HOMER IN DER NEUZEIT

VON DANTE BIS GOETHE

ITALIEN FRANKREICH ENGLAND DEUTSCHLAND

VON. .<

EOEG rmsLER

VERLAG VON B. G.TEUBNER ]N LEIPZIG UND BERLIN 1912

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673090

COPTBIGHT 1912 BT B. G. TEDBNEE IN LEIPZIG.

ALLE BEOHTE, KIKSCHLIESSLIOa BBS ÜBEKSKTZUlfGSBECHTS, TOKBEHAIiTBN

YORWORT.

Die Arbeit, die ich liier vorlege, war ursprünglicli als Teil meines Homet' geplant. Es stellte sich aber bald heraus, daß sie den dort ver- fügbaren Raum weit überschreiten würde oder in einer Kürze abgefaßt werden müßte, die kein richtiges Bild hätte geben können. Ich nahm daher das Anerbieten der Verlagshandlung, den Gegenstand in einem besondern Buche zu behandeln, sehr gern an.

Das Buch will bringen, was der Titel besagt, eine Geschichte Homers in den neueren Zeiten bis auf Goethe; also keine Geschichte der all- gemeinen oder der aristolelischen Poetik, so oft auch diese Gegenstände zum Verständnis des Themas herangezogen werden mußten. Auch habe ich keine Bibliographie aller Ausgaben und Übersetzungen beabsichtigt, sondern hier nur das Wichtigste hervorgehoben. Von Vollständigkeit konnte auch sonst keine Rede sein; es war im Gegenteil dringend not- wendig, den gewaltigen Stoff zu sichten und ihm das zu entnehmen, was für die Entwicklung der Erkenntnis Homers Bedeutung hat. Es hat Zeiten gegeben, wie die von Tasso, Boileau, Herder, wo sich jeder gebildete Mensch über Homer aussprach; aber es pflegen sich in solchen Fällen die nämlichen Urteile so sehr zu wiederholen, daß deren Vor- führung ermüdend gewirkt hätte. Dann gab es wieder Schriftsteller, von denen ich jedes Wort, das ich nicht aufnehmen konnte, nur höchst ungern wegließ, und doch durfte das Buch nicht übermäßig anschwellen. In den Inhaltsberichten habe ich nach MögHcheit die Autoren selbst zu Worte kommen lassen und es im ganzen vermieden, über ihre Aus- sprüche eine Kritik abzugeben.

Das Material zusammenzubringen war nicht ohne Schwierigkeiten. Von wertvollen Vorarbeiten nenne ich in erster Linie die Angaben Bernhardys in der Geschichte der griechischen Literatur II S. 116 über die Geschichte der homerischen Poesie in der neueren Zeit, und die Sammlung der Aussprüche über Homer, die Cesarotti seiner Homer- ausgabe 1798 I S. 123 ff. voranstellt; er teilt die Autoren in Lobredner und Tadler ein. Dann hat Dugas-Monbel in der Histoire des poesies homeriques auch den Zeiten vor 1800 einige Beachtung geschenkt; doch

IV Vorwort

war ihm an der Darstellung der Homerkritik seit Wolf melir gelegen. Dasselbe gilt von Friedländers Aufsatz über Schicksale der homerischen Poesie in der Deutschen Rundschau 1886. Für die Querelle des Anciens et des Modernes in Frankreich bot Rigault's Darstellung das Material fast vollständig. Für England verdanke ich am meisten der überreichen Sammlung englischerDichter von Chalm er s 1810. Für das Deutschland des 18. Jahrhunderts hat Lautenbacher in einem Neudruck von Yoß bei Cotta eine gute gedrängte Darstellung gegeben. Zu erwähnen sind femer Braitmaiers Aufsatz Über die Schätzung Homers und Virgils von Scaliger bis Herder 1885, wo einige der wichtigsten Schriftsteller aufgeführt sind, und Stemplingers Studien mm Fortleben Homers, (Studien zur vgl. Lit. Gesch. 1906), die mit Vorsicht benutzt werden müssen. Eine kurze und treffende Darstellung der Schicksale Homers in den neueren Jahrhunderten gibt U. V. W^i lamowitz-Moellendorffinden Ho merischen Untersuchungen 1884 S. 388. Was ich sonst benutzt habe, ist im Literaturverzeichnis aufgeführt. Die Hauptsache war, die Bücher selbst zu Gesichte zu be- kommen und durch ihre Angaben weiter geführt zu werden. Was die reiche Stadtbibliothek in Zürich nicht enthielt, deren Schätze mir bereitwilligst nach Bern gesandt wurden, vermittelten mir die Herren Bibliothekare Dr. H. Weber in Zürich und Professor Dr. v. Mülinen in Bern. Englische Literatur, die auf dem Kontinent nicht leicht auf- zutreiben war, erhielt ich durch Vermittlung meines Kollegen Herrn Dr. E. Renfer dank seinen Verbindungen in Edinburg. Allen diesen Herren spreche ich für ihre vielen und großen Bemühungen den verbind- lichsten Dank aus.

Mein besonderer Dank gilt den Herren Professor Dr. 0. Schultheß und Professor Dr. S. Singer in Bern, die mich durch treue Hilfe bei der Korrektur und vielen guten Rat kräftig unterstützt haben.

Bern, im Januar 1912.

Georg Finsler.

INHALTSÜBEKSIOHT,

DAS MITTELALTER.

Spuren von Kenntnis Homers unter den Karolingern und Otto- n e n. Kloster Reichenau : Walahfrid Stra- tus. Gunzo. Ekkehard Waltharius 1.

Spätrömis che Dar Stellungen der Trojasage. Ilias Latina 2. Dictys von Kreta: der trojanische Krieg als histo- rischer Roman 3. Dares : die troische Ge- schichte als Chronik 6. Mittelalterliche Trojadichtung: Benoit de Sainte-More; i

die Troilus-Episode. Konrad von Würz- burg. Herbort von Fritzlar. Guido delle Colonne. Die Kenntnisse des Mittelalters von Homer bei Chaucer 8.

Byzanz. Wiedererweckung der Altertumswissenschaft 9. Tzetzes Interpretation und allegorische Deutung Homers 10. Eustathios Homerkommentar; ästhetisch -poetische Interpretation 13.

ITALIEN.

Dante. Der Tod des Odysseus 15.

14. Jahrhundert. Petrarcaunddie «rste Bekanntschaft mit Homer. Barlaamo. Sigeros 15. Boccaccio. Pilato und die erste lateinische Überset- zung Homers. Ihre Wirkung bei Boc- cacio Genealogia deorum 16, bei Benve- nuto da Imola und Petrarca. Homer ohne Einfluß auf die Epik Petrarca's und Boc- «accio's 17. Vergleichung Homers mit Virgil: Servius. Macrobius. Petrarca 18. Geringe Fortschritte der griechischen Stu- dien 19.

15. Jahrhundert. Die neue Bil- dung in Florenz. Aufblühen der griechischen Studien: Poggio. Bruni. Berufung des Chry soloras. Salutato 20. Paradiso degli Alberti. Sammlung grie- chischer Bücher: Scarparia. Tätigkeit des Chrysoloras 21. Übersetzungen der Griechen ins Lateinische. Loschi. Bruni's Übersetzung in Prosa; Prinzipien der Übersetzung 21 f.

Griechische Bücher in Italien. Reisen nach dem Orient. Guarino. Aurispa. Ciriaco der erste Hellenist Ita-

liens 23. Der Florentiner Kreis: Co- simo de' Medici. Niccolö de' Niccoli. Filelfo 24. Marsuppini und die erste Homerübersetzung in Hexametern. Be- geisterte Dedikation an Papst Nicolaus V. Einfluß von Plutarchs Buch über Homer 24 ff.

Nicolaus Y. und die neue Bil- dung. Übers etzungenrOrazioRomano. Filelfo's Odyssee. Decembrio27. Lorenz© Valla Übersetzung der Ilias in Prosa 28. Fortsetzung durch Francesco Aretino und Raffaello da Volterra. Niccolo dellaValle. Janus Pannonius 29.

Mantua:VittorinodaFeltre.Ferrara: Guarino 29. Theodoros Gaza. Basini und das nationale Epos Hesperis. Sigismondo Malatesta als nationaler Held 30.

Lorenzode' Medici. Poliziano. Pfle- ge der Vulgärsprache, Pulci. Griechische Studien: Argyropulos. Demetrios Chal- kondyles 33. Erster Druck Homers 1488. Polizian's Übersetzungen Homers 34. Ur- teile darüber: Ficino, Jacopo von Pavia. Polizian's Praelectionen , Abhängigkeit

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Inhaltsübersicht

von der antiken Tradition 35. Die Ambra nnd der Preis Homers 36. Die Silvae, Einfluß Piatons. Urceo Codro 38. Savo- narola über Poesie, Piaton über Homer 39. Boiardo und der neue Romanzo 40, Verhältnis zu Homer 41. Ariost: hat er Homer gekannt? Parallele zwischen Homer und Ariost 42. Der Zorn des Hel- den bei Boiardo, nicht bei Ariost 44. Homerische Züge bei Ariost 45.

16, Jahrhundert. Ausgedehnte Kenntnis des Griechischen. Strö- mungen der Zeit 46. Ausgaben Ho- mers: Venedig, Florenz, Rom. Erster Druck des Eustathios. Übersetzung des Andreas Divus 47.

Poetische Theorie, im 15. Jahr- hundert wenig hervortretend 47. Horaz Ars Poetica; im Anschluß daran Vida'a Poetica, das erste Lehrbuch der Poesie 48. Parallele zwischen Homer und Virgil. Fehler Homers 49 über Homers Gleich- nisse 50.

Das christliche Epos. Juvencus Euangelia 50. Vida Christias. Ersetzung der antiken Geisterwelt durch Himmel und Hölle 51, in Anlehnung an ein Pas- sionsspiel 52, Vida dem Altertum eigent- lich feindlich; klerikale Färbung des Gedichtes. Sannazaro De Partu Virginis 54,

Die Poetik des Aristoteles wird bekannt. Ausgaben und Kommentare. Zweck und Wirkung des Buches 55. Aristoteles Zuchtmeister der Poesie 56. Trissino wider den Romanzo. A u f b 1 ü h en der italienischen Kunstsprache. Bembo. Trissino's italienisches Epos Italia liberata 67. Alamanni L'Avarchide 60 Der Kampf für das Recht des Romanzo wider die Aristoteliker Giraldi Cinthio. Homers Vorbildlichkeit bestritten 60 ff. Pigna 62. Mintumo. Die Theorie zum Dogma geworden 63.

Homer und Virgil. Capriano. Mure- tus. ürsinus. Erste Versuche einer italienischen Übersetzung Homers 64.

Tasso und das neue nationale Epos. Dessen theoretische Begründung- in den Discorsi 65. Die Gerusalemm& Liberata. Himmel und Hölle 67. Der Zorn Rinaldo's 68. Castelvetro's Kritik an Aristoteles 70. Der Streit um die Gerusalemme. Pellegrino stellt Tassa über Ariost; heftiger Widerspruch der Crusca; Salviati 73. Lombardelli 75. un- günstige Wirkung des Streites auf die Schätzung Homers 76. Patrici für Ariost gegen Aristoteles und Homer 76, Tasso'» Antwort 77, Die Gerusalemme Conqui- stata ; die Liberata durch Einfügung ho- merischer Partien zerstört 78 ff. Gior- dano Bruno: Genie und Regeln 81,

17. Jahrhundert. Paolo Beni für die Italiener wider Homer 82. Homers Nimbus ganz verblaßt. Tassoni's Kritik an Homer 85. Erste Parallel© zwischen Antiken und Modernen 87. Die Secchia rapita 88. Fioretti wider Homer. MarinO'

I Kenner des Griechischen und Bewunderer Homers. Verwendunghomerischer Motive

I 89ff. Epos des 17. Jahrhunderts. Graziani 92. Der Zorn Altabruno's 93.

i Travestie Homers: Loredano. Wissen-

I Schaft und griechische Studien im 1 7 . Jahr-

I hundert 94.

18. Jahrhundert. II Risorgimen- to. Erneutes Studium des Griechi- schen und Homers 94. Martorelli. Die Arcadia. Stellung Homers in den ästhe- tisch-moralischen Bestrebungen. Verhält- nis der Italiener zu den Kämpfen in Frankreich. Salvini's erste vollständige Übersetzung Homers ins Italienische 95. Übersetzungen: Maffei, Brazolo, Bozzoli in der Stanze Ariosts 96. Homerische Kolonie Neapel. Caloprese. Gravina und die herrschende Poetik. La Ragione poe- tica 97. Urteil Gravina's über Homer 98. Homer und Virgil bei Gravina 99. Mura- tori Lehrbuch des guten Geschmacks. Muster Tasso. Das verisimile nobile. Homer und Virgil. Stellung zu Perrault und Boileau 100 ff'. Metastasio Stellung zu Aristoteles 103. Ricci Erklärer und

Inhaltsübersicht

VII

Apologet Homers 104. Conti Homerische Charaktere 105. Andres Einteilung der Literatur nach Perioden. Homer und Virgii 106 f.

Vi CO. Homer zuerst als Wiederher- steUer der primitiven Grundgedanken der Poesie 108, dann als Symbol für die dichtenden Völker 109. Verhältnis zu d'Aubignac 110.

Cesarotti. Übersetzung Ossian's. Os- sian steht über Homer. Opposition gegen die übertriebene Bewunderuner Homers

i 111. Übersetzung der Ilias in Prosa und Versen. Ausgabe mit kritischem und ästhe- tischem Kommentar, durch die Franzosen beeinflußt 112. Kritik Vico's,d'Aubignac'8

1 und Wood's 113. Gegen Blackwell's Mi- lieutheorie. Über Homers Bedeutung 114. Probe aus dem Kommentar 115. Her- vorragende Studie über den Schild des Achilleus 116. UgoFoscolo Prinzipien der Übersetzung. Probe einer Überset- zung 117. Monti Übersetzung der Ilias. Pindemonte Odyssee 118.

FRANKREICH UND DIE NIEDERLANDE.

16. Jahrhundert. Verhältnis zu Italien. Stellung Homers. Jean Le- maire de Beiges. Abkunft der Franken. Kritische Sichtung des Stoffes. Polemik gegen Dion von Prusa. Homer nach Lorenzo Valla. Homer als Geschicht- schreiber. Paris und Oenone 119 tf. Samxon erste französische Übersetzung. Primaticcio's Gemälde in Fontainebleau. Rabelais Bekämpfung der allegorischen Deutung 122. Montaigne 123.

Studium des Griechischen. Dorat 123. Ausgaben Homers: Straßburg und Basel 124. Turnebus und Henri Estienne. Spondanus ästhetischer Kommentar. Feith Antiquitates Homericae 125. Casaubonus zu Athenaeus. Übersetzung von Salel und Jamyn 126.

PI e lade. Du Bellay über die Über- setzungen. Forderung eines französischen Epos 127. Pelletier erste französische Poetik. Homer und Virgii. Abhängig- keit von Vida 128. Ronsard Franciade. Vorrede Auseinandersetzung mit Tasso

129. Zweite Preface; Wendung von Ho- mer zu Virgii. Aufnahme der Franciade

130. Du Bartas Judith. La Semaine 130 f. Vauquelin de la Fresnaye Poetik 181. Aristoteles in Frankreich. Pelletier. Ronsard. Vauquelin 132. Über- setzung von Certon 133.

Julius Caesar Scaliger 133. Norm der Poesie Virgii 134. Dessen Überlegen-

heit über Homer 135. Urteil über den Achilleusschild 137. Bedeutung des Bu- ches für die Latinisierung der Bildung 138.

Niederlande. Lipsius. Meric Casau- bonus über die Ausgabe des Schrevelius. Verhältnis der Niederlande zu Frankreichl38. Heinsius Ausgabe der aristotelischen Poetik. Über die verdor- bene Überlieferung Homers, Gerhard Vossius Poetik 139. Cluverius homerische Geographie. Bochart und die Lehre von der Abhängigkeit der griechischen Sage von den Phönikern 140.

Verhältnis der alten Mythologie und Homers zur Bibel. Vossius Ur- sprung der heidnischen Religionen im Orient 141. Stillingfleet Spuren der alten Wahrheit in der heidnischen Überliefe- rung 142. Thomassin: die Wahrheiten der christlichen Religion schon bei den Heiden; Wichtigkeit dieser Erkenntnis für den Jugendunterricht; die Wahrheiten von den Hebräern zu den Griechen ge- langt. Entstehung der griechischen Re- ligion 142 f. Croese Stoff und Namen bei Homer hebräischen Ursprungs; der Inhalt der homerischen Gedichte ist die heilige Geschichte 144. Grotius Parallelen zwischen dem alten Testament und Homer. Bogan Parallelstellen. Das Genie von göttlichem Geist erfüllt 145. Meric Ca- saubonus Übereinstimmung Homers mit

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Inhaltsübersicht

der christlichen Lehre. Duport alttesta- mentliche und homerische Sentenzen. Cud- ■worth Monotheismus derAlten; Verderbnis ■der wahren Anschauung durch die Dichter 146. Picinelli Verwendung des Reichtums der Heiden in der christlichen Predigt, ügone Homer als Apokalyptiker 147.

Niederlande. Verdrängung der griechischen Studien durchdiela- teinischen. Gronovius Thesaurus 148.

Gelehrte Spezialarbeiten. Leo AUatius Über das Vaterland Homers. Poem über Homers Geburt 148. Cuperus Apotheosis Homeri. La Saine und Petit über das homerische Nepenthe. Dugas- Monbel über diese Schriftstellerei 149.

Frankreich. Sinken der griechi- schen Studien. Universitätsordnung von 1600. Port Royal und die Jesuiten. Ein jesuitisches Lehrbuch, Homerokentra. Lehrbücher des Griechischen 150. Le €lerc über den Stand der klassischen Studien 151. Homerkenner in Frankreich- Racine und die Remarques zur Odyssee 152. Tanneguy Lefebvre Über Homers Leben. Baillet Jugements des savants. Übersetzungen in Prosa : Du Souhait Ilias ? Boitel Odyssee 154. La Valterie. Homer fast unbekannt 155.

Chapelain Vorrede zu Marino's A d 0 n i s. Kurze Poetik des Klassizismus. Vida's Ratio für die Poesie allein maß- gebend 155 f.

Christliches und nationales Epos. Vorbilder Marino und Tasso. Chapelain's Pucelle 157. Scudery's Alaric 159. Desmarets Clovis 160. Charakter dieser Epen. Das Wunderbare 161. Mo- j itivierung des Eingreifens der Hölle bei ! Desmarets, Scudery, Chapelain. Desma- rets der Homer Frankreichs. Marie Mag- deleine. Le Merveilleux Chretien 162. Desmarets: der Clovis übertrifft die an- tiken Epen. Angriffe auf Homer, nicht a,us Tassoni, sondern aus Rapin 163. Preis der Franzosen. Richtiges Wort über den Achilleusschild 164. Vorrede zum €lovis 1673 165.

Boileau. Kampf gegendie italie- nische Richtung. Beurteilung durch Swift. Longin Genie und Regeln 165. Stellung Boileau's zu Aristoteles. Die Raison. Kampf gegen das moderne Epos 166. Die übernatürlichen Gewalten im Epos. Stellung zum Altertum. Homer 168. Der Lutrin, Parodien zu Homer. Zulassung der antiken Fabelwesen als Ornamente der Poesie 168. Aufstellung von Mustern. Digression gegen Desmarets. Dessen Defense du poeme heroique 169. Le Bossu. Das Epos auf einen Moralsatz gegründet 169. Gegendie Charaktere des modernen Epos 171. Rapin Vergleichung zwischen Homer und Virgil 171. Rapin' s Reflexions 172. Angriff auf Tasso und Marino 173.

Bossuet Verehrer Homers, klare Er- kenntnis über das Wesen der antiken Götter 173. Verlangen nach einem natio- nalen und christlichen Epos. Charles Perrault Saint-Paulin 174. Perrault über Beurteilung der Sitten vergangener Zei- ten 175.

Autorität des Altertums. Entdek- kungen der Neuzeit. Bacon und Descartes 175. Die Lehre vom Fortschritt der Menschheit, Tassoni und Scaliger haben sie nicht 176. Desmarets Übertragung der Lehre auf die Literatur. Gueret und die literarischen Anschauungen der Zeit. Abwesenheit der traditionellen Verehrung für die Antike 177. Boisrobert. Die Perraults 178. Claude Perrault Les murs de Troye. Pierre Perrault Angriff auf Euripides ; Zurechtweisung durch Racine 179. Pierre über Vorbildlichkeit des Altertums, gegen Boileau 180.

Querelle des Anciens et des Mo- dernes. Charles Perrault Le Siecle de Louis le Grand. Angriff auf Homer; seine Quellen 180. Persönliche Veranlassung für Perrault; Zusammenhang mit dem Saint-Paulin 181. Die Gegenüberstellung des Altertums und der Neuzeit eine ge- schickte Falschstellung der Frage; von Boileau durchschaut 182.

Inhaltsübersicht

IX

La Fontaine an Huet. Longepierre Verteidigung des Altertums 183. Fonte- nelle über poetische Form; über allego- rische Erklärung der Götter 184; über den Fortschritt der Menschheit; über den Ursprung und die Entwicklung der Poesie. Digression über Antike und Moderne 185. De Callieres Satire über die Querelle, nach dem Muster von Furetiere Nouvelle allegorique 187. Perrault Parallele des Anciens et des Modernes ; der erste Dialog Ausführung der Ideen Fontenelle's 190. Andre Dacier's Ausgabe der aristoteli- schen Poetik. Polemik gegen Castelvetro. Verteidigung des Achilleusschildes 190. Perrault vierter Dialog. Definition der Poesie. Keine Notwendigkeit, die Dichter im Original zu lesen. Angriff auf Homer, nach Übersetzungen und Rapin 191. Gleichnisse ä la longue queue. Burleske Kritik der Odyssee 192. Das moderne französische Epos. Satire. Persönlicher An- griff auf Boileau; d er Lutrin eine verkehrte Burleske 193 f. Perrault's Anhängerschaft 194. Boileau Reflexions sur Longin, Beurteilung des wahren Wertes eines Werkes durch die Zeit. Die Frage durch Perrault falsch gestellt 195. Fehler Per- rault's 196. La Bruyere. Huet. Wirkung der Querelle unbedeutend 197.

Bayle über das Altertum, Homer und die Querelle 198. Saint Evremond, be- kämpft die Nachahmung Homers. Über ■die Gleichnisse, Poesie der Alten, das Wunderbare und die Querelle. Stand- punkt der Aufklärung 199 f. Le Giere über die Dichter 201.

Die Frage nach der Existenz Homers und die Sammlung durch Peisistratos. Antike Quellen 202. Li- lius Gyraldus und Annius von Viterbo. Erste Erwähnung der peisistratischen Sammlung bei Camerarius und Eoban Hesse. Ablehnung der Nachricht durch Paolo Beni 203. Verwendung durch Scaliger. Casaubonus über mündliche Fortpflanzung der homerischen Gedichte. Sammlung der Zeugnisse über Peisistratos

durch Meursius. Salmasius über die Tä- tigkeit der Rhapsoden; über den Epischen Kyklos 204 f. Perizonius: die Ereignisse zuerst inLiedern aufbewahrt 205. Deutsch- land: Wetstein. Küster. Morhof. Fabri- cius. England: Bentley gegen Collins; Anlehnung an Suidas. Kein Zweifel an einerPerson Homers 206. Frankreich. Ra- pin: falsche Erklärung Aelians. Perrault: Erwähnung d'Aubignac's 207. Boileau: richtige Interpretation Aelians. D'Aubig- nac, die Ilias ein aus Einzelgedichten ver- schiedener Sänger zusammengeflicktes Ganzes, von Lykurg gesammelt, nachher in Verwirrung geraten und von Peisistratos geordnet 208. Wirkung auf Herder, Heyne, Wolf, Zoega 210. Hardouin. Rousseau und Goguet über das Alter der Schrift 211. 18. Jahrhundert. Anne Dacier Über- setzung der Ilias 212. Grundsätze der Übersetzung 213. Regnier Übersetzung. La Motte Übersetzung zum Zweck der Vervollkommnung des Dichters. Der Dis- cours sur Homere 214. Die Übersetzung ein Unikum 218. M™^ Dacier Des causes de la corruption du goüt 219. La Motte Reflexions sur la Critique 220. Fenelon Telemaque. Lettre ä l'Academie. Urteil über die Querelle 221 f. Terrassen. Gänz- liche Verurteilung Homers. Ähnlichkeit mit der modernen Homerkritik. Wider- legung der allegorischen Erklärung. Über den Achilleusschild 223 ff. Gacon gegen La Motte und Terrasson 227. Boivin: ruhige Erwägung der Streitfrage. Zeich- nung des Achilleusschildes 227 f. Bur- leske Literatur. Marivaux Homere tra- vesti. Saint Hyacinthe Chef - d'Oeuvre d'un inconnu. Der Streit versandet. Le Buffier. Friede zwischen M'"^ Dacier und La Motte 229. M«^« Dacier Odyssee. De Pons. Fourmont. Die Entdeckungen des Pere Hardouin über den Plan der Ilias und die Theomythologie 230. M°^« Dacier wider Hardouin 231. Urteile über den Streit: Conti. Cartaud de la Vilate 232. Dubos über Poesie und Malerei. Richter über die Querelle 233. Bestrei-

X

Inhaltsübersicht

tung der Lehren von der Raison und dem ewigen Fortschritt 234, Theorie des Milieu. Wider die Kritiker der Alten 235. Einwirkung von Locke, Wotton, Dryden.

Voltaire Henriade. Die zwei Redak- tionen des Essai sur la poesie epique 237. Urteil über die Querelle. Spätere Urteile über Homer 239. Die Pucelle 240.

Besseres Verständnis Homers in der zweiten Hälfte des 18. Jahr- hunderts. Rousseau. Batteux 241. Der Aufbau der Ilias. Über die Fehler Homers

242. Diderot über die Übersetzungen; Großartigkeit und Einfachheit Homers

243. Marmontel Poetik. Ringen nach Befreiung vom Klassizismus 245. La Harpe trägt das klassizistische System nochmals vor 246.

Übersetzungen. Bitaube. Rochefort. Discours sur Homere 247. Über home- rische Psychologie und die Irrfahrten des Odysseus 248. Le Brun. Angebliches Manuskript über Homer. Gin. Homer- verse bei andern Dichtem verwendet 249. Mercier gegen die Übersetzungen. Schich- tentheorie 250.

Steigendes Interesse für Homer. Grimm. Die Academie fran9aise : Arnault. M'"« Roland 251. Gelehrte Arbeit: Boivin.

Massieu. Chabanon. Archäologische und kunsthistorische Studien 251. Guys' Reisen. D'Hancarville Homer und die Kunst 252. Goguet die homerische Welt; die Kunst des Achilleusschildes. Caylus Forderung der historischen Form in der Malerei 254. Barthelemy Reise des jungen Anacharsis 255.

Reisen in der Troas. Belon findet Troja in Alexandria Troas. Belurger. Sandys : die Ebene vor Sigeion die Stätte des alten Troja. Della Valle für Alexan- dria Troas 256. Spon und Wheler. Lady Montague: die Lage Trojas in der Ebene gesucht. Pococke besucht Hissarlik 257. Wood über die troische Ebene. Chandler. Choiseul-Gouffier : erste wissenschaftliche Erforschung der Troas; findet Troja auf der Höhe hinter ßunarbaschi 258 f. Le- chevalier veröffentlicht die Resultate Choiseul's als seine eigenen 260. Bryant gegen Lechevalier. Der troische Krieg, der eigentlich nach Ägypten gehört, von Homer in der Troas lokalisiert. Heyne. Lenz Zusammenfassung der gewonnenen Resultate 261.

Villoison Ausgabe nach dem Mar- cianus A mit den Schollen 262. Andre Chenier 263.

ENGLAND.

16. Jahrhundert. Morus Homer bei den Utopiern. Griechische Studien in England 265.

Literarische Kritik zunächst über englische Sprache und Versifikation. Wat- son. Daniel. Kenntnis des Aristote- les und der Italiener. Harington über Ariost 266. Ben Jonson 267. Bacon über Poesie; über die Weisheit der Alten; Be- deutung der Mythen 267 f. Kenntnis Homers : Wilson. Ascham 269. Gosson's Angriff auf die Poesie 270. Sidney's Verteidigung. Benutzung Scaligers 271. Webbe. Puttenham. Einfluß Castelvetro's 273.

Übersetzungen. Watson. Hall 274. Chapman; Homer in die englische Lite- ratur eingeführt 275.

Shakespeare: hat er Homer gekannt? Die Entwicklung der Troilus- Episode: Chaucer, Lydgate, Caxton, Lefevres 276.

17. Jahrhundert. Epische Dich- ter. Spenser: freie Nachbildung Ariosts. 276. Allegorien. Kenntnis Homers 278. Götterwelt. Spenser über Imagination 279. Historisch-nationale Stoffe des Epos. Warner. Daniel 280. Drayton 281. Wendung der Poesie zu ro- mantischen Stoffen. Chalkhill 281. Hannay. Kynaston. Chamberlayne

Inhaltsübersicht

XI

282. Freiheit dieser Dichter von der poetischenTheorie. Änderung um die Mitte des Jahrhunderts. Cowle j. Dessen Davideis nach dem Muster von Marino's Adone 284. Davenant for- dert Freiheit des Dichters von Mustern 285. Der Gondibert; dessen moralisch- politischer Zweck 286. Hobbes Begren- zung der poetischen Freiheit durch die Wahrscheinlichkeit. Milderung dieser Forderung in der Vorrede zur Überset- zung 28 7. Hobbes' Übersetzung. Ogilby's Übersetzung 288.

Milton 288. Der Blankvers. Die übernatürlichen Gewalten: Milton und Boileau. Der Satan. Milton über seinen Stoff 289. Milton und Homer 290. Milton und die antike Poesie. Dryden über Milton 291.

Zeit Karls IL Eindringen des französischen Klassizismus. Mora- lische Allegorie Spenser's bei Bunyan 291. Phillips Theatrum poetarum. Ver- kündigung des poetischen Genies. Rymer und die Reflexions Rapin's 292. Ros- common. Buckingham erste englische Poetik; Preis Homers und Le Bossu's 293.

Dryden. Annus Mirabilis. Charakter Dryden's 294. Heroic Play. Der Zorn Almanzors. Über Freiheit des Dichters und Kritik 295. Später stärkere Beein- flussung durch Aristoteles 296. Vorreden zu den Übersetzungen. Vergleichung Homers mit Virgil, wechselndes Urteil 297. Widersprüche bei Dryden. Dryden der erste laute Verkünder des Genies 299.

Blackmore Prince Arthur. Abhängig- t von der Kritik und von Virgil 299 f. irkungen derQuerelle desAn- ciens et des Modernes. Temple's Essay 300. Der Aufsatz Of Poetry. Schiefe Urteile über die Dichter und wirkliches Verständnis für Poesie 301. Wotton. Sachliche und richtige Erörte- rung der Streitfrage. Theorie des Milieu. Auseinandersetzung mit Perrault 302 f. Blackwall 303. Bentley's Dissertation über die Briefe des Phalaris und die

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Fabeln Aesops. Aufruhr im gebildeten Publikum: wahrscheinliche Ursache das Auftreten der historischen Kritik. Swift A Tale of a Tub 304. Battle of Books 805. Scriblerus Peri Bathous. Poetik der Modernen 308.

18. Jahrhundert. Aufschwung der griechischen Studien. Ausgaben Homers. Barnes 309. Bentley. Entdek- kung des Digamma. Clarke. Potter's Archäologie. Geddes Homer Vorbild der griechischen Schriftsteller 310.

Kampf gegen die herrschende Unmoral. Shaftesbury's ethisch-ästhe- tischer Standpunkt. Forderung der Selbst- erkenntnis für den Dichter 311 f. Dennis 313. Addison 315. Über Milton 316. Genie und Regeln 317. Natur- und Kunst- poesie 318. Kleine epische Dichtungen der Zeit 319. Addison über das Ver- ! gnügen der Alten und Neuen an den an- tiken Dichtungen 320.

Pope und der Regelzwang. Essay on Criticism 320. Parnell Essay on the different styles 322. Homer in Pope's Ge- dichten. Temple of Fame 322. Locken- raub 323. Übersetzungsversuche 323. Pope's Homerübersetzung. Parnell's Essay über Leben und Schriften Homers 324. Pope's Vorrede zur Übersetzung 325. Die Übersetzung 326. Aufnahme bei den j Zeitgenossen 327. Essay Über Homers I Schlachten 328. Homer archaisierend I 329. Spence über Pope und Homer 330. I Blackwell's Enquiry 332. Theorie i des Milieu 333. Naturpoesie und Im- j provisation 334.

I Entwicklung des 18. Jahrhun- I derts 335. Epische Poesie. Glover ! Leonidas 336. Wilkie Epigoniad 337. ! Theorie der Sage und der Entstehung des Epos 338. Der Zorn des Diomedes 339. WiderdieRegeln340. Wel8ted341. Erschütterung des Klassizismus. ' Samuel Johnson 341. Warton 344. Ver- suche der Ausgleichung. Blair 344. Beat- tie 345. Die neue Ästhetik. Hume und die Empfindung des Schönen 346.

I

XII

Inhaltsübersicht

Burke vom Erhabenen und Schönen 347. Home Elements of Criticism 348. Hurd Horaz Ars Poetica kein Lehrbuch 350. Über Nachahmung 351. Für den goti- schen Romanzo 353. Brown und die Regeln des Aristoteles 355. Young über Originalkomposition 355 Gray Lydgate und Homer 356.

Kenntnis wenig beachteter Li- teraturgattungen. Lowth Hebräische Poesie und Homer 356. Balladenpoesie. Philips 359. Ramsay. Warton. Gray, Percy Reliques 360. Ossian 361. Ossian

ein verbesserter Homer 362. Blair über Ossian 363. Beattie's Minstrel 364.

Brown Entstehung des Epos nach ethnologischen Gesichtspunkten. Vergleichung mit Piaton 365. Wood das Originalgenie Homers nach eigener Anschauung des Orients 368. Pinkerton Original und Nachahmer 372. Walpole 373. Knight 374. Verhältnis zum Altertum in England 374.

T w i n i n g Aristoteles wider den Klassi- zismus 374. Cowper Übersetzung Ho- mers 375.

DEUTSCHLAND UND DIE SCHWEIZ.

IG. Jahrhundert. Erasmus. Homer im Jugendunterricht 377. Hütten 379. Studium des Griechischen. Schwie- rigkeiten. Melanchthon 379. Homer als Vorbild der Lebensführung. Melanchthon 380. Luther 381. Camerarius Homer als Lehrer der Weisheit 381. Reformierte Schweiz. Zwingli. Collinus. BuUinger und die zürcherische Schulordnung 382.

Übersetzungen. Eobau Hesse latei- nische Übersetzung der Ilias in Hexa- metern 383. Lemnius Odyssee 384. Schai- denreißer erste deutsche Übersetzung der Odyssee 384. Hans Sachs Dramen aus der Trojasage 385.

17. Jahrhundert. Studium des Griechischen 386. Seber Wortindex. Sinken der griechischen Kenntnisse 387. Spreng deutche Übersetzung der Ilias 388. Opitz kennt Homer nicht. Caspar Barth wider Scaliger 388. Leibniz, Tho- masius, Kant über Homer 389. j

Epos in Deutschland. Postel der große Wittekind 389. Die listige Juno j 390. Weichmann 391. i

Ayrer Übersetzer von Blackwall; über i die Querelle 391. Haller über Antike j und Moderne 392. Holberg 393.

18. Jahrhundert. Französischer Klassizismus in Deutschland. Gottsched Critische Dichtkunst 393. Kritik des Ottobert. Bemühungen für eine

Übersetzung Homers 394. Probe in Hexa- metern 395.

Bodmer und Breitinger 395. Vor- würfe gegen Breitingers Übersetzungen Homers 396. Vorwurf des Plagiats. Bodmer über das Wunderbare 397. Brei- tinger über die Gleichnisse. Anordnung des Buches nach La Motte 398. Brei- tingers Lehre vom Gleichnis verglichen mit den Auffassungen der französischen und englischen Kritik 399 ff. Homer ein Originalgeist 403. Breitinger Critische Dichtkunst. Natur und Kunstpoesie. Äsopische Fabel 404. Bodmer Poetische Gemälde. Beschreibungen im Epos 405. Dichter und Sittenlehrer. Bodmer und Spence407. Patroclus. Telemach. Sulzer über Entstehung des Epos 409.

Erneuertes Studium des Griechi- schen. Niederlande. Hemsterhuys. Valckenaers Antrittsrede 411. Ausgabe von nias 22 412. Deutschland. Neu- humanismus. Gesner412. Breitinger An- trittsrede 413. Zürcherische Schulord- nung 1772. Schaufelberger. Wyß 414.

Klopstock. Verhältnis zu Vida 414. Der Hexameter nach Vida's Muster 415. Pforta. Klopstocks Gleichnis 416. Bodmer Noachide. Wieland Hermann 41 7. Oberon 418.

Winckelmann Die Griechenschön- heit und Homer 418. Lessing Homer-

Inhaltsübersicht

xiir

Studien 420. Laokoon, Homers Praxis in der Schilderung 421. Schild des Achilleus 422. Schönheit und Häßlich- keit, Helene und Thersites 423. Wirkliche Praxis Homers 424. Die Einholung der Toten 425.

Eifriges Studium des Griechi- schen. G. F. Meier. Homerausgaben Ernesti, Niemeyer, Wetstein. Goethe an Sophie La Roche 42G. M«"« Dacier und Pope in Deutschland. Von Loen Reise- geschichten. Einfluß von Guys, Young, Wood 427.

Die neue Erkenntnis Homers. Hamann 428. Herder über Erforschung des Griechentums 429. Kritik des Lao- koon 430. Klotz Epistolae Homericae. Kritik Lessings und Herders 432. Herdei über Verständnis Homers; historische Auffassung. Lebendiger Vortrag. Im- promptus 433. Sage. Volksdichter 434. Homers Weisheit und Humanität. Ossian und Homer 435 f. Gerstenberg 436. Goethe437. Stolberg. Hainbund. Lavater 438. Merian Wissenschaft und Poesie 439.

Übersetzungen 440. Form der Über- setzung. Gottsched. Breitinger. Damm. Bodmer. Mendelssohn. Lessing. Klotz.

Herder 441. Goethe von der Prosa-Über- setzung. Klopstock. Bürger 442. Stolberg- 443. Bodmer. Voß 444. Schlegel über Voß 446. urteil Goethes 447.

Goethe und Schiller. Nausikaa,. Epistel, Dias und Odyssee 447. Hermann und Dorothea. Schlegel über bürgerliches- Epos 448. Briefwechsel Goethes mit Schiller. Studien über das Epos. Ver- hältnis zu Aristoteles 449. Achilleis 450. Schiller 452. Naive und sentimentalische Dichtung 453. W. v. Humboldt über Hermann und Dorothea, Homer und Ariost; heroisches und bürgerliches Epos- 454.

Homer frage 458. Heyne. Allegorie und Symbolik. Achilleusschild. Schätzung Homers 458 ff. De Pauw und Merian über das Alter der Schrift 462. F. A. Wolf 463. Herder Homer ein Günstling der Zeit 464. Cesarottiüber Wolf 465. Stel- lung der Dichter zu Wolf. Goethe. Schiller 466. Wieland. Wechselnde Haltung^ Goethes 467. F.Schlegel über homerische- Poesie 468. Goethe 470. Schubarth. Lange. Homer wieder Homer 471. Die- Romantik. Platen 472.

Ausblick 473.

LITERATUR.

Die hier aufgeführten Werke sind in den Einzelnachweisen nur mit dem Namen des Verfassers zitiert.

J. Baechtold Geschichte der deutschen Literatur in der Schweiz Frauenfeld 1892. L. Bertrand La fin du classicisme et le retour ä Fantiquite Paris 1897. K. Borinski Die Poetik der Renaissance Berlin 1886. F. Braitmaier Geschichte der poetischen Theorie und Kritik von den Diskursen

der Maler bis auf Lessing Frauenfeld 1888.

B. tenBrink Geschichte der englischen Literatur. 2. Aufl. von A.Brandl. Straß-

burg 1899.

F. Brunetiere Manuel de l'histoire de la litterature fran9aise Paris 1898. L'ävo-

lution des genres Paris 1898.

C. Bursian Geschichte der klassischen Philologie in Deutschland München 1883. M. Cesarotti Llliade di Omero Padua 1786.

A. Chalmers The works of the English Poets from Chaucer to Cowper London

1810. A. Darmestetter und A. Hatzfeld Le 16™* siecle en France Paris 1878.

E. Egger L'Hellenisme en France Paris 1869. Memoires de litterature ancienne

Paris 1862. S. 164: Les traductions d'Homere. A. Gaspary Geschichte der italienischen Literatur Berlin 1885. P. Hamelius Die Kritik in der englischen Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts

Leipzig 1897. H. Hettner Geschichte der französischen Literatur des 18. Jahrhunderts. 5. Aufl.

von H. Morf Braunschweig 1895. Geschichte der englischen Literatur

1660 1770 Braunschweig 1856.

G. Lanson Histoire de la litterature fran9aise 7. ed. Paris 1902.

H. Morf Geschichte der neufranzösischen Literatur I Straßburg 1898. H. Morley A first sketch of English literature London 1892.

F. Pauls en Geschichte des gelehrten Unterrichts auf den deutschen Schulen

und Universitäten. 2. Aufl. Leipzig 1896. H. ßigault Histoire de la Querelle des Anciens et des Modernes Paris 1859. G.Saintsbury A history of criticism and literary taste in Europe Edinbnrg 1902. J. E. Sandys A history of classical scholarship Cambridge 1908. A. Schroeter Geschichte der deutschen Homer-Übersetzung im 18. Jahrhundert

Jena 1882. J.E. Spingarn A history of literary criticism in the Renaissance New- York 1899. Storia d eil a litter atura italiana. Mailand Rossi II Quattrocento. Flamini II

Cinquecento. Belloni II Seicento. G.Voigt Die Wiedererweckung des klassischen Altertums. 3. Aufl. von M.Lehnert.

Berlin 1893. R. Volkmann Geschichte und Kritik der Wolf sehen Prolegomena Leipzig 1874.

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DAS MITTELALTER.

>ie abendländische Kultur hatte im 7. und 8. Jahrhundert ihren tiefsten Stand erreicht. Als sie sich langsam wieder hob, bildeten griechische Sprache und Literatur kein treibendes Element mehr. Sie waren im Abendland so gut wie vergessen. In den Renaissancebe- ßtrebungen der karolingischen Epoche und der Ottonenzeit spielen sie keine irgendwie nennenswerte Rolle. Der Aufschwung, den die byzan- tinische Wissenschaft nach dem 8. Jahrhundert nahm, vermochte den Occident nicht zu befruchten. Es fehlte dafür am rechten Nährboden, und noch, hinderlicher war der Gegensatz der römischen zur griechischen Kirche.

Immerhin muß im 9. Jahrhundert in einzelnen Klosterschulen Grie- chisch getrieben worden sein. Der Abt Walahfrid Strabus von Reichenau erzählt, wie er in diesem Kloster durch mühevolle Studien bis zur Lektüre Homers vorgedrungen ist. Grimald, der den Dichter besonders liebte und sogar dessen Namen angenommen hatte, schenkte Walahfrid 823 eine Handschrift Homers, die er in Aachen einem Griechen aus Konstantinopel abgekauft hatte, und mit der nun Walahfrid unter Leitung von Wetin die langen Winterabende hinbrachte. Er fügt hinzu, an Exemplaren Homers wäre auch sonst kein Mangel gewesen, da Abt Hatto und Erlebald mehrere gekauft hätten, als sie als Gesandte Kaiser Karls beim griechischen Kaiser in Konstantinopel weilten. Daß Gunzo, der im 10. Jahrhundert den Homer nach Deutschland gebracht haben soll, ihn gar nicht gekannt hat, ist von Deutsch erwiesen worden.

Fraglich ist, ob sich inEkkehards prächtigem Gedicht Waltharius Spuren von Homerkenntnis finden. Die einzelnen anklingenden Wen- dungen sind ja sicher auf dem Umweg über Yirgils Aeneis zu ihm ge- langt, und Anklänge in Gleichnissen beweisen nicht viel. Dagegen will der zürnende Hagen etwas näher angesehen sein. Von einem Traume erschreckt, widerrät Hagen dem König Günther den Kampf mit Waltharius. Günther höhnt ihn, daß er gleich seinem Vater feige sei, der ebenfalls mit viel Gerede den Kampf verschmäht habe, worauf sich Hagen erzürnt auf einen Hügel setzt, um dem Kampfe zuzusehen. Nachdem alle Kämpen Günthers gefallen sind, fleht dieser Hagen an, in den Kampf einzutreten; der Weigerung Hagens setzt er das Versprechen reicher Geschenke ent-

Finsler: Homer in der Neuzeit. 1

2 Das Mittelalter

gegen und gewinnt ihn schließlich durch den Hinweis auf die Schande, die es für die Franken bedeuten würde, wenn ihr ganzes Heer einen Einzigen nicht hätte überwinden können. Hagen betont ausdrücklich, daß er nur für den König gegen den alten Waffengefährten kämpfen wolle, und daß ihn dazu auch die Rache für seinen erschlagenen Neffen Patavrid nicht bewegen würde. Am folgenden Tage aber begründet Hagen Waltharius gegenüber seine Teilnahme am Kampf mit dem Tode so vieler Gefährten und gerade des blühenden Neffen und weist seine Anerbietungen schroff zurück. Man ist versucht in der ziemlich großen Zahl gemeinsamer Züge eine direkte Einwirkung Homers zu sehen. Die letzten Worte Hagens erinnern stark an Stellen von Hektors Tod. Merkwürdig ist auch eine andere Stelle. Der dritte Burgunderheld Werin- hard stammt von dem berühmten Schützen Pandaros, dessen Schuß einst den beschworenen Vertrag verletzte. Die Verse, in denen Pandaros direkt angeredet wird, sind zwar aus Virgil entlehnt; aber konnte die gelegentliche Erwähnung des Schützen bei dem römischen Dichter für Ekkehard Veranlassung genug sein, Werinhard in langer Reihe von Pan- daros abstammen zu lassen, wenn er die homerische Erzählung nicht kannte?

Ich gebe zu, daß die beiden Stellen für die Beantwortung der Frage, ob Ekkehard den Homer gekannt habe, nicht ausreichen. Außer Walah- frid und Ekkehard ist mir kein mittelalterlicher Dichter oder Schrift steller bekannt, bei dem man an Kenntnis Homers denken könnte. Der Name des Dichters war aus den Römern bekannt und wurde gern mit Virgil zusammengestellt. Am Hofe Karls des Großen führte Angilbert den Namen Homer. Aber dem König war augenscheinlich das Original Homers nicht bekannt, sondern nur die Ilias Latina, die wenigstens eine Ahnung vom Inhalt des homerischen Gedichtes gab.

Die Ilias Latina ist ein Poem von 1070 guten Hexametern, dessen Entstehung man in das 1. nachchristliche Jahrhundert setzt. Die Anfangs- buchstaben der ersten und der letzten acht Verse ergeben das Akrostichon: Italiens scripsit. Mehr ist über den Verfasser nicht zu ermitteln.

Man kann das Gedicht einen Auszug nennen, obwohl die Bezeich- nung nicht ganz zutreffend ist. Denn es hält zwar den Gang der Ilias im ganzen inne, bewegt sich aber im einzelnen sehr frei. Vor allem ist die Behandlung der verschiedenen Partien sehr ungleichmäßig. In den einen ist sie mehr als knapp, andere werden breiter ausgeführt, zuweilen selbst über Homer hinaus. Die erste Hälfte lehnt sich enger an das Original an, ohne deshalb ein übersetzender Auszug zu sein. Sehr wichtige Partien sind ganz übergangen, andere zur Unkenntlich-

Ekkehard llias Latina Dictys 3

keit verkürzt oder sehr willkürlich verändert. So hat, um nur eines hervorzuheben, der Verfasser den Achilleusschild ganz neu gestaltet. Zuweilen zeigt sich die Darstellung stark römisch gefärbt. Aeneas spielt eine hervorragende Rolle, Odysseus ist wie bei Yirgil der Typus des tückischen Betrügers. Den gefangenen Adrastos fesselt Menelaos, um ihn beim Triumph aufzuführen. Gegen die Mauer der Troer rücken die Griechen unter einem Sturmdach, einer Testudo, an.

Auf welche Leser dieses Gedicht berechnet war, wird schwer zu sagen sein. Man hat an ein Kompendium zu Zwecken des Unterrichts gedacht. Möglich ist auch, daß. es nur einen kurzen Überblick über die llias geben sollte. Im Mittelalter ist das Opus ziemlich bekannt gewesen. Man führte es unter dem Namen Homers auf; doch erhob sich die Frage, wie es denn, da doch Homer bei den Griechen lebte, in lateinischer Sprache habe geschrieben werden können. Deshalb war man geneigt, darin eine Übersetzung der echten llias zu erkennen. Als Übersetzer wußte man einen Pindarus Thebanus zu nennen; aber es ist noch nicht erklärt, wie man auf diesen Namen verfallen ist.

Weit größeren Einfluß gewannen im späteren Mittelalter zwei in lateinischer Prosa verfaßte Darstellungen des troischen Krieges.

Die eine ist des Dictys von Kreta Tagebuch des troischen Krieges, Epliemeris hellt Troiani, deren uns vorliegende Fassung dem 4. Jahr- hundert n. Chr. angehört. Der Prolog des in sechs Bücher eingeteilten Werkes erzählt, daß Dictys mit Idomeneus, dem aus Homer bekannten Führer der Kreter, vor Troja zog und den Auftrag bekam Annalen des Krieges zu schreiben. Sein in phönikischen Buchstaben geschriebenes Werk wurde ihm ins Grab mitgegeben und im 13. Regierungsjahr des Kaisers Nero entdeckt und auf dessen Anordnung in griechische Schrift übertragen. Als Übersetzer ins Lateinische meldet sich ein L. Septimius. Wenn wir von dem fabelhaften Beiwerk der Fundgeschichte absehen, so lernen wir aus dem Prolog, daß das Buch unter Nero in griechischer Sprache verfasst wurde, eine Angabe, die kürzlich bestätigt worden ist. Ein in Ägypten gefundenes Papyrusfragment enthält eine längere Stelle des griechischen Textes, aus deren Vergleichung mit dem lateinischen Dictys hervorgeht, daß letzterer nicht sowohl die Übersetzung, als eine ziemlich freie Bearbeitung des griechischen Originals ist. Das viel er- örterte Verhältnis zu ähnlichen byzantinischen Darstellungen interessiert uns hier nicht.

Man ist gewohnt die Schriftstellerei des Dictys und des gleich zu erwähnenden Dares als Schwindelliteratur zu bezeichnen. Aber sie ist von unserem historischen Roman nicht stark verschieden. Die Fabeleien

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4 Das Mittelalter

mit uralten Yerfassemamen und wunderbaren Schicksalen der Originale hatten nur den Zweck die Aufmerksamkeit zu erregen, mochten sie auch viele Leute täuschen wie die von Marc Twain aufgefundenen Me- moiren des Sekretärs der Jungfrau von Orleans. Sie kamen den Wün- schen und Bedürfnissen ihrer Zeit entgegen, die für das Epos kein Ver- ständnis mehr hatte, sich aber die alten Geschichten gern in modemer Behandlung erzählen ließ.

Des Dictys Ephemeris ist ein kleines Kunstwerk, das sich die Auf- gabe stellt, aus dem heroischen Epos eine wirkliche, etwas romanhaft ausgeschmückte historische Erzählung zu machen. Die großen Ver- änderungen, die der Schriftsteller an der Ilias vornahm, sollten diesem Zwecke dienen und sind daher beabsichtigt. Dictys gibt eine wider- spruchslose, vollständige Geschichte, die mit dem Raube der Helena beginnt und mit der Eroberung der Stadt schließt. Weissagungen, Orakel, Träume, Verletzung des Heiligen spielen eine Rolle, die Götter selbst aber nicht. Es wird alles ganz natürlich und sorgfältig motiviert. Aus vereinzelten Andeutungen Homers über einen Gegensatz zwischen dem Priamidenhause und dem übrigen Adel macht Dictys zwei Parteien in Troja, auf der einen Seite die gewalttätige Sippe des Priamus, auf der andern die Vornehmen, an ihrer Spitze Antenor, dessen schließlicher Verrat an seiner Stadt beinahe gerechtfertigt erscheint.

Haupthelden, auf die sich das Interesse vornehmlich konzentrieren würde, kann die rein historische Erzählung nicht brauchen. Ganz besonders hat es sich Dictys angelegen sein lassen den Achilles von der dominierenden Stelle zu verdrängen, die er in der Ilias einnimmt. Der Pelide wird auf das Maß der übrigen Helden her abgedrückt und sein Zorn als eine beinahe nebensächliche Episode behandelt. Achilles widersetzt sich aus Liebe zum Heere dem Raube der Briseis nicht, ist aber nachträglich über die andern Griechen sehr ärgerlich, weil sie zu der Gewalttat geschwiegen haben. Auch darüber grollt er, daß Agamemnon ihn allein nicht zum Mahle geladen hat. In seinem Zorn macht er einen Mordanschlag auf die Fürsten, den aber Ulysses ver- eitelt. Die Zurückhaltung Achills verhindert zunächst die Erfolge der Achäer nicht. Erst nach mehreren Siegen der Griechen macht Hector einen plötzlichen Angriff und dringt siegreich bis zu den Schiffen vor. Die Griechen flehen den Achilles vergeblich um Hilfe an. Aber in der höchsten Not erscheint Aiax, der von einem Beutezuge zurückkommt, vertreibt den Hector und besiegt die Troer gänzlich. Nach weiteren Erfolgen der Griechen stellt Aiax den Antrag zu Achilles eine Ge- sandtschaft zu senden, die ihn jetzt, wo die Griechen im Vorteil seien,

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Dictys 5

ders ehren müsse. In der Erzählung der Gesandtschaft sind die Motive des 9. und 19. Buches der Ilias verbunden. Sie verläuft im ganzen wie dort, nur daß Achilles zum Schlüsse der Mahnung des Diomedes nachgibt, das Vergangene vergangen sein zu lassen. Damit t Dictys schon am Ende seines zweiten Buches mit dem Zorn des hilles fertig geworden. Von nun an ist der Pelide ein Held wie alle andern. Nach seinem Tode empfinden sehr viele Krieger keinen großen Schmerz, weil sie die verräterischen Verhandlungen nicht ver- gessen können, die Achilles mit den Feinden gepflogen hat.

Hier verknüpft sich die Handlung der Ilias mit der von Dictys ar nicht erfundenen, wohl aber romanhaft ausgesponnenen Geschichte n der Liebe Achills zu Priamus Tochter Polyxena. Er hat sie sorg- fältig eingeleitet. In deift V^inter nach der Gesandtschaft herrscht Wafi*enruhe, und Griechen und Troer verkehren ungestört im Haine des thymbräischen Apollo. Dort opfert einst Hecuba mit großem Ge- folge, zu dem auch ihre Tochter Polyxena gehört. Achill kommt dazu und wird von Begierde nach ihrer Schönheit ergrifi*en. Da er es nach etlichen Tagen gar nicht mehr aushalten kann, schickt er Automedon zu Hector, um Polyxena zu werben. Dieser aber verlangt als Preis für die Schwester entweder den Verrat am Griechenheere oder die Er- mordung der Atriden und des Aiax. Diese Zumutung wird für Achill die Ursache des Hasses gegen Hector. Er hatte für Polyxena Bei- legung des Krieges versprochen. Achills Liebes Sehnsucht ist breit aus- geführt. Die Atriden, die von der Sache Kunde bekommen, beschwich- tigen ihn mit der Aussicht auf den nahen Sieg, der ihm die Ersehnte bringen werde.

Nach Hectors Fall macht sich Priamus mit Andromache, deren Söhnen und Polyxena am hellen Tage ins Griechenlager auf, den Leichnam auszulösen. Polyxena bietet sich als Preis für Hectors Leib an, und auch Priamus bittet Achill sie zu behalten, aber Achill sendet sie zurück, da er die Lösung in andrer Weise sucht. In den folgenden Kämpfen fallen auf troischer Seite Penthesilea, Memnon, Polydamas, Troilus. Die folgende Waffenruhe gibt Priamus Gelegenheit, aufs neue durch den Herold Idaeus mit Achilles wegen Polyxena Verhandlungen anzuknüpfen. Die Führer der Griechen fürchten Verrat und beabsichtigen ihn von geheimen Unterhandlungen mit den Feinden abzuhalten. Aber schon haben Paris und Deiphobus den Wehrlosen im Heiligtum ApoUons heimtückisch überfallen und ermordet, der Polyxena wegen,, wie er selbst sterbend sagt. Nach der Eroberung der Stadt wird sie an seinem Grabe als Totenopfer geschlachtet.

Q Das Mittelalter

Wer des Dictys Erzählung aufmerksam liest, erkennt leicht, wie er die Angaben Homers auf Schritt und Tritt seinen Zwecken dienstbar gemacht hat. Er hat die kurze Schlachtenreihe der Ilias durch Waffen- stillstände und Verhandlungen zu einem langen Kriege ausgesponnen und dadurch aus dem Epos eine Historie geschaffen, ein gar nicht ; verächtlicher Versuch einer Neugestaltung.

Weit weniger anmutig ist die Lektüre eines ähnlichen Buches, des Phrygers Dar es Geschichte vom Untergang Trojas, De excidio Troiae historia. Sie ist durch einen Brief eingeleitet, in dem Cornelius ; Nepos dem Sallustius Crispus mitteilt, er habe das Buch in Athen ge- funden und ins Lateinische übersetzt. Auch hier wird also auf ein in der Zeit Caesars verfaßtes griechisches Original verwiesen, das zwar noch nicht gefunden, aber durch Schisseis Untersuchung festgestellt ist. Nepos ; schreibt, das Original sei viel älter als Homer und auch historisch ge- '. treuer, da es keine Einmischung der Götter in die Kämpfe enthalte. Die uns vorliegende lateinische Fassung, die dem 6. Jahrhundert n. Chr. angehört, weist auch durch ihren Stil in die Zeit, da die römische Ge- schichtschreibung schon lange in die trockene Form der Chronik über- gegangen war.

Der Verfasser kennt Homer und Dictys, auch andere Darstellungei ähnlicher Art. Auf den Namen Dares kam er wahrscheinlich durch die da und dort bei Schriftstellern der Kaiserzeit auftauchende Notiz, daß ein Phryger Dares vor Homer eine Ilias gedichtet habe. Das paßte ihm vortrefflich, denn er erzählt die Geschichte vom troischen Stand- punkt aus und gibt vor, während des Krieges in Troja gelebt zu haben. Darum muß die Schuld am Kriege aufseiten der Griechen, nicht der Troer zu suchen sein. Der Verfasser bekundet sich dadurch als echten Römer. Denn die Römer betrachteten sich als Nachkommen der Troer und haben seit Virgil immer für diese Partei genommen. Um den Griechen die erste Verschuldung zuzuschieben, nimmt Dares die Geschichte der Argonauten zuhilfe. Auf dem Zug nach Colchis sind diese in der Troas gelandet, aber von dem König Laomedon, der für seine Sicherheit fürchtete, fortgewiesen worden. Das nimmt be- sonders Hercules gewaltig übel, der nach der Argonautenfahrt einen großen Kriegszug gegen Troja veranstaltet. Laomedon wird im Kampf getötet, Teucer dringt als erster in die Stadt ein und erhält zum Lohn Hesiona, die Tochter des Königs. Alle Versuche des Priamus die Rückgabe der Schwester zu erwirken schlagen fehl. Sein Abgesandter Antenor wird übel abgewiesen. Eine neue Fahrt, die Paris und Deiphobus unternehmen, endet mit dem Raube der Helena, und diese

ir.

Dares 7

betrachtet nun Priamus als Pfand für die Rückg-abe der Hesiona. Die Orieclien sammeln sich zum Heerzuge. Nach der Landung in Troja wechseln endlose Kämpfe mit noch längeren Waffenstillständen. Es ist hier so wenig wie bei Dictys möglich auf die Einzelheiten ein- zugehen, ohne die ganze Erzählung zu wiederholen. Der Charakter der historischen Chronik wird durch möglichst reichhaltige und dabei trocken knappe Aufzählung der einzelnen Heldentaten gewahrt. Interessant ist der Versuch den Zorn des Achilles mit der Liebe zu Polyxena in Verbin- dung zu bringen. Es ist dabei bemerkenswert, daß Dares Hectors Tod durch Achilles vor diese Ereignisse setzt, um für Troilus Raum zu schaffen.

Nach Hectors Tode intrigiert Palamedes gegen Agamemnon und bringt es dazu, daß dieser zurücktritt und er selbst zum Feldherrn gewählt wird. Nur Achilles ist nicht einverstanden. Nach einem Jahre erblickt dieser bei Hectors Grabmal Polyxena, verliebt sich heftig in sie und läßt bei Hecuba um die Hand der Tochter bitten. Er würde dafür mit den Myrmidonen nach Hause zurückkehren, was den Abzug aller zur Folge haben müßte. Priamus fordert aber einen feier- lichen Friedensschluß. Nun verlangt Achilles, der längst mit dem Oberbefehl des Palamedes unzufrieden war, daß nicht länger um der einen Helena willen Leben und Freiheit aller aufs Spiel gesetzt werde, und fordert den Frieden. Wie dieser nicht bewilligt wird, bleibt er erzürnt im Lager zurück. In der nächsten Schlacht fällt Palamedes, und Agamemnon wird wieder eingesetzt. Nach großen Erfolgen der Troer schicken die Griechen zu Achilles, ohne Erfolg. Die brennenden Schiffe rettet Aiax, die Nacht macht dem Kampf ein Ende.

Während des folgenden Waffenstillstandes geht eine feierliche Ge- sandtschaft zu Achilles, aber vergeblich. Er hatte beschlossen nicht mehr in den Kampf zu gehen oder doch weniger heftig zu kämpfen. Aber wie Troilus die Griechen stark bedrängt, läßt er auf Agamemnons Bitten wenigstens die Myrmidonen ausrücken. Troilus schlägt diese, und da entschließt sich Achilles zum Kampf. Er tötet den Troilus, nachdem er von diesem selbst verwundet worden ist, erregt aber dadurch den Zorn der Hecuba. Sie läßt Achilles in den Hain des thymbräischen Apollo locken, wo er von Paris überfallen und trotz tapferer Gegen- wehr umgebracht wird.

Das Ende des Krieges erzählt Dares ähnlich wie Dictys, nur daß Priamus zu Antenors Verrat direkt Veranlassung gibt. Das hölzerne Pferd ist weggelassen. An dieses erinnert nur ein am skäischen Tor ausgehauener Pferdekopf, der den Griechen die Stelle zeigt, wo sie ein- gelassen werden sollen.

8 Das Mittelalter

Auch des Dares Darstellung liegt ein Plan zugrunde. Vor dem künstleriscli weit überlegenen Dictys hat er den einen Vorteil, daß er den Tod Achills besser motiviert. Von Homer entfernt er sich noch weiter als sein Vorgänger, und mit den Motiven der Ilias geht er noch unbekümmerter um. Hervorzuheben ist die hervorragende Stellung des Troilus, der nach Hectors Tode ganz an dessen Stelle tritt und weit kräftiger in die Handlung eingreift als bei Dictys.

Das war die Form, in der das Abendland im Mittelalter die troische Sage zugesicht bekam. Um 1165 verwendete den Dares ein franzö- sischer Dichter, Benoit de Sainte-More, zu einem ritterlich-höfischen Gedicht, dem Eoman de Troie. Außer Dares hat er Dictys und andere Quellen benutzt, daneben auch die eigene Erfindung walten lassen. Er ist der Schöpfer der mittelalterlichen Liebesgeschichte von Troilus und Briseida. Diese ist die schöne Tochter des Calchas, der nach Dares ein phrygischer Seher war und bei einem Besuch in Delphi die Weisung erhalten hatte mit den Griechen gegen Troja auszufahren und sie mit seinem Rate zu unterstützen. Briseida, so schreibt den Namen schon Dares, ist in Troja geblieben und wird nun bei Benoit die Geliebte des Troilus. Nachdem die Griechen den Antenor gefangen haben, soll eine Auswechslung der Gefangenen stattfinden, und bei dieser Gelegen- heit fordert Calchas seine Tochter zurück. Die Troer bewilligen seinen Wunsch. In heftigem Schmerz trennen sich die Liebenden; aber Briseida vergißt bald das Gelübde ewiger Treue, das sie dem Troilus gegeben^ und schenkt im Griechenlager der Bewerbung des Diomedes Gehör. Der verratene Troilus wird von Achill erschlagen.

Der Roman de Troie eroberte das ganze Abendland und wurde selbst in Byzanz übersetzt und bearbeitet. In Deutschland legten ihn Herbort von Fritzlar zu Anfang des 13. Jahrhunderts, und Konrad von Würzburg, gest. 1287, ihren Gedichten zugrunde. Die für die Folgezeit wichtigste Bearbeitung war die in lateinischer Prosa geschriebene Historia Troiana des Guido delle Colonne aus Messina, ein durch Reden und Dialoge sowie einen Schwulst von Gelehrsamkeit konfuses, 1287 vollendetes Werk.

Was das ausgehende Mittelalter von Homer gewußt hat, steht alles beisammen in Chaucer's schönem Gedicht The House of Farne 1384. Der Dichter schildert da, wie metallene Säulen berühmte Dichter und Historiker tragen, die in ihren Werken große Taten unsterblich gemacht haben. Auf einem Eisenpfeiler, der mit Tigerblut bemalt ist, steht der erhabene Statins, ein Epiker des ausgehenden 1. Jahrhunderts n. Chr. und trägt als Verfasser der Thebais und Achilleis auf seinen Schultern

Benoit de Sainte-More Chaucer Byzanz 9

den Namen von Theben und den Rulim des grausamen Achilleus. Neben ihm, auf einem Eisenpfeiler in wunderbarer Höhe er, der große Ho- mer, neben ihm Dares, Dictys, Boccaccio, den Chaucer Lollius nennt,. Guido delle Colonne und Galfrid von Monmouth, der Verfasser der phantastischen Historia Britonum, der die alten Britenkönige an Troja anknüpfte. Alle diese, sagt Chaucer, waren bestrebt, den Ruhm Trojas zu erhöhen, der so wuchtig war, daß ihn zu tragen kein Spiel gewesen

<* jt. Aber, fügt der Dichter hinzu, er habe wohl erkennen können, daß |n wenig Eifersucht zwischen ihnen herrschte. Einer sagte nämlich, tomer dichte Lügen, indem er in seinen Gedichten Erfindungen vor- ringe, und sei den Griechen günstig gewesen, weshalb er seine Er- zählung nur für Fabel halte. Die Stelle enthält so ziemlich alle Schrift- steller, aus denen noch das 14. Jahrhundert seine Kenntnis der troischen Dinge schöpfte. Der Vorwurf, daß Homer lüge, stammt aus Dares, der ja auf troischer Seite mitgekämpft haben will. Außerdem nahm das ganze Mittelalter schon um Virgils willen für die Troer Partei. Diesen Dichter hat Chaucer sehr eingehend studiert; im Glastempel sieht er die Szenen der Aeneis gemalt, die er schön beschreibt.

Die Kenntnis des Griechischen und damit auch die Homers kam dem Abendland, zunächst den Italienern, von Byzanz. Wenn Petrarca, einem jungen Freund und Schüler abriet dorthin zu gehen, weil dort wenig Gelehrsamkeit zu finden und die hellenische Literatur aus- gestorben sei, so verriet er damit nur die nämliche Unwissenheit, die- über byzantinisches Wesen fast bis in die neueste Zeit geherrscht hat. In Wahrheit liegt in der wissenschaftlichen Tätigkeit der By- zantiner der Grund für die Wiedererweckung des Hellenismus im Abendland. Sie haben nach der trostlosen Ode, die im 7. und 8. Jahr- hundert auch über sie hereingebrochen war, die Reste der antiken Literatur neu gesammelt, in den Schulen erklärt, Grammatiken und Wörterbücher verfaßt und, was für uns das Wichtigste geworden ist,. die Werke der Hellenen durch zahlreiche Abschriften vor dem Unter- gang geschützt. Ihnen allein ist es zu verdanken, daß wir überhaupt noch etwas davon besitzen. Die wichtigste Zeit der byzantinischen Altertumskunde ist die Regierungszeit der Paläologen 1261 1453,. eine Periode, die sich der abendländischen Renaissance vergleichen läßt. Aber der Aufschwung des geistigen Lebens geht bis ins 9. Jahrhundert zurück, und gerade die beiden Gelehrten, deren Arbeiten über Homer auch auf den Occident gewirkt haben, fallen in die Zeit der Komnenen. Der erste von ihnen, Johannes Tzetzes, geb. um 1110, ist in mancher Beziehung höchst interessant. Das Urteil über seine Schrift-

10 Bas Mittelalter

stellerei lautet heute allgemein sehr ungünstig, aber nur zum Teil mit Recht. Es ist wahr, daß man aus ihm für die Kenntnis Homers nichts mehr lernen kann; aber für seine Zeit traf das nicht zu. So viel wir sehen, ist er nach langer Zeit überhaupt der erste, der eine eingehende Erklärung Homers unternommen hat, und zwar aufgrund sehr umfassender Studien in den Werken des Altertums. Er muß deshalb so beurteilt werden wie die Humanisten des Abendlandes, die sich zuerst wieder mit Homer befaßten. Allerdings war er insofern in einer glücklicheren Lage, als Homer in Byzanz nie ganz in Ver- gessenheit geraten war. Schulbuch war er immer geblieben. Aber wenn man bedenkt, daß auch in Byzanz die Darstellungen des Dictys und Dares vom troischen Kriege lebendiger waren als die Homers, und daß das byzantinische Epos sogar von Benoit de Sainte-More ab- hängig war, so erscheint des Tzetzes Auftreten als eine nicht geringe Tat. Es scheint auch, daß das Verständnis Homers bei den Gebildeten der Zeit zu wünschen übrig ließ. Wenigstens sagt Tzetzes in der Widmung seiner Homerischen Allegorien an die Kaiserin Irene, sie ge- biete ihm, den tiefen Okeanos Homer, der die ganze Welt umschließe, für alle gangbar und wegsam zu machen, wie Moses für die Juden mit dem roten Meer getan habe. Wenn sich das auch mehr auf die Deutung beziehen mag, so geht es doch wohl auch auf die Kenntnis Homers überhaupt; denn nur so ist das Buch ganz zu verstehen. Hierher gehört auch das einleitende Wort der ExegesiSj daß Tzetzes der erste sei, der eine Erklärung Homers in einem einzigen Buche unternommen habe. Aus dem Altertum fehle ein solcher Versuch. Auch seine ScJiolienj d. i. Erklärungen zu den ersten zwei Büchern der Ilias, sowie viele Stellen der Exegese und einige der Allegorien beweisen, wie sehr die homerische Sprache in Byzanz der Interpretation bedurfte.

Tzetzes ist erst nach und nach zur Interpretation Homers ge- langt. Vorher schrieb er in „etwas bedenklichen Hexametern" ein Gedicht, das gewöhnlich als Antehomerica, Homerica, Fosthomerica bezeichnet wird. Er macht darin den Versuch ein historisches Bild der troischen Geschichte herzustellen. Denn Homer gilt ihm durch- aus als historisches Dokument.

Seine Kenntnisse schöpft er zum Teil aus Dictys und der Welt- chronik des Johannes Malalas, einem geschichtlichen Volksbuch aus dem 6. Jahrhundert, das sich in der Darstellung der troischen Er- eignisse vielfach mit Dictys deckt. Für die Posthomerica verwendet Tzetzes das gleichnamige Gedicht des Quintus Smyrnaeus, der

Tzetzes 11

wohl im 4. Jahrhundert schrieb und in der Renaissancezeit Quintus Calaber genannt wurde, weil die einzige Handschrift 1450 in Kala- hrien gefunden wurde. Dessen Gedicht ist eine stellenweise ausgeschmückte Yersifikation der Abschnitte der Heldensage, die in den Schulen gelesen wurden. Ferner liegt den Posthomerica das aus dem 5. Jahrhundert stammende Poem Tryphiodors über Trojas Eroberung zugrunde. Das Mittelstück ruht im wesentlichen auf der Ilias, aber deren Angaben sucht Tzetzes mit seinen übrigen Vorlagen in Einklang zu bringen. Das gilt besonders von der Motivierung des Zornes des Achilleus, die nach Tzetzes eine Erfindung Homers zugunsten des Achilleus ist. In Wahr- heit war die Geschichte ganz anders gewesen. Wider den Eid, alle Beute abzuliefern, hatte Achilleus Briseis für sich behalten, worüber die Griechen sehr erzürnt waren. Odysseus hatte das benutzt um Pala- medes anzuschwärzen, er wolle Achilleus das Zepter übertragen, und dafür war Palamedes getötet worden. Jetzt gab Achilleus Briseis her- aus, zürnte aber, wesentlich wegen des Todes des Palamedes, und ent- hielt sich des Kampfes. Nun kam auch die Pest, die Palamedes bisher fernzuhalten gewußt hatte. Homer hat die Sache so gedreht, um Achilleus nicht meineidig erscheinen zu lassen. Das Bezeichnendste ist, daß es für Tzetzes keine mithandelnden Götter gibt. Ihre Einmischung wird entweder übergangen oder allegorisch gedeutet. Was dann noch übrig bleibt, ist Geschichte.

Es ist schon im allgemeinen bemerkenswert, wie unfrei Tzetzes der antiken Überlieferung gegenübersteht. Nirgends aber zeigt sich das so, wie in der allegorischen Auffassung des Mythus. Man weist mit Recht darauf hin, daß diese bei den Byzantinern überhaupt beliebt gewesen ist. Aber das Altertum hatte ihnen eben auch ein böses Erbe hinterlassen. Die allegorische Erklärung, seit Demokrit und den Kynikern eifrig gepflegt, von Piaton abgelehnt, hatte durch Stoiker und Neuplatoniker ein festes System erhalten, und diese Er- klärungen wurden in Byzanz gläubig übernommen und weiter ge- bildet. Es wäre interessant zu untersuchen, wie viel Eigenes Tzetzes noch hinzugetan hat. Daß er es tat, sagt er selbst. In den Homerica tritt die Allegorie noch selten auf und nur, wo die Götter nicht umgangen werden können. Das Göttergespräch im Anfang des vierten Buches der Ilias wird so erklärt: nach dem Zweikampf des Mene- laos und Alexandres war ein böse Konstellation. Die Planeten Mars und Saturn standen zugleich am Himmel, im Geviertschein. Das be- deutete den raschen Untergang Trojas. Zugleich erschien ein Komet, oder vielleicht meint Homer mit seiner niederfahrenden Athene den

12 Das Mittelalter

Planeten Merkur. Im übrigen ist der Auszug aus der Ilias in vielen Teilen äußerst knapp.

Zu eingehender Beschäftigung mit Homer geht Tzetzes in der Exegesis zu Homet's Ilias über, 1143. Sie mutet wie ein Kollegienheft oder wie die Präparation eines Gymnasiallehrers an und war wohl ur- sprünglich auch eine solche. Sie beginnt mit den Mitteilungen über die Heimat Homers, sein Leben und seinen Aufenthalt in Ägypten, wo er die Wissenschaft lernte. Tzetzes verteidigt ihn gegen den Vorwurf, als habe er die troische Geschichte von Sisyphos von Kos oder Dictys erfahren, die man damals als Zeitgenossen des troischen Krieges be- trachtete. Homer hat nicht lange nach dem Kriege gelebt und die Geschichte vielleicht von Odysseus gehört.

Homer hat nicht an göttliche Personen geglaubt. Was er von ihnen sagt, ist alles allegorisch zu verstehen. Die Allegorie ist ent- weder rhetorisch und nur zur Bezauberung der Lesenden geschrieben, um die kindlichen Gemüter zum Lesen willfähriger zu machen; hier- her gehören die Schilderungen von Ungeheuern, die es nie gegeben hat. Oder sie ist physikalisch. Der die Pfeile sendende Apollon ist die Sonne, deren Hitze die Pest erregt. Die Götter sind Elemente oder geistige Eigenschaften. Dazu kommt, was Tzetzes die mathematische Allegorie nennt, die Deutung der Götter als Planeten, von denen die menschlichen Geschicke abhangen.

Dann hat Homer auch viel zur Belehrung und Erziehung der Menschen gearbeitet. Die Büsser im Hades sind zu diesem Zweck er- funden. Mit dem Zorn des Achilleus beginnt er, weil er zeigen will, was der Zorn bewirke, und daß man die Besten nicht kränken dürfe. Mit dem zehnten Jahre des Krieges beginnt Homer, weil der Dichter mit dem Notwendigsten beginnen muß. Da die Ilias der Verherrlichung des Achilleus gilt, sind dessen Tod und die Einnahme der Stadt nicht erzählt. Das Gedicht heißt Ilias und nicht Achilleis, weil der Ruhm die Stadt bezwungen zu haben dem Achilleus allein bleiben soll.

Die Erklärungen selbst sind entweder grammatisch oder allegorisch. Zu den letztem kommt die des Euemeros hinzu, nach welcher die Götter einst große oder weise Menschen der Vorzeit ^aren. Zeus ist physikalisch genommen die Luft, geschichtlich ein König der Vorzeit; wenn sonst nichts hilft, wird er auch als Schicksal erklärt. Wenn daraus Ver- wirrung entstanden ist, so sind die Dichter schuld, die nicht unter- schieden, weil sie durch die Fabeln die Hörer berücken wollten. Eine ästhetische und psychologische Erklärung des Dichters hat Tzetzes nirgends versucht. Die Allegorie nimmt seine ganze Seele gefangen,

Tzetzes Eustathios 13

lind mit steigendem Eifer behandelt er sie. Man ist versucht zu glauben, er habe durch diese Erklärung der homerischen Götter das Heidentum Homers bei seinen orthodoxen Lesern zu verwischen gesucht.

Die Exegese ist nicht über die ersten 100 Verse des ersten Buches hinausgekommen. Ursache davon ist wohl der Plan eines neuen Buches, das Tzetzes 1145 begann, die Homerisclien Allegorien, In den Schlacht- beschreibungen ist dieses Gedicht fast eine Paraphrase der Ilias. Da- neben gibt es Stellen, welche die Kenntnis des Originals erfordern; andere, die nur die allegorische Erklärung enthalten. Wir werden kaum fehl gehen, wenn wir annehmen, Tzetzes habe vorausgesetzt, daß seine Leser den Homer in der Hand halten. Die Allegorien sind also ein Hilfsbuch. Im Verlauf wird der Vortrag ermüdend. Unerträgliche Wiederholungen, Mangel an Ordnung, geschwätziges Breittreten von Dingen, die längst erledigt sind, treten mehr und mehr hervor. In dieser Beziehung ist das 18. Buch das schlimmste. Der sinkende Fleiß zeigt sich auch darin, daß Tzetzes die Ilias in den späteren Büchern öfters wörtlich zitiert.

Ungleich bedeutender ist der gewaltige Homerkommentar des Eustathios, Bischofs von Thessalonike, gest. um 1192. Es ist zu- nächst das Werk eines riesenhaften Fleißes. Was 'dem Verfasser an Resten antiker Wissenschaft erreichbar war, hat er verarbeitet. Wir ünden graramatische Notizen, Erwägungen über Etymologie, Genealogie der Helden, Nachrichten über die kritische Tätigkeit der alexandrinischen Philologen, geographische und historische Erklärungen, Auszüge aus den rhetorischen Schriften des Altertums. Der allegorischen Auslegung der Mythen entrichtet auch Eustathios seinen Tribut; er deckt sich hier vielfach mit Tzetzes, weil sie gemeinsame Quellen hatten. Daneben aber ^eht die mythische Auslegung, d. h. die Anerkennung, daß die homerischen Götter wirklich einmal Gestalten eines Glaubens waren. Was an dem Werk das Erfreulichste ist, das sind die ästhetisch -poetischen Inter- pretationen, in denen Eustathios mit Liebe und Verständnis der Ver- knüpfung und Motivierung der Handlung nachgeht; hier dürfte wohl viel eigenes Gut sein. Dafür ein Beispiel. Nach dem Zweikampf zwischen Alexandros und Menelaos hat Homer die Entscheidung djirüber, wie es nun weiter gehen solle, in den Olymp verlegt. Das motiviert Eustathios folgendermaßen. Durch den Zweikampf ist der Krieg abgebrochen, beide Heere sitzen imgerüstet da, Alexandros ist besiegt. Der Sieg gehört, wie Zeus anerkennt, dem Menelaos, und es muß entweder Helene zurück- gegeben werden, weil Paris besiegt ist, oder ein Gericht zusammentreten, da er nicht auch getötet ist. Nun konnte der Dichter nicht erfinden.

14 Das Mittelalter

daß das geschehen sei, um der Tradition willen, und so mußte er darauf sinnen, wie er die abgebrochene Schlacht wieder anknüpfe. Und nach- dem Zeus, der als Verstand zu fassen ist, in dem Dichter vieles er- wogen hatte, fand er nichts Überzeugenderes und leichter Darstellbares, als daß der Vertrag von einem der Troer gebrochen würde. Da alle Troer den Alexandros haßten, verfiel er auf den Lykier Pandaros. Während nun Agamemnon sein Recht fordert, zögern alle andern, da sie nicht widersprechen können; Pandaros aber schießt heimlich auf Menelaos, und darauf machen sich die Troer vor den Hellenen zum Kampfe auf, da sie, wie es wahrscheinlich war, meinen, es sei ein von ihrem Könige ausgedachter Plan. Das ist die eigentliche Absicht des Dichters; aber um sie erhabener und glaubwürdiger zu gestalten, führte er den Plan auf die Götter zurück, als wollte er sagen, daß infolge des Zweikampfes nichts die Beilegung des Kampfes und den endgiltigen Friedensschluß verhindert hätte, wenn nicht von oben auf den Beschluß der Götter hin, sei es der mythisch oder allegorisch gedeuteten, ein Hinder- nis da gewesen wäre. Die Einleitungen enthalten Vergleichungen zwischen den beiden homerischen Epen, Mitteilungen über die Geschichte der homerischen Poesie und über ihre Wirkung auf die spätere Kultur, wie denn Eustathios auch im Kommentar die Tragiker und andere Dichter sehr oft zur Vergleichung heranzieht.

Das Werk wird nicht mehr viel benutzt, weil es durch die Ent- deckung der Scholien, d. h. der in den Homerhandschriften enthaltenen Erklärungen, ersetzt ist. Nur wo diese mangelhaft sind, wie im zweiten Teil der Odyssee, füllt Eustathios in erwünschter Weise die Lücke aus. Aber in der Renaissancezeit, zumal in Italien und Frankreich, hat es eine gewaltige, nur zu große Wirkung geübt, die bis gegen das Ende des 18. Jahrhunderts spürbar ist. Eine Einsicht in die ästhetischen Erklärungen ist auch heute noch von Interesse und vielfach fördernd.

ITALIEN.

Dante hat Homer nicht gekannt, sondern nur geahnt, wenn er ihn den Meister des höchsten Gesanges nennt, der über den andern wie ein Adler schwebe. Von den sechs Homerzitaten in Dantes Werken stammen fünf aus den Schriften des Aristoteles, eines aus der Ars Poetica des Horaz. Merkwürdig ist, daß Dante an der Trojasage weiter ge- dichtet hat: er erfindet eine neue Version vom Tode des Odysseus. Dessen Seele erzählt dem Dichter, daß ihm nach seiner Abreise von Kirke die Sehnsucht nach den Lieben zuhause den heißen Drang nicht besiegen konnte, die Welt, die Tugenden und Laster der Menschen kennen zu lernen. So fuhr er denn mit seinem Schiff durch die Säulen des Herakles bis zum Äquator; dort entdeckten sie in der Feme einen braunen Berg von nie gesehener Höhe. Von diesem aber erhob sich bald ein gewaltiger Sturm, der das Schiff in die Tiefe riß.

Die Neuentdeckung Homers im Abendlande knüpft sich an den Namen Petrarca. Der große Begründer des Humanismus sah beim Studium seiner alten Römer, wie sehr sie in den Griechen ihre un- erreichten Vorbilder verehrten, und faßte den Gedanken selbst Griechisch zu lernen, um zu den Schätzen der hellenischen Poesie, Philosophie und Geschichte vordringen zu können. Gelegenheit zur Erfüllung seines Wunsches fand er, als er 1339 in Avignon den Kalabresen Barlaamo kennen lernte, der im Auftrage des Kaisers Andronikos HL mit Papst Benedikt XH. Verhandlungen über die kirchliche Union anknüpfen sollte. Von 1342 an finden wir ihn in Verbindung mit Petrarca, der sich von ihm im Griechischen unterrichten ließ, vornehmlich um den Originaltext Piatons verstehen zu lernen. Die großen Hoffnungen, in denen sich Petrarca gewiegt hatte, erfüllten sich indessen nicht und konnten sich auch nicht erfüllen. Barlaamo war weder ein Philolog noch ein Lehrer, und an Hilfsmitteln des Unterrichts fehlte es gänzlich. Den glücklichen Erfolg, auf den Petrarca dennoch hoff'te, verhinderte er selbst dadurch, daß er für Barlaamo den Bischofssitz von Gerace in Kalabrien erwirkte.

Im Jahre 1353 kam dann ein vornehmer Byzantiner, Nikolaos Sigeros, wieder in Angelegenheiten der Union, nach Avignon. Pe-

16 Italien

trarca bat ihn im Ostreich nach Handschriften Ciceros zu forschen und erhielt bald darauf von ihm ein Exemplar Homers. Außerordentlich ist die Freude, die sein Dankschreiben ausdrückt. Er bedauert nur, daß Barlaamo tot und Sigeros so fern sei, daß ihm Homer stumm bleiben müsse. So könnte er nichts tun als seinen Homer umarmen und seufzend sagen: 0 großer Mann, wie begierig würde ich dich hören! Doch hofft er gleich Cato noch im Alter Griechisch zu lernen.

In seinen Bestrebungen wurde Petrarca von seinem Freund und Schüler Boccaccio aufs eifrigste unterstützt. Als im Jahre 1360 Leonzio Pilato, wahrscheinlich ein Kalabrese, von Byzanz nach Italien kam, verschaffte ihm Boccaccio einen Lehrstuhl am Studio von Florenz, nahm ihn in sein Haus auf und suchte bei ihm Einführung in die griechische Sprache. Durch Petrarca aufgemuntert veranlaßte er Pilato zu einer lateinischen Übersetzung Homers. Ein Exemplar der Gedichte konnte in Padua erstanden werden. Es wird behauptet, der Unterricht Pilato's habe Boccaccio wenig gefördert. Aber dessen großes Werk, die Genealogia deorum gentilium, die erste antike My- thologie der Neuzeit, registriert in sehr großem Umfange die An- gaben Homers, zum Teil recht ausführlich, was doch eine bedeutende Ver- trautheit mit ihm voraussetzt. Auch kann man Pilato deswegen noch nicht einen Unwissenden nennen, weil er seinem Schüler Erklärungen gab, die uns heute seltsam berühren. Wenn er den Xamen Achilleus so erklärt, daß der Held bei Chiron ohne die gewöhnliche Nahrung (chilös Futter) aufgewachsen sei, so hat er diese Etymologie nicht erfunden. Tzetzes und Eustathios kennen sie. Sie war also in Byzanz adoptiert und geht bis ins Altertum zurück: zuerst erwähnt finden wir sie bei Euphorion von Chalkis, einem Dichter des 3. Jahrhunderts v. Chr. Nicht anders steht es mit den allegorischen Erklärungen Pilato's, deren Boccac- cio in seiner Mythologie gedenkt. Ein Teil davon läßt sich auch bei Eustathios nachweisen. Pilato war also nicht ein Unwissender, sondern im Sinne seiner Zeit ein Gelehrter, der die in Byzanz herrschende alle- gorische und auch rationalistische Erklärungsweise gut kannte. Der Zeit Boccaccio's war sie, wie schon aus seinem Buch hervorgeht, ohne- hin sympathisch, bildete sie doch eine gute Verteidigungswaffe gegen die Angriffe der Scholastik auf die Poesie. Für die großen Florentiner des Trecento besteht die Aufgabe der Poesie geradezu darin, die Wahr- heit der Dinge mit schönen Schleiern zu schmücken. Diese Auffassung ist später zurückgetreten, ohne je gänzlich zu erlöschen.

Pilato's lateinische Prosaübersetzung Homers wird mit Recht ge- scholten und ist weder zuverlässig noch gut lateinisch. Vers für Vers

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Petrarca Boccaccio Pilato 17

wörtlich und mit vielen Mißverständnissen übertragen. Aber sie erfüllte doch den ersten Wunsch der Auftraggeber, nämlich den zu erfahren, was eigentlich im Homer stehe. Gegen Ende des Jahres 1360 dankt Petrarca Boccaccio für die Übersendung eines Teils der Abschrift der Übersetzung und sagt, er habe vor allem wissen wollen, wie der blinde asiatische Dichter die italischen Einöden beschrieben habe, sei es nim Aeolien, d. i. die Liparischen Inseln oder der Avemussee und das Vorgebirge Circei. Das Interesse war zunächst ein rein stoffliches.

Die Spuren von Pilato's Übersetzung finden wir außer bei Boccaccio in dem Kommentar, den Benvenuto da Imola 1380 zur Divina Coramedia geschrieben hat. Der Kommentator, der selbst kein Griechisch verstand, hat Homer 28 mal zitiert.

Im Jahre 1363 kehrte Pilato nach Byzanz zurück. Er hatte ge- leistet, was von ihm erwartet worden war: die beiden großen Humanisten kannten jetzt den Inhalt der homerischen Gedichte. Von deren Ver- wertung bei Petrarca seien hier einige Beispiele angeführt.

In der Schrift De sui ipsius et multoriim ignorantia 1367 setzt er auseinander, er werde der Unwissenheit beschuldigt, weil er nicht auf die Autorität des Aristoteles schwöre, der in seiner Ethik die Glück- seligkeit ansehe wie die Eule die Sonne, und weil er ein guter Christ sei. Die Gegner, die ihn herunterreißen, erstreben die Wissenschaft von Dingen, die nur Gott vorbehalten seien. Nicht nur die Kirche verbiete das ünerfor schliche zu erforschen, auch bei Cicero und Demo- kritos finde sich ähnliches. Am frühesten und schärfsten äußere sich Homer, dessen Zeus seiner Gemahlin, der höchsten Göttin, verbiete nach seinen innersten Geheironissen zu forschen. Lange vor Aristoteles habe Homer die Einheit der Regierung gefordert. Denn, „wie uns in la- teinischer Sprache übermittelt ist", sagt er: „Nichts Gutes ist die Viel- heit der Gebieter (numinum); einer soll Herr sein, einer König". Zum Beweise, daß bei Homer der Neid in Thersites verkörpert sei, gibt er dessen Schilderung wörtlich auf lateinisch. Diese Zitate konnte Petrarca nur aus Pilato's Übersetzung haben. Er hat sie offenbar eifrig studiert.

Auf seine und Boccaccio's epische Dichtung konnte Homer schon darum keine Wirkung ausüben, weil diese ihre Tätigkeit vor den Besuch Pilato's fällt. Petrarcas Äfrica, ein Epos, dessen Held Scipio Africanus ist, hatte den Abschluß schon 1343 erhalten. Boccaccio's Filostrato, ein in Oktaven abgefaßtes italienisches Epos über Troilus und Griseida, und die in gleicher Form geschriebene Teseide sind wenig später er- schienen. Wenn sie in Personen und Kunstmitteln antiken Einfluß zeigen, so ist dieser römisch, nicht homerisch.

Finaler: Homer in der Neuzeit. 2

18 Italien

Ein Brief Petrarca's an Homer vom 9. Oktober 1360 faßt alle HoffiauDgen und GefüMe zusammen, welche die zu erwartende Über- setzung erweckte. Der Brief ist die Antwort auf eine von Bologna aus im Namen Homers an Petrarca gerichtete Epistel, wenn die Ver- anlassung nicht fingiert ist. Im Eingang weist Petrarca auf den Homerus Latinus hin, der den Dichter den Abendländern nicht nahe gebracht habe. Jetzt werde sein Werk den Lateinern zugänglich gemacht werden. Eine Probe der Übersetzung lehre, daß Homer auch in lateinischer Prosa gefalle. Von den vielen Werken des Dichters habe man in Italien nicht einmal den Namen gekannt. Petrarca beklagt den Untergang so vieler Epen.

Eine Stelle des Briefes an Homer behandelt die Frage, ob Homer oder Virgil der größere Dichter sei. Dem Italiener des 14. Jahrhunderts konnte die Antwort nicht schwer fallen. Virgil war für ihn das un- erreichte Muster epischer Poesie, in Stil und Sprache das Vorbild für jeden humanistischen Dichter, während den Homer noch niemand kannte. Aber da gab es aus dem römischen Altertum Stimmen, die nachdenk- lich machen konnten. Das Verhältnis Virgils zu Homer war in den Kreisen der römischen Gelehrten vielfach erörtert worden. Von den zwei wichtigsten Schriften, die davon Zeugnis geben, war des Servius großer, im 4. Jahrhundert n. Chr. geschriebener Kommentar zu den virgilischen Gedichten dem Petrarca offenbar noch unbekannt. Servius zieht in seinen Erklärungen beständig die parallelen Stellen Homers heran und kommt zu dem Schlüsse, Virgil sei dem Homer gefolgt^ wenn auch in weitem Abstände, aber dennoch gefolgt. Dagegen kannte Petrarca den Macrobius, einen römischen Schriftsteller des 4. und 5. Jahrhunderts n. Chr., auf den er in dem Briefe an Homer selbst verweist. In dessen Saturnalia, die nach beliebter antiker Sitte in Form von Gesprächen abgefaßt sind, wird das Verhältnis der beiden Dichter eingehend erörtert. Im 5. Buch feiert zuerst Eusebius, einer der Tisch- genossen, in überschwenglichen Worten Virgils rhetorische Kunst, deren Mannigfaltigkeit sich mit der der Welt, also der Dichter mit dem Schöpfer, vergleichen lasse. Darauf bemerkt Euaagelus höhnisch, der mantuanische Bauer Virgil könne keinen einzigen griechischen Rhetor oder überhaupt Schriftsteller gekannt haben und werde deshalb zutreffend mit dem Weltschöpfer verglichen, der alles aus dem Nichts erschaffen habe. Da- gegen erhebt sich Eustathius mit der Behauptung, daß selbst kein Grieche eine solche Fülle griechischer Gelehrsamkeit in sich aufgenommen habe wie Virgil. Er zeigt mit Aufwand von gewaltigem Material, wie wunderbar glücklich Virgil besonders den Homer nachgeahmt habe.

Petrarca Servius^ Macrobius 19

Während aber die Rede des Eustathius eine Verteidigung des römischen Dichters gegen den Vorwurf der Unwissenheit bedeuten sollte, wird sie ganz von selbst zu einer Herabsetzung gegenüber dem Vorbild Homer.

Petrarca gibt nun unter Hinweis auf Macrobius zu, daß Virgil den Homer nachgeahmt habe. Gegen den Vorwurf der Undankbarkeit, daß er Homers Namen nicht genannt habe, verteidigt er ihn mit seinem frühen Tode. Er hatte Homer am Schlüsse seines unvollendet gebliebenen Werkes einen Ehrenplatz bestimmt, wie Statins dem Virgil tat.

In seinem letzten Werk, den Trionfi, 1357 1373, läßt Petrarca neben Homer Seite an Seite Virgil einher schreiten, der gleich rühmlich tumiere wie er. Bei dieser ausgleichenden Beurteilung ist es später nicht geblieben. Der Streit um die Wertschätzung beider Dichter hat bis ins 18. Jahrhundert fortgedauert.

Petrarca hat sich nicht in der Hoffnung gewiegt Homer in Ita- lien heimisch zu machen. Wenige kann er aufzählen, die in seinem dem Gewinn ergebenen Vaterlande den Dichter lieben. Zwar lädt er ihn freundlich ein bei ihm in Florenz zu verweilen, kann aber nicht verschweigen, daß er wenig Beachtung finden werde. Das Streben nach Reichtum, das Überwuchern des Handwerks, die unredliche Jagd nach politischer Macht würden ihm eine Stellung schaffen wie dem Adler unter Eulen, dem Löwen unter Affen, die ihn verspotten. Zu helfen vermöge er nicht, denn Homers Anhänger gälten als Toren und würden aus Haß gegen seinen Namen zerfleischt. Aber wenn Pilato mit seiner IJbersetzung fertig sei, werde Homer in Petrarca's Seele wohnen.

Es scheint denmach, daß sich die Abneigung gegen die Griechen sogar in Angriffen auf die wenigen Männer äußerte, die von der Be- fruchtung des geistigen Lebens der Heimat durch die hellenische Lite- ratur und Wissenschaft träumten. Jene Abneigung hatte ihren Grund zunächst in der Verschiedenheit des Glaubens, welche die Paläologen vergeblich zu überbrücken suchten. Dann sahen die Italiener von der Höhe des modernen Humanismus verächtlich auf die Byzantiner herab, welche die lateinische Eloquenz nicht schätzten und nicht lernen wollten. Was man von Griechen zu sehen bekam, war zum Teil unlieblicher Natur. So erscheint besonders Pilato als ein unappetitlicher, stets mißvergnügter Mensch, ein Vorläufer der griechischen Schulmeister,, die im folgenden Jahrhundert massenhaft nach Italien kamen und sich durch Mangel an gesellschaftlichem Takt, Streitsucht, Kriecherei, Geld- gier ebenso unbeliebt machten, als man auf der andern Seite ihrer Dienste nicht entraten koim.te.

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Dennoch, und trotz dem von Petrarca beklagten Überwiegen der materiellen Interessen, bereitete sich gerade in Florenz der Boden für die AufQahme der griechischen Literatur und Wissenschaft vor. Für eine mittelalterliche Stadt stand hier die Volksbildung ungewöhnlich hoch, und die großen toscanischen Dichter bildeten die Lieblingsunter- haltung der gebildeten Kreise. Das Latein war sehr vielen geläufig.

Die entscheidende Wendung trat ein, als im Jahre 1382 der reiche Adel in Florenz zur Herrschaft kam. Ein reiches und heiteres Leben, das nicht in rohe Genußsucht ausartete, schaffte für die griechische Wissenschaft den Nährboden. Zu Beginn des neuen Jahrhunderts hätte Petrarca nicht mehr zu klagen gehabt.

In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts sehen wir die neue humanistische Kultur in der Periode des Sammeins begriffen, und zwar steht auch hier noch das römische Altertum durchaus im Vordergrund. Das eifrige Suchen nach verschwundenen Werken der lateinischen Lite- ratur, durch das sich besonders Poggio Bracciolini hervortat, ist dafür der beste Beweis. Kenntnis der römischen Schriftsteller, durch ihre Hilfe Überwindung der mittelalterlichen Scholastik, endlich die eigene Fähigkeit in den alten Formen zu sprechen und zu schreiben, das war, was man erwartete und anstrebte. Daneben sehen wir das Griechische nach und nach dem Lateinischen an die Seite wachsen.

In der Leichenrede, die Lionardo Bruni genannt Aretino als Staatskanzler von Florenz auf Nanni Strozzi gehalten hat, verkündet er nach dem Vorbilde eines antiken Epitaphios auch den Ruhm der Stadt, deren angesehener Bürger der Verstorbene gewesen war. Für Sruni ist Florenz die Begründerin der literarischen Studien, die seither in Italien einen so ungeahnten Aufschwung genommen haben. Florenz allein hat die Kenntnis der griechischen Literatur, die in Italien mehr als siebenhundert Jahre in Vergessenheit geraten war, zurückgerufen und uns in den Stand gesetzt die größten Männer des Altertums von Angesicht zu Angesicht zu schauen.

Poggio führte in der Prunkrede, die er 1444 auf Bruni's Tod schrieb, den in Florenz neu erwachten Eifer für die griechische Lite- ratur auf die Berufung des Manuel Chrysoloras zurück. Von Petrarca's und Boccaccio's Bestrebungen wird keine Notitz genommen.

Den Übergang zu der neuen Zeit bildet die Regierung des großen Staatskanzlers von Florenz, Coluccio di Piero de' Salutati, der sein hohes Amt 1375 antrat, der erste humanistisch Gebildete, dem es übertragen wurde. Ein Bild des heiteren, dem fröhlichen Verkehr

Florenz Chrysoloras 21

^ne angeregter geistiger Unterhaltung gewidmeten Lebens gibt die Schrift 11 Faradiso degli Alherti, Erinnerungen an den 1389 in der Villa Paradiso zusammengetretenen Freundeskreis. Eine andere Ge- sellschaft war die von S. Spirito, dessen Mittelpunkt der Augustiner Luigi de' Marsigli war. Von diesem wird erzählt, er habe einst im Paradiso einen Vortrag über die Verwandlung der Gefährten des Odysseus durch Kirke gehalten und sie moralisch erklärt: Menschen könnten nicht durch Zauberspruch in Tiere verwandelt werden, wohl aber bei bestialischen Handlungen sich selbst und andern als Tiere erscheinen. Wir erkennen die Herrschaft der allegorischen Erklärung. ^K Von neuem erwacht der Trieb, auch die griechische Literatur für ^ie Kultur der Heimat zu erobern. Nicht selten gingen junge Männer I nach Konstantinopel, um das Griechische an der Quelle zu lernen. Einem von ihnen, Giacomo d' Angiolo da Scarparia, trug Salutato auf, so viele griechische Bücher als möglich von dort mitzubringen, vor allem ein deutlich auf Pergament geschriebenes Exemplar Homers. Die entscheidende Stunde für die Wiedererweckung der griechischen Literatur in Florenz schlug, wie Poggio es ausspricht, mit der durch Salutato bewirkten Berufung des Manuel Chrysoloras an das Studio zu Florenz. Die Berichte über seine Lehrerfolge veranlaßten Salutato ihn für Florenz zu gewinnen. Er folgte dem Rufe und trat seine Lehr- tätigkeit gegen Ende 1396 an, unter dem Zudrange der erlesensten Geister. Vor allem gab er, was das Wichtigste war, eine griechische Gramma- tik, die Erotemata, eine Formenlehre in Fragen und Antworten. Es war eine Bearbeitung der Grammatik des Dionysios Thrax, eines Schülers Aristarchs, ungefähr 170 90 v. Chr. Daneben muß Chrysoloras eine hervorragende Lehrgabe besessen haben. Obwohl er schon im Jahre 1400 Florenz wieder verließ, hatte er doch eine Anzahl bedeutender Männer in die griechische Sprache und Literatur eingeführt und ihnen auch das tiefere Verständnis erschlossen. Bis in ihr hohes Alter gedachten sie mit Begeisterung ihres Lehrers.

Die nächstliegende Aufgabe der in den neuen Wissenskreis Einge- dhten schien zu sein, der gebildeten Welt die Schätze der griechischen teratur durch Übersetzungen zu vermitteln. Daß diese lateinisch sein ' müßten, stand von vornherein außer Frage. Schien doch das neu er- weckte, durch die Bekanntschaft mit den besten Mustern gereinigte Latein wirklich die Sprache der modernen Bildung werden zu sollen. Für die Poesie stand ein wie es schien unerreichtes Muster zugebote, Virgil, dessen Formen jeder in jedem Lande angewendet hat, der Homer in lateinischen Versen wiedergeben wollte.

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Es gehört zu den Erfolgen von Chrysoloras, daß auch über das Wesen der Übersetzung richtige Anschauungen Platz griffen. Noch kurz vor der Ankunft des Byzantiners 1390 hatte Salutato gemeint, man könnte aus Pilato's schlechter Prosaübersetzung einen ganz schönen poetischen Homer machen; man müßte nur den Glanz und die Majestät des Ausdruckes steigern und alle Kunstmittel der Poesie anwenden. Er hatte den jungen Dichter Antonio Loschi aufgemuntert auf diesem Wege das heroische Epos lateinisch herzustellen. Glücklicherweise ist nichts daraus geworden, und seit Chrysoloras war es mit dergleichen Gedanken vorbei.

LionardoBruni hat sich zuerst an eine neue Übersetzung Homers gewagt, jedoch noch nicht in Hexametern, sondern in lateinischer Prosa. Sie umfaßt nur die Reden des Odysseus, Phoinix und Achilleus aus dem neunten Buche der Ilias. Nach mehreren Seiten höchst interessant ist die Vorrede. Bruni bewundert an Homer vor allem, daß der Ruhm und die Kunst der Rede schon in so alter Zeit vorhanden sind. Odysseus und Nestor sind hervorragende Redner, Achilleus soll durch seinen Er- zieher dazu gebildet werden. Die Redekunst geht also in die ältesten Zeiten hinauf, da ja Homer der erste griechische Schriftsteller ist. Er ist schon ein beiuahe vollkommener Redner. Er erblickt das Wesen der Sache, legt es klar und bringt nicht nur die Beweisgründe bei, sondern verwendet auch die Affekte. Schon er hat die drei Arten der Rede gekannt, die feine und gedrängte, die gewaltige und erregte, endlich die mittlere, die wir bald die maßvolle, bald die mittelmäßige, bald die gemischte nennen. Die erste Art leiht er dem Odysseus, die E zweite dem Achilleus, die dritte dem Phoinix.

Die theoretische Einteilung, die Bruni hier vorträgt, weist auf die Kenntnis des Quintilian, eines Schriftstellers aus der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts n. Chr., von dessen Buch IJher die Bildung zum JRedner Poggio während des Konstanzer Konzils in St. Gallen : eine vollständige Handschrift gefunden und eigenhändig abgeschrieben hatte, zur größten Freude Bruni's. Höchst wahrscheinlich kannte dieser auch das dem Plutarch zugeschriebene Werk über Homer, das die genannte Einteilung ebenfalls enthält und bald eine große Wirkung ausübte. Die Anwendung auf die Reden des 9. Buches hat Bruni selbst gefunden, da sie weder bei Quintilian noch bei Plutarch steht. Aber daß er Homer unter dem Gesichtspunkt der spätantiken rhetorischen Theorie betrachtet, zeugt von der auffälligen Unfreiheit der Humanisten gegenüber der Tradition des Altertums.

Sodann geht Bruni auf die Prinzipien 'seiner Übersetzung ein. Er hat die Reden zu seinem Vergnügen nach rednerischer Art über-

Bruni Ciriaco 23

setzt und zwar in Prosa. Dabei konnte er, wie er sagt, die Epitheta nicht verwenden, die eine Eigentümlichkeit der Dichter sind, aber für den Redner gar nicht passen. Dem Dichter, sagt er, ist vieles erlaubt, um bei seinem erfundenen Stoff zu ergötzen und Füße und Vers- glieder leichter auszufüllen. Bei dem Redner, der die Wirklichkeit darstellt, würde die überflüssige Worthäufung die Wahrscheinlichkeit und das Gewicht der Dinge vermindern und hätte in einer ernsten Sache einen gewissen kindischen Beigeschmack. Wenn man daher Homer in Prosa übersetzen will, so muß man die Epitheta weglassen. Es ist von Interesse zu sehen, wie schon die erste Homerübersetzung, die einen festen Stil anstrebt, mit den homerischen Beiwörtern zu ringen hat. Bruni schließt damit, daß ihn die Würde rechtfertige, die aus seiner Behandlung resultiere. In jedem Fall zeigt er ein gründliches Verständnis des Originals.

Mit Petrarca hatte die Sammlung der erhaltenen antiken Literatur begonnen, jetzt wurde sie immer eifriger betrieben. Systematisch und im großen Stil begann die Überführung griechischer Bücher nach Italien durch die Reisen, welche junge Italiener nach Byzanz machten, um Griechisch zu lernen. Unter ihnen ragt Guarino von Verona hervor, der in Byzanz im Hause des Chrysoloras halb als Schüler, halb als Diener weilte. Der Ruhm, den Grundstock der griechischen Literatur nach Italien verpflanzt zu haben, gebührt Giovanni Aurispa aus Noto in Sizilien, der 1423 mit reichster Ausbeute an griechischen Werken von Byzanz nach Venedig kam und lebenslang ein eifriger Sammler geblieben ist.

Die Altertumskund-e im weitesten Sinn eröffnete der Kaufmann Ciriaco de' PizzicoUi von Ancona. Mit den großen italienischen Dichtern vertraut, war er durch Dante auf Virgil geführt, durch diesen mit starker Sehnsucht nach Homer entzündet worden. Latein und Griechisch lernte er fast ganz aus eigener Kraft. Auf der ersten großen Forschungsreise, die er 1425 begann, fand er in einem Kloster in Leukosia auf Cypern eine alte Handschrift der Ilias, die sein vor- nehmster Lehrmeister im Griechischen wurde, wie es Virgil für das Lateinische gewesen war. Noch in Leukosia kam eine Odyssee dazu. Auf seiner letzten Reise 1447 fand er in Ohios eine Grabschrift des Homer, die ihm die Gewißheit gab, daß der Dichter auf dieser Insel geboren worden sei. Ciriaco ist der erste, dem die Kulturmacht des griechischen Altertums ganz zum Bewußtsein gekommen ist. Sein Enthusiasmus, seine Opferfreudigkeit, die nie rastende Lust am For-

24 Italien

sehen machen ihn zn einer verehrungswürdigen Gestalt. Nicht nur Bücher, sondern besonders auch Inschriften und Geräte sammelte er und beschrieb und zeichnete, was er sah. So besitzen wir von ihm einen Aufriß des damals noch unverwüsteten Parthenon.

In seinem Sammeln wurde Ciriaco auf großartige Weise durch Cosimo de' Medici unterstützt, der seit 1434 die Geschicke von Florenz leitete. Die Welt erinnert sich bei seinem Namen an die herr- liche Entfaltimg der Künste in Florenz. Nicht geringer ist sein Ver- dienst als Förderer der humanistischen Bestrebungen, in denen er Salu- tato's Werk fortsetzte. In dem Kreise schöner Geister, der sich um ihn scharte, war mancher, der den großen Kanzler noch gekannt hatte^ neben Bruni vor allem Niccolö de' Niccoli, die eigentliche Seele der ganzen Gesellschaft. Er berät sich mit Guarino über die Anschaffung griechischer Bücher, sucht Aurispa's Bücherschätze für Florenz zu ge- winnen und führt Ciriaco, der am liebsten mit ihm verkehrte, in die florentinische Humanistengesellschaft ein. Niccoli's großartige Bücher- sammlung wurde nach seinem Tode durch Cosimo übernommen und bildete den Grundstock der ersten öffentlichen Bibliothek, die in dem Neubau des Klosters S. Marco Aufaahme fand. Daneben erwuchs die reiche mediceische Privatbibliothek. Das Griechische fand in Cosimo's Zeit zunächst eifrige Pflege durch Francesco Filelfo aus Tolentino in der Mark Ancona, der 1429 nach Florenz berufen wurde und unter anderem auch die Hias erklärte.

Unter den griechischen Schriftstellern ist Homer nicht gerade der, dem damals in Florenz das größte Interesse entgegengebracht wurde. Yiebnehr konzentrierte sich dieses auf die griechische Philosophie, auf Piaton und Aristoteles. Doch war Homer nicht vergessen. Carlo Mar- suppini aus Arezzo, daher gleich Bruni Aretino genannt, dozierte seit 1431 am florentiner Studio lateinische Eloquenz und griechische Sprache. Er folgte Bruni als Staatskanzler, setzte aber dabei seine Vorlesungen fort. An ihn richtete Papst Nico laus V. die Aufforderung ihm den Homer in lateinische Verse zu übersetzen. Denn Marsuppini hatte sich schon in jungen Jahren durch Übertragung des Froschmäusekriegs, eines dem Homer zugeschriebenen parodistischen Gedichtes, vorteilhaft bekannt gemacht. Er übernahm den Auftrag mit jugendlichem Feuer, kam aber nicht über das erste Buch und die von Bruni in Prosa ge- gebenen Reden des 9. Buches hinaus, da er nach deren Vollendung starb.

Von großem Interesse ist Marsuppini's poetische Dedikation seines Werkes an den Papst. Der Versicherung, daß seine Schultern für die Last zu schwach seien, folgt die schöne Begründung: Es ist unmöglich,

Cosimo Marsuppini 25

sich Homers wechselvollem Wege anzubequemen. Denn er jagt bald mit verhängten Zügeln dahin, bald zieht er die Leitseile an, um dann wieder, sie zugleich nachlassend und anziehend, in richtiger Mäßigung zu laufen. Und wie alle Ströme aus dem Ozean fließen und aus einem Ursprung durch die Länder laufen, so haben alle geheiligten Dichter ihren Ursprung in Homer. Mit ihm tränken sie ihren Mund, und er ist ihrer aller Vater. Wie ein Bergstrom ist er, der vom Regen des Gebirges geschwellt die Brücken zerstört und ungeheure Felsen wälzt. Jetzt ist sein Bett für ihn zu groß, jetzt erreicht er die Uferhöhe. Bald hebt er sich, einem Sch^vane gleich, hoch in die Lüfte, bald streift er^ auf seinem Flügelpaar von der Höhe herabgeglitten, in tiefem Fluge den Boden, dann wieder freut er sich zwischen Höhe und Tiefe zu fliegen. Starken Herzens ordnet er die Reihen zur Schlacht, kühn ruft er die Himmlischen zum Kampf und trifft der Yenus und des wilden Mars geheiligte Leiber mit dem Schwert. Nach einer gedrängten In- haltsangabe der Ilias fährt Marsuppini fort:

Das singt Homer in viermal sechs Büchern. Er erhebt es zum Teil zu größerem Ernst als der Kothurn des Tragikers, zum Teil ver- bindet er den Becher Vulcans mit dem Soccus der Komödie, und die Hallen der Himmlischen füllen sich mit Gelächter; bald mäßigt er die Rede dadurch, daß er das W^ort durch die Tat ersetzt.

