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Hiſtoriſche Zeitſchrift.
(Begründet von Heinrich v. Subel.)
Unter Mitwirkung von
Yaul Sailen, lounis Erhardt, Otte Hinke, Oite Arauske, Maz Sem, Siegmund Kieler, Mori; Ritter, Zourad Yarreniapy, Bari Fenmer
beraußgegeben von
Friedrich Aeinecke.
Der ganzen Reihe 85. Band. Neue Folge 49. Band.
Münden und Teipzig 1900. Drud und Verlag von R. Oldenbourg.
LIBRARY OF THE LELAND STANFORD JR. UNIVERSITY,
a. 56 APR 8 1900
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Beller, Jobenlotiſches Ur⸗ tundenbuh I. 1153—1810 Rotizen
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Kine Beit und früges Bitiefater
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—— und Öegenfermatin 1 1789 —
Neuere te feit 1789 ——— Vermiiſchtes
Nachtrag zur Miscelle H. Z. 88,
Wille, Bruchſal. 2. Aufl.
Witte ſ. Frip.
Wittichen, Se Tan Bolitit Preußen? 1788—!
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Wülder u. Bıra, To iur⸗ gar Rathes H. v. d. Planitz ee aus d. Reichsregiment
Zibrt,
Bibliografie Goske historie . .
Erflärungen von J. Loferth und W. Goep.. . 88, 255 von W. Stern
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Seite 376
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über den Major d. Meift zu ſagen
1 far Tue Bet mi der den 2 ee Die Londoner Alten, bie mir 0 ae en m? (S. die Denfihrift des Grafen v. Walbdftein, 9, abgebrudt in den Lebensbildern aus dem Befrei—
fing Sınith, 8. Oft. 1810: .. . His Gnelſenau's in fact oceasioned by the desire not tv
N 1 cannot, re u "The po of this little rock,
vessells — the command of
Prince Stahremberg he did the same, ! is country, rather under an unfavourable |
4 Alfred Stern, Reife Gneiſenau's nad London i. J. 1809 ꝛc.
impression that nothing would be done, after the con- clusion of peace, which a longer stay might have changed. Having been blamed by some persons, unacquainted with the real nature of his relations here, that he remained too long for the good of the King, or too short for the good of the cause, I think it proper just to say, that he could not with propriety depart, while room was left for hope, nor remain beyond that period, exposed to the risk of his return being prevented by the winter, supposing France might have views against Prussia, which rendered his presence desirable, tho’ that has not proved so....
Rabinetötriegen, von der unverlegten Sol- Heeres zu jprechen, ehe er mörtlid) em wollen wir nicht machen. Ich will nicht
das zu bedauern ift, inwiefern jemand einen | führen fönnte, ber feinen en Grund » SR. 5. Bd. XLIX.
52 Richard Feſter
innerungen“ den Wechfel der Gelegenheiten im Hauptquartier nicht von Tag zu Tag verfolgen, daß fie ftärfer, als es dem Hiftorifer erlaubt wäre, zufammenziehen. Someit ſich heute der Gang der Nifolsburger Verhandlungen überhaupt klarlegen läkt, hat es Mar Lenz in eingehender und jcharffinniger Unter- ſuchung gethan!). Die Annerionsalternative VBismard’s: Ganz oder Nichts Darf nicht zu jehr gepreht werden. Unter jtärferem und nadhaltigerem Drude Louis Napoleon’s würde er ſchließlich dem Nichts doch wohl ein Halbes vorgezogen haben, Im all- gemeinen hat es jeine Nichtigkeit, Daß er für ganze Arbeit war, Aber er war es, joweit der aus der Traummwelt in die Wirklich feit verjegte Wille in Frage kam, von allem Anfang an. Er bat dem Willen jeine® Herrn nur darum die zweckmäßigſte Nichtung geben können, weil jeine Gebanfen ſchon längjt dieſe Nichtung eingefchlagen hatten. Der Hiftorifer fann ohne erheb- liche Modififationen nur einen Satz der Darftellung des Fürjten unterjchreiben. Es ift wohl buchſtäblich zu verjtehen, daß Bis- mard „Änderungen der Staatögrenzen in Süddeutſchland für keinen Fortjchritt zur Einigung des Ganzen“ gehalten hat. Wie weit feine Abjichten auf Sachen gingen, wie weit fie ge gangen wären, ohne die Bejorgnis vor Frankreich, ohne die Hartnädigfeit Ofterreich®, wird den Leſern der „Gedanken und Erinnerungen“ nicht verrathen.
Alles in allem gewiß ein bedenkliches Zeugnis für den Hifto- rifer. Auch der nichtzänftige Demoirenjchreiber pflegt fich durch eine abfichtlic gefärbte Darftellung unjere Gunft zu verjcherzen, Gedächtnisfehler ind verzeihlich. Im den „Gedanken und Er— innerungen“ aber wird die Sache durch den Sinn der Worte auf den Kopf geftellt. Was auch daraus gefolgert würde, die Wahrheit mühte gejagt werden. Wünjchen wir uns Glüd, daß es hier nichts zu bejchönigen gibt. Der zureichende Grund für die diplomatische Darftellung des Fürſten it ja mit Händen zu greifen. Bismarck's Verhältnis zur Hiftorie ift jo frei und große artig geweſen wie die Gejinnung des großen Kurfürjten. Jeder⸗
») Zur Kritit der ®. u. E. ©. 66 5.
"der Neuen Baierififen Landeszeitung 16. Auguſt 18909). Dort hat Bismard halten zur Zeit der Kataſtrophe, über
Buſch zurechtwies, als diefer 1885 meinte, daß ch werde. Zagebuchblätter 3, 19.
Bismard, Neue Tiihgejpräde und Juterviews. 1 au Boichinger, Bismard und die Parlamentarier
: jelbjt fie vertritt, dah Geffden fie aljo nicht nach⸗
— — ih einmal ein ledtes Kapitel über —
erungen des Furſten aus dem Jahre 1877. Buſch 2, 160 ff.
a
wollen ausruhen, bis fie wieder d und zeitigen. „Wir werden nimmer it 1 au angeſichts der drohenden Ba
—— wie er die — anſah te. wollte. Eingebildete oder that- en fie Teunen, um zu wiſſen, mit bat. „Der Hiftorifer fann von I Leopold En 1877 dem des Buches.
Ye nicht fejen. Von Richelieu's Nanke bemerft?): „Nicht um des Er— die Einzelheiten faßt er nur auf, um alles ift Nerv, männlicher Gedante, 0“. Zur Ausführung jeines Planes iſt mehr gefommen. Seine Gedanfen liegen
o bleiben. Daß fein
edergegeben
find, liegt im Wefen oder wenigitens —— Al Verfaſſer nur das und die Äußerungen
5 } ’
a re ‚Seite —* die Frage eichten jeweils die politifhen Be— hen? Es hätte fich hierdurch ein weiteres
uchung würde fid) gezeigt haben,
Volkerſchaft der legte Einheitsbegriff
iot, daher Thiotmalli (Detmold, Motens b*
Wanderungen und ‚gerüttelten Großvölfer als nunmehrige politii Vollsrecht und in ihren Sprachen innerlich ——
je der Maffe; das einheitliche Heineswegs ſchon als diot der- er belegt hat, bedurfte es noch einer man auch won Deutjchen, deutjchen
N ‚gen find, von welchen Seiten ber erer Nation noch hätte unterfucht werden ferner noch die ganze Caetenfrage mit in fichtlich „Brage*, denn es wird wohl niemand
ab hier ſchon alles in erwünfchtem Maße Har
1$ denn man fennt feine Stitiftif fchlecht, wenn antiqua nomina noch von dem adfirmant
ben fann, bie doch ehlichlih bei einer sch, wird die Fortſetzung des Werkes
Beitgejchichte heute nicht mehr von einem and; jo hat denn der Herausgeber einen
ft, BES TeH
age Kriege heißt «8 erlagen infolge der Unvoll- ich den amerifawijchen Schiffen, euge verwandelt, doch mit den waren." Glaubt denn der Bf., gen Wochen improviſirt werden fann? och in jeder Zeitung zu lefen ftand, daß zerſchiffe geweſen ſind, die bei Cavite und vor Da faun es denn freilich nicht üͤberraſchen, Hichaitlihien Entwictung Amerifas durd den
erfbar zu maden, daß hier nicht er fpricht e ei von ihm gefammelt find, Dem N Deutſchlands jind Dutzende von 2. Abfenitt, Karl's Stellung zur fränkiſchen ichts Anderes als ein Mojait von Excerpten l
mäler nebjt einigen bisher ungedrudten in — Davon it gefhichtlih N als Hundert Jahre jortgeführte nsis moderna (S. 117 m. höchſt
die Weinrufer in Steahbung. Der — Sei — war 1335; fie hat jedoch bis 1355 Fortſehungen gefunden, die viel⸗ Teicht nicht alle im Petersklofter entitanden, deren feine aber auf die von Schmidt 3. Th. ©. 12, 166 ff. vermuthete Erfurter Rathschronik zurüdgeführt werben kann; von legterer wird nicht mehr zu fpreden fein. — Der Peterschronik folgt die im 13. Jahrhundert von einem Erfurter Minoriten verfaßte, bisher nur theilweiſe veröffentlichte Cfronica) M(inor), die ©. 521. der gleichzeitig entjtandenen, für das jpätere Mittelalter fo bedeutfamen Chronik des Predigermönds ‚Martin von Troppau in intereffanter Weije gegenübergeftellt wird, und daran fließt ſich S. 724 ff. der aus der Peterächronif wie aus €. M, bejonders aber aus des Dominifanerd Heinrich von Hervord liber de rebus memorabilioribus jdöpfende L. C. E, Es wird Wend’3 Meinung, daß diefer L. C. E. ebenfalls von einem Prediger: ‚mönde herrühre, mit gewichtigen Gründen bejtritten, aber voll ans annt, daß Wenck dieje Chronik zuerft richtig gewürdigt und für ae den Grund gelegt hat. Der L. C. E. iſt Haupts quelle für bie bereit3 erwähnten, in Eiſenach hergeftellten H. P. und H. E., auf denen Rothe'3 Chronik wie die fpätere thüringiſche Ge— berußt und deren Entftehung nun erjt klar geworben
äft. Da für H. E. wie für H. P. die Erfurter Peterschronik auch benutzt wurde, jo werden unter den zahlreichen Ableitungen, aus denen der Tert diefer Chronik Herzuftellen ift, aud; H.P. und H. E. bejchrieben und beurtheilt (S. 145F.). Hierbei war doch wohl an— zuführen, daß für die Datirung der Jenaer Handfchrift von H. E. die auf BL. 71, 72 ftehende, bis 1476 reichende Lifte der Mainzer Erzbifchöfe wichtig iſt. Ob ferner die Darftellung, die die Peters: qronit ©. 215 von der Viſion eines Eiftercienferabt3 beim Tode Snnocenz’ IIT. gibt, gegenüber der ausführlicheren Erzählung der ©. R. (©. 589) wirtlich als Quelle gelten darf? Es mühte dann der Reinharbsbrunner Chroniſt, der nad; H⸗Ers Urtheil (N. U. 20, 617) in der Verſchmelzung vorliegender Berichte jonft wenig Geſchick zeigt, hier mit glüdlicherer Hand die Darftellungen der Peterächronif und der C. M. (©. 649) ineinandergewoben haben. Daß, wie an der 'eben erwähnten Stelle, jo auch zu 1245 eine gegenüber der ©. M. (©. 666) und der Peterschronit (S. 250) ausführlichere Nachricht der ©. R. (©. 622 vgl. 502) gerade Eiftercienjer betrifft, jällt auf, zumal
religiöfer, fondern rein politischer Natur. Die Rüdlehr
nod) etwas Anderes übrig bleiben, als die Erinnerung. franzöfifche Papftthum den Stalienern don als nationaler Feind erſchien, hat M. vortrefflich erläntert. wie der Papit in Stalien nur noch durch Legaten und ' vertreten ift, deren jirenge, oft drücdende Verwaltung als Beleg für diefe Thatjache u. a. eine Äußerung des 3 jelber eitiren — an fid) vielleicht nicht ſchlimmer ift als fonft in die aber als unerträgliche Tyrannen erfcheinen, weil fie Fremde, ſind. Die Größe der Gefahr trat exit hervor, als die mit Florenz in Krieg geriet und es den Florentinern mit gelang, ben ganzen Slirchenftant zu revolutioniren, war für Öregor entjcheidend; er beſchloß das letzte Erfolg zeigen follte, das allein wirtfame Mittel anzu= e moraliihe Autorität im die Wagſchale zu werfen, er elf nad Italien ging. Wie heilſam diejer Schritt für die gefammte Kirche gewefen ift, darüber äußert ſich M. treffend im Schlußwort. Nichtsdeſtoweniger bleibt es richtig, daß die un— mittelbare Beranlafjung feine andere war als der Krieg mit Florenz. Un diejen ſammelt jih denn auch hauptjächlic daS Jutereſſe. Die Begebenheiten feines Verlaufes waren jchon früher durch Gherardi nad) Florentiner Akten dargejtellt worden, M. hat fich daher hier über mit Necht kürzer gefaßt. Dagegen hat er über die Entitehung des KHonflits einiges Neue beibringen fünnen. Tropdem könnte ich nicht finden, daß nunmehr das Problem endgültig gelöft wäre. Mir ſcheint ſich bier vielmehr die Einfeitigleit des vatitaniſchen Materials ‚rächen. Bom Papfte zwar hören wir genug, aber die Motive iner liegen nicht jo Mar, wie man wünschen jollte. M. auch ein Moment nicht zur Geltung gebracht, das ſchon richtig berborhob: den Einfluß des Barteifanpfes in auf die Politif der Stadt gegenüber der Kirche. Nach Seite wäre aljo zu weiteren Forſchungen im den italienischen zumal in Florenz felber, immer noch Naum und Anlaß. Daß durch eine jolche Lücke der Werth des Buches nicht weſentlich beeinträchtigt wird, braucht nicht erſt gejagt zu werden. Ebenſo wenig
N
2
ee Urban V. und Gregor
nach Rom. Auszüge ‚Kameralregiftern des
. ea 1ER. Dat wor Pagerborn, F. Schöningb. 1898. \
— —
Mittelalter. BE |
Napiteln die Daten der Kafjenbücher zum Abdrud gebracht, welde { ‚ die Reife felbft, die Ausgaben des in Avignon
verbliebenen Thefaurars, die Uusgaben in Nom, endlich die Ausgaben r
für Bauten in Rom insbefondere betreffen. Der zweite Theil enthält |
in analoger Anordnung die Angaben über die Reifen Gregor’ XL; ] pen hier, da der Papſt in Nom verblieb, jeine dortigen Aus— nicht weiter berüdjichtigt; das legte Kapitel iſt ausſchließlich den Ausgaben für die Herjtellung des Vatitaniſchen Palajtes gewidmet. In fünf einfeitenden Kapiteln hat K. die Ergebnifje feiner Arbeit für die beiden Romreiſen, die Kammerverwaltung während derjelben, die e des Batifans, für Münzen, Maße und Gewichte, endlich) für den Kaufwerth des Geldes und die Urbeitslöhne jener Jahre
uſammenz! geſucht. Perſonen⸗, Orts- und Wortregiſter er leichtern die Benutzung des Buches, doch wird man ein genaueres Ju halisregiſter ſchmerzlich vermiſſen.
Noturgemä erfährt die politiſche Geſchichte durch eine Publikation folcher Art laum irgendwelche Bereicherung, Heine Notizen über eins 1 n ten kommen wenig in Betracht. Um fo reicher die Ausbeute für die Finanz: und Wirthſchaſtsgeſchichte jener ausfallen, und hier bieten ſich in der That die überrafchendften Schritt und Tritt. So wird ed gewiß interejliren, zu die päpftliche Kammer im Jahre 1369 das Silber im m Golde im der erorbitanten Melation von 11:1 bes 1. ©. 271, XLV.) Nachrichten über die Preiſe für und Gebrauchsgegenftände aller Art, die Kojten einer he der Urbeitslöhne und Benmtengehälter erweitern is der damaligen focialen Verhältniſſe in dankens— fer) Auch die mannigjaltigen Angaben über den Vati— werben einem Jeden willtommen fein, der weiß, mit ; feiten die Erforfhung der damaligen Lokalgeſchichte
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55 ii:
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nur wenige Beilpiele: Ein Schiff mit einer Tragiähigfeit von
und ca. 40 Tonnen foftete für die Fahrt von Germa bis ne Miete von 8000 Reichsmark nach heutigem Geldiverth. Die e8 Haujes in Rom für den Oberftallmeifter pro Jahr 4800 M. Koftete 1368 in Avignon 72 Pf., eine Taube 5 M., ein Rebhuhn Pfund Hanımelfleifc wurde 1869 in Rom mit 1,25 M. bezahlt, ; jaurer Wein mit 480 M. Ein Paar Stiefel koftete 399 M. Tages r gewöhnliche Arbeiten verſchiedener Art 5-6, ausnahmsweiſe
bezahlt.
23 Hr
In J ®
| "Sicht auch in die dunkeln Triebe inzubringen, ein Bild der Zeit, wie wir hter anſehen müſſen, zu zeichnen, ift nicht
‚Seite troß aller meuſchlichen Schwächen hichtlich ſihergeſtelte Recht lag, wiflen
a ne]
———
Gegenreformation. 9
| aller alten und nenen Funde, eine enge Beſchränkung auf den nächiten Zwech ein ängftliches Haften am Materialet), ein Ausbreiten alles deſſen, was zur Vorarbeit des nah Durch dringung des Stoffes ftrebenden Geſchichtſchreibers gehört — das ift der Juhalt biefes Buches. Man wird einwenden, daß eine ſolche Arbeit werthvoll fein lönne, wenn fie aud ‚den höheren Anforderungen hiſtoriſcher Dar— stellung nicht genüge; die breite Darlegung des Materiald werde allen fpäteren Bearbeitern zu gute fommen. Daß diefer Einwand richtig fei, davon kann ich mich freilich nicht überzeugen. Wo das Material für eine ausführficere Darftellung erſt herbeigeichafft werden muß, da ijt eine Aktenausgabe folder Mijhung von Materialfamms — — vorzuziehen; denn wer kann ſpäterhin
möchte, was der A Bearbeiter nur in kurzem Auszug gegeben hat, bei denen der Gegner weggelafien oder doch nicht genugfant Be ——— , was ihm gerade wertvoll fein könnte? Soll
aber der Bf. dieſes Buches in der Vorrede das Erſcheinen einer umfangreichen Altenfammlung über feinen Gegenitand an — darf man ba nicht guten Rechtes den Einwand erheben, daß in dieſer ‚ber rohe Stoff hätte beifeite gedrängt werden, und daß
Stelle endlofer Atenauszüge eine wahrhafte Verarbeitung des Stofjes hätte treten müſſen? Wirkſam fann oftmals ein die Anſchauung des Geſchichtsſchreibers beweiſendes, der Erzählung ſcharfe Farbe gebendes Aktencitat fein; aber die mühfelige Breite fortlaufender Altenauszüge muß jede Wirkung abſchwächen?). Der Forjcher wird die genauere
9 An feiner Stelle wird z. B. verfucht, die Führer der Parteien zu Sarakterifiren; der Abjchnitt über Hans Ungnad ift nur eine Zuſammen⸗ ftellung der über ihm vorhandenen Nachrichten; Hans Friedrich Hoffmann tritt nur auf, wo ihn die Akten gerade erwähnen.
*) Unzählig find die Stellen, wo in ſolchen Aftenauszügen recht gut zu entbehrender Ballajt mitgeſchleppt wird; was z. B. ©. 253— 355 über die Anſchung des Bruder Landtags gegeben wird, konnte ohne Schaden und im Snterefie der fteten Hervorhebung nur des Wichtigen in einem Safe gejagt werben. Un vielen Altenjtellen mödte man aud) eine jelbjtändige, den Sinn beifer Härende Interpunktation wünfden, — diefes Recht jteht dem Heraus—
Ka A E
Mr. 9, 10): Ausfeld, Adminiftrator Johann
om Magdeburg über den Strafiburger Kapitel:
Mehring, Herzog Zriedrich’s vom Württemberg er Napitelfireit (&. 182 f.)
—
9% Xiteraturbericht-
‚bietet gerade infofern ein lehrreiches Paradigma der Freiftellung, als
er die Geftaltung der Rechtsfragen in der Praxis zeigt. Denn bie are befejtigte laxe Auffaſſung der katholiſchen Majorität Domtapitels beftritt den Proteftanten gar nicht die Möglichkeit
* Aufnahme, vermochte es auch nicht angeſichts zahlreicher Pra— cebenzfälle; man beſtand nur darauf, daß die in Kölner Streit er— kommunizirten Kölner Domherren, die zugleid; im Straßburger Kapitel faßen, mım auch aus diefem auögefchlofjen würben, und berief — zur Begründung dieſes Vorgehens nur auf ein angebliches Kapitels— fiatut, das allem Anſchein nad nicht exiftirte; felbit die Statholiten diejes Simultanfapitels wagten es nicht, einfach auf die geltenden Beitimmungen des kanoniſchen Rechts oder gar auf die Defrete bes Tridentinums zurüczugreifen. Die innere Schwäche der tatpolifden Rofition lag von vornherein auf der
Dagegen gingen die betroffenen proteftantifchen Domberren jofort darauf aus, ihre Sache auf einen Principienfampf um die der Religion hinanszufpielen. Und zivar mit unfeugbarem Zunachſt gewannen fie dur die Beſehung des Straburger Bruder hofes, der Centraljtelle für die Verwaltung des Domkapitels, ein Bauftpfond zugleih und eine Grundlage ihrer materiellen { Auguſt 1584). Dieſe Stellung haben die Bruderhöfiſchen⸗ — aa lang behaupten, ja noch Schritt fir Schritt erweitern |
es iſt außerordentlich fchrreih, am der Hand M.’S Die eines fo anormalen Zuftandes in dem wirthichaftlichen Pieinfeiege um die Einkünfte mit allen feinen verheerenden lei bis in das Teßte Detail erörtert zu fehen. Daß unmittelbar n dem Kölner Zuſammenbruch diefe herausfordernde Politik der Pe munizixten Domberren dauernd möglich war, lag zum Theil am ber ihnen hier etwas günftigeren Rechtslage, mehr noch aber an den von ihnen ergriffenen Vortheilen der politifhen Konftellation. Vor allem bot ihnen die Stadt Straßburg — bier war das Verhältnis umgelehrt wie im Kölner Streit — troß des geſchickt gewahrten Scheines der Neutralität einen feften Rückhalt. Aber auch nad) außen hin verfuhr die don dem energijchen Grafen Hermann Adolf v. Solms geleitete Politit der „Bruderhöfifchen“ erfolgreich; jie begnügte ſich nicht, * Mitglieder der Wetterauer Grafenkorreſpondenz, die allerdings an dem Streit faſt wie an einer Exiſtenzfrage betheiligt waren, und die ſtets zu Rath und That bereite Bundesgenoffenfchaft bes pfalziſchen Johann Caſimir zu gewinnen: es hatte ſich im Kölner Kriege gezeigt,
Gegenreformation. 97
do& deren Unterftühung allein nicht ausreichte. Man unternahm es vielmehr, bie großen protejtantiichen Fürjtenhäufer Norddeutichlands, die an der Principienfrage allefammt in ihrer eigenen Territorial⸗ politik intereffirt waren, auch durch einen perfönlichen Antheil mit dem Straßburger Fall zu verbinden, indem man bei den häufigen Balanzen Angehörige diejer Häufer zu Kanonifern und Kapitularen wählte. So z0g allmählich eine ganze Kolonie junger norddeutſcher Prinzen (Dänemark, Holjtein, Brandenburg, Braunſchweig-Wolfen— Güttel, Braumfchweig- Lüneburg, Mecklenburg, Anhalt) mit einem
die großen Gegenfühe und Macdtverhältniffe der lonfeſſionell geteilten deutſchen Territorialwelt auf den lolalen Kapitelſtreit mit entjcheidender Wucht zurüd. Indem diefer zu einem Gradmefjer für das augen— blictliche Aftionsvermögen und Altionsbediirfnis beider Parteien wurde, zeigte es fich, daß die Proteftanten noc einen großen Vorſprung
Natürlich, daß fie alle Bermittlungsverfuche ebenfo ficher zurück— wieſen wie ihr Widerpart. Huch gegen die Autorität des Kaiſers, der durchaus auf jeiten des Biſchofs Johann dv. Manderjcheid und des Katholischen Kapitels ftand, erhoben fie die beliebte Kompetenzfrage und verlangten, daß der Streit nicht durch ihm, ſondern durch die Gefammtheit der Reichsſtände entſchieden werde. So blieben die Taiferlichen Mandate und Citationen, Achtsdrohungen und Sequefter- —— nur Unläufe, die unter dem Druck der entgegenſtehenden
Koalition regelmäßig vor dem lehten Schritt verfagten. Die Folge
wor: Hoffnungsfofigteit bei den Katholifen mit wenigen Ausnahmen,
dagegen bei den Proteftanten. Nachdem es ſchon
mehrfach zu Doppelbejepungen der Kapitelsſihe und würden gefommen
ee dieſe konſequent auch die künftige Belegung des Bisthums
: ‚ber Prinzen in's Auge und bezeichneten in einer Eventuals
wahl (Novbr. 1588) den Markgrafen Johann Georg von Branden=
burg, Sohn des Magdeburger Adminijtrators, als ihren Kandidaten,
auf ‚ber andern Seite die baierifche Politif, mit gewohnter
bereit, ihre Hausinterefjen mit der fatholiichen Sache
zu verknüpfen, die Kandidatur eines Wittelsbachers troß der lothrinz
gtichen Konkurrenz in die Wege leitete. So wird bereit3 die Perſpellive
des Biihofäfrieges eröffnet, der als nothwendige Folge des acht»
‚jährigen Sapitelftreites mit dem Ableben —— und der Hiforildhe Beitichrift Vd. #5) N, ñ. Ob. XLIX,
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9 Literaturbericht.
Doppelwahl von 1592 ausbridt. An diefer Stelle, wo eine Ver- wicklung von größerer politifcher Tragweite ſich entipinnt, bricht das | Bud M.’S ab.
Man darf es M. nachrühmen, daß er den ſpröden Stoff durch die Gaben gewandter Dispoſition und Verarbeitung zu bewältigen und aud) die Fineſſen der reichd- und lirchenrechtlichen Fragen zu präcijer Anſchauung zu bringen veriteht. Die Darftellung me Max; jie würde noch gewonnen haben, wenn fie den Altenſtoff noch mehr kondenfirt hätte, als e8 3. B. in der manchmal ermüdenden Wiedergabe jeder Zufallswendung eines ergebnislojen Vergleichstages geichehen ift. Gerade weil der Verlauf des Streites don der gemein- beutjchen Parteienfonjtellation in höherem Maße abhängig ift als von dem Gange der rechtlichen YAuseinanderjegungen, würde es ſich empfohlen haben, den angeſchwollenen Aftenbergen der Klageſchriſten und »erwiderungen, der Intercejfionsichreiben und Nedtögutachten nod etwas herzhafter zu Leibe zu gehen.
In Forſchung und Darjtellung it dem Buche M.'s die gleihe gewifjenhafte Arbeitsweiſe und ruhige Objektivität eigen, die das zum Vorbild genommene Werk Loſſen's auszeichnet. Eine Objektivität allerdings, die ſich mit der unparteiiichen Aufarbeitung des Stoffes | begnügt umd ed durchweg vermeidet, das hiſtoriſche Verftändnis der Vorgänge aus einem größeren Zuſammenhange zu entwideln, Wo ich Anläufe zu allgemeineren Geſichtspunkten finden, wird nicht immer mit derfelben Sicherheit geurtheilt, die in der Detailarbeit überall zu beobachten it. Es gehört z. B. feine befonders einbringende Kenntnis dazu, um das Urtheil (S. 62): „Merlwürdigerweiſe hat. unter all’ den proteftantiichen Vorfchlägen zur Reform der firchlichen Berhältniffe im 16. Jahrhundert feiner die Abſchaffung diejer adeligen Mißwirthſchaft (in den Domfapiteln) verlangt“, als mehr denn Dor- eilig zu bezeichnen. Won Anfang an, ſeit dem großen Sätularifations- entiwurf von 1525 (Mante 2°, 168), hat diefe Frage die Protejtanten beichäftigt. Um nur bei den Straßburger Männern ftehen zu bleiben: welche Fülle der Entwürfe, die Onadratur des Zirfeld zu löſen! So übergab Jakob Sturm 1538 in Eifenad ein wahrſcheinlich von Bucer verfahtes Memorial über die Kicchengüterfrage, in dem für die Doms Kapitel Trennung der geiftlicden und weltlichen Geſchäfte, zum mindejten aber Beſſerung im einzelnen gefordert wurde (Lenz, Bucer 1, 48F.), und Bucer felbjt hat dann dieſe Ideen in jeiner Schrift „von den Kirchengütern“ (Febr. 1540) in wahrhaft großem Stile entwidelt,
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Nevolntiontriege. er)
volle Rejormirung der Stifter unter Aufrechterhaltung ihrer politifchen Berfafjung verlangt (ebenda 1, 397 ff.); wo nur der Proteftantismus der Rejormirung eines Hodhjtiftes von innen heraus nahegetreten iſt, Hat er jich nicht geſcheut, die Frage anzufaſſen, in Köln z. ®. unter Hermann db. Wied, wo das Nejormationsbedenfen Bucer’s und Melanchthon's von 1543 auf die Durdführung einer ganzen Refor— mation ber Domfapitel verzichtete, umjomehr aber „eine wahre thät- liche Beſſerung, nicht die allein in Schriften bliebe”, als Ziel bezeichnete (Barrentrapp, Hermann v. Wied 193 ff.).
Die allgemeine lirchlich-⸗politiſche Entwidlung der deutjchen Bis— thümer und Domfapitel während des 16. Jahrhunderts, unter den Einwirkungen der Reformation und Gegenreformation, in ihren großen BZufammenhängen darzuflellen, bleibt noc immer eine der lohnendſten Aufgaben der Wiffenjhaft; zur Erkenntnis des Beſonderen hat die gediegene Leiſtung M.'S einen guten Schritt vorwärts gethan.
Berlin. Hermann Oncken.
Linvasion Austro-Prussienne (1792—1794). Documents publies ia societE d’histoire contemporaine par L. Pingaud, Paris, ard. 1895. XVI u. 319 ©.
Der erite Kleinere Theil des Buches enthält Aufzeichnungen des befannten Emigranten, des damaligen ruſſiſchen DOberjten Grafen Sangeron über bie Sriege der Jahre 1792—1794. Zunächſt zwei politische Gutachten von 1792 und 1794, in denen entfdiedene Ab- neigung gegen Ofterreich und der Rath, engen Anfchlufjes des Bourbonen⸗ Ahums an Preußen zum Ausdrud gelangt, und dann einen Abriß x die kriegerifchen Ereignifje im Lager der deutſchen Mächte am und Niederrhein (1793 und 1794). Lebterer ijt jpäter aus dem —— verfaßt, da der von der Zarin Katharina in's verbündete Zager entfandte Offizier feine Originalberichte nicht hatte wieder ein- ſehen bürfen. Auch jo wird man die ſchon handſchriftlich mehrfach Berichte mit Nuten Iefen. Über jeine ſonſtigen litera—
tifchen Geiftungen und deren Schiejale orientirt die Einleitung.
Das Gegenſtück zu dem nicht von bejonderer Neife zeugenden und von Parteigeiſt nicht freien Darlegungen bildet der in der wien. ‚Hälfte des Bandes veröfjentlichte und unmittelbar nach den
verfaßte Bericht über den Feldzug der Verbündeten in der Biol; und im Elſaß im Jahre 1793. Es iſt eine eindringende 7r
100 Literaturbericht.
Rechtfertigung des Grafen Wurmfer mit ſchroffen Wendumgen gegen die Preußen und befonders gegen den Herzog von Braumſchweig. Der unbelannte Verfaſſer, der eine jehr jpecielle Kenntnis der Ort- fidjfeiten und der wechjelnden Zuſammenſetzung der Wurmſer'ſchen Armee befigt, muß doch wohl Augenzeuge —— fein. Sie neben der jehr genauen ergliederung der tafti
die den Mithandelnden verrathen, die intereffanten Uxtheile über die Haltung der öfterreichiichen Führer und die Intriguen einzelner gegem den Dberbefehlähaber. Mit dem Herausgeber wird man in dem Autor einen Emigranten vermuthen müfen, der in den vom Kriege beimgefuchten Gegenden zu Haufe oder durch langen Aufenthalt vers traut war. Beides würde zutreffen auf den emigrirten und ala General in öſterreichiſche Dienjte getretenen Baron v. Klinglin. Der hat nachweislich maßgebenden Einfluß auf Wurmſer befeffen, deſſen Verwandter er war, und eine feiner handjchriftlich überlieferten Dent- fchriften ſcheint fi mit den in unſerer Schrift von Wurmſer ver— tretenen jtrategijchen Gefichtspunften zu deden. Vgl. Häuffer, Deutſche Geſchichte 1 (3. Aufl), 464 und Vivenot-Beikberg, Quellen zur Ge⸗ ſchichte der deutſchen Kaiſerpolitit Oſterreichs 3, 45 und 328, ſowie 2, 263. Vielleicht dürfte man in dieſem hervorragenden Difizier ben Anonymus erfennen, wofür vielleicht noch erwähnt werben kann, daß er an der einzigen Stelle, an der er im den Kämpfen unſeres Be— richts auftritt (S. 251), einfah als M. de Klinglin ohne die meiit übliche Rangbezeihnung eingeführt ift.
Ih beſcheide mich mit Diefem Hinweis. Zum Schluß fei bemerkt, dab N. 1 aus Langeron’s militär-politiihem Nachlaß im Ardiv der auswärtigen Angelegenheiten zu Paris ſtammt, Nr, 2 jedoch beim Herausgeber aus den Kollektionen des (inzwiſchen verftorbenen) ruſſi— ſchen Minifter-Präfidenten Fürften Lobanow zugelommen it.
Greifswald. H.
Das deutſche Vaterland im 19. Jahrhundert. Eine Darſtellung der dulturgeſchichtlichen und polltiſchen Entwicklung für das deutſche Wolf ges ſchrieben von Albert Pfiſter. Mit 6 Karten. Stuttgart u. Leipzig, Dentſche BVerlagsanjtalt. 1900.
Der Bf, württembergijcher Generalmajor z. D., der ſich durch feine Schriften: „Aus dem Lager des Nheinbundes 1812 und 1813“ amd „Aus dem Lager der Verbündeten 1814 und 1815* vor— theilhajt befannt gemacht Hat, verfucht es jet mit einem größeren
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19. Jahrhundert, 101
Verf. Er widmet dasſelbe jeinem Großvater Joh. Chr. Pititer, mit defjen „Geſchichte der Teutjchen“ fein Wert — man kann wohl fagen glacklicherweiſe — nichts weiter gemein hat, als daß es da an—
hertſchaft und Zeitalter Metternich's 1800—1830, Zeitalter der Res dolution und Zeitalter Bismarch's. Diefe etwas feltfame Eintheilung it allerdings nicht jtreng eingehalten. So reichen beijpieläweije im eriten Buch die Ausführungen über Induftrie, Weinbau u. a. bis in die bierziger Sabre, dieüber Vollsſchule, Hochſchulen, Miffion, Sprache bis zum Ende des Jahrhunderts. Dagegen werden das preußiiche Zolle gejeß don 1818 und die mit liebevoller Sorgfalt dargejtellten An— fünge des Bollvereins im zweiten Buche behandelt, weil jie eine „Stelle in dem Beitalter der deutſchen Revolution einnehmen“. Auch fonft iſt die Vertheilung des Stoffes nicht immer Mar und geſchickt. Beim Jahre 1848 wird ein vorläufiger Überblick über die Frankfurter Notionalverfammlung allzufehr ausgedehnt, die bedeutenderen Mit: glieder werden charakterifirt, ihre fpäteren Lebensſchickſale werden erzählt, dann ext kommen das Vorparlament, die vorbereitenden Auzihüfe und endlich die eigentliche Gefchichte der Nationalverfamm- lung an die Neihe. Doppelt erzählt werden auch die Vorgänge in Vreußen, die zum Olmüper Vertrage führen (unrichtigerweife wird hier Manteuffel ſchon vor der Entjheidung als leitender Minijter genannt), ferner die Gefchichte der Heeresreform und der Konfliktszeit in Preußen. Undere® wird ganz übergangen. So in ber Beit zwifchen 1866 und 1870 der Streit um Saarbrüden, um Belgien. Die Urbeit hat aber and; große Vorzüge. Der Bf, will „eine wahre haftige Lebensgeſchichte des Volkes“ geben, fo daß „nicht nur die Grofen in der Geſchichte zu ihrem Nechte fommen“, „jondern auch der Gröfefte von allen, das Volk jelbit“. Er fagt, daß er „erſt nad) langwierigem Sammeln“ an die Ausarbeitung gegangen ift, und man erfennt überall, daß er hierbei von twarmherziger, vorurtheilsloſer Siebe geleitet worden iſt, die allen Theilen des Vaterlandes in gleicher Weiſe gerecht werben will, freilic auch manchmal überſchäumt amd beim Urtheil über andere Völker das Gefühl der Gerechtigkeit dermifjen läßt. Einige Theile der kulturgeſchichtlichen Darjtellung find recht anfprechend, andere möchte man ausführlicher wünſchen, namentlih manche Seiten der geijtigen Entwicklung. Die Dichtkunft wird bier und da geitreift, bie bildenden Künste, die Muſik werden Kaum erwähnt.
102 Literaturbericht.
Durch dieſe Mängel macht die Arbeit den Eindruck des Uns fertigen, des nicht recht Ausgeglichenen. Es iſt zu bedauern, daß ber Bf. ſich nicht mehr Muße gegönnt hat, daß er durch den Wunſch, feine Arbeit beim Beginn des Jahres 1900 der Offentlichkeit zu übergeben, an der rechten Durcharbeitung und Ausfeilung verhindert worden iſt. — Die Ausftattung ift gefällig. Sechs hübſche Kärtchen geben einen Überbliet über die Mheinbundgzeit, über die Entwiclung des Bollvereins fowie über die Gejtaltung der Grenzen 1866 und 1871.
Berlin. P. Goldschmidt.
Karl v. Ibell. Lebensbild eines deutjchen Stanrsmannes. 1780-1834. Mit zahlreichen urtundlichen und brieflichen Beilagen, einer Stammtafel und einem Bilbniffe in Heliograbüire. Bon Dr. C. Spielmanı. Wiesbaden, €. W. Kreidels Verlag. 1897. 271 ©.
Der Bf. ift an die Biographie des verdienten Staatsmanns wie an ein Lebenswerk herangegangen und hat dieſe Aufgabe für den Hiftorifer wenigftens allzu pietätvoll aufgefaßt. Es find fait mehr pädagogijche, um nicht zu fagen, etbifche Principien, die er Dabei verfolgt und die den Maren Fluß der Darjtellung vieljad, hemmen. Aus diefem Grunde ift denn fhon das erite Kapitel über die Vor— fahren feines Helden reichlich breit gerathen. Hingegen hätte ich für das zweite Kapitel eine exgiebigere Ausnupung der jchönen Briefe Ibell's aus Göttingen gewünjcht, die der Bf. beffer in die Darjtellung aufgenommen hätte, als fie in den „Onellen und Belegen“ zu ver— graben. Das Gleiche gilt in noch höherem Grade von den Berichten Ibell's aus Megensburg, wo er als Legationsjetretär an der Seite des Freiherm v. Gagern in die diplomatiſche Welt eingeführt murbe. Beſſer gelungen ift die Darftellung des Verhältniſſes zwischen Shell und dem Freiherrn E L. Marjchall v. Bieberftein, durch deren Zuſammenwirken die Reformen im Herzogthum Naſſau ermögs licht worden find. hell erſcheint uns hier in feiner Thätigkeit fine Kirche und Schule als entichieden liberaler Beamter. Nicht minder emergifch griff er in die Steuerreform ein. Dann fehen wir ihn wie die gefammte nafjauifche Regierung in fteigendem Gegenfaße zu dem größten Sohne des Landes, zum Freiherrn v. Stein. Fit es doch gerade Ibell, dem es durch feine keineswegs gefahrlofe Miffion nach Frankfurt gelang, die verhängnispollen Abfichten des Freiheren gegen Naſſau abzuwenden und ein gutes Verhältnis zu den Allürten anzu— bahnen. Der Bf. jteht hier doch zu jehr auf jeiten feines Helden,
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während er anbrerjeit3 jene berüchtigte Militärtonvention mit den Niederlanden vertheidigt, obwohl Ibell fie keineswegs gebilligt hat. Er Hätte, — beſſer gethan, jene heftigen Angriffe des „Rheinie ſchen Merkur", die fachlid; freilich voll beredtigt waren, etwas mehr in Betracht zu ziehen. Diefe Ungriffe erneuerten ji bei der Ver— öffentlihung der landjtändijchen Verfaffung, deren Redaktion von Shell ſtammt, und zwar in noch ſchärferer Weiſe.
Im übrigen folgt hier Spielmann’3 Darftellung bis zum Jahre 1820 hauptjählich den Publikationen Sauer’s, der ihm bedeutend hat. Doch fehlt es nicht an nenen Mittheilungen and
Familienarchive, bejonderd über die Nejorm des und die evangelifche Kirchenumion, die Ibell's eigenjtes Es folgen dann der Konflift mit Minifter Marſchall bekannte Langenſchwalbacher Kataftrophe, die in der bis— Beleuchtung gezeigt wird. Anders verhält es ſich mit ben Atlentats. Während nämlich andere feit dem Mord» Wechſel in Ibell's Geſinnung wahrnehmen wollen und Betroffenheit davon herleiten, zeigt Spielmann, daß hier- ‚weitere Entwiclung Ibell's fein neues Moment gebracht Seine Stellung wäre auch ohne die leidige Epifode unhaltbar geworden. Hatte er fich doch durch feine Haltung in ber Domaniolfrage zwifchen zwei Stühle gefeßt: ein Bruch mit dem herrſchenden Regime war unvermeidlich. Und jo erfolgte denn fein
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ichöpfend. Hingegen ift Ibell's Antheil an den Beitrebungen bes Bollvereins jehr kuapp behandelt, wie wir denn von feinem großen beutfchen PBatriotismus wenig genug erfahren. Exit auf der letzten Seite joriht der Bf. davon. Mit Spannung wird man Ibell's weitere Schidjale verfolgen: jeine Beziehungen zu Preußen, das jeine BVerdienjte wohl zu würdigen weiß; die jogenannte Weplarer Konjpiration, die der Bf. als völliges Märchen zeigt, und die Wiener Konferenz im Sommer 1834. Hier trat er mit lehter Kraft für die Mepräjentativverfajjung ein. Srankheit aber zwang ihn zur Heime fehr. Am 6. Oltober ift er geitorben.
Spes Bud lieſt jih im Ganzen gut und bringt, freilich vielfach zeriplittert, manches Neue, das für die Erſcheinung Ibell's jelbjt wie für die Zeitgeſchichte von Werth ift.
Münden. Du Moulin-Eckart.
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Der Kampf um bie Vorherrjchaft in Deutſchland 18680 1866. Heinrich Friedjung. 1. Band. 4. Aufl. ee Eotia ſche Buchhandlung Nachfolger. 1900. er ee 4. Aufl. Mit 6 Karten. Ebenda. 1900. XIV u. 618 ©.
In drei Jahren eine vierte Auflage erleben, das iſt ‚ein Er⸗ folg, wie er wenigen hiſtoriſchen Büchern in Deutſchland befchieden ift. So einjtimmig und rücdhaltlos ift der Beifall des Buches Friedjung's gewefen, daß die meuen Auflagen der erjten ziemlich gleich bleiben durften; ttoß der vielen Publifationen, welche in den legten Jahren über Die in Frage ftehenden Probleme erichienen find, und bie der Vf, wie er verſichert, auf's ſorgfältigſte berückjichtigt bat. Zumal in den politifchen Abſchnitten hat er nur hie und da eine Stelle aus den meuen Memoirenwerlen, wie die Gedanken und Erinnerungen des Fürſten VBismard oder die Memoiren des ſächſiſchen Staatsminifters v. riefen, eingeſchoben, eine Auffaſſung feife geändert, einen Ausdruck korrigirt; ſonſt hat er gerade in den nachträglich befannt gewordenen perſönlichen Iußerungen der von ihm geſchilderten StaatSmänner eine Bejtätigung feiner Darjtellung zu finden geglaubt. In den allgemeinen Beifall hat fich erſt jüngft ein Mißton gemifcht, ber allerdings von gewichtiger Seite fam: LettomsVorbedt, durch feine Darjtellung des Krieges von 1866 ber berufenfte Krititer, hat in dem Militär-Wocenblatt (Nr. 116, 1899) den Vorwurf erhoben, daß F. von den neuen Ergebnifien, die ex jelbft zu Tage gefördert, zu wenig aufgenommen babe, und daß barum die neue Ausgabe hinter den früheren zurückbleibe. Ich will als Laie nicht in diejen Streit, den F. al3bald aufgenommen hat (Mil.-Wochenbl. Nr. 33 u. 34, 1900), eingreifen, und fann über- haupt fein maßgebendes Urteil über die kriegsgeſchichtlichen Partien des Buches beanfpruchen. Der Eindrud, den mir ihre Leltüre Hinter- laffen, ift der allgemeine, einer ungewöhnlichen Kunſt jtraffer Gliede— rung und farbenreiher Darftellung, weitreichender Beherrfchung des Stoffes umd, worauf F. dad Hauptgewicht legt, pſychologiſch feiner Beurteilung der leitenden Männer und der Motive ihrer Handlungen. Zu einem eigenen Urtheil kann ich mich nur für den kleinſten Theil des Werfes, die politiſch-hiſtoriſchen Kapitel, kompetent erachten. 5. war bier nicht in der günftigen Lage, die ihm auf dem militär- biftorifhen Felde die von den Fachleuten gelieferten Vorarbeiten, an der Spike die beiden Generalftabswerte, au& beiden Lagern gewährten, ferner die ihm Anfangs wenigftens willig geöffneten Aften des
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2. £ Kriegsarchives und die zahlreichen Mittheilungen hervorragender Theilnehmer, wie der ehemalige Generalftabschei Benedels, Feld» marjchalllieutenant Baumgarten, und der Seldmarfchalllieutenant Frei⸗
noch werthwollſie perſönliche Aufzeichnungen, darunter Briefe Benedet’3 an feine Gattin, Inmen. Die politifchen Alten über jene Zeit werden in Wien nod) ängjtlich vor jedem Forfcherauge behütet, und die Aus— Jagen, die F. aus dem Munde der alten Staatömänner, wie Schmerling und Nehberg, Nigra und ſelbſt Fürft Vismard, aufgezeichnet hat, können doc) nicht, jo interefjant fie jein mögen, als Erſatz dienen, wenigitens nicht unbejehen und ohne das Gegengewicht urkundlichen Materials als hiſtoriſche Quellen übernommen werden. Sp hat ji der Bf, in dieſen Theilen im wejentlichen auf gedrudte und zum Theil oft angezogene Quellen beſchränken müfjen, Auch hier hat er mit feinem Urtheil über die Perfönlichkeiten und die Richtungen ihrer Politit nicht zurüdgehalten und durd die ſcharfe Vertheilung von Licht und Schatten, die farbige und pointirte Darftellung den Lejer zu ſeſſeln verftanden, nicht ohne fich zu feinen Vorgängern mehrfach ir Gegenjaß zu jtellen; zumal Sybel's Auffafjung, deſſen allein auf die Archive gegründete Darjtellung doc für ihn wie für ung andere ‚auf — Strecken hin die Grundlage bilden muß, ſucht er zu lorri— given. Dos ijt fein gutes Recht; aber andrerjeit3 wird aud) der Sritifer, der ſich hier auf dasjelbe Material berufen fann wie der Bf., feine abweichenden Anſchauungen zur Geltung bringen dürfen. Gleich im 1. Kapitel oder „Buch“, wie F. fagt, der einleitenden Schilderung des Jahrzehnts von 1849 bis 1859 muß ich Widerſpruch ‚erheben, einer Theſe gegenüber, der er jelbit hohes Gewicht, ja die Stellung beilegt. Als den Angelpunft in der Geſchichte
Diterreichs und den Hebel feiner Größe bezeichnet er die Politit der die ex auf die innere Schwäde des Staates, die in dem loſen Zufammenhange feiner Theile liege, zurücjührt: in dem ſich verſchlingenden Spiel der politiſchen Kräfte Europas vertrete
die Erhaltung des Beitehenden, und bazu habe es jtets Bundeögenofjen gefunden. Dies fei die Politik feiner großen Staats— männer geweſen, von Prinz Eugen bis auf Schwarzenberg bin, und zu ihr habe e3 nad) 1870 den Weg zurücgefunden; ja ſchon in dem erſten Beiten des Staates will F. dasjelbe Geſetz entdecken, denn die Politif ber Allianzen fei nur die Fortjepung der Politit der Heiraten gemwejen,
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paiſchen Staatenſyſtems zu finden, die fid) völlig unabhängig von Freundſchaften und Allianzen gehalten hätte. Das Gleichgewicht Europas ruhte ja gerade auf den Allianziyitemen, die einander —— hielten; — die Türkei hatte ſchon in der Epoche, da ſie nod als außereuropäiſch galt, wenn nicht erklärte Bundesgenoſſen, jo doc Freunde genug, und ihre Konflikte mit einer hriftlihen Macht fielen immer mit den Kriſen der allgemeinen Politif zuſammen. Siolirt blieb nur, wer ſchwach war oder dafür gehalten wurde, wie Holland 1672 und 1797 Benedig, Polen im ganzen 18. Jahrhundert und 1792 das in Anarchie verfunfene Frankreich, Der Starke, der etwas bieten Eonnte, fand auch Sympathie. Sobald die erite franzöfifche Republik ihre Kraft bewiejen hatte, jtellten fic) die Freunde ein; und jolange fi Ludwig XIV. und Napoleon jtark zeigten, waren fie von hülfsbereiten Vajallen umgeben; erſt als die Feinde ihnen übermächtig wurden, jahen fie jich verlaffen. Erſt das Jahr— hundert ber Nationalitanten und der dadurch herbeigeführten größeren Siolirung der Interefjen hat die Vereingelung auch jtarker Neiche in dem kritifchen Zeitpunkte gejehen, wie Ruflands im Krimkriege und Franke reichs 1870; die ſchwachen, wie Spanien und die Buren, überläßt man auch jebt ihrem Schickſale. Oſterreich aber galt 1866 noch als ſtart, man glaubte viel eher an ſeinen Sieg; ed hatte ja Bundes— genofjen genug; und 1870 war es dod) auch wejentlid) das gute deutjche Schwert, das den jchon fait gefnüpften Bund Frankreichs mit Italien und Öfterreich zerfgpnitt. Übrigens hat Graf Buol ſeibſt eifrig nach Alüirten getrachtet und wollte Dfterreich keineswegs ifoliren. Er hätte auch ficherlich die eifrig hingehaltenen Hände Franfreihs und Englands ergriffen, wenn nur Preußen hätte mitmachen wollen. Der „Neutralitätövertrag*“, wie F. das preußifc-öfterreihiihe Bündnis bom 20. April 1854 mit wenig prägnantem Ausdrud nennt, das Höcjite, was die Wiener Diplomatie erreichen konnte, jollte doch nur erſte Etappe jein auf dem Wege, den Berliner Hof in die Allianz ben Weſtmächten zu bringen, das „Leitjeil um Preußens Hals“, Hand leineswegs, wie nad) 5. anzunchmen wäre, im Gegenſatz zu dem Bertrage, den Buol im Dezember darauf mit Frankreich und England abſchloß; das zeigt der Eifer, mit dem er gerade damals wieder Preußen zu umgarnen ſuchte. Öfterreich, meint F, hätte im Srimfriege zwei Wege vor fich gehabt, um Erfolge zu erreichen: es hätte entweber durch jirenge Neutralität Nußland ich verpflichten —* durch Anſchluß an die Weſtmächte ein neues Gebäude von
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— an den Mündungen der
halbinſel ebenſo wohl wie —— ſoweit fie liberal waren, ganz gegen Rußland — To kam es dader, —
| pronngen bat 8 fee gang beten men. 0b | lich jo leicht geweſen wäre, wie es F. ſich do t,
Rath Urmee in Sclefien auf der Straße nad) Mähren auf; ‚Eventualitäten, die nicht Wirklichkeit geworden find, urtheilen. Jedenfalls hat der Widerſpruch Preußens, immer vorauägefagt, genügt, um Buol bon gewagten S n zuhalten und die konſervativen Elemente in ſterreich zu ‚Einfluß zu bringen.
Auf die Beleidigung Rußlands führt F. die Jſoli reichs und aljo die Kataftrophen im italieniſchen und — Soll damit nun gejagt ſein, daß der Bar fein.
fterreich beigeftanden haben mürde, wenn diefer im ‚gleich, Friedrich Wilhelm IV. ihm Fremd geblieben wäre? D doc auch wohl 3. jhwerlih denen. Für Rußland —
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Franlreich, Deutichlands Zerſplitterung das Beſte; wenn es mehr zur Preußen als zu Ofterreich neigte, fo war daran weniger die Freund⸗ ſchaft der Monarchen ſchuld als die Rückſicht auf feine polniſchen Untertanen, gegen die Preußen unter Vismard’s Leitung ein zu— verläffiger Freund war, während die Wiener Politiker von jeher mit den Polen zu fofettiren pflegten. Diefe Liebe blieb Heiß, folange ſich
Saß um. Ja, Gortfhafow und fein Anhang baben, wie Bismard wiederholt gellagt Hat, ihm ſchon in feinen Anfängen als Minifter, und gerade in der Polenfrage, beim Abſchluß der Februar-Konvention die größten Schwierigfeiten gemacht; und wenn dieſe Partei am Barenhofe (die polenfreundliche nennt fie Bismard) in den kritifchen Momenten doch and; ihrerjeits mehr zu Preußen als zu Öfterreic) ftand, fo lag das wieder nicht fo ſehr an perjönlichen Neigungen und Eimpfindfikeiten, als daran, dab fih in Warſchau ihre Polen- fgmpathien mit Ofterreich, dem fie dort den Rang ablaufen wollten, freuzten, und daß ihr auf den Orient gerichteter Ehrgeiz auf's aller mit der Wiener Politit Fonkurrirte. War Deutſchlands Eini— nicht zu hindern, fo lag es immer noch mehr im ruſſiſchen Intereffe, daß es durch Preußen gefchah, als wenn Äſterreichs Stellung im Orient und in der flavifchen Welt durd; die Herrſchaft über Deutfhland die gewaltigite Rückendeckung gefunden Hätte. F es feſt, daß ein Mann wie Rechberg im Jahre 1854 Bund mit Preußen hätte enger knüpfen können; und ebenſo in dem entjcheidenden Jahren das Verhängnis Dfterreich® in den Fehlern und dem Schwanfen jeiner Minifter: es e des durch Buol's Fehler ifolirten, von Gegnern ums rien Meiches geweſen, daß feine PVolitit je nach dem Einfluffe | oder gejchmeidigen Minifters faft in jedem Halb- ‚eine neue Bahn gelenkt und von dem Frankfurter Fürſten— zum Kriege alle Pendelſchwingungen von dem ſtolzen Empor— Herrſchaft bis zur engen Allianz und dann wieder bis x mit Preußen durchgemacht habe; feiner der leitenden babe Zeit zu dem Verſuche behalten, das Wirrfal nach einem einheitlichen Gebanfen zu ordnen: Nechberg, Schmerling, Biegeleben, Eiterhazy hätten einer den andern verdrängt, und ber legte jelbit dann das Feld verloren, als er es von feiner Seite ohne Neben- buhler beherrſchte. Aber nicht perjönliches Empfinden und Ver—
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110 Siteraturbericht,
ſchulden, fondern die Verſchiebung der Macht und der Irtereſſen | wandelt die Geſchicke der Staaten. Die ſtaatsmänniſche Bo daran gebunden. Der Glaube an Preußens — | Grund, auf dem Bismard’s Perſonlichteit fih exhob; aber | Macht ſelbſt mußte da fein, damit fein Glaube ſich ——— in Öfterreich wäre auch er ohmmächtig geblieben. Ex hat ſich über die Anmahungen des Grafen Vuol weiblich geärgert und feine Um | fähigteit reichlich verfpottet, aber er war jich von Anfang am darüber Har, daß Preußen die jtärkere der beiden Mächte war, und. ſah jehr bald und mit wachſender Schärfe ein, daf der Konflikt in dem Dingen lag und darum unvermeidlich war. Auch den Endpunkt der
beftimmt als $.: er führte ihn, und zwar ſchon lange bevor der Krimfrieg zum Ausbrud Fam, auf das Jahr 1848 zurüd, Seitdem jei Ofterreich aus dem Freunde ein Nebenbuhler Preußens geworben; „und dies Streben,” ſchreibt er in einer Denkfchrift vom Mai 1857, „beruht nicht in vorlibergehenden Anſchauungen der gegenwärtigen öſterreichiſchen Staatsmänner, ſondern iſt eine dauernde Konſequenz des veränderten Syſtems ſeiner und beſonders feiner inneren Politik; das große — der auf dem deutfchen Element zu begründenden Centralifation des — iſt mit den 18—20 Prozent Deutſchen unter der eigenen nicht durchzuführen, fondern nur dermöge der Gewinnung und tung engerer und hegemoniſcher Beziehungen zum übrigen Deutfchland*. Die nationale Bewegung, mit einem Wort, war die elementare Kraft, welche nad) dem Zeugnis des Staatdmannes, der aus ihrem Gegner ihr Führer werden follte, die Allianz, die auf ihrer Niederhaltung aufgebaut war, auflöfte und den Kampf der beiden deutſchen Bor— mächte um die Hegemonie in der Nation unvermeiblich machte. Es war der Geiſt, dem die habsburgiſche Monarchie in Ungarn, Stalien, in allen ihren Provinzen und im ganzen Bereiche ihrer Macht, „mehr noch von Innen ald von Außen“, begegnete. Sie juchte ihn zu bän- digen bald durd; Neaktion und Waffengewalt bald dur tänjchende Diplomatie, inden fie ſich ihm ſcheinbar ergab und ihn dadurch ſich zu Dienjten machte; aber auf welchem Wege fie es immer verſuchte, überall fah jie jich dem Nivalen gegenüber, der, mochte er ſich nun bon dex deutſchen Bewegung ifoliren oder jie für jich aufrufen, im jedem Falle der Stärfere blieb. Und wenn in Wien die Minifterien wechjelten und das Steuer der öſterreichiſchen Politif immer heftiger
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19. Jahrhundert. 11
vibrirte, jo geſchah das Alles unter dem Drud dieſer Konitellation, der die öſterreichiſchen Staatdmänner, wie fie e3 auch immer an— fingen, nicht Herr zu werden vermochten. So wenig wie mit der Auffaſſung der öſterreichiſchen Politik mich mit der Beurtheilung Bismard’8 überall einverftanden So w rn fi ın. €. 5. ſelbſt, wenn er fagt, daß 1859 einer Politik, wie fie die liberalen Führer, auch Lafjalle und eine Reihe preußiſcher Diplomaten, wie Ujedom und Pourtales, angerathen hätten, gern Geijt und Kraft zur Verfügung geftellt und als Minifter damals — haben würde, Oſterreich gleichzeitig ein- re und durch die lodendften Angebote der Waffenhülfe eine neue Drdnung in Deutihland zu begründen; während er doch auf ber anderen Seite Briefe citirt, in denen Bismarck das Gegentheil äußert. Und in der That zeigen die wenigen Schreiben, die wir von Bismarck aus diefer Zeit befigen, ihn faum anders geftimmt als im Srimfeiege, nämlich als Anhänger einer jtreng preußischen Reutrafitätpolti, f, die ſich ebenjo jehr gegen die liberalen wie gegen fegitimiftifche Tendenzen richtete. Ex war allerdings dafür, daß Diterreich geängftigt und Frankreich eingefchüichtert würde, und rieth Febr bejtimmt dazu, die öfterreichtichen Verlegenheiten in Frankfurt zu benußen, um ein bejjeres Bundesverhältnis für Preußen berzuftellen, auf bie Öejahr, einen Bruch mit dev Majorität zu risfiren; aber zu einer Altion, die auf Unterftügung ſterreichs in feinen Nötben hinaus- ‚gelaufen wäre, ſchien ihm der Moment deshalb nicht geeignet, weil fi) zugleich gegen Frankreich wenden und daher Dfterreid) entlaſten, alfo ſchließlich nördlich wie ſüdlich der Alpen zu deſſen BVortheil gereichen mußte. Er wollte den Krieg auf Italien beſchränkt fehen, weil Öfterreich fo am ſicherſten gejhwächt wurde, ohne daß ih Preußen den Nachbarn links des Rheines zum Gegner oder auch zum Freunde zu machen brauchte; nichts fürchtete er damald mehr, als daß man ſich von Öfterreich, wie er jchreißt, durch den nach— gemachten a befoffen machen laſſen könnte. das Urtheil 3.8 über den preußischen Kammerkonflitt und feine Urfachen ſcheint mir nicht glücklich formmirt zu jein. „Jeder— mann,“ jo ſchreibt er, „erfennt heute, daß König Wilhelm und er ‚allein Necht hatte, ald er jein eigenftes Werl, die Heeresteform, trof unfäglicher Schwierigkeiten durchjegte. In einer Zeit, in der alle feine Unterthanen davon ſchwärmten, Preußen könne durch moraliſche Eroberungen zum Mittelpunkt der deutſchen Einheit gemacht werden,
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Deutjche Landihaften. 113
Sohenlohiſches Urtundenbuch. Im Auftrage des Geſammthauſes der Fürften zu Hohenlohe herausgegeben von Karl Weller. Bd. 1: 1153—1310. Stuttgart, Fohlhammer. 1899. 632 ©.
Es gibt faum ein Gefchlecht unter dem hohen Adel Deutjchlands, deſſen Name einen jo guten lang hat in deutfchen Landen als das— jenige ber Fürſten zu Hohenlohe, und mie es in unjerer Beit das noblesse oblige im weitejten Sinne bethätigt, fo hat es auch in fängft entſchwundenen Zeiten feinen Namen mit goldenen Leitern in die Geſchichte umferes Volkes eingetragen. Man konnte e8 daher nur mit Genugthuung begrüßen, als im Jahre 1893 das Geſammthaus der Fürften zu Hohenlohe auf Veranlafjung des jepigen Seniors, des Fürften Hermann zu Hohenlohe-Langenburg, kaiſerlichen Statt- halters von Eljoß-Lothringen, den Entſchluß fahte, die Urkunden des Haufes bis zur Trennung der beiden Hauptlinien Neuenftein und Waldenburg um die Mitte des 16. Jahrhunderts gefammelt heraus-
ıgeben. In dem Herausgeber Dr. Weller hat das füritlihe Haus dann aud; den geeigneten Gelehrten gefunden, der, um es furz zu fagen, in dieſem erften Bande eine Mufterleiftung nad) jeder Richtung bin zu ftande gebracht hat.
