerold'e Cohn, 1860. IV, 50.

Nah dem Stunde der heutigen Forſchung wird bier in populärer gekilveter Form ein Ueberblid über vie Geſchichte der alten Schweizer- Bünde gegeben, um fo dankenswerther, als eben vie ältern Zuſtände ber betreffenden Landſchaften feit 25 Jahren in cin vielfach ganz neues Licht geftell werden und bie Arbeiten auf dieſem Gebiete fehr maſſenhaft angewachſen fine und ven Ueberblick erfchweren. Der Verfaſſer fchließt fih im Gan- en der Kopp'ſchen Richtung an, doch nut nicht unmejentlihen Modifi⸗ catienen, indem es ihm mit Recht ungerechtfertigt erfcheint, die Ideen des Yanbesfürftentbums des 14. Jahrhnnderts in bie frühere Zeit bin- anzutragen. In diefem Sinne erörtert er den ewigen Bund von 1291. Aue ver Reyiftratur zu Baden im Argau, deren Einrichtung näher be- fhrieben ift, wird als Nachtrag zu Lichnowsky's Negeften eine Reihe von Inhaltsangaben über Urkunden von 1301 1380 mitgetheilt. Bon ho- bem Intereſſe ift die Fritifhe Unterfuchung über Winfelried und bie Schlacht bei Sempach. Ohne Beweis hatte fhon Lichnowsky fih dahin ausgeiprochen, daß von Winkelried feine Rede fein könne. Lorenz läßt tie Berfon ftehen, feine That aber ift wahrfcheinlich nicht gefchehen, und wen der Erzählung irgend ein Ereigniß zu Grunde liegt, fo hat daſſelbe

144 uUeberficht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860.

doch ganz ficher keine entſcheidende Bedeutung für den Erfolg der Schladt. Die Kritik ift fein und durchaus überzeugend”). . J.W.

Segeffer, Antou BHilipp dv, Die Beziehungen ber Schwei⸗ jer zn Mathias Eorvinus, König von Ungarn, in beu Jahren 1486 1490. Luzern, Schiffmann. 114 S. 8.

Der gelehrte Berfaffer der Rechtsgeſchichte der Stapt und Republit Luzern und Bearbeiter der eingenöflifchen Abſchiede aus den Jahren 1478—1499 ift durch feine Befhäftigung mit ven letztern auf das Bäub- niß der Eidgenoſſen mit König Mathias Corvinus vom Jahr 1479 ges führt worden und bat davon Beranlaffung genommen, ven Urſachen unb der Bedeutung dieſes Actes, wie überhaupt des ganzen VBerhältniffe® ver Eidgenofien zu König Mathias, eine befondere Unterfuchung zu wibmen, deren Ergebniffe in diefer Schrift mitgetheilt werden. Sie berichtigen nicht nur und ergänzen, was bisher über jene Beziehungen befannt war, ſondern fegen auch die Sache felbft, zum erften Male, in vollftänpiges Licht und weiſen deren Zuſammenhang mit der allgemeinen europätfchen Geſchichte jener Zeit nad. Ungeachtet die Darftellung natürlicher Weiſe vom Standpunkte jchweizerifcher Geſchichtsforſchung ausgeht, muß fie doc auch als intereflanter Beitrag zur Aufbellung ver viplomatiichen Fäden, bie von dem Hofe des großen Ungarkönigs nach den großen weftfichen Staaten ausliefen, ſehr willlommen fein.

Sorgfältige Benugung aller zugänglichen Quellen, Grümdlichkeit ber Unterfuhung und eine völlig unbefangene, ruhige Behandlung des Stof- fes zeichnen dieſe Schrift aus. —y—

—— —— ——

*) In demſelben Einne urtheilt das literariſche Centralblatt nebſt andern kri⸗ tiſchen Blättern Deutſchlande. Anderer Meinung aber iſt man in der Schweiz. So ſchreibt uns ber gelehrte Mitarbeiter, dem wir ben Bericht über bie ſchweijer Literatur zum großen Theil verbanfen, daß er mit bem oben Gefagten, wenigftens in Betrefj ber Winfelriebfage, durchaus nicht einverſtanden fei. Inzwilhen hat Hr. Dr. R. Ranchenſtein in feiner „hiſtoriſch⸗kritiſchen Abhandlung”: „Winkelried's That bei Sempach ift keine Fabel” (Pro gramm der Aarau'ſchen Kantonfchule 1861, April) die von D. Le⸗ venz geübte Quellenkritik öffentlich zu widerlegen gefucht, worauf Hr. Lorenz neuerdings in einer aus ber Germania VI. 2 abgebrudten Abbenblung: „Die Sempacher Schlachtlieder“ (Wien, 1861) antwortet. K.

Die Schweiz. 145

n. Gäriften betreffend vie innere Schweiz.

Geſchichtefreund. Mittheilungen bes Hiftor. Ber. ber fünf Orte. 16. Band. Ginfiebelu, Benziger, 1860. 3086. 8. Nebſt 2 litho- traphiſchen Tafeln.

Bortjegung der in der Zeitfchrift (Jahrg. 1860 S. 187) erwähnten Bereinsſchrift. Im vorliegenden Bande find vorzüglich bemerfenswerth. ame Arbeit von Carl Deſchwanden, Zürfpred in Stanz, über das Bes waffuungefnften der Nidwaldner, als willlommener Beitrag zum ſchwei⸗ grifchen Kriegsverfaſſungsgeſchichte; die Beichreibung und Geſchichte des „Waſſerthurms“ in Lızern von Fr. X. Schwytzer, Ingenieur daſelbſt; zab vier Briefe von Aegidius Tſchudi aus den Jahren 1560 und 1561, mitgeteilt von M. Kothing, Kantonsarchivar in Schwytz. Diefe Briefe (arig iſt im Abdrucke auf S. 275 zweimal gefet: „die großen Haufen“ Ratt: „die großen Hanfen“; es ift von den Bornehmen im Laube, m Gegenfage zur Menge, die Rede) gewähren ein großes Intereſſe zur Charablteriſtik Tſchudi's und ver Olarnerijchen Religionshändel. Unter ven Tichhlichen Mittheilungen wird ein Sahrzeitbuch des aufgehobenen Klo⸗ Bere St. Urban, vom Herausgeber, ven Genealogen, eine Geſchichte des Siechenhauſes zu Luzern von Quratpriefter Lütolf dafelbft dem Culturhi⸗ ſtoriler willlommen fein. Sehr bemerkenswerth ift in dem Vorberichte mn Bande (der vom regen Leben des Vereins Zeugniß ablegt) ein . Beitrag zur Tell- Frage, worin Hauptmann 2. Müller in Altorf, jonft am entfchiedener Gegner der Anfichten Kopp’s, die Behauptungen des kstern mit Bezug auf das Ergebniß der Forſchung in den Kirchenbüchern des Landes Uri (Kopp Gejchichtöblätter IL 326) auf Grund eigener fergfältiger Unterſuchung beftätigt.

M. Deſtliche und nordöſtliche Schweiz.

Moor, Courabin von, Archiv für bie Geſchichte der Repu- blit Sranbändten. 31. und 32. Heft. Chur. Im Gelbfiverlage bes Ver- Ifiers. Gebrudt bei Prabella. 8.

Fortſetzung der im zweiten Jahrgange ver Zeitichrift (drittes Heft ©. 188) angezeigten Sammlung. Gejammelte Schriften von J. U. von Salis-Seewis). Die Dynaften von Bat, Schluß. Starte ber Herr-

Oipeciſqͥe Beitfrift VL daud.

146 Ueberfiht ber Hiftorifchen Literatur von 1860.

Schaft Hohentrins. Geſchichte der Gemeinde Flims und ber Herrichaft Belmont. Geſchichte der Landſtraßen Bündtens. Die Bergamaster Hir- ten in Bündten u. ſ. f.) und Fortſetzung des verbienftlichen Codex diplo- maticus Rhaetiae bi® 1377.

Flugi, A. v., Die Hoheiisrecdhte des Kantone Graubündten über das Biſsthum Chur. Chur, 1860.

Mont, Chr. 2. u, Tombelan, und Plattner, PI, Brof. Das Hochſtift Chur und ber Staat. Gecſchichtliche Darftellung ihrer wedhfel- feitigen Rechteverhältniffe von ben älteſten Zeiten bie zur Gegenwart. Chur, 2. Sig. 1860. ©. 79 und LXXVI. 8.

"Zwei Schriften, die durch Verhältniffe ver Gegenwart hervorgerufen worden find und welchen die Gefchichte nicht Zweck, fondern Mittel im Kampfe zwijchen klerikalen und flaatlichen Intereſſen iſt. Die Arbeit von Flugi ift weſentlich Auffriſchung einer älteren im Jahre 1755 zu pral tiſchen Zweden erſchienenen Staatsjchrift (des Minifters Ulyſſes von Sa⸗ lis⸗Marſchlins): „Ausführung der Rechtſamen des Gottshausbundes über das Hocftift zu Chin.“ Die Arbeit ver Herrn von Mont und Plattner fetst fich die Widerlegung Flugi's zum Ziele, indem fie zugleich aus ber alten Reichsſtandſchaft der Biſchöfe einen gewiſſen Anſpruch des Bisthums auf Unabhängigkeit von dem jetzigen Staate Graubündten herzuleiten und zu begründen fucht. Die gefchichtliche Darftellung muß freilih, um zu biefem ber factijchen Entwidlung, ver Dinge und dem Ergebniffe verjelben wenig entjprechenden Ziele zu gelangen, ziemlich einjeitig und unvollitän- dig gehalten werben. (Bergl. die treffliche Beurtheilung der Schrift im Nr. 231 und 238 ber eidgenöſſiſchen Zeitung von 1860).

Schneider, Karl, Biographiſche Skizze des Kreiberrn Hans Philipp von Hohenfar Altſtädten. Xobler - Kobelt.

Eine gebrängte, aber anziehenve Schilverung eines als Staatsmann, Krieger und Gelehrten ausgezeichneten und an vielen wichtigen Geſchäften teilnehmenden Mannes, des am A. Mai 1596 in Sale erfchlagenen Freiheren Hans Philipp von Hohenfar, einft Beſitzers des jogenannten Maneifiichen Cover. Es iſt ein Berdienft des Verfaſſers, das Anventen an bieje beveutente Perjönlichleit mit großer Liebe und Sorgfalt erneuert zu haben,

Die Schweiz. | 147

Senn, Werdenberger Chronik Ein Beitrag zur Geſchichte der Kan- we St. Gallen und Glarus. Chur. Hit, 1860,

Unfzeichnungen über vie Ereigniffe und Verhältniſſe, welche die Ge» mäinde Werdenberg in den leuten Jahrhunderten betreffen.

Bäaändneriſchet Monatsblatt. Jahrgang 1860.

S. hiſtor. Zeitir. 2. Jahrg. Heft 3. ©. 189.

Zürderifhe Nenjahrebltter auf bas Jahr 1860.

Hifteriichen Inhalts find darumter folgende: ver Stadtbibliothek (Becher der ehemaligen Chorberrenftube und Berbindungen Zürich mit ten Proteftanten Englands zur Zeit der Reformation, von Prof. Sal. Segelin); der Hüffsgejellichaft (Yeben von Anna Wolifchweiler, Gattin des Antiftes Bullinger, von Diakon F. von Orelli); des Waifenhaufes (Leben des Theologen Johann Caſpar Schweizer, + 1688, Verfaſſer des Thesaurus ecciesissticus, von Prof. Al. Schweizer); ver Feuerwerkerge⸗ ſellſchaft (Geſchichte der 3. Artillerie Fortf. v. J. 1798 1804, von Oberſtl. D. Nüicheler) ; ver Künftlergefellichaft (Leben des genialen, von Ferſter in einem eigenen Werke gejchilverten Architekten Johann Georg Rüller von Wyl Kt. St. Gallen, + zu Wien am 2. Mai 1849, von RM. Ziegler von Winterthur); und der antiquarifhen Geſellſchaſt (Sbilverung des Grafen Wernher von Homberg, Feldhauptmann Kaiſer deinrih8 VIE. in der Lombardei, + 1320, von Prof. ©. v. Wyß).

Neujahrsblatt der Bürgerbibliothel zu Winterthur anf tas Jahr 1860. Winterthur. Ziegler, 1860.

Gortiegung ber Ueberfehung vo Bitoduran. ©. hiſt. Zeitihr. 2. Ihrg. $eft 3. ©. 192.

Mittheilnugen ber antignarifhen Geſellſchaft in ZU tig Züri bei Meyer und Zeller. 4. Bon biefer Sammlung find im lanfe bes Jahres 1860 uachfolgende Beftandttheile erfchienen, bie alle auch angeln verabfolgt werben :

(Bd. 12 Heft 7.) Keller, Dr Ferd., Die römiſchen Anfiede- Inngen in ber Oſtſchweiz. I. Abtheilung. 77 S. 4. mit 7 Tithographi- en Xafeln.

Bas Lubdwig von Baller in feinem „„Helvetien unter ven Römern” 1811 m. 1812, nach dem Stande der damaligen Kenntnig und Kritik, zu

10*

148 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860.

feiften verſucht hat die Entwerfung eines vollfländigen Bildes des römi- fchen Helvetiens (freilich in ſehr ungenügender Weiſe) ift bier für die öf- liche Schweiz, von Nätien bis in die Nähe von Bafel (mit Aufſchluß von Vindonissa, welches den Gegenftand einer II. Wbtheilung ber Arbeit bilden joll), wirklich geleiftet. Wir erhalten ein möglichſt vollftändiges, richtiges und anſchauliches Bild der ſämmtlichen römiſchen Anfievlungen früherer und fpäterer Zeit in den genannten Landſchaften. Die Ergebnifie ber antiquarifchen Forſchung vor und feit Haller, wie auch bes, feit ver letzteren Zeit fo weit vorgefchrittenen richtigern Verſtändniſſes ver Hiftori- hen und epigraphifchen Quellen, finden fi) in ver vorliegenden Arbeit gefammelt. Faſt vreißigjährigen eigenen Bemühungen des Verfaflers, ber unermüdlich die behandelten Gegenden bereift und burchforfcht hat, ver⸗ dankt man bie intereffanteften jener Ergebniffe, und es ift unnöthig zu fagen, daß diefelbe gewäillenhafte und gründliche Unterſuchung, verfelbe Scharffinn, dieſelbe Klarheit der Darftellung, welche alle Arbeiten des Ent deckers der leltiſchen Pfahlbauten auszeichnen, auch der vorliegenden Schrift zu Gute gelommen find. Die Tafeln bieten eine Reihe intereffanter Grund⸗ riffe römiſcher Anfienlungen und Anfichten von Gebäuden und Kımftgegen- ftänden bar.

(Band 13 Abth. 2. Heft 3.) Keller, Dr. Ferd, Pfahlbanten, 3. Beriht. ©. X und 74. 4 Nebf 7 Steinprudtafeln.

Wiederum höchſt reichhaltige Ausbeute zur genaueren Kenntniß der Wohnſitze und Kultur der Älteften (keltischen) Landesbevöllerung, gezogen aus den Pfahlbauten in den ſchweizeriſchen Seen. Immer Mlarer und voll- ftändiger geftaltet fi das Bild, welches Keller's merkwürdige Entoedung (Die keltiſchen Pfahlbauten 1854. Pfahlbauten, zweiter Bericht, 1858) umb die dadurch bervorgerufenen Arbeiten anderer Forſcher allmälig über jene Urzeit des Landes verbreiten. Das vorliegende Heft bringt viel Eigen⸗ thuümliches: Die auffallende, von allen andern in ihrer Ardpiteltur- unter: jchietene Seeanlage von Wauwyl, Tunftreiche Geflechte ver Pfahlbaube⸗ wohner und Erzeugniſſe ihres Ader- und Gartenbaues. Das Bedent⸗ jamfte ift der fihere Erweis, daß die Pfahlbauten fehr verfchiedenartigen Kulturepochen angehören, deren Verlauf eine ungemein lange Zeitdauer erfüllt haben muß. Die Pfahlbauten reihen von ber älteſten fogenannten Steinzeit, die noch jeglichen Metalls entbehrte, bis hinab im Jahrhanderte,

Die Schweiz. 149

ta bereitö der Berlehr mit gebilveten Völlern des Sübens ihre Bewohner in den Belig ver Metalle und der Kunft dieſe zu bearbeiten brachte ; ja bie in tie hiſtoriſche Zeit, da die römische Cultur im Gefolge ver rö⸗ wilden Waffen über vie Alpen hereindrang und fi im Lande feftjetste. Unwiteriprechlihe Thatſachen zeugen biefür, bie, bier zuſammengeſtellt, anen lehrreichen Ueberblid über jene, ihrer Dauer nad freilich incom- wenjurable Vergangenheit gewähren.

(Band 13 UAbthlg. 2. Heil 2.) Rütimeyer, Dr. L., Prof. in Baſel. Interfudung der Thierrefe ans ben Pfahlbanten ber Sumei, 7268. 4.

Eine dem vorerwähnten Berichte zur Seite gehende und ihn ergän- gute Schrift. Wie dort die Menfchenmwelt, welche die Pfahlbauten bes zehnte, aus ten Erzengniflen ihres Kunftfleißes erkannt und bargeftellt wird, fo dienen hier die Thierrefte, welche unter ven Trümmern ihrer Robmungen fi finden, dem fcharffinnigen, mit allen Mitteln ver heuti⸗ sen Wifſenſchaft ansgeftatteten vergleichenden Anatomen zur Reconſtruc⸗ tien ver Fanna, welche die Pfahlbaubewohner umgab. Natürlih, daß Ne Kenntniß verfelben hinwiederum ein Picht auf ven ganzen Zuftand tes Landes ımb tie Cultur jener Bevölkerung zurückwirft. Es beſtä⸗ tigt ſich auch hierdurch jenes Geſammtergebniß der Unterſuchungen von Dr. Keller auf's Intereſſanteſte. Eine lange, vielleicht viele Jahrhun⸗ terte antauernde Periode allmäligen Fortichrittes in dem Wechſelverhält⸗ zwifchen Menſchen⸗ und Thierwelt gibt ſich in ben Ueberreſten ver leztern aus den Pfahlbauten deutlich hm.

(BD. 13 Abtheilung 2 Heft 1) bildet das oben erwähnte Reujahreblatt ver Geſellſchaſt über den Grafen Wernher von Homberg.

(Bd. 13 Abtheilung 1 Heft. 4) Mandrot, A. de, Lieut. Col, Scesux du Canton de Vaud. I S. mit 2 Tafeln. Fortſetzung bes von bem verfierbenen E. Schultheß begonnenen fchweizerifchen Siegelwerks, Velen Vollendung biefe erſte Wbtheil. des Bandes 13 gewibmer if. Die Sefte 1 und 2 (heransgelommen 1858) enthalten die Kantone St. Gallen, Granbändten, Hargan, Thurgau unb Genf; Heft 3 (herausg. 1859) Wallis; Seht 5 (5. anfangs 1861) Zeffin Mit dem noch fehlenden Hefte 6, Neuen- burg, wirb bie Sammlung geſchloſſen fein.

Die Bappenrolle von Züri. Gin beralbiihes Denkmal bes

150 Ueberſicht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860.

14. Jahrhunderte. Herausgegeben von ber antiquarifchen Geſellſchaft in Zürich. Im Selbſtverlage der Geſellſchaft. 25 Tafeln in Barbenprud. 24 ©. Tert. gr. 4.

Bildet eine befondere, nicht in die Sammlung der „Mittheilungen“ eingereihte Publication der genannten Geſellſchaft. Es ift dieſelbe ver genauen Nachbildung eines höchſt merkwürbigen leberreftes des Mittel- alters gewidmet: einer Sammlung von 587 (meift oberventjchen und ſchwei⸗ zeriihen) Wappen, welche auf einer der Stadtbibliothek Zürich angehö- enden Pergamentrolle gemalt ftehen. Nach ven Unterfuchungen, die da⸗ rüber geführt worden, gehört diefe Rolle den Anfange des 14., nad Einigen ſogar dem 13. Jahrhunderte an, jo daß fie zu den älteften Dentmälern ver Heralbif gehört, ja vielleicht das älteſte derartige noch erhaltene Kunſtproduct auf bem Continente if. Schon früher hat bie antiquariiche Geſellſchaft (Mittheilungen. 6. Band 1347.) eine kleine Auswahl jener Wappen und kurze Bejchreibung der Rolle als Beilage . zu einer Abhandlung von Dr. Frievrih von Wyß: „Ueber den Urjprung und die Bebeutung der Wappen” veröffentlicht. Hier erjcheint nun bie ganze Rolle in vollftändigem Facsimile, begleitet von einem durch Herrn Heinrih Runge verfaßten Terte, welcher eine vollftänpige Beſchrei⸗ bung biejes jeltenen Denkmales, eine eingehende Unterjuchung über deſſen Bedeutung und Zwed und erläuternne Bemerkungen zu ven Wappen jelbft enthält, Für jeden Freund ver Heralvif eine jehr anziehenve Schrift, wie fie denn ſchon vor ihrem Entſtehen die Aufmerkjamleit und Förderung hochgeftellter Gönner gefunden hat.

Argovia, Jahresſchrift ber Hiftor. Geſellfchaft des Kan- tons Aargau, durch E. L. Rochholz, Prof. in Aarau nd K. Schrö— ter, Stabtpfarrer in Rheinfelden. Aarau. Sauerläuder, 1860. XII und 1738 S. 8. mit 2 Gteinbrudtafeln.

Taſchenbuch ber Hiftorifhen Geſellſchaft des Kantons Aar- gau. Durch biefelben. Ebendaſ. 1860. XII. 156 S. 12. mit einem lith. Plan von Binboniffe.

Gegen Ende 1859 hat fich für den Kanton Aargau, der noch feine hiſtoriſche Geſellſchaft befaß, eine ſolche erſt gebilvet und ihre Aufgabe aljobald fo rüftig an die Hand genommen, daß man ihr bereit8 obige zwei verbienftliche Erzeugniſſe verdankt. Die Jahresichrift iſt fürmlichen

Die Schweiz. 151

wiſſenſchaftlichen Mittheilungen und urkundlichem Stoffe, das „Taſchen⸗ bach“ der Bearbeitung geeigneter Stoffe für einen weitern Leſerkreis ge⸗ wirmet, anf welchen es willenfchaftlih und volksthümlich zugleich wirken fell; beibe werten von den obengenannten zwei Kebultoren .bejorgt.

Der vorliegende erſte Band der „Argovia“ enthält, neben ver Chro⸗ nit des Bereins, neben Inſtruktionen für feine Mitglieder u. |. f., tbeils Abhandlungen ver Herausgeber („Aargauiſche Ortsnamen“ und „vie trei Hunnenlöpfe, Steinbilver zu Brugg” von Rochholz; „ver Anichlag ter Berner auf Rheinfelden“ anno 1464 von Schröter) theild Urkunden: das Rheinfelder Stadtreht von 1290 mit Anmerkungen von Rochholz; vie Offinmg von Tätwil, mit vechtsgejchichtlichen Anmerkungen von €. Welti, Regierungsrat), und das Staptbuh von Baden von 1384, rechtögeichichtlich bearbeitet von Ebendemſelben. Letztere treffliche Arbeit bildet unftreitig denjenigen Beſtandtheil des Heftes, der das allgemeinite Iuterefie bat; auch die Übrigen verdienen aber alle Anerkennung. In dem Taſchenbuche gibt 8. S. (Schröter?) eine einläßlihe Darjtellung ver Belagerung der Stadt Rheinfelden im Jahr 1634, in engem Rahmen an höchſt lebendiges Bild der vrangjalvollen Zeit des breikigjährigen Krieges aus dem damals öfterreihiichen, ven Feind und Freund gleich ihlinm behankelten Frilthale. Aus dem Nachlaſſe eines Berftorbenen, 4 H. überarbeitet, folgt die „Geſchichte des Schloſſes Brunegg”; eine fleißige und anziehende Monographie, wobei aber doch manches Einzelne za berichtigen jein dürfte. Columban erichien nicht 588, fondern 610 in Helvetien.. Der Gotfried von Brunegg, welcher in den Urkunden der Könige Rudolf und Albreht von Habsburg erjcheint, gehört nicht dem ihweizertichen, jondern dem tiroliichen Brunegg im Pufterthale an. Daß der Rame Brunegg nicht mit einen Brunnen zu thun babe, ift richtig; eb verjelbe von braun braun und dieß von dem alten „brinen“ (breu⸗ sen, gebrannt) herkomme, möchte doch zweifelhaft fein. Noch viel weniger kann der Name ver Habsburg, vie auf hohem Hügel weit von ver Aare und den Stapelplägen von Altenburg und Brugg entfernt liegt, mit einer Habe (Haabe) d. h. einem Yandungsplap fir Schiffe, oder vielmehr einer Hafenmauer (denn dieje bezeichnet wohl eigentlich das Wort Hauke, das fh um an Seen, ſchwerlich an Flüſſen finden wird und das, als Femi⸗ nimm, nicht in Habs verfürzt worden jein kann) zu thun haben. Wir werben bei dem alten und zweifelsohne richtigen „Habichtsburg“ ftehen

152 Ueberfiht ber hiſtoriſchen Literature von 1860.

bleiben müſſen. Vollends apokryph ift die hier wieder erwähnte Abftam- mung der Habsburger von ven Etichonen. Schätzbar ift die Geſchichte der „Geßler“, als einftiger Beliger von Brunegg. Den Schluß des Tafchenbuches bilden eine Sammlung von „Infchriften, Hausreimen und Grabſchriften aus dem Aargau” und eine Abhandlung über „Sammlung und Erklärung biftorifcher Sagen“, beide von E. 2. R. (Rochholz), die ſehr charakteriftifche Erzeugnifle des Volksgeiſtes und treffliche Bemerkungen über deren Behandlung enthalten.

Heusler, Andreas, Dr., Privatbocent ber Rechte an ber Univerſtüt Baſel. Berfajfungsgefhihte der Stabt Bafel im Mittelalter Bafel. Bahnmayer (Detloff). XVII uud 508 S 8. mit drei Siegeltafeln.

In einem ftarten Bande gibt der Verfaſſer eine ausführliche Gefchichte der Stadt Bafel von ven Zeiten ihrer Entftehung bi8 zum Jahre 1585, wo fie fih unter Biſchof Blarer von dem Nefte ver biſchöflichen Ober⸗ berrihaft völlig frei machte Den Mittelpunkt der Unterjuchungen bilvet zwar überall die Seftaltung der Stadtgemeinde und die Entwidlung ber ftäptifchen Berfaffung, wie auch der Titel des Buchs andentet, aber darau reihen fich ganz naturgemäß andere ſchätzbare Nachrichten über das Biss thum Bafel und über die allgemeinen politifchen Verhältniſſe, vie ja auf die iunern Zuftände der Stadt häufig weſentlich beftimmenn wirkten. Es ift in bobem Grade anerfennenswerth, daß der Berfafler Teine Mühe icheute, alle irgend erreichbaren ungedruckten Quellen fir feine Arbeit auf- zuſuchen und auch vie gebrudten mit den Driginalien von neuem zu vers gleichen. Leider find bei dein Erbbeben vom J. 1356 die älteren fläbti- ſchen Urkunven großentheils untergegangen, und ebenjo fehlen in: bifchöflichen Archiv die Briefe über wichtige königliche Berleihungen (namentlich ver Immunität) an die Biſchöfe und einflußreiche Verfügungen ber letzteren. Diefer Mangel macht fi in den Ausführungen des Verfaſſers über die älteren Zeiten der Stadt fehr weſentlich fühlbar; er verſucht es zwar bie Lücke durch Hereinziehen ver Analogie anderer Städte und Zuhälfenahme der ſpäteren Zuftände zu ergänzen; aber feine Darftellung bat vielfach etwas Unbeftimmtes behalten und eriheint uns zum XTheil and nicht zutreffend. Bis zum Jahre 1274, wo Rudolf von Habsburg die Vogtei in der Stadt Bafel zum Reihe zog, war der Bifchof Inhaber aller Gerichtsbarkeit dafelbft; er felber oder der von ihm ernannte Schultheiß

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faß zu Gericht bei Klagen über Schul» und Schaden und bei Heinen Bergehen ; Über Verbrechen konnte er als ©eiftlicher nicht felbft Gericht halten, fondern mußte dieß einer weltlichen Perſon überlaffen, einem Bei- ftand, Vogt (major civitatis advocasus, vgl. ©. 100), ben er jwar frei ernannte, aber als ©eiftliher vermöge der Kirchengefege nicht mit dem Blutbann beleihen durfte. Auch fortan empfing daher der Vogt ven Blutbann vom Könige. Dieß lettere war eine bloße Form und hatte feineswegs, wie ver Berfafler S. 19, 43 und 44 meint, zur Folge, daß die Gerichtsbarkeit zwiſchen Kaifer und Biſchof gewiffermaßen getheilt geblieben wäre, fowie es durchaus ungegründet ift, daß der Schultheiß feinen Bann mittelbar vom König empfing, wie ©. 19 bemerkt fteht. An dem Grundſatz, daß alle Gerichtsbarkeit des Biſchofs fei, änderte ſelbſt die im 11. over 12. Jahrh. eintretende Erblichkeit des Vogtamts (S. 42 und 100) oder die erbliche Verleihung des Schultheißenamts (5. 207) nichts; aber die Erblichkeit machte die Vögte trogig und an⸗ maßend und gab um 1180 Anlaß zur Abfjegung eines ſolchen (S. 103). Die Darlegung diejer einfachen Berhältniffe hätte unferer Anficht nad überhaupt klarer und bünpiger fein können, und die Zerreißung des Stoffs in mehrere verſchiedene Abjchnitte, in denen map fich die einzelnen weſent⸗ Gchen Anhaltspunkte mühſam zuſammenſuchen muß, wäre beſſer unter- blieben, während eine weniger fparfame Mittbeilung ver wichtigeren Ur⸗ bunden:Stellen dem Leſer das eigne Urtheil erleichtert hätte.

Aber auch nad) einer andern Seite finden wir mandherlei auszujegen. Der Berfafler juht S. 19, 50, 64 und 91 barzuthun, die anfänglich noch in der Stadt oder der Umgegend angejeflenen freien Leute hätten im 9—12, Jahrh. dem Biſchof ihre innerhalb der Mauern gelegenen Haus« pläge und Pänvereien gefchenft, jo daß ver Biſchof alleiniger Eigenthilmer des ganzen Grund und Bodens geworben fei; alle Stabtbewohner hätten ihren Beſitz aljo vom Biſchof abgeleitet, jeien dieſem zinspflichtig geweſen, hätten folgeweije aber auch einen Verluft an ihrer freiheit erlitten, ſeien unter „bijchöfliche Vogtei“ gerathen, wie fi) der Verfaſſer S.41 u. 149 ausdrückt. (Diefer unquellenmäßige Ausprud wäre befler vermieden wor⸗ den, da man darunter aud) etwas ganz anderes, nämlich das vom Biſchof zu vergebene Amt ver Bogtei verftehen Könnte), Im 11. u. 12. Jahrh. hätten ſich aber vie Verhältniffe geändert; zahlreiche Freie feien in bie Stadt eingewanbert, welchen der Biſchof Baupläge zwar gegen Zins

154 Weberfiht der hiſtoriſchen Literatur von 1860.

aber zu vollem freien Eigenthum abgegeben habe, und mit ber Zeit fa auch das übrige früher nicht freie Eigenthum frei geworben; der darauf rubende Zins ſei eine bloße „Boyteiabgabe*, eine „Steuer” von freiem Eigenthum, die Befiger damit ganz freie Leute geworben. Das jcheint der Verfaſſer S. 99 als „Sturz der alten Vogtei“ bezeichnen zu wollen. Daß ſich dieſe Säge nicht erweiſen Laffer‘, gefteht der Berfaffer ſelbſt; er glaubt aber nur mit ihrer Hülfe erflären zu können, daß der Biſchof noch fpäterhin jährlich auf St. Martinstag von jeder ganzen Hof⸗ ftatt 4 Piennige, von jeder halben 2 Pfennige ſog. Martinszins er bob, daß zur Abärndtung feiner Felder jedes Haus einen Schnitter ftellen mußte, daß er allein das Recht hatte zu gewiflen Zeiten Wein zu ver- kaufen und nur mit ferner Bewilligung Badöfen errichtet werden durften (S. 62, 70 und 85). Allein dieſe Befugniffe laſſen fih noch lange nicht als Ausflüffe einer privatrechtlichen Grundherrſchaft anſehen; Bann⸗ wein zu legen und Frohndienſte zu verlangen, fpradhen Fürſten und Gra⸗ fen im ganzen deutſchen Reich als gräfliches Recht an, und die Martins pfemige find ohne Zweifel ebenfall® von Anfang an nichte anderes geweſen, als eine öffentliche Abgabe. So wie auf dem Yand jede Hant- haltung dem Grafen oder, auch den Obermärker etwas Hafer und eim Rauchhuhn abgibt (worin freilich der Verfaſſer S. 69, ver früheren durchaus unrichtigen Meinung folgend, eine Recognition des „Hörigkeits⸗ verhältniſſes erblidt)“, jo gibt ftatt deſſen in ber nicht aderbautreibenven Stadt jedes ganze und halbe Haus eine geringe Geldgebühr. Der Vogt erhält davon, wie von allen anderen Gerichtsgefällen, ein Drittbeil. Daß der Biſchof den Martinszins „von weltlicher gewaltiame wegen“ beziehe, wußte der Rath zu Bafel auch fehr wohl und erklärte e8 im I. 1466 ausdrücklich. (S. 52 und 397.)

Können wir jo, was bie älteren Rechtsverhältniſſe betrifft, der Auf⸗ faſſung des Verfaſſers in weſentlichen Punkten nicht beipflichten, ſo finden wir uns dagegen für die ſpätere Zeit mit ihm in voller Uebereinſtim⸗ mung und müjfen der gründlichen und umſichtigen Behandlung vielfach ſehr verwidelter Verhältniſſe unjere volle Anertennung zellen. Auf bie einzelnen wichtigen Reſultate einzugehen, welche ver Verfaſſer feftgeftellt hat, erlaubt leider ver Raum nicht, denn es find deren nicht wenige, wie denn überhaupt die Gejchichte von Bafel nad allen Rüdfichten ein be» ſonderes hohes Intereſſe bietet. Darım iſt auch zu wünſchen, daß das

Die Ehweiz. | 155 angelänvigte Basler Urkundenbuch nicht allzu lange auf fi warten laſſen möge. F. Th,

Bifher, Dr. Wilhelm, Prof. in Bafel, Geſchichte der Univer- fität Bafel von ber Gründung 1460 bis zur Reformation 1529. Im Aufe trag der alab. Regenz verfaßt zur Feier bes 400jährigen Jubiläums. Baſel, Gerrg, 1860. 830 ©. 8.

Hagenbach, Dr. B. R., Prof⸗ in Bafel, Die theologifhe Schule Bajele von ber Gtiftung Hochſchule 1460 bis zu Dewette's Tod 1849. Bas ſel. Echweighäufer, 1860. 7865 4.

Fitting, Dr. Herm. Heinrich, Prof. in Bafel, Ueber bas Alter ber Schriften römifcher Juriſten von Habrian bis Alerander. Ebenda. 56. 4

Mieſcher, Dr. Friebr., Brof. in Bafel, Die medizinifhe Facul- tät in Bafel und ihr Aufblühen unter F. Plater und €. Bauhin. Ebenda. 46. 4

Merian, Beter, Brof. in Bafel, Die Mathbematiler Bernoulfi. Ende. 62 ©. 4.

Bedernagel, Dr. Wilhelm, Brof. in Bafel, ansa nregoevrao. Eienda. 5068. A.

Teftichriften Hiftorifchen (u. theilweije fachwillenichaftlichen) Inhaltes, melde von ter Univerfität Bafel und ihren Fakultäten zur eier ihres rierhuntertjährigen Yubiläums am 6. September 1260 ausgegeben wor: den finn und nicht allein den Fachmännern, insbejontere denjenigen, bie fe glücklich waren, das ſchöne Feſt mitzufeiern, fondern ber Zukunft übers haupt als werthe Erinnerungszeihen an dasſelbe dienen werben. Bon allgemeinerm biftorijhem Intereſſe ift, ver Natur der Sache nad), haupt⸗ fächlich vie erſtgenanute. Was Heusler für die politiihe Entwicklung ven Bafel und gegeben bat, wird hier mit Bezug auf das geiftige und wiftenfchaftliche Yeben der Stadt in feinen Anfängen und feiner Entfaltung Ne zur Reformation geleiftet. Nach einem Blicke auf die erften Regungen terielben auf dem kirchlich⸗ theologiichen Felde (tie Dominikaner und die „Settesfreunde‘‘), im Gebiete der Dichtlunft (Konrad von Würzburg, Baltter von Klingen) und anf ven Einfluß, ven das Basler Concilium (1431— 1448) übte, werben bie Gründung ver Univerfität, ihre Orga⸗

166 Ueberſicht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860.

nifation, ihre erfte Wirkſamkeit, dann auch bie Organifatien und Thätigfeit der einzelnen Fakultäten einläßlich, foweit- es bie vorhanvenen urkundlichen Quellen geftatten, erzählt. Vorzüglich bemer- fenswerth find die Meittheilungen über vie Initiative des Rathes ber Stadt und feiner Häupter, Bürgermeifter Hans von Flachsland, bei Stiftung der Univerfität, die ihrem Geſuche an Papft Pius IT. und veſ⸗ fen Gewogenbeit für Bajel den Urfprung verdankt, fowie über das ganze Verhältniß der Stadt und ihrer Behörden zu ber von ihnen beinahe völlig unabhängigen akademiſchen Korporation. Wiffenjchaftlich bietet das Kapitel über die philofophijche oder Artiftenfatultät und den Kampf des Nominalismus und Realismus in derſelben bejonderes Intereffe bar. Die Wirkſamkeit des Realiften Johannes Heynlin von Stein (de Lapive) erſt einflußreich al8 Philofoph in Bafel und in Paris, dann ausgezeich⸗ neter Theologe und Prediger in Bajel, Wirtenberg, Baden - Baden und Bern, zulett Kartbäufer in St. Margaretben in Klein-Bafel (+ daſelbſt am 12. März 1496) wird hier von Viſcher (S. 157—165) in Zü- gen gejchilvert, welche die Kunde, die man bisher über den merfwürbigen Mann befaß, berichtigen, vervollftändigen und eine anziehende Epiſode bes Buches bilden. Sehr willtommen find die mitgetheilten urkundlichen Beilagen, Stiftungsprojecte, Bullen, organijatoriihe Statuten und Be⸗ ſchlüſſe und Berzeichniß der Rectoren von 1460— 1529. .

Heusler's Werk weift in ſeinem Vorworte auf das bevorſtehende Ju⸗ biläum der Basler Hochſchule Hin; vie ebengenannten Schriften find von ihr ſelbſt zu dieſer Feier ausgegangen; ihr theils von Gejellihaften, theils von Einzelnen als Feftgaben gewidmet find nachfolgende vier Schriften:

Beiträge zur vaterlänbifhen Geſchichte. Herausgegeb. von ber biftor. Gefellichaft in Bafel. 7. Bd. Bafel, Schweighäufer, 1860. XIV unb 3886 8.

Mittheilungen der Geſellſchaft für vaterländ. Alterthümer in BafeLl Achtes Heft. (Die Klefterliche Klingenthal in Bafel von Dr. €. Burdhardt und E. Riggenbach, Arditelt.) Bafel, Bahnmayr (Detioff), 1860. 40 ©. 4 Mit 3 lithogr. Tafeln (1 in Yarbenbrud) und 4 Holz⸗ ſchnitten.

Burdharbdt, Dr. C. A., Die Hofrödel von Dingheofen Baſeliſcher Gotteshäufer uud Anderer am Oberrhein. Baſel, Otto Stuckert, 1860. VI unb 254 ©. 8.

Die Schweijz. 157

Merian, Dr. 3. 3, Geſchichte ber Biſchöfe v. Bafel. 1. Abthl. Ball, Ecweighäufer, 1860. 84 6, 8.

- Die erfigenannte dieſer Schriften, der von ver hiſtoriſchen Ges iellichaft herausgegebene Band ver Beiträge, enthält Mittbeilungen zur Gerhichte Baſel's und der Schweiz aus ältefter, mittlerer und neuer Zeit. Mooyer in Minden gibt in einem Beitrage („zur Yeltitellung ver Rei⸗ benfelge ‚ver ältern Biſchöfe des Hochftiftes Bajel“) eine revidirte Lifte der Basler Biſchöfe als Berichtigung, zu jeinem Onomastikon chronogra- phicon hierarchiae Germanicae (Minden 1854), von Biſchof Waldo (um 800) bis auf Johann I. Senn von Münfingen (F 30. Juni 1365). Tue Quellen dafür find Trouillat’8 Urkundenwerk (Monumens de l’histoire de Tancien Ev£che, de Bäle. 3 Bände. 8. Borrentruy 1852 1858) und ein ungebrudtes, von Böhmer mitgetheiltes Basler Nekrologium, ſewie einige Rotigen über fpätere Biſchöfe. Dr. Karl Stehlin in Baſel sörtert in einem Aufjate das bisher wenig befannte Thema der biple- matischen Beziehungen von England zur Schweiz im 16. und 17. Jahr⸗ hundert und tbeilt darüber merkwürdige Aufſchlüſſe und Aktenſtücke aus den Papieren mit, welche er und Profeſſor Bachofen von Baſel im Bri- ish Museum in London aufgefunden haben und wovon ihnen bereits Vand 12 des Archives für Schweizergeichichte (Zürich, Höbr, 185%) ein Berzeichniß und intereffante Proben verdankt. 9. W. Heß, Lehrer in Baſel, ſchildert das Leben und den Charakter des Kaspar Bauhin, erften Vrefeſſors der Anatomie und Botanik in Bafel (+ 1624), Dr. B.Reber tusjenige des Bündner Pfarrer und Helden Georg Jenatjch (F 1639) und bie blutigen Bündner» und Beltlinerhändel in der Epoche tes breißigjährigen Krieges. Zwei andere Arbeiten, von Dr. C. A. Burckhardt und Dr. E. Bölfflin in Bafel, find kulturhiſtoriſchen Erjcheinungen gewidmet: dem Berhalten und Einfluffe ver im 16. u. 17. Yahrhundert in Baſel er- ſchienenen Religionsflüchtigen (Proteftanten) aus Frankreich und dem Collegium musicum und deſſen Wirken (Concerten) in Baſel.

Die Geſellſchaft für vaterländiſche Alterthümer theilt in gelungener Darſtellung und künſtleriſchem Schmucke die Geſchichte und Abbildungen des Kloſters Klingenthal (Dominikanerinnen) in Klein⸗Baſel mit, hauptſäch⸗ Gh bemerkenswerth durch die Gunſt Walther's von Klingen, des Waffen⸗ geführten König Rudolf's von Habsburg und Minneſängers, welcher das Kofter fein Aufblühen vervantt.

158 Ueberfiht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860.

Als Beitrag und Fortjegung von Grimm’s Weisthümers gibt Dr. L. A. Burdhardt in ver dritten oberwähnten Schrift Abdrücke der Hofe röbel von 28 bafelgau’ichen und eljaffiihen Dinghöfen (von mehreren äl⸗ teen und fpätern Redaktionen) aus den Originalen oder alten Urbaren, nebft einer Abhandlung, welche die gemeinjame, zu runde liegende Re gel heraushebt und dadurch die Ueberſicht und das Berſtändniß ber man⸗ nigfaftigen einzelnen Beltimmungen erleichtert *).

Die vierte Schrift von Dr. J. J. Merian enthält eine fleißige, kurz⸗ gefaßte Zufammenftellung vesjenigen, was über die Bilchöfe von Bafel von Ältefter Zeit bis auf Biſchof Walther von Nöteln (depos. 1215) be⸗ kannt ift. In der Kritik der äftern Namen ſtimmt Merian mit Mooyer nit überall ftberein.

Diefem reihen Scriftentranze, den das Basler Jubiläum bervor- gerufen, ift endlich ans Baſel noch anzureihen:

Nenjahrsblatt für Bafels Jugend, h. von ber Befellihaft bes Guten und Gemeinnügigen. 38. Stüd. Bafel, Mafl. 1860. 32 ©. 4.

Geſchichte Bafels vom großen Sterben bis zur Erwerbung der Lanbichaft, 1349 1400. -y—

W. Weſtliche und ſüdweſtliche Schweiz.

1. Mémoires et documents publiés par la société d’hi- stoire ot d'archdologie de Gendve. Tome deuxitme. Gentre ches Jullien freres, et Paris chez A. Allouard. 1860. 8.

Zunächſt erhalten wir von J. d. Blavignac, der ſich durch feine histoire de l’architecture sucree dens les &ev&ches de Genève, Lausanne et Sion (1853) zuerft befannt gemacht hat, durch den Abbrud von Baus

*) Einem anbern uns vorliegenden Referate entnehmen wir noch folgenbe Vernerlung: „Die Zufammenftelung über Beſtaud und Arten ber Hob güter, Abgaben der Hofleute, Rechte bes Hofherru und Zwed ber Hub- gerichte, foweit bie mitgetheilten Weisthämer ben Stoff an bie Hand ge ben, ift lichtvoll; nur können wir ber Anfiht des Berfaflere S. 40, baf die Tinghöfe oder Hubgerichte eine urbeutihe Ginrichtung feien, aus vier fen Gründen nicht beipflihten; ſchon baß fie ben Vollsgerichten in aflen Gtüden nachgebildet find, was fi ja auch bei ben geiftlihen Eendgerich⸗ ten in ähnlicher Weife wieberhoft, verräth fpätere Entftehung“. K.

Die Schweiz. 159

rechnuugen urkundliche Nachrichten über den Bau des St. Nikolaus-Mün⸗ ſters zu Freiburg in der Schweiz. Dieje Rechnungen find nicht allein interefiant für vie Geichichte des Baues, der jedenfalls zu den merkwür⸗ Digeren ver Schweiz zählt, ſondern auch für vie Kenntniß der franzöfie ihen Spradye jener Zeit, die auch in dem halbventjchen Freiburg mit isrem allgemeinen Entwidelungsgange Schritt hielt. Ihr Vorrüden ge- gen Oſten bis Freiburg, da einft das Deutſche, wie urkuundlich deutſch geichriebeue Ortichaftenamen z. B. Wülflingen, jest Vufflens u. a. m. darthun, am Genferſee geſprochen wurde, jchreibt der Verf. mit Recht ber Herrſchaft des ſavoyiſchen Hauſes zu, das einft aus den Schluchten bes Moniceynis-Paſſes herunterfteigend bald an den Genferfee gelangte mp endlich durch Graf Peter IT. mit Yılt und Gewalt feine Eroberungen bis nach Freiburg, Murten und Gümminen fait bis an die Thore Berns ausdehnte. ALS umgelchrt Bern jpäter feine Eroberungen bis über den Senferjee ausbreitete, unterließ es zu jeinem eigenen Schaben, die beutiche Sprache wieder einzuführen. Wie hätte es die Waadt enger an fi und bie deutſche Schweiz gefeljelt!

Blavignac ließ zehn Rechnungen aboruden, welde tie Koften des Baues vom 24. März 1470 bis 1490 enthalten. Ein beigefügtes Gloſ⸗ jar hilft zur Entzifferung der undeutlihen Ausbrüde, von welchen indeß viele deutjch find. Zu bemerken ift, daß bie älteren Rathsbücher, Bros totolle u. ſ. w. in Freiburg bis Ende des 16. Ih. geführt worden.

Es folgt (S. 189) vie amtlichen und zeitgenöffiichen Aufzeichnuns gen enthobene Darftellung „Du rolle politique de la Venerable compagnie dans l’ancienne republique de Geneve, specislement dans la crise de 1734 et anndes suivantes, Bekanntlich hatte Calvin, Theolog und Jurift, als Geiftliher und Staatsmann bie firchlihe und politifche Gewalt in Genf geeinigt, von dem Grundſatze ausgehend, daß das Irdiſche den Ueber- irdiſchen, das Zeitliche dem Ewigen fid zu unterziehen habe. Nach des großen Reformators und Politiferd Tod beeilte ſich die weltliche Macht wieder ihre Herrſchaft zu gewinnen und bie Kirche ſich unterthan zu mas hen. Daher mußte denn auch der junge Geiftlihe, bevor er das Pre⸗ Digtamt ausüben durfte, unter Anverm ſchwören: „Tiercement, je pro- inels et jure degarder et maintenir de mon pouvoir l’honneur et profi de la Seigneurie et de la ville, meltre peine enlant qu’ & moy sera pos- sible, Que le peuple s’entretienne en bonne paix et union sous le gou-

160 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur ven 1860.

vernement de la Seigneurie, et ne consentir aucunement & oo qui oomlre- viendrait & cela“.

Der Berf. weist nun nad, wie die Geiftlichleit von Zeit zu Zeit biefer dienenden Stellung fi zu entheben ſuchte. Ihr Selbfigefühl machte fie auf ihre Stärke aufmerkjam, welche hauptſächlich darin beſtaud, daß fie jeden Augenblid die Maſſe des leicht entzünnlichen Genfervolles für oder gegen die Regierung flimmen konnte. Auffallend ift, daß, ob wohl eine beveutenve Anzahl Rathsglieder viele nächte Verwandte umier der Geiftlichfeit hatten, wie die de la Rive, Lullin, Le Clerc, Le Fert, Tichet, Troudin u. |. w., dieſe nichts beftoweniger auch mit gegen ben Rath auftraten. Died war gerade im Jahre 1734, in welchem ber ges gen die Ufurpationen des Raths ſchon längft gährenne Sturm zum Au bruche kam. Hier mifchte fich die ©eiftlichkeit ein, die durch Pfarrwahlvorſchlaͤge von Neubürgern vollsfreundlich fi gezeigt hatte, und fuchte in chriſtlich⸗ religiöfem Sinne zu vermitteln, wie dies ber Verf. durch Docmmente bar- tbut (p. 209). An Bean Trembly, Syndic de la garde, findet der Berf. das Gegentheil von dem, was bis jet Geſchichte und Ueberlieferung über ihn berichtete, daß er nemlid von ſtarr ariftofratifchem Charakter gewalt- thätig und tyranniſch gehanbelt habe, und fucht feine gewagte Behauptung durch Zeugniſſe zu erhärten. Nebftvem findet ſich in feiner Darftellung Mandyes, was unjere Aufmerkjamleit in Anfpruch nehmen muß.

Den inhaltreihen Band befchließt: Note sur les antiquitss Romaines decouvertes sur les tranchees par Henry Fary.

2) L’ordre du college de Gentve. L'’Olivier de Robert Etienne A. Gentvre. Leges Academiae Genuensis. Oliva Roberti Stephaäi. Generas.

Eine Benertung am Schluffe gibt uns über den Wieberabtrud biefer Verordnungen und Gefege Nachricht. Demnach find fie wegen ihrer Seltenheit und als zu den letzten Druden Robert Etienne's gehb⸗ rend von I. W. Fick auf Beranftaltung des Hrn. Charles Le Fort, Brofeffor der Jurisprudenz in Genf, zum Beier des 300jährigen Iabi- läums der Genfer Akademie (1859) gebrudt worden.

Wir bemerken darin die charalteriftifchen Eidesformeln für die Pro⸗ fefjoren und Studirenden der Akademie. Sie mußten am diefer zur Be feftigung der Reformation geftifteten Schule, deren Gründer mit be Palladium der Glaubensfreiheit gegen ihre Gegner zu Felde zogen, einen firengen Glaubenseid auf den caloinijchereformirten Katechiemus ablegen.

Die Schweiz. 161

Nebſt Auderm mußten fie ſchwören, die Irrthümer Servedo's zu meiden, jenes fpanifchen Arztes, der um feines Irrglaubens willen im refornirten Genf verbrannt wurde.

3) Le livre du Recteur. Catalogue des dtudiants de l’Academie de Ge- nive de 1559 & 1859. Gendve, Imprimerie de Jules-Guillaume Fick, 1860.

4) Galiffe, J. B. G., J. U. Dr. Notices gendalogiques sur les famil- les Gentvoises. Tome quatrieme, seconde *erie, contenant les articles: Ameaux, Auddoud en Franpe et & Geneve, Benoit à Genevo et A Berne, Boisier branche francaise, Duval & Geneve et en Angleterre, Fazy, Gautier, Horngacher, de Pitigny, de Sellon, de Sovernier, de Trie en France et à Gendve, de Visencier, Weber à Schwytz et & Gendve ct divers matedriaux pour servir & l’historie de Gentve au XVI. sitcle. Gentve, chez Jullien frtres, 1860. |

5) Epistre de Jaques Sadolet Cardinal, envoyde au Senat et an penple de Gendve. Réimprimé & Gentve par Revillod, 1860.

6) Jean Kessler, chroniqueur 8. Gallois. Notice par Edouard Fick. Dr. en droit et en philosophie. Gentve, 1860. 42 p. 12.

7) Le dernier Seigneur de Copponex par Jules Vuy. Gendre,

Diefes anmuthige Schriftchen theilt uns einen merkwürdigen Crimi⸗ walrechtsfall mit, der im J. 1776 um und in Genf fich zutrug und in jeglicher Beziehung für ganz umerhört galt. Herr von Gopponer, voll zanbritterlicher Raufluft und ftarfem Selbftgefühl, ähnlich den Edelleuten aus ver Zeit des jog. Löffelbundes (1530), gebrauchte, Recht und Macht ber Genfer verachtend, unerlaubte Selbfthilfe und ward deßhalb, erft 30 Jahre alt umd reich, zu lebenslänglicher Kerkerſtrafe verurtheilt.

8) Le dix-huitidme sitcle & l’dtranger. Genère, 1860.

9) Les Suisses romands et les refugids de l’Edit de Nantes, rar T. Gaberel. Paris, 1860.

10) Vie do Madame Loyse deSavoye, Religieuso au couvent de Madame Sainte Claire d’Orbe. Escripte en 1507 par une religieuse. Gendre, 1860. +

11) Souvenirs d'un voyage en Suisse par un iconophile (Hormann Hammann de Gentve) publi6 Par la olasse de Beaux-arts. Gentve, Ram- boz, 1860.

12) Memoires et documents publids par la societd d’histoire de la Suisse romande Tome XVIl. Lausanne, Georges Bridel dditeur, 1860.

Diefer Band enthält einzig: Habilitations lacustres des temps ancieng

e& modernes par Frederic Troyon. 380 Figures, Friedrich Troyon legt Biſtoriſche Zeitſchrift VL Band. 11

162 Ueberſicht der hiſtoriſchen Literatur von 1860.

in diefem umfangreichen Bande bie Refultate feiner Unterfuchungen nieder, bie er, veranlaßt durch einen Altertfumsfund auf feinem eigenen Land⸗ gute, fhon 22 Jahre fortgeführt bat. Bol Eifer und Fleiß dehnt er feine Nadforfhungen über ganz Europa aus. Häufig verfügte ex fid, auch weite Reifen nicht ſcheuend, an Ort und Stelle, um grünblicher und fiherer unterfuchen zu können. Nichts deſto weniger mögen hin und wie⸗ der Irrthümer ımterlaufen oder Betrüger Täuſchungen veranlaflen, wie wir denn aud ſchon Schneivefteine in Horn oder Knochen eingefügt mit hydrauliſchem Kalt (!) gefittet fanden. Wie und Hr. Troyon mil theilt, bejchäftigte er ſich bauptjächli mit der Unterſuchuug von Fünden aus antilen Gräbern. Als aber durch Dr. Ferdinand Zeller jener merk⸗ würbige antiquariihe Fund bei Meilen im Zürichfee veröffentlicht umb badurh ein ganz neues, bisher ungeahntes Feld zu amtiguarifchen Nachforſchungen eröffnet wurde, machte fih Hr. Troyon nicht nur mit ben gewonnenen Ergebniſſen bekannt, ſondern vucchforfchte auch felbft eine Anzahl Seen in der Schweiz fowie auch bis in ferne Gegenden bes Aus landes, Dadurch häufte fich ihm eine Menge Stoff au, den er mm ver bunden mit den Ergebnifjen feiner übrigen antiquariſchen Forſchungen als ſyſtematiſches Ganzes in diefem Buche uns vorführt, das zur eigentlichen Alterthumskunde jener Zeit der fog. Seewohnungen (Habilitetions Incusires letzteres ein von Troyon zuerit hiefür gebrauchtes Wort, nun von ben Ländern franzöflicher Zunge allgemein angenommen —) fich geftaltet, ans der uns keine fhriftlichen Nachrichten aufbewahrt find. Das Buch beftcht aus zwei Theilen: Im erften Kapitel des erften Theiles, der die See wohnungen an ſich beipricht, behandelt Troyon das Steinzeitalter mit Bes zug auf die Funde in ven fchweizeriihen Seen von Moosjeevorf, Wan⸗ wol, Zürich, Pfeffiton, Biel, Neuenburg, Genf, Inkwyl. Nupbaumen, im Bodenſee, in der Ziehl und Orbe; dazu Nachrichten Aber Fünde in Frankreich, Irland, England, Deutichland, Holland und Dänemark, Im zweiten Kapitel folgt ver Uebergang zum Ironzezeitalter (Zürcher, Bieler und Neuenburgerfee). 3. Kap. Eigentlicheg Bronzezeitalter. Nebft eini« gen der obgenannten Seen, aud die von Kuiflel, Murten, Sempach, An⸗ nech, dann ranfreih, Nordeuropa. 4. Kap. Uebergang vom Bronze⸗ zum @ifenzeitalter. 5. Kap. Erſtes Cijenzeitalter. Beſonders die Seen von Biel und Neuenburg; Frankreich, Irland, Schottland, Dänemarl, europäifche Türkei, Kaulafus und Aſien. 6. Kap. Romiſch⸗helvetiſche Zeit.

Die Schweiz. 163

7. Kap. Spätere Zeiten. Europa, Ajien, Amerifa. ‘Der zweite Theil enthält allgemeine Betrachtungen über deu geiwonnenen Stoff und Schlüffe über Urfprung, Zwed ter Scewohnungen, Kultur, Lebensweiſe der Bes wehner, Thiergattungen u. |. w.

In einem Anbange theilt uns Hr. Troyon mit, daß aud in ben italieniſchen Eeen wie im Lago maggiore untergegangene Wohnungen mit gleichen Ueberreften wie in denen dieſſeits ber Alpen zu finven feien; felbft im Meer bei Mentone bat Hr. Forel, wie Troyon berichtet, vergleichen Bafferwohnungen entvedt. Schließlih darf wohl mit Recht gejagt wer: ven, Daß Hrn. Troyon's Schrift ein reiches Willen über die älteften Zeiten des Schweizerlandes birgt und felbft vom beſoundern Fachkenner gewiß mit Befriedigung gelejen wird, follte er auch nicht mit allen Schlüffen und Pehauptungen tes Verfaſſers einverftanven fein.

13) Charles Victor de Bonstetten, étude biographiquo etlittdraire d’apres des documents, en partie inedits, par Aim& Steinleon. Lausanne, Georges Bridel, &diteur. 1860.

Wenn der Berfaffer bemerkt, er babe Bonftettens Biographie deß⸗ halb gefchrieben, weil derſelbe, obwohl bei Deutjchen und Franzoſen durch jeine Schriften bekannt, doch zu wenig gekannt fei, fo erlauben wir uns nech einen tieferen Beweggrund anzugeben, den wir feinem Buche glauben entnehmen zu dürfen.

Hr. Eteinlen, ter die deutſche Sprache und Piteratur fat ebenfo gut kennt wie die franzöfijche, fieht in beiden Treffliches, aber auch Ein⸗ jeitige®, von tem man hüben und trüben Vormerfung nehmen könnte: deutiche Srüntlichkeit und franzöfiiche gefällige Form, veutjcher Ernft und fran- zẽfiſche Beweglichkeit möchten fih zuſammen finden. Als annähernves Beiipiel hiefür gilt ihm Bonftetten, ver deutſch geboren, deutſch und fran- zefifch gebildet, in feinen Schriften deutſche Tiefe mit franzöſiſcher Ge- wanttheit des Austruds verbinde. Bonftetten ſteht ihm als Menſch und -chriftſteller jehr hoch, obwohl er tie Feſſeln gar wohl fennt und aud anfmeift, durch welche irdiſche Unvollkommenheit denſelben gefangen hält. Ws deſſen beſte Schriften bezeichnet er auch, auf Zſchokke ſich berufend, vie Briefe. (Brgl. S. 338.) Begreiflich! In ten Briefen konnte er feine tiefften Gedanken und Empfindungen in gefälliger und vor Allem in ſchulfremder Form ausſprechen. Daß er tief und ernft dachte, bemeift feine „Philefophie ver Erfahrung ;" doch die Maſſe feiner geiftreichen

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164 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1860.

Gedanken und Anfichten findet fi in feinen Briefen. Wenn wir fowohl in der Grundidee wie in der Ausführung und Beurtheilung mit dem Berfafler größtentheils zufammengehen, fo wird er uns doch vielleicht auch beiftimmen, wenn wir geradezu an ber Hand feiner Bemerkungen fagen, daß Bonftetten Bielerlei war, nur kein feſt ausgeprägter und vor Allem fein bernifher Charakter. Darum bat Bonſtettens Anvenfen in feiner eigenen Vaterſtadt ſich kaum erhalten, abgeſehen davon, daß er einen fteten Widerwillen gegen die Berner zeigte und nicht felten fpöttifche Bes merkungen über fie machte. Nur das Feſte, Zuverläffige, mag es fogar einfeitig fein, bält fi, während das Schwebende, Schwankende ver- ſchwindet, wie das vom feiten Stamme ver Eiche loßgerifiene Blatt, Berne letzter Schultheiß, der dem neufränfiihen Uebermuthe kühn fid entgegenftellte, wird nimmer vergeſſen, fo lange e8 eine bernifche over ſchweizeriſche Geſchichte gibt, während Bonftettens Andenken, das übrigens nie im Volke wurzelte, nur in begrenztem Raume fi wird halten können, mögen auch noch fo treffliche Biographien, gerade wie die vorliegende vom Hrn. Steinlen, gejchrieben werben. Steinen ſchildert und nad) dern Quellen, die er mit großer Mühe ſich verichafft hat, auf das Genauefte Leben, Schriften nnd Meinungen Bonftettens. Wir erfahren durch ihm, wie ber junge Bonftetten geb. 1745 3. Sept. vol Geift und Gefühl in bie franzöfifche Schweiz nach Iverdon kam und dort feine eigentliche Heimat, bas bisher entbehrte Familienleben, frifche Landluft, Yreiheit und Glüd fand. Er fam nad Genf und war bei Voltaire eingeführt; fein gefühl volles Herz, fein freibeitsluftiger Sinn ward von Rouſſeau's Echriften hingeriffen; demokratische Ideen beherrſchten feine Gefinnungen, ohne daß er je ein Demofrat wurde. (S. 344.) Nachdem er durch Bonnet mit ber Philoſophie bekannt gemacht worden war, bezog er die Unverfität Leyden und bereifte England und fpäter auch Italien. Wichtig war feine Be— fanntichaft mit 3. v. Müller, dem er ftets mit Rath und That aushalf und deſſen Studien er auf jegliche Weife förderte. Sein Eintritt in dem großen Rath der berniihen Republik im Frühjahr 1775 bereitete ihm nur Widerwärtigkeiten, da er feine Ideen ftetS im Widerſpruche mit denen feiner Eollegen fand; Müller tröftete ihn. Glücklicher ging es ihm als Landvogt zu Saanen, Nyon und im Teſſin. Seine Humanität mb die Neigung zu Verbefferungen gewann ihm bie Herzen feiner Un⸗ tergebenen. Ihm verdanken wir grünbliche Nachrichten über ben traurigen

Die Echweiz. 165

Zuſtand ter damals von den Eidgenoſſen fo ſchlecht beberrichten foge- nanıten italienischen Bogteien ; ihm verbanlen die Tefliner ven erften An- ban ter Kartoffeln. Die Tefliner fahen fie al8 eine Frucht für bie Schweine an, weldes Borurtheil aber Bonftetten durch eine Broclamation zu beſeitigen fuchte, indem er ihnen mittheilte, daß die Königin von Eng⸗ land täglıh Kartoffeln auf ihrem Mittagtifche babe. (S. 171.) Nod fo manches Intereffante könnten wir dem Buche entheben,, das mit deut⸗ (her Grundlichkeit, franzöſiſcher Aumuth und Klarheit gefchrieben iſt.

14) Note historique sur la direction de la bourse francoaise de Lau- sanne. 1859. (Cette brochure redigee par M. Solomiac, ancien principal du collöge de Lausanne, & l’oocasion de la fusion operde I’hiver dernier entre ia dite Bourse et la bourgeoisie de Lausanne renferme des details curieux sur les Refogiés, vonus dans le Pays de Vaud & la suite de la rövoostion ds TEdit de Nantes.)

15) De la neutralit6 de la Suisse dans l’interöt de l’Europe par Pictet de Roshemont. Nourelle ddition. Chez Jo&l Cherbuliez libraire & Ge- neve. 1860.

16) Les publications de la section des sciences morales et politiques de T’institut Genevois, publication d’une charte du XIV. siecle. 1860.

17) Morlot, A., Etudes geologico-archeologiques en Danemark et en Suisse. Lausanne, Mars 1860. Sm Bulletin de la societe Vaudoise des seiences naturelles. Tome VI. Nr. 46. Inhalt: I. Kjoeken moedding. N. Marais tourbeux. Ill. Question des races. IV. Changements physi- ques. V. Comparaison du Nord avec Is Suisse. VI. Question chronolo- gigque.

18) Some general views on archeology. By A. Morlot. London. 1860.

19) Le conservateur Suisse ou Recueil complet des Etrennes helvetien- mes. Ze. 2dit. 14 vol Dis l’annde 1860 il paraitra chaque annde pour je jour de l’an un nouvean volume,

20) Un magistrat Suisse. Auguste Pidon, Landammann du Canton da Vaud. Notice historique par L. Vulliemin. 844 pages. Lausanne, G. Bridel, 1860.

21) Bulletin de la socidte des sciences naturelles de Neuchätel (T. V. %. 1860) ſchilbert den Betrug, ber von ben Arbeitern mit Nachahmung ber bei Gencife gefundenen leltiſchen Alterthmer getrieben wurde. Wie verfihert wird,

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blieben bie Arbeiter bei ber Nachahmung nicht fliehen, fonbern verfertigten fogae antite Tabadpfeifen. Bon nun an werben bie fogenannten keltiſchen Alterthu mer einer genaueren Prüfung unterworfen.

22) Musde historique de Neuchätel et Valagin publid par Georges Auguste Matile. Tome III 3e cahier. Neuchätol 1860.

Dies Heft, welches ven britten Band abſchließt, wurbe von ben Fremden Matile's, welcher ven Stoff dazu ſchon vor feiner Abreiſe nad Amerifa (1848) gefammelt hatte, herausgegeben. Es enthält folgenbe Dorftellungen:

Notices sur des tombeaux Romains decouverts pres de Serriöres La Comba à la Vuivra (traditions populaires des serpents monstrueux). Les inondations du Seyon en 1579 et 1750.— Journal d’Abraham Chail- let, maire de la Cöte. Description d’Hennipolis.

Die erfte nnd legte dieſer Darftellungen find durch beigefägte Seide nungen veranſchaulicht. Das Tagebuch von U. Chaillet, S. 230, deſſen Entelin, Lucretia Chaillet, die treffliche Mutter David Pury's, des Wohlthäters der Stadt Neuenburg war, enthält manche 8 VBenertene- werthe, namentlich für jene Zeit trefflihe Witterungsbeobachtungen, Die früheren zwei Hefte dieſes dritten Bandes enthalten:

Des noms de famille neuchätelois. Chanson du condsei Heiri, poe- sie patoise. Extrait du journal de Jean Lardy, d’Auvernier. Bt. Guillaume; ses autels, sa chapelle, son portrait. Annales du che pitre de l’dglise oollögiale de Notre-Dame de Neuchätel. La reima da corti, podsie patoise. Neuchätel mentionnd pour la premiere fois dans l’hbistoire. Fondation et dotation d’une maison d’ecole à Peseux en 1560. Manuscrit do traites de medecine à la bibliothöque de la classe. Marquos pour les pauvres. La femme blanche, po6sie.

Es iſt ſehr zu bevauern, daß dieſe Zeitichrift in zwangloſen Heften nunmehr eingegangen, da überbies kaum Hoffnung vorhanden ift, daß bald wieder eine hiſtoriſche Schrift im Kanton Neuenburg gejchrieben wird, wenn nicht etwa Hechtöftreit eine ſolche nöthig macht.

28) Histoire d’une annexion, par Charles Guy. Paris, Amyot, ddit. ruo de la paix, 1860.

Der Verfaſſer will unter diefem Titel die vollſtändige Bereinigung Neuenburgs mit der ſchweizeriſchen Eidgenoſſenſchaft und die erfolgte Ceſ⸗ ſion des königlich preußiſchen Hauſes verſtehen. Er hätte dieß bemetken

Die Schweiz. 167

felen, da gewiß Niemand ans biefem Zitel auf den genannten Iuhalt ſchliefßt. Uebrigens wiederholt die Schrift nur längſt Geſagtes.

34) Response de la comune (Bourgeoisie) de Neuchätel contre l’au- terité maunicipale de Neuchätel. Neuchätel, imprimerie de H. Wolfrath et Metsner, 1860.

235) Newhhatefs Einwohnergemeinbe unb Burgergemeinbe und beren Ab- ferungsfireit Aber den Davib Pury'ſchen Gtiftungsfond. Deutiche Bearbeitung ber Rechteſchriften ber Einwohnergemeinde.e Solothurn, Drud von J. Gaß⸗ mann Sohn, 1860.

Beide Schriften beichäftigen fi in der Einleitung mit der Geſchichte der Gemeinde Neuenburg, um dadurch für fie günftige Schlüffe zur Ent» ſcheidung der Streitfrage ziehen zu können. Die legtere ift ausführlicher. De Staat Neuenburg weiſt in feiner durch die Geſchichte gewordenen Geſtaltung eine vielartige Gliederung auf. Schon in frübeiter Zeit und nachgehends wit allerlei Privilegien für vie Stabt, einzelne Gemeinven uud Körperfchajten wie für das ganze Land ausgeftattet, beſaß derſelbe die Elemiente der Monarchie, Artftofratie und Demokratie in frieblicher Beie nebeneinander, bis allmälig vie Stadt Neuenburg und in biefer anzeine Geſchlechter unter dem Schuge eines fern fich haltenden und fern lebenden Fürften alle Gewalt auf fich vereinigten. Der Sturz diefer rei« den und mächtigen Geichlehterherrihaft war das Werk unjerer Tage und die Gründung der Republik und Umgeitaltung bes ftäbtifchen Ge- meindbewefend eine nothwendige Yolge, wie dies Hr. von Chambrier im Corps legislatil im Jahre 1831 vorausfagte: La republique est totale- ment incompalible avec l’existence de pareilles corporations. La destruc- ion de nos bourgeoisies serait dans la suite necessaire de l’etablissement da pouvoir rèpublicain. (Bulletin officiel 1831, pag. 375.) Diele Noth- wendigfeit wie auch der Umſtand, daß in ben Ältern Zeiten Fein Unter⸗ ſchied zwilchen Einwohnern und Burgen beftanven zu haben fcheint, half ver Ginwohnergemeinbe zum Siege. Dazu hatten auch die Gewandtheit ihres Anwalts (Hrn. Nationalratd Hungerbühler von St. Gallen) und die Analogie in der Gemeinbeeinrichtung der meilten andern Kan⸗ tene das Ihrige gethan. Bericht und Urtheil finden fich in ver Zeit ſchrift Für vaterländiſches Recht. Neue Folge. Band L Lieferung 5. (Haller'jche Buchdruckerei in Bern.) Beide Parteien hatten nemlich im ſich ſelbſt ehrender Weile ihre Streitfrage dem Bundesgerichte unters

168 Ueberfiht der hiſtoriſchen Literatur von 1860.

breitet. Der Einwohnergemeinde wurde ein Theil des Zinfenertrages vom David Pury'ſchen Fond zugefprochen. Für die Gefchichte des ſchwei⸗ zerifchen Gemeindeweſens ift dieſer Prozeß von hoher Wichtigkeit.

26) Recueil diplomatique du Canton de Fribourg. Bixi&tme annee. Volume sixidme. Fribourg en Suisse, imprimerie Marchand et Comp. 1860.

Bon den Mitglievern der hiftorifchen Gejellihaft des Kantons Frei⸗ burg, welche dieſe Urkundenſammlung berausgibt, betheiligten fich bie Herren Stantonsbibliothefar und Pfarrer M. Meter, welcher bie deutichen, Profeffor Chatton, der die lateinijchen, und Abbe J. Gremaud, welder die franzöfiihen Urkunden beforgtee Sie umfaffen ven Zeitraum von 1400 bis 1410, und find an Zahl 90. Sie betreffen größtentheils den freiburgifchen Staatshaushalt, einige find jedoch nicht ohne allgemeines Intereffe für die geſammte Schmweizergeichichte, wie überhaupt flr bie Eulturgeichichte jener Zeit. S. 27 findet fi der Wortlaut bes erften Bünpniffes (auch von Yuftinger S. 251 erwähnt) oder fog. Burgredts zwiſchen Bern und Freiburg, 1403 8. Nov., welche beide darin geftehen, wie jehr fie einander bis jetzt geſchadet haben, künftig aber nur zu nützen gejonnen feien durch ein ewige Bündniß. Bern nimmt darin das rd» mijche Reich aus, wird demſelben aber nicht gegen Freiburg beiftehen; Freiburg nimmt vie Herrfchaft Defterreih aus, wird aber berfelben keine Hilfe gegen Bern leiten. Dagegen zieht e8 den Eirgenofien von Zürich, Lucern und Zug, beſonders aber Uri, Schwyz, Unterwalden zu Hilfe, wenn e8 von Bern gemahnt wird, Glarus ift nicht genannt, da es auch damals noch nicht den Übrigen Eidgenoſſen gleichgeftellt ift, obwohl es chen über fünfzig Jahre im eidgen. Bunte war. Das Bünpnif, gegen welches übrigens einige Rathsherren confpirirten (S. 77 und 79), ift hauptjächlich gegen „weljche Herren und Stett“ gerichtet, gegen welche Freiburg ven Bernern beiftehen will. Es Tann dies wohl nur Savohen und Burgund betreffen, gegen welche fpäter Freiburg wirflih mit Bern und den Eidgenoffen ruhmvoll fämpfte und dann 1482 förmlich in den Bund ver Eidgenoſſen aufgenonmen ward. Bon culturhift. Interefle ift Nr. 404 ©. 23%. Die freiburgifhe Regierung verbietet (1409 11. Sum.) ben „großen und Meinen Kindern“ nicht das Bild des bi. Johannes durch die Straßen zn tragen und zu rufen „Alaman contre Roman“ ımd ums» gelehrt. Auffallend ift auch Nr. 392 ©. 119 vie Verordnung (1408 12. Jun.) gegen bie Männer, welche ihre Frauen ohne Grund verjagen

Die Schweiz. | 169

und in ber „Liberlinageo“ leben. Mehrere Urkunden beweilen die dama⸗ lige Blũthe der Tuchfabrikation in Freiburg, von ver heutzutage Teine Spur mehr vorhanden if. Dieje fleißige Arbeit ver genannten Frei⸗ burger Gelehrten kann nur gelobt werden; bagegen wäre etwa zu einem inftigen Bande ein Wörterbuch für die jchwierigern franzöfiihen Aus» trüde zu wünfchen.

. 27) P. Urban Biniförfer. Ein Gedenkblatt für feine Freunde unb Beresrer. Bon F. Fiala. Solothurn, 1860. Drud und Berlag von B. Edwenbimaun. 8.

P. Urban Winiftörfer, deſſen Eltern zu Winiftorf im Kanton Sos lethurn den Bauernflande angehörten, war bis zu deſſen Aufhebung im 9. 1848 Möndh des Klofters St. Urban im Kanten Rucern. Seine außerorventliche Thätigkeit war vielfeitig: er war ein eben fo tüchtiger Gelehrter und Pfarrer ald Delonomieverwaiter feines Stiftes, zu deſſen Zierden er im jever Beziehung gehörte. Als Bicepräfident der allgemei- nen geichichtforjchenden Geſellſchaft ver Schweiz nahm er den regiten An- teil an deren Beltrebungen, beſonders aber an der Herausgabe des ſchweiz. Urkundenregiſters; ebenjo eifrig arbeitete er an den Vereinsſchrif⸗ ten des biftorifchen Vereins des Kantons Solothurn, den er 1851 ftif- tete und bis zu feinem Lebensende leitete. Gerne ſtimmen wir mit ein im tie freundlichen Gedächtnißworte des Berfaffers, die ex dieſem treffli- den Mönche widmete.

28) Schweizeriſcher Tobtenlalender für 1857, 58 u. 59. Bon %. Fiala. Solothurn, 1860.

Entyält biographiihe Skizzen über bie im Laufe diefer Jahre verftorbenen Echweizer von öffentlicher Stellung.

39) Die keltiſchen Altertpümer ber Schweiz, zumal des Kantons Bern, in it auf Kunft und äfihetifches Intereffe, dargeftellt von Alb. Jahn. Bern ki 2 93. Wyß, 1860.

Der Berfaffer fucht ven Gebrauh und die Beftimmung ber kelti⸗ ſchen Alterthämer an Waffen, Geräthen, Münzen u. |. w. aus ven Pe⸗ rioden des Steines, der Bronze und des Eiſens zu beuten und ben be- fondern Kunſtwerth verjelben geltend zu machen, wozu einige Abbildun- gen beigefügt find. Er ficht bei ven Ureinwohnern des Schweizerlandes beachtenewerthe Keime ſowohl der Architeltur als ver bildenden Kunft“,

170 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1860.

md wiünfcht, daß auch in den Nachbarländern das Studium der lelti⸗ ſchen Alterthümer gefördert werben möchte.

30) C. R. v. Fellenberg, Analyfen von antifen Bronzen in Mittheilungen der naturforfhenden Gefellihaft in Bern. Haller’ihe Buchdrucllerei. In Com⸗ milfion bei Huber u. Comp. 1860. ©. 43 un. 65. 8.

31) 3. Uhlmann, Geologiſch archäologiſche Verhältniffe am Moosfeeberf in Mittheilungen ber naturforjchenden Gejellihaft in Bern, 1860. ©. 57. &

32) Vortrag vor dem bernifhen Kantonal- Kunftverein gehalten bei ber Hauptverfammlung vom 4. Dezember 1860, nebſt einem Kunfiberict aus Män- den und ale Anhang ein Lebensabriß des Malers I. H. Yuillerat. Bern, Hal ler'ſche Buchbruderei, 1860. 8.

Wir verdanken diefen Bericht und die Iehrreihe Biographie Juille⸗ rat's der unermüblichen Thätigleit des Hm. R. v. Effinger von Wildegg, defien Schöpfung ver bernifche Kunftverein ift. Hr. v. Effinger beweiſt, wie viel möglich iſt, wenn man ımabläßig einen Zwed verfolgt und je den Augenblid benntt, um venjelben zu fürbern. In wenigen Jahren bat er einen Kunftverein von beinahe 700 Mitglievern und mit geringen Beiträgen einen Fond von über 4000 Fr. zufammengebradht. Was aber den Werth feiner Thätigkeit erhöht, ift, daß er die Künftler feines engern und weitern Baterlandes nad Kräften auffucht, ermuntert und auf jeg- liche Weife fördert. Auch dem Andenken verftorbener Künftler wibmet er in pietätsvoller Weife Aufmerkſamleit, um veren Berbienfte zu ver» ewigen.

83) Beiträge zur Bernifhen Nechtegefchichte von 8. &. König, in Zeit fhrift für vaterländifches Recht. Nene Folge. Band I. Lief. 1. Haller'fe Buchdruckerei in Bern.

Dieje Beiträge, welche fortgejegt werden follen, enthalten zunädhft einen genauen Abdruck ber fogenannten bernifhen Handfeſte von Kaiſer Briedrih II. aus dem Jahre 1218, ſammt Ueberfegung, fowie den Text der älteften Freiburger Verfaffungsurkunde und des fog. Freiburger (in Breisgau) Stadtrodels. Mit Recht fagt Hr. König, daß die bermifde Handfefte einen bedeutenden Rang unter ben beutfchen Stabtrechten bes Mittelalterd einnehme; es lohne ſich daher wohl der Mühe, die urfpräng- lichen Elemente dieſes Freiheitsbriefes an der Hand der Wiflenfchaft auf-

Die Schweiz. 171

zufahen, zu erläutern und ihren Einfluß auf die bernifche Geſetzgebung nahzınweifen. Die Ueberfegung ift fehr genau und Har.

SA) Docnmentirter Bericht über das Berhältniß der katho— liſchen Pfarrei in Bern binfihtlic ihres Didcefanverbandes Bern, 1860. daller ſche Buchdruckerei.

Zufälliger Weiſe kam die zu Anfang dieſes Jahrhunderts errichtete latholijche Pfarrei in Bern unter das Bisthum Lauſanne (Freiburg) zu ftehen; nun wünfcht bie bernifche Regierung deren Vereinigung mit bem Yıstyam Bafel (Solothurn), zu welchem ver katholiihe Theil des Kau⸗ tens Bern gehört. Die Curie beruft ſich aber anf die urſprüngliche Episcopatseintheilung, nach welder das Bisthum Laujanne bi8 an bie Aare fich eritredte. Dagegen dürfte Bern, was leider in diefer Schrift zuht angeführt ift, geltend machen, dag Biel, wo jüngit eine katholische Bharrei errichtet wurde, aud unter das Bisthum Baſel geftellt worden MR, ebwohl es auch einft zum Bisthum Laufanne gehörte.

35) Archiv bes hiforifhen Bereins bee Kantons Bern. IV. Bernd. tes n. Ates Heft. Bern, 18360. GStämpfliihe Buchdruckerei. Ju Commitfion bei Senf u. Gaßmann. 8.

Inhalt des dritten Heftes: SIahresbericht vom Präfidenten Prof. G. Stu- der für die Jahresverfammlung des hiflorifhen Bereins ben 15. Juli 1860. Leber die Quellen der Geſchichte bes Laupenkrieges. Ueber bas Berhält- si Nurtens zu Bern während des Laupenkrieges. Bruchſtück einer beutichen Ueberfegung des Nitterromans Cleomades von Adenas la Roi. Nachtrag zu der Geſchichte des Inſellloſters. Brotolol der Hauptverfommiung vom 15. ali 1860. (Sämmiliche Beiträge find von Hrn. Prof. Etuber, der es fich ber ſenders zum Ziele geſetzt bat, bie erfte bedeutende Freiheitsſchlacht der Berner im ein Hares Licht zu feen, indem er bie Quellen fidhtet, prüft und zu einer gräntlichen Darftellung verwendet.)

Inbalt des vierten Heftes: Die Handfchriften der Berner Stabtchronik von Gone. Zufivger, Dittlinger⸗Tſchachtlang, Dieb⸗Schilling und die Berner Stadt: Gronik im Anſchluß an Königehofen von Br. G. Etuder. Alterthämer und Sa⸗ gen in ber Ungegend des untern Thunerfee's, von A. Jahn. Rudolf von Erlech und die Narratio proelii Laupensis, von Prof. G. Studer. Der 6. Kür 1798 bei Neneneck, nad den Ergebniffen der neueren Gtubien barge- Mt von Prof. Lohbauer.

Das in der letzten Darftellung geſchilderte Treffen ift deshalb in»

172 Ueberficht ber Hiftorifchen Literatur von 1860.

tereffant und Iehrreih, weil dort die fonft überall fiegreichen Franzoſen von den Bernern, obwohl diefe zuerft ihre Pofition ganz hatten aufgeben und ſich zurüdziehen müſſen, vollftändig gejchlagen und in eine alle Orb- nung auflöſende Flucht getrieben wurden, während freilih ein anderes Corps der Franzofen fo eben der Stadt Bern fi) bemädtigte zum gro gen Schmerz der bernifchen Sieger.

86) Helvetia sacora, ober Reihenfolge ber kirchlichen Obern unb Oberiunen in ben ſchweizeriſchen Bisthämern, Collegiatftiften unb Klöſtern von Egbert Friedrich v. Mülinen. Zweiter Theil. Bern, gebrudt in ber Stämpf liſchen Buchbruderei (G. Hünerwabel), 1860. Fol.

Schon der erfte Band erregte mit Recht die volle Aufmerkſamleit der Forſcher; in einem erhöhteren Grade dürfte dieß bei dieſem zweiten Bande der Fall fein, da er fih, wo möglich, noch vor dem erften ande zeichnet. Fleiß, Grünblichleit und Gewandtheit in der componirenben Darftellung, wo ber Stoff e8 erheifcht, zeigen fich auch hier wieder, wäh vend die Einſicht, was eigentlich gegeben werben foll, geftiegen ifl. Die Einleitungen zu ben verfchiedenen Orden und Stiften, Entſtehung, Gut widlung u. ſ. w. enthaltend, find weit veichhaltiger und umfangreicher, als im erften Band und erhöhen den Werth des Werkes nicht wenig. Während im erften Theil die Doms und Chorberrenftifte, ſowie die alten Abteien behandelt wurden, erjcheinen nun im zweiten bie jpäteren Mönche orden, ſowohl die der Bettelmönde (Dominicaner, Frauciskaner, Augu- ftiner, Carmeliter), die im XI. Jahrhundert entftanden, als aud bie fichlihen Corporationen und Congregationen, bie im Gegenſatze zu ber Reformation in den katholiſch gebliebenen Ländern ver Chriftenheit feit dem XVI. Jahrhundert und bis in vie neueren Zeiten ſich entwidel- ten, nämlich Rapıziner, Iefuiten, Trappiften, Pigorianer oder Redempto⸗ riften u. |. w. Darauf folgen die Frauenklöfter nah dem Alter ihrer Orden. Die Einleitung enthält eine gejchichtliche Ueberficht und Charal- terifirung ber verſchiedenen Mönchsorden und ihrer inneren Einrichtung, welche ſich bei den neuern Orden (Jeſuiten, Capuziner u. |. w.) durch⸗ weg bemofratiih oder, wollen wir beifügen, demokratiſch- deſpotiſch zeigt. Wir erfahren ſchließlich auch die Anzahl ſämmtlicher geiftlicher Stiftungen in dee Schweiz, nämlih 340. Bon dieſen waren 8 Gathebral» ober Domftifte, 30 Propfteien, 120 Mannsklöfter, Hoſpize, Collegien n. f. w.

Die Schweiz. 173

ven 20 verfchiedenen Orben und 110 Frauenklöfter von 9 verjchierenen Orten

Zu den wichtigften Orden im zweiten Bande gehören die Jeſuiten zur Rapuciner, indem fie der menſchlichen Gejellihaft fich anfchmiegend allmãlig einen fehr bebeulenven Einfluß auf viefelbe ausübten, vie Je⸗ fuiten auf vie höhern Stände, die Kapuciner auf die nievern. Die —— zu denſelben ſind angemeſſen unparteiiſch und ſehr intere⸗

haut geſchrieben, indem fie des Guten ober bes Lobes weder zuviel noch za wenig enthalten. Zur Gefchichte der erften Einführung der Jeſuiten in Lucern (5. 46) ift beizufügen, daß Stabtichreiber Renward Cyſat, deſſen Bater ein Mailänver war, die Jeſuitenberufung nach Lucern bes wirtte (vergl. Historia collegii soc. Jesu Lucern.); zwei feiner Söhne Ich. Baptift, ver Mathematiker und Aftronom, und Caſpar traten in den Jefnitenorden. Bei den berühmten Lucerner- Iejuiten ift (S. 48) zu awähnen, daß Pater Peter Hug gefchrieben: Katholiſch Handbüchlein. In welchen von vierzehen fürnemmen ftrittigen Artidien vnſers Chriſtli⸗ den Glaubens gehandlet wird. Durch B. Hugonem. Ingolftatt. 1628. 38 den wwichtigften und älteſten Frauenftiften, deren Geſchichte vielfach mit der des Landes verflocdhten iſt, gehören Sädingen, das zwar nicht im der Schweiz gelegen, aber wegen feiner Beziehungen zu derſelben füg⸗ Gh Raum fand, Scöunis und Fraumünfter in Zürid. Zu dieſen find daher ausführliche Einleitungen über Geſchichte, Befitftand u. ſ. w. gegeben, weldye gewiß die Aufmerkſamkeit des Pejers in Anſpruch nehmen werten. Das Werk, einzig in feiner Art und ein wirkliches Bedürfniß für ven Forſcher, darf und muß einer weiten Verbreitung fich erfreuen.

37. AUmtlide Sammlung ber Altern eidgendffiihen Ab⸗ ſchiede. Herausgegeben auf Anorbnung ber Bundesbehörden unter Leitung des eidg. Arqhivare 3. K. Krütli

Die eibg. Abſchiede aus dem Zeitraume von 1712—1743. Bearb. von Daniel Albert Fechter. Der amtlihen Abſchiedeſammlung Band 7. Ab⸗ tyelung I. Bafel, Baner'ſche Buchdruckerei, 1860. 8.

Das große Werk ver eidg. Abſchiedeſammlung, von dem wir früher Band 3 angezeigt haben, jchreitet rüftig vorwärts unter der Aegide ber beben Bundesbehörden, die ſeit einigen Jahren der Wiſſenſchaft und Kunft überhaupt die freumblichfte Aufmerfjamfeit ſchenken. Diefer Band enthält nicht weniger als 1410 Seiten ohne das umfangreiche Regifter,

174 Ueberfiht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860.

Der Verfaſſer hat großen Fleiß und unverbroßene Ausdauer bewieſen, aber nicht weniger Genauigkeit und Scharffinn. Wir verbanten ihm auch einige Meodificationen znr Erleichterung des Gebraudes, vie uns fehr willlommen find; in dem Abjchnitte der Herrichaftsangelegenheiten find ven einzelnen Artikeln nicht bloß die Zahl des Paragraphen, fon- bern auch der Abſchiede beigefügt. Die Abſchiede felbft find nicht nur wichtig für die politiiche Gejchichte der Schweiz im Allgemeinen, ſondern bauptjählih auch für die Verwaltungsgeſchichte der ſog. Unterthanen- länder, die fo gut wie unbefannt ift, da ſelbſt in ben einzelnen Kantons⸗ geihichten wie von St. Galler, Thurgau u. ſ. w. nichts Gründliches vorgebracht werben konnte. Erſt durch die Abſchiede lernen wir bie ſtaatsökonomiſchen Verhältniſſe dieſer Yandfchaften kennen, jo wie nod vieles Andere, 3 DB. Poſt⸗, Straſſen⸗, Zollweſen u. |. w. Es erhellt, daß viefelbe eine reihe Fundgrube für die ſchweizeriſchen Hiftorifer bil⸗ den. Als erläuternder Anhang zum vorliegenden Bande fcheinen nicht nur eine Reihe Zufüge wir maden beſonders auf Seite 1337 auf» merkſam, die Erflärung wenig oder gar nicht befannter Ausprüde enthaltend fondern auch 16 ungebrudte Aftenftüde, größtentheils jonjt nicht befannte Bündnifje einzelner Kantone mit auswärtigen Staaten, wie Spanien, Frankreich, die Generalſtaaten, ferner Friedensſchlüſſe u. |. w.

88. Berner Tafhenbuh auf das Jahr 1860. Herausgegeben von 2. Lauterberg. Neunter Jahrgang. Dit 4 Abbildungen. Bern 1860. Drud und Berlag der Haller'ſchen Buchdruckerei. B. %. Haller. 8.

Auch dieſer Jahrgang enthält wie die früheren eine Reihe trefflicher Driginalarbeigen oder Quellenfchriften, größtentheils zur Beleuchtung und Ver⸗ vollftändigung der neuern Berner Gejchichte feit 1798 beftimmt. Cr enthält: Wolfgang Musculus oder Müslin. in Pebensbild der Refor- mationgzeit. Aus dem handſchriftlichen Nachlaſſe des verftorbenen Dr. W. Th. Stradebor, Profeffor in Bajel, wmitgetheilt vom Beransgeber. Nah Graubünden Die 4 erſten Tage meiner KReifeerinnerungen. Bon Sigmund Kiftler, Kantonslafjier, mit 2 Abbildungen, welche ver Berfaffer, ein eifriges Mitglied der Künftlergejelihaft in Bern, ſelbſt an Drt und Stelle zeichnete. Diefe Keijeerinnerungen, hin und wieder dich eine poetiihe Einlage gewürzt, find recht anſprechend und treu gerade das, was wir von einer guten Reijebeichreibung wün⸗

Die Schweij. 175

ſchen Beiträge zur Geſchichte des Unterganges ver alten Republik Bern im Jahr 1798.

1) Erinnerungen des 8Tjährigen Veteranen Johannes Jaun, ges meiniglich genannt Battenhans, von St. Beatenberg, an feine Erleb⸗ niſſe im Sabre 1798, getreu nach jeiner Erzählung mitgetheilt von R. Lröpenbühl, Pfarrer zu St. Bratenberg. |

2) Aus meinen Erlebniffen im Jahre 1798. Bon dem 8Ojährigen Aurolph Bärgi von und in Seedorf. Mit einleitenden biographiichen Notizen über ven Verfafier von bem Herausgeber.

Ein Spottliev in Knittelverfen über ven fog. Stodlifring 1802 (Bertreibung der helvetiſchen Regierung) von K. L. Stettler.

Albrecht Friedrich May, Staatsichreiber von Bern, dargeftellt in feinem Leben und Wirken von dem Herausgeber. Mit dem Bildniſſe von u 5 May.

Das Leben eines‘ ſchweizeriſchen Staatsmannes zu beichreiben, ver 60 Jahre lang (geb. 1773 und gefl. 1852) in einer Republik während vier Staatöunmwälzungen in öffentlicher Stellung blieb, ift eine ſchwie⸗ Tige Aufgabe, die jedoch der Verfaſſer trefflich gelöft hat. Nicht allein wei er troß des überreichen Stoffes, der fih ihm in den Weg ftellt, ſtets ein reges Intereſſe für die Hauptperfon zu bewahren, fonbern er ſchildert den oft Icharf einjchneidenden Staatsmann fo unbefangen und muporteiifh, als ob er in einer längft verſchwundenen Zeit gelebt hätte. Die Biographie des Staatsſchreibers May wirb immerhin einen wichtigen Beitrag zur modernen Bernergefchichte bilden, einzelne Abjchnitte möch- ten auch für Deutſchland von Interefie fein wie 3. B. May's Stu: dierzeit in Jena, wohin er fih im Frühjahre 1796 „ftaatspolitiicher Ausbilwung» wegen begeben hatte; ven gemaltigiten Einprud übte auf ven denlenden Züngling der große Philojoph und wahrhaft deutſche Dann Fichte, den er in jeinen Briefen noh fpäter wiederholt neunt. Er hielt auf vielfeitiges Studium und hörte eine Reihe ausgezeichneter Vor⸗ träge an; ex fuchte und fand jpäter Gelegenheit genug, feine vieljeitigen Renminiffe anzınnenden. May wirkte einzeln und im Verein mit Andern. Yu letzterer Beziehung bat nun der Biograph ein bejonveres Berbienft, inbems ex bei dieſer Gelegenheit mehrere bedeutende politiſche, militärijche, wiftenfchaftliche Gefellihaften, die in ber Regel ihrem Zwede und ihrer Eutwidelung nad) mehr genannt als befannt find, gründlich ſchildert

T76 Ueberficht ber hifterifchen Literatur von 1860.

3. B. den fog. Äußeren Stand in Bern, die helvetiſche (Schingnacher oder Dltener) Geſellſchaft u. a. m.

89. Neujahroblatt für bie bernifhe Jugend. 1860. Heraus gegeben unter Mitwirtung ber bernifchen Künftfergefellihaft vom hiſt. Berein des Kantons Bern, Die Schweizer in Stalien und ber bernifche Felbhaupt- mann Albrecht vom Stein. Bon Dr. 8. Hibber. Bern. Berlag der Bude handlung von H. Blom. 8.

Die Züge der Schweizer nach Italien, vornehmlidh im 16. Jahr⸗ hundert, werben nad fchweizeriichen und italienifchen Quellen geſchildert. Unter den Schlachten ragt die von Novara (1513 Yuni 6) hervor, im welcher die Franzofen troß großer Uebermacht von den Schweizern (fie gebrauchten eine fonft nicht bekannte Kriegsliſt) furchtbar geſchlagen wur» den, jo daß das franzöfifche Kriegsheer in Trümmer aufgelöft in Einem fort über den Mont Cenis bis nah Frankreich floh. Doch gelang es der franzöfifhen Schlauheit, fi jpäter mit den Schweigern abzu« finden, fogar die bebeutenpften Kämpfer wie U. vom Stein u. f. w. zu gewinnen. Stein bezahlte feine Schuld durch heldenmüthigen Tod auf dem Schlachtfeld zu Bicocca. 1522. April 27.

40. Das Geſetz über die Rehte bes Staates in kirchlichen Dingen und bie Schul- und Ehegefengebung im Kanton Tep fin. Locarno. Kantons Buchbruderei. 1860. 8.

Was im Titel genannt ift, erjcheint eigentlih mır als Beilage, in⸗ bem die 102 Seiten ſtarke Schrift Ueberjetung oder Original ber früher erichienenen italienifhen Schrift gleichen Inhalts faft nur eine tirchenhiftorifhe Auseinanderjegung enthält, wie früher, und insbeſondere buch die Eidgenofien im Zeffin, die Rechte des Staates in kirchlichen Dingen ausgelibt worben find.

41) Die Trennung von Teffin, Puſchlav und Bräs von deu lombardiſchen BisihHämern Mailand und Como und beren Anfchiuf an fchweizerifche Bisthumsfprengel. Et. Gallen, Scheitlin u. Zollilofer, 1860.

Die lange gefhichtliche Einleitung ift reich an beweilenden That» ſachen, firhlihen Ausſprüchen und Verordnungen, um die Rechtmäßigkeit der Trennung auf das Schlagenbfte darzuthun. Dieſe wie bie vorher⸗ gehende Schrift find von der gewandten Feder bes befannten ſchweizeri⸗ ſchen Staatsmannes, Nationalrath J. M. Hungerbühler.

42) Das Beltlin nebf einer Beihreibung der Bäber von Bermie. Ben

Belgien. 177

G. Leonkarbi, ref. Pfarrer in Brufio. Leipzig, W. Engelmann, 1860. Ent⸗ Kilt ſowohl im Eingange als auch fpäter Hiftorifches für die Schweiz, Ges ſchichte des Beltlin befonders mit Rüdficht auf die ſchweiz. Reformationsgefchichte uud den fog. Beltlinermorb. Hd.

9. Belgien. 1. Algemeine Landesgeſchichte und vie einzelnen Zeiträume und Freigniffe.

1) L David, Vaterlandsche Historie. Tom. VIll. Loeren XIl 2.688 © 8.

2) 1.G.Moke, La Belgique ancienne et ses origtnes gau- loises , germaniques et frangaises. 2idme edit. Gand. 508 ©. 8.

3) A Wauters, Une episode des Annales des Communes belges. Arvdnement et mort de Guillaume de Normandie comte de Flandre. 1127—1128, 8.

4) LGachard, La captivite de Frangoislet le traited de Madrit. Brux. 346. 8.

5) W.H. Prescott, Histoire du regne de Philippe II. tra- duite par G. Renson et P. Ithier. Brux, 1859/1860 bis jebt 3 Binde.

6,N Considdrant,Histoiredela revolution du XVl.sitcle dans les Paysbas. 2dme edit. augmentte d'une introduction par M. Frederix. Brux. 3206. 8.

7) C. Chalon, Un coup d'état mangqud. Brux. brochure. 8,

8) Gemelli et P.Royer, Histoire de la revolution belge de 1830. Brux. 8.

9) J. Quinsonas, Matdriaux pour servir A l’histoire de Margu6rite d’Autriche. Paris, 1860. 3 Vol. illuſtrirt.

Die Meine unter Nr. 4, aus Br. IX ©. 498 des Bulletin ver Alabemie v. 1860 beſonders abgebrudte Schrift des unermüdlichen Hi- ſterilers Gachard ift ein ebenjo gründlicher, als claſſiſch gejchriebener Beitrag zur Geſchichte Carl's V., oder vielmehr feines Kampfes mit Zranz l. und verdient in's Deutſche übertragen zu werben.

Die Ueberjegung von Preſcott's Geſchichte Philippe MI. (M. 5) war unentbehrlich für die Förderung der vaterländiſchen Geſchichtsſtudien

Oeboriige Zeirigrift VI. Bar. \2

178 Ueberfiht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860.

und reiht fih der des freilich nicht foviel Lob wie Prejcott verbienenden Werts feines Landesgenoſſen Motley an.

Conſidérant's Geſchichte der niederländiichen Revolution des 16. Jahrhunderts wird von Herrn von Bemel in Band II der Revue trime- strielle von 1861 ©. 37 als der erfte und zwar fo glüdlihe Verſuch einer Darftellung dieſer Epoche gerühmt, daß in deren zweiter Auflage ihr Verfaſſer nur wenige unbedeutende Aenderungen zu machen nöthig ge- habt habe. Herrn Frederix zu poetijche, zuweilen fatyriiche Einleitung, jagt v. Bemel weiter, fteche. ehr gegen den Ernſt des übrigens richtig von ihm gewürdigten Buches ab.

Die unter Nro 8 genannte Gefchichte der beigiichen Revolution des Jahres 1830 hat den erften, auf ihrem Titel genannten, längere Zeit im Belgien lebenden italienifchen Gelehrten Gemelli zum Berfafler, erfchien zuerſt in italieniiher Spradhe und darauf von Royer überſetzt in fran- zöfiiher. Nah v. Bemel a. a. O. S. 375 bat Gemelli ven Charakter diefer Revolution im Ganzen richtig erfaßt und gefchilvert, in mauchen Beziehungen jedoch ans natürlich zu erklärender Unkunde des Landes umb ber belgiſchen Nationalität nicht immer richtig geurtheilt. Zum Ber bienfte wird ihm angerechnet, daß er über den Parteianfchauungen flche und durchaus unbefangen jei.

Die unter Nro. 1, 2, 3, 7 und 9 aufgeführten Bücher find Referent nicht zu Geſicht gekommen *).

D. Geſchichte einzelner Provinzen, Bezirke und anverer Derilichkeiten.

A. Fũttich und Mamur.

Louis de Bourbon, &evtque-prince de Litge (1455 1482) par Ed. Garnier, Archiviste des Archives de l’Empire. Paris 176 ©. 8.

Berfhiedene Selegenheitsfhriften von Aristide Cralle. a) Deſſen Souvenirs Archdologiques ou esquisses de l’dtat, de la ville et du pays de Li®ge, da moyen ange jusqu’ aux temps modernes. Litge, 60 S. 8.

b) Revue des diverses parties de la ville de Litge & Toceasion des fetes royales en 1850 (par Rambler) 38 p. c) Revue des monuments de la ville de Litge 1856 (149 6) d) Lettres sur les travaux pub-

®) Ueber Rro. 9 ſiehe bas Urtheil unten am Schluß bes Berichtes.

Belgien. 179

Bques et les projets d’embellissemens de la ville de Lidge suivies de d6- convertes archeologiques 1859. 10 ©. 8.

Ferd. Henaux, Histoire de la Commune de Bpa et de ses eanx mindrales. Nour. edit. 8.

Derfelbe, Le Palais Carolingien & Lidge.

A. Leroy, La philosophie au pays de Li&ge dans les 17 et 18 Bitcles. Lidge. 160 ©. 3. Liöge. 8.

Notice sur 1. @. et J. H Lefort, herauts d’armes du pays de Litge au XVII et XVII Sidcles von Gtanislaus Bormans im Bulletin Ar- ehöologique p. 321. 8.

Siderins, Dinant et ses onvirons. Fragments historiques. Di- zant 18569. 200 ©. 8.

R. Chalon, Recherches sur les monnaies de Namur. 148 ©. und 22 Stiche. 4.

Während des Referenten zehnjährigen Profeſſorats in Püttih (1817 bis 1827) war das Intereſſe für geſchichtliche Studien daſelbſt jehr ge- rmg. Ein einziger Gelehrter, der fiebenzigiährige Baron von Billenfagne, fürieb über feines Baterlandes Vergangenheit; fein Hauptwerk Recherches sur ia cidevant Principaut6 de Litge 2. Bd. 8. erſchien 1818. Seine tredene, reactionäre Behaudblungsweife fprach eben fo wenig an, wie eine 1822 erfchienene in materieller Beziehung fonft löbliche Geſchichte Lüttiche ven Dewe, dem Berfaffer der histoire generale de la Belgique und an- derer nennenswerther Schriften über belgifche Geſchichte. Neigung zu ars chãelogiſchen Studien über da6 Land war nirgends ſichtbar. Nur bie Erinnerung, daß Lüttich einft eine freilich über hundert Jahre lang nicht mehr fungirende freie Berfaflung gehabt habe, war Iebendig und von Eifluß auf die Entwidlung der liberalen Oppofition gegen bie vergebens nach Bollsthümlichleit in den fogen. fünlichen Provinzen des Königreichs ringende wieberländifche Regierung. In geiftreiher Weile begann Herr ven Gerlache vie Geſchichte Lüttichs nach dieſer Richtung hin zu bear- keiten. Seine erften Verſuche erfchienen von 1825 an in bem Annuaire ter Societ€ d’Emuletion,

Es ift erfreulich zu fehen, welchen Umſchwung die hiftorifchen, wie andy vie archäologiſchen Studien feitvem in Lüttich gemacht haben. Die allgemeine Geſchichte des Landes wurde 1843 auf's Neue von Gerlache

12*

180 Ueberfiht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860.

bearbeitet. 1844—1847 erſchien die ſchon unter dem Einfluß ber beut- ihen und neufranzöfiichen Hiftoriographie gejchriebene Histoire de l’ancien pays de Liege von dem verbienftvollen, durch eine Menge geichichtlicher Monographien berühmt gewordenen Archivdirector Polain; dann 1852 um erften, 1857/1858 zum zweiten Mal bie Histoire du pays de Liege depuis le temps plus recul&s jusqu’ à nos jours von Ferd. Henaux, ſowie deſſen (in gegenwärtiger Zeitichrift im Jahr 1859 Bd. II S. 199 kurz angezeigte) Constitution du pays de Liege. Den 12. April 1850 ward der Verein des Institut archeologique Liegois gegründet, deſſen Bulletin im Yahr 1852 zu erfcheinen begann ').

Referent lenkt den Blick auf vielen Entwidlungsgang der geſchicht⸗ lichen - Studien in Lüttich deßhalb zurüd, weil die in gegenwärtiger Un» zeige zu beſprechenden Schriften als weitere Erfolge auf diefer Bahn zu betrachten find.

In des Referenten Ueberſchau ver belgiſchen Geſchichtsliteratur vom Jahre 1859 (Bd. IT ©. 255 dieſer Zeitfchrift) mußte er die ihm noch nicht befannt gewordene Histoire populaire des Litgeois von ©erimont übergehen. Leider kann er jetzt nad) deſſen Kenntnignahme das Buch nicht rühmen. Es ift eine durchaus unkritijche Arbeit, eine Art Abkürzung ver Geſchichte Lüttichs von Henaur. Der Verfaffer hat nur jehr unflare Ideen von den altgermaniſchen Staatseinrichtungen , fpricht ſchon von ber Feo- dalit& im fiebenten Jahrhundert, wiederholt Längft widerlegte Irrthümer, hält feine maßgebende Periodifirung ein und legt e8 überall nur baranf an, ber oft fo verkehrt verfahrenven Democratie das Wort zu reden. (Cine richtige Einfiht in die wahren ftaatlichen Berhältnijie des Landes ift im Buche nicht zu finden. Eine Anleitung hiezu gab Referent in feiner 1860 zu Lüttich felbft in's Franzöſiſche überfegten Recenfion des He⸗ naur'ſchen Werkes und führte dieſelbe weiter aus in einer 1859 von ihm verfaßten „Ueberihau des einft zum deutſchen Reiche gehörenden Tandes von Lüttich“, die im April und Mai 1860 im Feuilleton der Kölniſchen Zeitung (Nro. 114— 128) erſchien.

So lange von belgijhen Geſchichtsforſchern und Geſchichtsſchreibern

1) Näheres über Henaux und dieſes Inſtitut theilte Referent mit in ben ge⸗ lehrten Anzeigen ber k. Alademie vom J. 1858 Nro. 26 und 27 und 1859 Pro. 46 ff.

Belgien. 181

ver wahre Organismus des germaniſchen Staatsweſens ignorirt wird, tan e8 ihnen unmöglich gelingen, treue Gemälde ver früheren focialen Zuftände ihrer durch und durch germaniſch organifirten Provinzen aus» mfähren.

Eine ver widtigften Epiſoden ver Lüttiher Geſchichte bildet Die Regierungszeit des 1455 vom Herzog Philipp von Burgund dem Lande aufgeprungenen Biſchofs Louis von Bourbon feines Neffen. Ohne vom Capitel gewählt, ohne ordinirt zu fein, warb ber 17jährige joviale junge Prinz von dem durch Philipp gewonnenen Papft beftätigt, begann kin Regiment mit Berfuchen, die Yandesverfaffung aufzuheben, mit Prä⸗ gung von falfchem Gelde, mit Anleihen und Erpreffungen, um das Ge- wounene zu verprafien. Dan nannte ihn mur den Bettelbiſchof. Die Folge feined Gebahrens waren furdhtbare VBollsaufftände, welche ber blaue König Ludwig XI. als Mittel gegen Philipp und feinen Sohn Carl den Kühnen nährte und die zulegt den jchredlichen Untergang ber Stadt zur Folge hatten. Nach längerer Zeit einer befeftigten Herr» haft wurde indeſſen Bourbon das Opfer der Rache des verrätheriichen Wilhelms de la Mark, Herrn von Ahrenberg, der ihn 1482 mit eigener Hand ermorbete, ein Verbrechen, wofür ihn fpäter 1485 Kaifer Mari« milian umbringen ließ. Das 27jährige blutige Drama wurde nicht bloß in Walter Scott Quentin Durrard in einer freilich fehr geſchichtswid⸗ rigen Weiſe behandelt, fontern fand in einer meifterhaft gefchriebenen Monographie von Herrn von Gerlache 1831, ſowie in Barantes histoire des Ducs de Bourgogne jehr gelungene Bearbeitungen, die in Polain's uud Henaur's Geihichten von Lüttich großen Theil® zu Grunde Liegen. Auch Referent entwarf in feiner oben erwähnten Ueberficht der Gefchichte Lüttich8 davon ein quellengetreues hiſtoriſches Gemälde).

Es ift daher das Gegentheil der Wahrheit, wenn ver Faiferliche Reichs⸗ archivift Garnier (der den Lüttichern zugleich ihre einftige Wiebereinver- kibung in frankreich anfündigt) nicht blos erklärt, dieſe Epiſode ber Lütticher Geſchichte ſei noch unbearbeitet (während er Gerlache überall benägt), ſondern auch wirklich feinen Helen, ven völlig elenden Louis von Bourbon rein wachen und als ein unfchulviges Opfer ber Demagogie binftellen will. Daß ter Bifchof deren Opfer ward , ift richtig; allein @ bat dieß zumächft fich felbft und feiner verkehrten Politit zuzufchreiben. Mu Recht bat Herr Henri Helbig in dem Lütticher Tagblatt Ia Meuse

182 Ueberfiht der hiſtor iſchen Literatur von 1860.

vom 18. September 1860 Nro. 223 ein nur zu gemäßigtes Berbam- mungsurtheil über das oberflächliche, parteiifche, ganz unhiftorifc ausge führte und werthloje Machwerk Garnier’8 ausgeſprochen. Referent muß die deutſchen Gejchichtsfreunde warnen, Garnier’8 Darftellung, bie ben Angaben fervil burgundiſcher Parteigänger folgt, Glauben zu ſcheuken.

Zur Geſchichte des Lütticher Yandes gehört auch die der berühmten Bäderſtadt Spa. Herrr Ferd. Henaur hat das Berbienft, in dem unter Nro. 3 aufgeführten Buche viefelbe in anziehenver Weiſe beichrieben zu haben. Sie bildet ein würdiges Seitenftüd zu feiner Geſchichte der Stadt Berviers ?).

Derjelbe Berfaffer hat in der mit Nro. 4 bezeichneten and bem Bulletin de l’institut archeologique Liögois Bd. IV p. 301 abgebradten Schrift; Notice sur le Palais Carolingien à Litge die Eriftenz eines Ka- rolingiſchen Palaftes in dieſer Stadt nachzuweiſen verſucht, die fi ans ber in ber Vita St. Huberti angeführten Thatjahe v. J. 743 ergebe, daß bei der Translation der Reliquien dieſes Heiligen Pipins Bruder Karlomann fi) von demfelben aus in die Kirche begeben habe, um fid von der vollftänvigen Erhaltung des Leichnams des bL Hubertus zu überzeugen.

Da von Karl dem Großen berichtet wird, er habe 769 in Lüttich vico publico die Oftern gefeiert, jo nunmt ver Verfaſſer an, jener ſehr umfangreiche Palaft habe fortbeftanden, der 774 ver Aufenthaltsort des entthronten Longobardenkönigs Deſiderius geweien, dann fpäter gegen 971 in das Eigenthum ver Fürftbifchäfe gefommen und im Laufe ver Jahrhunderte durch das jett noch erhaltene Palais derſelben erfeßt wor⸗ den. Aus des Berfaflers Unterfuchungen geht wenigftens hervor, daß (was ohnehin natürlich war) die Karolinger eine Wohnung oder ein Ab» fleigequartier in Lüttich) hatten, doch dürfte es jchwerlich den Namen und bie Beveutung eines Palatium gehabt haben.

Außer viefen Unterfuchungen haben wir nod eine gründliche im 3b. IV Liv. 1 ©. 159—175 veröffentlichte Notice sur le quartier de ia

1) ©. au beffen Anzeige von Henaur histoire de Liege in ben gelehrten Anzeigen ber Igl. Alademie vom 31. Oftober 1859. ©. 387 fi. ) ©. bie hiſtoriſche Zeitfhrift Bb. 1V 6. 260.

BE |

Belgien 188

Seaveniere in Luttich von Herrn Ferd. Henaur zu rühmen, bie fich an deſſen 1857 im III. Bo. ©. 350 eingerückten Note sur le Pont des Arches, anihließt. Die unter jenem Namen berühmte uralte Maasbrücke wurde tech eine neue im Jahr 1859 vollendete erjegt, was bie Veranlaſſung zu geichichtlichen Unterjuchungen über bie ältere wurde ; unter benfelben wırd Die histoire du Pont des Arches recherches archeologiques par E. M. O. Dognee (VI u. 143 ©.) im Bo. II der Revue trimestrielle ven 1861 S. 384 beſonders hervorgehoben.

Diefen Schriften find die vom Referenten unter Nro. 1 aufgeführ- ten Arbeiten des ebenſo gelehrten als claſſiſch gebildeten Lütticher Alter» thums⸗ und Geichichtsfreundes Dr. Ariftive Cralle anzureiben. Seine in Briefform gefchriebene Revue des monumens de Liege vom J. 1856 fagt uns, was die von ihm gejchilverten Baudenkmale einft waren und was fie jebt find. Seine Souvenirs archeologiques vom Jahre 1860 beginnen mit einer ffiggenartigen Ueberſicht ver Geſchichte Lüttichs und enthalten genaue Angaben über die Entftehung und Geichichte jener Mo⸗ aumente, über beren neuefte, zwedmäßige oder mißlungene Reftaurations- vertuche er ſich in jeinen 1859 erjchienenen Lettres sur les travaux publics et embellissements de la ville de Liege ausſpricht, fowie in etwas ſaty⸗ rücher Weije pſeudonym bei Gelegenheit der dem König Leopold im Oc» teber 1860 in Lüttich gegebenen Telte.

Alle diefe Schriften find ſchätzbare Beiträge zur monumentalen Ge⸗ ihichte einer Stadt, welche in viejer Beziehung noch bis auf unfere Tage unbeachtet blieb. Bon verichiedener Art aber nit minder belangreid für vie Geſchichte Lüttichs find die beiden unter Nro. 5 und 6 von ung aufgeführten gleichfalls zuerft in Bd. IV bes Bulletin de l’Institut archeo- logique erihienenen Abhandlungen.

Eine Geichichte der philoſophiſchen Studien in Lüttih dürfte wohl für etwas Unmögliches gehalten werden: denn wer bat je von einem auch mur einiger Maßen namhaften Philojophen in ber dem ftreng kirch⸗ fihen Prieſterdruck untergebenen Stadt gehört? Herr Dr. U. Leroy, Profeſſor der Philoſophie an der Univerfität daſelbſt, fchließt uns daher in ſeiner Schrift eine wahre terra incognita auf. Indeſſen jagt er uns jo« gleich S. 10, daß die von ihm aufzuführenden Männer ihr 2008 ver- geſſen zu fein vervient hatten, und daher nur ihrer Beftrebung wegen vor» geführt werben jollen.

184 Neberficht ber hiſtoriſchen Literatur vom 1860.

Die Schrift Leroy's ift übrigens ein mit gründlicher Sachkennt⸗ niß und geiftreih geichriebener Abriß der Geſchichte der Philoſophie im 17. und 18. Jahrhundert mit fortlaufender Angabe der Einwirkung der verjchiebenen Doctrinen "auf das durch die biſchöfliche Cenſur som Ausland foviel wie thunlich abgejperrte, geiftig von ten Jeſuiten be berrichte Land. So lange wie möglih waren lettere Vertheidiger ber falichen Ariftoteliichen Philofophie des Mittelalters, unterlagen aber zu» Ietst dem Gartejianismus. Diejer hatte auch feine Borlämpfer in Löwen und neben beiden Richtungen war die von Ban Helmont dort weiter ausgebildete der Theofophen und der Anhänger ver auch von dem Fürſtbiſchff Mar von Bayern geliebten Alchymie (S. 72) fichtbar. Die freieften Denker des Landes waren Aerzte. (S. 117) Auch einen Rechte: philojophen hat das Land aufzumweijen in Mathias de Grati, ver 1676 einen Discours du droit moral et politique herausgab. Mit großer Ge nauigkeit gibt der Berfaffer eine Skizze der Anfichten und Doctrinen Dies jer von ihm richtig bezeichneten Halbgelehrten. Unter der Regierung des aufgeflärten Fürſtbiſchofs von Belbrud begann eine freie intellectuelle Bewegung im Land. Das Journal encyclopedique wurde in benfelben gebrudt, ebenfo die von Rouffeau redigirte Encyclopedie methodique. Ans» dere Werke von berühmten franzöfifchen Freidenter wurden nachgedruckt. Als 1789 die Pütticher Revolution ausbrah, waren die alten Schuldoc⸗ trinen in Bergefienheit gerathen und alles vorbereitet, dem Boltärtanismus und ber fenjualiftiichen Philofophie Frankreichs Thür und Thor zu öffe nen. Sie war noch Herrin im Lande zur Zeit der Errichtung der Unis verfität Lüttich im Jahre 1817, und nur mit größter Mühe gelang es veutfchen Lehrern, jüngere Männer für vie beutiche Philoſophie zu in tereſſen. Indeſſen liefern die Arbeiten des leider zu früh verſtorbenen Profeſſors Tandel und unjeres Verfaſſers felbft, namentlich das bier be ſprochene Buch, den Beweis, daß die dortigen Bertreter der philoſophi⸗ hen Wiſſenſchaft jest rühmlih auf ver Höhe des Jahrhunderts ftehen.

Die zweite Schrift (Nro. 6) ift allen Geſchichtsforſchern nicht bloß Belgiens fondern Frankreichs und anderer Länder zu empfehlen. “Die Fürftbifchöfe Hatten eine heraldiſche Behörde, an deren Spige ein fogen. Heraut d’Armes für Tüttih, vie Grafſchaft Pooz und das Herzogthum Bonillon ftand. Das Amt war unter Anderem deßhalb von Wichtigkeit, weil nur Mitglieder des alten Adels fähig waren, Domberrn (Tresfoncieres)

Belgien. 185

ron St. Lambert zu werden. Im Jahr 1682 übertrug der Fürftbi- ſchef Marimilian Heinrih von Bayern dieß Amt dem in Verviers ges bormen Jean Gilles Lefort, deſſen Oheim es begleitet, ihn zwanzig Jahre Lang zum Gehülfen gehabt und berangebilvet hatte. Im Jahr 1688 emannte ihn Leopold I. zum kaiſerlichen Heraut d’Armes für den Nieber- them. 1701 gab ihm der Kaiſer auf feine Bitte in feinem Sohne Ja⸗ ques Henri Lefort einen Nachfolger, dem denn aud vom Fürftbifchof die Stelle feines 1718 verftorbenen Bater8 übertragen wurde. In feiner erften Eigenſchaft hatte lettterer ven Titel eine® Scutarius eques et miles sureatus ac sacri Palatii et anlae Lateranensis comes (p. 339 des Bulletin t. IV). Er ftarb ven 3. Oftober 1751.

Die beiden Lefort haben fih nun dadurch ein immerbleibendes Ver⸗ vienft erwerben, daß fie jehr ausgedehnte genealogiſche Sammlungen und Regiſter anlegten, welden man noch jest eine Menge der wichtigften Notizen entnehmen Tann. Sie beftehen 1) aus 25 Bänden Genealogies de familles nobles, welche 710 ©enenlogieen enthalten; 2) aus 27 Bän- ten eine® Recueil divers und 3) aus Fragments genealogiques de fu- milles nobles et bourgeoises de Liege et pieces a l’appui.

Diefe Sammlungen wurbden mit Zuftinmung der Pandftände 1762 ven der Regierung gefauft und befinden ſich jet im Provinzialarchiv za Lüttich. Herr Arhivift Bormans bat nun zu diefen Sammluugen ein gemeinjames alphabetijches Regifter gefertigt mit genauer Angabe ver Pagina jeder derjelben, wo ſich Angaben über die Familien befinden, und dieſes Regiſter hat der archäologiſche Verein in feinen Bulletin Bd. IV. 5.349 —496 und daraus auch befonvers abdrucken laffen. Unter ven dar⸗ m aufgeführten deutſchen Adelsfamilien bemerfen wir die Dalberg, vie Herzoge von Bayern die Bentind, Brandenburg, Gronsfelt, Ingel⸗ kun, Metternich, Löwenftein, Naffau, v. Quadt, Sayn, Schwarzenberg, Weſtphalen u. ſ. w. Man kann jederzeit Abjchriften der in ben brei Sammlungen enthaltenen genealogiichen Notizen erhalten.

B. JSlandern.

Bruges et le Franc, ou leur magistrats, leur noblesse etc. Bruges, 1860. 8.

P. Heyndriks, Jaerbooken van Veurne en Veurnambacht uitgegeven door E. Ronse. 3, Deel. Gand.

186 Ueberſicht der Hiftorifchen Literatur vom 1860.

J. L. W. Diegerik, Inventaire analytique et chronolo- giquo des Archives de la ville d’Ypres t. V. Bruges. 312 ©.

Inscriptions fundraires et monumentales de la Flandre orien- tsle. IV. Livr. 22 23. 4.

Kervyn de Volckersbeke, Les &glises de Gand, 1859. 2 Vol. 8. von 352 n. 390 &. nebſt Stichen.

C. Brabant, Antwerpen und Fimbarg.

L. Galesloot, La province de Brabant sous l’ompire ro- main. Brux. 1859.

A. van denEyndo, Tableau chronologique des ecoutetes bourgne- meströs et Echevins de Malines depuis 1236. 9ieme livraison.

Ecrivisse, Verwoesting van Maestricht hist. Taferecl cist, de XVI. L. 305 ©. 4. mit 4 Stichen.

Inscriptions fundraires de la ville d’Anvers. 49 livwr.

E. Gens, histoire de la ville d’Anvers livr. 26—37. An- ndes 1860. Nach ber Vollendung bes Werles werden wir eine Iubaltsangabe zu geben verſuchen.,

nı. Lebenöbefreibungen und Benealogien. Fr. de Potter, Vaderlandsche Biographie. Gand. 187 €. 8.

C. F. A. Piron, Algemeene Lovensbeschryving der ver- maerde Manen en Vrouven in Belgie. Vilvorde. 25. Liv.

V. Gothaels, Miroir des notabilitds nobiliaires de la Belgique. Liv. 7 et 8 Brux. 4.

N. 8. van derHeyden, Notice historique et gdndalogique de la maison de Lebidarts-Thaumaide.

Lacroix et van Meenen, Notice historique et bibliogra- phique sur Philippe de St Aldegonde, Bruxells. 118 ©. 8.

R. Chalou, le dernier duc de Bouillon (1815) extrait de t. II de la Revue historique et archeologique. Brux.

Belgien. 187

De Bt. Genois, Notice sur Leu Jos. van der Vynckt, membre de l’Acaddmie de Bruxelles. Gand 1860. 34 6. Beſonderer Ab⸗ brad ans bem Messager des Sciences historiques.

IV. Beröffentlidungen der Societs de I’hisloire de la Belgique.

Me&moires Anonymes sur les troubles des Paysbas 1565 1580 peblids par J. B. Blace. t. II. 405 ©.

M&moires de Frederic Perrenot Bieur de Champagney 1573—1590 avec notice et annotations parA.L.P. de Robaulx de Soumoy. XCIX mb 426 ©. 8. j

M6&moires de Pontus Payen, avec notice et annotations par Al, Henne tom. 1 XXVIII u. 368 ©. t. II erſchienen 1861. 280 ©.

Me&moires de Philippe Warny de Visenpierre sur lo Bidge, de Tournay en 1581 publ. par A. G. Chotin.

Commentaires de Bernardo de Mendoca sur les é(vénemens de la guorre des Paysbas 1567 1576 traduction nouvelle par Loumier aree notice et amnotations par le colonel Guillaume. t. I. XXVI und “01 ©.

Der Berein zur Herausgabe der Collection des M&moires sur l’hi- stoire de la Belgique verdient fortwährend das größte Lob. Im Ber: laufe des Jahres 1860 publicirte er vier umfangreihe Bände und ben Anfang eines fünften. Er verviente von allen Geſchichtsfreunden Deutſch⸗ lande, namentlich den deutſchen hiftorifchen Vereinen, auch finanziell unter- fügt zu werten, da, wie uns mitgetheilt warb, bis jetzt Die gemachten Opfer tur Ten Abjat der erichienenen Schriften bei weiten nicht gedeckt find.

Was den zuerft genannten 11. Band ver von Herren Blaes heraus« gegebenen Memoires anonymes betrifft, jo bedauert Referent noch immer nichts Näheres über deren geſchichtliche Bedeutung und Wichtigkeit fagen zu Eoımen, da bie vom Herausgeber verſprochene und auch kürzlich er⸗ ihienene Einleitung aud mit dieſem Bande ihm noch nicht zugelommen fl. Doch erleichtert die genaue chronologifche table des Matieres (S. 301) vie Benütung der auf die Yahre von 1577-—1578 bezüglihen Mitthei⸗ Iungen, welchen unter ven Pieces Justificatives 21 Schreiben und Des reihen aus biefer Periode beigefügt find.

188 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860.

Die Memoiren Friedrich's Berrenot Siem de Champagne, Bruders von Granvella (No. 2) find vom Refer. ſchon in einer 1860 im B. IV biefer Zeitihrift S. 239—244 enthaltenen Anzeige befprochen worden.

Den Herausgebern aller Bände gebührt das Lob des geeignetften Berfahrens; Herr von Robaulr ſchickt dem Texte der Memoiren Cham⸗ pagney’8 eine XCVIII Seiten füllende Biographie feines Helden voran, Oberſt Guillaume eine kurz gefaßte Lebensbeihreibung Menpoca’s auf XXVI S. und AL Henne Nachrichten und Mittheilungen über Pontus Payen Seigneur des Essarts. Seiner ber drei Verfaſſer ver Denkwürdigkeiten gehört ver Aufitantspartei an: Mentoca der Spanier ift der entfdhie- denfte Anhänger Philipp’8 II. und feiner Politik, Bewunderer Alba’s, und beurtheilt die nieverländiichen Zuftände vom fpanifchen Geſichtspunkte aus. Champagney und Pontus Payen find zwar entſchiedene Katholilen und er- Härte Gegner des Prinzen von Oranien, verwünfchen und haflen aber nicht minder bie Spanier, deren Entjernung aus dem Baterlande eime Hauptaufgabe der politiihen Beſtrebungen des erfteren ift.

Die Verſchiedenheit ihrer Parteiftellung erflärt die von einanter ab» weichenden Yeußerungen und Schilderungen mancher Thatfachen und den rabicalen Gegenſatz ihrer Dentwürtigfeiten zu den im B. IV ©. 227 biefer Zeitjchrift angezeigten von Jaques v. Weſenbeke. KRüdjichtlich der Zeitabjchnitte beziehen ſich die Champagney’s auf die Jahre 1573—1590; bie Mendogas ſchildern die Kriegsereignifle zwifchen 1567 und 1577, bie von Pontus Payen enthalten zwei verjchievene Aufzeihnungen, 1. über ben Gang der ‘Dinge von 1539 bis zur Ankunft des Herzogs Alba im Jahr 1567 (B. I und 2. II) bis p. 40) und 2. eine Darlegung ber Creignifle in Arcas 1577 und 1578. 38.11 ©. 48 fi.

Eine Zufammenftellung der Ergebnilfe eines vergleichenden Studiums biefer neu eröffneten Gejchichtöguellen über vie niederländiſchen Aufſtände ſcheint Refer. im gegenwärtiger Anzeige nicht an ihrem Plage zu fein, fie verlangt ein kritiſches Eingehen auf vieles Einzelne. Erſt nad dem Er⸗ fcheinen der übrigen Bände ter auf diefe Zeit bezüglihen Denk⸗ wärbigkeiten kann eine auch alle andern Geſchichtsquellen berückſichtigende Arbeit diefer Art in einer befonvern Abhandlung verjucht werden, Refer. begnügt fich daher, hier mur einige Notizen hervorzuheben.

Frieprih Perrenot, Öranvella’8 jüngfter Bruder, den 3. April 1536 in Barcelona geboren, trat fhon 1550 in Kriegsvienfte, machte

Alba's Züge in Italien mit, erlangte bald den Grab eined Capitains ver Cavalerie, gehörte 1558 der höheren Hofpienerihaft Philipp’s II. an, ſah aber fein Streben, ein Kommando zu erhalten, nicht in Erfüls lung gehen. Er betheiligte fih am Aoelscompromiß in Brüffel, trat aber ſofort zurüd,

Rah Beſancon ſich zurüdziehend erwarb er fi) durch verfchiedene in Religionsungelegenheiten geleiftete Dienjte die Gunft Bhilipp’s und wurde 1571 zum Militär» und Civilgouverneue der Stadt Antwerpen ernanut, gerieih aber bald mit dem Commandanten der Eitadelle Sancho d'Aquila in Gollifion, beklagte ſich erfolglos bei Alba und bei Philipp II. 1573 über teffen Regiment in den Niederlanden zur Zeit als Medina Coeli gejandt wurde, um Alba abzulöjen. Er gab die Mittel und Wege an, welde er für die einzig möglichen hielt, die Ruhe und den Wohl⸗ Kınd des Landes wieder herzuftellen. Dieß ift der Inhalt feines ©. 221 getruckten Discours sur les affaires des Pays bas, einer an den König ge- richteten Denkſchrift, in Folge ber Ueberrumpelung Antwerpens durch tie meuterijchen jpanifchen Truppen im Jahre 1574 (worüber fih in tieier Zatichrift B. IV ©. 241 die Hauptjache mitgetheilt findet) verließ er dieſe Stadt.

Er wurde darauf mit Friedensunterhandlungen in Holland beauf⸗ tragt, und nahm auch an dem in Breda gepflogenen und erfolglos ge⸗ bliebenen Congreß Theil. Als Tadler der ihm verhaßten, noch im⸗ mer befolgten ſpaniſchen Politik gerieth er in Oppoſition mit Requeſens, wurde dann nah England geſchickt, um die Bewer- kungen Draniens und der Aufitändifchen bei der Königin Elifabeth zu vereiteln, was, wie er ſich rühmt, ihm gelungen ift. Seine an Reque⸗ ins und nach deiien Tod an den Staatsrath gejchriebene Briefe find im Appendice ter Memoires S. 311 410 gedrudt und inhaltsreihe Docu⸗ mente über jeine freilih nur kurze Miſſion vom 15. Jänner bis 28. März 1576. Di Requejens den 5. März geitorben war, fo ftand Berrenot nun unter der Regierung des Conſeil d'Etat und ven alsbald einberufe- nen Generalftaaten, leijtete (immer noch als Gouverneur von Antwerpen) bedentende militärifche Dienfte und ward auch anfangs von dem neuen Statthalter Don Yuan d’Auftria gut aufgenommen, verdarb aber bald mit ihm und dann mit den Ständen felbft jein Spiel da er als ja Oranien ſich neigend verbächtigt wurde, während biejer ihm als fanati-

1% Veberficht der hiftorifchen Literatur von 1860.

ſchem Katholiken noch weniger traute. Seine Stellung wurde unbaltbar, anfangs dem Staatsrath affeciirt, warb er auf eine Anflage der demo⸗ Fratifchen Conmiffion ver Achtzehner zu Brüffel aus vemjelben entfernt, in einem Bollsauflauf feftgenommen und unter falſchem Vorwande nad Gent in Haft gebracht, wo die von Oranien gejhüsten Hembyſe und Reyhove ihr Wefen trieben und Perrenot, nachdem er in Folge von PBlüns« derungen fein ganzes Vermögen verloren hatte, in tieffter Armuth, audı von feinem niit ihm grollenden Bruder Granvella verlaffen, ſechs Jahre und einige Monate im Gefängniß gehalten wurde. Er ſpricht von feinen ſchlimmen Bermögensverhältniffen in einer Memoire sur les affaires par- ticulieres (S. 325).

Unter dem Statthalter Alerander Farneſe erhielt er als Belohnung feiner Bernühungen für die Wieverherftellung des guten Einvernehmen ber flandriſchen Oberbehörden und des Prinzen 1584 die Gouverneur⸗ ftelle ver Citadelle von Gent und 1585 feine frühere in Antwerpen, ge rieth wieder in Conflict mit dem Commanbanten ver dortigen Citadelle gerirte fih abermals als leidenſchaftlichen Oppoſitionsmann und feind- feliger Tadler Parma's, der endlich den mit jeder Regierung unzufriedenen Mann (unter Zuftimmung Philipp’s) aller Functionen enthob, worauf er fih nach Dole in der Franche Comté zurüdzog und bis zu feinem im 9. 1600 erfolgten Tode mit Abfaffung von Denkſchriften befchäftigte umd einen fehr ausgedehnten ſechs Foliauten füllenden Briefwechjel unterhielt. Es bot fih ihm auch Gelegenheit, in Staatsangelegenheiten fi thätig zu zeigen.

Unter feinen fpätern Dentichriften find die ©. 253 und 303 in franzöfifcher Ueberjegung veröffentlichten Discours sur les affaires des Paysbas von 1589—1590 fehr leſenswerth. Sie enthalten den empfind» Iichften Tavel ter Regierung Alerander von Parnız, al® eines ven jeinen Creaturen außgebeuteten ſchwachen Mannes. Er zeigt, wie in Folge der ſeit Alba's Sendung befelgten Politif des Königs der Wohl⸗ ftand der Niederlande ohne allen Gewinn für das königliche Intereſſe und bie katholiſche Religion zu Grunde gehen mußte ımb gibt als vie einzigen auch jett noch zur Herbeiführung befjerer Zuftände anzuwendenden Mittel vie zwei ſehr frieblihen an: Wieberherftellung ver verfaffungs- mäßigen nur Einzelnen zu übertragenven Landesregierung und gute res ligidfe Vollserziehung durch einen befier gebildeten Klerus, als der war,

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veffen Unwiſſenheit er als die Haupturſache der Verbreitung ber neuen Glanbenslehren betrachtet.

Bontus Bayen, Bürger von Arras und Beliter der Herrſchaft des Elarts, erhielt ven 17. Mat 15°2 durch Philipp I. ein feine frühere Erhebung in ten Xrelsftand beftätigendes Diplom, war aljo königlich md fireng katholiſch gefinnt jedoch beides nicht im fanatifcher Weife. Er erflärt vor 1566 es mit den beiten Katholiken für allzuftreng, vie ihre Irrthümer abſchwörenden Kezer dennoch mit dem Tode zu beftrafen, überhaupt ruhig lebende Leute ihrer religiöfen Meinung wegen in Unter⸗ fuhung zu ziehen und Strafen zu unterwerfen, warb aber nad dem Bilderſturm anderer Anfiht, indem er deſſen Gräuel ver den Neuerern geichenften Nachficht zufchreibt. Die Spanier haft er von Grund feines Herzens: viele im Lande wohnende hätten (jagt er) an den üppigen Mahlzeiten reicher Niederländer Theil genommen, teren geheime Ge- tanfen beim Nachtiſch abgelodt und fie dann in Madrid angefchwärzt. eher Alba und den Blutrath fällt er ein ftrenges Urtheil fchreibt ten Tod Egmont's Alba’s Eiferfuht und Neid zu. Da die NRegentin tie Ruhe wieder hergeftellt gehabt, fo fei die Beſetzung des Landes durch Spanier nit mehr nöthig geweien. Auch von den Franzoſen hat P. Fugen eine nichts weniger ald gute Meinung und felbft niederländiſche Staatsbeamte werden von ihm nicht gejhont, wie van Meghem, ven er un meigr& poux qui voulait s’engraisser nennt, ſowie felbit der als Gelehrter ven ihm geehrie Granvella, von dem er jagt, er habe ein coeur flam- boyant de vengeance pour les oultrages, qu’il avait recus, Das. gegen wird mancher ausgezeichnete Mann der Gegenpartei mit Lob ammannt, 3. B. der zu Auftruvell bei Antwerpen von Beauvois ge ſchlagene und jein Leben opfernde Johann von Marnir, Philipp’s Drurer. Oranien findet aber feine Gnade vor ihm. Er erklärte ihn für feig und unfittlih. In den erſten Denkwürdigkeiten von Pontus Fugen werten viele bisher wenig befannte Einzelnheiten ans den Zeiten ven 1559 1567 mitgetheilt; in den fpäteren zum erftenmal von Motley VI. 1 vollſtändig benütten wird die Geſchichte der Ereigniffe zu Arras 1589 erzählt, d. 5. die dort ſtattgehabte antioraniiche Gegenrevolution and die Verbrüberumg der walloniſchen Provinzen mit ter vom Herzog ren Aerſchot geleiteten Partei der royaliſtiſch gefinnten Malcontents: Greiguifie, welche die definitive Trennung der füblichen Nieterlane

193 Ueberfiht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860.

von den nörblichen zur Folge hatten. Der Name eines Geſchichtſchreibers im wahren Sinne des Wortes kann nad) tem Herrn Herausgeber bem Berfafier dieſer Memoiren nicht ertheilt werben.

Unbeanftandet kommt dagegen der Ruhm eines Hiſtorikers Ber⸗ nardo Mendosa zu, deſſen aus tem Spanijhen von Loumier neu überjegten Commentaires sur les &venemens de la guerre des Paysbas, ein wahres Geſchichtswerk find. Bei deren Abfaſſung bat ver ebenfo ge- lehrte und ſtaatsmänniſch gebilvete wie tapfere Kapitain fi Julius Cäjar zum Vorbild genommen. Er gehörte einer der eriten Adelsfamilien Spa⸗ niend an; 1530 geboren, madhte er unter Carl V. ven Zug nah Oran mit und 1567 als Freiwilliger die Erpebition in den Niederlanden, nahm, von Alba bejonvers geliebt, an allen Schlachten Theil, zulegt au der von Don Yuan d'Auſtria 1577 gewonnenen, aber nicht benütten von Gem⸗ blow. Im Yahr 1574 bejehligte er, zum Rang eined Maestro de Gamp erhoben, ein bebeutendes Neitercorpe. Nach dem Jahre 1577 iſt er mit diplomatijchen Mijjionen betraut, wie 1578 bei Eliſabeth, wo ihm Phi⸗ lipp IL 40 50,000 Ducaten zur Berjügung ftellte, um bie Minifter der Königin zu beftehen; dann 1584— 1590 in Franfreih, wo er im Namen jeines Herrn die gegen Heinrich IM. und Heinrich IV. arbeitende Ligue leitete oder unterftügte. Seine im Archiv zu Simancas aufbe⸗ wahrte umfangreiche Correſpondenz mit Philipp ift daher für jene Zeiten eine wichtige Geſchichtsquelle.

Bon Blindheit bedroht zog ſich Mendoça nun von den Staatsge⸗ ſchãften zurück, arbeitete aber mit Hülfe der einſt täglich gemachten Auf⸗ zeichnungen ſein Geſchichtswerk aus. Es erſchien 1592 ein anderes, dem Prinzen Philipp (nachherigem König Philipp III.) gewidmetes Buch: feine auch durch politüche Betrachtungen auszeichnende . Theorica y practice di guerra war ſchon 1577 von ihm herausgegeben worden. Er überjette auch des Philojophen Lipfius Bücher de republica ind Spanijhe. Die Comentarios find vom 2. Buche an eine genaue von Strada, Benti⸗ voglio und allen andern wohl benütste Gejchichte der von Spaniern im ben Nieverlauden zwijchen 1567 und 1577 geführten Kriege. Das erſte Buch enthält eine Ueberſchau des Aufſtandes von feinem erften Urſprung an, welches deshalb von bejonderer Wichtigkeit ift, weil fie vom fpanie ſchen Gefichtspunkte aus geichrieben, uns die Hauptmotive der Politik

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Belgien. 193

Phiipp’6 IL und feiner Gehülfen und Anhänger enthüllt, welche die des Schutzes ver Religion waren. Mendocça fchilvert das allınälige Umfich- greifen der Lehren der Seltirer beim ganzen Volle, welches der Adel zu ken Sweden auögebeutet habe. ‘Den Bilverfturn von 1566 fieht er als das Werk einer in der Berfammlung zu Saint Trond unter den Hinptern der Aufitandspartei getroffenen Verabrevung an. Dem Gan⸗ ya ift eine Guiccardini entnommene Beſchreibung der niederländiſchen Previnzen vorangeſchickt.

Die trefflihen Anmerkungen des Herrn Herausgebers erleichtern das Eiubium des übrigens ſchon für fich ſelbſt fehr anziehenden Wertes, Der vorliegende erfte Band enthält die erften in Kapitel mit geeigneten Ueberfchriften yetheilten fieben Bücher.

Die Memoiren Warny's über die vom Prinzen von Parma gelei- tete Belagerung Tournay's im I. 1581 erftreden ſich ſammt einem Ap⸗ yenbig nur auf 40 Seiten und bilden den Anfang eines Bandes, in welchem eine Anzahl Eleinerer auf die nieverländijchen Unruhen und Aufs ſtände im 16. Jahrhundert bezüglihen Schriften veröffentlicht werben tollen.

Der königlich gefinnte Berfaffer dieſer Dentihrift, Philipp Warny aus Bisempierre bei Zournai, befand ſich in der belagerten und von ber heroiſchen Fürſtin Espinoi, gebornen Gräfin von Horned, vertheidigten Statt. Begonnen den 5. Okt., enbigte die Belagerung mit ter Ein- nahme der Stadt den 27. November. Der Berf. bemerkt am Ende fei- ser Erzählung, es feien 10,500 Kanonenkugeln auf die Stadt abgejchoi- kn und 594 Menfchen aller Klaffen in verjelben getödtet over verwundet werden. Der Anhang enthält die auf die Uebergabe der Stadt und ben glerreichen Abzug der Fürſtin und ihrer Truppen bezüglichen Aktenftüde,

V. Veröffentligungen der Commisaion royale de histeiro de la Belgique.

1. Compte rendu des Sdances de In Commission royale d’histoire ou Recusil de ses Bulletins. Troisibmo serie t. I. 3. et 4. Bulletin t. 11. 1.— 3. Bulletins.

Diefe vier Lieferungen enthalten außer ven Sigungsprotofollen und den in benjelben an vie Commiffion gejchriebenen Briefen eine nicht ges ringe Zahl wichtiger Geſchichtsquellen, Regeften u. |. w. Wir heben hervor:

a) Die Fortſegungen ber Liste analytique des documents concornant

Oiex iſche Zeitfgrift VL Bam, 13

19 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860.

l'histoire de ls Belgique conserres au Btate Papers- Office in Lonbon, ge fertigt von dem Seitens ber belgifchen Regierung auf ihre Kofen dahin gefanbten jungen Gelehrten van Bruyffel B. I ©. 151 8. Il. ©. 829.

b) Notice sur les Archives d’Aurich et d’Emden et les doocumens re latifs au soulevement des Paysbas jusqu’ à la mort de Guillaume de Taei- turne, vom Archivrath Dr. Klopp (I. 167).

c) Extrait de l’inventaire des archives de l’abbaye de Saint- Hubert redig6e en 1750 v. Hourt. I. 272.

d) Analectes historiques 8. Serie par Gachard I 311 - 296.

e) Douze lettres de Lacvinus Torrentius in Lüttich & Jean Fonck Garde de Sceaux pour les affaircs des Paysbas & Madrid (v. 1583 1585), mit- geteilt von Herrn de Ram, II p. 11— 62.

f) Venerabilis Gerardi Magni de Daventria (f 1384) epistolae VIII ex duobus codic. bibl. publ. Argentoratensis. Bon bemfelben (p. 66—IIT). Er iR Stifter der Congregatio fratrum vitae communis,.

g) Extraits della correspondance diplomatique des envoyds du Duc de Savoie Eman. Philibert pres la cour de Vienne pendant les troubles de Paysbas, mitgetheilt von Giuſeppe Erespi in Turin II. 229.

h) Notice d'un Manuscrit intitul& Cartulaire de van den Bergh, oom- servd aux archives de l’Etat & Liege, mitgetheilt von Stanislans Bormans (p. 276). Diefe von bem Lütticher Kanonicns v. ben Berg, eluf Wappen herold, angelegte und von feinem Nachfolger 3. Le ort forgfältig bewahrte Handſchrift enthält Kopialien von Urkunden, beren ältefte bem 10. Jahrhundert angehört und bie Ietten bein 16. Die von Herrn Arch. Bormans daraus fehr zweckmäßig gefertigten Negifter find um fo fchätenswerther, als bie alten 1794 nah Deutichland geflüchteten Urkunden des Hochftiftes Lüttich Yicht mehr anf zufinden find.

i) Abbrud einer Chronicum Diestense von 1142 bis 1530 nebſt Urkun⸗ den, mitgetheilt von Herren Reymalers, Prior der (wiederhergeſtellten) Abtei Bare bei Löwen, 1I, &. 392.

Noch haben wir einige der Conummiffion von Mitgliedern verfelben erftatteten Berichte zu erwähnen. Es find dieß:

a) der von Herrn Gachard über von Hohnck van Bapendrocht einem Canonicus Hollander als Verfaſſer zugefchriebenen Discours de troubles de Gand (1539 40) B. 2 ©. 250. Nah dem von ver Raiferl. öfterr. Regierung der belgiſchen überlaffenen Original (nebſt Concept) er- gibt ſich, daß dieſelbe offiziell ſchon 1540 gefertigte Denkſchrift einen bei- gischen Staatsrath Namens Louis de Schore zum Verfaffer bat.

Belgien. | 195

b) Die weiteren Berichte find bie der Herren de Ram und Borgnet äber den Stand und gejchichtlichen Werth ver Fortſetzung der Acta Sanc- toramı buch die fogenannten neuen Bollandiften.

Belauntlid, verdankt man dieſe Fortſetzung der Unterftügung ver belgi⸗ ihen Regierung. In den Rammerfigungen des Jahres 1860 wurde bie auf dieſe Unterftägung bezügliche Pofition des Staatsbudgets lebhaft ange griffen. Minifter Rogier fand ſich daher veranlaßt, Aufichlüffe hierüber zen der Geſchichtscommiſſion zu verlangen, welche ja vor 25 Jahren bie Forderung dieſes Unternehmens der Regierung empfohlen hatte. Die Com⸗ miifion beauftragte die genannten Mitglieder mit Abfaffung von Berich⸗ ten hierüber. Der des Heren de Ram begreift 72 Seiten (Il. p. 120 192) md ift aud in befonderm Abprud erſchienen; der Borgnet’s erſtredt fi nur von S. 192 198: beide erklären, daß das Unterneh» men wiſſenſchaftlich höchft wichtig fei und deſſen Ausführung Hinter ver ver ältern Bollandiften nicht zurückſtehe. De Ram theilt auch Auszüge eines von unſerem Per über vieje Angelegenheit gerichteten Briefes mit, in welchen der Wunſch, daß bie Fortſetzung des Werkes nicht unterbro- den werde, auf das Lebhaftefte ausgeiprodhen wird. Borgnet glaubt Einiges tadeln zu müflen, 3. B. den Aborud einer 700 ©. begreifenden Biographie der heil. Therefia.

Die Sommiffion ſpricht fih im Sinne beiver Berichterftatter aus mb beichlieht den Drud ihrer Referate im Bulletin. Herrn de Ram's Bericht ift als Annere S. 187 beigefügt eine Note sur la continuation des Acta sanctorum Belgii selecta von Ghesquière, weldye gleihfall® ven aenen Bollandiften übertragen ift.

2. Die zweite Beröffentlihung der Commiſſion ift die erſte Abthei⸗ ung des 1. ‚Bandes der Chronit von Dynterus. Dem ganzen ans 3 Quartbãnden beſtehenden ſeit 1854 erfcheinenden Geſchichtswerk fehlte bie jest der Anfang. Der Herr Herausgeber Herr de Ram veröffentlicht denfelben unter dem Titel:

Chronique des Ducs de Brabant par Edmond de Dynter en VI livres; publide d’aprös les M. S. de Corsendonck, avec des notes et l’ancienne tmduetion francaise de Jean Waugnelin. T. I. Prem. Partie: comprenant Fistroduetion, les opuscnles de Dynter et la table analytique des Matieres. Brux. 1854 60. 295 p. 4. Nebſt Borträt des Chroniſten (21. Bd. ber Gslicction).

13 *

196 Ueberfit ber Hiftorifchen Literatur von 1860.

Die Introduction enthält unfafjende Mittheilungen über Dynterus, feine Schriften, die Handſchriften jeiner Chronit und deren franzöfiide Ueberjegung, den Werth des freilich nicht immer kritischen Werkes u. |. w. Die angehängten Heineren Scrijten S. 1—69 find zwar nidt von Belang, verbienten jedoch den Abdruck. Vortrefflich ift bie auf alle drei Bände bezüglihe, von Herru Galesloot in Antwerpen ge fertigte Table analytique des matieres. Sie wird namentlich unſeren deutſchen Geſchichtsforſchern fehr willlommen fein, weil fie ihnen vie Ve nützung des auch für die Geſchichte Deutſchlands wichtigen Wertes, wenn nicht erft ermöglicht, Doch weſentlich erleichtert.

VI. Beröffentlihungen ver Academie royale des Sciences des lettres et des beaux arts.

Annuaire de "Acad&dmie royale des Sciences des lettres et des beaux arts de Belgique pour 1860. XXVI. annde. Brux. 1600. 285 © 8.

Die in diejem Bündchen des Jahrbuchs ver gl. Akademie veröffent- lichten Biographieen find: 1) die über den am 23. Dezember 1779 geborenen und ten 28. Dezember 1858 verjtorbenen Botaniter Dr. 4. 2. ©. Lejeune von Verviers verf. von J. Kickr. ©. 114 ff. 2) über ven Genter Prof. ver Mathematif Dr. 3. B. Muresta geb. den 9. September 1808 geftorben den 31. März 1858, von Quetelet (S. 129). 3) Die ven Schayes geb. ten 11. Jänner 1808 + d. 8. Yan. 1859 von Chalon S. 139. 4) die Biographie des k. niederl. Staatsmannes von Ewyck, früher Chef des Tepartementd des höhern Unterrichts im Minifterium des Innern und Mitglied der Akademie, geboren 1786 + 1859. Bon Quetelet. ©. 157. 5) van Ch. Morren, Prof. der Botanik zu Lüttich geb. 1807 in Gent F 1858 vom Sohne dejjelben. S.163- 251. Mit Ausnahme Der van Ewyk's ftehen allen Biographien in Stahl geftochene jchr gut getroffene Porträts ber verjtorbenen Akademiker voran und ift ihnen eine Lifte ihrer ſämmtlichen Schriften und in Zeitſchriften veröffentlichten Artikel beigefügt.

Das Ende 1860 ausgegebene Annuaire für das Jahr 1861 enthält ©. 129— 186 eine fehr in's Einzelne gehente Lebensſtizze des den 22. November in Athen gefterbenen berühmten Parijer Akademilers Ch. Lenormant, Afjocie der Akademie von I. de Witte in Antwerpen.

Die im Jahre 1860 erjchienenen Bände IX und X des Bulletin

Belgien. 197

ter Aladmie enthalten außer ber oben fchen aufgeführten Notice sur la aaptivite de Francois | von Herrn Gachard noch eine Notice von Herrn Teämet sur la Renaissance de la ville de Gand, apres la retraite des prats da Nord (IX 287) und in Band X von Herrn Kervyn te Let- timbeve, a) ein Fragment de l’histoire des Croisades ©. 365; b) Le proc&s de Robert d’Artois (im 15. Jahrhundert) premiere partie p. 641.

In beiden Bänden it mehrmald von ven Verhandlungen über tie Anstäbrung der fgl. Verordnung vom Jahre 1845 bie Rede, in welcher ter Akademie tie Ausarbeitung einer Biographie nationale aufgetragen worte. Berichierene Commiſſionen waren mit ter Feſtſtellung eines Pla⸗ nes tiefes Unternehmens beſchäftigt. Baren ven St. Genois, ihr leßter Kerſtand, machte den 10. Mat 1860 über ihre Bejchlilife einen (auch bes ſenders gebrudten) Rapport sur les moyens de metire en execution l'ar- rete royale vom 1. Dezember 1843 en ce que qui concerne la publi- cstion d’une biographie nationale (37 ©.) mit Angabe der hiezu als Inellen zu benützenden Schriften. ‘Der vorgelegte Entwurf wurde gut gebeifen und vom Minifter Rogier ben 29. Mai 1860 beftätigt (S. 35, 37 und des Annnaire von 1861 ©. 76) und dann tie Mitgliever ver Redactionscommiſſion ans ben drei Claſſen der Akademie ernannt. Gie keftebt aus 16 Mitglievern, Präſident ift Baren von Et. Genois und Sekretär Er. Fetis. (Ebend. S. 97). Cine Notize über ten Gang Die ier Angelegenheit findet ſich in demſelben Annuaire S. 106, tefigleichen ame über tie Ausführung des Tal. Beſchluſſes Letreffend eine durch vie Atademie zu verfalfente Kunſtgeſchichte (S. 11-4) jowie über bie Ar- ten Der Commission pour la publication des anciens monuments de la Atterature flemende (p. 103). Zwiſchen 1857 1R60 find erjchienen s; Maerlants Rhymbibel herausgegeben von David b) deſſen Naturbioe- men berausgegeben von Bormans e) deſſen Aleranver Geeften herausgege- in ven Suellaett. TV Reröfenligungen ter Commissi’n reyale pour la publication des anciennes lols et erdon-

nances de la Belsique.

Proces verbaux des Seances. Tome III. Cahı. 3 et 4.

Brux. 1859. 8.

Liste chronologique des ddits ot ordonnances de 1a prineipauted de Lidöge de 1507 A 1684. Brux, 1860. 8.

198 Ueberfiht der hiſtoriſchen Literatur von 1860.

Beoueil des Ordonnances des Paysbas autrichiens. IN. Serie 1700 1794 t 1 cont les Ordonn. de 18. Nov. 1700 au 23. Jun. 1706 publi6 par M. Gachard. 1 Vol. fol XXXVI uub 873- 8. f. Brux. 1870. fol.

Becueil des Ordonnances de la princoipaute de Lidge. II. Serie 1684 1794 II. Vol. cont les Ordonn. du 10. Mars 1744 au 5. Jun. 1794 par M. Poloin. Brux. 1360. IX und 1084 ©. fi. 8.

Zu den unvergänglichen Verdienſten ber belgiſchen Regierung ge bört auh das fait unabfehbare Unternehmen der anf Staatsloften ver- anftalteten Herausgabe aller, einft (vor 1799) in ben verfchievenen Pros vinzen geltend geweſenen Rechtsquellen. Der Gedanke dazu wurbe 1846 von dem damaligen Juftizminifter Baron von Anethan Sr. Majeftät vorgetragen, von legterer bereitwilligft aufgenommen ; jofort eine aus ju- riſtiſchen uud Hiftorifchen Notabilitäten beftehende Commiffiog ernannt, weldye nicht zögerte, ihre fehwierige, umfaſſende Thätigkeit zu beginnen. Bon 1846 auf 1848 gab fie den erften, 1852 ben zweiten Band ber Protololle ihrer Sigungen wit einer Maffe von Rechtsdocumenten und von da bie 1860 den dritten, jedesmal in periodifch erſcheinenden Heften, heraus.

Sie ließ ferner ihre Vorarbeiten druden: nämlich chronologifche Berzeichniffe ver Edicte und Verordnungen. a) ber öfterreihiichen Nieder» ande 2 Bde. b) des Fürſtenthums Lüttich c) des Fürſtenthums Stave⸗ lot und Malmedi, jedod nur die der dritten Serie d. h. die der letzten Geſetzgebung der Länder angehörenven Altenftüde. Endlich erichienen brei elegant gebrudte Foliobände der Verordnungen und zwar bes Fürſten⸗ thums Lüttich von 1684 bis 1794 und der öftereihiichen Niederlande von 1700 bis 1706. Die Herausgabe der eriten bejorgte Herr Bolain, ber zweiten Gachard, Männer, deren Name fchon für das glüdliche Ges lingen des Unternehmens bürgen.

Ref. machte vom Anfang deſſelben und dem Erſcheinen des 8. I des Recueil des Ordonnances de Liege ausführliche Drittheilungen in ben Gel. Anzeigen ver k. bay. Afatemie des Jahres 1857 Bd. XLV Nro. 47 bis 48 ©. 348— 359 und 378 383. Da ihm zum Zeit noch eim Theil der Sigungsprotofolle und ver chronologiſchen Piften fehlen, fo bes hält er fi vor, in einem folgenden Bande dieſer Zeitfchrift einen voll- ftänbigen Bericht über dieſe auch für die Gefchichte Deutſchlande fo ſehr delangreidhe Publication zu veröffentlichen.

Belgien. 199 VOL Vereins, und Zeitſchriften und dgl. 1) Revue historique et d’Archdologie. t. ll. Bruxelles.

2) Annales historiques, politiques et litdraires V. annde (Liege). 3) Annales do la Bocidte archdologique de Namur. t. VI.

4) Revue de lanumismatique belge, publide par M. M. Chalon et Piot, t. IV. 168 p.

5) A. Piuchart, Archives des arts, sciences et lettres. Doeuments inddits. 1. Serie. t. I. Bruxglies.

6) Journal hist. et littdraire de Liege, publid par M. Kersten. t XVII. .

7) Bulletin scientifique et littöraire du Limbourg. Tongres.

8) Bulletin del’Institutarchdologique Lidgeois. t.’IV. Livr. ie II.

9) Mdmoires de la Bocidte d’Emulation de Lidge: process verbaux et pitces couronndes: nouvelle Serie. t. 1. Litge 1860. XXIV e.548p. 8.

10) Messager des Sciences historiques annde 1860. Gand. 28 p- 8.

11) Revue trimestrielle, redigde par M. van Bemmel. Brux. 25 28. 12.

Sämmtliche bier aufgeführte periodiſche Blätter find Fortſetzungen ver ım Bd. IV dieſer Zeitichrift 1860 S. 264 270 vom Refer. bes ihriebenen oder bezeichneten Zeitjchriften. Leider find nur die brei legten zu jeiner Kenntnißnahme gelangt und vom Inhalt des unter Nr. 8 aufs geführten Bulletin de Pinstitut archeologique Liegeois oben (S 182) das Röthige gejagt worden.

Tie Memoires der Societ d’Emulation find in ein neues Stabium getreten: flatt eines Meinen Bändchens haben wir jet einen mit Yurus gerrudten diden Octavband vor und, ber von dem großen Eifer ber Geſellſchaft ein rühmliches Zeugnig ablegt. Man ficht überall die kräf⸗ tige Hand ihres thätigen Geſchäftsführers Hrn. Ulyfſſe Capitaine. Leider

200 ucherſicht ber hiſtoriſchen Literatur bes Jahres 1860.

entbält tiejesmal ver Band als gefränte hiftorifche Abhandlungen mur zwei Preisſchriften über vie Fertichritte ver Eiſenbahnprodultion im: Lüttich’jchen ten Fraquete unt v. Warzee. g

Ter Genter Messager des Sciences historiques enthält in feiner Ab⸗ theilumg Notices et Dissertations treischn abermals ſehr gebiegene Ar⸗ beiten und in der Chronique des Sciences et arts werthvolle antiquari⸗ {he und literariihe Mittheilungen. Elf Stahlflihe zieren ven Band. Beſonders lefenswerth fine vie Geichichte ter Kirche Notre dame au Lac zu ZTirlement von Moulaert (S. 1 u. 183), die geſchichtliche Beſchrei⸗ bung des geweienen Dominicanerklofter8 und feiner Kirche zu Gent von von ter Meerſch S. 149 und der St. Quentinskirche zu Hafſelt von Schaepkens S. 297.

Bon beſonderem Intereſſe iſt der ©. 495 gegebene Nachweis des däniſchen Urſprungs tes ben Beffroithurm zu Gent ſeit Jahrhunderten ſchmückenden, ven Conſtantinopel nach Flandern gebrachten vergoldeten Drachen von Bronce. Dieſen Urſprung hat 1859 Dr. Kiern in Kopen⸗ hagen nachgewieſen, deſſen Abhandlung darüber franzöſiſch im Meſſager wiedergegeben wird.

Die Belgien betreffenden hiſt. Artikel ver Revue trimestrielle find von zweierlei Art, nämlich 3. eigene Abhandlungen wie 1) Le roman de le cour de Bruxelles sous Isabelle von Camille Bique (B. 1 ©. 171-207) 2) Jottrand's Biographie von de Potter (II. 5— 104), 3) Un Vaudois beige (im 12. Yahrhundert von GC. var der Ef. Eben. ©. 173). 4) Leitres sur l’histoires de la Belgique von P. A. %. Gerard 111 ©. 152 Ill, 193 222, die eine neue lejenswertbe Erklärung der Urfachen und des Zweckes der Normänniihen Raubzüge in den karolingiſchen Reichen geben. 11. Kritiſche Anzeigen neu erjchienener Schriften über beigifche Geichichte von van Bemmel, z. B. die im B. 1 ©. 301 gegebene Ueber⸗ ſchau ter periopifhen Schriften der hiftorischen Bereine im Lande, melde Nefer. 1860 in feiner eigenen eben angeführten benüst bat, und eine Re⸗ cenfion von Henne's Geſchichte Carl's V. 3. 11. ©. 370,

TR. GEultwurgefhidte und Varia.

1) F.N.J.G. Baquet, Analectes pour servir & l’histoire de l’Universitö de Louvain. 122 p. 8.

Belgien. | 201

2) Annuaire de l’Universitd catholique de Lourain. 26 ımde LXXXII u 824 p.

3) Annuaire de l’Universite deLidge. I. annde 1859 60. XXIV u. 490 p. 8. j

3a) Catalogue des Livres et Manuscrits, formant la biblio- de M. J. B. Th. De Jonghe, Officier de l’ordre de Leopold. Brux. 1860. Ul vol. 8.

4) F. van der Haeghen, Bibliographie Gantoise. II. Partie. 17. Sieele.

5) Oouvres de Marnix de Ste. Aldegonde, publids par de Croix. Brux. t. VII. 500 p.

6) P. Laurent, van Espen, Etude historique sur l'’Eglise et IEtat en Belgique. Brux. 218 p. 18.

7) M&moires du prince de Ligne suivis des pensdes du prince, «& preed6 d’une introduction par A. Lacroix. Brux. 286 p. 8.

8) Calendrier Belge, fetes religieuses et civiles, usages, croyances et pratiqnes populaires des Belges anciens et modernes par le Baron de Reinsberg-Duringsfeld. Brux. 1860.

9) Essais sur les grandes dpoques de notre histoire nationaleet melanges politiques ct litteraires par le Baron de Gerlache. Nouvelle “dition. Bruxeles 1859. 2 Abtheilungen. 222 u. 260 ©. 8,

10) Th. Juste, La Belgique en 1860, Brux. 136 8. 8. Mit fth. Borträt bes Könige Leopold.

11) La Belgique inddpendante par J. Boniface (Le Defred) Brux. 120 p. 12.

12) La Belgique et 1’Empire Francais. Brux. 1860. p.1 28.

Die vier Lieferungen des unter Nro. 8 aufgeführten Calendrier Belge vom beutichen Baron v. Heinsberg » Düringsfeld find der Anfang eines hechſt verdienſtvollen zugleich unterhaltenven Beitrags zur belgifchen Eittengeihichte. Es werben darin vom 1. Januar an bie religiöjen Feſte jeden Zages mit allen dem Berf. fund geworbenen Eigenthümlichkeiten oft in den Heinften Dertlichleiten bejchrieben und dieſe Seite des Bolle-

202 Ueberfiht ber hiſtoriſchen Literatur bes Jahres 1860.

lebens in anziehenver Weije geſchildert. Mit Hecht fagt ber Berfafler, Belgien fei im wahrſten Sinne bes Wortes das Land ber Feſte immer geweien, und fei e8 noch jett. Neben ven religiöſon Teierlichkeiten, deren nicht felten heidniſcher Urjprung nachgewiefen wird, fanden allerlei welt⸗ liche Boltbeluftigungen ſelbſt feurile Aufzüge ftatt, mande Wohlthätig- feit8acte wurben ausgeübt, und das Anvenfen an vergangene Zeiten zus rüdgerufen. Daß manches Abergläubiiche zu erbliden ift, erklärt fich ans ben Zeiten des Wunderglaubens, genährt buch fromme Legenden und Sagen. Welches felbft proteftantiihe Land hat nicht dergleichen aufzu⸗ weijen? Dieje Vollsfeſte jchildern uns anjchaulicher als es fonft gefchehen könnte, die Gulturhöhe der Zeiten, die Anhänglichleit der Bevölkerung an das Hergebrachte und ihre Verehrung religiös fittlicher Ideen, follten die⸗ ſelben auch etwas materiell und craß fein, wie man von dem Bildungs ftand ver unteren Boltsichichten nicht anders erwarten kann.

Baron dv. Keinsberg- Düringsfeld zeigt in der Durchführung feines Unternehmens, daß er ein deutſcher Gelehrter ift, dem Gründlichkeit und Wahrhaftigkeit erfte Gejege find. Er hat fi mit der geſammten älteren und neueren religidjen und biftorijchen Literatur Belgiens vertraut ges macht, reiste im ganzen Lande umber, um unendliche Belehrungen über die Ortsfefte und Gebräuche zu erhalten und jpricht in der Vorrede fie- benzig ihm in feinen Nachforſchungen unterftügenven Freunden in allen belgiſchen Provinzen, worunter mir Namen von beiten Klang begegnen, feinen Dank aus,

Eine Hauptunterftügung fand der Verf. in Corremans zu Bräffe, beffen Wert l’Annee de l’ancienne Belgique ihm als Vorbild diente und jehr oft in den Noten angeführt wird, neben andern zum Theil wenig bekannten Schriften.

Auch befliß ſich der Berf., mandes in den flamändiſchen Provinzen vorkommende mit Hülfe germaniftiich-philolegiicher Erupition zu erflären. Der mit dem religiöjen Yeben anderer katholiſcher, auch proteitantijchen Länder befannte Yejer des Calend. beige ſieht alsbald, daß viele Feſt⸗ inttäten, Uebungen u. f. w. nicht belgiich » national, jondern germaniſch⸗ hriftlich find, fo daß ihm deren Schilverung nım in fo weit Neues bietet, al8 in dem von Berfafler bejchriebenen Ortsgebrauche dieſelben eigenthümliher Art waren. Das Hinweilen auf das anderwärts vor kommende wäre baber erwünjcht geweſen.

Belgien. 203

Nach dem Titel des Wertes Nr.9 von Hrn. v. Gerlache erwartet man darin eine wiſſenſchaftlich begründete Feſtſtellung und eingehende Charalters zichnung ber Hauptperioden ber belgiſchen Geſchichte. Allein das. Buch ent« Kit ner die zu verjchievenen Zeiten zum Theil in Yulletins der königlichen Alademie veröffentlichten Memoiren und Vorträge des Berfaflers, deren Tendenz weniger eine objectiv hiſtoriſche als eine religiös » politiiche ift. En ver liberalen Partei im Lande angehörender Schriftfteller Felix del Habe gab im zweiten Banve ber Revue trimestrielle vom Jahre 1857 ame ſehr fcharfe, nicht wohlwollende Kritit Gerlache's als Hiftorifer, und führte aus, wie derſelbe durch und durch politiicher Barteimann , der zur Zeit feiner Rücklehr in jein Baterland noch vom literarifch freifinnigen Geifte des Jahrhunderts befeelt, almälig, nach einer einflußreichen Stel- bag firebend, fih an die Spige der damals ſog. katholiichen Oppoſitions⸗ yartei flellte und mit Umſicht fortjchreitend im Jahr 1831 zuletzt Präfi- vent des Rationalcongrefies wurde. Es mußte für Herrn v. Gerlache eine ſchwere Aufgabe fein, in fi das Hevolutionsprincip mit dem Gehorſam gegen die Obrigfeit, welchen die Kirche gebietet, in Einklang a bringen.

Es gelang ihm in ver Weife, daß bis zur Confolibirung des neuen Königreich8 er das erfte vorherrfchen ließ, daß aber nachher in fteigenver Kogreffion in jeiner politiihen, wie in jeiner literäriſchen Thätigkeit das zweite bie Oberhand gewann, jo zwar, baf er in ver feinen Oeuvres auverleibten neueften Auflage jeiner belgiſchen Geſchichte als Bertheiviger Fhilipp IL auftritt. ©. die Revue trimestrielle von 1861 Bd. II. &. 356. Jedvenfalls ift e8 richtig, daß Herr von Gerlache entſchieden mehr politiſcher Schriftiteller als Hiftorifer ift; feine gejchichtlichen Ar⸗ keiten find von dem eben bezeichneten Geiſte durchdrungen. Man zug dieß bemerken, um das Verſtändniß auch des vorliegenden Bandes feiner Werke und deren richtige Beurtheilung zu ermögs ihen und die Variationen in feinen Anfichten in feinen früheren und fpäteren gefchichtlichen Arbeiten fich zu erklären.

Die erſte Abtheilung des Gerlache'ſchen Wertes führt den Titel Ktisnges historiques , und enthält eine Reihe von geiftreih und claſſiſch geſchriebenen Abhandlungen, die fi zwar auf Ouellenſtudien ftügen, fich aber doch mehr auf der Oberfläche bewegen und im Grunde wenig Neues bieten. 1) De l’Etablissement du Christianisme en Belgique Nro. 1,

204 Ueberſicht der hiftorifchen Literatur bes Jahres 1860.

2) St. Benoit, Patriarch des Moines d’Occident p. 33. 3) Charlemagne ©. 55. 4) La Feodalit, la Chevalerie, et les Communes eu Belgique pP. 9... 5 et 6. La Commune Flamande et Jaques d’Arteveide mit einer Antwort auf die Kritik diejer Arbeit Seitend ver Herrn db. St. Genois und Kervyn ve Lettenhove (S. 121—143). 9) Notice sur la suite de la Chronique de LiMuisis S. 169. 8) Charles Quint et Clement V. ©. 201. Ziemlich am Ende des erften Aufſatzes Nro. 31 findet man eine Apologie des Mönchweſens, welches 1792 nicht aufgehoben ſon⸗ bern jeiner urfprünglichen Beſtimmung gemäß hätte reformirt werden jollen. Der zweite Aufjat endet mit einer Zujanmenftellung des vielen durch den DBenebiftinerorven Belgien im Mittelalter zu Theil gewordenen Guten. Die dritte (S. 61) giebt eine dem erften günftige Parallele zwi⸗ ihen Karl dem Großen und Napoleon. Unter den in der Iten Abhand⸗ lung ausgelprochenen Anfichten ift vie La commune est sortie de Ia feo- dalits bemerfbar aber nicht näher begründet. In ver Polemik gegen Artevelde befenut fich der Verfaſſer ald Gegner ver in Flandern herrſchenden Anficht, daß dieſer wirklich mit ſtaatsmänniſchem Geiſte begabte, fieben Jahr das Yand regierende Volfsführer cin Charakter von politijch-moralis ichem Geiſte gewejen jei. Er fagt von ihm ©. 150: Je ne saurais voir dans Artevelde qu’un terrible dictateur populaire; je n’aime pes la tyrannie sous quelque forme qu’elle se presente, que ce soil un tribua qui l’exerce ou bien un despot, je crois devoir la fletrir &galement.

In der letzten Abhandlung ſpricht ver Verfaffer S. 202 auch über die Reformation. In deren Studien find Audie und der Abbe Rohr⸗ bacher feine Autoritäten. Seine Anſicht ift, Luther et Calvin, ces grands heresiarques en XVI. siecle, n’ont pas fait la reformation, pas plus que Voltaire et Rousseau la revolution de 89. Beite waren mır Xes präfentanten ihrer Zeit, und jelbit Papſt Hadrian hatte Hecht, wenn er über bie Berterbtheit der Kirche jelbft in jeinen Centrum tagte (S. 213). Indeilen war dieſe durch fich felbft zu reformiren und that es im Concil von Trient. Allein heißt es ©. 219: En me&me temps le Lutheraniswe poursuinit son oeuvre de destruction, organisait l’anarchie rompant le lien, qui existait jadis entre les nations, frappant le Christianisme sp coeur, et poussant par son principe même ä l’ancantisme de toute croy- ance. Ferner S. 221: On bouleversa le monde du XVI Siöcle avec le mot reforme, comme ou le bouleversa de nos jours avec les

Belgien. 205

mots libert& et progres u. |. w. Die zweite Abtheilung des vorliegenden Bades mit der Ueberſchrift: Melanges politiques hat ven Specialtitel: Esssi sur le moavement des partis en Belgique depuis 1830 jusqu’ & B0S jours, " suivis de quelques reflexions sur ce quon appelle les grands pincipes de 1789, 3me edition corrigee et augmentée.

Dieje politiihe Flugſchrift erjchien zuerft ohne Nennung ihres Ver⸗ faffers im Jahre 1852 und fand nicht blos im Lager feiner politijchen Gegner, jonvern jelbft im eigenen großen Widerſpruch. Als Motiv, dies kite ver Sammlung feiner Werke einzuverleiben, wirb in einem kurzen Sorwort angeführt, daß deren Erhaltung den künftigen Gefchichtsjchrei= bern Belgiens einft von Werth jein dürfte als Schilverung der Unmands lung, welche in ven Anjichten der politifchen Barteien feit 1830 vorgegangen ei Der Berf. ıft mit berjelben aber keineswegs zufrieden, indem er aus⸗ mit: Combien sommes nous aujourdhui loin de notre depart! Er fchilvert tem Kampf des Jahres 1830 31, die Fehler des Congreſſes. Die tatbofiten machten ver liberalen Partei zu viele Concejjionen; vie Union beider dauerte nur bis 1840. Seitdem vie jchroffen Gegenſätze ber Cle⸗ rtalen und Liberalen, in deren letten Schooße die Clubbs und die für Kirche und Staat gefährlihen Maurerlogen ihre jubverfive Thätigkeit eatwideln. Mit großer Energie zieht der Ber. gegen die Zeitrichtung des Liberalismus zu Felde.

Dem Essais sur le monvement des partis find angehängt: eine An⸗ zahl Reden des Berfaiters, ferner an Journale gerichtete Briefe u. j. w. unter beſonderem Titel ©. 170: Pensees morales, politiques et litteraires ; ebgleich nicht alle von gleihem Werth, find fie geijtreich gefchrieben, und xenn auch nicht felten von Befangenheit zeugend doch ehrenvoll für bes Verfaſſers Charafter.