Es folgt die Inhalts angäbe der Odyssee und eine Mitteilung über die manigfaltige Mischung der Dialekte bei Homer; dann heißt es weiter:

Den Formen der Darstellung schafft er das Gesetz. Mit noch größerer Weisheit gibt er der heftigen Volksversammlung die Waffen in die Hand, lehrt die häßlichen Streitigkeiten beilegen, gibt weise Er- mahnungen und führt den Rechtsstreit. Die Herzen weiß er zu sänftigen^ zu beugen, zu belehren. Bald ein kurzer Redner, bald in breiter Rede, süß und herb, verwendet er angemessen die Worte und wandelt sie in tausend Formen. Er bessert die Sitten der Menschen und führt frevel- hafte Seelen zu ihrer Bestrafung in den traurigen Tartarus. Auf tausend Arten quält er die Elenden, den Froromen aber werden fröhliche Reiche bereitet. Das ganze Gedicht durchzieht das Lob der Tugend.

Er singt, daß es nur einen Gott gibt, dem die Gestirne gehorchen, das Meer und die Erde und die übrigen Urgründe der Dinge, alle Obern und des Hades trauriges Reich. Daß der Menschen Geschlecht fälschlich seine Schuld auf die Geschicke schiebe, lehrt er durch den Mund des Jupiter, der alle Götter zu Zeugen anruft und es ausspricht, daß sich die Menschen selbst das Verderben suchen. Uns freilich, die wir in besseren Zeiten geboren sind, führt der wahre Glaube, führt

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Paulus zum Himmel, und du, treif liebster Hirt. Aber es ist wunder- bar, daß der blinde Dichter so viel geseben bat. Damit nicbt zufrieden, ■erzäblt Homer den Ursprung der Welt, alles nacb seiner Ordnung, die Sterne und ibre Namen. Was der Gesang, was gesendete Träume ver- mögen, füblt er. Immer paßt er die Yerbältnisse des Himmels den ungeraden Zablen an und lebrt das die Pytbagoreer, um es zu bewabren. Kurz, eine so gelebrte Dicbtung ist ein redendes Gemälde. Homer bat in sein Gedicbt das ganze Wissen seiner Zeit aufgenommen, daber sieb aucb sieben Städte um ibn stritten.

Aus der Widmung seben wir, daß Marsuppini das dem Plutarcb ^ugescbriebene Bucb Über Homer kennt, in welcbem dieser als der Yater aller Diebter, der Urgrund aller Künste und Wissenschaften dar- gestellt wird. Ob Marsuppini aucb Scbolien, d. b. antike Erklärungen zu Homer, bat einseben können, ist nicbt deutlich. Jedenfalls hatte €iriaco solche gefunden und mitgebracht.

Ob die Verknüpfung der Gestirne mit den Geschicken auf byzan- tinischen Einfluß zurückgebt, muß dahingestellt bleiben, da ein solcher "Gedanke auch zu den astrologischen und allegorischen Neigungen der Renaissance paßt. Aber byzantinisch ist das Bestreben, Homer zu einem Monotheisten zu machen. Wir haben gesehen, mit welcbem Eifer Tzetzes die Meinung verfocht, Homer habe nicht an seine Götter geglaubt. So frei die Zeit der Renaissance auch dachte, so war es doch ratsam, mit der Kirche nicbt in Konflikt zu kommen und deshalb Homer als Vor- läufer christlicher Off'enbarung hinzustellen. Diese Auffassung wurde ohne Zweifel von den byzantinischen Lehrern genährt. Daß selbst Marsuppini, der notorische Heide, sie vertritt, ist sehr charakteristisch.

Davon abgesehen zeugt die ganze Dedikation von einem wahren Verständnis Homers und einer herzlichen Liebe zu ihm. So auch die Übersetzung, welche die Fehler aller metrischen Übersetzungen bat. Der Verszwang verhindert leicht ein volles Ausschöpfen des Inhalts, zumal in einer Zeit, wo der Stil durch die bewunderten Vorbilder, Virgil und Ovid, vorgeschrieben war. An diese wird man denn auch in Marsuppini's Versen beständig erinnert. Im ganzen aber ist dessen Leistung ein schöner Beweis für die Hingebung, mit der Cosimo's Kreis in den Homer eingedrungen war.

Die Widmung Marsuppini's führt uns an den Hof des Papstes Nicolaus V. Parentucelli. Er hatte einst dem florentinischen Kreise angehört und trat nach seiner Wahl in Rom in glänzender Weise als Förderer der Künste und Wissenschaften auf. Zu seinen eifrigsten Bestrebungen gehörte es die FüUe der griechischen Literatur in guten

Marsuppini Nicolaus Y 27

lateinisclieii Übersetzungen zu besitzen. Er ist in diesem Streben dem Augustus nicht unähnlich. Wie dieser sein Augenmerk darauf richtete durch die griechische Bildung die neue römische Kultur zu befruchten, so stand diesem Papst eine durch die hellenische Literatur bereicherte imd belebte humanistische Kultur vor Augen. Daß er einem Trugbilde nachjage, konnte ihm in der Zeit der unbedingten Herrschaft der neu- lateinischen Schriftsprache nicht zum Bewußtsein kommen; wollte er doch nur vollenden, was Petrarca und Boccaccio angestrebt hatten.

Unter den Wünschen des Papstes stand in erster Linie der nach einer Übersetzung Homers in lateinischen Hexametern. Der für das Unternehmen geeigneteste Mann, Marsuppini, starb ein halbes Jahr nach den ersten Versuchen. Ein zweiter, der sich an die Aufgabe machte, war Orazio Romano, von dessen Übersetzung die ersten 58 Verse des ersten Buches der Ilias erhalten sind. Von dem Leben des Dichters ist wenig bekannt, dagegen zeigt ihn ein erst kürzlich gedrucktes Epos PorcariOy in dem er die Verschwörung des Stefano de' Porcari besingt, als einen der Humanisten und Lobredner am Hofe Nicolaus V. Das kleine Bruchstück Homers ist eleganter als der Versuch Marsuppini's, aber der Florentiner übertrifft Orazio an Treue und Verständnis. Letzterer hat auch nach des Papstes Tode noch an seiner Übersetzung gearbeitet und muß mehrere Bücher übertragen haben. Wie weit er gekommen ist, wissen wir zur Stunde noch nicht.

Der dritte, dem der Papst die Aufgabe übertragen wollte, war Francesco Filelfo, den seine Kenntnis des Griechischen und seine Oewandtheit im lateinischen Vers dazu vorzüglich geeignet erscheinen ließen. Filelfo's Biograph Rosmini erwähnt eine von ihm in der Mai- länder Bibliothek gesehene, 1516 in Venedig gedruckte lateinische Prosa- übersetzung der Odyssee, von der er jedoch bezweifelt, ob sie wirklich von Filelfo herrühre. Ob die Zweifel begründet sind, läßt sich schwer- lich ausmachen. Jedenfalls existiert das Buch, wie mir Herr E. Motta in Mailand freundlichst mitteilt. Rosmini erwähnt, daß der Übersetzung die Homervita von Guarino und der Pindarus Thebanus vorangehen. Der Band enthält aber, was wichtiger ist, auch die nur teilweise vollendete Übersetzung der lUas von Niccolö della Valle. Zur Odyssee fehlt jede Einleitung, und Kommentare sind nicht beigefügt.

Außer Beziehung zu den Bestrebungen des Papstes stehen einige andere Übersetzungen Homers.

Pier Candido Decembrio aus Pavia war nach seiner Flucht aus Mailand von Nicolaus V. als Sekretär angestellt und mit der Über- setzung des Appian betraut worden. Diejenige des Homer, von der

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wir Kunde haben, war nicht auf des Papstes Anregung verfaßt, sondern bereits 1440 begonnen, auf Wunsch des Königs Juan von Kastilien. Es scheint eine genaue Übertragung in lateinische Prosa gewesen zu sein, deren Umfang verschieden, auf fünf, sechs und zwölf Bücher an- gegeben wird.

Eine andere Übersetzung ist die von Lorenzo Valla aus Pia- cenza, des bedeutendsten Kritikers unter den Humanisten, der 1447 päpstlicher Sekretär geworden und mit der Übersetzung des Herodot und Thukydides beauftragt worden war. Valla hatte in Rom, wo er seine Jugendzeit verlebte, bei Aurispa und Rinucci da Castiglione Grie- chisch gelernt. Er erzählt selbst, wie ihm beim ersten Lesen der Odyssee oft die Augen von Tränen überflössen und die Stimme erstickte. Dem kecken Kritiker Ciceros wurde auch ein trotziges Wort gegen die maß- lose Überschätzung Virgils durch die Humanisten zugeschrieben: der unter dem Namen des Pindarus Thebanus gehende Auszug aus der Ilias sei dem Virgil vorzuziehen.

Valla's Prosaübersetzung Homers mit den Plänen Nicolaus V. zu- sammenzubringen verbietet schon die Abfassungszeit, denn die 16 ersten Bücher der Ilias, die sie umfaßt, sind schon 1442 1444 in Neapel ge- schrieben. Der Vorwurf von Valla's Feinden, er habe Pilato's Arbeit aus- gebeutet, fällt bei einer auch nur oberflächlichen Vergleichung in sich zusammen. Die Arbeit erweist sich bald als eine frei an das Original an- gelehnte Erzählung des Inhalts, bald als ganz korrekte Übertragung. Das Bezeichnendste ist ihre Schmucklosigkeit. Verständlich, schlicht und ein- fach gleitet die Rede dahin. Mit den schmückenden Beiwörtern verfährt Valla ähnlich wie Bruni: er läßt sie meistens weg, ebenso die breiten Einleitungen der Reden, ohne daß indessen eiQ festes Prinzip sichtbar wäre. Er folgt offenbar seinem Stilgefühl und hat die Übersetzung wirklich lesbar gemacht. Doch kommt sie uns bei längerem Lesen ziemlich trocken vor. Episches Griechisch und lateinische Prosa ver- tragen sich eben schwer. Veranlassung zu der Übersetzung war wohl das Bestreben Valla's, sich das Original völlig zu eigen zu machen. Dazu eignet sich die Prosa besser als der Vers, der wieder seine eigenen Anforderungen stellt und durch diese leicht Konflikte mit dem Original hervorruft.

Die Übersetzung erlangte zunächst keine große Verbreitung. Ber- nardo Giustiniano von Venedig, ein Schüler Guarino's, später Prokurator der Republik, fand 1461 in einer französischen Bibliothek ein Exemplar und ließ es abschreiben. Es wurde ihm als besonderes Verdienst an- gerechnet, daß er ein Exemplar der vollständigen Ilias nach Italien

'^t:

Yalla Francesco Aretino 29

zurückbraclite. Ihm ist auch der wahrscheinlich erste Druck, Brescia 1474, gewidmet.

Die eben genannten Exemplare enthielten bereits auch die Fort- zung der Ilias, Buch 17 24. Diese und die ganze Odyssee hatte, wie Vahlen nachweist, Valla's Schüler Francesco Aretino im Auftrage des Papstes Pius IL übersetzt, in den Jahren 1458 1460. Im Stil hat er sich ganz an seinen Vorgänger gehalten. Aber sein Name ist früh verschollen, entweder weil die ganze Übersetzung unter Yalla's Xamen ging, oder weil die Arbeit Francesco's durch eine andere ver- drängt wurde. Sämtliche Drucke des ganzen Homer, die ich zugesichte bekommen habe, und auch der einzige im British Museum befindliche enthalten nämlich eine Fortsetzung der Yallaschen Ilias und eine Odyssee, die sie übereinstimmend dem Eaffaello da Yolterra, der 1451 ^1522 lebte, zuschreiben.

Von weiteren Versuchen ist die Übersetzung einer Anzahl von Iliasbüchern von Niccolö dellaValle zu nennen. Eine recht hübsche Übersetzungsprobe der Glaukosepisode lieferte, vielleicht im Anschluß an della Valle, der ungarische Dichter Janus Pannonius, der in jungen Jahren bei Guarino studiert hatte, sein späteres Leben aber als Bischof von Fünfkirchen in Ungarn zubrachte.

Mit dem Auftrag Pius IL an Francesco Aretino schließt die Ge- schichte Homers in Rom für das Quattrocento.

Wenn bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts Florenz das Zentrum der humanistischen Bildung war, so teilte es doch seinen Ruhm mit einigen bescheideneren Fürstenhöfen, an denen die neuen Studien ebenfalls systematisch gepflegt wurden. Da war vor allem Mantua, wo unter dem Markgrafen Gian Francesco IL der berühmte Vittorino Rambaldoni da Feltre im Jahre 1423 seine Erziehungsanstalt gründete. Die Anstalt hatte auch das Griechische in weitem Umfang in ihren Lehrplan aufgenommen, und Vittorino las mit den Fort- geschritteneren Homer.

Wenig später fällt die Gründung der Schule von Ferrara durch Guarino da Verona, der 1429 einem Rufe des Markgrafen Mccolo d'Este von Ferrara als Prinzenerzieher folgte. Bei der Begründung der Schule leitete ihn nicht der weite Blick Vittorino's, der seine Schüler allseitig für das Leben ausbilden wollte. Guarino beschränkte sich mehr auf die Pflege der Gelehrsamkeit, besonders der alten Sprachen, aber darin hat er das Höchste geleistet. Die reiferen Schüler hörten ihn auch an der Universität. An beiden Anstalten strömte aus

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dem In- und Ausland eine Menge von Hörern zusammen, bei denen der gefeierte Lehrer zeitlebens in liebevollem Gedächtnis geblieben ist.

An der Universität von Ferrara wirkte zuerst als Professor, dann, nach der Neubegründung, als Rektor, der gelehrte Theodoros Gaza von Thessalonike, der bei Yittorino die lateinische Eloquenz studiert hatte und 1445 nach Ferrara berufen worden war.

Unter den zahlreichen Schülern Guarino's und Gaza's befand sich Basinio Basini aus Parma, der zuerst bei Vittorino gelernt hatte, Gaza preist er als den, der ihn in die griechische Poesie, vor allem in den Homer eingeführt habe. Dies ist in der gründlichsten Weise geschehen. Kein Italiener des Jahrhunderts übertriift Basini an ein- gehender Kenntnis des Dichters, bei keinem zeigt sich stärker dessen, nachhaltige Wirkung. ,

Freilich ist sein erstes lateinisches Epos, die Meleagris 1445, nur eine ausgeschmückte Bearbeitung des 8. Buches von Ovids Metamor- phosen, nicht etwa eine solche des im 9. Buch der Ilias im Auszug erhaltenen prachtvollen Epos vom Zorn des Meleagros. Die verhältnis- mäßig einfache Handlung ist durch nicht sehr geschickte Episoden '• verbreitert, die Sprache und besonders der Vers erscheinen noch recht ungelenk. Aber die Kenntnis Homers tritt an vielen Orten hervor, am meisten in der Göttervers ammlung des dritten und letzten Buches, die eine ziemlich freie Übersetzung der olympischen Szene des ersten Buches der Ilias ist.

Basini wurde 1449 an den Musenhof des Sigismondo Malatesta, Herrn von Rimini, berufen. Dort wirkte er als Hofpoet und Hof- philolog, besang den Tyrannen und dessen Geliebte Isotta und wurde bald so bekannt, daß Nicolaus V. auch ihn für eine Übersetzung Homers zu gewinnen suchte. Er lehnte mit der Begründung ab, daß, selbst wenn er das Genie und die Verskunst Virgils besäße, er doch niemals versuchen würdiä das deiLkwürdige Gedicht des großen Homer zu übersetzen. Diese Bescheidenheit war affektiert. Basini strebte nach höherem Ruhm als dem eines Übersetzers. Er wollte selbst ein Homer werden, der Malatesta's und Italiens. So verfaßte er das lateinische m Epos Hesperis in 13 Büchern, das erst kurz vor seinem Tode fertig geworden ist, und dessen Held Malatesta war, der Feldhauptmann der Florentiner im Kampf gegen Alfonso von Neapel oder, wie Basini sich ausdrückt, im Kampf der Tyrrhener gegen die in Italien gelandeten Iberer. Die Hesperis sollte ein nationales Epos sein, das den ein- dringenden Fremden einen vaterländischen Heros entgegenstellte. Es brauchte den ganzen Mut der Jugend dazu, den Wirrwarr der zeit-

Basini 3.1

genössisclieii italienischen Politik in die epische Sphäre zu erheben, Basini tut das durch Einführung des homerischen Olymps und Er- setzung der modernen Namen durch antike, wie er z. B. die Stadt Piombino Populonia nennt. Das sind aber Kleinigkeiten im Vergleich zu der durchgreifenden Umgestaltung der historischen Wirklichkeit. Mit dieser steht die Hesperis oft auf gespanntestem Fuß, bildet aber eine geschlossene Einheit und ist in der Darstellung überzeugend. Der Dichter hat mit sicherem Griff das Verwendbare herausgehoben^ das Verwirrende abgestreift und seinen Helden zum Mittelpunkt der

^■andlung gemacht.

^" Diesen Sigismondo Malatesta zeigt die politische Geschichte als tapferen Soldaten und erfahrenen Feldherm, der aber nie etwas Großes erreichte, weil er nie mit ganzer Seele bei der Sache war, der er sich gelobt hatte, sondern immer mit dem einen Auge nach dem Gegner schielte, mit dem er sich nicht ganz verfeinden wollte. Francesco Sforza hat gerade deshalb mit Verachtung über ihn gesprochen. Bei Basini ist er ein ganzer, freudiger Charakter, der Hort Italiens gegen die Barbaren, immer siegreich, von allen geschätzt und geehrt. Das ist oJßPenbar nicht lauter poetische Erfindung oder unwürdige Schmeichelei,, sondern es spiegelt das Bild wieder, das sich die Untertanen in Rimini von ihrem Herrn machten. An glänzenden Waffentaten hat es diesem ja nicht gefehlt, und sie noch bei seinen Lebzeiten besingen zu hören^. war, wie es Basini ihn im 5. Buch aussprechen läßt, sein heißester Wunsch. Auch ist das Grundthema, der Kampf gegen die Barbaren,, keine blosse Fiktion. Es ist überliefert, daß Rinaldo Orsini, der helden- mütige Verteidiger von Piombino, seinen Leuten zurief, sie sollten sich erinnern, daß jetzt Italiener nicht gegen Italiener, sondern gegen das. räuberische und grausame Volk der Katalonier kämpfen. Um diesen Gegensatz kräftig herauszuarbeiten, unterdrückte Basini bis auf wenige Spuren die ewigen Streitigkeiten Sigismondo's mit den nächsten Nach- barn, den Malatesta von Pesaro und dem Herzog von Urbino.

Aber die überlegene Kunst Basini's hat nicht ausgereicht, die Um- wandlung der historischen Wirklichkeit ganz unsichtbar zu machen. Wer die Hesperis liest, wird auch ohne Kenntnis der Geschichte spüren, ob der Dichter Geschehenes erzähle, oder ob er erfinde. Wo das^ erstere der Fall ist, da ist der Ton markig, feurig, durch und durch packend, so in der Berennung von Populonia, der Einnahme von Fogliano, der Eroberung von Vada. W^o es nicht der Fall ist, klingt die Erzählung hohl, weil dem Erzähler selbst die Zuversicht fehlt. Zweimal wird der Rückzug der Aragonesen durch eine fürchterliche

32 Italien

liomerische Schlacht eingeleitet, die nie stattgefunden hat, und die der Dichter dann doch nicht wagt als unbestrittenen Sieg Malatesta's zu preisen; in beiden Fällen bringen die Götter die neapolitanischen Fürsten in Sicherheit. Zuweilen ist es sehr schwer unter der pomp- haften Hülle das historische Ereignis aufzufinden, das ihr zugrunde liegt.

Basini ist ein wirklicher Dichter. Schon die Anlage der Hesperis ist äußerst geschickt. Besiegung Alfonso's Buch 1 3, Erzählung von Malatesta's bisherigen Taten, dem Alfonso von Apollon erzählt, und Malatesta's Odyssee, die Fahrt zu den Inseln der Seligen Buch 4 6; zweiter Krieg der Florentiner mit Neapel Buch 9 13. Im einzelnen ist die poetische Gestaltungskraft sehr bedeutend, die Darstellung an- schaulich und glänzend, so daß die Lektüre einen wirklichen Genuß gewährt.

Die Hesperis ist von homerischen Reminiszenzen ganz erfüllt. Nicht nur sind einzelne Verse und Versgruppen ^ Menge herübergenommen, sondern auch größere Partien zeigen eine starke Verwendung Homers. Da sind vor allem die Gleichnisse, an deren Behandlung wir Basini's Art gut kennen lernen können. Wenige davon sind wörtlich übersetzt, einige beginnen mit dem homerischen Wortlaut, um selbständig fort- geführt und abgeschlossen zu werden; die große Mehrzahl hat Basini selbst im homerischen Stil gedichtet. Ebenso verhält es sich mit Kampf- szenen. Am bezeichnendsten ist die Auffassung der Götterwelt. Basini hatte aus Virgil gelernt, daß die homerischen Götter im neuen Epos Platz finden sollen, und führte sie unbedenklich ein. Aber nirgends hat er eine ganze Szene im Wortlaut gebracht. Es sind zwar die Motive in Menge übernommen, aber in ganz freier Weise verwendet, neu gruppiert und ineinander geschoben. Der Dichter zeigt volle Herr- schaft über seinen Stoff. Die olympische Maschinerie spielt ungefähr dieselbe Rolle wie in der Aeneis, nur nimmt sie sich in ihrer historischen Umgebung seltsamer aus. Wo Basini rein erfinden kann, wie in der Irrfahrt des 6. und 7. Buches, ist das Verhältnis zwischen Göttern und Menschen ganz harmonisch.

In der Hesperis herrscht das Heidentum unumschränkt. Um so eigenartiger hebt sich die Erscheinung Galeotto's im 8. Buche ab, der dem schlafenden Sigismondo von der Seligkeit des Anschauens Gottes erzählt und ihm die ganze katholische Eschatologie entwickelt. Wir werden kaum fehlgehen, wenn wir diese fromme Digression auf die Angriffe zurückführen, die gegen das Heidentum Malatesta's gerichtet wurden. Zwar hat Basini die wutschaubende Bulle Pius' II gegen seinen Herrn und dessen ganzen elenden Niedergang nicht mehr erlebt. Aber

Basini Polizian 33

er mochte es doch rätlich finden, an einer passenden Stelle anzudeuten, daß sein ganzer heidnischer Apparat nur ein poetisches Spiel sei. In wieweit es ihm damit ernst gewesen ist, bleibe dahingestellt. Mir scheint, die christliche Episode sei nicht vom Glauben, sondern von einer ge- heimen Furcht diktiert gewesen.

Das Gedicht blieb in weiteren Kreisen unbeachtet. In der zeit- o-enössischen Literatur ist kaum davon die Rede. Gedruckt wurde es in Verbindung mit andern Gedichten Basini's erst 1794. Francesco (Taetano Battaglini hat eine große historische Studie über Malatesta's Leben und Kriegstaten hinzugefügt, leider aber die Vergleichung des Gedichts mit der historischen Wirklichkeit nicht unternommen, sondern es bei einigen Notizen in der Vorrede bewenden lassen. Im ferneren enthält die Ausgabe einen schönen Aufsatz von Angelo Battaglini über den literarischen Hof Malatesta's und eine Sammlung der biographischen Notizen über Basini von ^neo Affo.

An dem glänzenden Hofe Lorenzo's de'Medici lebte der Dichter Angelo Poliziano. Er bietet ein anderes Bild als die Humanisten aus der Mitte des Jahrhunderts. Geboren ein Jahr nach Marsuppini's, drei Jahre nach Valla's Tode, repräsentiert er eine neue Zeit. Im Beginn des Jahrhunderts galt die lateinische Bildung fast alles. Sogar auf die großen Dichter des Trecento sahen viele unter den Humanisten hoch- mütig herab, ohne indessen verhindern zu können, daß sich Dante's ge- waltige Kraft immer wieder durchsetzte. Mit den vierziger Jahren beginnt nun auch bei den Gelehrten die Vulgärsprache Anerkennung zu finden. Die glücklichste Verbindung des gelehrten Humanismus und des Volgare vollzieht sich am Hofe Lorenzo's. Der Mediceer verstand selbst die Kunst der damals voll aufblühenden italienischen Lyrik zu üben. Luigi Pulci erhob in seinem Morgante Maggiore das volkstümliche Rittergedicht mit französischem Stoff zu einer neuen Literaturgattung. Polizian selbst dichtete gleich anmutig und gewandt in italienischen, lateinischen und griechischen Versen.

Griechisch hatte er bei Joannes Argyropulos gelernt, einem Byzantiner, der von 1456 bis 1471 in Florenz griechische Sprache lehrte und den Aristoteles erklärte, der talentvollste von den Griechen, die nach Italien übergesiedelt waren. Polizian ist durch ihn so gefördert worden, wie Basini durch Gaza. Schon mit 2^ Jahren erhielt er die Professur für griechische und lateinische Eloquenz am florentinischen Studio, und sein Ruhm überstrahlte sogar den des großen Demetrios Chalkondyles, der um jene Zeit in Florenz wirkte.

Finsler: Homer in der Neuzeit. 3

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Chalkondyles war 1471 von Lorenzo als Nachfolger des Argj- ropulos, der nacli Rom gegangen war, nach Florenz herufen worden. Dort war unter seinen zahlreichen Schülern auch Polizian. Die größte Tat des Demetrios ist die erste gedruckte Ausgabe Homers, im Vorwort datiert 9. Dezember 1488.

Der florentinische Adelige Bernar de de'Nerli, durch seinen Bruder Neri und Giovanni de' Acciajuoli unterstützt, beschloß einen hervorragenden griechischen Schriftsteller drucken zu lassen, um das notwendig gewordene Studium des Griechischen zu erleichtem. Chalkondyles, an den er sich wandte, riet ihm den Homer zu wählen und stellte den Text wesentlich mit Hilfe der Angaben des Eustathios richtig. Beigedruckt wurde das dem Herodot zugeschriebene Lehen Homers j das unter Plutarchs Namen gehende Buch Über Homer und des Dion von Prusa, der unter Nerva und Trajan wirkte, Bede über Homer y lauter Bücher, die den Herausgebern für das Verständnis des Dichters sehr wichtig schienen. Das Verdienst der jungen Florentiner wird von Chalkondyles in seiner Vorrede in jeder Einzelheit bestätigt. Gedruckt wurde das Prachtwerk durch Demetrios den Kreter, der in Mailand lebte. Das Buch ist heute sehr selten; vor einigen Jahren ist in Paris ein Exemplar zum Preise von 6000 Franken zu kaufen gewesen.

Polizian 's Jugend war Homer gewidmet. Schon 1472, also im Alter von achtzehn Jahren, setzte er Marsuppini's Übersetzung fort. Von seiner Arbeit sind das zweite bis fünfte Buch der Ilias erhalten. Das zweite Buch ist Lorenzo dediziert, den Polizian als Meister in ritterlichen Künsten und in der Dichtung preist. Nicht mit dem ersten Buch habe er seine Arbeit begonnen, da dieses schon in Marsuppini's Übersetzung vollendet vorliege. Wenn aber das Werk den Beifall des Meisters fände, würden die andern Bücher folgen, deren Inhalt Polizian mit anmutiger Sorglosigkeit in zufälliger Reihenfolge angibt. Dabei fehlen Stücke wie Hektors Abschied, dessen Lösung und anderes, was wir als Hauptmomente der Ilias anzusehen gewohnt sind. Auch dem dritten Buch geht eine Widmung voran, in Form einer Elegie. Polizian sendet sein Werk zu Lorenzo. Wenn es dessen Beifall gewinne, werde der Dichter ein Epos über den Fall vonVolterra singen, das Lorenzo 1472 erobert hat.

Die Übersetzung lehnt sich in der Sprache und vielen einzelnen Wendungen an Virgil an, dessen Stil als vollendetes Muster galt. Einen neuen hervorzubringen hätte die Kraft des Einzelnen überstiegen, selbst wenn er es ernstlich hätte versuchen wollen. Aber es konnte niemand der Gedanke daran kommen, da es ja seit fünfzig Jahren als erstrebens- wertes Ziel galt den Italienern Homer in Virgils Sprache vorzutragen.

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Polizian hat es sich angelegen sein lassen in den Sinn des Originals einzudringen und es möglichst entsprechend wiederzugeben. Wenn ihm das nicht durchaus gelungen ist, so liegt die Ursache vor allem in den technischen Schwierigkeiten. Auslassungen und vor allem kleine Zusätze diktierte mehr die Versnot als das Bestreben sich Virgil zu nähern. Festgeprägte virgilische Wendungen aufzunehmen war ver- lockend. Aber die durch solche Ursachen hervorgerufenen Abweichungen vom Orginal sind nicht sehr zahlreich. Das Werk ist im ganzen trefflich gelungen, und wir begreifen die Freude, mit der sich die Zeitgenossen darüber äußerten. Vor allem sprach sich der platonische Philosoph Marsiglio Ficino in einem Briefe an Lorenzo höchst entzückt aus: Während sich andere Fürsten, sagt er, nur Diener ihrer Lüste heran- ziehen, hältst du dir Priester der Musen. Unter deiner Führung ist Homer nach Italien gekommen. Er, bisher eiu schweifender Bettler fand bei dir das liebliche Gastrecht. In deinem Hause hältst du jenen homerischen Jüngling, Angelo Poliziano, damit er die griechische Maske Homers in lateinischen Farben darstelle. Und er tut es so, dlaß jeder, der nicht weiß, daß Homer ein Grieche war, zweifeln wird, welcher von beiden der echte, welcher der gemalte Homer sei.

Einen Zweifel äußerte der Kardinal Jacopo von Pavia, der sich zwar in einem Briefe an PoHzian sehr schmeichelhaft über die Über- setzung aussprach, jedoch bemerkte, das Übersetzen sei zwar eine nütz- liche Übung, aber Homer wolle doch Grieche bleiben. Der Kardinal berührt damit den schwierigen Punkt aller poetischen Übersetzungen Homers. Entweder tut diese der Zeit des Übersetzers genug, und dann geht die homerische Farbe wenigstens teilweise verloren. Oder diese wird äußerlich erhalten, und dann hat der Leser die falsche Vorstellung, als sähe er hinter der Übersetzung das Original, während ihm in Wahr- heit dessen Wesen verborgen bleibt.

Als Professor am Studio schickte Polizian seinen Erklärungen der Dichter Praelectionen voran, um die Zuhörer einzuführen. In derjenigen zu Homer vermissen wir zu unserem Erstaunen jede ästhetische und poetische Würdigung des Dichters. Wir lesen den begeisterten Preis von Florenz, in welches das zerstörte und von Barbaren besetzte Athen eingezogen sei; von dem alles überragenden Genius Homers; von dessen Erhabenheit über den Ehrgeiz, so daß er sich selbst nicht einmal nannte, wodurch er kundtat, daß er für das ganze Menschengeschlecht arbeiten wollte; von dem wunderbaren Fleiße des Blinden; endlich von seiner dichterischen Begeisterung. Daneben aber steht der Nachweis, daß Homer der Vater aller Poesie sei, und eine Ausführung über die ver-

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schiedenen Arten des Stils. Beides stammt aus Plutarchs Buch Über Homer, in dem schon Bruni und Marsuppini einen Wegweiser zur Kenntnis Homers gesehen hatten, und das die Praelectio auch sonst ausgiebig benutzt. Außerdem finden sich andere Zeugnisse des Alter- tums über Homer. Wir sehen den Humanisten in einer eigentümlichen Abhängigkeit von der spätantiken Tradition. Er wagt gar nicht selb- ständig interpretierend an Homer heranzutreten und ihn aus dem Wust der stoischen Weisheit herauszuheben, was er doch sehr wohl gekonnt hätte.

Aber bei dem Dichter Polizian wird selbst die staubige Tradition zum Mittel Homer poetisch zu feiern. Das tut er in dem schönen Gedicht Ämhra, das 1485 in Lorenzo's Villa Ambra in Poggio a Caiano gedichtet ist, wieder eine Art Praelectio zum Homer. Die Ambra ist ein Teil der Silvae genannten Sammlung poetischer Vorreden. Zwei davon preisen Virgil, dem er hier denn doch die Palme reicht. »

Die Ambra hat folgenden Inhalt. Wenn Winzer und Bauern die I Götter mit ihren eigenen Gaben ehrten, warum soll ich nicht mit meinem Preise den Homer feiern? Haben sich doch an ihm alle Dichter be- geistert, und er lebt im Olymp bei den seligen Göttern. Nun mögen die Musen vom Ursprung Homers erzählen.

Die Götter zogen, Zeus voran, zu den Aethiopen; glänzendes Spiel der Meergötter geleitete sie. Unter all den fröhlichen Göttern war Thetis allein traurig, und bevor sie sich zum Mahle niederließen, flehte sie Zeus an und beklagte ihr Los. Ihrem Sohn war als Entgelt für das kurze Erdendasein großer Ruhm verheißen; jetzt ist er tot, und die Verheißung hat sich nicht erfüllt. Aber Zeus tröstet sie: Unab- änderlich ist das Schicksal, und Apollon ist nicht allein schuld an Achills Tod. Den zog Memnons Fall unerbittlich nach sich. Jetzt lebt Achill auf der Insel Leuke, als Gatte bald der Medea bald der Helene, wie sich Charis und Aphrodite in den Hephaistos teilen. Und auch sein Ruhm wird in hundert Stimmen ertönen, sein Preis zum Himmel reichen. Der Bewohner der heißen Zone wird ihn hören wie der der Säulen des Herakles und der Hyperboreer. Kein Geschlecht, kein Tag, keine Nachwelt wird von ihm schweigen, kein Alter ihn mit neidischer Wolke bedecken. Denn es wird ein Dichter geboren werden, der seinen gewaltigen Taten ewiges Licht bringen wird. Dieser wird der Könige wilde Kriege erdonnem lassen, mit gewaltigem Munde die wilden Trompeten übertönen; über seine sangreiche Brust werden Sirenen und Musen staunen. Mit Ruhm beladen wird er den Peliden den kommenden Jahren überliefern, und den späten Enkeln wird der

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thessalische Heros als einziges Beispiel gelten. Der große Alexander wird ihn für einen solchen Herold glücklich preisen, und Thetis sollte nicht aufhören zu klagen?

Die Geschicke erfüllen sich. In Smyrna wird Homer geboren als Sohn eines Gottes, der den Musenhain bewohnt. Auf sein erstes Kinderschreien hören das Meer und der Fels des Sipylos, die Najade badet ihn im Wasser des Stromes, die Chariten schicken ihm Kränze, Pallas selbst reicht ihm die jungfräuliche Brust. Faunen, Tiere, Wälder vernehmen staunend das Spiel des Knaben auf Syrinx und Flöte.

Der zum Jüngling Herangewachsene beginnt das apollinische Lied lieben. Die Gewalt der Begeisterung und der in sein Mark sich, senkende Achill spornen den heiligen Sänger. Seine Brust drängt das hohe Werk zu gebären und rüstet sich kühn zu großer Tat. Rastlos forscht er nach seinem Helden. Seinen Zaubersprüchen tut sich die Höhe von Sigeion auf, wo Achill begraben liegt. Der Held erscheint ihm mit der Lanze, mit der er die Troer bezwang, als er den Zorn von den Danaern abgewandt hatte, rächend den Hektor suchte und die Armen von Flüssen und Feldern scheuchte. Vor dem Glänze des von Hephaistos geschmiedeten Schildes erblindet Homer, ein Zug, den Polizian einer antiken Tradition entlehnt; aber Achill gibt ihm den Stab des Teiresias. Da wird der Dichter von Begeisterung erfüllt. Von nun an ist Achilleus der Lihalt seines Gesanges, und er beginnt das Lied von dessen Zorne. Darauf folgt eine schwungvolle Übersicht über die Ilias.

Der unbesiegliche Jüngling ist besungen. Da sieht Homer im Traume den Odysseus mit der Todeswunde, die ihm Telegonos geschlagen hat. Dieser [fleht ihn, den Herold aller Tugenden für die Nachwelt, an, auch seiner zu gedenken. Die Tugend sei zwar sich selbst genug, aber sie müsse auch den spätem Geschlechtern zum Führer dienen. Die Griechen haben den Odysseus für seine Verdienste mit den Wajffen des Achilleus geehrt: wird der Dichter seine Irrfahrten nicht des Ge- sanges würdigen, er, der allein zu diesem Werke berufen ist, dem aus voller Brust jene glückliche Fülle der Rede quillt, wie sie Odysseus eigen war? ^^k Von neuem begeistert, singt Homer das troische Pferd, den Seesturm, ^Hen Tod des Aias, die Irrfahrten des Odysseus, die Rettung zu Kalypso und ^^pe Heimkehr. Polizian ordnet die Ereignisse der Odysee chronologisch. ^H So schwingt sich der Dichter zum Äther empor, wohin keine ^^aißgunst reicht. Wie kaim man den Reichtum seiner Gedichte würdig schildern, der den der größten Ströme übertrifft? Er ist wie der regen-

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spendende Zeus, wie die Wasser, die der Ozean der Erde gewährt. Er soll allen zum Führer dienen, die große Taten in unvergänglichen Blättern schildern, durch Rede die Herzen beugen und bilden wollen. Unüber- troiFen in der Mannigfaltigkeit des Ausdruckes wie in der Schilderung der Dinge, ebenso in der Art, wie er den Personen seine Worte leiht und die Sitten lehrt, ist er zum Lehrer des ganzen Altertums geworden. Alle weisen Sänger, alle Philosophen haben aus ihm geschöpft. In schwungvollen Versen gibt Polizian die Gedanken des plutarchischen Buches wieder und schließt: „Die ganze antike Welt ertönt vom Ruhme Homers. Wie sollten wir ihn nicht feiern?" Das Gedicht endet mit der anmutigen Schilderung des Gutes Ambra und dem Preise Lorenzo's.

Außer der Heranziehung der antiken Gelehrsamkeit ist die Ambra! merkwürdig durch die starke Hervorhebung der dichterischen Begeiste-j rung, des Enthusiasmus, in der sich der damals in Florenz stark wir- kende Einfluß Piatons zeigt; sodann durch die Auffassung der Poesie als einer Lehrerin der menschlichen Tugenden, worin Polizian jnit dem größten Teil des Altertums und der gesamten Renaissance zusammen- trifft. Stärker tritt dieser Gedanke noch im vierten Stück der Silvae, den Nutricia 1486 hervor, wo die Poesie als erste Erzeugerin aller Zivilisation besungen wird. Hier war höchstwahrscheinlich der Einfluß der Ars poetica des Horaz maßgebend, die sonst im Quattrocento wenig gewirkt hat.

Ein gleich begeisterter Verehrer Homers, aber nicht zugleich ein Dichter, war Polizians Zeitgenosse Antonio Urceo genannt Codro, Professor des Griechischen in Bologna. Er scheint mit seinem Griechisch- unterricht Mühe gehabt zu haben, ist aber sehr eifrig bestrebt die Jugend dafür zu begeistern. Wenn wir uns jedoch diesem aufrichtigen Eifer gegenüber danach umsehen, wodurch denn die Studenten für die Beschäftigung mit Homer gewonnen werden sollen, so finden wir rein nichts als Berufungen auf antike Urteile. Der dritte Sermo ist ein mit etwelcher eigener Gelehrsamkeit verlnehrter Auszug aus dem Buche Plutarchs Über Homer, das den Dichter als Urgrund alles Wissens preist. Wenn es schon Marsuppini und Polizian das Sehen mit eigenen Augen erschwert hat, wie viel mehr einem Gelehrten, der nirgends eine unmittelbare Empfindung äußert, es sei denn daß er sie bei einem an- tiken Gewährsmann gefunden habe. Im siebenten Sermo bekräftigt er die Vortrefflichkeit Homers durch das Zeugnis der alten Schriftsteller, im achten gibt er einige Notizen über Leben und Zeit des Dichters. Wir möchten wohl wissen, wie die Interpretationen ausgesehen haben, die Urceo gab; er verheißt am Schluß des achten Sermo, zunächst das dritte Buch der Ilias mit dem Zweikampf des Paris und Menelaos zu erklären.

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Im vollen Gegensatz zu Polizian's Auffassung steht die des großen Gegners der Mediceer, des Dominikanerpriors Savonarola. Seiner asketischen, auf die Reinigung des sittlichen Lebens hinzielenden Rich- tung entsprechend greift er das Urteil wieder auf, das Piaton im Staat über die Poesie gesprochen hatte, und das auch das der mittelalterlichen Scholastik gewesen war. In dem Traktat De divisione et utilitate om- U7n scientiarum 1492, wo er nach scholastischer Art die Poesie zur ogik und Grammatik stellt, findet sich eine Abteilung, die In poeticen Apologeticus betitelt ist. Wie Savonarola dort sagt, bekämpft er nicht

Ilie Poesie an sich, sondern nur deren Mißbrauch. Das Wesen der ^oesie besteht in Philosophie, im Gedanken, ohne den es keinen wahren )ichter gibt. Zweck der Poesie ist es zu überzeugen und zu erfreuen, pid für dieses letztere sind die äußeren Zutaten, d. h. die Verse, er- unden worden, die aber reine Form sind. Der Geist der Wahrheit allein hat die wahre Beredsamkeit, die zur Tugend leitet; die der Poesie ist wie ein geschmücktes Schiff, das nie in den Hafen gelangt. Die Dichter unserer Zeit ahmen die Alten nach, wiederholen ihre Gedanken und verherrlichen sie, zum unermeßlichen Schaden der Jugend. Schon im Altertum hat Piaton, der jetzt in den Himmel erhoben wird, die Dichter aus seinem Staate vertrieben, weil sie unwürdige Vorstellungen von den Göttern pflanzen und die Menschen mit schändlichen Begierden erfüllen. Warum verbieten unsere Fürsten die schlechten Bücher der alten und neuen Dichter nicht? Gewiß haben unter den antiken Dich- tem manche die schändlichen Gegenstände verschmäht und edle Taten tapferer Männer besungen. Diese haben die Poesie gut angewendet; aber auch sie dürfen erst studiert werden, wenn die Jünglinge in den christlichen Lehren fest geworden sind. Denn edle Sitten gehen der größten Beredsamkeit vor.

Mit seiner glutvollen Bekämpfung des modernen Heidentums bildet übrigens Savonarola ein merkwürdiges Seitenstück zu Piaton selbst, dem Dichter, dem es so schwer wurde, die geliebte Poesie zu ver- dammen. Der gewaltige Dominikaner war im Grunde des Herzens ebensowenig wie jener ein beschränkter Feind der Poesie und der Kunst. Zeugnis dafür ist der Eifer, mit dem er seinen Konvent dazu brachte, unter schweren finanziellen Opfern die Bibliothek der Mediceer für Florenz zu erhalten. Nicht aus der Vernichtung der alten Schriften, sondern aus innerer Umwandlung der Herzen sollte nach seinen Ge- danken das neue Leben erblühen.

Durch Savonarola werden wir auf den Namen Piatons geführt, dessen Kenntnis sich im 15. Jahrhundert stark ausgebreitet hatte. In

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dessen Beginn übersetzte Chry soloras den Staat; das Werk wurde durch Vater und Sohn Decembrio stilistisch vollendet. Lionardo Bruni be- absichtigte um dieselbe Zeit den ganzen Piaton zu übersetzen, brachte aber seinen Plan nicht ganz zur Ausführung. Die Begründung des neuen Piatonismus durch Gemistos Plethon vermittelte die Kenntnis Piatons vi^eiten Kreisen. Aber gerade dadurch erwuchs der Wert- schätzung Homers eine Schranke. Man findet in der Literatur der folgenden Zeiten wohl vereinzelte Verwertung der erhabenen Offen- barungen Piatons über das Wesen der Poesie und schöner Ausspruch! über Homer; aber den größten Eindruck machte die Partie des Staates^ in der Piaton der Poesie vorwirft, daß sie ihrem hohen Lehramt nichi nachkomme und deshalb, so wie sie sei, in seinem Idealstaat keinen] Raum habe. Die Göttergeschichten, so hatte Piaton ausgeführt, sin( dem wahren Wesen Gottes zuwider und geben ein schlechtes Beispiel. Mit ihren Unterweltsvorstellungen nähren die Dichter eine törichte Todesfurcht. Die Klagen und das Jammern der homerischen Helden geben schlechte Vorbilder, da dem ausgezeichneten Manne nur die Standhaftigkeit ansteht; noch weniger schickt sich das für Götter. Die Verse der Dichter lockern bei den Jünglingen, die sie hören, die Selbst- beherrschung, besonders wenn von sinnlichem Verlangen, von Bestech- lichkeit, von Lug und Trug der Götter erzählt wird. Ebenso schlimm ist, daß die Dichter den Bösen glückselig, den Gerechten elend sein lassen. Die Poesie schläfert die Wachsamkeit der Vernunft ein und befriedigt die durch sie gezügelten Begierden des unvernünftigen Seelen- teils. Daher soll der Dichter, der alle Dinge darstellen kann, wenn er in unsere Stadt kommt, als heiliger, wunderbarer und angenehmer Mann verehrt, aber mit Ehrenbezeugungen in eine andere Stadt geleitet werden. Wir aber wollen den strengern Sänger und Fabelerzähler an- stellen, der nur die Rede des würdigen Mannes nachahmend darstellt. Hier bei Piaton fanden die späteren Angriffe auf Homers Götter und Helden einen mächtigen Rückhalt.

Am Ende des Quattrocento schuf Boiardo in seinem Orlando Innamorato das neue italienische Rittergedicht, den Romanzo, durch Übertragung der feinen höfischen Sitte der bretonischen Tafelrunde auf den rauheren Hof Karls des Großen. Eine neue, bunte Welt der glänzendsten Phantasie und köstlichen Humors tut sich auf. Wie das Werk jetzt ist, macht es einen stark zerfahrenen Eindruck, obschon der Dichter selbst sagt, daß er es zur Einheit zusammenschließen wolle. Daran ist die Lust am Fabulieren schuld, die ihn verleitete in der

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Piaton Boiardo 41

ganzen ersten Hälfte den Schauplatz der Ereignisse um Albracca, das Schloß Angelica's im fernen Asien zu verlegen, das von unaufhörlichen Kämpfen umdröhnt ist. Die Ritter Karls, die zu Hause sehr notwendig wären, finden vor lauter Abenteuern den Rückweg fast nicht mehr, und so bildet der Krieg der gesamten Heidenschaft gegen Karl eine zweite abgeschlossene Handlung, oder vielmehr eine dritte, da der mit Astolfo's Sieg beendigte Zug Gradasso's vorangeht. Ermüdend sind die sich immer gleich bleibenden Kämpfe, ungleich besser und schöner die Erfindungen anderer Art, wie z. B. die Entzauberung des Gartens der Falerina durch Roland ein Meisterstück der Erzählungskunst ist.

Boiardo verstand recht gut Griechisch, und der Innamorato weist toche homerische Wendung auf, die ohne weiteres auffällt. Weniger offen liegt die Menge der übernommenen antiken Motive am Tage^ da sie der Dichter mit feinem Takt so verändert hat, daß sie in seine Phantasiewelt paßten. Er entgeht damit dem groben Fehler, den später Trissino und Tasso in der Conquistata begingen, daß sie ein unerträg- liches Flickwerk von Antikem und Romantischem herstellten. Die wich- tigsten Beispiele für Boiardo's Art der Behandlung sind folgende. Nach einer Erzählung des Altertums wurde Achilleus von seiner Mutter bei Lykomedes untergebracht und in Frauenkleider gesteckt, um ihn vom Kriege fernzuhalten; aber die Waffen, die Odysseus ihn sehen ließ,, und der Klang der Trompete entflammten ihn sich dem Zuge nach Troja anzuschließen. Bei Boiardo wird der junge Ruggiero, dem der Dichter viele Züge von Achilleus geliehen hat, von seinem Erzieher Atalante auf einem Zauberschloß verborgen gehalten, bis ein vor seinen Augen aufgeführtes Turnier und das Geschenk eines Schiachtrosses und des Zauberschwertes ihn verlocken die Heerfahrt Agramante's mit- zumachen.

Im Garten einer Zauberin, die der Kirke sehr ähnlich ist, sieht Roland ein Gemälde: Eine mit lebhaften Farben gemalte junge Frau winkt viele zu ihrem Ufer heran, um sie dann in Tiere zu verwandeln^ in Wölfe, Löwen, Eber, Bären, Greife. Dann sieht man auf einem Schiff einen Ritter kommen, in den sich die Dame verliebt; sie gibt ihm den Schlüssel zu ihrem Zaubertrank und trinkt in ihrer Verliebtheit selbst davon, worauf sie sich in eine weiße Hinde verwandelt und auf einer Jagd ergriffen wird. Zum Schluß sah man, wie der Ritter floh und die Dame sich zurückverwandelte. Cirfcella hieß sie.

Wie bei Homer geschieht, badet und salbt Angelica eigenhändig den Roland, aber unähnlich den homerischen Helden geniert sich der Ritter und sucht seine Erregung zu verbergen. In dem Zaubergarten der Falerina

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kommt Roland an einen See. Er hat vorher auf den Rat seines Zauber- buches Helm und Ohren mit Rosen vollgestopft, so daß er nichts hört. Am Ufer des Sees liegen viele Menschen begraben. Die Sirene steigt auf, die einen schönen weiblichen Oberkörper hat und den häßlichen fisch- artigen Unterleib im Wasser verbirgt. Sie singt so schön, daß alle Vögel einschlummern; auch Roland stellt sich schlafend, aber wie die Sirene ihn töten will, packt er sie, zieht sie aus dem Wasser und haut ihr den Kopf ab. Darauf entfernt er die Rosen aus Helm und Ohren. Nach dem homerischen Proteus ist der zauberische Riese Balisardo gezeichnet, aber so ins Groteske gesteigert, daß das Urbild nur schwer kenntlich ist. Die Lästrygonen sind zu einem Stamm scheußlicher Menschenfresser ge- worden; der Orco zeigt Züge des Kyklopen und schleudert auch wie dieser ein Stück Berg nach dem Schiff. Anderes ist zu unsicher, als daß ich es anführen möchte.

An Boiardo schließt sich Ariost, dessen Orlando Furioso zuerst 1516, in endgiltiger Fassung 1538 erschien. Ariost setzt Boiardo's Werk voraus, dessen „Orlando Innamorato die Stelle der Tradition, i vertritt". Neben den mittelalterlichen Rittern und Damen drängt sich wie bei Boiardo in tausend Zügen das Altertum ein. Die innige Be- kanntschaft mit der römischen Poesie zeigt sich auf jeder Seite. Da kommt die Frage von selbst, ob denn der große Dichter den größten des Altertums gekannt habe oder nicht. Wir müßten uns wundern, daß sie auch nur aufgeworfen werden dürfe, wenn nicht die Tatsache feststände, daß Ariost nicht dazu gekommen ist Griechisch zu lernen. So muß denn das Gedicht selbst Antwort geben.

In der Führung der epischen Handlung ist kein größerer Gegen- satz denkbar als der zwischen Homer und Ariost. Dort lauter ab- geschlossene, runde Erzählungen, die nur selten Verweisungen auf einander enthalten. Die Ilias zeigt einen ganz geradlinigen Verlauf, die Odyssee eine durchsichtige Doppelhandlung. Ariost dagegen führt eine Reihe von Geschichten nebeneinander durch. Mitten in der Er- zählung läßt er den Faden fallen, um sich nach einem andern Helden umzusehen, gewöhnlich ohne auch nur anzudeuten, wie sich die Sache weiter entwickeln werde. Darin ist er dem Boiardo ähnlich, nur daß er doch nicht so hin- und herspringt wie dieser. Während Homer auf die Spannung auf den Ausgang gänzlich verzichtet, indem er uns diesen immer von vornherein wissen läßt, hält Ariost den Leser be- ständig in Atem. Nur einmal macht der Schalk eine Ausnahme. Wie ■er Ruggiero und Bradamante glücklich in Atlante's Zauberschloß ein- gesperrt hat, sagt er: „Nur keine Angst! ich lasse sie schon wieder

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heraus. Aber wie Änderung in der Speise den Gaumen reizt, so, meine ich, hält die Abwechslung in meiner Erzählung die Langeweile fern." Wenn er vorzieht sieh nicht zu unterbrechen, so spaltet er die Ge- schichte durch einen Bucheinschnitt und beginnt den neuen Canto mit «iner Betrachtung, um dann die Erzählung fortzusetzen.

Homer hält sich streng an das Thema, zu dem die kleinen Epi- soden nur Schmuckstücke sind. Der Dichter, der die Ilias zum Ganzen verband, läßt es sich angelegen sein den Zorn des Achilleus auch in den Stücken durchschimmern zu lassen, denen das Motiv ursprünglich fremd war. Von der Vorstellung des Krieges entfernen sich unsere Gedanken überhaupt nie. Bei Ariost wird auch Krieg geführt, sogar fürchterlich. Aber die Kämpfe zwischen Karl und Agramante bilden nicht eigentlich das Zentrum des Gedichtes. Die andern Geschichten stehen gleichberechtigt neben ihnen, und das Interesse des Lesers gilt diesen oft ehr mals dem Ausgang des Krieges. Aber auch sie sind nicht das dominierende Thema, vor allem nicht, wie der Titel vermuten ließe, Rolands Raserei. Es ist sogar ein gewaltiger Vorzug des Ge- dichtes, daß diese sehr zurückhaltend behandelt und mit einem tollen Humor umkleidet ist. Rolands Heilung bringt auch keinen Umschwung in der Handlung hervor, sondern dient nur dazu, zwei der ohnehin geschlagenen Heidenkönige vollends aus der Welt zu schaffen.

Wenn somit eine Einheit der Handlung im Sinne des Aristoteles fehlt, so hat die Kunst des Dichters die Einheit in einem ganz andern Süme herzustellen vermocht. Wenn man das Gedicht möglichst in einem Zuge durchliest, so sieht man, wie die scheinbar sorglos zer- streuten Fäden von der Mitte des Werkes an nach und nach zusammen- zulaufen beginnen. Beinahe nichts bleibt achtlos liegen, nur Ferraü verschwindet spurlos vom Schauplatz. Sonst vergißt Ariost keinen seiner Helden, und wenn wir am Ende sind, schwebt uns keine Frage mehr auf den Lippen.

Es hat immer zu den Ruhmestiteln Homers gehört, daß er auch dem Gegner gerecht wird und besonders Hektor und Priamos geradezu liebevoll behandelt. Aber wir haben bei ihm nie das Gefühl, daß der endliche Sieg den Troern gehören könnte. Schon Virgil hat hierin geändert. Dem wütenden Turnus entgehen die Troer mit knapper Not, aber der Dichter läßt sie wenigstens verräterisch überfallen werden. Ariost nun hat von Boiardo ein solches Heer unüberwindlicher Heiden übernommen, daß uns um Karl den Großen bange werden kann und der Dichter sich ihrer zum Teil mit gewaltsamen Mitteln entledigen mußte.

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Die Handlung der Ilias ist mit Hektors Tode zu Ende. Was noch folgt, ist ein schönes Ausklingen. Ariost hätte mit Ruggiero's und "Rinaldo's Rückkehr nach Frankreich schließen können. Aber er wagt zum Schluß noch eine neue Yerwicklung, den Widerstand der Eltern Bradamante's gegen deren Heirat mit Ruggiero, und knüpft daran noch eine selbständige und aufregende Geschichte.

Die homerische Poesie ist in der Schilderung der Gefühle ihrer Helden von einer oft geradezu herben Zurückhaltung. Ariosts Per- sonen deklamieren oft mehr, als ein modemer Leser verträgt. Die Klagen der Bradamante und Fiordiligi, auch Ruggiero's, zeigen die nämliche Zerfaserung der Gefühle, die schon in Boccaccio's Filostrato zutage tritt und ein Erbteil des Mittelalters ist. Während endlich Homer fast ganz hinter seinem Werke verschvrindet und subjektive Äußerungen und Urteile höchst selten sind, drängt sich Ariost überall mit seiner Person vor, noch ungleich stärker als Boiardo.

Wenn somit in Anlage und Stil gar keine Abhängigkeit von Homer sichtbar ist, läßt sich in Einzelheiten erwägen, ob eine Bekanntschaft mit dem griechischen Epos vorhanden sei. Giambattista Pigna be- hauptete es 1554 in dem Buch 1 Romann; die Italiener des 18. Jahr- hunderts haben es als erwiesen angenommen; neuerdings hat Pio Rajna darüber ebenso gründliche als behutsame Forschungen angestellt. Darin hat gewiß Rajna sehr Recht, daß er den Furioso als ein abgeschlossenes Gedicht mit Boiardo's Material, aber nicht als eine einfache Fortsetzung des Innamorato betrachtet. Wenn aber, wie er nach Pigna's Vorgang annimmt, der Ausgangspunkt des neuen Gedichtes der Streit der Helden um Angelica wäre, wie in der Ilias der um Chryseis beginnende Zank, so müßte dieses Motiv ganz anders hervortreten als es der Fall ist. Die Sache verdient genauer betrachtet zu werden.

Vor allem steht der Streit der Helden bei Boiardo und nicht bei Ariost. Der Kampf Rolands und Ranaldo's um Angelica endet dort mit dem Dazwischentreten des Königs, der Frieden gebietet und gerechte Entscheidung in Aussicht stellt. Genau bis zu diesem Punkte geht die Rekapitulation der Ereignisse im Furioso 1, 8. Ariost ignoriert jene Szenen Boiardo's, wo Roland in wilder Freude die Scharen der Afrikaner von den Bergen niederstürzen sieht und Gott dankt, der ihm Hilfe schickt; denn nun werde Karl geschlagen werden und ihn, Roland, um Beistand angehen und ihm dafür Angelica geben müssen. Die Liebe zu ihr werde ihn eine Welt in Waffen überwinden lassen. Wirklich kämpft er nicht mehr mit, sondern begibt sich in einen Wald, wo er Gott demütig anfleht, dem Lilienbanner und Karl eine Niederlage zu

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senden. Das ist der zürnende Achilleus, wie er leibt und lebt. Roland wird dann durch die Lobeserhebungen, die der dazukommende Ferra- gute über Ranaldo anstimmt, so erbittert, daß er in die Schlacht zurück- kehrt, um seinen Wert zu beweisen.

Wenn Ariost diese ihm von Boiardo so bequem gebotenen Motive nicht verwendete, so beweist das, daß er sie verschmäht hat. Nicht der Streit der Helden ist ihm Ausgangspunkt, sondern Angelica's Flucht. Nicht aus Zorn verläßt Roland das Christenheer, sondern weil er es vor Liebe nicht mehr aushalten kann, und zwar erst lange nach dem Anfang, und nicht ohne vom Dichter dafür getadelt zu werden, der ihn dann freilich mit der Macht der Liebe entschuldigt. Später läuft Rinaldo aus dem nämlichen Grunde fort. Natürlich vermissen die Christen ihre tapfersten Helden, aber sie siegen auch ohne sie. Roland ist nicht unentbehrlich wie Achilleus und Tasso's Rinaldo.

An Achills Zorn könnte viel eher der Rodomonte's erinnern. Die ihm verlobte Doralice hat sich für Mandricardo entschieden, der ihm in ihrer Gunst zuvorgekommen ist, und der König Agramante hat ihre Wahl gebilligt. Daß Rodomonte nun in schreckliche Wut gerät und nicht mehr mittut, ist sehr verständlich. Aber auch hier ist das Wesentliche, daß die Entwicklung der Dinge ohne ihn vor sich geht. Et kehrt gar nicht mehr zum Heer der Sarazenen zurück.

In mehreren anderen Stellen, die für einen Einfluß Homers auf Ariost sprechen könnten, hat Rajna selbst nachgewiesen, daß die Ent- lehnung eine indirekte ist, sei es durch Vermittlung der römischen Dichter oder Boiardo's. Es bleiben nur wenige Stellen, an denen man wohl an direkte Entlehnung aus Homer denken muß. Den Kyklopen, der bei Ariost L'Orco heißt, hatte schon Boiardo der Odyssee entnommen und Polifemo genannt, ihm aber an Stelle der Augen zwei Beeren von Hörn gegeben wie Ariost. Dem Homer entnahm dieser die Rettung der Gefangenen aus der Höhle, gestaltete sie aber vollständig um.

Astolfo bereitet sich vor, durch den Ton seines Wunderhorns den Aethiopenkönig von den Harpyien zu befreien. Damit nun nicht auch die eigenen Leute durch das Hom in fürchterlichen Schrecken geraten, wie ihm in der Amazonenstadt geschehen war, verklebt er ihnen vorher die Ohren mit Wachs. Das kann eine Reminiszenz an die Odyssee sein, obwohl nach der früheren bösen Erfahrung in der Amazonenstadt eine Vorsichtsmaßregel ohnehin nötig war. Ferner fängt Astolfo den wilden Südwind, sperrt ihn in einen Schlauch und nimmt ihn mit, damit er nicht auf dem Marsch durch die Wüste das Heer mit Sand überschütte. Rajna nennt das mit Recht eine glück-

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liehe Parodie der Episode vom ScUauche des Aiolos. Dem Boiardo entnahm Ariost das Netz, mit dem der Riese Caligorante die Wanderer fängt. Aber er sagt ausdrücklich, das sei das Netz gewesen, mit dem einst Hephaistos Ares und Aphrodite gefangen habe, zitiert also selb- ständig den Homer. Er nennt ihn auch einmal mit Namen als den Sänger des Agamemnon und der Penelopeia. Daß er ihn gekannt- hat, ist daher nicht wohl zu bezweifeln, und es ist auch sehr wahr- scheinlich, daß an manchen Stellen neben den direkt benutzten Vor- lagen homerische Reminiszenzen vorliegen. Es fragt sich nur, wodurch ihm die Kenntnis vermittelt worden sei, da er das Original nicht lesen konnte. Rajna denkt an lateinische Übersetzungen, und da kann nur die von Lorenzo Valla und Raffaello da Volterra in Frage kommen^ da alle andern nicht über Anfänge hinausgekommen waren. Denken ließe sich aber auch, daß Ariost durch seine gelehrte Umgebung in den Inhalt der homerischen Gedichte eingeführt worden wäre und er diesen recht gut gekannt hätte, ohne den Homer selbst je gelesen zu haben.

Ariost ist ein glänzendes Beispiel dafür, wie sich der große Dichter das Gesetz selbst schreibt, nur von dem Gott in seiner Brust geleitet. Sein guter Stern wollte, daß er das noch unbehindert konnte, ohne von irgend einem Regelzwang gehemmt zu sein. Die Poetik des Ari- stoteles war ihm noch unbekannt. In freiester Weise hat er mit seinem Stoffe geschaltet und, ein geborener Herrscher, sich zu eigen gemacht^] was andere ihm boten. Er ist wie der Lenker eines übermütigen Ge Spanns. Die Rosse rennen scheinbar, wie sie wollen, aber die Fahi ist sicher, denn es lenkt sie ein Wille, der allen ihren Launen übei legen ist.

Mit dem Beginn des 16. Jahrhunderts hatte der Humanismus in Italien seine Höhe erreicht. Die lateinische Poesie blüht zwar noch einige Zeit fort, erliegt aber vor der Mitte des Jahrhunderts endgiltig der italienischen, und ihre Träger sind auch nicht mehr ausschließlich die Humanisten. In der poetischen Produktion macht sich mehr und mehr der Einfluß der Theorie geltend, zunächst im Anschluß an Horaz, dann an Aristoteles, und die Theorie wird auch zum Gegenstand selbständigen Studiums. Von großer Bedeutung wird bald die gegenreformatorische Strömung, die schon vor dem Tridentiner Konzil einsetzt, um nach diesem dominierend zu werden. Wie sich alle diese Elemente durch- dringen und bekämpfen, läßt sich an der Geschichte Homers im 16. Jahr- hundert wenigstens teilweise sehen.

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Die Schwierigkeiten, die sich, im Beginn des Quattrocento der Erlernung des Griechischen entgegensetzten, sind am Ende des Jahr- hunderts überwunden. Eine große Zahl gebildeter Männer und Frauen versteht es zu lesen, sogar zu schreiben und zu sprechen. Durch den Druck wird Homer Gemeingut, vor allem durch die Ausgabe von Aldus Manutius in Venedig 1504. Dieser außerordentliche Mann hatte es sich zur Aufgabe gemacht das Verlangen des Publikums nach

««griechischen Drucken in weitestem Umfang zu erfüllen. Die Zahl der n ihm veröffentlichten Werke ist sehr bedeutend. Unter großen hwierigkeiten, von begeisterten Freunden unterstützt, führte er sein Lebenswerk durch, das wie überhaupt der Ausbreitung der Keimtnis der griechischen Literatur, so auch derjenigen der Bekanntschaft mit Homer die unschätzbarsten Dienste leistete.

Diese erste Aldina gibt im ganzen den Text der ersten Ausgabe von Demetrios Chalkondyles wieder. Die zweite 1517 weicht an vielen Stellen von ihr ab; die dritte, von Michael Bentio veröffentlicht, er- schien 1524.

Li Florenz wurde 1519 die Juntina gedruckt, genannt nach dem Begründer der Druckerei, Filippo Giunta, eine Kopie der zweiten. Aldina. EndUch erschien 1542 1550 in Rom die Romana, gedruckt durch Antonius Bladus. Der Text gibt die zweite Aldina wieder, ist aber von Nicolaus Majoranus durchgesehen und nach andern Hand- schriften verbessert. Das Register verfaßte der gelehrte Grieche Mat- thaeus Devarius von Korfu, welcher der Ausgabe auch den ersten Druck des Eustathios beifügte. Diese Drucke sind wesentlich Re- produktionen der ersten Ausgaben.

Von lateinischen Übersetzungen ist im 16. Jahrhundert in Italien nur die von Andreas Divus von Capodistria, genannt Justo- politanus, zu nennen, Venedig 1537. Sie ist in Prosa abgefaßt, eine Version Wort für Wort, und hat sich lange dadurch erhalten, daß sie in mehrere später zu erwähnende Ausgaben der Deutschen und Holländer überging. Dazu eignete sie sich schon durch ihre typographische An- lage, da nämHch der Text nach den Versen des Originals abgeteilt ist.

Noch bevor der Rasende Roland seine letzte Fassung erhalten hatte^ trat im literarischen Leben Italiens eine entscheidende Wendung ein. Das Quattrocento hatte sich wohl gelegentlich mit der Frage nach dem Wesen der Poesie befaßt. Wir haben gesehen, wie verschieden Polizian und Savonarola darüber gedacht haben. Stoische Theorien über den Einfluß Homers auf die Späteren hatten Eingang gefunden, aber ihre hemmende Einwirkung war neben der begeisterten Bewunderung nicht recht fühlbar

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geworden. Daneben behauptete sich die durch vielerlei Ursachen genährte allegorische Deutung. Aber eine eigentliche systematische Theorie war nicht aufgekommen. Des Horaz Ars Poetica war immer bekannt ge- wesen, und wir begegnen da und dort ihren Spuren, z. B. in der Auf- fassung der Poesie als Begründerin der Kultur bei Polizian. Dennoch fiel es niemand ein, sie als Gesetzbuch der Poesie zu betrachten. Sie ist das ja auch nur in sehr uneigentlichem Sinne. Wohl hat Horaz seinen Ansichten über Wesen und Aufgabe der Poesie klaren Ausdruck verliehen; aber die oberste Absicht seines Buches ist, in zwangloser Weise den jüngeren Dichtem die Augen darüber zu öffnen, wie dringend notwendig die Zucht künstlerischer Unterweisung und philosophischer Durchbildung auch für große Talente sei.

Jetzt, im Beginn der 16. Jahrhunderts, tritt im direkten Anschluß an Horaz die poetische Theorie auf. Marcus Hieronymus Vida, zuletzt Bischof von Alba, veröffentlichte 1527 die Poetica, die aber schon 1520 verfaßt waren. Sie zerfallen in drei Bücher, von denen das erste die Erziehung des Knaben zur Poesie zum Gegenstande hat, beiläufig bemerkt mit wahren Perlen pädagogischer Weisheit. Im zweiten Buche folgen die einzelnen Vorschriften über die Anlage eines epischen Ge- dichts, im dritten die über die Sprache und die technischen Mittel.

Vida's Buch soll zur Abfassung eines Epos Anleitung geben. Horaz hatte besonders die Tragödie im Auge gehabt, für die Belege aber haupt- sächlich Homer herangezogen. Unsere landläufige Einteilung der Poesie ist dabei außer Acht zu lassen. Homer hatte der attischen Tragödie den episch bearbeiteten Sagenstoff geliefert; er war neben den Tragikern das Muster des hohen und ernsten Stils, und er entfernte sich endlich auch in der Form vom Drama nicht allzusehr, weil er hinter seinen Personen verschwand. Die Tragödie in Rom ebenso heimisch zu machen, wie es durch Virgil mit dem Epos, durch Horaz mit der Lyrik geschah, gehörte zu den idealen Zielen des Augustus. Der Renaissance dagegen galt das Epos als die Krone der Poesie, und so beschäftigte sich die beginnende Theorie wesentlich mit diesem. Aber Vida beschränkt sich auf das lateinisch geschriebene Epos. Boccaccio, Pulci, Boiardo, Ariost existieren für ihn nicht. Für die epischen Gesetze sollen Homer und Virgil die Norm geben, und für die Sprache hat der poetische Anfänger den Cicero zum Muster zu nehmen.

So wird Vida's Poetik das erste Regelbuch für den angehenden Epiker. Er kennt zwar die dichterische Begeisterung wohl und hat ihr eine prächtige Stelle gewidmet; aber es sollen Vernunft und Selbstkritik ein Gegengewicht gegen sie bilden. Denn die Vernunft soll den Dichter

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Yida 49

in allem leiten, nach ihrem Winke sollen die Dinge gehen, nutu rationis eant res. Sie ist die richtige Korrektur der Phantasie. Darin geht Yida viel weiter als Horaz, der eigentlich nirgends der Vernunft, sondern, überall dem durch philosophische Bildung und das Studium berühmter Muster erzogenen Kunstverstand die führende Rolle zuteilt. Mit Horaz stimmt dagegen Yida darin überein, daß Hauptgegenstand der Darstellung

e Natur sein soll, worunter die richtige Zeichnung der Charaktere

rstanden ist.

Horaz hatte den Homer als Muster aufgestellt, für Yida waren es Homer und Yirgil. Eine Yergleichung beider Dichter haben wir schon bei Petrarca, Polizian, Yalla gefunden. Yittorino da Feltre hatte gesagt, Homer erscheine ihm tief und voll wie ein Meer, aber Yirgil sei seiner sorgfältigen Arbeit wegen vorzuziehen. Yida nun gibt zum ersten Mal eine abwägende Beurteilung beider Dichter. Für ihn bedeutet Homer den Höhepunkt der griechischen Poesie, aber die Römer, die sie über- nahmen, haben Besseres daraus gemacht. Erfindung lernt man bei Homer besser. Die soll der jugendliche Dichter als Beute mit nach Latium führen. Griechische Erfindung in heimischer Sprache wiederzugeben ist nicht minder ruhmvoll als selbst etwas zu erfinden. Wie herrlich schreitet Yirgil in der homerischen Waffenrüstung einher!

Aber was sich ziemt, was nicht, lehren die Unsem, d. h. Yirgil. Sein größter Yorzug vor Homer ist, daß er dezenter, würdiger und ernster ist und besonders, daß er mehr dem Gebote der Wahrscheinlich- keit gehorcht. Bei alledem ist Yida keineswegs gehässig gegen Homer. Er ist ihm durchaus Muster in der schlichten, eine Steigerung ermög- lichenden Einleitung und in der Disposition, zumal in der der Odyssee. Auch eine gewisse Spannung, wie die auf die Versöhnung Achills oder die Rettung vor dem Kyklopen, lasse sich der Leser gerne gefallen. Aber Yida wirft Homer vor, daß er das in gewalttätiger Weise über- treibe und den Leser durch Retardationen quäle. So hemme er die Spannung auf den Zweikampf des Paris und Menelaos durch die ein- gelegte Mauerschau und lasse uns unendlich lange warten, bis Penelope den Bogen schließlich zu den Freiem bringe. Andeutungen des endlichen Ausganges billigt Yida, wie z. B. daß dem Aeneas die künftigen Dinge verkündet werden oder Patroklos dem Hektor seinen Tod weissagt.

Gar sehr mißfallen ihm bei Homer die zahlreichen Digressionen, die den Anschein erwecken, als hätte der Dichter seinen Gegenstand ver- gessen. Was braucht Homer den Wagen der Here zu beschreiben, während die Not drängt? was kümmert uns die eingehende Schilderung des Thersites, die Homer gibt, als ob sonst nichts zu tun wäre? Vieles

Finsler: Homer in der Neuzeit. . 4

50 Italien

allerdings erlaubt die griecliisclie Sprache, was uns bei unserer ernstem Richtung verboten ist. Der Wahrscheinlichkeit widersprechen die Ge- spräche der Helden vor dem Kampfe, wie das des Glaukos und Diomedes. Unpassend ist die Wiederholung des einmal Erzählten, wie daß Aga- memnons Traum mehrmals mitgeteilt wird, Achilleus seiner Mutter die ganze Geschichte, die wir schon wissen, nochmals vorträgt, die Gesandten die langen Aufträge der Fürsten wörtlich wiederholen. Dagegen findet Yida Ausweitungen am Schluße des Werkes oder eines Buches angenehm und verteidigt deshalb auch die Aufzählung von Streitkräften und Fürsten.

Das Wichtigste ist wohl, daß Vida zuerst die Frage aufwirft, welche Gegenstände im Gleichnis heranzuziehen erlaubt sei. Er nimmt keinen Anstoß daran, daß Virgil die Tyrier mit Bienen oder die ab- ziehenden Troer mit Ameisen vergleicht. Aber ein Heer mit Fliegen zu vergleichen, welche die vollen Melkeimer umschwärmen, dürfte kein italischer Dichter wagen, noch viel weniger die Vergleichung des trotzig zurückweichenden Aias mit einem Esel, den die Buben aus dem Saatfeld zu prügeln suchen. Vida gibt zu, daß die Umstände zutreffen und das Bild sehr anschaulich sei; aber der Esel sei ein gemeines Tier. Der Vor- wurf der Niedrigkeit, der hier zum ersten Mal und an diesen Beispielen gegen die homerischen Gleichnisbilder erhoben wird, ist in der Folge vielfach wiederholt und erst durch Addison richtig zurückgewiesen worden. |

Zum Schlüsse sagt Vida, er weise nur andern den Weg und könne * nie hoffen den Musenberg selbst zu erreichen. Dennoch hat er sich bald nachher an ein großes Epos gewagt, die ChristiaSy die auf An- regung Leo's X. begonnen, unter Clemens VH. vollendet und 1535 zuerst gedruckt wurde, eine der schönsten Leistungen des Jahrhunderts.

Die Evangeliengeschichte war schon im ausgehenden Altertum Gegenstand der epischen Poesie geworden. Unter dem Kaiser Kon- stantin dichtete der spanische Presbyter Juvencus seine vier Bücher Euangelia in den Formen des römischen Epos, aber ohne jeden epischen plastischen Schmuck, der, wie Jakob Burckhardt hervorhebt^ in dogmatischer Beziehung gefährlich gewesen wäre. Wenn der enge Anschluß an die Evangelienberichte das Gedicht etwas trocken er- scheinen läßt, so hat es doch bei aller Einfachheit eine innere Wärme. Man spürt die Freude an der Sache. Die Lehren Jesu, vor allem die Bergpredigt, und die Gleichnisse sind mit besonderer Aufmerksamkeit ' behandelt und nehmen den größten Raum ein. In der Darstellung der Passion und Auferstehung ist der Mangel an pomphafter Ausführung geradezu zum Vorzug geworden, denn er ermöglicht bis zu einem ge- wissen Grade die Wiedergabe der schlichten Großartigkeit des Originals.

Juvencns Vida 51

Ob Vida das Gedicht des Juvencns gekannt habe, kann ich nicht sagen. Jedenfalls steht die Christias in Anlage und Stil in vollem Gegensatze zu der Dichtung des späten Römers. Von vornherein im- poniert die strenge Geschlossenheit des Aufbaues, an der wir den Schüler der großen Epiker erkennen, der die Prinzipien seiner Kunst gründlich durchdacht hat. Die Lehrsätze der Poetik sind streng befolgt,

i^uch Vida hat das ganze Leben und die Lehre Jesu behandelt, aber sr fängt so wenig bei der Weihnachtsgeschichte an, als die Odyssee m der Abfahrt von Troja. Gegenstand des Epos sind Passion und Auferstehung. Die beiden ersten Bücher erzählen die Ereignisse von lem Momente, wo sich Jesus der Stadt Jerusalem nähert, bis zum arsten Verhör vor Pilatus, die beiden letzten besingen das Leiden, den fod und die Auferstehung Jesu und die Ereignisse bis zum Pfingstfest. m dritten Buch dichtet Vida, daß sich Joseph, von trüben Ahnungen erfüllt, nach Jerusalem begibt. Mit Johannes tritt er bei Pilatus ein, um ihn anzuflehen, und erzählt ihm die Geschichte von der Geburt und Kindheit Jesu. Im vierten Buch setzt Johannes die Erzählung fort und berichtet von der Lehre und den Wundern Christi. So ist das Gedicht zu einer vollkommenen Einheit abgerundet.

Vida hat sich ja allerdings an etwas Unmögliches gewagt. Die herbe Schönheit der Evangelien mußte bei der epischen Behandlung notwendig verlieren, und das zeigt sich nirgends mehr, als wo er das Original zu überbieten versucht. So ist z. B. aus dem prachtvollen Schluß der Verleugnung des Petrus „und er ging hinaus und weinte bitterlich" eine langatmige Schilderung von der Verzweiflung des Jüngers geworden. Aber wenn man die Berechtigung des Versuchs einmal zugibt, erscheint die Aufgabe trotzdem prächtig gelöst. Der Dichter hat sich ihr mit der Begeisterung hingegeben, die er aus eigener Erfahrung in den Poetica so schön geschildert hat. Die Sprache ist flüssig und reich. Hier ist Vida seinen eigenen Forderungen voll- ständig nachgekommen. Virgil ist der Lehrmeister auf Schritt und Tritt, aber Vida hat ihn sich zu eigen gemacht. Lebhaft und reich- haltig sind die Schilderungen der Natur, für die der Dichter ein offenes Auge hat. Einzelne Partien, wie die Beschreibung des Tempels, die Transfiguration, der Kreuzestod, sind von hinreißender Schönheit. Die Charakteristik der Personen ist fein durchdacht. Bei Jesus selbst durfte Vida zwar eine solche nicht versuchen, da er ihm ein Gott ist. Aber der Verrat des Judas z. B. wird sehr glücklich motiviert.

Die heidnische Götterwelt ist natürlich verschwunden und wird durch die christliche, durch Himmel und Hölle ersetzt. Schon im Proömium

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hebt der Dichter neben der Erlösung der Welt die der frommen Seelen der Vorzeit hervor und bittet den heiligen Geist, der die Stelle der Musen vertritt, ihn die Pläne des höchsten Vaters und die Ursachen des Opfertodes Christi offenbaren zu lassen. So wird die Passion zu einem Kampf der Hölle gegen den Himmel. Zwar hausen unten die Erinyen, und die Teufel haben die Formen der antiken Schreck- gestalten, aber es sind die Teufel der mittelalterlichen Vorstellung. Ihre Einwirkung in die Passionsgeschichte ist ganz organisch eingewoben. Der Satan erkennt im Auftreten Christi eine Schmälerung seines Reiches und bietet in einer furchtbaren Versammlung die Hölle da- gegen auf. Die große Teuf elver Sammlung, nach der sich der Satan auf die Erde begibt, um das Heilswerk zu verhindern, ist aber ver- mutlich nicht Vida's Erfindung. Der Zug kommt ganz ähnlich in einem von Creizenach nachgewiesenen piemontesischen Passionsspiele vor, wo die Zweifel Josephs als Eingebung des Satans erscheinen.

In der Nacht, der die Verklärung vorangeht, begibt sich die höllische Schar nach Jerusalem und besetzt die ganze Stadt. Ein Teil erscheint vielen in menschlicher Gestalt im Traume. Sie setzen die Hohenpriester und Altesten in Furcht vor Jesus, der den Tempel zer- stören wolle, so daß jene sich in der Nacht zum Rate versammeln. Sie erscheinen den Jüngern, der Fürst der Hölle selbst verlockt den Judas. Sie reizen das Volk gegen Pilatus auf und schrecken ihn selbst durch das Grausen, Timor, das ihn in Gestalt eines Nachtvogels um- schwebt, so daß er den Juden nachgibt.

Wenn auf diese Weise der Anteil der Hölle an der Passion mit sicherer Hand in das Gedicht eingefügt ist, so erhalten auch die Engel ihren Anteil an der Handlung, in einer Partie besonders, zu der Homer die Vorlage bildet. In der Ilias wollen Here und Athene die Abwesenheit des Zeus benutzen, um den im Kampfe bedrängten Achäem zu Hilfe zu kommen. Aber Zeus sendet Iris zu ihnen, die ihnen unter Androhung furchtbarer Strafen den Rückweg befehlen soll. In den Olymp kehrt auch Zeus zurück, der auf seine Überlegenheit pocht und den Göttinnen anzeigt, daß die Troer bis zu Patroklos' Tod und der Erhebung des Achilleus siegreich sein werden.

Vida verwendet diese Erzählung folgendermaßen. Von der höchsten Höhe des Himmels sieht Gottvater, von Engeln umgeben, der Kreu- zigung zu. Er ist unbeweglich, weil alles nach seinem Willen geschieht. Aber die Engel erfaßt bei Jesu Verzweiflung ein wilder Schmerz, und sie denken daran Gottes Sohn zu retten. Ein göttlicher Knabe ersteigt den höchsten Gipfel des Himmels. Auf dessen Axe sitzend bläst er zum

Vida 53

Kriege, daß der Olymp sich spaltet und die Gestirne erbeben. Den Ton hören die auf der ganzen Welt zerstreuten Engel, die mit Aus- übung ihrer Ämter beschäftigt sind. Tauben gleich, die bei nahendem Gewitter dem Schlage zustürmen, eilen sie dem Himmel zu. Auf dem Gipfel des Olymps dröhnt es von Waffen. Die Geister der Gestirne nehmen Gestalt an. Sie reißen von den dröhnenden Pfosten des Äthers ihre Rüstungen, die sie einst gegen die gefallenen Engel trugen. In verschiedenem Schmucke der Flügel zieht das Heer durch die luftigen Räume, in neun Geschwadern umkreisen sie den Himmel, voran der Erzengel Michael vom Monte Gargano, der Sieger in jenem Streit, in prächtigem Waffenschmuck und mit der Haut des Drachen angetan. An der Pforte des Himmels entfacht ihren Eifer der Anblick der erbeuteten Waffen der gefallenen Engel und eines goldenen Bildwerks, das ihren Sieg über diese darstellt. Jetzt hätten sie sich auf das schuldige Judäa gestürzt, aber Gottvater sendet aus der Schar seiner Dienerinnen die dementia, den Engeln den Kampf zu verbieten. Sie stellt ihnen den Zorn Gottes in Aussicht, unterstützt von andern Personifikationen von Tugenden. Die Engel legen die Waffen nieder und sammeln sich vor Gottes Tron. Dreimal wendet er das Haupt, so daß das Firmament er- zittert, und setzt ihnen dann seinen Heilsplan auseinander. Noch an vielen Stellen wird der Leser an Homer erinnert, aber nirgends ist bloße Entlehnung wahrnehmbar. In den Gleichnissen zeigt Vida eine wunder- bare Kunst. Er hat sie ganz in homerischem Stil angewendet, aber nur einmal, so viel ich sehe, ein homerisches Gleichnis einfach übersetzt; dagegen knüpft er oft an Homer an, um das Bild selbständig fortzuführen. Daß er eine Nachahmung des Schiffskatalogs haben muß, ist beinahe selbstverständlich; aber die Aufzählung der zum Feste herbeiströmenden jüdischen Stämme ist trotz vorangehender Anrufung der Engel und aller Gelehrsamkeit ebenso langweilig wie der homerische Katalog und die Heeresmusterungen bei Boiardo und Ariost.

Die Christias ist eine Vermählung des christlichen mit dem an- tiken Geiste genannt worden. Gewiß hat der Dichter bei den Alten viel gelernt, aber das Altertum liefert ihm doch nur die Form und manche Einzelheit, Virgil besonders die Sprache. Der Geist ist ein neuer. Das katholische Dogma regiert, die Gedanken der Ecclesia militans und triumphans drängen sich vor, Wonnen und Entzückungen machen sich breit wie in der zeitgenössischen Kunst. Auf dem Tabor weissagt Gottvater seinem Sohne das Weltreich des Papsttums und den endlichen Sieg über die Reformation, gegen die Vida auch in der Prosa- schrift De Dignitate Beipuhlicae eine lange Tirade geschleudert hat. Dieser

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Geist ist imgrunde dem Altertum feindlich, obwohl dessen Formen noch nicht entbehrt werden können. Yida ist sich selbst sehr wohl bewußt, daß er etwas Neues bringt. In einem Hymnus auf Gott berühmt er sich, die Musen vom Helikon an die Wogen des Jordans und in die Berge Palästinas geführt zu haben, und am Ende der Christias weissagt Gottvater, nach fünfzehn Jahrhunderten werden wahre Dichter, welche die Lügen der Griechen vergessen hätten, die Passion besingen. Besonders in Cremona, Yida's Heimat, am Gestade des Po, werden Knaben und Mädchen gleich weißen Schwänen das keusche Gedicht singen und mit erster Stimme Jesus preisen.

In dem eben erwähnten Hymnus auf Gott sagt Vida, viele hätten schon das Werk versucht, die Musen an den Jordan zu führen. Damit spielt er auf Jacopo Sannazaro an, ein bedeutendes Mitglied der Akademie von Neapel. Dessen lateinisches Gedicht De Partu VirginiSy von der Jungfrauengeburt, das er 1526 dem Papst Clemens VII. wid- mete, hält allerdings den Vergleich mit der Christias in keiner Weise aus. Es fehlt die Kraft der Erfindung wie die Pracht der Darstellung. Der Verfasser ist ängstlich bemüht der heiligen Geschichte den Cha- rakter des Mysteriums zu wahren, aber er verbrämt sie mit einer Menge antiker, besonders homerischer Reminiszenzen. Das Resultat ist ein wenig anziehendes Mittelding zwischen des Juvencus schlichter W^iedergabe des Originals und Vida's farbenprächtiger Selbständigkeit. Über den Inhalt des Gedichts ist nur zu sagen, daß es sich im Stoff den Evangelien eng anschließt und die Ausschmückung ausschließlich rhetorischer Art ist. Dagegen haben für uns die Entlehnungen aus Homer einiges Interesse.

Die Schätzung des Augustus begeistert den Verfasser zu einem Völkerkatalog. Bei der Erwähnung der Bewohner der Troas gedenkt Sannazaro des Grabmals des Achilleus und der Totenklage der Nereiden und der Thetis um ihn. Nach der Geburt Christi hält Gottvater in der nach homerischem Muster gebauten himmlischen Stadt eine große Engelversammlung ab. Er erinnert sie an den Sieg über die gefallenen Engel, ihre gemeinsame Trauer über den Sündenfall der Menschen und über das lange Zögern Gottes die Menschheit zu erlösen. Jetzt dürfen sie sich wieder mit den Geschicken der Menschen befassen. Die An- rede ist nach der des Achilleus an die ausrückenden Myrmidonen ge- staltet. Die Laetitia wird mit frohem Gefolge zur Erde entsandt; ihnen öffnen die Hören die Himmelstore, deren Hut ihnen anvertraut ist, und die sich krachend auftun. Die zu den Hirten herniedersteigende Engelschar wird zuerst von den Hunden und Herdentieren gewittert, wie die Hunde des Eumaios Athene erkennen. Die Töchter des Jordans tragen zum Teil

Sannazaro Aristoteles 55

die Namen der Nereiden. Bei dem Lobgesang der Engel erinnert sicli der Stromgott an eine alte Weissagung des Proteus, es werde einer kommen, der den Jordan berühmter machen werde als alle Ströme. Nach der Prophezeihung, welche die Wunder Jesu enthält, umhüllt sich der Stromgott mit dem Gewand, das ihm die Najaden in feuchten Grotten gewoben haben, eine Erinnerung an die Nymphengrotte der Odyssee.

Yida hatte seine poetische Theorie auf Horaz und die vorzüglichsten alten Muster aufgebaut. Nun wurde im Beginn des 16. Jahrhunderts die Poetik des Aristoteles wieder bekannt. Es gab zwar im Mittel- alter lateinische Übersetzungen des Büchleins oder vielmehr der ab- gekürzten arabischen Übersetzung des Averrhoes, aber im Quattrocento zeigt sich bei den Humanisten keine Spur von Einfluß derselben. Die Poetik galt dem 16. Jahrhundert als neu gefunden. Gedruckt wurde sie zuerst bei Aldus Manutius 1508 in Venedig in der Ausgabe der Rhetores Graeci. 1498 übersetzte sie Giorgio Valla ins Lateinische; die Über- setzung wurde ebenfalls in Venedig gedruckt. Eine andere Übertragung samt dem Original gab Alessandro de'Pazzi Florenz 1536. Die erste kritische Ausgabe mit einem gelehrten Kommentar lieferte Francesco Robortelli Florenz 1548. Es folgten die großen lateinischen Kommen- tare von Vincenzo Maggi, Madius, Venedig 1550 und Pietro Vettori, Victorius, Florenz 1560. Die Poetik mit italienischer Übersetzung und italienischem Kommentar veröffentlichte Lodovico Castelvetro Wien 1570, dann Alessandro Piccolomini Venedig 1575, nachdem bereits 1549 Bernardo Segni in Florenz eine italienische Übersetzung hatte erscheinen lassen. Diese Menge von gelehrten Arbeiten zeugt von der Wichtigkeit, die man der Poetik beilegte, und dem regen Eifer das Buch zunächst einmal gründlich verstehen zu lernen.

Des Aristoteles Poetik war geschrieben, um die Poesie gegen das Verdammungsurteil zu schützen, das Piaton im Staat gegen sie aus- gesprochen hatte. Mit Piatons Rüstzeug angetan, hatte Aristoteles den Versuch unternommen, und das Resultat war ein Lehrbuch gewesen, dessen Sätze sich, schon an der griechischen Poesie gemessen, als viel zu eng und unzureichend erwiesen. Wie viel mehr mußte das für Werke anderer Zeiten und Völker zutreffen. Dessen war sich freilich die be- ginnende literarische Kritik der Renaissance zunächst nicht bewußt. Er- schien ihr doch in Aristoteles der berufene Führer in der Aufgabe, die Poesie aus den Banden der scholastischen Beurteilung zu befreien. Der scholastischen Verurteilung gegenüber hatte man schon im Mittelalter zur allegorischen Erklärung gegriffen, wie bereits im Altertum geschehen

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war. Dadurch war die Poesie eine populäre Form der Theologie geworden, Petrarca und Boccaccio hatten der allegorischen Erklärung angehangen^ obwohl sie den mittelalterlichen Standpunkt dadurch modifizierten, daß sie die Bibel selbst als wesentlich poetisch erklärten und auf die poe- tischen Bilder in der Sprache Christi hinwiesen.

Nun kam den Humanisten Aristoteles zuhilfe. Bei ihm las man jetzt, daß es sich bei der Poesie nicht um Darstellung des wirklich Geschehenen handle, sondern dessen, was gegebenenfalls nach Wahr- scheinlichkeit und Notwendigkeit geschehen würde. Der Historiker und der Dichter unterscheiden sich nach ihm nicht durch die Form der Rede. Die Poesie ist etwas Philosophischeres und Ernsteres als die Geschichte, denn jene befaßt sich mehr mit dem Allgemeinen, diese mit dem Einzelnen. Damit stellte Aristoteles die Forderung der poetischen Wahrheit auf. Er nennt femer die Poesie eine Nachbildung des Lebens und schien damit auch der Anklage, daß die Poesie unmoralisch sei, die Spitze abzubrechen. Besonders Tragödie und Epos stellen nach ihm bessere Charaktere dar, als sie in Wirklichkeit vorkommen. Auch die Komödie hat nicht das Schlechte zum Gegenstand, sondern das Lächerliche, d. h. eine weder Schmerz noch Schaden erzeugende Ver- fehlung oder Entstellung. Endlich bog er das Urteil Piatons dadurch um, daß er der Poesie, der Tragödie wie dem Epos, die Aufgabe zu- teilte, die krankhaften Affekte, Mitleid und Schrecken, stark anzuregen und ; dadurch deren Heilung hervorzubringen. Hier hat er direkt an ethische Einwirkung gedacht; denn die Seele erlangt auf diese Weise ihr Gleich- gewicht, ihre Tugend wieder.

Man kann sich leicht denken, wie groß das Gefühl der Befreiung war, das durch die Kenntnis der Poetik hervorgerufen wurde. Die Haupt- sache war doch, daß man einen neuen Boden gewonnen hatte, auf dem man sich über das Wesen der Poesie verständigen konnte. In der Poetik herrschte Aristoteles von nun an fast unumschränkt. Zugleich erwies er sich durch seine Lehrsätze höchst geeignet, den Forderungen einer enger werdenden Zeit zu genügen. So kam es, daß er kaum die Be- freiung von der Scholastik vollzogen hatte, als er auch schon zum Zucht- meister der Poesie ernannt wurde. Es war das ein eigentliches Unglück. Bis zum Ende des Jahrhunderts ist die schaffende -Poesie gezwungen^ sich mit ihm auseinanderzusetzen. Auch seither hat sich wenigstens die theoretische Poetik selten dazu herbeigelassen ihn nur historisch zu begreifen. Wenn nicht in der Poesie, so spielt er doch in der Poetik und besonders in der Schule noch vielfach eine Rolle, die ihm nicht mehr zukommen sollte.

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Aristoteles Trissino 57

Der erste, der in Italien die Lehrsätze der aristotelischen Poetik in die literarische Wissenschaft einführte und praktisch in die Tat um- setzte, war Giovanni Giorgio Trissino, der bei Demetrios Chalkondyles in Mailand Griechisch gelernt hatte und oft in päpstlichen und kaiser- lichen Diensten stand. Erst nach seinem Tode, 1563, erschien seine Foetica, die sich ganz eng an Aristoteles anlehnt. Nur zwei Partien davon verdienen besondere Aufmerksamkeit. Die eine wendet sich gegen s romantische Epos. Denn dieses fehle gegen die Hauptforderung, e Aristoteles an ein Gedicht stelle, die der Einheit und Übersichtlich- eit der Handlung, und lasse auch die Wahrscheinlichkeit zu sehr ver- missen. Ferner verstoße es gegen die Forderung würdiger Sitten. Bei Boccaccio, Pulci, Ariost fehle es zu sehr an Ernst und Würde. Sodann fordert Trissino für das zeitgenössische Epos den reimlosen Elfsilbler^ den Yerso sciolto.

Die Stelle ist ein wichtiges Dokument für eine eingetretene Wand- lung. Yida hatte die Verfertigung eines lateinischen Epos gelehrt und selbst nur lateinisch gedichtet. Jetzt hören wir von einem nicht roman- tischen, sondern klassischen Epos in italienischer Sprache. Der Kreis Lorenzo's hatte beide Sprachen gepflegt, ebenso der von Neapel, dem Sannazaro angehörte. Aber Ariost, Macchiavelli, Guicciardini gaben Italien Werke, welche die der berühmten Römer überstrahlten. Den entscheidenden Schritt tat Pietro Bembo, der in seinen F^'ose die Grammatik der Vulgärsprache gab. Damit trat diese als Kunstsprache ebenbürtig neben das Lateinische. Das lateinische Gedicht verlor seine selbständige Bedeutung. Das Italienische nahm sogar von der Wissen- schaft Besitz. Segni, Piccolomini, Castelvetro erklären und übersetzen den Aristoteles in der Landessprache. Sogar die Übersetzung Homers ins Italienische wird versucht.

Und nun kommt der Verächter des Romanzo, Trissino, mit einem klassischen Epos im Volgare. Es ist die Italia liberata da' Gotti, deren erster Teil 1547 in Venedig gedruckt wurde. Der Dichter, der behauptet Aristoteles zum Lehrer und Homer zum Führer gewählt zu haben, wagt den lateinischen Vers nicht mehr. Wenn wir bedenken, daß er zwanzig Jahre lang an seinem Werk gearbeitet hat, so -erscheinen Vida's und Sannazaro's Epen' schon als verlorene Posten.

Gegenstand der Italia liberata ist der Krieg, den Kaiser Justinian 535 553 gegen das Ostgotenreich in Italien führte, und den der zeitgenössische Historiker Prokopios von Caesarea beschrieben hat. Deutschen Lesern ist die Geschichte am meisten aus Felix Dahns Kampf um Rom bekannt. Trissino hat die historische Reihenfolge

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der Ereignisse durchaus festgehalten, schließt aber sein Gedicht mit der Einnahme von Ravenna und der Gefangennahme des Vitiges durch Belisar, also mit dem ersten Teil des Krieges. Hier zeigt er wirklich künstlerisches Empfinden, denn die Kriege des Belisar und Narses sind zwei selbständige, nur lose miteinander verbundene Unternehmungen. So hat Trissino die von Aristoteles geforderte Einheit der Handlung völlig gewahrt. Er läßt zwar mehrfach Ausblicke auf den zweiten Teil des Krieges, die Erhebung Totila's imd dessen Niederwerfung, zu, aber nur in dem Sinne, wie Homer durch Thetis und Hektor den Tod des Achilleus andeuten läßt. Auch entfernen sich die zahlreichen Episoden von der Haupthandlung nicht erheblich stärker als bei Homer. So weit wäre theoretisch alles untadelhaft. Aber die Elemente, aus denen das Epos besteht, sind nicht organisch zum Ganzen verwoben.

Den Grundstock bildet die Erzählung Prokops, die in ihrer fast epischen Einfachheit von Trissino nicht erreicht ist. Es hilft nichts, daß er in seinem Gedicht eine schauderhafte Gelehrsamkeit unter- gebracht und allerlei Episoden aus dem Altertum eingeflickt hat. Über die historische Grundlage legt sich fremdartig die homerische Welt. Homer ist rein ausgeplündert, aber in ganz unkünstlerischer Weise. Die Entlehnungen aus dem griechischen Epos machen einen dauernd fremdartigen Eindruck. Eine große Reihe von ganzen Szenen und kleineren Stellen der Italia sind Übersetzungen aus Homer, und wenn man diesen kennt, weiß man auch so ziemlich, was man zu erwarten hat. Zuweilen sind die homerischen Stücke gewaltsam in den Zusammen- hang eingesprengt. Davon, daß dem orthodoxen Kaiser Justinian die Götter Homers helfen, konnte natürlich keine Rede sein. Aber das Gedicht wäre doch nicht homerisch, wenn die Götter fehlten. Da kommt nun Trissino auf eine wundersame Idee. Er setzt die Heidengötter in Engel um, gibt ihnen aber Namen, durch welche die der alten Götter durchschimmern. Pallas wird zum Angelo Palladio, Ares zum Angelo Gradivo, der Traum, Oneiros, den Zeus dem Agamemnon sendet, zum Angelo Onerio, der auf Gottes Geheiß den Justinian besucht. Diese christlichen Götter oder heidnischen Engel spielen eine ähnliche Rolle wie die Götter bei Homer, so weit das nämlich mit dem Oberbefehl Gott- vaters verträglich ist.

Das dritte Element des Gedichts ist das romantische. Zwar redet Trissino an einer Stelle sehr abschätzig von Ariost, „der dem Pöbel gefällt". Aber nicht nur sind bei ihm die romantischen Partien die gelungensten, sondern die meisten davon stammen direkt aus Ariost. Der Zorn Corsamonte's ist freilich eine Nachbildung dessen des Achilleus,

Trissino 59

aber der Held selbst mit seiner ganzen Umgebung ist ein Abklatsch. der Cavaliere Ariosts, und aus diesem stammt es auch, daß die Neben- buhler Corsamonte und Aquilino sich verpflichten müssen nichts Feind- seliges gegeneinander zu begehen.

Die Mischung dieser verschiedenen Elemente ist entweder äußerlich geblieben oder führt zu verworrenen Bildern, so immer, wenn die ariostischen Ritter homerische Schlachten schlagen müssen. Wo Trissino auf sich selbst angewiesen ist, bleibt er frostig. Die Verwendung Homers hat ihn offenbar saure Mühe gekostet, aber er scheint ge- glaubt zu haben, die Nachfolge Homers bestehe in einer umfassenden Ausplünderung, bei der nichts Wesentliches vergessen werden dürfe. Vielleicht kann man geradezu sagen, daß Trissino nur mit schwerer Arbeit und ohne rechte Freude am Homer diesen kopiert hat. Vieles, wie die ganz überflüssige Betörung Justinians durch Theodora, macht einen sehr gequälten Eindruck, noch mehr der damit verbundene See- sturm aus der Odyssee.

Die treibende Ursache für Trissino ist der kirchliche Fanatismus gegen die Protestanten, die er in den arianischen Goten zu treffen sucht. An sich wäre der Stoff nicht schlecht gewählt gewesen. Liest sich doch schon die Erzählung Prokops partienweise fast wie ein Epos. Felix Dahn hat damit zwei Jahrzehnte des modernen Deutschlands be- geistert; auch er war von einem Fanatismus beseelt, dem antirömisch- germanischen. Das macht nichts aus. Ein ehrlicher Fanatismus kann einen rechten Dichter zum Großen begeistern. Aber ein Dichter muß es sein, der weiß, wie der Stoff zu behandeln ist, wenn er wirken soll. Wenn im Beginn von Dahns Roman Teja an der Zukunft des Goten- reiches zu verzweifeln erklärt, so haben wir das Gefühl von einer großen kommenden Tragödie. Wenn aber am Anfang der Italia liberata Gottvater selbst die Vernichtung der Goten beschließt, so ist von vorn- herein jedes Interesse ausgeschlossen. Dem ' Anfang entspricht der Verlauf. Die Römer Trissino's sind so überlegen, seine Helden von einer solchen ariostischen Unüberwindlichkeit, daß an Erfolge der Goten gar nicht zu denken ist. Von der Ritterlichkeit Homers, Boiardo's und Ariosts den Gegnern gegenüber findet sich bei Trissino kaum eine Spur; nur der Gote Torrismondo erhebt sich einigermaßen zu heldenhafter Größe. Sonst ist alles, was diese Arianer tun, von vornherein niederträchtig, und selbst ihre Siege sind verkappte Nieder- lagen. Daran, daß sie das belagerte Rom einnehmen könnten, kommt dem Leser kein Gedanke. Von dieser Belagerung an hört überhaupt jedes Interesse an dem Verlaufe auf. Während der Belagerung von

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Ravenna sendet Gott, als ob die Goten nicht schon genug geschlagen wären, den Engel Satumio, der mit dem Blitz ihre Kornspeicher an- zündet. Dem entspricht alles andere. Während der Schluß des deut- schen Romans einen feierlich erlösenden Eindruck macht wie das letzte Buch der Ilias, bedeutet der der Italia liberata das Ausmünden in einen trostlosen Sumpf.

Einen andern Weg schlug der Florentiner Luigi Alamanni ein. Er hinterließ ein Epos L'Ävarchidej das sein Sohn Battista, Bischof von Mäcon, 1570 veröffentlichte. König Arturo von Bretagne belagert die Stadt Avarco, Avaricum, Bourges, die Clodasso dem König Ban, Lancilotto's Vater, genommen hat. Der Schauplatz ist also Frankreich^ die Gestalten gehören der bretonischen Sage an, und das Gedicht würde demnach zu den Romanzi gehören. Aber zu seinem romantischen Stoff' erfand Alamanni eine Handlung, welche einfach die wichtigsten Ereignisse der Ilias wiedergibt. Es ist ein Gedicht vom Zorne Lan- cilotto's, den König Arturo beleidigt hat, und der sich grollend vom Kampfe zurückzieht. Das Epos ist weder klassisch noch romantisch. Zu den homerischen Sitten passen die bretonischen Ritter nicht, und die homerische Erzählungsweise verhindert die bunte Mannigfaltigkeit des Romanzo. Wortreich und monoton schleppt sich die Geschichte durch 25 Gesänge mit über 3000 Stanzen, bei deren Lektüre auch der Eifrigste erlahmt. Auf diesem Wege ließ sich das Romanzo nicht in klassisches Gewand stecken.

Trissino's und noch mehr Alamanni's Gedichte wurden vom Publikum mit Recht abgelehnt. Von der Italia liberata sagte Bemardo Tasso^ der Vater Torquato's, sie sei fast am gleichen Tag, wo sie erschienen sei, begraben worden. Aber Trissino hatte einen Streit erweckt, der nicht so bald zur Ruhe kommen sollte, und zwar mit seinem Wort über Ariost, der dem Pöbel gefalle.

Giambattista Giraldi Cinthio aus Ferrara, ein sehr gelehrter Mann, verfaßte 1549 die Schrift Discorso intorno al comporre dei Romanzi, die 1554 erschien. Sein Zweck war eigentlich, für ein zu verfassendes eigenes Gedicht JErcole sich zuerst eine Theorie zurecht zu legen. Neben dem antiken Epos mit der einen Handlung eines Helden und dem Romanzo mit den vielen Handlungen vieler sollte eine Dichtungsart Platz finden, welche die vielen Handlungen eines Helden darstellte. Aber daneben ist der Discorso, der eine vollständige Poetik des Romanzo darstellt, eine wirksame Verteidigung dieser Dichtungsart überhaupt und voll geistreicher Polemik gegen die über- triebene Anmaßung der modernen Aristoteliker. Cinthio verteidigt

Alamanni Giraldi 61

das Recht des Romanzo neben dem den Regeln des Aristoteles und Horaz entsprechenden alten Epos. Er findet die Kunst Ariosts der Homers und Virgils in mancher Beziehung überlegen. Diese kom- ponieren so, daß das eine Buch vom andern abhängig ist. Ariosts Verfahren ist viel wunderbarer. Die Verknüpfung der einzelnen Ge- schichten, das Abbrechen und Verschlingen zeugt von höchster Kunst. Warum sollten die neuen Dichter nur in den Fußtapfen der alten wandeln dürfen, zumal der Romanzo im Preise der Tugend und in der Verurteilung des Lasters die alten Epen übertrifft? Giraldi hat oft über die lachen müssen, welche die Verfasser der Romanzi den von Aristoteles und Horaz gegebenen Gesetzen unterordnen wollten, ohne zu bedenken, daß weder der eine noch der andere diese Sprache und Kompositionsweise kannte. Gerade deshalb paßt es nicht, diese Kom- positionen solchen Gesetzen und Ordnungen zu unterwerfen, sondern man muß sie in den Grenzen lassen, in die sie die großen Dichter gestellt haben. Wie Griechen und Römer ihre Theorien aus ihren Dichtem ableiteten, so dürfen auch wir es tun. So hat es schon Ovid gehalten, der sich in den Metamorphosen auch nicht an die Regeln des Aristoteles kehrte, weil eben sein Stoff dort nicht besprochen war. Niemand hat mit solcher Klarheit den historischen Wert und zu- gleich die Schranken der aristotelischen Poetik erkannt wie Cinthio. Wenn er hätte durchdringen können, so wäre der Poesie, ja der Mensch- heit, viel Mühsal erspart geblieben. Er hat gesehen und ausgesprochen, daß eine neue Poesie gänzlich unmöglich wäre, wenn man nur das Vor- bild der Alten gelten lassen wollte. Zwar bestreitet er gar nicht, daß das Studium anerkannt vorzüglicher alter Dichter für den Späteren nützlich sei. Aber er will, daß man sich zugleich vor ihren Fehlem hüte und nicht auch diese nachahme. So ist Virgil zu prüd, und Homer hat den Wein öfter eingeführt, als einem klugen Dichter zukommt. Vor allem hat man den Unterschied der Zeiten und Sitten im Auge zu be- halten. Bei Homer nimmt sich Nausikaa selbst ihrer Wäsche an; heut- !zutage wäre das sogar für die Tochter eines einfachen Handwerkers Tinschicklich, geschweige denn für eine Prinzessin oder ein Edelfräulein. Es herrschte eben damals eine rohe Einfachheit, die erst später der Majestät Roms gewichen ist, einer Majestät, die sich bis in unsere Zeit erhalten hat. Homer in seinen Sitten nachahmen wollen, hieße aus dem Golde seiner Komposition den Wust heraussuchen, der sich nicht durch die Schuld des Dichters, sondern die seiner Zeit hineindrängte. Was bei ihm nur durch die Zeit verzeihlich wird, darf nicht nachgeahmt werden. Die Griechen erklärten ihn natürlich für göttlich, weil sie

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keinen andern hatten. So war Ennius berülinit, bis Virgil kam. Diesem hat man die Scene verübelt, wo sich Aeneas über Helene ereifert und die Urheberin so vielen Unheils vernichten will. Was müßte man erst zu den zankenden Göttern und Helden Homers sagen? Mit der alle- gorischen Erklärung kommt man da nicht durch; sie legt den Gedichten Dinge unter, an welche die Dichter gar nicht gedacht haben. Niedriges gehört nun einmal nicht in die Poesie. Wenn Servius und Macrobius Homer über Virgil stellen, so muß man bedenken, daß Grammatiker nicht zu Richtern über dergleichen Fragen geeignet sind.

Der Schätzung Homers ist, wie man sieht, die vorbildliche Stellung^ die ihm Aristoteles angewiesen hat, nicht zum Heil gediehen. Man be- ginnt nach Fehlem des berühmten Musters zu spähen und findet sie wesentlich im Mangel an dem konventionellen Anstand, den man an Virgil bewundert. Verschärft wird die Polemik durch die Anmaßung der Aristoteliker mit ihrer hochmütigen Verachtung des Romanzo. Be- sonders Trissino ist bei Giraldi die Zielscheibe bitterster Kritik. Er sei ein schlechter Nachahmer ohne eigenes Urteil, der sich selbst gegen die Regeln verfehle.

In der Erzählung, sagt Giraldi, passen nur kurze Vergleichungen, damit sie nicht aufgehalten wird. Dagegen eignen sich längere Gleich- nisse in den Episoden und im Munde müßiger und nicht von Schmerz ge- drückter Personen. Homer hat im neunten Buch der Odyssee kein Gleichnis, überhaupt wenige in der Odyssee, dagegen sehr viele in der Ilias, weil ihm diese großartiger und prächtiger, die Odyssee im Vergleich damit einfacher erschien. Virgil dagegen hat überall Gleichnisse, denn seine Poesie ist überall majestätisch.

Giraldi's geistvolles Buch hätte den aristotelischen Regelzwang ver- hindern können, ohne indessen dem Dichter seine Freiheit zurückzugeben.; Denn auch ihm ist die Erkeimtnis nicht gekommen, daß sich der Dichter selbst das Gesetz macht. Auch er steht im Bann der Anschauung, daß die Theorie für den Dichter bestimmend sei, nur will er sie nicht ein- seitig aus den Alten abgeleitet wissen. Einen direkten Einfluß übte sein Buch auf Bernardo Tasso, der sein Gedicht Amadigi ähnlich ge- stalten wollte, wie Trissino das seine, sich aber durch Giraldi bewegen ließ in Ariosts Lager überzugehen. Nur den rhetorischen Schmuck behielt er aus den klassischen Epen bei, um ihn zum Bombast zu über- treiben.

Zum Teil ähnliche Gedanken wie Giraldi äußerte zur gleichen Zeit sein Schüler Giambattista Pigna in dem Buche I Bomanzi. Er hat sogar behauptet, Giraldi habe ihm seine Ideen gestohlen. Wenn

Giraldi Minturno 65

man beide Bücher vergleicht, so erkennt man den gemeinsamen Grund- gedanken, die Rechtfertigung des Romanzo als einer besondern existenz- berechtigten Dichtungsart. Aber Pigna ist ein weit engerer Geist als Giraldi. Er sucht vor allem zu beweisen, daß der Romanzo den aristo- telischen Forderungen ebensogut entspreche wie das antike Epos, und nur in der Frage der Mehrheit der Handlungen geht er seinen eigenen Weg, der auch von dem Giraldi's verschieden ist. Er erklärt sie näm- lich historisch aus dem Zusammenschluß vieler Einzellieder zu einem Ganzen und baut darauf eine Technik des Romanzo auf. Daß er der Abhängigkeit Ariosts von Homer und Virgil nachgegangen ist, wurde bereits erwähnt. Die allegorische Erklärung der epischen Gedichte überträgt er auf den Furioso, was sehr wunderbar anmutet.