Das Geſchlecht der Hohenlohe tritt 1153 zuerſt unter dem Nanıen der Edelherren dv. Weikersheim in Urkunden auf, ändert aber in den ebziger Jahren des 12. Zahrhunderts diejen Namen und benennt
nach der bei Uffenheim gelegenen Burg Hohenloch. Es iſt be— nt, zu welchem Einfluß die Herren v. Hohenlohe unter Friedrich IL. n Söhnen emporgejtiegen find, wie ihr Name unauslöſchlich Geſchichte des Deutjchen Ordens verfmüpft ift. Damals theilte Geſchlecht in die beiden Linien Hohenlohe und Brauned, die ſich wieder in verjchiedene Äſte abzweigten. In 739 Num— 552 Seiten führt nun der Herausgeber in feinem Urkunden» ichte des Gejammthaujes von 1153 bis 1310, und ſolche Urkunden, in denen die Glieder des Geſchlechts nur erwähnt werben, oder die überhaupt für die Geſchichte weniger wichtig erſchienen, nur im Auszug gegeben; das— ‚bei den Urkunden der in dem geiſtlichen Stand getretenen — i Wittwen verjtorbener Hohenlohe und der Töchter des Haufes, die fi, in andere Familien verheiratet haben, der befjeren Überjicht halber jedesmal unter eine Gejammtnummer zufammengeftellt. Das Hiftorifche Heitihrift (Bd. 85) N. 3. Oo. XLIX. 8
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Deutſche Sandicaiten. 115
Eine genaue Unterfuhung Familienverhältwiffe des Landgrafen Gebhard von Leuchtenberg, a Schwiegerfohn der v. Schlüffelberg dann gewejen wäre, könnte dariiber Klarheit bringen.
Das Negiiter bietet für die hiſtoriſche Geographie der fränfifchen Sande ein werthvolles Hilfsmittel; mit der Anordnung kann ich mid) jedod) nicht ganz einverftanden erflären. Bei der Beftimmung ente fernterer Ortö- und Perfonennamen hat Herausgeber zuweilen nicht das Richtige getroffen. Grafen von Falkenjtein, Kanton Solothurn, bat es nicht gegeben, gemeint ift wohl das in der Gegend be& Harzed anfäjjige Geſchlecht; bei den Herren von Geroldseck find die elfähfifchen gemeint von Geroldsed am Wahjichen; die Grafen von Harded hatten ihre Stammburg in Niederöfterreih; Huſinbere it nicht Hausbergen bei Straßburg, wonach überhaupt fein edelfreies Geſchlecht den Namen führte, jondern Üfenberg, abgeg. bei Breiſach; Racgoz ift nicht Röß in der Oberpfalz, ſondern Raabs in Nieder- öiterreich u. f. w. Ich darf in diefer Hinficht wohl auf das in- zwijchen erjchienene Regijter zu den Regeften der Markgrafen von Baden und Hachberg hinweijen.
Der nächte Band foll bereits im kurzer Friſt erfchemen; möge er ji würdig dem vorhergehenden anjchließen!
Hagenau. Heinrich Witte.
Soanſereceſſe von 1477 bis 1530, bearbeitet von Dietrich Schäfer. 6. Band. Zeipzig, Dunder u. Humblot. 1899. XVI u. 863 ©,
Die Herausgabe der älteren hanfifchen Receſſe nähert fi nun— mehr raſch ben Ende. Bon der durch Schäfer übernommenen dritten WUbtheilung find bereits 39 Jahre bearbeitet, 14, alfo etwa ein Viertel, stehen noch aus. Der vorliegende ftattliche Band erſtreckt ſich über
durch Bun Unmwendung des Regejts, durch Verarbeitung thats Materials in bdarftellender Form oder in Anmerkungen.
Danfetag, der zu Lübet im Sommer 1511 ftattfand, füllt in dem
Hier behandelten Beitraum ; über 200 Seiten find ihm in dem vor—
Hiegenden Bande gewidmet. Daneben nehmen die Verhandlungen a0
Zeutiche Landſchaſten. 17
geführt. 1896 erichien dann der bis Anfang 1992 reichende 4. Band des Hanjijchen Urfundenbuches, 1897 der Schlußband von Koppmann's Hanferecejjen mit den Nachträgen vom Jahre 1360 an. Daenell hält damit „die Veröffentlichung des Material® zur hanſiſchen Geſchichte bis gegen den Schluß des 14. Jahrhunderts u) für abgeſchloſſen“ — bie Koppmann’schen Nachträge hat er noch im Korrefturabzug be= | nugen lfünnen — und will nun verſuchen, auf Grund des in den legten Jahrzehnten veröffentlichten, bisher nur zu einer Neihe von | Spezialunterfud benußten reichen Duellenjtoffes einen begrenzten | Beitraum allgemein hanſiſcher Geſchichte darzuftellen. Man mag es
prineipiell bedenklich finden, aus einer nad) fo mannigfachen Seiten bin gegliederten geſchichtlichen Erſcheinung, wie die deutfche Hanſe gewefen ift, einen nicht mad) fachlichen, ſondern rein chronologiſchen Geſichtspunkten gewählten Ausfchnitt monographiic zu behandeln: | immerhin fann man zugeben, daß gerade die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts, alſo nad) gewöhnlichem Sprachgebraucd) der Zeit raum efiva vom Jahre 1350 an, ſich wohl zu einem anſprechenden Gejammtbilde würde verarbeiten laſſen. Da jteht glei) im Anfange die Organifation der deutichen Kaufmannsgenoſſenſchaft zu Brügge, dann die Unterordnung der auswärtigen Sontore unter die Stüdtes tage, die erfolgreiche Handelsfperre gegen Flandern, der erjte Zu— ſammenſchluß der Städte unter einen größeren politiſchen Geſichts- punkte in den Sonföbderationen zu Greifswald und Köln, die Dänen- friege mit ihren in den Quellen leife anklingenden, aber noch nirgends unterjuchten Momenten von internationaler Tragweite, die rechtliche Seititellung der hanſiſchen Stellung in Skandinavien 1376, im folgenden Jahre auch in England: wahrlid, D. hat ganz Recht, wenn er diejen eriten Jahrzehnten des zur Darftellung erwählten ——— eine grundlegende Bedeutung für die deutſche Hanſe zu— Um fo auffallender, daß ex fich eine eingehende Behandlung dieſes bei weiten reizvolleren Abjchnittes feiner Aufgabe verfagt hat. ._. nur in der Einleitung und in einigen kurzen Rückblicken werden oben angebeuteten Richtungen und Momente der hanſiſchen Ge— ſchichte jizzirt oder geftreift; die eigentliche Darftellung iſt dagegen, ungeachtet des Titels, erſt den beiden letzten Jahrzehnten des Jahre hunderts gewibmet, einer Zeit, der ein gewiſſer epigonenbafter Zug nicht abzuftreiten it. Das Hauptgewicht der Erzählung innerhalb diejes enger begrenzten Zeitraumes entfällt auf das Verhältnis zu Skandinavien; dieſes wird im drei Kapiteln behandelt, während die gejammte Dar—
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Deutjche Landſchaften. 119
diplomatiſchen Verhandlungen zwiſchen der jfandinavifchen Margarethe * ee — Richtete ſich der Widerjprucd des Ref. isher mehr gegen D.’S gllgemeine Auffaſſung der hanſiſchen Dinge, jo müfjen auch in dem, was er gegeben hat, zwei wejentlihe Lücken mfgezeigt werden: weder die deutjche Kaufmannsgemeinde zu Polozt nod die im die neunziger Jahre fallende neue Feſtſetzung der Hanjen in Meceln und namentlid, in Antwerpen wird aud; nur mit einem Worte berührt. Für jene bot das livländiiche Urkundenbuch eine — lückenhafte, aber doc verhältnismäßig reiche Überlieferung, deren berſehen um fo auffallender ift, al$ die Errichtung des weit weniger hervortretenden preußiſchen Kontors in Kowno von D. erwähnt wird. Die Frage des für die jpätere hanfiihe Geſchichte jo hervor— xagend wichtigen Verkehrs in Brabant endlich fpielt im 4. Bande der Hanferecejje ſchon eine derartige Rolle, daß jie von D. unbedingt hätte berücjichtigt werden müjjen.
Faſſen wir unfer Urtheil zufanmen, fo müſſen wir jagen, daß das Buch den Anforderungen, welche man an eine Geſchichte der Sanſe vom heutigen wiſſenſchaftlichen Standpunkt aus jtellen muß, teineswegs entjpricht und feiner Anlage nad) auch nicht entipreden tonnte. Schade, dab D. jich nicht entjchlofjen hat, die Flagge offen
zu bifjen, unter der er eigentlich jährt, und feine Schrift als eine
Seide der hanſiſch⸗ſtandinaviſchen Beziehungen von 1385 bis 1400,
alfo als eine Fortfeßung feines früheren Buches zu bezeichnen. Bier, —* dieſem engeren Geſichtspunkte können wir feiner Arbeit nur volle Anerkennung zollen. Das Quellenmaterial it mit großen Bleib und rühmlihem Scharfjinn verarbeitet, der Stoff nah den richtigen Geſichtspuntten geordnet, die damalige Politik in ihren Häufig recht verwidelten Gängen trefflich klargelegt. Wenn in neben- Fachlichen Einzelheiten gelegentlich eine andere Auffajjung Platz greifen Kann (vgl. B. Sirgenjohn, Die ſtandinaviſche Politit der Hanfe 1375—95. Upfala 1898), jo wird dadurd; der Werth von Des wiſſenſchaftlicher Arbeit nicht gejchmälert. Störend bei der Lektüre wirkt eine zur Manier ausgeartete Spärlichkeit der Anterpunktion. In dem „Verzeichnis dev abgekürzt angeführten Werfe* hätten die ‚bibliographiichen Angaben wohl etwas ausführlicher gehalten, nament⸗ lich die verjchiedenen Bearbeiter der benußten Ouellenpublifationen angeführt werden können.
Greifswald. Karl Kunze.
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Deutiche Landſchaften. 121 Seldftvermaltung inaugurirt. Eine zwemähige Reorganifation ber | Yuftiz frönte das ganze Wert. |
In der Hauptfache enthält der 1. Band die Verfaſſungsgeſchichte Der erfte Abjchnitt „Das Land und das Herricherhaus* handelt von den einzelnen Territorien, aus denen ber hannoveriche Staat beitand; bier wird u. a. feitgejtellt, dab „Die Idee der reinen Perfonalunion faum jemals jo zum Ansdrud gekommen ift, wie in dem Verhältnis zwiſchen England und Hannover“. Das hierher gehörige Kapitel „Die hannoverſchen Landesherren auf dem englijchen Throne” iſt aud) für die allgemeine Geſchichte von Wichtigkeit. Durch die Re—
dor allem das Ernennungsrecht für die Beamtenftellen vor, und nicht nur ber Form nad. Mindejtens die Hälfte der Zeit, die fie über haupt den Megierungsgeichäften wibmeten, müſſen die englifhen Könige anf die Erledigung der hannoverfchen Angelegenheiten verwendet ‚Einer der Minijter refidirte zu London; formell feinen Kollegen in der Heimat gleichberechtigt, erlangte er faktiich die | Stellung eines Oberminifterd, zumal Münfter (1805—1831), der ſich eine wahrhaft europätfche Stellung zu erringen wußte und der eigentliche Machthaber im Lande war. Der Schwerpimft der Dar- ftellung im 1. Bande liegt in der Schilderung der landſtändiſchen Verjafjung und ihrer Umbildung zur modernen fonftitutionellen Ver— ES 225—453). Wir müffen uns darauf bejchränfen, nur Einiges aus M.'S hierauf bezüglihen Ausführungen hervorzuheben, jo über die Berhältnifie betreffend den Erwerb von Nittergütern durch Nichtadelige in den einzelnen Landſchaften (S. 232 ff.), und über die Frage der Landtagsfähigkeit der bürgerlichen Ritterguts- bejißer, zu denen insbefondere die „Hoya'jchen Freien" (S. 243) ge — ‚Die in Hannover vorfommenden ſtändiſchen Ausſchüſſe trugen, zeigt, einen durchaus oligarchiſchen Charakter; „einjt zur und Einjchränfung der landesherrlihen Gewalt, zur Bes vormundung des Landesheren, ald Organe der landjtändischen Mits regierung geichaffen, find dieje Ausſchüſſe allmählich zu gefügigen Werkzeugen des landesherrlichen Regimentes geworden“ (S. 260). Bon ntereffe find die Mittheilungen über die Vertheilung des
in Hannover und über die Größe der Rittergüter (S. 352 ff), über den Antheil Dahlmann's am Staatsgrundgeſetze von 1833, der geringer ift, al3 man anzunehmen pflegt, jowie über
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Deutfche Landicaften. 123
deuiſchland 1896) neuerdings über dieſe Verhältnijje vorgetragen hat, find (vgl. S. 311, 376 und 581). Das Urtheil,
das M. über die hannoverſche Amtsverfaſſung fällt, ift wenig günftig. Sie lief nach jeiner Meinung auf eine Riefregiererei hinaus. Es fehlte vor allem an Aufficht, und jo war es lediglich „Sache des Temperament3 der einzelnen Beamten, ob fie ein patriarchaliſches Regiment führen wollten oder eine Paſchawirthſchaft. Die Beamten hatten allen Grund, fie zu loben umd zu preifen, jie lebten unter ihr herrlich und in Freuden“. E3 war keineswegs, wie Bermigien bes Hauptete, „ein Zerrbild“, das Vinde nachmals von ihr im preußifchen Landtage entivarf, als er von ihr fagte, man führe unter ihr eine behagliche exiſtenz, aber eine Organifation für einen großen enropäifchen Staat ſei jie nicht; ſolche Leiftungen, wie jie 1866 den ‚Seifen und Gemeinden auferlegt jeien, hätte man mit
der hannoberſchen Ümterverfaffung nimmermehr zu Stande gebracht. Im dent Kapitel über das Städtewejen erfahren wir, daf es in Hans nover an Anſätzen zu einer der Thätigkeit Friedrich Wilhelm's I. in Preußen entjpredienden Reform nicht fehlte; durch den Weggang der Herrſcher aber kam alles in's Stoden. Einer ausführlichen Analyje werben die Städteordnungen von 1851 und 1858, ſowie die vorher- gehenden Maßregeln Hinfichtlich der Verbeſſerung der Stadtverfafjungen im 19. Jahrhundert unterworfen. Für das geringe Maß von Seldſt- betußtjein, das in den Bürgerfreijen der hannoverſchen Städte das mals noch hereichte, iſt bezeichnend die Begründung, unter der die Lineburgifchen Bürgerfchaftsdeputirten 1825 ſich gegen die Ernennung von Senatoren aus der Bürgerichajt ausſprachen: „Wir müfjen dafür halten, daß die ftädtifche Verwaltung nur durch Männer von wifjene Whaftlidher Bildung, nicht aber duch Bürger am beiten geführt werben fünne, weil dazu mehr als Rechnen umd Schreiben gehört, dem Bürger die Erfahrungen mangeln, welche der Gelehrte durch das Studium der Geſchichte jich zugeeignet hat, der Bürger nicht jo Har dent, nicht jo richtig ſchließt wie der Studirte, welcher feinen Geift durch Logit, Mathematit, durch Rechts- und andere Wiſſen— ſchaften gebildet und jeinen Berjtand geordnet und gejchärft bat.“ Im Gegenjaße zu früheren Urtheilen ſpricht fih M. (S. 568) jeht gegen die lebenslängliche Anjtellung der befoldeten Magiftratsmite glieder aus. Unten den Unlagen im 2. Bande machen wir auf Die Denkichrift 3 über die Reform des hannoverjchen Staats— weſens vom 13. Januar 1780 (2, 606 fj.; vgl. 1, 33) aufmerfjam,
Deuiſche Landſchaften 125
dotirten umd einflußreihiten Amter waren ihm theils durch das Her— tommen, theils jogar durch das Gefep rejervirt; fein Einkommen und Reichthum beruhte auf dem Staatsdienſte. Die hohen Beamten bei den Eentralbehörden waren im Genufje großer Gehälter, von Sine— turen und Stiftspfründen. Auch die leitenden Stellungen in ber Sotolverwaltung waren höchſt Iufrativ. Zum Baargehafte kamen bier noch die dasſelbe bei weitem überjteigenden Emoluntente, Sporteln amd Mecidentien aller Art, ſowie der Umftand, daß bis in das 19. Jahrhundert hinein die Domänen an die Amtleute weit unter dem Werthe verpachtet zu werden pflegten. Geſpart wurde lediglich am Militär, und jelbft im 19. Jahrhundert wurde das nicht anders. Als bei den Verhandlungen über das Staatsgrundgejeg Erſparniſſe zugefagt worden ivaren, da wurde fojort bei der Armee mit der Berminderung der Cadres begonnen; bie auf Erſparniſſe gerichtete Meorganijation des Civildienjtes wurde jedoch auf die lange Bank geſchoben.
Auf umfangreichen Vorſtudien baut ſich das Werl MS auf. Ein umſaſſendes archivaliſches Material iſt herangezogen. Nur ſelten ſieht ji der Leſer zu Ausſtellungen veranlaßt, jo wenn (S. 19) ‚gejagt wird, daß das nordweſiliche Deutfchland nach der Zertrümmerung des Herzogthums Sachſen „ohne jede politiiche Organifation blieb“. Dem Urtheile, dad M. (S. 36) über die fländifchen Inſtitutionen fällt, daß fie „zu Feiner Zeit ein treibendes Element in der ſtaat— Then Entwidlung gewejen find, jondern ſtets nur vetardivend ges wirlt haben“, vermag ſich der Nef. nicht anzuſchließen. Nicht ganz präci® und zutreffend ſcheint ed dem Ref, wenn M. (S. 37) erflärt: „Sp jehr übrigens die Negierung der jtändifchen Zuftimmung bes durjte, jo bedurfte anbrerjeits jede jtändijche Lebensäußerung ber Inndesherrlihen Genehmigung.” In dem Abfchnitte über den Wir- fungstreis der Landjtände wäre eine genauere Feftitellung des Ans theils des Landesherrn und der Landjtände der einzeinen Territorien au der Geſetzgebung umter dem Geſichtspunkte des dwalijtifchen Cha— rafters des damaligen Staatswejens erwünſcht gewefen.
Die Wiſſenſchaft fhuldet dem Bf. für fein Werk aufrichtigen Dank. Es nimmt einen hervorragenden Nang in der Literatur zur deutfchen Verfafjungs- und Territorialgefchichte ein. Einen bejonderen Werth verleiht ihm der Umftand, daß der Bf. beftändig die Einrich-
tungen und Buftände in den anderen deutſchen Territorien, zumal im ante zu Vergleichung heranzieht; dadurch gewinnt das
Auffeingung und Ergänzung, dann als — F jeden Regiments die authen⸗ und die nachfolgenden wichtigeren
chnungen. Der zweite ebenfalls ſchon im * Weiſe die aufgelöſten Fuß— Truppenkörper, wie Freicompagnien und
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ÖfterreicheUingarn. 129
diplomatifchen Beziehungen zwiſchen König Ferdinand, der Pforte und ihrem Schüßling Zäpolya, jowie die auf den Türkenkrieg bezüg- lichen Verhandlungen bed Königs mit den Ständen feiner Erblande find mitberüdfichtigt und bis 1537 fortgeführt, während der Feldzug des leßtgenannten Jahres nicht mehr einbezogen ift. Da der Bf. feinerlei neues axchivalifches Material benugt und ſich ohne ein— dringende Kritik auf die deutfch gejchriebene Literatur und die ge= drudten Quellen geſtützt hat, jo ift ber Werth feiner Arbeit nicht hoch anzufclagen, obwohl fie, namentlich, was die erſte Wiener Zürlenbelagerung betrifft, an Ausführlichkeit die jüngften Darjtellungen übertrifft. In der Anführung feiner Quellen ift Kupelwieſer jehr ungleihmäßig und nicht nad; wiſſenſchaftlichem Brauche vorgegangen. Dem 3. und bem an feiner Stelle des Buches citirten 4. Bande von Huber, Gedichte Dfterreihd, und dem 2. Bande von Dimik, Ges ſchichte Krains, find lange Stellen in nahezu wörtliher Entlehnung entnommen, ohne daß dies erjichtlich gemacht wäre. Aus der treffe lichen Biographie, welde Newald dem Vertheidiger Wiens, Niclas Graf Salm, gewidmet hat, find nicht nur umfangreiche Textitellen, jondern auch Belege und Fußnoten mit abgejchrieben, jo daß es den Anſchein gewinnt, als hätte der Bf. jelbft die Archive benugt, während ex in Wirklichkeit nur aus Newald jchöpft. Dabei ijt es ihm ©. 26 — widerſahren, zwei in den Fußnoten bei Newald auf einander
folgende Archivſignaturen zu verwechjeln. Auch auf bie bei kriegs— geihihtlihen Fragen jo wichtige Beſtimmung der Ortlichkeiten iit
Sorgfalt verwandt. S. 6 jind mehrere Ortdnamen entitellt, &.7 ift die chteit des Treffens vom 5. Oktober 1528 unrichtig beitimmt, S. 10 der Weg, welden Zäpolya bei feinem Einfall in Ungarn nahm, ungenau wiedergegeben; S. 11 wird das Pauliner- lofter, in welchem Bruder Georg lebte, in Polen jtatt im Ungarn gefuht und ©. 90 ff. eine ganz unhaltbare Anficht über die Nüdzugs« Linie, welche Suleiman von Güns aus einſchlug, verfochten. W. E.
Die Gedichte der Ungarn. Bon Dr. Eugen Gfubay, Chorberr des
r fte8 von Eforna und Univerfitätsdocent. Biveite vermehrte
Yuflage. lÜberfegt von Dr. RM. Darvai. 2 Bände. Berlin, Ad. Boden— burg. 1899. 506 u. 572 ©.
‚Die Literatur zur ungarifchen Geſchichte iſt in dem legten Jahre zehnten ſehr bedeutend angeſchwollen. Duellenpublifationen unb Hiftorifche Beitichriften erjeinen alljährlich in —— Zahl, und
Hiftoriie Beirfchrift (Pr. 85) N. F. Bd. XLIX.
Oſterteich· Ungarn. 181
find für das frühere Mittelalter zwar vielfach benupt, aber ſchon bie en. des Eitivens (vgl. Bd.1 S. 26, 170, 299
und 303) verräth der Autor feine geringe Vertrautheit mit auch für feine Aufgabe grundlegenden Editionen. Die Jahr- von Altaich, unbeftritten die wichtigfte Quelle zur ungarifchen Geſchichte des — benut Ch nad) den Annales Boici Brumner’s, einem Geſchichtswerk des 17. Jahrhunderts; weder von der Relonjtruftion diefer Quelle durch Gieſebrecht noch von ber Aufe Findung der Aentin’fhen Abfchrift durch Defele ſcheint er Kenntnis zu baben, und ohne Rückſicht auf dem von Zeißberg geführten Nach— weis, daß für die Jahre 1041 bis 1046 die ungarifchen Ehronifen indirett auf den Altaicher Annalen beruhen, folgt er hier und im folgenden kritillos den halb jagenhaften Erzählungen des Simon von Keza und des Johann von Thuröcz, von denen der eine zu Ende des 13., der andere im 15. Jahrhundert jchrieb. Auch von dem anonymus Belae regis notarius, jenem Beitgenofjen Keza's, der über die Ein— wanderung ber Magyaren jo genau Bejcheid weiß, vermag ſich Ef. nicht gauz zu trennen; mit großer Wärme vertheidigt er gegenüber weniger gläubigen ungarifhen Forjchern „der neueren Generation“ (1, 56) den durd) diefe Onelle überlieferten „Bhutvertvng", d. h. die angeblich bei der Exhebung Arpad's von der Nationalverfammlung beſchloſſene und mit Blut befiegelte erſte ungarifche Verfaſſung. Ebenfo haltlos wie bie „Beweife", die der Vf. hierfür vorbringt, iſt fein Beitreben, den heidnifchen Prieftern eine leitende Rolle bei der eriten Einigung der Stämme zuzuweifen; die Quellen bieten, wie er jelbjt gejtehen muß, feinen Beleg hierfür. Für die ſchwere Niederlage, mweldye die Ungarn 907 den Baiern beibrachten, find ſorglos alle Einzelheiten benußt, die Aventin überliefert, aber das von Rudhart und Dümmier aus Totenbücdern deutſcher Stifter ermittelte Tages- datum der Schlacht (5. Zuli) erwähnt Ef. nicht. Auch die von Büdinger ‚gefundene Zeitbejtimmung des fog. decretum III. des hl. Ladislaus iſt unberüdjichtigt geblieben, und den für die Unficherheit des Eigen- thums jo charatteriſtiſchen Inhalt diefes Geſetzes beutet dev Autor teineswegs aus, jondern jucht feine Beweisfraft durch eime nichts— ſagende Legendenſtelle abzuſchwächen. Dafür begegnet uns das Märchen von der Einnahme der Ungarnburg Melk durch den erſten babenbergiſchen Marlgrafen (dev irrig Ludwig genannt wird ſtatt Siulpold) alſo eine Einwirkung des übelberüchtigten breve chronicon Austriae Mellicense (nicht des Diplom Otto’3 III. vom 30. Sept.
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Rolen. 1833
die „böhmifchedeutfche Soldatesca” [oszuziehen. Daß die Opfers der öjterreichifchen Erblande und die Hilfe des Neiches es che Ungarn vor gänzlicher Überfluthung durch die Türken ben, wird ebenjo vergejjen wie die traurigen Verdienſte, jener Bruder Georg und feine Parteigenofjen um die und Behauptung der türkijchen Herrſchaft erworben haben. ich dat auch hier der Bf. eine ganze Literatur beifeite um eine fo einfeitige Auffaffung vertreten zu fünnen. zu weit führen, wollte ich die Lifte der von ihm nicht Arbeiten weiterführen, Nur eines jei zum Schluß erwähnt. Nirgends ijt bei — der Name Alphons Huber's genannt. Und doch ift es Huber, dem wir nicht nur mehrere auf archivaliſchen Forſchungen aufgebaute Einzelunterfuhungen zur ungarifchen Geſchichte, jondern weitaus die bejte Darftellung der Geſchichte Ungarns vom frühejten Mittelalter bis zur Mitte des 17. Zahrhundert3 verdanken. Sie ift freilich nicht felbftändig erfdhienen, fondern im Rahmen feiner Ges ſchichte Ofterreiche. War das für Ef. der Grund, fie zu überfehen ober zu übergehen, fo ftellt gerade der Vergleich mit Ei. den unfchäße baren Werth in's glänzendfte Licht, den dieſe Kapitel von Huber für beſihen. Denn Huber hat nicht nur bie deutſche, jondern auch Die ungarijche Literatur beherrſcht und kritiſch benußt, und er hat es im bewundernäwerther Weiſe verjtanden, die Ereignifje nach ihrem Serthe zu jchägen und allen Parteien gerecht zu werden.
Bien. W. Erben.
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Zur Geſchichte Polens im Mittelalter. Zwei tritiſche Unterſuchungen ‚über bie Chronit ded Balduin Gallus von Dr. May Gumplowirz, weiland Zeetor an der Univerfität in Wien. Uns dem Nachlaß des Verſaſſers heraus- ‚gegeben. Junabrud, Wagner’iche Univerfitätsbuchhandlung. 1898, V, 261 ©.
E handelt ſich um die in die Mon. hist. Germ. XI Seript. IX aufgenommene und dort vernünftiger Weiſe als Chronicae Poloniae bezeichnete Chronik, für welche fich der inzwiſchen verftorbene Bf. al Autor einen Balduin Gallus konſtruirt hatte, was der Heraus— feines Nachlaſſes als „die endgültige Löfung eines ſchwierigen Problems der mittelalterlihen Geſchichte Polens, an deſſen Löfung der Scharffinn der hervorragendften Hiftorifer fheiterte*, zu nennen beliebt: Die Ablehnung der Hypotheſe war allgemein, thatjächlich aud bon den vom Herausgeber angeführten lobenden Mecenjenten, fo jehr übrigens dem Scharfjinn und der Gelehrſamteit des Wi, alle
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Polen. 135
vlöglicdy jtirbt, wird durch eine Scene, wie man fie in modernen franzöfifchen Nomanen zu lefen gewohnt ift, Sobiesfi genöthigt, die ichöne nn eilfertig zu heiraten. Bald darauf ſtirbt die Königin, der König dankt ab, und Wahlumtriebe blühen mehr ‚je im Sande. Sie geben Maryſienka Gelegenheit, jich gleich— in Frankreich und Polen mit hoher Politik zu befajjen, aber nicht jo ausſchließlich und jedenfalls nicht jo folgenreid, wie man Bis jeit in Polen angenommen hat, wo fie al3 böfer Dämon gift, während fie doch nur nah Waliſzewski's Schilderung ein thörichtes, Heinliches, reizendes Menſchenlind geweſen ift. Bei einer zweiten Wahl, 1674, wird Sobiesfi zum König ausgerufen, und die Heine Franzöfin wird wirkliche Königin. W., der im Anfang feines Buches den Umtrieben Gonzaga, den Bewerbungen der Conde-Auguien (mie er jchreibt) breiten Raum eingeräumt hat, eilt jet dem Ende zu. fann er es ji) micht verfagen, umjtändlich die Helden— "3 vor Wien (1683) nad) alter Manier vorzubringen. —— die traurigen Schickſale Maryſienla's nach erwähnt,
in ee nen Büchern über Katharina und Peter den ſich W. auch diesmal al3 feiner pſychologiſcher Er- ktere. Überaus anziehend hat er das Charakterbild —— doch ſehr intereſſanten Königin ausge— anderen handelnden Perſonen, wie Marie Louiſe, , gewinnen durch die meifterhafte Schilderung W.'s hat Sorge getragen, in feinem Vorworte darauf aufs machen, daß er die Abjicht habe, ganz befonders feſſelud ‚schreiben, um der Hiftorie die Leer, die fie durch allzu große Bilfenfchaftliceit verloren habe, wieder zu gewinnen. W. als ger bürtiger Pole und Adoptivfranzoſe war wie fein Anderer berufen, Die Schilderung diefer Franzöjin, die Polin geworden war, zu untere Er hat mit Sorgfalt franzöfifche und polnische Quellen benußt, ja er citirt fogar deutjche Werke. Nur daß er da etwas \ iſt. Er kennt beiſpielsweiſe die Forſchungen Pribram's
über Liſola und ſeine Zeit nicht, er fennt nicht die Schilderungen über bie Wiener Ereignifje von 1683 bei Erdmannsdörffer und Zwiedinec. Daraus folgen dann manchmal recht fchiefe Urtheile. Man kommt 3. B. nicht vecht zum Bewußtfein, dab Marie Lonije zuerjt auf Eaiferlicher Seite geftanden, oder man wird verſucht, zu glauben, der Kaifer habe mit Frankreich einen Vertrag geſchloſſen,
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Niederlande. 187
bis 1648, denn dieje Periode jchließt nicht mit dem Tode des Prinzen (1647), jondern mit dem Münfterichen Frieden. Ein letztes Kapitel ‚enthält eine ziemlich ausführliche Beſprechung der Quellen der in dem 3. und 4. Bande behandelten niederländifhen Geſchichte von 1559 bis 1648, reſp. der auf dieje Periode bezüglichen hiſtoriſchen Literatur, einen jehr werthvollen Beitrag zur Hiftoriographie, der Jedermann ‚zu gute fommen wird, der jene Periode ftudiren will, Ein Negifter und eine Rarte der Mepublif im Jahre 1648 find dem Bande beis ‚gegeben.
Es ſcheint am Drt, bier etiwas mehr über den Inhalt mitzus theilen. Die erſte Abtheilung eröffnet ein Kapitel, welches die jocialen Buftände der Niederlande, namentlich der Nordprovinzen (wenn aud) dem Süden bier noch ein, wenngleich, befcheidener Plaß gegönnt wird), nad) Schluß des Waffenſtillſtandes ſchildert, — namentlich den wirthichafte lichen Zuftand, den Handel, die Induſtrie, die Kunſt und die Literatur. Der Verfafjung hingegen ift ein anderes, das 3. Kapitel gewidmet, bem das 2., die Geſchichte der auswärtigen Beziehungen der Nieder lande zur Zeit des Stilljtanbes, namentlich die jülicheclevifchen Wirren behandelnde vorangeitellt iſt. Lehteres trägt den einigermaßen bes freindenden Titel: Die vereinigten Niederlande al unabhängiger Staat. Die beiden folgenden bieten eine breitgehaltene, aber jehr befriedigende, und Hare Skizze jenes inmeren lirchlich-politiſchen Kampfes, welder die Zeit des Stillftandes zu einer der büjterften Perioden der niederländijchen Gejhichte macht, des Kampfes der ver- bundenen calviniftiichen und unionsfreundlichen Principien gegen die mehr liberalen Tendenzen auf kirchlichem Gebiet, welche von den Borfämpfern ber provingie llen Autonomie des reinen Föderalismus verjochten wurden, jene zuleßt unter Führung Moritz' von Dranien, dieſe unter der Dldenbarnevelt’3, Es verdient Beachtung, daß B. ji hier durchaus nicht fo ſcharf auf Seiten der Ießteren ſtellt, mie das gewöhnlich bei jenen modernen Hiftorifern der Fall ift, welche feine religiöfe Sympathie für die Ealviniften hegen. Obgleich aud) B.3 Urbeit durchaus unparteliſch gehalten ift, hat er doch Ver— ſtandnis für die Rechtmäßigkeit der calviniſtiſchen Beftrebungen, welche die der großen Majje der protejtantifchen Niederländer waren. Nament« Hi) die fchroffe, keinen Kompromiß zulafjende Haltung Oldenbarne— velts wird von ihm hervorgehoben. Auch hat ex der religiöjen ober bejjer gejagt kirchlichen Seite des Konflilts mehr Beachtung geſchenkt, ‚als gewöhnlich; gejchieht. Das hat ihn aber nicht veranlaßt, aus der
Hiftorifer, — Bach Ag I g Deutſchland oder für Frankreich) in Anfpruch zu ne
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Lothringen. 13%
auf dem fpeciell lothringiſchen Standpunft ımd will die Ereinniffe überall von diejem aus beurtheilen. Hierin ſucht er die Originalität und den eigentlichen Werth jeines Wertes.
Er bedauert die Auflöfung des Franfenreiches, welche nad) feiner Anficht nicht umvermeidlih war. Demnad; fieht er den Gedanfen des Reichsgeſetzes Ludwig's des Frommen vom Jahre 817, das alte Herfommen der Theilung bis zu einem gewifjen Grade dem Einheits« princip unterzuoxrbnen, als einen glücklichen und weiſen, ben Vertrag von Verdun als ein Unglüd an. Auch das lothringiihe Reid, das- Neid) Lothar's IL, welches die eigentlihe Francia, das Centrum und Herz bes ehemaligen Geſammtreiches enthielt, war nach feiner Mei— nung vollfonmen lebens und entwiclungsfähig und hätte ohne ein umerhörtes Zufammentreifen unheilooller Umftinde — wie bie Schwähen und der traurige Ehehandel Lothar's IT., der nngejtüne Charakter Zwentibald's u. ſ. w. — viele Sahrhunderte befiehen können. Das Beitreben Lothar's IL, fih von der Verbindung mit der une fruchtbaren Thietberga zu befreien und durch die Ehe mit Waldrada eine legitime Dynajtie zu gründen, verdient feine Mißbilligung; nur die gehäffigen Mittel find zu verwerfen, welche er anwandte, um dies Biel zu erreichen. Daß Arnolf feinen Bajtard Zwentibald zum König von Lothringen machte, würde ein fegendreicher Alt gewejen fein, wenn Zwentibald's PVerjönlichteit eine andere gewejen wäre. Auch unter Ludwig dem Kinde und Karl dem Einfältigen war Lothringen feine oftfräntijche oder weitfränfifche Provinz, jondern, wie vornehmlich aus dem Bejtehen einer eigenen Kanzlei gefolgert wird, ein jelbit« Händiges Königreih. Der Bf. vergleicht feine Verbindung mit Deutſchland bzw. Frankreich mit dem heutigen Verhältniffe Norwegens zu Schweden oder auch Ungarns zu Dfterreich. Ludwig der Deutfche und feine Nachlommen und ebenjo Karl der Einfältige hatten ein Necht auf Lothringen lediglich als Karolinger, nicht als Be— herrſcher des oft- oder weitfränkifchen Meiches. Daher war der Abfall Lothringer zu Karl dem Einfältigen im Jahre 911, welcher nad) Anficht des Bf. zweifellos erft mad) dem Tode Ludwig's des Kindes erfolgte, bereditigt umd der wiederholte Verſuch Konrad's 1., ſich Lothringens zu bemächtigen, unberechtigt. Karl der Einfältige war der lehte rehimäßige und nationale König von Lothringen. Auch jen Sohn Ludwig IV. hatte legitime Ansprüche auf das Land, während fie Heinrich I. ebenfo wenig zur Seite jtanden wie feinem Vorgänger Konrad. — Hinſichtlich der Entwicklung des Herzogthums
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deffen Wert er bie größte Daufbarteit fe N. 1, 305.0. 2, 611 N. 1). Hart und
Frantreid. 141
wenn Widufind von Corvey, dem neuerdings freilich auch Haud eine unbillige Beurtheilung bat angedeihen laſſen, als ein berüchtigter Autor bezeichnet wird (S. 610). Man traut faum feinen Augen und glaubt ſich um mehr als ein halbes Jahrhundert zurüdverjeßt, wenn man Sampert al3 Lambert von Aſchaffenburg bezeichnet finder (S. 65- N. 1, 92 N. 3), und wundert ſich auch, wenn das Chronicon
weshalb Sifela, die Gemahlin des Markgrafen Eberhard von Friaul, nur als soeur uterine Karl's des Kahlen bezeichnet wird (S.5N.5,
138 N. 2 u. ſ. mw). Daß es eine unrichtige Auslegung der Stelle bei Widufind 1, 30: Iudicavitque abstinere quidem ab armis, yerum poliun arte superaturos Lotharios ijt, wenn fie ©. 669 N. 4 mit den Worten wiedergegeben wird: preförant l’emploi de la ruse ä celui de la force contre les Lorrains, glaubt Ref. im „Neuen er 15, 574 gezeigt zu haben. Indeſſen dieſe Aus— ftellungen find ja zum Theil ohne Bedeutung. Die meiften von ihnen und noch einzelne andere hat aud) bereit3 ber fompetentejte Beur⸗ theiler, Dümmler, in feiner Beſprechung diejes Buches in der „Hiſto— rijchen Bierteljahrichrift” (1899, S. 396—399) gemacht, ohne darum der ungemein fleigigen und gründlichen Arbeit die Anerlennng vor— zutenthalten, auf die fie unzweifelhaft Anſpruch hat.
Freiburg i. B. B. v. Simson.
A. Hamy. Entrevue de Francois Premier avec Henry VIII & Bonlognesur-Mer en 1522. Intervention de la France dans l’affaire du divorce, d’aprös un grand nombre de documents inedits, Paris, Gougy. 1898, 212 u. COCCLVIL ©.
Im Juni 1520 hatten bei Gelegenheit ihrer prunkvollen Zu— jammenkunft im „Lager von Goldftoff“ zwijchen Ardred und Guines Franz I. und SHeinrid; VIIL. einen SFreundfchaftsbund gefchloffen. Nichts deſtoweniger trat bald daranf in dem zwijchen Karl V. und Frantreich entbrennenden Kampfe der englifhe Herrſcher auf die Seite des Kaiſers. Infolge der Nichtadhtung aber, welche der lehtere nach den von ihm davongetragenen Erfolgen jeinem bisherigen
Jialien. 147
Der Bi. zeigt, wie ſeit den erſten Jahrzehnten bis Mitte des 13. Jahrhunderts in den Städten Oberitaliens einzelne Rarteiführer ſich als Herrfcher aufwarſen. Im Ferrara regierte Salinguerra 1213—1240 als Parteihanpt, ohne felbft das Amt des Podejtä zu übernehmen; es genügte, daß es von ihm abhängig war. Nad) ihn war Azzo VII. von Eſte Rodeftä von Ferrara und feine Herrichaft ſchon fo befeftigt, daß er fie auf feinen Enkel Obizzo 1264 vererbte, der zum gubernator et rector et generalis et perpetuus dominus gewählt wurde. Mehrere Bodejtarien vereinigte eine Zeit lang Marke graf Hubert von Balavicino in Cremona, Pavia, Piacenza und Ber- celli; Ghibert di Gente wurde 1254 zum lebenslänglihen und erb⸗ lichen Wobeftä und Herrn von Parma erwählt. Den Titel Volks— fapitän führte der Herr von Mailand, Guido della Torre, al3 Haupt der Volkspartei; er wurde auf Lebenszeit zum Voltsfapitän gewählt. Erzbiihof Otto von Visconti gewann die Herrihaft für fein Ge— ſchlecht. Sein Neffe Matteo Visconti, zum kaiſerlichen Vilar Hein- rid’s VII. 1311 ernannt, lieh fich zum Herm der Stadt erwählen; er hieß nicht mehr Voltskapitän, jondern dominus generalis uud wurde erblicher Fürſt. Majtino della Scala hieß in Verona potestas mercatorum ımd war dad Staatsoberhaupt; nach jeinem Tode wurde Alberto, fein Bruder, zum febenslänglichen Volfsfapitän ers wählt. Man fieht, wie wenig es auf die Amtstitel ankam, von denen das Fürftenthum ausging und die die Signoren ablegten, wenn es ihnen gefiel, um jie mit dem, was fie wirklich waren, zu vertaufchen. Zulett handelt der Vf. noch von einer anderen Herrichaftsforn feu— daler Art, wie Markgraf Wilhelm don Montferrat in der Zeit von 1260 bis 1292 fie durch Übertragung eines Friegscapitaneats in einer Reihe von Städten Biemonts bejaß.
Erſtaunlich iſt e3, mit welcher Nefignation die ſtädtiſchen Repu— blifen, nachdem fie die politische Freiheit bis zum äußerften Überdruf ausgefoftet hatten, ſich der fchranfenlojen Gewalt eines Fürften unters warfen, wie dies z. B. in den Statuten von Eremona den Ausdruck gefunden hat, daß der Signore und jein Erbe an fein Statut ge bunden jein jollen, weil ihr Wille ſelbſt das lebendige Geſetz jei: quod eius et ipsius heredis voluntas tamquam lex animata in terris sit statutaria. Man erinnerte ſich bei der Wahl des Guido
in Manta an das römiſche Hönigsgejeg, als man ihm die
unumfchränfte gejepgebende Gewalt in der Weife fibertrug: quiequid
decreverit, sit lex municipalis et pro lege servetur, prout et 10*
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Gere If. Beabfiditigt weiter and, — Menfüde zu veröffentlichen, die fig au
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Türkei; Wgier. 149 '
unter türliſcher Oberhoheit geitandenen afrifanischen „Regentſchaften“ | von Algier, Tripolis und Tunis beziehen. | Das Bud) ijt jehr forgfältig ausgeführt und fehr überfichtlich umd | durchſichtig angelegt; befonders werthvoll find Die ſynchroniſtiſchen und ei Zuthaten. Der Herr Bf. beginnt mit einer fyn= chroniſtiſchen Überficht über die Lebenszeit und die Regierungen der Sultane von Osman I. bis auf unferen Zeitgenoſſen Abdul-Hamid— Khan IL; daneben ftehen die Lebens und Negierungsjahre der Be— herrfcher der Byzantiniſchen Reiches, des Nömifchen Neiches deutjcher Nation (fpäter Ofterreihs), Frankreichs, Englands, Spaniens und jeit 1613 auch Rußlands. Der Angabe über die benutzten osma— niſchen und abendländishen Schriftfteller folgt S. 4—80 ein „chrono⸗ logiſches Nepertorium” über alle dem Herrn Bf. befannt gewordenen, | für ihn bier wichtigen Altenſtücke verjchiedenfter Art von 1307 bis 1789: man möchte jagen, eine Skizze der osmanischen Reichsgeſchichte aus der Bogelveripeftive. Das Kernſtück aber des Werkes bildet S. 83—386 die theil® chronologiſch, theil® nach dem verjchiedenen ändern, denen fie gelten, geordnete Sammlung der in ihrem vollen Umfange abgedrudten, für die Zwecke des Herm Bf. zur Wiedergabe veritändig ausgewählten Altenſtücke ſelbſt. Es find ihrer 47; «8 jind Sapitulationen und Verträge verſchiedenſter Art mit Frankreich, Öfterreich (bzw. dem alten Deutjchen Reiche), mit Genua und Venedig, mit England, mit den Niederlanden, mit Rußland, mit mit dem Königreiche „beider Sicilien*, mit Perfien, mit Dänemark und mit Preußen und Spanien. Sie find alle chrono— logiſch genau beftimmt, und für die möglichſt geficherte, richtige Wieder gabe der (neben einigen lateiniichen) meiſtens franzöfijchen Texte iſt große Sorge getragen worden, — Auf ©. 387 ff. folgt die kurze, alphabetifch-hronologifche Überficht über diefe Altenſtücke, wie über Die auf S. 4—80 nur furz angeführten und furz citirten; auf S 410 ff. noch einmal das genaue Verzeichnis der in vollem Wort— Taut abgebrudten Texte. Halle a. ©. G. Fr. Hertzberg.
Maurice Wahl, L’Algerie. 3 &d. Paris, F. Alcan. 1897, 442 ©. (Bibliotheque d’histoire contemporaine.)
Ein ſehr bedeutendes Werk auf dem Gebiete der Nenntnis ber Hiftorifchen, wirtbichaftlichen, geographifchen, ſtatiſtiſchen und politifchen
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Algier. 151
richtungen, die Aufgaben und die Art der Kolonifation gejchildert und dabei jehr ausführlich die nach des Herrn Vf. Urtheil richtigfte Weiſe erörtert, um die alten Einwohner an die franzöſiſche Herrſchaft almählic) zu gewöhnen. Das jechfte Buch (Les forces productives) behandelt in acht Kapiteln die wirthſchaftlichen Verhältnifie; der Stand der Landwirthfchaft, der Induftrie, des Bergbaues, des Handel3, der Verkehrswege, namentlich, auch der Eifenbahnen, wird bier mit aller wünjchenswerthen Ausführlichkeit dargelegt.
Halle a. ©. G. Fr. Hertzberg.
ine und allerdings mehr als hypothetiſch jheinende
nicht um eine ſolche zwiichen Syrien
wiſſenſchaft 3, 1 (1900) notiren wir liches aus Kautaſien und Armenien,
u Ve gißele nvant.I-O. ba® ‚Papyri publicirte Srogment der Olympio— i ‚du moulin & grains. Seymour en Bröfetten Üguptens (2. Luſius Wein) d fein — belannte Revue
di BE Baht ans: wir R Eagnat: Mosaique trouvde A hanten darftellend); Dieulafon: Notes
‚ du Forum; € Ehantre: Les ndero- phind: Leyrieux, Rives et Genas, und
14,1 notiten wir $. ®ranger: Folk-
— — mifeneaftihe Theologie feld: Der gnoftfde und ber fanonifce
und I. Dräjeke: Nitolaos von Methone im
gen felen Hier vergeifinet Diejenige des e Rotharis; &tudes sur In nationalitd des Darefte in ‚ber Nouy. rey. hist. de droit
——— HI. Adalbert von Prag
1 Review 15 no. 57 veröffentlicht R. Gra—
: oo. —— ee
G_dife eitideift 82, Ban, | more Buförft vom 14 Sau 82
‚zur Sebens- und Familiengeſchichte — Tettinger Pedius (geb. 1495 |
a De jenen Napitel, * wi der Ver⸗ umfangreichen Attenmaterial®, das zumeift
— feinen politifchen, ſondern ler soci6t6 de rang. Jan. März 1900). jandelt der Berliner Anatom Waldeyer Fried— heinung; Le Du he R tenmaöfe de [2 — — a. Ringel veröffentlichten Atten zur Bor- rieges haben bie Stichhalilgteit der Schmann- tig befeitigen follten, — — |
ben von Dr. gut Salitter. Tune 8
121 Oliver Gromwell
ner, Le rögent l’abb& Dubois et les Any
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—— Friedrich Wilgeln’s u. G. R. 3 Bild von den politiiden Verhältnifien und Bes
im Jahre 1789 veröffentlicht Manfred Eimer Boltestunde von Elſaß-Lothringen 23. Heft). gänge und Stimmungen bis zur Deputirtenwahl,
n befonders die Unruhen vom 18. bis 21. Juli ufommenhang ber Iofalen Ereigniſſe mit den ofen Nevolution tritt befomders im leßten welchem der Widerjtand Straßburgs gegen ıguft mäher erörtert wird, eine Proteftbewegung,
Revolution, die Transſylvanier), das dritte über die literarijhen, joctalen und politifhen Reſultate des franzöfiihen Einfluſſes. Das mit großer Sadj: und Literaturfenntnis gefchriebene Wert rechtfertigt den Wunſch nadı einer Fortjegung bis in die neuefte Zeit und nad; einer nn Einflufies anderer Nationen auf Rumänien.
Die Fortfepung der Veröffentlihung aus Gerlad’s — He Ergänzungen zu deffen Tagebücdern, namentlich über feine Beziehungen zu dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm (IV.) und dem Prinzen Wilhelm (Deutjce Revue, Märzheft 1900; vgl. 9. 3. 4, 560).
In einer Studie über Preußen zur Zeit Bismarcks ſchildert Matter in der Revue historique (1900 Märj-Aprif) die Vorgefhicte der Berufung des Verein. Landtags und darakterifizt furz feine wichtigften Debatten und Der Verfaſſer zeigt ausgebreitete Kenntnis der deutſchen Siteratur und ſchlleht fih in feinem Urtheit häufig an Biedermann an.
Eine vortreffliche Stizze Ludwig Banıberger’s im Anſchluſſe an befien Erinnerungen veröffentlicht Hermann Onden in den Preuß. Jahrbüchern 100, Heft 1. Die Summe der politiſchen Bejtrebungen Bamberger's fiebt er im der Herbeiführung ber deutichen Einheit. Da Bismard’s auf die Vergrößerung und Stärkung Preußens gerichtete Politit zu demfelben Ziele führen mußte, fo wurden fie feit 1866 Bundesgenoffen; ihre Wege gingen aber auseinander, als Bismard, anjtatt Bamberger's Ideal des parfamens tarijchcentraliftijchen Einheitsſtaates zu verwirklicen, and) dem Födera⸗ lismus fein Dafeinsrecht fiherte.
Im der Deutjchen Rebue Märzheft) werden Erinnerungen des Generals Stephan Türr über feine Bemühungen, mit preußlſcher und italieniſcher Unterftügung in Ungarn im Jahre 1866 eine Inſurrektion hervorzurufen, veröffentlicht, Außerdem wird ein Gefpräd mit Bismarck aus dem Sabre 1867 mitgetheift, deſſen Inhalt freilich recht unwahrſcheinlich Hingt. Zürr will aus Blsmard's Worten mit Sicherheit erfannt haben, daß er einen Krieg gegen Frankreich, plane.
In einer „Die engliſche Afritapolitit“ betitelten Stizze ſchildert %- Salomon kurz bie Geſchichte der Holländiichen Niederlafjungen in
und erflärt dad andauernde Zerwürfnis zwiſchen Buren und Engländern ſowohl durch die Mafienverchiedenheit wie durch dem ſoeialen Gegenfag ber Bauern gegen bie moderne Kultur (Deutſche Rundſchau, Aprilheft 1900).
*51
Die Studie von M. Lenz: „Die großen Mächte. Ein Mlcdblid auf unser Jahrhundert“ (Deutſche Rundſchau, Januar-März 1900) ift ein Ver— uch, die Abhandlung Ranle's über die großen Mächte weiterzuführen und
öblättern 1,6. 7 erwähnen wir 9. Witte’s
a Dahanidorfantg in den deitfcheromanifchen
deſtens und Gmelin’s Ausführungen über den Nupen er Kirchenbücher als hiſtoriſche Quelle.
in Städten, den Betrieb vieler Handwerfe
ch ein jo unfriegerijches Kulturvolf, daß fie t. Bu den phönififchen Elementen, mit denen 18°
Der Philoſoph Seneca. 199
von acht Monaten nad) Rom fam, der gepriefenfte Dichter der Neronifchen Zeit, war ein neuer Gegenftand des Stolzes für Eorbuba umd ganz Spanien, und fein Ruhm trug viel zum Anjehen des Vaters bei. Als auch ihm feine Theilnahme an der Piſoniſchen Verſchwörung gegen Nero im Sahre 65 (im Alter von 26 Jahren) den Tod gebracht Hatte, ließ Nero jeinen Bater durch eine falſche Anklage der Mitwiffenichaft bedrohen „aus Gier nad) feinem Vermögen“, damit er es opfere, um fein Leben zu erfanfen. Doch Mela öffnete jid) die Adern und be— dachte in einem SKodizill zu feinem Xeftament zwei mächtige Günftlinge des Kaiſers mit bedeutenden Legaten, um fo fein übriges Beſitzthum der Konfisfation zu entziehen und für feine interbliebenen zu retten.
Annäus Novatıs wurde von einem Freunde feines Vaters, Iunius Gallio, adoptirt und führte fortan deffen Namen. Er zeichnete fi) als Redner aus, bekleidete 52 das Sonjulat und ſaß als Profonful von Adaja in Korinth über den MApojtel Paulus zu Gericht, Obwohl der Senat eine gegen ihn erhobene Beichuldigung der Mitwifjenichaft an der Verſchwörung Pifo’s zurückwies, lieh ihm Nero (bei defjen öffentlichem Auftreten als Eitharöde er einjt die Nolle eines Herolds übernommen hatte) dennoc) töten.
Der mittlere der drei Brüder, Lucius Annäus Seneca, war (einige Jahre vor Chr.) zu Corduba geboren (mo noch im 18. Sahrhumdert jein Haus und vor der Stadt jein Landgut gezeigt wurde) und als Kind von feiner oben erwähnten Mutter- jchweiter nach Rom gebracht worden, wo er unter ihrer Pflege von langer Krankheit genas. Doch blieb er jein ganzes Leben hindurch kränklich; nicht lange vor jeinem Tode jagte cr, es ‚gäbe fein Übel, das ihm umbefannt ſei. Als junger Mann ‚Hatte er durch häufige chronijche Katarrhe und damit verbundene Fieberzuftände und eine Abzehrung bis zur äußerſten Magerkeit jo gelitten, daß nur die Rüdficht auf feinen Vater und Die Liebe feiner Freunde ihm die Kraft gab, dem Drange zum Selbjtmord zu widerſtehen; mit Hülfe der Bhilofophie hatte er die Krankheit überwunden. Zu den angewandten Mitteln hatten lautes Leſen
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Der. Philoſoph Seneca. 201
ebensweife. Doch unter der Herrichaft des Tiberius war es gefährlich, eine Art von Weltverneinung zur Schau zu tragen, durch die man fich dem Verdacht einer Oppofition gegen die bes ſtehende Ordnung ausjegte. Auch mußte Attalus auf Betreiben Sejan’s Nom verlafjen, und Seneca bequemte fich wieder zum Anſchluß an die herrichende Sitte, doc befolgte er manche Vor- ichriften des Attalus bis an jein Ende, wie die Enthaltung von
Wein, warmen Bäbern und Lederbifjen; noch in jeinen legten Jahren beftand feine Mahlzeit aus trodenem Brode und er jchlief wenig und auf einem äußerſt harten Pfühl. Die streng vegetarianiiche Lebensweiſe, die ihm jehr zuſagte, hatte er nur ein Jahr beibehalten; er gab jie auf, da man ſich dadurch der Theilnahme an fremden Kulten verdächtig machte, deren Anz hänger von Ziberins verfolgt wurden.
In Seneca’s früheres Mannesalter füllt ein Aufenthalt in dem von dem Gemahl feiner Tante regierten Ägypten, vielleicht durch Rüdjicht auf jeine Gejundheit veranlaßt, oder der Beſchluß der Damals bei jungen Männern von Stand üblichen Rundreiſe | über Griechenland und Stleinafien, Er jammelte bier das | Material zu einer Schrift über die Geographie und die Kult gebräuche Nayptens und über die Geographie von Indien, mit dem Mlerandria in einem lebhaften und regelmäßigen Handels» verfehr jtand, Im Jahre 32 nach Nom zurücgefehrt, trat er | als Sachwalter auf, um durch glänzende Beredſamleit die Auf- merfjamfeit auf ſich zu lenken und ſich den Weg zum Eintritt in den Senatorenftand zu bahnen. Wohl gegen Ende von Ther's Regierung erlangte er das erſte jenatorifche Amt, die (Senatorenjöhnen ſchon im Alter von 25 Jahren zugängliche) Ruäftur; feine nun verwittwete mütterliche Tante hatte ihre
überwunden, um ihren Einfluß zu gunjten feiner
(im Senat ftattfindenden) Wahl geltend zu machen. Seine Be rebiamfeit fand jo großen Beifall, daß jie die Eiferfucht Cali— glas erregte, der jelbft ein guter Nebner und ſtolz darauf war, Zwar äußerte er jich geringichägig über Seneca's Reden, es jeien bloße Schauftücde und (wegen feiner Vorliebe für furze, ümmerbundene Säbe) „Sand ohne Kalk“. Doc über dem
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Der Philofoph Seneca. 205
es hat jo wilde Bewohner, eine jo ſchreckliche Natur, ein enig gemäßigtes Klima? Die Gluth, ſchon im Beginn Sommers jchredlich, wird im ber Hundstagszeit noch fürchter- Es gibt feine fruchtbringenden, noch das Auge erfreuenden je. Der Herbjt bringt fein Obit, der Sommer feine Saaten, Binter feine Dfiven; der Frühling erjreut nicht durch mipendendes Laub, fein Kraut gedeiht auf dem unjeligen ". Es wird nicht von jchiffbaren Flüſſen bewäſſert, es t nichts hervor, was andere Völfer begehren fönnten, feine ge reichen faum zur Ernährung jeiner Bewohner Hin, Es ein Brod (in der That lebten die Eingebornen von Mil), y und Fleiſch), fein trinkbares Waffer, fein Holz für bie terhaujen der. Toten, und die Behaujungen find Hütten.“ dieſe Bejchreibung von der leidenjchaftlichen Abneigung des tes ſtets übertreibenden Schriftjtellers gegen den ihm auf- ingenen Aufenthaltsort dittirt it, jo zeigt fich Doch auch daß jene Zeit für „die entzüdende Schönheit der Landjchaft Forfica“ gar fein Verjtändnis hatte. Selbſt feine herrlichen er, an deren Duft Napoleon mit gejchloffenen Augen fein atland erfennen zu fünnen meinte, wenn er, durch einen er dorthin verjegt, aus dem Schlaf erwachte, erfreuten a's Auge nicht. Auch der Dichter der Tragödie „Octavia* ihn dort nur im Anblid des Firmaments Troft finden. die Korjen einem Autor, der ihr Land fo verläftert hat, freundlich gefinnt find, ift natürlich: era un birbone, jagte von ihnen zu Gregorovius. Die dortige Legende hat ſich eine Schmähungen durch Erdichtung einer Scene gerächt, t er eine nicht beneidenswerthe Nolle jpielt. Am Fuße eines runden (mohl genuejijchen) Thurms auf der Nordipige ai der für jeine Wohnung gilt, wächſt in unausrottbarer eine Neſſel (ortica di Seneca): mit diefer joll er, in einer er mit einer Hirtin überrafcht, von deren Verwandten jelt worben jein. In der That lebte Seneca ohne Zweifel her der beiden größeren römiſchen Städte (Mariana und I) an ber Italien zugewandten Oftfüjte, wo fein Reichtum * verhältnismäßig angenehme Exiſtenz verſchafſen Fonnte,
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— — gar nicht unglüclich werben könne. Allerdings ſtoiſche Philoſophie ein umfehlbares Univerjalheilmittel —— irdifchen fein, aber bei Seneca hat fie ſich fo wenig bewährt, daß fie ihm nicht einmal vor tiefer Selbiterniedri« gung bewahren konnte. Er verfahte (43/44) eine Troftjehrift für den Zaiferlihen Freigelaſſenen Polybius beim Tode eines Bruders, in der ——— die Gunſt und Fürſprache dieſes ſehr mächtigen Mannes leines der Liebhaber der Kaiſerin Mefjalina) zu gewinnen, den er darin mit unwürdigen Schmeicheleien über- häufte. Er ſoll ſich fpäter diejer Schrift geichämt und verjucht haben, fie zu vernichten, doch iſt fie erhalten.
Nicht weniger als acht Jahre (41—49) dauerte die Leidens— it Seneca’3 auf Corſica, erjt der Sturz Mefjalina’s und ihres machte ihr ein Ende, Agrippina, die nun ihre Ver mit Claudius durchjegte, obwohl die Ehe zwischen Oheim Fr in Rom als Blutjchande galt, und mit einer vor
Konſequenz zurüdjchredenden Energie ihrem elfjährigen Nero die Thronfolge zu fichern beftrebt war, rief Seneca ihn durch Verleihung der Prätur in Die zweit» ſenatoriſche Nangklafje und übertrug ihm die Erziehung Sie durfte ſich davon einen dreifachen Gewinn ver:
. Sich ſelbſt machte fie populär, indem fie zugleich dem "Hufdigte und ein Opfer der Intriguen einer Camarilla und entihädigte; für Nero ftimmte fie die öffentliche günftig, die von dem Einfluß eines folchen Lehrers Erzieherd auf ihn das Befte erwartete; endlich gewann fie äffigen und ergebenen, ihr durch Dankbarkeit wie den Haß berjelben Gegner verbundenen Freund, deſſen
* Beiſtand ihr zur Erreichung ihrer Ziele von größtem RB —* mußte. Daß in der „übel redenden, alles deutenden wie Tacitus Rom nennt, dies Verhältnis für ein mehr als ichaftliches gehalten wurde, ift nur matürlich, Auch es am fich feineswegs unwahrfcheinlich, dab das Gerede in Falle begründet war, denn ohne Zweifel trug Agrippina niemals Bedenken, fi; einem Manne hinzugeben, deſſen unbe- Ergebenheit fie ſich ſichern wollte.
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Balls, das Ant ber faiferlichen Finanz
mußte erfennen, daß Seneca mit Acte's | Sieg davongetragen und der Bruch zwifchen
14*
Der Philojoph Seneca. 213
5 Sera die ihr Biel (die Erhebung zur faijerlichen n) nicht ‚erreichen zu fönnen glaubte, jolange Agrippina bei Nero der Entjchluß zum Muttermorde. Der bei einer nächtlichen Luftfahrt an der Küſte von ein kunſilich zum Auseinonderfallen eingerichtetes ‚ertränfen, mißlang; ob Burrus und Seneca von diejem wußten, hält Tacitus für ungewiß. Nero, bei der Nach— \ ns Rettung halb tot vor Angjt, lieh beide ſei verloren, wenn jie ihm nicht Helfen wollten ; fie die Sklaven bewafjnen oder die Soldaten aufreizen dem Senat und Volk in die Arme werfen, Beide lange, jei e8, daß fie die Vergeblichfeit des Abmahnens ſei es, daß auch fie glaubten, Nero müſſe fallen, mern man Agrippina micht zuvorfomme. Hierauf zeigte fich Sereca inſoſern entjdjlofjener, als er Burrus anfah und fragte, 25 zman den Garden den Mord bejehlen jolle, Jener erflärte entjchieden, jie würden die Unthat gegen die Tochter des einft DOME ganzen Heere vergötterten Germanicus nicht wagen. So WineDde der Sreigelaffene, der ſchon den erjten Mordverſuch ges leitet hatte, abermals mit der Ausführung beauftragt; in der rohesien Weiſe wurde Agrippina erichlagen und ihre Leiche noch) in Derfelben Nacht verbrannt. Ohne an alle Einzelheiten diefer Erzählung des Tacitus zu glauben, fann man doc, nicht ziveifeln, dat Burrus und Sereca von dem Plan des Muttermordes wuhten umd fich ihm nicht mwiberjegten. Offenbar glaubte Tacitus fie nicht verurteilen zu Dürfen, wenn fie, vor die Alternative zweier gleich entſetzlichen Ausgänge geitellt, den nach ihrer Anficht für das Reich minder ‚berberblichen wählten. Aber Seneca gab ſich auch dazu ber, das Schreiben Nero's an den Senat zu verfaffen, nach welchem un entleibt haben follte, nachdem ein von ihr zur ihres Sohnes abgefandter Freigelaffener mit ergriffen worden jei, und worin ausführlich be— —— daß ihr Tod als ein Glück für das Reich an—
en müſſe. Seneca hatte auch in dieſem Schreiben Jeine Meijterfchaft gezeigt; in Duintifian's etwa um
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Der Philoſoph Seneca. 219
Safjen eine ſyſtematiſche Plünderung der Tempel in Ztalien, Griechenland und Kleinaſien unternahm, hieß es, Seneca habe gebeten, fih auf eine entfernte Befigung zurüdzichen zu biirfen, zum nicht für die Tempelichändung als mitverantwortlich zu ers Fheinen, und nach Abjchlagung dieſes Geſuchs ein rheumatiſches, ihn an’s Bett feſſelndes Leiden fimulirt. Zugleich verbreitete Ti) das Gerücht, dem Tacitus Glauben beimiht, er jei einem
Nero's dadurch entgangen, daß er von Baum: Feüchten gelebt und nur Waffer getrunfen habe.