Die unter Nro 10— 12 bezeichneten Flugſchriften find ver Ausdruck mergiicher Proteſtation gegen Frankreichs Annerionsgelüfte und ver hoche berzigen Begeifterung des evelften Patriotismus. Aus dem letzten Schrift- lein erfchien den 14. Juni 1860 in der Beilage zu Nro. 161 der Augsb. Allg. Zeitung ein Auszug. Das Schriftchen von Defres, dem berühmten entifleritalen Bamphletair, erinnert an bie gegen ben macebonifchen Phi⸗ lipp im Athen gehaltenen Reben des Demofthenes, und Th. Juſte's Schil« derung ber dem König 1860 im ganzen Lande gegebenen großartigen Gehe zeigt uns die Geſinnung des Bolles, deſſen kräftige Freiheitstiche

206 Ueberfiht ber hiſtoriſchen Literatur bes Jahres 1860.

und treuefte Anhänglichkeit an ven Fürſten, auf welchen als einen feiner würbigften Söhne Deutſchland ftolz zu fein alle Urfache hat. Schließlich ift noch einiges über das unter Rro.3 a aufgeführte Bücher- und Handfichriftenverzeichnig der vom Nov. 1860 bi8 Ende Januar 1861 m Brüffel öffentlich verfteigerten Bibliothet des den Mär; 1860 verftorbenen Dr. 3. B. Th Dejonghe mitzutbeilen, eines Katalogs, deſſen leßter Theil von Nro. 5210 bis 8112 eine wiſſenſchaftlich georbnete, faft vollftändige hiſtoriſche Bibliographie Belgiend und theilmeije der nördlichen Nieder» lande enthält. Eine kurze Biographie des ehemaligen Herrn der Samm- lung ift verangeihidt. Refer. ftand mit diefem in jehr naher Beziehung. Sohn einer der angejehenften und reichten Familien Brabants wurde ber junge Dejonghe im Oftober 1818 den Referenten, damals Profefier der Rechte in Lüttich, übergeben, um, in deſſen Haufe wohnend, feine alade⸗ miſchen Studien an ber dortigen Univerfität zu machen. Er blieb an ber felden fünf Yahre und entwidelte eine von Jahr zu Jahr wachſende Nei⸗ gung zu ernften, grünblichen, namentlich hiſtoriſchen Studien. Den Bes weis ihres glüdlihen Erfolges legte er 1823 in feiner umfangreichem, von ihm unter des Refer. Teitung allein ausgearbeiteten, aud in Deutſch⸗ land anertennend aufgenommenen Inaugural-Diflertation: de matrimonie ejusque impedimentis ab. Drei Jahre fpäter ward er im nieberlänpiichen Minifterium des Aeußern angeftellt und nahm 1831 erft nach ber facti» ihen Zrennung ver belgifchen Provinzen feinen Abſchied, trat aber nicht wieder in den Staatödienft, fondern wiomete fi ganz und gar den Stu dien. Sein Hauptbeftreben war die Bildung einer vorzugsweife bifteris ſchen Bibliothef, in welder die Geſchichte feines Vaterlandes fo vollſtän⸗ dig wie möglich vertreten fein ſollte. Ein Vermögen, das jährlich gegen 40,000 Franken Einkünfte abmwarf, fette ihn in ven Stand, feine zur Leidenſchaft gewordene Neigung zu befriedigen. Zulegt war fein fehr ge räumiges, dem Objervatorium zu Brüfjel gegenüber gelegenes Haus nur noch eine Bibliothek, in welcher die meiften oft mit größtem Lurus ein⸗ gebundenen Bücher in Glasſchränken von Mahagoni aufbewahrt wurben. Seit van Hulthem war keine fo ausgezeichnete Sammlung belgifcher Ge ſchichtswerle zu Stunve gekommen. Ihres Beſitzers ſchwache Geſundheit verhinderte ihn an gelehrten Arbeiten, wozu er in Folge ſeiner nicht blos bibliegraphiſchen Kenntniſſe wohl fähig geweſen wäre. Mit Liberalität geſtattete er die Benutzung ſeiner literariſchen Schätze den Freunden

Belgien. 207

ver Wiſſenſchaft. Lieblingsftudien von ihm waren Numismatit und He⸗ ralpif, in welchem Sache ihm, dem Mitglieve ver heraldiſchen Commiſſion, m Belgien Niemand gleihlam. Seiner gründlichen rechtshiſtoriſchen Kenntniffe halber ward er 1848 auch zum Mitglied ver Königlichen Com⸗ ziffien für die Herausgabe ver fänmtlichen Quellen des früheren Rechts m Belgien ernamnt.

Seine große 8112 Nummern zühlende Bibliothet war wiſſenſchaftlich geerdnet, was die fo ſehr gelungene Ausführung des Kataloge duch Hrn. Ruelens, Beamten ver belgiſchen Staatsbibliothek, fehr erleichterte. Da ver Catalog in Deutſchland ziemlich befannt geworben ift, jo hat Nefer. nicht aithig, eine Beichreibung feiner Anordnung namentlih auch ver bel- giſchen Geſchichte zu geben: fonvern venjelben nur allen Gefchichtsfreun« ven insbeſondere den ſich mit hiftoriihen Stubien über die Niederlande befafſenden als die befte, leicht fich zu verſchaffende Bibliotheca historica belgica zu empfehlen. Eine nicht geringe Zahl Handſchriften finden fich in dem⸗ ſelben verzeichnet. Es ift nur zu wünjchen, daß in einem Nachtrag zum Catalog angegeben werde, wohin diefe, jewie anbere feltene Werte oft nur uica in Folge des Verkaufes gekommen find. L. A. Warnkönig.

Quinsonas, Eateriaux pour servir & l’'histoire de Mar- guerite d’Autriche, vergl. oben ©. 177.

Das voluminöfe, prächtig ausgeftattete und mit vielen Illuſtrationen, Aachimile 2c. gefchmüdte Werk entfpricht leiver durchaus nicht den Erwar⸗ tunen, welche feine äußere Erfcheinung hervorruft. Margaretha von Oeſterreich, die Tochter Marimilians, ift zwar eine von der belgiſchen Hifteriographie mit Vorliebe behandelte Berjönlichfeit, und es liche fi ſehr gut im Anſchluß an ihre Biographie eine Gejchichte der habsbur- gijch » burgundiſchen Politik im Beginn des 16. Jahrh. geben. Aber 3 ridleibige Bände mit bloßen Vorarbeiten dazu ift denn doch etwas zu riel. Und nun gar vie Beichaffenheit dieſer Vorarbeiten. Sie fcheis nen in ber That dem Berfafler bloß dazu zu dienen, feiner Indig⸗ nation Über die Berverbtbeit des 19. Jahrh., feiner Bewunderung des fronsmen Mittelalters Anlaß zu längeren Ercurjen zu geben, mit denen vie beiden erften Bände erfüllt find. Sie ftimmen jedenfalls unfere Er⸗

wortungen anf die vom Verf. in Wusficht geftellte Biographie Marga-

208 Ueberficht ber Hiftorifchen Literatur bes Jahres 1860.

rethens ſehr herab. Eine kurze Ueberficht über ven Inhalt wird zeigen, welhen Werth das Werk für die allgemeine Geſchichte hat.

Bd. 1 enthält bloß topographijch = hiftoriiche Beſchreibungen einiger Orte, vorzüglich Klöfter und anderer geiftliher Stiftungen, an denen Margarethe fih einmal aufgehalten, theils Auszüge aus Druckwerlen, theil8 auch Bearbeitungen urkundlichen Materials, das aber nur provin- zielle Bebeutung hat (betr. das franz. Departement Yin). Bo. 2 p. 1 273 gibt eine breite Erörterung über vie Grabftätten Margarethen und ihres Gemahls Hzg. Philibert v. Savoyen und die Beijegung ber Erfteren. p. 275 547 folgt ſodann eine Auswahl von Büchern über die Gejchichte der Jahre 1480—1530, die unter alphabetijch geordneten, ganz willfürlichen Rubrifen eine Menge Bücher in bunteften Gemifch anf- führt, deren Beziehung zu genannter Zeit ınan beim beften Willen nicht ertennen kann: wie 3. B. Bert’ Monumente, eine Ausgabe des Widnu⸗ find, der Loi Gombette, des Bocaccio, Werke über ven Einfluß der Krenz⸗ züge, Frankreich vor der Revolution u. |. w. An irgend welche Boll» ftändigfeit ift gar nicht zu denken, am wenigften für deutſche Geſchichte; der Verf. bat offenbar deutſche Zitel nicht leiden können. Werthvoll kann allenfalls Br. 3 genannt werben, der 36 meift unbelannte Dokumente auf jene Zeit bezüglich aus den Archiven von Turin und Pille enthält, die aber au zum Theil bloß Leichenconducte und Einkünfte vor Schlöj- fern ꝛc. betreffen.

Die der Berf. (I, X) in feiner Beſcheidenheit ſelbſt voransfieht, wird bie Nachwelt jein Werk weniger für ein gutes als für ein ſchönes Buch halten und weniger den Inhalt als „sa rarete et l’ex&cution typogre- phique“ loben. H. P.

10. Bie Niederlande.

Wir beginnen unfere Ueberfiht ber hiftorifhen Literatur ber Niederlande vom Jahre 1860 mit 2 Reben:

Dr. R. Fruin, De onpartydigheid van den geschiedschry- vor. Amsterdam, J. H. Gebhard. Borgetragen am 1. Juni, als Hr. Fruin bie Profeffur der vwaterlänbifchen Geſchichte antrat.

Dr. W. G. Brill, De juiste beschouwing der geschiedenis

Die Niederlande. 209

ia hare vrymakende kracht. Leiden, J. E. Brill. Borgetragen m 20. September beim Beginn bes neuen alabemijchen Studienjahres.

Algemeene Geschiedenis des Vaderlands, van de vroegste tüjden tot op heden. door Dr. J. Arend, voortgezet door Mr O. van Rees a Dr. W. G. Brill Derde deel, derde stuk. aflevering 1—9. Amsterdam, C. L. Schleyer en Zoon. Fortsetzung, siehe Jahrgang 1859.

L. Mulder, Handleiding tot de kennis der Vaderlandsche Geschiedenis ten dienste van hen, die zich tot de lessen by de koninkiyke Militaire Academie wenschen voor te bereiden, de druk. Leiden, ER J. Ball. 8.

J. c. de Jonge, Geschiedenis van het Nederlandsche Leewezeon. Vermeerderd met de nagelaten aanteekeningen van den over- kidsn schryver en uitgegeven onder toezigt van Jhr. Mr. J. K. J. de Jonge. 2. äruk. Haarlem, A. C. Kruseman. Aflevering 21 31. Fortsetzung.

sche Jahrgang 1859.

J. L. Hotley, History of the United Netherlands from the desth of William the Silent to the Synod of Dort. 2 volumes. Continental Copyright Edition. The Hague. Martinus Nyhoff.

—, De opkomst van de Nederlandsohe Republiek ut het Engelsch vertaald onder toezigt van Dr. R. C. Bakhuizen van den Beink. Aflev. 12 en 13. 'sGravenhage, W. P. van Stockum. Hetzelfde werk. 2. druk. 8.

—, De opkomst van de Nederlandsche Republiek. Tweede afdeeling, ook onder den titel: Geschiedenis der Vereenigde Ne- derlanden, sedert den dood van Willem den Zwyger tot op de Synode van Dordrecht, met een volledig overzigt van de worsteling van Engeland «a Holland tegen Spanje, en van den oorsprong en ondergang der Spaan- scho Armada. Uit het Engelsch vertaald onder toezigt von Dr. R. C. Bakkuisen van den Brink. Eerste aflevering. 'sGravenhage, W. P. van Stoekum.

J. van Vloten, Neerlands opstand tejen Spanje in zyn’ ver- deren voortgang, 1575—1577. Haarlem, A. C. Kruseman. Fortsetzung,

siehe Jahrgang 1859. Pifesitge Heitfärift VI. baud. 14

210 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860.

William H. Prescott, Geschiedenis der regering van Philips II, Koning von Spanje. Uit het Engelsch vertaald door Dr. W. J. A. Huberts, met eene voorrede van den Hoogleeraar W. G. Brill en eene levenschets van den Schryver. Aflever. 1 en 2. Zutphen.

Die Geſchichte Philipp’s II. von Prescott läßt fich faft als die Ge ſchichte des Anfangs der Erhebung der Niederlande gegen vie ſpaniſche Herrihaft betrachten, fo daß wir glauben, hier bie Ueberfehung des Wer⸗ tes notiren zu dürfen, der Hr. Prof. Brill eine intereffante Vorrede bei⸗ gefügt Hat.

C. L. Vitringa, Geschiedenis der Bataafsche Republiek, Tweede gedeelte (Gedenkschrift derde stuk), Arnhem, Js. An. Nyhoff ea Zoon. Fortsetzung, siehe Jahrgang 1859.

Bosscha,P., De geschiedenis van Oostelyk en Noordelyk Europa gedurende het merkwaardig tydvak van 1687 1716: opgehel- derd uit onuitgegeven brieven en andero oorkonden van Nederlandsche Staatsmannen. Zalt Bommel, Joh. Noman en Zoon.

Das Bud, enthält vie Correfpondenz Gisbert Cupers mit den Ges fanbten der Vereinigten Provinzen zu Conftantinopel Jacob Colyer, und dem Gonful de Hacepied zu Smyrna. Cuper war einer der einflußrei- hen Staatsmänner feiner Zeit, von König Wilhelm gejchätt und mit einer colofjalen Gelehrſamkeit ausgeftattet, Er führte einen weit ausge- dehnten Briefwechjel mit vielen bemertenswerthen Perſonen feiner Zeit, u. a. mit dem Bürgermeifter von Amfterdam, N. Witfen, aber auch mit berühmten Männern des Auslandes wie mit Leibnitz. Gegen das Ende feines Lebens wurde er zum auswärtigen Mitglieve ber Pariſer Alademie der Injchriften ernannt. Da er auf feinen Brief wechjel, wie er uns jelbft in einem unebirten Briefe an Witſen belehrt, große Sorgfalt verwandte, fo hinterließ er nad feinem Tode eine große Menge von Blättern, welche für die Literaturgejchichte dicchweg von großem Intereſſe find. Hr. Boſſcha, Profeffor am Athenäum zu Deventer, welcher einen raifonnirenden Catalog von Cuper's Manufcripten beraus- gegeben und fi außerdem viel mit ihm beichäftigt hat, veröffentlicht in dem vorliegenden Bande eine Reihe von Briefen, welche zwar des Intereſſes nicht entbehren, für deren Veröffentlichung man aber eine andere Form hätte wünjchen können. Was die Manujcripte Euper’s betrifft, fo finden

Die Nieberlanbe. 211

fie fi jeßt, nachdem fie lange Zeit in den Händen ‚von Privatperfonen waren, großentheils in dem königl. Archiv im Hang.

Gedenkstukken van Johan van Oldenbarnevelt en zyn tyd. Verzameld en met inleiding en aanteekeningen uitgegeven door M. L. van Deventer. Eerste deel 1577 1589. "sGravenhage, Martinus Nyhoff.

Die Papiere des Rathspenſionärs van Oldenbarnevelt wurben zur Zeit feines Prozefles mit Beſchlag belegt; aber obwohl der Vorſchlag dazu gleich nach feiner Verhaftung gemacht worben war, fo hatte Die Wegnahne der Papiere doch erft nach der Erecution ftatt. Man kann faum anneh» men, daß die Familie fie währenn der Monate, die zwilchen jener bei⸗ den Creigniffen verfloffen, unberührt gelaffen hat. Was davon übrig it, befinvet fi im Archiv des Königreihs und bilvet eine Sammlung von hohem Intereſſe wegen der Wichtigkeit und ber langen Dauer bes Miniſteriums jenes Staatsmannes, von dem fie herrühren.

Hr. van Deventer hat eine Quelle, welche jo fruchtbar zu fein verſprach, benugen zu miüjlen geglaubt, und bat fi) angeſchickt, fie zu durchforſchen, ein Unternehmen, das deshalb außerordentlich ſchwierig iſt, weil die Schrift Dlvenbarnevelt’8 beinahe umleferlich fein fol; das Face fünile, weldyes dem vorliegenden Bande beigefügt ift, beftätigt dies. Die⸗ fee Band reicht nur bis 1589. Mit Ausnahme einiger Papiere von prie vatem Charakter, welche zeigen, daß D. über ven Staatsgejchäften feine ägenen leineswegs vernachläfligte, findet man ba intereffante Details über ben Antheil, den er an der Bildung der Union von Utrecht gehabt hat, amd anßerben eine Fülle von Actenftüden über die Verhandlungen mit der Königin Elifabeth, die ſchon Motley in feinem neueften Buche benugt bat. Die Correjpondenz Oltenbarnevelt’8 mit den diplomatifchen Agen⸗ ten der Republik wird unzweifelhaft ein um jo helleres Licht auf die Ges ſchichte feiner Zeit werfen, als Oldenbarnevelt vie Seele der auswärti- gen Politik war: im erften Bande finden wir gleih bie Correſpondenz mit Ortell, dem Geſandten in London. Hr. v. Deventer theilt mit, daß er nicht das Glück gehabt habe, vertraute Briefe zu finden; wir bebauern das fehr, weil fo noch ein Schleier das private Leben des großen Staats» mannes verbirgt. Hoffen wir wenigftend, in ben folgenden Bänden eine große Zahl von Actenftüden zu finden, die fih auf die Feſtſetzung ber inneren VBerhältuifle der vereinigten Provinzen, auf bie Oldenbarnevelt

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158 Ueberſicht der hißtoriſchen Literatur von 1860.

Als Beitrag und Fortſetzung von Grimm’! Weisthümern gibt Dr. L. 4. Burdhardt in der dritten oberwähnten Schrift Abbrüde ver Hof⸗ töbel von 28 bajelgaw’ihen und elfafliichen Dinghöfen (von mehreren äl⸗ teen und fpätern Rebaktionen) aus ven Originalen ober alten Urbaren, nebft einer Abhandlung, welche die gemeinfame, zu Grunde liegende Re⸗ gel heraushebt und dadurch die Ueberſicht und das Berſtändniß ber man⸗ nigfaltigen einzelnen Beftimmungen erleichtert *).

Die vierte Schrift von Dr. I. J. Merian enthält eine fleißige, kurz⸗ gefaßte Infammenftellung vesjenigen, was über die Biſchöfe von Bafel von ältefter Zeit bis auf Bifchof Walther von Röteln (depos. 1215) be⸗ fannt if. In der Kritik der ältern Namen ftimmt Merian mit Mooher nicht überall fiberein.

Diejem reihen Schriftenfranze, ven das Basler Jubiläum hervor⸗ gerufen, ift endlich ans Bafel noch anzureihen:

Nenjahrsblartt für Bafels Jugend, h. von ber Geſellſchaft bes Guten und Gemeinnügigen. 38. Städ. Bafel, Mafl. 1860. 33 6. 4.

Geſchichte Baſels vom großen Sterben bis zur Erwerbung ber Landſchaft, 1349 1400. -y—

IV. Weftlige und ſũüdweſtliche Schweiz.

1. Memoires et documents publids par la socidte d’hi- stoire et d’archdologie de Gen&ve. Tome deuxitme. Genère ches Jullien freres, et Paris chez A. Allouard. 1860. 8.

Zunächſt erhalten wir von J. d. Blavignac, der fih durch feine histoire de l’architecture sucrée dans les &v&ches de Geneve, Lausanne et Sion (1853) zuerft befannt gemacht hat, durch den Abdruck von Bau⸗

*) Einem andern uns vorliegenden Referate entnehmen wir noch folgende Bemerkung: „Die Zufammenftellung über Beſtand und Arten ber Hof güter, Abgaben der Hofleute, Rechte bes Hofperru und Zwed ber Hub- gerichte, foweit die mitgetheilten Weisthämer den Stoff an die Hand ge- ben, ift lichtvoll; nur können wir ber Anficht bes Berfaflers ©. 40, baf die Dinghöfe oder Hubgeridte eine urbeutihe Einrichtung feien, ans vie- fen Gründen nicht beipflichten ; ſchon daß fie ben Bolfsgerichten in allen Gtüden nachgebildet find, was ſich ja auch bei den geiſtlichen Eendgerich⸗ ten in äbnficher Weiſe wieberhoft, verräth fpätere Entfiehung”. K.

Die Schweiz. 169

rechuungen urtumbliche Nachrichten über ven Ban des St. Nikolaus: Mün- ſters zu Freiburg in der Schweiz. Dieje Rechnungen find nicht allein intereilant für vie Geſchichte des Baues, ver jedenfalls zu den merkwür⸗ Ngeren ver Schweiz zählt, jondern aud für die Kenntnig der franzöjie iben Sprache jener Zeit, bie aud in dem halbveutjchen Freiburg niit ihrem allgemeinen Entwidelungsgange Schritt hielt. Ihr Vorrüden ge gen Tften bis Freiburg, da einft das Deutſche, wie urkundlich deutſch geichriebeue Ortichaftenamen z. B. Wülflingen, jest Vufflens u. a, m. tartbun, am Genferſee geſprochen wurde, jchreibt der Verf. mit Recht ver Herrichaft des ſavoyiſchen Hauſes zu, das einft aus ven Schluchten des Momicenis⸗-Paſſes herumterfteigend bald am den Genferfee gelangte mp endlich durch Graf Peter II. mit Lift und Gewalt feine Exroberungen dis nach Freiburg, Murten und Oümminen faft bis an die Thore Berne ansdehnie. ALS umgefehrt Bern jpüter feine Eroberungen bis über ven Genferſee ausbreitete, umterließ es zu feinem eigenen Schaden, vie deutſche Sprache wieber einzuführen. Wie hätte es die Waadt enger am fi und Die deutſche Schweiz gefeſſelt!

Blavignac ließ zehn Rechnungen aboruden, welche vie Koften des Banes vom 24. März 1470 bis 1490 enthalten. Ein beigefügtes Gloſ⸗ jar hilft zur Entzifferung der undeutlichen Ausprüde, von welchen indeß viele dentſch find. Zu bemerien ift, daß die älteren Rathsbücher, Bro» tolelle u. |. w. in Yreiburg bis Ende des 16. Ih. geführt worden.

Es folgt (S. 189) die amtlihen und zeitgenöjjiichen Aufzeichnun⸗ gen enthobene Darftellung „Du rolle politique de la Venerable compagnie dans l’ancienne republique de Geneve, specialement dans la crise de 1734 et annees suivsntes. Bekanntlich hatte Calvin, Theolog und Juriſt, als Geiftliher und Staatsmann die kirchliche und pelitifche Gewalt in Genf geeinigt, von dem Grundſatze ausgehend, daß das Irdiſche dem Leber» irdiſchen, das Zeitliche dem Ewigen ſich zu unterziehen habe. Nach des großen Reformators und Politikers Tod beeilte ſich die weltliche Macht wieder ihre Herrſchaft zu gewinnen und die Kirche ſich unterthan zu ma⸗ chen. Daher mußte denn auch ver junge Geiſtliche, bevor er das Pre⸗ digtant ausüben Turfte, unter Anderm ſchwören: „‚Tiercement, je pro- Weis ei jure degarder et maintenir de mon pouvoir l’honneur et profit de la Seigneurie et de la ville, mettre peine entant qu’ & moy sera pos- sible, que le peuple s’entretienne en bonne paix et union sous le gou-

160 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur ven 1860.

vernement de la Seigneurie, et ne consentir aucunement & 06 qui comire- viendrait & cela“.

Der Ber. weist nım nach, wie bie Geiftlichkeit von Zeit zu Zeit diefer dienenden Stellung fih zu entheben ſuchte. Ihr Selbftgefühl machte fie auf ihre Stärke aufmerkjam, melde hauptſächlich darin beftaub, daß fie jeden Augenblid die Maſſe des leicht entzündlichen Genfervolles für oder gegen die Regierung ſtimmen Tonnte. Auffallend ift, daß, ob wohl eine bedeutende Anzahl Rathögliever viele nächte Verwandte unter der Geiftlichkeit hatten, wie die de la Rive, Lullin, Le Clere, Le Fort, Tichet, Trouchin u. f. w., dieſe nichts beftoweniger auch mit gegen ben Rath auftraten. Died war gerade im Jahre 1734, im welchen ber ger gen die Ufurpationen des Raths ſchon längft gährenne Sturm zum Ws bruche kam. Hier mifchte ſich die ©eiftlichleit ein, die durch Pfarrwahlvorfchläge von Neubürgern vollsfreundlich ſich gezeigt hatte, und fuchte in chriſtlich⸗ religiöfem Sinne zu vermitteln, wie died der Verf. durch Documente dar⸗ tbut (p. 209). An Jean Tremblyh, Syndic de ia garde, findet der Verf. das Gegentheil von dem, was bis jegt Geſchichte und Ueberlieferung über ihn berichtete, daß er nemlich von ſtarr ariftofratifchem Charakter gewalt- thätig und tyranniſch gehandelt habe, und ſucht feine gewagte Behauptung durch Zeugniffe zu erhärten. Nebſtdem findet fih in feiner Darftellung Manches, was unfere Aufmerkjamleit in Anſpruch nehmen muß.

Den inbaltreihen Band beichließt: Note sur les antiquites Romaines decouvertes sur les tranchdes par Henry Fary.

2) L’ordre du college de Gentve. L’Olivier de Robert Etienne. A. Gendve. Leges Academise Genuensis. Oliva Roberti Stephaüi. Giemevas.

Eine Benertung am Schluffe gibt uns über ven Wieberabprud biefer Verordnungen und Geſetze Nachricht. Demnach find fie megen ihrer Seltenheit und als zu ven legten ‘Druden Robert Etienne's gehö- rend von 3. W. Fick auf Beranftaltung des Hrn. Charles Le Sort, Profeſſor der Yurisprubenz in Genf, zur eier des 300jährigen Inbi⸗ läums der Genfer Akademie (1859) gebrudt worden.

Wir bemerken darin die charakteriftiichen Eidesformeln für bie Pro⸗ fefiorem und Studirenden ver Alavemie Sie mußten an dieſer zur Be feftigung der Reformation geftifteten Schule, deren Gründer mit be Balladium der Glaubensfreiheit gegen ihre Gegner zu Felde zogen, einen ſtrengen Glaubenseid anf den calvinifch-reformirten Katechitenns ablegen.

Die Ehmeiz. 161

Reef Auderm mußten fie ſchwören, die Irrthümer Servedo's zu meiten, jenes fpanijchen Arztes, der um feines Irrglaubens willen un reformirten Genf verbrannt wurde.

3) Le livre du Recteur. Catalogue des dtudiants de l’Academie de Ge- nere de 1559 & 1859. Gendre, Imprimerie de Jules-Guillaume Fick, 1860.

4) Galiffe, J. B. G., J. U. Dr. Notices gendalogiques sur lcs famil- les Genevoises. Tome quatritme, seconde Serie, contenant les articles: Amesux, Auddoud en Franpe et & Geneve, Benoit à Gentvo ct & Berne, Boisier branche francaise, Duval & Geneve et en Angleterre, Fazy, Gautier, Horngacher, de Pitigny, de Sellon, de Sovernier, de Trie on France et A Gentve, de Visencier, Weber à Schwytz et & Gentve et divers matdriaux pour servir & l’historie de Gentve au XVI. siecle. Gentve, chez Jullien frtres, 1860.

5) Epistre de Jaques Sadolet Cardinal, envoyde au Senat et au penple de Gendve. Reimprime & Gentve par Revillod, 1860.

6) Jean Kessler, chroniqueur 8. Gallois. Notice par Edouard Fick. Dr. en droit et en philosophie. Geneve, 1860. 42 p. 12.

7) Le dernier Seigneur de Copponex par Jules Vuy. Gendve.

Diejes anmuthige Schriftchen theilt uns einen merkwürdigen Erimi« salrechtöfall mit, der im J. 1776 um und in Genf ſich zutrug und in jeglicher Beziehung für ganz unerhört galt. Herr von Gopponer, voll raubritterlicher Raufluft und ftarfem Selbftgefühl, ähnlich den Evelleuten aus ver Zeit des jog. Löffelbunnes (1530), gebrauchte, Recht und Macht der Genfer verachtend, unerlaubte Selbfthilfe und ward deßhalb, erft 30 Jahre alt umd reich, zu lebenslänglicher Kerkeritrafe verurtheilt.

8) Le dix-huititme siecle A l’dtranger. Gentve, 1860.

9) Les Suisses romands et les refugies de l’Edit de Nantes, par T. Gaberel. Paris, 1860.

10) Vie de Madame Loyso de Savoye, Religieuse au couvent de Madame Sainte Claire d’Orbe. Escripte en 1507 par uno religieuse. Gendve, 1860. .

11) Souvenirs d'un voyage en Suisse par un iconophile (Hermann Hammann de Gendve) publis Par la classe de Beaux-arts. Gentve, Ram- boz, 1860.

12) Memoires et documents publids par la société d’histoire de la Buisse romande. Tome XVII. Lausanne, Georges Bridel dditeur, 1860.

Diefer Band enthält einzig: Habilitations lacustres des temps anciens

et modernes par Frederic Troyon. 380 Figures, Teiereik, Treayan (Kal Oißsrifge Beirfgeift VL Band, 1\

162 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860.

in diefem umfangreichen Bande die Reſultate feiner Unterſuchnngen nieder, die er, veranlaßt durch einen Alterthumsfund auf feinem eigenen Lands gute, ſchon 22 Jahre fortgeführt Hat. Voll Eifer und Fleiß dehnt er feine Nachforfhungen über ganz Europa ans. Häufig verfügte er fi, aud weite Reifen nicht fcheuend, an Ort und Stelle, um gränblicher und fiherer unterfuchen zu können. Nichts deſto weniger mögen bin und wie ber Irrthümer unterlaufen oder Betrüger Täufchungen veranlaffen, wie wir denn auch ſchon Schneivefteine in Horn oder Knochen eingefügt mit hydrauliſchem Kalt (!) gekittet fanden. Wie uns Hr. Troyon mit tbeilt, befchäftigte er fich hauptſächlich mit der Unterjuhung von Yünben aus antifen Gräbern. Als aber durch Dr. Ferdinand Zeller jener merk würbige antiquarifche Yund bei Meilen im Zürichjee veröffentlicht umb dadurch ein ganz neues, bisher ungeahntes Feld zu antiguarifchen Nachforſchungen eröffnet wurde, machte fih Hr. Troyon nit nur mit ben gewonnenen Ergebniffen bekannt, ſondern durchforſchte auch felbft eime Anzahl Seen in der Schweiz fowie auch bis in ferne Gegenden des Aus landes. Dadurch häufte fi ihm eine Menge Stoff an, den er num ver bunden mit den Ergebniffen feiner übrigen antiguariichen Forſchungen als ſyſtematiſches Ganzes in diefem Buche uns vorführt, das zur eigentlichen Alterthumstmde jener Zeit der fog. Seewohnungen (Habilitetions Inousires letzteres ein von Troyon zuerft biefür gebrauchtes Wort, nun von den Ländern franzöftfcher Zunge allgemein angenommen —) ſich geftaltet, au⸗ der und keine fchriftlichen Nachrichten aufbewahrt find. Das Buch beftcht aus zwei Theilen: Im erften Kapitel des erften Theile®, ber bie Sees wohnungen an ſich beipricht, behandelt Troyon das Steinzeitalter mit Bes zug auf die Funde in den fchmweizeriichen Seen von Moosjeevorf, WBan- wyl, Zürich, Pfeffiton, Biel, Nenenburg, Genf, Inkwyl, Nußbaumen, im Bodenſee, in der Ziehl und Orbe; dazı Nachrichten über Fünde in Frankreich, Irland, England, Deutichland, -Holland und Dänemarl, Im zweiten Kapitel folgt der Uebergang zum Ironzezeitalter (Zürcher, Bieler und Neuenburgerjee). 3. Kap. Eigentlicheg Bronzezeitalter. Nebſt eini- gen der obgenannten Seen, auch die von Kuiffel, Murten, Sempach, An- nech, dann Yrankreih, Nordeuropa. 4. Kap. Uebergang vom Bronze⸗ zum Gifenzeitalter. 5. Kap. Erſtes Eifenzeitalter. Beſonders die Seen von Biel und Neuenburg; Frankreich, Irland, Schottland, Dänemarl, enropäiiche Türkei, Kaulaſus und Afien. 6. Kap. Römiſch⸗helvetiſche Zeit.

Die Schweiz. 163

7. Kap. Spätere Zeiten. Europa, Ajien, Amerifa. ‘Der zweite Theil enthält allgemeine Betrachtungen über ben gewonnenen Stoff und Schlüſſe über Urfprung, Zweck der Seewohnungen, Kultur, Lebensweiſe der Be⸗ wehner, Thiergattungen u. |. w.

In einem Anhange theilt uns Hr. Troyon nit, daß aud in den italieniſchen Eeen wie im Lago maggiore untergegangene Wohnungen mit gleichen Ueberreſten wie in denen dieſſeits ver Alpen zu finden jeien; felbft im Meer bei Mentone bat Hr. Forel, wie Troyon berichtet, dergleichen Baffermohnungen entvedt. Schließlich darf wehl mit Recht gejagt wer: den, daß Hrn. Troyon’s Schrift ein reiches Willen über vie älteften Zeiten des Schweizerlantes birgt und jelbit vom beſondern Yachfenner gewiß mit Befriedigung gelejen wird, jollte er auch nicht mit allen Schlüffen und Behanptungen des Verfaſſers einverftanten jein.

13) Charles Victorde Bonstetten, dtude biographique etlitteraire d’apres des documents, en partie inddits, par Aimé Steinlon. Lausanne, Georges Bridel, &diteur. 1860.

Denn ter Berfaffer bemerft, er habe Vonſtettens Biographie deß⸗ halb gejchrieben, weil verjelbe, obwehl bei Deutſchen und Franzojen durch feine Schriften befannt, doch zu wenig gekannt fei, fo erlauben wir un nech einen tieferen Beweggrund anzugeben, ven wir feinem Buche glauben entnehmen zu bürjen.

Hr. Steinlen, ver tie deutſche Sprache und Fiteratur faft ebenfo gut kennt wie die franzöfiiche, fieht in beiden Treffliches, aber auch Ein- fitiges, von dem man hüben und trüben Vormerkung nehmen könnte: dentſche Gründlichkeit und franzöſiſche gefälligegerm, deutſcher Ernft und fran- zẽſiſche Beweglichkeit möchten fih zuſammen finten. Als annäherndes Reitpiel biefür gilt ihm Bonftetten, ver deutſch geboren, deutſch und fran= zeͤſiſch gebildet, in feinen Echriften deutſche Tiefe mit franzöſiſcher Ge⸗ wandtheit des Austruds verbinde. Bonftetten ftcht ihm als Menſch und Schriftſteller ſehr hoch, obwohl er tie Feſſeln gar wohl kennt und aud) aufweiſt, durch welche irdiſche Unvellfommenheit venjelben gefangen hält. Als deſſen befte Schriften bezeichnet er auch, auf Zſchokke fich berufend, die Briefe. (Prgl. ©. 338.) Begreiflih! In den Briefen konnte er feine tiefften Gedanlken und Empfindungen in gefälliger und vor Allem in ſchulfremder Form ausſprechen. Daß er tief und ernft tachte, bemeift feine „Philofophie der Erfahrung ;" doch die Maffe feiner geiftreichen

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164 Ueberfiht ber Hiftorifchen Literatur von 1860.

Gedanken und Anfichten findet fi) in feinen Briefen. Wenn wir fowohl in der Grundidee wie in der Ausführung und Beurtheilung mit dem Berfafler größtentheils zufanmengehen, fo wird er uns doch vielleicht auch beiftimmen, wenn wir geradezu an ver Hand feiner Bemerkungen fagen, daß Bonftetten Bielerlei war, nur kein feft ausgeprägter und vor Allem fein bernifcher Charakter. Darum bat Bonftettens Andenken in feiner eigenen Vaterſtadt ſich kaum erhalten, abgeſehen davon, daß er einen fteten Widerwillen gegen die Berner zeigte und nicht felten fpöttifche Ve⸗ merkungen über fie machte. Nur das Feſte, Zuverläflige, mag es ſogar einfeitig fein, hält fi, während das Schwebende, Schwankende ver- fhwinvdet, wie das vom feften Stamme ver Eiche losgerifiene Blatt. Bernd letter Schultheiß, ver dem neufräntifchen Uebermuthe kühn fich entgegenftellte, wird nimmer vergeffen, fo lange e8 eine berniſche over fchweizeriihe Geſchichte gibt, während Bonftettens Andenken, das Übrigens nie im Volke wurzelte, nur in begrenztem Raume fi wird halten können, mögen auch noch fo treffliche Biographien, gerade wie die vorliegende von Hrn. Steinlen, gejchrieben werden. Steinen fchilvert und nad ben Quellen, die ee mit großer Mühe fi) verſchafft hat, auf das Genauefte Leben, Schriften nnd Meinungen Bonftettens. Wir erfahren durch ihn, wie der junge Bonftetten geb. 1745 3. Sept. voll Geift und Gefühl in bie franzöſiſche Schweiz nad Iverdon fam und dort feine eigentliche Heimat, das bisher entbehrte Familienleben, frifche Landluft, Freiheit und Glück fand. Er kam nah Genf und war bei Voltaire eingeführt; fein gefühl- volles Herz, fein freibeitsluftiger Sinn ward von Rouſſeau's Echriften hingeriffen; demokratiſche Ideen beherrſchten feine Gefinnungen, ohne daß er je ein Demokrat wurde. (5. 344.) Nachdem er durch Bonnet mit ber Bhilofophie befannt gemacht worden war, bezog er die Unverfität Leben und bereifte England und fpäter auch Italien. Wichtig war feine Be- fanntichaft mit 9. v. Müller, dem er ſtets mit Rath und That aushalf und deſſen Studien er auf jegliche Weife förderte. Sein Eintritt in ben großen Rath der berniſchen Republit im Frühjahr 1775 bereitete ihm nur Widerwärtigfeiten, da er feine Ideen ftet3 im Widerſpruche mit denen feiner Collegen fand; Müller tröftete ihn. Slüdlicher ging es ihm als Landvogt zu Saanen, Nyon und im Teſſin. Seine Humanität und die Neigung zu Verbeſſerungen gewann ihm die Herzen feiner Un⸗ tergebenen. Ihm verbanten wir gründliche Nachrichten über ben traurigen

Die Echweiz. 165

Zuſtand der damals von ben Cidgenoſſen fo fchlecht beherrſchten foge- naunten italienifchen Vogteien ; ihm verbanfen die Teffiner ven exrften An⸗ bau ver Kartoffeln. Die Teſſiner fahen fie als eine Frucht für die Schweine an, welches Borurtheil aber Bonftetten durch eine Proclamation za befeitigen fuchte, indem er ihnen mittheilte, daß bie Königin von Eng- land täglich Kartoffeln auf ihrem Mittagtifche habe. (S. 171.) Noch fo manches Intereſſante könnten wir dem Buche entheben , das mit deut⸗ fher Grundlichkeit, franzöfiiher Anmuth und Klarheit gefchrieben if.

14) Note historique sur la direction de la bourse francaise de Lau- sanne. 1859. (Cette brochure redigde par M. Solomiac, ancien principal du colldge de Lausanne, à l’oooasion de la fusion opérée l’hiver dernier entre ls dite Bourse et la bourgeoisie de Lausanne renferme des details curieux sur les Refagies, venus dans le Pays de Vaud & la suite de la r&vocation da [Edit de Nantes.)

15) De la neutralit de la Suisse dans l’interöt de l’Europe par Pictet de Roohemont. Nouvelle ddition. Chez Jo&l Cherbuliez libraire & Ge- neve. 1860.

16) Les publications de la section des sciences morales et politiques de l’institut Gentvois, publication d’une charte du XIV. siecle. 1860.

17) Morlot, A., Etudes geologico-archeologiques en Danemark et en Suisse. Lausanne, Mars 1860. Sm Bulletin de la société Vaudoise des seiences naturelles. Tome VI. Nr. 46. Inhalt: I. Kjoeken moedding. H. Marais tourbeux. III. Question des races. IV. Changements physi- ques. V. Comparaison du Nord avec la Suisse. VI. Question chronolo- gique.

18) Some general views on archeology. By A. Morlot. London. 1860.

19) Le conservateur Suisse ou Recueil complet des Etrennes helvetien- nes. Ze. dit. 14 vol. Dis l’annde 1860 il paraitra chaque annde pour le jour de l’an un nouveau volume.

20) Un magistrat Suisse. Auguste Pidon, Landammann du Canton de Vaud. Notice historique par L. Vulliemin. 944 pages. Lausanne, G. Bridel, 1860.

31) Bulletin de la societe des sciences naturelles de Neuchätel (T. V. 2. 1860) ſchilbert ben Betrug, ber von ben Arbeitern mit Nachahmung ber bei Gencife geſundenen Teltifhen Alterthümer getrieben wurbe. Wie verfihert wirb,

166 Ueberfiht ber biftorifchen Literatur von 1860.

blieben die Arbeiter bei der Nachahmung nicht flehen, fonbern verfertigten fogar antike Tabadpfeifen. Bon nun an werben bie fogenannten kelliſchen Alterthu⸗ mer einer genaueren Prüfung unterworfen.

22) Musde historique de Neuchftel et Valagin publid par Georges Auguste Matile. Tome III 3e cahier. Neuchätol 1860.

Dies Heft, welches den britten Band abſchließt, wurbe von ben Fremden Matile's, welcher den Stoff dazu ſchon vor feiner Abreife nad Amerifa (1848) gefammelt hatte, herausgegeben. Es enthält folgende Darftellungen:

Notices sur des tombeaux Romains decouverts pres de Berrieres La Comba & la Vuivra (traditions populaires des serpents monstrusux). Les inondations du Seyon en 1679 et 1750.— Journal d’Abrahsm Chail- let, maire de la Cöte. Description d’Hennipolis.

Die erſte nnd legte dieſer Darftellungen find durch beigefügte Zeich- nungen veranſchaulicht. Das Tagebuch von A. Chaillet, S. 230, veffen Entelin, Lucretia Chaillet, die trefflide Mutter David Pury's, bes Wohlthäters der Stadt Neuenburg war, enthält manche s Bemerlkent⸗ werthe, namentlich für jene Zeit trefflihe Witterungsbeobachtungen, Die früheren zwei Hefte diefes dritten Bandes enthalten:

Des noms de famille neuchätelois. Chanson du condsei Heiri, pod- sie patoise. Extrait du journal de Jean Lardy, d’Auvernier. Bt. Guillaume; ses autels, sa chapelle, son portrait. Annales du cha- pitre de l’öglise oollögiale de Notre-Dame de Neuchätel. Les reima du corti, podsie patoise. Neuchätel mentionnd pour la premiere fois dans T’histoire. Fondation et dotation d’une maison d'écolo & Peseux en 1560.. Manuscrit de traites de medecine & la bibliothöque de la classe. Marques pour les pauvres. La femme blanche, poesie.

Es ift fehr zu bedauern, daß dieſe Zeitichrift in zwauglofen Heften nunmehr eingegangen, da überdies kaum Hoffnung vorhanden ift, daß bald wieder eine hiſtoriſche Schrift im Kanton Neuenburg geichrieben wird, wenn nicht etwa Rechtäftreit eine ſolche nöthig mad.

28) Histoire d’une annexion, par Charles Guy. Paris, Amyot, edit. rue de la paix, 1860.

Der Berfaffer will unter dieſem Titel die vollſtändige Vereinigung Neuenburgs mit der ſchweizeriſchen Eidgenoſſenſchaft und vie erfolgte Ceſ⸗ fion des Tönigfich preußiſchen Haufes verftchen. (Er hätte bie bemerken

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folen, da gewiß Niemand aus biefem Zitel auf ben genannten Inhalt ſchließt. Uebrigens wiederholt die Schrift nur längſt Geſagtes.

24) Response de la comune (Bourgeoisie) de Neuchätel contre l'au- torit€E municipale de Neuchätel. Neuchätel, imprimerie de H. Wolfrath et Metaner, 1860.

25) Neudatel’s Einwohnergemeinbe und Burgergemeinbe und beren Ab- farungsfreit Aber ben Davib Bury’fchen Gtiftungefond. Deutſche Bearbeitung ber Mechtöfchriften der Einwohnergemeinde. Solothurn, Drud von I. Gaf- mann Gobn, 1860.

Beide Schriften beſchäftigen ſich in der Einleitung mit der Gefchichte ver Gemeinde Neuenburg, um baburd für fie günftige Schlüffe zur Ent» ſcheidung der Streitfrage ziehen zu können. Die legtere ift ausführlicher. Der Staat Neuenburg weilt in feiner durch die Geſchichte geworbenen Gefaltung eine vielartige Gliederung auf. Schon in frühefter Zeit und nachgehends mit allerlei Privilegien für die Stadt, einzelne Gemeinben md Körperichaften wie für das ganze Land auögeftattet, beſaß verfelbe die Elemente der Monarchie, Ariſtokratie und Demofratie in frievlicher Beije nebeneinander, bis allmälig die Stadt Neuenburg und in biefer anzeine Geſchlechter unter dem Schuge eines fern fi haltenden und fern lebenden Fürſten alle Gewalt auf fich vereinigten. Der Sturz dieſer reis den und mächtigen Geſchlechterherrſchaft war das Werk unjerer Tage md die Gründung ber Republif und Umgeftaltung des ftäbtifchen Ge⸗ meindewefens eine nothwenbige Folge, wie dies Hr. von Chambrier im Corps legislatif im Jahre 1831 vorausjagte: La republique est totale- ment incompalible avec l’existence de pareilles corporations. La destruc- tion de nos bourgeoisies serait dans la suite necessaire de l’etablissement da poavoir republicain. (Bulletin officiel 1831, pag. 375.) Dieſe Roth: wendigfeit wie aud der Umſtand, daß in den ältern Zeiten fein Unter⸗ ſchied zwifchen Einwohnern und Burgen beitanden zu haben fcheint, half ver Eimmohnergemeinde zum Siege. Dazu hatten auch die Gewandtheit ihres Anwalts (Hrn. Nationalrath Hungerbühler von St. Oallen) amd die Analogie in der Gemeindeeinrichtung der meiften andern Kan⸗ tene das Ihrige gethan. Bericht und Urtheil finden fi in der Zeit- ſchrift für vaterländiiches Recht. Neue Folge. Band L Lieferung 5. (Hallerjche Buchdruckerei in Bern.) Beide Parteien hatten nemlid in ſich ſelbſt ehrender Weile ihre Streitfrage dem Bundesgerichte unter-

168 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860.

breitet. Der Eiuwohnergemeinde wurde ein Theil des BZinfenertrages vom David Pury'ſchen Fond zugefprochen. Für die Gefchichte des ſchwei⸗ zerifchen Gemeindeweſens ift dieſer Prozeß von hoher Wichtigkeit.

26) Recueil diplomatique du Canton de Fribourg. Bixi&me annde. Volume sixitme. Fribourg en Suisse, imprimerie Marchand et Comp. 1860.

Bon den Mitgliedern der biftorifchen Sejellihaft des Kantons Yrei- burg, welche dieſe Urkundenſammlung berausgibt, betheiligten fich bie Herren Kantonsbibliothefar und Pfarrer M. Meyer, welcher die deutſchen, Brofeffor Chatton, der vie lateinifchen, und Abbe I. Gremaud, welcher die franzöfiichen Urkunden beforgtee Sie umfaffen ven Zeitraum von 1400 bi8 1410, und find an Zahl 90. Sie betreffen größtentheils den freiburgiihen Staatshaushalt, einige find jedoch nicht ohne allgemeine® Intereſſe für die gefammte Schweizergefchichte, wie überhanpt für vie Culturgeihichte jener Zeit. S. 27 findet fih der Wortlaut des erflen Bündniffes (auch von Yuftinger ©. 251 erwähnt) oder fog. Burgrechte zwijchen Bern und fyreiburg, 1403 8. Nov., welche beide barin geftchen, wie fehr fie einanver bis jetzt geſchadet haben, künftig aber nur zw nützen gejonnen jeien durch ein cwiges Bündniß. Bern nimmt darin das rö« miſche Reich aus, wird demſelben aber nicht gegen Freiburg beiftchen; Freiburg nimmt bie Herrfchaft Defterreih aus, wird aber berfelben keine Hilfe gegen Bern leiften. Dagegen zieht e8 den Eidgenoſſen von Zürich, Lucern und Zug, beſonders aber Uri, Schwyz, Unterwalden zu Hilfe, wenn es von Bern gemahnt wird. Glarus ift nicht genannt, da es auch damals noch nicht den übrigen Eidgenoffen gleichgeftellt ift, obwohl es chen über fünfzig Jahre im etvgen. Bunte war. Das Bünbnif, gegen welches übrigens einige Rathsherren confpirirten (S. 77 und 79), ift hauptfächlic gegen „welſche Herren und Stett“ gerichtet, gegen welche Vreiburg den Bernern beiftehen will. Es Tann dies wohl nur Savohen und Burgund betreffen, gegen welche fpäter Freiburg wirflih mit Bern und den Eidgenoſſen ruhmvoll fämpfte und dann 1482 förmlich in den Bund ver Eidgenoffen aufgenommen ward. Bon ceulturhift. Intereffe ift Nr. 404 S. 23%. Die freiburgifche Regierung verbietet (1409 11. Im.) den „großen und Heinen Kindern“ nicht das Bild des bi. Johannes durch die Straßen zn tragen und zu rufen „Aleman contre Roman“ und um⸗ getehrt. Anffallend ift au Nr. 392 ©. 119 vie Berorbnung (1408 12. Yun.) gegen die Männer, welche ihre Frauen ohne Grund verjagen

Die Schweiz. | 169

und in der „Libertinage‘ leben. Mehrere Urkunden beweiſen die dama⸗ lige Bläthe der Tuchfabrikation in Freiburg, von der heutzutage feine Spur mehr vorhanden ift. Dieſe fleißige Arbeit der genannten reis burger Gelehrten kann nur gelobt werben; dagegen wäre etwa zu einem tünftigen Bande ein Wörterbuch für die ſchwierigern franzöfiihen Aus» brüde zu wünſchen.

„27, P. Urban Winiſtörfer. Ein Gebenkblatt für feine Freunde und Berehrer. Bon 8. Fiala. Bolothuru, 1860. Drud und Berlag von B. Edwenbimann. 8.

B. Urban Winiftörfer, deſſen Eitern zu Winiftorf im Kanton So⸗ lethurn dem Bauernftande angehörten, war bis zu deſſen Aufhebung im I. 1848 Mönd des Klofters St. Urban im Kanten Lucern. Seine außerordentliche Thätigleit war vielfeitig: er war ein eben fo tüchtiger Gelehrter und Pfarrer als Delonomieverwaiter feines Stiftes, zu deſſen Zierden ex in jever Beziehung gehörte. Als DVicepräfivent der allgemei- nen geſchichtforſchenden Geſellſchaft der Schweiz nahm er den regſten Ans teil an deren Beſtrebungen, beſonders aber an der Herausgabe des ſchweiz. Urkundenregifter; ebenjo eifrig arbeitete er an den Vereinsſchrif⸗ tm des biftoriichen Vereins des Kantons Solothurn, ben er 1851 ftif- tete und bis zu feinen Lebensende leitete. Gerne ſtimmen wir mit ein im vie freundlichen Gedächtnißworte des Verfaſſers, die er dieſem treffli⸗ den Mönche widmete.

28) Schweizeriſcher Todtenkalender für 1857, 58 u. 59. Bon F. Fiala. Solothurn, 1860.

Enthält biographiihe Skizzen Aber bie im Laufe dieſer Jahre verftorbenen Schweizer von Öffentliher Stellung.

239) Die keltiſchen Alterthümer der Schweiz, zumal des Kantons Bern, in Abficht auf Kunft und Aſthetiſches Intereffe, dargeftellt von Alb. Jahn. Bern ki 8 9. Wyß, 1860.

Der Berfafler fuht ven Gebraud und die Beftimmung ber felti- ſchen Alterthümer an Waffen, Geräthen, Münzen u. f. w. aus ven Pe⸗ rioden des Steines, der Bronze und des Eiſens zu deuten und ben be⸗ fonderu Kunſtwerth derſelben geltend zu machen, wozu einige Abbildun⸗ gen beigefügt find. Er fieht bei ven Ureinwohnern des Schweizerlandes beachtenswerthe Keime ſowohl der Arcchiteltur als der bildenden Kunft“,

170 Ueberfiht ber Hiftorifchen Literatur von 1860.

md wünſcht, daß auch in den Nachbarländern das Studium ber lelti⸗ ſchen Alterthümer geförbert werden möchte.

30) C. R. v. Fellenberg, Analyfen von antifen Bronzen in Mittheilungen der naturforfhenden Gefellihaft in Bern. Haller'ſche Buchdruckerei. In Com⸗ miffion bei Huber u. Comp. 1860. ©. 43 n. 65. 8.

31) I. Uhlmann, Geologifh archäologiſche Berhältniffe am Moosfeeborf in Mitteilungen ber naturforſchenden Gejellihaft in Bern, 1860. ©. 57. 8.

32) Vortrag vor dem bernifhen Kantoual- Kunftverein gehalten bei ber Sauptverfammlung vom 4. Dezember 1860, nebſt einem Kunftbericht aus Män- den und ale Anhang ein Lebensabrig bes Malers I. H. Juillerat. Bern, Hab ler'ſche Bnuchbruderei, 1860. 8.

Wir verdanken dieſen Bericht und die lehrreiche Biographie Yuilles rat's der unermüblichen Thätigleit des Hrn. R. v. Effinger von Wildegg defien Schöpfung ver bernifche Kumftverein if. Hr. v. Effinger beweiſt, wie viel möglid ift, wenn man unabläßig einen Zwed verfolgt und je den Augenblick benugt, um venjelben zu fördern. In wenigen Jahren bat er einen Kunftverein von beinahe 700 Mitgliedern und mit geringen Beiträgen einen Fond von über 4000 Fr. zuſammengebracht. Was aber ben Werth feiner Thätigfeit erhöht, ift, daß er die Künftler feines engern und weitern Baterlandes nah Kräften auffucht, ermuntert und auf jeg- liche Weife fördert. Auch dem Andenken verftorbener Künftler widmet er in pietätsvoller Weile Aufmerkſamleit, um deren Verdienſte zu ver ewigen.

83) Beiträge zur Bernifhen Rechtsgeſchichte von 8. G. König, im Zeit- ſchrift für vaterländiſches Recht. Neue Folge. Band I. Lief. 1. Haleer'ſche Buchdruckerei in Bern.

Diefe Beiträge, welche fortgefegt werben follen, enthalten zunächſt einen genauen Abdruck der fogenannten bernijchen Handfeſte von Kaiſer Friedrich II. aus dem Jahre 1218, ſammt Ueberfegung, fowie den Tert ber älteften Freiburger Verfafſungsurklunde und bes ſog. Freiburger (in Breisgau) Stadtrodels. Mit Hecht fagt Hr. König, daß die berniſche Handfefte einen bedeutenden Hang unter ven bentichen Stabtredhten bes Mittelalters einnehme; es lohne ſich daher wohl ver Mühe, die urfpräng- lichen Elemente dieſes Freiheitobriefes an der Hand ber Wiſſenſchaft auf

Die Schweiz. 171

zufuchen, zu erläutern ımb ihren Einfluß auf die bernifche Geſetzgebung nadzumeifen. Die Ueberjegung ift fehr genau und Kar.

3) Docnmentirter Bericht über das Berhältniß ber katho— liſchen Bfarrei in Bern binfichtlich ihres Diöceſanverbandes Bern, 1860. Hallerſche Buchdruckerei.

Zufälliger Weiſe kam die zu Anfang dieſes Jahrhunderts errichtete latholiſche Pfarrei in Bern unter das Bisthum Lauſanne (Freiburg) zu fieben; nun wünfcht die bernifche Regierung deren Bereinigung mit dem Bisthum Bajel (Solothurn), zu welchem ver katholifche Theil des Kan⸗ tens Bern gehört. Die Curie beruft ſich aber auf die urjprüngliche Eriscopatdeintheilung, nad welder das Bisthum Lauſanne bis an bie Ware ſich erftredte. ‘Dagegen vürfte Bern, was leider in diefer Schrift wicht angeführt ift, geltend machen, daß Biel, wo jüngft eine katholische Biarrei errichtet wınde, auch unter das Bisthum Baſel geftellt worden iR, obwohl es auch einft zum Bisthum Laufanne gehörte.

35) Archiv bes Hikorifhen Vereins bes Kantons Bern. IV. Band. Ztes m. Ates Heft. Bern, 1860. Stämpfliihe Buchdruckerei. Im Caumiffion bei Jenk u. Gaßmann. 8.

ZJuhalt des britten Heftes: Jahresbericht vom Präfidenten Prof. &. Stu- der für die Jahresverſammlung des Hiftorischen Vereins ben 15. Yuli 1860. Ueber die Quellen der Geſchichte des Laupenkrieges. Weber das Berhält- zig Murtens zu Bern während des Laupeufrieges. Bruchſtück einer beutjchen Ueberſetzung bes Ritterromans Cleomabes von Abenas la Roi. Nachtrag zu ber Geſchichte des Inſelkloſters. Protokoll der Dauptverfammlung vom 15. Zali 1860. (Säimmtlihe Beiträge find von Hrn. Brof. Etuber, der es fich ber ſenders zum Ziele geſetzt hat, bie erfte bebeutende Freiheitsſchlacht der Berner in ein Hares Licht zu feen, indem er bie Quellen fidhtet, prüft und zu einer gräutlichen Darftellung vermwenbet.)

Inbalt des vierten Heftes: Die Handfchriften ber Berner Stabtchronit von Gene. Juſtinger, Dittlinger⸗Tſchachtlang, Dieb-Schilling und die Berner Stabt: dronil im Anſchluß an Königshofen von Br. G. Etuder. Alterthümer und Sa- gen im ber Umgegend bes untern Thunerfee’s, von A. Zahn. Rudolf von Erlach und die Narratio proelii Laupensis, von Prof. ©. Studer. Der 5. Rärz 1798 bei Neuened, nah den Ergebniffen der neueren Studien barge- ſtellt von Prof. Lohbauer.

Das in ver Testen Darftellung gefchilverte Treffen ift deshalb in-

172 Ueberſicht der Hiftorifchen Literatur von 1860.

tereffant und Iehrreih, weil dort die fonft überall fiegreichen Franzoſen von den Bernern, obwohl dieſe zuerft ihre Pofition ganz hatten aufgeben und fich zurädziehen müſſen, vollftändig gefchlagen und in eine alle Orb» nung auflöfende Flucht getrieben wurden, während freilich ein anderes Corps der Branzofen fo eben der Stadt Bern fi) bemächtigte zum gro Ben Schmerz der bernifchen Sieger.

86) Helvetia saora, ober Reihenfolge ber firdlichen Obern unb Oberiumen in den ſchweizeriſchen Bisthämern, ollegiatftiften und Klöſtern von Egbert Friedrich v. Mülinen. Zweiter Theil. Bern, gebrudt in ber Gtämpf liſchen Buchdruckerei (G. Hünerwabel), 1860. Fol.

Schon der erſte Band erregte mit Recht die volle Aufmerkſamleit der Forſcher; in einem erhöhteren Grave dürfte dieß bei biefem zweiten Bande der Fall fein, da er fih, wo möglih, noch vor dem erften aus zeichnet. Fleiß, Grinblichleit und Gewandtheit in der componirenben Darftellung, wo der Stoff es erheifcht, zeigen fich auch hier wieder, wäh vend die Einfiht, was eigentlich gegeben werben foll, geftiegen ifl. Die Einleitungen zu den verfchievenen Orden und Stiften, Entſtehung, Ent⸗ widlung u. |. w. enthaltend, find weit veichhaltiger und umfangreicher, als im erften Band und erhöhen ven Werth des Werkes nicht wenig. Während im erften Theil die Doms und Chorherrenftifte, fowie die alten Abteien behandelt wurden, erfcheinen nun im zweiten die jpäteren Mäöndye- orden, fowohl die der Bettelmönde (Dominicaner, Franciskaner, Auge- fliner, Carmeliter), die im XIM. Jahrhundert entftanden, als aud bie fichlihen Sorporationen und Congregationen, die im Gegenfate zn ber Reformation in den katholiſch gebliebenen Ländern der Chriftenheit feit dem XVI. Jahrhundert und bis in vie neueren Zeiten ſich entwidel- ten, nämlich Rapıziner, Jeſuiten, Trappiften, Rigorianer oder Redempto⸗ riften u. |. w. Darauf folgen die Frauenklöſter nad dem Alter ihrer Orden. Die Einleitung enthält eine gejchichtliche Ueberficht und Charal⸗ terifirung der verfchievenen Mönchsorden und ihrer inneren Einrichtung, weldye fiy bei den neuern Orden (Jeſuiten, Capıziner u. ſ. w.) durch⸗ weg demokratiſch oder, wollen wir beifügen, demokratiſch⸗ deſpotiſch zeigt. Bir erfahren ſchließlich auch die Anzahl ſämmtlicher geiftlicher Stiftungen in der Schweiz, nämlih 340. Bon diefen waren 8 Cathebral» ober Domftifte, 30 Propfteien, 120 Manusklöfter, Hofpize, Collegien u. f. w.

Die Ehweiz. 173

ven 20 verfchievenen Orben und 110 Yrauenklöfter von 9 verjchietenen Orden.

Zu den wichtigſten Orden im zweiten Bande gehören die Jeſuiten und Kapuciner, indem fie der menſchlichen Geſellſchaft ſich anſchmiegend allmãlig einen ſehr bedeutenden Einfluß auf dieſelbe ausübten, die Je⸗ ſniten auf die höhern Stände, die Kapuciner auf die niedern. Die Einleitungen zu denſelben find angemefjen unparteiifh und fehr intere- ſant geichrieben, invem fie des Guten ober des Lobes weder zuviel noch wenig enthalten. Zur Gejchichte der erften Einführung der Jeſuiten in Lucern (S. 46) ift beizufügen, daß Stabtichreiber Renward Cyſat, tefien Vater ein Mailänder war, die Jeſuitenberufung nach Lucern bes wirfte (vergl. Historia collegii soc. Jesu Lucern.); zwei jeiner Söhne Ich. Baptift, ver Mathematiker und Aftronom, und Gafpar traten in ten Jeſnitenorden. Bei ven berühmten Yucerner-Iefuiten ift (S. 48) zu erwãhnen, daß Pater Peter Hug geichrieben: Katholiſch Handbüchlein. In weldem von vierzehen fürnemmen ftrittigen Artidien vnſers Chriftlis den Glaubens gehandlet wird. Durch P. Hugonen. Ingolftatt. 1628. 3a ven wichtigſten und älteften Frauenſtiften, deren Geſchichte vielfach mit der des Landes verflochten ift, gehören Sädingen, das zwar nicht im der Schweiz gelegen, aber wegen feiner Beziehungen zu berjelben füg- id Raum fand, Schönnis und Fraumünſter in Zürich. Zu dieſen find daher ausführliche Einleitungen über Geſchichte, Beſitzſtand u. ſ. w. gegeben, welche gewiß die Aufmerkjamfeit des Pejers in Aufpruch nehmen werten. Das Werk, einzig in feiner Art und ein wirkliches Bedürfniß für den Forſcher, darf und muß einer weiten Verbreitung fich erfreuen.

37. Amtlide Sammlung ber ältern eidgenöſſiſchen Ab- ſchiede. Heransgegeben auf Anorbnung ber Bundesbehörden unter Leitung des eibg. Archivare I. 8. Krätli.

Die eidg. Abſchiede aus dem Zeitraume von 1712—1743. Bearb. von Daniel Albert Fechter. Der amtlichen Abichiebefammlung Band 7. Ab» teilung I. Bafel, Bauer'ſche Buchbruderei, 1860. 8.

Das große Werk der eidg. Abſchiedeſammlung, von dem wir früher Band 3 angezeigt haben, ſchreitet rüftig vorwärts unter ter Aegide ver hoben Bundesbehörden, die jeit einigen Jahren der Wilfenfchaft und Kuuſt überhaupt die freundlichfte Aufmerkſamkeit fchenken. Dieſer Band enthält wicht weniger als 1410 Seiten ohne das umfangreiche Kegifter,

174 Ueberfiht ber Hiftorifchen Literatur von 1860.

Der Berfafler hat großen Fleiß und unverbroßene Ausdauer bewieſen, aber nicht weniger Genauigkeit und Scharffinn. Wir verbanfen ihm auch einige Modificationen zur Erleichterung des Gebrauches, die uns ſehr willlonmen find; in dem Abfchnitte der Herrichaftsangelegenheiten find den einzelnen Artikeln nicht bloß die Zahl des Paragraphen, fon- bern auch der Abſchiede beigefügt. Die Abſchiede felbft find nicht nur wichtig für die politiiche Geſchichte der Schweiz im Allgemeinen, fondern hauptfählih auch für die Verwaltungsgeſchichte der ſog. Unterthanen⸗ länder, die fo gut wie unbekannt ift, da felbft in den einzelnen Kantons gefchichten wie von St. Gallen, Thurgau u. |. w. nichts Gründliches vorgebracht werben konnte. Erſt durch die Abſchiede lernen wir bie ftaatsöfonomijhen Verhältniſſe dieſer Lanpfchaften kennen, jo wie noch viele8 Andere, z. B. Poſt⸗, Straffene, Zollweien u. |. w. 8 erhellt, baß biefelbe eine reiche Fundgrube für die fchmweizerifchen Hiftorifer bil⸗ pen. Als erläuternder Anhaug zum vorliegenden Bande fcheinen nicht nur eine Reihe Zuſätze wir machen beſonders auf Seite 1337 auf- merkſam, die Erklärung wenig oder gar nicht befannter Ausprüde enthaltend fondern auch 16 ungedruckte Aktenftüde, größtentheils jonft nicht belannte Bündniſſe einzelner Kantone mit auswärtigen Staaten, wie Spanien, Frankreich, die Seneralftaaten, ferner Friedensſchlüſſe u. f. w.

38. Berner Tafhenbuh auf bas Jahr 1860. Herausgegeben von 2. Lanterberg. Neunter Jahrgang. Mit 4 Abbildungen. Bern 1860. Drud und Berlag ber Haller’ihen Buchdruckerei. B. F. Haller. 8.

Auch diefer Jahrgang enthält wie die früheren eine Reihe trefflicher Driginalarbeifen over Duellenfchriften, größtentheils zur Beleuchtung und Ber- vollftändigung der neuern Berner Geſchichte feit 1798 beſtimmt. Gr enthält: Wolfgang Musculus oder Müslin. Ein Lebensbild der Refor⸗ mationgzeit. Aus dem hanvichriftlichen Nachlaffe des verftorbenen Dr. W. Th. Stradebor, Profeffor in Bajel, wmitgetheilt vom Heransgeber. Nah Graubünden. Die 4 erften Tage meiner BReifeerinnerungen. Bon Sigmund Kiftler, Kantonslaffier, mit 2 Abbilvungen, welche ver Berfafler, ein eifriges Mitglied der Künftlergefellihaft in Bern, felbft an Drt und Stelle zeichnete. Diefe Keijeerinnerungen, bin und wieber duch eine poetiihe Cinlage gewürzt, find recht anſprechend und ‚ten gerade dad, mas wir bon einer guten Reiſebeſchreibung wün-

1üäü

Die Schweiz 175

ſchen. Beiträge zur Geſchichte des Unterganges ver alten Republik Bern im Jahr 1798.

1) Erinnerungen bes 8Tjährigen Veteranen Johannes Jaun, ges meiniglich genannt Battenhans, von St. Beatenberg, an feine Erleb- niſſe im Jahre 1798, getren nach feiner Erzählung mitgetheilt von R. Kräbenbühl, Pfarrer zu St. Bratenberg.

2) Aus meinen Erlebniffen im Jahre 1798. Bon dem 8Ojährigen Autolph Bürgi von und in Seevorf. Mit einleitenden biographiichen Notizen über den Verfafler von dem Herausgeber.

Ein Spottlied in Knittelverfen über den ſog. Stodlifring 1802 (Bertreibung der helvetiſchen Regierung) von K. 2. Stettler.

Albrecht Friedrich May, Staatsjchreiber von Bern, dargeftellt in ſeinent Leben und Wirken von dem Herausgeber. Mit dem Biloniffe von «5. May.

Das Leben eines‘ fchweizeriichen Stantsmannes zu bejchreiben, ver 60 Jahre lang (geb. 1773 und geft. 1852) in einer Republik während wer Staatsumwälzungen in öffentlicher Stellung blieb, ift eine ſchwie⸗ rige Aufgabe, bie jedoch der Verfaſſer trefflich gelöft hat. Nicht allein weiß er trotz des überreichen Stoffes, ver fih ihm im ven Weg ftellt, ſtets ein reges Intereſſe für bie Hauptperſon zu bewahren, ſondern ex ſchildert den oft Icharf einfchneidenden Staatsmann fo unbefangen und uuparteitfh, als ob er in einer längft verſchwundenen Zeit gelebt hätte. Die Biographie des Staatsjchreibers May wird immerhin einen wichtigen Beitrag zum modernen Bernergeichichte bilden, einzelne Abſchnitte möch⸗ tn auch für Deutihland von Intereſſe fein wie 3. B. May's Stu⸗ dienzeit in Jena, wohin er ſich im Frühjahre 1796 „ftaatöpolitiicher Ausbildung» wegen begeben hatte; den gewaltigften Einbrud übte auf ben denlenden Jüngling der große Philoſoph und wahrhaft deutſche Mann Fichte, den er in jeinen Briefen noh fpäter wiederholt nennt. Er hielt anf vielfeitiged Stubium und hörte eine Reihe ausgezeichneter Vor⸗ träge an; er fuchte und fand fpäter Gelegenheit gemug, jeine vieljeitigen Kenminiffe anzuwenden. Day wirkte einzeln und im Verein mit Anvern. Ya letzterer Beziehung bat num der Biograph ein beſonderes Berbienft, indem er bei dieſer Gelegenheit mehrere beveutende politifche, militäriiche, wiſſenſchaftliche Geſellſchaften, die in ber Kegel ihrem Zwecke und ihrer Extwidelung nad mehr genannt als bekannt find, gründlich ſchildert

176 Ueberficht ber Hiftorifchen Literatur won 1860.

3. B. den fog. äußeren Stand in Bern, bie helvetiſche (Schingnacdher oder Oltener) Geſellſchaft u. a. m.

89. Neujahroblatt für die berniſche Jugend. 1860. Heraus gegeben unter Mitwirkung ber bernifhen Künftiergefellihaft vom hiſt. Verein des Kantons Bern, Die Schweizer in Italien und ber berniſche Felbhaupt⸗ mann Albreht vom Stein. Bon Dr. B. Hidber. Bern. Berlag der Bud» hanblung von 9. Blom. 8.

Die Züge der Schweizer nad Italien, vornehmlich im 16. Jahr⸗ hundert, werben nach ſchweizeriſchen und italienijchen Quellen gefchilvert. Unter ven Schlachten ragt die von Novara (1513 Juni 6) hervor, in welcher die Franzoſen trog großer Uebermacht von den Schweizern (fie gebrauchten eine fonft nicht befannte Kriegslift) furchtbar geſchlagen wur- den, fo daß das franzöſiſche Kriegsheerr in Trümmer aufgelöft in Einem fort über den Mont Cenis bis nad Frankreich floh. Doc gelang es der franzöfiichen Schlauheit, fih fpäter mit den Schweizern abzu⸗ finden, fogar bie bebeutenpften Kämpfer wie U. vom Stein u. f. w. zu gewinnen. Stein bezahlte feine Schuld durch heldenmüthigen Tod auf den Schlachtfeld zu Bicocca. 1522. April 27.

40, Das Geſetz über die Rechte bes Staates in kirchlichen Dingen und die Shul- und Ehegeſetzgebung im Kanton Tep fin. Locamo. Kantons Buchbruderei. 1860. 8.

Was im Titel genanut ift, erfcheint eigentlich nur als Beilage, in⸗ bem bie 102 Seiten ſtarke Schrift Ueberſetzung oder Original ber früher erfchienenen italieniſchen Schrift gleichen Inhalte faft nur eine ticchenhiftorifche Auseinanderſetzung enthält, wie früher, und insbejondere durch die Eingenofien im Teſſin, bie Rechte des Staates in kirchlichen Dingen ausgelbt worben find.

41) Die Trennung von Teifin, Puſchlav und Brüs von den lombarbifhen Bischämern Mailand und Como und beren Anfchiuf an fchweizerifche Bisthumefprengel. Et. Gallen, Scheitlin a. Zollilofer, 1860.

Die lange geſchichtliche Einleitung ift reich an beweijenden That» fachen, kirchlichen Ausiprüchen und Berordnungen, um bie Rechtmäßigkeit der Trennung auf das Schlagenbfte darzuthun. Dieſe wie bie vorher gehende Schrift find von ber gewanbten Feder bes befannten ſchweizeri⸗ fen Staatsmannes, Nationalrath I. M. Hungerbühler.

42) Das Beltlin nebſt einer Beſchreibung ber Bäder von Vormio. Ben

Belgien. 177

G. Leonharbi, ref. Pfarrer in Brufio. Leipzig, W. Engelmann, 1860. Gnt- hält ſowohl im Cingange als auch fpäter Hiftorifches für bie Schweiz, Ges ſchichte des Veltlin bejonders mit Rüdficht auf bie ſchweiz. Reformationsgefchichte und ben fog. Beltlinermorb. Hd.

9. Belgien. 1. Allgemeine Laudekgeſchichte und vie einzelnen Zeiträume und Ereigniffe.

1) L David, Vaterlandsche Historie. Tom. VIII. Loeren XIl n. 688 ©. 8.

2) 1.G.Moke, La Belgique ancienne et ses origtnes gau- loises , germaniques et frangaises. 2ième edit. Gand. 508 © 8.

3) A Wauters, Une episode des Annales des Communeos beilges. Avdnement et mort de Guillaume de Normandie comte de Fiandre. 1127—1128, 8.

4) LGachard, La captivitd de Frangoislet le traitd de Madrit. Brux. 836. 8.

5) W.H. Prescott, Histoire du regne de Philippe II. tra- duite par G. Renson et P. Ithier. Brux, 1859/1860 bis jekt 3 Bände.

6)N Consid6erant,Histoiredela revolution du XVlsitcle

dans les Paysbas. 2éme ddit. augmentte d’une introduction par M. Frederix. Brux. 3206. 8.

7) C. Chalon, Un coup d’&tat manqud. Brux. brochure 8.

8) Gemelli etP. Royer, Histoire de la revolution belge de 1830. Brux. 8.

9) J. Quinsonas, Matdriaux pour servir A l’histoire de Margudrite d’Autriche, Paris, 1860. 3 Vol. illuftrirt.

Die Meine unter Nr. 4, aus Bd. IX ©. 498 des Bulletin ver Alademie v. 1860 beſonders abgedrudte Schrift des unermüdlichen His ſterilers Gachard ift ein ebenjo grünblicher, als clafliich gejchriebener Beitrag zur Geſchichte Carl's V., oder vielmehr feines Kampfes mit Franz l. und verdient in's Deutſche übertragen zu werben.

Die Ueberjegung von Preſcott's Gejchichte Philipps II. (N. 5) war umestbehrlich für die Förderung ber vaterläundiſchen Geſchichtsſtudien

Oiperiſche Zeitſhcift VI Band. 12

178 Ueberficht ber hiftorifgen Literatur von 1860.

und reibt fich der des freilich nicht ſoviel Lob wie Preſcott verdienenden Werts feines Landesgenofien Motley an.

Conſidérant's Geſchichte der niederländiichen Revolution des 16. Jahrhunderts wird von Herren von Bemel in Band II der Revue trime- strielle von 1861 ©. 37 als ver erfte und zwar fo glüdliche Berfud einer Darftellung diefer Epoche gerühmt, daß in beren zweiter Auflage ihr Berfaffer nur wenige unbeveutende Aenderungen zu machen nöthig ge- habt habe. Herrn Frederix zu poetifhe, zumeilen ſatyriſche Einleitung, fagt v. Bemel weiter, fteche-fehr gegen den Ernft des übrigens richtig von ihm gewürbigten Buches ab.

Die unter Nro 8 genannte Gefchichte der belgiſchen Revolution des Jahres 1830 hat den eriten, auf ihrem Titel genannten, längere Zeit im Belgien lebenden italienifchen Gelehrten Gemelli zum Verfaſſer, erfchien zuerft in italienifcher Sprache und darauf von Royer überfeht in fran- zöfifher. Nah v. Bemel a. a. D. ©. 375 bat Gemelli den Charalter biefer Revolution im Ganzen richtig erfaßt und gefchilvert, in mandhen Beziehungen jedoch aus natürlich zu erklärender Unkunde des Landes umb der belgiſchen Nationalität niht immer richtig geurtheill. Zum Ber- bienfte wirb ihm angerechnet, daß er über den Parteianfchauungen ſtehe und durchaus unbefangen fei.

Die unter Nro. 1, 2, 3, 7 und 9 aufgeführten Bücher ſind Referent nicht zu Geſicht gelommen *).

D. Geſchichte einzelner Provinzen, Bezirke und anderer Derilichkeiten.

A. Fũttich und UNamur.

Louis de Bourbon, dev&que-prince de Litge (1455 1482) par Ed. Garnier, Archiviste des Archives de l’Empire. Paris 176 ©. 8.

Berfhiedene Selegendeitsfhriften von Aristide Cralle. a) Deifen Souvenirs Archeologiques ou esquisses de l’dtat, de la ville et du pays de Litge, du moyen age jusqu’ aux temps modernes. Liöge, 60 S. 8.

b) Revue des diverses parties de la ville de Litge à Toceasion des fetes royales en 1850 (par Rambler) 38 p. 5 c) Revue des monuments de la ville de Litge 1856 (149 &) d) Lettres sur les travaux pub-

®) Ueber Rro. 9 fiehe das Urtheil unten am Schluß bes Berichtes.

Belgien. 179

Eques et les projets d’embellissemens de la ville de Liöge suivies de de- eouvertes archöologiques 1859. 10 ©. 8.

Ford. Henaux, Histoire de la Commune de Spa et de ses eaux mindrales. Nouv. edit. 8.

Derielbe, Le Palais Carolingien & Lidge.

A. Leroy, La philosophie au pays de Litge dans les 17 et 18 Sitcles. Lidge. 160 ©. 8. Liödge 8.

Neties sur 1. G. et J. H. Lefort, herauts d’armes du pays de Liege aa XVII et XVIII Sidcles von GStanisfaus Bormans im Bulletin Ar- cheologique p. 321. 8.

Siderins, Dinant et ses environs. Fragments historiques. Di- zaat 1869. 200 ©. 8.

R. Chalon, Recherches sur les monnaies de Namur. 148 S. und 22 Etide. 4.

Während des Referenten zehnjährigen Profeflorats in Lüttich (1817 bis 1827) war das Intereſſe für geihichtlihe Studien daſelbſt fehr ge rmg. Ein einziger Gelehrter, der fiebenzigjährige Baron von Billenfagne, ſchrieb über feines Baterlandes Vergangenheit; fein Hauptwerk Recherches sur ia cidevant Principauts de Litge 2. Bd. 8. erſchien 1818. Seine trodene, reactionäre Behandlungsweife ſprach eben fo wenig an, wie eine 1822 erſchienene in materieller Beziehung fonft löbliche Geſchichte Lüttiche von Dewez, dem Berfafler ver histoire generale de la Belgique und an- terer nennenöwerther Schriften über beigifche Gejchichte. Neigung zu ars cdãologiſchen Stuvien fiber das Land war nirgends fichtbar. Nur die Erinmerung, daß Lüttich einft eine freilich über hundert Jahre lang nicht mehrer jungirende freie Berfaflung gehabt habe, war lebendig und von Einfluß auf die Entwidlung der liberalen Oppofition gegen bie vergebens nach Bolksthümlichleit in den fogen. füblihen Provinzen des Königreichs rmgende niederländiſche Regierung. In geiftreiher Weile begann Herr von Gerlache tie Geſchichte Lüttichs nach dieſer Richtung hin zu bear- keiten. Seine erften Verſuche erfchienen von 1825 an in dem Annuaire ter Societ€ d’Emulation,

Es iſt erfreulich zu fehen, welchen Umſchwung bie biftorifchen, wie auch die archäologiſchen Studien feitvem in Lüttich gemacht haben. Die allgemeine Gefchichte des Landes wurde 1843 auf's Nene von Gerlache

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180 Ueberſicht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860.

bearbeitet. 1844—1847 erſchien die ſchon unter dem Einfluß ber beut- hen und nenfranzöfiichen Hiftoriographie gejchriebene Histoire de l’ancien pays de Liege von dem verbienftvollen, durch eine Menge geichichtlicher Monographieen berühmt gewordenen Archivpirector Polain; dann 1852 um erften, 1857/1858 zum zweiten Mal vie Histoire du pays de Liege depuis le temps plus recul&s jusqu’ & nos jours von Ferd. Henaux, fowie befien (in gegenwärtiger Zeitfchrift im Jahr 1859 Bd. II ©. 199 kurz angezeigte) Constitution du pays de Liege. Den 12. April 1850 warb ber Verein des Institut archeologique Lidgois gegründet, deſſen Bulletin im Jahr 1852 zu erfcheinen begann ').

Referent lenkt den Blick auf dieſen Entwidlungsgang ver gefchicht- lichen - Studien in Lüttich) deßhalb zurüd, weil die in gegenwärtiger Au⸗ zeige zu befprechenden Schriften als weitere Erfolge auf diefer Bahn zu betrachten find.

In des Referenten Ueberſchau ver belgifchen Geſchichtsliteratur vom Jahre 1859 (Bd. II ©. 255 diefer Zeitfchrift) mußte er die ihm noch nicht befannt geiworbene Histoire populaire des Liögeois von ©erimont übergehen. Leider kann er jett nad deſſen Kenntnißnahme das Buch nicht rühmen. Es ift eine durchaus unkritifche Arbeit, eine Art Ablärzung ver Geſchichte Lüttichs von Henaur. Der Berfafler hat nur fehr unklare Ideen von den altgermanifchen Staatseinrichtungen , fpricht ſchon von ber Feo- dalit& im fiebenten Jahrhundert, wiederholt Längft widerlegte Irrthümer, bält feine maßgebende Periodiſirung ein und legt e8 überall nur darauf an, ber oft jo verfehrt verfahrenven Democratie das Wort zu reden. Cine richtige Einfiht in die wahren ftaatlichen Verhältniſſe des Landes iſt im Bude nicht zu finden. Eine Anleitung hiezu gab Referent in feiner 1860 zu Püttih ſelbſt in's Franzöſiſche überfegten Recenſion des He⸗ naur'ſchen Werkes und führte dieſelbe weiter aus in einer 1859 von ihm verfaßten „Ueberjhau des einft zum beutjchen Reiche gehörenden Landes von Lüttich”, die im April und Mai 1860 im Feuilleton der Kölnifchen Zeitung (Nro. 114— 128) erſchien.

So lange von belgiſchen Geſchichtsforſchern und Geſchichtsſchreibern

1) Näheres über Henaur und biefes Inſtitut theilte Referent mit in bei ge- fehrten Anzeigen ber . Alabemie vom I. 1858 Nro. 26 und 27 und 1859 Nro. 46 ff.

Belgien. 181

ver wahre Organisums des germaniſchen Staatsweſens ignorirt wird, kam e8 ihnen unmöglich gelingen, treue Gemälde ver früheren focialen Zuftände ihrer durch und durch germaniſch organifirten Provinzen aus⸗ jufähren.

Eine ver wichtigſten Epiforen der Lütticher Geſchichte bildet die Regierungszeit des 1455 vom Herzog Philipp von Burgund dem Lande aufgebrungenen Biſchofs Louis von Bourbon feines Neffen. Ohne vom Gapitel gewählt, ohne orbinirt zu fein, warb der 17jährige joviale junge Prinz von bem buch Philipp gewonnenen Papſt beftätigt, begann ein Regiment mit Berjuchen, die Yandesverfaflung aufzuheben, mit Prä- gung vou falichem Gelve, mit Anleihen und Erpreffungen, um das Ge» wonnene zu verprafien. Man nannte ihn mur den Bettelbiihof. Die Felge feines Gebahrens waren furchtbare Vollsaufftände, welche ber ſchlane König Ludwig XI. ald Mittel gegen Philipp und feinen Sohn Earl den Kühnen nährte und vie zulett den fchredlichen Untergang ver Stadt zur Folge hatten. Nach längerer Zeit einer befeftigten Herr» ihaft wurde inbeffen Bourbon das Opfer der Rache bed verrätheriichen Biihelms de la Mark, Herrn von Ahrenberg, ver ihn 1482 mit eigener Hand ermorbete, ein Verbrechen, wofür ihn fpäter 1485 Kaifer Mari« milian umbringen ließ. Das 27jährige blutige Drama wurde nicht bloß in Balter Scotts Quentin Durrard in einer freilich fehr geſchichtswid⸗ rigen Weiſe behandelt, fondern fand in einer meifterhaft gefchriebenen Monographie von Herrn von Gerladhe 1831, jowie in Barantes histoire des Ducs de Bourgogne fehr gelungene Bearbeitungen, vie in Bolain’s md Henaur's Geſchichten von Lüttih großen Theils zu Grunde liegen. Auch Referent entwarf in feiner oben erwähnten Weberficht der Gefchichte rũttichs Davon ein quellengetreues hiſtoriſches Gemälde).

Es ift daher das Gegentheil der Wahrheit, wenn der kaiſerliche Reichs⸗ archiviſt Garnier (der den Püttichern zugleich ihre einftige Wiedereinvers kitung in Frankreich ankündigt) nicht blos erklärt, dieſe Epifote ver Lũtticher Geſchichte ſei noch unbearbeitet (während er Gerlahe überall benägt), fonvern aud wirklich feinen Helven, ven völlig elenven Louis ven Bourbon rein waſchen und als ein unjchuldiges Opfer der Demagogie hinftellen will. Daß ver Biſchof deren Opfer warb, ift richtig; allein er bat dieß zunächſt ſich felbft und feiner verehrten Politik zuzufchreiben. Mit Net hat Herr Henri Helbig in dem Lütticher Tagblatt la Meuse

182 Ueberficht der Hiftorifchen Literatur von 1860.

vom 18. September 1860 Nro. 223 ein nur zu gemäßigtes Verdam⸗ mungsurtheil über das oberflächliche, parteiiiche, ganz unhiſtoriſch ausge⸗ führte und werthlofe Machwerk Garnier’8 ausgeiproden. Referent muß die deutfchen Gejchichtöfreunde warnen, Garnier's Darftellung, bie den Angaben jervil burgundiſcher Parteigänger folgt, Glauben zu fchenten.

Zur Geſchichte des Lütticher Tandes gehört auch die der berühmten Bäderſtadt Spa. Herrr Ferd. Henaur hat das Verbienft, in dem unter Nro. 3 aufgeführten Buche viefelbe in anziehender Weiſe beichrieben zu haben. Sie bildet ein würdiges Seitenftüd zu feiner Gejchichte der Stadt Berviers ?).

Derjelbe Berfafler bat in der mit Nro. 4 bezeichneten ans dem Bulletin de l’institut archeologique Liögois Bd. IV p. 301 abgebradten Schrift; Notice sur le Palais Carolingien & Liege die Eriftenz eines Ka» rolingijchen Palaftes in dieſer Stadt nachzuweiſen verfucht, die ſich ans ber in ber Vita St. Huberti angeführten Thatſache v. 3. 748 ergebe, daß bei der Translation der Reliquien dieſes Heiligen Pipins Vruder Karlomann fi) von demjelden aus in die Kirche begeben babe, um fi von der vollfländigen Erhaltung des Leichnams des bL Hubertus zu überzeugen.

Da von Karl dem Großen berichtet wird, er habe 769 in Lüttich vico publico die Oftern gefeiert, fo nimmt der Berfafler an, jener ſehr umfangreiche Balaft habe fortbeftanden, der 774 ver Aufenthaltsort des entthronten Longobardenkönigs Defiderius geweſen, dann fpäter gegen 971 in das Eigenthum ver Fürftbiichöfe gefommen und im Laufe ber Jahrhunderte durch das jett noch erhaltene Palais derſelben erjegt wor⸗ den. Aus des Verfaſſers Unterfuchungen geht wenigftens hervor, daß (was ohnehin natürlih war) die Karolinger eine Wohnung ober ein Ab» fteigequartier in Lüttich hatten, doch dürfte e8 fchwerlich den Namen und die Bedeutung eines Palatium gehabt haben.

Außer dieſen Unterfuchungen haben wir noch eine gründliche im Bd. IV Liv. 1 ©. 159—175 veröffentlichte Notice sur le quartier de le

1) ©. au befien Anzeige von Henaur histoire de Liege in ben gelehrtem Anzeigen ber !gl. Alabemie vom 31. Oltober 1859. ©. 387 fi. N 6, vie hiſtoriſche Zeitſchrift Bo. IV &. 260.

Belgien. 183

Senveniere in Lüttich von Herrn Ferd. Henaur zu rühmen, bie ſich an deſſen 1857 im III. Bd. ©. 350 eingerüdten Note sur le Pont des Arches, nihließt. Die unter jenem Namen berühmte uralte Maasbrücke wurde tur) eine neue im Jahr 1859 vollendete erſetzt, was die Beranlaffung zu geichichtlichen Unterjuchungen über die ältere wurde ; unter benfelben wird tie histoire du Pont des Arches recherches archeologiques par E. M. O. Dogaee (VI u. 143 ©.) im Bd. II der Revue trimestrielle von 1861 ©. 384 bejonver® hervorgehoben.

Diefen Schriften find die vom Referenten unter Nro. 1 aufgeführ- ten Arbeiten des ebenſo gelehrten als claſſiſch gebilveten Lütticher Alter thums⸗ und Geſchichtsfreundes Dr. Ariftive Cralle anzureihen. Seine in Driefforu gejchriebeue Revue des monumens de Liege vom J. 1856 jagt und, was bie von ihm geichilverten Baudenkmale einjt waren und was fie jebt find. Seine Souvenirs archeologiques vom Jahre 1860 keginnen mit einer ffiszenartigen Ueberſicht der Geſchichte Lüttich und enthalten genaue Angaben über die Entftehung und Geſchichte jener Mo⸗ mumente, über deren neuefte, zwedmäßige oder mißlungene Reftaurations- verfuche er fich in feinen 1859 erjchienenen Lettres sur les travaux publics et embellissements de la ville de Liege ausſpricht, jowie in etwas ſaty⸗ rijcher Weiſe pjeubonym bei Gelegenheit der dem König Leopold im cs teber 1860 in Lüttich gegebenen Feſte.

Alle dieſe Schriften find ſchätzbare Beiträge zur monumentalen Ge⸗ ihichte einer Stadt, welche in biejer Beziehung noch bis auf unfere Tage znbeachtet blieb. Von verjchievener Art aber nicht minder belangreich für vie Gefchichte Lüttichs find die beiten unter Nro. 5 und 6 von uns aufgeführten gleichfalls zuerft im Bd. IV des Bulletin de l’Institut archeo- logique erſchienenen Abhandlungen.

Eine Geſchichte ver philoſophiſchen Studien in Püttih dürfte wohl für etwas Unmögliches gehalten werben: denn wer bat je von einem auch nur einiger Maßen namhaften Philojophen in der dem ftreng kirch⸗ lichen Prieſterdruck untergebenen Stadt gehört? Herr Dr. U. Leroy, Brefeffor der Philofophie an ver Univerfität dafelbft, ſchließt uns daher in feiner Schrift eine wahre terra incognita auf. Indeſſen fagt er und ſo⸗ gleich S. 10, daß die von ihm aufzuführenden Männer ihr Loos ver- gefien zu fein verdient hatten, und daher nur ihrer Beitrebung wegen vor» geführt werben ſollen.

184 ueberſicht ber Hiftorifchen Literatur von 1860,

Die Schrift Leroy’s ift Übrigens ein mit gründlicher Sachkennt⸗ niß und geiftreih gejchriebener Abriß der Geſchichte der Bhilofophie im 17. und 18. Jahrhundert mit fortlaufender Angabe der Einwirkung ber verfchiedenen Doctrinen "auf das buch die biſchöfliche Cenſur som Ausland foviel wie thunlich abgejperrte, geiftig von ben Jeſuiten be berrichte Land. So lange wie möglih waren letztere Vertheidiger ber falichen Ariftoteliihen Philofophie des Mittelalters, unterlagen aber zn» letzt dem Cartejianismus. “Diefer hatte auch feine Vorkämpfer in Löwen und neben beiden Richtungen war die von Ban Helmont dort weiter ausgebildete der Theofophen und der Anhänger der aud von vem Fürftbifhof Mar von Bayern geliebten Alchymie (S. 72) fichtbar. Die freieften Denker des Landes waren Aerzte. (S. 117) Auch einen Rechte» philofophen hat das Land aufzuweiſen in Mathias ve Grati, der 1676 einen Discours du droit moral et politique heransgab. Mit großer Ges nauigfeit gibt ver Berfaffer eine Skizze der Anfichten und Doctrinen bie jer von ihm richtig bezeichneten Halbgelehrten. Unter der Regierung des aufgellärten Yürftbiihofs von Velbruck begann eine freie intellectuelle Bewegung im Land. Das Journal encyclopedique wurde in denſelben gebrudt, ebenfo die von Rouſſeau redigirte Encyclopedie methodique. An- dere Werke von berühmten franzöſiſchen Freidenker wurden nachgebrudt. Als 1789 die Pütticher Revolution ausbrach, waren die alten Schulboc» trinen in Vergeſſenheit gerathen und alles vorbereitet, dem Boltärianismus und der jenjualiftiichen Philofophie Franfreihs Thür und Thor zu öffe nen. Sie war noch Herrin im ande zur Zeit der Errichtung der Uni» verfität Lüttich im Jahre 1817, und mr mit größter Mühe gelang es beutfchen Lehrern, jüngere Männer für vie beutiche Philofophie zu in⸗ tereſſen. Indeſſen liefern vie Arbeiten des leider zu früh verftorbenen Profeſſors Tandel und unferes Verfaſſers ſelbſt, namentlich das bier be ſprochene Buch, den Beweis, daß die dortigen Vertreter der philoſophi⸗ ſchen Wiſſenſchaft jest rühmlich auf ber Höhe des Jahrhunderts ſtehen.

Die zweite Schrift (Nro. 6) iſt allen Geſchichtsforſchern nicht bloß Belgiens ſondern Frankreichs und anderer Länder zu empfehlen. Die Fürſtbiſchöfe hatten eine heraldiſche Behörde, an deren Spitze ein fogen. Heraut d’Armes für Lüttich, vie Grafſchaft Looz und das Herzogthum Bouillon ſtand. Das Amt war unter Anderem deßhalb von Wichtigkeit, weil nur Mitglieder des alten Adels fühig waren, Domherrn (Tresfoncieres)

Belgien. 185

ven St. Lambert zu werben. Im Jahr 1682 übertrug der Fürſtbi⸗ hei Marimilian Heinrih von Bayern dieß Amt dem in Bervierd ge⸗ beremen Sean Gilles Lefort, deſſen Oheim es begleitet, ihn zwanzig Jahre lang zum Gehülfen gehabt und berangebilvet hatte. Im Jahr 1688 emannte ihn Leopold 1. zum kaiſerlichen Heraus d’Armes für den Nieder⸗ them. 1701 gab ihm der Kaijer auf feine Bitte in feinem Sohne Ja⸗ ques Henri Lefort einen Nachfolger, dem denn auch vom Fürſtbiſchof me Stelle feines 1718 verftorbenen Vaters übertragen wurde. In feiner erſten Eigenſchaft hatte lepterer den Titel eines Scutarius eques et miles sureatus ac sacri Palatii et anlae Lateranensis comes (p. 339 des Lulletin t. IV). Er ftarb den 3. Oktober 1751.

Die beiden Lefort haben ſich nun dadurch ein inmnerbleibendes Vers dienſt erworben, daß fie jehr ausgevehnte genenlogiihe Sammlungen und Negifter anlegten, weldhen man noch jett eine Menge der wichtigiten Notizen entnehmen kann. Sie beftehen 1) aus 25 Bänden Genealogies de familles nobles, welche 710 ©enealogieen enthalten; 2) aus 27 Bän⸗ ven eine® Recueil divers und 3) aus Fragments genealogiques de fu- milies mobiles et bourgeoises de Liège et pieces a l’appui.

Diefe Sammlungen wurden mit Zuftimmung ver Landſtände 1762 ven der Regierung gelauft und befinden fi jest im Provinzialardiv za Lüttich. Herr Arhivift Bormans bat nun zu dieſen Sammluugen an gemeinjames alphabetiſches Regiſter gefertigt mit genauer Angabe ver Pagina jeder derjelben, wo ſich Angaben über die Familien befinden, und tiejed Regiſter hat der archäologiſche Verein in feinem Bulletin Bd. IV. 5. 349 —496 und daraus auch beſonders abtruden laffen. Unter den dar⸗ m aufgeführten veutichen Apelsfamilien bemerken wir die Dalberg, vie Herzoge von Bayern die Bentind, Brandenburg, Grousfelt, Ingel⸗ kim, Metternich, Löwenftein, Naffau, v. Quadt, Sayn, Schwarzenberg, Beftphalen u. f.w. Man kann jederzeit Abjchriften der im den drei Sammlungen enthaltenen genenlogifchen Notizen erhalten.

B. Slandern.

Bruges et le Franc, ou leur magistrats, leur noblesse etc. Bruges, 1860. 8.

P. Heyndriks, Jaerboeken van Veurne en Veurnambacht uitgegeven door E. Ronse. 3, Deel. Gand.

186 Ueberfiht ber hiftorifchen Literatur von 1860.

J. L. W. Diegerik, Inventaire analytique et chronolo- giquo des Archives de la ville d’Ypres t. V. Bruges. 312 ©.

Inscriptions fundraires et monumentales de la Flandro orien- tale. IV. Livr. 22 23. 4.

Kervyn de Volckersbeke, Les &glises de Gand, 1859. 2 Vol. 8. von 852 n. 390 ©. nebft Stichen.

C. Prabant, Antwerpen und Kimburg.

L. Galesloot, La province de Brabant sous l'’oempire ro- main. Brux. 1859.

A. van denEynde, Tableau chronologique des ecoutetes bourgne- meströs et Echevins de Malines depuis 1236. 9iéme livraison.

Ecrivisse, Verwoesting van Maestricht hist. Taferecl cist, de XVI. L. 305 ©. 4. mit 4 GStiden.

Inseriptions fun6raires de Ia ville d’Anvers. 49 livwr.

E. Gens, histoire de la ville d’Anvers livr. 26—37. An- ndes 1860. Nach ber Bollendung bes Werles werden wir eine Jubaltsangabe zu geben verſuchen.,

ni. Lebensbeihreibungen und Genealogien. Fr. de Potter, Vaderlandsche Biographie. Gand. 187 ©. 8.

C. F. A. Piron, Algemoene Levensbeschryving der ver- maerde Manen en Vrouven in Belgie. Vilvorde. 25. Liv.

V. Gothaels, Miroir des notabilitds nobiliaires de la Belgique. Liv. 7 et 8. Brux. 4.

N. 8. van derHoyden, Notice historique et göndalogigque de la maison de Lebidarts-Thaumaide.

Lacroix et van Meonen, Notice historique et bibliogra- phique sur Philippe de St Aldegonde. Bruxelles. 118 ©. 8.

R. Chalou, le dernier duc de Bouillon (1815) extrait de t. I de la Revue historique et archedologique. Brux.

Belgien. 137

De St. Genois, Notice sur Leu Jos. van der Vynckt, membre de l’Acaddmie de Bruxelles. Gand 1860. 34 ©. Befonderer Ab- bad aus dem Messager des Sciences historiques.

IV. Beröffentligungen der Societ# de I’histoire de la Belgique.

Me&moires Anonymes sur les troubles des Paysbas 1565 1580 pablies par J. B. Blaes. t. 11. 405 ©.

M&moires de Frederic Perrenot Bieur de Champagney 1573—15%0 avec notice et annotations parA.L.P. de Robaulx do Soumoy. XCIX tb 426 ©. 8. "

Ms6moires de Pontus Payen, avec notice et annotations par Al, Henne tom. I XXVIII u. 368 ©. t. 11 erihienen 1861. 280 ©.

Me&moires de Philippe Warny de Visenpierre sur le Biöge. de Tournay en 1581 publ. par A. G. Chotin.

Commentaires de Bernardo de Mendoca sur les dvenemens de la guerre des Paysbas 1567 1576 traduction nouvelle par Loumier avec notice et annotations par le colonel Guillaume. t. I. XXVI unb 401 ©.

Der Berein zur Herausgabe der Collection des M&moires sur l'hi- stoire de la Belgique verdient fortwährend das größte Lob. Im Ber: laufe des Jahres 1860 publicirte er vier umfangreihe Bände und ven Anfang eines fünften. Er verdiente von allen Geſchichtsfreunden Deutſch⸗ lands, namentlich den deutſchen hiftorifchen Vereinen, auch finanziell unter- ſtützt zu werben, da, wie und mitgetheilt ward, bis jett die gemachten Opfer turch ven Abſatz ver erfchienenen Schriften bei weiten nicht gevedt fin.

a8 den zuerft genannten 11. Band ter von Herrn Blaes heraus⸗ gegebenen Memoires anonymes betrifft, jo bevauert Referent nocd immer nicht8 Näheres über deren gejchichtliche Bedeutung und Wichtigkeit fagen ja fürmen, da die vom Herausgeber verjprodhene und auch kürzlich er⸗ ſchienene Einleitung auch mit biefem Bande ihm noch nicht zugefommen iſt. Doch erleichtert die genaue chronologijche table des Matiöres (5.301) tie Benügung ber auf die Jahre von 15771578 bezüglichen Mitthei- kımgen, welchen unter ven Pieces Justificatives 21 Schreiben und Des reihen ans biefer Periode beigefügt find.

188 Ueberfiht der Hiftorifchen Literatur von 1860.

Die Memoiren Friedrich's Berrenot Sieur de Champagney, Bruders von Granvella (No. 2) find vom Refer. ſchon in einer 1860 im B. IV diefer Zeitihrift S. 239—244 enthaltenen Anzeige beiprodhen worden.

Den Herausgebern aller Bände gebührt das Lob des geeignetften Berfahrens; Herr von Robaulx fehidt dem Texte ver Memoiren Cham⸗ pagney's eine XCVIII Seiten füllende Biographie feines Helden voran, Oberſt Guillaume eine kurz gefaßte Lebensbeſchreibung Mendoca’s auf XXVIS, und Al, Henne Nachrichten und Mittheilungen über Pontus Payen Seigneur des Essarts. Keiner der drei Verfaſſer der Denkwürdigkeiten gehört der Aufftandspartei an: Mendoça der Spanier ift der entſchie⸗ denſte Anhänger Philipp's II. und feiner Politik, Bewunderer Alba's, und beurtheilt die niederländiſchen Zuſtände vom ſpaniſchen Geſichtspunkte aus. Champagney und Pontus Payen ſind zwar entſchiedene Katholiken und er⸗ klärte Gegner des Prinzen von Oranien, verwünſchen und haſſen aber nicht minder die Spanier, deren Entfernung aus dem Vaterlande eine Hauptaufgabe der politischen Beftrebungen des erfteren ift.

Die Verſchiedenheit ihrer Parteiftellung erklärt die von einander ab- weichenden Aeußerungen und Schilderungen mancher Thatjadhen und ven radicalen Gegenſatz ihrer Denkwürdigkeiten zu den im B. IV ©. 227 biefer Zeitjchrift angezeigten von Jaques v. Wefenbefe. Rülckſichtlich ver Zeitabfchnitte beziehen fich die Champagney's auf die Jahre 1573—1590; bie Mendocas ſchildern die Kriegsereigniffe zwiichen 1567 und 1577, die von Pontus Payen enthalten zwei verfchievene Aufzeichnungen, 1. über ben Gang der Dinge von 1539 bis zue Ankunft des Herzogs Alba im Jahr 1567 (B. I und B. II) bis p. 40) und 2. eine Darlegung ber Ereigniffe in Arras 1577 und 1578. B. 1 ©. 48 ff.

Eine Zufammenftellung der Ergebniffe eines vergleichenden Stubiums biefer nen eröffneten Gejchichtsquellen über die niederländiſchen Aufſtände Scheint Refer. in gegenwärtiger Anzeige nicht an ihrem Plage zu fein, fie verlangt ein kritiſches Eingehen auf vieles Einzelne. Erſt nah dem Er⸗ fheinen ver übrigen Bände der auf biefe Zeit bezüglichen Denbk⸗ wäürdigkeiten kann eine auch alle andern Geſchichtsquellen berückſichtigende Arbeit diefer Art in einer befonvern Abhandlung verjucht werden. Refer. begnügt fich daher, hier nur einige Notizen hervorzuheben.

Friedrich Perrenot, Öranvella’8 jüngfter Bruder, den 3. April 1536 in Barcelona geboren, trat ſchon 1550 in Kriegsvienfte, machte

Belgien. j 189

Alba's Züge in Italien mit, erlangte bald ven Grad eines Capitains ter Cavalerie, gehörte 1558 ber höheren Hofdienerſchaft Philipp’s II. an, jah aber jein Streben, ein Kommando zu erhalten, nicht in Erfül« lung geben. Er betbeiligte fih am Apelscompromiß in Brüffel, trat aber fofort zurüd.

Rah Belangen fi zurüdziehend erwarb er fi durch verjchievene in Religionsangelegenheiten geleiftete Dienjte die Gunſt Philipp’s und wurte 1571 zum Militär und Civilgouverneur der Stadt Antwerpen emannt, geriet aber bald mit dem Commandanten der Citadelle Sancho dAquila in Gollifion, beflagte ſich erfolglos bei Alba und bei Philipp LI. 1573 über deſſen Regiment in den Niederlanden zur Zeit als Medina Coeli gejandt wurde, um Alba abzulöjen. Er gab die Mittel und Wege an, welche er für die einzig möglichen hielt, vie Ruhe und den Wohl⸗ fand des Landes wieber herzuftellen. Dieß ift der Inhalt feines ©. 221 xtrudten Discours sur les affaires des Pays bas, einer an ben König ge- richteten Denkſchrift, im Folge der Ueberrumpelung Antwerpens durch tie meuterifchen ſpaniſchen Truppen im Jahre 1574 (worüber fih in dieſer Zeitihrift B. IV S. 241 die Hauptſache mitgetheilt findet) verließ & tiefe Stabt.

Er wurde darauf mit Friedensunterhandlungen in Holland beauf- tragt, und nahm auch an dem in Breda gepflogenen und erfolglos ge⸗ bliebenen Congreß Theil. Als Tadler der ihm verhaßten, noch im⸗ mer befolgten jpanifhen Politik gerieth er in Dppofition mit Requeſens, wurde dann nah England geihidt, um die Bewer- kungen Oraniend und der Aufſtändiſchen bei ver Königin Elijabeth zu vereiteln, was, wie er fi rühmt, ihm gelungen if. Seine an Reques ſens und nach deſſen Tod an den Staatsrath geichriebene Briefe find im Appendice ter Memoires 5. 311—410 gebrudt und inhaltsreihe Docu⸗ mente über jeine freilich nur kurze Mijfion vom 15. Jänner bis 28. März 1576. Da Requejens deu 5. März geftorben war, jo ftand Perrenot aum unter ber Regierung des Conjeil d'Etat und den alsbald einberufe- nen Generalſtaaten, leijtete (immer noch als Gouverneur von Antwerpen) bedentende militärijche Dienfte und warb auch anfangs von bem neuen Statthalter Don Yuan d’Auftria gut aufgenommen, verdarb aber bald mit ihm und dann mit den Ständen jelbft jein Spiel da er als Oranien fich neigend verbächtigt wurbe, während biejer ihm als fanati⸗

1% Ueberfiht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860.

ſchem Katholifen noch weniger traut. Seine Stellimg wurde unbaltbar, anfangs dem Staatsrath affeciirt, ward er auf eine Anflage der demo⸗ kratiſchen Conmiffion der Achtzehner zu Brüjfel aus vemfelben entfernt, in einem Bollsauflanf feitgenommen und unter falfchen Vorwande nad Gent in Haft gebradt, wo die von Oranien gefhüsten Hembyſe und Reyhove ihre Weſen trieben und Perrenot, nachdem er in Folge von Plün⸗ derungen fein ganzes Vermögen verloren hatte, in tieffter Armuth, aud von feinem mit ihm grollenven Bruder Granvella verlaffen, ſechs Jahre und einige Monate im Gefängniß gehalten wurde. Er fpricht von feinen ihlimmen VBermögensverhäftniffen in einer Memoire sur les affaires per- ticulieres (©. 325).

Unter dem Statthalter Alerander Yarnefe erhielt er ald Belohmmg feiner Bemühungen für die Wieverherftellung des guten Einvernehmen der flandrifchen Oberbehörden und des Prinzen 1584 die Gouverneur⸗ ftelle der Citavelle von Gent und 1585 feine frühere in Antwerpen, ge- rieth wieder in Conflict mit dem Commandanten der dortigen Citadelle gerirte fi) abermals als leivenfhaftlichen Oppofitionsgmann und feind- jeliger Tadler Parma's, der endlich ven mit jeder Regierung unzufrievenen Mann (unter Zuftimmung Philipp’s) aller Functionen enthob, worauf er fih nah Dole in der Franche Comté zurüdzog und bis zu feinem im J. 1600 erfolgten Tode mit Abfaffung von Denkſchriften beichäftigte und einen fehr ausgedehnten ſechs Folianten füllenden Briefwechſel unterhielt. Es bot fi ihm auch Gelegenheit, in Staatsangelegenheiten ſich thätig zu zeigen.

Unter feinen fpätern Denkſchriften find die ©. 253 und 303 in franzöftfcher Ueberfegung veröffentlichten Discours sur les affaires des Paysbas von 1589—1590 fehr Iefenswerth. Sie enthalten den empfind- Iihften Zabel der Regierung Aleranters von Parma, als eines von feinen Creaturen ausgebeuteten ſchwachen Mannes. Er zeigt, wie in Folge der feit Alba’8 Sendung befolgten Bolitit des Königs der Wohl- ftand der Niederlande ohne allen Gewinn für das königliche Intereſſe und die fatholifche Religion zu Grunde gehen mußte und gibt als vie einzigen auch jett noch zur Herbeiführung beſſerer Zuftände anzuwendenden Mittel vie zwei fehr frieblichen an: Wieverherftellung der verfaffungs- mäßigen nur Einzelnen zu übertragenven Panbesregierung und gute res ligidſe Bollserziehung durch einen beſſer gebilveten Klerus, als der war,

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veffen Unwiffenbeit er al® die Haupturſache ver Verbreitung der neuen GElanbenslehren betrachtet.

Pontus Payen, Bürger von Arras und Befiter der Herrſchaft des Charts, erhielt den 17. Mai 15°2 durch Philipp II. ein feine frühere Crhekung in ven Adelsſtand beftätigendes Diplom, war alſo königlich mb fireng katholiſch gefinnt jedoch beides nicht in fanatijcher Weile. Er erflärt vor 1566 e8 mit den beften Katholiken für allzuftreng, vie ie Irrthümer abſchwörenden Kezer dennoch mit dent Tode zu beftrafen, überhaupt ruhig lebente Lente ihrer religidfen Meinung wegen in Unter« nhung zu ziehen und Strafen zu unterwerfen, warb aber nach dem Bilverfturm anderer Anficht, indem er beilen Gräuel ver ven Neuerern geichentten Rachficht zufchreibt. Die Spanier haft er von Grund feines Herzens: viele im Lande wohnende hätten (jagt er) an ven üppigen Mahlzeiten reicher Niederländer Theil genommen, veren geheime Ge» vanfen beim Nachtiſch abgelodt und fie dann in Madrid angeſchwärzt. Ucher Alba und den Blutrath fällt er ein ftrenges Urtheil ſchreibt ten Tod Egmont's Alba's Eiferfuht und Neid zu. Da die Negentin die Ruhe wieder bergeftellt gehabt, jo jei vie Beſetzung des Landes durch Spanier nicht mehr nöthig gewefen. Auch von den Franzoſen hat P. Foyen eime nichts weniger als gute Meinung und felbft niederländiſche Staatsbermte werben von ihm nicht gefchont, wie van Meghem, ven er un meigr& poux qui voulait s’engraisser nennt, fowie ſelbſt der als Gelehrter von ihm geehrie Granvella, von dem er fagt, er babe ein coeur flam- boyant de vengeance pour les oultrages, qu’il avait recus, da⸗ gegen wird mancher ausgezeichnete Mann der Gegenpartei mit Lob zenaunt, 3. DB. der zu Wuftruvell bei Antwerpen von Beauvois ges ihlagene und fein Leben copfernde Johann von Marnir, Bhilipp’s Drurer. Dranien findet aber feine Gnade vor ihm. Er erflärte ihn für feig und unfittlih. In den eriten Denkwürdigkeiten von Pontus Fugen werben viele bisher wenig belannte Einzelnheiten aus den Zeiten vn 1559 1567 mitgetheilt; in den jpäteren zum erſtenmal von Motley 11. 1 vollſtändig benügten wird die Geſchichte ver Ereigniffe zu Arras 1589 erzählt, d. h. die bort ftattgehabte antioranijche Gegenrevolution uud bie Berbrüderung der walloniſchen Provinzen mit der vom Herzog vom Aerſchot geleiteten Partei der royaliſtiſch gefinnten Malcontents: Greiguiffe, weidhe bie definitive Trennung ver füplichen Mieberlanne

198 Ueberfiht der hiſtoriſchen Literatur von 1860.

von den nörblichen zur Folge hatten. Der Name eines Geſchichtſchreibers im wahren Sinne des Wortes kann nah dem Herrn Herausgeber bem Verfaſſer dieſer Diemoiren nicht ertheilt werben.

Unbeanftandet fommt dagegen der Ruhm: eines Hiftorilerd Ber⸗ nardo Mendoca zu, deſſen aus dem Spanijchen von Loumier neu überjegten Commentaires sur les evenemens de la guerre des Paysbas, ein wahres Geſchichtswerk find. Bei deren Abfaſſung hat ver ebenfo ge⸗ lehrte und ſtaatsmäuniſch gebilvete wie tapfere Kapitain fi Julius Cäſar zum Vorbild genommen. Er gehörte einer der erjten Avelsjamilien Spa» niend an; 1530 geboren, machte er unter Carl V. den Zug nah Oran mit und 1567 als Freiwilliger die Erpebition in den Niederlanden, nahm, von Alba beſonders geliebt, an allen Schlachten Theil, zulett an ber von Don Juan d’Auftria 1577 gewonnenen, aber nicht benütten von Gem⸗ blour. Im Jahr 1574 befehligte er, zum Rang eine Maestro de Camp erhoben, ein bedeutendes Reitercorps. Nach dem Jahre 1577 iſt er mit diplomatiſchen Miſſionen betraut, wie 1578 bei Eliſabeth, wo ihm Phi⸗ Iipp IL 40 50,000 Ducaten zur Berfügung ftellte, um vie Minifter ber Königin zu beftehen; dann 1584— 1590 in Franfreih, wo er im Namen feines Herrn die gegen Heinrich II. und Heiuric IV. arbeitende Ligue leitete oder unterftügte. Seine im Archiv zu Simancas aufbes wahrte umfungreihe Correfponvenz mit Bhilipp ift daher tür jene Zeiten eine wichtige Geſchichtsquelle.

Bon Blindheit bedroht zog ſich Mendoça nın von den Staatsge⸗ ichäften zurüd, arbeitete aber mit Hülfe der einft täglich gemachten Auf» zeichnungen fein Geſchichtswerk aus. Es erjchten 1592 ein anderes, bem Prinzen Philipp (nachherigem König Philipp IN.) gewidmetes Buch; feine auch durch politiiche Betrachtungen auszeichnende Theorica y practica di guerra war ſchon 1577 von ihm herausgegeben worden. Er überjeßte auch bes Philojophen Lipfius Bücher de republica ind Spaniſche. Die Comentarios find vom 2. Buche an eine genaue von Strada, Benti⸗ voglio und allen andern wohl benüßte Gejchichte der von Spaniern im ben Nieverlanden zwijchen 1567 und 1577 geführten Kriege. Das erfte Buch enthält eine Ueberſchau des Aufitandes von feinem erften Urfprung an, welches deshalb von beſonderer Wichtigkeit ift, weil fie vom ſpani⸗ ſchen Gefichtspunkte aus gejchrieben, und die Hauptmotive der Politik

Belgien. 193

Philipp's IL und feiner Gehülfen und Anhänger enthüllt, welche die des Schutzes ver Religion waren. Mendoca ſchildert das allmälige Umſich⸗ greifen der Lehren der Sektirer beim ganzen Volfe, welches ver Adel zu ken Zwecken außsgebeutet babe. Den Bilverfturm von 1566 fieht er als das Werk einer in der Berfammlung zu Saint Trond unter den Häuptern der Aufftandspartei getroffenen Verabredung an. Dem Gars ya ift eine Guiccardini entnommene Beſchreibung ber niederländiſchen Provinzen vorangeſchickt.

Die trefflihen Anmerkungen des Herrn Herausgebers erleichtern das Etubium des übrigens fchon für fich ſelbſt fehr anziehenden Wertes. Der vorliegende erfte Band enthält vie erften in Capitel mit geeigneten Ueberjchriften getheilten fieben Bücher.

Die Memoiren Warny's über die vom Prinzen von Parma gelei- tete Belagerung Tournay's im I. 1581 erftreden fi ſammt einem Ap⸗ pendix nur auf 40 Seiten und bilden den Anfang eines Bandes, in weichen eine Anzahl kleinerer auf vie nieverlänpijchen Unruhen und Aufs ſtände im 16. Jahrhundert bezüglichen Schriften veröffentlicht werden ſellen

Der königlich gefinnte Verfaſſer dieſer Denkſchrift, Philipp Warny ans Bisenpierre bei Tournai, befand ſich in der belagerten und von ver keroifchen Fürftin Espinoi, gebornen Gräfin von Hornes, vertheidigten Stadt. Begonnen ven 5. Okt., endigte vie Belagerung mit ver Ein⸗ nahme der Stadt den 27. November. Der Berf. bemerft am Ende ſei⸗ sr Erzählung, es feien 10,500 Kanonenkugeln auf die Stadt abgejchof- in und 594 Menichen aller Klaffen in verjelben getödtet oder verwundet worden. Der Anhang enthält die auf die Uebergabe der Stabt und ben

glorreihen Abzug der Zürftin und ihrer Truppen bezüglichen Aktenſtücke.

V. Beröffentligungen der Commisalon reyale de histoiro de la Belgique.

1. Compte rendu des Seances de la Commission royale d’histoire on Recueil de ses Bulletins. Troisieme serie t. I. 3. et 4. Bulletin t. 11. 1.— 3. Bulletins,

Diefe vier Lieferungen enthalten außer ven Sigungsprototollen und den in benfelben an die Commiffion gefchriebenen Briefen eine nicht ge⸗ ringe Zahl wichtiger Gejchichtöquellen, Regeften u. ſ. w. Wir heben hervor:

a) Die Bortfegungen ber Liste analytique des documents Concernant

Pibex iſche Zeitfgrift VL Bam. 13

14 Ueberſicht der hiſtoriſchen Literatur von 1860.

T'histoire de lg Belgique conserres au State Papers- Office in ®onbon, ge fertigt von dem Seitens ber belgifchen Regierung auf ihre Koften bahin gefanbten jungen Gelehrten van Bruyffel 8. I ©. 151 8. Il. S. 829.

b) Notice sur les Archives d’Aurich et d’Emden et les documens re- latifs au soulevrement des Paysbas jusqu’ & la mort de Guillaume de Taei- turne, vom Archivrath Dr. Klopp (1. 167).

c) Extrait de l’inventaire des archives de l’abbaye de Saint- Hubert redig& en 1750 v. Hourt. I. 272.

d) Analectes historiques 8. Serie par Gachard I 311 - 296.

e) Douze lettres de Laevinus Torrentius in 2üttih & Jean Fonck Garde de Sceaux pour les affaires des Paysbas à Madrid (v. 1583 1585), mit- getheilt von Herrn de Ram, II p. 11—62.

f) Venerabilis Gerardi Magni de Daventria (} 1384) epistolae VIII ex duobus codic. bibl. publ. Argentoratensis. Bon bemfelben (p. 66—IM). Gr iR Stifter ber Congregatio fratrum vitae communis.

g) Extraits della correspondance diplomatique des envoy&s du Duc de Savoie Eman. Philibert pres la cour de Vienne pendant les troubles de Paysbas, mitgetheilt von Giufeppe Erespi in Turin II. 229.

h) Notice d’un Manuscrit intituld Cartulaire de van den Bergh, cos- servd aux archives de l’Etat à Liege, mitgetheilt von Stanislaus Bormans (p. 276). Diefe von bem Lüttiher Canonicns v. ben Berg, einſt Wappem herold, angelegte und von feinem Nachfolger 3. Le Fort forgfältig bewahrte Handſchrift entHält Copialien von Urkunden, beren älteſte dem 10. Jahrhundert angehört und bie Iettten dem 16. Die von Herrn Arch. Bormans baraus fehr zwedhnäßig gefertigteu Regifter find um fo fhätenswerther, als bie alten 1794 nah Deutſchland geflüchteten Urkunden des Hochſtiftes Lüttich nicht mehr anf zufinden find.

i) Abdrud einer Chronicum Diestense von 1142 bis 1530 nebſt Urkun⸗ den, mitgetheilt von Herrn Reymalers, Prior ber (wieberbhergeflellten) Abtei Bare bei Löwen, II, &. 392

Ned haben wir einige der Commmiſſion von Mitgliedern verjelben erftatteten Berichte zu erwähnen. Es find dieß:

a) ber von Herrn Gachard über von Hoynd van Papentrocht einem Canonicus Hollander als Verfaſſer zugejchriebenen Discours de troubles de Gand (1539 40) B. 2 ©. 250. Nah dem von ber kaiſerl. öfterr. Regierung ber belgiſchen überlaſſenen Original (nebft Concept) er⸗ gibt fi, daß dieſelbe offiziell ſchon 1540 gefertigte Denkſchrift einen bel⸗ giſchen Stanterath Namens Louis de Schere zum Verfaſſer bat.

Belgien, | 1%

b) Die weiteren Berichte find die der Herren de Ram und Borgnet äber den Stand umd gefchichtlichen Werth ver Fortiegung ver Acta Sanc- toram durch die fogenannten neuen Bollandiiten.

Bekanntlich verdankt man biefe Fortjegung ber Unterftügung ver belgi⸗ ſchen Regierung. In den Kanımerfigungen des Jahres 1860 wurde die auf dieſe Unterftägung bezügliche Pofition des Staatsbudgets lebhaft ange⸗ griffen. Miniſter Rogier fand ſich daher veranlaßt, Aufſchlüſſe hierüber von ver Geſchichtscommiſſion zu verlangen, welche ja vor 25 Jahren die derperung dieſes Unternehmens ber Regierung empfohlen hatte. ‘Die Com- milfien beauftragte die genannten Mitglieder mit Abfaffung von Berich- ten hierüber. Der des Herrn de Ram begreift 72 Seiten (II. p. 120 192) und ift aud in beſonderm Abdruck erjchienen; der Borgnet’s aftredt fih nur von S. 192 198: beide erklären, daß das Unterneh⸗ men wiſſenſchaftlich höchſt wichtig fei und deſſen Ausführung binter der der ältern Bollandiften nicht zurüditche. De Ram theilt auch Auszüge eines von unjerem Per über dieſe Angelegenheit gerichteten Briefe mit, in welchen der Wunſch, daß die Fortſetzung des Werkes nicht unterbro- den werbe, auf das Lebhaftefte ausgeſprochen wird. Borgnet glaubt " Einiges tadeln zu müflen, z. B. ven Abdruck einer 700 ©. begreifenven Biographie der heil. Therefia.

Die Commiſſion fpricht fih im Sinne beider Berichterftatter aus mb beſchließt den Druck ihrer Referate im Bulletin. Herrn de Ram's Bericht ift als Annere S. 187 beigefügt eine Note sur la continuation des Acta sanciorum Belgii selecta von Ghesquière, welche gleichfalls den nenen Bollandiften übertragen ift.

2. Die zweite Veröffentlihung ver Commiſſion ift die erfte Abthei- kung de 1. Bandes ber Chronik von Dynterus. Dem ganzen aus 3 Quartbãnden beſtehenden feit 1854 erfcheinenden Geſchichtswerk fehlte bis jetzt der Anfang. Der Herr Herausgeber Herr te Nam veröffentlicht denfefben unter dem Titel:

Chronique des Ducs de Brabant par Edmond de Dynter en VI livres; pablide d’aprös les M. S. de Corsendonck, avec des notes et l'ancienne twaduetion frangaise de Jean Wauguelin. T. I. Prem. Partie: comprenant Tiatrodnetion, les opuscules de Dynter et la table analytique des Matieres. Beux. 1854 60. 295 p. 4. Nebſt Borträt bes Ehroniften (21. Bd. ber Geliection).

13*

196 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860.

Die Introduction enthält umfaſſende Mittheilungen über Dynterus, feine Schriften, die Handichriften feiner Chronik und deren franzöſiſche Ueberjeßung, den Werth des freilich nicht inner kritifchen Werkes u. ſ. w. Die angehängten Hleineren Schriften S. 1— 69 find zwar nicht von Belang, vervienten jevoh ven Abdruck. Vortrefflich iſt die auf alle drei Bände bezüglihe, von Herrn Galesloot in Antwerpen ge fertigte Table analytique des matieres. Sie wird namentlich umferen beutichen Gefchichtsforfchern ſehr willfonmen fein, weil fie ihnen die Ve nügımg des auch für die Geſchichte Deutihlands wichtigen Werkes, wem nicht erft ermöglicht, doch weſentlich erleichtert.

v1. Beröffentligungen der Academio reyale des Sciences des letires et des beaux arts.

Annuaire de "Acad&emie royale des Sciences des lettres et des beaux arts de Belgique pour 1860. XXVI. annde. Brux. 1600. 285 © 8.

Die in diejem Bündchen des Jahrbuchs ver kgl. Akademie veröffent- lichten Biographieen find: 1) bie über den am 23. Dezember 1779 geborenen und den 28. Dezember 1858 veritorbenen Botaniter Dr. A. 8. ©. Lejeune von Verviers verf. von J. Kickr. ©. 114 ff. 2) über ven Genter Prof. ver Mathematik Dr. 3. B. Mareska geb. den 9. September 1808 geftorben den 31. März 1858, von Quetelet (S. 129). 3) Die von Schayes geb. den 11. Yänner 1808 F d. 8. Jan. 1859 von Chalon S. 139. 4) die Biographie des k. nieberl. Staatsınannes von Ewyck, fräber Chef des Departements des höhern Unterrichts im Miniſterium des Innern und Mitglieds ver Akademie, geboren 1786 + 1859. Bon Quetelet. ©. 157. 5) van Ch. Morren, Prof. der Botanik zu Lüttich geb. 1807 in Gent + 1858 vom Sohne deſſelben. S. 168 251. Mit Ausnahme der van Emwyf's ftehen allen Biographieen in Stahl gejtochene fehr gut getroffene Porträts der verjterbenen Akademiker voran und ift ihnen eine Liſte ihrer ſämmtlichen Schriften und in Zeitſchriften veröffentlichten Artikel beigefügt.

Das Ende 1860 audgegebene Annuaire für das Jahr 1861 enthält ©. 129 186 eine fehr in's Einzelne gehende Lebensſtizze des ven 22. November in Athen gefterbener berühmten Parijer Akademikers Ch. Lenormant, Aflocie der Akademie von I. de Witte in Antwerpen.

Die im Jahre 1860 erjchienenen Bände IX und X des Bulletin

Belgien. 197

ver Alatmie enthalten außer ber oben fchon aufgeführten Notice sur la captivite de Francois | von Herrn Gachard noch eine Notice von Herrn Tesmet sur la Renaissance de la ville de Gand, apres la retraite des pirats da Nord (IX 287) und in Band X von Herrn Kervyn de Let⸗ tmbeve, a) ein Fragment de I’histoire des Croisades ©. 365; b) Le poces de Robert d’Artois (im 15. Jahrhundert) premiere partie p. 641.

In beiten Bänden it mehrmals von ven Verhandlungen fiber bie Ausführung ver Tgl. Berorenung vom Jahre 1845 die Rebe, in welcher ter Afabdemie vie Ausarbeitung einer Biographie nationale aufgetragen wurde. Verſchiedene Commiſſionen waren mit ver Feftftellung eines Pla⸗ nes tiefes Unternehmens beſchäftigt. Baron ven St. Genois, ihr letzter Vorſtand, machte den 10. Mai 1860 über ihre Bejchlüffe einen (auch bes inter gedruckten) Rapport sur les moyens de mettre en execulion l’ar- rete royale vom 1. Dezeniber 18413 en ce que qui concerne la publi- tstion d’une biographie nationale (37 ©.) mit Angabe ver hiezu ale Cnellen zu benügenten Schriften. Der vorgelegte Entwurf wurde gut geheißen ımb vom Minifter Rogier ven 29. Mat 1860 keftätigt (S. 35, 37 und des Annnaire von 1861 ©. 76) und dann tie Mitglieder der Redactionscommiſſion aus ben drei Claſſen der Akademie ernannt. Sie kefteht aus 16 Mitgliedern, Präfitent ift Baron ven St. Genois und Schretär Er. Fetis. (Ebent. S. 97). Eine Notize über ven Bang die— jr Angelegenheit findet ſich in demſelben Annuaire ©. 106, deßgleichen me über tie Ausjührung des kgl. Beſchluſſes betreffend eine durch die Akademie zu verfaſſende Kunftgeihichte (S. 114) jewie über bie Ar- keiten ter Commission pour la publication des anciens monuments de la Ktterstare Aamende (p. 103). Zwiſchen 1857 1860 find erichienen Maerlants Rhymbibel herausgegeben von David b) deſſen Naturbloe- men herausgegeben von Bormaus c) deſſen Alexander Geeſten herausgege⸗ ken ven Suellaert.

TIL, Sereffenlidungen ter Commissi“n royale pour la publication des anciennes lols et erdon- nancer de la Belgique. Proces verbaux des Ssances Tome III. Cah. 3 et 4. Brux. 1859. 8.

Liste chronologique dos édits ot ordonnances do 1a principaut6 de Livge de 1507 à 1684. Brux, 1860. 8.

198 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860.

Becueil des Ordonnances des Paysbas autrichiens. IH. Serie 1700 1794 t. 1 cont les Ordonn. de 18. Nov. 1700 as 23. Jun. 1706 publi6 par M. Gachard. 1 Vol, fol XXXVI unb 873- 8. f. Brux. 1870. fol.

Recueil des Ordonnances de la princoipaute de Lidge. III. Serie 1684 1794 I. Vol. cont les Ordonn. du 10. Mars 1744 au 5. Jun. 1794 par M. Poloin. Brux. 1360. IX und 1084 ©. fi. 8.

Zu den unvergänglichen Verdienſten der belgifchen Regierung ge bört auch das faft unabjehbare Unternehmen der auf Staatsloften ver- anftalteten Herausgabe aller, einft (vor 1799) in ven verichiebenen Pro⸗ vinzen geltend gewejenen Rechtsquellen. Der Gedanke dazu wurde 1846 von dem bamaligen Juftizminifter Baron ven Anethan Sr. Majeſtät vorgetragen, von legterer bereitwilligft aufgenommen ; jofort eine aus jn⸗ riftifchen uud hiſtoriſchen Notabilitäten beſtehende Commiſſion ernannt, welche nicht zögerte, ihre jchwierige, umfaſſende Thätigkeit zu beginnen, Bon 1846 auf 1848 gab fie den erften, 1852 ven zweiten Band ber Protololle ihrer Sigungen wit einer Maſſe von Rechtspocumenten und von da bis 1860 ven britten, jedesmal in periodiſch erjcheinenden Heften, heraus,

Sie ließ ferner ihre Vorarbeiten druden: nämlich chronologifcde Berzeichniffe der Edicte und Berorbnungen. a) ber öfterreichiichen Nieder» lande 2 Bde. b) des Fürſtenthums Lüttich c) des Fürſtenthums Stave⸗ Iot und Malmedi, jedoch nur die der dritten Serie d. h. die der letzten ©efetgebung ver Länder angehörenven Aktenſtücke. Endlich erichienen brei elegant gebrudte Foliobände der Verordnungen und zwar des Fürſten⸗ thums Lüttich von 1684 bis 1794 und ber öftereihiichen Niederlande von 1700 bis 1706. Die Herausgabe der erften bejorgte Herr Polain, ber zweiten Gachard, Männer, deren Name fchon für das glüdliche Ges lingen des Unternehmens bürgen.

Ref. machte vom Anfang veffelben und dem Erſcheinen des 9. I bed Recueil des Ordonnances de Litge ausführlihe Mittheilungen in ven Gel. Anzeigen ver k. bay. Alademie des Jahres 1857 Bd. XLV Nro. 47 bis 48 ©. 348— 359 und 378 383. Da ihm zur Zeit noch em Theil der Sigungsprotofolle und der chronologifchen Piften fehlen, fo be hält er fi vor, in einem folgenden Bande dieſer Zeitichrift einen voll. ſtändigen Bericht über diefe auch für die Geſchichte Dentſchlands fo ſehr Belangreiche Bublication zu veröffentlichen.

Belgien. 199 vu Vereins, und Zeitfäriften und dgl. 1) Revue historique et d’Archdologie. t. Il. Bruxelles.

2) Annales historiques, politiques et litdraires V. annde (Liege). 3) Annales de la Socidte archdologique de Namur. t. VI.

4) Revue de lanumismatique belge, publide par M.M. Chalon et Piot, t. IV. 168 p.

5) A. Piuchart, Arohivos des arts, sciences et lettres. Doeuments inddits. 1. Serie. t. I. Bruxglies.

6) Journal hist. et littdraire de Lie&ge, publid par M. Kersten. AIXVII.

7) Bulletin scientifique et littéxairo du Limbourg. Tongres.

8) Bulletin del’Institutarchdologique Lidgeois. t.’IV. Livr. le II.

9) Memoireos de la Société d’Emulation de Lidge: process verbaux et piöces couronndes: nouvelle Serie. t. 1. Lidge 1860. XXIV 2.548 p. 8.

10) Messager des Sciences historiques annee 1860. Gand. 28 p. 8.

11) Revue trimestrielle, redigee par M. van Bemmel, Brux. 25 28. 12,

Sämmtliche bier aufgeführte periopiihe Blätter find Fortfetsungen ter im Bd. IV Diefer Zeitihrift 1860 S. 264 270 vom Refer. be khriebenen oder bezeichneten Zeitichriften. Leider find nur die drei letten a feiner Kenntnißnahme gelangt und vom Inhalt des unter Nr. 8 auf- geführten Bulletin de l’institut archeologique Liegeois oben (S 182) das Nöthige gelagt worden.

Tie Memoires der Societe d’Emulation find in ein neues Stadium getreten : flatt eines Meinen Bänpchens haben wir jett einen mit Luxus getrudten diden Octavband vor uns, ver von dem großen Eifer ver Geſellſchaft ein rühmlihes Zeugniß ablegt. Man ficht überall die kräf⸗ tige Hand ihres thätigen Gefchäftsführers Hrn. Ulyſſe Capitaine. Leider

200 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur bes Jahres 1860,

enthält dieſesmal ver Band als gekrönte hiftorifche Abhandlungen nur zwei Preisſchriften über die Yortichritte der Eijenbahnprobuttion im Lättich’jchen von Fraquote und v. Warzee.

Der enter Messager des Sciences historiques enthält in feiner Ab⸗- theilung Notices et Dissertations treizehn abermals fehr geviegene Ar- beiten und in ber Chronique des Sciences et arts werthvolle antiquari⸗ fhe und literariſche Mittheilungen. Elf Stahlftihe zieren ven Band. Beſonders lejenswerth find die Gefchichte der Kirche Notre dame au Lac zu Tirlemont von Moulaert (S. 1 u. 183), vie gejchichtliche Beſchrei⸗ bung des geweienen Dominicanerflofters und feiner Kirche zn Gent von van der Meerih S. 149 und der St. Quentiuskirche zu Haflelt: von Schaepkens ©. 297.

Bon bejonderem Intereſſe ift der S. 495 gegebene Nachweis bes bänifchen Urjprungs des den Beffroithyurm zu Gent feit Jahrhunderten ſchmückenden, von Conftantinopel nad Flandern gebrachten vergolveten Draden von Bronce. Diejen Urjprung hat 1859 Dr. Kiern in Kopen⸗ hagen nachgewiefen, vefien Abhandlung darüber franzöfifh im Meſſager wiedergegeben wird.

Die Belgien betreffenden hift. Artifel ver Revue trimestrielle find von zweierlei Art, nämlich I. eigene Abhandlungen wie 1) Le roman de le cour de Bruxelles sous Isabelle von Gamille Pique (B. 1 ©. 171—207) 2) Yottrand’8 Biographie von de Potter (II. 5— 104), 3) Un Vaudeois beige (im 12. Jahrhundert von G. van der Elf. Ebend. ©. 173). 4) Lettres sur l’histoires de la Belgique von P. A. %. Gerard II ©. 152 111, 193 222, bie eine neue lejenswerthe Erflärung der Urſachen und des Zweckes der Normänniichen Raubzüge in den Tarolingifchen Reichen geben. 11. Kritifhe Anzeigen neu erjchienener Schriften über beigifche Geſchichte von van Bemmel, 3. B. die im B. 1 ©. 301 gegebene Ueber⸗ ſchau ver periodiihen Schriften der hiftorifchen Vereine im Lande, welde Refer. 1860 in feiner eigenen eben angeführten benütt bat, und eine Re⸗ cenfion von Henne's Geſchichte Carl's V. 3. 11. S. 370.

MR. Talturgeſchichte und Varia.

1) F.N.J.G. Baquet, Analectes pour servir & l’histoire de l’Universit6 de Louvain. 122 p. 8.

Belgien. | 201

2) Annuaire de l’Universitd catholique de Louvain. 26 ımnde LXXXII u 824 p.

3) Annuaire de l’Universitd deLidge. I. annde 1859 60. XXIV u. 430 p. 8. "

38) Cataloguo des Livres et Manuscrits, formant la biblio- de M. J. B. Th. De Jonghe, Officier de l’ordre de Leopold. Brux. 1860. Il vol. 8.

4) F. van der Hacghen, Bibliographie Gantoise. II. Partie. 17. Siecle,

5) Oeuvres de Marnix de Ste. Aldegonde, publids par de Croix. Brux. t. VIII. 500 p.

6) P. Laureut, van Espen, Etude historique sur l’Eglise et l’Etst en Belgique. Brux. 218 p. 18.

7) M&moires du prince de Ligne suivis des pensdes du prince, et preede d’une introduction par A. Lacroix. Brux. 286 p. 8.

8) Calendrier Belge, fetos religieuses et civiles, usages, croyances et pratiqnes populaires des Belges anciens et modernes par le Baron de Beinsberg-Duringsfeld. Brux. 1860.

9) Easais sur les grandes dpoques de notre histoire nationale et melanges politiques et littraires par le Baron de Gerlache. Nouvelle “dition. Bruxeles 1859. 2 Abtheilungen. 222 u. 260 ©. 8.

10) Th. Juste, La Belgique en 1860, Brux. 136 8. 8. Mit Dh. Porträt bes Könige Leopold.

11) La Belgique inddependante par J. Boniface (Le Defree) Brax. 120 p. 12.

12) La Belgique et l’Empire Francais. Brux. 1860.p.1 28.

Die vier Lieferungen des unter Nro.8 aufgeführten Calendrier Belge vom veutichen Baron v. Reinsberg⸗Düringsfeld jind der Anfang eines hochſt verbienftvollen zugleih unterhaltenven Beitrags zur belgiſchen Sittengeſchichte. Es werden darin vom 1. Januar an bie religiöjen Feſte jeden Tages mit allen dem Berf. fund gewordenen Eigenthitmlichkeiten oft in dem Heinften Dertlichleiten bejchrieben und dieſe Seite des Volls⸗

208 Neberficht der hiſtoriſchen Literatur bes Jahres 1860,

lebens im anziehenver Weije geſchildert. Mit Recht jagt bee Berfaſſer, Belgien fei im wahrſten Sinne des Wortes das Land der Feſte immer geweſen, und jei es noch jegt. Neben ven religiöfon Feierlichkeiten, deren nicht felten heidniſcher Urjprung nachgewiejen wird, fanden allerlei welt liche Boltbeluftigungen feloft ſcurile Aufzüge ftatt, manche Wohlthätig- feit8acte wurden ausgeübt, und das Andenken an vergangene Zeiten zus rücgerufen. Daß manches Abergläubijche zu erbliden ift, erlärt fich ans ben Zeiten bes Wunberglaubens, genährt durch fromme Legenden und Sagen. Welches jelbft proteftantiiche Land hat nicht vergleichen aufzu⸗ weiien? Dieje Boltsfefte ſchildern uns anjchaulidher als es fonft gefchehen tönnte, die Culturhöhe der Zeiten, die Anhänglichfeit ver Bevölkerung an das Hergebrachte und ihre Verehrung religiös fittlicher Ideen, follten vier felben auch etwas materiell und craß fein, wie man von dem Bildungs ftand der unteren Bollsſchichten nicht anders erwarten Tann.

Baron dv. Keinsberg- Düringsfeld zeigt in der Durchführung feines Unternehmens, daß er ein deutſcher Gelehrter ıft, dem Grünplichleit und Wahrhaftigkeit erfte Gejege find. Er hat fi mit der gefammten älteren und neueren religiöjen und biftorijchen Literatur Belgiens vertraut ges macht, reiste im ganzen Lande umber, um unenbliche Belehrungen über die Ortsfefte und Gebräuche zu erhalten und ſpricht in der Vorrede fie benzig ihm in feinen Nachforſchungen unterftügenven Freunden in allen belgiſchen Provinzen, worunter mir Namen von beften lang begegnen, feinen Dank aus.

Eine Hauptunterſtützung fand der Verf. in Corremans zu Brüſſel, deſſen Wert l'Année de l'ancienne Belgique ibm als Vorbild diente und jehr oft in den Noten angeführt wird, neben andern zum Theil wenig befannten Schriften.

Auch befliß fih ver Berf., mandes in den flamändiſchen Provinzen vorfommente mit Hilfe germaniſtiſch-philologiſcher Erudition zu erklären. Der mit dem religiöfen Leben anderer katholiſcher, auch proteftantiichen Länder befannte Yejer des Calend, beige fieht alsbald, daß viele Feſt⸗ ioitäten, Uebungen u. ſ. w. nicht belgijch »natienal, jondern germaniſch⸗ hriftlich find, jo daß ihm deren Schilverung nur in fo weit Neues bietet, al8 in dem vom Berfaffer bejchriebenen Ortsgebrauche viefelben eigenthümficher Art waren. Das Hinweiſen auf das anderwärts vors tommende wäre baber erwünjcht geweſen.

Belgien. 203

Nach tem Titel des Werkes Nr.9 von Hrn. v. Gerlache erwartet man tarın eine wiljenichaftlich begründete Feſtſtellung und eingehende Charakters zihnung ter Sanptperioden der belgiichen Geſchichte. Allein das Buch ent« halt nur Die zu verſchiedenen Zeiten zum Theil in Bulletins der königlichen Atademie veröffentlichten Memoiren und Borträge des Verfaſſers, deren Tendenz weniger eine objectiv hiſtoriſche als eine religiös» politiihe if. Ein der liberalen Partei im Lande angehörender Schriftfteller Felix vel Haße gab im zweiten Bande ber Revue trimestrielle vom Jahre 1857 eme fehr ſcharfe, nicht wohlwollende Kritit Gerlache's als Hiftorifer, und führte and, wie terielbe durch und durch politijcher Parteimann, ter zur Zeit jeiner Rüdtehr in fein Baterland noch vom literariſch freijinnigen Geifte des Jahrhunderts bejeelt, allmälig, nach einer einflußreichen Stel lung ſtrebend, fih an tie Spige der damals jog. katholijchen Oppoſitions⸗ rartei ftellte und mit Umjicht fortichreitend im Jahr 1831 zulegt Präſi⸗ vent des Nationalcongrefies wurde. Es mußte für Herrn v. Gerlache ame fchwere Aufgabe fein, in fi das Revolutionsprincip mit dem Geherjam gegen die Obrigteit, welchen vie Kirche gebietet, in Einklang m bringen.

Cs gelang ihm in ver Weife, daß bis zur Confolivirung des neuen Königreich er das erfte vorherrjchen ließ, daß aber nachher in fteigenver Progreſſion in jeiner politiihen, wie in jeiner literärijchen Thätigkeit das zweite die Oberhand gewann, jo zwar, daß er in ver jeinen Oeuvres änverleibten neueften Auflage jeiner belgiſchen Geſchichte als Bertheiviger Philipp IL. auftritt. ©. die Revue trimestrielle von 1861 Bd. I. ©. 356. Jedvbenfalls ift es richtig, daß Herr von Gerlache entichieven mehr politischer Schriftfteller als Hiftoriter ift; feine gejchichtlichen Ars keiten find von tem eben bezeichneten Geiſte durchdrungen. Man zug dieß bemerken, um das Berftäntuig and tes vorliegenden Bandes jener Werke und teren richtige Beurtbeilung zu ermög⸗ lichen und die Bariationen in feinen Anfichten in feinen früheren und fpäteren geſchichtlichen Arbeiten fich zu erflären.

Die erſte Abtheilung des Gerlache'ſchen Wertes führt den Titel Melsages historiques , und enthält eine Reihe von geiftreih und claſſiſch geichriebenen Abhandlungen, die fi zwar auf Ouellenſtudien fügen, fich aber doch mehr anf der Oberfläche bewegen und im Grunde wenig Neues bieten. 1) De l’Etablissement du Christienisme en Belgique Nro. 1,

206 Ueberſicht ber Hiftorifchen Literatur bes Jahres 1860.

nnd treuefte Anhänglichkeit an den Fürften, auf welchen als einen feine würbigften Söhne Deutichlaud ſtolz zu fein alle Urſache hat. Schließlich iſt noch einiges über das unter Rro.3 a aufgeführte Bücher⸗ und Handjchriftenverzeichniß der vom Nov. 1860 bis Ende Januar 1861 in Brüffel öffentlich verfteigerten Bibliothel des den März 1860 verftorbenen Dr. 3. B. Th Dejonghe mitzutheilen, eines Katalogs, deſſen letz ter Theil von Nro. 5210 bis 8112 eine wiſſenſchaftlich geordnete, faſt vollſtändige hiſtoriſche Bibliographie Belgiens und theilweiſe der nördlichen Nieder⸗ lande enthält. Eine kurze Biographie des ehemaligen Herrn der Sanım- lung ift vorangefhidt. Refer. ftand mit diefem in ſehr naher Beziehung. Sohn einer der angejehenften und reichten Familien Brabants wurde der junge Dejonghe im Oftober 1818 ven Referenten, damals Profefior ber Nechte in Lüttich, übergeben, um, in deſſen Haufe wohnend, feine alade⸗ miſchen Studien an ber dortigen Univerfität zu machen. Er blieb an ber felben fünf Jahre und entwidelte eine von Jahr zu Jahr wachſende Neis gung zu ernften, grünvlichen, namentlich hiftorifchen Studien. Den Be weis ihres glüdlichen Erfolges legte er 1823 in feiner umfangreichen, von ihm unter des Refer. Leitung allein ausgearbeiteten, auch in Dentſch⸗ land anerkennend aufgenommenen Inaugural-Differtation: de matrimonio ejusque impedimentis ab. Drei Jahre jpäter warb er im nieberländifchen Minifterium des Aeußern angeftellt und nahm 1831 erft nach der factie fhen Trennung ber belgifhen Provinzen feinen Abſchied, trat aber nicht wieder in den Staatsbienft, fondern widmete fih ganz und gar den Stu⸗ bien. Sein Hauptbeftreben war die Bildung einer vorzugsweije hiſtori⸗ ſchen Bibliothek, in welcher vie Gefchichte feines Vaterlandes jo vollftän- dig wie möglich vertreten fein follte. Ein Vermögen, das jährlich gegen 40,000 Franken Einkünfte abwarf, feste ihn in ven Stand, feine zur Feidenihaft gewordene Neigung zu befriedigen. Zulegt war fein fehr ge räumiges, dem Obfervatorium zu Brüſſel gegenüber gelegenes Haus wur noch eine Bibliothef, in welcher die meiften oft mit größtem Lurus ein» gebundenen Bücher in Glasſchränlen von Mahagoni aufbewahrt wurden. Set van Hulthem war keine fo ausgezeichnete Sammlung belgiſcher Ge ſchichtswerle zu Stande gelommen. Ihres Beſitzers ſchwache Geſundheit verhinderte ihn an gelehrten Arbeiten, wozu er in Folge ſeiner nicht blos bibliographiſchen Kenntniſſe wohl fähig geweſen wäre. Mit Liberalität geſtattete er die Benügung feiner literariſchen Schäge den Freunden

Belgien. 207

ver Wiſſenſchaft. Lieblingsfindien von ihm waren Numismatif und Ge- raltıl, in welchem Fache ihm, dem Mitglieve ver heraldiſchen Commiſſion, m Belgien Niemand gleihlam. Seiner gründlichen rechtshiſtoriſchen Kenmnifſe halber warb er 1848 auch zum Mitglied der königlichen Com⸗ stiften für vie Herausgabe der fämmtlichen Quellen des früheren Rechts m Belgien ernamt.

Seine große 8112 Nummern zählende Bibliothek war wiffenfhaftlich geerdnet, was die fo fehr gelungene Ausführung des Kataloge duch Hrn. Ruelens, Beamten ver belgiſchen Staatsbibliothet, fehr erleichterte. Da ver Catalog in Deutſchland ziemlich befannt geworben ift, fo hat Refer. nicht zöthig, eine Beichreibung feiner Anorbuung namentlich auch ver bels gijchen Geſchichte zu geben: ſondern denſelben nur allen Geſchichtsfreun⸗ den insbeſondere den ſich mit hiſtoriſchen Studien über die Niederlande befaſſenden als die beſte, leicht ſich zu verſchaffende Bibliotheca historica beigica zu empfehlen. Eine nicht geringe Zahl Handſchriften finden ſich in dem⸗ ielben verzeichnet. Es ift nur zu mwünjchen, daß in einem Nachtrag zum Catalog angegeben werde, wohin dieje, jewie andere feltene Werte oft nur miea in Folge des Verkaufes gefommen find. L. A. Warnkönig.

Quinsonas, Materiaux pour servir & l’'histoire de Mar- guerite d’Autriche, vergl. oben ©. 177.

Das voluminöfe, prächtig ausgeitattete und mit vielen Sluftrationen, Facfimile 2c. gefchmüdte Werk entipricht leiver durchaus nicht den Erwar- umyen, weiche feine äußere Erſcheinung hervorruft. Margaretha von Ceſterreich, die Tochter Marimilians, ift zwar eine von der belgiſchen Hifteriegraphie mit Vorliebe behandelte PBerjünlichkeit, und es ließe jich ſehr gut im Anſchluß an ihre Biographie eine Geſchichte der habsbur⸗ giſch-burgundiſchen Belitit im Beginn des 16. Jahrh. geben. Aber 3 tidleibige Bände mit bloßen Vorarbeiten dazu ift denn doch etwas zu viel Und nun gar die Beſchaffenheit dieſer Vorarbeiten. Sie fcheis nen in der That dem Berfajler bloß dazu zu dienen, feiner Indig⸗ nation Über die Berderbtheit des 19. Jahrh., jeiner Bewunderung des fronmen Mittelalters Anlaß zu längeren Excurſen zu geben, mit denen vie beiden erften Bände erfüllt find. Sie ftimmen jedenfalls unjere Er⸗ wartungen anf die vom Verf. in Ausjicht geftellte Biographie Marga⸗

208 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur bes Jahres 1860.

rethens fehr herab. Cine kurze Ueberjicht über ven Inhalt wird zeigen, welchen Werth das Werk für die allgemeine Geſchichte hat.

Dr. 1 enthält bloß topographiſch-hiſtoriſche Beſchreibungen einiger Orte, vorzüglihd Klöfter und anderer geiitliher Stiftungen, an benen Margarethe fi einmal aufgehalten, theils Auszüge aus Druckwerken, theil8 auch Benrbeitungen urfuntlihen Materials, das aber nur provin⸗ zielle Bedeutung hat (betr. das franz. Departement Yin). Bo. 2 p. 1 273 gibt eine breite Erörterung über vie Grabſtätten Margaretbens und ihres Gemahls Hzg. Philibert v. Savoyen und die Beilegung der Erſteren. p. 275 547 folgt ſodann eine Auswahl von Büchern über bie Geſchichte der Jahre 1480—1530, die unter alphabetiſch geordneten, ganz willkürlichen Rubrifen eine Menge Bücher in bunteſten Gemiſch auf- führt, deren Beziehung zu genannter Zeit man beim beſten Willen nicht erkennen kann: wie z. B. Pertz' Monumente, eine Ausgabe des Widu⸗ find, der Loi Gombette, des Bocaccio, Werte über ven Einfluß ber Krenz⸗ züge, Frankreich vor der Revolution u. |. w. An irgend welche Boll ftändigfeit ift gar nicht zu denken, am wenigften für deutſche Gejchichte; der Berf. hat offenbar deutſche Titel nicht leiden können. Werthooll kann allenfalld Br. 3 genannt werben, ber 36 meift unbelannte Dokumente anf jene Zeit bezüglih aus ven Archiven von Turin und Lille enthält, die aber auch zum Theil bloß Leichencenducte und Einkünfte von Sclöf- jern zc. betreffen.

Die der Berf. (T, XI) in feiner Beſcheidenheit ſelbſt vorausficht, wird die Nachwelt fein Werk weniger für ein gutes als für ein ſchönes Buch halten und weniger den Inhalt als „sa rareté et l'exécution typogre- phique“ loben. H. P.

10. Bie Wiederlande.

Wir beginnen unfere Weberfiht ber hiſtoriſchen Literatur ber Niederlande vom Jahre 1860 mit 2 Reben:

Dr. R. Fruin, De onpartydigheid van den geschiedschry- ver. Amsterdam, J. H. Gebhard. Borgetragen am 1. Juni, ale Hr. Fruin die Profeſſur der vaterländifhen Geſchichte antrat.

Dr. W. G. Brill, De juiste boschouwing dor geschiedenis

Die Niederlande. 209

ia hare vrymakende kracht. Leiden, J. E. Brill. Borgetragen ım 20. Geptember beim Beginn bes neuen alabemiichen Stubienjahres.

Algemeene Geschiedenis des Vaderlands, van de vroegste tijden tot op heden. door Dr. J . Arend, voortgezet door Mr O. van Rees ea Dr. W. G. Brill Derde deel, derde stuk. aflevering 1—9. Amsterdam, C. L Schleyer en Zoon. Fortsetzung, siehe Jahrgang 1859.

L. Mulder, Handleiding tot de kennis der Vaderlandsche Geschiedenis ten dienste van hen, die zich tot de lessen by de koninkiyke Militeire Academie wenschen voor te bereiden, de druk. Leiden, E J. Brill. 8.

J. c. de Jonge, Geschiedenis van het Nederlandsche Loewezen. Vermeerderd met de nagelaten aanteekeningen van den over- isden schryver en uitgegeven onder toezigt van Jhr. Mr. J. K. J. de Jonge. 2. ärak. Haarlem, A. C. Kruseman. Aflevering 21 31. Fortsetzung. siehe Jahrgang 1859.

J. L. Motley, History of the United Netherlands from the desth of William the Silent to the Synod of Dort. 2 volumes. Continental Copyright Edition. The Hague. Martinus Nyhoff.

—, De opkomst van de Nederlandsche Republiek wit het Engelsch vertasld onder toezigt van Dr. R. C. Bakhuizen van den Brink. Aflev. 12 en 13. ’sGravenhage, W. P. van Stockum, Hetzelfde werk. 2. druk. 8.

—, De opkomst van de Nederlandsche Republiek. Tweede afdeeling, ook onder den titel: Geschiedenis der Vereenigde Ne- derlanden, sedurt den dood van Willem den Zwyger tot op de Synode van Dordrecht, met een volledig overzigt van de worsteling van Engeland ea Holland tegen Spanje , en van den oorsprong en ondergang der Spaan- sche Armada. Uit het Engelsch vertaald onder toezigt von Dr. R. C. Bakkuisen van den Brink. Eerste aflevering. "sGravenhage, W. P. van Stoekum.

J. van Vloten, Neerlands opstand tejen Spanje in zyn’ ver- deren voortgang, 1575—1577. Haarlem, A. C. Kruseman. Fortsetzung, siehe Jahrgang 1859. "

Oipesiige Beitfärift YL Bams. 14

210 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1860.

William H. Prescott, Geschiedenis der regering van Philips II, Koning von Spanje. Uit het Engelsch vertaald door Dr. W. J. A. Huberts, met eene voorrede van den Hoogleeraar W. G. Brill en eene levonschets van den Schryver. Aflever. 1 en 2. Zutphen.

Die Geſchichte Philipp’s II, von Prescott läßt fich faft als die Ges ſchichte des Anfangs der Erhebung der Nieverlande gegen die fpanifche Herrſchaft betrachten, fo daß wir glauben, hier die Ueberſetzung des Wer- kes notiven zu dürfen, ver Hr. Prof. Brill eine interefjante Vorrede bei- gefügt hat.

C. L. Vitringa, Geschiedenis der Bataafsche Republiek, Tweede gedeelte (Gedenkschrift derde stuk)., Arnhem, Js. An. Nyhoff ea Zoon. Fortsetzung, siehe Jahrgang 1859.

Bosscha,P., De geschiedenis van Oostelyk en Noordelyk Europa gedurende het merkwaardig tydvak van 1687 1716: opgehel- derd uit onuitgegeven brieven eu andere oorkonden van Nederlandsche Staatsmannen. Zalt Bommel, Joh. Noman en Zoon.

Das Bud enthält die Korrefponvdenz Gisbert Cuperd mit dem Ges fandten der Vereinigten Provinzen zu Conftantinopel Jacob Colyer, und dem Conful de Hachepied zu Suyrna. Cuper war einer der einflußrei- hen Staatsmänner feiner Zeit, von König Wilhelm gefhätt und mit einer coloffalen Gelehrſamkeit auögeftatte. Er führte einen weit ausge» dehnten Briefwechfel mit vielen bemertenswertben Perſonen feiner Zeit, u. a. mit dem Bürgermeifter von Amfterdam, N. Witjen, aber auch mit berühmten Männern des Auslandes wie mit Leibniß. Segen das Ende feines Lebens wurde er zum auswärtigen Mitglieve der Barifer Akademie der Injchriften ernannt. Da er auf feinen Brief wechjel, wie er und jelbft in einem unedirten Briefe an Witjen belehrt, große Sorgfalt verwandte, fo hinterließ er nach feinen Tode eine große Menge von Blättern, welche für vie Literaturgefchichte durchweg von großen Intereſſe find. Hr. Bofiha, Profeffor am Athenäum zu ‘Deventer, welcher einen raiſonnirenden Catalog von Cuper's Manufcripten beraus- gegeben und ſich außerdem viel mit ihm bejchäftigt hat, veröffentlicht in dem vorliegenden Bande eine Reihe von Briefen, welche zwar des Interefies nicht entbehren, für deren BVeröffentlihung man aber eine andere Form hätte wünjchen können. Was die Mlanujcripte Cuper's betrifft, fo finden

Die Nieberlanbe. 211

fie fi) jetzt, nachdem fie lange Zeit in den Händen -von Privatperſonen waren, großentheils in dem königl. Archiv im Haag.

Gedenkstukken van Johan van Oldenbarnevelt en zyn tyd. Verzameld en met inleiding en aanteekeningen uitgegeven door M. L. van Deventer. Eerste deel 1577 1589. "sGravenhage, Martinus Nyhoff.

Die Papiere des Rathspenſionärs van Oldenbarnevelt wurden zur Zeit feines Prozeſſes mit Beſchlag belegt; aber obwohl der Vorſchlag dazır glei nach feiner Verhaftung gemacht worden war, fo hatte die Wegnahme der Papiere doch erft nad) der Erecution ftatt. Man kann faum anneh- men, daß die Familie fie während der Monate, die zwifchen jenen bei⸗ ven Ereigniſſen verfleffen, unberührt gelaffen hat. Was davon übrig if, befindet fi im Archiv des Königreihs und bilvet eine Sammlung von hohem Intereſſe wegen der Wichtigkeit und der langen Dauer des Miniſteriums jenes Staatsmannes, von dem fie herrühren.

Hr. van Deventer hat eine Quelle, welche jo fruchtbar zu fein verſprach, benugen zu müſſen geglaubt, und bat fih angeſchickt, fie zu turhhferfchen, ein Unternehmen, das deshalb außerordentlich ſchwierig iſt, weil die Echrift Oldenbarnevelt's beinahe unleferlich fein fol; das Fac⸗ finrife, welches dem vorliegenden Bande beigefügt ift, beftätigt dies. Die⸗ fer Band reicht nur bis 1589, Mit Ausnahme einiger Papiere von prie vatem Charakter, welche zeigen, daß D. über den Staatögejchäften feine ägenen leineswegs vernachläſſigte, findet man ba intereffante Details über den Antheil, den er an der Bildung der Union von Utrecht gehabt hat, umd außerdem eine Fülle von Actenftüden über die Verhandlungen mit der Königin Elifabeth, die ſchon Motley in feinem neueften Buche benutzt bit. Die Correjpondenz Olvenbarnevelt’8 mit ven diplomatifchen Agen⸗ ten ver Republik wird unzweifelhaft ein um jo helleres Licht auf tie Ges fhichte feiner Zeit werfen, als Oldenbarnevelt tie Secle der auswärti- gen Politik war: im erſten Bande finden wir gleih vie Correfponvenz mit Ortell, dem Gejandten in London. Hr. v. Deventer theilt mit, daß er nicht das Glück gehabt habe, vertraute Briefe zu finden; wir bedauern das fehr, weil jo noch ein Schleier das private Leben des großen Staats» mannes verbirgt. Hoffen wir mwenigftend, in den folgenven Bänden eine große Zahl von Actenftüden zu finden, bie fi auf die Feſtſetzung der inneren Berhältniffe der vereinigten Provinzen, auf die Dlvenbarnevelt

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212 Ueberfiht der hiſtoriſchen Literatur von 1860.

einen jo großen Einfluß gehabt bat, beziehen. In der Stänbeverfanunfung Hollants war jein Einfluß ungehener. Die Geſchichte der hervor ragenten Staatsmänner, welche mächtig auf die Gcidfale ver Re publik eingewirkt haben, gewährt jedoch uicht jenes eigenthämliche In⸗ terefie, welches die Staatsmänner Englands erregen, wenn man fie auf dem parlamentariihen Kampfplag ftreiten jieht In ten vereinigten Pros vinzen konnten weder die Verſammlungen ter General» noch der Provin- zialftanten, wo jedes Mitglied genau an die ihm gegebene Inſtruction gebunden war, in gleihem Maße ten oratoriihen Talenten der Mitglie⸗ ter Spielraum bieten. Dies war ebenje ter Yall mit Oldenbarnevelt, welcher die Staaten Hollants beinahe 40 Jahre hindurch geleitet bat.

Die Methode ver Edition tes in Rede ftehenten Bandes ſcheint uns fehr empfehlenswerth. Die verſchiedenen Stüde, aus denen er beftcht, find zu einem Ganzen vereinigt und durch Noten erläutert, die von einer joliven Gelehrſamkeit zeugen. Es ift zu hoffen, daß die folgenven Bände nicht zu lange auf ſich warten laffen werten.

Groen van Prinsterer, Mr. G., Verspreide Geschriften. 2. d. Amsterdam, H. Höveker, 1859, 60.

—, Le parti antirdvolutionnaire et confessionnel dans 1’Eglise Reformde des Pays-Bas. Etude d’Hintoire contemporaine Amsterdam, Höveker. Paris, Meyranis Ce.

Wir haben bier 2 Bublicationen des Herrn Green van Prinfterer zufanmengeftellt. Die erfte enthält Schriften und Brochuren, die zu verſchie⸗ denen Zeiten veröffentlicht worden find, darunter 5 Stüde, die auf die Geſchichte der Niederlande Bezug haben: 1) Ueber Conſtantin Huygens. 2) Ueber bie Hauptinotive, welche heutigen Tages bejonders in dem Königreich der Nieder⸗ lande zum Studium ver Nationalgefchichte beftimmen, (geſchrieben 1826; 1829 erſchien eine franzöfiihe Ueberſetzungſ. 3) Ein Bor» trag gehalten in einer Situng des königl. Inftituts im December 1836, der Detaild über eine im Intereffe der Herausgabe ver Archives de ia Maison d’Orange Nassau unternommene Reiſe enthält. 4) Ein fran- zöſiſcher Artikel Über die Grunpfäge und die Folgen der Reformation. 6) Ein Bortrag, gehalten 1842 in einer Sitzung des Inftituts über das Licht, welches die Eorrefpondenz des Prinzen Wilhelm von Dranten über die Gefchichte feines Lebens verbreitet. Was die zweite Schrift bes

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Die Niederlande. 213

trifft, fo Hat fie ohne Zweifel einen hiſtoriſchen Charakter. Der Berf. nennt fie jelbft eine Studie zur zeitgenöffischen Geſchichte. Wir haben früher ſchon des Buchs von Herrn Kiehl gedacht: Geſchichte der Reprä- fentatioverfaflung in den Niederlanden, ein Werk, das bejonders für das Ausland beftimmt ift. ‘Diejenigen, welche dies Buch gelefen haben, wer: ven wohl thun, auch das Wert des Herrn Groen zu lefen. Aber wir glauben doch nicht, hier genauer darauf eingehen zu follen, weil die Ent- ſtehung des Buche mit den religiöjen und politiichen Kämpfen unferer Zeit zufammenhängt und es fi) dabei nicht um die reine Geſchicht hanbelt. |

Thorbecke, J. R, Historische Schetsen. 'sGravenhage, Mar- tinus Nyhoff.

Es wird uns in dieſem Buche eine Sanımlung von hiftorifchen Studien geboten, die von einen Politifer erften Ranges gefchrieben find. Alles was Herr Thorbede jchreibt, ift der Beachtung werth, wenn e8 ſelbſt nur einfache Bemerkungen bei Gelegenheit eines Porträts find, wie dies mit feinen Bemerkungen über Guizot der Fall iſt. Der erfte Artikel dieſes Bandes datirt von 1836, ber legte von 1860; zwiſchen beiden liegt alfo beinahe ein Zeitraum von einem Biertel - Jahrhundert, währenbbejlen der Verf. in der Geſchichte feines Vaterlandes eine große Kolle gejpielt bat. Haft alle Artikel dieſer Sammlung haben Bezug auf Die Geichichte ver Niederlande; nur drei machen eine Ausnahme und unter biefen ift einer, worin der Berf. gegen Leo das Recht der Niever- lande auf eine von Deutichland getrennte Eriftenz vertheidigt. Der erfte Artikel ift eine Studie über Johann de Witt, in Form einer Kritik eines Bertes von Simond. Wir übergeben die Biographie Wittewaal’s eine® achtungswerthen Gelehrten, deſſen Geſchichte aber nur wenig allge- merne® Intereſſe bat. Bor allem aber müſſen wir auf die Skizze einer Geſchichte der Civilgeſetzgebung in den verfchievenen Provinzen ber Republil der vereinigten Niederlande hinweijen: ein Wert, das um fo be⸗ merfen&werther ift, als der Autor hier ein fehr wenig befanntes Feld be- arbeitet hat. Da zeigt fid denn eine Reihe von fruchtlofen Beftrebungen, um eine Einheit in der Gejeßgebung wenigftens für jeve Provinz herbei, mführen, bis zuleßt, unter dem Einfluß des revolutionären Geifted des vorigen Jahrhunderts, die Civilgefeßgebung in die Hände ber Codifica⸗ toren fiel, welche jedoch ihrerfeits das Wert auch nicht zu fehr beſchleu⸗

214 Ueberfiht ber biſteriſchen Literatur ven 1860.

nigten. Unglüdliher Weite findet ſich derſelbe Fehler in ber politifchen Organijation; es ſcheint, daß man mährene ter Dauer der Republik es nicht verſtanden hat, tie erforterliben Reiermen zu macen. Mehrere Staatsmänner haben tieien Mangel lebhaft empfunten, unter andern der Ratböpenjienär Zimen van Zlingelantt, von dem wir eine Sanmı« (ung politiiher Schriften in 4 Bänden baben, aus benen man feine Gedanken kennen lernt. In dem Buche Thorbecke's findet fih eine aus dem Pateiniichen überfegte Rete über tie Bemühungen van Stingelandt's um bie Reform des Staats. Unglücklicher Weiſe mar Slingelandt ber erfte Minifter einer Provinz, welche zum großen Theil tie Urſache war, dag tie Utrechter Union zu ter pelitiiben Conftituirung der Nieder: lande nicht mehr beigetragen bat, und außerdem lebte er in einer Zeit, wo tie feparatiftiihen Gedanken Holland's und bie oligarchifhen Eym- pathien feiner hervorragentften Staatsmänner in voller Kraft beftan- den. Außerdem haben wir bier trei Ztudien, welde insbefon- dere auf die Ereigniſſe von 1795 1810 Bezug baden. Man darf fagen, daß der Autor ein eifriger Anhänger der Revolution von 1795 ift, welche ver Republit ver Vereinigten Niederlande ein Ende made; nicht8 defto weniger ift vie Kritik, die er an dem Betragen ver bervorras gentften Männer jener Zeit und an ihren Talenten übt, ſehr bemerkens⸗ werth. Die Studie über Tald ift jehr neuen Datums, gejchrieben bei Gelegenheit ver Publication einer Sammlung ven Briefen tiefes Staatsmannee, Wenn man in allen andern Studien den Politiker in bem Gewande des Hiſtorikers fieht, fo ift dies begreiflicher Weife ganz beſonders in dieſer Studie ver Fall, ta es ſich hier beinahe um zeitge- nöſſiſche Geſchichte handelt.

R. C. Bakhuizen van den Brink, Studien en Schetsen over Vaderlandsche geschiedenis en letteren. Uit vroegere opstellen byoen ver- sameld en herzien. Eersto deel, eorsto stuk. Amsterdam, F. Muller. 8

P. Lyndrajer, De ontwikkeling der stadhouderlyke maeht onder prins Frederik Hendrik, Amsterdam, Johannes

Muller, 1859. 8.

F. J. K. van Hoogstraten, Do Chambro mi-partie van het Hunstersche vredestractaat. Eene bydrage tot de geschiedenis az Weiuisnäsche Diplomatie. Utrecht, Kemink en Zoon. 8.

Die Niederlande. 215

W. J. Hofdyk, Ten vierdag gerechtigd. Feestrede gehouden tw Alkmaar, 8. October 1860. Alkmaar, Joh. Roem. 8.

J. A. Alberdingk Thym, De heer W. J. Hofdyk, geschied en staatsleeraar. Een woord ten gunste van konstitutie en historie, ens. Amsterdam, C. L. van Langenhuizen. 8,

J. J. de Geer, Bydragen tot de geschiedenis en oudhe- den der provincie Utrecht. Uit de oorkonden bewerkt: eerste ge- deelte. Utrecht, T. de Bruyn. 8.

w. J. Hofdyk, Eene vede van driehonderd jaren. Am- sterdam, Seyflardt. 8.

@. D. J. Schotel, Het klooster, de kerk en het Hof der Augustynen te Dordrecht. Dort., P. Brast.

A. J. Enschedd, Verslag over de geschiedenis en den eigendom van het H. Elizabeths of groote gasthuis te Haarlem. Haarlem, Job. Enschede en Zonen.

Preeve oner lyst van Beschryvingen, plaaten, oudheden en seden van de provincie Zeeland: overgedrukt uit het Zeeuwich jaurboekje 1860.

De gemeente Oost en West-Bouburg: eene statistische bydrage tot de plaatsbeschryving van Zeeland. Middelburg. G. C. en W. Altorffer.

Kronyk of breedvoerige tydrekenkundige tafel inzonderheid voor de prurincien Groningen, Friesland en Drenthe. Door M. D. Teenstra. tweede deel 1581—1795. Uithuizen.

Biographiesch Woordenboek der Nederlanden, bevattende levensbeschryvingen van zoodanige personen, die zich op eenigerlei wyze is ons vaderland hebben vermaard gemakt. Byeengebragt door A. J. der Aa en voortgezet door K. J. R. van Harderwyk. Haarlem, J. J. van Brederode. Fortsetzung; z. Jahrgang 1859 und 1860.

J. H. de Stoppelaar, Jacob Cats te Middelburg 1603 1623. Niddelburg, J. C. en W. Altorffer.

216 Ueberfiht der hiſtoriſchen Literatur von 1860.

J. ten Brink, Dirk Volkertsen Coornhert en syne well» venskunst. Historisch-ethische studie. Amsterdam, Gebroeders Binger. 8.

Het leven van Menno baron van Coehoorn, beschreven door zyn zoon Gosewyn Theodoor baron van Coehoorn; uitgegeven en met aan- teekeningen vermeerderd door Jhr. J. W. van Sypesteyn, in naam van het Friesch Genootschap van geschied. oudheid en taalkunde. Lesuwaarden, G. T. N, Suringar.

G. D. J. Schotel, Pollens en zyn tyd. Eene proore van levems- beschryring. Tiel. Wedwe, D. R. van Wermeskerken.

B. Glasius, Geschiedenis der nationale Synode in 1618 gehouden te Dordrecht. 1. Leiden, P. Engels.

C. M. van der Kemp, Geschiedenis der nationale Synode in 1618 en 1619 gehouden te Dordrecht. volgens de beschry- ving van B. Glasius, naar de waarheid der historie beoordeeld en veroor- deeld: oerste aflevering. Rotterdam, van der Meer en Verbruggen. 8.

F. Nagtglan, De algemeene kerkeraad der Neder- duitsch Hoervormdeo gemeente te Middelburg von 1574—1860. Met oene inleiding en aanteekeningen. Middelburg, J.C. en W. Altorfer. 8.

B. W. 8. Boeles, De geestelyko goederen in de provineie Groningen; van de vroegste tyden tot op heden. Een geschiedkundig ondersoeh. Groningen, A. L. Scholtens.

Jacob van Maerlant, Spieghel Historical: uitgegeven door de Maatschappy der Nederl. letterkunde ts Leiden. Leiden, E. J. Brill. 4.

Kronyk van Gerardus Coccius (Chronicon Monasterii "Beth- l8emitioi prope Swollam). Uitgegeven door de Vereeniging tot beoefening van Overysselsch Regt en Geschiedenis. Deventer, J. de Lange. 8.

Kronyk van Arent toe Boecop. (Siehe unten: Historisch Genootschap te Utrecht).

A. A. J. Meylink, Over een charter van graaf Floris V. van den 14. Mei 1273: medcedeeling van G. H. M. Delprat nader toege licht, en over een charter van graaf Floris V. van den jare 1281. Met

Die Nieberlaube. 2317

iscsimile van segels en merken. ’sGravenhage, Gebroeders van Langen- kaysen. 8.

Bibliotheok vanpamfletten, traktaten en andere stukken erer de Nederlandsche geschiedenis, beschreven, naar tydsorde gerang- sehikt en met alfabetische registers voorzien door P. A. Tiele. Amster- dam, Frederik Muller. Fortsetzung: s. Jahrgang 1859.

HB. C. Rogge, Beschrijvende Catalogus der pamflettenver sameling van de boekery der Remonstrantsche kerk te Amsterdam. Stuk DL. afd. I. aflev. I. Amsterdam, J. H, Scheltema.

R A. van Zuylen, Inventaris van het groot Archief der gemeente 'sHortogenbosch op last van Burgemoester en Wethouders op- gemaakt. 'sHertogenbosch. 8,

C. W. Moorroes en P. J. Vermeulen. Vervolg van Mr. Johan van de Waters Groot placaatboek 'slands van Utrecht. Van de vroegste tyden af tot het jaar 1805. Utrecht, Kemink en Zoon. Fortsetzung: s. Jahrg. 1860.

J, B. Bietstap, Armorial général contenant la description des familles nobles ot patricionnes de l’Europe: preöcdde d’un dictionnaire des termes du blason. afler. 14—19. Gonda van Goor. Fortsetzung.

W. J. Hofdyk, Ons voorgeslacht. Haarlem, A. C. Kruseman. Fortsetzung des Jahrg. 1860.

Monumens typographiques des Pays-Bas au XV. siecle. CoDeetion dc facsimilds d’apres les originaux oonserves à la bibliotheque Royale de la Haye et ailleurs: publide par J. W. Holtrop. Lithogr. de E Spanier. Livr. 9—11. La Haye. Martinus Nyhofl. Fortsetzung.

C. Leemans, Nieuw ontdekte muurschilderingen: eene bydrage tot de geschiedenis der Vaderlandsche kunst. Uitgeg. door de kosinkl. Akademie van Wetenschappen. Amsterdam, C.G. van der Post. 4.

Bydragen voor Vaderlandsche Geschiedenis en Oud- keiäkunde, versameld en uitgegeven door Mr. Js. An. Nyhofl. Am-

318 Ueberfiht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860.

hem, J. A, Nyhoff en Zoon. Nieuwe Serie. Tweede doel, eerste en tweede stuk.

Inhalt: J. ter Gouw, Over den oorsprong der Wapens: P. C. Mol- huysen. Aanteekeningen uit de geschiedenis van het Strafregt. Van Vloten, Oranje's Krygsbeweging in het Overkwartier van Gelderland (1572). Mr. Js. An. Nyhoff, Berigt aangaande het oud archief der stad Doesburg. Mr. R. W. Tadama. Verslag van het archief van de Havezate den Dam onder Gorssel: Verordening, betreffende het be- heer der inkomsten van den Valcweerd, als bezitting van het Fraterhuis te Doesburg. Dr. J. A. Wynne. Twee punten van de scherpe Resolutie. P. C. Molhbuysen, Public Records.

Bydragen tot de oudheidkunde en geschiedenis, inson- derheid van Zeenwsch Vlaanderen: verzameld door H. Q. Jansen en J, H. van Dale. Vyfde deel. Middelburg, J. C. en W. Altorffer. 1860.

Inhalt: J. H. van Dale, Reglement voor de schecpvaart en de heffing der tollen op het Zwin van den Jare 1252: H. Q. Jansen Domburg in het begin der Zeventiende eenw: A. E. Gheldolf. Byzonder- heden betreffende de Doopsgezinden in en rondom Aardenburg: T. Caland. Jets over het vrye keizerlyke gilde van den edelen ridder en martelaar Sint Sebastiaan, op nieuw opgerigt te Selzaten door keizer Ka- rel V. 13. Juni 1526: J. v. Yloten. Brieven v. Champagney. Een spel van Sinne van Cornelis Everaert: A. E. Gheldolf Aanteekeningen op de Bydragen tot de Oudheidkunde en Geschiedenis inzonderheid van Zeeuwsch- Vlaanderen. H. Q. Janssen. Deo abt var St. Quentin in Vermandois, patroon der kerken in Oostkerker ambacht. J. van Vloten. West- Vlaamsche krygszaken. Brieven en bescheiden van en aan den graaf van Roeulx en anderen: Jan. tot Nov. 1576.

Lauts, G., Gesohiedenis van de vestiging, uitbreiding, bloei en verval van de magt der Nederlanders in Indie. deel 4 en 5. Am- sterdam, F. Muller. 8.

J. A, van der Chys, De Nederlanders to Jakatra. Lit- gegeven in de Werken van het koninklyk Iustituut voor taal, land en volkenkunde van Neerlandsch Indie. Amsterdam, F. Muller.