Den von Giraldi hingeworfenen Handschuh nahm Antonio Min- turno im ersten Buche seiner Poetica Toscana 1563 auf. Das dick- leibige Werk ist in Form eines Gesprächs zwischen dem Verfasser und Vespasiano Gonzaga abgefaßt, zunächst im engsten Anschluß an die aristotelische Poetik, deren einzelne Sätze oft breit ausgeführt werden. Aber schon hier geht der Verfasser einen wichtigen Schritt weiter» Aristoteles hatte gesagt, das Epos sei der Zeit nach unbegrenzt. Min- turno findet, daß nach Maßgabe der besten Muster die Handlung des Epos ein Jahr nicht überschreiten dürfe. Die Hauptsache ist ihm aber die Behandlung des Romanzo, wobei er Ariost mit Homer schulmeistert. Jener fehlt durch die Massenhaftigkeit der vorgeführt^ Dinge gegen das Gebot der Wahrscheinlichkeit und Notwendigkeit. Geschätzt werden die Romanzi wohl, aber nur vom Pöbel, der nicht weiß, was Poesie ist, und worin der Vorzug des Dichters besteht. Sie haben wohl Handlungen, die des Epos würdig wären, aber sogar Ariost besitzt nicht die Poesie, die Aristoteles und Horaz uns lehren, so hoch man auch sein Genie schätzen mag. Er ordnet die Mannigfaltigkeit seiner Per- sonen und Sachen nicht einem Ziele unter wie Homer. Leicht hätte er die Not der Christen durch die Raserei Rolands begründen können^ wie Homer die der Achäer durch den Zorn des Achilleus. Die Heilung Rolands hätte dann den Sieg der Christen herbeigeführt. Wenn Rug- giero besonders verherrlicht werden sollte, konnte Ariost ein besonderes Gedicht über ihn machen, wie Homer über Odysseus, der ja auch in der Ilias eine große Rolle spielt. Man kann nur bedauern, daß er sa dem Geschmack der Menge nachgab. Die Gründe der Verteidiger des Romanzo läßt Minturno nicht gelten. Die Forderung der Einheit der Handlung ist unantastbar gehalten durch das Beispiel der besten Muster und die Lehren des Aristoteles und Horaz, neben denen die neue Poetik

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des Romanzo nicht aufkommt; denn es gibt nur eine Wahrheit, die dem Wechsel der Zeiten nicht unterliegt, ganz wie in der Religion.

Die Theorie ist bereits zum Dogma geworden, das alles Leben be- deckt, die neue Richtung eine Art Ketzerei. Damit ein Lichtblick nicht fehle, bietet Mintumo das erste Beispiel eines Pedanten, der einem großen Dichter klar macht, wie er es hätte anstellen sollen, um korrekt zu sein.

Es ist im vorgehenden mehrfach von der Vergleichung Homers mit Virgil die Rede gewesen. Die Diskussion darüber hat nie auf- hören wollen. Im Cinquecento neigt sich die überwiegende Mehrheit auf die Seite des Römers.

Capriano verglich beide Dichter in dem Buche Bella vera Poetica 1555, das mir nicht erreichbar gewesen ist. Nach Spingams Referat tadelte Capriano die überflüssige Fülle und Breite Homers und den gelegent- lichen Mangel an Anstand und hob die Überlegenheit Yirgils in Würde und Stil hervor. Das Buch erschien im selben Jahre wie Pelletier's Art poetique; ob dieser, wie Spingam annimmt, davon beeinflußt war, oder ob er und Capriano auf Vida zurückgehen, ist nicht leicht zu sagen.

Der in Rom tätige Franzose Marcus Antonius Muretus beginnt seine Vorlesung über Virgil 1579 mit dem Satz, dieser sei ohne Zweifel nicht nur der bedeutendste lateinische Dichter, sondern bringe auch den Ruhm der* Griechen in die größte Gefahr; an anderer Stelle er- klärt er ihn über jede Vergleichung erhaben. Derselben Meinung waren eine Menge der bedeutendsten Geister Italiens. In diesem Zu- sammenhang sei die umfängliche Arbeit des großen Forschers Fulvius Ursinus erwähnt, Virgilius cum Graecis scriptorihus coUatus 1567, wo eine gewaltige Menge Entlehnungen Virgils nachgewiesen werden.

Erwähnen wir noch die ersten italienischen Übersetzungen Homers, die sämtlich im Verso sciolto verfaßt sind. Der Messinese Paolo La Badessa veröffentliche 1564 die ersten 4 Bücher der Ilias in herzlich schwachen Versen, Girolamo Bacelli 1581/82 die Odyssee und 7 Bücher der Ilias. Lodovico Dolce liefert 1573 eine Über- setzung der Odyssee in Stanzen; Cesarotti urteilt, es sei mehr eine Nacherzählung als eine Übersetzung. Ähnlich muß sein Ächille eine Nachbildung der Ilias sein. Ich habe diese beiden Werke nicht zu- gesicht bekommen.

Trissino, Giraldi, Pigna, Minturno waren nur die wichtigsten Re- präsentanten der streitenden Parteien. In Wahrheit erhitzte sich die

Tasso Speroni 65

ganze gebildete Welt Italiens über die Angelegenheit. Das lesende Publikum hatte längst entschieden. Ariost lebte in unvergänglichem Ruhm, Trissino's Buch hielt sich, wie Tasso berichtet, kaum in den Bibliotheken. Aber in den gelehrten Kreisen herrschte Aristoteles. Da mochte es wohl einem jungen Dichter, der sich mit großen Ge- danken trug, bang zumute werden. Wie glücklich war Ariost gewesen, für den Aristoteles noch begraben lag. Jetzt hieß es sich mit den die Welt bewegenden Fragen abfinden, nicht sowohl vor den Menschen, als vor sich selbst.

Torquato Tasso hatte schon bei seinem Aufenthalt in Venedig 1559 und 1560 den Plan zu seinem Gedicht vom Befreiten Jerusalem gefaßt und auch damit begonnen. Die beständig steigende Türken- gefahr lenkte die Augen der Italiener, besonders der Venezianer, nach Osten. Der Gedanke eines neuen Kreuzzuges, der schon das 15. Jahr- hundert vielfach beschäftigt hatte, tauchte wieder auf, und auch andere als Tasso dachten daran der öffentlichen Stimmung in einem Epos Aus- druck zu geben. Der Stoff eines solchen Gedichts mußte national sein, nicht mehr wie bei Basini im Sinne eines italienischen Vaterlandes, sondern im Hinblick auf den römischen Katholizismus. Tasso verlor den Plan nicht mehr aus den Augen. Zwischen 1568 und 1570 schrieb er in Ferrara die drei Discorsi delVarte poetica ed in particolare sopra ü poema eroico. Er wollte, wie er später mitteilt, die Wahrheit suchen und den richtigen Weg der Dichtung finden, von dem so viele moderne Dichter abgewichen seien. Ganz voraussetzungslos ist er nicht an seine Erwägungen herangetreten. Dafür geben sie die Gedanken der aristotelischen Poetik zu umfassend wieder. Sodann hatte er 1560—62 in Padua den vertrauten Umgang des gelehrten Sperone Speroni genossen, der noch vor Mintumo Giraldi gegenüber auseinandergesetzt hatte, der Romanzo müsse zwar nicht notwendig den Vorschriften der Alten folgen, dürfe aber den Grundgesetzen der Poesie nicht ungehorsam sein. Die Romanzi seien entweder Epen, d. h. Gedichte, oder Geschichten in Versen und keine Gedichte. Unter den Grundgesetzen verstanden sie alle zuvörderst die Abgeschlossenheit und Einheit der Handlung, und das tritt auch bei Tasso so stark hervor, daß ihn Speroni nach- mals bezichtigte, ihm seine Gedanken entwendet zu haben. Dennoch sagt Tasso die Wahrheit, wenn er die Discorsi das Mittel nennt, das er angewendet habe, um den richtigen Weg zu finden. Bei aller Ab- hängigkeit von Aristoteles bieten sie das Bild eines ehrlich Suchenden.

Der Stoff des Epos, so erklären die Discorsi, soll historisch sein, weil ein solcher der W^ahrseheinlichkeit besser entspricht als ein er*

Finsler: Homer in der Neuzeit. 5

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fundener. Da aber das Epos auch das Wunderbare verlangt, so muß der Dichter einen christlichen oder hebräischen Stoff wählen, weil er nur so übernatürliche Gewalten verwenden kann, die den religiösen Vorstellungen unserer Zeit entsprechen, so daß das Wunderbare zu- gleich auch wahrscheinlich ist. Der Held wird nur vollkommen sein, wenn er fromm und religiös ist. Eine zu alte Zeit darf nicht gewählt werden, weil der moderne Leser deren Sitten nicht liebt. So göttlich Homers Gedichte sind, so geben sie doch denen Anstoß, die an die Zartheit und den Anstand, decoro, der neuen Zeit gewöhnt sind. Alte Geschichten in modernem Gewände vorzutragen geht auch nicht an. Ganz neue Stoffe hindern die Erfindungskraft. Bleiben also die mitt- leren Zeiten, die der Romanzo mit so großem Erfolge verwendet hat.

Die Handlungen müssen edel und glänzend sein. Mit Unrecht sieht Aristoteles den Unterschied zwischen Epos und Tragödie nur in den Kunstmitteln. Die Wirkung des Epos ist nicht Mitleid und Schrecken, sondern seine Erhabenheit geht auf große und reiche Hand- lungen. Für den Umfang ist Homer mustergiltig, der einen ziemlich kleinen Stoff durch Episoden und bereichernden Schmuck zu einer löb- lichen und schicklichen Größe ausdehnte. Virgil hat beide Epen Homers umfassen wollen und mußte daher die Ornamente so sparsam und vor- sichtig verwenden, daß er die blühende und beredte Fülle Homers nicht erreichte. Vor allem ist innere Abgeschlossenheit zu fordern, die bei Boiardo und Ariost nur gefunden werden kann, wenn man ihre zwei Gedichte als ein einziges betrachtet. Sie würde auch bei Homer fehlen^ wenn sein Gegenstand der troische Krieg wäre und er nicht dem Zorn des Achilleus alles andere untergeordnet hätte. Die in jüngster Zeit so heftig erörterte Frage ist, trotz der Popularität Ariosts und der Gelehrsamkeit seiner Anhänger, gegen den Romanzo zu entscheiden. Zwischen diesem und dem Epos besteht kein Artunterschied, und selbst wenn dies der Fall wäre, dürfte die Einheit nicht fehlen, da diese eüi Gesetz aller Poesie ist.

Die Sitten der Zeiten ändern sich, nicht aber die Beurteilung der moralischen Werte. Aber eine Menge von Dingen werden nur durch die herrschende Sitte zu schönen oder häßlichen gemacht, so die Art der Bewaffnung, Gebräuche bei Opfer oder Gastmahl, Anstand und Er- habenheit der Personen. Bei der Erhabenheit unserer Zeit wäre es un- passend, daß eine Königstochter mit ihren Mägden die Wäsche selbst besorgte. Darum zeigt Trissino wenig Urteil, der alle diese homerischen Gebräuche nachahmt. Was dagegen direkt auf die Natur gegründet ist, wie die Charaktere, ist von der Gewohnheit unabhängig.

Tasso 67

Die unleugbaren Vorzüge Ariosts berühren das Prinzip der Einheit

nicht. Seine Überlegenheit rührt nicht von der Vielheit der Handlungen

her, sondern von der Anmut und Mannigfaltigkeit der Schilderungen, die

bei der Verfeinerung der Zeiten notwendig geworden ist. Aber wie bei

aller wunderbaren Mannigfaltigkeit die Welt ein Ganzes bleibt, so wird

auch der Dichter, den man göttlich nennt, weil er beim Schajffen an der

^Göttlichkeit des Schöpfers teilhat, eine kleine Welt mit reichster Abwechs-

iung bieten; diese kleine Welt wird aber, wie die grosse, eine Einheit sein.

Diesem Programm, in der Einheit dem Homer, in der Mannigfaltig-

:eit dem Ariost zu folgen, entspricht die 1575 erschienene Gerusalemme

jiberata, deren Stoff der erste Kreuzzug, deren Held ein christlicher

'ürst von höchster Würde ist. Dem Dichter gab Homer die Handlung

engeren Sinne, den Streit der Helden, der nicht wie bei Trissino

ils ein zufälliger Flicken aufgesetzt, sondern von ganz zentraler Be-

leutung ist. Erster Ausgangspunkt wie bei Homer ist nun zwar dieser

Jtreit nicht. Tasso mußte seine Leser zuerst mit der Lage des Kreuz-

leeres und dessen vornehmsten Helden bekannt machen, während bei

[omer Vorgeschichte und Personen vorausgesetzt sind. Der von Gott

lern Goffredo gesandte Traum, die Ratsversammlung, die Forderung

jines einheitlichen Oberbefehls durch den Einsiedler Piero sind nach

lomerischem Muster gezeichnet, und unter den Führern trägt Dudone

lie Züge Nestors. Natürlich folgt auch eine Heerschau, wie bei Vida,

toiardo, Ariost. Während der ersten Scharmützel erklärt Erminia dem

[König Aladino von der Mauer Jerusalems aus die Namen der Christen-

[führer, doch so, daß sich ihre Erklärungen an die Wechselfälle des

Kampfes anschließen. Die Szene hat mit der homerischen Mauerschau

lanchen Zug gemein.

Hier tritt nun das Motiv ein, das dem modernen Epos so ver- längnisvoU werden sollte, die Beteiligung der Hölle an den Ereig- lissen. Der Satan sieht durch den Kreuzzug sein Reich bedroht und [beruft eine Versammlung, in der er die Dämonen auffordert unter dem [Christenheer Unheil zu stiften. Hier ist ohne allen Zweifel Vida das [uster, nur daß das Eingreifen des Königs der Finsternisse in der Jhristias denn doch ungleich besser motiviert ist. Auch operiert die [öUe bei Tasso zunächst nur durch ihre Abgesandten, Idraote und irmida. Einmal, bei dem Sturm Solimano's auf das Christenlager, ißt dann Tasso die ganze höllische Rotte zur Unterstützung der Heiden lusziehen, bis sie durch den Erzengel Michael in die Hölle zurück- gejagt wird. Sonst sind die übernatürlichen Mächte maßvoll verwendet id verkümmern den Helden die erste Rolle nicht.

5*

68 Italien

An Armida's Sendung knüpft sich der Streit im Lager. Rinaldo hat seinen Verleumder Gemando niedergestochen, und Goffredo erklärt strenge Gerechtigkeit walten zu lassen. Von Tancredi benachrichtigt, wappnet sich Rinaldo, um sich seiner Gefangennahme zu widersetzen; er findet seine Verdienste durch Goffredo übel belohnt. Aber Tancredi beschwört ihn, im Lager keinen ruchlosen Kampf zu beginnen, sondern lieber zu Boemondo nach Antiochia zu gehen. Bald würden die Christen, wenn das ägyptische Heer sie bedränge, nach seinem starken Arm Verlangen tragen.

Tasso hat den Eingang der Ilias zugleich benutzt und gewandelt. Er wagt nicht, das homerische Problem in ganzer Strenge durchzu- führen. Nach unseren und seinen Begriffen ist die Haltung des zürnen- den Achilleus die höchste Indisziplin, ja sie grenzt an Hochverrat und läßt sich allein aus der schrankenlosen Individualität der homerischen Helden erklären. Rinaldo denkt allerdings zuerst daran sich der Schande der Einkerkerung zu widersetzen; aber er gibt den Bitten Tancredi's nach, der ihn warnt, in dem ersten Zorn Goffredo's sich dessen Richterspruch zu unterziehen, und die Entfernung für ein gutes Mittel hält den Sinn des Feldherrn zu beugen. „Das aufgebrachte Herz des mutigen Jünglings wandte und bezwang sich", sagt der Dichter. Seine Enthaltung vom Kampf ist nicht die Wirkung des Zornes, sondern besserer Einsicht. Nach Tasso's Meinung ist Goffredo durch- aus im Recht. Deshalb ist auch Rinaldo's Rückkehr zum Heere ähn- lich und doch anders gestaltet als die des Achilleus. Die Christen haben alle Ursache gehabt ihren tapfersten Helden zu vermissen. Da sendet Gott aus der Traumpforte einen Traum zu Gofiredo in Gestalt des verstorbenen Ugone. Er rät ihm, Rinaldo aus dem fernen Exil zurückzurufen; denn die Vorsehung habe jenen zum Vollbringen der Pläne Goffredo's bestimmt. Bitten dürfe er nicht, weil das seiner Würde Eintrag täte, sondern er solle, wenn er gebeten werde, ein- willigen und beim ersten Ton der Bitten anderer sich zur Verzeihung herablassen. Am Morgen fleht Rinaldo's Oheim Guelfo, der Feldherr möge einwilligen, daß jener zurückkehre und zur Buße für seinen Fehler sein Blut zum gemeinen Wohl hingebe. Den dringenden Bitten schließen sich die andern Fürsten an. Goffredo willigt ein; aber Rinaldo soll in Zukunft seine Zornausbrüche zügeln und durch seine Taten den hohen Hoffnungen entsprechen, die man auf ihn ge- setzt hat. Abgesandte Ritter erlösen Rinaldo aus den Fesseln der Armida und bringen ihn zurück. Bei der ersten Begegnung mit Goffredo erklärt er, aus eifersüchtigem Ehrgefühl Gernando erschlagen zu haben;

Tasso 69

wenn er den Feldherrn damit beleidigte, so habe er darüber große Betrübnis und Reue gefühlt, und er sei bereit jede Buße zu leisten, die ihn jenem wieder angenehm mache. Er neigt sich tief, aber Goffredo umarmt ihn und sagt, es möge jede traurige Erinnerung schweigen, und seine Buße solle in dem bestehen, was er aus Gewohnheit tun würde, in ruhmvollen Taten. Noch einmal beweint Rinaldo, von dem Ein- siedler Piero scharf gemahnt, den hochfahrenden Zorn und die tolle Liebesleidenschaft. Dann hilft er dem Heer zum Siege, wie der ver- söhnte Achilleus. Aber wie anders ist hier die Versöhnung gewandt! In der Ilias muß Agamemnon sein Unrecht eingestehen und alles tun, um eine wirkliche Beendigung des Zornes herbeizuführen. Hier be- kommt der Feldherr durchaus Recht, und obwohl er des starken Helden bedarf, ist er der Verzeihende und, sogar auf göttlichen Rat hin, nicht der Bittende.

Während der Abwesenheit Rinaldo's haben sich Ereignisse zuge- tragen, die viele homerische Anklänge zeigen: die Herausforderung Ar- gante's an die Christen, sein Zweikampf mit Tancredi und der mit Raimondo, der verräterische Schuß des Oradino, der als Vertragsbruch betrachtet wird. Die darauf folgende Schlacht hätte mit dem Siege der Franken geendigt, wenn nicht Gott der höllischen Schar erlaubt hätte einzugreifen, wie es in der Ilias Apollon tut. Der Zänker Ther- sites wird zum Rebellen Argillano; den durch diesen erregten Unmut des Heeres zu dämpfen genügt Goffredos majestätische Erscheinung. Die Prozession der Frauen von Jerusalem zu ihrem Lügengott ist dem Bittgang der Troerinnen zu Athene nachgedichtet. Hier und in den zahlreichen übrigen Anlehnungen verfährt Tasso ganz selbständig in der Verwendung des Vorbilds, in das er sich liebevoll versenkt hat. Der Schluß weicht sogar stark von Homer ab, da sich der zurück- gekehrte Rinaldo mit Goffredo und Tancredi in den Ruhm des Sieges teilen muß. Von Homer wie Ariost hat Tasso die ritterliche Behand- lung des Feindes.

Tasso war überzeugt, gleich Homer und Virgil ein nationales Epos geschaffen zu haben. Aber die Nation erkannte nicht darin den höchsten Wert des Gedichts, sondern in den romantischen Partien, Sofronia und OUndo, Clorinda's Tod, Armida's Garten, der Liebe der Erminia. Sie sind auch die schönsten und zeigen, daß der Dichter, wenn auch mit dem Kopfe zu Homer, doch mit dem Herzen zu Ariost neigte.

Bald nach ihrem Erscheinen wurde die Gerusa,lemme der Gegen- stand eines heftigen Streites, der die ganze gelehrte und gebildete

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Welt Italiens interessierte und, so pedantisch und spitzfindig aucli manches darin erscheint, doch für die Beurteilung des geistigen Lebens der Zeit von Wichtigkeit ist. Es handelte sich um die in der Tat nicht ganz gleichgiltige Frage, ob Italien mit Tasso's Gedicht ein klassisches Epos erhalten habe. Mit einer einzigen für sich zu be- handelnden Ausnahme stehen sämtliche Streiter auf dem Boden der aristotelischen Poetik, und es wird fortwährend mit Homer als dem von Aristoteles aufgestellten Muster operiert.

Die Sätze des Aristoteles wurden jedoch nicht mehr von allen blindlings hingenommen. Gerade in den Punkten, um die sich der Streit hauptsächlich drehen sollte, hatten sie kurz vorher eine mitunter scharfe Kritik erfahren. Das war durch den Kommentar geschehen, den Lodovico Castelvetro 1570 zur Poetik schrieb, und in "dem er auch hergebrachte Erklärungen der Poetik widerlegte. Die wich- tigsten der Ausführungen, die sich zugleich auf Aristoteles und Homer beziehen, sind folgende.

Castelvetro bestreitet die Richtigkeit der aristotelischen Einteilung der Poesie nach den Objekten, sowie die Behauptung, daß die Dichter, je nach ihrem edleren oder gemeineren Charakter, sich dieser oder jener Art der Poesie zugewendet hätten. Aristoteles schreibe ja selbst dem Homer neben der erhabenen Ilias das burleske Epos Margites zu. Innerhalb eines und desselben Stückes seien die verschiedensten Charaktere möglich, und die Schöpfer der Poesie waren Beobachter von Natur und Menschen, die leicht durch den Gegensatz angeregt werden konnten. Die Hochgemuten besangen, preisend oder tadelnd, die hohen, kleinere Geister die niederen Stände. Denn nach Ständen, nicht nach Charak- teren scheidet sich die Poesie. Wie die ganze Poetik der Renaissance läßt Castelvetro als Helden für Epos und Tragödie nur Könige und vornehme Männer zu; diese Auffassung stammt nicht aus Aristoteles, sondern aus Horaz.

Sehr verständig ist Castelvetro's Bemerkung zu der Forderung des Aristoteles, daß die Charaktere der Fabel tüchtige Menschen sein müssen. Er will die Forderung nicht auf alle Personen der Handlung ausgedehnt wissen und auch unter den tüchtigen nicht absolut gute Menschen verstehen, die ja Aristoteles geradezu ausschließe. Hätten die Nachfolger gesehen, wie richtig Castelvetro erklärt, so wäre ihnen viel müßiger Zank erspart geblieben.

Die Forderung der Abgeschlossenheit und Ganzheit der Handlung ist nach Castelvetro richtig; also ist der Furioso zu tadeln, weil er vom Innamorato abhängt. Mit der inneren Notwendigkeit des Endes

Castelvetro 7 1

sieht es auch bei den großen Epen eigentümlich aus; die llias wie die Aeneis haben ihre Fortsetzer gefunden. Die Handlung braucht nicht, wie Horaz meint, notwendig in der Mitte anzufangen, weil Homer und Virgil es so gemacht haben; einem Dichter deswegen den Dichteniamen abzusprechen, weil er es nicht so macht, geht viel zu weit. I^B Homers Gegenstand ist nach Castelvetro ausschließlich der Zorn ^aes Achilleus. Wenn Aristoteles mit der Behauptung Recht hätte, daß Homer einen Teil des Krieges herausgehoben habe, so hätte dieser die Mitte einer ganzen Handlung zum Gegenstand genommen. Aber das ist ja falsch. Ein Teil der troischen Sage ist gewiß die llias wie die Odyssee, aber mit einem bestimmten Helden und dessen Handlung im Mittelpunkt. Für die Wahl des engeren Stoffes war dem Homer nicht die Übersichtlichkeit maßgebend, wie Aristoteles annimmt, sondern etwas anderes. Hätte er den ganzen Krieg besungen, so wäre die ganze Wunder- welt und das aus ihr entspringende Vergnügen der reichen Fabel zu- geschrieben worden. Bewunderung schuf er sich dadurch, daß man bei der Ankündigung des Zornes nicht erwartete, er werde den ganzen Krieg aufrollen. Von den Episoden gehören freilich einige nicht in das zehnte Kriegsjahr, z. B. der Schiifskatalog und die Mauerschau. Aber dort läßt sich sagen, daß es frühere Teile der Geschichte gibt, die der Dichter er- wähnen zu müssen glaubt; hier, daß die Nachlässigkeit des Priamos, sich nicht früher nach den Achäerhelden zu erkundigen, ebenso entschuldbar ist, wie die des sophokleischen Oidipus, der sich um die Schicksale seines Vorgängers gar nicht gekümmert hat. Es wäre das nur unentschuld- bar, wenn der Oidipus gleich nach Laios Tode spielte, Priamos früher mit den Griechen zusammengetroffen wäre, ohne sich nach ihrem Namen zu erkundigen.

Es ist nicht richtig zu sagen, daß ein Gedicht nicht zu loben sei, wenn sein Anfang von einer andern Sache abhänge oder dem Ende noch etwas folge oder folgen könne. Wie sollte der Hörer nicht wünschen zu erfahren, wie Odysseus zu Kalypso gekommen ist? Auch der An- fang der llias hängt notwendig mit vergangenen Dingen zusammen. Und soll man von dem, was dem Ende des Gedichtes folgt, nichts mehr vernehmen? Es handelt sich also beim Aufbau der Fabel nicht um Anfang, Mitte oder Ende einer Handlung, sondern nur darum, beim Hörer das Vergnügen an einer neuen und wahrscheinlichen Handlung zu erwecken; dieser Gesichtspunkt hat auch die Wahl des Anfangs zu bestimmen. Der Anfang muß freilich klar bezeichnet sein, oder, wenn er unbekannt ist, aus dem Gedicht hervorgehen. In der llias ist er von vornherein klar: es ist die Pest mit ihren Ursachen; in der Odyssee

72 Italien

ist er zuerst unbekannt, erhellt aber aus dem fünften Buch und wird durch die Erzählung des Odysseus vollkommen klar. Man sieht leicht, daß, wenn auch Ariost von Castelvetro nicht mehr genannt wird, der Furioso von den lobenswerten Gedichten ausgeschlossen ist.

Wenn Aristoteles bestreitet, daß die Fabel schon dann einheitlich sei, wenn sie einen einzigen Helden zum Mittelpunkt habe, und wenn er vor allem eine einheitliche Handlung fordert, so entgegnet Castel- vetro, daß es doch einzelne Handlungen einer Person geben könne, die nach Wahrscheinlichkeit und Notwendigkeit voneinander abhängen und so zur Bildung einer Einheit geeignet sind. Jedenfalls gab es Dichter, die die Einheit in der Person erblickten und nicht daran dachten, daß sie Unzusammenhängendes vorbrächten. Wenn Aristoteles damit Recht hat, daß Drama und Epos nur eine Handlung einer Per- son darstellen dürfen, so sind viele Dichter zu tadeln, darunter Vida, dessen Christias verschiedene Handlungen Christi enthält, vor allem aber auch die Ilias. Denn wenn sie, wie Aristoteles behauptet, einen Teil des troischen Krieges darstellt, so ist ihre Handlung nicht die einer einzigen Person, sondern eines Volkes.

Nun geht die Poesie in ihrer Kunstübung in den Spuren der Ge- schichte; sie unterscheiden sich nur dadurch, daß die Geschichte wirklich Geschehenes, die Poesie möglicherweise Geschehendes darstellt. Wenn nun die Historiker mehrere Handlungen derselben Person historisch erzählen dürfen, so darf das die Poesie auch, ebenso die Handlung eines Volkes, ja sogar mehrere Handlungen desselben Volkes oder mehrerer Personen. Trotzdem kommandiert Aristoteles hier und anderswo hart- näckig, die Handlung, welche die Fabel ausfülle, müsse eine einzige' und zwar die einer einzigen Person sein.

Hier irrt sich Castelvetro infolge einer falschen Interpretation der Poetik, wie sich schon Giraldi geirrt hatte. Aristoteles fordert nur die Imitation einer Handlung, nicht einer Handlung einer Person. Dieser Irrtum, den Mintumo nicht hat, wurde durch Castelvetro sehr verbreitet. Beni hat dann den Fehler aufgedeckt. Auffallen kann dabei, daß Castel- vetro für die Ilias doch nur einen Helden annimmt; doch gibt er nicht zu, daß das für den Satz des Aristoteles spreche, weil sich Homer aus ästhetischen Gründen und um sein Genie heller leuchten zu lassen, dafür entschieden habe.

Den größten Kampf führt Castelvetro für die Forderung, daß die Poesie einen historischen Stoff haben müsse, und zwar gestützt auf die Beobachtung, daß so ziemlich alle Epen und Tragödien der alten Zeit ihre Fabel der Sage oder der Geschichte entnommen haben. Hier stellt

Castelvetro Pellegrino Salviati 75

er sich in den denkbar größten Gegensatz zu Aristoteles, dem die Überlieferung eher als ein Hindernis für den Dichter erschien. Wenn er aber den historischen oder sagenhaften Charakter der epischen und tragischen Stoffe so stark betonte, so durfte er den Unterschied zwi- schen Geschichte und Poesie ausschließlich in der Behandlung suchen; das tat er nicht, sondern hielt an der Unterscheidung des Aristoteles fest; dadurch geriet er in Wirrnisse, die zu lösen ihm nicht ganz ge- lungen ist.

Castelvetro hat auch eine Vergleichung zwischen Homer und Virgil angestellt. Man kann, sagt er, die poetische Erzählungsweise in die allgemein gehaltene, universaleggiata, und die ins Besondere gehende^ particolareggiata, einteilen. Die erste zählt, wenn man das Bild eines Körpers nehmen will, nur die Häupter auf, diese die Glieder; jene die Gattungen, diese die Einzeldinge; jene die Gesamtheit der Dinge, diese die Teile. Die erste Art hat Großartigkeit und Pracht, und ihre Fehler entdecken sich nicht leicht. Man kann sie kleinen und verschwommenen Gemälden vergleichen, bei denen die Fehler auch nicht hervorstechen. Dagegen gibt es große deutliche Gemälde nach der Natur, in denen man jeden Kunstfehler entdeckt; so malte Michelangelo Kolossalfiguren, obwohl er wußte, daß jedes Fleckchen sichtbar würde. Ganz gleich arbeitete Homer, der in dieser großartigen Manier zeigte, was er wert war, und das Einzelne so ausführte, daß sich jeder Fehler zeigt. Davor hütete sich Virgil nach Kräften und versteckte sich hinter die allge- mein gehaltene Manier, die weniger Mühe macht und für sich schon erhaben und prächtig erscheint. Wußte er doch, daß er dies durch die Behandlung ins Einzelne nicht zu erreichen imstande war.

Die von Castelvetro aufgestellten Sätze spielen in dem großen Streit um die Gerusalemme eine wichtige Rolle. Denn es geschah durchaus im Anschluß an ihn, daß Camillo Pellegrino in seinem Dialog 11 Caraffa 1584 zu beweisen suchte, Tasso müsse als der größere Dichter betrachtet werden denn Ariost, weil er eine einzige Handlung mehrerer Personen mit den notwendigen Mitteln zu Ende geführt habe. Dagegen erhob sich die 1582 in Florenz gegründete Accademia della Crusca, deren leitender Geist, Lionardo Sal- viati, auffallend lang mit geschlossenem Visier kämpfte. Ihre erste, 1585 erschienene Schrift Difesa delV Orlando Furioso zeigt den Stand- punkt, den die Florentiner einzunehmen wünschen. Es folgte in den nächsten Jahren eine ganze Flut von Schriften, die zum weitaus großem Teil für Tasso Partei nahmen. Der Dichter hat sich 1585 in der ruhig gehaltenen Äpologia auch selbst vernehmen lassen.

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Der Streit dreht sich zum großen Teil um die aus Giraldi und Minturno bereits bekannten Fragen, die zum L^berdruß breit getreten werden. Nur kämpft Salviati anders als Giraldi. Er erkennt nämlich die Forderung, daß sieh der Romanzo den Gesetzen des Aristoteles zu fügen habe, unbedingt an, sucht aber zu beweisen, daß Ariost ihr in allen Punkten nachgekommen sei. Dabei kommt es ihm auf Gewalt- samkeiten nicht an. So beugen sich beide Parteien der Autorität des Aristoteles, den sie meistens durch die Brille Castelvetro's betrachten. Im übrigen ist ihre Kampfweise verschieden. Von Pellegrino an beteuern alle Anhänger Tasso's ihre Verehrung für Ariost. Was sie an ihm aus- setzen, sind theoretische Dinge oder, wenn sie es auch nicht laut genug sagen, seine der Zeit allzufrei vorkommenden Geschichten. Die Wohl- anständigkeit Tassos sagt ihnen mehr zu. Die Florentiner dagegen empfinden eine unwillkürliche Abneigung gegen den neuen Stil und die der toscanischen Korrektheit oft nicht genügende Sprache. Ihr Auf- treten ist von maßloser Heftigkeit und Gehässigkeit.

Obwohl nun der Streit eine rein innere Angelegenheit des italie- nischen Kulturlebens war, so hatte er doch auch für die Wert- schätzung Homers eine nicht geringe Bedeutung. Aristoteles hatte seine Sätze aus ihm abgeleitet; auf sein Beispiel stützt man sich jetzt für einzelne Aufstellungen. Pellegrino findet, die Fabel des Epos könne freilich erfunden werden, aber löblicher sei es doch, wenn der Dichter sie auf einer wahren Geschichte aufbaue. So seien der troische Krieg und der Zorn des Achilleus historische Tatsachen, die dann unter starker Steigerung der Charaktere ausgeschmückt und verändert worden seien. Das lehre eine Vergleichung mit den Zeit- genossen des Krieges, Dictys und Dares. Salviati fordert dagegen für den Dichter vor allem das Recht der Erfindung. Ist es denn erwiesen, daß Homer keine Namen erfunden hat? welchen Historiker kann man vor ihm nachweisen? Etwa Dictys und Dares? Deren Schriften sind ja an der Hand der Ilias, Odyssee und der Tragödien gemacht, waren Aristoteles noch nicht bekannt und widersprechen sich gegenseitig.

Die gegen Ariost erhobenen Vorwürfe pariert Salviati mit dem Hinweis auf Homer. Hat dieser keine Episoden, die sich vertauschen ließen? Die Flucht Angelica's im Anfang des Furioso ist eine Episode, die dem Ganzen vorangeht wie die Telemachie der Odyssee. Der Schluß des Furioso ist nicht bunter als der der Odyssee. Allerdings springt Ariost von einem Gegenstand zum andern, aber das tut die Odyssee auch. In den Episoden hat Aristoteles gerade eine Eigentümlichkeit des Epos gesehen und den größeren Teil der Odyssee für episodisch

Der Streit um die Gerusalemme 75

erklärt. Wenn man es tadelt, daß der Furioso an Boiardo anschließt, setzt etwa die Ilias nichts voraus, und sind Odyssee und Aeneis ohne die Ilias verständlich? Und nun der Schluß! Die Ilias, das Ideal des Aristoteles, läßt den Hörer ganz unbefriedigt, der auf den Fall von Troja gespannt ist. Der Tod Rektors ist kein Schluß, dem nichts mehr nachfolgte. Ariosts Episoden hangen mit dem Ganzen so gut zusammen wie die Homers: oder was haben die Gelage der Götter, die Liebesszene zwischen Paris und Helene, das Lied des Demodokos oder die Jugend- geschichte des Eumaios mit der Haupthandlung zu tun? Die Forderung eines solchen Zusammenhanges mit dem Ganzen ist eben unbillig.

Den Charakteren Ariosts vorzuwerfen, sie seien zum Teil ver- brecherisch und niedrig, ist ungereimt, wenn man die Haupthelden Homers in Betracht zieht, den unerbittlichen Achilleus, den bestialischen Aias, den Lügner Odysseus, die sich außerdem sämtlich Konkubinen halten. Die Ilias ist auf einer ganz verbrecherischen Tat, dem Raube der Helene, aufgebaut, und der verliebte alte Aeneas begeht an Dido den schändlichsten Verrat. So etwas läßt sich Ariost nie zuschulden kommen. Und soll es etwa dem Charakter des Helden Achilleus ange- messen sein, daß er bei der Mama wie ein Kind um die Buhle weint und sie sich dann, nachdem er doch den König auf das gemeinste beschimpft hat, wegnehmen läßt, als wäre er ein Knabe? Die beliebten allego- rischen Erklärungen gelten nichts; sie sind von den späteren Griechen erfunden worden, um die Ruchlosigkeit der homerischen Geschichten zu bemänteln.

Im Eifer des Gefechts hat Salviati den Homer, den er zur Ver- teidigung Ariosts herangezogen hatte, in die Stellung eines Angegriffenen gedrängt, den Ariost weit überragt. Er spricht das auch einmal positiv aus. Pellegrino hatte beteuert, er erkläre Ariost für den größten Dichter in seinem Gebiet, dem Romanzo. Da es nun, folgert Salviati, keinen Artunterschied zwischen Epos und Romanzo gibt, so gestehe Pellegrino, durch die Kraft der Wahrheit gezwungen, zu, daß das Werk Ariosts vollkommener sei als die Virgils und Homers. Schon 1568 hatte er übrigens gesagt, die toscanische Sprache und Literatur übertreffe jede andere alter und neuer Zeit.

Ein Parteigänger Tassos, Orazio Lombardelli, bespricht in seinem vortrefflichen Discorso 1586 die Entlehnungen Tasso's aus Homer. Die meisten Stellen habe er nach Wahrscheinlichkeit und Angemessenheit verbessert, so die Mauerschau. Tasso hat sich durch eigenes Genie und eigene Kraft den gleichen Ruhm erworben wie Homer. Vor diesem zeichnet er sich dadurch aus, daß er die Fehler vermeidet, die Piaton

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dem Homer vorwirft; er hat seine Götter und Helden den Leidenschaften nicht zu sehr Untertan sein lassen.

Ariost überragt Homer, sagt Salviati; Tasso überragt Homer, sagt Lombardelli. Natürlich. Ein großer Dichter der Gegenwart überragt immer alle andern, besonders wenn diese eine fremde Sprache sprechen. Und nun war im einzelnen bewiesen worden, daß dieses angebliche Muster den anerkannten Lehrsätzen des Aristoteles gar nicht entspreche. Da lag die Frage nahe, ob Homer auch fernerhin als Muster zu gelten habe, ja ob die reich erblühte italienische Poesie überhaupt eines Musters bedürfe.

Gleich nach dem Erscheinen des Caraifa hatte die Accademia della Crusca den in Ferrara lebenden Gelehrten Francesco Patrici um ein Gutachten über jenen Dialog ersucht. Patrici war seit dreißig Jahren mit einem großen Werk Della Poetica beschäftigt, das 1585/6 in Ferrara erschien. Er fand die Vorschriften der Alten ungenügend, zum großen Teil unrichtig, während sich die modernen Kommentare um wenige Lehr- sätze im Kreis bewegen. Zwar ist er überzeugt, daß er den herrschenden Autoritätsglauben zunächst nicht erschüttern werde, hofft aber auf den Sieg seiner Anschauungen in der Zukunft. Der erste Band seines Werkes, La Deca Istoriale, leitet die Normen der einzelnen Dichtungsgattungen nicht, wie Aristoteles, von wenigen großen Werken, sondern aus der gesamten poetischen Literaturgeschichte ab. Das Buch ist dadurch zu- gleich zu einer Geschichte der antiken Poesie und einer Darstellung ihrer inneren Entwicklung geworden, das erste derartige Werk der Neu- zeit. Im zweiten Bande, der Deca D isputata, greift Patrici die Grund- lagen der aristotelischen Poetik an, damit zugleich die Anschauungen der eigenen Zeit. Trotz einzelnen Irrtümern, besonders über die Be- deutung der Mimesis, wäre das imposante Werk noch heute sehr ge- eignet, einer Untersuchung über die Richtigkeit der aristotelischen Lehr- sätze und damit über das Wesen der Poesie zur Grundlage zu dienen.

Patrici war also, wie die Florentiner richtig einsahen, der geeignete Mann, um über Pellegrino's Caraffa ein Gutachten abzugeben. Dieses Parere in difesa di Lodovico Ariosto, das 1585 geschrieben wurde, ent- hält alle Sätze der Deca Disputata, die im vorliegenden Fall in Frage kommen konnten. Charakteristisch für Patrici ist, daß er Pellegrino's Fundamentalsatz, die aristotelischen Lehrsätze seien den Prinzipien der Wissenschaften gleichzusetzen, als ganz falsch verwirft. Er vermißt bei Aristoteles eine Definition des Epos und findet die des Caraffa unzu- länglich. Patrici's Hauptsätze sind folgende. Der Romanzo ist keine besondere Dichtungsart; das Wort bedeutet nur ein Gedicht in einer

Patrici Tasso 77

romauischen Sprache, Wemi man Ariost Einführung unwürdiger und niedriger Personen vorwirft, so finden sich deren auch bei Aristoteles* Ideal Homer in Menge. Ob die Forderung der einheitlichen Handlung bei Aristoteles auch für das Epos gelte, ist unklar; Aristoteles hat den Begriff der Handlung gar nicht definiert. Jedenfalls hat Homer mehrere Handlungen. Es ist nicht abzusehen, warum ein Epos eher mit fremden und angeknüpften Episoden gefüllt werden dürfe, als mit vielen unter sich verknüpften Haupthandlungen.

Welches ist nun die Handlung der Ilias? Man sagt, der Zorn des Achilleus. Aber Zorn ist keine Handlung, sondern ein Affekt, passione. Wenn der Held achtzehn lange Bücher hindurch weinend stillsitzt, so tritt daraus keine Handlung hervor; was vorgeht, geschieht durch andere Helden oder durch Götter, also besteht der größte Teil des Gedichts aus Episoden. Wenn Achilleus endlich auszieht, so folgt er einem neuen Affekt, dem Schmerz, so daß er hier wohl der Handelnde ist, aber ohne Zusammenhang mit der Haupthandlung. Aber gesetzt, die Ilias habe eine Handlung, ist denn der Furioso darin anders? Gewiß kann man viele seiner Geschichten für die Haupthandlung entbehren, aber das gilt auch von Homer. Die Einleitungen der homerischen Gedichte geben den reichen Inhalt nicht an, viel besser die des Furioso.

Die Vorschriften des Aristoteles über die Charaktere treffen nicht zu, wenn sie aus Homer abgeleitet sein sollen. Wo ist denn da die Güte der Helden, bei dem boshaften Thersites, dem Betrüger Diomedes, dem grausamen und habsüchtigen Achilleus, dem ungerechten Aga- memnon? Wo die Angemessenheit der Zeichnung, besonders bei den Göttern? Wo die Konsequenz bei dem ra"stlosen Achilleus, der so lange müßig liegt, oder dem tapferen Hektor, der feige davonläuft? Wer solche Dinge bei Ariost tadelt, hat Ilias und Odyssee nicht erwogen und kennt auch die Wandelbarkeit der menschlichen Natur nicht.

Gegen Patrici erhob sich Tasso selbst in dem Discorso sopra il jmrere fatto del Signor Francesco Patrici. Wie überall in diesem Streit ist Tasso der würdigste und liebenswerteste. Er wäre, sagt er, mit der Verteidigung Ariosts, den er verehre, sehr einverstanden gewesen, aber den Angriffen Patrici's auf Homer, Aristoteles und ihn selbst müsse er begegnen. Zur Verteidigung Homers führt er an, das Epos stelle nicht Personen, sondern Handlungen dar. Die Odyssee hat eine heroische Handlung, also ist sie ein heroisches Gedicht, unbeschadet der gewöhn- lichen Leute, die darin vorkommen. Über die Ilias urteilt Patrici nicht richtig. Auch gegen Hektor hat den Achilleus der Zorn getrieben, acht der Schmerz. Wenn er einige Tage müßig war, so ist diese Muße

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gerade die Ursache des Wunderbaren; denn er allein besiegt die Troer, denen vorher die Achäer erliegen. Im Prooimion verspricht Ariost alles, was er bringen will, und kann es deshalb auch gut halten. Homer dagegen verspricht wenig und erregt so die höchste Erwartung; er über- trifft seine Versprechungen durch das, was er bringt. Güte der Charaktere wird nicht von allen Personen gefordert; ja Piaton hat gesagt, ein Gedicht wäre nicht schön, aus dem man das Schlechte wegnähme. Die Götter hat Homer geschildert, wie sie sind, oder wie man sie glaubte, wie aus dem Zeugnis vieler Philosophen des Altertums hervorgeht.

Homer ist in dem Wettstreit mit Hesiod unterlegen. Aber sein Ruhm wuchs nach seinem Tode. Er wurde gelesen, gepriesen, ge- schätzt, verehrt, nicht nur bei den Griechen, sondern auch bei den Bar- baren, die ihm ihre Tugend verdankten. Denn seine Poesie ist, wie der große Erzbischof Basilius von Caesarea sagte, nichts anderes als ein Preis der Tugend. Dadurch hat er den Tod und den Neid überwunden, und wenn es unter den Sterblichen etwas Unsterbliches gibt, so nähert sich der Ewigkeit nichts so sehr wie Homers Poesie. Er ist vor un- gerechten Angriffen und vor Verleumdung sicherer als der Gipfel des Olymps vor Winden und Stürmen.

Das begeisterte Dichterwort tönt seltsam in den Pedantenstreit hinein, und Patrici war nicht der Mann sich zurechtweisen zu lassen. Als Antwort schrieb er in drei Tagen den danach genannten Trimeroney den er als Schluß des zehnten Buches seiner eben erscheinenden Deca Disputata drucken ließ. Der Ton ist erheblich gereizter als im Parere. Die Beweisführung beschäftigt sich zum großen Teile wieder mit den allgemeinen Fragen der Poetik. Besonders bestreitet er, daß die Bar- baren bei Homer hätten Tugend lernen können, da die Beispiele der Laster so zahlreich seien. Der große Heilige Basilius ist in Fragen der Poetik nicht Autorität. Tasso ist Homer nur in dem einen Punkte ähn- lich, daß er nur einen Teil des Krieges schildert. Wenn er also die Ähnlichkeit mit Homer für den größten Vorzug eines Dichters hält, so verurteilt er sich selbst. Zu einem solchen Abgrund führt ihn die Liebe zu Homer und der Haß gegen die Wahrheit.

Spuren von Patrici's Schriften finden sich gelegentlich in Salviati's Polemik. Wenn ihrer nicht mehr sind, so rührt das offenbar davon her, daß Salviati den anti- aristotelischen Standpunkt Patrici's nicht teilte.

Im Jahre 1593 erschien Tassos Gedicht in ganz veränderter Form unter dem Titel Gerusalemme Gonquistata. Die Leidensgeschichte der Entstehung dieser Neuausgabe zu erzählen ist nicht unseres Amtes.

Tasso La Conquistata 79

Selten ist ein Dichter geistig und seelisch so mißhandelt worden. Als er 1586 aus dem Irrenhause von S. Anna entlassen wurde, machte er sich an die Umarbeitung der Gerusalemme, im Sinne größerer kirch- licher Devotion, stärkerer Unterwerfung unter Aristoteles und um- fassendster Anlehnung an Homer. Seine zum Teil sehr hübschen Ausführungen in dem langen Gmdlzio sovra la Geriisalemme über- zeugen uns ebensowenig wie die Gebildeten der Zeit, die mit einem Gefühl tiefen Mitleids über das neue Werk weggingen. Tasso mußte sich mit der Zufriedenheit geistlicher Kreise begnügen. Der Un- glückliche bildete sich sogar ein, Homer verbessert zu haben. In Wahr- heit hat er durch die Vermengung homerischer Darstellungen mit den Voraussetzungen der Liberata ein Zerrbild geschaffen. Dieses Urteil gilt für das ganze Gedicht, zumal dessen letztes Drittel.

Der Gang der Handlung entfernt sich in der Conquistata zuerst nicht wesentlich von der Liberata; aber mehr und mehr machen die homerischen Entlehnungen Änderungen des Plans erforderlich. Von ihnen ist das letzte Drittel der Conquistata ganz erfüllt. Aber wir vermissen durchaus die überlegene Art, mit der die Liberata gelegent- lich ihren Homer benutzte. Die Abhängigkeit ist zur Sklaverei ge- worden, und dabei sind die schönsten Sachen verdorben. Hektors Abschied darf man nicht kennen, wenn der des Argante überhaupt lesbar sein soll. Um einen Kampf um die Mauer und die Schiffe der Kreuzfahrer unterzubringen, hat Tasso den Schauplatz zeitweilig nach Joppe verlegen müssen. Dadurch wird die in der Liberata vorhandene straffe Einheit der Handlung gelöst, und wir erfahren doch nichts, was wir nicht schon aus Homer wüßten. Natürlich hat das Gedicht nun auch einen Hektor haben müssen, und um diesen zu erhalten, hat Tasso die eigenartige Prachtfigur des Argante verwischt. Hektors Abschied und die Totenklage um ihn sind ganz unmotiviert auf Argante bezogen, der trotzdem nicht gleich Hektor in die Mitte gerückt ist. Hier stand dem Dichter die Liberata im W^ege, in welcher Argante durch Tancredi fällt^ und das wagte Tasso nicht zu ändern, weil sonst Tancredi bei den Heiden dem Vorwurf der Feigheit ausgesetzt gewesen wäre. Sein früherer Zwei- kampf mit Argante war nämlich durch die Nacht unterbrochen worden. Die Kämpfer hatten geschworen sich am sechsten Tage wieder zu treffen. Aber Tancredi fiel vor der Frist in Armida's Gefangenschaft und war am bezeichneten Tage zum Hohn Argante's nicht zur Stelle. Dieser wenn auch unverschuldete Makel durfte auf ihm nicht sitzen bleiben, und so verteilte der Dichter die Rolle Hektors unter zwei Helden. Dabei kam Argante zu kurz, da er nun weder Ruperto, den Patroklos der

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Conquistata, erschlagen noch dem Grimm Riccardo's, des Rinaldo der Liberata, erliegen durfte. Er zieht zwar aus, das bedrohte Heer zu retten, und erwartet den wütenden Riccardo, der aber gar keine Notiz von ihm nimmt, weil er Solimano sucht. Denn diesem weist Tasso •die Aufgabe zu, Ruperto zu erschlagen, vor diesem hat Riccardo den Freund gewarnt, und ihm gilt denn auch die Rache. Dadurch wird die homerische Patroklie in zwei Stücke gerissen. Der erste Teil, bis ^ur Rettung der Schiffe, ist nach Joppe verlegt, wo Argante die Feinde führt. Für den zweiten, in dem Ruperto-Patroklos durch Solimano fallen sollte, mußte der Dichter das ägyptische Hilfsheer vorzeitig vor Jerusalem bringen, eine große Schlacht erfinden, die von dem zurückgekehrten Riccardo gewonnen wird, dann die Ägypter nach Askalon zurückführen und den Sturm auf Jerusalem zwischen die jetzt verdoppelte Schlacht ^egen die Ägypter schieben. Dadurch ist die Handlung der Liberata eben- falls zerrissen und die Einheit, auf die sich Tasso so viel zugute tat, in «in zufälliges Nacheinander aufgelöst.

Riccardo selbst hat von dem grollenden Achilleus zu viele Züge bekommen, als daß der ursprüngliche Plan nicht hätte leiden müssen. Ooffredo bietet nicht mehr nur Verzeihung an, sondern läßt durch die Oesandten Riccardo förmlich bitten und ehrt den Rückkehrenden durch reiche Geschenke. Seine Würde ist demnach nicht,, wie Tasso meint, g-ewahrt, sondern er hat sich dem homerischen Agamemnon zu stark angenähert.

Die Einheit des alten Gedichtes hat auch sonst Schaden gelitten. Wohl sind die prächtigen Episoden von Sofronia und Olindo, Erminia und Tancredi gestrichen, aber dafür ist aus dem schönen Traum Goff- redo's, der in der Liberata Rinaldo's Rückberufung veranlaßte, eine immense und leere Vision geworden, die mit der Handlung kaum noch •einen Zusammenhang hat. Langatmige historische Exkurse verunzieren die Erzählung. Sodann zeigt sich überall das Bestreben des kranken, bis zum Tode gehetzten Dichters, seine Rechtgläubigkeit zu beweisen.

So sehr indessen das Urteil aller Zeiten darin übereinstimmt, daß <iie Conquistata ein Mißgebilde ist, müssen wir doch noch fragen, wa- rum sie denn eigentlich ein solches sei. Hier darf nicht der Kenner Homers in erster Linie mitsprechen, denn es ist klar, daß er sich zu langweilen beginnt, sobald er bemerkt, das eine ihm vertraute home- rische Partie eingesetzt ist, deren innerste Schönheiten er in der Um- l)ildung vermißt. Was hat die italienische Leserwelt vermocht das Gedicht abzulehnen? oder was dasselbe ist: was hatte denn die so jubelnd empfangene Liberata vor der neuen Fassung voraus? Kraft,

Tasso Giordano Bruno 81

Schwung, Schönheit, Frische, das alles macht es nicht aus. Die Libe- rata ist einheitlich empfunden, und der sie beherrschende Geist ist trotz dem historischen Stoff, trotz der aristotelischen Einheit, trotz den homerischen Reminiszenzen der des Romanzo. Stoff und Form sind anders, aber die ritterlichen Barone, die liebevollen Damen, die Zaubereien und wundersamen Geschichten weisen das Gedicht an die Seite des Tnnamorato und des Furioso, nicht an die der Ilias. Es ist ein nationales Epos, weil die Gefühle, die ein Jahrhundert in seiner epischen Poesie bewundert hatte, auch hier dieselben sind, etwas zu- rückhaltender ausgedrückt, mit weniger Freiheit gegenüber der Religion und der äußeren Konvenienz, aber doch reich und warm. In der Con quistata drängen sich dagegen fremdartige Dinge ein, historische Ge- lehrsamkeit, religiöse Devotion, vor allem die helle, sonnige Welt Homers, In dem romantischen Zusammenhang sind die homerischen Geschichten direkt unerträglich, wie Boiardo mit feinem Takt erkannt hatte. Man vergleiche nur den Odysseus bei Kalypso oder Kirke mit dem Rinaldo bei Armida, um den Unterschied der Stimmung und des Stils zu ermessen. Das massenhafte Einzwängen der homerischen Situationen reißt uns aus der Wunderwelt in eine hellere, aber schärfere Luft, die zu jener nicht paßt. Wer die Liberata kennt, wandert durch die Conquistata wie durch einen verwüsteten Garten. Statt gesunder Bäume und Schattengänge sieht er verschnörkelte Zierpflanzen und Gebäude in einem nicht hergehörigen Stil. Wenn das Gebilde nicht auf die Stufe Trissino's herabgesunken erscheint, so kommt das nur davon her, daß auch der kranke Tasso immer noch ein Dichter war und auch einzelne neue Schönheiten gefunden hat. Aber was er für ein vollendetes klassisches Epos hielt, ist nichts als eine Mißhandlung seines früheren Werkes und Homers zugleich.

Castelvetro hatte Aristoteles gegenüber einen ziemlich freien Stand- punkt eingenommen, Patrici die Grundlage der aristotelischen Poetik direkt verneint. Für ihn sind Begeisterung und Talent viel wichtigere Fak- toren der Poesie als die Kunst. Noch weit schärfer spricht sich darüber Giordano Bruno im ersten Dialog seiner 1585 in London veröffent- lichten Eroici Furori aus. Das Gespräch beginnt mit dem Satz, es gebe nicht nur so viele Arten von Poesie, als es Musen gebe, sondern viel mehr, denn wenn es auch bestimmte Genies gebe, so könnten doch be- stimmte Arten und Weisen menschlicher Ingenien nicht festgestellt werden.

Nun gibt es Leute, regolisti di poesia, die kaum Homer als Dichter gelten lassen und Virgil, Ovid usf. bloß zu den Versemachern

Finsler: Homer in der Neuzeit. 6

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rechnen, weil sie sie nach den Regeln der Poetik des Aristoteles beurteilen. Aber das sind wahrhafte Bestien. Sie bedenken nicht, daß jene Regeln hauptsächlich zur Illustration der homerischen Poesie dienen und uns einen heroischen Dichter vorführen sollen, wie Homer einer war, nicht um anders geartete, vielleicht ebenso große Talente anzuleiten geschaffen sind. Homer war nicht darum ein Dichter, Aveil er von Regeln abhing, sondern er ist Ursache der Regeln, die nur denen dienen können, welche sich besser zum Nachahmen als zum Erfinden eignen. Für diese, Affen einer fremden Muse, wurden die Regeln von einem gesammelt, der selbst in keinem Sinn ein Poet war. Die Poesie entsteht überhaupt nicht aus den Regeln, höchstens vielleicht einmal durch Zufall, sondern die Regeln fließen aus der Poesie. Deshalb gibt es so viele Arten wahrer Regeln, als es Talente und Arten wahrer Dichter gibt. Diese erkennt man am Singen der Verse, ferner daran, daß sie durch ihr Singen erfreuen oder nützen wollen oder beides zugleich. Die Regeln des Aristoteles nützen nur dem, der nicht wie Homer und andere ohne diese Regeln dichten kann und, weil er keine eigene Muse hat, mit der Muse Homers kokettiert. Die großen Pedanten, pedantacci, unserer Zeit haben also Unrecht aus der Zahl der Dichter diejenigen auszuschließen, die keine Fabeln und entsprechende Metaphern beibringen, deren Gedichte nicht wie die Homers oder Virgils anfangen, welche die Gewohnheit, die Musen anzurufen, nicht beobachten, eine Geschichte oder Fabel mit einer andern verflechten, die Gesänge mit einem Resume schließen oder mit einer Angabe des Inhalts anfangen. Es sieht aus, als ob diese Pedanten glaubten, sie würden selbst die wahren Dichter sein, sobald sie nur wollten, während sie nichts als Würmer sind, geboren den Fleiß und die Mühe der andern zu benagen und zu beschmutzen.

Giordano Bruno fand natürlich kein Gehör. Schon die um Ariost und Tasso streitenden Parteien beugten sich vor Aristoteles; sonst hätte der ganze Streit unterbleiben können.

In Padua lehrte seit 1599 der gelehrte Paolo Beni, aus Candia gebürtig, die Beredsamkeit. Er war ein sehr fruchtbarer Schriftsteller^ veröffentlichte einen Kommentar zu Aristoteles' Poetik und Rhetorik, focht einen langen Kampf mit der Accademia della Crusca siegreich durch, wobei auch deren Angriffe gegen Tasso eine scharfe Zurück- weisung erfuhren, und schrieb später 1616 einen großen Kommentar zur Gerusalemme Liberata, die er der ersten Absicht Tasso's ent- sprechend immer II Goffredo nennt. Das Werk, das uns hier be- schäftigt, ist die Comparajsione di Torquato Tasso con Homero e Vir-

Giordano Bruno Beni 83

gilio. Insieme con la difesa delV Ariosto paragonato ad Homer o. Serassi gibt als Druckjahr 1607 an; der Druck, der mir vorgelegen hat, trägt die Jahrzahl 1612.

Die Gedanken des dicken, in zehn Discorsi zerfallenden Buches sind zum größten Teile schon im 16. Jahrhundert ausgesprochen worden. Neu ist aber doch die schneidende Schärfe, mit der Beni gegen Homer vorgeht: Homer mag einzelne Vorzüge haben, aber er ist nur Kupfer, Yirgil im Vergleich zu ihm Silber, Tasso eitel Gold. Die Tapferkeit des Achilleus und die Klugheit des Odysseus sind in Aeneas vereinigt, der damit die Pietät verbindet, aber hinter den christlichen Tugenden Goffredo's noch weit zurücksteht. Die Haupthelden Homers haben zu viele unwürdige Züge; was wahre Helden sind, zeigt Tasso. Dieser hat auch die unnütze Breite Homers zurückgedrängt, der sein Gedicht mehr durch eine Flut von Wiederholungen als durch wunderbare Er- findungen in die Länge zieht. Die Einheit fehlt der Ilias; sie besteht weder im troischen Krieg noch in den Ereignissen des letzten Jahres, auch nicht im Zorn des Achilleus. Die Telemachie, die eigentlich eine Episode ist, gibt der Odyssee eine doppelte Handlung und hebt die Einheit auf. Man könnte nun die kritischen Anstöße durch die An- nahme erklären, daß erst Peisistratos, der Tyrann von Athen, die homerischen Gedichte gesammelt habe; aber dieses Auskunftsmittel lehnt Beni ab.

Sehr einsichtig weist er sodann die Behauptung zurück, daß das Epos einen einzigen Helden erfordere: weder verlangt es Aristoteles, noch kommen Homer, Virgil oder Tasso der Forderung nach. Daß das Epos einen historischen Stoff haben müsse, behauptet Beni mit Castelvetro; daß es der Ilias an Geschlossenheit und Ganzheit fehle, mit Salviati. Das Epos wird immer dann die größte Wirkung üben, wenn die Handlung denen Freude macht, die den Dichter als ihren eigenen lesen sollen. Homer und Virgil waren ihrer Zeit angenehm, weil sie die Taten der Vorfahren besangen. Aber Tasso übertrifft Homer, weil er das glückliche Ende des Krieges erzählt, und Virgil, weil dieser nur den Römern angenehm sein konnte, nicht allen Italikem, deren Knechtschaft mit Aeneas' Landung anfing. Tasso dagegen erfreut ganz Italien und jeden Freund der Frömmigkeit mit seinem fleckenlosen Helden.

Die Ilias ist schon den Alten übermäßig lang vorgekommen, und die Aeneis ist nicht viel kürzer; die Gerusalemme allerdings auch nicht, aber der italienische Vers ist kürzer als der Hexameter, der Reim zwingt zu einiger Breite, und doch ist die Übersichtlichkeit wunderbar. Auch zeigt Tasso ein viel besseres Verhältnis der Episoden zur Haupt-

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Handlung als Homer, bei dem fast alles aus Episoden besteht, ohne Zusammenhang mit dem Thema. Selbst des Achilleus Taten haben zu seinem Zorn keine Beziehung, denn sie sind die Folge des Todes des Patroklos. So hat- die Ilias zu viel, die Odyssee zu wenig Episoden. Virgil vermeidet beide Extreme, aber erst Tasso kennt die richtige Proportion. Beni geht sogar so weit, die Erzählungen des Odysseus und Aeneas von ihren Irrfahrten, unentbehrliche Bestandteile der Ge- dichte, als Störungen der natürlichen Ordnung zu tadeln, während er es nur als eine erlaubte Episode betrachtet hätte, wenn Tasso, wie er einmal vorhatte, die Versammlungen von Piacenza und Clermont und die Reise des Kreuzheeres in Goffredo's Zelt hätte erzählen lassen.

Auch Ariost muß mit Homer verglichen und ihm vorgezogen werden. Beni verspottet Salviati für den Versuch, im Furioso eine Einheit zu finden; daß sie fehle, tue nichts, da auch die homerischen Gedichte sie nicht hätten. Ihn entzückt an Ariost die Kunst der Spannung, der Verwicklungen, der wunderbare Glanz, mit dem die UnWahrscheinlichkeiten vorgetragen werden, während Homer in solchen Fällen, die doch bei ihm ebenso häufig sind, frostig wird und das Gefühl verletzt. So bei dem brüllenden Ares oder der in den Wolken aufgehängten Here. Ariosts lascive Geschichten sind Beni höchst ärger- lich, aber er erklärt, sie seien zur Belehrung verfaßt, und tröstet sich mit Homer, der in der Berückung des Zeus und der Szene zwischen Paris und Helene noch viel Schamloseres leiste. Noch betrübter ist er über Ariosts Ungeniertheiten gegen die Religion; er sucht sie seuf- zend zu entschuldigen oder zu erklären und findet sie zum Schluß viel weniger schlimm als die Art, wie Homer mit seinen Göttern um- gehe. Gewiß hat Ariost unwürdige Stellen, aber Homer noch viel mehr. Telemachos und Odysseus bewegen sich unter dem gemeinen Volk, ja dieser kämpft mit dem Bettler Iros und setzt sich bei Alkinoos neben den Herd in die Asche. Ordinär sind auch Homers Gleichnisse, ärgerlich die Wiederholungen, müßig und langweilig die Gespräche der Helden, frostig die Hauptlösungen, wie die Versöhnung der Helden und der Freiermord. Alles das ist bei Ariost viel besser.

Es lohnt nicht, auf die noch folgenden weitschweifigen Partien ein- zutreten, in denen Homer der fortwährenden Verletzung der Wahrschein- lichkeit und Notwendigkeit geziehen wird. Einige Beispiele sind neu ge- funden, aber die Gedanken sind nicht Beni's Eigentum. Wenn er so dozierte, wie er schrieb, so begreifen wir, daß die Studenten seine Kollegien mieden.

Aber das Buch bedeutet einen Abschluß der Bewegung, die das letzte Viertel des Cinquecento erfiillt hatte. Die Autorität des Aristoteles ist

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Beni Tassoni §5

iederhergestellt. Beni hat dessen Argumente überall geprüft und bis auf geringfügige Einzelheiten richtig befunden, nur daß er mit Castelvetro für das Epos einen historischen Stoff fordert. Sind aber jene Argumente richtig, so ist, folgert Beni, nicht Homer das große Muster der epischen Poesie, sondern Tasso. Dieser übertrifft auch den Virgil, der ihm indessen an Bedeutung näher steht als Homer. Ariost läßt die antiken Dichter ebenfalls hinter sich, erreicht aber Tasso nicht, weil er erstens mehrere Handlungen mehrerer Personen erzählt und zweitens an Frömmigkeit und Anstand hinter ihm zurücksteht. Dante ist aus der Vergleichung weggelassen.

An Kenntnis Homers reicht Beni an jeden Italiener des 16. Jahr- hunderts heran, ja er dürfte darin die meisten übertreffen. Die wenigen Übersetzungsproben in Versi sciolti, die er gibt, lassen uns bedauern, daß wir nicht mehr davon haben. Und doch diese Ablehnung, diese im Laufe der Arbeit gesteigerte Gereiztheit und Schärfe der Verurteilung, diese Verwerfung auch ganz untadelhafter Dinge! Beni hat eben Homer gekannt, aber nicht mehr verstanden. Dessen frische und sonnige, natürlich wahre Welt war ihm ein Buch mit sieben Siegeln. Mit Vida hatte das Kopfschütteln über die homerische Eigenart begonnen, der Streit um die Gerusalemme, der eigentlich Homer gar nichts anging, damit geendet, daß die eine Partei Ariost, die andere Tasso vor Homer den Vorzug gab. Der Kampf Patrici's gegen Aristoteles half mit. Nicht nur die aristotelischen Scheuklappen und der gerechte Eifer für die nationale Poesie ließen Homer in der Schätzung zurücktreten: er war ein Fremder geworden, an dem man sich nicht mehr erwärmte. Noch Castelvetro hatte ihn über Virgil gestellt; jetzt wird das umgekehrt. Ein Menschen- alter war seit Tasso's Discorsi vergangen, und in dessen Lauf hatte Homer seinen ganzen Nimbus eingebüßt. Der letzte große Dichter des Cinquecento ist auch einer der letzten Verehrer Homers gewesen.

Gleich wie Beni äußert sich Alessandro Tassoni in den Pensieri diver si 1612, die schon 1601 unter dem Titel Quistioni ßosofiche er- schienen waren. Es ist ein unförmliches Buch, das von allen möglichen Gegenständen handelt. Im neunten Buch, Cose poetiche, istoriche e varie, kommt Tassoni auf die Frage zu sprechen, ob Homer in der Ilias der überlegene Dichter gewesen sei, für den ihn zu halten die Griechen sich den Anschein gaben. Tassoni erkennt Homer Adel der Sprache und Schönheit der Verse zu, findet ihn aber in allem andern nicht ruhm- würdig. Daß Aristoteles ihn an die Spitze der Epiker stelle, beweise nichts, weil die Griechen eben neben ihm keinen andern gehabt hätten. Ganz töricht sei der Versuch Plutarchs, Homer zum Vater aller Künste

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und Wissenschaften zu machen. Darauf folgen die uns zum Teil bereits bekannten Vorwürfe über den Bau und die Handlung der Ilias.

Der Zorn des Achilleus ist keine Handlung, denn der Held ist müßig. Deshalb hat die Ilias kein Fundament, das man Handlung, geschweige denn heroische Handlung nennen könnte. Letztere Bezeich- nung ist auch darum nicht statthaft, weil, des Achilleus Handlungsweise nicht edel ist. Auch kann aus dem Anblick eines müßigen, grollend sich zurückziehenden Helden das der heroischen Poesie notwendige Wunder- bare nicht hervorgehen. Homer kündigt übrigens nur den Zorn gegen Agamemnon, nicht den gegen Hektor an. Mangelhaft ist die Ilias auch in den Episoden, die nicht Handlungen, sondern leeres Gerede der zum Kampf bereiten Helden enthalten. Von den wenigen Handlungen weiß man nicht, wem man sie zuschreiben soll, da die Menschen sie nicht aus sich begehen, sondern in Gemeinschaft mit ihren Göttern, die ihrer Würde vergessend vom Himmel niedersteigen, um Unwürdiges zu tun und zu erleiden.

Auch Tassoni vergleicht Homer mit den neuen italienischen Dichtern, um überall deren Überlegenheit darzutun. Zu diesem Zwecke durch- blättert er die Ilias vom Anfang bis zum Ende. Vorher wehrt er sich noch gegen das Lob, das Aristoteles Homer dafür erteilt, daß dieser möglichst wenig in eigener Person spreche. Das Epos sei doch die Nachahmung heroischer Handlungen, nicht heroischen Geschwätzes. Die Gespräche während der Schlacht seien unnütz und langweilig. Ariost und Tasso hüteten sich vor dergleichen Einfältigkeiten. Dann folgt Homers Sündenregister, das genau dem Gang der Ilias folgt.

Zeus droht wider alle menschliche und auch griechische Sitte seine Gemahlin zu schlagen, und Here läßt sich wie eine Sklavin durch Hephaistos mit einem Becher Weins beruhigen. Derselbe Hephaistos erzählt von seiner Mißhandlung durch Zeus zum Gelächter der Mutter, als ob das eine lächerliche Sache wäre und sie es nicht längst wüßte. Die Prüfung des Heeres durch Agamemnon ist etwas ganz Unwahr- scheinliches, ebenso die Hemmung der Flucht durch den einen Odysseus. Alexandros legt sich am hellen Tage mit Helene zu Bett, ohne über seine Niederlage Beschämung zu empfinden. Höchst unpassend ist auch die Vergleichung der troischen Greise mit den lärmenden und lästigen Cicaden. Ohne allen Zweck schießt Pandaros, von der Göttin der Weis- heit verführt, auf Menelaos. Er hätte es tun sollen, als Alexandros bedroht war. Aphrodite und Ares werden von Diomedes verwundet, von Zeus' Feldscheer Paieon geheilt; man kann die ganze Geschichte nicht erzählen, ohne sich darüber lustig zu machen. Agamemnon tötet

Tassoni 87

Adrastos, den Menelaos des Lebens versichert hatte, in wortbrüchiger Weise. Hektor geht in die Stadt, um eine Prozession zu veranlassen, und läßt sein Heer in der Gefahr im Stich. Vor Hektors Herausforderung fürchten sich die Helden, die eben Ares verwundet haben. Die an Zahl überlegenen Achäer lassen sich von Hektor ins Lager zurückschlagen, und Odysseus flieht, ohne sich um die Gefahr des alten Nestor zu kümmern. Über die kleine Niederlage weint Agamemnon und muß sich von Diomedes den Vorwurf der Feigheit gefallen lassen. Das Mahl für die Gesandten bereitet Achilleus mit Patroklos selbst, als ob er für so niedere Arbeit keine Diener gehabt hätte. Die auf Kundschaft Aus- gezogenen, Diomedes und Odysseus, töten wortbrüchig den Dolon, geben sich dem Plündern hin statt zu kundschaften, setzen sich trotz der allgemeinen Not behaglich ins Bad und nehmen am frühen Morgen eine Mahlzeit zu sich. Unglücklich ist die Vergleichung der Heere mit Schnittern. Jlektor, von Diomedes getroffen, weicht zurück und wird erst dann ohn- mächtig, entgegen aller natürlichen Reihenfolge. Höchst unwürdig wird Aias mit einem Esel verglichen. Um Here willig zu machen, zählt ihr Zeus seine sämtlichen Liebschaften auf. In diesem Stil geht es noch lange fort. Zuweilen werden Erklärungsversuche Plutarchs zurückgewiesen, immer aber Stellen Ariosts und Tasso's als leuchtende Gegenstücke auf- gestellt. Manches wird aufgeführt, was andere schon erwähnt hatten. Wenn aber die Kritik des 22. und 24. Buches mit der Beni's genau zusammen- trifft, so hat dieser sein Rüstzeug in dieser Partie Tassoni zu verdanken.

Die Abhandlung gipfelt in dem Satz, Homer habe ins Blaue hinein komponiert, und wenn er je etwas Gutes gesagt habe, es zufällig getan. Die Dichter, die auf dem Wege der Unsterblichkeit unablässsig im Ruhme der Welt fortschreiten, hätten diese Fehler vermieden.

Die große Bedeutung von Tassoni's W^erk beruht nicht auf diesen Notizen, welche die nämliche Voreingenommenheit zeigen wie Beni. Von größter Wirkung wurde vielmehr das zehnte Buch mit. der Frage, ob in Wissenschaften und Künsten die Alten wirklich die Modernen übertreffen. Tassoni geht sämtliche Wissenschaften und Künste durch. Nach seinem Urteil übertreffen die Modernen die Antike in den exakten Wissenschaften, der Industrie, dem Landbau, unter den Künsten in der Beredsamkeit und der Malerei. Italien kennt sein Glück nicht. Es ist für das Altertum begeistert, ohne zu merken, daß es jenem gleichkommt. Man ist gewohnt das Vergangene zu bewundern und die Gegenwart zu verachten. Möchte man doch endlich unparteiisch abwägen.

Von darstellender Poesie kannte das Altertum nur Tragödie und Komödie; die Neuzeit hat die Pastorale hinzugefügt. Unter den Formen

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der erzählenden Poesie zeigt Dante im Inferno eine Satire, im Paradiso eine mit der Hymnenpoesie gemischte heroische Erzählung, im Purga- torio einen Wechsel zwischen heroischer und satirischer Art. Tassoni selbst hat in der Secchia rapita das komische Epos eingeführt. Es ist also die moderne Poesie reichhaltiger als die antike. In der Tragödie übertreffen uns die Alten; Komödien haben wir außer denen Ariosts nur in Prosa. In Satire und Lyrik sind wir voraus. Im Epos hatten die Griechen die vielen Jahrhunderte lang nur den einen rühm würdigen Homer. Es läßt sich nicht bestreiten, daß in seinen Gedichten außer der Anmut und Güte des Stils und Verses gleicherweise verschiedene andere Schönheiten sind, besonders wenn man das rohe Zeitalter in Betracht zieht, in dem er lebte. Aber zum größten Teil sind sie von Geschmack- losigkeiten dermaßen voll, daß man sich gegenwärtig, wollte man sie nachahmen, in den Ruf der Gedankenlosigkeit brächte, wie Tasso tat, der in der Conquistata die erste Fabel verließ, um Homer nachzuahmen, und dabei strandete. Die Lateiner hatten viele Epiker, aber der Preis der lateinischen Poesie konzentriert sich auf Virgil. Wir aber haben zwei überragende Leuchten unserer Sprache und unseres Zeitalters, Ariost und Tasso. Diese kann in unserer kühlen Zeit der Neid wohl schütteln und plagen, aber er wird nicht verhindern, daß sie in den kommenden Jahrhunderten berühmt sein werden und herrlich über alle Alten. Aller- dings sind diese, da sie so viele Jahrhunderte keine Nebenbuhler hatten, zu einem so unerhörten Ruf gekommen, daß ihn zu übertreffen ein über- menschliches Genie erforderlich scheint.

Bekannter als durch die Pensieri diversi ist Tassoni durch seinen burlesken Romanzo La Seccliia rapita, der geraubte Eimer, ein höchst eigenartiges Werk, in dem die schmierigste Komik mit dem bittersten Ernste verbunden ist. Die Grundlage bildet die Gefangennahme König Enzio's durch die Bolognesen in der Schlacht bei Fossalta 1249; aber bei Tassoni bricht der Krieg darum aus, weil die Modanesen, in Zu- rückweisung eines räuberischen Überfalls derer von Bologna, in dieser Stadt einen Brunneneimer erbeuten, den sie nicht mehr herausgeben wollen. Nun kündigt der Dichter allerdings an, man werde in seinem Gedicht Helene sich in einen Eimer verwandeln sehen, aber es folgt keine Parodie der Ilias. Der stärkste Ausfall gegen Homer ist die Versamm- lung, zu der Zeus die homerischen Götter beruft. Diese werden in einer Weise lächerlich gemacht, daß es Offenbach nicht besser gekonnt hätte. Die Einwirkung dieser Götter auf den Gang der Ereignisse ist jedoch gering, und auch sonst erinnern nur wenige Züge des Gedichtes an Homer. Der Leser glaubt vielmehr eine Verhöhnung des Romanzo, be-

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sonders Tassos, vor sicli zu haben. Von den zahlreichen gegen die päpstliche Politik und gegen Spanien gerichteten Spitzen kann ich hier nicht sprechen. Die gestrengen Herren, die sich bei Homer, Ariost und Tasso so sehr über Fragen der Wohlanständigkeit und Frömmigkeit ereiferten, hätten hier jedenfalls ein lohnenderes Feld gefunden.

Noch ungleich schärfer als Tassoni äußert sich über Homer Benedetto Fioretti, genannt Udeno Nisieli in den Proginnasmiy 1620 1639, einer ungeheuren Sammlung von Zitaten aus alten und neuen Schriftstellern, die er gründlich kennt. Unter einem Haufen un- nützer Notizen stehen sorgfältige Erwägungen über die Dichter. Sein Ideal ist Tasso, dagegen ist er unermüdlich im Aufdecken der Fehler Ariosts. Nicht minder haßt er den Homer, dessen fanatische Anbeter und besonders die allegorischen Ausleger. Homer ist der Mörder des Anstandes, der Zerstörer der Sitte in jedem Sinn, der langweiligste Schwätzer, voll von Verrücktheiten und Albernheiten. Er hat der wahren Kunst den Tod gebracht. Die llias ist ein Urbild von poeti- schen Fehlern, und seine Poesie steht im Widerspruch zu aller dich- terischen Kunst.

Anders steht der gefeiertste Poet des Secento, der Cavaliere Giambattista Marino, dem alten Dichter gegenüber. Sein Adone erschien 1623, wie die Secchia rapita in Paris, ein Jahr nach dieser^ neben dem satirischen Epos das W^erk der schrankenlosen, aber geistes- leeren Phantasie, der Form ohne Ideengehalt, der gesuchten und falschen. Metaphern, der Flucht aus der durch Spanier und Jesuiten der Geistes- freiheit beraubten Zeit in die phantastische Welt der Voluttä, für die allein in Italien noch Raum geblieben war. Marino ist kein schöpfe- rischer Geist, erfindungsarm und ohne Kraft der Darstellung. Den kleinsten Fortschritt der armseligen Handlung erkauft der Leser durch endlose Beschreibungen der Ortlichkeit und der auftretenden Personen^ wie durch ebenso endlose Deklamationen des Dichters oder seiner Fi- guren. Statt der Handlungen ein Wühlen in Worten, eine stupende Ansammlung von Vokabeln, eine ermüdende Gleichförmigkeit in der Ein- führung der Effekte. Immerhin entbehrt vieles der Anmut nicht, und in der Darstellung zeigt Marino oft unleugbares Geschick. Die Schach- partie im fünfzehnten Gesang z. B. hat zwar nicht den geringsten poe- tischen Schwung, ist aber so klar durchgeführt, daß sie auf dem Schach- brett gut verfolgt werden kann.

Nichts ist für Marino's Arbeitsweise so bezeichnend, wie die Ver- wendung der antiken Stoffe. Er überrascht nämlich geradezu durch seine staunenswerte Kenntnis des Altertums. Er kennt alle antiken

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Schriftsteller und benutzt mit besonderer Vorliebe die ganz späten Griechen. Er muß gut Griechisch verstanden haben, denn von vielem, was er nachahmt, gab es keine Übersetzungen, und man muß oft in recht entlegene Winkel der antiken Literatur eindringen, wenn man seine Quellen ausfindig machen will. Seine olympischen Götter sind freilich nur ein Gegenstand des Spiels. Er flüchtet sich zu dem heiteren Fabel- land, um dem Kirchenglauben auszuweichen, dem er nur ein paar ge- legentliche Komplimente widmet. Seine Antike ist eine genußfrohe, schimmernde Welt ohne die geringste Gegenständlichkeit.

Unter den zahllosen antiken Reminiszenzen sind die aus Homer ■ziemlich zahlreich, und Marino verfehlt nicht, dem alten Dichter seine Huldigung zu erweisen. Venus fährt an Ithaka's felsiger Küste vorbei, der kleinen, unfruchtbaren und steilen Klippe, die aber durch ihren Odysseus hell leuchtet: so bringt nur die Tugend Ruhm hervor. Wenn Thetis von Achilleus erzählt, schweigt sie von seiner Tapferkeit und seinen Taten; denn in einem späteren Zeitalter würden sie ein edler Vor- wurf für die Mäonische Posaune werden. Auch nur das Anschauen des ruhmvollen Grabmals der berühmten Gebeine werde später die Fürsten vor Neid über solchen Ruhm staunen und die Könige seufzen lassen.

Von den größeren Partien, in denen sich Marino an Homer an- lehnt, nimmt die Erzählung der Odyssee von Ares und Aphrodite die •erste Stelle ein. Die Grundzüge des homerischen Schwankes sind bei- behalten, aber mit allerlei Zutaten, Gefühlen und Antithesen aus- geschmückt, was Marino für die richtige Art der Übersetzens hielt. Denn er gedachte auf diese Weise den alten Stoff dem herrschenden Geschmack anzupassen, oder, wie er sich ausdrückt, dem Metall einer fremden und außer Kurs gekommenen Münze den gangbaren und nationalen Stempel aufzudrücken. Gewonnen hat die Erzählung da- durch nicht. Homer ist viel dezenter und dabei lustiger; besonders hat die Klagerede des Hephaistos bei Marino einen viel zu ernsthaften Charak- ter erhalten, weil sie durch übermäßige Deklamationen ins Unendliche ausgesponnen ist, wogegen das Gespräch zwischen Apollon und Hermes fast ganz verloren geht.

Der um Adone trauernden Venus erzählt Thetis auch die Ge- schichte von Galatea und Akis, der durch den eifersüchtigen Kyklopen Polyphemos erschlagen wurde. Daran schließt Thetis die Blendung des Kyklopen aus der Odyssee, aber ohne alle Ordnung, so daß man die Trüm- mer des homerischen Berichts, den man zum Verständnis notwendig Ijraucht, mühsam zusammensuchen muß. Das Entweichen des Odysseus ist nach Ariost erzählt.

Marino 91

Dem Homer verdankt auch die große Schlacht des vierzehnten Gesanges ihre Entstehung, ein Schaustück ohne rechten Zusammen- hang mit der Handlung. Eine Menge von Kämpfern, die man nicht kennt, treten auf und werden, unter genauer Angabe der Art ihrer Verwundung, erschlagen. Es fehlt auch nicht an einer Episode, der von dem schönen Bogenschützen Armillo, für den Marino ein wirkliches Interesse zu erwecken vermag. Aber es hätte ihm nicht genügt, daß der schöne Jüngling dem grimmen Orgonte erlegen wäre; er fällt durch einen Pfeil seines Freundes Melanto, der ihn vor dem Gegner schützen wollte, während ihn Orgonte, durch seine Schönheit gerührt, vielleicht verschont hätte.

In die Bestattung des Adone sind Züge aus der des Patroklos aufgenommen, und auch die Spiele, mit denen Venus den Toten ehrt, zeigen einen homerischen Einschlag, während hier sonst Virgil das Muster gewesen ist. Die Durchdringung beider Vorlagen zeigt sich am besten bei dem mit Faustkampf verbundenen Ringen. Bei Homer siegt der rohe Prahler Epeios im Faustkampf über Euryalos; beide haben wir uns gleichalterig vorzustellen. Bei Virgil überwindet der greise Entellus den ruhmredigen Dares. Marino läßt zuerst den ge- walttätigen Riesen Membronio den zierlichen, ganz jungen Crindoro am Haar packen und zu Boden schmettern, darauf aber den gewandten Corimbo über den Unhold triumphieren. Die Vergleichung der drei Dichter ist auch sonst lehrreich. Die wohltuende, fröhliche Knappheit Homers ist schon bei Virgil einer beträchtlichen Breite gewichen; Marino 's Kampfs zenen können kaum ein Ende finden.

Noch ein Wort über Marino's Gleichnisse. Gewiß, sie sind gesucht wie die ganze Ausdrucksweise des Dichters; aber hier hat er, was er ja als den Hauptzweck seines Schaffens bezeichnet, wirklich neue Wege gefunden. Seine Gleichnisse überraschen. Die eifersüchtige Wut des Mars gleicht der Erstarrung, in die der Arm des Fischers gerät, wenn der Zitteraal den Köder gepackt hat und der elektrische Schlag die Angel- schnur hinaufläuft. In Falsirena kämpfen Stolz und Begierde, wie sich ein Kranker zwischen den Ratschlägen uneiniger Arzte windet. Die Lockungen Falsirena's gleiten an Adone ab, wie die winterlichen Sonnen- strahlen an einem altgefrorenen Schneefeld. Filauro muß dem Raube seiner Schwester zusehen, wie die Schwalbe der Schlange, die ihr Nest aus- raubt. Die Struktur der Gleichnisse ist die Homers; die Vergleichung trifft nur für einen Punkt zu, aber das Bild wird ausgemalt und führt ein eigenes Leben. Im Gegensatz zu den übrigen im Übermaß ver- wendeten Mitteln sind die Gleichnisse mit guter Sparsamkeit eingestreut.

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Dem Bestreben, der traurigen Gegenwart zu entrinnen und den Seelen der Menschen in einer Traum- und Phantasiewelt einen Zufluchts- ort vorzuführen, verdanken auch die zahllosen epischen Gedichte des 17. Jahrhunderts ihre Entstehung. Das Epos ist eine künstliche Schöpfung geworden, aber es spiegelt den Zeitgenossen die alten Ideale wieder vor. Eine sehr große Zahl dieser Dichter schließt sich an Tasso an; Gegenstand ist gewöhnlich die Unternehmung christlicher Könige gegen Ungläubige. Die Dichter arbeiten, wie Belloni ausführt, mit dem stereotyp gewordenen Rüstzeug des 16. Jahrhunderts. Ich habe nur eines dieser Gedichte gelesen, das für das beste gilt und wirklich auch selbständiges Können zeigt, außerdem von Chapelain als eine der Vor- lagen der Pucelle namhaft gemacht wird. Es ist das Gedicht II Con- quisto di Granata von Girolamo Graziani, erschienen 1650.

Der Epigone verleugnet sich nicht. Die Eroberung Granada's durch Ferdinand und Isabella ist in der Anlage zu einer Kopie der Gerusalemme geworden, der das Gedicht in den wesentlichsten Zügen und Erfindungen folgt; der Zug des Ersatzheeres aus Afrika mit der Voraussendung des Orgonte stammt aus Boiardo. In den zahlreichen Episoden der Neben- handlung ist Ariost das Muster. Graziani erzählt eine Menge Aben- teuer einzelner Helden und Heldinnen, und zwar erzählt er gut, lebhaft, rasch, spannend, nur daß die vielen Zweikämpfe von ermüdender Ein- tönigkeit sind. Der Dichter hat eben seine Kenntnis vom Rittertum nur aus seinen Vorlagen, und es zeugt bei Marino von nicht geringem Verstand, daß er solchen Schilderungen möglichst aus dem Wege ge- gangen ist. In bedauerlichem Gegensatz zu der straffen Durchführung der Handlung stehen die lang ausgesponnenen Monologe, besonders die Liebesklagen, ein Tribut an den Secentismo, dem auch die Anti- thesen und andere Einzelheiten zur Last zu legen sind. Mit künstle- rischem Geschick sind die früheren Schicksale der einzelnen Personen durch Erzählungen mitgeteilt; allerdings fällt die längste Erzählung, der Bericht des Columbus über die Entdeckung Amerikas, ganz aus der Handlung heraus.

Das Wunderbare ist höchst maßvoll verwendet. Der Himmel zu- mal greift kaum je so ein, daß an dem Gang der Handlung viel ge- ändert würde. Ferdinand ist von Jakob von Compostella ein Schwert verliehen worden, das jeden Zauber bricht, eine Entlehnung aus Boiardo. Sonst gibt es nicht viele himmlische Wunder, und sie sind auch nicht notwendig, da der Dichter zwar den Feinden alle Gerechtigkeit wider- fahren, aber die Christen nie in große Bedrängnis geraten läßt. Etwas stärker ist die Beteiligung der höllischen Mächte. Der Dämon Hidra-

Graziani 93

gorre, der bei der Einnahme Granada' s durch die Mauren den Auftrag" erhalten hatte die Stadt dem Islam zu erhalten, ist sich seiner Ver- antwortung dem höllischen Oberherrn gegenüber bewußt und wendet nun gegen die Spanier verschiedene Mittel an, die nicht eben viel helfen. Nicht viel weiter bringt es der Zauberer Alchindo, der mit seinen Töchtern Belsirena und Aretia später Desmarets zum Vorbild gedient hat. Da- neben spielen allegorische Figuren eine schattenhafte und überflüssige Kolle. Die Götter des Olymps, die gelegentlich in Anspruch genommen werden, dienen rein zur Dekoration.

Ob Graziani Homer gekannt hat, ist nicht sicher auszumachen. Einige Zügen könnten es vermuten lassen, aber dergleichen ist trügerisch, weil die poetische Literatur Italiens von homerischen Reminiszenzen voll war. Die wichtigsten Stellen Graziani's, die an Homer mahnen, sind sicher nicht direkt aus diesem geschöpft. Daist eine Mauerschau: Antonio di Fonseca erklärt von dem hohen Turme einer in der Ebene stehenden Kirche der Königin die beim Sturm auf die Stadt beteiligten Helden und die Verteidiger. Hier ist Tasso's Erminia das direkte Vorbild. Das nämliche ist mit dem Zorn der Helden der Fall. Altabruno hat, von rasender Eifersucht entflammt, den Lagerfrieden gebrochen, und es ist im Lager selbst zu einer förmlichen Schlacht zwischen seinen Anhängern und denen seines Gegners Armonte gekommen. Der König hat Frieden ge- macht. Aber in dem Kriegsrat, den er nun abhält, geraten Alva, der für Strenge, und Sidonia, der für Milde plädiert, so hart aneinander, daß ihnen der König ihr Benehmen verweisen muß. Das erbittert sie dermaßen, daß sie das Lager verlassen, um sich im Zweikampf zu messen. Auch Altabruno kehrt dem Heer den Rücken, aus den nämlichen Erwä- gungen wie Rinaldo bei Tasso. Der Zweikampf Alva's mit Sidonia wird durch einen Einsiedler verhindert, der ihnen das Frevelhafte ihres Unter- fangens vorhält. Sie kehren zum Heere zurück, mit ihnen Altabruno, der unterdessen verschiedene Abenteuer zu bestehen gehabt hat, und werden von König und Königin festlich empfangen. Eine Versöhnung oder gar Verzeihung ist nicht notwendig. Man sieht, daß Graziani die Erzählung Tasso's verbreitert und auch verwässert hat. An die Ilias könnte es erinnern, wenn die spanischen Truppen durch Hunger und

Ij Seuche entmutigt sind und anfangen zu desertieren. Daß das aber eine [. übrigens nahe liegende Erfindung des Dichters ist, zeigt sich aus der Art, wie die Schwierigkeit gelöst wird, und die mit der dramatischen Szene der Ilias gar keine Ähnlichkeit hat. Isabella wendet sich im L Gebet zu Gott; ihre Seele wird in den Himmel entführt, wo sie die

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fährt, besonders Francesco's von Modena, dem das Gedicht gewidmet ist. Darauf macht ein Hauch Gottes der Pest ein Ende und flößt den Kriegern neuen Mut ein. In den Gleichnissen hat sich Graziani zu den gewöhnlichen und abgedroschenen Stoffen zurückbegeben.

Neben den Nachahmungen Tasso's und Ariosts gibt es im 17. Jahr- hundert auch eine beträchtliche Zahl von solchen der Secchia rapita Tassoni's, daneben Travestien antiker Gedichte, wie Giambattista Lalli's Eneide travestita. Einer solchen fiel auch Homer anheim. Die Iliade Giocosa des Francesco Loredano 1653, die ich nicht zugesicht be- kommen habe, umfaßt die ersten sechs Bücher der Ilias. Belloni spricht dem Machwerk alle Eleganz des Stiles ab und beklagt, daß sich Lore- dano mit seiner profanierenden Hand selbst an das Juwel von Rektors Abschied gewagt habe. „In diesem stumpfsinnigen Lachen zeigt sich der Tod jedes Idealismus, der Triumph alles dessen, was armselig und ge- mein ist, der Wiederhall der moralischen Erniedrigung, in die ein so großer Teil Italiens versunken war."

Trotzdem das Jahrhundert ein trübes Bild gibt, ist doch zu be- achten, wie wenig einige hervorragende Geister sich dem Druck der Kirche und Spaniens beugten; Belloni nennt die stolzen Namen Bruno, Campanella, Sarpi, Galilei. Es macht einen eigentümlichen Eindruck zu sehen, wie die Fortschritte der von der Kirche mehr oder weniger geduldeten Wissenschaft die Menschen interessierten. Selbst Marino hat, so wenig es in sein Gedicht gehört, mit Stolz die astronomischen Er- kenntnisse seiner Zeit hervorgehoben, freilich stark mit astrologischem Aberglauben versetzt. Von den alten Sprachen wurde allerdings nur das Latein in den Schulen eifrig betrieben, während sich der Unterricht im Griechischen auf die Elemente beschränkte. Aber einzelne, wie gerade Marino, haben sich auch im Griechischen rühmliche Kenntnisse erworben.

Auf die Periode des Secentesimo folgt in Italien im 18. Jahr- hundert die Zeit des Risorgimento, bewundernswert durch ihre ge- waltige wissenschaftliche Leistung, liebenswert durch das aufrichtige Ringen nach Befreiung aus dem Morast der Gegenwart, aus den kirch- lichen, politischen, literarischen Fesseln. Man strebt über Marino zurück zu großen und reinen Mustern und erinnert sich dabei des vergessenen Homer. In ungeahnter Macht dringt das Studium des Griechischen wieder vor, Italien wiederhallt vom Namen Homers. Wie zu Polizians Zeit drängen sich die Gebildeten herbei, ihn kennen zu lernen; an verschie- denen Orten erklären ihn hervorragende Gelehrte. Von den bedeutenden Männern der Literatur gibt es kaum einen, der kein Griechisch verstanden

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Loredano Salvini 95

hätte, und es fällt iii ihren Schriften manches mitleidige Wort über die Franzosen, die über Homer den Stab brachen, ohne ihn im Original gelesen zu haben. Ein drastisches Beispiel für die Homerbegeisterung der Zeit bildet jener Jacopo Martorelli, der den Homer las wie die Puritaner die Bibel und durch seine Begeisterung für das Griechentum Winckelmanns Freundschaft gewann.

An eine direkte Beeinflussung der Literatur durch Homer war freilich nicht zu denken. Ein Epos war nicht mehr möglich, das war totgehetzt. Die Arcadia, die große, zur Bekämpfung des Cattiva Gusto 1690 gegründete Gesellschaft, pflegte praktisch nur die Lyrik und das Drama. Aber Muster konnten die alten Epiker durch Stil und Charakteristik für die gesamte Poesie sein, wie es Homer dem Horaz für die Tragödie gewesen war, und dafür mühte man sich um das Verständnis des homerischen Originals, mühten sich die Gelehrten um die Übermittlung des Dichters an weitere Kreise durch Über- setzungen. Hand in Hand ging damit die ästhetisch -moralische Be- trachtung, denn den moralischen Charakter der Poesie zu heben galt dem Risorgimento als eine der wesentlichsten Aufgaben. Hier nun glaubte die Zeit ungehindert von vorn anfangen zu können. Die Ita- liener des 18. Jahrhunderts rühmen sich, daß sie, darin den Engländern gleich, nie so schwer verständliche Kämpfe gehabt hätten, wie die zwischen Boileau und Perrault, M™® Dacier und La Motte in Frankreich ge- wesen waren. Aber da kam ihnen in den Weg, daß sie doch von diesen kaum abgeschlossenen Streitigkeiten zuviel wußten, um die Angriffe auf Homer und seine Verteidigungen einfach in die Rumpelkammer zu werfen, wohin sie gehört hätten, und wohin die praktischen Engländer sie verwiesen. In der theoretischen Erörterung über die besten Muster , spielen die alten Streitfragen und die Argumente der Franzosen bis zum Ende des Jahrhunderts eine ungebührlich große Rolle. Im ganzen [aber bietet das reiche Leben der Zeit, auch nur vom Gesichtspunkt der Schätzung Homers" betrachtet, einen höchst erfreulichen Anblick.

Unter den Hellenisten dieser Periode steht Anton Maria Salvini obenan, ein Mann, der auf die Bildung der Zeit den größten Einfluß geübt hat. Er unternahm es, der gebildeten Welt die Schätze der grie- ^chischen Literatur durch Übersetzungen zu erschließen; 1723 veröffent- ^lichte er die des Homer. Als Form wählte er den schon im 16. Jahr- hundert dafür verwendeten, jetzt allgemein in Aufschwung gekommenen reimlosen Verso sciolto. Nicht mit Unrecht wirft man der Übersetzung Trockenheit und Mangel an poetischem Schwung vor, aber daneben laben hervorragende Zeitgenossen den Reichtum in der Wortwahl und

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die Treue hervorgehoben. Salvini zog eine gewissenhafte Interpretation einer oberflächlichen Umschreibung vor. Jedenfalls bleibt ihm der Ruhm, Italien die erste vollständige Übersetzung in der Landessprache gegeben zu haben.

Neben ihm sind in Florenz Lazarini und der Dichter der Merope, Scipione Maffei, zu erwähnen, von dem Ricci erzählt, daß er ihn durch seine begeisterten Ausführungen über Homer zum eifrigsten Studium des Dichters entflammt habe. Mafi'ei erblickt in Homer und Yirgil die unbedingten Meister des Epos, und zwar weil sie alle Späteren durch die Natürlichkeit und Lebendigkeit der Farben über- treffen. Die Ursache davon findet er in ihrem Kunstmittel, dem Hexa- meter, dessen Freiheit und Kraft nicht durch den Reimzwang gehemmt werde. Die einzige Möglichkeit, in einer Übersetzung dem Original nahe zu kommen, sieht er im Verso sciolto, bei dem der Gedanke von einem Vers in den andern übergreifen könne, so daß der Inhalt voll ausgeschöpft werde. Diese Gedanken hat Maflei in einem Briefe JOelle tra- duzioni Italiane 1736 ausgeführt, mit dem er Friedrich von Braun- schweig seine Übersetzung des ersten Buches der Ilias überreichte. Er hat dann noch die zwei folgenden Bücher übersetzt. Bemerkens- wert sind an dem Briefe die Erörterungen über Wortwahl und über die Wiedergabe der zusammengesetzten Beiwörter, die den Engländern so gut gelinge, und deren Einführung Maffei auch für das Italienische fordert. In der Streitfrage über die homerischen Götter und Heroen steht Maffei durchaus auf der Seite der Verteidiger Homers.

In Bologna lehrte Paolo Brazolo, ein leidenschaftlicher Verehrer Homers. Er übersetzte zu wiederholten Malen die Ilias, entdeckte aber in ihr immer wieder so viel neue Schönheiten, daß er des Anderns und Verbesserns kein Ende fand und schließlich die Arbeit unwillig dem Feuer überantwortete.

Ein Unternehmen eigener Art war die Übersetzung . der Ilias von Giuseppe Bozzoli 1769. Er will das griechische Gedicht in ein italienisches umwandeln und damit ebensowohl die ungenügenden Ver- suche der Früheren ersetzen, als Italien den größten Dichter schenken, den es je gehabt hat. Deshalb wählt er die Stanze des nationalen Romanzo und nimmt sich für Sprache und Ausdruck Ariost zum Muster, der von allen Italienern der am meisten griechische sei. Die Übersetzung soll sinngetreu, aber im Ausdruck frei und namentlich italienisch sein, weshalb die stehenden Beiwörter vermieden, Um- stellungen, Auslassungen, Zusätze angebracht werden. Denn zu große Treue sei, wie Salvini's Beispiel zeige, die größte Untreue, weil da-

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durch das Gedicht seinen Geist verliere und niedrig werde. Trotz der Stanze ist leider Bozzoli kein Ariost, und Italien hat durch ihn den größten Dichter nicht gewonnen; sein Gedicht ist Prosa in Stanzen. Einige andere Übersetzungen dieses Jahrhunderts übergehe ich.

Eine wahre homerische Kolonie war Neapel, von wo Gelehrte auch in die übrigen Städte des Königreichs ausgingen. So lehrte in Scalea der hochgebildete Gregorio Caloprese, bei dem Gianvincenzo Gravina seine gründliche Kenntnis der alten Sprachen empfing. Mit Gravina be- ginnt der Kampf des erwachenden Jahrhunderts für eine Poesie, die eine neue, ebensowohl moralische als ästhetische Grundlage erhalten sollte. Seine erste wichtige Schrift in dieser Richtung ist der 1692 erschienene Discorso sopra VEndimione, d. h. über das Endimione betitelte drama- tische Gedicht des Alessandro Guidi. Die Veranlassung zu dieser Schrift, wie die Wertschätzung Guidi's durch Gravina berühren uns nicht. Das Wichtige ist, daß der Discorso ein vollständig neues Pro- gramm darstellt, und zwar richtet sich der Kampf zuerst gegen die herrschende Poetik. Diese Wissenschaft ist nach Gravina noch nicht vollständig, weil entweder die alten Beobachter, gemeint sind Ari- stoteles und Horaz, nicht das ganze Wesen der Poesie umfaßten, oder weil ihre richtigen Resultate in die Hände von Rhetoren, Sophisten, Grammatikern, Kritikern gefallen sind, die sie verderbten. Gegen diese, zumal ihren letzten Vertreter Tesauro, ihren Wortschwall und Regel- kram, geht wiederholt der Angriff. Aber deswegen ist Gravina nicht gewillt, einfach die Autorität des Aristoteles wiederherzustellen. Bei der Frage, inwiefern der Dichter das Recht habe, an der Fabel zu ändern, sucht er zwar zuerst die wirkliche Meinung des Aristoteles darüber zu erfassen; aber, fährt er fort, ob dieser das oder etwas anderes gemeint habe, darauf komme nichts an; denn wenn das Gefühl durch sichere Ragione gelenkt werde, so habe es nicht nötig sich auf irgend welche Autorität zu stützen.

Was er hier Ragione nennt, ist nicht einfach die Ratio Vida's oder die Raison Boileau's. Es ist vielmehr, wie er in der 1708 er- schienenen Schrift Bella Bagione j^etica ausführt, der vernunftgemäße letzte Grund der Gesetze der Poesie. Wie ein edles Gebäude nach den Regeln der Architektur aufgeführt ist, diese Regeln aber zum vernimf- tigen Grunde die Geometrie' haben, so beruhen die Regeln der Poetik auf dem Wissen von der Poesie. Von den Dingen der Wirklichkeit imterscheiden sich die Gegenstände der Poesie dadurch, daß sie erfunden sind; wie jene auf den Urgrund Natur, so gehen diese auf eine Vor- stellung, idea, der Phantasie zurück. Diese Vorstellung besteht in der

Finaler: ]{omer in der Neuzeit. 7

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eigentlichen, natürlichen und passenden Imitation, der Überführung aus dem Wirklichen in das Erfundene, und das ist eben die oberste Ragione aller poetischen Werke. Die Gestalten der Phantasie bewegen uns wie die der Wirklichkeit, wenn sie die Züge der wirklichen Dinge tragen.

Darum ist Homer der mächtigste Zauberer, weil er alle Kunst auf den Ausdruck des Natürlichen verwendet hat. Er zeichnet nach der Natur und erreicht es dadurch, Erkenntnisse zu vermitteln, die sich in verständige Seelen bei der Lektüre seiner Gedichte einprägen. Vielen kommt die Einfachheit und Natürlichkeit seiner Darstellung zu gewöhnlich und nackt vor; aber gerade die, welche sie verschmähen, verlieren sich in die Darstellung einer andern Welt, die uns nicht angehört, und ihre Werke öffnen den Weg zur Kenntnis des Menschen nicht. Darin ist ja eben Homer so groß, daß er in seinem Streben nach Wahrheit nie das Vollkommene gezeichnet hat, dessen die Menschheit gar nicht fähig ist. Nie schildert er den höchsten Punkt der Tugend, aber auch nie das Äußerste des Lasters. Seine Personen haben nicht fortdauernd die näm- liche Beschaffenheit des Geistes, sondern es treten Schwankungen ein, die der Festigkeit des Charakters nicht widersprechen; der Dichter erkannte die Macht auch der äußeren Einflüsse auf unser Gemütsleben. Vollkommene Tugend und vollendetes Laster gleichen der Wirklichkeit nicht und be- zaubern die Phantasie nicht, weil sie Charaktere vorstellen, die den von den Sinnen und der Erimierung uns gebotenen unähnlich sind. Der mensch- liche Geist verwirrt sich im Sturm der Affekte, so daß die Natur des Menschen mit verschiedenen, oft sogar mit widersprechenden Farben bekleidet erscheint. Wenn Homers Helden manchmal unwürdige Seiten zeigen, so kommt das daher, daß der Dichter die Fürsten seiner Zeit ohne den Purpur und die Krone vorführen wollte, die den Augen des Volkes die menschlichen Schwächen verdecken, sondern mit den wechselnden Einflüssen der Tugenden und Laster. So spricht Gravina in der Schrift über die Ragione poetica. Im Discorso hatte er gesagt, die Fehler der homerischen Helden seien Konsequenzen ihrer Vorzüge: der Klugheit Agamemnons folge, wie der Rost dem Eisen, die Selbstsucht; des Odysseus Scharfsinn arte in Tücke, des Achilleus Hochsinn in Anmaßung aus.

Die ungewohnte Freude, einem so warm und verständnisvoll empfindenden, unmittelbar aus dem Original schöpfenden Kritiker zu begegnen, wird einigermaßan dadurch getrübt, daß auch bei Gravina der alte Wust der didaktischen und allegorischen Erklärung nicht über- wunden ist. Es rührt das von dem Bestreben her, nicht nur eine ästhe- tische, sondern auch eine moralische Reform durchzuführen. Homer soll als Muster für alle menschlichen Einrichtungen dienen, die Odyssee

Gravina 99

im besoudern die Kunst und Norm der richtigen Lebensführung zeigen. Homer, sagt Gravina, vermittelte unter der Hülle der Poesie dem Volke die Elemente alles Wissens und die wichtigsten moralischen Lehren. Man ist ganz betrübt, wenn man den feinen und scharfsinnigen Gravina schließ- lich noch die Entdeckungen Le Bossu's vortragen hört.

Auf die Besprechung Homers folgt die Beurteilung sehr vieler alter und neuer Dichter. Hervorragend ist der Preis Dante's, während die Vorliebe für Trissino seltsam berührt; die Italia Liberata wird gelobt, weil sie eine Nachahmung antiker Vorbilder sein wolle. Es mag erwähnt werden, daß Gravina Ariost über Tasso stellt. Scaligers Urteil über Homer erfährt eine scharfe Abweisung.

Wenn Gravina überall Homer als den wahrhaften Maler der Sitten seines Zeitalters preist, so zeigt er in dem an Maffei gerichteten Brief De Disciplina Poetarum 1712, daß ihm dieses Zeitalter selbst keineswegs als Ideal vorkommt, das Griechentum überhaupt nicht. Er erblickt in diesem nur wilde und ungezügelte Leidenschaften und trüge- rischen Eigennutz, die sich auch nicht scheuen, die Lebensinteressen des Staates selbst zu gefährden, während er bei den Römern vor allem die von der Vernunft geleiteten republikanischen Tugenden herrschen sieht. Daraus leitet er die Verschiedenheit der Wertschätzung der Poesie bei beiden Völkern ab. Die Griechen verehrten ihre Dichter gleich Göttern, da sie in der Poesie ein Mittel zur Besserung der Sitten erblickten; den Römern, die das nicht notwendig hatten, galt die Poesie lange Zeit nur als ein privates Vergnügen. In dem Unterschied der Charaktere beider Völker findet er dann auch die Ursachen der Verschiedenheit zwischen Homer und Virgil. Wenn jener, wie Piaton und Aristoteles bezeugen, die Menschen seiner Zeit und Nation so wiedergab, wie sie waren, so mußten die Beispiele der Willkür, Habsucht, Wildheit vor den spärlichen Zügen der Großmut und Tugend den Vorrang behaupten. Nur ein des Altertums Unkundiger kann dem Dichter daraus einen Vorwurf machen. Er konnte seinen Helden keine Tugenden zuschreiben, die damals ganz unbekannt waren, ja während der ganzen Zeit der griechischen Geschichte fehlten bis zu ihrer Unterwerfung unter die Römer. So spiegeln die Helden Homers mit ihrer Raubsucht, ihrer Leidenschaftlichkeit, ihren weibischen Klagen und kindischen Tränen die Unbeständigkeit und den Wankelmut der Griechen; die Fürsten Virgils sind, obwohl sie aus Asien stammen, nach der Majestät römischer ConsuLn gebildet. Weil nun hier die bessern Sitten dargestellt sind, werden gegenwärtig Virgil und auch schwülstige neuere Dichter dem Homer vorgezogen, obwohl dieser seinen Helden ihren eigenen Charakter, jener aber einen fremden geliehen hat

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und es bei dem Wettstreit der Dichter niclit auf die Würde der von ihnen eingeführten Personen, sondern auf die Wahrheit der nachahmenden Darstellung ankommt. Die Zeichnung der Schlechtem trägt ebensoviel bei, sich in Acht zu nehmen, als die der Bessern zur Nacheiferung auffordert. Dadurch wird das mißgünstige Urteil Piatons widerlegt, der den Ruhm des größten Dichters, den er mit seinen eigenen Versen nicht erreichen konnte, durch geistreiches Durchhecheln, unter dem Titel der Erhaltung der Ehrbarkeit, zu zerreißen versuchte. Die Verschiedenheit der Sitten und des Publikums, an das sich die Dichter wandten, verur- sachte auch eine Verschiedenheit des Stils. Virgil vereinfachte die Fülle der homerischen Sentenzen und Ornamente, da seine Hörer nicht belehrt, sondern nur ergötzt sein wollten.

Diese Parallele ist wohl die interessanteste, die je aufgestellt worden ist. Auf der einen Seite stellt Gravina das römische Wesen hoch über das griechische, den griechischen Dichter aber für seine Wahrhaftigkeit und Treue über den Römer, der ihn auch trotz seinen erhabenen Charakteren an moralischer Nützlichkeit nicht übertreffe.

Die genannten Schriften sind überreich an Gedanken, die in so knapper Form geboten sind, daß ein Referat eine sehr schwere Sache ist. Als Werke der Kritik sind sie ganz ausgezeichnet, klar, spannend, vor allem selbständig. Zum ersten Mal nach langer Zeit tritt uns da statt der traditionellen Verehrung Homers und Dante's eine auf lebendiger An- schauung und gründlichster Kenntnis aufgebaute Auffassung entgegen. Gravina hat sich getäuscht, wenn er meint, es lasse sich durch Nach- ahmung der großen Vorbilder eine neue Poesie schaffen. Er war nicht selbst Dichter genug, um den Irrtum einzusehen. Aber für die Erneuerung der Kenntnis der vergessenen Großen hat er mächtig gewirkt, nicht minder für die Befreiung von wirklich oder angeblich aristotelischem Regelzwang.

Dem nämlichen Zweck, dem Kampf gegen den schlechten Ge- schmack, dient ein zwischen den beiden Schriften Gravina's, 1706, er- schienenes Buch, Lodovico Antonio Muratori's umständliches Werk Della perfetta Poesia Italiana, das sich in der Abwehr des Secentismo und besonders Marino's mit Gravina deckt, aber in der Breite und Be- haglichkeit des Stils wie in manchem einzelnen Urteil bedeutend von ihm abweicht.

Muratori's Werk gibt sich als Lehrbuch des guten Geschmacks für angehende Dichter. Die Reform der Poesie, die bereits eingesetzt hat, soll gründlich gefördert werden, im Anschluß an die Autoritäten auf dem Gebiete der Poetik und an anerkannte Muster alter und neuer Zeit.

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Muratori kennt Aristoteles, Horaz und Castelvetro gut, geht aber mit großer Freiheit des Geistes seine eigenen Wege. Zwar hebt auch er neben der ästhetischen die moralische Aufgabe der Poesie stark hervor, aber sein Buch beschäftigt sich doch wesentlich mit den Mitteln der Poesie, die der Hervorbringung des Vergnügens dienen, besonders mit denen der Phantasie. Wichtig ist, daß er den Enthusiasmus, den furore poetico, nicht als Inspiration fassen will, sondern als eine Erweckung der natür- lichen Anlage der Phantasie. Durch die allseitige Betrachtung des Stoffes erweckt der Dichter in sich selbst den Affekt, worauf die Seele die Dinge nicht mehr in natürlicher, sondern in gehobener Rede ausdrückt. Bei den großen Dichtern wird die Phantasie durch wunderbare Urteils- kraft geleitet.