Doch im ganzen vergingen die drei Jahre, die Seneca nad) jeimem NRüdtritt noch zu leben hatte (62—65), in ungeftörter Rue Er hatte zum zweiten Mal geheiratet, eine junge Frau au jehr vornehmer Familie, Pompeja Pauline, und diefe (allem nach Einderlofe) Ehe jcheint eine ſehr glückliche gemejen ZU Fein. Aus Rückſicht auf feine Gattin, jagt er, verzichte er au? den größten Vorzug des Alters, mit dem Leben nicht mehr Are filich haushalten zu müffen; indem er fein Alter jchone, ſch Sne er * Jugend mit. „Was fann es Erfreulicheres geben, IS der Gattin jo thewer zu fein, daß man jich feloft dadurch thezzrr wird?" Sein Umgang mit bewährten Freunden, wie — Maximus, dem Genoſſen feines Exils auf Corſica,
Dazzerte fort. Beſonders gern verkehrte er mit dem Cyniker Dezmetriis, der die Forderungen der Bedürfnislofigkeit und Rücd- Eee zum Naturzuftande buchjtäblich erfüllte; er verlieh die Ger der in Purpur Gekleideten, um dieſen halbnadten Bettler auf feinem Strohlager aufzufuchen, den, wie er meinte, Die Vorſehung der Welt als ein Veifpiel und einen lebendigen Vormurf hingeſtellt hatte. Kleine Reifen, befonders in Kampanien, und Aufenthalt auf jeinen verfchiedenen Villen brachten Abwechs-
Kg im die Einförnigkeit feines ganz durch Studien und jchrift- —— ausgefüllten Lebens. Immer wieder vertiefte die Werle der großen Denker der Vorzeit, deren ihn herabblickten, deren Geburtstage er feierte; ge— beſuchte er philoſophiſche Vorträge, wie die des in Neapel, Der bei weitem größte Theil ſeiner er— n Beofafrften ſtammt aus jeinen letzten Jahren.
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tte, als er noch auf ber Höfe feine en ausführlichen Bericht des Tacitus über für — — da er ſich offen⸗
jen der Sterbeſcene nach allen Einzelheiten
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Der Philoſoph Seneca. 223
Das Schreiben Seneca's an den Senat nad) dem Morde Agrippina’s wurde zwar gemißbilligt, aber nicht als ein fein An deuten für immer brandmarlender Schandfled angejehen. Das ſchwer in's Gewicht fallende Urteil des Tacitus ift ihm im gazızen günjtig. Daß Seneca dem Muttermorde ſich nicht wider feßte, hat Tacitus, wie gejagt, mindeitens entſchuldbar gefunden, daB cr auch nad) demjelben an der Spige der Negierung blieb, offenbar gebilligt. Nach jeiner Anficht durfte fich fein Vater— larrdsfreund durch jittliche Empörung ſelbſt über die abſcheulichſten Brenn des Negenten bewegen laſſen, jeine Kraſt dem Staat
zu entziehen, jo lange er ihm nüglich jein fonnte. Auch unter
ſch Lechten Herrſchern, jagt er, fann es große Männer geben, und Fügjomfeit und Mäßigung, verbunden mit thätiger Theilnahme am Staatsleben und Energie, iſt Löblicher, al® wenn man auf gefahrvoller Bahn, doch ohne Nutzen für den Staat, durch xx hieriſches Martyrerthum fich berühmt mache. Ex nennt Seneca neben Thrajea als einen gleich ausgezeichneten Mann, und offen- bar glaubte — er, daß ihm der „Glanz ſeiner Tugenden“ ‚auf den Thron ‚gegeben habe. Bor allem hat
Tod die Mitwelt wie die Nachwelt geneigt gemacht,
ii Leben machfichtig zu beurtheilen; nicht minder der Ernſt lirz er fittlichen Überzeugungen und jeines Strebens nad) Selbft- fezıntnis, nad) Länterung und Veredelung, der ich namentlich R den während feiner legten Lebensjahre verfaften Briefen Mehr oder weniger ift das Urtheil über feinen Charakter
fee md. — durch den Eindruck ſeiner Schriften beeinflußt en Frankreich, wo fie zu allen Zeiten am höchſten ge- Et worden find, mo Männer der verſchiedenſten Richtungen,
v Montoigne und de Maijtre, ſich in ihrem Preiſe vereinigt
Haben, hat er auch den beredteften Anwalt und Kobredner im kinem - Geringeren als Diderot gefunden, der einft über ihn ab» geurtheilt hatte, in jeinem 60. Jahre aber ein eigenes
| Buch zu feiner Bertheidigung und Verherrlichung jehrieb. Cr
Seneca's Schriften das Brevier der Nechtichaffenen; hätte = Telbft jich feine Grundjäge früh aneignen können, jo würde ihm viel Kummer eripart worden fein. Nur wenn man jich in
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Der Philoſoph Seneca. 27
hunberts. Sn beiden epigoniſchen Perioden erhielt die Proſa nicht blo mehr Fülle, Farbigkeit und Glanz, jondern auch mehr Naſchheit und Beweglichteit ımd allmählich auch eine nervöſe Unruhe, Seneca fam dem Zeitgeſchmack nicht bloß entgegen, jondern überbot ihm noch. Zwar jpricht er gelegentlich Lobend von der Einfachheit und Natürlichteit der klaffiſchen Ausdruds- weije, die nur nach Klarheit und Deutlichkeit ftrebte, das Ger wohnte nicht verjchmähte und nicht nach Beifall haſchte, von der guten alten Zeit, wo man noch Latein jprach; aber er ſelbſt hat nicht bloß in einem ganz entgegengejegten Stil gejchrieben und dieſen zum herrichenden gemacht, jondern auch die Alten unab» läffig angegriffen; er foll Nero von dem Leſen ber alten Nebner abgerathen haben, um ihn länger in der Bewunderung jeiner eigenen Schreibart feitzuhalten. Er war ſich der Kühnheit jemer Nenerungen wohl bewußt. Wer etwas Großes unternehmen will, jagt er, muß bis am die Grenze bes Fehlerhajten gehen; fein Talent erringt Beifall, das nicht auch der Nachficht bedarf; Fehler und Vorzüge find jo ungertrennlich verbunden, daf jene dieſe mit jich ziehen. Soviel als möglich hat er an die Stelle des Natürlichen, Normalen und Gewohnten das Neue, Über raſchende, Raffinirte und Pilante gejegt. Die engen Grenzen der klaſſiſchen Sprache hat er gefliffentlih nach allen Richtungen Hberjchritten. Er hat die Ausdrüde des gemeinen Lebens ebenjo wenig verſchmäht als die poetifchen, neue Worte gebildet, alte in neuer Bedeutung angewandt, ſich Licenzen aller Art gejtattet, mit Vorliebe gewagte Bilder, Sleichnife und Metaphern gebraucht und it hie und da auch über dad Maß des Erlaubten hinaus» gegangen. Er-jpricht z. B. von dem Glaſe, das an die Trunken— Heit die letzte Hand legt, von Leuten, die mit den Augen gefräßig find, von der Seelengröhe, die das Unglüd unter das Jod) beugt; er gebraucht Wendungen wie „mit dem Scidjal handgemein erben“, „im Alter ſich marjchjertig machen“ u. dgl. Seine beiden Hauptmittel find die Antitheje, deren beide Glieder oft im einem an die hebräijche Poejie erinnernden Barallelismus ‚gegen einander geftellt jind, und die kurze pointirte Sentenz, in Der ein gewichtiger Inhalt in eine fnappe Form gepreßt ift; er 15*
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‚gefommen jei. Er hat das von ihm jelbit ausgebaute — — ihm ſelbſt gepflanzten Platanen im Aus»
dort überall ſein Alter entgegens ſich mit ‚ihm befreunden, es lieben: : für den,
gebt Früchte ‚am wohljämedenditen, wenn fie abfallen. Die Knaben find ſchönſten beim Austritt aus ber Kindheit. Für die Trinfer der bejte, ber fie untertaucht, der an den ie legte Hand anlegt. Iede Luft verſchiebt ihr Süheftes ‚Ende. Das Leben ift am füheften, wenn es fich abwärts doch noch nicht bis zum Rande des Abgrunds. Aber auch £ es auf der legten Linie jteht, hat es meines Erachtens jeine E nn die Stelle der Freuden tritt, daß man feiner Wie jüß ift es, die Leivenjchaften müde gemacht en zu haben. Aber, jagt man, es ift traurig, Augen zu haben. Erftens muß ihm der junge Brot vor Augen haben wie der alte. Denn wir der Alteröfifte aufgerufen. Sodann ift niemand ** er nicht das Recht hätte, noch auf einen Tag zu Ein Tag aber iſt eine Stufe des Lebens. Das ganze aus Theilen und konzentriſchen Kreiſen; einer ums alle übrigen; er erſtreckt jich vom Geburts Ein zweiter jchlieht die Jahre der Jugend de ganze Kindheit; damı ijt das Jahr ein das alle Zeiten einſchließt, aus deren vielfacher ß das Leben zuſammenſetzt. Wieder ein engerer umgibt —* Monat, der engſte den Tag. Aber auch er tſeinen Verlauf von Anfang bis zum Ende, vom Aufgang Un 9. Heraklit der Dunkle hat gejagt: Ein Tag iſt gleich — man num verſtehen: gleich an Stunden, oder: tt des Verlaufs, dem Wechſel von Licht und * iſt jeder Tag ſo zu ordnen, als ob er der das Leben vollendete und abſchlöſſe iner feiner Schriften hat Seneca den gegen die Philo— ohne Zweifel am lautejten gegen ihm ſelbſt)
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Der Philoſoph Seneca, Variationen derjelben Gedanfen beftehenden Betrachtung
II.
- Der Stoizismus, zu dem Seneca ſich befannte, hatte trotz ‚tiefen inneren Gegenjages gegen das Chriſtenthum wichtige Anjhanungen mit ihm gemein. Sein theologiiches Syſtem war ein pantheiftiich;monotheijtiiches, das dennoch feinen Befennern ein gewiſſes Feſthalten an der als nüglich erkannten Volfsreligion, wofern fie nur richtig verftanden wurde, ermöglichte. Die zahle Götter des Volfsglaubens wurden als Theile und Er— ſcheinungsformen des —— das All erfüllenden Ur— — — angeſehen, die auf ſie bezüglichen Legenden
Den Kern der ſtoiſchen Theologie aber ie und biejer giebt ihr, in Verbindung, it einer ganz teleologifchen Weltbetrachtung, ein theiftifches Ge Die Schöngeit und Zwedmähigfeit der Welt, die bie nicht müde wurden zu preijen, war ihnen der ficherjte für das Dajein Gottes. In der zwar nicht ausſchließlich, hauptjädlich auf das Wohl des Menſchen berechneten offenbart fich feine Weisheit und Güte; er liebt ung Vater und will von uns nicht gefürchtet, fondern geliebt In der Theodicee, die die Stoifer mit bejonderer Vorliebe Rechtfertigung des Übels nirgend im
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die der Mäuje, uns zu erinnern, dab wir unjere Sachen nicht Herumliegen lafien. Die Kriege find eim Mittel gegen Über völferung u. ſ. w.
Die Anthropologie des Stoizismus hatte im Lauf der Zeit | infofern eine Modifikation erlitten, als der urfprünglichen Anficht don der Einartigkeit der menjchlichen Natur eine dualiftiiche ent- gegentrat, die im Menfchen neben der ihm innewohnenden Ber- nunft (einem Ausfluß der Gottheit) aud ein unvernünftiges
Der Philoſoph Seneca. BT
haft näher als irgend ein anderes antifes Syſtem dem Chriſten- thum verwandt, da er die Zufammengehörigfeit aller Menjchen und Die Forderung der allgemeinen Menfchenliebe am ftärfiten betont. Die Weltereiguifje haben mächtig dazu mitgewirkt, ihm dieſe ra zu achen und ihn darin feftzuhalten. ¶ Als der Stoigis-
nivellirend wirkte die römijche Weltmonarchie, die nicht nur die verschiedensten Völker unter eine Herrjchaft beugte, jondern auch alle Unterthanen bem Alleinherricher gegenüber bis auf einen gewiſſen Grad als gleich ericheinen lieh. Den Gebanfen bes Beltbürgerthums hat die Stoa zuerſt mit Entjchiedenheit erfaßt und. mit voller Konſequenz durchgeführt. Ihr Idealſtaat war ein aus der Verbrüderung aller Völfer hervorgegangener, aljo dag Gegentheil eines wirklichen Staats, und es iſt Mar, daß Dies Ddeal ebenjo zu einer verhältnismäßigen Gleichgültigleit gegen den eigenen Staat führen mußte, wie ber Gottesftaat der Chriften. Die Stoifer der römiſchen Slaiferzeit haben es mit größerem Nachdruck als die früheren ausgeiprochen, dab die Menjchheit einem Organismus gleicht, deſſen Glieder alle aus gleichem Stoff für diejelbe Beitimmung gejchaffen und aus dem- jelben Leibe ihre Lebenskraft ziehend, durchaus aufeinander ans gewieſen, daß fie, wie Epiftet jagt, alle Brüber find, die alle im gleicher Weiſe Gott zum Vater haben. Wer jih auch nur von einem jeiner Ditmenjchen abtrennt, heißt es bei Marc Aurel, ſcheidet fid, von dem Stamme der Menjchheit jelbft ab. Die Stoiler der Kaiferzeit werden nicht milde, die Pflichten, die bie menjchliche Gemeinjchaft allen auferlegt, immer von neuem eins zufichärfen. Wir müffen, jagt Seneca, unabläffig zugleich für das gemeine Wohl thätig jein und den Einzelnen helfen, auch ben , Feinden; es ijt jchlimmer, Schaden zufügen als leiden; aus: verwirft er die Mache und die Vergeltung des Böjen
, mit Boſem. Selbſt die, die uns mighandeln, jagt Epiftet, ſollen wir lieben wie ein Vater, wie ein Bruder. Mare Aurel verlangt,
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Der Philoſoph Seneca. 239
worben zu fein, da er nun feine bisher nicht erfannten Fehler Zängit hatte er es ſich zur Pflicht gemacht, an jedem Abend ſich über ‚den verflofjenen Tag Nechenichaft abzulegen. Es verfteht ſich, dah im criftlichen reifen Seneca’s viel ng mit chriſtlichen Lehren und Anſchauungen blieb. Er iſt, jagt Tertullian, häufig der Unire; er hätte, jagt Lactantius, ein Verehrer des wahren Gottes fein lnnen; hätte er einen Führer zur wahren Weisheit gefunden, Be“ er jeine heidnijchen Lehrer verachtet haben. Auguſtinus, der jeine freiheit vom Wahnglauben der Heiden ausdrüdlich für eine Wirkung der Philofophie erklärt, meint, er habe bie Chriſten niemals erwähnt, um jie nicht loben ober tadeln zu müfjen; das er wäre gegen bie alte römijche Sitte, das andere vielleicht gegen feine Überzeugung gewejen. Höchitens ber lettere die ee angenommen, dab Seneca’3 Anjichten irgendwie durch chriſtliche Einflüſſe beftimmt geweſen jeien. Doch fonnte es nicht ausbleiben, daß bei den Chriften fich allmählich dieſe Vorjtellung bejeftigte, und da die zweijährige Anmwejenheit des Apoftels Paulus in Rom in Seneca's legte Jahre, jedenfalls in die Zeit vor jeinem Tode, fiel, lag es nahe, Beziehungen zwiſchen beiden vorauszufegen, zumal da Seneca’s Bruder, der Brofonful Junius Gallio, der den von den Juden in Korinth vor jein Tribunal geführten Apoftel freigeiprochen hatte, ihn auf dieſen interefjanten Orientalen aufmerfjam gemacht haben konnte. Das Zujammentreffen diejer Momente war mehr als hinreichend, um eine jener literarischen Fälſchungen zu veranlafjen, Die auch die Ehriften im Jutereſſe ihres Glaubens für erlaubt hielten: die Erdichtung eines Briefwechjels zwijchen dem Apoſtel und dem Philofophen, den bereits der hl. Hieronymus kannte. Daß die Tradition, Seneca jei von Paulus befehrt worden, in chrift- lichen Sreijen bejtand und wert gehalten wurde, darf man aud) — 1867 in Oſtia entdedten Grabſchrift aus dem Ende . oder Anfang des 4. Jahrhunderts jchliegen, die ein ae Paulus feinem Sohne M. Annäus Paulus Petrus bat. Beide gehörten allem Anſchein nach einer Familie an, die ihren Urfprung oder doch ihren Namen auf die Annäus
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Der Philoſoph Seneca. E51
biftorifchen Kern, den man auch in der fagenhafteften Überliefe- zung vorausfeht, durch ein ganz willfürliches Verfahren aus ber
‚hier als Grundbedingung
dort leicht als mahloje oder gar böswillige Zweifelfucht, und wenn fie durch Jahrhunderte fortgepflanzte, Unzähligen theuer gewordene Borftellungen antaftet, als herzlos und glaubeng- feindlich. Ein franzöfifcher Gelehrter, der über die Beziehungen Seneca's zum Apojtel Paulus ein zweibändiges Werk gejchrieben ‚hat?), U. Sleuch, jagt, zur Bezweiflung derſelben habe die Refor-
„ein großer Feind der Traditionen“) durchaus nicht daran glauben. Der Bweifel an Seneca’s „Haldehriftentyum* (Quasi-christia-
. religiöfen geborene fiterarijche Proteftantismus habe es leicht ger ‚habt, die Umechtheit des Briefwechſels zwiſchen Seneca und Paulus zu erweifen. Aber die jfeptiichen und farkaftiichen Ab— leugnungen, deren letztes Organ in gewiffem Sinne Voltaire fei, haben dennoch die Tradition nicht erſchüttern können, und fie gewinnen wieder Glauben bei den aufgeklärten und von Partei— Tichkeit freien Geiftern. Fleury's Methode ift die oben beichriebene. Die Freundicaft Seneca's und des Apoftels wird im einer dem | bl. Linus (dem angeblichen Nachfolger Petri auf dem päpftlichen Stuhl) zugejchriebenen Pajfion des Apoftels bezeugt. Zwar ſtammt Dies Machwerf aus einer Zeit der tiefjten Barbarei, aber der ‚Berfaffer werde die Originaljchrift des hi. Linus benugt und feine Achtung vor einem Papft, einem Heiligen, ihn von weſent⸗
Änderungen derjelben zurücgehalten haben, Seneca's
, ber Eynifer Demetrius, war wahrjcheinfich ein Chrift;
‚denn die Benennungen Cyniker und Chriſt werden nach Fleury
von den Autoren der Saijerzeit fait als ſynonyme gebraucht.
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Amedsés Fleury, St. Paul et Sendque. 1858, Hiltoriiche Beitichrift (Bd. 85) R. Mr, Bb. XLIX 16
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Der Philoſoph Seneca. 43
ein Wiffen ohne Tugend wie eine Tugend ohne Wiffen, und in dem- jelben ‚Sinne definirten die Stoifer die Tugend als Wiſſenſchaft,
Tugend und mit ihr die Glückſeligkeit ſchon in dieſem Leben er- reichbar; durch fie vermochte der Menjc dem Göttlichen in feiner Natur deren miebere Triebe zu unterwerfen. Denn daß feine Natur von Grund aus böfe, daß die Sünde ihr angeboren jei, davon wußte das Heidenthum nichts und fannte deshalb aud) nicht das Bedürfnis einer Erlöfung durch übernatürliche Gnade.
für jene Gebuld, die dem, ber die eine Backe jchlägt, die andere
Auch die Hoffnung auf ein anderes Leben hatte für bie heidniſche Welt, ſoweit fie überhaupt gehegt wurde, niemals auch nur annähernd Diejelbe Bedeutung wie für bie chriftliche: ſchon darum nicht, weil ihr die Gewißheit fehlte, die allein der Offen barungsglaube zu geben vermag. Daß das Ehriftenthum bie tiefe Sehnſucht nad diefer Gewißheit befriedigte, das hat am meiften bazu beigetragen, jenen Sieg zu emtjcheiden. Der antike Une fterblichkeitsglaube jtand dem Zweifel und der Leugnung niemals jo ſchroff gegenüber als der chriftliche. Für die Chriften war der Tod, dem feine Auferjtehung folgt, das unjeligite Los: die heidniſche Philoſophie lehrte mit Sokrates, daß der Tod auch als ein ewiger Schlaf, fein Übel ſei. Sie überwand ſeine Schreden nicht durch die Hoffnung auf eine überirdiſche Selige keit, ſondern durch die richtige Erkenntnis des geringen Werths Des irdiſchen Daſeins. Das Ziel aller Erkenntnis, jagt Seneca, ift, das Leben zu verachten.
Ebenſo wenig wie den Glauben und bie Hoffnung ber Chrijten bejaß das Heidenthum die Liebe, die nad) Goethe's
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Der Philoſoph Seneca. 249
engen Wege ber Augen zu uns drang. Vergleicht man dieſen Schluß mit dem Anfang des Briefes, jo kann man fich der Ver: muthung nicht erwehren, daß. die Zuverficht, mit der er hier fpricht, eine Fünftlich eingerebete war. Im der That erklärt er es auch in feinen jpäteften Schriften oft genug als zweifelhait, ob es ein anderes Leben gebe, ob die Seelen fortdauern, ob der Tod nur ein Übergang ſei oder das Ende. Über fein Wejen und feine Wirkung würden wir Gewißheit nur dann erhalten, wenn ein Geftorbener wieder auferftanden wäre. Daß Seneca diefe Gewißheit immer gefehlt, daß er von feinem Auferftandenen gewußt hat, zeigt allein fchon, daß er vom Chriftenthum ganz unberührt geblieben ift.
Dr. Laur. Hann. Fiſcher und die Auflöfung der deutſchen Flotte. 261
von feinem der ihm angedichteten Flecken gereinigt; fie hat im Gegenteil jein Andenfen mur noch mehr gejchädigt, und zwar nicht jo jehr durch die Darjtellung der Fiſcher'ſchen Thätigfeit als Bundesfommiffar für die Auflöfung der Flotte ſelbſt, als durch einen in den Anlagen abgedrudten Brief des Bürger meiſters Dr. Smidt in Bremen an den Minifter v. Schele vom 4. Mai 18531) Briefe von Zeitgenoffen werden immer ein werthvolles Hülfsmittel für die Charalteriſtik gejchichtlicher Per- fönlichfeiten bleiben. Aber als Quelle find fie doch nur zu ver- enden, wenn man nicht allein die Perjönlichkeit des Briefitellers, jondern auch die ganzen Umftände, unter denen ber Brief ge ſchrieben wurde, einer genauen Betrachtung umterzieht. Dr. Mar Bär hat nun in feinem Werk zweimal auf den „jehr intereifanten* Brief Smidt's verwiejen und ihm jo jtilljchweigend als einwand- freie Quelle hingejtellt, ohne auch nur ein Wort als Kommentar hinzuzufügen. Auf die große Maſſe der Leſer mußte der Brief um- ſomehr wie eine jenjationelle Enthüllung wirken, als Smidt jelbft als angejehene Perjönlichfeit befannt ift, und als jein Schreiben durch einige jcheinbar wohlwollende Worte über die Perjönlichteit
NRundſchau vom Wirklichen Admiralitätsrath Koch veröffentliht worden. Seider iſt dieſe Abhandlung, die — obgleich der Herr Verfaſſer „nicht die Abficht hatte, eine poſthume Ehrenrettung Fiſcher's vorzunehmen — doch in biefem Sinne gewirft hat, auferhalb der Marine nur wenig gelefen
worben. Auch Heren Dr. Bär fcheint fie unbelannt geblieben zu fein. 1) &8 heißt im diejem Brief u. a., Fiſcher fei ein gutmüthiger, nichts Unrechtes wollender Mann, „ber aber höcjt leichtfinnig ift und von einer Auffaffung und Behandlung aller Dinge nicht ſcheiden fann, der ſich dabei in der Rolle eine avocat de chose perdue gejällt und fih in diejer Rolle durch offene Tapferkeit auszeichnen möchte”. Er wird weiterhin gejchildert als ein halbverrüdter Mann, ber jein Vermögen durch Spekulationen völlig zerrüttet habe, deſſen Phantafie bergeftalt überjpannt geweſen jel, „dab er allenthalben Leite zu finden glaubte, die ihm nach dem Leben ttadjteten”, der „wie ein Vagabond“ herumzog und „in der größten Mijere und den jaloppejien Umgebungen“ hauſte, mit dem ums zugeben gebildete Menſchen Scheu trugen, ben „bei feiner Unſauberkelt, en und Händeljucht“ fein Wirth in feinem Haufe dulden wollte, ber „fi bei Tiih mehr der Hände ald der Meſſer und Gabel“ bediente,
als ein Sch...... in die Erjheinung trat u. j. w.
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3. Bu ein ot Kia) denn DE.
m ben Träger jenes Amtes nicht etwa als mit einem ‚ d08 erhellt wohl am beften aus dem Umftand, dafi erlum j. 8. einen bei der Marineabtheilung Soffizier als geeignete Perfönlichteit für das Bol. Koch a. a. O. ©. 162. felbft, er Habe in großer Gemütsbewegung ben v. Bismard um Aufſchluß gebeten, worauf biejer lonnten Sie denn in Ihrer naiven Taubeneinjalt in 1 des Herrn b. . . . nur einen Augenblichk deſſen Abficht dem Großherzug unheilbar zu ruiniren ?" rift (BD. 85) 9. F. Bd. XLIX. 17
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ohne Sie Ihre perſönl Folgen preiszugeben.“ Tro Fiſcher am 14. Mai eine —
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Bloßer Polizeidienft ift aber Sache der Einzelregierungen, id die Beftellung von zwei Wachtichiffen in Wejer und Elbe zd die Kräfte der betheiligten Regierungen nicht überfteigen.
Ein unentgeltliches Überlaffen des Reſtes der Flotte an ſterreich und Preußen ift zwar recht patriotifch, ich zweifle aber,
dafür eine Majorität zu erlangen wäre. Auf feinen Fall,
wiederhole es, bevor durch den Erfolg der Anfündigung ber weis geliefert wäre, daß eine anſtändige Verwerthung wicht zu ift, und auf feinen Fall könnte eine ſolcher Antrag von oder dem Ausichuffe ausgehen.“ Trohz diejer Abweiſung des Grafen Thun glaubte Fiſcher auf ſeine Pläne verzichten zu ſollen. Zunächſt brachte chlag, betreffend Überlaffung von zwei Wachtſchiffen die nl und aller andern Schiffe an die beiden toßmächte um den zu erwartenden geringen Preis oder ſelbſt — h Unerfennung, daß die maritime Verftärfung dieſer iden Mächte im wejentlichen auch die deutſche Wehr- aft verjtärfe* — ganz umentgeltlich, diesmal in einem offie ıllen Bericht an den Militärausſchuß vom 1. Juli -1852 vor. ann bereifte er zur Unterjtügung feines Projefts mehrere Re
erungen.
| Be Bremen, weldjes zur Neichsparlamentszeit das Haupte Errichtung der Flotte gejtellt hatte, wurde er ſehr als ihm die maßgebenden Stimmen fagten, daß dieſer für Bremen nicht das mindeſte Anziehende habe. Denn K deutjche Flotte jei an ſich für das Bremer Handelsintereife nur ganz indifferent, ſondern ſogar gefährdend. Gerade & politifche Unwichtigteit der deutjchen Seejtädte und ihre hier— natürlich hervorgehende Neutralität ſchütze jie vor den Nach welchen andere jeefahrende Nationen bei jeder politiichen g unter den größeren Mächten ſich ausgejegt jehen. e ganze Idee, die Flotte an Ofterreich und Preußen Ken vernichte Bremens einzigftes Intereſſe,
18 Sofalinterefje'),
re hierzu das Urteil Bismard’3 über Smidt ©. 276 Anm. 2.
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Dr. Saur. Hann. Fiſcher und die Aufldjung der deutſchen Flotte. 267
Bern — — bez. Schreiben die Äußerung des ein ungegründetes Armuthszeugnis, welches er jeinem orps ausgejtellt habe. Im Sranfjurt ftellte man jic bei dieſem Streit ganz auf Seite des populären Womirals. Graf Thun jandte an ugleich mit einem officiellen Schreiben am 22. Juli 1852 Privatbrief, in weldem er ausbrüdt, wie peinlich es ihm n jei, Fiſcher im einem officiellen Erlaß völlig Unrecht zu müfjen. Weiter heißt es in diefem Brief: „Mögen immer ffir da fein, bie binlänglich englijch und franzbſiſch ‚ um die Bejchreibungen in diefen Sprachen aufzujegen — ee da ja leider fajt lauter Ausländer das Offizier⸗ der Nordfeeflotte bilden —, jo war es leicht zu erraten, Contreadmiral Brommy andere Gründe habe, die er aus nem wohlverjtandenen Taftgefühl nicht angeben wollte. Wäre Kan nicht denkbar, daß dieje Herren der deutjchen prache nicht gewadfen genug find, um eine Über: egung aus derjelben zu machen? Wäre es aber nicht in größeres Armuthszeugnis für die Kapazität diejer Herren ges vejen, wenn der Oberlommandant der deutſchen Marine offen ae hätte, die Offiziere der deutihen Marine nicht genug deutjch, um dieje Überjegung zu machen?“ beduürfte zweifellos eines großen Wohlwollens, um dieſe 9 Brommy’s für eine überzeugende zu halten, gibt Graf Thun dem Bundesfommifjer, wenn aud) sr Necht bei deſſen Behauptung, es fehle Brommy an dem guten Willen, ihm bei dem Auflöfungsgeichäft u unterjlügen. Denn in dem gleichen Briefe jagt er, man abe in Frankfurt vieljeitig in Anregung gebracht, wan folle commy das ganze Auflöjungsgejchäft übergeben; man jei aber ter andern Gründen deswegen darauf nicht eingegangen, weil han fürchtete, „er fönne gerade durch jeine Vorliebe für die Marine und den natürlichen Wunjch, den mit Liebe und vielen Mühen zu Stande gebrachten Anfang der Nordierflotte zu er- halten, ſich verleiten lafjen, die der Auflöjung der Flotte hnedies jhon im Wege jtehenden Schwierigkeiten
Dr, Zaur. Hann. Fiſcher und die Auflöjung der deutſchen Flotte. 269
die baldmöglichite Auflöjung der Flotte und Verwerthung ders jelben erjtrect. Allerdings habe ich Sie perfönlich erſucht, auch das Perjonalverhältnis der Offiziere, Mann ichaften ıc. im Auge zu behalten, dahin zu wirfen, daß feine faliche Aufjafjung und Mipjtimmung darüber entjtehe, und mir Ihre Ansicht über die Löſung dieſer kitzlichen und ichwierigen Frage nad ben Nechts- und Billigkeitsgrundfägen mitzutheilen: das war aber mehr ein vertraulicher Auftrag, und ich glaube, Sie werden befjer tun, dieje Sachen, die nicht ftreng genommen in das Auflöfungsgeichäft gehören, in vertrauliche Schreiben an mich, nicht in Berichte zufammenzufaffen; denn dieſe gehen zur Begutachtung an die Marincabteilung und geben da zu Streitigkeiten Anlaß.“ Alſo nicht Wichtigthuerei war es, die den Bundesfommifjar veranlaßte, ſich mit den Perſonal— verhältuiffen zu befafjen, jondern die direfte, wenn auch nicht officielle Aufforderung des Präfidialgejandten. Daß aber die Thãtigleit Fijcher’s, insbejondere jeine Bemühungen zur Erhaltung der Flotte, auch ſonſt nicht ala Wichtigthuerei aufgefaßt wurde, das geht ſchon aus der Thatſache hervor, daß feine Br vielfach — bejonders in Berlin — Gegenſtand ernftejter Ere mwägungen waren.
Übrigens drüct Graf Thum am Tage nad) jeinem Rücktritt vom Poften als Präfidialgefandter am 19. November 1852 bei Der diesbezüglichen Benachrichtigung Fiſcher's diefem feinen wärmſten Danf aus „für ben regen Eifer und die Umſicht, die Sie in Shrer jegigen Stellung an den Tag gelegt haben“, und Graf Thun's Nachſolger, Protejh-Dften, jchreibt am 12, April 1855 in einem eigenhändigen Brief an Fiſcher: „Daß einen Augiasftall auszufehren, feine leichte Aufgabe jei, wußten jchon die Alten. Wir vertrauen ganz und gar in Ihre Geduld und umfichtige Tchätigfeit.*
So groß, wie Bär behauptet, fann danach die „allgemeine Unzufriedenheit“ mit Fiſcher doch nicht gewejen fein. Bebentjam iſt in dieſer Beziehung auch ein eigenhändiger Brief Bismard’s an Hannibal Fiicher vom 17, November 1852, welcher nicht nur wegen der Perjönlichkeit des Verfafjers Intereffe erregen dürfte.
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Dr. Laut. Hann. Fiſcher und die Auflöfung der deutfchen Flotte. 273
ihm täglich kündigen könnte und daß jedes Zujammentreffen mit feinen gewöhnlichen Gäften vermieden würde). Vor ber Miß— handlung ſeitens betrunfener Seeleute wurde er einmal nur durch die Dazwiſchenkunft feines Hauswirths geſchützt. Selbft die Behörden juchten etwas darin, dem Repräjentanten des Bundes: tags die ſchuldige Achtung zu verjagen. Bei einer gerichtlichen Berhandlung in einer Bundesfommifjariatsangelegenheit wies wan Fiſcher in das Öerichtsvorzimmer als Wartezimmer, in welchem alle Bänfe mit einer fehr gemiſchten Geſellſchaft von Matrofen, Handwerksburjchen und dergl. bejegt waren ?).
Troß aller der gejchilderten dienftlichen und außerdienitlichen Widrigkeiten verjchmähte es Fiicher, jein Amt vor Erledigung der Geſchäfte nieberzulegen. Eine vorzeitige Demijjion wäre ihm als Fahnenflucht erjchienen. Aber ſehnlichſt wünjchte er die
Beendigung des Kommifforiums, das er anfangs jo freudig be— grüßt hatte, herbei. Immerhin zogen jich die Verhandlungen wegen des Verfaufs der Schiffe noch bis in den März des DIahres 1853 hin. Den Bemühungen Fiſcher's war es in erſter Linie zu danken, daß eine eigentliche Verſteigerung nur bei einem geringen Bruchtheil der Schiffe erforderlich wurde: Am 1. April en dann die Aujlöjung der Marinebehörden und die Entlafjung
ber jämmtlichen unteren Beamten jtatt.
Am 28. Mai 1853 erftattete Fifcher feinen Schluhbericht, welcher folgendermaßen endigt: „Glaube ich nach Maßgabe dieſer Darftellung die Nachweiſung nicht ſchuldig geblieben zu fein, Daß mich perfönliches Mißbehagen nicht abgehalten hat, die mir mit einem jo ehrenvollen Vertrauen übertragenen Gejchäjte voll- ftändig zu Ende geführt zu Haben, jo darf ich mich wohl der Hoffnung bingeben, meiner unverweilten Abbernfung in den
2) Diefe Verhältniffe bilden den thatſächlichen Hintergrund der auf ©. 351 Unm. 1 erwähnten Schilderung des Smidt'ſchen Briefes,
2) Darauf bezieht fih wohl die Stelle im Smidt'ſchen Briefe: „Durch fein Renommiren (!) Hat er fich im allerlei Injurienhändel verftridt und ‚allerlei Klagen bei dem Amt eingeleitet. Statt ſchriftlich oder durch einen Mopofaten feine Sache zu verhandeln, ijt er in der Amtsitube erjchienen, mitten unter anberm Krepule“ (sic), Smidt bei Bär a. a. O. ©. 827,
Hiftoriiche Heiticheiit (Bd. 86) N. W. Bd. XLIX, 18
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Dr. Laur. Hann. friiher und die Auflöjung ber beutichen Flotte. 2756
Der Bürgermeijter Smidt that nichts, um die ungejeliche Maß— nahme aufzuheben, Daraufhin berichtete Fiſcher nach Frankfurt, wo man natürlich auf das höchjte entrüftet war über die eigen- artige Selbſthülfe der Bremer. Der Präfidialgefandte, v. Brofefch- Dften, jandte am 27. April 1853 einen eigenhändigen Brief an Fiſcher, worin es heit: „Wenn die Demokraten die Abficht hatten, dem Bunde einen recht empfindlichen Nabelftich zu geben, jo haben fie ganz richtig gerechnet. Sie fpannen vor ihre Inſolenz das revolutionäre Princip der judieiären Allmacht und fönnen gewiß jein, alle Demofraten aus der weitverbreiteten Kaſſeler Schule und gar manche Regierung für ſich zu haben, Ohne Bundesbeichluß kann feine Erefution verhängt werden; zu einem Bunbesbejchluß gehört eine Abftimmung, und find Eier Hochwohlgeboren jo gewiß, daß Hannover nicht jelbjt in büreau— tratiſcher Anficht befangen it? Hier höre ich manche Zweifel darüber. Es gibt aber eine andere Seite, die bon dem Bremer Senat nicht ganz überſehen werden ſollte. Wenn er es nicht der Mühe werth findet, für den Bund die ſchuldige Nüdficht zu nehmen, jo wird der Bund doc) zufegt im feiner entjcheidenden Mehrheit die Mafregeln beantragen, die ihm dieſe Rückſicht ver- ſchaffen, und die djterreichiiche Stimme wird dem jchärfiten Untrage ebenjowenig als die preußifche fehlen. Es fönnen ſich da Komplikationen herausitellen, vor denen ich wohlwollend warnen fann, aber die ich fejt entichloffen bin, nicht zu hindern, Sagen Sie bad Herrn Bürgermeifter Smidt; er ift ein kluger Mann und fann meine wohlwollende Abficht nicht verfennen, Der Bund iſt ohme Gericht, aber eine Forderung durch den Bremijchen Gejandten beim Bunde eingebracht, läuft nicht Ge fahr, ohne weiteres bejeitigt zu werben.
Schon der Gejchäftsgang, der fie an einen Ausſchuß ver- weilt, jteht dagegen. Wollte man die Beichlagnahme von Bundes: eigenthum zugeben, wohin mühte das führen? Würden nicht Regierungen dasjelbe Recht wie Private anſprechen können und für jede Liquidationsforderung jich durch irgend ein Gericht eines Pfandes zu verfichern bejtrebt fein können, fo daß der Sund zulet gar feines Eigenthums, das doc, Eigenthum aller
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eiblic, wie man Blen auf ben voten EHE me aglih dat die Bunbesperfammlung ein em Falle bem Ausfprud eines Ge— desjtants fombromijjfarifh unters
er ns ‚Heidelberg und Leipzig 1855).
v. Profefch-Often’s hervor, daß
ven dab, a nicht nur das Recht der Klage 4 das der Beichlagnahme von Bundeseigenthum
len — aber das Verhalten des Blrgermeifters — trof feiner Eigenſchaft als Bundestagegefandter — tellung d Bundes in Vermögensfragen nicht unter doch auch eim eigenartiger Fall, daß jemand (hier
it, Fiſcher in ein unfreundfices Licht zu jegen, in gehäffiger Weiſe für jeine Zwecke verwendet. Wir meinen die ungünſtigen Bermögensverhältniffe, in weichen ſich Fiſcher damals befand. Deren Urjache war folgende:
Sifdher Hatte im Jahre 1833 ein Gut in der Nähe von Birkenfeld gekauft. Da jein eigenes Vermögen für den Ankauf nicht ausreihte, jo hatte er aus einem Oldenburger Fonds 5000 Thlr. unter perjönlicer Nüdbürgichaft des Großherzogs und fpäter, behufs weiterer Ansgeftaktung, noch 10000 Guiden von privater Seite entlichen. Da die Negierungsgejchäfte ihm nicht die Zeit liegen, das Gut ſelbſt zu bewirthichaften, und nachdem er mehrfach Unglüd in der Wahl feiner Verwalter gehabt hatte, er ſich Fiiher im Jahre 1846, das Gut an einen Herrn v. Th..... für den, im Verhältnis zu der für das Gut en Summe jehr geringen Preis von 25 000 Thalern zu verfaujen. Bald nachher wurde der Käufer zahlungsunfähig. Es entitand ein acht Jahre mwährender Prozeß. Während dieſer Sahre ſtand das Gut unter Sequeiter, und Fiſcher erhielt feinen Biennig Zinfen, er felbjt aber mußte die Zinjen für das ent- liehene Kapital bezahlen. Schließlich blieb Fifcher nichts übrig, als das Gut dur) einen Vergleich einfach wieder zurüdzunehmen?). Dazu fam, dab das Einkommen Fiſcher's ſich im Jahre 1848 plöglic; von 2500 Thalern mebft freier Wohnung auf 1500 Thaler vermindert hatte. So entitanden die von Smidt berührten finan- ziellen Bedrängnifje. Fischer Hat ſehr unter ihnen gelitten. „Die größte Sorge macht mir der Hof“ (gemeint ift das Gut, Fiſcher⸗ ‚Hof genannt); von dem Ausgang diefer Tag und Nacht meine Seelenruhe zerftörenden Sache hängt mein Leben ab", klagt er am 15, Oftober 1854 jeinem Sohne. Am 1. Mai 1855?) ſchreibt er: „Wären nicht die jchweren Privatjorgen, die auf mir wie ein drüdender Alp lajten, jo wollte ich die öffentlichen fchon ‚bewältigen, objchon meine Lage beijpiellos ift: Einer gegen Alle.“
2) Das Gut, Fiſcherhof, fand fpäter einen Käufer in der Perſon des
Herzogs von Arenberg. *) Slider war inzwiſchen Kabinetsminijter in Lippe⸗Detmold
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Es iſt begreiflich, daß dadurch im Sande eine große Mih- ftimmung erzeugt wurde, obgleich man ſonſt wenig Urjache Hatte, mit der Regierung an jich unzufrieden zu jein. Cs erhoben fid) bald auch außerhalb des Landes einflukreiche Stimmen, welche dem Furſten vieten, einzulenken ). Um 17. Zuli 1855 ſandte der Teßtere aus Frankfurt a. M. ein Schreiben, welches dem Stabinets= minijter die Dienftentlaffung anzeigte?).
Fiſcher verbrachte die folgenden Jahre in Halle, München, Freiburg und zulegt in Rödelheim, wo am 8. Auguft 1868 der Tod jeinem vielbewegten Leben ein Ziel ſetzte —
Die Thatfache, daß die Smidt-Bär'iche Schilderung Fiſcher's und jeiner Thätigfeit jo wenig beanjtandet worden ift, läßt ſich mur aus ber überaus großen Unpopularität Fiſcher's erklären.
Wir haben gejehen, wie Fijcher den erften Grund zu diefer Unpopularität nicht jowohl durch jein Wirken in öffentlichen Antern, als als vielmehr durch die publiciftifche Bethätigung feiner
9 BIER: — Poſchinger, Preußen am Bundestag, 1. Theil,
2 Br a — war Fiſcher gelegentlich eines in Coburg * Beſuches auf Befehl des Herzogs Ernſt IL. wegen Majeftäts- Be begangen durch feine 1851 dem Bundestag eingereichte Be— ſchwerdeſchrift (. ©. 356 Unm. 1), verhaftet, am nächſten Tage aber gegen Kaution wieder entlaffen worden. Bon der Königsberger Juriftenfakultät wurde diſcher fpäter wegen jenes Vergehens mit drei Monaten Gefängnis beftraft, von dem Appellationsgericht in Breslau indeſſen freigeiprochen. Jene Verhaftung Fiſcher's hatte begreifliherweije großes und allgemeines Aufs jehen erregt, doch ftand fie in feinem direften Zuſammenhang mit jeiner Berabjhiedung ald Kabinetsminifter. Fürſt Leopold hatte feinem Mintfter nad, deſſen Rüdlehr aus Coburg unzweidentige Beweije feines Wohlwollens gegeben und ihm, als er ſelbſt nach Frankfurt a. M. abreifte, ausgedehnte hen gegeben. In Frankfurt ſcheint man den Fürſten dann von
ber Nothwendiglelt überzeugt zu baben, einen Wechſel in der Perfon feines Minifterd eintreten zu laſſen. Um 28. Juli jchreibt der Fürſt in jeiner Antwort auf ein die näheren Gründe feiner Entlafjung erbittendes Shreiben Fiſcher's: „Bon Ungnade ift durchaus feine Rede, auch liegt weber Berläumbung noch Beſchuldigung gegen Sie vor — «8 foll nur ein Bechjel der Perjon jlattfinden, der mir aus höheren Rüchſichten bei den ‚geipannten Berhältnifjen im Lande und bei Ihrem vorgerüdten Alter nothe wendig erfhien.“
Uli
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als ſolcher nicht ungern fehen fonnte. Fiſcher war alt geworden in ben Ideen Metternich's und der Nejtauration. Wie wenige gab es unter den Staatsmännern jener Tage, die ſich loszumachen verftanden von den Banden jener veralteten Vorftellungen. Der Geiſt eines Bismard gehörte dazu, jolche Feſſeln zu fprengen und ſich durchzuringen zur Erfenntnis der Bebürfniffe feiner Zeit?). Nur Unbeil, meinte Fiſcher, konnte aufgehen aus ber Saat der Revolution, und che der neue Samen ausgeſtreut werden fonnte, mußte folches Unkraut ausgerottet werden mit allen jeinen Wurzeln. Er vertrat eine finfende, ihm unerjeglic) —— Welt, und er vertrat fie mit unbeugſamer Energie
und eiferner Konſequenz unbefimmert um die Gunft der Menge und um bie oft peinlichen Folgen für fein perjönliches Wohl- ergehen, die ein jolches Vorgehen mit fich brachte, — Er bejaß ein onerfanntes organijatorijches Talent und war von unermübdlicher Arbeitskraft und Arbeitsfreudigfeit. Seinem Schaffen und Wirken in den verjchiedenartigen Stellungen, welche er vor der Revolution
u) Ben gehörte übrigens bis an fein Ende zu den aufrichtigften (berern des ſtaatsmänniſchen Genies Bismarck's. So entnehmen wir einem Briefe Fiſcher's vom 12. Mai 1863 am feinen Sohn folgende Stelle: „Die Idee, nad) Preußen überzufiedeln, provocierte bei mir grade ber Umftand, den Du ald Anhänger des vulgärspolitiihen Glaubens einen troſtloſen nennt, id) aber als die Morgenröthe des Wölferheils begrüße. IH als politiiher Korangläubiger bete: ‚Es iſt nur ein wahrer König, Bilhelm, und Bismard ift fein Prophet“... Und das fchrieb Diſcher zu einer Zeit, in der Bismard wohl der meiſtgehaßte Mann in ganz Deutſchland war, und obwohl er der Überzeugung lebte, daß Bismard die Veranlafjung feines Sturzes in Lippe-Detmold geweſen war. Bol. auch den bei Horſt-Kohl, Bismarck-Jahrbuch V, Leipzig 1898, ©. 18 f. " abgedrudien Brief Fiſcher's dom 17. Juni 1847 an den preußiſchen Abe geordneten v. Bismard. — Die Kinder Fiſcher's theilten, wie aud aus den angeführten Zeilen hervorgeht, vielfach nicht die politischen Anfichten ihres Vaters. Diefer Gegenjap hat aber auf die perfünlihen Familien Beziehungen feinerlei jlörenden Einfluß gehabt. In der Familie Fiſcher's wird feiner jiet3S mit der größten Verehrung und Danlbarfeit gedacht. Denn Smidt in dem erwähnten Briefe an Schele fagt, gelegentlich der „Berjagung“ Fiicher'8 aus Birkenfeld hätten fich die Fiſcher'ſchen Söhne zur Öegenpartei gehalten, jo widerſpricht auch dieje Behauptung durchaus — Thatſachen.
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5 Anlage 2.
herzosl. fächfiich-hildburghanfifchen Candſchaft. haben wir aus Ihrem Schreiben vom 2. dieſes Monats entſchloſſen find, uns zu verlafien. Indem wir Ihnen mg von Ihren landſchaftlichen Stellen hiermit ertheilen, an, Ihnen zu bezeugen, daf Sie ſtets auf eine höchſt ausgezeichnete Weije Sich Ihrer Dienſtpflichten ent-
‚an Ihren Fleiß und Ihren Eifer im Dienft wird ſich | In den Segmungen ber Heilfamen Inſtitutlonen, die
Dr. Saur. Hann Fiſcher und die Auflöfung der deutſchen Flotte, 287
abgehalten, Ihre Zufchriften zu beantworten, denn an Arbeit fehlt es nicht nn unſern bewegten Zeiten, wo jo mandje vergebliche Arbeit gemacht wird, Habe aufrichtig bedauert, daß für den Augenblid die Verwendung Shrer Perjon eine Unmöglichteit geworden ift; ein Schidjal, das Sie aber mit vielen ehrenwertfen Männern theilen, denn in unferer Zeit der Melmungsdespotie und der Volksjouverainität ift mehr denn je, der augens bidfiche Stand der Meinung bie Autorität, bie entjcheidet, und den Regie— tungen, der Meinung der Menge nad, wenigftens in dem füdliden Teutfchland nur no connivendo da find, das Geſeß macht. Ob und wie fih geftalten wird, das weiß Gott allein. Ich jehe ſchwarz
das Ganze Sehe ſchwarz, und vermag weder beftimmt die Entwidelung vorher zu jagen
noch zu ahnen, und fann demnach feine Verfprehungen geben; aber id) ergreife gern dieſe Gelegenheit, Ihnen meine Anerkennung mit Ihren mir
Ueberzeugung, daß Ihre Anfiht die richtige jet, gehandelt haben, und daß wenn Sie auch bin und wieder geirrt Haben mögen, jo waren Sie gewih immer burddrungen von der Ridtigleit der Anſicht, die Sie vertbeibdigten, und wenn Sie vielleiht bisweilen dieje Anſichten nicht mit der Vorſicht vertraten, bie die Politit rietb und Ihr eigenes Intereſſe rathſam machte, jo mußte dieh die Achtung eher vermehren, die jeder dem redtlihen Manne zollen muß, der jeine Meinung nit irgend einer Gunſt aufzuopfern verſteht. Die Neberzeugung, jeiner Pflicht unb jeiner Beftimmung gelebt Haben zu wollen, muß Uns alle in diejer bewegten Beit aufredt halten, und wenn uns aud dbie@egenwart die Anertennung verjagt, jo wird gewiß eine Zeit fommen, bie Gerechtigkeit übt, und das Andenken derer ſegnen wird, die das allgemeine Wohl zu bejörbern juhten, und denen es gelungen ift, das Wohl bes gemeinfamen Baterlandes zu befördern. Ich hoffe bald beſſere Nachrichten über Ihren Gejundheitszuftand zu erfahren und wieders Hole Ihnen die Berfiherung meiner bejonderen Hochachtung und Zu— neigung. (gez) Auguſt.
Anlage 5.
Bandfchreiben des Großherzogs. d. d. Maftede, den 29. Juni 1849,
Mein lieber Geheimer Staatsrath Filher! Mit vielem Dante fende 34 Ihnen das Mir mitgetheilte Billet des Generals von R. Hieneben
Dr. Laur. Hann. Fiſcher und die!Auflöfung der deutſchen Flotte 289
Ihrem Schreiben vom 28. Februar d. J. empfangenen Schrift, für deren Bumendung Ich Ihnen verbindlich danke, gern Veranlaſſung, Ihnen durch Berleifung Meines rothen Adler⸗-Ordens 2. Klaſſe, defien Infignien Ihnen Mein Minifter der auswärtigen Angelegenheiten überfchiden wird, ein Beichen des Wohlwollend zu geben, weldes Sie in Ihrer früheren fegensreihen Wirkſamkeit zu erringen gewußt haben. Ich verbleibe des Herrn Geheimen Staatsraths
Wohlgeneigter (gez.) Friedrich Wilhelm.
Oiſteriſche Zeitſchrift (Sd. 85) N. F. Vd. XLIX. 19
Anlage 6. Kabinetsſchreiben Sr. Majeflät des
Dr. Laur. Hann. Fiſcher und die? Auflöſung der deutfchen Flotte. 289
Ihrem Schreiben vom 28. Februar d. J. empfangenen Schrift, für deren BZumenbung Ih Ihnen verbindlich danke, gern Beranlafjung, Ihnen dur Verleigung Meines rothen AdlerOrdens 2. Klaſſe, deſſen Infignien Ihnen Mein Minifter der auswärtigen Angelegenheiten überfchiden wird, ein Zeichen des Wohlwollend zu geben, welches Sie in Ihrer früheren fegensreihen Wirffamfeit zu erringen gewußt Gaben. Ich verbleibe des Herrn Geheimen Staatsraths
Wohlgeneigter
(gez.) Friedrich Wilhelm.
Hiftertice Beitichrift (Bd. 85) N. F. Bd. XLIX. 19
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Pater P. Laymann S. J. und die Hexenproceſſe. 201
ne Vermuthung durch ein älteres Zeugnis zu beſtärken, das den erren Duhr und Riezler unbekannt zu fein ſcheint, denn feiner er ühnt es. Ich leſe bei Joſeph Hartzheim S. J. in feiner befannten ibliotheca Coloniensis 1747, ©. 182, folgendes;
»JOANNES JORDANAEUS 1610. ı. Novembr. in rieoronato Gymnasio admittitur ad Examen Baccalaureatus, ostmodum sacrosanctae Theologiae Doctor, Collegiatarım eclesiarum Ss. Cassii et Florentii Bonnensis, et B. M. Res- ınsis ac Parochialis sancti Remigii Bonnae Canonicus et astor. Edidit
Disputationem brevem et categoricam de proba stigmatica, ....
Processus juridieus contra sagas et veneficas, das ist, ein recht- it gutem Fleiss und gründlicher Probation und Bewei[s durch \ Paulum Layman 5. J. Theol. et JC. Doctorem in Lateinischer prach geschrieben, jez! von Gerichtshälteren und guter Justitz tefreundten sum Besten verteutschet, mit bewährten Historien ver- \ehret, tacilo nomine a D. Doctore Jordanaeo Oanonico t Parocho Bonnensi, jussw serenissimi Prineipis Archi- !piscopi.i) in 4o gedruckt zu Cöllen bey Peter Metternich p. 91. 1629,«
Damit ift vielleicht ein Fingerzeig gegeben für das Auffinden er etwaigen Beziehungen des Paters Laymann zu jener angeblichen huchhändler-Spekulation, die bei feinen Lebzeiten an zwei Orten Köln und Aſchaffenburg) erjchien und gegen die während der nod) Hgenden ſechs Jahre feines Lebens feine Korrektur und kein Protejt on ihm laut wurde. Seine Vertheidiger haben wenigitens nichts erart beigebradjt.
Iſt die Angabe von Harkheim zutreffend, jo war ein Kirchen— irſt der Urheber des neuen Herenhammers und ein Canonicus und Seelenhixte fein Schmied. Das erinnert mid an eine Stelle bei Jaul Maria Baumgarten, dem päpftlihen Kammerheren, die in den franffurter „zeitgemäßen Broſchüren“ 1883, 5, 144 über die Hexen— tocejje jteht. Sie lautet:
„Mit Beihämung müfjen wir gejtehen, daß die Hierarchie des uögehenben Mittelalter8 wie in anderer Beziehung, jo auch in dieſer
2) Der Sperrbrud ift von mir, 19°
_®) Zu vergleidien Jofeph danſen, 3 7m —
Genealogie. 295
Ob das mit Recht aud) von der Gejchichte anderer Länder behauptet werden Tann, ericeint doch wohl zweifelhaft. Zufällig liegt auf meinem Tiſche, indem ich dies ſchreibe, Balzer's Genealogie der Piaſten, — bon dem ich überzeugt bin, daß der Bf. feine freude daran wenn e3 ihm zugänglich wäre, Ebenfo hat bie italies — und die engliſche Geſchichtsliteratur manche Leiſtung im Sinne der erhobenen Forderungen aufzuweiſen. Aber dieſe Betrachtung des BVerhältniffes der Genealogie zu den verwandten Wiffenfchajten mündet in er. Unterfuchung über den hiftorifchen Fortſchritt aus, welche eine der wichtigiten und interefjanteften Fragen vom Begriff und der Bes wegung der Menjchheit enthält, und in welcher die Stellung bes Bi. mohl am meiften Widerjpruch erfahren dürfte, denn fie it durch den ſchroffen Widerſpruch gegen die aus Bequemlichkeit, Sentimentalität, Optimismus, Nachahmung des religiöfen Dogmas, und jchmeichelnder Slufion hervorgegangene Theorie bezeichnet, die mit ihrer Prognofe eines dereinjtigen irdifchen Paradiejes ebenfo populär ift, als das religiöfe Dogma mit feinem Hinweis auf das jenfeitige. Soviel wie im Sinne der Uuswidelung der menſchlichen Fähigkeiten der Lehre vom hiſtoriſchen Fortſchritt vom Bf. zugejtanden wird, bietet nach ihm aber grade das Feld dar, auf welchem von der Genealogie vornehmlich enticheidende Aufichlüffe zu erwarten find,
Weniger dialektifch it der Vortrag in der Abtheilung der for genannten Probleme, infofern hier mehr mit Thatfachen ans der durch das Lehrgebäude gellärten Genealogie und folchen aus den einzelnen Bmweigen der Biologie operirt wird, Die beinahe ftürmifchen Ge— Dantenläufe des Wi. find hier überaus intereffant und feſſelnd. In den allerwichtigiten Fragen der Biologie wird hier am Beifpielen der Gewinn umfchrieben, den die Forſchung aus der Mitwirkung der Genea— logie einziehen kann. Ob der Enthufiasmus nicht zumeilen über bie Grenze der denfdaren Möglichkeit hinausführt, wage ich nicht zu eniſcheiden, wie jehr e& mid, auch manchmal dünkt. Jedenfalls dürfte es als zu meitgehend anzujehen fein, daß das zur Beit ſchon vor— bandene Material nur der ziwecgemäßen Aufarbeitung bebürfe, um ‚unanfechtbare Proben von der Leiftungsfähigleit der Genealogie für- ‚die Probleme der Biologie zu liefern. Das vorliegende Material trägt doc noch zu jehr das Gepräge des Dienftes für dad Vorurtheil. Ob es ausführbar fein wird, ein breiteres, allfeitiges und unbedingteres Maoterial für Die bochgeftedten Ziele der Abſtammungslehre zu gewinnen, wird bielem nicht jo ficher erjcheinen als dem Bf. Der nächſte Wunfch
Alte Geſchichte 299
Dahin präcijiren, daß ber römiſche Staat die Chriftenqualität ver folgte und ahndete, und zwar als ſolche, nicht indirekt, infofern ledig⸗ lich ein dem Chrijten gebotenes Berhaften unter Strafe gejtellt war. Die Beitrafung erfolgte aber nicht infolge eines gejeplichen Verbots des nn und mittel® ordentlichen Strafverfahrens, fjons dern auf Grund und im Wege der Ausübung des magiftratischen a. Den Anlaß biezu boten theils offenkundige Thats * wie insbeſondere die Leugnung der heidniſchen Staatsgötter
und die Verweigerung des Kaiſerkultes, was ſich füglich Friminalrecht- lich unter den Begriff des erimen laesae maiestatis bringen Tief, theils die Greuel (Inceft und Kindermord), deren der Vollsaberglaube die Chriſten verdächtigte. Doc waren alle dieje Umftände im Grunde mehr die Vorwände ber Verfolgung, welcher der von den Negierenden zugelafjene, zuweilen jelbjt gepflegte Chriftenhaß der öffentlichen Meinung zu Grunde lag. Dies ift der Stand der Dinge bis zu ben allgemeinen Ebiften: epochemadend war innerhalb diefes etwa zwei Nahrhunderte mwährenden Beitraums fediglich das Trajanische Edilt, indem es durch das Conquirendi non sunt der Verfolgung Grenzen zog und indbejondere dem Abfall zum Heidenthum frafausfchliegende Kraft zuerlannte, zus nachſt unter Wegfingiren ber chriſtlichen Vergangenheit, bis fpäter der Nichter von Amts wegen auf Abſchwörung des Chriftenthums bins arbeitete, wenn auch die Folter zu diefem Zwecke nicht vor der Mitte des 3. Jahrhunderts in Unmendung getommen fein mag-
Nef. jpendet dem Bf. gem die Anerkennung genügender Kennt» nis des Materials, der Durhdringung des Stoffes auch nad, der jurifliihen Seite und des Bemühens, mit möglichſter Unbefangen- Heit den von ihm verfündeten methodischen Principien geredht zu werben. Nur möge er nicht verfennen, daß feine Gegner, zu denen nach dem Maße der ihm gewidmeten Polemik vor allen amdern der Ref. gehört, dasjelbe für fid in Anfpruch nehmen und, wenn fie zu ab- weichenden Ergebnifjen kommen, dies aus der Differenz; don auf Geburt, Erziehung und Entwicklung ruhenden Grundanfchauungen erklären, über welchen Gegenfag billig an dieſer Stelle nicht gerechtet werben darf. Vielleicht gründet fi) auf dieſe Differenz auch die ver— ſchiedene Werthung der Alten und Paffionen, welche der Bf. für feine Aufitellungen ftärfer ausbentet, als mir angängig zu jein fcheint. Mef, Fann indes nicht verſchweigen, daß er nicht lediglich auß diefem Grunde in feinem Gegenſatz gegen den Bi. beharrt. Derſelbe beſteht ins- bejondere darin, daß nach der von mir vertretenen Anſchauung nicht
* Berlagsbuchhandlung. &benda 1895. VIEL, 356 u. VIII, 466 ©. wi De8 Bu wi fh on Zunfen's g of
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fondern weit darüber hinaus der Gefchichtöliteratur gegeben hat — es wäre einfeitig, das nicht zugugeben — vor diefem Erfolg ift der Bf. ſicher, auch wenn es gelingen jollte, dem Buche eine populäre Verbreitung zu geben. Man hätte meinen follen, daß der Bf. mit ber frage über jeine Volation für eine fo gewaltige Aufgabe ſchon mit jich hätte im Reinen fein müfjen, nachdem er zubor ſchon ein Bud) unter dem Titel „Syftem und Geſchichte der Kultur“ veröffent- Gicht Hat, in weldem er mit fouveräner Hoheit auf das armjelige Streben aller derjenigen herabblidt, welche ohne Belenntnis der fathos lifchen Dogmatik ſich herausnehmen, Ordnung und Sinn in die Er ſcheinungen der Kultur zu bringen und fie durch Kaufalitäten aus ihrem eigenen Wejen ohne jedesmalige Hülfe transjcendenter Allgewalt zu ers Nach jenen Hangvollen, thatſüchlich aber inhaltsleeren Theorien, die alles in allem nur auf eine in die Masle der Wiſſenſchaftlichleit umge— Heidete Theologie hinauslaufen, hätte man vorausjegen dürfen, daf ihm bei dem neuen Buche, welches gleihjam das Paradigma auf jene Ge— ſchichtsphiloſophie jein fol, die methodijchen Bahnen feit und be— fimmt fein müßten. Statt defjen führt er in eigener Don Quixoterie einen Kampf mit den Windmühlen über bie Frage auf, wer vorzu— fei, der „tüchtige Detailforjcher“ oder der „univerfalhiftorifche Kompilator”. Die Antitheje gehört der eigenen Logik des Bf. an, Er erzählt jeinen geiftigen Lebensgang. Er fühlte in fich nicht „die alle zugroße Bejceidenheit,i beffer gejagt Schlaffheit und Feigheit, bie höheren Probleme über den Einzelfragen aus dem Auge zu lafjen und bie Darbietung abſchließender Forſchungen nicht zu wagen", Nein, dieſe Beſcheidenheit befaß er nicht, wohl aber „die Kühnheit, auch ohne den Untergrund zahllojer Einzeljtudien Zufammenfafjendes und zu bieten", und zwar umfomehr, als „der einzige im
neuerer Zeit als berechtigt anerkannte Welthiftorifer, Ranke“ zwar den bejagten Untergrund beſaß, „allein als Empiriter (!) doch wieder zu wenig für allgemeine Zufammenhänge ein offenes Auge hatte”. Der Bf. „wenigftens fonn in ihm nicht jenen Meifter exbliden, als ben man ihn den Geſchichtsforſchern darftellt*. — VBedauernöwerther, unfterbliher Ranke, das haft du davon, ba du mit deinem für all- gemeine Bufanmenhänge verllebten Ange dich unter die Welthiſtoriler gemiſcht haft! Du hätteft dich an die Lehrfähe des Herrn Grupp halten follen, „daß man darauf wird verzichten müſſen, einen welt zeſchichtlichen Aufbau aus der Hand eines überall heimifchen Detail» orſchers hervorgehen zu jehen, daß man e8 wird wagen und ertragen
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Mittelalter. 803
arabifches Heldenthum und Prophetenthum (2 Seiten) und Mohammed @ Seiten), die überdie® bon einem weitläufigen Auszug aus dem Koran find, und mit den wenigen Notizen im 2. Bande, wo die mohammedaniſchen Einwirlungen während der Kreuzzüge bes rührt werden, ift die Aufgabe nicht erfüllt. Ebenſo dürftig ift die des „Byzantinerthums“ und feiner Bedeutung für die abendländifhe Kultur. ragt man, fo jet der Vf. augeinander was das byzantiniſche Reich ein Jahrtaufend hindurch troß feiner erhalten hätte, jo müffe man imnterhin bevenfen, daß „die rönsifchechriftliche Grundlage auch da ihre Kroft bewährt“ hatte. „Der entſcheidende Grund aber für die Fortdauer dieſes Neiches war der Wille der göttlichen Vorſehung, welcher das Reich zu einer Zuflucht und Aufbewahrungsftätte aller Geifteserzeugnifje und Kulturelemente des Allerthums auserjah.” Und dann wird ausgeführt, wie der uns reife Geift der Barbaren durch den Reiz des Heidemhums leicht zur chriſtlichen Entwicklung hätte unfähig gemacht werden können, und daß die Antife daher nur tropfenmweife hätte zugeführt werden dürfen, — Und diefer Beruf als Minimaldofirungsgefäß ift der providentielle des byzantiniſchen Reiche. Was joll man dazu ſagen? Unzweiſelhaft beſſer iſt der 2, Band, in welchen dem Vf. ein reicherer Untergrund von Literatur zu Gebote fteht und in welchem jein berujener philofophifcher Ausgangspuntt, der ſonſt einen Kultur— hiftorifer nicht grade ſchüdigt, mehr zurüdtritt. Namentlich die reiche lichere Behandlung der Wirthſchaftsgeſchichte fällt bald in's Auge, und es wird zugejtanden, daß die Furcht vor ber „anſpruchs- vollen Detailwiffenihaft“ ein größeres Eingehen auf „Einzelheiten“, wir lieber auf Saclichkeit, veranlaßt habe. Der allgemeine bleibt überall derjelbe, und darin liegt wohl ein-befon«- - derer Werth des gut und intereflant gefchriebenen Buches. Man erſchridt ordentlich, wenn man z. B. die Upologie der Inquiſition lieſt, aber es ift doch nicht ohne Vortheil zu hören, wie man fich auf der Seite ber nicht einen und zur Dffenfive gegen die Wiſſenſchaft des 19. Jahrhunderts übergegangenen Partei die Vernunft aud) folder Erfcheinungen zurechtiegt. Das Buch follte, fo meine ich, von den = auf den firchlichen Univerjalismus Eingefchworenen nicht bloß mit Achſelzucken über wiſſenſchaſtliche Unvolllommenheit über ber Achſel angefehen werden. Es ift immer gut, das Geſchühweſen des Gegners genau zu fennen. Breslau. J. Caro.