E. de Waal, Nederlandsch Indie in de Btaten Genoraal

Die Niederlande. 219

sdert de grondwet van 1814. Eene bydrage tot de geschiedenis der ko- ioniale politiek in Nederland. I, deel. 'sGravenhage, M. Nyhofl. 8.

Bydragen tot de tasl. land en volkenkunde van Neer- landsch Indie. Uitgegeven door het koninklyk Instituut voor taal, land ea volkenkunde van N. Indie. Nieuwe Volgreeks: III deel, 2. stuk. Amsterdam, F. Muller. Batavia, van Haren Noman en Kolff. 8.

A. J. A. Gerlach, Fastes militaires des Indes Orienta- les Neerlandaises avec cartes portraits et planches. Zalt Bommel, Jean Noman et fils, 1859. 8.

a

J. Wolbers, Geschiedenis van Suriname, van de ontdekking van Amerika tot op den tegenwoordigen tyd. Amsterdam, H. de Hoogh. Fortsetzung s. Jahrgang 1859.

Publieationen gelehrter Gesellschaften, periodische Sammlungen: Verslagen en Mededeelingen der koninklyke Akademie van Wetenschappen: afdeeling Letterkunde V. deel. 1. stuk,

Over sen charter van graaf Floris V. van den 14. Mei 1273, mededeeling van G. H. M. Delprat.

Bapport derCommissie voorhetHollandschenZeeuwsch Charterboek, uitgebragt door R. C. Bakhuizen van den Brink. Verslag sangaande de door de respectieve rapporteurs opgemaakte lysten der plaats- samen: uitgebragt door W. G. Brill.

Bir machen vor allem auf den Beriht der Commiſſion aufs zerfiam, ver die Alademie bie Herausgabe des „Charterboek“ anver⸗ haut bat. Die Sammlung Mieri®’, die, im vorigen Jahrhun⸗ dert veröffentlicht wurve, ift weit davon entfernt, volljtändig zu fein, und die hiſtoriſchen Studien werden aus einer Edition, die dem gegen- wärtigen Stand der Wiſſenſchaft eutfpricht, großen Nutzen ziehen. Man kt vie Sache mit großem Eifer ergriffen, die Commiſſion befteht aus ven daran Badhuizen van den Brink, van ven Bergh, de Wal, te Bries, Del⸗ prat und van Limburg Bruwer, während viele andere Gelehrte ihre Mit⸗ virkung zugejagt haben. Die Commiſſion hat geglaubt, fid) auf bie Provinzen Holland und Seeland beichränfen zu müſſen. Der Bericht, ven Gr. Bachnizen van ben Brink in der Sitzung der Akademie vom

220 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur won 1860.

9. Januar 1860 erftattet hat, gibt ſehr mterefiante Details über vie erften Arbeiten der Commiſſion.

Historisch Genootschap gevestigd te Utrecht.

Inhalt: Kronyk vanArenttoeBoeoop. Croenick der Bysooppen v. Uttert, Hertoghen van Ghelre, van haer anvancke hoe dat sye beyde onder keiser Carell dye 5 als hertog van Beyeren, graven van Hollant Synnen ghewemen, wair in wordt bechrewen was by hoer regirringhe int Sticht van Uttert, Landt van Gelre, grewscap van Sutphen, het landt van Over- yssel, Vreslant, Groninghen, Groenigher Landt ys gheschit, uyt verschieden scryveren und olde loffeliche scriften myt groeten viyt byeden anderen durrich Arent tue Boecop ghebrocht. Het erste deell

Codex diplomaticus. Tweede Berie IVe deel 2e afdeelig bl 1— 304.

Oorkonden betrekkelyk tot de abdy van St. Laurentius en bet Vrow- wenklooster te Oostbroek: medegedeeld door Jhr. J. J, de Geer.

Onuitgegevene oorkonden betreffende hat slot, de stad en de heerly- kheid van Ysselstein: medegedeeld door Jhr. J. J. de Geer.

Onuitgegeven oorkonden aangaande het patronast regt der kerk te Jutphaas: medegedeeld door Jhr J, J. de Geer.

Quelques lettres de Marnix de St. Aldegonde et du prince Jean Ca- simir comte palatin du Rhin publides par M. J. Diegerick.

Rekening der stad Lier: over de drie laatste maanden van 1394; medegedeeld door F. H. Mertens.

Onuitgegeven brieven van Gillis van Berlaimont, heer van Hierges enz: uit de maanden Mei 1576 tot January 1577: uitgegeven door pro fessor van Vloten.

Berigten van het historisch genootschap.

Claudius Civilis en zyne worsteling met de Romeinen: in drije navol- ging van het geschiedverhaal van Tacitus door A. G. W. Ramaser.

Legende by de kaart van het hoofdtonel des oorlogs tusschen de Batavieren en Romeinen; en vergelyking van den toenmaligen en tegenwoor- digen loop der rivieren de Ryn en de Waal, naar de aanwyzingen van het terrein en authentieke bronnen zamengesteld, door A. G. W. Bamaer.

Geschiedkundige bydrage over het jaar 1490 door Mr. P. van der Brandeler.

Kronyk 1860. bL 1-18.

Maatachappy der Nederlandsche Lotterkunde te Leiden.

über die Sammlung biflorifcher Lieber und Sprüche. 2

auch für dort und für einige von bort leicht erreichbare wichtigere Punkte die Nachforjchung übernommen.

Ich jelbft Habe forann im Sommer die deutfche Schweiz bereift. Ehe ich in die Einzelnheiten dieſer Reife eingebe, kann ich nicht um⸗ bin, der ungemein großen Zuvorkommenheit, mit welcher meine Ar- beiten dort von allen Seiten unterjtügt worden find, auf das dank barſte zu erwähnen. Meine Beauftragung feitens ber biftorifchen Sommifjion galt überall als befle Legitimation und weit entfernt, biefen ‘Theil meiner Sammlung etwa als einen Kingriff in fpeziell fchweizerijches Arbeitsgebiet zu betrachten, hat man fich vielmehr bes darin hervortretenden engen Zuſammenhangs zwiichen Deutfchland und der Schweiz erfreut.

Deffentlihe wie Privatfammlungen ftanden überall in liberalfter Weife offen; nirgends war bie mindeſte Läftige Beſchränkung weber in ber Zeit noch in ber Art der Benugung des Materials auferlegt.

Es ift bekannt, daß die foftbaren Schweizerliever bes 14. unb 15. Jahrhunderts in ältefter Yalfung bei ben Chroniſten zu fuchen find. Daß für dieſen älteren Zeitraum noch viel Unbelanntes zu entveden fei, war faum anzunehmen, doch fand fich immer noch Ein. zelnes, u. U. ein merkwürdige Lied aus dem Jahre 1332. In an- derer Beziehung bot aber gerate dieſe ältere Zeit der Unterſuchung eine fchwierige Seite, indem es nothwendig war, innerhalb biefer man» nigfach verzweigten chroniftifchen Literatur, foweit fie für bie Lieber in Betracht kommt, das Verhältniß ver Texte und Redactionen zu fennen. Nur durch die vortrefflichen mündlichen wie fehriftlihen Be⸗ Iehrungen der Herren Profefforen v. Wyß in Züri, Scherer in St. Gallen und Studer in Bern, fowie des Herrn Stantöfchreibers v. Stürler in Bern, deren eigene Forfchungen hauptfächlich erft in neues rer Zeit einen fihern Grund für jene Unterfuchung gelegt haben, ift es mir möglich gewefen, mich hierüber, foweit es für meine Arbeit in Betracht fommt, ficher und ausreichend, wie ich hoffen barf, zu orientiren.

Zu Bafel, wo ich meine Nachfuchungen begonnen habe, gewährte die Bibliothek an Druden nur weniges, welches mir ber Herr Unter bibliotbelar Dr. Viſcher forgfältig abzufchreiben vie Güte hatte. Auch von Chroniken ift nur das dort vorhandene eine von ben 4 Exempla⸗

2232 Ucherfiiht ber hiferifgen Literatur von 1860.

door J. P. van Visoliet. Lyst van Zeeuwsche edelen door gelserdheid lofwaardig: door W. te Water. Eene heidensche offerplaats op Walche- ren, door Jhr. C. A, Rethaan Macare.

ProvincisalGenootschap vanKunsten en Wetenschappen in Noordbrabant.

Handelingen over het jaar 1860.

Catalogus der Noord en Zuid Nederlandsche munten en der historis en andere penningen van het Provinciaal Genootschap van Kunsten em Wetenschappen in Noord-Brabant.

Provincisal Utrecht-Genootschap vanKunsten en Wetten schappen. Verslag van het verhandelde in de Algemeene Vergadering a. 1860.

Vereeniging tot beoefening van Overysselsch Regt en Geschiedenis.

Verzameling van stukken, die betrekking hebben tot Overysselsch Regt en Geschiedenis: tweede afdeeling. .

Verslagen en mededeelingen: eerste stuk. Deventer, J. de Lange. 8.

Kronyk van Gerardus Coocius. 8. oben.

De Gids Vierentwintigste jaargang. Nieuwe Serie twaalfde jaargang. Amsterdam 1860.

Darin find 2 Aufjäge über niederländische Geſchichte.

Dr. R. Fruin, Het voorspel van den tachtigjarigen oorlog II en Ill. Kolonel W. J. Knoop, Beschouwingen over onze Indische kryge geschiedenis.

Nieuwe Bydragen voor Regtsgeleerdheid en Wetgeving,

Versameld en uitgegeven door Mr. B. J. L. de Geer en Mr. van Boneoval Faure. Tiende deel. Amsterdam 1860.

Dr. J. A. Wynne, Leveren de bemoeyingen van Oldenbarnevelt en de Groot met de aangelegenheden der provincie Utrecht voldoende stoffe op, om de sententien tegen hen uitgesproken te weitigen.

C. v. B.

Danemark. Schweden und Norwegen. 228 11. Pünemark.

samlinger til Fyens historie og topographie, udgivne af Fyens stifts littersere selskab. Andet hefte. Odense, Hempel, 1860. 86. 8.

P. Rhode, Samlinger til Laalands og Falsters historie, Paany udgivet af J. J. F. Frijs. 3.— 6. Hefte. Kjöbenhavn, Steen, 1860. 8.

F.Hammerich, Danmark under adelsvaelden (1523—1660). 4 de bind. Adelsvaeldens sidste menneskealder (1629 1660). 2 det hefte. Kjöbenhavn, Jversen, 1860. 120 8. 8.

C. E. Carstens, Die Stadt Tondern. Eine historisch statisti- sche Monographie. 1. - 6. Heft. Tondern, Dröhse, 1860. 32 8. 8.

12. Schweden und Horwegen.

A.M. Strinnholm, Sweriges historia i sammandrag. Tredje delen. Gustav I och hans tid. Med. Gust. I: s, porträtt. Stockholm, 1860. 4678. 8

And. Fryxell, Berättelser ur Swenska historien. XIX. de- len. Karl den Tolftes historia. Nionde afdelningen. Görtziska tiden. Krigsrörelser och fredsunderhandlingar samt sista fülltog, död och minne. Stockholm, 1860. 212 8. 8.

Kindblad, K. E., Handbok i Swenska historien för ung- dom och menige man. Fjärde delen. Stockholm, Huldberg, 1859. 5128. 12.

Arkiv till upplysning om Swenska krigens och krigsin- vättningarnes historia. Audra bandet. Stockholm, Norstedt et 8., 1860. LxVI, 678 8. 8.

Mankell, J., Berättelser om Swenska krigshistoriens märkwärdigaste fältslag. Häftet III. Warschau, Lund, Landskrona, Stock- kolm, 1859. 8 485—866. 8. m. Atlas in Fol.

Gabr. Anrep, Swenska adelns äAttar-taflor. 1. afdeln. Häftet 6. Andrea afdeln. 1.—5. häftet. Stockholm, Norstedt och S., 1860. 8. (93—951 u. 800 S. 4.

Olai Petri Bwenska krönika utgifwen af G. E. Klem- ming. Stockholm, Klemming, 1860. 370 8. 8.

24 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literature won 1860.

Beskow, Bernh. v., Minnes-bilder. Eörsta delen. Stockholm (Samson et Wallin), 1860. 324 8. 8.

Franz6n, Franz Michael, Minnesteckningar döfwer ut- märkte Swenska statsmän, hjeltar, lärdsa, konstnärer och skalder. Tredja och sista delen. Stockholm, Samson et Wallin, 1860. 678 8. m. 8 Kpfm. 8.

Westin, Petter, Historia om Gustav Eriksson Wasa elle Konung Gustav den förste, som befriade Swerige fran utländskt förtryck, krossade pafwewäldet och införde Lutherska läran. Med teckningar. Stock- holm, Huldberg et Ko., 1860, 64 8. 16. m. 8 Kpfrn.

Flaux, A. de, La Sutde au seizitme sidcle. Histoire de la Sudde pendant la vie et sous le r&ögne de Gustave ler. Paris, Didot, 1860. 467 8. 8.

Pederssön, Absalon, Liber capituli Bergensis, dagbog over begivenheder isaer i Bergen, 1552 1572. Udgiven efter offentling foranstaltning med anmerkninger og tillaeg af N. Nicolaysen. Christi» nia, 1860. VI, 846 S. 8.

Pallin, Joh. Rud., Unterhandlingar mellen Swerige och Liffland 1554 - 1560. Akademisk afhandling. Upsala, 1860. 27 8. 8.

Odhner, Claes Theod., Bidrag till Swenske städernas och borgarestandets historia före 16338. Akademisk afhandling. Upsala, 1860. 92 8. 8.

Nordström, Simon Erik Theod., Jemförelse emellan statshwälf- ningarne i Bwerige 1680 och i England 1688. Upsala, 1860. 31 B. 8.

Hellstenius, J. A. C., Bidrag tillSwenska Ost-Indiska Compagniets historia 1781 1766. Akademisk afhandling. Up- sala, 1860. 49 S. 8,

Bergmann, C. W., Gustav den Tredie og hans tid. Over- sat af J. H. Halvorsen. 7.— 9. hefie Kjöbenharu, Wöldise, 1860. 08. 8,

Milenius, Jos. Wilh.,, Om kapitenen grefwe H. H. v. Lie- vens sändning af Bwenska regeringen till Konstantinopel ar 1789. Btock- holm, 1860. 8.

AMußland mit Polen. 25

Bidrag till Sweriges officiela statistik, A) Befolkning- statistik. Ny följd.T, 8. Statistiska central: byrans underdanign berättelse för ıren 1851 med 1855. Tredja och sista afdelningen , innehallande folk- mängden den 31. December 1855 after kön, alder, civilstand, hushall, standsklasser, lefnadsyrken, och näringer m. m., jemte dödlighets och lif- iäagdstabeller. Stockholm, 1860. XCVIII, 85 8. 4.

13. Unflend und Yolen.

Archiv für wissenschaftliche Kunde von Russland. He- rausgegeb. v. A. Erman. 20 Bd. 4 Hefte. Berlin G. Reimer, 1860. 8.

Historischer Inhalt von XIX, 1—4, 1860. Eichwald, über tschu- üische Ausgrabungen S. 55— 70. Ribäry, die hunnisch-scythische Völ- kerfamilioe 8. 71 76. Alexander Nikolaj Radischtschew, Schicksale eines russischen Publicisten. S. 77 92. Galsan-Gombojew, über alte und neue Gebräuche der Mongolen, mit Beziehung auf Plano Carpini’s Beschreibungen. 8. 93— 108. Arbeiten der morgenländischen Abthel- lung der kaiserlichen archäologischen Gesellschaft. S. 109—121. Freie Colonisation und Leibeigenschaft im Gouvernement Orenburg. 8. 122— 25. Tschirikow, über die Arbeiten der persisch - türkischen Gränz- Commission. 8. 218 224. Russische Reisen nach Japan. S. 243 364; 315 388; 577 581. Wogulische Sprache und Sage. B 288 297. Sch., Kalewi Poeg, eine epische Sage der Esten. B. 346 363. Dorn, morgenländische Handschriften der öffentlichen Bibliothek von St. Petersburg. S. 389—39% (Kostomarow) Stenjka Rasin’s Aufstand. S. 393 440. 652 696. Berösin’s Uebersetzung des Saschided-din. 8. 451 460; über die Mässigkeitsbestrebungen in Rusmland. S. 501—508. Kadinskji, über die Mortalitätsverhältnisseo in Russland. S. 509 514. Ahlgvist‘ die Mordwinen, ihre Sprache und Sitten. 8. 556. Ueber historische Werke der Mongolen, in Son- derbeit die Chronik Altan Tabtschi. 8. 557 bis 576.

XX, 1: Uebersicht dor neuesten russischen Literatur. 8. 1 19. Golubjew, kurzer Bericht über die Resultate einer Expedition nach dem Issyk-Kul S. 26—37. Tscheremschanskji, Beschreibung des Gou- vernements Orenburg. 8. 38—50. Der Lamaismus im bstlichen Sibirien. S. 5l 72. Ahlgvist, über Wohnsitze und Lebensweise der Wogulen. 8. 150 166.

Dipeeiige Beitfäeift Ti. Bun, 1

236 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1860.

C. Schirren, Nachricht von Quellen zur Geſchichte Ruß⸗ lande, vornehmlich ans ſchwediſchen Archiven und Dibliotheken. (Aus dem bulletin de l'academio imp. des sciences.) St. Petersburg, 1860. Leipzig, Bf. 806 8.

Herrmann, Geschichte des russischen Staates. 6. Bd. Auswärtige Beziehungen von 1775 1792. Gotha, Perthes, 1860. XXI, 696 S. 8.

Grahame, F. R., The archer and the steppe; or the empires of Soythia, a history of Russia and Tartary, from the earliest ages till the fall of the Mogul power in Europe in the middle of the 16th century. London. 480 8. 8.

Georgii monachi, dicti Hamartoli, Chronicon ab orbe oomdito ad a. p. Chr. n. 842 et a diversis scriptoribus usque ad annum 1143 oom- tinustum nune primum ad fidem cod. Mosquensis, adjecta passim varietate reliquorum cod. neo non Leonis Girammatici et Cedreni et annotatis locis s. scripturae etc. Edidit E. de Muralto. Petropoli 1869. Frankfart a. M., J. Baer. LII und 10168 mit 1 Steintafel. gr. Lex. 8.

Le Procdös du tsarevitch Alexis Petrowitch. Par N. Oustrialof. Traduit du russe par Constant de White. Leipzig, Gerhard, 1860. VII und 546 8. mit 2 Portr. in Stahlst. 8.

Abbott, Jacob, History of Peter the great, emperer of Russia. New -York. 368 8. 8.

La Cour de Russie il y a cent ans 1725 —1783. Extraits des de- p£ches des ambassadeurs anglais et frangais. Se edition. Berlin, F. Schneider. 422 8, 8,

Peter den Tredje og Cathrine. Brudstykker af Russlands bi- stoire. Efter Lamartines „histoire de la Russie.““ Nörresundby (Kjöben- havn, Eibe), 1860 196 S. 8.

Jauffret, E., Catherine Il. et son r&ögne. Paris, Dentu, 1860. 2 vols. VII und 979 8. 8.

Hertzen, A., Catharina den Andens memoirer. Skrevne af hende selv. Oversatte efter den franske originals andet oplag af F. 8% rensen. 1 6te hefte. Kjöbenhavn, 1860. 862 B. 8.

Derfelbe: Le monde russe et la rdevolution. Memoires. 1812 bis 1835. Traduit par H. Delaveau. Paris, Dentu. XXII und 8569, 18.

Nußland mit Polen. 227

Taigny, Edm., Catherine Il. et la princesse Daschkoff. Naumburg, Pätz, 1860. 40 8. 8,

Volkhausen, C., Nikolaus J. och det Ryska kofwet fran Polska revolutionen till interventionen i Ungarn. Oefwer- sättaing fran Tyskan. Stockholm, 1859. 262 8, 8,

Wilson, General Sir Robert, Narrative of events during the invasion nf Russia by Napoleon Bonaparte, and the retreat of the French army 1812. 2d edit. London, Murray, 1860. 430 8. 8.

Russland unter Alexander Il. Nikolajewitsch. Zur in- nern Geschichte und äussern Politik vom Thronwechsel bis auf dio Ge- geswart. 1855 1860. Leipzig, Brockhaus. X und 424 8. 8.

Adye, John, Lieut -Col., A review of the Crimean war to the winter of 1854. London, Hurste, 1860. 200 Ss. 8.

Anitihlof, Hauptm., Der Feldzug in ber Krim. 3. (Euppl.-) TU. Bon Dberlieut. G. Baumgarten. Berlin, Mittler u. Eohn, 1860. V, 68 GS. 8

Basancourt, Beron de, L’expedition de Crimée. L’armee

francaise & Gallipoli, Varna et Sebastopo. 2 Vols. Paris, Amyot. 1860. IXXIII, 883 8. 8.

Golorvine, Ivan, Ephdmerides russes. Leipzig, Hübner, 1860. IM und 130 5. 3.

Derfelbe: Los alliances de la Russie. Ebd. XII und 124 S. 8.

Die Kosacken, in ihrer gschichtlichen Entwickelung und gegen- wärtigen Zuständen von A. v B. Berlin, Riegel, 1860. VII und 259 8. 8.

Melanges russes tirdes du „Bulletin historico-philolo- gique“ et du „Bulletin“ de l’Acaddmie imperiale des scien- ces de 8t. Pötersbourg. T. IV. 1 livr. St. Petersbourg. Leipzig, Voss, 1860. Ill 8. u 8. 1—115. 8. mit 1Stein- u. 1 Kupfertaf. in gr. 4.

Troubetzkoy, prince Alexandre de, La Russie rouge. Paris, Dentu, 1860. 178 8. 8.

Valory, prince Henri de, La question russe, en réponse au parti ultra-liberal de la Russie. Ebd. 23 8. 8.

15*

228 Ueberfiht der hiſtoriſchen Literatur von 1860.

Beitrag zur russischen Finanzlage. Eine Stimme aus Russ land im J. 1859. 1. und 2. Aufl. Berlin, Behr, 1860. 68 8. 8.

Dolgorouky, prince Pierre, La veritd sur la Russie, Paris, Frauck, 1860. 468 8. 8,

Dumas, Alex, Impressions de voyage en Russie ete. Vol. 6 Fin. (Bibliothöque choisie. Vol. 296). Naumburg, 1858, Pätz. 148 8. 16.

Schedo-Ferroti, D. K, Etudes sur l’avenir de la Russie. 5. Etude: Le militaire. le und 2e ddit. Berlin, Behr. 166 8, 8.

Socialisme, le,.en Russie. Etude contemporaine. Paris. 480 S. 8.

Tourgueneff, N., Un dernier mot sur l’dömancipation des serfs en Russie. Paris, Franck, 1860. 118 8. 8.

Zapasnik, Alexandre, Etudes financitres sur l’d&manei- pation des paysans on Russie, sur l’impöt foncier, le systöme me- netaire et le change exterieur. Paris, 1860. VII und 175 8. 8,

Materialien zur Aufhebung der Geſchichte ber Leibeigen- haft, welde ben Befigern von Bauern in Rußland unter der Herrſchaſt bes Kaifere vorgefchrieben if. 2. Bd. (Schluß) 1859, 1860. Berlin, 3. Schnei⸗ ber. (ARufliih.) 478 ©.

Mittheilungen aus dem Gebiete ber Gefhichte Liv⸗, EpR- and Kurland's, heransgegeben von ber Geſellſchaft für Geſchichte und Ulter⸗ thumstunbe ber ruff. Oflfeeprovinzgen. 9. Bd 3. Heft. Riga, Kyınmel, 1860, (Leipzig, C. F. Blelfher.) XVI, &. 817—563. 8.

Enthält: Chronologiſche Forſchungen anf dem Gebiete ber ruffifgen und fteflänbifchen Geſchichte des XIII. n XIV. Jahrhunderts, verfaßt von Auguſt Eugelmann. Aus dem Ruſſiſchen Überſetzt.

Rutenberg, Otto v., Geschichte der Ostseeprovinsen Liv-, Esth- und Kurland von der ältesten Zeit bis zum Untergangs ihrer Selbsständigkeit. 2 Bd. Mit einem Namen- und Sachregister und 1 lith. Karte von Liv-, Esth- und Kurland sur Ordenszeit in gr. Fol Leipsig , Engelmann, 1860. XVI und 550 8, 8.

Die 700 Jahre der Geſchichte Livland'e. ie ige, 1859. (Leipzig, €. F. Fleiſcher). 11 ©. 4.

Nußland mit Bolen. 229

Tiefenhanfen zu Weiſſenſee, Ed., Baron, Ueberſichtliche Sarkellung der hiforifhen Entwidlung ber Hauptpunfte aus ber Linlänbifhen Landesverfaffung Zur Erinnerung au bie vor 150 Jahren am 4. Yuli 1710 flattgehabte Vereinigung Livlands mit bem rufl. Raiferreih. Riga, Kymmel, 1860. (Leipzig, Fleiſcher) 28 ©. 8.

Berkholz, C. A., Die sieben Jahrhunderte Livlands, von 1159 1859. Ein Rückblick ans der Gegenwart. 1. Hälfte, Die 4 Jahrhunderte 1159 1559. Riga, Götschel. 58 S. 8

Brandowsky, Alfr., De Stanislai Oxii Orichovii annali- bus Polonicis. Dissertatio inauguralis. Berolini, 1860. 40 S. 4.

Mosbach, A, Wisdomosci do dziejöw Polskich z archi- wum prowincyi Szlaskiej. Breslau und Ostrowo. L nnd 404 8. 8.

Notisen zur polnischen Geschichte aus den Archiven der Provinz Schlesien.

Derſeſbe: Prayczynki do dziejöw Polskich z archiwum miastu Wroclawia. Ostrowo, 1860. 194 8. 8.

Beiträge zur polnischen Geschichte aus den Archiven der Stadt Breslau.

Nestora latopis. Stary text Mnicha Lawrentego z IV wieoka. Od zial I. Czese przez Schlözera krytycznie wypraco- was, prsepolsscayl Juljan Kotkowski. Kijow. XXLV und 272 8. 8.

Nestor’s Chronik. Der alte Text des Mönches Laurentius aus dem l& Jahrh. 1. Abth., von Schlözer kritisch bearbeitet, in’s Polnische

übertragen

Wolowska, Tokla, Historya polska Tom. 1. Paris, 5408. 8, Polnische Geschichte,

Skarbiec diplomatöw Papierkich, Cesarskich, Krolewskich, Ksiaseoych nihwat narodowych postanowien röznych, wlads i urreddw pestayujacych do Krytyoznego wyjasnienia dziej6w Litwy, Rusi Litewskiej i osciennych im Krajoöw zebrat i w tresci opisat Ignacy Danilowicz. Tom. I. Z posyonnych rekopismdw znadnjacych sic w bibljoteco Mu- soum Wilenskiego wydal dan Bidorowicz. Wilna. (Berlin, B. Bohr. E. Beck.) 1860. 4.

280 Ueberfiht der hiſtoriſchen Literatur von 1860.

Bon dem lebendigen Intereffe, womit die polniſche Nation feit ben letzten Dezennien ſich dem Studium ihrer heimathlichen Geſchichte zuge, wendet, geben die im jedem Jahre veröffentlichten zahlreichen Ergebniffe theils der Hiftorifchen Forſchung theild der Sammlung und Sichtung des hiſtoriſchen Material mehr und mehr Kunde. Borliegende Regeſten (945 Nummern) enthalten in chronologiſcher Ordnung die Ercerpte aus Urkunden meift kirchlichen und ftantsrechtlichen Inhalts bis z. J. 1410 zur Erläuterung der Pitauifchen Geſchichte. Voran geht eine Turze Angabe deſſen, was in den Geſchichtsſchreibern des Altertbums und der erften Zeiten des Mittelalter über Land und Bol der Litauer geboten ift von Herodot bis Jornandes. Die hanpichriftlihe Sammlung von Danilowie gehört ver Bibliothet des Wilnaer Muſeums an. v. H.

Vetera monumenta Poloniae et Lithuanise gentiumque finitimarum historia illustrantia maximam partem nondum edita ex tabulariis Vaticanis deprompta collecta ac serie chronologica disposits ab Augustino Theiner. T. I. Romae, 1860. Fol.

Dbige Urkundenfammlung ift ein Pendant zu den Monumenta Hus- gariae von bemjelben Verfaſſer. Die vielfachen Beziehungen, welche in allen Jahrhunderten zwijchen dem katholiſchen Polen und dem römifchen Etuhle ftattgefunvden, liefern ein reiches, für die polnijche Geſchichte zu verwerthenves Material. Der bier gegebene Band umfaßt die Bullen und Breves von 24 Päpften, aus den Yahren 1217— 1409 (von Ho norius II. bis Gregor XI.) Nach dem angedeuteten Plane fol das Bert in 3 Bänden vollendet fein und bis zum Tode Johanns TIL (So- biesfi'8) herabreihen. Der vorliegende Band, in äußerſt glängenber Ausftattung und von fehr correftem Drude, ıft überjichtlich geordnet und mit einem Ramen- und Ortöregifter verjehen. v. H.

Sharbek, F., Dzieje Ksieztwa Warszawskiego. 2 tomy. Posen, 1860. X. und 134 und 290 8. 8. Geschichte des Grosshersogthums Warschau.

Opowiadania historyczne. (Kronika Helmolda. W wsiecie Po- snania 1715 roku. Niewola Fr. Poninskiego 1734 roku. Powstanie Kosciusski w Kurlandyi. Wspomnienia z czasöow Pruss. poludniowych) Posen, 1860. IV und 368 8. 8. j

Historische Notizen zur polnischen Geschichte.

En

Rußland mit Polen. 231

Wecloewski, Stanislaus, De Polonorum cultu et huma- nitate decimo sexto et ineunte decimo septimo saeculo exteris testibus et arbitris advocatis. Gym-Pr. Culm 1859. 52 8. 4.

Wegner, Leon, Jan Orstrorog, doctor obojga praw, wojewoda Pozuanski i jego pamietnik na zjazd walny koronny za Krola Jana Kasi- mierza Jagiellonczyka o urzadzeniu rzeozypospolitej. Poznan, 1859. 138 S. 8.

Johann Ostrorog, Dr. der Rechte und Statthalter von Posen, und seine Denkwürdigkeiten über den grossen Reichstag der polnischen Krone zur Zeit des Johann Casimir von Polen.

Albertrandy, Panowanie Henryka Welezyusza i Stefana Batorego, krölöw Polskich. Z rekopismöw podlug wydaniar. Onscewicza , z dolaczeniem pamietniköw history Stefana Batorego dotycza- eych i listu Jedrzego Chiakora sekretarza krölewskiego, Opisujacego ostat- sis chwile tego monarchz. Krakau. 1860. VIII und 475 8. 8.

Geschichte der Regierung von Heinrich Valois und Stephan Batory.

Kosmowski, Stanislaw, Pamietniki z konca XVIII wieku. Denkwürdigkeiten aus dem Ende des 18. Jahrhunderts. Posen. 1860 IV und 100 S. 8.

Herrmann Sternberg, Berfuh einer Geſchichte der Juden in Bolen. TH I. Bien. 8. Rud. Lichner's k. k. Univerfitätsbuchhandlung.

Für die Juden war Polen im Mittelalter nach Lelewel's Ausdruck „ein wahres Paradies.” In ganz Europa verfolgt, gelangten fie hier zu einem Aſyl, zu Reichthum nnd unter Cafimir dem Großen ſelbſt zu An⸗ hen und Einfluß. Die Geſetzgebung hat ihnen frühe ſchon durch das Brivilegium Boleslaws einen rechtlichen Anhaltspunkt gewährt. Ihre aceptionelle Stellung in dieſem Lande rechtfertigt ven Verſuch einer Mo⸗ nograpbie um fo mehr, als vie hiftorifhe Entwidlung des Judenthunis in Polen noch bis heute eines Bearbeiter harrt. Ob der Berfaffer ehiger Schrift jonverlid dazu befähigt erjcheine, dürfte nach dem Vor⸗ liegenden faft zu bezweifeln fein. Der Berfaffer, jelbit Jude, verräth durch den Ton jeiner Vorrede einen einjeitig nationalen Standpuntt. Der bier vollendete erfte Theil feines Buches enthält die Periode der Piaſtenherrſchaft. Der zum Berftänpniffe allerdings erforderliche Abriß der polmifchen Gefchichte ift nichts als eine dürftige Compilation ans

233 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860.

einigen neueren Hilfsmitteln. Der Abdruck und Commentar bes Statu- tum Boleslai bringt ebenfalls nur Bekanntes. v. H.

14. Ungarn und Siebenbürgen.

Ed. Rösler, Dr, Zur Kritik älterer nugariſcher Geſchichte. Troppau, Schüler, 1860. 30 ©. 4.

Szalay, Lässlöd, Magyarorszäg törtdnete. VI kötet. Post, 1860. 8. (Geſchichte von Ungarn. 6. Heft)

Monumenta Hungariae historica Diplomataria V. A. u. d. T. Magyar törtenelmi okmänytär, Londoni Könyr és leveitärakböl. Oss- sossedte s lemäsolta Bimonyi Ernö. 1521— 1717. Pest, 1859. VI, 818 8. 8.

_ VI. A. u.d. T.: Codex diplomaticus Arpadlanus oontinuatus. Arpdädkori üj okmänytär. A. m. Tud. Akademia tört bizott- mänya megbizdäsäböl közzd teszi Wenzel Gustäv: Elsd kötet. 1001 1235. Ebd. 1860. XLII, 405 8. 8.

Seriptores. VI. A. u. d. T: Verancsios antal Összes mun- ki. Közli Szalay Läszlo.. Otödik kötet. Mäsodik pö6rtai követsdg. 1567 68. Ebd, 1860. VII. 392 8. 8.

Civilisation in Hungary; seven answers to the seven letters addressed by M. Barth. de Szemere to Richard Cobden, Esg. By an Hun- garian. London, Trübner, 1860. 8.

Daniel Iränyi et Charles Louis Chassin. histoire poli- tique de la revolution de Hongrie, 1847—1849. 9. partie. Fin. La guerre. Paris, Pagnerre, 1860. 632 S. 8.

.‚Szemtre, Barthelemy de, ancien ministre president de Hongrie. La question hongroise (1848-60). Paris, Dentu. 1860. 164 S, 8.

Hungary from 1848 to 1860. Pro deo, patria et libertate. London, Bentley. 1860. 8.

Terra incognita. Notizen über Ungarn. Hrsg. von Jos. v. Oross und einigen Patrioten. 2. Aufl. Leipzig, O. Wigand, 1860. 259 8. 8,

Zur ungarischen Frage. Eine Denkschrift. Von einem ungar. Patrioten. Leipzig, Bteinacker, 1859. 85 8. 8.

* . Mngarır mb Giebenbärgen. 233

8. MR. Kertbeny, Erinnerungen an Graf Stefan Szsecdenyi. 1.w 3. Aufl Baſel, Georg, 1860. 149 ©. 8.

La Hongrie politique et religieuse. Etudes sur ses institutions et sa situation actuelle, Bruxelles, Lacroix, v. Moenen et C., 1860. 8638. 12.

La Hongrie devant l’Europe. Les institutions nationales et oon- stitutionelles de la Hongrie et leur violation. Bruxelles, v. Meenen et C., 1860. 200 8. 18.

Das Eoncorbat und die ?. f. Sermanifirung in Ungarn. Zwei Briefe aus und über Ungarn. Hamburg, Hoffmann unb Eampe, 1860. 16. 8.

Mailath, Coloman, Graf, Fünf Büher vom Staate Ein Bei- trag zur Germanifirung ber Öfterreichifhen Monardiee Mit befonberem nadblid auf Ungarn. Leipzig, Wigand, 1860. 133 ©. 8.

J E Horn, La Hongrie et la crise europdenne. Paris, Deatu, 1860. 31 8. 8,

Ungarn’s gutes Recht. Politiſches Memorial und ſummariſche Ge⸗ ſchichte Ungarn’s vom 9. Jahrh. bie auf die Gegenwart mit Rüdficht auf bie neneſten Öferreichiichen Zugeſtändniſſe. Nah hiſtoriſchen Quellen und eigenen Eriebuiffen von einem Magyaren. Luzern, Etraube, 1861. V, 82 © 8.

Deutfhe Zundgruben zur Geſchichte Siebenbürgense Neue felge; herausgegeben von Dr. Eugen v. Traufchenfele, 1860. 414 ©. 8.

Sahelt: Album Oltardianum, 1526 1629. Fortſetzung ber Chronik bes Hieronymus Ofermayer buch Andreas Heygeſch, 1562 1570. Bi- monis Nocssner res actae quaedam in partibus Hungariae et Transilvanise, 1570 1619. Simonis Czauck Ephemeris libellus, in quo acta quoti- disna perscribuntur, 1590 1602 Liber annalium raptim scriptus per Nichaelem Weyss. Continuatio, 1612—1615. Auszug bes Audreas He- ges ame einer fremden Ehronil, 1608— 1612. Diarium bes Andreas Hegyes, 1613 —1617. Hiftorifhe Anmerkungen eines Kronftäbtere, 1631 —1660. Tagebuch des Johann Irthell des Altern und jüngern, 1638 - 1710. Wahr- heftige Beſchreibung, was fih in ber in Eiebenbürgen liegenden Hermannſtadt unter der Raloczianifchen Belagerung zugetragen im I. 1659 und angehalten WW anno 1660 im Mai. Nots pro anno 1660. Berfaßt von Troſtfrieb

Segenitins.

234 Ueberfiät ber hiſtoriſchen Literatur don 1860.

Archiv des Bereins für fiebenbärgifhe Lanbestunbe. Neme Folge. Dritter Band. 3. Heft. Vierter Band. Heft 1 u. 2. Kronflabt, 1859 u. 1860.

11, 8: Die Bronzealterthümer, eine Duelle ber älteren fiebenbürgiihen Geihichte, von Friedr. Müller. Kritiihe Beiträge zur Kirchengeſchichte bes Hermanftäbter Kapitels in Giebenbürgen vor der Reformation. Ge⸗ ſchichtliches Aber die fiebenbürgifche Paläontologie und bie Literatur derſelben, vou Joh. Ludw. Neugeboren.

IV, 1: Die Geten und Daten. Ein Hiftoriicher Berfuh als Beitrag zur fiebeubürgiichen Landeskunde, von Wilhelm Schmidt. IV, 2: Schluß ber Abhandlung über Geten und Dalen. Zur ältern fiebenbürgifchen Glocken⸗ funde von Briedrid Müller. Zur Gedichte von Bifrik. Bon G. D. Teutid.

15. Bie Türkei. Griechenland.

Wuk Steph. Karadfhitfh, Der ferbifge Senat unter Kara Georg oder das Etreben ber damaligen Oberhäupter nad ber höchſten Ge⸗ walt. (In ferbifher Sprache.) Wien (Berlin, &. Reimer), 1860. V, 178 ©. 8,

Ballmerayer, Dr. 3. Ph, Das Albanefifhe Element in Brie benland. 1. Abth. Was man über die Thaten und über bie Schidfale des alban. Bolles von feinem erfien Auftreten in ber Geſchichte bis zu feiner Unterjohung durch die Türken nach dem Tode Stander »Beg’e mit Sicherheit wiffen fann. (Aus den Abhandl. der E. bayer Mad d. Wiffenfchaften.) Mün- hen, Stanz. 1860. 80 ©. 4.

Dilzuarv, Imarıns, doxiuiov negi ins Ekimvixns dnasagtagsas. Tonos rgwrog xzai Ösurepos. Athen, 1859. XLVIII u. 417, XXXVI u. 42185. 8,

Lombardi, Ettore, Ordinamento politico della Greecia moderna: cenni storici. Torino, Bona, 1859. 191 8. 8.

Lunsi, Ermanno, Della oondizione politica delle isole Jonie sotto il dominio Veneto preceduta da un compendii della storia delle isole stesso della divisione dell’ imperio Bizantino. Versione con note di Marino Typaldo Foresti e Nicola Barozzi, riveduta od aumentata dall’ autore. Venesis, 1859—60. Faso. 2—6 8.

Aſien. Oſtaſien. Chinas unb Japan. 235

Valiero, senatore Andr., Storia della guerra di Candia. 2 voll. Triest, Coen, 1859. XX, 669 8. 8.

15. Afım. Ofofien. Ehine and Japan.

Journal asistique, Ou Recueil de mdmoires, d’extraits et de no- tioss relatifs à Thictoiro, & 1a philosophie, aux langues et & la litterature des peuples orientaux. publi6 par la Socidte asiatique. 5. Serie. Paris, Duprat, 1860. LXV. u. XVI, 550, 552 S. 8.

Journal of the Royal Asiatio society of Great Britain aud Ireland. Vol. XVII. Part. 2. London, Parker et Son, 1860. 84 8. u 223—3%. 8.

Darin: 8ykes, traits of Indian character. 8. 223 -51. Fowle, translation of a Burmese version of the Niti Kyan, a code of ethics in Pali. 8. 252-—-66. Forbes, notes on the ruins of Wallabhipura. 8. 267 —72. Latham, on the date and personality of Priyadarsi. 8. 273—85. Graham, on the inscriptions found in the region of EI- Härrah, in tho great desert south-east and east of the Haurän 8. 286—97. Bykes, ac- ooant of some golden relics discovered at Rangoon. S 298 308. Priaulx, on the Indian embassy to Augustus. Ss. 309— 21. Morley, description of an Arabie quadrant. 8. 322— 30. Wylie, on an ancient inseription in the Neu-chih language. S. 331—45. Mann, on the cotton trade of India. S. 346 87. Rawlinson, on the birs Nimrud, or the great temple of Borsippa. 34 S.

Melanges asiatiques tirds du „Bulletin historico- philologique“ et da „Bulletin“ de l’Acaddmie imperiale de St. Pötersburg. T. 11. 6. livr. T. IV. 1. live. St. Petersbourg, 1859, 1860. Leipzig, Voss. IV, S. 613 756. 8. 1—-134. 8.

Käunffer, Joh. Ernf Rudolf, Dr., Conſiſt.R. u. Hofpred., Ge⸗ ſchichte von DOfafien. Für Freunde der Geſchichte ber Menſchheit barge- geRellt. 3. Theil. Leipzig, Brodhaus, 1860. VII, 727. 727© 8.

Taylor, Bayard, A visit to India, Chinas, Japan. Newly revised and edited by George Fred. Pardon. J,ondon, Blackwood, 1860. 300 S. 12.

Moges, Marquis de, Souvenirs d'une ambassade en Chine et au Japon, en 1857 et 1858. Paris, Hachette et Ce. 355 S. 18.

236 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur won 1860.

Recollections of Baron Gros’s omhbassy to China and Japan in 13857 58. London, Griffin, 1860. 370 S. 12.

Oliphant,Laurence, Narrative of the Earl ofElgin's mis- sion to China and Japan in the ycars 1857, 68, 59. Ist and 2d edit. London, Blakwood 1860. 990 8. 8.

La Chine et le Japon, mission du comte d’Elgin pendant les anndes 1857, 1858 et 1859. Traduction nourvelle, precddse d’une introduction, par Guizot, 2 vols. Paris, Levy fr. XXXIX u,4088. 8.

Osborn, Sherard, Capt., The past and future of British re- lations in China. London, Blackwood, 1860. 190 8. 8.

Picard, Jules, Etat göndral des forces militaires et ma- ritimes de la Chine, solde, armes, &quipements, etc.; pröcdded d’une 6tade sur les rapports commerciaux & 6tablir avec cet empire. Ouvrage oomposé d'àprès les textes officiels chinois, recueilldes par T. F. Wade et sur d’autres documents röcents. Paris, Corrdard, 1860. VII u. 534 8. 8.

Etude politique et militaire sur la Chineo, preoddee de considerations sur l'industrie et le commerce exterieur de la Belgique et sur la necessite pour elle de order des dtablissoments dans les pays trans- atlantiques. Paris, Tanera, 1860. 219 S. 8. m. 1 Kpfr.

Bell, Georges, Voyage en Chine du capitaine Montfort, avec un resume historique des drdnements des dix dernidres anndes. Paris, libr. nouvelle, 1860. 360 8. 18.

Years, twelrve, in China: the people, the rebels, and the man- darins, By a British resident. With illustrations. Edinburgh, Hamilton, 1860. 340 8. 8.

Kina, Land och folk, skildradt efter de bästa källor. Fri öfwersättning af Kjellman-Göranson. 66— 126 häftenea. Stock- holm, Huldberg et Komp., 1860. 8. 81-236. 4. m. 20 Kpfrn.

Heine, Wilhb., Japan und seine Bewohner. Gsschichtliche Rückblicke und ethnogr. Schilderungen von Land und Leuten. Leipzig, Costenoble, 1860. XX, 388 8, gr. 8.

Japan och dess innebyggare. Försa häfte. Stockholm, Huldberg et C., 1860. 16 8, 4. m. 8 Kpfin.

Borderinbien. 937

Kemish, 8. B., The Japanese empire: its physical, political and social condition and history; with details of the late American and British expedition. London, Patridge, 1860. 8.

Furet, P. Lettres & M. Leon de Bosny sur l’archipel japonais et la Tartarle orientale. Paris, Maisonneuve et Ce., 1860. IV, 1248. 12.

Kattendyke, W. J. C. Ridder Huyssen van, Uittreksel uit het dagbook, gedurende zijn verblijf in Japan in 1857, 1858 en 1859. ‘sGravenhage, v. Stockum, 1860. 8. m. 1 Kpft.

Köppen, Obel, Tibet und der Lamaismus bis zur Zeit der Mongolenherrschaft Progr. des Friedr.-Gymn, Berlin, 1859. 278. 4.

16. Vorderindien.

Lassen, Prof. Chrn., Indische Alterthumskunde. 4, Bd. 1. Hälfte: Geschichte des Dekhans, Hinterindiens und des Indischen Ar- chipels v. 319 n. Chr, Geb. bis auf die Muhammedaner und die Portu- giesen. Leipzig 1861, Kittler. VI S. und 8. 1 258. Lex. 8.

Vivien de Saint-Martin, Etude sur la g6ographie et les populsations primitives du nord-ouest de l’Inde, d’a- pr&ös les hymnes vddiques; prec&dde d’un apergu de l’dtat actuel des “udes sur TInde ancienne. Paris, impr. imperiale. LXXII u. 205 8. 8.

History of the British settlements in India, to the elese of the Sepoy rebellion. London, 1860. 580 8. 12.

Reveridge, Henry, A oomprehensive history of India, eiväil, military, and social, from the first landing of the English to the suppression of the Sepoy revolt; including an outline of the early kistory of Hindoostan. Vol. I. London, Blakie. 720 8. 8.

Flecchis G., L’impero anglo-indiano con una descri- sione geografica dell India per cura di F. C, Marmocchi. Vel. L Fasc, 1—24. Torino 1859 1860. 4.

From London to Lucknow: with memoranda of mutinies, mar- ches, Rights, fights, and conversations: to which is added, an opiumsmug- gier’s explanstions of the Peiho massacre. By a chaplain in H. M. In- dan servies. London, Nisbet, 1860. 2 vols, 570 8. 8.

238 Ueberſicht der hiſtoriſchen Literatur won 1860.

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Hutchinson, G., Narrstive of the mutinies in Oude, compiled from authentio records. London, Smith et C., 1860. 256 S. 8.

Montgomery-Martin, La rdvolte de l’Inde, ses commencen- sents , ses progrös. Histoire des causes qui l’ont amende, etc. Tradait de l’anglais par Kermoysan. Paris, Didot, 1860. X, 352 8. 8.

Prichard, Thomas, The mutinies in Ragpootana: being a personal narrative of the mutiny at Nusscerabad, with subsequent resi- dence at Jodhpore, and journey across the desert into Sind; with an accouut of the outbreak at Neemuch, and mutiny of the Jodhpore Legion at Erinpoora and attack on Mount Aboo. London, Parker, 1860. 810 S. 8.

Lowe, Thomas, Gentral-India during the rebellion of 1857 and 1858: a narrative of operations of the British forces from the suppression of mutiny in Aurungabad to the capture of Gwalior under Sir Hugh Rose and Bir C. Stuart. London, Longman, 1860. 870 8. 8.

Robertson, H. Dundas, District duties during the re- volt in the Northwest provinces of India 1857, with remarks on subsequent investigations during 1858 1859. London 1859, 250 8 8.

Russel, William Howard, My diary in India in the years 1858—1859. New edit. 2 vols, with illuttrations. London, Routledge, 1860. 840 8. 8.

Summer ramble in the Himalayas, with sporting adventures in the vale of Cashmere. Edited by mountaineer. London, Hurst et B. 1860. 360 8. 8,

Tennent, Sir James Emerson, Ceylon: an account of tbe island, physical, bistorical, and topographical: with notices of its natural history, antiquities, and producotions. Illustrated by maps, plans, and dra- wings. 4th edit. 2 vols. London, Longman, 1860. 1260 8. 8.

5th edit. Ebd. 1300 8. 8.

Venedey, J., Engelska-Ostindien. Hindustans natur, folk,

Hinterindien unb ber inbifche Archipel. 289

kistoria och seder, skildrade jemte nyheter frAn alla werlds delar. Fri Awersättning fran Tyskan af Kjellman-Goranson. Stockholm, Bru- &n 1859. Haft VIII— XI. 8. 225— 817 u 47 79. Mit 10 Kpfr. 4.

17. Hinterindien und der indifche Archipel.

Aantocekeningen, eenige, betreffende Noörlands Indiß, omtrent zijne geschiedenis en plaatsbeschrijving, in verband met d’alge- meene historic. I. Geschiedenis. Assen, v. Gorkum et Com. 18 8. 8.

Arbeid, de vrije, op Java, behandeld in „Felix Meritis“ door W. R. v. Hoövell en Dr. W. Bosch. 's Gravenhage, Nijhoffl. 164 8. 8,

Beschouwingen over den toestand van N. Indid, en histo- riseh overzigt betreffende het outstaan van het gemeen overleg tusschen & regering en de Staten-Generaal, aangaande de koloniön, 's Gravenhage, Busan. 1118. 8. .

Blik op de tien laatste jaren in Nederlandsch-Indiß, een stem tot het Nederlandsche volk. Amsterdam, v. Munster et Z. MB 8,

Buddingh, Dr., 8. A, Neörlands Oost-Indid. Reisen ge- daan gedurende het tijdvak van 1862 1857. Met platen. 13— 180 sd, Rotterdam, Wijt & Z. IL VII S. u 8. 145 415. Mit Kpfm. 8.

Doren, J. B. J.v., Herinneringen en schetsen van Ne- derlands Oost-Indid. Vervolg op de fragmenten uit de reizen in die gewesten. Met platen. 2e deel, 3e afl. Amsterdam, Sybrandi. S. 217 bis 376 8.

Handelingen en geschriften van het Indisch genoot- schap te 's Gravenhage, onder zinspreuk: Onderzoek leidt to waar- keid. Ge jaarg. 3e en 40 afl. Te. jaarg. le aß. 's Gravenhage, Susan 1859. 60. 1128, 8.

Hasselmann, J. J, Beschouwingen, omtrent het kultuurstel- sel, eenige andere Indische aangelegenheden an vrijen arbeid op Java. Zelt -Bommel, Noman et Z. 10 und 76 S. 8.

Herwerden, J. D. van, Antwoord aan den Heer Dr. W. Bosch, aasr aanleiding van zijn: Indid soo als hot geweest is etc. 's Gra- venhage, Bellufente, 111 8. 6;

240 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur ven 1860.

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„Mi

262 Anguſt Schäffler ,

und hatten mit einem Verlufte von zwei Mann fich zurückgezogen. Gegen Abend erhielt man Kunde von ber Stärke der Bauern ’*). Nochmals fandte man an Striehbaum mit dem Vefehl, er folle mit feinem Corps nah München rüden und feinen Marſch beſchleuni—⸗ gen, fobald er Kanonendonner vernehme °*). Gegen Abend rüdten ale- dann auch alle Truppen zu „Roß und zu Fuß aus, um bie Bürger in Schranken zu halten. Nach Mitternacht entftand plötzlich Lärm vor ber Stadt. Die oberbayerifche Landespefenfion war angelommen. Ein Theil wartete am Softthor auf Einlaß‘’), der andere hatte fich mit ber Zunft der Zimmerlente von der Au verftärkt und griff jett, als ſich das verabredete Zeichen noch immer nicht zeigte‘*), den „rothen Thurm“ an der Sfarbrüde an. Es war dieß ungefähr um 1 Uhr Morgens. Nach kurzer Gegenwehr wurde derfelbe genommen °’). Von biefer Zeit an bi8 Morgens acht Uhr befchoffen fie die Stadt mit den beiden Feldſtücken, die fie in Benediktbeuern erpreßt hatten, und ben hier eroberten, füuberten mit wohlgezielten Büchjenfchüffen bie Wälle der Stadt von vertheidigenden Defterreichern und ließen bie Stadt durch einen Tambour zur Uebergabe auffordern. Die Defter- reicher vertheidigten fich fehr fchlaff; fie warteten auf Entjag durch Kriehbaum. Diefer hörte halben Weges Kanonendonner, befchleunigte feinen Marſch, fo viel er konnte, und um 8 Uhr Morgens verlünde- ten 3 Kanonenſchüſſe von der Gafteigerhöhe aus den DBelagerten feine Ankunft. Die Iſarbrücke Hatten vie Oberländer unbegreiflicher Weiſe unbefegt gelaffen. In gefchloffenen Reihen ließ Kriechbaum feine SYnfanterie über biefelbe ziehen, um die Belagerer vom Rüden anzufallen; durch bie feichte Iſar ließ er feine Hufaren und Pan- duren fegen, um zugleih auf beiven Flanken einen Cavaleriean« griff zu formiren. Zu eben berfelben Zeit gefchah ein Ausfall aus ber Stadt, die Oberlänvder kämpften wie Löwen, mußten aber ver Uebermacht weichen. ‘Die Befakung der Stadt war 5000, das Striech- baumifche Korps 3000 Dann ftark; vie Landesvertheidiger zählten faum 3000 Köpfe. Sie wurden von München weg gegen Sendling ®) zu gebrängt, faft von allen Seiten von den Solvaten umringt, zu— fammengetrieben und gezwungen, ihre Waffen zu ftreden. ALS fie bieß in der Hoffnung, tie verfprochene Begnadigung zu erlangen, ges than hatten, da wütheten die Solvaten gegen vie Wehrlofen. Ein

AT: Mttehe und EAdamerile. : =’ 347

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02 Site und

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Preisausſchreiben.

Die Societe des Arts et Sciences zu Utrecht veröffentlicht folgende Freisaufgaben, um teren Abdruck wir erjucht werben.

1. Exposer les principes qui depuis le Trait€ de Mnnster jnsqu’ & 203 jours. ont éeté enonces et appliques à l’occasion de la reconnaissance de Tindependance des peuples qui avaient brise leur joug, ou des chan- gements operes dans la forme de gouvernement.

2. Puiser dans l’histwire des Grecs et des Romains les preuves de Vinduence que les idees et les theories des philosophes ont exercee sur les vues et la conduite politigue des hommes d’etat et demontrer les consequences de cette influence dans les tentatives de reforme politique et sociale, quils ont pratiquedes.

3. Un apercu historique sur l’etat de nos connaissances concernant Pile de la Nouvelle-Guinee.

4. La societe demande, que le poids atom.que de deux elements su moins, choisis de preference parmi ceux, sur lesquels M. Stas n’a pas encore publie des recherches, soit determine de la maniere la plus rigoureuse et en suivant des methodes varices autant que possible.

5. Lhistoire de l'évolution d’une ou de plusieurs espèces d’ani- Diſtoriſche Zeitfärift VL Banv. 17

250 Breisansichreiben.

maux invertebres, dont l’histoire n’a pas encore 6tE decrite, accompagnee de planches illustratives du texte.

Le prix qui sera decerne & chaque réponse jugee satisfaisanfe, con- sistera en une me&daille d’or de la valeur de trois cent florins de Hol- lande (600 francs). Les r&ponses pouvent être €crites en Frangais, en Hollandais, en Allemand (en lettres italiques), en Anglais on en Latin, Eles doivent etre adressees, franches de port, avant le 30. Novembre 1862. au Secretaire de la Societe, M. le Dr. J. W. Gunning à Ur recht. Pour les questions No. 3 et 4 le concours restera ouvert jusqu’au 30. Novembre 1863. Les memoires doivent &tre égcrits d’une autre main que de celle de l’auteur, et accompagnes d’un billet cachet&, reufermant son nom et portant sur l’adresse la lettre L, s’il est membre de la Societe. Les responses couronnees seront inserees dans les Me- moires de la Sociéto.

S’adresser pour de plus amples informations, au Secretsire M. Gunning.

Druh von Dr. C. Well & Bohn.

Xadridten

von der

hiſtriſchen Commiffion

bei ber

Aöniglich Bagerichen Akademie der Wilenichaften,

(Beilage zur Hiftorifchen Zeitichrift herausgegeben von H. v. Sybel.)

Dritter” Jahrgang. Srfles Htüd.

KMünden, 1861.

Literarifh-artiftifge Unftalt : ber 3. G. Coſtta'ſchen Buchhandlung. Drah von Dr. E. Wolf & Zehn.

L

Plenarverſammlung

der

hifterifchen Commiſſion bei ver königlichen Akademie der Wiſſenſchaften vom 4. bis 8. Oct. 1861.

Die großen Arbeiten der Kommiſſion haben, wie die Berichte zeigten, die bei der heurigen Plenarverſammlung über die einzelnen Unternehmungen erftattet wurden, einen guten Fortgang gehabt. Von ten Quellen und Erörterungen zur bayerifchen und deut- ſchen Geſchichte ift im letzten Jahre der 6. Band erfchienen, ver 10. wird bis Michaelis 1862 die Breffe verlaffen haben; jener enthält die Monumenta Wittelsbacensia 1293 1397, herausgegeben von Wittmann, nach deſſen Tode Muffat die Nevifion des Tertes über- nahm und bie meiiten Noten binzufüste; diefer gibt die Yormelbücher mit biltorifcher Ueberficht über das Formelweſen und einleitenven Nos ten über bie Autoren und deren Zeit von Nodinger; die Nefte des 2. und 3. Bandes follen im Laufe viefes Etatsjahres wo möglich ebenfalls gedrugt werden, fo daß das Geſammtwerk bis nächjten Herbft zu Ende küme. Die Forſchungen zur deutſchen Geſchichte mit einer Reihe werthooller Unterfuchungen find in Jedermanns Häns-

\*

\

270 Auguſt Schaͤffler,

Der ſtarke Schmiedbalthes zu Kochel, Fahnenträger und Anführer der wackern Hochländer bei dem bayeri— ſchen Volksaufſtand in der Chriſtnacht 1705. Abge—⸗ bildet im Kirchengemälde zu Unterſendling. Cine bahyeriſche Volkslegende, aus dem in einem Kalender tes Jahres 1734 ſchriftlich niedergelegten Aufjage, welcher dem Verfaſſer zu Kochel mitgetheilt wurde, gefchöpft von F. J. Gruber. Mün- hen, 1832. Mich. Lindauer'ſche Buchhandlung (George Ja⸗ quet °°).

Das Büchlein hat 62 Seiten in Detav und ganz das Aus- feben und die Ausſtattung der gewöhnlichen fogenannten „Volks⸗ bücher⸗. Es zerfällt in zwei Theile:

1) in eine Erzählung,

2) in fachbienliche Notizen zu dieſer Erzählung. |

In dem eriten Theile ift eine Lebens» und Schidfaldgefchichte des Schmiedbalthes angegeben ’').

Beim Beginne der Erzählung finden wir den Schmiebbalthes mit . vem Pfarrer Albertus und feinen beiden noch lebenden Söhnen, Lo⸗ renz und Paul, am Sterbebette feines Erftgebornen Martin. Diefer war fchwer verwundet aus der Schlacht bei Höchſtädt nach der Hei- math gebracht werden. „Zweimal neunundbreigig Wochen“ litt er bie furchtbarjten Schmerzen. Seiner Mutter brach bei denſelben das Herz und fie ftarb, ehe ihr Sohn ausgerungen hatte. Kaum war Martin geftorben, fo kam eine andere Leivensbotfchaft zum Schmied⸗ balthes nach Kochel. In einem Aufjtande, der in Weilheim ftatt- gefunden, wurde Balthafar Mayr’8 Bruder, ver Sirchenpfleger Ulrich Mayr, deßwegen vom ungarifhen Militär graufant ermordet, weil er das heilige Gut der Kirche nicht in die Hände der Barbaren lieferte. Eilig fuhr der Balthes nach Weilheim und holte die verwaifte Zoch» ter feines Bruders, Angelifa, und nahm fie an Kinbesftatt an.

Balthaſar Hatte wie gefagt noch zwei Söhne; Lorenz war adht« zehn, der Paul „ward am Vorabend des heiligen Chrifttages erſt fünfzehn Jahre altı.

Nachdem fi der Schmied in einer Epiſode über die Regierung und das Geſchick des Churfürften Max Emanuel ergangen und bie öfterreichifche Negierungsweife in grellen Farben dargeſtellt bat, er-

II.

deriht über den Stand der Arbeiten zur Herausgabe der dentſchen Reichstagsatten vom SHerbite 1861.

Bon Zulind Weisfäder.

Schon im Berichte des vorigen Jahres wurde hervorgehoben, daß die Fruchtbarkeit ver Archive für die verfchievenen Zeiträume uns» ferer Arbeiten im allgemeinen nur ven fpätern Theil begünftigt. Nicht bloß in München Hat der bisherige Stand ver Unterfuchung zu dieſem Ergebniß geführt, ſondern buffelbe wibderholte fi) auch bei ber im Sept. vor. %. unternommenen Erhebung in verfchiebenen bayerifchen Provinzialarchiven. Würde man bis etwa 1486 ven fraglichen Stoff fammeln fowie er am leichteften zu erreichen ift vie legten Bände müßten früher fertig werben als der erſte. Während wir mit ber gofvenen Bulle ven Drud zu beginnen haben, befajjen wir im vorigen Jahre bis 1414 excl. noch fein Blatt, fo reih und hoffnungser⸗ wedend auch die Vorräthe für bie zweite Hälfte des 15. Jahrhun⸗ verts fih angefammelt hatten. Es lag in ber Natur ter Sache, bei einer Aufgabe, deren Umfang fidh erſt allmählich im Verlaufe ihrer Löfung herausftellen konnte, mit dem Nabeliegenven, unfchwer zu Er⸗

6 Bericht von Julius Weizfäder,

reihenden zu beginnen. Inzwiſchen ift dieſe Löſung foweit fortge- Schritten, daß es Zeit war, fih auf der einmal erlangten Höhe um- zufchauen und nad) rüdmwärts die Ausgangspunkte zu gewinnen, ohne den längft angetretenen Lauf zu hemmen. Das, was diefes Yahr zu leiften hatte, war daher ein gedoppeltes: 1) die leicht zu⸗ gänglichen Materialien ver fpätern Periode ruhig weiter auszubeuten wie fie fi und zunächſt durch die reichen Sammlungen in München barbieten, damit fünftig, wenn der Anfang mit dem Drude gemacht ift, die Bände ſich raſch und ungehemmt folgen können; 2) aber das Augenmerk auf die Gewinnung des aus bisherigen Veröffentlichungen ſchon befannten und gleichwohl bei der ehemaligen Läßigkeit in Angabe der Fundorte erft wieter aufzufpürenten, und weiterhin auch etwa noch un« befannten Stoffes aus der 2. Hälfte des 14. und dem Anfange des 15. Jahrhunderts zu richten, damit wir ficher find, den Drud bald genug beginnen zu können. Nun ift gerade bei unferer Sammlung die Unannehmlichleit zu überwinden, daß eben ver erfte Band der fchwierigfte ift in jeder Beziehung: im Suchen und Finden, im Ent- ziffeen, im Drdnen und Bearbeiten. Um fo mehr gereicht es ung in biefer Beziehung zu großer Freude der heurigen Plenarverfammlung die Anzeige machen zu können, daß auch auf tiefem Boden vie Be⸗ mühungen des verfloffenen Jahres von Erfolg gewefen find. Während ein Theil der Mitarbeiter die branvenburg-ansba- chiſchen, die churpfälziſchen und beſonders die bayrifchen Neihstagsacten weiter behandelte, tie Negiftrirung der Neubur⸗ ger Kopialbücer in Angriff nahm, die Codices der hiefigen Bibliothel und vie bayerifchen Fürftenbriefe ausbeutete, faft Tauter Material für vie fpätere Zeit —, wurde ein anderer Theil unferer Kräfte auf das Suchen ber zerftreuten Urkunden ber früheren Periode verwendet. Denn neben einzelnen Gutachten und feltenen und kurzen Kanzlei « Aufzeichnungen über die ver hanvelten Gegenftände muß die Gefchichte diefer Reichstage vornehm⸗ (ich nicht auf Verhantlungen fondern auf teren Ergebniß, wie es fi in den Urkunden uud Ausfertigungen niedergefchlagen bat, und ans Briefen, mit Beziehung chroniftifcher Nachrichten, zufammengefeht werden, und man wird bon vornherein darauf verzichten müſſen, die⸗ ſelbe auf eigentliche protofollarifche Alten aus dem 14. Jahrhundert

über bie Reichötagsacten. 7

zu grünten. Die erfte Archiv-Wote, die etwas ähnliches bietet unter tem bis jegt von uns Aufgefundenen ift von 1387; fie ift nicht bie ültefte, aber eine von den wenigen vorhandenen biefer Art. Es ift eine Zufammenftellung ber einzelnen Punkte ver geführten Verhand⸗ ungen und ihres Abfchluffes: biz ift geret zu Nurenberg ztwuſchen ten furften berren und ftetven«. ‘Der Gang der Handlung felbft wird nicht fichtbar, es ift nur eine fachliche Aufzählung zur Erleich- terung des Gedächtniffes: Zum erften, und Item, Item u. f. f. Die erften mohlerhaltenen Protokolle, ever doch Archivnoten, die biefer Form fchon fehr nahe kommen, find die von 1405 und 1406, die er- ftere nody ganz kurz, die leßtere fchon ausführlicher; noch find bie fpäter getrennten Stüde, Lifte der Anweſenden, Anbringen bes Kö⸗ nige, Haudlung der Stände, Abſchied, hier wie im Keime verfnüpft. Das Stüd von 1405 erhebt fich erit am Schluß zu einer oratio di- recta. Die erftere größere politifch- juridifche Streitfchrift, die ung zu Gebote fteht, folgt bann im Jahre 1409. Bei biefem Stande der Dinge läßt ſich gleichwohl ohne Zweifel ein genügenter Stoff für bie Geſchichte ver Reichstage auch der Älteften Beriode heritellen. Dan wird aber für tiefe Zeit in ver Auswahl etwas weiter greifen müſſen ale fpäter. Oft find bier Brivaturfunden aus dem Kreiſe einer fol« hen Berfammlung erhalten, aber feine vom Reich; over neben ven öffentlichen find private erhalten, die doch für die Kenntniß ver Dauer, ver Theilnehmer und bes Verlaufs eines folchen Tages wegen eines Datums, wegen ber Unterfchriften und Zeugen, wegen irgend eines formellen oder materiellen Zufammenhanges mit der politiihen Ge- fhichte nicht entbehrt werden können. Dan kann nicht umgehen, fte zu berückſichtigen, theilweife fie geradezu der Sammlung einznverleiben, letzteres befonters, wenn etwa eine felche Privaturfunte das einzige Dokument ver betreffenden Zufammentunft, vielleicht die einzige Spur verfelben ift; in ten meilten andern Fällen muß und wird ein ein⸗ faches Regeſt genügen.

Trog allen angeführten Schwierigkeiten durfte man auch für bie ältere Zeit fchon guten Muth faſſen, fobald die Memminger Hand» ſchrift des Andreas Ratishbonenfis, der fich hier zwei ältere ans dem 15. Jahrhundert anfchloffen, und für deren Ergebniffe der gleich“ geitige Wiener Eoder aus Mouſee maßgebend fein wird, und bie auf

8 Bericht von Julins Weizfäder,

ber Reife im September vorigen Jahres in Würzburg vorge nommenen Mainzs Afchaffenburger Yngroffaturbüder näher unterfucht waren. Unfere Hoffnung ift nicht getäufcht worden, Andreas enthält weit mehr einfchlagende Stüde als zuerft erwartet wurden, und die genannten Würzburger Kopialien find gleichzeitig, meift wohl erhalten und fehr fchägbar. Dazu fam bas im biefigen tgl. Reichs-Archiv aufbewahrte Mainzifhe Ab fhriftenbud in 6 Foliobänden. :Diefe beiden Meainzifchen Sammlungen enthalten ein fo mafjenhaftes Material zur Gefchichte bes Zurerzbifchöflichen Gebiets und Regiments und ber größte Theil beffelben liegt fo weit ab von unferer Aufgabe, daß bei näherer Ein- fihtnahme fich faft unmittelbar ver Wunfch erhebt, es möchte irgend ein gelehrter Arbeiter daſſelbe ver biftorifchen Forſchung zugänglicher machen durch ein darauf zu gründendes Mainzifches Regeftenwerk, wie wir deren für verſchiedene Territorien ja bereits befiten, und für das in Rebe ftehende wegen feiner hiftorifhen Bebeutung lebhaft wün- ſchen müffen. Für uns ift in Betreff unferer ältern Zeit neben dem Genannten ver Beitrag der wichtigfte geworden, den das Stadt: Archiv zu Frankfurt gab und noch erwarten läßt.

Und hier fcheint mir nun der Drt zu fein, wo ich einen kurzen Bericht über eine im Juni und Yuli d. 8. mit Dr. Menzel nad Frankfurt unternommene Reife zu geben habe. Ich glaube nicht, daß ein anderes Archiv in Deutfchland für unfere Zwecke wich tiger und ergiebiger fein wird. Die Reihstagsacten, in einer Reihe von 96 Foliobänden, begannen bort mit 1414 umb laufen von 1446 an ohne Unterbredhung fort bis 1541, zeigen auch fpäter nur wenige Lüden. Leider ift aber von ven beiben erften Bänden bloß noch tie Regijtratur vorhanden, fie jelbft jind ver- loren gegangen. Dr. Böhmer erinnert ji noch, fie gefehen zu haben; foviel ich weiß hat auch Br. Palacky dieſelben benügt; Br. Aſchbach Hat eine Anzahl von Stüden aus dem früheften herausge⸗ geben. Mr. I. gieng von 1414— 1435, Wr. IL ven 1440 1446. Der Verluft ift freilich fehr zu beflagen. Aber was die Zeit Sig- mund's betrifft, fo hat eben der letztgenannte Gelehrte dus wichtigfte ſchon mitgetheilt, anderes (viele Briefe beſonders) iſt durch die ziem- U genaue Ausführung der Regiftratur gerettet (dieſe wurde voliftändig

über bie Heichstagsacten. 9

zen uns fopirt und ben Regeſten unfers Unternehmens einverleibt) ; nech anteres, mas hier erwartet werben burfte, war fehon von An—⸗ fang am nicht eingereiht, jo daß für die wichtigen und fchiwierigen Suifitentage der Zwanziger » Jahre nicht allzuviel erbeutet worden wire. Nur was bie Zeit Friedrich's betrifft, ijt ver Schaten größer, da hier nichts benußt war; aber auf ber antern Seite flieffen in viefer Zeit auch andere Quellen fchon reichlicher, fo daß die Lücken wohl noch er- gänzt werben fönnen; auch bier find die Briefe ziemlich erjett durch tie Regiftratur; aber der Verlujt ver Frankfurter Acten in der Kirchen» Stage auf den Tagen ber PVierziger- ahre bleibt immerhin ſchmerz⸗ ih. Die Heffnung, daß Pr. Aſchbach noch unedirte Wbjchriften befäße, die er früher etwa genommen, hat fich nicht erfüllt; wie er mir mitzutheilen die Güte batte, find fie faſt ſämmtlich in ben Beilagen zu feinem Werk über K. Sigmund fchon veröffentlicht. Die Bahltagsacten beginnen ven 1397 und enthalten hier fegleich bie ganze Entwidlung des legten Stampfes zwijchen Wenzel und Rus precht. Frankfurt war ja Wenzels getreuejte Stadt, unter ven lebten Anhängern im Reich tie ihn aufgaben; fie verjieht ihn fortwährend mit Nachrichten, und crft nachdem bie Kunde von tem Abfall der rheis niſchen Städte eingetroffen ijt, bittet die Wahlftatt ven neuen König, einen gelinden Zwang auf fie auszuüben, auf daß fie mit Ehren zu ihm übergeben fünne. ‘Darauf folgen vie Wahlaften von Sigmund Albrecht, Friederich u. f. f. in zujammenhängenter Reife. Es find in gleichzeitiger Schrift förmliche referirende Aufzeichnungen wen dem ganzen Hergang der Wahlen, tie vorausgehende SKorrejpondenz ter Stadt in eingefügten Abfchriften, die Befchreibung des Einzugs und ter ganzen Verhandlungen, fomweit jie zur Kenntniß des Raths Tamen, und die ftatthabenten Feierlichkeiten. Da hier viele örtliche Wezie- bungen aujtreten, fo ift Die Bearbeitung biefer Stücde für die Heraus- gabe nur an Ort und Stelle möglich, wo bejonbers das hantfchrifte liche topographifche Wert über" das hiftorifche Frankfurt ven Batten und Fichard (eben jet von Frankfurter Geſchichtovereine zum Drud vorbereitet) die unentbehrlichfte Hilfe gewährt. Bis zur Wahl Fried⸗ rich's ift dieſe Arbeit guten Theil ſchon beentigt. Die erwünfchtefte Ergänzung ver Reichstags⸗ und Wahlacta bilden die Frankfurter Kaijere fhreiben, welche in einer umfangreichen Serie von Bänden ziemlich

10 Bericht von Julius Weizfäder

chronologiſch vereinigt find. Vieles was dort abſchriftlich vorkommt, ift hier im Original vorhanden, anderes Neue fommt hinzu, naments li für die Zeit vor 1414. Hier finden fich jene alten protofollari» fhen Aufzeichnungen des Mainzer Tages von 1405 und des von 1406 und eine Reihe von Stüden zu dem Frankfurter Tag von 1409. Auch für Karl und Wenzel ift hier zu hoffen, da vie Schreiben ſchon mit Ludwig dem Baiern beginnen. Das Bud des Bundes enthält eine ganze Anzahl von Stüden für die Reichstage unter Wenzel, Schreiben, Urkunden und Gutachten, ähnlich das gleichzeitige Abfchrift- buch unter der Bezeichnung „Randfriede anno 14034. Ebenfo der Kopialband unter dem Titel „der Stättbund in Schwaben, Branden und am Rhein“. Ein hurpfälzifhes Urkunden buch, eines älteren Werkes fpätere Abfchrift aus dem 17. Jahr⸗ huntert, bietet einfchlägige Urkumten aus ber Zeit Karls IV., die fi fonft nicht erhalten haben. Die Alten des Konftanzer und Bafeler Concils müſſen erjt unterfucht werden. Außerdem fin- den fih verſchiedene diplomatiſche Schreiben der Stadt an ben königlichen Hof, auch aus Ruprecht's und Sigmund's Zeit, und zerftreute wie in Summelbänvden vereinigte Urkunden, bie für uns von Bebeutung find; turch die Freundlichkeit des Dr. Böhmer find uns die Fundorte der in dem codex diplomaticus gebrudten Stüde befannt geworden. Einzelne Notizen enthalten auch in Frauk⸗ furt tie Rathbsprotofolle un die Stadtrehnum gen, erjtere feit 1428, letztere noch aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts erhalten. Es ift Hoffnung vorhanden, für beren Bearbeitung bewährte einheimijche Kräfte zu gewinnen. Wir felbft kehrten nach fechöwöchentlicher Arbeit, bei der uns bort bie freifte Benügung ber Nepertorien bereitwilligft zugeftanden wurbe, mit der Hoffnung nach München zurüd, die ausgewählten Archivalien bieher gefchict zu erhalten. Die Erlaubniß des Senates der freien Stadt ift eingetroffen, auch der größte Theil der erbetenen Bor räthe, und für das Uchrige bürgt uns bie ausnehmende Güte und aufopfernde Gefälligfeit des Archivars Dr. Elof, der dazu berufen fcheint, zum erftenmal diefe großen Schäge zu fichten und zu ordnen und in einer ber Stadt und ihrer Gefchichte würdigen, bie Durch⸗ forfchung begünftigenden Weiſe aufzuftellen.

über die Reichstagsacten. 11

Ich gebe nunmehr im Folgenden eine ungefähre Ueberficht bes neugewonnenen Stoffes, wobei ich in ber fpäteren Zeit mehr zur das bis jeßt Ungebrudte aufzeichne.

Aus ver Zeit Karls IV. fammelten wir vor allem eine bes teutende Auzahl von Urkunden, die als Vorbereitung und Begleitung der goltenen Bulle anzufchen find. Schon aus 1351 gehört hieher ein unbelannter Vertrag zwifchen Gerlach von Mainz und dem älteren Ruprecht von ber Pfalz wegen Erhebung des leßteren zum beutfchen König; dann bie Verträge von 1355 aus Wiesbaden zwifchen eben denſelben, webei ſich Ruprecht mit einem Vertheidigungsbund und ber Anerfennung feines kurfürftlichen Nechts durch Gerlach begnügte, eben» falls unbelannt, Weiterhin verfchievene Urkunden zum R. T. von Nürn- berg 1355 und 1356, theilweiſe unbekannt, mit der Aufklärung wie ber Kaifer von einzelnen Reichsſtänden zu den privilegirenten Beſtim⸗ mungen der Goltenen Bulle vermocht wurde, theild wie er andere, welche in ver Bulle leer außgiengen, durch fonftige Begünjtigungen und Berleihungen zufrieden ftellte; endlich ein unbekanntes Schreiben Gerlach's aus Nürnberg an die päpjtlichen Legaten, und bie befannten Berleihungen ter Kurjtimmen zu Nürnberg und Met faft vollftändig; auch fie können, wie die meilten Stüde ver älteren Eritoren faft als nen betrachtet werden in Folge der Behantlung, die fie nunmehr fahren haben. Es folgen faft ſämmtliche (fchon edirte) Stüde wm SKurfürfientag zu Bacharach 1359; einiges DBefannte vom Kurfürftentag zu Nürnberg 1302; Bekanntes und Unbefanntes von dem Frankfurter Tag 1366, befenders Mainziſche Verhältniſſe betreffend.

Unter Wenzel fällt fchon ver fragliche Reichstag von Frankfurt im April 1380, ver jegt durch eine Urkunde im Frankfurter Buch bes Buntes beftätigt wird, dann die Verhandlungen ver Städte mit Wenzel auf dem Reichstag zu Nürnberg, Febr. 1381, durch Böhmer befannt, und die folgenden vom November (unebirt), vie befannte Bereinigung Wenzels mit ven Kurfürften gegen Clemens VII. und verfchiedene neue Urkunden zu bei Februartage, die fich befenders auf das VBerhältniß von Mainz zur Kurie beziehen. Die bekannte Be: lehnung Adolf's von Mainz ift bis jet das einzige Stüd von bem X. T. zu Frankfurt 1382; nem ift die Urlunde der Nürnberger Ver⸗

12 Bericht von Julins Weizſäcker,

ſammlung von 1383 über die Verſöhnung von Mainz und Speier durch ven Kaiſer. Der Fürftentag zu Mergentheim im Febr. 1384 ift zwar feine NReichöverfammlung, aber wegen feiner Beziehung zu ber folgenden Heidelberger veffelben Jahres kaum zu umgehen; über ihn gibt das Frankjurter Buch des Bundes neue und überrafchende Verichte. Bon dem Tlegtgenannten Tage ijt die Heidelberger Stallung in ver Ausfertigung der Städte und die Erflärung berfelben auf ber Fürften- verfammlung zu Koblenz befannt. Neu find von bem Heidelberger Tage bie Aufhebung der Rheinzölle und mehrere Urkunden und Ber richte über die Stallung, darınter das politifche Gutachten eines un- genannten Schwaben, der in Böhmen gewefen und mit ver Rage bes Königs vertraut ift, das Nichterfcheinen deſſelben zu Heidelberg erffärt und die Haltung der Städte bei ber Zuſammenkunft in conciliateri- fcher Weife geregelt fehen will. Von dem bisher etwas fraglichen RT. zu Nürnberg von 1387 ift jett nicht bloß beftimmte Nachricht fonbern fogar eine Archivnote von ziemlicher Ausführlichkeit gefunden, bie ich vorhin fchen charakterifirt habe. Bekannt bagegen ift die Stal- fung von Mergentheim, 5. Nov. veffelben Jahres, fowie auch ber Tag zu Eger von 1389, ver in ziemlich vollftändiger Anzahl von Urkunden vorliegt. Von dem fonft wenig erläuterten Jubilatetag zu Frankfurt 1397 Haben wir aus Frankfurter Korrefpondenzen jett weitere Nach⸗ richten über bie äußern Vorbereitungen, die Plane der Kurfürften und das Verhältnig der Stadt zum König. Das im Gegenfag zu tiefer Berfammlung gefaßte Projeft eines königlichen Tags in Nürnberg, der ziemlich zur gleichen Zeit abgehalten werden follte, wird bier zum erstenmal durch Wenzel's Einladung an Frankfurt, vie Vereitelung beffelben durch einen Nürnbergifchen Bericht an viefelbe Stadt vorge führt. Wenzel’8 Landfriede von 1398 war längft vorhanden, aber bet Goldaſt und Koch defekt, nunmehr ift er vollftändig da. Die Abſetzung antreffend, fo find jett außer einer Anzahl ver ſchon ge brudten Dokumente auch die Einladung des Markgrafen oft nad Dberlahnftein, die Geſandtſchafts⸗Inſtruktion der deutſchen Fürſten von Frankfurt nach Rom, worin tie Kurie für den Fall des Wiper- fpruchs mit allgemeiner Neutralität Deutſchland's bebroht wird, und eine besgleihen an Karl von Franfreich aus bemfelben Frankfurter Tag vom Febr. 1400 zur erſten Veröffentlichung bereit, worin fle

über bie Reichstagsacten. j 13

ſich insgeheim bereit erklären dajjelbe zu thun, weshalb fie Wenzel laut anflagten, nemlich im Falle franzöfifcher Unterſtützung zur frans söfifchen Obedienz überzutreten.

Leon Rupredt iſt gleich die Krönungsgejchichte mit neuen Material aus ven pfälzifchen R.⸗T.⸗A. bereichert; fein und feiner Ge⸗ mahlin Ciuzug in Sranffurt aus den Wahltagsacten, in einer gleich» zeitigen Genception, zum erftenmal mit vieler Schwierigkeit gewonnen worten. Ein intereffantes Bild von dem böhmifchen Könige und jeinen lahmen Gedanken, von Sigmund und Sojt, die in Kuttenberg mit ihm zuſammen waren, gibt die lebendige Aufzeichnung eines Ohren» zeugen ; bisher unbekannt. ‘Der bei Chmel geprudte Landfriede von 1404 mußte aufgenonunen werden, weil er mit fpätern Entwürfen zujammenbängt (Menminger Stabtbibliothef: copia nova confede- racionis ciuitatum imperialium). Folgt dann das früher geſchil⸗ derte Protokoll des Mainzer Tages von 1405 über den Marbacher Bund und das von 1406 ebenfalls aus Mainz, von welchen beiden nur das lettere bei Olenſchlager getrudt iſt. Daran fchließen fich die weiteren Verhandlungen über das genannte Bündniß: tie Wer- bung Ruprecht’8 bei ven Keicheftäbten, eine fpätere Ähnlichen Juhalts ven eben bemjelben, die Mainzifche Werbung bei Frankfurt, und bie Xcten eines heimlihen Tags zwifchen letteren über Reichskanzler⸗ ſchaft und Reichskammer, wobei Frankfurt hinübergezogen werben foll; von allen dieſen nur das erfte Stüd befannt. Zu dem Frankfurter Zag ron 1409 liefert Andreas Ratisbonenfis eine gegen das aus &ivorno erlajjene Manifeſt der Kardinäle gerichtete Streitfchrift von loöniglicher Ceite, und gegen tiefe ein großes juribijches Öutachten bed Robertus de Franzola, das in Mainz verfaßt war uud auf dem Reichstage vor dem König vorgetragen wurde, zu Gunſten der Car⸗ binäale, bieder nur im Auszug aus L'Enfant befannt. Dazu fommen mehrere antre auf das Verhältniß Ruprecht's und des Erzbiſchofs von Mainz zum Concil von Pifa bezügliche, theilweife noch unbefannte Actenjtüde, bie fpäter noch für uns zu verwertben find, und verfchie- dene Srankjurter Korrefponvenzen in Beziehung auf dieje Verſamm⸗ lung.

Außer dem bei Wender gebrudten Landfrieden von 1414 (aus ven Brand⸗Ansb. R⸗T.⸗A. und ber Copia nova in Meminingen)

14 Bericht von Yullus Weizfäder,

ift die Regierung Sigmund's durch viele neue Dokumente erläutert worden, bejonders bie Huflitentage von 1421—29 aus wichtigen, großentheil® noch ungebrudten, oder nur von Palacky benügten Er⸗ zählungen und Aktenſtücken, meiftens aus Andreas Ratisbonenfis, dar⸗ unter noch ganz unbefannte oder erſt durch Palacky konſtatirte Ver⸗ fammlungen. So von 1421 der Tag zu Wefel und ein ungenannter vom Rhein. Dann die Vorbereitungen, der Verlauf und bie Ergeb- niffe des Nürnberger Reichstags von 1422, in ausführlicher Erzählung, aus ver bis jetzt nur ein Bruchftüd über das Wahlprojelt von Höfler aus einem unfrer Hiefigen Codices mitgetheilt war; warum die Ber fammlung nicht in Regensburg gehalten wurde und warum Sigmund den Fürften fchließlicd doch nah Nürnberg folgte, ift hier Har ent- widelt: fchon hatten bie Kurfürften davon gefprochen einen andern König zu wählen, ter Aſpirant war Burggraf Friderich von Nürn- berg und bei den in diefer Stadt ungefetlich verfammelten Kurfürften befand fich auch der apoftolifche Legat; fo war die Lage des Könige freilich nicht der Art, daß er einen kühnen Entſchluß hätte faſſen mögen. Dazu kommt das Ausfchreiben der Kurfürften und das des Kaiſers in Betreff des Anfchlage, fowie die Forma dandi vexillum vivifice crucis contra perfidos hereticos, alles von diefer Zuſam⸗ menkunft und umebiert. Die Tage zu Boppard 1423, zu Bingen 1424, zu Nürnberg 1425 und 1426 find alle mit neuen Aktenſtücken ats geftattet worden. Das Jahr 1427 zeigt zuerjt neu aufgebellt ben Lichtmeßtag zu Mainz und deſſen Vorbereitung durch eine Zufammen- kunft der fränkifchen Ritterfchaft in Bamberg, von der zuerft Palacky erzählt hat, dann den Frankfurter Huffitentag durch Erzählung und Atenftüde aus Andreas von Negensburg, durch nene Briefe ans ven bairischen Fürftenfachen und durch die übrigens befannten Avisata et conclusa über die Reichötriegejteuer vom 2. Dec. Der noch bie auf Palacky kaum gelannte Tag zu Nürnberg 1429 ift aus ungebrudten Altenftüdlen des Andreas erläutert, der ebenfalls zu Nürnberg abge baltene von 1430 aus bairifchen Korrefpontenzen, und ter von 1431 (neben belannten Stüden) auch durch bairifche Korrefponvenzen über ben dort verhanbelten Streit tiefer Herzoge. Daran fchließt ſich vie Korrefponvenz des Herzogs Wilhelm von Baiern als Proteltors des Soncils von Bafel mit 8. Sigmund und Kafpar Schlid; die ganze

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über bie Neichstagsacten. 15

italieniſche Politik des Königs, die Verhandlungen und Creigniffe, welche ver Krönung zu Rom vorangehen und bdieje bebingen, und bie Krönung felbft betreffend; dieſe Briefe find bis jett meift verborgen geblieben. Darunter erregen befonders einige unbelannte Schreiben großes Intereſſe, welche den Kurfürftentag zu Frankfurt von 1433 und den militärifchen Sukkurs für Sigmund nach Italien betreffen, und in diplomatifcher Geheimfprache ausgeführt find: der Pabſt heißt der Bfarrer, die Kurie der Pfarrhof, die Väter des Concile find bie Maier, das Concil ſelbſt ver Maierhof, Vogt heißt der römifche Kuifer, bie Rurfürften Weber, Roſſe und Gewand beveuten Reiterei und Fuße voll u. f. f.

Die Wahltagsacta zu Frankfurt enthalten eine ausführliche Dar» ftellung ver Wahl Albrecht's die noch unbekannt ift. Den Lanpfrie- den von Nürnberg 1438 haben wir jett vellftäntiger als bieher. Altes und neues zu dem Frankfurter Nurfürftenvereine ton 1439 er- gaben vie bairifchen Fürſtenſachen.

Die römifche Königswahl Fride rich's III., wie fie in den Frank⸗ furter Wahltagsacta vorliegt, war nur theilweife neu. Der Diainzer Reutralitätätag von 1441 hat durch einige Berichte in den bairifchen Zürftenfachen Bereicherung erfahren. Ganz neun war tie große Be⸗ ihreibung des erftmaligen Einzugs Friderich's III. in feine Wahls ftant, aus den Wahltagsacten; fie gibt das Programm des Rathes, dann eine Erzählung von officieller gleichzeitiger Hand mit Inſtruk⸗ tionen und Notizen, welche das Verhältnig der Start zu König und Reich behandeln. Dem Neichstag zu Wien 1446, dem Römerzug Zrivericy’8 III, dem Andreätag zu Nürnberg 1456 find neue Korreipondenzen zugewachſen. Zum Nörplinger Tag von 1466 find neu die Berichte und eine bairifche Inſtruktion und bairifche Vers handlungen über den Landfrieden bajelbjt. Die verberathente Vers fammlung ver kurfürſtlichen Geſandten auf den Nürnberger Diar- tinitag dieſes Jahres zu Lorſch ift in tem Kurerzkanzlerarchiv zu Wien erſt entvedt worden. Der genannte Nürnbergertag felbft und das Jahr 1467 Haben Bereicherung erfahren durch unbelannte Protofollitüde, Gefanptichafts» Berichte, Verhandlungen, Korrefpondenzen und andre Wftenjtüde aus Münden und Wien.

16 Bericht von Julius Weizfäder,

Zu dem Fürftentag von Speyer 1468 (gegen die Schweizer) bat fih eine verlorene protofollarifche Aufzeichnung gefunten in bayeri⸗ fhen R.T.⸗A. Die Verfammlungen von 1469 zu Regensburg und Nürnberg haben aus bairifchen und £urpfälzifchen Alten unbelaunten Zuwachs erhalten. Für die zu Nürnberg 1470 ift ein von dem bis⸗ berigen abweichendes Protololl aus dem Kurerzlanzlerardyiv in Wien gewennen worden, neue Rathſchläge verjchiedener Fürften und Kors refpondenzen aus pfälzifchen und bairifchen Alten. Zum Reichscon⸗ vent zu Trier 1473 bat fih ein Bericht bairifcher Räthe am kaiſer⸗ lichen Hof aufgefunden. Der Augsburger R.-X. von 1474 zeigt jet mebrere, früher nicht gefannte Inſtruktionen und Nelationen von Geſandtſchaften, beſonders Verföhnungsprojefte ver bairifchen Räthe für den Saifer und ben Pfalzgrafen und daran ſich Inüpfende Ver⸗ bandlungen aus bairijchen Alten. Beſonders die Nürnberger-Berfanm- lungen von 1479, 1480 und 1481, fowie der Freiſinger Türkenkonvent vom März 1479 haben an Acten, Berichten, Korrefpondenzen, tie bie» ber unbelannt waren, großen Gewinn erfahren, vornemlich tie kurs pfälziſche und tie bairifch-ungarifche Politik betreffend, aus ten ent- fprechenden R.T.⸗A. Aehnlich die Neichstage von 1485, 86, 87, 88, 89, befonders für das PVerhältnik Deutfchlands zu Ungarn und Tranfreih, und für die Wahl Marimilian’8 und der Zuftände ber Niederlande, aus kurpfälziſchen und bairifchen Acten und dem Kurerz- tanzlerarchiv zu Wien. Aus benfelben bairifchen und kurpfälziſchen, auch brandenburg-ansbachifchen Quellen ift neues Material für ven Nürnberger Tag von 1490 und den von 1491, ven Furfürftenconvent zu Wefel aus dem Iegtern Jahre, ven RT. zu Coblenz und bie eng- liſche und franzdfifche Politit von 1492, für die Verhandlungen bei dem Leichenbegängniffe Friedrich's III. 1493, und in fehr reichhaltigen und regelmäffigen batrifchen Gefanbtfchaftsberichten für die Reiche verfammlung zu Worms von 1495, endlich noch einiges für die Jahre von 1497 und 1501 gefchöpft worben.

Die manchfaltigen Ergebniffe dieſes Jahres waren nur möglich burch den Zuwachs von Arbeitöfraft, den die bisherigen Mitarbeiter Br. Büdinger In Wien, Dr. Kluckhohn und ich feit diefem Früß jahr mit der feften Betheiligung ber Doctoren Menzel und Beter erbielten, welche ſchon früher ab und zu bei diefen Gefchäften mit- gewirlt hatten.

über bie Reich6tagsacten. 17

Pr. Büpinger, welcher bis dahin für die Zeit Friderich's III. die Auebeutung der Wiener Archivalien nahezu vollendet Hatte, ift in einen neuen Wirkungskreis getreten und hat jeine Mitwirkung, über welche dießmal fein beſonderer Bericht erjcheint, da fie in dem allgemeinen theilweiſe mitberüdfichtigt worden ift, bis auf Weiteres abgefchloffen. Prof. Sidel hat fich bereit erflärt, die vorläufige Durchficht ver Regiftratur des König Sigmund dvemnächft zu beginnen und bereits hoff. sungerwedende Proben mitgetheilt. Statt des durch Prof. Droyſen anderweitig befchäftigten Dr. Peter wird im Oftober Dr. Kerler ans Ulm eintreten.

Schließlich darf ich noch die erfreuliche Mittheilung beifügen, daß Pr. Pfeiffer in Wien eine neue Ausgabe des Eberhard Win- bed von ſich aus vorbereitet und wir fomit, wenn biefe wie wir boffen für uns noch zu vechter Zeit fertig wird, einer bebeutenven Sorge enthoben find.

III. Bericht über die Sammlung hiftorijcher Lieder und Sprüche.

1. Altgemeiner Jahresbericht von Herrn u. Filiencron.

Durh Herrn Prof. v. Sybel ift mir die Beſcheidung ber hiſto⸗ riſchen Commifflon auf meine bei der vorigen Jahresſitzung geſtellten Bragen und Anträge zugegangen; und ich habe felbftverftändlich mein Verfahren bei Fortfegung ver Arbeit danach eingerichtet.

Die VBervollftändigung der Sammlung bat audy während dieſes Jahres noch die Hauptaufgabe bilden müjjen. Meinen Wunfch, fchon jeßt den erjten Zeitraum der Lieder im Zufammenbang zu behandeln und auszuarbeiten, hätte ich mit Nüdficht auf ven Beitand der Samm⸗ lung aufgeben müffen, wenn mich felbft nicht, wie es der Fall gewe- fen, Dienftgefchäfte gerade während des abgelaufenen Jahres mehr wie gewöhnlich in ber Förderung ber Lieverarbeit eingeſchränkt hätten.

Nachdem der Grund ter Sammlung durch das in Neupruden vorhandene Material gelegt und durch die Schäge hauptſächlich der Berliner und Münchener Bibliothek erweitert war, hoffte ich zunächft bie Vervollftändigung durch die Vermittlung Anderer anf brieflichems

Bericht von Herrn v. Lilieneron über die Sammlung hiſt. Lieber ꝛc. 19

Wege zu erreihen. Mir find auch manche ſchätzbare Beiträge zuge— fleifen; namentlich zu danfen habe ich in dieſer Beziehung den Herren Grecelius in Eiberfeld, Gödeke in Göttingen, ver die große Liberali- tät gehabt hat, mir die ganze eigene Sammlung fchöner Abfchriften zezufenten, Greif in Augsburg, Haßler in Ulm, Kern in Nürnberg, Kriegk in Frankfurt, Landau in Caſſel, Mantel8 in Lübeck, Mayer in Regeneburg, Neubronner in Ulm und Reuß in Nürnberg. Bon An— teren find Beiträge in Augficht geftellt. Im Ganzen aber hat fich tiefer Weg als unzulänglic erwiefen. Beſſer ſchon als brieflich lieg fi in mündlicher Befprehung wirken und ich habe nicht ohne Erfolg zu ſolchem Zweck im vorigen Jahre die Verſammlung ver biftorifchen Tereine in Münden, und fo eben vie Philologenverſammlung in Frankfurt a. M. beſucht. Duneben aber ftellte fich, wie ich fchon in meinem vorigen Bericht anbeutete, die eigene Nachforfchung als uns entbehrlich Heraus, wenn annähernde Vollſtändigkeit erreicht werben ſellte. Allerdings ift eine Beſchränkung auf die beveutenderen Biblio- tbefen dabei geboten, wenn nicht die Arbeit in’8 Unermeßliche gehen fel. Dieſe Beſchränkung ift aber auch wohl zuläßig, denn wenn gleich die kleineren ftäptifchen oder Privatbibliothefen und Archive ein« seines, und je nachdem ber Zufall fpielt, vielleicht intereffantes Ma- terial enthalten können, fo befigen fie toch felten jene umfangreichen Sammlungen und Sammelbände, welche vie eigentliche Fundgrube für die Dichtungen bilden; und zutem find fie in den wenigften Fäl- im fo geordnet und durch Katalogifirung zugänglich gemacht, daß das Suchen irgend fihern Erfelg verſpräche. Selbſt in großen und fonft wohlgeordneten Bibliotheken ift dies letztere in Betreff deffen, was ich zu fuchen habe, keineswege immer ver Fall, und nur in ben feltenften Fällen kann man ter Volljtändigfeit feiner Ausbeute leidlich gewiß fein. Gift dies ſchon ven ten Bibliotheken, jo iſt es vollents in ben Archiven völlig unmöglich, Tas unter den Akten und Urkunden vers ſteckte Material flüßig zu machen, fofern es nicht, oft ganz zufälliger- weife, den Archivaren bereits befannt geworben ift. Kann nun bei einer Sammlung, wie bie vorliegende, von abjoluter Vollſtändigkeit überhaupt fchon der Natur ver Sache nach nicht die Rede fein, fo ift namentlich in ten Archiven ter Eammler nicht einmal deſſen gewiß, bag er nicht an bedeutenden Schägen vielleicht nahe vorüberftreift, 2%

2 Bericht von Herrn ’v. Lilieneron

ohne fie heben zu können. Nur deſſen glaube ich mich nach dem jet eingefchlagenen Verfahren verfichert halten zu bürfen, daß bie große Menge der Dichtungen, foweit fie überhaupt durch Schrift und Drud erhalten wurden, bei Abfchluß der Sammlung beifanımen fein wird.

Ich Habe zunächſt Würzburg, Frankfurt, Darmitadt, Heidelberg, Stuttgart, Tübingen, Ulm, Augsburg, Regensburg, Nürnberg, Er⸗ langen und Bamberg befuht. In Würzburg bat Herr Profeſſor Sonten bereits gejummelt und die Mittheilung feiner Ausbeute, wie ber biftorifchen Commiſſion befanut ift, für meine Arbeit verjprochen. Ich Hoffe auf recht baldige Erfüllung diefer, auch mir mündlich wie berbolten freundlichen Zufage rechnen zu dürfen. Die Kataloge der dortigen Bibliothek ergaben mir auffallender Weife gar feine Aus beute; der Herr Oberbibliotefar, deſſen Unterftügung vielleicht befjer geholfen hätte, war leider nicht anwefend. In Frankfurt bat ver Bibliothefar Dr. Haueifen, fowie die Herren Dr. Roth, Profeſſor Kriege und Direktor Claffen meine Arbeit auf dad Zuvorkommenſte gefördert. Das Arhiv warb nah einigen vermutheten Xies dern vergebens eingefeben; die Bibliothef, über deren betreffende Schätze mir ſpäter ber damals leider ſchwer erfrankte Dr. Böhmer freundlihe Mittheilung machte, gewährte fchöne Ausbeute, namentlich für das 16. Jahrh. Eine fpecielle Durchficht ver großen Handſchrif⸗ tenfjammlung des Marimilian zum Jungen dürfte einjtweilen jeden⸗ falls noch unterbleiben, da fie, wenn überhaupt für bie dem breißig- jährigen Kriege voraufliegende Zeit, doch nur für den Anfang tes 17. Jahrhunderts Ausbeute erwarten läßt.

Weniger Erfolg bot Darmftadt; aus dem Archiv machte Herr Director Bauer einige Wittheilungen. Es befindet fih u. A. dert gegenwärtig im Beſitz Sr. königl. Hoheit des Großherzogs die Per- gamentbandfchrift, deren auf die Mainzer Unruhen von 1429 bezüg- licher Inhalt in Fichard's Archiv III 335 ff. gedruckt ift.

Das in Heidelberg einzufehende war aus Willens Katalog, Wadernagels Bibliographie, Häuffer’s Pfälz. Gefchichte u. f. w. be- fannt. Für die Zufendung einiger noch genauer zu prüfenden Hand⸗ fhriften erbot Herr Geh. Hofrath Bähr auf das Gefälligfte feine Bermittelung. Für die unermüdliche Güte, mit ver in Stuttgart Oberftubienrath v. Stälin meine Arbeit in der Bibliothek geleitet und

über die Sammlung hiſtoriſcher Lieder und Eprüche. 21

gefoͤrdert hat, darf ich ihm Hier meinen herzlichen Dank wiederholen. Der Erfolg war lohnend, unter ten bortigen Quellen find Gabel- fever’8 Miscell. historica hervorzuheben. Die Tübinger Biblio- tet gewährte feine Ausbeute, deſto mehr ein Beſuch bei Ludwig Uh- fand, der fih, mit wohlwellender Theilnahme an der Arbeit, über bie bei feiner Sammlung der Volfsliever befolgten Grundſätze auf das Lehrreichfte ausſprach.

Die reihen Schäße ber Ulmer Stadtbibliothek, namentlich bie überaus merkwürdigen Schade'ſchen Sammlungen, deren Durchficht vermöge ber Gefälligfeit und vortrefflihen Sachkunde des Herrn Pibliothefar Neubronner ebenfo raſch als vellftändig bewerfftelligt werben konnte, täufchte meine Erwartungen infofern, als fie faft nur für vie letzte Zeit von c. 1590 1618 wichtigen Zuwachs für meine Sammlung ergaben. Ihre Hauptfchäße fallen in fpätere Zeit. Na- mentlich ift bie Periode des dreißigjührigen Krieges in einem wahren Walde von fliegenden Blättern aller Art vertreten, von denen Scheible nur erft ven Heineren Theil befannt gemacht bat.

In Augsburg war ih durch Uhland's Empfehlung zunächft an Heren Archivar Herberger gewiefen, der mir bie Mittheilung des von ihm im Archiv gefundenen Materials freunblich zugefidhert hat, Dichtungen auf Ulrid Schwarz (1478), Herbrot (1552) u. f. w. Zeitraubende® Suchen in ter Stabtbibliothel, aus ver ein Sammelband mir zur Denugung zugehen wird, wiberrieth der wohlorientirte Herr Stutienlehrer Greif ale nutzlos. Dagegen hatte er die Güte, bie Durchſicht feiner eigenen Aufzeichnungen zn gewähren und mir feine fergfältigen Abſchriften einiger fonft noch nicht befannten Gedichte des 15. Jahrh. für die Sammlung zu überlaffen.

In Regensburg ijt e8 mir nicht gelungen, bie k. Kreisbiblio⸗ tet felbft zu betreten, da ich nicht in ber Lage war, zu biefem Zweck von Sonnabend bis Dienftag, als dem nächften Bibliothek⸗ tag mit feinen 2 3 Bibliothefftunden, in Regensburg zu verbleiben. Glücklicherweiſe war mir das Vorhandenfein und durch gütige Mit- theilung Prof. Kellers in Tübingen auch ver Inhalt der ohne Zweifel wichtigften bortigen Duelle, bes außgezeichneten Cod. ms. I. befannt. Durch geneigte Bermittelung des Königl. bayrifchen Dinifteriums habe ih die werthoolle Handſchrift ſogleich nach meiner Rückehr hieher

22 Bericht vom Herrn v. Lilieneron

erhalten, um die darin enthaltenen biftorifchen Dichtungen (1486 bis 1510) abzujchreiben. Einige Ausbeute bot in Regensburg noch Pie Bibliothek des biftor. Vereins, Die mir in zuvorlommenfter WWeife Herr Domainenratd Mayer zugänglich machte. In Nürnberg babe ich aunächft nur die hiſtor. Stüde der berühmten Val. Holl’fchen Yieder- banpfchrift in der Merkel'ſchen Bibliothek verzeichnen und veren Ab» ſchrift einleiten wollen, wobei Dr. Merkel jeve gewünjchte Hülfe gerne gewährte. Cine Anfrage im Archiv führte ver Sammlung einige fehr anziehende Nova zu. Anderes burfte ich dort einftweilen auf fich be- ruhen laffen, da mir für die Ausbeutung der Nürnberger Schäge mehrfache freundliche Hülfe zu Gebote und in Ausficht fteht.

In der Erlanger Bibliothek fand fich nicht eben viel, neueß. Im Vorbeigeben fei bemerkt, daß ver in PH. Wackernagel's Biblio graphie mehrfach citirte dortige Sammelband als folcyer nicht mehr exiſtirt. Die Drude find auseinandergefchnitten, lagen indeſſen vor⸗ läufig noch beifammen. Auch in der Bamberger Bibliothek ließ fih nur eine geringe Ausbeute finden.

Wenn ich mit der mir für dieſe Reife vergönnten Zeit fo weit reichen wollte, mußte ich auf bie Durchficht der Chroniken verzichten- Es ift im Ganzen nach den gemachten Erfahrungen tie von taber zu boffende Ausbeute geringer, al8 man annehmen möchte. ch durfte aber in dem damals bereiften Kreife um fo mehr von eigener Durch ficht abftehen, da die Arbeit berjenigen Herren, welche mit ber Her⸗ ausgabe der Stäbtechronilen befchäftigt find, fich zunächft gerade ziem⸗ lich innerhalb verfelben Gegend bewegt und mir ben vorhandenen Stoff zuführen Tann. Herrn Dr. Kern, welcher hierfür die Bermit- telung übernommen, babe ich für eine Reihe von willlommenen Nach⸗ weifungen beften® zu danken.

Um den Fortgang ber Sammlung rafcher zu förbern, habe ich fodann im Frühjahr Herrn Dr. Reinhold Bechftein den von ihm gerne übernemmenen und mit Eifer und Einficht ausgeführten Auftrag ge- geben, eine Reihe norddeutſcher Bibliothefen und Archive zu befuchen. Er war in Wolfenbüttel, Braunfchweig, Göttingen, Hannover, Ham⸗ burg, Lübeck, Bremen, Elberfeld, Cöln und Bonn. Seinen mir er ftatteten Bericht fchließe ich an.

Dr. Bechftein, welcher fich gegenwärtig. in Leipzig aufhält, Kat

über bie Sammlung hiſtoriſcher Lieder nud Sprüche. 23

andy für dort und für einige von bort leicht erreichbare wichtigere Punkte die Nachforſchung übernommen.

Ich felbjt Habe ſodann im Sommer die veutfche Schweiz bereift. Ehe ich in die Einzelnheiten biefer Reife eingebe, kann ich nicht um⸗ bin, der ungemein großen Zuvorlommenheit, mit welcher meine Ar- beiten dort von allen Seiten unterftügt worben find, auf das dank barſie zu erwähnen. Weine Beauftragung feitens der biftorifchen Sommiffion galt überall als befle Legitimation und weit entfernt, biefen Theil meiner Sammlung etwa als einen Eingriff in fpeziell ſchweizeriſches Arbeitsgebiet zu betrachten, hat man fich vielmehr bes darin hervortretenden engen Zuſammenhangs zwiichen Deutfchland und ver Schweiz erfreut.

Deffentliche wie Privatſammlungen ftanden überall in liberalfter Weiſe offen; nirgends war die minbefte läſtige Beſchränkung weber in der Zeit noch in der Art der Benutzung des Material auferlegt.

Es ift befannt, daß die koſtbaren Schweizerliever des 14. und 15. Jahrhunderts in äftefter Faſſung bei den Chroniften zu ſuchen find. Daß für diefen älteren Zeitraum noch viel Unbelanntes zu entdecken fei, war kaum anzunehmen, boch fand fich immer noch Ein- zelnes, u. A. ein mertwürbiges Lied aus dem ‘jahre 1332. In an- derer Beziehung bot aber gerave dieſe ältere Zeit der Unterfuchung eine fchwierige Seite, indem es nothwenbig war, innerhalb biefer mans nigfach verzweigten chroniftifchen Literatur, foweit fie für bie Lieber in Betracht Tommt, das Verhältniß der Texte nnd Rebactionen zu fennen. Nur durch die vortrefflichen mündlichen wie [chriftlichen Be⸗ lehrungen ber Herren Profefjoren v. Wyß in Züri, Scherer in St. Gallen und Studer in Bern, fowie des Herrn Staatsfchreibers v. Stürler in Bern, deren eigene Forſchungen bauptfächlich erſt in neue- zer Zeit einen fihern Grund für jene Unterfuchung gelegt haben, ift es mir möglich gewejen, mich hierüber, ſoweit es für meine Arbeit in Betracht kommt, ficher und ausreichend, wie ich hoffen darf, zu orientiren.

Au Bafel, wo ich meine Nachfuchungen begonnen habe, gewährte bie Bibliothek an Druden nur weniges, welches mir ber Herr Unter: bibfiothelar Dr. Viſcher forgfältig abzufchreiben die Güte hatte. Auch non Ehronilen ift nur das dort vorhandene eine von ben 4 Erempla-

24 - Bericht bon Herrn v. Lilieneren

zen ber fog. alten Berner Chronik für die Arbeit von Bedeutung. Bon Herrn Pfarrer Ad. Sarafin in Bafel erhielt ich den von Uhland Bollolieder S. 980) benugten Sammelband fliegender Blätter, wel cher fich früher in Prof. Wadernageld Befi befand. Er enthielt, anßer neuen Druden von anberweitig fchen befannten auch 5 noch unbefannte Lieder aus der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts. Prof. Wackernagel, deffen freundfchaftlicher ZTheilnahme ich überhaupt viel fache Förderung für die Schweizerreife danke, Hatte bie Güte, mir eine von ihm ſelbſt collationirte vortrefflidde Abſchrift verfelben zu überfenven.

In Züri, wo die Herren Bibliothelare Dr. Horner und Pros fefior Vögelin die Ausbeutung der Waflerkirchenbibliothel in jeder Weiſe förverten, war zunächit eine Tſchudiſche Hanpfchrift kennen zu (fernen, welche, obwohl noch nicht die fette Redaction feines Gefchichte- werkes felbft, doch für vie darin aufgenommenen Docnmente und fo auch für die Lieber als vornehmfter und autbentifcher Tſchudiſcher Tert gelten muß. Sodann war Werner Steiners Liederbuch zu bes nugen. Die von Rochholz (Vorr. p. XVL) gebrauchten Exemplare diefer wichtigen Sammlung find Wbfchriften von 1586 (Mülinenfche Bibliothek) und 1657 (Berner Stadtbibliothek). Das Züricher Erems plar dagegen ift Werner Steiner Yutographon, wohl im Jahre 1586 abgefchloffen.

Bon weniger großer Bedeutung, aber doch nicht zu entbehren ift bie viel citirte Ufterifche Liederfammlung, ein Groß⸗Octavband mit fehr fauberen Abfchriften von bes verftorbenen Uftert Hand. Gr bat offenbar mit der Abficht gefchrieben, im Wefentlichen diplomatifch treu zu copieren, erlaubt ſich aber gleichwohl Abweichungen, wenig⸗ ftens in Weußerlichleiten. Leider hat er verfäumt, feine Quellen nam⸗ haft zu machen. In einem anderen Octavbbändchen giebt Uiterl ver- gleichende Werzeichniffe und Wittheilungen aus 2 berühmten St. Galler Lieverhandfchriften, die eine von Tſchudis Hand, die andere älter. Ohne Zweifel ift erftere die von Rochh. Vorr. XVII. ver- mißte Tſchudiſche Handſchrift. Ufterie Arbeit überhob mich ber Mühe, bie Handfchriften felbft in Et. Gallen zu prüfen; fie enthalten eine biftorifchen Lieber.

Es fanden fih 2 Sammelbände Fliegender Blätter, mit einigen

über die Sammlung Yiftorifcher Lieder unb Sprüche. 25

baubfchriftlichen Liedern untermifcht, ver eine mit Druden ver 2 Tek- ten Jahrzehnte des 16. Ihdts. der andere in feinen Druden etwa von 1596— 1613 reichen. Dieſer legtere erfennt ſich als der 2. Theil einer Sammlung, deren erjter, wenn nicht alles täufcht, viels leicht anf Ufteris Auction erworben, gegenwärtig der königl. Bib⸗ liothet in Berlin einverleibt iſt. Ebenſo zweifle ich nicht, daß ber eben da vorhandene Drud Ye, 2011, Titel, Inhaltsverzeichniß und Einleitung ber 1600 bei Rud. Wyſſenbach in Zürich erfchienenen 37 Schweizerliever enthaltend, eben dasjenige von Prof. Wyß in Bern und aus deſſen Sammlung von Rochh. gelannte Exemplar iſt (f. Rochh. Borr. XVI.), welches ehedem Uſteri befaß. Ein 2 e8 Exem⸗ plar davon ift nirgends aufgetauht. Daß man bie dazu gehörigen 37 Lieder ſelbſt überhaupt nicht mehr findet, fo weit fie nicht etwa, wie mir wabrfcheinlich ift, mit anteren Wyſſenbachiſchen Einzeldrucken identifch find, ift fchwerlich ein großer Verluft. Einzelnes übergehend, erwähne ich nur noch der großen Simlerſchen Sammlung, einer chro⸗ nologifch geordneten Zufammenftellung von Acten und gefchichtlichen Documenten aller Art, wenn ich nicht irre ungefähr 150 Foliobände. Eie enthält Dichtungen in Abfchriften und Druden, auch gelegentlich außerfchweizerifche. So befand fich tort u. U. eine Merkwürbigfeit, die an biefem Ort doppelt überrafchte: nänlich ein Drud, v. O. 1567, der Nachtigal, jenes von Leſſing zuerft herausgegebenen Spruch⸗ gedichtes auf die Grumbachifchen Händel, ver erfte und einzige Drud, welcher wenigftens mir neben 14 Hantfchriften befannt geworben ift. Ich kann zugleich die erfreuliche Dlittheilung machen, daß in Kürze ein feit Jahren von Herrn Dr. Horner gearbeiteter Katalog voll ftändige Auskunft über bie reichen Schäge der Wafferlirche geben wird. Das erfte Stüd war bereits gebrudt.

In der St. Galler Etiftsbibliothet war bamald noch Prof. Henne im Amt. Durd die Kataloge war, feiner Mittheilung zu« folge, tem, was ich zu fuchen hatte, nicht beizufommen, fontern es mußte in ber Bibliothek felbft gefucht werben, wofür mir bie freifte Bewegung geftattet ward. Die Voliftänbigfeit des Ergebniſſes bleibt freilich unter folchen Umftänten fehr zweifelhaft. Das Wichtigfte war die Durchficht des umfangreichen Tſchudiſchen Nachlaſſee. Der Codex, ans welchem Prof. Henne fo eben bie von ihm fo genannte Klingen

% Bericht von Herrn v. Liliencron

bergifche Chronik herausgegeben hat, enthält von Tſchudis eigener Hand mehrere Lieber, welche Ettinäller, nicht ganz diplomatiſch genau, in feinen eidgenöß. Schlachtlievern herausgeneben hat. Nicht allein um der Collation willen, fondern auch anderweitig war es lehrreich, dieſe Handſchrift felbft einzufehen. Die Art nämlich, wie Worte und Berfe burchftrichen und geändert, ganze Strophen durch andere er- fest wurden, beftärkt den auch fonft begründeten Verdacht, daß Tſchudi bei feiner Textbehandlung mit ziemlich großer Willtühr zu Werl ge- gangen ift, was mit feinem Verfahren bei andern Dingen überein⸗ ftimmt. Es jcheint, als ob er fich einfach in feinem Recht fühlte, wenn er die Lieder nach feinem Geſchmack und feiner Gefchichtsfennt- niß befferte.

Größer, als gewöhnlich in den Archiven, war in dem St. Galler Stiftsardhiv vie Ausbeute unter zuvorlommeuber Vermittelung des Heren Archivars v. Gonzenbach. Auch die Staatsbibliothek, wo Herr Bibliothefar Wartmann freundlich zur Hand ging, gewährte Einige®.

Wit befonverem Dank habe ich noch die Gefälligfeit zu erwäh⸗ nen, mit der mich in St. Bullen ein jüngerer Hiftorifer,, der Stabt- fohreiber Dr. Wartmann gefördert hat, fo wie der Liberalität, mit welcher Herr v. Tſchudi, der bekannte Verfaſſer des Thierlebens in der Alpenwelt, mir ein Verzeichniß und jede gewänfchte weitere Mit⸗ theilung aus feiner eigenen Xiederfammlung zugejagt hat.

In Aarau war zunächſt Prof. Nochholz, der Herausgeber ber eidgen. Liederchronik, zu begrüßen. Was die bortige Staatsbibliothek an einjchlagenden Hantfchriften und Drucken befigt, war vermöge bes Kataloge, wie der vortrefflichen Orientirung ves Herrn Biblio thekars, Brof. Kurz, leicht zugänglid. Die größte Zurlaubenfche Sammlung ijt, da fie nur junge Abfchriften bietet, gegenwärtig für die Liederarbeit von feinem erheblichen Intereſſe mehr. Wichtig aber war, außer einem Sammelband fliegender Blätter, zumal der dort aufbewahrte 2. Band des Autographons von des Bremgartener Sche- belers Chronil, vie Zeit von 1468 1525 umfaffend. Der erfte Band findet fih in Bremgarten, eine werthvolle Abfchrift des ganzen Wertes in Einfiebeln*).

®) Gelegentlich bemerle ih, daß bie Bilder, mit benen das Sqhobeler q4⸗

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über die Sammlung hiſtoriſcher Lieber und Sprüche. 27

In Bern war zuförberft die Wyß'ſche Sammlung (Rochh. Bor. XVI.) zu durchſuchen. Bon dem Hiftorifer Prof. Joh. Wyß in Bern im Jahre 1809 angelegt, enthält fie in 8 Quartbänden Alles, was ein fundiger und eifriger Sammler- jener Zeit an ſchweizer Lie⸗ bern aller Art in Abfchriften zu erlangen wußte. Wenn ich nicht irre, bilret hauptfächlich fie die Gruntlage des Rochholz'ſchen Werkes; für eine erfte Arbeit wie diefe, mußten ihre Nachweifungen von uns ſchätzbarem Augen fein. Die Abjchriften, aus denen fie befteht, find von ungleihem Werthe; Cinzelnes davon fommt aber auch jet noch in Betracht, weil tie Quelle, aus ber e8 gefchöpft ift, fchwerlich noch aufzutreiben fein dürfte. Ihr jeßiger Beliter, des Sammler Sohn, Herr Stabtfchreiber Wyß, gewährte fie zur bequemften Benugung.

In der Berner Stabtbibliothet würde vie, für die Textredaktion einer Menge von Liedern erforderliche Drientirung in der reichen Sülle der Chronifenliteratur eine in kurzer Zeit faum überhaupt zu leiftende Vorarbeit gebildet haben, wenn nicht Prof. Studer tie Güte gehabt Hätte, mir feine hanpfchriftlichen Duellenforfchungen anzuver- trauen, um mir daraus die Ergebnijje für meine Zwecke auszuziehen. Nachdem das gefchehen, konnte ich meine eigene Arbeit für jest auf Weniges beichränten: das Schilling'ſche Autographen, deſſen Lieber- ſchatz mit dem, aus abgeleiteter Duelle ftammenden, Drud feiner Burgunterfriege zu collationiren war; die durch Staatsfchreiber v. Etürler mit biplomatifcher Treue veranftaltete Copie des älteften (Winterthurer) Textes der Juſtinger'ſchen Chronik; das ſchon er. wähnte Werner Steinerjche Wert u. ſ. w. Leider war ein von Prof. Su für feine Sammlung benügter Band mit fliegenden Blättern, von ihm mit H. 5. 42. Misc. Helv. poet. mm. bezeichnet, nicht anfzufinden. Rochholz (Bor. XV) fcheint ihn noch gefehen zu haben, falls er nicht die Wyß'ſchen Abjchriften daraus benugte. Wenn übri« gend Rochholz 1. c. fagt, vie Mülinen’iche Bibliothek befige ebenfalls eine noch unbelannte Zahl folcher Drucke, fo muß ich bekennen, daß auch mir dieſe Zahl unbekannt geblieben ift, denn weber ver Herr Befiger noch der Katalog, foweit ich gelefen habe, wußte davon zu

Autographon fehr reich ausgeftattet ift, wegen ber überaus großen Fülle an Detail für Eultur- und Kriegegefchichte befonbere Beachtung verdienen.

28 Bericht von Herrn v. Lilteneron

berichten. Dagegen bot dieſe Bibliothek, welche Graf Mülinen, eigene dazu in die Stadt gekommen, freundlichft öffnete, eine treffliche hand⸗ fhriftliche Lieverfammlung, um 1562 gefchrieben, von der Prof. Wyß und Rochholz mit Unrecht behaupten, fie fei fehr uncorrect. Schreib fehler zwar finden fich mandhe, aber im Ganzen ift die Schrift nicht nachläfjig noch etwa ungebilbet.

Mühe machte es, Aufklärung über eine von Nochholz mehrfach erwähnte und reiche Duelle zu erlangen. &r fügt barüber (Borr. VI). „Eine unbetitelte fehr beſchädigte Handfchrift, im vorliegen» ben Werke unter dem Namen Reimchronif des Ludwig Sterner von Raconix aufgeführt, konnte fpäterhin nicht mehr zum Vorfchein ges bracht werten. Sie ftammt aus ver Zeit des Schwabenkrieges.“ Da biefe Notiz ſich an die Aufzählung ver von ihm in Bern benuß- ten Quellen anfchließt, jo mochte man vermuthen, die Haudſchrift fei vor ihrem Verſchwinden in Bern gewefen: Aber weder in ber Mülinen'ſchen noch in ber Staptbibliothel, wo man bereits auf die Rochholz'ſche Bemerkung bin der Sache nachgeforfcht hatte, fand fich irgend eine Spur, Die Wyß'ſche Summlung und Nachfragen in Freiburg, wohin ich von Bern ging, ergaben envlich, daß biefe foge- nannte Reimchronif des Sterner nichts Anderes ift, als das Gedicht über den Schwabenfrieg von Lenz, welches (Zürich 1849) v. Dießbach berausgegeben hat. Sterner ift nurder Schreiber des in der Dieß- bach'ſchen Bibliothek befindlichen Eremplare, welches ver Ausgabe zu Grunde liegt, nur daß er einige Zufäge zu feiner Vorlage gemacht hat. Dem Lenz’fchen Gedicht vorauf geht in der Handfchrift eine Gefchichte der Burgunderfriege; auch dieſe wird, Archives de la Societ6 d’hist. du Cant. de Fribourg, prem. Cah. p. 91, vem Sterner zugefchrieben, ift aber ganz gewiß nichts als eine Abfchrift bes Schilling’schen Werkes. Ob die Hanrfchrift übrigens noch vor⸗ handen ift, habe ich nicht erfahren können, da Graf Dießbach nicht in Freiburg war und eine briefliche Anfrage bis jetzt unbeantwortet blieb. So viel aber Tieß fich couftatiren, daß die Hanbfchrift vor Zeiten dem Prof. Wyß in Bern geliehen ward; die in ihr enthalte nen Lieber hat berfelbe in feine Sammlung eingetragen unb zwar gerade unter ver oben angeführten irrigen Bezeichnung ⸗Reimchronil

Aber die Sammlung hiſtoriſcher Lieder und Eprüche. 209

tes L. Sterner.« Rochholz, der dies wiederholt, wird eben das ganze Werk nur aus den Wyß'ſchen Abſchriften gekannt haben.

Rachforſchungen nach etwaigen ſonſtigen Dichtungen in Freiburg, bei denen mich Prof. Daguet liebenswürdig unterftüßte, blieben ohne Erfolg. Die Handſchriften der Bibliotb. &conomique habe ich felbft burchgefehen. Daß die Santonalbibliothef nichts ‘Derartiges enthalte, verficherte ver Oberbibliothelar Herr Pfarrer Meier.

Auch ein Beſuch ver fchönen Bibliothef des Kloſters Engel- berg brachte feine Ausbeute.

Was in Luzern die Bürgerbibliothef an biftorifchen Dichtungen befigt, war vermöge ber vortrefflihen Drientirung des Herrn Bib⸗ liothekars Schiffmann, wie durch den gebrudten Katalog, leicht zur Hand. Bor Allem gewährten tie 16 werthvollen Bände ver Eollec- taneen bes Cyſat (F 1614) Ausbeute an fliegenden Blättern. Die Schmähgedichte des Luzerner Salat gegen Zwingli, welche fo großes Aergerniß gaben, Laß fie ihren Verfafler ins Gefängnig brachten, fanten ſich bier in verjchievenen Exemplaren. Dagegen enthält vie handſchriftliche Reforinationsgefchichte Salat’8 feine weitere Dichtungen; eben fo wenig bie Chronik des, mit dem Berner nicht zu verwechleln- den, Yuzerner Diebelt Schilling, deren Driginal fich bier finvet.

Nah Klofter Einfiedeln waren mir faft von allen Stationen meiner Reife Grüße und Empfehlungen an den in der ganzen Schweiz bochverehrten Pater Gall Morel mitgegeben, deſſen genaue Kenntniß ver berühmten Klejterbibliothel mich der Mühe des eigenen Suchens, wie jeden Zweifel® an der Vollſtändigkeit des Ergebniffes überhob. Bater Gall Morel hatte fich felbft eine Sammlung hiftorifcher Lieder angelegt, welche mir auf das liberaljte zur Benutung übergeben warb. Es fanden fich darin unter Anderem einige Stüde aus einer Hand» fchrift der Propaganta in Rom Auch weitere Beihülfe ward freunds lih zugeſagt.

In Kloſter Einfieveln beſchloß ich meine Schweizerforfihungen, deren Ergebniß ich wohl als ein erfreuliches betrachten darf. Die biftorijchen Schweizerlieder beginnen, von einer einzigen beventlichen Ausnahme abgejehen, mit dein 14. Jahrhundert; auch bier iſt zu« nächſt noch Vorficht zu üben: daß das Tellenlied viel fpäüteren lirs ſprungs ift, bedarf feiner Bemerkung, auch aber in den Dichtungen

30 Bericht von Herrn v. Liliencron

auf vie Schlacht bei Laugen und in noch ein paar andern fteden ſchwerlich alte Beſtandtheile; bie Zweifel gegen da® größere Sempacher- lied find befannt. Zu ven äfteften Stüden ber ganzen Sammlung überhaupt wird ein Schweizer Lied von 1332 gehören. Im 15. Jahr⸗ hundert aber fteht die Schweiz allen andern beutfchen Landfchaften an Liederreichthum voran; der Appenzeller Krieg im Anfang, der Züricher gegen bie Mitte des Jahrhunderts, vor Allem aber dann der Burgun⸗ difhe und Schwäbifche Krieg find reich vertreten. Im 16. Jahr⸗ hundert folgen zunächſt fchöne Lieder aus ben italienifhen Kriegen. Die Reformationszeit ift, da Jahr 1531 etwa ausgenommen, im Bergleih mit dem übrigen Deutfchland im Ganzen nicht reich an poetifchen Produktionen, was offenbar zum Theil mit der Natur bes Reformators felbft zufammenhängt. Meine Sammlung wird aller: dings durch diefen Ausfall nur theilweife berührt, denn er bezieht ſich vor Alleın auf vie halbgelehrte Polemik in Spruchgetichten allgemei⸗ nen Inhalts. Von 1536 an find dann Hauptfächlich die ſavoyiſchen und franzöfifchen Händel, die Hugenottenkriege zc. vertreten.

Meine Verzeichniſſe weifen bisher etwas über 1200 Dichtungen auf; reichlich zwei Drittheile davon find Lieder, ein Drittheil Spruch⸗ gebichte. Ausgefchloffen habe ich von legteren, wie foeben angedeutet, jene polemifchen und Spottgebichte allgemeinen Inhalts, an welchen die Neformationszeit fo fruchtbar gewefen iſt. Ihr Inhalt, ſoweit er fih in Spott und Klagen gegen Kirche und Geiftlichfeit nach bei⸗ den Seiten hin ergeht, liegt ftrenge genommen außerhalb des Gebietes der eigentlichen hiftorifchen Dichtung, zu deren Wefen es gehört, im⸗ mer auf ein einzelnes Ereigniß ober eine beftimmte Perfönfichfeit ge⸗ richtet zu fein. Auch aber in ter Ausführung unterjcheiren fie fich von der rein volfethümlichen Dichtung häufig durch ihren mehr ge» lehrten Charakter. Vielleicht hätte ich in Beziehung auf fie die Gren- zen weiter gezogen, wenn nicht Schade's „Satiren und Paeguille aus der Reformationgzeit» fehon eine Weihe ſolcher Dichtungen befannt machte, deren Zahl ber Herausgeber gewiß gerne, wenn fich intereffan- ter Stoff fintet, durch eine Yortfegung der Sammlung vermehren wird. Eine auf Bollftänpigkeit ausgehende Publikation derfelben fcheint mir ohnehin nicht gerade geboten.

erw e u |

über bie Sammlung biftorifcher Lieder und Sprüche. 91

Es wird nun für meine Sammlung zunächft taranf affommen, im Often Deutfchlands noch einige Bibliotheken zu befuchen, welche fich füglih in eine Neife zufammenfaffen laſſen (ans Königsberg das Sorhantene mitzutbeilen, hat Herr Profeffor Voigt zugefagt) und ſchließlich dann die bisher noch ganz unberüdfichtigt gebliebenen Nies derlande nachzuholen. Sobald dies gejchehen, läßt ſich ein erfter Theil des Werkes im Zuſammenhang zum Drud ausarbeiten.

Meiningen, ven 29. September 1861.

v. Liliencron.

2. Meifebericht von Dr. N. Jechttin.

Am erſten Zielpunkt meiner Reife, in Göttingen, befchleh ich wegen der noch andauernden Bibliothefsferien für's erfte nicht länger in verweilen, fondern nach ver in Wolfenbüttel vollbrachten Arbeit fieber wieder hierher zurüdzulehren, nachtem ich in ber kurz zugemef- fenen, wenn auch durch die aufopfernde Güte Herrn Profeſſor Schwei⸗ ger's verlängerten Bibliothelszeit nur zu einer flüchtigen Weberfchau des durchzuarbeitenden Material® gelangt war. Herr Profeffor Waitz hielt für zweckmäßig und nothwendig, auch die hanpfchriftlichen Chro⸗ niken einer genauen Durchficht zu unterwerfen, felbjt auf die Gefahr hin, daß tagelange Forſchungen nur ein negatives Reſultat ergeben würden. Bon Herrn Prof. Havemann erhielt ich einfchlägige Nach⸗ weite fowie das Verfprechen, ſich mit Ahnen in Verbindung ſetzen zu wollen. Zu meiner Freude traf ich Herrn Dr. Starl Görefe bier und konnte mich‘ fomit gleih am Beginne des Unternehmens fei« ned Rathes erfreuen. ‘Der größte Gewinn dieſes erften Turzen Aufenthaltes in Göttingen und ficher nicht der geringfte der ganzen Reife war ter, daß Gödeke mir für Sie feine Collectaneen aus dem Gebiete des hiftoriichen und politifchen Gedichtes, darunter in über- wiegender Anzahl zuverläffige Abfchriften theil® bekannter, theild un⸗ gerructer Stüde mit rühmenswerther LKiberalität zu freiem Gebrauche überließ und mitgab. Auch Herrn Dr. Sohn lernte ich Tennen und

32 Reife von Dr. R. Bechſtein

wurbe in ber zuvorfommenpften Weife von ihm über feine Ausgabe ber Lieder und Satiren des breißigjährigen Krieges unterrichtet. Die Sammlung ift eine reichhaltige, gut ausgewählte, aber keineswegs eine vollftändige. Sie ift fhon im Drude begriffen und wird in nid allzulanger Zeit veröffentlicht fein.

Die berühmte Bibliothek zu Wolfenbüttel feffelte mich bei nicht befchränfter Arbeit beinahe zwei Wochen, und ſchon aus biefer Zeitangabe werden Sie ermefjen, wie groß die Ausbeute gewefen fein mag, die mir bort zu Halten vergönnt war. In Herren Dr. Beth mann fand ich nicht allein den zuvorfommenpften und liberalften Bib⸗ liothefar, fondern auch den wohlwollendjten Rathgeber und Lehrer, auch der Herr Bibliothekſekretär förderte an den Bibliothelstagen meine Beftrebungen freunplichft. Die handfchriftlihen wie bie gedruckten Mifh- und Sammelbände, an denen ja bekanntlich die Wolfenbüttler Bibliothek fo überaus reich ift, enthielten zum Theile eine Fülle brauch⸗ baren Materials und die hanpfchriftlichen Chroniken wurden mit nicht geringem Erfolge durchſucht. Erftreden fich die in letteren aufgefun« been Lieder und Gedichte auch meift auf Braunfchweiger Angelegen- beiten, fo fehlen doch auch nicht höchſt wichtige Aufzeichnungen aus andern Gebieten der Länder⸗ und Städtegeſchichte, fo führe ich z. B. namentlich an: eine Chronik ver Wirtembergijchen Graven, fchon von Soltam (Hilvebrand) benugt, eine jüngere Abjchrift des Neocorus, eine Relation über bie herbrotifchen Händel in Augsburg. Das Staatsardiv zu Wolfenbüttel, zu deſſen Befichtigung die Genehmi⸗ gung des berzogl. Staatsminifteriums gehört, konnte diesmal nicht durchforfcht werben, doch wird dies noch zu gefcheben haben, da dass felbe auch viele literarifche Dinge enthalten foll und die Vermuthung nabe liegt, daß bier, wie in Hannover bie Lieber auf bie ver fchiedenen Braunfchweiger Händel in gleichzeitigen Einzelhaudſchrif⸗ ten oder Druden vorhanden fein werden.

Don Wolfenbüttel aus befuchte ih Braunfhweig, deſſen Stadtarchiv eine Reihe von handſchriftlichen braunfchweigifchen unb lüneburgifchen Chroniken aufzumweifen bat, vie faft alle die ſich immer wiederholenden Lieder enthielten. Herr Weſtphal, deſſen Obhut das Archiv anvertraut ift, und Herr Dr. Hänfelmaun wollen bei ver jegt vorzunehmenden Orbnung und Satalogifirung der Archiobibliothek ige

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für die Sammlung hiſtoriſcher Lieder und Sprüche. 33

Augenmert auf hiftorifche Lieder richten und etwaige Funde fundgeben. Ramentlich verbanfe ich auch der Güte des Letzteren die Verniittelung ver Belanntfchaft mit einem Sammler, Herrn Sreisgerichtsregiftrator Sad in Braunfchweig, welcher außer einigen Braunfchweiger Chro- fen auch einige Einzeldanpfchriften und Drude von Liedern befikt, veren Rotirung freundlichft geftattete und treue Abfchriften zu liefern rerſprach.

Die Univerſitätsbibliothek zu Golting en gewährte nächſt der Volfenbütteler die meiſte Ausbeute. Außer in den Drucken, welche in dem von Wilhelm Grimm gefertigten Kataloge „Poetae« verzeich⸗ et find, fand fi unter der Firchlichen Polemik einiges Brauchbare, vie hauptfächlichite Thätigkeit aber war auf die Durchforfchung ver Chronitenmanufcripte gerichtet. Und bier förterte Herr Dr. Mül- vener, welcher das Gebiet ver Hanpfchriften zu verwalten hat und ges genwärtig mit einer genaueren und zwedmäßigeren Satalogifirung be= Khäftigt ift, die Arbeit auf die freunplichite Weife, und nicht minder bin id Herrn stud. phil. Arndt zu Danke verpflichtet, ver mir auf Anregung des Herrn Profeffor Waitz bereitwilligft fuchen half und bie Aufzeichnungen vorbereitete.

In Hannover war die königliche Bibliothel, das königliche Archiv und die Stadtbibliothel zu durchforfchen. Namentlich Herr Archivſekretaͤr Dr. Grotefend war mir ein treuer Führer, und einen befonberen Gewinn bietet das Archiv dadurch, daß mehrere Gedichte auf die verjchiedenen Braunfchweiger Händel, vie ich in einer Anzahl halbweg guter und noch mehr werthlofer Texte fchon vielfach aus Chronifen angemerkt hatte, ſich hier unter Akten in gleichzeitigen Ein- gelhanpfchriften vorfinden, welche im Befige der Herzoge waren und von ihnen zum Theil mit eigenhändigen Randbemerkungen verjehen wurden und fomit gewijjermaßen ald Originale gelten können. Auch die Chronikenmanuſcripte ter Archivbibliothef lieferten eine verhältniß- mäßig gute Ausbeute. Die Benugung der königl. Bibliothek wurde mir durch das freundliche Entgegenlommen des Herrn Dr. Böttger ganz wefentlich erleichtert. (Herr Oberbibliothelar Schaumann lag leiter krank darnieder.) Auch bier vorzugsweiſe in Druden und Hand⸗ fchriften Gedichte auf die Braunfchweiger Händel. Die Stabtbiblioe thel wurde mir durch die Herten Dr. Guthe und Dr. Deihmann

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34 Reife von Dr. R. Bechſtein

bereitwilligft zugänglich gemacht, und hier find es vor allem vie Eol- (ectaneen eines im Anfange des 17. Jahrh. verjtorbenen Rathemit⸗ glieves, Namens Hofmeifter, welche viele Einzeldrucke von Lierern enthalten, meift felche, welche fich auf die Zürfenkriege, auf auswär⸗ tige Angelegenheiten, auf tie Kalenderunruhen in Augsburg beziehen. Auch bei zwei Privatleuten konnte ich mir manches notiren Herr Senator Culemann befigt in feiner Foftbaren Sammlung auch eine Handſchrift des 16. Jahrhunderts, angebunden an die Saffenchronit, welche einige nieterteutfche Gerichte enthält, tarunter eines, welches mir fonft nicht wieder vorgekommen ift; außertem finten fi unter feiner Collection früherer Druderzeugniffe ein paar fliegende Blätter mit niederländifchen Gedichten. Herr Herrmann Keftuer, ber fih mit dem Volkeliere überhaupt und namentlich mit der Melodie des Volks⸗ liedes fehr angelegentlich bejchäftigt, konnte mir für bie Literatur einige ſchätzbare Nachweije geben und befaß einen mir noch unbelannten Drud eines Yandsfnechtsliedes mit Melodie, früher in Heyſes Bi⸗ bliothef.

Die bis jet entdeckten einfchlägigen Schãtze des Staatsarchive zu Hamburg ſind alleſammt bekannt gegeben durch Herrn Dr. Lap⸗ penberg, der mir auf die freundlichſte Weiſe entgegenkam und mir über die hanſiſchen Lieder beachtenswerthe Fingerzeige gab. Herr Dr. Eler Meyr unterſtützte mich bei der Notirung zuvorkommend. Die große ſtädtiſche Bibliothek bot verſchiedenes Wichtige, ſo unter den politiſchen Brochüren und unter den Schriften aus der Zeit der Reformation. Auch in den Chroniken, bei deren Durchforſchung Herr Oberbibliothekar Dr. Peterfen mir wahrhaft aufopfernd behülf— lich war, fanden ſich brauchbare Stücke, wenn auch zu größtem Theile ſchon vorher nachgewieſen. In dem werthvollen Sammelbande mit Flugblättern, meiſt aus ber Zeit des dreißigiährigen Krieges find auch mehrere enthalten, welche in den Anfang des Jahrhunderts ges hören. Ermähnt mag fein, daß fih in dem höchft intereſſanten nie⸗ derdeutſchen Liederbüchlein, welches Herr J. L. de Bouck aus einer Bücherſchale durch Ablöſungen gewonnen hat (ſ. ſeinen Bericht im Serapeum 185. Nr.), auch das bekannte Lied „Wilhelmus von Naſſawe⸗ befindet.

In Lübec fand fih auf bie Verfiherung bes Herrn Biblio-

für tie Eammlung hiſtoriſcher Lieber und Eprüche. 35

thekars Profeſſor Dr. Deele und des Herrn Staatsarchivars Dr. Wehrmann weder in der Bibliothek noch im Archiv irgend etwas Einfchlägiges, was nicht ſchon durch Mantels in der Zeitfchrift für Lũbeck'ſche Geſchichte bekannt geinacht wäre.

Geringer als ich erwartet hatte, waren meine Funde in Bremen, Unter den handfchriftlichen Schägen ter Bibliothek, welche mir durch deren Dr. Meyr in höchſt liberaler Weife zur Benugung geöffnet wurde, fand ich nicht ein Stüd, wohl aber unter den alten Druden in einigen Sammelbänven; tarunter, was ter Erwähnung verbient, den Drud eines Dithmarfenlieves aus dem Anfange des 16. Jahrh., der einzige dieſer Art, ver mir überhaupt zu Gefichte kam. Im Stadt« Archive, deffen Benugung mir durch Herrn Senator Cmibt fehr freundlich geftattet wurde, fand ich durch die Gefälligkeit des Herrn Dr. Ehmck faft alles Dienliche fchon bereit gelegt. Das wich. tigfte Gericht, welches das Archiv aufzuweifen bat, iſt ſchon im 11- Bande von Haupts Zeitfchrift veröffentlicht.

Nicht der Bibliothek wegen, tie neueren Urfprungs ift und für bie Liederſammlung nichts enthält, fondern um Herrn Dr. Erecelius aufzufuchen, begab ich mich nach Elberfeld. Derſelbe theilte mir zwei wichtige Stüde mit, eines im Original aus dem 16. Yahrh. und eines in zuverläffiger Abfchrift und gab die Zuficherung feiner ferneren Antheilnahme an ver Arbeit*). Herr Dr. Arnold tafelbft befhäftigt ſich Hauptjächlich in mufikalifcher Beziehung mit dem beut« (den Volks⸗ und Kirchenliede und konnte mir fchäßenswerthe Ans _ gaben über die Literatur machen, wenn fich auch nichts unter feinen werthoollen Sammlungen befand, was aufzuzeichnen geweſen wäre.

War fon in Bremen die Erndte feine ergiebige, fo bot das Rheinland noch weniger Früchte. In der königl. Bibliothek zu Düf- ſeldorf findet fich auf die beftimmt gegebene Verficherung des Herrn Bibliothekars und Archivars Lacomblet nicht das minvefte Einjchlägige, und ein von ihm im Staatsarchive entvedtes, gegen Luther heftig eiferndes Gedicht zu veröffentlichen oder veröffentlichen zu laffen, trägt er grundfägliches Bedenken.

*) Herr Dr. Crecelius hat feitdem bie Güte gehabt, die Dortmunder Stabt- bibliothet durchſuchen zu Taffen und das Gleiche, was von fpecielleg Intereffe if, für Goeft zugefagt.

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98 Reife von Dr. 8. Bechſtein.

Wider alles Erwarten war die Ausbeute in Cöhn eine burchans unerheblihe. Im Staptarchive hat Herr Dr. Ennen nur drei hiſto⸗ rifhe Gedichte entvedt, die fih auf Cölner Unruhen beziehen. Gr gab das freundliche Verſprechen, von biefen Stüden getreue Abfchriften fenden zu wollen. Die Gymnaſialbibliothek, frühere Jeſuitenbibliothek, ift vor kurzem bislccirt und zur Zeit noch unzugänglid. Da fie fehr alt ift, fo läßt fi vermurhen, daß fie manches für die Sammlung entbält, muß alfo noch vurchforfcht werden. In einer Cälnifchen handſchriftlichen Chronik im Befige des Herrn Dr. E. von Groote, welcher freunplichit feine Ausgaben des Muscatblüt nnd Wierftraat verehrte, fand ich wenigſtens ein Gedicht, das notirt werden mußte.

Daß ich auf der Univerfitätsbibliothel zu Bonn nicht viel fin- den würde, fonnte wohl vermuthet werden. Doch auc die wenigen Stüde trugen zur Vervollftändigung der Sammlung bei, zumal fie zum Theil bier zum erftenmale erfchienen.

An Herrn von Liliencron. gez. Bechftein.

Meiningen, ven 19. Mai 1861.

VIII.

Zur Geſchichte der oberbayeriſchen Landeserhebung im Jahre 1705. Von Auguft Schäffler.

J.

Der blutige Tag bei Blindheim⸗Höchſtädt am 13. Auguſt 1704 batte Mar Emanuel’8 völliges Unglüd entſchieden) und ihn mit ben Neften feines ftehenten Heeres ?) nach Flandern gejagt. Seine Ges mablin Therefe Kunigunde folle an feiner Etelle über das unglüds lihe Bayern herrfchen, fo lautete Maxen's lette Verfügung auf beut- fhem Boden; fie folle, wenn c8 möglich wäre, ben Frieden, ben er furz vorher ausgefchlagen ’), dem fehwergeprüften Lande bringen. Wohl kam derſelbe nach ven temüthigenjten Zugeſtändniſſen am 7. November 1704 zu Ilbesheim zu Stande, aber unter welchen Be» dingungen! Die Knechtfchaft Bayerns unter Dejfterreich war ber aufs preis dafür. Das einzige Rentamt München wurde nech der unglüde lichen Tochter des großen Sobiesfy und ihren Kindern gelaffen, Alles andere, barunter alle Feſtungen des Landes, wurden von öfterreichijchen Truppen beſetzt ).

Biherifge Zeitfärift VI. Bond. W

262 Auguſt Schaͤffler,

Nah Ratification des Vertrags’) wurde Bayern, ohne dag man bie Zuftimmung ber Kurfürften einholte, wie ein mit den Waffen erobertes feinvliches Land, wie ein an Oefterreich heimgefallenes Lehen behandelt. Vom Kaiſer beftellte Miniſter verwalteten dasſelbe. Max Karl Öraf von Röwenftein-Wertgheim wurde zum Statthal- ter, ver Graf von Lamberg zum Profurator in Sachen des Krie- ges, ter Graf von Mollart in „Lameralibus« eingejegt. Die neu ernannte Atininiftration nahm in Yandshut ihren Sig‘).

Der Hulbigungseid wurte nach kaiſerlichem Mandat) am 9. Mai 1705 abgenommen und von allen Herrfchaftd- und Hofmarks⸗ inhabern und Pfleg- und Landrichtern geleiftet. Die Laften, bie man dem durch ſchlimme Verwaltung und Krieg bereits ſtark herabgekom⸗ menen Bayerland aufbürtete, überftiegen jede Gerechtigfeit und Menſch⸗ lichkeit *), Es gab mit Ausſchluß des Rentamtsbezirkes München faft fein Haus und feine Hütte, wo nicht Solvaten Tagen und dem Bür⸗ ger und Bauer fein Hab und Gut verpraßten und fein Haus ente ebrten. Prinz Eugen hatte zwar eine ftrenge Orbonnanz *) erlafjen, „es follten nirgens mehr als zwei Manu ins Quartier gelegt wer- den, Bürger uud Landmann follten im Betrieb ihres Gewerbes nicht gejtört werben; man zahle nad Belieben entwerer 3 Gulden für den Mann over gebe ihm täglich ein Pfund Fleifch, zwei Pfund Brod, eine Maß Wein und für jedes Pferd fechs Pfund Haber, acht Pfund Heu. Zwiſte zwijchen Selbaten und Quartierträgern foll nicht die militärifche, ſondern die Ortsobrigkeit fchlichten, ſchwere Fälle bie öfterreichifche Regierung zu Landshut entjcheiven. Eigenmächtige Exe⸗ eutionen eines Corps oder Regiments feien unftatthaft«.

Man kehrte fih aber nicht an dieſe Verordnungen. Hätte man fie auch beobachtet, was wäre es für eine Erleichterung gewefen, ba ja ſchon die andern Yeiltungen, außer dieſen Cinquartierungslaften unerfchwingbar waren. So mußte jeder Gontribuent wöchentlich fünft- halb Gulden an tie öſterreichiſche Generalkaſſe nach Landshut lies fern '°); alle Etaatseinfünfte waren in der Gewalt des Feindes, wohl. habendere Orte hatten noch eine eigene Contribution zu zahlen, Bür⸗ ger und Bauern hatten jett cine dreifache Stener, eine außerorbent- lihe Kriegsftener und mußten das bisher unbekannte Stempelgeld und endloſe Naturalleiftungen geben. Uber nicht allein vie völlige

Die oberbayerifhe Lanbeserhebung i. 3. 1705. 253

Ansſaugung Bayerns hatte Oeſterreich im Auge, fein Sinn war auch auf eine Zerjtüdelung tes Landes gerichtet, um mit deſſen Trümmern bie Alliirten für ihre Dienftleiftungen abzufüttern und eine Wieder- vereinigung des ganzen Bayerlandes unter einem Scepter zu verhins dern’). So erhielt bald nach der Schlacht bei Blindheim Marl« berongh Mindelheim als unmittelbares Fürftenthun‘) Ein Hin⸗ derniß jtand freilich ven Kaiferlichen noch im Wege, che fie ganz nach Belieben mit tem Bayerlante verfahren konnten, der Umſtand näm⸗ ih, daß ter unglüdlichen Kurfürjtin ver Rentamtsbezirk München zugeſprochen werten war. Auch tiefer wurte bald entfernt.

Am 21. Dez. 1704") war Thereſe Kunigunde mit ihrem jüng« iten Prinzen Max Emanuel nievergefommen. Kaum von den Wochen genejen, reijte fie zu ihrer Miutter nach Venedig '*) (am 16. Februar). Die Gründe, die jie nach tem Süden trieben, werten verfchieden ans gegeben. Ein Theil der Hiſtoriker behauptet, jefuitifch » öfterreichifcher Einfluß hätte fie zu tiefem Schritt veranlagt, ein anderer will wiſſen, ter Churfürjt hätte ihr diefen Rath ertheilt, ein tritter fucht in dem Bedürfniß einer Erhelung an Geiſt und Leib tie VBeranlafjung '),

Kaum war bie Kurfürftin aus ben waterländiichen Marken, fo erichienen unerwartet am 15. Mai Morgens 7 Uhr unter dem Kom⸗ mando des Grafen Gronsfeld zehn- bis zwölftauſend Mann öſter⸗ reihifcher Zruppen vor München '‘), die man in GCilmärfchen aus Tyrol, ven wo aus jie fih nach Stalien hätten begeben follen, vor die churbayeriſche Reſidenzſtadt dirigirt hatte.

Diefe gewaltjame Vaßregel bafirte auf Folgendem. Wider den unerträglichen Druck ter faijerlichen Arminiftratien in Abgaben und Yeiftungen hatten ſich bayeriſche Männer zu einen geheimen Bund sujammengethan; abgedankte Officiere und Soldaten, ſewie auch frane zöſiſche Emiſſäre, organijirten das Ganze. Man trug fi mit dem Plane, Die ganze öſterreichiſche Bejagung an einem Tage ’’) (Hine melfahrtstage) niederzumachen, fich ter Stätte im Lande und eines Paſſes zu der Donau zu bemächtigen und dort fich fo lange zu halten, bie ein franzöfijches Heer entweder durch tie Schweiz oder durch Elſaß eder Schwaben zur Unterftütgung ankine'*) da wurte plößlich Baron von Yier'), ber fih vom SKaifer einen Pag nah Brabant ausgemirkt und jetzt Durch jein zu häufiges Hin⸗ und Hcrreifen Verdacht

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254 Auguſt Schäffer.

erregt hatte, mit zwei Begleitern, verkleiveten Stabsoffizieren, zu Donauwörth gefangen genommen und feiner vom Churfürſten mitge- brachten Briefichaften, die er durch die Poft vorausgeſchickt hatte”), beraubt. Die aufgefangenen Briefe haben feinen Beweis von einer geheimen Reaction den Kuaiferlichen in die Hand gegeben ein Ber räther *') und Spione haben fie ficher auf die richtige Fährte geleitet aber fie waren doch die gewünſchte Hanphabe, die ſchon feit lange erfehnte Befegung?’) Münchens zu vollziehen, zumal ba jet die Kurfürftin, der man die Immunität der Nefidenzftatt garantirt batte, fich außer Landes befand. So warb General Grondfelod vor Dünen gerufen. Die Bürger fchloffen die Thore, befegten die Wälle und machten Miene, mit den Waffen in ber Hand den Ilbes⸗ beimer Vertrag aufrecht zu erhalten”). Die Kaiferlichen fandten ben Grafen Edenfort *’) an die Bürger. Er zeigte ihnen den Tod des Kaiſers Leopold an, melvete ihnen durch ein kaiferliches Mandat ), daß der neue Kaiſer Joſeph mes wichtiger Urfachen halber und zu deß Landes eigenen innerlichen Ruhe und Sicherheit ohnumbgänglicher Nothdurft zu ſeyn befunden, eine Bejagung in München einzulegen und fie dannenhero unverzüglich in der Stabt einzunehmen, anbey al- ler Schug und Gnaden, auch von ter Beſatzung guter Difciplin vers fidert, wie nicht weniger die Prinzen außer aller Furcht und Sorge zu ſeyn hätten, zumahlen ihnen fein Leyd widerfahren, auch ihrem Stand nad mit geziemender Ehrerbietigfeit begegnet und alle Sicher beit gefchaffet werden folfew.

Um dieſer von ter Ffaiferlichen Adminiftration, die fich mit im Lager befand, unterzeichneten "Propofition« mehr Nachdruck zu ver- leiden und die Folgen einer Nichtannahme voraus anzuzeigen, traf General Grongfeld die nöthigen Anftalten zu einer Befchießung ver Stadt. Das wirkte. Am 16. Mai zogen 5000 Mann kaiſerlicher Zruppen und mit ihnen ver faiferliche Statthalter, der von nun an in München refivirte, durch das „Neuhaüſerthor« in die Stadt ein **).

Was auf diefen Vorgang folgte, war durchaus nicht dazu an gethan, bei dem Bayernvolle freubigere Hoffnungen, denn früher zu erweden. Sogleih wurden alle ven Kaiferlichen verbächtigen Perſo⸗ nen verhaftet ’’). Unter ihnen befand fich auch ver Hoffammerrath Neuſammer, ver den Ilbesheimer Vertrag ftatt ver Churfürftin un

Die oberbayerifhe Lanbeserhebung i. 3. 1705. 255

tergeichnet hatte. Er wurde unter militärifcher Bedeckung nach Kuf⸗ fein abgeführt. Die andern Bürger mußten ven Hulbigimgseid leiften. Das bürgerliche Zeughaus zu München wurbe ausgeleert, ver Waffenvorrath nad Straubing gefchafft**), alle Einwohner wur- ven entwaffnet und die Befeftigungswerle ver Reſidenzſtadt gefchleift.

Auf tie Kunde von ſolchen Vorfällen, wollte die Churfürftin in iger Land zurüdfebren; man verweigerte ihr den Eintritt an ber Sreuze *’), trotzdem ihr freie Rückkehr verfprochen worden war ?°). Ihr älteſter Sohn drückte in einem Schreiben dem neuen Saifer Joſeph fein Beileid über den Heimgang Leopold I. aus, beglück⸗ wänfchte ihn zum Untritte feiner Kegierung und lag ihm mit ven rũhrendſten Bitten an, er möge doch die Churfürftin Mutter zu ihren Kindern zurüdfehren lajfen. Die Antivort tarauf war, daß man bie Zügel bed Despotismus noch ftrammer faßte al8 früher; felbft vie Srauen?') derer, die tem Churfürſten nach Brabant gefolgt waren, eine Gräfin „Zörring » Seefeld, „Retbberge, „Wath“, „Taufkirch«, "eine Baroneſſe Brielmeier« wurden aus ihren Behaufungen gejagt, ihre Familieupapiere durchwühlt, ihr Eigenthum geraubt. Gontribus tienen auf Contributionen wurden bein Lande abgepreft und durch eine gewiljenlofe Apminijtration Millionen verfchleubert ?); heimliche Epäher zegen Lurch Dorf und Stadt und jett ging der Befehl ??) durch vie Lande neuerdings zwölftaufend Mann in Bayern auszuheben ’*), am fie in Italien oder Ungarn für ten Kaiſer binfchlachten zu laſſen. Man fandte Deputirte aus geiſtlichem und weltlichem Stande*) nach Bien an ten Kaijer, die um Crleichterung ter drüdenven Laften Ktten fellten °). Es war umfonjt. Damit war aber auch bie Stunde der That gefommen.

Immer ſchwüler zogen fih die Wetterwolfen über ven Häup- tern ter Unterbrüder zufammen ”). Es war damals in Bahern eine erchtbare Zeit, vie Loſungsworte „Kaiſer- und »Churfürft« waren es, welche die bayeriſche Bevölkerung in zwei Heerlager theilten. Wem follte man geboren? Die Arelichen und der hehe Klerus fchloffen ſich fait allgemein dem Kaiſer an, das unmenſchlich ges Inechtete Volk blieb jeinem Churfürften getveu, ber in der Ferne weilte und ihm feine Hilfe bringen konnte. Es war auf fih allein ange- wiefen, e8 mußte fich felbit zum (Erlöfer werden, es erhob ſich und

256 Auguſt Schäffler,

ber Ruf ſcholl durch das Land: „Lieber bayeriſch fterben, als in des Kaiſers Unfug verderben“ Wohl war eine Er⸗ hebung in diefer Zeit ein unbedachter, gewagter Schritt. Die feinplihen Zruppen waren bereits in bie Winterquartiere eingerüdt, friegsgeübte Schaaren; tie Aufjtändifchen bingegen ein ungeübter, uns bisciplinirter, fanatifcher Haufe, zufammengewürfelt aus allen Eden und Enden, ohne gehörige Bewaffnung und Munition, ohne energijche Führung. Und doch wäre cs möglich gewefen, das Joch abzufchüt- teln, hätte nicht Verrath und Hader in der Mitte der „Landesver⸗ theidiger⸗ gelauert und wäre Abel, Glerus’*) und Volk muthig und getreulich wie ein Mann zufammengeftanten. Co aber rotteten ſich Bürger und Bauern allein zufammen und fehwuren einen Bund auf Leben und Tod.

Den Anfang der Erhebung machten 500 Bauern, bie bei Neun- burg vorm Wald und bei Reg in der Oberpfalz den Oefterreichern bie ausgehobenen jungen Leute mit ten Waffen entrijfen. Ihnen thaten e8 die Bauern am Inn und an ter far nah. Kühne Männer tauchten allenthalben empor und ftellten fih au tie Epiße einzelner Rotten. So Meindl, jo Hofmann, jo der Wirth von Ried, fo vie Söhne des Pfleger von Mühlheim und jpäter Straus, fo eine Schaar abgedankter churbayeriſcher Soltaten ”). Innerhaib wer niger Wochen war das Heer ber bayerifiben „Vanbesvertheitigers fo nannten fie ſich bis auf 30000 gewachfen. Burghaufen, Brau⸗ nau und Schärbing wurden erftürmt. Vom Sun und ter Iſar zog ber Aufitand an tie Donau. Kelheim, Vilshofen und Cham erhoben fih nach einander. Patente, die ein gewiljer Forchhammer abgefaßt, und cin gewiſſer Johann Wilhelm Heymon mit J.H. Wormbs unterzeichnet batte *°) und vorgeblihe Mandate *') des Churfürften, wurden aller Drten verbreitet. Tauſende der Aufſtändiſchen fielen unter dem Schwerte, Hunberte ber Gefangenen wurden von den Oeſterrei⸗ Kern an ben nächjten Bäumen aufgefnüpft, die Erhebung jedoch wuchs. Aus dem Blute ver Gefallenen erjtanten nene Streiter. So weit war die Sache getichen. In Oberbayern au ber Throler Grenze von ten fogenannten Iſarwinklern wurbe ver Plan ausgehedt, tie Statt München den Oeſterreichern abzuringen und bie Churfürſtlichen Prinzen, die dort in einer Art von Haft fich noch Befanben, ben Händen der Kaiferlichen zu entreißen.

Die oberbayerifche Landeserhebung i. 3. 1705. 51

Schon Anfangs Dezember famen zu biefem Zwede die Bauern sur Nachtözeit heimlich an drei verfchievenen Orten zufammen und berathichlagten. Verabſchiedete Soldaten waren auch hier wieber bie Seele der Apitation. Den Tyrolern und Kaiſerlichen blieb dieß nicht verborgen. Erſtere verfchanzten ihre Päſſe, verjtärften die Fer ſtungswerke, leßtere riefen noch größere Truppenmaſſen in's Land.

Die Bauern äußerſt beſtürzt über dieſe Nachricht beſchworen in ber Nacht des 13. Dez. ein Bündniß, ſtürmten um 1 Uhr früh in das Klofter Benebictbeuern und forderten Waffen. Der Prälat '’) verweigerte fie; die Bauern fchleppten num ben Stlofterrichter mit fich, machten ven Weg am WWalchenfee unzugänglich und ftellten Wachen aus. Der Prülat berichtete diefe Vorfälle ver kaiſerlichen Apminijtra- tion nach München. Van achtete ort bie drohende Gefahr für ger ring uud gab ihm bie Weifung, er, ter bie ganze Sache angeftiftet habe, folle gleichviel auf welche Art fo fehnell als möglich die Bauern zur Ruhe bringen. Dafür follte das Stlofter auf alle Weife ver- ihent und demſelben bie Koſten erftattet werden, tie durch den Durchs zug ber Solvaten erwacjen wären. Das Bemühen bes Prälaten war unfonjt. Die Bauern fammelten ſich wieder am Stlofter mit rem wiederholten Begehren nach Waffen, und zwangen burch Dro⸗ bungen ten Präfaten, ihnen zwei Heine Kanonen und zwei Trompeten audzuliefern. Immer näher zog die Gefahr für die Kaiferlichen he⸗ ran. Die „niederbayerijche Lantestefeufion« fette ſich mit der ober- bayeriſchen in's Einvernehmen, man einte ſich dahin, gemeinschaft. lid am Weihnadtstage München zu erobern. Auch in Tölz lamen um tie Mitte des Dezembers ans der ganzen Umgegend und auch aus München Beamte, Offiziere, Bürger und Bauern und ber Kriegscommiſſär Fuchs zu einer Verſammlung zufammen. Man machte Mittheilungen, "Die Kaiferlichen hätten im inne, bie furfürftlichen Prinzen zu entführen *’), ja der Graf von Lüwenftein habe Befehle erhalten, tie auf ken totalen Ruin des Bayerlandes abzielten und ter Art wären, daß der Graf vor ter Ausführung zurückbebe. Der Wille bes Kurfürjten fei es, Laß man fich erhebe. Der Aufftand fei bereits im Gange; aus dem Rentamt München feien allein 2UUV Mann beiſammen und 8000 Mann Unterlandepes fenforen träfen zur bejtimmten Stunde mit ihnen zufammen. Waffen

258 Anguſt Schaͤffler,

liefere München und das Schloß „Hochenburg.uu Der 24. Dezem⸗ ber wurde ald Sammeltermin in Schäftlarn feftgefeßt, tiefes Still⸗ fchweigen jedem auf die Seele gebunden.

In der Stadt München felbft organifirte ein Bürger, Bütler, eine Erhebung, bie gleichzeitig mit der ver Landesbefenfion ftattfin- den follte. Es wurde verabredet, daB ſich mit Waffen unter ben Diönteln zur Zeit der Chriftmette (am 24. Dezember), die Stu- benten am Unger , die Hofbebienfteten vor ver Reſidenz, die Bürger vor dem Stlofter der Auguftiner einfinden follten. Auf ein gegebenes Zeichen follten fie bie faiferlihde Beſatzung entwaffnen, fich eines Thores bemächtigen und mit Granaden **) ven beranziehenden Lan⸗ desvertheibigern, mit denen man fich in's Einvernehmen feßte, das Zeichen zum Angriff und Sturm geben. Der Braumeifter im weißen Bräuhaus hatte verfprochen, ven Streithaufen , welchen Güt⸗ ler anführte, durch das Bräubauspförtchen in die Stadt einzulaffen. Ein anderer Bürger, Senfer, fchaffte Waffen und Munition. Würbe die Oeffnung des Einlaßthürmchens am Koftthore mißlingen, fo folle zu einen Straffenfanpfe und einer Erftürmung ter Thore ge- fchritten werben.

Anı 24. Dezember ſammelten fich 2769 ’°) Bauern, Beamte, Offiziere und Soldaten unter dem Obercommando deo refer- mirten d. h. außer Dienft geftellten churbaheriſchen Haupt. manns Mayr**) in Schäftlarn zu dem Zuge nah Münden. Echon bier zeigten fich einige Mißhelligkeiten. Manche Angaben ver Tölzer⸗ Verſammlung erwiefen jich als unftichhaftig und mancher Beamte, ber beim Zug war, wollte wieder zurüd, Die Tölzer Schügen ber fegten die Schäftlarner Brüde und drohten, jeben Beamten, ter zu» rüdginge, erſchießen zu wollen. Man brach auf, die Beamten mußten mitzicehen. Die Sache geftaltete fich immer geführlicher. Der Poftmeifter von Anzing, ein treuer Patriot, hatte vie Nachricht ge- fandt, daß man fich auf die Anfunft der Unterlantsvefenforen nicht mehr verlaffen könne. Kaiſerliche Truppen feien ihnen entgegenge- fantt worben und einige Stunden vor München ftehe eine feinkliche Heeredabtheilung. Wieder gemahnten einige au ben Rüdzug. Der gräflich Tattenbachifche Pfleger von Ballai, Marimilian Alram”), der fih mit 400 Vallaiſchen Unterthanen den Landesvertheidigern ange

Die oberbayerifche Lanbeserhebung i. 3. 1705. 259

ſchlofſen Hatte, gab ven Rath, man folle über die Brüde bei Schäft- larn wieder zurüdfehren, bis Vallai fich zurüdziehen, dort fich halten bis die Unterlanbspefenforen anfämen und mit biefen vereint das feintliche Korps auffuchen und wenn baffelbe gefchlagen wäre, was, wenn die nieber- und oberbaherifchen Landesdefenſoren fich geeint hätten, ein Leichtes fein würde fo übergäbe fi) die Gar» niſen von München ven felbft. Trüge man Bedenken, fich in eine Schlacht einzulaffen, fo Könnte man doch vermöge ber Ueberzahl vie Raiferlichen zwingen, bie Prinzen im Lande zu laffen, und ihnen ta« bei für Bayern förberliche Sonceffionen abnöthigen.«

Alle Beamten und Offiziere, darunter auch Gautbier, der ſich burch feinen Dollmetfher den Borfhlag Alrams inter pretiren ließ“), ftimmten Alrams Rathe bei und fügten ihrer- feit8 nur bei, daß man die Unterlanpsvertheibiger fchnell von dem Entichluße in Kenntniß fegen und fie zur Eile antreiben folle. Der Münchner Weinwirtg Johann Jäger, ein Mitgliev des äußern Rathes ) ver Stadt München, ein gebeorner Tölzer und fein Gas merad „Baffauer« genannt erjterer war angeblich als Abgeord⸗ neter ver Münchner Bürgerſchaft, letzterer als der eines churbaheri« fhen Cavaliers nah Schäftlarn gekommen fprachen gegen ben Rath des Alram, mahnten an das Einverſtändniß mit ven Münch: nern, erinnerten an bie Cinzelnheiten des feftgefegten Kampfes und der beſchloſſenen Ueberrumpelnng und fügten vie Behauptung bei, es ſei mr in der Chriftnacht allein möglih, München im Einverftänpniffe und mit Linterftügung ber Bürger zu nehmen. „Des Kurfürften Ungnabde treffe jeten, ber fih tem Befreiungszuge nicht an—⸗ fliege... Man glaubte aber tem Jägerwirth nicht fo recht, zu— mal da es ſich um ein Lurfürftliches Patent handelte, Das man niemals zu ſehen befonmen hatte, und von dem man nur hörte, es fei bei einem Cavalicre in München depo— nirt°). Es wurde allgemein ter Rückmarſch nah Schäftlarn und von da über tie Brüde nach Vallai befchlejjen. Jäger tachelte nun die Zölzer Schügen wicber auf, fo daß fie durch Abgeordnete den Sommantanten Mayr und Hip fagen liefen, fie würden fie rin Stüde zerhauen« wenn fie noch ein Wort vom Rückzuge fprächen. „Spe’'), bie Schüten, ſeyen capabl ohnne der Minchner ober der

260 Auguſt Eehäffler,

Bnderlandtsdefenforn Hilf die Keyſerliche nit allein aus Minchen: fondern auch aus dem gannzen Yannbt zejagen.w

Alram mahnte wiererholt, die Sache ernftlich zu überlegen, da⸗ mit e8 in der Folge nicht heiße, wenn ein Unglüd eintrete, mbie Bauern feien verführt worbden.u Jäger vereitelte auch tiefe Bera⸗ tdung und trieb die „furioſen⸗ Zölzer Schützen zum eiligen Aufbruch an. Man 303 wierer cine Strede weiter. Da zeigten ſich 50 Rei» ter, welche bie Kaiferlichen, bie von der „Bauernrevolte” Stunde er⸗ balten hatten, zur Recognoscirung ausgefandt hatten, vie Zölzer- Schützen griffen fie an und fchlugen fie fiegreich zurüd und „haben nun vermeint, die völlige Victori: und die Statt Minden fchonn erobert zehaben, ſagent, nun werden bie Steyferliche gleich die Flucht ergreifen, und Minchen verlaffen«. Die Commanbanten Wahr und Huy und die Beamten ftinnnten für [hleunigen Rüdzug »in er wegung vernünfftig zeichlieffen ware, daß das feindtliche Corpo vnf nun balt auf ven Ruckhen khommen: vnd daſ vorbeigegangene revanchiern werbe.u Das dritte Mal zog fich eine Abtheilung ver Landesdefenſoren zurüd. Nach kurzer Frift eilten ihnen die Tölzer Schügen wahrfeinlih im Bewußtſein ihrer Schwäche nad, und zwangen fie zum dritten Mal zur Umfehr, fetten den Ober commandanten Mayr ab mit dem Weifügen, er folle fid nicht mehr bliden laſſen, wenn er nit erſchoſſen wer— den wolle, und ernannten Alram zum herbefehlehaber '') Der ſchlug die Wahl aus. Co ift, wie ſchon Föringer ganz richtig er fannt bat, ber Zug von Bayerbrunn aus, thatjächlid ohne alle mis Litärifhe Oberleitung der Geſammtheit ausgeführt worben. Leiter bricht hier Alvam feinen ausführlichen Bericht, der ven Stempel ver lauterjten Wahrheit an der Stirne trägt, mit ten Wor- ten ab: „wie es aljtann herganngen, bauon werten Eur furfürftl. Durchl. vorhin fchon Allergenedigiſte Wiljenfchafft haben, und will zu Abküerzung diſer meiner Alleronverthenigiiten Relation vnd Dies morials nur Volgentes melden, daſ 2c.u Von dem Scidjale des Hauptmanı Viayr wiſſen wir nur das eine zu berichten, daB er bei Senpling gefangen und fpäter zu München hingerichtet wurde. Wie er nach München gefommen, läßt ſich nicht entfcheiven. Nicht uns wahrjcheinlich möchte es fein, daß derfelbe mit feinem Anhange zurüd

Die oberbayerifche Lanbeserhebung i. I. 1705. 961

über die Schäftlarner Brüde ging und gleichviel durch was ver⸗ anlaßt auf ter rechten Eeite ber Iſar nach München hinabzog. cfr. Europaiſche Fama XLV. ©. 660. Che wir jedoch tie Oberbayeriſche Landesdefenſion auf ihrem rlegten« Gange begleiten, wollen wir einen Blick auf bad Innere ter churbayeriſchen Reſidenzſtadt thun.

In München waren die Kaiſerlichen von dem ganzen Vorhaben ber Oberlänter und tem Cinverjtäntniß biefer mit den Münchner Bürgern in Kenntniß gefegt worden. Der Pflegeommifjär von Starnberg Johann Joſeph Dettlinger‘’) war zum Verräther an ter Eache tes Vaterlandes geworten. Er Hatte fih mit 200 feiner Mitbürger bei ver VBerfammlung in Schäftlarn befunden und war von dort, nachdem er ven Expeditionsplan ter Oberländer in Erfahrung gebracht hatte, mit einem von ten Bauern gefangenen tnijerlichen Tambour entwijcht, in die Stadt geritten und hatte dem Grafen von Pöwenftein den ganzen Anjchlag hinterbradht.

Alle Bürgershänjer wurten auf folde Kunde hin durchſucht, bie Einwohner zum zweiten Male entwaffnet, Kanonuen auf ben zum “osbruch des Aufftantes bejtimmten Plägen aufgeführt und ven Bürgern bei Tovesftrafe verboten, fich zu erheben oder felbjt nur einen Schritt auf die Gaſſe zu thun. Der gut öjterreichifch gefinnte Bürgermeifter Vachieri ließ viejen Befehl von Haus zu Haus an⸗ fügen. Keiner der Bürger regte fi.

Zu gleicher Zeit zeigte der Poſtmeiſter ter Taijerlichen Admini— ftration an, daR ihm zwei Kuriere und ein Staffettenpferd ausge⸗ blieben feien, auch zehn Reiter hatte man vor 3 Lagen bereitd aus⸗ gefhicdt, fie waren nicht mehr zurückgekommen. Man fandte num einen »Hauptmann⸗ mit achtzig Dragonern aus, um tie Stellung und Stärke der Bauern zu erfahren. Damit aber tie Stadt nicht von Gavalerie, bie zu Patroullen verwendet wurde, entblößt wäre, wurben bunbert Mann zu Pferd °*) von dem Striechbaumijchen Corps, das drei Stunden vor München bei Anzing jtand, hereinberufen. Tiefe rüdten alsbald ein. Nachmittags 2 Uhr fchrten bie ausge⸗ fhidten Dragener mit ihrem Hauptmann zurüd; fie waren, wie wir fhon oben erwähnt haben, mit ven Oberlänvern zufammengetroffen,

262 Anguſt Schaͤffler,

und hatten mit einem Verluſte von zwei Mann ſich zurückgezogen. Gegen Abend erhielt man Kunde von ber Stärke ver Bauern ’°). Nochmals fandte man an Kriechbaum mit dem Vefehl, er folle mit feinem Corps nad München rüden und feinen Marſch befchleuni- gen, ſobald er Kanonendonner vernehme °%). Gegen Abend rüdten ale dann auch alle Truppen zu „Roß und zu Fuß“ aus, um vie Bürger in Schranken zu halten. Nach Mitternacht entftand plöglich Lärm vor ber Stadt. Die oberbayerifche Landespefenfion war angekommen. Ein Theil wartete am Koſtthor auf Einlaß°”), der andere hatte fich mit der Zunft der Zimmerleute von der Au verftärkt und griff jegt, ale ſich das verabrevete Zeichen noch immer nicht zeigte **), den „rothen Thurm“ an der Yarbrüde an. Es war dieß ungefähr um 1 Uhr Morgend. Nach kurzer Gegenwehr wurte derfelbe genommen ‘’). Won biefer Zeit an bis Morgens acht Uhr befchoffen fie die Stapt mit den beiden Feldſtücken, vie fie in Benediktbeuern erpreßt hatten, und ben bier eroberten, füuberten mit wohlgezielten Büchfenfchüffen bie Wälle der Stadt von vertheidigenden Dejterreihern und ließen bie Stadt durch einen Tambour zur Uebergabe auffordern. Die Oeſter⸗ reicher vertheidigten fich ſehr fchlaff; fie warteten auf Entſatz durch Kriehbaum. Diejer hörte halben Weges Kanonendonner, befchleunigte feinen Marſch, fo viel er konnte, und um 8 Uhr Morgens verkünde⸗ ten 3 Kanonenſchüſſe von der Gaſteigerhöhe aus den Belagerten feine Ankunft. Die Yarbrüde Hatten vie Oberländer unbegreiflicher Weile unbeſetzt gelaffen. In gefchlofjenen Reihen ließ Kriechbaum feine Infanterie über diefelbe ziehen, um die Belagerer vom Rüden anzufallen; durch vie feichte Iſar ließ er feine Hufaren und Pan duren fegen, um zugleich auf beiden Flanken einen Gavaleriean- griff zu formiren. Zu eben berfelben Zeit geſchah ein Ausfall aus der Stadt, die Oberländer kämpften wie Löwen, mußten aber ver Uebermacht weichen. Die Befakung der Stadt war 5000, das Kriech⸗ baumifche Corps 3000 Dann ſtark; tie Landesvertheidiger zählten kaum 3000 Köpfe. Sie wurden von München weg gegen Senbling *) zu gebrängt, faft von allen Seiten von den Selvaten umringt, zu- fammengetrieben und gezwungen, ihre Waffen zu ftreden. Als fie bieß in der Hoffnung, Die verfprochene Begnadigung zu erlangen, ges than Hatten, da wütheten die Solvaten gegen die Wehrlofen. Ein

®.