Als Muster der Epiker steht ihm Tasso obenan. Von Homer wird zuweilen mit großer Bewunderung gesprochen, aber was Muratori an ihm zu tadeln findet, scheint ihm doch das Löbliche zu überwiegen. Das kommt von Muratori's Definition des Epos her, das ihm eine Ge- schichte in Versen ist und deshalb eine größere Zurückhaltung erfordert als die Lyrik, die jedes Aufflammen der Affekte gestattet. Das Epos hat das Majestätische zum Ziel, deshalb müssen auch niedrige Gefühle, Gegenstände und Personen gehoben werden.

Der Dichter entdeckt in den Dingen neue Wahrheiten und stellt sie in ihrer höchsten Vollkommenheit oder Unvollkommenheit dar. So haben Homer und Virgil die einfachen troischen Geschichten durch ihre Phantasie zur Vollkommenheit erhoben; es handelt sich hier nicht um Wirklichkeit, sondern um innere Wahrheit, die auch durch bloß Mögliches und Wahrscheinliches ausgedrückt werden kann. Für den Romanzo besteht sie im Glauben des gemeinen Volks an die Existenz von Feen und irrenden Rittern der alten Zeit. Das edle Wahrscheinliche dagegen, das verisimile nobile, das den Gebildeten zusagt, operiert nicht mit dem Eingreifen des Übernatürlichen. Es ist daher unbegreiflich, daß die Alten den Homer bei der beständigen Einmischung seiner Götter so loben konnten. Für dergleichen kann ja eine Nötigung vorliegen wie bei Tasso, aber Homer hat es übertrieben. Für vieles reicht auch die beliebte allegorische Deutung nicht aus. Wenn durch Athene die Weisheit verkörpert sein soll, so ist es doch wenig wahrscheinlich, daß sie den Telemachos auf der Suche nach seinem Vater durch ganz Griechenland führt, nur gerade dorthin nicht, wo Odysseus wirklich ist.

Daß die Kunst der Darstellung bei dem nämlichen Dichter ver- schieden sein kann, zeigt sich gerade bei Homer: die Erzählung von

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Polyphem ist neu und überraschend, das viele Gerede der Freier in Ithaka nicht.

Die Augenfälligkeit homerischer Darstellung preist Muratori am Gleichnis von dem weinenden Mädchen. Darin übertreffe er Yirgil, der nicht in die Einzelschilderung eingehe. Doch verteidigt er diesen gegen Castelvetro, der das auf einen Mangel an Können bei Yirgil zurück- geführt hatte. Virgils Stil sei immer erhaben und fem davon zu lang- weilen, was Homer zuweilen begegne. Die Würde und Pracht des Epos sei bei Yirgils Kürze besser gewahrt als bei den eingehenden Beschrei- bungen Homers. An diesem tadelt er im fernem die breiten Ausfüh- rungen an sich einfacher Dinge, wie die Bereitung des Mahles durch Patroklos, Er will Homer nicht den Prozeß machen, weil der Dichter den Achilleus zu einem gewöhnlichen Koch gemacht habe, denn viel- leicht sei das damals nicht so unedel gewesen, wie es heute wäre. Aber daß die Stelle jedes Schwungs der Phantasie entbehre, stehe fest. Höchst anmutig findet er dagegen die Szene mit dem kleinen Astyanax.

Daß der Dichter moralische Wahrheiten in das Gewand der Fa- bel hüllen dürfe, erkennt Muratori an, wie z. B. unter dem Bilde der Kirke und ihrer Verzauberungen die Affekte der entfesselten Begierde nach niederen Lüsten dargestellt seien. Aber selbst die Heiden hätten über die Ausleger gespottet, die im Homer alles allegorisch erklären wollten. Die Regeln des poetisch Schönen, fährt er fort, sind nun nicht nur auf das Wahre und Wahrscheinliche gebaut, sondern auch auf das Gute, dem Gemeinwohl Nützliche. Hier hat Homer die Grenzen des Schönen weit überschritten. Zugegeben, er habe unter dem Schleier der Allegorie Wahrheiten gegeben, so durfte dieses Wahre nicht un- edel, unanständig, schmutzig sein, geeignet die guten Sitten und die Religion zu verletzen. Poetische Darstellungen müssen die dargestellten Personen nach ihrer Natur handeln lassen; aber die Götter Homers sind von göttlicher Würde weit entfernt.

In der Erörterung über das Urteil wird hervorgehoben, daß dieses durch die Lektüre großer Dichter sehr geschärft werde. Freilich dürfe man sie nicht für fehlerlos halten, jedoch auch nur behutsam tadeln. Jahrhunderte langer Ruhm, sagt Muratori, bietet eine Gewähr für die Größe eines Dichters; doch gibt es Ausnahmen, wie denn Homer und Dante von den früheren Zeiten überschätzt worden sind. Homer über- trifft durch wunderbare Vorzüge zuweilen den von allen als göttlich anerkannten Virgil; aber sie sind mit zu vielen Schwächen untermischt. Allerdings hat Perrault, dem jedes Urteil abging, mit seinen Angriffen Unrecht, aber auch Boileau geht in der Schätzung der Antike und

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auch darin zu weit, daß er die Berechtigung einer sicheren Wert- schätzung vom Urteil einer langen Zeit abhängig macht. Die römischen Zeitgenossen haben doch auch nicht das Urteil der Jahrhunderte abge- wartet, um Yirgil in den Himmel zu erheben. Abschließend hält Mura- tori dafür, daß Homer Vorzüge genug besitze, als notwendig seien, ihn für einen Dichterfürsten zu erklären. Besonders werde, wer ihn im Original lesen könne und Kenntnis des Altertums habe, mit Vergnügen die Schilderungen alter Sitten lesen, an denen nur Idioten Anstoß nehmen, weil diese nichts als die Gegenwart kennen. Trotzdem scheint ihm die Lobpreisung Homers bei Boileau maßlos übertrieben.

Muratori hat mehrere Partien der Ilias in wohlklingende Versi sciolti übersetzt. In einer spätem, 1724 in Venedig erschienenen Aus- gabe folgen dem Text gelehrte Anmerkungen von Salvini, der unter anderem Muratori's zu freien Übersetzungen seine nüchternen, aber exak- teren Versionen gegenüberstellt und Homer gelegentlich gegen die in dem Werk ausgesprochenen Ausstellungen verteidigt, leider mehrmals mit dem unbrauchbar gewordenen Mittel der allegorischen Erklärung.

In die Sphäre Gravina's gehört das tapfere Büchlein seines Schü- lers Pietro Metastasio, EstraUo delV Arte Poetica d'Aristotile, zum erstenmal nach dem Tode des Verfassers 1784 gedruckt. Das blei- bende Verdienst der Schrift wird sein, daß sie die angeblich aristote- lische Lehre von den drei dramatischen Einheiten endgiltig zertrümmert hat. Im übrigen gibt sich Metastasio behutsam als Verteidiger des Aristoteles gegen seine pedantischen Ausleger; aber es entgeht ihm nicht, daß die von Aristoteles selbst angerufenen Muster den Lehrsätzen seiner Poetik nicht immer entsprechen. Die ausführliche Geschichte der Jagd auf dem Parnaß war wirklich für die Erzählung der Odyssee eben- sowenig notwendig als die Gespräche der Freier in der Unterwelt oder die Genealogie des Glaukos. Was die so gerühmte Einheit der Hand- lung in der Ilias angeht, so konnte von der Versöhnung der Helden an alles fehlen, ohne daß die Fabel zerstört worden wäre. Aber der Dichter knüpft die Geschichte eines zweiten Zornes an, unbekümmert darum, ob er die Einheit beeinträchtige. Damit soll weder ein Tadel gegen Homer ausgesprochen noch Aristoteles eines Widerspruchs ge- ziehen, sondern nur gezeigt werden, daß es überall zutreffende Regeln nicht gibt, denn die Umstände der Imitation verlangen sie immer verschieden. Sehr oft haben wir daher keine andern Führer als die Erfahrung und vor allem den gesunden Menschenverstand, dieses Ge- schenk der Natur^ an dem die unfehlbaren Kritiker nicht immer Über- fluß haben.

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Ein bedeutsames Urteil gibt Metastasio zu der Stelle der Poetik ab, wo Aristoteles die Mittel angibt, einen Dichter gegen Angriffe zu verteidigen. Dabei kommt er auf Dacier zu sprechen, der sein ganzes gelehrtes Rüstzeug aufwende, um Homer makellos erscheinen zu lassen. Metastasio weiß nicht, ob alle diese Verteidigungen begründet sind; aber soviel ist ihm sicher: Dacier hat in seiner gelehrten Entzückung bewiesen, daß der richtige Respekt, den wir alle für den verehrungs- würdigen Vater der Dichter haben und haben sollen, bei ihm in blinde Abgötterei ausgeartet ist.

Angelo Maria Ricci, Salvini's Schüler und Nachfolger auf dem Lehrstuhl von Florenz, ließ 1740 41 seine Vorlesungen über Homer unter dem Titel Dissertationes Homericae drucken, um sie weiteren Kreisen zugänglich zu machen. Mit ganz berechtigter Befriedigung hebt er hervor, daß sein Werk das erste dieser Art sei, denn bisher habe es nur in den Homerausgaben lange Kommentare gegeben, die kaum jemand gelesen habe. In der Tat gab es nur eine ähnliche Arbeit, die von Feith, die Ricci zitiert und benutzt. Das Buch soll zum Studium des Griechischen begeistern, und diesem Zweck dienen auch mehrere der beigedruckten Schulreden. Denn nur im Original genieße man den Homer. Die Übersetzungen erreichen es nie, selbst nicht die von Ricci sehr geschätzte von W^^ Dacier, ja sie seien vielfach die einzige Ur- sache der ungünstigen Meinungen über den Dichter. Man solle sich nur vorstellen, wie Dante oder Boccaccio in lateinischer Übersetzung aus- sehen würden. Die wörtliche Übersetzung sei nur für Schüler brauch- bar, die auf diese Weise in das Original eindringen. Damit teilt Ricci die Ansicht von Vittorino da Feltre, und so haben ja auch Joseph Scaliger und Goethe Griechisch gelernt. Leuten jedoch, die das Original ver- gleichen können, sind nach Ricci wörtliche^ Übersetzungen nicht zu empfehlen, auch die Salvini's nicht.

Die Dissertationes verraten eine sehr ausgedehnte und eingehende Kenntnis Homers. Was man heute homerische Realien nennt, die Kunde vom ganzen Leben der Heroen, Speise und Trank, Kleidung, Waffen, Bestattungsgebräuche, Opfer usf., ist in großer Fülle zu- sammengestellt. Wenn man das dicke Buch zum erstenmal durchblättert, so erwartet man etwas durchaus Neues, nämlich den Beginn einer rein historischen Auffassung Homers. Aber bei eingehender Lektüre ist man enttäuscht. Denn Ricci ist kein schöpferischer Geist, der neue Bahnen zu finden vermöchte, sondern er steckt mit Haut und Haar im Bann der Kämpfe um Homer. Der größte Teil des Buches ist der Apologie des Dichters gegen die von Scaliger bis Perrault

Ricci Conti 105

gegen ihn gerichteten Angriffe gewidmet, und diese Apologie bringt leider nirgends etwas Besonderes. Allegorische Erklärungen, Berufung auf die alttestam entlichen Patriarchen, Vorwürfe wegen mangelnden Verständnisses sind die längst abgebrauchten Waffen, die er führt. Es ist ja geradezu rührend, wenn er sagt, er verteidige seinen Homer so^ wie ein Liebender keinen Tadel der Schönheit seiner Geliebten dulde* aber komisch wirkt auf die Länge doch die Wut, mit der er bei jeder Ausstellung an Homer auffährt. Geradezu beleidigend wird er gegen Gravina. Dieser hatte nämlich das Verhalten der Penelope den Freiem gegenüber so aufgefaßt, daß sie zwar Odysseus treu bleiben, aber sich im Falle seines Todes den Weg zu einer neuen Heirat nicht ganz ab- schneiden wollte. Dafür erfährt er von Ricci eine geharnischte Zu- rechtweisung.

Wie in der Polemik, so ist Ricci auch in den Erklärungen wenig selbständig. Doch ist beachtenswert, daß er annimmt, Homer habe die Insel der Kirke und die Kimmerier in das Schwarze Meer verlegt, um die Erzählung poetischer zu gestalten. Einem Anonymus gegenüber rechnet er aus, daß die Reise des Odysseus und die des Telemachos in der Zahl der Tage gut übereinstimmen, eine Frage, die ja noch heute die Kritik beschäftigt. Bei der Verteidigung der Gleichnisse macht er die zutreffende Bemerkung, daß nicht Sachen, sondern Handlungen ver- glichen werden; aber er kann es doch nicht unterlassen, den berühmten Esel mit den Argumenten von M™® Dacier zu rechtfertigen, und bei der Vergleichung der Kühnheit des Menelaos mit der einer Fliege darauf hin- zuweisen, daß auch Salomon den Verständigen mit der Ameise vergleiche.

Umständliche Abschweifungen fehlen nicht, und den Studenten wird im Anschluß an Homer manche moralische Vorlesung gehalten. Trotz allen Mängeln scheint aber das Buch als nützlich empfunden worden zu sein und hat gewiß einem Bedürfnis abgeholfen.

Von Antonio Conti, dem Dichter des Cesare, existiert unter seinen ungeordnet hinterlassenen Papieren ein Aufsatz De' Fantasmi Foetici, der mit dem übrigen Nachlaß 1756 gedruckt wurde. Es sollte eine voll- ständige Poetik werden, und wir können bedauern, daß sie nicht fertig geworden ist, denn sie wäre tiefer und lehrreicher geworden als das Werk Muratori's. Erfreulich ist auch hier die große Selbständigkeit, die mit eignen Augen sieht und daher immer etwas findet. Der Auf- satz ist vom Herausgeber zum Teil im Auszug, einige Partien sind im Wortlaut wiedergegeben.

In der Einleitung der Poesie nach Handlung und Charakteren würde sich die Schrift an Aristoteles angeschlossen haben. Daneben hat

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Conti Eigenes zu sagen. Er zeigt, wie das Wunderbare bei den Dicbtern eine beständige Steigerung erfährt. Nach dem Kampf des Achilleus mit dem Stromgott ist eine solche in gleicher Art nicht mehr möglich; da erhöht Homer unser Staunen durch etwas Wunderbares anderer Art, den Gang des Priamos zu Achilleus. Darin tritt Virgil zurück, der nach dem zweiten und sechsten Buche nichts ähnliches mehr hat, während Ariost in solchen Steigerungen hervorragt. Die Wunder müssen vorbereitet werden; der Dichter muß sie mit einer Zuversicht vortragen, als wäre er ein Historiker; so tut Homer. Er muß sie mit Wahr- scheinlichem umgeben, zwischen Bekanntes und Wirkliches verstecken, endlich auf höhere Mächte zurückführen.

Daß der Dichter durch die Zeichnung seiner Charaktere moralisch wirken müsse, glaubt Conti mit seiner ganzen Zeit. Aber wenn er die Berechtigung des Tadels am Charakter des Achilleus zugibt, so erblickt er in dieser Zeichnung selbst keinen Fehler Homers, der durch so schreck- liche Dinge besser verstehe vom Bösen abzuschrecken, als es gute Bei- spiele vermöchten. In seiner wilden Zeit mußte er übrigens die Farben kräftig auftragen, wenn er wirken wollte. Wenn man es tadelt, daß Achilleus die Freundschaft über das Vaterland stelle und seine Trauer alles Maß überschreite, so hat Homer die allen Menschen teure Freundschaft so schön geschildert, daß auf jenes Übermaß niemand mehr achtet. Die väter- liche Zärtlichkeit des Priamos, die Liebe Hektors und Andromache's und Hektors Vaterlandsliebe sind Tugenden von nicht geringer Erhabenheit. Die Grausamkeiten und Tücken lassen diese Tugenden stärker hervor- treten, wie der Schatten das Gemälde. Helene, die Ursache des ganzen Jammers, hat in ihrer Reue und ihren Klagen etwas, das den Haß gegen sie besänftigt, und der jugendliche Leichtsinn des Paris wird ge- mildert durch die Aufstachelungen der Aphrodite und seine guten Ab- sichten. Piaton hat, weil er in seinen Idealstaat verliebt war, Homer verbannt, auf den er eifersüchtig war; aber er arbeitet gerade wie dieser. Der Schauder, den seine Schilderung des Tyrannen einflößt, ist zehnmal wirksamer als die Freude an seinem philosophischen Regenten.

Als ein gewisser Abschluß aller dieser Erwägungen und Ver- gleichungen können die Homer und Virgil berührenden Partien des großen Werkes von Giovanni Andres gelten, DelV origine, progressi e stato uUuale d' ogni letteratura, 1785 1822. Es ist die gewaltige Arbeit eines tief gebildeten Polyhistors und umfaßt die Literatur aller Zeiten über alle Gebiete der Wissenschaft. Zuerst wird die poetische Literatur behandelt, erst in historischer Übersicht und dann nach den einzelnen Dichtungsarten. Andres kennt die nationalen Unterschiede kaum. Die

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Literatur des Altertums ist ihm eine Einheit; denn da er den unfrucht- baren Begriff der Klassizität nicht anerkennt, umgibt für ihn die bis in die spätesten Zeiten blühende griechische Literatur die ganz zu ihr gehörige römische von allen Seiten. In der Neuzeit teilt er nicht nach Völkern, sondern nach Jahrhunderten ab und sucht aus den Literaturen aller Nationen den gemeinsamen Charakter jeder Periode zu bestimmen. Diese Weite und Freiheit des Blicks macht den allgemeinen Teil zu einer höchst anziehenden Lektüre. Im speziellen Teile hält Andres zuerst über die Epiker von Homer bis Klopstock eine Heerschau ab. Er hatte schon früher bemerkt, daß, so sehr im ganzen die Griechen den Römern überlegen seien, doch einige von diesen ihre Lehrmeister erreicht oder übertrofiPen hätten, und dort als Beispiel Yirgil genannt. Den neuen Abschnitt beginnt er mit einem ungeheuren Preise Homers, um sodann auf die gegen den Dichter gerichteten Angriffe einzugehen. Auch er kann die Zeichnung der Götter nicht billigen. Ihm sind die Freier unerträglich, die in Masse, ohne die geringste Rivalität, auf Kosten der umworbenen Frau ausschweifend leben und gar keine Feinheit gegen sie zeigen. Ihm mißfällt Telemachos, der den Odysseus vor den Un- bilden der Freier zu schützen beabsichtigt und ihn dann doch betteln und Feindseligkeiten erdulden läßt. Hier gibt er zu, daß die Sitten der alten Zeit nicht nach den unseren gemessen werden dürfen und Reisende wie Wood die homerischen Schilderungen in Griechenland bestätigt ge- funden hätten. In diesen habe sich also Homer nicht vergriffen, und dies, die Zeichnung der heroischen Sitten, sei doch der interessanteste und be- deutendste Teil bei ihm. Zu große Ausführlichkeit im Einzelnen schwäche oft den Effekt, ebenso die an sich guten, aber zu oft wiederholten Bei- wörter. Auch wären für das Epos würdigere Gegenstände erwünscht gewesen als der kleinliche Hader des Achilleus oder der Kampf des Odysseus mit den Freiern in seinem eigenen Hause. Wenn aber Homer auch nicht fehlerlos sei, so müsse man doch mit Longin anerkennen, daß die Fehler nicht den kleinsten Teil der Vorzüge aufwiegen.

Nach Homer bespricht Andres die Argonautika des Apollonios von Rhodos, eines Dichters des 3. Jahrhunderts v. Chr. Er nimmt sich des nach seiner Meinung verkannten Gedichtes warm an und findet darin außer vielen einzelnen Schönheiten eine gut durchgeführte Fabel, ohne Sonderbarkeiten und Ungereimtheiten, regelmäßig und mit einer vielleicht übertriebenen Genauigkeit. Des Homer und Apollonios Vor- züge vereinige Virgil, dessen Aeneis den höchsten Grad epischer Voll- kommenheit zeige. Was Andres zu seinem Preise sagt, ist unermeßlich, aber nicht eben neu; nur zwei Parallelen mit Homer fallen da auf.

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Diesen, sagt Andres, übertrifft Virgil nach der Seite des Dramatischen und in den pathetischen Szenen. Homer erregt die Affekte selten mit Macht, und auch dann versteht er sie nicht zum Ziele zu bringen, zu dem ein poetisches Gemüt sie geführt wünscht. Hektors Abschied, Priamos bei Achilleus, die Erkennung des Telemachos durch Helene, Penelopeia vor dem siegreichen Odysseus: das sind wirklich Szenen, die geeignet sind, die lebhaftesten Affekte zu erwecken und das Herz des Lesers mit dem tiefsten Eindruck zu rühren. Sie würden sehr zu ihrem Rechte kommen, wenn sie von dem mantuanischen Raffael ge- malt wären; während man jetzt nur sagen kann, daß sie in den Händen des griechischen Dichters der Kraft, der Feinheit und des Ausdruckes entbehren. Da hat Virgil anders belebte Szenen! Andres liest Homer m mit Bewunderung und Staunen über sein wunderbares Genie, aber er fühlt dabei weder große Erregung noch großen Schmerz; von der Aeneis aber braucht er nur eine Seite aufzuschlagen, um im Innersten erregt zu werden. Da wundert es uns nicht mehr zu hören, daß Tasso in den Stellen, die er Homer entnommen zu haben scheine, das Original übertreffe und ebenso in den fröhlichen und glänzenden Schilderungen, während Homer in der Fruchtbarkeit der Erfindung, der Originalität der Gedanken und der Fülle und Kraft des Ausdrucks den ersten Rang behaupte. Wemi dagegen Tasso Züge Yirgils verwende, so übertreffe er sich zwar selbst, bleibe aber unter seinem unerreichbaren Vorbild. Allerdings gebe es bei Tasso einige Charaktere, die mehr Vergnügen machen als die entsprechenden Virgils.

Auf einen ganz neuen Boden führen uns Giambattista Vico's Frindpi di Scicnza miova, welche die Frage nach dem historischen Gesetz des Aufschwungs und Niedergangs der Kultur behandeln. Das großartige und grundlegende Werk bringt eine vollständig neue Auf- fassung Homers. In dem Bestreben, den Kreislauf des geistigen Lebens der Menschheit durch feststehende Gesetze zu erklären, hat Vico zweimal über Homers Stellung innerhalb dieser EntAvicklung geurteilt. Die Grundlage seiner Anschauung ist unverändert die, daß die Mythen der ■] Völker der ursprünglichste und eigenste Ausdruck der ersten religiösen Vorstellungen und der frühesten Geschichte der Nationen seien, vermittelt durch die Poesie, die erste gemeinsame Sprache der antiken Völker. Mit dem Wandel der primitiven theokratischen Kultur und der Sitten wurde der ursprüngliche Sinn dieser Mythen verdunkelt und verderbt. Nun betrachtet die erste Ausgabe von Vico's Werk 1725 Homer als den großen Wiederhersteller der ersten Grundgedanken der Poesie.

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Homer, so führt er aus, ordnete die Ökonomie der Ilias nach der Idee der Vorsehung und der von der Heiligkeit des Eides. Da die Religion nicht imstande war, die Völker im Zaum zu halten, stellte er die Bilder der Tugend und des Lasters einander gegenüber, dieses in Paris, dessen Tat Troja das Verderben brachte, jenes in Achilleus, der die Hand einer Königstochter ausschlägt und nur eine Gemahlin will, mit der ihn ge- meinsame Auspizien verbinden. Der Grundgedanke der Odyssee ist der Sieg der Weisheit und Ausdauer des Odysseus über die verworfenen Freier. Für seine Zeit gebührt Homer der Ruhm des Begründers der griechischen Humanität, zugleich der des Wiederherstellers der primitiven Grundsätze; eine andere Kunst ist ihm nicht beizulegen, als daß sein Talent mit dem Glück verbunden war, in den Zeiten der heroischen Spache zu leben.

Bei weiterem Studium wurde aber Vico am Charakter Homers als eines Ordners der griechischen Zivilisation irre. Hatte er schon inmier die Ansicht von einer im Homer verborgenen tieferen Weisheit ver- worfen und als Produkt der späteren Philosophie betrachtet, so bestreitet er jetzt, in den Ausgaben von 1730 und 1744, den lehrhaften Charakter der homerischen Poesie überhaupt. Die homerischen Charaktere, heißt es jetzt, passen nicht zu einer humanen Kultur, weder das Benehmen der Götter noch das der Helden. Wohl aber sind sie der genaue Aus- druck des homerischen Zeitalters.

Von dieser Entdeckung aus untersucht Vico die widerspruchsvollen Angaben des Altertums über Heimat und Zeit des Dichters. Er findet, daß der Homer der Odyssee in einem andern Lande gelebt haben müsse als der der Ilias; jene weist auf den Südwesten Griechenlands, diese auf Asien. Er findet die Angaben über Spiele, Metalltechnik, Luxus unverträglich mit den Darstellungen rohester Sitten, die uns in andern Schilderungen entgegentreten, und schließt daraus, daß die Gedichte zu verschiedenen Zeiten von verschiedenen Händen verfaßt sein müßten. Die Vorbildlichkeit Homers für alle epische Poesie der Späteren, auch für die Charaktere der Tragödie, beruht nach Vico darauf, daß seine Figuren Idealgebilde sind, auf welche das Volk alle Züge der heroischen Zeit und zahlreiche wirkliche Taten einzelner Menschen vereinigte. So lieferte das Epos ebensosehr ein Bild des wirklichen Lebens seiner Zeit, wie später die Komödie des Menandros. Diese gemeinsame Arbeit einer Nation, hervorgegangen aus der höchsten Einbildungskraft, mußte not- wendig erhaben werden, und Erhabenheit forderten denn auch alle Späteren von den Werken ihrer Zeit.

Wären nicht die Gedichte vorhanden, fährt Vico fort, so würden uns die Nachrichten über Homer zu dem Schlüsse nötigen, daß Homer

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nur ein Dichter der Einbildung und nie ein wirklicher Mensch gewesen sei. So aber dürfen wir halbwegs behaupten, er sei eine Idee oder ein heroischer Charakter griechischer Menschen gewesen, sofern sie im Gesang ihre Geschichte erzählten. Vico ist offenbar durch die Kompo- sition der homerischen Gedichte an der unbedingten Verneinung einer historischen Persönlichkeit Homer irre geworden. Hier klafft in der Tat in seinem System eine Lücke, die auch die Nachricht über die Rezension des Peisistratos nicht ausfüllt. Die Epen weisen eben wirklich auf eine zum wenigsten ordnende Dichterhand. Das hat Vico gefühlt, und es ist ihm im Wege. Denn im übrigen fallen nach seiner Meinung durch seine Entdeckung alle Schwierigkeiten dahin. Die Völker selbst waren jener Homer, daher sie sich auch um seine Heimat stritten. Epischer Gesang blühte vom troischen Kriege bis auf die Zeit Numa's, daher sich die Angaben über das Alter Homers auf einen Zeitraum von 460 Jahren verteilen. Blindheit und Armut wurden von den Rhapsoden auf ihn übertragen; diese waren die Verfasser der Gedichte, insofern sie ein Teil der Völker waren, die darin ihre Geschichte zu- sammengestellt haben. Wenn Longin den Homer als Jüngling die Ilias, als Greis die Odyssee dichten läßt, so heißt das, Grieclienland habe in der Jugendperiode an den wilden Leidenschaften des Achilleus, in einer greisenhaften Periode an der Weisheit des Odysseus und ver- feinerter Kultur Freude gehabt. Die zwei Perioden müssen zeitlich weit auseinander liegen. Die kritischen Angriffe werden so gegen- standslos. Die Schilderungen der Götter z. B. entsprechen dem jeweiligen Stande der griechischen Kultur. Der so entdeckte wahre Homer ist wirklich der Ordner des Staatswesens, Vater aller andern Dichter, Quelle aller griechischen Philosophie, was alles auf ein historisches Individuum Homer nicht zutreffen würde. Die Epen werden uns, wenn man sie nicht mehr als das geplante Werk eines Einzigen ansieht, zu höchst wertvollen Schatzkammern der Geschichte des Naturrechts in Griechenland.

An einzelnen Unklarheiten und Dunkelheiten fehlt es bei Vico nicht; besonders sieht man nicht, wie er sich das Zustandekommen des ganzen Epos vorstellt. Daß er d'Aubignac gekannt habe, wird nach einer genauen Vergleichung unwahrscheinlich. Er erklärt den Namen Homer als den Zusammenfüger von Mythen, nicht als den Blinden, läßt die Rolle des Lykurgos ganz beiseite und verlegt das Schwer- gewicht nicht auf die Komposition des Einzelstücks, sondern auf das historische Werden des Ganzen. Für ihn ist Peisistratos der Verfasser unserer Ilias, die er aus einem ungeordneten Haufen mündlich vor-

Vico Cesarotti Hl

getragener Gesänge redigierte. Der größte Unterschied von d'Aubignae ist der, daß Vico in den Gestalten des Achilleus und Odysseus die ideellen Mittelpunkte erblickt, an die sich alles Weitere angliederte, während der Franzose wenigstens für die Ilias einen Haupthelden leugnet.

Eine Zusammenfassung und einen gewissen Abschluß aller Homer- studien des Jahrhunderts bilden die Arbeiten von Melchior Cesarotti, der mit der umfassendsten Kenntnis Homers die der Literatur aller Völker verband. Seine Arbeiten beginnen mit der Vorrede zu seiner Über- Setzung Ossians. Gleich nach dem Erscheinen von Macpherson's erster Ausgabe 1760 erschien Cesarotti's erste Übersetzung 1763; die zweite Ausgabe 1772 war nach der vervollständigten Publikation Macpherson's von 1765 gemacht und enthielt außer der Übersetzung aller Gedichte Ossians auch die der Dissertationen Macpherson's und Hugh Blair's. Die Gedichte sind in einem trockenen Verso sciolto wiedergegeben, der sehr viel prosaischer ist als die gehobene Prosa Macpherson's. Eine Probe der gelehrten Gründlichkeit Cesarotti's ist das der zweiten Aus- gabe beigefügte Verzeichnis der Namen bei Ossian, eine Hilfe, die man im Original schmerzlich vermißt.

Die Vorrede zur ersten Ausgabe enthält eine eingehende Vergleichung des Fingal mit Homer, wobei dieser schlecht wegkommt. Ossian über- trifft ihn an Erhabenheit, Zartgefühl, Konsequenz in der Charakter- zeichnung, Feinheit der Einbildungskraft. Er zeigt nur große Bilder, während Homer auch viele niedrige hat. Ossian ist vor allem rührend^ eine Eigenschaft, deren sich Homer kaum rühmen kann. Seine Helden sind hochherzig, dem Feind wie einander gegenüber. Der Hauptcharakter,. Fingal, ist ein vollkommener Mensch; die Zulässigkeit eines solchen hat man nur bestritten, um Homers lasterhafte und widersprechende Charak- tere zu retten, wie Gravina und Conti getan haben. Wie hoch stehen Ossians Barbaren über den gebildeten Griechen!

In der zweiten Ausgabe bestreitet Cesarotti, daß er Homer herunter- setzen wolle. Er versage ihm die gebührende Ehrfurcht für seine Vor- züge nicht. Aber Homer dürfe nicht als Pontifex der Poesie angesehen werden, der das Privilegium der Unfehlbarkeit besitze und nur angebetet, nicht beurteilt werden dürfe. Der maßlose Ton, den man ihm Homer gegenüber vorwerfe, entspringe einfach der Indignation über die des- potisch vorgetragenen Machtsprüche des Vorurteils, den Ton von Boileau und M'"*' Dacier, besonders die Apotheose Homers durch Gravina und dessen Herabsetzung „unseres" unvergleichlichen Tasso. Ossian sollte Cesarotti Veranlassung geben zu beweisen, daß Homer in seiner Gat-

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tung weder der Einzige noch der Vollkommene sei. Ossian hat unter ungünstigen Verhältnissen Homer vielfach übertroifen; daraus geht her- vor, daß dieser viel vollkommener hätte sein können, und daß sein Bei- spiel nicht als Gesetz gelten dürfe.

Bei solchen Anschauungen überrascht es, daß sich Cesarotti mit ■einem ganz ungeheuren Fleiß der Erklärung Homers selbst angenommen hat. Er übersetzt die Ilias in Prosa und in Versi sciolti. Er will Homer sowohl genießen als verstehen lehren. Das ist, sagt er, nicht dasselbe, weil die Treue der Übersetzung die Anmut, die Freiheit aber die Genauigkeit ausschließt. An einer dieser Klippen scheitert jede Übersetzung. Daher soll eine wörtliche Übersetzung in Prosa und eine freie in Versen ge- geben werden. Letztere soll den Stil des Originals wiedergeben, zugleich aber alles vermeiden, was dem italienischen Ohr unangenehm sein könnte; in diesem Fall soll der griechische Ausdruck durch den entsprechenden italienischen ersetzt werden; denn es handelt sich nicht um Wiedergabe der Worte, sondern der Natur des Originals. Leider hat Cesarotti die Freiheit, die er in Anspruch nimmt, zu weit aufgefaßt. Seine unpoeti- schen Verse sind nicht viel mehr als eine Paraphrase des Originals mit Auslassungen und Zusätzen aller Art. Nicht einmal die prosaische Übersetzung ist exakt, sondern auch da ist stark nachgeholfen.

Die erste Ausgabe erschien von 1786 an, die zweite, von Pietro Brandolese besorgte und stark vermehrte, 1798—1802. In dieser wird für jedes Buch zuerst der griechische Text nach Clarke mit gegenüber- stehender Prosaübersetzung, dann die poetische Version gegeben. Unter dem Prosatext steht ein gewaltiger Kommentar, während die poetische Übersetzung nur von erklärenden Noten begleitet ist. Der Kommentar bezieht sich auf Lesarten und Worterklärungen, auch auf Einzelheiten der Übersetzung; zum weitaus größten Teil aber auf Bemerkungen be- sonders der französischen, sodann auch der italienischen und englischen Kritiker und Auseinandersetzungen mit ihnen. Jedem Buch sind die wichtigsten Lesarten aus Villoison beigefügt; ebenso eine Liste durch ihren Ausdruck bemerkenswerter Verse. Endlich bringt das Werk eine große Zahl von Aufsätzen über Homer vom Altertum bis in die neueste Zeit und ein ausführliches Verzeichnis der Ausgaben und Übersetzungen in alle Sprachen. Der wichtigste Teil sind die eigenen Beiträge Cesa- rotti's, vor allem der einleitende Band. Es ist unbegreiflich, daß dessen Ausführungen in dem. um diese Zeit in Deutschland ausbrechenden Streit um Homer so ganz unbeachtet bleiben konnten.

Die Storia della persona e delle opere d'Omero erklärt zunächst die a,ntiken Nachrichten über Homer als Fabeln und geht dann auf die

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Cesarotti 113

Hypothesen von Vico und d'Aubignac ein, die genau dargelegt werden. Wenn, wie Vico meint, Ilias und Odyssee nur nationale Geschichten sind, die vom ganzen Volke gedichtet waren, warum beschränkten sich denn diese auf einen kleinen Teil der allerletzten Zeit? gab es denn vor dem troischen Kriege keine merkwürdigen Geschichten? wenn die Gedichte nur Symbole der Sitten sind, warum wurden diese in so beschränktem Umfang dargestellt? Die Griechen konnten doch die große Masse inter- essanter Traditionen nicht untergehen lassen. Und wie stellt sich Vico ein dichtendes Volk vor? Hat eine Tagung des Volkes die Gedichte gesungen, oder wurden die Dichter gewählt, oder beauftragte man eine Stadt mit der Wahl? Wählte man einen oder viele? wenn einen, so haben wir Homer; wenn viele, wie arbeiteten sie zusammen? Daraus entstände doch eher ein Chaos als ein Gedicht.

Wenn nach d'Aubignac die Ilias nur^eine zusammengeflickte Reihe von Gedichten ist, warum beschränkten sich die Dichter auf den Zorn des Achilleus, da es doch über den Krieg zahllose Gedichte gegeben haben muß? Man muß blinder sein als Homer, um nicht zu erkennen, daß Ilias wie Odyssee eine Stufenfolge des Planes und der Ereignisse zeigen und auch die weniger bedeutenden Episoden irgendwie mit der Haupthandlung verknüpft sind. Konnte eine solche Übereinstimmung von wirklichen Tatsachen, fabelhaften Vorstellungen, mythologischen Ideen auf diese Weise entstehfti? Nimmt man an, die Gedichte seien zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten entstanden, so wird die Sache noch verwickelter; ein Dichter will doch lieber selbst etwas schafi'en als einen andern fortsetzen, und jede Stadt hatte ihre besondem Überlieferungen und ihren Heros. Und ließen die Dichter ihre Werke und Namen so spurlos in der neuen Ilias untergehen? Zurückgewiesen wird auch die Meinung, Homer habe in planlos abgerissenen Stücken gedichtet. Die Widersprüche beweisen höchstens, daß die Ilias nicht vollkommen ist, nicht, daß sie von verschiedenen Verfassern gedichtet wurde.

Die Behauptung Wood's, Homer habe die Schrift nicht gekannt, ist hinfällig, wenn man Homer 300 Jahre nach dem troischen Kriege ansetzt. Wood mutet dem Gedächtnis der Rhapsoden doch zu viel zu, und das Altertum hat insgesamt die Benutzung der Schrift durch Homer angenommen. Den antiken Nachrichten, daß die Gedichte in einzelnen Stücken vorgetragen worden seien, mißt Cesarotti keine Bedeutung bei; es werden ja noch heute in Venedig Stücke aus Pulci und Tasso ge- sungen, während doch der Morgante und die Gerusalemme vollständig vorhanden sind.

Finsler: Homer in der Xeuzeit. 8

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Auch die scheinbare Verschiedenheit der Sitten ist kein Beweis gegen die Einheit des Dichters. Die Sitten der homerischen Zeit sind nicht durchaus roh, sondern die eines mittleren Alters. Die Übergänge aus der Barbarei zu feinerer Kultur geben dem Gesamtbild etwas Un- zusammenhängendes, Wechselndes. Die Zustände sind überaus einfach; was von höherer Kultur da ist, wie die Kunst auf dem Achilleusschilde, könnte auf Import zurückzuführen sein. Agamemnons Reichtum stammt aus Asien, und dort steht auch der reiche Palast des Priamos. Yiel besser als verschiedene Zeiten anzunehmen, in denen die Gedichte ent- standen wären, würde es sein, wenn man die Bilder des Reichtums und der Kunst dem asiatischen Dichter, die Zeichnung der gewöhnlichen Bräuche dem griechischen Historiker zuschriebe. Der Dichter eines raffinierten Zeitalters hätte alles viel einheitlicher dargestellt. Fort- schritte in den Künsten widersprechen übrigens nie wilden Sitten einer Zeit. Vor allem teilen sich die angeblichen Unterschiede nicht nach Gesängen. Gleich sind auch alle Vorzüge und Fehler verteilt, die man an Homer gefunden hat, und der poetische Stil ist immer derselbe. Entweder gehört dem Homer alles oder nichts.

Über Homers Leben und Vaterland teilt Cesarotti im ganzen die Ansichten Wood's, bekämpft aber heftig die Theorie Blackwell's, daß Homer seine Überlegenheit über alle Epiker dem Zusammentrefi'en der günstigsten Umstände verdanke. Denn erstens sei der Ausgangspunkt, eben jene Überlegenheit, durchaus nicht erwiesen, und dann hätten andere Zeiten ebenfalls große Epiker hervorgebracht, Tasso, Voltaire, Ariost, Ossian, ohne daß die gleichen Umstände wieder eingetreten wären. Jedes Zeitalter und Klima berge eine Menge günstiger und ungünstiger Umstände; die Meisterschaft bestehe darin, sich jene zunutze zu machen und diese zu vermeiden.

Der absolute Wert der Poeten besteht nach Cesarotti in der Schilderung der Menschen, und diese ist immer möglich, da es an heftigen Leidenschaften nie fehlt. Den relativen Wert macht die richtige Darstellung der eigenen Zeit aus, und diese wird um so besser aus- fallen, je höher der soziale Fortschritt die Vernunft entwickelt hat. Man kann also sagen, daß jedes Zeitalter einen Homer hervorbringen konnte, daß aber Homer, wenn er in einer bessern Zeit geboren worden wäre, größer geworden wäre, als er ist.

Mit Humor verbreitet sich Cesarotti über die Anstrengungen Alter und Neuer, im Homer -alles Wissen, den Ursprung aller Künste und aller Moral zu finden, ja ihn zu einem Propheten zu machen. Sein einziger berechtigter Ehrentitel sei der eines originalen Dichters, da er

Cesarotti 2 15

wirklich der Vater des Epos sei. Es folgt noch die Geschichte der Epen und eine Untersuchung über die verlorenen Gedichte des Epischen Kyklos.

Im folgenden Abschnitt Storia della riputasione d'Omero sammelt Cesarotti mit ungeheurem Fleiß die Urteile des Altertums und der Neuzeit über Homer. Bei den Modernen verfährt er nicht chronologisch, sondern teilt sie in Lobredner und Tadler Homers ein. Das Resultat nach Abhörung aller Zeugnisse ist, daß kein Mensch, der Homer nicht kenne, behaupten dürfe, eine Meinung über ihn zu haben. Wenn man eine solche erlangen wolle, helfe nichts, als von allen Meinungen der Kritiker abzusehen und den Homer selbst ohne jedes Vorurteil zu lesen. Dazu soll Cesarotti's Werk helfen.

Wenn er aber wirklich dazu anleiten wollte, so hat er es verkehrt angefangen. Denn sein Kommentar zur Übersetzung ist mit ästhetischen Urteilen der Kritiker über Gebühr belastet, und überdies hat er seit dem Ossian seine Meinung über Homer nicht stark geändert. So oft auch richtige Erklärungen gegeben werden, ist doch des Tadels mehr als des Lobes. Dazu kommt, daß sich auch Cesarotti zuerst eine Theorie des Epos und des epischen Helden zurecht macht, um dann von dieser aus den Dichter zu beurteilen. Damit raubt er sich selbst die Möglich- keit des richtigen Verständnisses, das allein durch vorurteilslose Inter- pretation gewonnen wird. So findet er, um nur ein Beispiel zu geben, die Zeichnung des Achilleus im ersten Buche der Ilias mit Terrasson inkonsequent und vermehrt noch das Gewicht des Angriffs. Terrasson hatte die Nachgiebigkeit des Achilleus Agamemnon gegenüber als eine Verlegenheitsauskunft Homers bezeichnet; Cesarotti findet es einfach unwürdig, daß Achilleus Briseis hergibt, aber für weitere Besitztümer, die man ihm würde nehmen wollen, zu kämpfen droht. Er meint, es wäre viel würdiger gewesen, wenn er Agamemnon erschlagen hätte, und sieht nicht, daß Achills Rede der Ausdruck ohnmächtigen Ingrimms ist; ebenso wenig, daß der Dichter die Liebe des Helden zu seiner Ge- fangenen absichtlich außer Berechnung ließ, weil ihm einzig daran ge- legen war, den eigentlichen Grund der Kränkung scharf herauszuarbeiten. Damit fällt alles weitere Gerede über die Unwürdigkeit dahin, die darin bestehen soll, daß Achilleus die Hilfe des Zeus anruft, er, der tapferste von allen. Cesarotti hat sich nicht Rechenschaft darüber gegeben, daß Homer den Helden nicht über die Drohung hinausgehen lassen durfte und ihm der Übermacht gegenüber nur die Anrufung des Zeus übrig blieb. AVas er den Rettern Homers vorwirft, daß sie in ihn hinein interpretieren, was sie gerne in ihm sehen möchten, paßt auf ihn ganz besonders.

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Von ganz hervorragender Bedeutung ist dagegen die Arbeit über den Schild des AcliüleuSj abgesehen von dem Zugeständnis, daß derselbe nicht für einen Helden passe. Die Angriffe von Scaliger, Terrasson, La Motte werden treffend zurückgewiesen, aber auch Boivin und Pope genügen Cesarotti nicht. Boivin's Einteilung bemängelt er, weil die Bil- der der beiden Städte einen unverhältnismäßig großen Raum einnehmen und dem Vorwurf der widersprechenden Bewegungen Recht geben würden. Die Vorwürfe Scaligers darüber, daß Homer seinen Figuren Ausdrücke des Lebens beilegt, zeugen, sagt Cesarotti, von schlechtem Geschmack und sind sophistisch. Jedermann spricht von einem Bilde, als ob es belebt wäre; das ist der Ausdruck der Illusion, die das Bild hervorruft. Nur darf der Dichter von dem Bilde nichts aussagen, was es nicht aus- drücken oder andeuten kann, wie z. B. daß der Streit vor Gericht um ein Wergeid ging, oder die Motive der belagernden Heere.

Es gehen indessen alle Angriffe und Verteidigungen von einem ganz falschen Standpunkte aus. Homer hat nicht ein malerisches, sondern ein poetisches Gemälde geben wollen. Bei jenem erlaubt das Werkzeug des Künstlers nur die Darstellung eines einzigen Punktes, non ha che r arbitrio d' un punto. Dieses dagegen ist den flüchtigen und biegsamen Worten des Dichters anvertraut; es wird entwickelt und erweitert, durch die Idee des wirklichen Faktums, die jeden Umstand ausführlich beschreibt, durch die interpretierende Reflexion, durch die belebende, beseelende, verschönernde Einbildungskraft. Homer wußte, daß sein Gemälde nicht betrachtet, sondern gehört werden würde, und überließ sich seinem dar- stellenden Talent, nur bestrebt, das Bild anmutig zu gestalten, und ohne sich viel darum zu kümmern, ob seine Bilder in einem wirklichen Ge- mälde stehen kömien. Einem irdischen Vulkan überließ er die Sorge, seine Schilderungen nach den Regeln einer beengteren und strengeren Kunst durch Stutzen, Teilen, Zurechtrücken in ein malerisches Gemälde zu bringen. Nur diese Auffassung löst die sonst unlösbaren Schwierig- keiten. Hephaistos sagte zu Homer: Ich habe als Werkmeister einen Schild gemacht; mache ihn du als Dichtergott, gebrauche deine größte Freiheit, ergänze, zeige, was ich nur andeuten konnte, und sei ruhig: die Kopie wird nie dem Original gegenübergestellt werden.

Was Cesarotti sagt, gehört unstreitig zum Besten, was je über den Achilleusschild geschrieben worden ist; um so unbegreiflicher, daß es, wie die ganze reiche Arbeit dieses Gelehrten, niemals beachtet, geschweige denn gewürdigt worden ist.

Cesarotti's Übersetzung konnte, trotz ihrem Erfolg, nicht genügen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts griffen zwei befreundete Dichter, Ugo

Cesarotti Foscolo Monti 117

Foscolo und Yincenzo Monti, die Arbeit von neuem an. Ihre Auf- fassungen sind in einer Publikation Foscolo's Esjoerimento di traduzione deJla Iliade di Omero 1807 gesammelt.

Foscolo erklärt in dem kleinen Aufsatz Intendimento del traduUore Cesarotti's Arbeit als eine Naclialimung, die vermuten lasse, daß der Vater der Dicbter nicht in seinen ursprünglichen Schönheiten glänze. Er tue es aber in andern Sprachen, und die italienische vermöge mehr als andere die Vorzüge Homers aufzunehmen, ohne sie auszuschmücken, und seine Fehler, ohne sich zu erniedrigen. Trotzdem ist er sich der Ungeheuern Schwierigkeiten der Aufgabe mehr bewußt als irgend einer seiner Vorgänger. Zwar können, sagt er, die Kommentare die für richtige Wiedergabe der homerischen Zeit nötige Kenntnis vermitteln; aber die Harmonie löst sich in der Übersetzung, und die minimen Vorstellungen, die jedes Wort begleiten und dem ursprünglichen Sinne erst Farbe und Leben verleihen, sind für uns verloren; die Wörterbücher zeigen nur die seelenlose Vokabel. Es muß versucht werden, durch engsten Anschluß an den Sinn den Ausdruck zu beleben und den Geist des Originals zu über- tragen. Freilich setzen da die intellektuelle Beschaffenheit des Einzelnen, die verschiedene Beurteilung der Wortwahl und die ungleiche Aufnahme bei den Hörenden noch viele Schwierigkeiten entgegen. Foscolo schmeichelt sich auch nicht mit der Hoffnung auf ungeteilten Beifall, vielmehr fürchtet er, dem Poeten einen zu aufgeregten Gang, der italienischen Sprache einen affektierten Anstrich von Altertümlichkeit und griechischer Syntax ge- geben zu haben. Wenn die Wiedergabe der mächtigen Leidenschaften ikalt lassen sollte, nimmt er alle Schuld auf sich selbst.

Fast ergreifend zeichnet er die Schwierigkeiten in den Considerazioni [über den Cenno di Giove, die berühmte Stelle, wo Zeus durch Winken mit den Brauen der Thetis Gewährung verheißt. Die ebenso einfachen wie majestätischen Verse, sagt er, wirken unmittelbar, sind aber nie voll- wertig wiedergegeben worden und werden es nie werden. Foscolo stellt eine Menge von Versuchen mit seinen eigenen zusammen und schließt mit der Erkenntnis, man könne an den großen Originalen wohl Wort- erklärung treiben, Folgerungen an sie knüpfen, Himgespinnste weben, nie aber sie zum Leben erwecken.

Die Übersetzung des ersten Buches, der Foscolo später die des dritten folgen ließ, stellt er der Prosaversion Cesarotti's gegenüber, um das Urteil der Gelehrten und Gebildeten darüber zu erfahren. Die Übersetzung läßt uns bedauern, daß die Arbeit nicht zu Ende geführt wurde, denn sie ist nicht nur von gewaltiger Kraft und edlem Wohllaut, sondern erweist den Übersetzer als einen in der homerischen Gedankenwelt heimischen Dichter.

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Vincenzo Monti dagegen gelangte ans Ziel. Er hatte sich an das Werk gemacht, ohne Griechisch zu verstehen, und Foscolo hatte ihn deshalb in einem berühmten Epigramm den Übersetzer der Homerüber- setzer genannt. Aber er verstand es so sehr, sich in die homerische Welt zu versenken, und war von dieser Poesie so ergriffen, daß er ein dauerndes Werk zustande brachte, dem gegenüber Foscolo das eigene Streben auf- gab. Wie Monti arbeitete, erhellt aus dem Aufsatze Sulla difficidtä di hen tradurre la protasi delV lliade, d. h. über den ersten Vers der Ilias. Da stellt er den Satz auf, daß, was dem Ohre übel klinge, es auch dem Herzen tue, da der Gedanke immer mit dem Worte harmonisch verbunden sein müsse. Die italienische Sprache, sagt er, ist majestätisch. Ihr Gewand ist von großen Dichtern gearbeitet. Es handelt sich für uns nur darum, aus dem Reichtum der Gewänder das richtige zu wählen. Er mustert alle italienischen Übersetzungen des Verses und zeigt in deren Beur- teilung die Forderungen, die er an sich selbst stellt. Vor allem darf nichts den Gesetzen der italienischen Cadenzen widersprechen. Nicht die Vernunft allein, sondern die mit dem Gefühl verbundene Vernunft ist das Wesentliche. Nur unablässige und sorgfältige Arbeit führt zum Ziele. Das sind durchaus keine Kleinigkeiten, denn ihre Vernachlässigung macht aus der Sprache des Zeus die eines Marktschreiers; ihre Beob- achtung allein hat Virgil und Racine groß gemacht. Oberster Richter ist der Geschmack, der schon Cicero zwang, sich tagelang mit dem Auf- suchen eines einzigen Wortes zu plagen.

Monti hat nicht nur gesprochen, sondern gehandelt. Seine Über- setzung liest sich prächtig und hat das ganze Jahrhundert überdauert. So sollte durch einen feinfühligen und sprachgewaltigen Dichter am Ende der ganzen Entwicklung der Wunsch Salutato's sich erfüllen, daß die homerische Poesie aus mangelhaften und prosaischen Versionen in eine poetische umgegossen werden möchte.

Ergänzend trat Monti's Ilias die Odyssee von Ippolito Pindemonte zur Seite; die ersten zwei Gesänge erschienen 1808, das ganze Werk 1822. Dieser Übersetzer verstand Homer im Urtext zu lesen. Sein Werk ist vielleicht nicht so sorgfältig durchgearbeitet wie das von Monti, lehnt sich aber ohne allzu starke Freiheit an das Original an und hat sich seiner reichen Sprache wegen bis heute behauptet.

FRANKREICH UND DIE NIEDERLANDE.

In die Zeit, da die italienische Renaissance ihre Sonnenhöhe er- reicht hatte, fällt der Zug Karls VIII. von Frankreich nach Neapel. Damit begannen die endlosen Kriege, die für Frankreich politisch mit dem Verzicht auf Italien endeten. Die Beziehungen der beiden Länder beschränkten sich nicht auf die kriegerischen Verwicklungen, aber Italien überwand seinen Überwinder, wie einst die Griechen die Römer, diese die Germanen. Wissenschaft und Kunst, die ganze Bildung der Renais- sance drang aus Italien nach Frankreich ein, lenkend und befruchtend. Dennoch sind die Franzosen nie bloße Nachahmer der Italiener gewesen. Ihre Nationalität war bereits so gefestigt, daß sie sich aus den fremden Anregungen eine eigene Kultur schufen, deren Entwicklung die geistige Geschichte des 16. Jahrhunderts bildet. Der Kontakt zwischen beiden Ländern zeigt sich überall. Franzosen bereisen Italien, Italiener besuchen Paris. Die Literatur des einen Landes ist im andern bekannt und ge- würdigt.

Homers Stellung ist innerhalb der geistigen Entwicklung nicht so mächtig wie in Italien, auch in der Poesie nicht. Die Ursachen dieser Erscheinung sind sehr mannigfaltig. Es möge hier nur darauf hingewiesen werden, daß in Frankreich nicht wie in Italien das Epos, sondern das Drama den Höhepunkt des poetischen Könnens bildete.

Den Boden Frankreichs betritt Homer mit dem Werk von Jean Lemaire de Beiges Illustrations de Gaule et singularites de Troye, 1510 1513. Das erste Buch beginnt mit einer langen Genealogie von Noah bis Priamos und erzählt darauf die Jugendgeschichte des Paris, seine Liebe zu Oenone, die Hochzeit des Peleus und der Thetis und das Urteil des Paris im Wettstreit der Juno, Pallas und Venus um den Preis der Schönheit. Das zweite Buch enthält die Geschichte des troi- schen Krieges unter besonderer Berücksichtigung der Schicksale des Paris und der Oenone. Im dritten Buche schildert Lemaire die Folge der nach Europa verpflanzten troischen Geschlechter bis auf Pipin den Kurzen. Ein viertes Buch, das von den Türken handeln sollte, ist nicht geschrieben worden.

Das große, 1500 begonnene Werk sollte verschiedenen Zwecken dienen. In der Peterskirche hatte Lemaire das Gelübde abgelegt, durch

120 Frankreich und die Niederlande

sein Buch die abendländische Christenheit, Franzosen, Italiener und Deutsche zu einem Kreuzzug gegen die Türken zu entflammen, die Troja, das Mutterland der Franken, besetzt hielten. Das Buch sollte die Ab- stammung dieser von den Troern klarlegen und zugleich die troische Geschichte in historischer Richtigkeit wiederherstellen, ferner den Ita- lienern den Beweis leisten, daß die französische Sprache keineswegs so barbarisch sei, wie sie in ihrer hochmütigen Verachtung meinten. Endlich würde, so hofft der Verfasser, die Geschichte des jugendlichen Paris dem jungen Karl von Spanien, dem spätem Karl V., in den Jugendjahren, wie beim Eintritt ins reifere Alter ein guter Wegweiser sein für das Parisurteil des Lebens, die Wahl zwischen Klugheit, Anmut und Macht.

Der Glaube, daß die Franken Abkömmlinge der Troer seien, hatte das Mittelalter beherrscht und war sogar von den Königen sanktioniert worden. Benoit de Sainte-More hatte ihm in seinem Roman de Troie allgemeine Geltung verschafft. Diesen ihren Dichter hatten nun zwar die Franzosen des 16. Jahrhunderts gänzlich vergessen. Sie nahmen seinen Übersetzer, Guido delle Colonne, für den Verfasser der von jenem gestalteten Geschichte. Neuere Fabeleien hatten die Genealogie der Frankenkönige bis zu Noah hinauf vervollständigt.

Lemaire stand dem gewaltigen Material, das er zusammengebracht hatte, nicht ganz unkritisch gegenüber. Zwar vermochte er den Wust mythischer Genealogien nicht zu überwinden, besonders weil er in Boc- caccio's großem Werke De genealogia Deorum vielfache Bestätigung da- für fand. Aber im zweiten Buch, wo er den troischen Krieg darstellt, nimmt er einen ernstlichen Anlauf zu kritischer Sichtung des Stoffes. Er geht davon aus, daß Dictys und Dares Zeitgenossen des troischen Krieges waren und deshalb als zuverlässige Gewährsmänner gelten können, gibt aber da, wo sie sich widersprechen, Dictys den Vorzug, weil seine Darstellung ausführlicher und wahrscheinlicher sei und die edlen Werke Homers, Virgils und Ovids mit ihm fast ganz übereinstimmten. Auf diese Weise hofft er den eingewurzelten Irrtümern des Guido delle Colonne gegenüber die historische Wahrheit wiederherzustellen, so daß man künftig auf Gemälden und Geweben die troischen Geschichten nicht mehr falsch darstellen würde.

Besondern Zorn erregt ihm Dion von Prusa, den er in der lateinischen Übersetzung Filelfo's kennen lernte. Dion, ein griechischer Rhetor und Moralphilosoph aus der Zeit Trajans, hatte in seiner frühem, sophistischen Periode eine Rede geschrieben, in der er den Nachweis zu leisten unternahm, daß der troische Krieg ganz anders verlaufen sei^ als Homer erzähle. Der Dichter habe, um seinen Landsleuten zu ge-

Lemaire de Beiges 121

fallen, die Wahrheit verhüllt, aber doch nicht verhindern können, daß sie durch seine Erzählung noch durchschimmerte. Helene war nach Dions Darstellung von Paris nicht geraubt, sondern nach regelrechter Werbung geheiratet worden. Der Krieg, den der als Freier abgewiesene Menelaos und sein Bruder Agamemnon anfachten, verlief für die Griechen höchst unglücklich. Ihr Hauptheld Achilleus wurde von Hektor er- schlagen und seiner Rüstung beraubt. Diese Tatsache zu verschleiern,, habe Homer die Figur des Patroklos untergeschoben. Die Griechen mußten schließlich froh sein, durch einen Vertrag die Heimkehr zu ge- winnen. Das alles wird von Dion aus Homer selbst bewiesen. Lemaire weiß nicht recht, was er mit dem glänzenden Prunkstück sophistischer Rhetorik anfangen soll. Er durchschaut es insoweit, als er Dion vor- wirft, er habe nur seine philosophische Weisheit glänzen lassen wollen. Aber er nimmt ihn doch ernst, wenn er meint, Dion habe als Asiat seinem nationalen Hasse nachgegeben. Sein Urteil, daß die Rede ein Haufe leerer, unwahrscheinlicher, nichts beweisender Argumentationen sei, ist allerdings berechtigt.

Da und dort taucht in den Illustrations der Name Homers auf. Lemaire kennt ihn nicht im Original, sondern aus der lateinischen Prosaübersetzung des Lorenzo Valla, die schon im 15. Jahrhundert in. Frankreich bekannt geworden war. Er zitiert Homer wiederholt und gibt mehrfach seiner Bewunderung für ihn Ausdruck. Aber er betrachtet ihn neben den vermeintlichen Historikern Dictys und Dares eben als einen Dichter, der hundert Jahre nach dem troischen Kriege gelebt und die Ereignisse frei gestaltet habe. Deshalb setzt er zwar außer kleineren Partien den größten Teil des dritten und vierten Buches der Ilias, den Zweikampf des Paris und Menelaos, die Mauerschau und den Schuß des Pandaros in seine Erzählung ein, weil die Partie schön und erfreulich sei und altertümlich anmute; er übersetzt sie hübsch und ziemlich frei aus dem Lateinischen. Aber dann fühlt er sich ver- anlaßt, zur Wahrheit zurückzukehren, d. h. dem Dictys weiter zu folgen.

Li der Kriegsgeschichte des zweiten Buches, wo er historisch sein will, läßt er seiner Phantasie wenig Spielraum. Das tut er dagegen im ersten Buch, in der Geschichte des Paris, die mit vollendeter An- mut ausgesponnen ist. In tändelnder Heiterkeit schildert er den Besuch der Götter bei der Hochzeit des Peleus und der Thetis, geradezu präch- tig das Staunen der Natur beim Anblick der drei Göttinnen, die nackt in ganzer Schönheit vor Paris stehen, um sich seinem Urteil zu unter- werfen. Alle diese Partien stehen in starkem Kontrast zu der schwer- fälligen Gelehrsamkeit des Eingangs und des dritten Buches, wie zu

122 Frankreich und die Niederlande

der moralischen Symbolik, die Lemaire seinem pädagogischen Zwecke angemessen hält. Hier ist er noch ganz der Erbe des Mittelalters, während seine eigensten Schöpfungen die neue Zeit verkünden.

Im Gegensatz zu dem feinfühligen Lemaire, der den Dichter Homer sehr wohl von einem Geschichtschreiber zu unterscheiden wußte, steht Jehan Samxon, der Verfasser der ersten französischen Übersetzung der Ilias in Prosa unter dem Titel Les Iliades d' Homere, poete grec et grand hystoriograplie, gedruckt 1519 1530. Das seltsame Werk ist nun freilich nicht aus dem griechischen Original, sondern aus der lateinischen Übersetzung von Lorenzo Valla übersetzt, nur ganz ohne die Anmut Lemaire' s. Samxon hält Homer, den er nur so nebenbei einen Dichter nennt, im wesentlichen für einen Historiographen. Da er aber bei ihm nicht die ganze Geschichte des Krieges findet, ergänzt er ihn aus Guido delle Colonne und aus Dictys und Dares, und zwar zuweilen im Text der Übersetzung selbst, indem er die abweichenden Relationen «inander gegenüberstellt. So hofft er die wahre Geschichte darzustellen, zugleich den edlen Fürsten für ruhmvolle Kriegstaten nützliche Vor- bilder zu bieten und den Herren und Damen Vergnügen, Belustigung ihres Geistes und Erleichterung ihrer Müheii und Arbeiten zu verschaffen.

Die Übersetzung selbst ist eine ungenaue, oft weitschweifige Nach- erzählung, die auch eine Reihe von Erklärungen über die Personen der Götter und Helden enthält. Mit Recht fragt man sich, wem wohl ein solches Opus Vergnügen bereitet habe mit seinem schleppenden, halb lateinischen, halb barbarischen Stil und dem Mangel an jeglicher Grazie. Das Buch kam auch zu spät. 1519 hätte es vielleicht manchem noch etwas geboten, 1530 nicht mehr. Denn mittlerweile hatte das Studium des Griechischen in Frankreich eine große Ausdehnung gewonnen, und besonders Homer zog mehr und mehr das Interesse auf sich. Es ist dafür bezeichnend, daß König Franz I. 1531 Federigo Gonzaga von Mantua ersuchte, ihm einen jungen Künstler zu schicken, der den Florentiner Rosso bei Ausmalung der Säle des Schlosses Fontainebleau unterstützen sollte. Gonzaga schickte ihm den Bolognesen Francesco Primaticcio, einen Schüler Giulio Romano's, der zuerst mit Rosso zusammen, dann selbständig in Fontainebleau mythologische Szenen malte, um mit dem Zyklus der Odyssee in der Ulyssesgalerie fortzufahren.

In abgerundeter Vollendung tritt uns in Rabelais' großem Roman Gargantua et Pantagruel die Kenntnis des Altertums entgegen. In dem prächtigen Brief Gargantua' s an seinen in Paris studierenden Sohn Panta- gruel wird dieser darauf hingewiesen, wie jetzt alle Disziplinen meder hergestellt, die Sprachen erneuert seien, besonders das Griechische, ohne

Samxon Primaticcio Rabelais Montaigne 123

welches es eine Schande wäre sich einen Gelehrten zu nennen; wie reich -die Welt an Gelehrten, an Druckwerken und Bibliotheken sei, wodurch das Studium so sehr erleichtert würde, und wie er deswegen von ihm verlange, daß er sich in ein Meer der Wissenschaft eintauche. Homer ist in diesem Brief nicht mit Namen erwähnt; aber die zahlreichen Zitate des Romans zeigen, wie gut Rabelais ihn kennt, und wie hoch er ihn schätzt. Er ist ihm der Vater aller Philosophie und Weisheit und dient ihm zur Bekräftigung der vorgetragenen Gedanken, z. B. auch für das Bild des vollkommenen Fürsten. Mit aller Schärfe wehrt er sich aber gegen die allegorische Auslegung des Epos, an die Homer niemals auch nur im Traume gedacht habe. Er spottet über die antiken Ausleger und ihren Nachbeter Polizian.

Der nämlichen Meinung ist Montaigne in seinen Essais. Er hält es geradezu für unmöglich, daß Homer alles das habe sagen wollen, was man ihn sagen lasse, um sich seiner Unterstützung zu versichern. Ausführlich spricht er von Homer und Virgil. Er behauptet, nur den letzteren zu kennen, und sagt, er glaube nicht, daß die Musen selbst den Römer übertreffen. Trotzdem hält er Homer für einen der hervor- ragendsten Menschen aller Zeiten: nicht sowohl, weil er Virgil zum Führer und Lehrer gedient hat, sondern aus anderen Gründen. Er hat die Welt die Mehrheit der Götter gelehrt und in einer Zeit, wo es noch keine systematische Wissenschaft gab, diese so gekannt, daß alle ihn als vollendetsten Kenner aller Dinge ansahen. Wider die Ordnung der Natur hat er die Poesie in ihrem Beginn schon vollkommen gemacht und ist gewissermaßen der erste and letzte Dichter. So urteilte das" ganze Altertum, und sein Ruhm ist nicht erloschen: nichts ist so be- kannt als seine Geschichten, die vielleicht nie geschehen sind. Alle Nationen führen ihren Ursprung auf diese erfundenen Geschichten zu- rück. Sogar Muhamed H. schrieb an Pius H., er wundere sich, daß sich die Italiener gegen ihn verbündeten, da sie doch beide von den Troern abstammten und Hektors Blut an den Griechen rächen sollten. Mon- taigne schließt aus den Zeugnissen und Erfolgen auf die Größe Homers und hütet sich, von seiner Poesie zu sprechen, die er nicht zu kennen erklärt.

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Homer beschränkte sich während der ersten Hälfte des Jahrhunderts auf die Hörsäle. Er wird an dem von Franz I. 1530 gegründeten College de France interpretiert. Am College Coqueret führt Jean Dorat 1549 die späteren Mitglieder der Pleiade in die griechischen Dichter ein. Daß Homer schon früher im Original gelesen wurde, zeigt Rabelais.

124 Frankreich und die Niederlande

Die Ausgaben, in denen er den Franzosen zugänglich war, waren zunächst die italienischen, denen bald die von Straßburg und Basel folgten. Nicht leicht ist in einer andern Zeit die Wissenschaft so inter- national gewesen wie in dieser. Erasmus, der hervorragendste Reprä- sentant des transalpinen Humanismus, gehört Frankreich, England und Deutschland an. Die Homerausgaben der rheinischen Städte stehen unter dem Einfluß Melanchthons und sind in Italien und Frankreich ebenso sehr begehrt wie in Deutschland. Die Ausgaben von Straßburg 1525, 1534, 1542, 1550 sind von Johannes Lonicerus, einem Schüler Melanch- thons, und Wolf Cephalaeus besorgt; der Text ist der der zweiten Aldina, verglichen mit der ersten Florentiner Ausgabe. Ihnen folgten die Ausgaben von Basel 1535 und 1541 bei Herwag. Der Text ist durchgesehen von Jakob Molsheym genannt Micyllus, einem Schüler Melanchthons, und Joachim Camerarius, Melanchthons Freund. Die Ausgabe von 1541 enthält am obem und untern Rand und an den Seiten einen griechischen Kommentar, die sog. Scholia Vulgata, die unberechtigter Weise dem Didymos, einem sehr fruchtbaren Gramma- tiker der Zeit Caesars und Augustus', zugeschrieben wurden. Gedruckt wurden sie zuerst 1528 in Venedig. Im Anhang enthält die Ausgabe die Homerischen Fragen des Neuplatonikers Porphyrios und dessen allegorische Erklärung der Nymphengrotte der Odyssee.

Neues brachte die Basler Ausgabe von 1551, die zum erstenmal neben dem Text eine wörtliche lateinische Übersetzung enthielt, nach verschiedenen Vorlagen. Eine solche Arbeit, die man damals Inter- pretation nannte, sollte den Studierenden das Eindringen ins Original erleichtem oder geradezu ermöglichen. Bessere Arbeit lieferte die grie- chisch-lateinische Ausgabe von Sebastian Castalio Basel 1561, der 1564 die später viel benutzte Straßburger Ausgabe von Giphanius folgte. Eine neue lateinische Version gab Aemilius Portus Lyon 1584 und 1609. Die Basler Ausgabe von 1551 war der Homer, aus dem Joseph Scaliger während seines ersten Pariser Aufenthaltes 1559 in wenigen Wochen Griechisch lernte, indem er sich aus Text und Übersetzung selbständig eine Grammatik und ein Wörterbuch zusammenstellte.

Während diese Ausgaben den Homertext ungefähr so wiedergaben, wie sie ihn von den Byzantinern überkommen hatten, legte nunmehr die französische Philologie den Grund zu einer wissenschaftlichen Gestaltung des Textes. Wie ihre großen Männer Guillaume Bude, Denis Lambin, Marcus Muret, besonders aber Henri Estienne, Joseph Scaliger, Isaac Casaubon, Claude Saumaise in großartiger Weise die wissenschaft- liche Durchdringung des gesamten Altertums in AngriflP nahmen und

Ausgaben Französische Philologie Spondanus 125

zum großen Teil durchführten, so wurde auch dem Homertext kritische Behandlung zuteil. Der Begründer der Textkritik ist Adrien Tourne- boeuf, Turnebus, der seit 1547 am College de France lehrte. Seine kritischen Studien, die in dem großen Werk Adversaria 1564 65 gesammelt sind, verwertete er für die von ihm 1554 herausgegebene Ilias. Sein Werk setzte Henri Estienne, Henricus Stephanus, fort, der Verfasser des Riesenwerkes Thesaurus Graecae Linguae, das 1572 erschien und die homerische Sprache in weitem Umfang be- rücksichtigte. Unter der ungeheuren Menge seiner Werke nimmt die Homerausgabe einen hervorragenden Platz ein. Sie bildet den ersten Band der Foetae Graeci principes lieroici carminis 1566. Auf Turnebus' Studien fußend, verglich er alle damals bekannten antiken Scholien und die Varianten aller Handschriften, die er auftreiben konnte, und schuf so einen kritisch gesichteten Text, der die Grundlage unserer Homer- vulgata geworden ist. Eine neue Auflage 1588 enthält die genau revi- dierte Übersetzung des Portus.

Noch fehlte ein wissenschaftlicher Kommentar. Diesen verfaßte Johannes Spondanus, Jean de Sponde, der im Dienste Heinrichs IV. stand und dessen Glaubenswechsel mitmachte. Fünfundzwanzigjährig gab er 1583 in Basel einen Homer mit der lateinischen Übersetzung des Andreas Divus und einem lateinischen Kommentar heraus, der zwar stark mit antiker Gelehrsamkeit beschwert, aber doch nicht ein bloßer Notizenkram ist. Nicht nur erklärt Spondanus Metaphern und Gleich- nisse, zieht zum Verständnis des einzelnen Verses andere Stellen heran und geht auf die Sitten der heroischen Zeit ein: ihm ist der innere Zusammenhang der Gedichte die Hauptsache, und in diesen dringt er mit ausgedehntester Kenntnis des Dichters ein. Eustathios wird dabei be- nutzt, aber Spondanus geht überall selbständig über ihn hinaus. Er bietet im Abendland die erste zusammenhängende ästhetische Erklärung Homers.

Von besonderen Arbeiten über Homer weiß ich aus dieser Zeit nur des Niederländers Eberhard Feith Äntiquitates Homericae zu nennen, ein groß angelegtes Werk, das in vier Büchern die Götter, den Staat, das häusliche Leben, den Landbau usf behandelte. Es ist eine äußerst fleißige, systematische Darstellung der homerischen Welt, deren einzelne Züge zuerst nach Stellen Homers gezeichnet sind, worauf sie jedesmal durch zahlreiche Belege aus andern antiken Autoren illu- striert werden. Es steht in seiner Zeit und noch lange ganz einzig da imd ist seiner Nützlichkeit wegen später wieder gedruckt worden.

In den Werken der französischen Humanisten zeigt sich überall die eingehendste Kenntnis Homers. Das gilt besonders von dem Riesen-

126 Frankreich und die Niederlande

werke des Isaac Casaubon, den Animadversiones zu des Atlienaeus DeipnosopMsten , eines um 200 n. Chr. in Form von Tischgesprächen geschriebenen Buches, das eine Masse kostbarer Auszüge aus der grie- chischen Literatur enthält. In Casaubon's Kommentar ist Homer an zahlreichen Orten zur Erklärung des Textes oder zur Unterstützung der Ansichten des Verfassers verwendet; einzelne Homerstellen werden auch einläßlicher besprochen.

Das bessere Verständnis des griechischen Altertums zeigt sich gegen die Mitte des Jahrhunderts auch in einem neuen Versuche, Homer zu übersetzen. 1545 veröffentlichte Hugues Salel die ersten zwölf Bücher der Ilias. Mit den Übersetzungen antiker Schriftsteller gedachte man den Kampf gegen die Unwissenheit zu unterstützen, und darum sind die Übersetzungsversuche auch so zahlreich. Mit dem angegebenen Zweck hängt es zusammen, daß die Übersetzungen ausschließlich franzö- sisch sind. Es fiel den französischen Gelehrten nicht ein, die gehobenen Schätze für sich zu behalten und das große Publikum davon auszu- schließen, wie die italienischen Humanisten taten; vielmehr sollten die antiken Schriftsteller die allgemeine Bildung befruchten.

Salel eröJÖPnet sein Buch mit einer Epitre de Dame Poesie an Franz I. Sie empfiehlt ihm ihren Liebsten Sohn Homer, durch den Dame Nature den Menschen zuerst ihre Geheimnisse offenbarte, durch den die Poesie ewigen Ruhm erlangte, und von dem die größten Geister des Altertums ihre Ideen empfingen, wie an verschiedenen griechischen Philosophen nachgewiesen wird, sowie Homer überhaupt für den Vater der Künste und Wissenschaften gilt: es sind die Gedanken des Buches Plutarchs Über Homer und der Ambra Polizians. Die Übersetzung soll keine Wiedergabe Vers für Vers sein; die Beiwörter im Rhythmus unter- zubringen, ist zu schwierig. Es genügt, wenn man die Absicht des Dichters erkennt. Den Übersetzer lohnt, wenn nicht voller Erfolg, so doch Anerkennung seines Strebens, vor allem aber das Wohlgefallen des Königs. Als Versmaß wählte Salel den gereimten Zehnsilbler, in dem die Romans des Mittelalters geschrieben waren. Die Übersetzung hält sich so getreu an das Original, als es in dieser Form möglich ist. Großen Schwung entfaltet sie nicht, aber sie stellt doch eine brave Leistung dar, zeugt von Verständnis und entbehrt auch nicht einer gewissen Kraft. Der Tod hinderte Salel an der Vollendung seines Werkes, das 1574 durch einen wirklichen Dichter, Amadis Jamyn, wieder aufgenommen und, wenigstens für die Ilias, zu Ende geführt wurde; von der Odyssee brachte er nur drei Bücher zustande. Jamyn hat statt des Zehnsilblers den Alexandriner gewählt, den Ronsard seiner

Salel Jamyn Du Bellay 127

größern Länge wegen gerade den Übersetzern empfohlen hatte. Die Übersetzung zeigt Salel gegenüber einen erheblichen Fortschritt. Die Sprache ist schwungvoll und kräftig und hat mehr vom Geist des Ori- ginals. Das AVerk wurde von der Pleiade mit Jubel begrüßt. Die Seele Homers, ruft Ronsard aus, ist in die von Jamyn übergegangen, um die Verse wiederzugeben, die einst Jupiter dem griechischen Dichter diktierte.

Mit dem Namen Ronsard treten wir in den Kreis der Pleiade^ jenes Bundes begeisterter junger Männer, die von Dorat in die antiken Dichter eingeführt worden waren und nun beschlossen hatten, der französischen Literatur die ihr fehlenden Dichtungsgattungen zu schenken und das Französische zu einer der hohen Poesie würdigen Sprache zu veredeln. Das Haupt der Schule war Pierre de Ronsard, ihr Herold Joachim du Bellay. Dieser schrieb 1549 das berühmte Manifest der „Brigade", die Defense et ülustration de la langiie frangaise.

Die französische Sprache bedarf nach Du Bellay vorläufig noch der antiken Muster, um den vollen Schmuck zu gewinneu, aber nicht auf dem Wege der Übersetzung, in die der Genius des Dichters nie- mals mit hinübergenommen werden kann, und die einem Verrate an der Poesie gleichkommt: traducteurs traditeurs. Wir müssen, gleich wie die Römer taten, die Alten studieren und sie in unser eigenes Fleisch und Blut verwandeln. So wird die französische Sprache selb- ständig werden. In den folgenden Anweisungen an die Dichter ist Du Bellay von Vida abhängig.

Am eifrigsten wünscht Du Bellay ein französisches Epos oder, wie er es nennt, le long poeme fran9ais. Mit feurigen Worten redet er den Dichter der Zukunft an, der durch Talent und Wissen, mit Kenntnis des menschlichen Lebens, in ungestörter Muße die arme Sprache ihr Haupt wird erheben lassen, daß sie sich stolz mit den alten Sprachen messen kann. Hat doch, sagt er, zu unserer Zeit Ariost das in seiner Landessprache geleistet. Wäre nicht die Heiligkeit der alten Gedichte, so würde es Du Bellay wagen, ihn mit einem Homer und Virgil zu vergleichen. Wie Ariost, der Stoff und Personen seines Gedichtes aus dem Französischen entlehnt hat, wähle der Epiker Frank- reichs einen der schönen französischen Romane, wie einen Lancelot, Tristan oder einen anderen, und lasse daraus eine bewundernswerte Ilias und eine sorgfältige Aeneis entstehen.

Kurz nach Du Bellay, 1555, schreibt- Jacques Pelletier du Mans die theoretische Poetik der Pleiade. Er hatte 1545 die Ars Poetica des Horaz ins Französische übersetzt und sich auch an die Odyssee gewagt, von der er drei Bücher fertig stellte. Sein Art poetique will

128 Frankreich und die Niederlande

den französischen Dichtern der Zukunft kurz und klar den Weg weisen, auf dem sie zum höchsten Ziel der Poesie, der Verbesserung der Mensch- heit, gelangen können. Das Erfreuende an dem Büchlein ist nicht die Originalität der Gedanken, sondern die ungemeine Frische des Vortrags, die von der pedantischen Breite der meisten Italiener rühmlich absticht. Kürze sei, sagt PöUetier, bei den Vorschriften geraten, durch die der Leser nur ermuntert werden soll die Vorbilder selbst zu studieren. Auch Pelletier ersehnt vor allem ein französisches Epos, das er gewöhn- lich rOeuvre heroique nennt, und als dessen Gegenstand er die Kriege bezeichnet. Sind die anderen Dichtungsarten Bäche und Flüsse, so ist das Epos ein Meer, die Form und das Bild der Welt. Die Vorbilder, die Pelletier gelten läßt, sind ausschließlich Homer und Virgil. Ariost gefällt ihm gar nicht, denn er findet bei ihm nur einen Haufen von Fabeln und Spielereien, die, anstatt zu gefallen, unangenehm sind wenigstens an einem solchen Orte.

In bezug auf die Übersetzung ist er nicht gleicher Ansicht wie Du Bellay. Er hält sie für die wahrste Art des Imitierens, durch welche die Sprache sehr bereichert werden könne. Aber damit, daß der Dichter französisch schreiben müsse, ist er ganz einverstanden. Oberstes Muster ist Homer. Gäbe es einen Weg, ihn zu übertreffen, so hätte Virgil ihn gewiesen, der kühnste Mensch, den es je gab. Denn er hat zwei der größten Dichter, Hesiod und Theokrit, übertroffen, Homer aber eingeholt, und auch diesen hätte er besiegt, wenn er nicht zu früh gestorben wäre. Er hat von ihm nur das Beste nachgeahmt und ihn vielfach verfeinert. Er vermeidet das Übermaß der homerischen Bei- wörter, die Wiederholung der Botenreden, die unwahrscheinlichen Ge- spräche vor den Zweikämpfen, Dinge wie die Erzählung des Achilleus über den Beginn des Streites. Aeneas kommt nicht schlafend nach Kar- thago wie Odysseus nach Ithaka. Solcher Tadel bildet aber nicht den Orundton der Schrift Pelletier's.

Alle Vorschriften über das Epos zeigen im zweiten Buch Abhängig- keit von Vida, dessen Urteil über Homer Pelletier im ganzen übernimmt; nur unterdrückt er den Tadel wegen der Retardationen. Bei einer Besprechung des Macrobius kommt er auf Virgil zurück, der aller- dings das Beste dem Homer verdanke, ihn aber doch oft auch bereichere und das Muster der Dichter der Zukunft sein müsse.

Dem Verlangen der Franzosen nach einem Epos kam Ronsard nach, der fest an seinen Beruf glaubte, Frankreichs Virgil werden zu sollen. Zwanzig Jahre lang arbeitete er an seinem Epos, ohne etwas zu veröffentlichen, bis ihn, wie es scheint, der Besuch Tasso's in Paris

Pelletier Ronsard 129

1570 71 veranlaßte, die ersten vier Bücher der Franciade 1572 als Probe drucken zu lassen.

Die Vorrede Au ledeur könnte man am ehesten als eine Auseinander- setzung- mit Tasso auffassen, wenn wir annehmen dürfen, daß dieser seine zwischen 1568 und 1570 in Ferrara vorg-elesenen Discorsi nach Paris mitgenommen habe. Ronsard legt das Hauptgewicht auf die Erfindung, die freilich nicht in der phantastischen und ungeheuerlichen Art Ariosts gemeint sein soll.

In der Franciade hat Ronsard, wie er ausführt, mehr die naive Ungezwungenheit Homers als die sorgsame Genauigkeit Virgils zum Muster genommen, immerhin nach Kräften beide nachgeahmt, auch im Stoffe. Denn der troische Krieg ist eine Erfindung Homers für die Aialdden, wie die Aeneis für die Kaiser erfunden ist, in Anlehnung an alte Überlieferungen. So knüpft auch Ronsard an die Nachrichten der Annalen über Francion, Hektors Sohn, an, behandelt aber die Geschichte selbständig. Die Franciade sollte also die Eroberung Galliens durch Fran- cus, den Astyanax der Ilias, bringen, der in Epirus erzogen wurde und auf göttlichen Befehl die Fahrt unternimmt. Ein Sturm verschlägt ihn aber nach Kreta, wo die Erzählung stecken bleibt. Die beiden ersten Bücher sind eine Sammlung von Abenteuern mit zahllosen homerischen Reminiszenzen, Landung und Empfang in Kreta dem Yirgil nachgeahmt, der Kampf mit dem greulichen Riesen Phouere nach dem geschmähten Ariost. Selbständiger tritt Ronsard im dritten Buche auf, das die erwachende Liebe der zwei Töchter des kretischen Königs zu Francus zum Gegenstand hat. Hier, in der Schilderung der Liebesschmerzen der Clymene, besonders in dem Brief, den sie an Francus schreibt, hat der Lyriker Ronsard eine Reihe wirklicher, unmittelbarer Schön- heiten erreicht. Die verschmähte Clymene kommt auf eine phantastische Weise ums Leben. Ihre Schwester Hyanthe, um die Francus wirbt, offenbart ihm im vierten Buche die Zukunft. Dido und Sibylle zugleich, läßt sie ihn die Gestalten der fränkischen Könige sehen und erzählt ihm deren Geschichten. Mit Pipin dem Kurzen bricht die Franciade ab. Ronsard sagt, der Tod Karls IX. habe ihm den Mut geraubt fort- zufahren; aber das klingt wie ein Seufzer der Erleichterung. Denn, wie wir aus dem Werke vernehmen, hatte der König verlangt, daß sämtliche 63 Könige Frankreichs vorgeführt werden sollten, damit er durch ihr Beispiel zur Tugend entflammt und vom Laster abgeschreckt würde. So hatte Ronsard alle Ursache, Virgil dafür glücklich zu preisen, daß er schon unter dem zweiten Kaiser gelebt und keine Könige zu besingen gehabt habe.

Finaler: Homer in der Neuzeit. 9

130 Trankreich und die Niederlande

Die Ursachen des Mißerfolges der Franciade liegen klar am Tage. Ronsard ist ein großes lyrisclies Talent, aber es fehlt ihm an der Er- findung, der Kunst der Erzählung, der Kraft der Charakteristik. In den vier vorliegenden Büchern geschieht eigentlich nichts. Aus Fetzen anderer Dichter, und seien sie noch so glänzend, läßt sich kein Epos machen. Man hat gemeint, der Fehler liege daran, daß das Gedicht keinen bekannten Helden habe, an dessen Namen sich eine denkwürdige Erinnerung knüpfe. Das hat Ronsard jedoch vorgesehen und sucht dem Mangel zu begegnen, indem er den Francus dem aus der Ilias be- kannten Astyanax gleichsetzt. Notwendig war es gewiß nicht; hat doch Boiardo mit fast lauter erfundenen Helden zu interessieren vermocht.

Nach Ronsards Tod erschien 1587 eine zweite, 1584 geschriebene Preface, die für lange Zeit die erste ganz verdrängte. Sie befaßt sich mit den Gesetzen der Poetik und ist eine ziemlich formlose Folge von allerlei Gedanken nach dem Vorgang der Italiener. Es sollte wohl eine Nachahmung der Ars poetica des Horaz sein. Leider übersah Ronsard, daß die Zwanglosigkeit des römischen Dichters keine Formlosigkeit bedeutet und ein Durcheinander noch keine horazische Ars poetica ist. Homer ist zwar in der Preface noch genannt, aber von seiner naiven Ungezwungenheit ist nicht mehr die Rede. Im Gegenteil bekennt Ronsard seine unbedingte Vorliebe für Virgil, den er schon in früher Jugend auswendig gekonnt habe und nicht vergessen könne. Wenn er sich häufiger auf ihn berufe als auf Homer, der doch sein Lehrer und Muster gewesen sei, so tue er das absichtlich, da die Franzosen Virgil besser kennten als Homer und die Griechen.

Das Maß der Franciade ist der mittelalterliche Zehnsilbler, den Ronsard auf Befehl Karls IX. wählte. Das Gedicht wurde mit En- thusiasmus begrüßt. Estienne Pasquier fand, Ronsard zahle die Ent- lehnungen aus Virgil mit so hohem Zins zurück, daß dieser ihm noch etwas schuldig zu sein scheine. In der Poetik von Vauquelin ist Ronsard unter die epischen Vorbilder eingereiht. Amadis Jamyn sagt in der Inhaltsübersicht der Franciade, Ronsard gleiche der Biene, die aus allen Blumen den Honig sauge. Durch seine Dichtung habe er die franzö- sische Sprache ungemein bereichert.

Ein zweites Epos dieser Zeit ist die Jtidith des Gascogners Guillaume Saluste, Seigneur du Bartas, des Gesandten und Kampfgenossen Heinrichs IV. Sein in Alexandrinern verfaßtes Gedicht begann er schon 1560 unter den Anregungen der Königin Jeanne de Navarre. Wohl sagt er in der Vorrede, er habe Homer und Virgil nachahmen wollen, und einzelne Züge lassen ja auf ein Studium dieser Vorbilder schließen;

Ronsard Du Bartas 131

aber die Erzählung folgt Punkt für Punkt ihrem Original, dem alt- testamentlichen Buch Judith, aus dem auch der hübsch belebte Abriß der jüdischen Geschichte stammt. An der Disposition ist nur ein Punkt geändert: der große Krieg, den Nebukadnezar gegen Medien führt, und mit dem die biblische Erzählung beginnt, ist in eine Erzählung ver- wandelt, durch die Holofernes der Judith seine Heldenhaftigkeit klar zu machen sucht, ein echt poetischer Kunstgriff. Ausweiterungen der Geschichte gibt es nicht. Dafür ist die biblische Erzählung in ein lebendiges und anschauliches Gedicht verwandelt. Einzelne Schilderungen sind geradezu packend, wie die der Leiden der Bewohner von Bethulia, denen die Feinde das Wasser abgegraben haben. Die Erzählung der großen Schlacht, wie überhaupt alles Militärische, entlehnt Du Bartas nicht bei Homer oder Ariost, sondern er zeigt darin die eigene Erfahrung. Köstlich geschildert ist das Trinkgelage bei Holofernes und sein Rausch, eingehend und wahr seine Liebesqualen, schön Judiths Monolog vor der entscheidenden Tat und der Lobgesang am Schluß. Götter gibt es bei Du Bartas natürlich nicht, abgesehen von einigen antiken Reminis- zenzen, aber auch keine Engel und Teufel wie bei Tasso.

Nicht in den Kreis unserer Betrachtung fällt Du Bartas' Haupt- werk, La Semaine ou la Creation du monde 1578. Denn neben schönen epischen Stücken ist es derart mit Rhetorik, Lyrik und Wissenschaft durchsetzt, daß es kaum mehr ein Epos genannt werden kann.

Man weiß, wie großen Erfolg Du Bartas besonders bei den Pro- testanten hatte. Eine besondere Huldigung läßt ihm Spondanus in seinem Homerkommentar zuteil werden, bei Gelegenheit des Achilleus- schildes. Nach einem begeisterten Preis dieser Poesie, die er der Schild- beschreibung Virgils weit vorzieht, sagt er, er wisse doch einen, den er damit vergleichen könne. Du Bartas, der ihm gleich hoch stehe wie alle Dichter, ja, der ihm, wenn er nicht selbst Homers Erklärer wäre für weit hervorragender als Homer gelten müßte. Er hebt besonders den auch von Goethe bewunderten siebenten Gesang der Semaine hervor, in dem Gott die geschaffene Welt betrachtet.

Eine Zusammenfassung der theoretischen Gedanken der Pleiade gibt Jean Vauquelin de la Fresnaye in dem Lehrgedicht L'Ärt poetique frangais, das er 1574 auf Wunsch Heinrichs HL begann, aber erst 1605 drucken ließ. Das Opus ist wortreich und breit, oft genug im Ausdruck unklar, und will den künftigen Dichter unterrichten. Von Vorbildern in der Poetik nennt Vauquelin Aristoteles, Horaz, Vida und Mintumo. Es ist das erstemal, daß wir Aristoteles in einer französischen Poetik verwendet finden. Nicht daß seine Poetik ganz unbekannt ge-

132 Frankreich und die Niederlande

wesen wäre. Erasmus hatte sie 1531 in Basel drucken lassen, eine Ausgabe erschien 1541 in Paris, eine weitere 1555, veranstaltet von Guillaume Morel, einem Schüler von Tumebus. Nach und nach wurde die Poetik sehr bekannt und angesehen; aber die Theoretiker der Ple- iade scheinen sie nicht benutzt zu haben. Du'Bellay kennt sie offenbar nUr aus den Italienern. Pelletier zeigt an einer Stelle, daß er das Original kennt. Aristoteles hatte gesagt, es sei ein geringerer Fehler, wenn ein Dichter nicht wisse, daß eine Hinde keine Homer habe, als wenn er sie unkenntlich darstelle. Das korrigiert Pelletier und meint, es liege bei jenem Dichter keine Unkenntnis der Natur und des Wesens der Hinde, sondern nur eine Unachtsamkeit vor. Woher er gewußt hat, daß der Dichter Pindar ist, kann ich nicht sagen. Bei Aristoteles fehlt der Name, und ebenso in den großen Kommentaren der Poetik, die vor Pelletier erschienen, Robortello 1548 und Maggi 1550; erst bei Vettori 1560 ist er genannt.

Ronsard berührt sich zuweilen mit Aristoteles, kennt ihn aber doch nur durch das Medium Minturno's und Tasso's. Bei Vauquelin finden sich häufigere Spuren der aristotelischen Poetik, die aber, wie Spingarn gezeigt hat, sämtlich aus Mintumo stammen; dieser ist neben Virgil sein wesentlichster Führer. Von Mustern des Epos nennt er außer Homer und Virgil den Statins, Dichter einer Thebais um 45 bis 90 n. Chr., den Apollonios Rhodios mit seinen Argonautica, Ovids Metamorphosen, dann fast im selben Range Tasso, der drei Dinge ver- einigt habe, eine lange Belagerung, eine Irrfahrt und manche Liebes- geschichte. Ariost findet bei ihm mehr Gnade als bei Ronsard. Dieser, notre grand Ronsard, nimmt bei Vauquelin durchaus die Stellung eines Klassikers ein; nur bedauert er, daß die Franciade nicht in Alexandrinern verfaßt sei, und macht nun selbst ein Proömium dazu, um zu zeigen, wie schön das geklungen hätte. Mit Ronsard ist er auch deswegen nicht zufrieden, weil er die alten Götter in das französische Epos ein- führte. Darin hat er ganz Recht; die Götter Ronsards sind unerträglich. Mit Nachdruck verlangt Vauquelin ein Epos und stellt die Gerusalemme als Muster hin. Du Bartas hat er nicht genannt, offenbar weil dieser ein Hugenott war.

Die Übersetzung beurteilt er milder als Du Bellay; wenn der antike Dichter treu wiedergegeben werde, so habe die Jugend den Vor- teil davon, daß sie ohne Griechisch und Latein in diese Dichtungen ein- dringen könne. So habe Salel Homer angenehm übersetzt, Jamyn ihn so wiedergegeben, daß dem Original kein Unrecht geschehe. Virgil stellt Vauquelin über alle Griechen, auch über Homer. Hätte, sagt er,

Vauquelin Aristoteles Certon 133

Aristoteles ilm gekannt, er würde ihn allen Tragödien, allen heroischen Versen vorgezogen haben. Wohl steht er an Alter hinter Homer zurück, aber im Rang ist er der Erste der Welt.

Den Abschluß der Bestrebungen des 16. Jahrhunderts bildet die Homerübersetzung von Salomon Certon. Er nahm zuerst die bisher fast ganz vernachlässigte Odyssee in Arbeit. In der Widmung an Heinrich IV. 1604 vergleicht er Charakter und Schicksal des Königs mit denen des Odysseus. Im Jahre 1615 war auch die Ilias vollendet, die Certon, zusammen mit der Odyssee und den kleinen Gedichten Homers, Ludmg XIII. dedizierte. Die Übersetzung, in angenehm zu lesenden Alexandrinern geschrieben, befleißt sich der größten Ge- nauigkeit. Die homerischen Beiwörter werden, wie bei Ronsard und Du Bartas, durch oft sehr kühne Neubildungen wiedergegeben. Das Unternehmen ist nicht durchaus geglückt, aber die treuherzige Einfachheit und die ungekünstelte Wahrheit, die Certon erstrebt und erreicht, geben den homerischen Ton, so viel es möglich war, wieder, und an zahlreichen Stellen erhebt sich der Ausdruck zu großer poetischer Schönheit. So haben die Franzosen, was den Italienern des 16. Jahrhunderts durchaus fehlte, einen zuverlässigen und schönen Homer in ihrer Sprache erhalten.

Certon's Übersetzung ist das letzte Denkmal einer großen Zeit. Sie fällt bereits in eine Periode, in der es mit der Kenntnis des Grie- chischen in Frankreich übel bestellt war. Von vornherein hatte die Kirche dessen Eindringen argwöhnisch betrachtet. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts fangen die großen Philologen, meist Pro- testanten, den Universitäten zu fehlen an. Der Sieg des Katholizismus ächtet das Griechische, dessen Pflege rasch sinkt. Die Pleiade versteht es noch gut, aber sie wendet sich, höfisch wie sie ist, mehr und mehr den Lateinern zu. Noch in der Vorrede Au lecteur zieht Ronsard Homer dem Virgil vor, aber in der späteren Preface gibt er entschieden diesem den Vorzug, wie vor ihm Pelletier und nach ihm Vauquelin getan haben. Es ist wahrscheinlich, daß auf diese Veränderung ihres Urteils Scaliger gewirkt hat.

Julius Caesar Scaliger, der gelehrte, von Franz I. in Frank- reich naturalisierte italienische Kriegsmann, schrieb eine Poetice j die zuerst 1561 gedruckt wurde, ein Werk, das ebensogut zur italienischen als zur französischen Renaissance gerechnet werden kann. Es gleicht der Poetik Vida's darin, daß der dichterische Genius zwar anerkannt und seine Freiheit verkündet, von diesen schönen Dingen aber im weiteren kein (Gebrauch gemacht wird. Während Vida von Horaz aus- geht, kennt Scaliger außerdem die Poetik des Aristoteles. Aber sie ist

134 Frankreich und die Niederlande

ihm keineswegs maßgebendes Gesetzbuch der Poesie. Er findet sie ver- stümmelt, um nicht freimütiger zu reden, und hält es an verschiedenen Orten für angezeigt, ihre Definitionen durch genauere zu ersetzen. Man ist ganz erstaunt, fast am Ende des Buches Aristoteles unsern Im- perator, den ewigen Diktator aller edlen Künste nennen zu hören, denn Scaliger ist in grundlegenden Fragen gar nicht mit ihm einverstanden. Nicht die Wiedergabe, Mimesis, ist ihm das Charakteristische der Poesie, sondern der Vers. Deshalb ist es nach ihm auch nicht richtig, wenn Aristoteles einen in Verse gebrachten Herodot nicht als Poesie, sondern nur als Geschichte gelten lassen will: ein solcher Herodot wäre historische Poesie. Deren Endziel ist nicht die Wiedergabe, sondern die Belehrung in erfreuender Form; durch sie sollen die Menschen zur richtigen Ver- nunft geführt werden, durch die der Mensch das vollkommene Handeln, die Glückseligkeit, erreicht. Auch soll die Poesie nicht, wie Aristoteles meint, Handlungen, sondern Affekte darstellen. An Aristoteles' Poetik tadelt Scaliger den gänzlichen Mangel an Ordnung. Auch Horaz lehre ohne alle Kunst, so daß seine Ars poetica eher eine Satire genannt werden müsse, und Vida habe zwar nützliche Lehren, vervollkommne aber nur den Dichter, der es schon sei. Dagegen will nun Scaliger ein Lehr- buch verfassen, nach welchem sich ein wahrer Dichter bilden kann. Denn die Poesie kann erlernt werden. Poetische W^issenschaft ist das Resultat der Anordnung aller Vorschriften, durch die wir zur Bildung dessen, was man Poesie nennt, angeleitet werden.

Nun gibt es in jeder Gattung von Dingen ein Erstes und Richtiges, nach dessen Norm und Art sich die übrigen zu richten haben. Diese Norm wird auf dem Wege der philosophischen Erwägung gefunden. Es ist ganz falsch, alles auf Homer als auf die Norm zu beziehen; vielmehr muß auch Homer an der Norm gemessen werden. Norm ist für die übrigen Dichtungsgattungen das Epos; für dieses bietet sie sich in Virgil, dem Einzigen, der den Namen eines Dichters verdient, und der in der Darstellung der Gegenstände der Kunst eine zweite Natur genannt werden kann und deshalb zum Vorbild am geeignetsten ist. Sein Aeneas ist ein Ideal im Sinne des Sokrates, dessen Vollendung mit der Natur selbst in der ganzen Gattung wetteifert, die einzelnen Indi- viduen aber übertrifft. Daher operiert Scaliger in den Büchern, die von poetischer Darstellung handeln, fast ausschließlich mit Beispielen aus Virgil. Der römische Dichter verdrängt die theoretische Erörterung beinahe vollständig.

Auf Grund der gewonnenen Vorschriften kami der Dichter durch Nachahmung der Vorbilder und durch Urteil gebildet werden, zwei Dinge,

Scaliger 135

die insofern verbunden sind, als man sich das Vorbild nur durch eigene Prüfung erwerben kann. Zwar findet Scaliger die Nachahmung eigent- lich nicht notwendig, da ja die frühesten Dichter auch keine Vorbilder hatten. In der Gegenwart aber, die der heimischen Sprache, d. h. dem Lateinischen, fremd geworden ist, haben wir die Vorbilder nötig. Ist doch sogar Horaz, der die Nachahmer verspottet, selbst ein solcher gewesen. Durch Urteil also gelangen wir zur Wahl des richtigen Vorbildes und wahrer Selbstkritik. Um das Urteil fruchtbringend zu gestalten, hat Scaliger eine ungeheure Vergleichung zwischen den griechischen und römischen Dichtern und wiederum dieser unter sich angestellt. Daß dabei den Römern und von diesen dem Virgil der Preis zufällt, kann nicht mehr auffallen. Uns beschäftigt vor allem die Parallele mit Homer.

Von diesem war gelegentlich schon früher die Rede gewesen. Er- wähnt mag besonders sein, daß Scaliger die Ansicht bestreitet, als ob Homer die Komödie und Tragödie erfunden habe; vielmehr habe er die Fabeln, die er seinen Gedichten einverleibte, in Ithaka und Chios von Bauern und alten Weibern gehört. Wenn wir von der gehässigen Wendung absehen, verdient es hervorgehoben zu werden, daß nach Scaligers Ansicht Homer seinen Stoff nicht erfunden hat. Diese Meinung hat er auch ausdrücklich verworfen und behauptet, Homers Fabeln hätten lange vor ihm im Munde der Menschen gelebt. Doch hat Homer, und damit beginnt die Parallele mit Virgil, die Kunst der Poesie eher erfunden als ausgebildet, Virgil dagegen die roh übernommene zur höchsten Vollendung gebracht. Jener verschwendet, dieser sammelt; jener hat zerstreut, dieser geordnet. Die bürgerliche Klugheit und kriegerische Tüchtigkeit, die jener uns in Odyssee und Ilias vorführt, hat dieser in Aeneas vereinigt und die Pietät hinzugefügt. Virgil unterscheidet sich von ihm wie eine vornehme Dame von einem plebeischen und läp- pischen Weibe. Übrigens gab es vor Homer einen, der ihn zwar nicht an Größe des Stoffes, wohl aber an Feinheit und Glätte des Stils über- traf, Musaios, den Dichter des kleinen Epos Hero und Leander. Seine Verse findet Scaliger von allen Griechen allein denen Virgils ebenbürtig. ScaHger hat sich die lächerliche Blöße gegeben, daß er den Dichter des 6. Jahrhunderts n. Chr. für identisch hält mit dem mythischen Sänger Musaios und sogar meint, Homer habe Verse von ihm übernommen und verschlechtert.

Darauf folgt eine Menge von Vorwürfen gegen Homer. Er hat seinen Göttern die ruchlosesten Taten und Worte angedichtet, die sich durch allegorische Erklärungen nicht retten lassen. Wie will man z. B. die Geschichte von Ares und Aphrodite physikalisch erklären? Sodami

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ist doch die Gescliichte von den Sonnenrindern kindisch; wäre der allschauende Helios nicht von seiner Tochter Lampetie von dem Frevel unterrichtet worden, so müßten die armen Rinder noch heute ungerächt im Elysium herumirren. Er hätte doch durch den Bratenduft geweckt werden müssen, wenn er im Osten schlief. Daß Aphrodite von einem Menschen verwundet wird, geht noch an, aber daß es auch dem Ares geschieht, ist unerträglich, und dessen Klagen und Scheltreden sind ab- scheulich. Die Reden in den Schlachten sind so lang, daß der Tag für die Torheiten nicht ausreichen würde. Der geschwätzige Achilleus stößt in der Versammlung Drohungen eines Elenden aus; dann weint er bei der Mutter, und das soll der Mann sein, dem Hektor erliegt. Eine faule Lüge ist es, daß alle Götter dem Zeus zürnten; sie waren ja nach den Parteien geteilt und konnten nicht alle über die Begünstigung der Troer zürnen. Nichts ist langweiliger, putidius, als Hektors Tod und die dummen Klagen um ihn. Priamos fragt erst im zehnten Jahre des Krieges nach den Namen der feindlichen Führer, während diese ihre Feinde beim Namen nennen, als wären sie einander längst vertraut. Odysseus schießt die Freier tot, von denen ihn nur ein kleiner Zwischen- raum trennt: warum griffen sie ihn nicht an? Des Achilleus Pferde sprechen: was kaim man mehr erwarten? Nestor klagt, sein Sohn Anti- lochos sei bei Troja gefallen, während dieser doch dort im Wagenrennen gesiegt hat und nach Hektors Tod keine Kämpfe mehr stattfanden. Wiederum weint Achilleus, nicht ohne große Ursache, bei seiner Mutter darüber, daß die Fliegen die Wunden des Patroklos anfressen; er konnte wohl niemand anstellen, der sie mit eiuem Wedel verscheucht hätte. Zeus donnert, während es schneit: das haben wir nie gesehen. He- phaistos macht Dreifüße, die selbst laufen; warum nicht auch Kessel, die selbst kochen? Bei der Beschwörung der Schatten fehlt jede Kunst, und wie lächerlich ist es, daß sie des Odysseus Schwert fürchten! Die Rüstung Agamemnons wird im elften Buche beschrieben, während das ins zweite gehört hätte. Beim Mahle singt Demodokos schändliche Göttergeschichten, Yirgils lopas dagegen Dinge, die eines Königs würdig sind. Die Worte der Sirenen sind so gewöhnlich, daß sie nicht einmal Scaligers Koch zum Tanzen gebracht hätten, geschweige daß sie den Odysseus in Gefahren locken konnten. Und wissen möchte man auch, wo die Ambrosia war, welche die Pferde der Here fraßen.

Zur Diktion übergehend, tadelt Scaliger die kindischen, unpassend angebrachten Beiwörter Homers und führt darauf eine Unmasse von Stellen an, die Virgil von jenem übernommen und im Sinne einer echt poetischen Kunst umgestaltet habe. Besonders zeigt er das an

Scaliger 137

den Gleichnissen. Die Nachweise darüber füllen achtzig enggedruckte Seiten der Poetice. Überall, so lautet sein Urteil, zeigt sich die an- endliche Kunst Virgils. Aus homerischer Trockenheit und Dürre wird bei ihm Pracht und Fülle, aus Weitschweifigkeit und Geschwätzigkeit wohltuende Knappheit und erhabener Ernst. Niedrige und abgeschmackte Bilder erhebt er zu poetischer Schönheit, Ungeheuerlichkeiten führt er auf ein besonnenes Maß zurück. An Anschaulichkeit und Frische übertrifft er Homer weit, dem er nie eine Stelle entnommen hat, ohne sie zu verbessern. Es ist falsch, ihn einen Nachahmer zu nennen; vielmehr hat er, was an Homer groß ist, erst zur Vollendung geführt^ wie er auch alle andern alten und neueren Dichter übertrifft.

Besonders unzufrieden ist Scaliger mit dem Achilleusschild, der viel Wertloses und Kindisches enthalte. Vor allem sieht er nicht ein^ wie die Figuren des Schildes eine Bewegung darstellen könnten. Heere können wohl schreitend dargestellt werden, aber wie, daß sie ans Ziel gelangen und sich niederlassen? Die belebte Schilderung der Szenen auf dem Schild, besonders die der Schlacht, hatte schon die antike Kritik beschäftigt. Eustathios weist die Meinung, die Figuren seien belebt gewesen, als Faselei zurück, denn Homer sage ja deutlich, sie hätten sich gleich lebenden bewegt. Er führt aber eine Vermutung an, nach der die Figuren beweglich gewesen und durch Maschinerie in Bewegung gesetzt worden seien. Daß Scaliger die Stelle nicht gekannt hat, sieht man. Für ihn ist alles das, auch die Darstellung der feinen Stimme des Sängers und des Stiergebrülls, nur homerische Torheit, die sich unter einem Wortschwall versteckt.

Nachdem Scaliger die massenhaften Vergleichungen der einzelnen Dichter durchgeführt hat, sitzt er über die lateinischen Poeten von Plautus bis auf seine Zeit zu Gericht. Die großen italienischen Dichter und die aufblühende französische Poesie existieren für ihn nicht; nur die lateinischen Produkte werden der Berücksichtigung gewürdigt. Hier ist er genau so einseitig wie in seinem Urteil über die Griechen, von deren Literatur er übrigens nicht allzuviel verstand, wie ihm sein großer Sohn Joseph Scaliger bei Gelegenheit des Urteils über Musaios aus- drücklich bezeugt hat.

Scaligers Poetice verkündet einen fürchterlichen Regelzwang, der geeignet gewesen wäre, jedes poetische Leben zu töten. Wenn sie nicht so viel Unheil angerichtet hat, als man erwarten könnte, so rührt das daher, daß in ihr das Schwergewicht weder auf Aristoteles noch auf der Vernunft, sondern auf dem aufgestellten Muster Virgil oder mit andern Worten auf Scaligers souveräner Eigenmächtigkeit und seinem

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nationalen Hochmut als Nachkomme der Römer ruht. Die spätere fran- zösische Kritik, die sich ihre Grundlage durch die Gleichstellung der Begriffe Raison und Aristoteles schaffte, komite sich Scaliger nicht ohne weiteres anschließen. In Italien finde ich den Einfluß des Buches da und dort schon im 16. Jahrhundert, doch nicht allzu oft. Beni hat sich wider Polizians Homerbegeisterung auf Scaliger berufen. Stärker erscheint dessen Einfluß bei Sir Philip Sidney. Dagegen bildeten die Angriffe auf Homer, von denen ich nur Proben geben konnte, für viele eine auserlesene Rüstkammer. Die Bedeutung der Poetice für Frankreich bestand zunächst vornehmlich in der Unterstützung der Bestrebungen, die man als Latinisierung der Bildung bezeichnet, der unbedingten Bevorzugung der lateinischen auf Kosten der griechischen Literatur.

Die griechische Wissenschaft, die im 17. Jahrhundert aus Frank- reich so gut wie vertrieben war, fand in den Niederlanden eine Heim- stätte, vor allem an der 1575 gegründeten Universität Leyden. Daß die Homerstudien eifrig gepflegt wurden, ersieht man aus zahlreichen Stellen der gelehrten Werke der Niederländer und der dort wirkenden Franzosen, wenngleich solche nicht speziell von Homer handeln. So preist Justus Lipsius, der an der Spitze der glänzenden Reihe der niederländischen Gelehrten steht, mehrmals Homer mit fast überschweng- lichen Worten und kann nicht begreifen, wie man ihm Virgil vorziehen könne, der so tief unter ihm stehe.

In Holland erschien auch die im 17. Jahrhundert weit verbreitete Homerausgabe von Cornelius Schrevelius, Amsterdam 1656, sehr schön gedruckt, aber unsorgfältig. Meric Casaubonus, des großen Isaac Sohn, unterzog die Ausgabe einer scharfen Kritik, die sich wesent- lich gegen die beigefügte, fehlerhafte lateinische Version des Andreas Divus richtete. Meric verweist die Studenten auf Portus und Castalio, rät ihnen aber, sich noch lieber bei Eustathios und den Schollen Rat zu holen.

Am Ende des Jahrhunderts sehen wir die Niederlande literarisch im engsten Kontakt mit Frankreich, besonders weil sich zahlreiche Franzosen dort aufhalten und die literarischen Vorgänge in ihrem Vater- lande eifrig erörtern. Eine Menge von französischen Werken der Zeit sind in den Niederlanden gedruckt oder neu aufgelegt worden. Aber schon in der ersten Hälfte des Jahrhunderts übt die niederländische Gelehrsamkeit ihre W^irkung auf Frankreich aus, vor allem in den Werken über Poetik. Der zunehmende Klassizismus machte den Fran-

Heinsius Vossius 139

50sen eigentliche Lehrbücher erwünscht. Daniel Heinsius veröffent- lichte 1611 eine Ausgabe der Aristotelischen Poetik mit guter latei- nischer Übersetzung. Sein gleichzeitiges Werk De tragoediae constitu- tione war von großem Einfluß auf die Theorien der französischen Dramatiker. Im 17. Kapitel trägt Heinsius eine ganz neue Ansicht über Homer vor. Er weist darauf hin^ daß nach den Nachrichten der Alten Sophokles sich am meisten an Homer angeschlossen habe. In Erhabenheit der Sprache und Wortwahl unterscheide sich nämlich die Tragödie nicht vom Epos, nur wenig in der Handlung und deren Dis- position, die Affekte seien die nämlichen. So könne Piaton Homer den ersten der Tragiker nennen. Dasselbe lasse sich von Virgil sagen, dessen Sprache die tragische Würde erreiche. Sophokles und Virgil hätten die Vorzüge Homers nachgebildet, aber den Schmutz und die Torheiten der Grammatiker weggelassen, wie sie sich jetzt in den Ausgaben in großer Zahl fänden. Heinsius ist überzeugt, daß wir den wahren Homer nicht haben. Schon die kleine aristotelische Poetik hat Homer- stellen, die in unserem Homer nicht stehen. Die Grammatiker, diese Henkersknechte, haben uns einen Schatten, ein Scheinbild Homers ge- geben. Nach ihrem Gutdünken haben sie geändert, wiederhergestellt, gestrichen. Die sich die gewissenhaftesten dünkten, füllten zutage tretende Defekte oder Lücken mit Versen, die beim Dichter an anderen Stellen standen. Daher kommt es, daß es so viele eingeschobene und törichte Halbverse gibt, die gar keinen Zusammenhang haben. So ist das Ge- dicht Virgils die beste Ausgabe Homers und in dem, was er nachbildete, Richtschnur der Nachahmung. Ebenso nützlich ist Sophokles. Wären alle seine Werke erhalten, so würde niemand in der Tragödie einen homerischen Vorzug vermissen.