Mittelalter. 305°
im Königegericht gefälltes Urtheil zu ſchelten md die Urtheilſchelte fiebenfahen Zweilampf zu verjechten.
en — dieſe Vorrechte fiindet G. in dem Vericht der Nienburger Jahrbücher (erhalten im Annalista Saxo ed. Waitz, 88. VI, 722), demzufolge Heinrich IV. den. Sachjen zuficherte: Ne ipse eis infringeret, quod a tempore expugnatoris 5eorum Karoli honestissimumque habuerant. Troß der Berufung auf G. Waig, der bei diefer Angabe auf Sfp. I, 18 verwies, vermag ich ©. nicht zu folgen, wenn er er— daß die von ben — in Anſpruch genommenen Rechte ſein können“ als die von Eile erwähnten, die er ae Ba) — constituta bei Qampert von Hersſeld gleichjept.
Einen dentlichen Hinweis jodann auf das erfte Vorrecht der -
nr ©. in folgenden Werfen des Carmen de bello. Saxonico (ed. Holder-Egger ©. 2 und 3): . I 42: Pupillus et advena quivis 0 Indigenas prohibent silvis communibus uti, 0 Pascua praeripiunt, abigunt arımenta gregesque, Heredes eircumveniunt, vi predia tollunt. 5,82 f.: Vidune, pupillus et advena quisque, m - _Nuper desueti, vim sunt iam denuo pasi. — ug von Waiſen und Stammfremden iſt nad) ſches Sendlabisin, aufzufaflen, in welchen pupillus adjeltiviſch, d. h. der Verwaiſte ald ſtammfremd, als ober nicht vollſachſiſch charalteriſirt wird, und. durch den. ſüchſiſchen Vorrechts ausreichend zu erklären, nicht ſachſiſchen oder nicht vollſachſiſchen Waiſen nge aus Ehen ſchwäbiſcher Männer mit ſächſiſchen und ihren ſächſiſchen Spindelmagen gegenüber exrbunfäbig: cher Aufiaffung waren ftatt ihrer nur die rein jächfiichen lommen eines jähfifchen Erblafjers zu Erben bexufen“ (&. 11). fieht, daß im der Ausgabe des Carmen bei jenen Verſen auf ie WBulgata verwiefen war, bie viduae, pupilli und advenae häufig ufommenfiellt. Diefer Hinweis allein genügt, um bie weitgehenden ingen abzulehnen. Formelhajt wiederholte der Dichter eine Neminiscenz, nicht aber ſchuf er jelbit eine Verbindung mit o mühjam zu ermittelnder Bedeutung, und um eben dieſer Remi— SRorilte Beine (BR. 86) N. Ob. XLIX.S 20
Mittelalter. 307
ſchwören, um jeber — — etwa durch das inquiſi⸗ toriſche Berfahren, entgehen“ (S. 30 fſ). Bon allem iſt im Sachſenſpiegel mit feiner Silbe die Nede; feine Worte beziehen ſich ausſchließlich auf Schuldforderungen an einen Sachſen, der ihrer durch Eid fich entledigen konnte, nicht auf Forderungen von Dienjten und Geiftungen, die fein Stanbesrecht berührten. Man vermifit ferner den Beweis der Gültigkeit jener Rechte Schon im eliten Jahr— hundert. Ihre Erwähnung im Sachſenſpiegel allein ift noch fein Zeichen ihres Alters, mag immerhin der Spiegler fie aus der Zeit Karl's des Großen herleiten. Aus einer von G. richtig gefenns zeichneten Neigung wird der Name Karl's genannt, aber wenn er das Neichsoberhaupt, „welchen diefe Vorrechte abgebrungen wurden“ 32), in Heinrich II. wiederfindet, wenn er wiſſen will, daß fie in ihrer antifisfalijhen Bedeutung . . . 1002 umter den fächjifchen Großen vereinbart und . . . (im mämlichen Jahre) von bem Reichs— oberhaupt gewährleiftet worden find“, jo knüpft er hier wieder an die verfehlte Interpretation am Eingange der Schrift wie an bie künftlichen Deutungen in deren Verlauf.
Man muß eingeftehen, daß über dem Urfprung !jener echte feine ſicheren Nachweiſe zu erbringen find. Damit fällt aber =
a
BE ie bie Wichtigkeit des inquiſitoriſchen Verfahrens betont hat. — — A. Werminghoff.
Deutfehe Studenten in Bologna (1239-156. Viogrophiſcher Inder zu ben Acta nationis Germanicae universitatis Bononiensis, Von Gufan ©. Kuod. Im Xuftrag der Kgl Breufticen Akademie der Wiſſen {haften bearbeitet. Berlin, R. v. Deder’s Verlag, ©. Sthend. 1899. XXV, 1 8, 765 ©.
‚Die ültefte Geſchichte der Univerfität Bologna ift für die Kenntnis ber Entwidfungsgeichichte der deutfchen Univerfitäten und des deutjchen alademifchen Lebens überhaupt von ganz hervorragender Bedeutung. As daher im Jahre 1887 die Acta nationis Germaniese universi- tatis Bononiensis durd; Ernſt Friedlaender nnd Carlo Malagola Herausgegeben worden waren, jahte die Kgl. Preußiſche Akademie der Biffenfchaften in vollfter Würdigung diefer bedeutungsvollen Ver—
20*
— EL — — —
— a Be a er N ee —
Neformationszeit. 309 en ee re daß er bei ber oft ſtarlen Ver⸗
bei dem einen oder anderen Namen Teicht' audh od etwas Literatür anzuführen gewejen, jo z. B. bei Caspar Nidprud (Nydprud) (S. 375) Mofel’s Beidiichte der tk. Hojbibliothetzu Wien (1835), bei Bohusiaus
wird fid) durch die darin enthaltenen Hinweife von einer Namens- forım auf die andere beim Nachjchlagen als befonders niglic) erweifen.
den vorliegenden biographiſchen Inder ift der Werth der Acta erjt in's rechte Licht gefept worden. Namen wie Ulrich von Butten und Nicolaus Kopernikus inmitten einer großen Zahl anderer, die in der Geſchichte des deutichen Geiſteslebens ruhmdoll verzeichnet find, mögen bie Bedeutung des Werkes und ber Hochſchule, auf deren Akten es ſich aufbaut, andeuten. Der Inder ift ein ſchwerwiegender Beitrag zur Gejchichte der geiftigen Wechſelbeziehungen zwiſchen Deutſchland und Ztalien namentlich im Zeitalter des Humanismus. Noch find diefe Beziehungen in allen Einzelheiten wie auch ihrem Geſammicharalter nad nicht (völlig erforſcht und wiſſenſchaftlich niedergelegt, aber die Forjchung der Gegenwart knüpft kräftig wieder an an das Zeitalter der Renaiſſance. Für die Förderung deutfcher blo— graphiſcher Kenntnis, wie fie der Inder anf dem Boden italienijchen CE bietet, verdient der Verfafjer reichen Dant.
F: Eichler.
Des turſachiſchen Rathes Hans von der Planig Berichte aus dem Reichs⸗
zegiment in Nürnberg 1521—1528. Gefammelt von Eruſt Wülder, nebft
Attenftüden bearbeitet von Hans Bird. Leipzig, ®. ©. Teubner.
1599. OXLIX, 688 &. (Aus den Schriften der Königlich; Säcjfifchen SKommiion für Gejicichte)
Hand von der Planig, auf der gleichnamigen Burg füdlich von
Bimidan um 1474 geboren, ſtudirte die Nechte in Leipzig und Ingol⸗
Neformationszeit. a1ı
. nicht als unbetheiligter Zuſchauer referirt, fondern durchaus als Mithandelnder in den Ereigniffen fteht, über die er feinem Kur— fürften zu berichten hat. Planig war die überaus bedeutungsvolle Aufgabe zugefallen, die Politik Friedrich's des Weifen wie im übrigen, fo insbefondere in der Firchlichen Frage, der Affaire Luther's, zu vers treten, und er that dies, wie feine Depejchen zeigen, ebenſowohl in hingebender Begeifterung für die neue Lehre (der er feit feiner An— weſenheit bei der Leipziger Disputation 1519 unverbrüchlich anbing) wie mit größter Umficht. Unleugbar ift, daß, jo fchwer man auch on die Möglichkeit einer völligen Unterdrüdung des durd Luther wiebergebrachten Evangeliums glauben mag, damals doch unendlich viel darauf anfam, ob Friedrich der Weife den fühnen Neuerer vor dem Anfturm feiner Feinde dauernd werde fehüpen können, und indem Planig den Intentionen feines Gebieters, bie mehr darauf hinaus— Tiefen, jede Vergewaltigung Luther's zu verhindern als dieſem pofitiv Vorſchub zu leijten, getreulich und mit großen Geſchick gerecht wurde, jeder Probocirung der Gegner aus dem Wege ging,' aber fi) eben- fowenig durch deren Drohen und Poltern fchreden jlich und es der— ‚geftalt dem Kurfürjten erleichterte, Die eingenommene Haltung zu ‚behaupten, hat der ſachſiſche Edelmann der lutherifchen Sache einen großen Dienft gefeiftet und darf denen Hinzugezäßlt werben, welche um das Auflommen und Durhdringen der neuen Lehre ſich in erſter Linie verdient gemacht haben. Allerdings fam den Anhängern Luther's Die fortgefchrittene Decentraliſation im Reiche zu Hülfe, die ein geſchloſſenes Vorgehen des lepteren zu Gunften der Ausführung des Wormier Edilis als eine Unmöglichkeit erſcheinen ließ. Es fonnte — das zeigen die Briefe Planip’ vom Reichsregiment zur Ges nüge — ſchon damals kaum noch zweifelhaft fein, dab die kirchliche ‚Frage in Deutjchland nur territorial, nicht centraliſtiſch entſchieden und gelöjt werben würde. Mit plaftiicher Deutlichfeit treten ung aus den ausführlichen und inhaltreichen Briefen des kurſächſiſchen Deputirien Die Faktoren entgegen, welche damals die Geſchicke unjeres Raterlandes bejtimmten: der ber deutjchen Dinge völlig unfundige, wrähige Erzherzog Heichsjtatthalter, die der laiſerlichen Aufficht ent» Hobenen, in mannigfahen Parteiungen gegen einander gewandten Großen, die im ihrer herfömmlichen Autorität bereits er fcpütterten geiftlichen Zürften, bei deren Unterthanen es vernehmlich zu gähren beginnt, die Städte in zuwartender Haltung, ber unruhige Meichsadel, welcher gerade damals vor Burg Landituhl den ver—
Reformationgzeit. 313
und die Sächfifche Kommiſſion ſowie der Herausgeber haben ſich um die deutjche Reformationsgeſchichte beſtens verdient gemacht. Rom Friedensburg.
Die „Wiedertäufer“ im Herzogthum Jülich. Studien zur Geſchichte der 9 —— beſonders am Niederrhein. Bon Dr. phil. Karl Rembert. — Gaertner. 1899. XI u. 637 ©.
Der Bi. fagt in der Vorrede: „Won der vorliegenden Abhande lung exfdjienen bereitö 1893 die beiden mittleren Theile als Diſſer— ——— dem Titel; Die Wiedertäufer im Herzogthum Jülich,
2 und 3, Münfter i. @., Bredt. (Jept mit einigen Anderungen.)
Sn —— Titel iſt aus dem Grunde gewählt, weil die ſchon
damals als Ganzes vorliegende Arbeit mannigfach erweitert iſt und
manche Dinge herangezogen find, welche den engen Rahmen einer der ‚Wiebertäufer im Herzogtum Jülich überfchreiten. Hinderniffe,. die Studien und dienſtliche Verhältnifje des Pf. mit ſich
1, haben bis jeht die Veröffentlihung verzögert. Nur knapp beı e und häufig längere Zeit ganz unterbrochene Mufeftunden * zur Verfügung; daher wird mancher Mangel in der Aus—
durch die langjame Art der Entftehung zu entſchuldigen fein,“ in der That dem Werfe nicht geichadet, wenn der Bf. es > einmal geündlid, durdhgearbeitet und mit ftrenger Selbſtzucht ſtraffem Aufbau alles ausgeſchieden hätte, was nicht zur © gehört. Die Lektüre des Buches ift feine erquwidliche. Der
— nicht bei der Sache zu bleiben; nicht ſelten fieht ſich der
: genöthigt, vorn im der Inpaltsübericht fi) wieder zu orien= tiren, Be was denn eigentlich in dem betreffenden Kapitel gehandelt Een Schon Guftad Voffert, auf deſſen Recenjion im Lite: Gentralblatt Jahrg. 1899, ©. 1314 ich bier zuftimmend ausprüdlich Bezug nehme, Hagt, dab den ®f. immer wieder der Baden teilt und der Stofj Herr über ihn geworden iſt. Die formale des Tertes läßt viel zu wünſchen übrig; auch an Druck—
feblern fehlt es nicht.
Was die Frage nach der Herkunft der Wiedertäufer anbelangt,
oo fteht der Bf. volljtändig im Banne der Keller'ichen Anſchauungen; He das allmählich berühmt gewordene Kapitel Waldshut figurirt wiederum (©. 81) als eine „evangeliiche Bruderſchaft“, troßdem doch Hermann Haupt (Deutſche Literaturzeitung Jahrg. 1897, ©. 578)
Reformationszeit. 315
Warum joll diefes Büchlein nun gerade am Niederrhein im 16. Jahr- hundert die wunderbaren, Wirlungen gehabt haben, die dem Vf. vor— ſchweben? Heißt das den Bufammenhang der Dinge erforjchen? Die Wiedertäufer berufen ſich wohl auf die Bibel, aber, joweit mir befannt ift, nirgends auf die Imitatio. Die oben angezugenen Aus- führungen Rembert'2 find in ihrem Kern aus Keller's Geſchichte der Wiedertäufer, Münſter 1880, entnommen, aber wer die ganze Stelle bei Seller nachlieſt, 2— daß dieſer ſich doch weſentlich vorſichtiger gt hat. In feinem Werke über die Reformation und die
ältejten Meformparteien, Leipzig 1885, ift Keller auf das Büchlein des Thomas von Kempen — diefer ift doch wohl mit Funk endgültig als ber Verjafier der Imitatio anzunehmen — nicht wieder zurüds gefommen.
©. 88 jtellt der Wf. die Frage: „Sind die beiden Begriffe „zäujer“ und „Böhmiiche Brüder“ und deren Verwandtſchaft ver- ſchiedene Erjcheinungsformen ein und derjelben religiöjen Gemeinf Haft, ober iſt nur Familien oder Gattungsverwandtſchaft
diefen vorhanden?“ und bemüht ſich dann nachzuweiſen, daß bie erftere Frage zu bejahen fei. Nun hat aber doch Luther mit den Wiedertäufern ſtets jede Gemeinjchaft abgewiefen und fie ſcharf bekämpft, während er den Böhmifchen Brüdern gegenüber ein wejent- lich anderes Verhalten beobachtete und ſchließlich in ein näheres Vers bältnis zu ihnen trat. Alfo muß Luther, dem doc aud wohl ein Urtheil beizumeffen ift, anderer Anficht gemwejen fein. In Übereinſtimmung mit obigem heißt es weiterhin S. 100 f. (wiederum im Anſchluß an Keller):
„Es kann fich hier für und nur darum handeln, das Vorhanden— fein „criftlicher Brüdergemeinden“ in allen Gegenden Deutſchlands umb darüber hinaus nachzuweiſen und darzuthun, daß aus ihnen bie jpäteren jog. Wiedertäufer hervorgingen baw. mit ihnen identifch find, deren Grundlehren fie natürlich auch zu den ibrigen machten.
Wie wir nun diefe alten Genteinden‘, die vor und während ber Reformation beftehen, nennen mögen, die Thatſache läßt ſich nicht bejeitigen, daß wir nur eine Partei vor uns haben bzw. zwei Epoden derjelben Gemeinſchaft, die verjdiedene Namen tragen.“
Das ift deutlich gejprochen und damit die Anfchauung des Bf. hinreichend feitgelegt. Um jo überraſchender wirfen daher Die
Reformationszeit. 317
©. 556: „Wie eine unwiderſtehliche, ſiets wachſende Flut übers ſtrömte der Anabaptismus von der Schweiz aus die Deutfhen Lande und begann auch bald im Norden jeine bes geifternde und zerftörende Macht zu beweifen.*
Nach diefen Sägen jieht doch der Bf. offenbar das Täufertum für eine Neubildung an und fteht damit plößlich mitten im Lager derjenigen, die Keller ſchen Grundanfhanungen ablehnen.
Daß Schon im 15. Jahrhundert viele die herrſchende Kirche und ihre Lehren befämpfende Elemente vorhanden waren und zwar nicht allein in Böhmen, das tft unbedingt zuzugeben und wird auch fein Einfichtiger beftreiten. Dafür ſprechen allein eine beredte Sprache die leperrichter, bie wir_in manchen ftädtifchen Nechnungen antteffen. Es ift unleugbar ein Berbienit Keller's, dieje doch etwas verdumfelte Thalſache wieder eindringlich vorgeführt zu haben, und daß dieſe Elemente vielfach die Reihen des radifafen Täufertfums verftärkten, ift auch anzunehmen. Aber etwas Anderes iſt es, die Entitehung des ri von dieſen Elementen herleiten und es damit iben- tifieiren wollen.
Wie aus een angeführten Stellen — ſeht fi der Bf, am Schluß mit ſich ſelber in Widerjprud)
Im übrigen ſoll nicht verfannt hen daß der Bf. ſich fleißig —— Ph befchäftigt hat, eine ausgedehnte Literatur
den Partien, wo er namentlich aus ben Alten des
horfer an und anderen neues Material beibringt,
wirtlich belehtend wirft. Jedoch laſſen, wie ſchon im Anfang geſagt
iſt, der Mangel einer Haren Dispofition und geglätteten Darſtellung, —*
r Redeweiſe, Wiederholungen, Wiederabdruck bereits fer Attenſtücke, wofür gar fein Grund zu ſehen iſt, noch⸗ rierung bon Dingen, die längſt klargeſtellt find, feine Bes
riedi 2 auffommen.
Bw entrüjlet fi) der Vf. über die damaligen gegen die
v beliebten behördlichen Maßnahmen. Sie ſollen nicht gerechtfertigt werden, aber hat er ſich auch wohl einmal die Frage vorgelegt, ob manche der Erſcheinungen, die die Wiedertäuferei zeitigte
— ganz abgejehen von den ja mit geringen Ausnahmen allfeitig
veruriheilten Miünfterijchen Greueln — nicht aud) heutzutage minde—
ſtens als grober Unfug würden angejeben werden? Beſſer ald uns fruchtbares Schelten ift es, die früheren Zeiten verjtehen lernen.
17. Jahrhundert] 319
Fondern auch noch eine Reihe von Rechten umfaßt Habe, die Ofterreich auf Grund der Landgrafſchaft und der Landvogtei über eine Anzahl von ——— Reichsſtanden ausgeübt Habe (S.9 u. 59). Dieſe Inter pretation hat nur einen Fehler: fie jept voraus, daß auch die mit— abgetretene Sandgrafihaft Untereljaß öſterreichiſch geweſen ſel. Daß das nicht der Fall war, hat B. nicht gewußt. Wenn er,daher im Laufe feiner Darftellung nicht immer die vollen Konfequenzen aus feiner Inter pretation zieht und vielfach zu Widerſprüchen gelangt, fo liegt das theils an diejer feiner Unkenntnis des Umfangs der Tandgräflichen Rechte Öfterreichs, theils aber auch daran, daß er die Berichte der franzöfiichen Gefandten aus Münſter von 1645 bis 1648 nicht durch- gearbeitet hat, weil fie außerhalb der von ihm behandelten Epode lagen. Auf diejem Gebiet wird daher die künftige Forfhung eine Reihe feiner Ausführungen nicht nur zu vertiefen, fondern auch zu haben.
Der unbefangenen Interpretation des Weſtfäliſchen Friedens, bie
fh im ſcharfen Gegenſatz zu der darüber in Frankreich noch allgemein Anſchauung jet, entipricht auch das Urtheil B.’8 über
die, Rechtsfrage in dem von ihm geſchilderten Konflikt. Er erkennt an, daß jede ber beiden Parteien im vollften Rechte war, jede fonnte fich auf den Wortlaut der Friedensbejtimmungen berufen. Das Verhängnis war ——— daß dieſe einen Widerſinn enthielten, Mit großem Nach— druck weiſt B. immer wieder von neuem auf den logiſchen Widerſpruch
hin, der darin lag, daß man den Reichsſtädten auf der einen Seite ihre akt vorbehielt, auf der anderen jedod) die Neite, die der öfterreichifche Sandvogt Bisher über fie ausgeübt, dem König von Frankreich zu fonveränem VBefige abgetreten hatte, Diefe beiden Bejtimmungen in der Praris mit einander zu vereinigen, war unmöglich. Entweder mußte die Souveränität des Königs die Reichs-
Die Schilderung desſelben iſt B. ganz ausgezeichnet gelungen. Bum erfim Mal wird hier auf Grund bes im volliten Umfang ver- werteten Pariſer ardjivalifchen Materials die franzöfifhe Politik im Eſſaß in ihren lehten Motiven aufgededt und gezeigt, daß diefelbe völlig abhängig geweſen ift von der großen Politit Frankreichs im Neiche. So lange Frankreich, feiner alten Tradition getreu, daran feithielt, in Deutichland nur ſterreich entgegenzutreten, den Reichs—
r
nichts gewefen, que de monstruenx abus de la force, zeigt deutlich, wie er darüber denkt. Es wäre zu wünſchen. ed dk
en aiae won Tode Friedrich's d. Gr. bis zur Muflöjung
‚alten Reiches. Bon R. Th. Heigel. 1. Band: Vom Tode Friedrich's
r. biS zum Feldzug in der Champagne (1786—1792). Stuttgart, Eotta, Bibliothek deutſchet Geſchichte) X, 574 ©.
es Be Befcheidenheit nennt Heigel ſelbſt jein Buch im Ver—
zu Spbel und Häuffer eine Nachlefe, weiche bloh durch) Ber
neuer Duellen und Veränderung des Gejichtspunftes der
Theilnahme erwecken Fönme.
— dem Werk neuere Ultenpublitationen, wie die⸗
er: Leopold's Korrefpondenz mit feiner Schweiter,
i oder 3. Flammermont's Negociations secrötes,
zu jtatten gefommen. Andere Archivalien hat der Vi. jelbjt entweder,
wie Se über die Kaiferwahlen von 1790 und 1792, überhaupt
eriten Mal herangezogen, oder doch weit ausführlicher, als bisher
‚ mitgetheilt, fo daß ber Lejer z. B. in manden Partien
idſten ift aber für das Buch —— ſeines Materials die dſählich ſtarle Benuhung anderer als der diplomatiſchen Quellen. o allem hat 9. ganz ungemein reiche Excerpte aus der zeitgenöffiz ſchen Publiciſtik in feine Darftellung eingefügt. Auf Schritt und Tritt ftopen wir auf Citate aus den wichtigſten Organen ber — Giftorifähe geuſarit (Mb.85) N. F. Ob. XLIX.
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18, Jahrhundert. 323
ſtreben erfannte eben der grenzenlofe Optimismus dieſer fo völlig ungeolifiien Zeit den Unterjchieb ywifchen ſehe fchwärmerijd) defi- arten fittfichen Idealen und politiſchen Principien an.
Unzweifelhaft war es ein völlig berechtigter und durchaus ver⸗ Händlicher Gedanke 9.8, neue Reſultate vorwiegend gerade in den beiden Richtungen zu fuchen, welche ich eben angedeutet habe. Auf der anderen Seite entſchied aber aud) der Weg, melden er hiermit betrat, von vornherein über die Bedeutung feiner Ergebniſſe. Eine wejentlid veränderte Auffafjung der deutfchen Geſchichte diefer Zeit laßt ſich auf die Unterfuhung der Reichspolitik nicht bauen. Davon iſt natürlich niemand mehr durchdrungen als 9. felbjt, und es wäre müßig, bierüber nur ein Wort weiter zu verlieren; was unfer Bud) von ſolchen Fragen behandelt, kann und fol bloß die Darftellung der Gefamtpolitif der deutſchen Großmächte ergänzen, für welche das Verhältnis zu den Reichsſtänden mehr ein Uccedens war. Aber auch die Verwertdung pubficiftiicher und ihmen verwandter Quellen jheint mir nicht ganz den Werth zu haben, welden 9. diefen Materialien allerdings umgefehrt wohl beilegt. Gerade in dieſem Zeitraum jteht, um ein Wort aus Lenz’ anregender Studie über die großen Mächte zu wiederholen, der Staat, d. h. die politiſche Macht und Aktion, Dom Körper ber Nation wie abgelöft da. Meinungsäußerungen aus dem Schoß der legteren fallen darum für die Erkenntnis der politis ſchen Entwidlung ihrer Einflußlofigfeit halber zunächſt einmal uns mittelbar mindejtend weniger in's Gewicht, wenn auch ihre hohe Wichtigleit jomohl an fi, als für das Verſtündnis der über das ganze Syitem fpäter hereingebrochenen Stataftrophe ganz unbejtreitbar it. Außerdem aber feinen mir gerade dieſe Beugnifje jelbjt dann noch einer ganz bejonders jtrengen Kritif zu bedürfen, wenn fie von ber Deutenden Männern und nicht mehr oder minder objfuren Perjüns lichkeiten herrühren, zwiſchen welchen ja von vornherein ſchärfſtens zu ſcheiden wäre. Denn die Überſchwänglichteit, welche die ganze Auf— Hörung auszeichnet, fehlt auch ihrer politifchen Literatur nicht: diefe Schriſtſteller bejaßen fait alle noch fein politifches Augenmaß, da ihnen ein Öffentliches Leben ja eben erſt anbrechen jollte. Selbſt jo nüchterne, jolide Köpfe, wie 3. ©. Schloffer, jelber praftifche Gejchäfts- männer, haben, jobald fie die Feder in der Hand halten, einen nicht nur ganz leifen Zug vom Projeftenmacher an jich, und jehr häufig empfängt man jogar aus ihren amtlichen Schriftftüden, noch viel ‚mehr aber aus ihren Aufſühen den Eindrud eines reinen, ſich ſelbſt
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Nicht ebenjo ſicher bin ich über H.'3 Auffaſſung der Revolutions— Triege. Scheinbar fteht er Sybel häufig ganz nahe. Mehr als ein« mal hören wir, da Frankreich von den deutſchen Mächten nicht be— (droht wurde, vielmehr jelbjt aggreſſiv vorging; ausdrücklich wird anerkannt, daß erjt von Sybel die Stellung Leopold’ IL. zur fran- zoſiſchen Mevolution richtig beurtheilt worden fei (S. 394). Kleinere Differenzen, 3. B. in der Würdigung Bifchoffwerder's, ändern hieran nichts Exheblicies. Aber daneben folgt H. an einigen Stellen Giagau, jo bejonders in dem Urtheil über die öjterreichifche Note vom 21. Des «ember 1791. Glagau aber ift der enticheidendite Antipode Sybel’s; er
Zegislative, jondern des Fürjten Wounig, während er den Zuſammen— ftoß felbft in Rante's Sinn als unvermeidlich betrachtet. Über fein —— zu dieſen fundamentalen Differenzen äußert ſich H. wohl
nirgends näher, der großartige Standpunkt Ranke's kommt bei ihm foft nur nebenbei zu direlter Erwähnung (S. 533).
Bielleiht berühren twir aber damit überhaupt eine augenfällige Eigentümlichleit de$ Buches. H. unterläßt verfchiedentlid) eine ganz ſcharfe Formulirung der principiellen Fragen; jo gelangen aud) in ber Beurtbeilung der Aufklärung liberale, wie konjervative Gefichtspunfte nad) einander zur Geltung, ohne daß ein vollſtändiger Ausgleich ftattfände. Die ganze Darftellung trägt ein ausgejproden ver« mittelndes Gepräge und verfolgt ſomit das ebenfo hohe und mwohl- berechtigte, als ſchwer erreichbare und in der That von ihr auch nicht immer und überall wirklich erreichte Ziel, die Einjeitigkeit zu vers meiden, ohne die Beftimmtheit zu verlieren. Die Hauptjtärke des in vielen Einzelheiten jo geiftreihen, durch gründlichere Erforſchung mehrerer Stofftreiſe unzweifelhaft förderlichen Wertes liegt doch vor allem wieder da, wo 9. von jeher jich am glänzenditen bewährte, in der Gharakterijtit: die feinen und lebensvollen Bilder der Helden dieſer Zeit werden an den Leſern nicht nur zu momentanem Genuß ‚borüberziehen, fondern in ihnen in mirffamer und dankbarer Erinnes ‚rung fortleben.
Straßburg i. E. Th. Ludwig.
Die foriale Wirffamteit der Hohenzollern. Bon Theo Sommerlan, Privatdocent an ber Univerfität Halle. Leipzig, I. I. Weber, 1899. 120 ©. | Nur mit innerem Widerftreben berichte ich über das vorfichende "Bud, an dem nichts zu loben, aus dem nichts zu lernen, an dem
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findet den unmittelbaren Anlaß zum Kriege in der Haltung nicht der _
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Preußen, 327
das „ſociale“ Element das ausjchlaggebende in der Thätigfeit der Zollern war, und ob nicht bis weit im das 18. Jahrhundert hinein finangpolitifche Beweggründe im Vordergrunde jtanden. Solche feineren werben am Enbe ſtets verfchiedener Beantwortung fähig bfeiben. Aber es jollte nicht behauptet werden, daß aus der beutfchen Reformation alle „focialen Großthaten“ der Zollern geflofjen jeien, da he derjenige Fürſt, unter dem die Mark protejtantijch wurde, financieller Bedrängnis dem Adel ſchwer lajtende Nechte auf politie
—* wie ſoeialem Gebiet einräumte. Auch das iſt für einen heutigen Forſcher eine betrübliche Anſchauung, daß die Hohenzollern in einer jaſt 300jährigen Thätigkeit neben der focialen Einigung ihres Stantes folgerichtig „die politifche Einigung von Gefammtdeutjchland" als ihr Biel betrachtet hätten. Für manchen Leſer wird auch die Bemerkung auf S. 11 über die „altgermanijhem Empfinden jo überaus genehme Form der indirekten Steuer“ interefjant jein. Es heiht natürlich die en Ergebnifje der Regierung des erften preufifchen Königs maßlos übertreiben, wenn S. den Nacjfolger noch einmal „von vorn anfangen" läßt. Es iſt unglaublich, wenn ©. das unterjdeidende Merkmal der Wirthſchaftspolitit Friedrich Wilhelm's J. darin erblidt, daß der Merlantilismus diejes Königs von einem „hochgefpannten deutſchen Nationalbewuhtjein“ getragen gewefen fei, das ſich die Berjelbjtändigung nicht etwa nur der preußifchen Volkswirthſchaft, ſondern ber „beutfchen Arbeit“ ſchlechthin zum Ziele gefept habe, Ein bejonderes Mittel hierzu war jicherlich der langjährige erbitterte Bollfrieg mit Sachſen. Es ift ein ſtarkes Stüd, wenn der Bf. allen Ernſtes annimmt, daß Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. die Leibeigenſchaft auf den preußiſchen Domänen befeitigt hätten, und Scheinbar keine Kenntnis von den Reformen um die Jahrhunderte wende hat. Auch die Schilderung der Agrarreforn in der Epoche Stein'8 und Hardenberg's zeigt eine bedauerliche Unkenntnis der napp’ichen Refultate, wenn der Bf. die Wirkungen als gerade für bie adligen Grundbefiger ſchädlich ſchildert, für den Vauernſtand da— ‚gegen jejtftellt, „daß er fich voll wohlbegründeter Begeifterung den neuen Verhältniffen anbequemte". Die ſchädlichen Folgen, die eine
m Wucjje erftarten, wo die düftere Kiefer im märtiichen Sande ihre zähe, Krone entjaltel,“ Nebenbei dürfte dem Bf. die Keftüre von Werke über die Seideninduftrie unter Friedrich dem Großen empfehlen ſein.
19. Jahrhundert. 329
Majors und Führers des 2. Infanteriee-Negiments aus dem Feldzuge von 1848 gegen Dänemark find zwar jehr eingehend, behandeln aber Vorgänge von geringem Intereſſe. Über die Tage feines Ruhmes von Nachod, Skalik und Gradlig, fomie über den ganzen Feldzug von 1866 erhalten wir feider gar keinen neuen Aufſchluß. Der bereits Siebzigjährige ftand vereinfamt, Frau und drei Kinder waren heim— gegangen, ex hatte niemand, an den er feine vertrauten Briefe richten konnte, Im Jahre 1870 ſchreibt dagegen der nunmehrige Führer der I. Armee fajt täglich am feine jugendliche zweite Gemahlin, und wir erfahren mancherlei interejjante Einzelheiten, von denen die ben Feldmarſchall von feiner Stellung enthebende Kabinetäordre König Wilhelm's das ungleich; Wichtigſte iſt. Sie zeigt, wie der allezeit milde Herrſcher auch Worte ernjten Tadels gegenüber einem General zu finden wußte, defjen Verdienſte er ſtets ſehr hoch gejtellt hat. Unfer Buch enthält noch zwei andere ähnliche Auslafjungen des hohen Herrn gelegentlic; der Ablehnung der von Steinineß in den Jahren 1862 und 1870 eingereichten Abſchiedsgeſuche.
Dos Werthvollſte in den Aufzeichnungen des allerjeits nur als strengen, rückſichtsloſen Vorgejegten bekannten und geſürchteten Ges nerals jind die tiefen Blicke, die fie in fein inneres Seelenleben ge= ftatten. Die äußere rauhe Schale barg ein warm und innig fühlendes Herz. Wahrhaft ergreifend it der Schmerz des Vaters über den Berluft feines letzten Kindes, der ihn derartig ergriff, daß feine Um— gebung Beforgnifie über feinen Geifteszuftand hegte. Es liegt ein langer an einen freund gerichteter Brief vor, in dem Steinmeß feinem tiefen Schmerz Ausdruc gibt und über das allnächtliche Erſcheinen feines Kindes als Geiſt berichtet. Selbit acht Jahre jpäter, bei einer 1862 gemachten Reife durch die Schweiz, umjchwebte ihn ſtets das Bild jeiner geliebten Tochter, und der Schmerz über bie Vers mißte bricht wiederholt in den Briefen an die heimgebliebene Gattin
Diefe Blide in eine ſtarle Mannesſeele find nicht nur für den Menjchenlenner, jondern auch für den Hiſtoriler interejfant, der das Zhun der handelnden Perſonen aus den inneren treibenden Kräſten erforſchen joll.
Dldenburg. v. Lettow-Vorbeck.
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Straiburg. 331
und ber benachbarten Städte und Fürjten wird neu beleuchtet. Die zahlreichen Ausrüftungsordnungen geben nit mır ein Bild der Machtſtellung Straßbugrs, fondern auch die Statiftit über jtädtifche Bevölferungszahlen des 14. Jahrhunderts wird hieraus jchöpfen fönnen, und ebenjo dürfte die jtädtiiche Topographie durch Erwähnung der Thürme ımd Mauern fejtere Grundlagen gewinnen. Der Münſter— bau findet wiederholt urfundfihe Erwähnungen. Vor allem aber iſt das reiche Duellenmaterial beveutfam, das für die Entwidiung bon Handel und Gewerbe beigebracht wird.
Die Art der Bearbeitung hat fich, wie das ſchon in Band 5
geichehen iſt, dem Stoffe entjprechend weſentlich ändern müſſen. Das
„Urkundenbuch“ enthält zum wenigſten eigentliche Urkunden im recht— lichen Sinne Es jind vor allem Korreipondenzen, Geſandtſchafts- berichte und njtrultionen, Konzepte für Rathsverhandllungen u. dgl. mehr, Man wird den Herausgeber durchaus zuſtimmen müfjen, daß er auf diejes oft recht unjcheinbare, nur in Zetteln erhaltene Material das Hauptgewicht gelegt hat und bei der Bejchränktheit des zur Ver— fügung ftehenden Raumes zu Gunſten diefer lofen Blätter auf die geſammten kirchlichen Urkunden verzichtete, Da dieje aber bis 1381 im Urkunbenbuche aufgenommen wurden, jo ift freilich, eine jühe Lücke entitanden, und es bleibt nur zu wünfchen, daß die Kommiſſion noch die Mittel erhält, um bier eine Ergänzung zu jdjaffen.
Wenn F. in feinem intereffanten Stoff eine Entſchädigung fand für die mühſame Ordnungsarbeit, welche das Chaos undatirter Bettel und Konzepte koftete, jo hat der Bearbeiter des 7. Bandes, Hans Witte, „feinen privatrechtlihen Urkunden und Rathsliſten von 1332 bis 1400“ faun befondere Anregung entnehmen künnen. Hier bedurfte es einer außerordentlichen Arbeitszähigkeit, um das ſcheinbare Einerlei der 37/, Taufend Urkunden zur bewältigen. We hat fi) an die bewährte Methode gehalten, die Aloys Schulte für die Heraus— gabe Straßburger Urkunden im 3. Bande des Urlundenbuches ges ſchaffen hatte, und ijt nur abgewicyen, wo es die mit der Zeit ſich ündernde Art des Stoffes oder der Beurfundung verlangte. Auch W. bat fait jänmtlihe Urkunden von allem überjlüfjigen Formelbeiwerk entlaftet und im Negeit gegeben; weiter hat er aber auch noch eine ‚geoße Zahl in Anmerkungen untergebracht und es auf dieſe Weije ermöglicht, daß der Band jo außerordentlich reich geworden it. Der ‚Gewinn für die Wiljenfchaft liegt zunächit naturgemäß ‚auf lofalem ‚Gebiete. Die unendliche Menge von Berfonen:, Häufer und Straßen-
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der fittlihen Werturtheile und in der wirdigen, wohl aus— - Sprache bekundet. Die kulturgeſchichtlichen Kapitel, in denen die Vertrautheit des Vf.'s mit einem weitſchichtigen Material am glängenditen hervortrat, wurden für den näcjten Band zurüde geitellt, da urjprünglich das Zeitalter der Reformation und ber Gegen» reformation bis zum Tode Maximilian's I. in einem Bande behandelt werben jollte, was ſich dann freilich und jedenfalls nicht zum Schaden des Ganzen als unthunlic erwies.
Auch diefem 4. Bande verleiht jo das „Vorwalten des religiöfen: Fattord* gegenüber dem Wirrjal der territorialen Zerfplitterung des
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fchreiber zu gute, der num in den Mittelpunft der Darftellung im weſentlichen nur drei das Mittelmaß deutfcher Fürſten überragende Perfönlihteiten zu ftellen Hatte, deren erſte, Herzog Wilhelm IV., noch
abzielende Schliche rückſichtslos aufgedeckt werben, dieſer ſelbſt für Die weitherzigen Politiker jener Zeit unheimliche Rabuliſt gewinnt doc einen großen Zug durch die zielbewußte Betonung des Staats— gebanfens, mit der er vor allem bei der von ihm empfohlenen Ber Folgung des Protejtantismus ſich doc von religidfem Fanatismus frei hält und feinen Fürſten nie zum willenloſen Werkzeug der außer— Deutjhen Mächte der Gegenreformation herabfinten läßt. Seinen Sohn läßt er durch den doc hinlänglich verdächtigen Aventin er— ziehen — bderjelbe tritt denn auch jpäter zum Luthertfum über —, und jein abſchahiges Urtheil über die irdiſchen Vertreter bes kirchlichen bat er oft mit bajuvarijcer Derbheit verfautbart. Einen
gleichen Genuß gewähren die ſorgſam gezeichneten Porträts der Fürften, die und von dem urwüchſigen, exjt jugendlich leichtfertigen und gewalt- thätigen, dann in der Schule der Staatskunſt zu leidlicher Selbit- geläuterten, aber kaum ernſtlich religiös angeregten Wile
‚helm IV. über den durch künſtleriſche Kultur verfeinerten, erſt jpäter in ftrengere kirchliche Bahnen einlentenden, finnlich trägen Albrecht V.
N em Idealbild jeſuitiſcher Asleſe, dem vielgejchäftigen Wilhelm V.
Baiern. 335
der alle Verhältniſſe durchdringenden fonfejjionellen Gegenjäße, der Perjönlichkeiten und ihrer Kampfmittel wie der einzelnen Vorgänge fo einſichtsvoll und gerecht, daß man nur wünſchen kann, fie möchte die allgemein und allein gültige werden. So wird man auch mit ihm der eriten Phaje in dem Auftreten der Jeſuiten in Baiern die Ans erfennung nicht verfagen, daß die Hebung des tiefgelunfenen baieri« ſchen Klerus, der noch in der 2, Hälfte des Jahrhunderts, als es doch ſchon faſt allerorten befjer geworden war, aller Rejormverfuche der Landesherren ſpottete, faum durch eine andere Inſtanz hätte bewirft werden fönnen; doch vergleiche man ©. 511 die ſchon tamals er— bobenen Sagen. Übrigens wäre die Drudlegung der Bifitationse alten und anderen einjchlägigen Materials ſehr erwünfcht, in Nache abmung etwa der vortrefflichen Arbeit J. Loſerth's über die Salzburger Provinzialiynode (Wien 1898), die ſchon ihres reichhaltigen Materials wegen auf ©. 410 hätte angeführt werden jollen.
Dieje gegenrejormatorijche Politit der Herzöge hat nun, wie 2. v. Ed gewiß Har erkannt hat, zur Stärkung der landesherrlichen Macht ganz erheblich beigetragen. Um nur eine durch das ganze Jahrhundert ſich Hinziehende Seite diejer Entwidlung hervorzuheben, jo hat die Bedeutung der Landjtände, die in der erjlem ſtürmiſch bewegten Zeit Wilhelm’s IV. mit ſchiedsrichterlicher Autorität in den Bruderzwift eingreifen, jih die Ernennung der fürſtlichen Räthe ſichern, den Hofhalt reformiren, ftetig abgenommen, bis fie ſchließlich ber ruindjen Wirthſchaft Wilhelm’3 V. gegenüber nur mehr demüthige Bitten und Borftellungen aufbringen, im übrigen aber auch den maß— loſeſten Forderungen fich fügen. Mit den proteftantijchen Wortführern Der Oppofition, die umter Albrecht V. mundtot gemacht und jchlieglich eliminirt wurde, verliert der Landtag den letzten Reſt von Selbit- bewußtfein, damit aber auch von Verantwortlichkeitsgefühl gegenüber dem Lande, und während Wilhelm IV. durch das rauhe Eingreifen der Stände erfichtlich zur Befinnung gebracht und für feinen Herricher- beruf gerettet wurde, zieht ſich Wilhelm V. auf das Drängen, nicht der Stände, jondern feiner eigenen Räthe im beten Mannesalter auf das Altenteil zurüd, Bei der Schilderung jener Krifis in der Jugend Wilhelm's IV, kann ſich Ref. indeſſen dem Eindrud nicht entziehen, als ob die Hinrichtung feines Hofmeifters, Hieronymus dv. Stauf (1516, ©. 27 ff.), lediglich ein Alt der Kabinetsjuftiz geweſen jei, Dazu bejtinemt, den bemüthigenden Charakter der Unnäherung Wilhelm's ‚on jeinen Bruder zu maskiren.
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Baiern. 337
auf das Gehaltvolle, Zuverläffige hingewieſen. In diefem Sinne hätte fi etwa bei Wilhelm's V. ſteiriſcher Vormund- ſchaft I. Loferth'3 „Huldigumgsftreit nad) dem Tode Erzherzog en Graz 1898), zur den Pack ſchen Händeln (6. 220) D. Mei—
ee (Wiesbaden 1899) anführen een dem Auftreten der Herzöge auf, den Nürnberger Reichs·
Nathes Hans von der Planip“ (herausgegeben von Wülcker und Virck, Leipzig 1899) mit Nutzen heranziehen. Dem harten und hochmüthigen Erzbiſchof Mathäus Lang wird ©. 62 eine „Erkenntnis der Reform- bebürftigleit ber Kirche” zugefchrieben, die dem in diplomatiſchen Ranken ergrauten Streber jhwerlihd von Herzen kam — treffender wird er ©. 151 charatteriſirt — und ein Einfluß bei Karl V. auf deffen Haltung gegen Luther, defien es einmal nicht bedurfte und den er auch gar nicht beſaß: Karl V. oder vielmehr feine ſpaniſch- burgundiiche Umgebung hat die Mitglieder der Marimilianijchen Eentralvegierung, jobald es irgend anging, abgejhoben; und jo fann auch nidjt wohl von einem „imponirenden Eindrud der überlegenen Perfönlichkeit Karl's V.* bei feinem eriten Auftreten in Deutſchland die Rebe jein (S. 198). Der Beihluß der Mühldorfer Synode von 1522, der S.81 als „ein gewifjes Zugejtändnis an die reformatoris ſche Bewegung“ aufgefaht wird, ift nur die Erneuerung einer alten Forderung der Ordinarien, die jie ſchon früher im ihrem eigenen Zutereſſe geltend zu machen nicht müde wurden; ebenfo ift das von den Herzögen vorgeblich zu Gunften befjerer Bejepung der theologi- schen Lehritühle erwirtte Bräfentationsrecht auf Domberrnitellen (S. 97) in erjter Zinie als ein bon dem Ingoljtäbter Profefjor Joh. Ed zu eigenem Vortheil gejchmiedetes Inſtrument der Pfründenjägerei aufs zuſaſſen, einer Kunst, in der Ed den aud in Bayern ſcheel angeſe— henen Eurtifanen (S. 99) ſelbſt ſcharfe Konkurrenz machte. Jenes Privileg der Alademiker pflegte dann aber wieder die heftigiten und langwierigiten Streitigkeiten mit den Stiftern hervorzurufen, wie fie damals 3. B. zwifhen den Löwener Profefjoren und den Lütticher Stollegiatkirchen ſchwebten, aljo feinesivegs zur Sanirung der firche lichen Berhältnifie beizutragen. — Der Balthajar Merklin, Bropft von Waldkirch, war nie „Hofmeiiter* (S. 208) bei Karl V., fondern Rath, Reichsvizelanzler und Biſchof (fo richtiger ©. * von Hildes⸗ Sitiorilde geitſchrut (Ob. 35) N. 5. Vd. XLIX.
Heſſen.
rau über die angemeſſene —— ihrer Staatslkunſt hinaus zu ealifiren, vorſichtig aus dem Wege gegangen; nur hätte er jchärfer onen follen, daß fie offenbar erjt durch die Bitterfeiten ihrer an-
en ihrer iſt. Wie fie anfangs dem auch von ihr zunächſt vernach- fiigten Gemahl ihre tejtamentarifche Beitallung als Regentin ab- a ndelte fie nod) überwiegend aus niederen egoiftiichen ihr eriter Verſuch, die Fülle landesherrlicher Gewalt
* an der jtändifchen Führer gegenüber zu bes aupten, ſchlagt denn auch gründlich fehl. Dann aber zeugt es ſchon (om politiihem Sinn, wie fie bie in Die Vormundſchaſt fich eine Wettiner durd die Eiſerſucht Georg's auf feine Vettern ahmzulegen weiß, wie jie die Nivalität Darimilions gegen den Kur— ürſten bon Sachſen ausſpielt, wie fie die Städte von dem lärmenden, jabgierigen und in feiner dynaſtiſchen Treue höchſt verbächtigen Adel m ſondern und diefen ſelbſt durch gleiche demagogiſche Künfte zu verjteht. Dieſer rebellifche niedere Adel iſt der eigentliche Träger der ftändifchen Oppofition, und feine Biele wie feine Kampfes- veife zeigen fi als mit dem geordneten Gang der Verwaltung, mit Intereſſe der übrigen Stände an der öffentlichen Sicherheit, ja nit den Bejtande des Territorialjtaates ſchlechthin unverträglich; nur jätte Bf. für die Anläufe ftändifcher Libertät nicht das moderne Schlagwort „liberal* gebrauchen follen, ebenjo wie für die verftärfte ' enge Stellung im damaligen römifchen Reihe die Bes „abjolutiftifh* wohl noch etwas verfrüht ijt. Treffend Bi open hervorgehoben, welde Bedeutung Anna’3 Lebenswert die Durchführung dev Neformation in Hefien befaß, die bei der Fortdaner der anarchiſchen Gewohnheiten des jtändifchen Negiments Hwerlich in dieſer planvoll entſchiedenen Weiſe erfolgt wäre. Dem die vornehmjten Forderungen des Ritterftandes, das fr jeden Lande faffen beanfpruchte Necht, in eigener Sache und ohne landesherrliche Genehmigung Landtage zu berufen, das Recht des Widerſtandes den Fürſten bei unbilliger Bedrüdung (vgl. bef. S. 108 f.), — deuilich auf die legten Konſequenzen dieſes Treibens hin. Dazu kom die Zuruckdrängung ber Städte und der Prälaten und als allerbedenklichites Mioment das Solidaritätögefühl des niederen Adels der benachbarten Territorien. Es ift ein erhebliches Verdienſt diefer Arbeit, daß Bf. gegenüber den Verwahrungen eines Ablömmlings
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Allgemeines
Zegen Lamprecht, deſſen Kritit der Rante ſchen Geſchichtsauffaſſung er als aißverftändlid; und unzutreffend zurüdweiit. Dabei gibt er aber ſelbſt eine m. €. falihe Darftellung der Humboldt'ſchen Geſchichtsauffaſſung, die er ür ganz berjhieden von der Nanfe'jchen erflärt. Humboldt aber faht die Ideen ebenfo wenig wie Ranle als außerhalb allen Kauſalzuſammenhanges tebend; die mechaniſchen, phnfiologiihen und pjihchologiſchen Geſehe bilden zuch bei ihm einen Theil der Ideen, die nur durch diefe Geſetze noch nicht exſchöpft werden, und wenn fi Freytag die Mühe nehmen will, meinen Aufjah über Humboldi's Abhandlung zu leſen, jo wird er finden, daß die bort von mir erläuterte Humboldi'ſche Geſchichtsauffaſſung der von ge ſelbſt eruirten Rante ſchen auf's nächte verwandt ift. Das PVerwaltungsarhiv 8, 3/4 enthält den Anfang einer rd orientirenden Studie von F. Tezner: Die deutſchen Theorien ber Vers waltungsrehtäpflege. — Im Jahrbuch; für Nationalöfonomie und Statiftit 74 (19) 3 fi. veröffentlicht I. Kulifher eine Axtitelreihe: Zur Ent wicllungsgeſchichte des Kapitalzinſes. — Ein Auffag von Fr. Schulpe in der Zeitichrift für Socialwiſſenſchaft 3, 5: Zur evolutioniftiihen Ethit, gibt eine ausführliche gute Überficht über das bedeutende Werk des Engländers 9. Sutherland: The origin and growth of the moral Änstinet (Zonbon, 1898). — Ebendort in Pr. 4 u. 5 behandelt 9. Schurg: Die Anfänge des Landbefiges. — Aus der Zeitfchr. fir Kulturgeſch. 7, 3/4 notiren wir von Boris Minzes: Die kunurgeſchichtliche Bedeutung der zufftichen Kirche (nad Pavel Miljufon). Im der „Zufunft” 8, 31 veröffentlicht K. Breyfig unter dem Titel:
‚Kulturgeichichte, eine Vorrede zu den beiden eriten Bänden eines grofen"
entwidiungsgeihichtlihen Wertes, die demnächſt im Werlage von Bondi im Berlin erjcheinen ſollen. Berfafjer beftimmt den Begriff der Kulturgeſchlchte möglihit umfafiend und ſucht jih von Einjeitigfeiten frei zu halten. Den- noch meint er als eigentlihes Thema, das die Symphonie der Welt— geichichte beherrſcht, und damit al die eigentliche Aufgabe des Geſchicht⸗ ichreibers nicht ſowohl die politischen, auch nicht die geiftigen Bewegungen, jondern vielmehr das fociale, fittliche Verhalten der Menſchen unter einander binjtellen zu follen. Uns fdeint, dah man beſſer thut, das geſchichtliche Leben überhaupt nicht auf eine beftimmte formel bringen zu wollen. Sewiß hat die Geſchichte es mit den Menſchen als ſocialen Weſen zu thun, und gewiß tft die Erkenntnis des Verhältnifies von Perfönlichkeit und Beer zu einander eine der wichtigſten gejhichtsphilojophifchen Auf⸗
Aber „Die Aufgabe des univerſalhiſtoriſchen Schriftftelers, wie
will, iſt es nicht. — Im übrigen aber wiederholen wir, daß bie Erörterungen diefer Borrede ſich don Einfeitigfeiten frei zu haften und den ‚verfchiedenen Seiten des gefchichtlihen Lebens möglichft gerecht zu en fuchen, und jo hojien wir, daß das Werk jelbft auch jenes Grund— Hema nicht über Gebühr in dem Vordergrund rücen wird,
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Allgemeines. j 345
+5 dem Hiſtoriler dodj nur um eine Neihe präcijer Angaben zu thun tt und alles Übrige ziemlich; gleichgüftiges Beiwert iſt. — Wir notiren ferner aus ber Beilage vom 21. April einen Artifel von Ed. Heyd: Das Kelten- tum in der europäljchen Blutmiihung (Beiprehung des gleidhnamigen trauſen Buches don Driesmann); aus der Beilage vom 15. Mat die Artilel von H- Kleinpeter: Zur Ignorabimusfrage (Heutige Stellung der Wifjene ſchaft zu ber befannten Dubois-Meymond’ichen Formel) und von W. Boch: Monumentale Geſchichtſchreibung (Antiteitit einer in der Beilage vom 20. December 1899 veröffentlichten Verherrlichung von Paſtor's Geſchichte der Päpfte, und ſcharfe Kritik der uftramontanen Geſchichtſchreibung über- haupt). — In der Beilage vom 30. Mai endlich vertritt ©. Seeliger noch einmal gegen Thudichum jeinen Standpunkt in der Frage ber hiſtoriſchen rundtarten (vgl. 9. 8. 85, 155).
Ein Artitel von R. Laſch im Archiv für Religionswifienichaft 3, 2: Die Finfternife in der Mythologie und im religidjen Braud der Völter, bietet eine interejfante Zufammenftelung. Verfaſſer unterfeidet vier Borjtellungstypen, von denen diejenige des Berjchlingens von Sonne oder Mond durch ein Ungeheuer als die wichtigſte nnd verbreitetite erjheint. — In den Neuen Jahrbüchern für das klaſſiſcht Alterthum ac. 5/6, 2 behaudelt 4. Bun: Die Arbeitsweife der Naturvölter, und ebendort in der
ten Abtheilung R. Brandftätter: Die Friedensidee in geichichtlicher — Im 3. Heft derfelben Zeitichrift gibt S. Nieticel eine ein- gehende Beiprehung von Richard Schröder's Deutſcher Rechtsgeſchichte
Im Globus 77, 26 gibt 9. Singer in einem Urtilel: Welche Erd⸗ gebiete find am Schluffe des 19. Jahrhunderts noch unbefannt? eine inter effante, durch Kartenflizzen erläuterte Überficht über die Fortſchritte unjerer Kenninis von der Erde jeit 100 Jahren. — Ebendort in Nr. 14 behandelt E. Schmidt: Die Vertheilung der Kopfjormen in Europa Amit Starte).
Im den Mittheilungen der Anthropolog. Gejellichaft in Wien 30, 1 veröffentliht Bancalari eine Wortfegung jeiner Forſchungen und Stubien über das Haus (Boltsmähige Benennungen der Geräthe), — Die Geographiſche Zeitſchrift 6, 5 enthält den Schluß der Arbeit von F. Höd: Der gegenwärtige Stand umjerer Kenntnis don der urjprünglichen Ber breitung der angebauten Nußzpflanzen. Ebendort behandelt ©. Schlüter im Anflug an das große Werk von Meipen: Die Formen der ländlichen Siedelungen (mit zwei Überfichtöfarten).
Im Gentralblatt für Bibliothetsweſen 17, 4 und 5 beiclieht ®.®. Meier jeine Arbeit über die Fortſchritte der Paläographie mit za ve Photographie.
Bene Büder: Wundt, Völferpiuchologie I. Die Sprache. (Leipzig, Engelmann.) — 3. Goldjtein, Unterſuchungen zum Sulturproblem der
Alte Gejchichte. 34T
Aus dem Recneil de travaux relatifs A Ia philologie et & Varchöologie ögyptiennes et assyriennes 22, 1-3 notiren wir ®. Darejiy: Stele de lan II d’Amasis; B. Scheil: Notes d'épi- graphie et d’archeologie assyriennes. XLV. Stöle de vietoire du roi Naram-Sin; ®. Öroff: Etude sur les personnages du roman de Setnd-Ptah Ha-m-us; G. Legrain: Notes prises A Karnak. L. Frag- ments des annales des prötres d’Amon. II. Une restauration de Tibere au sanctuaire d’Ousertesen Ier & Karnak; W. Groff? La date du esnotaphe d’Osiris; @. M Müller: Zur Überlieferung über die erften drei Dynaftien. ®. Spiegelberg: Die Northambton-Stele.
Aus dem Journal asiatique 14 (1900) notiren wir . Grenarb: La legende de Satok Boghra Khän et l'histoire (wichtig für die &es ſchichte Turkeftans und deſſen Übertritt zum Islam) und R. Weilt: Lart de la fortification dans la haute antiquit6 dgyptienne.
D. 9. dv. Soden, Paläftina und feine Geſchichte. Leipzig, B. G. Teubner. 1899 (IV, 112. 0,90 M, geb. 1,15 WM) In der unter dem Zitel „Aus Matur und Geiſteswelt“ erſcheinenden Sammlung wifjen« ſchaftlich· gemeinderſtandlicher Darftelungen aus allen Gebieten des Wifjens bilden die ſechs volfstbümlichen Vorträge des Berliner Gelehrten über das heilige Land das 6. Bändchen, dem außer einem Plane Jerufalems mehrere zum Berftändnis der Bibel nütliche Karten beigegeben jind. Nachdem bie weltgeſchichtliche Bedeutung, Lage und Beſchaffenheit des Landes beſprochen üt, wird im 2. bis 4. Vortrag Paläjtina gezeichnet ald Heimat des Voltes Farael, als Wiege des Chriftentfums und als das Heilige Sand der Epriften und Muhammedaner, worauf die beiden legten Vorträge Jerufalem und andere berühmte Stätten des Landes behandeln. Am Schluß merden die Bibelftellen nachgewiefen, auf welche der Tert Bezug genommen hat, und der Berfafjer, deſſen geiſtvolle Briefe über feine im Frühjahr 1898 ausgeführte Paläftinareife (Berlin, 1898) gleich 3. Naumann's Asia eine hervorragende Stelle unter den durch die Fahrt unſeres SKaiferpanres Hervorgerufenen Schriften einnehmen, nennt zuletzt noch einige empfehlenss werthe Werte über Bibel, Kreuzzüge und Islam. Als Profeſſor ber neus teftamentlihen Theologie und auf Gruud feiner durch umfaffende Stubien amterftüpten friihen Reifeeindrüde war der Verfaſſer wohl befähigt, die Geſchichte bes heiligen Landes von Israels Anfängen an bis zu den neuefien Erfolgen der in Paläſtina anſäſſig gewordenen ſchwäbiſchen Zempler in lebenävollen Bildern zu ſchildern, jo dab ich dem inhaltsreichen und dabei jo billigen Büchlein eine weite Verbreitung wilnſche.