Die oberbayerifche Lanbeserhebung i. 3. 1705. 263

Theil entlam durch die Flucht, ber größere heil jeboch wurde ge- tödtet oder auf das Gefährlichite verwundet. „So wurde,“ fchreibt Meichlbeck, „ver Geburtstag des Heren nicht fo faft durch ein Kriegs⸗ gefecht, als vielmehr durch Hinmorbung der unglüdlichften Menjchen entehrt und gebrandmarkt⸗. j

Um 11 Uhr Mittags decken gegen 2000 Leichen das Wahlfeld. Nachmittags fchleppte man 500 meift fchwer Verwundete in die Stadt und »ſeindt fo berichtet Vachieri pro Terrore lang auf venen Gaſſen liegent gelafjen worden, bis man fie hin und wieder in bie Spitäler *') vertheilt hats. Sechs Kanonen, fünf WMunitionskarren, zwei Heerpauden, vier Fahnen mit den bayerifchen Wappen fielen in die Hände der Sieger.

Die Bürger von München wurten ſodann von ter Faiferlichen Kominiftration wieberbelt beeidigt und zum dritten Male entwaff- net. Letzteres geſchah am 29. Dez. 1705 wie ein Erlaß des Grafen Löwenftein beweift *). cfr. Rhats⸗Prothocoll. Anders Buch. Statt« ſchreiberey. Wünden Pro Anno 1705. Im ganzen Lande fahndete man auf die Theilnehmer an dem Bauernaufitande. Beſonders wur⸗ ben die reformirten Soldaten der churbayerifchen Armee in ftrenge Unterfuchhung genommen. Wer von ven Gefangenen nicht ſchon auf der Straße verblutete over im Spitale gefterben war, ber endete auf em Schaffot. So ftarben auf vem Blutgerüfte zu München am 29. Ianuar 1706 Abel, Adjutant im Regiment Lügelburg, der Lieutenant dv. Lange, der Kifenhändler Senfer und ter Wirth Kitler vom Thal. Der Jägerwirth wurde am 17. März 1706 zu München bingerichtet, der todte Körper publice vgeviertheilt«, ter Kopf auf ven Iſarthurm, vie vier Theile aber, wie mit dem Kitler gefchehen, im Burgfrieden aufgeftedt und fein Vermögen confiscirt. Unter ven Gefangenen befand fich wie fchon erwähnt ver Hauptmann Mayr. Fuchs, Alram und ber in Alram's Bericht öfter genannte Lieute- sant Huy waren entkommen. cfr. Oberbay. Archiv XVII. ©. 341 ff. Bei Aidenbach unweit Vilshofen wurden die letzten Reſte der Lan⸗ beserhebung blutig zufammengehauen und die hie und da fich noch jeigenden Funken der Oppofition zertreten. Hofmann und Kraus und noch viele andere Patrioten verbiuteten ebenfull® auf dem Schaffote. Das arme Bayerland zitterte noch lange unter dem Joche des Yays

264 Auguſt Schäffler,

teſten Deſpotismus, die vier älteſten kurfürſtlichen Prinzen wurden unter dem Namen „Grafen von Wittelsbach⸗ 1705 als Geißeln nad Klagenfurt, 1711 nach Grätz in Steiermark geführt und dort wie Ge⸗ fangene behandelt, die Prinzeſſin ſperrte man in's Angerkloſter, die die drei jüngern Prinzen wurden einem Fräulein von Weichs in Mün⸗ chen zur Erziehung übergeben, den Kurfürſten und ſeinen Bruder Joſeph Clemens, Erzbiſchof von Köln, traf am 29. April 1706 die Acht, ihr Beſitz wurde in Stücke zerriſſen und verſchenkt. Erſt mit dem Tode Joſeph's J. im Jahre 1711 entzündete ſich der erſte Hoff⸗ nungsſtrahl beſſerer Tage in den Herzen ver ſchwergeprüften Bayern. II.

Wir haben die Geſchichte des vaterländiſchen Bauernaufitandes uns vergegenwärtigt; bayeriſchen Leſern wird es aufgefallen fein, Daß ein Name, eine Helvdengejtalt darin nicht vorgekommen ijt, welche mehr als jede andere in unjern Panden populären Ruhm und banks bare Feier gewonnen bat, deren Thaten lebendiger Befig des Volle bewußtfeins und weitverbreitete, unbetingt anerkannte Volfsfage ge» worden find. Wir wollen die Cage berichten, wie fie im Volle von Mund zu Mund geht, wie fie in Schrift und Bild uns aufbehalten wurde.

„Balthaſar Mayr ift ver Ueberlieferung zufolge in Waalir«- hen auf dem fogenannten „Chrijamgütelu von armen aber reblichen Bauersleuten geberen. Er erlernte in feiner Jugend das Schmiede- handwerk, trat aber in der Folge als Ylügelmann ver bayeriſchen Leib« und Grenavier-Abtheilung in tie kurbayeriſche Armee. In den Zürfenfriegen, die er unter Mar Emanuel mitmachte, zeichnete er ſich durch feine Tapferkeit, Stärke und Größe aus, und erwarb jich den Beinamen des bayerifchen Riefengrenadiers. Acht Schuh drei Zoll foll ev groß gewefen fein‘). Vor Wien ſchlug er mit dem geſchwun⸗ genen Gewehrkolben ganz allein mehr denn zwei Dugend Ungläubige zu Boten; in der Schladht bei Siclos jprang ihm feine „Wehr«a, er riß die Deichfel eines Wagens ab und zerjchellte einen ganzen Schwarm berittener Zürfen, Als Dar Emanuel vie hohe Belgradmauer ftürmte, war es Bayerns Rieſengrenadier, ber ſich mit feinem Nüden an das Hauptthor ftemmte, dasſelbe jprengte, als der Erſte hineinftürzte und zu Boden ſchlug, was ihm Wirerjtand bot. Nach Beendigung der Türkenkriege, in denen er auch ehrenvolle Wunden erhalten hatte, zog

{1 L}

Die oberbayerifche Lanbeserhebung 1. 3. 1705. 265

er fi) nach Kochel zurück und lebte dort, bis ihn bie Erhebung ber Bauern nechmal® unter die Waffen rief, als Schmied. Auch in die fer Funltion gab er wiederholte Broben feiner Kraft. Das ftürfite Hufeiſen 3. B. brach er mit einem Riß entzwei, das unbänbigite Pferd warf er zu Boden und befchlug es. Wegen biefer feiner Stärke ‚wurde er zum Anführer in ber Chriftnacht-Erpebition gewählt. Die von der Gräfin Arco *°) geſtickte Löwenfahne in der einen, bie mehr als einen Zentner ſchwere Stachelfeule in ver andern Hund, ftürmte er allen voran. Wie vor Belgrad, fo fprengte der Schmiedbalthes auch am „rothen Thurms vor München die fetgefchlojjene Pforte, fhlug mit feiner Keule achtzehn Mann zu Boden, uud als die Lan- besvertheidiger nach Sentling zurücdgebrängt wurden, fo war ber Schmiedbalthes ver legte Kämpfer über hochgethürmten Leichenhaufen. Ihm zur Seite waren fein Vetter Reifenſtuhl aus Gmund und feine beiven Söhne, Lorenz und Paul, gefullen, er hatte fchen viele Berwundungen empfangen und dennoch ftand er ech und kämpfte wie ein Löwe. Da durchbohrte eine Lanze feine Bruft, er ſank und farb. Seine Hand umfaßte im Tore noch das Yöwenbannern.

Brüfen wir zunächft, wie weit biefe Ungaben thatfächlich auf gefchichtlichen Beſtand Anſpruch machen können.

Ber Allem fei vorausgefchicdt, daß alle gleichzeitigen Quel— len über ven Schmiedbalthes fchweigen.

In der Sage heißt ed: „der Schwiedbalthes fei in Waakirchen geboren“. ch habe mich fhriftlih an ten dortigen Pfarrer Herrn KaſparSchießl gewandt und von ihm mir eine Bes fätigung aus ten Aften erbeten. Durch feine Güte erfuhr ich, daß die Pfarrei Wanfirchen als jolche erft feit 1809 beiteht, Die Ma⸗ tritelbücher alfo nichts von einem Schmiedbalthes enthalten können. Eine fteinerne Tafel, welche über dem Eingang ter Waakirchner Pfarr: firche ber frühere Pfarrer und jegige Beneficiat an ter Lorettofirche zu Rofenbeim, Herr Peter Schreiber, im Jahre 1854 zum Gebächt- niß ver in der Schlacht bei Sendling gefallenen Waalirchner anbrins« gen ließ und die alle Namen aufzählt *°), weiſt auf feinen Schmied» bafttes Hin. Daß der Balth. Mayr (Schmiedbalthes) auf dem „Shrifamgätlu geboren cder vom fogenannten "Chrifilbauern« mau

266 Anguſt Echäffler,

Haufe gewefen« ift allgemeine Vollstradition. Waalirchen war ver dem Jahre 1809 in Gmunb eingepfarrt. Nach gefälligen Mitthei⸗ lungen des Herrn Pfarrer G. Schmidber ger in Gmund ift in ben Pfarrbüchern fein Balth. Mayr mit einem derartigen "Hausnamen« genannt. Ein Balth. Mayr findet ſich wohl im Taufbuche als am 2. Juli 1641 geboren; viefer ift aber der Sohn bes Lukas Mehr "vom Bach bei Waalirchen und mit unferm Helden wohl nicht ein und biefelbe Perjon. Die allgemeine Zradition des „Hausnamene« wäre bagegen und auch das Alter des Mayers „vom Bach". Diefer nämlich wäre, wie wir unten fehen werden, um 3 Jahre älter ale der Mann ver Volksſage, als der Schmiebbalthee.

Ueber bie ganze angebliche militärifche Laufbahn unferes Schmied⸗ balthes ijt ein undurchbringliches Dunkel gehüllt. Wann ver Schmieb« balthes nach Kochel gekommen, tarüber gibt uns die Sage nur Die Auskunft: „nach den Türkenkriegen“ *). In den Kochler Acten kommt ein Balth. Mayr nirgend vor, wasich in Kochel erfahren und Herr Pfarrer Aug. Stapler mir brieflich beftätigt hat. Der tamalige Schmied hieß nicht Mayr fondern Georg Hainrizi‘). Er war getraut 1674, geſtor⸗ ben 1720. Im Pfarrbuche beißt es: „Die 14. Febr. in Dom. de- functus est perhonestus (ieorgius Hainrizi faber ferrarius et Ecclesiae parochialis ad S. Michaelem in Kochel praefectus etc.“

Afo Schmiedmeifter kann der Balthafar Mayr nicht gewefen fein, wohl aber ©efelle. Herr Pfarrer Stadler hat mich gütigit darauf aufmerkſam gemacht, ich möchte ben in tortiger Gegend herr ſchenden Sprachgebraud beachten und auf den Volksausdruck ‚Schmiede balthesu ſehen. „Schmiedbalthes- Heißt nämlich: vein Mann, ber Balthafar heißt und Gefelle eines Schmiedes ift«. Sol ausgedrückt werten „"Schmiebmeifter«, fo fagt das Volk einfach: „ver Schnied«, ohne ven Taufnamen hinzu zu jekent.

Es ließe fih auch zur Noth das gänzliche Yehlen des Namens Balthes Mayr in ten Pfarrbüchern erklären. Geboren foll er in Waalirchen, getraut kann er irgendwo anders fein, geftorben ift er in Sentling. Wann er jetoch geheiratet 2c., das bleibt wieder um gelöft. Nicht beffer können feine „Kraftſtücke⸗ als Schmied bifterifch beftätigt werben; fie gleichen einer uralten Volkstradition, bie fich bei mehreren Völfern gleihmäßig findet.

Die oberbayerifche Lanbeserhebung i- 3. 1705. 267

Daß ein Balthafar Mayr nicht Anführer ber Bauern ge weien, haben wir ſchon oben (Anmerkung 46) aus gleichzeitigen Quellen nachgewiefen. Ein „Mayr war freilich für kurze Zeit ver Anführer, aber es war bieß fein Schmied, ſondern ber reformirte churbayeriſche Haupt- mann gleichen Namens. An ven Namen Mayru Inüpfen fich, nach meiner Anſicht, Geſchichte und Sage zufammen, d. h. ich glaube, daß ber hiftorifche Name „Mahr« erft auf ven Mann der Sage, ven Schmiebbalthes« übertragen wurte; und es ift möglich, daß ber Schmienbalthes, wenn ein ſolcher eriftirte, ganz anders geheißen hat’°),

Man fieht, die urkundliche Gefchichte bietet wenig Raum für bie Thaten des Kochler Schmied. Es fragt fich, wer bie Sage zuerft aufgezeichnet, und wer fie in die gefchichtliche Literatur eingeführt hat.

Wie fhon erwähnt, gleichzeitige Quellen und Urkun— ven fennen feinen „Schmiepbalthesu. Bon ihm fchweigen auch alle Gefchichtswerte, die vor dem Jahre 1835 er- ſchienen find. Das Berdienft, ihn in die gefchichtliche titeratur gebracht zu haben, gebührt feinem Öeringeren ale dem Freiherrn v. Hormayr in feinem »Taſchenbuch für die vaterländifche Gefhichten. Neue Folge. Sechſter Yahrgang 1835, in einem Auffage, der überfchrieben ift: „Die Mortweihnahten von Sendling« (25. Dez. 1705).

Wir lafjen die hieher gehörigen Stellen Wort für Wort folgen. Gr fchreibt S. 9:

„Der Schmied Balthafar Mayr von Kochel, insgemein ber arte Schmiebbalthes«, damals ein Niefe von 61 Jahren, 8 Schuh 3 Zoll body, von Alt und Yung "ber bayerifche NRiefengrenadieru ges nannt, fo gewaltig, daß er bie wildeften Pferde bändigte, und in Mar Emanuel's Türtenfriegen ausgezeichnet, arbeitete wie raſend mit feiner Stachelleule unter ven Defterreichern und hob die eine Seite des ros then Thurmes aus ihren Angeln«. Und Seite 102:

"Als den Letzten (der bei Sendling Gefallenen) nennt die Sage ten alten baherifchen Niefengrenabier, den ſtarken Schmiedbalthes von Kochel, der ſchon am rechten Iſarufer achtzehn Oefterreicher niit feiner Stachelleule nieberfchlug. Neben ihm ſanken zwei junge Sühne, es fiel fein Better, der fchöne junge Zimmermann Reifenftuhl von Gmunb,

wackere Männer von Egern und Zegernfee, von Lenggries und Warn- Hiperifge Beitfärift TL Bam. 19

268 Arguſt Schäffter,

gan. Wohl mag das Erftnunen des Feindes über dieſe Erſchei⸗ nung aus ber alten Yabelzeit, des ftarfen Schmiebbalthes Leben etwas länger gefrijtet haben. Endlich ftredte der zweite Yanzenftoß eines Hufaren biefen Pförtner gewaltigerer Zage neben ben Eeinigen auf ben befledten und zerfleifchten vaterläudiichen Boten hin«.

Alſo Hormayr Hält den Schmiebbalthes für eine gefchichtliche Berfon und glaubt nur den Einen Zug an dem Gemälde nicht, ven, daß ber Schmiepbalthes zulegt gefallen jei. Woher hat aber Hormahr die Daten und Zahlen gejchöpft, vie in ter Erzählung vorkommen? Die Sage an fich rechnet nicht auf den Zell die Größe eines Mannes aus, auch kümmert fie ſich wenig um das Alter vesfelben, fontern fie ftellt das Bild ihres Helden nur in großen allgemeinen Umrijjen hin.

Nach langem vergeblichen Suchen glaube ich die Duelle Hormayer's und zugleich auch den entredt zu haben, der zum erften Male die Sage fohriftlich aufgezeichnet und veröffentlicht, ja der fie ausgebildet und, um es fofort heraus zu fügen, in ihrer jeßigen Gejtalt erfunden hat.

Es iſt dieß ein gewiſſer 5. J. Gruber. Diefer außer Mün- hen wohl völlig unbelannte Xiterat fchreibt in einem Buche feiner Tochter Caroline, welches im Jahre 1833 erfchienen ift und ten Titel "Maiblümchen« führt, Seite 118 Folgendes über ſich: „Frühe fchen neigte jich mein wißbegieriger Geiſt über den duftenden Blumenkelch hiſtoriſcher Erforſchungen. Die Stlojterbibliothefen ver oberen Pfalz, biefer meiner Hochgeliebten vaterländiſchen Heimath, boten hiezu ven erften Anlaß. Eleonore von Frauenſtein, ein hiſtoriſch romantiſches Gemälde ritterlicher Vorzeit, ein Schriftwerk, welches ich im 16. Le⸗ bensfrühling fertigte, entwickelt einen ſichtlichen Nachweis, wie ſehr es mir darum zu thun war, althiſtoriſche Erforſchungen in den gefall⸗ ſüchtigen Aufputz der Romantik einzukleiden. Eine noch reichlichere Ausbeutung lieferte bie im Jahre 1802 vor ſich gegangene Säculari— jation ter Höjterlihen Stifte meines Vaterlandes Bayern. Ich pil gerte an ter Seite eines alternten Geſchichtsforſchers von Klofter zu Klojter, von Zelle zu Zelle, um Bücher einzulaufen, alterthümtiche Handſchriften abzufopiven 2. Die mir wie zu einer zweiten Natur gewortene Neigung, aller Orten und bei jeder Gelegenheit für das Fach der deutjchen Bolfagejcpichte zu funmeln, gewann in ben mitger machten Feldzügen von 1805 bis 1815 nach einer andern Angabe

Die oberbayerifche Lanbeserhebung i. 9. 1705. 969

Gruber's war er „volle 154 Monaten fang Soldat gewefen einen acc regeren Auffhwung, und fo wie bier das bergumthürmte Tyrol und Vorarlberg, warb einige Jahre fpäter (1816, 17 u. 18) das ros mantifch fitnirte, gebirgige Helvetien vorzugsweife die Fundgrube ver reichhaltigften Erforfchungen.” In einer andern Schrift, dem „Schmied⸗ balthes«, von dem wir fogleich fprechen werben, fagt er ©. 43 und 38, daß er fhen 34 Jahre lang Literat gewefen und ich fchen 11 Yahre lang mit geo-und hiftoriegraphifchen Studien befaßt habe. Gruber jheint nach eigener Angabe in ven »Maiblümden S. 1824 Hans dei mit feinen hiftorifchen Koſtbarkeiten getrieben zu haben. Es beißt dort: „So gelangte ich zu einem nicht unbebeutenven hiltori« ſchen Reichthum, deſſen größere Hälfte bereits vor G Wochen in bie Hände eines erlauchten Verehrers ter europäiſchen Gefchichte zu Et. Petersburg abgegangen ift, nachdem ich mir nur von dem Wichtigſten eine copiam copiae genommen hatte“. Gruber hat cine Anzahl von Schriften und Schriftchen veröffentlicht, er ijt aber eine ganz pocfies loſe, gefchraubte Natur. Zum Beweiſe meiner Behauptungen will ih bier nur einige Zeilen in Profa und in Verſen herjegen. Mehr— folder Proben werten wir unten finden. Co fchreibt er:

Seite 1: „Des Morgens jugentlihe Morgenröthe befah ih in ver Flut des Kochelſees, ver in ten Farbenſpiel unzähliger and Reſenlicht gefermter Kronen blitzte 2c.«

Seite 5: eine große Thränenperle negte im filbernen Gekoller allgemach vie Wange ꝛc.⸗

Eeite 5: mverfnüpft Die ftumme Zeugin tiefen Seelengrams (das iR die Thräne) mit einem lauten Seufzer, fchlägt jedoch hierauf ven hellgeword'nen Blid zum Himmel, trüdt an die Bruft der Hände frommen Knoten ꝛc.⸗

Oder Seite 42: "Und Aurorens rofiger Kuß

Etrahlte bie Wellen des Sceftrems au, Und ich traf, o Wonnegenuf

Jetzt den erfehnten braven Mann,

Der tie erwünſchte hiſtoriſche Spente Willig mir gab in die flehenden Hinten.

Das Büchlein aber, aus tem wir tiefe Stilproben genommen und dad uns zur Grundlage unferer Unterfuchung dient, heißt:

19°

270 Auguſt Schäffer,

Der ſtarke Schmiedbalthes zu Kochel, Fahnen träger und Anführer der wackern Hochländer bei dem baheri— ſchen Volksaufſtand in der Chriſtnacht 1705. Abge⸗ bildet im Kirchengemälde zu Unterſendling. Eine bayeriſche Volkslegende, aus dem in einem Kalender des Jahres 1734 ſchriftlich niedergelegten Aufſatze, welcher dem Verfaſſer zu Kochel mitgetheilt wurde, geſchöpft von F. J. Gruber. Mün⸗ chen, 1832. Mich. Lindauer'ſche Buchhandlung (George Jar quet '°).

Das Büchlein hat 62 Seiten in Octav und ganz das Aus feben und die Ausftattung der gewöhnlichen fogenannten Volle bücher“. Es zerfällt in zwei Theile:

1) in eine Erzählung,

2) in fachbienliche Notizen zu dieſer Erzählung.

In dem eriten Theile ift eine Lebens» und Schickſalsgeſchichte des Schmiedbalthes angegeben ‘').

Beim Beginne der Erzählung finden wir den Schmiebbalthes mit . bem Pfarrer Albertus und feinen beiven noch lebenden Söhnen, Lo⸗ renz und Paul, am Sterbebette jeines Erjtgeboruen Martin. ‘Diefer war ſchwer verwundet aus der Schlacht bei Höchftäpt nach der Hei⸗ math gebracht werden. „Zweimal neununddreißig Wochen« litt er bie furchtbarjten Schmerzen. Seiner Mutter brach bei benfelben das Herz und fie ftarb, ehe ihr Sohn ausgerungen hatte. Kaum war Martin geftorben, fo kam eine andere Leirensbotfchaft zum Schmied balthes nach Kochel. In einem Aufſtande, der in Weilheim ftatt- gefunden, wurde Balthafar Mayr's Bruder, ver Stirchenpfleger Ulrich Mayr, deßwegen vom ungarifchen Militär graufam erinorvet, weil er das heilige Gut der Kirche nicht in die Hände der Barbaren lieferte, Eilig fuhr der Balthes nah Weilyeim und holte tie verwailte Toch— ter feines Bruders, Angelifa, und nahm fie an Kindesftatt an.

Balthaſar Hatte wie gefagt noch zwei Söhne, Lorenz war acht⸗ zehn, ver Paul „warb am Vorabend des heiligen Chrifttages erft fünfzehn Jahre alt«.

Nachdem fih der Schmied in einer Epifode über die Regierung und das Gefchid des Churfürſten Max Emanuel ergangen und bie Öfterreichifche Regierungsweiſe in grellen Farben dargejtellt hat, er⸗

Die oberbayerifhe Lanbeserhebung i. 3. 1705. 271

Hfinet ex dem Pfarrer, dem Pater Albertus, daß die bayerifche Lan⸗ beterhebung bald zur That werde, daß er zum Führer und Fahnen⸗ träger in Lenggries geftern bei der Verſammlung erwählt worben ſei. Er ſagt demfelben auch, daß er heute Nacht ein fonverbar- liches Geſicht⸗ gehabt, das er fich aufgezeichnet habe und mit feinem Zeftament dem Pfarrer übergeben wolle.

Das gefchieht alles noch an ver Leiche Martins, und feine Brü- der müffen fchwören, Gut und Blut, „des Lebens legten Hauch» im Kampfe für das Vaterland zu opfern. Der Pater Albertus weihte „mit feierlich gejprocheneım Gebete zu Gott den fchönen Bund ber Zreue ein".

Sodann ging es zur Arbeit in der Schmiede. Da kömmt ber äfterreichifche Oberſt Graf von Plattenberg, mit welchem ber Schmied⸗ balthes vor Neuhäufel gekämpft und der ihn „gaftfreundlich gefpeift, ale es in dem mBayerlageran allem mungelte und ihm Brod und Wein gejandt, während er im Hefpital zu Pefth verwundet lag«. Der Oberjt bat einen Eifenfchinnmel bei fich, ver fich nicht befchlagen Taffen will, aber er hatte mit rem Oberſten Auerfperg gewettet, daß der Schmied» balthes in Kochel das Thier befchlüge. Auerfperg bat ein filbernes Sufeifen als Preis der Wette gefegt. Der Oberjt reicht tem Schmierbalthes ein eifernes Hufeifen bin, das er für ben Befchlag mitgebracht, Balthes bricht e8 entzwei „wie Butter“. “Der riefige Schmier umfaßt das fträubende Roß am Naden, „zwängt ihm den Athen ein“, und ſchleudert es zu Boden, daß laut die Balken „ver Brücke“ krachten und die Leute zufammenliefen. Das Pferd läpt ſich nun willig befchlagen. Der Oberft fprach zum Balthes: „Du bift und bleibt ein Wunder deiner Zeit. Nicht fordre, daß mit Worten meinen Dank ich dir zerlege. Nimm dieß Silbereifen und biefe Börſe. Geld und Gut bebarfft du nicht, das weiß ich; wende Beides an, wie dir's dein frommes, gutes Herz gebeut«.

Bald darauf erhält Balthes Kunde von ver niederbayeriſchen Lan— deeerhebung und „der Freude Heller Morgenſtrahl erglänzte im Hel— denauge unſeres braven Balthcew.

Nachdem S. 15 ff. die Epiſode von Plinganſer und Meindl und Oertel ꝛc. ꝛc. eingeſchaltet, wird auf die Erhebung der Ober— länter übergegangen. Balthes Mayr feuert feine Landsleute und

212 Unguk Eier,

Natbarn an: „SHum ift es Zeit, ihr Nachbar'n, daß amch wir bie Wehr ergreifen, Lak vor Gettes Augen une ver tem Wngeficht ver Welt wir zeigen, tap wir Hochländer, tag wir Bayern ſind. Berau zum großen Werl! Es ruft tie That rer Thaten, fallen, frürzen fell und muß die Tyrannei, Pie uns fo lange trüdt. Zwar iſt uns jere Wehr abgenommen; roch hat für fiebenhundert Büchfen und rieihundert Partifane Münchens Bürger, ter brave Senfer, längft geforgt. Noch heute trifft cingepadt in forngefüllten Eäden ber ganze fchöne Waffenvorrath cin. Was ſonſt noch fehlt, Tapt uns durch Senſen, Beile, durch Zrifcheln, und was in bie Hänte und lommt, erfegen! In der Fauſt Des Zapfern wird ein Pflod zum Sihwert und eine Keul' zur Lanze. Seht hieher! eine foldye hab’ id mir gefertigt; mehr deunn hundert Pfunde wiegt tie Bauernwaffe. Stachel hat fie any Eifen. Sat ein eifern Stacheljoch uns ja bie rende auſgezwängt; darum laßt es und ihr mit gleicher Münz bezahleu! Der brave Hauptmann Gauthier betreibt den Aufftand in der Herrſcherſiadt, die Münchner, vom Jüngling bis zum jechzigjäß vinen reis, Die Bürger in der Au, die Kofbebienten, vie Bauern an der Würm und vinge herum, fie lauern alfe Tampfbegierig auf den Wint des kriegderfahrnen Gauthier, um rajch wie eine Sturm brant über Die Tyrannen herzufallen, und das Joch, das lang er tragene, endlich zu gertriimmern. Der beilige Tag, we nach Jahr⸗ tamſenden uneliger Nacht das ſtrahlende Heil ter Welt in Jeſu, Gettes Sobne, aufgegangen, er wird uns allen, wird tem Vater⸗ land, wird unſerm hochgeliebten Füriien Mar Emanuel, wird feinen tbeuern Kindern, als Tag des ſchönen Glücks, als Tag der endlichen eileſuna alanzen.

Nun folgt die Zuſemmentanit bit Zölle. der Zaug ned 7*

Munchen Ber Zum uf ten reihen Turm, die Nimeriae Be ZEN, ww Rem hr Solleisgs bir erste em Dr gesuoafı Tuuyrın Derdın sefäcizer, si che der SNENTDIINIIDOTON SWISS Frtazdım D ya rn . Som wnuı:0 Ka up .. ar » \ - Seren “une wm.e - ku tu an ın „La „e2.c rer san. Am 2 --

Die oberbayerifche Lanbeserhebung i. 3. 1705. 273

Topographie von Kochel S. 37 zc. 2c. auch an und das zählt für uns zur Hauptfache wie er zu einer alten fchriftlichen Aufzeich- nung de6 Lebens von Balthes Mayr in Kochel gelommen.

Er jagt, er habe die Ferienmonate bes freundlichen Herbſtes 1827 in Kodel zugebracht. Bei einem Bauern ten Namen gibt ©. nicht an hatte ihn ein achtbarer Tölzer- Bürger FJoſeph Anton Niggl’’) einquartiert. Sein Hausherr war hen beinahe achtzig Jahre alt, aber jo geſund, rüftig und munter wie ein Dreißiger. Er war in feiner Jugend berrfchaftlicher Jä⸗— ger, ſodann Eolrat geweſen, und hatte mehrere Schlachten mitge- macht und unterhielt fich in feinen alten Zagen am liebiten mit Ge- ſprächen über einen Militärgegenſtand. „Muntersleben- diefen Veinamen gab ihm Gruber verſtand es, angenehm und lebhaft zu erzaͤhlen.

»Eines Abends fo ſchreibt Gruber S. 40, wörtlich kreiſte der Faden des Geſpräches um den ſchwarzen Unglückstopf des ſpaniſchen Erbfolgekrieges, und als eine bluttriefende Zuſpeiſe ward in ein erwärmendes Andenken gebracht der ſogenannte Hochländer⸗ Yancrnaufjtand, ein gefhichtliches Ereignig von hohem Intereſſe, ob« gleich damals noch vie bayeriſchen Geſchichtsannalen hievon uns fehr wenig und tiefes Wenige nur im Erzählungstene einer auffallenden Unbejtimmtheit und Unvollkommenheit aufzutifchen wußten.“

Gruber erhielt nun ven feinen Hauswirth ben weitläufigften Rericht über tes Schmiedbalthes Kriegsthaten, fein fonftiges Leben zc. mp als ihn Gruber fragte „woher er tiefe umftändlichen Nachrichten bezogen habe⸗ fo fagte derſelbe, er könne dieß Allee von A bis 3 in einem Bürger und Bauernkalender bei tem Dorffchulmeifter Anton Bihelmayr eingefchrieben leſen.

Gleich tes andern Tages in aller Frühe gingen Gruber und fein Hausherr zun Bichelmayr und »„es beburfte nur des platt keutfchen Erfuchens« '’), um für ven Raum voller 24 Stunten zum Befig des erwünfchten Calenders zu gelangen. „Der Calender, fchreibt Gruber, trug am Titelblatt tie Jahreszapl 1734 ten Drudort Kempten und als angeheftete Zugabe netto ein überfchriebenes hals bed Auch Papier in Quart, worauf in großen und uncorrecten, jedoch fo gtemlich leferlichen Federzügen als Titel ſtand:

274 Anguf Schaͤffler,

„Sroff undt Heldtentatten deß alBobetittuliert fer Stardhen Schmiedtbaltheß zu Kocell in türthentriegh genanth ber bayerrifch rießengranadhier balthaßarnt Mayr welder da tragn thätte die fahnne in ven hoch— ländterbauren Uffftandt, undt rumiglich gefalln zulleg undt al& per legt ufin freyihoff zue Senbtlingben, in der allerhailidft chryſtnachgt, alß mann thätte zälln nachg hochgebenideihte geburth Yefu Chryſti der weldt erleßer ain tauſd ſiebenhunderdt finf jare; warhafftigh lich und ſer akgarat beſchribbn von ain augnzeich fo fHeihmaafin glidhlihg den grauſamb thürkhenkriegh mietgmadhtgt: ahuno aintaufd fiebnhunderdt virr undt draifig.“

Bichelmayr fagte Grubern, daß er diefen Kalender im Fahre 1792 von feinem Amtsvorfahrer erhalten habe ’°).

Gruber ſchrieb das Manufeript völlig ab und fagt, e babe «damit nicht gegeizt.ua Schon im Herbfte 1828 habe er ein gebrängtes Thatengemälte des berühmten Schmiedbalthes zu Ko chel veröffentlicht und zwar in einer Zeitjchrift '*).

„Dieſes, jo führt Gruber S. 45 fort, hatte zur Folge, daß mehrere Freunde ver vaterläntifchen Geſchichte, vie uns hie und da noch fo viele fichtliche Yüden zeigt, jih um das Umjtändlichere meiner Bifte rifchen Erforſchungsgabe erfundigten, und daß tie gefchidte Hand eines geachteten Künftlers’’), ver das Ste Vild unter ven Bögen ves fol. Hofgartens gemalt hat, im Vordergrund des von ihm inventirten und rühmlich ausgeführten Friſchgemäldes zum Andenken ber weiß mächtlichen Echlacht vom Jahre 1705 ten ftarfen, heldenmüthigen Schmiedbalthes ven Kochel aufzuführen für gut und ſchicklich Fand, fe wie dieſer wahre, vaterläntiihe Epaminondas als der Letzte jener braven Hochländer, die ſich tem rühmlichen Heldentode weibten, in der linken Hand die Fahne, in der rechten aber die ſtachelbeſetzte Kenle ſchwingt, wie die Yanze eines „Madſchyaren- auf das treu⸗— nad fremmgeſinnte Bayernberz anträgt ꝛc. Sogar ein Theil jenes Traum- geſichtes, welches unſer vaterländiſcher Heros (wie wir weiter unten audfũhrlich aus dem Calentermanujcripte Xro. 17 entnehmen werden), Lit

Die oberbaverifche Landeserhebung i. 3. 1705. 275

Racht zuvor, als fein Soyn Martin ftarb, gehabt, ift in Anwendung ge- bracht worden ꝛc.“

Am 17. April 1832 -hielt Gruber im großen Saale bes ſchwarzen Ablers ’*) eine Vorlefung nebft Mufit nnd Ymprovifation ; auch bier trug er unter allgemeinem Beifall ein Lebens und Thaten⸗ gemälde des Schmiebbalthes vor. Seit biefem Tage ergingen an Gruber mehrfältige Anregungen, dieſes biftorifche Kriegs⸗ und Thotengemälve zu veröffentlichen. Er that e8 und „ba es der Raum diefer Blätter fo ſchreibt Gruber S. 47 nicht geftattet, den ganzen Auffat buchjtäblich Hier anzuführen’°), jo bejchränte ich mich anf Auszüge, die als eben jo viele Erhellungsnoten gelten mögen‘ d. h. zu feinem vorauegeitellten Lebens⸗ und Thatengemälde des Schmiebbalthes.

Aus dem fogenannten Salentermanufeript theilt Gruber 17 Ab⸗ fhnitte mit, die wir genau nad ber eriten Auflage wiedergeben. Sie lauten:

Nr. 1. Dieweillen ver frume Patter Allberbtus Pfarrherr birfelbft auß ter hochwirrdtigſt Prelladturr Penedicktbeurren thätte ainfegn und peerbtige ven gottjechlich endtfchlaffne reutter: Marthinnus Mayr fchmiebtefohnne auf Kochell und iſt ain folchg gichehn an enlifften Tagh in wainmondt ahnno 1705.

Nr. 2. baltheß Mayr thätte anblidge das ſchönne Taghligt an hochghailig draykünnigtagh ahnno 1644 in dorff waahlirchn, warre ber Sohnne ehrlihg undt tughenbtfammer bauersleith, hat erlernth daß ſchmiedte handwärkg und gnomme (genommee) ahnno 1671 bießt bay hochgkurrfirſthl Tatbquarbtie zu fueß ftehllt für denn flighlman, in Erßt Kliedt; findtemahl Er groß 8 Schue 3 Zohl und gweßt ohnn⸗ gemain ftarkh, fo Er thätte aintrette zue ain haußtürr, odter Stuebn- tärr mußt ahllema ſichg buckge Halb laibs; wardt berroweeghn betittu- tiert: rießengranabbier diewailn er thätte im Türkenkriegh wundter undt rießenwerkh zue bewundtern von jebermannighlih, n. f. w.

Nr. 3. des balthaßari Mayr Erfgebehrner fohnne: überauß braff, unbt wadher undt frum wie fain nahme Pabtron ft. Ritter Marthinnus; wachtmaiftere von denen fehwerre ardhoreuttern hat iber- Bomme 3 tiffe pleffure in der Battailly bay höchſtädt.

Nr. 4. undt der Hochgadtbar Herre Uhlrickhus Mayr kürchn⸗ fifftpflegderre in wailbeimb, mußt walle (meil) Er ain frum

276 Anguf Schaffler,

gwiffenhaffter Man nit kunth echötrebire (ertrakiren) denen gottver⸗ gefin ungerifch raubgſindtl tag ihm anvertrauth kürchngeld; verbiuethe graußamblichg an merer ten (mehr tenn) 20 empfahne Seblſtich; fo erfchrädlich war annzuefchaun.

Nr. 5. ta tbätte der grave Platthenburgh ten baltheß mahn (mahnen) wie Sie in der harbn (herben) battalfn bei neubeußl (Rem häuſel) gepledtert (gejagt) tie türdhen und terer viell erleght mit aigner handt.

Nr. 6. Der hengßt des Grave Platthenburgh pflumpfete nämb⸗ lichen allßo ſchwär undt gwalltthättig waiß (auf eine gewaltthätige Weiſe) uff die bſchlachtbruckh darniedter daß die leuth in geſambte Dorff (im ganzen Dorf) ailendts ſprunge (iprangen) an die fenßter undt thätte daß wundterſamm kräftig ſtückh ſchaue ſo außgeibt (aus⸗ geübt) Ihr ſtarkh ſchmiedte baltheß ꝛc. ꝛc.

Nr. 7. alßo magh auchg nit gnughſamb geruhmbt werden die Clemmentz der Herre Burghere zu Minichgen, alldiewailln ſellbige unß zu lindtern vie harbe noth gſchikht: 3 waaghn uff denen gleg⸗ gen (gelegen) 95 ſackh (Säcke) kohrn undt verpackht mith 700 pichſe (Büchfen) alßo auchg 300 bartheſane (Partijane).

Nr. 8 wardt betittulieret Herre pettrus gottjehr (Gauthier) fe mit ten durchlauchtichſt chuerfirſth gzoghn innß tyroll alß ed gkommn bay ſchwatzh zue batailly, wardt gahr harb pleſſiret (bleſſirt) im d'hufft (Hüfte) daß er mußt zuruckh innß bayrlandt, warre ſpinnefeindt wiedter alls waß thätte tragn öſterraichſch muntur; undt beratteth die minigner (Münchener) burghere alßo daß fie nit längher zait fehlte tulte (dulden) keiſſerlichg dirrahnai (Tyrannei).

Nr. 9. Etlinchger (Etlinger) der ſchufft, jo fo fruher viehl gnadte iberfomme von duerchlauchtichſt churfirith thätte begchn ſchwartze ver- rath, vabpertirt (rapportirt) von fchlos ſtahrnbergh haimlichg dem ghaimi jchraiber von firſthlewnſtain, uff daß Er mag bziegn alß ain andter judt isfariett fchnört bluetgeltt zc.

Nr. 10. tätte baltheß erfcghn ven erſth feindt undt, nachgveme er gftehint vie braite fchullter annß iferthorr laßt anghl und rieghl und gaiht (geht) ain flighl in trümer, wie baltheß jegundt ftrads mith der ſchwär ftachlail zue recht und linkher Saite allain 18 keiffer-

®

Die oberbayrifche Lanbeserhebung i. J. 1708. 277

lichg man wacht fchlaght Hin uff den Bobtn; machgt plat allerfaitn und abtergirpt (attaquirt) den rothen turn.

Nr. 11 undt herre haubtman gottjehr undt ter ſtarkhe Bal⸗ theß mith ihrren leithn waichn nit: fechtn wackher gen die keiſſerlichg noch gain klockenſtundt ſindt ihrrer glai draimahl mer.

Nr. 12 thätte man uff der annhöch rechts von minnichgen drai feurtöfjel uffpflauge zue ibergraußn ſchadtn vom Senbtlinghen zc.

Nr. 13 führt ann herr Gottjehr von freitboff wech 300 bauern ten tie keiſſerlehg; thätte fie ruckhdruckn trieft ihn ain eichingkugl und mueß uffgebn jain beldtngaift im arm des ehr- babrn pettrus wiefer waagnermaiftere von gmundt, und hatt tießer den herr haubtman gheght und gpfleght; wie fellber gkommen pleſſi⸗ rirt auß den throllerlandt.

Nr. 14. Wie unfre leith fahn von hint, und vorni fain hülff thätten fie fichg durchgſchlaghn im dem forſth ſindt glidlichg gkom⸗ men big 7 Uhr uff leutjtettn, beerbigte allta den laichnamb, des here gottiehr undt alß abzehlt wiejer tie köpff ſindt gewehn 463 nether (netto).

Nr. 15. Fiehle jegundt der fohnne deß zimermaiſtere veiffenftuel bon gmundt ain gar ſchönn jungh, mith hellblundt Haar hatt ftätighlichg lieb ten frum ftarkhen balthaparus Mayr; vießer ihme ſeufzendt zueſchloß die himelklar aughn.

Nr. 16. uff den bayrijch rießengranadhier thätte jetzundt her⸗ fahln die ungeriſch veutherey wie ain ſchwarm geyer uff die frum taub, hat ter ſtarkh baltheß ſchon vier pleßure fchlagt im« mer nochg rum mith ver kail gänzligh allain und würght nochg manchen.

Nr. 17. Undt alß binfchwindt die legt krafft undt der rauche unger fain fpige lan wibterheltmahl ven rießenheldt ſtoßt durchg die bruftd, der jegunnt fallt uff die ertt und bhält nochg den fahnne, thätte befelch faine frum Sell goth ven allhöchſtn undt bethn für fain firft und vatterlandt giebt uff fain gaiſt felichlichg daß alßo erfühlt wardt fain traumgficht, jo er ghabt in der nacht ehvor ain feellig Endt gnommen, fain ſohnne marthinus ardhoifch reutterwacht⸗ maifter, undt bat baltheß alßo erzällt den traum:

Wie ichg michg bai der nachtwachgt thätte Hinfteiere uffs kopf⸗

218 Anguſt Schaffler,

bolſterl maines ſohnne; mich bfiel ain Taife ſchlaff undt iſt mier erſchiene ain ſondterlich traumgſichgt daß ich thätte ſehn, ain großn lewe; der lagh uff ain grabhigl nebn ainen kreutz und ſtundte darnebn die fahne waiß undt blau mit den bildtuß der hai⸗ ligſten jungfraue undt müetter gotteß mariä: und fiech von gbürg fladtert van ain dickher ſchwarm geyer undt thätte herab ftirzn uff die fahnne wolt fie zerhack'n, mith ven ſpitz fehnebln die gflig⸗ gelten unthier lajin nit ab undt ten guetn lewe gehts ellen⸗ btighlich; innerdeß (indeffen) blühn uff undt an den grabhigl, um zehlichg gar ſchönn waiſe hochge lillien tie umbjchürm den lewe undt die fahnn: vie geyer laſſn nit ab zerpflidgn bie waißn lillien undt es thätte jämerlichg klagn, und heulin der lew: ſiech da es liecht wirdt, undt ſtrahlnhell, und hochg in bimelgewöldh thätte erſchain gott vatter: und mith den zerhackt lillien in den händte nahn die Engelain undt naign ſichg ehrfürchgtigligh: gott der vatter ſchaut ann mildt, undt gnedtiglichg die lillien und es werdte drauß ſchönn grünne matererzwaig (Martyrerzweige) druff thätte ſchalln himmelß muſickh und ſayn ibergroß jubylirn undt freidt in chor der engIn und außerwehlten gottes.

Hätte man auch feine hiſtoriſchen Quellen, nah denen man bie Daten im Calendermanuſcript prüfen könnte, fo wird ſchon jeder Ken⸗ ner fogleih auf ven erſten Blick an dieſer Art des Ausdruckes, an biefer Orthographie Anſtoß nehmen und die Aechtheit des Manuſcrip⸗ tes bezweifeln. Das „Gemachte« fpricht fich in jeter Seile aus. Man beachte nur die affectirte Tehnung und Schärfung, ten ganz unna türlichen Stil, den verbrehten Satzbau, wie fie fih im achtzehnten Jahrhundert nie und nimmer finden. Dieß Alles ſpringt zu fehr in bie Augen, al8 daß man einzelne Belege anzuführen brauchte.

Prüft man aber erft ven Inhalt, fo wird man ganz anderer Dinge gewahr werden. Wir wollen die Auffintungsgefchichte und die An⸗ gaben des Galenvermanufcriptes mit Hülfe der Pfarrbücher von Kocel, Benediktbeuern, Waakirchen, Weilheim und Gmunb unterfuchen. Die ganze Auffindungegejchichte ftürzt durch ein Zeugniß aus Kochel als eine abfichtliche Myſtification in Nichts zufam- men. Gruber will, wie wir jchen oben erwähnt haben, in ten wife rienmonaten des freundlichen Herbftes 18274 das Calender⸗

Die oberbayerifche Lanbeserhebung i. I. 1705. 279

manufcript vom Heren Lehrer Anton Bihelmayr erhalten haben. Das ift unmöglich und völlig aus der Luft gegriffen. VBichelmayr ift nämlih, wie das Sterberegifter in Kochel nachweilt, ſchon am 7. Juni 1827 in einem Alter von 78 Fahren in Kochel geftorben! Wie konn er alfo Grubern im Herbfte noch ein Schriftſtück ausgehändigt haben? Damit, glaube ich, ift die Findungsgefchichte und zugleich auch der Charakter Gruber's hinlänglich beleuchtet.

Schon als ich dieſe Entvedung machte, bilvete fich mir die felte Ueberzeugung, daß das ganze Schriftftüd mit all feinen Angaben eine bewußte Unterfhiebung Gruber’s fei, der durch einen Betrug eine v„Sages zur „Geſchichte- zu fteinpeln verfuchte und leichte glänubige Herzen genug fand, die feine Angabe ohne Prüfung ale Wahrheit hinnahmen.

Gruber hat ſich lange Jahre im bayeriſchen Hochlande herum⸗ getrieben, er fpürte den Sagen nach, die im Volke lebten, und fo war es ihm leicht, jeinem Mährchen einen Anftricy von Wahrheit zu ges ben, zumal er die Keckheit befaß, Alles bis in das Heinfte Detail auss zumalen.

Nun zu den Angaben im Calentermanufcript.

Die erſte ift durchweg eine Fiktion Gruber's. Ein Pater Als bertus wer nach ben Pfarraften zu Kochel dort niemals Pfarrer. Ebenjo wenig nennt das bortige Tobtenregifter einen Martin Mayr, Schmiebjohn von Kochel, ald am 11. Tag des Weinmeonats 1705 ges fiorben. Seltfamer Weife zählt das Sterberegifter in Kochel in ven Jahren 1704 und 1705 gar feinen Sterbefall*). Das Pfarrbuch it aber vollſtändig unverleßt und es iſt unmöglih, daß tie Jahre 1704 und 1705 aus demſelben herausgefchnitten fein könnten.

Groichtungen find ferner die Angaben: zwei wir baben biefelbe bereits früher widerlegt drei, ſechzehn und fie benzehbn. Die Angabe vier ift cbenfalld unwahr. Ein Ulrich Mayr ift nach einer gefälligen Mittheilung meines Vetters, des Stadtpfarrers Böhaimb in Weilheim, in ven dortigen Pfarr« amtsalten nicht zu finden. Eined Mathias Maper gefchicht in denfelben Erwähnung. Derſelbe ift aber am 11. Oktober 1725 in einem Alter von 66 Jahren in Weilheim gejtorben. Seine Stan» des ein Weber, war er 42 Jahre lang Sirchenpfleger et erat

280 Anguft Schäffler,

fo fchreibt das Pfarrbuch mörtlid vir in functionibus diligen- tissimus, tempore Caesarei belli contra Bavariae motus pro conservanda ecclesiae supellectile fidelis et obsequentissimus etc. Hat Gruber diefen vor Augen gehabt? Das Sterberegifter vom Sabre 1705 ift im Pfarrbuche herausgejchnitten! Auch die Angaben fieben und zwölf find troß ihres hiftorifchen Anſtrichs bloße Fil⸗ tionen Gruber’s. Gleichzeitige Duellen und Schriften vor dem Jahre 1835 berichten nicht8 dergleichen. Die Angaben fünf, ſechs, zehn, eilf und fünfzehn find theil® von Gruber erfunden, theil® ber Vollsfage entnommen. Die Angaben acht, neun, dreizehn und vierzehn fußen zwar auf Gefchichte, find jedoch auch nicht ohne Zu⸗ thaten Grubers. Zur Charakterijirumg eines Theiles der Angaben breizehn und fünfzehn ſei noch hinzugefügt, daß es nach dem Ausweis rer Gmunder Pfarrbücher und des VBerzeichnijfes der im Jahre 1705 bei Senbling Gefallenen aus der Pfarrei Gmund *') nie einen Wagnermeijter Peter Wiefer und nie einen Simmermeifter NReifenftuhl in mund gegeben. Pofitiv können viefe Angaben freilich nicht alle widerlegt werben, aber fchen dieſes negative Nefultat wird die Ueberzeugung wachrufen, Laß dad ganze Schrifte ſtück eine abfichtlihe Täufhung des Publikums von Seite Gru—⸗ ber's ift.

Nachdem wir nun Hormayr's Angaben vorausgeftellt und ben Inhalt des Calenvermanufcriptes nebjt Prüfung desfelben haben nadhe folgen lajfen, brauchen wir die Aehnlichkeit, ja die Gleichheit ver Ans gaben beider kaum erſt ausbrüdlich zu conftatiren. Was Hormahr von des Schmiedbalthes Perjünlichkeit angibt, ijt beinahe wörtlich aus Gruber’8 Aufzeichnungen entnommen. Man vergleihe nur die Angaben zwei, ſechs, zehn, fünfzehn und ſechzehn des Calen— bermanufcriptes mit dem, was Hormayr ©. 99 und ©. 102 an- führt. Webereinftimmend werten des Schmierbalthes Größe, fein Alter, fein Beiname, feine Stärke, feine Thaten im Zürfenfriege und am rotben Thurm berichtet. Auch, daß er am rechten Yfarufer 18 Defter- reicher erjchlagen, taß feine zwei Söhne und der fchöne Zimmermann Reifenſtuhl von Gmund neben ihm fielen und daß er als ver letzte feinen Ted in Senpling fand, berichtet Hormayr ebenfo wie Gruber in feiner drei Jahre früher erfchienenen Schrift. Hormayr erzäßft

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Die oberbayerifhe Landeserhebnug i. 3. 1705. >81

Seite 101, daß 3 Mörſer vie Höhe auf ver heutigen Thereſienwieſe beberrfchten, und Seite 102 daß Gauthier neben feinem früheren Gaſt⸗ freunde, tem Gmundner Wagnermeifter Peter Wiefer, gefallen fei: zwei Angaben, vie das Galendermanufcript in Nummer zwölf und dreizehn berichtet.

Unfere Zeit gilt für eine kritifche und nüchterne; Viele meinen, daß bei ver allfeitigen Controle der Wiſſenſchaft und der Oeffentlich⸗ kit feine Dichtung im Stande fei, thatſächliche Glaubhaftigkeit in mweitern Kreijen zu behaupten; Manche glauben, daß dem Volke felbft wie Stimmung und Neigung verloren fei, ſagenhafte Erinnerun gen an feine Bergangenheit fortzupflanzen. Der Gegenftand unferer Unterfuhung und hierin ſcheint uns das eigentliche Intereſſe der- felben zu liegen zeigt das Irrthümliche biefer Vorftellungen. Kin namenloſer und font talentlofer Yiterat erfindet die Hiftorie eines Kämpen, melde das eine Verdienſt beſitzt, die Gejtalt eines ober» bayeriihen Bauern nach dem Herzen ter Bevölkerung in terben Zü- gen zu veranfchaulichen. Gin berühmter Schriftfteller führt die Ges . fhichte in Lie Bücherwelt ein, ein artiftifches Denkmal ftellt fie ver Die Augen ter Menſchen und fofort wird fie zum Gemein⸗ gut des öffentlichen Bemwußtjeins, geht von Ort zu Ort, und (bt in allen patriotijchen Grinnerungen tes Volkes. Inmitten des 19. Jahrhunderts fehen wir das Schaffen der Sage in voller Ahätigfeit.

Anmerkungen.

) Aueführlicheres cfr. Arneth, „Prinz Eugen” und Eugens Corresponden;.

2) cfr. Finſterwald. Germaniı princeps. „VBayern”. Band IV. S. 2303.

2) Zinfterwald. Germania princeps, „Bayern.” Band IV. Seite 2330.

) Die ausführlichen Friedensbedingungen find im Theatrum Europ.ıcum XVII. 1704. ©. 104 und Binfterwald Germania princeps. „Bayern“ IV. Theil S. 2363 akgedrudt.

5) Die Hauptpunfte bes Vertrages wurden von ber Churfürftin in Bälde vollzogen. Die Feſtung Ingolſtadt hingegen wurbe erſt am 7. Dez., Kufkein am 29 Nov. übergeben. cfr. Europäiſche Fama XXVIII. 259. Theatrum Europaeum 1704. 105.

282 Auguſt Schaͤffler,

) cfr. Theatrum Europ. 1705. 112.

”) Monatliher Staatsipiegel. Mai 1705. ©. 45 ff.

°) Ueber die Leiden ber Bürger und Bauern vergleiche eine Urkunde, bie Hormapyr in feinem Tafhenbuh 1835 S 149 fi anführt.

*, Diefelbe ſteht ausführlich in ber europäifhen Yama XXXI. 473. Und in Finſterwalde Germania princeps „Bayern“ IV. 2865. Theatrum Europ. 17. Band Jahr 1705. ©. 112.

20) Taſchenbuch für die waterlänbifche Geihichte 1835 von Hormayr ©. 69.

1) Diefe Maafregeln wurben nach ber Adhtserflärung Mar Emanunels voll- zogen.

1!) Theatrum Europ. XVII. 76.

3) Nach der europäifhen Kama XXXI. 477 am 22. Dez. Nach Finfterwalb 2367 am 21. Dez.

Die europäifhe Kama nennt Bologna als den Ort der Zufammenkuaft. XXXI. 478. cfr. Thextrum Europ. XVII. 1705. 112 und Hormayr's Taſchenbuch 1835 ©. 65 u. 71.

26) Der zuletzt angegebene Grund ift wohl ber richtigfle. Noch andere Gründe, bie mir jedoch die aller unwahrſcheinlichſten zu fein bünfen, gibt bie europäifhe Yama XXXI. 478 an

10) Theatrum Europ. B. 17. 1705. ©. 113 fi.

N Kinfterwald. „Bayern“ IV. 2370.

ss) Kaftenftein bayerifhe Befchichte III. 815. Monatlicher Staatsfpiegel Mai 1705 p. 45. 19) Guropäifhe Fama XXXVI. 839 fi.

20) Man ift geneigt anzunehmen, und bie europäifhe Fama hat dieſe Un⸗ wahrheit zuerft in die Welt gefandt, daß die Briefe, die vom Churfürften aufgefangen wurben, eine detailirte Darftelung des bevorfiehenden Auf. ftandes enthalten haben. cfr. Europ. Fama XXXVI. 839 fi. Dem if nicht fo; denn wie konnte fonft Mar Emanuel an feinen Obriſt Kämerer ſchreiben „— man wird ja faiferlih Seits kein Bedenken tragen, biele 3 Briefe überantworten zu laffen“. Theatrum Europ. XVII. 1705, 113, 114 ift der Brief abgebrudt.

Auh Faßmann glaubt an das Märchen ber europäifhen Kama ofr ©. 16.

29) Diefer Berräther war kein anderer ald Baron von Lier. Gr wurde

nah Wien gebracht und beichtete dort, wo Geſchüutz und Diunition ver graben lagen ac. Guropäifhe Yama XXXVI. 841.

Die oberbayerifche Lanbeserhebung i. 3. 1705. 988

ef) cfr. Limberty Memoires tom. III. 614.

») The.trum Europ. XVII Band Jahrg. 1705 ©. 113. 2) Thestrum Europ. Vil. Band. 1705. 113.

25) Thestrum Europ. 1705. 113.

⁊*) Theatram Europ. 1705 113.

7) Die abenteuerliche Flucht des geheimen Secretaͤrs Urban Bedenftellere, der in den Blan des Aufftundes vollſtändig eingeweiht war, ift ausführ- fih von Lory, Sammlung bes bayeriihen Kreisrechts, und Lippert Abhandlungen der Alabemie ber Wiffenfchaften, Band 11. Theil I. S. 40. berichtet. In Kürze erzählt fie Raftlos (Advolat Faßmann) in fei- nem Buche: „die Defterreiher in Bayern zu Anfang bes 18. Yahrhun- derts“ Seite 19.

Ein Berzeihniß der Waffen ber Raſtlos (Faßmann) Beilage XI. 127.

”)efr. Theitram Europ. 1705. 114, wo aud bie Gründe, bie ben Biener Hof dazu beftimmten, angegeben fiub.

”) daß e3 der Churfürftiin verfprochen war. ſteht im Briefe bes Prinzen, ben er an den neuen Kaifer Joſeph fchrieb (cir. denſelben Theatrum Europ. 1705. 114 nnd Falfenftein III. 815) dort heißt es: „geftalten ohne bem „der Herr Feldmarſchall Gronsfeld, wie beiliegende Copien aus „weiten in ber erfteren vom 9. Febr. unferer Frau Mutter einen Paß- „port zur Rüdlunft accordirt”.

Raſtlos (Faßmann) hat wie fonft, aud hier die Urkunde fehr nach» 1Sifig gegeben. Er hat hier aus bem Theatrum Europ. abgefchrieben. Fallenſtein III. 815 und europäifhe Fama XXXVI. 842 geben ben Brief wohl getreuer.

1, efr. Theatrum Europ. 1705. 117.

" In einem Jahre 7 Millionen Gulden! Nur 1,200,000 Gulden waren in die faiferfihe Kaffe gefloffen. Mollart hatte fih in biefem einen Iahre 1,500,000 Gulden erfpart und fie in ber Venediger Bank ange- legt cfr. Theatrum Europ. 1705. 116.

I Wie man babei verfuhr cfr. Monatliher Staatsipiegel Dec. 1805. ©. 78. Theatrum Europ. 1705. 118. Die wehrpflichtige Jugend flellte fig nit auf den Mufterungsplägen, man griff zur Gewalt, ließ fie bei ber Naht aus ihren Betten holen und mit Ketten belaftet im Spätherbfi 1705 nah Tyrol fchleppen.

20) Im Unguſt 1705.

ss Die Depntation beflanb aus bem Biſchof von Fahrenbach, dem Grafen von Torringen, dem Bürgermeifter von Straubing.

OPipociſqe Beisfärift VL Bam. a

Unzup Echiffter,

6) Tie an ben Nailer eingeradte Ferkelung Thestram Europ.

©. 111.

”, Tie ven bier bis zu Ende bes erſten Tbeiles benügten veorzägl

Luellen ſiellen wir, um ;u binfiges &itiren zu vermeiden, Togheid zufammen.

In eberfier Reihe Recht au Werth für „tie Eendlingerſchlachte ba Feringer verẽffentlichte Altenküd cfr. Cberbayeriſches Achie XV 334— 314 und WMeidelbela Hist Frising. Tom Il. P: bazı zur Zeügeihihte: der Menatliche Stautsipiegel den Jahren 1704. 1705. 1705. Tie eurepiifbe Zama denfelben Jahren, ebenic Faber's Staatekanzlei, Germ princeps „2avern“ IV. Hank von ginfterwald, Cäfar Wg une „ausfährlihe Hiſterie sc. Theatrum Europzaeum Baud Sallenflein bayeriihe Geibihte Band I. Jebannes Ka (Faßmann) Denkſchrift „die Ocñerreicher in Bavern* Horm Taſcheubuch 1835 und 1849. Akten und Ratbéprotokoll ben Muuchener Stadtarchive.

20) Wie treu Adel und Clerus (beſonders der hohe) zu Kaiſer Joe

ſtanden, beweiſt am beſten ein Edict des Kaiſers an die Adeligen ben Clerus datirt vom 23 Febr. 1705, in welchen beiden Stünd größten Lobſprüche wegen ihrer Haltung ertheilt werden Das ef. Monatlicher Staatſpiegel 1706 Februar Seite 283 fi.

?°) Der fpäter flets gerühmte Plinganſer wird in feiner gleichzeitigen 4

unter den Helden dieſer Erhebung genannt Erſt Heinrich 3 bat ihn zur Hauptperſon gemadıt, tregtem er es durchaus mid dient Unfer Urtheil über dieſe Perjönlichkeit muß fih anf Schriftſtücke Plinganiers grüuden. Es if das eine der Berid Georg Sebaſtian Plinganfer an den Kurfürfen Mar Emanuel! Bayern über den Bollsaufjtand gegen die Defterreiher in den S 1705 und 1706 welden in einem ungenauen Abdrud 1805 der | richtsadvolat und Reichsvikariatsagent, Joſeph Gerand Faßmann dem Ramen „Johannes Raſtlos“ in einer Schrift veröffentlicht hei ben Zitel führt „die Deitreiher in Bayern zu Anfang bes ) Jahrhunderts.“ Das andere ift ein Altenftüd , das noch umebi tgl. Archive liegt Es iſt „Alleronberthenig: gehorſambſtes Mem Georg Sebaſtian Plinganfer vnd deſſen entlafjung ays tem Arrek | welches der Benannte aus dem Falkenthurm in Münden um 1. Juli 1706 „An ben Allerdurch⸗-Leichtigiſten grofmedtigißen &

Die oberbayerifhe Landeserhebung i. 3. 1706. 985

windtlichiſten, vnd Allergenebigiften keyſer, vnd Herrn zur Hochlöb⸗ lichen Regierung Burghauſen“ geſandt hat. Vergleicht man beibe miteinander, fo ergiebt fi) ganz beutlih, daß Plinganfer in ber Ge- ſchichte durchans dieſen Ehrenplatz nicht verdient, ben er jebt flatt anbrer würbigerer Männer einnimmt. Gr ift ein ganz unentichloffe- zer waufelmüthiger Mann gemefen, ber heute öfterreichifch und morgen, wenn es ohne Gefahr feines Lebens fein konnte, ober wenn ihn bie Noth bazu zwang, baverifch gefinnt war. Er ſchildert in biefem Altenftüd, daß er nur buch die Drohungen ihn zu erihießen zum Anſchluß an die Aufſtändiſchen gezwungen worben fei; mehrmals habe er verjucht durch Liſt ihnen zu entkommen, aber flets fei ihm dieß mißlungen. Das mit Wormbs unterzeichnete Patent fei nicht von ihm, fendern von Forchhammer abgefaßt, und ein gewifler Johann Wilhelm Heymon habe fih ale I. H. Worms unterzeichnet und „bruchte fein Börtichaft barunder“. Cr babe flets zum Kaifer gehalten und für ihn gehandelt, habe den Grafen Tattenbach und zwei verfleibete öſter⸗ reichiſche Spione gerettet c. Um zu zeigen, wie Plinganfer an ven Raijer fchrieb, davon eine Probe: „Es beiämerte zwar bas vermittibte Bayern nit ohne Vrſach den hechſtſchmerzlichen hintritt Ihres Allerburd- leihtigiften großmechtigiſten, Vnyberwindtlichſten, vnd allergenebigiften leyſers und Herrn Leopoldj: dero glorwilrbigiften herrn Vattern, vmb will er ſyyi (sic?) laum glaubete, daſ widerumben ein gleichmeſſige Saufftmueth, gilette, vnd CIe- menzineinem fürſtlichen geblüeth ſich mit Ihn vermählen ſolte; Aber demnach Ew. leyſ. Meyſt. Vnſer Allergenedigiſter herr, herr nach glorwürdigiſter Suc- cession, bie wider allerhechſt gedacht deroſelbe Rebelliſche Vnderthannen zn allerhechſt keyſ. hulden widerumben annemmen „vnb ben allergdigſt Pardon ertheillen wollen, ware bo vbergroſſes herzenleidt mehr als woll erſezt, vnd haben hierinnfalls Em. keyſ. Meyſt bero glorwürbigiften Herrn Battern au allerhehfter Cloemonz etwas yberſtigen, da zwar auch aller- hechſtgedacht do hr. Batter das vormals feinbtlich geweien, nachmals ce- dirte Bayern im die feyf. Protection an: vnd aufgenommen, Gm. feyf. Meyſt. aber noch yberhin das beſchüzte Landt allergbift conservirt, vnd obmwollen ef wegen hechſtſtraffbahrer empörung auf das neue mit dem ſchwerdt bat mieffen gebenpfet werbten, bie wollverdiente ftraff, mithin dere Berhör: vud Verdörbung nachgefehen, ia nach foll Rebelliicher ent- zweyung benen vorigen allerhechſt levj. Genaden wiberumben verein-

bahret.“

“) Vergleiche bie vorausgehende Anmerkung.

a,*

Unguſt Schaͤffler,

) Der Churfürſt war an der Erregung bes Aufſtandes nicht betheiligt.

verfidhert das felbft in einem Briefe an feine Gemahlin, bat. vom Sannar 1706. Die bezügliche Stelle bes Briefes iR m Duchn bayerifher Geſchiche Band IX, und im oberbäyerifchen Band XVII. Heft 3 S. 829 abgetrndt; auch Alrams U (Oberbayerifhes Arhivo Band XVII. Heft 8 ©. 835) weifen auf beutlichfte eine Unterfhiebung ber Mandate nad. Dr. Schreiber j hält in feiner Schrift: „Mar Emanuel, Ghurfürf vou Bayern“ ©, das Manifeft umbegreifliher Weile für Act. Ueberhaupt fei diefe Arbeit Schreibers bemerkt, baß fie in ben hier einfchlägigem ' tien voll Fehler if. Plinganfer und bie Senblinger Schlacht finb ri aufgefaßt, daneben iftaber bie Zahl der Landesvertheidiger um Viele zu angegeben, Bauthier als Anführer berfelben gefett u. f. w. Unferes achtens ift es auch nicht anders möglih, wenn man innerhalb zwe Jahre, drei darunter zwei umfangreide Schriften „nur auf Urkun gegründet“ im Drude herausgeben will.

2) Er hieß Tobias Dettl unb war der Sohn eines Holzhauers, bei

Dienfte des Klofters Benebiktbeuern ftaud. Er war am 9. Septbr. 1 zu Steinbach geboren, erhielt feine wiffenichaftliche Bildung zu „Bene und Münden. Am 11. Nov. 1676 trat er in bas Kloſter Beue beuern und erhielt von ber Zeit an ben Namen Elianbus 1 wurbe er zum Vrieſter geweiht. Bald darauf ernannte man ihn Novizen- Lehrer, etwas fpäter zum Seelforger in Kodel und Bene beuern und nad bem Tode bes Abtes Blacivus (am 25. Yufi U wurde er als Eliandus II. zum Abt von Benedictbenern erwählt. ſtarb im Jahre 1707. Aus Meichelbeds Chronic. Benedict. zufammengef

*3) Mit der vergeblihen Entführung ber dhurfürftlihen Prinzen agi

man befonbere unter deu Beamten. Nicht minder mußte „bes C fürften Wille“ „feine allerhöchſte Ungnade“ eine Rolle fpielen.

) Man verabrebete fih, am Karlsthor dieſelben auffteigen zu laffen. #5) Soviel weilen die Muflerungsliften aus cfr. Alrams Bericht. Oberb

Ardiv Band XVII. ©. 838. Kaum ein Drittel berfelden war vn mäßig bewaffnet. Durch diefe Angaben tritt die Tapferkeit der Ba in ein noch helleres Licht.

*) Diefer und Niemand anderer iſt eine kurze Zeit der D!

anfüährer ber Bauern geweſen. Man nennt Gautbier als Gen, das ift eine Unmöglichkeit. Denn Gauthier verfkand m einmal deutſch cfr. Oberbayer. Archiv XVIL 838. Zwei g

Pa 1 |

Die oberbayerifche Lanbeserhebung i. 3. 1705. 287

zeitig erſchienene Drudfchriften nennen Meyr, ihn nennt bie europäifche Same, über ihn gibt Alrams Bericht ven deutlichſten Aufſchluß. Epätere Hiſtoriker wichen ohne allen Grund von biefer Thatfache ab. Ueber ben Anführer, den das Volk als folhen Tennt, über: „ben Echmieb von Kochel Balthafar Meyr“ vergleihe ben ganzen zweiten Theil, #) Naheres Über Alam fiehe im oberbayer. Arhiv Band XVII. S. 330 fi. ) Nachdeme ihme befien Truchement meine propofition erpliciert, mit öfftern Hepetiern fort bien, vor guet gehalten Alrams Bericht oberbayer. Ardiv Baenb XVII. ©. 838.

Im Rhaté Brothocoll, Anderes Bud. Stattfhreiberey MRüuden Pro Anno 1705 findet fih Kol. 182. Die Angabe, daß der Weinwirth Johann Jäger am 29 Dez. 1705 feines Amtes als Mitglied des äußern Rathes entfegt und an feine Stelle ber Weinwirth Döpfl gewählt wurde.

2) cr. Oberbayer. Archiv Band XVII. Heft 3 ©. 339,

s, Oberb. Archiv. Band XVII, 239.

we) Dberbayerifhes Archiv. Band XVII. Heft 3 Seite 340.

T) Nach Anderen foll der Münchner Bürgermeifter Vachieri den Berrath verübt haben. Bon wohl unterrichteter Seite fam mir bie Mittheilung zu, Daß Dettlinger mit Vachieri verwandt war. Es ift baher nicht un- wahrſcheinlich, daß Bachieri den Dettlinger zu Löwenſtein begleitet, ja dort ihn als einen verläßigen Boten vorgeftellt umb empfohlen habe.

8 follen nach dem monatlihen Staatsipiegel Dez. 1805 ©. 112 an disfem Tage and eine Anzahl Cuſaniſcher Recruten zu Pferd in München angelangt fein.

Monatliher Staatsſpiegel S. 123.

se) Monatlicher Staatsipiegel S. 123.

s”, cfr. Dberbayer. Archiv. Band XVII. Heft 3 ©. 341.

cfr. Anmerkung 44.

„nemblichen baf Sye Münchner, beren angrif durch fleiglafjung einiger Raquet oder Sturmbſchlags auf St. Peterstyurm, vnns kundt machen foflen.“

DOberbayer. Archiv. 8. XVII. 9. 3 ©. 340. Die Landesvertheibiger vor Münden hatten auch fchriftlih Nachricht er- halten, daß ihr Einverſtaͤndniß mit ben Bürgern entbedt fei unb baß bie Unterbanerifche Landesdefenſion nicht zu ihnen floßen Fönne.

Oberbayex. Urhiv. Band XVII. Heft 3 ©. BAl.

288 Unguſt Schaffler,

sn fo mit mehr alſ 200 Mann beſezet waren, vnd eroberung bemeltes

Thurns vnd ber baranf geweften 6 Stuchen gelungen.“ Oberbayer. Arhiv. Band XVII. 9. 8 ©. 341.

°o) Beim Bericht von ber Genblinger Schlacht halten wir ums am bie An gaben Earl von Meichibede Hist. Frising. Tom Il. Pars I. ©. 432 fi, eines Zeitgenofjen. Des Herrn Hauptmann Mar Grafen Topor Re rawitzkky Arbeit fenne ich nicht. Sie ift noch Manufcript. Leber biefelte fauteten bie feiner Zeit veröffentlichten Berichte: „Herr Hauptmann Gef Morawitzky Rellte (am 3. Januar 1859) ber Rebaction (des hiſtoriſchen Vereins von und für Oberbayern) aus feinen reichhaltigen archivaliſchen Erzerpten zur Geſchichte bes ſpaniſchen Erbfolgelrieges höchſt wichtige Alten ſtücke über die Schlacht bei Sendling zur Hand, namentlich bie Abjchrift eines Driginalbriefes bes Gerichtefchreibere Wolfgang Schmidt von Abensberz

I an den hurfürftlichen Rath Dulac im Gefolge Mar Emanuels in Brüffel, woburd wahrhaft empörende Einzelnheiten jenes blutigen Greignifjes auf gebedt werben, fo baß bie ihm beigelegte Bezeichnung „ber Mordweih⸗ nachten“ nur zu fehr gerechtfertigt erſcheint. Auch über ben zum Ober Iommanbanten ber oberlänbifhen Streitſchaar ernannt geweſenen bayeri- fhen Hauptmann Mayr, ber nach ber Maffacre in die Hände ber äfer- reichiſchen Adminiſtration fiel und ber Zortur unterſtellt wurbe, brachte Herr Graf Morawitzky völlig neue, alle bisherigen Nachrichten berichtigenbe und ergänzende Mittheilungen bei.“ Bon einer Niebermekelung ſpricht auch die europäifhe Fama und Badieri cfr. Raſtlos. „Oeſterreicher in Bayern” ©. 144.

*, So wurben nad bisher noch unveröffentlichten Rehuungeausweien, bie mir durch die befondere Güte bes Herrn Bürgermeifter von Widder und bes Herrn Archivrathes Muffat zur Einfiht übergeben wur⸗ den, im bürgerlichen Krankenhaus am Anger von Dr. Stebler unb Bader Sanfon 34 Bauern aufgenommen. Die Verpflegung loflete ber Stadt 148 fl. 83 fr., die nöthigen Mebicamente 81 fl. 22 fr., das Begraben ber während ber Kur Geftorbeuen 17 fl. 44 kr, alfo in Allem 247 fl. 39 ir.

*) Der Erlaß Tautet:

Joſephus von Gottes Genab, Ermöhlter Röm. Khayfer ıc.

Fürfigtig Ehrſambweiſe Liebe Gethreue ob Wür fhon Bus Eurer Threu, nah dem anheint Berneurten jurament allergbift Berfichert halten, vnd ob ber bei iungflerer Bornembung von ber ganzen Burgichafft gefichrten guetten Condiute allergbiftes gefallen trage So erfordern doch bie iytigen Coninncturen, auch bießigen Ratt aigeme ficherheit zu erhaltung bei Fr,

Die oberbayerifhe Lanbeserhebung i. 3. 1705. 9

wendtige ruheſtandis, ba ber Man feiner aigner fach ſelbſt nit maifter fein berffite, alle behdrigen praechutiones zu nenmen. Zumahlen Wür bau, ganz zuverleſſig Berichtet fein, daſ faft jeber Burger annoch mit feur gewöähr ia vberfliſſig Berfehen; als Befelhen Wär unbtgebenen Vür⸗ gern unbt zwar iedem in fonberheit, in Unferm allerhöchſten Rammen allergoſt auffzutragen, baf iedweder yber bie beraits ſchon gelifertem herrn- au daß annoch in feinen Hanbten habente privat, aigene hauſ gewöhr, in Slinten, gezogenen feur Robren, Piftollen oder auch Mufquetten Beftehent, Bon fi, in daf Buergliche Zeughauf fogleich heint noch bei Vnauſbleiblich deter- minierter leib: und Lebeneftraff, auch Confiscation haab und Guetts Zur Berwahr yberlifere, der Khonfftig Vergwiſſten reflitution Vnd erfhanbtnuf halber aber ſolchen gewöhr feinen Nammen Bf Zötlein geſchriben Zuelege. Welches ſodann in gegenmwartt. 2. Bon Bnf.: VBnd 2". Bon euch beputiers ter Commiss. Zu ybernemmen, deß Wür Bns Zu gefhechen allergudiſt Vorſechen Bnd feint ench anbey mit ©. gewogen. Mäuden ben 29. Dez. anno 1705. Mar Carl Graf Zu Lebenftein Administrator.

5) Diefe Angabe ift aus dem Vollsbüdhlein genommen.

“) Ebenfalls aus dem Vollksbüchlein. Das Boll kennt und nennt unr bie Türlenkriege.

Es if dieß Anna Franziska von Luchier, nachmalige Gemahlin Fer⸗ Pinanb von Arko's, vie Mutter des belannten Emanuel Comte de B:viere. Sie ftarb 1717 in Paris.

9 Auch der verfiorbene 3. Sutner hat nad einer Angabe in feinen 1828 eribienenen „Bermifdten Schriften“ S. 435 die Namen ber in ber Sendlinger Schlacht Sebliebenen zu fammeln begonnen, „um ihnen ein geringes Denkmal im Jahre 1828 war nämlich nocd feines errichtet anf Bapier zu ftiften,“ und bereits aus ben Sterberegiftern der Pfar- reien Lenggries, Egern, Gmund, Waalichen unb Dietramszell 168 biefer Barrioten mit Tauf- und Familiennamen und Geburtsort in ein Ber: zeichniß gebracht. Von denen, welche lebend in ihre Heimath zurückkamen, kennt Sutuer 62 Männer. Sutner flarb, das PVerzeihniß blieb unver- öffentlicht. Wer feinen literariihen Nachlaß erbte, weiß ich nicht.

, Auch bie im oberbayerifchen Arhiv Baud XVI. Heft 3. S. 306 ff. vom Grafen Morawitzky nah Archivakten veröffentlichte Weberfiht ber vom Klofer Benebictbeuern fir das allgemeine Lanvesbefenfionsweien im ſpa⸗ niſchen Erbfolgekrieg aufgebotenen Untertanen, fowie ber längs ber Grenze

290 Anguſt Scäffier,

gegen Tyrol in ben Gebletötheilen ber Klöfer Benedietbenern unb Tegeru⸗ fee vom Jahre 1702 1705 getroffenen Bertheibigunge-Anfalten enthält keinen „Balthafar Mayr“. In der zwölften Corporalſchaft (Kochel) iR wohl ein Melchior Mairgenaunt, aber fein Balthafar. Der Yemi- fienname Mayr hat fih Bis heute in Kochel erhalten. Wo aber fände ch nit der Name Mayr?

es, Derielbe war mit feinen Söhnen bei ber Lanbesbefenfion. ofr. More witzky'e Weberfiht: Georg Hainrizi &. 318. Jakob Hainrizi unb Johaun Hainrizi S. 821. Auch ein Joſeph Hainrizi it ©. 320 als Trompete genannt. Im ber „Spezification“ S. 322 „der Kloſter Benedici⸗ beuerſchen Hausbebienien fo mit Ziel- Rohren verfehen und zu bei Kloftere Guardia verorbnet ſeynd“ if auch ein Heinrich Andrä Dorf ſchmied angeführt.

er Nicht ohne Bedeutung ift es auch, daß fih von allen Namen die ber bl Dreilönige Kaspar, Melchior, Balthafar unter den Kochlern am bäuflg ften finden. So find unter ben von Morawitzky angeführten 52 Mam ber XIL und XIII. Corporaffchaft (Kochel) vier Daun, die „Kaspar“, zwei, bie „Melchior” unb zwei, bie „Balthafar” heißen.

?0) Die zweite Auflage dieſes Vollebüdhleins, bie im Jahre 1849 zu Ange burg in George Jaquets Verlagébuchhandlung erſchienen ift, enthält 3 Holzſchnitte und bat den Titel „ber ftarfe Schmiebbalthes zu Kochel, Fah⸗ nenträger und Anführer der wadern Hoclänber bei dem bayerifchen Volle aufftanb in der Chrifinacht 1705.” Grubers Name ale BVerfafler nnd bie ausführlihe Findungsgeſchichte des Calendermanuſcriptes ift im biefer 2. Unflage weggelaflen. Hat man fih etwa gar geihämt!

71) Wir behalten, wo es immer möglich if, Grubers eigne Worte bei, unb verwahren uns daher ob ber ftellenweife ganz ungenießbaren Diction.

2) ine Epiſode ift noch der Erwähnung werth. Der Hauptmann Gauthier nämlich kommt nach Kocel und übergiebt dem Schmiebbalthes die Fahne, worin die Hand ber fhönen Gräfin Arlko den Kamen Mar Emannel ge- fidt Hatte. ©. 21.

3) Diefem Heren Ntggl, „ber mir fo ſchreibt Gruber in der ermähn- ten Brochüre Seite 38 durch Tiberale Unterftügungen zum Beſitze jo mander koſtbaren Srforfhung im Bereiche ber vaterländifchen Geſchichte⸗ funde verhaff" wird ein fchriftliches Denkmal in bem genannten Büchlein gelegt. Sie mag Herrn Niggl theuer zu fleben gelommen fein.

”%) Gruber fagt, er babe Herrn Bichelmayr, der ungemein viel anf Kirchen- mut und Lectäre gehalten, duch das Geſchenl einer Jugenbfchrift,, umb

En

Die oberbayerifche Sanbesexrhebung i. I. 1705. 201

einiger Begräbnig- Bilder von bem genialen GHoflänger Herrn von Gchneiber freigebig gemadt. ©. 48.

6. 45. ©) Ih Habe mich vergeblich bemüht, berfelben auf bie Spur zu kommen. ”) Lindenfhmitt. Die Eröffnungefeier des Freskobildes an ber Außenwand

der Seublingeriche fanb im Juli 1830 flat. Es if nit unwahr- ſcheinlich, daß Gruber für „Selb“ Lindenſchmitt feine „hiſtor iſche Lüge“ aufbürbete ober erft nach Lindenfhmitt's Bild den Traum zc. fabricirte.

’®) Jet Hotel Maulik (Detzer) in München. 2) Das if ſehr verdächtig. Gruber bat, wie es ſcheint, dieß Mandvre öfters

producirt. So theilt er in ben obengenannten „Maiblümchen“ Geite 119 von einem in Klofter Einfiebeln gefundenen Iateinifhen Manuſcript das dem Titel führen foll: „Speculum Gloriae Teutonicae, posteritati datum cura et opera Patris Willibaldi Oeffele, inceptum anno Salutis Christianse CIJIyIN.“ und das er innerhalb 27 Lagen und Nähten auf 157 enggeichriebenen Kopirbogen abgeichrieben haben will, nur einige zwanzig Zeilen unb zwar beutfch mit. Nicht minder Verbächtiges vergleihe „Maiblümden" Seite 182 fi. u. S. 189 fi.

2) Weil Kochel um bie betreffende Zeit noch Leine ſelbſtſtändige Pfarrei war,

fonbern von Benedietbenern aus paftorirt wurbe, habe id mid nad Be⸗ nebictbenern gewandt, ob vielleicht die in Kochel in ben Jahren 1704 und 1705 Geftorbenen fi im bortigen GSterberegifter füuben. Herr Pfarrer Lihtweis hatte die Güte, das Benebictbeurer Archiv zu durch⸗ fuhen; es fand fih nichts.

) Das Berzeihniß der im I. 1705 bei Sendling Gefallenen

ans der Pfarrei Gmund lautet:

1) Zocham Sebaftian vom Kapflihufter, ungefähr 30 Jahre alt, led.

2) Möringer Blafins zum Hadl in Dürnbad), 50 Jahre alt, verh.

3) Gſchwaudner Sebaftian zum Romhard in Feſtenbach, ungefähr 35 Jahre alt, verb.

4) Leitner Sebafian zum Seppen in ber Gaſſe, ungefähr 20 Jahre alt, led.

5) Reiter Johann zum Kramer in Bernloh, 60 Jahre alt, verh.

6) Faſchinger Quirin zum Graber in Feſtenbach, ungefähr 40 Jahre alt, verh.

7) Mayr Chryſogomus zum Ertl in Finſterwald, ungefähr 22 Yahre alt, led.

8) Bauer Aegid zum Kohlhauf in Dürnbach, ungefähr 36 Jahre alt. verh.

Auguſt Schaffler.

9) Moſer Johann zum Rayrbäck in Dirnbad, 18 Jahre ei, led. 01) Hd5 Joſeph zum Oswald in Finſterwald, 33 Jahre alt, verh. 11) Hohenadel Wolfgang zum Schufter am Graben bei Dürubad, 40 Jahre alt, verh.

12) Buhberger Mathias vom Branbhof, 33 Jahre alt, Tebig.

18) Spangler Johann zum Heiffremer in Durnbach, 64 Jahre alı, verheirathet.

14) Schenaner Wolfgang zum Schäfler in Bernloh, 50 Jahre alt, verh.

16) Auracher Georg zum Knoll am Moos, 23 Jahre alt, ledig.

16) Schußmann Michael zum Schecken in Finſterwald, 50 Jahre alt, verh.

17) Rott Caspar zum Vögl in Finſterwald, 50 Jahre alt, verh.

18) Loferer Caspar zum Echkſchuſter in Feſtenbach, 21 Jahre alt, febig.

19) Steinberger Quirin aus ber Buchleiten, 34 Jahre alt, verh.

20) Erlacher Georg von Öfterberg, 33 Jahre alt, verh.

21) Roboger Quirin zum Wuiffer in Dürnbah, 22 Jahre alt, ledig.

22) Schweiger Abraham zum Paulengel in Bernloh, 40 Jahr alt, verh.

23) Eder Johann von ber Oed, 23 Yahre alt, ledig.

24) Gſchwandner Nikolaus, Knecht zu Partenhaus, ungefähr 30 Jahre alt, Tedig.

25) Wollfchlager Martin zum Sirt in Binfterwald, ungefähr 30 Jahre alt.

236) Gſchwendtner Simon zum Rechenmacher aus bem Bürgthale naͤchſt Bernloh.

237) Pöottinger Michael von Marolbn „obiit ex vulnere Sendün gano 28. Jän. 1706 „et. 24 ann“,

RX.

Ueber die fortſchreitende Entwidlung der geſchichtlichen Stu⸗ dien im Königreiche Neapel von der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bis auf die Gegenwart.

Aus dem Italieniſchen

von

Adolf Beer.

Die Hiftorifche Literatur Italiens ift bei uns in Deutfchland weniger befannt, als fie verbiente. Italien hat im 19. Jahrhundert eine Reihe Hiftorifer anfzuweifen, vie zu ven beften aller Völker und Zeiten gehören. Tüchtigkeit und Gründlichkeit der Forſchung, Licht» volle Darftellung , Begeifterung, ohne die nun und nimmermehr ein bedeutendes biftorifches Werk zu Stande gebracht werben kann, wird ihnen Niemand abfprechen, ver fich die Mühe nimmt, jie näher kennen zu lernen. Es find hervorragende Namen, die zu erwähnen wären, um die fich eine Maſſe Sterne zweiter und britter Klaffe gruppiren. Wenn man noch in den breißiger Jahren der italienifchen Hiftorio- graphie den Borwurf machen Tonnte, fie fei eine Literatur ber Spe- ztalitäten, ohne Mittelpunkt und Kern, wohl ftrogend von Gelehrfam- feit, aber nicht von dem frifchen Hauche bes Lebens, von ben wo⸗ genden Sutereffen der Gegenwart berührt, die höchften und wichtigften Fragen, welche tief in das Leben ber Bölker eingreifen, nicht berückſich⸗

294 Die Entwicklung ber gefchichtlichen Stubien in Neapel.

tigend,, jo hatte man wenigften® theilweife, aber auch nur theilmelfe Recht. Uber ſchon damals ahnten Kenner, baß fich ein anderer Zw jtanb vorbereite und erkannten, daß bie eigenthümlichen politifchden und focialen Berhältniffe Italiens darauf einwirkten.

In den leiten zwei ‘Decennien ift e8 anders geworben. jene zwediofen Differtationen, Monographien, mit denen Italien früher überſchwemmt wurde und bie nur ber Austrud eines engberzigen municipalen und provinciellen Geiftes waren, haben Werken Platz ger macht, vie eine hohe Aufgabe verfolgen: die Fehler und Mängel ver Vergangenheit in's belle Licht zu fegen, um eine beffere Zulunft an- bahnen zu helfen. Das Princip nationaler Freiheit und Selbftftändigfeit burchbringt alle nur einigermaffen hervorragenden Arbeiten und jem Tendenzen, welche in der Politif von den beften und tüchtigften Ita⸗ lienern verfolgt werden, find meift von Hiftoriferu angeregt und ges nährt worben.

Diefelben Einflüße, welche das geſammte Literarifche Leben einer Nation bedingen, machen ſich auch in tem Stubium ber Geſchichte geltend. Dieſe kennen zu lernen und bloszulegen ift ebenfo lohnend als anerfennenswerth. Herr Carlo Ceſſare hat fich der Aufgabe uns terzogen, bie Entwicklung ter neapolitanifchen Literatur zu zeichnen und bat die Nefultate feiner tüchtigen Studien im Archivio storico italiano, einer ausgezeichnet redigirten hiftorifchen Zeitfchrift, 1859 und 1860 veröffentlicht. Sie fcheinen und werth, dem beutfchen Pubs likum vorgelegt zu werten.

Die Ueberfeung, welche wir hier bieten, fchließt fidh im Ganzen eng an das Original an. Nur waren Kürzungen nöthig, und manche weitfchweifige Auseinanderjegung konnte ohne Nachtheil für das Ganze befeitigt werden. Die Briefform, in ber das Original vorliegt, brachte e8 mit fi, daß der gelehrte Verfaſſer fich etwas mehr als nöthig gehen ließ. Einen Brief, ver fich über Vico verbreitet, haben wir gar nicht, ten über Troya nur theilweife überjegt; bie beiden legten Briefe mußten fchon des Raumes wegen beträchtlich gekürzt werben.

Die Verdienſte der bervorragendften neapolitanifchen Hiſtoriler find theilweife auh von Deutfchen gewürbigt worden und bie Urs theile lauten im Wefentlichen mit ven hier gegebenen übereinftimmenb, Gefare und Amari haben an Giefebrecht in ver Zeitfchrift für Ge⸗

Die Entwidlung ber geſchichtlichen Gtubien in Neapel 2%

ſchichtswiſſenſchaft von Schmivt 1345 einen ebenfo gerechten als bmbigen Beurtheiler gefunden und Carlo Troya's Werke hat Hegel in feiner Gefchichte der Städteverfaffung in Stalien gebührend gewürdigt. Nur konnten die Yaltoren, welche auf vie Gefchicht« ſchreibung in Italien überhaupt einwirkten, von unfern deutſchen Hi« ftoritern ald mit ver Aufgabe, die fie fich vorgefekt, unvereinbar, nicht dargelegt werben. Und gerade bieje find es, welde Herr Ce- fare im Auge bat und mit feinem Verſtändniſſe und vichtigem Takte barftellt. 1

Unzweifelhaft gibt es keine Epoche in der Geſchichte der Litera⸗ tur, die fich mit der 2ten Hälfte des 18. Jahrhunderts vergleichen Bunte, fowohl was ten neuen Impuls betrifft, den fie ver europäi— ſchen Cultur verlieh, als vüdfichtlih ver allgemeinen Bewegung, ver Wünfche, Hoffnungen, Uebertreibungen, Schwärmereien. Gleich dem Antäus in ver Babel erbebt fih ein Bolt von Schrift: ftellern und ihnen zur Seite ein noch größeres Volk von Lefern. In allen Geiftern regt fich ein glühenver Durjt nach Wijfen. Und in- dem fie den Weg zu dem beißerfehnten Ziele zurüdlegen, machen fie ungeheure Anftrengungen, wenven fie eine außerorventliche Mühe, eine unausgeſetzte riefige Arbeit an, und werben bierin von einem mächtigen Vereine von Kräften und Beſtrebungen unterftügt, bie in einem großartigen gemeinfchaftlichen Plane fo zu fagen verkörpert find. Es ift eine Umgeftaltung ver menfchlihen Beſtimmungen, eine Entwidelung von früher nicht gefannten Fähigkeiten, ein fertwähren- des Streben nach großen ‘Dingen; furz es ift eine neue Welt, bie erwacht, kühn genug, fih an tie jchwierigften Unternehmungen zu wagen, die Alles zu Stande bringen möchte, und vor feinem Hin- derniffe zurüdweicht, fich vielmehr neue Hinterniffe fhafft, um ben Ruhm zu ernten, fie überwunden zu haben.

Gelrönte Häupter fchließen fich freiwillig viefer großen Bewe⸗ gung an, und Joſeph II. von Defterreich, Friedrich II. von Preußen und Katharina von Rußland feren eine Ehre darein, ihrem Burpur« mantel das befcheivene Gewand des Philefephen und Schriftitellere vorzuziehen. Mit chnifhem Spotte befämpfen Voltaire, Rouffeau, Diverot und die Enchelopädiften an der Seine vie alte Welt; in

296 Die Eutwicklung der geſchichtlichen Studien in Neapel.

Deutſchland kämpfen Kant umb Fichte gleich jungen Athleten; im Stalien fchwingen Beccaria, die Brüder Berici, Genoveſi, Pagano und Filangeri in offnem Kampfe ihre Waffen; Volta, Galvani ımb Brijtley bannen die geheimen Kräfte der Natur, und machen fie bem Menſchen vienftbar; Cook macht feine Runde um die Welt und For- jter wird der Plutarch dieſer Erbumfeglung; Bernarbin de St. Pierre und Anquetil unternehmen und vollenden ihre merfwürbige Pilger fahrt; und Franklin, ver ven Blik in Feſſeln legte, bringt feinem fernen Vaterlande den Gruß Frankreichs.

Aus diefer allgemeinen geiftigen Gährung, aus tiefem kühnen Wettlampf von Gedanken und Beitrebungen, tiefen Studien und Leidenfchaften, drängenden Zweifeln und Hoffnungen, aus bie jer in Zerfall und Auflöfung begriffenen alten Welt, treten bie Keime neuen Lebens, neuen Wiſſens, neue Kräfte an’s Licht, bie den Bildungsftoff einer neuen Welt enthalten.

Während fo das gelehrte Europa in Studien vertieft war und die neuen Ideen, die jich alsbald in Thaten umzuſetzen ftrebten, alle Semüther ergriffen, während die großen Geifter damit befchäftiget waren, bie lebende und jichtbare Natur zu erforjchen, eine neue Ord⸗ nung der Dinge zu ſchaffen, wie hätten jie ihre Mühe und ihre Studien ver Vergangenheit, der tunfeln, verworrenen, unfichtbaren umd ungewijfen Vergangenheit zuwenden follen? Die Zeit ves Handelns ift nicht die des Berichtens. Daher erfchien die Geſchichte in ver 2ten Hälfte ded 18. Jahrhunderts den Repräſentanten des nenen handelnden Gedankens ald eine einfache wiljenfchaftlide Summlerars beit, als ein Zeitvertreib für mittelmäßige Talente von unfruchtba- rer Gelehrſamleit.

Die Zähigkeit, mit der man an den neugejchaffenen Syſtemen fefthielt war fo groß, daß die Enchelopätiften im Gefühle der Roth wendigfeit mit der Vergangenheit und ben aus derſelben überkomme⸗ nen Kinrichtungen zu brechen, die Gefchichte mit lauter Stimme für etwas Unnüges erklärten; Alles müjje von Neuem angefangen werden, die Menſchheit habe lange genug in ben Zuſtänden der alten Barbarei, ver Beſiegerin ber römiſchen Republik gelebt. "Die felben alten und gemeinen Wiſſenſchaften,“ ſagten fie mit Campa⸗ nella, machen bie Achtungswürdigfeit der Menſchen geringer.

Die Entwidlung ber geſchichtlichen Studien in Neapel. 297

Daber beten vie Geſetzgeber ven Volkern Neues und Merk⸗ mwärbiged. Denn neue SDoctrinen machen ben Fürſten bewunde⸗ unge» unb actungswürdign.

Während fie das Paradoxon von der Nutzloſigkeit der Geſchichte prochamirten, während fie fich mit Abfcheu von allem Ueberlebten und VBerzangenem abwandten, geberbeten ſich fpäter die Männer des Nas ttonalconvents in ihrer Kleidung und in ibren öffentlichen Reben gan; wie bie alten Römer, und viele wollten Paris nad dem Zur fchnitte des alten freien Rom ummobeln, ohne auf bie Zeit, ven Drt, und die Bedingungen des menfchlichen Geiſtes Rückſicht zu neh⸗ men. Kin lehrreiches Beiſpiel, wie Lebereinjtimmung in den Aus fhauungen, bei gleichzeitiger Berjchievenheit in Sitten beftehen Tann. Denn alle Geifter an der Seine waren gleicher Meinung über vie Auslofigleit der Gefchichte, welche ihren Plänen zur Umgeftaltung des wijjenfchaftlichen und fecialen Lebens nicht förberlihd war. Man führe uns nicht die Schriften des Marquis d' Argens, Condorcet's und Anderer ald Gegenbeweis an, denn vie nene und kühne Nich- tung, welche tiefe großen Talente rer Gefchichte des Menſchengeiſtes gaben, befräjtigen und bejtärfen vielmehr meine Behauptung über ben Umfturz; des Alten. Ja das Uebergewicht ter neuen Ideen war ſelbſt ein Hinderniß für die Verbreitung der Lehren Vico's, ber in der Gefchichte einen neuen unbelanuten Weg einfchlug, der in ber Folge von ten vorzüglichiten Geijtern in ven erften Jahren unferes Jahrhunderts verfolgt und in ein helleres Licht geſetzt wurbe.

Indem vie Jtaliener, an der rajchen allgemeinen wiifenjchaftlichen Ent⸗ widlung, die damals in Europa vor jich ging, und felbjtim entlegenen Ame⸗ rifa einen Wiederhall fand, theilnahmen und jie unterftüßten, ließen fie die Gefchichte außer Acht, fo daß dieje fange Zeit hindurch jeder Förde⸗ rung entbehrte. Und was das Stönigreich (Neapel) betrifft, da wa⸗ ren alle Köpfe begeiftert von Antonio Genoveſi, dem Wiederberfteller der öconomijchen und philofophifchen Disciplinen,, hing Alles an den Lippen des Vario Pagano, der mit größtem Scharffinne die kühnften philofophifhen und politifchen Theorien, als Hanptgrundzüge der bürgerliden Ordnung und tes Brivat- und öffentlichen Nechtes aufs ftelte; horchte Alles mit Sefpanntheit auf die edle und berebte Sprache des Gaetano Filangeri, ter eine ideale Geſetzgebung con-

298 Die Eutwiclung ber geſchichtlichen Stubien in Neapel.

fteuirte und bieburch zu lobenswerthen Reformen aufmunterte ; ſuchten alle Belehrung in den Schriften des Filippo Briganti, Giufeppe Balmieri, Ferdinando Sagliani, Domenico Eicillo und vieler anderer verzäglicher Autoren, die mit ben Genannten die Umgeftaltung ver pbilofophifchen, ölonomifchen, politiihen, phyſikaliſchen, mebizinifchen und chemifchen Wilfenjchaften anjtrebten, und feiner fühlte das Be bürfniß, fich an das Vergangene zu erinnern, ja man verfchmähte es, fih erntlih damit zu befchäftigen. Allein die alten Gelehrten, ges reizt burch foviel Zurüdfegung, blieben nicht ruhig, daher erjchienen wohl niemals fo viele Gefchichten von Kirchen, Klöjtern, Stäpten, Dörfern und Ländern, in ven neapolitanifchen Offizinen, als eben in der 2ten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Allein dieſe Gejchichten wa⸗ ven das, was fie in foldhen Händen fein mußten, ungeorbnete Zur fammenjtellungen von unwichtigen Begebenheiten, welche durch bie befchräntte Anfchauungsweife des Erzählers zu großen und ungerecht fertigten Ereigniffen, zu glänzenden Unternehmungen und denkwür⸗ digen Unglüdefällen erhoben wurven , oder Anefootenfanmlungen von glüdlichen oder unglüdlichen Königen, Helven u. dgl. Diefe Dinge wurden jtet® in einem tragifchen Style vorgetragen, der, je dunkler er war, befto mehr als dem Tacitus Ähnlich angefchen wurde und ben Beifall des Hiftoriferd erwarb. Ueberhaupt befchäftigte fich bie Gefchichte vornehinlih mit den höhern Schichten ver Gefellichaft; lobte vie todten Fürjten, ohne bie Lebenden zu beleidigen, denen man ſchmeicheln mußte, fie mochten noch jo ſchlecht fein, machte ſich in je ber Beziehung den Herren angenehm, und vernachläjjigte ven namen- Iojen Pöbel; fie ftand weiter in feinem Zuſammenhange mit der ges ſammten Menfchheit. Nichts deſto weniger müjfen wir, um gerecht zu fein, viele Ausnahmen gelten laffen, welche mehr als die Ges ſchichtswerke im eigentlichen Sinne, gelehrte Arbeiten über wichtige Documente darjtellten, oder Erzählungen minder bekannter That⸗ ſachen, welche das intellectuelle, politifche , gefchäftliche und bürger- liche Leben ber ältern Bewohner der jürlichen Gegenten Italiens ober der Provinz Apulien und Sicilien betreffen.

Bor allem Andern heben wir eines ver gelehrteften Werke rüh— mend hervor, welches in jener Zeit bei ung erfchienen ift, es ift das Wert des Aleſſio Simmaco Mazzochi über die Bronzetafeln,

Die Entwicklung der gefhichtlichen Studien in Neapel. 299

welche in der Gegend bes alten Heracler') gefunden wurbden. Sn ver Einleitung und in ven Collectaneen ſpricht ber berühmte Verfaſſer von dem Urſprunge der Städte Siri, Eraclea, Tarent, Metapont, Sybaris oder Turio, Sybaris II oder Lucia und Lupia, Canlonia, Reggio, Bibone, Belia und Peſto, und fördert, ihre Wappen erflä- rend, viel Unbekanntes zu Tage, heilt manches Dunkle auf, und rechte fertigt Vieles, was geläugnet oder nicht angenommen wurde, und leiftet auf dieſe Weife der Gejchichte des alten Großgriechenlands wichtige Dienfte.

Giuſeppe Antonini behandelt den alten Staat Lucania?) bis zu Ende des Bürgerfrieges, ver mit Verleihung bed römifchen Bürgerrechtes fchloß; ferner die Gefchichte fpüterer uns näher liegen» ver Zeiten, wie auch deſſen geographifche Eintheilung, Grenzen, Ge- birge, Flüſſe, Meere, Injeln, Städte, Schlöffer, berühmte Männer und vorzüglihe Probulte.

Serrafino Tanſi erzählt tie Gefchichte des Kloſters zum Erzengel St. Michel in Wontefcagliofo, und fein Buch verfchaffte ſich troß der fchlechten Schreibart eine gewiſſe Wichtigkeit, durch die Beräffentlichung von 24 Karten, nebft Diplomen und päpftlichen Yullen von 1065— 1231, die viel Licht über die Gefchichte unfrer Rormannifchen Fürſten verbreiten’).

Francisco Saverio NRofelli veröffentlichte bie »Grumentiniſche Geſchichte⸗); Bita Giliberti die Unter«

!) Commentarii in Regii Herculanensis Musei aeneas tabulas Heracle- enses Neapoli 1754, tom 2 in fol

?) La Lucanis. Napoli 1745 in 4. Diejes Werk erſchien zuerſt ao. 1745 und wurbe 1750 in einer vermehrten und verbefjerten Auflage, vom Berfafler ſelbſt beiorgt, wieder gebrudt ; eine britte Anflage erichien nad dem Tode bes Autors im Jahre 1795, und bie Ate 1817.

?) Historia chronologica monasterii S. Michaelis Archangeli Montisca- veosi, Congr. Casin. Ord. 8. Benedicti ab a 1065 ad a. 1484 ex ejusdem monasterii tabulario depromta. Accessit series genealogica Prinecipum benefactorum monasterii ex Nortmannica Altavilana stirpe deducte. Neapoli 1746 in 4. (ein jehr feltenes Buch).

) Btorla Grumentina. Napoli 1790 in 8.

Oißerikäe Beitfäeift VL Band. M

800 Ueber die Entwicklung ber gefchichtlichen Gtublen Im Neapel. fuchungen über das Vaterland des Lucan!); „Placido Troyli bie

allgemeine Gefchichte des Königreichs Neapel*)», welche viel

berfpruch erfuhr“); Natale Maria Cinaglia «die Venufſiniſchen Antiquitäten '), worin der Verfaſſer behauptet, die Stadt Venofa fei von den Umpbriern gegründet, dann von den Pelasgern befeffen, ſpa⸗ ter von den Samnitern eingenommen worten und fchließlich in ben Befig der Römer gerathen, welche jpäter eine dem Stamme ber He ratier zugefchriebene Kolonie darin anfievelten; in demſelben Werke werben auch vie Schidfale ver Stadt und ihrer Behörden, ver Handwerlerinnung, bes Theaters, der Kirchen, des Appifchen Weges und der Veberrefte aus dem Alterthum, welche vafelbft bewahrt wer ben, erzählt und viele Inſchriften mitgetheilt; er ſpricht ferner von ber Lage der Stabt, deren Ausdehnung, ver Fruchtbarkeit ihres Be dens, ihrer Zerftörung burch die Sarazenen und von ihrer Wicher beritellung zur Zeit Kaiſer Ludwig's II. Diefem Werke fchließt Rd eine Schrift von Michelangiolo Lupoli an, welche viefelben Dinge behandelt; nur daß noch einige Briefe über die Venufinifchen Schrifb fteller und über das Leben des Horaz hinzukommen °).

!) Ricerche sulla patria di Ocello Lucano. Napoli 1790 in 8.

?) Storia generale del Reame di Napoli, Napoli 1748 1754 in 4. 5 Theile in 11 Bänden.

2) Unter andern auch von Antonio Zavarroni „Das Borbanbenfein und bie Giltigleit ber von ben normännifchen Fürſten, ber Cathedralkirche von Tricarico für das Gebiet von Monte muro und Armento bewilligten Privilegien, gegen bie An- griffe der modernen Kritiker vertheibigt” Neapel 1749 in A. und Giuſeppe Palmieri welcher in Form eines Briefe an 8. Gerardo de Angelis eine „Dilfertation über das Vorhandenſein und bie Giltigkeit ber von ben normännifchen Fürften ber Kirde von Triaerico gewährten Privilegien” Neapel 1751 in 4. ver

öffentlichte.

*) Antiquitates Venusinae tribus libris explicatae. Neapoli 1757 in 4.

*) Iter Venusinum vetustis monumentis illustratum. Neapoli 179 .. in 4.

Die Entwickinng ber geſchichtlichen Studien in Neapel. 301

Domenico Tata handelt von ven gefchichtlichen Ereigniffen ver Rbte: Venoſa, Lavello, Melfi, Rapolla und Barife, und theilt viele imifche und hebräifche Inſchriften aus dem 8. Jahrhundert mit'). aucefcantonio Grimaldi veröffentlichte die „Annalen bes sigreiches Neapel⸗, welche jpäter vom Abbate Ceftari?) fortge- E wurden. Domenico Forges Davanzati eine „Difjertation 7 die zweite Gemahlin des Königs Manfred und ihre beiden Sin- =>), verſehen mit vielen aus dem Archive ber erzbifchöflichen che feiner Vaterſtadt Trani gezogenen Documenten ; Giufeppe aria Salanti feine „neue hiftorifch - geographifche Befchreibung ver Sicilien“ *); der Marcheſe Spiriti die „Memoiren der Co⸗ tiniſchen Schriftfteller” °); Lorenzo Ginftiniani die «hiſto⸗ Sen Memoiren der Schriftiteller über Reichögefetfunbe” *); der Ab- e Soria bie nhiftorifch » kritifchen Memoiren der neapolitanifchen fdyichtfchreiber” ’); Antonio Xobovico Antinori bie „hifteris en Memoiren ver brei Provinzen ver Abruzzen‘), welde, ob» th nur eine unvolllommene Sammlung gefchichtlicher Notizen ohne dnung und Zujammenhang in fchlechter Schreibart, dennoch theil- üfe Bervienftliches enthalten.

Unter all’ viefen Schriftftellern (und fie find dic befferen) fin- m wir nicht einen ausgezeichneten, gefchweige einen vollfommenen leſchichtſchreiber, wenigſtens keinen folchen, der die gefchichtliche Wif-

') Lettera sul monte Vulture. Napoli 1778 in 8.

) Annali del Regno di Napoli. Napoli 1778 in 8.

2) Dissertazione sulla seconda moglico del re Manfredi oe su’ loro figliuoli. Napoli 1791 in 4

*) Nuova Descrizione storica egeografica della Sicilie. Napoli 1787 17%. 4 vol. in 8.

®) Memorie degli scrittori Cosentini. Napoli 1750.

6) Memorio storiche degli sorittori legali del Regno. Napoli 1787 1788 vol. 3 in 4.

?) Memorie storico - critiche degli Storici napolitani. Napoli 1782.

®) Memorie storicho delle tre provincio degli Abruzzi. Napoli 1781 1782 e 1783. Vol. 4 in 4.

a *

502 Die Entwidiung ber geichichtlichen Stubdien im Menypel.

fenfchaft wirklich geförvert, oder der Gefchichte eine neue Bahn eröffne bätte. Wohlgab es unter ihnen männliche Geijter und tiefe Köpfe, allein fie verftanden es nicht, fi) von ver Gefchichte einen rechten Begriff zu bilden, und daher vermijchten fie tie Glemente verfelben,, das ne türliche und urfprüngliche Streben, vie erften Urſachen ver Creiguifke fennen zu lernen, mit ben antiquariichen und philelogifdhen Studien, die mit der Gelehrſaukeit verknüpft fine. In der That mmßte ſich auch in einem Lande, wie in Neapel, voll alterthümlicher Erinnern⸗ gen und befäet mit Ueberreften alter Denkmäler und Ruinen und is jener durch tie Entdeckung ganzer ausgegrabener Städte bereicherten Zeit, eine Vorliebe für die Alterthumskunde geltend machen, und p den ernfteften Forſchungen auf dem Gebiete ver Philologie auffer- bern. In jener Zeit hatten wir fehr gelehrte Männer, weldye bie Welt rücfjichtlich der Alterthumskunde verwirrt machten, aber die ven Giacomo Martorelli, Niccolo Ignarra, Michele VBargas - Macciners und vor allen Antern von Alejfio Simmaco Mazzochi geärnteten Kränze verdrehten den ausfchließlich der Gefchichte gewidmeten Mär nern vollends den Kopf, und anftatt fich den philojopbiichen Studien und der „neuen Wiffenfchaft” zuzuwenden, verlegten fie ihren gamzen Fleiß auf die Kenntnig der orientaliichen Sprachen, um geſchicht⸗ lide Marmortafeln, alte Vaſen und Inſchriften zu erklären, aus denen fie die Thatfachen fchöpften, welche ſodann als weſentliche Momente zur Abfaffung von Geſchichtswerken dienten. Diefe That fachen jedoch waren oft die Propucte ihrer vorgefaßten Weinungen und fühnen Gonjecturen, vie nicht felten von Anderen geläugnet wur den. Daher find unſere Gefchichtfchreiber aus ver 2ten Hälfte des 18. Jahrhunderts nicht einmal von Seiten der Wahrheit ihrer Aut einanderjegungen ſchätzenswerth.

Cine Blüthezeit ver Hiftoriographie war aljo das 18. Yahrhuw bert nicht; Hingegen war es eine Epoche der Neugeftaltung in jever Beziehung. Der Rüdblid in die Vergangenheit, ohne dieſelbe ber Gegenwart gegenüber zu halten und die Zukunft vorberzufehen, war fein Fortſchritt, und daher mußte jede gefchichtliche Arbeit, felbft in den Händen eines Giacinte Gimma, der in ber italienifchen Literatur: gefchichte Tiraboſchi die Bahn vorzeichnete, und eines Giambattifta (x paffe, der in der Art die Gefchichte der alten und modernen Philoſophie

Die Entwidiung ber geſchichtlichen Studien in Neapel. 8083

reiben Brnder’s Wegmeifer ward, ihren Zweck verfehlen, und hin⸗ rm Ziele zurücdbleiben. Die Einzigen, die noch in gutem An⸗ s fieben, bie einzigen, welche troß ihrer Irrthümer und ihrer afamen falfhen Richtung alle übrigen Generale und Spezial« üchtfchreiber jener Zeit überlebten, waren Carlo Bechia und yele de Jorio. Der Erjtere handelt mit gefunver Kritik und Ge Heit von unfern Geſetzen und Gerichtshöfen, ber letztere erzählt zeſchichte des Seerechtes. Allein ſowohl in jener durch den Tod Zerfaffers unvollendet gebliebenen, als auch in dieſer Geſchichte De Jorio findet fich ein gemeinfames Band, das auf bie neuen mungen jener Zeit binweift und bas ift ihre Hinneigung zu angeitrebten Reformen und ihre Hoffnung auf deren Verwirkli⸗ 1; das war genug, ihren Ürbeiten den Erfolg zu fichern, fonft w auch fie gleich dem übrigen Troß heutzutage vergeffen und un- an). Nachdem die große und mächtige Schule des Genovefi, des wah- krlöſers der italienifchen Geifter aus den Irrlehren des Epicu⸗ Gaſſendi zerftreut war; nachdem jene eble Richtung des Den- aufgehört hatte, welche die Philofophie als das oberjte Princip vernünftigen Erklärung, als bie Regel eines wohlgefitteten Le— betrachtete; nachdem jene Wiffenfchaft der Politit vernichtet welche von dem Grundfage ausging, daß die Bedingungen bes ichen Lebens nicht fowohl durch gewaltfamen Umfturz, als viel- "auf vem Wege friedlicher Reformen auf dem Felde der Gefet- ıg geändert werben müſſen; nachdem jene großartige ſtaatsöko— ſche Entwidlung geſchwunden war, welche vie Lehre vom Ger wohl mit allen Zweigen des menfchlichen Wiffens zu verknü⸗ ‚, and auf das moralifche und ftaatliche Leben der Nationen zu m ftrebte; mit einem Worte, nachdem jene große Bewegung, umermübdliche geiftige Xhätigleit, welche der Stadt Neapel in je- Tagen ben Namen des italienifchen Athens erwarb, aufgehoben nachdem das Handeln aufgehört hatte, begann das Erzählen *, und mit größern Fehlern als je zuvor. Das Land wurde

Des Bud Jorio's if in mander Beziehung auch heute noch branchbar.

504 Die Entwidiung ber gefhichtlichen Gtubien im Reapel

von Scribenten überſchwemmt, bie ſich's zur Aufgabe machten, ben Ur fprung und bie Chronik dieſer ober jener freiberrlichen Familie, bier ſes ober jenes Großen, ober irgend einer Sirche, eines obfenren Dev fes oder Ländchens zu verherrlichen; und Alles wurbe von ben Gries chen und namentlich von Diomedes abgeleitet, als hätte er allein das Land mit Städten und Orten befäet.

Die Unkoſten diefer ganzen wirren Maſſe von Gefchichtchen um fabelhaften Mittheilungen über Land und Leute beider Sicilien tr gen die beiden gefchichtlichen Werke, welche Pietro Napoli Signe relli veröffentlicht hat, das eine über die Eultur der Völker bes ganzen Königreiches ') und das andere über die alten und modernen Thea⸗ ter ), Arbeiten, welche, obgleich mit edlem Eifer und mit einem Auf wanbe von ungewöhnlicher Gelehrſamkeit gefchrieben, doch weit hinter ihrer Aufgabe zurücblieben. Im verfloffenen Jahrhunderte war ber alte Gedanke wenigftens gut dargeftellt, und überaus gelehrte Leute unterftüßten bie Erzählung ver Thatſachen durch die Wiſſenſchaften, und fchöpften neue früher dunkle und unbefannte Facta mit Hilfe ver Alterthinnstunde aus Inschriften in Steinen, alten Monumenten, ans andgegrabenen Städten, aus Papieren, Kalendern und aus ben Ge fegen der urjprünglichen Befiter diefer Landſtriche. Daher drang ber Name eines Mazzochi durch das gunze gebilbete Europa, und er warb feinem Träger und deſſen Vaterlande die höchſte Ehre. Allein nach den Kämpfen von 99, während ter eriten 15 Fahre unferet Jahrhunderts blieben die Wieteraufwärmer ter alten Gejchichten und die obſeuren Erzähler der Ereignijfe ihrer Zeit, ſelbſt was bie Wahrbeit und die Auswahl betrifft, weit hinter ihren gelehrten Bor gängern zurück.

Nach einer denkwürdigen Epoche, in welder Athleten kämpften,

Vivende della colturs delle Due Sicilie. Napli 1793. Die reikiz- drsſte Auegade in die von ISIO 22d 1811.

N Storia eritiea de’ tearri antichi e mwierri Die erte Urs in x Seden rise 1ESD, init werifentidee Der Bertarfter zer Arzt Addisioni un 3 15389. Die eeikictiste Aussıe ı8 Ne wen Iahır 1513 ım I tom.

Die Eutwiiung der geſchichtlichen Studien in Neapel. 305

man, nachdem biefe wieber verſchwunden und bie wenig übrig benen Helden in Schweigen gefunten find, gewöhnlich ein Heer Zygmäen erſtehen, welche gleich einer gemeinen Inſektenſchaar pen Leib eines großen Mannes berfallen und ihn über und über ben. Das geſchah auch in Stalien nach den blutigen Ereig« von 99. Die ebſcuren und obumächtigen Gefchichtfchreiber ver x und Länbchen, der Kirchen und Beiligthümer, anftatt die Ges e, die fie fi zur Aufgabe gemacht hatten zu fchreiben, fpran- om einem zum andern über, und ergingen fich in gemeinen ädungen gegen die Kämpfe bes Vaterlandes, und ließen ihren echtigten Zorn aus gegen das eigene Land und das heilige An⸗ ı unglüdlicher aber edler und großer Männer. Höchſt entrüjtet über biefe Pietätlofigfeit und vielleicht aus einem ten Grunde beeilte fih Melchior Delfico den alten und s Bararoriemus von der Nutzlofigfeit ver Gejchichte zu behaup⸗ Viele glaubten, der berühmte abbruzzifche Schriftjteller habe, loßem Zeitvertreibe, dasjenige wieder geltend gemacht, was einige Wide Enchelopäbiften über dieſen Gegenſtand bereit8 angedeu⸗ sten, und Manche machten ihm dieſes in mehrfacher Beziehung Borwurfe. Delfico hat wahrfcheinlich fein Wert in der Abficht ieben, jenem muthwilligen Schwarme von Kirchthurm⸗Geſchicht⸗ yern Einhalt zu gebieten, welche felbjt das Anſtandsgefühl ver« das boch jedem Schriftfteller innewohnen follte. Indem er eine ige Geſchichte als unnütz tarjtellte, legte er die Art an die Wurzel ſchädlichen Pflanze und raubte ihren Pflegern ven Kikel, ſich einen ı zu erwerben. Daburh gewann zwar das Paradogon im be nichts an Wahrheit und Berechtigung, allein der berühmte des Autors, der bereits fo viel Licht über jtaatswirtbfchaftliche ıftände verbreitet hatte, die Sonderbarkeit ber entwidelten Theo⸗ nd bie große Oppofition, welche ‘Delfico’8 Werk hervorrief, hat: nen mächtigen Einfluß auf den Abjag tes Buches, welchem in burzer Zeit bis zum Enbe 1814 die Ehre wiberfuhr, 3mal egt zu werben.

Pensieri sulla storia e su la incertesza ed inutiliti della medesima del cavalier Melchiore Delfico. dte Ausgabe Napoli 1814.

806 Die Entwidiang ber geſchichtlichen Stubien in Neapel.

Unter fo viel obfeuren Namen und Werken, mangelte es dennoch nicht an einigen gefchichtlichen Arbeiten, die eine rühmende Erwähnung verbienen, und geeignet find, die Ehre der Talente dieſes Theiles von Stalien zu retten. Lorenzo Guiſtiniani fanımelte ein werthvolles und feiner Zeit fehr gefchättes Dizionario istorico - geographico, welches troß vieler Irrthümer und Anachronismen immerhin eu beachtenswerthes Werk bleibt '). Es war und ijt noch Beute bie Duelle jener Stabtchroniffchreiber, welche ohne irgend eine Kritit und Her meneutik anzumenden alle Fehler, felbft bie falfchen Daten die in die volumindfen Werke Giuſtiniani's ſich eingefchlichen Haben, blindlinzt nachfchreiben.

R Emmanuele Biggiano veröffentlichte die Memoiren ver Stabt

Botenza, heute die Hauptſtadt der Provinz DBafilicata’), worin e zuerft die alten Lucaner und ihre Schickſale beſpricht und hierauf zu Geſchichte der Stadt übergeht, die Reihe ihrer Bifchöfe, ihrer Vaſallen und berühmten Dänner aufzählt, ihren Zuftand befchreibt, und fchließ lich einige antike potentiniſche Marmordentmale erklärt.

Nicola Vivenzio fchrieb „bie Gefchichte des Königreiche Neapela?). Er hatte Diamone vor fi, fo daß feine Arbeit, bei aller Vortrefflichkeit einzelner Theile, mehr eine Rechts⸗ als eine Civil⸗ Geſchichte geworben ift.

Am meilten beachtenswerth jedoch ift der hijtorifche Verſuch über bie neapolitaniiche Revolution von 1799°), verfaßt von Vicenzo © oco, dem neuen italienifchen Zacitus. Coco gehörte jener heiligen Phalanx von Männern an, weldhe im 18. Jahrhundert fi vurd Gelehrfamfeit und Talent auszeichneten.

Wie aus den Annalen, aus ven Gefchichtsbüchern, und dem Leben Agricola’8 von Tacitus, fo tönt und bisweilen aus den Erzählungen des ernſten und feierlichen Erzählers der Schidfale Neapels ein Ton tiefiter Trauer entgegen; und fo fehmerzlich er über ven Sturz ber

') Dizionario storico-geographico ragionato del Regno di Napoli 1797— 1805. 10 vol. in 8.

!) Memorie della citta di Potenza Nap. 1805 in 4.

3) L’istoria del Regno di Napoli. Napoli 1816 in 8.

*) Baggio storico su la rivoluzione napolitana del 1799. Milano 1809 in 8.

RE Te

Die Entwiiung ber geſchichtlichen Gtubien in Neapel. 807

Ordnung Hagt, fo tröftlich ift ihm die Erinnerung an bes Vater» 8 Intelligenz, feinen Ruhm, und feine beroifche Tugend, von yer er auch in einer andern Schrift, worin er bie Sitten unb bie Seit der alten Italioten ver großen Welt befammt machte‘), mit u lebhaften Anfptelungen auf die Gegenwart unnachahmliche Bei⸗ e bringt.

Aehnlich den großen Gefchichtsfchreibern der griechifchen und nifchen Welt Herotot und Tacitus hielt fih auch der Bürger Eivita Campomarano von pfüchologifchen Wbftractionen fern. Er whtet die Dinge in concreter Weife, unb wo er das Ideale bes eilt, da Heidet er es tet in die Form der wirklichen Gegenwart. er ift Coco der Teste Hiftoriler, ven man ven hoben Geiftern antilen und bellenifchen Welt anreihen Tann und darf, welche bür⸗ che orer praftifche genannt werben könnten, da fie an ven Staats⸗ men einen thätigen Antheil nahmen, oder doch zu nehmen würbig a, wenngleich äußere Urfachen fie an dieſer Theilnahme binberten.

II.

Bon 1734 bis 1821, während eines Zeitraumes von 80 Jahren, das Königreich beider Sicilien ver Schauplag großer Thaten und ufchvoller Ereigniffe, die von Umſtänden eingeleitet, begleitet und (gt waren, bie bei andern Bölfern Europas ungewöhnlich find. plicher Wechjel der Dynaſtien, Regierungsformen, Gefetze, ber te und der Sitten; Kämpfe zwifchen Heeren und Völkern auf ſem Felde, wie auf öffentlichen Plätzen, innerhalb wie außerhalb igenen Gebietes, Umgeftaltungen in ver Denk- und Hanblungsweife, a Wiffenfchaften und in der Literatur, in ber Gefeßgebung und Ver- ung, in ben allgemeinen Angelegenheiten und in den Yamilien, uner« bare Beifpiele von Muth, Tugend, Wiffen und Heroismus, neben Hörter Feigheit, Inconſequenzen, Widerſprüchen, Irrthümern, cath und Verbrechen; unbezähmbare und ſtets wachſende Frei⸗ zbeſtrebungen, an bie ſich jedoch extreme Parteiſucht und Ri—⸗ tät ſchloß, und denen blutige Saturnalien, Hinrichtungen, Proſecri⸗

Platone in Italia, Milano 1806 vol. 8 in 8.

308 Die Entwicklung der gefchichtlihen Etubien in Meapel.

birungen und allgemeine Kämpfe folgten; vie wiberfprechenbiten Echid> fale und Erfolge, unerklärliche Widerfprüche in dem @ebahren ber politifchen und militärifchen PBerfönlichkeiten, der Fürften und Regie⸗ rungen, ber beligen und Plebejer; unerwartete Invaſionen und Die naftienwechfel, falfche DVerfprechungen und Verfpottung verrathener Völker; außerdem fchredliche Vulfanausbrüche, Erbbeben, welche ganze Provinzen verheerten, zur Verzweiflung treibende Theuerung, allge meines Elend und Seuchen: das find die Huuptereigniffe, bie in we⸗ niger als einem Jahrhunderte gefchehen find. Alle diefe Thatſachen hatten in dem Bewußtfein zeitgenöjfifcher Gefchichtfchreiber Teinen politifhen und rationellen Werth, und mit Ausnahme Euoco’8 verftand es feiner währen beinahe eines Jahrhunderts, vie entfernteren That fachen aufzufuchen, und fie in nationalem Sinne, mit echt italienifchem Gefühle und mit einer Einheit in der Anjchauung der unendlichen Mannigfaltigkeit ver Thatjachen und Wechjelfülle, auseinanderzufegen. Einige glaubten, wenn die Dinge gewilfenhaft auseinandergefegt wür⸗ ben, fo würden fie von jelbjt reden, ohne einzufehen, daß fie nur Falſches reden müffen, wenn ben Thatſachen, fo gewiffenhaft fie ges fohrieben fein mögen, falfcye Urfachen zu Grunde gelegt werben. Andere begnügten fich mit einer Beredtfamfeit ohne Lebenswärme und Begeifterung, und während fie die großen Mufter des Alterthums an biftorifcher Beredtſamkeit übertroffen zu haben glaubten, häuften fie bloß pompöfe, unfruchtbare und leere Bagatellen aufeinander. Zudem hatten die blutigen Thaten einer fchredlichen Vergangenheit, die noch friſch im Untenfen der chnmächtigen Gefchichtfchreiber lebten, fie fo ſehr eingefchüchtert, daB fie fogar vorfüglich logen; auf dicfe Weife hörte die Gejchichte fogar auf, das zu fein, was fie ihrem Namen nach jein muß, und wurde ein unverbauter Roman. Gin allen fehlte das logiſche Band, welches felbit die verjchievenartigften Theile zu einem Ganzen verbindet, in allen das Nationalgefüpl, in allen vie wahre Idee des Baterlantes, denn darunter verftand Jeder bie Stat, das Ländchen oder das elende objcure Dorf, in welchem er geboren war, unter Nation das Land, und Stalien hießen die centralen und fubalpinifcgen Staaten ter Halbinfel. Nicht wenige fahen im König- reiche zwei befondere Nationen, die Sicilifche und die Neapolitanifche, und juchten in offenem Hader die Herrfchaft ver einen über bie

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Die Entwicklung ber geichichtlichen Studien in Neapel. 809

entre geltend zu machen. Die municipalen Jämmerlichkeiten alſo biſdeten in jeder Hinficht die Grundlage und den Ausgangspunkt aller unfrer Geſchichten.

Allein nach dem großen Handel der Völker in Wien i. %. 1815, nachdem Italien als ein erobertes Land betrachtet worden war, bloß weil es nichts gethan hatte, um das franzöfifche Joch abzufchätteln), nachdem Defterreich zur alten Lombardei auch das Veltlin und Venetien webft dreihundert Meilen Seeküfte hinzugefügt hatte, und durch Befegung

der Throne von Toskana, Modena und Parma mit verwandten Prin- zen, feine Herrſchaft auch über Mittelitalien ausgebehnt hatte; nachdem vie alte und die von den Yranzofen in die Halbinfel gebrachte neue Ordnung abgefchafft, die alten italienifchen Einrichtungen ale für ben Frieden Europa’s gefährlich erklärt worden waren und Vorurtheile an die Stelle liberaler Zwecke traten, da merkten die evelften Geifter den Scharen, welcher aus dem Municipal:Wefen und daraus entjtan« ben war, daß auf ber Halbinfel ein Staat dem andern gegenüber als Ansland galt. Nun begannen Literaten und Dichter von Italien zu fprechen, über deſſen Knechtung durch die Fremden zu Hagen, und ber nenen Richtung ber Literatur entfprechend bildete fich vie öffentliche Meinung; allein die Parteien fuhren dazwifchen und verbarben Allee. Unter den Auſpicien des berühmten Grafen de Maiftre bildete fich vie Geſellſchaft der Sanfediſten, welche ſich Guelfen nannten und deren Streben tabinging, ganz Italien unter der Oberherrichaft bes Papftes zu vereinigen. Die Liberalen hingegen, welche von ver ent⸗ gegengefeßten Partei Ghibellinen genannt wurden, ftrebten tahin, ven Sapit feiner Gewalt zu entkleiden, und Italien frei und unabhängig zu machen, unter dem Scepter besjenigen Fürſten, ver für dieſe Ideen impfen wärbe; bie unglüdjeligen Kämpfe ver Parteien erneuerten die alte Feinpfchaft zwifchen ven Söhnen einer und derfelben Miutter and riefen durch bie unüberlegten Aufftände von Neapel und Turin neues Weh, neue Proferiptionen und neuen Sammer über Italien herbei.

Diefe Bewegungen jedoch galten als ein feierlicher Proteft gegen vie Verträge vom Jahre 15, und wären von noch größerer Wirkung

N) Worte Lorb Caſtelreagh's im engl. Parlamente 20. Märy 1815.

810 Die Entwicklung der geſchichtlichen Gtubien im Neapel.

gewefen, hätten nicht bie Kämpfe ber entgegengefeßten Parteien bie Richtung verfälfcht, welche die Vernünftigen dem Nationalgefühle ge geben hatten. ebenfalls war das Fahr 1821, in Anſehung bes Principe der Unabhängigkeit Ytaliens das Programm zum Sabre 1848, fowie biefes wieder ein großes Vorfpiel zu dem großen Drama war, beffen Cataſtrophe ſich in günftigern Zeiten und unter beffers Auſpicien löfen follte.

Von diefem Ausgangspunkte an begannen die vorzüglichften Geifter auf verfchievenen Wegen und mit verfchievenen Mitteln thätig zu fein, umb fie nahmen um ihre Behauptungen zu beweifen Zuflucht zur Geſchichte. Solcher Geftalt wurde die Gefchichte das Feld für die künftigen Be ftrebungen, ver Wegweiſer der öffentlichen Meinung für bie Zukunft, die Wederin des Nationalgefühle, die Enthüllerin der vaterlänbifchen Zrabitionen, bie VBerbefjererin vergangener Irrthümer in vielen hoch⸗ wichtigen Dingen.

Der Kampf der entgegengefegten Meinungen nahm feinen Aus gangspunft von ben weitern und tiefern Stubien über bie Doctrinen Dante's, des nationalen Dichters, wenn es ſich um die Nationalitätt frage banvelte, denn keiner wußte beſſer als Dante fie zu formuliren, in ihren künftigen Entwidelungsftabien vorauszufehen, und der Rechte einbeit, der Unabhängigkeit des Staate® und dem wiebgrgeborenen Nationalgeifte zu coorbiniren.

Diefe durch die vaterländifche Weberlieferung erhaltene und in einer ber Entwicdlung ver Dante’fhen Ideen minder günftigen Zeit in ber lebendigen Perfönlichkeit Nicolo Macchiavelli’8 verkörperte Doctrin hielt den Keim der nationalen Ideen in ten ftarriten Geiftern lebendig.

Indem nun die mit Dante und Macchiavelli übereinſtimmende Partei in allen ihren Arbeiten dieſe Ideen immer wieder aufnahm und gründlich darauf einging, begründet fie gefchichtlich die Anſicht, daß Italien nicht eher das fremde Joch abjchüttlen und feine heiligen Rechte einer Nation und feine Freiheit wieder erlangen könne, al® bis es die weltlihe Macht ver Päpſte leugne und befämpfe. Bon Pipin bis auf die neuefte Zeit (fagten fie), fei das Papſtthum, um fich felbjt die Oberherrfchaft zu fihern, ver Stein des Anftoßes für die Einigkeit Italiens gewefen. Da aber bie Eriftenz, die Einheit

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Die Entwidiung ber gefchichtlichen Studien im Neapel. 311

Die erfte Bedingung einer Nation ift und bie zeitliche Gewalt des Papftes fich dem wiberfegt, wie eine taufenpjährige Gefchichte bemeift, fo fei es bie Pflicht ver Ftaliener, das eigentliche Hinverniß ihrer Rationalitätsbeftrebungen zu befinmpfen. Das mühe die erfte Sorge fein, das Uebrige würde ſich finden.

Die entgegenftehende Partei eiferte vor allem für bie Freiheit mb hielt dieſe auch dann für möglich, wenn der Fremde im Haufe fi. Er würde aufhören, es zu fein, wenn zwifchen ven italienifchen Bölkern unter der Anführung des Papftes fich ein feſter Bund gebildet baben würde. Ohne Freiheit, ſagten fie, fei Feine Befferung des Schick⸗ ſals Italiens möglich und die unermüdlichiten Beſchützer ver Freiheit feien von jeher vie Päpſte gewefen, fie hätten die italienifche Cultur vom lintergange gerettet, das Webergewicht der barbarifchen Herr⸗ ichaft gehinvert und die Fremden gegen einander gehegt, um den tatholifchen Glauben und daher auch die abendländiſche Eultur aufrecht zu erhalten. Wenn auch die weltliche Macht der Päpfte wirklich ber Einheit ver Nation hinderlich gewefen fei, fo fei dieſes Hinderniß ein providentielles gewejen, weil ohne bafjelbe die antern Nationen ben letzten Rettungsanfer für ihre Unabhängigkeit und Cultur vernichtet

hätten.

Diefe Parteien, welche noch feinen Namen hatten, Hätten einen aus dem Wejen der Suche bergeholten befommen fönnen und zwar hätte man die eine tie nationale und die andere bie municipale nen— nen dürfen. Allein der große Haufe, welcher ſich um bie veränderten Berhältniffe ver Zeiten, der Creignijfe, Beſtrebungen, Dynaſtien, Re- gierungen, Conjtitutionen, Geſetze und königlichen Privilegien nicht fümmerte, gab ihnen, den alten gefchichtlichen Ueberlieferungen folgend die Namen ver Öbpibellinen und Guelfen, als wäre fein Unterfchieb zwifchen unfern Zeiten und benen des Papftes Hildebrand, Fried» rich's Barbaroſſa's und Alerander III., Friedrich's II. und Inno⸗ cenz III., Manfred's und Clemens IV., und als könnten auf dem ewig wechſelnden Felde der Geſchichte dieſelben Thatſachen wieder⸗ kehren, dieſelben Menſchen wieder erſtehen. Dieſe Stichnamen erhiel⸗ ten auch die Hiſtoriler, je nachdem ihre Arbeiten von nationalem oder mnnicipalem Geifte befeelt waren.

812 Die Entwidiung ber geſchichtlichen Stubien in Neapel.

Während biefer heißen Kämpfe erfchien bie Gefchichte des König | reich8 Neapel von 1734 bi 1825 von Pietro Eolletta. Bis zw den Zage, an welchem biefe Gefchichte, die Frucht Ianger anhaltender umb mühſamer Arbeit durch den Drud veröffentlicht wurde , herrichte ein gemeiner Empiriemus auf gefchichtlichem Gebiete, da man bloß bie verfchiedenen Thatſachen äußerlich aneinanderreihte, ohne ven tiefer verborgenen Urfachen ver Begebenheiten nachzugehen‘). Colletta binge gen, weit entfernt, fich an ver bloßen Oberfläche zu halten, brang im dem er unfere Gefchichte fchrieb, in ihre verborgenpften und entfernteften Gründe ein und fuchte Alles mit der hohen Idee, bie fein Werk be herrſcht, in Einklang zu bringen. Er fchrieb tie Gefchichte nad Art der Lateiner; ohne jeboch den Einfluß der Vorſehung auf den fe cialen Fortfchritt zu Täugnen; und, in Hinficht auf dieſen hat er einen kühnen und unferer Zeit würdigen Sprung gemacht.

Es ift wunderbar, wie ein Menſch, deſſen »erfte Erziehung ver- fehlt war”, ein Menſch, dem „das Leben ber That die Zeit zum Studium raubte ?), durch die bloße Kraft eines erjtaunlichen Ta Ientes, durch Feſtigkeit im Entfchluffe, und Geduld zu einer langen und unaudgefegten Arbeit, im reifen Alter eine Gefchichte zu Stande gebracht Hat, welche die clajfifchen Formen erneuernd und aus bem Alten das Neue entwidelnd, überbieß ber italienischen Geſchichte eine beffere, wenn nicht neue Bahn vorzeichnet. Das ahnten ſchon Capponi,

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1) Dies if der Ball bei ber „Geſchichte bes Königreichs Neapel wen Arrighi”; der „Geſchichte von S. Marino“ von M. Delfico; ber „Ge fchichte des Königreich® Neapel unter ber bourbonifhen Dynaſtie bie zum allgemeinen Wiener Frieden“ von De Angelis, Neapel 1817 in 8. 8 vol, ben „Hiftorifchen profanen und religiöfen Memoiren der Stabt Matera* von Della Bolpe, Neap. 1818 in 4.; der „hiftorifhen Abhandlung über bie Stadt Teano“ von Bezzullo, Neap. 1820 in 8.; ber „Geſchichte von Pozzuoli“ von Balatino, Reap. 1826 in 8.; den „hiſtoriſchen Memoiren Afragola's“ von Kaftaldi, Neapel 1830.

?) Lettera di Pietro Colletta a Giacomo Leopardo 30 gennais 1823 nell’ „Epistolario del Leopardi Napoli 1856.“

Die Entwidtang ber gefchichtfichen Studien in Neapel. 818

Giordani, Leopardi und viele andere tüchtige Maͤnner, benen Eolletta feine Getchichte vorlas, che er fie durch den Druck veröffentlichte.

Allein die zeitgenofjiiche Gefchichte, von einem Wanne gefchries ben, ver größtentheil® fi an ben erzählten Ereigniffen betheiligte, mußte Gegner und Feinde finden, und Colletta hatte deren fehr viele. Einige befchulvigten ihn der Parteilichkeit, und antere ter Animofi- tät gegen damals noch lebende Perfonen. Ohne Zweifel hat die Ges ſchichte dieſes Neapolitanerd auch ihre Irrthümer; irrthümlich ift, was er über die municipalen Wahlen, über tie Abfchaffung des Hei- figen Officiums, über die Macht des heiligen Conſiliums, über bie Rotirirung in den gerichtlichen Urtheilen, über einige Reichsgeſetze, ud über mehreres Andere fagt, was ſich auf die öffentliche Apminis ration bezieht; allein diefe Fehler find unvermeiblich bei einem Sol⸗ daten, der fein Leben auf Schlachtfelvern zubradhte, und dem Zeit, Muße und die notbwenrigen Stuvien fehlten, um in das alte und wene Legislative Gebäute des Reiches einzubringen. Ueberdieß ent« kehren einige Thatfachen ver nöthigen Documente, um das zu bes weiten, was uns ter Gefchichtichreiber glauben machen will. Wer aber das unglüdliche Leben des Verbannten, bie Unmöglichkeit , fich diefe Documente zu verfchaffen, une antere ähnliche Gründe erwägt, wird Colletta wegen ber von ihm verfochtenen Irrthümer durch ten Mangel genauer Notizen über Thatfachen, tie ſpäter nach ber Wieder⸗ anffindung koftbarer Schriftftüde erſt ins helle Licht gefegt werden konnten, entſchuldigen. Abgefehen von diefen, in einer langen und fehwierigen Arbeit oft unvermeidlichen Fehlern, ift die Geſchichte von Colletta eines tüchtigen Antors wärbig undeine ver fchönften, was Einheit im Blanc, Freiheit in der Gefinnung und im Urtheil, was Styl und Sprache betrifft: Eigenfchaften, vie ihm von tüchtigen Männern den Namen eines aus- gezeichneten Gefchichtfchreiber6, und vom Volke ven eines eifrigen Barteimannes und eines Shibellinen erworben.

An ven wichtigen Fragen, vie damals bie helliten Köpfe Ita⸗ liens fortwährend befchäftigten, nahın feinen Antheil auch Giufeppe di Gefare; und feine Stubien über das „Leben Dante's, Die Brüfung der götlihen Comödie“ und fein „Arrigo di Ab- batte” hatten ihm in ten Stand gefegt, eine ſchwierige gefchichtliche Arbeit zu vollenden, welche von Vielen gewünfcht wurde, ſowohl in

314 Die Entwiliung ber geſchichtſichen Erubien in Neapel

Ralien als in Deutſchland, wo Niemand die wahren Urſachen welche zum Sturze des hobenftaufiichen Haufes bei uns unb damit auch in Dentfchland beigetragen haben, anzugeben wußte. Die ghi- bellinifche und guelfiiche Partei hatten bie Thatfachen unjerer Ge ſchichte, die ſich anf bie kurze Periode der Schwabenherrfchaft beje⸗ ben, entftellt; und aus faljchen, nicht genug Haren Urfachen, hatten unfre Chroniften und fpäteren Gefchichtsfchreiber noch falfchere Com fequenzen gezogen; fo galt in den Augen aller Welt und in gebik deteren Zeiten fogar ber bievere und ritterliche Manfred, einer ber weifeften und ebeljten dürften, bie dies jchöne Land beberrfchten, fir illohal, treulo®, ungläubig, ja ſogar für einen Bater- und Bruder mörder. Doc vie bunlelfte Periode der Gefchichte des 13. Zubrkum derts war jener Uebergang von 1250 zu 1266 d. h. bis zur Schladt von Benevent, wo mit einem Streiche die Monardhie, das Heer, Treue, Muth, Tugend, ſchützende Gefege und dffentliche Freiheiten verfehwanden, und mit dem Triumphe Carls von Anjou die Knecht⸗ fchaft des Reiches für mehrere Jahrhunderte begann.

Diefe Lücke wollte Giufeppe di Cejare ausfüllen, und fchrieb zu biefem Zwed feine „Geſchichte Manfred's, Königs von Sicilien um Apulien ).“

Bei dem Mangel an Denkmalen und öffentlichen Alten 28 nig Manfred's, melde von ven Anjous verbrannt und ger ftört worden waren, bei der Leidenfchaftlichkeit und Rohheit ver gleichzeitigen Zeugen, bei dem niedrigen Beſtreben ver jpätern Ge⸗ fchichtsfchreiber, einen ritterlichen Fürſten von italienifcher Geburt und Erziehung und von italienischen Geifte zu verunglimpfen, wunbte di Ceſare, um in die wahren Gründe der Thatfachen, in ihre Hein ften Befonverheiten einzubringen und in ber Finfterniß das Wahre zu erfennen, die forgfältigfte Aufmerkfamfeit an, und prüfte auf das Ge wiffenhaftefte alle Schriften der gleichzeitigen Zeugen, fie mochten guelfiich oder ghibellinifch fein, hielt die Thatſachen und vie Daten jever Thatſache, wie fie von ben verfchiedenen Hiftorifern dargeſtellt

1) Storia di Manfredi re di Sicilia e di Puglia. Volumi due, Ne poli 1887.

Die Entwidiung der geſchichtlichen Studien in Neapel. 315

erden, gegen einander und ftellte fie den öffentlichen Aktenſtücken und teinungen der Zeit, in welcher jene Thatſachen gejchehen find, ges näber. Auf diefe Weife ftand Niccolo di Jamſilla, ein ghibelli- ſcher Sefchichtfchreiber, dem guelfiihen Saba Malaspina, die Chro- fien Ricobaldo da Ferrara und Pipin von Bologna dem Vlatteo pinelli da Giovenazzo, die authentifchen Memoiren und öffentlichen ktenſtũcke der römifchen Curie ven wenigen, aus ber Regierungszeit danfred's übrig gebliebenen Urkunden gegenüber. Diefe Dinge verglich er sh mit den fpätern Gefchichtsjchreibern, von Coftanzo, einem ent- hiebenen Quelfen, bis zu ten ghibellinifchen Prälaten Forges Da- nzata, und gewann fo ven Vortheil, viele chronologifche Irrthümer zichtigen, manche jcheinbare oder wirkliche Widerſprüche der Ge- bichte rüdjichtli Manfred's ausgleichen und endlich bie wichtigeren sagen über bie jtreitigen Punkte löfen zu Fünnen.

Aus dieſer tiefen Kritik, die allein bingereicht hätte, einen xchriftſteller berühmt zu machen, ging jene Wahrheit rein und ungetrübt ervor, welche der Haß, die Leidenſchaft und das Intereſſe der Par- sen zu verbunfeln ftrebte, zum Schaden eines wadern Fürſten, er die große Idee des Boetius und Pietro delle Vigne in’d Werf sen wollte. Allein wenn auch die Geburt, bie VBerbältniffe unn bie on Manfred unter der Regierung Conrad's und während bed Pon- filates Innocenz IV. und Alexander's IV. vellführten Thaten, bie wdern Unternehmungen tes großherzigen Königs, jeine Regierungs⸗ andlungen von jeiner Thronbeſteigung bis zur unglüdlichen Schlacht on Benenent, die Menfchen und Dinge jener Zeit beleuchtet waren ; venn auch die Verläumdungen vernichtet waren, die man einem Mo—⸗ archen aufgebürdet hatte, ver unfer Land überaus liebte; fo waren 8 boch weniger die wahren Urſachen, welche ten Fall der Deutſchen a Stalien befchleunigten. Denn es war nicht nur bie römiſche Gu- ie, die mit offener Feindſeligkeit und heimlichen Berfolgungen ihnen ie Herrfchaft über das Land entriß, ſondern weit mehr noch vie po- itiſchen Fehler Friedrich II., vie in offnen Wiverjpruch ſtanden mit einen weifen Gejegen und mit den Anfichten ver Mehrheit ver Böl- er, welche guelfijch geſinnt wareu: die fortwährenden ungerechtfertig« en Angriffe auf vie lombardifhen Städte, bie Granjamleiten, velche von ihm in feinen legten Lebensjahren gegen die ficilianijchen

Piſtoexiſche Zeitſchrift VI. Bow. 22

316 Die Entwidlung ber geſchichtlichen Studien in Neapel.

und apulifchen Barone, nie ohnehin über ven Verluſt ihrer Immmi⸗ täten Klage führten, und gegen feine treueiten Ratgeber verübt war⸗ ben; ferner der zum Nerger des Papſtes zur Schau getragene Atheiömnus, in einer Zeit voll aufrichtigen fatholifchen Glauben, in der ein Yranz v. Affifi, ein Dominifus v. Gusman, ein Thomad ve Aquino, ein Pietro Martir, eine Clara v. Aſſiſi und eine Rofa da Viterbo Wunder wirkten; endlich feine Freundlichkeit gegen die graufamften Tyrannen ber Zrevigianifchen Mark, welche auf der ganzen Halbinjel verhaßt waren alles das wirkte mit zu feinem Sturz. Edel warfeine Abficht, alle Theile Italiens unter einem Ecepter zu vereinigen ; aber die Zeit war dem Unter nehmen nicht günftig. Friedrich wollte bloß durch Strenge und Wef fengewalt feiner Herrfchaft ganz Italien unterwerfen, als die Päpfe noch in zweifacher Hinficht eine große Gewalt darauf ausübten, ale noch zwei Drittel der Italiener entfchievene Guelfen waren, als ben tapfern Söhnen der Kämpfer von Legnano noch friſch in Erin nerung ſtand, daß ihre Väter an ber Adda und am Teffin fieben beutfche Heere zerftreut und zerfprengt hatten, bie der ſchreckliche Barbaroſſa anführte, und als das Land noch ven Verluft feiner Ner mannifchen Fürſten beflagte, und bei tem Antenfen an ben wilven und rauhen Heinrich VI. ;itterte.

Auh noch andere Gründe, bie zum Fall des hobenitan- fifchen Haufes in Neapel beigetragen haben, ließ bi Ceſare unbe rüdjichtigt, indem er das flägliche und fchnelle Ente ver ‘Deutjchen einer einzigen ausfchließlichen Urfache, nämlich dem Haffe, den Yu triguen und ben Bannflüchen ver römifchen Curie zufchrieb. Gr verfiel in biefen Srrthum, weil er die Unfchuld Manfred's im Ange hatte, der ven Berbrechen feines Vaters fremd war, und nichts von Conrad's Graufamkeit befaß: allein er berachte nit, daß die Fehler in ber Bolitif fowie vie Ungerechtigkeit der Großen ver Erbe ent weder auf fie jelbft zurüdfallen, oder auf Kinder und Enkel ihre Wirkung erjtreden. Für diefe Wahrheit bietet die Geſchichte unendlich viele unabweisliche Beifpiele, welche ſich mit einer Ste tigfeit der Urfachen und Wirkungen wiederholen, daß feine Thatſache der Welt ihre hierin gleich kommt. Abgeſehen davon, muß bie Geſchichte Manfred's von di Ceſare als eine gewifjenhafte und um parteiifche Arbeit angefehen werben. Ueberdieß eilt feine Darftel-

Die Entwidiung ber geſchichtlichen Studien in Neapel. 317

lung raſch, wirkſam und unmittelbar vorwärts, wird nicht von Ab- ihweifungen unterbrochen ober von unnützen Diecufjionen aufgehal- ten und ift von feiner Leidenſchaft verblendet. Er rechtfertigt ein jedes Ding an feiner Stelle durch ummiderlegliche Documente, authen- tifche Memoiren, mit öffentlichen Akten und Originalcitaten aus (Ges ichichtsfchreibern, Chroniften und alten Codices und gelegentlichen Er- läuterungen in ten Noten, bie zu Ende eines jeven der ſechs Bücher feiner Geſchichte angefügt find. Styl und Sprache entfprechen ganz ver lebendigen Schilderung und ver Wirte des Buches. Di Gefare lieferte aljo ein in jeder Hinſicht vortreffliches Wert, welches jenem nationalen Rechte entipricht, das in ber Folge in ten Werfen von Männern, welche vie lebenbigjte Verförperung ver italienifchen Unab- hängigfeit waren und ſind, weiter entwidelt wurde.

Unter ver fchönen Zahl verjelben that fich einer als männlicher, heller und edler Geijt hervor, Antonio Ranieri, ver die hochgeſchätzte „Geſchichte Italiens vom 5. bis zum 9. Jahrhunderte“ veröffentlichte. In dieſer ift mehr als in jeder andern tie Iliade der Uebel, wenn man fo fagen darf, ausgeprägt, welche Italien peinigten, nachdem Habrian I. Karl ven Großen in die Halbinjel gerufen, und Leo Erzbifchof ton Ravenna ihm ven Plan und vie Art gezeichnet hatte, wie er den Lon⸗ gobarden zum Trog die Alpen überjteigen könne. In dieſem Aufruf, fagt Ranieri, verbarg fich die Abjicht des Papſtes, weltlicher und geijtli- ber Fürſt zu werben; dieſes fuchte er durch verftedte Mas nöder zu erreichen, indem er bie ganze Gefchicklichkeit nnd das räpftliche Anjehen anwandte, um vie Yongobarten gegen ihren Sou— verain aufzuwiegeln. So fiel in Stalien vie Königliche Macht der Longobarden, und an ihrer Stelle erhob jich vie kaiſerliche Macht ver äranten, nicht in Italien, denn in Italien Eonnte fich dieſelbe nie behaupten, fontern im Auslant. Tiefe kaiſerliche Macht räumte Ita⸗ lien keine Rechte über irgend eine Nation ein, gab aber vielen Na— tionen den Borwand, ein Recht über Italien auszuüben. Wieviel Ungläd, wieviel Blut und Stnechtjchaft Tiefer Vorwand über Ita⸗ lien brachte, weiß tie ganze Welt, und es betarf dazu nicht meiner Gefchichte. Die Pongobarten fielen, um ven Franken Play zu machen, diefe übertrugen auf andere Ausländer und dieſe wicker auf andere einen Titel, welcher für jeden Antern beveutungslos, bloß für Italien

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318 Die Entwicklung ber gefchichtlichen Studien in Neapel.

die Bedeutung hatte, daß er es von ven Alpen bis zum äußerften Ende Siciliens mit Blut überfchwenmte.” Dieſes Urtheil, zuerft von Mackhiavelli ausgefprochen, wurde von ben beften Geſchichtſchreibern wiederholt, die nach ihm kamen; allein keiner wußte bejjer als Ra- nieri e8 als natürliche und nothwendige Folge der Thatſachen darza⸗ ftellen, indem er Karls des Großen Zug nach Italien als eine Cala mität für unfer Vaterland auffaßte.

Ranieri ging noch einen Schritt weiter, rückſichtlich der rationellen Idee der Gejchichte und der natienalen Gefinnung. Erſtens umfaßt feine Gefchichte die gefammte Nation und betrachtet fie als folde; zweitens fett er an vie Stelle der Einheit Italiens unter einer Herr fchaft, die von ter Gewalt ober dem Ehrgeize dieſes oder jenes Fremden ausgeübt wird, die Idee ver Gollectivmadht ver ta liener, als das ausfchließlich italienische Princip, worurch das Weſen der Nation begründet würde. Allein die Vorliebe, mit welcher er bie bürgerliche und politiiche Gewalt vor ver religiöjen bevorzugt; einige beftige, wenn auch nicht ungerechte Ausfälle gegen die römifche Curie; bie weite Entwidiung, welche er ter nationalen Idee gab; jener eble Stolz, mit ficherem Auge alle Theile der Halbinfel zu durchlaufen und fie mit einander zu affimiliven, auch jener Stolz, mit welchem e felbjt bei den größten Mißgeſchicken fich voll Herz und Muth, veil Würde und echt italienischer Liebe fühlt, verleiteten Viele zu vem Ausfpruche, feine Gefchichte fei Feine Geſchichte, fontern die ftolzefle und gelehrtejfte Vlanifeftation der alten moderniſirten ghibelliniſchen Anſchauung. So verwechfelte man, aller Wahrheit zum Trotz, um durch eine fonderbare Sucht, ſchmerzliche Weberlieferungen aftererbten Bruderhaſſes aufzufrifchen, die mehr oder weniger rationelle Weiße, bie Thatfüchen zu verwerthen und die nothwendigen Folgen aus ihnen abzuleiten, mit einer vorgefaßten Parteianficht, welche der männlichen Zalente und edlen Geifter unwürdig gewefen wäre, die fich damals beitrebten vie Geſchichte Italiens jener blinden Parteileivenfchaft zu entfleiven, und jie zu ihren nationalen Brincipien und zur Wahrheit zurüdzuführen.

Wie verfchieben aber auch tie fich gegenüberftchenten Meinun- gen feien, jo bleibt c8 voch wahr, daß das Buch Ranieri's in freiem Geifte, mit edler Zenbenz, mit Ziefe des Gedankens im echt

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Die Entwicklung ber geſchichtlichen Studien in Neapel. 319

Haflenifchem Style geſchrieben, die Gemüther einer ganzen Nation zu befriebigen im Stande ijt, indem e8 berfelben in hohem Grabe Ehre macht. Denn ber Ruhm Italiens und fein Mißgeſchick während fünf gahrhunderte find darin nicht befchrieben, fonbern in Quadern gehauen, und es wird auf's anfchaulichite gezeigt, wie alle Stäbte und Flecken bes Landes eine gemeinfchaftliche Gefchichte haben, wie aus ein und benfelben fcheinbar entgegengefeßten Elementen bie gefchichtliche Einheit hervorgeht, ähnlich der Einheit, die der Autor in ter Nation erblidt, „weiche, wie fehr e8 auch dem Schidjale und den das Schickſal an Grauſamkeit übertreffenden Menfchen gefallen hat, fie taufenpfach zu grreißen unb zu zerftüdeln, doch ſtets eine bleibt«').

Die Bücher Ranieri's und di Cefare’d waren ein mächtiger Sporn für die Freunde der Gefchichte; denn faft alle Schrijtfteller über bie Gefchichte der Wunicipien, bie feit 1837 ſchrieben, betrachteten bie den jenen Zweien erzählten Thatfachen von vemjelben Gefichtöpunfte. Bis dahin hatte die Partialgefchichte der Städte bloß eine Lifte der Bifhöfe, und der Thatfachen, die ſich auf die Lehensherren und Heinen Gebieter, auf die Kirchen und Schlöjfer bezogen, geliefert; denn jeve Commune wurde als außerhalb des Reiches ſtehend und dieſes wieder als von Italien abgeſondert betrachtet. Einige Schriftſteller, dem Bietro Giannone folgend, trugen einen ungerechtfertigten Haß gegen bie römifche Kurie zur Schau, fo wie andre wieder nach dem Bei— fpiele Coſtanzo's Schmähungen und Läfterungen gegen bie Deutfchen fhleuverten; feiner aber vermochte fich eine beftimmte Grundan⸗ Ihanung über die erzählten Thatſachen zu bilden, feiner vermochte bie eigene Meinung zu begründen, feiner ein gerechte Urtheil zu füllen. Nach ver BVeröffentlihung der Bücher Ranieri's und bi Ceſare's ver: ſchwanden viefe Fehler aus den Geſchichtsbüchern, und Viele, die fich old Verfechter einer von päpftlichen und ausländifchen Einflüffen gleich mabhängigen Herrichaft erhoben, galten für Ohibellinen ; und ebenfo Jene, welche mit Wärme die Herrfchaft der Longobarden, ter Nor- mannen und Deutjchen vüdfichtlih ver politifchen Richtung ihrer Gejeße und Regierung lobten. Daher wurden zu ben ghibellinifchen

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') Della storia d’Italia dal quinto al nono secolo, ovvero da Teodosio a Carlomagno, libri due diAnt, Ranieri, pag. 152— 153. Brixelles 1841.

320 Die Entwicklung ber gefchichtlichen Studien in Neapel.

Geſchichtſchreibern gezäglt: Giordano‘), Bartoletti”), Lombarbl?), Adilardi), Maldacea“), d’Urfo°), D’Ayala?), Yatta*), Apinolfi *), Sena '°), Morelli ''), Branca '*) und einige Andere, welche hiſtoriſche Stizgen über tie Hauptereigniffe ihrer Geburtsorte und Laͤndchen fchrieben.

In den Schriften der Genannten herrſcht, vie Wahrheit zu fagen, nicht der gefchichtliche Ernft, noch paſſen Styl und Sprache zu einer Geſchichte; allein die Thatjachen find durch ein logiſches Band zuſam mengehalten und in Beziehung zu jenen gebracht, die bie allgemeime Gefchichte des Reiches angehen. Auf viefe Weife werben bie Heinflen wie bie größten Vorfälle von weiten umfaffenten Geſichtspunkten am betrachtet. Man ftreitet fich nicht mehr um die lächerliche Autonomie bes eigenen Kirchthurms, um ein von biefem oder jenem fFürften einer Stabt zum Schaden der andern verliehenes Privilegium; e⸗

!) Memorie istoriche di Frattamaggiore. Napoli 1834.

?) Biografie degli uomini illustri della cittä di Alessa nelle dignits ecclesiastiche, in letteratura, armi e titoli. Napoli. 1836.

?) Raggio storieo sulloe accademie Consentine-Saggio storico-letterario sugl’ illustri giureconsulti Calabria-Citeriore-Saggio sulla topografia e sugli avanzi delle antiche cittä Italo-Greche, Lucance, Daunie e Peucesi® amprese nell’ udierna Basilicata. Cosenza 1836.

‘) Memorie storiche della cittä die Nicotera. Napoli 1839.

5) Storia di Sorrento, vol. 2. Napoli 1841 ce 1844 Storia di Mass Lubiensc. Napoli 1840.

*) Storia della eitta di Andria, dalla sua origine fino al 1841. Nap. 1842.

?) Le vite do’ piu celebri capitani e soldati napolitani, dalla giornats di Bitonto fino ai di nostri. Nap. 1843.

*) Cenno storico sull’ antichissima citta di Ruvo nella Peucezia, vel giureconsulto napolitano Giovanna Jatta, colla giunta della brere isturia del faınoso combattimento dei 13 cavalieri italiani con altret- tanti francesi, seguito nelle vicinanze della cittA rel di 13. febbraio 1503. Nap. 1814.

9, Storin della cara. Salerno 1816.

1%) Cenno istorico cronologico sulla citta di Montemarano. Nap. 1846.

11) Quadri storici di Brindisi, Locce 1848.

It) Momorie storiche della citt4 di Rora, Napoli 1847.

or

Die Eptwicklung ber geihichtlihen Studien in Neapel. 321

handelt fich nicht mehr um die Herrfchaft eines Landes über bas anbre, wie in ben Gefchichtfchreibern der Stäbte von älterem Datum; foubern Unglüd und Ruhm, Wohl und Wehe, Sieg und Niederlage Amer Stadt, wird als allen gemeinfan angefehen, und das Gefühl ver Baterlandsliebe ijt nicht mehr auf ven Kreis des oft unbebeuten- ven und mikroskopiſchen Geburtsortes befchränkt, fondern nimmt einen mößern Maßſtab an und erftredt fich auf alle Theile des Königreichs mb umfaßt oft ganz Stalien.

Pietro Giannone ausgenommen wurde die guelfifche Partei gänz- ich in ben Hintergrund gebrängt, oder erhob fich doch nicht in Geiftes- werfen in einer erwähnenswerthen Weiſe. Bon einigen Municipal» Sefchichtfchreibern wurden bie ‘Deutfchen als Gegner ber PBäpfte serläftert und oft auch verleumtet; jevoch gab es unter ihnen feinen, ver die weltliche Macht des Papſtes gelobt ober ein Verlangen darnach gezeigt hätte; im Gegentheile hatten die Schriften des unglücklichen Sonforti und feiner biedern Ruhmes- und Unglücdgefährten in ven legten Jahren bes achtzehnten Jahrhunderts, betreffend die verjährte und berühmte Frage über den fogenannten Huldigungstribut, welchen das neapolitanifche Königshaus dem heiligen Stuhle zu entrichten pflegte, allen guelfifchen Parteigelüjten ven Nerv abgefchnitten, und das ganze Land für vie ghibellinifchen been erwärmt, jedoch immer hm Sinne der alten Partei.

Die erſte gefchichtliche Arbeit, welche fich für das guelfifche Brin- ip ausſprach, war bie des Michele Baldacchini über vie Vorfälle en 1647 in Neapel '). Nicht Specialgefchichtfchreiber und Zeitgenoffen, ondern auch Generalgefchichtfchreiber Italiens hatten die Ereigniffe eſes denkwürdigen Jahres erzählt. Jene konnten fich von perfön- ichen Leidenſchaften, von den Einflüffen und Meinungen ihrer Zeit wi ver Betrachtung ber Ereigniffe, welche vie Erhebung von 1647 yrbereiteten, der Daraus bervorgehenden Folgen, und ber fie in's Wert egenden Menjchen nicht 108 machen; daher betrachteten fie das Schei-

$) Storia Napolitana dell’ anno 1647; Italia 1836. Diefem Werle wiber- fuhr die Ehre, in 10 Jahren dreimal aufgelegt zu werben. Die erfte Aufl. wurbe 1834 veranftaltet, bie zweite 1836 und bie britte 1845,

322 Die Entwicklung der geſchichtlichen Studien im Peapel.

“tern ber Unternehmung für gerecht und hielten ven Sieger für loben& werth, bloß weil er gefiegt hatte. Den Andern war es nicht gegeben, in bie offenbaren und verjtedten Leidenschaften ver gleichzeitigen (Ges Schichtfchreiber einzubringen und die Thatſachen haarklein zu erzählen und fie bes Falſchen zu entkleiven, denn ba fie die Ereignifle ver ganzen Halbinfel im Allgemeinen erzühlten, fo fonnten fie fich nicht lange bei einem bejondern Yactum aufhalten und es von allen Seiten entwideln, um die Wahrheit zu fuchen. Baldacchini that Dies entfchieben und forfchte, indem er die wahren Thatfachen verfolgte, nicht nur bei den verausgegangenen Gefchichtjchreibern, ſondern bejragte und ftubirte mit einer feltenen Ausdauer und gewiffenhaften Fleiße bie unebirten Manufcripte, weldye ver berühmte Monſignor Gapecelatre und andere gelehrte Neapolitaner verwahrten, jowie auch die alten Karten und Bücher der Privatbibliothefen Neapels. Auf folche Weife fonnte er in reiner Sprache und edlem Style ein lleines aber fchöneh Bild entwerfen von dem ganzen unbefonnenen und bespotijchen Bor» gange jener viceföniglichen Negierung, ber in der ganzen neapolitanis chen Gefchichte feines Gleichen nicht hat. Denn die Vicelönige rich teten, man möchte faſt jagen gefliffentlich, die Künfte und den Handel bei uns zu Grunde, fie liegen fortwährend unfere Küften unvertheidigt, und ven Einfällen der Piraten und Barbaren ausgefegt, verödeten bie Felder, den Aderbau uud vernichteten überdies die Sitten, corrumpirten bie Gewiſſen, verwirrten die Gefege, brandfchagten Adel und Belt, trieben unfer Heer in ferne Gegenden zur Unterjtügung fremder unb ehrlofer Dinge, häuften Confiscationen und Verbannungen, ftürzten das ganze Land in Verarmung und machten jo unfere Väter, die eines bejjern Loojes würdig geweſen wären, höchſt elend. “Mitten unter dieſer Verderbniß ter Regierung, dem jtolzen Pompe bes Adels und dem äußerjten Klend des Volkes, erhebt fich ein armer Fiſcher, ein zweiter Michele di Yando, ganz Herz, evelmüthig, kühn, religiös, ein wahrer Neapolitaner, und ruft e8 ven böfen Gewalthabern zu, daß das Volf feine Luſt und Geduld mehr habe, die traurigen Folgen ber Mipregierung zu ertragen, und mit ver Verwegenheit eines glübenten Charakters und mit natürlicher Berebtjamfeit vertheibigt er bie mit Süßen getretenen Rechte des Volkes, und macht fich zu deſſen Haupt und Anführer. Aber ringe um ihn ſammeln ſich die verfchiedenar«

Die Entwidlung der gefchichtlihen Studien in Neapel. 323

tigſten Perfonen, Scheinheilige und Fromme, VBerräther und Getreue, Feige und Beberzte, Verfchlagene und Schlechte, Betrüger und Un« ſchuldige, uud ber erle Volksmann füllt als ein Opfer feines Vers trauen® und fremver Treulofigfeit.

Tiefe Dinge erzählt Baldacchini in der Weife des Porzio und mit derjelben Würte und Wirkſamkeit des Gefchichtfchreibers ver be- rühmten Berfchmörung ver KReichsbarone unter Ferdinand von Arra- genien. Er beligt eine wahre Meifterfchaft, alle Hauptperfonen des Dramas von 1647 dem Leſer vor die Augen zu führen, unt in der Kunſt, die Charaktere aus den Handlungen abzuleiten, ſteht er feinem andern ausgezeichneten Gefchichtichreiber nach. Auch zieht er aus ven erzählten Ereigniffen die nütlichften Lehren: fo wird durch das Leben ed Zommafo Aniello das gegenwärtige Zeitalter aufmerffam gemacht, anichts ſo jehr zu verabjcheuen, als die Fremdherrſchaft nicht zu leicht der blinven Menge zu vertrauen, bie denjenigen, ver fich zu ihrem Führer macht, eben jo fchnell verläßt, als fie ihm folgt«, daß nichts fo jchredlich und ſchädlich fei, als die Folgen, fowohl einer zu weit getriebenen Tyrannei als einer zügellofen Freiheit”; daß ſich bie infferfte Tyrannei mit ihrem Schreckens-Uebermaß endlich Lächerlich mache» , Daß rauf das Verlachen die Verachtung folge, ijt e8 einmal dahingekommen, fo kannſt du ohne zu fehlen beine baldige Vernichtung für gewiß balten«. Allein, da die neapolitanifche Revolution von 1647 ihren erftien Urfprung und ihren erſten Herb in ven langen und uns heilvollen Kriegen hatte, die von Epunien in ber Lombardei und in dlandern unterhalten wurben und für welche Neapel witer feinen Billen mit Geld und Soldaten herhalten mußte, um Staliener und Lölfer zu bezwingen, bie fich vom fpanifchen Despotismus losmachen bollten, welche Wirkung mußte fie auf Italien haben, nad) ihrem Ausbruche, und welche auf die ſpaniſche Politif nad) ihrer Dämpfung ? hatte, bei der Bejegung ber tosfanifchen Prüfivien durch vie Frans iofen, bei ver Bolitif des Italieners Mazarin, des Tamaligen Mini— ſters des minderjährigen Ludwig XIV., bei ven Hoffnungen, tie man bis zu Richelieu's Zeiten in dem Savohiſchen Königshaufe unterhielt, die meapolitanifche Revolte Feine Berechtigung? Une nachdem biefe überwunden und niebergehalten, nachtem ver Prätendent Heinrich IL

324 Die Entwidiung der gefchichtlichen Gtubien in Neapel.

von Lotbharingen gefangen worben war, und ber Graf Onatte Galgen und Schaffote im SKönigreiche hatte errichten laffen, welchen Einfluß übte da das fiegreiche Sıhwert Don Juan's von Defterreich auf das Schickſal Italiens bis zum pyrenäiſchen Frieden, beziehungsmweife auf bie Sympathien der ſchönen Halbinfel für die Sranzofen, und ihren Haß gegen die Spanier?

Ueber all’ dieſe Dinge, welche die mehr und weniger entfernten Urfa- chen, und mehr oder minder unmittelbaren Folgen des Aufſtandes von 1647 waren, gibt uns Baldacchini Feine Nechenfchaft, und vielleicht thut er e8 abfichtlich aus jenen Grundſätzen ıinunicipaler Unabhängigkeit, bie ihn zum Guelfen ftempeln. Ich fage vies, weil ich ven ſchönen Sat Antonio Ranieri’s für wahr halte, daß man tie Gefchichte eines Theiles Italiens «weder verjtehen nod erzählen könne, ohne die ber andern Theile mit zu berühren”. Abgefehen hievon ift die Geſchichte Bal dachini's als fpeciale und ausjchlichlich neapolitanifche für ein umnade abmliches und erftaunliches Werk anzufehen, welchen nicht lange barauf ein anderes, verfchierenen Inhaltes, aber tieferes und gelebrteres folgte, nämlich) das Leben und bie Lehren des berühmten Mönches Thomas Campanella?), das reich an foftbaren Documenten ift, bie fih Baldacchini durch eifrigen Fleiß und forgfältige Mühe zu ver Schaffen wußte‘). Zum Glücke war Baldacchini fein einfacher Ges lehrter, fontern er hatte unermübliche und gewifjenhafte Studien über bie alte und moderne Philofophie gemacht, fo daß er eine Campanella’s würdige Gefchichte liefern und ben Werth ver philofophifchen Doctrinen erhöhen konnte. Aber bier offenbart ſich Baldacchini deutlicher ale Guelfe, fei e8 weil Campanella zuerft als Guelfe und dann als ent- fchiedener Ghibelline Partei nahm, oter aus eigener Wahl, oter ans beiden Urfachen; ftets aber bewahrt er die Würte eines Philoſophen und Schriftjtellere, ver die Wahrheit zu erforfihen ftrebt, und tft fein gemeiner eingefleifchter Parteigänger.

Die Synpathien Campanella’8 für bie Ideen Telefio’8, feine

?) Vita e Filosofla del Campanclla, vol. 2, Napol. 1840-43. 2) Baldacchini gab hierin aud eine Eammlung der Briefe bes kalabreſiſchen Philoſophen mit Anmerkungen heraus

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Die Entwidlung der geſchichtlichen Studien in Neapel. 325

sitrelegijchen Studien, die von ihm aufgeſtellten philoſophiſch-politiſchen und Negierungsfpitene, vie Zweifel, welche daraus über feinen Glauben lommen, feine Beitrebungen, Prophezeihungen, Zräume, bie Verſchwö⸗ rangen, ba® alles bat mit feinen Thaten, jeinem langen Mißgeſchicke, mit ben Beſtrebungen feiner Zeit, mit dem Schuße, den ihm Wichelieu angedeihen ließ, einen fo genauen logifchen Zufammenhang, und bildet an fo wohlgefügtes Ganze, daß man nicht weiß, ob man in Baltacdhini mehr ten Gefchichtfchreiber oder den gelebrten Philoſophen bewundern ill, welcher durch vie Meijterhaftigfeit feines nüchternen und zuyleich Haren Styles und durch eine geläuterte Sprache zuerſt das philo— ſephiſche Syſtem des Fraters von Stilo gemeinverſtändlich machte '). Zu den guelfiſchen Ideen neigt ſich in ſeiner Geſchichte auch Camera?) bin; allein ohne vorausgefaßtes Syſtem, oder Parteigeiſt. In ſeiner „Geſchichte Amalfi's- benützte er Panſa jehr ſtark, und in ven „Annalen beider Sicilien⸗ die vorausgegangenen Geſchichtſchreiber, woh ohne Ordnung, nnd aus municipaler Vorliebe oft That⸗ ſachen und Documente entſtellend oder erdichtend'). Es iſt nicht zu leugnen, daß in der „Geſchichte Amalfi's viele gute und brauchbare Retizen zu finden find; doch macht er es wie die Nechtsgelehrten und Srofaten des vorigen Jahrhunderts, welche, um vie Unjtichhaltigkeit

As ein fehr fchänes Beiſpiel eracter Biographie iſt auch das „Leben bes Camillo PBorzic*“ zu erwähnen, bas 1832 von Agoflino Gervaſio ver- dffentlicht wurde. Es ift dies bie vollkemmenſte Arbeit, die aus italient- her Weber fiber das Leben eines Mannes gefloffen, welder, wie Gior⸗ dani meint, „ein Geſchichtswerk von folder Schönbeit unb Bollenbung geliefert bat (bie Berichwörung ber Barone), daß in Neapel nie und im Stalien jelten eim gleiches gefchrieben wurde.“

') Istoria dell& cittä4 e costiera d’Amalfi di Matheo Camera. Nap. 1836. Annali delle due Sicilie. Nap. 1841.

) Er hat fogar den Geburtsſchein Mafanielle's zu Tage gefördert, ben er aus ber Pfarrmatrifel von Amalft gesegen zu haben vergab. Er wurbe befür von Luigi Belticela zurechtgewieſen, welcher in einer zu Cofenza 1841 erjchienenen Schrift nachwies, daß ber berühmte Held ber Ereigniffe von 1647 in Neapel geboren war, lebte und flarb, und zu biefem Zwede den ans ben Pfarregiftern bes Stabtviertels Mercato gezogenen Todten⸗ (dein Maſaniello's abſchreibt.

326 Die Entwicklung ber geſchichtlichen Stubien in Neapel.

der Rechte der römifchen Curie, der Kirchen und Barone zu beweifen, bie Archive, alle Bibliothelen, öffentliche und Privat-Bücherfannulungen burchftöberten, und alle möglichen Documente bervorbolten, welche ihre Behauptungen beweifen konnten, ohne ihre Authenticität zu unter fuchen und erft ven Beweis zu liefern, daß fie ächt fein. Gamers förderte jedoch die nöthfgen Materialien fir die kommenden Gefchicht- fchreiber zu Zage, welche mit Urtgeil ihren Werth beſtimmend, fie orbnend und in eine gewählte Form Heidend (lanter Dinge, die Ca⸗ mera abgehen), ein lobeuswerthes Gefchichtswerk werben liefern können.

III.

- Nach den unglüdlichen Ereigniffen des Jahres 1820 hatten fid bie ebelften Geifter ver Halbinfel am Arno vereinigt, wurben bier von den vorzüglichen Männern Toscanas gaftfreundlich anf genommen, und machten aus Florenz Das italienifche Athen, in welchem gewiffermaffen ver Vorſitz vom Marcheſe Gino Cappomi, dem trefflichen Biedermann, dem edlen Geijte, dem freien Bürger, bem Borläufer der lebendigen Verkörperung ver Auferftehung Italient, wie fich einer unferer tiefften lebenten Gejchichtsforjcher, ver Schuud und bie Zierde Italiens, austrüdt, geführt wurde, Unter venen, welche in jener Zeit tie ermeuerten Kämpfe des Vaterlantes durch das ebelfte Selbitopfer ehrten, befanden fi der Demofthenes Ita⸗ liens, Baron Giufeppe Poerio, Pasquale Borelli, Giufeppe de Thor mafis, Pietro Colletta und Carlo Troha, welche mit Pellegrino Roſſi, Giuliano Frullani, Pietro Giordani, denen ſich ſpäter der verewigte Giacomo Leopardi, Coſimo Ridolfi, der italieniſche Cato, Giovan Battiſta Nicolini, und viele Andere damals weniger berühmte Männer anſchloſſen, eine Art heiliger Phalanx bildeten, ähnlich der alten maze⸗ doniſchen, deren Bildung allein ſchon ein Symbol der mächtigen und ſchnellen Ausbreitung der griechiſchen Civiliſation war und dem un⸗ bezaͤhmbaren Eifer und Muthe des griechiſchen Geiſtes, vor Allem jedoch Alexander's Schnelligkeit einen Ausprud gab. In Bezug auf ihre Ideen hatte die italienische Phalanz, vie ſich zwifchen 1821 und 1830 am Arno bilvete, nicht wie bie griechifche die Eroberung ferner

Die Eutwiclung der geihichtlihen Stubien in Neapel. 327

Länder, fontern des eigenen Vaterlandes von den Alpen bis’zur Spitze Calabriens ſich zum Ziele geſetzt, aber nicht durch Beſiegung der Leiber, fendern ver Geijter und Gemüther ver Staliener, welche getheilt und mterbrüdt waren burch den Fremden, ver die Söhne berfelben uns« glücklichen Mutter zur offenen Feindſeligkeit gegeneinander heite.

Die Aufgabe war groß und fchwierig, aber würdig ber Männer, die fie fich ftellten, würtig Toscanas, der Wlutter uralter italienifcher Bildung, der Lehrerin lateinischer Kultur, der Erneuerin europäijcher Civiliſation; daher ließ die Heilige Phalanx der italienifchen Geifter anzefichtd der fchweren Aufgabe den Muth nicht ſinken, vielmehr wuchs ihr Eifer, ihre Vegeifterung, ihre Thätigkeit das Ziel zu errei- den, Alles zu unternehmen, Allem, auch ven äußerjten Gefahren zu tretzen und eine vortheihafte Spitze zum Angriff gegen vie Feinde zu bilden, mehr noch als um fich felbjt zu vertheidigen. Allein vie evlen Kämpfer fühlten von vorneherein die Nothwendigkeit, einen Alexander d. h. einen oberften, der Natur ihres Kampfes angemejjenen Führer a haben und wandten fih an Tante Alighieri. Die Wahl konnte rem Berbaben nicht entjprechender, nicht würbiger und rühmlicher für Die gefammte Nation ausfallen, jie verfprach die größten Siege in der künftigen Entwicklung der nationalen Idee; denn, ver Dichter, ver bie heterogenen Elemente des Papſtthums und der bürgerlichen Denarchie in feiner Lehre, Moral und Politit vertörperte, hatte den ten Grund zu einer neuen ganz Stalien und bem gejammten Eurropa gemeinfchaftlichen Bildung gelegt.