Man muß bedauern, daß Heinsius sich nicht ausführlicher ausge- sprochen hat. Wemi er zugibt, daß Homer schwere Mängel habe, aber dafür die Überlieferung verantwortlich macht, so betritt er den Weg der Kritik, freilich nach dem sehr gefährlichen Grundsatz, daß alles unecht sein müsse, was der willkürlich gestellten Forderung der Würde Homers nicht entspricht.

Es folgen 1647 die Poeticae Institutiones von Gerhard Joannes Vossius, ein Werk, das sich im ganzen an Julius Caesar Scaliger an- schließt, aber viel klarer und übersichtlicher ist, weil alles Technische in den Unterricht über die Redekunst verwiesen wird. Von Aristoteles ist so gut wie gar nicht abgewichen; aber der Stoff ist systematisch zurechtgerückt und in knappe Lehrsätze gebracht, denen nur kurze Erläuterungen aus antiken, zuweilen auch modernen Schriftstellern folgen.

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Horaz ist ausgiebig benützt. Die Geringschätzung, die Scaliger gegen Homer hegte, teilt der Niederländer durchaus nicht; ja, er stellt ihn in der poetischen Ökonomie über Virgil. Das Werk errang sich besonders in Frankreich den Rang eines förmlichen Gesetzbuches der Poesie. In der Schrift über das Alter der Dicliter stellt Vossius die wichtigsten Zeugnisse zusammen und urteilt, die Zeit Homers müsse auf die erste' Olympiade oder die Zeit der Gründung Roms, also auf die Mitte des 8. Jahrhunderts angesetzt werden.

Über homerische Geographie verbreitet sich der in Leyden wirkende Danziger Philipp Cluverius, der in seinen majestätischen Werken Sicilla antiqua 1619 und Italia antiqua 1624 die Resultate gründlichster Studien und eigener, durch Reisen gewoimener Anschauung niederlegt. Von hohem Interesse sind besonders die Darlegungen über die Irrfahrten des Odysseus, die er an der Hand der antiken Nachrichten zu lokalisieren sucht. Odysseus kommt vom Kap Malea zu den Loto- phagen an der kleinen Syrte, von dort auf die Ziegeninsel Aigussa, Capraria in der Gruppe der ägatischen Inseln. Gegenüber am Berge Eryx war die Höhle des Kyklopen. Von hier gelangt Odysseus zu Aiolos, der auf der Insel Lipära wohnt; dann fährt er, mit dem Schlauch, des Aiolos im Schiff, um Sizilien herum, bis er Ithaka's ansichtig wird. Die Torheit der Gefährten treibt ihn zurück, obwohl es sehr fabelhaft klingt, daß ein und derselbe Sturm ihn von Ithaka um Sizilien herum wieder nach Lipara getragen haben sollte. Die Laistrygonen sind bei Formiae in Latium zu suchen: der Hafen, den Homer beschreibt, ist entweder derjenige von Cajeta, oder es ist hier Dichtung eiagemischt. Kirke wohnt auf dem Gebirge Circei, das noch heute von fem wie eine Insel aussieht. Die Kimmerier, deren Wohnsitz am kimmerischen Bos- porus Homer wohl kannte, versetzte er zweckmäßig nach Cumae, und am Avernussee steigt Odysseus in den Hades nieder. Mit der Erwähnung des Okeanos hat Homer seinen gelehrten Erklären! nur einen Streich spielen wollen, da an eine Fahrt in den Atlantischen Ozean unmöglich gedacht werden kann. Odysseus gelangte auf einem Flusse, den Homer Okeanos nennt, ins Mittelländische Meer zurück. Die Insel der Sirenen ist Capri, Skylla und Charybdis die Straße von Messina, die Insel der Kalypso Melite Malta, Scheria Corfu. Cluverius entschuldigt sich, daß er weitschweifig geworden sei; aber es lohne sich schon, die absurde und lächerliche Meinung derer zu widerlegen, die Odysseus in den äußersten Meeren herumschweifen lassen, ohne dafür genügende Gründe zu haben.

Die Resultate des Cluverius nimmt der Franzose Samuel Bochart in- der Geopraphia Sacra 1646 auf, nicht ohne gelegentliche Polemik.

Cluverius Bochart Vossius 141

Bochart hat sich die Aufgabe gestellt, die Spuren der Phöniker auf- zusuchen, die bald nach Josua das ganze Mittelmeer besiedelten, und aus deren Sprache alle geographischen Namen zu erklären sind. Er wendet eine umfassende Gelehrsamkeit an, um seine Phöniker an allen Ecken der Welt aufzufinden, ja, er entdeckt auch in den griechischen Fabeln viel Phönikisches, sei es nun, daß die Phöniker durch ihre Ety- mologien den Griechen etwas weismachten, sei es, daß diese an die un- verstandenen fremden Wörter ihre Fabeleien anknüpften. Eine Reihe der Dinge, die Odysseus bei Homer erzählt, sind so zu erklären. Wie uns Suidas, ein byzantinischer Lexikograph des 10. Jahrhunderts, be- richtet, fischten Phöniker den von der Charybdis hertreibenden Odysseus auf und brachten ihn nach Kreta zu Idomeneus, der ihn nach einem Winter nach Korkyra führte. Bei dieser Gelegenheit, meint Bochart, erfuhr Odysseus allerlei, was er weiter verbreitete, und was denn auch Homer zu Ohren kam.

Am Schluß seiner Vorrede spricht Bochart die Hoffnung aus, daß vor dem neuen Lichte die Fabeln der Griechen verschwinden werden, wie vor der Sonne die Spukgestalten, welche sich Kinder im Dunkeln erfinden. Auch hofft er viele zum Studium des Hebräischen anzuregen, wenn sie erkennen, daß in ihm die Quelle der ältesten Dinge zu finden sei. Diese Bemerkung führt uns auf eine Literatur, die in allen Ländern auftaucht und deshalb zusammen besprochen werden muß. Es handelt sich um das Verhältnis der alten Mythologie und besonders Homers zur Bibel.

Zuerst untersuchte Gerhard Vossius 1641 den Ursprung der heidnischen Religionen. Der Ausgangspunkt war gegeben, da der Forscher die Urgeschichte des Menschengeschlechts in der Genesis er- blickte. Da hier, im Anfang der Dinge, die wahre Religion geherrscht hatte, mußten alle andern notwendig verderbt sein. Von den Römern ausgehend, wandert Vossius über Sizilien und Griechenland nach Osten und findet da den Ursprung fast aller Götterfabeln. Er entdeckt, daß in den griechischen Mythen klare Überreste der ursprünglichen Ge- schichte erkennbar sind, derjenigen von Adam, Noah, Joseph usf. Der älteste Neptun ist Japhet, der älteste Bacchus Noah, der die Rebe pflegt, der älteste Vulcan Thubalkain. Neben diesen Urbildern entstanden die Götter der Heiden aus der Verehrung verstorbener Menschen, Teilen der sinnlichen Welt oder Affekten. Gestützt werden die Argumente durch die unglaublichsten Etymologien und Heranziehung der krassesten Fabeln. Die Aufgabe des imposant gelehrten Werkes erblickt Vossius

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in der Herstellung einer richtigen Auffassung der alten Religionen und Aufdeckung der Ursachen ihrer Abirrungen.

Von Vossius stark beeinflußt war Edward Stillingfleet, der 1662 über die Grundlagen des christlichen Glaubens schrieb und sich auch über den Ursprung der heidnischen Mythologie verbreitete. Auch er erkennt in der heidnischen Überlieferung Spuren der alten Wahr- heit, die durch stufenweisen Verfall des Wissens und zunehmende Bar- barei verdunkelt worden sei. Im einzelnen lehnt er sich stark an Vossius an, zitiert aber oft auch Bochart und seine Ableitung der Griechenfabeln von den Phönikern.

Ebenfalls auf Vossius geht Louis Thomas sin' s dreibändiges Werk zurück Methode d'etudier et d^enseigner solidement ei chretiennement les lettres humaines. Seine Absicht geht dahin zu zeigen, daß die alten heidnischen Dichter von christlichen Lehrern mit großem Erfolg der Jugend vorgelegt werden können, wenn sie ihr klar machen, wie sich schon bei jenen die Wahrheiten der christlichen Religion vorfinden. Das Werk zeugt von einer ganz außerordentlichen Gelehrsamkeit; die griechischen und römischen Dichter, wie auch die Kirchenväter stehen Thomassin im vollen Umfang zu Gebote. Und, was bei einem Franzosen seiner Zeit nicht häufig ist: er kennt die Griechen im Original, obwohl er ihren Text gewöhnlich lateinisch zitiert, offenbar um der Leser willen.

Er beginnt mit den Stellen der Kirchenväter, welche die Lektüre der Dichter für nützlich erklären, und zeigt, wie die Alten besonders im Epos Lehren der Religion, Weisheit, Tugend und Frömmigkeit fanden. Für Homer ruft er dabei Horaz an. Der Charakter des Achilleus, sagt er, ist gut im Sinne der aristotelischen Poetik, weil er dem Träger dieses Charakters angemessen ist. Er flößt uns Bewunderung für seine brutale Tapferkeit und zugleich Schauder ein und verbindet mit den Heldentaten die Folgen der verderblichen Leidenschaft.

Sodann geht Thomassin auf die Vergleichung der Dichter, zunächst Homers, mit den heiligen Schriften über. Eine sorgfältige Darstellung der Wahrheiten der Religion und eine genaue Inhaltsangabe der homerischen Epen scheint zuerst die größten Gegensätze zu ergeben. Wir finden diese Epen tief unter der heiligen Schrift stehend; aber ver- glichen mit den anderen Nationen des blinden Heidentums erweist sich die Ilias als eine Quelle von Einsichten und Wahrheiten, die zur Hebung der Menschen geeignet sind, und so steht sie hoch über dem übrigen Heidentum. Die Idee des einen Gottes ist noch nicht da, aber in der Machtfülle des Zeus bereits angedeutet; menschlichen Affekten ist er unter- worfen, weil sich ihn die Menschen nicht anders vorstellen konnten. Diese

Stillingüeet Thomassin 143

noch falsche Religion bereitete auf die wahre vor. Der Götterstaat ist ein Abbild des homerischen Staats, der eine mit einem Schatten von Monarchie gemischte Aristokratie war. Aber man sah die Notwendigkeit eines Gottes wie eines Königs ein. Die Ilias glaubt an Einwirkungen untergeordneter Götter, wie die Schrift an solche von Engeln und Dämonen, die oft als Zeugen der ewigen Vorsehung auftreten. In der Odyssee brauchen wir nur Gott und die Engel einzusetzen, und wir haben die richtigen religiösen Vorstellungen, die der Aberglaube nach- geäfft hat. Allerdings sind die Tugenden, ja selbst die Religion der homerischen Menschen, Mittel zu äußerem Wohlergehen; aber zu Homers Zeit war das auch bei den Israeliten so; diese sind durch die nämlichen Stufen geführt worden wie die Heiden.

Die antiken Schriftsteller bezeugen, daß die geistige Kultur von Griechenland nach Italien gekommen ist. Nach Griechenland kamen laut den Angaben der Alten eine Menge Sagen und Göttergestalten aus dem Orient. Die hellenische Religion leitet Herodot aus Ägypten her, unter welchem Namen er wahrscheinlich Phönikien und Palästina mit begreift. Aus den heiligen Büchern Israels kamen also die wahren Religionsvorstellungen zu den Griechen, um dann durch die Götzendiener entstellt zu werden. Der Ursprung der Religion ist im Osten, Armenien und Mesopotamien, zu suchen, von wo die Patriarchen sie nach dem Westen mitnahmen, um sie in Phönikien und Ägypten zu verbreiten.

Der Wege, auf denen die Erkenntnisse zu den Griechen kamen, kann es verschiedene gegeben haben. Thomassin ist einsichtig genug zuzugeben, daß z. B. die Vorstellung von der Vielheit göttlicher Wesen direkt aus innerer Überzeugung stammen kann, welche die Schönheit der Welt als geistiger Einheit erfaßt hat und weiß, daß diese Welt kein Haufe toter Gegenstände, sondern eine Vielheit belebter Wesen ist. Für andere Anschauungen nimmt er wie Vossius an, es hätte sich von Urzeiten her von vielem Kunde erhalten, die dann auch zu den Ohren Homers gedrungen wäre. Wieder anderes kam durch die Handelsfahrten und Kolonien der Phönikier, die nirgends vollständige Erfinder gewesen sind, sondern nur überkommenes Gut weitergegeben haben. Nicht am wenigsten Einfluß hatten die Reisen der Griechen nach Ägypten und dem Orient. Homer ist selbst in Ägypten und Phönikien gewesen und hat manches aus den heiligen Schriften schöpfen können. Aber die Opfergebräuche z. B. sind lange vor ihm nach Griechenland gekommen. Die Übereinstimmung Homers mit dem Alten Testament wird durch eine Menge Parallelen erwiesen. Auch findet Thomassin in den griechischen Gottheiten eine große Zahl alttestament-

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licher Personen wieder. Ihm sind die heidnischen Religionen eine Ent- stellung der reinen Gotteserkenntnis des Anfangs. Die Dichter nun haben die wahre Erkenntnis besessen, waren aber nicht mutig genug sie zu verfechten und begnügten sich damit, bald die reine Wahrheit auszusprechen, bald gegen die Fabelgötter des Volksglaubens beleidigende Dinge zu sagen. In den abstoßenden Göttergeschichten hat Homer seiner Verachtung gegen die Fabelgötter Ausdruck gegeben. Dadurch wollten die Dichter die Menschen den Unterschied zwischen den wahren und den falschen Göttern lehren. Die Einzelheiten kann ich hier nicht wiedergeben, so interessant sie wären, und so viel gesundes Urteil sie -enthalten. Es mag nur darauf hingewiesen werden, daß Thomassin die Opferung der Jünglinge, Pferde und Hunde am Holzstoß des Patroklos mit den Gebräuchen der nordamerikanischen Indianer illustriert.

Thomassin hat selbständig auf Vossius und Bochart weiter gebaut. Sein Werk ist bei Bayle und Gacon erwähnt. M'"® Dacier scheint es nicht gekannt zu haben, sonst hätte sie hier für manche ihrer Er- klärungen Unterstützung gefunden.

Das Thema vom Eiufluß des Orients auf Homer wurde später von dem Niederländer Gerhard Croese in seinem Homeros Hebraios be- handelt 1704. Er ist nicht zufrieden, daß Bochart alles aus dem Phöni- kischen ableitet, noch auch damit, daß Bogan und Duport eine direkte Beziehung Homers zu den heiligen Schriften ablehnen. Vor Croese hat, sagt er, niemand den Homer verstanden, und das ist auch nicht möglich, solange man nicht einsieht, daß sein Stoff und sehr viele seiner Namen hebräischen Ursprunges sind. Wer Augen hat zu sehen, kann nicht bezweifeln, daß der Inhalt der homerischen Gedichte die heilige Ge- schichte ist. Die Odyssee, die vor der Ilias geschrieben ist, erzählt die Geschichten vom Auszug Lots aus Sodom bis zu Moses Tod; die Ge- stalten der Patriarchen sind in Odysseus vereinigt. Die Ilias enthält den Kampf um Jericho und die Geschichte der Israeliten bis in die Zeiten nach Salomon. Homer war ein lonier; aber sein Name ist hebräisch und ein Zuname, Homer der Redner. Gelebt hat er nach Jerobeam, der in der Ilias vorkommt.

In den Besitz der heiligen Geschichten gelangten die Griechen auf folgende Weise. Die den Hebräern benachbarten Heiden hatten keine Schwierigkeiten, jene kennen zu lernen. Besonders gilt das von den Edomitern, die gewiß von Joab nicht gänzlich ausgerottet wurden, sondern in den Zeiten der Abgötterei Jorams und Ahabs mit den Hebräern in enge Fühlung traten und außerdem die Küsten des Meeres besiedelten, besonders Thrakien, wo die Namen der Edonen und Odo-

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Croese Grotius ßogan 145

inanten an sie erinnern. Das ist das ihnen verheißene Land Scheir, das homerische Scheria. Von da breitete sich ihr Einfluß über ganz Griechenland aus. Sie alle, nicht nur die Tyrier, befuhren von Gaza und Askalon aus das Mittelmeer. In Thrakien, Edom und Judäa wanderte Homer und lernte dort die hebräische Geschichte kennen, die er, ohne die Reihenfolge zu bewahren, und mit Einmischung profaner Erfindungen beschrieb. Bei ihm ist nichts allegorisch, sondern alles historisch. Die Nausikaaszene z.B. ist nichts anderes als die Begegnung Jakobs mit Rahel. Er hat die echten Wahrheiten zu sehr verdunkelt und mit Profanem vermischt und wird dadurch ebenso zum Vater der Lüge wie der Wahrheit. Man soll ihn nicht mit Caligula verbannen, aber auch nicht mit Piaton göttlich nennen, noch ihm Bildsäulen errichten. Er diene uns zur Unterstützung, die Göttlichkeit und Autorität der heiligen Geschichte gegen böswillige und streitsüchtige Menschen mit weniger Streit und Gezänk aufrecht erhalten zu können. Mit solch trübseligem Resultat schließt eine Untersuchung, die mit ungeheurem Fleiß und nicht geringem Wissen geführt ist, um etwas Absurdes zu be- weisen. Diderot, der das Buch erwähnt und den Inhalt kurz angibt, kri- tisiert es mit dem einzigen Worte: Quelles visions!

Viel behutsamer in ihren Folgerungen waren andere Gelehrte des 17. Jahrhunderts, denen Ähnlichkeiten zwischen Homer und der Bibel aufgefallen waren.

Hugo Grotius begnügt sich in seinen Annotata ad Vetus Testa- mentiim 1644 mit einer großen Anzahl treffender Parallelstellen aus an- tiken Schriftstellern, fügt aber selten ein erklärendes Wort bei. Die Beispiele aus Homer sind nicht zahlreicher als die aus andern Autoren.

Wohl von Grotius angeregt, verfaßte der Engländer Zacharias Bogan 1654 den Homerus Jiebrdizonj eine große Sammlung von Paral- lelen des Alten Testaments mit Homer. Das Werk soll die Knaben für die Lektüre Homers begeistern, der nur den Unwissenden zum Feind haben kann. Es soll die Erklärer Homers von törichten alle- gorischen Deutungen abhalten, durch Nachweis der Übereinstimmung der hebräischen und griechischen Verse die Wahrheit des darin Gesagten erkennen lehren. Aber es kommt Bogan kein Gedanke daran, daß Homer das Alte Testament gekannt hätte. In dem Dichter erkemit er vielmehr die wunderbare Macht eines verborgenen Schicksals, wie er überhaupt in jedem außerordentlichen Genie den göttlichen Geist erblickt. Die große Sammlung ist interessant und zeugt von reicher Kenntnis. Homers Aussprüche gegen die Götter sind, zum großen Vorteil des Buches, gesondert zusammengestellt.

Finsler: Homer in der Neuzeik 10

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Bogan's Freund, Meric Casaubonus, der in England lebte, ver- faßte eine Studie über eine Stelle der Odyssee, in der er an der Hand der Interpretation des Homertextes die Frage nach der Macht Gottes über Herzen und Schicksale der Menschen erörtert. Das Schriftchen gehört in diesen Zusammenhang, weil es Meric auf die Übereinstimmung Homers mit der christlichen Lehre ankommt. Bemerkt mag werden, daß er die Allegorien ebenso verurteilt wie Bogan.

Als eine Ergänzung zu Bogan kann man die 1660 erschienene Homeri Gnomologia von James Duport, Professor in Cambridge, an- sehen, nur daß das Werk keinerlei Tendenz hatte. Duport wollte seiner Freude an Homer durch irgendeine Arbeit genug tun und verfiel auf die Sammlung der Sentenzen. Diese, mit der lateinischen Version, kam ihm aber zu kalt vor, und so bereicherte und illustrierte er sie durch Parallelstellen aus dem Alten Testament und antiken, auch einigen modernen Schriftstellern. Ausgewählt sind nicht nur die direkten Sentenzen, die der Dichter als solche gemeint hatte, sondern auch solche, die als Sinnsprüche gedeutet werden können. Duport findet die Über- einstimmung zwischen Homer und den heiligen Schriftstellern über- raschend groß, verwahrt sich aber gegen die Meinung, als ob er ihn diesen gleichstellen wolle. Zu der Frage, wie Homer zu den in seinen Werken niedergelegten Wahrheiten gekommen sein könne, spricht er sich sehr behutsam aus. Man könne zugeben, daß Homer in Ägypten von hebräischer Theologie gehört oder die Schriften auch selber gesehen habe; aber zu seiner Zeit existierten doch nur der Pentateuch und höchstens das Buch Hiob. Möglich wäre doch, daß er durch einen Antrieb der Natur zur Wahrheit gekommen wäre, die überall dieselbe sei, möge sie auch von einem Heiden ausgesprochen werden.

Sehr selbständig ist Ralph Cudworth in The irue intellectual System of the Universe 1678. Das Werk ist gegen die Deisten ge- richtet und bekämpft im Beginn ihren Satz, daß der Polytheismus der alten Völker die beste Waffe gegen die Lehre von der durch die Natur eingegebenen Vorstellung des einen und höchsten Gottes sei. Cudworth führt den Nachweis, daß die erleuchtetsten Geister des Alter- tums monotheistisch dachten, und daß selbst die Dichter niemals die untergeordneten Götter dem Zeus gleichstellten, der immer als der all- mächtige Schöpfer der Welt angesehen wurde. Allerdings sind für die Verderbnis der wahren Auffassung die Dichter in erster Linie verantwort- lich zu machen. Sie haben den Göttern menschliche Laster und Fehler angedichtet, worüber sich die weisen unter ihnen, wie Euripides, selbst entrüsteten. Sie haben Naturdinge zu Göttern gemacht und damit

Meric Duport Cudworth Picinelli Ugone 147

den philosophischen Pantheismus verfälscht, indem sie das durch die ganze Natur ergossene Walten Gottes in einzelne Personen auflösten. Sodann haben sie eine Aristokratie der Götter erfunden und dadurch den Unterschied des höchsten Gottes von den übrigen, die seine Ge- schöpfe sind, verwischt. Die besonderen Bezeichnungen Gottes machten sie zu besonderen Göttern, die dann nicht nur unter sich selbst, sondern sogar gegen Zeus gestritten haben sollen. Dennoch ist es den Dichtem nie eingefallen, eine wirkliche Gleichstellung der anderen Götter mit Zeus anzunehmen. Cudworth führt das zuerst an Orpheus und Homer, dann an verschiedenen Dichtem und Philosophen aus.

Eine reichhaltige Vergleichung der heiligen Schriften mit heid- nischen Schriftstellern veranstaltete Filippo Picinelli in den Lumi reflessi 1667. Seine Absicht scheint zu sein, die Verwendung des Reichtums der Heiden in der christlichen Predigt zu rechtfertigen, wofür er große Kirchenväter als Beispiele aufstellt. Alte Dichter und Philosophen haben aus den heiligen Schriften geschöpft und ihre Fabeln danach gebildet; umgekehrt waren Patriarchen und Propheten in heid- nischer Weisheit unterrichtet, die sie dann veredelten; sie schmückten ihre Schriften mit Lichtern der heidnischen Weisheit aus. So erklären heilige und profane Schriftsteller sich gegenseitig, wie Spiegel, die ein- ander gegenübergestellt werden, die Lichtstrahlen einander zusenden. Wir dürfen uns beider bedienen. Für uns bilden die heiligen Schriften das solide Fundament, die profane Literatur den anmutigen Schmuck. Dagegen zu eifern zeugt von Ignoranz.

Das umfängliche Werk ist nach den Büchern der Bibel geordnet, von der Genesis bis zur Apokalypse, und führt eine große Menge von Schriftstellern auf. Voran stehen die Römer, aber es sind auch viele Grie- chen berücksichtigt, daneben einzelne Neuere wie Tasso. Die Griechen sind lateinisch zitiert, Homer in Prosa, gelegentlich in Hexametern. Die Parallelen erstrecken sich auf alle erdenklichen Gegenstände.

Daß es auch komplete Narren gab, beweist Jacopo Ugone in der tollen Vera historia Romana 1655. Ihm sind Ilias, Odyssee und Aeneis Apokalypsen über zukünftige Dinge. Der troische Krieg bedeutet die Zerstörung Jerusalems, die Geschichte des Aeneas die Gründung der Kirche durch Petrus. Sehr vieles in der Ilias deutet auf das Leben Jesu. Manche von den Prophezeiungen sind noch gar nicht eingetroffen; so hat die Ermordung der Freier den Sinn, daß dereinst der wieder- kehrende Odysseus, Petrus, mit seinem Sohne, dem Papst, Penelope, die von den Reformatoren bedrängte Kirche, erretten wird. Die Namen der Freier reden ganz deutlich. Antinous, ursprünglich Artinous, hat

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vorn ein M verloren; es ist Martinas Luther; der letztere Name ist in dem des Freiers Leiodes erhalten; Melanthios ist natürlich Melanchthon usf. Neben solchen Entdeckungen ist es harmlos, wenn, wie Duport berichtet, Ludwig Cappellus Agamemnon als Jephtha erklärte und den Namen Iphigeneia aus Jephthigeneia ableitete.

Das Verhältnis von Bochart zu Cluverius, von Thomassin zu Vossius sind Zeugnisse für die gelehrten Beziehungen Frankreichs zu den Niederlanden. Aber selbst in den Niederlanden nimmt das Inter- esse an den griechischen Studien während des Jahrhunderts ab. Wir haben da noch die riesigen Stoffsammlungen, vor allem des Jacob Gronovius Thesaurus Antiquitatum Graecarum 1702. Aber mehr und mehr werden die griechischen Studien durch die lateinischen verdrängt, um erst im 18. Jahrhundert mit Hemsterhuys wieder zur Blüte zu gelangen.

Die wenigen gelehrten Spezialarbeiten des Jahrhunderts über Homer mögen hier Platz finden.

Leo Allatius, ein italianisierter Grieche aus Chios, Scrittore der vatikanischen Bibliothek, verfaßte 1640 eine Schrift Über das Vater- land Homers in lateinischer Sprache. Er will beweisen, daß des Dichters Heimat Chios gewesen sei. Seine Resultate hat M""® Dacier durch den Hinweis darauf durchgestrichen, daß der Hymnus auf Apollon, in dem schon das Altertum ein Selbstzeugnis Homers finden wollte, gar nicht von Homer stamme, und daß die Homeriden von Chios nicht als Nach- kommen Homers aufzufassen seien. Auch leidet des Allatius Beweisfüh- rung an einem bedenklichen Mangel an Logik. Was nämlich Smyrna für seinen Anspruch, Homers Vaterstadt zu sein, beibringen kann, Tempel, Statue, Münze, Orte der Erinnerung, das wird alles als nachträgliche Er- findung behandelt. Wenn sich dagegen Chios auf derartige Zeugnisse beruft, sind es untrügliche Dokumente. Gleichwohl ist die Arbeit wertvoll, weil sie das antike Material über Homer nahezu vollständig und in guter Ordnung bringt, auch durch die Wärme des Tones angenehm anmutet.

Der gelehrte Mann hat Homers Geburt auch in einem in grie- chischen Distichen geschriebenen Gedichte besungen, das ohne Zweifel Polizians Ambra überbieten sollte und sich zu dieser verhält wie der Barock zur Frührenaissance. Das ungefähr 1000 Verse umfassende Poem will ein kleines Epos sein, mit umständlicher Einleitung und allerhand Episoden. Zeus hat aus seinem Haupte die Athene und aus seinem Schenkel den Dionysos geboren; um ihre Würde zu wahren, will auch Here ohne Beihilfe ihres Gatten ein Kind zur Welt bringen. Zeus lacht und erlaubt es; es gelingt. Aber das Kind ist der mißgestaltete

Leo Allatins Cuperus 149

Hephaistos, über den sich alle Göttinnen stillschweigend entsetzen. Nur Athene lacht laut, worüber Here in solche Wut gerät, daß sie den Sohn aus dem Himmel wirft und sich nach Kypros zu Aphrodite be- gibt, um sie zu bitten, sie möge dem Eros befehlen mit seinem Pfeil Athene zu verwunden. Da sich aber Eros nichts befehlen läßt und auch den Zeus fürchtet, muß sich Here aufs Bitten legen. Sie be- schreibt ihm einen Käfig, in welchem sie einen grünen, sprechenden Papagei hat. Die Schilderung des Käfigs und des Papageis ist un- streitig die gelungenste Partie des Gedichtes. Durch das Geschenk dieses Papageis läßt sich Eros bestimmen, er trifft Athene, und diese fällt in Sehnsuchtsschmerzen, will aber, gleich Zeus, einen Sohn aus ihrem Haupte gebären. Der Ruhm des ehernen Geschlechts ist auf den Gipfel gestiegen und bedarf eines neuen großen Dichters; den will sie ihm schenken. Sie begibt sich nach Chios, wo ihr zum Dank für die Rettung vor einem schauderhaften Drachen ein Tempel errichtet worden ist. Dort wird Homer geboren, von allen Göttern mit Gaben über- häuft und vom Dichter in begeisterten Worten gepriesen. Den Schluß bildet eine heftige Schmährede gegen den Homerverächter Scaliger. Das Gedicht kommt uns teilweise mühsam vor; noch mehr die lateinische Über- setzung des Andrea Bajano. Aber es fehlt ihm nicht an wirklichen Schön- heiten; besonders atmet der wiederholte Preis Homers echte Begeisterung.

Gisbert Cuperus, Professor und Bürgermeister zu Deventer, er- örtert in einer gelehrten archäologischen Abhandlung das antike, zu Bovillae gefundene, jetzt im Britischen Museum befindliche Relief, das man als Apotheose Homers zu bezeichnen pflegt. Abgesehen von der sehr eingehenden Interpretation des Bildwerks, dessen Einzelheiten mit einer Masse von Belegsteilen erklärt werden, ist das Buch Cuypers selbst eine Apotheose Homers. Denn schwerlich sind in einem anderen Werke so viele antike Zeugnisse für die allgemeine Verehrung Homers gesammelt.

Hier mögen noch die Schriften von Pierre La Saine und Pierre Petit über das homerische Nepenthe Platz finden, jenes Zaubermittel, das Helene in der Odyssee dem Weine beimischt, um die Trauer zu verscheuchen. Ich habe nur die zweite gesehen, finde aber das Urteil, das Dugas-Monbel darüber abgibt, ganz berechtigt: es sei eine unver- daute Ansammlung von Gelehrsamkeit ohne Resultat. In dieses Urteil schließt er auch Cuperus ein, nicht mit Unrecht. Mit diesen Schriften werden wir wieder auf den Boden Frankreichs geführt.

In Frankreich hatte mit dem Ende des 16. Jahrhunderts die lateinische Bildung den unbedingten Sieg erfochten. Lateinisch ver-

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stehen im 17. Jahrhundert sehr viele Leute, Griechisch sehr wenige. Wohl hatte die Universitäts Ordnung von 1600 energisch auf dessen Wichtigkeit hingewiesen und besonders auch das Studium Homers empfohlen; aber es fehlte an den großen Gelehrten, die weiteren Kreisen die Kenntnis des Hellenentums vermittelt hätten. In den Schulen, der j an senis tischen von Port Royal wie in denen der Jesuiten, war dem Griechischen ein sehr beschränkter Raum gewährt. Vor mir liegt ein griechisches Lesebuch für die Gymnasien der Jesuiten von 1609. Es enthält neben christlichen Dichtern 53 Stücke religiösen Inhalts, auf Christus, die Auferstehung, die Berufung der Apostel usf., samt und sonders aus homerischen Versen zusammengefügt, sogenannte Centonen oder Homerokentra. Einzelne scheinen aus Byzanz zu stammen, andere neu zusammengestückt worden zu sein. Es ist freilich erstaunlich, daß man durch geeignete Zusammenstellungen homerischer Verse die Einzel- heiten der christlichen Dogmatik, sogar die Göttlichkeit der Jungfrau Maria, beweisen kann. Aber was dabei die Schüler von Homer ver- stehen lernten, kann man sich denken. Übrigens war durch eine neben- stehende wörtliche lateinische Übersetzung dafür gesorgt, daß der Text kein Kopfzerbrechen erforderte. Immerhin wurde in manchen Schulen auf das Griechische noch Gewicht gelegt. Man suchte dessen Erlernung durch Lehrbücher zu erleichtern. Die Übersicht über das mir bekannt Gewordene muß wie bei der über die Ausgaben von den Landesgrenzen absehen, da die Bücher in allen Ländern gebraucht wurden.

Eine griechische Formenlehre hatte Melanchthon 1518 verfaßt. Sein Schüler Posselius gab 1565 eine gut geordnete griechische Syn- tax, mit sorgfältiger Auswahl der Beispiele, leider ohne Inhaltsübersicht. Weiter Verbreitung erfreute sich des französischen Jesuiten Fran9ois Vigier, Vigerus, fleißige, aber mit Stoff ganz überladene Schrift De praecipuis Graecae dictionis idiotismis liher. Wir können auf den Geist des Unterrichts schließen, wenn der Verfasser in der Vorrede verlangt, die studierende Jugend müsse dieses Buch mehrmals durchnehmen, be- vor sie zur Lektüre der Schriftsteller übergehe. Von Wörterbüchern ist Scapula's großes Lexicon Graeco-L^tinum zu nennen, das 1579 in Basel in zweiter Auflage erschien. Die Komposita sind den Grund- wörtern untergeordnet, das Buch ist unhandlich und schwerfällig. Recht sorgfältig ist Louis Coulon's Lexicon Homericutn 1643, ein alpha- betisch geordnetes Wörterbuch mit Erklärung der Formen, kurzer Ein- führung der Personen und Heranziehung verwandter Stellen. Das Beste taten im Unterricht das Wort des Lehrers und die lateinischen Inter- linearversionen. Mit Vorliebe bediente man sich der Schülerpräparationen,

A

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Studium des Griechischen Lehrbücher Le Clerc 151

die man Claves Homericae nannte. Die erste mir bekannte ist 1615 üi Rotterdam erschienen, die Überarbeitung einer englischen Arbeit. Die Wörter sind nach den Versen geordnet, ins Lateinische übersetzt und einigermaßen erklärt. Sehr fleißig ist die 1647 in London er- schienene Clavis von Perkins, nach den Versen geordnet und mit ganz ausreichender Worterklärung. Eine ordinäre Leistung dagegen ist eine 1673 in Rotterdam erschienene Clavis, ebenfalls nach Versen geordnet, die nur die nackte lateinische Übersetzung der Wörter gibt.

Ein ganz vorzügliches Bild des tiefen Standes der klassischen Studien und auch von dessen Ursachen gibt am Ende des Jahrhunderts JeanLe Clerc in seinen Farrhasiana 1699. Er beklagt es, daß die Generation der großen Gelehrten ausgestorben sei. Die zeitgenössischen Gelehrten klagt er an, daß sie sich wenig Mühe geben, andere zu unter- richten; und da sie selbst nur durch ungeheure Lektüre und wunder- baren Fleiß zu ihrem Wissen gelangt seien, meinten sie, alle andern müßten den gleichen Weg einschlagen. Es fehlt, sagt er, an Ausgaben mit methodisch geordneten Noten, statt deren wir nur kritische An- merkungen über Texte und Lesarten haben; oder dann bringen die Kommentatoren an einzelnen Stellen eine Fülle von Gelehrsamkeit an, die alles eher ist als eine Erklärung. Schwierige Stellen werden dabei gewöhnlich umgangen. So steht es bei den Lateinern, viel schlimmer bei den Griechen. Die wenigen Übersetzungen sind, besonders wo der Text schwer ist, nur Paraphrasen und erleichtern das Verständnis nicht, treffen auch oft den Sinn des Originals nicht. Die Großen früherer Zeit hielten Übersetzungen unter ihrer Würde und überließen diese Arbeit untergeordneten Geistern. Und doch sind Übersetzungen eine so wichtige Hilfe für das Verständnis der Originale. Le Clerc ver- wahrt sich gegen den Vorwurf, daß er die Trägheit unterstütze; er will vielmehr die Schwierigkeiten, mit denen die Erlernung des Griechischen immer verbunden ist, nach Kräften erleichtern, um dessen Kenntnis so viel als möglich auszubreiten. Deshalb verlangt er auch gute Lexika und Handbücher, in denen man das Wissen seiner Zeit über griechische Anschauungen und Sitten zusammengestellt fände, allermindestens ein brauchbares Reallexikon.

Für den Rückgang der klassischen Studien macht Le Clerc in erster Linie die Gelehrten selbst verantwortlich, die sich auf ihr Wissen zu viel einbilden und eine dünkelhafte Verachtung der modernen Wissen- schaften zur Schau tragen, während ihre Anmaßung, überall mitzureden, ihre gegenseitigen kleinlichen Streitigkeiten und ihre Pedanterien von dem so gepriesenen Nutzen der antiken Studien wenig genug ahnen

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lassen. Dagegen haben die Humanisten Recht mit der Klage, daß ihren Bestrebungen keine Förderung mehr zuteil werde. In den Zeiten Leo's X. und Franz' I. wurden sie von den Fürsten begünstigt, und eine Menge Gelehrter betrieb diese Studien. Aber die Behauptung, die Kenntnis des Griechischen erschließe das Verständnis der heiligen Schrift und der Kirchenväter, erweckte den Argwohn der klerikalen Kreise, die darin eine Gefährdung der katholischen Monarchie erblickten. Auch die weltliche Herrschaft der Fürsten schien durch die antiken Ideen von der Autorität der Gesetze, von Gerechtigkeit und Gleichheit bedroht. So gingen die griechischen Studien zuerst in Spanien und Italien ein, dann auch in den Nachbarländern. In Frankreich helfen sie zur Er- langung kirchlicher Würden nichts; wer sie noch zu pflegen behauptet, wie die Jesuiten, tut es ganz oberflächlich. Bei den Protestanten sind sie nur ein Hilfsmittel für die Predigt, und gute Lehrer sind auch da nicht zahlreich.

Wo man nur Gesetze kennt, die auf die natürliche Gleichheit ge- gründet sind, und keine Angst haben muß, daß das republikanische Altertum sie gefährde, und wo man in den Urkunden der Christenheit keine Gefahr für die Religion erblickt, da sollte man diese Studien wieder erwecken. Denn sie lehren uns die Dinge besser verstehen, zeigen uns die Zusammenhänge der Kultur und vermitteln allein die Kenntnis der Vergangenheit. Hier hatte Le Clerc ohne Zweifel die Niederlande im Auge, wo er lebte.

Es gab aber doch während des ganzen Jahrhunderts auch in Frank- reich Männer, die, wenn auch unter großen Schwierigkeiten, die helle- nische Literatur beherrschen gelernt hatten. Das Wissen eines Bochart und noch mehr eines Thomassin verdient aufrichtige Bewunderung. Unter denen, welche die griechischen Autoren in der Ursprache lesen konnten, ragt in der ersten Hälfte des Jahrhunderts Jean Chapelain hervor, noch ganz ein Gelehrter im Sinne der Renaissance. Neben ihm stehen, außer den später zu nennenden, gefeierte Namen der Literatur, Cyrano de Bergerac, Menage, La Fontaine, La Bruyere, Boileau, vor allem Racine.

Racine ist ohne Zweifel der, der im 17. Jahrhundert Homer am besten verstanden hat. Die Bemarques sur V Odyssee d' Homere, die er während eines Aufenthaies in Uzes 1662 geschrieben hat, erstrecken sich über die ersten zehn Bücher und bilden einen fortlaufenden Kom- mentar, in der Weise, daß der Gang der Ereignisse mitgeteilt wird und die verschiedenartigsten Notizen eingestreut sind. Zahlreiche Pa- rallelstellen aus Homer stützen die Erklärungen. Dazwischen steht

Le Clerc Racine 153^

eine Reihe feiner Bemerkungen über homerische Darstellungsweise, wie über den Eintritt der Helene in den Saal des Menelaos, wobei der Unterschied alter und modemer Sitten ins Licht gesetzt wird, besonders aber die schöne Erklärung der Nausikaaszene. Die Verse, die ihm am besten gefallen, schreibt Racine aus; es sind immer die, in denen die einfache Schönheit Homers am klarsten hervortritt. Er hat an Homer das gesehen, wofür die meisten seiner Zeitgenossen blind gewesen sind. Die Remarques sind erst 1825 gedruckt worden. Man darf das bedauern, nicht nur weil sie zu ihrer Zeit vielen die Augen geöffnet haben würden, sondern weil in ihnen bereits eine Frage erledigt ist, die man im 17. Jahrhundert mit viel Hitze erörtert hat. Es handelt sich um die Niedrigkeiten, die bassesses, bei Homer, wie z. B. daß Kalypso dem Odysseus für den Bau des Flosses die Werkzeuge, darunter Bohrer und Nägel, selbst bringt. Racine urteilt, daß darin das weniger produktive Latein viel zurückhaltender sei, während sich dergleichen im Griechischen höchst anmutig ausnehme. Nach ihm gibt es im Grie- chischen überhaupt nichts Niedriges, und die gewöhnlichsten Dinge werden dort würdevoll ausgedrückt. Das Französische dagegen gleicht darin dem Lateinischen. Es vermeidet es bis zum Äußersten, sich zu Einzelheiten herabzulassen, denn die Ohren sind empfindlich und er- tragen die Nennung gewöhnlicher Dinge in ernster Rede nicht. Das Italienische ist darin dem Griechischen gleich, wie man an dem in seiner Art dem Homer ganz verwandten Ariost sehen kann. Darin hat nun zwar Racine unrecht, daß er auf das Wesen der französischen Sprache zurückführt, was in Wahrheit die Wirkung der geschraubten Barockkultur war. Zola hat doch auf Französisch tausendmal mehr zu sagen gewagt, als Homer auf Griechisch. Trotzdem wäre es gut ge- wesen, wenn die Desmarets, Perrault, La Motte von Racine hätten lernen können, daß die Ausdrucksweise fremder Sprachen und Zeiten nicht nach der Gewohnheit des eigenen beschränkten Zeitraums be- urteilt werden darf. Racine selbst hat Homer in der Sprache nicht nachgeahmt, aber gezeigt, wie weit Studium und offener Blick auch in eine entlegene und anders redende Welt einzudringen vermögen. In seinen Dramen aus dem troischen Kreise, der Iphigmie und Ändro- maque, sind die homerischen Reminiszenzen häufig, aber sie drängen sich nicht vor, sondern sind der Lage angepaßt. Besonders schön ist in der herrlichen Andromaque der Rückblick auf das sechste Buch der Ilias. Racine sieht, wie jeder vernünftige Mensch, in dem wundervollen Gedicht einen Abschied Hektors, der auszieht, um zu fallen. Anstatt aber aus Homer zu wiederholen, daß für Andromache Hektor Vater

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und Mutter und alles bedeutet, läßt Racine sie sieh daran erinnern, "daß ihr Hektor aufgetragen habe, dem Sohne den Vater zu ersetzen und dadurch zu beweisen, wie sehr sie diesen geliebt habe.

Eine wissenschaftliche Studie über Homers Leben gab Tanneguy Lefebvre, Tanaquil Faber, der Vater von M'"® Dacier, in den Vies des poetes grecs. Lefebvre hält Homer für einen Aolier, der aber ionisch schrieb, weil das die schönste und angenehmste Sprache war. Er sieht in den homerischen Hymnen Nachahmungen der homerischen Gedichte und ist überzeugt, daß Herodot nicht der Verfasser der Biographie Homers ist. Bemerkungen über den Stil Homers, sein Ansehen im Altertum, seine Erklärer und die Schwierigkeiten, ihn ins Französische ^u übersetzen, beschließen die Skizze.

Eine Übersicht über die Urteile der Gelehrten über Homer liefert Adrien Baillet, Bibliothekar des Avocat-general Lamoignon, in den vielbändigen Jugements des savants sur les principaux aufeurs 1685/86. Seine Beurteilung modemer Schriftsteller trug ihm scharfe Epigramme ^in, von denen eines Äsiniis in Parnasso betitelt war. Aber die Zusammen- stellungen über die Poetik sind recht fleißig, wenn schon ohne viel eigenes Urteil. Thomassin und besonders Rapin spielen bei ihm eine hervorragende Rolle. La Motte hat ihn nach eigenem Geständnis stark benutzt.

Diesen wenigen Kennern Homers, denen sich noch einige an- schließen werden, steht die große Masse der Gebildeten und Ungebildeten gegenüber, welche sich mit Übersetzungen behelfen mußten, wenn sie sich mit dem Dichter bekannt machen wollten. Wer lateinisch verstand, griff zu Lorenzo Valla und Raffaello da Volterra. Die französische Übersetzung Certon's galt bereits als unlesbar und geriet in Vergessen- heit. Ihn ersetzte für die Ilias die in jedem Sinn prosaische Über- setzung von Du Souhait 1614, die mehrmals gedruckt wurde. Bei- wörter und formelhafte Wendungen sind darin gekürzt oder weggelassen, das übrige genau, mit nicht zu vielen Fehlern, wiedergegeben. Man konnte aus dieser Übersetzung erfahren, was in der Ilias stehe, nicht aber, daß deren Verfasser ein Dichter war. Wie wenig man von diesem wußte, geht daraus hervor, daß sich Du Souhait veranlaßt sieht, auch die übrigen troischen Geschichten ausführlich zu erzählen. Wir stehen wieder da, wo Samxon angefangen hatte.

Noch schlimmer war es mit der Odyssee bestellt, die Claude ßoitel 1617 mehr umschrieb als übersetzte, mit unglaublichen Miß- verständnissen. Er verziert sein Werk mit troischen Geschichten und erklärenden Randnoten moralischer oder allegorischer Natur.

Übersetzungen Chapelain 155

Eine andere Übersetzung beider Epen, ebenfalls in Prosa, war die von De la Valterie, erschienen 1681, welche die Sitten der homerischen Zeit dem Zartgefühl des Barocks anzunähern bestrebt war und mit dem Original in der freiesten Weise umging. Egger urteilt, La Valterie habe einen Roman eigener Fa^on an Stelle der homerischen Erzählung gesetzt. Das schön gedruckte Buch liest sich sehr angenehm, aber mit einem solchen Homer konnte das Publikum noch weniger anfangen als mit Du Souhait und Boitel. Es war für jemand, der kein Griechisch verstand, tatsächlich eine Unmöglichkeit, den Dichter kennen zu lernen. Es kannte ihn auch fast niemand, nicht einmal in der Übersetzung. Le Bossu sagt 1675, man lese und kenne die Aeneis viel mehr als die Ilias und Odyssee, aus denen die Leute nur den tapferen Achilleus und den schlauen Odysseus kennen. Scudery, der behauptet, für seinen Alaric den Homer genau studiert zu haben, läßt seinen Helden auf der Zauberinsel Gemälde von Göttern und Heroen sehen, die durch die Liebe geschädigt wurden; unter diesen befindet sich Achilleus, der in den Banden der Briseis schmachtet. Desmarets teilt im Clovis bei Gelegenheit einer Anspielung in einer Randnote mit, daß Troja um der Helene willen verbrannt worden sei; anderswo, Homer lasse Ares und Aphrodite durch Diomedes verwundet werden. Bei diesem Zustand des Wissens über den Dichter wurde dieser beim großen Publikum eigentlich nur durch die beginnende literarische Po- lemik vor gänzlicher Vergessenheit bewahrt.

Den Beginn einer neuen literarischen Kritik bezeichnet Jean Chapelain's Preface ä VAdonis du Chevalier Marino, im gleichen Jahre mit dem Gedichte des Italieners, 1623, veröffentlicht. Die wohlwollende Empfehlung desselben ist nicht der wesentliche Inhalt der Preface. Das Kunststück, alle Verstöße Marino's gegen die feststehenden Regeln des Epos damit zu verteidigen, daß er eine neue Dichtungsgattung, das in Friedenszeiten spielende Epos, erfunden habe, dient mehr zur Blendung als zu wirklichem Verständnis. Ganz aufrichtig ist dagegen der Preis von Marino's Bildern und Gedanken und seiner Sprache, und in dieser Hinsicht ist der Italiener ja wirklich den Franzosen lange Zeit vorbildlich geworden.

Ungleich wichtiger ist die Preface dadurch, daß sie ein kurzes, aber geschlossenes System der Poetik darstellt, ein System, in welchem Chapelain bereits die Grundlinien des französischen Klassizismus ge- bogen hat. Wenn man bei den einzelnen Gedanken der Arbeit verweilt, besonders was die Regeln über das Epos betrifft, so findet man im

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Grunde nichts, was nicht von Aristoteles, dessen italienischen Kommen- tatoren oder Scaliger bereits ausgesprochen gewesen wäre. Originell wird die Preface dadurch, daß Chapelain von seinen Yorgängem nur übernimmt, was er brauchen will, und was er durch eigenartige Gruppie- rung neu begründet. Darin ist er ein treuer Aristoteliker, daß bei ihm Enthusiasmus und Phantasie in der Poesie gar keine Rolle spielen; sie tun es ja auch bei Aristoteles nur ganz beiläufig. Fast noch stärkeren Nachdruck als Aristoteles selbst legt er auf die Lehre, daß der Dichter nicht das Wirkliche, sondern das Wahrscheinliche darstelle. Chapelain knüpft sie an den Gedanken an, daß für ein Gedicht von äußerster Wichtigkeit der Glaube sei, den man dem Gegenstande beimesse. Dieser Glaube, sagt er, bedingt die Aufmerksamkeit und den inneren Anteil, affection, und macht allein die Erregung möglich, allein folglich auch die Reinigung oder Verbesserung in den Sitten der Menschen, welche der Zweck der Poesie ist. Den der Poesie durchaus notwendigen Glauben, d. h. die Neigung der Einbildungskraft, eine Sache als wirk- lich anzunehmen, erzeugt aber nicht die Darstellung des Wirklichen im Sinae des Historikers, sondern die des Wahrscheinlichen. Die Ge- schichte stellt Einzelheiten dar, ausschließlich um sie darzustellen, woraus eine moralische Wirkung nicht hervorgehen kann. Die Poesie dagegen, eine der erhabenen Wissenschaften und mit der Philosophie nahe verwandt, betrachtet das Allgemeine; das Besondere nur, um daraus zur Belehrung der Menschheit allgemein giltige Sätze abzuleiten. Sie läßt durchaus die Gerechtigkeit walten, belohnt das Gute, bestraft das Böse. Wenn man die Geschichte des Caesar und Pompeius liest, so erfährt man nur ihre Schicksale, ohne daß man davon moralischen Nutzen hätte. Aus der Geschichte der Kyklopen in der Odyssee dagegen ersieht man, was vernünftigerweise allen denen geschieht, die so handeln. So betrachten wir in den Geschichten der Alten nicht sowohl den frommen Aeneas oder den zürnenden Achill, als die Pietät mit ihren Folgen, den Zorn mit seinen Wirkungen, um die Natur dieser Leidenschaften voll- kommen kennen zu lernen. Um das zu erreichen, haben die Dichter die Wirklichkeit mit ihren Zufälligkeiten verbannt und sie nur heran- gezogen, wenn sie sich der Gerechtigkeit und der Raison anpassen und sich mit der Wahrscheinlichkeit umkleiden läßt, das einzige Mittel die Menschen zum Guten zu erziehen. Diese Wahrscheinlichkeit ist eine Darstellung der Dinge, wie sie geschehen sollen, und zwar wie das zum Guten geborene und erzogene Urteil sie voraussieht und bestimmt.

Die äußerst starke Betonung des moralischen Zwecks der Poesie, zu dem das durch sie hervorgerufene Vergnügen nur Mittel ist, läßt

Chapelain 157

den Einfluß Scaligers erkennen. Aus dem lehrhaften Charakter der Poesie hat Chapelain, schärfer als ein anderer vor ihm, die Lehre von der poetischen Gerechtigkeit abgeleitet. Das Wichtigste in dem ganzen System ist aber die Herrschaft der Raison. Die Ratio Vida's gilt, mit Ausschaltung aller andern poetischen Faktoren, in der Poesie als allein maßgebend.

Daß man mit der Raison und den Regeln noch kein großer Dichter wird, sollte Chapelain an sich selbst erfahren. Er eröffnete dreißig Jahre später die Reihe derer, die nach Vauquelin's Hoffnung den Fran- zosen ein christliches und nationales Epos zu geben gedachten. Ohne Zweifel hat Marino in Sprache und Stil maßgebend gewirkt, aber im Stoff war Tasso das Muster, neben dem Chapelain auch Graziani nennt. Zwischen 1651 und 1665 entstanden nicht weniger als zwölf solcher Poeme, biblischen oder nationalen Inhalts, die von der modernen französischen Kritik, nicht ganz billig, als völlig unlesbar verworfen werden.

Ihren Mißerfolg in der Verkennung des Wesens der epischen Poesie zu suchen, ist gewiß nicht richtig. Es ist nicht einzusehen, warum in unseren Tagen eine erzählende hohe Poesie mit historischem Stoff schlechtweg unberechtigt sein sollte, selbst wenn der größte Teil davon auf Erfindung beruht. Ist doch selbst bei Homer das Beste und Schönste, was wir bewundern, nicht Überlieferung, sondern Erfindung. Worauf es ankommt, ist nur, ob das epische Gedicht einen wohl vorbereiteten Boden finde, und ob es wahrhaft poetisch sei. Jenes war im Frank- reich des 17. Jahrhunderts der Fall, dieses nicht. Die Verfasser dieser Epen sind insgesamt keine Dichter, sondern gewandte Versemacher, wie Boileau mit schneidendem Hohn besonders Chapelain vorhält. Sie glaubten ihr Ziel durch möglichst genaue Befolgung der aristote- lischen Regeln erreichen zu können, wie die Italiener und Vossius diese formuliert hatten, daneben durch Beobachtung der großen Muster, aber nicht Homers und Virgils, sondern Tasso's. Da die namhaftesten dieser Epen im Mittelalter oder höchstens, wie Scudery's Alaric, in der Völkerwanderung spielen, lag der Ton und Kulturkreis des italienischen Romanzo den unselbständigen Verfassern viel zu nah, als daß sie nicht dadurch vollkommen hätten gebannt werden sollen. Besonders Desmarets' frommer Clovis liest sich wie ein Abklatsch des unfrommen Furioso.

Aus den vielen Epen wähle ich die drei bekanntesten, Chapelain' s Pucelle, Scudery's Alaric und Desmarets' Clovis aus. Von den anderen habe ich nur aus Le Moyne's Saint Louis größere Partien gelesen.

Die Priorität gehört der Pucelle. Denn wenn sie auch nicht zuerst erschien, wurde sie doch zuerst entworfen. Chapelain hat zwanzig Jahre,

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also seit 1636, daran gearbeitet, bis er 1656 die ersten zwölf Gesänge drucken ließ; die letzten zwölf sind erst 1882 veröffentlicht worden. Warum Chapelain nur den ersten Teil herausgab, ist mir unbekannt, doch kann man sagen, daß es das Richtige gewesen ist. Die ersten zwölf Gesänge stellen eine leidliche Einheit dar und gewinnen mit der Gefangennahme der Pucelle einen guten Abschluß; in den letzten Teilen geht die Erzählung ins Breite, und das erlahmende Interesse des Lesers hat sich auf verschiedene Personen und Handlungen zu verteilen.

Der' Stoff des Epos ist christlich und vor allem national, also nach Chapelain's Auffassung zur epischen Darstellung vorzüglich ge- eignet. Der Verfasser hat das unleugbare Verdienst, die Gestalt der Pucelle gegenüber den fälschenden Darstellungen der französischen Historiographen wiederhergestellt zu haben, poetisch und historisch zugleich. Die Erzählung hält die großen Etappen der Geschichte inne. In der Katastrophe hat Chapelain mit einem meisterhaften Griff die Geschichte geändert, aber anders als Schiller. Von ihren Feinden fälschlich angeklagt, wird nämlich die Pucelle vom König verbannt. Sie sieht ihre Sendung beendigt, weiht ihre Waffen in Saint-Denys und zieht sich in den Wald von Compiegne zurück, das sie dann auf die Bitten der Bewohner gegen die Burgunder verteidigt; aber durch Verrat fällt sie diesen in die Hände. Damit könnte das Epos fertig sein, wenn Chapelain nicht in der Liebe des Grafen Dunois zu Marie eine zweite Handlung angelegt hätte, die erst in den letzten Gesängen zur Ent- wicklung kommt, eine Kopie der Liebe Ruggiero's zu Bradamante. Wie dieser in Angelica, so verliebt sich Dunois in die Pucelle, und dadurch wird die sonst straffe Komposition zerfahren. Der erste Teil dagegen wirkt, für sich betrachtet, durch Klarheit und Sicherheit des Plans, besonders aber durch den lebendig kräftigen Charakter der Pucelle und manche anmutig frische Erzählung.

Was Verstand und guter Sinn erreichen konnten, ist von Chapelain geleistet worden. Trotzdem ist sein Epos ermüdend und Boileau's Vorwurf der Langweiligkeit ganz zutreffend. Denn vom Ausdruck ab- gesehen, der oft nicht mehr als ein geschicktes Reimgefüge ist, sind die poetischen Mittel nach allzu kühler Überlegung angewendet. Das trifft besonders auf die Gleichnisse zu, die, ganz anders als bei Homer, nach jedem größeren oder kleineren Abschnitt der Handlung unfehlbar eintreten. Der Leser sieht ihnen schon von weitem mit unangenehmen Gefühlen entgegen, da sie nur zu einer lästigen Unterbrechung werden. Auch wird das Gleichnis jedem Zuge der Handlung angepaßt. Über- mäßige Beschreibungen, das Erbteil Marino's, hängen ihr Bleigewicht

Chapelain Scudery 159

an die Erzählung. Was das Schlimmste ist, gleichartige Vorgänge, wie Schlachten und Erstürmungen von Burgen werden auf die nämliche Weise erzählt, so daß wir mehrmals dasselbe zu lesen bekommen. Boileau hatte Recht zu sagen, die Ornamente Chapelain's seien nach der Richtschnur gesetzt. Daß dieser den Homer gut kennt, erweist sich an mehreren gut entlehnten Zügen. Aber nach seiner eigenen Aussage ist sein Muster Yirgil, der von allen Zeiten einzig anerkannte Führer zum Parnaß, der einzige Dichter, der in der Begeisterung die Besonnenheit beibehält, und dessen Stil die Natur trefflich nachzuahmen fähig ist.

Georges Scudery hatte sich schon durch Dramen und Romane einen Namen gemacht, als er 1664 das Epos Älaric oii JRome vaincue veröffentlichte und der Königin Christine von Schweden widmete. Über die historische Grundlage seines Epos hat er sich nicht zu tiefe Ge- danken gemacht. Er nennt als Quellen Prokop in der Einleitung zum Vandalenkrieg und den spanischen Priester Orosius, der im Be- ginn des 5. Jahrhunderts n. Chr. einen Abriß der Weltgeschichte schrieb und in der Darstellung der neueren Zeit durchaus für Alarich und gegen den großen Stilicho Partei nahm. Nicht aber berücksichtigt Scudery die einzige zeitgenössische literarische Quelle, den Dichter Claudian. Überhaupt geht er mit der Historie sehr frei um. Alaric, Stammvater des schwedischen Königshauses, herrscht ganz oben im Norden in der Stadt Birch und heißt beliebig Gote, Vandale und Sarmate. Alle Völker^ die da im Norden wimmeln, stehen unter seinem Befehl. Daß Rom, als Alarich es eroberte, christlich war, ist Scudery nicht ganz klar. Er weiß zwar, daß Alarich ein Arianer war, und entschuldigt die Wahl dieses Helden damit, daß ja auch Kyros von den Propheten Knecht Gottes genannt werde. Das eine Mal heißt es, Rom solle für seinen Undank gegen Gott gestraft werden, das andere, Alaric habe die Tempel aller falschen Götter umzustürzen. Dem entspricht die Führung des Gedichtes, in dem von der historischen Grundlage wenig mehr zu er- kennen ist. Merkliche Vorzüge bestehen in den kriegerischen Schilde- rungen und den Reden in den Ratsversammlungen. Hier erweist sich. Scudery als Soldat und Staatsmann. Dramatisch belebt sind die Szenen zwischen Alaric und Amalasonthe; wir spüren den Einfluß Corneille's, der indessen einen Liebeskonflikt nie auf ein so gebrechliches Motiv gegründet hätte, wie es der Zorn Amalasonthe's über eine Heerfahrt des Geliebten ist. Ungeheuer langweilig sind dagegen die Partien, in denen Marino's Vorbild wirkt, unendliche Beschreibungen und breit vorgetragenes Wissen. Die Aufzählung der Gebäude, die von den Goten geschleift werden, kann beinahe für eine Archäologie der Stadt Rom gelten.

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Scudery behauptet, unter vielen andern den Homer studiert zu haben, gibt aber zu, daß die Episoden der Ilias nicht so lang seien wie die seinen. In Wahrheit ist Homer selten benutzt und auch da vielleicht nicht direkt. Eine Kritik Homers findet sich bei der Landung in Spanien, wo Alaric und Alonso, wie der Dichter hervorhebt, nur mit den Waffen streiten, ohne sich inmitten der Kämpfenden Belei- digungen entgegenzuschleudern. Das meistbenutzte Vorbild ist Tasso. Für seine Entlehnungen beruft sich Scudery auf das Beispiel aller großen Dichter; habe doch Homer selbst vieles in Ägypten gefunden, wo er studierte. Überhaupt hat Scudery auch theoretisch sein Gedicht zu stützen versucht, ohne viel Neues vorzubringen, als daß, weil die Poesie in erster Linie belehren müsse, der Dichter um so mehr Lob verdiene, je mehr Wissen er vortrage.

Während bei Chapelain und Scudery die Ersetzung des Olymps durch die Gestalten des christlichen Glaubens nur eine Folge der un- bedingten Anlehnung an Tasso war, machte Jean Desmar et s, Seigneur de Saint-Sorlin, das Merveilleux Chretien zum eigentlichen Prinzip des neuen Epos. Aus einem Freigeist zum fanatischen Christen bekehrt, erblickte er im Christentum den wahren Grund aller Poesie und be- schloß, seine Erkenntnis in die Tat umzusetzen. Er wollte der Homer Frankreichs werden, seinem Lande ein Epos schaffen, das den Ruhm der Franzosen und Gottes zugleich verkündigte. Sein Held ist Chlodwig, der eigentliche Inhalt die Bekehrung der Franken zum Christentum. Das Gedicht Clovis ou la France chretienne erschien zuerst 1657 und wurde mehrfach aufgelegt, 1673 in etwas verkürzter Gestalt.

Desmarets' Epos entbehrt nicht eines gewissen Schwunges und ist auch nicht so unlesbar, wie viele es schildern. Die Geschichte von Albione und Yoland, die man fast die Hauptpersonen des Gedichtes nennen könnte, und die Desmarets aus Graziani hat, wirken beinahe spannend. Die Erfindung zeugt allerdings von wenig Phantasie, und manches ist lächerlich ausgefallen, was erhaben gemeint war. Aber manche hübsche Schilderung und nicht wenige gute Gleichnisse finden sich doch. Das Mittelstück, die große Germanenschlacht, ist nicht un- geschickt angelegt und durchgeführt. Das Schlimmste sind auch hier die langen und toten Beschreibungen. In seinen historischen Partien glaubt Desmarets wirklich historisch zu sein. Sein Held, der blutige und treulose Recke der Wanderzeit, war schon durch die Historiographie zu einem Urbild des edelsten Fürsten, die rachedürstende Clotilde zu €inem Spiegel frommer Keuschheit umgeschminkt worden. Daneben be- findet sich Desmarets in der glücklichsten Unwissenheit in historischen

Desmarets Französisches Epos 161

Dingen und traut auch seinen Lesern nicht das Mindestmaß von Wissen zu. Er belehrt sie am Rande, daß Euphrat und Tigris Flüsse Asiens, Babylon eine asiatische Stadt sei und Troja um der Helene willen den Untergang gefunden habe.

Scudery polemisiert gegen Castelvetro, der die Aufgabe der Poesie im Vergnügen erblickt, und setzt sie gleich Scaliger und Chapelain in die Belehrung. Mit Chapelain's Preface verlangt er für das Epos eine allegorische Grundlage. Chapelain selbst erklärt die ganze Pucelle alle- gorisch: so soll Frankreich die menschliche Seele darstellen, im Kampf mit sich selbst und von den heftigsten Leidenschaften bewegt. Für Desmarets besteht das Lehrhafte in der Darstellung des wahren Fürsten; sein Clovis soll für Ludwig XIY. ein Musterbild sein, besonders auch in der richtigen Behandlung der Ketzer. Vorbildlich können nach Des- marets die Helden nur sein, wenn sie ohne Mängel dastehen, wie der Aeneas Virgils und besonders Goffredo, unähnlich den wirklichen Menschen Homers. Es ist jedoch eitel Wortgeklingel, wenn Scudery die wahre Tugend in die Überwindung der Leidenschaften setzt, denn Versuchungen kommen bei ihm nicht einmal auf der Zauberinsel vor. Auch der Clovis ist ein Muster von Mangel an Lidividualität. Ansätze zu einer Charakte- ristik zeigt am meisten Chapelain, aber auch sein Dunois macht keine Seelenkämpfe durch, wenn er sich von der treuen Marie zur Pucelle wendet und dann durch deren Untergang zur alten Liebe zurückgeführt wird. Die Dichter tun sich zwar viel darauf zugute, die Liebe ins Epos eingeführt zu haben; aber diese Liebe ist nichts als Galanterie und geht auf Stelzen, trotz den sublimen Gefühlen, welche die Helden fühlen und aussprechen. Wirkliche Leidenschaft gibt es nicht. Selbst wenn sich bei Desmarets Albione, in Clotildens Gestalt, dem Clovis hingibt, ist das nur gut, um die historische Tatsache zu bemänteln, daß Clovis einen natürlichen Sohn in den gleichen Rang einsetzte wie Clo- tildens Kinder. Chapelain's Agnes ist eine vollendete Kokette, die aber immer als große Dame auftritt. Die Liebesszenen glänzen höchstens durch rhetorische Effekte,

Diese Epiker glaubten dem Gebot der Wahrscheinlichkeit zu ge- nügen, wenn sie den heidnischen Olymp durch die Gestalten des christ- lichen Glaubens ersetzten, wie Tasso getan hatte. Die Aufgabe war nur, das Eingreifen der überirdischen Mächte zu motivieren. Desmarets war darin am besten gestellt, weil er die Bekehrung des Clovis als eine Minderung der Macht des Satans hinstellen konnte. Gleich Tasso verwendet auch er lieber die Zauberei als das unmittelbare Eingreifen Satans. Aber er ist in einer gröblichen Selbsttäuschung befangen,

Finaler: Homer in der Neuzeit. 11

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wenn er behauptet von den Wundem keinen stärkeren Gebrauch ge- macht zu haben als Tasso. In Wahrheit tut er es über alles Maß. Priester, Heilige, Engel, Zauberer und Zaubermädchen agieren so sehr, daß für den Helden fast nichts mehr zu tun übrig bleibt.

Schwieriger lag die Sache für Scudery. Der Zauberer Rigilde, den Amalasonthe im Zorn anruft, hat intime Beziehungen zur Hölle und gewinnt den Satan besonders deswegen, weil dieser fürchtet, Alaric's Sieg über die Römer könnte diese von ihren gottlosen Wegen abbringen. Der gewundenen Motivierung entspricht auch die Verwendung des Übernatürlichen. Abgesehen von den Zauberstücken, welche die Aus- fahrt hindern sollen, erscheinen alle Taten Rigilde's und der Dämonen höchst überflüssig.

In noch bedenklicherer Lage war Chapelain. Zwar war die himm- lische Sendung der Pucelle historisch beglaubigt; aber bei einem Krieg zvvdschen christlichen Völkern den Teufel anzubringen war doch recht schwierig. Chapelain begründet dessen Vorliebe für die Engländer damit, daß der Erzengel Michael, der jenen einst besiegte, der Schutzpatron der Franzosen sei; daß femer diese durch die Kreuzzüge und die Unter- drückung der Albigenser und Hugenotten das höllische Reich arg geschädigt hatten; endlich daß der Satan vorauswußte, nach hundert Jahren würde Heinrich VIII. , dieses Ungeheuer, in England die Re- formation einführen. Trotz dieser triftigen Begründung kämpft Chapelain eiuen vergeblichen Kampf mit der Göttermaschine, die ihm höchst unbequem liegt. Das zeigt sich auf Schritt und Tritt, nirgends besser als bei dem Sturme auf Paris, sonst einem der besten Stücke des Gedichts, wo die ganz natürlichen Vorgänge erst hinterher mit dem Eingreifen des Satans motiviert werden. Die Engel und Teufel sind überall an den Haaren herbeigezerrt. Wie viel schöner wäre die Pucelle ohne diese Schemen!

Die Epen fanden Leser, wie aus der raschen Aufeinanderfolge der Auflagen hervorgeht. Desmarets trug der Clovis in seinen Kreisen sogar den Titel eines neuen Homers ein. Aber damit begnügte er sich nicht. Er wollte sein Prinzip, das Merveilleux Chretien, auch gegen die an- tiken Epiker durchgesetzt sehen. Schon im Clovis macht er eine Be- merkung über die Gesänge des lügnerischen Griechenlands, aber streitbar wird der Ton erst infolge der neun Satiren Boileau's, 1660 1668, in denen dieser die christlichen Epen verhöhnte.

Zunächst versuchte es Desmarets nochmals mit einem Epos, Marie Magdeleine ou le triomphe de la Grdce, 1669. Mit Gepränge kündigt er an, es komme hier eine Art Gedicht, wofür es im Altertum weder

Chapelain Scudery Desmarets 163

Vorschrift noch Beispiel gebe; wer es nach den Regeln des Aristoteles oder nach dem Muster Homers oder Virgils beurteile, täusche sich oder suche andere zu täuschen. Ein Epos, dessen Held der Gottmensch sei, bedürfe keiner Erfindungen, sondern nur der Darstellung der Wahr- heit. Trotzdem verfehlt Desmarets nicht nachzuweisen, wie sehr seine Charaktere den aristotelischen Forderungen entsprechen. Das Gedicht selbst ist äußerst schwach und wurde von niemandem als seinem Ver- fasser, von diesem aber durchaus genügend, gepriesen.

Im folgenden Jahr, 1670, erschien die Comparaison de la langue et de la poesie frmigaise avec la grecque et la latine. Et des poetes grecs, latins et frangais. Veranlassung war scheinbar die wichtige Frage, ob die Inschrift auf einem Triumphbogen für den verstorbenen Ludwig XIII. lateinisch oder französisch abgefaßt werden solle, Inhalt der Nachweis, daß der Clovis die antiken Epen bei weitem übertreffe. Vor allem wird Homer aufs Korn genommen. Er ist, sagt Desmarets, mangelhaft in seinem Gegenstand. Sein Gedicht heißt Ilias und scheint also die Er- oberung von Troja zum Stoif zu haben, behandelt aber den Zorn des Achilleus. Der Held tut während des ganzen Gedichtes nichts, als daß er zum Schluß den Hektor tötet, nicht aus Rache für den Raub der Helene, sondern aus Privatrache. Das sind keine edlen und heroischen Handlungen. Sodann hört Homer bei den Spielen auf, als ob Achilleus durch Hektors Tötung Troja eingenommen hätte. Homer häuft Er- findungen auf Erfindungen, hat langweilige Episoden, führt ohne Not die Götter ein. Seine Erzählungen sind von einer unerträglichen Länge, die Gespräche unvernünftig und unzeitig; wenn man das "Überflüssige wegnähme, so würde man das halbe Gedicht streichen. Die Helden erzählen einander lange Genealogien, die Führer richten lange Ermahnungen aneinander, alles während der Schlacht. Ganz besonders verurteilt Desmarets die Zeichnung der Götter. Während Homer diese von Menschen erfundenen Wahngebilde doch wenigstens hätte erhaben darstellen sollen, bildete er sie lasterhaft, um den niedrigen Trieben der Leute zu schmeicheln.

Als Quelle dieser Angriffe möchte man Tassoni vermuten; aber die Anklänge an diesen sind doch nicht deutlich genug. Stärker scheint die Anlehnung an Rapin's 1668 erschienene Vergleichung Homers und Virgils. Das Urteil über den Achilleusschild ist eine breitere Aus- führung der Angriffe Scaligers, dem auch sonst einiges entstammen mag. Im ganzen aber hat Desmarets sein Material aus Homer selbst und zwar, wie man nachweisen kann, aus den Übersetzungen von Du Souhait und Raffaello da Volterra. Er gesteht in der Einleitung, daß er die Fehler

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Homers aus dem Gedächtnis zitiere; jedenfalls liat er aus beiden Über- setzungen Fehler übernommen und sie gelegentlich durch eigene Kon- fusion noch vergrößert.

Virgil findet noch weniger Gnade als Homer. Er habe keine Er- findung und sei in allem von Homer abhängig. Auch leide er an Dunkelheit, das heißt, sein Latein ist Desmarets zu schwierig. Im übrigen hat sich Desmarets eine eigene Poetik zurecht gemacht, um den Clovis herauszustreichen. Da heißt es: Die Stoffe des Epos sind um so schöner, je mehr sie die Grundlage großer Dinge behandeln. In der Ilias ist nur das phrygische Reich des Aeneas, in der Aeneis das größere, aber immerhin vergängliche Römerreich geweissagt; die Fran- zosen, die von ihren Königen reden, sprechen von einem ewigen Reiche. Sie haben auch viel umfassenderen Geist, sind Tragiker und Satiriker zugleich und kennen die schönen Künste, weshalb sie auch viel herr- lichere Beschreibungen zu geben vermögen. Wenn der Neid die Fran- zosen anklagt, daß sie in der Ausführung nachlässig seien, so wirft er ihnen eine Naturgabe vor, die Leichtigkeit und das Ungestüm, mit denen sie wie durch Inspiration trefflich arbeiten. In der Erfindung übertreffen sie alles je Dagewesene, auch Tasso, der alles dem Virgil verdankt. Sie leisten nicht den Lastern Vorschub wie die Alten und Ariost, der nur der Lüsternheit seine Erfolge verdankt, sind nach dem Beispiel der Bibel erhaben im Gleichnis, dazu äußerst anständig, reich an glänzenden Erfindungen, tapfern und zarten Gefühlen, majestätisch im Ausdruck und, weil sie sich auf die christliche Wahrheit gründen, im Besitze "der Möglichkeit vollkommen zu sein. Zur Illustration stellt Desmarets Stellen lateinischer und französischer Dichter nebeneinander. Griechen fehlen, da man auf sie aus den Italienern schließen könne. Den mitgeteilten Stellen der Aeneis sind die des Clovis gegenüberge- stellt. In einem an den König gerichteten Gedicht L^excellence et les plaintes du poeme heroiqiie entpuppt sich der fromme Dichter als ein eitler Tor, dem all die erhabenen Prinzipien nur Mittel sind, um sein Produkt herauszustreichen.

Bei dem Scaligers Poetice entlehnten Tadel über die antiken Schild- beschreibungen entfährt Desmarets ein sehr richtiges Wort. Er sagt, Homer und Virgil hätten vergessen, daß sie Basreliefs schildern, deren Figuren weder Bewegungen, noch Gedanken, Worte und Töne haben könnten. Sie beschreiben wie Dichter, nicht wie Bildhauer. Daß damit das Richtige getroffen ist, sieht man leicht; nur hat Desmarets das als Fehler gefaßt, worin er das eigenste Wesen der epischen Poesie hätte erkennen soUen.

Desmarets Boileau 165

Noch deutlicher wird Desmarets in der Vorrede zur Ausgabe des Clovis von 1673, die das Gedicht etwas gekürzt, aber mit Beziehungen auf Ludwig XIV. bereichert gibt. Zuerst wird der König um Schutz der christlichen Poesie angefleht und dann der Leser um Aufmerksam- keit gebeten, um den Streit der Religion und des gesunden Menschen- verstandes gegen Gottlosigkeit und Neid zu beurteilen. Das schänd- lichste Verbrechen der Heiden war die lasterhafte Zeichnung der Götter, wodurch sie nie die Vollkommenheit erreichen konnten wie er, der die wahre Religion besitzt und an Clovis und Ludwig unerreichbare Helden hat. Die moderne Zeit erlaubt nicht den geringsten Fehler, daher der Clovis mit Recht das Gedicht Frankreichs heißen wird. Desmarets wird nicht müde, seine Verächter als Gegner der Religion zu denunzieren. Die übrigen Epiker, die doch nach den nämlichen Grundsätzen arbeiteten, werden keines Wortes gewürdigt. Der Seigneur de Saint -Sorlin ist der Einzige, der den Namen eines selbständigen Dichters verdient.

Die ganze zeitgenössische Epik fand einen heftigen Feind in Boileau. Sein späterer Kampf mit Perrault hat sein Bild in der Er- innerung der Menschen undeutlich gemacht und ihm den Namen eines verbohrten Anhängers der Antike eingetragen. Swift, der ihn in seinem Battle of Books auf die Seite der Modernen stellt, hat darin klarer gesehen. In Wahrheit ist Boileau einer der modernsten Menschen seiner Zeit. Was er bekämpft, ist das in seinen Augen Veraltete, das aus dem Wege geräumt werden muß, um dem großen Neuen Platz zu machen, vor allem die italienische Richtung in der Literatur, für die er in Tasso das Urbild findet. Marino nennt er nicht. Gegen jene Richtung stellt er als Muster die bewährten Alten auf; aber der Freund Moliere's und La Fontaine' s, der Herold Racine' s ist doch wahrlich kein Feind der mo- dernen Literatur. Seine Stellung ergibt sich deutlich aus den bis 1674 erschienenen Werken: den ersten neun Satiren, den ersten neun Episteln, dem Art poetique, den vier ersten Gesängen des Lutrin und der Über- setzung der Schrift vom Erhabenen.

Man kann sich darüber wundern, daß gerade er dieses Werk seinen Zeitgenossen zugänglich machte, ein Buch, das um 40 n. Chr. geschrieben ist und zu Boileau's Zeit dem im 3. Jahrhundert n. Chr. lebenden Rhetor Longinus zugeschrieben wurde. Denn die schönste Stelle dieses Buches preist die Überlegenheit des Genius über die regelmäßige Korrektheit und betont scharf die Nichtigkeit kleiner Fehler gegenüber dem fort- reißenden Pathos. Aber das war auch wirklich Boileau's Meinung. Als erstes Erfordernis der Poesie nennt der Art poetique den geheimen Einfluß des Himmels, den glücklichen Stern, unter dem der Dichter

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geboren sein muß, und im vierten Buch spricht er von dem wahren Beurteiler, der dem Dichter zeigt, wie ein kräftiger, durch die Theorie zu sehr eingeengter Geist die vorgeschriebenen Regeln übertritt und von der Kunst selbst lernt, ihre Grenzen zu durchbrechen. Wenn er diesen Gedanken nicht durchführte, so hinderte ihn die Notwendigkeit, der bisher giltigen Poetik eine neue entgegenzusetzen. Chapelain, Scu- dery, Desmarets hatten sich auf Aristoteles gestützt und ihre Epen nach seinen Vorschriften zu machen gemeint. Aber Aristoteles hatte auch herhalten müssen, als die Akademie auf Richelieu's Befehl den Cid heruntersetzte. Das hat Boileau dem Aristoteles nicht verziehen. In der vierten Satire verspottet er den mit Griechisch gespickten Pe- danten, der nur an die Bücher glaubt und meint, ohne Aristoteles sehe die Vernunft nichts und fasele der gute Menschenverstand. Welchen Hohn gießt er über die Universität Paris aus, als diese mit dem Plane umging, den Unterricht in der Philosophie Descartes' zu verbieten und Aristoteles in seine mittelalterliche Machtstellung wieder einzusetzen! Er hält ihr schonungslos die Torheit vor, die Fortschritte in der natur- wissenschaftlichen Erkenntnis ignorieren und in allem bei Aristoteles beharren zu wollen. So ist es leicht erklärlich, daß im Art poetique Aristoteles eine höchst untergeordnete Rolle spielt. Seine Vorschriften kommen nur zur Geltung, wenn sie mit Horaz und Vida übereinstimmen, deren Einfluß sehr fühlbar ist. Oberste Richtschnur aber ist die Raison, von deren Beobachtung das Gelingen eines Gedichtes allein abhängt. Vida hatte gefordert, daß die poetische Begeisterung durch die Vernunft gezügelt werde. Chapelain hatte nur die Raison gelten lassen. Bei dem Cartesianer Boileau tritt die alles beherrschende Raison nicht recht vermittelt neben die richtige Einsicht von der Freiheit des poetischen Genius.

Was uns hier hauptsächlich angeht, ist die Stellung zum modernen Epos. Der Franciade wird mit keinem Worte mehr gedacht, Ronsard überhaupt mit wenigen Hieben abgetan. Aber die neuen Dichter er- fahren die ganze Schwere des Angriffs, wie schon in den Satiren. Vor allem ist in diesen 'Chapelain die Zielscheibe seines Witzes. Boileau hat den tiefsten Grund seines Zornes, für den man verschiedene Ur- sachen gesucht hat, in der neunten Satire selbst angedeutet: er zürnt Chapelain wegen seiner Kritik an Comeille's Cid. Neben Chapelain er- halten auch die übrigen Epiker in den Satiren gelegentlich ihre Hiebe; aber die gründliche Abrechnung kommt erst im Art poetique, ohne Zweifel veranlaßt durch Desmarets' unaufhörliche Deklamationen über das Merveilleux Chretien. Boileau ist das in innerster Seele zuwider.

Boileau 167

Gleich den Menschen des 18. Jahrhunderts wendet er sich von dem offiziellen Christentum ab, wie es die vollzogene öde Glaubenseinheit repräsentierte. Die unmittelbare Liebe zu Gott, wie die zwölfte Satire und die zwölfte Epistel sie verteidigen, hat in den Dogmen der Kirche keinen Platz mehr. Das Christentum ist eine Summe furchtbarer Ge- heimnisse; es bietet der Seele nur Buße und verdiente Pein. Wie können die Gestalten dieser Religion im Epos Platz finden? Es ent- steht daraus nichts als ein verwerfliches Durcheinander. Die Wahrheiten der Religion erhalten den Anstrich der heidnischen Fabeln, und aus dem Gott der Wahrheit wird ein Gott der Lüge. Tasso, den man als Beispiel preist, ist ein Beweis für diese Auffassung. Wenn dessen verständiger Held, der immer im Gebet liegt, nichts getan hätte als den Satan zur Vernunft zu bringen, Tasso würde mit seinem Gedicht Italien nie berühmt gemacht haben. Rinaldo, Tancredi, Clorinda mußten die Trübseligkeit erheitern. Der ewig gegen den Himmel heulende Teufel, der den Ruhm des Helden herabwürdigen will und oft Gott selbst den Sieg streitig macht, ist kein Gegenstand epischer Dichtung. Boileau verwahrt sich jedoch dagegen, daß er bei einem christlichen Gegenstand einen töricht götzendienerischen und heidnischen Verfasser billige. Die Ausgabe von 1713 bezieht das in einer Note auf Ariost, aber die Erklärung scheint nicht zutreffend. Eher dürfte man denken, Boileau wolle sich dagegen verwahren, daß er in Gedichte, die in christlicher Zeit spielen, den ganzen antiken Olymp handelnd ein- geführt wissen wolle. Das Epos ist ihm überhaupt weder heidnisch noch christlich, sondern ein profanes und lachendes Gemälde. In diesem sollten aber die Gestalten der antiken Fabelwelt als Schmuck Platz finden dürfen.

Es fehlt bei Boileau gänzlich die unbedingte Verehrung, welche die Renaissance der Antike entgegen gebracht hatte. Er hatte zu den Alten ganz selbständig Stellung genommen, und zwar nicht zur Antike als Gesamtheit, sondern zu jedem einzelnen ihrer Vertreter, die er nach seinem Maßstab mißt, dem der Raison und der Fähigkeit, die Natur zu schauen und wiederzugeben. Er beurteilt sie geradeso frei und zwanglos, wie er den Modernen gegenüber tut; aber er fühlt sich zu einigen unter ihnen unwiderstehlich hingezogen. Tasso's Sprache ist ihm Flittergold gegen das Gold Virgils; am meisten aber liebt er Homer. Die Verse der Poetik, die von diesem handeln, zeugen von warmer Liebe und großem Verständnis. Von der Natur unterrichtet, hat Homer der Aphrodite ihren Gürtel entwendet. Sein Buch ist ein fruchtbarer Schatz der Freuden. Was er berührt hat, verwandelt sich in Gold. In seinen

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Händen empfängt alles neue Anmut. Überall ergötzt, nirgends ermüdet er. Eine glückliclie Wärme belebt seine Erzählungen. Er verirrt sieb nicht in zu lange Umschweife. Ohne daß in den Versen eine methodische Ordnung bewahrt wird, ordnet und entwickelt sich sein Stoff von selbst. Alles bereitet sich behaglich zu, ohne große Zurüstung; jeder Vers, jedes Wort eilt dem Ziele zu. Es weht uns bei Boileau ein ungemein frischer Hauch entgegen; man möchte sagen, daß seit Polizian Homer keinen so warmen Lobredner gefunden habe, und es klingt wahr und echt, wenn er schließt: Liebet denn seine Schriften, aber mit auf- richtiger Liebe! Vergnügen daran zu finden ist Gewinn.

Wie frei Boileau seinem Homer gegenübersteht, wie wenig dessen Autorität ihn beengt, hat er in seinem Lutrin gezeigt. Die ungeheuer- liche Geschichte, wie ein eifersüchtiger Prälat einem unbequemen Sänger ein riesiges Pult vor seine Bank stellen läßt, könnte beinahe als eine Verhöhnung Homers aufgefaßt werden. Die verwerteten Homerstellen sind ziemlich zahlreich. Der alte Sidrac mit seinen guten Räten und den Erinnerungen an die Taten seiner Jugend ist ein komisch gewendeter Nestor. Die Reden der Perruquiere und ihres Mannes muten wie eine geradezu freche Parodie von Hektors Abschied an. Aber nirgends klingt der Ton feindselig wie bei Tassoni. Sprache und Darstellung verlieren nie den vornehmen epischen Ton. Der Lutrin zeigt die Sicher- heit des Verehrers, der sich mit dem verehrten alten Freund wohl einen Scherz erlauben darf und sicher ist, gleich diesem zu ergötzen.

Während nun Boileau die Gestalten des christlichen Mythus aus dem Epos verbannt wissen will, sucht er die antiken Fabelwesen irgendwie zu erhalten. Zwar hat er für die alten Religionen ebensowenig übrig als für die Dogmen der Jesuiten. Aber die Götter Homers sind ihm auch keine Götter, sondern nur Personifikationen von Tugenden, anmutige Ornamente einer ohne sie frostigen und geschmacklosen Geschichte, wie es ohne die wirkenden Götter die Aeneis wäre. Wie er es meint, zeigt er im Lutrin, wo keine heidnischen und christlichen Mächte, wohl aber allegorische Gestalten wie die Discorde, die Mollesse, die Piete usf. walten. Wie gern würden wir auch diese missen, ebenso in der vierten Epistel Äu Boy den Rheingott und die Najaden, Mars und Bellona. Wir bedauern, daß er nicht mit den Engeln und Teufeln auch die antiken Fabelwesen weggefegt hat.

Noch seltsamer mutet es uns an, wenn er die Namen der antiken Sage als für das Epos geeigneter, weil dem Ohr angenehmer hält, denn Childebrand, den Helden eines Epos von Carel de Sainte-Garde. Damit verweist er die epische Erzählung auf die Bearbeitung antiker Stoffe,

Boileau Le Bossu 169

eine Einschnürung der poetischen Freiheit, die unerträglich wirken mußte. Überhaupt wurde der Art poetique, der durch so viele Vorzüge befreiend und fördernd hätte wirken können, darum zu einem neuen Zwang, weil er für jede Dichtungsart nur ein einziges Muster anerkennt, und zwar ohne Rücksicht auf Zeit und Ort von dessen Entstehung. Die Einsicht, daß man bei einem Dichter von der historischen Dar- stellungsweise absehen und ihn rein ästhetisch fassen dürfe, ist gewiß schön und notwendig, und ebenso gewiß ist, daß ein Dichter an großen Vorbildern lernen kann; aber unfehlbare Muster aufzustellen, bedeutet den Tod der Poesie.

Während Boileau die Gedichte Desmarets' früher so ziemlich ignoriert hatte, veranlaßte ihn dessen ungeheurer Selbstruhm in der Comparaison und in der Ausgabe von 1673 zu einer besonderen Digression im dritten Buche der Poetik. Es ist eine regelrechte Abstrafung: Ein vor- zügliches Gedicht bedarf der Zeit und ernster Arbeit, nicht eines zu- fälligen Strohfeuers regelloser Phantasie und eines Hochmutes, für den Virgil der Erfindung, Homer der vornehmen Darstellung ermangelt, und der nur die Trompete des eigenen Ruhmes ist. Desmarets war nicht gewillt, sich die Zurechtweisung gefallen zu lassen. Noch im gleichen Jahre 1674 erschien seine Defense du poeme Jierdique in Form eines Dia- logs, der zwar von Gift trieft, aber kaum etwas Neues enthält. Die Hauptsache ist zu zeigen, daß Boileau nur von schwarzem Neid erfüllt sei, weil er selbst nichts zu leisten vermöge und darum die hohe Poesie ruinieren wolle. Das eigentlich Charakteristische an dem Opus sind die Verdächtigungen Boileau' s wegen Verachtung der Religion und Unehr- erbietigkeit gegen den König.

Fast zu gleicher Zeit wie Boileau's Art poetique erschien des Pere Le Bossu Traite sur le poeme epique, ein Buch, das des Aristoteles Poetik viel stärker berücksichtigt, als es Boileau getan hatte, und in größeren Partien einfach Aristoteles wiedergibt, aber in wesentlichen Dingen über ihn hinausgeht. Auch für Le Bossu ist der oberste Zweck der Poesie die Belehrung. Die Auffassung des Aristoteles von der universellen Be- deutung der Poesie wird dahin gedeutet, daß die epische Fabel theo- logisch und moralisch sei. Das Epos ist eine kunstvoll erfundene Er- zählung, um die Sitten durch Lehren zu bilden, die unter den Allegorien einer wichtigen Darstellung verkleidet sind; diese ist in Versen, in einer wahrscheinlichen, ergötzenden und wunderbaren Weise erzählt. Die Fabel ist deshalb nur die Hülle des moralischen Lehrsatzes, den der Dichter vortragen will. Es ist das alles nicht neu. Das Verhältnis des beleh- renden zum erfreuenden Moment hatten auch Scaliger uud Chapelain

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SO gefaßt, und bei diesem hatte sich auch die allegorische Auffassung der Poesie, ein böses Erbteil des späten Altertums, geltend gemacht. Neu aber ist die Ausdehnung der Allegorie auf das Epos als Ganzes und die Verbindung dieser Lehre mit Aristoteles. Dieser hatte in gänzlicher Verkennung des Wesens des Epos gesagt, der Dichter erfinde zuerst eine kurze Fabel, die er nachher mit Namen und Episoden umkleide. Le Bossu nun lehrt, jene einfache Geschichte müsse mit Rücksicht auf einen vom Dichter gewählten Moralsatz erfunden sein.

Die Entstehung der Dias ist demnach folgendermaßen vor sich ge- gangen. Homer sah die Griechen in selbständige Staaten geteilt, die sich oft gegen Feinde zusammentun mußten. Für eine solche Vereinigung ist die Ilias verfaßt. Sie lehrt, daß Uneinigkeit der Führer die Staaten zugrunde richtet, daß Eintracht aber zum Ziele verhilft. Das ist in eine einzige Handlung zusammengefaßt. Die Entzweiung brachte dem Aga- memnon Niederlage, dem Achilleus den Tod seines Freundes. Nach der Versöhnung gewinnt Achilleus den Griechen den Sieg, sich selbst die Rache. Um die Erfindung wahrscheinlich zu machen, wählte Homer be- kannte geschichtliche Personen, welche Träger der Handlung sein konnten, und knüpfte diese an die Belagerung von Troja. Er verfuhr dabei gleich wie der Fabeldichter Aesop, nur daß dieser für seine Personen Tiere statt Menschen wählte. Wenn die Hunde uneinig sind, überfällt der Wolf die Herde, wie Hektor die Achäer. Die Odyssee ist für die Be- lehrung der Einzelstaaten gedichtet. Sie zeigt, wie der wahre Regent durch den Besuch fremder Höfe seine Bildung gewinnt, aber durch heimische Unordnung bedroht wird. Ein König darf sich nicht zu lange außerhalb seines Landes aufhalten; um das deutlich zu machen, läßt Homer den Odysseus gewaltsam an der Heimkehr gehindert werden. Die Lehren der Odyssee gehen überhaupt nicht nur Könige, sondern auch gewöhnliche Bürger an.

Wenn es den Zwecken des Dichters dient, kann er auch historische Erzählungen verwenden; aber er hat sie der zu lehrenden Wahrheit unterzuordnen. Achilleus hat nach der Geschichte den Hektor aus Rache für Patroklos erschlagen. Wenn er aber in der Ilias das täte, ohne sich vorher mit Agamemnon zu versöhnen, so wäre die Fabel zerstört, ebenso, wenn er sich vor Patroklos' Tod mit dem König versöhnte. Erst dadurch, daß der Tod des Freundes die Versöhnung herbeiführt, wird die Handlung einheitlich. Geschürzt wird der Knoten durch die Ablehnung der Gesandtschaft, gelöst durch die durch Patroklos' Tod herbeigeführte Einigung; dieser Tod leitet zugleich den zweiten Teil ein; der Zorn des Achilleus ist erst mit Hektors Tode zu Ende.

Le Bossu 171

Von den Italienern, besonders Castelvetro, gehen die Betrachtungen Le Bossu's über die poetischen Charaktere aus. Es kommt für ihn auf nichts an als auf die richtige Zeichnung. Ein poetischer Held braucht kein moralisches Ideal zu sein, und die Güte des poetischen Charakters ist nicht dessen moralische Güte. Aristoteles und Horaz verkennen die Brutalität des Achilleus nicht, aber sie erblicken in ihm gleichwohl das Muster eines poetischen Helden. Was seinen Charakter erniedrigt, war durch die Fabel gefordert; aber daneben hat ihm Homer keine gemeinen Züge geliehen und seine Fehler hinter seiner wunderbaren Tapferkeit fast ganz verschwinden lassen.

Der poetische Charakter muß eine hervorstechende Eigenschaft haben, mit der sich alle übrigen zu einem Ganzen verbinden. Es ist deshalb nicht möglich, die Haupttugenden des Achilleus, Odysseus und Aeneas in einem Helden zu vereinigen, ohne das für die drei Helden Charakte- ristische wegzulassen. Es würde ein Charakterbild herauskommen, das ganz charakterlos wäre und zu keiner Handlung paßte. Die Charaktere,, derengleichen man nirgends findet, oder die man nicht für möglich hält, sind falsch. Der Leser glaubt nicht daran und kommt auf den Gedanken, daß der Dichter ihn geringschätzig behandle.

Diese letzte Auseinandersetzung ist offenkundig gegen die franzö- sischen Epen der Zeit gerichtet. Lessing hat geradezu behauptet, Le Bossu's Traite sei durch sie veranlaßt. Le Bossu hat nun zwar nirgends von ihnen gesprochen, überhaupt von den Franzosen nur Corneille genannt, der bereits zum Klassiker geworden war; aber das ganze Buch zeigt, daß er sie meint und ihrem schlechten Geschmack die großen Alten entgegenstellen will. Mit einem Wort tritt er zum Schluß auch auf die Angriffe gegen Homer und Virgil ein; wenn er unter den Motiven dieser Angriffe auch das Übelwollen eines Neidischen nennt, so ist es klar, daß er damit Desmarets trifft. Das Buch ist deshalb interessant, weil es die besondere Veranlassung verrät und selbständige Arbeit zeigt. Man hat sich gewundert, daß Boileau es lobte, der doch mit so vielem nicht einverstanden sein konnte. Aber Lessing hat es ja auch gelobt, aus dem gleichen Grund wie Boileau, als den Versuch, der Afterkunst der Zeit die wahre Poesie als Muster entgegen zu halten. Zudem ge- hörte Boileau offenbar nicht zu denen, die sich mit den im ganzen Gleichgesinnten streiten.

Ein anderer Kampfgenosse Boileau's ist der Pere Rapin. Schon 1668, vor Desmarets' Comparaison, verfaßte er Vergleichungen zwischen antiken Schriftstellern, mit deren Vorlesungen er in den Salons brilliert hatte. Darunter ist auch eine Parallele zwischen Homer und Virgil,

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in dieser Zeit ein ziemlich müßiges Spiel des Witzes, mit beträcht- licher Belesenheit des Verfassers, ohne eigene Meinung. Scaliger, Meric Casaubonus, Beni, Tassoni, Longin werden abwechselnd anerkannt und abgelehnt. Für Homers Kraft und originelles Genie ist Rapin nicht blind, aber Virgil gefällt ihm doch besser. Sein Aeneas vereinigt alle Vorzüge der homerischen Helden, in seinem Gedicht steht alles im vol- lendetsten Verhältnis. Bei ihm ist die Einwirkung der Götter durchaus vernunftgemäß gestaltet, während sie bei Homer gleich Sklaven zu allem verwendet werden. Homer läßt weder Vernunft, noch Leidenschaft oder Natur handeln; alles vollzieht sich durch die Göttermaschine. Er tritt beständig aus seinem Gegenstand heraus. Es gibt in der Ilias keinen Streit, ohne daß Geschichten erzählt oder Genealogien vorgebracht würden. Die Helden haben unwürdige Charaktere, die Könige schmähen sich, Agamemnon behandelt Chryses respektlos, und dessen Gebet ist sehr wenig liebevoll. Odysseus vergißt bei Kalypso seine Gemahlin, und die Szene zwischen Odysseus und Nausikaa ist ganz wider den Anstand. Die Prinzessin vergißt ihre Schamhaftigkeit, um ihrem Mitleid oder der Neugier nachzugeben, wenn sie den Anblick eines nackten Mannes er- trägt. Die Wohlanständigkeit ist überhaupt wenig gewahrt, was mit der Roheit der homerischen Zeiten zu erklären ist.

Wenn Rapin in diesen Partien die Urteile Tassoni's und Beni's nachspricht, so gibt er doch für den Ausdruck Homer den Vorrang vor Virgil. Auch zeigt er für einzelne Schönheiten, wie den Streit der Helden, Hektors Abschied, den Anfang der Patroklie, Eumaios, wirkliches Ge- fühl. Bei der Erinnerung an diese Stellen findet er Homer reicher an Erfindung, großartiger, lebhafter, selbst im Ton, während eben Virgil viel korrekter sei. Das am schwersten wiegende Zeugnis für die Vor- züge Homers ist ihm die Verehrung, die Virgil ihm zollte.

Der Erfolg der unselbständigen und zwecklosen Schrift war wesent- lich der, wissenschaftlich wenig gebildeten Angreifern Homers wie Desmarets und Perrault Wajffen zu liefern. Als dann der Kampf ent- brannte und Boileau in Aktion trat, ließ Rapin die Vorwürfe gegen Homer fallen und wollte nur noch dessen Vorzüge kennen. Die He- flexions sur la poetique et sur les ouvrages des poetes anciens et modernes sind in ihrem ersten Teil eine selbständige Poetik in Anlehnung an Aristoteles, im zweiten eine Beurteilung alter und neuer Dichter. Das Wesentliche des allgemeinen Teiles besteht darin, daß Rapin gleich Scaliger und Le Bossu als wirkliches Ziel der Poesie nur die Belehrung ansieht und das durch die Kunst erweckte Vergnügen durchaus nur als Mittel zu diesem Zweck gelten läßt. Er erkennt ein Genie an, das

Rapin Bossuet 173

eine Naturgabe ist, stellt es aber durchaus unter das Regiment der Raison, auf die auch die Regeln des Aristoteles viel mehr als auf Auto- rität gegründet sind, und die auch bei der Vermischung von Wunder- barem und Wahrscheinlichem maßgebend ist. Auf allerlei feine Be- merkungen über die Arbeit des Dichters folgt immer wieder die Betonung der Regel. Für alle Vorschriften sind ihm Homer und Virgil die leuchtenden Muster. Sie zeigen, wie das Genie richtig Maß hält, wie man im Plan historische Wirklichkeit und Erfindung verteilt, wie man die Charaktere den Forderungen des Typischen entsprechend gestaltet. Überhaupt sind bei Homer alle Eigenschaften, die Aristoteles vom Dichter verlangt, am vollständigsten beisammen, nur daß er die Götter nicht mit dem nötigen Respekt behandelt. Die alten Epiker haben endlich das, was die wahre Poesie kennzeichnet: sie erregen die zu Herzen gehende Wirkung. Mit diesem Wort hebt Rapin tatsächlich die Berechtigung aller Regeln auf, vielleicht ohne es selbst zu merken.

Ganz übel fahren, besonders im speziellen Teile, die modernen Dichter, vor allem die Italiener Tasso und Marino. Rapin spricht ihnen nicht alle Vorzüge ab, findet aber, daß sie doch allzuviel zu wünschen übrig lassen. Muratori, der sich sonst oft nur zu sehr von Rapin leiten ließ, findet es merkwürdig, wie der in der Vergleichung mit Virgil so sehr getadelte Homer plötzlich als Muster des Urteils gepriesen werde, wenn es gelte, Tasso herunterzumachen. Das ist nicht so merkwürdig. Mit den Reflexions wollte Rapin nicht sowohl die Italiener treffen, als die modernen französischen Epiker, denen jene wie Tasso im Stoff, oder wie Marino in den Kunstmitteln, zum Muster dienten.

Boileau war beinahe siegreich geblieben, aber auch nur beinahe. Er klagt in der achten Epitre 1677 selbst, daß wieder christliche Epen entstanden seien. So untergeordnet diese Produkte auch waren, so war doch gegen sie nicht vollständig aufzukommen, da Boileau selbst die Götter des Altertums, wenn auch nur als Schmuckstücke, hatte gelten lassen; und was den Heiden recht war, mußte den Christen billig sein.

Die Verwendung des heidnischen Olymps verpönte Bossuet be- sonders in den Werken der Kleriker mit größter Strenge. Er suchte und fand die höchste Poesie in den heiligen Schriften. Aber daneben war er ein glühender Bewunderer Homers, den er selbst im Schlafe rezitierte. Bei Homer fand er die Darstellung einer der wichtigsten Epochen der Weltgeschichte, den höchsten Ausdruck des nationalen Empfindens. Der moralische Einfluß Homers beruht ihm auf der Wahrheit seiner Schilderungen. Die Götter sind für Bossuet keine willkürlichen Personi- fikationen, sondern der lebendige Ausdruck der Nation, deren Glaube sie

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dem Dichter aufiiötigte. Gleich den altchristlichen Apologeten betrachtete er sie als reale Wesen, als verkleidete Dämonen, eine wundervolle Klarheit des Blickes in einer Zeit, in der diese Götter von Freund und Feind nur als Wahngebilde oder Allegorien angesehen wurden. Homers Poesie gehört nach Bossuet zur hellenischen wie Jehova mit seinen Engeln zur alttestamentlichen Kultur. In die moderne, besonders die christliche Poesie dürfen sie demnach nicht verpflanzt werden, sondern es sollte möglich sein, auch der neuen Zeit ein nationales, von den modernen und christlichen Ideen ganz erfülltes Epos zu geben. Darin sollten die übernatürlichen Mächte den Mittelpunkt bilden. Mit dem Auge des Sehers betrachtet Bossuet die himmlischen Chöre, den Höllensturz des Satans, den beständigen Verkehr der Engel mit den Menschen, besonders die Geschichte und die stete Gegenwart Christi. Diese Schätze möchte er im Epos verwendet wissen, nicht in latei- nischen Poesien, die niemand liest, sondern in der Sprache der Nation.

Solch mächtige Anregung veranlaß te Charles Perrault zur Ab- fassung seines christlichen Gedichtes Saint Paulin 1686. Der Stoff ist den Dialogen Papst Gregors I. entnommen, dessen Werke 1675 in Paris neu aufgelegt worden waren. Der in den Vandalenkriegen durch seine Wohltätigkeit ganz verarmte Bischof Paulinus von Nola weiß einer Mutter, deren Sohn in Afrika bei den Vandalen als Sklave lebt, nichts zu bieten als sich selbst, um den Sohn aus der Knechtschaft zu lösen. Er reist wirklich nach Afrika, gibt sich in die Sklaverei und wird über die Gärten des vandalischen Prinzen gesetzt. Eines Tages weissagt er seinem Herrn, der sich mit dem gebildeten Sklaven gern unterhält, den nahen Tod des Königs. Dieser, von dem Prinzen benachrichtigt, läßt den Paulinus kommen und erkennt in ihm einen von den Richtern, die in einem Traum der letzten Nacht über ihn zu Gericht gesessen haben. Nun dringt der Prinz in Paulinus, sich zu erkennen zu geben, und schenkt ihm die Freiheit und alle die aus Nola geraubten Sklaven, worauf Paulinus in die Heimat zurückkehrt, der Prinz aber nach dem Tode des Königs den Tron besteigt.

Diesen hübschen Stoff hat Perrault nach Kräften verschlechtert. Mancher gute Zug ist weggelassen; dafür erzählt ein Freund Paulins auf der Rückfahrt dessen Lebensgeschichte. Gott, Engel, Sankt Felix von Nola, Dämonen spielen eine höchst überflüssige Rolle; diese letz- teren erregen auch einen konventionellen Seesturm. Poesielose Be- schreibungen und Meditationen sollen dem Mangel an Darstellung nach- helfen. Es ist dem langweiligen Poem nachgerühmt worden, daß es von den Regeln abweiche, aber von welchen, ist schwer zu sagen.

Bossuet Perrault 175

Perrault setzt doch in der Dedikation an Bossuet ausführlich auseinander, daß sein Gedicht den Forderungen der Wahrheit, Wahrscheinlichkeit und Vorbildlichkeit entspreche. Sonst allerdings fehlt so ziemlich alles, was ein Gedicht zum Gedicht macht.

Aus der Vorrede ist noch etwas sehr Interessantes hervorzuheben. Perrault sagt, man habe an seinem Gedichte den der Überlieferung an- gehörigen Zug auszusetzen gefunden, daß er Therasie, die Gemahlin des Bischofs, ihm auch in dieses Amt folgen und alle Mühen mit ihm teilen lasse. Die Tadler gäben zwar zu, man wisse, daß in jener Zeit die Bischöfe auch nach ihrer Erhebung mit ihren Frauen lebten, aber nur wie mit Schwestern; sie behaupteten aber, es widerspreche den Sitten unserer Zeit, die forderten, daß sich die Frau in einem solchen Fall ins Kloster zurückziehe. Perrault findet nun, die Regel, daß man sich den Sitten der eigenen Zeit anpassen müsse, sei für das Theater höchst geeignet, wo der Dichter den Neigungen des Publikums zu schmeicheln habe. Ganz anders sei es in Werken, in denen ver- ständige Menschen es nicht nur liebten, die Wahrheit zu sehen, auch wenn sie mit unsern Sitten in Widerspruch ständen, sondern wo die Ereignisse, Sitten und Gebräuche um so mehr Vergnügen bereiteten, je mehr sie von dem entfernt seien, was wir alle Tage sehen. Warum haben später die Verteidiger Homers nicht auf dieses vernünftige Wort zurückgegriffen? Gerade die den unsern widersprechenden Sitten Homers bildeten ja einen Hauptangriffspunkt auf ihn.

Bald nach dem Erscheinen des Saint -Paulin erfolgte die Kriegs- erklärung Perrault's gegen das Altertum, mit der die Querelle des Anciens et des Modernes begann.

Die Autorität des Altertums war schon während des ganzen Jahrhunderts in Frage gestellt gewesen, vor allem auf dem philosophischen und naturwissenschaftlichen Gebiete. Die großen Entdeckungen der Neu- zeit hatten die Kenntnisse des Altertums, oder was man dafür hielt, weit überholt. Allerdings waren Männer wie Copernicus und Columbus von der antiken Wissenschaft ausgegangen.. Aber der freien Entfaltung der Geister waren dadurch Schranken gesetzt, daß die mittelalterliche Unter- werfung unter die Autorität des Aristoteles nicht gebrochen war, son- dern in den katholischen Ländern infolge der Gegenreformation sogar neu begründet wurde. Es war eine grundsätzliche Befreiung von diesen Fesseln notwendig, wenn sich das moderne Denken frei entwickeln sollte, und sie vollzog sich durch die neue Methode des Denkens. Francis Bacon de Verulam stellte 1620 sein Novum Organon der

176 Frankreich und die Niederlande

aristotelischen Logik, ReneDescartes 1637 den Discours de la Methode der gesamten Büclierweislieit der Schule gegenüber. Während aber Bacon das Altertum zum Ausgangspunkt und Wegweiser der neuen Entwick- lung nehmen wollte, machte Descartes aus seiner Verachtung der Antike kein Hehl und wurde darin von seinen Anhängern noch weit über- boten. Auf das literarische Leben hatte diese Strömung zunächst keinen großen Einfluß. Erst mit Desmarets beginnt der eigentliche Kampf gegen das Altertum auf diesem Gebiete.

In seiner Comparaison 1670 verficht Desmarets den zuerst von Bacon in der Schrift Of the Proficience and Advancement of Learning 1605 aufgestellten Satz, daß das sogenannte Altertum eigentlich die Jugend der Welt gewesen sei, also die neue Zeit das reife Alter vor- stelle. Wenn unsere Zeit, hatte Bacon gesagt, ihre Kräfte erkennen und durch Übung vermehren wollte, würde sie größere Dinge hervor- bringen als das Altertum, weil sie vor diesem eine unendliche Menge von Erfahrungen und Beobachtungen voraus habe. Derselbe Gedanke findet sich bei Descartes und dann sehr oft im Laufe des Jahrhunderts wieder. Damit verbindet sich naturgemäß die Lehre vom Fortschritt und der unendlichen Entwicklungsfähigkeit der Menschheit. Tassoni hatte sie nicht geteilt, weil er historisch zu sehen vermochte. Nach ihm hat Italien nach der langen Nacht des Mittelalters direkt an das Altertum angeknüpft, um es schließlich zu überbieten. Ihm ist die Menschheit nicht wie den Cartesianern ein seit der Schöpfung sich fortentwickebides Individuum.

Scaliger war ebensowenig gewillt, einen unaufhörlichen Fortschritt anzunehmen. Zwar hat sich nach seiner Ansicht die Poesie aus höchst einfachen Anlagen entwickelt; aber die Dichter ahmen die Natur immer auf dieselbe Weise nach. Nun sehen die Späteren nicht nur alles, was die Früheren sahen, sondern auch was jene nicht gesehen und uns zu sehen überlassen haben. Darin kann eine Förderung liegen, und aus der Vervollkommnung des von den Früheren Gebotenen erklärt sich die Überlegenheit Virgils über Homer. Aber wenn die Früheren die absolute Höhe erreicht haben, sind die Späteren gedrückt und vermögen selten dem Guten Besseres hinzuzufügen. So hatte Virgil alle Stoffe, alle Gesetze des Ausdrucks, alle Schönheiten erschöpft, und die nach ihm kamen, konnten nur in der Form neu sein, wenn es nicht scheinen sollte, als ob sie nur wiederholten. So ging die alte Anmut zugleich mit der Einfachheit selbst unter. Für Scaliger ist Virgil ein Gipfel, zu dem es hinauf-, aber von dem es auch wieder heruntergegangen ist, im Grundsatz gewiß eine sehr richtige Anschauung.

Lehre vom Fortschritt Desmarets Gueret 177

Desmarets nun unterscheidet zwischen Werken der Natur, welche, wie die antiken Skulpturen, die Nachbildung der stets vollendeten Modelle der Natur sind und bei denen es nur auf das Genie des Einzelnen an- kommt, und den Werken der Erfindung, die dem Fortschritt unterliegen, und von denen immer die letzten die glücklichsten sind. Als Nach- ahmer der Natur waren Homer und Virgil gleich groß wie die Dichter aller Zeiten, nicht aber in der Erfindung. Hier hat schon Yirgil den Homer überboten; sollte ein moderner Franzose nicht Ähnliches hervor- bringen können? Desmarets hat keinen Eindruck gemacht, weil er, wie man nur zu gut sah, bloß beweisen wollte, daß der Clovis die Krone der epischen Entwicklung sei. Aber er ist, soviel ich sehe, der Erste, der die Lehre vom Fortschritt auf die Poesie ausgedehnt hat.