Adolf Kamphausen,
Be der Revue des dtudes juives 79 (1900) ſucht Th. Neinad: fet juif il y a deux mille ans das Fragment einer griechtjchen ft zu ergänzen, auf einen Sohn des Cheltias, bes Gründers des
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Alte Geſchichte 49
Vaſen aus Griechenland. Dann behandelt H. Lucas ausführlich die en worin man Darftellungen ber
tömifhen Provinzen erfannt hat. Im dem beigegebenen Archäblogiſchen Anzeiger berichten Ehr. Huelſen ausführlich über die neuen Ausgrabungen auf dem Forum Romanum und in Sitzungen der archäologiſchen Bejell- haft ©. Aubenfohn über jeine Ausgrabungen auf Paros.
Aus den Jahresheften des Oſterreichiſchen archäologiſchen Injtituts in Wien nebft Beiblatt 3, 1 notiten wir Th. Mommfen: Volksbeſchluß der Ephejier zu Ehren des Kaiſers Antoninus Pius (Stiftung eines Volls⸗ feſtes am Geburtstag des Kaiſers; anhangsweiſe juht Mommjen die oentität der beiden Amter der Lyniarchie und des Bundesprieftertfums nachzuweiſen); 2. v. Schroeder: Ein Erflärungsverfud; der Duenos— Inſchrift; E. Bormann: Neue Militärdiplome des Mufeums zu Sofia; M. Hoermes: Gravirte Broncen aus Hallftatt; A. Wilhelm: Nachleſe zu griechiſchen Inſchriften W. Kubtticek: Eine Verpehrungsiteuer im Kom; A. Wildelm: Zwei Inſchriften aus Baros (Kaiferbrief a. d. I.
n. Chr, lateiniſches und griehiihes Exemplar); 5 Winter: Sri Borträtftatue im Louvre (a. d. 5. Jahrh. v. Ehr.); A. Wilhelm:
Der Dichter Antiphon aus Athen; DO. Benndorf: Zur Stele Zanthia; B. Kubitjhet: Notizen aus dem Leithagebiete (eine Linie von römischen Anfiedlungen am rechten Seithaufer zwiſchen Ebenfurth und Brud und dann in gerader Fortfegung jenjeits der Leitha bis Carnuntum gefichert) ; €. Kalinfa: Inſchriften aus Syrien und Zur hiſtoriſchen Topographie Lytiens; K. Storpil: Neue Funde in Varna; F. v. Ealice: Zur Eopographie des oberen Bosporus; E. dv. Stern: Grabſtein eines Thrafer® aus Olbia; Th. Heberdey: Borläufiger Bericht über die Aus— grabungen in Epheſus. IV.; 9. Liebl: Epigraphiihes aus Slavonien und Südungarm; N. Bulid: Zur Chronologie der Kaifer Philippus IL, Decius und Bolufianus.
Aus ben Oomptes-rendus de l’Academie des Inscriptions et Belles- lettres 1900, Januar« Februar notiren wir L. Heuzey: A propos des fouilles de M. Gauckler & Carthage (ein Beitrag zur Loſung der Frage nad ben Beziehungen der phöniciihen und carthagiſchen Induſtrie zu zn; Dant: Note sur les recherches sous-marines aux alentours
de Carthage; Seymour de Ricci: Le millieire le plus meridional du monde (aufgeftellt vom Bräfekten Ägyptens Vibius Marimus 32 Millien bon Philae); Delattre: Lettre sur les fouilles de la ndcropole voisine de Sainte-Monique à Carthage; ©. Majpero: La consseration du nouveau temple de Phtah Thebain par Thoutmosis IH.
Die Revue des ötudes anciennes 2,2 enthält Ph. E. Legrand: L’Arcadie et lidylle; M. Bonnet: Les histoires de Salluste; quels en devalent ötre le sujet et l’ötendue? (Die Hiftorlen des Salluft, als
Alte Geſchichte. 351 u de l'instraction publique en Belgique 42 (1899) otiren wir P. Hoffmann: L’opinion de l'historien Edouard Gibbon ur les 6tudes classiques; A. de Ceuleneer: Tabernae Aprianae jenannt nad) dem Orte Apri an der Via Egnatia); Fr. P. Garofalo: Incore un mot sur la question du passage des Alpes par Hannibal zu dem Refultat, dafi man nicht mehr erkennen könnte, welden Beg * große Feldherr eingeſchlagen habe); V. Tourneur: Une nestion d’antiquit6s greeques. L’ixguilopogia. ee En ville antique inddite Aquae Calidae Colonia ou Hammamn R'Ihra —— d’Alger) (mit vielen Abbildungen) und L. De la Eroir: d’une villa gallo-romaine, d'un nymphee ou fontaine aonumentale antique transformee en chapelle chretienne, de la asilique de Saint-Martin, de l’'habitation de Saint-Maur et autres I6couvertes archeologiques de Saint-Maur, de Glanfeuil (Maine- ).
Mus The Annual of the British School at Athens 5 (1898/99) (ofiren wir Excavations in Melos 1899 D, Madenzie: The Senson's Work. T. D. Attinſon: The Strnetures. E. €, Edgar: The Pottery. Ef. D. Edmonda: Some Doubtful Points of Thessalian Topography. d. ®. Hogartf: Excavations at Naukratis.
Aus The Classical Review 1900, April notiren wir €. Nidlin: The origin of the egyptian year und T W. Beasley: An inseription H# Dyme in Achaia (Neuvergleihung unb Beſprechung des befannten Briefes des Profonfuls O. Fabius Maximus ar die Dymäer).
Im derfelben Beitfchrift, Mai findet ſich ein Bericht über die neueſten
Ausgrabungen in Rom von Th. Afhby: 1. Comitium and Curia. }. Rostra. 8. Basilica Aemilin. 4. Atrium Vestae, 5. Porticus Warguritaria 6. Sacra via. Harvard Studies in classical philology 10 (1899) enthalten von 9. B Greenough: The religious condition of the Freeks at the time of the New Comedy und 3. ®. 9. Walden: The late of Libanius's Adyos Arrdgios £r' Tovluivo (wäahrſcheinlich zwiſchen Zuli 365 und Juli 366 n. Chr.).
In der Revue numismatigue 4, 1 (1900) laffen M. Prou und M. Roftovtjew ihrem von ums angezeigtem Catalogue des Plombs intiques jet einen Catalogue des Plombs du moyen age et de "&poque moderne jolgen, wopon uns bejonders XIV. Sceaux Byzantins niereſſirt. E. Babelon behandelt auf Grund ber Münzen Le faux prophete Alexandre d’Abonotichos, und U. Dieudonne verdffentlicht wei Broncemebaillons aus Lydien (von Hierofaifareia und Moftene),
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QJuftin’® Namen gehende cohortatio' nd Graecos ZH 1 ne ⸗· ·
ft (Bd. 85) N. F. SM. XLIX,
NRettungsverſuch . Ansberti (vgl. 84, 540)
Einfluß gewonnen hat.
Deutfche Landfcaften. 3
1900; urjprünglic als Neujahrsblatt der Badiſchen Hiſtoriſchen Roms miffion auf 1897 erſchienen (vgl. 9. 3. 81, 187). Abgeſehen von der Ber richtigung und Ergänzung mandjer Einzelheiten enthält das Buch in feiner neuen Gejtalt mehrere, das Verſtündnis der kunſtgeſchichtlichen Abſchnitte erfeihternde Illuſtrationen. Th. Ludwig.
Zuſammenſaſſend ſoll hier auf die werthvollen Studien beſonders zur neueren Agrargefhichte hingewieſen werden, welde der frühere Heilbronner, jegt Titbinger Gymnafialprofefior Theodor Knapp in ben lehten ſechs Jahren an verſchledenen Stellen veröffentlicht hat. Die Nefultate aller diefer forgfäftigen Einzelunterfuhungen deden ſich an- dauernd volltändig mit den aus G. F. Kuapp's Straßburger Seminar
, zum Theil älteren Arbeiten, und beftätigen die Richtig- feit der von dieſen vertretenen Unfichten um jo entichiedener, als der ichmwäbiiche Forſcher wenigſtens jeine erfte Abhandlung ohne jede Kenntnis jener Tendenzen gefchrieben hat.
Theodor Knapp theilt bejonders mit Wittich das DVerdienit, die Natur ber jpäteren jübweftdeutihen Leibeigenjcaft, und zwar an dem Meinen Zandgebiet der Stadt Heilbronn, zuerſt ſowohl bejdreibend als juriſtiſch tonſtruirend feftgeftellt und die Loelbſung diefer Inititution von der Gerichts⸗ wie Grundherrſchaft bemertt zu haben (Brogramm d. Karlsaymn. in Heilbr. Nr. 590, 1894; Witett. Vierteljabröbeite #. Bon diejer zwar ſehr ſchmalen, aber volljtändig gefiherten Bafis aus ſchritt er dann au einer Reihe allgemeinerer Erörterungen über die gefammte jübmeftdeutiche, wie die verſchiedenen Syſteme der allgemeinen deutſchen Leibeigenſchaſft vor, welche zwar nichts eigentlich Neues enthalten, jedoch ausmahmslos die arakteriftifhen Züge der Anftitution, imsbefondere den Gegenſatz des Oſtens und Weitens, einfach und Mar hervorheben (Württ. Vierteljahrsh. N. 5.5; Neues Korrejpondenzblatt 1897, Nr. 10; Zeitichr. d. Sapigny- Geſellſch, Germ. Abth. 19. Daneben aber fuhr er fort, dem Gebiet ber württembergijhen Agrarverfaffung immer neue Stihproben zu entnehmen und deren Struktur, nun aber nad) allen Richtungen, auf's genauefte zum prüfen. (Das ritterjchaftl. Dorf Haunsheim in Schwaben. Wiürtt. Viertel- jahrsh. N. F. 5. Über d. vormalige Verfaſſ. d. Landorte d. ehemal. Obers amts Heilbronn. Württ. Jahrbücher f. Statift. w. Landeskunde 1899, 1.) Dank diefen minutiöfen Unteriuchungen find wir jept in diefem Bezirt über jo jhwierige Fragen wie z. B. die Auflöfung der Hofverfaffung und die Verwandlung der früheren geichloffenen Biiter In lauter walzende Äder, womit das Verſchwinden fejter Bauernllafien eng zujammenhängt, vorzüg- lich orientirt. Man ſieht diefen Procch, wieder im der Umgebung von Heilbronn, ſchon im 14. und 15. Jahrhundert beginnen und fi dann fajt überall ſiegreich vollziehen, wenn nicht außnahınaweife Grund» und Gerichts: berrichaft über ein ganzes Dorf in einer Hand lagen, Wo dies zutraf, war nicht blof die Verhinderung der Theilung möglih und auch öfters ber
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ann DE an 1 Snland begüterte Dietrid) v. Galen (ca. 1570 bis ca. 1649), eine Beit lang Reiterführer im Münfterjchen, erſcheint in der kurzen Bios graphie von 9: ——— — Zeitſchr. f. vaterländ, ber u. Alter Vorbild jeines me Ghriftoph Bernhard, des ‚belannten Biihofs von
Der Füſſener Totentanz wird von A. Dürrwädter im Jahrb. db, Hiftor. Ber. ſ. Schwab. u. Neuburg, 1899 als ein unter Venutzung des GrofBajeler und des Holbein’ihen Vorbildes zwiſchen 1595 und 1600 jelbftändig don Fat. Hübler geſchaffenes Wert erwieſen und fein Einfluß auf die Umgegend feftgejtellt.
Kurz bingewiefen jei Bier auf die von C. v. Raab als Beilngebeft zu dem Mittheil. d. Altertumsver. zu Plauen i. ®., 13. Jahresſchr, auf die Jahre 1897/98 publicirten, inhaltsreichen Regeſten zur Orts- und Familien— geſchichte des Bogtlandes Bd 2, 1485— 1569.
In den Mittheilungen des Vereins file Anhaltiſche Geſch. u. Alters thumstunde (8, 6) veröffentlicht Stadtarchivar Siebert aus Zerbft weitere Abſchnitte (vgl. 9. 3. 84, 564) des dortigen älteften Schöffenbudes bis Br ee! fort, und den Tert bes zweiten Schöffenbuches zunchſt bis 1400,
Ganz furz ſei auf die hier zum Theil ſchon erwähnten Mittheit. d. Gefellih. j. Kieler Stadtgeſchichte hingewiefen, welche in Heit 9—17 (1891— 99) ſehr viel rechtsgeſchichtliches Material — das ültefte Rentebuch, das Erbebuh, das Varbuch, d. bh. Aufzeichnung der Sriminalfälle von 1465 bis 1546 —, fowie Studien von Erdardt über Kieler Topographie, Mobdenberg über Sieler Leben im 14. und 15. Jahrhundert und Wolff über die Grenzen des Lübijhen und Sächftfchen Rechts im ber Stabt jeibt
Die Zeitihrift der Geſellſchaft für ſchleswig-holſteiniſche Geſchlchte 3b. 29 enthält einen längeren Aufſaß von R.Hanjen über den Duhmar— ſchen Ehroniften Johann Ruffe aus der erſten Hälfte des 16, Jahrhunderts, deſſen Sammelarbeit wir die Kenntnis einer Anzahl älterer Arbeiten zu verdanfen haben, die Mufie benupte. Zur Ausarbeitung einer zufammens hängenden Darftellung iſt Muffe nicht gefommen. &, Schröder erzählt die Schidfale der Stadt Neuftadt in Holjtein bis 1580; Jellingbaus ftellt die hofiteinijhen Ortsnamen iyftematiich nad) den Endungen geordnet aufammen. Erwähnt fei noch eine Beiprechung der Arbeit Platen's über den Urſprung der Rolandsjäulen ans der Feder Rodenberg's. Nodenberg ſteht der Anſicht Platen's, wonad die Molandsjäulen auf Bilder des Gottes Donar zurüdzuführen find, nicht unſympathiſch gegenüber, wenn: gleich er vor allen Dingen die Frage beantwortet wiſſen möchte, wie ſich die Donarbilder in der chriftlihen Zeit hätten halten fünnen.
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GBreslau, Marcus. IM) — Wirte, Schlefiens Bergbau u. Hütten- wejen. Uefunden 1136-1528. [Cod. diplom. Silesine. 20.) Breslau, ee Bivier, Geſch. d. Bergregals in Schlefien b. z. Beſitze ergreifung durch Preußen. (Sattowip, Böhm. 12 M) — Arnold, Die Vertreibung der Salzburger Proteftanten. (Leipzig, Diederichs)
Bermifdtes.
Tom 19. bis 21. April tagte in Berlin die 26. Plenarberjammlung der Bentraldireftion der Monumenta Germanine historica. Im Laufe des Jahres 1899/1900 find erfchienen: im der Abtheilung Epi- stolae der Schluß des 2. Bandes (Regifter Gregor’ IL) und der 2. Theil des 5. Bandes (Karolingerzeit). Im den Schulausgaben bearbeitete Eber- bard die vita Heinriei IV, Holder-Egger die monumenta Erphes- furtensia saec. 12—14. Wuherdem murbe der 25. Band bed Neuen Archivs unter Breßlau' s Redaktion ausgegeben. Unter der Preſſe be— finden ſich 6 Ouartbände und 1 Oftavband. — Fr den als Abſchluß der Auctores antiquissimi geplanten 14, Band ber Oarınina selecta netatis Romanae extremae haben Vollmer und Traube bie Vor
ven begonnen. Unter Kehr's Leitung hat Bradmann jeine Urbeiten für die Herausgabe des liber pontificalis, der vitae Gregorii und der übrigen Quellen zu Papftgeihichte fortgeſeßt. In den Serip- tores {ft der von Kruſch bearbeitete 4. Band ber Merowingiichen Heiligenleben im Drud weit vorgefchritten, die Vorarbeiten für den 5. Band von Leviſon find zur Hälfte erledigt. Holder-Egger bereitet für den 31. Band ber 8. 8. bie Herausgabe der Annales Cremonenses, ber Chronik Sicard's von Eremona, der Doppelchronik von Neggio und ber Chronit Salimbenes vor, Eine neue Handausgabe des Cosmas von Prag und jeiner Fortſeher bereitet Bretholz vor. In den Leges iſt ber Drud der von Zeumer bearbeiteten Leges Visigothorum regelmähig fortgejhritten. Nach Bergleihung der Handſchriſten gedentt v. Shwind nunmehr, ben Tert der Lex Baiuvariorum fritifch fejtzulegen. Fiir die Konzilienbearbeitung hat Wermingboff eine Reife nad) Frantreich und Belgien unternommen, über die ein befonderer Bericht erfolgen wird. Schwalm arbeitete gleichzeitig für den 9. und 4. Band der Constitu- tiones et acta publica imperii.
Su der Abtheilung Diplomata bereitete Brehlau den 4. Band (Kontad U. und Heinrich IIL) durch eine längere Reife nad) Stalien vor, Der Drud der Urkunden Heinrich's IL. wurde vollendet, fo daß mur noch die des Königs Arduin und die Nachträge fehlen. Der Drud der auf 3—4 Bände veranjchlagten Karolingerurtunden bat begonnen. Die erjte Hälfte des 1. Bandes (bis 814) dilrfte in Iahresfrift vorliegen. In dem Epistolae find die Vorarbeiten für den 6. Band im Gange, der ins—
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Griechiſche Kukturgeichichte im der Auffaſſung Jat. Burdhardt's. 389
menjchlicher Bethätigungen einfacher oder entwidelter Art}), ſondern der Inbegriff derjenigen Grundthatiachen, Vorftellungen, Triebe und — faſt wäre zu jagen — Geſetze, die das Leben einer Zeit ober eines Volkes beherrſchen. Das äußere Geſchehen hat für eine ſolche Betrachtung nur fymptomatijche Bedeutung als Äußerungsweije tieferer Grundfräfte und Strömungen, bie zu erfennen das eigentliche Ziel der Beobachtung und des Stu- diums bleibt. Man würde jagen, es handle ſich hierbei um ein philoſophiſches Durchdringen der Geſchichte — denn in ber That iſt es nichts Anderes —, wenn nicht in dem bejonderen Fall Burchardt's die ganze Erkenntnisweiſe in der Hauptjache auf Intuition und künſtleriſchem Tiefblid und nicht auf verjtandes- mäßiger Abſtraktion berubte. Er hielt das Erfaffen der Grund- kräfte für das Ziel der geichichtlichen Betrachtung und infofern auch für ihre werthvollfte Errungenſchaft, als ihm bei diejer Studienrichtung gegenüber und vor anderen geichichtlichen Auf- gaben bie größtmögliche Sicherheit und Wahrheit der Erkenntnis verbürgt ſchien. Denn wenn der Aufbau einer Gejchichte der Ereigniffe, zumal des Alterthums, auf die große Schwierigkeit ſtoße, aus fümmerlichen Fragmenten über die Abgründe fehlender Bivifchenglieder hinweg eine Brüde des ficheren Kauſalnexus bauen zu müffen, jo fei dagegen die Erfenntnismöglichfeit der verurfachenden Kräfte eine weit höhere, ja fie fönne ben primum gradum certitudinis beanjpruchen. Da das nämliche Lebens- prineip den verfchiedenen Außerungen zu Grunde liege, jo könne don mehreren Seiten ber die Probe gemacht werden, und es müßte bei richtiger Beobachtung, ob man num Politit, Necht, Religion, Kunft oder Wirthichaft in's Auge faſſe, immer dieſelbe Grundanlage zu Tage treten, jo dab aljo die fulturgefchichtliche Behandlung die Wahrheit ihrer Ergebniffe anhaltend zu fontrols liren in der Lage je. Will man an diejer Stelle eimvenden, dies ſei nichts anderes als ein Zirfelgang, indem man von der Empirie der Thatſachen auf Grundfräfte jchließe, während bie
9 Doch ſei jogleich bemerkt, daß Burkhardt das Wort Kultur in mannigfachem Sinne gebraucht, au wohl nad dem gewöhnlichen Sprach- gebraud).
Griechiſche Kulturgefchichte in der Auffaſſung Jat. Vurdhardt’s. 391 \
zur Seite getreten wären, jo hätten bei dieſer zweiten Aufgabe die Betrachtung des römischen Rechts und der römischen Staatd- verwaltung Hauptfapitel abgeben müfjen.
Die Hitorie, welche folchergeftalt die Erfenntnis der origir nalen Lebensprincipien, der Seelen- und Grundfräfte eines Volfes ober einer Zeitperiode ſich als Aufgabe ftellt!), hat eine Vorfrage zu erledigen, welche Manche, auch ernfthaft Denfende, wie eine Kippe betrachten, an ber fie nicht anders als fcheitern könne. |
Jedes große und ſich auslebende Vollsthum macht eine Entwidlung durch, die man nad) einer beliebten, freilich jehr ans fechtbaren Vergleihung Kindheit, Neife u. ſ. w. zu benennen jich gewöhnt hat. Wo bleibt in der wechjelnden Erjcheinung der Metamorphofen eines Volkes die Konſtante? Iſt der A la mode-
Deutjche des 17. Sahrhundert® oder ber Germane in römijchem Sold fein Deutiher? Das Griechentgum hat nicht nur durch | Kunſt, Wiffenichaft, Philofophie des 5. und 4. Jahrhunderts unermeßliche Wirkungen geübt; der Stoizismus, ber kosmo— politijch gewordene Hellenismus, die Myſtik des Neuplatonismus find nicht minder Mächte der Zukunft geworden; ſchließlich kann man auc das Griechenthum der chriftlichen Byzantiner nicht leugnen. Und ebenjo nad) rüdwärts. Seit mit der myfenijchen Beriode ein Alterthum bes Alterthums aufgededt worden ift, fieht man fich einer Kontinuität von drei Jahrtaufenden gegenüber. Sollte es alfo nicht abjurd fein, den Typus eines Deutjchen, eines Griechen erfafjen zu wollen?
Man fann darauf zunächit jagen, daß niemand fich bedenkt, don einem antiken, einem mittelalterlichen und modernen Menjchen zu reden. Dan verbindet mit diefen Bezeichnungen ſehr be- jtimmte Borjtellungen, die auf der Gewißheit begrifjlich definir- barer Unterjchiede ruhen. Im Verhältnis zu jenen umfafjenderen
") Ein Franzoſe Emile Gebhart hat in einer vortrefflichen Analyje der Sultur der Nenaifjance (Revue des deux mondes 1885, 15 novembre p. 842— 379) die Burdhardt’jhe Auffaſſung des Begriffs Kultur etwas zu eng als &tat intime de la conscience d’un peuple befinirt und bie Aufgabe als probleme de psychologie historique bezeichnet.
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Griechiſche Kulturgeſchichte in der Auffaſſung Jat. Burdhardt's. 398
nuance?); denn wenn die Dinge ber Welt und Gejchichte viele Seiten haben, jo ijt doc meiſt eine Seite die Frontfeite,
Wie Burdhardt eine Löfung der Schwierigfeiten finden zu können glaubte und fand, erregt doch außerorbentliches Interefje. Um es bildlich vorwegzunehmen: er gleicht in feinem Verſuch einem Architekten, der, um von feinem Bau auf dem Papier eine Vorftellung zu geben, den Aufriß und die Querſchnitte zeichnet. Der Querſchnitt ift nicht einer, jondern er zeigt, ob« wohl Mauer auf Mauer zu ftehen pflegt und damit die Gefammt- anordnung ähnelt, in den verichiedenen Stockwerken Abweichungen. Dieje Stockwerle find die Jahrhunderte; jedes hat typifche Züge, aber auch VBejonderheiten. Würde ein Jahrhundert von breien allein oder vorzugsweiſe berüdjichtigt werden, um die Zuſtände zu ſchildern, jo würde eine falfche Betonung, ein zu heftiger Uccent, entftehen; auch geht es nicht an, etwa ein Mittleres zwiſchen den Extremen zu zeichnen?), Dier gilt es aljo, aus äugleichen, die Querſchnitte in ihrer Bejonderheit und den Aufs riß zur Anficht zu bringen. Wenn die Hauptaufgabe Darftellung don Zujtändlichem war, jo mußte fie ergänzt werben durch Stüde, welche die Veränderungen und das Nacheinander berbortreten laſſen. Ein Mufterbeifpiel derart it der Abjchnitt im 1. Band, worin die Abwandlungen im der Aufſaſſung des Berhältnifjes zwiſchen Griechen und Barbaren behandelt werden (S. 314 ff.) Im ganzen aber mochte der Verjafjer das Gefühl haben, daß fein Bemühen, den Typus „des Griechen“ zur Anſchauung zu bringen, der Gefahr des Normalifirens, und kurzum irgendwelchen Zwangs und faljcher Accentſtellung nicht entgehen könne, und besiegen hat er als Gejammtgegengewicht ein großes Schlubfapitel (das der 4. Band bringen wird) gejchrieben: das griechifche Individuum im feiner hiſtoriſchen Entwidhung von der homeriſchen Zeit bis auf Alerander den Großen. Dort findet fi) nun Naum, in
9 Das Eitat ift aus einem der Bände der Origines du christia- nisme, Doch mwühte id die Stelle nicht mehr zu verificiren.
*) Sehr treffend bemerkt Ed. Meyer in jeiner Geſchichte des Alter tbums bei Gelegenheit: Die charalteriftiihen Züge milſſen immer den Ertremen näher jtehen als dem Durdicnitt.
Griechiſche Kultwrgejchichte in der Auffaſſung Jak Burdhardt’s. 396
Perilles, Sophofles und Phidias vorgerebet worben, daß wir nicht anders fonnten, als an die jtrifte Kauſalität in diejen Ers ſcheinungen zu glauben, und. diejes Vorurtheil beherricht ung jo weit, dab es eine ber jeltjamften Enttäufchungen der öffentlichen Meinung war, als nach, dem beutjch-franzöfiichen Striege die nach allen Regeln und Gejegen der Schule fällige und jicher zu er wartende Blüthe von Literatur und Kunſt ausblieb. Die Kumft biftorifer haben mit diefem Vorurtheil längjt gebrochen; denn fie wiffen, daß die Kunſt-, d. h. Stilentwidlung eigene Gejege bat, daß fie ihe weniger von außen als von der Überlieferung der Technik, mit der fie arbeitet, vorgejchrieben werden. Die bildende Stunft hält in feiner Weife mit der politiſchen Gejchichte, ia auch nur mit der Literatur gleichen Schritt, die fr fich über eim jo viel gejchmeidigeres und nachgiebigeres Werkzeug, die Feder, verfügt, Burckhardt jprach gern von ber Blüthe griechiicher
Kunft in demjelben 4. Jahrhundert, das auf politijchem Gebiet als eine Zeit des Verfalls angejehen wird, und nahm wohl Ans laß, über die „Orthodorie” der Phidiasgläubigen zu fpotten. Nachdrücklich ift daranf hinzuweiſen, dag er in dem Buch von der Kultur der Nenaiffance die Betrachtung der Kunft beijeite gelajjen hat (moran e8 wenig ändert, daß er davon als von einer Rüde ſpricht). Wo er auf den Eiceronianismus der neulateinifchen Literatur zu jprechen kommt und ihn mit dem Vitruvianismus ber Urchiteften vergleicht, bemerkt er, es erwahre fich auch hier das durchgehende Geſetz der Nenaiffance, daß die Bewegung in der Bildung durchgängig der analogen Kunſtbewegung voran gehe!). So hat er denn auch in der griechischen Kulturgeſchichte ſich des Aufipürens und Verwerthens folcher angeblichen Kauſa— Titäten enthalten umd die verjchiedenen Gebiete in getrennten Kapiteln jedes für ſich behandelt. Infolge deſſen hat er den
4) Die Kultur der Renaifjance in Italien. Erjte Ausgabe (1860) ©, 31. Gern erwähne ich bier dem geiftreihen Verſuch H. Thode's, die Blüte der Renaiffancehunft mit den Lebenswurzeln einer ihr zeitlich voran⸗ gehenden Periode in Zufammenhang zu bringen und fo der Furchtbarkeit der angeblichen Thatſache auszumweichen, als flände Blüthe der Kunſt und politljher Berjal in irgendwelcher faufalen Verbindung
Griechifche Kulturgefchichte in der Auffaffung Jat. Burdhardt's. 397
viduum aus gegebenen Zeitumftänden zu „erklären“, ob ein Milieu ein Indivibuum „produciren* könne, ober ob das Individuum Beit und Umgebung umgeftalte, wird hierbei nicht berührt. (Das erite große Wert Burdhardt’s, der Konſtantin, hat darin feine ftiliftische Schwäche, daß die verjchiedenen Tendenzen von Bio— graphie und Kulturgejchichte vermengt worden find.) Eine Be handlungsmeife, wie fie lediglich von formaleftiliftischen Nüdfichten biftirt wird, zeigen in bderjelben Weije bie großen Arbeiten von Carl Juſti. Sein Bud: Windelmann umd feine Zeitgenofjen gibt eine meiſterhafte Eulturgefchichtliche Milteudarftellung, wozu bie mehr repräjentative Bedeutung Windelmann’s, der nur Mittel- und nicht Hauptfigur ift, aufforderte. Einige Zeit ſpäter hat Juſti's Velazquez den völligen Eigenwillen und die Autochthonie des genialen Individuums mit voller Gleichgültigkeit gegen Zeit und Umgebung, ja mit jtarfer Betonung feiner ganzen geiftigen Uns abhängigteit in ungeminderter Meifterjchaft gezeichnet.
Auf den folgenden Blättern foll verjucht werden, Inhalt und Gedanfengehalt des legten großen Werkes von Jakob Burd- hardt wiederzugeben; nicht aber e3 zu kritijiren. Einmal ift die Aufgabe, ſich die Gedanfenfolge eines Anderen klar und deutlich zu machen, für's erjte jchwer genug. Dann aber möge man dem Neferenten, der jeit Jahren kunſthiſtoriſchen Studien den Vorzug gegeben hat, verzeihen, wenn er, durch jeine Erfahrungen an Kunſtwerken vorfichtig gemacht, ſich bejcheidet, angefichts eines fremdartigen Werkes immer erjt nach den Meinungen, Abfichten und Gedanken des Urhebers zu fragen, vorausgejegt natürlich, daß man glaube, Werk und Schöpfer lohnten die Mühe.
Ehe wir indeffen zu dem Buch felbft gelangen, ſei an die Neihe der Vorerörterungen noch eine Schlußbetrachtung über Burdhardt’s Verhältnis zur Tradition angefügt,
Das 19. Jahrhundert hat aus den Händen Windelmann’s und unjerer Klaſſiker ein kanonijirtes Griechenthum empfangen, Das dieje Auffaffung feine hiſtoriſch begründete war, bedarf feines Beweiſes. Es handelte ſich für jene Männer nicht um
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Griechiſche Kulturgeſchichte in der Auffaſſung Jak. Burdhardt's. 399
beſitzen ). Das halbkritiſche Verfahren, das Curtius im einzelnen anwandte, hat ihm die ſchroffſten Angriffe zugezogen, jo daß fein Werk faft eine Zieljcheibe der Kritik geworden ift. Hat jich aber die gelehrte Forschung anderen Wegen zugemendet, jo blieb doc für die allgemeine Vorjtellung, wie jie aus der Schule heraus— wuchs, die alte, durch Curtius jo glänzend vertretene Auffaſſung unantaftbar. Die Schule lehrte ein Griechenthum, an dem von dem Giftzahn des Heidenthums nicht das Mindefte zu ſpüren war. Im deutfchen Schulaufjag wurde weiter das Lob des Ariftides nach Cornelius Nepos gejungen, und wenn ein dreijterer Kopf meinte, jemanden zu beivundern, weil er feine öffentlichen Gelber veruntrent habe, fei fein dringender Anlaß, da unjeren Beiten und Anfprüchen die Ehrlichkeit der öffentlichen Verwaltung etwas Selbftverjtändliches fei, jo wurde dieſe Unficht als höchſt unehrerbietig zurückgewieſen.
Burdhardt war bei Ranfe und Kugler durch die Eritijche Schule hindurchgegangen, aber jo wenig wie e& dieſe feine Meifter waren, wurde er ein Mitglied ber fritiichen Schule. Denn das tritiſche Temperament war bei allen dieſen Männern nicht bie Hauptfache ihrer Begabung, jondern fie meinten, über der Noth- mendigfeit kritifcher Übung nicht vergeffen zu jollen, daß bie Kritik nicht3 weiter thue, als einen Bauplag freimachen für nene Schöpfungen. Die kritiiche Schule aber jah nicht jo weit, ſondern ihr wurde die Kritit Selbjtzwed und die Deftruftion eine heilige Aufgabe, Dejtruktion nicht im Dienjt politijcher Tendenzen wie in der Kritif des 18. Jahrhunderts, jondern in einem unbefangenen wifjenichaftlichen Eifer, unjer Wiffen von Fabeln und Irrthümern zu entlajten, Sollte aber aus dem gereinigten Wiffen die neue Erfenntnis aufgebaut werben, jo zeigte ſich eine Unfruchtbarkeit, die mehrere Gründe hatte. Einmal war es nicht damit gethan, aus dem Schutt deſſen, was der Prüfung nicht Stand gehalten, die paar guten Baufteine herauszulejen und zujammenzufügen. Was aus den fog. geficherten hiſtoriſchen Thatſachen gebaut erden Tann, zeigen die „Jahrbücher der deutichen Gejchichte*
9 Man jehe übrigens das intereflante Urtheil Über Curtins bei v. BWilamowig, Ariftoteles und Athen 1, 377.
Griechiſche Kulturgefchichte in der Auffafjung Jal. Burdhardt's. 401
wendig für den Fortſchritt des Erfennens Detailforichung bleibe,
ft doch mur von großen Leiftungen ausgehen, und daß der mächtigen Tradition der Schule, bie von der eigent- fichen Wiſſenſchaft nur im geringem Maß Notiz nehme, nur durch eine monumentale Arbeit begegnet werben könne, die ſich an den Kreis der Gebildeten richte. Burdhardt hatte die feltene Vorliebe für große Aufgaben, weil er die Kraft dazu in fich ſpürte, und wenn er überhaupt einen Nat gab, jo fagte er jungen Studien— genoſſen gern, fie jollten jich große Stoffe wählen. Mit der ganzen Unabhängigkeit feines Ingeniums und einer bewußten Bernachläffigung der gelehrten Literatur ber legten Jahrzehnte (wovon jpäter ein Wort zu jagen fein wird), brachte er ein Werk hervor, defjen Grundanfchauung man furz, wie folgt, be zeichnen kann.
Der Nimbus, der, von der Kunſt und Literatur der Griechen ausgehend, die ganze hellenijche Welt verklärte, hatte für Burck— bardt feine Blendfraft. So tief ergriffen er ſich in griechifche Poeſie verlor, jo mitjühlend fein Berjtändnis für viele Seiten griechifcher Neligion war und jo hoch feine Meinung von griechiicher Genialität, jo jehr gewahrte ex doch die tiefen Schlagichatten, die der Überfülle von Licht zur Seite gingen. Denn in diejem Manne lebte neben dem reinen Enthufiasmus für das Schöne umd einer großen und echten Begeifterungsfähigkeit eine wahr- haft geniole Nüchternheit der Beobadhtung, die ihm eine Unbefangenheit jondergleichen verlieh. War ihm bei aller Vor ficht und Abneigung gegen vorjchnelle Kauſalkonſtruktion ſchon in Der Welt der Nenaifjance die hochgefteigerte Empfänglichkeit für die Phänomene des Schönen neben der weitgehenden Unempfinds lichkeit für moraliſche Werthe als ein nachbenklicher Parallelismus aufgejtoßen, um wie viel größer erichien ihm in der hellenifchen Kultur die Kluft zwifchen dem Daſein der Kunſt und der furcht— baren Wirklichkeit des Lebens und Gejchehens?). Dieje Kluft zu
4) 4, WE F Die Berbrechen des Tyrannen Mlerander von Pherä und feine Rübrung über das Theater des Euripibes. 1,296. Der Griechen- morb gleichzeitig mit Phidias, Atinos, Zeuxis, Parchafios und allen Finefjen der choriſchen Metrif und der Konverjation.
Hiftorliche Beiticheift (Bo. 85) M. F Bo. XLIX, 26
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Griechiſche Kulturgeichichte in der Auffaffung Jak. Burdhardt's. 403
den Griechen eine „hiltoriiche Urkunde“ geblieben. Ein Geiftes- zuftand, in dem nicht anhaltend Togifches Erkennen und Willen das Recht der Anſchauung forrigirt, mo Wunder und Legende die liebſte Nahrung abgeben, wo die holde Vorjpiegelung höher gewerthet wird, als was wir Wahrheit nennen, Ein jo uns
geheuerer Gegenjag gegen unfere Art und Erziehung, daß wir, wie Georg Grote jagt, „zu jchr an XThatjachen und pofitive
Philoſophie gewöhnt, eine Zeit nicht begreifen fünnen, wo die
ſchönen Phantafiegebifde buchjtäblich gedeutet und als ernite Wirklichkeit angenommen wurden.“ Daß eine jolche geiftige
Atmojphäre nur in „ungebildeten” Zeiten herrichen könne, konnte nur der Hochmuth unferer Tage behaupten!), der feine andere als die wiſſenſchaftliche Grundlage unferer Bildung gelten läßt, der gebildet und wifjenfchaftlich gebildet identificirt, al ob 3. B. religtöfe oder fünftlerifche Bildung nicht vollmerthige Botenzen neben ber wifjenjchaftlichen Bildung bebeuteten. Auch im Verlauf der griechiſchen Geſchichte iſt Aufklärung, Wiſſenſchaft, Gefchicht- ſchreibung gegen den populären Mythus aufgetreten und hat einen Konflift von meltgejchichtlichem Intereffe erzeugt. rote bat diefem Kampf in den zwei Schlußfapiteln des eriten Bandes feiner Griechiichen Geſchichte eine meifterhafte Darftellung?) ges widmet, vor allem auch die unterjcheidenden Gründe, welche die Macht des Mythus bei den Griechen jo viel jtärfer und dauernder machen als in unſerem germanijch-romaniichen Mittelalter, feſt— gejtellt. Was Nanfe in der Weltgejchichte unter dem Titel: An— tagonismus und fyortbildung der Ideen über göttliche Dinge mehr in der Art einer Skizze und poimtirter gibt, ift ein ähn- licher Veriuch. Alle aber fommen darin überein, daß der Mythus dauernd die Oberhand behielt, weil er die natürliche Form griechischer Erkenntnis war. Eine Fähigkeit der Illuſion und eine Kraft, daran als an ein höchſt Wirkliches zu glauben, die das Griechenvolt zum größten Kunſtvolt der Welt und aller Beiten gemacht hat; eine himmlijche Naivetät des Lügens, wie jte
% Er ift formulirt in Aug. Comte's „Stufen der intellettuellen Nuss bildung”.
*) Deutihe Ausgabe 1, 235 fi.
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Griechiſche Kulturgeſchichte in der Auffaſſung Jak. Burdhardt's. 405
Demotratie. Die Form der Darſtellung iſt keine geſchichtlich er— zãhlende; eigentlich wird die Geſchichte als befannt vorausgeſetzt. Burdhardt ftellt Thatjachen zufammen, um hiftorifch « kritiſche Raiſonnements daranzufnüpfen, ähnlich, aber nicht ebenſo, wie Macchiavell in den Discorsi von Liviud ausgeht, um nach feiner Art Grundjäge der praktischen PBolitif zu gewinnen. Nicht die griechiſche Geſchichte zu erzählen, ſondern griechiſche Politit zu erfennen und zu kritifiren, ift Burckhardt's Abficht. Ich verjuche, einige charafteriftiiche Gedanken herauszuheben.
Gegenüber anderen Neigungen anderer Völker ijt den Griechen das Gejelligkeitsbedürfnis eigen; die Polis jcheint nicht erſt auf eine gewiſſe Neife kommerziellen und induftriellen Lebens warten zu müfjen; jie ſcheint eine Naturform griechiichen Lebens; ber Markt der Stadt, die Agora mit ihrer Konverſation und ihrem Gejchäft ift Mittelpunkt des Dafeins, Aber indem diefe Schöpfung den Anjpruch erhebt, daß das Ganze über dem Theil jtehe, daß der Einzelne ſich als Bürger ihr unterzuordnen habe, wird fie zu einer furchtbaren Macht. Unter Schmerzen wird fie geboren (Gewaltjamfeit bes Synöfismus), und fie ift jo ſehr eine Kategorie bes politijchen Denfens der Griechen, daß ohne fie Das Leben nicht vorjtellbar ift. Sie fann nicht jterben, und ausgejtoßene Bevölferungen oder Teile von ihnen bewahren mit unerhörter Zãhigkeit die polisförmige Gemeinichaft (1, 275 ff.) Im allen Abwandlungen politiicher Formen bleibt die Grundthatjache die⸗ jelbe; da zugleich die Götter und der Kult als ftädtischer Befig aufgefaßt werden, jo ericheint die Stadt des weiteren als Kirche. Burdhardt jagt. um etwas von der Farbe der Intoleranz eine zumifchen: als Orthodoxie. Den eigentlichen Normalfall der Polis ftellt die fpartanische Verfaſſung dar, Herrichaftswille in ums bedingter Form. So wenig Burdhardt geneigt it, in politischer Beziehung eine Neigung für Athen zu Wort fommen zu laffen: fo viel gibt er doch zu, die Demokratie habe dort einer höchften Kultur Raum gelajfen, während Sparta die Macht um der Macht willen erjtrebt habe und fein anderes Pathos kenne als das ber Herrichaft. Der militäriſche Zufchnitt des Lebens, die
‚Hochhaltung der Discipfin und die „Aufhebung des individuellen
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zu großem Theil an ihrer krankhaften, jenjationsläfternen Ner- vofität Schuld trage, womit dann die politiiche Streberei Hand in Hand gehe, als deren Typus bereits Themiftofles betrachtet wird. Denn für das Erſcheinen ſolcher Charaktere brauche man nicht auf den peloponnefiichen Krieg zu warten. Daß die Demokratie im ihrer freien Bürgerfchaft doch auch Vertreter der gewerblichen Thätigfeit in ſich ſchloß), für die man die Diäten einführte, um fie für den entgangenen Erwerb im Gefchäft zu entjchädigen, wird Hierbei nicht berüdfichtigt. Auf die Frage des Verhält- niſſes zwiſchen freier Arbeit und Sklaven geht das Kapitel über die Sklaverei nicht ein, Sondern betrachtet die Sklaverei auf der Grundlage des Zuftandes, ben die induftrielle Bewegung hervor: gebracht hat. Im der Kreuzung von Antibanaufie und Demokratie fieht Burdhardt recht eigentlich den Wurm des ganzen Ber- faflungszuftandes. Denn bei der poſtulirten Gleichheit der Rechte und der Abneigung gegen die Arbeit jei eine Ausgleichung zwifchen Beſitz und Nichtbefigenden unmöglich gewejen, und aus biejer Unmöglichkeit, durch Arbeit und Lohn ein Emporfteigen der Armen zu begünftigen, jei ein Sturmlauf gegen die Befigenden entftanden, der grauenhafte Ausjchreitungen gezeitigt habe. Die Liturgien als gejegliche Erpreffungen werden düfter gejchildert; das Sylo— phantenthum jo, als fei die mittelalterliche Inguifition ein Kinder⸗ ſpiel dagegen geweſen; fein Terrorismus wird als eine jociale Veit bezeichnet, Indem aljo die Polis nichts als Parteiung, Haß, unmenfchlihe Verhärtung erzeugt habe, jei das Gift dieſes Buftandes nach aufen geflofjen, und die Städtefehden, die Riva— lität bis zu gegenjeitigem Sichhinauffchrauben und ſchließlichem Bernichten jeien natürliche Folgen des Grumdcharakters der Polis geweſen. Diefe Einzelwrtheile zujammenfafend hat Burckhardt feiner Orundanficht von der Polis Ausdruck gegeben, indem er jenen furchtbaren Dante’jchen Vers als Motto vorangejtellt Hat, den erjten Vers der drei Terzinen, die über dem Thor der
*) Ed. Meyer, Die wirthidhaftlihe Entwidlung des Alterthums ©. 86 fi. Die Sklaverei im Altertfum S, 31 fi, wo übrigens zugegeben fit, daß fid) bie freie Arbeit thatſächlich faum gegen die Konkurrenz der Stlaven- arbeit behaupten konnte.
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Beurtheilung entjernter Vergangenheit den Schlagworten immer gern aus dem Weg gegangen. Bielleicht war jeine Meinung, daß man mit ben uns höchſt geläufigen Begriffen von Indivie dualismus und Socialismus, indem man fie auf die Kämpfe der griechiichen Polis anmwende, fich die Sache zu ſehr vereinfache umd leicht made; wenn man heute im Zufammenhang moderner politächewirthichaftlicher Kämpfe dem antifen „Staatsgedanten“ wieder eine bejondere erzieheriiche Sraft zutraut, jo lagen Burd» hardt jolche Färbungen und Aftwalifirungen fern, da vielmehr feine Anficht war, man müffe jede Zeit, die nun einmal fir ſich ſei umd nie ebenfo wiederfehre, aus fich ſelbſt verjtehen lernen. Entgegen bequemen Sormulirungen liebte er es, Thatjächlichkeiten bildmäßig darzujtellen, wobei es mehr dem Lejer überlaffen bleibt, alle Konfequenzen zu ziehen. Für diefe bildmäßige Wiedergabe beſaß Burdhardt Fähigkeiten, die nur ihm eigen waren, und jo gelangte er burch eine faſt illufionäre Belebung vergangener Zur fände (wovon jpäter noch zu fprechen fein wird) zu einer Art Vifion, die ihm die Dinge gegenwärtig und fichtbar machte, daß er fie förmlich roch und fchmedte. Nicht auf mühfam abftrahiren- dem Denfen, jondern auf der Gewalt feiner Phantafieeindrücde beruht die intenjive Farbe feines Urtheils.
Wir anderen, mehr an Darftellung der gejchichtlien Ent— widlung als an fulturgeichichtliche Schilderung des Zuſtänd— lichen gewöhnt, jchreiben Gejchichte gleichmüthiger und gefallen uns in einem jogenannten vornehm neutralen und objektiven Stil; nur vergeſſen wir leicht, daf unfer Gleihmuth kaum bewahrt bliebe, wenn wir förperlic) uns in die Zeiten, deren Gejchichte wir ſchreiben, zurüdverjegen könnten. Gilt das jchon von der Zeit der Eifenbahnlofigfeit und der politischen Zerriffenheit, um mie viel mehr würden wir die Folter empfinden, in Zuftänden zu leben, die der perfönlichen und Rechtsficherheit, der Aufklärung und äußeren Civilijation entbehren und dafür Fauſtrecht und Herenproceffe, Denunciantentyum und Barbarei des äußeren Lebens bejaßen. Während mir meiftens in Mattheit der Anſchauung befangen die ganze Fülle und den ganzen Drud vergangener Buftände ohne Iebendiges Reagiren und faſt ohne Empfindung
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Geſchichte lehrt mit genügender Deutlichfeit, wie unſäglich ge duldig, pafjiv und finmpf ſelbſt gegenüber dem Außerſten die Menjchheit zu allen Zeiten gewejen. Käme es auf die Mafje an, jo würde das Gejeg ber Trägheit gelten. Denn in alle Wege find es nur die Einzelnen, die, wenn das Maß voll ift, binaufgreifen in den Himmel und herunterholen „Die ewigen Rechte,
Die droben hangen unverüußerlich
Und unzerbrechlich wie die Sterne ſelbſt.“
Solcher Einzelner hat es allerdings in Griechenland genug ge geben, und Burdhardt kann für feine Auffafjung alle die an- führen, denen die Polis als Moloch erjchien, der ihre Freiheit fraß, die am ber Polis verzweifelnd ich demonftrativ vom dffent- lichen Leben abwandten und in Philoſophie und literarifcher Muße Erjag für getäufchte Hoffnungen juchten. Im diejem Betracht aljo wird man ſich hüten, die Darjtellung, die Burdhardt vom Leben der Bolis gegeben bat, als eine allzu jubjektive zu be— zeichnen. Denn jie entipricht dem Facit, das die illuftren und bejten Köpfe von Hellas ſelbſt gezogen haben, indem fie die Politik ben Leuten überliehen, die Burdhardt einem englifch-amerifanifchen Sprachgebrauch folgend politicians nennt. Diejen Standpunkt vertritt Burdhardt mit bewußter und berechtigter Einfeitigkeit), wie fie von der geläufigen gegentheiligen Anficht herausgefordert wird. Das eine ift ein Standpunkt wie das andere, und Burd- bardt würde jich zur Wehre jegen, wenn jeine Gegner die ganze Wahrheit im der Taſche zu haben fich einbildeten.
Wir jahren in unjerem Bericht fort. Der erſte Band ſchließt mit einer Anzahl kürzerer Anhänge ab. Erftlich über die politi« ſchen Theorien der Griechen: angefichts einer furchtbaren Praxis
9 Erop dem glänzenden Zeugnis, das Herodot der athenijchen Demo— kratie ausſtellt, und troß Grote, der fo entfernt ift, in der Polis eine Bivangdanitalt zu jeben, daß er gerade bie individuelle Freiheit an ihr rühmt. Nicht daß Sokrates ſchlleßlich Hingerichtet worden, jondern daß man ibn fo lange gebuldet, jei der Ruhm don Athen. Seine moderne Regierung zeige ein ähnliches Bild großmüthiger Duldung jucialer Hetero= dorie und individueller Geſchmacksrichtung gegemüber.
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vergleichen. Höchjt wirfjam hat Eurtius die Elemente der Ein. heit um das glänzend herausgehobene Centrum des Delphiichen Oralels gruppirt und gewinnt von da aus als von einer Baſis den Übergang zum jonijchen Aufftand und den Perjerkriegen, in denen wie aus ber Knoſpe jener vorbereitenden Vorausſetzungen die Blüte eines gefammthellenischen politischen Pathos der Unab— hängigfeit und Einheit entjprungen jei. Ich habe immer Die Fügung diejer Kapitel als ein Meifterjtüct ftiliftifchen Aufbaus bewundert. Den Thatjachen!) aber möchte diefe Gruppirung wenig entjprechen. Es wird wicht nur mir aufgefallen fein, daß Burdhardt von den Perjerkriegen jo wenig redet. Wenn man die verjchiedenen Stellen, an denen fie erwähnt werden, zujammen- zählt, wird faum eine Seite herausfommen. Dieje Großthaten zu ignoriren, ift Burdhardt nicht jo jehr durch die Beobachtung veranlaht worden, daß die patriotijche FZafjung und Ausbeutung, der Perjerlämpje wejentlich erſt der jpäteren Rhetorik verdankt werde, als durd; die Forderungen feiner eigenthümlichen kultur— geſchichtlichen Betrachtung, die von der weltgefchichtlichen grund ſätzlich verjchieden ift. Hätte er wie Ranfe eine Weltgejchichte gejchrieben, jo würde er den Verjerkriegen denjelben großen Platz eingeräumt haben, den fie im erften Band bei Ranke einnehmen. In diefer jo ungleich gearbeiteten Weltgeſchichte gehört der Über- blick über die griechiiche Geſchichte als Aufbau zu den imponirendſten Leiftungen des Meiſters. Bon jeinem hohen Standpunft aus kann Ranfe nicht anders als die Stellen der Geſammtgeſchichte ergreifen, die, jo wie die Bojen das Fahrwaſſer fenntlich machen, die großen Strömungen und Wendepunfte des Weltenichidjals bezeichnen. Die Perjerkriege der Griechen als dasjenige Ereignis, welches die Weltgejchichte vom Orient ablöjt und dem enticheiden« ben Zug nach Weiten erdffnet, verlangen in diefem Zuſammen— bang eine ausführliche Darftellung. Denn bier entjcheidet die
3) Selbit Beloch, Griechiſche Geſchichte Bd. 1, Hat nod das Kapitel: Anfänge der Einheitsbewegung, ivo ber Inhalt freilich die Überfchrift faum rechtfertigt: Was Burdhardt von den neueren Auffajjungen vom griechi— ihen Bundesſtaat, Verſuchen zu nationaler Einheit, was er vom „attiſchen Reich” gehalten hätte, lonnen wir nicht erörtern,
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ausgeſprochen habe, indem er die Autonomie jeglicher griechiſchen
Polis verkündete und den eingeborenen Partifularismus fanktionirte. Macht und Einheit aber im Sinn des politiſch organifirten Volls— thums!) haben die Griechen ihrer innerjten Anlage nad nie zu Wege gebracht. Indem Burdgardt das Typiſche und Unter ſcheidende des Griechentyums fuchte, hat er abfichtlich die Perfer- tümpfe beifeite gelaffen, und er hätte wie Voltaire im essai sur les maurs jagen fünnen: que les compilateurs repstent les batailles de Marathone et de Salamine; ce sont de grands exploits assez connus..... je m'attacherai à d’autres
II. Der zweite Band.
Aus dem Inferno der politischen Zuftände der Griechen her» austretend wendet ſich Burdhardt der religiöfen Welt der Griechen zu, a riveder le stelle, fann man jagen. Er brachte für das Verjtändnis des uns fat unbegreiflichen heidniſchen Bolytheismus ein Gefühl und eine Anlage, vor allem eine gewiſſe fünftlerifche Kongenialität mit, für deren Art, um uns weitere Worte zu Sparen, wir vorziehen, auf Goethes Gedicht Groß ift die Diana der Ephejer zu verweilen. Was aber jeine Örundanfichten vom Weſen griechiſcher Neligiofität weiterhin anlangt, jo ift es nicht unnüg, darauf hinzumeifen, daß jie in einem Kreis von Männern eine werthvolle Reſonanz bejaßen, unter denen Burchhardt der Üftejte und in vielen Beziehungen der Gebende war. Es mären zu nennen Franz Overbed, der Bajeler Theologe (dem dieje Zeit: ſchrift den berühmten Auffag über die Anfänge der patrijtiichen Literatur verdankt, N. F. 12 [1882)); Friedrich Niehſche, der jugendliche Ordinarius der klaſſiſchen Philologie, der zu Burckhardt in’s Kolleg ging und noch viele Jahre jpäter, da er jein letztes, furchtbares Buch herausgab, wo nichts mehr vor dem grauen-
ı) Ih meine „Macht“ in dem grundlegenden Sinn, den man aus
Rante Fennt, an welde Auffafiung neuerdings jehr zutreffend Mar Lenz in feinen Auflähen der Deutihen Rundſchau über die groben Mächte wieder erinnert hat.
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micht, ethnologiſche Forſchungen, ſelbſt über Auftralneger?), aus« zunugen, alles in der Meinung, daß and Analogien und Kon— | traſte Mittel feien, unjere Anjchauung von Griechenthum beut- | licher und bejtimmter zu machen und fie von der herfümmlichen Zransfiguration zu erlöfen. Auch von diefem Theil der „Griechiſchen Kulturgeichichte” muß es genügen, die Gefichtspunfte anzudeuten‘). Die Religion der Griechen erfcheint Burckhardt nicht ala das, was unfer Sprachgebrauch; Religion nennt; denn das jpecififch religiöfe , Element war ſchwach in ihr vorhanden. Sie war eine Schöpfung bildender Phantafie, nicht offenbart von Prieſtern, von ihnen | gelehrt, gepflegt und gejchiemt, jondern Laien, Dichter haben ihr die Form gegeben. Der Aöde war Dichter und Lehrer. Und num höre man folgende Stelle (2, 36): „Nichts ift für ung fremder ala ein Wolf, das nicht nach Tagesneuigfeiten frägt, ſondern dringend und eifrig nach umftändlichem Bericht verlangt über die von ihm jelbjt gejchaffenen, aber unfertig und ſchreck⸗ haft gebliebenen Götter und Heroen, welche ihm jest in jolcher Schönheit und Lebensjülle entgegengebracht werden. Es it fein eigenes Wejen, nur in erhöhtem Ausdrud. Ein dringen» deres Bedürfnis iſt die Poeſie auf Erden nie gemwejen. In biejem großen Idealbild ihres eigenen dauernden Seins genofjen
2) Man jehe z.B. den Anhang zum 1. Band der Piyde über pusgelsands. Ich traf Rohde eines Tages bei der Leftüre von Gothein's Lonola; aud bie jeinen Studien entfernten Neligionstreife und -Vor— ſtellungen zogen jein Interefie lebhaft an, und er ſprach mir bei dieſem Anlaf von ſpaniſcher Myftit und den Memoiren der h. Thereſe. In der Pine Hat er, wo die Rede auf bie verſchiedenen Formen der Efftafe , 27 — U tommt, des ſpaniſchen recojimiento gedacht. Weiteres
in dem Aufſatz von W. Schmid, Jahresbericht über die Fort- age Uaſſiſchen Alterthumswiſſenſchaft 1899, im Beiblatt Biogras Jahrbuch S. 87—114. Bon dem einleitenden Kapitel über die Metamorphoien ſehe ich BurdHardt trägt hier die Hypotheſe einer Urporjtellung griechiſchen Glaubens vor. Ach will das nicht kritifirem, glaube aber, daß kompetente Beurtbeiler leicht das Gegentheil, die jpäte Entftehung der Metamor« phofenvorftellung wilrden annehmen wollen.
Hitorijcdhe Beitfhrift (Bb. 85) M. 5. Bd. XLIX. 27
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brachte. Fanatismus aber hat dieſe Religion nicht erzeugt. Gerade daß ſie nichts lehrte, daß zwiſchen den Anſprüchen einer Kirche und des Unterrichts kein Konflikt möglich war, daß ſie nichts vorſchrieb und erzwang, daß ſich Wiſſenſchaft und Philoſophie vor feiner Theologie zu fürchten brauchten, iſt eine der wichtigſten Thatjachen griechiſcher Kultur. Die Freiheit ruhte hier auf Vor- ausjegungen, wie fie eigentlich nie wiebergefehrt jind!), Wie dann auch; die Kunſt fich diejer Freiheit bedient hat, Hierüber möge man die paar Seiten voller Empfindung 2, 219 ff. nachleſen.
In Kürze werden die Weihen und Myſterien beſprochen, die im fpäten Heidenthum und jeit der Konkurrenz des Chriſtenthums wiederum zu jo großer Bedeutung emporwachſen; der dionyſiſche Kult und jeine Efftafe. „Man wird hier dem Altertum noch manches als religidfe Begehung zugeftehen, was in anderen Zeiten nicht mehr als religiös und Faum mehr als erlaubt gegolten hat.” Endlich die orphiichen Sekten, „eine Nebenreligion“, worin Agfeje und Sorge um das Jenſeits und das Heil der Seele zuerjt ihren frembartigen Einzug in das Griechenthum Halten. Bei den Myſterien wird niemand verwundert fein, Burckhardt auf der Seite aller derer zu finden, die von einer fittlichen Abficht und Wirkung in den Eleufinien feine Spur finden (draſtiſch 2, 198).
Bei dieſer fo wenig religiöfen Religion, wo das für unjer Empfinden Iunerlichite ganz und gar veräußerlicht erjcheint, bildet ihre enorme Macht über die Gemüther ein Problem, das erſt, ivenn man fich die kultiſche Seite vergegenwärtigt, feine Löſung findet. „Ewig wird der Gegenjat Staunen erregen zwiſchen der fo geringen ethijchen Meinung von den Göttern, der jo geringen Hoffnung auf ihre fichere Hülfe, den jo zweifelhaften Anfichten über ihre Macht — zumal in Sachen von Leben und Tod — und anbdrerjeits dem jo gewaltig ausgedehnten Götterdienft.*
9 Diefer Gedanke ift natürlich fhon im ritcle delaird und mit welchem Vergnügen ausgefprocen worden. Man jehe Voltaire's essai sur les maurs et l'esprit des nations, introduction chap. 26: es habe feine Priefter gegeben, die die Weißheit „hüteten“; l'accès de la raison fut ouvert & tout le monde; chacun donna l’essor A ses iddes, et c'est ce qui rendit les Greca le peuple le plus ing&nieux de la terre.
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Sphären, wo die Ausficht auf die wolfenfofen olympiſchen Höhen von dem Brodem qualmenden Aberglaubens umbdüftert wird, und dem dunklen Gebieten, wo die Haffiiche und die roman⸗ tische Walpurgisnacht ununterſcheidbar im einander übergehen. Indem er bemerkt, es gehöre zu den Wahnvorjtellungen über bie Glüdjeligkeit der alten Griechen, daß jich bei ihmen nichts der⸗ gleichen hätte erzeigen fönnen, wedt er in dem (nicht fachmänni- ichen) Zejer das gleiche Erftaunen, mit dem Mephijtopheles das Erjcheinen der Phorkyaden begleitet: „Bir litten fie nicht auf den Schwellen
Der grauenvollften unfrer Höllen.
Hier wurzelt's in der Schönheit Land,
Das wird mit Ruhm antit genannt.“
Als nur theilweije mit der Neligion zufammenhängenb be- trachtet Burdhardt in dem Kapitel: Die Erkundung der Zukunft einen geionderten Kreis von Einrichtungen und Vorftellungen, die Mantif, merlwürdig in ihrer völligen Umabhängigfeit vom BPriejterftand, jodann Vorbedeutungen jeder Art, das Gebiet der Divination, Traumweisfagung, die Chresmologen !), jchliehlich die DOrafel, Hier tritt der fataliftiiche Charakter des Popularglaubens nochmals deutlich zu Tage: die Götter machen nicht das Schiejal; fie vermögen nur, e8 zu offenbaren. Aus der Fülle al’ diejer Mit tbeilungen wollen wir als für den Hiftorifer bejonders interejfant die Darlegung des Gewichtes der Traumdeutung herausheben. „Namentlich Hier find Alterthum und moderne Zeit völlig ver- ſchiedene Welten, indem ja heute jelbft im ärmften Volfe der Traumglaube (etwa den an Lotterienummern ausgenommen) nahezu erlojchen it. Bur Pflege des Traummejens gehört, jcheint es, eine gewiſſe Muße, welche in dem eiligen Leben ber heutigen Zeit weder Groß noch Klein gegönnt wird; auch Hat die Wifjenfchaft das Phyfiologiiche daran zu deutlich bloßgelegt. Wem aber
9 Burdhardt jchildert diefe Sache in ihrem Berfallgzuftand, wie denn aud) Robbe bemerkt: „Wir kennen die mantijche und kathartiſche Bewegung und was ſich aus ihr entiwidelte, kaum anders als im Zuftand der Ent- artung." Doch muß man als Ergänzung den ganz befonders feinen Ab⸗ Ichnitt Rohdes @, 62—102 hinzulefen.
2) 2, 234 fi Bu diejen „Rlugen* | Hören. Man jehe feine Ahnung de | jprächen mit Edermann (13. Nov. 1828) { Ausgewanderter*, die ja von ſolchen Ding
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empfindung, wonach die griechijche Anficht vom Leben und feinem Werth zu berechnen, die legte Aufgabe bleibt. Diejer ſchwierigen Verrechnung hat Burdhardt die Überfchrift gegeben: Zur Gefammte Bilanz des griechijchen Lebens.