Auf dieſe Weife fand tie Einheit der Ideen und Xhatjachen iſten Sammelpunkt in ver heiligen und Profanwifjenfchaft, in ber Geihichte, den Sitten und dem Leben des Dante'ſchen Zeitalters ; un man fonnte indem man biefe in jeder Beziehung verfolgte, und vie tänftigen Entwicdlungszujtände ver Nationalitee im Auge behielt, vie Zukunft worausjehen. Da wurde es denn Mar, daß Dante nicht ehr der Dichter der Vergangenheit allein, fondern auch der Gegen: wart und aller Zeiten gewejen ift, und daß er deßhalb als ber les bendigfte und greßartigfte Repräſentant der Elemente einer angejtrebs ten, aber von feinem Volke noch erreichten Bildung angejehen werden müffe. Da fchwand endlich der thörichte Glaube, ver fich in Italien und noch mehr im Auslande eingefchlichen hatte, vie göttliche (os

328 Die Entwiclung ber geſchichtlichen Stubien in Neapel.

möbie fei ein Buch voll abftrufer Speculatisnen, myſtiſcher Lehren, voll Magie und von dem praftifchen realen Leben weit entfernt ; denn eine größere Realität konnte e8 nicht geben als die Wirkung, bie der große Dichter auf das Florentinifche Volk übte, welches, indem es auf bie ahnen feines Heeres einen Vers Dante's fchrieb, als es um bie Erhaltung der letzten Reſte von italienifcher Freiheit und Unabhän— gigfeit im 16. Jahrhundert kämpfte, deutlich bewies, daß es bie Leh⸗ ren, die hoben Winfe und bie freibeitlichen Ermahnungen wohl ver ftand, welche in ver göttlichen Komödie enthalten find; fowie hinficht⸗ lich der Politit und Kunft Macchiavelli und Michelangelo die hohe Idee ihres ausgezeichneten Mitbürger aufzufrifchen und zu iffuftr ren wußten. Die von Dante entzündete heilige Flamme hörte nid einen Augenblick auf, die Bruft ver größten Schriftiteller und Künfts ler des ruhmreichen Florenz zu erwärmen, felbjt in ven unjeligen Zeiten des größten Elends und der Stnechtfchaft Italiens; und ir ift e8 Daher zu verdanken, daß fich im Toscanifchen Volke ein großer Theil des alten Geiftes erhalten hat, wovon es gegenwärtig ber ger fitteten Welt das großartigfte Meifpiel liefert, und das chriftlick, gebildete und civilifirte Europa muß, wenn es Gefühl für Zuge und Mäßigung bat, ihm Beachtung ſchenken. Die neue Richtung ver Hr ftorifchen und politischen Studien, welche von jenen wadern Männern eingefchlagen wurde, begann mit der Auslegung der Allegorie im er ften Geſange ver göttlichen Comörie und einige glaubten in bem Windhunde, der auf die Wölfin Jagd macht, Uguccione della Faggr nola zu erbliden, Andere wieder ven Can bella Scala, wieder An bere Benedict XT., endlich noch Andere Friedrich v. Montefeltro, we bei die edlen Ausleger der Dante'ſchen Idee vie Tendenz der eigenen Meinungen im Auge zu haben und biefe zur Öruntlage ber neuen biftorifchen und politifchen Richtung, welche fich der Zuftimmung ber Mehrzahl der Italiener erfreuen follte, zu machen pflegten. Die Disenfjion ging ruhig und ernft zwifchen ben waderen Männern ver fich, aber feiner von ihnen, er moechte mit einem noch fe ftarten Ber ftande und tiefen Studien ausgeftattet fein, wollte oder konnte fich im Geringften von feiner vorgefaßten Idee losſagen und jever verwanbte zum Dienfte berfelben bie gejchichtlichen Forſchungen und die Kräfte feines Talentes. Ein Einziger, entfernte ſich davon, in der Wbficht,

Die Entwidlung ber geſchichtlichen Studien in Neapel. 329

nicht8 Anderes zu verfolgen, als die Gefchichte, die alten Erinnerungen und die Orte, die er auf feinen langen Wanderungen durch die päpſt⸗ lichen Uppeninnen und Xoscana bejuchte, und diefer Mann war Carlo Troya, der in feinem im Jahre 1826 in Florenz veröfs fentlichten »allegorifchen Winpfpiel des Dante Alighieri«, chne irgend einer Anſicht zu huldigen, ja jegar feine eigene bei Seite fegend, bie "Windfpielfrages zn einer bis dahin von ven beften Zalenten verges bens angeftrebten Region zu erheben fuchte.

Das große Verdienſt Troha's bejteht darin, daß er bie göttliche Eomddie auf das gefchichtliche Gebiet verfegt und fie mit dem Leben and dem Zeitalter Dante’8 verflochten hat. Seiner vor ihm verftand es, den ausgezeichneten Florentiner ven Italienern in den Orten, welche er lebend durchwandert hatte, mitten unter den Menfchen und Din- gen feiner Zeit, gleichlam lebend und redend vorzuführen, und auf diefe Weife eine Dante’fche Geographie und Chronologie zu ſchaffen, die an Klarheit und Präcifion ihres Gleichen fucht.

Diefe tiefen Studien des gelchrten Neapolitaners trieben auch Ceſare Balbo zu einer weitern und fchwierigen. Arbeit an, und waren ihm fehr förverlich, als er fein „Leben Dante's“ jchrieb. Sie ver- breiteten gemeinschaftlich mit ven Schriften Dioniſi's, Pelli's und Marchetti’8 in ganz Europa die Kenntniß der Dante’fchen Lehren, welche viele Ausländer begierig aufnahmen. ‘Diefe veröffentlichten for dann viele in mehrfacher Beziehung Lobenswerthe Schriften: nämlich die Arbeiten von Lyell, Cary, Lord Vernen in England, von Ozanam, Ars taub und Ratiebonne in Franfreih, von Schelling, Wilhelm Schle- gel, Kopifh und vom Prinzen von Sachfen in Deutfchland. Mitt« ferweile entbrannte in Italien der Streit, den Troya durch fein we— nig umfängliches, aber an tiefen Betrachtungen und ausgewählten Sturien über die Dante’fche Gefchichte reiches Buch angeregt hatte; and ſchien in immer weitere Kreiſe zu dringen, nachdem die Illuſtrationen Gluſeppe di Ceſare's und eine zweite Schrift Troya's (im Jahre 1832 und als Beitrag in der Zeitjihrift „il progresso‘ veröffentlicht) er— ſchienen waren. Mit dieſer Schrift wollte Troya, wie er meinte, dem Streit über das Windſpiel ein Ende machen; er änderte da— ber ven Titel allegorifches Windfpiel Dante's“ in mallegorifches Windfpiel der Ghibellinen- um. Allein der Streit hörte deßhalb

330 Die Entwicklung ber gefhichtlihen Studien im Neapel.

bob nicht auf, und das war ein Glück. Denn bie Dante’fchen Studien nahmen von einem Ende der Halbinfel bi8 zum andern einen großen Auffhwung, und bie unausgefegte Erferfchung des „Wind fpieles‘‘, des Symboles der Nationalidee, vie von dem Florentinifchen Dichter verkörpert, in einem einftigen „weifen, liebevollen, tugendreichen Erlöjer Italiens“ gefchilvert wurde, bewies hinlänglich, daß die ruhm⸗ vollen Zhaten von Legnano und mit ihr die Auferftehung Italient fi erneuern follten. In der Folge drang die Dante’jche Doctrin aud in wilfenfchaftlicher Beziehung durch, und Nicola Nicolini fchrieb, das edle Vermächtniß Vico's und Gravina's aufnehmend, ein fehr ge lehrtes Buch voll etymologifcher Stuvien über die göttliche Komödie, die er mit großem Scharffinn dem ganzen Vico’fchen Syſteme anpaßt '), worin ihm 10 Jahre fpäter Marini folgte‘), Alles dies trug bazs bei, in fremden Ländern nicht nur die Erläuterungen über das ‘Dan te'ſche Gedicht, fondern dieſes felbft zu verbreiten; daher erfchienen im ben legten 20 Jahren nicht weniger als drei Ueberjegungen veffelben in Frankreich und zwei in Deutfchlanv.

Wie gefagt, die tiefen Studien über Alighieri’s Zeitalter hatten dem Troya ein weites gefchichtliches Feld in entlegeneren Zeiten eröffnet, und ba er ohnehin einen ungewöhnlichen Reichthum am urkundlichem Material wie fein Zweiter befaß, fo glaubte er eine Lüde in der Gejchichte Europa’s ausfüllen zu follen, und fchrieb bie „Geſchichte Italiens im Mittelalters , der fünf Bücher einer "Kin leitung“ über die barbarijchen Völker vor ihrer Ankunft in italien, porangeben. Ich fagte in der europäijchen Gefchichte, denn im Mittels alter beruht die Gefchichte der übrigen Völker auf der Italiens.

Bor Troya hatten alle Geſchichtſchreiber Italiens von den Cin- fällen der Barbaren, ber Burgunder, Vandalen, Hunnen, Avaren, Gothen gefprochen, allein keiner hatte es verftanven, fie in ein Bild mit großen Pinfeljtrichen zufammenzufaffen. Erft in diefer riefigen Arbeit Troya's erhalten die getrennten Theile ein ſo bewunderungswürdiges logie

') Dell’ Analisi o della Sintesi, saggio di studi etimologici di Nicolas Nicolini Nap. 1842.

) Giambattista Vico al cospetto del secolo XIX per l’Avr. Cesare Hs» rini. Nap. 1852.

Die Entwicklung der gefhichtlihen Studien in Neapel. 331

ſches Band, daß fie eine vollkommene Einheit bilden, aus welcher der ohn⸗ nichtige aber conftante Kampf des Rechtes der Beſiegten gegen bie Macht ver Sieger in den erften barbarifchen Einrichtungen Kar ber- vorgeht. Außerdem ergeben fich aus ben Problemen, die fih Troha in feinem "Apparatou gejtellt und gelöjt hat, eine ganze Reihe moralifcher Zhatjachen, nicht minder wichtig als tie Genealogie der barbarifchen Bölfer; ver gemeinfchaftliche Glaube, vie Wünfche und Hoffnungen ver Cingeborenen, wenn auch nur unfruchtbar in der Reihe ber politifchen Zeitereignüffe, tie Sitten, die politijchen und fecialen Formen, der in- telfectuelle Zuftand, die vielfachen Unternehmungen, die Erfolge und Kämpfe ter Barbaren werten targeftellt, und dadurch nicht wenige Rirerfprüche nicht nur ber italienifchen, fentern auch ber franzö« fihen, fpanijchen, dänifchen, ſchwediſchen Gejchichte und ver Ge> dichte Der Länder längs der Donau aufgeklärt.

Cine einzige für bie italienische Gefchichte ſehr wichtige Frage fand überall Widerſpruch, und zwar jene, welche ben Zuftand ber von ten Zongebarten befiegten Römer und tie richtige Lesart einiger Worte des Paolo Diacone über biefen Gegenjtand betraf. Unfere Väter hatten über dieſe Frage ein langes Raifonnement angeftellt und waren zu dem Schluße gefommen, daß bei ven erſten Einfüllen der Barbaren tie Römer noch einige politifche und faft alle bürgerliche Einrichtungen beibehalten hätten; daß unter den Griechen, welche nach den Barbaren eintrangen, die bejiegten Römer abermals wichtige Nachtheile erlitten; und daß deshalb Las von allen Seiten bearbeitete Italien, obgleich noch nicht gänzlich unterworfen, voch eine leichte Beute für neue Barbaren wur, Die in dem unterjochten Lande bleibente Wohnfige nahmen. Tiefe neuen Barbaren waren bie Pongobarten, tie im Jahre 568 aus Pannenien herabgekommen waren. Ihre Herrſchaft änderte den Zuſtand Italiens, wo fie Wifjenfchaften, Künſte, Gefege und Yürger- thum vernichteten, ausgenommen in ben noch nicht eroberten Städten und Gebieten, wo die Ueberrejte der alten Einrichtungen jich erhielten. Unfere erften Schriftjteller, Rechtsgelehrte und Geſchichtſchreiber fellten bloß auf dem Wege mehr oder weniger kühner Gonjecturen Behauptungen auf, ohne fie zu beweiſen. Die Nechtögelchrten wagten nicht, in die Finſterniß des Mittelalters einzudringen; aber rin ver Abſicht, an vie Gefege gefihichtlich anzufnüpfen und ihrer Sache unge

Diſteriſche Zeitfärift VL Band. 23

832 Die Entwidiung der geſchichtlichen Studien in Neapel.

wig, dem römifchen Rechte eine ſtillſchweigende Geltung laſſend, Iprangen fie mit beiten Füßen von Yuftinian zum Jahre zwölfhun⸗ dert und abftrabirten fo von einer fiebenhunvertjährigen Lücke, ober von ben Geſetzen, welche fieben Menſchenalter geherrſcht hatten“ '). Die fpäteren Gefchichtfchreiber wußten nichts Anderes, als alle Barbaren in eine Race, „bie der Germanen“ zufammenzuwerfen und das zu wiederholen, was vie frühern Hijtorifer erzählt hatten. Der erfte italienifche Gefchichtfchreiber, welcher einen von ven frühern ver⸗ fchievenen, ihnen wiberfprechenden Ausfpruch that, war Niccolo Macs hiavelli, welcher behauptete, daß das Schidjal der befiegten Römer, Ausgenommen in ben erjten Zeiten ver Eroberung, fein unglüdliches gewefen fei, ja fie hätten fogar, als Karl ver Große feinen Rd» merzug hielt, mit ven Siegern ein Volk gebilvet, jo daß biefe bloß bem Namen nach Fremde waren.) Allein die kurzen Worte bes florentinifchen Secretärs genügten nicht, ven Glauben zu ändern, den bie frühern Geſchichtſchreiber, welche in ganz Italien maßgebend waren, ver breitet hatten, bis ver Neapolitaner Donato Antonio d'Aſti es im Jahre 1720 zuerft unternahm barzuthun, „daß der Gebrauch und die Autos rität der bürgerlichen Ordnung in ben Provinzen des weftlichen Reiches, von dem Tage, ba fie von den Barbaren überſchwemmt wurven, bis zu Lothar Il.“ nicht abgeftellt werben waren, trog ber von biefen Barbaren eingeführten Gefege. Die von dem neapolitanifchen Rechts⸗ gelehrten angeftellten Raiſonnements wurden von zwei tüchtigen Ges fchichtfchreibern angenommen, von Giannone und Muratori, welche bie Herrfchaft der Longobarven überaus lobten, die fie für feharfjinnige umfichtige und milde Gefeßgeber hielten, welche den Beſiegten vie Wohlthat des Bürgerrechts uub die eigenen Geſetze ließen. Deſſen ungeachtet ſchien bie Frage noch nicht beigelegt, und wurde nicht lange barauf von Männern voll großer Gelehrſamkeit wieder aufgenommen. Guido Grandi, der berühmte Mathematiker und Bernardo Tanucci, ein berühmter Statijtifer und Minifter in Neapel unter Karl III., wa- ren die Hauptfämpfer in biefem erneuerten Streit. Grandi bes

) Carlo de Cesare, Dell’ Enfiteusi, ovvero esposizione del Tit. IX. Lib. Ill. delle leggi civili, pag. 9. Napol. 1854. second. edit.

Die Entwicklung ber gefchichtlihen Studien in Neapel. 333

heptete, bie longobarbifchen Herzoge ebenfo wie der von ihnen er- wählte König Rotaris hätten bie bejiegten Römer bei ihrem Bürger- nechte und ihren Gejegen belaßen, Tanucci hingegen behauptete, wäß- ud ber barbarifchen Herrichaft der Longobarven, fei nit nur in ben eroberten Provinzen, fondern auch in Rom und Ravenna, wos bin bie Longobarven nicht gebrungen waren, jede Spur römifchen echtes verloren gegangen. Das römifche Necht fer erft wieder im zwölften Jahrhundert zum Borfchein gefommen, als die Pandecten in Amalfi aufgefunden wurben; jedoch fei e8 wahr, daß die Geift- Schleit im Longobardiſchen Reiche nach römiſchem Geſetze gelebt habe. 9a der Meinung der Gelehrteften trug der Mathematiker ven Sieg Ber ven Statijtifer davon, uud ter Streit fihien nun ein Ende zu haben. Dem war aber nicht alfo, denn Bizzetti erhob fich gegen Ruratori und Granti, und behauptete: „Laß die Knechtſchaft, in weldhe die Herzoge und König Rotaris das römiſche Volk verfegt hatten, eime gänzliche und vollſtändige gewefen fei, und daß unter ben Lon⸗ gborden das römische Recht gänzlich und volljtändig aufgehört babe“. Allein Pizzetti verwidelte ſich in fo viele und fo große Wis berfprüche, daß auf die von ihm verfochtenen Unfichten fein Gewicht zu legen ift.

Seine Anfiht in diefer Frage hatte ein ebenfo großes Gewicht Im allgemeinen Bewußtfein als vie Anficht Muratoris, auf welche fich auch Pecchia ftütte') fowie Bagnencelli‘), bis Acrander Manzeni das Jalſche ter Anfichten Muratori’s und Giannone’8 über tie Herr- haft ter Longobarden in Italien tarzulegen verfuchte. Der große noch lebende Dichter ift Hierin ganz anderer Anficht als tie beiten Gefhichtfchreiber )). Dennoch behielt Muratori's Unficht immer noch a8 Uebergewicht, nicht nur in Stalien fontern auch jenfeit® ber Berge, wo fie von dem deutſchen Zuriften Savigny bekräftigt wurde,

3) Storia della G. C. della Vicaria. Nap. 1778. ) Dei Governi Municipali, Bergamo. 1823.

?) Discorso storico sopra alcuni punti della storia Longobardica, al® Anhang zu ber „Adelhi“ betitelten Tragödie,

23°

334 Die Entwicklung ber geſchichtlichen Studien in Meapel

welcher, nachdem er die einander entgegengefegten Anftchten Waffe und Lupi's widerlegt hatte, fehlieglich den Ausfpruch that, das Vär- gertfum und das römifche Geje hätten im longobardiſchen Reiche nie aufgehört. Savigny wurde fpäter von einem andern Deutſchen, Leo, bekämpft, dem es zu behaupten beliebte, tie Römer hätten um ter den Longobarden bloß als ZTributpflichtige, die jeder Art wa Quälereien preisgegeben waren, oder ald Sklaven gelebt.

In einer fo mißlichen, verworrenen und bornigen Frage, vor beren Löfung die Begründung wichtiger Thatfachen abbing, wit bloß im Intereſſe der Gefchichte Staliens, ſondern ber ganz Eur pa's, fuchte Troya, nachrem er fo lange Kämpfe mit ten unterrid teteften Männern ausgehalten hatte, vor allem andern auf rein & ftoriihes Gebiet Diejenigen Thatſachen zu ziehen, welche fich amd ben von ihm geſammelten neuen Documenten ergeben, vie er bar die befannteren, bereit8 von Muratori veröffentlichten verftärkte, um zu beweifen, „vaß in den von den Yongobarten eroberten Provinzen bie Freien oder römifchen Bürger jeten Echatten römifchen Bürger rechtes, jede Verwaltung des eigenen Landes, jeden öffentlichen Ges brauch des juftinianifchen Cover oder anderer eigenthümlicher (Gefege verloren haben.“

Mit fehr kräftigen Argumenten, mit ter vollen Weberzengung deſſen, was er erzählt, mit einer unvergleichlichen Klarheit entwidel Troha feine Behauptungen. Eign. Fr. Rezzonico war ver Erſe— welcher mit großer Kenntniß und Gelehrſamkeit den Anfichten Treyab widerfprah und deſſen Argumente für größtentheil® negativ e Härte‘). Später ließ Gino Capponi, vie Deructionen Troya's the weife annehmend, theilweije verwerfend, feine Zweifel über den Gegew ftand laut werben’). Als Gegner Trova’s traten noch hervor Bianch Giovani, Pezzarofa und Capei, tech nicht minder Achtung gebietend find die Namen derer, vie feine Anjicht theilten und vertheitigten, je

1) Storia d'Italia dell medio-evo. Nap. 1841.

?) Gino Gapponi veröffentlichte über bie Longobarben im Jahre 1354 abermals feine Geſchichte im Archivio stor. Ital. 1858 und 1859.

we

Die Entwidiung ber geihichtlihen Stubien in Neapel. 335

äbeario '), Balbo ?), Gregorj ’), Zrevifani*) und viele Andere ber w jenem Hiſtoriker gebildeten Schule.

Aber abgefehen von allen Einwendungen, bie ſich gegen Troha's afichten erheben Lajjen und erhoben werben, muß man gefteben, taß we Wrbeitöfraft des unfterblichen neapolitanifchen Gefchichtsfchreibers efig war, und groß wie feine Kraft fein Talent. Troya wollte brigens mit feiner Gefchichte des Mittelalters Fein Kunftwerk liefern, me Abjicht war bloß, die Urfachen des Verfalles und der Auflöfung ws römischen Reiches aufzuzeigen; ben Urfprung ver Barbaren, nelhe die bürgerlichen politiichen und militärischen Einrichtungen Roms zerftörten, und andere Geſetze, andere Sitten, andere Ein- Uhtungen an beren Stelle fetten; ferner ihre Regierungsform, die keislativen Beziehungen, weldye fich nach ihrer Anſiedlung geltend machten, und vie wechjeljeitigen Einflüffe, welche Sieger und Befiegte wfeinander übten, varzıılegen. Dabei fuchte er in den allgemeinften Thatſa⸗ den ſowohl, al8 auch in ben geringfügigften Dingen die Urfachen ber wehmaligen Schickſale Italiens auf. Bon vorneherein ſchon fah es ber Geichichtichreiber des Mittelalters ein, daß die ifolirten Thatſachen ſänem Vorhaben nicht genügten, fonvern daß es nöthig fei, bis zur wiprünglichen Quelle ver Dinge, bis zur feinften Wurzel der Uebel grüdzugeben. Denn die ifolirten Thatſachen ftellen fich unter vers Wiedenen Geſichtspunkten dar, und laſſen die Kenntniß des Ganzen mmer unvollflommen; während man das Scidjal einer Nation nur veun vollkommen fennen kann, wenn es ſowohl in fich felbit, als auch jeinen offenen und geheimen Beziehungen mit dem ter Andern be- achtet wird. Würde dieſes außer Acht gelaffen, fo verlöre tie Ge⸗ Wichte ihre ganze Wichtigkeit und Großartigteit und würde aus einer stionalen, erhabenen, eine miunizipale, gemeine. Das Leben ber Liller und daber auch ihre Gefchichte beruht auf fortmährenver und wechfeljeitiger Action und Reaction. Diejenigen, welche dieſen Grund-

) Storia di Torino. Torino 1846.

?, Della fasione delle schiatte in Italia.

3, Statuti civili oe criminali di Corsica Lione 1843.

4) Di aleuni teoremi principali della Storia d'Italia nel medio evo. Nap. 1846.

336 Die Entwidiung ber geſchichtlichen Stubien in Neapel.

fag mißtennen, haben mindeſtens ein Finbifches Urtheil über die menſch⸗ liche Natur, deren Bebürfniffe, Fähigkeiten und Beſtimmung. Dieß fah Troya wohl ein, er erfannte früh, daß, um in tie Urſachen der Thatfachen, vie er aus ber tiefiten Finſterniß bes Mittelalters her⸗ vorziehen follte, einzubringen, es nöthig fei, nicht bloß bie beſondere Gefchichte feines Volkes, fonvern die der ganzen Welt, ja vielmehr zweier Welten, ber gefitteten und barbarifchen, im welche bie bes fannte Erde damals getheilt war, zu ergründen. Auf biefe Weiſe feste Troya, nach dem Vorbilde des Polybins und Mardiie velli, nur unter günftigeren Debingungen als jene beiven, im ee Gefchichte das rationelle Element an die Stelle des künftlerifchen, wub lieferte fo ein ver Zeit, und der größern gefchichtlichen und philefer phifchen Entwicelung würbiges Werl. Das fchabete freilich ter Per pularität des Werkes, weil es bloß in vie Hänbe ter Gelehrim tom; das hinderte aber nicht, daß aus den durch Troya's Gefſchichte angeregten Discuſſionen der Gelehrten ganze Völker Nutzen zogen. Die Behauptung, daß unſer Geſchichtſchreiber im Syſteme der Geſchichte die Wiſſenſchaft an die Stelle der Kunſt fette, iſt aber nicht fo zu verfteben, als wenn das epifihe und bramatifche Clement penfelben ganz fehlen würde; denn ba die Gefchichte eine continuirlide Entwicklung bat, fo entbehrt fie nie des Intereſſes und ter Ku. Der berühinte Schriftfteller Tonnte nicht anters zu Werke geben, in bem er bie fchwierige, mühſame und verwidelte Arbeit vollenten weilte; er mußte disputiren und tiscutiren, Menſchen und Dinge, Thatjuchen und Ideen, bürgerlide und militärifche Einrichtungen, Gefege und Erinnerungen, Originaldocumente und Gefchichten gegeneinanter hal ten, ebe er bie Erzählung unternahm, um eine dauernde und glaubwär. dige Grundlage zu gewinnen, damit er überzeugen, fih Glauben verfchaffen önne. Daher bie Nothwentigfeit feines „Apparats« zur Gefchichte, wer durch er vorläufig die verwideltejten und jpigfindigften Fragen über ben Urfprung und bie Natur der barbariſchen Rölkerfchaften, welche nad» einander in unfere Halbinjel einfielen, über ihre Regierung, ihre Eit ten und Geſetze vor der Invaſion, über die Gewohnheiten, welche jyi- ter Geſetzeskraft in Italien erlangten, lölte, bei weldber Gelegenheit er mit einer bewundernswertben und grünblichen Kritik die Cinrichtungen ber Barbaren mit denen der lateinifchen Welt verglid, um ſodam je

Die Entwiciung ber gefchichtlichen Gtubien in Neapel. 837

feiner Hauptaufgabe zu fchreiten, die darin beſtand, den Urfprung bes Melienifchen Volles aufzufuchen, ob derſelbe von den älteften Urvätern ver Barbaren, bie nach dem Falle des römifchen Reiches eindrangen, abuleiten fei, oder von ber Vermifchung fchtifcher, gothifcher und germanifcher Racen; mit andern Worten: ob fich die eingeborne ita= Ehe Race durch die Jahrhunderte und die Barbarenherrfchaft Hin» " Wach ſtets erhalten, und die neue Civilifation Europa's bewerfftelligt habe, oder ob fie fich mit den Barbarenvölfern vermifcht und zu einem seuen Bildungsgang Deranlaffung gegeben babe, den man nicht ans» vers als den gothijch-germanijchen nennen könnte. Das war eine un- geheure Zeichnung, der Licht und Farbe zu geben für einen einzelnen Denfchen unmöglich fchien; allein zum Ruhme Italiens wurbe die Zeichnung ein unnachahmliches Gemälde, nur daß leider das Leben : Zrega’8 zu kurz war, um es ganz zu vollenden.

Aus alledem ergibt ſich aber, wie grunpfalfch e8 wäre, Troha als einen einfachen Gelehrten betrachten zu wollen; denn ein Dann, ver einen fo großen Plan für eine jo fchwierige Arbeit entwirft, und m zudem ncch fo weit entwidelt und großentheil® zur Ausführung bringt; ein Genius, der eine neue Schule ftiftet, und zahlreiche Schüs ker und Nachfolger hat (von denen ich nun fprechen werde), verbient ven Titel eines großen Philofophen und Gejchichtfchreibers und nicht ven eines einfachen Gelehrten.

IV.

Die Hiftorifhe Schule Italiens wurde allmählig reich an aus- geeichneten Arbeiten, und zeigte fich, trot der verſchiedenen Richtun« gen der Gefchichtfchreiber, im Ganzen genommen dem italienifchen Fort- ſchritt förderlih. Die Provinzen Lombardo⸗Venezien und Piemont hatten bereit8 folgende Werke aufzumweijen: „Geſchichte der ital. Muni⸗ cipien“ von Morbio, ‚vie berühmten Familien Italiens“ vom Grafen Litta; die Univerfalgefchichte von Cantü; bie origini italiche von Mazzoldi; die Gefchichte Ztaliens von Balbo; das Werk Cicog- na's über bie Inſchriften Venedig'; das von Vesme über bie Schickſale der Befigungen in Stalien; vie Gefchichte der Geſetzgebung von Sclopis; die fchägbaren Schriften von Sauli, Manno, Pey-

338 Die Eutwiliung der geſchichtlichen Gtubien im Neapel.

ron, Gazzera, Petitti, Saluzzo, Eibrario, Promis, Pro⸗ vanı, Ricotti, Della Marmora und bie „hiftorifchen Dentmä- ler Piemonts“, welche die Regierung in Zurin veröffentlichen ließ.

Mittel-Ytalien lieferte außer den Arbeiten Pezzana's für die po⸗ fitifche und Literatur-Gefchichte der Provinz Parma, und ver Samm- lung ver auf die Gefchichte des Herzogthums Lucca bezüglichen Docu⸗ mente: bie Gefchichte ver Malerei in Italien von Rofini; pas Wörterbuch der toscanifchen Gefchichte von Repetti; über die Urkunden ver ital. Gefchichte von Molini und das Archivio storico italiano, wel« ches die Veröffentlichung ver fchätenswertheiten Schriften und Docu⸗ mente bezwect, die über alle Theile ver italien. Gefchichte das meifte Licht verbreiten.

Schön und rühmilich war diefer Verein von Italienern, welche wetteiferten, den Urfprung, die Schidjale und Bewegungen der Idee eines gemeinfchaftlichen Vaterlandes von verfchievenen Standpunften aus zu erzählen.

Im Allgemeinen muß man’ geftehen, daß alle ven Gedanken an die Fremdherrſchaft verabjcheuten; hierin kamen Guelfen und Ghibel⸗ linen überein und bildeten eine einzige Phalanır. Die Thatfachen, vie man unterfuchte und prüfte, die Gefchichte, die man fchrieb, die Kehren, bie man darand zog, wurden ſämmtlich von dem einen Gefichtspunkt aus betrachtet, nämlich dem der Eintracht Italiens zur Wiedererlan⸗ gung ber nationalen Selbftftändigfeit; für die Guelfen unter der Form einer Conföberation unter dem Vorſitze des Papftes; für die Ghibel- linen al8 abfolute Einheit unter der Regierung eines tapfern liberalen italieniſchen Monarchen. Allein die guelfiihe Partei war fo zuſam— mengefhrumpft und in Stalien in Mißkredit gerathen, daß als bie Kenntniß des großartigen Werkes ins Publikum getrungen war, wel« ches Carlo Zroya mit fo viel Austauer zu Stante gebracht hatte, fich feine innigften Freunde von ihm losfagten, namentlich waren es die beiden Biedermänner Emanuele Repetti und Gabriele Pepe. Auch der Umftand, daß Cäfare Balbo fi zum Guelfen- thum befehrte, was er in ber Fortſetzung feiner italienifchen Gefchichte that (wovon er die erften beiven in einen antern Sinne gehaltenen Bände bereits im Jahre 18° hatte erjcheinen lajfen), war

Die Eutwicklung der geſchichtlichen Etubien in Neapel. 339

sk im Stande, ter Guelfifchen Partei zu größerem Anſehen zu ver- ſetfen.

So ſtanden die Dinge, als cin hoher Geiſt aus dem Eril einige Arbeiten veröffentlichte, die von einem Ende ber ſchönen Halb» ünfel bis zum andern in ven Gemüthern ter Staliener tie glorreiche Erinnerung an eine vergangene Zeit und das freubigfte Vertrauen in daB künftige Geſchick des Vaterlantes erwedten. Boll Philoſophie in Beorten und Gedanken zeigte er uns, daß obgleih uns das Miß- gihid tief hinabgeftürzt habe, wir dennoch im Stande feien, das verlorene wieder zu gewinnen, und noch einmal bürgerlih und mo— lich die Erſten in der Welt zu fein.

Tiefen Ausfpruch juchte er zu befräftigen durch eine großartige höchft originelle Darftellung ver Kämpfe jener Gewalten, welche das Rittelalter beberrfchten, durch tie Schilderung ver Kirche und bes Laiſerthums). Die vdialektiiche Entwidlung und Grzählung, mit äner bei modernen Schriftjtellern unerreichbaren Klarheit, mit einer mansſprechlichen, Achtung gebietenven Liebe zum Vaterlande gepaart, weten auf überrafchente und wunderbare Weife die italienifchen Ger müther aud dem ftarren Schlafe, in welchen fie verſunken ſchienen. Sincenzo Gioberti, tenn von biefem fprechen wir, fchien ter Berfüntiger der Leiden, des Elends, ver Tugenten, des Geiſtes von alien; man begreift feine Bedeutung, wenn man bedenkt, in welher Zeit er feine geltenen Bücher ſchrieb. Damals brauchte alien mehr als alles Andere bie Eintracht im Wollen, Wiits ſchen und Hanteln, vie Ginheit in ten Richtungen und Deftres bangen. Die Befolgung der Lehren Gioberti's, welder die alte guelfiiche Idee in eine neuere beſſere Form kleidete, ſchien damals das befte für Italien zu fein, und dies ijt unftreitig ter Grund ber gro- ben Popularität, welche Gieberti's Schriften auf ver Halbinfel erlangten. Die Guelfen betrachteten ihm ale ihr Oberhaupt, obwohl er ds Bermittler der beiden einanter gegenüberftehenden Parteien auftrat. Auch ſchien das guelfiiche Syſtem in ter Weife, wie es Gioberti torgefchlagen, einer viel leichtern Löſung fühig. Die Guelfen fuchten

3) Wir übergeben bier eine langatbmige etwas phraſenhafte Stizzirung bes Buches Prolegomini dal Primato civile e moralo etc. als unweſentlich. A.B.

340 Ueber bie Entwidiung ber geſchichtlichen Stubien in Neapel.

auch ihre Ueberzeugungen durch gefchichtliche Darftellungen zu erhär« ten, indem fie bie von dem fubalpinifchen Philofophen angegebenen Geſichtspunkte auf die Gefchichte anwandten, und fie kämpften durch diefe und mit dieſen in ungewohntem Eifer und ungewöhnlicher Glut für die eigene Sache,

An der Spige ver guelfifchen Bartei in der Gefchichtichreibung ftanden ſchon früher Balbo und Troya, und um diefe Grunpfäulen fammelten fich die jungen Köpfe ver Halbinfel. Uber hinter ber Reine von Männern entfchievenen und reinen Herzens fchleppten fih wie ein Schweif jene politifchen Kamäleone nach, welche mit dem jeweiligen Regierungsfpfteme auch ihre politifchen Meinungen zu wech feln pflegen, welche mit eberner Stirne heute öffentlich loben, was fie geftern laut verabfcheuten. Solchergeftalt wurde bie guelfifche Partei zahlreich und mächtig.

Unter den Jüngern der gefchichtlihen Doctrinen Troya's ift zu⸗ erft Gaetano Trevifani anzuführen, ver nur zu bald dem Leben und der Wilfenfchaft entriffen ward. Ducch volle zwanzig Jahre und mit feltener Ausdauer kämpfte Trevifani für Troya's hiftorifches Sy⸗ ftem, und während eines fo langen Zeitraumes war er mit nichts an⸗ derem befchäftigt, als mit der Aufbellung, Erläuterung und Erklärung ber vorzüglichften Grundſätze deſſelben. In der italienijchen Litera⸗ turgefhichte nimmt Zrevifani ohne Zweifel die Stelle des wärmften Apologeten des Troya'ſchen Syſtems ein, wenn er auch nur das von dem berühmten neapolitanifchen Gefchichtfchreiber Geſagte wies verholt. In der That hat er zu ben von Zroya felbit verfoch⸗ tenen Lehren und SKenntniffen feine neuen Hinzugefügt; die Richtung feiner Stubien Hatte ihn dahin geführt, die Anſichten deſſelben an⸗ zunehmen, und er ftrebte darnach, fie mit Eifer in dem Lande zu verbreiten, welches die Wiege feine® Lehrers verherrlichte. Anftatt ihm aus der Zähigfeit feiner Meinungen einen Vorwurf zu machen, muß man ihm dafür dankbar fein, weil er dadurch das Intereſſe und den Eifer für gefchichtliche Discuffionen wach erhielt, welche vie Geſchichte Italiens nicht unerheblich förderten.

Die Geſchichte von Monte Caſſino hatte in P. Luigi Toſti, ein ſtaunenswerthes Talent entdecken laſſen, das es ſich zur Auf- gabe machte, den Ruhm bes abendländiſchen Mönchthums und des

Die Entwidiung ber geſchichtlichen Etupien in Neapel. 341

isffinefifchen Stiftes, viefes einzigen Leuchtthurmes in der Winfterniß er Barbarei zu erzählen, und Tofti löfte feine Aufgabe auf das Lobens⸗ sertbefte'). Bor ihm waren Mabillen ’), Urmellini?), Legipontiug *), tegelbauer') und Garbarini*) die vorzüglichften, welche vieles auf die Beichichte des Benedictinerordens Bezügliche behandelten, feiner aber beachte daran, eine Gefchichte der Abtei von Viontecaffino zu fehreiben, wit Ausnahme Des Caſſineſers Erasmo Gattola, welcher eine Spe- Kelgeichichte Montecaſſino's von 529 bis 1725’) zu fehreiben ver» ſuchte. Toſti, vem alle früheren Schriften zu Gebote ftanben, lieferte ein beſſeres Wert als Gattola. Er entrolft uns ein großes Ge— wälre der Gefchichte Montecaſſino's bis auf unfere Tage. Und wenn wir uns auch nicht mit Allem einverftanden erklären können, was ber gelehrte Mönch fchrieb, fo kann ihm doch Feiner das Verdienſt raus ben, daß er es verftand, mit großer Geſchicklichkeit die wichtigften Les bentfragen ver allgemeinen Gejchichte des Mittelalters an eine Epe- defgefchichte zu knüpfen, wobei er ſich jedoch nicht von ven Geſichts⸗ yanften Troya's entfernte. Wichtig find die Noten und Documente, weiche auf jedes Buch ver Gefchichte folgen, namentlich die von Toſti zwerft veröffentlichten bisher ungedrudten Papiere. Daher muß man, ebgefeben von den bejonveren Anfichten des Schriftitellers über bie mittelalterlichen Zuftänte, vie Gejchichte ven Montecafjino für das Bert eines tüchtigen Talentes halten.

Diefer Arbeit folgten nach und nach noch andere deſſelben Ver: ſaſſers über Abilard, Bonifacius VIII, das Concil ven Conftanz, das Schisma des Orients, und die Gräfin Mathilte, lauter Gegen»

I) Storia di Monte cassino Napol. 1842 und 1843.

) Annal. Benedict. edit. Trid. 1724. De studiis monastieis, Venetiis 1730.

3) Bibliotheca Benedictino-Cassinensis. Assisiis 1731.

%) Historia rei litterariase ordinis 8. Benedicti, Augustae 1744.

*) Idem, Herbipoli 1754.

®) Discorso su i vantaggi recati dall’ ordine di S. Benedetto alla Chiesa e alla societä Modena 1823.

) Venezia 1734, Vol. in 4. in foglio.

342 Die Entwidlung ber geſchichtlichen Stubien in Neapel.

ftände, welche für die Gejchichte, nicht nur Italiens, ſondern ganz Europas höchſt wichtig find. Die Studien Toſti's über die Ges ſchichte Montecaffino’s, und die Noten und Documente, welche er aus den Archiven des Kloſters fchöpfte, öffneten ihm den Zugang zu allen biefen wichtigen Arbeiten, und er entlebigte fich derſelben mit feltenem Fleiße und Austauer.

In ver Geſchichte von Diontecaffino gibt ſich der gelehrte Mönch natürlicher Weile als Guelfen zu erkennen, allein er thut bieß nach dem Syſteme Troya's d. 5. mit Klugheit und Ruhe, und den Be⸗ weis für die angeführten Behauptungen mehr aus den Thatſachen und Urkunden als aus dem eigenen Talente herbolend. Allein im feinen letttern Werken offenbart er fich mehr denn irgend ein anderer Guelfe des neunzehnten Jahrhunderts als einen entſchiedenen Partei⸗ gänger der Päpſte, und fieht und beurtheilt alles und jedes mit den Augen und dem Geifte eines Guelfen aus den Zeiten Alexan⸗ der's III., Innocenz III, und Bonifacius VIII. Es ift für ihn ein Labjal, wenn er vie politifche Welt vor dem römifchen Stuhle ge- beugt ſieht, wenn er feinen Blick auf die Gräfin Mathilve Heftet, welche ihre ganze Macht Hilvebrand anbietet, wenn er fieht, wie Heinrich reuig und büffend zu den Füßen Gregor’ VII. um Gnade fleht oder wenn er Bonifaz VIII. ausrufen hört: „Das Schwerbt muß bem Schwerdte unterliegen und die zeitliche Macht der geiftigen unter- werfen fein, beide Schwertter hat die Slirche in ihrer Gewalt. Da kümmert er fich nicht mehr um die feierliche Ruhe der Gejchichte, nicht um ihre unabweislichen Folgerungen, fonvern vergift die Welt um ſich ber, vertieft fich in's Mittelalter, ftellt ſich dieſes lebendig und redend vor feine Blide, fett es an die Spike aller feiner Ge— danken, beweint deſſen Verdunklung als den Verluſt der fchöniten Sache, und im Angeſichte ver Geſchichte ſchweigen alle übrigen Men—⸗ ſchen und es bleiben nur zwei übrig, ber Papſt und der Schrift: fteller, der ver ihm anbetend auf den Knieen liegt. Sekt ift es nicht mehr der ernjte Gejchichtfehreiber, welcher |pricht, fondern der unbeug- fame Parteigänger, nicht mehr ter Mann des XIX. Jahrh., fondern ber feurige Guelfe des Mittelalters, nicht mehr der Nichter über menfchliche Handlungen, fondern ter Lobredner des Papftes. Ale folcher wurde er auch von einem noch lebenden Manne aus berfelben

Die Entivilinng ber geſchichtlichen Studien in Neapel. 341

Gaflinefifchen Stiftes, dieſes einzigen LeuchttHurmes in ver Winfterniß der Barbarei zu erzählen, und Toſti löfte feine Aufgabe auf das Lobens⸗ wertheite‘). Bor ihm waren Mabillen ‘), Urmellini?), Legipontius *), Biegelbaner') und Sarbarini®) die vorzüglichften, welche vieles auf bie Geſchichte des Benedictinerordens Bezügliche behandelten, feiner aber dachte daran, eine Gefchichte der Abtei von Montecaſſino zu fchreiben, wit Ausnahme des Cafjinefers Erasmo Gattola, welcher eine Spe⸗ zialgefchichte Montecaſſino's von 529 bis 1725) zu fehreiben ver- ſuchte. Toſti, vem alle früheren Schriften zu Gebote ftanden, lieferte ein befferes Werk als Gattola. Er entrolft uns ein großes Ges mälde ber Gefchichte Montecaſſino's bis auf unfere Zage. Und wenn wir uns auch nicht mit Allem einverftanvden erklären können, was ber gelehrte Mönch fchrieb, fo kann ihm doch Feiner das DVerbienft rau- ben, daß er es verftand, mit großer Geſchicklichkeit die wichtigften Les bensfragen der allgemeinen Gejchichte des Mittelalters an eine Spe— dafgefchichte zu knüpfen, wobei er fich jedoch nicht von ten Geſichts⸗ yanften Troya's entfernte. Wichtig find vie Noten und Documente, welche auf jeves Buch der Geſchichte folgen, namentlich vie von Zofti zuerft veröffentlichten bisher ungedrudten Papiere. Daher muß man, abgefeben von ten bejonveren Anfichten des Schriftjtellerd über Die mittelalterlichen Zuftänte, die Gefchichte ven Montecafjino für das Berk eines tüchtigen Talentes bulten.

Diefer Arbeit folgten nach und nach noch antere deſſelben Ber: faſſers über Abälard, Bonifacius VIII, das Concil ven Gonftan;, das Schisma tes Orients, und die Gräfin Mathilde, lauter Gegen-

I) Storia di Monte cassino Napol. 1842 und 1843.

") Annal. Benedict. edit. Trid. 1724. De studiis monastieis, Venetiis 1730.

’) Bibliotheca Benedictino-Cassinensis. Assisiis 17.31.

) Historia rei litterariae ordinis 8. Benedicti, Augustae 1744.

) Idem, Herbipoli 1754.

*%), Discorso su i vantaggi recati dall’ ordine di S. Benedetto alla Chiesa e alla societä Modena 1823.

) Venezia 1734, Vol. in 4. in foglio.

342 Die Entwillung ber geſchichtlichen Studien in Neapel.

ftände, welche für die Gefchichte, nicht nur Italiens, fondern. ganz Europas höchſt wichtig find. Die Studien Toſti's über bie Ges fchichte Montecaffino’s, und die Noten und Documente, welche er aus den Archiven des Kloſters fchöpfte, öffneten ihm den Zugang zu allen biefen wichtigen Arbeiten, und er entletigte fich berfelben mit feltenem Fleiße und Austauer.

In ver Gefchichte von Montecaſſino gibt fich ber gelehrte Mönch natürlicher Weile als Guelfen zu erfennen, allein er thut dieß nach dem Syſteme Troya's d. h. mit Klugheit und Ruhe, und den Des weis für bie angeführten Behauptungen mehr aus ten Thatſachen und Urkunden als aus dem eigenen Talente berbolend. Allein in feinen legtern Werken offenbart er fich mehr denn irgend ein anderer Guelfe des neunzehnten Jahrhunderts als einen entſchiedenen Partei⸗ gänger der Päpſte, und fieht und beurtheilt alles und jedes mit den Augen und dem Geifte eines Guelfen aus ven Zeiten Aleran« der's III., Innocenz III. und Bonifacius VIII Es ift für ihn ein Labjal, wenn er bie politifche Welt vor dem römijchen Stuhle ges beugt fieht, wenn er feinen Blick auf die Gräfin Mathilde beftet, welche ihre ganze Macht Hildebrand anbietet, wenn er fieht, wie Heinrich reuig und büffend zu den Füßen Gregor’ VII. um Gnade fleyt oder wenn er Bonifaz VIII. ausrufen hört: „Das Schwerbt muß bem Schwerbte unterliegen und bie zeitliche Macht der geiftigen unter- werfen fein, beide Schwerdter hat die Kirche in ihrer Gewalt. Da fümmert er fich nicht mehr um vie feierlihe Ruhe der Gefchichte, nicht um ihre unabweislichen Folgerungen, fonvern vergift die Welt um ſich ber, vertieft fich in’8 Mittelalter, ftellt ſich dieſes lebendig und rebend vor feine Blide, fett es an die Spite aller feiner Ges danken, beweint deſſen Verdunklung als den Verluſt der fchönjten Sache, und im Angeſichte ver Geſchichte ſchweigen alle übrigen Men—⸗ ſchen und es bleiben nur zwei übrig, der Papſt und der Schrift⸗ ſteller, der vor ihm anbetend auf den Knieen liegt. Jetzt iſt es nicht mehr der ernſte Geſchichtſchreiber, welcher ſpricht, ſondern der unbeug— ſame Parteigänger, nicht mehr der Mann des XIX. Jahrh., ſondern der feurige Guelfe des Mittelalters, nicht mehr der Richter über menſchliche Handlungen, ſondern der Lobredner des Papſtes. Als ſolcher wurde er auch von einem noch lebenden Manne aus derſelben

ro Tee m ee

Die Entwidlung ber gefchichtlichen Studien in Neapel. 343

Zroya’ihen Schule bezeichnet, deſſen Urtheil lautet: „Saft alle tie Schönen und beredten Werfe, vie Zofti bis jest veröffentlicht hat, reihen ihm mehr umter bie Apologeten als unter bie Gefchicht- ſchreiber. As ein glühender und Leidenfchaftlicher Kämpfer für eine ſchöne Sache ficht, ringe, argumentirt und vertheibigt er viel- mehr als er erzähft. Die gefchichtliche Erzählung erfordert cine ganz andere Ruhe des Geijtes, eine ganz andere Gelajjenheit des Urtheils, eine anzere Klarheit des Stiles, als Toſti je befigen wird. Er vers ſteht es nicht, die Thatfachen von felbjt fich abmwideln und reden zu faffen mit ver befcheivenen und gewinnenten Evidenz einer fchlichten ud anſtandsvollen Rede. Er fchleutert den Epeer bei den erften Borten, und wirft feine Behauptung als eine Herausforderung Hin, zimmt das Urtheil gebieteriich gefangen und verfolgt feine Rebe mt ſtets wachſendem Eifer und mit hohen Phraſen, als gälte c8 eine Zubörerfchaft fortzureißen und nicht einen ftillen Leſer zu belchren und zu unterrichten“ ').

Diefes geſunde Urtheil jtellt nun zwar vie Eigenfchaft Toſti's ds eines unparteiiſchen Gefchichtichreibers in Abreve, läßt jedoch bie weientlihen Mängel der ven ven cafjinefischen Schriftfteller vertbei- tigten Lehren unangefochten. Der Hauptfehler ver guelfiſchen Schriftftel- ler befteht darin, daß fie die Travitionen des Mittelalter auf unfere morernen Zeiten übertragen wellen, daß fie den Myſticismus pre= digen in einer Zeit der thatkräftigen Civilifation, das Leben ver Zrigheit, die ausſchließliche Herrichaft eines alten Syſtems vor einer Generation, tie unter ten Kämpfen und Grfüllungen ber fecialen lichten zu einem hohen Grate von Bildung und Thätigkeit gelangt ft. Daher die offenbaren Feindſeligkeiten gegen die neuen Einrich— tungen des XIX. Jahrh., gegen den potitiichen und bürgerlichen Fort- ſchritt der Gefellichaft, gegen vie menarchifche Gewalt felbjt, wo dieſe an vie unglüdliche Geſchichte der Stuarts erinnert. „Denn“, um mit einem großen gefrönten Haupte zu fprechen, das heute vie Geſchicke des armen Stalien und ganz Europa's in Händen hält, „bie Stuart follten ven Katholicismus herftellen, und haben ihn für Jahrhunderte

—⸗·—

!) Giovanni Manna in ber neapolitan. Zeitſchriſt „il Diorama“ Jahr⸗ gang III Rro. 17. April 1858.

846 Die Entwidlung ber geſchichtlichen Gtubien in Neapel.

von Anjou, einem edlen und wadern Monarchen, ber fie bie an feim Tod mit Wohlthaten und Gnaden überhäufte”. Wohin führen uk die vorgefaßten Meinungen und ver blinde Parteigeift, felbft bis zu Entftellung ter Thatjachen, und zur Verdrehung der Wahrheit, weid boch das einzige Fundament ver Gefchichte fein follte. Ich behaup nicht, daß in derſelben die Individualität des Gefchichtfchreibere gem untergehen müſſe, denn dieſer ijt es ja, welcher urtheilt und über bi Thatfachen Gericht hält; allein Die Gefchichte und ihr Erzähler dir fen nicht das Wefentliche ver Thatſachen verbrehen, um fie ihrer eige nen Sache und ihrer invivivuellen Meinung dienftbar zu machen, be fonder8 wenn die Tharfachen mit biefer im Wiverfpruche find.

Die Dynaſtie der Anjeu war ein wahres Unglüf, nicht nur fh bas Rand, ſondern auch für ganz Stalien. Die Graufamfeiten, MG bräuche, Ungerechtigfeiten, Die Frohnden, Beraubungen mit bewaffes ter Hand, und das eiferne Zoch Carl's von Anjou find von ala zeitgenöffifchen Gejchichtfchreibern hinlänglich befchrieben worden, bi Guelfifchen jelbft nicht ausgenommen.

Zomacelli erwähnt abfichtlich einige Fehler der Regierung Carl'e I, aber er wirft vie Schuld derſelben auf vie Minifter, in ver Abſicht den Fürften zu entjchultigen, ver Doch in abfeluten und despotiſche Staaten allein verantwertlich ift für eine fchlechte, habjüchtige, unge treue und finnlofe Verwaltung; und während er ven tapfern und ri terlichen Manfred Vatermörder, Brudermörder, Giftmiſcher, Blutfchänden Ehebrecher und Tyrann nennt, wagt er es bernach, einen Carl ver Anjou edel, großherzig und fromm zu nennen! Während er die Ri ter, welche Konrabin verurtbeilten, ‚‚feig und feil nennt, denkt er beim lich dabei, daß alle Richter für vie Yosfprehung waren: „ver Ein zige Roberto di Bari, ein Brovencale, Protenotar des Reiches ftimmt für den Zod, und das war genug, dab ihn Carl tecretirte. Un faft ärgerlih tarüber daß er viefen Fleden aus tem Leben Garfı von Anjou nicht wegwifchen kann, behauptet Zomacelli, c8 wäre at beften geweſen „Konradin in lebenslänglicher Haft zu halten, Gift ü bie Speijen zu mifchen, bie ihm ter König reichen ließ” als men die Zodekart ob durch Tas Schwert over Gift einen nieberträchtige Meuchelmord in eine fchöne und chrenvolle That verwanteln könntt

Daß der Papft Innocenz IV. vie Unabhängigkeit und Einhei

Die Entwicklung ber gefhihtlihen Stubien in Neapel. 347

Italiens begünftigt habe ift etwas, was von allen modernen Ges fchichtichreibern der Halbinfel Tomacelli allein zu behaupten wagt. Allein die unparteiifche Gefchichte ehrt und int Gegentheil durch ein Jahrtauſend hindurch, daß das römiſche Papſtthum wegen eines mifroftopifchen Ländchens oder um mit der nationalen Muje Giu— feppe Giuſti's zu jprechen, wegen einer „Kaſtanienſchale“ ſtets ber Stein des Anſtoßes für die Einheit gewejen ift; daß das Papitthum, um den Schimmer einer zeitlichen Gewalt zu bewahren und bie Spal- tung der Italiener wach zu erhalten, ftet8 einen Fremden angerufen bat, um ihn einem andern in ven Angelegenheiten unferer unglück— lichen Halbinfel entgegenzufegen. And was bie Zeit betrifft, von welcher Zomacelli redet, jo erinnere man ſich nur, daß, al8 im Jahre 1267 ver Papjt den Earl von Anjou als Frievensftifter nach) Toscana fanbte, diefer ihm ſchwören mußte, daß er die Autorität nicht länger al8 3 Jahre behalten und fie fofort wieder abgeben werde, fobald ein Kaifer die Anerkennung erhalten haben würde. Sein einziges Factum fpricht für die Liebe der Staliener zu den Anjons, wie unfer Ge— ſchichtſchreiber erzählt, fontern gerade das Gegentheil fteht feit.

Wer will nach alledem bei Tomacelli Gefchichte lernen? Wer fönnte ihn je zu ten Gejchichtfchreibern zählen troß feiner wirffamen Schreibart und der ſchönen Sprache ? Allein damals, als Tomacelli fein Bud ſchrieb, war ganz Stalien, gut- oder böswillig, wirklich oder ſcheinbar, auf einmal guelfifch geworben, und erwartete und verfprach fich viel von dem neuen Bapfte und dein neuen Papftthume fowie von denjenigen, » welche durch Talent, Einfluß und Schuß daſſelbe begün— ftigten. Diefen Umfchwung, wir wieberholen es, hatte Vincenzo Gios berti wunderbarer Weife bewirkt, und auf das Wort des großherzigen Verbannten bauten alle Staliener, mit Ausnahme jener wadern Xeute, welche lange gekämpft und gearbeitet hatten, um in Stalien eine ftarfe, eble und allgemeine Meinung berzuftellen, welche der betretenen na⸗ tionalen Richtung entfpräche, wie fie von dem Vater der neuen ital. Cultur zuerft formulirt worden war. Daher kam es, daß fich die Guelfen bemühten, eine Macht zu kräftigen, von ber fie das Heil des Vater: landes erwarteten, jelbft um ben Preis ber Verfälfchung der Ge ſchichte. Trotzdem verſtand es das Papſtthum nicht, oder hatte es den Willen nicht, die Gunſt des öffentlichen Vertrauens zu benützen, wel⸗

Diſtoriſche Zeitſchrift VL. Band. 24

348 Die Entwidfung ber geſchichtlichen Etnbien in Neapel.

ches ihm das neue guelfifche fogenannte vermittelnde Element ned Gioberti verfchaffte, ja deſſen goltne Schriften felbft wurden mit bem Banne belegt und auf ten Index libr. prohibit. gejegt. Dies beftätigte auf das FFeierlichfte ven Ausfpruh Dante's und Macchiavelli's, bie Thatfachen der alten und neuen Geſchichte und vie Anfichten aller Ghibellinen Hinfichtlich des künftigen Schickſals ver Halbinfel. Das Papf thum felbft nämlich zerftörte das Werk ver Guelfen durch vie Hark nädigleit und Zähigkeit, mit ber e8 an ben alten Traditionen bei römifchen Stuhles feithielt und fich als den unverföhnlichen Fein der italienifchen Unabhängigkeit offen erklärte. Indem es vie öſter reichifche Herrfchaft begünftigte, neue bewaffnete Fremde in’s Far rief, beftätigte e8 feierlich und auf unläugbare Weife tie Behaup tung der Öbhibellinen von Pietro delle Vigne bis auf bie neuefte Je, dap nämlich ver legte Grund ver Knechtſchaft, der Uneinigkeiten, Giferfüchteleien, des Haffes, des Zwiefpaltes und ver endloſen ebd, welche die Italiener feit Jahrhunderten zu leiten hatten, in ber weltlichen Macht des Papſtes liege. Daher hatten vie wahren und freifinniger Weiſen Recht zu fagen, daß bie legte Manifeftation und Umtmantlung bes Guelfismus in Italien vie Schriften Gioberti's waren, gerade fo wie der größte Sieg der Öpibellinen in Intereſſe der künftigen Unabhängigkeit Ftaliens in der Enchclica vom 29. April 1848 mb balten fei.

X, Zur Würdigung von Ranle’s hiftorifcher Kritik.

Georg Waitz.

Sranzöfifge Geſchichte vornehmlih im fechzehnten und fiebzehnten afehundert von Leopold Rauke. 5. Band. Etuttgart, 9. ©. Cotta'ſcher klag, 1861. 5336. 8.

Die großen Arbeiten, mit denen Leopold Ranke fortführt unfere ftorifche Literatur zu bereichern, finven nur felten noch eine aus⸗ Igelihe Beiprehung in unferen kritiſchen Qlättern. Bei dem Pub» ham des In⸗ und Auslantes, das begierigft nach jedem neuen Werfe nd Bande greift, bevürfen fie Feiner Einpfehlung: jeder Leſer weiß, se wie anziehende Darftellung großer welthifterifcher Epochen, eine ie intereffante Schilverung hervorragenver Berfönlichkeiten er finden wird; mitforfchende Gelehrte aber freut fich im voraus ber Fülle neuer uffchlüffe, die aus einem eingehenden Stubium ber Periode, aus der enugung eines ausgebehnten urlundlichen und handſchriftlichen Mas riais gewonnen worden ift; ex erwartet mit einer gewiflen Span⸗

QAr

350 Georg Waitz,

nung, wie in ber Betrachtung Ranke's die oft verhandelten Frages in ben nach den verfchiedenften Seiten hin fo inhaltsreihen Jahe hunderten, denen er vorzugsweife feine Forſchung zugewandt hat, & fcheinen. Dabei bleibt dann freilich dem einen wie dem andern ein Zweifd über die Art ver Auffafjung und Beurtbeilung einzelner Charaktere id Begebenheiten; die ganze Behandlungsweije erfreut fich nicht bei allen gleicher Gunft, oder fie erfcheint wenigftens nicht für alle Aufgaben gleichinäßig geeignet: wie auch ter größte Maler ja wohl nicht mil gleichen Erfolg feinen Pinfel den verfchierenen Darftellungen des % bens leiht. Gewiß haben auch andere Betrachtungsmweifen ihr Neil und Ranfe felbft hat bei mehreren Gelegenheiten es ausgeſprochet, wie er am wenigften gemeint ift, für feine von einem beftimmten Stau punft aus unternommene Schilderung nun zuleßt der großen Epochen der Gefchichte der beiden in der neuern Zeit vor allen andern in da Vordergrund tretenden europäiſchen Nationen, eine, daß ich fo fa, unbedingte Gültigkeit in Anſpruch zu nehmen. Wie fie aber in Frank reich und England reiche Anerkennung gefunden haben, fo werten in Deutfchland in ihnen ficher einen neuen Beweis ſehen, wie unfer hiftorifche Wiffenfchaft ven Beruf und vie Fähigkeit hat, die Ge fchichte der verfchiedenjten Nationen zu durchdringen und von em wahrhaft univerfalhiftoriichen Stanbpunft aus zu würbigen. & werten auch wenige anftehen, namentlich der nun vollendet vorliegen ben franzöfifchen Sefchichte unter den Arbeiten Ranke's einen der @ | ften Pläße anzumeifen: gerade bier war cin Stoff gegeben, wie er wohl ganz eben feiner Natur entjpricht, an dem er alle die glänzer den Eigenfchaften feines Geiftes auf das bejte bewähren konnte. And bier ift dann, nad) allen den Arbeiten, welche die Franzoſen felbit der Zeit des Höhepunftes ihres alten Königthums zugewandt Haben, nicht bloß in ver Auffaffung im ganzen, auch in ven Einzelheiten viel eb Eigenthümlichen und Neuen gegeben: ungebrudte Quellen, wie ber Verfaffer fie immer ſchon benutzte, diplomatische Relationen und Gar rejpondenzen, gleichzeitige Aufzeichnungen verfchievener Art haben dazu das Material geboten.

Wenn aber die Ausbeutung folder Quellen ben erften Werten Ranke's einen befondern Ruhm eintrug, da fie in überrafchenrer Welke zeigten, welche Wufichlüfje über Eis dahin wenig ober gar nicht ge

Zur Würdigung von Ranke's hiſtoriſcher Kritik. 351

kannte Seiten der Gefchichte hier zu gewinnen feien, fo bat ihm fpä- ter wohl aus der bevorzugten Benugung berfelben eher ein Vorwurf gemacht werben follen. Den Diplomaten, „Leuten, deren Schrift und Wort fo oft nur zur Verjtellung der Wahrheit dienen müffes, werde eine ungebührliche Autorität beigelegt, da doch „ihr Bericht keine größere Bedeutung habe, als die Mittheilung jedes andern fühigen zeitges nöffifchen Beobachter, der in dem eigentlich factifchen Theile der Ge- ſchichte den Täufchungen leicht weniger als jene ausgefeßt feis; bie Dinge belämen, in dem Spiegel ihrer Auffaffung gefehen, leicht etwas kleinliches; die große Macht der Ereigniſſe fomme fo in den täglichen Aufzeichnungen nicht zur Geltung. Es nimmt Wunder, einen Gervinus in biefen Ton einftimmen zu fehen (Fr. Chr. Schloffer S. 26), nachdem er jelbft neuerdings in den legten Bänden feiner neuejten Gefchichte gezeigt, wie viel diefen ihm erjt ſpäter zugänglich geworbenen Pa⸗ pieren entnommen werben könne, und wie auch die Beurtbeilung an fih wohl befannter Ereigniffe darnach eine andere werde. Wer näher auf Ranke's Behandlungsweiſe eingegangen war, bie einbringenbe und umfaffende Forſchung fannte, die er feinen Darftellungen voran« gehen ließ, wußte wohl, wie wenig Grund die Meinung habe, daß er anderweitige Quellen vernachläßige over zurüdfege. Allerdings hat er oft einen Zweifel fundgegeben gegen hergebrachte Erzählungen, und zwar gerate auch folche, die fich auf vielgelefene, berühmte, in man cher Beziehung fehr hervorragende Gefchichtsbücher ftügen. Wie er aber ſchon in ver Beilage zu feiner erften Schrift: Zur Kritik neuerer Geſchichtſchreibung, ein folches Miktrauen rechtfertigte, jo hat er auch fpäter wohl, in den Beilagen zur deutfchen Gefchichte, und fonft ge- legentlich, die Refultate feiner kritiſchen Forſchungen dargelegt. Doch aber vielleicht für manche Lefer nicht genug. Und es ift daher im jever Beziehung erfreulich, daß jet der ſchon vor einigen Sahren voll» endeten franzöfifchen Gefchichte ein Band mit Belegen und Eritifchen Erörterungen nachfolgt, der gerade in dieſer Beziehung eine befonbere Bedeutung hat: Analecten zur franzöfiichen Gefchichte im fechzehnten und fiebzehnten Jahrhundert, wie der Verf. ven Yuhalt bezeichnet. Ich verweile nicht bei dem, was bier an. neuem urkundlichen Material geboten wird. Für weitere Sreife amt intereffanteften bürfs ten jedenfalls bie Briefe ver Herzogin. von’ Orleans, Elifabeth Ehar«

352 Georg Waitz,

Iotte, an die Kurfürſtin Sophie von Hannover, fein, pie hier, freilich nicht vollftändig, aber in reichen Auszügen, aus dem bannoverfchen Archive mitgetheilt werben. Außerdem haben bie venetianifchen Nelaties nen zu verfchiebenen Auszügen Anlaß gegeben, von benen allerbings ein Theil feit dem ſchon vor einigen Fahren begonnenen Drud des Ba bes anderweit publicirt worben ift. Daneben fehlt es nicht an DM theilungen über andere handſchriftliche Aufzeichnungen zur Geſchicht ber Zeit, unter denen Memoiren des bekannten Pater Joſeph jeben- falls ven erften Pla einnehmen. Bier hebe ich aber beſonders fer vor eine Reihe von Auffügen, die fih mit befannten Darftellunges aus der franzöfifchen Gefchichte befchäftigen, über Davila's Geſchicht ber franzöfifchen Bürgerfriege, und über einige ber bebeutenbften Die moirenwerfe diefer Zeit, Richelieu's, des jüngeren Brienne, des Ca binal Re und des Duc de St. Simon. Sie find alle Mufter fir ner und umfichtiger Kritik: die Fragen ver Echtheit, der Glaubwär bigfeit, des Werthes einer beftinnmten Betrachtungsmweife, kommen bier zur Erörterung und werben in einer Weiſe behandelt, die über des Verfaſſers eigene Art zu arbeiten ven beften Aufſchluß gibt und bes Anregenden und Belehrenden im allgemeinen gar viel enthält.

Bortrefflich ift gleich anfangs die Auseinanderfegung über die Schwächen Davila’8. Ranke vedt die vielen Unrichtigfeiten feiner Erzählung af, aber er verhehlt nicht die Bewunderung vor feinem Zalent; er & Härt den großen Erfolg, ten das Buch gehabt, würdigt ven Einfluf, den es geübt: wie e8 dazu beigetragen, alle® auf Meine Motive, und in ben religiöfen Angelegenheiten auf egoiftifche Antriebe zurückzuführen, und wie dieſe Anficht dann in dem Pragmatigmus des 18. Jahrhuw bertS vorgeherrjcht habe. "Das Göttliche oder Gottverwandte in be menſchlichen Natur war aus ver gefchichtlichen Darftellung entfchwur ben: ohne Enthufiasinus und Willfür, forjchend und ter Wahrheit die Ehre gebend, fuchen wir e8 wieder zu finden«.

Mit voller Anerkennung fpricht Ranke auch von dem Talent des Car⸗ binal Reg. „Seine Bildwerle haben eine Feinheit des Pinfels um Sicherheit der Conturen, welche man nur bei ben großen Meiftern finret«. Den Memoiren wird ein hohes, in einem ober dem andern Bezug unvergleichliches literarifches Verdienſt vindicirt. Aber freiliqh mit dem biftorifchen Werth fteht es anders. „Das Vorgetragem,

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Zur Würdigung von Ranke’s Hiftorifcher Kritik, 353

int es, wird zu tem Beweiſe genügen, daß man bei einer erneuer- u Darftellung ber Freude am beften thun wird, bie Erzählungen 8 Sartinal Reg fürs Erfte auf fich berugen zu laffen und fich nur u die zuverläßigen, wiewohl ıninder braftifchen Nachrichten zu Halten, ie wir anterweit finden-. Aehnlich bei der Betrachtung von Brienne's Infzeichnungen: „In tiefen leichten Darjtellungen mag fich auch mans hes Wahre finden: wer will es aber mit Sicherheit unterfcheiven«?

Anters iſt die Beurtheilung St. Simon’s, deſſen eigenthümliche Stellung am Hofe Ludwig XIV. bier eine Würdigung erhält, vie niele Einfeitigfeiten, ja Unrichtigfeiten in feinen Erzählungen erklärt, ıber ihm doch eine nicht geringe Bereutung läßt, wenn man ihm auch ven Ruhm nicht zufprechen kann, den einige feiner Landsleute ihm haben ficyern wollen. „Nicht als unbefangene Anfchauung können wir aljo die Urtheile St. Simon’s anfehen: fie find in den Anfichten bes Hofes und ter Parteiftellung begründet. Aber das große Talent bes Schriftjtellers gibt ihnen doch einen hohen Werth. Yu feiner Geſinnung ift bei aller Parteibejchränftheit etwas Aechtes, was über biefelbe erhebt. Es redet ven Bewegungen ver menfchlichen Seele, welche fie adeln, das Wert: Entfernung von gemeinem Intereſſe, Unab- hängigfeit ter Geſinnungen und Bravheit. Alles entgegengeſetzte Beftreben vertammt er und verfolgt es mit unbarmberzigen Scharffinn bis in feine geheinften Schlupfwinkel. Diefer ſcharfen und ftrengen Moral verdankt cr jene Vergleichung mit Tacitus hauptſächlich, und es ift etwas werth, daß er fie in einer verfallenten Zeit behauptete: aber in allen audern Cigenfchaften, die ven Hijtorifer ausmachen, fteht er tief unter ihm«.

Die Abhandlung über die Memoiren tes Cardinals Richelieu im Jahre 1850, in ber Berliner Akademie gelefen, nimmt bie in einem Auffag ver hijtorifch-politiichen Zeitfchrift gegebene Unterfuchung wie- der auf und führt fie zu einem andern Refultat. Der Zweifel an ber Berheiligung Richelieu's bei der Abfaffung des Werkes, wie es vor» liegt, wird aufgegeben. „Ohne Zweifel hat Richelieu ſelbſt das Wert zur Bekanntmachung bejtimmt: doch war e8 von ber Geftalt, in der eine felche für ihn ausführbar geweſen wäre, noch weit entfernt, als er ſtarb⸗. „Die Kritik,“ fügt Ranke Hinzu, „ift wie tie Wurfel auf ber Tenne, welche ven Weizen von ver Epreu ſcheidet. Manchmal fintet

354 Georg Waitz,

fie nichts al8 Spreu auf dem Boden: Hier ift viel Spreu, aber zu⸗ gleich viel Weizen«.

Aber auch ein anderes Wort des Verf. mag hervorgehoben wer- den. „Wer es nicht felbjt verfucht Hat, kann fich faum einen Begriff davon machen, auf welche Schwierigkeiten man ftößt, wenn man bunlle und zweifelhafte hiftorifche Thatfachen erforfchen will«. Hier ift zu⸗ nächft eben von der Forfhung die Rede. Die ganze zugleich fchäne und große Aufgabe des Gefchichtfchreiberd aber Hat Ranle an einer andern Stelle dieſes Bandes in treffenden Worten bezeichnet, bie wohl als ein Ausſpruch über das, was er erftrebt, angefehen werben und an biefer Stelle eine Wiederholung finden Dürfen.

«Gerade bei Werken dieſer Art aber zeigt ſich die unermeßliche Schwierigkeit der Aufgabe des Hiftorifers.

Wenn ein poetiiches Werk geijtigen Inhalt und reine Form ver« bindet, fo ift “Jedermann befriedigt. Wenn eine gelehrte Arbeit ihren Stoff durchdringt und neu erläutert, fo verlangt man nichts weiter. Die Aufgabe des Hiftorifers dagegen ift zugleich literariſch und gelehrt; bie Hiftorie ift zugleich Kunſt und Wiffenfchaft. Sie Hat alle For- berungen der Sritif und Gelehrfamkeit fo gut zu erfüllen, wie etwa eine philologifche Arbeit; aber zugleich foll fie dem gebildeten Geiſte benfelben Genuß gewähren, wie bie gelungenfte literarijche Hervor⸗ bringung.

Dan könnte fih zu der Annahme neigen, als ob die Schönheit ber Form fih nur auf Koften der Wahrheit erreihen laffe. Wäre bieß der Yall, fo würde die Idee der Verbindung von Wiffenfchaft und Kunft aufgegeben werben müffen und als falfch zu bezeichnen fein. Ich Halte mich jedoch von tem Gegentheil überzeugt und vente, baß das auf die Form gerichtete Beftreben fogar den Eifer ter Uns terfuchung befördert. Denn worauf könnte die Darftellung beruhen, als auf lebendiger Kenntniß? Diefe aber ift nicht zu erreichen, außer durch tiefe und erfchöpfente Forſchung. ine freie und große Form kann nur aus beim mit dem Geiſte vollfommen Ergriffenen hervorgehen.

Aber freilich ift das ein Ideal, das faum jemals erreicht worden und unendlich ſchwer zu erreichen ift. Gelungene poetifche Hervor- bringungen find unfterblich, Hifterifche Werke von großem Ruf und Verdienſt jehen wir dennoch veralten. Beſonders bei ver neuern Ge-

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Zur Bürbigung von Ranke's hiſtoriſcher Kritik. 355

(dichte iſt dies der Fall, wo ver Natur der Sache nach Vieles Tange Kit verborgen bleibt und ver Autor die Unvolffommenheit feiner Kenntnig zu überwinden ober vielleicht zu verbeden fein Mittel als kine Vermuthung zu haben meint und biefe als erkannte Wahrheit enfftellt.. Später zur Kunde gelangte Thatfachen pflegen die werfuchte Kembination als unhaltbar auszuweifen. Allein die vornehmfte For- Krung an ein Hiftorifches Werk bleibt doch immer, daß es wahr fei, dej die Dinge fich fo begeben haben, wie fie targeftellt werben: das wiienfchaftliche Verdienſt ift das bei weiten überwiegenve. Um einer

Irheit zu Grunde zu liegen, bie nicht das Siegel der Vergänglichkeit

auf der Stirne tragen foll, muß bie Forſchung auf eine Stufe gebiehen

kin, wo fie ver Wahrheit im Ganzen und Großen ficher ift“.

XI. Die hiſtoriſche Kritit und dad Wunder. Ein Sendſchreiben an den Herausgeber.

Bon dem Verfaſſer der Abhandlung: „Die Tübinger hiſtoriſche Schule.“ (Hift. Ztſchr. 1860, 3, 90 ff.)

Es war doch nicht ganz ohne Grund, mein verehrter Freund, daß ih anfangs Vedenken trug, für meine Erörterungen über tie Ge ſchichte der älteſten chriftlichen Kirche eine Stelle in Ihrer Zeitfchrift in Anfpruch zu nehmen. Ich wußte eben nur zu gut, wie leicht auf diefem Gebiete ein Wort das andere hervorruft, und fo konnte ich nich der Beforgniß nicht entfchlagen, daß ich Ihnen, wenn mir ein mal die erfte Rebe vergönnt fei, auch noch mit einer zweiten unb britten würbe zur Laft fallen müſſen. Dieſe Beforgniß geht dann nun auch wirklich, wie der Augenfchein zeigt, in Erfüllung. Sonſt aber hat freilich die Aufnahme und der Erfolg ter Heinen Arbeit meine Erwartungen, und daß ich e& nur gejtehe, meine Befürchtungen übertroffen. Die Hiftorifer, an welche ich mich dießmal wandte, zeige ten für Die Fragen, um die e8 fich darin handelt, ein unbefangeneres Verftänpniß, als die Theologen, an welche wir uns fonft gewendet

. . In a

Die hiſtoriſche Kritit und das Wunder. 357

heiten. jenen gegenüber hätte ich wohl auch feinen Anlaß gehabt, weinen Ramen, der zuerft, wie Sie Sich erinnern, unter ber Ab⸗ kablung nicht fehlte, wieder zu ftreichen. Aber doch iſt es mir lieb, dej ich mich in ber Folge dazu verftanten babe. ‘Denn ohne biejen fälligen und äußerlichen Umſtand wäre uns doch wirklich Manches algangen. Oder hat es Eie nicht auch erfreut, als ver äußerſt wohl» wellende Berichterftatter eines politifchen Blattes Ihrem Freunde aus Ulaß eines Artikels, dem er feinen Namen vorgeſetzt hatte, ben un- grannten Verfaſſer der „Tübinger Schule» als Mufter des richtigen Ins für derartige Darftellungen vorhielt? Was fagen Sie ferner van, daß einer Ihrer Bonner Collegen dem „Nichttheologen», ver ſih in Ihren profanen Blättern über neuteftamentliche Kritik zu äußern gewagt hat, mit bem vollen Selbftgefühl des zünftigen Theo» bogen vie Belehrung zu Theil werben läßt, verfelbe „habe fich offen- bar feine Rechenfchaft varüber abgelegt, was es mit der Religion auf ſich bat. So wenig nun Jemand zur technifchen Beurtheilung ber Ruſik geeignet fei, der gar feine Einficht in die mathematifchen Ges ke der regelmäßigen Verbindungen und Folgen ver Töne fich ver- ſchafft habe, fo mißlich fei es, über Religion zu urtbeilen, wenn man wicht georpnete Beobachtungen über tie Eigenthümlichkeit ver Religion mb des religiöfen Erkennens angeftellt habe«?') Kaben Sie fi) bach Ritſchl überzeugen lajfen, daß Ihr Mitarbeiter bei dem, was er über Baur fagt, „der vollſtändigen Kienntniß der Akten entbehrt«? Ober haben Cie unigefehrt mit dem Schreiber viefer Zeilen gedacht, wer bei einer jo offen valiegenven Frage fo weit neben das Ziel fchießt, wer bie deutliche Erflärung des Verf., daß er ein Theolog und ein Schüler Baur’s fet, in fo unbegreiflicher Weiſe überhört hat, ber

Bitte beffer gethan, nicht gerade mit dieſer Probe feiner eigenen kritik in ber Hand Anvere zu meiftern und über bie veclatanten Fehl: geiffes eines Gefchichtsforfchere, wie Baur, fich vernehmen zu laffen? Dier aljo hat une die Anonymität wirklich einen Dienft geleiftet. Und dann, glauben Sie wohl, taß ter große Göttinger Prophet fich fo freundlich und anerfennend über meinen "langen zahmen Aufſatz“ ge-

I) Jahrbicher für deutſche Theologie 17, 3, 441.

358 Die hiſtoriſche Kritit und das Wunder.

äußert hätte, wenn mein Name darunter ftand? Denn freundlich wer⸗ ben Sie doch in Vergleich mit dem fonftigen Ton feiner Orakel im⸗ merbin finden müjjen, was barüber in ben Jahrbüchern der biblifchen Wilfenfchaft XI, 134 zu leſen iſt. Es wird dort jener Arbeit boch weiter gar nichts nachgefagt, als daß „Fein Auffag unwiſſenſchaft⸗ licher fein könne, als dieferw, und ihrem Verfaffer nichts Schlimmeres, als daß er „zu dem großen zerftreuten Heere heutiger verborbener Theologen gehöre«, daß „feine Sachkenntniß äußerſt gering, fein Wiſ⸗ jen um Bibel und Chriſtenthum grauenvoli niebrig feis«, daß ves ihm an aller wahren Religion und Sittlichkeit, ja fogar an Logik fehlen. Aber was will das heißen? Daß Jemand, der fich offen zur Tübinger Schule befennt, nur ein verborbener Theologe fein kann, wirb fein Leſer der Ewald'ſchen Schriften bezweifeln, und daß ein folcher weder auf Gelehrfamtfeit noch auf Logik, weder auf Sittlichfeit noch auf Re ligion den minbeften Anfpruch hat, haben wir gleichfall® fchon oft ges nug gehört. Hierin befindet ſich alfo Ihr Meitarbeiter mit anderen feiner Meinungsgenoffen nur in berfelben gemeinfamen Verdammniß. Dagegen werden fich wenige von den letteren rühmen können, baß fih Ewald beinahe herabgelaffen hätte, eine fo menſchliche Negung gegen fie zu empfinden, wie gegen ven Verfaffer der „Tübinger biftor. Schules, mit dem der Erhabene „wohl Mitleid haben könnte“, ba berfelbe, wie beigefügt wird, „eine Menge zerjtreuter gelehrter Dinge weiß und fich wenigftens hütet, nicht fo offen boshaft über bie Geg- ner feiner Schule zu reden“. Und auch auf Sie felbit, mein verehr- ter Freund, bat fich dieſe wohlwollende Gefinnung bort verbreitet. Denn das freilich wird Ihnen mit Recht vorgehalten, daß fie in Ihrer „Tübing'ſchen Verblendung“ einer „durch falfche Philofophie und und üble Sittlichkeit” jo gründlich verborbenen Schule in Ihrer „Münchner Zeitſchrift“ Unterfchleif geben. Aber doch bürfen auch Sie, troß diefer fchweren Verſchuldung, und trog Ihrer ebenfo ſchwe⸗ ren politifchen Verirrungen, am Heile noch nicht gänzlich verzweifeln: Sie können vielmehr dereinſt noch „auch wiffenfchaftlic ein ganz an— berer Mann werben“, wenn Sie „nur erft Ihren preußifchen Kopf (ber in ber legten Zeit freilich wohl kaum unpreußifcher geworben fein wird) „in einen teutfchen verwandelt haben“. Iſt das nicht recht beruhigend? Wir beite alfo, das werben Sie zugeben, haben uns über ben berühmten Theologen im Geringften nicht zu beklagen.

Die Hiftorifhe Kritit und das Wunder. 359

Aber laffen Sie und zu meinem Bonner Kritiker zurüdfchren. Ritihl Hat von meiner Abhandlung Anlaß genommen, a. a. O. ©. 429 459 ſich „über gefchichtlihe Methode in der Erforfchung des Urchriſtenthums⸗ in einer Weife zu äußern, die eine Entgegnung in tiefen Blättern um fo mehr vertient, je ausdrüdlicher es ihr Berfaffer darauf abgejehen hat, in derſelben den Verbacht abzumeh« ren, „daß die Gefchichtsforfchung ter Theologen andere Wege, als bie der gefchichtlichen Methode verfolge.» Die beutjche Gefchichts> wilenichaft hat ohne Zweifel ein erhebliches Intereſſe dabei, zu er⸗ fahren, wie es hiemit beftellt if. Nur daß wir freilich fogleich fra: gem müſſen, wer die Theologen find, deren Geſchichtsforſchung tiefes Leb ertheilt wird. Auf Hengftenberg over Baungarten wird es ja wohl Nitfchl nicht ausdehnen wollen; von Baur fucht er anderer- feitö zu beweifen, daß feine Methode ver Erforfchung des Urchri— ſtenthums für rein Hiftorifch nicht gehalten werden könne.“ Welche aber von den zwijchen beiden In der Mitte Stehenden es find, denen ein rein gefchichtliches Verfahren nachgerühmt wird, darüber hat fich Ritfchl nicht geäußert. Suchen wir nun dieſe Lüde zu ergänzen, und feben wir uns biefür in Ritſchl's Abhandlung nah ven Merf- malen um, welche feine „rein bifterijche« Methode von ber unreinen eines Baur fcheiben, fo tritt uns Lein anderer Zug mit größerer Bes deutung entgegen, als das beiverjeitige Verhalten zum Wunderglau⸗ ben. Auch ſonſt freilich Hat Ritfchl, wie wir dieß ſchon längſt wilfen, an Baur und natürlich jegt auch an tem Bericht Ihrer Zeitfchrift über tenfelben allerlei auszufegen. Aber er ijt vabei, es thut mir kid, dieß fagen zu müffen, nicht mit der Gerechtigkeit und der Lime fiht verfahren, vie er einem Theologen von Baur's Beveutung ges genüber fich hätte zur Pflicht machen follen. Er klemmt fih z. 8. an die Worte in Baur's Gnoſis (S. 715): „Was der Geiſt ijt und thut, ift Feine Hiftorieu, aber er verſchweigt, daß dieſe Worte dort ame aus Hegel (Rel. phil. IL, 328) veferirt werben. Er fragt, „ob mit der Ueberzeugung von ber Geiftlofigfeit der Geſchichte ein richtiger Ge— brauch der hiftorifchen Methode zufammen beftehen fönne?« (S. 438) worauf ihm natürlich jeder halbwegs Unbefangene und Sachkundige antworten wird, dem Wahn von ver Geijtlofigkeit ver Geſchichte habe Niemand nachbrüdlicher als gerade Baur widerſprochen, er hätte

360 Die hiſtoriſche Kritil und das Wunder.

aber darum doch jenes Hegel’iche Wort ſich aneignen können, fofern ber in der Gefchichte waltende Geift hoch etwas anderes ift, ale be einzelne gefchichtliche Erſcheinung, und nicht erft durch dieſes einzelne Gefchehen zu dem wird, was er feinem Wejen nach ift; ähnlich wie man fagen ann: „Was Gott iſt und thut, ijt nichts Enbliches«, ohne damit zu läugnen, daß Gott in allem Enblichen gegemwärtig fei und wirkte. Ritſchl wirft ferner Baur vor, daß er gefagt habe (Gnoſis S. 713), was der Glaube an ven Gottmenfchen zur Bow ansfegung hat, fei nicht Chriftus als Gottmenſch, fondern als bloßer Menſch, als menfchlich - finnliche Erfcheinung; er überfieht auch bie, daß dieß Baur nur aus Hegel's Religionsphilofophie (II, 306 f. 317 u. a.) anführt, daß er felbit aber im Folgenden (S. 717) die ſer Hegel’jchen Darftellung die Bemerkung entgegenhält: „Wie Hätte aber der Glaube an ihn, als den Gottinenfchen, entftehen können, ohne daß er auf irgend eine Weife auch objectiv das war , wofür ihn der Glaube nahm? Die nothwendige Vorausfegung ift in jebem Falle, daß die an fich ſeiende Wahrheit, die Einheit der göttlichen und menfchlichen Natur, in Chriftus zuerft zur concreten Wahrheit, zum felbftbewußten Wiffen wurde, und von ihm ald Wahrheit ange ſprochen und gelehrt wurde.» Und an dieſen Berftoß reihen ſich dann fofort weitere an. Baur’s erjte Meußerung foll der zweiten wb berfprechen, was übrigens auch dann nicht der Fall wäre, wenn er beide in eigenem Namen gethan hätte, da bie eine durch bie andere vielmehr nur ergänzt wird; und die Entvedung biefes vermeintlichen Widerſpruchs gibt dem Sritifer ein folches Bewußtfein feiner Ueber legenheit, daß er triumphirend fragt, ob ber, welder tiefen Wider fpruch begangen babe, ohne ihn wahrzunehmen, „zur gefchichtlichen Erforfhung und Darftellung der Perſon Chriſti methodiſch Disponirt fei?u Nach den obigen Erörterungen wird ſich diefe Frage eher da bin umkehren: ob ver, welcher die Worte eines Andern fo wenig nach ihrem urfprünglichen Sinn auffaßt, zu einer unbefangenen Beur⸗ theilung deſſelben disponirt ſei. Zeigt fich doch dieſer Mangel an Unbefangenheit auch darin, dag Ritſchl (S. 437) bei Baur bloß als unwillführliches Zugeftändniß die Anerkennung zu finden weiß, bag man über bie Religion nur dann mit Erfolg philofophiren könn, wenn man eine perjönliche Betheiligung an ihr und ihrem Object

Die hiſtoriſche Kritit nnd das Wunder. 361

feſthält. Wer Baur und feine Schriften einigermaffen kennt, ver müßte wiffen, daß er fich zu dieſer Wuhrheit, wie dieß von einem Schüler der Schleiermacher'ſchen Theologie zum Voraus nit an« ders erwartet werten kann, fowohl in feinem perfönlichen Verhalten, als in feinen gruntjäglichen Erklärungen fein Leben lang bekannt hat. Auch davon würte fich aber ein folcher, wenn ihm nicht ber Eifer des Streits den Blick getrübt hat, leicht überzeugen, daß Baur zu feinem kritiſchen Standpunkt und feinen kritifchen Ergebniffen auf einem andern Wege gelommen ift, als Ritſchl es darſtellt. Hört man biefen (S. 450 ff.), fo follte man meinen, nur ver Einbrud, welchen er von den clementinifchen Homilien empfangen hatte, fei es gewefen, ver ihm feine leitenden Gedanken über ven Gegenfag von Judenchriſtenthum und Paulinismus eingab, nur die eigenfinnige Durchführung einer vereinzelten Wahrnehmung fei e8, der feine Com⸗ Binationen über die Geſchichte des älteſten Chriſtenthums entiprungen find. Wer bagegen auch nur Baur's erfte Arbeiten über biefen Ge— genftanb ohne Vorurtheil Lurchlieft, der kann fich leicht Überzeugen, daß jene von ihm allerdings zuerft in ihrer vollen Bedeutung er- fannte Schrift werer ven einzigen noch den erften Anfteß zur Entwick⸗ fung feiner Gefchichtsanficht gegeben hat, daß vielmehr neben andern Momenten von Anfang an in erfter Linie bie in ben paulinifchen Briefen fich varftelleuren Partheiverhältniffe e8 waren, von benen er ausging. Kine Behauptung vollends, wie die (S. 451): Baur habe fi für genöthigt gehalten, vie Aechtheit der meiften neuteftament- lichen Schriften fallen zu laffen, weil feine Anficht über die Homi⸗ lien mit derſelben fich nicht vertrugu eine folche Behauptung ſchlägt nicht allein ver Wahrheit, fonvern auch der Wahrfcheinlichkeit fo ſtark in's Geficht, daß fie mir bei Jemand, ber viel beffer unters richtet fein könnte, wirklich unbegreiflich ift, faft ebenfo unbegreiflich, wie der Vorwurf, daß Baur in feinem »„Chriſtenthum ter brei er- ften Yahrhundertes die Schriften ber großen Stirchenlehrer am Ende des zweiten und am Anfang bed dritten Jahrhunderts für vie Des ſtimmung ber praktiſchen Grundanfchauung des katholiſchen Ehriften« thums zu gebrauchen unterlaffen haben,“ (S. 459) ober wie bie ihm ©. 468 fchuldgegebene Prätention eines abfoluten Wiffens, vie er niemals erhoben bat. Sie werben aber nicht erwarten, daß ich

362 Die hiſtoriſche Kritif und das Wunder.

hier in das Einzelne der Gründe näher eingebe, aufwelche fi Bam’s Anficht vom Urchriftenthfum ftütt, ober baß ich bie Unterfuchungen über bie Wechtheit ber einzelnen Schriften bis auf ven Brief au Philemon herab, wieder aufnehme, um zu bejtimmen, ob Baur wirk (ich in feiner Kritik diefer Schriften fo eklatante Fehlgriffe begangen hat, fo „tumultuarifch und tendenzids verfahren“ ift, wie Ritſchl behanptel, Was hierüber zu fagen wäre, das läßt fich nicht auf wenigen Ylät- tern abthun. Dazu ift das Material, aus welchem fich der Geſchichte⸗ forfcher fein Urtheil zu bilven hat, ein viel zu reiches, die Ginzelum terfuchungen, auf deren wifjenfchaftlicher Zufammenfaffung es beruft, viel zu verwidelt. Auf fo befchränftem Raum laſſen ſich immer nm die Ergebniſſe mittheilen, tie wejentlichften Gründe höchſtens ander ten, keinenfalls aber erfchöpfen oder gegen alle Einwendungen fider stellen. So ging es mir bei meiner Abhandlung über vie Tübinger Schule, und Ritſchl ging es bei feiner Entgegnung auch nicht am ders. Cr hat einige von den Gründen, die er für feine Anficht gel tend machen kann, angeführt, aber etwas Neues, etwas, worauf nid ſchon längſt auch wieder geantwortet wäre, fonnte er der Natur ber Sade nach nicht vorbringen. Um fo mehr hätte er fich hüten follen, über einen von den erften ©elehrten und bahnbrechenpften Geiftern der Gegenwart, unmittelbar nach beffen Tode, in Austrüden abzufprechen,, vie wir, offen geftanden, aus Ewald's Mund weit eher, ald aus tem feinigen erwartet hätten. Ueber fo fchwierige und veriwidelte ragen, wie die ver neutejtamentlichen Kritit, werden auch bei ſolchen, vie in ihren allgemeinen Eritiichen Grundſätzen einig find, nicht felten verfchierene Anfichten möglich fein; wie vie mehr ta, wo der Gegenſatz theologifcher Standpunkte und dogmati⸗ fiber Intereſſen in die gefchichtliche Unterfuchung eingreift. De follte man jich Loppelt in Acht nehmen, von eclatanten Mißgriffen, tumultuarifchen Verfahren u. dgl. zu reden, wo man vielleicht nur genauer hätte zufehen und vie Frage nur richtig jtellen dürfen, um Alles, was wenigftens das wifjenfchaftliche Verfahren betrifft, ia Drdnung zu finden. Aber gerade an der richtigen Frageſtellung laf- fen e8 unfere Theologen bei ver Unterſuchnng über bie Wechtheit einer biblifhen Schrift oder die Geſchichtlichkeit einer darin erzählten Zhatfache in der Regel viel zu fehr fehlen. Die eine wie bie andere

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ſteht ihnen als eine Vorausfegung feft, vie jo lange aufrechtgehalten werven müſſe, als nicht die Unmöglichkeit hievon unwiderleglich bes wielen fei, und ba nun ein derartiger mathematifcher Beweis in hi⸗ Rerifchen Dingen überhaupt nicht zu führen ift, wenigftens nicht für felhe, denen felbft etwas fo Unglaubliches, wie ein Wunder nicht zum Anſtoß gereicht, fo bringen fie e8 dann mit leichter Mühe fer- fig, auch das Unwahrfcheinlichfte fich gefallen zur laffen, und fich dabei uch des guten Glaubens zu getröften, daß fie auf vein hiſtoriſchem Wege dazu gelommen feien. Das Nichtige ift ja aber vielmehr, daß man zuerft frage, wodurch uns bie Gefchichtlichfeit eines Vorgangs ser die Authentie einer Schrift verbürgt iſt; erfcheinen dieſe Bürgichaften ausreichend, dann allerdings müßte man, um ihnen zu mißtrauen, bie zwingenbiten Beweiſe für das Gegentheil haben; find fie dagegen an fich felbjt ungenügend und der Beitätigung Durch innere Gründe und umfaſſendere gejchichtliche Combinationen bedürftig, fo erhalten vie Zweifel, welche von diefer Seite her auftreten, ein Hänz anteres Gewicht; es ftehen nicht Vermuthungen gegen zuvers läßige Zeugniffe, ſondern es fteht eine Wahrfcheinlichkeit gegen bie andere, und auf welche Eeite die größere Wahrfcheinlichkeit fällt, dieß wird fich nur nach vem Werthverhältniß ber Gründe und Ges gengrünte bejtimmen Lafjen. Würde man fich dieſe Regel immer gegenwärtig halten, fo würte man es wohl mit feiner Apologetif etwas weniger leicht nehmen. Die Frage ift in dieſem Falle nicht die, ob die UnächtHeit einer Schrift, die Unwahrheit einer Erzählung unwiderleglich bewieſen fei, und man kann nicht den einfachen Schluß machen, da fie nicht miathematifch bewiejen ſei, müſſe bie Erzäh— lung für gefchichtlih, die Schrift für ächt gehalten werten; ſondern bie Frage ftellt fich jo: was ijt wahrfcheinficher, daß die Zeugen fich imen, oder daß alle die Dinge, welche uns zum Anſtoß gereichen, wirklich vorgelommen find. Wer vie Frage fo ftellen gelernt bat, und wer zugleich ten literarifchen und Eritifchen Charakter des Zeit- alters, aus dem unfere neuteftamentlichen Bücher ftamınen, fich Klar gemacht hat, der wird allerdings in vielen Fällen etwas anders ur teilen müffen, als vie Mehrzahl unferer Theologen: ber wird . DB. nicht fo leicht, wie Ritſchl (S. 458), darüber weglemmen, daß der firengite unter ven Judenapoſteln dem Paulinismus ſolche Dißerife Zeitfärift. v7. Band W

364 Die hiſtoriſche Kritit und das Member.

Zugeftändniffe gemacht und ein fo reines Griechifch gefchrieben haben foll, wie der Verfaſſer des Jalobusbriefs, oder daß ein Schriftfiäd, das von Neminifcenzen an alle paulinijchen Briefe, felbft an ven Gb» räer- und Jakobusbrief, fo voll ift, und eine fo ungefchichtlicke Gi tuation vorausfeßt, wie ber erjte Brief Petri, von dieſem Apoſtel her rühren fol. Noch viel weniger aber wird fich ein folcher über bie biblifyen Wunder mit Gründen beruhigen können, wie fie Rithqhl a. a. O. vorbringt. i Erlanden Sie mir, daß ich auf biefe Frage etwas näher

gebe, da es fich hier nicht um das eine oder das andere fpecielle Er eigniß, fondern ganz allgemein um die Möglichkeit einer gefchichtliden Betrachtung des Gebiets handelt, mit dem wir es bier zu thun he ben. Leider muß ich aber auch hier mit der Klage beginnen, dab mein Kritiker über meine früheren Yeußerungen zu ungenau veferist bat. Zu der wiffenfchaftlichen Gefcichtfchreibung, fagt er (S. 438), gehöre meiner Darftellung zufolge der Grundſatz, daß Wunder um möglich feien. Diefen Grundſatz lege ih auch Baur bei. Allein Baur erkläre im Paulus S. 96 flg., daß er e8 in einer hiſtoriſch-kri⸗ tifchen Unterfuchung für überflüffig halte, in bie allgemeine bogme- tifhe Frage, ob Wunder überhaupt möglich find, einzugehen, ba eb fi bei einer folcyen Unterfuchung nicht um die Möglichkeit , ſondern nur um bie Erlennbarteit der Wunder handle, und er bezeichne ba mit die Grenze, innerhalb welcher ver Hiftorifer mit dem Wunder zu thun habe, richtiger, als fein Apologet in der Hiftorifchen Zeitfchrift. Wenn Ritfchl in meiner Abhantlung die Hauptftelle über dieſen Ger genftand nicht überfehen oder ignorirt hätte, fo würde er dort ba& felbe, und faft auch mit denfelben Worten gefunten haben. Von ber bogmatifchen Frage nach ber Möglichkeit des Wunders, fage ich a. a. O. ©. 101, können wir hiebei ganz abjehen: „möchte e8 der Metuphy fit noch fo ſehr gelungen fein, jene Möglichleit zu beweifen , wie Könnte von dem Hiſtoriker verlangt werben, daß er fich im irgend einem gegebenen alle für feine Wirklichkeit entſcheide?“ Da näm lich die Wahrfcheinlichkeit einer Thatſache fich nur nach ber Analogie ber Erfahrung beurtheilen laffe, ein Wunder aber ein Borgang fel, welcher der Analogie aller fonftigen Erfahrung wiperftreite, während von unrichtiger Verichterftattung zahliofe Beiſpiele vorliegen, fo lafe

. SE

Die Hiftorlfche Kritit und das Wunder. 365

ſich kein Ball denken, in welchem es der Hiftoriter nicht ohne allen Bergleich wahrfcheinlicher finden müßte, daß er es mit einem un⸗ richtigen Bericht, al8 daß er es mit einer wunderbaren Thatfache zu thun habe. Diefe Beweisführung betrifft, wie Sie fehen, nicht bie Möglichkeit, fondern lediglich die Erfennbarkeit des Wunders, fie ift nicht der Metaphyſik, fondern der Erfenntnißtbeorie, und näher ber Theorie ber hiftorifchen Kritif entnommen. Auch vie metaphyſiſche Möglichkeit des Wunders kann ich natürlich nur verneinen, und ich halte es nicht für denkbar, daß irgend Jemand, dem es um Einheit und Folgerichtigfeit feiner Ueberzeugung zu thun ift, barüber anders urtheile, wenn er fich einmal von der Unerfennbarkeit und Unerweise barkeit de8 Wunders überzeugt hat. Auch über die Möglichkeit und Unmöglichfeit urtheilen wir ja gleichfalls nach der Analogie ver &r- fahrung: „was mit den formalen Bedingungen der Erfahrung über» einfommt, jagt Kant, ift möglich.” Diefen formalen Bedingungen. der Erfahrung aber, dem Gefet des Widerfpruches, dem Geſetz ber Saufalität u. |. w., wiberjtreitet das Wunder immer und nothwen⸗ dig; denn was dieſen Gefeten gemäß ift, das ift fein Wunder. Den mancherlei Wendungen aber, durch welche man dieſer einfachen Fol⸗ gerung zu entgehen verfucht bat, läßt fich ihre Unhaltbarkeit Leicht nachweifen. So einfeuchtend mir aber die Undenkbarkeit des Wun⸗ ders auch von biefer Seite her zu fein feheint: um zu beweifen, daß der Hiftoriter von demfelben keinen Gebrauch machen kann, daß er bie Frage nach ver Glaubwürbdigfeit eines Wunberberichtes unter allen Umftänden verneinen muß, daß, wie meine Abhandlung ſich aus⸗ drückt: „das Wunder und die gefchichtliche Betrachtung ver Dinge fich ausschließen” um viefes zu bemeifen, genügt es an der Erwä— gung, welche ich dort angeftellt habe.

Was Hält nun mein Kritiker dieſer Bemeisführung entgegen? Auf meine Gründe läßt er ſich zunächft einfach gar nicht ein. Gr macht auch nicht den entfernteften Verfuch, zu zeigen, daß nach ge= ſchichtlichen Srunpfägen das Dilemma: „entweder ein Wunber oder ein unrichtiger Bericht”, jemals zu Gunſten des Wunders entjchieven werben koͤnne. Statt deſſen gibt er uns zu bedenken (S. 439), daß doch nicht bloß bie Hiftorifchen Bücher des Neuen Teſtaments von WBundererzählungen voll feien, fondern auch Paulus (1 Kor. 2, 4,

OP 3

366 Die hiſtoriſche Kritik und das Wunder.

12, 9 f.) von eigenen und fremden Wundern rede, unb er Inüpft hieran bie Bemerkung: man dürfe nicht fchließen, daß, weil eine folhen Wunder mehr gefchehen, „das Wunver dem Chriftenthum, alfo auch dem Urchriftenthum nicht wejentlich fei. Angefichte der Aeu⸗ Berungen des Paulus müffe der Hiftorifer dieſes Element in ber Ur gemeinde als faltiſch zugeftehen”. Aber wie follen wir bieß verftehen? Behauptet Ritſchl, daß wirkliche Wunder dem Urchriſtenthum wefent- lich feien, oder behauptet er dieß nur von dem Wunverglauben? Iſt feine Meinung die, vaß im apoftolifchen Zeitalter Thatſachen vor⸗ gefommen feien, welche fchlechthin und an fich felbft, Teine natürliche Erklärung zulaffen, oder will er nur fagen, es feien Dinge vorgelom men, welche die erften Chriften auf feine natürlichen Urfachen zuräd- zuführen wußten, welche fie als Wunder aufzufaffen fich berechtigt und gendthigt glaubten? Das Lektere bat bekanntlich weder Baur noch ſonſt Einer von uns jemals bezweifelt; da wir uns ja vielmehr eifrig bemüht haben, mit gefchichtlichen und religionsphilofophifchen Grün⸗ den zu zeigen, daß der Wunverglaube allen Religionen, auf einer ge wilfen Stufe ihrer Entwidlung, Bedürfniß fei, und daß gerabe bei ber älteften chriftlichen Kirche alle die Bedingungen zufammentreffen, welche ihn zu etwas Naturgemäßem und Nothwendigem für fie mach ten. Aber folgt daraus nur im Geringften, daß auch wirklich in die⸗ fer Kirche Wunder, im ftrengen Sinne des Worts, vorgefommen find, und nicht vielmehr das Gegentheil? Wenn Ritſchl dieſes behaupten will, fo müßte er vor Allem darthun, daß es irgend ein Mittel gibt, uns von der Thatfächlichkeit eincd Vorgangs zu überzeugen, der eben- fo den Gefegen unferd ‘Denkens, wie der Analogie aller Erfahrung wiberftreitet. So lange er biefes Mittel nicht aufgezeigt hat, werben wir bei jedem Wunderbericht, von wen er auch herrühren mag, nur urtheilen Tönnen, daß die Wahrbeit bejjelben ohne allen Vergleich un« wahrjcheinlicher fei, al® die Annahme eines Irrthums bei dem Be richterftatter, und wenn dieſer auch ein Augenzeuge oder der Wunder thäter jelbit wäre. ‘Denn auch ein folher kann ſich über bie faktiſchen Borgänge, und noch weit mehr über bie Urſachen viefer Vorgänge täufchen, fo gut, wie Auguftin fich getäufcht hat, wenn er die auffallendften Wun⸗ der zu Dugenden in gutem Glauben urfundlih aufnahm, over wie Sokrates fi täufchte, wenn er die Stimme feines Innern für eine

Die hiſtoriſche Kritit und das Wunder. 367

Dfienbarung ber griechifchen Götter hielt, wie überhaupt Unzählige ſch getäufcht haben, vie Wunder erlebt oder felbft verrichtet haben wellen. Aber biefen Nachweis bat Ritſchl weder geführt, noch auch mr verfucht: er begnügt fich mit ver Behauptung, „Wundererzählun⸗ gen feien für die wilfenjchaftliche Gefchichtfchreibung incommenfurabel“, weil ber Hiftoriler nicht im Stante fei, aus ben einzelnen Mitthei⸗ Iungen über geſchehene Wunder zu ermitteln, was nach dem Maßftabe ber allgemeinen Regeln über Urfache und Wirkung fich ereignet habe“. Ach hier müſſen wir uns jetoch über bie gleiche Zweideutigkeit be« Magen, wie vorhin. Was in einem bejtimmten Falle gejcheben ift, web ob überhaupt etwas dem Berichteten Aehnliches gefcheben ift, dieß mit Sicherheit zu ermitteln find wir freilich nur felten im Stande, weil und eben ftatt eines gefchichtlichen ein ungefchichtlicher, ein Wuns berbericht, vorliegt. Um fo entjchievener können wir aber auch in ſolchen Fällen fagen, was nicht gefchehen iſt; Teinenfall® nämlich ein Wunder. Oder wie würde Ritſchl über ven Hiftorifer urtheilen, ber etwa bei den Wundererzühlungen des Livius ober des Herodot mit befcheidener Zurüdhaltung erklärte: was ſich Hier ereignet hat, lat fich nicht ausmitteln, alfo wollen wir es babingejtellt fein laſſen, eb nicht doch vielleicht Göttererfcheinungen und Wunder ftattgefunden baten? Nun, was dem Einen recht ijt, das ift dem Anvern billig. Für einen heutigen Theologen freilich, ter zu gebilvet ijt, um an Runder zu glauben, und zu rücjichtövell, um fie zu läugnen, wäre 6 unbezahlbar, wenn er die Wunder als etwa Incommenfurables zur Exite fchieben und tabei noch tenen, welche weniger Rückſichten, als er felbft, nehmen, ein unhiſtoriſches Verfahren ſchuldgeben vürfte. Aber vie Wiffenfchaft kann eben eine folche Halbheit nicht ertragen: wer die biblifche Gefchichte wiljenfchaftlich behandeln will, ver muß über feine Stellung zum Wunderglauben mit fich im Keinen fein, er muß willen, ob er felbit diefen Glauben tbeilt over nicht theilt, ob der wunderbare Charakter einer Erzählung für ihn ein Grund ift, ihre Wahrheit zu bezweifeln, over ob er dieß nicht iſt. Weder in dem äinen noch in dem anderen Fall aber wird er bei der Zurückhaltung des Urtheils ftehen bleiben können, welches Ritfchl uns anräth. ©e- reicht ihm das Wunder nicht zum Anftoß, glaubt er, daß wir nicht das Recht haben, eine Wundererzählung bloß deshalb, weil fie dieß iſt,

868 Die Hiftorifche Kritit und bee WBunber.

zu bezweifeln, nun dann ift die Sache einfach: er hat ohne alle Um ftände zu glauben, was gefchrieben fteht, und mag es feinem natäg lichen Menfchen noch fo fauer eingehen; er bat dann aber freilich uf auf den Anſpruch, daß er an bie biblifchen Erzählungen ben gleiden Mapftab anlege, fie nach venfelben Grunbfägen ber biftorifchen Kr behandle, wie alle andern, zu verzichten. Glaubt Jemand ungelche, daß das Wunder als folches mit einer wiſſenſchaftlichen Anſicht ver GSefchichte fich nicht vertrage, fo ftellt fich die Sache wieber fehr ein fach: wo uns ein Wunder entgegentritt, fteht eben damit zunächſt dab verneinende Urtheil für uns feft: fowie ver Vorgang bier erzählt in kann er fich nicht zugetragen haben. Wie er ſich aber zugetragen fat und ob er fich überhaupt zugetragen hat, wo bie unbiftorifchen Ele mente einer Erzählung anfangen und wie weit fie geben, in welde Weife und aus welchen Motiven fie entſtanden find, vieß ift amd ber Beſchaffenheit des gegebenen Falles nach den allgemeinen Grundſaͤtzen der biftorifchen Kritik zu beurtheilen. In ver Regel wird allerbinge bei diefer Unterfuchung feine Gewißheit, fondern nur eine höhere eder geringere Wahrjcheinlichkeit, oft nicht einmal dieſe, zu erreichen fein. Aber in dem gleichen Fall ijt die Gefchichtsforichung hundert⸗ und taufendmal, fo oft eben ihre Quellen zu fpärlich ober zu trübe fliehen, um ben wirklichen Hergang feftzuftellen. Der Sicherheit unferes we gativen Urtheild über die Wunder thut diefer Umftand Teinen Eiw trag. Mit jener bequemen Unbejtimmtheit bagegen, welche die Wunder weder anerkennt noch bezweifelt, ift ver Wifjenfchaft und dem Glan ben gleich wenig geholfen.

In der gleichen Unbeftimmtheit bewegt fi) aber Ritſchel's ganx Erörterung über die Wunder. Vom Wunter, fagt er, fei nur zu reben als dem Objekt des eigenthümlichen religidfen Erfennens. Es fei nichts im empirifhen Sinne Objektive, dad man unter phhfile- lifche oder metaphyſiſche Gefichtspunfte faſſen Fönnte, ſondern es ſei immer etwas Objektives nur in Beziehung auf bie fubjeltive religidſe Erkenntniß. Dieſes Merkmal fei das Wefentlihe, das gewöhnliche Merkmal des Wunders dagegen, als eines von den Naturgefeßen un abhängigen Naturereigniffes, fei fo gewiß der Sache zuwider, ale bie bilbiſchen Berichterſtatter gar keine Vorftellung von Naturgefegen ha⸗ ben. Ebendeßhalb jei es für die Hiftorifche Forſchung völlig unmög-

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ich, aus ben borliegenven Berichten zu ermitteln, was benn objektiv ergegangen fei. Aber andererſeits überfchreite der Gefchichtsforfcher eine Befugniß, wenn er der religiöfen Erfahrung von Wunbern feine Meberzeugung von ber Unmöglichkeit des Wunders entgegenwerfe. Das Wunder foll alfo zwar etwas Objektives fein, aber nichts empirisch Dbjeltines, ſondern etwas Objektives nur in Beziehung auf die fub- jekttive religiöfe Erfenntniß. Ich weiß nicht, mein verehrter Freund, sb es Ihnen mit diefer Aufklärung ebenfo ergangen ift, wie mir; aber mir wurde es, als ich fie zum erjtenmal las, fait wie dem Schüler im Fauft, faft „als gieng mir ein Mühlrad im Kopf ber- am“. Bisher hatte ich geglaubt, es fei nur Eines von zweien mög Gh, entweder die Wunder find gefchehen oder fie find nicht gefchehen, bad Wafſer ijt in Wein verwandelt, die Taujenve find mit fünf Bro- ben gefättigt worben u. f. w., ober dieß ift nicht ber Tall geweſen. Ein Drittes hatte ich gemeint, jei nicht möglich. Weil ich nämlich noch dem alten ariftotelifchen Vorurtbeil anhing, daß zwiſchen con⸗ tadictorifch Entgegengejeßten nichts in der Mitte liege. Jetzt werben wir belehrt, daß e8 ein folches allerdings gibt, daß etwas zugleich ges heben und nicht gefchehen fein kann, nichts empirisch Objektives fein, sber doch etwas Ohjektives, jedoch nur in Beziehung auf das Sub» Be. Wir Anderen freilich werden barin, fürchte ich, eher ein fophi- Rifches Spiel mit Worten, als einen realen Auffchluß zu fehen ges zeigt fein. Iſt das Wunder wirklich vorgekommen, ift wirklich aus dem Waſſer Wein geworben, fo ift es auch etwas empirifch Objel- tives; ift es dagegen nicht wirklich vorgeflommen, cder doch nicht in biefee Weile, als Wunder, ift das Waffer in den Krügen geblieben, er nur auf natürlichem Wege durch Wein erfegt worben, nun dann ft das Wunder als folches nur in der Vorftellung, nur als etwas Enbjeftives vorhanden. Als „religiöfe Erfahrung” braucht man es deßhalb allerdings nicht zu läugnen, wenn man nämlich unter Erfah. mmng nur das verftebt, was Jemand erfahren zu haben glaubt, me das Innerliche gewiljer Gemüthszuftände und die Vorftellungen, woburch fich der Einzelne viefe inneren Zuſtände erklärt; aber wegen ver Unmöglichkeit des Wunders diefe innere Erfahrung zu bejtreiten, ft auch noch Niemand eingefallen; uns wenigftens fo wenig, daß wir Hielmehr gerade nur aus der Eigenthümlichfeit des religiöſen Bewußt⸗

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feins, aus ber „religiöfen Erfahrung“ den Wunberglauben und bie Wunbererzählungen herleiten. Verfteht man bagegen ‚unter Erfahrung das, was man allein darunter verftchen darf, wenn man Mißverftaub und Zweiventigleiten vermeiden will, tie Wahrnehmung realer Borgänge, nicht die vermeintliche, ſondern vie wirkliche Erfahrung, dann wird man allerdings nicht umbin können, zu fchließen, wenn bie Wunder an ſich felbft unmöglich find, fei auch eine Erfahrung berfelben um möglich; fo lange wenigftens, al8 der logiſche Sag gilt, an dem man freilich in unfern Tagen durch manche Erfcheinungen, auch auf wif- fenfchaftlichem Gebiete, irre werden könnte, daß Alles, was wirklich fein fol, auch möglich fein müſſe. Haben aber die biblifhen Männer und Schriftftellee von dieſem Sate nur ein unvollkommenes Bewußt⸗ fein gehabt, hatten fie, wie Ritſchl behauptet, „gar Feine Vorftellung von Naturgefeten‘‘, ſo würde taraus allerdings folgen, daß fie auch nicht bie Borftellung des Wunders, als eines von ven Naturgefegen unabhängigen Erfolgs hatten; feineswegs aber, daß wir im Unrecht find, wenn wir das Wunder fo befiniren, und bie biblifchen Erzählungen darauf anfehen, ob fie Wunver in diefem Sinn berichten. Gerade da, wo bie Bor« ftellung der Naturgeſetze fehlt, iſt ja dieſes am Cheften zu erwarten, und man fann nicht etwa jagen: wer ben Gedanken der Naturgefeke nicht bat, der könne auch nicht denlen, es fei etwas den Naturgefegen Wiverfprechendes geichehen. So in abstracto fann er bieß freilich nicht denen; um jo mehr aber fann er, wie der alltäglichite Augen- fein zeigt, Dinge erzählen, die den Naturgefeßen widerfprechen. Ritſchl verwechjelt die Frage nach dem gefchichtlichen Inhalt der Wun⸗ bererzählungen mit der nach dem bogmatijchen Begriff des Wunders. Indeſſen ift auch die Vorausſetzung, als ob den biblifchen Schrift- ftelleen die Vorſtellung der Naturgeſetze gänzlich gefehlt hätte, durch⸗ aus unrichtig. Was ihnen fehlt, ijt nur vie wiffenfchaftliche Kennt⸗ niß dieſer Gefege, und die Ueberzeugung von ihrer Unverbrüchlichkeit; baß fie tagegen an ſolche Geſetze überhaupt nicht gedacht haben, baß es für fie feinen Unterfchied gemacht habe, ob Jemand auf dem Waf- fer geht over im Waſſer unterfinkt, ob er durch eine offene oder durch eine verfchlojfene Thüre in ein Zimmer tritt u. f. w., davon wirb felbft Ritſchl's Verfiherung wohl fchwerlich irgend wen überzeugen. Doc mein Kritiler rückt mir mit noch ſchwererem Gefchüge zu

Die hiſtoriſche Kritit und das Wunber. 371

feide. Der religiöfe Begriff des Wunbers, fagt er, fei nichts ans» vers, als ber einer Erfahrung fpecieller Vorfehung Gottes. In dies ka Sinne Wunder für unmöglich zu erklären, hieße jo viel, als daß we pofitive Religion eine Illuſion fei”. Das lautet denn freilich fehr gefährlich. Glücklicherweiſe zeigt fich aber vie Gefahr doch etwas ges ruger, wenn wir ihr fcharf in's Geficht fehen. Wie wir uns bie tlihe Vorſehung zu denken haben, darüber find ja bie Theologen kimesweg® einig. Die einen denken fie fich allertings jo, daß ihr Begriff das Wunder mit einfchließt. Sant und Schleiermader da⸗ gegen unb unzählige Andere widerfprechen; und doch wird Niemand behaupten wollen, daß alle diefe Männer die Vorſehung geläugnet und vie pofitive Religion für eine Illuſion erklärt hätten. Um fo weniger wird bie Biftoriiche Kritit darauf warten können, bis biefer Streit anter den Theologen ausgemacht ift; fie wird vielmehr ganz in ihrem Achte fein, wenn fie fich zunächit an das hält, was unabhängig von allen bogmatifchen Annahmen feititeht; und dieß ift, daß die ung ben kanten Geſetze des Weltlaufd und die ausnahmsloſe Analogie ber Grfahrung uns verbieten, ein Wunder, d. 5. ein wirkliches Wunder, sicht ein folches, das fih am Ende doch wieder in ein Erzeugniß bes inbjeftiven Bewußtſeins vwerflüchtigt, in irgend einem Yalle für erwies fen oder auch nur für wahrfjcheinlich zu Halten. Die gleichen Grund füge gelten aber freilich auch für die Dogmatil. Wollen wir wiſſen⸗ ihaftlih verfahren, fo dürfen wir nicht die Erfahrung nach einer vergefaßten Meinung über bie göttliche Vorfehung uns zuvechtlegen, ſendern von den erweisbaren Erfahrungsthatfachen aus haben wir une die Begriffe über die Urfuchen, aus venen fie hervorgehen, und fo andy über die höchite derjelben, die göttliche Saufalität, zu bilden. Die Thatfächlichkeit der Wunder aus einem Begriff über vie göttliche VBors fehung beweifen, welcher das Wunver unmittelbar enthält, ift nichts weiter, als eine einfache petitio principii.

Die weitere Beweisführung Ritſchl's (S. 45 ff.), daß „vie He gel'ſche Srundanjchauung die Annahme des Wunderanfangs des Chri- ſtenthums fordere“, will ich Ihnen erlaſſen. Es find befanntlich nicht die fchlechteften Kenner ver Hegel’jchen Lehre, welche genau das Ge- gentbeil behaupten. Da aber weder für Sie noch für mich Segel eine unfehlbare Auftorität ift, und ba er es ebenjo wenig für Baur

872 Die hiſtoriſche Kritit und das Kuunber. .

war, ba ber Lebtere namentlich in feinen fpäteren Jahren von ben Hegel'ſchen Einflüffen, denen er ſich nie unbedingt bingegeben hatte, fih immer unabhängiger gemacht bat, fo fehe ich uicht ein, welches Gewicht für unfere Frage viefe Erörterung auch dann hätte, wenn ihr Ergebniß begründeter wäre, als dieß in Wahrheit ver Fall if. Nur darum möchte ich auch hier bitten, daß es mein Kritifer mit dem Wun⸗ verbegriff etwas genauer nehme, als bieß in ver Behauptung ge- ſchieht: ſchon der einzelne Menſch, um wie viel mehr aljo Ehriftus müſſe „nicht als Refultat eines natürlichen Gattungsproceffes, fon dern, unter der Bedingung eines folchen, als wunderbare Schöpfung Gottes verftanden werben“. Sonft nennt man die natürliche Er zeugung eines Menfchen fein Wunder. Diefen Begriff bier hereinzu⸗ Bringen, Eönnte nur dazu dienen, die Grenzen bes Natürlichen und bes Uebernatürlichen im Nebel figürlicher Ausprüde zu verwirren. Aber Ritſchl fagt ja felbft, jenes jog. Wunder folle „unter ver Be dingung eines natürlichen Gattungsproceffes” eintreten. Nun, biefe Beringung fehlt bekanntlich in der evangelifchen Erzählung unb ber firchlichen Lehre über die Entftehung der Perfon Jeſu. Die Ana⸗ (logie, welche Ritfchl für fich anführt, hört alfo genau ba auf, wo daß, was fie ftügen foll, anfängt.

Wenn Ritſchl gegen Baur endlich noch einwendet, feine gefchicht- lihe Erklärung bes Chriſtenthums fei ungenügend, und fomit fein Proteft gegen ven Wunberanfang des Chriftenthbums nicht begründet, fo müffen wir auch bier die dialektifche Fertigkeit bewundern, mit ber es ihm gelingt, die Darftellung des Gegners dadurch zu widerlegen, daß er fie auf den Kopf ftellt. Nicht deßhalb läugnet Baur bie wuns berbare Entftehung des Chriftentyums, weil er dasſelbe gefchichtlich erjchöpfend erklärt zu haben überzeugt ift, ſondern deshalb fieht er fih nach feiner gefchichtlichen Erklärung um, weil er fich in bie her» kömmliche Wunvervorftellung nicht zu finden weiß. Ye vollftänbiger diefe Erklärung gelingt, um fo vollftändiger wird allerdings gegen bie wunterglänbige Auffaffung auch der pofitive Gegenbeweid geführt fein. Aber die Vermwerfung ber leßteren kann nicht von dem Gelingen ter erfteren abhängig gemacht werten. Daß das Chriſtenthum nicht auf wunberbare Weife entftanten ift, ift an und für fih klar, daß bie Erzählungen, welche e8 behaupten, ungefchichtlich find, läßt fich

Die hiſtoriſche Kritit und das Wunder. 373

mittelbar an ihnen felbft nachweifen; inwieweit es gelingt und ge⸗ üngen kann, an die Stelle dieſer ungefchichtlichen Vorftellung die ge- ſcichtlich richtige zu ſetzen, dieß hängt zunächſt von ber Befchaffenbeit ver Quellen ab, die uns biefür zu Gebot ftehen. Und ba uns nun dieſe über die Jugend⸗ und Bildungsgefchichte Jeſu vollfommen im Danteln laffen, da uns auch die damaligen geijtigen Zuftände feines Geburtslandes nur fehr unvolljtändig und mehr nur im Allgemeinen kannt find, jo muß bier nothwendig, was das Einzelne betrifft, im⸗ mer eine bebeutenve Lüde bleiben. Aber daraus zu fchließen, daß vs Chriſtenthum übernatürlichen Urfprungs fei, vieß wäre ebenfo Wnbig, wie wenn jemand bie Gefchichtlichfeit der Wunderberichte über Pythagoras aus unferer Unbefanntjchaft mit feiner wirklichen Les bensgefchichte folgern wollte.

Doch ich muß fchließen, wenn ich nicht noch tiefer in die Theo» legie Hineingerathen will, als dieß, troß der beften Vorfäge, bisher don gefchehen ift. Viel Neues werve ich freilich werer Ihnen noch ver Mehrzahl Ihrer Lefer gefagt haben. Indeſſen mochte es immer- bin gut fein, an einem DBeifpiel zu zeigen, wie auch bie Gebilveten und Wiffenfchaftlichen unter unfern Theologen fich in der Negel noch immer zur biftorifchen Kritik ſtellen. Mein Name aber mag aud) dießmal ungebrudt bleiben: wäre es boch unrecht, meinem Kritiker das Vergnügen, daß er ihn burch eigenen Scharffinn findet, zu ver⸗ derben.

XII

Ueberſicht der hiftorifchen Literatur des Jahres 1860. (Bortfegung.)

23. $tankreid.

Wir ftellen einige Anzeigen franzöfticher Schriften von 1859 1860 voran und laffen die zahlreichen übrigen Titel von 1860 ber tern Ueberficht wegen in ununterbrochener Reihe folgen:

Geographie historique de la Gaule.

1) Le Pagus aux differentes dpoques de notre hisi par M. Alf. Jacobs. Paris, 1859. 32. 8. 8.

2) Fleuves et Rividöres de la Gaule et de la Fran: moyen Age par le möme. Paris, 1859. 25. 8. 8.

8) Examen historique et topographique des lieux pr pour representer Uxellodonum par le General Creuly et Alf. Jacobs 98. 8. u. 2. Karten

Diefe drei Heinen Schriften erfchienen als Abhandlungen im Zeitſchrift und find (was indeſſen nicht bemerkt wirt) Separatab der letteren.

Hr. Alf. Jacobs, ein jüngerer Schüler ver Ecole des chartes,

Frankreich. | 375.

en lettres, archiviste palöographe und 1860 membre de la Commission de la Topographie des Gaules, hat fich feit einigen Jahren durch gefchicht- liche Detailforihungen einen Namen gemacht. |

Die vorliegenden Schriften find fchätenswerthe Arbeiten. In der erſten wird nachgewiefen, daß das Wort Pagus nicht immer einen wirklichen Gau bezeichne, ſondern zuweilen jo viel als Bezirk oder Gegend überhaupt, In der zweiten werben bie Namen der in der (vom Verfaſſer überſetzten und geographiich commentirten Gefchichte der Franken Gregore von Tours⸗ bei Fredegar, in Urkunden und in Valesius notitia Galliarum genannten Flüge und Flüßchen im alten Gallien oder beginnenden Franlenreiche er⸗ Härt, d. b. ihre jegige Benennung und Lage angegeben. Die Arbeit. des Verfaſſers ift indeß weder erſchöpfend, noch vollftändig, fondern nur ein Beitrag zum geographiihen Studium Frankreichs in jenen Zeiten, Die dritte Abhandlung, welche Herr Ale. Jacobs in Gemeinſchaft mit einem feiner Kollegen, Heren General Ereuly von der topographiichen Com⸗ miſſion ſchrieb, unterſucht die Richtigkeit der verfchievenen Anfichten der Gelehrten über die Lage der alten Celtenſtadt Uxellovonum, ver letten von Cäjgr eroberten galliichen Feſtung. Hirtius, der Fortſetzer von Cäſars Geſchichte des galliichen Kriegs, gibt eine fehr eingehenve Erzählung dieſer Eroberung, weldye daher die Berf. ©. 1 ff. nebft Ueberjegung und mit einigen andern auf biefelbe bezüglichen Stellen aus den Klaſſikern aboruden laſſen. Da aber nirgends die Lage bes Orts genau angegeben ift, jo ftritt man fi) von jeher über dieſelbe. Es wird gerathen auf: Cahors, Buy PEveque, Uzerche, Uſſel, Capvenac, Buy d' Iffolu, Luzech alle im Süden der ehemaligen Herrichaft Quercy oder zunächſt der» jelben, gelegen. Die Herren Berf. bejuchten dieſe Lotalitäten, nahnıen Zeihnungen verjelben auf, verglichen ihre Wahrnehmungen mit den Ans. gaben der Alten und kamen zu dem Ergebniß, daß der lebte an dem in bie Garonne fih ergießende Fluß Lot gelegene Ort Luzech das alte Urellobonum geweſen fein müſſe. L. A. W.

Histoire des Classes ouvritres en France depuis la con- qu&te de Jules Cdsar jusqu’ & la revolution: ouvrage couronne par l’aca- demie des sciences morales et politiques par E. Lovasseur. Paris, 1859. 2. Vol 8. XII, 686 u. 560 8.

Die vorliegende Geſchichte der arbeitenden Elaffen, zugleich die des. Ent⸗ wicklungsganges ver Inbuftrie in Frankreich, von ben älteften Zeiten bis auf bie

876 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860.

Revolution von 1789 ift eine der bebeutenpften Erfcheinungen auf dem biftorifchen Gebiete im Jahre 1859 und füllt eine große Lücke im ber Eulturgefhichte aus. Das Werk verdient den von ber Wlabemie ber moraliihen und politifchen Wiflenfchaften ihm im Jahre 1858 zu. ertannten Preis, indem es feine höchft fchwierige Aufgabe in glädlicher Weiſe gelöft bat. Es ift fchwer zu fagen, ob das Buch wichtiger iſt für das Verſtändniß der politiihen Geſchichte, als für die Gefchichte ver Bollswirtbichaft und des Handels; doch wirb die genauere Prüfung ber Darftelung und der Anfichten des Berfaflers dem Nationalöfononen überlaflen bleiben müflen. Wir begnügen uns bier mit einer gebrängten Ueberficht des reihen Inhalte. |

Das Werk zerfällt in fieben Bücher, vie eben fo vielen Perioden ent⸗ Iprechen.

Das erite Buch mit ber Ueberfchrift: La Gaule romeine im Bp. I von S.1—96, zeigt die Lage der arbeitenden Elaffen unter den Römern unb ber Induſtrie, welche in Folge der Verachtung aller Brodkünſte den Sela⸗ ven anheimfiel, vermittelt deren indeſſen gegen das Ende der Republit reichere Männer die Gewerbe in ähnlicher Weile im Großen trieben, wie noch jetzt die Befiger von Zuderplantagen in Amerifa. Unter den Kai« fern leben die früher fchon im Keime vorhandenen Handwerkerkorporatio⸗ nen wieder auf, und gelangen, von Aler. Eeverus beſchützt und privile⸗ girt, zu großer Blüthe, welche aber tem Steuerbrud fpäterer Herrſcher wieber erliegen mußte *).

Das zweite Buch mit der Aufichrift Invasions beginnt mit einem Blick auf die Urzuftände der aller Induſtrie baaren Germanen, ſpricht von den Gilden, die der Verf. nicht nad Wilde, ſondern Aug. Thierry (Considerations sur l’histoire de France) jchilvert, und die er als fociafi«

*) Es if zu bedauern, daß ber Hr. Verfafler, ber für bie erſte Periobe außer den Claſſikern die Nechtsdentmale benutte, bie neueren in Deutich- land erfchienenen Ausgaben ber letztern nicht kannte, wie 3. B. Hänel's Codex Theodosianus, Böding’® Notitia dignitatum, bie neueften kriti⸗ fen Ausgaben bes Corpus juris, bie Rapitularien von Perk, fowie un⸗ fere ganze reiche Titeratur ber römischen und beutichen Rechtsgeſchichte. Wie fange fol e8 bauern, baß and bie beſſern franzöfiihen Gelehrten bie dentſche Wiſſenſchaft iguoriren bürfen?

Frankreich. 377

iihe, ja geheime Geſellſchaften ter niedern Claſſen zu gegenſeitigem ccntze (mit Bezugnahme auf ein engliſches Statut aus dem 11. Jahrhun⸗ et ©. 102) betrachtet; der Berf. beichreibt dann die Bölferzüge nad) Galien und fpricht hierauf von ver Arbeitdorganijation in den Guts- kerrichaften der weltlichen Großen, der Städte, der Klöfter, und von ber lgmeinen Lage der Inbuftrie und des Handels unter den Merovingern ud Karolingern. Seine Mittheilungen jchöpft der Verfaſſer vorzugsmeije ans dem von Guerard herausgegebenen und jo meijterhaft commentirten Polypticam Irminonis verbunden mit anderen fürzeren Documenten biejer Art, dem Capitulare de villis, aus Holstenius codex regular. Monaster. md anveren (älteren) Urkuntenjammlungen. Was die Städte betrifft, fo Kt er fih an Savigny Geſchichte tes römijchen Rechts im Mittelalter, Kenonard hist, du droit municipal en France, nimmt ten freilich |pärlichen Fortbeſtand der römischen Zunftlollegien 3. B. der Nautae in Parıs an iS. 122) und zeigt, daß manche Gewerbe 3. B. das der Gold- und Silberarbeiter in verjchievenen Stärten Galliens berühmt waren. (S. 125 —128.) In den Klöjtern verpflichteten jhen die Statuten die Mönche a Banbarbeiten; es gab Müller, Bäder, Schmiede, Gerber, Schuiter, Zuhwalfer, Korbflechter umter ihnen. (S. 131.) Manche Klöfter trieben Handel. (S. 142.) Im 9. Jahrhundert blieben freilich die induftriellen Berhäftigungen den Laienbrüdern und Dienern berjelben überlaffen. (©. 144.)

Bud III. La Feodalitö et les Croisades (pp. 161 387). Bor den 13. Jahrhundert waren die arbeitenden Claſſen zwar nicht mehr Sclaven im Sinne des römijchen Rechts, aber Peibeigene oder Hörige: ar Erleichterung ihrer Lage Ichufen die Grundherren die jpäter für alle fe trüdenven und ter Induſtrie jo nachtheiligen Bannrechte (der Mühlen, Badöfen), überließen manden von ihnen bevorzugten niedern Freien oder Halbfreien die Ausübung von Profejlionen (Monopole) als Dienft- rechte, benachtbeiligten aber ven tur vie Abhaltung von Märkten begünſtigten Handelsverkehr durch Zölle und andere Abgaben, fanven es dann freilich wieder vortheilhaft, in ven von freien Bürgern bewohn⸗ ka Etädten den Aufihwung der Gewerbe zu fürbern durch die Orga⸗ niſatien der Handwerksinnungen (Corps des me&tiers), über welde ver def. (S. 191—284) ſich ausführlich verbreitet. Die Befugniß zu ar- keiten wurde für ein privilegioriiche® Recht erklärt, und beffen Ausübung

378 Ueberſicht der hiſtoriſchen Literatur von 1860.

von oft brüdenven Bedingungen abhängig gemadt. Der Geift der Zunft ftatuten war der des Monopol. Die Tragweite ver Regiemenis da travail wird vom DBerfaifer dur die Beleuchtung ver Statuten vieler Zünfte namentlih in Paris nachgewieſen, beſonders nad den ven Depping herausgegebenen Boileau's aus dem 13. Jahrhundert (pp. 241 261). Der Verf. hält es für lehrreih, auf die Zunftverhältniſſe ber Bäder» und ver Mebgerinnung in Paris näher einzugehen (S. 275 —284 und ©.285—296) und eine kurze Gejchichte der unter dem Namen der Hanse de Paris belunnten uralten Schifförheberinnung ver Gauptfabt zu geben. ©. 297 318 hanvelt er von ven Laften ber «arbeitenden Claſſen, d. h. den ihr auferlegten Steuern, Bannrehten und Frohnden Hierauf folgt bis 367 ein überfichtlihes Gemälte ver Blüthe der Künfe der Induſtrie und des Handels im 13. Jahrhundert, S. 369-378 ein Schilverung ver rechtlichen Stellung der Arbeiter, deren Verbeflerumg mit der Steigerung ver küniglihen Gewalt gleichen Schritt hielt.

Bud IV. La guerre de cent ans, 1323— 1498, (S. 387—575). Das Zufammengehen des Königs und des Bürgerthums war von kurzer Dauer. Dan fah bald, daß vie Zunftprivilegien mit dem Geſammtwohl nicht vereinbar waren; die erften Valois machten einen Berjuch, fie za vernichten, und näherten fi) teshalb dem Adel. Allein vie Kriege mit England und der Berluft der trei Hauptichlachten von Crecy, Poitiert, und Azincourt erzeugten nicht nur für die Könige eine durch feines ber vielen von ihnen angewantten Mittel zu bebende Geltnoth, fondern eine allgemeine Verarmung im Reiche und unabjehbares Elend. Daher Auf fände; ver mehrmals fiegreiche dritte Stand mißbrauchte fein Weberges wicht zur Beherrihung des ganzen Staates; die Könige emancipirten ſich mit graufamer Waffengewalt, das Entrejultat ver Kämpfe über 108 Fahre war ein zum abenteuerlichen gefteigerter Zuſtand der Bettelei. Die mehrmals aufgelöfte, dann unter Modificationen wieder hergeftellte privilegiarijche Zumftverfaffung wußte fih zu erhalten und tie Com pagnonages (Handwerkervereine), vie felbft unter ven Schuß der Kirche geftellten Bruderſchaften ver Handwerker, gaben ven gewerbetreibenden Claſ⸗ fen eine unzerftörbare Cinheit und Feſtigkeit. Trotz der Kriege, der Ber armung und des Elends blühten doch mehrere Zweige der Induſtrie Nah der Herftellung des Friedens mit England unter Carl VII. began⸗ nen beilere Zeiten; das Regierungsſyſtem dieſes Königs, fowie feines

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Frankreich. 379

Nechfolgers, Ludwig's XI., war dem Entporfommen ber Induſtrie und ws Handels günftig, fo daß man einer neuen Blüthezeit mit ver Nenaiffauce entgegenging. Dieß ift, mit wenigen Worten gejagt, ber Ahalt ver ihres überreichen Detail wegen jehr lejenswertben 9. Ka⸗ pitel des 4. Buches.

Buch V. Renaissance et la Ligue: siöcle de 1498 1598 t. II. pw. 1— 130. Die italienischen Kriege Karl's VIII., Ludwig's XIT. ud Kranz I. machten die Franzoſen mit den höchft verfeinerten Cultur- Zeſtänden und dem Lurus des Südens hefannt und erwedten Gefühle ver Nacheiferung. Der Berf. beginnt mit einer Schilderung jener Kul⸗ tm. Es waren bie reihen Blüthen ver höhern Künſte, ver Ma⸗ ki, ver Sculptur, ter Baufunft, der Dichtkunſt in ver Landes— frrahe. Die Könige riefen ausgezeichnete italienische Künftler in’s Land, belehnten Entdeckungen und Erfindungen mit einträglichen Privilegien, hießen Paläfte aufführen, begiluftigten die vor Kurzem eingeführte Buch⸗ druderkunſt. Alle Zweige des Handels und ver Gewerbe, darunter ver- fbierene neue, nahmen einen fchnellen Aufichwung, auch das Bankweſen begann unter dem Schuß der vaterlänbijchen Gewerbthätigkeit; bald ge- langten die Stätte namentlich zu einem von Jahr zu Jahr, felbft noch unter Heinrich 11. und Karl IX. fteigenten Wohlftand, bis die Sturm⸗ uud Drangperiode der Ligue die glüdlihen Fortjchritte gewaltfan unter: brach.

Ein allgemeine Greignig von nachhultigfter Rückwirkung auf bie Gewerbtbätigfeit und ven Handel war tie Werthverminverung bes Gel- des ımb bie Preisfteigerung der Waaren. Die Regierung wollte die hier- ans folgente Berarmung ver nievern Stände aufhalten, ergriff aber hiezu (wie ſchon Bodin ihr enthällte) vie verkehrteften Maßregeln ver Ausfuhr- verbote der Wuaren, teren Tarifirung :c., ftatt die Freiheit des Handels namentlih mit ven Auslande zu begünftigen. Es entwidelte fid) auch nach und nah ein regelmäßiges Yinanziyften, deſſen leitendes Prinzip vie Protection war. Dagegen wurden die Mißbräuche des Zunftwejens wu der Handwerlkervereine inter jchreiender (Ch. IV. pp. 79—103), und a6 mehr und mehr nad Abſolutismus ftrebende Königthum ſah fich ger nöthigt, dieſelben durch Verordnungen zu bekämpfen. Erſt unter Heins rich IV. gieng es ſiegreich aus dem Kampfe hervor und ebnete den Weg a den großen Reformen Colberts.

Pikerifge Zeltfgrift vi. Bam, 95

380 Neberfiht ber hiſtoriſchen Litertur.

Buch VI. Colbert et Louis XIV. de 1598 à 1715 (pp. 131—340). Die Regierung Heinrich's IV. war eine für den Aufſchwung der franzö⸗ fiichen Induftrie glüdliche Zeit; die Zünfte wurben ftrenger überwacht, neue Gewerbözweige eingeführt, namentlich vie im Laufe ver Zeit fo ber deutend gewordene Seibenkultur und Seivenfabrication, welche der Kö⸗ nig gegen Sully's Anfichten mit größter Energie pflegte; aud begannen Sefellihaften für den auswärtigen Hanvel, wenn aud nicht immer mit Erfolg, fih zu bilden. Der Luxus blieb im Steigen, auch boten könig⸗ lihe Bauten Gelegenheit zum Erwerb, und die Herftellung eines geregel- ten Staatshaushaltes wirkte heiljam auf vie Yage ber arbeitenden Claſſen zurück. Was in Ranke's franz. Geſchichte Br. I. S. 64— 80 und 95 114 in Kürze beſprochen wird, ſchildert unfer Verf. im erften Kapitel des fiebenten Buches genauer, verbreitet ſich aber mit größter Ausführ- lichkeit über das unendlih Viele und Großartige, was Colbert trog feines unhaltbaren Reglementirungsſyſtem für die Hebung ber Induſtrie und des Handels bis zu feinem Zope, ja bis auf unjere Zeiten, mit nachhal⸗ tigem Erfolge geleiftet Hat Darftellungen, welchen zu folgen vie Grem- zen diefer Anzeigen unmöglid) machen.

Das Ende der Periode feit Colbert's Tode war unbeilbringend für Gewerbe und Handel, wozu befonders noch der Widerruf des Edicts von Nantes und bie unglüdlichen Kriege Ludwig's XIV., die fort und fort fi) erneuernde Creirung verfäuflicher Aemter und Stellen und überhaupt bie verberbte Finanzverwaltung des Neiches beitrugen. Das fich ftetö wieder ermannende (in feiner Organifation vom Verf. ©. 311 ff. geſchilderte) Zunftweſen war ein allgemeiner Hemmſchuh des Wortfchrittes, der in⸗ deſſen bie pecuniär günftigen Zuſtände ber Gewerbtreibenden nicht ver Ihlimmerte.

Bud VII. Le dixhuitieme siecle pp. 341— 422. Der Berf. be ginnt mit Law und endigt mit Turgot und ten erften Decreten ver Assemblee constituante,

Die Monardie Ludwig's XV., gebilvet in ver Schule Ludwig's XIV, hält während befjelben am Hergebrachten feſt, ohne einzufehen, daß bie Zeit eine andere war: ſclaviſch dieſelbe nachahmend ließ fie ven Druck ver Gewerbereglements noch jchwerer fühlen und fteigerte noch Colbert's Irrthümer.

Indeſſen war das Bürgerthum erſtarkt, die Welt gebildet geworden, und

Frankreich. 381

ätereugend proclamirten bie Schriftſteller das Princip ber Handelsfreiheit mr die Vortheile ver Concurrenz. Während der Minderjährigkeit hatte em allzu kühner Neuerer die Bahn des Fortſchritts chne Sachkenntniß &treten und mit Banferott geenbigt. Im Anfang der Regierung Lud⸗ wig's XVI. unterlag ein wiflenfchaftlich gebilteter Refermater (Turgot) dem Widerſtande aller Borurtheile und ten Intrigen des Privatintereſſes. Tie geringen Freiheitsconceſſionen konnten nicht befriedigen. “Die herein: brechende Revolution vernichtete im Sturm tie Monopole, die Reglements an die Zünfte mit ven übrigen Einrichtungen ter alten Monarchie. L. A. W.

Ch. Desmaze, le Parlament de Paris, son Organisation, 308 premiers presidents et procureurs g“ndraux, avec une notice sur les autrcs jwlaments de France ctc. Paris, 1859. IV. u. 359 8. 8.

A. W. 5 von Tippelsfird, K. Ober - Ztaats- Anwalt in Stettin, Reber Die alten Parlamente Frankreichs und beren Einfluß auf die Staatsformen ber Gegenwart. Berlin 1859. 55.6 8.

Mit Berauern muß ınan fagen, daß Leite Schriften über die Par- Ismente Frankreichs ohne wiſſenſchaftliche Bedeutung find. Die erfte ift eine compilatorijche Arbeit, in welcher ter Berfailer, ein ehemaliger Ma⸗ giftrat, weder ten Stoff keherricht, noch eine tiefere Einſicht in das Beien dieſer berühmten Inſtitute gewinnt und ſich darauf beſchränkt, längſt Bekanntes meiſtens in oberflächlichſter Weiſe wieder vorzubringen. Bon einigem Werth darin ſind der Abdruck der wichtigeren, die Organiſation tes Parlaments ven Paris betreffenden königlichen Verordnungen, Die Netizen über die Organiſation des Parlaments, die Reihenfolge der Prä— ſidenten ꝛc. Cine bibliograp hiſche Ueberſicht ver Literatur über den Gegen— ſtand iſt unvollſtändig und ungenau ſelbſt in den Titelangaben. Man bat in B. J. des Refer. franzöfiſcher Staats- und Rechtsgeſchichte 8. 141 and 181-— 139 vom Jahre 1846 und in Schäffners Geſchichte Der Rechts— rerfaſſung Frankreichs B. I. vom Jahre 1849 S. 384 cine genauere and wenn kürzere doch ausreicheude Geſchichte Der Parlamente, welche ven unſerem Brewer ſchon früher glüdlich Learbeitet war. - - Tie Vroſchüre des Herrn von Tippelöfirdy enthält nur tie allgemeinften und befaunteften hiſteriſchen Thatjachen über die Adminiſtrativjuſtiz und die Competenz— conflicte. L. A. W.

20 *

382 Ueberfiht der hiſtoriſchen Literatur.

Le Parlement ot la Fronde: la vie de Mathieu de Mols. Notices sur Edouard Mol& procureur generale pendant la Ligue et M. le Come Molé par M. le Baron de Barante. Paris, 1859. XIX. u. 405 8. &

Der Hauptgegenftand dieſes neuen Wertes des berühmten Hiſtorilers iſt die Geſchichte des politifchen Lebens des Parlamentspräfidenten Mathien Mel, eines der größten Staatsmänner Frankreichs im 17. Jahrhundert. Da dieſelle mit ber des Parlaments und der Revolutionsperiode der Fronde (1649— 1658) innig verwebt ift, jo konnte ver Derfaffer feinem Geſchichtswerle ben obigen Titel geben. Die Einleitung zur Lebensgejchichte des Parlamenik präfiventen Mathieu Mole enthält eine Skizze des während ber Be berrihung von Paris durch die Ligue (von 1592 1594) zum procaren general des Parlaments ernannten Rechtögelehrten Edouard Mole (+ 1616) Vaters des großen Mathieu Mole (S. 3— 18). Den Schluß des Buche bildet eine kurze Biographie feines Nachkommen Mathieu Mole, ve legten Eintagsminifterd (den 23.— 24. Febr.) Königs Lonis Philipy, ver als Mitgliev der conftituirenden VBerjammlung im Jahre 1848 ſtarb.

Das ganze Werk hat die Vorzüge und Mängel ver früheren hiſto⸗ riihen Arbeiten des Verfaſſers. Es iſt eine im correcteften Style, mit größter Klarheit und Objectivität gefchriebene chronitartige Geſchichte, deren Lectüre und Verſtändniß aber nicht blos deßhalb jchwierig if, weil fie ohne alle Abtheilungen (von S. 19 397 fein Abfchnitt!) in einem Conterte, ohne Ruhepuncte, fortläuft, fondern weil ihm auch der prag⸗ matiſche Charakter abgeht. Keine Gemälde ver allgemeinen Zuſtände, feine eingehenden Charafterjchilverungen der hervorragenden Perſonen, feine Zeichnungen ber politiihen Stellungen der Hauptperfonen des jchon am fid verwirten Dramas, fo daß man erft andere Darftellungen leſen muß, um dem Berfaffer folgen zu können. Bekanntlich beſchäftigte ſich in unjeren Tagen ein franzöfifcher Gelehrter erften Ranges, Herr Couſin, mit der Geſchichte der Fronde, freilih nur um vie Theilnahme hochge⸗ ftellter Perfönlichkeiten an verjelben zu zeichnen oder einzelne Epiſoden der⸗ jelben zu ſchildern, ſowohl in ver zuerft der Revue des deux mondes ein verleibten wirklich claffiich gefchriebenen Lebensgejchichte der Frauen von Chevreuje (1858) und von Longueville (Paris 1859) als neueftens im feinen Sciences historiques de la Fronde (Revue des deux mondes von 1859 t. XX. p. 178 und 257, t. XXI. p. 751 6. XXI. p. 109). Den Werken Couſin's kann nun das neue Buch des Kern von Barantı

Frankreich. 383

an bie Seite geftellt werben, weil deſſen Hauptgegenſtand bie Bethei⸗ figung Mathien Molé's an jenen Ereignifien if. Daneben wird aber auch feine ganze politifche Laufbahn feit 1622 dargeftellt.

Mit großem Lob muß man anerkennen, baß ver Berf. ven wirklich merfwürbigen Dann, deſſen politiiches Leben er im größten Detail ſchildert, redend und handelnd fo vor uns treten läßt, daß wir feine ganze Per- fönlichkeit erſchauen, feine mit wahrhaft ftaatsmännijcher Weisheit ver- bundene, fi in den fchwierigften Verhältniſſen bewährende Charaktergröße bewundern können. Wir überzeugen uns, daß er in ven Kämpfen des Barlaments mit der rüdfichtlo8 nad Abfolutismus ringenden Königsmacht die Hauptrolle fpielte, und daß, wenn das Parlament in ruhmvoller Weiſe fi benahm, ex, fein ftreng rechtlicher zugleich und kluger Vertreter, es war, ber ihm bie glorreihe Stellung gab und behauptete. Alle feine Staatshandlungen, wie fie vom Verfaſſer uns mitgetheilt werben, beweifen die Wahrheit von Couſin's Charafterichilvderung des großen Mannes in der Revue des deux mondes von 1859. B. XX. ©. 278,

Man kann die Lebensgeſchichte Mole’8 in drei Perioden theilen: 1) die von 1614—1641, in welcher er Procureur general des Parlaments wer, und einerfeit dieſem, andererſeits dem Könige Ludwig XII. und Richelieu gerecht zu fein fich beſtrebte. Die zweite beginnt mit feiner, Ende 1641 erfolgten Ernennung zum erften Präfiventen des Parlaments, d. 5. zur erften Richterftelle im Königreich, die dritte mit feiner Ernen⸗ nung zum Siegelbewahrer over Yuftizminifter (1653). Da Ludwig XI. den 20. April 1643 ftarb, fo fiel jetzt feine Thätigfeit in Die Zeiten ber Kegentichaft der von Mazarin beherrfchten und von ven Prinzen beshalb angefeindeten Königin Anna. Er war als entjchiedener Feind des Abjo- Intismus lange Zeit Mazarin’d Gegner, in Gemäßheit feiner Stellung, ale Haupt der einzigen politischen Inſtitution Frankreichs, welcher ber Willkürherrſchaft ein legaler Damm fein Tonnte und ſollte. So lange Mole diefen Boften allein inne hatte, war fein Benehmen ftets feft und unzweideutig. Nachdem er aber zum Siegelbewahrer ernannt worben war, hinderte ihn der natürliche Gegenjag feiner beiden Aemter, dem des Präfidenten unbefangen vorzuftehen, und fein Einfluß war (freilich zur Zufrievenheit des Hofes) zu Ende (p. 330); auch war er bald ge⸗ nöthigt, jene Stelle aufzugeben. Herr von Barante hat feine Mitthei- Inngen über Mols namentlich ans theils gedruckten theils handſchriftlich

384 neberficht ber hiſtoriſchen Literatur.

hinterlafienen Memoiren vefjelben geichöpft, aber felten auf fie und dau nur in allgemeinfter Weiſe verwiejen. Zu bevauern ift es and, baf man nicht felten auf Druckfehler, namentlich in ven Jahreszahlen ſtößt Die Biographie des Grafen M. Meole ift ein ſchätzbarer Beitrag ur Geſchichte Frankreichs feit 1794. L. A. W.

Histoire de la libertd politique en France par Jules de Lasteyrie. Premiere partie. Paris, 1860. XXIV, 408 8. 8.

Unjer Urtheil über das Werk, veilen 1. Bd. vorliegt, geht dahin, daß es ein im klaſſiſchen Styl gefchriebenes geiftreiche® und angenehm ja fefendes Buch ift, in welchem aber Wahrheit und Dichtung bunt durchein⸗ ander laufen. Wie ver Verf. weder gelehrter Hiftorifer noch Philojeph fein will, fo befriedigt uns auch fein geichichtsphilojophifches Wert were nad der einen noch nad der andern Richtung. Nicht allein, daß Sr. v. Lafteyrie von beutfchen Arbeiten über die fränkiſche Periove, aud von Waig und Roth, nichts weiß: er ift nicht einmal in der franzöfiichen Li⸗ teratur ganz zu Haufe; wenigftens gibt er fich oft Mühe, zu beweifen, was auch in Frankreich fein Gelehrter mehr bezweifelt. Was aber die philoſophiſche Seite des Buchs betrifft, fo vermiffen wir ein klares conjequentes Denten; fogar ben Begriff ver politifchen Freiheit, über die er doch fchreiben wollte, hat fi der Berf. nicht ganz klar gemadt. Schon deshalb gehen feine Ausfüß rungen oft in's Unbeftimmte und Vage. Gleichwohl kann nicht gelengnet werben, daß das Buch manche richtige Bemerkungen und gute Gedanken enthält. Schon eine Stelle des Vorworts, vie hier mitgetheilt werden möge, wenn fie aud) mehr der Zukunft als der Vergangenheit Frankreichs gift, gibt ein ehrendes Zeugniß für ten Verf. ab: Quinconque a des principes est condamné de voir ses principes outrages, renverses, proscrits, et doit cacher sa douleur, crainte de fatiguer l’indifference ou d’importuner la bassesse, Les peres ne savent pas, dans quel pays viveront leurs enfass, si ce sera dans un pays de libert& ou dans un pays de servitude; ils se demendent,, si’ faut &lever les ämes ou assoupir les coeurs. Jameis ua peuple, qu’ animent le mouvement de la vie et l’action de la pensee, ne s’est fait A ce point l’esclave des circonstences (p. XVII XVII).

Histoire des classcs laborieuses en Franco depuis B conquöte de la Gaule par Jules Cesar jusqu’ & nos jours par M. F. de

Frankreich. 385

Cellier, agreg6 de l’histoire, inspeoteur de l’enseignement primaire du dpartement de la Seine. Paris, 1860. VII, 479 S. 8.

Das Bud hut mit dem vorhergehenden die fchöne lebendige Dar- ftellungsweife und die Hafjiiche Sprache, daneben aber auch die Ungründ- lichkeit, die Unrichtigkeit mancher Auffaffung und ven Mangel an Bes weifen für manche zu allgemeine und apodictiiche Behauptungen gemein. Doch treten dieje Mängel bei Hrn. de Eellier nicht fo ſcharf als bei ve Laſteyrie hervor, und wenn ſchon im Allgemeinen ver Verſuch, eine wenn auch kurze doch möglichſt vollſtändige Geſchichte der arbeitenden Klafien, nicht blos der Gewerbetreibenven, zujchreiben, alle Anerkennung verdient, indem dieſe Seite der Gejchichte auch bei und noch immer viel zu wenig berädfichtigt wird: jo jcheint uns die eine oder andere Partie in Cellier's Bud nicht allein neues, fondern auch treffliches zu bieten. Er hat z. B. das Berdienft, in der innern Gejchichte des 18. Jahrh. zum erften Mal bie Wirkjamleit der geheimen ejellenvereine (le compagnonage) ge ſchildert zu haben; fie find zum Theil fehr frühen Urſprungs, zum Theil beftehen fie noch heute; die fie betreffenden ‘Documente werben, wie der Verf. ©. 460 angibt, theilweije nod) geheimgehalten. Ueberzeugend ſchildert er u. a. auch die Zerſtörung des Nationalwohlitandes durch vie Geſetzgebung der conftituirenden Verfammlung, durch das Regiment des Nationalconventd und die Schwäche des Directoriums, bis dann Napo⸗ leon durch den Code civil, bie neue Gerichtöverfaflung und Prozeßord⸗ nung einen geſicherten Zufland ver inbividuellen Freiheit und Schuß des Eigenthums und Verlehrs hervorrief; aber erſt unter ber Reſtauration tonnte fi in dem wirklich frei geworbenen Staate ver Wohlftand ver arbeitenden Klaſſen auf der gewonnenen Grundlage kräftiger entwideln. Der von Yahr zu Jahr ſteigende Nationalreihthbum hinderte aber nicht den Sturz der ‚Yulixegierung, ven theils fie felbit, theils die parlamenta- riſchen Tribunen und die Prefie, theils der von Elementen ber neun» ziger Jahre gebilvete Carbonarismus herbeiführten (S. 351 376). Die mit Hilfe der demokratiſchen Elemente im Schooße der arbeitenden Klafjen von der fog. Bourgevifie, d. h. der Ariftofratie des Bürgerthums ausge⸗ führte Revolution von 1830 gab zwar dem letzteren bie Herrſchaft im Staate, erhob aber jenes Clement zu einer von Jahr zu Jahr auch durch die Propaganda der Saintjimoniften und Fomrieriften ſich fleigern- den politiihen Macht, die nothwendig im Conflict mit ber herrſchenden

386 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatırr.

Kaffe lommen, und, von ben ber Juliusmonarchie feinblich geſtunten Legitimiften unterftägt, um fo leichter über jene ven Sieg erringen mußte, ald die Regierung, die Beratung ber Demofratie zu gering ſchätzend, nicht8 that, aud nur um der Bewegung eine der Erhaltung des Conſti⸗ tntionalismus günftige Richtung zu geben. Manche Berfuche wurben in» deß für das Wohl der ärmeren Volksklaſſen gemacht, wie 1835 bie Er⸗ richtung der Sparkafien. Im Interefje der geſammten Bevölferung wurde 1833 das Geſetz über den PBrimärunterricht erlaflen, auch die Tendenz der chriſtlichen Wohlthätigkeit begünftigt, Aderbau und Strafcolonien ger ichaffen, die Fabrifarbeit der Kinder (1841) beichränft, die Arbeiter zur gegenfeitigen Unterftätung verpflichtet, das Inftitut der Pruhhommes 1844 in Paris eingeführt. Allein der auch vermittelft doctrineller, inbeſondere ſozialiſtiſcher Einwirfungen gefteigerte Bruch zwiſchen dem Capital umb der Arbeit wurde immer heftiger. Die dennoch unerwartete Kataſtrophe im Februar 1848 revolution d’ouvriers brachte freilih nur auf kurze Zeit ven fog. vierten Stand zur Herrihaft (S. 377—418).

Der Berf. ſchildert in anziehender Weife die von der republifanifchen Regierung begoimenen und von der des 2. Dez. fortgeführten Maßregeln zue Hebung des Wohle ber arbeitenden Klaſſen, und fpricht fich fiber das durch das fuffrage univerſel gejchaffene Gonvernement, den Man- gel politifcher Freiheit gänftig aus. In feiner Aufzählung der Reformen, welche die Utopien des Sozialismus und Communismus wie der Ber einsatelier8 der Handwerker, ihre Anſprüche auf Arbeitgebung durch ben Staat u. f. w. glüdlich umgehen, veffen gefährlichen Aufihwung paraly⸗ firen, bekundet er eine die Verhältniffe richtig beurtheilende Sachkenntniß (S. 419 58).

Bemerkt mag hier noch werben, daß der Herr Verf. zwar kirchlich gefinnt ift und das zweite Kaijerreich für eine populäre umd bie Intereſſen Frankreichs wahrhaft fördernde Regierung hält aber doch ©. 444 feine Darftelung mit den Worten fchließt: Le clerge, quand la foi re- naitrait dans toutes les &mes, ne saurait gouverner la democratie de notre temps plus, qu’il n’a pu gouverner la societe du X sitcle, et notre systEme administratif, si emimente que soit la volont& qui le fait mou- voir, demeurerait impuissant le jour la nation abdiquerait toute activité et cesserait delivrer elle m&me les Elemens de ses progres ulterieurs.

L. A. W.

Frankreich. 387

Etienne Marcel ou le Gouvernement de la Bourgeoisie m quatorziome siöcle (1356 1358) par F. 8. Porrens. Paris 1860, . U u 1770 S. 8.

Examen critiquo de l’ourrage intituld Etienne Marcel ete. par M. Simdon Luce, auxilisire de l’institut imperial de France. Paris, 1860. 43 8. 8. (Befonders abgebrudt aus ber Bibl. de l’Ecole des (hartes, Serie V. t. 1.).

Die kurze Epifode de8 von Et. Marcel prevot des Marchands, db. dem Borftand der Pariſer Stadtgemeinde geleiteten Aufftands zwi⸗ Wen den Jahren 1356 und 1358 gehört zu den Capiteln der Geſchichte drankreichs, worüber bie älteren und neueren franzöfiihen Hiftorifer fehr berſchiedener Anficht find. Während die erften in jenem Manne einen ir und rachflichtigen Demagogen und Staatsverbrecher ſehen, erflären die letzteren ihn für einen dem Verrath und dem Despotismus als Opfer geiallenen Verfechter ver Ideen der bürgerlichen freiheit und ber conftitu« tienellen Regierungsform, deſſen Unglück gewefen fei, daß er 500 Jahre a früh für das 1789 vollführte Werk ver großen Staatöreformen fein Leben eingeſetzt habe.

Die erſte auf Quellenſtudium geſtützte Apologie Marcel's findet ſich m Sismondi's) histoire des Francais T. X. (v. J. 1828) ©. 4277 432,

176 497, 510 538, vie zweite noch ftärfere in Michelet’8 hist. de France t. III. p.564 ff. (v. 9. 1837). Derſelben Richtung folgt Henri Martin im B. V. feiner histoire de France. Wichtige Actenftüde und Aufflärungen über das politiihe Drama von 1356—1358 gaben 1839 Sacabane in ®. I. ver Bibliotheque de Ecole des Chartes, 1841 Douet d'Arcq in derſelben B. II. 350 397: Jules Quicherat im Plutarque francais von 1844 (Art. Etienne Marcel), 1846 Lervour de Lincy in ber kist. de la maison de ville de Paris p. 200; 1853 ſprach ji Aug ujtin Thiery iz feinem Essai sur l’histoire de la formation et des progres du Tiers Etat p. 24 ff. in günftigfter Weiſe für ven großen Volfsführer aus und ermuthigte einen jüngern Gelehrten, Hrn. Berrens, jetzt Prof. am kaiſ. Lyceum Bonaparte , die Geſchichte veflelben in einer Monographie zu be= banteln. Der etwas fchmärmerijche junge Mann unternahm das Wert,

3) Ber ihm 1815 ſchrieb Naubet fein Buch: la conspiration d’Etienne Marcel.

388 | Ueberficht der Hiferifchen Literatur.

fiellte Nachforſchungen in ven Archiven an und übergab das in glänzen» der Sprache geichriebene, mit 25 großentheils jedoch ſchon gedruckten Acten- ftüden begleitete Buch 1860 ter gelehrten Welt.

Die Herren Perrend vorangegangenen Apologeten E. Marcel’ von Sismondi an traten nicht ohne Reſerven für ihren Helven in die Schranten. Ihm unberingt das Lob eines anfangs ehrenvoll und Icyal fich gebahren- ven, ein edles Ziel mit ſtaatsmänniſcher Weisheit verfolgenden Vaterlanda⸗ freundes ertheilend, brachen fie über ihn von dem Augenblid an ven Stab, wo er den 11. Febr. 1358 an der Spite der aufgewiegelten Handwerker zum Reichsverweſer, nachherigen König Karl V., ftürmte, neben ihm bie Marjhälle ver Normandie uud der Champagne in Stüde hauen ließ und darauf (den 31. Juli) ven Plan ausführen wollte, Paris und den Thron Frankreichs dem Schwager und doch Feinde Karl's, König Karl vor Navarra, Charles le mauvais genannt, zu überantworten. Zugegeben wir, daß er auf ver jchlüpferigen Bahn, vie er einzujchlagen zuletzt ger nötbigt war, nur durch dieje Verbrechen fein Ziel erreichen zu können glauben mußte Was vie ſchon 1355 begonnenen, tie weiteren 1356 fanctiontrten Staatsreformen betrifft, jo find jene Gejchichtsforjcher weit entfernt, fie Marcel als ausichliegliches Berdienft zu vindiciren, inbem actenmäßig feſtſteht, daß fie durch das Zufammmenwirten aller brei Stände ver Langue d’ Oil zu Stante lamen. '

Diefe von Sismondi, Michelet und Aug. Thierry ausgegangene nur bedingte Apologie Marcels ſchien num Heren Perrens nicht ausreichend. Er will den tur ihn auf tas höchſte gefteigerten Ruhm ves Mannes ungetrübt im glänzentften Vichte ver Mit⸗ und Nachwelt erſcheinen lafien und ihm unter ven Kämpfern von Frankreichs politiſcher Freiheit für immer eine erfte Stelle ſichern.

Leider ift ihm dieſer Verſuch mißlungen. Der Verf. hatte von einem andern Geſchichtsforſcher Herrn Simeon Luce das zum Brud fertige Manufcript einer auch 1860 erjchieneneu Histoire de la Jaquerie zur Durchſicht mitgetheilt erhalten, aber faum Zeit gehakt, ihm das jeinige zur Einfiht zuzuftellen. Ta ter indas Jahr 1358 fallende Bauernkrieg der Faquerie Herrn Luce genöthigt hatte, auch tie Geſchichte E. Marcel’s genau zu ſtudiren, fo konnten ihm vie Mängel und Webertreibungen tm Buche des Verf. nicht entgehen, und da er dieſe allzu jchreiend fand, jo veröffentlichte er im dem rubricirten Examen critique eine, wie aud) Re⸗

Frankreich. 889

rent zugeſtehen muß, nur zu jehr verdiente Zurechtweijung des in ſei⸗ zer Begeifterung für Marcel ſich offenbar überftürzenven, allzu phan- twitereichen jungen Profeſſors.

Tas Enturtheil des Herrn Sinteon Luce über das geprüfte Buch ht (5. 41) dahin: daß es des Neuen faſt ganz und gar Baar, im Eimelnen veller Irrthümer ift, und daß die daſſelbe beherrſchenden Grund⸗ xtunfen jedenfall parabor find. Der durch eine trefflihe Darftel- lmgsgabe ausgezeichnete Verfaſſer, heißt c8 am Schluſſe, hätte Tüch⸗ tiges leiſten können, wenn er bie Endreſultate ber zerftreuten Forſchungen kiner Borgänger in populärer Weiſe zuſammengeſtellt wiebergegeben hätte. Ru tiefem Urtheil jtimmt aud Referent überein. Das Ergebuiß einer jelchen gewiß verdienftlichen Arbeit wäre etwa Folgendes gewejen:

Frankreich befand fich bei ver Thronbejteigung Johanns II in der traurigſten Page. Die für dafjelbe unglüdlid, geführten Nriege mit Eng« land jeit 1339, die Verſchwendungen tes Hofes, die Betrütgereien auch der hechſten Beamten hatten die Staatskaſſe ganz und gar erjchöpft, vie Rünzfußveränderungen und immer wiederfehrende Münzverfälfchungen hatten das Verkehrsleben in Verwirrung gebradyt. Der Drudf ver arkeis kauen Klaffen namentlih auf dem Lande hatte eine unerträglihe Höhe erreicht.

Ter König berief die Reichsſtände mehrmals und zuleßt 1355. Dieſe fuhten vor allem Mittel, ver jchlechten Finanzwirthſchaft Einhalt zu thun, und fchlugen höchſt wichtige, freilidy die königliche Machtomnipeteuz beſchränkende Reformen vor, Die ver König auch janetienirte. (Sismondi X. 129.) Ein zweiter Zujammentritt ver Stände ſollte am Ende des folgenven Jahres ftattfinden. Im April nahm Nönig Johann verrätherijcherweije Karl von Navarra, angeblid) als Verſchwörer, bei einem Gaſtmale mit keinem Schne in Rouen gefangen, ließ in ihrer Gegenwart Harcourt und drei Anteren ald Mitverſchworenen das Haupt abſchlagen.

Ter Krieg mit England entbrannte aufs Neue und führte ken 19. Sept. 1356 zur unglüdlihen Schlacht von Poitiers, in welcher der König und viele Areliche gefangen genommen wurden, und ter Reſt lets terer in jchimpflicher Flucht davon eilte. Der Tauphin Karl floh nad Paris, rief auf ten 17. Oct. tie Etänte zujanmen, entließ fie aber, mit ihrer Haltung unzufrieden, ſchon den 3. November, um bci feinem

heim Kaifer Karl (in Metz) jein Heil zw ſuchen. In jeinen Erwar⸗

890 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur.

tumgen getäufcht, nahm er auf's Neue zu denſelben feine Zuflucht. Gie traten den 5. Februar 1357 zufammen, trugen in energifcher Weiſe ihre Beſchwerden vor und redigirten ven in der Staatsgeichichte Frantreihe jo denfwürbigen Entwurf einer durchgreifenden, alle Mißbräuche rädfichte- [08 aufvedenven und befämpfenden Heform-Berorpnung, bie den 3. März von der Geiſtlichkeit, dem Adel und dem dritten Stande gutgeheißen, auch von Karl als Lieutenant general du royaume in einer Ordonnance ') fanctionirt wurde.

Der fie begründende Redner war ver Biſchof Le Eocg von Laon, nach ihm ſprachen zuftimmend für ven Adel Johann v. Peguigny und für den dritten Stand Etienne Marcel (Sismondi p. 493—496). Dem Regenten mißfiel vor allem vie Claufel, nach welcher die Verwaltung ber bewilligten Subfivien in die Hände eines ſtändiſchen Ausſchuſſes ge- fegt wurde, fo wie die ihm abgenöthigte Abfegung von 22 feiner ihm liebften Näthe. Der aus 38 Mitglievern beftehende Ausſchuß wurde er⸗ nannt. ®)

Wenn Perrend die Abfaffung diefer Reformverordnung als das aus⸗ fchließliche Wert des dritten Standes und insbejondere als von E. Marcel ausgegangen wiſſen will, jo ift er vie Beweiſe biefer Behauptung ſchuldig geblieben. Zugegeben muß werben, daß für Marcel die Bertretung ihrer Durchführung eine Hauptangelegenheit wurde, namentlih als vie Geiſt⸗ lichen und Adelichen dem Regenten fich wieber zuwendend nach und nad fi zurüdzogen, und Karl unzweideutige Beweiſe gab, wieder als Aus tofrat regieren zu wollen.

Inzwifchen warb ein Waffenftillftand mit England abgefchloffen. Der Regent fuchte feine Abhängigkeit vom ftändifchen Ausfhuß zu brechen, mußte jedoch den 7.Novbr. 1357 die Stände felbft wieder um Subſidien anfprechen und bei biefer Gelegenheit ven noch in Haft gehaltenen König Karl von Navarra freigeben; er verfuchte auch wieder eine Miünzverfälichung. Jetzt beginnt die eigentliche Aufftandsbewegung mit E. Marcel an ber Spige, die Mordſeene ver beiden Marfchälle hat Statt; Karl belagert Baris; mit Robert de Cocqg und dem durchaus zweideutigen Karl von

1) Den Inhalt derſelben gibt Perrens vollſtändig an S. 129. 2) Donet b’Arcq gibt S. 382 deren Namenslifte mit Erläuterung.

Frankreich. 391

Rvarca fich verbindend macht ver Demagoge den 31. Yuli 1358 Ans Kalten, die Stadt dem legteren zu Überantworten, wird aber jelbft ver⸗ tathen von Jean Maillart, feinem Collegen im ſtädtiſchen Rath, und mit überlegener Mannſchaft im Augenblid überfallen, als er Karl'n die Thore öfeen wollte. Cr befand fich in ähnlicher Tage wie Wallenftein, als er Eger den Schweden überliefern wollte, und fiel wie biejer.

Da man Navarra, näher den Capetingern verwandt, als die Valois, md Eduard Il. von England, ver felbft König von Frankreich werben weite, das allerfchlimmfte zutraute, fo wantte fih ein Theil feines Arhangs von ihm ab und dem Regenten zu, tie Reaction ging mit Rie⸗ imfhritten vor ſich, viele Hinrichtungen fanden ftatt und von ber Reform⸗ Serervunng bed Jahres 1357 war nicht mehr die Rede. Die Jacquerie bildete ein nur 3 Monate dauerndes, von Marcel nicht benütstes, ben 9, Yuni beendigtes, für die arbeitenden Claſſen auf dem Lande höchſt blatiges Intermezzo. Als Haupt der Reformatoren und der Verſchwore⸗ nen vom Jahr 1358 möchten wir eher ven Biſchof Robert Le Cocy bes trachten. Marcel möchte nur ver Mann ver That (ter Ausführung) zweien fein. Für den Eonftitutionalisnus, d. h. ſelbſt für deſſen An⸗ jang, war bie Zeit noch lange nicht ta. Die königliche Autokratie war nicht blos von Jenen feitgehalten, ſondern gult auch bei allen Ständen as erſtes ſtaatsrechtliches und unantaftbares Princip. L, A. W.

Chronique du roy Francois, premier de ce nom, publide pour la premitre fois d’apres un manuscrit de la Bibliothtque imperiale, aree une introduction et des notes par Georges Guiffrey. Paris, reuve Renouard, 1860. 493 8. 8.

Diele Chronik, auf welche, nach einer Notiz in der bibliotheque de ltedle des chartes (1860, 2. Bd. S. 193), zuerfi Hr. Lalanne aufs merkſam gemacht bat, verbreitet fi) über die Jahre 1515 bis 1542. Cie it eine Chronik im wahrften Sinn tes Worts, in der Ueberſchwem⸗ ummgen und Brand, Peſt und Seuchen, Mord und Vergiftung, Prozeſſe md Sinrichtungen, Turniere und Zweilinpfe, Seite und Maskeraden, lenigliche Aufzüge und Prozejfionen ven größten Raun ausfüllen. Für tie eigentliche Geſchichte bildet fie aljo nur eine ſecundäre Quelle; aber fie bietet ein großes Yutereffe für das Studium der Sitten im Anfang det 16. Jahrh. dar und zeichnet die Regierung Franz I, volllommen fo,

3092 Ueberfiht ber hiſtoriſchen Literatur.

wie fie einem Zeitgenoffen, welcher ver zweiten Kaffe ver Gefellfchaft angehörte, erſcheinen mußte. Der Autor wird nämlich ein fchlichter Bürger von Sens gewejen fein, nach dem Detail zu urtheilen, das er gibt. Er bes zieht fih auch ausdrücklich auf amtliche Actenſtücke jener Stadt. Die endgültige Rebaktion der Chronik fcheint gegen das Ende ber Regierumg Franz I. erfolgt zu fein.

Der Herausgeber wird als fehr forgfältig gerühmt; er hat mit ängfl- liher Genauigkeit den Tert des Manuffripts mit allen feinen orthogra⸗ phiſchen Wunverlichfeiten wiever gegeben. Unter ven Tert finden fich viele Noten, die theils Manuſkripten ver faijerlichen Bibliothek, theils ven fehr feltenen Slugichriften, deren ſich der Chronift beviente, entlehnt find. Dazu lommt ein Anhang von gleichzeitigen unedirten Stüden. Nur die Ein» leitung findet der Kritifer in der genannten Zeitfchrift mager.

Projets de Gourernement du dnc de Bourgogne Dauphin. Me&moire attribud au Duc de Saint-Simon et publid pour la premitre fois d’apr&s un manuscrit de la bibliothöque imperiale par M. P. Mesnard. Paris, 1860. CXIV u. 291 8. 8.