Ein wichtiges Dokument für die literarischen Anschauungen jener Zeit bilden zwei Schriften von Gabriel Gueret, Sekretär einer von dem Abbe d' Aubignac begründeten kleinen Akademie. Es sind dies Le Farnasse reforme und die daran anschließende Guerre des auteurs aneiens et modernes, 1671. In jenem nimmt ApoUon eine literarische Reform vor, die sich auf verschiedene Schäden der neuesten Literatur erstreckt. In der Guerre erregt Aristarch, der noch gründlichere Reformen ver- langt, einen Krieg aller gegen alle. Es sind nicht zwei streitende Par- teien, und die Gegner teilen sich nicht nach Weltaltem; zu den Aneiens gehören auch die Pleiade und Hardy. Der Tumult wird so groß, daß Apollon verfügt, es solle alles beim Alten gelassen werden.

Das Wichtigste an dem amüsanten, mit geistvollster Kritik ge- schriebenen Büchlein ist die vollkommene Abwesenheit jeder tradi- tionellen Verehrung für die Antike. Es wird alles nur nach der Raison beurteilt, genau wie bei Boileau. Gueret zieht im ganzen das Altertum vor, aber nur weil die Alten weit mehr Geduld hatten, sich auf den Schriftstellerberuf vorzubereiten, während heutzutage jeder gleich von der Mutterbrust weg zu schreiben anfange und dabei noch Bewunde- rung finde. Sonst müßten wir doch die Alten ebenso sehr übertreffen, wie sie ihre Vorgänger übertrofFen haben.

In Gueret's Schrift beklagt sich Homer bei Apollon über die An- griffe, die er durch Zoilos, einen witzigen Homerkritiker des 4 Jahr- hunderts V. Chr., auszustehen gehabt habe. Homer rühmt sich, der Vater des Epos zu sein, ohne den es keine aristotelische Poetik und keine Aeneis gäbe, und droht, wenn ihm kein Recht würde, mit allem, was ihm gehöre, auszuwandern; wenn er den schönen Geistern alles nehme, was sie ihm gestohlen hätten, um sich selbst damit zu schmücken, werde der Parnaß so kahl aussehen wie heute die troische Ebene.

Finaler: Homer in der Neuzeit 12

178 Frankreich und die Niederlande

Aristophanes sucht ihn zu beruhigen, aber nun tritt Boisrobert ein. Von diesem, einem Günstling Richelieu's, wird erzählt, er habe in der Academie fran9aise 1635 eine Rede gegen die Alten, besonders gegen Homer, gehalten. Bei Gueret behauptet er, allen Kommentatoren der Welt zum Trotz, Homer sei nur durch ihren Mißverstand so berühmt geworden. Er sei ein Sänger der Schenken gewesen, der den guten Mahlzeiten nachzog, der Patron der Bänkelsänger. Sein Heros sei nicht großartig, weil er unverwundbar und seinen Gegnern weit überlegen sei. Die langen Reden der Helden zeigten, daß der blinde Homer von einer Schlacht ebensowenig verstanden habe als von der Farbe. Auch sei es niedrig, daß Telemachos über den Verlust seiner Ochsen und Schafe klage, statt um die in ihrer Ehre gekränkte Mutter.

Ob Gueret diese Vorwürfe der wirklichen Rede Boisrobert's ent- nommen habe, scheint zweifelhaft. Dieser hatte allerdings vor der Akademie Homer mit einem Winkelpoeten verglichen und konnte das aus Tassoni haben, dessen Pensieri kurz vorher durch Baudoin über- setzt worden waren. Tassoni hatte Homer einen armen Vagabunden ge- nannt, der aus natürlichem Ungestüm Verse improvisiert habe. Aber in Boisrobert's Rede bei Gueret erinnert sonst nichts an Tassoni. Wenn Gueret ihn sagen läßt, Homer sei ein armer „Rhapsodiste" und sein Gedicht aus Gesängen zusammengesetzt gewesen, die er vor der Samaritaine und auf dem Pont-Neuf jener Zeit vorgetragen habe, so klingt das fast wie eine Parodie auf die damals schon geschriebenen, nur noch nicht gedruckten Conjectures academiques des Abbed'Aubignac, mit dem Gueret in naher Beziehung stand. Auch folgt bei Gueret eine so kostbare Selbstverhöhnung Boisrobert's, daß wohl anzunehmen ist, jener habe die Rede selbst verfaßt.

Homer und Virgil, verlangt ApoUon, sollen den Dichtem ver- traut sein, und diese müssen Aristoteles, Horaz und Scaliger auswendig können, bevor sie sich an ihn wenden; dann werde er ihnen Inspiration verleihen, so daß sie rasch fertig werden könnten. Denn er sei es müde, zwanzig Jahre neben dem Verfasser eines Epos zu verbringen, ein Hieb, der auf Chapelain geht.

Von einem Kampf der Neuzeit gegen das Altertum ist bei Gueret noch nichts zu spüren. Der große Streit brach erst später aus, durch das Auftreten der Brüder Perrault.

Bei allen Perrault s war die Abneigung gegen das Hergebrachte der hervorstechende Charakterzug; wenigstens bei Charles gesellte sich da- zu der katholische Glaubenseifer, der ihn mit Desmarets verband und zum abgesagten Feind der antiken Mythologie machte. Schon in ganz jungen Jahren verfaßte er mit anderen Studierenden eine Parodie des

Gueret Die Perraults , 179

sechsten Buches der Aeneis. 1653 veröffentlichten Charles und Claude das erste Buch des burlesken Gedichtes Les murs de Troye ou Vorigine du hurlesque; das zweite Buch, von Claude allein verfaßt, ist erst kürz- lich gedruckt worden. Ich habe nur dieses zu Gesichte bekommen; es ist aber für die Kenntnis der Gattung genügend. Das Gedicht will, so sagt die Vorrede, eine Satire gegen die Alten oder vielmehr gegen die modernen Nachahmer der Alten sein. Denn diese füllen ihre Ge- dichte mit tausend Dingen, die lächerlich sind oder wenigstens dem Geschmack unseres Jahrhunderts und dem gesunden Verstand wider- streben. Aber auch unter den Alten selbst gibt es Törichtes genug. Ist es, ruft er aus, nicht lächerlich, wenn Hektor(!), der in den Kampf geht, mit einem in ein Getreidefeld eingedrungenen Esel verglichen wird? nicht lächerlich, wenn eine Prinzessin am Bache wäscht und sich bei Odysseus über ihren Bruder, den Prinzen, beklagt, der jede Nacht auf den Ball geht und sein Weißzeug so oft wechselt, daß sie mit Waschen der Hemden und Kravatten gar nicht nachkommt? Die Kravatten erklärt Perrault allerdings nachher als nicht homerisch, aber auch das übrige ist hübsch genug. Die bodenlose Liederlichkeit in der Berichterstattung läßt es sehr glaublich erscheinen, daß sich, wie berichtet wird, unter Perrault's Büchern kein einziges griechisches befunden habe. Das Gedicht selbst ist nicht belustigend; der Verfasser muß seine Witze in der Vorrede selbst erklären.

Es vergingen Jahre, bis ein anderer Bruder, Pierre Perrault, die Alten wieder angriff. Boileau hatte Quinault's Dramen in Epigrammen gegeißelt, gegen die Pierre den Dichter in einem Dialog Critique de Voperay ou examen de la tragedie intitalee ^^Alceste ou le triomphe d'Älcide'^ zu verteidigen suchte. Dabei griff er die Alkestis des Euripides heftig an. Es widerfuhr ihm aber dasselbe Mißgeschick wie seinem Bruder Claude beim Zitieren Homers ; er machte in den Angaben über Euripides die dümmsten Fehler, um sich dann über die Niedrigkeit des griechischen Dichters zu ereifern. Die Antwort übernahm kein Geringerer als Racine in der Vorrede zur Iphigenie. Er verdanke, sagt er, Euripides zu viel, um nicht zu seinem Andenken Sorge zu tragen. Die modernen Herren, die ihn angriffen, hätten ihn einfach nicht recht gelesen. Darauf weist er ihnen die gröbsten Irrtümer nach und gibt ihnen den Rat, nicht mehr so leichtfertig über die Werke der Alten zu urteilen. Ein Mann wie Euripides verdiene zum mindesten, daß man ihn studiere, wenn man doch Lust habe, ihn zu verdammen.

1678 gab Pierre eine Übersetzung von Tassoni's Secchia rapita heraus und erörterte in der Vorrede die Frage nach de? Vorbildlichkeit

12*

IgO Frankreich und die Niederlande

■des Altertums. Die Werke der Alten, sagt er, verdanken ihren Ruf nur dem Umstand, daß sie in einer Zeit erschienen, wo die Geister un- geschliffen und ungebildet waren, und einer blinden Unterwerfung, die sich von Geschlecht zu Geschlecht forterbte. Er schließt mit einem gereizten Angriff auf seinen Widersacher Boileau, den er, ohne ihn zu nennen, deutlich genug bezeichnet. Er wirft ihm vor, noch in den Vorurteilen der Schule befangen zu sein.

Der eigentliche Begimi des Kampfes, der großen Querelle des Anciens et des Modernes, fällt auf den 27. Februar 1687, wo Charles Perrault in der Akademie, die zur Feier der Genesung des Königs versammelt war, sein Gedicht Le Siede de Louis Je Grand vorlas. Darin setzt er auseinander, daß durch dieses Jahrhundert das Altertum überholt sei, sowohl durch die Ruhmestaten des Königs als in allen Wissenschaften und Künsten. Es sind, vom Standpunkt der Zeit aus gesehen, lauter Trivialitäten. Denn daß man in der Natur- wissenschaft über Aristoteles hinausgekommen sei, wußte jeder und hatte besonders Boileau längst behauptet, und von Malerei und Musik der Alten konnte Perrault noch weniger wissen als wir. Das ist aber auch alles nur Folie für die Hauptsache, den literarischen Teil, be- sonders für dessen Kern, den Angriff auf Homer. Dessen Genie wird zunächst in einer hohlen Tirade gepriesen, aus der ersichtlich ist, daß Perrault's Wissen von ihm wesentlich in der Kemitnis von Primaticcio's Malereien in Fontainebleau bestand. Dann fährt er damit fort, daß, wenn Homer heute in Frankreich geboren wäre, er die hundertfachen Fehler, die man an ihm beklage, vermieden haben würde. Viel ist's nicht, was er ihm vorzuwerfen weiß, und für dieses Wenige hat er sich nicht bemüßigt gefunden, sich selbst mit dem Studium Homers anzustrengen. Den Tadel über die langen Reden der Krieger während der Schlacht fand er bei Desmarets, den über den brutalen und grau- samen Charakter der Helden bei Rapin. Im Schluß der Partie über Homer sind meder Gedanken von Desmarets ausgesponnen, und zwar so, daß man deutlich spürt, wie wenig der Verfasser weiß, worum es sich eigentlich handelt. Den größten Raum nimmt die Kritik des Achilleusschildes ein, und hier ist Desmarets die einzige Vorlage. Aber Perrault beweist, daß er auch diesen seinen Gewährsmami nicht recht gelesen hat oder nicht imstande gewesen ist, dessen Gedanken in Verse zu verpacken. Wenn man bei Perrault liest, daß auf dem Schilde das schöne Gestirn des Tages glänzte und der Mond inmitten seiner schim- mernden Umgebung, so muß man schon Desmarets aufschlagen, um zu finden, daß damit ein Vorwurf ausgesprochen ist. Desmarets hatte ge-

Le Siecle de Louis le Grand 181

sagt, der gelehrte Homer wisse nicht einmal, daß man die Sonne und den Vollmond nicht zu gleicher Zeit sehen könne. Den wesentlichen Nach- druck legt Perrault wie Desmarets auf die Unmöglichkeit, in der bil- denden Kunst Handlungen und Töne auszudrücken. Zu den bei Desmarets aufgeführten Zügen sind noch einige beigefügt, die auf eine verschwom- mene, vage Erinnerung an eigene Lektüre einer Homerübersetzung schließen lassen können.

So sehr Perrault mit seinem Angriff innerhalb der Traditionen seiner Familie blieb, so drängt sich doch die Frage auf, warum er gerade jetzt oder, besser gesagt, erst jetzt damit hervortrat. Zwölf volle Jahre waren verflossen, seit ihn Desmarets sterbend zur Rettung Frank- reichs vor den Bewunderern der Antike aufgerufen hatte, und in all dieser Zeit hatte er sich des Appells niemals erinnert. Wenn er es jetzt tat, so muß er eine dringende Veranlassung gehabt haben, muß eine persönliche Ursache vorhanden gewesen sein. Wir finden diese, wenn wir das Gedicht vom Zeitalter Ludwigs des Großen mit der Vor- rede des kurz vorher erschienenen Saint-Paulin zusammenhalten. Genau wie früher für Desmarets, handelt es sich jetzt für Perrault darum, dem eigenen Werke den Platz zu erkämpfen durch den Angriff gegen alles, was dessen Anerkennung hinderlich sein konnte oder mußte. Nur ist Perrault ungleich geschickter als Desmarets. Er geht behutsam und schrittweise vor, so daß er sich nicht solche Blößen gibt wie sein vor Eitelkeit toller Vorgänger. Li der Einleitung zum Saint-Paulin begnügt er sich mit der Kritik der lebenden Widersacher seiner Familie, Racine und Boileau. Auf jenen zielt er mit der Bemerkung, gewisse berühmte Dramatiker unserer Tage hätten, weil sie dem Theaterpublikum gefallen mußten, den Charakter der antiken Heroen verändert und ihnen statt ihres starken und hochfahrenden Stolzes, der sie die Liebe als leeres Vergnügen verschmähen ließ, eine ungemessene Zärtlichkeit verliehen, die der Himmel zu einer heroischen und herrschenden Eigenschaft zu machen die Laune gehabt habe. Gegen Racine und Boileau zugleich wendet sich der Schluß der Vorrede, wo Perrault für eine günstige Aufnahme des Saint-Paulin plädiert. Er beklagt es, daß die Gegenstände des Erbarmens, pitie, für die Mehrzahl der Menschen nicht die gleiche Anziehungskraft hätten wie die profanen, die der Spötterei und der Liebe. Es sei unglaublich, wie sehr die Bosheit der Medisance und noch mehr die der Leser ein Werk zu empfehlen imstande sei, und welchen Anteil sie an der Freude an einem solchen Werk und dem Beifall habe, den es erhalte. Sodann ereifert er sich über die vorzüg- lichen Genies, die sich ganz auf die Zeichnung leichter Unvollkommen-

182 Frankreich und die Niederlande

heiten beschränken, um sie lächerlich zu machen, oder auf die Erregung gefährlicher Leidenschaften, statt die Schönheiten des Weltalls und die Tugenden großer Seelen zum Gegenstand zu nehmen. Himmel, Erde, Hölle, Engel, Dämonen und der Schöpfer selbst könnten würdige Vor- würfe für ihre Bemühungen sein, ohne daß daraus Katechismen oder fromme Betrachtungen zu werden brauchten. Die letzte Bemerkung ist natürlich gegen den Art poetique gerichtet.

Es wird nun verständlich, warum Perrault in seinem der Akademie vorgelesenen Gedicht unter den modernen Schriftstellern, die der Nach- welt zur Apotheose empfohlen werden, Racine und Boileau wegläßt, während so mancher Unbedeutende Aufnahme fand. Sie waren für Perrault bereits abgetan, und den Fehler der unleidlichen Wiederholung, den Desmarets so oft beging, wußte er zu vermeiden. Es handelte sich auch um viel Wichtigeres als um persönliche Rancune. Die lebenden Widersacher waren zur Seite geräumt. Es erübrigte noch, die von ihnen verehrten Muster von ihren Piedestalen zu stürzen. Auch hier vermied es Perrault, sein Gedicht über Homer und Virgil zu erheben, wie Desmarets mit seinem Clovis getan hatte; der Saint -Paulin wird gar nicht erwähnt. Es war ein bewundernswerter Streich der Polemik, sich auf einen erhabenen Standpunkt zu stellen und die gesamte Gegen- wart zum gesamten Altertum in Gegensatz zu bringen. Dadurch, daß Perrault auf diese W^eise klüglich die Frage falsch stellte, brachte er mit dem gefeierten Altertum auch dessen Verehrer zu Fall und entzog ihnen zugleich jede Möglichkeit eines wirksamen Widerspruchs. War doch niemand, der seine Auffassung als Ganzes hätte verwerfen mögen, am wenigsten Boileau selbst. Dieser durchschaute Perrault's Taktik sehr wohl: in der zehnten Satire läßt er die pedantischen Verehrer des Altertums, Magistrate, Prinzen, Herzöge, ohne Erröten Virgil und Terenz lesen, während sie von der Existenz eines Saint -Paulin gar keine Ahnung haben. Aber er war in eine schiefe Position gedrängt, die ihm zunächst eine nach allen Seiten klare Stellungnahme nicht ge- stattete.

Es wäre berechtigter und verdienstlicher gewesen, wenn Perrault den Einfluß des Altertums in einem andern Punkte bekämpft hätte als in Homer, den das große Publikum ebensowenig kannte als Perrault selbst. Weit mehr als das Ansehen einiger alter Schriftsteller lastete auf der französischen Poesie die Autorität des Aristoteles und der aus ihm abgeleitete Regelzwang. Aber diesen anzugreifen fiel Perrault gar nicht ein, der sprechendste Beweis, daß etwas ganz anderes geplant war als eine Befreiung und Erneuerung des geistigen Lebens.

Perrault La Fontaine Longepierre 183

Das Resultat der Angriffe Perraults war nun zwar kein direkter Erfolg. Weder wurde der Saint-Paulin dadurch ein weniger schlechtes Gedicht, noch büßten Racine und Boileau ihren Ruhm als Schrift- steller ein. Wohl aber kam es über die Wertschätzung der Antike zu jenem langwierigen Streit, den Macaulay nachmals müßig und ver- ächtlich genannt hat.

Die Verteidigung der gescholtenen Alten übernahm zuerst La Fon- taine, der gleich nach der Sitzung der Akademie eine poetische Epistel an Hu et, den Bischof von Soissons, verfaßte, als Begleitschreiben zu Horatio Toscanella's italienischer Übersetzung des Quintilian von 1566. Das zierliche Gedicht ist von den durch Perrault erregten Empfindungen ganz erfüllt. La Fontaine gibt zu, daß es törichte Nachahmer der Alten gebe; aber die Art, wie er selbst das Altertum nachahme, könne durchaus nicht als Sklaverei bezeichnet werden. Wohl nehme auch er Gedanken, Wendungen, Gesetze auf, welche die Meister selbst verwendet hätten; aber wenn eine ausgezeichnete Stelle ohne Gewaltsamkeit in seinen Versen Platz finde, gebe er ihr Raum und suche sie sich zu eigen zu machen. Mit Schmerz sieht er diesen Weg verachtet. Terenz ist immer in seinen Händen, an Horaz belehrt er sich, Homer und Virgil sind seine Götter des Parnaß. Aber er weiß, daß er tauben Felsen predigt. Heute darf man nur das eigene Jahrhundert preisen. Gewiß hat es Vorzüge, aber neben den großen Namen ist unser Ruhm gering.

Ähnliche Töne stimmt Longepierre an, einer der gründlichsten Kenner des Griechischen seiner Zeit. In seinem Discours sur les Auteurs 1687 sagt er, daß er den Alten die glücklichsten Stunden seines Lebens verdanke und es für Undank hielte, wenn er jetzt nicht für sie ein- träte. Perrault' s Gedicht hält er für ein Spiel des Witzes und findet nur die Unwissenden tadelnswert, die sich jetzt lärmend vordrängen. Scharf hebt er hervor, daß es sich in dem Streit nur um die Frage der Poesie und Beredsamkeit handeln könne; denn auch die Verehrer des Altertums verkennten die Fortschritte in Physik und Astronomie keineswegs. Homer und Virgil, fährt er fort, dürften keiue Gnade er- warten, denn der Hauptgrund, weshalb sie angeklagt werden, sei ihre Größe. Perrault beginne mit dem Lob Homers, der gefährlichsten Art der Polemik, um dann seine Fehler zu übertreiben. Wie kann man Homer aus erbärmlichen Prosaübersetzungen kennen lernen? selbst die besten geben kein Bild von ihm, denn Poesie und Prosa sind zwei verschiedene Sprachen. Man hat auch Virgil besudelt. Warum bewies man nicht lieber, daß der Moyse von Saint-Amand und der Jonas von

184 Frankreich und die Niederlande

Coras weit über Homer und Virgil stehen? Longepierre hofft das Ver- gnügen, auch das zu hören, noch zu erleben. Sein Büchlein atmet eine edle Wärme und ist in schöner Sprache verfaßt. Er ist keineswegs ge- willt, den Modernen unrecht zu tun; aber die Alten, meint er, stehen noch über uns, wir alle haben uns an ihnen gebildet, auch ihre Ver- kleinerer.

Auf Seiten Perrault's erschien als der wichtigste Kämpfer Fonte- nelle. Schon 1678 hatte er die Reflexions sur la Poetiqiie erscheinen lassen, in denen er sich in geistreich freier Weise über die durch die aristotelische Poetik aufgeworfenen Fragen ergeht, unter ungeheuren Lob- sprüchen auf Corneille und scharfen Angriffen gegen den von ihm ge- haßten Racine. Höchst eigenartig ist seine Stellung zur poetischen Form. Die natürliche Schönheit der Rede besteht für ihn ausschließlich in der Reichhaltigkeit und Lebhaftigkeit der Gedanken, der glücklichen Wahl des Ausdruckes usf. Ganz ohne Not habe die Theorie die Poesie durch Vers und Reim eingeengt und den Dichtern den Zwang auferlegt, sich damit zurecht zu finden, ohne daß sie den Zwang merken lassen dürften. Nach Fontenelle besteht der Unterschied der Poesie von der Prosa aus- schließlich in der unnötigen Kunst Verse und Reime zu machen. Auch bestreitet er am Schlüsse, daß Spekulationen über die Regeln des Schönen zum Ziele führen können, da die, welche solche anstellen, der Herrschaft der Philosophie Dinge unterwerfen, die nach der gewöhnlichen Auffassung den Launen des Geschmackes zu überlassen seien. Im fünften Stück der Bidlogues des morts 1683 nahm Fontenelle gegen die allegorische Deutung der homerischen Götter Stellung. Aesop preist in dem Dialog Homer als Meister darin, die wichtigsten moralischen Vorschriften unter richtigen Bildern zu verbergen. Homer belehrt ihn aber, daß ihm dergleichen gar nie eingefallen sei. Es sei überhaupt ein Irrtum zu glauben, daß der menschliche Geist nur nach der Wahrheit strebe; Fabeln könnten gefallen, ohne irgendeine Wahrheit zu enthalten. Das Wahre brauche die Gestalt des Falschen, um angenehm zu sein, das Falsche bringe das selbst fertig, denn im menschlichen Geiste sei seine Geburtsstätte und Heimat. Wenn er sich noch so sehr bemüht hätte, allegorische Fabeln zu ersinnen, so wären den meisten Leuten die Fabeln selbst nicht allzu unwahr vorgekommen, und sie hätten die Allegorie auf sich beruhen lassen. In Wahrheit habe man seine Götter auch ohne Geheimnisse gar nicht lächerlich gefunden. Aesop brauche jedoch nicht zu fürchten, daß man seine Tierfabeln für wahr halten könnte; denn die Menschen w^ollten wohl, daß die Götter ebenso töricht, nicht aber, daß die Tiere ebenso verständig seien wie sie.

Fontenelle 185

Fortschritt sieht Fontenelle gegenüber dem Altertum in den exakten Wissenschaften, leugnet aber, daß sich die Kräfte der Natur je ändern. Der Geist macht, wenn auch immer nur in Wenigen, Fortschritte, das Herz nicht. Also können sich wohl Ideen, nicht aber Leidens chaiten ändern. Der wirkliche Fortschritt der Menschen ist ein Traum, der uns aber stets antreibt, höheren Zielen zuzustreben.

In der Schrift Sur la poesie en general erörtert Fontenelle den Ur- sprung der Poesie, den er im metrisch gebundenen Vortrag der Gesetze und in dem den Vogelstimmen nachgeahmten Gesang findet. Bald wurden die untergelegten Verse die Hauptsache, kühne dichterische Freiheiten traten dazu. Die Phantasie der Dichter übernahm aus dem Glauben unwissender Völker die seltsame Menge von Göttern; was sie diesen alles zuschrieben, vermehrte die Wunderbarkeit der poetischen Sprache. Vor der Menge des übernatürlichen, divin, verschwand die einfache Natur fast ganz. Und doch ist jenes den Menschen so angemessen, daß selbst wir, die wir es durchschauen, es beinahe mit der alten Macht auf uns wirken lassen und behaglich in die Kindheit zurück- sinken. Doch sind die fabelhaften Bilder für die Poesie nicht geeig- neter als die materiellen; ein gut geschilderter Seesturm ohne Neptun ist geradeso schön wie einer mit diesem. Zum Geiste sprechen die spirituellen Bilder, aber noch höher stehen die philosophischen. Fonte- nelle sieht die Zeit kommen, wo Philosophie und Poesie sich verbinden, ja, wo der Dichter mehr Geist als poetisches Talent besitzen wird. Daß für einen solchen Inhalt die Prosa geeigneter wäre, spricht er hier noch nicht aus.

Fontenelle hatte in seiner Dissertation Sur la nature de VEglogue seine neue Idyllenpoesie gegenüber Theokrit und Virgil gerechtfertigt und gab als Anhang dazu, bald nach Perrault's Auftreten in der Akademie, die Bigression sur les Anciens et les Modernes, die ihn für die Freiheit entschuldigen sollte, gegen so berühmte Muster aufgetreten zu sein. Da die Natur, führt er aus, früher die nämliche und auch das menschliche Gehirn nicht feiner organisiert war als jetzt, das Klima der Länder des Altertums von dem Frankreichs nicht sehr abweicht und die Übertragung der Kultur die Völker einander angleicht, so ist ein Unterschied zwischen Antiken und Modernen nicht vorhanden. Ob nun darin ein Vorzug liege, in den Erfindungen die Ersten zu sein, oder nicht, jedenfalls haben wir auf den Alten weiter gebaut. Nicht überall ist es möglich, sie zu überbieten. In den exakten Wissen- schaften, deren Entwicklung auf der Vervollkommnung des Denkens beruht, vollzieht sich ein wenn auch langsamer Fortschritt, und in der

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Philosophie hat Descartes für die Art des Denkens eine bessere Methode gebracht. In den Künsten, die von der Lebhaftigkeit der Phantasie abhängen, Beredsamkeit und Poesie, konnten die Alten die Vollkommen- heit erreichen. Ob sie sie wirklich erreicht haben, wäre nur durch eine endlose Untersuchung festzustellen, deren Resultat die blinden Verehrer der Antike, namentlich das abergläubische Volk der Kommen- tatoren, doch nicht befriedigen würde. Im Altertum überragt die Be- redsamkeit die Poesie, die eigentlich zu nichts gut ist; in beiden stehen, abgesehen von der Tragödie, die Römer über den Griechen, weil jene eben damals die Modernen waren. Bei der Beurteilung der Alten hat man diese wie Moderne zu behandeln; man muß auch bei ihnen Fehler entdecken dürfen. Wenn sie in einigen Dingen nicht zu übertreffen sind, zu erreichen sind sie doch.

Es ist richtig, daß sich erst mit der Renaissance des Altertums Ver- nunft und Geschmack wieder einstellten; aber wir würden die jetzt aus dem Altertum übermittelten Ideen auch selbst gefunden haben, nur mit mehr Mühe. Denn für das Individuum Menschheit hat das Mittelalter doch nur die Bedeutung, die für den einzelnen Menschen eine gedächtnis- raubende Krankheit hat; nachher kommt das Gedächtnis wieder, aber er muß von vom anfangen. Das Altertum war die Jugend der Mensch- heit; jetzt hat sie ihr männliches Alter, das nie mehr aufhören wird.

Die Vervollkommnung erschwert die Ausübung der Künste, gibt aber auch neue Mittel an die Hand. Homer, der in einem Verse fünf Dialekte verwenden und mit der Sprache beliebig schalten konnte, war mit dieser Freiheit in einer günstigeren Lage als wir. Dafür sind wir durch die poetischen Ideen bereichert, die uns die Alten geliefert haben, und werden durch die Regeln und Erwägungen über die Kunst gebildet. Als die Römer die Modernen waren, klagten sie über die Vorliebe für die Griechen; jetzt gelten uns beide als Alte. So werden auch wir nach langen Jahrhunderten zu den Alten gehören und als Zeitgenossen der Griechen und Römer gelten. Dann wird man die Tragödien und Komödien unserer guten Zeit den ihrigen vorziehen. Es wäre jedoch zu wünschen, daß die Nachwelt uns dann nicht als uner- reichte Muster hinstellte; denn nichts hindert den Fortschritt mehr als die übermäßige Bewunderung der Früheren. Die unbedingte Autorität Des- cartes' wäre ebenso gefährlich, wie es die des Aristoteles war. Die kleine Bigression ist in ihrer ruhigen Sicherheit unbedingt eine der bedeutendsten Erscheinungen in dem ganzen Streit.

Unter den Anhängern der Alten verdient vor allem Fran9ois de Gallier es hervorgehoben zu werden, der in seiner Histoire poetique

Fontenelle De Callieres 187

de la guerre nouvellemenf declaree entre les Anciens et les Modernes 1688 den Streit mit echt gallischem Witz behandelte. Seine unmittelbare Vorlage war die noch viel witzigere Schrift von Antoine Furetiere Nouvelle dllegorique ou histoire des derniers troubles arrives au royaume de Veloquence 1659. Furetiere schildert den Krieg, den der Prinz Gali- matias, König der Pedanten, gegen die Königin Rhetorique führt. Dieser schickt die Königin Poesie ihre Kavallerie zu Hilfe, unter Chapelain's Kommando, der zwar seine Truppen nur langsam zusammenbringt, aber mit massenhaften Beschreibungen und Gleichnissen ein viel präch- tigeres Korps stellt, als die eilig zusammengerafften Truppen von Scudery und Desmarets waren. Der zuerst geschlagene Galimatias verstärkt sich durch Aristoteles, den früheren Premierminister der Königin Philosophie, der häßliche Superkluge ihre Töchter Logik, Physik, Moral und Meta- physik geraubt hatten, und die selbst in die Wildnis geflohen war. Aristoteles wird gefangen, alles dessen beraubt, was er Schönes und Feines hatte, in erbärmliche Gewänder gesteckt, die man Versionen nannte, und es werden ihm Dinge angedichtet, die er gar nie gesagt hatte. Er muß in den Dienst der Pedanten treten, doch gelingt es ihn auf die Seite der Königin Rhetorique hinüberzuziehen, worauf sich der Sieg auf ihre Seite neigt.

Dieses Werk, das gegen den mittelalterlichen Betrieb der Wissen- schaft gerichtet war, nahm sich de Callieres zum Muster. Während andere, wie Dacier und Menage, schalten und dadurch ihrer Sache in den Augen des Publikums schadeten, erhob er sich in die Höhen des Humors. Sein Buch erstreckt sich nur auf die Literatur, behandelt jedoch alle Gattungen derselben. Ich beschränke mich auf die das Epos betreffenden Partien. Auf dem Parnaß, dem Aufenthalt der verstorbenen Schriftsteller, wird durch die Renommee das Gedicht Perrault's vorge- lesen, das die Bewohner des Dichterberges sofort in zwei feindliche Lager scheidet. Sie halten auf den zwei Gipfeln des Parnaß Rat, worauf die Alten unter Anführung Homers nach dem Helikon marschieren, um sich der Hippokrene zu versichern. Die Modernen ziehen ihnen unter Corneille' s Oberbefehl nach, aber unter ihren Führern herrscht Eifer- sucht. Vor der Hippokrene stellen sich die Heere auf. Führer sind die Dichter, die Heeresabteilungen ihre Werke, die Krieger deren Per- sonen. Vor der Schlacht verlangen die französischen Epiker ein Kom- mando, aber nur Scudery erhält die Artillerie, um die Feinde mit seinen Hyperbeln und andren übertriebenen Wendungen zu beschießen. Die anderen werden zur Bagage geschickt, deren Karren mit dem in der neuen Poesie notwendigen Wortschwall beladen sind. Desmarets bekonmit die

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Wagen mit den poetisclien Visionen zur Bewachung, Saint-Amand die Karren mit Champagner und Burgunder, da ihn der Wein stets zu Versen be- geistert hat; Chapelain endlich wird zu den Eiswagen beordert, da keine Gefahr besteht, daß in der Nähe seiner frostigen Pucelle das Eis schmelzen werde. Homer nimmt Eustathios auf seinen Streitwagen; der gelehrte Erklärer ist mit allen Verteidigungsmitteln gegen die Homergeißler bewehrt. Homer ist besonders für seinen Schild bange, aber Eustathios versichert ihn, daß alle Stöße der Gegner gegen diesen undurchdring- lichen Schild nichts vermögen werden.

Den eigentlichen Kampf eröffnet Luiz de Camoens, der Dichter des großen portugiesischen Epos Die Lusiadetij das die Entdeckungen des Vasco de Gama und seine Fahrt nach Indien besang, ein schönes^ von poetischer und patriotischer Begeisterung getragenes Gedicht, dem Virgil und Tasso zugleich Vorbilder waren. Den ersten Angriff läßt de Callieres durch ihn führen, weil Camoens im Eingang seinen Stoff dem der Ilias, Odyssee, Aeneis und den Taten Alexanders überlegen erklärt hatte. Achill, Aias und Diomedes ärgern sich, daß man ihnen portugiesische Krämer und Abenteurer gegenüberstellt, und stürzen sich auf die Lusiaden. Diese widerstehen tapfer, aber es rächt sich die Ver- mischung der heidnischen Fabelgötter mit den christlichen Engeln und Dämonen. Mars und Venus, die für die Lusiaden kämpfen, erkennen Diomedes und fliehen, gefolgt von den anderen bei Camoens zitierten Göttern. Das führt, in Verbindung mit dem schlechten Aufbau des Gedichtes, eine totale Niederlage der Lusiaden herbei. Camoens flieht dreimal um das Lager der Griechen, wird aber von Homer eingeholt und wie Hektor geschleift, auch wie Hektor von seinen Fabelgöttern behütet. Corneille fordert durch einen Gesandten die Herausgabe des Dichters, aber Homer verlangt, Corneille solle selbst kommen wie Pria- mos; die Geschichte könne er in der Ilias nachlesen. In der nunmehr entstehenden allgemeinen Schlacht wird Tasso von Virgil gänzlich zer- hauen und unter der Bedingung begnadigt, daß er sich nie mehr mit ihm vergleichen lasse.

In der Nacht schleichen Voiture und Sarrazin in das Lager der Ilias und entwenden die Verse, die den Gürtel der Aphrodite besingen. Um sie wieder zu bekommen, bietet Homer die Auslieferung des Camoens an. Die Modernen wollen zuerst von dem Tausche nichts wissen, da jene Verse mehr wert seien als der ganze Camoens, gehen aber schließlich darauf ein, da Boileau ihnen klar macht, daß durch die Anwesenheit der Verse in ihrem Lager ihre ganze Poesie für immer den Duft der Schönheit empfangen habe.

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De Callieres Perraiilfc Parallele 189

Darauf beruft ApoUon die Streitenden vor sein Schiedsgericht. Er fordert zuerst Homer auf, zu sprechen. Vorher sagt er ihm, er müsse den Modernen ihre Angriffe verzeihen, denn sie verständen ihn gar nicht, und die Mehrzahl spräche von ihm, ohne ihn zu kennen. Darauf verteidigt Homer vor allem den Achilleusschild. Maler und Bildhauer stellten doch, sagt er, nicht nur Bewegungen, sondern auch Affekte dar, und Perrault tue in dem Gedicht von den Rossen in Ver- sailles dasselbe, was er an ihm tadle. Das Schlußurteil Apollons über alle Dichter ist nach jeder Seite hin sehr billig. Die alten und neuen Dramatiker wurden gleichgestellt, dagegen der erste Rang der modernen Epiker für vakant erklärt.

Das größte Lob ernten in dem Gedicht zwei noch lebende Moderne, die sich stark zu den Alten hingezogen fühlen. Gemeint sind Racine und Boileau, die den Besten der Alten gleichgestellt werden. Am ganzen Gedicht hat Perrault nichts so geärgert wie dieser Ruhm seiner Gegner.

Man hatte in verschiedenen Kreisen geglaubt, Perrault's Gedicht sei ein Spiel des Witzes, und es sei ihm nicht ernst damit. Dieser Auffassung tritt er in dem weitschichtigen Buche Parallele des Änciens et des Modernes entgegen. Der erste Teil erschien 1688, der letzte 1697. Das Werk ist in Form eines Dialogs verfaßt, den drei Männer bei einem Besuch von Versailles führen. Der eine ist der in der ganzen Weltliteratur bewanderte, aber in verbohrter Parteinahme für das Alter- tum befangene, übrigens in der Debatte ungeschickte President. Ihm steht der Abbe gegenüber, der zwar auch mancherlei studiert, aber sich alles zu eigen gemacht hat und aus dem eigenen reichen Geiste durch Reflexion tausend vernünftige und richtige Gedanken schöpft; in ihm präsentiert sich Perrault selbst dem Publikum. Der dritte ist der Chevalier, der zum Abbe neigt und die stärksten Ausfälle gegen die Alten vorzutragen hat.

Der erste Dialog handelt von den Vorurteilen gegenüber den Alten. Perrault sucht darin zu beweisen, daß man sein Gedicht ganz falsch verstanden habe, da er gar kein Feind des Altertums sei, sondern es aufrichtig bewundere; er habe nur zeigen wollen, daß die Modernen jene eingeholt, ja übertroffen haben. Im übrigen ist der Dialog eine gesprächige Ausführung der Ideen Fontenelle's, nur ohne dessen Scharf- sinn und Vorsicht. Während dieser die Überlegenheit der Modernen auf exakte Wissenschaften und Methode des Denkens beschränkt hatte, wirft Perrault alles in einen Tiegel. Er behauptet kurzerhand, die Wissenschaften und Künste seien beide nichts als eine Anhäufung von

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Reflexionen, Regeln und Vorschriften, und da diese sich im Laufe der Zeit notwendig vermehrten, so müsse die spätere Zeit immer die reichere sein. Darauf kommt es Perrault eben an, daß seine Theorie vom Fort- schritt auf die Literatur erstreckt werden könne, denn alles andere waren doch Kämpfe mit Windmühlen. Die Zeit, die er in so düstern Farben malt, wo man sich die Kenntnisse in Physik und Naturgeschichte aus Aristoteles holte, war ja längst überwunden. Bemerkenswert für Perrault ist, daß ihm Fontenelle's Satz, die Welt stehe jetzt im Mannesalter und werde dabei verharren, nicht genügt. Für ihn ist der Gipfel erreicht, di'e Welt befindet sich in ihrem Greisenalter, der Fort- schritt nähert sich dem Solstitium.

Die Erörterungen des zweiten Dialogs über bildende Künste und der dritte über Beredsamkeit berühren uns hier nicht näher. Wenden wir uns zum vierten, 1692 erschienenen Dialog, der die Poesie behandelt.

Kurz vorher hatte Andre Dacier eine Übersetzung der Poetik des Aristoteles mit einem Kommentar erscheinen lassen. Das Buch ist sehr fleißig und gelehrt, steht aber hinter den italienischen Arbeiten des 16. Jahrhunderts weit zurück. Denn nicht nur bedeutet es in allen Punkten eine unbedingte Unterwerfung unter die Autorität des Aristo- teles, sondern Dacier wendet sich geradezu mit Heftigkeit gegen Castel- vetro, der nach ihm das konträre Gegenteil eines guten Kritikers ist, und den er sogar mit dem maßlosen Thersites vergleicht. Offenbar ist ihm Castelvetro's geistige Freiheit zuwider und erscheint ihm gefährlich.

Dacier's Werk ist von dem entbrannten Streit nicht unberührt ge- blieben. Es enthält an mehreren Stellen Verteidigungen Homers gegen die Angriffe der Modernen, nicht immer in der glücklichsten Art. Ganz zutreffend ist indessen die Zurückweisung der Kritik des Achilleusschildes, wie sie in Perrault's Gedicht zu lesen war. Nachdem Dacier dessen sprachliche Irrtümer nachgewiesen hat, legt er dar, daß man von einem Gemälde gar nicht anders reden könne, als Homer es getan habe. Wenn man ein Bild von Raffael oder Poussin erklären wollte, so würde man nicht umhin können, alle Figuren zu beleben, indem man sie der Absicht des Malers entsprechend reden ließe. Nur wie es der Bildner anstellte, die kretischen Tänze und das Heer, das sich in den Hinterhalt legt, darzustellen, ist Dacier nicht klar geworden. Perrault bezieht sich in der Vorrede zum vierten Dialog auf Dacier's Angriff.

In diesem vierten Dialog würden wir gern eine Anlehnung an Tassoni finden; aber von den vielen Punkten, in denen dieser den Homer tadelt, ist von Perrault kein einziger aufgenommen Das ist sehr auf- fallend, wenn man bedenkt, wie gern sich Perrault fremder Krücken

Perrault Parallele Dacier 191

bediente, und wieviel besser die Auswahl bei Tassoni ist. Ich bin sicher, daß Perrault diesen nicht gekannt hat.

Die Einleitung des Dialogs bildet eine Definition der Poesie, die in allem der Malerei gleichgesetzt wird, nur daß ihr Mittel das Wort ist. Nun gibt es zwei Arten von Ornamenten der Poesie. Die eine ge- hört allen Zeiten an: Leben, Gefühl, Leidenschaften, Wort und Überlegung, die man Dingen gibt, die deren entbehren. Die andere ist kunstgemäß und in verschiedenen Ländern konventionell geordnet. Dazu gehören die Götter der Alten, die Engel und Dämonen der Modernen. Die Poesie kann ihrer entbehren, wie die Psalmen zeigen. Die antiken Götter ge- hören überhaupt nicht ausschließlich der alten Poesie an. Viele fran- zösische Dichter haben sie mit großem Erfolg auf neue Weise verwendet; man darf nur nicht sklavisch nachahmen. In christlichen Gedichten ist ihre Ersetzung durch Engel und Teufel vollkommen berechtigt, da dies reale Wesen sind und sich nach unserem Glauben durch den Willen Gottes in die Handlungen des Menschen mischen. Es ist also ihre Ein- führung keine Ungehörigkeit, wie Boileau meint; denn die Poesie ist durchaus nicht immer nur ein geistreiches Spiel. Hätte z. B. Chapelain die wunderbare Rettung Frankreichs durch die höheren Mächte nicht sichtbar machen sollen?

Die Poesie der Alten, heißt es dann weiter, trägt alle Merkmale der Kindheit. Da das bewiesen werden muß, geht Perrault zum Angriff auf Homer über. Seit dem Gedicht Le Siecle de Louis le Grand hatte er sich den Homer auch selbst etwas angesehen, allerdings nicht im Original, das er nicht lesen konnte. Aber das ist seiner Meinung nach nicht nur nicht nötig, sondern nicht einmal nützlich. Den guten Über- setzer versteht man doch besser als den Schriftsteller selbst. Bei ihm findet man Gefühle und Gedanken ebenso gut ausgedrückt, so wie man auch die Form der eigenen Sprache besser beurteilt. Die, welche be- haupten, man müsse das Original lesen können, brüsten sich nur mit einem Privilegium, das ihnen möglich machen soll, das Zeugnis geist- reicher Menschen zu widerlegen. Perrault hat sich also lateinische und französische Homerübersetzungen angesehen und ist nun doch wenigstens der fatalen Lage entronnen, sich ausschließlich mit fremden Federn schmücken zu müssen. Besonders aber hat er den Pere Rapin studiert und bei diesem gefunden, daß Homer eines der umfassendsten Genies sei, die es jemals gegeben habe. Das braucht er geschickt, um vor jedem Angriff vor dem alten Dichter eine Verbeugung zu machen; der jeweilen folgende Angriff sticht dann um so vorteilhafter ab. Die Zeugnisse der Alten über Homer werden als nichts beweisend verworfen, besonders

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Platon wird mit kindischen Schmäliungen zurückgewiesen. Um seine Gegner in Verwirrung zu bringen, wirft Perrault die Behauptung ein, es habe nach der Ansicht vieler ausgezeichneter Kritiker nie einen Menschen namens Homer gegeben. Aber diese Bemerkung ist bei ihm nur ein geschickter Fechterstreich; es fällt ihm gar nicht ein, aus ihr irgendweiche Folgerungen abzuleiten. Die Sache selbst müssen wir später im Zusammenhang besprechen.

Mit Recht weist Perrault die moralischen Auslegungen Le Bossu's zurück. In der folgenden Partie, über den Stoff der Ilias und die homerischen Sitten, ist er wieder von Rapin abhängig. Das betrifft besonders das Urteil über Achilleus, dessen mißlungene Zeichnung er zu den sonst sehr schönen und gut festgehaltenen Charakteren Homers in Gegensatz stellt. Die Gleichnisse Homers findet Perrault besonders darin fehlerhaft, daß sie einem bewundernswerten und zutreffenden An- fang einen ganz fremden, aus anderem Stoff geformten Schweif folgen lassen; es seien Gleichnisse ä la longue queue. Zur Erläuterung läßt er den Chevalier einige nach Homer gebildete Gleichnisse geben, z. B. „Die Augen meiner Schäferin sind glänzender als die Sterne, welche das Gewölbe des Himmels während der Nacht schmücken, wo alle Katzen grau sind". Der President meint wohl richtig, das sei eine wohlfeile Spötterei; aber es ist nun einmal Perrault's Art, nichts gelten zu lassen, was nicht im Stil seines Jahrhunderts ist.

Hatte er zur Ilias nicht eben viel und besonders nicht viel Eigenes zu sagen gehabt, so ist nun seine Kritik der Odyssee die reine Burleske. Er beginnt damit, daß die Odyssee im Vergleich zu unseren Sitten stark komisch sei, und berichtet über den Inhalt in einer Weise, die nicht verfehlen konnte, die Lacher auf seine Seite zu bringen. Auch hier ist er von Rapin beeinflußt. Dieser hatte sich darüber entrüstet, daß der verständige Odysseus seine edle Frau und seinen teuren Sohn so bald vergesse, um sich so lange bei Kalypso zu belustigen, die eine Dirne gewesen sei, und der berüchtigten Zauberin Kirke nachzulaufen. Perrault zieht das ins Komische: Odysseus seufzt alle Abende nach seiner lieben Penelope, nach dem Reiche Ithaka gewandt, wo sie lebte, und dann geht er mit Kalypso schlafen; ein schönes Beispiel der Gatten- liebe! Die ironische Nacherzählung, die im Anfang dem Verlauf des Gedichtes folgt, wird jedoch Perrault bald langweilig, und er begnügt sich später mit Proben, zu denen er das Material gewöhnlich entlehnt. Zwischendurch bekämpft er die Meinung, daß Homer der Vater der Künste und Wissenschaften sei, nicht ohne sich dabei Blößen zu geben. Getreu seiner Anschauung von der stetigen Vervollkommnung der Poesie

Perrault Parallele 193

erhebt Perrault Yirgil lioch über Homer; aber auch jenem werden zahl- reiche arge Fehler nachgewiesen. Nun kommt aber der gefährliche Punkt. Sollte die moderne Epik wirklich die der Alten übertreffen? Sicher ist, sagt Perrault, daß bei den Modernen keiner der Fehler ^^ Homers und Virgils zu finden ist. Man sieht bei ihnen ohne Mühe, ^■welches ihr Gegenstand ist; so bei der Gerusalemme, im Clovis, im ^^ Alaric, in der Pucelle. Die Charaktere sind löblich und heroisch, nicht tadelnswert wie der ungerechte, ruchlose, grausame Achilleus oder der weinerliche und furchtsame Aeneas. Die Helden schimpfen nicht wie Lastträger, halten keine unnützen Reden und machen keine Gleichnisse mit langen Schleppen. Trotzdem verwahrt sich der Abbe dagegen, Tasso, Desmarets, Chapelain über Homer und Virgil zu stellen. Er gibt zu, daß Homer und Virgil allen Verfassern von Epen überlegene Genies, ja daß die Aeneis das beste Gedicht in ihrer Art sei. Trotzdem stehen die Modernen nicht zurück. An Genie kann zwar Virgil sie übertreffen, aber seit seiner Zeit sind die Geheimnisse der Kunst bekannt geworden, und er hat die Regeln weniger gut gekannt, deren Wirkung eben die Verhütung der Fehler ist. Schenkte uns der Himmel ein Genie gleich Virgil, so würde er heute ein viel vollendeteres Gedicht schaffen als die Aeneis, da ihm eine viel größere Menge von Vorschriften zu Gebote ständen.

Vor einem Publikum, das gewußt hätte, was Poesie ist, hätte Perrault mit diesem Geständnis den Prozeß verloren. Aber das stand für ihn nicht zu befürchten. Wenn man die Kunst als die Summe ihrer Regeln definiert, so ist natürlich immer diejenige Kunst die höchste, die sich in den gerade giltigen Regeln bewegt. Perrault konnte leicht zugeben, daß es früher größere Geister gegeben habe; denn da sie in ihren Mitteln die moderne Vollkommenheit nicht erreichten, taugen sie als Vorbilder doch nicht, zumal wenn es, wie Perrault mit Homer, gelingt, ßie lächerlich zu machen. Dann kann man getrost von ihrem Genie flunkern, von dem man im übrigen keine Ahnung hat. Das Detail der Flecken, die man auf sie gespritzt hat, wird eine Anerkennung nie mehr auf- kommen lassen.

Vom Epos wendet sich der Dialog zu den übrigen Gattungen der Poesie, um dann endlich zum ersehnten Endziel zu gelangen, der Satire und dem persönlichen Angriff auf Boileau, der die französischen piker, Chapelain besonders und Saint-Amand, aus Neid und mit empörender Ungerechtigkeit vernichtet habe. Von dem Gerede über die Poetik des Horaz und des Aristoteles ist nur hervorzuheben, daß es als des letzteren unwürdig bezeichnet wird, wenn er seine Lehrsätze

Finaler: Homer in der Neuzeit. 13

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aus der dichterischen Praxis ableite, statt das Wesen der Tragödie und des Epos zu untersuchen. Es sei Aufgabe des Philosophen, den Dichter zu leiten, nicht umgekehrt. Daß Perrault mit diesem ungeheuer- lichen Satz, der Scaliger noch weit überbietet, die Poesie aufhebt, hat er wohl selbst nicht bemerkt. Er hat dadurch den Regelzwang noch viel fester geschmiedet, als es bisher der Fall gewesen war, weil es nun keine Vorbilder mehr geben kann. Dem Klassizismus hatten doch die Vorbilder noch auf Augenblicke Atem zu holen erlaubt; aber jetzt tritt ein absoluter Zwang ein, der dadurch nicht erträglicher wird, daß er ausschließlich auf dem modernsten (reschmack basiert; denn mit diesem ist ja die Höhe aller Kultur erstiegen, und was noch kommt, hat sich danach zu richten oder bedeutet den Zerfall.

Als weiteren Vorzug der Modernen preist Perrault die Erfindung neuer Genres, der Oper, der galanten Poesie und der Burleske, von denen die Alten nichts wußten. Die Burleske gibt Veranlassung, auf den Lutrin zu kommen, der eine verkehrte Burleske sei; anstatt großen Inhalt in ordinärer Sprache darzustellen, umgebe er einen gewöhnlichen Inhalt mit erhabener Diktion, so daß das Lächerliche inwendig, das Ernste außen sei. Natürlich folgen noch einige Lobsprüche auf die neue Er- findung. Sodann erfahren wir, daß Homer die Burleske erfunden habe, z. B. im Streit der Helden und im Faustkampf des Odysseus mit Iros; deiui diese Dinge brächten uns zum Lachen.

Das System Perrault's ist abgeschlossen. Homer, von Boileau als bewundernswertes Vorbild aufgestellt, liegt im Staub, mit dem Fluche der Roheit und, was schlimmer ist, der Lächerlichkeit überschüttet. Der gefürchtete Boileau ist abgetan; sein Art poetique taugt nichts, sein Lutrin ist das Gegenteil einer richtigen Burleske. Seine Satiren über- treffen zwar natürlich die der Alten, aber sie haben ganz unnötigerweise hervorragende Männer verletzt. Damit hat Perrault den geschicktesten Streich geführt. Alles, was über Boileau's scharfe Kritik erbittert war, mußte sich um den Verteidiger sammeln, und ihrer waren viele. Zu- gleich blendete die Lobpreisung der erreichten Kulturhöhe. Wie an- genehm war es, auf die Alten herabzublicken, die man ohnehin nicht kannte, und die Gelehrten zu verachten, die sich nur aus gemeinem Dünkel auf ihre Kenntnisse etwas zugute taten. Dazu ist Perrault ein geschickter Fechter. Er wird nie heftig, wie die Gegner, sondern bleibt immer höflich, höchstens daß gelegentlich dem Präsidenten Verbohrtheit vorgeworfen wird. Perrault tritt nicht nur mit allem Pomp des Jahr- hunderts Ludwigs des Großen auf, sondern glänzt auch mit ungemeiu reichen Kenntnissen in jeder Beziehung, so daß er sich selbst den

Perrault Parallele Boileau 195

Pedanten darin überlegen zeigt. Daß fast alles zusammengebettelt ist, ficht ihn nicht an. Nur Dummköpfe studieren, was sie darstellen wollen.

Jetzt konnte Boileau das Schweigen, das er den ersten Dialogen gegenüber beobachtet hatte, nicht länger wahren. 1694 erschienen seine Picflexions sur Longin, die in zwangloser Folge, an ausgewählte Stellen der Schrift vom Erhabenen anlehnend, den vierten Dialog Perrault's be- kämpften. Man hat der Schrift vorgeworfen, sie bewege sich meistens in kleinlicher Kritik, lasse eine grundlegende Absicht vermissen, be- schränke sich darauf, die Angriffe gegen Homer und Pindar abzuwehren, und die guten Gedanken darin träten nicht recht hervor. Diese Vor- würfe sind unbegründet. Es liegt nur an dem Mangel der Komposition, w^enn die Reflexions einem flüchtigen Leser wenig Eindruck machen. In Wahrheit enthalten sie das ganze Glaubensbekenntnis Boileau' s über die Frage. Boileau konnte unmöglich den Hauptsatz Perrault's einfach umkehren und behaupten, das Altertum als Ganzes übertreffe sein eigenes Jahrhundert. Denn das war gar nicht seine Meinung. Welches diese sei, legt er in der siebenten Reflexion ausführlich dar.

Den wahren Wert eines poetischen Werkes, sagt er, kann nur die Nachwelt richtig beurteilen. Der Beifall der Mitwelt ist noch kein voll- giltiger Beweis. Wie berühmt waren zu ihrer Zeit Naevius, Ennius, Ronsard. Sie wurden vergessen, nicht darum, weil sich die Sprache änderte, sondern weil man das, was ihre Zeit für Schönheiten hielt, nicht mehr als solche anerkannte. Es ist aber Torheit, zu verwerfen, was die lange Reihe der Jahrhunderte geschätzt hat; denn es fragt sich gar nicht mehr, ob Homer, Piaton, Cicero, Yirgil wunderbare Menschen ge- wesen seien. Daß sie es waren, ist .durch das Urteil von zwei Jahr- tausenden festgestellt. Wir haben vielmehr nur zu untersuchen, worin dieses Wunderbare bestehe, das so lange bewundert worden ist.

Man soll sich hüten, einen modernen Schriftsteller ohne weiteres den Alten gleichzustellen. Wieviele sind nach ganz kurzer Zeit der Ver- gessenheit anheim gefallen. Daß die Stücke aus Corneille's Mittagshöhe und die Racine's in die folgenden Jahrhunderte dauern werden, ist sicher; aber bevor die Nachwelt ihnen ihr Siegel aufgedrückt hat, soll man sie nicht Euripides und Sophokles an die Seite stellen.

Im folgenden wird die Formulierung der Frage, wie Perrault sie aufgestellt hat, als falsch erwiesen. Boileau leugnet nämlich gar nicht, daß es viele antike Schriftsteller gebe, die von modernen übertroffen werden. In den höchsten Rang stellt er von den Alten nur eine kleine Zahl bewundernswerter Autoren, die schon ihr Name preist, wie Homer, Piaton, Cicero, Virgil usf, und er richtet seine Hochschätzung für sie

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keineswegs nacli dem Alter ihrer Werke, sondern nach dem ihres Ruhmes. Es ist nämlich nicht wahr, was Perraiüt glauben machen will, daß man die Alten nur schätze, weil sie alt, und die Modernen nur tadle, weil sie modern seien. Es gibt viele Alte, die man tadelt, und viele Moderne, die jedermann preist. Auf das Gerede von der stetigen Ver- vollkommnung der Poesie infolge der Verbesserung der Regeln geht Boileau mit Recht gar nicht ein.

Man hat es kleinlich gescholten, daß Boileau auf die einzelnen Angriffe Perrault's eintritt und ihm seine groben Fehler nachweist. Aber es ist schwer zu sagen, wie das hatte vermieden werden können; denn auf den Einzelheiten beruht ja die ganze Wirkung der Parallele. Daß gelegentlich ein ehrlicher Zorn durchbricht, ist Boileau wahrlich nicht zu verdenken. Manches in den Widerlegungen ist wert, fest- gehalten zu werden. Die Erklärung der Rede der Nausikaa dürfte ge- wissen modernsten Homerkritikern zur Lektüre empfohlen werden. Be- sonders gut ist die Definition der homerischen Gleichnisse. Sie sind, sagt Boileau, nicht nur dazu da, um zu erläutern und zu schmücken, sondern um zu erheitern und dem Geiste des Lesers Erholung zu schaffen, indem sie ihn von Zeit zu Zeit von dem Hauptgegenstand abziehen und durch andere angenehmere Bilder wandeln lassen. Homer ist durch seine Gleichnisse immer neu, obschon er sich immer gleich bleibt. Die Vergleichungspunkte brauchen sich nicht auf das ganze Gleichnis zu erstrecken; es genügt an einer Beziehung im ganzen.

Niemand, sagt Boileau, hat bis jetzt Homer niedriger Ausdrücke geziehen bis auf die Kritiker, die nur die schlechten lateinischen und französischen Übersetzungen lesen, um deren Niedrigkeiten dem Homer aufzubürden. Man weiß, daß die französische Poesie gewisse Ausdrücke nicht duldet; aber gerade diese verwendet Perrault, wemi er Homer aus schlechtem Latein ins Französische übersetzt, um damit die Niedrig- keit Homers zu erweisen.

Die Lobsprüche, die Perrault Homer spendet, um ihn dann um so tiefer herabzusetzen, sind wie Blumen, mit denen er das Opfertier bekränzt, bevor er es seinem Mißverstand opfert. Übrigens verwickelt er sich dabei in Widersprüche. Er nennt Homer den umfassendsten und schönsten Geist und spricht ihm gleich nachher alle Kunst ab; ja auf einmal erfahren wir, daß dieses Genie gar nie existiert habe, und es verwandelt sich plötzlich in einen Haufen blinder Lumpen, die um Geld zufällig gemachte Gedichte vortrugen.

Schon das Gedicht Le siecle de Louis le Grand hatte die Geister in Aufruhr gebracht. Die Dialoge der Parallele taten es noch viel

Boileau Ende der Querelle 197

mehr. Perrault ist in dem Streit ohne Frage der Sieger geblieben. Die Gelehrten, die sich getroffen fühlten und gelegentlich sehr grob wurden, trieben das ungelehrte Publikum noch mehr auf seine Seite. Selbst in der Akademie vermehrte sich die Zahl seiner Anhänger be- ständig, trotz der glänzenden Lobrede, die La Bruyere bei seinem Eintritt in diese Körperschaft 1693 auf die Alten und Boileau hielt, und trotz der scharfen Zurechtweisung, die der Bischof Huet von Avranches der Parallele erteilte. Das große Publikum, die Opfer Boileau's, die Frauen, die Jesuiten, die Journalisten scharten sich um Perrault. Was hatte es zu bedeuten, daß er Homer nicht verstand, und daß seine Ideen gar nicht ihm gehörten?

Persönlich kam zwischen Boileau und Perrault eine Art Friede zu- stande, zuletzt durch einen Brief Boileau's, in welchem dieser, nachdem er vorher Homer und Piaton als unvergleichlich ausgesondert und auf die Bedeutung der Alten für die französischen Tragiker hingewiesen hatte, zugab, daß das Zeitalter Ludwigs XIV. die früheren, zumal das des Augustus, in bildenden Künsten, Philosophie und exakten Wissenschaften übertreffe. Darin hatte er nie anders gedacht, und daß Corneille und Racine die verschollenen augusteischen Dramatiker übertreffen, konnte er leicht zugeben. Aber für die meisten Literaturgattungen hält er an seiner ursprünglichen Ansicht unverbrüchlich fest, und sein Urteil über das Zeitalter des Augustus gilt für die Mehrzahl der großen Schriftsteller nicht. Auf die Grundidee Perrault's, die Übertragung der Lehre vom Fort- schritt auf die Poesie, tritt Boileau gar nicht ein, und dieses Schweigen ist auch eine Kritik. Große Schriftsteller, das ist sein Standpunkt, werden immer Muster bleiben, und unter den Alten sind einige ganz große.

Der Sieg Perrault's konnte den französischen Klassizismus nicht er- schüttern, weil der Regelzwang nicht nur nicht angegriffen, sondern ge- stärkt worden war. In den Regeln besteht ja nach Perrault die Kunst; sie haben die Höhe der Poesie hervorgerufen. Es hätte gezeigt werden müssen, daß die theoretische Poetik, von Aristoteles angefangen, dem poetischen Genius nie gerecht geworden sei; aber was Perrault dem Aristoteles vorwirft, ist nicht, daß er Regeln aufstellt, sondern daß er sie aus den Dichtern ableitet. Es kann auch die Erschließung neuer Dichtungsgebiete, des Märchens und des satirischen Romans, nicht wohl auf die Querelle zurückgeführt werden; das Altertum hatte doch auch vorher die Entstehung der neuen Genres, die Perrault als einen Vorzug des Modernen preist, nicht verhindert. Wenn die Querelle ein Joch ab- schüttelte, so war es eines, das niemand drückte, während an dem wahrhaft schweren nicht gerüttelt wurde.

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Es sind noch einige Männer zu nennen, die in den Kampf zwar nicht unmittelbar eingegriffen haben, aber für die kommende Zeit wichtig ge- worden sind. In Rotterdam hat Pierre Bayle im Jahre 1684 seine Nouvelles de la Repuhliqiie des lätres gegründet, die sich die Populari- sierung wissenschaftlicher Gegenstände zur Aufgabe machten. In einem der ersten Hefte, März 1684, also noch vor Perrault's Auftreten, be- spricht Bayle des Cuperus Apotheosis Homeri sehr anerkennend und sagt zum Schluß, man finde darin eine Unmasse schöner Stellen, in denen Homer so ausnehmend gepriesen werde, daß man nicht wisse, was man zum Geschmack des Jahrhunderts sagen solle. Die gebildeten Laien von gesundem Urteil, sagt Bayle, klagen fast alle das Altertum des Mangels an gesundem Menschenverstände an, auch wenn sie Homer in einer noch so treuen Übersetzung lesen. Sie finden in ihm weder Kraft noch Er- habenheit der Gedanken, und Armseligkeiten, die man heute dem letzten Verseschmied nicht verzeihen würde. Kürzlich hat man, gemeint ist La Valterie, eine Übersetzung Homers gegeben, die ihn von mehreren Niedrig- keiten säubert; aber das konnte ihn vor der Verachtung der Kenner nicht retten. Bayle will aber nicht entscheiden, wer den verderbten Ge- schmack habe, um nicht dem Verdikt des Meric Casaubonus zu unter- liegen, der gesagt hatte, denen, die den Homer verachten, sei kaum etwas Schlimmeres zu wünschen, als daß sie die Früchte ihrer Torheit genießen.

Nicht weniger unverhohlen spricht Bayle sein Urteil über Homer in dem zuerst 1696 erschienenen Dictionnaire historique et critiqiie aus. Seine Aussprüche sind nicht ganz leicht zu finden, da sie in den mächtigen Anmerkungen, zumeist zum Artikel Ächille, versteckt sind. Der Artikel selbst ist eine Biographie des Achilleus, der ganz als historische Person behandelt wird, zusammengesetzt aus Berichten aller möglichen Schrift- steller, In den Noten nimmt die Polemik gegen schiefe Behauptungen älterer Zeitgenossen einen übermäßigen Raum ein, und es werden da Dinge erörtert, auf die uns heute kaum etwas ankommt. Dazwischen stehen vortreffliche Bemerkungen, z. B. wenn Bayle die vergebliche Mühe derer verspottet, die an die Sagen den Maßstab der Wahrscheinlichkeit anlegen. Ergötzlich ist die Klage, daß die Alten sich gar keine Mühe gegeben hätten, Widersprüche zu vermeiden, w^odurch die Geschichten noch unerträglicher geworden seien.

Über Homer urteilt Bayle im ganzen ungünstig. Die Rede des Phoinix im neunten Buch scheint ihm des Epos unwürdig und der Behaup- tung des Horaz zu widersprechen, daß Homer immer dem Ziele zustrebe. Wird sich ein mit der wichtigsten Aufgabe betrauter Gesandter damit

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Bayle Saint-Evremond 199

aufhalten, Ammenmärchen und alte Abenteuer zu berichten? Auch die Art, wie Thetis ihren Sohn tröstet, entspricht der Majestät des Epos nicht. Geben wir, sagt Bayle, das schöne Talent Homers zu, aber ge- stehen wir auch, daß er, wenn er heute lebte, sein Gedicht ganz anders feilen müßte. Er würde die Naivetäten in der Klage der Andromache weglassen müssen, so sehr sie auch nach der Natur gezeichnet sein mögen. Im Artikel NausiMa wird die Geschichte des sechsten Buches der Odyssee ausführlich skizziert, um die Naivetät Homers und den Unterschied zwischen dem Charakter seiner Zeit und dem der modernen zu zeigen. Auch in den Urteilen über die Querelle steht Bayle aufseiten Perrault's.

Nicht weniger entschieden tut das Saint-Evremond, der von 1662 an fast ausschließlich in England lebte, aber in seinen litera- rischen Neigungen durchaus Franzose geblieben war. Seine zwei kleinen Schriften über die Frage enthalten zwar auch schon Gesagtes; aber sie zeigen daneben die Richtung seines Geistes auf die Aufklärung hin, die mr bei Desmarets und Perrault vermissen. Der Zweck des Auf- satzes Sur les poemes des Anciens ist, die modernen Dichter vor der Nachahmung Homers zu warnen. Wenn schon der Unterschied zwi- schen dem Jehova des Alten und dem neuen Gott des Neuen Testa- ments eine verschiedene Behandlung erfordert, wieviel mehr der zwi- schen den heidnischen Göttern und dem wahren Gotte! Man nehme dem Altertum die Götter, und man nimmt ihm seine Gedichte. Ohne die Bitte der Thetis und Agamemnons Traum gäbe es keine Ilias, ohne Athene keine Odyssee. Die Götter beschließen nicht nur alles, sie führen auch alles durch; die Menschen sind nur Maschinen, durch die Eingebungen der Götter wie durch eine verborgene Triebfeder gelenkt. Die Gottheit, der wir dienen, ist der menschlichen Freiheit günstiger. Eine nicht geringere Wandlung hat sich in den Sitten vollzogen. Die Behandlung Lykaons und Hektors durch Achilleus ist so unmensch- lich, daß sie uns sogar die Tugenden des Helden verleidet. Es ist außerdem nicht richtig, daß die Mißhandlung Hektors 'der Freundschaft entspringe; sie ist einfach ein Ausfluß der Unmenschlichkeit. Homer hat allerdings nur die menschliche Natur geschildert, in deren Grund die Leidenschaften ruhen, während in uns die Tugenden durch ver- nunftsgemäße Aufklärung geweckt werden. Zu Homers Zeit gab es noch keine geordnete menschliche Gesellschaft, keine Staatskunst, die die Menschen aufeinander gewiesen, keine Moral, die sie für sich selbst gebildet hätte. Gute und schlechte Eigenschaften erschienen zu wenig gesondert.

200 Frankreich und die Niederlande

Beim Gleiclmis beklagt Saint-Evremond vor allem, daß es uns von der Haupthandlung abziehe. Wir verfolgen zwei Heere, die zusammen- stoßen wollen; da werden wir plötzlich auf ein brandendes Meer ver- setzt, und die ausgedehnte, neue Vorstellung löscht die frühere aus ; oder man zeigt uns einen Berg in Flammen, hernach das Wüten des Sturmes in einer Waldscblucht, und so verlieren wir ganz das Bild des Kampfes.

Die Poesie der Alten ging nicht auf Wahrheit aus; eine nützliche Lüge, eine glücklich vorgebrachte Unwahrheit war den Betrügern förder- lich und machte den Leichtgläubigen Vergnügen. So regierten die Klugen. Durch geheimnisvolle Irrtümer täuschten sie die Leute, welche die nackte Wahrheit verachtet hätten, und danach richtete sich auch der poetische Stil, der ganz in Erfindungen, Allegorien, Parabeln aufging, durch eine gleißende Außenseite den Grund aller Dinge verdeckte und durch ge- häufte Gleichnisse von den wirklichen Gegenständen abzog. Unsere Zeit dagegen liebt die klaren Wahrheiten; der gesunde Menschenverstand hat über die Illusionen der Phantasie das Übergewicht; nichts befriedigt als Solidität und Vernunft, wozu noch kommt, daß unsere Kenntnisse die der Alten weit überragen.

Lebte Homer heute, so würde er bewundernswerte Gedichte schaffen, die unserem Zeitalter entsprächen. Unsere Dichter machen schlechte, weil sie sich von Regeln leiten lassen, die mit den Dingen der Ver- gangenheit hinfällig geworden sind. Sie können die alten Götter nicht aufgeben und formen unsere Engel nach jenen. So gelingen ihnen ihre Erfindungen nicht, und von unseren Wahrheiten können sie keinen Ge- brauch machen. Homers Gedichte werden immer Meisterwerke bleiben, aber nicht in allem Vorbilder. Sie bilden unser Urteil, das uns zu rich- tiger Verwendung der gegenwärtigen Dinge in den Stand setzt. Saint- Evremond's Ausführungen treffen das französische Epos schwerer als das homerische. Desmarets hätte keine Ursache gehabt, sich des Bundes- genossen zu freuen.

In dem Aufsatz Le Merveüleux qui se troiive dans les poemes des Änciens setzt Saint-Evremond auseinander, daß das Wunderbare in den ritterlichen Romanzi weniger Unheil anrichte als im Epos. Er will die Götter nicht aus den modernen Werken verbannen, aber sie sollen als wirkliche Götter, nicht als Missetäter auftreten. Die alten Dichter haben in den Handlungen der Menschen die Wahrscheinlichkeit gewahrt, in denen der Götter gar nicht. Ihre Theologie ist das Gegenteil von jeder Religion und Vernunft. Dazu hat die Poesie nicht das Recht; was schlecht ist, ist es unter allen Umständen. Bei allen Schönheiten Homers und Virgils vergißt man diese Grundfehler nicht.

Saint -Evremond Le Clerc 201

Die etwas schwächliche Ode Sur la dispute touchant les Anciens et les Modernes stellt sich entschieden auf den Standpunkt der letzteren, mit der nicht übel angebrachten witzigen Wendung, Boileau habe durch die Güte seiner Schriften selbst die Überlegenheit der Neuzeit über das Alter- tum bewiesen.

Weiter ab von dem entbrannten Streite steht Jean Le Clerc in seinen Parrhasiana 1699. Wir haben ihn schon früher als Freund des Altertums kennen gelernt. Den Dichtem ist er im ganzen nicht günstig gesinnt; sie sind Lügner, die wahrhaft Verständigen vielleicht von einigem Nutzen sein, aber Leute von nicht fester Vernunft leicht ver- wirren können. Die antiken Dichter können dazu nütze sein, den Geist mit guten Vorschriften zu erfüllen und die Einbildungskraft zu er- wärmen. Das gilt aber nur von den wirklichen Alten. Sie in latei- nischen und griechischen Versen nachzuahmen taugt gar nichts, über- haupt hat ihre Nachahmung der Vollendung der modernen Poesie nur geschadet.

Das Vergnügen am Epos und der Tragödie findet Le Clerc in der aus Bewunderung und Furcht, Mitleid und Unwillen gemischten Stim- mung, in der man auch Furchtbares verzeiht. Er tadelt die Grausamkeiten und Wunder bei Virgil, für welche das Muster Homer keine Entschul- digung sei, da der Dichter in einem viel gebildeteren Zeitalter gelebt habe als sein Vorbild; aber die große Zeichnung des Aeneas helfe dar- über weg. Ebenso wüßten uns Homer und Virgil über ihre Verstöße gegen den gesunden Menschenverstand wegzutäuschen, z. B. auch über die Absurditäten der Schildbeschreibungen. Die erzieherische Bedeutung der Dichter ist Le Clerc sehr zweifelhaft, wenn er an die Götter Homers denkt und sieht, wie dieser auch lasterhafte Menschen unter göttlichen Schutz stellt und die Götter nie zu Schirmern der Tugend macht. Über- haupt hält er vom moralischen Einfluß der Dichter ebensowenig wie von ihrem privaten Charakter und kommt zu dem Schlüsse, der epische Dichter wolle unterhalten und nur insofern belehren, als es dem Schmucke der Poesie diene. Darum bekämpft er Le Bossu's Entdeckungen über die Moral der homerischen Gedichte als leere Vermutungen, für die ia den Epen selbst gar kein Anhalt bestehe, und die ähnlich aus jedem Gedicht herausgelesen werden könnten. Sehr ergötzlich führt er eine weitere An- zahl von Moralsätzen an, die aus Ilias und Odyssee abzuleiten wären. Es könnte freilich, so schließt er, ein Dichter, der bessere moralische Maximen in sich aufgenommen hätte als die Poeten des Altertums, ein Gedicht in dem Sinne verfassen, den man ihnen fälschlich zuschreibe. Aber es ist ihm sehr zweifelhaft, ob dieser Fall je eintreten werde.

202 Frankreich und die Niederlande

Le Clerc ist auf der einen Seite oft sehr philiströs, auf der andern aber \virkt wohltuend seine Freude an der schönen poetischen Form, über der er gerne alle wirklichen oder angeblichen Mängel vergißt.

Unter den Behauptungen, die Perrault seinen Gegnern entgegen - schleuderte, war auch die, daß viele ausgezeichnete Kritiker die Existenz eines Menschen namens Homer geleugnet hätten. Es war ein ge- schickter Fechterstreich, weiter nichts; aber wir sehen daraus, daß man gewissen Nachrichten des Altertums Gewicht beizumessen begann, die vom Beginn der Renaissance an vor aller Augen gelegen hatten. Die wichtigsten sind folgende:

Cicero preist den athenischen Tyrannen Peisistratos für seine hohe Bildung und rechnet es ihm zum besondem Verdienst an, daß er die vorher verworrenen Bücher Homers so geordnet habe, wie wir sie jetzt besitzen. Aelian, ein Schriftsteller des 3. Jahrhunderts n. Chr., erzählt, die Alten hätten früher die Epen Homers getrennt gesungen, und führt eine Menge von Titeln der einzelnen Gesänge an. Spät habe Lykurgos die ganze Poesie Homers nach Griechenland gebracht, nachmals Peisistratos sie vereinigt und Ilias und Odyssee veröffentlicht. Daß Ly- kurgos die Gedichte nach Griechenland gebracht habe, berichtet auch Plutarch. Der byzantinische Lexikograph Suidas sagt, Homer habe die Gedichte nicht auf einmal und nicht in fortlaufender Reihenfolge, wie wir sie jetzt haben, gedichtet, sondern sie hinterlassen, wie er sie auf der Reise überall in den Städten vorgetragen hatte. Endlich behauptete der jüdische Geschichtschreiber Josephus im 1. Jahrhundert n. Chr., man sage, Homer habe seine Poesie nicht aufgeschrieben, sondern sie sei durch das Gedächtnis überliefert und später aus den Einzelgesängen zusammengestellt worden.

Man kann die Entwicklung der Peisistratosfabel heute deutlich ver- folgen. Dieuchidas von Megara hatte Peisistratos vorgeworfen, zugunsten Athens Verse in die Ilias eingesetzt zu haben. Da nun im 6. Jahrhundert die Rhapsoden angehalten wurden, an den großen athenischen Festen die Gedichte in geordneter Folge vorzutragen, kam Dieuchidas auf die Idee von der Sammlung durch Peisistratos. Diese ist ein Ding der Unmöglich- keit, weil man im 6. Jahrhundert unter Homer noch alle epischen Gedichte verstand, nicht nur Ilias und Odyssee, und weil die athenische Festord- nung zeigt, daß die Gedichte bereits in Ordnung waren. Daß immer nur einzelne Stücke vorgetragen werden konnten, versteht sich ja von selbst, wie auch daß die Rhapsoden diesen Stücken Sondertitel gaben. Aber die Mär von der Sammlung durch Peisistratos erforderte die Annahme

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Homerfrage Peisistratos 203

der Auflösung eines alten Zusammenhangs; denn daß ein solcher voraus- gesetzt worden ist, geht daraus hervor, daß im Altertum niemand dem Homer die Autorschaft der Ilias abgesprochen hat. Die Arbeit des Pei- sistratos wurde demnach allgemein als Rekonstruktion des ursprüng- lichen Zustandes gefaßt. Nur Suidas läßt den Homer die Gedichte nicht als Ganzes, sondern nacheinander in einzelnen Rhapsodien dichten, aber auch er hält an dem einen Verfasser fest. Die Stelle ist darum interessant, weil sie zeigt, wie man im späten Altertum die peisistratische Rezension mit der Persönlichkeit Homers in Einklang zu bringen suchte. Daß Homer die Schrift nicht gekannt habe, steht nur bei Josephus, von dessen angeblichen Gewährsmännern keine Spur aufzufinden ist, und der die Nachricht selbst erfunden haben dürfte.

Bekannt waren ferner der Renaissance die Nachrichten über Leben, Heimat und Zeit Homers, vor allem das dem Herodot zugeschriebene Leben Homers, aber auch die übrigen Notizen. Gesammelt wurden sie zuerst von Lilius Gyraldus aus Ferrara, der beiDemetrios Chalkondyles in Mailand studiert hatte. Seine Historia poetarum 1545 ist ein äußerst fleißiges Werk, das auch die Geschichte der Homerfrage in ergötzlicher Weise eröffiiet. Gyraldus findet es äußerst schwierig, aus der Masse wider- sprechender Nachrichten über Homer ein sicheres Resultat zu gewinnen, und sagt, er habe einst geglaubt, der Streit der sieben Städte um Homer habe den Sinn, daß es sieben, oder wie er gelesen, acht Homere gegeben habe. Archilochos nämlich, der Zeitgenosse Homers, verteile in seinem Buche De temporihus diese acht Homere auf die verschiedenen Städte. Gyraldus bringt allerdings der Echtheit des Buches einiges Mißtrauen entgegen, und mit Recht; denn es ist das Fabrikat des Annius von Viterbo, eines literarischen Schwindlers aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, der mit ungeheurer Zuversichtlichkeit Heimat und Alter dieser Homere angibt und den letzten, den Maeoniden, fünfhundert Jahre nach Trojas Fall ansetzt.

Der erste, bei dem ich die Peisistratosfabel erwähnt finde, ist Came- rarius 1538, der die Nachrichten des Cicero und Suidas ohne Kritik wiedergibt. Dann preist Eoban Hessus in der Dedikation seiner Über- setzung der Ilias 1540 den athenischen Tyrannen dafür, daß er den in verschiedene Teile zerteilten und in der undankbaren Welt zerstreuten Homer aus der ganzen Welt zurückgeführt und gleichsam aus einer Ver- bannung dem gebildeten Griechenland zurückgegeben habe. Hessus be- zieht sich hier auf die Stelle Ciceros. Von den Italienern ist zuerst Paolo Beni 1607 der Frage näher getreten. Er meint, man könnte vielleicht den Mangel an Einheit in den homerischen Gedichten durch die Annahme

204 Frankreich und die Niederlande

erklären, daß erst Peisistratos die Gedichte gesammelt habe. Aber, sagt er, es mögen wohl zuerst einzelne Partien der Epen von lonien nach Athen gekommen sein, bevor die ganzen Gedichte dort anlangten, wie z. B. ja auch von Tasso's Gedicht zuerst nur einzelne Gesänge bekannt waren. Peisistratos oder sein Sohn Hipparchos mögen sie in die gegen- wärtige Form gebracht haben. Aber daß das nicht die ursprüngliche Form gewesen sei, in der Homer sie gedichtet habe, daß sie zuerst in einzelnen Gesängen existiert hätten und erst nachträglich in die uns vorliegende Form gebracht worden seien, findet Beni durchaus unwahr- scheinlich. Ebenso verständig mögen die übrigen Italiener gedacht haben^ die die großen Kompositionen nicht einer spätem Redaktion zuschreiben mochten. Julius Caesar Scaliger teilt die Stelle Aelians mit und findet sie im Widerspruch mit einer anderen Nachricht des nämlichen Schrift- stellers, der er größeren Glauben beimißt: des Tyrannen Sohn Hippar- chos habe die homerischen Gedichte zuerst nach Athen gebracht. Eine Kritik der Angaben Aelians* unternimmt er nicht, sondern befaßt sich im übrigen mit einer Untersuchung über den Begriff und das Wesen der Rhapsoden. Doch benutzt er die Nachricht, um zu beweisen, daß weder Ilias noch Odyssee eine Einheit im Siime der Tragödie seien, sonst hätten die Alten nicht einzelne Stücke daraus wie abgeschlossene Glieder vortragen können. Isaac Casaubonus sprach über die Angabe des Josephus, daß Homer seine Gedichte nicht geschrieben habe, den be- rechtigtsten Zweifel aus. Wenn es wahr sei, daß sie lange nur durch das Gedächtnis überliefert und erst spät aufgeschrieben worden seien^ so sehe er nicht ein, wie wir sie in einem genügend fehlerfreien Zu- stande besitzen könnten, selbst wenn wir die ältesten Handschriften besitzen sollten; wenn es wenigstens wahrscheinlich sei, daß sie nicht wenig anders geschrieben wurden, als sie von Homer selbst verfaßt worden waren.

Die Stellen der Alten über Peisistratos wurden vollständig zusammen- gestellt von dem holländischen Gelehrten Joannes Meursius 1623, in einem Pisistratus überschriebenen Aufsatz, zugleich mit Aufzählung der Verse, die von den Athenern in den Homer eingesetzt sein sollen

Eine besondere Stellung nimmt der letzte der großen französischen Philologen ein, Salmasius, in dem Riesenwerke Plinianae exercitationes in' Solini Polyhistora 1629. Die Grundlage bildet das geographisch-histo- rische Kompendium des spätrömischen Schriftstellers Solinus aus dem 3. Jahrhundert n. Chr., an dessen dürre Notizen Salmasius eine Unsumme von Gelehifcjamkeit anknüpft. Auf die Entstehung der homerischen Ge- dichte kommt er bei Gelegenheit der Rhapsoden zu sprechen, von denen

Homerfrage Salmasius 205

er mit Eifer beweist^ daß sie keine eigenen, sondern nur fremde Gedichte vortrugen. Er hält es für erwiesen, daß die Gedichte Homers ursprüng- lich vereinzelt waren und erst spät in ein großes Ganzes, corpus, ver- einigt wurden. Aber die Tradition über Peisistratos verwirft er, obwohl er sie gekannt haben muß. Er spricht zwar nie davon, aber die Be- merkung, daß die Bezeichnung Rhapsodie noch heute an einzelnen Ge- dichten Homers hafte, beweist, daß er jedenfalls Aelian kennt. Er stellt sich die Sache so vor, daß die Rhapsoden, die später waren als Homer, beim öffentlichen Auftreten von da und dort einen Teil seiner Poesie er- griffen, den sie verwoben, zusammennähten, in eine Ordnung brachten. Durch dieses Zusammenfügen, von dem die Rhapsoden den Namen haben, entstand das große Ganze. Salmasius spricht auch die Ansicht aus, es könnten Partien der Gedichte, die von zwei Rhapsoden wetteifernd ge- sungen wurden, zusammengefügt worden sein. Seine Anschauung ist selbständig und überraschend. Es ist zwar zu bedauern, daß er sich über den letzten Ursprung der Gedichte nicht ausgesprochen hat; da er aber von Homer stets als von einer historischen Persönlichkeit spricht, so hat er ihm ohne Zweifel die Abfassung aller Einzelgedichte zuge- schrieben. Deren Verbindung aber stellte er sich auf dem Wege künstle- rischer Gestaltung erfolgt vor, so daß auch die Komposition noch zu ihrem Rechte kommt.

Erwähnt mag noch werden, daß Salmasius in einer eingehenden, aber nicht immer sehr durchsichtigen Untersuchung über den Epischen Kyklos zu der Ansicht kommt, die Kyprien und die Kleine Ilias seien Uiaden gewesen wie die Homers, hätten aber den ganzen Krieg umfaßt. Homers Ilias sei nur ein einziger Akt, während die anderen Epen deren mehrere gehabt hätten, weshalb auch der Stoff zu mehreren Tragödien daraus habe genommen werden kömien. Wie freilich dieser einzelne Akt zu der ursprünglichen Vereinzelung der Gedichte stimme, dafür bleibt uns Salmasius die Erklärung schuldig.

JakobPerizonius, Professor in Leyden, zog 1684 aus der Nachricht des Josephus den Schluß, die Erinnerung an geschichtliche Ereignisse sei zuerst durch Lieder erhalten worden, wie ja auch Homer den Achilleus Ruhmestaten der Helden zur Laute singen lasse. Wenn solche Lieder allgemeinen Beifall fanden, so wurden sie auch aufgeschrieben. Jene im Gedächtnis aufbewahrten, dann aber auch aufgeschriebenen Gedichte Homers brachte Lykurg aus lonien nach Griechenland, Peisistratos fügte sie zusammen und stellte Ilias und Odyssee her, wie Aelian bezeugt. Welche Rolle die Persönlichkeit Homer bei der Abfassung der ursprünglich nur gesungenen Gedichte gespielt habe, ist nicht ersichtlich.

206 Frankreich und die Niederlande

Auch in Deutschland befaßte man sich mit der Frage. In seiner Basler Antrittsrede 1684 verband Johann Rudolf Wetstein die Berichte des Suidas und Aelians in ähnlicher Weise wie Perizonius, nur daß er mit Suidas die Abfassung der Gedichte ausdrücklich dem Homer zuschrieb und den Hipparchos die letzte Hand an die Sammlung legen ließ. Mit der Sammlung des Materials brauchte Wetstein sich keine besondere Mühe zu geben, da es bei AUatius und Meursius gesammelt vorlag. Auf Wetstein und des Cuperus Apotheosis Homeri fußend arbeitete Ludolph Küster seine Historia critica Homeri 1696 aus, welche die antiken Zeugnisse über Homer übersichtlich zusammenstellt. In der Auffassung der peisistratischen Rezension kommt er nicht viel über Wetstein hinaus, gibt sich aber große Mühe, die widersprechenden Nachrichten über den Anteil, den Solon, Peisistratos, Hipparchos an Homer gehabt haben sollen, nach Kräften auszugleichen. Daniel Georg Morhof bezweifelt in seinem Polyhistor 1688 die antike Nachricht von einer Kommission, die Peisistatos für die Redaktion des Homertextes eingesetzt haben sollte, und erblickt darin mit Recht eine Nachbildung der Kommission der alexandrinischen Septuaginta; im übrigen glaubt er die Geschichte. 1702 fügte Gronovius dem Neudruck des Meursius die romanhafte Relation des Grammatikers Diomedes über die peisistratische Rezension hinzu, einen Bericht, der schon dem Allatius bekannt gewesen Avar. Eine abschließende Sammlung aller antiken Zeugnisse über Homer gab Johann Albert Fabricius in seiner Bihliotheca Graeca 1705 1728, ohne eigene Kritik.

In England sprach sich der große Gelehrte Richard Bentley über die Frage aus, wenn auch leider nur kurz und an einer Stelle, wo man es nicht suchen würde. Der Deist Anthony Collins hatte in einer Schrift Discourse on Free-TJiinking unter anderm den Homer als Meister in allen Künsten und Wissenschaften gepriesen und gesagt, er habe sein Gedicht für die Ewigjceit zum Vergnügen und zur Belehrung der Mensch- heit bestimmt. Diese Auffassung mag falsch sein, aber Collins hatte sie nicht erfunden: war es doch im ersten Teile die seit Marsuppini aus Plutarch immer wiederholte Weisheit, im zweiten die fast einhellige Auffassung der klassizistischen Kritik. In der Streitschrift gegen Collins RemarJtS upon a late discourse on Free-Thinking 1713 bestritt Bentley, daß der gute Homer je solche Aspirationen gehabt habe. Er schrieb, sagt Bentley, eine Folge, sequel, von Gesängen und Rhapsodien, um sie für geringen Lohn und gute Kost an Festen und anderen lustigen Tagen zu singen, die Ilias für die Männer, die Odyssee für das andere Ge- schlecht. Diese unzusammenhängenden Gesänge wurden erst zu Peisi-

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Homerfrage Bentley Rapin 207

Stratos' Zeit, ungefähr 500 Jahre später, in der Gestalt eines epischen Gedichtes vereinigt. Auch ist kein Wort im Homer, das für sein Werk Unsterblichkeit ahne oder verspreche. Im letzten Pimkt hat Bentley entschieden unrecht; die homerische Poesie ist sich bewußt, daß sie ihre Helden und Geschichten unsterblich macht. Auch ist der unge- bundene Ton von Bentley's Widerlegung nicht dazu angetan, alle seine ßehauptimgen ernsthaft fassen zu lassen. Die Zuteilung der Gedichte an die Geschlechter ist ein Scherz. In der Auffassung von der Ent- stehung der Gedichte folgt er im ganzen dem Suidas. Wie er sich (üe Folge von Gesängen und Rhapsodien vorgestellt hat, ist nicht klar. War seiner Meinung nach die späte Sammlung, die er nicht ausdrücklich dem Peisistratos zuschreibt, die Wiederherstellung einer ursprünglichen Anordnung oder eine Neuschöpfung, die Abfassung eines Epos aus vereinzelten Gesängen? Daß Bentley mit dem gesamten Altertum an der Einheit des Dichters festhielt, scheint unwiderleglich daraus hervor- zugehen, daß er die einzelnen Gesänge von Homer geschrieben sein läßt, um von ihm selbst vorgetragen zu werden, to be sung by himself.

Mehrere der genannten Schriften sind später als die Querelle, aber sämtlich ohne Kenntnis d'Aubignac's abgefaßt. Der erste, der mit Allatius' Material in Frankreich die Frage neu angriff, war Rapin. Er läßt Aelian sagen, nach der Meinung der Gelehrten seiner Zeit habe Homer die Ge- dichte nur in Stücken verfaßt, ohne Einheit des Plans, und die einzelnen Stücke nach ihrem Inhalt betitelt. Lykurg habe dann die getrennten und zusammenhangslosen Stücke nach Griechenland gebracht, wo Peisi- stratos sie ordnete. Rapin kann sich aber nicht entschließen, das zu glauben, weil damit dem Homer, den doch Aristoteles als den wirklichen Verfasser der Gedichte erkläre, der größte Ruhm, der der Komposition, entrissen würde. Die Zeugnisse des Cicero, Plutarch und Josephus wiegen ihm weniger schwer, da sie nicht so bestimmt lauteten.

Nun stellte Perraultin der Parallele die Behauptung auf, viele aus- gezeichnete Kritiker leugneten die Existenz eines historischen Menschen namens Homer. Ilias und Odyssee seien ein Haufen kleiner Gedichte von verschiedenen Verfassern über den in jener Zeit beliebtesten Gegen- stand, den troischen Krieg. Später seien die besten Stücke verbunden und in die gegenwärtige Ordnung gebracht worden. Nur so habe man Ilias und Odyssee Rhapsodien nennen können, ein Wort, das einen Haufen zusammengenähter Stücke bedeute. Der Streit der Städte um die Heimat Homers rühre von der Mehrheit der Verfasser her. Der Name Homer bedeute den Blinden, und seine Gedichte seien eben die des Blinden; es seien nämlich viele von den Dichtern, die um ihr Brot

208 Frankreich und die Niederlande

singend herumgezogen seien, blind gewesen. Diese Ansieht habe unter andern der Abbe d'Aubignac in einem Aufsatz niedergelegt. Gestützt werde sie durch das Zeugnis Aelians. Was Perrault von diesem zu sagen weiß, ist wörtlich aus Rapin abgeschrieben. Dagegen hat er von den damals noch ungedruckten Conjectures academiques des Abbe d'Aubignac eine ziemlich genaue Kunde gehabt. Es fällt ihm indessen nicht ein, aus der Hypothese mehr zu machen als einen Beweis für die geringe Güte der Fabel der Ilias.

Boileau sah, wie geschickt der Streich geführt war, und suchte ihn zu parieren. Zunächst stellt er fest, daß Perrault flunkert, wenn er von mehreren ausgezeichneten Kritikern spricht, welche die Existenz Ho- mers geleugnet haben sollen. Sie reduzieren sich auf den Abbe d'Aubignac, den Boileau noch persönlich gekannt hat, und dem er einen solchen Streich nicht zutrauen kann; er müßte denn in seinem hohen Alter etwas kindisch geworden sein. Hier täuschte sich Boileau: die Conjec- tures des 1604 geborenen und etwa 1676 gestorbenen Abbe waren schon seit 1664 vorhanden. Dagegen ist ihm der Nachweis vollkommen ge- lungen, daß die Stelle Aelians für die Annahme einer Mehrheit der Verfasser der homerischen Gedichte nicht verwendbar ist. Aelian sagt nur, daß diese in einzelnen Stücken vorgetragen wurden, daß Ly- kurgos die ganze Poesie nach Griechenland brachte und Peisistratos sie wieder zusammenstellte und Ilias und Odyssee publizierte.

Es dauerte noch lange, bis d'Aubignac's Büchlein gedruckt wurde. La Motte und M™®. Dacier sprachen davon, ohne es zu kennen; noch im Druckjahr 1715 konnte Gacon darüber spotten, als ob es gar nicht existierte. In diesem Jahre erschien es ohne den Namen des Verfassers unter dem Titel Conjectures academiques ou Dissertation siir l'Iliade, in nicht druckfähigem Zustande. So wie es vorliegt, leidet es an Wieder- holungen, Weitschweifigkeiten und Stilfehlem, die nur dadurch erklärt werden können, daß es nicht ganz fertig geworden ist. D'Aubignac ist dem fertigen Epos gegenüber nicht freundlicher gestimmt als die übrigen Modernes; er findet es mit Schwächen und Fehlern überreich behaftet. Auch den Ruhm, den ihm die vergangenen Jahrhunderte zollen, schlägt er nicht hoch an. Besonders hat für ihn des Aristoteles Urteil nicht volle Gewähr, weil dieser Homer brauchte, um die Kriegslust Alexan- ders zu nähren, und für sein Urteil keinen anderen Dichter als Homer zur Hand hatte. Der Abbe benutzt aber die zahlreichen Ausstellungen an Homer nicht wie die übrigen Kritiker zu einer Verurteilung des Dichters. Seine Absicht ist vielmehr zu beweisen, daß, was in einem durch einen einzigen Dichter planmäßig angelegten Epos unverständlich und uner-

D'Aubignac 209

träglich wäre, bei Annahme verschiedener Dichter vollkommen erklärlich sei, und daß man auf diese Weise vieles als wirkliche Schönheit genießen könne, was in einem langen Epos zum Fehler würde.

Es hat, sagt d'Aubignac, nie einen Menschen namens Homer gegeben. Vor Herodot, der ihn zuerst nennt, herrscht über ihn absolute Finsternis. Die Erklärungen seines Namens als „Geisel" oder „Begleiter" sind von einem bestimmten Ereignis seines Lebens abgeleitet; also ist das Wort Homeros ein Beiname unsichem Ursprungs. Dann war man auch nicht einig, welche Gedichte man ihm zuschreiben sollte. Licht gibt das ^^'ort Rhapsodie, das eine Sammlung zusammengenähter Gedichte, eine Anhäufung mehrerer Stücke bedeutet, die ursprünglich selbständig waren und erst nachträglich zusammengefügt wurden. Zuerst bestand die Poesie aus Liedern zum Preise von Göttern und Heroen, besonders der Königsfamilien von Kreta, Troja, Theben und Argos. Die öffent- lichen Wettkämpfe ermunterten die Dichter zu immer neuen Schöpfungen, besonders zu Ehren der Großen, mit denen sie Literesse oder Zuneigung verband. Endlich sammelte einer die Poesien der verschiedenen Dichter und machte daraus das Korpus, das wir die Ilias nennen. Er be- gann mit dem Stück, das ihm dazu am geeignetsten schien, und schloß mit dem, das die Sammlung mit Wahrscheinlichkeit abschließen konnte. Er fügte Verse ein, um die Verbindungen herzustellen, schnitt weg, was dem Zusammenhang im Wege war, und änderte vielleicht, wo es ihm der Anschaulichkeit des Ganzen zu nützen schien. Die Samm- lung überschrieb er Rhapsodie Homers, d. h. des Blinden, weil diese Stücke lange Zeit von Blinden vorgetragen wurden. Daraus entstand sowohl der Name des Dichters als die Sage von seiner Blindheit. Ge- stützt wird diese Annahme durch die Nachricht des Josephus. Die Un- möglichkeit, ein so großes Gedicht mündlich fortzupflanzen, beweist schon genug gegen die Existenz eines Homer.

Im zweiten Teil bringt d'Aubignac die aus der Ilias selbst für seine Hypothese geschöpften Argumente vor. Es begegnen ihm dabei hie und da Versehen, wie z. B. daß Achilleus den Hektor an den Schweif seines Pferdes gebunden habe. Der alte Herr sagt selbst, er zitiere aus dem Gedächtnis und habe Mühe, die Bücher zu handhaben; aber er zeigt im ganzen eine große Beherrschung des Stoffes.

Ein Plan der Ilias, sagt er, ist nicht aufzufinden; es kann weder der Kampf um Troja noch der Ruhm des Achilleus sein; denn Troja wird in Wirklichkeit nicht belagert, sondern es finden nur vor seinen Mauern unaufhörliche Kämpfe statt, und andere Helden werden ebensosehr gepriesen wie Achilleus. Der Zorn ist ein ungeeigneter Gegenstand für

Finsler: Homer in der Neuzeit. " 14

210 Frankreicli und die Niederlande

das Prooimion des ganzen Gedichts; dieses gehört auch nur zum ersten Stück und wurde mit diesem von dem Kompilator an den Anfang ge- setzt. In einem planmäßig angelegten Epos wären die langen Erzählungen, die Gespräche vor der Schlacht, die ewig sich wiederholenden Kampf- szenen, die Menge der Geschichten von den Göttern und deren beständiges Eingreifen in die Handlung unerträglich. Aber was hier ein Fehler wäre, wird im kleinen Gedicht zum Vorzug. Denn hier hatte jeder Dichter nur einen begrenzten Gegenstand im Auge, den Ruhm eines bestimm- ten Helden, mit dem er dem Großen, vor dem er sang, zu gefallen suchte. Hier nahmen die Dichter keine Rücksicht aufeinander und waren daher in Stoff und Behandlung frei. Auch die Rolle der Götter wird dadurch verständlich, da überall die Schutzgottheit des Helden für ihren Schütz- ling eintritt. In ganz gleicher Weise erklären sich die Wiederholungen der Gleichnisse und Wendungen, wie die schroffen Widersprüche. Wenn der Kompilator diese stehen ließ, so war er eben mit Recht von der Güte der Einzelgedichte überzeugt und brauchte nicht das Ganze mit dem Auge eines Dichters zu betrachten. Ich muß es mir versagen, auf das Einzelne einzutreten. Hoffentlich ermöglicht uns bald ein Neudruck des beinahe unzugänglich gewordenen Buches die Vergleichung mit dem Standpunkt der modernen Kritik.

Über die Schicksale der homerischen Poesie hat sich d'Aubignac ebenfalls ausgesprochen. Er ist im Beginn seiner Schrift noch im Zweifel, ob er die erste Kompilation dem Lykurgos zuschreiben oder annehmen solle, dieser habe nur die bereits wieder zerstreuten Stücke gesammelt und nach Griechenland gebracht. Jedenfalls wurden sie durch die Vor- träge der Rhapsoden Avieder verzettelt und erst durch Peisistratos und seinen Sohn Hipparchos von neuem gesammelt. Am Ende des Buches schreibt der Abbe dem Lykurgos unbedenklich die erste Sammlung zu.

D'Aubignac ist der Vater der modernen Homerkritik. Zwar wurde sein Buch bei seinem Erscheinen keines Blickes gewürdigt; aber auf die deutsche Wissenschaft hat es einen weittragenden Einfluß ausgeübt. Mit seiner Annahme von Einzelgedichten deckt sich die Vorstellung Herders, der ihn kennt, daß die homerischen Gedichte Impromptus gewesen seien. Heyne weicht von ihm in der Entstehungsgeschichte der Ilias nur darin ab, daß er dem Kompilator ein viel größeres Maß von poetischer Betätigung zuschrieb. Wolf hat in wissentlich falscher Weise über ihn berichtet und dadurch verraten, daß er ihm m.ehr ver- dankt, als seine Eitelkeit ihm erlaubte zuzugestehen. Er hat sich dafür von Cesarotti sagen lassen müssen, er habe d'Aubignac's Ketzerei mit strengerer Beweisführung zur seinigen gemacht. Zoega endlich,

Hardouin Rousseau Goguet 211

der dami auf Welcker gewirkt hat, ist von d'Aubignac direkt angeregt gewesen.

Eine ähnliclie Hypothese wie d'Aubignac scheint auch der Pere Hardouin aufgestellt zu haben, dem wir später noch begegnen werden. Er hatte den Beweis angetreten, daß eine Reihe angeblich antiker Werke, besonders die Oden des Horaz und die Aeneis späte Fälschungen seien, die Echtheit Homers jedoch, wie Rigault behauptet, nicht angetastet. Da- gegen sagt Gacon 1715, Hardouin habe dieselbe Meinung geäußert wie d'Aubignac, aber die Societas Jesu habe sie als falsch und verderblich bezeichnet. Den Pere Hardouin nennt auch Rousseau bei der Unter- suchung der Frage, ob Homers Zeit die Schrift gekannt habe. Er be- dauert, daß seine Zweifel darüber durch die Geschichte des Bellerophontes in der Ilias widerlegt werden. Diesen schickte, so erzählt Homer, der König Proitos, der ihn nicht zu töten wagte, zu seinem Schwiegervater nach Lykien und gab ihm „viele böse mörderische Zeichen mit, die er in ein gefaltetes Täfelchen geritzt hatte; sie sollte er dem lykischen Könige zeigen, damit er verdürbe". Aber, so fährt Rousseau fort, da er ebensogut als der Pere Hardouin das Unglück habe, in seinen Para- doxen ziemlich hartnäckig zu sein, so möchte er sich versucht fühlen, zu behaupten, jene Geschichte sei ohne viele Prüfung von den Zu- sammens topplern, compilateurs, Homers interpoliert worden. Der Name Hardouin's ist in diesem Zusammenhang auffallend, aber meine Nach- forschungen über seine These haben zu keinem Resultat geführt.

Rousseau weist dann darauf hin, daß sonst in der Ilias keine Spur von Schrift vorkomme und die Odyssee ein Gewebe von Torheiten wäre, das ein einziger Brief hätte in Rauch aufgehen lassen, wenn man bei ihren Helden Kenntnis der Schrift voraussetzte. Nur die Fortpflanzung durch den Gesang erkläre die Beliebtheit der Rhapsoden, auch würden sich durch die Schrift die Unterschiede der Dialekte stärker verwischt haben. Es müßten also die Gedichte erst spät gesammelt und schrift- lich aufgezeichnet worden sein.

Anderer Meinung ist der später noch zu erwähnende Goguet in dem Werke De Vorigine des lois. Auch er gibt zu, daß sich die Helden Homers der Schrift nicht bedienen; in der Tafel des Bellerophontes möchte er, des unbestimmten homerischen Ausdrucks wegen, geneigt sein, hieroglyphische Zeichen zu erblicken. Aber dann erklärt er mit aller Bestimmtheit, es müsse in dem Zeitraum zwischen dem troischen Krieg und Homer die Anwendung der Schrift allgemein geworden sein. Schon die Vollkommenheit der homerischen Sprache ist ihm eine Ge- währ dafür; sie hatte damals alle die Eigenschaften einer reichen, an-

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mutigen, regelmäßigen, mit einem Worte zu jeder Schreibart geeigneten » Sprache, und diese Reinheit und Anmut setzt eine lange Pflege der J Sprache durch die Schrift voraus. Die einsichtige Wahrnehmung unter- stützt die Auffassung Goguet's, nach der Homer mit Bewußtsein eine ältere Zeit geschildert hat.

Der Streit der Anciens und Modernes war zu Ende und vom großen Publikum vergessen, als eine sehr fleißige und gründliche Arbeit die Welt wieder an Homer erinnerte. Anne Dacier, die Tochter von Tanneguy Lefebvre, seit 1783 mit Andre Dacier verheiratet, teilte die Ansicht Boileau's, daß an dem ungünstigen Urteil über Homer die schlechten Über- setzungen schuld seien, und beschloß, sein Ansehen durch eine bessere zu retten. 1699 erschien ihre Übersetzung der Bias, die ungeahnter Weise der Ausgangspunkt eines neuen, heftigen Streites werden sollte.

In der Vorrede mutet vor allem die herzliche Liebe zu Homer un- gemein wohltuend an. Seine Schönheiten hat M"*® Dacier erst recht verstanden, seit sie begonnen hat, durch die Übersetzung andern das Verständnis dafür zu öfinen. Es wäre wohl besser gewesen, sie hätte sich ihr Ziel nicht weiter gesteckt und es bei der Übersetzung bewenden lassen. Aber in dem Bestreben, den Dichter von jedem Vorwurf zu be- freien, machte sie ihre Vorrede und oft auch die Anmerkungen zu einer Apologie; gewiß nicht der richtige Weg, um für ihn Freunde zu werben. Nicht weniger bedenklich ist, daß ihr theoretische Vorurteile häufig den freien Blick versperren. Sie beklagt, daß mit Homer und Virgil die wahren Gesetze des Epos verschwunden seien. Dadurch habe sich eine ganz falsche Theorie entwickelt und seien Werke entstanden, die den alten Regela nicht mehr entsprechen. Die Liebe, die von den Alten als eine der Leidenschaft entsprungene Schwäche fern gehalten worden sei, habe in der modernen Zeit zuerst die Sitten, dami die Literatur verderbt. M"^® Dacier ist wirklich der Meinung, ein irregeleitetes Stilgefühl könne durch Wiederaufrichtung der Regeln gebessert werden. Sodami ist sie ganz von den Vorschriften des Aristoteles und noch mehr von denen des Pere Le Bossu beherrscht. Sie erblickt im Epos ein Gewand für moralische Lehrsätze und verficht auch sonst die allegorische Auslegung. Auch von Bochart und seiner Vergleichung der homerischen Sitten und Lehren mit denen des Alten Testaments ist sie sehr abhängig und ver- wendet die Ähnlichkeit, um Homer gegen den Vorwurf der Sittenroheit zu verteidigen. Alle diese Dinge müssen herhalten, um Homer neue Anhänger zu gewinnen. Im Aufsuchen moralischer Lehren tut sich die Verfasserin fast nicht genug. So schließt sie aus dem Monolog Hektors,

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der seinem Tode vorangeht, der Held habe es in der Hand gehabt, Helene zurückzugeben und dem Krieg ein Ende zu machen; dadurch, daß er es unterließ, sei er strafbar geworden und habe den Tod verdient. In der Beurteilung des Gleichnisses hat M™^ Dacier von Boileau nichts gelernt. Sie weist den Vorwurf, Homer habe gemeine Gegenstände, wie z. B. den berüchtigten Esel, für seine Bilder gewählt, mit dem Hinweis auf die Achtung zurück, deren sich dieses Tier im Orient erfreue, und be- müht sich überall, alle möglichen Züge aufzuzählen, in denen die Gleichnisse mit den zu erläuternden Handlungen übereinstimmen. Trotz der großen Gelehrsamkeit, die sich überall zeigt, hätte es im Interesse der Sache ge- legen, wenn die übermegende Mehrzahl der Remarques weggefallen wäre.

Über die Schwierigkeiten der Übersetzung ist M"^® Dacier nicht im unklaren. Die französische Sprache kommt ihr gegenüber der Fülle Homers arm vor, und sie glaubt, ihre Übersetzung sei etwa mit einer Mumie der Helene zu vergleichen, die zwar nicht so begeistern könnte, wie es die Lebende tat, deren Schönheit man aber doch noch zu ahnen vermöchte. Vom Verse will sie ganz absehen, weil darin eine auch nur annähernde Treue unmöglich sei. Sklavisch dürfe aber die Übersetzung auch nicht sein, sondern sie habe die Gedanken des Originals in der edelsten Form wiederzugeben.

Hier berührt die Preface eine bei der Übersetzung, wenigstens der Homers, einfach unüberwindliche Schwierigkeit, deren noch niemand Herr geworden ist. Wenn der Dichter in Verse übersetzt wird, zumal wenn, wie im Französischen, der Reim erforderlich ist, so leidet die Treue; denn die ganze prächtige Buntheit der homerischen Sprache, vor allem die schmückenden Beiwörter mit herüberzunehmen, ist unmöglich. In diesem Sinne hat M™® Dacier's Paradoxon, der in Verse übersetzte Dichter höre auf ein Dichter zu sein, eine gewisse Berechtigung. Aber wenn man auf die poetische Form verzichtet, so ist es wieder unmöglich, die Schönheit und Kraft des Originals zur Geltung zu bringen. M™® Dacier hat das sehr wohl gewußt und darum das Bild von der Mumie der Helene gebraucht. Ihr war vor allem daran gelegen, dem französischen Publikum Inhalt und Geist der Ilias zur Kenntnis zu bringen. Die Form hat ihr noch Mühe genug gemacht; denn auch in der Prosa sind die Beiwörter kaum unterzubringen, und sie hat sie deshalb auch oft fallen lassen. Wenn ihr vorgeworfen wurde, sie habe durch die Wahl des Ausdrucks Homer veredelt, so ist das ein törichter Vorwurf. Aller- dings hat sie zuweilen Scheu davor gehabt, eine allzu natürlich schei- nende Wendung wörtlich wiederzugeben. Sie hat den so berühmt ge- wordenen Esel nicht mit Namen zu nennen gewagt, sondern umschrieben.

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Vielfach hat sie auch zugesetzt und sich dadurch dem Stil des zeit- genössischen Romans genähert. Bei alledem bleibt aber der Grundsatz richtig, daß, was in der einen Sprache groß und erhaben gemeint war, €s auch in der anderen sein muß, und daß nicht das lexikalisch ent- sprechende, sondern das sinngemäße Wort zu verwenden ist. Uns mutet die Übersetzung etwas stark prosaisch an; schon Lessing hat ein scharfes Wort darüber gesagt. Dennoch ist sie eine rühmliche Leistung und hat trotz allen Mängeln zahlreiche Auflagen erlebt, ist also viel gelesen worden. Sie hat nicht wenig dazu beigetragen, daß sich Perrault's Sieg im 18. Jahrhundert in eine Niederlage verwandelte.

Es dauerte fünfzehn Jahre, bis M™® Dacier einen Widersacher fand. Dies war Houdar de la Motte, der im Jahre 1713 eine neue Über- setzung der Ilias erscheinen Ueß. Nach dem Streite zwischen Boileau und Perrault, so erzählte er nachmals selbst, hatte der Abbe Regnier eine höchst mißlungene Übersetzung des ersten Buches der Ilias ver- faßt, was La Motte auf den Gedanken brachte, etwas Würdigeres zu- stande zu bringen. Wie er behauptete, fand der mit dem ersten Buch gemachte Versuch den Beifall Boileau's, und so übersetzte er weitere drei Bücher, ohne, wie er meint, mehr als unwesentliche Verbesserungen anzubringen. Dann aber sah er ein, daß er nicht so fortfahren könne, wenn die Schönheiten der Ilias zu ihrem Rechte kommen sollten, und so drängte er den Rest auf einen viel engeren Raum zusammen. Dem Werke schickte er einen Discours sur Homere voraus.

Bayle und Saint-Evremond hatten gesagt, Homer würde bei seinem Genie heute ein viel vollkommeneres Gedicht zustande bringen. Wie man sich dies vorzustellen habe, unternimmt La Motte zu zeigen. Na- türlich mußte zuerst bewiesen werden, worin Homer fehlerhaft und ver- besserungsbedürftig sei, und so wurde der Discours zu einer Anklageschrift gegen Homer. Diesen kannte La Motte freilich nur aus der Übersetzung von M™^ Dacier, so daß seine Bemerkungen über homerischen Stil sehr wenig Wert haben. Aber die Übersetzung hat er fleißig und selbständig studiert. Er kennt Perrault, geht aber seine eigenen Wege, und der von M""^ Dacier später erhobene Vorwurf, er habe Desmarets ausge- schrieben, ist unbegründet.