Nirgends drückt fich entjchiedener als hier der principielle Standpımkt des Mannes und jeine Kampfitellung aus, „In Betreff der alten Griechen, heißt es, glaubte man jeit der großen Erhebung des beutjchen Hinnanismus im vorigen Jahrhundert im Klaren zu fein: im Widerjchein ihres kriegerischen Heldenthums umd Bürgerthums, ihrer Kunſt und Poefie, ihres jchönen Landes und Klimas ſchätzte man fie glücklich, und Schiller's Gedicht „Die Götter Grierhenlands* fahte den ganzen vorausgejegten Zuftand in ein Bild zufammen, deffen Zauber noch heute jene Kraft nicht verloren hat.” Hierin erblickt Burdhardt „eine der allergrößten Fälfhungen des geſchichtlichen Ur— theils, welche jemals vorgefommen.* Wir wollen es für felbft- verjtändlic, halten, daß die wirklichen Kenner des Alterthums und die Vertreter der Alterthumswiſſenſchaft nicht auf Burdhardt mit diefer Erkenntnis gewartet haben, und darum brauchen fie fich nicht betroffen zu fühlen. Denn nicht fie hat Burdhardt im Auge, jondern die allgemeine, von den Fortſchritten eines betaillirenden Wifjens nicht berührte Meinung. Ihr erjcheint vor allem das Perikleiiche Athen in dem Nimbus einer „übereinfümms lichen (ein guter Ausdrud für das, was wir ſonſt „Eonventionell* nennen) Verklärung“, und es ift das Übliche, die Blüte von Hellas bis zum Tod des Perilles und zur Peſt im Athen zu erjtreden und von da ab den Verfall zu datiren. Hierbei find die Motivirumgen doch wieder jehr verfchieden. Man kann für den Niedergang der athenischen Nepublit einzelne Perjönlichkeiten verantwortlich machen, den Perikles oder Kleon oder Alfibiades, und im bejonderen den Perilles wegen der Fehler, die er be gangen, was in einer Zeit des Nüdjchlags gegen ben Perikleskult beliebt war oder, was das Aftnellite ift, aus dem entgegengefeßten Grund, weil feine vorragende Genialität feine anderen als mittel: mäßige Köpfe um ſich geduldet und alfo feinen Erben feiner Volitit Hinterlafjen habe. Man kann ferner in der Peſt die
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im der griechifchen Kunſt und Poeſie lebendig finden.“ Burdhardt iſt nicht der Erſte, der das jagt; aber er berührt damit bem Mittelpunkt des Hafficiftiichen Vorurtheils. Man kann es jo ausbrüden: während die gewöhnliche Meinung in griechifcher Kunft und Poeſie den Widerfchein des Lebens erblickt und nicht anders glaubt, als jei eine ſolche Kunſt des Wohlbehagens und der Erhebung über das Kleinliche bervorzubringen, nur einem Volle möglich gewejen, das von Lebensfreude und ficherem Glüd- ſeligleitsgefühl erfüllt gewejen, würde Burdhardt urtheilen: nur im Traum der Poefie habe ein ſolches Glück exiftirt, und die Eutdeckung der hohen Schöndeit jei nur als Löfung aus dem Dunkel der furchtbaren Disharmonien des wirklichen Lebens zu begreifen. Daß dies die tiefere und treffendere Auffaffung it, dab jie mit eigenfter Erfahrung erlebt ift, leuchtet ein. Sie philoſophiſch weiter zu begründen, halte ich für unangebracht, da Burdhardt jelbjt es unterlaffen hat. Wen aber nach umjtände licher pfychologifcher Erklärung des wahren Verhältniffes von Kunft und Leben verlangt, wird bei Schopenhauer und insbes fondere im dritten Buch jeines Hauptwerfes, über bie Erlöſung vom Willen durch die Schönheit, hinreichende Auskunft finden !). Die griechischen Affelte ſchöpfen daraus ihre unterjcheidende Größe, daß fie auf dem Boden eines Egoismus erwuchjen, der Durch feinerlei religiös legitimirte Moral bejchränft war. Andere angebliche Zügel und Hemmungen, die Polis mit ihrem Zwang als „Erzieherin zur Sittlichfeit“, hat Burdbardt Furz abgejertigt. Gerade die Polis mit ihrer volllommenen DOffentlichkeit macht er für die Entjeffelung der natürlichen Triebe verantwortlich. In dem Gefühl, von allen gejehen zu werden und in dem Wunjch, 9 Auch wäre bier auf Niegiche'8 erjtaunliche Jugendſchrift, die Geburt der Tragödie oder Oriechenthum und Peffimimus zu verweiſen, wo über einige Grundfragen griechiſcher Piychologie, auch über das „dem tünjtleriihen Talent forrelative Talent des Leidens* erleuchtende Gedanken zu finden jind. Indeſſen hat diejes Buch einen ausfhliehlic intuitiv⸗ poetiihen Charakter und lann aus biefem Grunde nicht jedermann an- fpredien. Dem Tadel, den Niepiche jpäter ſelbſt darliber ausſprach, daß ihm bie „Einmiihung modernfter Dinge“ das grandiofe griechiſche Problem verborben habe, kann ich mich dagegen nicht durchaus anfdliehen.
Griechiſche ulturgeſchichte in ber Auffaſſung Ja, Burdhardt’s. 497
loje und titanijche Gentalität der Griechen hat dann aber auch) die Kehrjeite des Genius zu empfinden befommen, die furchtbare Senfibilität für Leiden und Noth der Wirklichkeit. Und fo ergibt ſich als Grundthatfache ber Seelenftimmung der griechifche Peſſi— mismus, weniger als philofophijche Neflerion und principielle
denn als naiver Grundzug populärer Anficht vom Leben. Hier nimmt Burdardt mit reifer Erwägung den Faden auf, den’ einft Bödh gejponnen, als er jeiner Meinung dahin Ausdrud gab, die Hellenen jeien im Glanz der Kunſt umd in der Blüte der Freiheit unglüdlicher geweſen, als bie meiften glauben?), Im dem thatjächlichen Genußleben findet Burdhardt jo wenig einen Einwand wie in der mächtigen Pro duftion der poetiichen Kraft, da er den Optimismus des gries chiſchen Temperamentes anerkennt, aber freilich mehr im Sinn einer Betäubung der düſteren Grundanficht und eines ge ſuchten (vielleicht in der Anlage vorhandenen) Gegengewichts. Die Darftellung des griechiichen Peſſimismus, wie fie in dem grandiojen Nachtgemälde der Verzweiflung und der Statiftit des Selbſtmords als einer alltäglich gewordenen Erjcheinung gipfelt, wirb von tiefftem Gefühl für den Gegenftand getragen und von einer überwältigenden Fülle der Gefichtspunfte beleuchtet; auch wird die jtiliftijche Meiſterſchaft diejes Abjchnitts von feiner anderen Leiſtung Burchhardt's übertroffen ; je öfter man diefe Seiten wieder
mehr dem Ehrijlentbum als dem Germanenthum zu bdanlen. Das Ger: manenthum nad) dieſer Seite nicht zu überfhäpen, thue man gut, Gregor von Tours aufmerffam zu leſen. In dem jelbftgefertigten Drudmanuffript bat Burchardt diefe Bemerkung, wie es ſcheint, unterdrüdt. Ste mühte ſonſt 2, 352 F. zu finden fein.
2) Die Stelle findet fich in der Staatshaushaltung der Athener 1°, 792; 1%, 710. Über das Aiter des griechifchen Peſſimimus wäre auch zu erwähnen, was Belod, Griechiſche Geſchichte 1, 224 fi., von feinen Zus fammenbang mit dem großen wirthſchaftlichen Umſchwung vom 7. zum 6. Jahrhundert jagt. Dann Ed. Meyer, Geſchichte des Altertfums 2,551 A. Bödh Hat übrigens, woran bei diefer Gelegenheit erinnert fein mag, jelbit daran gedacht, eine Griechiſche Kulturgefchichte, einen „Bellen“ zu ſchreiben. Dean jehe U. Harnad, Geſchichte der Preußiſchen Alademie 1, 855 und Burjian, Geſchide der Hajfiihen Philologie in Deutichland ©. 696.
den Gegebenheiten der Birlicheit Die }
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„plajtiiche Wünſchbarkeit“: jeder Anatom würde ſie tadeln; aber es ſind Mängel im Dienſt der Schönheit. Gern verweilt Burckhardt bei dem Gedanlen, die Bildhauer ſeien zum großen und ewigen Bortheil ihrer Kunſt perjönlich als Banaujen angejehen worben?); fo habe man fie weniger beachtet („ein Glück, daß die Philoſophen weniger von bildender Kunſt geredet haben; wie wäre es, wenn Plato einem Sfopas oder Praxiteles zu befehlen gehabt hätte“), und fo jei die Kunſt auch über die Zeiten des politijchen Nieder gangs weg weiter gediehen, ohne den Ziczadlinien der modernen, nachraphaelifchen Kunſt ausgejegt zu fein, und habe jich mit befjerem Glück als die Tragödie die Dilettanten ferngehalten. Die Poeſie wird, injoweit jie nationale Kraft ift, gejchilvert und- nur bis zu dem Punkt, wo jie „Literatur“ zu treiben beginnt. Die Anordnung it die bewährte eidologijche. Nimmt man dieſes Kapıtel mit den zahlreichen in den erjten beiden Bänden verjtreuten. Urtheilen über Dichter und Dichtwerke zujammen, fo ergibt ſich ein Eicerone griechijcher Poeſie. Was über Homer und Pindar, über die Muſit als Lebensinterefje der Griechen gejagt ift, wird man aus Burckhardt's Mund gern vernehmen, Überall begegnen uns jeingeprägte Säge. Das Epigramm, „das Gefäh des griechie ſchen Ejprit und eines der ſtärkſten Depofita griechiicher Poejie*. „Ariftophanes die grotesfe Randzeichnung einer langen eruften Geſchichte.“ Der Sklave, „ein Individuum mit langer Gejchichte in der Poeſie von Eumäos bei Homer bis zu Figaro“. Dann. em Kapitel über Philojophie und die Wiffenichaften. Der Philos jopbie wird die Vieljeitigfeit ihres Strebens und ihrer Biele, nicht das wirklich Erreichte nachgerühmt; auch habe jie die Kernfrage von Freiheit und Nothwendigkeit nicht unterjucht. Die Griechen haben angefangen, an der Entdeckung der Wahrheit zu arbeiten, aber der Mythus, jeine Welt: und Denfform, jtand im Wege, als ſich exalte Beobachtung, methodifche Redekunſt, Gejchicht- jchreibung erhoben. Der umfangreiche Schlußband bezieht fich, wie früher ſchon angedeutet, als Ergänzung auf alles Borans gegangene. Es ift eine dronologijche Betrachtung des Griechen«
2) Bölig übereinjiimmend v. Wilamowig, Ariftoteles umd Athen 2, 100 Anm. 36.
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worten. Aus zweiter Hand hat Burdhardt nirgends gejchöpft; bie Zeftüre der Reſte der gefammten griechijchen Literatur hat ihn unaufhörlich beichäftigt, und jo hat fich in einer Zeit, da man ſich gern den Formalien zumandte, die Kritik auch um ihrer ſelbſt willen pflegte und in der Zufriedenheit des Specialifirens zu Büchern über einzelne homeriſche Partikeln, über ben Gebrauch einer einzelnen Präpofition und über den Hiatus bei dem einzelnen Autoren ge langte, die Freude an den fogenannten Realien bei ihm lebendig und wirkſam erhalten. Er gewann ein Wifjen, das auch den Fach— leuten, bie fich Tebiglich mit dem Altertyum bejchäftigen, imponiren mag. Während ſich aber biefer vieljeitige Stoff ordnete, zus jammenjchloß, bildliche Anfchaulichkeit und für Burdharbt Über- zeugungskraft erhielt, wurde von einem geiviffen Zeitpunkt ab die gelehrte Forschung nicht mehr berüdfichtigt und weitere Nabe rung nur aus emſig wiederholter Quellenleftüre gefogen. Sept, da das Buch erjchienen ift, hat man den Eindrud, als werde biejes Verhalten als ein böswilliges Ignoriren deſſen empfunden, mas die Wiſſenſchaft der legten fünfzig Jahre „an Urkunden, Thatjachen, Methoden und Gefichtspunften“ gewonnen habe, als Hochmuth gegen die unermüdliche Arbeit moderner Forſchung aus— gelegt, und als jpräche dieſe Empfindlichkeit in der Beurtheilung durch die Fachkreife mit. Seine Frage ift, daß dem Buch die Kenntnis der fortlaufenden wiſſenſchaftlichen Arbeit an vielen Punkten von Nugen geweſen wäre; ebenjo ficher ift aber, daß für die Aufgabe, wie fie Burdhardt fich und feinem Ingenium geitellt hatte, der Zeitpunkt der BVeröffentlihung des Wertes ein gleichgältiger war. Der Eicerone und bie Kultur der Ne naiffance find vor faft einem halben Jahrhundert erfchienen und erleben fortwährend neue Auflagen, in denen mit ein paar nothe mwendigen (in der Ausführung freilich mehr oder minder glüd- fichen) Retouchen den Ergebniffen der jeitherigen Forſchung Rech— nung getragen wird. Nichts hindert uns, bie Griechifche Kultur⸗ geihichte jo zu betrachten, als wenn fie vor vierzig oder fünfzig Jahren erichienen wäre. So würden wir nicht nach ihrem Ver— hältnis zum augenblidlichen Stand der Wiffenjchaft, fondern nach ihren dauernden Werthen, die von Debatten und Interefjen des
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eben, der eine Zeit lang ſtark in Specialitäten gearbeitet Hat, tritt der Maßſtab für die verhältnismäßige Bedeutung ders ſelben gegen den Maßſtab der aufgewendeten Arbeitsfeiftung und AUffektion zurück, wobei leicht die große Linie der Kompofition gegen das vordrängende Detail verloren geht. Das muß nicht fo fein; aber es ijt natürlich, daß es meiftens jo ift. Dei dem weiten Horizont, ben Burckhardt ſich geftect hatte, mußte er fich die Weitfichtigfeit zu erhalten ſuchen, und es ift begreiflich, daß er fid) durch die Maſſe Kritiicher Fragen und Debatten zu ver« wirren fürchtete. Much mochte er in jüngeren Jahren- die Er—⸗ fahrung gemacht haben, daß gar manche diefer Fragen, jo brennend fie feinen, auf die Tagesorbnung fommen und ohne große Spur verjchwinden. Hätte Burdhardt über attiſches Eherecht oder Ephebenwejen fchreiben wollen, jo würde ihm die Vernachläſſigung der neuen Forſchung den Hals gebrochen haben; aber feine Aufe gabe war eine ganz andere. Er glich einem Freskiſten, ber, ſowie er ein paar Pinſelſtriche gejegt hat, von feinem Werfe einige Schritte zurücktritt, um im gehöriger Entfernung Klarheit und Geſammtwirkung zu beurtheilen. Es gibt Künſtler wie Forſcher, die mit ber Loupe arbeiten müfjen; für Burckhardt's Aufgabe war aber die entgegengejegte Methode erforderlich. Und jo lann man man fich ohne Bejchwerung feines wiſſenſchaftlichen Ger wiſſens auf den Standpunkt ftellen, als wäre das Werk jo und jo viele Jahre früher erichienen.
Weiter ift der Vorwurf erhoben worden, daß Die literarischen Ausfagen ohne gehörige Unterjcheidung ihres Zeitalters heran— gezogen worden jeien. Wenn man jo wie Burckhardt mit Aus» fagen, die Hunderte von Jahren jpäter ſeien ald die Dinge, auf die fie ſich beziehen, beweijen wolle und mit ſolchermaßen dis— paratem Stoff wahllos feine Darftellung zufammenjege, jo bes weile man gar nichts und entwerthe von vornherein durch Mangel an Stritif feine Arbeit; eine Anklage, die, wenn jie begründer wäre, wirklich zu ſcharfem Urtheil berechtigte, Nun ift es in Anſehung verichiedener Quellenausfagen jelbftverftändlich, daß die zeitgendffiichen dic werthvolliten find, und daß die Glaubwürdig« feit von Zeugniffen um jo geringer wird, je weiter fich ihr zeit
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Zeugniffe handle, dab er fie aber dennoch aus den und den Gründen heranzuziehen wage!). Schliehlich ift Methode und Kritik nur der in Regel gebrachte gejunde Menjchenverjtand, und auf weiten Gebieten appellirt doch vieles an die Entſcheidung bes hiſtoriſchen Taltes und der Urtheilsfähigkeit. Hier gilt für den Schüler das eine, und das andere für den Meifter, und die altberühmte Sentenz muß Recht behalten: quod lieet Jovi, non licet bovi.
Noch ein Wort über die Diktion Burckhardt's in dieſem nachgelafjenen Wert. Man fieht wohl, daß es nad langem Formen durch Nachdenken und Borlefungen jchliehlich in einem Bug niebergejchrieben worden ift; denn die Proportion ift im ganzen und einzelnen erjtaunlich und ber Ausdruck höchſt lebendig, jo daß der Herausgeber wohlgethan hat, die von Burd- hardt jpäter beigelegten Notizen als „Nachträge" jedem Band gejondert mitzugeben. Manchmal aber hat man den Eindrud, als überwiege das Naifonnement, und als hätte wohl Burdhardt bei jpäterer Durchjicht an mancher Stelle das Erzählende breiter geftaltet. Denn jegt vermißt man ab und zu den Körper der Erzählung, und es ift nur das Nejultat, das Raifonnement wieber- gegeben. Im einzelnen der Schreibart ſodann, in der Satz— bildung ift Burdhardt wahrhaft er jelbjt. Man leſe eine Stelle wie 2, 124: „Über die Moira des Menſchenlebens find bei An- laß der Tragödie von Neueren jehr Hohe Worte gemacht worden: diefelbe ſei eine fittlihe Macht, welche die Widerſprüche und Gegenjäge in den menjchlichen Dingen mit erhabener Gerechtigfeit ausgleiche, freiheit und Nothwendigfeit verjöhne und dem an- fpruchsvollen Einzelwillen gegenüber das allgemeine Geſetz geltend made. Bon diejem Allem haben die Griechen nichts gewußt. Daß jich auf der tragiichen Scene das Schidjal mit dem Thun des Menjchen verflicht, verſteht ſich von jelbft, aber fittlich ge— priefen oder verflärt hat man dies Schickſal niemals.“ Man
2) Bejonders 1, 261 Anm. 3 zu Lutklan's attiziftifhem Klaſſtzismus. Ferner 2, 218. 352, Die Injchriften find nicht unbenupt geblieben (2, 202); doch ift darin ſchwerlich weiter gegangen, als Böch reicht.
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er fich auf perjönliche Eindrüde umd Erinnerungen der eigenen Studienzeit beſchränkt, und nicht als Willfür, wenn er von den
en Vertretern der Hiftorie an der Berliner Univerfität ausgeht. Denn auf diejem Gebiete konnte Berlin als der präg- mante Ausdruck defjen gelten, was im übrigen Deutichland an Kräften und Strebungen vorhanden war. Ohne dieſe Beichrän- kungen wäre es zu ſchwer geworden, dem Folgenden die nöthigen Grenzen abzujteden,
Wer ala Student am Ende der fiebziger Jahre nach Berlin fan, fand dort eine imponirende Vertretung hiſtoriſcher Wifjen- ſchaft und Kunſt vereinigt: I. G. Droyſen und Treitfchfe, Waik umd K. W. Nitzſch. Sie alle find wie Burdhardt inzwiſchen zu den Toten eingegangen.
Der damals jchon bejahrte Werfaffer der Geſchichte ber preußijchen Politik behertichte das Doppelgebiet der antiken und ber neuen Gejchichte; indeſſen war ber Abſtand, der die Studien- welt, von ber er ausgegangen war, von ber Endarbeit, zu ber er gelangt war, trennte, größer, als er vielleicht zugegeben hätte. Als Droyjen in meinem Infkriptionsheft juriftiiche, nattonalöfono- mifche und hiſtoriſche Vorlejungen bemerkte, gab er mir den Rath, die klaſſiſche Philologie nicht zu verabjäumen; demm im dem Erbe des Altertyums jei uns für alle Zeiten eine Mitgift zu Theil geworden, die jedermann zu nutzen trachten müfje, Er ſprach davon wie von einer unvergeffenen Jugendliebe. In der That mochte der Weg von Äſchylos und Ariftophanes, von Alerander dem Großen und dem Hellenismus bis zur Berkün- bung des Dogmas von der deutſchen Miſſion Preußens nicht jo ganz glatt gewejen jein, obzwar jchon, Droyjen’s Mafedonier faſt eine preußiſche Uniform trugen. Die großen Erfahrungen feiner Kieler Jahre lagen dazwiſchen. ZTreitichfe hat es einmal in einer Gelegenheitsrede ausgeiprochen, auch Droyien jei von denen ge- weſen, die erft unter den Bäumen des Mendelsjohn’schen Gartens geihwärmt haben, bis ihnen die Erkenntnis aufgegangen fei, daß der Endzwed aller Gejchichte politifcher Natur jei. Hätte
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er ji in eine fajt fanatiſche Einjeitigfeit und eine unnatürliche Zeidenjchaftlichkeit in der Verkündung jeines Evangeliums hinein» drängte.
Wie ganz anders war die Anziehung, die von Treitſchke ausging! Diejer „Eentripetalnarr und Preußenenthuſiaſt“, wie ihn einft Gutzlow genannt hatte, war ja auch durch manche Metamorphoje hindurchgegangen; aber er hatte das Ingenium umd die Macht, ganz im Augenblick zu leben und durch ein heftig arbeitendes Temperament die Elemente und Schladen früherer Entwidlungsjtadien im feuer leidenschaftliher Empfindung zu einer höchſt lebendigen Kraft zujammenzufchmelzen. Das Bild dieſer großen Perjönlichkeit zu genießen, wird der Nachwelt nicht Mi. ebenfo möglich jeim wie denen, die ihn mit Augen gejehen und mit Ohren gehört haben. Denn auf ihn fchien das Goethe'iche Wort gemänzt; Rede, damit ich dich ehe! Der größte Eindrud ging von ihm aus, wenn er ſprach. Sein großflächiges, derb- gebautes Gejicht hatte dann etwas von eimer Landichaft, über die Sturm und Gewitter, büftere Schatten und jühe Sonnen blige dahinziehen. Je nachdem er in erzählender Schilderung ober in Reflexionen jich erging, jegt in bitterer Kritif und dann in liebender Bewunderung fich ausbreitete, jo wechjelte in jeinem Antlig der Ausdrud von Begeijterung und Zom, Hohn und redenhaftem Humor. Wie diejes alles in Bildern und Farbe ſprühend den Hörer gefangen nahm, können fich die Nachlebenden nicht vorſtellen. Treitſchle's Art, Berfonen und Zuftände zu harakterifiren, war weniger abgetönt als jcharf fonturirend, in der Urt des älteren Holzichnitts, und fie glich ihm manchmal auch darin, daß fie gern mit Schwarz und Weiß, d. h. mit ſcharſfen Lichtern und Schatten, arbeitete, wie jie der redne— ziichen Wirkung gemäß find, Da er aud) als Schriftiteller den Redner nicht verleugnete, jo zeigen zumal jeine früheren und publiziftiichen Schriften eine Neigung zum Manierismus, die feiner Rede fremd war, da denn das Wort eine gewifje Härte umd Feſtgeformtheit der Prägung erlaubt, ja fordert, Die ber ſchmiegſameren Feder weniger anjtehen. Wenn man die Bände ber deutſchen Gejchichte auf die Diktion anjicht, jo wird man
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ſchaft der Afademie zurücgezogen hatte, lediglich eine fleinere Anzahl älterer Studenten Freitags Abends um feinen Studir- oder man fann faſt fagen Secirtifch. Es handelte fich nie um ‚anderes als um redaktionelle Vorarbeiten für Ausgaben der Monu- menta Germaniae, und die mittelalterlihen Annalenbücher von Eambray, Met u. ſ. w. wurden durch jorgfältige Bergleichung der verjchiebenen Faſſungen in ihren felbftändigen und ihren abhän- gigen, abgejchriebenen oder interpolirten Stüden herauspräparirt. Das Ergebnis der gemeinfamen Arbeit, durch weiche Waitz die eigene Meinung nochmals zu prüfen wünjchte, wurde dann im Neuen Archiv veröffentlicht, und jeder der Theilnehmer an diejen tritiſchen Übungen wurde mit einem Sonderabzug belohnt. Ach meine, mich zu erinnern, dab ich unter den Studenten einer von den ganz wenigen war, die es bei dieſer eintönigen Befchäftigung in dem Gefühl, man müffe fich nicht nur nad) ber Seite feiner Neigungen, jondern möglichjt vielfeitig wifjenjchaftlic ausbilden und erziehen Lajjen, durch vier Semejter aushielten. Auf all gemeine Dinge fam felten die Sprache; wenn fich aber Anlaß bot, jo zeigte fich bei Waitz eine höchſt vielfeitige Bildung, und er war verwundert, denjelben Umfang des Wiffens nicht auch bei uns zu finden, al3 wenn das etwas Selbftverjtändliches gemejen wäre, Man erkannte dann, daß die Enge und Beſchränkung feiner Testen Lebensaufgabe nicht auf der Enge feines Horizontes beruhte, fondern da jie eine gewollte war, ba ihn feine frühere Thätig- feit auf dem Gebiet der Geichichtichreibung und Politit mochte zu der Erfenntnis geführt haben, die Parolen und bejtimmten Formulirungen jeien eine faljche Sicherheit, und es jei beſſer, fi auf engere, aber befriedigendere Bereiche wifjenjchaftlichen Vermögens zurüdzuziehen, darüber hinaus aber fi) mit einem ſteptiſchen non liquet zu bejcheiden. Sehr bezeichnend dafür it 3. DB. die Stelle in Waitz' Deutjcher Verfaſſungsgeſchichte, wo er die wechjelnden Beurtheilungen, die Karl der Große gefunden, und die jede für ſich beitimmt genug lauten, fich aber unter ein- ander jtarl widerjprechen, mit janfter Ironie zufammenftellt. Bon Sybel's „Entftehung des deutjchen Königthums“ ſprach er mit denjelben Ausdrücden des Zweifels, da er die Entjcheidung im
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meffenheit aber und Würde, mit denen er jich den eng gewordenen Aufgaben, ohne fie zu überjchägen, hingab, jlöhte Reſpelt ein. Die Marmorbüfte Ranke's jtand im Arbeitszimmer und jah unjerer Beichäftigung zu, ja gab ihnen eine gewiſſe Weihe, da doch von dem quellenkritischen Anmerkungen zu Ranke's erjtem Werk, der Gejchichte der germanifchen und romaniſchen Völker, dieſe ganze Art fritifchen Betriebs eine höhere Legitimation empfangen hatte. Bon allen Werken jeinesMeifters bemunderte Waig am meiften den 1. Band der Franzöfiichen Gejchichte, weil hier die Enthaltjamfeit im Urtheilen am jtrengiten geübt ſei, und die Dinge dafür laut und deutlich von ſich jelbft redeten ; ein Urtheil, das man, jobald Ranke an fich ſelbſt gemeffen wird, wohl unterfchreiben kann. Nitzſch z. B. hatte für dieſes in präge manten Sinne Ranke'ſche Werk geringe Sympathien, und es war ihm nicht erträglich, die großen Akteure, einen Karl IX., Eoligny, Katharina von Medici, ohne jede moraliiche Werthe unterjcheidung, alle mit dem gleichen neutralen und rein fünfte leriſchen Wohlwollen gejchildert zu jehen.
Bolitiich ftand Karl Wilhelm Nigich Treitichke am nächiten, und es waltete eine aufrichtige Freundſchaft zwiichen dieſen beiden Männern. Leidenjchaftlich habe ich Nigich die damals vor die Enticheidung gerücte Frage des Hamburger Zollanichluffes be— jprechen hören, und er jtand in biefer Angelegenheit unbedingt zur Yuffafjung des Fürjten Bismard, dem dann auch die made folgende Zeit Recht gegeben hat. Ein Kreis gejchloffener Über- zeugungen, tie fie ſich Nitzſch aus feinen hiftorifchen Studien und aus dem tiefen Mitfühlen der Zeitgeichichte ergaben?), ver⸗ lieh feinem ganzen Wejen eine wohlthuende ruhige Wärme, die mehr jeinem Gemüt als jeinem Temperament entiprang. Wifjen- ſchaftlich Dagegen ſtand Nitzſch damals allein, und in ber Iſo— Kirung, in Die man ihn drängte, indem von mehreren Seiten auf ihn gedrüdt wurde, trat die Eigenthümlichfeit jeiner Richtung
ı Man muß, um eine Voritellung bavon zu befommen, die kurze, aber ausbrudsvolle Schilderung der Sonflittözeit im jeinen „Deutſchen Stubien” leſen, insbejondere den Abſaß ©. 121 von dem wüſten Sturm gebrauſe der Barteien und dem preußiihen Staatsſchiff im Jahre 1866.
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gebiet ſich im der Hanptiache um die nämlichen Fragen und Kämpfe bewegten, und dab Hier wie dort von den wirthichaft- lichen Zuftänden und Entwidhungen auszugehen fei, wenn man den Schlüffel zum Verftändnis der pofitijchen Ereigniffe ge iwinnen wolle Für die Deutjche Gefchichte findet ſich dieje feine Grundanſchauung in dem ihm zugejchriebenen braftiichen Aus— fpruch zujammengedrängt: bei der Schweinemajt ber deutfchen Eichenwälbder müſſe man anfangen, wenn man unſere Geſchichte im Mittelalter verjtehen wolle. Sehr Unrecht thaten aber dies jenigen Nitzſch, die jeinen wirtbichaftlichen Problemen eine mate- rialiſtiſch⸗ marxiſche Deutung gaben?), Er ſelbſt ſah in den ele— mentaren Mächten je nachdem Hebel oder Widerjtand für das Eingreifen großer Einzelperfönlichfeiten in bie Gefchichte und in der Arbeit des hijtorischen Lebens den Proceß zwilchen jenen und den wirthſchaftlich verurfachten Antrieben der Maſſe. Wie feine Gefammtdarjtellung aus diefer Anfchauumg hervorwuchs, macht es nichts aus, ob man einzelne feiner Anfichten und Hypothejen wird fallen laſſen müfjen: ein großer, allgemein fichtbarer Ans ſtoß iſt für die alte und neue Geſchichte von ihm ausgegangen. Der Aufwand geiftiger Energie, wie fie allemal das Einfchlagen neuer Bahnen fordert, prägte fich in Nitzſch's Art, Borlefungen zu halten, jo deutlich aus, daß feine Erjcheinung auf dem Katheder etwas Beſonderes war, was mir nicht wieder vorgekommen it. Er ſaß da wie in einem Zauberkreis, innerhalb deſſen Vifionen aufjtiegen und drängend ihn umgaben; er hatte dieſe Geifter bejchworen und wollte ihr Meifter bleiben; aber fie waren ihm jo nahe, daß er Mühe hatte, deutlich zu jehen und zu faſſen. Viele kamen zugleich, es war ein Nebeneinander und ein Nach— einander; auch jchienen es nicht alle wohlbefannte Geftalten zu fein, jondern es famen immer neue und befangende, und er war ganz abjorbirt, mit ihnen fertig zu werben, Seine Züge fpannten ſich vor innerer Erregung, ob wohl den Anderen ein Mitanfchauen möglich jei. Denn eigentlich jah er, wie ich glaube, fein Publi—
3) Vielleicht darf ich hier auf frühere Darlegungen verweifen, bie ich im Septemberheft der Preußiſchen Jahrbücher 1890 gegeben habe, unter dem Titel; Dentiche Geſchichte im Mittelalter 66, 215 ff.
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künſtleriſchen Standpuntt im Sinne der Romantif wie Nanfe ein. Ranfe war die Gejchichte ein Phänomen, und er betrachtete fie, wie die Sphinge im zweiten Theil des Fauft jagen: „Sigen vor den Pyramiden | u der Völker Hochgericht: berſchwemmung, Krieg und Frieden Und verziehen fein Geficht.
Burckhardt war das micht möglich. Es ift ſchwer zu jagen, ob er an die Entwiclung einer jittlichen Ordnung in ber Ges ſchichte glaubte; jedenfalls war, was vielen altmodiſch vorfommen | mochte, die moralijche Werthung neben dem äfthetiichen Erfaffen | der Dinge feiner Natur umentbehrlih. Stand ſomit nach allen | dieſen Seiten Burdhardt in offenbarem Gegenjab zur Berliner Schule, jo Hatte er auch für die rechtshiftoriichen Aufgaben, wie | fie Waitz vertrat, fein großes Intereſſe; verfafjungs- und rechts- | geichichtliche Formen und Einrichtungen behandelte er eiliger; auch in der Griechifchen Kulturgefchichte ift es ja auffällig genug, wie wenig Aufmerfjamfeit er dem Gerüft diefer äußeren Formen fchenkt. Die kritiſche Mikrologie aber genoß feit Jahren keine | Beachtung mehr vor feinem weitſichtigen Auge, und er konnte | mit Bedauern von den jungen Gelehrten der Monumenta Ger- maniae fprechen, deren Horizont von Jahr zu Jahr enger werde. Dagegen gewann er ben jocial- und wirthichaftsgejchichtlichen Erjcheinungen gelegentlich treffende Beobachtungen ab; ein domi— nirendes Problem find fie für ihm nicht gewejen. Was jchlieh- lich das äußere Gehaben und die Wirfung jeines Vortrags an geht. jo ſchien er wenig damit zu rechnen. Er jprach ohne jedes Pathos; die Worte flofjen ihm mühelos; fie waren jchlicht, und jein innerer Antheil an den Dingen war jo groß, daß fein Abfehen auf lunſtmäßige Rhetorik vorhanden zu fein fchien.
Was blieb nun übrig, das Weſen und Vortrag dieſes Mannes jo überaus anziehend machte? Allzu kurz und einfach laßt es fich nicht jagen; im der Hauptjache aber waren es zweierlei Eigenjchaften. Zuerjt die illufionäre Kraft der anſchau— lichen Schilderung. Sie erregte nicht die Leidenjchaft des Hörers, fondern jchaltete feinen Willen aus, um dafür die Phantafie
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Gejtaltungsfähigkeit durchbrang und belebte das Ganze, wobei feine fonftruktive Willfür zu jpüren war, jondern der Eindruck blieb, ala hätte fich dem Werderuf eines fein ausgebildeten hiftos rifchen Sinnes das Chaos von jelbjt geordnet, in Gruppen ge— theilt und in anfchaubare und verftändliche Geſtalten gekleidet. Es war aljo weniger Wifjen, was da ausgebreitet wurde, als biftorifches Leben in bildlicher Folge, und hatte man bis dahin Stüde in der Hand gehabt, jo glaubte man nun ein Ganzes zu faflen und zu begreifen. Dies war das eine: eine Fähige feit wie die der Scheherezade in Tauſendundeiner Nacht oder wie der Sang der homerifchen Aöden; aber das war nicht alles, und die Hörer waren nicht lediglich in der Nolle der genußliebenden Phäalen, die dem göttlichen Sänger Demodokos laufchen. Vielmehr war wohl zu bemerken, daß Burckhardt in ber Geſchichte nicht allein eine Sättigung der Phantafie, jondern eine tiefere Erkenntnis juchte, und daß er in ihr bie wahre, nicht aprioriftiiche, jondern empirifche Philoſophie ver ehrte, die Wifjenfchaft vom Menjchen und der allmählichen Ent- faltung feiner geiftigen und jeeliichen Sträfte. Das war die zweite Eigenfchaft und Kraft, die jeine Darftellung durchdrang. Was Burdhardt auf diefem Weg zu ergründen fuchte, waren gewiſſe pſychologiſche Grundthatſachen, nicht im Sinne einer in ber Luft jchwebenden, angeblich allgemein anwendbaren Pſycho— logie, ſondern im Sinne einer von Stufe zu Stufe hiſtoriſch fich wandelnden Stombination geijtiger Intereſſen, Bedingungen und Fähigkeiten, wodurch jede Zeit und Kultur ſich von einer anderen merklich unterscheidet, und jo trat als Untergrund der Verjuch und die Andentung einer Gejchichte der menschlichen Pſyche in ihren Abwandlungen von Volk zu Volk, von Zeit zu Zeit und von Kultur zu Kultur hervor. Hierbei unterjtügte ihn jeine große Erfahrung auf dem Gebiet der fprechenditen geiftigen Phänomene, dem der künſtleriſchen Hervorbringungen, da er denn die Kunft nie allein um ber Kunſt willen, ſondern ſtets im Zus ſammenhang der gefammten Kulturäußerungen betrachtete. Burdhardt hat bei Gelegenheit gern befannt, wie jehr er dem franzöfiichen Geift verpflichtet fei, und fo bie an biefer Hifloriiche Beitihrift (Bd. #5) W. F. Bo. XLIX.
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und dem Sichaufbäumen des Yndividuums, das ohne jegliche Scheu in's Unbegrenzte ftrebt und jenes Koloſſalmaß erzeugt, dem gegenüber Modernes Hein erfcheint, mit der endlichen Löſung des Konfliftes durch Kunſt und Poefie, die Freiheit und Bindung in göttlichem Mahhalten vereinigen: überall wird neben der Bilderfülle und der Breite des Anjchaulichen, die den Lefer er- göst, ein Tieferes und Bleibendes, ein Kreis piychologiicher Thatſachen erjcheinen, die einen hochernjten Sinn und Grund bilden. Und jomit ergibt fi) als eine legte und Höchte Aufe gabe, die Eigenjchaften, Gebilde und Werthe menjchlicher Natur, die von der einzelnen Volkskultur erzeugt, mannigfach umgewandelt in den allgemeinen Kulturftrom übergehen, zu erfennen und feft- zuftellen. In ihnen zeigt fid der erworbene Beſitz der Menſch- heit, und jie bilden, mit Goethe zu reden, die große Fuge, in die die Stimmen der einzelnen Völker mach einander einfallen.
Auch wer von Jakob Burckhardt's volllommener Ebenbürtig- feit mit den größten Vertretern der deutichen Gefchichtichreibung unter feinen Zeitgenofjen überzeugt ift, wird nicht mit Zuverjicht behaupten, dab jeiner Art die Stimmung des gegenwärtigen Augenblid3 und der nächiten Zeit bereitwillig entgegenfomme. Die Gegenwart umfluthet uns in mächtiger Bewegung; alle Segel find aufgejpannt, um der Volfsfraft und ihren inneren natürlichen Antrieben jede Gunst der äußeren Umftände hinzu— zugeiwinnen; alle Kampfmittel, um fic) zu behaupten, werben gerüftet; die Politik beherrſcht unjer Dafein, und als ein lebens diges Stüd dieſes unſeres Daſeins wird ſich auch die Gejchicht- fchreibung von politiſchen Kräften tragen laffen. Ich finde darin nichts, was einer Gefahr für die Wifjenfchaft ähnlich jühe. Was lebendig ſich behaupten will, braucht die Luft des Lebens und fleigert, fie eimathmend, die eigene Kraft. Doch ift eines dabei zu erwägen: Wer zu lang und zu ausſchließlich nad) außen lebt, dem verfümmern dic tieferen Nejerven des Gemütes. Das ſiarke Selbſtbewußtſein, das cine Nation trägt und flärkt, bedarf einer Stüte und Ernährung in der Pflege ihrer jittlichen und geiftigen
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Zliscellen,
Ein vermeintliches Revolutionsprogramm aus den Anfängen der deutſchen Fürſtenverſchwörung von 1550. Von Sermann Onden,
Eines der umfänglichiten Aktenftücde, die A. v. Druffel in feinen „Beiträgen zur Reichsgeſchichte von 1546—1551” veröffentlicht hat, it die Nr. 388 des 1. Bandes, bezeicänet:] Memorisle le conie de Mansfelt et le duc de Saxe, 15. Februarii, Brüssel. Das Stück flammt aus ber ernejtinifchen Kanzlei, ijt mit manchen anderen bei ber Eroberung des Grimmenjteins (1567) beichlagnahmt worden und im das Dresdener Archiv gelangt; aus der Perluftrirung, der Kurfürſt Auguſt perſönlich die werthoolle Beute unterwarf, ftammt die von dem Herausgeber mitgetheilte Auffchrift von der Hand jeines Sefretärs Deniz, die den Hauptinhalt des Memorials ſachgemäß regiſtrirt und das Jahr 1550 Hinzufügt. Druffel hat in feiner Vorrede S. XII beſonders auf die Bedeutung des Stückes aufmerffam gemacht, die „Treilih erſt nad der Veröffentlichung der Korrefpondenz Johann Friedrich des Ülteren richtig zu beurtheilen“ fein würde, und bereit in ausführlichen Noten mit einem ziemlichen Aufwand von Scharffinn diefer Beurtheilung die Wege zu weiſen verſucht. Und in der That, wenn bie allein aus jener Kanzleinotiz adoptirte Kahreszahl zu Recht befteht, muß man gejtehen, daß bier einer ber weitgreifendften und rabdifalften Pläne aus der Vorgeſchichte der FFürjtenrevolution vom 1552 enthält worden if. So haben auch neuere darjtellende Werte, indem fie fi; mit gutem Rechte an die Datirung des Herausgebers hielten, da8 Memorial benugt, wie z. B. Sr. v. Bezold in feiner
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v. Thüngen, je 300 unter 10 einzeln benannten Rittmeitern, und 7 Regimenter (zu je 10 Fähnlein) Knechte unter den Oberften Safob dv. Osburg, Anton v. Lügelburg, Graf Chriftof v. Oldenburg, Graf Bolrad v. Mansfeld, Karſten Manteuffel, Hans Than ımd Bernhard dv. Mila; dazu ſoll die landſäſſige Ritterſchaft gerüftet zur Hälfte nad) Weimar, zur Hälfte nad) Gotha beftellt werden. Iſt die Stadt Erfurt, deren Widerjpenftigfeit genugjamen Anlaß zu landesherrlihem Einjchreiten bietet, überrumpelt, dann joll der größte Theil des Heeres auf Würzburg rüden, Schloß und Stift einnehmen, den Biſchof mit der Klerijei womöglich totjchlagen, danad) die Stifter Bamberg und Eichjtätt ebenjo heimfuchen und jchließlich die Stadt Nürnberg als Wurzel alles Böfen von Grund aus zerflören. Ausdrücklich wird betont, daß der Zug nicht gegen den (in den fränkischen Stiften landjähfigen) Adel gerichtet fein fol, vielmehr diefem alle alten Hers fommen und Privilegien zu gewährleiiten find. Nach Ausführung dieſes Programms wird man zur Unterftüßung der bebrängten Chriſten in den Niederlanden und in Frankreich, nachdem der Durch— marjch durch Jülich durch das Angebot Gelderns erfauft ift, den
Angriff auf Brabant richten, alle Lande und Stifter in den Nieder—
landen nad) dem Vorbilde Würzburgs behandeln und dem erbver- brüderten Fürſten jhwören laſſen. Die Neutralität von Sachſen und Hejlen joll durch die Stifter Merfeburg, Naumburg, Meißen bzw. Fulda und Hersfeld gewonnen werden. Ein Nachtrag eröffnet noch weitere Perjpeltiven, ob nicht eine ähnliche Bewegung gegen die oberdeutjchen Stifter durch Pjalz, Würtemberg und Baden zu unter nehmen fei, und empfiehlt eine Anfnüpfung mit dem Böhmen Cafpar Plug, jowie Vorſichtsmaßregeln gegen Spionage.
Soweit dad Memorial, Das Eine ſteht außer allem Zweifel und darin hat Druffel natürlich Recht, daß der Fürſt, für den dieſes Programm berechnet it, nur Herzog Johann Friedrich der Mittlere jein fonn; wird er anfangs noch halb inkognito eingeführt, jo wirft er im weitern Verlaufe die Maske faſt völlig ab. Druffel ſucht den für den Herzog entworfenen Plan mun im die erjten Umtriebe pro— tejtantiicher Fürſten einzuxeihen, die in den Jahren 1549 und 1550 bon verjchiedenen Seiten angezettelt und ſchließlich von der thate Fräftigeren Politil des Kurfürſten Morig theils befeitigt, theils aufe geflogen wurden; er denkt im befondern an das im Februar 1550 zwiſchen bem Herzog Albrecht von Preußen, dem Markgrafen Johann non Küftrin und dem Herzog Johann Albrecht von Medienburg
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Berein mit den 1548 geächteten ſchmallaldiſchen Oberften, wie den Grafen Ehriftof von Oldenburg und Volrad von Mansfeld, Manteuffel, Mila uw. U.? Wohin wir aljo biicden, eröffnen fih uns nur Zus fammenhänge, die der politiidhen Sonftellation des Jahres 1550 widerfpreden. Schon aus diefer allgemeinen Unfiht ber Dinge heraus ift man verjucht, alles, was Druffel zur Erläuterung im eins zelnen beibringt, als gegenjtandslofe Kombinationen auf anfechtbarer Baſis zu beanftanden; es find nur verzweifelte Verſuche, das einmal mit der Jahreszahl 1550 belaftete Stüd in einen dem Herauägeber bis in das Kleinſte vertrauten Zuſammenhang bineinzuprefjen; in Wirklichfeit predigt jomohl der Inhalt des Entwurjs als das, was nicht darin fieht, die Unmöglichkeit diefer Annahme,
Sehen wir uns dagegen dieſe ganze Konzeption des Pfaffenkrieges mit feinem Seen, dem Sriege gegen die fränkifchen Biſchöfe und Nürnberg, vorausſetzungslos an, jo erſchließt ſich eben in dieſem Biel und den dazu aufgerufenen Mithelfern gegemiber aller Aus— fegungsfünftelei der wahre Sujammenhang. Druffel hat die Haupt⸗ fpur, die hier zu verfolgen gewejen wäre, wenigſtens von weiten geſehen, aber er geht doc wieder an ihr vorbei, wenn er meint: „Unjer Memoire ſcheint die Theilnahme des Markgrafen (Albrecht Alcibiades von Brandenburg⸗ Culmbach), obgleich derfelde in dem Verzeichnis der Truppentührer fehlt, vorauszufehen, denn die Maaß— regeln gegen Nürnberg und Bamberg hatten entweder defjen Mit wirkung zur Vorausfegung, oder man mußte mit dem Markgrafen als einen Gegner rechnen (!).“ Und allerdings drängt fi ber Name des Markgrafen unwilltixlich auf, werm man die Reihe der Truppen= führer muftert: da find nicht nur Albrecht's Parteigänger aus den Jahren 1552/83 wie der Herzog Eric) von Calenberg, die Grafen von Dldenburg und Mansfeld und der Landsknechtsoberſt Jatob dv. Osburg, im Vordergrunde fogar ſtehen feine vertrauteften Diener und Heljeröhelfer, Wilhelm v. Grumbach, Joachim dv. Zihewitz, Ernſt v. Mandelöloh, Und in dem Kern des Nevolutionsprogramms, der Niederwerfung von Würzburg, Bamberg und Nürnberg, jtoßen wir auf nichts anderes als den often Dreibund der fränkischen Pfaffen und Peiferjäde, die der wilde Hohenzoller in den Jahren 1552 bis 1554 auf das Unbarmherzigite heimfuchte und noch nad) der eigenen Überwindung mit Rachepllinen zu verjolgen fortjuhr bis zu feinem Tode (1557 Jan.) und noch darüber hinaus: denn noch ein Jahre zehnt lang jollte der Haß, den er feinen mit ihm geächteten Genoffen
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Diejer Spielraum läßt ſich durch Deutung einiger verſteckter indirefter Beitangaben nod; weiter verengen. Wenn es heift, daß die Papiſten „der igigen faiferlihen Majejtät tag umd nacht in oren Ligen“, fo verſteht jih, daß man 1550 dem feit drei Jahrzehnten regierenden Karl V. nicht jo bezeichnen konnte; jo jpricht man nur von einem Fürften, der erjt vor furzem einen Thron eingenommen hat: in die erjten Jahre der Regierung Ferdinand's I. (Kaiſer feit 1558 März 14) it das Programm zu verlegen. Auch die Bemerkungen über die Beförderung einer Zuſammenkunft aller proteitantiichen Fürften werden nunmehr verjtändlich: jeit dem Jahre 1557 erit find folche Pläne aufgetaucht, um nicht wieder von der Tagesordnung zu verſchwinden; und erſt im Laufe des Jahres 1560 finden wir auch Johann Friebrid) bemüht, fie zu verwirklichen). Das gelang erſt mit dem Naume burger Fürftentage. Daher muß das Memorial, das die Zufammen- kunt noch nicht als eine in ſicherer Ausficht jtehende, vielmehr als eine noch zu befördernde behandelt, nicht nur vor dem Zufammentritt (1561 Jan.), ſondern auch noch vor der endgültigen Feitfepung von Termin und Malftatt des Fürftentags (1560 Nov.) angeſetzt werben. Es iſt nicht geboten, ſpeziell an die legten Vorverhand- lungen zu denken, vielmehr würden die im Memorial angefchlagenen Motive ebenjo gut zu den ji vom September 1559 bis zum März 1560 binziehenden Einigungsverjuchen ftimmen; gerade von ihnen weiſt ein neuerer Forſcher nach”), daß barin „das fonft verbedte politifche Element, die Sorge vor einem bewaffneten Angriff des Katholizismus und der Wunſch nach Sicherung dagegen“, alfo der leitende Gedanke unjeres Programıms, zum Ausdrud lam; wir wijjen, daß dieſe Erwägung damals auch auf Johann Friedrid) Eindrud madıte®).
Iſt nunmehr die Entjtehungszeit des Memorials näher auf den Beitraum zwiſchen dem 14. März 1558 und dem Herbſt 1560 begrenzt, jo bleiben, da wir an den in der Überjchrift überlieferten Tages⸗ und Monatsdatum (Febr. 15) zunächſt jeithalten dürfen, nur noch die Jahre 1559 und 1560 übrig. Und gerade für dieſe
2) Moriz Ritter, Deutiche Geſchichte im Beitalter der Gegenreformation 1, 210. R. Calinih, Der Naumburger Fürftentag S. 81 ff. 108 ff.
%) Heibenhain, Die Unionspolitit Landgraf Philipp's von Heilen ©. 106 f.
) 9. Mudhohn, Briefe Friedrich des Frommen von der Pfalz 1, 104. 119 5,
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geweſen, Mandelsiohe und Graf Volrad v. Mansfeld ritten viel ab und zu, jo erſcheint fchon ungefähr der Kreis der im Memorial t genannten bornehmfien Truppenführer geſchloſſen. Und auch über das nächte Ziel des Angriffe find diefe Gerüchte, fo vielfach fie and; weitausjebende phantajtische Kriegsunternehmungen mit hinein« ziehen, doch nirgends im Zweifel. Schon am 2. Januar warnt der Landgraf den Herzog, fi mit Grumbach einzulafjen und die fränkiſchen Biihöfe anzugreifen (1, 196); man begann ſchon in Würzburg bejorgt zu werden, und am 28. Januar jchreibt Grumbach, Erfurt jei eine Barnung zugefonmen (1, 210); in einer Zeitung vom 9. Februar berichtet ein Märfer, der am 24. Januar Grumbach im Neiten von Berlin in Halle getroffen hatte, daß das Kriegsgewerbe dem Lande zu Franlen gelte, daß etliche Verborbene von Adel, darunter vor— nehmlih der Graf von Oldenburg und Grumbach, ſich zuſammen— geichlagen und einen Bund gemacht haben follten, etliche Fürften durch die Finger fehen wollten, eine anjehnlihe Summe Geldes vor— banden jei, der Krieg in Deutjchland bleiben und weder nad Frank- reich nod) jonjt wohin gewendet werben ſolle (1, 206). Fallen wir das alles zujammen, fo jheint unfer Memorial die Subftanz deſſen zu enthalten, was eben damals, im Januar und Februar 1560, in den Zeitungen jtücweife und ungenau durchjiderte.
Wiſſen dieſe Kriegsgerüchte auch nichts von einer Unterftügung außerbeutjcher Protejtanten, jo laſſen ſich doch gleichzeitig auch direlte Anknüpfungen Grumbach's nad dieſer Seite hin nachweifen, wie über— haupt damal3 zuerjt die — für 1550 nod) undenkbare — Rückſicht auf die Glaubensverwandten in den Niederlanden und frankreich die politiſchen Berechnungen der deutſchen Proteſtanten zu beeinjluffen begann. Und eben dieſe Dinge ſpielen ſich in den erſten Monaten des Jahres 1560 ab, aljo zu der Zeit, in die wir nach dem bore ſtehenden Erörterungen den wirklichen Urfprung unſeres Brogramms mit immer größerer Wahrjhheinlichfeit verlegen dürfen.
Im Februar 1560 Inüpfte Grumbach, troß feines Dienftverhält- mifjes zum König von Frankreich, auch mit den Hugenotten an; während er mit Wilhelm v. Stein und Jalob v. Osburg in Heidel- berg weilte, traten ex und Graf Chriſtof von Oldenburg in Unter Handlung mit den hugenottiichen Agenten Johann Sturm und Hotman!);
3) Calvini Opp. XVII, 18. 21. Epp. 8165. 3136. Vgl. Darefte,
Frangois Hotman et la conjuration d’Amboise (Bibliotheque de TEcole des Chartes, ser. 8, t. b, 360-375.
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ihm, Grumbach, nichts verloren, und der Herzog und fein Sand blieben in Ruhe ſitzen (1560 Febr. 17)t), Bei diefer abwartenden Haltung Johann Friedrich's ift es verblieben, fowohl dieſes Mal, al$ auch in den Entwürfen der nächften Zahre, und ſchließlich als Grumbad im Oktober 1563 den erften Theil des Programms durch den Überfall Würzburgs in Scene ſetzte: der Herzog fah durch die Finger, mehr nicht. So haben die raubritterlichen Pläne Grumbach's doch nicht zu dem großen Brande auswachfen fönnen, der in der Phantafie ihres Urhebers bereits Deutjchland und feine Nachbarländer in Flammen ſehzte.
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So laſſen ſich durch unſere Zeitbeſtinmung des Memorials alle weſentlichen Schwierigleiten der Erklärung beheben. Zwar können mir nicht alle Fäden der Pläne Grumbach's völlig bloßlegen und aus dem Gewirr der ſich freuzenden Beitrebungen, aus allen diejen Babel, Gerücht und Wahrheit wahllos vermengenden Nachrichten einen thatjächlichen Kern herausfhäfen, der ſich mit dem Inhalt unferes Altenſtücles günzlich dedt. Uber es verlohnt fich ſchließlich wenig, dieſen Phantajien bis in die legte Verzweigung nachzugehen: von einem zum andern Tage mifchen jich neue Motive und Tendenzen ephemerer Natur ein und zulet bleibt daS Alles nur Dekoration, um der Privatjehde Grumbach's gegen die fränfifchen Bijhöfe ein größeres Anſehen in den Augen feines Herzogs zu geben. Das eine Ergebnis fteht jedenfalls fejt, dab wir im dem von Druffel mitgetheilten umd dem Jahre 1550 zugejchriebenen Aktenjtüc in Wirklichkeit einen diejer Pläne Grumbach's, vermuthlihh aus dem Anfang des Jahres 1560 zu jehen haben?). Und dafür liefert auch der archivalijche Befund, auf ben ih zum Schluß, um ganz fiher zu gehen, zurüdgegangen bin, noch eine Art von Bejtätigung. Denn wie mich eine fehr gefällige
ı) Ortloff a. a. ©. 1, 212.
% Das Memorial jelber ſchreibe ich aljo ber Feder Grumbach's zu. Dagegen enthält ber durch ein »nota« eingeleitete Zettel höchſtwahrſcheinlich jelbftändige Bemerkungen des Herzogs zu dem Plan feines Diener; bafür Ipricht vornehmlich die Anregung der Megentichaftfrage („Ob dem von Henneberg nicht neben unjerm Bruder das Land zu befehlen“), und au die Angit vor ber päpftlichen Brunnenvergiftung paht zu der kon— fejfionellen Beſchränltheit des noch in den Erinnerungen des Schmallaldi— ſchen Krieges lebenden Erneftiners.
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it“, mit Recht verlege und weiter: „fo lange jolde Naturen bei uns vorhanden jind, fo lange werden wir ſtaatlich jehr ſchwach gegen England und frankreich fein.“ Hierauf muß erwidert werden, daß ein Mann, der der Nation den Götz und den Fauft ges ichenkt Hat, der Wilhelm dv. Humboldt beglückwünſchte, daß er in Paris deutſch bleibe, gegen folche Urtheile gejhüßt fein follte. Die Liebe hat mehr als eine Art fid) auszudrücken, und e8 wäre unfäglich traurig, wenn unfer Ohr und Gefühl durch Trommel und Trompete jo verjtumpft würde, daß wir den Herzichlag Cordeliens nicht mehr vernähmen. Heibelberg. Carl Neumann.
Forſchungen zur alten Geſchichte. Bd. 2. Zur Geſchichte des 5. Jahre hunderts v. Chr. Bon Eduard Meyer, Halle a. S, May Niemeyer, 1899, VIII, 554 ©.
Der 2. Band der „Geſchichte des Alterthums“ von Eduard Meyer erſchien im Jahre 1893; ihm zur Seite ging eine Sammlung von Forſchungen zux alten Gejchichte (1892), die Streitragen und Probleme von bejonderer Tragweite ausführlich behandelten und fo daß dar— ftellende Geſchichtswerl entlajteten. Dem bier eingefchlagenen Princip it E, Meyer treu geblieben. Der 3. Band der „Geſchichte des Alter thums* wird in der Vorrede des vorliegenden Buches für das Ende des Jahres 1900 in Ausficht geitellt — gewiß zur großen Freude aller Leute, die noch Intereſſe am Alterthum haben — und das vor— liegende Bud; ſelbſt bringt uns eine Fortfegung der Forjchungen zur alten Geſchichte. Sie beziehen ſich zum weitaus überwiegenden Theil auf die Geſchichte des 5. vorchriſtlichen Jahrhunderts, infonderheit die der Griechen. Nur die chronologifchen Unterſuchungen des ſechſten Abſchnittes gehen über die Griechen hinaus und behandeln neben den Negierungszeiten der jpartanifchen Könige aud) die der perfifchen Großkönige, und der legte Abſchnitt iſt „zurRechtjertigung des 2. Bandes meiner Geſchichte des Alterthums“ überjchrieben, behandelt aljo weiter zurüdliegende Kapitel.
Auseinanderjegimgen mit abweichenden Meinungen anderer Ge— lehrten bilden natürlich den Hauptinhalt diejer Streitfragen, die das vielbehandelte 5. Jahrhundert zum egenjtand haben. Nur im depten Abſchnitt iſt die Polemit etwas fhärfer, ohne aber irgendwie verleßend zu wirken; das macht das Bud; im Segenfa zu vielen anderen bon vornherein angenehm zu lefen. Sieben von einander
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daß im Zufammenhange feiner Betrachtungen mande Frage noch einmal ausführlich erörtert wird, die es nicht mehr verdient.
Das omregendite Kapitel war mir dasjenige über Thufydides, „ben unvergleichlichen und unerreichten Lehrer der Gefhichtsfchreibung“ (S. 269—436). Bei diejer legten großen Prüfung durch einen durch⸗ aus Eompetenten Richter hat endlich das große Geſchichtswerk des Thutydides eine uneingefchränkt gute Note davongetragen. Wir dürfen wieder glauben, was wir auf der Schule beiwundernd geglaubt haben, daß des Thufgdides Werk ein zräre 25 ei nicht nur fein will fondern it, ein kaum je erreichtes Mujter kritiſcher Darftellung, eine einheit- liche Kompoſition, fein unfertiges, durch ungejchidte Hände heraus— gegebenes pojthumes Manufkript (abgefehen von dem fehlenden Schluß), das ein thörichter Interpolator durch Zuſätze verſchlechtert hat, feine martialiſch⸗didaltiſche Epopoe, fein zuſammengeſchweißtes Opus ur— jprünglic; jelbftändiger Theile. Den ganzen Krieg von 431—404 barzuftellen, hat in der Abficht des Thukydides gelegen, und ein= heitlich Hat ex ihn dargeftellt, nachdem er zu Ende geführt war — jeldjtverjtändfich auf Grund umfafjiender Vorarbeiten.
Das Refultot ift höchſt erfreulich und hoffentlich erweiſt ſich MS Autorität jo ftark, daß fie dieſer Anficht wieder zum Siege verhilft. Was am ihm lag, hat er gethan. M. E. hätte 8 gar nicht der fangen Ausführung S. 269—283 und der jonftigen häufigen Hinweife bedurft, um die Einheit de Werles vor Angriffen zu fihern. Die Leichenrebe des Perilles allein (Thufydides 2, 35—46) genügt vollauf zum Beweis, die Nede, die Berifles im November 431 als der vom Volk dazu gewählte Redner feinen Mitbürgern gehalten haben ſoll, und die in Wahrheit der Hijtorifer Thulydides ben Athenern und allen Griechen bält, nachdem des attiichen Neiches Herrlicfeit in den Staub gejunfen war. Dem Eindruck, daß diefe Nede nad) dem Jahre 404 geſchrieben ift, find denn aud) ſchon häufiger Worte verliehen; weniger ift wohl nad) dem Zweck gefragt, ben Zhufgdides mit ihr verfolgt hat, Wenn id) M. recht verjiche, fo tönnte über der Perikiesrede als Motto der Sprud; des attifchen Grabfteind ftehen: „we zurds or, EIarer“ und war jo ſchön und mußte doc; fterben. Das jcheint mir nicht richtig. Gewiß, ber Bau des Themiftokles und Periktes ift zuſammengeſtürzt. Aber nicht ambedingt auf immer, er fan wieder errichtet werden aus ben Trümmern. Bu dem Bild des athenijchen Meiches, wie es war ober hätte fein jollen, einem Bild, in dem die hellen Lichter der
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1, 146; 2,1. Ihm find die Verwidlungen im Wejten und vor Potidaen nur ade xui dunpogal ned Tod mohluon nicht der Krieg ſelbſt. Eine amovdiv Füyyumg, jo gibt er zu, liegt vor, aber nod fein offener Krieg; diefer beginnt erſt mit dem Aufhören des internationalen Verlehrs.
3. Die Schulden, die der athenische Staat den Zempeln gegenüber hat, jollen auf Antrag des Kallias getilgt werden. Zur Nüdzahlung follen unter anderem verwendet werden rd zoruure r& dx ıfg dexirng dnsder ngedg. Der Bf. jieht in der dexden einen ‚Behnten, der nicht genauer zu bejtimmen ijt, andere haben in ihm einen Sundzoll am Bosporos oder einen Grundzehnten erkannt. Möglich ift diefe Auffajjung gewiß, aber ebenjo gut lafjen die Worte die Deutung auf „Erlös aus Kriegsbeute“ zu. Es iſt ja eine leidige Sade, daß Kauf und Pacht bei den Griechen durd) diejelben Worte ausgedrückt wird und da nur der Zuſammenhang lehren kann, was gemeint ift. Hier ſcheint mir der Verkauf der Kriegsbeute (dexarr) den Vorzug zu verdienen. Es hätte unbedingt fonjt einer Bejtimmung bedurſt, ob die Pachtjumme eines oder mehrerer Fahre zur Rück— zahlung verwendet werden jolle, und weiterhin, wenn es gar mehrere dexdran gab in jener Zeit, jo litt der Ausdrud an Unklarheit. Woher dieſe Kriegsbeute jtammen könne, ift nicht zu jagen. Sie braucht nicht erjt aus dem legten Jahre zu ſtammen. Sehr wohl fünnen alte Beutejtüde gemeint jein, die den einzelnen Göttern gehört haben, und die bei der von Kallias durchgeſetzten Inventarifirung und theil- weifen Verlegung ber Tempelſchätze ausgefchofjen wurden. Das war keine aolderu; Heine Weihgefchenke ſchmolz man ja auch ein, wenn genug ſich angehäuft hatten, um eim größeres Stüd daraus her— zuftellen. Eine Datirung der wichtigen Urkunde läßt fich aljo durch diefe Überſehung nicht gewinnen, wie ich zuerſt gehofft Hatte
Die Forſchungen find die Vorläufer des 3. Bandes der Gejcichte des Wlterthums. Dance Überrafchung wird er ſicherlich bringen. Spartad Haltung im den entfcheidenden Jahren der Perfergefahr hatte man bis jegt ziemlich allgemein als [hwädlich und wenig groß- herzig heraterifirt. Bei M. zeigt Sparta fi der Aufgabe gewachſen, jo vollftändig gewachfen wie man nur hatte wünſchen Fönnen, und der König Paufaniad wird zu einem bedeutenden Felbheren, deſſen Operationen benen Blücher's und Gneifenau's vor der Schlacht an der Katzbach gleich zu achten find (S. 207 f). Auch daß der Peloponneſiſche Krieg tro all’ jeiner zeritörenden Wirlungen doch
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von denen bloß die Endjilben erhalten jind, ein mitleidiges Achſel— äuden feitens der Philologen, Ich zweifle nicht, daß der Conträr— inder in zahlreichen ähnlichen Behelfen, deren jeder bedarf, der es mit Küdenhaften Infchriftterten zu thun Hat, feine Parallelen hat, und es mit Freude begrüßen, wenn ein erfahrener Epigraphifer bewährte Hülfsmittel publici iuris machen wollte auf die bin, daß dann einem oder dem anderen Nichtepigraphifer Ergänzung gelänge, die von den Berufenen nicht gefunden iſt
In dem erſten, zur Theorie der Entzifferung betitelten Abſchnitt geht der Bi, bei den Winken, die er gibt, von der gedruct vorliegenden Bublifation aus, für die er, joweit Urkunden in Betracht kommen, die Weglafjung von Interpunftionen, Spiritus und Accenten empfiehlt. Die Mehrzahl der behandelten Texte gehören der Berliner Sammlung an, ımd dieje find durchweg an den Originalen ſtudirt. G. war alfo durd) jeine Erfahrungen in der Lage, Amveifungen zu geben, wie man über die Publikotionen aud) ohne Kenntnis der Originale durch Verbeſſerung häufig vorfonmender Verlefungen u. dgl. bei der Feſtſtellung des Wortlautes hinausfommen kann. Wie in der Epi— grophit, der scienza dei eonfronti, fo find aber aud) in der Papyrus⸗ fimde die Parallelitellen das wichtigite Hilfsmittel nicht nur zu Ergänzung fondern auch zum Beritändnifje des Erhaltenen.