Auf den erften Blick ift man geneigt, die Veröffentlichung des rubri« eirten feit faft 150 Jahren im Staube ver Vergeſſenheit befindlichen Memoires fir einen Literariichen Yurus zu erklären, zumal fein Titel eine Unwahrheit enthält. Liest man aber die Einleitung des Werkchens jelbft und die trefflichen Anmerkungen des Herausgebers dazu, und ver» bindet damit Ranke's Mittheilungen im vierten Bande jeiner franzöfifchen Geſchichte S. 359 und ff., fo überzeugt man fi, daß der Wiffenfchaft ber Geſchichtsforſchung durch deſſen Herausgabe ein ſchätzenswerther Dienft geleiſtet iſt. Es gehört einer Zeit an, in welcher wenige bie unheil⸗ Ihwangeren Zuftände ihres Vaterlandes richtig erfaffende, wahrhaft pa« triotiich gefinnte franzöfiiche Staatsmänner, den Untergang der Monardie vorausſehend, fi mit dem Gedanken befaßten, durch Reformvorſchläge das drohend herannahende Schidfal abzuwenden. Durch Ludwigs XIV. Verſchwendungsſucht und Groberungspolitif war die Staatsſchuld auf 2 Milliarden ſechshundert Millionen Livres geftiegen, der innere Drud merträglih, und der ganze Verwaltungsorganismus fo verwerflidh, daß nicht blos die Freiheit vernichtet, fondern auch der Wohlftand ganz und gar ımtergraben war. Da lebte in biefer Ungläd weiffagenben Zeit ein zur Nachfolge auf Ludwig's Thron durch Geburt berufener

Frankreich. 393

lbechbegabter, hochherziger Prinz, ver von einem weiſen und edel geſinnten Etaatemanne erzogen, ſich die Nationalreform der geſammten Staats⸗ verhältniije zu feiner künftigen Regentenaufgabe machte und in der Stille die Serarbeiten dazu veranitaltete. Diefer Brinz war ter (zweite) Dauphin des Lönigs Enlel, Herzog von Burgund, der Staatsmann der große Fer wien. Gewöhnlich nannte man von biejem nur feinen, wie Mohl) fagt, we Idealiſirung beſtehender Stautseimeichtungen bezweckenden Staats⸗ tenan des Telemach. Allein diejenigen, welche mit der franzöſiſchen Ge⸗ chichte genaner bekannt find, willen, daß er als politiſcher Reformator weit größere Berdienſte bat. Dieſe beſtehen nicht blos darin, daß er als lehrer des Dauphin viefen zu einem überaus gründlich gebilveten, Frank⸗ rich damalige Tage volljtändig durchblickenden, mit den nöthigen Kennt⸗ niſſen ausgerüjteten und vem feiten Willen, baldmöglichſt Hand ans Werl a legen, beſeelten Staatsmann machte, jondern aud darin, daß er bie Kefermideen in überzeugenver Weiſe aufzeichnete, feinem Zögling vorlegte mb biejen für ihre Ausführung gewann. Der Herzog von Burgund war 1682 geboren; er fellte von jeinem Großvater ſchon ven 25. Oct. 1699 den Cintritt in das Conseil des depeches, und im Dec. 1702 dann im das Conjeil der Finanzen und den Staatsrath erhalten und jemit Gelegenheit befommen, vie gejummten Verhältniſſe des Reichs tens wer zu lernen. Später machte er die Feldzüge in ven Niederlanden, heilich ohne großen Ruhm zu ärndten, mit. Seine Vebensbeichäftigung miren ſtaatswirthſchaftliche Studien, woher ihn verjchievene auch uch Schriften ausgezeichnete Staatsmänner durch Rath und That zur Seite ſtanden. Außer dem jchen genannten Fenelon, deſſen lettre Ecrite a ®* pour Etre lue au Duc de Bourgogne, und deſſen Plan du Gouverne- ment bier zu nennen find, Lefaßten fi noch in vwerichiedenen Richtungen äine Reihe von Männern, von denen vor allen der Herzog von Saint-Simon welthiſtoriſch geworden ift, mit biejen Studien. Die aus denſelben von dem Prinzen jelbit gewonnenen Früchte fennt man aus deſſen hinterfaflenen Bapieren, aus welden Abbe Proyard in feiner 1782 in zwei Bänden veröffent üchten Vie da Dauphin, pere de Louis XV., des Prinzen Reformideen zu⸗ ſammengeſtellt hat. ’) RN. Mohl, Gefchichte der Stautswiffenichaften B. I. S. 206. ) Eine kurze Charalteriſtil derfelben gibt Ranke Bd. IV. &, 378 folg.

894 Ueberſicht ber hiſtoriſchen Literatur.

Leider ftarb der Prinz fchon den 18. Febr. 1712, ein Jahr nach feined Vaters, des erften Dauphins, Tode und flatt eines ausgezeichneten Königs erhielt Frankreih 1715 einen Wüftling zum Regenten. Somit blieben die Reformideen papierne Wünfche, haben aber für bie Kenutnif der Zuftände am Ende der Regierung Ludwig's XIV. den unſchätzbaren Werth, daß man aus ihnen erjieht, wie groß die Gebrechen des Staates waren, und wie fie nad) ven Urtheilen ver tüchtigften Männer des Zeil alters hätten geheilt werben können und follen. Unter ven ſolche Reform⸗ pläne enthaltenden Schriften erjcheint num bie von Herrn Mesnarb zu⸗ fällig in ver Taiferlichen Bibliothek entvedite und zum erften Dal heraus⸗ gegebene als eine ver wichtigften. Gewiß würde unfer Rante fich wit ihr befaßt haben, wäre, was wirklich zu bevauern, viefelbe ihm wid unbelannt geblieben. ‘Der Herausgeber jagt im Eingange feiner Borreie, baß er beichäftigt mit Stubien sur les dessins politiques du duc de Bourgogee, petit fils de Louis XIV. bei Nachforſchungen nach ſchriftlichen Aufzeich⸗ uungen bed Prinzen durch Zufall (in Nr. 1260 des Supplement ſru- cais) anf die Titel: Projets de gouvernement resolus par Mgr. le Duc de Bourgogne apr&s avoir märement pense, ftieß, die er aber offen bar mehrerer Lüden und Unklarheiten wegen als bie Copie eimer nicht mehr vorhandenen Urſchrift erlannte. Er ftellte jofort die gränd- lichſten Unterſuchungen über das Wert an, namentlih zum Behufe der Beantwortung der Frage: ob die Autorſchaft deſſelben dem Herzog Daw phin zuzuſchreiben jei, over wenn nicht, welchem andern Verfafler, und m welcher Zeit daſſelbe gefchrieben worden fein könne?

Aus dem ausführliden Referat über feine Forſchungen fowie ans ben dem Werke beigefügten Anmerkungen ergibt fi nun 1) daß ver Herzog von Burgund daſſelbe nicht verfaßt haben kann, 2) daß ver wirkliche Verfaſſer vefjelben fein anderer fein kann, als der von uns fchen genannte Herzog von Saint-Simon, und daß 3) die Schrift kurz nad bes Dauphin’8 Tod vollendet worden fein muß, und den faljchen Titel vielleicht vom Verfaſſer nur deshalb erhalten hat, um ben darin nieber gelegten Ideen bei dem Saint-Simon befreundeten ber Negentichaft ent- gegenblidenden Herzog von Orleans!) Eingang zu verſchaffen *). Die

1) ante, franz. Beh. B. V. ©. 460. N) Projets p. CVI.

Frankreich. 395

Unterfchimgen bes Deren Herausgebers waren zunächſt darauf gerichtet, de Keformideen, mit welchen der Dauphin ſich herumtrug, genau zu elamen und anzugeben, mit benjelben die in dem Memoire enthaltenen „a vergleichen und ferner zu conftatiren, mit welches anderen Staats⸗ minued Reformplanen biefelben übereinftimmten. Das Ergebniß war: DE zwar die des Dauphins zuweilen mit ven in ber Schrift verzeich- nen zuſammenfielen, daß aber bei weitem bie meiften fich in ben gro⸗ in Memoirenwerk Saint Simons:) und zwar oft wörtlich wieder fin- ven, Wie bier jo wird in dem Memoir der von den einzuberufenven Nahsftänden auszuſprechende Stantshbanferott, die Abjchaffung der Inten- danten ber Genöbarmerie, die Ueberantwertung ver gefammten Stuats- mwaltung an den Übel, fowie eine Menge Detailreformen empfohlen, was es Herr Mesnard theild im Allgemeinen in ver Vorrede, theils im Einxelnen in ven Anmerkungen überzeugend nachgewiejen hat.

Außerdem vergleiht er Saint Simon’d Reformpläne mit denen Fenelen's und zeigt, daß bie des Herzogs niehr mit dem lettern ald ben aftern verwandt find. Wenn invefien, wie wir fagten, ver Titel des Berfchens eine Unwahrheit enthält, fo iſt tod, wie ter Herausgeber 6. XCIH—XCIV u. XCVII conftatirt, jo viel wahr, daß der Dauphin Genferenzen mit Saint Simon hatte?) feine Mittheilungen als De- siignemens entgegen nahm und verichierenen Vorſchlägen deſſelben jich jmneigte.

Rah einem Blick auf die traurigen Yinanzzuftände empfiehlt der Berfoffer, um ihnen aufzuhelfen, die Nachahmung Englands und Hollands, usb die Einberufung der Reichsſtände von 5 zu 5 Jahren; ferner Ber- wanblung aller Abgaben in eine einzige Steuer, Aufhebung ver elections und der iresoreries de France, der Intendanten, KReorganijation der Parlas merte und ter gefammten Juſtiz zum Behufe prompter und wohlfeiler Proceßführung, desgleichen des Conseil ecelesiastique, des conseil d’affaires

1) ©. über baffelbe und feinen Werth ale Geſchichtsquelle: Ranke a a. O. V. feiner &. 443—469. ) &t. Simon fagt 8. XIV &. 350 feiner Memoires: Travaillant sous les yeux de Dauphin aux projets, dont vous avez pris quelques parties etc. diberiſqe Beitfärift VL Bam. 27

896 Ueberfiht ber hiſtoriſchen Literatur.

eirangöres, de Guerre, de Marine, de finances, de dep6ches, d’ordre, d’Etat und der Umgeftaltung ver beftehenven Einrichtung der Soerdtairen d’6tes, beren es damals für 4 Regionen des Reichs vier gab. Es wirb baun ge handelt von den auswärtigen Fürften, ven Sarbinälen, dem Hofe, ben Mitgliedern der königlichen Familie, ven natürlichen Kindern des Könige, dem Hofceremoniel, und zwar im Detail, und zulett von dem Orden de St. Esprit, St. Louis und St. Michel endlich vom Tiers Eiat, von bem freilich nicht gefagt, ſondern blos ausgeführt wird, daß die Magiſtratar, d. ſ. g. noblesse de Robe einen eigenen neben ven. brei verfaflungee mäflig beftehenden Ständen bilven dürfe.

Der Herausgeber beipricht in der Vorrede die Frage, ob bie Projeis de reforme de gouvernemens zur Klaſſe der utopiftiihen Staatsverfaſ⸗ ſungs⸗ und Verwaltungspläne zu zählen fein, und iſt geneigt, troß ber praktiſchen Tendenz jener Vorſchläge die Frage zu bejahen. Da indeſſen durch die Revolution von 1789 manche dieſer fowie der von Yenelon umb dem Herzog von Burgund ausgefprodhenen Reformgedanfen, wenn aud in anbrer ald der von ihnen gewollten Weile ausgeführt wurden: fo gehört ber Verfaſſer doch unter die Vorläufer der päteren Neformatoren.

L. A. W.

J. Quicherat, professeur de !’Ecole imperiale des Chartes, Hi- stoire de Sainte-Barbe. Collö&ge, communautd, institution. Paris, 1860. 8. T.1.

Das Inftitut von Sainte-Barbe ift heute eine der blühenpften Un⸗ terrichtöanftalten der franzöfiichen Hauptſtadt, aber feine Geſchichte war bisher wenig belannt; mußte man doch weder ven Gründer ber Anftalt, no das Jahr der Gründung. Nad den weit ausgedehnten Quellen⸗ Unterſuchungen des gelehrten Quicherat war es ber Profeflor Geoffroy Lenormant unter Karl VII, ver die neue Anftalt am 1. Oktober 1460 eröffnete. Der Verf. handelt ſodann von dem Beginn der Stubien zu Sainte-Barbe, von dem Streit der Realiften und Nominaliften, von dem Unterricht in der Rhetorif, von dem Beginn des Stubiums ver franzöftichen Sprade zu Paris. Die verfchievenen Vorſteher ver Schule, die daſelbſt um das Jahr 1500 herrſchenden Sitten und Gewohnheiten, die merhwirbigften Männer Frankreichs und des Auslandes, die dort ſtudirten, werden ausführlich beſprochen. Zu den Zöglingen von SaintesBarbe gehören u. a. Ignaz

Frankreich 397

won Loyola, Franz Xavier und mehrere andere Gründer der Geſellſchaft Ku, denen Hr. Quicherat ein eigenes Capitel wiomet. Die Könige von Sertugal hatten ſchon zu Anfang des 16. Jahrh. zu Suinte-Barbe eine gehe Anzahl von Burſen, was viele Bortugiefen borthin zog. Ueber der weitern Inhalt f. d. Bibliothöque de l’ecole des Chartes 1861 ©. 293. Wenfalls iſt Das Werk Quicherat's von mehr als Iocalem Intereile, und verdient auch bei uns, wo man längft der Geſchichte der höhern Yehr- «kalten jeine Aufmerkſamkeit zugewandt hat, alle Beachtung.

Correspondance de Napoldon I., Publiee par ordre de l’empereur Kapoldon Ill. Tomes I—-VII. Paris, Plon et Dumaine 1858 1861. 8.

Schon gegen Ende des Jahres 1854 wurde auf Befehl des jeßi- gen Kaiſers der Franzoſen eine aus dreizehn Mitgliedern zujammengejette Sommiffion gebilvet, um die „auf tie verjchievenen Zweige des öffentlichen Intereſſes“ bezügliche Correſpondenz Napoleons 1. zu ſammeln, zu ordnen md zu veröffentlichen. Der damalige Kriegsminiſter Marſchall Baillant sud der Senator Charles Dupin wurden zu Bräfidenten dieſer Commiſſion emannt, unter deren Mitgliedern, außer ben Generalen Aupif, Belet und Slahault, die Herren Boulay de la Meurthe, Paul Merimee, Lefevre und Champagny die auch in weitern Streifen bekannten Namen waren. Im Januar 1858 erftattete die Commiffion einen Beriht an ven Kaijer, in dem, nach vorausgegangener officieller Verzückung über den heim, ter Neffe wegen feiner Weisheit beglückwünſcht und ter Plan auseinanderge- jetzt wird, nach welchem tie Sommiljion bei Herausgabe dieſer Actenjtüde za verfahren gedenke.

Es ift ſchon in einem früheren Bande biejer Zeitſchrift (Jahrgang 1859 11 Heft, S. 220) erwähnt, daß alle Mittel aufgeboten wurten, um alle Briefe Napoleons im In= und Auslante in möglichſter Voll⸗ ſtändigleit zufammenzubringen, aber aud wie weit bie Conunijlion bie Grenzen ihrer Aufgabe gezogen, und daß fie zur Correſpondenz des Kai: ſers nicht nur die von ihm im Staatsrathe abgegebenen Gutachten, ſon⸗ vern fogar feine im Moniteur zeitweije veröffentlichten Artikel gerechnet hat. Aubererfeitö wurde Alles, was Napoleon an Mitglieder feiner Fa⸗

21*

898 Ueberſicht der hiſtorijchen Literatur.

mifie oder an Bertraute in Bezug auf feine -hänslidden Verhältniſſe ge fchrieben, grumbfäglich von der Sammlung ausgeſchloſſen. So bietet uns diefe im günftigften Yalle, d. 5. wenn fie auch Alles, was ver Kaiſer jemals officiell geäußert, entbielte, höchſtens nur einen Anhalt zur Benr⸗ theilung vefielben als General, Gejebgeber und Staatsmann; Aber Re poleon in feiner rein menfchlichen Beziehung bringt fie ſelbſtverſtändlich fehr magere Aufflärungen. Ob aber dieſer günftigfte Yall angenommen werben darf, ob e8 möglich ift, alle auf Napoleons Befehl und im feinem Sinne verfaßten Schriftftüde, vie während feines reichbemegten, beinahe zwanzigjährigen Wirkens an der Spite der franzöfiichen Nation erwachſen find, zu fammeln, glauben wir billiger Weiſe bezweifeln zu follen. Und nod ein anderer Zweifel darf in Berüdjichtigung bereit gemachter Erfahren- gen nicht verjchwiegen werben, nemlich: ob in biefer „officiellen“ Beröffent- lichung nit ein und das andere fatale Document, welches mit ver be zwedten Berherrlihung Napoleons 1. zu feltfan contraftirt hätte, von ber Commiſſion abfihtlih unberüdfichtigt geblieben oder doch mit nöthig he fundenen Eorrefturen verfehen worben fein mag? Denn daß das Streben nah Berherrlihung Napoleons I. und des Napoleenismns, nicht aber das Bedürfniß, das Licht ver Wahrheit auf die noch dunklen Stellen einer großen Vergangenheit zu werfen, erfte und einzige Urſache der Zuſammen⸗ ſetzung biefer Commiſſion geweſen, kann Angefichts des gegenwärtig in Frankreich herrichenden Syftems nicht wohl in Abrebe geftellt werben. Es if überflüßig hinzuzufügen, daß überbieß vie Mehrzahl ver Namen, aus wel chem die Commiſſion gebilvet ift, feine Bürgſchaft bietet, wodurch unfer Mißtrauen gehoben werben könnte.

Aber felbft fo, wie die Correſpondenz uns vorliegt, aljo trotz ihrer zweifach möglichen Unvollftändigfeit und Ungenauigfeit, befigt fie unbeftreit- baren Werth als Quellenfammlung. Und wenn man auch aus ihr nidt Alles erfährt, was gefchehen, und wenn vielleicht auch nicht Alles, was man darin erfährt, geichehen ift, jo geftattet fie doch genaueren Einblid in mande bisher noch unergrünveten Tiefen eine gewaltigen Geiftes und gewährt jedenfalls dem Bolitifer wie dem Militär reiche Belehrung.

Die erften beiden Bände umfaffen ven Zeitraum vom Oftober 1793 bis Mitte April 1797, begreifen demnach die Wirkſamkeit Napoleon Be napartes von der Belagerung von Toulon bis zur Unterzeichnung ber Brievensprälimimarien von Leoben, in nicht weniger ald-1746 Stüden.

Zranlreich. 309

Aus ven erſten Monaten dieſes Zeitabſchnittes find, wie ſich von KR verſteht, die Schriftſtücke ziemlich ſparſam und beziehen fi in ber Regel auf artilleriftifche Gegenſtände; hin und wieder findet fich ein Me⸗ ueire Über die von ber italienifhen und Alpenarmee zu vollziehenven Operationen; bie bereitö in ven Me&moires du roi Josephe veröffentlichten Briefe Napoleons an feinen Bruder Joſeph find bier ebenfalls ſämmtlich weder aufgenommen. Es find bieß die einzigen, in welchen auch von an⸗ dern Dingen, ald von Operationen, Schlachten, politiichen Parteien und Serfaffungen bie Rede if. Mit Ende Yuli 1795, dem Zeitpunfte, zu weichem der General Bonaparte bei der Section für das Kriegsweſen im Vehlfahrtsausſchuſſe verwandt wurde, beginnt für ihn bie Periode einer mafaflenderen und einflußreicheren Thätigkeit; die Inftructionen, welche im faufe der nächſten Monate an die Vollsrepräjentanten und den Comman⸗ Kreuden ber italieniichen Armee abgingen, wurden von ihm verfaßt. Aber an mit der Nieverwerfung des Aufitandes ver Barijerjectionen am 13. rendemisire und Bonaparte's Ernennung zum General en chef der Armee des Innern tritt bie beherrſchende Ueberlegenheit jeine® Weſens in den Berdergrumd. Der befehlende Zon, den er von da an nit nur in feinen Grlaffen an die Generale der Armee des Innern, jontern auch in feinen Roten an die Minifter und an das Direktorium felbft anichlug, bewies ken damals unmwiberleglid, daß die papierene Verfaſſung vom Jahre III für ihn fein Hinderniß fein würde, wenn ihre Beſtimmungen mit feinem Willen nicht mehr im Einflange ftünden. In ver Regel ift zwar vie Form änkerlicher Unterwürfigleit unter die beſtehenden Ordnungen noch immer gewahrt, aber wie jet uns, lann e8 damald ven Machthabern in Paris wicht ſchwer geweien jein, zwiſchen ven Zeilen das trogige Selbftgefühl und ben wwiderwilligen, knurrenden Gehorfam des Schreibenven heraus» zulefen.

Noch mehr tritt dieß in den Berichten hervor, die der General en chef der italienifchen Armee über die Kämpfe um den Befis von Mantua, vom Mär; 1796 bis Februar 1797, an das Direktorium einfanbte. Weſentlich Neues bringt die Correſpondenz über dieſen ganzen, militärifch jo intereffanten Zeitabichnitt nicht; die wichtigften von Bonaparte's Rela⸗ tiomen und Ordren find theils in der, ſchon 1819 bei Panckoule zu Paris exjchienenen oorrespondance inédite officielle et confidentielle de Napoleon Bensperte gejammelt, theils find fie in den verjchierenen Geſchichtswerken

400 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur.

über dieſe Periode zerftrent zu finden. Namentlid wird dem ſchon von Klaufewig (in feiner Darftellung des Krieges von 1796 Banb IV feiner binterlafienen Werte pag. 172 u. ff.) bebauerten Mangel eines genauen Anfichluffes über die Intentionen und Gefechtspispofitionen Bonaparte's in den Tagen vom 15. bis 17. November 1796 bei Arcole durch bie vorliegende Sammlung Teine Abhilfe Was wir jest barüber erfahren, wußte man auch ſchon vor dreißig Jahren. Ebenfo wenig Neues wird über die Beendigung biefes Feldzuges durch Bonaparte's flegreiches Vor⸗ bringen bis nahe vor die Mauern Wiens, im März und April 1797, gebracht, mit deſſem Reſultate, dem Prüliminarfrieven zu Leoben, ver zweite Band fchlieft.

Der dritte Band umfaßt die Periode vom Ende April 1797 bis März 1798, während welcher fi) Napoleon größtentheils in Mailand, in dem nahe bei dieſer Stadt gelegenem Schloſſe Mombello und in Baffa- riano aufbielt, von welch' letzterem Orte aus er die Friebensunterhand« lungen mit ven in Udine befinplichen öfterreichifchen Berollmächtigten lei» tete. Der Kreis der Angelegenheiten, welchem Napoleon feine fpecielle Auf⸗ merkjamleit zumwendet, erweitert fich immer mehr. Zuerſt find e8 vie Bes fignahme Benedigs und der Sturz feines bisherigen Gouvernements, melde feine Thätigkeit in Anfprud nehmen; dann die Bereinigung ver kaum erft errichteten cis⸗ und transpadanijchen Republiken in die cisalpinifche; endlich der Abſchluß einer Defenfiv- und Offenſiv⸗Allianz mit Sarbinien und bie Regelung der Beziehungen Frankreichs mit den jonifchen Inſeln. Aber über die auswärtigen Angelegenheiten verlor er keineswegs den Par⸗ teienlampf in Paris aus den Augen, und getreu feinem Grundſatze, das herrſchende Syftem nur bis zu dem Momente aufrecht zu erhalten, in dem er es zu feinem eigenen Bortheile umftürzen könne, ſchickte er Ende Juli 1797 ben General Augereau nah Paris, der, alsbald zum Commandanten ber bortigen 17. Militärbivifion ernannt, am 18. ruftivor die vom Club Clichy erregten Unruhen mit ftarfer Hand erbrüdte. Die Friedensunter⸗ handlungen zu Udine gingen inzwifchen ihren Gang, wenn auch nicht ohne vielfache Hemmniſſe von Seite ver öſterreichiſchen Geſandten und nament⸗ lich Cobentzel's, über deren üblen Willen Napoleon wiederholt zürnend an das Direktorium berichtet. Die Ernennung des zu einem Obercommanbo unfähigen Angereau’3 zum General en chef der Rheinarmee bewog jedoch Rapoleon, den Abſchluß des Friedens von Campo Formio zu befchleumi-

Frankreich. 40%

gen. Durch die Schweiz und über Raſtadt eilte er dann nach Haufe, den Kopf füllt von der Belämpfung Großbritanniene und ber Aufftellung einer Armee von England, als deren einen Flügel er auch die nach Aegyp⸗ ten beftiuimten ‘Divifionen in feiner Prollamation vom 10. Mai 1798 anrebet.

Die Detal8 dieſes phantaftiichen Unternehmens find in ben beiden folgenden Bänden IV und V ver correspondance enthalten, welche ſomit ben Zeitraum von Anfangs März 1798 bis zur Landung Napoleons im Fréjus Anfangs Oktober 1799 umfaflen. Gerade biefe beiden Bände bringen ungewöhnlich, viel Neues, wohl hauptſächlich deßhalb, weil dieſer abenteuerliche Kriegszug bisher das Intereſſe ver Militärs wie ber Ge⸗ ſchichtsforſcher verhältnigmäßig weniger angeregt bat, als die übrigen Feld⸗ züge und Staatsactionen bes großen Mannes. So verblieben viele Do⸗ enmente über denjelben in Privat⸗ und Staatsardhiven, deren num vor⸗ liegende Beröffentlihung nicht verfehlen wird, das theilweife noch immer über diefe Erpedition gebreitete romantiſche Halbdunkel zwedmäßig zu er- heilen. Eine Anzahl von nahezu 1800 Altenftüden, vie aus ver Zeit von Napoleons Verweilen in Malte, Alerandrien, Gizeh, Kairo, El Ariſch, Jaffa und Acre ftammen, darf wenigftend zu diejer Hoffnung berechtigen.

An ver Spitze des fechiten Bandes befindet fi) die Rebe, welche Na⸗ poleon beim Stantöftreihe zum 18. Brumaire im Rathe der Alten ges halten hat; ihr ſchließen fich Verordnungen und Befehle bes verſchieden⸗ artigften Inhalte an, welche Napoleon von dieſem Tage, der ihm bie unbeftrittene Herrſchaft in Frankreich überlieferte, bis zu feiner Abreife zur italienischen Armee erließ. Seine Abwejenheit von Paris vom 7. Mat bi6 3. Inli, während welcher er den Feldzug von 1800 in Stalien be» endigte, unterbrach nur für kurze Zeit feine Thätigleit ald Staatsmann, um jene als Feldherr wieder mehr in den Vordergrund treten zu laſſen. Das ımter Nr. 4910 in ber Correspondance abgebrudte Bulletin: Die Relation über die Schladht von Marengo ift, wie wir vermutben, ber erfte und wirkliche Originalberiht Bonaparte; die drei anderen auf ſei⸗ nen Befehl nac mehreren Jahren neu rebigirten und fpäter ſämmilich feinem Memorial einverleibten Relationen finden ſich in vorliegender Samm⸗ Iung nicht anfgenommen.

Schon bie Ramen berjenigen, an welde die Schreiben Rapoleons aus biefer Zeit gerichtet find, find höchſt bezeichnend für bie leitende Stel-

408 neberficht ber hiſtoriſchen Literatur.

fang, die ee damals einnahm; er verkehrt nur mehr mit ben Miuniſtern Lucian Bonaparte (Inneres), Carnot (Krieg), Talleyrand (Aeußeres), Forfait (Marine), Gaudin (Finanzen), Fouché (Polizei) ꝛc. ꝛc, ben com⸗ mandirenden Generalen: Brune (Reſerve⸗Armee), Maſſena (italieniſche Ar⸗ mee), Bernadotte (Weſtarmee), Augerau (Armee in Holland), Morean (Rheinarmee) u. ſ. f.; bie und da findet ſich auch ein Sthreiben an ein oder das andere gekrönte Haupt, an den deutſchen Kaiſer, ven Markgra⸗ fen von Baden, ven Grafen von Provence, ven König von Spanien u. |. f.; eine Meinungsäußerung gegen einen Verwandten, eine Mittheilung an einen Bertrauten würde man jedoch vergebens fuchen: der Menſch iſt bes reits vollkommen in den Staatsmann aufgegangen.

Aber mehr noch als die Adreſſe dieſer Schreiben beftätigt ihr In⸗ halt, daß ver erfte Conſul mit unbeſchränkter Souverainetät über Yranl- reich berrichte, und daß Sienes Wort eine Wahrheit geworden: „Bir haben einen Herrn; Bonaparte kann Alles, weiß Alles und will Alles.“ Und in der That kann man fagen, daß Nichte, was auf das Wohl und Wehe feines Adoptivvaterlandes und feiner Mitbürger Einfluß haben fonnte, von ihm zu gering erachtet wurde, feine Aufmerkſamkeit zu bes Ihäftigen: Hanfvorräthe und Kanonen, der Stand ber Eurje und bie Gemälde aus der italienischen Schule, Pferdeankäufe und Sternwarten, bie Schuhe feiner Solvaten und die Corfos von Rom über Alles ver fügt er in der gleichen energijchen und ſtets zutreffenden Weife, die gleich zeitig feine Inſtructionen an Touffaint Louverture in Domingo, an feinen Bruder Joſeph in Yuneville, an Lebrun in Madrid, an Murat in Rom ꝛc. harakterifiren.

Die Periode des Friedens von Amiend und des Concordates um: faſſend, fchließt der fiebente und letzte bisher erjchienene Band mit Mitte Auguft 1802, aljo mit der Stiftung des Ordens der Ehrenlegion und mit Napoleons Ernennung zum erften Conful auf Lebenszeit ab. Die Mos narchie war fertig; denn ber Beſitz der unumſchränkten Gewalt machte Napoleon zum Herriher Frankreichs, nicht die prunkvolle Krönung in ber Notre Dame, durch welche er feinen revolutionären Urfprung, gegenüber ben Parteigängern für das Herricherreht von Gottes Gnaden, feltfamer Weile zu legitimiren trachtete.

Zu erwähnen Bleibt uns ſchließlich noch, daß ſich die vorliegende Correspondance in ihrer äußeren Ausftattung, namentlich in Bezug auf

Fraukreich. 403: Llarheit und Weberfichtlichleit des Inder, auf das Bortheilbaftefte aus⸗ yihnel. L. H.

Fieffe E., Histoire des troupes dtrangeres au service de France, depuis leur origine jusqu’ä nos jours. 2. Vol. Paris 1858. 8°. Dentfh unter dem Titel:

Geſchichte der Kremb- Truppen im Dienſte Frankreichs von ihrer Eutſtehnung bis auf unfere Tage, ſowie aller jener Regimenter, weikhe im ben eroberten Ländern unter ber erften Republit unb bem Kaiſer⸗ wie ansgeboben wurden, von Eugene Fieffs, k. franz. Archivs - Ober- kamten im Kriegeminiſterium. Dentih von F. Symon be Karneville, Rajor im !gl. bayer. 1. Infant.- Regiment König Ludwig. Autoriſirte Aus⸗ abe im zwei Bänden mit Kupfern. Münden, 3. Deſchler'ſche Buchbruderei 1860. 8.

Die Geichichte Franfreihs ift, wie faum die einer andern Nation, ach am glänzenden Thaten kriegeriſchen Ruhmes, aber auch wie fein an- deres Volk haben die Franzoſen won jeher e8 verſtanden, die ftaunende Belt mit der Erzählung ihrer militairiſchen Peiftungen zu erfüllen. Daß em gutes Theil derjelben von den in Frankreichs Sold ftehenven Fremd» Truppen zu Stande gebracht worden iſt, fintet ſich in ben wenigſten kiegägejhichtlichen Werken franzöſiſchen Urſprungs, und da nur fo neben kei erwähnt. Um jo überrajhender muß aber eine geichichtliche Arbeit

wirfen, welche, die Theilnahme fremder Staatsangehöriger an ven Waffen- tbaten des franzöjischen Nationalheeres ſchildernd, dieſen Zweck auf fo vorurtheilsloſe und unparteiiſche Weiſe anſtrebt, daß fie, wie fie und ver» liegt, ebenfo wohl von einem Englänver oder Deutjhen, Schweizer over Staliäner u. f. w. verfaßt fein könnte. Es wäre nur zu wünſchen ges weien, daß Ähnliche Motive auf Thiers, Marmont, Segur und andere neuere franzöfiiche Kriegsgeichichtsjchreiber eingewirft hätten, ehe fie ihre Bere der Oeffentlichkeit übergaben.

Die Geſchichte der Freindtruppen zerfällt in 8 Napitel, welche man ihrem Umfange nach ebenjogut Bücher heißen könnte. Vom früheften Erſcheinen ver Schotten, Deutſchen, Scmeizer ꝛc. als Soldtruppen im Dienfte Frankreichs führt uns das 1. Kapitel (Dr. I. p. 1— 176) durch ie Kriege Karls VI, Ludwig XII., Heinrich I. und Franz 1. in die Periode der religiöfen Bürgerkriege unter Karl IX., Heinrich Il. und Hein» rih IV. Die Geſchichte gerade diejed Zeitraums (1560 1610) iſt ein

404 Meberfiht ber hiſtoriſchen Literatur.

unmterbrochenes, rühmliches Zeugniß für die Treue, Tapferkeit uub friegerifche Tüchtigkeit der germanischen Race, zugleih aber auch wieer eine glänzende Betätigung beflen was Zacitus von ihr rühmt: Nelles mortalium armis aut fide ante Germanos. Das zweite Kapitel, die Res gierungsjahre Ludwig XIN. und Ludwig XIV. umfaflend, macht uns er mit den Eingelnheiten der Kämpfe befannt, welche Richeliens Bolitik mit meift deutſchen Truppen gegen die Streitkräfte des deutſchen Reiches groͤßtentheils ſiegreich zu beftehen wußte, eine Bolitit, welche gleich⸗ zeitig die fchwebiichen Generale Baner und Torſtenſohn an der Spige ihrer Heere im Herzen Deutſchlands mit gutem Erfolge zu verfechten wußten. Sehr charakteriftiich in Beziehung anf die Aushebung oder Ans werbung der Fremdtruppen ift die im Band I. p. 218 w. f. aufgeführte Kapitulation des fchweizerifhen (Berner) Infanterie-Regimentes von Er lad, vom Jahre 1672.

Aber auch in ven Tagen ber Fronde, unter deren Fahne ver Haf gegen ben übermächtigen Mazarin bie beiben großen SHeerführer Franl- reichs, Turenne und Condé, trieb, fehen wir die Fremdregimenter in erfler Reihe ftreiten; ebenfo in ven blutigen Eroberungszügen Ludwigs XIV. gegen Holland, in denen auch die Sieger von Nörblingen und Nocrey wieder an der Spike ber Höniglihen Heere ſtanden. Mit Er zählung der Thaten ver Fremdtruppen in Italien, in den Niederlanden, in Spanien, am Rhein und an ver Donau während bes ſpaniſchen Erb folgekrieges ſchließt dieſer Abfchnitt, dem der Ueberſetzer eine überſicht⸗ liche Zuſammenſtellung des damaligen franzöftichen Heeres und ſeiner Einrichtungen beigefügt hat.

In der dritten Periode (1115 1793) tritt ein ſcharfer Unterfchieb zwifchen den Schweizer- und den andern fFrembregimentern im Dienſte der franzöftfhen Krone dadurch hervor, daß die Schweizer nunmehr allein das Vorrecht eigener Verwaltung und Gerichtsbarkeit befigen, und nur unter dem Titel von Verbündeten und felbftändigen Hülfstruppen den Bourbonen ihre Kriegsdienſte leihen, während bie übrigen {Fremden im Laufe des 18. Jahrhunderts gleih Nationaltruppen betrachtet und behandelt werden. Der ſich feines Vaterlandes mit Stolz beimmfte Schweizer blieb eben auch im Dienfte Frankreichs Schweizer; die Polen, In, Italiäner und vor Allem, ihrem YTosmopolittichen Charakter ge treu, vie Deutfchen, welche die Mehrzahl der Fremden bildeten, lichen

Frankreich. 405

ib, unzufrieden mit ten Zuſtänden ihrer Heimath, geduldig zu Franzo⸗ ſen ummoteln und nahmen, bis auf das Kommandowort, alle Einrich⸗ tungen des franzöſiſchen Heeres an. Bezüglich der numeriſchen Stärke ver Frembtruppen, fo dienten hievon 1741: 51,315 Mann, 1788 noch 4,063; jedoch 1791 nur mehr 23,067 Diann, letztere meiſtens Schweis ze, in Frankreich. Der polniiche Wahltrieg, der öſterreichiſche Erb» jelzekrieg, ver fiebenjährige Krieg, der Kampf mit den Engländeru um Kınada, der norbamerifaniihe Unabhängigfeitsfampt ꝛc. boten vielen Schaaren noch Gelegenheit zur Auszeichnung, ehe die Yulitage des Jah⸗ res 1789 die gänzlihe Auflöjung ber Fremdtruppen in Frankreich ans» bahnten. Ein Bericht des in bie Baftille mit feinen Leuten zur Ver⸗ Rirfung ber dortigen Befatzung kommandirten Lieutenant von der Flüe vem Echweizerregiment Salis, über die Tage vom 7. bis 13. Juli iſt hẽchſt leſenswerth (Bd. I. p. 469 u. folg.). Und nun begannen aud) in den Reiben der ?Trembregimenter die Empörungs- und Aufſtands⸗ vertuche, unter beren verderblichen Einflüſſen die alte fünigliche Armee vorftel und allmälig zum brauchbaren Werkzeuge ter erbittertften Partei⸗ kitenfchaft wurde. Ein Beiipiel einer ſolchen Militairrevolte findet ſich Pr. 1 p. 478 u. f. angeführt, nämlich ver Aufſtand des Schweizerregis nentes Pullin-Chateauvienr am 12. Auguft 1790 zu Nancy.

Der 10. Auguft 1792 beſchloß faktiſch tie Dienftleiftung der alten Schmeizerregimenter im Königlichen Frankreich; ein Dekret ver Nationalver⸗ ummlung vom 20. dankt tie Schweizerregimenter auch fürmlich ab. Die übrigen Fremdtruppen in franzöfiichen Dienften beftanten zu biefer Zeit auc mehr aus einer geringen Anzahl von Offizieren und Soldaten; die meiften von biefen fanden ſich noch unter ven Negimentern: Salm, Royals Allemand, Royal-Aljace, Royal» Euetois, Royals Deurponte, Ya Mard, Berwit, bei Laffayette's, Kuftine's und Luckner's Armeen, welch’ letzterer, m Cham in der Baheriſchen Oberpfalz geboren, felbft einer ver hervor⸗ ragenbften Ausländer im Dienfte Frankreichs iſt. Die leute Stunde ter Monarchie war jedoch zugleich die der Fremdregimenter, denn jene, welhe nach den Auguft- und Septembertagen des Jahres 1792 noch ale folge nominell beftanden, wurden in folge des Geſetzes vom 21. Februar 1793 entweder der franzöfifchen Infanterie einverleibt oder aufgelöfl. Ein am Schluß des I. Bandes gegehenes Verzeichniß der Oberften fänmt- iger Sremdregimenter von ihrer Errichtung bis zu ihrer Auflöfung ift

406 Meberficht ber hiſtoriſchen Literatur.

deßhalb für den Kriegsgeſchichtsforſcher wichtig, weil biefe Regimenter nur nad den Namen ihrer Oberften benamm und nicht numerirt waren.

Noch che jedoch das republikaniſche Frankreich die Fremdtruppen ber alten Monarchie aufgelöft hatte, forverte es in feiner PBroflamation am alle Bölfer vom 20. April 1792 fchon wieder die Unterthanen frember Länder zum Kintritte in franzöftiche Kriegsvienfte anf, alle jene im Ber ans als feine Söhne adoptirend, welche ihre Kräfte der Bertheibigung der Freiheit und Unabhängigkeit Frankreichs weihen würden. Wisbal zogen aus allen Theilen Europa’s, namentlih aus Holland und Belgzien, beträchtliche Haufen von Unzufriedenen und Abentenerern nach dem ges lobten Lande der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, um fich unter den hochtrabendſten Namen dem franzöfijchen Heere einverleiben zu laflen. Da gab es denn bald batavifche, germanifche, norbfränfifche, lombardiſche, allobrogifche, fpanifche, irifhe, helvetiiche ꝛc. Legionen, auch Malteſer, Griechen, Türken, Kopten ꝛc. fehlten nicht in der bunten Reihe, um felbft Armenier, Aethiopier, Nubier und Mameluken führte ver Aufent- halt franzöfifcher Armeen in den ſüdlichen Küſtenländern des Mittel⸗ Meeres unter die Trikolore, welde jedoch nach Wiebererrichtung ber Monardie dem Taiferlihen Adler den Play räumen mußte. Als dann dieſer Adler jeine Raubzüge begann und fi) mit ver Zeit auf den Zin- nen faft aller europäifchen Hauptftädte niederließ, genoffen alle dem fran- zöflihen Kaiferreiche incorporirten Ränder die Ehre, der großen Armee Rekruten jchiden zu dürfen. Sehr lehrreich ift in mancher Beziehung die Bo. U. p. 249 u. f. aufgenommene Repartition der durch Dekret vom 11. Januar 1813 in ven „fremden Departements“ anbefohlenen Rekru⸗ tenaushebungen aus ben Altersflaffen der Jahre 1809, 10, 11 und 12.

So finden wir fortan die Frembtruppen bes republilanifchen um taiferlihen Frankreichs auf allen Schlachtfeldern, wohin fie der uw ruhige Ehrgeitz des eriten Conſuls und des Imperators warf. In Aegyp⸗ ten und Italien, in Syrien und in der Schweiz, in Domingo und Neapel, in Rom und an der Küfte Irlands, in Spanien und Ungarn, Illyrien und Polen, in Moskau, Liffabon, Wien und Berlin, überall finden wir fie, fi mit Muth und Ausdauer fchlagen und einen großen Theil zu Erringung der Siege beitragen, deren Crfolge tem franzöfiichen Her {her zu gute kamen, und deren Lorbeeren die franzöfifche Nation als bei

Frankreich. 407

wsichließliche Verdienſt ihrer eigenen Kinder hochfahrend und voll Selbft- wiähl im Aniprud nahm. Aber nicht nur die Truppen des eigentlichen empire, ſondern auch fpanifche, irijche, polniſche, neapolitaniſche, nord⸗ italiãniſche Bataillone und Schwabronen, kurz Truppen aus all’ jenen fändern, die man in Paris ſchlechtweg als zum empire indirect gehörig beeichnete, wurden von dem „Saiferlichen Aare in feinem Fluge mite gzogen“, bis es endlich den vereinten Kräften des aus mehr hundert⸗ Mieigem Schlafe eriwachten Deutichlands, dann Rußlands und Englands glädte, dem übermüthigen Adler vie Flügel zu ſtutzen. Kurz vor biejem Zeitpunkte wurde es jedoch dem ſtolzen Soldatenkaiſer ſchon unheimlich, fo viele Fremde in den Reiben ſeines Heeres zu willen, und die Auf⸗ my mehrerer Frembregimenter, ſowie vie Berlegung von andern in die Kolonial- Depots, welche er gegen Ende tes Jahres 1813 anorbnete, fellten wenigftens die verdächtigſten umter ihnen auf fchidliche Weiſe von der altiven Theilnahme am Kriege zurüdhalten. Daß die Entwaffnung bei der Mehrzahl dieſer dem Kaijer mit Enthufiasmus ergebenen Re: gimienter eine unnöthige Maßregel war, läßt ſich bei ver faſt zauber- baften Gewalt, welche Napoleons Perjönlichleit auf jeine Armeen überall zur zum jeder Zeit anszuüben und zu behaupten wuhte, ınit Sicherheit bes haupten. Und vie Fakta, welche ver Verfaſſer Bd. II. p. A16 anführt, laſſen in dem beutichen Baterlandsfreunde nur das Bedauern zurüd, daß eine folde Summe von Hingebung und Opferfreudigleit, wie fie von ben damals in Spanien ftehenden Naſſauiſchen, Frankfurtiſchen, Würzburgi⸗ fhen Truppen für die Sache des Franzoſenkaiſers bethätigt wurde, nicht der Heimat und ihren heiligften Intereſſen erhalten blieb.

Am Schluſſe ver Periode des Kaiſerreichs ift ein Verzeichniß ver Sremten angehängt, welche währent ver Jahre 1792 bis 1814 Marſchälle ever Generale in franzöfiichen Dienften geworden jind; vie hervorragend» Ren unter ihnen möchten wohl fein: Die Belgier Baillet te la Tour wur Dumonceau, tie Bahern Ludner und Marulaz (Marola), ver Helle Eidemayer, ber Irländer Kilmaine, ver Holländer Chafle, tie Bolen Dom⸗ irewsty, Poniatowoky und Joſeph Zajonczef, die Sartinier Gurial, Fe⸗ ter, Maſſena, Pacthod und Rusca, die Schweizer Iomini, Laharpe und Reynier, wozu auch noch ver aus Schottland ſtammende Machonalv und arte, aus einer irifhen Familie feine Abkunft herleitend, zu rechnen Wien,

A408 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur.

Mit der Wiederkehr der Bourbonen verſchwanden alle Freubd⸗ teuppen aus Frankreich; die Polen wurden dem SKaifer von Nu land, die Kroaten dem SKaifer von Defterreih, und auf dieſe Weiſe fort die übrigen Hefte der Yrembtruppen ven andern einfchlägigen Gon- vernements zur „Dispofition geftellt“. Wer ſich dieſem Machtipeude über feine Perfon nicht fügen wollte, folgte dem verbanuten Kaiſer nach Elba, um deſſen Leibwache zu verflärken; die Bourbons hingegen ver trauten gemäß ber erblichen Ueberlieferung ihrer Ahnen die Hut ihrer Perſon und ihrer Krone ausſchließlich wieder den neuerrichteten Schweiger regimentern an, welche nad Napoleons Landung im März 1815 zum Theil dem Könige treu blieben, und nad ihren Kantonen heimlehrten, zum Theil aber bei Formirung der neuen Fremdregimenter verwendet wur⸗ den, welche fich nun wieder mit einem Schlage bildeten. Mit den Drama der hundert Tage ſchloß jedoch auch vie Epoche ver Nepoleoniſchen Freud⸗ regimenter zum zweitenmale ab, als deren letztes Gedächtnißzeichen die bes rüchtigte Helemamebaille zu betrachten ift. Und wieder trat die Schweiger garde auf ven Platz, ven fie feit vier Jahrhunderten bei den Söhnen des heiligen Ludwig behauptet hatte. Die am 1. Yuli 1816 mit den Schwer zerfantonen abgejchlofiene Kapitulation, die legte welche Schweizer zum Kriegsdienſte Frankreichs verbindlih machte, fette den Stand der Schwei- zertruppen auf zwei Garde⸗ und 4 Linienregimenter feſt; das Gewitter der Yulitage fegte jedoch dieſe Leibwache unbarmberzig und wohl für immer vom Boden Frankreichs weg. Gleiches Scidjal hatte die Les gion Hohenlohe, welche 1816 aus den Reiten der von Napoleon in deu 100 Tagen formirten acht Fremdregimenter gebildet worden war.

Aber als ob ein geheimnigvoller Magnet immer und innmer wieber die Untertbanen fremder Ränder unter die franzöfifhen Fahnen züge, fe finden wir auch unter den Orleans erft in Morea, bamem Algeries und unter dem zweiten Kaiferreihe in ver Krimm und 1859 in Italien Frembtruppen in franzöfiichen Dienjten, von welchen ſich namentlich dw, allerdings zum großen Theil aus gebornen Franzoſen beftehenden, Zona⸗ ven unb Turcos bereitd einen europäifchen Ruf erworben haben. Doch diefe Epoche gehört ter Gegenwart und noch nicht der Geſchichte an, mat Tann demnach ihre kritiſche Beurtheilung erft in Sahrzehnten erwarten.

Warum wir bei Beiprehung gerade dieſes Wertes fo ausfähelid geworden find, jevenfalld viel zu ansführlic für den fo larg zugemeflenes

Frankreich. 409 Kaum? Beil uns die Betrachtung über ven Antheil, den die Söhne ve wichtiramzöflihen Europas und vor Allem die Deutichen an ben ahlreichen Kriegen Frankreichs zum Nachtheile ihres Vaterlandes nahmen, pn eruften Gedanken ſtimmte und bie verhängnigvolle Trage anregte, ob ucht Mangel au patriotifher Geſinnung bei jenen Nationen, welche im Yaufe ber Jahrhunderte das ftärkite Kontingent für die Fremdtruppen Fraukreichs lieferten, die Haupturfache des Gelingens franzöſiſcher Be⸗ ſerrſchungs⸗ und Eroberimgspläne gewejen iſt? Aus diefen Grunde und weil wir das vorliegende Wert als einen Gewiſſensſpiegel betrachten, in welchem auch das deutiche Volk nicht oft genug bliden kann, haben wir vestielben eine beſondere Aufmerkſamkeit zumenven zu müſſen geglaubt, eine gößere, als es im Verhältniffe zu andern wiſſenſchaftlichen Leiftungen verbient hätte.

L. H.

Les dtats de Normandie sous la domination anglaise par Ch. de Baurepaire, ancien 6lev& de l'dcole de Chartes Paris, 1859. 195 8. 8.

Eine äuferft gründliche Schrift, die ihrem Verf. und der berühmten Schule, in der er gebildet wurbe, große Ehre macht. Als nad) der Schlacht von Uimcourt (1415) König Heinrih V. von England mit Hilfe ver Bur⸗ gunder die Normandie und bald barauf einen großen Theil des nördlichen Frankreich, ſich als deſſen König gerivend, erobert hatte, organifirte er noch ver dem ihn zum Könige von Frankreich erflärennen Vertrag von Troyes (i. 3. 1422) jenes Stammland feines Haufes mit Cinverleibung ber nächften Provinzen und rief zum erftenmale 1421 die Stänve zuſam⸗ men, um fih Subſidien votiren zu laflen. Die Krone England beſaß das Laub bis zum Yahr 1449, und während diejer langen Periode zeigten fich die Stände als ihr unterthänig und treu ergeben. Thaten fie dieß mit Aufs richtigkeit und mit Freiheit ? zogen fie die engliſche Herrſchaft ver franzö⸗ fiigen vor? Die Beantwortung dieſer Fragen ift ver Hauptgegenftand ber Unterſuchung, die ſich überall ftreng an die, freilich dürftigen Quel⸗ im hält, und das Ergebniß die Berneinung jener Fragen. In einer Abhandlung (S. 10—102) feiner Schrift gibt der Verf. eine aftenmäßige Geſchichte der zahlreichen Ständeverfammlung der Normandie et des pays de sonqußte von 1421 bis 1449; in der zweiten beichreibt er ihre Or⸗

410 Meberficht ver hiſtoriſchen Literatur.

ganifation (S. 103—136) und das Verfahren in venfelben. Kin Appenbiz (S. 137—152) enthält die Liſte ver englifchen Tresoriers und Rocevenzs generaux im Lande, ferner Die der Abgeorpneten ber brei Stände Auf bieien Anhang folgt ©. 133 ver Abdruck von 26 piöces justiicatives. Man erlangt durch die gründlihe Schrift eine vollftändige Kenntniß ber Zuſtände des Stänbewejens des Landes während der englifchen Herrſchaft. L. A. W.

Histoire de Bar sur Aube sous les comtes de Champagne (1077 1284) par M. H. @’Arbois de Jubainville avec la collaboration de M. L. Pigeatte. Paris et Troyes 1859. XXVII u. 164 8. 8

Diefe Schrift des rühmlich befannten Paläographen und Geſchichts⸗ forichers füllt eine Püde in der vor eigen Jahren in einer Monographie Chevalier's gegebenen Geſchichte der im 11. Jahrhundert mit der Cham⸗ pagne vereinigten Grafſchaft Bar-sur-Aube aus. Sie wurde veranlaft durch die dem Verf. gemachte Mittheilung eines Domherrn des Stifts St. Marlon in der Stadt Bar, und befteht vorzugsweile in der Zu. fammenftellung und Beleuchtung ver in dieſer wichtigen Geſchichtsquelle enthaltenen Auffchlüffe über die Schidjale des Landes zwifchen 1159 bis 1273, eines Zeitabjchnittes, über welchen das Wert Chevalier’ jo gut wie nichts enthält. Da Refer. das letztere nicht zu Gebote fteht, fo ift er außer Stand, vom Verhältniß beider Arbeiten etwas zu jagen.

In einer Introduction von ©. IX—XXVIl gibt der Berf. eine kurze fritiich bearbeitete Chronologie der Lanvesherren von Bar, die als Er⸗ gänzung ber Regentengejchichte der Champagne in dem berühmten Wert V’ert de verifier les dates anzufehen ifl. Der Hauptinhalt des Buches befteht 1) in einer gejchichtlih-ftatiftifchen Darftellung der institutions civiles et ecclesiastiques de Bar, d. h. der bürgerlichen und kirchlichen Organifation der Srafihaft (S. 1—88); 2) in einer ausführlichen Topographie der Stadt Bar, welcher eine Karte der Stadt, wie fie 1769 war, vorangeht.

Was die Anführung der in den Quellen ver Localgeſchichte enthal⸗ tenen Daten über die Beaniten ꝛc. betrifft, fo können fie nicht für ausreichend erklärt werben, theils weil fie nur einzelne, meiftens ifolixte Thatjachen conftatiren, theil® weil ver Verf. ven erſt in neuefter Zeit bes fonder8 durch den Refer. und Schäffner (welchen legteren er übrigens au⸗

führt) feftgeftellten wahren Charakter jener Beamten nicht kennt. Auch

Frankreich. 411

nahm er keine Rückſicht auf die doch ſchon durch Guizot hervorgehobenen Eigenthumlichkeiten ver franzöſiſchen Städte mit ſogenannten Communal⸗ d. h. Schutzgilden⸗Verfaſſungen.“) Bar ſcheint eine ſolche gehabt, aber verloren zu haben. Das Amt des Vicomte ſetzt er gauz und gar dem des Vicarins (Vignier) gleich, während doch in einem großen Theile Frankreichs das Amt des Ietsteren nichts anderes als das bes Lentenarius war. Er beftimmt nit das Verhältniß der Scabint und ber erft in Folge ber Communal-Verſchwörungen eingeführten Jurati, fowie nicht das des lan⸗ desherrlichen Prevot zum ftäptifhen Mayeur (Major oder Villicus). Eine Sommunal-Charte von Bar fett er zwar in die Jahre 1230—1231, jagt aber nicht, ob man deren Tert noch hat oder nicht; fie fol die von Meaur gewejen fein, welche der von Soiſſons und mit dieſer aljo der von Beau⸗ vais nachgebilvet war.

GSelungener ift die in der zweiten Abtheilung gegebene Darftellung der institutions ecclesiastiques, in welcher er von ben Archidiacres ben doyens ruraux, dem chapitre de St. Maclou (deſſen Organifation voll» ftändig auseinander gefegt ift), den Prieuré de St, Germaine, de St. Pierre, den Hospices St. Nicolas und St. Esprit, der Leproferie und dem Hofpital de St. Jean de Jerusalem (S.43— 87) handelt. Bon großem Wertbe find XII theils fchon gedruckte, theils bisher unbelannte pieces justificatives, meiſtens lateiniſche Urkunden, unter welchen die letzte, welche vie Statuten bes Stifts von St. Maclou enthält, die wichtigfte if. Außer der topogra- phiſchen Karte find noch fünf Siegelaborüde gegeben. Ein genaues alpha- betifche8 Regiſter erleichtert die Kenntnignahme des Inhalts des Buches, das jedenfalls ein zu beachtenver Beitrag zur Provinzial- und Städte Geſchichte Frankreichs ift. L. A. W.

Histoiro de Chatelleraud ct du Chatelleraudais par M. Vabb& Lalanne. Chatelleraud 1859. 2 Vol. XI. 613 u. 42836 8, mit einer Karte unb mehreren Eteinabbrüden.

Es ift ein erfreuliches Zeichen ver fortichreitenven hiftorifhen Stus dien in Frankreich, daß mehr und mehr Monographien Über die Geſchichte

*) Anoführlich handelt von benfelben und allen anderen mittelalterlichen Gtäbteverfaffungen Frankreichs Refer. in feiner franz. Etaate- und Rechte Gedichte Bd. 1. S. 262 ff.

Hiſtoriſche Zeitfärift VI. Band. 28

412 Ueberficht ber Hiftorifchen Literatur.

einzelner Provinzen, Bezirke, Stäbte und anderer Dertlichleiten gefchrieben werben, und zwar nicht mehr in ber frühern oberflächlichen Weife, ſon⸗ bern mit Hilfe gründlicher und gewifjenhafter Forſchungen und im mehr oder weniger alljeitiger Richtung.

Ein durch diefe Eigenfchaften ausgezeichnetes Werk ift die rubricirte Geſchichte des früher eine VBicomte in der Provinz Poiton bildenden “Dis ſtriktes Chatelleraud im Departement der Vienne. Der fonderbare Namen ift entftanden durch die Verbindung ber lateiniichen Worte Castrum und Airaudi Castrum Airoldi, denn der erfte erbliche Befiger ımb Herr der Vicomté hieß, Airaldus gallijirt in Airaudus.

Die Grafſchaft Poitou, hervorgegangen aus dem Pagus Pictaviensis, zerfiel nämlich in drei fchon im 9. Jahrhundert erblich geweſene Vice Grafſchaften, wovon die nördlich von Poitiers gelegene eine war. Die mit dem älteft bekannten Bicomte im Jahre 890 beginnende Geſchichte des Ländchens zerfällt in zwei Perioven, in deren erfter es feine eigenen Lan- desherren, Bafallen der Krone Frankreichs, hatte, und in deren zweiter, von 1504 an, es unmittelbar dem Könige unterworfen war und als eigene Herrihaft und eine Zeitlang als Duche-Pairie im Genuſſe einzelner Mit- glieder des Königshaufes ſich befand. Vorangeſchickt ift unter dem Titel Statistique (S. 1—148) eine Befchreibung des Landes mit einem freilich nur furzen Ueberblick auf deſſen Vorgeſchichte in den celtifchen, römiſchen und fränfifhen Zeiten. In berjelben ift auch von den noch vorhandenen Alterthümern die Rede, unter welchen uralte befeftigte Sonterrains, worin urſprünglich die celtiihen Bewohner der Gegend ſich gegen feindliche An» griffe und fpäter die erften Chriften zu verbergen pflegten, befchriehen werden. Die meiften INuftrationen des Buches befinden fi in dieſer ftatiftifchen fehr lefenswerthen Einleitung.

Die Lanvesgefhichte von Chatelleraud von 890 bis 1503 ift ganz feudal. Die Vicomte zerficl in eine Anzahl Heiner Pehensherrichaften, bie alle aufgeführt und, jo weit es möglich war, nebft der in ihnen ſtatt⸗ findenden Lehenfolge am Ende des Br. I. von ©. 321—506 unter der Auffchrift: Hierarchie f&odale de l’ancienne Election de Chatellerand bes ihrieben werben. Der Verf. geht überall in das kleinſte hiftoriiche Detail ein und führt, fo oft er mit beſonderen einzelne Dertlichkeiten namentlich Klöfter und Stifter betreffenden Ereigniffen fich zu befallen bat, veren Specialgejhichte bi8 zum Ende des 18. Jahrhunderts fort, durch welche

Kıırhkeäs. 415

Ercurſe ter allgemeine Gang ter Landes geſchichte oft viele Seiten hin⸗ durch unterbrechen wirt. Ten Leſer entihärigen tie meiſtens ſehr in⸗ terefianten Mittheilungen.

Cs ıft ſchwer, dem Rerfafter zur feititellung ver Erbfolge in ter Bice⸗Grafſchaft Chatelleraur zu felgen: die Herrſchaft fam haufig durch Erbtöchter an andere Säuier, im 11. Yahrbuntert an das ter Grafen von Rechefoucauld, im 12. an tas ter Grafen von Peitierd, darauf an das Haus Luſignan, ven dieſen an tie Grafen ven Harcourt, die fie 1445 an Karl IV. von Anjeu und Maine gegen eine andere Herrichaft vertaufchten.

Nah dem Tere Karls IV., ver Yubwig IX. zum (Erben eingejett hatte, 30g leßterer das Yant an fih (1482), ftatt e8 den legitimen Nachfol⸗ gern, d. h. ten Kintern tes 1476 entbaupteten Grafen ven Armagnac, zu überlaflen, und gab es jeiner Tcchter Anna, Tame von Baujeu (S. 317), welhe 1491 daſſelbe ten letzteren zurüderftattete; ala aber tiefe es an das Haus Rohan verfauft hatte, brachte fie ed, ein Retractsreht aus⸗ üben, 1504 wieter käuflich an fib (Br. 11. S. 5) und gab es 1505 ihrer Tochter Sujanne ven Bourbon zum Brantihag. Dieje verkaufte bie zum Serzogthum erhebene Herrihaft an Franz von Bourbon, deſſen Sohn der berühmte Connetable Karl von Bourbon fie erbte, aber in Folge der Intriguen Lonifene von Saveyen, Franz I. Mutter, wieder verlor. Nah Karla Tod vor Rom 1527 wurte Chatelleraud al8 Staatsdomäne confiscirt, jedoch abermal® zurüdgegeben, bis e8 1545 wieder mit ber Krone vereinigt wurde. Heinrich II. gab es taranf zur Belohnung gelei⸗ fteter Dienfte dem ſchottiſchen Herzoge von Hamilton (11. 9), unter deſſen Regierung der proteftantiihe Cultus ſich darin verbreitete, confiscirte es aber ebendeßhalb 1559 wierer. Während der Hugenottenkriege war Cha⸗ telleraud häufig der Schauplatz bilutiger Kämpfe; 1585 ergab es fi Heinrich IV., der 1591 dort die Conferenzen der Proteftanten halten ließ, deren Ergebniß das Edikt von Nantes war. Nach deſſen Wiber- ruf ließ Ludwig XIV. die proteftantifche Kirche in der Stadt ſchließen und ımterbrüdte ven Cultus. Die Geſchichte des Ländchens geht vom 17. Jahrhundert an in der von Yranfreid auf.

Der zweite Band ſchließt mit einer Biographie Chatelleraudaise, d. h. Lebensbeſchreibungen namhafter Perfonen in alphabetiiher Orbnung (S. 313-397), und einer chronologifhen Lifte der Vorfteher ver Stifte und

28*

414 Ueberfüht der hiſtoriſchen Literatur.

Kirchen, fowie der höchſten Beamten der Stabt und des Landes (S. 398 bis 422). L. A. W.

Histoire de Lorraine au XVill. Sidcle Le chätoau de Luneville. Par Alex. Joly, Architecte. Paris, 1860. 8.

Ein mit genauer Sachkenntniß in anziehender Weiſe gefchrichene Beitrag zur Lekalgeſchichte der eine Zeitlang die Refivenz der Herzoge von Lothringen kildenten Stabt Yımeville, vorzugsweije im vorigen Zahrkes dert. Die Schrift zerfällt in eine Einleitung, d. h. in eine Chronik der Tertlichleit ven den älteſten Zeiten bis 1702 (S. 1—22), danı in wie Abtheilungen, deren erite tie Geſchichte des Schloffes Luneville und fees Bewehuer unter Verpelt von 1702—1729 (S. 27—67) enthält, be zweite tie anter Franz II. und ter Regentihaft zwijchen 1729 und 1737 (S. 7288), die tritte die unter Stanislaus von 1737—1766 (5.89 big 142), die vierte die Geſchichte der von Jahrzehent zu Jahrzehent unmer betrüßenter wertenten Schickſale tes verfallenden und zu verjchie⸗ denen Benägimgen umgewantelten Schloſſes das ver Berfafier in cin Iuealivenhaus für betürftige Cirilperjonen umgewandelt fehen mödte Die Schrift if ein würdiger, auf ven Lejer einen tiefen Eindrud machen der Küdblid auf vergangene Herrlichleiten, eine Art Grabrede, wie man deren jegt vielen einft prachteellen fürftlihen Paläften halten könnte

L. A. W.

Recueil journalier de ce qui s’est passed de plus mdmer rable dans la Citd6 de Metz pays Messin et aux environs de 1656 & 1674, fait par Joseph Ancillon, publi6 par M. F. M. Chabert Metz et Paris 1860. XI. u. 117. 8. 12.

Diefes ven einem ber Ahnen ımjeres berühmten Ancillon geſchrieben Tagebuch, werm in kürzefter Verbindung eine Dienge Localereigniffe der verichievenften Art ven Jahr zu Jahr aufgezeichnet find, gleicht ben in früheren Jahrhunderten verfaßten Kloſterannalen, hat aber nicht dad Berdienft, Thatſachen von „allgemeiner geſchichtlicher Erheblichkeit auf führen. Der vom Herausgeber gerühmte Berfafler der Notizen hatte fir gewiß nicht zur Veröffentlichung beftinmt. Sie können nur Bewohnen von Meg oder der Umgegend von Intereſſe fein, find aber ſelbſt für dieſe ohne ein in's Einzelne gehendes Studium über die Stadtgefchiche don Web unverftänblich. L, A, W.

Frankreich. | 415

Histoire de la ville de Saint-Mihiel par Dnmont jugd & ßt. Mihiel. Nancy et Paris, 1860 u. 1861. 2 Vol. 357 u. 408 8. 8.

Diie mit großem Yurus gedruckte Geſchichte der Stadt St. Mihiel in dem ehemaligen Herzogthume Bar ift ein mißlungenes Werl. Es mangelt dem mit ven hiſtoriſchen Einzelheiten feiner Baterftabt frei- lich vertrauten Verf. ſonſt an allen einem Hiſtoriker nöthigen Kenntniffen, an aller Methode und dem Verſtändniß ver Aufgabe eines Hiſtorikers. Das Buch iſt eine Chronik, in welcher alle möglichen Thatfachen und Lo⸗ ealereigniffe der Zeitfolge nach erzählt werden, ımtermifcht mit ftatiftifchen Angaben der verfchieenften Art, einigen Anecboten u. |. w. Nur bie und da begegnet man werthoolleren Mittheilungen, namentlich über die Abtei, fo Band I, S. 111 —143 einem Verzeichniß ſämmtlicher ſehr beträchtlicher Befigungen und Gerechtſame verjelben im 14. Jahrhundert. Sie hatte damals 23 Grundherrſchaften (Seigneuries), 3 Bezirke mit hoher ımd 18 mit nieverer Gerichtsbarkeit, 28 Höfe in ebenjo vielen Dörfern, 12 Prio⸗ reien mit bedeutenden Einfünften, 50 Pfarreien, ven ganzen Zehnten in der Gemarkung von 8 Gemeinden, Antheil am großen Zehenten in 52 Dörfern und am Heinen in 43, das Frohnrecht iu 12 Dörfern, 500 Morgen Aecker und 400 Wieſen in 17 Gemeinden, 18 Mühlen, Jagd und Fiſcherei in 5 Gemeinden, 35 Morgen Weinberge, 9 Keller, A Fiſchteiche, 5000 Morgen Wald, außerdem Einnahmen von Steuern, Gilten, Naturalabgaben u, |. w.

In Deutihland wäre die Abtei ein Hochftift geweſen. Schon Kaifer Ludwig der Fromme führt fie auf in feiner Constitutio de Servitio mo- nasteriorum v. 817 und zwar in ber Claſſe verjenigen quae tantum dona dare debent sine militia (bei Bert Monum. Germ. hist. leg. t. I. p. 323; fie heißt dort: Monasterium Sancti Michaelis Maresci primi, was, wie ſchon Bert bemerkt, ein umrichtiger Text ift und heißen muß M. S. Marsu'pii,.*) Rultuchiftoriich bemerkenswerth ift auch die 1659 vorgenommene Ex⸗ conmmmication und Erorcirung ber Feldmäuſe, die man durch dieſen Akt, fowie durch Bittgänge und Betſtunden vertilgen zu können glaubte. (Bd. 1. ©. 96.)

*) Marsupium war ein Bächlein, au welchen das Klofter zur Ehre bes Erz⸗ engels Michael anfangs errichtet wurbe.

416 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur.

Bon Werth find insbefondere des Verf. Notizen über die Sigungen der Landſtände vom Jahre 1787 und die von ihnen gefertigten Beſchwer⸗ den und Geſuche (Bd. II. ©. 210 224). Ein traurige Gemälde ift das der 1791 erfolgten Aufhebung der Abtei und der anderen Klöfter der Stadt, der Verkauf ihrer Bejitzungen und das Verbrennen aller Men⸗ bel, Gemälde, Statuen u. f. w. in der Kirche, welches unter Triumphgeſchrei auf den Marktplage ver Stadt vorgenommen wurde (I. S. 234). 8 gab natürlich zwei Parteien, und mit Freuden jah bie evangelifche 1792 das Einrüden ver Armee des Herz0g8 von Braunſchweig, deren baldiger Rückzug die Anklage von 31 Verdächtigten in der Stadt, ſowie viele Hins richtungen zur Folge hatte. Der Verf. theilt ausführlich die Geſchichte ber Berfolgten, ihrer Bermögensconfiscationen u. |. w. bis 1797 mit (IL S. 238272).

Der Reft der Geſchichte der Stabt, der die Alliierten i. 3. 1814 eine enorme’ Kriegscontribution auflegten, ift kurz erzählt ©. 275 ff.

Ein 1861 erjchienener dritter Band bringt das Werl zum Abſchluß.

LA. W.

Recueil de documents inddits concernant 1a Picardie. publies, d’apr&s les titres originaux conserves dans son cabinet par Vic- tor de Beauville, de la société imperiale des antiquaires de France. Paris, imprimé par autorisation de M, le garde des sceaux & l’imprimerie imperiale. MDCCCLX. 4.

Eine Sammlung von 162 Stüden, wovon 6 dem zwölften, 22 dem breizehnten, 41 dem vierzehnten, 60 dem fünfzehnten, 31 dem fechzehnten, 8 dem fiebzehnten und 3 dem achtzehnten Jahrh. angehören. Es find Documente fehr verjchiedener Art und von verjhiedenem Werth: Urkun⸗ den, Orbonnanzen, Patente, Rechnungen u. ſ. w., in denen faft alle Städte der Picardie vertreten find. Eine eingehende Analyfe gibt Hr. Douet d'Arcq in ber bibliotheque de l’ecole des chartes t. 12 p. 281 293. Darnach iſt die Sammlung nad) vielen Seiten von hervorra⸗ gendem Intereſſe, und vervient der Herausgeber alles Lob. Er hat durch Inhalts-Ueberjihten und Namen» und Sadıregifter die Benützung feines Buches jo bequem als möglich gemacht. An ver Einleitung rühmt man Gewiſſenhaftigkeit, Yreimuth und Lebhaftigfeit des Geiftes dieſelben Borzüge, welche des Berfaflers Gedichte von Montdidier charakteriſiren.

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Frankreich. 417 Aus Zeitfchriften.

Linvestigateur, Journal de l’Institut historique T. X, IL ssrie. Paris, 1860. 384 8. 8. ,

Enthält u. a.: Une annde du regne de Francois I. (1525) von Joret Desclositres, p. 205. Esquisse historiquo de la politique de l’Espagne pendant la dynastie autrichienne. Discours lu en sdance publique & l’aca- &mie royale d’histoire de Madrid, le 22 avril 1856, par Martinez de le Rosa; traduit de l’espagnol par M. Smith.

Bibliothdque de l’dcole dos chartes. V. Serie. T. 1 u. 2. Paris, 1860. 8.

a Bd. I folgende Abhandlungen: E. Boutaric, Les premiers Etats gacraux (1302 1314). p. 1--37. Deo Mas-Latric, Essai de clas- sßestion des continuateurs de l’histoire des croisades de Guillaume de Tyr, » 38, 140. Leopold Delisle, Lettre de l’abb6 Haimon sur la con- strustion de l’6glise de Saint-Pierre-sur-Dive, en 1145, p. 113. Lefevre, Les baillis de la Brie au XIII, siecle, p. 179. Douet d’Arcgq, Un petit trait6 de cuisine dcerit en francais au commencement du XIV. siecle, ». 209. Marion, Les actes de Saint Benigne, p. 228. Simdon Luce, Examen critique de l’ouvrage in titule Etienne Marcel et le gou- vernement de la bourgeoisie au XIV. siecle, par Perrens, p. 241. La- esbane, Observations sur la géographio et l’histoire du Queroy et du Limousin, & propos de la publication du cartulaire de Beaulieu, p. 305. De Mas-Latric, Fragment d’histoire de Chypre, Premiers temps dAmauri de Lusignan, p. 339. D’Arbois de Jubainville, Nou- velle hypothöse sur la situation du Campus Mauriacus, p. 370. De- lisle, Recherches sur l’ancienne bibliothdque de Corbie, p. 393—498. Quicherat, Do l’enregistrement des contrats & la curie, p. 440. Raymond, Pieces sur l’hötel de Clisson, aujourd’hui palais des archives et &cole des Chartes, p. 447. Vallet do Viriville, Mandement adress6, 67 mars 1492, par le roi Charles VIII aux dlus pour connaitre le nombre des feux du royaume, p. 455. Meyer, Anciennes po6sies religieuses en Languedoc, p. 481. Blancard, Documents inddits sur Thistoire politique de Marseille an XIII. sitcle, p. 516.

Fa ®b. II; Boutaric, Organisation militaire da la France, sous la troisieme race, avant l'établissement des armdes permanentes, p. 1. Paul Meyer, Etudes sur le Chanson de Gerard de Roussillon, p. 31. Celestin Port, Documents sur l’histoire du thdätre à Angers et sur le

418 Ueberfiht ber hiſtoriſchen Literatur.

veritable auteur du Mystere de la passion, p. 69. Th. Sickel, Lettze de Jeanne d’Arc aux Hussites, p. 8l. Lacabane, Observations sur la geographie et l’histoire du Quercy ct du Limousin & propos de la pub- lication du cartulaire de Beaulieu (2. Artikel), p. 97. Anatole de Barthelemy, Recherches sur la noblesse maternelle, p. 123. Le Roux de Lingy, Discours des Cerdmonies du Mariage d’Anne de Foiz, de la maison de France, avec Ladislas VI roi de Bohöme, de Pologne et de Hongrie, precede du discours du voyage de cette reine dans la seig- neurie de Venise; tout mis en éorit par Pierre Choque, dit Bretagne, rol d’armes de la reine Anne de Bretagne, p. 156,

Sdances et travaux de l’Acad&mie de sciences morales et politiques en 1859 et 1860. Paris, Durand, 1860. 8. T. 47m folg.

Bon ben bier veröffentlichten hiſtoriſchen Arbeiten ericheinen ermähnens- werth: Etude sur la Bretagne et l’&vöchd de Cornouaille, par M. Du Chätelier, in t. 47 der Eerie p. 267 u. 439 (1859), fortgefekt im 93. 1860 in t. 3 bes Jahrganges p. 5 u. 193. L’empire d’Alle- magne et l’Italie au moyen Age, par M. Eugene Rendu, t 4 p. 821, fortgefett t. 28 p. 161 fi. L'Extinction de la dime ot du regime f&odal en Angleterre, par Henri Douniol, t. 47 p. 295; fortgefegt t. 48 p. 243.

Mit bem Jahre 1860 beginnt eine neue, die vierte Serie ber Scances et travaux. Der 2. Bd., ber 52. ber ganzen Sammlung (jeder Jahrgang hat 4 Boe.) enthält eine nene Arbeit bes berühmten Mignet: Le Connd- täble de Bourbon; sa oonjuration avec Charles -Quint et Henri VIII contre Francois I.; invasion de la France en 1523 p.7 u 325. Etude sur l’histoire et l’orgenisation comparde des Etats provinceaux avec diverses epoques de la monarchie fran- oaise jusqu’ en 1789, par M. Laferridre, p. 99 u. 335 des 3. Bdes. u. p. 321 bes 4. Bbes. Le Grand dessein de Henri IV, par M. Wolowski, t. 4. p. 9.

Revue des deux mondes. Paris, 1800. Tom. 3 30. 8.

In Bd. 25 und 26: Mignet, Rivalit€ de Charles-Quint et de Fran- gois I. Le Conndtable de Bourbon. Drei Artikel. Victor Con sin, La jeunesse de Mazarin, Band 26 p. 81 u. 275 EM. Mi- ohclet, Decadence morale du XVII. sitcle, p. 538. Sn Br. 27: L de Carne, la Chute du grand ompire. L. Binaut, une rerolation au XIV. sitole (Etienne Marcel cto.) p. 1009. Bb. 28: Charles de

Frankreich. 419

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—, Histoire de France, depuis les temps les plus re- ealds jusqu’ & la revolution de 1789; continude depuis l’ouverture des ders gendraux jusqu’ & la fin de l’empire, d’aprts Dulaure; depuis la re- staurstion de 1814 jusqu’ au 10 decembre 1848, par Paul Laoroix; de- yais l’dleetion du president de la röpublique jusqu’ & la fin de la gnerre @Italie, par E. F. D. T. 1, 2. et Ire partie du T. 3. Paris, Dufour, Malat u. Boulanger, 1860. 1445 S. 8.

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Negociations de la France dans le Levant, ou correspon- dances, memoires et actes diplomatiques des ambassadeurs de France & Constantinople et des ambassadeurs, envoy&s ou rdsidents à divers titres b Venise, Raguse, Rome, Malte ct Jerusalem, en Turquie, Perse, Georgi, Crimde, Syrie, Egypte etc. ot dans les dtats de Tunis, d’Algier et de Ms roc.; publi6s pour la premiere fois par E. Charridre, T. 4. Paris, 1860. 4. (Collection de documents inddits sur l’histoire de France.)

Aimé Champollion-Figeao, Les archives departements- les de France. Manucl de l’archiviste de prefectures des mairies et des hospices, contenant les lois, decrets, ordonnances, r&glements, circulaires et instructions rolatifs au service des archives, des Tenseignements pratigues pour leur exdeution et pour la redaction des inventaires; et préoéodé d’ume

Franukreich. 421

itroduetion historique sur les archives publiques, anciennes ot modernes. fars, imprimerie et librairie administrative de Paul Dupont; librairie ar- theologique de J. B. Dumoulin, 1860. 400 S. 8.

Creuly, general, et Alfred Jacobs, G&dographie historique de la Gaule. Examen critique et topographique des lieux, proposés pour repr6senter Uxelodunum. Paris, Durand, 1860. 38 8. 8. m. Kpfrn, 8. 0.8. 374.

Desmase, Charles, Le Parlement de Paris, son organisation, ses premiers presidents et procureurs généraux, avec une notioe sur les autres parlements de France et le tableau des premiers presidents et pro- eareurs gendraux de la cour de Paris et des bätonniers de l’ordre des arocats (1334 1860). 2. edition, revue et augmentdee Paris, Cosse et Marchal, 1860. IX, 538 S. 8. Vergl. o. S. 381.

Hatin, Eug&ne, Histoire politique et litteraire do la presse en France, avec une introduction historique sur les origines du journal et la bibliographie gentrale des journaux depuis leur origine. T.4 a 5. Paris, Poulet-Malassis et de Broise, 1860. 466 u. 483 8. 8.

Mazas, Alex. et Theodore Anne, Histoire de l’ordre ro- yalet militaire de Snint-Louis dequis son instiution en 1693 jusqu’ en 1830. 2. edition, revue, corrigie et considdrablement augmentee. To- mes 1. 2. Paris, Didot, 1860. 1198 S. 8.

Champion, Maurice, Les inondations en Franco depuis le sixieme sitcle jusqu’ & nosjours, Recherches et documents contenant les relations contemporaines, les actes administratifs, etc. Tom. 2. Paris Dalmont et Dunod, 1859. 8.

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Frankreich. 4%

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f

436 Veberfiht der hiſtoriſchen Literatur.

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—, Histoire descampagnos deFrance et de l’Italie ot en 1815, d’apr&s les bulletins des armdes, le Moniteur, des , notes, me&moires et rapports ofliciels. Ouvrage enrichi de car- portraits etc. Paris, Renault et Ce., 1860. 307 8. 8. m. Kpfrn.

el, Heinr. v., Die Erhebung Europas gegen Napo- Drei Vorlesungen, gehalten zu München am 24., 27., u. 380. März üänchen, literarisch-artist. Anstalt, 1860. VI u. 146 S. 8,

el, Heinri von, De verheffing van Europa tegen Na- L Drio voorlesingen, gehouden te Munchen op den 24, 27 en

1860. Uit het Duitsch vertaald door Dr. D. Brugger. Met ding van G. W. Vreede. Zutphen, Thione 1860. VI, 878. 8.

stre, Jos.de, Correspondance diplomatique, 1811—17, et publide par Albert Blanc. 2 vols. Paris, Levy fr. 1860. ıR. 8.

noires du prince de Ligne, suivis de pensdes et pre- "une introduction par Alb. Lacroix. Leipzig, A. Dürr. 2.

tang, S. A. de, Souvenirs et enseignements, France ie. 1787 —1859. Paris, Franck, 1860. 2. edition. 160. 8. 8.

tement, Alfred, Histoire de la restauration. Tomes estauration de 1814 Cent jours. Paris, Lecoffre et Ce., 1860. 108. 8.

‚dars, Napoldon & Sainte Hélène. Ire livraison. Paris, iteur, 1860. 88, 8

1-Oastel, Louis de, Histoire de la restaurstion. To- 2. Paris, Levy fr., 1860. VII. u. 1020 8. 8. nr

450 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur.

Duvergier de Hauranne, Histoire du gouvernoment per lementaire en France, 1814—1848, pröcddse d’une introduetien T. 4

Paris, Levy fr., 1860. 544 8 8.

Me&moires de M. Dupin. Tome Il Carriere politiquo. Bee venirs parlamentaires. M. Dupin president de la Chambre des depatis pendant huit sessions (du 23 novembre 1832 au 26 mars 1836). Paris, Plon, 1860. 583 8. 8.

Guizot, M&moires pour servir l’histoire de mon temp. Tome 3. Leipzig, Brockhaus Sort, 1860 507 8. 8.

—, Me&moires pour servir & l'histoire de mon temps. 2e edition. Tome 3. Paris, Levy fr. 1860. 511 8. 8.

—, Denkwürdigkeiten. Beiträge zur Geschichte der nee* sten Zeit. Deutsch von Dr. L. Wachler. 1. Bd. 4 Lfgn. Sonder hausen, Neuse, 1860. 8.

Regnault, Elias, Histoire de huit ans, 1840 1848, om pletant le régne de Louis-Philippe ?2e Edition. Tome 1. 3. Paris, Pıp nerre, 1860. 8. m. 8 Kpfrn.

(Harcourt, Me. de) The Duchess of Orleans, a memeit. Translated from the French by Mrs. Austin, with a preface by tbe traa® lator. 2d edit. with additions. London, Jeffs, 1860. 270 8. 8.

Schubert, Dr. Ghilf. Heinr. v., Erinnerungen aus demlr ben Ihrer Königl. Hoh Helene Louise, Herzogin v. Orleans, geb. Prinzessin v. Mecklenburg-Schwerin. Nach ihren eigenen Briefen zum mengestellt. Mit 1 Portr. in Stahlst. 5 unveränd. Abdr. u. 6. verm. % verb. Aufl. mit 1 photogr. Porträt. Mit einem Anb. München, lit.-art. Anstalt, 1860 XIV u. 282 8. (6. Aufl. XVI, 2528. 8.)

_ —, Lettres originales de Mme. la duchesse d'Or ldans, Hdltne de Mecklenbourg-Schwerin, et souvenirs biographigets recueillis. Seule edition francaise autorisde par l’auteur 2e et 30 tiragek Paris, Magnin, Blanchard et Ce., 1860 (Bäle, Georg). XVI u. 280 S. 8

—, Herinneringen uit het leven vanHelenaLouiss Hertogin van Orleans, geboren Princes van Mecklenburg-Schwerin. Volgens hare eigene brieven. Naar den ben Hoogd. druk. Met cen aanbevel. wood, van P. Hofstede de Groot, Hoogezand, Borgesius, 1860. XII u. 256 8. 8.

Frankreich. 41

Etude politigue. Mr. le comte de Chambord, correspondance (M1—59). Bruxelles, 1869. CX u. 190 8. 12.

Kretzschmar, A., Geschichte Ludwig Napoleons des Drit- tea, Kaisers der Franzosen. Dem deutschen Volke erzählt. (In 5 Bdn.) L Bd. [1808—1848.] Salzkotten, v. Sobbe, 1860. VIII u. 208, VII u. 135. 16.

Mirecourt, Eugöne de (Jaquot), Napoleon III, Uit het Frensch. iusterdam, Bührmann, 1860. VI u. 738. 8.

—, Napoleon 1ll. Nach dem Leben gezeichnet. Berlin, J. ibelsdorfi, 1860. 72 8. 8.

Gottschall, R. Napolecon III., zijn leven en lotwisselingen tot % dena tegenwoordigen tijd. Uit het Hoogd. 26 druk. Rotterdam, Nijgh. 1860. 160 8. 8.

Mansfeld, Albert, Napoleon Ill. Traduit de l’Allemand. Ourv- tage ornd de gravures. Tome 1. Paris!1860. 356 8. 8.

3. Geſchichte einzelner Orte und Diſtrikte.

L Zole de Brance und Drleannais,

La Gournerie, Eug&ne de, Histoire de Paris et de ses omuments. 3e edition. Paris, Mame et Ce. 1860. 472 S. 8. is 8 Kpfrn.

Descauriet, Auguste, Histoire des agrandissements de aris. Paris, Bartorius, 1860 392 8. 8.

Springer, A., Paris su treizieme siecle Traduit libre- went de Vallemand, avec introduction et notes, par un membre de 6dilitE de Paris (Fouchor). Paris. Aubrv. 1860. XXIV n. 17. 8

Roy, Raoul, Histoire de la basilique et de llabbaye de inint-Denis etdes prinoipaux dvenements qui s'y rattachent le ddit. Lille, Lefort, 1860. 106 8. 18.

U. Die nordweſtlichen Provinzen.

Me&moires de la commission historique d’dmulation de Cambrai. T. 36. Ire partie. Cambrai 1860. 247 8. 8.

488 Neberficht ber hiſtoriſchen Literatur.

Lebeau, Isidore, Pont-sur-Sambre Notice historique su cette commune et sur la cdlöbre bataille de Cesar contre les Nerviens. Ve lenciennes, Michaud, 1859. 51 8. 8

Bulletin de la Commission historique du d&partement du Nord. Tome V. Lille, 1860. 860 8. 8.

Lebeasu, Isidore, Recueil de notices et articles divers sur l’histoire de la contrde formınt l’arrondissementd’Arver nes, avec de nombreuses additions par Michaux ainé. Avesnes, Michses aind 1860. XVI u. 728 8. 8.

Desmasures, Alfred, Histoire des communes du eanten de Trölon, et notes historiques sur les environs. Avesnes, Daboisli- roux, 1860. 160 S. 8.

Auguste d’Hautefeuille et Louis Benard, Histoire de Boulogne-sur-Mer. Tome 1. Boulogne, 1860. VII, 455 B. 18.

Tailliar, Recherches pour servir Al’histoire de l’abbaye de Saint-Vaast d’Arras, jusq’a la fin du 12e siöcle. Arras 1859. 9832 Ss. 8. Mem. de l’Acad d’Arras. Tome 31, 26 partie, p. 173—50l.

Me&moires de la Commission historiques de Picardie Tome 17e, Te de la 2e serie Amiens (Paris, Dumoulin) 1860. 860 5. 8. m. Vign. u. 1 Pl.

Tresor göndalogique de la Picardie, ou Becueil de doer ments inddits sur la noblesse de cette province; par un gentillomme P card. Tome 2. Montres et gnittances. Amiens, 1860. IX. 201 8. 8.

Manuscrits de Pagds, marchand d’Amiens, dorits & la fin da 1le et au commencement du 18e sidcole, sur Amiens et ia Picardie; mis = ordre et publids par L. Douchet. Tome 4. Amiens 1860. 509 8. 12.

Gusrard, Frangois, Histoire de Péglise Saint-Germais @Amiens. Amiens 1860. 346 8. 8 Extr. des Mem. de la Soc. des antig. de Picardie, tome 17.

Darsy, F. J., Pioquigny et ses seigneurs vidames d’Amiens. Albe ville 1860. 196 8. 8. m. 1 Kopf.

Lefils, Fl., Histoire civile, politigue et religieuse de la rl

Sranfreich. 488

de Rue et da pays de Marquenterre. Avce des annotitions par HL. Dusovel. Abbeville, Housse 1860. VII u. 422 S. 18.

Lefils, Histoire de la ville du Crotoy et de son ch&- teau; aveo des annotations per H. Duservel. Abberille, Housse 1860. XIX, 320 8. 12.

11. Die weſtlichen Provinzen.

M&moires de la commission historique de Normandie. 3e sdrie. 4e vol. 24e vol. de la collection. 2e livr. Caen (Paris, De- rache) 1860. S. XXXIX—LXXVIII u. 153—290. 4. m. 12 Kpfrn.

Guislain Lemale, A, Le Havre sous le gouvernement du duc H. de Saint-Aignan (1719 1776). Etude historique, d'après les documents eonserves dans les archives de I’hötel de ville du Havre, dars colles de l’ancienne intendance & Rouen, et aux archives de lempire, & Paris. Le Havre, 1860. 472 8. 8.

"Leörue, J.A de, Histoire de la ville de Blanggsur-Bresle ä6partement de Seine-Inferieure. Rouen, 1860. 197 S. 18.

Busserolle, E. de, Recherches historiques sur Fecamp ot eur quelquesuns des anciens chätesux et seigneurs du pays de Caux. F6camp, Hue 1859. 184 8. I.

Suppldment & la göndalogie de la maison de Cornulier, inspriınde en 1847. Nantes, Gudraud et Ce. 1860. VII u. 335 S. 8.

Gautier, Toussaint, Cathedrale de Dol. Histoire de sa fon- dation; son état ancien et son dtat actuel. Rennes, Ganche 1860. 136 8. 8.

Godbert, H., Documents relatifs & l’histoire du oomtsé de Laval, contenant: Description du comte de Laval, par Le Clero du Flecheray. Titres du comté de Laval et de ses priviléges. Extrait sommaire des Me&moires de M. de Miromenil-Pancarte concernant les statuts et ordonnances de la prevöte de Laval. Lettres de commission donndos par le roy Charles IX & Lanoelot de Bree. Laval, Godbert, 1860. 207 8, 8.

Cauvin, Thomas, Documentsrelatifs Al’histoire des cor- pordtions' d'arts et mötiers dw dioodne du Mans, publid6s par l'’abb6 Lochet. Le Mans, Monnoyer 1860. VIIl u. 504 8. -12.

454 Ueberſicht ber hiſtoriſchen Literatur.

Cougny, @. de, Notice archeologique et historique sur le ch&teau de Chinon. Chinon 1860. 120 8. 8. m. 2 Kpfen.

Bulletins de la Société des antiquairesde l’Onuent. Anndes 1859—60. 9e serie. : 4 cahiers. Poitiers 1859. 143 8. 8.

IV. Güppropinzen.

O'Reilly, abbé Patrice-John, Histoire comple&te de Bor deaux. Ire partie. Tome 3. Ire edition. Paris, Furne, 1860. XVIII, 693 8. 8.

Samazeuilh, J. F, Monographie de la ville de Casteljs- loux. Ire et 2e livr. Nezaco 1860. 251 S 8.

Cabrol, Etienne, Annales de Villefranche de Bouergue, publides sous les auspices du conseil municipal de Villefrancho, Tome 1. Villefrenche 1860 659 8. 8.

Du Möge de Lahaye, Alexandre, Archedologie pyrönd enne; antiquitds religieuses, historiques, militaires, artistiques, domestigues et söpulcrales d’une portion de la Narbonnaise et de l’Aquitaine, nommee plus tard Novempopulanie, ou Monuments authentiques de l’histoire da sud-ouest de la France depuis les plus anciennes dpoques jusqu’au XIlle sidcle. Tome ler. 3e partie. Tome 2, Toulouse, Delboy 1860. XLI, 703 8. 8.

Crouzat, Alfred, Histoire de ls ville de Roujan et du prieurd de Cassan; suivie d'une notice sur les diverses communes du canton. Beziers 1859. 285 8. 8,

Brieu, J., Histoire du d&Epartement de ’Hdrault, depuis les temps les plus reculds jusqu’ & nos jours, avec de notes particuliöres pour chaque ville du departement, suivies de la geographie physique et admi- nistrative et do notices biographiques des grands hommes, Lodöre, Brieu 1861. 1 u. 25885. 8m. LK.

Becherches historiques sur la ville d’Alais. Alais, Maliguon- Martin, 1860. 672 8. 8.

_ —, sur la ville dAlais. Alais, Malignon-Martin 1860, 6728. 8. m. 1 Pl

Frankreich. 435

Enigratiom protestante de la principautd d’Orange en 1103, arrivde sous le rögne de Louis XIV, et racontde par un historien contemporain. Orange, Clauzel, 1859. 108 8. 12.

Toselli, Jean Baptiste, Biographie nigoise ancienne et noederne, ou dictionnaire historique de tous les hommes qui se sont fait mmarquer etc. dans la ville et la comtd de Nice, Tome I, Nice, Visconti (Paris, Dentu), 1860. 384 8. 8

Sauret, abbé , A. Esssi historique sur la ville d’Em- drun. Gap. De la place, 1860. 576 8. 8,

M&moires et documents publids par la Socidte Savoisienne diistoire et d’archdologie Tome 4. Chambery, 1860. LXVII, 340 8. 8.

v. De Dften und Norvoften.

Armorisl general du Lyonnais, Forez etBeaujolais, com- prenant les armoiries des villes, des corporations, des familles, nobles et bourgeoises actuellement existantes ou edteintes, des archeväques etc. Le tout compose de 2,080 blasons dessines et d’environ 3000 notices heral- diques et gendalogiques. Lyon, Brem, 1860. XV, 96 8. 4. m. Bildern.

Monfalcon, J.B., Origines et bases de l’histoire de Lyon, ou diplömes, chartes, bulles, lois, arr&ts, etc. Parties 2 et 3. Lyon, Brun (Paris, Durand), XIX u. 452 8. 8. m. Kpfrn.

La Marc, Joan-Marie de, Histoire des ducs de Bourbon et des comtes de Forez, en forme d’annales sur preuves authentiques, ser- vant d’augmentation & ]'histoire du pays de Forez et d’illustration à celle des pays de Lyonnais Beaujolais, Bourbonnais, Daupbind et Auvergne, et aux gendalogies tout de la maison royale que des plus illustres maisons du royaume. Publide d’apres un manuscrit de la bibliotheque de Mont- beison portant la date de 1675. Revue, corrigee et augmentde de nou- veaux documents et de notes nombreuses, et ornde de vues, Portraits, scoaux monnaies etc. T. ler. Lyon, Brun (Paris, Potier), 1860. LXXVIII, 40 8. 4.

Chazaud, Fregments du cartulaire & la Chapelle-Aude, reeueillis et public. Moulins, 1860. XOIV u. 204 8, 8. Publication de la Boe. d’dmulatiom de l’Allier,

486 Ueberſicht ber hiſtoriſchen Literatur.

Mémotros de ls commission historique du Oher. Ii& vol. Ze partie. Bourges, Vermeil (Paris, Dumoulin), 1860. IV =. 288 8. 8, m. 4 Kpfrn.

Develay, Viotor, La Bourgogne pendant les cent jeurs, Wapres les documents originaux et les traditions contemporaines, Paris, Corrdard, 1860. 268 S. 8. m. 1 Kpfr.

Cartulaire, general, de 1’Yonne. Recueil de documents au- thentiques pour servir & l’histoire des pays qui forment co departement, publi6 par la socidts6 des sciences historiques et naturelles de 1’Yonne, sous la direction de Maximilien Quantin. 2e volume. Auxerre, 1860. CII n. 592 8, 4.

Gastan, Auguste, Origines de la commune de Besangon. Besangon, Balle, 1858. VII u. 192 8. 8. Extr. des Mém. de la Soe, d'é mulation du depart. du Doubs.

Briffaut, abbd, Histoire de la ville de Fayl-Billot ot no- tioes sur les villages du canton. Besangon, 1860, Vil u 398 S. 8 m 1 Pl u. 6 Kpfrn.

Pillot et Neyremand, Histoire du conseil souverain de l’Alsace Paris, Durand, 1860 568 8. 8,

Schmidt, Charles, Histoire du Chapitre de Baint-Tho- mas de Strasbourg pendant le moyen Age, suivie d’un recuell de chartes. Strasbourg, Schmidt, 1860. VIII u. 480 8. 4. m. 2 Kpfrn.

Recueilde documents sur l’'histoire de Lorraine. Tome 5. Nancy, Wiener, 1859. XV u. 368 8. 8. Publication de la Soc. d’archeol. de Lorraine

Me&moires de la Commission d’archdologie lorraine. Be oonde serie. ler volume. 9e de la collection. Nancy, 1860. 438 5. 8, m. Kpfrn.

Lepage, Henri, Commentaires sur la Chroniqueo de Lor- raine au sujet de la guerre entre Rene II. et Charles le Temeralre Nancy, Wiener, 1860. 124 8. 8.

Haussonville, comte d’, Histoire de Ia rdunion de la Lor- raine & la France, avec des notes, pitoes justificatires et documents

ao

England. 431

Iteriques, emtiörement inédite. 2e Edition. 4 vols. Paris, Levy fr, 180. XV u. 1798 8. 18.

Notice historique et militsire sur la ville de Mont- atdy. Montmedy, Petre, 1860. 154 8. 8. m. 2 Kpfrn.

Dumont, Histoire de la ville de Saint-Mihiel. Tome ler. Paris, Derache, 1860. 355 S. 8.

Correspondance du duc de Mayenne, publido sur le manuserit % ia bibliothdque de Reims, par E. Henry et Ch. Loriquet. Tome ler. Paris, Didron, 1860. 446 8. 8. Publication de l’Acad. imper. de Reims.

M&moireos de la Socidtd des antiquaires de la Morinie T.10. 1858. 2e partie. Saint-Omer, (Paris, Derache), 1860 429 8. 8.

Barbat, L., Histoire de la ville de ChAlons-sur-Marne et de ses monuments depuis son origine jusqu’ à l'é poque actuelle. Edition, ode de dessins, de plans etc. 30e livr. Chälons, Martin. Paris, Di- dran, 1860. 8. 657—786. 8. Ouvrage termine.

L6epine, J. B., Histoire de la ville de Rocroi depuis son eigine jusqu’ eu 1850, avec une notice historique et statistique des hom- mes cdltbres ou digues de souvenirs qui l’ont habite.e Mézièros. Reims, Beissart-Rischet, 1860. 468 8. 8.

24. England.

Knight, Charles, The popular history of England: an llastrated history of society and government from the earliest period to our own times. Vol. VI. (1714-1783), London, Bradbury and E. 1860.

408. 8.

Lingard, John, Histoire d’Angleterre depuis la premitre in- vasion des Romains jusqu’ & nos jours; traduite de l’anglais sur la 3e #dition, par le Baron de Roujoux, revue et corrigde par Camille Baxton. 6e ddition, revus, corrigde et publide sous la direction de l’auteur. Tome 1. Paris, Parent-Desbarres, 1860. 701 8. 8.

Bucklie, Heinr. Thom., Geschichte der Civilisation in

438 | Ueberfiht der hiftorifchen Literatur.

England. Mit Bewilligung des Verf. übers. v. Arn. Ruge. 1.Bd. I. u. 2. Abth. Leipzig, C. F. Winter. VIl u. 384: XII u. 486 8. 8.

Philp, Robert Komp, The history of progrens in Great Britain. London, Houlston, 1860. 890 8, 8.

Creasy, Sir Edward, The rise and progress of the Eng- lish constitution. 5. edit. revised, and with additions. London, Bentley, 1860. 400 S. 8

BRerum Britannioarum Medii Aevi Soriptores, or Chro nicles and Memorials of Great Britain and Ireland during the Middle Ages.

Die von der Negierung unter dem Master of the Rolls eingeführte Commiffion fährt fort, worauf in dieſen Blättern ſchon wiederholt aufs merljam gemadt worben (vgl. 1. ©. 548 ff., IV. ©. 459 ff.), ohne viel Plan und Auswahl bisher noch gar nicht gebrudte oder feltene Hiftoriem, Urkunden und politiihe Dichtungen des britiichen Mittelalters heranszu- geben. Unter den jüngft erfchienenen Bänden, für deren Güte wieder ein jever Herausgeber einzeln zu haften hat, dürfte vor allen auch in Deutich- land von allgemeineren Intereſſe fein:

The Anglo-SaxonChronicle according to the several ori- ginal authorities, edited by Benjamin Thorpe Esq London 1860, Longman. 2 Vol. 8.

Das altehrwürbige Geſchichtswerk, das ältefte Denkmal hiftorijcher Proja in einem germaniſchen Dialecte, iſt zwar ſchon viermal im Drud erichienen, aber die Eritionen von A. Wheloc, Cambridge 1644, und E. Gibſon, Orford 1692, ftütten fi) nur auf einige ver Handſchriften, 9. Ingram, London 1823, ver fie zuerft alle benugte, fucht in m kritiſcher Weiſe aus verfchievenen Rebactionen und Arbeiten einen Zert zu conftruiven, und die Ausgabe in Monumenta Historica Britanica fol, 1848 bricht wie die meiften in jenem Bande enthaltenen Ehroniken mit vem Jahre 1066 ab. Es läßt ſich alfo rechtfertigen, daß für die neue Samım bung dem als erſten lebenden angelſächſiſchen Gelehrten rühmlihft bekann⸗ ten Hrn. B. Thorpe eine neue vollftändige Ausgabe Übertragen wurde.

Er hat denn auch, wie dies nicht anders zu erwarten war, em tweffliche, vor allen den kritiſchen Anforderungen des Terts entſprechende

England. 439

Arbeit geliefert, ver ſäͤmmtliche fieben Manufcripte zu Grunde gelegt find, darunter auch, fo weit möglich, das in dem Brande vom Yahre 1732 zrftörte Ms. Cotton. Otho B. Xl, 2. &8 ergibt ſich nämlich aus drei wie- ver hergeftellten Blättern veijelben, daß Wheloc eben darnach gewiſſenhaft abgenrudt hatte. Tür Referenten, der vor mehreren Jahren einmal bie Abſicht gehabt, die gefammte Chronik zu ediren, und der daher dem gegen- wärtigen Herausgeber feine Abjchriften und Eollationen hat zur Verfügung ſtellen können, ift es beſonders erfreulich, den damals gefaßten Plan, näm⸗ Gh fänmtlihhe Handichriften parallel neben einander abzubruden, enplich zur Ausführung gebracht zu jehen. Die früheren Berjuche find doch alle mehr over weniger ungenügend geblieben, gerade weil man beliebig ein Manufeript zu Grunde legte und die abweichenden Stüde entweder in Parenthefe oder unter dem Texte beigab. Die Handichriften find aber nad Raum und Zeit fo verichievenen Urjprungs wie Inhalts, und ver politi« ide Standpunkt ihrer Berfafier zumal zu ten Ereigniflen des eilften Jahr⸗ handerts ift oft geradezu fo entgegengejegt, daß fein anderer Ausweg bleibt als ver angewandte, ganz abgejehen von den zahllojen dialektiſchen und orthographiichen Abweichungen, die den Philologen den Beſitz des ganzen Materiald unentbehrlid machen. Sieben trefflihe Schriftproben and ein Verzeichniß der geographiichen und ethnographiichen Namen find dem Terte beigegeben. Der zweite Band enthält eine engliſche Ueberjehung, einen chronologiſchen Inder und ein kurzes Gloſſar einiger wichtigen angel- ſächſiſchen Appellative.

Was nun die großen kritiichen ragen betrifft, jo iſt es bei dem Mangel ver Nachrichten auch leider der neuen Ausgabe nicht gelungen mehrere Räthfel in Bezug auf den Urjprung und das gegenjeitige DVer- hãltniß jo wichtiger Schriftftüde zu löjen. Sie find zu ungleid, al8 daß das eine dem anderen vorgelegen haben könnte, höchſtens darf man eine ges meinjame, uns unbelannte Quelle annehmen, die von ven Schreibern ver änzelnen Klöfter benugt wurbe und die an die in allen jo ziemlich gleichen Oftertafeln anfnüpfte. Auf die vermeintlihen Autoren fällt auch nirgends ein neuer Lichtſtrahl. Nur in ver jüngften, in ter Abtei Peterborough entſtandenen Hanbfchrift fpricht zu ven Jahre 1087 ter namenloje Verf. einmal in eigener Perfon und erwähnt feine perjünliche Bekanntſchaft mit dem Eroberer. Daß im neunten Jahrhunderte König Alfred und fein Freundes» und Gelehrtentreis zu den Autoren gehört, findet ſich zwar

40 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur.

nirgends beglaubigt, wird aber aus dem Alter der älteften Handſchrift im Cambridge, ven größeren, auch in Aſſer's biographiihe Fragmente über gegangenen Details über die Regierung des Könige, der Gleichmäßigkeit dieſes Abſchnitts in den übrigen Manuferipten und ben befaunten Berfen bei Geffrei Gaimar gefolgert:

ll fait escrivere un livre Engleis

Des aventures e des leis etc. An mehreren Hanbichriften haben nachweislich eine Reihe von Berfaflern gearbeitet, wie Schrift, Zeitalter, Stanbpunft und fogar Abweichungen nach weſtſächſiſchem ober merciſchem Dialecte kund thım. Zwei reichen bis ins zwölfte Jahrhundert hinab, darunter die von Peterborongb (jet in Orford) die merhwilrbigfte, die mit Heinrich's II. Thronbefteigung abe bricht‘ und im ben legten Abfchnitten das unter fremden, ungelehrten Eins flüßen verkommende angeljächfiiche Idiom ertennen läßt. Auch dem Unter ber ſchönen poetijchen Epiſode über die Schladht bei Brunnanburh unter dem Sahre 937 hat man noch nicht beifommen Tünnen.

In derjelben Sammlung find kürzlich erjchienen, aber noch nicht eins getroffen:

The Works of Giraldus Cambrensis Vol. I. Ed. by the Ber. J. 8. Brewer, M. A.

Letters and Papers illustrative of the Wars of the En- glish in France during the Reign of Henry the Sixth King of England. Vol. 1. Ed by the Rev. J. Stevenson, M A.

Letters and Papers of the Reigns of Richard Ill. and Henry VII. Ed. by James Gairdner Esq.

Letters and Treatises of Bishop Grosseteste, illustrative ofthe socisl condition of his time. Ed. by the Rev.H.R. Luard, M. A,

Bon den unter derſelben Leitung erjcheinenden Calendarien verſchie⸗ dener Partieen der Staatsurkunden find neuerdings ausgegeben:

Calendar of State Papers, Domestic Series, of the Reign of Charles ll. Ed. by Mary Anne Everett. Green 1860, VoLL 1660 1661.

Calendar of State Pepers relating to Ireland 1509— 1578. Ed. by H. C, Hamilton Esg. 1860.

England. 441

Calendar of State Papers, Colonial Series. Ed. by W. Noöl Sainsbury Esq. 1860.

Calendar of State Papers, Foreign Series, of the Reign of Eduard VI. Ed. by W. B. Turnbull, Esaq.

Im Drud vorgejhritten, aber durch weitere Forſchungen unterbro- hen iſt:

Calendar of State Papers of the Reign of Henry VIII. Ed. by the Ber. J. 8. Brewer M. A.

Kür dieſes Werk werden gegenwärtig bie weitelten Vorbereitungen im ſpeniſchen Staatsarchive zu Simancas getroffen, nachdem ſich ergeben, daß dert eine Fülle urkundlichen Materials für die ganze Zeit ver Tudor⸗ Semge vorhanden, das, wie es heißt, auf manche Perfönlichkeiten und Eeignifſſe ein ungeahntes, grelles Licht werfen wird.

Crimes et Delits de l’Angleterre contre la France ou TAngleterre jugde par elle-möme par C. Chatelet, Chevalier de lordre de Saint-Gregoire-le-Grand, Lyon. Girard et Fosseraud, 1860. 8. VIII. 444.

Der Titel reiht hin um ven Inhalt des Buchs zu erruthen, die beidensgeſchichte des Lamms, das faft zwei Yahrtaufende lang mit dem Wolfe ringt. Unvergleichlich ift vie Charakteriftif der beiden Nationen. Die eine, tapfer und unerjchroden bis zur Zollfühnheit, jucht auf dem Schlachhtfelve nur den Ruhm; ihr Geſchmack für die ſchönen Künfte gilt als Mufter allen Völkern; ihre leichten und janften Sitten verloden die Fremden; die Unabhängigkeit und Treue ihres Charakters treiben fie überall dem Unglüd und der Schwäche Leizuftehn. Dieje Nation würde Arhen fein, bejäfle fie nicht mehr Kraft und mehr Ruhm.

Die andere Nation [hätt den Reichthum über Alles und vie Mittel, bie ihn erwerben; ihre Tugenden und Yafter find unzertrennlich von ver Begierde nah Schägen; ihre Kriege find Speculationen. Der göttliche Funke, der allein große Künfte erwedt, jcheint in ihrer Mitte erloſchen; Sittenverberbnig hält ſich in den dichten Mantel einer ſtrengen Bigoterie. Ale Welt lacht Über die Treue, veren fie fi) bei jeder Gelegenheit rühmt ; aus Gewohnheit oder Bolitif ſpricht fie von Huntanität; doch füet fie Haß und Zwietracht du, wo ihre Hand zu ſchwach ift um Blut zu ver-

443: neberſicht ber hiſtoriſchen Literatur.

gießen. Diefe Nation würde Carthago fein, wenn fie bei mehr Madt nicht noch treulojer wäre.

Und num folgt eine Ueberfiht ver Beziehungen zwiſchen Frankreich und England von Wilhelm dem Eroberer, „dem Baſtarde eines Herzogt und der Tochter eines Gerber von Yalaije“, bis auf umnfere Tage, bie jedem Kronenträger Englands Lüge, Verrath und Grauſamkeit, als von ihm an Frankreich begangen, ſiegreich nachweiſt. Merkwürdig aber, wi von der Nation dabei kaum die Rebe ift; bis in die neuere Zeit fündig der Fürft an der Spike des Volks, Heinrih TI. wie Eduard Nil, Jakob II. wie Wilhelm III, erft ſpäter ftehen ihnen Henteröfnechte bei wie bie beiden Pitt und Sir Hudfon Lowe. Mit welcher hiftorifchen Trew Dabei auf jeder Seite die angeborene Treulofigleit des perfiden Albions erhärtet wird, mag ber Leſer beijpieldweife aus folgender Stelle übe Napoleons Tod abnehmen: „Ehe er die Erde verließ, vermadhte er dem regierenden Haufe Englands ven Schanvfled feines Todes. For (!) über nahm e8 im Parlamente den Fluch des Dulders zu wiederholen: „Die Welt, fagte er, trägt Trauer um den Helden, und die, welche zu dieſer großen Frevelthat beigetragen, find der Verachtung der gegenwärtigen mb zulünftigen Geſchlechter Preis gegeben.“

The Greatest of all the Plantagenets , An historical sketch. Lomdos. Bentley. 1860. 8. XIIL 457.

Der anonyme, dem Anjcheine nad ariftofratifche Verfafler"), chi feinem Buche auf dem erften Blatte eine Liſte von Zeugniffen verand, die von den gangbarften engliichen Hiftorifern Eduard I. als dem größ ten Könige aus dem Haufe Plantagenet ausgeftellt worden find. Rie mand hat gegen eine ſolche Auffaſſung etwas einzuwenden, auch nicht da- gegen, daß der Verfafler dieſes Thema nod einmal in einer Monogra⸗ phie des Weiteren ausführt. Der Berfaffer iſt denn auch voll von feinem Helden und zürnt nur den Schatten, welche die Härte des kraft⸗ vollen Eroberers, des Scotorum malleus, wie er auf feinem Grabfteime beißt, immer noch nicht ganz verwunden haben. Die Daritellung es geht fi mit großer Breite durch die ganze Geſchichte der Zeit mb macht ſich offenbar am liebften mit ven jchottifchen Kriegen und ber

) Hugufus Elifforb, Esq.

England, 448

Entwillung der parlamentarifchen BVerhäftniffe zu ſchaffen. Wber das Bud, fo gut es gemeint ift, lieſt fih troden und bietet namentlicy für die Berfafiungsgefchichte weder neue Gefihtspunfte, noch ift irgend ein Beriud gemacht, was für engliihe Geſchichte des 13. und 14. Jahre hunderts noch immer nicht fruchtlos ift, neues, urkundliches Material berbeizufchaffen. Zwar heißt e8 in der Vorrede, man behanble jest bie früheren Zeitalter mit ganz anderem Verſtändniß als das frühere Schrift» fteller gethban; nur jener Wendepunkt, ver wahre Anfang englifcher Ge- ſchichte, fei von dem neuen hiftorijchen Geiſte noch nicht erfaßt worden, Aber der Berfafler ftügt fih doch nur auf die allbefannten, gedruckten Duellen und citirt auf jeder Seite faft das Urtheil einiger Vorgänger, welche venfelben Abjchnitt behandelt. Niemals ift es ihm eingefallen, die handſchriftlichen Schäge des Mufeums und des Archivs felbft anzu- ſehen. Gerade für die Regierung Eduard I. bieten doch die Staatsrallen eine unerfchöpfliche Fundgrube und finden fich viele Hunderte von Ori⸗ ginalbriefen, aus denen manches Urtheil zu entnehmen wäre. Bon ben Haushaltbüchern, vie fo viel wirtbichaftliches Material bieten, ift nur ein längft geprudtes benütt worden, während Referent feiner Zeit ein halbes Dutend im Original hat zu Rathe ziehen können. Es ſcheint, als ob den Engländern erft Alles umſtändlich abgebrudt werben müſſe, bis fie daran gehen, die unvergleichlichen Quellen ihrer Nationalgefchichte wirklich zu verwerthen. Allein fchon jet wird faft zu viel gebrudt, und e8 gibt keine einfichtsvolle Autorität, welche Maß und Ziel geböte, R. P.

Rheinhold, Pauli, Bilder aus Altengland. Gotha, F. A. Perthes, 1860. VIII, 395 S. 8.

Piotures of Old England by Dr. Reinhold Pauli, translated with the authors sanction by E. C. Otté. Macmillan. Cambridge and London, 1861. XII, 457 8. 8.

Eine Zufammenftellung Heinerer Arbeiten und Aufſätze des bekann⸗ ten Geſchichtſchreibers, die zu feinem größeren Werk eine jehr willtonmene Zugabe bilden, indem fie Einzelnes aus demſelben weiter erläutern und ausführen. Die friiche und lebendige Darftellung mit ihrer fauberen Zeichnung der einzelnen Charakter, ihrer ſtets originellen, aber wahren Färbung des Ganzen jene allbelannten Vorzüge aller Arbeiten Pau⸗

Hißsrifge Beitfärift VI. Bow. 50

44 Ueberfiht ber hiſtoriſchen Literatur.

li's verleihen gerabe feinen Eſſays einen eigenthümfichen Reiz. Usb bieß bewährt ſich auch bier in glänzender Weiſe. Ohne auf das Ei zelne näher einzugehen, heben wir doch als beſonders anziehend herrer die ‚Beziehungen zwiſchen Kaijer Ludwig IV. und König Eduard IM. (S. 118 ff.) Hier ift auf Grund der von Pauli felbft früher bein gegebenen Quellen vie fo intereffante Reife Eduards duch Deutjchlarh im Spätfommer 1338 Har und anſchaulich geicdhilvert.

Ein wahres Meifterftüd einer literarhiſtoriſchen Skizze, die med

allen Seiten hin über politiſche und ſociale Zuſtände ihrer Zeit it |

verbreitet, finden wir in dem 7. Stüd ver Sammlung „Zwei Didte, Gower und Chaucer“ (S. 74 ff.) Auf Grundlage der neuerdings voll fländig edirten Werke jener Autoren des 14. Jahrhunderts erörtert Park, welchen Einfluß fie auf Bildung der englijchen Sprade und Yiterater, überhaupt auf die Entwidlung des nationalen Lebens geübt haben. Gibt ſich num ſchon in allen Stüden die vollendet’fte Kenntni ug liſcher Geſchichte kunt, fo tritt doch gegen einen Auffat alles Andere be

beutend zurück. Wir meinen bier: „Kondon im Mittelalter.“ (©. |

353 ff.) Topographifche Erläuterungen, baugefchichtliche Vemerkungen, verbunden mit allgemein hiſtoriſchen Entwicdlungen rollen uns das Bil ber alten Stadt auf. Das fociale und politische Leben, das Wogen ud Treiben der großen Handelsſtadt, die ſchon im 14. und 15. Yahrhert. zu großer Bedeutung gelangte, ift hier aus ven Urkunden ver Zeit ſelbſt bem liber albus, geſchöpft und in lebenvigfter Weije unjerm Auge ver geführt,

Solche „Bilder,“ veren unfere Piteratur leider nur wenige aufwe- fen kann, begrüßt ebenfowohl ver Fachgenoſſe, als aud das ganze ge bilvete Publikum mit dem höchften Intereffe und zollt ihnen gerne reide lichen Beifall und lobende Bewunderung. Die englifche Ueberfegung dei Buches wird gelobt. u.

Eckerdt, Herm, De origine urbium Angliae. Diss. inauger. Königsberg, 1859. 31 S. 8.

J. A. Froude, History of England from the fall of Wolsey w the death of Elisabeth. Vols. V. VI. London, 1860.

ge ein Band fir die Gefchichte Eduard's VI. un der blutige

England. 445

Maria. Der Ber. bleibt darin auch nachträglich der von uns als Miß⸗ griff bezeichneten und jedenfall überſpannten Auffaflung Heinrich's VII, getreu, daß nämlich die von biejem rüdjichtslofen Fürſten befolgte Re gierungsweife und- die enge Form, in welche er vie kirchliche Reformation gezwungen, ven wahren Bebürfnifien England’8 entiprochen habe; vie ent- ſchieden proteftantiichen Richtungen unter Eduard VI. werben daher eben fo gut verdammt wie die fatholifhe Reaction Maria's, freilich mit einer gelinden Hinneigung zu legterer. Diefelbe mag zunächſt in ben etwas verſteckten hochkirchlichen Tendenzen des Verf. ihren Grund haben, hängt aber noch mehr mit feiner jungengliichen, carluliftiichen Vorliebe für eine kräftige Perfönlichkeit zufammen, vie mehr Geihmad an Heinrich’8 legi- timer, entſchloſſener Tochter findet, als an dem warmen, weitherzigen Volks⸗ freunde, dem Protector Somerjet, die aber feltfam genug, fo oft ſich nur die Gelegenheit bietet, ebenfo gut dem lutheriſch gefinnten Biſchofe Latimer oder dem fchroffen John Knox Bewunderung zollt. Noch Mehr als in ven vorhergehenden Bänven wird eine anglikaniſche Katholicität, nur gelöft vom päpftlichen Primat, als das Ideal bes Tudorregiments bingeftellt, was dann eine vornehme, eifigkalte, mitunter fogar ſpöttiſche Haltung gegenüber ven echt reformatorijchen, vom Auslande beeinflußten Beftrebungen zur Folge hat. Das Protectorat des edlen Somerfet wird verurtheilt, weil e8 von den teftamentarijchen Beſtimmungen Heinrich's VIII. willkürlich abgewichen, und faft auf diefelbe Stufe mit der Verwaltung bes nichtöwürbigen Herzogs von Northumberland geftellt. Der ganzen minorennen Regierung wird fuftematifche Beeinfluffung ver Barlaments- wahlen, Corruption der Gerichtshöfe, die Ärgfte Zerrüttung ver Finanzen nachgeſagt, Anflagen, die Heinrich VII. bei allen feinen Gewaltthaten, wie man fich erinnert, nicht zur Laſt fallen follen. Als ob legterer beim Wechſel feiner Laune, feines Syſtenies und feiner Alliancen ſich ſtets mit der Nation im Einklange befunden; als ob die Berjchleuderung des von ihm confiscirten gewaltigen Kirchenguts nichts mit der Verſchlechterung der Münze und dem Sinfen des Kredits zu ſchaffen gehabt, obwohl dieſe Mebelftände jhon ein Fahr nad) feinem Tode eingetreten. Die anglika⸗ nifche Liturgie, heißt es, fei die einzige nennenswerthe Frucht jener uns glädfeligen Regierung (which the unhappy reign produced V, 394).

Es fragt fich jedenfalls, ob die fpätere Geſchichte Englands es recht⸗ fertigt, wenn das echt proteftantifche Verlangen, das fi in allen Kreiſen

30*

446 Ueberſicht ber hißoriſchen Literatur.

fund gab, wegen ber ihm unterlaufenden unveinen weltlichen und perjän lichen Tendenzen zugleich mit biefen verurtheilt wird. Soll der Rüdiell der rohen Bevölferung zur Mefle, zumal in ven länblihen Diſtricjen mehr Begründung haben als die in den Städten und in einem Zheike des Adels verbreitete evangelifhe Gefinnung, als der Zuſammenhang wi ber deutſchen Reformation? Müſſen die auslänvijchen Theologen anf ke

Univerfitäten, die 15,000 fremden Proteftanten in London von einem pe

teftantijchen Gefchichtjchreiber in Webereinftimmung mit Renarb, dem Ge

fandten Karl’8 V., verbädhtigt werben ?

Die Rage bei Maria's Thronbefteigung erſcheint dem Verf. bi aus günftig, die Haltung des Biſchofs Gardiner namentlich) bis bahn entichieven correct und fogar beiwundernswärbig. Mit fichtlichen Behagen fällt ex das craffe Urtheil: „Die Wirkungen der Refonnation in Eng land Hatten ſich bis dahin hauptſächlich in ver äußeren Herrichaft von Spkebuben (in the outward dominion of scoundrels) fund gethan und in dem Crlöfchen der erblihen Tugenven des Nationalharakters“ (VI, 6). Seit Yahren (for many years, aljo vermuthlich auch unter Heinrich VII. ©. VI, 106) jeien die Wahlen nicht fo unabhängig geweſen; eim pre fantifches Parlament im beften Sinne des Worts habe Maria’s Titel anerkannt. Erſt als mit dem fpanifchen Gemahle Maria’ und Ger ner’8 Gelüfte zum Durchbruche kommen, als die päpftliche Gewalt wieder an die Stelle des Supremats tritt, die blutige Verfolgung anhebt, dei jequeftrirte Kirchengut zurücgefordert wird, verfällt Maria dem verdien ten Verhängniß und tem Tadel des Verfaſſers, der den Standpunkt ikeel großen, für ihn untadelhaften Vaters firirt zu haben glaubt.

Died mag genügen, um bie Conjequenz hervorzuheben, mit welder Froude bei feiner paraboren Geſchichtſchreibung beharrt. Der Leer if ihm aber vemungeachtet wie bei den vorhergehenven Theilen zu großem Dante verpflichtet für das überaus reihe Material, das er wieberum aus den Archiven flüflig gemacht hat, und für mehrere großartig geſchrie bene Partien des Buchs, namentlich im fechften Bande, als welche wir bie Abſolution von Parlament und Bolt durch Cardinal Bole (S. 287 fi.) und das Martyrium ver proteftantifchen Biſchöfe und ihrer Genoflen (S. 333 ff.) hervorheben möchten. Daß die urtunvlihen Schäge ud die bereits vorhandenen Ergebniſſe hiſtoriſcher Forſchung indeß noch ix anderem Sinne zu verwerthen find, erhellt abermals aus ber ſehr man⸗

England. 447

gelhaften Behandlung ver auswärtigen Beziehungen. Man lefe was von der Schladht bei Mühlberg, von Karl’ V. Niedergang in Deutichland faſt ansichlieglih nach Pallavicino erzählt, wie Papft Paul III. charak⸗ teeifirt wird, und man wird fich füglich wundern, daß Ranke's Arbeiten dem Berf. völlig unbelannt geblieben zu fein fchienen. Band VI, 344 unter dem Jahre 1555 wird dranz I. gar noch unter den Lebenden ges zahlt! Wie weientlih ander8 aber werden Perſonen und Hergänge auch auf dem Feſtlande gerade von dem Lichte getroffen werden, das von ben englifchen Archiven ausftrahlt. R. P.

The Pilgrim, a Dialogue on the life and actions of king Henry the eightb, by William Thomas, clerk of the council to Edward VL, ed. by J. A. Froude, London 1861. Parker. 8

Es wird bier eine Vertheidigungsfchrift zu Ounſten Heinrich VIII. die bald nad deilen Tode gejchrieben und ſchon einige Mal gebrudt worden, wiever aufgelegt. Der Berfafler, Waltfer von Geburt, ftubierte zu Orford, wurde Proteftant und vor der zu Ende der Negierung Heinrich's VIII. eintretenden Reaction flüchtig nad Italien. Dort, zu Bologna, etwa zwei Monate nad des Königs Tod findet das fingirte Zwiegeſpräch mit einem katholiſchen Italiener flat. Der Engländer vertritt darin patriotiich fein Vaterland, veflen Fürften und deſſen Ge- fege und theilt durchweg die populäre Auffaflung bes königlichen Cha- rakters. Bon den allgemeinen Dingen und den Inftitutionen Englands zeigt er ſich unterrichtet, aber über die eigentlihe Politit Heinrich's ur- theilt ex weder als Sachverſtändiger, noch erjcheint er irgend wie in ben Geheimnifjen des Hofes unterrichtet. Seine Anftellung unter dem Nach⸗ folger fpricht geradezu dagegen. Nirgends ftößt man auf eine Beſtäti⸗ gung der paradoxen Bergötterung, welche H. Froude mit dem Könige ge- trieben. Allein Froude ift unberehenbar. In der Beilage zu bem Dialoge veröffentlicht er nachträglich eine Anzahl Documente aus ven Archiven zu Paris und Brüffel, leiver nur in Auswahl und in englijcher Ueberjegung, von benen einige den wejentlichen Behauptungen feiner Ge⸗ ſchichte auffallend widerſprechen. Er fuchte bekanntlich Heinrich nad) Kräften von dem Verdachte des ſinnlichen Impulſes zu feinen Gewalt⸗ thaten zu reinigen; jetzt erfahren wir aus einem franzöſiſchen Gelandt- fchaftsberichte vom October 1534, aljo über anverthalb Jahre vor

a 448 Ueberſicht der hiſtoriſchen Literatur.

Anna Boleyn's Sturz: M a des nourvels amours! und Aehnliches wird im November nad Brüffel gejchrieben. Auch nad der Scheibung vom Anna von Eleve zeigt der König fofort Dispofition, ein anderes Weib zu nehmen; aber der Ausbruch einer Seuche und Heinrichs Angſt ver verfelben halten ihn einige Wochen zurüd, bis es ſchon am 21. Inli 1540 heißt, daß er von der Schönheit der Catharina Howard geblenbet fü. Auch deren rafche Kataftrophe bat ihn keineswegs mit Weltichmerzge danken. erfüllt, vie Froude in feinem Werke jo berebt geſchildert, denn ſech Tage vor der Hinrichtung Catharinas gibt der König ein Damenfeh, auf welchen ihn Lady Cobham und die junge hübfche, aber geſchiedene Frau Wyatt's befonderd angezogen haben. Die mitgetheilten Depeſche Marillac’8 über Empfang, Hochzeit, Scheidung ber Anna von Clem, über Crommell’8 Sturz, über das Project, die Prinzeffin Maria mi Philipp von Bayern zu verheirathen u. |. w., find fhon von Kante m Driginal benutt. Vgl. beſonders Engliihe Geſchichte I, 218. Zu de Correfpondenz Carl's V. mit ven iriſchen Magnaten finden ſich entfper chende Berichte im Staatsardhive zu London. Der Herausgeber verbiat gewiß Anerkennung, wenn er fo freimüthig mittheilt, was eine gan Kette in feiner Darftellung jener Zeit zerreißt.

Aber wohin dieſen unkritiſchen Schriftfteller eine neue Lectäre mb die Sucht nad romantischen Paraboren zu bafchen verführen kann, if und neuerdings recht entgegengetreten beim Leſen von:

Queen Elizabeth, Lord Robert Dudiey and Amy Robsart, a Story from the Archives of Simancas by J. A. Froude, in Fraser’s Magazine, for June 1861.

Während er früher (vgl. History II, 142) im Gegenfate zu Ama Boleyn, die er zur Ehebrecherin gemacht, von der großen Tochter nicht erhaben genug reden konnte, fie, die beftimmt die Welt umzugeftalten, zu deren Berläfterung nur die fchmusigften Cloaken aufgewühlt würden erſcheint ex jett in einer Vorſtudie zur Fortſetzung feines Gefchichte werkes auf der anvern Seite und erflärt mit dürren Worten, fie babe Leicefter zum master of her government and of her person gemadtt, nachdem fie diejem fein Weib habe ermorben helfen. Und woher ftanmt biefe Entvedung? Zunächſt fcheint fie eingegeben von I. Lothrop Met: len, dem gegenwärtigen amerifanifhen Geſandten in Wien, ver in ber History of the United Netherlands Alles aufgeboten, um Eliſabeth's Tu

England. 449

gend und Politik in den Koth zu zerren und fremden ben Weg zu ben Berichten der Geſandten Philipp’s IL. gewiefen bat als ver reinften Duelle über diefe Tragen. Ein kurzer Ausflug nah Simancas und das Studium ber Depeihen des Biſchofs von Aquila, Alvarez de Quadra, haben Froude jofort von der Richtigkeit jo monftröjer Dinge überzeugt, mit denen er feine Lanvsleute zu überrajhen und nicht zu empören hofft. Aus verbrecheriicher Leidenſchaft ſoll eine Elifabeth ihr Vaterland und bie Reformation an Spanien haben verrathen wollen, nur Cecil fei ber Retter geweien, fchon habe der Siaatsrath mit Abfegung gedroht. Und das wird einem ſpaniſchen Biſchofe nachgefchrieben , deſſen jefwitifche Umtriebe in England befannt genug find, deſſen Abberufung Elifabeth ichon im Jahre 1563 von Philipp verlangt hat. Proteftanten, Republi⸗ caner wagen e8, mit folder Hilfe die Gegenfäge der Geſchichte umzu- ſtülpen; ober muß Eliſabeth nun durchaus zur Metze werben, nach⸗ dem die Mutter als ſolche bingeftellt wird und die Tugend des Vaters fih nicht halten läßt? Wahrlih, das Geſchichte Tiebende und leſende Bublicum in England müßte doc verlommen fein, wenn es bergleichen fih ruhig wollte bieten laſſen. R. P.

Personal History of Lord Bacon, from unpublished letters, by William Hepworth Dixon. London, Murray, 1861. 302. (Auch in Tauchnitz, Collection of British Authors. Vol. 549.) 8.

Die Buch hat die Beachtung, die es gefunden, unftreitig dem Zu⸗ ſammenhang zu verbanfen, in welchem ver Berfafler mit einem hervor⸗ ragenven literarifchen Journal fteht. Auch war man nach einigen früs heren Leiftungen wohl berechtigt, eine wirklich hiſtoriſche Arbeit zu er- warten. Dagegen zeigt fich bier das eitel gewordene Literatenthum in feiner ganzen Selbftüberfhägung, das ſich einen Heroen wählt, um ihn zu apotheofiren und fich zu dieſem Zwede einer Sprache bebient, die je⸗ ber ehrliche Angelfachfe gewiß nicht als der Königin Engliſch wieder er» kennt. Um den großen Francis Bacon, der, wie männiglidh befannt, fih als Juriſt und Staatsmann, als Philofoph und Effayift unver weltliche LZorbeeren erworben, aud von ben nicht minder bekannten Ma⸗ keln und Flecken, die an feinem Charakter und feinem Gedächtniß haf⸗ ten, völlig zu reinigen, greift ber Verfaſſer ohne alles hiſtoriſche Ge⸗ wiſſen und ohne ſich ernfllih und eingehend mit dem Zeitalter und ſei⸗

| 450 ueberſicht ber hiſtoriſchen Literatur.

nen gewaltigen Gegenfägen zu befaflen, zu ganz erbärmlichen Abvolaten⸗ kunſtſtücken. Es wird einfach überjehen oder verftellt, was nicht in biefe Auffaffung paßt, um mit oft ganz albernen Pinfelftrichen ein Gemätbe zu entwerfen, das ohne tief zu forichen ein Jeder gar bald als undhuhl und unwahr erflären wird. Wenn Carlyles Manier noch mehr folk Nachahmer zieht, dann follte man in der That um Hiftorifche Gewiſſe haftigfeit in England bange werben.

Trog der Ankündigung auf dem Titel findet der Leſer nur Außer wenig Neues in dem Buche, denn bie zuerft benüßten, oder ausgezogenen Briefe der Mutter Bacon’s find fo geringfügigen und felbft Heinlichen 9a baftes, daß fie auf die eigentlihe Entwidlung des Jünglings und dei Mannes kaum irgend ein Licht werfen. Dagegen find eine große Ur zahl wichtiger Briefe ganz bei Seite gelafien, aus venen hervorgeht, we Bacon noch ehe er zwanzig Jahre alt in unwürdig kriechender Weiſe fih an hoher Stelle um Beförberung beworben. In feinen eigen Worten, aber nicht bei Herrn Diron kann man lejen, wie er im Jake 1593 den Inhalt einer Liberalen Rede widerruft, wie er nady dem trag ihen Ende feines Gönners des Grafen Effer in einer befonveren Flaz⸗ ſchrift denfelben erft im Tode zu verleumben wagt. ‘Der mächtige ftaat rechtliche Gegenſatz zwiſchen Bacon und Coke, über den die Revolution und die Nachwelt zu Gunften des Letzteren entſchieden, wird fogar be nugt, um vor der faljhen Glorie des Helden feinen Gegner umd veffen Partei (a parliament of fanatics, four hundred of the most violent men, who were met in the great Council) in den Schmuß zu ziehen. Und za welcher Caricatur wird dann erft die Kataftrophe, in welche den großen Mann die Schladen hineingeriffen, von tenen fein unvergleichlicher Geift ſich nicht zu läutern vermochte. Dic Gerechtigkeit des Verfahrens wider ihn wird felbftverftändlidh geleugnet. Bacon befennt fih zufolge Diron feiner Beftehung ſchuldig; nur forglos jet er geweſen, aljo liebenswürdig wie immer. Kein Wort von den Schreiben, die in feinem Namen Ba dingham und der Prinz von Wales beim Haufe ver Lords einreichten. Und die Geſchichte lehrt doch Längft, wie Bacon keine Rechtfertigung ver- ſucht hat, venn feine eigenen Worte lauten: „Ich beienne einfach umb aus freien Stüden, daß ich der Beſtechung ſchuldig bin, verzichte auf jebe Bertheibigumg und werfe mid auf vie Gnade und Barmherzigkeit Eurer Lordſchaften. Habt Mitleid mit einem gefnicdten Rohr!“

England. 451

Die wenigen Beifpiele mögen für die ganze Behandlungsmeife die⸗ wen, die ums durchweg als eine verwerfliche erſcheint. Aber mem bie Zriumphe eines höchſt dilettantifchen Journalismus zu Kopfe geftiegen, ber befinvet ſich leicht in ver Rage zu vermeinen, er habe eine hiſtoriſche Aufgabe hinreichend erforjcht um mit der Meberzeugung aufzutreten, er wiffe nun Alles und Jedes, und fenne nicht mir jeve Handlung, jon« den felbft die innerften Gedanken ver Perſonen, vie er ſchildert. Die Sucht der Imagination unter denen, welde jest in England Geſchichte fhreiben, führt nur zu häufig zur Erfindung von Motiven, die fih in keiner Weife nachweiſen laflen. Hätte Herr Diron wie in feiner Bio» graphie des Admiral Blake ſich unbefangen und ehrlich feinem Gegen» Rande gegenübergeftellt, er würde nicht durch eine Arbeit wie die vorlies gende von feinem guten, Iiterariichen Namen eingebüßt haben. Wer aus dem Buche von der wahren Lage der Dinge unter Elifabetb und Ya» cob, von Bacon dem Philofophen und Hiftorifer,, von feinem Plane das engliſche Recht zu cobificiren, etwas erfahren zu können meint, ber braucht fi nicht die Mühe des Nacjichlagens zu geben und warte ieber, bis die von Spebbing, dem Herausgeber von Bacon’d Werken,

verheigene Biographie erjchienen ift. R. P. Wahner, Dr., Zur Geschichte Jakob I., Königs von Gross- britannien u. Ireland. 2. Theil. Gymn.-Pr. Oppeln, 1859. 14 8. 4.

Memoirs, letters and speeches of Anthony Ashley Coo- por, first earl of Shaftesbury, Lord Chancellor; with others papers illustra- ting his life from his birth to the restoration. Edited by W. Dougal Christie. London, Murray, 1860. 248 8. 8.

3. Forster, The Debates on the grand Remonstrance November and December 1641, London 1860. Murray. 8.

Diefe Arbeit ift zuerft in deſſelben Verfaſſers Historical and Biogra- phical Essays Vol. I, London 1858 erjchienenen und nunmehr noch ein- mal abgevrudt. Sie ſchöpft vor Allem aus einer noch immer nicht völlig zugänglich gemachten Fundgrube, ven im britifchen Muſeum be wahrten, aber äußert unlejerlihen handſchriftlichen Tagebuche des Sir Si- monde D’Ewes, der unter der puritaniichen Majorität im langen Parlament gefeflen. Man Hat jene wichtigen, die Revolution unvermeidlich machen⸗ ven Verhandlungen in ven einzelnen Stadien und den Wortlaute nad

45 ueberſicht ber hiſtoriſchen Literatur.

bisher noch nicht gelannt, denn ſelbſt Ruſhworth Hat fie nur im Ans zuge bemust und wieder gegeben. Der Wortlaut aber läßt es zweifellos, daß das große Altenftüd ein Meifterwert John Pym’s ift, des gewaltis gen Leiters in ver erften Epoche ver Bewegung; Form und Sprade erinnern unmittelbar an feine Reden. Aber fo großartig und überwäl tigend er in den erften Partien erjcheint, fo weit bie hiftoriiche Reca⸗ pitulation aller Beſchwerden wider die Krone reiht, jo ſchwach und ves dvolutionär unfiher find fpäterhin die Mittel, die zur Abhilfe vorgeſchla⸗ gen werben. H. Forfter aber verläugnet auf keiner Seite den Barteis mann, denn er gehört zu ber heute noch in England ſehr zahlreichen Claſſe ehrlicher puritanifcher Geifter, die fi vollftänvig in die Seele ih⸗ rer gefinnungsvollen Vorfahren zu verjegen vermögen und gegen bie Mifgriffe und den habituellen Wortbruch des Königs die Schritte bei Barlaments vertheidigen. R. P. J. Forster, Arrest of the Five Members by Charles the First. A Chapter of English History rewritten. Londen, Murray, 1860. & Dieſes Buch bilvet jo ziemlich eine Fortſetzung des vorbergehenben, indem es bie betaillirte Schilvernng des unglüdjeligen Streidyes biete, zu dem Karl I. aus Zorn über jene Debatten ſich hinreißen Tief. Man weiß, wieviel er ſich und der Königlichen Würde dadurch vergeben, wie « dadurch den Bruch mit der Hauptftabt und den Ausbrud des Bürger kriegs bejchleunigt hat. Clarendon verſichert zwar ausprüdlih, er umb feine politifchen Freunde, vie damals ſchon in ven Rath des Königs ge zogen worben, hätten nichts um ven Gewaltſchritt gewußt, und gibt fid nachträglih Mühe, feine Mißbilligung recht ſtark auszuſprechen. H. For fter ſucht das Gegentheil nachzumeijen, indem er fi wiederum anf bi urkundlichen Aufzeichnungen des Augenzeugen D'Ewes ftügt fowie auf Berichte, die Über den Hergang an ven Admiral Pennington gerichte worden find. Allein der Berfafler malt abermald zu grell in ſeine— Farben; es handelte fich Teineswegs um einen tief angelegten Staatk ſtreich; die Agitation der Königin und ihrer ausländiſch papiſtiſchen Umgebung vielmehr riß ven König in einer verhängnißvollen Aufwallumg des Momentes fort. Dan wird gut tbun, bei Darftellung dieſer Zeiten Maag nnd Vorſicht imme zu halten wie Ranke, der im zweiten Baude der Englischen Gefchichte 3. Forſter's Schriften mehrfach zu Rathe gezogen, RP,

m —— .

England. 463

Memoirs, Biographical and Historical of Bulstrode Whitelocke, Lord Commissioner of the great Scal, and Ambassador & the Court of Sweden, at the period of the Commonwealth, by R. H, Whitelocke. London, Routledge, 1860. XV, 415. 8.

Ranke, Englifhe Geſchichte IM, S. 316 fagt furz und bündig ven bem Gegenſtande dieſer Lebensbeſchreibung: „Er hatte eine unwider⸗ fehlihe Neigung ſich ven herrſchenden Gewalten anzufchliegen und per- ſenliche Förderung von ihnen anzunehmen, wenn fie nur dabei das Shitem ver englijchen Geſetze, wie e8 einmal eingeführt war, im Ganzen beftehen beſen.“ Es liegt darin die Schwäche und tie Vereutung des Mannes, den jein wechjelvoller Vebenslauf als Theilnehmer an allen Phajen durch Ne große Bewegung bes fiebenzehnten Jahrhunderts hinturchgeführt. Nach Urprung und Erziehung den altconjervativen Elementen jeiner Heimath geiſtesverwandt, widmet Whitelode fi) dem Studium und ber Praris des Rechts; im Anfange Karls I. fteht er gejellihaftlih noch ven Ber: theitigern von Kirche und Staat nahe, während er im Parlamente niit ter Oppoſition geht und ſich bald von feinem Freunde Edward Hyde abwendet. In den Jahren des Bürgerfriegs wird er vorwärts geſchoben, wie ftart auch fein religiöſes oder juriftiiches Gewiſſen gegen die revo— lutionären Maßregeln und ihre Vertreter ſpricht. Unter Cromwell rettete er, vielfach im Gegenfage gegen ven Gewaltigen, die ftaatsrechtliche Con⸗ timmität, deren Dafein auch troß der Nevolutionsperiode in ver Berfaf- jungsgeihichte Englands fih nicht wird ableugnen laſſen. Aus ſolchen Gefihtepuntten hat er Cromwell zum König erhoben haben wollen. Später hilft er ten Staat vom Protectorate zum legitimen Königthume mrüdführen und rettet ſich dabei Leben und Eigenthum, indem er einft weislich der Theilnahme am Königsmorde ausgewichen.

Seine Memoiren gehören zu ven merkwürdigſten gleichzeitigen Auf— zeichnungen, aus denen ter gewiſſenhafte Hiſtoriker eine Fülle echter Ueber— lieferung ſchöpfen kann; ſein Journal of the Swedish Ambassy betrifft wichtige europäiſche Verhältniffe in ben Jahren 1653 une 1654, als vie Macht des Protectorg faft zur leitenten in ber Welt wurde. Aus dieſen Schriften, aus Briefen und Fragmenten ähnlicher Papiere, melde White: lode zur Zeit ver Reftauration zu zerftören gejucht, ſchöpft fein gleich— namiger Biograph, der wir willen nicht woher ſich Professor Royal of Wurtemberg nennt. Er fcheint auch eine Art von Puritaner

4 neberſicht der hiſtoriſchen Literter.

bes neunzehnten Jahrhunderts zu fein, aber feine Leiftung fteht weit un- ter denen des Herrn Forſter. Jedenfalls gelingt es ihn nicht, was er unternommen und was wohl der Mühe werth wäre auszuführen, Wbite lode, ven Staatsman der Nepublif und bes Protectorats, als einen ber Begründer des gegenwärtigen conftititionellen Syftems zu fchilvern.

R. P.

Ranke, Leop., Englifhe Geſchichte vornehmlich im 16. und IT, Iahrhundert. 2. u 3. Bd. Berlin, Dunkler u. Humblot, 1860—61. 8.

Guizot, Fr. Life of OliferCromwell. New edit. London, Best- ley, 1860. 450 8. 8.

—, Etudes sur 1a r6dvolution d’Angleterre Munk, chute de la r&publique et retablissement de la monarchie en Ar glettere, en 1660. Etude historique. be edition. Paris, Didier et (8, XIV u. 404 8. 12,

Macaulay, T. B.,, Die Geschichte von England seit dem Be gierungsantritt Jacobs II. Uebersetzt v. weil. Prof. Friedr. Bfülau. 2% Aufl. Mit d. Portrait des Verf. in Stahlst. 3 —9. Lfg. Leipzig, T. 0. Weigel, 1860. 2. Bd. XII u. 612 8. 3. Bd. XIV u. 702 8. 4. Bd. W u. 928 8. 8.

—-, Geschichte von England seit dem Begierungses- tritte Jacob des Zweiten. Uebersetzt v. L. G. Lemcke. 2. Aufl. (In ? Bän.) 1. Bd. 1. Lfg. Mit Macaulay’s Portr. in Stahlst. Braunschweig, Leibrock, 1860. VII u. 96 8. 8.

—, Storia d’Inghilterra. Tradotta da P. Emiliani-Gis dici. Vol, I, IL 2 edis Firenze, 1859, 60. 18.

—, Histoire du rögne de Guillaume III, pour fain suite & l’Histoire de la r6volution de 1688. Traduit de I’Anglais per Ameded Pichot. Edition complete 3 Bde. Faris, 1860. 8.

Massey, William, A history of England during the reige e George the Third. Vol 3. London, Parker, 1860. 500 8. 8

On ceortainßtatements respecting theChurch ofEngland Correspondenoe between the Bishop of Exeter and theR.H. T. BU» oaulay. London, 1861. 60 8. 8.

England. 4bb

Hier werben durch den bekannten Biſchof Philpotts, das firenge Haupt der Bufeyiten, ver Deffentlichfeit einige Briefe übergeben, vie er mt dem großen Hiftorifer zu Anfang des Jahres 1849 unmittelbar nad dem Erſcheinen ber beiden eriten Bände gewechſelt hat. Bezeichnet er es ach als ein unfterbliches Werk, pas ihn, ven ftrengen Tory, fo gut wie ale ſeine Landsleute gefeſſelt hat, jo hält er e8 doch für feine Pflicht, den Verf. auf arge kirchliche Berftöge aufmerkſam zu machen, damit er fein Kuitwert von ſolchen Tleden reinige. Es handelt fi) beſonders von Rocanlay’3 Auffaſſung der Reformation unter Heinrih VIII, ven er in Bang auf die Verleihung des geiftlihen Charakters an den Klerus u England durchaus an die Stelle des Papftes treten läßt. Dagegen empört fich des Biſchofs hohe Meinung von ver göttlichen Einjegung ver woſtoliſchen Succeflion: nur die Macht des Schwertes, nicht die ber Shlüffel Habe Heinrich in feinen Artikeln und Statuten beanfprudt. Mas» canlay'8 Anficht, daß die anglitaniiche Kirche zu Ende des 16. und An⸗ fang des 17. Jahrhunderts calviniftiichen Einflüßen nicht habe wiberftehen fiunen, feine Beweije, daß die Succeſſion und die durd fie erwirkte regel- rechte Ordination eben durch jene Einflüge häufig durchbrochen worpen, will er um Teinen Preis gelten laſſen. Leſenswerth im Gegenſatze zu bem fhclaftiich ſtark gerüfteten Eifer ift vor allen ver erite Brief des großen Geſchichtſchreibers, worin er mit der Feinheit des echten Gentleman und dem ganzen Zauber feines Styls auf vie Beſchuldigungen ver Parteilich- fett und der Flüchtigfeit in der Forſchum antwortet und zur Begründung feiner Ueberzeugnng aus dem reihen Schate feines Tirchenhiftorifchen Wiſſens Nichts ſchuldig bleibt. Dagegen muß er dann ven Vorwurf ver- nehmen, traditionelle Whigfehler zu begehen, ohne freilich feinen Gleich⸗ muth zu verlieren; noch einmal dankt er dem Prälaten für fo mannigfache Belehrung und verheißt feine Sätze, bejonders auch maß er über bie Prä- beftination gejagt, nochmals zu prüfen ohne wejentliche Abänderungen ver« beißen zu Können, wobei e8 dann auch geblieben ift. Bezeichnend ift ver Charakter, den der Bifchof dem Könige Jakob I. ertheilt: „Er, der eitelfte and lenkſamſte aller königlichen Pedanten, jo lange er fi in den Händen von James Montagu, des Biſchofs von Bath und Wells befand, ein bigoter Calviniſt. Als Montagu ftarb, fiel Jakob in gute Hände und wurde ein fo feuriger Remonſtrant, als er zuvor das Gegentheil geweſen.“ Auch erlennt der Biſchof von Exeter keine ſchottiſch⸗presbyterianiſche Kirche

456 Ueberſicht ber hiſtoriſchen Literatur.

an. ©. 52 heißt es: „Alle, die zu Anfang des 17. Zahrhunderts in Schottland dem Episcopalismus anhingen, waren damals bie Kirche von Schottland, wie die, welche e8 in jenem Lande noch thım, jetzt die Kirche bilden“. RP.

Smucker, Samuel M., A history of the fourGeorges, kings of England; containing personal incidents of their lives, public events of their reigns, and biographical notices of their chief ministers, courtiers, and favourites. New-York, 1860. 454 8. 8.

William Pitt, Atterbury by Lord Macaulay. Leipzig. B. Tanchnitz. 1860. 8.

Dieje beiden für die Biographia Britannica gefchriebenen Eſſays müſſen vor anderen, und bejonvers denen, die nad dem Tode des bes rühmten Berfafjerd aus früheren Zeiten wieder hervorgezogen, bie er jelber einſt nicht für werth gehalten, in vie befannte Sammlung aufge nommen zu werben, als bejonders bemerkenswerth erjcheinen, da fie bie letsten Erzeugniffe diefer von ihm zu fo unvergleichliher Blüthe entwidd- ten Stilart fein follten. Ihre Publication fiel mit dem unerwarteten Tode des Verfaſſers zufammen. Beide Aufſätze offenbaren eine Reife bes Urtheil und eine Vollendung der Diction, vie als Borboten des jo bald eintretenden Endes gelten können. Der Umftand, daß fie für eime große biographifche Enchklopävie beftimmt waren, mag zwar eine gewiffe Berichievenheit von den urfprünglic in der Edinburgh Review erfchiene nen Essays rechtfertigen; man darf fie aber dennoch wie mehrere von jenen als Studien zu dem großen Geſchichtswerke betrachten, das nach feinem Grundplane bis „in die Zeiten unmittelbarer Erinnerung«, berabgeführt werben ſollte. Sie lejen ſich eben fo bezaubernd, wie einige verwandte Partien ver Geſchichte und gehören ftiliftifch jedenfalls zu dem köſtlichſten Nachlaffe ver herrlichen Muſe Macaulay's.

Man wird die biographifhe Skizze des Williom Pitt, zumal in Bergleich mit den beiden älteren Aufjägen über das Leben des Vaters, aber auch jachlih mit Spannung leſen, va fie „dein größten Meifter ver Geſammtkunſt parlamentarifcher Regierung, ven e8 je gegeben, gleichſam ein Denkmal errichtet. Die Bemerkungen über die Nebefunft, über die innige Berbindung zwifhen Stil und Charafter, an dem Gegenſatze zwifchen Pitt und Bor entwidelt, beruhen auf dem Urtheile des vollgältigften Kri⸗

England. 457

tiere. Hiſtoriker und Politiker wird die Kunſt anziehen, mit welcher bie beiven fharf durch das Yahr 1792 gejchievenen Abſchnitte in Pitt's Le- ben auseinander gehalten find, ver jugenvliche, von beijpiellofem Glücke getragene, dem Frieden und der Ordnung dienende Staatsinann von dem wit den Mächten ver Revolution ringenvden, den neuen Anforderungen ziht gewachjenen, im Kriege ſchonungslos alle nationalen Kräfte über bie Gebühr anjpannenden Minifter. ALS folcher hat er aus Schwäche und Gewaltthãtigkeit oft gefehlt, aber trogdem den Wiverftand Englands ge= gm Napoleon eingeleitet, die Union mit Irland geſchaffen, die Emanci- pation der Katholifen und die Parlamtentsreform angebahnt,

Der kurze Abriß über Francis Atterbury hält fih im Maaße des gegebenen Stoff, ift aber nicht minder ein Kleines Meifterwerk, in wel« dm der ehemalige Zögling von Cambridge, der Whig und Geſchicht⸗ ſchreiber Wilhelms mit jeinem bekannten Behagen ven aus Oxford her⸗ vorgegangenen Tory und jakobitijchen Biſchof charakteriſirt. Unvergleich⸗ lich if die Schilderung des damaligen literariſchen und eccleſiaſtiſchen Treibens an der Univerſität, der Theilnahme Atterbury's an der von Bentley jo glänzend enthüllten mit den Phalaris Briefen getriebenen My⸗ Rification, ver zänkiſchen gewaltſamen Thätigkeit des Mannes in Kirche md Staat, feines verrätheriichen Zuſammenhangs mit dem Pretender, sachdem er in jungen Yahren für König Wilhelm gejchrieben und als Biihof bei der Krönung Georg's I. ajjiftirt, feiner Verbannung und feines wehmüthigen Endes im Eril. R. P.

William Pitt’s Ministere och Englands yttre förhallanden un- der denna tid. Akademisk afhandling af Fredrik G. Rung Stockholm, 1860. 24. 8.

Eine PBromotionsichrift, die nach einer kurzen Einleitung fchlicht und wehlmeinend vie Gejchichte des berühmten Miniſteriums des Älteren Pitt von 1757 bis 1761 erzählt und die großen Siege ſchildert, weldye Eng⸗ land, in Europa im Bunde mit Friedrich dem Großen, in drei Melt- theilen errungen hat. Die Darftellung ftügt fi) vollig auf Macaulay's belannten kritiſchen Aufjag über Lord Chatham und Pord Mahon's Ger ſchichtswerk R. P.

Memorials, personal and historical, of Admiral Lord Gam- bier, with original letters from William Pitt, first Lord Catham, Lord

458. Ueberſicht ber hiſtoriſchen Literatur.

Nelson, Lord Castlereagh, Lord Mulgrave, Henry Fox, first Lord Holland, Hon. George Canning. Edited from family papers by Georgiana Lady Chatterton. 2 vols. London, Hurst et B., 1860. 780 8. 8.

Lord John Russell, Memorials and Correspondenoe of Charles James Fox. Vol. 8,4. London. Bentley. 8.

Die leiten beiven Jahre find in England befonverd ergiebig ger weien in Beröffentlihung von Lebensbefchreibungen, Memoiren und Brie⸗ fen großer und geringerer Zeitgenoffen ver Revolutiond- und Reformpe⸗ riode. Immer mehr ſchwindet die Zeit hin, wo noch auf Angehörige, Parteigänger oder Gegner Rüdfiht zu nehmen wäre, und viele Docks mente kommen an den Tag, durch welche mande empfindliche Lüde im Feſtſtellung der Ereigniffe ausgefüllt, manche Frage in Betreff eines Cha⸗ rafters beantwortet wird. Den eigentlihen Reihen fo vieler neneren Bublicationen hatte ſchon vor einiger Zeit Graf Ruſſell nicht uneben mit den Memoiren von or eröffnet, und ein Leben dazu gejchrieben, das feiner Zeit auch in der Zeitichrift Berüdfichtigung gefunden (1, ©. 571 IV, 482). Seitvem find noch zwei weitere Bände Memoiren erjchienen, welche das Wert abfchließen.

Das bebauernde Urtheil des Londoner Athenäums, daß in den Büchern zwar viel von den allgemeinen europätfchen Verhältniſſen, aber wenig von For felber zu leſen ftehe, erweift ſich nunmehr keineswegs al# ftihhaltig. Zwar ift er feines Parteiftanppunftes wegen auf lange Jahre vom jever officiellen Thätigkeit ausgefchloffen geblieben, er erjcheint aber wicht deftoweniger als Staatsmann in der Oppofition, wie viele jeiner Briefe bezeugen. Sein intimes und, was bie perjönlihe Moral betrifft, nicht eben rühmliches Verhältniß zum Prinzen von Wales erhält aus vielen Bänden manch dankenswerthen Aufihluß. Auf Gegner und Parteige⸗ genoffen fallen oft Streiflichter, die dem eingehenden Studium ver Ges ichichte jener bewegten Zeit zu Statten fommen. Einmal bei Berhand- lungen im Haufe der Gemeinen, wo im Jahre 1792 von Seiten echter Baterlandsfreunde eine Koalition mit Bitt betrieben wurde, äußert ſelbſt For: die Sache war fo verdammt richtig (so damned right a thing), daß fie gefchehen müßte, IN, 17. Bon freunden, wie dem jungen GErch dem fpäteren Reformminifter, heißt e8 chen um 1795: wäre das Pad in ver Lage ſich retten zu laflen, er wäre ber Mann. Bon Ganning will er fchon 1794 lieber ſchweigen, da er ehrlicher Weije nicht jagen

Englanb. 450

lönnte, was ein freund hören möchte. Ueber- feine eigene kurze, vom Tode unterbrochene Thätigkeit als Minifter des Aeußeren finden ſich felbft- verftändlich nnr wenig Belege. Dagegen wird mander Blick eröffnet in das innere geiflige Leben des überaus warm fühlenden, fich eifrigft fort bilvenden, vorwärts firebenden Mannes. Im fpäteren Tagen bat fid fein Wefen doch bedeutend abgeflärt und beginnen die Makel, bie ben jugenblichen, ſchwungvollen Charakter verunziert, zu erbleihen. Seine Partei, deren mächtiged Haupt er ift, gebt ihm freilich ftets über Alles. Wohl auf einen Augenblid, mitten im beißen parlamentarifhen Kampfe fann er irre werben, ob nicht Berföhnmg für beide Seiten und das Baterland vor allen das Beſte fe. Aber fofort erflärt ee wiever : Par- teiregierung ift das befte, wenn nicht das einzige Syſtem, um in bie ſem Lande bie Sache der Freiheit hoch zu halten. Mit fittlicher Ent⸗ rüftung erflärt er fich gegen einen Ausſpruch Hume's, ver im alle der Alleinherrichaft des Haufes der Gemeinen die abjolute Monarchie pro- phezeit hat, die überhaupt der leichtefte Tod, die wahre Euthanaſia ver engliihen Verfaſſung fein würde 111, 88. or bat bekanntlich feine Grundſätze theoretiih im feiner Gefchichte der Revolution von 1688 zu verarbeiten gefucht, e8 ift daher fehr interefiant, dieſer Arbeit bie und ba folgen zu können. Aeußerſt fireng urtheilt er natürlich über Hume's Geſchichte der Stuarts, indem er fie das ververblicäfte Buch nennt, das je geichrieben fei. „Es ift mit unendlich mehr Kunft abgefaßt, als ir- gend ein anderes feiner Werke, und dadurch, wie ich meine, ein Meifter- ſtück.“ GCharakteriftiich für For im Gegenfaß wider feinen großen Geg⸗ ner ift feine Geringſchätzung aller Nationaldlonomie; dennoch entichließt ex fi) in feiner Arbeit von der Errichtung der englifhen Bank zu hans deln, doch without going into your cursed science, 111, 416. In wei⸗ teren Kreilen wird man die eigenen Mittbeilungen über feine literariſchen Stubien mit Vergnügen lefen. In den Spradichägen ver romaniſchen Bolker iſt er von jungen Jahren wie ein Meifter zu Haufe, und nicht minder zugänglich der Größe feiner Landsleute, Chancer's und Shakſpe⸗ re's. Die meiften Mußeſtunden aber find den riechen gewidmet; mit Bhilologen von Fach correfpondirt er über Emenbationen in ven Tragie tern, feine Bemerkungen zur Odyfſſee können ſich Fachleute gerne ge- fallen laffen.

Bon der Arbeit Graf Rufſel's, die fi) mehr auf die legten Bände

Oinoriſche Zeitſchrift VI. Bam, 31

A5O Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur.

bezieht, Täßt ſich eben nicht viel rühmen,; die Ausgabe trägt die Spuren flüchtiger und haſtiger Compilation. Bon Bedeutung ift mm, wie be Barteichef fih am den Vorgänger anzulehnen und die Principien bei ben als zum Siege durchgedrungen barzuftellen ſucht. Der vierte Bat ſchließt daher mit einer Art Whig Katechismus, nad dem fie beide ge handelt: 1) Der König muß fich ſtets vom parlamentarifchen Rathe im Ien lafien und nicht ohne alle Rüdjiht auf Parteiftellung regieren web In. 2) For war für völlige Ölaubensfreiheit, obwohl durch ihn wer Katholiten noch Diffidenten zum Wahlrechte gelangt find. 3) Pitt ſpraqh nur gegen den Sclavenhanvel, For verfeßte ihn ven Todesſtoß. 4) And die Reformbill wäre zunächft die Folge von Fox's Bemuhungen geweien 5) Selbft in ver finanziellen Reform fei er nicht ohne Verdienſt ge weien, da er ſchon das corrupte Syſtem des Lord North habe belin⸗ pfen helfen. 6) Darf natürlich die gerühmte Friebenspolitit des großen Fuührers nicht Übergangen werben. RE.

Life of the. Right Honourable William Pitt by Barl Stanhope, London. Murray 1861. XII. 403. XXIIL VII. 46 XXXII. 8°.

Seitdem Pitt's Erzieher Tomline, den er zum Bifchof von Lincoln gemacht, ihın nach jeinem Tode dadurch gedankt, daß er, wie Macanlay jagt, die jchlechtefte Biographie von ſolchem Umfange gefchrieben, blieb die Aufgabe lange ungelöft, bis nunmehr Graf Stanhope (Lord Mahen) durch feine Engliſche Gejchichte im achtzehnten Jahrhundert rühmlichſt be kannt, Hand anlegt. Berwandtihaft mit dem großen Staatsmanne kat es ihm möglich gemacht, viele unter verjchiedenen Familienmitgliedern umd Nahlommen von Parteigenoffen zerftreute Papiere zu fammeln, wobd ih dann freilich ergibt, Daß derſelbe Biſchof, der fih an feinem Schüler jo verfündigt, auch dafür Sorge getragen bie meiften von Angehörigen und Freunden an Pitt gerichteten Briefe zu vernichten. Ganze Conveluk von Briefen an jeine Mutter und feinen Bruder Lord Chatham fo wit verſchiedene Correſpondenzen in anderen ariftofratiihen Ardiven find glücklicherweiſe ſolchem Vandalismus entgangen. Mit diefen Hülfsmitich num bat der Herausgeber die beiden erften Bände eines Lebens er feinen lafien können, das in der That mehr vom Manne, feiner Eat twidlung, feinem Charakter und feinen Thaten handelt als von den Zeit

I: m. 00 LAG EEE

England. 461

ereigniffen, worüber in Bezug auf Lord Ruſſell's Leben von For geflagt worden if. Auch veriteht Graf Stanhope ficherlich beſſer am Faden der Biographie ein lesbares Buch zu jchreiben. Aber nichtödeftoweniger will uns bedünken, als ob vie vielen Briefe und Altenftüde, die voll ftändig oder, im Auszuge in den Tert eingereiht werden, und die mit ben fih daran knüpfenden Urtbeilen nur zu häufig die Erzählung unterbrechen, ‘den Biographen zu allzu rajcher Abfafjung und Teineswegs gleichmäßiger Etilifirung verlodt haben. Allein das große Verlangen des englijchen Bublitums gerade nach Büchern diejer Art mit zahlreich eingeftreuten ‘Do- anmenten kann unmöglich Mufterwerte der Gattung fördern. Deſto mehr muß der Geichichtsforicher dankbar fein, dem in ver That ver Fleiß und die bewährte Gewiflenhaftigkeit Lord Stanhope's im Cinzelnen viel Nenes bieten.

Es ift dieß nicht der Ort um an feiner Hand ven wunderbaren Bildungsgang des vor allen und faft in allen Stüden frühreifen Staate- mannes zu überbliden; aber (Eines vürfte wohl hervorgehoben werben. Geſchloſſen und fertig wie in feinen Neben offenbart ſich auch der junge Pitt ſehr bald in feinen brieflihen Mitteilungen, doch bat er die Weife_ derjelben nicht wie feine Neben dem großen Bater ablaufchen können, dem die Gedanken und das geflügelte Wort viel zu raſch vorausflärmten um fi fefleln zu laſſen. Seine Briefe, fo wohl gejett fie find, haben bie Pedanterie feiner Studien nicht völlig abgeftreift und nehmen, wenn fie, wie meiftens, an bie auf ihn fo ſtolze Mutter gerichtet find, nur zu bald etwas von dem Tone des Bureaus, der Treajury an. - Wie oft, wie immer wieder in neuen Phrafen entſchuldigt er fein Ausbleiben over Schweigen; wie geheimnigvoll deutet er dabei auf bie großen Staats» actionen hin, die ihn ganz und gar gefangen balten..

Das Buch bietet noch manche Fingerzeige, wie Pitt in der Schule feines Vaters und durch eigene Entwidlung jo recht zum leitenden Staats⸗ mann geviehen war, ver kühn und entichloffen mit freifirmigen Reformen das Staatsfhiff in neue Bahnen überführt. Was er einft während des einzigen Ausflugs, ven er nach Frankreich unternommen, auf die verfäng- lie Frage, worin zuerft die Engliihe Verfaſſung Verfall zeigen werde, geäußert hat: in der Prärogative des Königs und dem Haus ber Lords, das kann er auch fpäter im Leben nicht geleugnet haben, das flimmt fo gar fhlecht zu dem Torythum ver Liverpool und Caſtlereagh, zu deſſen

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462 Ueberfigt ber hiſtoriſchen Literatur.

Borlänpfer man ihn bat machen wollen. Der Verfaſſer ift befanutüg viel zu gemäßigt in feiner politifchen Ueberzeugung, als daß er, wo « ſich um Pitt handelt, ſich allen Ertravaganzen der Partei überlaffen folk. Sr meint vielmehr in Pitt’8 Verftänpnig von der Lage ber Dinge in Srantreih vor dem großen Ausbruch bemerkenswerthe Uebereinftimemumg mit der Darftellung zu entdeden, wie fie Alexis de Zocqueville entworfen, Mit befonderer Hingebung behandelt er vie inlänpifchen Dinge und erfeumt in Pitt den erfien Miniſter, der zum Beſten der unglüdlihen Rachbariukl nad) den verſchiedenſten Seiten hin die größten Pläne in's Wert zum fehen trachtet. Er hat für Pitt, ald diefer aus dem großen Wahlkampfe gegen die Coalition von North und For zu Ende 1783 faft allein im feiner Größe fiegreich hervorgeht, als ehrenvollften Vergleih nur den Sir Re bert Peel’8 bei ähnlichen Hergängen in ben Yahren 1834 und 1888. Allein gerade die Inauguration der langen, für die nächften zehn Jahre wenigftens beijpiello8 glanzvollen Regierung Pitt's ift doch nicht jo malel⸗ [08, wie Lord Stanhope zu denken ſcheint. Der Sturz feiner Vorgänger durch den König perfönlich mit Hülfe einer Intrige im Oberhaufe kommt doch einem Berfaffungsbruhe ganz nah; hat auch der junge deſignirke Premierminifter nicht felber Hand angelegt, jo hat ex doch die Handlunge⸗ weife des Königs bei ven ©emeinen, und man weiß, welcher Oppofition gegenüber, verfechten müſſen. Ueberhaupt tft der Berfafler wie fo mander Biograph wohl etwas zu blind gegen feinen Heroen, bei dem nun einmal auch jeve Schwäche befeitigt werben fol. Ober war biefer wirklich gan frei von Rachſucht gegen For bei Gelegenheit des Wahlhandels zu Weſt⸗ minftr? War es eines Pitt’8 würdig, einem bigotten, wiederholt geifig geftörten Fürſten wie Georg II. gegenüber das, was ihm aus innerfler Ueberzeugung kam, die Emancipation der Katholiten, noch einmal fahren zu laflen?

In den beiden vorliegenden Bänden folgen wir der Erzählung bi zum Jahre 1796, al8 die Zeit, wo Pitt als Reformer und Finanzmam jo Unvergeßliches geleiftet, in der er ven Grund gelegt zu den weſentlichſten Reformen unjerer Tag, bereits abgelaufen. Mit dem Anfange des frau⸗ zöſiſchen Kriegs beginnt die zweite Periode, die Macaulay nicht mit Ur recht in grellen Contraft zu ber glänzenven Friedensadminiftration geſtelli bat. Wie fein Vater verwegen und unter unabſehbaren Gefahren einen glüdlien Krieg zu führen, dazu war die ganze für das ſtaatemänniſche

England, 463

und nationaldfonomifhe Geſchäft angelegte Natur des Sohns nicht ge geihaffen. Am wenigften vermochte er furchtlos dem republifanischen Frankreich entgegenzutreten, in dem er wie die höheren Kreife feiner Lands⸗ leute eine Ausgeburt der Hölle erblidte. Hier alfo reichte feine Größe wiht aus; und fo viel Mühe der Biograph ſich gibt fie gegen die Aus- fälle Macaulay's zu vertheidigen, Pitt's Maßregeln in ven erften Jahren des Kampfes hatten jedenfalls das Unglüd fehr wenig genügenden Händen zur Ansführung übertragen zu werben.

Auf die zahlreichen meift in den Beilagen mitgetheilten Briefe Ge⸗ org's 111. verdient noch beſonders aufmerkſam gemacht zu werben, nicht nur weil fie manche Züge aus dem perfönlichen Berhältniffe zwiſchen dem Fürften und feinem Miniſter bieten, ſondern erfteren in feiner ganzen Heinlich genauen, eiferfüchtig nad Macht haſchenden, ja, ſogar mitunter eben aus phyſiſchem Blödſinn aufwachenden Regententhätigkeit offenbaren. Mehrere ſind ſelbſt für die Verfaſſungsgeſchichte nicht ohne Bedeutung. R. P.

The Journal and Correspondenee of William, Lord Auck- land, with a preface and introduction by the Right Hon. and Right Rer. the Bishop of Bath and Wells, London. Bentley 1861. 2 Vols. XX, 588, vii, 520. 8°.

William Even, der dritte Sohn eines Baronets, deflen Fünfter eben- falls einen Namen als Diplomat erworben, wurde im Jahre 1772 Unter» ftaatsfecretäör und gieng 1778 als TFriebenscommiffär nach Amerika. 1780 finden wir ihn als Regierungsfecretär in Irland, wo er zwei Jahre fhätig blieb bis zum Sturz der Aominiftration des Lord North. Auch an dem dann folgenden Coalitionsminifterium zwifchen North und Tor betheiligte er ſich und gehörte, als dasjelbe gefallen, längere Zeit zu ven beftigften Gegnern William Pitt's, bis diefer Ende 1785 den ehrgeizigen Mann gejchidt zu fich herüberzuziehn wußte, indem er ihn zum aufer- ordentlichen Gefandten am Hofe von Berfailles ernannte um ben Hanbels- Bertrag zwiſchen Frankreich und Großbritannien abzufchließen, ver Damals nicht geringeres Auffehen machte als der vom Jahre 1860. Even be» währte fich nicht nur in biefer velicaten Aufgabe, fondern trug auch we⸗ fentlich zue Erhaltung des Friedens bei, als verjelbe im Jahre 1787 durch die holländiſche Trage bedroht erſchien. Er wurde dafür mit bem Geſandtſchaftspoſten in Madrid und einer irifhen Batrie belohnt. Aber ſchon 1789 geht er als Gefandter nach dem Hang, wo er während ber

464 Ueberficht der Hiftorifchen Literatur.

vier erften Jahre der franzöfifchen Revolution bis zum Congreß von Antwerpen thätig geweſen. Dann tritt er als Lord Audland in's Ober hans und häft feſt zu Pitt, der ihn 1798 zum Generalpoftmeifter mad, Er verbleibt in dieſer Stelle unter dem Miniſterium Addington, trit aber natürlich zurüd, als Pitt wieder die Leitung übernimmt. 1806 überträgt ihm Lord Grenville das Präſidium des Handeldamts, das er jedoch fchon im folgenden Jahre nieverlegt um bis zu feinem Tode in Jahre 1814 zu privatifiren. Sein Abfall von Pitt, deſſen Größe ihn vielfach im Wege geftanven zu haben fcheint, ift ihm auch von deſſen Aw bängern nicht verziehen worden, wie denn namentlih Lord Malmesburh und George Roſe in ihren Memoiren ſich heftig über ihn auslafjen. S— fteht feſt, daß Audland und fein Better, der Lord Kanzler Loughborough, der wie er aus North’8 Schule kam, es geweien find, die dem Könige Georg II. frühzeitig Pitt's Abficht beigebracht haben, zugleich mit ber trifhen Union die Smancipation der Katholiken durchzuführen. men fällt e8 nächft der bornirten Hartnädigleit des Würften zur Laft, wenn biefe fo dringend nothwendige Maßregel noch auf faft dreißig Jahre binausgefchoben worben ift.

Der Biſchof von Bath und Wells, ver Sohn Auckland's und Erbe feines Titels, jucht nunmehr durch Beröffentlihung eines Theils ſeines Ichriftlihen Nachlafies, das firenge Urtheil der Partet Über deu Vater zu berichtigen, der demnach in der That nicht nur liebenewürbig als Maui, jondern auch in einer Reihe bedeutender Yeiftungen tüchtig als Staat mann erfcheint. Man wird ihn gewiß nicht als ven geringften der vielen geihäftsfunnigen Gehülfen betrachten dürfen, vie den großen Miniſter umftanden; Genie freilich bejaß er nicht, und fein Ehrgeiz erſetzte dieſen Mangel am wenigften.

Die beiden vorliegenden Bände enthalten eine Fülle von Correſpor⸗ benzen mit ben nambafteften Stantsmännern ver Zeit und den Spitzen ber damaligen engliichen Gejellichaft. Im erften Bande find von wejentlicher Bedeutung die mit Lord Loughborough gemwechielten Briefe fo wie bie Papiere aus Eden's Parijer Miffion, vor allen vie Correipondenz mit Pitt. Der zweite Band bietet zuerft ein Tagebuch über den Aufenthalt in Spanien, in Briefen an vie Mutter, Lady Even, gerichtet. Es befaft fih faft gar nicht mit Politit, ift aber doch von Intereije wegen ber ein gehenden Schilderungen über die focialen Berhältniffe am Hofe Carls Il.

Eugland. 465

und Carls IV., denn gerade den Regierungswechſel hat Even in Madrid erlebt. Die folgende Partie umfaßt die Briefe der Freunde und Bartei- genofjen während der Abwejenheit in Spanien und enthält Manches über bie Krankheit Georg's II. und Pitt's Abwehr ver Regentſchaft des Prinzen von Wales. Dann folgt bis zum Schluß des Bandes die Miffion nach Holland, aus der weniger officielle Aftenjtüde als Correſpondenzen von verſchiedenen Seiten über die großen Ereigniſſe ver Zeit mitgetheilt wer- ben. Mehrere Briefe aus Paris vom Sommer 1789 aus Neder’s Kreife ericheinen wegen ihrer Details beſonders leſenswerth. Auch über ven Feldzug der erften Coalition findet ſich Einiges; auf ein Schreiben über ben Hof und bie Staatöleute von Berlin vom November 1791 dürfte beſonders aufmerkfjam gemacht werden, Vol. II, 393. Mit dem Enve 1793 jchließt die gegenwärtige Sanımlung, ber dem Anſcheine nad) eine Fortſetzung folgen wird. R. P.

The Diary and Correspondence of Charles Abbot, Lord Colchester, Speaker of the House of Commons 1802—1817, edited by his son, Cbarles Lord Colchester, 3 Vols. London. Murray 1861. 8°, XXVIII. 559. XI. 620. XII. 643.

Charles Abbot widmet fih, nachdem er feine Bildung in Orforb erhalten, ver Advocatur, bis er 1795 in das Parlament tritt, Obwohl aus ben Kreijen der Whigpartet nominirt, geht er doch bald zu Pitt über und bleibt fernerhin ein Tory vom reinften Waſſer. Da diefe Partei fich faft ununterbrochen am Ruder bielt, konnte auch er leicht dem Grundſatze treu bleiben, mit dem ex feine parlamentarifche Laufbahn begonnen, nämlich upon all general occasions to vote in support of the minister of the day, be he Pitt or Fox, for to me they are as indifferent as Pompey or Caesar. Nachdem er im Jahre 1801 kurze ‚Zeit NRegierungsjecretär von Irland geweien, wird er 1802 unter dem Mintfterium Addington Sprecher der Gemeinen, als welcher er bis 1817 ehrenvoll thätig ift und eine auch im Unterhaufe merkwürdig bewegte Zeit durdlebt hat. Eine Krank⸗ heit nötbigt ihn alddann das Amt nieberzulegen, für welches damals bie Berfaffung noch keinen Stellvertreter kaunte. Seine Berbienfte indeß wurden mit einer Pairie belohnt, die ihm bis an fein Lebensende die Gelegenheit bot ſich eifrig an der Politil des Vaterlands zu beteiligen. Nur vie Jahre 1819 bis 1822 verbrachte er im Auslande, bauptfächlich in Italien. |

466 neberſicht ber Hiftorifchen Literatur.

Ein Leben in fo hervorragender Stellimg und ben großartigen Zeitlänften hat Lord Eolchefter num von vorn herein benugt um nicht wer jede Correſpondenz von Bedeutung forgfältig zu bewahren, ſondern anf mit großer Gewifienhaftigkeit und Präcifion ein Tagebuch zus führen, das vom Sabre 1795 bis zum Todestage 8. Mai 1829 reiht und, foweit ed mittheilbar ift, jest in brei ſtarken Bänden vorliegt. Wir lernen barams ven Dann felber und durch feine Gläſer wenigftens fehr genau Lu und Leute feiner Zeit fennen. Mit gutem praftiichen, legalen Berſtane ansgerüftet, hat er raſtlos Hand angelegt an die Förderung zahlreiden öffentlicher Mafregeln, bei deren formaler Behandlung gerade zuverläffige Geſchäftskunde und tabellofe Pflichttreue in erfter Linie ftehen. Der Eier geiz hat ihn nie verlodt feine Kräfte zu überſchätzen; als ihn Speer Perceval einmal zum Minifter des Innern beitimmt bat, zieht er ve aufreibenten Borfig im Unterhaufe vor, für den er ſich recht eigentlh geihaffen fühlt. Es verdient wohl hervorgehoben zu werben, daß ex iM Yahre 1801 gegen ven Widerſtand ver Biſchöfe vie erfte Boltszähtung eingeführt bat, daß er ald Sprecher die laufende Veröffentlichung ber Statute des Reichs, die urkundliche Neuausgabe der alten Statute uw die Ausgabe jährliher Finanzberichte einführt. Für vie Geſchichts⸗ ud Rechtsforſchung bat er fich durch Einjegung der Record Commiſſion, duch bie erfte Reorganifation der Archive und des britifhen Muſeums dauerunde Berbienfte erworben. Seinem gerade in den Sphären minutidjer Beſſer⸗ ung ſchwelgenden Ordnungsſinn hat der Geſchäftsgang nah allen Seiten bin viel zu verdanken. Ein Mann der Etiquette freilich legt er fofert die Sporen ab, die er ald Neuling unter den Gemeinen an den Stiefels behalten, nachdem er erfahren, daß dieſer Schmud von Alters ber zur den Grafichaftsmitglievern (den Knights und nicht den Burgeſſes) als Privileg zuftehe. Aber er bemerkt doch auch bald nad feinem Eintritt, wie der Stil der Reden und Debatten buch Pitt und For geradezu um erträglich weitjchweifig geworden, und vermißt namentlich die Abweſenheit jeder Controlle deſſen, was geſprochen. Statt ver gefeglich nicht gedulde⸗ ten und nur unregelmäßig nachgejehenen Aufzeichnung durch Berichterflatter beihäftigt ihn frühzeitig die Organifation einer möglichſt vollftändigen, autorifirten Wiedergabe der Verhandlungen.