Was den Stoff der Ilias betrifft, so will La Motte Le Bossu's mora- lische Auslegung nicht ganz verwerfen, aber diese Wahrheit gehe in der Masse der Einzelheiten verloren. Ohne das Eingreifen des Zeus würde Aias den Hektor getötet haben; die Ausführung der Lehre, daß Unfriede die Staaten verderbe, durfte aber nicht von einem Wunder ab- hängig gemacht werden. Übrigens könne man jeder Erzählung einen

La Motte 215

moralischen Lehrsatz abgewinnen, an den der Dichter nicht zu denken brauchte. Das Beste werde sein, Homer zu glauben, daß der Zorn des Achilleus der Gegenstand der Ilias sei.

Man leitet, fährt La Motte fort, aus Homer Konsequenzen ab, die zu Vorurteilen werden. Man weigert jedem Gedicht, das nicht der Ilias oder Odyssee gleicht, den Namen eines Epos. Aus Homer wird eine Menge von Regeln abgeleitet, die durch nichts gerechtfertigt sind, als daß sie auf Homer basieren und von Aristoteles und Horaz gutgeheißen wurden, und folgert daraus sehr mit Unrecht, daß alle andern Wege Irrwege sein müssen. Gibt es denn keine andern Mittel zu gefallen? Wie La Motte anderwärts seine Stimme gegen die dramatischen drei Einheiten erhoben hat, so zieht er hier die Richtigkeit der Theorien vom Epos in Frage. Wesentlich ist nach ihm für das Epos nur die Erzählung einer Handlung. Die Art der Behandlung, die Wahl der Personen, die wunderbaren oder natürlichen Ursachen bringen nur ver- schiedene Arten hervor, berühren aber die Gattung nicht. Auch die von Aristoteles geforderte Beschränkung auf eine einzige Handlung ist falsch; warum sollte das ganze Leben eines Helden, das ihn auf jeder Stufe der Entwicklung zeigt, weniger geeignet sein? Die Wahl des Stoffes, ja der Form liegt im Belieben des Dichters. Gefallen muß er; wenn er dabei auch belehrt, um so besser; aber auch das dürfte nicht als imverletzliche Regel aufgestellt werden.

Die prächtige Stelle macht den Discours sur Homere zu einem Markstein in der Geschichte der Poetik; denn sie bedeutet die absolute Befreiung vom Regelzwang. Mit Ausnahme von Giordano Bruno und der Andeutung bei Fontenelle hatte sich niemand mit solcher Freiheit des Geistes ausgesprochen.

Darauf untersucht La Motte die besondere Kunst Homers. Er zeigt, wie der Dichter durch einen dem Volke schon bekannten Stoff das Inter- esse zu fesseln versteht, wie er die Affekte nicht schildert, sondern durch den Mund seiner Personen uns vor Augen führt, für die Überraschung Götter und Wunder verwendet. Dagegen tadelt er Homer dafür, daß er die Ereignisse voraussehen läßt; die menschliche Natur erfordere die Spannung auf den Ausgang. Damit stellt La Motte die Praxis des zeit- genössischen Romans als Muster auf. Es beginnt hier eine Partie des Discours, die eine Reihe richtiger Beobachtungen enthält, aber darin ver- fehlt ist, daß die Art, wie Homer verfährt, fast durchweg als mangelhaft hingestellt wird, weil sie sich nämlich mit La Motte's moderner Emp- findungsweise nicht verträgt. Das ist schade, denn die Beobachtungen sind gründlich und umsichtig, wenn auch einseitig. Homers Götter sind nicht,

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wie La Motte meint, durchaus erbärmlich und ganz mit menschlichen Leidenschaften behaftet, denen sie alles opfern. Wenn, was La Motte tadelt, die Moira nicht eine übergeordnete Gottheit ist und wir dabei jede Spur einer Vorsehung vermissen, so ist darum die homerische Auf- fassung noch nicht schlechtweg verwerflich, sondern wäre zuerst nach ihren Ursachen zu untersuchen. Hat doch La Motte selbst bemerkt, daß Homer hier nicht konsequent sei. Mit Recht weist er dagegen Le Bossu's Verteidigung Homers zurück, daß in der Vielheit der Götter die Idee des einen Gottes zu erkennen sei. Die Vergleichung mit der alttesta- mentlichen Gottesauffassung erscheint ihm skandalös und falsch.

Richtig erkennt er die hervorstechendste gemeinsame Eigenschaft der Helden in Stolz und Eitelkeit, aus denen das Eigenlob, die Maß- losigkeit im Zorn, die Schmähungen stammen, ebenso der Mangel an Pietät gegen die Götter. Die Helden sind grausam, rachsüchtig, habgierig; den Überwundenen schonen sie nur, wenn sie ein Lösegeld erpressen können. Das ist alles ganz richtig und gibt doch nur ein Zerrbild der homerischen Helden, weil La Motte die Lichtseiten nicht sieht oder ge- flissentlich unterdrückt.

Bei Homer, sagt La Motte, steht immer nur ein Held ganz im Vorder- grund; um alle vorführen zu können, hält er den Achilleus so lange von den Kämpfen fern. Dieser ist sehr geschickt gezeichnet. Wenn er den Griechen unentbehrlich sein sollte, mußte er durch äußere Vorzüge glänzen, die andere nicht hatten. Aber diese machten ihn noch nicht bewunderns- wert; denn wenn er nichts zu fürchten hatte, war seine Tapferkeit nichts Auffallendes. Aber er ist in der Ilias nicht unverwundbar und kommt nach Troja mit der sicheren Aussicht auf einen frühen Tod. Das hebt Homer immer v^deder hervor, um die Tapferkeit des Helden desto heller strahlen zu lassen. Andere Charaktere sind weniger sicher gezeichnet, wofür besonders das Verhalten des Helenos, Hektor, Diomedes im sechsten Buche aufgeführt werden. Widersprüche im Charakter der Helden mögen aus der Überlieferung stammen; aber dann hat Homer darin gefehlt, daß er diese Charaktere historisch und nicht poetisch gezeichnet hat.

Wenn man bisher La Motte, wenn nicht immer mit Zustimmung, so doch stets mit Interesse folgen konnte, so ist die Partie über home- rischen Stil gründlich verfehlt, weil La Motte von vornherein auf dem Standpunkte steht, es sei alles fehlerhaft, was anders ist als die Er- scheinungen seiner eigenen Zeit, Diese Erörterungen bringen auch wenig, was man nicht schon bei Frühern hätte lesen können.

Wichtig ist der Abschnitt über die homerischen Gleichnisse, be- sonders weil später Pope und Breitinger davon ausgegangen sind.

La Motte 217

La Motte unterscheidet verschiedene Zwecke, die der Dichter bei ihrer Verwendung haben kann; sie sollen den dargestellten Gegenstand er- läutern oder den Geist durch edle und angenehme Bilder erheben und erfreuen oder endlich nur die zu trockene Erzählung beleben und mannigfaltig machen. Von der ersten Art findet La Motte bei Homer kaum Beispiele. Anstatt zu erläutern und den Geist bei dem Gegenstand festzuhalten, bringen sie Dunkelheit hinein und lassen den Gegenstand sogar aus den Augen verschwinden, in einem Haufen von Nebenumständen, die keine Beziehung dazu haben. Es genügt Homer, daß die Vergleichung aji einem Punkte zutreffe, und er läßt sich ohne Skrupel gehen, um sie nach den Seiten zu verfolgen, die mit dem verglichen Gegenstande nichts gemein haben. La Motte hat den Charakter der homerischen Gleich- nisse richtig erfaßt, aber verworfen. In den erfreuenden und erhebenden Gleichnissen findet er Homer glücklich. Den Esel will er nicht ver- werfen, weil dieser im Orient kein verachtetes Tier gewesen sei, findet es aber abstoßend, daß Homer von dem Prügeln durch die Buben und der Gefräßigkeit des Esels spricht. Er verwirft die Vergleichung großer Dinge mit kleinen, sieht aber große Kunst darin, wenn Kleines mit Großem verglichen wird. Homer fehlt nach seiner Meinung darin, daß er zu oft die nämlichen Bilder wählt, wie Löwen und Horden, und daß er die Gleichnisse oft zu sehr häuft, statt sie ordentlich zu verteilen. Es begegnet hier La Motte das Mißgeschick, daß er, der eben noch für die Freiheit des Dichters eingetreten war, nun für die Verteilung der Bilder Regeln aufstellt, deren Anwendung zu Chapelain's hölzerner Praxis führen müßte.

Schlimm kommt Homer bezüglich seiner Moral weg. Der Dichter, meint La Motte, habe Tugend und Laster so darzustellen, wie es unseren Empfindungen entspreche, und neben der Absicht, zu gefallen, der guten Moral so treu zu sein, als ob er belehren wollte. Nun lege Homer den Preis des Bösen auch solchen Personen in den Mund, die er als weise bezeichne, lasse z. B. Thetis dem Sohne die schlechteste Handlungsweise anraten und Zeus für den Ungerechten Partei nehmen; auch scheine er die Grausamkeit und Ungerechtigkeit des Achilleus ausdrücklich zu billigen. Die hervorstechendste Moral der Ilias scheine zwar zu sein, daß wir der göttlichen Hilfe bedürfen; aber diese sei bei Homer auf die Laune der Götter gegründet, statt wie nach unserer Religion auf unsere Pflichten. Es standen eben damals, meint La Motte, Stolz und Rache in Ehren; sobald die Moral reiner wurde, trat die Kritik der Philosophen an Homer ein.

In der Beurteilung Homers glaubt La Motte den Dichter und sein Werk unterscheiden zu sollen, wie auch Saint-Evremond tut. Jener war

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ein Genie, das zu allen Zeiten wenigstens die Mehrzahl der zeitgenös- sischen Dichter übertroffen haben würde, ein Lob, das für die Ilias mit ihrer Mischung von Schönheiten und Fehlern nicht gilt. Endlich sucht La Motte die Bewunderung Homers aus einem durch die Zeiten fort- geschlepptem Vorurteil zu erklären. Hier redet er ins Blaue hinein. Der Rest des Discours ist eine Ankündigung und Empfehlung der fol- genden Übersetzung, die alle Schönheiten der Ilias ohne deren Fehler bringen solle. M""® Dacier habe ja eine sehr schätzbare Arbeit geleistet, aber für eine Übersetzung eigne sich doch die Poesie besser als die Prosa, da sie eher Äquivalentes zu geben vermöge. La Motte will teils Über- setzer, teils Nachahmer sein und ein echt französisches Gedicht schaffen, das lesbar, nicht zu lang, interessant und fehlerlos sei. An der übermäßigen Länge seien ja der Clovis und die Pucelle gescheitert. Der lliade geht noch eine Ode voraus, L^Ombre cT Homere. La Motte beschwört darin den Geist Homers, ihm zu seinem Unternehmen den Weg zu weisen. Homer erscheint ihm und trägt ihm auf, die Ilias so zu gestalten, wie er selbst sie gemacht haben würde, wenn er gegenwärtig in Frankreich lebte. Die Übersetzung ist nun freilich ein Unikum, am ehesten mit dem Homerus Latinus zu vergleichen. Die ersten vier Bücher können als Übersetzung gelten, obwohl auch da des Verfassers Hand mit deli- katen Verschönerungen nicht gekargt hat. Der Rest, auf acht Bücher reduziert, ist allerdings kurz, aber gerade der Kürze wegen schrecklich langweilig, auf weite Strecken nichts als ein kahles Referat aus Homer, aber, wie Fourmont sich ausdrückt, mit einem Stich ins Opernhafte und süßlichen Künsteleien, welche den ganzen Ernst verderben. Die Kämpfe des zehnten bis fünfzehnten Buches, die bei Homer 4000 Verse umfassen, sind bei La Motte auf 400 zusammengeschrumpft, wobei noch zu beachten ist, daß die Betörung des Zeus beinahe den Umfang des Originals bei- behält. Für die Art der Verbesserung nur ein Beispiel. La Motte findet es abstoßend, daß Agamemnon erklärt, Chryseis als Sklavin und Bettgenossin nach Argos nehmen zu wollen. Das soll gemildert werden, und deshalb legt der König bei La Motte ein zartes Geständnis seiner Liebe zu seiner Gefangenen ab und erklärt, er sei gegen Chryses nur darum so rauh gewesen, um seine Gefühle für die Tochter zu verbergen. Die psychologisch fein durchgeführte Versöhnung des Achilleus und Agamemnon wird zu zwei pomphaften, von Edelmut triefenden Reden der bisher entzweiten Helden. Empörend ist vor allem die Behandlung von Hektors Abschied. La Motte fand nämlich, was Andromache von ihren Eltern und Brüdern mitteile, habe Hektor gewiß schon tausendmal gehört. Es sei ganz über- flüssig, daß sie ihm von der Bestattung des Vaters, den von Nymphen

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La Motte M™« Dacier 219

gepflaiizten Ulmen, dem Tod der Brüder auf der Bergweide, dem Löse- geld der Mutter erzähle. Homer wolle eben um jeden Preis beschreiben, während doch Andromache nur sagen durfte, was zu ihrem Schmerz gehörte. Wohl ist es schauderhaft, wie La Motte mit der innigsten Poesie umgeht; aber die Kritik des 19. Jahrhunderts hat es ja zuweilen nicht besser gemacht.

Der Achilleusschild wird neu gezeichnet, da derjenige Homers mit seinen massenhaften Bildern gar keine Beziehung auf Achilleus enthält. Der Schild La Motte's zeigt nun die Hochzeit des Peleus, das Paris- urteil und den Raub der Helene. Hektors Tod ist in einer für beide Helden angemessenen Weise umgestaltet. Wohl das Seltsamste ist, daß Odysseus den zu den Schiffen Fliehenden die Rede hält, die ihn Homer nachher in der Heergemeinde halten läßt, inbegriffen das Wunder in Aulis und die Weissagung des Kalchas. Das tut derselbe La Motte, der Homer des Mangels an Wahrscheinlichkeit bezichtigt. Eine Menge schöner Stellen und ganze Partien sind gestrichen und durch nichtssagende Verse ersetzt. Statt der ihm mangelhaft vorkommenden gehaltvollen Sentenzen hat La Motte Reflexionen angebracht, die, wie ihm Gacon nachwies, sämtlich aus den Remarques der M™® Dacier stammen. Bei der Lektüre des ünglücksprodukts hat man die Empfindung, es gebe nichts, was den Stil Homers so berechtigt und glücklich erscheinen lasse wie gerade diese Verbesserung. Dort überall Licht, Pracht, Fülle, Behaglichkeit; hier ein würgendes Hasten zum Ausgang ohne jeden poetischen Schwung. Das Werk hat sich denn auch nicht gehalten. In seiner Gedächtnisrede auf La Motte 1732 hat Fontenelle zugeben müssen, daß es vergessen sei.

M™® Dacier war empört. Die Übersetzung wie deren Begründung erschienen ihr als ein Sacrilegium. Schon 1714 veröffentlichte sie ein zorniges dickes Buch Des Causes de la corruption du goüf, dessen In- halt dem Titel wenig entspricht, vielmehr fast ausschließlich den Ver- such einer Widerlegung La Motte's enthält. Der Ton ist gereizt, an vielen Stellen direkt beleidigend. An La Motte wird kein gutes Haar gelassen, selbst dami nicht, wenn er mit M"^® Dacier übereinstimmt. So ist sie unzufrieden, daß er Perrault's Zweifel an der Existenz Homers nur unwahrscheinlich und nicht närrisch findet. Man müsse ja alles Lichtes der Vernunft beraubt sein, wenn man den Gedanken nicht als wahnwitzig betrachte.

Der Streit verflacht aus Mangel an neuen Argumenten. M™® Dacier weiß nichts vorzubringen als die traditionelle Bewunderung der Jahr- hunderte für Homer, die Unfehlbarkeit der durch Dacier interpretierten, durch Le Bossu verbesserten aristotelischen Regeln, die Ähnlichkeit der

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homerischen Helden mit den alten Patriarchen. Um ihren Dichter zu retten, wagt sie die kühnsten Wendungen; so gibt sie lieber den ganzen Charakter des Achilleus preis, nur um bestreiten zu können, daß Homer ihn bewundere. Gelungen ist einzig der Nachweis, daß die Vorliebe für Homer kein durch die Zeiten fortgeschlepptes Schulvorurteil sei. Alles andere enttäuscht auch den, der La Motte's Urteile vielfach schief findet. Deshalb wirkt auch die oft sehr zutreffende Kritik an der neuen Iliade nicht so, wie es der Fall wäre, wenn M""® Dacier im ersten Teile nicht ausschließlich mit Autoritäten operiert hätte.

La Motte antwortete noch im gleichen Jahre mit den umfäng- lichen Heflexions sur la Critique. Auch er weiß nicht viel Neues vor- zubringen. Er verficht das Recht, die Alten mit dem gleichen Maße zu messen wie die Modernen, begründet seine Verurteilung der Verglei- chung Homers mit dem Alten Testament damit, daß dieses die eine Wahrheit lehre, während Homer das Organ des Vaters der Lüge sei, und rechtfertigt sich gegen den Vorwurf, .daß er kein Griechisch ver- stehe. Seine Untersuchung gehe nämlich nicht auf die Form, sondern auf den Grund der Dinge, worin keine Autorität, sondern nur die Ver- nunft kompetent sei, wie sich aus der Geschichte der exakten Wissen- schaften ergebe. Im folgenden macht La Motte noch einige zutreffende Bemerkungen, z. B. über die allegorische Auslegung, aber sonst tritt er nur das im Discours bereits Gesagte breit. Der Eifer des Gefechts führt ihn dazu, den Clovis und Saint Louis über die Ilias zu stellen, und zwar in jeder künstlerischen Beziehung. Vergessen seien sie nur, weil sie in übler Nachahmung Homers das Wunderbare unpassend angewendet und zu viel ablenkende Episoden gebracht hätten, und weil sie allerdings lang- weilig seien. Aber die Ilias sei nicht lesbarer, sondern werde nur mit anderem Maße gemessen. Homer, sagt La Motte, hat eine Masse Fehler, für die seine rohe Zeit mehr verantwortlich ist als er. Obwohl er gab, was er sah, ist dies doch abstoßend geworden, weil man jetzt das Wesen der wahren Menschenwürde besser erkennt. Die Nachahmung muß sich über- haupt auf eine ausgewählte Natur beschränken, auf achtungswerte Charak- tere und Gegenstände, ohne Merkwürdiges und Furchtbares auszuschließen. Homers Poesie ist nicht Nachahmung einer schönen Natur, xmd er per- sönlich ist mangelhaft, weil es ihm oft am Plan oder dessen richtiger Durchführung fehlt.

Die Reflexions lassen La Motte in weniger günstigem Lichte er- scheinen als der Discours. Die grundsätzlich richtigen Anschauungen treten hinter dem auffallenden Mangel an Verständnis für die homerische nicht nur, sondern für jede Poesie zurück. Er, der vorher für die Freiheit

La Motte Fenelon 221

der Dichter gegen den Regelzwang eingetreten war, stellt jetzt selbst eine Menge von Bestimmungen fest, die doch nur zeigen, daß ihm die Fähigkeit, eine von der eigenen Zeit verschiedene Welt und Kunst zu begreifen, vollständig abging. Im übrigen gewann ihm der ruhige und gelassene Ton der Erwiderung die Gunst des Publikums, das sich von M™® Dacier's gereiztem Ton abgestoßen fühlte.

Bevor wir über die nun anhebende Polemik sprechen, müssen wir eines Mannes gedenken, der nach La Motte's Reflexions zwar nicht eigent- lich in den Streit eintrat, aber doch sehr nachdrücklich Stellung dazu nahm. Fenelon, seit 1695 Erzbischof von Cambrai, hatte schon 1699 seinen Roman Les Aventures de Telemaque erscheinen lassen, den Boileau als einen wichtigen Bundesgenossen in seinem Kampf begrüßte. In Wahr- heit gibt es aber, trotz den Anlehnungen an Homer, keinen größeren Gegensatz als den zwischen dem ursprünglich frischen Epos und dem mit anmutigen Erfindungen geschmückten Tendenzroman, dessen letzter Zweck die Bekämpfung des Absolutismus war. Fenelon setzt beim Leser die Kenntnis der Odyssee voraus, die er sorgfältig studiert hatte. Es existiert ein Werk von ihm L' Odyssee d' Homere, in welchem der größte Teil des Gedichtes einläßlich skizziert ist; vom fünften bis zehnten Buche liegt eine schöne Prosaübersetzung vor. Den Gegenstand des Telemaque bildet dessen Reise zur Aufsuchung seines Vaters unter Führung Athenes, die ihn in Mentors Gestalt begleitet. Homerisch ist eine Anzahl von Per- sonen; sodann sucht der Verfasser das stehende Epitheton einzuführen, und endlich verwendet er in großem Umfang das Gleichnis. Aber gerade hier gibt er den Kritikern Homers stillschweigend Recht; seine Gleich- nisse illustrieren nicht einen bestimmten Punkt der Handlung, sondern suchen jeden Zug derselben zu decken. Auch sonst kami von einer Nachahmung Homers nicht gesprochen werden. Die Erfindungen sind ganz modern, die Anspielungen auf das Regiment Ludwigs XIV. zahl- reich und durchsichtig. Die Einfachheit homerischer Sitten in Verbin- dung mit christlicher Religiosität bildet die Grundforderung des Buches. Es ist dieses also alles eher als ein Epos, wie es die nächste Zeit auf- zufassen beliebte; Terrasson hat im Telemaque geradezu den Gipfel der epischen Poesie erblickt. Man sah nicht oder wollte nicht sehen, daß der Telemaque den Homer weder nachahmen noch überwinden wollte, sondern in die politische Zukunft wies. Gerade deshalb liebte Fenelon die einfachen homerischen Sitten, weil er in der Rückkehr zu ihnen das Glück der Zukunft erblickte.

Während so der Telemaque wesentlich politischen Charakter hat, nimmt Fenelon in der berühmten Lettre ä VAcademie 1714 zu den lite-

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rarischeii Fragen des Tages Stellung. Die Akademie hatte ihre Mitglieder angefragt, worauf sie nach der Revision des Dietionnairs ihre Tätigkeit richten sollte, und darauf gibt Fenelon Antwort. Für uns kommt be- sonders der Abschnitt über die Poesie in Betracht. Wie Fenelon vorher die Abfassung einer Rhetorik gefordert hatte, so wünscht er eine durch die Akademie aufgestellte Poetik. Denn, sagt er, wie schon die heiligen Schriften zeigen, ist die Poesie von äußerster Wichtigkeit. Sie war die Quelle aller Kultur und erzog die Menschen zu allen Tugenden. Für die französische Poesie wünscht er im Interesse der Klarheit und Straffheit des Ausdruckes mehr Freiheit im Reim und in der Satzstellung, ebenso Unterdrückung alles überflüssigen Schmuckes, der nur dazu dient, die Kunst des Dichters zu zeigen. Der Dichter soll sich selbst vergessen und uns ihn vergessen lassen; das geschieht nur durch die Pflege des Einfachen und Liebenswerten, nicht durch das Außergewöhnliche und Blendende. So malen Raifael und Tizian, so dichtet Homer. Die Einfachheit seiner Sitten versetzt uns in das goldene Zeitalter zurück, nur die falschen Vorurteile unserer Zeit achten diese Schönheiten gering. Die Alten ver- binden mit der Wahrheit den Affekt: Homer läßt nie einen jungen Mann im Kampfe fallen, ohne uns zugleich durch Schilderung seines Schick- sals zu rühren; ebenso verfährt Virgil. Was kann es Rührenderes geben als den alten Priaraos, der dem Mörder seines Sohnes die Hand küssen muß imd ihn anfleht, in der Erinnerung an den eigenen alten Vater sich seiner zu erbarmen. Der geringste Schmuck der Rede hätte hier alles zerstört. Das Schöne, das nur glänzt, genügt nicht; es muß die Affekte ausdrücken, um sie einzuflößen; es muß sich des Herzens bemächtigen, um es auf das richtige Ziel des Gedichtes hinzuweisen.

Am Schluß spricht Fenelon seine Gedanken über den Streit der Anciens et des Modernes aus. Er wünscht nichts mehr, als daß die Neuen die Alten übertreffen möchten; diese würden an Ruhm nichts einbüßen^ jene der Menschheit eine neue Zierde verleihen. Dazu gehört ein fleißiges Studium des Altertums und gehörige Selbstzucht. Gewiß haben die Werke der Alten ihre Unvollkommenheiten, wie jedes Menschenwerk. Richtig beurteilen könnten wir sie nur, wenn wir ihre Zeitgenossen wären; so folgen wir am besten ihrem eigenen Zeugnis. Zu ihren größten Nach- teilen gehört ihre Religion, die zur Zeit Homers nichts als ein ungeheuer- liches Gewebe lächerlicher Fabeln war, und auch die alte Philosoj^hie hat ihre Gebrechen. Die Helden Homers gleichen nicht ehrenhaften Menschen, und die Götter stehen noch weit unter ihnen. Die Zahl der ausgezeichneten antiken Schriftsteller ist gering. Aber wir verdanken dem Altertum unsere Kultur. Homers Zeichnung der Menschen und

Fenelon Terrasson 223

Götter ist getreu, und von diesem Gesichtspunkt aus darf man seine Kunst wohl bewundem; auch die Religion und Sitte erscheint bei ihm gehoben. Die Einfachheit der Menschen seiner Zeit ist liebenswert. Die Welt war damals noch so glücklich, die Überkultur unserer Zeit nicht zu kennen; ist Nausikaas Beschäftigung nicht achtungswerter als das Spiel und die Intrigen unserer Frauen? Große Maler und Dichter haben immer die Einfachheit aufgesucht.

Vergeblich hat die spätere Philosophie die Götter Homers allegorisch zu erklären versucht. Homer hat die Religion, die er vorfand, verschönert; er hat mit Kunst gearbeitet, mit Naivetät, Anmut, Kraft, Majestät und Leidenschaft gemalt. Die raffinierten Mittel unserer Dichter übertreffen die Alten nicht, so wenig als die Gotik den antiken Stil oder Seneca den Sophokles übertroffen hat. Fenelon will nicht urteilen, sondern nur vor Verachtung derer warnen, die von so vielen Jahrhunderten bewundert worden sind, und schließt mit dem Wunsche, das Studium der Alten möchte die Modernen in den Stand setzen, sie zu übertreffen.

Die ruhige Umsicht, die in dem Briefe herrscht und bewirkte, daß sich beide Parteien auf Fenelon berufen konnten, tritt auch in seinem Brief- wechsel mit La Motte zutage. Bei verdeckten Mahnungen und Ablehnungen seiner Iliade machte er ihm so viele Komplimente, daß La Motte glauben konnte, ihn gewonnen zu haben. Ein Besuch in Cambrai, von dem er eine vollständige Zustimmung Fenelon's zurückzubringen hoffte, wurde durch dessen Tod verhindert. Die anderen Zeitgenossen waren nicht so zurückhaltend. Es erhob sich ein neuer und heftiger Krieg um Homer.

Unter den Parteigängern La Motte's ragt der Abbe Terrasson mit seiner Dissertation sar l' Iliade 1715 hervor. Er hatte den Ruf, ein großer Mathematiker zu sein, und in der Tat zeigt er in seinem Buch eine unerbittliche mathematische Logik, aber keine Ahnung vom Wesen der Poesie. Alle wirklich interessanten Gedanken stammen aus La Motte, den aber Terrasson vorsichtigerweise nirgends zitiert; die ganze Disser- tation kann eine Ausführung des Discours sur Homere genamit werden. Aber sie unterscheidet sich von ihm dadurch, daß an Homer kein gutes Haar mehr gelassen wird. Er ist in den Augen Terrasson's der er- bärmlichste Dichter, den es je gegeben hat. Einige Stellen, wie die Ge- sandtschaftsreden im neunten Buch, werden begnadigt, weil La Motte sie schön gefunden hatte, aber noch weit mehr als dieser hebt Terrasson hervor, daß alle Schönheiten durch die gleichzeitigen Fehler unwirksam gemacht werden. W^as er von Homer hält, sagt er bei Erörterung der Frage der Literpolationen. Man habe Verse für zugesetzt erklärt, weil sie greulich seien; er dagegen würde eine Rede von dreißig Versen, die nach

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allen Seiten untadelhaft wäre, in der der Redner bei der Sache bliebe, und die weder zu viel noch zu wenig enthielte, als untergeschoben aus- schließen. So weit waren Desmarets, Perrault, La Motte nicht gegangen. Schrecklich ist das Buch vor allem durch die unaufhörliche Polemik gegen die Remarques der M""® Dacier, sowie durch die selbstgefällige Geschwätzigkeit, wodurch es zu zwei gewaltigen Bänden ajigeschwoUen ist. Trotz diesen Mängebi und trotzdem das Buch auch hundertmal Ge- sagtes wiederholt, muß ihm doch Aufmerksamkeit geschenkt werden, weil es daneben nicht wenig Eigenes bietet.

Um einen festen Standpunkt zu gewinnen, gibt Terrasson eine eigene Theorie des Epos: „Das Epos ist ein heroisches Gedicht in erzählender Form, in welchem ein sichtbarlich vom Himmel unterstützter Held eine große und gerechte Absicht durchführt, und das geeignet ist, unsere Be- wunderung zu erregen und uns die Tugend einzuflößen." Die Absicht des Helden muß im Anfang von ihm ausgesprochen werden. Alle großen Epen verfahren so, mit Ausnahme der homerischen. Homer hat nicht begriffen, daß er das hätte beachten sollen.

Von Wichtigkeit und neu ist die Erörterung über den Gesamtplan der Ilias. Es handelt sich nicht um die Frage nach dem Gegenstand des Gedichtes, über die Terrasson nur alte Urteile vorzubringen weiß, sondern um die poetische Technik. Die Ilias ist auf zwei diametral ent- gegengesetzte Gesichtspunkte gegründet, die Verherrlichung der eigenen Nation und die des Achilleus. Sie heben einander auf; nur jener ist vernünftig, dieser ist absurd. Die Griechen haben die Übermacht, waren schon vor dem Zorn des Achilleus immer siegreich und werden auch während seiner Abwesenheit nie recht besiegt, ja sie sind meistens im Vorteil. Der fortwährend drohende Hektor wird fortwährend überwunden, da Zeus ihm den versprochenen Erfolg nie recht gewährt. Während der Dichter so den Griechen schmeichelt, erhöht er im zweiten Teil der Ilias den Achilleus über alle Maßen, auf Kosten der übrigen Führer, die der Pelide mit der äußersten Anmaßung behandelt. Zuletzt ist er abge- schmackter Weise der einzige Held, und um ihn herauszustreichen, unter- läßt Homer sogar den Fall Trojas zu erzählen, der doch den höchsten Ruhm seines Volkes bedeutet hätte. Homer ist eben ein unklarer Kopf ohne richtige Moral und ohne sichere Führung des Gedichts. Schon die Odyssee ist weit besser, aber erst in der Aeneis, der Gerusalemme und dem Telemaque offenbart sich die dem menschlichen Fortschritt entsprechende Vervollkommnung.

Man sieht leicht, wie sehr die Ausgangspunkte Terrassons an die der modernen Homerkritik streifen, allerdings ohne daß ihm eingefallen

Tei-rasson 225

wäre, die nämlichen Konsequenzen zu ziehen wie diese. Auch im ein- zelnen gibt er in dieser Hinsicht merkwürdige Beobachtungen. Er ver- mißt in der Rede Hektors an Paris im sechsten Buche den Sinn, da der Zorn des letzteren durch das dritte Buch nicht begründet sei. Wenn Homer vom Zorn des Zeus über ungerechte Richter spricht, so hat er also die richtige Vorstellung von der Gottheit und ist für seine schreck- liche Zeichnung der Götter ganz allein verantwortlich. Derselbe Dio- medes, der Götter verwundet hat, will es vermeiden, mit Glaukos zu kämpfen, falls dieser ein Gott ist. Die Stellung der Moira zu Zeus ist anklar, das Verhalten der Götter zu den Menschen widerspruchsvoll. Die Götterschlacht zeigt einen dem übrigen Gedichte fremden Charakter. In der Rede des Phoinix bei Achilleus ist die Geschichte des Meleagros kaum verständlich, nicht viel besser Nestors Erzählung von seinen Kämpfen in Messenien.

Als Hauptcharaktertypus des Epos läßt Terrasson nur den ganz tugend- haften Helden gelten. Für den lasterhaften Achilleus hätte die Gerechtig- keit eine Katastrophe oder, um das Epos nicht zur Tragödie werden zu lassen, eine moralische Umkehr erfordert. Der Triumph dieses Bösen ist ebenso gräßlich, wie es nach Aristoteles der Untergang des Unschuldigen ist.

Wemi Terrasson über Homers Götter nicht viel Neues bringt, so verdient er in hohem Grade unsere Aufmerksamkeit durch die bündige und einwandfreie Widerlegung der allegorischen Erklärung. Auch hier hatte ihm allerdings La Motte gut vorgearbeitet. Die Erklärer, sagt Terrasson mit Bezug auf Le Bossu und M°^® Dacier, unterscheiden theo- logische, moralische und physikalische Allegorien. Athene soll die Weis- heit und Einsicht Gottes sein, sie, die böseste und unvernünftigste aller Gottheiten, die sich von der Leidenschaft beherrschen läßt und in fort- währendem Zwist mit Zeus steht, dessen Weisheit sie doch sein soll. Oder man faßt Athene moralisch als menschliche Klugheit, was mit dem eben Gesagten im Widerspruch steht und auch an sich unhaltbar ist. Denn sie reizt Pandaros zum Vertragsbruch und ist die stete Beschirmerin des unvernünftigsten aller Helden, des Achilleus. Die physikalische Er- klärung ist historisch berechtigt, da die Götter ursprünglich Naturgewalten bedeuten. Aber die Anwendung des Prinzips auf Homer ist von zweifel- hafter Richtigkeit und führt zu beständigen Widersprüchen. So soll Here das eine Mal die schwerere, dem Aether, Zeus, untergeordnete Luft sein, dagegen der Kampf der Here mit Artemis eine durch die Erde hervorgerufene Mondfinsternis bedeuten; die zwischen Himmel und Erde aufgehängte Here ist gar die in der Mitte der Lüfte schwebende Luft. Das ist alles falsch. Mögen die Götter ursprünglich bedeutet haben, was

Finaler: Homer in der Neuzeit. 15

226 Frankreich und die Niederlande

sie wollen, so galt nach kurzer Zeit nur der wirkliche Wortsinn. Auch kann eine und dieselbe Gottheit nicht bald physikalische, bald moralische Bedeutung haben. All das legt man willkürlich in den Homer hinein, der an dergleichen gar nicht gedacht, vielmehr von moralischen und philo- sophischen Dingen noch durchaus unklare Vorstellungen gehabt hat.

Eine wahre Verheerung richtet Terrasson im letzten Teile seines Buches unter den Einzelheiten der homerischen Darstellung an. Der Dichter hat gar nichts recht gemacht, oder wenn es vereinzelt doch ge- schah, die Schönheit durch noch größere Fehler verdunkelt. Besonders erregt der Achilleusschild die Entrüstung des Kritikers, denn er enthält eine schreckliche Menge von Gegenständen, mit denen man eine ganze Galerie füllen könnte, die aber für einen Schild notwendig zu klein ausfallen mußten. Terrasson hat von der Erklärung Boivin's sprechen hören, beschränkt sich aber auf die nach seiner Behauptung gewöhnliche Annahme, daß der Schild nur ein Gemälde darstelle, dessen Gegenstände ganz unzusammenhängend seien. Man ist im unklaren, wo sich Hephaistos den Beschauer denkt. Wenn dieser auf der Erde steht, kann er nicht alle die dargestellten Gegenstände umfassen, auch wenn man sich die Erdoberfläche eben denkt; so ist das Gemälde nach den Regeln der Per- spektive und der Malerei fehlerhaft. Setzt man aber voraus, der Beschauer sei von der Erde entfernt, und nimmt man die sphärische Gestalt der Erde an, weil ja sonst nicht der die Erde umfassende Okeanos zu er- kennen wäre, so müßte der Standpunkt über zweitausend Wegstunden von der Erde abstehen; nicht viel weniger, wenn man die Oberfläche eben annimmt. Dann sind aber zwei Städte zu wenig; es hätten alle auf unserer Halbkugel liegenden dargestellt sein müssen; auf der andern Seite sind auf solche Distanzen Städte, geschweige Menschen, nicht sicht- bar oder müßten unverhältnismäßig groß dargestellt werden. Bei der Beschreibung der himmlischen Zeichen verrät Homer eine bedauerliche Unwissenheit in astronomischen Dingen. Eine subtile Erörterung der wichtigsten Bilder des Schildes, die in so beklagenswerter Weise die malerische Einheit der Handlung vermissen lassen, führt den Verfasser zu der Meinung Scaligers, daß Homer eine wirkliche Bewegung seiner Figuren vorausgesetzt habe. Terrasson hatte versprochen, die vor ihm angestellten Betrachtungen über den Schild durch genauere zu ersetzen, hat aber in Wirklichkeit nur das törichte Gerede seiner Vorgänger durch noch törichteres überboten.

Terrasson fand keine eingehende Widerlegung, wahrscheinlich weil niemand die saure Arbeit übernahm, sein Buch zu lesen, vielleicht auch, weil jeder Mensch einsah, daß er viel zu viel hatte beweisen wollen.

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Terrasson Gacon Boivin , 227

Gegen La Motte wandte sich Gacon im Homere venge, einer Schrift, die ihrer groben Schmähungen und nicht immer witzigen Spöttereien wegen allgemein abgelehnt wurde, aber manches Richtige enthält. So bestreitet Gacon, daß schon der christliche Gehalt ein modernes Gedicht über ein heidnisches erhebe, sowie daß die Poesie Tugendideale zu zeichnen habe; es genüge zur Belehrung der Menschen, daß man ihnen ihresgleichen darstelle. Auch die moderne Höflichkeit, die man so sehr betont, kann zur Erhabenheit eines Gedichts so wenig beitragen wie moderne Kleidung zur Schönheit eines Gemäldes. Es ist nicht richtig, daß Homer die Grausamkeit des Achilleus nicht verurteile. Das Selbstbewußtsein der Helden ist nicht tadelnswert, da es die erste Quelle der menschlichen Handlungen ist. Unehrerbietigkeit gegen die Götter kommt bei Homer vor; aber war der Connetable von Bourbon deshalb weniger ein Held, weil er die heilige Stadt berannte? und ist in den Religionskriegen Schändung von Leichen nicht vorgekommen? Gewiß sind die Charaktere zuweilen inkonsequent gezeichnet; aber da dergleichen auch in Wirk- lichkeit begegnet, hätte La Motte die Natur tadeln sollen, nicht Homer, der diese so trefflich nachgeahmt hat. Die ganz gleichmäßig erhabenen Romanhelden nimmt doch höchstens ein Don Quichotte zum Muster.

Auch sonst gibt es noch recht viel Zutreff'endes in dem seines Tones wegen sonst unerfreulichen Buche. Terrasson's Buch war noch nicht er- schienen, aber seinem Lihalte nach im wesentlichen bekannt. Gacon ver- gleicht in einer Fabel La Motte und ihn mit zwei Malschülern, denen ihr Lehrer den Raffael kritisiert hat. Darauf kopiert der eine ein im Atelier hängendes Bild Raffaels so, daß er nur den dritten Teil davon abmalt und, um die Härten zu beseitigen, seiner Kopie einen zärtlichen und galanten Ton gibt. Der andere aber findet, einen Mohren könne man nicht weiß waschen, und beweist in einer Schrift, daß Raffael überhaupt nicht zu malen verstanden habe.

Sachlich und ruhig erwägt die Streitfrage Jean Boivin in der Apologie d' Homere 1715. Er ist ein Gelehrter, der für seinen Homer nichts als Verständnis verlangt. Mit Recht erkennt er bei La Motte manche richtige Beobachtung an, zeigt aber, wie falsch es sei, daraus gleich auf Fehler des Dichters zu schließen. Den Tadel der mangebiden Spannung findet er ganz verfehlt: Homer spannt durch die Ausführung. Es ist unbillig, von Homer die moderne französische Vollkommenheit zu verlangen, die halb christlich, halb romanhaft ist. Wer einen Dichter verstehen will, hat zuerst die Zeit des Dichters zu verstehen. Wer das nicht kann, wird auch bei Reisen in fremde Länder verlangen, daß alles so sei wie zu Hause. So sucht Boivin überall Homer nicht zu verteidigen,

15*

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sondern zu erklären. Die angeblichen Fehler, die ihm La Motte vorwirft, lassen ihn kalt, weil er dessen Ansicht, vollkommen sei nur das Fehler- lose, für falsch hält. Es ist eitel, einem Gedicht große Fehler zu nehmen, wenn man zugleich große Schönheiten wegnimmt. Es mag ja sein, daß Homers Ilias mehr Fehler hat als die La Motte's; aber es gibt närrische Leute, welche die Fehler der Ilias den Vollkommenheiten La Motte's vor- ziehen.

Boivin ist auch der erste, der es wieder wagt, auf die Bedeutung der poetischen Form hinzuweisen. Ohne die Furcht, von den Modernen für einen Pedanten verschrieen zu werden, behauptet er keck, es sei gar nicht wahr, daß der Grundgedanke eines Gedichts am meisten wirke; was uns entzücke, sei vielmehr das Versmaß, der Wohlklang, die Harmonie; Um- stellung der Worte würde die schönsten Stellen zerstören. Das ist ein unter der Alleinherrschaft der Raison und der Regeln lange nicht ge- hörter Ton.

Der bedeutsamste Teil der Apologie ist der über den Achilleus- schild. Boivin unterscheidet zwölf Szenen oder Tableaux, während später Lessing nur deren zehn annahm. Weit wichtiger ist, daß wir heute geneigt sind anzunehmen, Homer habe an eine Anordnung der Bilder im ganzen nicht gedacht und auch nicht denken können. Aber ge- setzt, er habe sich wenigstens von der Verteilung der Bilder auf den ganzen Schild eine Vorstellung gemacht, so ist Boivin's Konstruktion weitaus die verständigste. Von den fünf Lagen des Schildes zeigte nach ihm die erste, innerste Erde und Meer, die zweite den Himmel mit Sonne, Mond, Bär und Orion, die dritte den Tierkreis, die vierte die Szenen aus dem Menschenleben und die fünfte und äußerste endlich den Okeanos. Daß bei einem auch mäßig großen Rundschild die Szenen nahe der Peri- pherie gut Platz haben, hat der Maler Vleughals, der für Boivin den Schild zeichnete, mit Recht behauptet, und es wird durch das, was wir seither von mykenischer Plattierkunst kennen gelernt haben, durchaus bestätigt. Das größte Verdienst Boivin's ist, daß er durch streng wissen- schaftliche Methode der Betrachtung dem Gerede der Scaliger, Desmarets, Perrault, Terrasson für immer ein Ende gemacht hat. Lessing hätte das anerkennen dürfen.

Der mit so viel Eifer geführte Krieg reizte den Spott. Diese Streitig- keiten, sagt Dugas-Monbel, die während zwei Jahren viel Lärm machten und alle Journale beschäftigten, endeten, wie damals in Frankreich alles, mit satirischen Pamphleten und Parodien, nachdem sie das Volk in den Vaudevilles amüsiert hatten, die auf den Gauklerbühnen der Foire Saint- Laurent gespielt wurden. Von der burlesken Literatur der Zeit habe ich

Boivin Marivaux Saint Hyacinthe Buffier 229

nur Marivaux' Homere travesti gesehen, es aber unmöglich gefunden, das Buch zu Ende zu lesen. Es ist nicht zu begreifen, woher ein so geistreicher Mensch wie Marivaux die Geduld genommen hat, ein so lang- weiliges Opus fertig zu bringen; was nicht schmierige Witze sind, ist einfach platt. Marivaux hat den Homer nicht im Original gelesen, weil er das für verderblich hielt; er habe, sagt er, an M™® Dacier ein Beispiel, wie durch Homer der Charakter verwildern könne. Deshalb hält er sich an La Motte, dessen Grundsätzen und dessen Übersetzung er die höchsten Lobsprüche spendet; wobei ihm leider begegnet ist, daß er nicht den niedrigen Homer, sondern den erhabenen La Motte travestiert hat. Das Parisurteil z. B., das er mit so viel Behagen im Schmutze schleift, ist von La Motte in die Ilias eingesetzt.

Weit erheiternder wirkt SaintHyacinthe. In seinem Chef-cT Oeuvre d'im inconnii gibt er einen Gassenhauer, den er zuerst mit allen Künsten der philologischen Wissenschaft, unter Aufwand einer großen Gelehr- samkeit, bis ins einzelnste interpretiert, um dann zu beweisen, daß er allen Regeln des Aristoteles und Horaz über das Epos besser entspreche als die Ilias. In der Dissertation sur Homere et sur Ghapelain behandelt er den letzteren nicht als Modernen, sondern als künftigen Ancien, da er für die fernste Nachwelt gearbeitet habe. Er bespricht einige wesentliche Vorwürfe, die man gegen Homer erhoben hatte, und weist sie so ironisch zurück, daß die Verteidiger Homers schlimmer wegkommen als die An- greifer. Noch schlechter behandelt er eine sehr schwache Stelle Chapelain's, an der er die höchsten Schönheiten nachweist, um damit zu schließen, daß Ghapelain unstreitig über Homer zu stellen sei. Saint Hyacinthe steht neben dem Streit und amüsiert sich darüber. Daß er Homer, den er im Original lesen konnte, geschätzt habe, darf man seiner Versiche- rung glauben. Er teilt die Ansicht, daß Achills Charakter sehr mangel- haft sei, hebt aber hervor, wie groß das Genie des Dichters sein müsse, der uns gleichwohl für das Schicksal seines Helden zu interessieren vermöge. Aber die Weisheit der Kommentatoren ist ihm in der Seele zuwider.

Im übrigen versandete der Streit. Der Pere Le Buffier, der in seinem Homere en arhitrage betitelten Briefe an M""® Lambert eine vermittelnde Stellung einzunehmen suchte, weiß keinen einzigen neuen Gedanken vorzubringen, als daß M™® Dacier und La Motte in der An- erkennung Homers als eines großen Dichters im Grunde einig seien, und daß nur über das Mehr oder Weniger der Fehler Streit herrsche. M""® Lam- bert brachte sodann eine persönliche Aussöhnung zwischen La Motte und M""^ Dacier zustande. Die Folgen des Friedensschlusses zeigten sich in

230 Frankreich und die Niederlande

M™® Daciers Übersetzung der Odyssee 1716, deren Vorrede von Polemik fast ganz frei ist. Sie setzt die Regeln des Epos noch einmal nach Le Bossu fest, um dann an Calprenede's Roman Cassandre und an Chapelain zu beweisen, daß ihr Mißerfolg nur der Mißachtung jener Regeln zu- zuschreiben sei. Dann widerlegt sie die Angriffe Piatons auf Homer, sowie die Behauptung der Schrift vom Erhabenen, daß die Odyssee an Wert hinter der Ilias zurückstehe, und erörtert das Verhältnis Homers zum Alten Testament. Den Schluß bilden ein paar Worte gegen Terrasson, auf dessen dicke Bücher sie indessen nicht eintreten will. Wenn sie ihm dabei vorwirft, er verstehe nichts von Poesie, und es spreche noch nicht gegen Homer, wenn er Terrasson nicht gefalle, so hat sie ganz recht.

Die Versöhnung ließ etliche Schriftsteller zu spät kommen. Der Abbe De Pons wiederholt in der Dissertation sur le poeme epique über- treibend die Gedanken La Motte's. Fourmont, Examen pacifique sur la Querelle de M"'' Dacier et M. de La Motte sur Homere^ fühlt un- glücklicherweise den Beruf in sich, der Menschheit die Lehre vom Epos vorzutragen, wie sie sich aus dem nun abgelaufenen Kampf ergab. Im ganzen folgt er Aristoteles und M™® Dacier, läßt aber auch zuweilen La Motte gelten. Neue Gedanken bringt er nicht vor, sondern er laviert zwischen den Parteien. Das Beste ist die Bekämpfung der Behauptung La Motte's, daß der Clovis die Ilias übertreffe, in Form einer hohnvollen Analyse des Gedichts, die recht erheiternd ist.

Den Schluß der denkwürdigen Periode bildet ein Streit zwischen zwei Verehrern Homers. Der Pere Hardouin hatte die Entdeckung ge- macht, daß Homer nur darum nicht anerkannt werde, weil man ihn nicht richtig auffasse. Das setzt er in seiner Apologie d' Homere 1716 aus- einander. Nachdem er sich gegen die Parallelisierung Homers mit dem Alten Testament ausgesprochen hat, geht er auf den Plan der Ilias ein, den vor ihm niemand erkannt hat. Es ist nämlich weder die Be- lagerung von Troja, noch der Preis des Achilleus, sondern die Vernichtung des verbrecherischen, von den Göttern verlassenen Hauses des Priamos und der Übergang der Krone auf Aeneas, den Freund der Götter. Der Fall der Priamiden beginnt mit Hektors Tod, der die Tat des Paris mißbilligt hatte. Das Wort Ilias bedeutet die Stadt und das Haus des Hos, als Titel gesetzt bedeutet es die Gründung, oder da dies hier nicht angeht, die Vernichtung dieses Hauses oder dieser Stadt. Da Trojas Fall nicht erzählt wird, ist also das Schicksal des Hauses des Ilos der Gegenstand, und damit ist auch der Übergang der Krone an die Aeneaden angedeutet. Diese Absicht des Dichters ist dann in der Prophezeiung des Poseidon über Aeneas deutlich ausgesprochen. Von dem gewonnenen

M"»« Dacier Hardouin 231

Gesichtspunkte aus erscheinen alle Einwendungen gegen die Ilias hin- fällig.

Eine noch viel wesentlichere Entdeckung Hardouin's bezieht sich auf Homers Götter. Homer kennt nur einen wirklichen Gott, das Schick- sal oder die Natur. Die Götter der Ilias sind die personifizierten Tugenden oder guten Eigenschaften der Menschen, die einander zuweilen entgegen- gesetzt sind und daher miteinander streiten können. Im Grunde streiten die Menschen selbst oder ihre Eigenschaften, und es liegt deshalb keine Gottlosigkeit vor, wie es der Fall wäre, wenn ein Dichter unsere Heiligen unter sich und mit Gott streiten ließe. Die Religion der Heiden geht das in Wahrheit nichts an. Die Götter, zu denen man wirklich betete, Erde, Sonne, Mond, Fixsterne, sind nicht vertreten. Homer hat, wie jeder Dichter, die Götter geformt, wie er sie brauchte, und sie haben mit Recht immer als notwendiger Schmuck der Poesie gegolten. Darauf folgt die Spezialerklärung dieser Theomythologie, in einzelnen Fällen grotesk und lächerlich. Dafür nur ein Beispiel. Homer erzählt die Ge- schichte des Lykurgos, der die Pflegerinnen des Dionysos mit dem Rinder- stachel scheuchte und den Gott selbst so erschreckte, daß er sich in die Welle des Meeres barg, wo Thetis ihn aufnahm. Dafür zürnten die Götter dem Lykurgos und machten ihn blind, auch lebte er nicht mehr lange. Das erklärt Hardouin so: Lykurgos hatte seinen Untertanen den Wein verboten. Die Pflegerinnen sind die Reben, die er mit der Axt abhieb. Da man fürchtete, er werde auch den Wein in den Kellern vernichten, bot man diesen Wein der Thetis an, welche die Marine bedeutet, also den Marineoffizieren, die ihn sehr gern entgegennahmen. Das Schicksal wollte dann, was wirklich geschah, nämlich daß Lykurgos sterbe: beim Tode verliert man ja Augenlicht und Leben. Diese pläsierlichen Ent- deckungen sind weit ausgesponnen. Besonders die immer wiederholte Versicherung, daß Zeus das Schicksal bedeute, wirkt so langweilig wie die Erklärungen des Tzetzes.

Einen solchen Bundesgenossen wollte sich M""® Dacier nicht gefallen lassen, da sie sich auch selbst befehdet fühlte; denn Hardouin hatte die üblichen Verteidigungen Homers nicht gelten lassen. So griff sie zum letzten Mal zum Schwert und schrieb den Homere defendu contre Vapo- logie du R. P. Hardouin ou suite des causes de la corruption du goüt. Sie wirft Hardouin vor, er mache Homer verächtlich und entferne sich von dessen wahren Ideen. Es wäre doch seltsam, wemi der Dichter seine wahre Absicht erst in einer Episode des zwanzigsten Buches eröffnet hätte, die ganz ohne Schaden weggelassen werden könnte. Dem System Har- douin's eine Fülle von inneren Widersprüchen mid totale Haltlosigkeit

232 Frankreich und die Niederlande

naclizuweisen, fällt M™® Dacier natürlich nicht schwer; schade, daß sie selbst von den homerischen Göttern eine ebenso schlechte, wenn auch durch ihr Alter ehrwürdigere Erklärung gibt. Ihr Eifer ist erklärlich. Sie sah nicht nur durch den unberufenen Bundesgenossen ihr Lebenswerk gefährdet, sondern zitterte auch für das schon mehr als genug erschütterte Ansehen Homers; wird doch berichtet, daß Hardouin's Enthüllungen wahre Stürme von Gelächter erregten. Deshalb atmet ihre letzte Schrift großen Ernst. Hardouin, so schließt sie, hat Homers Poesie in den Staub ge- zogen, seine Sitten und Personen entstellt und die Religion der Heiden in Atheismus verwandelt. Im Interesse der Literatur wünscht sie, er möchte sich des Einzigen erinnern, das er in seinem Werk vergessen zu haben scheine, nämlich des unschätzbaren Wertes und der unendlichen Segnungen des Nachdenkens.

Während des Jahres 1715 weilte in Paris der gelehrte Italiener Antonio Conti, der dem Streit zwischen La Motte und M™® Dacier mit Interesse folgte. Er verglich in einem französisch geschriebenen Brief an Scipione Maffei die Dispute der Anciens und Modernes mit den Kämpfen der Troer und Griechen, die sich bei der Einnahme Trojas im Finstem schlugen, ohne zu wissen, wohin sie gingen und was sie suchten. Sie streiten, sagt er, und meint natürlich vor allem La Motte, ohne Kennt- nis des Griechischen, ohne festes Gesetz der Poesie und ohne jede Rücksicht auf die Sitten der Jahrhunderte und die Geschichte der Literatur. Darauf folgt eine scharfe Kritik von Fontenelle, La Motte und Terrasson, die damit schließt, daß, wenn man aus den leitenden Ideen der Modernes ein System machen wollte, das ein wundersames Monstrum würde.

Ein Menschenalter später, 1751, gab Gartaud de la Vilate in dem Essai historique et pJdlosopJiique siir le goüt eine kurze Übersicht über den Streit. Das Buch ist, wie die Vorrede sagt, geschrieben, um ober- flächliche Leser zu amüsieren, und im Stil entsprechend gehalten. Die erste, historische Partie behandelt die Geschichte des Geschmacks vom Urmenschen an mit einer leichtfertigen Unwissenheit, die nur von der Anmaßung des Verfassers noch überboten wird. Nicht besser ist seine Darstellung der Querelle, von der er nur eine sehr vage Vorstellung hat. Boileau und besonders M°^® Dacier werden mit den ordinärsten Sottisen überschüttet. Cartaud hat keine Ahnung davon, daß sich letztere schon der Zeit nach an der eigentlichen Querelle nicht beteiligen konnte, und daß es sich zwischen ihr und La Motte nicht um dieselbe Sache handelte, wie zwischen Perrault und Boileau. Trotz seiner bodenlosen Ignoranz kann er indessen seinen Lesern zur Beruhigung mitteilen, daß sich das abgöttisch angebetete Altertum bei näherer Betrachtung als ganz hohl

^'

Conti Cartaucl Dubos 233

erwiesen habe. Das Ziel, für Oberflächliche liederlich zu schreiben, hat er jedenfalls erreicht.

Der Streit der Anciens und Modernes und auch der neueste Kampf fum Homer waren verhallt, als Jean Baptiste Dubos seine JReflexions critiques sur la poesie et sur la peinture 1719 erscheinen ließ. Er ist fast vergessen, obwohl er das nicht im geringsten verdient. Die Reflexions sind eine der anziehendsten Schriften, besonders wenn man sie in ihrer Stellung zum 17. Jahrhundert betrachtet. Was Dubos an Poesie und Malerei Gemeinsames findet, ist durchweg der Erwägung sehr wert. Dabei ist das Buch ein Kampfbuch von hohem Rang. Dubos ist von dem eng- lischen Philosophen Locke sehr stark beeinflußt, der alle Erkenntnis teils aus der Sensation oder äußeren, teils aus der Reflexion oder inneren Wahrnehmung herleitet. So geht er von der Frage aus, warum und wie die Künste auf uns wirken, stellt sich also von vornherein auf einen viel höheren Standpunkt als die bisherigen Kämpfer. Natürlich kommt er auf die brennenden Fragen der Querelle zu sprechen; aber er nimmt zu ihnen nicht die Stellung eines Mannes ein, der am Kampfe teilnimmt, sondern die eines Richters. Er ist von allen bisher festgehaltenen Ge- sichtspunkten gleich weit entfernt. Ich muß mich auf die Punkte be- schränken, die unseren Stoff näher angehen.

Perrault und La Motte hatten Homers Darstellungen der Unwahr- scheinlichkeit bezichtigt. Dubos lehrt, daß poetisch wahrscheinlich das ist, was unter den vorausgesetzten Bedingungen möglich ist. Die Ver- einigung des Wunderbaren und Wahrscheinlichen ist etwas, das man nicht lehren kann, ein Eigentum derer, die zu Dichtern geboren sind. Um wahrscheinlich zu sein, müssen die Personen nicht nur die ihnen nach Alter, Stand und ihrem Anteil an der Handlung entsprechenden Affekte äußern, sondern auch den Sitten der Völker entsprechen, die sie vertreten; selbst im Kostüm muß historische Treue sein. Damit sind die Modernes abgefertigt, welche die homerischen Sitten höchstens noch mit der Roheit des Zeitalters entschuldigen wollten. Es gibt nach Dubos gar nichts zu entschuldigen, wenn die Darstellung historisch korrekt ist.

Die ganze Poetik der Renaissance hatte es dem Aristoteles nach- gesprochen, daß die Einheit und das richtige Verhältnis der Teile zu- einander und zum Ganzen die oberste Bedingung für das Gedicht seien. Das ist gar nicht richtig, sagt Dubos; für den Erfolg kommt auf nichts so viel an als auf die Schönheit jedes Teils des Gedichtes, die Art, wie jede Szene gebaut ist und die Personen sich aussprechen. Beständig neue, schöne Eindrücke lassen uns sogar die Fehler übersehen, die wir selbst

234 Frankreich und die Niederlande

erkennen, wieviel mehr die, auf die wir erst von andern aufmerksam gemacht werden. Den Dichter macht die Poesie des Stils, die darin be- steht, allem interessante Gefühle zu verleihen, durch Figuren und Bilder auch Dinge rührend zu machen, die in bloßer Prosa nicht wirken können. Die unmittelbare Sprache des Herzens muß von Affektation frei sein; aber Reflexionen des Dichters, Erzählimgen, Beschreibungen müssen unter Bildern dargestellt sein, die in unserer Phantasie Gemälde hervorbringen. Für ihre Wahl bedarf es des göttlichen Feuers; nur der mit dem Genie Begabte kann seine Verse mit immer neuen Erfindungen und Bildern stützen, während auch der Mittelmäßige gar wohl einen regelrechten Plan machen und wohlanständige Sitten darstellen kami. Clovis und Pucelle sind regelrecht, aber es fehlt ihnen die Poesie des Stils. Für die Be- urteilung ist das Vergnügen der einzige Maßstab, nicht die Belehrung oder die Regeln. Vergnügen aber macht nur die Poesie des Stils, und darum ziehen die Italiener mit Recht den Ariost dem Tasso vor. Mit ihr kann nur ein großer Dichter die Mechanik der Poesie verbinden, welche dem Ohre zu gefallen hat.

Hat Dubos schon hier mit aller Kraft die Überlegenheit des wahren poetischen Schaffens über alle Regeln ausgesprochen, so geht er im zweiten Teile geradezu von diesem Gedanken aus, um den ganzen Kultus der Raison und des ewigen Fortschrittes der Menschheit über den Haufen zu werfen. Er beginnt mit einer Schilderung und Verherrlichung des von dem göttlichen Feuer beseelten Menschen, des Genius; eine Partie, in der er ersichtlich von Dryden abhängig ist. Genie ist die natürliche Fähigkeit, alles gut und leicht zu machen, was andere mit großer Mühe und mangelhaft zustande bringen. Regelmäßigkeit ist dem Genie nicht oberster Zweck, sondern nur das Mittel zum Ausdruck von Schönheiten höherer Ordnung. Es sproßt von selbst, gleich einer Pflanze, bedarf aber wie diese der Ernährung und Pflege. Um sich zu ernähren, wird es viel lernen, aber bald, ohne Rücksicht auf Meister und Vorbilder, seine eigenen Wege gehen.

Nun stehen die Künste nicht in jedem Zeitalter und in jedem Lande in gleicher Blüte. Moralische Ursachen sind für ihre Höhe nur bedingt verantwortlich zu machen. Die Künste können in Verfall geraten, ohne daß sich die moralischen Bedingungen ändern. So geschah es in der ruhigen und friedlichen Zeit des römischen Kaiserreiches, und es ist ganz falsch, die Schuld dafür auf die Völkerwanderung zu schieben. Der Grund der Schwankungen muß in einer Veränderung der natürlichen Bedingungen liegen, der Luft und den Ausdünstungen des Bodens; wir sehen ja, vne sich die verschiedenen Länder je nach dem Klima für die Künste

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Dubos 235

»esser oder schlechter eignen. Die Welt ist Veränderungen und Wechseln unterworfen, deren Perioden uns unbekannt sind, deren Wiederkehr aber abwechselnd Kultur und Barbarei, Fortschritt und Welken der Künste herbeiführt. Damit ist die Lehre vom beständigen Fortschritt abgetan, und zwar mit einer imposanten Fülle höchst geistvoll verwendeten historischen Materials. An ihre Stelle tritt das, was man heute die Theorie des Milieu zu nennen pflegt, die kurz vorher in England durch Wo t ton zum erstenmal aufgestellt worden war.

Nicht minder energisch geht Dubos den Kritikern der Alten zu- leibe. Das Publikum, sagt er, ist ein viel besserer Richter als die Leute vom Fach, das heißt, die mittelmäßigen Künstler und die Kritiker. Denn das Publikum urteilt nach dem einzig richtigen Maßstab, mit einem sechsten Sinn, der Empfindung, sentiment. Was seit seinem Ent- stehen durch die Gunst des Publikums getragen wurde, so z. B. die Aeneis, ist gut, die Kritiker mögen sagen, was sie wollen. Mit ihrer unbedingten Herrschaft der Raison zerstören sie unsere Kultur. Sie schließen aus der Bereicherung unserer Kenntnisse ganz mit Unrecht auf eine höhere Entwicklung des Verstandes. Die großen Entdeckungen und Erfindungen in den Naturwissenschaften sind sämtlich dem Zufall zu verdanken und beweisen nicht, daß man heute auch nur um ein Haar schärfer denkt als im Altertum. Übrigens zeigen auch hier die Kritiker ihre Unwissenheit; demi sie können gar nicht wissen, wie weit die Kennt- nisse der Alten gingen, da so viel davon verloren gegangen ist. Aber auch mit der so gerühmten Methode des Denkens, die Descartes lehrte, hat es eine eigene Bewandtnis. Wäre der Weg zur Erkenntnis wirklich so sicher festgestellt, so dürfte es keinen Streit um die Wahrheit mehr geben; aber man hat sich ja nie so sehr gezankt wie jetzt. Sicher ist nur, was das Experiment festgestellt hat. Jedenfalls aber fallen Ilias und Aeneis nicht unter das Schicksal der aristotelischen Physik und des ptole- mäischen Systems. Hier herrscht ewig nur die eigene Empfindung, der gegenüber keine Angriff'e Dauer haben können.

Allerdings ist für das Verständnis Homers die Kenntnis seiner Sprache unumgänglich notwendig, wenn man nicht wie vom Hörensagen urteilen will. Auch die beste Übersetzung verändert die Poesie des Stils so sehr, daß diese kaum mehr zu erkennen ist. Bei Ersetzung der bildlichen Ausdrücke durch die der modernen Sprache hören wir nicht mehr den Dichter, sondern den Übersetzer. Sodann deckt sich das einzelne Wort selten mit dem fremden, so daß man zu Umschreibungen gezwungen ist. Gelingt die volle Wiedergabe, so macht sie oft doch nicht den Eindruck, den das Original auf die ersten Leser ausübte, weil auf uns die Zu-

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stände, denen das Bild entnommen ist, nicht gleich wirken. Nur das vom Dichter gewählte Wort vermag zu rühren, weil in der Poesie die Bedeutung der Gegenstände fast immer identisch ist mit der des Ausdrucks. Aus der Übersetzung beurteilt man einen Dichter, wie ein Gemälde nach einem ungenauen Kupferstich.

Wenn schon durch diese unbedingte Betonung der Form Perrault und La Motte die Berechtigung zu urteilen abgesprochen wird, so ge- schieht es auch für den Inhalt der Gedichte. Die Kritiker, sagt Dubos, urteilen schief, weil sie meinen, es müsse immer imd überall so gewesen sein wie bei uns. So sehen sie nicht, daß die epischen Gedichte zur Zeit Homers als historische Dokumente galten und er deshalb in der Behandlung des Stoffes nicht frei war; und doch haben ganz gleiche Rücksichten noch für Chapelain gegolten. W^enn wir Homer lesen, müssen wir uns in die verwandeln, für die das Gedicht geschrieben wurde. Wenn man über die Alten urteilen will, muß man von den Dingen, von denen sie erzählen, auch selbst etwas verstehen. Man wird also fortfahren, die alten Dichter zu bewundem, es sei denn, daß neue kommen, die sie ganz in Schatten stellen. Gewiß steht unsere Zeit in der exakten Wissen- schaft höher als die frühere; aber wo es so wesentlich auf das Genie ankommt wie in der Poesie, hat eine spätere Zeit nicht schon darum einen Vorrang, weil sie später ist.

Vieles von dem, was Dubos ausspricht, hatten die Anciens da und dort auch schon gesagt. Neu ist an ihm die rücksichtslose Verwerfung der Regeln als eines Maßstabes für das Kunstwerk. Das Genie macht sich die Regeln selbst und braucht anerkannte Grundsätze höchstens zur allgemeinen Wegleitung. Das Urteil hat auf nichts zu beruhen als auf der unmittelbaren Empfindung. Was gefällt und rührt, das ist gut und bleibt.

Grundsätzlich sind die Anciens und Modernes mit ihren Argumenten zurückgewiesen. Sie haben beide unrecht, insofern sie meinen, auf dem W^ege der verstandesmäßigen Erörterungen für oder gegen die Dichter etwas beweisen zu können. Aber im wichtigsten Punkt haben Racine, La Fontaine, Boileau, M™® Dacier recht behalten. Ihre aufrichtige Liebe zu Homer ist als echt erwiesen; denn sie gründet sich auf ein unmittelbares Empfinden, das ihnen durch das volle Verständnis der Form, der Poesie des Stils bei Homer, ermöglicht worden ist.

Dubos hatte gleich Vauquelin den Wunsch ausgesprochen, es möge ein französisches historisches Epos entstehen, und deutlich auf Heinrich IV. als den geeigneten Helden hingewiesen. Es steht wohl außer Zweifel,

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Dubos Voltaire 237

daß er von den epischen Plänen des jungen Voltaire Kenntnis hatte, dessen Henriade, 1717 begonnen, im Jahre 1728 die endgiltige Fassung erhielt.

Die Henriade soll ein wirkliches Epos sein. Ihr Muster ist Virgil. Die eigentliche Handlung besteht in der Belagerung und im Falle von Paris; die Vorgeschichte, die Bartholomäusnacht und der Kampf gegen die Ligue wird der Königin Elisabeth erzählt; auch fehlt auf der Reise Heinrichs nach England der Seesturm der Aeneis nicht. Die späteren Gesänge folgen der historischen Chronologie. In den zahlreichen Episoden ist Tasso Vorbild, zumal in der Befreiung des Helden aus den Liebesbanden der schönen Gabrielle D'Estree, nur daß ein Zauberschild nicht notwendig ist. Ludwig der Heilige inspiriert seinen Schützling und greift auch direkt in die Handlung ein; daneben spielen, nach Boileau's Rezept, die Schemen allegorischer Personen eine große Rolle. Sie dienen dem Dichter zugleich zur Aussprache seiner Überzeugungen, wie in der eindrucksvollen Schilderung von den Wirkungen des Fanatismus in der Weltgeschichte und der Fälschung der wahren Religion durch die päpstliche Politik. Die Religion selbst ist nicht angegriffen. Schließlich läßt doch die von Saint-Louis gesandte Verite den Bourbon seine kalvinis tischen Irrtümer erkennen.

Eine dichterische Großtat ist die Henriade freilich nicht; sie hält aber durch die Schönheit der Sprache, hübsch ausgeführte Gleichnisse, manche packende Schilderung und den warmen Eifer der vorgetragenen Gedanken in angenehmer Spannung. Nur die eigentlichen historischen Partien sind mißlungen; Voltaire hat hier durch zahlreiche Episoden nachzuhelfen gesucht.

Das Gedicht sollte nicht erscheinen, ohne daß der Standpunkt des Verfassers zu den kurz zuvor noch so eifrig besprochenen Fragen ge- kennzeichnet worden wäre. Als Einleitung zur zweiten Auflage schrieb Voltaire, 1726, während seines Aufenthalts in England und in englischer Sprache, den Essai sur Ja poesie epique. Er wirft darin den Kritikern vor, daß sie alle Regeln des Epos aus Homer schöpfen, als wenn die Anfänge einer Kunst zugleich auch ihre Prinzipien wären. Die Ein- bildungskraft, welche die Poesie hervorgebracht hat, wechselt aber täg- lich in ihren Erzeugnissen und ist selbst ewigem Wandel unterworfen. Deshalb hat man zu untersuchen, worin die Nationen über das Epos einig sind, und worin nicht.

Das Epos muß durch die Urteilskraft geschaffen und durch die Einbildungskraft verschönert werden. Notwendig sind Einheit der Hand- lung, Manigfaltigkeit, Größe; dann muß die Handlung interessant sein,

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weil wir gerührt und bewegt sein wollen. Für alles andere gibt es keine festen Regeln und unwandelbaren Vorbilder. Der verschiedene Charakter der Nationen hat ihren Geschmack verschieden entwickelt. Sodann muß man die Eigenart jedes Epos aufsuchen. Voltaire durchgeht darauf die bedeutendsten Epen aller Zeiten. Ariost fehlt in der Reihe.

Mit Homer beginnend, preist Voltaire die Übersetzung Pope's, in der keine Schönheit des Originals verloren ging, wohl aber die Fehler verbessert oder verkleinert wurden. Homers unbedingter Vorzug ist die Kraft der Schilderung. Dennoch langweilen sich die meisten seiner Leser; denn man ist mehr von seinem Ruf geblendet als von dem Werte des Gedichts ergriffen. Wir können uns nicht genügend zu seinen Zeitgenossen machen; denn wir ertragen zwar die antiken Sitten, können aber ihrer Darstellung keinen Geschmack abgewinnen. Wir sind wie die Greise, welche die Schönheit der Helene bewundem, ohne etwas für sie zu emp- finden. Die Ilias ist zu einförmig mit Schlachten erfüllt, in denen man die feineren Schattierungen leicht übersieht; auch ist sie zu lang. Die Tadler haben nicht in allem recht, aber wahr ist, daß uns Homer für seine Personen nicht zu interessieren versteht; sogar die Zeichnung Hektors erstickt in der Masse der Helden. Unsere Phantasie bewundert, aber das Herz bleibt kalt. Endlich fehlt es den einzelnen Teilen an Verbindung. Wir sehen, daß Voltaire, so sehr man in einzelnen Wendungen den Einfluß von Dubos wahrnimmt, doch sonst durchaus im Banne der Modernes steht.

Wesentlich anders tönt es aus der mveiten Redaktion dieses Essais 1732, wo die Gedanken von Dubos mehr Einfluß gewonnen haben und vielleicht auch die Wirkung des englischen Aufenthalts größer geworden ist. Wenn man, heißt es da, Homer die Narrheit der Götter und die Roheit der Helden vorwirft, so könnte man mit demselben Recht einen Maler tadeln, der seine Figuren im Gewände seiner Zeit vorführt. Man mag die heidnische Theologie absurd finden, aber es gehört Mangel an jedem Geschmack dazu, gewisse Erzählungen Homers nicht zu lieben. Lache man über Achilleus und Patroklos, die sich ihr Mahl selbst be- reiten; sie bleiben dabei ebenso heroisch wie Karl XH., der ein halbes Jahr lang sein eigener Koch war. Die achtungswerte Einfachheit der Sitten wiegt die Weichlichkeit und den Müßiggang unserer hohen Stände wohl auf Die Helden der alten Zeit suchten ihren Ruhm in der Kraft, die auch wirklich die Welt bezwungen hat. Homer hat einen Aias imd einen Hektor darzustellen, nicht einen Höfling von Versailles oder von Saint -James.

Perrault, fährt Voltaire fort, kämpfte mit ungleichen Waffen; in seinen Parallelen sieht man einen oberflächlichen Geist, keine Methode

Voltaire 239

und viele Fehler. Nur diese bekämpfte der furchtbare Despreaux, und der Streit endigte mit allgemeinem Gelächter über Perrault, ohne daß der Grimd der Frage in Angriff genommen worden wäre. La Motte er- setzte durch Geist, so viel das möglich ist, die Kenntnis des Griechischen; aber dieser Mangel hinderte ihn, die Schönheiten des Dichters zu sehen, den er angriff, während M°^®Dacier unfähig war, bei Homer einen Fehler zu entdecken. Allerdings weichen ja die einzelnen Teile der Ilias an chönheit so stark voneinander ab, daß man zweifeln könnte, ob sie von demselben Dichter herrühren. Aber das ist bei Shakespeare nicht anders, der doch seinen Ruhm vollauf verdient. Es ist die Art des schöpfe- rischen Genies, daß es einen Weg geht, den noch niemand gegangen ist, ohne Führer schreitet, ohne Theorie, ohne Regeln. Es kann sich auf seiner Bahn wohl verirren, läßt aber alles, was nur Raison und Korrektheit ist, weit hinter sich. So hat Homer die von ihm geschaffene Kunst wohl unvollendet gelassen, aber das Licht bricht überall durch. Der Clovis imd die Pucelle, diese durch ihre Lächerlichkeit berühmten Gedichte, sind^ zur Schande der Regeln, viel regelmäßiger als die Ilias; aber diese ver- hält sich zu ihnen wie ein großer ungeschliffener Diamant zu zierlichem FHtterkram aus Messing. Das größte Verdienst Homers ist die Erhaben- heit der Schilderung. La Motte hat ihm manche Fehler entzogen, aber keine seiner Schönheiten behalten. Vergeblich haben alle Journale La Motte gepriesen: seine Partei, sein. Ruhm, seine Übersetzung, alles ist ver- schwunden, und Homer ist geblieben.

Im Griechischen muß man Homer lesen, wenn man ihn sehen will, wie er ist, voll von Fehlem wie seine Helden, aber erhaben. Wehe dem, der ihn in der Ökonomie seines Gedichtes nachahmen wollte! glücklich, wer die Einzelheiten so schildern würde wie er! Und gerade durch die Einzelheiten entzückt uns die Poesie.

Trotzdem schätzt Voltaire Virgil höher als Homer, am höchsten Tasso. Aus der Verachtung der Epiker des 17. Jahrhunderts hat er nie ein Hehl gemacht; Chapelain und Le Moyne nennt er im ersten Essai die ungereimtesten Poeten, die je Papier beschmiert hätten, und in einer Note zu seiner Pucelle werden die Gedichte von Scudery, Le Moyne und Desmarets fürchterliche französische Epen genannt.

Diese ausnehmend freundliche Beurteilung Homers hat später bei Vol- taire wieder einer ungünstigeren Platz gemacht. Schon in seiner Pucelle 1755 fehlt es nicht an Seitenhieben auf den geschwätzigen Homer, den die Gelehrten unter Gähnen verehrten, und der allein das Recht habe, sich in ewigen Kämpfen zu wiederholen. Homer ist in der Pucelle nicht oft genannt, dann aber immer ironisch behandelt. Später spricht Voltaire

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von ihm als einem Dichter, den man bewundere, aber nicht lese, und den man, wie er im Gandide 1768 sagt, in seiner Bibliothek haben müsse wie außer Kurs gesetzte Münzen.

Im Bictionnaire phüosophique spricht sich Voltaire mehrfach über die Fragen der Querelle aus. Im Artikel Änciens et Modernes 1770 urteilt er, in vielen Dichtungsgattungen seien die Modernen überlegen, nur in wenigen sei das Gegenteil der Fall. Im Artikel Epopee 1771 tadelt er La Motte dafür, daß er, statt die schönen Bilder Homers nachzuahmen, versucht habe, ihm Esprit zu verleihen. Der Artikel Scoliaste will nicht untersuchen, ob M"® Dacier mit ihren vielen Zusätzen und Kürzungen wohl getan habe. Sicher aber sei, daß, wenn jemand heute ein Gedicht wie das Homers machte, es nicht nur von einem Ende Europas zum andern ausgepfiffen, sondern gänzlich ignoriert würde; und doch sei die Ilias für die Griechen ein ausgezeichnetes Gedicht gewesen, woraus man die Ver- schiedenheit der Sitten und Gefühle der Völker erkennen könne. Gegen M*"® Dacier hält Voltaire die Möglichkeit einer Übersetzung in französische Verse aufrecht, wobei der Dichter allerdings mildern und besonders kürzen müßte. Er gibt selbst eine Probe, wie das zu machen wäre.

Ich kann nicht auf alle Gedanken eingehen, die in diesem Diction- naire über Epos und Epiker niedergelegt sind. Im ganzen ist Voltaire auf dem Standpunkt des 17. Jahrhunderts stehen geblieben und hat sich nur zeitweise durch Dubos und englische Einflüsse zu einer neuen Be- trachtung hinreißen lassen. Seine Bemerkungen bedeuten den Abschluß jener alten Kämpfe, die sich überlebt hatten, und um die sich sonst niemand mehr kümmerte. Zu den Gedanken des 17. Jahrhunderts gehört auch die Absicht, den Franzosen ein Epos zu geben. Wohl war Vol- taire von dem Unwert der vorhandenen Leistungen überzeugt; aber er schrieb deren Mißlingen nur der Inferiorität der Verfasser zu. Mcht lange nach der Henriade begann er ein zweites Epos, die Piicelle, die er aber erst 1762 herausgab.

Die Pucelle ist ihrer vielen Obszönitäten wegen verrufen, aber den- noch und trotzdem sie der Tendenz entsprungen ist, ein wirkliches Kunst- werk. Um die Ideale der früheren Zeit zu verhöhnen, wählte Voltaire den nämlichen Stoff wie Chapelain, den er im Eingang hart angreift. Das Gedicht ist der Form nach ein Romanzo, das Vorbild Ariost, der in Voltaires Wertschätzung seit der zweiten Auflage des Essai beständig gestiegen war. Die Haupthandlung, der Kampf um Orleans, ist ein sehr dünnes Gerüst und bildet die schwächste Partie des Gedichtes; alles andere sind zum Teil weit abführende Episoden, die aber meistens dem Hauptzweck dienen, den König, seine Mätresse, den Hof und die Geist-

Voltaire Rousseau Batteux 241

lichkeit lächerlich oder verächtlich zu machen. Die Pucelle ist der letzte Ausläufer der französischen Epik und zugleich ihr Grabmal, ein Beweis auch für die Sittenverwilderung der Zeit, die für Ariosts heitere Laune keinen Raum mehr hatte.

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts finden wir eine neue Beurteilung und ein besseres Verständnis Homers. Die Zahl derer, die das Original lesen können und es wirklich studieren, ist ohne Zweifel größer geworden. Der Einfluß Englands, besonders Pope's, macht sich bemerklich. Das Beste tat die durch Jean Jacques Rousseau geweckte Freude an der Natur und am Natürlichen. Rousseau hat zwar seine Ideale nicht bei Homer, sondern bei Plutarch und Tacitus gefunden; aber die Einfachheit Homers erregt seine Bewunderung. Erfüllt von seinem Homer glaubt Emile im Garten seiner Wirte die Gärten des Alkinoos zu erblicken, jene Gärten, die von den Leuten von Geschmack als zu einfach und nicht geputzt genug kritisiert worden sind. Eine Fußnote gibt die Beschreibung des Gartens mit der Bemerkung, daß es, zur Schande des alten Träumers Homer und der Fürsten seiner Zeit, darin weder Laubengänge noch Statuen, Kaskaden oder Ruheplätze ge- geben habe. Rousseau preist die Natürlichkeit der Nausikaa, die von bevorstehender Hochzeit träumt und ihre Wäsche selbst besorgt. Aber weit mehr als diese gelegentlichen Zitate wirkte der Ruf nach der Natur überhaupt, die man nun auch in Homer wiederfand. Der alte Dichter hatte ja an der mächtigen Entwicklung Frankreichs in dieser Zeit nur einen sehr bescheidenen Anteil; aber eine richtigere Wertschätzung griff doch Platz.

Die Wendung beginnt mit dem viel gescholtenen Charles Batteux, der 1746 die Schrift Les Beaux-arts reduits ä im meme principe und' 1750 als Fortsetzung den Coiirs de helles-lettres erscheinen ließ; alle Auf- sätze wurden später unter dem Titel Principes de Litterature vereinigt. Auf seine Kunstlehre haben wir nicht einzutreten. Der Abschnitt über das Epos bringt außer der nicht immer durchsichtigen Zusammenstellung bereits vorhandener Urteile einiges Gute und Neue. Seine Art, Homer zu betrachten, bedeutet einen wirklichen Fortschritt. Die Diskussion der von andern gebrachten Meinungen ist selbständig, ohne viel Bemerkens- wertes zu enthalten, neu dagegen die Betrachtung des Aufbaues der Ilias. Ihr Inhalt ist nach Batteux der von Zeus über seine Wünsche gerächte, also zu sehr gerächte Achilleus. Der Held ist bewundenmgswürdig, so- wohl wegen seiner Eigenschaften als durch den Schutz der Götter. Er verdunkelt alle, denn er ist der Sohn einer Göttin, und Zeus führt seine

Finsler: Homer in der Neuzeit. 16

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Sache. Überall regiert er; alles geschieht durch ihn und um seinetwillen; er handelt in der Ilias ebensogut, wenn er nicht erscheint, als wenn er auftritt. Nach der Beleidigung durch Agamemnon beginnt die Wirk- samkeit des Zeus durch den Traum des Königs. Der Zweikampf des Paris mit Menelaos trägt die Ursache des Krieges nach; der Friede wird aber durch die Götter verhindert. Damit man nun merke, daß der ganze Gang der Ereignisse durch den Willen des Zeus gelenkt sei, der Achilleus rächen will, mußte das Glück der Waffen zuerst durch die bloße Über- legenheit der Macht entschieden werden. Die Griechen sind siegreich. Ihrem Vordringen wehrt Apollon durch die Anordnung des Zweikampfes zwischen Hektor und Aias. Aber von da an greift Zeus ein. Achilleus ist gerächt und würde gern wieder fechten, wenn ihn nicht ein Eid bände. So schickt er den Patroklos aus, dessen Tod ihn wieder in die Schlacht treibt. Von da an findet keine Einmischung der Götter mehr statt. Achilleus ist groß durch sich selbst. Seine Größe wird auch dadurch hervorgehoben, daß alle andern Helden außer Gefecht gesetzt werden, daß Apollon die Troer durch den Hinweis auf Achilleus' Fembleiben anfeuert, daß der Mauerbau erst jetzt, wo der Held fehlt, notwendig wird, und daß endlich sein bloßes Erscheinen am Graben die Troer zum Rückzug zwingt. Von dem Moment an, wo er die Kunde vom Siege der Troer erfährt, wächst sein Entschluß, den Zorn fahren zu lassen, in stufenweiser Folge.

Auch auf die vielbesprochenen Fehler Homers geht Batteux ein. Wenn Nestors Reden lang sind, so gehört das eben zur Zeichnung der alten Helden. Bei den Gleichnissen kommt es nicht auf den zur Ver- gleichung gewählten Gegenstand an, sondern auf die Richtigkeit der Vergleichung imd den vollen Ausdruck. Die stereotypen Wiederholimgen haben bei den Alten keinen Anstoß erregt, und entheben auch in vorzüglicher Weise den Dichter der Bemühung, die kleinsten Umstände immer neu zu gestalten. Endlich tadelt man die geringe Zurückhaltung der Helden beim Wortwechsel. La Motte verlangt vom feurigen Jüngling Achilleus die Ruhe eines Philosophen, und, weil einige Worte im Fran- zösischen niedrig wiedergegeben werden können, bezichtigt er alle Hel- den der Ilias dieses Fehlers. Le Bossu's Theorien lehnt Batteux ab. Moralische Lehren kann man gewiß aus der Ilias ziehen, aber ebenso sicher hat keine einzige davon dem Homer zur Grundlage seines Ge- bäudes gedient. Ohne Zweifel, sagt Batteux, ist auch Virgil ein großer Dichter, in vielem Homer ebenbürtig. Aber dieser hat weit mehr schöpfe- rischen Geist und verbindet das Wunderbare besser mit den natürlich handelnden Wesen. Das Eingreifen der Götter ist bei Virgil frostig, voll Freude und Leben bei Homer. Bei jenem sind die Teile rührender als

Batteux Diderot 243

das Ganze, so daß uns der Fortgang nicht interessiert, und für den Helden haben wir nur kühle Bewunderung. Homer dagegen hat die Gabe, alle seine Personen liebenswert zu machen. Einzelne kleine Fehler Homers hat Virgil vermieden und dadurch die großen Fehler seines Stoffes verdeckt.

1771 hat dann Batteux unter dem Titel Les quatre Poefiques die Poetiken des Aristoteles, Horaz, Yida und Boileau gesammelt heraus- gegeben, die ersten drei mit nebenstehender französischer Übersetzung.

Ganz voller Bewunderung für Homer ist Diderot, der den Dichter im Original lesen konnte. Durchgeführte Abhandlungen dürfen wir bei ihm nicht suchen; seine Kimdgebungen sind in die Lettre sur les sourds et les muets 1751 und in die Schrift De la poesie dramatique 1758 ein- gestreut. Die von Homer handelnden Artikel der Encyclopedie enthalten wenig Eigenes; im Artikel Iliade stammt das bedeutendste Stück aus dem Essai Voltaire's.

In der Schrift über die Taubstummen, in der Diderot Batteux bekämpft, und die zu Lessings Laokoon die Anregung gegeben hat, wird die Möglich- keit bestritten, daß ein Dichter durch einen andern übersetzt werden könne. Man gibt, sagt Diderot, den Gedanken wieder und ist vielleicht auch so glücklich, für eine Wendung den äquivalenten Ausdruck zu finden ; aber das zarte Gepräge, die feine Geheimschrift, die in einer ganzen Beschreibung herrscht, verschwindet notwendig auch in der besten Über- setzung; denn sie hängen in den Sprachen, die die Silben nach der Quantität scheiden, von der Verteilung der langen und kurzen Silben und der Vokale zwischen den Konsonanten ab. Diese Dinge, die dem gewöhnlichen Leser entgehen, entmutigen den Nachahmer von Genie. Je reicher ein Dichter an solchen Hieroglyphen ist, desto schwerer ist er wiederzugeben, und gerade bei Homer wimmelt es davon. Als Beispiel führt Diderot die majestätische Szene an, wo Zeus durch das Winken seiner Brauen das Firmament erbeben läßt, und zeigt, wie der Ton verteilt und gewählt ist, um die gewünschte Vorstellung her- vorzubringen. Die Wortformen selber entrollen schon eine Menge von Bildern.

Im Anschluß daran bespricht Diderot die herrliche Stelle aus dem Kampf um die Leiche des Patroklos: Tiefes Dunkel bedeckt die Kämpfen- den; da richtet Aias an Zeus das ergreifende Gebet: Vater Zeus, rette die Achäer vor dem Nebel, schaffe klare Luft, gib, daß wir sehen können, und laß uns wenigstens im Lichte sterben, da es dir nun einmal so ge- fallen hat! Die Schrift Vom Erhabenen hatte in dem Gebet den Wunsch des Aias entdeckt, im Licht seinen Tod zu finden, wie es seiner Mann-

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heit gebühre, und nicht durch das Dunkel zur Untätigkeit verurteilt zu sein, selbst wenn Zeus wider ihn streiten sollte. Boileau hatte ihn flehen lassen, Zeus möge wenigstens im Lichte gegen sie kämpfen, und darin wie die Schrift Vom Erhabenen einen besonders heroischen Zug gefunden. Das ist alles, sagt Diderot, ganz falsch. Es handelt sich nicht um eine Herausförderung gegen Zeus; das richtige Verständnis wird durch diese Erklärungen verderbt. Wir sehen einen Helden vor uns, der zum Sterben bereit ist, wenn es so des Zeus Wille ist, und der keine andere Gnade verlangt als kämpfend zu sterben. Man braucht Homer keine Schön- heiten zu leihen; versucht man es, so läuft man Gefahr, ihm solche zu entziehen. Man suche ihn doch zu verstehen, bevor man versucht, ihn zu überbieten. Aber freilich, man muß ihn zehnmal lesen, bevor man sich schmeicheln kann, alles gesehen zu haben.

In der Schrift De la poesie dramatique sagt Diderot bei Anlaß der Verteidigung seines Fils naturell „Die Natur hat mir das Gefühl für die Einfachheit gegeben, und ich versuche es durch die Lektüre der Alten zu vervollkommnen. Das ist mein Geheimnis. Wer Homer mit etwas Geist läse, würde dort viel sicherer die Quelle entdecken, aus der ich schöpfe": nämlich als in den angeblichen Mustern des Fils naturel. „0, mein Freund," fährt er fort, „wie schön ist die Einfachheit, wie übel haben wir getan, uns davon zu entfernen. Will man verstehen, was der Schmerz einem Vater einflößt, der eben seinen Sohn verloren hat, nun so höre man die Klagen des Priamos. Will man wissen, welches die wahren Worte eines Vaters sind, der zu Füßen des Mörders seines Sohnes fleht, nun so höre man denselben Priamos vor Achilleus. Darin liegt kein Esprit, wohl aber Dinge von solcher Wahrheit, daß man sich über- reden könnte, man hätte sie ebensogut finden können wie Homer. Wir, die wir ein wenig die Schwierigkeit und den Wert der Einfachheit kennen, wir wollen diese Stücke lesen, gut lesen, und dann alle unsere Entwürfe nehmen und ins Feuer werfen. Das Genie kann man wohl empfinden, aber niemals nachahmen."

An einer andern Stelle sagt Diderot, er könne den Kontrast nur in Empfindungen und Bildern vertragen, und zwar im Epos und andern erhabenen Dichtungsgattungen, wie in der Ode. Er versteht darunter die Kunst, in der Seele die außerordentlichsten und widersprechendsten Stimmungen zu bewirken, sie sozusagen in entgegengesetztem Sinne zu erschüttern und in ihr ein aus Leid und Freude, Bitterkeit und Wonne, Wonne und Schrecken gemischtes Zittern zu erregen. Diese Kunst hat Homer. Am Fuße des Ida morden sich die Heere in der Nacht, die Zeus über sie gebreitet hat, die Blicke des Gottes aber sind, unaufmerksam und

Diderot Marmontel 245

heiter, auf die unschuldigen Triften der rossemelkenden Aethiopen ge- richtet. So bietet mir Homer zugleich das Schauspiel des Elends und des Glückes, des Friedens und des Wirrsals, der Unschuld und des Ver- brechens, des Schicksals des Menschen und der Größe der Götter. Am Fuße des Ida sehe ich nur einen Ameisenhaufen.

Von den Anregungen von Dubos, Rousseau, Diderot ist die Poe- tique francaisc von Jean Fran9ois Marmontel 1763 ausgegangen. Drei Jahre vor dem Laokoon erschienen, ist sie von Lessing nur an einer Stelle zitiert. Man schilt sie unzureichend und oberflächlich und hat dem Verfasser schon zu seiner Zeit mangelhafte Kenntnis der Lite- ratur vorgeworfen. Ein durchschlagendes Werk ist diese Poetik ja frei- lich nicht geworden; aber sie zeigt uns einen selbständig denkenden Menschen. Schon die Unterscheidung von Malerei und Poesie ist be- merkenswert. Die Malerei faßt einen in Handlung begriifenen Gegen- stand, stellt ihn aber in Ruhe dar; die Nachahmung durch die Poesie dagegen ist fortschreitend und gleich rasch wie die Handlung. Die Poesie ist nicht das Gemälde der Natur, sondern deren Spiegel.

Marmontel nimmt Stellung zu den Fragen, welche die hinter ihm liegende Zeit bewegt hatten. Seine wichtigsten Resultate sind folgende. Einseitige Nachahmung der Alten ist unrichtig, weil sie dem herrschenden Geschmack nicht Rechnung trägt; ihre Nichtbeachtung verderblich, weil dadurch dauernde Schönheiten um des Vergänglichen willen ver- nachlässigt werden. Die Verwendung des Wunderbaren ist an die Be- dingung geknüpft, daß die Erfindung, wenn sie über die Natur hinaus- schreitet, den Zusammenhang der Teile wahre und ein Ideal schaffe, wie es die Natur selbst getan hätte, wenn sie ein bezauberndes Schauspiel hätte geben wollen. Vom Begriff der Schönheit ist der der Freiheit un- zertrennlich; das Gefühl für das Schöne setzt eine Erhebung der Seele voraus, deren nur ein freies Naturell fähig ist. Die Mutter des Über- natürlichen ist die Philosophie, die aus den Wundern der Natur auf eine dahinter stehende bewegende Kraft schloß. Diese Kraft wurde durch die Phantasie wieder in Einzelwesen zerlegt, deren Taten ihrer übernatürlichen Kraft entsprachen. Das ist ganz begreiflich. Aber bei den meisten Dich- tem, vor allem bei Homer, haben diese großen Körper nur menschliche Seelen, da wir andere uns nicht vorstellen können und auch Gottes Denken und Fühlen nur mit menschlichen Mitteln darzustellen vermögen; diese können auch alleiu für die Götter interessieren. Die Gestalten des christ- lichen Glaubens dürfen nicht in leidenschaftlicher Handlung vorgeführt werden; die alten Götter, die ihrer Zeit reale Existenzen, keine Allegorien waren, darf man nur in Gedichten verwenden, die in fabelhaften Zeiten

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spielen. Bei Homer steht Wunderbares und Natürliches in ganz har- monischer Verbindung.

Beim Gleichnis, dessen gewöhnliche Absicht ist, den Gegenstand sinnenfälliger zu machen, entscheidet der Dichter über die Wahl der Bilder; ob sie niedrig seien oder nicht, hat er nur mit seiner Zeit aus- zumachen. Das vielbesprochene Gleichnis vom Esel hat übrigens nicht den Fehler, daß es niedrig ist, sondern den, daß die Störrigkeit eines Esels die feurige Zähigkeit des Helden nur ungenügend wiedergibt. Mar- montel ist dann auch der Meinung, daß die Ausmalung der Gleichnisse überflüssig und aus der zu lebhaften Phantasie Homers zu erklären sei. Das Gleichnis eignet sich für jdie ruhig fortschreitende Erzähhmg, während es in pathetischen Stellen nur angedeutet, im Sturm der Leidenschaft höchstens durch ein Wort ausgedrückt werden darf.

Mit Aristoteles nimmt Marmontel an, das Epos habe gleich der Tragödie Mitleid und Schrecken zu erregen, nicht Bewunderung, wie Tasso meint; denn gerade Homer biete viele rührende Züge. Sein Epos gilt nicht für ein Volk, sondern für die Menschheit; darin hat die Odyssee den Vorrang vor der Aeneis. Sein Wesen ist allerdings eine moralische Wahrheit, aber nicht, wie Le Bossu meint, eine allegorisch verhüllte. Sie zeigt sich im Verlauf des Gedichtes von selbst: in der Ilias ist es die den Griechen und Achilleus selbst verderbliche Leidenschaft, in der Odyssee die standhafte und sich selbst treue Tugend, tm Epos sollte, wie in der Tragödie, alles auf Verknüpfung und Lösung hinzielen. An dieser Forderung gemessen erscheint der Plan der Ilias und der Odyssee höchst mangelhaft, weshalb man Homer bei aller Hochschätzung seines Genies nicht zum unbedingten Muster machen darf.

Marmontel bietet ein treues Bild der ganzen Zeit, die nach Be- freiung von den klassizistischen Fesseln strebt, auch ganz schöne Anläufe dazu nimmt und doch dem Banne der Regeln nicht zu entrinnen ver- mag. Das ganze Jahrhundert hindurch hat die Mumie gedauert und an dessen Ende, am Vorabend der Revolution, noch einen Sprecher ge- funden.

Jean Fran9ois de la Harpe hielt von 1785 an in dem kürzlich gegründeten Lycee Vorlesungen über Literatur, die er von 1798 an unter dem Titel Lycee ou cours de Litte'rature im Druck erscheinen ließ. Die 16 Bände behandeln, abgesehen von Essais über Ossian, Milton, Pope, Nicolo Franco und den Werther, nur antike und französische Literatur und sind Erörterungen über die Schriftsteller ohne den geringsten Versuch einer literarhistorischen Erklärung, im engsten Anschluß an Aristoteles und Boileau. Noch einmal wird die klassizistische Theorie in aller Strenge

Marmontel La Harpe Bitaube Rochefort 247

vorgeführt. Was La Harpe über das Epos zu sagen weiß, ist unbedeutend. Er definiert es als die versifizierte Erzählung einer wahrscheinlichen, heroischen und interessanten Handlung. Im übrigen sagt er nichts, was nicht schon gesagt wäre. Wenn man ihn liest, glaubt man sich noch im Jahre 1715 zu befinden, so sehr ereifert er sich über die Irrlehren von Le Bossu und La Motte und die Grobheit der M""® Dacier.

Daß auch das gebildete PubHkum sich Homer zuwandte, erhellt aus der nicht unbeträchtlichen Zahl von ühersetmmgen, die in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts erschienen, von denen ich aber nicht alle zu Gesicht bekommen habe. Die Reihe eröffnet Paul-Jeremie Bitaube 1764 mit seiner Friedrich dem Großen gewidmeten Übersetzung in Prosa. Der Odyssee gehen lange Reflexions sur la traduction des poetes voran, in denen auch Pope berücksichtigt ist. Bitaube verlangt von der Übersetzung Treue und Eleganz und wirft M""® Dacier vor, daß sie Homer nicht, wie Terrasson behaupte, verschönert, sondern abgeschwächt und die Größe der Gedanken nicht beizubehalten vermocht habe. Wirklich hat Bitaube die Übersetzung der M°^® Dacier verdrängt; seine Arbeit erlebte bis tief ins 19. Jahrhundert hinein mehrere Auflagen, und er rühmt sich, sogar Friedrich den Großen für die Odyssee gewonnen zu haben. Die Über- setzung ist aber, wenn auch ganz lesbar, doch nicht sehr getreu, da sie auf Schritt und Tritt zu verschönem sucht; der einfache homerische Aus- druck ist Bitaube fast nie schön genug, obwohl seine eigene Prosa nichts weniger als erhaben ist.

Andere Wege beschreitet Guillaume Dubois de Rochefort, dessen einleitender Discours sur Homere stark unter dem Einfluß Black- w eil 's steht. Homer wird aus seiner Zeit erklärt, so denn auch die un- würdigen Züge der Götter. Homer, so heißt es, erkannte, daß das Ge- misch von Absurdem und Erhabenem, das er in der griechischen Religion fand, von den ägyptischen Allegorien herstamme, die den Griechen von seinen Vorgängern undeutlich übermittelt worden waren. Das lernte er in Ägypten, und er übernahm den allegorischen Ausdruck der Ägypter, deren hieroglyphische Symbole gewöhnlich eine philosophische Idee unter einem materiellen Bilde verbargen. Aber er verschönerte und belebte die düsteren ägyptischen Vorstellungen und schuf daraus liebliche Bilder.

Besonders interessant ist Rochefort's Erörterung über das Verhältnis zwischen Homer und Virgil in betreä' der Götter. Der alte Streit über die beiden Dichter war noch nicht beendet. Voltaire hatte sich zwar für den Vorzug Virgils ausgesprochen; aber schon 1707 hatte Boivin in der Academie des Inscriptions sein Urteil dahin abgegeben, daß sich zwar bei Virgil mehr Kunst und Pomp zeige; aber dies könne die wahre

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Vornehmheit Homers nicht überwiegen, die mit einem selbst in den Nachlässigkeiten gefälligen Zuge von Einfachheit verbunden sei. Julius Caesar Scaliger und Rapin waren von Boivin scharf zurückgewiesen worden. Noch viel energischer hatte Diderot die Überlegenheit Homers hervorgehoben und ebenso Montesquieu sich so ausgesprochen. Nun setzt Rochefort den Unterschied historisch auseinander. Alle ganz alten Dichter, sagt er, trugen tiefsinnige Lehren in poetischer Form vor, so auch Homer. Virgil dagegen verwendete das Wunderbare nur, weil es durch Tradition geheiligt war, und weil er es zur Verschönerung des Epos für notwendig hielt. Zu seiner Zeit waren die Dichter nicht mehr die Geschicht- schreiber, Gesetzgeber und Weisen des Menschengeschlechtes. Er lebte an einem verfeinerten Hofe unter einem Herrn, Homer in einer freien, noch unverfeinerten Nation. Bei jenem atmet alles, auch die Götter, den Hauch der Urbanität, bei diesem alles Freimut und echt republikanischen Cha- rakter, der dem ganzen Volke durch Erzählung der Taten seiner Ahnen gefallen will.

Sitten, Gebräuche, Meinungen Homers sind von uns durch drei Jahr- tausende getrennt. Aber wenn der Zorn des Achilleus, Agamemnons Stolz, die Zärtlichkeit der Andromache uns das Herz des Menschen kennen lehren, so gehört Homer unserer Zeit an, und die dreitausend Jahre verschwinden. Glücklich die Wenigen, für die dieser Zwischen- raum in nichts zerfällt!

Die einzig würdige Form der Übersetzung ist für Rochefort die poetische. Wiederzugeben sind nur die Hauptgedanken, dagegen soll, was nur die alte Zeit interessierte, weggelassen werden. Von den Regeln über das Epos nimmt Rochefort keine Notiz, denn er findet es, trotz Aristoteles und Le Bossu, lächerlich, ein Werk nach Regeln zu beur- teilen, die aus eben diesem Werk abgeleitet sind. Die Gesetze der Ein- fachheit und Einheit haben ihre Quelle im Genie Homers und in der Notwendigkeit.

Eine 1768 entworfene, der Übersetzung einverleibte Schrift, Examen de la Philosophie d'Homere, enthält viel gute Ansätze zur Kenntnis der homerischen Psychologie, z. B. über das Verhältnis des göttlichen Welt- regiments zur menschlichen Freiheit und zum Schicksal. Aber Rochefort ist leider nirgends recht in die Tiefe der Fragen eingedrungen. Immer- hin war es schon verdienstlich, sie aufgeworfen zu haben. Am Schlüsse der Odyssee bringt Rochefort eine DisseHation sur les voyages d^TJlysse, in der er es zwar ablehnt, eine eigene Meinung auszusprechen, aber mit großer Gelehrsamkeit und guter Kritik die Feststellungen von Strabon und Gluverius über den Schauplatz der Irrfahrten bekämpft. Die Meinung^

Rochefort Le Bnin Gin 249

daß Odysseus in Sizilien und Italien gelandet sei und die Irrfahrten in jenen Gewässern spielen, ist von ihm endgiltig widerlegt.

Nach den eigenen Ausführungen des Übersetzers kann man Treue nicht von ihm verlangen; doch weicht er wenigstens vom Original nicht allzu stark ab und gibt den homerischen Gedanken gut wieder, soweit es der gereimte Alexandriner zuläßt. Auf Stellen, die er besonders be- wundert, weist er in Anmerkungen hin.

In gehobener Prosa gab Charles Fran^ois Le Brun 1776 eine Übersetzung der Ilias, mit Weglassung der Beiwörter und zahlreichen Verschönerungen. Der Verfasser schickt ein merkwürdiges Stück voraus, ein angeblich von einem englischen Gelehrten 1761 im Schutt Athens gefundenes Manuskript, das, wie Le Brun andeutet, demnächst in Ox- ford eine wissenschaftliche Publikation erleben werde. In Wahrheit ist es ein harmloser Schwindel. Das angeblich antike Schriftstück ist die mit saurem Fleiß verfertigte griechische Übersetzung eines französischen Aufsatzes, der unter dem Titel einer Übersetzung mit abgedruckt ist. Die Sprache ist aus Attischem, Homerischem und Neugriechischem gut zusammengestoppelt; zuweilen ist man dem Verfasser dankbar, daß er durch Beifügung des Französischen erkennen läßt, was er sagen will. Der angebliche Verfasser und seine Freunde treifen Homer unter einer Platane, nach dem Muster des platonischen Phaidros, und lassen sich durch ihn über die Prinzipien seiner Kunst aufklären. Homer verteidigt seine Gedichte mit den Argumenten von Le Bossu und M™® Dacier und erklärt, er habe die Griechen einigen und ihnen die Vorzüge der Monarchie vor Augen führen wollen.

1786 erschien die Übersetzung von Pierre Gin in prachtvoller Aus- stattung. An der Spitze der Subskribenten steht der König. Der kurze Discours preliminaire vergleicht die Ilias mit einer Galerie, in der sich der durch Schlachtengemälde ermüdete Beschauer beständig an Lieblichen Bildern, den der Natur entnommenen Gleichnissen und rührenden Szenen ausruhen könne. Für die Übersetzung wählte Gin die heroische Prosa, die Fenelon in die Literatur eingeführt habe. Dies ist ihm gelungen. Die Übersetzung liest sich gut. Freiheiten gestattet sich Gin nur, wenn die wörtliche Wiedergabe des Originals nicht oder nur schwer verständlich wäre. Es ist für ihn bezeichnend, daß er zuerst es gewagt hat, in dem (xleichnis von Aias den Esel wieder in seine Rechte einzusetzen, den mit seinem Namen zu nennen M"® Dacier und alle Übersetzer, selbst Pope, ängstlich vermieden hatten. Dem Werke sind sorgfältige historische und geographische Notizen beigegeben. Was es aber noch besonders interessant macht, ist eine nach den Büchern Homers geordnete mäch-

250 Frankreich und die Niederlande

tige Sammlung der von anderen Dichtern nachgeahmten homerischen Stelle. Besonders berücksichtigt sind Yirgil^ Tasso, Milton, Racine und Voltaire.

Wider die Übersetzungen erhob sich Louis-SebastienMercier in dem Aufsatz Contre Homere traduit en francaiSj der in der Sammlung Mon honnet de nuii 1784 zu finden ist. Er hat den Homer in vielen Übersetzungen gelesen und sich bei allen schauderhaft gelangweilt. Die Schuld liegt, sagt er, an den Übersetzern; denn daß die Gedichte im Griechischen schön sind, bezeugt das Altertum. Also sollen die Alten vriederkommen und sie bewundern, samt allen denen, die sich als Griechen naturalisieren. Wer das Original nicht lesen kann, lasse die Hand davon und greife zu den viel besseren Werken der Modernen. Mercier läßt es aber nicht dabei bewenden. Seine Kritik Homers richtet sich keineswegs ausschließlich oder nur vorzugsweise gegen die Übersetzer, sondern gegen den Dichter selbst, dem er die längst bekannten Vorwürfe macht.

Interessant ist aber, daß Mercier behauptet, es sei ihm bei der Lektüre der Zweifel gekommen, ob die Gedichte wirklich einem einzigen Ver- fasser gehören. Schon Cesarotti ist es schwer gefallen, zu glauben, daß Mercier ganz von selbst zu seinen Zweifeln an der Einheit der Ilias ge- kommen sein sollte. Deckt sich doch seine Erörterung über die Ver- schiedenheit der Kulturzustände innerhalb des Gedichtes so ziemlich mit manchem, was bei Vico zu lesen ist. Aber Mercier hat wirklich nicht nur eine Reihe eigener Beobachtungen, sondern seine Endresultate sind andere als die von Vico und d'Aubignac. Er nimmt nämlich ein altes Ge- dicht an, das er, wie es scheint, denn er ist nicht immer klar, aus der Vereinigung mehrerer Rhapsodien entstanden sein läßt. Einer der ältesten Sänger oder Rhapsoden möge Homer geheißen haben, dem dann alles zu- geschrieben wurde. Dieses alte Gedicht unterlag im Laufe der Zeit mannig- fachen Änderungen. Eine neue Zeit der Kultur brachte ihre Interpolationen an. So ist der Schild des Achilleus doch wohl nicht als Zielscheibe für feindliche Geschosse gemeint gewesen, sondern er bildet einfach den Rahmen, in dem die neuen Entdeckungen untergebracht werden sollten. Die Ilias zeigt eine Vermischung späterer Kulturbilder mit den alten. Der Grund ist aber nicht unkenntlich geworden. Man erkennt das Ge- präge der ursprünglichen Eigentümlichkeit und der alten Sitten unter den sozusagen fremden Schichten, welche die Spuren einer früheren Gene- ration nicht verwischen konnten. Die Flut von Schmähungen, welche Mercier über die Sitten dieser älteren Generation ausgießt, hebt sein Ver- dienst nicht auf, der erste Vertreter der neuerdings wieder so beliebten Schichtentheorie gewesen zu sein.

Mercier Gelehrte Studien . 251

Diderot's Freund Melchior Grimm hatte nach der Mitte des Jahr- hunderts g-esagt, es sei nur eine kleine Herde, die Homer, Aischylos und Sophokles als Gesetz und Propheten betrachten und sich an den Geschenken des Genius überall berauschen, wo sie sich finden, ohne An- sehen der Sprache und der Nationen. Das wurde mit der Zeit erheblich anders, wie schon die vielen Auflagen der zahlreichen Übersetzungen beweisen. Ein voller Umschwung gegenüber dem Beginn des Jahrhunderts vollzog sich auch in der Academie fran^aise. Zweimal, 1776 und 1778, eröffiiete sie Preisbewerbungen für die Übersetzung eines homerischen Stückes. Bei der ersten Preisverteilung hielt der Abbe Arnault eine wahrhaft dithyrambische Lobrede auf Homer, als wollte er, wie Grimm sagte, Homer für die Unbill seiner Übersetzer trösten. Keine Rede wurde je aufmerksamer angehört, keine mit größerem Beifall aufgenommen. Ob- wohl sich die immer stärker werdende antikisierende Strömung vornehm- lich auf die Römer und unter den Griechen auf die Späteren richtete, wurde doch Homer und was mit ihm zusammenhing eifriger gelesen als früher. 1775 wird Wood übersetzt, 1798 Blackwell. In einem Brief an Lavater schreibt M*"® Roland 1792, seine Briefe kämen ihr in ihrem durch die Jakobiner so furchtbar bedrohten Leben vor wie die präch- tigen kleinen Bilder, die Homer zwischen seine Kämpfe streue.

An der Belebung des Interesses für den Dichter hatte auch die ge- lehrte Arbeit einen Anteil. Die philologische Beschäftigung mit ihm fehlte zwar so gut wie gänzlich und damit der sichere Untergrund des Verständnisses, wie es zu dieser Zeit in England aus der soliden Sprach- kenntnis erblühte. Die Arbeiten, die in der Academie des Inscriptions et des Beiles -Lettres vorgelesen wurden, verließen die gewohnten Ge- leise wenig. Das zeigt sich in den Aufsätzen von Boivin, von denen oben einer genannt wurde, oder in des Abbe Massieu Parallele d' Homere et de Piaton. Mit großer Wärme geschrieben ist der Aufsatz von M. de Chabanon Dissertation sur Homere eonsidere comme poete tragique, wo, vielleicht im Anschluß an Shaftesbury, nachgewiesen wird, daß die Ilias eine vollendete Tragödie, Achilleus ein tragischer Held sei, und Homer sich dadurch als Meister der Tragödie und größten Kenner des mensch- lichen Herzens kundgebe.

Vollkommen neu ist dagegen das rege Interesse an archäologischen und kulturhistorischen Studien, die mit viel Eifer und Gründlich- keit gepflegt werden. Gemeinsam ist ihnen allen die energische Abkehr von dem literarischen Gerede der jüngsten Vergangenheit und eine rechte Entdeckerfreude. Von dem neu erwachenden Leben gibt nichts eine bessere

252 Frankreicli und die Niederlande

Vorstellung als das Buch eines begeisterten Dilettanten, des Marseiller Kaufmanns Guys Voyage litteraire de Grece. Seine nicht von ihm selbst herausgegebenen Briefe reichen von 1750 bis 1768. Er bereist in Ge- schäften den Orient und studiert dabei mit offenen Augen die Völker des Ostens, Türken, Armenier; vor allem fesseln ihn die Griechen. Er findet in ihren Sitten, Kunstfertigkeiten, religiösen Vorstellungen, besonders in ihrem Nationalcharakter das echte Erbe des Altertums. Ihre feurige, erfindungsreiche Phantasie, ihre Leichtigkeit im Ausdruck, ihre Zähig- keit im Disputieren, ihre mächtige Liebe zum Vaterland und zur Freiheit, die auch Choiseul überraschend gefunden hat, all das läßt ihn in den modernen Griechen die Enkel der alten erkennen. Guys verfügt über eine große Kenntnis der antiken Schriftsteller, zu deren Original er auf dem Wege über das Neugriechische gelangt war. Seine Beobachtungen sind reicher als die von Wood, der, um Homers Sitten zu erklären, die der Beduinen Syriens glaubte heranziehen zu müssen.