Für den Hijtorifer am Ichrreichiten find der zweite und dritte, von Urkunden über Rechtsgeſchäſte handelnde Abſchnitt diejes Heftes, in denen mit Heranziehung der Haufverträge auf den fiebenbürgiichen Wachstafeln vorerjt die Unterſchiede des römischen und griechiſchen Vertrages auseinandergejegt werden. In den verſchiedenen juriftischen Anſchauungen, denen die Faſſung römischer und griechiſcher Verträge Ausdruck gibt, zeigt ſich ein tiefgehender Unterfchied. Das dingliche Recht, das für den Römer die Hauptſache ift, tritt bei dem Griechen ganz zurück, für ihn ift das urkundliche Bekenntnis, verkauft zu haben, den Preis zu befihen und demgemäß dem Käufer Gewähr zu bieten, die Hauptjache.
Durch eine in's Einzelnjte gehende Zergliederung mehrerer Urs funden in ihre Bejtandtheile im eriten und eine ebenjo alle Einzel- heiten erſchöpfende Erklärung der Terminologie der verſchiedenſten Urten von Vertragsurlunden im dritten Theile hat ©. dem an— gehenden Forſcher auf diefem Gebiet deren jwriftifches Verſtändnis erſchloſſen, ſowie den dei der Abfafjung eingehaltenen Geſchäftsgang
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Das lag allerdings zum Theil in dem Bwede der Sammlung begründet, ber N's Buch angehört. Es foll ein Handbuch fein, zum Nachſchlagen beftimmt, nicht dazu, im Zufammenhange gelefen zu erden. Dafür genügt ed, wenn die Dispofition recht überſichtlich ift, Die Darftellung nichts wejentliches übergeht und dem nenejten Stande der Wiſſenſchaft entfpricht, und namentlich Quellen und Lite ratur recht vollftändig angegeben werden. Der 1. Band diejes Wertes entſprach diefen Anforderungen nur zum Theil und iſt darum für viele eine Enttäufhung gewefen; um fo lieber fonjtatirt Nef., daß ber Bf. an feiner Aufgabe gelernt, und uns in diejem 2. Bande ein wirklich brauchbares Handbuch gegeben hat. Das ijt um jo dankens— werther, als wir für die Zeit von 220 bis 188 ein Handbuch bisher überhaupt nicht bejaßen und auch Droyſen's Geſchichte der Epigonen, deren Inhalt fich zeitlich mit der erſten Hälfte des vorliegenden Bandes bedt, infolge der neuen epigraphiſchen Funde und bes orte ſchritis ber Forſchung während der lehten zwanzig Jahre viel mehr veraltet iſt als die beiden anderen Theile der Geſchichte des ‚Hellenisinus.
Nur ein Punkt iſt auch diesmal wieber zu kurz gelommen, die Dnellenfunde. Bf. begnügt fi damit, den einzelnen „Büchern“ eine napype Aufzählung der hauptjächlichiten Quellen vorauszujciden, an die einige dürftige Bemerkungen geknüpft werden, die ja oft treffend find, meijt aber ohne Beweis bingeftellt werden. Den Publikum, für das ein ſolches Handbuch beſtimmt ift, ift damit in feiner Weiſe gedient; dies Publikum erivartet, und mit vollem Necht, auch hier eine eingehendere Darlegung der wichtigjten Probleme und der Ergeb» niffe der bisherigen Forfchungen. Dabei fehlt es nicht an ſehr merf- würdigen Behauptungen. So erfahren wir ©. 68, jchon die Mit— welt Habe fein rechtes Intereſſe an der Geſchichte der Periode von 281 bis 220 gehabt und „jelbjt ein Mann wie Polybios zeige von diefer Zeit gelegentlich ſehr unbejtimmte, ja fehlerhafte Begriffe”. Bum Beweife wird angeführt, Polybios „behaupte, daß bie fünf Seute (sie), die 218 v. Chr. in Ägypten mit den Nüftungen beaufs tragt wurden, ſich befonders dadurd) empfohlen hätten, daß jie Kampf⸗ genofjen des Demetrios und Antigonos geweſen feien*, und er mache „Nereis zu einer Tochter des Pyrrhos, was ganz unmöglich“ fei. Über weiß N. denn, ob das leßtere nicht auf Nechnung des Excerptors fommt? Und wenn nicht, jo wäre ein lapsus in genealogiſchen Dingen (er ift nicht der einzige, der bei Polybios vorfommt) noch lange fein
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pyrus (den er auf derfelben Seite anführt) wifjen, daß unter Phila— deiphos die Silberwährung berrichte, und aus dem Kommentar Grenjell’s, daß das Eilber zum Kupfer wie 1:120 geftanden Hat. Und was fol der Zuſatz: „Hierzu ftimmt, daß nach Cicero noch Ptofemäos Auletes jährlich 12500 Talente einnahm?“ Mindeitens mußte doch die abweichende Angabe Diodor's angeführt werden, wonach Auletes nur 6000 Talente Einkünfte hatte. Daß Stratonifeia „bon den Ptofemäern an Rhodos übergegangen ſei (S. 122 A. 6) iſt nicht richtig: es ift vielmehr von den Seleufiden an Rhodos ab— getreten worden; die Stelle, aus der ſich das ergibt, führt der Bf. im derjelben Anmerkung an. Und zwar iſt Stratonikeia leineswegs, wie der Vi. an anderer Stelle jagt (S. 641), den Rhodiern von Antiohos dem Großen geihentt worden; denn bei Liv. 38, 18 fteht nur nee recipi nisi per Antiochum potuit, d.h. die Stadt fonnte nur durch Vermittelung des Antiochos zurücgervonnen werden, nadjs dem die Rhodier die Wiedereroberung mit gewaffneter Hand ver— geblich verfucht harten, Antiochos kann die Stadt nicht exobert haben, da er mit Philipp, der fie damals bejegt hielt, im Bunde ftand. Hultſch hätte bei Polyb. 31, 7, 6 Niebuhr's Konjektur Ivrıözon roü Aror ftatt des überlieferten A. xci 3. nicht in den Text aufnehmen follen; gemeint ift entweder Antiochos Soter und fein Sohn und Mit- regent Seleufos, oder Antiohos Hierar und fein Bruder Kallinikos.
Schlimmer it es, daß die kritiſche Verarbeitung des Materials mandjes zu wünſchen läßt; der Bf. gleitet mitunter über die Schwierige feiten hinweg, ohne den Verfuch der Löjung zu machen oder auch nur den Leſer über den Stand der Kontroverfe ausreichend zu infor miren; ein charakteriftiiches Beiſpiel bietet die Behandlung der Galater- fiege des Attalos (S. 157), Auf Kronologifhe Fragen wird über- haupt nicht näher eingegangen, und dafür auf den 3. Band verwiefen, jo daß mande Nefultate des Bf.’S fich für jegt überhaupt noch der Beurtheilung entziehen.
Daß der Band neben diefen Mängeln auch viel Gutes und Ans regendes enthält, bedarf feiner Bemerkung. Aber näher darauf eins zugehen, ift bier nicht der Ort; es hätte gar feinen Zwed, wenn Ref, einige Fragen herausgreifen und einfach feine Zuftimmung oder feinen Diſſens ansprechen wollte. Der 3. (Schluß-) Band foll laut der Vorrede noch im Laufe diejes Jahres (1900) vollendet werden. Möchte der Bf. im Stande fein, die Friſt einzuhalten.
Rom, Beloch.
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Alte Geichichte. 479
der Legende aber iſt in der Gefchichte zu fegen M. Valerius, ber SKonful des Jahres 456.
Für eine Kritik diefer überrafchenden Ergebniſſe der geiltvollen und fcarfjinnigen Studie fehlt hier der Naum, Sie wird ſich auch bejjer an die nähere Ausführung vorliegender Skizze anknüpfen lafjen, die Bf. in Ausficht ftellt, und ber wir mit Spannung entgegenjehen. So viel aber läßt ſich jept ſchon fagen: den Schlüfjel zum Bere ſtändnis der älteften republifaniichen Gefchichte kann in der That nur die Ugrargeihichte geben; und der Hypotheſe, die Bf. auf der Grund— lage einer lebendigen agrar⸗hiſtoriſchen Anfhauung aufbaut, fann man die Anerkennung nicht verfagen, daß fie auf einem fonfequenten Durd)= benfen des befannten Thatſachenmaterials und einer glücklichen Kom— bination der echten Beftandtheile der Überlieferung beruht, überhaupt allen Anforderungen entjpricht, die man an eine gute Hypotheſe stellen fann. Bedenken und Zweifel bleiben ja freilich Angeſichts der ganz unzulänglicen Tradition auch jept nod, genug, Doch dürfte es kaum eine andere Rekonſtrultion der altrepublifanifhen Gejchichte geben, die in Bezug auf die Tragkraft ihrer Fundamente der des Bf. gleichfäme. Und darin liegt immerhin ſchon ein Fortfcritt!
Was die Unfchauungen des Vf. über die fpätere Agrarentwidlung Staliens betrifft, fo find diejelben m. E. in Bezug auf den bäuers lichen Kleinbetrieb zu pejlimiftiich. Der Sap, daß „die Weltherrſchaft Wirthſchaftsverhältniſſe geichaffen hat, bei denen der freie bäuerliche Kleinbetrieb in Stalien fich nicht halten fonnte*, ift in dieſer Allgemein= heit nicht richtig.
Erlangen. R. Pöhlmann.
Giuseppe Salvioli, Prof. della r. Universitä di Palermo: Sulla distribuzione della proprietä fondiaria in Italia al tempo dell’ impero Romano. Modena, Presso la direzione dell’ archivio giuridieo. 1899, 79 S. 4 Lire.
Wie Bf. mit Necht bemerkt, find wir unter dem Eindrud der rhetoriſchen Übertreibungen und tendenziöfen VBerallgemeinerungen der antifen Literatur leicht geneigt, die Frage nad) der Entwidlung bes Latifundienweſens und jeines Berhältnifjes zur Heinbäuerlichen Wirth— ſchaft in Italien in einer Weije zu beantworten, welde der Mannig— faltigfeit der Erfcheinungen nicht immer gerecht wird. Hier ſeht bie ſtreng indivibualifirende Betrachtungsweiſe des Vf's mit Erfolg ein. Er zeigt, wie bie Verſchiedenartigleit der Ugrarverjafjung bei den im
Alte Geſchichte 481
ivefulativen Unternehmungsgeiftes verhindert und eine hohe Grund— rente unmöglich gemacht, jo find die Vorausfepungen diefer Anficht doch z. Th. recht unfichere. Wer wollte auf der problematifchen Eonjecturalftatiftif, anf die wir hinfichtlih der Bevöllerungszahlen angemwiejen find, jo meittragende Schlüffe aufbauen! — Daß die hauptftädtijche Kornvertheilung und die überfeeiiche Getreidekonkurrenz, fowie die Latifundien in ihrer verderblichen Wirkung auf dem italifchen Sandbaı von Mommfen u. U. überfchäßt worden find, hat ja Bf. gut nachgewieſen; aber hat er nicht feinerfeit$ den von ihm zur Erklärung der agrariihen Mißftände berangezogenen Faktor der „Bodenerfchöpfung” genau ebenfo überihäpt?
Doch follen diefe Zweifel der Werthihägung der bverbienftlichen Schrift feinen Eintrag thun. Sie treffen diefelbe faum in höheren Grade als die Vorgänger, deren Theorien Bf. befämpft, Rodbertus, Heifterbergl, Mommfen u. U. Und jedenfalld wird ſich mit dem Buche Salvioli’s, welches zum eriten Mal diejen wichtigen Ausichnitt aus der Agrargeſchichte Italiens auf Grund einer umfafjenden kritifchen Analyfe des gejanmten Quellenmaterials monographiſch behandelt, alle weitere Forichung auf diefem Gebiete auseinanderzuſetzen haben.
Erlangen. R. Pöhlmann.
Städteverwaltung im römifchen Saiferreide. Von W. Liebenam. Leipzig, Dunder u. Humblot. 1900. XVII u. 577 ©.
Seit Emil Kuhn über die ſtädtiſche und bürgerliche Verfafjung des römijchen Reiches in einem Werke gehandelt hat, von dem Liebenam bemerkt, daß es mit Bienenfleik gearbeitet, aber nicht recht überjichtlich fei, ift mehr als ein Menſchenalter verjtrichen. In diefer Beit hat ſich das Quellenmaterial außerordentlich vermehrt; abgejehen bon der lex coloniae Juliae Genetivae durch die infchriftliche Durch⸗ forfchung aller Provinzen des römischen Weltreiches, von Mauretanien bis nad) Arabien, von Kleinaſien bis in die Wejtpropinzen Hispanien, Britannien, Gallien, an der Donau und am Nhein. Unter diejen Umftänden mußte eine neue Darftellung des römischen Municipal wejend als volllommen berechtigt erſcheinen. Der Bf, hat den gejammten Stoff mit gewohntem Fleiße zujammengejtellt und was beſonders hervorzuheben, neben der antiquariihen auch die juriftiiche Literatur eingehend verwerthet. Man kann ihm höchſtens zum Vor— wurſe machen, daß nicht mit derfelben Energie die vielen Probleme, die das römishe Municipalwefen nad wie bor der hiftorischen
Hiftorifche eitichrift (Bb. 86) N. 5. 8b. XLIX. 31
Römifchegermansiche Zeit. 483
Die Germanen in den Baltanländern bis zum Auftreten der &oten. | Bon Dr. Erid Sehmsdorf. Leipzig, Hirfchfeld, 1899. 74 ©.
Die Schrift, die nur der erfte Theil eines größeren Ganzen jein joll, umfaßt die Zeit von 190 v. bis 180 n. Ehr. und bejchäftigt ſich Hauptjählich mit den Baftarnern. Der Bf. hält die Baftarner aljo mit Müllenhoff für Germanen und bezieht auf jie die IwAara der Protogenes-Infchrift, ſowie die beſchopften (nodati) Geftalten auf dem Adamkliffi-Monument; dagegen hält er es für unwaährſcheinlich, jedenfalls für unſicher, daß auch auf der Marlusſäule Bajtarner abgebildet jind. Der Wf. hat demnad) neben den Schriftitellern, deren Worte in übermäßiger Ausführlicjfeit ausgejchrieben werden, auch die infchriftlihen und bildlihen Belege zu Nathe gezogen und jo die lückenhafte Überlieferung nad) Möglichkeit ergänzt. Bei der Benrtheilung diejes Stoffes wären Wendungen wie: „auch würden wir bon einen derartigen Marfche .... fiher Kunde erhalten haben“ (S.6) —, „die Roxolanen aljo hatten einen Einfall gemacht; die Baftarner jollten zu Haufe geblieben fein?" (S. 42) —, „unter den AUnführern Rhaus und Nhaptus: das Vorkommen der Allitteration iſt bezeichnend“ (5. 51) — befjer unterblieben. Den Schluß bildet eine überjichtlihe Zufammenjtellung, wie die römiſchen Truppen in Möfien und Dacien ſeit Trajan vertheilt waren.
Nürnberg. Friedrich Vogel.
Die Einfälle der Goten in das römifche Reich bis auf Eonftantin. Von Dr. Bruno Nappaport. Leipzig, Hirſchfeld. 1599. 138 ©.
Diefe Berliner Preisichrift behandelt „auf Grund des gejammten Quellenmaterials, befonderd des epigraphifchen und numismatiſchen“, die Geſchichte der Goten von 160 bis 334. Leider fehlen uns gerade für die wichtigſten Ereigniſſe fichere Nachrichten, jo für die Theile nahme der Gothen am Markomannentrieg (S. 17); über die Frage, wie und wann jie am Bontus angelangten, find wir auf Vermuthungen angewiefen (S. 13); über die näheren Umftände, wie Dacien in den Beſitz der Boten fam, jehlen uns alle Nachrichten (S. 51), und ebenſo ungenau it uns überliefert, wann Pacien völlig von dem Römern geräumt wurde (S. 99). Umfichtig abwägend entjcheidet ſich der Bf. dafür, da die Wanderung der Goten von der Dftjee zum | Schwarzen Meer um 160 beginnt umd um 235 zu Ende fommt, dab Dacien 256 von den Goten größtentheils bejegt wird, daß aber bie letzten römijchen Truppen erft im Frühjahr 275 (jo ©. 99;
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daß Winterfeldt „eine Natur war, die nicht weniger abſtieß als anzog*, und auch feine „bejchlshaberijche Energie“ beigetragen habe, ihm Neid un Eiferfucht zu eriveden.
Das Verdienſt des Vf. beruht in der nüchternskritifchen Details forfchung. Hier erhebt er fich durch jeine gewifenhajte Quellen— benugung weit über Varnhagen, den er in einer Unzahl von Fällen theil3 ausdrücklich, theils jtilljchweigend berichtigt. In der Schilderung des äußeren Verlaufs von Winterfeldt's Leben, der Gefechte, an denen er theilnahm, der Streifzüge, die er mit nie ermattender Ausdauer leitete, it Barnhagen durch M. völlig veraltet, wenngleih M. bier und da vielleicht noch ein charakteriftifches Wort Winterfeldt's aus Barnhagen hätte herübernehmen können. Auch an wichtigeren Refultaten fehlt e8 bei M nicht. Ich möchte hierzu den Nachweis rechnen, daß Winterfeldt im Jahre 1732 nicht nad) Rußland gereift iſt, um eine Anzahl preußischer Unteroffiziere dorthin zu geleiten, daß Winterfeldt aber wahrjheinlih in der Zeit der Kleinſchnellendorſer Konvention vom Könige nad Petersburg entfandt worden iſt, daß Winterfeldt als Yufarenführer durchaus ebenbürtig neben Bieten jteht. Das meijte Neue ift wohl in dem Kapitel euthalten, in dem M, über die militärifche Thätigfeit Winterfeldt's zwiſchen dem 2. und 3. ſchleſiſchen Kriege handelt. Auch die endgültige Widerlegung der allerdings bereitö früher ald Legende erkannten Erzählung Toll hervorgehoben werden, nach der Winterjeldt iım Juni 1755 die Verhandlungen mit England eingeleitet oder überhaupt an dem Buftandefommen der Beitminfterfonvention einen irgend erheblichen Antheil gehabt habe, Werthvoll ift endlich auch M.'s Nachweis, daß der preußiiche Eins marſch in Sachſen 1756 genau nad) den Plänen erfolgt üt, die Winter feldt bereit3 im Jahre zuvor ausgearbeitet hatte. Das Verdienit dieſer Feſtſtellung kann an fid) dadurch nicht geſchmälert werden, daß gleichzeitig Bolz (in den Publikationen aus dem preußifchen Staats» ardiven Bd. 74) an diefer Stelle tiefer zu graben gewußt hat.
Die Hoffnung, daß eine biographifche Behandlung Winterfeldt's, als des militärischen Vertrauten Friedrichs, für die Frage nad) der Entjtehung des fiebenjährigen Krieges bedeutungspoll werden würde, bat ſich leider nicht erfüllt. M. fußt hier auf dem längſt bekannten Duellenmaterial. So jehr umd gern id; aber auch den Freimuth hervorheben möchte, mit dem der Bf. fich von dem Standpunkt jeiner beiden Lehrer, Lehmann und Delbrück losgerungen hat, indem er Den Krieg von 1756 als einen Akt der Nothwehr für Friedrich anerkennt,
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Friedens wirkte, ald es ihm mit der Ehre der preußifchen Großmacht vereinbar ſchien. Denn Friedrich it nun doch nicht feit 1745 ein fo radifal anderer Menſch geworden, daß an Stelle des jchneidigen, rüds fichtslos vorgehenden, fih, feinem Staate, feinem Heere das Höcfte zumutbenden jungen Könige ein Politiker getreten wäre, der ängſtlich und ſchwachherzig um Gottes Willen jeden Kampf aufzunehmen ſich ſcheut. Vielmehr ift in der Wahl der Mittel, durch die er allerdings für feinen Staat den Frieden zu erhalten ſich bemüht, durdaus der ungejlüme, temperamentvolle, von einem jtarfen Machtbewußtſein getragene Friedrich des Jahres 1740 noch zu erfennen. Der jähe Abſchluß der Weitminjterfonvention mit feiner unbeabfichtigten Brüs- lirung Frankreichs, der Aufjehen erregende Garniſonwechſel im Anfang Juli 1756, vor allem dann das zur ſchuellen Löſung der Kriſis bes ftimmte Mittel der erften Unfrage über den Zweck der öſterreichiſchen Nüftungen: all’ das zeigt, daß er auch jetzt noch gern lebhaft, kühn und fchroff in feiner Politil vorging, wenn er auch einem friedlichen Biele zuſteuerte. Gefürchtet hat Friedrich den Krieg nur, inſofern er ihm zwang, die innere Friebensarbeit unwilllommenermaßen zu unterbrechen, aber nicht in dem Sinne, daß er überhaupt vor dem Schwertziehen ſich geängftigt hätte,
Im übrigen aber fcheint mir der Hauptfehler des Vf. darin zu beruhen, daß er unzuläffigerweife für 1755 und 1756 eine ganz gleich bleibende Einheitlichkeit in den Anfichten des Königs über die politifchen Verhältnifje annimmt. Und doch wird niemand, der Die Bände 11—13 der „Polit. Korreſpondenz“ gelefen hat, an ber That— ſache vorübergehen dürfen, daß Friedrich's Befürchtungen und Hoffe nungen in ben Jahren 1755 und 1756 ungemein ſtark geſchwantkt und gewechjelt haben. Bon der Gewißheit eines undermeidlichen europälichen Konflikte in den Frühlings und Sommermonaten 1755 ſchwenlt der König jeit dem Abſchluß der Wejtminfterfonvention zu der Hoffnung ab, daß e3 ihm gelungen fei, den Frieden für Preußen zu erhalten. Wie ftimmt zu MS Anfchauung, daf der König 1755 und 1756 den Srieg für unvermeidlich angefehen habe, jener oft eitirte Brief an den Thronfolger vom 12. Februar 1756, in bem ſich Friedrich freut, vorausfichtlic durch feine Politif den Frieden jogar für das Jahr 1757 gejichert zu haben, deſſen er dringend für allerhand militärische Vorkehrungen bedürfe? Dieſer auf Frieden ges ftimmten Epoche folgt exit feit Mitte Juni 1756 eine neue, geleun— zeichnet durch die lebhafte Bejorgnis dor einem feindlichen Angriff.
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als fo, daß er, folange er feine Angriffsgefahr witterte, ſchlechter⸗ dings nichts that, was auf Krieg deutete (bis Mitte Juni 1756), und als ihm dann die anrüdende Gefahr immer deutlicher in's Bewußt⸗ fein trat, fi in feinen Gegenmaßregeln, dem Tempo feiner Rüftungen, ganz von den mehr oder weniger bedrohlich lautenden Nachrichten leiten lieh; feine Rüftungen begann, als ihm der Anmarjd) der Ruſſen gegen Preußen gemeldet wurde, fie ſiſtirte, als der Still- ftand der Rufen ihn von neuem in Zweifel über den wahren Stand der politifchen Lage ftürzte, fie endlich erſt zu Ende führte, als er die Löfung des Räthſels gefunden zu haben meinte. Und welche Mittel ftanden denn jonjt dem Könige zur Verfügung, um die bedroh— Ihe, im Werden begriffene Koalition der Gegner zu hintertreiben, als daß er jeine Stellung diplomatijc und militärisch fejtigte, um dem Grafen Kaunitz die Luft zum Kriege zu benehmen Das aber wäre erreicht worden, wenn England dem preußifchen Drängen nach— gegeben umd durch Einfegung aller Kräfte und Mittel Rußland an jeiner Seite fejtgehalten hätte, oder wenn es gelungen wäre, bie ZTürfei in das Schlepptau der preußifchen Politik zu ziehen, oder die eigene Macht durch Allianzen mit England und einzelnen Reichs— fürften zu verftärken, wie es der König beabfichtigte.
Auf unzuläffiger Verallgemeinerung beruht endlih auch M.'s Anſicht, da Friedrich jeine Lage feit dem Abſchluß der Weſtminſter— Konvention als „recht günftig“ betrachtet Habe. Sicherlich, bis er er= kannte, wie die Vorausſetzungen, unter denen er ſich zu England bins gewandt hatte, irrig waren, bis ex bemerkte, daß die hijtorifche Tod— feindſchaft zwiſchen Frankreich und Dfterreich eine Vereinigung diefer Staaten nicht verhinderte, und dai Rußland nicht in dem ange nommenen Maßſtabe an das Gold Englands gebunden fei. Wenn M. aber feinen Umfhwung in der zuderfichtlichen Stimmung des Königs bemerken will, als jeit Mitte Juni wieder die exiten drohenden Wolken am politischen Horizont aujftiegen, fo folgt er hierbei feider dem unglüdlichen Vorgange Delbrüd’s, ohne die von Naude bereits vorgeführten Gegengründe recht zu würdigen. Hatte Friedrich geglaubt, durch die Wejtminjterlonvention die „formidable* Liga, England, Rußland, Öfterreic) zeriprengt zu haben, vor der fein Preußen ficher erlegen wäre (P. K. 12, 225), jo meinte er auch einer Vereinigung Dfterreich® und Rußlands mit Frankreich nicht widerjtehen zu können und forderte die englijhe Negierung am 11. März 1756 bringen auf, ſich ſchleunigſt des ruffischen Hofes zu verfichern. Die gegenjeitige
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berühmten böhmifchen Feldzugsplanes für 1757 ausjührt. Des Königs anfängliche Abneigung gegen Winterfeldt's geninlen Plan der kühnen böhmijchen Offenfive tritt bei M. m. E, zu ſtart zurück. Auch leugnet M. wohl mit Unrecht in feiner Polemik gegen Naude und Bolz („Kriegführung und Politik König Friedrichs des Großen“), daß auf den König, als er ſich ſchließlich doch mit Winterfeldt's Plane befreundete, auc ein glüdverheigender Umſchwung der Sach— lage in Frankreich von Einfluß geweſen ift, wenngleich Friedrich aller dings als Haupthinderungsgrund die technifchemilitäriichen Schwierig- feiten eines böhmischen Feldzuges int Auge gehabt haben wird. Bonn, Georg Küntzel.
Preußiſche und öfterreihifche Alten zur Vorgeſchichte des Siebenjährigen Krieges. Bon G. B. Volz und G. Küngel. [Bublitationen aus den Kal. Preuß. Stantsargiven. Bd. 74.] Leipzig, S. Hirzel. 1899. CLXXXIV u. 764 ©.
Es war die Abſicht Albert Naude'S gewejen, feinen Beiträgen zur Entjtehungsgejdichte des Siebenjährigen Krieges eine Publitation der von ihm gefammelten Alten folgen zu lafjen. In danteusiwerther
Weiſe hat jept die preußiſche Archivverwaltung den Wunſch des Vers ftorbenen erfüllt und feine Kolleftaneen mit vielfachen Ergänzungen der Offentlichkeit übergeben. Der vorliegende Band enthält an 500 Ultenftüde, die meiſt den Berliner und Wiener Archiven entnommen find. Die Bedeutung des Gegenjtandes, um den es ſich handelt, und das ungewöhnliche Auffehen, das die Kontroverje über den Urfprung des Krieges erwedte, rechtfertigen die volljtändige Wiedergabe der Zerte und den Neudruck der ſchon hie und da befannt gewordenen Stüde, Ein überaus reichhaltiges Material liegt in einer alle wiſſen— ſchaftlichen Anfprüche befriedigenden Form vor, und jedem ijt die Gelegenheit gegeben, ſich auf Grund diefes verdienftvollen Unter nehmens ein Urtheif zu bilden; bie Quellen reden in ihrer urjprüngs lichen Geftalt, ohne die Trübung, die fie in der von beftinmten Gefichtöpunften beherrjchten Verarbeitung durch Lehmann und Naube erfuhren.
Die Alten zerfallen in zwei Gruppen, die eine von Volz bearbeitet, die andere von Sünpel. Die erite Gruppe behandelt die kriegeriſchen Vorbereitungen Friedrich's des Großen, Die zweite Die Entjtehung der Koalition gegen Preußen. Dem Braude der Publifotionen aus den Staatsarhiven gemäß haben die Bearbeiter zugleich eine Dar—
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ftändigfeit der militärifchen Alten jteht die reiche Fülle don öfters reichifchen Berichten und Inſtrulktionen politifhen Inhalts. Das großartige Spiel der Kaunig’schen Diplomatie enthült jih uns im voller Marheit; der jeltenen Gejcilichteit des Staatäfanzlerd und feines trefflihen Gehülfen, des Grafen Starhemberg in Paris, ift in diefem Bande ein dauerndes, verdiente: Denkmal gejept. Es famıı feinem Zweifel mehr unterliegen, daß Frankreich bereits vor Friedrich's Schilderhebung von Oſterreich für die DOffenfive gegen Preußen gewonnen war. Naude irrte freilich in der Unnahme, ſchon der BDefenfivvertrag vom Mai habe den Forderungen des Wiener Hofes genügt und auch ohne die Abtretung der Niederlande fei die Offen- five gefichert gewejen. Das trifit nicht zu, aber jedenfall3 war man Ende Augujt in der Hauptjache einig, «Me voici enfin parvenu au point ol nous desirions depuis longtemps d’amener la cour oü je reside«, mit dieſen vieljagenden Worten beginnt Starhemberg feinen ausführlichen Bericht vom 20. Auguſt. Die Bejorgniffe, welche Kaunig hinfichtlih der Zuverläffigkeit Rußlands äußerte, entfprachen, wie $. überzeugend nachweift, nicht feiner wirklichen Anficht, jie waren nur fingirt, um auf die Unterhandlungen in Paris einen Druck aus: zuüben: Friedrich's Einmarſch in Sachſen jchuf dann eine gänzlich andere Situation, ans der Kaunitz jofort Gewinn zu ziehen verfuchte, Sept war für Frankreich bereits der casus foederis des Verfailler Vertrages eingetreten, Diterreich konnte auf Frankreichs Mitwirkung rechnen auch ohne den Vollzug des Traktates, der die Abtretung der Niederlande bedingte. K. macht e3 ſehr wahrjcheinlich, daß darin der Grund für die auffallende Zurückhaltung des Staatskanzlers gegen- über dem Drängen der Franzoſen im Herbit 1756 zu fuchen ift. Über die Bedeutung diefer Publikation für die große Streitfrage nad) dem Urjprung des Srieges find bereits die verſchiedenſten Anfichten laut geworben. Die einen fehen in ihr eine glänzende Bellätigung der alten Anjhauung, E. Danield aber erflärt im ben Preuß. Jahrbüchern (Aprit 1900), num jei die Stichhaltigkeit der Lehmann’schen Thefe dokumentariſch erhärtet und die Anhänger der alten Auffafjung, „durch die Bauberkraft des Lehmann'ſchen Genies verwirrt“, hätten ſich mit ihren eigenen Waffen gejchlagen. Der fpringende Puult in Lehmann's Bud) war belanntlich die Offenfid- abjicht Friedrichs. Wo dieje in der Publikation erhärtet fein ſoll, hat uns Daniels leider nicht verrathen; mit dem Theil des Werles, der dafür allein in Betracht kommen kann, gibt er jich überhaupt gar
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Beichäftigung mit dem Siebenjährigen Kriege „fo Fonfus* geworden, daß jie fich ganz faljch ausgedrüdt hat!
Worin bejteht num in Wahrheit der Gewinn, den wir aus dieſer Publikation für die berühmte Kontroverſe ziehen können? Man hat ihn, glaube ich, von beiden Seiten überfhägt. Un und für ſich widerlegen die Alten unbedingt weder die eine noch die andre Auf⸗ fafjung, und jie Fönnen das auch gar nicht. Die nene Methode hat bie Frage auf das Gebiet der Spekulation hinübergefpielt und die Beantwortung mit einer pſychologiſchen Analyſe des Charakters Friedrich's verknüpft. Dieſes Problem Tann aber unmöglich durch ein zeitlich und inhaltlich jo begrenztes Material, wie es hier geboten wird, jeine Löſung finden, nod überhaupt durch Aktenftüce der vor— liegenden Art. Es kann fich daher hier m. E. nur darum handeln, ob altenmäßig Thatſachen fejigejtellt jind, die ſich mit ber alten oder neuen Anficht ſchwer oder gar nicht vereinen laſſen. Das ift aller dings hier geichehen, und zwar find durch die vorgebradten Zeug— niffe, durch die Nefultate von B. und K. gemwifje wefentliche Voraus— ſehungen, don denen die neue Anſchauung ausging, hinfällig geworden. Darin bejteht nah der Anjicht des Ref. der Werth diefer Alten— fammlung.
Königsberg i. P. M. Immich.
Wilhelm dv. Humboldt als Staatsmann. Bon Bruno Gebhardt. 2. Band: Bis zum Ausjheiden aus dem Amte. Gtuttgart, I. G. Cotta Nachfolger. 1899 464 S. 10M.
Das Leben des Generalfeldmarjhall® Hermann v. Boyen. Bon Fried⸗ rich Meinede. 2. Band: 1814—1848, Stuttgart, I. G. Cotta Nachfolger. 1899. 60 ©. 12 M.
In dem Zeitraume vom Wiener Kongreß bis zur inneren Krifis bon 1819 hat fich die jtaatsmännifche Tätigkeit Humboldt’ und Boyens fo nahe berührt, daß eine Anzeige des Gebhardt'ſchen Buches aus meiner Feder zugleich eine Selbftanzeige meines eigenen Buches werden darf — umfomehr da ich den Schwerpunkt desjelben auf die Zeit von 1814 bis 1819 legen mußte und diefelben Fragen, die in ©.’ Bud) vornan jtehen, auch von mir zum Theil auf Grund desjelben Alten— materials eingehend behandelt worden find !).
3) Übergeen muß ich dabei in diefer Anzeige die heeresorganifatorifchen Abſchnitie meines Buches. Auf Thimme's beachtenswerthe Einwände gegen meine Darftellung der Kriegspläne Boyen's und Gneiſenau's Ende 1814 Seuiſche Litt. Zeit. 1900 Nr. 24) Hoffe ich gelegentlich zurüdzufommen,
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erhält dadurch leicht einen jubjektiven und unrubigen Charakter, umd eine künjtlerijhe Wirkung iſt, wenigjtens bei Stoffen aus der poli— tischen Geſchichte, fchwerer zu erreichen. Wir haben aber in erjter Linie der Wifjenichaft zu dienen, und das Bedürfnis der modernen Geſchichtswiſſenſchaft geht — in leicht erfennbarem Zuſammenhang mit Strömungen auf anderen Gebieten, auf intenfivfte pſychologiſche Motivirung des menſchlichen Handelns —, ſoweit es das lehte ver— borgene Geheimnis des inneren Lebens irgend erlaubt. Mögen glüdlichere Nachfolger diefe heute erſt noch taftende und fuchende Urt der Darſtellung auch zur reinen, ruhigen und Karen Harmonie des wirklichen Kunſtwerles führen.
Jene ältere, aud) von G. gewählte Form der biographiiden Behandlung kann num aber leicht zu Disfrepanzen zwiſchen Er— zählung und Schlufcarakteriftit führen, weil man die Erzählung nicht unterbrechen mag durch Nejlerion und infolge dejjen mander wefentlidien Beobachtung vorläufig nicht weiter nachgeht. Schon Erhardt hat in feiner gehaltvollen Beiprehung des G.’ichen Buches Beilage zur Allg. Big. 1900 Nr. 144 u. 145) auf den „halben Widerſpruch“ aufmerfjam gemacht, der zwiſchen G.'3 recht reſervirt flingenden Schlußausführungen und feinen fonjtigen, mehr pane= gyriſchen Urtheilen im Verlaufe feiner Darjtellung bejteht. ©. jagt am Schluß (S. 438) jehr richtig, daß Humboldt „für einen Diplos maten zu fpitematijch war, zu feit fich an gewiſſen Grundfägen hielt und zu wenig beweglich ber angenblidlichen Nothwendigfeit folgte”. Hätte das & mur jchon bei der Darjtellung des Wiener Kongreſſes beberzigt. Für ihn ift bier Humboldt mit feiner Richtung auf das Bündnis mit Öfterreid und England der Vertreter derjenigen Politit, durch die Preußen wahrſcheinlich nicht nur ganz Sachſen erhalten, fondern auch eine viel befjere Bundesverfaffung durchgeſetzt haben würde. „Wären Humboldt's Vorfchläge durchgegangen, jo hatte man gute Ausficht zum Ziele zu fommen — das Eingreifen de3 Königs war für Ofterreich ein Glück, für Preufen ein Unglüd* (S. 101). Und doc kann man gerade hier Humboldt vorwerfen, daß er allzu zähe an einem beftimmten Syſtem gehangen, allzumenig, um an Bismard zu erinnern, auf das „zweite Eifen im Feuer“, auf ben „Strang nad) Rußland hinüber“ geachtet habe. G. muß, um feine Meinung zu ftühen, natürlich annehmen, daß Metternich ein durchaus bertrauenswirdiger Bundesgenofje Preußens gewefen wäre, — aber wie unficher iſt das Terrain, das wir hiermit betreten. Ich habe
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dieſen individualiftiichen Kulturgedanken Humboldt's zu wenig zur Geltung gebracht hat. Humboldt's Liebe und Berftändnis für Volt und Staat, wie es fih an diefer Stelle jo jhön und warm aud« fpricht, beruht zum großen Theile auf feinem alten Andividualismus, inden eben nur das Verſtändnis für den Zuſammenhang zwiſchen individueller Entfaltung und ftaatlihnationalem Leben Hinzugefommen if. Darum. ift das bier heroorbrechende Staats und Vaterlandss gefühl Humboldis doch nur ſehr grob darakterifirt durch Die Bes merfung, daß im ihm „auch die legte Spur der weltbürgerlichen Gleichgültigkeit gegen Voll und Staat verfchwunden ſei“. Nebenbei bemerkt, ſoll dies vielleicht eine verfchämte Palinodie zu feiner im 1. Bande geäußerten Meinung fein, daß Humboldt bereits in feiner politifhen Jugendichrift den Gedanfen der Gelbjtverwaltung vers tündet habe?
Auf jeden Fall gebe ich zu, daß feit 1812 ein bedeutfamer Wandel in Humboldt’3 politijhem Denken zu beobachten ift, daß es reger und jtärfer wird, — meine aber, daß diefer Wandel ſich langſamer vollzieht, als es nad ©. ſcheint. Humboldt's charakteriftiiche Mattherzigteit in der Frage des ſächſiſchen Kontingentes (April 1815) übergeht er ganz. Auch die doc jehr rejignirte, gar zu maßoolle, biutlofe Bundespolitif Humboldt’3 malt er nad) meinem Gefühl zu ſchön. Dagegen bat er ſich die Gelegenheit entgehen lafjen, bei der Darftellung der inneren Kämpfe von 1817 den, wie ich glaube, ganz weſentlichen Einfluß zu ſchildern, den diefe auf Humboldt'S politiiches Denken geübt haben, Es war der Anblid des veaftionären Treibens, die Sorge um das Schickſal der Neformgedanten, welche die Schärfe feines Kampfes gegen Bülow zwar nicht ausſchließlich erklärt, aber weſentlich mit verftändlic; macht. In dem hochpolitifchen Schreiben Humboldt's an Hardenberg vom 14. Juli 1817 tritt das deutlich gemug hervor; ©, thut recht daran, es im Wortlaut mitzutheilen, weiß es aber nicht voll auszunupen. Er hängt ſich hier, wie auch font oft, zu eng an den unmittelbaren Gedanfengang Humboldt's. Nur pflegte biefer, einer ber jhärfjlen und jpigejten Denker, das einmal ergriffene Thema rein dialektifch fortzufpinnen, jo daß die ihm eigentlich im Innern bewegenden Empfindungen und Abfichten meijt nur unvolllommen und abgeblaßt zum Ausprud kommen, Er hat wahrlich ftärfer und tiefer empfunden, als feine künftlich verjchlungenen und langathmigen Perioden vermuthen laſſen, und es iſt deswegen jo überaus ſchwer, in feiner Seele zu lejen und ſchier unmöglich, alle ihre Falten zu
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ſeinem Talente, ſeinem Selbjtgefühle nicht genügten, fo konnte er nur die Abjicht hegen, im Minifterium den Kampf gegen Hardenberg fort zuſetzen, bis die Machtitellung des Kanzlers gebrochen war. Es follte fi) bald zeigen, daß er diefen Plan wirklich verfolgte.“ Treitfchte und G. haben übrigens daS gemein, daß fie von Hardenberg’s politischen Charakter bejjer denten als er verdient. Erſt wenn man die Thate ſache feiner inneren Haltlofigfeit und Unzuverläjfigfeit in den Vorder— grund jtellt und als Orientirungspunft benußt, wird, wie ich meine, alles verftändlic.
Daß Hardenberg dann über Humboldt und Boyen ftegte ımd daß die Reaktion die Frucht diefes Sieges davon trug, habe ich, wie jo viele Freunde der Geſchichte und des Vaterlandes vor mir, als ein überaus jchweres und bis in die Gegenwart hineinwirkendes Ver— bängnis für Preußen beflagt; nicht nur der Freiheits-, fondern, wie ich noch befonders betone, auch der preußiſche Machtgedanfe wurden dadurch auf Jahrzehnte gelähmt, &. meint, ich übertriebe mit meiner pathetijchen Klage. Aber jagt er denn nicht jelbit S. 320, daß die Kataftrophe von 1848 und die Vereitlung bed Verſaſſungswerles in der Zeit von 1819 in einem urfähliden Zufammenhange ftehen?
Es geht ihm mit folder Verlennung wie möglicherweiſe aud) mir ihm gegenüber. Zwei Forſcher, die neben einander biefelben Dinge durchjorfcht haben, find nachher für einander nicht immer bie gerechtejten Beurtheiler und jehen leicht mehr auf ihre Differenzen als auf das ihnen Gemeinfame. Aber auch unfer Temperament, unfere Art zu jehen, ja wohl aud; unjere GErfenntnisziele find zu verichieden, als daß wir ung, denjelben Fragen zugewandt, je ganz verjtehen könnten. Num, in unjeres Vater Haufe find viele Woh— nungen, und ich gebe ihm mit Freuden die Anerkennung des reinen wiſſenſchaftlichen Strebeng, die er mir gezollt hat, zurüd,
Berlin. Fr. Meinecke.
Ehroniten der miederfächfifchen Städte. Magdeburg. 2, Band, (Die hroniten der beutfchen Städte, 27. Bd.) Leipzig, ©. Hirzel. 1899. XX u. As S. 16 M.
Als im Jahre 1869 der 1. Band der Magdeburger Chroniken erſchien, hat wohl faum jemand vermuthet, daß bis zur Fortſetzung ber begonnenen Publifation ein Menfcenalter vergehen würde. Uber über dem Duellenmaterial zur Geſchichte der elbishen Metropole, über feiner Erhaltung wie über feiner Veröffentlihung hat von jeher
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2 &o auf bem inneren Titelblatt; auf Dem „in Iepterem Jahre ft das Buch erfehienen.
Deutſche Landſchaften; Öfterreicı.
den vorausgehenden Bänden an dieſe Publikationen zu machen geneigt iſt. Nicht als ob die mitgetheilten Aftenjtüde und der Gegenjtand jelbft unſer Intereſſe unbefriedigt ließen, im Gegentheil: die Alten der Rigafahrer bieten ein zwar nicht für die althanjifche, wohl aber für die jpätere Handelsgeſchichte jehr werthvolles Material, für deſſen Mittheilung wir dem Bearbeiter wie dem Berein zu Dank verpflichtet find. Die Mängel des Buches liegen vornehmlich in der dem Abdruck der Alten vorausgehenden Einleitung, die 210 Seiten umfaßt. Hier wird Weſentliches und Unweſentliches bunt durcheinander geworfen; e3 fehlt an Sichtung, an anſchaulicher Gruppirung des Stoffes; auch leidet die Schilderung an ermüdender Breite; mande Abjchnitte jtehen mit der Geſchichte der Nigafahrer nur in fehr loſer Verbindung. Hat man fich aber durch dieje Darjtellung glüdlich durchgearbeitet, die Körner von der Spreu gefchieden, jo wird man freilich Belehrung nad vielen Richtungen erhalten; ich weiſe hin auf die Darlegung des fübifchen Handels in Riga ©. 165 ff., über den Waarenverkehr 173 ff., den Schifffahrtsverlehr 199 ff. Ref. ſtimmt allerdings nicht in jeder Einzelheit mit den Ausführungen gerade der letgenannten Abjchnitte überein; bier auf diefe Abweihungen näher einzugeben, ſehlt es an Raum, — Bon Interefje, wenn aud) faum in das Buch gehörend, find mandje Bemerkungen über die gegemvärtigen Handelöverhältnifie Qübed3, denen der Bf. ja durd) fein Amt nahe fleht. Wenn er aber ©. 96 meint, Hamburg habe Anfang des 17. Jahrh. „freihändleriſche Anſchauung* gehabt, fo wird diefe Übertragung moderner Begriffe auf ganz anders geartete Zuftände feinen Beifall finden, ganz ab» gejehen davon, daß die Hamburger von 1600 nichts weniger als freihandleriſch· gejonnen waren.
Aus den Altenſtücken hebe ich hervor diejenigen über die Turlen⸗ ſteuer, den Salzhandel, ſerner die umfangreiche Zolltaxe und die Lehrlingsordnung von 1609.
Hamburg. Baasch.
Franz L, Kaiſer von Öfterreih. Bon Dr. Cöleſtin Wolfsgruber. 1. Bb.: Der Großprinz von Toscana 1768—1784. 2. 8b.: Der Erbpring in Ofterreich 1784—1792. Wien und Leipzig, Wild. Braumüller. 1899, XI u. 346 ©.; VII u. 246 ©.
Die modernen Hiftorifer haben ſich nod) viel zu wenig mit der vielleicht nicht bedeutenden, aber gewiß jehr bedeutfamen Perfönlichkeit dieſes erſten Kaiſers von ſterreich bejaht. Es ift fein einfacher,
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laſſen. Frühzeitig tritt an dem Süngling eine gewiſſe burenufratifche Luft an pebantifcher Schreibjeligkeit hervor, frühzeitig aber auch die
gung, daß ein Monarch ſich um alles und jedes kümmern, mũſſe. Im einer Schularbeit über feinen Lieblingsfaifer Marc Aurel ſchreibt Erzherzog Franz: „Nichts jagte, nichts jchrieb oder that er oberflächlich, fondern felbjt auf geringe Dinge veriwandte er oft ganze Tage. Er glaubte nämlich, es gezieme fich für einen Kaifer nicht, irgend etwas nur obenhin zu behandeln. Denn hätte er auch nur in Rleinem etwas überjehen, jo würde er diefem Werbachte auch bes treffs der wichtigiien Angelegenheiten nicht entgehen“ (1, 218). Eiſernes Pflichtgefühl; aber ohne das richtige Urtheil darüber, was dem Wirlungskreiſe eines Herrfchers obliegt, was feinen Handlangern über laſſen bleiben muß!
Ref. bekennt, daß für ihm die intereffanteften Stellen die find, in welden Kaiſer Zojeph II. handelnd auftritt. Von früh ab rechnet diefer mit der Thatfache, daß er feinen Nachfolger unter der fehr reichen Söhnezahl des Bruders in Florenz fuchen müſſe; daß diejer Nachfolger dann auch ein tüchtiger Negent werde, das joll feine Sorge fein. Er ſchreibt da einmal die lapibaren Sähe: „Sit das einzige Abjehen, daß aus dem Erzherzoge ein tüchtiger und für das wichtige Amt, jo Er einmal im Staate zu befleiden haben wird, tauglicher Mann werde Zur Erfüllung dieſer Abficht ift alles ohne Nüdjicht anzuwenden, weil jeine Gefundheit und Konfervation gegen dieſes Hauptobjeft nicht in Betrachtung fommen können, und es iſt fehr gleihgültig, ob Er (Franz) oder einer feiner Brüder zu dieſem wich— tigen Umte gelanget, wenn nur jener, der dazu lommt, die nöthigen Eigenſchaften der Seele und des Körpers beſitzet“ (2, 8). Zweimal hat Joſeph den Hof feines Bruders befucht, um fich jelbft über deffen Kinder zu orientiren; 1784 nimmt er Franz zu ji nad) Wien, um feine legte Ausbildung felbft zu leiten; er ſchickt ihm auf Reifen, nimmt ihn in den Krieg mit, wählt für ihn Die Lehrer, beſtimmt feine Lebensgefährtin: er kümmert fich bis auf's lete Detail — bis zur Sauberkeit feiner Zähne. Freilich das Alles in feiner haftig durchgreifenden, eigenfinnigen Art, die ihm oft viel zu hart und un— gerecht werden läßt: man wird darım auch an feinen Urteilen über Franz Kritit üben müfjen. Bf. verſucht manchmal, das felbft zu thun (2, 12. 41.), aber nur jehr oberflählih. Man fommt innmer wieder auf das oben Geſagte zurüd: W. bietet viele und wichtige Beiträge zu einer künftigen Biographie bes Kaiſers Franz, ſelbſt aber eine
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Öfterreich ; Frankteid)- 507
er erörtert eingehend ihre Beziehungen zu dem Maler Theoderih und überhaupt zu den Hunftichöpfungen Karl's IV, auf Schloß Karlſtein und bietet bei der breiten Grundlage, auf der er feine Unterjuchungen aufbaut, uns wichtige Aufichlüffe über die Anfchauungsweije und Leijtungsfähigteit des karoliniſchen Zeitalters, wobei ſich auch nute bringende Ausblide auf andere Gebiete, 3. B. die Ilonographie, ergeben. Das ungemein werthuolle Werk ift geradezu glänzend aus— geitattet. Königäberg. H. Ehrenberg.
La desolation des eglises, monasteres et höpitaux en France pendant la Guerre de Cent ans, Par le P, Henri Denifle, des Fröres Pröcheurs, Correspondant de l’Institut. Tome 2": La Guerre de Cent ans et la desolation des &glises ete. Tome 1": Jusqu’& la mort de Charles V (1380). Paris, Picard. 1899. XIV, 864 ©.
Der ſtattliche Band bildet nad) zwei Seiten eine Überraſchung. Nad) dem, was im Vorwort zum 1. Bande gejagt war, hatten wir eine zufammenfafiende Berarbeitung der bereits publicirten Dokumente erwartet, die der Beit nad) etiva das zweite Viertel des 15. Jahr— hunderts betrafen. Statt defjen befchäftigt fich der 2. Band mit der Lage der franzöfischen Kirchen im 14. Fahrhundert, feit dem Ausbruch des Hunbdertjährigen Krieges. Der Bf. hat während der Arbeit er- fannt, daß eine begründete Darftellung der Berhältniffe des 15. Jahr- hundert nicht möglich war, ſolange eine folche für die vorhergehende Beit fehlte. Daß er den Muth beſaß, Die Arbeit, die vielleicht jeden Andern abgejchredt hätte, fogleich in Angriff zu nehmen, und die Kraft, jie in erſtaunlich kurzer Zeit auszuführen, müjjen wir ihm um jo mehr danfen, da er — und dies ift Die zweite Überrafchung — viel mehr gibt, al3 er verſpricht. Nach dem Titel wird hier niemand eine zum Theil jehr in's Einzelne gehende Schilderung der politischen und militärifchen Ereigniſſe de3 Hundertjährigen Krieges zu finden erwarten; und doch macht jie fait den größeren Theil des Buches aus, P. Denifle hat uns da im Vorbeigehen die erite zufammenfafjende Darjtellung diefer düjteren, aber bedeutungsvollen Epoche gefchentt; wie ſich von ihm nicht anders erwarten ließ, ſtets auf folider kri— tiſcher Grundlage, aber aud) in lebhafter Spradye, der man Die innere Antheilnahme anmerkt, und bie jich ftellenweife, wie z. B. in dem Abſchnitt über die Revolution von 1357/58, zu feſſelnder Anſchaulich⸗ feit erhebt. E3 wäre pedantiich, ihm vorzubalten, daß er damit die
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die ihn im Unglüc verliehen, alfo von Nenegaten. Auch darf man
wohl einige Zweifel hegen, wenn bon biejen Zeugen ausdrüdlich betont wird, jie hätten ungezwungen und ungefoltert alles enthüllt. Wenn endlich Matteo Billani Dinge berichtet, die mit den Behauptungen des Dauphins übereinfommen, jo wäre vielleicht zu bedenken, daß er nur wiedergibt, was alle Welt fich erzählte und doch wohl nur auf die Yutorität des Dauphins hin glaubte. Defjen Schreiben an den Grafen von Savoyen, das uns allein Zeugnis gibt, war vielleicht wicht das einzige feiner Art und jedenfalld nicht geheim, es könnte am Ende die Urquelle auch für die Erzählung des Florentiners ge= wefen jein. Mag aber auch die Forſchung künftig vielleicht in ein— zelnen Punkten zu anderen Ergebniffen gelangen, im jedem Falle wird fie von der Darftellung D.'s als von einer feiten Grundlage und BVorausjepung ausgehen müſſen. Ebenjo reich an Berichtigungen der bisher geltenden Literatir und an zum Theil neuen und ent» icheidenden Beiträgen find die Kapitel über die Compagnien ber Söldner, die Frankreich jeit dem Waffenitillitande ein Jahrzehnt hin— durch verheeren, und über das Zultandefommen und die Bedeutung bes Friedens von Bretigny. D. weift überzeugend nad), daß es der Mangel, die Unmöglicleit der Verpflegung war, die Eduard III. nöthigte, jeinerfeitS den Frieden zu ſuchen (S. 360 f.), und ebenjo überzeugend, daß der geſchloſſene Friedensvertrag niemals formell ausgeführt wurde, und zwar durch die Schuld Eduard's, jo daß Slarl V. neun Jahre jpäter formell berechtigt war, feine Lehnshoheit über Aquitanien wiederum geltend zu maden. Die bis auf diefen Tag bielumftrittene Nontroverje ſcheint mir durch D. endgültig gelöſt zu fein, wenn ich much nicht mit ihm Jean de Montrenil als Kron— zeugen anführen möchte.
Bon den Schreden, die damals ein Krieg fiir das betroffene Land hatte, bejipen wir heute faum mehr eine Vorjtellung. „Der Brand ziert den Krieg, wie das Magnifitat die Veſper“, — dieſen Ausſpruch Albrecht Achill's ſtellt D. an die Spipe jeines Wertes, umd im immer nenen Variationen klingt er uns aus ihm entgegen. Daß die Kirchen dabei verjchont würden, hören wir nirgends. Ihre Gebäude werden niedergebrannt, um nicht als Befeftigungen zu dienen, ihre Schäße wandern nad) England. In dem gejchilderten Zeitraum ift in höherem oder geringerem Grade ganz Frankreich in allen feinen Zheilen vom Stiege ergriffen worden; «8 gab ſchließlich keine größere Kirche und fein Kloſter, die nicht von ihm zu leiden gehabt hätten,
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einer geographijhen Einheit, einer Megion, in einem breibändigen Werke zu behandeln. Es mag bezweifelt werden, ob dieſe neue Idee eine glückliche ift, ob es ziwedmäßig ift, fogenannte natürliche Gebiete an die Stelle hiſtoriſcher zu ſetzen; jeder Lefer des Buches wird aber, auch wenn er den Grundgedanten verwirft, zugeben, dab dasjelbe eine Fülle thatſächlicher Mittheilungen, Anregungen und Gedanfen enthält, die für die franzöſiſche Gefchichte von großem Intereſſe find.
Unter dem Namen Maseif central begreifen die franzöfiichen Geographen die gebirgigen Laudſchaften, die ſich in der jüblichen Hälfte Frankreichs, zwijchen der Rhone und der Garonne, der Ebene von Berry im Norden und der Ebene von Languedoc im Süden aus— dehnen, ein Gebiet, das etwa die Größe von Baiern und Württemberg zufammengenommen hat und gegen 6 Millionen Einwohner zählt. Das Maſſif bat, wenn wir von der keltischen Epoche abfehen, nie eine politiihe Einheit gebildet. Im Mittelalter gehörten manche Theile der engliſchen Krone, die Landidaften öftlidh der Cevennen dem heiligen römiſchen Reich an; jpäter zerfiel es in eine größere Anzahl franzöfischer Provinzen, unter denen Limoufin und Auvergne als die wichtigſten genannt feien. Von einer eigenen politischen Geſchichte des Mafjifs fann jomit feine Rede fein; aber auch in der Geſchichte Frankreichs hat es nur eine geringe Rolle gejpielt. Zwar fonzentrirte ſich hier der legte Widerftand der Kelten gegen Cäjar, Das Konzil, auf dem der erfte Kreuzzug bejchloffen wurde, fand auf dem Boden der Auvergne ftatt, die Albigenjerkämpfe und die Re— ligionsfriege des 16. und 17. Jahrhunderts hatten bejonders den Süden des Maſſifs zum Schauplatz, aber die großen Entſcheidungen der franzöfiihen Geſchichte vollzogen fid) in den Provinzen an der Grenze, im Thale der Loire und vor allem in Paris.
Die Folge ift, daß in unferem Buche bie politische Geſchichte, die großen Ereignifje, in denen 2. simples accidents erblidt, zurücs treten, Da der Bf. von geographifchen Erwägungen ausgeht, fo ift es nur natürlich, dab die Hiftorifhe Geographie einen breiten Raum in feinem Werke einnimmt. Ex jchildert uns die verjchiedenen Bezirke, in die das Maſſif jeit der Zeit der Selten zerfiel, die feudalen Ge— bilde bes Mittelalters, die königlihen Verwaltungsbezixfe, die neuen Eintheilungen der Konjtituante. Mit Vorliebe erörtert ex die Pro— bleme der hiftorifchen Geographie, den Einfluß der Bodenbeſchaffen— heit auf die Bildung von Staaten und Provinzen, bie Urjachen der Blüte und des Zerfall ber Städte, die firategifche Bedeutung der
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nie im Stantsleben Frankreichs eine bedeutende Rolle gejpielt — auch nicht im geijtigen oder geſellſchaftlichen. Dennoh wird man diefe Monographie, die der Bf. in anmuthender Faſſung aus den vorhandenen Quellen mit Sorgfalt gejhöpft hat, nicht ohne Intereffe lefen. Ein Neffe des großen Turenne, ſcheint Emanuel Theodofe von Bouillon eine jorgfältigere Bildung genoffen zu haben al mancher feines Gleichen. Er widmet fich dem Priefterftande und wird zur Entjhädigung dafür, daß ihn Ludwig XIV. zum Ktoadjutor don Rheims oder Paris nicht machen will, bereit 26 jährig Kardinal, gleih darauf Groß-Almojenier des Reichs, überdies mit reichen Pründen ausgeftattet; die Foftbarfte unter ihnen ijt die von Clunh. Bei den verſchiedenen Konklaven, die in feine Lebenszeit fallen, wirkt Bonillon eifrig mit; er legt überhaupt auf den Burpur großen Werth und weiß fich in Nom eine angejehene Stellung zu verſchaffen, viel mehr fo als in feiner Heimat jelbit. - Eine Zeit lang, 1697—99, ift er Charge d’Aflaires jeines Königs beim päpftlihen Stuhle, bald fällt er aber bei Ludwig XIV. in Ungnade. Seine Haltung in der Frage der Verdammung der Maximes des Saints Fenelon’s ſcheint den erjten Anſtoß dazu gegeben zu haben. Start verſchärft wird der Konflitt im Jahre 1700. Bouillon will feinen Neffen zum Koadjutor des Biſchofſs von Straßburg machen, unterliegt aber dem Abbe de | Soubije, den man als natürlichen Sohn des Königs bezeichnet; er | rächt fich, indem er in zwei Briefen Die fimoniftifchen Umtriebe aufs | det, die dieje Ernennung eingeleitet hatten. Ludwig XIV. weiß ihn feine Ungnade mit den ftärkjten und — kleinlichſten Mitteln fühlen zu fafien. Der Kardinal wird nach und nad feiner Ehrenftellen und RPfründen entkleidet, vom Hofe verbannt, enblid) auß dem Lande getrieben. Er hat voll Stolyes auf Alter und Unfehen feiner Familie ein großes gemealogifches Werl über diejelbe von Baluze verfoffen laſſen; dasfelbe wird unterdrückt, der Berfafjer beitraft; er will in Eluny ein großartiges Familien-Mauſoleum errichten laſſen — auch das wird ihm verwehrt, Tief verbittert ftirbt er im Auslande, in Rom, 1715, fur, vor Ludwig XIV.
Man hat die deutliche Empfindung, da dieſer große König hier ein ſehr kleinlicher Menſch ift, eiferfüchtig auf die ahnenftolze Familie der La Tour d'Auvergne; da rächt er ſich und trifft fie in ihrem bedeutenditen Gliede, dem Kardinal; der Chef des Haufes, der Herzog don Bouillon, ift eine Null.
Hiforilhe Beitichrift (Wo. 86) R. F. Vd. XLIX, 83
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nachläffigung der provinziellen Befonderheiten, im der diel zu weit gehenden Generalifirung ſcheint mir der Hauptfehler der Darftellung 8.8 zu liegen.
Damit fol aber der Werth diefed Wertes leineswegs geleugnet werden. Eine Fülle von Anregungen, eine große Maſſe neuen und interefjanten auf urlundlichen Quellen beruhenden Materials ift in dem Buche enthalten. Sehr beachtenswerth find die Ausführungen 8.3 über die Bildung der ländlichen Bourgeoifie, über den Kampf um die Allmenden und über bie ftarfe Verbreitung de3 ländlichen Proletariats. Seine Ausführungen über die Bertheilung des Grund und Bodens bürften dagegen faum haltbar fein. —
Während die erſten Abſchnitte der Schilderung der Buftände etwa um 1775 gewidmet find, geht K. in einem zweiten Theile dazu über, die Reformen der alten Monarchie und der Nebolution zu be ſprechen. Er jucht nachzumweilen, wie wenig Verftändnis die herr- ſchenden Geſellſchaftsklaſſen und auch die Männer der Wifjenichait, Die Nationalöfonomen jowohl wie die Juriſten, der gedrücten Lage der ländlichen Bevölferung entgegengebradyt haben. Ja, auch die Phyfiofraten, deren Ziel doch die Hebung der Landwirthichait war, hatten weniger die Verbefjerung der Stellung der Bauern als die Steigerung des Ertrags des Bodens im Auge. Ihr Ideal war nicht ein Stand von mittleren bäuerlichen Eigenthümern, ſondern eine Klaſſe technisch gut geichulter Fapitalkräftiger Großpächter. Das geringe focialpolitiiche Berjtändnis der Phyſiokraten übertrug ſich auch auf die Männer der Slonjtituante. Nur unter dem Drud des überall aufflackernden Aufruhrs, im Angeficht der brennenden Schlöfjer entſchloß jich die Nationalverfanmlung zur Aufhebung der alten Agrar— verfaſſung. Daß fie hierbei die doc) auch berechtigten Anfprüche ber Seigneurs zu wahren geneigt war, ſcheint mir feinen Tadel zu ver— dienen. K, der ſich allzufehr von feiner Sympathie für die Bauern feiten läßt, würdigt nicht genug den Umftand, daß die Seigneurs einen großen Theil ihrer Einnahmen ohne jede Entjchädigung ver— loren. Aber die Ereignijje gingen über die Gejepgebung der Kon— fituante hinweg. Der politijche Gegenſatz zwiſchen der Legislative und dem Konvent einerjeit3 und den Emigranten und bem Klerus ondrerjeits führte dann zur fchonungstofen Zerſtörung der Feudal— verjofjung.