Ueberhaupt find dieſe Tagebücher fehr Iehrreih um ben ganzen Zu Ihnitt des Parlaments zu erkennen, wie er vor der Reform Bill doch ein

England. 467

fe durchaus verfchiebener von bem gegenwärtigen war. Bon dem Mini⸗ Rerium Shelbinme bis zum Regierungsantritt Wilhelms IV. ift feine ein- zige der zahlreichen Apminiftrationen durch bie Gemeinen geftärzt worden; das gieng von einem der beiden anderen Kreife der Verfaflung, der Krone oder dem Oberhanſe aus. Die legislative Thätigkeit des Unterhaufes war nichts weniger als populär, denn oft genug gerieth es mit einfluß« reihen Wahlkreifen, zumal dem von Weitminfter, in Conflict. Eine ſcharfe Sprache bei den Verhandlungen, Herausforverimgen, Berhaftungen und andere gewaltfame Auftritte gehören keineswegs zu den Seltenheiten. Iept gilt meiftene das Gegentheil; und wenn bie Gemeinen in ihrer pehitiichen Bedeutung weit über die Lords emporgeftiegen find, jo haben fie fih am ihrem Theile weit mehr unter ver Wucht ver öffentlichen Mein- ung beugen müſſen. Auch der Sprecher, der uns heute als ver vollendete Uestrud inpaffiver Unparteilichkeit erſcheint, ſtellt ſich damals noch ge- kegentlich entſchieden auf eine Seite. Zwar handelte Abbot nach befter Ueberzeugung, als er in ber Sade Lord Melville'8 wegen Mißbrauch öffentlicher Gelder als Schagmeifter der Flotte bei Stimmengleichheit fine Stimme für die Anklage abgab; aber er hätte gegen ven heutigen Branch ſchwer gefehlt, al8 er im Jahre 1813 von feinem Site aus bie tritte Lefung einer Bill zu Ounften der Emancipation ver Katholiken zieberfänpfte.

In viefer Frage eben war er bald über Pitt's Torythum binausges (hoffen und neben feinen übrigen Eigenfchaften fo recht ein Staatsmann wach dem Herzen Georg's IM. geworven. Nach ver Stellung zu diefer Trage mißt er alle folgenden Diinifterien und behandelt er namentlich auch die irifchen Angelegenheiten, die ihm im llebrigen feineswegs fern liegen. Im Jahre 1822 oppenirt er erfolgreich der verjuchten Einführung katho- Giger Pairs in's Oberhaus, und noch jeine letzte Rede kurz vor feinem Tode, kurz vor dem Siege der fo lange zurüdgebrängten Maßregel ift gegen dieſelbe gerichtet gewejen. Seiner unerfchütterlichen Treue für Kirche ud Staat fuchte er ſogar mit täglichen Excerpten uud Aunlegung einer Concordanz aus der Bibel zu Hülfe zu fonımen, ein Gefchäft, das mit verfelben regelmäßigen Bedanterie betrieben wurde wie die Aufzeichnungen in dent Tagebuche.

Allein bei aller Engberzigkeit und Geiftlojigfeit hat ver Dann wie kine literariſche Hinterlaffenfhaft jedenfalls fehr refpectable Seiten. Les

188 ueberſicht der hiſtoriſchen Literatur.

tere bietet neben völlig unnügen Detail® über alle möglichen Zeit genofjen, mit denen ver Sprecher und ber Ford in Berührung kam, Do: eumente, Urtheile, Heine und große Züge, die für gefchichtliche Zweck umgemein jhägbar find. Auf Canning namentlih, jeine Zanfjucht und feinen maßloſen Chrgeiz ſcheint der Verfaſſer ſchon früh ein Icharfes Ange gerichtet zu haben. Auch die italienifhe Reiſe enthält Manches, über ven Einmarſch der Deiterreiher, über die Gejellihaft in Rom, in welder auch der Freiherr vom Stein und Niebuhr begegnen, legterer bejonders anziehen für Colchefter, weil er ihm klar maden kann, wie ver König von Preußen es anfängt jich mit jeinen katholiſchen Unterthanen und deren Kirchenregiment auseinander zu jegen. Dem waderen Diener bes Staats endlich wollen wir e8 ſchon gönnen, daß man jeine Leiche zu Weftminfter in demſelben Gewölbe mit Pitt und For beigeſetzt bat. R. P.

Some acount of the Life and Opinions of Charles, Second Earl Grey, by Lieutenant-General Hon. C. Grey. London, Bentky. 1861. 8.

Der Sohn fchilvert hier ein Stüd des Lebens feines Baters, ve berühmten Urhebers der Neformbil. Sein Buch läßt freilich ven Leer mbefriebigt, da es nur bis zum Jahre 1815 reiht und die eigentliche ſtaatsmaͤnniſche Thätigkeit Grey's gar nicht berührt, ftatt deſſen aber ven Zeiten hantelt, welche durch Greuville's und Fox's Memoiren jüngft fo heil beleuchtet werben find. Nichts deſto weniger ift es vervienftlich, einen Charakter wie den Grey's im Proceß der Bildung und Reife vorzufähren. Seitdem er, kaum velljährig, im Jahre 1786 ind Haus der Gemeinen trat, war er durch feine Sittenftrenge von antiker Reinheit und durch bie Conſequenz jeiner Handlungsweiſe faft jofert zum Führer feiner Partei beftimmt, Mit voller Ueberzengung ſchließt er ſich For an, tem er fih geiſtesverwandt fühlt, denn beide haben die Anziehungspunkte von Stan desintereſſen und feiner Bildung. Beide ale Whigs fühlen fih zu Ber fämpfern ber Fortſchrittspartei berufen, beide hegen einen Abſcheu gegen das öffentliche Leben, in das fie fich geftürzt, ihr Geſchmack zieht fie zu pen Studien, an den heimifchen Herd. In ber Heftigkeit der Rede mb in revolutionärem Schwunge hat Grey ven älteren Freund bekanntlich weit überboten; als Bor fi) mehr zurüdzog, und gar nachdem er ge ftorben, war niemand fo gejchaffen wie er, unter ven trüben Ausſichten ber Partei drinnen und draußen das Haupt der getreuen Whigs zu wer

England. 469

ven. Neum Jahre lang theilte er diefe Stellung im Unterhauſe mit Pord Grenville, ver, an der Spike ver von Pitt abgefallenen Tories ftchend, mit vielen ebenfalld in die Oppofition gedrängt worden war. Gelten wehl haben zwei Politiker, die lange einander gegenüber geſtanden, jo ein= wichtig umd ehrenwerth Hand in Hand mit einauder gehandelt. Den⸗ uch Lam die alte Differenz wierer zu Zuge. Als Napoleon von Elba wieder erichien, wollte Korb Grey, der mit ungeftüner Hartnädigfeit jchon die jpaniichen Kriege und Wellington perjünlid, bekämpft hatte, ver alten Bhigdectrin gemäß von einer Wiederaufnahme des Kriegs nichts willen; Grenville trat ihm außer dieſer Frage auch in Bezug auf die Emancis ntien der Katholiken entgegen, in ber er ebenfalld bereit war, den To— red Sonceijionen zu machen. Das Parlament und vie üffentlihe Mei— mm ter Tage haben ihm Recht gegeben. Noch fait auf weitere fünf- Ya Jahre Hin blieb Grey ver Dann des Proteſtes, ver Mann des delles, wie einft in den Tagen ber franzöfiihen Revolution. Dann erft war feine Zeit gelommen, als er, 66 Jahre alt, nachdem er kaum jes wald in öffentlichen Aute geftanvden, jofert Premierminiſter wurde, um mit Anwentung feiner Parteigrundjäge ven Staat zu retten. Aus Yor’s Briefen ift jchon Allerlei über das ſchöne Familienleben Lerd Grey's befannt; man weiß, wie der Fremd ihn aufforverte, doch bei Eröffnung der Barlamentsfeffion ja nicht ohne die Frau zur Stadt a fommen, da er chne biejelbe feinen Augenblid zufrieden und politijch sicht viel werth jein werde. Der vorliegende Band erzählt noch viele ſchẽne Züge häuslicher Anhäuglichkeit, Die Grey vor allen andern engli ſchen Ariftofraten vortrefflich ſtehen. Es ijt aber jehr zu wünſchen, daß die Antentung des Verf. ſich Lewahrheite, ter gegenwärtige Graf Grey keabjichtige, vie zweite Partie des Yebens feines Vaters nad) deſſen Pas pieren zu behandeln, denn jo anziehend aud) Die gegenwärtige Scilverung des veinen, ſtrengen Charakters erjcheint, ter Geſchichte dient er erft, ſo⸗ kald er unbehindert feinen Beruf erfüllen kann. R. P.

Maley, A. J., Historical recollections of the reign of William IV. 2 vols London, Hope, 1860. 690 8. 8,

Memoirs of the Courts and Cabinets of William IV. and Vietoria, from original family documents, by the Duke of Buckingham and Chandos, K. G. In two volumns. London, Hurst and Blackett, 1861. VI, 401, VII, 429 S. 8,

410 Neberfiht ber Hiftorifchen Literatur.

Der in feinen finanziellen und politiichen Verhältniſſen völlig deran⸗ gierte Herzog ift kürzlich geftorben, nachdem er, wie früher, über die Zei- ten Georg’8 III. und Georg's IV., noch über die Jahre 1830 bis 1840 geichrieben hatte. Die Bände haben wie bie vorausgegangenen einen fehe geringen literarifchen Werth, indem der Verf, mas er aus feiner vornch« men Correſpondenz als geeiguet für die Oeffentlichkeit betrachtet, derch ein loſes Raifonnement in leichtfertiger Tory⸗Fafſung an einander reiht. As Lord Steward im Miniſterium des Herzogs von Wellington hatte er nicht mir gute Öelegenbeit vom Hofe Wilhelms IV. zu berichten, ſon⸗ dern feine Ueberzeugungen und Connerionen führten ihm mandes Bapier zu, das von der Stimmung und bem Urtheile ver hoch ariftokratifchen Kreife in den Tagen der Reformbewegung, die in Englaud Hof, Regie rung und parlamentarifches Regiment völlig umfchaffen follte, eigenthüm⸗ liche Kunde gibt. Dieſer Schriftftüde wegen ift das Buch immerhin von Deventung. Die befonnene vorfichtige Haltung Wellington’ gegenäber den Heißfpornen feiner Partei wird mit feinen eigenen Worten documentirt, Auch die Urtheile des alten Lord Grenville haben ein eigenthümliches Intereſſe; der Zeitgenoffe Pitt's kann ſich in die zur Thatſache gewor⸗ dene Reform nicht finden. Pilanter fchreiben ver Marquis von London- derry und der Herzog von Cumberland. Ein Brief des letteren vom 13. November 1837 nach der Befigergreifung und dem Staatöftreide im Hannover (II, 294) darf in einer Würdigung biefes Fürften nicht ſeh⸗ Im. Was fonft Über die verjchievenen Minifterwechiel und vie erflen Jahre ver Königin Victoria mitgetheilt wird, erjcheint überaus oberfläd« lich, da felbft in Hof und Cabinet die Blicke des mit feiner Zeit zerfal⸗ Ienen Ariftofraten nicht mehr zu dringen vermögen. Wo er nicht amd feiner Correſpondenz ſchöpft, muß er wie jeder gewöhnlide Menſch zum Annual Regifter, zu Hanſard und den Zeitungen feine Zuflucht nehmen. Da gibt e8 auch von Gegnern ver Reform eine Anzahl weit befierer Ab riife, welche das für die innere und äußere Bolitit Großbritanniens fe jehr merkwürdige Jahrzehnt jchilvern. R, P.

Peel, Sir Lawrence, A sketch of the life and career ol Bir Robert Peel. London, Longmann, 1860. 820 8. 8.

The Constitutional History of England since the aooession of George the third 1760—1860 by Thomas Erskine May, C. B. in tm volumes. Vol. I London, Longman, 1861. XVI, 612 8. 8.

England. 471

Ser May, dur fein Buch Law and Procedings of Parliament überall rũhmlichſt befannt, wo gegenwärtig ein verfaflungsmäßiges Staats⸗ ieben befteht, Hat fich ver ſehr dankenswerthen Aufgabe unterzogen, dem Meifterwerte Hallam's eine Fortjegimg bis auf die Gegenwart zu ver» Marten. Es dürfte fchwerlich jemand hiezu geeigneter fein. Und doch wie verfchieden erfcheinen auf den erften Blid Plan und Ausführung; faft lafſen fih Borgang und Nachfolge nicht mehr mit einander vergleichen. Ein Grund freilich, weshalb Hallam mit dem Tode Georg's II. ſchließt, weshalb Hier ein Abichnitt in ver Behandlung ver Berfaffungsgeichichte Englands gemacht werben follte, ift nicht nachzuweijen. Und bennody hat die nengewählte, entgegengefegte Form viel für fih. Wer lennt nicht Hallam's gebulpige, am chronologiichen Faden gewiſſenhaft aufbanenbe Irt, die in den Roten und Excurſen offen gelegte, überaus gründliche Belefenheit, das Trachten mit allen Mitteln ver Forſchung und des Ar⸗ muments in den großen Kontroverjen zu einem abjchließenven Urtheil zu langen. Wen bat die trodene, jchwerfällige Darftellung nicht ermüdet, das Suchen in der Maſſe des Stoffs nicht auch umwillig gemacht. “Der Fortießer zerreißt ohne Weiteres den chronologiſch⸗hiſtoriſchen Faden und trägt flatt deſſen jein Gewebe in ein ſyſtematiſch entworfenes Ne ein. Die einzelnen Beftanbtheile ver gemifchten Berfaflungsform bieten eine sotürliche Eintheilung, bei der nur Wieverholungen zu vermeiden find, bie aber jedenfalls einem praktiſchen Studium des Gegenftandes viel mehr zu Hälfe kommt, als die gemellen vorwärts fchreitende, nothwendig die ver⸗ ſchiedenartigſten Fäden durch einander fpinnende Gefchichtserzählung. ‘Der Berf. ift Yurift genug um kurz und ſcharf faſſen zu können; auch abge ſcehen von der Wahl jeiner Eintheilung, hat ihn natürliche Anlage oder Uebung zum gewandteren Stiliften gemacht, als fein Vorgänger geweſen. Bei oberflächlichen Lektüre des Buchs freilich könnte man zweifeln, ob er and den Schatz der Kenntniffe und die Fülle hiftoriichen Wiſſens befige, wie diefer. Allein wer fich einen Ueberblick verichafft hat über vie Lite ratur der verichievenen Epochen der Berfaffungsgeichichte, weiß auch, wie ſehr im Laufe der Zeit ber literarifche und urkundliche Stoff fich umge⸗ Raltet, wie ganz andere und welde Schriften und Aufzeichnungen ale Quellen der modernen noch flüjjigen Verfaffungsgeichichte betrachtet wer» ven mäffen. May ift viel fpärlicher mit Auszügen als Hallam, aber feine @itate ans der ganzen Maſſe der Biographien, Memoiren und Cor⸗

472 Ueberſicht der hiſtoriſchen Literatur.

refponbenzen der englifchen Staatsleute während des letzten Jahrhunderts, aus den Parlamentsgejchichten, Journalen, Debatten, aus ven einfchla- genden Blue-Books offenbaren einem even, ver einmal in biefe Quellen bineingeblidt hat, einen nicht minder foloffalen Unterbau. In einem, ımb zwar dem wichtigſten Punkte aber folgt der Verf. bereitwillig dem be währten Beijpiele, das ihm Hallam gegeben. Wie diefer glaubt er feft an den politiihen Fortſchritt der Menjchheit und feines Volks im Beſon⸗ beren. „Dätte ih Mißtrauen over Berzagtheit empfunden, dies Buch wäre nicht gejchrieben“. Wie Hallam gebt er aber eben deshalb ver Verſuchung aus dem Wege, von einem Barteiftandpunfte aus bie ſchwie⸗ rigen, viel umftrittenen ragen zu erledigen. Zählte Hallam feiner Zeit zu den gemäßigten Whigs, jo gehört May offenbar zu der Partei, für bie man heute in England feinen andern Namen hat, als ven ber eim fihtsoollen Liberalen.

Der erfte Band handelt in fieben Capiteln von den Prärogativen, dem Einfluße und Einkommen der Krone fowie von ver Berfaflung, ber Gewalt, ven Functionen und dem politiichen Verhältniffe des Ober- nub des Unterhbaufes. Bor allem erhält ver beharrliche Verſuch Georg's IH, fein Rönigthum wieder zu einer Macht von perjönlicher Geltung zu er heben aus ver reichen Memoirenliteratur vie hellite Beleuchtung. Aus—⸗ gehend von einem geheimen Cabinet, das, außerhalb der Parteien ftehend, des „Königs Freunde” umfchließt, das fchon bie Eröffnungsrede beim eriten Barlamente der Kenntnignahme des verantwortlichen Minifteriums zu entziehen gewußt, zieht fi) der Kampf über ein halbes Jahrhundert fort. Während die talentvollften und geiftreichften Männer als Gegner von den Aemtern auögejchloffen bleiben, werden William Pitt und bie Nation mit ihm zu Tories, König und Minifter können es wagen, „bie Freiheit des Gedanken zurüdzubrängen und Krieg gegen bie öffentliche Meinung zu führene. Der Fürft, der urſprünglich trotz des beiten Whipper-in über Perſonen und Parteien bi8 in das Kleinfte unterrichtet ift, der auf eigene Hand als Kriegsherr ſchaltet, Negimenter marjchieren und halten läßt, verfällt dann wieberholt in Wahnjinn und endet gleich fear:

A poor old man, As full of grief as age, wretched in both. Es folgt der Sohn, verlommen an Leib und Seele, einft der Buſenfreund

England. | 413

von er und der größte Verſchwender in allen Stüden, als König ein furdtiamer Geizhals in feinen Finanzen wie in feinen Prärogativen. Und doch muß er noch die Emancipation der Katholiken, den erften bahnbre⸗ chenden Schritt zu den großen Reformen unterzeichnen, welche ftets als größte That der Regierung Wilhelm’ IV. genannt fein werden. Unter Bictoria hat die Krone, weile berathen durch den fo eben durch jähen Tod fo früh entriffenen deutſchen Prinzen, die jeltene Erkenntniß walten laffen, daß im durchgebildeten Berfafjungsftaate die directe Macht keineswegs das Object der Staatögewalt, jondern nur eines ihrer Mittel ift. Nicht minder lehrreich find die Abfchnitte, welche von den großen Wandlungen handeln, die feit einen Fahrhunderte mit den beiden Häufern des Parlaments vor fi) gegangen. Ein Gleichgewicht der drei Staatsgewalten beftand factiſch nicht, das repräjentative Princip bet den Gemeinen war eine große Lüge. Aber hatten auch die franzöfiiche Revolution und bie ihr folgenden Kriege die Freiheit Englands auf zwei Generationen zu⸗ rüdgevrängt, vie Vertreter verjelben bei Lords und Gemeinen wachten forgfam über das ihnen befohlene Vermächtniß, fie ſammelten den Stoff für die große politische Arbeit, die im Intereſſe aller vorgenommen wer» den mußte, ſobald die Waffen des Krieges rubten. Die alten Anſätze zur Reform feit Lord Chatham's Tagen jowie die enplihe Durchführung derſelben, Alles findet jih nad beſtimmter Eintheilung forgfältig, an- ſchaulich und ſyſtematiſch dargeftellt. Auch das Techniſche im parlamen⸗ tariſchen Verfahren der Gegenwart, die lange, ſchwere Auseinanderſetzung mit der Preſſe, der gegenwärtige Brauch bei Zulaſſung des Publikums und der Berichterſtatter im Unterhauſe, das Abgeben und Verzeichnen der Stimmen, das moderne Petitionsſyſtem und vieles Aehnliche wird lichtwoll und praktiſch zugleich abgehandelt. Beſonders aber erſcheinen der Niedergang des ariſtokratiſchen, der Aufgang des demokratiſchen Elements im ſcharfen Gegenſatz zu einander. Darüber iſt denn auch die Stellung des Miniſteriums durchaus eine andere geworden: heutzutage kann es nicht mehr vom Oberhauſe allein geſetzt oder geſtürzt werden, auch iſt es weit weniger von der Krone abhängig, als ehedem, dagegen aber dem Unterhauſe mehr verantwortlich geworden. R. P. Despatches supplementary, and memoranda of Field Marshal Ar-

tbur Duke of Wellington. Edited by his son. Vol, V. VI. 1806—1810, London, Murray, 1860. 8.

472 ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur.

refponbenzen ber englijchen Staatsleute während des legten Jahrhunderts, aus den Parlamentsgefchichten, Journalen, ‘Debatten, aus ven einfchla- genben Blue-Books offenbaren einem „Jeden, ber einmal in bieje Quellen bineingeblidt bat, einen nicht minder foloffalen Unterbau. In einem, umb’ zwar dem wichtigften Punkte aber folgt ver Verf. bereitwillig dem bes währten Beijpiele, das ihm Hallam gegeben. Wie diefer glaubt er feſt an ben politiichen Yortichritt der Menſchheit und feines Volks im Below beren. „Hätte ih Mißtrauen oder Berzagtheit empfunden, dies Bud wäre nicht geichrieben“. Wie Hallam geht er aber eben beshalb ver Berjuchung aus dem Wege, von einem Parteiſtandpunkte aus die ſchwie⸗ rigen, viel unftrittenen ragen zu erlevigen. Zählte Hallam feiner Zeit zu den gemäßigten Whigs, fo gehört May offenbar zu der Partei, für bie man heute in England feinen andern Namen hat, als ben ver eim ſichtsvollen Liberalen.

Der erfte Band handelt in fieben Capiteln von den Prärogativem, den Einfluge und Einkommen der Krone fowie von der Berfafjung, ver Gewalt, den Yunctionen und dem politiichen Verhältniſſe des Ober» und des Unterhauſes. Bor allem erhält ver beharrliche Verſuch Georg'’s UL fein Königthum wieder zu einer Macht von perjönlicher Geltung zu er heben aus der reihen Memoirenliteratur die hellfte Beleuchtung. Aus gehend von einem geheimen Cabinet, das, außerhalb der Parteien ftehend, ded „Königs Freunde“ umfchliegt, das fchon die Eröffnungsreve beim eriten Parlamente ver Kenntnignahme des verantwortlichen Minifteriums zu entziehen gewußt, zieht fidy der Kampf über ein halbes Jahrhundert fort. Während die talentvollften und geiftreichiten Männer als Gegner von den Aemtern ausgejchloffen bleiben, werden William Pitt und bie Nation mit ihm zu Zories, König und Minifter können es wagen, „di Freiheit des Gedanken zurüdzubrängen und Krieg gegen bie öffentliche Meinung zu führen, Der Fürſt, der urſprünglich troß des beſter Whipper-in über Perſonen und Parteien bis in das Kleinfte unterrichtet ift, der auf eigene Hand als Kriegsherr fchaltet, Regimenter marjchieren und halten läßt, verfällt dann wiederholt in Wahnjinn und endet gleid Lear: |

A poor old man, As full of grief as age, wretched in both. Es folgt der Sohn, verlommen an Leib und Seele, einft ber Bufenfremd

England. 413

ten er umd ter größte Verjchwenver in allen Stüden, als König ein furchtſamer Geizhals in feinen Finanzen wie in jeinen Prürogativen. Und roh muß er noch die Emancipation ver Statholifen, den erften bahnbre⸗ henten Schritt zu den großen Reformen unterzeichnen, welche ſtets als größte That der Regierung Wilhelm's IV. genannt fein werten. Unter Ticteria hat die Krone, weiſe berathen durch ten jo eben durch jühen Tod ie früh entrifienen deutſchen Prinzen, die jeltene Erkenntniß walten laſſen, daß im durchgebildeten Verfaſſungsſtaate die directe Macht keineswegs das Object der Staatsgewalt, ſondern nur eines ihrer Mittel iſt. Nicht minder lehrreich ſind die Abſchnitte, welche von den großen Vandlungen handeln, die ſeit einem Jahrhunderte mit den beiden Häuſern des Parlaments vor ſich gegangen. Ein Gleichgewicht der drei Staatsgewalten beſtand factiſch nicht, das repräſentative Princip bei den Gemeinen war eine großße Lüge. Aber hatten auch die franzöſiſche Revolution und die ihr folgenden Kriege die Freiheit Englands auf zwei Generationen zu⸗ rückgedrängt, tie Vertreter derſelben bei Lords und eneinen machten ſergſam über das ihnen befohlene Vermächtniß, ſie ſammelten den Stoff für die große politiſche Arbeit, vie im Intereſſe aller vorgenommen wer⸗ ten mußte, ſobald tie Waffen des Krieges rubten. Die alten Anſätze um Reform feit Lerd Chathau's Tagen ſeowie die eudliche Turchführung derſelben, Alles finvet ſich mach beſtimmter Eintheilung jergfältig, ans ibaulich und ſyſtematiſch dargeſtellt. Auch Tas Techniſche im parlamens tariichen Verfahren ver Gegenwart, die lange, ſchwere Anseinanderſetzung mit ter Preije, ver gegenwärtige Brand) bei Zulaſſung des Publikums and der Berichteritatter im Unterhaufe, das Abgeben und Verzeichnen rer Stimmen, das moderne Petitionsſyſten und vieles Aehnliche wird lihteell und praftiich zugleich abgehandelt. Beſonders aber ericheinen ver Rierergang des arijtofratifchen, der Aufgang des demokratiſchen Elements un fcharfen Gegenjat zu einanter. Darüber ift denn auch Pie Ztellung des Dlinijteriums durchaus eine andere geworden: heutzutage kann es nicht mehr vom Oberhanſe allein geſetzt oder gejtürzt werten, auch iſt es weit weniger von der Krone abhängig, ale ehedem, dagegen aber dem Unterhauſe mehr verantwertlid, geworden. R. P.

Despatches supplementary, and memoranda of Field Marshal Ar- tbur Duke of Wellington. Edited by his son. Vol, V. VI. 1805 —1810. London, Murray, 1860. 8.

476 Ueberfiht der hiſtoriſchen Literatur.

Earl of Dundonald, G. C. B. Admiral of the Red; Rear-Admiral of the Fleet, &c. &e. London, Bentley, 1860. 2 vols. XXIII, 428, XıV, 488 8. 8.

Auch in einem Bande: London, Bentley, 1861. XVII. 517.

Lord Cochrane, ver Sproße einer alten jchottiichen Grafenfamilie, ber auch Zeit Lebens das heiße Blut jeiner Ahnen nicht hat verleugnen für nen, hat noch im 85. Jahre, kurz vor jeinem Tode, wenigftens ein Städ der Autobiographie, das vie biß zum Jahre 1814 dem Baterlande g leifteten Dienfte umfaßt, herausgegeben, voll Feuer, voll materiellen Werthel. Man weiß, wie er durch jeine kühnen Thaten, vor allen im biscajijchen Meere ſich an die Seite der größten britiihen Seehelden emporzujchtingen im Begriffe war, als ihn ver kriegsrechtliche Proceß des Admirals Lord Gambier zunächft mit ver Armiralität, und die eigene heftige Betheiligung an ber parlamentariihen Ippojition zur Herbeiführung politijcher uud abminiftrativer Reform mit der Regierung überwarf. Seine verdächtige Beziehung zu einem häßlichen Actienjchwindel brachte im Jahre 1814 ihm ſelber ginen Proceß auf den Hals, der, gegen ihn entjchieren, feine Au⸗ ftofjung aus dem Unterhauje, Gaflırung und Abnahme ver Orden zu Folge hatte. Tief erbittert verließ er die Heimath und lieh jein tapfer Seemannsjchwert ven Chilenos znr Befreiung vom jpanijchen, ven Hel⸗ lenen vom türkiſchen Joche, überall glüdlicher auf feinem Element, van Meere, als in ten Tiefen und Untiefen radicaler Politik. Erſt unter Wilhelm IV. erhielt er als Graf Dunvenald Rang und Titel, mer Victoria Das Großkreuz des Bathordens zurüd. Iſt ihm auch durch de einft von Lord Ellenborough gefällte Urtheil Unrecht geſchehen, tritt arh heute noch wie damals Lord Brougham als Advocat und Poarteigeneſe für ihn auf, jo iſt es trotz aller Bemühungen, die ver alte Mann ım Abende feined Lebens aufgeboten, ihm doch nicht völlig gelumgen ein jeden Verdacht in dem unangenehmen Handel binwegzuräumen. Eire aber ift unzweifelhaft, England hat dadurch die Dienfte eines Krieget verloren, der e8 in verwegener Kühnheit mit Nelfon aufnahm, und beat Bud wegen lebhafter Schilverungen und praktiſcher Vorſchläge ed Greiſes ebenfalls feines Gleichen ſucht. Perſönlichkeit und Stoff habe noch einmal verdientes Aufſehen erregt. RR.

Memorials of Thomas Hood, collected, arranged and edited b

England. 477

kis daughter, and a preface and notes by his son. 2 vols. London, Moxon, 1860. 680 S. 8.

Doran, Dr., The book of the princes of Wales, heirs to the erown of England. London, Bentley, 1860. 530 S. 8.

Hook, Walter Farquhar, Livos of the archbishops of Canterbury. Vol 1. Anglo-Saxon period. London, Bentley, 1860. 50 8. 8.

Johns and Nicolas, Naval and military heroes of Great Britain; or, calendar of victory: being a record of British valour and eenquest by seı and land, ete. Illustrited with 24 portraits engraved on steel. London, Bohn, 1860. 8.

Military (the) heroes of England, from the invasion of Julius Caesar to the suppression of the Indian mutiny. London, Blackwood, 1860. 326 8. 12.

Blunt, Humphry, Perils and panics ofinvasion in 1796 - 7-8, 180% —5, and at the present time. London, Newby, 1860. 436 8. 8.

Moorsom, W. S:, Historical record of the 52. regiment (Oxford light infantry), from the year 1755 to 1858. London, l’entley, 1860. 8.

Irving, Joseph, The history of Dumbartonshire, civil, ecclesiastical and territorial; with gencalogical notices of the families in the country: the whole based on authentic records, public and private. Lon- don, Bimpkin, 1860. 613 8. 4.

Chronica Regum Manniae et Insularum. The C'hronicle of Man and the Sudreys edited from the Manuscript Codex in the British Museum and with historical Notes by P. A. Munch Christiania 1860. XXxXIV 191. 8.

Die Heine, nur 31 Seiten umfaſſende Chrouik verdiente trug ber Ausgaben von Camden, Johnſtone und Langebeck noch einmal bequen 32*

418 Ueberfiht der hiſtoriſchen Literatur.

und getreu abgerrudt zu werden. Sie bildet für tie Jahre 1017 bis 1374 eine wichtige Quelle nicht nur für die Herrſchaft der Nordmannen in Schottland, jentern vorzüglich jür vie feltiihen Inſeln an ter Weſt⸗ füfte von Britannien. Man muß nur bebauern, daß die dem Manufer. beigefligten Limites Mannise nicht ebenjalld ver neuen Ausgaben beige fügt find. Aber Her Mund ift ganz ter Mann, um als Hifteriler, Altertbums- und Sprachforſcher in der Einleitung und jehr ausführlichen Noten tie früheren jcandinavifch - britiichen Beziehungen zu beleuchten mit ganz amterer, ftrengerer Wiffenfhaft, als dieß von bekannter däaniſcher Eitelteit zu geichehen pflegt Mit feiner gründlichen Kenntniß der ge jammten Sagaliteratur, mit pbilologifcher und tiplomatijcher Gewiſſen⸗ haftigkeit gelingt e8 ihm, eine Menge jenes jo frühe Zeitalter in jo ab gelegenem Himmelsſtriche betreffender Local- und Perjenalfragen zu ar örtern. Die nordiſchen Nieterlaffungen auf ten Hebriven und Wan fab len zujammen mit ter Enttedung von Island; tie Heinen Injeln er ſchienen ven kühnen Seefahrern als. eine natürliche, bequeme Zwiſchenſta⸗ tion. Hier ließen ſie ſich unter den Gaelen nieder und machten dieſe zu Unterthanen ter Krone von Norwegen, ein Verhältniß, das in Bezug auf Man bis zum Jahre 1286 antauert. Die Beziehungen der beiden Racen zu einander erjcheinen heute no in den Orts: und Geſchlechtsnamen, wie fie jih auf Runenfteinen, in Urkunden und in ver Chronik vorfir- den. Auf jchottiihe, iriſche, engliſche Geſchichte der Zeit fällt manches Schlagliht. Tas von den Norwegern geftiftete Bisthum ver Sudreyjar (ver Sütinjeln), Episcopatus Sodorensis. auch Manensis, gehörte bi zum llebergange ter Scuveränität an Schottland und dann an einen Bafallen ver englijhen Krone, zur Provinz von Nidros; e8 ift nicht je wohl dem Umfange, als tem nun finnlos gewordenen Namen nach in dem heute noch Leftchenten, zur Provinz Port gehörenden Sprengel Sodor and Man vorhanten. Der Appentir enthält eine Reihe dem Ba- ticanifhen Archive entnommener Urkunden zur Geſchichte dieſes Bisthums. Mund hat feine für den Index Scholarum ver Univerfität Chriftiania im Jahre 1857 verfaßte Schrift dem Inhalte gemäß in englifcher Sprache publicirt, im Ganzen jehr correct, wenn auch bie und da ungewöhnlich und überaus breit. R. p.

Scotland in the Middle Ages. Sketches of carly Seotoh history

England. 419

and social progress, by Cosmo Innes, Professor of History in the Univer- sity of Edinburgh. Edinburgh, Edmonston and Douglas, 1860. XLIIT, 368 8°.

In einer Reihe an der Univerfität zu Edinburgh gehaltener Bor: fefungen werben zunächft tie widhtigften Punkte altſchottiſcher Geſchichte behandelt, von denen ſich die einheimijchen Öelehrten jeit den Tagen von Finferton und Chalmers jo gut wie abgewentet zu haben fchienen. Tyt⸗ ler's Wert, das bekanuteſte Buch über ſchottiſche Gejchichte um Mittelalter, hebt erft mit Alerander III, mit dem Eude des dreizehnten Jahrhunderts an; Das Zeitalter der Freiheitskämpfe gegen England, Die Schilterung ir feudalen Öeftaltung des Königreichs galt bisher als viel anziehender fir ven Forſcher wie für ven Leſer. Es ift Daher ein weſentliches Be- dürfniß, dem der Profeffor abzuhelfen jucht, indem cr wieder auf die ältere Zeit zurüdgreift und, was jeine zu jchr vernachlälligten Vorgänger me unvolllommen verftanven, man kann nicht anders jagen, als mit Glück, vie läuternde Hand moderner Kritif anlegt. Leiter nur befennt er wie fo mancher jeiner Landslente jich niemals mit feltijchen Studien befaßt zu haben und kein Wort gaeliſch zu veritchen, jo daß, was ſehr zu wünjchen gewejen wäre, jo manche midhtige Frage Über die Zuſtände ver alten Bevölferung, vie hier jo wenig wie in Irland für ihre eigene Ghe ſchichte jemals Sinn gehabt, unerledigt bleibt. Im Uebrigen ferfcht und arbeitet ver Berfailer nad) gejunden Principien und weiß feinen Schülern die Ergebniffe leicht und gefällig vorzulegen.

Wirklich hiſtoriſche Aufzeichnung beginnt in Schottland doch überaus fit. Die erſte, noch nicht ganz zweifellofe Urkunde ijt vom Sabre 1095, das erfte Fragment einer Chronik, ein Blatt in der bekaunten tem Klofter Melreſe angehörenden aus dem treizehmten Jahrhundert, vom Jahre 1165. Die erite Handſchrift, welche Geſetze verzeichnet, ift faum älter ala 1270, und parlamentariihe Aufzeichnungen beginnen einzeln erjt ſeit Robert Bruce. Ueber vie Anfänge ver Picten und Scoten läßt ſich nur aus ipäteren Angaben und Vermuthungen im Allgemeinen je viel ausſagen, daß jene ohne Frage die rothhaarigen Caledonier Des Tacitus, aber ſchwer—⸗ id Germanen oder gar eine vorfeltiiche Bevölkerung waren, die einjt den ganzen Tften des Lantes, den Südweſten (Galloway) aber nachweislich bis in das breizehnte Jahrhundert bewohnten, daß tie Scoten wahrjcein: fi im vierten Jahrhunderte ven übrigen Weften mit jeinen Bergen bes

480 Meberficht der Hiftorifchen Literatur.

feßten. Im neunten werben beide unter Kenneth Mac Alpine vereinigt; von feinem Stamme geht der Gejammtname Schotten aus, vermuthlid g alfo eine ähnliche Verbindung wie die der Angeln und Sadjen. Sehr früh, wenigftens feit dem fechiten Jahrhundert ericheinen dünne germaniſche Niederlaffungen längs der Oftküfte, dann bringen die Angeln vom Hum⸗ ber und Tweed ber bis zum Yorth vor; mit dem Ende des achten warfen die Seezüge der Bilinger ihren ſcandinaviſchen Niederſchlag auf Nord fchottland, auf die Infeln in Norden und Welten. Mit Malcolm Can more (t 1093), der eine angeljähfiiche Königstochter zur Gemahlin ge nommen, gewinnt das teutonijche Element die Oberhand; Angeln, Dänen, bald auch Normannen bilden den Hofadel; der Zerfall des angelſächſiſchen Reichs bringt Niederſchottland und jelbft Northumberland herbei, wodurch fih die Geſchichte der beiden Reihe und ihrer Völker auf Generationen verhängnißvoll verjchlingen.

Nach den älteften Daten der Kirchengeſchichte hat St. Ninian bereits um vierten Jahrhunderte wenigftens einem Theile der Picten von Rom ber das Chriftenthum gebracht; im folgenven ericheint St. Columba mit feinen ren auf der Infel Hy (Jona). Die Culdäer predigen zuerft ven ftammverwandten Clans des Hochlands, dann ziehen fie weiter gen Oſten zu den Picten, die von ihnen die älteſte Didcejaneintheilung empfangen. Ihre Inftitute und ihre Vehre beherrichten bald ganz Schottland mit feinen Injeln. Viele der alten Pfarreien des Landes laſſen ſich bis auf die Columbiten zurüdführen ; Die ältefte Kirche auf Island war nachweis- lich St. Columba debicirt. Die Culdäer weichen erft ven Eiftercienfern, bie um biejelbe Zeit geiftlicd) auch Irland erobern helfen; nur in einzelnen Kapiteln werden noch bis in's dreizehute Jahrhundert Culdäer geduldet. Diefe geiftlihe Ummälzung geht Hand in Hand mit den Fortſchritten antiteltifcher, feudaler Boliti. Der Verfaſſer hat fehr richtig ver viel⸗ feitigen Thätigkeit David's I. (1124 1153) bejondere Aufmerkſamkeit geſchenkt; er ift nicht nur der Begründer der ecclefiaftiihen Eintheilung bes fpäteren Mittelalters mit ihren Sprengeln, Parochien und Zehuten, jondern ebenjowohl der erfte feudale König, der die Clans des Hoclands und die Barone des Niederlande beherrſcht. Unter ihm ſchon erjcheinen die Häufer Stewart und Bruce.

Sehr lehrreich und ſyſtematiſch georonet ſind die Mittheilungen über bie ftänbiichen Verhältniſſe. Sklaven und Peibeigene, manchmal noch wit

Spanieu und Bortugal. | 481

teltiichen Namen, nur einzeln als Picten bezeichnet, haben fo ziemlich die— jelbe Seichichte wie in England, bis herab zu dem letzten Documente, das den Fang eines Sklaven fordert, aus dem Jahre 1364. Schon unter David erjcheint eine Anzahl ſchottiſcher Städte zu einer beſonderen mercantilen Genoflenichaft verbünvet, die in einer Urkunde Wilhelms des Löwen fih ganz germanifch als Anse (Hanje) bezeihnet. Im Süden des Landes haben vier Fleden eine gemeinſame Tagfahrt, der Urfprung des beſonderen ftäptiichen Parlaments, das fi) neben ven Hoftagen bes Könige längere Zeit behauptet, bis feit 1326 wirkliche Gemeine nach⸗ weislich werben. Die frühe Gefchichte des ſchottiſchen Parlaments mit jeinem Ausjchuffe (Committee of Articles, jeit 1367), jo wie des im fünfzehnten Jahrhunderte entftehenden oberften Gerichtöhofes, aus ben brei Ständen gebildet, erſcheint namentlih im Vergleich mit beuticher Ber- faſſungsgeſchichte von Wichtigkeit. Im Erbrechte ftreiten das Majorat und das altleltiihe Tanisſtry noch lange miteinander, wie fi fogar noch in dem Kronprocefie zwiſchen Baliol und Bruce nachweijen läßt.

Die legten Abjchnitte über die focialen, materiellen und geiftigen Zuftände des fchottiichen Mittelalter8 zeugen nicht minder von ficherer Behandlung und werden auch von dem Laien mit Vergnügen gelejen wer- ben. Für ein eingehenveres Stubium find der Einleitung drei Karten beigegeben, Schottland im zehnten und im breizehnten Jahrhunderte, vom legteren zwei, eine politiſche und eine ecclefiaftifche, mit Angabe und Liſten der urkundlich zu beſtimmenden Namen. R. P.

Tytler, William, Recherches historiques et critiques sur les principales preuves de l’accusation intentde contre Marie Stuart. Ouvrage traduit de l’anglais en 1772. Paris, Amyot, 1860. XI u 2028. 8.

Haverty, Martin, The history of Ireland, ancient and mo. dern. London, Lew, 1860. 8.

Irish History and Irish Character, by G. S. Goldwin Smith Oxford and London 1861. 107 8. 8.

Ein Meines, aber jehr leſenswerthes Buch, zu welchem ver gegeniolt- tige Profeffor der neueren Gefchichte in Oxford eine Gelegenheitsvorlefung weiter ausgeführt hat. In meifterhaften Strichen, die von umfafjender hiſtoriſcher Belefenheit, von unmittelbarer Anfchauung und von bei dieſem

482 Ueberficht der hifterifchen Literatur.

Gegenſtande fo unerläßlichem national-öfonomifhen Intereffe zeugen, wird einmal von einem gebilveten Englänver Barmherzigkeit gelibt an der Schwe⸗ fterinfel und ihren Bewohnern, denen herkömmlich alle Greuel ihrer Lan- desgeſchichte als Verbrechen angerechnet zu werben pflegten. Nicht Ber- bredyen fordern Sühne, jondern ein unheilvoller Gegenſatz jucht Jahrhun⸗ derte hindurch Löſung und Abſchluß. Ihm liegt nicht die Berſchiedenheit des Glaubens, nicht der Streit um das Eigenthum des Bodens, jonbern der unvermittelte Haß der Racen zu Grunde, wie fie in invivuellem Che: rakter, in Sitte, Recht, Sprade auseinander gehen. Kin vortrefflicder Ueberblid über vie ganze Geſchichte Irlands liefert ven fortlaufenden Commentar zu den Vorderſätzen, und bis auf die Gegenwart wird mit einer Objectivität, die erft ganz neuerdings in England zu erjcheinen wagt, der Schaben aufgededt, ven fich die beiden feindjeligen Nationalitäten ein ander zugefügt. Erft William Pitt hat die erfolgreichen Mittel zur He lung anzulegen begonnen. Erſt ſeit Hungersnoth, Seuche und Auswan⸗ derung das Maß ber Leiden voll zu machen jchienen, die Hand bes engli⸗ chen Bedrängers fi) aber von allem Drud zurüdgezogen, fcheinen Yant und Leute froheren Zeiten entgegen zu gehen, wie fie nie gelanut. Bid. leicht, daß nunmehr die Prophezeiung Sir Robert Peel's ihrer Erfüllung nahe ift, daß, fobald einmal ver legte Nachklang des Bürgerfriegs, der Ruf nad Kepeal, völlig verftumnt, Irland jo raſch aufblühen wert, wie fein anderes Land. Uns will freilich fcheinen, daß fo jehr ver Berl. auch den Racenunterſchied betont, er doc weder die von der Natur ge botene Nebenftellung Irlands noch vie Beftimmung des germaniichen Stammes gehörig hervorhebt, der wie im Often gegen vie Slaven, m Welten gegen die Ueberrefte ver alten Selten einmal Elbogenraum ge fordert und behauptet hat, neben dem die letzteren unftreitig ganz ver ſchwinden müſſen. Es liegt in den panegyriichen Aeußerungen, vie übe das gegenwärtige Wohlbefinden Irlands fo häufig in der englijchen Preik laut werden, doch ein Stüd von einheimiſchem cant, wenn man die YAup nahme des Landes rühmt, ohne eigentlich das unvermeitliche Ausfterben einer Nationalität zu erwähnen oder gar zu betrauern, die fo heldenmuü⸗ tbig bis zur Erſchöpfung ausgehalten. R. P.

O’Donoghue, John, Historical memoir of the O’Briens: with notes, appendix, and a genealogical table of their several branches, compiled from the Irish annalists. Dublin, Simpkin, 1860. 580 8. 8.

Spanien und Portugal. 483

Marmion, Anthony, The ancient and modern history of the maritime ports of Ireland. 4. edit. London, Simpkin, 1860. 666,8. 8,

25. „Spanien uud Yortngal.

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Cabanilles, Antonio, Historia de Espana. Madrid, 1860. T. 1. Banches. VI—470 p. 4.

Tärrega, Juan Carmelo, Poqueño compendio la histo- ria de Espana 3 edic. To'edo, 1860. 174 pug. 8.

Rico y Amat, Juan, Historia politica y parlamentaria de Espaüa (desde los tiempos primitivos hast ı nuestros dias). Madrid, Bailly- Bsilliere, 1860. T. I. LVI—-520 p con el retrato del autor

Del Villar, Petro Fernandez, Compendio de historia de Espaiia, que comprende desde la ontrada de los Cartagineses hasta el aijo presente. Mälaga 1860. 112 p. 8.

Lafuente, Modesto, Historia general de Espaiia. Tomo XXII. Madrid, Mellado, 1860. 584 5 8.

Memorial histörico espaliol: colleccion de documentos, opüs- culos y antiguödades, que publica la Real Academia de la historia. To- mos X y XI. Madrid, 1857—59. 654 u. 496 8, 8.

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484 Uieberficht der hiftorifchen Literatur.

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Aschbach, Dr. Joh., Prof., Geschichte der Ommaijiden in Spanien nebst einer Darstellung des Entstehens der spanischen christli- chen Reiche. 2 Thle. Neue Ausg. (Titelauflage)., Wien, Braumüller, 1860. XXVIUI u. 752 8. 8.

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_ —, Geschiedenis der rogering van Philips den

Spanien und Portugal. 485

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Napier, General Bir W. F., History of the Peninsular war. New edit, revised by the author London, Boone, 1860. 6 vols. 8.

Der Kampf um Badajoz im Frühjahr 1812. Nah den ur- fpräugtichen Quellen unb nad Mittpeilungen von Augenzeugen. Grundzüge und Beifpiele für kritiſche Behandlung kriegsgeſchichtlicher Stoffe. Bon 8. Brodräd, Major im Großh. Heiflihen Generalguartier- meifterftab, Lehrer ber Kriegsgeichichte an ber Gr. Heffifchen Militärfchufe. Mit einer Planſtizze. Leipzig, 1861. Dyfihe Buchhandlung. XII u. 150 S. 8.

Der Name des Verfaſſers wurde zuerft 1858 in der Fiteratur bes kannt. Die Schrift über ven „Feldzug der Reichsarmee von 1757“, die als Erftlingsarbeit damals von ihm erjchien, wurde überall von ver Kritik (in unferer Zeitichrift im 1. Heft von 1859) mit verdienter Au— erkennung beurtheilt. Die neuere Schrift, deren Titel oben genannt ift, reiht fih würdig an dieſe frühere Arbeit; auch fie ijt die Frucht ernfter Studien und reifer Kritik.

Die nähfte Aufgabe, welche tie Schrift fich geießt hat, ift die Wis derfegung der Berläfterungen, die fi in den Geſchichtswerken, zulett in ftarten Farben bei Thiers, gegen das deutſche Regiment finden, dad 1812- in Badajoz mitkämpfte. Der Verf. weift ſchlagend nad, daß von einer Verſchuldung des deutſchen Regiments, von dem eine Abtheilung von nur 80 Mann mit Bertheivigung der weitläufigen Citavelle beauftragt war, gar Feine Rebe fein kann, und daß jelbft in Frankreich cine Reihe von Jahren hindurch niemand an eine ſolche Anklage auh nur dachte, bis endlich die dortige Piteratur zu Ounſten des franzöfiichen Generals Bhilippon, ver in der Feſtung befehligte, vie Verſchuldung ber deutſchen Truppen geradezu erfand. Der franzöjifche General hatte längft feine Flucht aus dem Huuptplag vorbereitet, und mitten im Kampf führte er fie ans, jo daß von dem ganzen Berhängniß, das die Bejagung traf, alle Schulv allein auf den Befehlöhaber ver Feſtung füllt. Das ift ter

486 Meberfiht der hiſtoriſchen Literatur.

Kern ver ganzen Vorgänge und zugleih das nahe liegende Motiv, das die franzöfiihen „Geſchichtsverbeſſerungen⸗ bervorrief.

Die kritiſche Unterſuchung der Gejchichtsquellen, auf welcher dieſes Reſultat beruht, bietet fo vielfache Anhaltspunfte für kritiſche Betrachtun⸗ gen allgemeiner Art, daß der Berf. nicht mit Unrecht jeinen Stoff als ein Paradigma für Uebung ver hiſtoriſchen Kritik bezeichnet. Der Neben- titel der Schrift und die ihm entiprechende Behandlung des Stoffes ent⸗ ſpricht dieſer Eigenthümlichkeit desjelben, und eben dadurch wird das Buch zugleih zu einer Lehrichrift, die ſchon darum befonvere Beachtung ver: dient, weil die theoretifche Seite der hiftorijchen Arbeit in fo gebrängter ſchlagender Kürze noch eigentlich gar nicht behandelt ift. Him.

Relazioni sulla Corte di Spagna, dell’ abate Doria del Maro e del conte Lascaris di Castellar, pubblicate per cura di Domenico Carutti. Torino, stamperia Reale, 1860.

Kayserling, Dr. M., Geschichte der Juden in Spanien u. Portugal. 1. Thl.: Die Juden in Navarra , den Baskenländern und auf den Balearen. Berlin, Springer, 1861. XIl u. 224 8. 8

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Piferrer, Franc., Nobiliario de los reinos y seiiorios de Espaita. Contiene las armas y blasones de los reinos, provincias, ciu- dades, villas y principales pueblos de Espaiia, con todos los apellidos que se encuentran en los tratados de heräldica y nobilarios mas autorisados, como son el libro-becerro de Castilla, Gracis-Dei, Mejla, Barcelos, Men- doza, Argote de Molina, Vitales etc. etc. Revisado por D. Antonio Rujuls

Spanien unb Portugal. 487

y Bussel, ilustrado con un diccionario de heräldica. Adornado con mas de dos mil escudos do armas por acreditados artistas, heraldos y profesores de bellas artes. Madrid, impr. de Minnesa 1860. T. 1 & VI. y ultimo, 260 4 mayor.

Vilar y Pascual, D. Luis, Diccionario histdrico, genealö- gico y heräldico de las familias ilustres de la monarquia espaliola Ma- drid, Bailly-Bailliere. Entregas 3— 16. Tomo II - IV. 1860. (Esta obra constar& de ocho tomos).

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Simonet, Francisco Javier, Descripeion del reino de Granada bajo la dominacion de los Naseritas, sacada de los autores ärabes, y seguida del testo inedito de Mohammen-Ebn-Aljathib. Madrid 1860. Bailly-Baillitre. 224 32 päg. Con un cadro cronolögico de las cinco dinastias que bajo lo dominacion ärabe gobernaron en las diferentes co- marcas de que andando el tiempo lleg6 &’ formarse el reino de Granada, con senorio propie 6 indipendiente de los emires que reinaban en otras regiones del Andalus. 1860. 4 m. (Las 32 ultimas p4g. estän en Arabe),

Capmany y deMontpalau, Historia dela muy noble, muy leal, muy herdica, imperial y coronada villa de Madrid. Ma- drid, 1860. Entr. 1a. 8 S. Fol. m. 2 Kpfrn.

Lopez y Ramajo, Manuel del viajero en el real monas- terio de San Lorenzo. 3a edicion, corregida y aumentada. Madrid, Bailly-Bailliere. 1860. 86 S. gr. 8.

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Rebello de Silva, Luiz Augusto, Historia de Portugal nos seculos XVII e XVII. T. 1. Lisboa 1860, 8.

Colleogao de monumentos ineditos para a historia das conquis-

488 Ueberficht ber Hifterifchen Literatur.

‚as dos Portuguezes, em Africa, Asia e America, publicada de ordem da classe de sciencias moraes, politicas e bellas lettras da Academia Real das sciencias de Lisboa e sob a direecao de Rodr. Jose de Lima Feiner. Obra subsidiada pelo governo de Portugal. Tome II parte I. Historia da Asia (Lendas di India por Caspao Correa. Livro segundo em que se recontao os famosos feitos d’Alfenso Alboquerque, Lopo Soares, Diogo Lopes de Sequeira, D. Duarte de Menezes, D. Vasco Ja Gama Visorey, D. Anrique de Menezes. Lenda de 17 annos, acabados no anno de 1510). Lisboa, typographia da academia. 1860. S. 1—482. 4.

26. Italien. a. Literatur der italtenifhen Geſchichte v. 3. 1859.

F. Gregorovius Geſchichte der Stadt Rom im Mittelalter. Bom fünften bis zum ſechſten Jahrhundert. 8. Stuttger. I. G. Cotta, Bd. 1. (X, 484 ©.) 1859. Bb. 2. (X, 548 S., 1859. Bd. 8. (XII, 584 ©.) 1860.

Wer eine Monographie über Rom im Mittelalter fchreiben will, kann hierunter zwei ganz verjchiedene Aufgaben verftehen; entweder faft er vorzugsweije die Gejhichte der Stadt Rom ins Auge oder er geht ber Entwidlung des Papftthums durch die Neihe der Jahrhunderte nad. Letzteres ift jaft gleichbedeutend mit einer Univerfalgeichichte von Europa, und dann ift nur der Titel für dieſe Arbeit ein ſchlecht gewählter. Wer aber fich auf bie Stadt Nom beihränft, hat die wegen ver Dürftigfeit des Materiales äußerft ſchwierige Aufgabe, nadhzumeijen, wie aus dem Rom ver Kaiſerzeit ſich das fo eigenthümliche Leben der chriftlihen Welthauptſtadt entwidelt hat, wie dann bie ftäptiihen Dinge ftets in Wechjelbeziehung zu den großen kirchlichen und politiihen Bewegungen des Mittelalters geftanden haben, wie zulegt die ehemalige Weltftapt in die Orbnung des Heinen Kirchen- ftaates eingefügt worben ift. Und dieſe Aufgabe zu löſen find ſchon verſchiedene Anſätze gemacht, bisher aber ſtets ohne genügenden Abſchluß der Arbeit. F. Papencordt, ver, foweit wir aus dem von Höfler edirten Nachlaß jehen können, dazu der geeignete Mann gewejen wäre, iſt leider der Vollendung feines Werkes durch frühen Tod entriflen. Faſt gleichzeitig mit ihm, aber unabhängig von feinem Plane, faßte der in Rom lebende deutſche Schriftſteller F. Gregorovius vie Idee, ſich

Spanien und Portugal. 489

einer ähnlichen Arbeit zu unterziehen. Von feinem Werke liegen uns bie jest 3 Bände vor, bie von 410 bis 1002 reihen.

Gregorovius verjucht nun jene keiten an ſich verfchiebenen Aufga- ben in Ein Werk verichmelzend, beide gleichzeitig zu löſen; nach unjerem Dafürhalten ein mißliher Verſuch, deſſen Yöjung aud ihm keineswegs geglückt ift.

Wenn man fi über die Aufgabe einer Sefchichte ver Stadt Rom Mar geworden ift, die doch als Geſchichte einer Stapt*) immer eine Spezialgeichichte Bleibt, jo wird man freilich nicht alle Erörterungen über allgemeinere Berhältniffe ausſchließen, man wird aber tod, biefe fırz berührent, das Hauptgewicht auf die innere Geſchichte der Stadt (d. 5. auf Darlegung ver Verfaflungsentwidiung, Scilverung foctaler md Gulturzuftände) legen. Gregorovius will aber, Non als das Cen⸗ tum ver Weltgefchichte auffaflent, in feiner Geſchichte die Geſchicke ver Menichheit erzählen. Indem er tabei die Stadt Rom mit dem römis ſchen Bisthum und ber päpftlichen Curie iventificirt, wird ver Unter⸗ ſchied zwiſchen einer Stadtgejchichte und einer Geſchichte ver püpftlichen Macht verwilht. Letztere geradezu zu übernehmen, lehnt Gregorovius zmweilen ab, fann aber ber Berjuhung nicht immer wiverftehen, Frag⸗ ‚mente einer ſolchen Geichichte zu liefern. So fehlt ihm vie Selbſtbe— ſchränkung auf ein feitgezeichnetes, feſtzuhaltendes Thema; Das ganze Bud) fällt oft faſt in geiftreihe Journal⸗Artikel auseinander. Tiefer Mangel findet wohl feine Erklärung in einer dem Verfaſſer von früheren Arbeiten noch anklebenden journaliftiichen Arbeitsweiſe. Damit wollen wir keines⸗ wegs dem Verfaffer zu nahe treten, wir erfennen jeine Bebeutung in diefem Fache gern an, aber, eine hiſtoriſche Arbeit ift ein ganz anderes Bing, als eine Reihe von guten Journalartikeln oder eine geift- veiche Reiſebeſchreibung. Trotzdem aber und obwohl wir auch von fo mandyer einzelnen Austrudeweije, vie offenkar nicht hierhin paßt, von der häufigen Schauftellung ver eigenen Perſönlichkeit des Autors, beſon⸗ ders aber von einer ganz unpaflenten Bezugnahme auf vie Tagescreig- nifle, wie fie leider den 3. Bd. befonvers eigen ift, jehr oft unangenehm ® Daß hen im Titel eine derartige Einſchränkung entbalten fein müſſe,

erfennt auch der im Uebrigen reichliches Lob fpenbente Referent in ben Breuß. Jahrb. (Märzkeft 1861) am.

490 Ueberfiht ber hiſtoriſchen Literatur.

berührt worden find troß allevem glauben wir in dem Berfafler Be gabung zu hiftorijchen Arbeiten zu erkennen, und das hat uns veranlaßt, den Hauptmangel des Buches jo ausführlid darzulegen. Durch alle jene gerügten Eigenſchaften, beſonders durch jene Unklarheit über Die Örenzen jeiner Aufgabe, ſchadet ſich ver Verfaſſer bei der wiſſenſchaftli⸗ hen Welt, an die er fi doch vorzugsweije rihten muß. ‘Die knappe Form, welche die Anlage Papencordt's erfeunen lüßt, könnte da als Mu⸗ ‚fter dienen! "

Wenn wir nın auf Einzelnes eingehen, jo wollen wir vorab geftehen, daß zu einem Urtbeil über die kunfthiftoriihen und topegraphiichen Ab⸗ ichnitte uns ebenjowohl das Material als die Befähigung fehlt. Die tultuchiftoriichen Schilderungen dagegen finden wir größtentheil® wahr, meiſtens auch lebendig und anſchaulich. Als bejonderd gelungen heben wir hervor; die Charakteriſtik ver heidniſchen und chriſtlichen Gejellicaft . (1. 134— 146) die Schilderung der Entftehung des Mönchthums (Il. 6— 13) die Darſtellung der wachſenden ftäbtifchen Ariftofratie (IL passim, bej. III 277 ff.) An einzelne Behauptungen jei e8 uns mm noch geſtattet, Bemerkungen anzuknüpfen und indem wir unjere abweichende Anſchauung ihnen an dieſem Orte gegenüberſtellen, dadurch vie Auf merkſamkeit der Kenner zugleich mehr auf das vorliegende Buch hinzulenlen.

Im l. Bd. möchten wir gegen das über Theodorichs Verhalten gegen Boethius ausgejprochene Urtheil (I. S. 309 ff.) Proteft einlegen. Aud wir wollen keineswegs jenen Act tumultuariichen Yuftiz bejchönigen, allein Gregorovius jelbft zeigt doch die auf eine Conſpiration der Sena⸗ toren mit Oſtrom bindeutenden Spuren au. Iſt dem aber fc, dann fin- ben wir in Theodorich's Strenge einen Akt der Nothwehr, und ob dann der Berräther ein Handwerker war oder „ein Dann wie Boethius das golpne Zroftbud der Philojophie in der Hand“: das durfte Nichte an vem Urtheil Theodorichs ändern. Durch die Vorliebe für „einen Philoſophen⸗ läßt fi Gregorovius bier zu einer Ungerechtigfeit gegen ven vortreff- lichen König der Gothen verleiten. Daß die Stadt Rom von Theo⸗ borih dad verfafjungsmäffige Recht erhalten habe, von fremden ober gethijhen Truppen nicht bejegt zu werten (1. 340), jcheint ung keines⸗ wegs nachgewiefen. Die dafür angeführten Schreiben Theodats beweiſen es wenigftens nicht; und die Eriftenz des comes Romae, des gothijchen Mi- fitärbejchlöhabers, zeigt deutlich das Gegentheil. Denn auch in Betreff

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diejer Würde können wir keineswegs Gregorovius Erklärung (1. 279) für richtig halten, wir bleiben bei der Hegel's ftehen (©. d. i. St. 1.11 7). Für immer, glauben wir, hat Gregorovius die Behauptung widerlegt, daß die Gothen unter Alaric oder die Vandalen der Vorwurf trifft, Roms Kunſtdenkmale zerjtört zu haben. (1. 156 161, 214— 216). Die Römer jelbit haben jenen „Bandalisnus« begangen (I. 221 f. 451 ff.). Jroniſcher Weije will Gregorovius idıwras als „Ehrentitelu fallen; (1. 374) ſolche der Sprache jener Zeit ganz fern liegenden Beziehungen innen wir nur als unpaflend und das Gefühl des Leſers verletzend bezeichnen. Aehnlich müſſen wir und entſchieden gegen Ausdrücke wie „rationelle Schafe” „mitengliſcher Vater“ (11. 33 f.) erklären. Will man Briefe jener Zeit überſetzen, ſo ſoll man doch die Ausdrucksweiſe der Schreibenden nicht lächerlich machen wollen. Einen Ueberſetzungs⸗ fehler ſogar haben wir bemerkt (II. 277) ades in Chriſti Leib geliebten Heeres“ „im corpore Christo dilecti exercitus.“ Aehnliche Wendungen, deren wir noch manche anführen könnten, jchreiben wir auf Rechnung des nach geiftreihen oder geiftreich jein ſollenden Bointen haſchenden Jour⸗ naliften: möge der Verfaſſer ſolche Mittel fliehen!

In vem 2. Bo. find vie beiten für vie Auffaffung des Ganzen entfcheivenden Tragen behandelt: wir meinen vie Natur ver ſtädtiſchen Regierung, die Berechtigung ver Optimatengeſchlechter, kurz, vie Contro- verje über ben senatus und das, was damit in Zuſammenhang jtcht: und dann die Entftehung und Natur ver päpitlichen Herrihaft. Was die erfte Frage betrifft, jo erflärt ſich Gregorovius wiederholt mit dem „negativenn Reſultat der Forſchungen Hegel's einverftanten, (vgl. bei. It. 55 ff.) und will nur ven pofitiven Gang ver Entwidlung noch ge: nauer nachweiſen. Es ift hier nicht ver Ort, meine von beiden Schrift: Rellern etwas abweichende Anfiht genauer darzulegen; nur darauf möchte ich doch hinmeifen: daß die von beiden Autoren vergeführten Zeugniffe für das Erlöſchen des senatus am Ente des 6. Jahrhuuderts mir keineswegs turchgreifender Art zu fein fcheinen (vgl. Hegel, 1. S. 273 f. u. Gregorovius II. 45 ff. 57 f.). Die Stelle aus ver 18. Ho—⸗ milie Gregor's beweift zu viel, mithin gar Nichts. rer war Rom wirtih ganz ohne Bevölkerung? Meiner Meinung nad tritt ver alte senatus freilich zurück oder richtiger, geht auf in bem neu em⸗ portommenden Amtsadel der militäriichen und geiftlichen Ariftofratie;

Pipeciſqe Zeltſqͥriſt. VI. Ban⸗ 33

492 Neberficht ber hiſtoriſches Literatur.

es tritt alio im Berlauf tes 7. Jahrhunderts allerdings eine Adeléherr⸗ ichaft immer deutlicher hervor, die aber, um ihre politiſchen Rechte aus: zuüben (bei. bei der Papftwahl) doch nicht ohne eine politiſche Form gedacht werben fann. ben biete Form glaube id in dem von ber Mitte des 8. Yahrhunterts an jo häufig genannten senatus zu jchen. Alle von Hegel (1. 279 283) angeführten Stellen zeigen vies ganz deutlich. Auch Gregorovius ſcheint fh zuweilen biejer Auficht zu nähern, er redet wohl von einem nfläbtiichen Gemeinderath⸗ (Il. 476 ff.) oder für das 10. Jahrhundert jogar von einem „»römijhen Bar- Iament“ (al8 Ueberjegung von senatus Ill. 186). Aber dieſen Ge danfen vrüdt er nirgendwo beftimmt aus, polemifirt ſogar aud in jpä- terer Zeit oft unnöthiger Weiſe gegen bie Eriiten; bes senatus.

Demnach weiche ich von dem hochverehrten Berfafler ver italieni⸗ hen Städteverfaſſung nicht darin ab, daß ih in der Materie zwi« fhen Avel und Senat einen Gegenſatz ſähe tiefe Anſchauungen hat er vollftändig vernichtet ſondern nur darin, daß ih ten Senat als die Form betrachte, in melder ver Adel politiih auftritt. Senat wäre darnach wirklich, eine Art von Bertretung des Adels. Gre gorovius gegenüber glaube ih in ber That nur feiner Anfchauung eine präcijere Yaflung gegeben zu haben. Meine Auffafjung hoffe ih an ge legenerem Orte, ausführlicher darlegen und beweijen zu können.

Was die andere Frage betrifft, die nach der Entſtehung der welt: lichen Herrihaft des Bapftes, jo können wir im Ganzen nur unjere volle Zuftimmung ausjprehen. Wäre dieſe Partie des Buches iu knapperer Form und ſchärferer Beleuchtung zujammengefaßt, jo würden wir jagen, Gregorovius habe dieſe Frage als Ganzes erledigt: im Einzelnen freilich müſſen wir aud hier mannichfachen Widerſpruch erheben. Da vermifjen wir zuerft für bie Zeit Gregors 11. einen Nachweis, wie man von grie- chiſcher Seite fid) dem fait accompli gegenüber verhalten habe; über ein- zelne Gunſtbezeugungen der Kaijer muß ſich Gregorovius (II 271, 311) daher wundern, weil er e8 überjehen hat, daß eine ſtillſchweigende Aner- tennung von Byzanz anzunehmen ift, ja daß biefe wohl fon in dem ©. 267 erwähnten Friedensichluß erfolgte.

Wenn wir ferner feiner Anfiht vollftändig beipflichten, daß Papft Gregor Il. dem Franten Carl Martell vie Schutzherrſchaft über Konz

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nicht angeboten habe, wie man es noch in allen neueren Darftellungen lieſt (vergl. II. 284 f.); fo erſtreckt ſich dieſe Zuſtimmung nicht auf bie von ihm vorgebradhten Gründe Er motivirt jeine Ablehnung ver übli- den Annahme nur damit, „daß ein jo großer Antrag weber mit ber Bo- litit Gregors nody mit ber Anficht der Zeit zu vereinen ſei.“ Wir glau- ben, daß auch in ven Quellen nur ein „Hülfegeſuch,“ nicht aber ein Antrag auf fränfiihe Schugherrihaft über Rom vorliegt, finden aber auch die Lesart in dem päpftlichen Briefe „ad rogum'* ftatt „ad regnum“ nicht gar jo „abgeſchmackt“ wie unfer Berfafler.

Daß das Batriciat Pippin's nur den Schuß der Kirche und ter päpftfihen Macht bereutet habe, hat Gregorovius richtig erkannt (II. 309 313). Aber jeine weitere Behauptung, daß Karl 774 fich vie Souveränetät über ben Kirchenftaat vorbehalten habe (II. 398 ff.), finden wir umgegründet. Nach unjerer Meinung ift Karl damals einfach in dieſelbe Stellung eingetreten, wie jie Pippin gehabt hatte. Beweiſe da— für, daß Karl wirkli Akte ter Souveränetät ausgeübt habe, jehen wir nirgendwo beigebracht, und das, was Gregorovius S. 405 ff. dafür an- führt, ift leicht zu widerlegen. Die Briefe des Papftes, in denen er Aus- lieferung der zu Karl geflüchteten Verbrecher fordert, zeigen doch deutlich, daß er fih als Souverän fühlte; auch alle übrigen Aeußerungen des Papftes in feinen Briefen zeigen ihn als Herru von Ravenna und Ron, wenn ihn auch in Ravenna die Ausübung feiner Herrihaft durchzuſetzen oft recht fhwer wurde. Ausgedehntere Rechte erhielt Karl erft 795 tur Papft Leo 111. ; e8 würde fid) dies auch hei Gregorovius gezeigt haben, wenn er hier etwas tiefer in bie außerrömiſchen Geſchichtsquellen eingegangen wäre, und die ſtets weiter um fich greifenven Forderungen Karls an ven Bapft dargelegt hätte. Tieje Entwidlungsreibe jchließt ab mit ter Kai— ſerkrönung Karls; und hier ift e8 uns interefjant gemejen, vie Beweiſe unſeres Verfaſſers zu jehen, daß Leo 111. chen jeit 795 die Idee Des Kaiſerthumes gefaßt hatte (vgl. 11. 514 Fi.) Tiefer Bemeisführung ſtimmen wir vollftändig zu, ebenjo vem S. 520 ff. geführten Nachweis, daß Karl von 795 ab als Herricher von Rom zu betrachten jei.

Der 3. Band fciltert dann die Kämpfe ver Päpfte theils mit ven Kaiſern und den äußern Feinden, theils im Innern der Stadt jelbit durch das 9. und 10. Jahrhundert hindurch. Wir wollen uns hier nicht auf Einzelnes einlaffen, ſondern nur bemerten, daß wir manchen Theil der Darftellung

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494 Ueberficht ber hiftorifchen Literatur.

bier als völlig überflüflig entfernt jehen möchten, daß wir aber aud manchen Theilen der Geſchichtsdarſtellung vollftändig zuftimmen müflen (beſ. II. 277 fi.) Nur das bemerken wir noch, daß wir jene über- ihwänglichen Redensarten, mit denen der Verfaſſer dieje Periode einzu⸗ leiten für gut befindet, nicht nur als überflüſſig und nichtsſagend, ſondern auch als vollftändig unbegründet bezeichnen müſſen. Wer iu aller Welt hat von einem „Begriff ewiger Neutralität Roms, als des moralifchen Centrums der Welt“ (S. 5) gehört over gelefen? Eine moderne Theorie biefer Art ift wohl einmal aufgeftellt: wer aber wollte das auf das 9. Jahrhundert Übertragen? Zeigt die Geſchichte des Mittelalterd und denn etwa Ruhe und Frieden in Rom? Jedes Blatt feines eignen Buches wiberlegt dieſe Vhrajen des Verfaſſers; wir bitten ihn, in Zukunft ſich auch ſolche pomphaft Hingenden Einleitungen (aud) die des I. Bds. leidet an biefem Fehler) zu fparen ober beifer zu überlegen, was er darin fagen will.

Wir bemerken noch, daß wir den von ihm angenommenen Gegenfag zwiſchen Papft Nicolaus I. und Johann VII, (S. 224 ff.) nicht fehen; in ihren Mitteln unterſcheiden fie ſich, ihr Ziel ift daſſelbe.

In dem Kaiſerthum Guido's und anderer italienifchen Fürften jehen wir einen nationalitslienischen Verſuch, nicht den Anſpruch auf die Hoheit über die Welt, wie reg. meint. (S. 234.)

Auch die Darftellung der inneren römiſchen Verhältniſſe im 10. Jahrh., bejonderd unter Alberih8 Tyrannis (im grieh. Sinn des Wor⸗ tes), die wir eben als bie richtige bezeichnet haben, möchten wir nocd von einigen in den ſchon an und für fich fo verwirrten Stoff hineingemifchten Hypotheſen des Verf. befreit fehen. Iſt die Darftellung als Ganzes auch bier bie richtige, jo wird die Erkenntniß des Einzelnen doch erft dann zum Abſchluß gelangen, wenn man jede auch noch fo wahrſchein—⸗ liche Notiz, jo lange fie nicht urkundlich feſiſteht, als Grundlage zu nehmen verſchmäht.

Wir ſchließen mit dem Wunſche, daß der Berf zu weitern biftor. Arbeiten fortfchreiten, aber dabei, alles Ueberflüjfige in Inhalt und Form vermeidend, ſich einer präcijeren Darftellung befleigigen möge. W. M.

Sidel, Dr. Th, Das Bilariat ber Bisconti. (Aus bem Yänner- befte des Jahrganges 1859 der Situngsberichte ber Hift. phil. Ef. der k. Aka⸗ bemie ber Wiffenfhaften Bd. 30 ©. 3 beſonders abgebrudt.) Wien, 1859. 8.

Hallen 1859. 495

Eine ſehr tächtige fcharffinnige Arbeit. Die Herrichaft der Visconti berubte auf doppelter Grundlage. Einerſeits auf Uebertragung von Red- ten durch bie reichsfreie Stadt, die fih auf ben Coftniger Frieden ftüß- ten und in beren Beſitz das Geſchlecht der Viskonti allmälig fam. Auf der andern Seite ftüßten fich viele auf das Reichsvicariat, welches Matteo Bisconti zuerft vom König Adolf 1294 erhielt und fpäter von Albrecht ſich beftätigen ließ. Auf welche Weiſe fi) die Viskontiſche Herrſchaft bie zur Verwandlung des Viskariats in ein Ducat, erft von Mailand, dann der Lombardei entwidelte, wie dieſe auf die verwidelten italienischen Ber: hältniffe einwirkte, fest der Berfafler in der erften Hälfte feiner Schrift, deren Grünblichfeit ungetheilte® Lob verdient, auseinander. In dem zwei⸗ ten Theile der Abhandlung erhalten wir eine Unterfuchung über das We- fen des Bicariatd in Mailand, über die mit ihm verbundenen Rechte und Pflichten. Außer den ſchon gedruckten Vicariatsurkunden war der Berf. jo glücklich, zwei neue berbeizicehen zu können, ein Diplom K. Heinricy’8 für Matteo Bisconti vom 13. Juli 1311, deffen Original ſich in Paris be- findet, und ein Diplom 8. Wenzel’s für Joſt von Mähren vom 5. Juli 1383 ans dem mährijchen ſtändiſchen Landesarchive zu Brünn, deren genauer Abdruck im Anhange eine weientliche Bereicherung ver Schrift bilvet. Die Sorgfalt und Klarheit der Beweisführung, die trefflihe Methode werten gewiß von allen anerfannt werden, vie zu beurtheilen im Stande find, welche umfaflende Quellenftudien ver Berf. anftellen mußte, um vie fid) ge⸗ fiellte Aufgabe befriedigend löſen zu können. A. B.

Heyd, W. Brof., Die italienifhen Hanbelscolonien in Srie- chenland zur Zeit bes Lateinifhen Kaiſerthums (in ber Zeitfhrift für die ge- ſammte Staatswiffenichaft, Tübingen, 1859, 15. Band, ©. 40 fi.).

Die italienifhen Hanbelscolonien in PBaläfina, Syrien n. Kleinarmenien zur Zeit ber Kreuzzüge (in berfelben Zeitſchrift 1860 16. Bd. © 3—71 u 411 460).

Die erfte Abhandlung fchließt fih an die im J. 1858 in berjelben Zeitfchrift erfchienene über die Anfänge der italieniihen Handelscolonien im byzantiniſchen Reiche an. Sie verdient jebenfall® als eine Bereiche rung der biftorifchen Forſchung das aufmerfjame Studium aller veret, die ſich mit der Gefchichte des Mittelalters befchäftigen, ba man hier über manche dunkle Partien Aufllärung findet. Nachdem ber gelehrte

496 Ueberfiht der hiſtoriſchen Literatur.

Berfafler die Beranlaffung zum fogenanmten vierten Krenzzuge kurz und bündig auseinandergefegt, beipricht er ausführlich die Theilungsverträge, welche die Führer unter einander abſchloſſen, und erzählt die Schidjale der neuen, auf griechifhen Boden erftandenen Reiche und Eolonien. Ob⸗ wohl Tafel und Thomas im venetianifchen Urkundenbuch und Tafel im den „‚Symbolae criticae geograpbiam byzantinam spectantes“ (Abhantian- gen ver 3. Elaffe der Münchner Alademie Br. 5 Abth. 3 S. 1— 136) wejentlih vorgearbeitet und fih um die oft fehr ſchwierigen Ortsbeſtim⸗ mungen Berbienfte erworben haben, blieb Hrn. Heyd noch manche werth- volle Nachleſe übrig. Namentlih die Unterfuhung, wie viel von ben Provinzen des byzantiniſchen Reichs, auf welche die Benetianer im Folge des Theilungsvertrages von 1204 ein Anrecht gewonnen, in ihren Beſitz überging, war ſehr fchwierig. Sodann behanvelt ver Berf. auch jew Handelönieverlafjungen, welche die Benetianer in Kleinafien und dem heu⸗ tigen ſüdlichen Rußland zu jener Zeit theils gründeten, theils vorbereites ten. Außer den Venetianern ließen ſich überdies auch die andern Han⸗ belsnationen des Mittelalters im byzantiniſchen Reiche nieder, ſelbſt Dä- nen und Engländer find vertreten.

In der zweiten Abhandlung erörtert der Verf. die italienijchen Han- belsfolonien in Paläftina, Syrien und Kleinarmenien zur Zeit der Kreuz züge. Die Nieverlaffungen in Syrien reichen in die Periode vor Begim ber Kreuzfahrten; tie Amalfitaner waren die erften, welche als Handels leute die |prijchen Gegenden durchzogen und etwa jeit den fechziger Jah⸗ ven des 11. Jahrh. beftand eine Station für amalfitaniide Kaufleute in Jernſalem, noch früher finden wir foldhe in den Seeſtädten Syriens. Entſcheidend für Colonifatien, ja das eigentli befruchtende Element war ven die Kreuzzüge, an benen die italieniihen Handelsnationen anfangs fi nicht. jehr rege betheiligten, indem venetianijhe und genuefiiche Schiffe blos Proviant oder andere Waaren den Kreuzfahrern zuführten, aber bei dem meitern Ausbau der neugegründeten chriſtlichen Staaten wirkten fie wejentlih mit. Gegenjeitiges Interejfe verband die Fürften und Italiener, jene erkannten die Nothwenbigfeit einer Seemacht zum Eroberung ver fyri« ſchen Seeftädte, dieſe bedangen fich gewiſſe Bortheile für ihre Dienfte aus. Früh hatten die handelskundigen Italiener die Vortheile erfpäht, melde ihnen die Küfte bieten könne. Die europäiiche Induſtrie bat dem Ber kehr mit Syrien ungemein viel zu danken, fo die Zuckerfabrikation, welche

Stalien 1859. 497

man daſelbſt erft kennen lernte, die Färberei, Glasfabrikation u. dgl. m. Außer Italienern ließen fih Provencalen, Engländer, Catalanen hier nieber, doch überwogen die Italiener und unter dieſen die VBenetianer und Genuejen. Der Berf. fest einjihtig und klar die inneren Berhältniffe der italieniihen Colonien auseinander und jchilvert beſonders ausführlic den zwiſchen Benetianern und Genueſen ausgebrochenen Colonialkrieg, wel» der un 3. 1255 begann und 1270 durch einen Waffenſtillſtand auf Läns gere Zeit beendet ward. Syrien wurde bei allen Kämpfen in Mitbrus verichaft gezogen. Die Fehden und Kriege durch Handelsneid hervorge: rufen erleichterten den Feinden den Sieg und vergebens bemühten fich oft die Päpſte, zwiichen den rivaliſirenden italieniihen Staaten Frieden zu Kiften. Rad dem Falle ver chriitlihen Staaten im Oriente verloren bie Staliener an Hab und Gut ungemein viel, aber die Handelsverbindungen, bie fie zur Zeit der Kreuzfahrten mit Damascus und Aleppo angeknüpft hatten, trugen auch noch jpäter Früchte, und beſonders Beyrut ward das Hauptziel für ihre Hanbelsflotten.

Sodann wendet fih der Hr. Verf. zu Tripolis, deſſen Gebiet Graf Raimund von Touloufe zu erobern begann. Heyd beitimmt mit Recht die Eroberung Kleingibellums (Dſchubeil, Gibelet) als in das Jahr 1104, und die Gründe, welde gegen v. Sybel's Zeitbeftinnmung (Zeitichrift für Geſchichtswiſſ. herausg. von Schmidt Br. I. S. 62), ver das Ful- tum in's Jahr 1102 fett, beigebracht werben, können als volllommen ſtichhaltig angefehen werden. ‘Der Hauptinduftriezweig in ten Städten der Grafſchaft Tripolis war die Seidenmanufaltur, ven berentenpften Handelsverkehr beſaß Tripolis. Von ten italimifhen Handelsnationen ließen ſich die Genueſen zuerſt hier nieder, da ſie auch bei der Eroberung von Tripolis weſentlich mitwirkten. Auch die Piſaner beſaſſen hier eine formliche Colonie mit eigener Gerichtsbarkeit. Obwohl die Venetianer fi an ver Vertheidigung der Stadt gegen Sultan Kelaun 1289 betheiligten, fcheint e8 dennoch nicht, daß fie eine beveutende Niederlaſſung vajelbft inne hatten. Wichtiger als Tripolis ift das Yürftenthum Antiochien, wo die Karavanenſtraßen aus dem mittern Aſien mündeen. Schon Ritter bat in feiner Erdkunde hierauf ausführlich aufmerkſam gemacht, XVII 1, p- 904 u. 2 p. 1606 ff. 1636 ff. Der Berf. beipricht jorann die bortigen italienifchen Handelskolonien, die mit der Entftehungsgefhichte des Staats anf das Inmigſte verflochten find und erzählt die Schidjule berjelben.

498 Ueberficht ber hiſtoriſchen Fitertur.

Der Berf. hat hiebei anch arabiiche Quellen im ergiebiger Weiſe benutzt Wichtig für vie italieniſchen Haubelsftaaten war tie Bildung des Künig- reichs Kleinarmenien, welches jeit 1200 in die Reihe der oriemtalijchen Staaten eintrat. Richt die einheimiſchen Produkte machten das Land den Stalienern werthvoll, aber bieher kamen die Waaren aus ven afiati⸗ ichen Gegenten zujammen, welche zu einem großen Theile hier den Land» transport mit dem Seetransport vertauſchten. Die Blüthezeit des arme nijchen Handels dauerte nur kurze Zeit, das Land litt durch die verhee⸗ renden Einfälle der ägyptiſchen Herriher ungemein. Yajazzo, der Haupt fit des armeniſchen Handels, war 1320 vom Sultan Naftr erobert, und obwohl die Armenier ji) jpäter wieder in den Beſitz desſelben fetten, jo drang die muſelmänniſche Occupation jeit 1360 immer weiter vor; ba Pand wurde jeit 1375 eine ägyptiihe Provinz. Inden wir dem Hrn. Berf. jür die reihe unv manigfaltige Belehrung unjern aufridtigen Dank fagen, fügen wir ten Wunſch bei, die verfprochenen Yortjegungen über die Kolonien in Kaffa und Zana, welde nun die Bermittlung zwiſchen Orient und Occident übernahmen, bald veröffentlicht zu fehen. A. B.

Relazioni degli Ambasciatori Veneti, ed. FEugenio Alberi Ser. II. Vol. 5 (®b. II der Eammlung) 1858 1. Ser. Vol. 4(Bd. XII d. S.). 1860.

Mit dem erfteren diejer zwei Bünde ift die zweite Serie der befann» ten Alberijhen Sammlung, die der Relationen über die italienijchen Staa- ten gejchloffen; die dritte Serie, bie ver Berichte über das osmanuiſche Reich, ift ſchon früher beendet worden; der erſten, welche tie übrigen europäiſchen Länder umfaßt, gehört der zweite der hier angezeigten Bände an; ihm ſoll noch ein fünfter, Spanien betreffender, und ein jechfter, ver bie noch nicht publicirten Relationen über Teutichland, ſowie über Polen und bie Übrigen in Betracht kommenden nordiſchen Länder enthalten wird, folgen; mit dieſen wird Dann diefe Serie und zugleid das ganze Alberi- che Unternehmen jeinen Abjchluß erreichen.

Beide hier anzuzeigenden Bände enthalten auch diesmal höchſt werth⸗ volle Beiträge; in dem erfteren bemerken wir, neben vier Relationen über Mailand (die erfte von 1520) und mehreren über Neapel, Sicilien und verjchievene ber kleineren italienischen Staaten, bejonder8 die von Su- riano über Ylorenz von Jahre 1529, welche nun zufammen mit den ans deren früher publicirten Berichten von 1527 und 1530 (Bd. IL Fol. I.)

Stalin 1859. 4%

das venetianifche Material Über diefe letzten Jahre ber florentinifchen Frei- beit ergänzt. Den Hauptinhalt des Bandes machen aber die Relationen über Savoyen aus; auch über dieſes find einige ſchon in früheren Bän⸗ den enthalten; hier erhalten wir nun noch eine ftattliche Reihe hiezu, bie von 1566 bis 1601 reiht. Man braucht diefe Periode nur zu nennen, um anzudenten, von wie großer Wichtigfeit dieſelben find; es ift das Zeit- alter Emanuel Filiberts, des großen Neugrünvers des ſavoyiſch⸗piemonte⸗ ſiſchen Staates, und feines Sohnes Karl Emanueld I., der in unabläßi- gen Kämpfen und Projekten nad allen Seiten hin als großer Krieger, als gewandter Diplomat die neugewonnene PBofition und Macht feines Landes erprobte und auszubeuten ſuchte. Die enge Verbindung ber In⸗ treffen, worin Venedig mit dieſem Herzogthum in ver entgegengejetsten Ede Italiens ſtand, ließ die Oratoren der Republik mit bejonderer Aus» führlichkeit die Natur dieſes Staates, feiner Fürſten, jeines Volkes, feiner Hilfsmittel, feiner Verbindungen ſtudiren und ſchildern, und man wirb ben piemonteſiſchen Geſchichtsſchreibern kaum zu nahe treten, wenn man dieſe Relationen als das weitaus bebeutenpfte Material für die Geſchichte jener beiden großen Fürſten bezeichnet, welches bis jett vorliegt. Wir wollen bemerfen, daß mehrere verjelben bereits im Anfang dieſes Jahr⸗ hunderts handichriftlic benützt worden find in dem trefflihen Werke von Saluces, histoire militaire du Piemont. Turin 1818.

Der zweite diefer Bände enthält dreizehn Relationen über Frankreich, von denen nur vier bisher durch die Ausgabe von Tommaſeo befannt waren. Bemerfenswerth ift hier namentlich die erfte von Zaccaria Con- tarint aus dem Jahre 1492 als die ältefte aller überhaupt bis jetzt be= kannt gewordenen venetianiichen Relationen, älter auch als vie früheften bon denjenigen, welche nur auszugsweiſe in dem großen handjchriftlichen Tagebuch des Maria Sanudo enthalten find. Contarini begab ſich nach Frankreich, um Karl VII. zu feiner Vermählung mit Anna von Bretagne, der einftigen Verlobten Maximilians J., zu beglüdwünjchen; feine Schil⸗ derungen bes Königs und ber Königin, fein Bericht von der Lage bes Landes, von dem Stand ber k. Finanzen, von der Einrichtung der Steuern, Alles in einer alterthümlich naiven Sprache, die noch ringt, ſich aus ben Banden des Iateinijchen Gejchäftäftiles loszuwinden, ift im hohen Grabe anziehend; zwei Jahre nach dieſer Relation unternahm Karl VII. jenen bekannten Zug nad Italien, der eine neue verhängnipvolle Epoche in ber

Geſchichte dieſes Landes bezeichnet. Leider ift die Relation nur ein Frag: ment; fie bricht ab, wo Contarini begann über den Hof Karl VIE. und über vie Parteien an tenjelben zu ſprechen. Die übrigen Stüde dieſes Bandes gehören ver zweiten Hälfte des jechzehnten Jahrhunderts au (1543 bis 1600): tie oben erwähnten ſavoyiſchen Relationen aus ver gleichen Zeit find aud für die Geſchichte Fraukreichs reich an manichjaltigen No tizen und bieten eine willkommene Ergänzung für manche Lüden, welde dieſe franzöfiihen Relationen doch laſſen. B. E

Luigi Cibrario, Brevi Notizie stricte e genealogiche dei Reali di Be voia, colla serie cronologica dei loro acquisti. Torino 1859. 4. Reti. 92 8.

Tiejes Werlchen ift eigentlich eine Gelegenheitsſchrift, tie der be fannte piemontejiiche Hiftorifer bald nach dem Kriege von 1859 verfaßt, in ber Abficht, dem größeren Publikum einen rafchen und leichten Lebe: blif über vie Geichichte der Monarchie zu ermöglichen, der ſich eben in diejen Tagen ganz Italien zuwandte. Dieſem Zweck zu Folge hält fiä die Darftellung natürlich in den engften Grenzen; nur in ben beigefügten Noten erörtert der Berfaffer einige Fragen genealogifcher, chronologiſcher und heraldiſcher Art. Bon Intereffe ift vie beigefügte tabellarifche md chronologiſche Ueberfiht über die jeweiligen territorialen Erwerbumgen md Berlufte des Haufes Savoyen von dem Grünter deſſelben, Humbert Beh band, au bis zur Gegenwart. Wir Inüpfen an bie Erwähnung tie Schriftchens den Wunſch, daß der Verfaſſer jein größeres Wert über die Geſchichte feines Vaterlandes, welches bis jett nach dem britten Vande der bis zum Tod des „grünen Grafen“ (1383) reicht, längere Zeit ji paufiren fcheint, recht bald fortjegen und namentlich feine Darftellung tet jo wichtigen Zeitalter Ameveus VIII. den Freunden italienifcher Geſchicht nicht vorenthalten möchte. B. E.

Relazioni degli Stati Europei lette al Senato dagli An- basciatori Veneti nel secolo decimo settimo, raccolte ed ar notate da Niccold Barozzi e Gnglielmo Berchet. Serie I, Spagna Voll 1856 Ser. II, Francia Vol. 1. II. 1857. 1859. Venezia, Naratovich.

Die von Alberi herausgegebene Tlorentiner Sammlung von ver zianifchen Relazionen beſchränkt fih ihrem Plane nah auf das fechzehate Jahrhundert; die hier vorliegende venezianiiche Ausgabe von Barezzi und Berchet ift für das ſiebzehnte beftimmt und bildet die Fortſetzung jew. Dan jollte meinen, daß für biefes Jahrhundert, welches an aller Art

Stalin 1859. 501

geſchichtlichem Material und namentlih auch an fpeciell diplomati⸗ nicht cben Mangel leivet, dieſe Geſandtſchaftsberichte wohl Etwas bem eigenthümlichen Werth einbüßen müßten, ven fie für vie frühe: Zeiten anerkannter Maßen befigen, zumal ja überdies vie Politil ver bit jetzt bekanntlich ſchon faſt völlig fich auf dem Wege ver Neu⸗ ät quand memo befeftigt hatte und allein nach dem Orient hin noch Activitãt zeigte. Indeß ift dies durchaus nicht der Fall. Diele jionen behalten doch nach wie vor ihren jpezifiichen Charakter, der jie ede Zeit werthvoll macht und ber von andern Altenftüden verwandter boch niemals erreicht worten ift; Romanin hat noch jüngft in dem fchienenen Bande feiner venezianiichen Gejchichte eine Relazion über Infänge der franzöfiichen Revolution herausgegeben, und nod viele, ſcheinlich vie letzte, welche gejchrieben worden ift, wird man nidt Genuß und Belehrung leſen. So hat aud im fiebenzehnten Jahr» ert Benevig von ter hohen Warte jeiner europäijchen Friedenspolitik mmabläfjig fharfen Auges Wacht gehalten über all’ die großen ges tlichen Borgänge dieſes Zeitalterd, an denen es jich jelbit jo wenig nöglih, am liehften als frievenftiftenve une vermittelnde Macht be gte; es will uns fat ſcheinen, als habe, jei e8 gerade bieje Weiſe fortwährend ſcharf beobachtenden Politik, ſei es die fortgejeßte Praxis Tradition dieſer Art diplomatiſcher Schriftſtellerei, oder endlich die janpt dem ſiebenzehnten Jahrhundert unzweifelhaft eigene Steigerung zubliciſtiſchen Thätigkeit und Fähigkeit, auch dem Geiſte dieſer vene⸗ ſchen Oratoren noch etwas von Schärfe der Beobachtung und Klar⸗ des Urtheils hinzugefügt, als ſeien dieſe Relazionen des ſiebenzehnten Genderts ſachlich und formell im Allgemeinen ven früheren noch über⸗ . Dan darf e8 vielleicht als ein Symptom dieſer potenzirten Auf- ugsweiſe hervorheben, wenn bier einmal in einer Relazion aus Spas» zur Charakteriſtik des Landes auch des blühenden Stantes ber Pi- ne gedacht wird (Simeone Contarini Relaz. di Spagna Vol. I pag. 335); mimt jonft, wenn wir nicht irren, eine ſolche Rüdjichtnahme auf geiftige Leben einer Nation in biejen diplomatijchen Aftenftüden wohl I dor. Mit ven Relazionen aus Spanien wurde im Jahre 1856 die Samm⸗ eröffnet; der einzige bis jett erichienene Band dieſer Serie reicht 16823. Die inmerfte Art der ungebeuren ſpaniſchen Monarchie, bie

502 Neberficht der hiſtoriſchen Literatur.

unter Bhilipp IT. und IV. und ber Günftlingswirtbichaft fchon unver: fennbar hervortretende Fäulniß des Koloſſes werben bier in den ftärkften und harakteriftifchften Zügen mit veichem Detail und mit erftaunlich kla⸗ rem Bewußtjein aller Zufammenbänge geſchildert. Wollten wir Einzel⸗ nes hervorheben, fo würden wir namentlich auf eine Relazion von Alvife Mocenigo 1626 —1631 (Vol. I. p. 592 697) hinweiſen, ſachlich und formell wohl eine der vorzüäglichiten, welche überhaupt bis jet bekannt geworden find.

Die beiden folgenden 1857 und 1859 erjchienenen Bände enthalten die Berichte aus Franfreih vom Beginne des Jahrhunderts bis 1655; bin und wieder, wo einzelne Relazionen fehlten, hat man dafür Auszüge ans den Depeichen ver betreffenden Geſandten eingeſchaltet. So reich bie Geſchichte Frankreichs unter Heinrih IV., Richelieu, Mazarin durch bie eigene franzöſiſche hiftorifche Literatur illuftrirt ift, immer werben zeitge⸗ nöffishe Zufammenfaflungen viefer Art noch beinerfenswerthe Einzelheiten. und Geſichtspunkte hinzufügen. Bon beveutendem Intereſſe find unter an» derm die Depeichen des durch fein tragiiches Ende befannten Antonio Foscarint, der von 1608 bis 1611 Geſandter in Frankreich war und bie legten Zeiten Heinrih’8 IV , feinen Tod und bie Anfänge ber es gentin Maria von Medici auf's eingehenpfte ſchildert (Vol. I. p. 303 382). Bor allen wird die biefen Nelazionen eigene Rüdjichtnahme auf Finanzen und Verwaltung hier wie anderwärts die gewöhnlichen Lücken der meiften übrigen Quellen oft in willkommener Weife ausfüllen können.

Dieſe Sammlung iſt auf ſechs Serien, je eine für Spanien, Frank⸗ reich, Deutſchland, Nom und die Türkei, vie jechfte für England und bie Heineren in Betracht kommenden Staaten angelegt. Der Arbeit ber Herausgeber bei den vorliegenden drei Bänden ift das Lob des Fleißes und der Sorgfalt zuzuerfennen, welche man bei den Florentiner Editoren bisweilen vermißt; jo fine namentlih vie den einzelnen Relationen vor⸗ ausgeſchickten biographiihen Skizzen über ihre Verfaſſer ſehr dankenswerth und bringen mancherlei intereffante biftorifche und literariſche Notizen; bie Erläuterung einzelner Stellen in ven Relationen durch Bruchftüde aus den Depeichen deſſelben Gejanbten empfiehlt ſich gleihjalls fehr, und bürfte man vielleicht diefem Verfahren eine noch ausgebehntere Anwendung winfchen. Wir hoffen, daß das Unternehmen recht bald feinen feit 1859 unterbrochenen Fortgang gewinnen möge. B. E.

Stalien 1859. 503

Francesco Storsa Benvenuti Storia di Crema. Milano 1859. 2 Vol. 8.

Zu den mannigfaltigen Monographien über die Gejchichte einzelner oberitalienifcher Städte gejellt fich hier eine neue über Crema. Das ift das Eigenthümliche vor allen ver lonibardiſchen Städte, daß fie gleihjam Individuen find, die zur Biographie reizen; benn wenn es die Haupter⸗ forberniffe einer folhen find, daß man einmal ein Individuum vor fi habe, das durch die Eigenthümlichfeit jeiner Art und feiner Schidjale ſich kenntli und merkwürdig macht, und welches zugleih in Mitten größerer allgemeiner Bezüge gelebt und gewirkt hat, fo trifft dies, wenn man ben Bergleih von einem Einzelweſeu zu einer ſtädtiſchen Gemeinichaft machen barf, in vorzüglicher Weite bei diejen Städten zu, deren jede eine Reihe wichtiger, ihr. eigenen Entwidelungen nnd Begebenheiten aufweift, während doch jede auch wieber in den größten weltgejchichtlichen Zujammenhängen mit größerer ober geringerer Bedeutſamkeit eine Stelle hat.

Die eigentliche Geihichte von Crema beginnt nicht vor dem elften Jahrhundert; denn wir werben gern ven fabulöſen „Grafen“ Crema's, mmter welchen, wie e8 beißt, vie Stadt bald nad dem Einfall Alboins in Italien gegründet ward, dem Cremasſscher Yocalpatriotisinus zu aus⸗ ſchließlicher Benutzung überlaffen; aber in ver Zeit der Erhebung ber Communen gehörte Crema zu den erſten Städten, die durch Waffengewalt ihre municipale Freiheit errangen; zugleih mit dieſem Schritt beginnt auch die mehr als hundertjährige erbitterte Fehde, die e8 mit dem be⸗ nachbarten Cremona zu führen hatte, weil dieſes nach einer Schenkung der Markgräfin Mathilde Anſpruch auf das Cremascher Gebiet erhob. Diefe Feindſchaft trieb Crema in das engjte Bündniß mit Mailand und mit diefem Borort der lombarbiichen Stäpte bleibt e8 in ver längiten Zeit feiner Selbftänpigkeit in nächfter Verbindung. Im Jahre 1159 lag Barbaroffa, verbündet mit Cremona, Lodi, Pavia, vor der Stadt; eine benfiwärbige Belagerung von mehr als ſechs Monaten; zuletzt ward bie Stadt erobert und zerftört; lange Zeit hindurch verhinderte die Erbfein- bin Cremona, ver das Territorium von Barbaroffa zugewiefen war, ben Wiederaufbau; an der großartigen Erhebung des lombarbijchen Bundes, an dem Conftanzer Frieden hat Crema, wenigftend als Stadt, feinen An⸗ theil nehmen können; erſt zwei Jahre nach dem letzteren 1185 erlangten vie Mailänder von Barbaroffa, ven Cremoneſen zum Trotz, die Erlaub⸗

504 Ueberfiht der Hiftorifchen Literatur.

niß, bie Stadt wieder aus ihren Zrümern zu erheben. Nun folgten allent- balben die wilden ftädtiichen Kämpfe der Guelfen und Ghibellinen; wie in Mailand überwog in Crema bie guelfifche Bartei unter Führung bed Hauſes Benzoni, die Öhibellinen ftanden ihnen entgegen unter ven Contis fani; wie überall endlojes aufreibendes Ringen und Schwanken zwiſchen beiden; nachdem in Mailand die Bisconti Über die guelfiſchen Torre ges fiegt, fommt e8 wohl in Crema einmal im Anfange des 15. Jahrhunderts zu einer Heinen Localtyranıms der Familie Benzoni, aber es währt kurz jo kehrt die Stapt wieder unter die directe Herrſchaft des viskontiſchen Mailand zurüd. Und fo. blieb es bi8 zum Ende der Visconti; nad ihrem Ausfterben gehörte Crema zu den Städten, die Francesco Sforza, ber neue Herr von Mailand, an Venedig abtrat, und bis zum Ende diefer Republik ift e8 dann eine ber venetianijchen Unterthanenſtädte geblieben. Dies ift die Geichichte, Die uns hier von einem Abkömmling einer ber älteften Cremascher Familien gejchilvert wird. Auf erſchöpfende Gründ⸗ lichkeit und auf ftrenge Kritik, namentlid in den älteren Parthien, dürfte das Werk feinen Anſpruch erheben; für die fpäteren bringt e8 zum Theil aus Handfchriften und Familienardhiven manche nicht uninterejlanten Bei- träge (Fol. I, S.297, ein intereffantes, ungebrudtes Fragment von einer Predigt des Bernardino da Feltre, 1493 in Crema gehalten, culturhifto- riſch merkwürdig); von Werth ift u. a. auch das Kapitel, worin er un» befangen und unpartheijch in dem Beijpiel von Crema das Verfahren der Benetianer gegen ihre Unterthanenſtädte auf der Terraferma eremplificitt. In zwei legten Kapiteln erzählt ver Berf. noch die Geſchichte jeiner Ba- terftabt von der franzöfiichen Revolution an; die Bublilation des Buches wurde im Februar 1859 von der öfterreichiichen Polizei verboten; nad) bem Kriege erfchien e8 dann bis auf die neuefte Zeit fortgeführt. B.E.

Nuova istoria della republica di Genova del suo commereio e della sua letteraturs dalle origini all’ anno 1797 narrata ed illustrata con note ed inediti documenti da Michel Giuseppe Canale. Vol. I. p. 472. Vol. IL. p. 688. 1859.

Der Berfaffer hat fi) durch feine Arbeit unftreitig ein großes Ver bienft um bie Gejchichtfchreibung erworben, indem er durch dieſe ausführ- liche Geſchichte feiner Vaterſtadt einem wahrhaften Bedürfniß entſprach. Die Vorarbeiten, welche er dazu angeftellt hatte, befähigten ihn in jeber Hinſicht dazu. Abgejehen von ven reichhaltigen genuefifchen und piemon-

Stafien 1859. 508

tefiichen Archiven, die ihm zu Gebote fanden, hat er es auch in Venedig, Florenz ımd Wien an Nachforſchungen nicht fehlen laſſen und auf Diele Weiſe ein reichhaltiges Material zuſammengebracht. In den vorangefcid- ten diseorso storico gibt der Verf. eine Überjichtlihe Gejchichte Genua's von den älteften Zeiten 5i8 zum Jahre 1100. So richtig im Ganzen das Bild ift, welches mit geübter Haud bier entworfen ift, je läßt ſich anderfeit3 nicht in Abrebe ftellen, daß einzelne Irrthümer nıitunterlaufen, bie bei kritifcher Würdigung ter vorhandenen Quellen hätten vermieten werben fönnen. Der Berf. kann ſich von einzelnen Vorurtheilen und Hy⸗ potheſen, bie von gründlichen deutſchen Hiſtorikern längſt Lejeitigt wurden, nicht losmachen. Defto mehr befriedigen die folgenden Abſchnitte. Die exſte Periode vom Jahre 1100— 1190 behandelt in ſechs Büchern die imnern und äußern politiſchen, ſocialen und commerciellen Verhältniſſe Ge- aua’s. Der bie politiihe Geſchichte behandelnde Abjchnitt, mit den Kreuz⸗ zügen beginnend und mit dem Tode Friedrich I. endend, bietet nichts weſentlich Neues, wohl aber vie Parthien über tie Verfaſſung Genua's. Unbedingtes Lob vervienen die Abſchnitte Über den Stand und Verkehr Genna's bis an's Ende des 12. Yahrhunderts. Der Verf. gibt erſt eine Ueberficht des Handels in den legten Jahrhunderten vor Chriſti Geburt, und ſchildert ſodann ven genuefiichen Handel im Bosporus und Pontus Baxinus, auf den Balearen und Spanien, Frankreich und int Übrigen Itas hen. Iſt auch nicht Alles neu, jo verdient doch die are und faßliche Zuſam⸗ menftellung alle Anerkennung. Wichtig find die beiten Kapitel delle leggi commercisli und dei Consolati (S. 371— 379), weil ter Berf. bier ein Gebiet betritt, welches leider noch jehr wenig aufgehellt iſt und ter Bear⸗ beitung jo ſehr bedarf. S. 382 ff. werben zwei Preistafeln aus dem 12. Jahrhundert veröffentlicht. Das fünfte Buch beſchäftigt fich mit Kunſt, Wiſſenſchaft und Literatur der Genueſen, wofür tie storia letteraria della Liguria vorgearbeitet bat. Noch mehr Ausbeute liefert ter zweite Band, der bis zum Jahre 1270 reiht. Unter ten jehr interejjanten Kapiteln dieſes Theiles heben wir wieder bejonverd die materiell » commercielle und imbuftrielle Verhältniſſe behandelnden hervor. So S. 112 della moneta d’oro e della Zecca genovese und das fiebente, achte, neunte, zehnte und elfte Buch. Manches finvet jich jchen in dem vor einigen Jahren ver⸗ öffentfichten Werte des Verfaſſers Über die genuejiichen Kolonien in ber Leim. Einige unweſentliche Punkte bepürfen hier ver Berichtigung. So

506 Ueberfiht ber hiftorifchen Literatur.

3. B. was über die Geſchichte des Wechſels beigebracht wird; die Arbei- ten von Ahrens und Biener find dem Berfaffer unbelannt und er begnügt ſich Pardeſſus abzujchreiben. Der im beurigen Jahre cerfchienene dritte Band ift nns noch nicht zu Geſichte gefommen. A, B.

Negociations diplomatiques de la France avec la To» cane. Documents recueillies par Giuseppe Canestrini et publids par Abel Desjardins. T.1. 4. LXVII. S. 714. Paris, 1859. 8.

Herr Desjardins hat fih die Aufgabe geftellt, alle jene Documente zu ſammeln, welche auf die diplomatiſchen Berhandlungen zwiſchen Frank⸗ reich und Toscana Bezug haben und er wird von den in Italien all befannten Hiftorifern Caneftrini und Bonaini unterftägt. Die Sammlung, deren eriter Band hier veröffentlicht wird und einen Theil ver Documents inedits bilvet, wird aus mehreren Bänden beftehen. Bis jeßt liegen bie bireften Verhandlungen zwijchen Frankreich und Toscana unter den Valois und zwar von Philipp von Balois bis zum Tode Karla VIN. vor. Der Herausgeber bat fi durch feine Einleitungen, welche er jever Epoche vor» herſchickkt, durch die biographiichen Notizen über jeden Geſandten ein bejonveres Berdienft erworben. Jede Verhandlung wird überdies durch eine Heine Skizze eingeleitet, die uns ermöglicht, das Weſentliche und Bes beutende herauszufinden. Die politifchen Beziehungen zwiſchen Frankreich und Toscana, die in der Folge immer beveutender wurden, batiren feit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Bon großem Intereſſe find die Handelsverbindungen, die zwijchen Florenz und Frankreich in den legten Jahrhunderten des Mittelalters ſtatthatten. Jede Zunft war im Aus lanvde durch Konjuln vertreten. Am bedeutendften war vie arte di Celi- mala, welche ſich mit dem Appretiven der franzöfiichen Tuche befchäftigte, bejonver8 das Färben war ein einträgliches Gewerbe. Die vorzüglichften Zwifchenorte des Handels waren Narbonne, Montpellier und Marjeille; bie Babrifen von Paris, Saint Denis, Bourges, Rouen, Caen, Monti- villiers, Troyes, Lagny, Provins, Avignon, Arles, Toulon, Marſeille, Nimes, Montpellier u. m. a. lieferten die meiften Tuche. Die Rurustuche wurden größtentheild aus Italien nah Frankreich geführt, welches bie rohen Zuche den Italienern lieferte. Nicht minder wichtig war die Wol- Ienweberei, wozu der Rohſtoff aus Portugal, England, Franfreih, ver Berberei, den Balearen bezogen wurde; im 9. 1338 wurden etwa 80,000 Stück im Werthe von 1,200,000 Goldgulden gefertigt, und be-

Stalien 1859. 507

hauptete ſich bis ins 15. Jahrh. ‘Die Seivenwebereien von Florenz mach⸗ ten jchon feit dem 13. Jahrh. den andern italienijchen, beſonders den in Lucca gefertigten Concurrenz; bie franzöftjchen Märkte wurden mit flo- ventinischen Arbeiten förmlich überſchwemmt.

Die Angaben, welche wir über das florentinifche Wechſelgeſchäft er- halten, find nur theilweiſe von Belang. Das Meifte ift längſt befannt, ebenjo was wir über die Innung der medici e speciali erfahren. Die Ausein- auberjegungen der Herausgeber über die politijchen Berhältniffe von Flo⸗ renz bieten ebenfalls nichts Neues. Deſto intereflänter find vie Aftenftüde, welche uns in das Getriebe ber franzöſiſchen Politik einmweihen, nnd für vie Geſchichte des 15. Jahrh. mandes Beachtenswerthe enthalten; na⸗ mentlich die zweite Abtheilung, welche vie Periode Karl's VIII. umfaßt, iR berädjichtigenswerth. A. B.

Carte comparde de la Sicile moderne avec la Sicile au XII Sidcle d’apres Edrisi et d’autres gdographes arabes publide sous les auspices de M. le Duc de Luynes par B H Dufour geographe, et M Amari. Notice par M. Amari Paris, 1859, p. 51. 4.

Der berühmte Verfafler ver Geſchichte der Araber in Sicilien bat fi durch die Bemerkungen, welche er viefer Karte hinzugefügt, ein neues Berbienft um die Geſchichte und Geographie der Infel unter arabifcher Herrſchaft erworben. Die Hauptquelle, aus der er fchöpfte, um das topographifche Detail ficher zu ftellen, ift ver befannte arabijche Geograph Edriſi, der fein Werk im I. 1154 verfaßt hat. Die Arbeiten der neuen Gelehrten über Edriſi find mit außerorventlihen Fleiße benugt worden, namentlich Reinand, Colerel nnd Jaubert, der in den 9. 1836—40 die Arbeit des Arabers ins Franzöſiſche überjegt hat. (La geographie d’Edrisi trednite de l’Arabe en francais. 2 Vol. Paris.) Die früheren Arbeiten ita- Genifcher Gelehrten find ſehr lückenhaft. Unter ven neuern war auch Nies mand fo fehr geeignet für vie erafte Durchführung eines ähnlichen Wertes wie Amari, der aus eigener Anfchauung die Infel fennt und bamit eine außerordentliche Belejenheit arabijcher biftoriicher und geographifcher Werte verbindet. A, B.

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Oilpexiſqͥe Beitfäeift VL Bam. 34

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Vespasiano de Bisticio, vite di nomini illustri del secalo AT

Stalien 1859, 6509

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Guerres des Frangsis en Italie depuis 1794 jusqu’ & 1814, avec 16 cartes ot plans des principales batailles. 2 vols. Paris, Didot, 1859. VIII. 1012 8. 8.

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a

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Greppi, comte Joseph, Reve6lations diplomatiques sur ‘les relations de la Sardaigne avec l’Autriche et la Russie pendant la premidre et la deuxi&me coalition, tirdes de la correspomdance officielle et inddite des ambassadeurs de Sardaigne à Baint- Pötersbourg. ‚Paris, Amgot, 1859. 240 8. 8.

Costa de Beauregard, marquis, Souvenirs du regne d'Amé- dee YVIIl. premier duc de Savoie. Memoires accompagnds de pidces justificatives et de documents inddits., Chambdry, 1859. 275 8. 8.

Mandelli, Vittorio, Il eomune di Vercelli nel medio evo, studi storici. Vercelli, Guglielmo, 1858. Vol. II. III. 8.

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Bertacchi, D., Monografia di Bobbio, overro oenni storici, statistici, topografici ed economici. Pinerolo, 1859. 8.

Della oitta di Libarnia e memorie e documenti per servire alla storia della cittä e provincia di Novi, raccolti, publicati dal Sac. G. F. Capurro. Torino, 1859.

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'Schiavinae, Guillelmi, Annales Alexandrini, Edid. Vin- centius Ferrerus Punziglionus, Augustae Taurinorum, 1859. 2 voll 600 u. 700 8. 8.

Mdmoires et documents de la Socidtd saroisienne d’hi- stoire et d’archeologie, & Chambery. Tome 11, 1858. Chambery, 1858, 8310 8. 8.

Enthält u. A.:; Rabut, numismatique, savoisienne. Mortillet, note sur la voie romaine qui traversait Passy en Faucigny. Rabut, documents relatifs au couvent de St. Dominique de Chambery. (2. serie). D’Arve, sur lancienncte, les noms ct la situation du diocöse de Mauricnne manuscrit de R. Esprit-Combbet,

Atti della societä Ligure di st oria patria. Vol. 1. Genora Ferrando, 1859. Fasc. 1 u. 2. 1858 u. 1859. 8.

Olivero, Agostino, bibliotecario, Monete, medaglio o sigilli dei principi Doria che serbansi nella biblioteca della regia Universita ed in altre collezioni di Genova, descritti ed illustrati. Genova, 1859. 107 8. 8. mit D Kpfrn.

Capelloni, Loronzo, La congiura di Giovan Luigi Fiesco, illustrata con note e documenti da Agostino Olivieri. Genova,

1858. 8.

Martini, Giuseppe, Storia della restaurazione della republica di Genova all’anno 1814, sua caduca e riunione al Piemonte, Fanno 1815. Con documenti inediti. Asti, Raspi 1855. 8.

Notizie storiche del tompio cathedrale di Pavia della sua origine fin al 1857, dal Canonico Bosisio. Pavia, 1858,

)

614 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur.

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Corio, Bernard, Storia di Milano, eseguita sull edizione prin- cipe del 1508, ridotta a lezione moderna con prefasione, cita e note del Prof. Egid. de Magri. Vol III. Disp. 21 22. Milano, Colombo 1859. 8. 641 —719. 8.

Casati, A, Milano ed i principi di Savoja; cenni storici. 2a ediz. rifuss ed aumentsta, Torino 1859. 16.

Odorici, F., Storie Brescianc dai primi tempi fino all’ eta nostra: Vol. VIII. Brescia, 1858 1859.

Codice giplomatico Bresciano dal quarto seculo sino all’ era nostra, raccolto e pubblicato da F. Odorici. Parte V. VI. Brescia 1859. 8.

m. Benetien und Wälſchtyrol.

Daru, Graf, Geschichte der Republik Venedig. Deutsch von Theod, Ruprecht 2te vollständige Ausgabe. 4 Bde Leipzig. C. Wi- gand, 1859. LXV, 1955 8. 8.

Dandolo, G., La caduta della republica di Venezia edi suoi ultimi cinquant’ anni. Studii storici. 2 vol. Venezia 1859. 8.

Romanin, S., Storia documenta di Venezia Tomo VIIL parte 1-4. Venezia, Narrotovich 1859. 60. 8.

Moroni, G, Venezia e quanto appartiene alla sua storia politica e religiosa, alle sue arti ed industrie, a suoi dogi ed a’ suoi vescovi e patriarchi. Venezia. 1859. 8.

Del diritto dei Veneziani e della loro jurisdizione sul mare adriatico. Opera del giureconaulto di Marostica e Vicenza Angelo Matteazsi prof. di Pandette a Padova nel seculo XVI ripubl. voltata in italiano 6 commentata da Leonardo Dudreville Venezia, 1859. 8.

Numismatica Voneta. Serie di monste e medaglie dei dogi di Venezia. Illustrasione scientifiche che fanno parte o possono starsene se- parate dalla storia dei dogi. Con tavole. Venezia 1859. 4. .

Stalien 1859. 515

Venétie devant PEurope, Correspondance diplomatique le Manin. Paris, Dentu, 1860. 47 8. 8.

Documents et piöces autbentiques laisses par Daniel Manin, s. un- sere Zeitschrift Bd. V 8. 213.

Bonato, Modesto ab, Storia dei sette comuni e contrade annesse, Fasc. XV, tom. 1. 2. Padova 1858. 112 S. 8.

Dario, della guerra di Chioggia d’un anonimo Padovano contem- poraneo ora per la prima volta publicato. Padova, 1859 p. 23. 8.

Relazione inedita di Pietro Sanudo Capitano di Padova del 27 Set- tembre 1572 al Veneto Senato. Padova 1859.

Monumenti artistici e storici delle provincie Venete. Descritte dalla commissione instituta da S. A J. R. l’arciduca Ferdinando Massimiliano Faso. I. Milano, 1859. 4.

Bibliotheca trentina ossia raccolta di documenti inediti e rari relativi alla Storia di Trento redatta di Tomaso Gar. Disp. VII a IX: statuti della cittk di Roveredo 1425 1610 con una introduzione di To- maso Gar. Trento, 1859. 8.

Gar, Tommaso, Ricerche storiche riguardanti l’autoritä e giurisdisione del magistrato consolare di Trento composte dal barone Giang. Crosseri, riordinate ed annotate. Trento, 1858. XXXI, 64 S. 8,

V. Parma, Movena, Toscana.

Poszzana, Angelo, Storia dellacittä& di Parma. Tomo V. Parma, tip. reale 1859. 450 u. 139 8. 4.

Chronaca Fr. Salimbene Parmensis. Parma, Fiaocadori, 1857. 425 8. 4.

Biancey, Henri de, Madame la duchesse de Parme et les derniers 6r6nements. Paris, Dentu, 1859. 175 8. 8.

Documenti relativi al governo degli austro-estensi in Modena pabblicati per ordine del Dittatore delle provincie Modenesi. Dispensi 10, 11, 12. Modena, 1859 60.

Scharfenberg, J. H. A, Geschichto desHerzogthums Mo-

516 Ueberfiht der hiftorifchen Literatur.

dena und des Herzogthums Ferrara. Bis zum J. 1815. Mainz, Kirchheim, 1859. VII. 294 S. 8. |

Nerli, senatore Fil. de, Commentari dei fatti civili occorsi dentro la cittä di Firenze dall’ anno 1210 al 1537. 2 voll. Triest, Coen, 1859. XIX. 517 S. 8.

Relations commercials de Flörence et de la Sicilie aveo l'Afrique au moyen-Age par M. L. de Mas. Latrie in der. bibliotheque de T’Ecole des Chartes IV. Serie tome V. 8. 209 ff.

Documenti relativi a Santa Caterina da Siena pubblicati nella occasione della dominica in Albis dell’ anno 1859 per Cura dell’ av G. B. Regoli. Siena, 1859.

Toecana e Austria. Cenni storico-politici. (Dispensa quarta della Bibliotheca Civile dell’ Italiano). Firenze, 1859. 8.

Trollope, T., Adolphus, Tascany in 18538 and 1859. London, Chapman, 1859. 340 8. 8.

Carletti, Mario, Quattro mesi di storia Toscana dal 27. Aprile al 27. Agosto 1859. Firenze, 1859.

Buon-Campagni, Considerazioni sull Italia centrale. Torino, 1859.

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V. Der Kirchenſtaat.

Ugolini, Fil, Storia dei conti e duchid’Urbino. 2 voll. Fi- renze, Grazzini, Giannini et Co., 1859. 16.

Redon, de Beaupreau, 'vicomte, Souvenirs de lexpedition d’Ancone, 1832 Paris, 1859. 27 8. 8. (Extrait de la revue contempo- raine, mai 1859.) |

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Gregorovius, Ferd., Les tombeaux des papes romains, tra duit par Babatier. Precddd d’une introduction, par M. J. J. Ampere. Pa- ris, Levy fröre, 1859. 315 8. 18.

Promis, Domenico, Monete dei romani pontefici avantiil mille. Memoria. Torino, stamperia reale, 1858. 109 S. 8.

Pelletior, Abbe V, De la numismatique papale. Paris, Prin- guet, 1859. 14 S. 8. (Extrait de la Revue de l’art chretien.)

La Rome des papes, son origine, ses phases sucoessives, ses moeurs intimes, son gouvernement, son systeme administratiff Par un ancien me- moire de la constituante romaine. Traduction del’ ouvrage italien inddit. 3 vols. Basel, Schweighauser, 1859. Vol. I, XXIV, 518 8. 12.

Azeglio, Marquis Roberto d’, The court of Rome and the gospel. Translated from the Italian. With a preface by A. H, Layard. London, Murray, 1859. 8.

Poraldi, Mario Felici, Analisi critica sull’ origine della temporale do- minazione dei papi e sulle apologie dello stato presente di questa sovra- nitk, Be edition. Bastia, 1860. 413 8. 8. |

Constant, B. M., L’histoire et l’infabilitd dos papes ou recherches critiques et historiques sur les actes et les decisions pontificales que divers dcrivains ont crus contraires & la foi. Lyon et Paris, 1859. 2 vols. 910 S. 8.

Maguire, John Francis, Rome, its ruler and its institutions. 2d editiou, considerably enlarged. London, Longman, 1859. 560 8. 8.

Maistre, J. de Du pape, löe edition seule conforme & celle de 1851, augmentde de lettres inddites de l’auteur, de notes, et d’une table analytique. Paris et Lyon, Pelagaud et Ce., 1859. XLIV. 508 8. 8.

Veutllot, Louis, De quelques erreurs sur la papaute, Paris, G@aume fr. et Duprey, 1859. LVII, 804 S. 18.

518 Ueberſicht ber hiſtoriſchen Literatur.

Laubert,*) K. Wilh, Vitae Urbani Il. papae. Part. L Dissert, inaug. Breslau, 1858. 45 8. 8.

Ranke, Leopold, The history ot the papes, their church and state; the sixtoenth and serventeenth centuries. Translated from the las edition of the German by W. K Kelly. New edit. London, Routledge, 1859. 8.

Histoire du pontificat et de la captivitd de Pie VI. % edition. Lille, Lefort, 1859. 2148. 18.

Histoire du pontificat de Pie VIl., oxtraite en grande partie de Youvrage de M. Artaud et des mdmoires du cardinal Paoca. 40 «dition. Lille, Lefort, 1859. 204 8. 12.

Wiseman,Cardinal, Souvenir sur les quatre derniors papes et sur Rome pendant le pontificat. Traduit de l’anglais par l’Abb4 A. Goemaero. Bruxelles, 1859. 602 8. 8.

Balleydier, Alfonso, Storia della rivolusione di Roma. Quadro religioso-politico-militare degli anni 1846—1850 in Italia. Versione italiana coll’ agginnta di note e documenti storici, illustrata da incisioe, litografie e due quadri. Disp. 36—38. Milano, Guiglidimi, 1858. & 163. m. Kpfrn. 8.

Hercolani, conte E. Gaddi, Storia dello stato pontifieio considerata nelle sue oittà municipie e famiglienobili. Nani, Gattimelata, 1859.

—,storia degli ordini equestri negli stati di sants chiesa. Roma, 1859. 8.

V. Neapel und Gicilien.

Capeoelatro P., Diario contenente la storia delle oose advenute nd Reame di Napoli negli anni 1647 1650; ora per la prima volta mem a stampa sul manuscritto originale con l’aggiunta di varii documenti per la piü parte inediti ed annotazioni del marchese A. Granito. Vol. Il e III. Napoli, 1859. 8.

*) Andere Monographien zur Geſchichte des Papſtihums finb umter allge meiner Geſchichte bes Mittelalters verzeichnet.

Staflen 1859. 619

Bianchini: Ludorvico, Storia delle finanze del regno di Napoli. Terzs edisione, riveduta ed accresciata dall autore. Napoli, 1859. 8.

Colletta, Pietro, General, History of the kingdom of Nap- les, 1734— 1825. Translated from the Italian by 8. Horner, with a supplementary chapter, 1825 - 1856. 2 vols. Edinburgh, Hamilton, 1858. 1080 8. 8.

Porcio, C., La oongiura de’ Baroni del regno di Napoli oontra il r& Ferdinando I. seguita da’ famigerati processi contra i Segre- tari ed i baroni congiurati, con molte notizie o documenti inediti per cura di St. Aloe. Napoli, 1859. XIV, 247 u. CCLXXV 8. 16.

Durelli, F., Cenno storico di Ferdinando II., re del regno delle du Bicilie. Napoli, 1859. 430 S. 8.

Castille, Hippolyte, Ferdinand II., roi de Naples. Aveo portrait et autographe. Taris, Dentu, 1809. 64 8. 32.

Gemelli, Giovanni, Napoli e Austria. Cenni storici poli- tel. Firenze, 18569.

Santis, Tommaso de, Storia del tumulto di Napoli. Vol I. II. Trieste, Coen, 1858. 244, 230 S. 8.

Collectio Salernitana publicata per cura di Salvatore de Renzi. VoL 1—5. Napoli, 1857—59. 8.

Volpicella, 8, Delle antichitä d’Amalfi ed intorni in- vestigasioni. Napoli, 1859. 90 S. 8.

Riccs, E., La nobilitä del regno delle due Bicilie. F%sc. 1-3. Napoli, 1859, 60. 8.

Me&moires historiques pour servir à l’'histoire de la Revolution sillienne de 1848 et 1849. Traduit de l'italien. Neuchätel, 1859. VIII u 769 8. 8.

wm. Die italienifgen Iufeln.

Conte-Grandchamps, La Corse, sa colonisation et son röle dans la Möditerrande. 2. ‘Sdition. Paris, Hachetie et Co., 1859. XIII, 194 8. 8,

520 Ucherfict ber hiſtoriſchen Literatur.

. Buttafoco, comte de, Fragments pour servir & |’histoire de Corse de 1:64 & 1769, accompagnes de notes. Bastia, 1859. 189 8. 8.

Giamarehi, Fr. Maria, Vita politica di Pasquale Paolo.

Basti, 1858. XL, 510 Ss. &

Porter, Major Whitworh, A history of the knights of Malta, or the Ordre of the Hospital of St. John of Jerusalem. 2 vols. Londons, Longman, 1859. 1020 S. 8.

Vertot, abbe de, Histoire des chevaliers hospitaliers de Saint-Jean de Jerusalem, appelds depuis chevaliers de Rhodes ot aujourd’hui chevaliers de Malte, revue et continude jusgue & nos joars, par A. M. L. de Bussy. 3 vols. Paris et Lyon, 1859. XIV, 1098 8. 12.

B. Literatur v. 3. 1860.

Cesare Balbo, Sommario della storia d'Italia dalle origimi fine = nostri tempi. Edicione undecima. Torino 1860.

Tie elfte Ausgabe viejes belannten, in jeiner Weiſe unũbertrefflichen Handbuchs ver italieniichen Geſchichte, weldyet, wie man wohl gejagt bat „das Vade mecum jeres guten Italieners jein jellte”, und über meldet jegt jete weitere Ausführung unnöthig ift. In ter Pomba'ſchen Ausgabe ter Bibliotheca popolare erſcheint daſſelbe hier zum zweiten Male, ber chert tur eine im Nachlaß tes Grafen Balbo gefundene Fortjetzung ven 1814 bis 1848; leiter ift tiefe Fragment geblieben, fie bricht in ve Mitte tes legtgenumten Jahres ab. B. K

JacobBurckhardt,Die Cultur der Rainaissancein Italier Ein Versuch. Basel, 1860. 576 S. 8.

Wenn ter Verfaſſer dieſes vortrefflichen Buches daſſelbe ala cm „Verſuch“ bezeichnen will, jo ertennen wir es um je mehr ale eine Pflicht dieſen Verſuch wenigitens einen in hervorragenter Weiſe gelungenen ;# nennen. Der tur bereutente Leiftungen auf näher und ferner liegenter Gebieten ſchon bekannte Verfaſſer unternimmt es hier ein culturgeſchichtliche

S

Stafien 1860. 521

Bild jener merfwürdigen geiftigen Entwidlungsperiove zu entwerfen, vie in Btalien begonnen und am meiften typiſch und ſelbſtbewußt ausgeprägt, für das geſammte moderne europäiſche Geiftesfeben vie erjten Keine und Anregungen enthielt. Die Erkenutniß und Darftelung dieſer Culturepoche ward bisher zumeift als literarhiſtoriſche Aufgabe gejagt; man erkannte in dem erneuten Studium der Echriftiteller und Denkmäler des Alterthums tie Hauptyuelle, oter wohl gar Fie einzige dieſer großen geiftigen Bewe⸗ gung und wandte in Folge deſſen aud) ven Blid hauptſächlich auf die— jnigen von ihren Hervorbringungen, tie mit ven überlieferten, zumeiſt ten literarijhen Reiten des Alterthums in der greifbarjten Verbindung Reben; man börte wohl bald auf die Eroberung Konſtautinopels und Die Auswanderung griechiſcher Gelehrter ald das epochemachendſte Ereigniß in dieſer Biltungsgeichichte zu Letradhten, man ging auf Petrarka und Zunte zurüd, aber immer blieb c8 neben dem kunſthiſtoriſchen, Der abs gelontert für fich betrachtet wurte faſt ausſchließlich ver literarifche Getihtspmit, der in's Auge gefagt wurde. Burdhardt hat hier einen ganz neuen Weg eingejchlagen und gebahnt: er hat zuerjt ftatt der Vites - taturgejchichte die geſammte Gultur ver Renaiſſance (mit Ausſchluß der bildenten Künſte, die er in einem bejeuteren Werk behandeln will) zur Aufgabe jeiner Tarftellung gemacht, und mit Tiefer Erweiterung ter Aufs gabe gewinut nun aud jener bisher faſt ausſchließlich behantelte Theil derielben, von Ganzen aus betrachtet, ein ganz eigenthümlich neues Licht und eine neue Stellung, tie ihm freilich Etwas von ter Bedentung nimmi, die man ihm bisher beizumeſſen pflegte. Wir müſſen dies ala eines der wichtigften Kejultate des Buches bezeichnen, daß in ihm die Gultur der italieniihen Renaiſſauce auf die breite Grundlage eines ganzen Vollkes— und Zeitgeiftes gejtellt, daß gezeigt wirt, wie Die Wietererwedung des Alterthums, von der fie den Namen trägt, und die man gern ald ben erzeugenden Quell des Ganzen darſtellte, Ted) eigentlih auch nur eines von ten Symptomen ter weit tiefer gegründeten, geſammten geijtigen Dispofition des Volfes und ter Zeit war, ein Symptom, das dann freis lich wiederum von ſich aus in ter einflufreichjten Weiſe weiter wirkte, Der Verfaſſer bat dieſes wichtige Reſultat nicht an ven Anfang feines Werles geitellt, er wirmet ihm jogar nur wenige Worte, dennoch leuchtet es in allen Abjchnitten überzeugend durch, daß in der That nicht die Wie— dexerwedung des Altertfuns allein, „jondern ihr enges Bündniß mit dem

622 Ueberficht ber Hiftorifchen Literatur.

neben ihr vorhandenen italienischen Volksgeiſt die abendländiſche Welt be zwungen hat”, und wir glauben, daß in dieſem Sat und in feinen Con⸗ jequenzen ein höchſt wichtiger und hier vortrefflich documentirter Beitrag zum Berftändniß der modernen europäiſchen Culturgeſchichte überhaupt ge geben ift. " Der Berf. theilt fein Werk in ſechs Abjchnitte: Der Staat als Kunſt⸗ wert Entwidelung des Individuums die Wiedererwedung des Alter- thums die Entdefung der Welt und des Menſchen die Gefelligkeit und die Feſte Sitte und Religion. Man mag aus diefer Angabe auf bie Mannigfaltigkeit und den Reichthum des Stoffes fchließen; denn ber hier vergönnte Raum würde nicht erlauben, auch nur einen einzigen jener Abſchnitte annähernd zu umfchreiben. Man wird mit Recht überall bie enorme Yülle geſchickt disponirten Materials, die wohl einzige Beleſenheit in einer wenig gefannten und zum Theil ſchwer zugänglichen Literatur bewundern; das größere Verdienſt befteht in der geiftvollen Weife, wie das culturgefchichtliche Material von dem Berf. zu einem Geſammtbild "verwebt wird, wie er die einzelnen Exrfcheinungsformen bis in ihre letten . Gründe hinein verfolgt und aus ihrem erkannten Wejen heraus die Symp- tome mit überzeugenver Klarheit und ſympathiſch feinem Berftänpnig ana⸗ Iytiich hervorgehen läpt. Es mag fein, daß die Gefahr, weldhe die ana- Igtiihe Methove, anf geichichtliche Objekte angewandt, immer hat, daß man alle Erfcheinungen, die fidy bieten, in das Bereich feiner Analyſe hineinziehen will und dazır bisweilen eines leifen Drudes bevarf, auch une jeren Berf. in einzelnen Fällen berührt bat; aber es dürfte dies doch nur Hleinere Nebenzüge betreffen; im Uebrigen glauben wir im Großen und im Kleinen diefes Wert als ein in hohem Grave gelungenes, ja wohl als ein Mufter für die Behandlung der Culturgefchichte überhaupt empfehlen zu dürfen. B. E.

Alfred von Reumont. Die Gräfin Albany. 2 Bbe (XII 445 n.422 ©.) Berlin, Verlag der ? geh. Ober-Hofbuchhrnderei (R. Deder), 1859. 8,

Herr von Reumont, dem wir ſchon jo manden intereflanten Beitrag zur italienischen Staats» und Culturgeſchichte verdanken, behandelt in feinem neueften Werk die traurigen Schidfale der Stuarts feit ihrer Ver- treibung aus England. Auf Grund der in einem Anhang aufgeführten und kritifirten Quellen wir vermweifen beſonders auf die Briefjanmlung

Italien 1860. 593

(11. 159—225) und die feinen Bemerkungen über einzelne dem vorigen Jahrhundert angebörigen, gewöhnlich jehr hoch geſchätzten Memoirenwerke (11. 254 ff. 291 ff.) entwirft verjelbe uns in warmer nnd lebendiger Darftellung, die eine gewiſſe Vorliebe für das legitime Königsgeſchlecht feineswegs verläugnet, ein Bild der Stuarts in Italien, ihrer Beſtrebun⸗ gen in der europäiſchen Belitik, ihrer Verbindungen wit italienijchen Häu- jern, ihres Berhältuijjes zum römiſchen Stuhle Des lebten Stuarts, des Prätendenten Carl Eduard, Gemahlin ift die Gräfin Luiſe von Stolberg- Gedeon, belannt unter dem Namen der Gräfin von Albany. Deren Schid- fale find zwar fchon häufiger mitgetheilt, zuleßt noch von U. von Stern- berg, aber erft hier find fie volljtändig und zuſammenhängend Dargelegt aus gleichzeitigen Aufzeichnungen, aus mündlichen Meittheilungen von Zeit: genoffen und befonders aus dem gebrudten und ungedruckten Briefmechiel.

Diefe Erzählung in’ihrem ganzen Berlauf auszugsweiſe mitzutheilen, ft und nicht geftattet; wir wollen hier nur auf den hohen Werth hinmeijen, den in dieſem Buche die interejjanten Schilderungen ſocialer und literari- ſcher Zuſtände Italiens befigen. Da erfährt jowohl Alfieri, ver geliebte Freund der Gräfin, eine eingehende Würdigung (I. 252 ff. 311 ff.), ale auch Ugo Foscolo einem in Yob und Tadel Maß haltenden Urtheile un- terworfen wird (vgl. II. 3 ff. u. 375 ff.).

Die vielen eingeftreuten Bemerkungen ebenjo über politifche wie litera- rifch-tünftlerifche Zuftände Toskanas während ver Regierung Leopolds 1. und beſonders der Periode Ferdinands I. verrathen immer ben tiefen Ken⸗ ner italieniſcher Dinge, deſſen politiicher Standpunlt freilid in gelegent- lichen Seitenhieben auf moderne Ereignijfe und Perſonen fi fund gibt, der aber trotzdem anzuerkennen bereit ift, „daß abgeſehen von allem revo- Intionären Schwindel und von ven obligaten Yanfaren und maßloſen Uebertreibungen neue mächtige Faktoren wirkſam geworben find im Yeben und Fühlen des italieniichen Volkes“ (1. 330).

Dieje Bejonnenheit des Urtheils verbunden mit der genauen Kennt⸗ niß Italiens, ift es, die in dem Leſer des Buches, auch bei abmeichenten politifchen Anfichten, ven Wunſch rege macht, daß ſich ber hochgeehrte Berf. zu einer zujanmenhängenven und zujammenfaflenden Darftellung des bier behandelten Abjchnittes italienifcher Gejchichte entſchließen welle! M.

Reuhlin, Dr. Hermann, Geſchichte Italien von ber Grün- Oiſoriſqhe Heitfärift VL Bam. 35

%

524 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur.

dung der regierenden Dynaſtien bis zur Gegenwart. 2. Thl. I.u II. Hälfte (vom Januar 1848 bis auf die Gegenwart) (A. u. d. T. Staatengeſchichte der neueſten Zeit herausgegeb. von Karl Biedermann). Leipzig, 1860. 8.

Der erſte Band des verdienſtvollen Werkes iſt ausführlich in dieſer Zeitſchrift beſprochen worden. Der und vorliegende zweite Band über- trifft num den erften formel und inhaltlih in jeder Beziehung. Dort ftanden dem Berfajfer manche werthvolle Arbeiten, namentlich italienijche zu Gebote, die nur gehörig benügt fein wollten. Hier mußte er erft aus dem Rohen arbeiten und aus Blaubüchern, Memoiren und andern Alten⸗ ſtücken, theilweife auch aus mündlichen Mittheilungen, den ganzen Stoff mühſam zufammenbringen, um ein interejjantes lebendiges Bil . der ita⸗ lieniſchen Verhältniſſe und Zuftände liefern zu fünnen. Mit geübter Hand entrollt er uns die jüngfte Vergangenheit. Die Klarheit und Unpartbei- lichkeit verdient alles Lob, mit der und der Verf. bald die Zuftände Si⸗ cilien® und Neapels, bald die Roms und ver Lombardei bloslegt und überall das gemeinfame Streben, das allmälige Reifen ver Nationalitäte- Idee, in der Zufammengehörigfeit nachweift. Der Verf. ift fih auch über feinen Stanppunft entweder klarer geworden over er ift weniger zurüdhaltend als im erften Bande. Die Berechtigung der italienischen Nationalitätsbeftreb- ungen findet an ihm einen warmen Anwalt, ber jedoch für die Märgel und Fehler des italienifchen Charakters nicht blind ift. Die Berichte ver verſchiedenen Parteien find umfichtig und kritiſch abgewogen und man kann fih im Weſentlichen mit den Urtheilen Reuchlin's einverftanden erklären; es ift ihm blos um die Wahrheit zu thun und er tritt einerjeitd ben gefärb- ten piemontefifhen Darftellungen mit Entjchievenheit entgegen und adoptirt anderſeits die öfterreichichen, wo fie ven richtigen Sachverhalt geben. Die Fehler und Irrthümer der italieniichen Politiker werben ſchonungslos auf⸗ gedeckt, obwohl die Sympathieen des Berf. ſich ihnen zuwenden. Was uns am meiſten freut, iſt das gereifte politiſche Urtheil über das Verhältniß Italiens und Deutſchlands. Die Anſicht bricht ſich in immer weitern Kreiſen Bahn, „daß ein national geſtaltetes Italien, wofür mehrere For⸗ men möglich ſind, ſich Deutſchland als natürlichen Bundesgenoſſen gegen das ſich beiden aufdringende Frankreich darbieten würde. Die deutſchen Kaiſer und Oeſterreich haben dieſe Aufgabe nach ihren Verhältniſſen, ſehr oft aber dem Zeitgeiſt entgegen, darum größtentheils nicht zum Segen für beide Völker angefaßt“. A. B.

Staften 1860. 625

Ricordi biografici di Vinoenzo Gioberti di G. Massari. To- rino 1860. Vol. I p. 383. 8.

Der Berfafier hat ſchon früher die nachgelaſſenen Werke Gioberti’s berausgegeben und liefert nun eine Biographie des berühmten Italieners, Die bis iu's Jahr 1838 reicht. Beſonders intereſſant ift das hier mitge- tbeilte Tagebuch ©. vom Jahre 1821 und der Briefwechſel, ven er nad jeiner Berbannung aus Turin mit bedeutenden Männern unterhielt. Das Bud, defien zweiter Band Gioberti's politiiche Thätigkeit als Minifter Carl Albert’8 darlegen joll, ift Har und einfach gejchrieben. A. B.

Operette varie del Cavaliere Luigi Cibrario. Torino 1860. » 455. 8.

Der gelehrte Verfaſſer auch in Deutichland durch jein größeres Wert über die politiſche Dekonomie im Mittelalter befannt, bietet nn8 bier eine Reihe von Abhandlungen, die in jever Hinjicht der Beachtung werth find. Der Aufjat über die Yinanzverwaltung des ſavoiſchen Hauſes im Mittel alter ift ein recht intereffanter Beitrag zur Gefchichte der Voltswirthichaft. Für den Specialhiftoriler verdient Beachtung der Abjchnitt Über die Gra⸗ fen von Afti vom 9. bis 11. Jahrhundert. Die Handelsgeſchichte ift durch die Abhandlung über den Sclavenhanvel der Genueſen vertreten. Die Germejen verkauften die gefangenen Sarazenen als Sclaven und be- trieben von ihren Colonien am jhwarzen Meere aus einen ausgedehnten Scla- venhandel. Dankenswerth find die abgedruckten Notariatsverträge über Berlänfe jeit 1391. Außerdem enthält das Buch auch einen Aufſatz über bie Entftehung der Zunamen, A. B.

Archivio storico Italiano. Nuova serie. Tom. Xl, Xll. Fi- renze, 1860. Giornale storico degli Archivi Toscani, Tomo IV. ibid.

Inmitten ver politiihen Bewegung, welche die geijtigen Kräfte ver Ration zu jehr in Anſpruch nimmt, um ungeftörte Ruhe und Mufe zu gelehrten Arbeiten zu gewähren, weldye aber andrerjeits diefe Kräfte manig« fach wedt und belebt, und auf willenjchaftlihen Felde fruchtbare Con⸗ traſte hervorruft, hat das florentinijche Archivio Storico Italiano den ſech⸗ hen Jahrgang feiner neuen Folge vollendet. Im Jahre 1842, in ruhi⸗ gen Zeiten, als Sammlung älterer Gejchichtswerfe und Documente be⸗ gonmen, nahm e8 im Jahr 1855 die Form einer hiſtoriſchen Zeitichrift an, Regierungen und gelehrten Gejellichaften die Bekanntmachung der noch

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526 Ueberficht der hiftorifchen Fiteratur.

ungebrudten Schäge der Hiftoriographie zur Ergänzung der vorhandenen großen Sammlungen überlaffend. Auf dieſem Wege ift e8 rüftig vor- wärts gefchritten, ungeftört durch momentane Ungunft oder Ungewißheit der Zeit, mit ſtets gleichem Eifer gefördert durch den werbienten Heraus⸗ geber, 3. P. Bieufjeur, welchen feine jechzehn Luftra nicht an viel feitigfter Thätigkeit hindern. Die noch lebenden älteren Revactionsmit- gliever und Mitarbeiter find dem Unternehmen meift treu geblieben; manche neue haben fih ihnen beigejellt, und wer das Berzeichniß jener durchſieht, die im Verlauf von 19 Jahren an diefem Sammelmerf mehr oder minder eifrig ſich betheiligten, wird äußerft wenige nur von ‘Denen vermiffen, vie überhaupt thätig geweien find auf dem Felde hiſtoriſcher Wiſſenſchaft. Ein Beweis, wie e8 in Italien an Zuſammenwirken und Mittelpunkten nicht fehlte; ein ehrenvolles Zeugniß für die toscaniſche Regierung, welche viefem mit Privatmitteln begonnenen und geförber- ten Unternehmen aufmunternden Schuß gewährte; ein glänzender Beweis der Umſicht, der Thätigfeit, der vermittelnden Billigfeit des vielbeſchäftig— ten Herausgebers, weldyer manche Klippe zu umfegeln, mandyerlei Anjprä- hen zu begegnen batte, während er einträdhtigem Zujanmenwirfen ben Sieg über partielle Zerwürfniſſe verjchaffte.

Der Yahrgang 1860, welcher den 11. und 12. Band der neuen Folge bildet, enthält gleih ven früheren zahlreiche ſelbſtändige Arbeiten über alle Epochen und Zmeige der italienijchen und mit Italien zuſam⸗ menhängenden Geſchichte. N. Zommafeo, welchen der dauernde Aufent- halt in Florenz wieder in engere Beziehungen zum Archivio storico ges bracht hat, gibt nicht weniger als drei gehaltvolle Aufjäte. Zwei der» jelben gehören ver neueren Geſchichte an. Sie handeln von dem Helden

Corſita's, Paoli, zu deſſen Biographie Tommaſeo vor Jahren durch Her⸗

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ausgabe der Correſpondenz das reichhaltigſte, von Kloſe wie von Grego⸗ rovius und von mir felbft benutte Material geliefert hat, und von deſſen Berhältnig zu Matteo Buttafuoco, wie von dem im vorigen Jahr ver ftorbenen Corfioten Andrea Muftorivi, ver ſich ebenfo durch feine Be⸗ theiligung am italienischen literarijchen Leben in ver Monti-Foscolo’ichen Zeit und feine italienische Ueberfegung des Herobot befannt gemacht, wie er in den Irrungen und Kämpfen feiner Heimath, von Capodiſtria's Ta- gen an bis auf die jüngfte Bergangenheit britifcher Lord-Ober-Commiffäre der jonifchen Inſeln eine Rolle gefpielt hat. Die etwas Lofe Form thut wenig

Ralien 1860. 527

ſtens dem leßteren, manche perjönliche Erinnerungen und geiftvolle Bemerkun- gen über den Charakter ver Injelgriechen und die Volkspoeſie in das Biogra- rhiiche verwebenden Aufja feinen Abbruch. Die dritte Arbeit Tommaſeo's ber ihäftigt ſich mit andern Zeiten, nämlich mit ver bi. Katharina von Siena in ihrem Berhältnig zu ven heftigen politiihen Partetungen in Florenz m Jahre 1378, in jenem Jahre, wo der Streit zwiichen ver dominiren- den gueffiichen Adelspartei und ihren um gerechte Theilnahme an der Re⸗ gierung ringenden Gegnern zu jener wüſten Empörung ver unterften Volks⸗ Haile führte, die unter dem Namen des Tumulto dei Ciompi bekannt ift. Wir haben hier einen hiftoriichen Excurs zu der neuen in mehrfacher Beziehung be mertenäwertben Ausgabe der Briefe ver Heiligen, welche gegenwärtig mit dem 4. Bante vollentet, Allen willlommen jein wird. Die Zeit, um bie es ſich Handelt, verhängnigvoll für Katharina, für Florenz, für den heil. Stuhl wie für die ganze Chriftenheit durch Tas beginnende große Schisma bietet dem hiſtoriſch⸗politiſchen Studium ein fruchtbares Feld, auf welchem wir bald Gino Gapponi bei der Fortjeßung jeiner Unterfuchungen über ven pelitijchen Gharalter ver Epoche Kaiſer Carl's IV. zu begegnen bof- in. 5. Odorici handelt von dem Aifociationsgeift in ben lombar⸗ diſchen Städten des Mittelalters, und zeigt, mit bejenverer Rückſicht auf die Kunſtſchulen, die Thätigkeit und das Zujammenhalten ter Maſſen. G. Rofa beipricht die Verhältniſſe ver Iombardiichen Pandgemeinden mit Dersiehung auf das Statutarrecht von Vertova im Bergamaskiſchen. Die häufigen älteren wie neueren Geſchichtfälſchungen Tonnen, nach fleißigen Uuterfuhungen Tb. Wüftenfeld’s, zur Sprache in kritiſchen Aufjägen ven C. Cantu und von tem genannten Odorici, der in jeiner ©e- ichichte Brescia's vor derartigen Täuſchungen nicht hinlänglich auf ver Hut geweien ift. Bon ten Geſchichtſchreibern Neapels bis auf die neuefte Zeit handelt C. ve Ceſare, von ven Arbeiten ver neuen Genueſer hiſto⸗ riſchen Geſellſchaft L. T. Belgrano. Das Ente des unglüdlichen Sohnes Philipp's II., unter beſonderer Beziehung auf italieniſche Ge⸗ ſandtſchaftsberichte wie auf Gachard's Captivité et mort de D. Carlos, bat der Verf. gegenwärtiger Bemerkungen erzählt. Von drei Zeitgenoſſen, Carlo Troya, Bartolomeo Borgheſi und Th. Panofka, reden Mamiani, de Roſſi in Rom und ber Ref. Auch vie alte Geſchichte und Spra⸗ Gentunde Staliens find in den Bereih Hineingezogen.. ©. Capponi handelt in einem erften Blatt von Studien über Cicero’8 Briefe von dem

528 " neberſicht der hiſtoriſchen Literatur.

politifchen Charakter ver legten Zeiten ver Republit und des großen Red⸗ nerd Verhältniß zu Cäſar, Brutus, Gate. M. A. Migliarini fpridt von den Zahlen bei den Etrusfern, ©. 3. Ascoli von Tarquini's und Stickel's Verſuchen einer femitifchen Ableitung ver etrusfifchen Sprache, G. C. Coneftabile von den dur die Societät Colomberia zu Florem im Gebiete von Sovana veranftalteten, ebenjo wie die früheren im Chi finifchen nicht fehr ergiebigen Ausgrabungen.

Soweit der jelbftändige Theil diejer Bände. Der bibliograpbiid- feitifche, welcher größeren Raum einnimmt, enthält mehr oder minder aus führliche Bemerkungen über eine beveutende Zahl von Schriften aller Art. Desjardin’d und Cageitrini’s Negociations diplomatiques de la France avec la Toscana, Tafel's und Thomas' Urkunden zur Handels - und Staatsgeſchichte Venedig's, Rabanis’ Clöment V. et Philippe le Bel finden fih neben zahlreichen italienischen Arbeiten beiprodhen, wie A. Vannucci“ Sefchichte des alten Italiens bis zur Longobardiſchen Eroberung, F. Uge lini's Grafen und Herzoge von Urbino, C. Minutoli's Leben Gio. Gui⸗ diccioni's, F. Mutinelli's geheime Geſchichte Italiens, A. Coppi's Anna⸗ len für 1848, wovon in der Zeitſchr. ſchon vie Rebe war, Romanin's Geſchichte Venedigs u. a. m. Mancherlei Notizen verfchiedener Art fchließen fih an, wie, in jedem Hefte, eine fleißige und nütliche hiſtoriſche Biblie⸗ graphie. Früher war diefe nad) den verſchiedenen Staaten der Halbiniel georbnet, deren Zahl fih in Folge der Annerionen allmälig vermindert, jo daß im Herbſte v. J., außer dem Regno Italico nur nach Rom, Na: pel und Venedig blieben. Jetzt find plöglic alle Abtheilungen verſchwun⸗ ben, um einer großen Italia Bla zu machen, wozu, ungeachtet ver off ciellen Berlengnung ver Anſprache des aufßerorventlihen Commiſſärs Er. Sardiniſchen Majeftät in ven Marken, auch Trieft gerechnet wird. Ohne in Bolitit übergreifen zu wollen, möge bier vie einfache Bemerkung ſtehen, daß, wenn man die alten Staaten, Rom ımd Venedig eingefchloffen, nicht mehr als Staaten anerkennen will, e8 für harmloſe Bibliographen jet bequem wäre, fie ald Brovinzen beibehalten zu ſehen, was ber leichtem Ueberficht zugute fommen würde, und ſchwerlich ernſte Bejorgniffe anli⸗ nationaler Tendenzen weden könnte! *)

*) Zu dem Jahrgang 1861 hat auch ſchon die alte Eintheilung in vollen Umfange wieber Platz gegriffen. Dabei entſcheidet übrigens nicht der Hmbalt der Schriften, fonbern nur ber Verlagsort. X.

Stalien 1860, 529

Seit vier Jahren erfcheint al8 Zugabe zu dem Archivio storico Ite- lieno das vor kurzem in dieſer Zeitihrift I. Br. IV. ©. 517 ermähnte Giornsie storico degli Archivi Tosceni, herausgegeben von ver General: Tirection diefer großen und ſchönen Anftalt, an deren Spite der eigent- lihe Begründer verjelben, ver thätige und verbiente Cav. Fr. Bonaini ſteht. Ich babe wiederholt in der Allgemeinen Zeitung und anderwärts von dem florentiihen Archiv gehanvelt, welches, eine ver nüglichften Schöpfungen der jüngften Jahre der großherzoglihen Regierung unter der unmittelbaren Yürjorge und Pflege des Miniſterpräſidenten Cav. Bals bafferoni, ver fih dadurch Anfprud auf den Dank der gefammten Ge- Iehrtenmwelt erworben bat, ungeachtet ungünftiger Zeitverhältniffe binnen unglaubli kurzer Frift eine Geftalt und Austehnung gewann, die es mm Gegenitande des Neides der größten Hauptſtädte mahen ein Dentmal der Regierung Leopold's 11., ver, was immer feine heutigen Anfläger behaupten mögen, für Wiffenihaft und Kunft vieles gethen, befien übermäßige Beſcheidenheit jedoch nicht, nach heutiger Sitte, täglich lirmend an die Deffentlichfeit appellirte, und veffen lette Handlung, wäh» rend ſchon die Brecheijen an die Fundamente feines Thrones gelegt wa⸗ ven, ver Wiſſenſchaft zugute kam: der Ankauf ver Bibliothef und Hund» khriften des Schweizer Philologen Ludwig von Sinner, welde u. A. die griechifchen Studien Giacomo Leopardi's umfaflen. Für das fernere Ge⸗ deihen dieſer Anftalt, welcher die Ardive in Yucca, Piſa und Siena un⸗ ter tüchtigen Directoren als Filiale beigeorbnet find, ift nichts fehnlicher zu wünſchen, als daß man fie in ihren gegenwärtigen Berhältniffen be= laſſe, flatt fie von Zurin aus durch Miniſterialerlaſſe veglementiren zu wollen, wozu man nicht übel Puft zu haben fcheint, während man Billig bedenken follte, daß man auch in dieſer Beziehung von Toscana manches lernen kann. Berftändiger ift ver Gebanfe ter Unterfuhung des Zuſtan⸗ des der Archive ber Romagna und der Herzogthüner Modena und Parma, wemit ber Cav. Bonaini im September v. 9. durch den piemontefiichen Minifter Grafen Mamiani beauftragt wurde. Ein Auftrag, welcher den genannten Gelehrten in vie Archive von Bologna, Ferrara, Ravenna, Forli, Ceſena, Rimini, Faenza, Imola, in die von Modena und Reggio und das Abtei-Arhiv von Nonantola, wie in jene von Barma und Pia- cenza führte. Wie viel von einer freieren Benugung dieſer Ardive, na⸗ mentfich des Bologneſiſchen und des berühmten Eſtenſiſchen Archivs zu

530 ueberficht der hiſtoriſchen Literatur.

Modena, für das Studium der Gefchichte zu erwarten fteht, braucht laum angebeutet zu werden. Das Parma’jche Archiv, unter dem tüchtigen Ron⸗ chini, das Navennatiihe u. a. find bereits früher zugänglicher geweſen. Ein ausführlicher Bericht Bonaini's über die ihm gewordene Miſſion fteht mit nächſtem zu erwarten. |

Kehren wir nun zu der hiſtoriſchen Zeitſchrift zurückk. Der Umfang verfelben fteht in keinem Verhältniß zu ber Maſſe des Stoffs und der Größe der Aufgabe: ein Band von etwa 360 ©. genügt keineswegs für jene Publicationen, denen ſich zu unterziehen die Archiv - Verwaltung bie Abfiht Hat, wie 3. B. die Reihen jener Gejandtichaftsberichte der repub- likaniſchen Epoche, welche über vie politiihe Geſchichte nicht blos Tos⸗ cana’8, fondern auch des Auslandes immer helleres Licht verbreiten wür- den, wovon neuerdings bie auf Koften der franzöjiichen Regierung be gonnene Herausgabe der wichtigſten Stüde ver Verhandlungen zwiſchen Florenz und Frankreich eine Probe geliefert hat. Man kennt gemeinhin faum etwas anderes als die Berichte Machiavell's und etwa noch Guic—⸗ ciardini's; aber man würde finden, daß die StaatSmänner des 15. Jahr: hunderts ihnen faum over gar nicht nachftehen an Scharffinn und Ge wanbtheit. Die bezeichnete Beichränfung des Raums bringt nun mit fi, daß bisher, mut einigen Ausnahmen, nur Meinere Arbeiten und De cumentenfammfungen nebſt hiſtoriſchen Miscellen gegeben werten konnten. Bon Bonaini felbft finden wir, außer der Fortſetzung jeiner Abhand- fung über ven flerentiniihen Magiftrat der Parte Guelfa, welder, ein Staat im Staate, bie zum Emporkommen der Medici die politiiche Rich: tung vertrat, einen antiquariihen Commentar über die Handſchriften⸗ bändler und Verleiher (Stazionarj), Correctoren und Abfchreiber (Peciarj) in Toscana und Bologna im 13.— 14. Jahrhundert, und über die da mals üblichen Rechtsbücher. P. Berti handelt vom Urjprung des fles ventiniichen Katafters, dem erften Verſuche viejer Art (1427), und weil nad, daß Gedanke und Ausführung dem Giovanni de Medici, Cosmus, des Alten Vater. fälſchlich beigemeſſen worden find. 2. del Prete theilt das gerichtliche Geſtändniß jenes Francesco Burlamacdyi mit, welchem man in Lucca zum Lohn feines Planes, Toscana gegen Herzog Cosmus aufzulehnen und zu vereinigen, eine Statue zu feren beſchloſſen hat eine Öejchichte, welche ich nach gleichzeitigen Hiſtorikern und Documentes in den Beiträgen zur ital. Geſch. Bd. II. behandelt habe. Bon ©. €.

Stafien 1860. 531

Saltini ift die Gefchichte der medizeiſchen orientaliſchen Druderei, welche ver Carbinal Ferdinand, der nachmalige erfte Großherzog dieſes Naniens, zum Zweck ber Unterftügung ver Abfichten und Anftalten P. Gregor's XI. für die Ausbreitung des Chriftenthums unter den morgenlänvifchen Völ—⸗ terichaften in Rom gründete, und welche jpäter nach Florenz übergefievelt, wohin fie von der Wanderung nad) Paris in ver franzöfiichen Kaiſerzeit zmrüdgelehrt und wenig benutt, dem Prof. M. Amari zur Belannt- machung ver arabiihen Documente der toscaniſchen Archive und Biblios- thefen dienen wird, wenn die politiiche Thätigkeit des jcharfjinnigen und beredten Hiftorifers ihn dazu kommen läßt. Bon S. Bongi finden wir- Rachrichten über eine Geſandtſchaft, melde ver gelehrte G. Scioppio im J. 1633 für einen tärkijchen Prätenventen, den jogenannten Sultan Jakia, bei der Republik Lucca übernahm; von G. Milaneji urkundliche Beiträge me florentinijchen Ruuftgeichichte des 14.-— 15. Zahrhunverts,

Nicht ohne Intereſſe für Deutſchland find vie von C. Quafti mit- getheilten Auszüge aus ben Berichten des Grafen Lorenzo Magaletti, des gelehrten und eleganten biplomatijchen Bertreterd Toscana's unter Groß» berzog Cosmus III. am Hofe Kaiſer Leopold 1. in ben 9. 1675 78. In hiſtoriſcher und politiicher Beziehung ift die Ausbeute nicht groß, aber über Heilen, Lebensweiſe, Haushalt, Ausgaben, Geremonien, Ges ſellſchaft finden fi eine Menge Details. Auch über die Perjonen am Hofe, über Staatsmänner und Militäre, über vie Bevollmächtigten beim Nymweger Congreß 1676 u. f. w. Am ausführlichften iſt Montecuccoli gefchilvert, unter Bezugnahme auf fein öffentliches wie auf fein Privat leben. "Montecuccoli, heißt e8 im Cingang, tft ber lebendige Gecorial. Das Heißt, bei Keinem findet ſich ein folcher Verein von Eigenſchaften, wie bei ihm, obgleich einzelnes bei Andern vorzüglicher jein mag. Conde und Turenne find größere Feldherren ald er: nad) ihnen nimmt er aber gewiß den erften Platz ein. Keiner anf ver Welt vermag unierer Schwäche abzubelfen wie er. Seine Stärke bejteht in den Märſchen; nie hat irgend» einer ſich beſſer darauf verftanden. Gerne lehnt er mweituusjehente Uns ternehmungen ab: find fie abe, fo jucht er ihnen nie auszuweichen. In hohem Grade verfteht er fih auf Alles, was Militär-Oekonomie und Unterhalt eines Heeres betrifft. In der Dieciplin ift er nachſichtig, in Allen fehr gemäßigt. Er hat politiihen Scharfſiun, Gelchriamteit, fei- nes Benehmen, Salanterie, und vereinigt alle Eigenfchaften des Cavaliers

532 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur.

und Hofmanns“. Ueber die Ereigniffe von 1675 76, über den Feld⸗ zug im Eljaß, in welchem am 27. Juli erftern Jahres Turenne bei Saß⸗ bach fiel, über die Intriguen gegen Montecuccoli und veflen Reiſe nad) Wien ꝛc. lejen wir eine Menge Einzelheiten. Auch von des Kaijers Schwager, Herzog Carl (V.) von Lothringen, dem Sieger bei Mohacz, ift vielfach die Rede. , „Lothringen, ſchreibt Magalotti, ift in Bezug auf Grundjäge und Sitten vom Bater und vom Obeim (Carl IV., vem er 1670 nachgefolgt war) völlig verſchieden. Er ift ein Mann voll Recht⸗ ſchaffenheit, Religioſität, Urtheil und Bejonnenheit. Sein Temperament ift higig, aber durch ftrenge Haltung wie durch Mißgeſchick gemäßigt. Er liebt den Krieg über Alles, und verfteht ſich befjer darauf, als man nad feinen Dienftjahren jchließen follte.e Binnen wenigen Jahren wird er einer der erften Feldherren Europas fein. Er liebt ven Kaijer, welchem er wie ein Privatmann dient, blo8 darauf bedacht, eine andere Rolle zu jpielen, als alle feine Angehörigen. Mit der Disciplin wird es unter ihm gehen wie unter Montecuccoli, nicht beffer und nicht fehlimmer. Die fen nimmt er fih in ver Kriegführung zum Meifter und Vorbild. Gegen bie Freunde ift er kalt, und läßt fie bisweilen warten, wie ber Herrgott die Seinigen. Mit den Dienern geht er hart um: hundert verfelben würde er opfern, um einen Musfetier zu retten. Sein Aeußeres ift we. ber verbeißend noch anziehend. Er ift nicht geizig, aber bis jet hat er fih, vielleicht ſeiner Armuth wegen, auch nicht freigebig gezeigt. Beim Heer ift er mäßig, wachſam, thätig. In einem Wort, ein Mann von trefflihen Kigenjchaften bei unfcheinbarer Außenfeite”. Man weiß, wie bie Intereſſen dieſes tapfern Fürſten, franzöfiicher Ländergier gegenüber, im Nymmeger Frieden (1678) und in beffen Supplementarverträgen ges opfert wurden, und er die Regierung feines becimirten Landes nie antrat. Auch von Eaprara, Chevagnac, Leslie, Heifter u. A. ift die Rebe. Bon Spork heißt es: „Ein guter Cavallerieoberft, der aber nichts mehr ges leiftet hat, feit er General geworben. Gegenwärtig durch fein vorgerüd- te8 Alter zum Dienft unfähig, geizig, und zum Commandiren en chef gar nicht zu gebrauchen“. Bom Markgrafen Herman von Baden: „Ein vortreffliher Herr, voll Feuer und Eifer für ven Dienft des Kaiſers; ehrlih und liebevoll gegen die Braven, ohne Eigennug, ohne Galle, ob⸗ gleich heftigen Temperaments. Er hat nur einen Fehler, nämlih vom Kriegsweſen nicht genug zu verftehen“. Meagalotti war nicht gerne in

Stalin 1860. 533

Bien. Abgefehen von dem Clima, welches ihm nicht zuträglich war, bes bagten ihm weder Hof noch Boll. „Die, welche glauben, daß ich vielen Hof herzlich fatt habe, fchreibt er, täuschen ſich nicht; ich hatte genug daran vom erſten Moment an, wo ich ihn Kennen lernte. Daß idy zu« rückberufen zu werben wünſche, ift eine Uebertreibung: wo ich meinem Fürſten dienen kann, bleibe ich gerne, und mein Yürft ift bier ſehr ge⸗ ſchätzt, was ſeinem Vertreter eine gute Stellung macht. Wenn das Land nicht angenehm iſt, und die Leute grob und boshaft ſind, deſto ſchlimmer für ſie. Gewiß diente ich lieber in England oder in Spanien, denn die Deutſchen waren mir ſtets widerwärtig, ſind mir widerwärtig, werden mir widerwärtig bleiben”. Wahrlich, das Urtheil des Italieners des 17. Zahrhunderts iſt nicht freundlich! Die Richtung der Medizeiſchen Po⸗ litik mochte freilich den Geſandten verftimmen, tem man immer empfahl, ſich gar beſcheiden, ſanftmüthig, unterthänig zu zeigen. Die Beſcheiden⸗ beit, Sanftmuth, Unterthänigkeit Cosmus' in welcher es mit keiner Partei verderben und neutral bleiben wollte, brachte es dahin, daß die alte po, litiſche Bedeutung Toscana's gänzlich ſchwand, und, während beim Nym⸗ weger Congreß die Lothringiſche Verwandtſchaft dem Haufe Medici hätte Vortheil bringen können, dies Haus nicht lange nachher ſich fremdem Willen fügen mußte. Gallnzzi, der Hiſtoriker des Medizeiſchen Toscanas, hat dieſe Richtungen treu geſchildert. Magalotti bezeichnete die Politik Cosmus I. ſehr richtig, indem er ſchrieb: „Das Medizeiſche Hans hat den Grundſatz angenommen, ein kleines und verdecktes Spiel zu ſpielen, und lieber inmitten der Stürme der Entiheitung im großen Ruin mit unterzugeben, als, fo lange es noch Zeit ift, duch Anſchluß an eine Bartei die Rettung zu verjuchen“.

Es würde zu weit führen, wenn bier von den vielen Miscellen die Rede fein follte, welche vieler Jahrgang enthält, Miscellen, die theils in Documenten beitehen und fih auf Torquato Taſſo, Camillo Porzio, Baccio Bandinelli, Raffael Sanzio u. a. beziehen, theils tie Gejchichte ber Archive, die mit benjelben verbundene aufblühende Schule für Paläo— graphie und Diplomatif u. f. w. zum Gegenſtande haben. Das Gejagte wird binreihen, um auf bie Neichhaltigkeit des Inhalts aufmerkſam zu machen. A. v. R.

Della vita di Dante Alighieri. Memorie di Pietro Fra- ticelli. Florenʒ 1861. 8,

534 Ueberfiht der hiſtoriſchen Literatur.

Dante und bie italienifhen Fragen. Ein Bortrag von Carl Witte. Halle. 1861. 8. .

Es ift namentlich in neuerer Zeit fo viel über Dante gefchrieben worden, daß eine neue Biographie deſſelben Manchen mindeftens über: flüffig erſcheinen mag. Nachdem Giufeppe Pelli's tüchtiges Buch (Me- morie per servire alla vita di Dante) zu Florenz 1823 in neuem Ab- druck erjchienen, und Carlo Troya bie jo feharffinnige wie gelehrte hiſto⸗ riſch-kritiſche Unterſuchung herausgegeben, welche unter vem Titel Del Veltro allegorico di Dante jo tiefe Blicke in bie Gefchichte der Zeit umd ihrer Eroberungen werfen läßt und in verſchiedenen Richtungen frucht⸗ bare Oppofition veranlaßt bat; nachdem Ugo Foscolo und Ferdinando Arrivabene, verſchiedene Formen wählen, jene Sommentare geliefert, welche fo viele Titerarifche, philofophifche, hiſtoriſche Standpunkte feftftellen, gab, von ben weitjchweifigen, weniges Eigenthümliche enthaltenden Büchern Miſſirini's und des Franzoſen Artaud nicht zu reden, Ceſare Balko in der Vita di Dante (1840) eine Gejchichtserzählung, welche dem Gegen⸗ ftande in allen feinen Beziehungen gerecht wurde, und, ohne immer auf ben Grund zur gehen, burch bie geſchickte Verbindung des Biographiſchen mit ber gleichzeitigen ©ejchichte von Florenz und Italien, durch Hervor⸗ bebung der Stellung Dante's inmitten der Parteien feiner Zeit, zur rich⸗ tigen Auffaſſung des Charakters des Dichters und feiner Werfe weſent⸗ lich beigetragen bat. Seitdem hat Troya durch feine Unterfuchungen übe die ältefte mittelalterliche Gejchichte Italiens von feinem urjprünglichen Borhaben, die Dante'jche Zeit ausführlich zu fchildern, zum Bedauern aller Dantefreunde abgezogen, nicht lange vor feinem Tode jeine Jugent: ichrift einer Umarbeitung (Del Veltro allegorico dei Ghibellini Neap. 1855) unterworfen, deren Refultate minder Har und pofitiv find, als die ur ſprünglichen, welche, vielfach bekämpft, doch gerade um ihrer Schlagfer tigfeit willen geeignet waren, Diele für fih zu gewinnen. Jetzt ift $. Fraticelli, Mitglied ver Akademie der Crusca, mit einer neuen Biogra⸗ phie in die Schranken getreten, nachdem er vor Kurzem eine verbefierte Ausgabe feines Gommentares der Divina Comedia gegeben, welcher, wit der mehrfach aufgelegte jehr brauchbare des Canonicus Brunone Biandi (Florenz Lemonnier, 5. Aufl.) aus dem Cofta’jchen, urfprünglich aus dem befannten Commentar Benturi’8 mit ©. Lami's Boftillen, für das größere Bublitum beftimmt, entſtanden if. In dem Vorwort erflärt Fraticelli,

Stalien 1860. 535

er babe eigentli eine Umarbeitung bes jeit längerer Zeit im Handel fehlenven Pelli'ſchen Buches geben wollen, welches vielmehr eine Sanım- lung von Materialien und Documenten als eine wirkliche Biographie ift, an deren Abfaflung ver verdiente Verfaſſer durch den Tod verhindert wurde. Die neue Arbeit beabfichtigt vie vorhandenen Reſultate zu bes nügen, unter Hinzufügung der Ergebniffe eigener vieljähriger Studien.

Das fo zujammengebradhte Material iſt ein anjehnliches und acht⸗ bares: die Form, in der ed und geboten wird, ift feine glüdliche, une ih weiß niht, ob man, im Vergleich mit Pelli, viel dabei gewinnt. Die Uebel, an denen-das Buch krankt, die Zrodenheit und der Mangel an Fluß und Rundung, jchreiben fi von der Art ter Behandlung her, welche die gelehrte Unterjuhung nit von der Erzählung getrennt und obſchon fie eine Menge namentlich Fritiiches Detail in die fehr reichhalti- gen Anmerkungen gewiejen, ven Text dennoch nicht davon freizuhalten ges wußt hat. Der Verfaſſer hat ſich ausdrücklich vorgenommen, die Zeitges ſchichte infoferne zu berüdfichtigen als zur Kenutnig der bürgerlichen Ein- rihtungen und der Ereignifje, inmitten deren Dante's Tage dahinfloſſen, nothwendig ift, und längere Particen ver toscaniſchen Geſchichte find in die Darftellung verwebt. Aber nirgend wirt, wie bei Balbo, jene Ueber: fit gewonnen, jenes Geſammtbild gezeichnet, welches, mehr noch als bei Andern, bei Dante Noth thut, den Menjchen wie ven Autor zu verfte- ben. Man merkt e8 bei jedem Schritt, man hat die Arbeit eines Gram⸗ matilerd und Antiquars ver fich, nicht die eines Hiltoriferd. Das Bud ft eine genaue und gewiſſenhafte Erläuterung von Dante's Lebensfchid: falen, eine nur im Ganzen flüßige, wenngleih nicht immer binlänglidy kri⸗ tiſche Forſchung, durch mehr denn dreißigjährige Beſchäftigung mit dem Gegenſtande unterſtützt, ſie von dem Ungewiſſen und Legendenartigen aus- geſchieden hat. Eine Geſchichte Dante's im wahren Sinne des Wortes iſt es nicht. Daß die eigentlichen literariſchen Fragen bei Seite gelaſſen find, iſt inſoferne nicht zu tadeln, als das Buch namentlich zum Beglei⸗ ter der vom Verfaſſer bejorgten Ausgaben, jo ver ſchon erwähnten ver göttlichen Comödie wie der früher erjchienenen ver Hleineren Schriften (in 3 Bänden, 1856 ff.) beſtimmt iſt: aber vie Entwidlung des geijtigen Ganges hätte nicht zugleich vernadyläffigt werden dürfen.

Die drei erften Abfchnitte handeln von den Urjprunge ber Familie Dante's und deren Adel, von den Vorfahren mit Cacciaguida beginnend,

SEE IKberfihr er Sifinrifchen iteratur.

eu er Irermme ver Aigner als tolcher, ihrem Namen und ihren Sedsumer Ter zer mo fünfte Abſchnitt zeigen Dame im der Hei⸗ mar. uert 'eme YWinnker, 'eme Stidien, jene Ingendliebe, mb Ierinaume zz ’riegerrigen Treigmiſen bis zum Icte Beatricend. Dam ‘ee Sees, 'eme Sbeciegiiden Zune, jene ẽnſentlichen Aemter um Mirmmer 5 zur Zerranmeng Laute um il bildet den Inhalt des 'eien aut 'weenme Beine Tas Gril mit Deifumuz der Rückllehr, si ;ıx Jens VIE Iwe: das fpitre Grill mit ten Wanderungen zug Zucom mt Yıccz, dem Aufenthalt m Berena unt Gavenna bi au Ice XL. Rem des Tichters Eigenjchaften map Werfen, von be Ahzemzucye 2e amemen Theue ver Tinmz Ucmeris m. j. w. handelt, xr Vill. Mann, am den Rubloumen um tem Grabe ver IX. um % iz je mr ne beiden Malampina, des Wanderers Freunde zUnteR, Aut 2 andere, wichtigeren ıber mehl famm zu loſenden, wer zuer x Que wrfianter et, Nub vie beiten Schlußabſchnitte gewid⸗ wei Ix ıufane Iurzibumg wet an ter Tag legen, daß es dem Bude x une Qurmütmg mie au scpmchen Surammenbung fehlt.

Ju Is nie Term emsmgebenr, kann wicht Zweck dieſer kurzen Inge un: ee Tame Ftgen un alle ſchen Gegenſtand ganzer Ab» Autummgm nt Yıumer gjemeier, deren Zahl ji immer mehrt. Nur ar zu Bimite zunee ıhb aufmertiam machen zu mäjjen. Die Jan pm mer Tecmmente if uicht greß. Gerne begegnet man xa mer 2. 22 7 mulltintıger meurgerheilten, über deu Beſitz ter Fa⸗ ui Yuan u m x Aiecerz, welche zu Dem Schluſſe berechtigen, NE Ne Aüsamn uf Zuyr 2. Rartine, jeit einigen Zahren turd a Nut us Ns ZDuners Geduttabdans bezeichnet, nur eines ber Ayerzrung Qufer zur, Te ſich bir vereinigt fanden. Aus dem Libro a user N Stomdarshun Sen 1300 ff. finden wir, ©. 135, be Redxde nu Saum. dumm Dante beischnte Die Legation für Numwadume Wxrieun um tus Abfenmuen mit dem Biſchof von Lumi zu IS. S. 187. zur ce ven Lerd Vernon eimeln gedrudt. Aus u Sumier Arie 08 dx utereflante Jnſtruction König Robert's von Nut far ku sat Dt Cicmens V. nad ter Kaijerfrönung Hein⸗ wa NL SZ. 210), ame Juſtructien, welche tes Königs Furcht zu⸗ Fred wit ſeinen Im Yugemburger gemachten Vorſchlägen aujdedt und auamcır aınır Wuuechd Iiefert, daß nur durch des Kaiſers unzeitiges Hinſcheiden

Stalien 1860. 537

die Ausführung jeiner großen Entwürfe verhindert warb und nicht durch die Macht der Anjou's. Die Geſchichte der Macht Clemens V. (S. 164) wird, nebenbeigejugt, wiederum dem Märchen des Villani nacherzählt, ungeachtet der namentlich von Rabanis in feiner Yettre aM. Ch. Da- remberg entwidelten Gegengründe und beigebrachten Beweisjtüden, welche dem Verfaſſer wenigftens aus ven betreffenven Arbeiten in der römiſchen Civilta cattolica und im Florentiner Archivio jtorico italiano hätten bes fannt fein können. Interejjant it, ©. 293, ein Brief des gelehrten Hi⸗ ſtorikers der Schule von Salerno, des Neapolitaners de Kenzi, Über ven borribilis morbus lupuli, einen Caucer, woran der gedachte Papſt geftor« ben. Zu den Ineditis gehört noch (S. 251), ein Rundſchreiben ver Res publik Florenz von 1315 wiver die fie hart bedrängende Uguccione della faggiuola, „.Uguccio de Faggiuola cum Testonicis, Visauis et Lucensibus et alij vocatij undique Gibellini.“ Auf dieſen beveutenden Mann, das eigentliche Haupt der Ghibellinen nach Heinrich's Tore, bezieht jih Manches. Der Berfafler, welcher jehr zu der urjprünglichen zum Mindeſten fehr problematischen Anjicht Troya's Hinneigt, Die in Ugnecione ven Beltro fieht, hält ven von Vielen, und X. von Witte angefochtenen Brief Dans te8 an Fra Ilario für ächt, S. 341 ff.; er zeigt, daß das Kloſter von Sta Eroce del Eorvo nit den Augujtiner- Einjieblern, jendern den Bes nebictinern gehörte, in beren Orden ein Bruder tes Faggiuolaners lebte, und daß das legtere Stammhaus wirklich, wie ſchon Troya ausgeführt bat, im Montefeletro tra feltro e feltro -—— lag. Auch das von Toni gegebene, nicht als apofryph betrachtete Schreiben Dante's an Guido Da Polenta über feine Sendung nah Venedig ift der Verfaſſer S. 258, anzuerkennen geneigt, indem er dafjelbe dem Jahr 1321 zutheilt und mit Filippo Billani's Beriht und einem venetianiſchen Aftenjtüd über ven am 4. Mai 1322 zwijchen ter Republik und dem Herrn von Ravenna abgefchlofienen Frieden zufammenhält. Aber dies Schreiben iſt wohl, unter Benutzung ſolcher hiftoriihen Data, von Doni jelber fabrizirt worden.