Straßbing i. E, Paul Darmstädter.
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Veto gegen volfsthümliche Dekrete. Auch font haben alle revolutio— nören Maßregeln Lindet’3 und auch feines Biographen Beifall ges funden. So vertheidigt noch nad) jeinem Austritt aus dem Ausihuß Lindet das Geſetz des Marimums und meint, man hätte den Zwangs- turs der Aſſignaten aufrecht erhalten follen. Er ſelbſt hat mit rück— ſichtsloſer Energie während feiner Amtsthätigfeit die kommuniſtiſchen Grundjäße der Jakobiner durchgeführt. So werden einmal 4000 Fuhrwerfe gebraucht. Lindet befiehlt, ſie aufzutreiben, „wenn man fie nit in Güte befommen könne, folle man regniriren“. Um baares Geld zu befommen, wird der Handel von ihm verftaatlicht, und die Kanflente müſſen Wedel auf das Ausland an dem Staat liefern u. dgl. mehr, Das Bud) MS iſt, wie ſchon hervorgehoben, von einem ganz einfeitigen Barteiftandpunft aus gefchrieben; aber auch als Biographie bejriedigt es nicht. Der Bf, hat es nicht verftanden, die Perfönlichfeit, die ex jhildert, aus ihrem Milieu heraus ver— Ttändlich zu maden. Es werden mehr äußerlich die Ereigniffe, die die Perſon betreffen, aneinandergereiht, al8 daß wir von dem Werder gang Lindet’3 etwas hören. Lindet erjcheint vielmehr als der Typus des Jakobiners, der, perſönlich ehrenhaft und uneigennüßig, von ber Gerechtigkeit feiner Sache überzeugt ift. In biefer Beziehung ift jedenfalls das Urtheil Taine's, der in den Jalobinern eigentlich nur Schurken ficht, fehr einfeitig, und dem gegenüber hat das Wert M.s immerbin feine Verdienite. Berlin Gottfried Koch.
Napoleon I. Bon Dr. Guflan MRolofj. Berlin, G. Bondi. 1900, VII, 215 ©.
In der vom großen Publikum günftig aufgenommenen Sammlung „Borkämpfer des Jahrhunderts" ift nach den Biographien von Friedrich Niebfche und Franz Liszt num auch das Leben Napoleon’3 I. — wohl nicht ald Dritter im Bunde! — aus der Feder Guſtav Roloff's er— ſchienen. Die Arbeit des Berliner Privatdozenten bringt natürlich zu dem ſchon mafjenhaft angehäuften Stoffe Fein neues Material für die gelehrte Forſchung, bietet aber gebildeten Lefern eine Hare Über- ficht des Lebensganges und der mwechlelvollen Schidjale des willens— gewaltigen Imperators, ber bie entjefjelten Kräfte der Revolution fi) dienſtbar zu machen wußte und als ihr mehr oder minder Tegitimer Vertreter das längft morfche europäifche Staalsgebäude zu Boden ſchmetterte.
‚bef,
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ſchreiber, ſoweit fie eben nicht zu den Lobhudlern der Napoleoniden zu rechnen find. Uber e8 wird heute dem beutjchen Hiftorifer ver hältnismäßig leichter, über Napoleon ein billiges Urtheil abzugeben, troß alles einftigen Haſſes gegen den erbarmungslofen Sieger; ift er doch, ob auch unfreiwillig, einer der wirlſamſten Gebuxtshelfer der erfehnten deutſchen Einheit gewejen, während bie Franzoſen der Gegenwart dem korſiſchen Imperator und feinen unebenbürtigen Epigonen nicht allein die ziweimalige Vernichtung ihrer inneren Freiheit und Die äußeren bitteren Demiüthigungen von 1815 und 1871 grollend nadj= tragen, jondern aud) in ber von bem nterefjenten immer wieder neu gewedtten napoleonifchen Upotheofe, vieleicht nicht ganz Une recht, eine Gefahr für die Zukunft erbliden.
Die Kolonialpolitit Napoleon's I. Von Dr. Guflav Roloff. (Hifter. Bibliothek Bb. 10.) Dründen u. Leipzig, R. Oldenbourg. 1899. 257 ©. ‚ Die Darftellung, die der Vf, einer von der franzöſiſchen Forſchung bisher ganz vernachläfiigten Seite der Politik Napoleon’s I. in dem | vorliegenden 10. Bande der Hiftorischen Bibliothek gewidmet hat, bürfte wohl eine umfafjendere Bezeichnung als die mit „Noloniale | politif“ verdienen. Die Betrachtungen Roloff's, wenn fie auch von | Forſchungen über die fofoniale Lage Frankreichs in der Napoleonifchen | Epoche ihren Ausgang genommen haben, ziehen das ganze weite Gebiet der überjeeifhen Politit Napoleon’s in den Gefichtöfreis und beriveilen mit berechtigter Vorliebe bei den Anftrengungen, die ber gewaltige Erbe der Nevolution machte, um die überjeeiihe Macht— ſtellung Frankreichs mit feiner fontinentalen Hegemonie in Einklang zu bringen, kurzum fih den Weg zur Weltmachtitelung zu eröffnen. Ohne Zweifel ift diejer Theil der Arbeit R.’S noch unfertig und fliggenhaft, aber er zeigt doch fo manden neuen und richtigen Ge— fihtspunft, daß eine Fortiegung feiner Studien auf breiterer Grunde lage im Jutereſſe der hiſtoriſchen Forſchung nur wünſchenswerth fein fann. Eine jorgjältige Prüfung der Alten der franzöſiſchen Diplo— matie im Archive des Nuswärtigen Amtes in Paris, fowie die Be— richte der englischen Gefchäftäträger und Agenten am Pariſer Hofe in dem Londoner Urdive aus diefer Zeit werden für eine folche Arbeit über die Weltpolitit Napoleon’3 jicherlic; noch reiche Aufſchlüſſe bieten. Dabei wird man, vorausgejeßt, daß man die momentanen Ausbrüche der leidenschaftlihen Individualität des Kaifers nad) ihrem geringen Werthe richtig einzufchägen verfteht, wohl zu einer gerech—
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geſprochen — „das weſtliche Deutſchland von Frankreid auf dieſe Weiſe wirthſchaftlich abhängig zu machen, die politiſche Abhängigleit würde alsdann von ſelbſt folgen.“ Colbert, ber arme Tuchmacher— ſohn von ehedem, fiel in Ungnade, weil feine wirthſchaftlich-kolonialen Pläne nicht im Umfehen goldene Früchte trugen. Er flarb viel zu früh für Sranfreih, umd bei Nacht und Nebel begrub man dem ge fallenen Minifter, der, wie er jelbft verbittert auf dem Totenbette ſagte, feinem Könige treuer wie feinem Gott gedient hatte,
Ludwig XIV. ijt nad) dem Tode Colbert's nicht im Stande ges wejen, deſſen große tolonialen und maritimen Pläne mit Erfolg weiter zu führen. Der Wechjel der englifchen Negierung und ihres Syftems bejiegelten die Niederlage der überſeeiſchen Politik Frank— reichs. Der englifche Minifter Bolingbrofe war es, ber zuerſt Die Parole für die neue englijche Politit ausgab: Einmifhung in die Streitigkeiten der fontinentalen Mächte, Ausſpielen der einen gegen die andere, wie es für den Augenblick gut fchien, und Benuhung der hervorgerufenen fontinentalen Wirren, um jo für England die beherr- ichende Pofition auf überjeeiichem Gebiete und im Welthandel zw gewinnen. Un diefem Gedanken hat England bis heute unerjchütterlich feitgehaften. Erſt Napoleon war es, der diefe engliſche Weltmadhtö- politit in ihrer ganzen Gefahr für Frankreich erfannt und es verſucht hat, die verlorene franzöfiihe Pofition zur See zurückzugewinnen. Uber was ein ganzes Kahrhundert politifcher Kurzfichtigfeit an Franf- eich gelümdigt hatte, konnte er in dem wenigen Jahren feines Regi— ments nicht wieder einholen. Auch Napoleon, der Held des Willens par excellence, vermochte es nicht, eine Marine, die der englischen
fen geweſen wäre, aus der Erbe zu ftampfen.
berblickt man an der Hand der jorgfältigen Ausführungen R.’s die Anftrengumgen Napoleon’s, um den franzöjiichen Kolonialbeſih durch umfafjende Neu⸗Organiſation lebensfähig zu machen und die fat zerrifjene Verbindung der franzöfifchen überfeeiichen Gebiete mit dem Mutterlande wieder anzufnüpfen, jo wird niemand heute mehr behaupten können, daß ihm der Sinn für Kolonialpolitif gefehlt habe. Und wer weiter verfolgt, wie in ihm von der Zeit feiner eriten über- feeifchen Unternehmung in Hgypten ſtets der politiihe Eudgedanke lebendig geblieben iſt, dab es für ihn eine abſolute Nothwendigkeit fein würde, feinen legten Entfcheidungsfampf mit England zu führen, wie er zu diefem Zwecke Verbindungen bis nad Perjien und Indien anfmüpfte und eine Kriegsmarine ſchuf, der wird dem Kaifer nicht
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Schon ſehr bald nach dem Frieden erkannte die engliſche Handeld- welt, daß die Folgen desſelben nur dem franzöſiſchen Handel zu gute famen. Mit Eiſerſucht und Sorge verfolgte man in England die überrafchende Entwicklung desjelben, das Aufblühen der Induſtrie und das zielbewußte Vorgehen der franzöſiſchen Negierung überall da, wo überjeeiiche Änterejfen in Frage famen. Immer allgemeiner wurde die Verbitterung der englifchen Handeläinterefjenten, und fie fand ihren Niederfchlag in heftigen Angriffen der Londoner Prefie gegen Napoleon. Die Preffehde, die jo entjtand, erhielt am Ende einen jo gehäffigen Charakter und nahm fo den Ausdruck der öffent- lichen Meinung, des Bolfswillens an, daß beide Negierungen ſich diefen Einflüffen nicht mehr zw entziehen vermochten. In London traf man offenbar das Richtige, indem die Tagesprefje die eifrigen maritimen Nüflungen Napoleon’3 als eine ſchwere Gefahr für die Bulunft denunzirte; man müſſe die franzöfifche Seemacht vernichten, ehe es zu jpät ſei. So mußte es zum Kampſe fommen, den Napoleon in jeinem Intereſſe gern noch länger binausgefchoben hätte.
Bolingbrofe ftellt einmal in jeinen „Briefen über das Studiun der Seihichte" den Satz auf, daß „der höchſte Zweck des Geſchichts— ſtudiums die Lehre durch Beiſpiel“ fei. Aus den Vorgängen, die in erjter Linie den Bruch des Friedens von Amiens herbeiführten, lernt man zweierlei: zunächit wie es der wirthſchaftliche Wettitreit war, der England, wie jo ojt, den Anlaß zum Kriege gab, und wie ſchon damals eine umngezügelte, von Intereſſenten geſchickt infpirirte, uns verantwortliche Preſſe durch ihr gehäffiges Treiben jtaatsmännische Pläne, bevor fie zur Ausführung veif waren, durchkreuzen fonnte. Daraus kann man auch für die Gegenwart lernen.
Für Napoleon — darüber ijt er jich ohne Zweifel Kar gewejen — mar der Krieg mit England nicht viel mehr als ein Verzweiflungsd- kampf gegen einen weit. überlegenen Gegner; denn jeine maritimen NRüjlungen waren noch in den eriten Anfängen. In der Schlacht bei Zrofalger wurde fajt die geſammte franzöfifchejpanifche Seemacht vers michtet, und im Jahre 1811 war fo ziemlich alles, was Frankreich an Kolonien bejaß, in englifchen Händen; mit Napoleon's umfaſſen— den Weltmadhtsträumen war es zu Ende, ber ficherlich waren es nicht, wie jo ojt geſagt iſt, feine blinde Eroberungsfucht und fein gänzlicher Mangel an Verftändnis für maritime Dinge, die der fran= zöfiichen folonialen und überjeeiihen Machtitellung dies klägliche
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derung der Sitten, des Charakters der Inſelbewohner und der vene= tianifchen Verwaltung, den Schluß ein Plan der Stadt Corfu und
ihres Hafens. Plauen. W. Fischer.
Documents concernant les relations entre le due d'Anjou et les Pays-Bas (1576—1584). Publies par P. L. Muller et Alph. Diegerick. Tome IV (fävrier 1581 — mars 1583). (W. u. d. &.: Werken van het historisch genootschap, gevestigd te Utrecht. Nieuwe serie No. 60,) #’Gravenhage, Martinus Nijhoff. 1898. XIV u. 576 ©.
Die in dem vorliegenden Bande enthaltenen Dokumente zerfallen im zwei Gruppen. Die der erjten beziehen ſich auf bie Exeigniffe, die ji von der Übertragung der Landesherrichaft in den Nieder- landen auf den Herzog von Anjon bis zu feinem im Februar 1582 erfolgten Regierungsantritte abjpielten, insbejundere auf den Verſuch Anjows im Sommer des Jahres 1581, den Generaljtaaten bon Frantreich aus Hiülfe zu bringen und Cambrai zu entjegen. Die Altenjtüce dev zweiten Gruppe haben zum egenjtande die Unter- bandlungen, die nad) dem mißglüdten Staatsftreiche, den Anjou am 17. Januar 1583 unternahm, zwifchen dem Herzoge, Oranien und den Generalftaaten geführt wurden, um eine neue Verfländigung ans zubahmen; fie reichen bis zum proviforifchen Vertrage von Dender- monde (März 1583). Mit Necht haben die Herausgeber auf die Aufnahme dasjenigen Material verzichtet, da$ aus der Zeit ftammte, da Unjon wenigitens dem Namen nad) die Regierung in den Nieder— landen führte, und ſich auf die Korreſpondenz diplomatischer Natur bes Ichränft. Bon den ſchon befannten Stüden find ausführliche Inhalts- angaben mitgetheilt, und da fie, was den Ort ihrer Veröffentlichung beteifft, zum Theil nicht feicht zugänglich find, fo ift dieſes Ver— fahren mit Dank aufzunehmen. Die bisherige Aufjafjung vom Vers laufe der Dinge wird durch das neu edirte Material durchaus bes ftätigt. Muller hat den Dokumenten in der Geſtalt von Anmerkungen einen ausführlichen Kommentar beigegeben, der für das Studium der Geſchichte des niederländiichen Aufjtandes in diefem Beitraume gute Dienjte leiftet.
Eigentlich follte der vorliegende 4. Band die Publikation ab— ſchließen; das Material ftellte jih jedoch als fo umfangreid, heraus, daß feine Theilung geboten erſchien. Der 5. Band wird die Be— ziehungen zwiſchen Anjon und den Niederlanden bis zum Tode bes
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Italien. 527
Nigra, die Verfuche wieder auf, mit Recht überzeugt, daß, bei der Hartnädigleit der Kurie, um einen Schritt weiterzulommen, der Abzug der Franzoſen die nothwendige Vorbedingung war, deren Erfüllung mit allen Mitteln anzuftreben ſei. Auch jet widerjtrebte der Kaiſer. Nicht zufrieden mit jener Zuſicherung der italienischen Negierung, verlangte er eine „praltifche Garantie” dafür, daß fie nicht mit Gewalt nach Nom gehen werde, und in biefem Zuſammen— hang kam die Verlegung der Hauptitadt nad) einem anderen Ort als Nom auf's Tapet. Ausgefproden wurde das Wort zuerſt von dem Marchefe Joachim Pepoli, und zwar in einer Unterredung mit Napoleon, der ſofort diefe Verlegung der Hauptitadt ala die ges mwinjchte praftifche Garantie anerfannte. Ameifelhaft bleibt es dabei, ob der Gedanke im Kopfe Pepoli's ſelbſt entiprang oder ihm vom Kaifer, befanntlich feinem Verwandten, eingegeben war. Damit es ganz freier Entſchluß der italienischen Regierung erjheine, hatte Pepoli zum Kaiſer gejagt, diefe habe fih aus Gründen der inneren Politik zur Verlegung der Hauptjtadt bereits entſchloſſen. Daran war nur fo viel wahr, daß die Verlegung allerdings jchon jeit einiger Zeit erwogen und erörtert wurde. Maſſimo d’Azeglio, der ein Neben einander von Papjt und König in einer Stadt für unmöglich hielt, hatte jhon im Jahre 1861 in einer eigenen Brojchüre Florenz als Hauptftadt empfohlen. Andere befürworteten dasjelbe zum Zweck ber „Stalienifirung“ des Königreichs, das mit der Hauptitadt Turin nur ein bvergrößertes Piemont fei. General Cialdini hatte in einem Guts achten aus militärischen Gründen die Entfernung der Hauptſtadt aus Zurin und ihre Verlegung hinter den Apennin verlangt. So traf bie vom Kaiſer Napoleon geforderte „praktifhe Garantie* zuſammen mit einer Mafregel, für die jedenfalls auch erhebliche Gründe der inneren Politit ſprachen. Minghetti befreumdete fich exit dann bamit, als das Projekt in Verbindung gebradit wurde mit der großen Thatſache des Abzugs der Franzofen aus Nom: eben diefe Verbindung, fagt er, ift ber eigentliche ern der Septemberfonvention. Bon nun an betrieb er aufs eifrigjte ein Ablommen auf dieſer Grundlage, Dem Kaiſer war ed immerhin moch ſchwer abzuringen. Aber auch auf ftarfen Widerfprud; in Italien jelbjt mußte man gefaßt fein. Von dem vorausſichtlichen Widerſtand der Turiner abgefehen, erichien das Übereintommen als ein Verzicht auf das feiertih fanktionirte Pro—⸗ gramm Roma capitale, es erſchien auch als eine Einmifchung Franf- reichs in eine Frage der inneren Politif des Königreichs. Minghetti
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die Adrejje des Generals Della Rocca jehen, dejjen Denkwürdigkeiten den alten Streit wieder erneuerten, wen die Verantwortung für die traurigen Vorgänge in Turin treffe, die die Antwort der bisherigen Hauptjtadt auf die Veröffentlihung der Konvention waren. Es jteht bier die Behauptung Della Roeca's und diejenige Minghetti's umd feiner Kollegen einander ſchnurſtracks entgegen; wer Recht hat, wäre ſchwer zu jagen, und ficher iſt nur das eine, daß die jeindjelige Haltung der Turiner, die nicht umerwartet, und für die doch nichts vorgefehrt war, eine unglaubliche Konfufion oben wie unten Bin Bolge hatte. W. L
Giuseppe Gadda, Senatore, Ricordi e Impressioni della nostra storia politica nel 1866 —67. Torino, Roux Frassati e Co, 1899, 336 ©.
Die Lebenderinnerungen, bie der Senator und ehemalige Minifter Gadda veröffentlicht hat, befafjen ich nicht ausfchließlih mit dem Zeitpuntt 1866—67, aber dies ift ihr hauptſachlichſter Beſtandtheil, und er ift reich an neuen und hiſtoriſch interefjanten Mittheilungen. Gadda ift geborener Mailänder und gehörte politiih zur Rechten, zur Eavour’ichen Partei. In jener Zeit war ex Präfelt in Perugia und erlebte als folder in verantwortungsvoller Stellung den Einfall Baribaldi'3 in’3 Römische, der nad; Mentana führte. Umbrien war die dem Kirchenjtaat nächitgelegene Provinz; hier fammelten ſich die zömifchen Ausgewanderten, und hier fammelten ſich aus ganz Jtalien die Garibaldiner, die ſich troß der Septemberfonvention, nach dem Abzug der Franzojen (December 1866), zum Einfall in’ Römiſche anjchieten. Das war an fih für den Präfelten der Provinz eine ſchwierige Lage, und fie wurde noch ſchwieriger gemacht durch Die politifche Zweideutigfeit feiner Regierung. Der unglüdliche Krieg von 1866 hatte eine allgemeine Verftunmung zurüdgelaffen, die ber— ſtärlt wurde durch die traurige Finanzlage. Die Maſſen fielen der Linken, der Aftiondpartei zu, Die ungeſtüm nah Nom verlangte, Garibaldi unternahm im Frühjahr 1867 mit dem Ruf: Roma o morte! einen Triumphzug durch Stalien, und als Wattazzi am Ricaſoli's Stelle trat und ein linls gerichtetes Minifterium bildete, wurde die Altionspartei dreifter und betrieb immer ungejcheuter die Vorbereitungen zu einer römiſchen Expedition. Bu dieſer Zeit, September 1867, war Nattazzi'3 Haltung, dem Vf. zufolge, durchaus loyal. Es ergingen an den Präjelten von Perugia die Een
Hiftortieie Heitjchrift (Mb. 85) M.i- Bo. XLIX.
Tunis. 5351
Krieg ſowohl, als über die Berathungen, die dem Entſchluß zur Bes fegung Roms voransgingen. Alles, was Gadda erzählt, ift fehr Iehrreich, wäre es aber auch dann, wenn er micht überjlüjfigerweije faft auf jeder Seite verjicherte, daß er zur Belehrung und Erziehung flenifäjen Sogenb - |
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Paul Lapie, Les eivilisations Tunisiennes. Paris, F. Alcan, | 1898. 301 S. 83,50 fr. (Bibliotheque d’histoire contemporaine,) | Es iſt auch für uns von erheblichem Intereſſe, zu beobachten, wie die Franzofen bemüht find, ihre zweite große nordafrifaniiche | Ermerbung, die „Negentihaft" Tunts, nicht bloß durd) die Waffen | feft an ihr Reich zu inüpfen und durch Anlegung von Straßenbauten | aller Art und Häfen nutzbar zu machen, jondern auch joviel als | möglich geiftig am ihre Intereſſen zu fejjeln. Ein fehr anziehendes Beifpiel für diefe Seite der Urbeit ift jeßt das Buch von Paul Lapie, agregö de philosophie, ancien professeur au lyeée de Tunis. Es handelt ſich nach der praftifchen Seite dabei wefentlich darum, die rechte und wirlſame Art zu wachſender Uusgleihung zwijchen den in der Regentſchaft Tunis vorhandenen Kulturelementen — ben alten Herren des Landes, gewöhnlich nur „Uraber* ges nannt, richtiger in ihrer bunten Mifhung von Arabern, Kabylen, berberiſchen Völlern als „Mufelmanen zu bezeichnen — den 40000 Juden — und der Maffe eingewanderter Europäer, nament- lich Staliener, Malteſer, und den neuen Bebietern, den Franzofen — zu finden und alle anderen zu erfolgreicher Annäherung an die letz⸗ teren zu beſtimmen. Der mit Land und Leuten, mit der neueren Literatur über dieſe Negentfchaft und mit der der Araber, namentlich auch mit der ihrer Nechtöalterthümer, vortrefflich vertraute Bf, gibt uns in ſechs Kapiteln ein jehr werthuolles, jehr angenehm zu lefendes Bud. Er nennt es eine jocialspfychologijche Studie; namentlich weil er die tiefe Verjchiedenheit zwijchen den Völkern der Regeutſchaft weit weniger auf die Wirkungen ihrer Neligionen und ihrer Raffenunters ſchiede, als auf das zurüdführen zu müſſen glaubt, was man wohl das Seelenleben ber Völler zu nennen fich gewöhnt hat. Nach feiner Beobachtung ift das wejentliche Antereffe der Araber der Vergangenheit zugewendet; fie entbehren gar jehr des Talentes und ber Neigung, ihr Leben durch vorausichauende Blide in die Gelbſt in die nächſte) Zukunft zu geitalten, während die Juden B4*
532 Literaturbericht.
ganz überwiegend für die Zukunft arbeiten. Durch das ganze Buch geht alſo überall der Verſuch, die Verſchiedenheit dieſer Völker — die einander, und jegt auch Die auf ihr inneres und äußere Leben ftarf einwirkenden Franzoſen dabei nad) verfchiedenen Seiten ergäns zen — nad) Seiten ihrer wirthfchaftlichen Verhältniffe, ihres Familien— lebens, ihres Familienrechts, ihrer Theilnahme am Staat8leben, der praftifhen Ausprägung ihres religiöfen Lebens, endlich auch ihrer Runftübung — aus ber Grundverjchiebenheit ihre Seelenlebens ab» äuleiten. Dan wird natürlich dem geiftvollen und ſcharfſinnigen Bf. bei der Darlegung feiner Unfichten nicht immer zu folgen im Stande fein. Dagegen wirkt dad Buch fehr feffelnd durch den erſtaunlichen Reichthum von höchſt anfchaulich vorgetragenen und gut gruppirten Mittheilungen aus der Geſchichte und dem Rechtsleben von Tunis und aus den verfchiedenjten Gebieten des öffentlichen, wie des reli- giöfen und des Privatlebens der verjchiedenen, hier auf einem mäßig großen Gebiet zufammenmwohnenden Völker. Halle a. ©. G. Fr. Hertzberg.
menſchen“. Das und anderes Ähnliche mehr trägt Lory in einem halb lomiſch, Halb ärgerlich berührenden, ſchließlich unerträglich werdenden Pathos vor. Er geberdet ſich wie ein Prophet, ber mit Zungen redet; aber das ijt ein Bungenreden, das doch eine nod viel härtere Genjur verdient, als ihm Paulus im erften Korintherbrief erthellt. Der Grund— aftord dabei iſt Selbjtbefpiegelung und Selbftvergötterung, bie bei einem Vertreter bes Kolleltivismus doppelt jeltfam tmirkt, ein deutlicher Beweis, wie in unferer Zeit troß befjerer Erkenntnis die Ichjucht ſich Telbjt über» ichlägt. Bon demjelben Berfafjer wird auf dem Umſchlag eine „Geſchichte der europäifcen Staaten im Grundriß“ angefiindigt, die in geiwiffem Sinne „die erſte Gedichte Europas fein wird, bie liberhaupt — Ja, wenn es mit großen Worten gethan wäre!
Aus den Annales de philosophie chrötienne 43 (70), 1/2 notiren wir einen Aufjap von G. Cehartier: Evolution et dissolution (über die Theorie Lalande's, der als Fundamentalgefeg nicht Evolution, d. 6. Entwidlung und Differenzirung, jondern Difjolution, d. 5. Ausgleichung und Annäherung ber Individuen, aufitellen will), — Wir notiren aus bemjelben Heft noch die Artikel von U. Bounfjonie: La raison et les prineipes premiers (Anfang, Fortfegung in Nr. 3), von Eh. Seger: Determinisme et Panth6isme (nothwendiger Zufammenhang beider) und von R. PB. de la Barre: La morale de l’ordre (Schluß).
In ber Revue des Deux Mondes, 15. Juli 1900 veröffentlicht G. Gohpau einen Aufjap: Patriotisme et Humanitarisıne, Essai d’histoire contemporaine, in dem ex die Befährlichleit der modernen al nn ibeen charalterifirt.
In den Archives d’Anthropologie criminelle 87 veröffentlicht &. Tarbe eine: Legon d’ouverture d'un cours de Philosophie moderne au Collöge de France (Bhilofophie und Soziologie).
Aus dem Journal of Theological Studies 1,3 notiren wir bon ER. Tennant: The theological significance of tendencies in Natural Philosophy. — Im Juniheft der Weſtminſter Review veröffentlicht C. Benryhn Gasquoine: The final seat of Authority, a reply to »the new Evangelicalisıne (gegen jede Autorität, die nicht mit Vernumft and Erfahrung im Einklang jteht).
Die Leitichrift Für Philofopbie und philoſoph. Kritit 116, I enthält wieder zwei Arbeiten über den pſychophyſiſchen Barallelismus, einmal von 8. Bujje: Wehjelwirtung oder Parallelismus, eine Entgegnung, sc, auf die von uns 9. 3. 84, 345 und 85, 153 erwähnten Urtitel von Baulfen und König) und zweitens von M. Wentſcher: Der pſychophyſiſche Barallelismus in der Gegenwart (tritiſche Überficht der verichiebenen Theorien und Wertbeidigung der eigenen Theorie des Verſaſſers).
in Beweis des Glaubens 36, 5 über Darwinismus und Materialismus ıc. Zugleich verweijen wir aus denn philoſophiſchen Lager auf eine Broſchüre von I. Baumann: Hacckel's Welträthjel nad ihren ftarfen umd ihren ihwachen Seiten (Leipzig, Dieterich) und auf eine äuferft jcharfe Seitit von F. Pauljen im Juliheft der Preußiſchen Jahrbücher; Ernft Haedel als Philojoph.
In der Zeitſchrift für das Gymnaſialweſen 54, 6 Handelt E. Stuper: Über die Vertheilung der gejcichtlichen Lehrftoffe. Verfaſſer ſchlagt nur eine Änderung jür Tertia vor. Wir halten an unferer wiederholt ger äuferten Anſicht feit, daß für die Geſchichte vor allem Abſchaffung ber Abihluhpräfung in Unterſelunda und dann Einrichtung einer fünfjährigen ftatt der jeßigen dreijährigen Oberſtufe exwiluſcht wäre.
Mus dem Jahrbuch des Vereins fir wiſſenſchaftliche Pädagogit, 32. Jabrg., notiren wir von Tb. Vogt: Zur Behandlung fozialer Fragen Am GefchichtSunterricht,
Die Revue internationale de l'’Enseignement 39, 5 enthält einen Urtifel von Eh. Seignobos: La röforme de l'enseignement secondaire de l'histoire aux Etats-Unis (im Anſchluß an den Bericht der American Historical Association; The study of History in schools, New-York 1899, der einen vierjährigen Oberkurjus fejtftelt: 1. Alte Geſchichte bis 800 oder 813, 2. Europäiice Geſchichte vom 9. Jahrhundert bis zur Begenwart, 3. Engliſche Geſchichte, 4. Geſchichte der Vereinigten Staaten).
In den Berichten über die Verhandlungen der Kgl. Sähfiihen Ge— ſellſchaft der Wiſſenſchaften zu Leipzig (pbilofog.-biftoriiche Klaſſe) 52, 3 gibt 8. Lamprecht einen Bericht über: Die Königlih Sächſiſche Kom— miffion fir Geſchichte, der zugleich einen Überblid über die geſammte Ente wiclung der iandesgeſchichtlichen Studien in Sachſen gewährt. Über die neueren Arbeiten der Kommiffion vgl. die Notiz 9. 3. 80, 382,
Neue Büder: Dutoit, Die Theorie des Milten, (Bern. Sturzens egger, 1,50 M.)
Alte Geſchichte.
Über die Ergebnifje der amerilaniihen Ausgrabungen in Nippur orientirt 2, Henning im Globus 78, 1 (1900). Aus der Revue de I'histoire ‚des religions 40, 1 notiren mir €. Blodet: Etudes sur l'histoire religieuse de l'Iran. II. L’ascension au ciel du prophöte Mohammed,
Im Journal asiatique 15,2 findet ſich der Schluß der Arbeit von NR. Beil, Vart de la fortification dans la haute antiquitö Egyptienne. Dann beipriht S. Cevi: Les missions de Wang-Hiuen-ts’e dans !’Inde, weiche zur Kenntnis Ajiens im 7. Jahrh jehr wichtig find.
ſchen Sternbilder (ein Theil der Sternbildertypen ſtammt aus der ionijchen Kımjt de 6. Jahrh. v. Chr.)
Am Hermes 35,3 ſetzt zunächſt B. Nieje feine Krritit ber beiden DMattabtierbücher nebjt Beiträgen zur Geſchichte der maltabälichen Erhebung fort, IL Zur Gharatieriftit des 1. Mallabäerbudes. Der erjte Feldzug. Die Kriege des Judas gegen die Nachbarn. Die Urkunden im 2. Malfas baerbuche und die Friedensverhandlungen. Die yriſche Königsliſte bei Eujebios und das Todesjahr des Antiochos IV. Die Niederlage Nilanors. Das Bündnis der Nömer mit Judas Maltabäos. Die ägyptiichen Feld— züge des Antiodos Epipfanes. Quellen und Chronologie des 1. Mattabäer« Buches. Der Bericht des Joſephus. Hat Fojephus das 2. Maflabiierbud) getannt? Dann unterzieht Th. Mommfen den bei unferen Limesforſchern jo beliebten Gebrauch des Wortes prätorium einer Kritit und findet, daß berjelbe falſch ift; derſelbe Gelehrte erörtert dann unter der — Aghptiſche Legiondre auf Grund eines jüngft veröffentlichten Papyros die Soldberechnung zweier Legionäre BP: Natorp: Platos Phädrus fept deflen Abſaſſung nicht fpäter ala 390 v. Ehr. an u. U. Stein: Das Zodesjahr des Gardepräfelten Perennis ſtiltzt das allgemein angenommene Jahr 185 v. Chr. mit neuen Gründen.
Im Philologus 59, 2 weiſt O. Hoffmann: Zwei neue artadiihe Ins ſchriften, mac, da die Nr. 21 und 22 der von Biebarth aus dem Nationale muſeum in When herausgegebenen attiihen Fluchtafeln aus Arkadien
fammen und jpäteftens dem 3, vorhriftl. Jahrh angehören; M. Öroeger.
handelt über die Kirte-Dichtung in der Ddyfiee und E. Sterntopf über die „Berbefierung“ des Clodianiſchen Geſehentwurfs de exilio Cicerönis,
In den Sißungsberichten der philoſophiſch-philologiſchen und- ber biftorifhen Kaffe der t. b. Akademie der Wiſſenſchaflen zu Münden 1900, veröffentlicht W. Chriſt eine Heptas antiguarifc-philologiiher Miscellen, mworunter uns bejonders erwähnenswerth erjheinen: 1. Eine römiſche Strafe auf einem Münchener Biegelitempel. (Die bisher ungedeuteten Buchſtaben des Stempeld CIL XV no. 725,16 QV, R. T. A. werden aufgelöſt in: QVlarta) Rlegione) T(ertio) L/apide) A(nniae sc. viae). U. Die Inſchrift des Vollan⸗Altars in Regensburg. III. Gewidite von Zarent. IV. Die Solonijde Minz- und Gewidtsreform nad; Ariftoteles. VIE. Pindar und das ägyptische Siegerverzeihnis. (Oxyrynchos Papyri II no. COXXI.)
In der Revue de philologie, de literature et d’histoire anciennes ‚24,2 ſtellt 2. Hapet: Domitius Marsus sur Bavius et son fröre ein bei den alten Ertlärern des Vergil erhaltenes Epigramm des Domitius Marsus her; dann handelt E. Kavaigmac über Le décret de Callias, Comment les Athöniens ont dteint leur dette aprös la guerre Archi- damique?
Alte Geſchichte. 541
In der Revue numismatigne 4,2 (1900) findet ſich der Schluß ber ſchon angezeigten Arbeit von 3. Noupier: Le monnayage alexandrin d’Arados; dann veröffentlichen U. Dieubonne: Monnaies grecques röecemment acquises par le Uabinet des Médailles (vorzüäglih Münzen von Stäbten und Königen des Pontos und des Bosporus), R. Momat: Notes d’onomastique romaine. Valerien; Rögalien (der volle Name ift Publius Cornelius Regalianus) und Th. Reinach: Pontica. I, La femme de Mithradate II, 2 Statöre et drachme de Mithradate II. 3 Taulara ou Talaura.
Aus The Classical Review 14,5 u. 6 notiren wir U. W. Berralf: The site of primitive Athens, Thucydides II 15 and recent explo- rations; ®. $. Hill: Athens and Olynthos in 384—3 B. C. (die gewöhnlich in's Jahr 351/50 gefepte Inſchrift CIA II 105 wird in's Jahr 334/3 batirt); 5. Haperfield: The census of Sulpieius Quirinus und Th. Ashby: The four great aqueducts of ancient Rome.
Aus der Rivista di storia antica 5, 1 notiren wir € Pais: »Saxum Tarpeium.« Osservazioni topografiche @ giuridiche; F. v. Duhn: Campano-Etruschi. Un’ errata-corrige per le pagine 388—41 e 56—57 not.16—19 di questa Rivista vol. I, fasc. 3; P. Orji: Frammenti epigrafici sicelioti; B. Strazzulla: Epigraphien; ®. Rizzi: Le Tavole finanziarie di Tauromenio. Contributi alla storia dell’elemento dorico in Sieilia; &. Cantarelli: Origine e governo della provincie Africane sotto l’Impero (da Augusto a Diocleziano); &. Tropea: La stele arcaica nel Foro Romano. Cronaca della discussione (Decembre 1899 — Aprile 1900).
Dantenswertb und jehr förderlich find drei Arbeiten öfterreichiicher Ge— lehrter. U. v. Premerftein und S, Rutar behandeln: Römiſche Straßen und Vefeftigungen in Krain (Wien 1899) und zwar: IL. Die Straßen und Feftungsanlagen an ber Italijch.pannoniichen Orenze. IT. Der krainifche Abichnitt der Straße Emona⸗Siscia. Als Anhang folgt TIL: Nette und revidirte Infhriften aus rain. Wichtig erſcheint uns die Feſt fegung der zum Schupe Italiens errichteten Befeftigungen, die ein wohl⸗ durchdachtes Syſtem bildeten, und die Cofalifirung der Orte Acervo (bei Böfendorf), Praetorium Latobieorum (Treffen), Craeium (bei Jelda) und de8 municipium Latobicorum (bei Malence unweit bes Einfluffes der Gurk in die Sau). Sorgfältig werden bie jhon vor Auguftus, aljo vor der Unterwerfung des Landes unter Nom, nachwelsbaren Handelsſtraßen (von Aquileia nad Nauportus und von Tergeſte nadı dem os Aolyeor, was mit dem Birkniger See tbentifizirt wird), ihr jpäterer Ausbau zu Kunftftraßen und ihre Weiterführung einerſeits bis Carnuntum an bie Donau, andrerjeits über Siscia wieder an die Donau zur Verbindung Jialiens mit dem Drient erörtert. Unter den neuen Imjchriften iſt
Alte Geſchichte. 543
eine Frage, welche durch die jüngst erfolgte Publifation der ſyriſchen Übers ſebung des verlorenen griehiihen Originals an Intereſſe gewonnen hat; dann ftellt A. de Baal! Lex christiena die Zeugniffe zufammen fix lex christiana oder sancta, veneranda, sacra im Sinne bon Nonfejjion oder Belenntnis.
In den Jahrbüchern der Erfurter Atademie gemeinnüpiger Wiffen- ſchaften N. F. 26 behandelt in großen kräftigen Zügen 8. 3. Neumann „Das klaſſiſche Altertum und die Entjtehung der Nationen“, d. b. die Bildung der helleniſchen und der Iateiniichen Nation.
Reue Bäder: Präjet, Forſchungen zur Geſchichte des Alierthums
IM. Zur Chronologie des Kyros. Zur Behiſtüninſchrift. I. (Leipzig, Pfeiffer. 3 M) — €. $. Lehmann, zwei Hauptprobleme der altorien« talijhen Chronologie und ihre Löfung. (Leipzig, Pfeifer. 5 M) — Löpr, Geſchichte d. Volles Jörael in 9 Vorträgen dargeftellt. (Straßburg, Trubner) — Willrich. Judaica. Forſch. z. helleniſtiſch-jud. Bei. 1. Literatur. (Göttingen, Vandenhoeck u. Ruprecht. 5,60 M.) — Delbrüd, Geſchichle der Kriegskunſt im Nahmen dev polit. Geſch. I. Das Ulterthum. (Berlin, Stile) — Bury, Hist, of Greece to the death of Alexander the Great. (London, Macmillan. 8,6 sh.) — Francotte, L'indnstrie dans la Grece ancienne. I. (Brüffel, Societ beige de lihrairie. 7,50 Fres.) — Pfuhl, De Atheniensium pompis sacrie. (Berlin, Beidmanı. 4 M.). — Rohde, Der griediihe Roman und feine Vor— Täufer. 2. Aufl. (Leipzig, Breitlopf & Härte. M. 14) — Dziapto, Unterfuhungen über ausgewählte Kapitel des antiten Buchweſeus. (Leipzig, Teubner.) — Weil, Etudes sur Vantiquité greeque. (Paris, Hachette. 3,50 Fres.) — Oberziner, Lu guerre di ‘Augusto contro i popoli Alpini (Rom, Loeſcher) — Harnad, Das Wejen des Chriſtenthums Ceipzig, Hinrichs. 8,20 M.) — Un &dit de l’empereur Justinien IL publ. par N. Papageorgiu. (Leipzig, Teubner) — Koch, Pſeudo— Dionyjins Areopagita im jeinen Beziehungen zum Neuplatonismus und Myfterienwejen. (Mainz, Kirchheim, 7 WM.)
MBömifd-germanifche Zeit und frühes Mittelalter Bis 1250. Im Archiv für Anthropologie 36, 4 ijt der Schluß der ausgezeichneten, grundlegenden Abhandlung von O. Montelius erfdienen: Die Chrono logie der ätteften Broncezeit in Norddeutſchland und Skandinavien. Das Hauptrejultat ift, daß Supfer und Zinnbronze, zunächſt in ſchwächer Legirung, im füdweſtlichen Aſien entdedt und leptere von bort früh nad Ügppten, dann etiva um das Fahr 2000 v. Chr. auch nadı Europa gebracht wurde, — Aus demjelben Heft notiren wir von M, Braungart: lir geſchichtlich ethnogtaphiſche Beziehungen an alten Anſpanngeräthen (Jochend
beſtandtheil der Mittheil d. Ber. f. naſſ. Alterthumstunde 1900 Nr. 2. Wir entnehmen ihnen zugleid die Nadricht von der Gründung eines Vers bandes weit» und ſüddeutſcher Vereine für römifch-germantiche Aitertfumss torihung, deſſen Ziele jreilid nur ertennen laſſen, dah jene Korporationen ſich feine anderen Aufgaben jepen als „bie Förderung und Zuſammen- fafjung der römijchegermanijchen Altertfumsforihung und der damit ver— bundenen prähiftoriichen und fränkiſch⸗allemanniſchen Forſchung“
In der Weſtdeutjchen Zeitſcht. 19, 1 verzeichnet N. Bodewig bie
Ergebnifie von Ausgrabungen im Koblenzer Stadtwalde, die zum Theil anjehnliche Nefte von Villen und Gehöften wie eines Tempels zu Tage gefördert haben. Bodewig erblidt in ihmen Überbleibfel eines Treverer- dorfes, das er mit dem bei Sueton erwähnten Bieus Ambitarvius iden- tificiren möchte. Aus dem Korreſpondenzbl. der Weſtd. Zeitfchr. 19, 4 felen eine Heinere Notiz über Köngen ſowie Mitteilungen von H. Lehner über ſpatrbmiſche Befeftigungsanlagen in Andernach und Feitungswerte wie broncezeitlide Funde in Urmiß vermerkt (vgl. 85, 354).
Nachträglich fei des lihtvollen Vortrags von C. Shudharbdt über die römifchgermantiche Forſchung In Norbweitbentichland gedacht. Er ber deutet eine erfreuliche Abjage an die bislang geübte Gepflogenheit, den Moorbrüden wie Kaftellen und Burgen jenes Gebiets ſtets römiſcheu Urfprung beigulegen. Namentlich verdienen die Ausführungen über eine Reihe jähfiiher Burgen erwähnt zu werden, nach denen die Anlage diejer Befeftigungen erſt der Karolingerzeit zuzumeijen ift; Neue Jahrb. f. Haff. Alterthum n. ſ. w. Bd. 5 u. 6, Heft 2 (auch als Sonderabdrud erſchienen,
Leipzig, Teubner. 30 S. mit Abb. und Karte), Inzwiſchen hat fih an.
die Thefe Schuchhardt's ein lebhafter Meinungsaustaufc mit F. Knofe genüpft, der in einer bejonderen Schrift (Die römiſchen Forſchungen im nordweſtlichen Deutihland. Berlin, Bärtner. 11 ©.) an den von ihn früher vorgetragenen Anfichten über die Entitehung der Moorbrüden ebenfo fejthält wie an jeiner Identifizirung der Befejtigung im Habictswalde mit dem zweiten Baruslager aus der Schlacht im Teutoburger Walde (vgl. 83, 361. 84, 539. 85, 355). Der bibliographiſchen Vollſtändigkeit halber notiren wir ſchließlich die Darlegungen in den Neuen Jabrb. u. j. w. Bd. Hd wm. 6, Heft 4, im Korrejpondenzbl. bes Geſammtvereins 48, 5/6 und im ber Deutſchen Litt. Zeit. 1900 Nr. 97.
Antnüpfend an die Thejen von H. Witte (vgl. 84, 165) gibt 8. Bohnenberger beachtenswerthe Winte für die Methode der Orts— namenforſchung, die er im gefiderte Bahnen gelenft zu jehen wünſcht; Korrejpondenzbl. des Gejammtvereins 48, 5/6.
2. Schmidt jtellt in der Hiſtor. Vierteljahrſchr. 8, 3 die Nachrichten über die Hermunduren zujammen. Die Thitringer find nach feinen, freilich nicht recht durhfichtigen Ausführungen ein im Laufe des 4. Jahrhunderts
Hfftorifche Heitichrift (Bd. Rn) N. F. Wh. XLIX. 35
Reformation.
Der Muffap ©. v. Below's „Großhändler und — im deutfhen Mittelalter“ (Jaheb. f. Rationatät. u. Statift. Bd 76)
überhaupt einer großen wirthſchaftlichen wie focifen Hoch und die Grundlage für die Bildung der Kaufmannszünſte RR bei gegen Ende des Mittelalterd änderte ſich dies Verhältnis allmählich. Neue Bäder: Wylie, The concil of Constance to the death of John Hus. (London, Longmans, Green & Co, 6 sh.) — Rott, Hist. de la repr@sentation diplomatique de la France auprös des eantons Suisses etc. I, 1430—1559. (Paris, Alcan.) — Kalousek, Archiv Öeskf XVII. GPrag, Burfit & Kohont) — Nover, Gutenberg. Meinz, Joh. Wirth.) — Bocken heimer, Outenbergfeier in Mainz 1900, Beftichrift. (Mainzer Berlagsanftalt.) ' .
Beformation und GHegenreformation (1500—1648).
Im der Zeitſcht f. Kirchengeſchichte 21, 2 veröffentlicht Bauer den. erften Theil einer Preisſchrift über die Heidelberger Disputation Luthers 1518. Er erzählt den Auferen Verlauf, macht es wahrſcheinlich, daß der ganze Orden fi für Luther erflärt hat, und geht insbeſondere ausführlich auf die Heidelberger Thejen ein. Er zeigt, wie neben mancher Preſſung der Schrift Luther ſich dadurch auszeichnet, dah er in der Bibel nicht mtr eine Sammlung von Beweisitellen flir theologiſche Lehrſätze erblidt, ſondern ſich bereits zu einer „einheitlichen Bejammtbetrachtung der Schrift“ erhoben
Hat. Deutlich weift Bauer ferner die ftarte Abhängigkeit Luthers don
Auguftin, insbefondere deſſen antipelagianiſchen Schriften und bem Traftat de spiritu et littera nad, nur daf Luther jhroffer noch als Auguftin die Unfreiheit des menſchlichen Willens betont, und im Gegenjap zu
Auguftin’® Anficht, nach der fein Menſch des Beſihes ber göttlichen Sn iger jein kann, mehr geneigt ift, den Beſit des rechten Glaubens bereits als Zeichen der verlichenen Gnade aufzufaffen. Mit einem kurzen Abſchnitt über den Einfluß des Humanismus auf die Heidelberger Thejen, wonach der Verſaſſer in Luther's gründlicher Ablehr von Ariftoteles und feinem Streben mad; Erjag für diefen Philofophen auch in der Erfenntnistheorie
‚einen mehr als bloh formellen, einen wirklich ſachlichen Einfluß erblidt,
ihließt diefer erfte Theil der lejenswerthen Abhandlung.
In den Analelten berichtet daſelbſt Weder über Köthener Kirchen— bifitationsaften von 1567. Intereſſant ift darin insbejondere, wie ſich ber
Fi
ſowohl die Anfänge der reformatorifhen Bewegung unter Seipziger Disputation ftehen, als aud) die ne da fteter Anlehnung an die ſächſiſche Reformation vollzieht. fheint zwar vom Humanismus aus zur Neformation gelangt aber dann feinem Reformationsbiichlein die Ordnungen des Kirchenweſens mit umwejentliden, durch Iofale Verhäliniſſe be— Abweichungen zu Orunde gelegt: Sicher bat zum Vorbilde gedient 1. ſächſiſche und die Wittenberger Kirchenordnung bon 1539, 3; von Luther'ſchen Schriften de abroganda missa privata, der tehismus und die Schrift „von ehefihen Sachen“, höchſt wahr: ich aber auch die Nürnberger Kirhenordnung von 1583, der Untere richt der Bifitatoren, die ſachſiſchen Vifitationsartifel von 1533 und viel- it Sutfer’6 formula missae. j In der Zeitſchrift j. Geſch. d. Oberrheins (N. F. 15, 3) läßt Haijer einen Brief Wimpfeling’s an den Straßburger Biſchof Wilhelm von Hontheim abdruden, der Wimpfeling's Intereffe für würdige Ansgeftaltung des
wei nad, dab der Kosmograph Martin Wapenmüller, der Amerika den
Namen gegeben hat, nicht nad) berfömmlicher Annahme in Freiburg, fondern
wahrſcheinuch in Radolfzell zwiſchen 1470 und 1475 geboren iſt. Und
Knod jet feine regeftenartige Zuſammenſtellung der oberrheiniihen Stu—
denten, die im 16. umbd 17, Jahrhundert auf der Umiverfität Padug nad | weisbar find, fort.
A. Boftina macht in der Zeitfhr. j. Geſch. d. Oberrh. 15, 2 (1900) anf einen beſſeren Text der bon Döllinger publicitten Information Dels fing’8 vom Jahre 1558 aufmerkfam.
Der Berfafier einer „Hälliſchen Geſchichte“ Omelin, widmet in Württ. Franten N. F 7, Beil. zu d. Württ. Bierteljahröheften f. Londeb— geſchichte v. Hift. Ver. f. Württ. Frank, 1900, den Geſchicken der Reichs- ‚adt im 16. Jahrhundert eine ausführlide, zunächit bis 1559 reichende Schilderung. Bon bejonderem Interefje find darin die Ausführungen über bie Entwidlung von Brenz, ber mit den Jahren entſchieden von verhältnismäßig ſchwärmeriſchen Ideen zu lirchlich gebundeneren Anfchaus ungen überging. Ebenfo lehrreich ift die genaue Prüfung der Haltung des Raths mit Rüdficht auf jeine jeweilige Zujammenfegung und die Dar ‚stellung der unleidlichen Mißſtände des Interims.
Für die Gefchichte des Fürftbiichofs Julius von Würzburg find die
von Kerler im Archiv d. Hiftor. Ver. v. Franken und Aſchaffenburg 41
} (1899) mit inbaltreihen Anmerkungen herausgegebenen Kalendernotizen des Tuchſcherers Jalob Nöder aus ben Jahren 1598—1618 von erheb« lichem Belang. Sehr tritiſch ift dagegen, wie ber Herausgeber, S. Merle, jelbit betont, die Beſchwerdeſchrift gegen den Bifchof zu betrachten, welche
ii
ei,
556 Notizen und Nachrichten.
©. Riezler zeigt in den Eip.-Ber. d. k. bayer. Atad. d. Billenid., philoi.ephilol. u. Hiftor. Klaſſe, 1900, Heft I, daß der Aufitand der baye- riſchen Bauern im Winter 1633 auf 1634 feineswegs ein Ausläufer der proteftantiihen Erhebung in Oberöfterreih, fondern eine überwiegend felbitändige baieriſche Erhebung war, vorbereitet durch Steuerdrud, harte Belaftung mit Scharwert und drafonijche Jagdgejeggebung, zum Ausbruch gebracht aber allein dur die Einquartirung der bayeriſch-kaiſerlichen Truppen im eigenen Lande nad dem Fall von Regensburg und deren grauendolle Exceſſe. Die Bewegung entitand zwiſchen Jar und Inu, von wo fie fi) gegen Oſten fortpflanzte. Marimilten verſuchte die Bauern zunächſt durch gütliche Verhandlungen unter Iebhafter Theilnahme von Geijtlihen zu beruhigen. Dies führte öftlih des Inn® zum Ziel: weſilich des Fluſſes dagegen wurden die Aufjtändifchen mit Waffengewalt zeriprengt. Im Gegenfag zu feinen Beamten, welche die Tumulte, wie die Bauern felbjt immer betont hatten, weſentlich als Notwehr betrachteten und darum milde ahnden wollten, drang der Kurfürjt ſelbſt auf harte Beſtrafung diefer „Hormaljedition“.
Dene Bäder: Thurnhofer, Bernhard Adelmann von Adelmanns- felden, Humanijt und Quther'3 Freund. (Freiburg i. ®., Herder. 3,20 M) — Paquier, L'humanisme et la reforme. Jeröme Alexandre 1480 & 1528. Paris, E. Leroux.) — Mon. Germ. paedag. XX. Cohrs, Die evangeliihen Katehismusverjuhe aus den Jahren 1522—1526. (Berlin, A. Hofmann u. Comp. 10 M) — Tihadert, Antonius Cominus Leben bzw. Vriefweciel. ? Bde. (Bannover, Hahn. 2,50 M. bzw. 3,60 M.) — A. O. Meyer, Die engliibe Diplomatie in Deutſchland zur Zeit Eduard's VI u. Marien's. Breslau, Marcus. 2 M) — Hildebrand, Johan III. och Europas Katolska makter. ‘Upsala, Almquist & Wiksell.
1643— 1789.
Kür Me Unklardeit und Verworrenbeit aller veriaſſungsrechtlichen Ber bältmiie im deurſchen Neih um die Mitte des 17. Jabrhundert® gibt es taum ein beiieres Beiſdie: als den Kaneriich-piälziihen Bifariatsitreit, mit deſſen Antangen 1657 59 sich eine Müncener Tiiiertation von 8. Loru abgedruck: i. d. Forich. z. Geſch. Baiernd 7.) Die Schrift
be Seite Ned Streites fo gut wie unberüdiichtigt, was i ſich. eingebend darzulegen, wie vrälziihen Kurfüriten auf die zt Stuands einwirkte. Es iſt dem & :5chir unerauicklichen Materie medr it die Vernachläſſigung gerede !iinen guten Eindrud auf den
558 Notizen und Nachrichten.
der Abtretung ausdrüdiih als weltlihen Befig der Bisthümer zu definiren, und die Franzoſen jahen in diefer Nachgiebigkeit eine Aner— tennung ihres Standpunftes, daß die Abtretung der Bisthümer ſich nicht nur auf den weltlihen Befig, fondern aud auf den geiftlihen Wirkungs— treiß erftrede. Der Wortlaut bes Vertrages gibt der Reunionstheorie ein gewiſſes Recht, was von beutjcher Seite bisher nicht beachtet worden it. In Nymmwegen begnügte man fid, da eine Einigung iu diejer Frage zwiſchen den kaiſerlichen und den franzöfiichen Vertretern nicht zu erzielen wer, mit der Beftätigung des Weftfäliichen Friedens, was den Franzoſen natürlih als eine Belräftigung ihrer Anfhauung erjdeinen mußte. In welder Weije dann Louvois, unterftügt von dem Parlamentsrath Ravang, das Prinzip der Reunionen zur Anwendung brachte, wie er, durch den Erfolg ermuntert, noch darüber binausging und ohne eine Spur vor rechtlichen Anſpruch annektirte, da8 zeigt Kaufmann an der Hand ber Meger Archivalien in ausführliher Weile. Der Verfafier hat fi durt feine fleißige Unterfuhung ein Verdienjt um die Uufhellung der vermwidelten Nechtsverhältnifje zwiſchen Deutſchland und Srankreih im 17. Jahrhundert erworben.
Die nah Wiener Archivalien gearbeitete Schrift des Frhrn. v. Biſchoffs⸗ haufen, Papſt Wlerander VII. und der Wiener Hof 1689—1691 (Stutt: gart u. Wien 1900, 188 S. gibt im einzelnen zu feinen Bedenken Anlap. gelangt aber zu einem Rejultat, dem der Referent nur mit ſtarkem Bor: behalt zuitimmen fann. Der Berfaiier erfennt die Urſache der Zwiitigteiten Alexander's mit dem Wiener Hof vor allem in dem Bejtreben de? Rapites. den langjährigen firhenrectliben Streit mit Frankreich beizufegen, und er jtellt deshalb Alexander dem franzojenjeindlihen Innocenz XI. gegen: über. Damit jind die beiden Verſönlichkeiten indes nicht richtig gelenn: zeichnet. Auch Innoceny war von dem Wunſche erfült, unter Rahrung der Rechte des beiligen Siuhles jih mit Qudwig XIV. zu verjöhnen. In dieier Hinſicht beitcht kaum ein Unterihied zwiſchen beiden Räpiten, ein icharier Gegeniaß aber beiteht, von unbedeutenderen Momenten abgeieten, in ibrer auswärtigen Politik. Innocenz trat mit aller Energie für den Türkenkrieg ein, den Veorold erf-tgreich führte und den Ludwig zu bemmen ſuch:e. Alexander gab Diele Türkenpolitif auf, obwohl er zu den Br zründern der beiligen Alien; zerert hatte, und beichränfte ſich Darauf, nur ezu idn feine Stellung als Oberbaupt der Ne Rügñcht fort, die ſeinen Vorgänger in rabt und zur Unterſtüßung des Kaiſers be J. i: des Abbe Dubois jind Bliard' = Abihluß der Triplealian; von
Angaben über die natürlichen Grenzen (Grenzbäde \ Geh Yen Wang —— end van 5 50 ng a kn me '
deſſen Auftheilung in ve Berögeriäte Sa
I nd Sohle Geſch⸗ Forſch. 21, 3) vor. gelommen, daß auch im Steiermark Sandgerichtöfprengel aus der Periplitterung
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der Grafichaftögebiete herporgegangen find, und verwerthet bemnad be Grenzbeſchreibungen der Landgerichte für die Rekonſtruktion ber altır Grafihaftsgrenzen. Als Beifpiel iit gewählt der für 895 bezeugte comi- tatus Liupoldi an der Mur, mit Judenburg etwa als Mittelpunkt. Gründlih und lehrreich, leider etwas undurchſichtig, wird dann der Zer⸗ fplitterungsproceß, die Bildung der einzelnen Landgerichte und Burgfriede dargejtellt. Der Berfafier jegt bei den Fernerſtebenden zu viel lokale Kenntnis voraus und müßte fih für die Fortſezung feiner Arbeit vor allem jeinen unſchönen k. u. f. Bureauſtil abgewöhnen. Die Karten probe ijt ganz vorzüglih: nur vermißt man die Lage der Meineren Ort ſchaften.
Neue Bäder: Eſcher und Schweizer, Urkundenbuch der Stadt und Landſchaft Zürich. V. 1. (Zürich, Fäſi und Beer.) — Welti, Tas Stadtrecht von Baden. Samml. ſchweizer. Rechtsquellen. Aarau, Sauer länder.) — Merz, das Stadtrecht von Brugg. (Ebenvort.; — Gariter, Das Strafrecht der freien Reichsſtadt Speier in Theorie und Praris. Breslau, Marcus. IM.) — Tille, Die Benediftinerabtei St. Martin b. Trier. (Zrieriiches Archiv, Heft IV.} (Trier, Ling.‘ — van Rijswijk, Gesch. van het Dordtsche Stapelrecht. ("sGravenhage, Nijhoff.. — Seelig, Tie geſchichtliche Entwidlung der Hamburgiihen Bürgericait und die Hamburgiihen Notabeln. (Hamburg, Gräfe und Eillem. 7 M. — Hänfelmann, Urfundenbud der Stadt Braunſchweig II. 3. 1316 bis 1320.) (Braunihmweig, Schwetihte und Sobn. 16,40 M\ — Ber: öffentlihungen zur Geſch. d. gelehrten Schulweſens im Aibertiniihen Sadien. I. ‚Leipzig, Teubner.) — Schmelzle, Ter Staatshausbalt dei Herzogthums Bayern im 18. Jahrh. (Stuttgart, Cotta. IM. — Ilwoi, Der Protejlantigmus in Steiermark, Kärnten und Krain Graz, Yerlam. 3,20 Kr. — Plehn, Geſch. des Kreiſes Strasburg in Weitpreufen. (Publ. des Vereins i. d. Geſch. der Provinzen Lit: und Beitpreuger Leipzig, Tunder und Humblot. 3,80 M.
Bermifdtes.
Am 5. und 6. Juni fand zu Göttingen die 2. Jahresveriammlung des Hanſiſchen Geſchichtsvereins, gleichzeitig mit der 25. bei Vereins für niederdeutihe Spradhforihung itatt. Kauimann- Breslau begann die Reihe der Vorträge mit einer Erörterung über die wecjelnde Beurtheilung, die die engliihe Verfaſſung in Teutichland ge: funden hat und ihren Einfluß auf die deutiche Entwidlung. R. Schröder Heidelberg erläuterte den lan des von der preußiihen Alademie der Biffenihaft vorbereiteten Wörterbuch der älteren deutihen Rechtéſprache. für das er cine etwa zwölijährige Arbeitzeit veranſchlägt. Außerdem ſprach Borchling-Göttingen über die in der dortigen Univerfität@bibliotgel auf
im Alter von 64 Jahren der Profeſſor Sein wiſſenſchaftliches Lebenswert Hat
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der Erſchliehung ber Kapitularien der fränkiſchen Könige gegolten. Ihm it bie Ebition ihreß 1. Bandes in den Monumenta Germaniae zu ver- danken, und feine barjtellendben „Beiträge zur Kapitularienkritik“ (1874) hatten die allgemeine Anerkennung gefunden, bis kürzlich endlich Seeliger eine Revifion der Boretius'ſchen Eintheilung ber Kapitularien einleuchtend begründete.
Am 7. Auguft wurde der noch jugendlide Berliner Privatdozent Paul Voigt durd Abſturz in den Schweizer Bergen jäh bahingerafit. Seine Studien zur Wirthichaftsgefchichte des 19. Jahrhunderts zeigten ihn als ein friſch aufftrebendes Talent.
Dem am 24. Juli im Alter von 80 Jahren gejtorbenen franzöſiſchen Geſchichtsſchreiber Jules Zeller widmet G. Monod in der Rev. hist 74, 1 einen kurzen Nachruf.
Die Berliner Akademie der Wiſſenſchaften rüftet eine auß dem Alte höchſten Dißpofitionsfonds unterjtügte volftändige, auch die Korrefponden; unfafiende Ausgabe der Werke Wilhelm von Humboldt’8. Dafür fteuern Humboldt's Nachkommen die handfchriftlihen Schäge von Schloß Tegel bei, und ber politifchen Wbtheilung wird das Berliner Staats— archiv dienen. Den verftreuten Briefen ift feit geraumer Zeit Herr Profefior Dr. Leigmann in Jena nachgegangen. An alle Beſitzer Humboldtiſcher Handicriften, an Privatperfonen und Anftitute ergeht von Seiten der Akademie die dringende Bitte, das Unternehmen durch freundliche Mit- theilung zu fördern.
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