Ueber die höchſt verworrene Gejchichte ver Grafen Guidi und ber Markgrafen Malaſpina finden wir manche, aber immer noch nicht hin⸗ längliche Aufllärungen. Ueber Gecco d'Ascoli, Dantes unglüdlihen Ne benbuhler, hätten Balthajar Boncompagni's Forichungen benügt werten mäfjen. Berjchievene Notizen beziehen fi auf des Dichters Söhne und

538 Ueberſicht der hiftorifchen Literatur.

Nachkommen, unter erfteren namentlich auf Pietro und Jacobo, die ver- meintlichen Verfaſſer der Commentare der Divina Comedian, „welche Lord Bernon durch den jegt verftorbenen Vincenzo Nannucct mit großem Auf- wand (1845 1848) druden ließ. Mit vielen andern Kritikern, hält unjer Verfaſſer dieje im Ganzen wenig beveutenven Commentare für jpätere Arbeiten. Die Orthographie des Namens Alighieri, aus dem urjprünglichen Alvighieri entftanden, wird gegen das von Scolari, von dem kürzlich verftorbenen Torri und Andern angenoumene Allighieri mit ben theilweiſe ſchon von S. Audin geltend gemadten, wie mich bünft, teiftigen Gründen und zahlreihen Citaten aus ‘Documenten vertheidigt. Vielleicht bringt eine eigenhändige Unterſchrift Dante's die Steitfrage zur Entſcheidung, wenn die von dem toscanijchen Ardivbirector Bonaini ausgeſprochene Hoffnung, in den romagnolifhen Archiven etwas von deſ—⸗ jen Hand zu finden, in Erfüllung gehen ſollte. Deutſche Leſer des Buches aber will ih, ad vocem Yamiliennamen, auf einen Landsmann aufmert- fam machen, welchem man S. 324 begegnet Der Mann beißt: ver Sachſe Lorenzo Schradero Halberftapien fo hat Herr Yra« ticeli die Bezeichnung auf den zu Helmſtädt 1592 gebrudten Monumento- rum Italiae t. V editi a Laurentio Schradero Halberstadien Saxone ge- deutet, Es bat einen Beigefhmad vom Theſamius des Hofraths Bei: reis. Genug vom Traticelliichen Buche, jeinen Borzügen und Mängeln, und fchließlih nur noch die Notiz, daß das Blut Dante's noch in ben Adern einer Frau rollt. Die Gräfin Maria Thereia Gozzadini zu Bo⸗ logna, in ber literariſchen Welt nicht unbefannt, ift die Letzte der Se- rego Alighieri von Berona, ver Repräſentanten von Dante's Familie, indem Ginevra Alighieri, des Dichters Nachkomme in fiebenter Genera⸗ tion von feinem Sohne Pietro, im Jahre 1549 den Grafen Antonio Se- rego oder Sarego heirathete.

Der unermüdlichfte Erläuterer und, nebft dem Könige Yohann von Sachen, gründlichfte Kenner Dante'8 in Deutichland, Prof. Witte, hat fih in einer Heinen zeitgemäßen Schrift die Aufgabe geftellt, die Berech⸗ tigung der gegenwärtig täglich vernommenen Berufungen der Anhänger ber heutigen italienischen Bewegung auf die Autorität des Dichterd ver göttlichen Comödie zu unterfuhen. Er ift dabei zu Ergebniffen gelangt, welche, wenn fie ſich zu diefen Anfprüchen, wie fie heute formulirt werben, theilweife negativ verhalten, jehr beherzigungswerth find, obgleich fie, ge

Stafien 1860. 539

mäß vem ‚gewöhnlichen Geſchick von Anfichten, welche die Mitte zwijchen wei Parteien haften, nad zwei Richtungen bin nicht genligen mögen. Während ber gewaltige Einfluß Dante's auf Belebung patriotifcher ern- ker Geſinnung in Italien und auf die Kräftigung des Bewußtſeins eines nationalen Zujammenhanges, Jedem einleuchten muß, ber die merhvilr- digen und charakteriftifchen Geſchicke des großen Gedichtes nicht etwa blos vom philologijchen Standpunkte aus, fonvern in ihren engen Beziehungen zur Geſchichte der geiftigen Entwicklung betrachtet; ift Die Berufung auf Dichter und Gedicht als Zeugen und Ausdruck der heutigen Einheitsidee derchaus unftatthaft, fo nach den biftorijchsthatjächlichen wie nach den po⸗ Krüch-Raatsrechtlihen Ericheinungen der ganzen Zeit, und insbeſondere nach dem in verjchiedenen Werfen Mar und Teftimmt vargelegten Ideen⸗ gange des florentinifchen Verbannten. Während zweitens ver franzöſiſche Einfluß, im Ganzen und Großen wie in den einzelnen Perjenen und ge= ſchichtlichen Momenten, auf's Entſchiedenſte und theilweiſe auf's Schärfite von Dante zurückgewieſen wird, ſchließt ſchon die ghibelliniſche Idee, vie Mee ber, nach des Verfaſſers bezeichnenden Ausdruck, gliedſchaftlichen Un⸗ terordnung unter das römiſch deutſche Kaiſerthum, die Idee der gleich- mãäßigen und friedlichen Anerkennung des Reiches, welches Italien im Zu— ſammenhauge mit Deutſchland Heil und freudigen Brautſtand bringen fol dieſe Idee ſchließt den Deutſchenhaß aus, für ten man auch obgleich er weſentlich ein Product unſerer Zeit iſt, aus der Divina Co⸗ media Zeugniß holen möchte. Aber ver Verfaſſer, indem er dem Irr⸗ thum und ven Mangel an Berechtigung ſolcher Berufungen in den Weg teitt, bemerkt richtig, wie man andererſeits im Unrecht ſich befinven würde, wollte man Dante'8 Worte im entgegengejetten Sinne als entſcheidend be= trachten für die Verhältnifje unjerer Zeit, wellte man moderne politijche Geftaltungen, veren Unzulänglichkeit und Mangel an wahren Yundament wur zu deutlich geworben find, mit der in ter Ausführung verfehlten ja vielleicht unmöglichen, in dem allumfaſſenden Princip Tod) unendlich groß⸗ artigen Conception des mittelalterlichen Kaiſerthums verwechſeln. Freilich wird es auch wohl feinem, ter eine Ahnung hiſtoriſchen Geiſtes hat, ein⸗ fallen, den Dichter ver Monarchie, nämlich der von Gott georbneten Nechte vieles römijch » deutſchen Kaiſerthums, für einen Verfechter der Srembherrichaft zu erklären.

Die Erörterung des dritten Punktes, der Anſicht Dante's von ber

Pideriſqe Zeitfärift v. Band. R

540 Ueberfiht der hiſtoriſchen Literatur.

weltlichen Papſtmacht, liefert ein Reſultat anderer Art, Dante, ber Berfechter der Kaiferivee in ihrer vom Parteiweſen befreiten Faffung, fieht in ver Schenkung Conftantind, wie er, nad mittelalterlichem Be griff, den Urſprung des Kirchenftants bezeichnet, ein Uebel, und zwar ein Uebel in boppelter Beziehung: nicht nur als Hemmniß ber Einheit wie fie ihm vorſchwebt, fondern als Anlaß zur Berweltlihung ver Kirche. Es ift nicht nöthig, die zur Genüge befannten und oft gemißbrauchten Stellen aus ber göttlichen Comödie nochmals anzuführen. Aber und dies dürfte noch fchärfer betont werben als hier geſchieht mit der unmöglihen Verwirklichung feiner Auffaflung vieler Einheit fällt and fein Einwurf gegen die Berechtigung der weltlihden Macht; mit ver He bung des geiftigen Lebens und religidfen Sirmes in der Kirche verſtummt von felber feine vom Boden des Bonifaziſchen und mehr noch des Avig⸗ noniſchen Pontificat® aus gerichtete Anklage gegen den Anlaß biefer Berweltlihung. Denn Dante, der für letztere die ſtärkſten Scheltworte bat, hat zugleih ven erhabenften Begriff vom Papſtthum als göttlide Inftitution und höchſte irdiſche Autorität; Dante denkt fi) das Papſt⸗ thum nicht ohne Rom und vergleicht die Schmach von Anagni wit dem Opfer auf Golgatba. Dante religiös zum Häretiker machen zu wollen, fteht auf gleicher Linie mit den lächerlichen Berfuchen, ihn po Itiih in einen Geheimbündler, in ven Mazzini des Mittelalters zu verwandeln und die göttlihe Komödie als Jargon des Urbanarismms zu deuten.

Gegenwärtigen Bemerkungen über viefe zeitgemäße Abhandlung, welche von bes Berfaffers würbiger Haltung und ruhigem Urtheil ge genüber ver leivenfchaftlichen Aufregung der Zeit Zeugniß ablegt, möge fi eine Notiz anſchließen über eine von demſelben bei Gelegenheit dei Doktor- Jubiläums des Curators der Univerfität Halle gebrudte Heine Schrift: Viro perillustri Ludovico Pernice etc. gratulatur Carolus Wile. Inest: de Bartolo a Saxoferrato, Dantis Alligherii studioso, comments- tiuncula (Halle 1861). Es ift der großentheil® polemiſche Commentar des berühmten Rechtslehrers Bartolo über Dante's Canzone: Le dolce rime d'amor che solea, weldye den Begriff des Adels gentilesıza erläutert. Diefer Commentar fteht in Bartolo’8 Ausführungen De Digsi- tatibus, ift aber in ver Ausgabe der Geſammwerke weggeblieben. Wir finden ihn bier nad dem alten Drud Leipzig 1493. Am Schluffe be⸗

Stalien 1860. 541

ſindet ſich deſſelben Notiz über das Buch von der Monarchie, worin er des wegen der Anſicht vom Imperium angedrohten Verdammungs⸗ urtheils erwähnt. „Post mortem suam quasi fuit damnalus de haeresi. Nam Ecclesia tenet, quod Imperium ab Ecclesia dependet, pulcherrimis

rationibus, quas omitto“. A. v. R.

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Jacopo Valperga di Masino, triste episodio del secolo XV, con due appendici sulla genealogia d’alcune famiglie nobili del Piemonte o della Savoia, del cavalier Luigi Cirbario. Edizione di soli 125 exem- plari, in 8vo di pag. 118. Torino, 1860.

Trai tés publiques de la Maison de Savoie avec les puis- sances etrangtres, depuis la paix de Chateau-Cambresis jusqu’ & nos jours (dal 1559 al 1852). Edizione officiale in 4to grande. Il settimo volume, ultimo pubblicato, contiene l’indice generale etc. Turin, 1860.

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548 Ueberfiät ber hiſtoriſchen Literatur.

teri'g Zeichnungen, 10. Lfg. Venedig, 1860. qu. Fol. Auch mit fran- sösischem Text.

Recueil de documents et pitces authentiques pour servir & T’bistoire de Venise. 1848 49. Tom I. Paris, Furne et Ce., 1860. XI u. 483S. 8.

Sagredo, A. e F. Berchet, Il fondaco dei Turchi in Ve- ‚nezia; studj storici ed artistici con documenti inediti e tavole illustrate in Foglio. Milano, 1860.

Grida del 1474 di Francesco da Carrara Signore di Padora, edita dalla famiglia Prina per le nozze San Bonifacio-Zacco. Este, 1860.

In 8vo,

Dei Potest% e Capitani di Padova dal 1405 al 1509, serie cronologica provata con documenti dal dott Andrea Gloria, edita da An- tonio Zara per le nozze San Bonifacio Zacoo. In 4to. di pag. 88. Pa- dova, 1860.

Vito degli nomini illustri forlivesi, compilate 6 scritte dal canonico Gaetano Rosetti da Forli. Forli, 1856 60. In 8vo. Faso. 26— 35.

Invasione dei Turchi in Friuli, Cronaca inedita di Ja- copo Valvasone di Maniaco, storico del sec. XVI, pubblioata da Fa- bio Beretta per le nozze Gropplero Di Codovipo. Udine, 1800. In 8vo di pag. 12.

Relazione della patria del Friuli del conte Anszolo I, Giscomo Giustinian Recanatd luogo tenente della Reppublica di Venezia. In 8vo, di p. 16. Udine, 1858.

Relazione della patria del Friuli, presentata all’ eooellen- tissimo Senato dal luogo tenente Pietro Sagredo nell’ anno 1621, pubbli- cata da Pietr' Antonio Colombetti, per le nozze Beretta-Collorede. Udine, 1860. In 8vo di pag. 15.

Relazione della patria del Friuli fatta alla Repubblica di Ve- uezia dal luogotenente Natale Donato nel 1712, pubblioata da Girolamo di Codroipo e Vincenzo Joppi, per le nozze Gropplero Di Codroipo. Udine, 1860. In 8vo di pag. 14.

Hafien 1860. 549

Relazione della patria del Friuli presentata al oollegio del Senato veneto dal luogotenente Niccolo Contarini, pubb. da Michele Leicht. In 8vo, di pag. 23. Venezia, 1860.

- Discorso di Michiel de San Michiel circa il fortificare la eitta di Udine ed altri luoghi della patria del Friuli, diretto al doge di Venezia Pietro Lando nel 1513. Udine, 1859. Edito dal dott. Vincenzo Joppi.

IV. Parma, Modena, Toscana.

Mistrali, Franco, Cinque anni di Reggenza. Storia aned- dotica di Luisa Maris di Borbone. Milano, Sanvito, 1860. 8.

Riancey, Henry de, Madame la duchesse de Parme devant TEurope. Paris, Dentu. 182 8, 8.

—, La möme. Nouvelle edit. augmentde de lécrit: Madame la duchesse de Parme et les dvönements de 1859. Ebd. 246 8. 18.

Documenti relativi al Governo degli Austro-Estensiin Modena, per ordine del Dittatore delle provincie Modenesi. Modena, presso Zanichelli e C. librai editori, 1860. 8.

Relazione di alouni studi fatti nell’ archivio Estense, presentata alla Deputazione di storia patria nella tornata del 7 dicembre 1860, da Giuseppe Campori. Modena, 1860. In 12mo di pag. 12.

Le lettere di Santa Caterina da Siena, ridotte a migliore lezione e in ordins nuovo disposte, Con proemio e note di Niccolo Tom- maseo. Quattro Volumi. Firenze 1860. 8.

Lettere inedite del senatore Carlo degli Strozzi precedute dalla sua vita, scritta dal cınonico Salvino Salvini, con un discorso 6 annotazioni per cura di G. Gargani. Firenze, 1860. 8.

1 Manuscritti Palatini di Firenze ordinati ed epostidaFran- cesco Palermo. Vol. Il. Firenze 1860.

Charles VIill en Toscane (novembre 1494) par Th. Paul. Nella Bibliotk dque universelle di Genevra, quaderno d’Ottobre 1860.

Memorie oeconomico-politiche o sia de’ danni arreoati

560 Ueberficht ber Hiftorifhen Literatur.

dall’ Austria alla Toscana dal 1737 al 1859, dimostrati con docu- menti officiali raccolti e pubblicati dal Cav. Antonio Zobi, Volumi 2. Firenze, 1860.

. Lettere di Daniele Manin a Giorgio Pallavicino con note oe documenti relativi all’ Italia centrale. Torino, 1860.

Attie Documenti editi ed inediti del Governo della Tos- cana dal 27 Aprile in poi; Parte Ill: Governo della Toscana in nome di 8. M. Vittorio Emanuele II. Firenze, 1860. 386 p. 16.

V. Der Kirchenſtaat.

Mémolres du Cardinal B. Pacca sur le pontificat de Pie VII., traduite sur l’edition italienne d’Orvieto de 1843, par M. Queyras; renfermant une notice sur la vie et les travaux du cardinal Pacca. Edi- tion ornde de 2 portraits. Tome 2. Parties 4 et 5. Paris, Bray, 1860. 876 S. 8.

Hergenröther, Dr. J., Der Kirhenftaat feit der franzdfifhen Revolution. Hiftorifch-ftatiftifche Studien in Skizzen. Freiburg im Br, Herber, 1860. XIV, 653 ©. 8.

Leon Halevy, Histoire Romaine depuis la mort de Marc- Aure&le jusqu’ & l’avnement de Gordien III. Traduit du Grec. In 12. pag. LIT— 319. Paris, 1860.

Paya, Charles, De l’origine de la papauté. Paris, 1860. 208 S. 8.

Lefon, Mary, Mille ans de guerre entre Rome et les pa- pes. de edition, revuo et augmentde de la conquöte des états romains par le Saint-Sitge. Paris, Dentu, 1860. 284 8. 18.

Gennarelli, Il governo Pontificio e lo Stato Romano. Do- cumenti preceduti da una esposizione storica, e raccolti per decoreto del Governo delle Romagne. Prato, 1860. Vol. 1. CXV 646 p. Vol. 2. XXXVII 688 p.

Dumax, Abbe V., Charakteristische Züge aus dem Leben Pius IX. Aus dem Franz. Mainz, Kirchheim, 1860. VIII u. 1998. 8.

Montalembert, Pio IX e la Francia nel 1849 e nel 1859. Ve- noexia, 1860. 8.

Stalien 1860. 561

Delle Marche dal tempo dei Comuni sino al presonte, di Luigi Cardona. Torino, Favale, 1860. 8.

Un auto-da-f& in Bologna il 5 novembre 1618; documento ori- ginale, pubblicato con commentario e note da M. G. (Michelangiolo Gua- landi). Bologna, 1860. In 8vo di pag. 24.

Miscellanea storia Narnese, Compilata per Giovanni March. Eroli. Vol. I. Fasc. 1 oe 2. Narni, 1858—1859. In 8vo.

Notizie storiche e statistiche di Mantappone, nella pro- vineis di Formo, raccolte e pubbl. dal cav. Vincenzo Vitali Branca- doro. Fermo, 1860. In Bvo.

VL Neapel und Eicilien.

Colletta, The history of Naples from the accession of Charles of Bourbon to the death of Ferdinand I. Translated from the Italian, with a supplementary chapter by $. Horner. RBe-issue of original edit 2 vols. Edinburgh, Hamilton, 1860. 8.

Gemelli, Napoli ed Austria, ossia delle brighe e delle inter- ° venzione austriache a Napoli. Cenno storico politicc. Firenze, Barbera, 1869. 8.

Crimes et amours des Bourbons de Naples, ou Mysttres de la camarilla. Paris, 1860. 89 8. 18.

Girolamo Scoalamandrd, delle Universitä e dei comuni del reame di Napoli, cenno storico. Seconda ediz. Napoli, 1860.

Il Principato di Monaco, Studi storici di Girolamo Rossi. To- rino, 1860.

Begis Ferdinandi primi instructionum liber, pubbl. da Sci- pione Volpicella. Nel Museo di Scienze e Letteratura da Napoli, dis- pense dell’ Ottobre del Novembre e Dicembre 1859 e Gennaio, Marzo e Giugno del 1860.

Opere di Vincenzo Mortilaro, marchese di Villarena. Vol. 7. in 8vo. Palermo, 1843 1858,

La Varenne, Louis, Le congrts des Deoux-Siciles & Flo- sonse. Florence, 1860. 270 8. 8,

552 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur.

27. Wachträge zar Siteretur der nordamerikanifchen Geſchichte.

Life of George Washington. By W. Irving. Vol. V. Leipzig, Tauchnitz, 1859.

Washington hat das Glüd gehabt, nicht lange nach feinem Dahin- ſcheiden in den Präſidenten des DberbunvesgerihtE Marshall einen fehr tüchtigen Biographen zu finden. Derjelbe beſaß einen hellen politifchen Blick, gefundes Urtheil, Menjchentenntnig und ein reges Streben nach Uns partbeilichkeit; er hatte ferner einen großen Theil ver Begebenheiten, bie er darſtellen wollte, denkend miterlebt, außerdem waren ihm bie Papiere des großen Staatsmannes von dem Neffen vefjelben zu freier Benukung überlaffen werten. So ſchuf er aus fehr gediegenem Dlaterial ein ad tungswerthes und lehrreihes Buch. Einige Jahrzehnte ſpäter gab Sparks bie Papiere felber heraus, vermehrt durch höchſt ſchätzbare Mittheilungen aus verjchiedenen Archiven. Die farbloſe Biographie, die er benfelben vorfetste, ift von feiner Bedeutung; aber bie folgenden eilf Bänke fichern ihm ben aufrichtigen Dank ver Foriher. Andere Beröffentlihungen aus der Correſpondenz amerifaniiher Staatsmänner jener Zeit waren theils vorangegangen, theils folgten fie. Wie jehr fi) unfere Kenntnig dadurch vermehrt hatte, zeigt das achtbare Werf von Hildreth, the history of the United States; bejonder8 im vierten Bande, welcher die Präſidentſchaft Washington’S ausführlich behandelt, hat dieſer Schriftfteller viel geleiftet.

Wiederum wuchs der Stoff tur die Herausgabe ter Papiere von Hamilton, Iefferfon, I. Adams und Anderer, und die Aufforderung lag nahe, das Leben eines großen und guten Mannes auf Grund fo um- faffender Materialien von Neuem zu fehreiben. Diejer Aufgabe unterzog fih Wash. Irving. Er hatte längft den Plan gefaßt und Studien ge macht; aber er ging zum Glück nicht eher an die Ausarbeitung, als bie alle dieje Quellen gedrudt waren. Die erften vier Theile reihen bis zum Jahre 1789; fie künnen zwar keineswegs als ein Muſterwerk gepriejen werten, aber e8 feflelt doch die angenehme Erzählung eines liebenswürdi⸗ gen Mannes, ver von einem ehrenwerthen Streben nad Unparteilichfeit bejeelt ift und feine Nachrichten mit großem Fleiße gejammelt umd ges fihtet hat. Weit weniger Befriedigung gewährt der Schlußband. Während Irving früher an einzelnen Stellen zu breit und ausführlich wurde, findet jebt das Gegentheil ftatt; bisweilen haben wir nur eine dürre und trodene

Rachträge. 553

Anfzählımg verjchievener Einzelheiten. Anderes erinnert Allerdings noch an das alte Talent des Verfaffers, gut zu jchilvern; fo wird z. B. das Auf- treten Genet’s, welcher vom Convent nach ven Ber. Staaten geihidt wor⸗ ben war, um biejelben zur Theilnahme am Kriege gegen England zu über- reden, nicht übel den Leſer vorgeführt. Freilich fehlen auch hier Ausein- anverjegungen, bie erft das rechte Verſtändniß eröffnen. Die Darftellung des Aufftandes in Pennſylvanien kann noch weit weniger genügen und bes ſonders ſehen wir nicht, wie die Wogen biejer Bewegung zu einer jo ges fahrvollen Höhe wachſen konnten. Bon dem Vertrage, welchen Washington 1794 mit England abſchloß und ver in ver Gejchichte ver Ver. Staaten eine fo große Rolle fpielt, befommen wir nicht einmal die Örundzüge zu hören, and während einige Waffengänge ver Amerikaner mit den Indianern ziemlich ausführlich behaubelt werben, erhalten wir fein anjchauliches Bild von dem Urfprunge dieſer Feindſeligkeiten, ven Abfichten, welche der Präſident den Ureinwohnern gegenüber verfolgte, den Schwierigkeiten, vie fich ver Herftellung des Friedens entgegenfegßten. Kurz, dieſer fünfte Band ift höchſtens eine gut gejchriebene Chronik; kein ſtaatsmänniſcher Blick wählt unb gruppirt die Thatjachen, die in bunter Reihe ſich folgen und ten Lefer ermüden. Der Berfafier ftand eben am Ente feiner Laufbahn. Er hatte feinen Landsleuten ein mit Liebe gearbeitetes Leben Washington’s bis zum 3. 1789 gegeben, und troß der zunehinenden Körperſchwäche war er redlich bemüht, es zum Abjchluß zu bringen; aber er verniochte nur noch, was an dem Bilde fehlte, zu flizziren. E. R.

Histoire de Washington, et de la fondation de la répo— blique des Etats-Unis. Par Cornedlis de Witt. Prec&dde d'une étude historique sur Washington par M. Guizot. Nouvelle edition rerue et cor- rig6e. Paris, Didier et Ce., 1859.

Im 3. 1855, wo Irving den erften Theil jeiner Biographie bes endete, kam in Paris ein Werk heraus, melches in einen einzigen Bande ven Franzoſen bie wichtigſten Creigniffe aus dem Leben Washington’ ere zählte. So klein das Buch verhältnigmäßig ift, jo fehr empfiehlt es fich ditrch vollfommene Beherrſchung und geſchickte Gruppirung des Stoffes, richtiges Urtheil und edle Darftellung; e8 beruht außerdem auf fehr gründ⸗ lihen Studien. Obwohl, z. B. die Gedichte des Konventes von Phila⸗ delphia, welcher die Bundesverfaſſung fhuf, nach dem Plane des Ganzen

554 Ueberfiht ber biftorifchen Literatur.

nur einen geringen Raum einnehmen Tonnte, fo hat doch ver Berf. vie verwidelten Verhandlungen dieſer denkwürdigen Verfammlung fleißig gele⸗ fen; im Einzelnen ließen ſich freilich gerade an biefem Abfchnitte mancherlei Ausftellungen machen. Auch die gute Anorbnung unterliegt einer Aus nahme. De Witt führt und bie Zeit der Präfidentichaft (1789 —1797) in zwei Kapiteln vor, von denen das eine den inneren, das andere ben äußeren Angelegenheiten gewidmet ift. Da nun aber beide fortwährend im Wechſelwirkung zu einander ftehen, fo ift eine ſolche Anorbnung durchaus fehlerhaft. Dan kann z. B. ven Aufftand in Pennſylvanien nicht ganz begreifen, wenn man nicht vorher den Einfluß kennen gelernt hat, weldyen ber Geſandte des Konventes und der englijch = franzöftiche Krieg auf die Bffentliche Meinung in Amerika ausübten. Davon abgejehen, hat De Witt die Aufgabe, ven Gebilveten eine Biographie von mäßigem Umfange zu bieten, ganz anders gelöft, als neulich Venedey, deſſen Machwerk denn fo dürfen wir e8 wohl bezeichnen im beutfchen Muſeum recht gut cha⸗ rakteriſirt worden iſt.

Von dieſem empfehlenswerthen Buch erſchien 1859 eine neue Auflage. Gleichwohl könnte man verſucht ſein, ſie nur für eine neue Ausgabe zu halten; denn Bogen für Bogen ſchließt mit denſelben Worten, und auf Seite 305 findet ſich die falſche Jahreszahl 1803 ſtatt 1801 im Texte wiederholt; aber in der Ueberſchrift ift der Irrthum allerbirigs befeitigt, und es gibt noch andere Anzeichen dafür, daß wir eine neue Auflage vor und haben. Verbefferungen laffen fih unter folden Umftänden ſchwer ent⸗ decken und fie können aud nicht erheblih fein. Im Anhange find bie erften drei pieces justificalives weggeblieben, welde ven Unionsplan von 1754, die Conföberationsartifel und die Unabhängigfeitserflärung in einer Meberfegung mittheilten. E. R.

Thomas Jefferson, etude historique sur la democratie amedricaine. Par Cornelis de Witt. Paris, Didier et Ce., 1861.

Indeſſen hatte De Witt feine amerifanifhen Studien fortgefett und auf Thomas Tefferfon gerichtet. Diefer merfwürbige Mann, ven bie Amerifaner als ven Vater der Demokratie preifen und mit welchem, als er im J. 1801 Präfident wurde, die fogenannte republifanifche Partei zur Herrschaft gelangt ift, war während feines Lebens, befanntlich nicht ohne eigene Schuld, der Gegenftand des bitterften Haſſes von Seiten ber Föͤ⸗

—W

- Rachträge. 555

teraliften gewejen, von ben eigenen Anhängern dagegen ebenjo übermäßig gefeiert worven. Nach feinen Tode kam feine Autobiographie und ein Theil feiner Correſpondenz heraus, une hauptſächlich auf Grund viefes Material ſchrieb Tucker eine Biographie von ihm, die in ben dreißiger Jahren in zwei Bänden erſchien und ver bemofratifchen Auffaffung folgte. Ganz ander und, wie ich meine, weit richtiger würdigte Hiltreth in dem oben angeführten Werke (vols. IV, V u. VI) vie öffentliche Thätigkeit Jef⸗ ferſon's. Darauf wurden aber die Writings dieſes Staatsmannes volls ſtändiger als vorher herausgegeben; *) fie brachten aud eine Menge bis dahin unbelannter wichtiger Privatbriefe. So lag hier gleichfalls tie Auf- gabe ver, eine neue Biographie zu jchreiben, und ebenjo unternahmen ein Amerilaner und ein Franzoſe die Löfung, jener, Randall, wieberun aus⸗ führlich in drei Theilen, diefer, wie e8 für Europäer ungefähr ausreicht, m einem Bande. Das Wert des Erfteren kenne ich noch nicht, das Buch De Witt's aber, der in der Auffaffung Jefferſon's im Ganzen mit Hild⸗ veth übereinftimmt, ift ver Empfehlung jo würdig, wie fein Leben Was⸗ Bingten’8. E. R.

®) Der vollländige Titel lautet: „The Writings of Thomas Jefferson, being his Autobiography, Correspondence, Reports, Messages, Ad- dresses and other writings, official and private; published by the order of the joint committee of Congress on the library, from the original manuscripts, deposited in the departement of State; 9 vols. New-York, 1853— 54.“ Meines Wiſſens hefitt allein Göttingen biefe wichtige Duelle, unb zwar aud nur den erften ober bie erften beiben Bände. (Münden befigt gegenwärtig dba® ganze Werl. Anm. d. R.) Das ebenſo bebrutende Bud: „The Works of Alexander Ha- milton, compriding his Correspondence, and his political and official Writings, civil and military. Published from the original manuscripts deposited in the departement of State, by order of the civil Library Committee of Congress. Edited by John C. Hamilton, 7 vols. 1851.“ befindet fi, fo viel mir befannt ift, meber bort, nod in PVerlin und Münden, und daher wohl überhaupt nicht in Deutichland. Es wäre fehr wünfdenswertb, daß die großen Bibliothefen unferes Gefammtvaterlanbes diefe Läden ausfüllten. E. R.

Bruä son Dr. €. Welf & Bohn. HBiſtoriſche Zeitfrift VI. Bann. ai

Nachrichten

von der

biforifhen Commiſſion

bei der

Reniglich Boperitchen Yhndemie der Miltenichaften.

(Beilage zur Hiftoriihen Zeitfchrift herausgegeben von H. v. Sybel.)

Dritter Jahrgang. Zweites Htäd.

Händen, 1861. Literariſch-artiſtiſche Anfta lt

der 3. G. Eotta’fhen Buchhandlung. Druh von Dr. C. Wolf & Zehn.

IV.

Bericht über die Arbeiten für dad hanſiſche Urfunden= und Neceß- Bund.

Bon Dr. Inughaus.

Zwei Aufgaben waren e8, welche einen längeren Aufenthalt in Kopenhagen nothwendig machten und mich bort von Ende Auguft 1860 bis Ende Juni 1861 befchäftigt haben, die Ausbeutung des überaus reichen kgl. pänifchen Geheimarchivs, ver Bibliothe- ten, des ftäptifhen Archivs für unfere Urkundenfammlung, und bie Bearbeitung der hanfifchen Receſſe von 1361 1405 nach der Ledraborger Hanbfchrift. Weber beides folgen bier ausführlichere Mittheilungen. ‘Daran fchließt fich der Bericht über eine Reife nach Schonen, deren Hauptzwed war, Nüheres über bie age der hanfifchen Bitten feftzuftellen.

1. Arbeiten anf dem k. dänifchen Geheimarchiv, den Bibliotheken, dem Archive der Stadt Kopeuhagen.

Das Löniglih pänifche Geheimarchin ift erft, feitvem Herr Conferenzrath Wegener bie Leitung übernommen hat, allgemeiner 4%

38 Bericht von Dr. Junghans

wiffenfchaftlicher Benugung eröffnet: war auch früher der Zutritt nicht unterfagt, fo fehltee8 doch ganz an den nothwenbigften Einrichtungen, ſelbſt an einem eigentlichen Arbeitszimmer. Mir ward ohne Weiteres die Erlaubniß zur Benugung von bem betreffenden Minifterium ertheilt, und nicht dankbar genug kann ich e8 anerkennen, in wie zuvorkommen⸗ ber Weife die Herren Sonferenzratd Wegener, Profeffor Beder, Profeffor Rajmufjen, Candidat Matthieffen und vor allem Herr Inſpektor Pleſſner, welcher ganz beſonders beauftragt war, das Einzelne aus ven für mich wichtigen Abteilungen mir vorzu- fegen, meine Arbeiten geförtert haben.

Was alle umfaffenden Arbeiten auf dem Geheimarchiv vor ber Hand noch fehr erfchwert, ift das Beftehen einer großen Anzahl ge fonberter Abtheilungen, vie vermuthlich bei allmählicher Ablieferung ver Archivalien des alten Neichsarchives, des königlichen Hausarchives und fpäter der verfchiedenen Miniſterien, welche bis auf bie neuefte Zeit ältere Specialarchive bewahrten, erwachfen find. Erſt nach Vollendung der Regiftratur auf lofen Zetteln, welche nach dem dafür aufgeftellten Plane alle befonveren, bisher nur unvolljtindig verzeichneten Samm- (ungen umfaffen wird, kann eine zwedinäßigere Ordnung eintreten: ih mußte meinen Stoff in den verichievenen Sammlungen originaler Pergament» und Papierbocumente, den Regiftranden, ven Abfchrife tenfammlungen aufjuchen.

Bor allem waren e8 bie beiden Sammlungen Lübed und Hanfe- ftädte, und Hanſeſtädte, welche meine Aufmerkſamkeit in Anſpruch nahmen. Beide habe ich Stüd für Stüd durchgeſehen, aber in verfchiedener Weife benutt. Sie find theilweife gleichzeitig, doch enthält die höher binauf gehende Sammlung Tübed und Hanjfeftäbte faft nur Per⸗ gamente und mußte mit Ausnahme bes wenigen ber Lofalgefchichte einzelner Städte Angehörenden wozu ich auc bie größere Menge bed auf die Verhältniffe Xübel’8 zur Zeit der Grafenfehde Bezäglichen rechnen muß für unfere Urkundenfammlung faft ganz abgefchrieben werden, natürlich mit fteter Nücficht auf vorhantene Abprüde und beren Berichtigung. Die zweite Sammlung Hanſeſtädte id unterfcheide fie al8 die neuere im Gegenfag zur älteren beginnt mit König Friedrich I. und gebt bis in’8 XVII. Jahrhundert, doch finden fih auch für diefen Zeitraum einzelne befonders wichtige Dock

Aber die Sanfereceffe. 39

mente in ber älteren Sammlung; die neuere habe ich bis zum Ende von Chriftians III. Regierung mit Ausfchluß defien, was ber befonveren Gefchichte der einzelnen Städte und ihres Handels, welche mehr und mehr an Bedeutung für das Allgemeine verliert, angehört, in ber- felben Weife wie die Ältere Sammlung benugt; alles Spätere ift auf lofen Zetteln kurz verzeichnet. Ich bemerfe noch, daß die legten Paden diefer Sammlung in alphabetischer Yolge befondere Sammlungen für einzelne Hanfeftäbte enthalten, welche jedoch nur wenig allgemeinere Beveutung haben. Auh für Hamburg und Danzig beftehen folche, von denen ich jedoch nur bie erften Paden durchſah, da ich mich bald überzeugte, wie gering bier die Ausbeute für die Hanfe war; beide beginnen auch erjt im XVI. Jahrhundert.

Das nächſte für mich war, bie übrigen Sammlungen für deutſche und außerdeutfche Staaten, im deren jegigem und einftigem es biete die ehemaligen Hanſeſtädte liegen, zu durchforſchen, Mecklen— burg, Preußen, Rügen und Pommern, die Sammlungen für Holland und die ([panijchen) Niederlande, für die Oſtſee— lande Livland und Defel, wo bie von Herzog Magnus als Bi- ſchof von Defel in ber zweiten Hälfte des XVI Jahrhunderts nach Kopenhagen gebrachten biſchöflich dfelifchen Regiſtranden für das XVI. Jahrhundert eine unerwartete Ausbeute gewährten; ſo— dann die Abtheilungen für die Staaten, welche im Laufe der Zeit als Bundeögenofjen oder Vermittler mit Dänemark zugleich mit der Hanfe in Berührung gelommen find: England, Frankreich, Schott- land. Auch bier beftehen überall ältere nnd neuere Sammlungen, boch haben bie neueren meift geringere Bedeutung, Yür die Abthei« lungen England und Schottland hatte mir Herr Dr. Lappen⸗ berg ein vor Jahren für die vom englifchen Parlament eingefegte Come miffton zur Herausgabe von Urkunden und Quellen ver englifchen Geſchichte (Record-commission) gemachtes Verzeichniß zur Einficht mitgetheilt.

Auh die das eigentlide Dänemark und die nordiſchen Reiche betreffenden Sammlungen durfte ich nicht unberüdfichtigt laffen. Für Dänemark war Seeland und Mön beſonders wichtig; für Schweden bie ältere Sammlung, weniger die neuere. Doch nenne ich hier als einen befonvers werthvollen Beftandtheil bie Briefe

40 Bericht von Dr. Junghans

ber Sturen, eine überaus vollftändige Sammlung von erhaltenen Schreiben und Eoncepten ausgegangener Briefe aus der Zeit der Kämpfe mit König Hans, welche Chriftian II. in tie Hände fiel. Sie ift zum Theil von Brofeffor Raſmuſſen vegiftrirt und zuerft in umfaffen- der Weife von Profeſſor Grönblad zu Helfingfors für Finlande ältere Gefchichte benutt: feine Nya källor till Finlands medel- tidshistoria Kph. 1857 enthalten einzelne auch für uns wid. tige Stüde. Norwegen fonnte ich ganz bei Seite laſſen; was in biefer Abtheilung und angeht, ift bereit im norwegifchen Di» plomatar!) abgebrudt, oder wird bort bald Aufnahme finden: daß fein Erfcheinen durch den für die nordiſche Geſchichtsforſchung fo bellagens⸗ wertben Tod des norwegifchen Neichsarchivare Lange eine Unter- brechung erleiden könnte, fteht ja nicht zu befürchten, feit Profeſſor Mund an feine Stelle getreten ift.

$sland liegt uns eigentlich ferner: foweit ich bis jet zu be⸗ urtbeilen vermag, hatte die Hanfe fo wenig wie eine einzelne Stabt dort Privilegien, nicht einmal das Winterlager die nothwenbige Vor⸗ bedingung fefterer Anfievlung warb zugeltanden, nur dem Kinzelnen wird für beftimmte Zeit vom Könige der Handel auf Island ge stattet. Doc Habe ich da8 Vorhandene durchgefehen und auf ofen Zetteln verzeichnet. Wielleicht bringt das feit kurzem begonnene isländifche Diplomatar ?) weiteren Auffchluß über die Stellung ber Hanfe in Island.

Dazu kommen für Dänemark bie beiden topograpbifchen, nach dem Material gefonterten Sammlungen die bereit8 vom Archivar Voß georbnete und regiftrirte und nach ihm benannte Boffifche Pergamentfammlung, deren von Profeffor Rajmufjen fort während ergänzte Reniftranden mir vorgelegt wurden, und die Bapier- fammlung, über welche Profeffor Beder ven bereits eine große Reihe von Kapfeln füllenden Katalog auf ofen, ftreng chronologiſch georbneten Zetteln ausarbeitet. Hier bin ich jedoch nur bie 1568 gegangen, zumal da auch bis zu biefem Zeitpunkte die Ausbeute feine große war.

!) Lange u. Unger Diplomatarium Norwegicum I. V. 1. ?2) Diplomatarium Islandicum. Bisher 2 Hefte 1224.

über die Sanfereceffe. 41

Für die füblichen Provinzen Schweben8, bie für ung wegen ber in den Städten Landskrona, Malmö, Standr und Falfterbo, Yſtad, Eimbrishamn einft befinvlichen veutfhen Eompagnien ein befonderes Intereſſe haben, erwähne ich eine nach Land» ihaften und Harben geordnete topographifhe Sammlung, auf welche mich der vortreffliche im Auftrage der fchwebifchen : Regierung über die Archivalien des Geheimarchivs für den noch längere Zeit mit Däne- mark vereinten Süden Schwedens von Falkman ausgearbeitete Regi⸗ ftrand'), von dem das Geheimarchiv eine Copie erhalten bat, hinwies.

Ich erwähne noch zwei eigentlich ganz fpeciell für däniſche Ge⸗ ſchichte und verfchiebene tänifche Verhältniffe beftimmte Abtheilungen, in denen jetoch gelegentlich Hanfifches vorkommt: Gefchichte der bänifhen Könige (Danffe Kongers Hiftorie) und dän iſche Samm⸗ lungen. (Danffe Samlinger.) Die zur Gefchichte ber bänifchen Könige gehörigen Papiere find von Profeffor N. M. Peterfen dem Berfaffer ver dänifchen Titeraturgefhichte zur Zeit feiner Thätig⸗ feit am. Geheimarchiv in einem vortrefflichen Negiftranden verzeichnet. Es find bauptjächlih Briefe an die Könige, an die Kanzlei zurückge⸗ lieferte Tönigliche Schreiben an verfchievdene Beamte oder Concepte dazu, Inſtruktionen u. dgl. Auch was fich von vem Archive Chri— ffians IL an Ort und Stelle erhalten hatte, ift von ihm in dieſen Re- giftranden aufgenommen. Ich babe mich hier für die Zeit von König Hans bis zu Ehriftians ILL. auf das Nothwendigfte beſchränken müfjen, doch find umfafjendere, vorwiegend das däniſche Intereſſe berüdfich- tigende Publikationen von Profeffor Allen zu erwarten. Die als bänifhe Sammlungen bezeichnete Abtheilung mit verfchiedenen fachlichen Unterabtheilungen fcheint erft in etwas fpäterer Zeit gemacht zu fein und wächst noch fortwährend an, da fie einen bequemen Ver⸗ einigungspunft für manches fonft nicht Unterzubringende bildet, wel ches vie fortfchreitende Negiftrirung an's Licht zieht. Ich habe hier mit Hülfe des vortrefflichen Regiftranden die als Handel, Gil de— wefen, Fiſcherei, bezeichneten Wbtheilungen mit Erfolg burchges fehen.

1) Aber Schonen, Halland, Blefingn Gotland, Bohuslän, Jemtland 2 vol. in Folio.

43 Bericht von Dr. Junghans

Bon ven erft in neuerer Zeit dem Geheimarchiv vereinten, vor⸗ bem gefonverte Archive bildenden Abtheilungen verbienen das gemein« fchaftlihe Archiv ter Könige und Herzoge, bad Gottorper Archiv und bie meift aus dem Archive der deutſchen Canzlei her» rübrenden Ablieferungen des fchleswigjchen Minifteriums be- fondere Berückſichtigung. Die beim gemeinfhaftliden Archive von Sand. Matthiejfen begonnene Negijtrirung ift noch nicht weiter als bis zum 10. Capitel vorgefchritten, fo benugte ich für die fpäte ren Eapitel den gedruckten Regijtranden. Im Gottorper Archive, deſſen Membranen ebenfall® Candidat Matthieffen regijtrirt hatte, fand ich Nichts für die Hanfe; doch werden beide, das gemeinschaft. liche und Gottorper Archiv, für die Urkundenbüher Hamburgs und Lübecks, deren Yortfegung jo überaus wünſchenswerth erfcheint, eine reiche Ausbeute gewähren, auf bie ich leider verzichten mußte, Bon den neueren Ablieferungen des ſchleswigſchen Minifteriume war mir Manches ſchon aus andern Sammlungen befannt: faft alles auf Lübecks Verhältniſſe Bezügliche beveutungslos für uns. Ich hebe nur ein ftarfes Convolut (Fol. 60 Nro. 73) hervor, welches als Beis lage zu Verhandlungen ver Hanje mit Dänemark v. J. 1571 die von mir in ber Abtheilung Hanſeſtädte vermißten Schreiben der hanfie chen Sendboten und einzelner Städte an Friedrich IL von 1558— 1581 enthält. Sie find ber von mir befolgten Regel gemäß auf Lofen Zet- teln in aller Kürze regiftrirt.

Don den Sammlungen originaler Documente wenbe ich mich zu ben verhältnißmäßig fpät beginnenden, doch dann allerbings in fehr umfafjender Weife ver Gliederung des dänifchen Reiches entfprechend geführten Briefbüdhern und Regiftranden. Daß ältere verloren gegangen feien, möchte ich nicht behaupten, esfcheint, daß es bier an dem praftijchen und hiftorifchen Sinne fehlte, welcher faft überall Ihon Jahrhunderte früher, in keinem Lande zeitiger und in umfafjen- berem Maßftabe als in England, dazu führte, Copialbücher und Rollen anzulegen, um das praftifch und hiftorifch Bebeutfame für die kommen» ben Gefchlechter aufzubewahren.

Der älteſte Regiftrand befindet fich nicht auf dem Geheimarchiv es bewahrt nur eine Abfchrift fondern auf ver großen königlichen Bibliothek: es ift ver Regiftrand K. Chriſtierns L (Nr. 1160

über die Hanfereceffe. 43

in Folio ter alten kgl. Sammlung). Das Yormat ift richtiger als 4, zu bezeichnen, das Material ift fehönes, weißes Papier, doch find einzelne Perganent- und Papierblätter von verjchiedenem For⸗ mat eingeheftet, erſt in neuerer Zeit ift die Puginirung (1 161), foweit die Handſchrift befchrieben ijt, hinzugefügt. Die deutliche doch unſchöne, durch rothe Weberfchriften ver Abtheilungen und Urkunden gehobene Schrift bleibt fich die ganze Handfchrift hindurch, von ben Einlagen natürlich abgefeben, fo gleich, daß ein vollfommen gleich» zeitiged Eintragen der Schreiben und Urkunden durchaus unwahr« ſcheinlich ift: doch wird die Handſchrift nicht lange nach Chriftierns I. legtem Regierungsjahre gefchrieben fein. Der Regiſtrand umfaßt die Regierung des Königs und bie ihr unntittelbar vorhergehenden Jahre und betrifft nit Ausnahme des von mir Ausgehobenen, ausfchlieplich bie Herzogthümer nicht die drei Reiche fowie die Beziehungen berfelben zu Zübed und Hamburg, welche indes für die Hanſe feine Bebeutung haben. Es find nach den verfchiedenen Materien in zwedmäßiger Weife Abtheilungen gemacht, innerhalb deren eine chronologiſche Ordnung fejtgehalten ift. Nicht von allen Urkunden und Briefen finden fich velljtändige Abjchriften: oft genügten kurze Negeften. Die Abfchrift des Geheimarchivs ift auf Langebeks Veran« laffung vom Isländer Fon Viortenfen gemacht; Meichelfen erwähnt ein zweite® übereinftimmentes oviginales Exemplar'), toch konnte ich in Kopenhagen NichtS darüber erfahren.

Den einzigen aus der Zeit des Könige Hans erhaltenen Regi⸗ ftranden, das Briefbuh des Königs Hans es enthält bie Sorrefpondenz mit ver Königin von Schottland und von Frank⸗ reich in ber Zeit des Krieges mit Lübel und der Hanje und In⸗ ftruftionen für feine Geſandten erwähne ich bier nur ber Voll ftändigfeit wegen, ta es bereite, doch mit Weglaflung einiger auch für und bevdeutungslofen Zugaben, mit großer Sorgfalt abgedrudt ift?).

In diefelbe Zeit fällt das Briefbuch tes Herzogs Frieprich (im gemeinfchaftlichen Archiv Cap. 38. Acceſſion Nro. 1). Es führt bie neuere Bezeihnung: „Herzog Friedrichs zu Gottorf Erpe

I) Nordfriesland im Mittelalter. ?) Aarsberetninger fra det k. Geheimarchir I.

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bitiones 1508 1513“. Die Handſchrift ift in auf Papier ge fchrieben, zählt 170 Blätter. Mehrere, zum Theil flüchtige Hände find leicht zu unterfcheiven. Viele zufammengefaltete Blätter und Blättchen, Concepte ansgegangener Schreiben find zwifchen den Blät- tern eingelegt, Bl. 1—28 find am äußern Rande abgegriffen oder angefreffen, doch ift von der Schrift nicht viel zerftärt. Die Schrei« ben felbft find mehrfach ſtark purchcorrigirt und nicht immer in ber gehörigen Form ausgeftelft, ohne Adreſſe, über die jedoch am Schluffe bes Schreibens eine kurze Angabe nicht fehlt. Auch die Datirung ift manchmal nicht zugefügt, ergibt fich jedoch mit annähernder Genauig⸗ feit aus den vorbergehenven und nachfolgenden Schreiben. Die größte Zahl der Schreiben ift hochdeutſch abgefaßt, nur wenige find nie derdeutſch: ein eigenthümliches Verhältniß zu einer Zeit, wo doch das Niederbeutfche in Norpbeutfchland in Sprache und Schrift noch ent- Ichieven das Uebergewicht hatte. Bisweilen findet fich auch eine ſelt⸗ fame Wifchung des Hochdeutfchen und Nieberbeutfchen, vielleicht durch bie geringe Kenntniß des Nieverveutfchen beim bochbeutfchen Schreiber veranlaßt. Daß fo viele Schreiben hehteutfh ausgegangen fein follen, ift kaum glaublich, ich bemerfe nur, daß von einem tim Briefbuche enthaltenen hoch deutſch abgefaßten Schreiben an bie Hanfeftänte (1512 zwiſchen März 28. und April 8.) eine nieber- beutfche gleichzeitige Copie fich in ver Abtheilung Hanfeftäpte Tafc. 28 findet. Cine wie wichtige Duelle für die Specialgefchichte ber Herzogthüner, für die Beziehungen Herzog Friedrichs zu ten be- nachbarten Neichefürften und Ständen viefes Briefbuch ift, braucht wohl kaum hervorgehoben zu werben; auch für bie Gefchichte des Streites Lübecks und der in Tebhafter Parteinahıne bald enger mit thm verbundenen wenbifchen und Dftfeeftäpte wider König Hans ift, was fich hier über bie in Gemeinfchaft mit Hamburg und Lüneburg jo wie den Ständen ter Herzogthüümer vom Herzoge verfuchte Ver mittlung, und fpäter tm Kriege ver Hanfe mit ven Holläntern was fich über feine Thätigleit, die Neutralität und Unverleglichkeit feiner Unterthanen gegen Uebergriffe ver Städte zu wehren, ergibt, für uns von Bedeutung. Benutzt ift das Briefbuch wohl nur von Michelfen im Dithmarfiichen Urkundenbuche, doch nicht ganz erfchöpfend.

Für bie Negierung Chriftierns II. findet fich ver exfte fufte

über die Hanfereceffe. 45

matifch angelegte däniſche Canzleiregiftrand: er ift nach Land⸗ fchaften georpnet Seeland und vie kleinen Inſeln, Fünen, Jüt⸗ land, Schonen, Gothland und gut in Suhms Nye Sumlinger T. 1II. abgedruckt. Er ijt forgfältig auf Papier (groß 4. 256 BL.) gejchrie- ben und umfaßt bie Jahre 1513 1522. Für uns wird er noch auszuziehen fein.

Aus der Zeit König Friedrichs L find nur eigentliche Co pialbücher, wenn ich mit diefem Namen vorzugeweife die Ur- funden und offene Briefe enthaltenen Regiftranten bezeichnen darf, feine Briefbücher vorhanden.

Am wichtigften ift ter in deutſcher Sprache geführte Re- giftrand des deutſchen Kanzlers. ine gleichzeitige Hand bezeichnet ihn auf dem erjten Blatte in folgender Weife: „Regiſter aller und yegliher cantract band! vnd begnadung, fo in zeit meiner Wolfen von Vtenhouen cantlers von fu' maieſtat 2c. aus berfelben cantley aufgangen“ Das fol gende Blatt Hat eine Ähnliche Bezeichnung. Gefchrieben ift ver Re— giftrand, ein brauner Lederband mit Schnalle in Folio, auf Papier, 137 DI. find befchrieben, dann folgen ziemlich viel unbefchriebene, erft bie beiden legten find wieder befchrieben. Es find mit Leichtigkeit zwei Hände zu unterfcheiden, anfcheinend find fie ziemlich forgfältig auch in Ausfüllung des Datums ver eingetragenen Documente, doch zeigt fich bei näherem Eingehen, daß namentlich ber erfte Schreiber feine Arbeit fehr nachläffig beforgt hat. Cr fehlt beim Kintragen ber nieberbeutfchen Documente aus mangelhafter Sprachkenntniß mehr⸗ fach, fällt ins Hochdeutſche und beycht auch fonft manche Verſehen aus Wlüchtigfeit, welche nicht zu verfennen, doch nicht immer mit Sicherheit zu verbeflern find: dennoch mußte ich Abfchriften nehmen, da es bei manchen Urkunden mehr als zweifelhaft ift, ob die Originalauss fertigungen noch vorhanden fein werten. Es wirb wohl faum nöthig fein, ausprüdlich darauf hinzumeifen, daß der Titel des Negiftranten nicht zu der Annahme berechtigt, al8 habe Wolf von Utenhoven felbft diefen Regiftranten geführt; dagegen würde fchen vie Berfchies denheit der Handfchriften und mehr noch bie Sitte ber Zeit fprechen. Doch leidet e8 keinen Zweifel, daß Utenhoven die Cintragung ber Documente anorbnete und Üüberwachte, iſt doch einmal (Fol. 5) vom

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Schreiber, als er- die Abjchrift eines Protololles über die am 14. Yuli (1524) zu Kopenhagen unter Vermittlung 8. Friedrichs J. zwifchen der Hanfa und den Holländern geführten Verhandlungen leider ſchon nach den einleitenden Sägen abbricht, ausprüdlid bemerkt: "Her Canntzler fagt: fey vnnot zu regiftern.« Der Regiftrand um⸗ faßt vie Jahre 1524— 1533, er beginnt mit den öffentlichen Verhält⸗ niffen, vor allem den Beziehungen zur Hanſe, zu einzelnen Stäbten wie Lübeck, Hamburg, Danzig, zu Schweben.

Auffallend mußte e8 mir erfcheinen, daß aus ber entfcheidunge- vollen Zeit ver Thronftreitigfeiten, weldye mit der burch vie entſchie⸗ bene PBarteinahme der Hanfeftäpte für den ihnen lange ſchon fo eng verbundenen Herzog durchgefegten Erhebung vefjelben auf den Könige thron abfchloffen, fich Fein Briefbuch, keine Sammlung von Schrei« ben der in den Streit verwidelten Städte und Fürften finden follten. Freilich läge die Erklärung nahe, daß Friedrich felbft bie Papiere ver- nichten ließ. Doch ift noch zu Anfang diefes Jahrhunderts eine ſolche Sammlung von Originalfchreiben (oder Abfchriften berfelben) ver dem Herzog. Könige in jener Zeit verbündeten Städte und Fürften an ihn und von Eoncepten zu feinen Schreiben vorhanden gewefen. Es ift das aus Ab- Schriften des großen bantfchriftlihen TLangebeffhen Diplomatars zu erfehen, auf welches ich fpäter zurüdtomme. Jetzt waren die Ori⸗ ginale nicht aufzufinden. Die Abfchriften find leider fehr unzuver⸗ läffig, doch habe ich einige ver wichtigften copiren laffen und in Ko penhagen hinterlegt in ver Hoffnung, daß erneuerte Nachforfchung jenes Briefbuch wieder bervorziehe und eine Berichtigung der Ab- Schriften möglich mache. Abfchriften einiger theilweife chiffrirter Schreiben Lübecks und Friedrichs nehmen zu laffen, ſchien bei ver großen Unzuverläffigfeit ver Abfchriften nicht ratbfam; den Schlüffel ber Chiffern zu entveden wäre wohl nicht unmöglich gewefen, obfchon Wortchiffern, nicht Buchftabenchiffern angewandt find.

Aus fpäterer Zeit, den Jahren 1532, 1533, findet ſich ein vom ſchleswigſchen Minifterium (Fol. 62 Nr. 81) abgeliefertes ziem- lich ſtarles gleichzeitig gefchriebenes Heft mit öffentlichen und privaten Urkunden, ein Beweis, wie man in der deutſchen Canzlei zur Zeit Friedrichs I. wohl das Streben hatte, in umfafjenver Weife zu regiſtriren, doch Tein feſtes Syſtem finden konnte. Enthalten war in«

deß in biefem Hefte nur mic [on Brlannter.

über bie Hanſereceſſe. 47

Die däniſchen Regiftranden unter K. Friedrich I. ſchließen fih in Form und Anhalt dem Chriftierns II. genau an, auch wird kaum eine größere Lücke vazwifchen liegen. Es find die mit Nr. 13 unb 14 bezeichneten Convolute der Abtheilung: „Geſchichte der däni⸗ fhen Könige. Nr. 13 ift nach Lanpfchaften georonet, von denen ih mit Erfolg Schonen und Gothland vurchgefehen habe: es find barin die “jahre 1524 1532 enthalten, doch find gegen Anfang und Ende viele Blätter beſchädigt. Die Schrift iſt flüchtig, die Eintra- gung unregelmäffig: fo kann man zweifeln, ob ber Band als ein eigent« licher Canzleivegiftrand oder nur als ein zum Privatgebrauch bes Kanz⸗ lers beſtimmtes Copialbuch zu bezeichnen ift; Nr. 14, die Jahre 1531 und 1532 umfafjend, fehließt fih Nr. 13 an: für uns bat fich hier nicht gefunden.

Zulegt erwähne ich einen däniſchen Regiftranden, wel—⸗ her freilich auch die Regierung Chriftians des III. umfaßt, doch dem bereit erwähnten Regiſtranden der deutfchen Kanzlei von 1524 bis 1532 fo genau entfpricht, daß, was über ihm zu fagen ift, wohl am beften bier feinen Platz findet. Der Regiftrand findet fich eben« falls in ver Abtheilung „Geſchichte der dänischen Könige- unter Nr. 31. Es ift ein mäfliger Papierband in groß Folio gleichzeitig von ver« ſchieden Händen zum Theil fehr fauber gefchrieben: eine ältere unge- naue Bezeichnung "adflillige Regiftere 1536 1550. führe ih nur an, um Irrungen zu vermeiden. Es find bier die für die innere Ge⸗ fchichte des Reiches und feine Beziehungen zum Norven bedeutſamen Aktenftücde und Urkunden in dänifcher Sprache eingetragen. Für uns fand fi doch Einiges von Bedeutung; die Urtheile des Reichs⸗ rathes und bes Königs im Streite Lübecks und Danzigs über die Vitte bei Falfterbo find auch in dem eben erwähnten Kanzleiregiftranden K. Friedrichs I. 1524 32 Danffe Kongers hiftorie (Nr. 13) aufgenommen.

Ueberbliden wir die bieherige Entwidelung ter Regiftratur, fo ift zwar feit 8. Chrijtian II. und befonters feit Friedrich I. das Streben nach einem feften, alle Theile tes Reiches umfaffenden Sy⸗ fteme durch Sonderung des auf die innern Verhältniffe ver dänifchen, der deutfchen Lantestheile und bes auf die auswärtigen Verhältniffe Bezüglichen bemerkbar, doch nicht fcharf durchgeführt: erft unter Chris ftian ILL. bilvete ſich das in der Folge feftgehaltene Syſtem aus,

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Bekanntlich umfaßte der Gefchäftsfreis bes de utſchen Kanz lers, ber deutſchen Kanzlei früher fowohl die inneren Verhält⸗ niffe der deutfchen Herzogthümer, als bie auswärtigen Beziehungen, während für die inneren Verhältniſſe ber däniſchen Landestheile, zu denen ja auch Norwegen, die ſchwediſchen Provinzen und Goth⸗ land gehörten, die däniſche Canzlei beftand. Beide Canzleien haben feit Ehriftian III. ſcharf gefonberte, forgfältig geführte Regiftranden. Auch aus diefen Negiitranden in gleicher Weife Alles abzufchreiben, oder in ausführlichen Negeften zu behandeln, reichte meine Zeit nicht bin; dazu fann in den meiften Fällen kein Zweifel fein, daß bie an Lü- bed, an die Hanfe gerichteten Schreiben ver Könige im Lübecker Stabtarchive vorhanden find. So habe ich mich darauf beſchränkt, aus dieſen Res giftranden vorerft nur die ganz beſonders wichtigen, vielleicht am Orte ihrer Beſtimmung nicht erhaltenen ober ſchwer zu erreichenben Schreiben in unjere Sammlung aufzunehmen: alle Uebrige ift kurz verzeichnet. (Anl. Nr. 2.) Ich bemerfe noch, daß bis 1561 die Gang leiregiftranden tas Jahr um Weihnachten beginnen, 1561 dagegen ift der 1. Januar ausprüdlich al8 Jahresanfang bezeichnet. (Fol. 267.)

Die Regijtranden ver däniſchen Canzlei unter Chriſtian IIL erfcheinen von Anfang an in zwei gefonverten Reihen als Regiftere paa alle Lande und Zegnelfer paa alle Lande, d. h. däni⸗ cher Zunge, ohne daß ein feftes Princip diefer Sonderung hervor» träte. Bis zum %. 1571 umfaffen fie, wie auch ver Name andeutet, alle Landſchaften, bem bereits mehrfach erwähnten Negiftranden R. Shriftian’s IL. darin unähnlih, daß fie ausſchließlich die chronologi⸗ che Ordnung befolgen, ohne Sonderung der Lanbestheile unter Fried rich IL Nah dem % 1571 ehrt man venn zu ber älteren Ort nung zurüd: ſeitdem wurden befondere Sammlungen für die Landes theife angelegt. Die Regiftere find für uns ohne Ausbeute: da⸗ gegen findet fih in ten Zegnelfer Manches von Intereſſe. Sie beginnen 1535, doch konnte ich darauf verzichten, die früheren Bände bis Nr. IV durchzuſehen, da der Aborud in dem von der dänifchen Gejellfchaft herausgegebenen Nye danſke Magazin III. Räkke Bo. 5 und 6 IV. Rüfte Bd. I. 9. 1. bereits bis zum J. 1545 vorgefchrite ten iſt. Die Bände IV XI habe ih Blatt für Blatt durchge fehen und das Nothwendige daraus copieren laffen. Ueber ven End⸗

über bie Hanfereceffe. 49

puntt der Tegnelſer paa alle Lande hinaus, die für bie einzel« nen Landestheile fich anfchließenden durchzugehen ſchien mir nicht ere forberlich, nur in denen für Schonen habe ich das Ende des han- ſiſchen Verkehrs und Zifchfanges auf den Fiſcherlagern, vor allem Stanör und Falfterbo noch bis in's XVII. Ih. verfolgt.

Außer den Originaldocumenten und Regiftranden bewahrt das Geheimarchiv Abfchriftenfammlungen von großem Umfange und Werthe aus älterer und jüngerer Zeit. Schon um bie Mitte des 16. 35. entftanven Sammlungen hanfifcher Privilegien in Folge ber Verhandlungen über die Bejtätigung der Privilegien einzelner Städte und der gefammten Hanfe in Dänemark, Schonen, Norwegen, welche die beiden letzten Jahrzehnte von Chrijtian ILL. Regierung ausfüllen. In älterer Zeit war e8 Gewohnheit geweſen, daß nur im Allgemeinen die Privilegien bejtätigt wurden: jett wollte fie ver König, "ohne ihren Buchſtaben zu fennenu, nicht wicter bes ftätigen, war es doch in ter That unmöglich, die endlojen Streitigs feiten zwifchen feinen Unterthanen und ven Städten ohne genaue Kennt⸗ niß der von beiden Parteien erworbenen Privilegien zu erledigen. "Ueber Sand und Sees die fojtbaren Privilegien zu verjenden, wie anfangs dänifcher Seite gefordert ward, waren bie Stübte nicht zu bewegen, notariell beglaubigte Copien hatte nıan früher fchon, wenn auch nicht ohne Bedenken, übergeben; jett verftand man fich dazu, Königlichen Räthen die Privilegien, gemeinfame, wie einzelnen Städten ertheilte in Lübeck vorlegen zu laſſen, was auch nach miancherlei Weis gerungen 1551 gefchah. Bei tiefer Gelegenheit ertheilte man von Neuem beglaubigte Copien. Aus tverfelben Zeit over etwas fpäter finden fi auch beglaubigte Abfchriften von Privilegien ver nieder« ländifchen, der holländifchen Städte ‘Den Streitigfeiten warb auch jest kein Ende gemacht, doch erwarb nun zuerst das k. Archiv Gopien der älteren Privilegien, die bis jegt fergfältig aufbewahrt find und bereit8 im XVIII. 30. von den däniſchen Gefchichtsforfihern mit Er» folg benugt wurven. Wenn auch für uns dieſe heutigen Anforderungen wenig entjprechenben Copien, da vie ftädtifchen Archive Jahrhunderte lang treu die Originale bewahrt haben und ber Forfchung fich nicht mehr verfchließen, nur einen geringen Werth haben, jo darf ich es doch nicht unterlaſſen, auf die verfchievenen Abtheilungen aufmerkjam zu

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machen, in denen fie nunmehr niedergelegt find. Die wichtigften fin- ben fih in ven Abtheilungen Lübeck und Hanfeftäpte, und Hanfeftädte fo fürdremen, Danzig, Lübed, Roftod, Stral- fund, Wismar u. f. w. Die Campener Privilegien von 1251 1368 (24 St.) füllen ein eigenes, freilich läßig gefchriebenes Co⸗ pialbuch: die Originale befanden fich, wie ich aus ven auf der Ham- burger Stabtbibliothel bewahrten Papieren des Prof. Wurm erſehe, 1830 noch fänmtlih im Campener Stabtarchive. Ein ähnliches um biefelbe Zeit ſehr ſchön mit genauer Siegelbefchreibung gefchriebenes Copialbuch der Stralfunder Privilegien 1277 1491 ift in der Sammlung Hanfeftäpdte (Faſc. 26) vorhanden. Auc die aus der ches maligen deutfchen Canzlei herrührenden neueren Ablieferungen des ſchles⸗ wigſchen Minifteriums enthalten ähnliche Privilegienabfchriften für ver- fhiedene Städte In der Sammlung Hanfeftädte find aud Eopialbücher der Privilegien verfchievener Hanfeftäpte für Dänemark und Norwegen (v. 1250—1530), von Privilegien norwegifcher Städte (1294 1509 im erften Drittel des XVI. Ih. von dänifcher Hand gefehrieben; hier find auch Ueberfegungen einzelner hanſiſcher Privile⸗ gien ins Dänifche (Normegifche) aufgenommen. Mehrere Hefte mit überfichtlich nad) Materien georbneten, meift von Hänten des XVI. Ih. gefchriebenen Auszügen aus ven hanfifchen Privilegien haben kein weitere® Intereſſe. Für die niederländifchen (holländifchen) Städte entlih, Campen ausgenommen, enthalten die Sammlungen Spanien und Niederlande zum Theil vecht forgfältige, um bie Mitte des XVI. Jahrhunderts gemachte Transfunpte, welche ich copiert und ausgezogen babe, wenn fie, feweit ich e8 beurtheilen konnte, von Entftellungen des Niederdeutſchen fich frei gehalten haben.

Im Allgemeinen habe ich mich begnügt, alle diefe Sammlungen von Eopien hanſiſcher Privilegien genau durchzuſehen und zu verzeich« nen, nur Weniged war mir unbelannt und ungebruct geblieben.

Bon ungleich größerer Bedeutung für die Wiffenfchaft ift das in neuerer Zeit von dem bekannten Gefchichtsferfcher und Archivar Lan gebek angelegte, mit Recht nad ihm benaunte Diplomatarıium Langebekianum. Langebek bat vie ſchöne Muße, welche ihm das damals für amtliche Arbeiten faum in Anſpruch genommene Amt bes Geheimarchivars gewährte, zu den umfaffenzften Arbeiten für d&-

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niſche Geſchichte benutzt. Bekannt genug auch im Auslande ſind ſeine Seriptores rerum Danicarum medii aevi: faum gekannt und nur von Wenigen benutzt feine mit der größten Sorgfalt zum großen Theil eigenhändig gemachten Abjchriften von Urkunden zur tänifchen Ger ſchichte im weiteften Umfange, zur allgemeinen und lofalen. Er fehrieb, ob mit dem beftimmten Plane, ein bänifches Urkundenbuch berauszue geben, tft mir nicht befannt geworten, ab, wa® er nur von Urkunden erreichen konnte, zunächft im Geheimarchiv, in ter deutfchen Canzlei, im ftädtifchen, in ben Kirchlichen Archiven, vor allem in den zu Anfang diefes Jahrhunderts untergegangenen Archiven der Frauenkirche, ter Nicolaiktirche zu Kopenhagen, dann auf Seeland befonders in Roeskilde und wo fich fonft im eigentlichen Dänemark ihm die Archive öffneten. Das Lunder erzbifchöfliche Archiv, das von Malmö, bie Archive ter Oftfeeftäpte Roftod, Greifswalde, Stettin, Danzig, Riga, Reval bat er felbft befucht, in umfaſſender Weife benugt, und auf biefen Reifen Berbintungen angelnüpft, welche ihm won den ver- fhiedenften Seiten für vie Gefchichte Dänemarks wichtige Urkunden und fonftige Documente in Abjchrift zuführten. Was er felbft nicht thun tonnte, ließ er durch von ihm berangebiltete Gopiften bejorgen, unter denen beſonders ver Isländer Yon Mortenfen genannt zu werben verbient. Langebek's Nachfolger Haben bis auf dieſen Tag feine Urbeit fortgefegt, fjo Sram, Thorkelin, dem die Sammlung unter andern eine ziemlich bebeutente Anzahl von Abfchriften aus den jest in der Bibliothek des britifchen Mlufeums in Yonden aufbewahr« ten cottonfchen Manufcripten verbanft. Auch jett noch wird das Diplomatar fortwährend bereichert, doch richtet man fein Augen⸗ mer! befontere auf ſchwer Tesbare oder ihrer Zerſtörung ent» gegengehende Documente. Auch auswärtige Gelehrte lieferten Bei⸗ träge, vor allem bie unermütlichen Norweger, ver leider ber hi- ftorifhen Wiffenfchaft zu früh entriffene Reichsarchivar Lange, der Herausgeber des norwegifchen Diplomatare, der kürzlich erft von länger Forſchungen im Archive des Vatican zurüdgelehrte Brofeffor. Mund und andere Neuerdings ift das ganze Diplo⸗ matar chronologifch geordnet und in 54 ftarten Foliobänden, de⸗ ren jeder Hunderte von Abfchriften enthält, vertheilt, der öffent- lichen Benutzung zugänglich gemacht. Es bilvet für die Jahre 800 5

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1554 ein unfchäßbares Nepertorium für die Gefchichte des bäni- fchen Reiches und ver in feine Gefchide verflochtenen benachbarten Länder und Stäbte, vor allem ber Hanſeſtädte, und eine Grunblage für die hoffentlich nicht mehr zu ferne Herausgabe eines bänifchen Urkundenbuches. Ich habe das Diplomatar von Band X an (1300) durchgefehen und zahlreiche Stüde abfchreiben laffen, beſonders Ab ſchriften Langebel's und Lange’8 aus den nicht bänifchen Archiven, boch auch der Zeiterfparniß wegen manche von Archivalien des Ge⸗ beimarchivs genommene Copien, vie ich dann forgfältig mit den Ori⸗ ginalien verglichen habe. Weber bie verſchiedenen Hanbfchriften des Diplomatars, von deren Kenntniß die Beurtheilung des Werthes der Abfchriften abhängt, hat fich auf dem Geheimarchiv eine fichere Tra⸗ bition gebildet, welche auch mir bald zur Führerin warb.

Ich fchließe hier einige allgemeinere Bemerkungen über bie von mir bei der Durchforſchung des Geheimarchives befolgten Grund» füge an.

Was die Auswahl des Stoffes betrifft, fo Zonnte ich für bie ältere Zeit bi8 zum Beginn der Grafenfehde nichts ausfchliehen. Dis dahin hat alles und jedes Werth für die Kenntniß der Zuftände, ift Die Menge des Vorhandenen nicht fo groß, daß eine Beſchränkung notbwenbig wäre; nur ift feit König Hans größere Aufmertfamleit bei Ausfcheidung des Fremdartigen nothwendig gewefen. Für bie Zeit ber Grafenfehde hingegen mußte ich mich befchränten. Gewiß if Lübeck's Streben, feinen Einfluß in den nordifchen Reichen zu erhal⸗ ten und zu erweitern und im Sinne einer Hugen, auf Ausfchluß ver Holländer gerichteten Handelspolitit zu verwenden, und beffen Ver⸗ eitelung von der größten Bedeutung für bie Stellung, die Gefchide ber Hanfe gewejen: und dennoch Tann es nicht Aufgabe unferer Sammlung fein, das Material dafür zufammenzubringen und zu ers gänzen. Wird auch Lübeck und fein Streben für eine furze Zeit ver Mittelpunkt, um welchen ſich bie europäifche Politit bewegt: tas Ganze gehört doch der befonvern Geſchichte Lübeck's an; die Hanfe ftäpte in ihrer Geſammtheit haben eher abweiſend, feinbfelig, als för bernd ſich zur ganzen Bewegung geftellt, felbft bie wenbifchen Städte fchloßen fich nicht rückſichtslos an: fo konnte ich mich be Schränlen, alles, was auf das Cingreifen der Hanfe und einzeluer

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Städte Bezug bat, hervorzuheben. Nachträge zu dem bereits in fo nmfaffender Weife gedruckten Material zu geben, wäre nicht fchwer gewefen. &8 ift gewiß zu bedauern, daß Palutan-Müller nicht felbft bie Muße für gründliche Durchforſfchung des Geheimarchivs gefunden bat, Andern das Sammeln des Stoffe auch tort, nicht im Auslande allein, überlaffen mußte; fo find ihm mehrere Baden im gemeinfchaft« lichen Archive, in der Abtheilung Hanfeftädte, vie eingehenden Be⸗ richte und Inſtructionen ber von Ghriftian III. an die Könige von Frankreich, von England, ven Schottland gefchicten Geſandten u. a. w. entgangen.

Für die fpätere Zeit in gleicher Vollſtändigkeit abzufchreiben, glaubte ih mir die Zeit nicht nehmen zu dürfen, doch habe ich bis auf ten Tod von Ghrijtian III. das Wichtigere abgefchrieben und ab- ſchreiben lafjen, fiber das minder Bebeutfame erfchöpfente Regeſten aus» gearbeitet; die zu ganzen Aktenſtößen anfchwellenden und vielfach fich wieberholenden Verhandlungen mit ver Hanfe über vie Beftätigung ber Privilegien, über bie wider die Unterthanen bes Königs in Dänes mark und Norwegen und umgekehrt vorgebracdhten Beſchwerden mußte ich vorerſt bei Seite laffen, doch habe ich das Einzelne auf lofen Blättern, wenn auch nur fehr ſummariſch verzeichnet, Manches ift auch hier noch beſonders berüdjichtigt. In derſelben Weife babe ich dann auch die Zeit nad Chriftian III. behanvelt, doch habe ich mich hier noch ſtren⸗ ger auf das bloße Verzeichnen des Vorhandenen beſchränkt. Es blieb mir fein anberer Ausweg, ta bisher Grundfäge für die Be handlung der Zeiten des Sinkens und Verfall ver Hanfe, in denen eigentlih nur der Kampf um bie Privi— legien noch ein Intereſſe haben kann, nicht feftgeftellt werven fonnten. Mit Hülfe der ca. 360 von mir gefchriebenen Zettel wird boch immerhin eine Beurtheilung ter hanſiſchen Archive, vor allem des Lübifchen leichter fein und eins over das Untere wie ber end- loſe Privilegienftreit ſich verfolgen laſſen.

Ueber die in Kopenhagen gewonnene Ausbente liegt ein Ver⸗ zeichniß bei (Anlage Nr. 3), Es find in allem außer den in ven hanſiſchen Archiven zu berichtigenven Abjchriften des Langebekſchen Diplomatars 645 Nummern,

Die legten Tage meines Aufenthaltes in Kopenhagen verwandte

5%

54 Bericht von Dr. Yunghans

ich zu einer kurzen Durchficht der Urkunden des ftäbtifchen, in ven Kellergewölben bed Rathhauſes aufgeftellten Archives, zu deſſen Ber nugung mir bie ftäbtifchen Behörden bereitwillig bie Erlaubniß er- theilten. Haben auch die Vereinigungen veutfcher Kaufleute, die ſogenann⸗ ten veutfhen Compagnien in den Städten Kopenhagen, Lande trona, Malmö (Ellenbogen), Yitad für die Hanfe nie eine Bedeutung gewonnen, wie bie aus ähnlichen Anfängen erwachjenen Sontore zu London, Bergen, Brügge, Nowgorod, fo bieten doch auch bie engeren Verhältniffe Manches von Interefje. Erleichtert wurde mir bie Durch fiht der Urkunden durch ein bereits im vorigen Jahrhundert gebrud- tes, doch ziemlich oberflächliche8 Verzeichniß') fowie burch ein 1582 vollendetes, mit gutem Sachregijter verfehenes Privilegienbuch, welches der Neichsratd und Nentmeifter Chr. Waldenvorff 1582 zufammens ftellen ließ und ber Stabt verehrte:

Väschrifft aff Kiöbenhaffns Stadz Priuilegier, Stadzret oc Friiheder, som er vddragen efiter Erlig oc welbyrdig Mands CHRISTOFFER V ALCKEN- DORFS til Glorup kon: maits: oc Danmarckis Rigis Raad oc Rentemesters Befaling. Oc geff hand saa denne same Bog Borgemester oc Raad, sine gode Venner, till Foraering oc meenige Kiöbenhaffns Stads Indbyggere till nytte och gaffoın. Som schreffut er vdi Kiöbenhaffa Den Vi. Martii Anno M. D. LXXXII. DA PACEM DOMINE IN DIEBUS NOSTRIS, Vol. Pgm. 262 Bl. ein leverüberzogener Holzband mit Silberbejchlag, jauber mit vielen durch feine Zeichnungen verzierten Initialen‘; er enthält bie widhtigften Urkunden Kopenhagens bis 1581 in Kopie, die lateinifchen mit bänifcher Ueberjegung, vie ältern bänijchen in mobernifirter Sprache. Später find einige andere wichtige Documente nach 1581 eingetragen. Ein gutes Regifter erleichtert den Gebrauch. Es ift außerdem noch ein zweites, minder prächtiged Cremplar für ven täglichen Gebrauch vor handen ?).

Leider find nicht mehr alle im Verzeichniffe aufgeführten Urkunben vorhanden, und fo mußte ich bie ältefte, dem ftädtifchen Archive ent nommene lateinifche und deswegen fprachlicher Entftellung minder ans gejegte Urkunde v. 1281 aus dem Privilegienbuche abjchreiben.

’) Fortegnelfe over be udi Kiöbenhavns Raabftues Archiv bevarede gamle og vigtigfle Documente. Kbh. 1786. Fol. 2) ©. Fortegnelſe, Böger Nr. 6.

.

über bie Hanfereceffe. 55

Bon den im gebrudten Verzeichniſſe erwähnten Büchern erregte nur eins meine Aufmerkſamkeit:)

15. Böger. Nro. 10. Dett Dannsche Companie Broder Bog Her wdi Kiöbennhaffn Huor wdi findis anteignitt alle Compannie Laugs Bröder Dierris nefin, som sig vdi den Hellig Träfoldighedtzlaug Hafluer Inladitt siden Mand schreff efiter Christi Biurd 1542, huilcken Bog er Rennueritt Och for nyett paa Menninge Laugs bröders Bekostning Den 29. Februarii mand schrefi Aar 1623.

Doch ift e8 nicht mehr vorhanden und fo war nicht zu entfchei« ben, ob die bier im Gegenfag zur bänifchen Gompagnie erwähnte heilige Dreifaltigfeitsgilde mit ber deutſchen Kaufmannsgilde, welche in dem von mir auf dem Geheimarchiv aufgefundenen Bruch» ſtücke einer Gildenſchra ebenfalls als heilige Dreifaltigkeitögilve bezeich- net wird, mehr als den Namen gemein hat’).

Die kirchlichen Verhältniffe ver beutfchen Compagnie in Kopen⸗ bagen noch weiter zu erforfchen, ſchien mir nicht nothwendig, ſeitdem ich nach langem vergeblichen Suchen in der Schra hierüber die be- ftimmteften Angaben fand; die VBermuthung, als könne die Ueberwei⸗ fung der Petrifirche an die deutſche Gemeinte zu Kopenhagen in älterer Verbindung der deutſchen Compagnie mit diefer Kirche ihren Grund haben, ift nicht zu erweijen: Alles was über die Gefchichte biefer Kirche bie zu ihrer jegigen Beſtimmung befannt ift, fpricht entfchieden dagegen.

Auch die Hantichriftenfammlungen ver Bibliotheken Kopenhageng, der großen königlichen und der Univerfitätöbibliothel habe ich, von ven Bibliothelaren, vor allem Conferenzrath Werlauff und Profejjor Thorfen in zuvorfommenpfter Weife gefördert, benugt, allerdings bauptfächlih im Wuftrage von Profeffor Hegel für bie Ausgabe deutfcher Städtechronifen, doch famen auf der Königlichen Bibliothel auch einige für die Hanfe wichtige Hanpfchriften in Betracht: vor Allem der bereits erwähnte Regiſtrand 8. Chriftians I, bann

) Ebbf. p. 139. ?) Bol. auch über die fo eben genannte Schiltzengilde N. P. Nielfen Hettig Trefoſdighed's Bilde Kbnh. 1836.

56 Beriht von Dr. Junghans

eine dem Cataloge zufolge aus der Hamburger Dombibliothel ſtammende Sammlung hanfifher Privilegien in England aus ber Zeit ber Königin Maria, welche älteres Bekanntes nur in Zransfumpt ent hält,

Sie findet fi in ver alten Fönigl. Sammlung Nr. 1%1. Die Handſchrift ift im XVI. Ih. auf Pergament (50 BL.) fauber gejchrieben und führt die Bezeichnung:

Privilegia mercatorum annsae theutonicae in Angliae regno de anglicana ditione fruenda.

Auf der Rüdjeite dieſes Blattes ftehen die Jahre ber hanſiſchen Privi- fegien 1260, 1281, 1303, 1311, 1318, 1327, 1354, 1361, 1378, 1381, 1392, 1400, 1413, 1421, 1431, 1437, 1460, 1461, 1462, 1473, 1474, 1553.

F. 1—30 Beltätigung und Inſperimus der hanſiſchen Privilegien durch Königin Maria a. r. 1°. Juni 20 Weftminfter (B, vi. irrthümlich am Rande).

F. 31 35 1473. Oct. 6. Stahlhof Nro. 121.

F. 35 37 a. r. 13. Dec. 26. Weftminfter. Inſpeximus des den banfiihen Kauflente durch Richard MI. a. r. Nov. 6. Weſtminſter ertheilten Privilegs durh Eduard IV.

F. 37 40° a. r. 4. Febr. 12. Weftminfter. Charta Edwardi tertü exemplificata per Richardum secundum.

F. 441 —50° a. r. E. IV. 15% Mai 12. London Guildhall. Segviter qvaedam generalis compositio inter civitatem London, et mercatores Hanse Theutonicae, magno eiusdem ciuitalıs sigillo authorizata.

Die berühmte Handſchrift ver Nowgoroder Schra glaubte id bei Sartorius fo gut abgebrudt, daß ich es bis zum letzten Tage meiner Unmwefenheit verjchob, fie näher anzufehen: doch Kat mich bie eine Stunde, welche ich darauf verwenden konnte, belehren nrüffen, daß Sartorius nach einer Feinesweges zuverläßigen Abfchrift abprudte. Die Bereitwilligleit der Bibliothekare wird es möglich machen, das Derfäumte nachzuholen. Was über einige neuere Abfchriften hanſi ſcher Neceffe und fpftematifche Auszüge aus ihnen zu bemerken ift, wirb beſſer unten augeführt.

über bie Hanfereceffe: 57

Bon den Hanbfchriften ver Ledraborger Bibliothel, deren für uns wichtigfte Hanpfchriften fi) ausſchließlich auf die Receſſe be ziehen, erwähne ich hier nur brei.

Das Copialbuch englifcher Privilegien der Hanfe (Fol. Ar. 10)'), im XVI. Ih. gefchrieben, enthält nur Bekanntes in jchlechten Ab⸗ fchriften. Eben jo wenig Bedeutung haben die Auszüge aus den banfifchen und Tübfchen Privilegien in Dänemark (Fol. Nr. 12). 0

Wichtig dagegen ift eine fchöne Abfchrift ver Statuten bes Antwerpener Eontors 1576 (Hol. Nr. 11) auf Papier in grün« fchweinslebernem Einbande. Ich habe ven Abdruck Marquardts forg- fältig mit dem guten Texte biefer offenbar gleichzeitigen Abfchrift ver- glichen und von ben vielen fachlichen und fprachlichen Entftellungen gereinigt, eine größere, bei M. ganz weggebliebene Stelle zugefügt. Die Fehler überall in Tritifchen Noten aufzuzählen, war nicht noth- wendig; die in mancher Beziehung eigenthümliche Orthographie behielt ich vorerft bei, nur vie großen Buchftaben bis auf die Anfangsbuch- ftaben von Eigennamen und jaßanfangenden Worten konnte ich unbes denklich bejeitigen.

2. Bericht Über die beuorfichende Ausgabe der hanfifchen Becefft.

Unter den Quellen der hanfifchen Gefchichte ift feine von größerer Bedeutung, als die hanfifchen Receſſe, wie man fie [hen im XIV. Jahr⸗- hundert zu nennen pflegte.) Sie enthalten in ven Aufzeichmungen über die Berhandlungen, über bie Befchlüffe ver Hanſetage, in ven Berich- ten über die Reifen hanfifcher Abgeordneter zur Wahrung ter Inte⸗ reffen ver Hanſe eine Chronik der Hanfe, welche, was Zuverläffigfeit und Fülle der Nachrichten betrifft, wohl auf feinem andern Gebiete der Gefchichte ihres Gleichen findet; fie bieten einen großen Reichthum nur bier erhaltener, in ven Archiven zu Grunde gegangener Briefe,

N) Bgl. Beders Catalog im Hiſtoriſt Mufenm 1. 1. p. 12. N G. bie Befchreibung ber Hamb. Hofer. unten p. 64.

58 Bericht von Dr. Zunghane

Urkunden und fonftiger Altenftüde, fie gewannen mehr und mehr pral- tische Bedeutung als Duelle des hanſiſchen Rechtes. Die Vorarbeiten für die befchloffene Ausgabe find nunmehr fo weit vorgejchritten, daß der Abdruck der Altern Receffe bid zum Anfange des XV. Jahrhun⸗- derts in nicht zu ferner Zeit beginnen kann, doch liegen auch für ven erften Theil des XV. Jahrhunderts und für das XVI. ſchon 19 zum Theil Tehr umfangreiche Receſſe in Abfchrift vor.

Für den Herausgeber der Receſſe kann feine Sammlung von größerer Bedeutung fein, als bie Lübecks. Kübel Hat feit der frühe- ften Zeit der Hanfe regelmäffiger als alle andern Städte an ben VBerfammlungen ber banfifchen Senpboten theilgenommen, feine Stabt bat häufiger diefe Verſammlungen in feinen Mauern gefeben, zumal feit nah Edlns Rüdtritt Lübecks Stellung ale Haupt ver Hanfe unbeftritten war. So hatte keine Stadt mehr Anlaß und mehr Ges legenheit, eine gute Receßſammmlung anzulegen und zu bewahren: fie war da eine Nothwendigleit, wo durch die Berfammlungen felbft fo häufig die Gelegenheit gegeben ward, in Recht und Gefchichte auf bie frühere Zeit zurüdzngreifen. So reich nun auch jest noch Lübecks Receßſammluug für das XV., XVI und XVII. Jahrhundert iſt, für das XIV. fteht fie Hinter andern Städten, namentlih Hamburg, Wiſmar, Roftod zurüd, da die Bergamenthandfchrift, welche die Res ceffe von 1361 1405 enthielt, abhanden gefommen ijt, ohne daß bie- her über ihr Verbleiben ein näherer Nachweis gegeben werden Tonnte. Doch ift fie nicht untergegangen, nur ihrer urjprünglichen Heimat entfrembet.

Schon im XVIIL Yahrhundert haben vänifche Gelehrte auf die werthoollen Receßhandſchriften aufmerkſam gemacht, welche ſich in ver Hanpjchriftenfammlung des däniſchen Staatsminifters Grafen oh. Ludwig Holftein-Lebraborg befanden, feiner mehr als Langebek, wel- her Suhm für feine Gefchichte Dänemarks Abfchriften man« cher der wichtigften die Jahre 1361 1405 betreffenden Urkunven und Briefe mittheilte, welche im Anhange ver Ietten, nach Suhms Tode berausgelommenen Bände abgebrudt find. Doch hieß es lange Zeit, daß nach dem Tode des Grafen bie ganze werthvolle Hand⸗ ſchriftenſammlung zum Theil durch einen gewiffenlofen Secretär ver- fauft, zum Theil von ber Dienerfchaft als werthloſes Papier ver-

über bie Hanfereceffe. 59

braucht fei, bis fie durch Profeſſor X. U. Beder zu Kopenhagen auf Lebraborg bei Roeſtilde felbft wierer entdeckt und burch einen über- ſichtlichen Catalog’) wifjenfchaftlicher Benutzung zugänglid gemacht ward. Die Receßhandſchriften find noch vorhanden; auf Dr. Lappen» bergs Wunſch veranlaßte Profeifor Beder ven jegigen Befiger von Ledraborg zunächſt die ältefte Handſchrift für mich auf der königlichen Bibliothek zu. Kopenhagen zu beponiren, fpäter geftattete mir der Graf in der zuvorkommendſten Weife, diefelbe fowie einige andere für une wichtige Hanbfchriften jeiner Sammlung längere Zeit zu Kopenhagen in meiner Wohnung zu benuten.

Die Sammlung banfifcher Neceife von 1361 1405 (Fol. Nr. 6 des Cataloges) bilvet einen ftarken, wohlerhaltenen Lederband mit Meffing- Hammern. Sie zählt, außer einem vorgebundenen Blatte, welches ein Doppelblatt war, 381 ven alter Hand bezeichnete Pergamentblätter in Lagen von 5 und 6 Deppelblättern ohne weitere Signatur. Hin⸗ ter 5. 30 ift ein Blatt ausgefchnitten, F. 290* unbezeichnet geblieben, am Schluße find einige unbefchriebene Blätter weggefchnitten. Ber» fchievene Schreiber haben an der Handſchrift geichrieben, ohne Zweifel gleichzeitig, um die Arbeit vafcher zu Ende zu führen. Es find mit Beitimmtheit 5 Hände zu unterfcheiden, welde faſt alle mit einer neuen Lage ber Hanbfchrift beginnen. Der erften, von 5. 1— 109° find fchwarze Dinte und enge Zeilen, ver 2. von Fol. 110— 171° brännlihe Dinte, der 3. von 5.172 242” weitläuftigere Zeilen und größerer Raum zwifchen den Abjägen eigenthümlich; 3.243, 244 anı Lagenfchluße find unbefchrieben; F. 245— 248 beginnt eine 4. Hand mit bräunlicher Tinte; 5. 248’— 381 eine 5. anfangs mit weiten Zwifchenräumen zwifchen ven Zeilen, von F. 371— 381 find fie wie- der enger aneinantergerüdt, auch verändert fich der Charakter der Hands fohrift, fo daß man faft eine 6. unterfcheiven möchte. Die Schrift der verfchiebenen Hände ift im Allgemeinen eine forgf ältige zu nennen wenn fie gleich nicht frei von manchen in ben Tritifchen Noten bes mertten Verſehen ift, welche zum heil durch die DBefchaffenheit ver

1) Abgedrudt in dem von ihm herausgegebenen Hiſtoriſt Mufenm 9b. I $. 1.p. 1— 101.

60

Bericht von Dr. Junghans

abgefchriebenen Driginalreceffe veranlaßt fein mögen. Indeß fällt ei gröberes nur dem zweiten Schreiber zur Laft, welcher im Lübecker Mecef 1383 Oct. 4. offenbar eine Seite ober ein Blatt überfprungen ba Miniaturen find nur beim erften Buchſtaben des bie meiften Necef beginnenden Worte® Anno und beim Initial des der Handſchri vorgebundenen Blatte® angewandt.

In der Handſchrift find folgende Neceffe enthalten:

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Is Bi. Bit EB. ES BB EB. EB. 20. de 4

1361 navititetis Marie virginis (Sept. 8.) Greifswald,

1362 dominica a, f. b. Martini (Nov. 6) Rostock,

1363 circumeisionis domini (Jan. 1.) Stralsund.

1363 die b. Agathe virginis (tyebr 5.) Rostock.

1363 F. VI* a, Judica (Mär; 17.) Wismar.

1363 dominica Jubilate (April 23.) Wismar.

1363 vocem jocundidatis (Mai 7.) Nicöping.

1363 Johannis baptistee (Juni 24.) Lübeck,

1363 Jacobi apostoli (Yuli 25.) Wismar.

1363 nativitatis b. Marie (Sept. 8.) Stralsund.

1363 Nov. 1. Greifswald.

1363 d. b. Elisabethae (Nov. 19.) Greifswald,

1364 epiphanise (Yan. 6.) Stralsund.

1364 vig. anuncistionis Marise virginis (März 24.) Rostock,

1364 dominica jubilate (April 14.) Rostock.

1364 sabbato infra octavas corporis Christi (Mai 27.) Lübeck,

1364 Juni (Juni 18.) Stralsund.

1364 d. Mauricii (Sept. 22.) Stralsund.

1366 Johannis (Juni 24.) Lübeck. (Der Anfang fehlt mit be ausgeichnittenen eriten Blatte.)

1366 £. IV* p. Lucise (De. 16) Rostock.

1367 dominica d. p. sscensionem domisi (Mai 30.) Rostock.

1367 nativitate Johannis baptistae (Sept. 1.) Stralsund.

1367 f. Martini (Nov. 11.) Cöln,

1367 d. conceptionis b. virginis (Dez. 8.) Lübeck,

1368 circumeisionis domini (Jan. 1.) Rostock.

1368 purificacionis Mariae (Febr. 2.) Lübeck.

1368 Invocavit (Febr. 27.) Grevesmölen.

1368 f. IV* a.Letare (März 1%.) Rostock,

über bie Hanfereceffe. 61

46° 1368 nat. Johannis baptiste (Juni 24.) Lübeck.

49 1368 dominica p. Jacobi (Juli 30.) Rostock.

1368 Laurencii (Yuguft 10.) Wismar.

51 1368 oct Michaelis (Oct. 6.) Stralsund,

1368. f. IV* a. f. b. Martini (Wov. 8.) Rostock.

56° 1369 Letare (Mai 11.) Lübeck.

59 1369 inventione orucis (Mai 3.) Wolgast,

59 1369 Margarethae (Yuli 13.) Lübeck.

60 1369 undecim milium virginum (Oct.t21.) Stralsund, 62° 1370 Wealburgis (Febr. 25.) Stralsund,

69 1370 nativitstis Johannis baptistae (Juni 24.) Bavahus. 8 1371 Philippi et Jacobi (Mai 1.) Lübeck.

79° 1371 pentecoste (Mai 25.) Stralsund.

81 1371 vigilia Simonis et Judae (Oct. 27.) Stralsund. 84° 1372 nativitatis Marise (Sept. 8.) Tönsberg.

88 1373 Philippi et Jacobi (Mai 1.) Lübeck,

90 1374 Pentecoste (Mai 21.) Lübeck.

91 1374 Jacobi (Juli 25.) Stralsund,

93? 1375 nativitate Johannes baptistae (Juni 25.) Lübeck. 1375 divisionis apostolorum (Juli 15.) Rostock.

98 1376 Fabiani et Sebastiani (Yan. 20.) Wismar.

98° 1376 Letare (März 23.) Stralsund,

99? 1376 vocem jocunditatis (Mai 18.) Stralsund.

100 1376 nativitete johannis babtistae (Juni 24.) Stralsund, 101 1376 vigilia assumptionis b. Mariae (Aug. 14.) Kalingborch. 103° 1376 vig. assumptionis b. Mariae (Aug. 14.) Korsör. 107° 1377 nat. b. Johannis baptistae (Iuni 24.) Lübeck. 109 1378 conversionis Pauli (Yan. 25.) Stralsund.

109? 1378 dominica pr. a. f, pentecosties (Mai 30.) Stralsund. 114° 1378 Katherinae (Nov. 25.) Lübeck,

115 1379 Job. baptistae (Juni 24.) Lübeck.

119 1380 undecim milium virginum (Oct. 21.) Wismar. 123 1381 d. b. Marci (April 25.) Stralsund,

124 1381 ustivitste Johannis beptistae (Juni 24.) Läbeck. 1382 naetivitate Johannis bept, (Suni 24.) Läbeck. 1382 Michaelis (Sept. 29.) Stralsund.

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Bericht von Dr. Janghaus

1383 misericordias domini (April 5.) Lübeck.

1383 dominica p. octavas corporis Christi (Mai 31.) Lübeck, 1383 dominica p. f. b. Michaelis (Oft. 4.) Lübeck.

1384 dominica misericordias domini (April 24.) Stralsund. 1384 Dionisii (Oct. 9.) Falsterbo.

1385 Letare (März 14.) Lübeck.

1385 nativitate b. Johannis baptistae (Juni 24.) Stralsund, 1386 Letare (April 1.) Lübeck.

1386 Margarethae virginis (Suli 19.) Lübeck,

1386 Simonis et Judae (Dct. 28.) Lübeck,

1387 Dionisii (Oct. 9.) Lübeck.

1388 Philippi et Jacobi (Mat 1.) Lübeck,

1389 ascensione Domini (Mat 27.) Lübeck.

1389 Michaelis (Sept. 29.) Lübeck.

1390 nat. Johannis baptistee (Juni 24.) Lübeck,

1391 Martini (Rov. 11.) Hamburg,

1392 Galli (Oct. 16.) Lübeck.

1392 Donnerstag vor Thomae (De. 19.) Gent,

1393 Mariae Magdalenae (Juli 22.) Lübeck.

1393 Michaelis (Sept. 29.) Skanör.

1394 .carnisprivio (März 4.) Lübeck.

1394 Freitag vor Pfingsten (Suni 5.) Utrecht.

1395 ascensione Domini (um Mai 20.) Falsterbo.

1395 a. f. Michaelis (Enve Sept.) Helsingborg.

1395 Michaelis (Sept. 29.) Lübeck.

1396 in f, assumptionis (Aug. 15.) Lübeck,

1397 nativitate Mariae (Sept. 8.) Lübeck.

(1397) Verhandlungen der Lüneburger Herzoge mit fLübeck,

Hamburg, Lüneburg, Hannover. 1397 in der pinxste wekene (um Juni 10.) Lüneburg. 1398 f. VI* in f. paschae (April 12.) Lübeck. 1398 Petri ad vincula (Yuguft 1.) Kopenhagen. 1399 Jacobi (Juli 25.) Lübeck. 1399 nat. b. Mariae virginis (Sept. 8.) Niköping. 1400 purificacionis Mariae (Febr. 2.) Lübeck, 1400 c. f. Jacobi (Yuli 25.) Calmar.

351 355» 357? 363° 366 367° 368 . 37 F. 373°

Zi ER. BES. BU

über die Hanfereceffe. | 63

1401 ‚visitatione Marise (Juli 2.) Lübeck.

1401 nat. Mariae (Sept. 8.) Lund.

1402 pentecoste (Mai 14.) Lübeck,

1403 Montag n. octava trium regum (Janr. 15.) Wismar. 1403 Quasimodogeniti (April 22.) Lübeck.

1403 Bartolomei (Auguft 24 ) Calmar,

1403 Nicolai episcopi (Dez. 6.) Lübeck.

1404 f. I11* p dominicem Quasimodogeniti (April 8.) Lübeck. 1404 Galli (Oct. 16.) Marienburg.

F. 376 81 1405 f. V* p. dominicam Invocavit (März 12.) Lübeck..

Ueber die Entitehung ber bier vereinten Receßſammlung im %.

1404 gibt das mit forgfältiger Frakturſchrift und kunftreihem Ini⸗ tialbuchftaben gejchriebene, der Hanbfchrift worgebuntene, vielleicht nicht mehr ganz vollftändige Vorwort Aufſchluß. Es lautet:

Publica deposcit utilitas, ut gesta ueterum maneant in me-

moria seculorum, quoniam ex hiis prouida posteritas multi- faria et proficua in futuris capere poterit documenta. Quod honorabiles domini et viri prouidencie, domini pro- consules et consules huius ciuitatis Lubicensis, con- siderantes, suorum predecessorum tractatus et placita cum nonnullis regibus et principibus et aliis terrarum domi- nis aliisgue ciuitatibus pertractata, in nonnullis cadueis libris sparsim comperta (so!) in unum opus solidiorique materia redigi decreuerunt; vnde presens opus, registrum recessuum nuncupatum, completum est anno domini mil- eciam operi quidam sexterni uacui sunt alligatı '), ut de posterioribus tractatibus et placitis addi possit tempori- bus affuturis.. Sequitur ....

Diefe Vorreve läßt wohl keinem Zweifel Raum, baß in ber

Lebraborger Handſchrift eine durch den Lübeder Rath für fich und die fo Häufig in Lübecks Mauern zufammentommenten banfijchen

1) Diefelben find fpäter ansgefchnitten.

64 Bericht von Dr. Junghans

Sendeboten veranftaltete Sammlung zu eriennen if. Die genaue Uebereinftimmung bes im Lübeder Archive über den dort abhanten gekommenen Receßband von 1361 (1261) 1405 vorhandenen Ber- zeichnifjes mit dem Inhalte der Ledraborger Hanpfchrift macht e8 mehr als wahrfcheinlih, daß beide ibentijch find. Wie die Handſchrift im bie Hände bes Staatsminifters Grafen Holftein-Lebraborg gelommen ift, wird nicht mehr nachzuweifen fein; vermuthlich durch Ankauf in Lübeck, woher auch die übrigen Hanfeatica, fowie pie auf lübiſches Recht und lübiſche Specialgefchichte bezüglichen Handfchriften der Samm⸗ lung ſtammen werben.

Seit die Hanpfchrift fih in Lebraborg befindet, ift fie zweimal vollitändig abgefchrieben: einmal durch Langebek felbft in den Jahren 1755— 1764 für pas k. däniſche Geheimarchiv, wo fie noch aufbe⸗ wahrt wird: ich bemerfe, daß Langebek eine große Zahl für däniſche und ſtandinaviſche Beſchichte wichtiger Urkunden und Briefe auf bes fonveren Bogen ausgezogen hat, von denen manche ins große hand⸗ fohriftlihe Diplomatar des Geheimarchivs übergegangen find. Eine zweite auf Veranlaffung des Canzleideputirten Luxdorph 1764 durch den länder Thorhalleſen gemachte Abjchrift befindet ſich auf ver föniglihen Bibliothek zu Kopenhagen (Neue königl. Sammlung Nr. 297 in Folio). Es ift gewiß fehr zw bedauern, daß Surtorius, wel. cher für feine Gefchichte des hanſeatiſchen Bundes ') und fpäter beim Abdrude der Receſſe bis 1370 in der urkundlichen Gefchichte viefe Abfchrift benugte, von Langebek's trefflicher Abfchrift nicht mußte: Thorhalleſen Hat ſich doch manche Fehler und Entjtellungen bes ihm nicht völlig verftändlichen Nieverdeutfchen zu Schulden kommen laſſen, und fo ift wohl ber Untergang der für Sartorius nad Thor⸗ halleſens Abjchrift gemachten Abfchrift ver Receſſe nad 1370 beim verhängnißvollen Hamburger Brande im J. 1842 nicht zu fehr zu bebauern.

Die dem Teuer im J. 1842 glücklich entriffene älteſte Samm- lung des Hamburger Stabtardivs (Cl. VI. Nr. vol. 1 fasc. 1) enthält nur originale Necejje, welche ben Hanſetagen

1 p. 737 ft.

über bie, Hanſereceſſe. 65

ſelbſt gleichzeitig find. Ste umfaßt die Sabre 1369 1411. Der

Bequemlichkeit des Gebrauche® wegen find die einzelnen einen over

mehrere Receſſe enthaltenden Lagen des Bandes in einen ſchweinsle⸗

dernen Umfchlag eingenäht, welcher vie gleichzeitige Aufſchrift Re- cessus multorumnegociorum trägt; neuerdings tft Die durch» laufende Baginirung 1* 539 hinzugefügt. Ich gebe zunächft eine

Ueberficht des Inhaltes nach den einzelnen Lagen. (Die fetten Ziffern

beben die mehrere Receſſe vereinigenden Lagen ber Handſchrift hervor.)

p. 1°—46 eine Lage, deren beide äußerfte Blätter Bergament find, 3 Res cefie befonvere Hefte bilvend, p. 9—36 eingelegt.

p. 1—5 1379 nat. Joh. b. (Yuni 24.) Lübeck zu Anfang bes Dlattes der Pentameter: Assit principio sancta maria meo mit zwei eingelegten zum Receß gehörigen Blättchen.

». 5— 8 1380 d. pr. p. Laurentii (Aug. 12.) Lübeck,

». 9— 16 1380 vndecim milium virgiaum (Oct.21.) Wismar, das letzte übrigens unbeichriebene Blatt trägt deutliche Spuren des Falzes und die Aufichrift: „Dominis consulibus Hamburgensibus presentetur,‘“ aljo eine für den Hamburger Rath beftimmte gleich- geitige Kopie.

p. 17—28 1381 f. nat. Johannis baptiste (Juni 24.) Lübeck, Beſonders forgfältig geichrieben, ver letzte Abſatz p. 25 von andrer Hand, darunter: nichil defcit; dann ein Abſatz aus einem Re⸗ ceffe 1385 Johannis b. Lübeck durchſtrichen. Das legte Blatt ift unbefchrieben.

». 29 36 (p. 31—34 Pgm.), von derjelben Hand beichrieben, enthalten Auszüge aus zwei Recellen.

p. 29—31 1382 oculi (März 9.) Wismar. p. 32, 33 1382 in octaua nat. Joh. bapt. (Juli 1.) Lü- beck. p. 34, 35, 36 unbejchrieben.

p. 37 46 (43 —46 Bgm.) Die 4 legten Blätter der Hauptlage un- befchrieben.

p. 47-62 1378 dnca prox. a. festum pentecostes (Mai 30.) Lübeck. Gorgfältig gefchrieben, wenn glei nicht ohne Zufäge, welche in einer Art eingefügt find, daß man in biefem Receß ein während der Verhandlungen geführtes Originalprotololl zu erken⸗

66 Bericht von Dr. Junghans

nen bat; daß Rw. p. 126—135 (vgl. unten p. 157) bierans ab» geſchrieben ift, leidet feinen Zweifel,

p. 63—68 1369 die vndecim mil. virginam (Oct. 21.) Stra sund. p. 63, 64 al8 Beilage vie Pfundzollrechnung. p. 68 zeigt Spuren eines Falzes und trägt die Aufſchrift: Anno domini mil- lesimo cceꝰ Ix* nono in die xj” virginum. Recessus habilus is Sundis per dominos consules ciuitatum marilimarum anno ix nono predicto in die xj virginum, Item computacio tocius pecunie libralis. Fac ire,

p. 69 —88 Querimonie date per ciuitates conira Flamynghos. p. 77— 860

- Einlage ein zujammengefaltetes nur auf einer Seite bejchriebenes

Dlatt mit einem Zolltarif. p. 81 88 unbejchrieben.

1. 89— 132 mit p. 109 124 als Einlage, p. 125— 132 unbe fchrieben.

p. 89— 108 1379 Johannis (Iuni 24. ff.) Reijeberiht ver nad Flandern gefandten hanſiſchen Abgeordneten, p. 101 beginnt eine zweite Band.

p”-109— 124 In Dei nomine amen. De negotio Angtie aano Domiei ccc’ Ixxjx° (Nov. 11. ff); p. 123, 124 beginnt eine zweite Hand.

p. 138—140 1383 dominica misericordia. domini (April5.) Lübeck. Spuren des Falzes und Einfchnitte für das Siegelband; ein ziemlich wohlerhaltenes aufgedrüdtes Siegel hat als Bild einen Bogel mit erhobenen Flügeln, welcher eine Binde (? einen herab» hängenden Zweig) im Echnabel hält mit der Umjchrift: s. johan- nis-de-po-rtu; der Receß ift ohne Aufjchrift.

p. 141— 144 2 Bl. 1383 dnca p. oct. corporis Christi (Mai 31.) Lübeck. p. 144 zum großen Theile unbejchrieben mit ver Aufjchrift: Honorabilibus et discretis viris dominis proconsulibus et consulibus hamburgensibus detur, mit Spuren des Falzes, des Siegeld und Einfchnitten für das Siegelband.

p. 145— 183 Eine Lage von 20 Bf. p. 158, 164, 165, 166, 184 unbeſchrieben. Sie enthält folgende Necefle von verſchiedenen Händen:

über bie Sanfereceffe. 67

.145— 152 1383 dominica prox. p. f. Michahelis (Oct. 4.)

Lübeck.

. 152 1384 dominica Inuocavit (Febr. 28.) Lübeck, nur bier

und in Rw. p. 191, 192. 153 —157 1384 dominica mesericordia domini (April 24.) Stralsund,

. 159—160 1387 in f. beati Dionisii (Oct. 9.) Lübeck. . 161—163 1388 in f. Philippi et Jacobi apostolorum (Mai

1.) Lübeck.

. 168—172 1389 in f. b. Michahelis archangeli (Sept. 29.)

Lübeck.

. 172—175 1390 b. Johannis bapt. nativitatis (Juni 24.)

Lübeck.

. 176 —183 1391 supra f. b. Martini (Nov. 11.) Hamburg. . 185—196 1387 (Mai 1.) Dordrecht. 6 Bl. p. 185, p. 191—196

unbeſchrieben. Nur hier unb in Rw. p. 265 280.

. 193—208 (1387) Viti (Juni 15.) Antwerpen.6 Bf. p. 197,

p. 202— 205 unbefchrieben, von 2 Händen gejchrieben.

. 209 212 1390 natiuitate b. Johannis baptiste (Juni 24.)

Lübeck. ?2 BI.

. 213— 224 1392 Donnerstag vor Thomä (Dec. 19. 1393

Janr. 21.) Gent u f.w. 3 BL p. 213, 214, 223, 224 unbejchrieben.

. 225 236 1394 in carnispriuio (März 4.) Lübeck, 6 BL.

p. 236 unbeſchrieben, 2 Hänte.

. 237 —244 1395 in f. b. Michahelis archangeli (Sept. 29.)

Lübeck. 4 Bl. p. 237 unbejchrieben.

. 245—252 1397 in f, nat, sancte Marie (Sept. 8.) Lübeck.

4 Bl. p. 251, 252 unbejchrieben, 2 Hänte.

. 253 —264 1398 f. VI* in f. pasche (April 12.) Lübeck.

6 Bl. p. 253, 254 unbeichrieben mit der Aufihrift Hamb. Das mittlere ‘Doppelblatt ift verbunden.

. 265 29% (1397) Urkunden zu ten Berhandlungen ver Braun»

Ichweig » Lüneburger Herzege mit Lübech, Hamburg, Lüneburg,

Sannover. p. 265, 266, 289— 292 unbeichrieben. p. 265 zwei⸗

mal die Wufichrift Hamburgen. Das Copialbuch Bat vielfache &

68 Bericht von Dr. Junghans

gleichzeitige Correfturen und mehrfach vor ben einzelnen Doca- menten die Bemerkung concordata, ift alſo vermuthlich während der Berhanvlungen felbft geführt.

p. 293—30+ 1399 in f.b, Jakobi apostoli (Inli25.) Lübeck. 6 BL. p. 293, 294, 303, 304 unbefchrieben.

p. 305—312 1398 in f.b, Petri ad vincula (Ang. 1.) Kopen- hagen. 4 Bl. p. 312 unbejchrieben. Ä

p. 8313— 318 1399 in f. nat, beate Mariae v. (Sept. 8.) Ny- cöping. 3 Bl. p. 318 unbejchrieben, p. 315, 316 eingelegte Ur. in Copie.

p. 319—330 1400 in f. purificacionis Mariae (Febr. 2.) Lübeck. 6 BI. p. 319, 320, p. 330 unbefchrieben, 3 Hänbe.

p. 831—350 1397 in der pinxste wekene (um Juni 10.) Lüneburg. 5 Bl. p. 342— 350 unbefchrieben.

P. 351— 360 5 BL p. 355— 358 Einlage, enhalten folgende 2 Receſſe: p. 351—354 1397 misericordia domiui £*,,) Lüneburg. 2 Bl. 2 Hände, p. 354 unbefchrieben. p. 355— 358 1401 (Ian. 11.) Lüneburg.

p. 361— 386 mit Einlagen p. 363, 364 und p. 377, 378 p. 365—376

Einlage in der Einlage, folgende 3 Receſſe enthaltend:

p. 363, 364 1403 dominica quasimodogeniti (April 22.) Lübeck. 2 BL

p. 365 —377 1407 in f. pentecostes (Mui 15.) Li- beck, 7 Bl. p. 376 78 unbefchrieben.

p. 361— 362, p. 379—386 1405 f, V. p. dominicam invocavit (März 12.) Lübeck. 5 BL. p. 361. 362 une ſchrieben.

p. 387 —406 (1406)

6 Bl. gr. Folio von oben bis unten auf einer Seite beſchrieben

und in gr. 4. geheftet mit ver Aufſchrift Honorabilibus et disere-

tis virio dominis marquardo Schreye et Hilmaro Lopow. Rocesses

Mindensis,

p. 4067 422 mit einer Einlage p. 418 —420 enthält die Receffe: p. 407—412 1405 in synte Johans dathe baptisten,

über die Hanſereceſſe. 69

(Juni 24.) Falsterbo 4 Bl. p. 407—408, 421— 422 ° unbejchrieben. p. 413—420 1404 f. III. p. dominicam quasimodogeniti (April 8.) Lübeck 4 Bf. p. 413. p. 419. 420 unbejchrieben. p 423— 426 1402 in f. penthecostes (Mai 14.) Lübeck, 2 BI.

p. 427 434 1401 die Galli (Dct. 16.) Marienburg 4 Bl. p. 432 bis 434 uubeſchrieben.

p. 435 —438 1409 in sunte Felicianes auende (Juni 8.) Meppen. 2 DL. p. 438 unbeſchrieben. p. 489 446 1409 des dinxedages na vnser vrowen daghe concepcio-

nis (De. 10.) Meppen. 4 BL. p. 445. 446 unbeſchrieben, mit deutlichen Spuren der am Scluße des Schiedsſpruches beige- brudten Siegel der Schiebsherren.

p. 447 450 1400 uppe sunte Brixius dach (Nov. 13.) Stade 2 DI.

p. 450 unbejchrieben. . 451 —458 c. 1400. Schieveipruh Hamburgs und Lüneburgs im Streite der ſächſiſchen Herzoge um Bergedorf.

p- 459 464 1408 f. IV. infra octavas corporis Christi (Juni 20.) Hamhurg 3 BL. p. 460— 464 unbeichrieben.

465 466. 1400 des achten daghes sunte Mertens (Nov. 18.) Ur- kunde in Copie, p. 465 unbeichrieben.

467 463 einzelnes Blatt p. 467 1407 in sunte Tiburcii daghe (April 14.) Urkunde in Copie p. 468 s. a. (1407) Schiebsipruch in den inneren GStreitigleiten Mindens.

p. 469 480 1410 dominica quarta p. f. Pasche. (April 20.) Hamburg 6 DL. p. 476— 480 unbefchrieben; auf der legten Seite unten Recessus cinitatum maritimarum.

p. 481— 506 1400 des wrydaghes in den paschen (April 16.) (23?) 13 BL. p. 481. 482. 503— 506 unbejchrieben. p. 481. Die Auffchrift: Recessus Kenonis et Edonis.

p. 506* 506** 1400 die santi Marci ev. (April 25.) Hamburg. Brief

in Kopie.

p- 507—518 1409 vppe alle godes hilgen dach (Rov. 1.) Lübeck. 6 DL p. 507. 508. 516—518 wunbejchrieben; p. 507 die Auf- ſchrift: Recessus Lubicensis ultimo per dominos Crisliasum Militis,

6*

I

*

*

70 Bericht von Dr. Innghans

Hilmeram Lopowen et Albertum Schreyen habitus, Durch Feuch⸗- tigkeit etwas bejchäpigt.

p. 519— 522 1410 die beste Marie Magdsiene (Juli 22.) Wismar. 2 Bl. p. 522 unbeichrieben; auch in Rw. I. p. 411—416.

p. 523 526 1410 Lucie (Dec. 13.) Lübeck (?) 2 BL. p. 525, 526 - unbeichrieben.

p. 527— 532 1411 in festo omnium santoram (Nov. 1.) Wismar. 3 OL Durch Feuchtigkeit beſchädigt. Von derſelben Hand und auf dem- felben Papier gefchrieben, e8 hat einen Drachen als Waſſerzei⸗ hen, wie berjelbe Receß in Rw. I. p. 425 432.

Bon der reichen Receßſammlung des Staptardivs zu Wismar fommt bier zumächft der erfte Band in Betracht, ein ftarfer wohl- erhaltener Duartant von 452 Seiten. Das Material ift Bapier, tod find hie und ba einige Pergamentblätter eingelegt. Wie beim Ham burger Bande, dem ber wismarifche äußerlich ganz ähnlich ift, Hält ein fchweinsleberner Umfchlag das Ganze zufammen, auf welchem eine neuere Hand die Auffchrift 1363— 1414 Recessus Hansae Teuto- nıcae de 1363— 1414 Tit.X. n. 5. vol. 1 gemadt bat; doch ift dabei die Jahreszahl eines am Schluße angebuntenen Receſſes ve Yahres 1454 unrichtig gelefen. Es folgt hier vor allem eine genauere Ueberſicht des Inhaltes nach den Lagen der Handfchrift.

p. 1— 28 14 BL, 1 u. 14 Pgmt.

p. 1 Anno natiuitatis domini millesimo trecentesimo septusgesimo quarto in crastino sancti Jacobi epostoli venerandi ego Hinricus Baltze, clericus Zwerinensis dyocesis, notarius licet insufficiens, honorabi- lium et circumspectorum virorum dominorum meorum proconsulum et consulum gloriose huius ciuitatis wyssemariensis presentem librum, in et ad quem necessarium est, omnes et singulos terminos, recessus et placita, per dominos meos ubicunque locorum seruss- dos et seruanda, a quolibet huius ciuitatis notario pro tempore redigi et signari in nomine omnipotentis dei et gloriose virgibis matris eius Marie scribere incepi, colligens quosdam rotulos et litteras terminorum et placitorum, per dominos meos serualorum, quorum tenores verborum sub hiis formis per ordinem inferius de- scribuntur,

* *

u

über bie Sanfereceffe. 11

Es folgen die Recefie: 1. 2. 1363 die natiuitatis beate Marie virg. (Sept. 8.) Stralsund. 2. 3. 4. (1363) die beati Mauricii (Sept. 22.) Greifswald. 4. 5. 6. (1367) in sunte Eiseben dege (Nov. 19.) Cöln. 9. 10. 8. a, et l. Aus einem hanſiſchen Receffe (1367? Zum Cölner gehörig?)

. 11— 13 1363 die beete Aghate virginis (Febr. 5.) Rostock. . 14— 16 1365 dominica infra octavas sancti Michaelis (Oct. 8.)

Rostock.

.17—24 1366 f. nativitatis beati Johannis baptiste (Juni 24.)

Lübeck.

. 24— 28 1368 (um Febr. 22.). .29— 58 15 Bl. Das erfte Blatt und die beiden innerften der Lage Pgm.

ebenfalls von Heinrich Balte’8 Hand; die drei letzten Blätter unbejchrieben.

. 29—34 1368 in festo circumecisionis domini (Yan. 1.)

Rostock.

. 35 52 1368 in octava Michaelis (Oct. 6.) Stralsund. . 59 —74 1370 f. Welburgis (Febr. 25.) Stralsund. 8 BL. p. 59. 60.

p. 74 unbefchrieben, 2 Hände.

. 75—108 p. 109150 p. 151— 190 3 Lagen, jede mit einzelnen

Pergamentblättern in denen die einzelnen Receſſe eine gejonderte Hefte bilden, wie in Rh. wenn fie audy von verfchiedenen Händen, zum Theil von der Heinrich Balges, eingetragen find.

. 75— 93 unbejchrieben. . 83— 88 s. e. (1372) Klagen der Städte wider 8. Magnus und

Halon von Schweren und Norwegen.

. 91— 96 1372 in nativitate beate Marie virginis (Sept. 8.) Tönsberg.

(p. 94 von Balges Hand) mit der Ueberſchrift: Acta in Tunsberg, data per copiam.

. 97--100 1873 in f. beatorum Philippi et Jacobi (Mai 1.) Lübeck. . 100— 102 1374 in f. pentecostes (Mai 21.) Lübeck. . 102 107 1374 in f. s. Jacobi (Juli 25.) Stralsund.

12

P.

*

Bericht von Dr. Iunghans

108— 114 1375 in f, nativitatis Johannis baptiste (Juni 24.) Lübeck, von p. 113 an eine zweite Hand.

. 115— 118 13(7%) in sunte Micheles daghe (Spt. 29.) Falsterbo. . 119 1376 in f. natiaitatis b. Johannis baptiste (Juni 24.) Strak-

sund.

120-121 1376 die Fabiani et Sebastiani (Jan. 26.) Wismar. . 122 —=p. 119 1376 in f. nativitatis b. Johannis baptiste (Juni 24.)

Stralsund.

. 122° 8. a, sabbato p. f. exaltacionis crucis (Mitte Sept.) Rostock.

Brief in Concept ein eingelegtes, doch an faljcher Stelle einge Hebtes Blatt.

. 123— 125 1377 nativitate b. Johannis baptiste (Juni 24.) Lübeck. . 125—126 1378 in die conuersionis b. Pauli (Ian. 25.) Stralsund. . 126 135 1378 dominica prox. a. f. pentecostes (Mai 30.) Stral-

sund. Vgl. oben p. 65.

. 136 —143 (1379?) OQnerimonie date per ciuitates contra Flamynghos;

von p. 139 an Hein. Baltze's Hand.

. 144— 151 1379 in f. sancti Johannis baptiste (Juni 24.) Lübeck.

Einlage eine Pfunvzollrehnung von H. Baltze's Hand.

. 151— 159 1380 die vndecim milium beataram virginum (Oct. 21.)

Wismar. 2 Hände p. 160 unbejchrieben.

. 161—166 1381 f. natiuitatis b, Johannis baptiste (Juni 24.) Lübeck

3 DL. p. 166—167 unbeſchrieben. 168—170 1383 dominica misericordia domini (April 5.) Lübeck.

. 171—172 1383 dominica infra octavas corporis Christi (Mai 31.)

Lübeck,

173—178 1383 dominica p. f. s. Michaelis archangeli. (Oct. 4.)

Lübeck, p. 179—190 unbeicrieben

. 191 —192 1384 dominica Invocavit (Febr. 28.) Lübeck 1 AL

p. 192 unbejchrieben. Nur bier ımb in Rh. p. 152,

.193—196 1385 in f. netivitatis b. Jobannis baptiste (Juni 24)

Stratend, 2 DI.

OR, 16 DL Die beiven äußern Pergm. ven dverſchiedene⸗

Muden geſchrieben. Re NER, Vadellrechung 1376.

über bie Hanuſereceſſe. 13

& 200-201 1378 Katherine (Nov. 25) Lübeck,

p. 202 211 nnbejchrieben.

» 212— 218 1385 dominica Oculi mei (März 5) Lübeck.

p. 219-220 1386 dominica letare (April 1.) Lübeck.

p. 221—228 1386 d. b. Margarete virginis (Juli 19) Lübeck,

p. 220—232 1386 in d. bestorum Symonis et Jude (Oct. 28.) Lübeck,

p. 232— 240 1388 in f. beatorum Philippi et Jacobi (Mai 1.) Lübeck.

p. 241— 244 1387 in f. b. Dyonisii (Oct. 9.) Lübeck. 2 BL

p- 245 s. a. dinghesdaghes vor vnser vruwen daghe der ersten. Dorpet. Brief über einen Hanſetag.

p. 245—254 1389 in f. b. Michahelis archangeli (Sept. 29) Lübeck.

p. 255 unbejchrieben.

p. 256. s. d. Notizen über verſchiedene Flanderfahrer.

p. 257 unbeichrieben.

p. 258 259 (1363 nad Michaelis) Geſuch der Städte Roſtock und Wiemar an die Senpboten der Seeſtädte.

p. 260 263 unbeichrieben.

p. 264 oben: Ag mustik bi der tzarten vrolyk sin tzo aller tzyd, hun- dert duzend enghel suld eer warten, se is, dar al min heyl en- licht uppe mine zele.

p. 265— 220 1387 prima die mensis Meii (Mai 1.) Dordrecht. 8 Bl., die 3 letzten unbejchrieben. Nur hier mb in Rh. p. 185— 196.

p- 281— 292 1391 supra f. b. Mertini (Nov. 11). Hamburg. 6 BI. p. 281, 282. p. 292 unbejchrieben.

p. 293 300 1382 in f. nativitatis b. Johannis b. (Inni 24). Lübeck. 4 DL

p. 301— 328 1394 f. III p. Jubilate (Mai 12. u. ff.). Bericht ber Sendeboten von Roftod u. Wismar über ihre Sendung in Sa⸗ hen 8. Albert’8 von Schweden. 14 BL, die 4 legten unbe fchrieben.

p. 829—340 1400 in f. purißcacionis (Febr. 2.), Lübeck, p. 329. 340. p. 836, 340 wmbejchrieben.

p. 341— 344 1403 des mandages na dem achiedagen der hochtiit tweifften (Ian. 15.). Wismer. 2 Bl. p. 343, 344 unbeſchrieben.

p. 345—348 1403 in f. b. Nicolai (Dec. 6.). Lübeck. 2 DL. p. 348

unbeichrieben.

714 Berit von Dr. Junghans

p. 349—362 1405 f. V p. dominicam Invocavit (März 12.). Läbeck 2 8

p. 353—360 1404 f. tercia post dominicam Quasimodogeniti (Apr. 8.). Lübeck, 431. p. 353, 359, 360 unbeſchrieben; p. 353 die Auf- fchrift Recessus mcccc 4'° feria 3* post dominicam qussimodoge- niti in Lubeke,

p. 361—364 1404 die Galli (Oct. 16.). Lübeck. 2 Bl.

p. 365—376 1407 in f. penthecostes (Mai 15.). Lübeck. 6 BL. audı in Rh. p. 365 377.

p. 377—380 1407 sabbato ante trinitatis (Mat 21.). 2 BI.

p. 381—400 1407 an auende Petri vnde Pauli (Juni 28.). Amsterdam. Bericht der hanſiſchen Senveboten. 20 Bl., die beiden lebten unbejchrieben. 2 Hände.

p. 401—408 1408 des midwekens na des hilgen lichames dege (mi 20.). Samburg. 4 BI. p. 406, 403 unbeichrieben.

p. 409—410 1410 dominica quarte p. f. pasche, que caniter cantate (April 20.). Hamburg, 1 BL.

p. 411—416. 1410 d. b. Marise Megdalene (Juli 22.). Wismar, aud in Rh. p. 519— 522.

p. 417—418 1411 ipso die divisionis apostolorum (Yuli 15.). Lübeck. 1 Dt.

p- 449 —424 1411 in f. o. Sanotorum (Nov. 1.). Wismar. 3 BL p. 424 unbejchrieben. Bon berfelben Hand auf Papier wit demſel⸗ ben Waſſerzeichen (einem Drachen) gefchrieben, wie derſelbe Receß in Rh. p. 527— 32.

p. 425—432 1412 dominica, qua cantatur Quasimodogeniti (April 10.) Lüneburg. 4 Bl.

p. 433—452 1454 vmirent corporis Christi (um Inni 20.) Lübeck. 10 Bf. p. 451, 452 unbefchrieben.

Diefe drei faft einen gleichen Zeitraum, die Fahre 1361 1406, 1369 1411, 1363— 1412 (1454) umfaffenden Sammlungen unter- ſcheiden fi in fehr beftimmter Weife. Die Hamburger Samm⸗ lung befteht ausfchließlih aus originalen Receffen. Die äußere Be- ſchaffenheit der foft ſämmtlich gefonverte Lagen bildenden Receſſe und bor allem die auf einzelnen gemachten Adreſſen an den Hamburger

Aber bie Hanfereceffe. 75

Rath, ſei es nun, daß von dem auf dem betreffenden Hanſetage anweſenden Secretär oder Notar der Stadt, oder dem einer andern, welche im Stande oder beauftragt war, gute Copien des Receſſes zu verſenden, herrühren ſowie Falz, Siegelbandeinſchnitte und Siegel deuten auf Gleichzeitigkeit: bei einzelnen Stücken des Bandes, z. B. dem Rübeder Receß 1378 d. 30. Mai, kann kaum ein Zweifel fein, daß in ihnen wirflih während ver Verhandlungen, auf ber Reife durch die Sendeboten aufgezeichnete Driginalberichte, nicht nur gleichzeitige Copien von folchen vorliegen. Die wismariſche Sammlung befteht nur zum Theil aus folchen originalen Receffen (von ©. 265452); bis dahin find der vom Rathe der Statt 1374 getroffenen Berfü- gung gemäß, welche uns der Notar der Stadt, Heinrih Baltze, zu Eingang des Bandes mittheilt, vie Recejje durch ben jebesmaligen Notar der Stadt in ben vorliegenden Band eingefchrieben, wie die große Stetigfeit der verfchiedenen Handſchriften beweift, nicht völlig gleichzeitig. Heinrich Baltze benugte in Wismar bereits vorhan⸗ dene Rollen und Berichte über die Hanfetage (colligens quosdam rotulos et litteras terminorum et placitorum, per dominos meos servatarum). Die Lübeder Sammlung wie ich jet den Les braborger Band wohl nennen darf, enthält gar keine originale Re⸗ ceffe. Der Wunſch, vie ihres vergänglichen Materials wegen bei dem in Lübed, wo die Sendboten mehr und mehr faft ausnahmelos fich zu verſammeln pflegten, unvermeivlichen häufigen Gebrauche vor bem Untergange zu bewahren, veranlaßte tie Anfertigung biefer Ab- ſchrift auf dauerhaftem Material: vielleicht gelingt ed noch, im Lü⸗ beder Archive einen oder ven andern ver Driginalreceije, welche doch fchwerlich nach Vollendung des Bantes vernichtet fein werben, wieber aufzufinden.

Auf dieſe drei Sammlungen mußte zunächft die neue Ausgabe be gründet werben, bie Hamburger Handfchrift wurbe von Anfang an mit ber Lebraborger (Xübeder) verglichen, und fo war es möglich, zu beftimm- teren Grundſätzen ver Bearbeitung zu gelangen, bei deren Feſtſtellung ich mich ber fteten Leitung und bes Nathes von Herrn Dr. Lappen⸗ berg zu erfreuen batte.

Es ift in dem früheren Berichte von Herrn Dr. Lappenberg be reits im Allgemeinen barauf bingewiefen, unb bie brei Sammlungen

76 Bericht von Dr. Junghans

geben ven Beweis dafür daß bie Receßhandſchriften ber verfchiebenen Städte nie genau viefelben Receffe enthalten, daß jeber einzelne eigens thümfich find, welche fich in feiner anderen finden. Mag aud) mand- mal der Zufall alfein gewaltet haben, jede Stabt hat troß aller Ges meinfamkeit doch ihr befonberes Intereſſe; Rathmänner ver bebeu- tenderen Stäpte haben im Laufe der Zeit im Auftrage der Hanie boch einmal Reiſen nach Flandern, nach Holland, nad) England, nad den Norden und Diten zu machen gehabt und die betreffenden Be richte find dann im Archive ber Stabt niebergelegt, nicht immer in Copie den andern Städten mitgetheilt. In ſolchen Fällen kann na- türlich bei der Herausgabe fein Zweifel entſtehen.

Anders dagegen ift es, wenn biefelben Receſſe in mehreren Samm- lungen erhalten find. Da treten auch innerhalb eines und vesfelben Recefjes bedeutendere DVerfchievenheiten des Textes hervor, nicht im⸗ mer erwähnen bie Neceffe der verfchievenen Sammlungen alle Ge genftände ver Beichlußnahme, ver Berathung oder mit venfelben Worten. Es jcheint, daß man fein Gewicht darauf legte, daß die Aufzeichnun- gen genau übereinftimmten, daß ed Notaren und Secretären ber ein- zelnen Städte überlaffen blieb, was fie im Laufe ber Verhandlungen für die eigne Stadt nieberfchreiben wollten, oder jpäter aus ihnen mit- getbeilten Aufzeichnungen auszogen. Doc ſchon auf dem wifmarfchen Hanfetage 1363 Yuli 25. bemerkte man, daß in einem wichtigen Falle die Aufzeichnungen bes Lübecker Receſſes von denen ver übereinftim- menden Stralfunder, wifmarjchen und Woftoder Receſſe abwichen?), und wenn e8 auch noch bis zum XVI. Jahrhundert währte, bis man regelmäßig am Scluffe jedes Hanfetages den Receß verlefen nnd von den Sendeboten anerkennen ließ, fo find doch ſchon in ven 7Oger Jahren des XIV. Jahrhunderts die Verfchiedenheiten weit unbe- beutender. Indeß läßt noch im wifmarfchen Receſſe 1382 Oculi (Rh. p.29) und imXübeder 1382in octava nativitatis sancti Johannis baptistae (Rh. p.32) ver Hamburger Notar vieles weg mit den Bemerkun⸗

1) Vgl den Abdrud Urkundl. Geih II. p. 524 unb 526 unten: ot lectus fuit recessus qui non concordabat, quia reoessus illoram de Sundis Wismer et Rostok erat talis de domino Johanne predisto ete.

über bie Ganferecefie. 77

gen aliaque tractaverunt, dequibus nil ad nos et de quibus nobis non curandum und cetera nos non concernebant. Nicht felten und zu allen Zeiten find im Receſſe ver einen oder andern Sammlung Urkunden, eingehende oder ausgefertigte Schreiben nicht mit aufge» nommen, welche ver Receß einer andern bewahrt hat, auch verwebt wohl bie und da der Notar oder Secretär ber einen Stadt ein Schreiben, eine Urkunde in den Text feines Berichtes, welche der einer andern getrennt hält.) Einmal im Lübeder Receife 139% Sept. 29. findet fih von einem offenbar in lateiniſcher Sprache ausgegangenen Schreiben die lateinifche Faſſung in der Hamburger, der nieberbeutfche Entwurf in der Lübecker (Xebraborger) Handfchrift.

Die Herausgabe der Receſſe bat eine ganz beſondere Rüdficht auf diefe Verfchiedenheit ber Terte zu nehmen. Wäre es möglich, alle vorhandenen Receßſammlungen in einer Hand zu vereinigen, fo könnte nach genauer Vergleichung bei jevem ver in mehreren Sammlungen zu⸗ gleich enthaltenen Receſſe feftgeftellt werden, welche Sammlung beim Abdruck zu Grunde zu legen ift. Das ift natürlich nicht zu erreichen, und fo bleibt nur der Ausweg, die Receſſe einer Sammlung, os fern nicht in einer andern erreichbaren beffere Redak— tionen enthalten find, beim Aborude zu Grunde zu legen und dann die fo gewonnenen Texte aus den übrigen Sammlungen zu ergänzen. Für die Jahre 1361 1405 ift nun im Wefentlichen die Kübeder (Lepraborger) Sammlung zu Grunde gelegt; doch machte Die Bergleichung ver Hamburger Sammlung von 1369 1411 e8 möglid, für die in beiten Sammlungen enthaltenen Res ceſſe eine Wahl treffen: daß auch bei näherer Bergleichung dann doch in ben meiften Fällen vie Lübecker Sammlung den Vorzug verbiente, war eine Gewähr dafür, daß die durch äußere Gründe gebotene Noth⸗ wenbigfeit, von ber Lübecker Hanpfchrift auszugehen, ven Werthe ver verſchiedenen Sammlungen nicht wiberftrebe. Mit dem fo gewonnenen Zerte find dann bie in andern Stätten erhaltenen Receſſe zu verglei- hen; für die wifmarifhe Sammlung iſt das fchon zum Theile ge- ſchehen, doch werben vielleicht die zu Noftod und Stralfund erhalte

1) S die Receſſe 1899 Sept. 8, 1400 Febr. 2., 1405 März 12.

18 Bericht von Dr. Junghans

nen Receſſe eine noch größere Bereutung haben. Ob noch eim zweiter, ein britter Text dem zu Grunde gelegten binzuzufügen ift, entfcheivet der biftorifche Gehalt ver bei der Vergleichung hervortre⸗ tenden Abweichungen: es ſchien ratbfam, möglichft wenig in bie Fritis chen Anmerkungen zu verweifen, in bie ſich nur zu leicht Wichtigeres verſteckt, zumal da im ganzen bie Zahl der Fälle feine übergroße ift, nur bei einzelnen Abſätzen voppelter Text eintreten mußte. Zumeilen zeigt es fich auch bei der Vergleichung, daß in dem zu Grunde geleg- ten Texte Einzelnes, vor allem Urkunden, Briefe u. dgl. weggelaffen ift, was dann mit Leichtigkeit aus einem vollftändigeren Receſſe er- gänzt werben kann.

Was die Aufnahme der Varianten in Tritifchen Noten betrifft, fo glaubte ich Hier eine Befchränfung eintreten laffen zu müſſen. Bei ben älteren lateinifch niedergefchriebenen Receſſen, bei den Lateinifchen Briefen und Urkunden freilich ift die Zahl ver Varianten keine fo große; anders dagegen iſt e8 bei dem nieverbeutjchen. Das Nieder- beutjche felbft zeigt eine große Mannigfaltigfeit, beſonders im Boca- lismus, charakterijtiiche Unterfchieve find fehon bei fo benachbarten Städten, wie Hamburg und Lübeck zu bemerken, bei ben nieber- läntifchen, den füchfifchen und weftphälifchen Städten find fie beveu- tend genug und geftalten auch die Confonanten, das fejte Gerippe bes Wortes, um. Sollten beim Abprude alle diefe Verſchiedenheiten in ven Varianten berücdjichtigt werben, fo würde die Zahl der Fritifchen Noten eine unverhältnigmäßig große werten. Für die Kenntniß des Nieterdeutfchen in feinen verſchiedenen Wandlungen würde ver Ger winn dann allerdings fein ganz unbedeutenver fein; doch tarf bei un- ferer Sammlung der fprachliche Gefichtspunft nicht überwiegen. Dazu wird es ohnehin möglich fein, mit Hülfe der von ven verfchievenen Städten der Hanfe im Often und Weſten ausgegangenen Urfunven und Briefe die chavakterijtifchen Verſchiedenheiten des über bie weite ZTiefebene bes mittleren Europa vertheilten Niederdeutſchen ficherer feftzuftellen, al8 aus den Receſſen der verfchierenen Sammlungen, für welche e8 keineswegs immer mit Gewißheit feftfteht, daß fie in der⸗ felben Stadt, deren Ardiv fie nunmehr angehören, niebergefchrieben find, ganz abgefehen davon, daß Secretär und Notar gewiß häufiger dugewandert, als aus der Stabt gebürtig waren und daher oft genug

über die Hanſereceſſe. 79

beim Aufzeichnen und Abfchreiben, da man bie Forderung diploma⸗ tifcber Genauigkeit noch nicht Tannte, die heimiſche Mundart über: wiegen ließen. Ich glaubte daher von den Barianten unbedenklich alle nur mundartlichen (phonetifchen) und orthographifchen ausſchließen zu Können, nur bei befonveren orthographifchen Eigenthümlichleiten, in benen eine fprachliche fich geltend macht, dann auch bei ven jo verfchievenen Namensformen von tiefem Principe abweichen zu müffen. Dagegen find Berfchievenheiten ver Wortformen, ver Worte, der Wort⸗ ftellung immer berüdfichtigt worden.

Bei Berichtigung der Abdrücke in der urkundl. Gejchichte bis 1370, bei ten Abfchriften ver fpäteren Receſſe aus ter Lübeder (Lepraborger) oder Hamburger Summlung babe ich die Ortbographie genau feitgehalten, die dort gemachten Abfüge beobachtet, Dagegen eine dem Sinne entiprechende Interpunktion unbedenklich hinzugefügt, na⸗ türlich mit möglichiter Berüdfichtigung ter vom Schreiber felbft beob» achteten oder angedeuteten.

Die Recepfammlungen ber verfchiebenen Stätte mit Ziffern in deu fritifchen Noten zu bezeichnen, erfchien nicht rathſam, fie müßten doch dem kritiſchen Werthe ver Sammlungen entiprechen, könnten nur feftgeftellt werben, wenn alle Receßfammlungen zuvor Fritifch unterfucht wären und hätten überhaupt nur eine Bedeutung, wenn ber Werth der Sammlungen für alle in ihnen enthaltenen Reeceſſe fich gleich bliebe, was nicht der Fall ift. Daher ift eine Bezeichnung der Sarmnı- lungen durch an die Städte, benen fie angehören, erinnernde Buch⸗ ftaben vorzuziehen; fo ift mit Rbr. die Bremer, mit Rh. die Ham⸗ burger, mit RI. die Lübecker (Lebraborger), mit Rln. die Lünebur- ger, mit Rr. die Roftoder, mit Rre. vie Revaler, mit Rs. die Strals funder, mit Rw. bie wismarifhe Sammlung u. f. f. zu bezeichnen. Bielleiht iſt es zu empfehlen, bei jevem Receſſe die Pagie nirung ober Foliirung der für den Text zu Grunde gelegten Hands» fchrift feftzubalten, ta es dann möglich fein würte, beim Ab⸗ drude auch in früheren Receſſen auf fpätere, nicht nur umgelehrt zu verweilen.

Den eigentlichen Berbanblungeprotofollen ber Senbeboten find zahlreiche, auf den Danfetagen nach gemeinfamer Berathung auöges fertigte Urkunden, Schreiben der Sendeboten an andre Etädte, am

8 Bericht von Dr. Junghans

benachbarte Fürſten, Inſtruktionen für Abgeordnete ver Hanſe in ge meinfamen Angelegenheiten, zur Berathung beftimmte_ Artikel, auch Gchreiben an die tagenden Senbeboten in Gopie beigefügt, bei ben Schreiben, ausgehenden und einlaufenden, ift in der Regel nur bas Wefentliche des Schreibens aufgenommen, Eingang und Schluß, für welche mehr und mehr beftimmte, in befondern Formelbüchern vereinte Formen fih ausbilveten, fehlen. Meiſt bilven diefe Beilagen einen wejentlichen Beftanptheil bes Receſſes und find zum Verftänbniß ver Verhandlungen unumgänglich nothwendig, in einzelnen Fällen enthält der Receß kaum etwas Anderes. Es entjteht nun bei Herausgabe der Receſſe die Frage, ob diefe Beilagen auszufcheiven und in's Ur⸗ fundenbuch zu verweifen, oder mit ven Receſſen abzubruden find, wie fie fich dort eingefügt finden. Im erftern alle würde in dem Re- ceffe anftatt des Ausgefchievenen ein kurzes Regeſt mit Verweiſung auf das Urkundenbuch aufzunehmen fein. Indes darf man nicht ver⸗ fennen, jo wünfcyenswerth e8 auch erjcheint, alle diefe Beilagen für das Urkundenbuch zu gewinnen, fie doch im Receſſe nicht fehlen dürfen, wenn die Berbanplungen felbft nicht unverftänplich werden follen. Be- ftänpiges Nachfchlagen des Urkunvdenbuches würde dann unerläßlich beim Gebrauche des Receßbuches fein und das hat doch große Unbe⸗ quemlichkeit: hat man nicht Alles beijammen, was zu den Verband» lungen gehört und in fie. eingreift, fo ift vie Hare, vafche Ueber ficht geftört. Dagegen bat e8 durchaus nichts Unbequemes, wenn im Urkundenbuche anftatt ver in den Receſſen bereit abgebrudten Bei⸗ lagen Regeften aufgenommen werden. Späterer Erwägung muß e6 noch vorbehalten bleiben, ob für befonters wichtige Stüde, Vertrüge, Beitätigungen von Privilegien, zumal wenn die Originale noch aufges funden werben, der Abbrud im Receßbuche und Urkundenbuche wän- ſchenswerth iſt; nicht minder, ob überhaupt bei ben Beilagen ber Receſſe die Eopien durch Originale zu erfegen find, fo weit dies mög⸗ lich ift. Auch erjcheint e8 durchaus notwendig, beide Sammlungen von einander möglichjt unabhängig binzuftellen auch des Abdruckes wegen, der für Urkundenbuh und Receßbuch ſchon der VBerweifungen wegen minbeftens ein gleichzeitiger fein müßte, wenn man bie Bei- lagen aus den Receſſen fondern wollte, während ohne Zweifel das Receßbuch wenigftens zum Teil eher vrudfertig fein kann, als ba$

fiber die Hanfereceffe. 81

Urkundenbuch, für welches jedes neu aufgefchloffene Archiv einer Hanfes ſtadt wefentliche Beiträge liefern kann. Habe ich felbft mich auch im Laufe der Arbeit mehr und mehr für den Abprud der Receſſe mit den Beilagen entfcheiden müſſen, jo fehien e8 mir doch nicht gerathen, von vorn berein die Möglichkeit eines Abdruckes ver Receſſe ohne vie Beilagen abzufchneiden oder doch fehr zu erjchweren und babe daher Alles, was nur irgend als felbftjtändiges Stüd aus den Verhand⸗ ungen auszufondern war, auf bejondern Blättern abgefchrieben. Ein Verzeichniß über dieſe Beilagen ift beigefügt. (Anl. Nr. 4) Es zählt 293 Nummern. Für das Urkundenbuch wird e8 eine nothwen⸗ dige Vorarbeit fein, vielleicht auch der Receßſammlung felbft beizn« geben fein.

Auch wird es fich empfehlen, aus ven Receſſen Berzeichnifje aller in ihnen nur erwähnten Briefe und Urkunden auszuziehen. Sie wer- den für Nachforfchungen an Ort und Stelle von großen Nußen fein, ba es fich mit größerer ober geringerer Sicherheit aus tem Receſſe ſelbſt ergibt, wo bie betreffenden Schreiben und Urkunden zu fuchen find. Ein folches Verzeichniß ift gewiß mit geringer Mühe beim Abfchreiben oder genauerer ‘Durchficht der bereits vorhandenen Ab- fchriften berzuftellen.

Dei den ältern Receſſen des XIV. und XV. Jahrhunderts ift gewöhnlich nur das Datum der Eröffnung des Hanfetages angegeben, im XVI. Jahrhunderte bezieht man mit großer Sorgfalt vie Ver⸗ hendlungen auf bie einzelnen Tage, fo daß über Dauer und Berlauf der Verhandlungen fein Zweifel fein fann. Daß aber auch bei ten älteren vie Verhandlungen nicht auf einen Tag beſchränkt waren, un« terliegt feinem Zweifel, fchon die große Menge ver Gegenſtände ver Verhandlung müßte darauf binweifen. Bei einzelnen geftatten, bie batirten Anlagen, vor allem eingelaufene und ausgegangene Schreiben genauere Angaben zu machen, welche in eine befonvere Note zu ver⸗ weifen fein werden. So ift im Receſſe von

1363 San. 1. Anl. 3. San. 13. datirt. 1363 Mai 7. Anl. 1. Mai ll. 1364 April 14. Anl. J. Mi6

1364 Yuni 18. Anl. 4. 10. 11. Yuni 22. datirt.

& Bericht von Dr. Yungpaus 1366 Dec. 16. ul. 1. 4. Dec. 17.

1367 Rov. 11. Anl. 1. Rov. 19. 1370 Febr. 5%. Anl. 1.2.3. Me. 13:0 Juni 24 Anl. 5. Juli 2., 1371 Mai 5. Anl. 1. Juni 24. 1372 Eept. 8. Anl. 1. Sept 25. 1374 Yuli 25. Anl. 1. 2. Juli 6. 1388 Mai 1. Anl. 3. Mid 1392 Oct. 16. Anl. 2—6. Dct. 18. m Ant. 1. Det. 21.

13% um Mai 20. Anl. 4. Sep.8 1393 Aug. 1. tie Anlagen - Aug. 12—29 „, 1399 Sept. 3. Ant. 3. Sept. 29, 1400 Febr. 22 Anl. 2. 3. Gebr. 18. Anl. 1. Behr. 5.

1400 Zuli 25. Anl. 2. Sept. 1. 1402 Mai 14. Anl. 7. Maid. 1405 Maärz 12. Anl. 2. März 14.

Wie weit die Bearbeitung ber einzelnen Receſſe es find im Ganzen 126 bis 1405 nach den verfchiedenen Hanbfchriften vor⸗ gefchritten ijt, wird mit Leichtigfeit aus dem von mir zuſammenge⸗ ftellten und fortzuführenden VBerzeichnijfe zu erfehen fein. Die für ben Abprud zu Grunde gelegte Handſchrift it da immer unterftrichen, den andern eine Demerfung hinzugefügt über tag, was für fie be- reits gefchehen iſt.

Doch auch über den Endpunkt der Lübecker (Ledraborger) Hand⸗ ſchrift hinaus iſt ſchon Einiges für die Receſſe des XV. und XVI. Jahrhunderts geſchehen. Die Ledraborger Handſchriftenſammlung freilich hat hier weniger ergeben, als nach Beckers Catalog zu ver⸗ muthen war.

Fol. Wr. 7 als Recessus cinitatum Hanscaticarum annorum 1369— 1405; 1456 1576 bezeichnet,') Hat für uns einen fehr zwei-

') ©. den Katalog p. 9 11.

über bie Hanferecefie. 8

felhaften Werth, da nur Auszüge aus den Receſſen gegeben ſind,

welche natürlich, da die Receſſe ſelbſt erhalten ſind, nicht in Betracht

kommen. Doch haben ſie immerhin ein Intereſſe, als früher Verſuch, den Inhalt ver Reeceſſe in überſichtlicher Form ber praktiſchen Be⸗ nutzung zugänglich zu machen.

Fol. Nr. 9. Häuſiſche Verbündnuß und Confoedera— tion 1597—1629 befteht aus Ähnlichen Auszügen der zwiſchen biefe ‘Jahre fallenden Hanfetage und einzelnen Beilagen über das Nech- bungswefen,, über das antwerpijche und bergen’sche Contor, die däni- ſchen Privilegien, wie fie alle hanſiſchen Archive in Menge bewahren.

Dagegen war Fol. Nr. 8 von großer Bebeutung. Es ift ein Driginalreceß, außen bezeichnet al® „Recessus communium ciuita- tatum de Hansa Lubegk ad placita congregatarum“ (am auende asc. domini Wai 20 Juni 23.) auf 48 Bl. von verfchiedenen Händen zum Theil fehr flüchtig und mit Unkenntniß des Nieberveut- ſchen gefchrieben. Ich habe eine Copie nach ber von einem Schreiber Langebel’8 gemachten auf dem Geheimarchiv bewahrten Copie nehmen loffen und mit dem Original forgfältig verglichen. Auch dieſer Res ceß ſtammt wohl aus dem Lübeder Archive.

Auf der Univerfitätsbibliothel und ver königl. fanden fi) Aus—⸗ züge aus ven Recefjen, vie ich bier anführe, obſchon fie fo wenig, wie die weit älteren ver Lebraborger Handjchriften« Sammlung für bie Ausgabe der Receſſe Bedeutung haben..

Auf der Univerfitätsbibliothel fand fi unter ven Handſchriften ber Arnd-Magnäifchen Sammlung Libri Juridicı Fol. Nr. 296, eine Papierdanpfchrift in Folio 32 Bl. saec. XVII.

F, 1 Hansici Foederis Leges et Statuta sive Compendium Recessuum, Hochdentſch.

F. Der Erbb. Hanſe Stät Geſetz vnd Ordnungen oder Auszugk der Recess. Der Erſte Theil von gemeinen Satzungen. 89 kurze SS. mit Verweiſungen auf bie Receſſe felbft durch Jahresangabe bei jevem $.

F. 9 Hansici Foederis Leges et Statuta sive Compendium Recessuum Pars Socunds.

F. Der Ander Theil von Sonderbohren Sagungen ber 7

B4 Bericht von Dr. unchans Bier Cunthoren. 1. Russica sive Novogardies 179 turze 88 mit Berweifungen auf vie Recefle.

-P. 19° Brugensia Belgica et Brabantica. 12 88.

P. 20° Anglicana 10 88.

F. 21 Bergensia, Norwegica 62 88.

F. Leiste Vnions Notul den 21. Aprilis 1604 auffgerichtet.

Auf der kpl. Bibliothek hinter einer Bremer Chronif Neue tgl. Sammlung Fol. 679 (vgl. ebdſ. Fol. Ar. 297°.)

Ertract der Hänfifchen Receſſe. In neun Gapittel getheilett.

1. Eap. Bon der Stätte confcederation vund verbündtnäß.

2. Say. Miscellanna von allerhandt fachen, die auff den Hänfetagen vorgelaufen.

3. Cap. Londifhe Contor vnnd Engliſche Sachen.

4. Cap. Brügtiide Contor Niederländifhe und Schoßſachen.

5. Cap. Bargyſche Contor vnnd däniihe Sachen.

6. Gap. Newgartiſche Conthor und Mojchowiterihe Sachen.

7. Cap. Bon Hänfijhen Statutis und Ordnungen, waß in Specie wieder die Aüßerhänfifchen, Item waß wieder die Contumaces und außpleibenne Stätte ftatuirt.

8. Gap. Bon der Contribution vnd erfolgter Aßiſtentz.

9. Cap. Bon der Sciffart vnnd liebrung der wahren.

Die bereitd von mir und unter meiner Leitung aus dem Ham- burger, dem Lüneburger Stadtarchive, fowie unter gütiger Vermittlung des Herrn Archivars Wehrmann aus den Lübeder Archive abgefchrie- benen 19 meift fehr umfangreichen Recefje zähle ich Hier kurz auf. Auch Hr. Dr. Winkelmann in Reval hat aus dem dortigen Archive einen Beitrag gebracht.

Ri. 1412 quasimodo geniti (April 10.) Lübeck. Copie aus Yübed.

Rh. 1416 vocem Jocunditahs (Mai 24.) Yübed, von mir abgejchrieben.

Ri 1416 f. b. Andreae ap. (Nov. 30.) übel. Copie aus Lübeck.

Rh, 1417 Juni 10. Reifeberiht hanſiſcher, nad Conſtanz abgefandter

Sendeboten von mir abgejchrieben.

Ri. 1417 Johannis baptistae. (Juni 24.) Pübed. Copie aus Lübeck.

Ri. 1418. Johannis baptistae. (Juni 24.) Lübeck. Copie aus Lübeck.

Ri. u. Rw. 1454 ummetrent corp. Christi (Juni 20.) Lubeck; von mir aus Rw. ergänzte Copie aus Lübed

über die Hanfereceffe. 85

RI. 1506 Asc. domini (Mai 24) Lübel. Bon mir collationirt.

Rin. 1524 Quasimodogeniti (April 24) Lubeck. Bon mir abgefchrieben.

Rin. 1538. Sept. 3 6. Lübeck. Bon mir collationirt.

Rin. 1539. exaltationis erucis (Sept. 8). Lübed. dogl.

Rin. 1542. Dienft. n. Invocavit. (Febr. 28) Lübeck. dogl.

Rin, 1543. Montag n. Ouafimodogeniti (April 2) Yübed, dgl.

Rin 1545. Oct. 25. Yübed. dogl.

Rin. 1548. Dont. n. Petri advincula. (Aug.) Mölln tögl Auszug.)

Rin. 1549. Tag n. Dreilönige (Ian. 7). Lübed. dgl.

Rre. 1549. Motiun vnd bewach eines ersamen rades der stadt Reuell op de thogeschickten artickell dar up de erb. Anzesteder binnen Lubeck tho dage anno 1549 vorschreuen worden. Abſchrift des Herrn Dr. Winkelman zu Reval.

Rin. 1554. Mont. n. visitat Marise (Juli 8). Pübed. Unvollſt. Copie.

Rin. 1559. Trinitatis (Mai 20) Lübed. bogl.

3. Jericht über eine Reife nach Melmd, fund, Shandr und Salkerhe. 1860 ©kteber 7— 11.

Bon Kopenhagen aus die banfifchen Bitten bei Standr und Falſterbo auf ter weit in bie See vorſpringenden bammerförmigen Süpdfpige Schonens aufzuſuchen und wo möglich nach alten, vielleicht noch vorhandenen Merkzeichen ihre Auspehnung und Lage näher zu beftimmen, war mir von Herrn Dr. Zappenberg zur befondern Pflicht gemacht, auch über die Verhältniſſe ber beutfchen Gemeinde, ber beutjchen Kirche in Malmö, fowie ihre nicht unmwahrfcheinliche Ver⸗ bindung mit ber deutſchen Kaufmannsgilde, deren Statuten vom Jahre 1329 noch vorhanden find‘), follte ich Erkundigungen einziehen. Ich verichob die Reife bis Anfang October, um gehörig vorbereitet und nicht zu unbelannt mit der Sprache das Deutfche wird jen- feit des Sundes felbft in ven Städten nur von wenigen Gebildeten verfianden meine Unterfuchungen anftellen zu können. ch fuhr am 7. October vor. 36. auf einem ber Heinen Dampfboote, welche zwifchen Malmö und Kopenhagen eine lebhafte Verbindung

t) ©. den Eatwurf im Labecker Urkandenbuche II. Nro. 506. 7%

86 Bericht von Dr. Yunghans

unterhalten, hinüber. Der abziehente, vom heftigen Winbe verfcheuchte Regen ließ, ale das Schiff fih Malmö näherte, formenbefchienen Stadt und Küfte Hervortreten. Deutlich war tie eigenthümliche Lage Malmds an der fdyarf ind Meer vorfpringenden Ede Schonens, welcher die Stabt den alten bezeichnenden Namen Ellenbogen vers dankte, zu erfennen; die Kunft hat erft ver in neuerer Zeit wieder aufblühenden Statt einen ficheren Hafen burch weit ins Meer vor- gebante, nur zu einem engen Eingange fich öffnenten Fangdämme geichaffen. Die Hauptkirche Malmös, vie Petrikirche, vie beutjche Carlskirche und ein Hohes alterthümliche®, doch neucrvings gejchmad- [08 übermahltes Giebelhaus überragen bie niebrigen Häufer der Stadt und find weithin auf der See fichtbar.

Die Unterfuhung über kirchliche Verhältniſſe ver Deutfchen in Malmd nahm nur wenig Zeit in Anſpruch. Der deutſche Prebiger der Carlskirche, Bager, theilte mir bereitwillig feine Kirchenbücher zur Einſicht mit, ich nahm eine Mbjchrift des noch vorbantenen 1683 März 19 datirten Hanpfchreibens K. Karls XL, welches den Deut- fhen die Erlaubniß zum Bau einer Kirche giebt und 500 Thaler Silbermünze zu den Koften vejjelben anweiſt, nachdem bereit8 1628 Juni 22 nad Malmö geflüchteten Flensburgern beutfcher Gottestienit und Ban einer Kirche geftattet worden war. Eingeweiht ward bie Kirche bereit 1693 am 1. Octeber’). Es ift ein roher, haltbarer Steinbau, ohne fünftlerifche Bedeutung; ein veutfcher über der nörblichen Ein- gangsthüre eingehauener Bibelſpruch ift ncch jet ein redendes Zeugniß ihrer urfprünglichen Beftimmung. Doch haben fich jet vie Berhältniffe geändert. &8 foll zwar für bie ungefähr 200 in Malmö lebenden Deuts fhen vom zweiten, deutſchen Prediger ver Kirche jeden erften Sonn- tag im Monat deutfch geprebigt werden, doch kommt e8 felten dazu: über 10,000 Seelen, vie ärmere Bevölferung der Stabt gehören zu biefer Kirche, und ba find denn allerdings bie Deutfchen fehr in ber Minderheit. Dazu ift der Prediger felbft Schwere. Daß in früs berer Zeit die deutfche Kaufmannegilve fich zur Hanptlirche ver Stapt ber Petrifiche, deren reicher Badfteinbau mit ftattlichen Treppen-

1) ©. Eronholm Skaanes polit. Hifterie I. 509.

.. über bie Ganfereceffe. 87

giebeln an ben Kreuzflügeln eine befonvere Aufmerkfamleit erregt, ger halten haben, leidet feinen Zweifel: da man fich fehon 1388 (nach Mai 9) unter anderm über Auefchluß der Deutfchen von dem Sa⸗ framente ber Kirche und Begräbniß tes Kirchhofes beflagt') und da⸗ mals außer der Betrikicche feine vorhanden war. Nachrichten über ein Fenſter ein Geſtühl ver Stettiner in biefer Kirche erwarte ich no von Herrn Sonnenfteins Wendt zu Malmö.

Was von älteren Urkunden und Briefen im ftäptiichen Archiv verbanden ift, zu benugen, warb mir bereitwillig geftattet*). Ich fand nicht viel zu thun. Einſt ift das Archiv reicher geweſen, barauf beiten ſummariſche Angaben der Regiftratur.

Das unfichere Wetter bewog mich, den Ausflug nah Standr und Falſterbo, für ven ich auf einen zweiräbrigen, offenen Kar⸗ ren angewiefen war, noch um einen Zag zu verfchieben, den ich benugte, um 2 und zu befuchen, welches jebt vie Eifenbahn mit Malmõ verbinvet. Ich befah dort die alte merkwürdige, durch Pro⸗ feifor Brunius vor dem Verfall bewahrte Domtirche, das Alterthümer⸗ muſeum, welches Heine unbedeutende Glasgemälvde aus der Kirche zu Stanör und eine früher auf dem Grabjteine eine® in ber dortigen Kirche begrabenen Campener Bürgers befeftigte, bronzene, fergfältig gearbeitete, mit Wappen und Inſchrift geſchmückte Tafel bewahrt. Die in mancher Beziehung interefjaute Inſchrift habe ich copiert, fie ift entfchieven deutſchen Urjprungs, bie Gemälde find es ſchwerlich.

Auf der Lunder Univerfitätsbibliothet konnte ich noch in einigen fpäten Nachmittagsftunven ein Privilegienbuch der Stadt Malmö, auf weiches Herr Sonnenftein-Wennt mich aufmerkſam gemacht hatte, burchjeben, das Registrum villae Malmogiensis, einen Pergament» band in Folio, ohne Zweifel einft eine Ardhivalie des Malmöer Stadt⸗ archives. Es findet fih darin indes nur f. 46° der Kopenhagener Abfchied 1562 Juli 15. 16. in däniſcher Faffung, welchen ich copirte, doch fpäter in den Tegnelfer paa alle Lande IV. p. 161 vänifch und deutfch wieder fant.

1) ©. Anl. 6 des Lübeder R. v. 1888 Mai 1. *) Gin Berzeichniß giebt Renterdahl im der bän. Hiſtoriſt Tidſtrift

88 Bericht vom Dr. Junghaus.

Am Sonnabend den 10. October fuhr ich, vom Wetter wider Erwarten begünftigt, früh morgens von Malmö nah Standr mit einem Empfehlungsſchreiben des veutjchen Prediger in Malmö an ben Bürgermeifter von Skanör verfehen. Ich hatte mir die Küſte von Malmö bis Standr und Falfterbo mit meinem Wege nach Her« melind Karte aufgezeichnet, um alles genauer aufzufajfen. Kurz vor Hoällinge näherte fi) die Straße, welche bisher in ziemlicher Ent⸗ fernung von ber Küfte hingeführt hatte, derfelben bedeutend und zum erften- mal, feit ih Malmö verlaffen hatte, erblidte ich die dunfelblaue See mit den in ber Ferne norbwärts und ſüdwärts vorüberziehenten Se- geln. Dann trat auch auf kurze Augenblide vie eigenthümliche Bil⸗ bung der hammerartig in die See von Oft nach Weft vorfpringenven Halbinfel Skanör im N. und Yalfterbo im ©. hervor, warb jeboch bald, da der Weg fich fenkte, dem Blick wieder entzogen. Scharf fonvert fih die Halbinfel vom Feſtlande, grünbewachjene Hügel, ohne Zweifel vor Zeiten Dünen, ſchirmen das eigentliche Land. Flach ſtreckt fih die Landzunge hin, mit brauner, fumpfiger Haide bedeckt, hie und ba nur angebaut, ba der aus fteiniger Anſchwemmung beftebente, ftellen- weis mogrige Boden die Arbeit nicht lohnt. Schonen ift bekanntlich im Ganzen gut angebaut, um fo fchroffer ift der Gegenfag. Ein fchmaler mit Kiesgeröll bejchütteter Fahrweg führt über bie Yandzunge nah Sfanör. Rechts bemerkte ich einen grünüberwachfenen Erbauf- wurf der Bürgermeifter von Sfandr bezeichnete ihn mir hernach ala bie einzige in der Umgegend befindliche Aettahöges. Es wird ein Grabhügel fein, wie man fie im ganzen fcandinavifchen Norben fin« bet.') Auf der ganzen Strede bis Sfandr fand ich nur ein einzig Häuschen, welches an der Öränze ver Feldmark von Skausr und Falfterbo fteht und von einem Manne bewohnt wird, welcher ein hier wahrlich fehr unnüges Gatter bewacht. Rechts öffnete fih dann bie faft halbkreisförmig ein- fchneidenbe, in den Urkunden oft genannte hohle Bucht (Holl, Huvil, Huell), in welcher die gewinnreiche Fiſcherei betrieben ward, ba bier ber Häring eine geficherte Stätte fand, wie es feine zweite an Scho- nens Küfte gibt. Sie wird noch jet Hölvilen over auch nur Höl

1) &, Geijer, Geſchichte Schwebene, Bd. I. p. 20 (ber Ueberſetzung.)

über die Hamferereffe. 89

genannt. Ich fah nur zwei Boote auf ber weiten Fläche ſchwe⸗ ben, mit dem nur lärglich lohnenden Fiſchfange befchäftigt; die männ⸗ liche Bevölkerung ber beiden Orte fucht als Seevoll Erwerb. Die bie und da verftreuten von hoben, gefchwärzten Erbmauern, deren Fu⸗ gen fonnengebleichter Seetang füllt, umgebenen Felder und Wiejen zeigen am beten, wie wenig dem Boden abzugewinnen if. Skandr liegt flach und offen, es ift veinlicher und ftattlicher, als alle anderen Ortfchaften, durch welche mein Weg führte. Fit es ein Reſt ſtädti⸗ fchen Sinnes oder die Eigenthämlichleit des Seefahrers, welche fich bierin geltend mat? Der Bürgermeifter, an welchen ich mich na» tärlich zuerjt mit meinen Fragen wandte, ein alter, an Ort unb Stelle aufgewachjener Dann, wußte mir doch nur wenige ber in ziem⸗ liher Zahl aus ven Urkunden von mir ausgezogenen Lokalnamen nachzumweifen, auch die Hoffnung, Kreuze noch vorzufinden, welche einft bie Vitten ber einzelnen Städte von einander trennten, warb nicht erfüllt: fie waren nur aus Holz für den Augenblid errichtet und find verſchwunden, als die Bitten verlaffen wurven. Auf einem neu im Anbau genommenen Felde haben ſich beim Graben in einiger Tiefe gepflafterte Straßen gefunden, doch konnte ich nichts Näheres über ihre Richtung und Befchaffenheit erfragen. Jetzt Liegen fie nicht mehr zu Tage. Dagegen ift der Erdaufwurf, auf welchem einft das Schloß Standr geftanden bat, noch vorhanden; ber fchmale feichte Schloß. graben bot fein Hinverniß für vie Erfteigung der Heinen Anhöhe, vie wohl fpäter einmal in eine Schanze umgeſtaltet it. Spuren von Steinbau konnte ich nicht mehr entveden. Auch die Kirche befuchte ih: an der eingehenden Befchreibung von Profeffor Brunius’) wüßte ih uur das Eine auszufegen, daß fie zu große Erwartungen erregt. Die von Brunius vorgetragenen Bermuthungen über einen teutfchen DBaumeifter der Kirche, fo anfprechend fie find, muß ich auf fich bes ruben laſſen. Hanſiſche Erinnerungen finden ſich nicht mehr, ſeitdem bie oben (p. 87) erwähnte Bronzetafel nah dem Lunder Mufeum entführt ifl. Vergebens forfchte ich ber Ettebete, welche einit lüs bifches und Dänisches Hecht fchiet, vem Todtenhofe der Roſtocker,

1) In deffen Skaanes Konſthiſtoria p. 246.

'80 Bericht von Dr. Junghans

ver hl. Seiftestirche, ver Travenftraße nach, welche die Urkun⸗ ben nennen und bereits Herrn Dr. Lappenberg auf bie nähere Un⸗ terfuchung der Topographie geführt haben '); alle dieſe Namen find verſchwunden.

Ich Hatte nicht weit von Standr auf meinem Wege eine quer bie Halbinjel, gerade da, wo fie die geringfte Breite hat, in der Rich⸗ tung von N. nah S. durchfchneidende, fchmale Wafferrinne bemerkt and vermuthete bier die Ettebele. ‘Doch wird fie Ameränna ge nannt und foll, alter Weberlieferung zufolge, einjt ein für Barlen fchiffe barer Kanal gewefen fein; ich darf in ihr wohl eine Anlage der im Kanalbau erfahrenen banfifchen Seefahrer erkennen, um vie nicht bei jedem Winde leicht mögliche Umfegelung ber Halbinfel zu vermeiden und eine bequeme Verbindung zwifchen dem Höl und ver Süptüfte Berzuftellen.

Der Bürgermeifter, welcher für meine Nachforſchungen ſich ficht- lich intereffirte, gab mir bereitwillig jeinen Schreiber mit, um mid nach dem etwa ', Meile entfernten Falſterbo zu führen und auch bort mir zu zeigen, was irgend Intereſſe für mich haben konnte. Die Küfte zwifchen Standr und Falfterbo ift öde, ein flacher mit fpärlichem Grün bewachſener Meeresitrand. Niedrige Sandbänke liegen faft vor der ganzen von SSW. nah NND. ftreichenden Küfte und geftat« ten felbft ven kleinſten Fahrzeugen nicht unmittelbar am Ufer anzu. legen. Falſterbo macht im Ganzen venfelben Eindrud wie Stanör, nur erjcheint es ärmlicher, kämpfen doch die Bewohner einen merk⸗ würdigen Kampf um ihre Eriftenz mit dem feinen Flugſande, welcher fie mit der Zeit vielleicht einmal ganz verbrängt. Er wird, wenn bei niedrigem Wajferftande die See zurüdweicht, vom füplichen Winde erfaßt und in's Dorf getrieben. Schon liegt er in ven Straßen am füdöftlichen Ende des Dorfes, er überbedt die Heinen Gärten neben ben Häufern, er fteigt an den Stämmen ver ſchlanken Ulmen empor, weldye ber einzige Schmud des Marktplatzes find. ch bejuchte vor allem vie der Jungfrau Marta geweihte Kirche außen vor dem Dorfe, Schon innerhalb des Dorfes mußte ich beginnen, den Abhang des Flugſandhügels zu erfteigen, deſſen Yortfchreiten kaum von ben bier bicht angepflanzten Weiden gehemmt wird. Zu einer ziemlichen Höbe

) uUrtundl. Geſchichte Bp. I. 179.

über bie Hanferecefie. 91

ift vom Winde der feine weiße Sand ſchon aufgethärmt, er bat bie äußerjten Weiden längft begraben, welche fein Fortſchreiten hindern follten. In der Krone des begrabenen Baumes wurzelt ber ald neue Schutz⸗ wehr angepflanzte. Die Kirche hat man Durch eine Umwallung von Rafen zu fehirmen verfucht, doch fo oft man dieſe auch erhöht bat, der Flugſand rüdt nach, fchon hat er die Höhe bes Kirchdaches erreicht; ih mußte binabfteigen zu ter vom Flugſande belagerten Kirche, wo man befchäftigt war, ben Schaden, welchen bie legten Winde dem Dache zugefügt Hatten, auszubeſſern. Auch Hier fund ich bie vom Prof. Brunius’) gegebene Bejchreibung des Bau's und der Denkmäler der Kirche fehr zuverläßig; wenn auch Brunius hier ebenfalls, be- ſonders in ven Gemälden, teutfchen Einfluß erfennt, fo glaube ich doch fchwerlich, dieſe Kirche für die einft auf der lübfchen Vitte er- baute Heilige Geiſteskirche anfehen zu bürfen?). Die Verfchieven- heit des Namens ber Stirche, das Fehlen deutfcher Grabfteine in ihr ich habe die Injchriften der Steine auf dem Boden vom Schmutz gereinigt und genau unterfucht läßt mich in bdiefer Kirche die „danica ec- clesia“ erfennen?). Die Sage, daß einft bei diefer Kirche vie Sünb- fluth ftehen geblieben fein folle und der taran fich knüpfende, bis in neuere Zeit bewahrte fromme Brauch der Landleute, von weither um Mittfommer, aljo bevor die hanfifhen Schiffe auf ven Fifcherlagern erfchienen, zur Kirche zu wallfahrten und reiche Gaben zur Erhaltung der Kirche in einen Opferſtock niederzulegen, bei welchem ein noch vorhandenes Chriftofferbild aufgeftellt warb‘), deutet eber auf ein altes nordifches Heiligthum, als auf eine Kirche deutſcher Kaufleute. Yet wird nur felten noch bier Gottesdienſt gehalten, da Falſterbo mit Skanör eine Gemeinde bilvet. Weſtlich von ber Kirche liegen im Flugſande Trümmer von Baditeinbauten; noch weiter weftlich fentt ſich der Flugſandhügel und der eigentlihe Strand tritt wieder hervor. Zwei grün überwachfene Erhöhungen nahmen meine Aufmerkſam⸗ feit in Anfpruch, beide ſüdweſtlich von ver Kirche, weftlih vom Dorfe. Die dem Dorfe näher gelegene ift ohne Zweifel ver Erdaufwurf für

) a. a. O. p. 249 ff.

2) Sartorius Uk. G. I. p. 374. 2ub. UM. Il. 648. 2) ut. G. Il. 426.

) Bgl. Brunius a. a. O.

92 Bericht von Dr. Junghans über bie Hanfereceffe.

das alte Schloß Falfterbo: er mißt oben 19 Schritt in die Breite, M Schritt in die Länge; von doppelter Ummallung find beutliche Spuren zu erfennen. Waffer hat die Gräben wohl nie gefüllt. Trüms- mer des alten Bau's fand ich cben auf dem Hügel auch bier fo wenig, wie bei Schloß Skanör. Man hat bereitd 1596 die legten Ueber⸗ bleibfel zum Kirchenbau verwandt‘). Die andre Erhöhung ift ver Platz des alten Leuchtfeuers?), welches nunmehr durch einen prachts vollen, noch weiter fw. auf der Landfpige errichteten Leuchtthurm er: fett ift, welche den unbeimlichen Namen Uggle Udde (Eufenfpige) führt. Um mir über vie ganze Landzunge einen Ueberblid zu ver- fchaffen, beftieg ich ven Thurm. Oben auf ter freien Galerie empfand ich exit die Macht bes Windes. Ringe Am die Weft- und Südküſte bran- bete bie grüne See weiß auffhäumend, nur ver Hölviken lag ruhig ba. Weithinaus in die See nah SW. erblidte ich das Feuerfchiff, welches vor den verborgenen Untiefen warnt. In der Ferne eilten, von dem Winde, von Dampfesfraft getrieben, die Schiffe vorüber; fie meiden den einft jo gefuchten Strand, den Marktplatz der Oſtſeelän⸗ ber, welcher jet nur durch Schiffbrüche berüchtigt iſt. Mußte ich auch darauf verzichten, alle in ven Urkunden genannten Dertlichkeiten aufzufinden und die Lage ver einzelnen Bitten genau zu beitimmen, fo habe ich doch durch Beftimmung der Lage der Schlöffer, daß Falfterbo noch vorhanden fei, hatten dänifche Gelehrte geläugnet?) wichtige tepographifche Anhaltspunkte gewonnen, um welche fich bie Vitten gruppiren und eine klare Anfchauung der Beſchaffenheit biefer für die Gefchichte der Hanfe und des Handels fo beveutunge- vollen Landzunge. Die ſinkende Sonne mahnte mid zur Rückkehr: ed war völlig Nacht geworben, als ich, nicht ohne von dem mir un» befannten Wege abzuirren, Hyoällinge und ben Leiterwagen erreichte welcher mich wieder nach Malmö brachte, von wo id am Sonntag in der Frühe zu meinen Arbeiten in Kopenhagen zurückkehrte.

) Skaanſke Tegnelfer. III. 14. Dec. 11. 2) Urkundenbuch d. Et. Lübed I. Nr. 28. 3) So Hammerih Danmark i Valbemarernes Tib II. p 166 - 166.