Von den Personen der alten Kämpfe wird nur M™® Dacier erwähnt, nach deren Übersetzung Guys den Homer zitiert, und auf deren An- merkungen er gelegentlich zurückgreift. Perrault und La Motte existieren für ihn nicht mehr. Dafür treten bedeutende Namen neuerer Zeit ein: Addison mit dem Spectator, Winckelmann und die Monumenti antichi, Pope, Diderot, Caylus, Rochefort. Daß Homer die Sitten seiner Zeit geschildert hat, ist in Guys' Augen sein höchstes Verdienst, und er benutzt das so wenig wie Dubos dazu, den Dichter zu verteidigen. Auf Kap Sigeion, auf Tenedos, in Smyrna muß man ihn lesen, wie man alle Schriftsteller, die uns gleich ihm in ihr Zeitalter versetzen, in ihrem Lande lesen muß. Bemerkt mag noch werden, daß Guys seine Kinder anweist, in Paris Griechisch zu lernen, die richtige Aussprache aber bei den Neugriechen zu suchen.

Zur gleichen Zeit, 1756, finden wir in D'Hancarville's pracht- voller Publikation der Antikensammlung Lord Hamilton' s, des englischen Gesandten in Neapel, den sehr achtungswerten Versuch, an der Hand der Monumente eine antike Kunstgeschichte zu entwerfen. Dabei Averden die Stellen Homers herangezogen, in denen von Kunstübung die Rede ist. Als eines der ältesten Kunstwerke, von denen wir Kunde haben, betrachtet D'Hancarville den kretischen Tanz auf dem Achilleusschilde, der in seinen Augen die poetisch ausgeführte Beschreibung eines von Daidalos herrührenden, von Homer gesehenen Kunstwerkes ist, ein authen- tischer Beweis für die hohe Stufe, welche die Skulptur mindestens hundert Jahre vor dem troischen Kriege erreicht hatte. Von der Bedeutung des Daidalos legt überhaupt die Bewunderung, die Homer für ihn hegt, das

Guys D'Hancarville 253

beste Zeugnis ab. Bald nach jenem muß sich die Fähigkeit entwickelt haben, den Ausdruck durch die Haltung der Körper darzustellen, wie auf der Mantelspange des Odysseus durch den Hund und das Reh geschieht.

Sorgfältig untersucht D'Hancarville die Angaben Homers über die Künste, wobei er vortreffliche Bemerkungen macht. Er weist darauf hin, daß Homer nicht von Architektur als einer Kunst spricht, sondern die Einzelheiten der Häuser nur insoweit berührt, als sie für seine poetischen Zwecke notwendig sind. Nie erwähnt er den dorischen oder ionischen Stil, die doch zu seiner Zeit existierten; denn er wußte, daß die Gegen- stände der Kunst da sind, um gesehen, nicht um beschrieben zu werden. Die Poesie kann sie nicht darstellen, ohne ihnen den größten Teil ihrer Reize zu rauben und ihre eigenen einzubüßen. Daher spricht Homer auch nie von Statuen; denn die Hunde und goldenen Jünglinge bei Alkinoos zählen nicht mit, da sie Fiktionen sind.

Der Achilleusschild setzt die Malerei voraus, die der Farbengebung durch Metalle vorangegangen sein muß. Ebenso erfordert die Komposition der Einzelbilder die Annahme einer bereits vorhandenen Skulptur und der Kenntnis der Künste des Gravierens und Ziselierens. Von den Bildern, die *es damals gab, unterscheiden sich die des Schildes wie Arbeiten eines Gottes von Menschenwerken. Sie zeigen nicht den damaligen Stand der Kunst, sondern stellen eine Forderung an deren Weiterentwicklung dar und sind gleichsam eine Prophezeiung ihrer späteren Höhe. Die Skulptur jener Zeit kannte die Zeichnung, die Bewegung, den Aus- druck durch die Körperhaltung und strebte darnach, die Proportionen auszudrücken. Idealschönheit ahnte sie kaum, aber bei Homer ist die Vorstellung davon bereits vorhanden.

Ohne die Torheiten Scaliger s und Terrasson's über das Leben der Figuren auf dem Schilde auch nur der Erwähnung zu würdigen, führt D'Hancarville aus, daß Homer sagt: „sie bewegen sich, man sieht, man hört sie, sie stoßen artikulierte Töne aus," um die Vorstellung von dem Ausdruck, den die Skulptur geben kann, fühlbarer zu machen, und um zu zeigen, daß sie sehen und hören lassen müsse, was die dargestellten belebten Wesen sagen, als wenn sie gegenwärtig wären und wirklich handelten und sprächen. Homer gibt die höchste Vorstellung von der Kraft, welche die Kunst dem Ausdruck verleihen kann. Den Schild zeichnet D'Hancarville so, daß die Gestirne den Mittelpunkt einnehmen und die Szenen des Lebens in drei Kreisen folgen. Wenn ich richtig gezählt habe, nimmt er im ganzen siebzehn Bilder an.

Eine sehr eingehende Darstellung der homerischen Welt gab Antoine Yves Goguet in dem Buch De Vorigine des lois, des arts et des sciences

254 Frankreich und die Niederlande

et de leurs p'ogrcs chez les anclens peuples 1758. Das Werk ist in den Partien, welche die assyrischen, babylonischen und ägyptischen Altertümer behandeln, natürlich vollkommen veraltet und die Einteilung nach Perioden der hebräischen Geschichte nicht sehr glücklich. Leider sind daher auch die Untersuchungen über die homerischen Zeiten in Vergessenheit geraten, die auf dem genauesten Studium des Dichters beruhen, sich auf alle Seiten des homerischen Lebens erstrecken und in ihren Resultaten vielfach mit dem neuesten Stande der Forschung übereinstimmen. Was er über den Staat, die Brotbereitung, die kriege- rische Technik sagt, ist geradezu überraschend. Von der methodischen Art seines Vorgehens nur ein Beispiel. Goguet legt überall die zuerst von Pope vorgebrachte Anschauung zugrunde, daß Homer mit Bewußt- sein eine ältere Zeit geschildert habe, als die seine war. Homer legte also den Völkern, von denen er erzählte, keine größeren Kenntnisse bei^ als sie in den Zeiten hatten, in die er sie versetzte. Was darüber hinaus- geht, muß er anderswo kennen gelernt haben, so die Kenntnis der Me- tallurgie, die den Griechen der troischen Zeit unbekannt war. Das Muster des Achilleusschildes hat er in Asien gefunden, und asiatischen Völkern ist diese Kunst zuzuschreiben. Der Schild ist daher ein Beweis für die Blüte der Goldschmiedekunst in vortroischer Zeit. Goguet untersucht auch die Kunstübung selbst und findet, man habe es damals verstanden^ durch die Wirkung des Feuers auf die Metalle vmd ihre Vermischung die Farbe der verschiedenen Gegenstände hervorzubringen, wozu dann das Gravieren und Stechen getreten sei. Von Malerei auf dem Schilde zu sprechen lehnt Goguet ab, auch nur von deren Nachahmung will er nichts wissen, da dieser Kunst kein hohes Alter zuzuschreiben sei. Man ist erstaunt, schon bei ihm im wesentlichen die Auffassung Milch- höfers zu finden.

In anderer Weise hochbedeutend sind des Grafen Caylus 1757 erschienene Tdbleaux tires d' Homere et de Virgile. Caylus will die Malerei durch Vorführung der trefflichen Muster bereichem und findet zu diesem Zwecke Homer und Virgil weit verwendbarer als selbst die bedeutendsten Modernen. Ihm schwebte eine Bilderreihe vor, wie sie Raffael nach Apu- leius in der Farnesina gemalt hat, eine Reihe, in welcher der Maler das Gedicht mehr oder weniger nacherzählt. Dabei ist es ihm dann freilich begegnet, daß er, wie Lessing sich ausdrückt, die Brauchbarkeit für den Maler zum Probierstein der Dichter macht und deren Rangordnung nach der Zahl der Gemälde bestimmen will, die sie dem Künstler bieten. Aber dieser Mangel ist für die Beurteilung von Caylus' Werk vollständig Neben- sache. Sein Buch ist eine der wirksamsten Anregungen zu jener Bewegung

Goguet Caylus Barthelemy 255

gewesen, die zuerst in der bildenden Kunst und dann auch in der Literatur von den Bahnen des Klassizismus ablenkte und das Altertum wieder zum unmittelbaren Muster nahm. Der gründliche Archäologe stellte für die Künstler die Forderung des historischen Kostüms auf, die auch das zeit- genössische Theater zu beherrschen begann. Er hat dafür den Homer ebenso genau studiert wie die antiken Denkmäler Italiens und des Orients. In einigen Punkten hat er sich noch getäuscht, wie z. B. wenn er meint die homerischen Helden hätten ganz kurze Hosen getragen; in anderen sind seine Entdeckungen sehr zutreffend, wie der Nachweis der für Gäste eingerichteten Fremdenzimmer in der Vorhalle und der Herolde als Ge- meindebeamter. Seinen Einfluß zeigten am besten die schönen Kupfer- stiche in Gin's Homer.

Nicht mehr Ovid, Homer soll zur Kunst führen; dieser leitet zum Empyraeum, dem gemeinsamen Mittelpunkt, dem Wohnort des Genius; hier erzeugt die Flamme des Genies stetig neue Gedanken; deren Einzel- heiten werden dann durch die Nachahmung der Natur geleitet und ver- vollkommnet, denn die Natur ist immer bereit, dem Künstler zu sitzen. Es ist bezeichnend, daß Caylus der Angriffe von La Motte und selbst Voltaire auf Homer nicht mit einem Worte gedenkt.

Die neu erwachte Wissenschaft feierte den größten Triumph, als 1788 der Abbe Barthelemy Le Voyage du jeune Anacharsis en Grecce veröffentlichte. Hier erschien das griechische Altertum, von dem man zuvor so viel geredet und so wenig gewußt hatte, in einer zugleich gründlichen, lebensvollen und unmittelbaren Schilderung aller Seiten des antiken Lebens. Das Buch hat wesentlich die historische Zeit und besonders Athen zum Gegenstand; aber die Einleitung befaßt sich auch mit Homer. Nach der Erzählung der Hauptereignisse der historischen Zeiten und der Schilderung der allmählichen Entwicklung der hellenischen Kultur spricht der Skythe Anacharsis von dem Dichter, der ihn mit dem größten Enthusiasmus erfüllt. Homer hat, gleich der Natur, die Schwäche neben die Kraft, die größten Höhen neben die größten Tiefen gestellt, so in Priamos und Achilleus. Man tadelt die Gespräche vor dem Kampf; aber bei allen Menschen, die der Natur näher stehen als wir, bei Kindern, Leuten des Volkes, Wilden, gehen Prahlereien und Beleidigungen den Tätlichkeiten voraus. Ich habe, sagt er, Homer tadeln hören, weil er die Sitten der früheren Zeit in ihrer Einfachheit gemalt hat; ich habe über die Kritik gelacht imd geschwiegen. Wer den Schönheiten Homers zu wider- stehen vermag, kann ja über seine Fehler viele Worte machen. Wenn man Homer nicht nach Erörterungen, sondern nach dem Gefühl, nicht nach den oft willkürlichen Regeln, sondern nach den unwandelbaren Gesetzen

256 Frankreich und die Niederlande

der Natur beurteilt, so wird man sich überzeugen, daß er den Rang ver- dient, den ihm die Griechen angewiesen haben Für die allegorische Auslegung hat Anacharsis nur Spott.

Schon das 17., noch mehr das 18. Jahrhundert weist eine steigende Zahl wissenschaftlicher Reisen nach den Ländern des Altertums auf. Von diesen galten einige auch dem Schauplatz der Ilias.

Reisen in die Troas waren seit dem 16. Jahrhundert unternommen worden, nicht von vornherein mit dem Zweck, die Lage des alten Troja zu finden. Diese schien übrigens zu einer Zeit, die ihre Kenntnis von den troischen Dingen wesentlich aus Virgil holte, festzustehen. Der römische Dichter sagt, Troja habe der Lisel Tenedos gegenüber gelegen, und dieser Angabe entsprach Alexandria Troas, die am Ende des 4. Jahr- hunderts von Antigonos am Fuße des westlichen Ida erbaute, später von den Römern sehr gepflegte Stadt, von der noch viele Ruinen sichtbar waren. Diese nahm denn auch der erste Besucher der Gegend für das alte Troja. Es ist Pierre Belon, der auf einer zu naturwissenschaft- lichen Zwecken 1546 begonnenen Orientreise Tenedos gegenüber an Land ging und sich freute, die berühmte Stadt zu sehen.

Einer Erwähnung ist auch Claude Belurger wert, der am Ende des 16. Jahrhunderts in Paris Griechisch lehrte und Kommentare zu Homer verfaßte. Der Dichter war ihm so ans Herz gewachsen, daß er ihn statt des Gebetbuches mit in die Kirche nahm und von unbezwinglicher Sehn- sucht erfaßt wurde, den Schauplatz seiner Gesänge selbst zu sehen. Er schiffte sich 1608 in Venedig ein, starb aber in Alexandrette am Fieber.

Vom Beginn des 17. Jahrhunderts an wird der Anspruch von Alexan- dria Troas in Zweifel gezogen. Auf einer Orientreise ersteigt der Engländer Georges Sandys 1610 das hohe Vorgebirge Sigeion, das dem ganzen Altertum als Stätte des Grabmals des Achilleus galt, und sah auf der Ebene vor sich, denn weiter ins Land wagte er nicht zu streifen, das alte Ilium, das er deutlich als in der großen Ebene gelegen bezeichnet; da er Belon's Ansetzung ablehnt, muß er wohl das sogenannte Neu-Ilion gemeint haben, die von Alexander gegründete, von Lysimachos erweiterte Stadt, die während des ganzen Altertums den Anspruch erhoben hatte, die Stätte des alten Troja zu sein, und wo seither Schliemann Troja ge- funden hat. Daß hier die homerische Stadt gesucht werden müsse, schloß er aus den Schilderungen der Ilias.

Pietro della Valle, der die Gegend 1614 besuchte, ist dagegen von der Identität von Alexandria mit dem alten Troja überzeugt. Voll Ungeduld mietet er in Tenedos ein Boot, läßt sich übersetzen und dringt.

Reisen in der Troas 257

der Warnungen vor Räubern ungeachtet, zwei Meilen weit in das Land vor. Was er von Ruinen sieht, registriert er sorgfältig, ohne indessen alles für troisch zu halten, wie er denn zweifelt, ob die Trümmer des großen Palastes, den er sieht, der von Ilios oder jünger sei. Aus einer Zisterne läßt er sich Wasser heraufholen, um troisches Wasser zu trinken; aber die Verödung der einst so glänzenden Stadt erfüllt ihn mit Trauer, und sein Unwille, daß die alte Heroenburg von Kräutern und Gestrüpp bedeckt sei, veranlaßt ihn, mit Wut eine Menge dieser Pflanzen auszu- reißen, welche die mit dem edelsten Blut getränkten Mauern bedeckten. Wenige Tage darauf findet er die Mündung des mit dem Simoeis ver- einigten Skamandros nahe bei Sigeion, weit von dem Orte, den er für das alte Troja hielt.

Die berühmten Reisenden Jacob Spon und George Wheler scheinen 1675 nach Hissarlik gekommen zu sein. Wenigstens stiegen sie von Jenisseri, am Fuß von Sigeion, zu einem von Griechen bewohnten Dorfe empor, das diese Troias nannten, von dem aber die Reisenden außer der erfreulichen Billigkeit der Hühner und Eier wenig zu be- richten wissen. Offenbar waren sie für Alexandria eingenommen, das sie nachher besuchten. Aber es verdient bemerkt zu werden, daß sie hier alle Ruiuen, die sie bestimmen konnten, mit Sicherheit als römisch erkannten.

Ein halbes Jahrhundert später, 1718, stand Lady Wo rtleyMontague auf Kap Sigeion und bewunderte die Genauigkeit der Angaben Homers, den sie in der Hand hatte. Mit Sicherheit erkeimt sie die Flüsse Simoeis und den damals verschlammten Skamandros und sucht die alte Stadt in dieser Ebene. Genauer drückt sie sich nicht aus, sondern sagt nur, von Troja sei nur der Boden übrig, darauf es gestanden habe; was man dort an Altertümern finde, sei neueren Datums. Ihrer Entdeckung war sie aber so sicher, daß sie die Gleichsetzung von Alexandria, das sie folgenden Tags besuchte, mit dem homerischen Troja kurzerhand verwarf.

Deutlicher ist Richard Pococke 1737, dessen Berichte die Nach- folgenden Unklarheit vorgeworfen haben. Diese rührt indessen wohl nur von der Schwierigkeit her, ohne Karte eine anschauliche Beschreibung zu liefern, denn im großen ist seine Meinung ganz klar. Von Jenisseri aufwärts gehend gelangte er zu dem für mich unauffindbaren Dorfe Buiek und fand drei Viertelstunden davon eine große Menge antiker Trümmer, in denen er die Ruinen von Neu-Ilion erkannte. Man sagte ihm, daß unter- halb dieses Ortes der Skamandros und der Simoeis zusammengeflossen seien, und daß Alt-Troja bei Ilion auf der Höhe, die der Zusammenkunft der Flüsse gerade gegenüberliegt, gestanden habe. Mit aller nur wün- schenswerten Deutlichkeit ist damit der Hügel von Hissarlik bezeichnet,

Finaler: Homer in der Neuzeit. 17

258 Frankreich und die Niederlande

auf dem jedoch Pococke nur Gestrüpp, aber keine Trümmer fand. Später besuchte er auch Alexandria, dessen späteren Ursprung er kennt, und dessen Ruinen er beschreibt.

Choiseul hat sein Bedauern darüber ausgesprochen, daß Pococke von Robert Wood nicht stärker benutzt worden ist. Dieser, der durch seine Schrift über Homers Originalgenie so berühmt gewordene Rei- sende, besuchte die Troas 1750. Von diesem Besuch ist nach seinem Tode eine Skizze erschienen und der zweiten Auflage seines Buches bei- gedruckt worden. Sie ist sehr hübsch und klar, so lange sie sich mit der Schilderung der Landschaft befaßt; aber die Absicht die Lage des alten Troja zu erkunden ist darin nicht zur Ausführung gelangt, und zwar aus zwei Gründen. Einmal verwarf Wood, nach dem Vorgang des antiken Geographen Strabon, den Anspruch von Neu-Ilion das alte Troja zu sein, so daß ihm Pococke nichts nützen konnte. Nach Wood's Karte und seiner Angabe, Troja liege heute an der See, muß man sogar schließen, daß er Alexandria für Neu-Ilion gehalten hat. Sodann las er in seinem Homer, den er immer mit sich führte, Troja habe bei den Quellen des Skamandros gelegen, von denen die eine heiß gewesen sei. Nun fand er irgendwo eine warme Quelle, die aber mit dem Fluß in gar keiner Verbindung stand, in felsigem Terrain, auf dem keine Stadt gestanden haben konnte, während er die wahre Quelle des Skamandros viel weiter oben im Berge entdeckte. Von den vielen Quellen bei Bunarbaschi sagt er ausdrücklich, daß ihr Wasser fast ganz in der sumpfigen Ebene stehen bleibe. So bescheidet er sich mit der Annahme Strabons, daß seit Homers Zeiten der Boden und besonders die Flußläufe große Veränderungen er- fahren haben müßten, und erklärt es schließlich als überaus schwer die Lage des alten Troja zu bestimmen, weil auch nicht die geringsten Ruinen übrig seien, die uns leiten könnten.

Unbedeutend ist, was Richard Chandler 1764 gesehen hat. Er bestimmte mit großer Sicherheit bei Sigeion die Grabmäler des Achilleus, Antilochos und anderer Helden, entfernte sich aber kaum von der Küste.

Der Mann, der zum ersten Mal mit wissenschaftlicher Methode und unter Aufwendung gewaltiger Geldmittel die Erforschung der Troas unter- nahm, ist der Graf Choiseul-Gouffier. Ein Schüler Barthelemy's und begeisterter Verehrer der Alten, unternahm er 1776, mit vierundzwanzig Jahren, seine erste Reise in den Orient. Damals durchwanderte er die Troas zu Fuß, wagte aber keinen Widerspruch gegen Wood. Das Resultat dieser Reise war der erste, 1782 erschienene Band des in jeder Beziehung prachtvollen Werkes Voyage pittoresque de la Grece, dessen Kupferstiche noch heute unsere Bewunderung hervorrufen. Gleich Guys wurde er

Wood Choiseul-Gouffier 259

auf seiner Reise zu einem warmen Freunde des neugriechisclien Volkes; die Einleitung zu seinem Werke läßt in ihm den ersten Philliellenen erkennen. Im Jahre 1784 als französischer Gesandter nach Konstantinopel geschickt, begann er die troische Ebene zu durchforschen. Umfassende historische Studien gingen voraus. Er ließ die herrlichen Bilder zeichnen, welche die folgenden Bände schmücken, und durch Kauffer die Troas trigono- metrisch vermessen. Die danach von Cazas gestochene Karte ist für jene Zeit eine imposante Leistung. Choiseul stellte den Platz des achä- ischen Lagers, die seit der alten Zeit eingetretene Änderung in den Flußläufen imd eine Menge von Einzelheiten fest. Auch er lehnt die Ansprüche von Neu-Ilion ab, das er von Aeoliem gegründet sein läßt. Sein Hauptargument lag darin, daß er eine neue und, wie er glaubte, untrügliche Ansicht über das alte Troja vorzubringen hatte.

Er ging davon aus, daß die Stadt in nächster Nähe der zwei Quellen gelegen haben müsse, von denen Homer erzählt: die eine war warm und immer von Dampf umgeben, die andere auch im Sommer eiskalt, und es standen an ihnen die Waschtröge der Troerinnen. Bei dem Dorfe Bunar- baschi fand er die Trümmer dieser Bassins, nicht aber die heiße Quelle, und war geneigt, deren Verschwinden mit Veränderungen des Bodens in Zusammenhang zu bringen. Da sagte ihm der Aga von Bunarbaschi, bei dem er wohnte, von sich aus, de lui-meme, er hätte im Winter kommen sollen, dann wäre er Zeuge eines besondern Naturschauspiels geworden. Die eine Quelle werde im Winter sehr heiß und stoße einen merklichen Dampf aus, während die andere im Sommer sehr kalt werde. Obwohl nun Choiseul noch genauere Untersuchungen anzustellen be- schloß, schien ihm doch der Weg gewiesen zu sein. Auf der Höhe hinter Bunarbaschi entdeckte er die Trümmer von Troja und konnte nun an seinem Glück nicht mehr zweifeln, da sich jede Einzelheit mit Homers Angaben deckte. Nur konnte er, da die Höhe auf der Ostseite steil in die Schlucht des Simoeis abfiel, nicht mehr annehmen, daß Hektor dreimal vor Achilleus um die Stadt geflohen sei, sondern mußte erklären, dieser habe ihn vor der Stadt dreimal im Kreise herumgejagt.

Choiseul hat wirklich seine Forschungen fortgesetzt. Am 10. Februar 1786 zeigte die warme Quelle 22^ R, die kalte 8^ R bei einer Luft- temperatur von 10°. Spätere Messungen der Engländer Clarke und Gripps ergaben für beide Quellen den nämlichen Wärmegrad. Dubois, den Choiseul später nochmals nach der Troas sandte, fand vom 12. bis 16. Januar 1815 für die eine Quelle 2 bis über, für die andere Vg bis unter der Luft- temperatur. Seither vorgenommene Messungen haben, wie Brückner mit- teilt, für alle die zahlreichen Quellen der Gegend die gleiche Temperatur er-

17*

260 Frankreicli und die Niederlande

geben. Daß, wie Lechevalier und Dubois versichern, an kälteren Tagen über der warmen Quelle ein Dampf gelegen babe, ist wobl zu glauben, bedeutet aber kein besonderes Phänomen. Choiseul sah sich denn auch nachträg- lich genötigt, sich mit der Erklärung zu behelfen, daß die Umwohner und also auch Homer durch die im Verhältnis zur Luftwärme in den verschiedenen Jahreszeiten verschiedene Temperatur zu ihren Angaben ver- leitet worden seien, womit das Ganze in sich zusammenfällt; denn Homer redet von einem Naturwunder und sagt auch nicht, daß die eine Quelle nur im Winter warm sei. Es macht durchaus den Eindruck, der Aga von Bunarbaschi, der die Reisenden nach der Quelle forschen sah, habe ge- flunkert. Er ist dadurch unstreitig in der Geschichte der Trojaforschung zu einer wichtigen Person geworden.

Choiseul wurde durch die Revolution verbannt. Als er 1802 nach Frankreich zurückkehrte, hatte er Mühe sein Material wieder zusammen zu bekommen und konnte erst 1809 mit der Drucklegung des zweiten Bandes beginnen, über der er 1817 verstarb. Er hat nie aufgehört, seine Angaben nachzuprüfen und neue Beobachtungen vornehmen zu lassen. Der Rest des Werkes ist nach seinen Papieren sorgfältig redigiert.

Inzwischen waren seine Resultate durch Jean-Baptiste Leche- valier veröffentlicht worden, der im Gefolge des Grafen dessen erste Reisen mitgemacht hatte. Er legte sie der königlichen Societät in Edin- burg vor, Professor Dalzel gab sie dort 1791 in englischer Sprache mit eigenen Anmerkungen heraus, und Heyne ließ sie 1792 ins Deutsche übersetzen und versah sie mit einer Vorrede und Zusätzen. Choiseul sagt in seiner vornehmen Art, die nach Barthelemy's Rat beobachtete Umsicht habe ihn der Genugtuung beraubt, seine Resultate als erster zu veröffentlichen, ihn aber zugleich vor vielen Irrtümern bewahrt; er sei glücklich, daß ein anderer sich damit belastet habe. Damit ist Leche- valier nicht entschuldigt. Er hat nicht nur alles irgendwie Wesentliche aus Choiseul, die genauen Angaben, die Resultate, die Übersicht über die Vorgänger, die Kauffersche Karte; das Schmähliche ist, daß er den Grafen niemals nennt und sich den Anschein gibt, als hätte er alles seiner eigenen Umsicht und Tatkraft zu verdanken. Daneben macht es wenig aus, daß er gelegentlich eine genauere Angabe hat als Choiseul. Den Ruhm, Troja ob Bunarbaschi entdeckt zu haben, hat er einfach ge- stohlen. Abstoßend wirkt bei ihm der hochfahrende Ton, den er gegen Strabon und Wood anschlägt, besonders wenn man ihn mit der vollendeten Courtoisie vergleicht, mit der Choiseul alle seine Vorgänger behandelt.

Gegen Lechevalier erhob sich Jacob Bryant in zwei rasch auf- einanderfolgenden Arbeiten. In der ersten, 1795, weist er die Annahme

Choiseul Leche valier Bryant 261

zurück, als ob Troja auf der Höhe hinter Bunarbaschi gestanden haben könne, weil sie mit den Angaben Homers durchaus im Widerspruch stehe, und rügt den hochmütigen und keineswegs gerechtfertigten Ton, den Lechevalier und Dalzel gegen Strabon, Wood und andere angeschlagen hatten. In der zweiten, 1796, rückt er mit seiner eigenen Auffassung heraus. Die Geschichte des troischen Krieges, so führt er aus, bietet ein solches Gewirr von Unmöglichkeiten und Widersprüchen unter sich und mit den Angaben Homers, daß man zu dem Schluß kommen muß, ein solcher Krieg habe nie stattgefunden, und auch die unauffindbare Stadt Troja habe es in dieser Gegend nie gegeben. Erzählung und Stadt sind im- portiert und zwar aus Ägypten. Homer stammte von einer griechischen, aus lonien in Ägypten eingewanderten Familie, die lange dort lebte und dann nach Ithaka zog. Hier wuchs Homer auf und lernte die Geschichte des Odysseus kennen, dem er viele Züge seiner eigenen Person geliehen hat. Seine Familie hatte eine große Menge von Traditionen mitgebracht, auch die von einem Krieg um Troja, einer Stadt am Nil, die den Schlüssel zu Ägypten bildete, und um die einst ein großer Krieg geführt worden sein muß; hierher paßt der Äthiopenkönig Memnon, der in Phrygien ganz unverständlich ist. Auf seinen Reisen erfuhr Homer das Genauere über diese Geschichte, die er durch Einführung griechischer Namen und Sitten zu einem Epos für sein Volk umschuf, und die er am Helle spont lokalisierte. Warum gerade hier, hat Bryant vergessen anzugeben. Erst Homer hat den Namen Troja in diese Gegenden gebracht. Wenn es aber auch hier eine solche Stadt nicht gegeben hat, so mußte sich Homer doch eine Vorstellung von der Szene machen, in die er seine Geschichte verlegen woUte. Notwendig mußte er Troja an einer Stelle denken, auf die seine Götter vom Ida herabsehen konnten, also am Fuße dieses Berges, nicht weit von Alexandria Troas. Bryant hat sein ganzes System mit größter Sorgfalt gesponnen. Von bleibendem Wert ist der Hinweis auf eine Stelle Homers, nach der Troja in der Ebene gebaut war, also nicht auf der Höhe hinter Bunarbaschi gestanden haben kann.

Die Frage nach dem alten Troja wurde am Ende des Jahrhunderts so eifrig besprochen wie zu Schliemanns Zeiten. In Deutschland nahm sich besonders Heyne der Sache an. Während er in den siebziger Jahren für Wood geschwärmt hatte, schwenkte er zwanzig Jahre später zu Leche- valier ab und verkündete die Fixierung der Stadt bei Bunarbaschi als unumstößliche Gewißheit.

Einen gewissen Abschluß der Forschungen bildet das Buch von Carl Gotthold Lenz Die Ebene von Troja 1798. Die wertvollste Partie darin ist ein authentischer Bericht des Grafen Choiseul, dem Herausgeber

262 Frankreich und die Niederlande

durch den Schullehrer Binder in Hermannstadt übermittelt, der ihn 1793 von dem Grafen auf dessen Durchreise von Konstantinopel nach Moskau empfangen hatte. Der Bericht enthält das Wichtigste von dem, was wir in dem großen Werke des Grafen finden. Dann gibt Lenz die letzte Partie der Schrift Bryant's, Berichte von Reisenden, die seit dem Erscheinen von Lechevalier's Schrift die Troas bereist hatten, und zum Schluß einen eigenen Aufsatz über die troische Ebene nach Homer. Be- merkenswert ist dabei, daß Lenz bei seinem Versuche mit der Möglichkeit rechnet, daß sich Homer nur im großen und ganzen ein Bild von Troja gemacht habe, ja daß die Einheitlichkeit seiner Bilder durch fremde Zu- sätze der Rhapsoden und Diaskeuasten habe gestört werden können. Er steht bereits unter dem Einfluß der Homerkritik.

Zu all diesen Anfängen eines tieferen Verständnisses Homers trat gegen Ende des Jahrhunderts ein philologisches Werk. Seit den Tagen von Henri d'Estienne und Casaubonus hatte Frankreich die eigentlich wissenschaftliche Arbeit am Homer den Engländern und Holländern überlassen. Da erstand in Ansse de Villoison auch den Franzosen ein Vertreter der Philologie. Ursprünglich von der holländischen und deutschen Wissenschaft ausgehend, hatte er sich durch viele Publikationen bereits berühmt gemacht, als er 1781 in Venedig die jetzt mitMarcianus A bezeichnete, aus dem 10. Jahrhundert stammende Handschrift der IHas fand. Diese enthält die für die Geschichte des Homertextes im Altertum wichtigen Schollen, d.h. in den Erklärungen, die am Rand des Blattes geschrieben sind, die Reste der wissenschaftlichen Arbeit des Altertums am Homer. Text und Schollen gab Villoison 1788 heraus. Jetzt konnte die byzantinische Vulgata durch die wissenschaftliche Textgestaltung der alexandrinischen Gelehrten ersetzt werden. Der mächtige Foliant, der am Vorabend der Revolution erschien, bedeutet einen wichtigen Mark- stein in der Geschichte Homers; denn er bildet den Ausgangspunkt für die rege Betätigung der französischen und besonders auch der deutschen Wissenschaft im 19. Jahrhundert.

Die wiedererwachte Vorliebe für das Altertum fand ihren beredtesten Ausdruck in dem einzigen wirklichen Dichter, den das Jahrhundert hervor- gebracht hat, Andre Chenier. In Konstantinopel von einer griechischen Mutter geboren, liebte er die hellenischen Dichter von Jugend auf und las sie mit vollem Verständnis. Von ihrer Weisheit genährt, fem von der Torheit der großen Gesellschaft, in beglückter, von Freundschaft und Liebe verschönter Einsamkeit zu leben, preist er als das höchste Glück.

Villoison Chenier 263

Er ist in seinem ganzen Denken und Fühlen ein Mann des 18. Jahr- hunderts; aber die französische Poesie wünscht er durch die großen Alten zu höheren Zielen geführt. In dem Gedicht L'Invention stellt er sein Programm auf. Nicht sklavische Nachahmung, sondern freie Nacheiferung sollen die Alten in uns erwecken. Denn der wahre Dichter ist nur der Erfinder, d. i. der, welcher sucht, was jeder empfinden konnte wie er, das Widersprechende verbindet, der Natur zeigt, was sie nicht gemacht hat, aber hätte machen können; der aus den Zügen zwanzig schöner Frauen das Ideal der Schönheit schafft. Nicht in der Vergangenheit mit ihren ganz anderen Bedingungen sollen wir leben; die moderne Wissen- schaft hat unseren Dichtern unermeßliche Gebiete aufgetan. Lebten Homer und Yirgil heute, sie würden sich sogleich dieser Reichtümer bemächtigen und Gedichte schaffen, die später wieder als unverbrüchliche Muster hin- gestellt würden.

Aber die Alten haben es wie niemand verstanden, in verführerischen Versen in dem wahr gezeichneten Rahmen den Sinnen den Geist vor- zuführen. Nie schmeichelte eine Stimme mehr dem Ohre, nie drang eine mit reinerem Feuer in die Seele. Eilen wir denn zu ihnen, um unsere Muster zu finden. Aufgabe unserer Dichter ist es, durch die neuent- deckten Wahrheiten auch die Poesie neu zu schaffen. Das sollen sie tun, indem sie so schaffen, wie Homer und Virgil es täten, wenn sie heute lebten. Man verschanze sich nicht hinter die angeblichen Schwierigkeiten der französischen Sprache. Diese hat noch jedem Meister gehorcht, den ein Dämon drängte, den die Inspiration des Genius entflammte. Sie ist für Chenier das eigentliche Moment; die Raison fehlt nicht ganz, ist aber zurückgedrängt.

Stärker als bei irgend einem Franzosen der Zeit offenbart sich bei Chenier der Einfluß Winckelmanns. Die Griechenschönheit in der Kunst wie in der Poesie ist das, was Chenier am Altertum sieht. Wir vermissen in seinem Gedicht mit Vergnügen jeden Hinweis auf irgend eine Regel.

Chenier hat in unausgeführten Entwürfen die Verwirklichung seiner Ideen begonnen. Im Hermes will er, gleich dem Lucrez, ein Bild vom Werden der Welt und der menschlichen Gesellschaft geben, in dem Ge- dicht UAmerique die ganze Geographie und Geschichte der Welt. Dieses Werk hätte, nach den erhaltenen Notizen zu schließen, das gesamte Glau- bensbekenntnis der Aufklärung umfaßt. Wir können bedauern, daß wir nicht besser sehen, wie es sich in seiner Ausführung gestaltet hätte; denn obwohl die projektierte Unmasse von Stoff den Erfolg gefährden mußte, so waren doch schöne Partien zu erwarten.

264 Frankreich und die Niederlande

Besser lernen wir Chenier in den kleinen Gedichten kennen, vor allem in den Eklogen. Da ist gleich das schöne Gedicht L'Aveugle. Kinder finden im Walde den blind herumirrenden Homer; sie speisen und tränken ihn und führen ihn ihrem Dorfe zu. Unterwegs singt er ihnen; aber sein Gesang amfaßt nicht nur die wichtigsten, von Chenier schön charakterisierten Ereignisse der Ilias und Odyssee, sondern be- handelt im Anfang die Entstehung der Welt, am Ende die Kentauren- schlacbt nach der Darstellung in Ovids Metamarphosen. Hier offenbart sich der ganze Chenier. Er verlangt vom Dichter das Wissen seiner Zeit; er spickt sein Gedicht förmlich mit homerischen Reminiszenzen, die übrigens immer sehr gut angebracht sind; aber am sorgfältigsten ist er in der Nachbildung Ovids, des römischen Nachahmers der alexan- drinischen Dichter. Denn diese standen ihm noch erheblich näher als Homer, weil sie dem Charakter des 18. Jahrhunderts mehr entsprachen. Gleich dem Aveugle entlehnt auch die Ekloge Le Mendiant zahlreiche Stellen aus Homer, ja, das Gedicht ist eine übertreibende und senti- mentale Bearbeitung der Phäakengeschichte. Der durch seine Irrfahrten in einen fürchterlichen Zustand geratene, von der Königstochter zum Palast ihres Vaters gewiesene Fremdling erweist sich als früherer Wohl- täter des Königs, der ihm nun seine Wohltaten im reichsten Maße ver- gelten kaim.

Chenier hat zu seinen Lebzeiten keinen Einfluß geübt, weil außer lyrischen Gedichten nichts von ihm bekannt, vieles auch noch unfertig war. Seiner vielversprechenden Entwicklung machte 1794 die Guillotine ein vorzeitiges Ende. Als seine Werke 1819 zum ersten Male gedruckt wurden, war schon die Zeit der Romantik angebrochen, in deren Strömung Chenier' s Eigenart unterging.

ENGLAND.

Die griechischen Studien eroberten ihren Platz in England ungefähr um dieselbe Zeit wie in Frankreich. Als einer ihrer ersten Vertreter tritt uns Thomas Morus entgegen, dessen ütopia zuerst 1518 erschien. Der Held, der große Reisende Raphael, zieht die Sprache Athens der- jenigen Roms vor, veranlaßt durch das Studium der Philosophie, der er sich ausschließlich gewidmet hat. Während seines Aufenthalts auf der Insel Utopia mußte Raphael den Eingebomen die griechischen Autoren erklären; von den lateinischen hatte er nicht mit ihnen gesprochen, da er glaubte, sie würden unter diesen nur die Historiker und die Dichter schätzen. Wunderbar war es, wie leicht und begierig die Utopier Griechisch lernten. Auf seiner vierten Reise brachte ihnen Raphael eine Sammlung griechischer Bücher mit, darunter auch Homer. Das Studium des Grie- chischen wurde später durch ein Dekret des Senats von Utopien für die Ausgezeichnetsten aus der Klasse der Gelehrten, Männer von reiferem Alter, obligatorisch gemacht.

Diese unbedingte Vorliebe für das Griechische wurde in England nicht allgemein geteilt. Zwar fand es mehr und mehr sorgsame Pflege. 1540 schuf Heinrich VIH. die erste griechische Professur in Cambridge, wo Erasmus in mehrjähriger Tätigkeit den Boden vorbereitet hatte. Aber auch in der englischen Renaissance standen die lateinischen Schriftsteller im Vordergrund, und ihr Übergewicht ist bis ans Ende des 17. Jahr- hunderts, bis auf Dryden und Bentley, unbestritten. Hemmend war für das Studium des Griechischen der Mangel an Büchern, die mit schwerem Geld vom Kontinent beschafft werden mußten. Dennoch sehen wir das Wissen im Griechischen sehr bedeutend gefördert; hohe und höchste Personen widmen sich mit Eifer der hellenischen Literatur. Edward VI. studiert die Ethik des Aristoteles im Original, Jane Gray tröstet sich bei Piatons Phaidon über die grausame Engherzigkeit ihrer Eltern, und Elisabeth liest mit Roger Ascham das Neue Testament, die attischen Redner und Sophokles. Bei vielen nehmen die Kirchenväter einen hervor- ragenden Rang ein. Gegen das Ende des Jahrhunderts beginnt auch in England der Druck griechischer Bücher. Homer wird zum ersten Mal 1591 in London gedruckt. Schon um 1580 ist das Griechische Unterrichts- fach in den Schulen, und um 1600 wird es von vielen Gebildeten ver-

266 England

standen. Die griechisclien Studien, die von dieser Zeit an in Frankreich ein so kümmerliches Dasein führten, blühten in England immer mehr auf. Im Beginn des 18. Jahrhunderts konnte es Voltaire unnütz nennen sich über Homer und Virgil zu verbreiten, zumal in England, wo man kaum einen Gentilhomme finde, der nicht Latein und Griechisch verstehe.

Die literarische Kritik war im 16. Jahrhundert ganz durch die eminent wichtige Frage der Vervollkommnung der englischen Sprache und Versifikation in Anspruch genommen. Die- antike Literatur, die so mächtig hereindrang, legte den Gedanken nahe, die Alten im Stil, be- sonders in den Metren nachzuahmen und statt des Reimes antike Vers- maße einzuführen. Zwei Verse aus einer von Thomas Watson um 1540 in Hexametern verfaßten Übersetzung der Odyssee zitiert Ascham, der auch selbst den Reim verwarf und eine quantitierende Poesie forderte. Der Streit darum, der die ganze zweite Hälfte des Jahrhunderts ausfüllt, wurde durch Samuel Daniel in der Defence of Rhyme 1603 beendigt. Er appellierte für die Beibehaltung des Reims an den Gebrauch, der älter sei als alle Regeln, und an die Natur, die über aller Kunst stehe. Er erkennt die Autorität der Alten nicht an, sondern fordert für die Modernen das Recht, sich auf nationaler Grundlage frei zu entwickeln. Soviel ich sehe, hat übrigens dieser Streit auf die poetische Literatur Englands kaum irgendwelchen Einfluß geübt. Die epischen Dichter ver- wenden entweder die ariostische Stanze, die sie nach Gutdünken variieren, oder die Reimpaare, mit oder ohne Übergreifen des Satzes über deren Schluß hinaus. Auch die Prosa entwickelt sich ganz eigenartig. Ascham selbst, den man als den ersten Klassizisten Englands bezeichnet, löst die Sprache aus den Fesseln des Lateinischen und gibt in seinen Schriften das Beispiel einer ebenso korrekten als flüssigen englischen Prosa.

Die bedeutendsten kritischen Schriftsteller der Renaissance waren zwar bekannt, besonders Castelvetro und Scaliger, aber zu einer Einführung ihrer Theorien im Sinne einer ästhetischen Gesetzgebung kam es nicht. Auffallend ist vor allem, vrie gering der Einfluß der aristotelischen Poetik war, die doch schon Ascham kannte und mit Horaz und den antiken Dichtern vergUch. Auch Sidney zitiert sie mehrmals. Aber was die Kritiker der Zeit über das Epos aussagen, und dessen ist wenig, lehnt sich an Horaz an. Nur in einer Schrift tritt Aristoteles kräftiger hervor. 1591 gab Harington eine Übersetzung des Furioso heraus. In der Vorrede setzte er auseinander, daß Ariost ganz in den Fußtapfen Virgils schreite, des vollendetsten Musters epischer Poesie, den er aber darin übertreffe, daß er ein Christ sei. Nun gebe es aber Kritiker, die alle epischen Gedichte nach der Methode Homers und einigen Vorschriften

Daniel Harington Bacon 267

des Aristoteles messen und deshalb Ariost Mangel an Kunst vorwerfen. Harington sucht nun zu beweisen, daß Ariost durch das Beispiel Homers selbst verteidigt werden könne und den aristotelischen Regeln genau ent- spreche. Wie die aristotelische Poetik verlange, wähle Ariost einen histo- rischen Stoff, von dem er einen Teil, die Ereignisse eines Jahres, be- handle; ferner befolge er das Gebot, die Grenzen des möglicherweise Glaublichen nicht zu überschreiten; und endlich sei er voll von un- vermuteten Peripetien, passenden Gleichnissen und gut gezeichneten Affekten. Harington's Schrift ist ohne Zweifel ein Nachklang des Streites der Crusca mit Tasso und, wie aus der Begrenzung der Handlung des Epos auf ein Jahr geschlossen werden kann, von Mintumo beeinflußt.

Ben Jonson, der im Drama den Klassizismus zum Durchbruch brachte, hat sich nur am Schlüsse seiner skizzenhaft gehaltenen Discoveries über das Epos kurz ausgesprochen und die Ansicht des Aristoteles über das Verhältnis des Ganzen und der Teile wiederholt. Er hatte 1605 den Horaz und wahrscheinlich auch die aristotelische Poetik übersetzt und kommentiert, und so war von ihm auch eine ausgedehnte Theorie des Epos zu erwarten; aber diese Schriften gingen mit vielen andern durch eine Feuersbrunst zugrunde.

Sir Francis Bacon teilte in der berühmten Schrift Ädvancement of Learning 1605 die Wissenschaften nach den menschlichen Fähigkeiten des Gedächtnisses, der Einbildungskraft und der Vernunft in Geschichte, Poesie und Philosophie ein. Die Phantasie ist ihm nicht an die Gesetze der Materie gebunden; sie verbindet, wo die Natur getrennt hat, und trennt, wo jene verbindet. Deshalb ist die Poesie, abgesehen von der Einschränkung in der Wortmessung, durchaus unbeschränkt. Dem Stoffe nach ist sie erdichtete Geschichte, die ebensogut im Vers als in Prosa dargestellt sein kann. Diese erfundene Geschichte gibt dem Geiste größere Genugtuung in den Dingen, in denen die Natur sie versagt. Sie hat aus- gedehntere Größe, Güte, eine absolutere Mannigfaltigkeit, als diese sich in der Natur finden. Ihre Erfindungen sind heroischer als die geschicht- lichen Ereignisse; sie vergilt Tugend und Laster gerechter und mehr der offenbarten Vorsehung entsprechend und ist abwechslungsreicher als die Geschichte. Daher führt sie zur Hochherzigkeit, Sittlichkeit und Er- götzung. Immer dachte man sie der Göttlichkeit teilhaftig; denn sie unterwirft das Schauspiel der Dinge den Wünschen des Gemüts, wodurch sie dieses aufrichtet und erhebt, während die Vernunft es unter die Natur der Dinge beugt.

Die Poesie ist entweder erzählend, vorführend oder anspielend. Er- zählende Poesie ist eine reine Nachahmung der Geschichte, kann aber,

268 England

wie gesagt, darüber hinausgehen und wählt zum Gegenstand gewöhnlich Krieg oder Liebe, selten Politik, hie und da Vergnügen und Freude. Darstellende Poesie gibt Handlungen so, als ob sie gegenwärtig wären. Die anspielende oder parabolische Poesie versinnbildlicht entweder Ge- danken und Lehren wie die äsopische Fabel, oder sie verdeckt unter der Fabel einen geheimen Sinn. So bedeutet z. B. die Verschwörung der Götter gegen Zeus und dessen Rettung durch den Briareos, daß die Monarchie sich in ihrer Unbeschränktheit nicht vor mächtigen Vasallen zu beugen braucht, solange sie sich durch ihre Weisheit die Herzen des Volkes zu sichern weiß, das stets zu ihrer Hilfe bereit sein wird. Trotzdem viele Stellen der alten Dichter so zu erklären sind, war doch wohl die Fabel das Erste und die Auslegung abgeleitet, nicht die Fabel nachträglich auf die Moral gebaut. Homers Gedichte wurden von den späteren Philo- sophenschulen zu einer Art heiliger Schrift gestempelt; aber es ist sicher, daß nach seiner eigenen Meinung seine Fabeln den ihnen unter- gelegten Sinn nicht hatten; was sie nach der ursprünglichen Überliefe- rung gewesen sein mögen, ist nicht leicht zu sagen, jedenfalls hat er viele von ihnen nicht selbst erfunden. Wie Bacon das meint, setzt er in der Schrift De sapientia veterum genauer auseinander. Er findet nämlich in vielen Fabeln ein von Ursprung an darin liegendes Mysterium und eine Allegorie. Oft enthalten sie eine historische oder politische Lehre. Ein Zeichen verborgenen Sinnes ist es, wenn die Fabel,- wörtlich genommen, absurd ist. Übereinstimmung der Zeitgenossen, wie z. B. Homers und Hesiods, weisen auf gemeinsamen älteren Ursprung der Fabeln, Unterschiede auf eigene Ausschmückung. Die Fabeln und Parabeln sind heilige Überbleibsel, der zarte Hauch besserer Zeiten, aus den Überliefe- rungen älterer Nationen in die Trompeten und Pfeifen der Griechen über- gegangen. Sie waren, wenn auch vielleicht nicht als Hülle und Vorhang, so gewiß zur Erleuchtung und Belehrung erfunden, in einer Zeit, wo die Weisheit möglichst sinnenfällig auf die rohen Gemüter wirken sollte. Die Mythen sind also, wie die folgenden 31 Beispiele beweisen, lehrreiche Geschichten zu irgend einem, oft ziemlich komplizierten Satz der Weisheit.

Bacon ist sich bewußt etwas Neues zu bringen. Was man gemeinhin allegorische Auslegung nennt, d. h. die Anwendung der poetischen Er- findungen auf die eigenen Lehrmeinungen, wie sie die Stoiker betrieben, verwirft er, nicht minder den Glauben, als hätten die Dichter, etwa Homer, die tiefere Bedeutung ihrer Fabeln lehren wollen. Nach seiner Meinung haben sie davon selbst nichts gewußt.

Mit Bacon sind wir schon in das 17. Jahrhundert eingetreten und haben aus dem 16. noch die Männer zu erwähnen, deren Schriften Kennt-

Bacon Asch am 269

nis Homers beweisen. Bei dem ersten, der nach Morus den Dichter nennt, Thomas Wilson, finden wir gleich schon die von Bacon bekämpfte Auffassung. In dem anziehenden Buche Art of Wietorique 1560 läßt Wilson den Homer, ganz nach der Auffassung der früheren Renaissance, als Yerkünder weiser Lehren auftreten. Denn nach ihm ist unter den Erzählungen der alten Dichter keine, die nicht einen tieferen Sinn bärge, sei es um die Sitten der Menschen zu bessern oder eine Wahrheit zu verkünden. So ist die von Homer beschriebene mühevolle Reise des Odysseus doch nichts anderes als das lebendige Gemälde des Elends des Menschen in diesem Leben.

Ähnliche Gedanken bringt Roger Aschams Schrift The Schole- mastey'j geschrieben zwischen 1563 und 1568, gedruckt 1570. Das Büchlein erörtert im ersten Teil in lebendigster und anziehendster Weise allgemeine Fragen der Erziehung und gibt im zweiten eine leicht faßliche Methode, Latein zu lernen. Im ersten Teile kommt Ascham auf die Frage zu sprechen, ob es zweckmäßig sei junge Leute nach Italien zu schicken, und rät davon ab, da sich Italien sehr zu seinem Nachteil verändert habe. Wer aber hingehen wolle, werde gut tun, das Leben des weisesten Reisenden an- zusehen, der je dorthin reiste, dargestellt von dem weisesten Schriftsteller, der je mit der Zunge sprach, Gottes Lehre allein ausgenommen, nämlich das des Odysseus bei Homer. Der Reisende, führt Ascham aus, findet da die Gefahren der Reise wie die Lebensweisheit, mit der man sie über- windet, und die doch ohne den Schutz Athenes, d. h. der Gnade Gottes, dem Odysseus nichts genützt hätte. Denn er wird nicht immer einen Alkinoos finden, sondern manchmal in die Hände eines grausamen Kyklopen oder einer wollüstigen Kalypso fallen; manche Sirene wird ihm zu seinem Verderben singen; wenn Skylla ihn nicht ertränkt, ver- schlingt ihn Charybdis, und manche Kirke kann ihn aus einem schlichten Engländer zu einem richtigen Italiener machen. Deshalb werden weise Männer für die Reise ihren Sohn unter die Aufsicht eines trefflichen Mannes stellen, damit sich jener nicht in Lebensgefahren stürze, wie es Odysseus oft begegnet wäre, wenn er nicht von Pallas geleitet worden wäre und sich die Ohren nicht mit Wachs verstopft und von Hermes das Kraut Moly empfangen hätte. Dieses Kraut mit der schwarzen Wurzel und der weißen Blüte bedeutet die Liebe zum Guten und den Haß gegen das Böse. Im zweiten Teil wendet sich Ascham gegen die Paraphrase als eine recht ungeeignete Übung für die Erwerbung eines guten Stils. Man verwandle dadurch nur das Beste in etwas Schlechtes. Die alten und besten Schriftsteller hätten doch, wenn sie zweimal die gleiche Sache ausdrücken wollten, sich Wort für Wort der gleichen

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Wendung-en bedient, wie z. B. Homer in der Ilias ganze Seiten lang- tue. Für die Erörterung über Metaphrase, Umsetzung von Poesie in Prosa, wählt Ascham als Beispiel die Stelle des dritten Buches des platonischen Staates, wo Sokrates den Anfang der Ilias in Prosa wiedergibt. Diese Art der Umsetzung findet er musterhaft, und für einen Mann von reifem Urteil hält er es für sehr angenehm und nützlich, gerade an diesem Beispiel Homer und Piaton, zwei Wunder der Natur und Kunst an Geist und Beredsamkeit, miteinander zu vergleichen. So wird Homers noch da und dort Erwähnung getan, gelegentlich, wie es der Charakter des Buches mit sich bringt, aber immer so, daß sich die genaue Kenntnis des Dichters offenbart.

Eine nicht unbedeutende Rolle spielt Homer auch in Stephen Gosson's Schoole of Ähuse, einem 1579 erschienenen, sehr temperament- vollen Buch, das sich gegen die Verweichlichung des modernen England wendet und für diese allerlei Künste, besonders das Theater, verantwortlich macht. Gosson hatte früher selbst Dramen geschrieben, schloß sich aber später der Opposition der Puritaner gegen das Theater an. Sein früheres Beginnen erscheint ihm jetzt als Sünde. Er kommt sich vor wie Odysseus, der Schiffbruch erlitten und vor Nässe triefend das nackte Leben kletternd ans Land gerettet hat. Nun soll Nausikaa mit all ihrem Gefolge fern von ihm stehen bleiben, bis er den Schmutz von der Stime gewischt und mit süßem Wasser den Salzschlamm abgewaschen hat, der seiner Seele anklebt.

Gosson hat in einer späteren Apologie seiner Schoole of Abuse er- klärt, daß er nicht die Poesie selbst, sondern nur ihren Mißbrauch ver- folge. Li der Tat läßt er namentlich die Dichter älterer Zeiten mehr oder weniger gelten. Er erblickt den Nutzen der alten Poesie in dem Preis berühmter Taten und in ihrer Vorbildlichkeit, den der alten Musik in der Anfeuerung zur Tapferkeit und anderen trefflichen Zwecken. Wenn er aber dafür den Homer zitiert, so begegnen ihm starke Fehler, weil er sich zu sehr auf das Gedächtnis verläßt oder einfach phantasiert. Plutarch hat in der Schrift über die Musik^ der Gosson alle Angaben über die Macht der Musik entnommen hat, gesagt, daß die Hellenen durch ihre Lobgesänge in Chryse der Pest ein Ende gemacht hätten; daraus macht Gosson, Homers Musik habe die Pest aus dem Griechenlager ver- trieben. Des Achilleus Erzieher Phoinix verwechselt er mit dem Kentauren Chiron, dem er nicht nur die Erzählung des Phoinix im neunten Buch der Ilias, sondern auch eine Stelle aus der Rede des Odysseus in den Mund legt. Und den Menelaos macht er in einer längeren Schilderung zu einem weichlichen und unkriegerischen Helden.

Gosson Sidney 271

Wenn Gosson nun auch Homer verscliiedentlich zitiert, so ist er ihm doch nicht günstig gestimmt. Er verspottet Maximus von Tyros, einen philosophischen Rhetor des 2. Jahrhunderts n. Chr., weil dieser die Lehre der Homerinterpreten zu verteidigen übernimmt, welche die Tollkühnheit des Aias in Tapferkeit, die Feigheit des Odysseus in Klugheit, das Ge- fasel Nestors in Altersweisheit, die Schlacht vor Troja in den wunder- baren Kampf der Elemente umdeuten. Es sei geradezu zum Lachen, wenn man sehe, wie dieser Philosoph sich anstrenge, Aesops Esel die Löwen- haut überzuziehen und Kindern die Schuhe des Hercules anzupassen, indem er prächtig darstelle, was, je mehr man es aufrühre, desto mehr stinke, und um so besser gefalle, je weniger man davon rede.

Den größten Zorn Gosson's haben die alten Dichter, wie er in der Apologie sagt, dadurch verschuldet, daß sie ihre Götter so unwürdig dar- stellen und dadurch Gottes Ehre schänden.

Die Antwort auf Gosson's Angriff gab Sir Philip Sidney in seiner Apologie for Poetrie, auch als Defense of Poesie zitiert, geschrieben un- gefähr 1580, zum ersten Mal gedruckt 1595, aber ohne Zweifel schon vorher handschriftlich in Umlauf gesetzt. Das Buch gibt sich nicht als Widerlegung Gosson's, kann aber doch nur eine Antwort auf die purita- nischen Vorwürfe gegen die Poesie sein. Gegründet ist es auf die ita- lienische Kritik, besonders auf Minturno und Scaliger, von denen Sidney den letzteren nennt. Aus ihm stammen viele der grundlegenden Ge- danken von Sidney's Schrift. Dennoch ist diese keine bloße Übertra- gung der italienischen Kritik auf englischen Boden, sondern ein selb- ständiges Werk, das denn auch auf Jahrzehnte hinaus herrschend geblieben ist. Der Leser des prächtigen Büchleins wird überall von dem Eindruck beherrscht, daß hier ein Poet über Poesie spricht.

Die Angriffe auf die Poesie, sagt Sidney, sind zunächst eine Un- dankbarkeit gegen die Erleuchterin aller Nationen. Die Römer nannten den Dichter Vates, den Seher, und gibt es erhabenere Poesie als die Psal- men? Die Griechen nennen ihn Poietes, den Schöpfer; ihn erhebt die Kraft seiner Erfindung über jede Fessel; sie läßt eine zweite Natur entstehen, Idealfiguren, wie die Natur sie nie hervorbringt. Diese Kraft hat Gott, der Schöpfer aller Dinge, dem Dichter, dem Schöpfer, verliehen. Seine Kunst ist Nachahmung, d. h. Darstellung, Nachbildung, Vorführung nach außen. Der Vers ist nur das Gewand, nicht das Wesen der Poesie. Diese ist für die Menschen ein viel sichererer Wegweiser als Philosophie und Geschichte, von denen jene durch allgemeine, oft schwer verständ- liche Lehrsätze, diese nur durch einzelne Beispiele wirkt. Der Dichter ^bt statt der Vorschriften der Philosophie das Bild eines Menschen, der

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sie erfüllt hat; mit dem einzelnen Beispiel verbindet er den allgemeinen Begriff. Er macht es lebendig, gerade wie der Anblick eines Gemäldes an Wirkung jede Beschreibung übertrifft. Cicero sucht uns die Kraft der Heimatliebe klar zu machen; aber hören wir dagegen einmal den alten Anchises inmitten von Trojas Flammen reden, oder den Odysseus in der Fülle von Kalypso's Wonnen seine Entfernung aus dem rauhen und armen Ithaka beklagen! In welchen Definitionen der Stoiker sehen wir Weisheit und Mäßigung besser als in Diomedes und Odysseus, Tapferkeit besser als in Achilleus? Daneben gibt Sidney noch zahlreiche Beispiele aus den Tragikern. Die Lehre des Aristoteles über das Verhältnis von Geschichte und Poesie führt er weiter aus. Die Belehrung ist der Poesie eigentümlich, denn sie stellt die Tugend so sehr in den schönsten Farben dar, daß jeder sie lieben muß. Wohl können wir Odysseus in einem Sturm und anderen schweren Lagen sehen, aber es sind nur Übungen der Geduld und Seelengröße, um diese in dem folgenden Glück noch stärker hervortreten zu lassen. Die Poesie ermuntert zum Guten und schreckt vom Bösen ab; der Historiker dagegen, gefangen in der Wirklichkeit einer törichten Welt, hält oft vom richtigen Handeln ab und ermuntert zu ungezügelter Schlechtigkeit. Auch den Philosophen übertrifft der Dichter als Lehrer der Tugend. Denn er scheint nur Vergnügen zu versprechen und gibt unvermerkt unter der schönen Form die nützliche Lehre.

Sodann geht Sidney auf die einzelnen Dichtungsgattungen über, um zu beweisen, daß keine von ihnen Verachtung verdiene, am wenigsten das heroische Gedicht, dessen bloßer Name schon Verleumder erschrecken sollte. Es führt die größten Helden vor, lehrt die höchste Wahrheit und treibt dazu an; es läßt durch all die trübe Furchtbarkeit und unlautern Begierden Großherzigkeit und Gerechtigkeit glänzen. Es zeigt die Tugend in ihrem Feierkleide. In ihm vereinigen sich alle Vorzüge der übrigen Gattungen. Beispiel ist hier für Sidney wesentlich die Aeneis. Die An- griffe auf die Poesie sind kleinlich. Wer sie für nutzlos hält, verkennt ihr hohes Lehramt. Die Dichter sind keine Lügner, denn sie geben, was sie erzählen, nicht für Wirklichkeit aus. Nicht die Poesie verführt den menschlichen Geist, sondern dieser mißbraucht jene zuweilen zur Erfüllung sinnlicher Begierden. Es ist auch nicht richtig, daß vor der Erfindung der Poesie das Volk tatkräftiger gewesen sei; denn es hat nie eine Zeit ohne Poesie gegeben. Wenn sich deren Feinde auf Piaton berufen, so wirft Sidney den Philosophen zunächst vor, daß sie den Dichtem ihre Gedanken entlehnen und ein eigenes Gebäude daraus machen, um darauf ihre Meister herabzusetzen. Dann findet er, wenn

Sidney 273

man den Inhalt des Phaidros und des Symposion und die Lehre von der Weibergemeinschaft in Betracht ziehe, so habe Piaton Homer nichts vorzuwerfen. Die falschen Vorstellungen von den Göttern, um deren willen Piaton die Dichter verbanne, hätten diese doch nicht erfunden, und es sei doch besser gewesen, wenn die Dichter diese Vorstellungen verbesserten, als wenn die Philosophen sie abschüttelten, um dann den Atheismus einzuführen. Übrigens meint Piaton eigentlich, so sagt Sidney mit Scaliger, nur die Vertreibung der falschen Auffassung der Götter. Hat er doch im Ion der Poesie alle Gerechtigkeit widerfahren lassen und die göttliche Inspiration der Dichter stärker betont, als Sidney selbst tun möchte. Piaton steht also, so schließt Sidney, auf unserer Seite. Man hat sich seine Löwenhaut umgehängt, um darunter ein Esels- geschrei gegen die Poesie anzustimmen.

Sidney sieht nicht ein, warum gerade England die Dichter stief- mütterlich behandeln soll. Allerdings haben diese, wenn sie etwas leisten wollen, sich zu prüfen. Führen müssen den Dichter Kunst, Imi- tation und Übung, womit aber Sidney nicht künstliche Regeln und aufgestellte Muster empfohlen haben will.

Ein enthusiastischer Verehrer der englischen Poesie, zumal Spenser's, aber ein herzlich unwissender Herr ist William Webbe, der 1586 emen Discourse of English Poetrie erscheinen ließ. Er ist der eifrigste Ver- fechter der Einführung klassischer Metren, hat aber weder in der Auf- fassung der Poesie etwas Originales sie ist ihm eine unter gefälligen Fabeln verborgene Wahrheit noch weiß er vom Epos mehr zu sagen, als was er bei Horaz gefunden hat. Seine Deklamation über den lehr- haften Inhalt der Ilias und Odyssee läßt es sehr fraglich erscheinen, ob er die Epen jemals gelesen habe.

Nicht viel mehr ergibt für Homer die George Puttenham zuge- schriebene, 1589 erschienene Schrift Art of English Poetrie. Die beiden letzten Teile des Buches behandehi ausführlich formale Fragen und suchen, nach Scaligers Vorgang, den ganzen Wust der antiken rhetorischen Figu- ren in die englische Poesie einzuführen. Die Erörterungen des ersten Teils, Of Poets and Poesie, gehen in ihren Grundzügen ebenfalls auf ScaHger zurück, zeigen aber ein bedeutendes eigenes Wissen in antiker und modemer Literatur und gutes Urteil. Sidney 's Einfluß ist, wie auch bei Webbe, unverkennbar.

Das Epos ist nach Puttenham eine lange Geschichte edler Taten von Königen und Fürsten, verbunden mit dem Auftreten von Göttern und Halbgöttern, und eine Darstellung der schwerwiegenden Folgen des Krieges und des Friedens. Wie Scaliger, betrachtet Puttenham das

Finsler: Homer In der Neuzeit. 18

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Epos als historische Poesie, die wichtigste aller Dichtungsgattungen, weil Gedächtnis und Beispiel auf Urteil und Weisheit der Menschen den größten Einfluß haben. Daneben erfreut das Epos durch das ge- treue Bild der Taten unserer teuren Vorfahren. Die alten Erzähler ver- langten indessen nicht für jede Einzelheit unbedingten Glauben, weil das für den Zweck der Poesie, zu nützen und zu erfreuen, weder not- wendig noch zweckmäßig war. Ersonnene und fabelhafte Dinge tragen zu jenem Zweck oft ebensoviel, ja infolge der dem Dichter hier ge- währten Freiheit zuweilen noch mehr bei als rein historische Stoffe. Homer schrieb einen fabelhaften oder aus Dichtung und Wahrheit ge- mischten Bericht über die Belagerung Trojas und die Irrfahrten des Odysseus, Musaios behandelte die wahre Geschichte von Hero und Leander. Beides ist heroisch und lehrreich. Den historischen Darstellungen unter- liegen nur große und hervorragende Personen und ebensolche Stoffe, weshalb für sie auch ein erhabener Stil gewählt wurde. Hier schließt sich Puttenham an Horaz und Castelvetro an, und diesem folgt er auch in der Einteilung der Gattungen der Poesie nach Ständen. Zwar ist, sagt er, die Tugend in jedem Stande löblich, aber sie ist nicht überall gleich viel wert. Selbstbeherrschung ist bei einem Fürsten ein größeres Verdienst, Geiz ein ärgeres Laster als bei einem Geringen, Stolz und Verschwendung bei dem letztem tadelhafter. Außerdem geben Gut und Böse bei Fürsten ein stärkeres Beispiel und sind deshalb von größerer Bedeutung. Untergeordnete Personen mit ihren untergeordneten Tu- genden stehen deshalb in geringem Preis und können nicht den Gegen- stand der Historie bilden. Allerdings spielen solche auch in Historien eine Rolle, wie der Bettler Iros und der gloriose Dummkopf Thersites bei Homer. Aber geringe Leute haben dort ihre Berechtigung nur durch ihre Beziehungen zu größeren Personen und zu Dingen, die lange vor- bei sind, und ihre Verwendung darf deshalb nicht auf jede andere gute und tugendhafte Person geringen Standes ausgedehnt werden. Für diese und ihre Taten passen kurze Grabschriften und Epigramme in einfacher Form, nicht der hohe Stil der Historie.

Eine Übersetzung Homers in englischen Hexametern versuchte, wie bereits erwähnt, 1540 Thomas Watson; es sind aber davon, so- viel ich sehe, nur die zwei Anfangsverse der Odyssee erhalten, die Ascham zitiert. 1581 erschienen die ersten zehn Bücher der Ilias in der Über- setzung von Arthur Hall, der die von Hugues Salel zugrunde lag. Ermutigt hatte den Übersetzer Ascham selbst, der sonst in der Über- setzung nur ein nützliches Mittel des Unterrichts erblickte, sie aber für durchaus unfähig erachtete, das Original literarisch zu ersetzen.

Puttenham Chapman 275

Ein Ereignis von höchster Bedeutung war nun die Übersetzung von George Chapman, der 1598 „Sieben Bücher der Bias Homers, des Fürsten der Dichter" nämlich 1. 2. 7. 11. erscheinen ließ. 1610 folgte die ganze erste, 1611 die zw^eite Hälfte der Ilias, 1614 und 1615 die Odyssee, 1616 die übrigen dem Homer zugeschriebenen Gedichte.

Chapman hat Homer in der Ausgabe des Spondanus studiert, den er in der Vorrede mehrfach nennt. Wenn ihm Pope Ungenauigkeit der Ubersetzimg vorwirft, so hat er freilich Recht. Chapman selbst sagt aller- dings, wenn man ihm Umschreibungen imd Breite vorwerfe, so möge man doch die Übersetzungen von Lorenzo Valla und Eoban Hesse lesen, die entweder eine Kürze anwendeten, die für Homer nicht zutreffend sei, oder, wenn sie diesen Fehler vermieden, zehnmal mehr umschrieben als er. Aber er findet doch eine Übersetzung Wort für Wort eine pedan- tische und absurde Ziererei. Jeder Interpret von Kenntnis und Urteil habe nicht der Zahl und Reihenfolge der Worte, sondern den Dingen nachzugehen, die Sätze sorgfältig zu erwägen und sie mit solchen Worten, einem solchen Stil, einer solchen Form der Rede zu umkleiden und zu schmücken, wie sie für die Sprache passen, in die sie übersetzt werden. Wenn er nicht falsch übersetzt habe, wie alle andern Übersetzer in vielen und wichtigen Stellen es getan, wenn er keine von Homers Sentenzen, Schönheiten und Erfindungen übergangen habe, so wäre es höchst unrecht, in dem armseligen Fehler einiger Ausweitungen sein ganzes Werk zu ertränken. Nun hat sich Chapman freilich in der Wiedergabe des home- rischen Sinnes gar sehr gehen lassen und die Gedanken des Dichters kräftig ausgeweitet; aber das ist hier nicht die Hauptsache. Chapman's Übersetzung wirkt wie ein mächtiges, selbständiges Gedicht. Schon das schwungvolle Versmaß, das er für die Ilias wählte, die vierzehnsilbigen, zu Reimpaaren geordneten Zeilen, sind hinreißend, viel mehr noch der ge- waltige, nie erlahmende Schwung der Sprache und die herrliche Begeister- ung. Chapman hat den Homer erfaßt wie kaum ein anderer Übersetzer der Welt; der Dichter schenkte den Homer seiner eigenen großen Zeit, die ihn mit Leidenschaft ergriff und der eigenen Literatur einreihte. So hat er Doppeltes erreicht, in jedem Sinne Großes: er hat Homer in England heimisch gemacht und zugleich, da er den Stil seiner Zeit schrieb und nicht den Homers nachahmen wollte, sich selbst den EHzabethan Poets beigesellt. Gerade das Bodenständige seiner Poesie macht die Lektüre auch heute noch zu einem wahren Genuß. Einen feinen Takt hat Chapman dadurch bewiesen, daß er für die Odyssee einen kürzeren Vers wählte, das zehnsilbige gereimte Couplet, das der weniger schwungvollen Sprache des Gedichts viel besser entsprach.

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Die erste Veröffentlichung Cliapmans von 1598 kann Shakespeare gekannt haben, und es ist neuerdings mit Sicherheit behauptet worden, daß das rätselhafte Drama Troilus und Cressida homerische Züge enthalte, die nur Chapman entnommen sein könnten. Der Stoff ist ja nicht home- risch; die letzte Bearbeitung haben wir in Boccaccio's Filostrato gefunden. Von Boccaccio übernahm Chaucer den Stoff und im wesentlichen den Gang der Handlung für sein Epos Troylus and Creseide, wahrschein- lich um 1375, eine vertiefte und bereicherte Bearbeitung der Geschichte. Von ihm angeregt ist John Lydgate's Troye Book, eine poetische Bearbeitung des Guido delle Colonne. Shakespeare hat sie nicht ge- kannt, wohl aber kannte er William Caxton's Recuyell of the Hi- storyes of Troye, das erste in englischer Sprache gedruckte Buch, das 1474 zu Brügge erschien; es ist eine Übersetzung des Receuil des Hi- stoires de Troyes von Paul Lefevres, dem Sekretär Philipps des Guten von Burgund, eines Buches, das 1464 erschienen war. Ob neben diesen mittelalterlichen Quellen Shakespeare jene von Chapman übersetz- ten Iliasbücher benutzt habe, ist eine vielumstrittene Frage. Für einzelne Züge, wie den Zweikampf des Aias und Hektor, hat es Small wenigstens wahrscheinlich gemacht. Aber erstaunlich bleibt es dann, daß die großen homerischen Bilder, der Zorn des Achilleus und die Gesandtschaft, auf Shakespeare gar keinen Einfluß gehabt haben. Denn Trojas Geschick hat sonst den Dichter mächtig ergriffen, wie aus Heinrich IV. und dem Gespräch Hamlets mit den Schauspielern, sowie aus vereinzelten Hin- weisen in andern Dramen deutlich zu erkennen ist.

Wenden wir uns nunmehr zu den epischen Dichtern der Zeit der Elisabeth, so sehen wir, daß die neu erwachte Kenntnis des Alter- tums nicht auf die Gelehrten beschränkt geblieben war, sondern teils auf dem Wege der Übersetzung, teils durch eigenes Studium der Ori- ginale die ganze gebildete Welt durchdrang. Schon für jene Zeit gilt,, was England als den Erfolg seiner Universitätsbildung rühmt: sie habe die großen griechischen Klassiker zu integrierenden Elementen der na- tionalen englischen Kultur gemacht und sie in dieser Geltung erhalten. Daneben dringt in mächtigem Strom die Poesie der Renaissance ein, vor allem die großen Italiener, ohne daß dadurch die neu erweckte Freude an der altenglischen Poesie Schaden gelitten hätte. In das gewaltige Leben mischen sich die mit den Kriegen gegen Spanien und Frankreich verknüpften innern Kämpfe, vor allem die Bestrebungen der Puritaner nach einer sittlichen Hebung des Lebens. Und über allem schwebt die Freude an der eigenen großen Zeit, an der machtvollen Entwicklung des Vaterlandes, an der majestätischen Erscheinung der hehren Königin.

Shakespeare Spenser 277

Alle diese Elemente finden vereinigt ihren Ausdruck in Edmund Spenser's großem, nur zur Hälfte vollendeten Gedicht Faerie Queene, dessen erste drei Bücher 1590 erschienen, während die drei folgenden 1596 ans Licht traten. Der Form nach lehnt sich das Gedicht an Ariost an; die Damen und Cavaliere sind die des italienischen Romanzo. Aber den Dichter leitet ein ethischer Gedanke, der durch das Werk hin alle- gorischen Ausdruck findet. Im Auftrage Gloriana' s, der strahlenden Köni- gin des Feenlandes, d. h. des geistigen Reiches, ziehen zwölf Ritter, Ver- körperungen der Kardinaltugenden, aus, um gegen alles Unrecht in der Welt zu streiten und den Weg zum Himmel zu finden. In Prinz Arthur, der alle Tugenden in sich vereinigt und der sein ganzes Leben lang nach Gloriana, dem Ruhme Gottes, strebt, finden die in Not geratenden Ritter immer einen Helfer. Den ethischen geht eine Reihe zeitgenössischer Alle- gorien zur Seite. Vor allem ist Elisabeth in Gloriana selbst, dann in der jungfräulichen Jägerin Belphoebe, endlich in der gerechten und milden Königin Mercilla verkörpert, und die wichtigsten Zeitereignisse kommen sämtlich zur Behandlung. Dieser allegorische Untergrund beeinträchtigt den Genuß des Werkes nicht, denn er ist nicht aufdringlich und mit reichem Leben erfüllt. Es gibt gerade allegorische Partien in großer Zahl, die von überwältigender Wirkung sind. Daneben herrscht eine er- staunliche Kraft der Erfindung und eine wunderbare Zeichnung von Natur imd Menschen, nur daß der herbe Ernst des Dichters über alles einen abtönenden Schatten legt und nur selten einen fröhlichen Humor zu Worte kommen läßt.

Mit Ariost teilt Spenser die Vorliebe, seine eigene Persönlichkeit, seine Meinungen und Gedanken stark hervortreten zu lassen. Diese Nei- gimg ist für die ganze englische Epik charakteristisch; sie ist von den Anhängern des Aristoteles besonders auch an Milton getadelt worden. Aber die Freude, die uns die Einblicke in die Seelen dieser Dichter ge- währen, beweist, wie wenig allgemeine Verbindlichkeit eine Regel bean- spruchen darf, selbst wenn sie aus Homers" Praxis abgeleitet ist.

Sein Vorbild Ariost hat Spenser frei nachgebildet. Nicht eine ein- zige Szene ist einfach kopiert, sondern alles wird den neuen Bedürfnis- sen angepaßt. So verfährt er auch mit den andern Dichtern, denen er Aufnahme gewährt, Hesiod und Apollonios von Rhodos, Virgil und Ovid, Chaucer und Boiardo. Er hat wohl auch Pulci gekannt: der eiserne Flegel des Riesen Talus ist doch wohl ein Ableger von Morgante's Glockenschwengel. Nur einmal hat sich Spenser in völlige Abhängigkeit begeben und im Schlüsse des zweiten Buches Tasso's Garten der Ar- mida und die ganze damit zusammenhängende Geschichte kopiert.

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Umfassend ist seine Kenntnis Homers. Die ziemlich zahlreichen Anklänge an einzelne Wendungen sind mit leichter Hand eingestreut, und zwar geht Spenser mit ]dem homerischen Wortlaut mit der Frei- heit des Kenners um, dem es nicht darauf ankommt, gelegentlich auch aus dem Gedächtnis falsch zu zitieren. Auch größere Entlehnungen kommen vor. Zur Höhle des Morpheus führen zwei Tore, eines aus ge- glättetem Elfenbein, das andere nicht wie bei Homer von Hörn, sondern mit Silber überzogen. Auf das Begehren des Abgesandten des Zauberers Archemago schickt Morpheus dem Ritter St. George einen falschen Traum, ihn zu berücken. Der von St. George überwundene Sansioy wird den Augen des Siegers durch eine dunkle Wolke verborgen, wie Aineias denen des Achilleus; und er liegt dann lange Zeit unter dieser Wolke gleich Hektor, dem Blicke des Tages und den Augen der Menschen ent- zogen. Die goldene Kette, die Zeus bei Homer die Götter am Himmel anbinden heißt, um seine Macht zu erproben, wird bei Spenser 'zur Kette der Notwendigkeit, der fest an den Sitz des Zeus geknüpften Schicksalskette. Die Seelen der homerischen Büßer finden sich auch in Spenser's Hölle, zu deren Schilderung Virgil, vielleicht auch Dante, bei- getragen hat. Tantalos kommt noch ein zweites Mal vor, genau nach Homer. Seine Bitte um Speise und Trank wird von Guyon mit wahr- haft dantesker Härte abgewiesen: Tantalos soll fortfahren, als Beispiel der bestraften Uberhebung zu dienen. Der Fahrt Guyons nach dem Eiland der Acrasia liegen die Irrfahrten der Odyssee zugrunde. Die homerischen Motive sind gewaltsam gesteigert und stark vermehrt, alles natürlich auch allegorisch gedeutet. Am Schlüsse verwandelt sich Kirkes Park in den Garten der Armida.

Des Achilleus Geschick dient zur Exposition der Geschichte des unüberwindlichen Ritters Marineil, des Sohnes der Nereustochter Cymoent und des sterblichen Helden Dumarin. Cymoent hat von Proteus, der später nach der Odyssee, im übrigen als grausamer Tyrann gezeichnet ist, die Weissagung erhalten, sie solle den Sohn von Frauen fernhalten, da ihm von einer Frau Unheil drohe. Nun wird er aber nicht durch die Liebe, vor der ihn Cymoent ängstlich hütet, sondern durch den Zwei- kampf mit der kriegerischen Britomart geschädigt und schwer ver- wundet. Das vernimmt Cymoent bei ihren Wasserschwestern, mit denen sie spielt; sie steigt herauf, beklagt gleich Thetis den Sohn, dem der verheißene Ruhm nun nicht zuteil werden würde, und ihre eigene Un- sterblichkeit, und gießt ihm Balsam und Nektar in die Wunden. Mari- nells weitere Schicksale haben mit denen des Achilleus nichts mehr gemein.

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Der Ilias sind die „Bitten" Litae, entlehnt, eine Schar schöner weißgekleideter Jungfrauen, die den Thron der Königin Mercilla umge- ben. Die lieblichen Töchter des Zeus und der Themis sind anders ge- staltet als bei Homer. Tag und Nacht warten sie am Richterstuhl des Zeus und, wenn er im Zorn der Welt den Untergang droht, so beruhigen sie seinen Grimm. Mit göttlicher Erlaubnis wachen sie auch am Throne sterblicher Fürsten und bitten für Flehende, die aus Schwachheit ge- sündigt haben, um Vergebung.

Lieb sind Spenser die Helden und Frauen Homers, auf deren Cha- rakter er da und dort eingeht. Selbstverständlich fehlt bei dem Schüler der Italiener auch eine Nachbildung des Schiffskatalogs nicht, dessen Eingang für die Aufzählung der zur Hochzeit von Themse und Medway versammelten Wassergötter wörtlich wiedergegeben ist. Der Katalog der englischen Flüsse gehört zum Langweiligsten, was die Renaissance in dieser Beziehung hervorgebracht hat.

Die waltenden Gottheiten sind christlich iind heidnisch, antik und romantisch, mystisch und allegorisch, alles bunt durcheinandar, ohne daß dadurch der Glaube des Dichters an ein gerechtes Weltregiment verdunkelt würde. Wie unbefangen er verfährt, zeigt am besten eine Stelle: der Berg, von dem aus der Eremit dem Ritter St. George das himmlische Jerusalem zeigt, wird nacheinander mit dem Sinai, dem 01- berg und dem Olymp verglichen, und dabei werden Moses, Christus und die Musen mit dem nämlichen Schwung gepriesen. Spensers Gleichnis ist fast immer original, bald wie bei Homer, bald wie bei Shakespeare gestaltet. Bemerken will ich, daß eine Kritik, die nach Widersprüchen fahndet, bei Spenser reichlichen Ertrag fände.

Einmal hat sich der Dichter, wenn nicht über Poesie, so doch über Imagination ausgesprochen, aber nicht in der freudigen Art Sidney's. Im Palast der Alma, des Sinnbilds des menschlichen Körpers, gehört das oberste Stockwerk, also das Gehirn, drei W^eisen, die man als Ein- bildungskraft, Urteil und Gedächtnis deuten muß. Der erste, der uns hier allein angeht, ein rüstiger, aber finsterer Mann, bewohnt ein mit allen möglichen Figuren bemaltes Zimmer, Bildern von Dingen, die es nie gab, und die kein Menschenwitz ersinnen kann, neben tatsächlich geschehenen wohlbekannten Dingen solche, die nur in müßiger Phantasie herumschwir- ren. Phantastes heißt der Bewohner, der einem Wahnsinnigen oder Toren gleicht. Auch er schafft sich, wie Sidney's Dichter, eine neue Welt neben der bestehenden, aber nicht zu seiner Freude. Im Urteil über sein Werk überwiegt nicht der schaffende Dichter, sondern der eifrige Pro- phet, der trüb auf sein Wirken schaut. Ein Glück, daß bei Spenser selbst

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der Dichter den Propheten zu oft überwunden hat, als daß sein Werk die lautere Höhe der Poesie nicht hätte halten können.

Neben und nach Spenser blüht in England eine ziemlich reiche epische Poesie, die einen kurzen Überblick erfordert, obwohl Anklänge an Homer darin nicht häufig sind. Die Dichter bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts haben miteinander das gemein, daß sie sich um Regeln und um Vor- bilder gleich wenig kümmern. Es weht uns daher aus ihnen, so oft sie auch fehlgegriffen und sich vergeblich gemüht haben mögen, ein er- quickender Hauch von originaler Frische .entgegen. Gemeinsam ist ihnen auch eine herzliche Freude an der Natur, ein großer Gerechtigkeits- und Freiheitssinn und die liebevolle Vertiefung in menschliche Stimmungen.

Die große Zeit der Elisabeth weckte in einigen dieser Dichter die Lust, ihr Land, dessen Eigenart und Geschichte zu verherrlichen, so daß ihre Werke zu Shakespeare' s Königs dramen eine Parallele bilden können. Zuerst sei William Warner's großes Gedicht Älbion's England 1586 genannt, eine versifizierte Geschichte Englands von der Sintflut bis auf Elisabeth. Das Poem geht uns nur insofern an, als die krause antike Vorgeschichte eine Relation über den troischen Krieg enthält, die ganz auf mittelalterlicher Darstellung beruht und in letzter Linie auf Dares zurückgeht.

Einen weniger weit schichtigen Stoff wählte Samuel Daniel in der History of the Civil Wars 1595. Der Dichter will keine Geschichte in Versen, sondern ein Gedicht geben, und würde das auch erreicht haben, wenn ihn sein Stoff, die Ereignisse von Richard IL bis Heinrich VII., nicht erdrückt hätte. Denn so sehr er sich streng an sein Thema, die Vergeltung der Missetat der Lancaster an König Richard IL, hält, und so sehr er lockendere Nebenpfade, wie die Verherrlichung der Ruhmes- taten Heinrichs V. meidet, so hat er sich im Gewirr der Tatsachen doch nicht zurechtgefunden. Vor allem ist ihm die Darstellung des Empor- kommens Yorks völlig mißlungen, weil er nicht mit Shakespeare's siche- rem Takt aus dem Material das poetisch Verwendbare herauszufinden verstand. Wo er des Stoffes Herr geworden ist, hat er sehr Schönes geschaffen, vor allem die Geschichte Richards IL und am Schlüsse des unvollendeten Werkes den Abfall Warwicks von Edward IV. In beiden Partien hat er außer Reden und Monologen auch gute Gleichnisse ein- gestreut, wozu ihn die ängstigende Hast, zu der ihn die fast unent- wirrbare Materie trieb, in der Mittelpartie nicht kommen ließ. Alle- gorische Personen fehlen, bis auf die Liebe, die Edwards Werbung in Frankreich hemmend entgegentritt, weil sie nicht ins Vertrauen gezogen worden ist. Von Episoden ist nur das übel eingefügte Ende Talbots

Daniel Drayton Chalkhill 281

zu erwähnen, dessen Darstellung durch das patriotische Interesse dik- tiert war.

Anders faßte Michael Drayton in seinem Gedichte The Barons' War 1596 den historischen Stoff an, den Kampf Edwards IL mit seinem Adel. Es wirkt von vornherein ungünstig, daß Drayton die Kenntnis der Geschichte voraussetzt und sein Gedicht mit Anspielungen darauf einleitet. Ferner ist es ihm nicht gelungen, den eigentlichen Punkt des Streites zwischen der Krone und den Baronen klar herauszuarbeiten. Offenbar scheute er davor zurück, die politische Seite der Frage zu berühren. Er wollte vielmehr, wie er im dritten Buch unter Anrufung der Muse ankündigt, Mortimer, den Buhlen der Königin, nach Art der alten Heroen zum Helden des Epos machen. Aber dazu sind bis zum Schluß, der in lyrischer Weise das Ende des Helden besingt, kaum Ansätze vorhanden,, da der Dichter von der historischen Wirklichkeit nicht loskommt und unser Interesse viel mehr dem bedrängten König als seinen Wider- sachern gilt. Die Vorzüge des Gedichtes liegen in wenigen schönen Partien, besonders auch einigen Naturschilderungen. Mehrfach ist Shakes- peare's Einfluß erkennbar, daneben der Ovids. Auf Homer ist ein paarmal angespielt.

Kleinere Gedichte behandeln andere historische Stoffe, aber diese ver- schwinden nach und nach. Aus der trüber werdenden Zeit zieht sich die Poesie ins Land der Romantik zurück und lehnt sich an Spenser an^ nicht an den Patrioten, sondern an den Nachfolger Ariosts.

Spenser nahe, durch eine unsichere Tradition auch persönlich mit ihm in Berührung gebracht, steht der fast unbekannte John Chalkhill, dessen unvollendetes, erst 1678 gedrucktes Gedicht Thealma and Clearchus von Saintsbury um 1600 angesetzt wird. Chalkhill gedenkt uns schrittweise in die Vorgeschichte der Hirtin Thealma, die eigentlich eine Prinzessin ist, einzuführen, bringt es aber nur zu einer hoffuungslosen Verwicklung^ von der niemand vermuten kann, wie sie der Dichter zu lösen gedachte. Dagegen ist vieles, besonders die Schilderung des Hirtenlebens, sehr an- mutig. Obwohl Chalkhill kein großer Erfinder ist, hat er doch seine Quellen nicht sklavisch benutzt, sondern Übernommenes im Sinne Spen- sers umgewandelt. Wie Hermes dem Odysseus, gibt der weise Sylvanus dem Anaxus, bevor dieser die Behausung der Hexe besucht, ein Kraut^ das ihn befähigen soll ihre Verführungskünste zu durchschauen. Während aber in der Odyssee die Wirkung des Krautes Moly beim ersten Mal den Zauber endgiltig bricht, muß Anaxus fortwährend an seinem Mittel riechen und sich die Augen wischen, ja er wird, da er das vergißt, mehrmals nur zufällig durch den Geruch des Krautes gerettet.

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Ein eigentümliches Werk ist Patrick Hannay's Sheretine and Ma- riana, unter den Werken des Verfassers 1622 gedruckt. Es ist eine ein- fache Liebesgeschichte, aber mit dem historischen Hintergrunde der Er- eignisse in Ungarn nach der Schlacht bei Mohacs, die uns in einer Vorrede und dann nochmals, oft unklar genug, im Gedicht selbst vor- geführt werden. Mit diesen großen Ereignissen steht die unbedeutende Geschichte in starkem Mißverhältnis. Außerdem hat Hannay das Un- mögliche gewagt, sich von dem ihm erscheinenden Geiste Mariana's alles, die hohe Politik wie die Monologe ihres Verlobten, erzählen zu lassen. An Spenser erinnert, außer der Diktion, der Hain der Melancholie mit einem von düstem Bäumen überschatteten Grab, wo fluchbeladener Kummer in grauser Verzweiflung sich selbst bestattet hatte.

Zu Spenser kehrt im Stoff und vielfach im Ausdruck Sir Francis Kynaston zurück, dessen Gedichte in seinem Todesjahr 1642 erschienen. Leoline and Sydanis ist ein anmutig erzählter, nicht eben verwickelter Romanzo, der vor dem Einbruch der Römer in Britannien spielt. Die Götter sind die römischen und versammeln sich einmal, um von oben einem Maskenfest am irischen Hofe zuzusehen, greifen aber nur selten in die Handlung ein. Bestimmend für die Geschicke sind die Gestirne, und es wird ein bedeutendes astrologisches Wissen ausgekramt; daneben spielt die Zauberei, zumal ein darin bewanderter Druide, eine Rolle. Doch geht es meistens mit natürlichen Dingen zu, bis auf den sehr phantastischen Schluß. Aus Shakespeare und Spenser stammen etliche Motive, daneben wimmelt es von klassischen Reminiszenzen, besonders an Virgil, obwohl die Erfindung nirgends an die antike Poesie anlehnt. Für die Trojasage verweist Kynaston ausdrücklich auf Dares. An Homers Schlauch des Aiolos könnten die Zauberknoten des Tuches erinnern, deren Lösung die Winde beeinflußt. Wenn der recht lebendig gestaltete Katalog der irischen Streitkräfte durch einen Hinweis auf die Flotte des Menelaos eingeleitet wird, so dürfte auch hier Dares, nicht Homer, das Vorbild sein.

Der bedeutendste Dichter seit Spenser ist William Chamberlayne, ein Parteigänger Karls I, der 1644 sein Gedicht unterbrach, um bei News- bury gegen die Puritaner mitzufechten, und dessen königstreuer katho- lischer Standpunkt in dem Gedicht ^mehrfach hervortritt. Dieses, die Pharonnida, die 1644 halb fertig war, aber erst 1659 erschien, zerfäUt in fünf Bücher zu je fünf Gesängen und erinnert dadurch sowohl an die Faerie Queene als an Davenant's ungefähr gleichzeitigen Gondibert,

Die Handlung ist imgrunde recht einfach, die Geschichte von Pharon- nida, Prinzessin von Morea, und ihres Geliebten Argalia, der, was er selbst nicht weiß, ein Königssohn ist. Die Liebe und Treue des Paares

Hannay Kynaston Chamberlayne 283

wird auf die härtesten Proben gestellt, bis endlich alle Hemmnisse ihrer Vereinigung glücklich weggeräumt sind. Die Erfindung ist abwechslungs- reich und spannend, viele Partien sind von großer Schönheit, sowohl in der Schilderung der Menschen als der äußern Natur. Der Friede des Land- lebens erhält gegenüber dem Lärm der Städte und des Hofes mehrfach seinen Preis. Unerschöpflich ist Chamberlayne in der Zeichnung des auf- gehenden Tages und der hereinbrechenden Nacht, anziehend auch durch den Ausdruck der Gefühle, obwohl von Charakteristik der Menschen nicht viel zu bemerken ist. Diese großen Vorzüge werden durch die Sorglosigkeit des Dichters beeinträchtigt, der seine eigenen Personen durcheinander wirft und in geographischer Hinsicht eine greuliche Kon- fusion walten läßt, besonders aber durch den Stil, dessen Undurchsich- tigkeit den Leser oft in äußerste Bedrängnis versetzt.

Vorbild ist ihm weder Ariost noch Spenser gewesen, überhaupt wird sich ein solches kaum entdecken lassen. Saintsbury denkt an die Aethio- pika^ einen griechischen Roman des Heliodoros, wahrscheinlich aus der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts n. Chr. Der Gegenstand ist in der Tat sehr ähnlich, aber der griechische Roman ist viel kunstvoller aufgebaut und läßt, worin er sich am meisten von der Pharonnida unterscheidet, die Ereignisse durch göttliche Fügung verkündet und geleitet werden. Bei Chamberlayne gibt es einige Gebetserhörungen, sodann versammeln sich vor Pharonnida's letzter Gefahr die guten Engel, die von unverstän- digen Menschen Verstand genannt werden, zum Rat und geben Argalia s Gedanken die geeignete Richtung, und endlich kann die wundersame Höhle erwähnt werden, in der Argalia das Orakel über sein Schicksal erhält. Sonst ist von Wunderbarem nicht viel zu spüren. In der nicht seltenen, schönen Zeichnung der Personifikation abstrakter Begriffe, wie der Tugend, des Schweigens usf. geht Chamberlayne nicht einmal so weit wie Homer; diese Wesen greifen nie handelnd ein.

Für seine Kenntnis Homers sprechen nicht sowohl einzelne Reminis- zenzen, die indirekt vermittelt sein können, als vielmehr eine bestimmte Szene. Nach langer Gefangenschaft kehrt Ismander in Gesellschaft anderer Geretteter in sein Schloß zurück, wo Dienerschaft und Gemahlin ihn als einen Verlornen betrauern. Zeit und Haft haben ihn so verändert, daß auch die anhänglichen Diener ihn nicht erkennen. Nur ein Hühnerhund, einst sein Liebling, gibt lebhafte Freude zu erkennen. Das sieht ein alter Knecht, der sein ganzes Leben in der Familie zugebracht hat; er ahnt die Wahrheit mehr, als er sie wirklich entdeckt, und eilt zu seiner Herrin Amida, die sogleich, im Widerstreit von Furcht und Hoffnung, dem Gast entgegeneilt. Der erste Blick enthüllt ihr Ismander trotz seiner rauhen

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Tracht, und die Gatten feiern eine Wiedervereinigung, die ihnen höhere Freude bringt als die erste Hochzeit selbst. Bei frohem Mahl erzählt Ismander seine Geschichte. Es ist unmöglich, hier den Einfluß der Odyssee zu verkennen.

Wenn wir bei keinem der erwähnten Dichter Wirkungen der wissen- schaftlichen Poetik finden, so läßt sich für Chamberlayne positiv nach- weisen, daß er Aristoteles nicht gekannt hat. Zweck des epischen Gedichtes ist ihm die Aufmunterung der Leser zu großen Taten, die allein den Nach- ruhm verbürgen. Auf Pharonnida's schöner Insel lassen sich die Liebenden Dramen vorspielen. Sie sehen eine muntere Komödie die Sünden verderbter Zeiten entfalten, oder es erhebt eine erhabene Tragödie ihre Gedanken und lenkt zu verschiedenen Leidenschaften, Trauer und Entzücken, sorrow and delight; also nicht zu Mitleid und Schrecken.

Diese glückliche Unbefangenheit nimmt um die Mitte des 17. Jahr- hunderts ein Ende. Ab rahamCowley's Gedicht Davideis, begonnen 1 636^ gedruckt 1656, zeigt enge Bekamitschaft mit der antiken und modernen Kritik. Rymer schreibt dem Dichter ein glückliches Talent zu, weil er die Tugenden Homers und Virgils gekannt und angewendet habe, beklagt aber die Wahl des Stoffes, da sich ein biblischer Gegenstand für ein Epos überhaupt nicht eigne, und nach andern aus Aristoteles und Rapin her- geholten Gesichtspunkten. Hier steckt aber der Fehler des Gedichtes nicht. König David würde sich ganz gut zum epischen Helden eignen. Auch ging die Kunst der Erzählung Cowley nicht ab, wie die Schlacht Jonathans mit den Philistern beweist; aber er hat nicht erzählen wollen.

So bekannt es seit Johnson's prächtiger Biographie Cowley's ist, daß dieser der Richtung angehörte, die man in Italien Marinismus nannte, so hat doch meines Wissens noch niemand gesehen, daß die Davideis eine Nachbildung des Adone ist, seltsam genug freilich für ein Sacred Poem. Das verrät sich gleich im Anfang. Die Versöhnung Sauls mit David hat den Satan zornig gemacht, der nach seinem Fall nur noch den Trost hat, die Menschen zu verderben. Die Rede, die der Satan an die Höllen- geister hält, lehnt wahrscheinlich an Yida an. Aber nach derselben erbietet sich die Eifersucht, Envy, Saul aufs neue gegen David zu reizen. Sie erscheint jenem im Traum, und nachdem sie ihn aufgestachelt hat, setzt sie ihm eine Schlange in den Busen, wie im Adone die Gelosia dem Mars. Dem Beginn entspricht der Fortgang. Der ganze Aufbau des Gedichtes ist nach Marino gestaltet. Eine mehr als dürftige Haupt- handlung, der Inhalt weniger Kapitel des ersten Samuelsbuches, wird durch eine Menge von Beschreibungen, eingestreuten Erzählungen, aus- gekramter Gelehrsamkeit und Reflexionen aller Art auf vier Bücher mit

Cowley Davenant 285

über 4000 Versen ausgedehnt. Es ist wohl zu begreifen, daß Cowley den Plan, das Gedicht gleich der Aeneis auf zwölf Bücher zu bringen, fallen lassen mußte; denn schon für die Füllung des Vorhandenen hatte er das Alte Testament fast ganz ausgeplündert, und wenn er stilge- recht fortfahren wollte, mangelte ihm das Material. An Schönheiten im Einzelnen fehlt es dem Gedichte nicht; anziehend ist vor allem die Liebesgeschichte Davids, und Michals, gut gelungen auch manches Gleichnis.

Die Kenntnis Homers zeigt sich überall, allerdings nur in einzelnen übernommenen Versen und in gelehrten Anmerkungen, in denen der Dichter Einzelheiten seiner Technik rechtfertigt und sich gelegentlich mit Scaliger auseinandersetzt. Die Rücksicht auf die literarische Kritik des Auslandes tritt nicht stark hervor, weil Cowley's V^erk durch das Vorbild Marino's beherrscht ist. Aber sie hält hier doch ihren Einzug in die englische Poesie, und das bedeutet eine entscheidende Wendung, gewiß nicht eine zum Guten.

Volle Vertrautheit mit den früheren Epikern wie mit der Kritik zeigt William Davenant in seinem 1651 zur Hälfte vollendet er- schienenen Epos Gondibert und der Thomas Hobbes gewidmeten Vor- rede dazu. Der königstreue Cavalier und der Philosoph lebten damals in Paris, und es kann als sicher gelten, daß Frankreich, wo seit Ronsard und Vauquelin die Schöpfung des neuen epischen Gedichtes lebhaft er- wogen wurde, dem Dichter viele Anregung gegeben hat. Um so auf- fallender und erfreulicher ist die große Selbständigkeit Davenant's. Nicht nur ist der Gondibert früher als irgend ein französisches Epos dieser Zeit, sondern der Dichter hält sich von Vorbildern und Vorschriften so frei als möglich. Er sieht in der Imitation, d. h. in der Nachahmung fremder Muster, den vornehmlichen Grund dafür, daß die Dichter nicht weiter gekommen sind. Homer steht ja auf dem Dichterhügel wie eine ragende Seemarke, nach der die Leute in alter Zeit steuQften, und er sollte von dieser Höhe nicht entfernt werden, damit die Nachwelt nicht vermessen einen falschen Kurs einschlage. Gleichwohl finden manche, die beobachtet haben, daß seine Nachfolger es nur zu einer vollendeten Nachahmung brachten, eine solche Seemarke helfe denen nichts, die in weite Meere auf Entdeckungen ausfahren, und er sei kein Führer für Leute, welche die Abhängigkeit von der Autorität eines Musters für unwürdig halten. Der größte Vorwurf, den man nach Davenant's Meinung Homer machen kann, ist die Einmischung der Fabeln in die Wahrscheinlichkeiten seiner Gedichte, und gerade diesen Fehler haben die meisten seiner Nachahmer wiederholt. Die Nachahmung hat sie ver-

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hindert weiter zu kommen, obwohl anerkannt werden muß, daß der Trieb zur Nachahmung uns von der Natur eingepflanzt scheint. Wenn also ein Dichter wie Davenant mit eigenen Mitteln an einem neuen Plan ge- arbeitet hat, so ist er für Nichtbeachtung seiner Vorgänger nicht mehr verantwortlich, als es Gesetzgeber gegenüber alten Gesetzen sind, die sie selbst abgeschafft haben.

Was Davenant von den Franzosen am meisten unterscheidet, ist die Ablehnung aller übernatürlichen Faktoren. Von diesem Gesichts- punkte hauptsächlich geht seine Kritik der früheren Dichter aus, die zu- erst vorsichtig in die Form fremder Anklagen gehüllt ist und erst in den Urteilen über Tasso und Spenser als Davenant's eigene Meinung auftritt. Die alten Dichter mag die Absicht entschuldigen, dem Volke die Religion vorzutragen, obwohl durch die übersinnlichen Personen der Nutzen für die Belehrung abgeschwächt wird. Aber für christliche Dichter gibt es keine Entschuldigung. Tasso hat den Himmel zum Abbild eines irdischen Fürstenhofes erniedrigt und durch Beschreibung der Hölle wei- bischen Aberglauben verpflanzt und vermehrt; und Spenser's moralische Visionen sind eine Reihe von Fieberträumen, wie sie überarbeitete Maler und Dichter befallen, ohne bedeutenden Wert für die Nutzanwendung auf die Menschen.

Selbständig wie den Mustern steht Davenant der Kritik gegenüber. Mancher Gedanke der Preface erinnert an Aristoteles, aber alles ist neu motiviert. Dasselbe gilt von den Anlehnungen an die Discorsi Tasso's, mit dem er darin übereinstimmt, daß der Stoff christlich, und zeitlich und räumlich von uns entfernt sein müsse. Dagegen verwirft er die histo- rischen Gegenstände. In der Form soll das englische Drama Vorbild sein, weil dieses die Geschichten am angenehmsten und belehrendsten dargestellt hat. Wie das Drama in Akte und Szenen, so soll der Gondibert in fünf Bücher, diese wieder in Gesänge zerfallen. Die äußere Form ist eine vierzeilige Stanze, die sich von da an eine Zeitlang großer Beliebtheit er- freute. Davenant schmeichelte sich mit der Hoffnung, es könnten die Gesänge einzeln vorgetragen werden, wie es mit denen Homers geschehen sei, bevor Peisistratos sie in das große Ganze zusammenfaßte.

Wohl hat Davenant als die Triebfeder seines Schaffens das Verlangen nach Ruhm genannt; aber es lag ihm offenbar etwas anderes noch näher am Herzen. Die breiten Ausführungen über die Wichtigkeit der Poesie für die Belehrung des Menschen sind gewiß nicht eine einfache Wieder- holung herrschender Anschauungen, sondern enthüllen das innerste Motiv des Dichters. Der in der Fremde lebende Cavalier sinnt erbittert darüber nach, woher es kommen möge, daß die Geistlichkeit so wenig als die

Davenant Hobbes 287

hohen militärischen, politischen und juristischen Würdenträger es ver- standen haben, im Volke den Geist des Gehorsams aufrecht zu erhalten^ Außer vielen Fehlem, die sie begehen, erblickt er die Hauptursache ihrer Mißerfolge in der Verachtung der Poesie. Jenen Männern, die durch Ge- burt und Geist hervorragen, will er ein Vorbild zeichnen, von dem sie lernen mögen. Darum nimmt er den Stoff aus Hof und Feldlager und wählt von den Leidenschaften die ritterlichen aus, Ehrgeiz und Liebe. An das gewöhnliche Volk wendet er sich nicht; für dieses passen Gesetze- besser als Poesie; aber es kann doch am Vorbild der durch den Dichter belehrten Großen auch selbst etwas lernen.

Der Beginn des Gedichtes ist ungelenk, weil Davenant die Haupt- personen breit beschreibt, statt sie handelnd einzuführen; aber gleich vom Beginn des zweiten Gesanges an wird die Darstellung lebhaft, manchmal spannend. Mit Geschick wechselt der Dichter den Schauplatz zwischen dem Langobardenhof des Aribert in Verona und den Feldlagern in Brescia und Bergamo. Nach und nach treten inunermehr Personen ein; die Fäden der Handlung verwickeln sich. Wo die Lösung beginnen sollte, genau in der jVütte des Gedichtes, bricht dieses ab. Das ist schade, denn man ist im Interesse des Dichters darauf gespannt, ob der Held Gondibert schließlich von der schönen Königstochter Rhodalind erobert werden oder seiner schlichten Birtha treu bleiben wird, und ob sich die Pläne der ehr- geizigen Gertha verwirklichen werden. Der unvollendete Zustand des Ge- dichtes trägt wohl die meiste Schuld daran, daß es nicht stärker wirkte;, denn an belebten Szenen und psychologisch interessanten Situationen ist es nicht arm, leidet dagegen an zu vielen Reflexionen, obwohl diese in Beden untergebracht sind.

Aus der Antwort j die Hobbes auf die Preface gab, und die in kur- zen Zügen ein System der Poesie enthält, ist für uns besonders die Be- grenzung der poetischen Freiheit durch die Forderung der strengsten Wahrscheinlichkeit hervorzuheben. Bei Homer und Virgil, sagt Hobbes,. entfernten sich die Erfindungen nicht zu sehr von ihrem Glauben. Heute darf ein Dichter wohl über das hinausgehen, was in der Natur wirklich vorkommt, nie aber über das, was in ihr als möglich gedacht werden kann. Die Antwort ist im übrigen voll von Komplimenten für den Gon- dibert, der ebenso lange dauern würde wie Ilias und Aeneis, wenn nur die modernen Sprachen so unveränderlich wären wie die alten.

1673 ließ Hobbes eine Probe seiner Ühersetzung der Ilias erscheinen,, mit einer Vorrede The virtue of an heroic poem. Der Phantasie ist hier ein größerer Spielraum zugewiesen als in dem starr rationalistischen System der Antwort, und neben der moralischen Aufgabe der Poesie kommt

2SS England

auch die erfreuende zu ihrem Recht. Den Erörterungen über die Vorzüge eines Epos liegen die Vorschriften des Horaz zugrunde. Hobbes faßt sie in dem Wort Discretion zusammen, d. h. es hat jeder Teil des Gedichtes, in richtige Ordnung gestellt, zu der Absicht und dem Plan des Dichters beizutragen. Vom Gleichnis verlangt Hobbes die eingehendste Überein- stinmiung mit dem verglichenen Gegenstand, wodurch dieser allein richtig ins Licht gesetzt werde. Die aufgestellten Grundsätze kommen sodann bei der Vergleichung von Homer, Virgil und Lucan zur Anwendung. In der Erfindung ragt Homer über alle empor, denn die Einführung der Götter ausgenommen sind seine Gedichte nur ebenso viele Geschichten in Versen. Sie enthalten das ganze Wissen seiner Zeit und haben der an- tiken Bühne alle ihre Stoffe geliefert. Homers Überlegenheit im Gleich- nis hat Virgil selbst dadurch anerkannt, daß er die homerischen Gleich- nisse übernahm. Wenn er da und dort ausschmückte oder selbst einzelne bessere Bilder fand, so ist das noch kein Beweis für seine Überlegenheit. Auch ist es ganz falsch, zwei ähnliche Gleichnisse der beiden Dichter nach ihrer Schönheit gegeneinander abzuwägen; man muß vielmehr fragen, ob sie den nämlichen Gegenstand illustrieren wollten, und wenn dies nicht der Fall ist, hört jede Vergleichung auf. Auch in der Fülle und Mannigfaltigkeit der Schilderungen haben schon die Alten dem Homer mit Recht den Vorzug gegeben, und es ist seltsam, daß ein paar Neuere, die doch das Griechische erst lernen mußten, dem Urteil so vieler kom- petenter Richter zu widersprechen wagten. Hier ist Scaliger gemeint, der kurz vorher zitiert worden ist. Die Übersetzung, fügt Hobbes hinzu, habe er gemacht, weil er nichts anderes zu tun hatte, und publiziert, um den Witz der Gegner von seinen ernstem Werken abzulenken und auf seine Verse zu hetzen, wo sie ihre Weisheit zeigen könnten. Dryden hat die Übersetzung, die beide Epen umfaßt, mit Grund kahl genannt und gesagt, Hobbes habe eben die Poesie wie die Mathematik zu spät studiert. Es ist wirklich kaum eine Spur von poetischem Schwung darin. Gleichwohl hat sie mehrere Auflagen erlebt. Gefaßt ist sie in die Stanze Davenant's.

Der Übersetzung von Hobbes war 1660 eine von Ogilby voraus- gegangen, die ich nicht gesehen habe. Dryden nennt seine Übersetzungen eine direkte Beschimpfung der Originale und glaubt gern, daß Leute, die kein Griechisch verstehen, nicht begreifen können, daß das nun die ge- feierten Muster sein sollen.

Gepanzert und gewappnet, gleich Athene aus "dem Haupte des Zeus, irat Miltons unsterbliches Gedicht The Paradise Lost auf den Plan. JEs fehlen Einführung und Vorrede, jede Auseinandersetzung mit Vor-

Hobbes Milton 289

gängern oder Zeitgenossen. Miiton hatte früher da und dort eine Be- merkung kritischer Art gemacht, den Studierenden Aristoteles, Horaz und deren italienischen Kommentatoren empfohlen, um ihren Geschmack zu reinigen und zu heben, und vor Beginn seines Werkes hatte er Tasso studiert. Im übrigen zeichnet das Gedicht Milton's formalen Standpunkt deutlich genug; Reim und Stanze sind verworfen, es herrscht der Blank- vers in unvergleichlicher Vollendung.

Davenant hatte Tasso's übersinnliche Gewalten abgelehnt, und nicht lange nach dem Erscheinen des Paradise hatte sich Boileau gleich ver- werfend ausgesprochen. Mit Unrecht hat man Milton's Gedicht eine Wider- legung Boileau's genannt. Gegenüber den Dichtern von Tasso bis Davenant behält dieser vollkommen Recht. Aber bei Milton tritt etwas Neues, Un- erhörtes ein. Mit der echten Freiheit des Christenmenschen macht er die Gestalten seines Glaubens zu den eigentlich handebiden Personen seines Gedichtes. Der Satan ist nicht ein imgrunde ohnmächtiger Widersacher Gottes, sondern eine so eigenartige, bis ins einzelnste charakterisierte Kraftgestalt, daß ihn Dryden geradezu für den Helden des Epos erklären konnte. Richtiger hat Addison gesehen, wenn er Dryden entgegenhält, Milton habe überhaupt keinen Helden gewollt; es wäre denn, fügt er nicht eben glücklich hinzu, der Messias.

Das eigentliche Thema ist, wie Titel und Einleitung besagen, der Fall des Menschen. Über sein Werk spricht sich der Dichter vor der Erzählung der Versuchung aus. Sein Stoff erscheint ihm heroischer als die Wut des grimmen Achilleus, der seinen Feind dreimal um die Mauern Trojas jagte, größer als der Grimm des Turnus, als der Zorn des Poseidon und der Juno, der den Odysseus und Aeneas so lange in die Irre trieb. Nicht Kriege sollen dargestellt werden, die bisher als ein- ziger Stoff des Epos galten, und wo die Dichter ihre Meisterschaft darin zeigten, mit langem und langweiligem Gemetzel in erfundenen Schlachten erdichtete Ritter zu zerhauen, .während die edleren Tugenden und das heroische Martyrium unbesungen blieben. Auch ritterliche Spiele und Feste zu schildern sei nicht seine Gabe. Solche künstliche Geschick- lichkeit vermöchten weder dem Helden noch dem Gedicht den Charakter des Heldentums zu verleihen. Sein Stoff dagegen erhebt sein Gedicht von selbst zur heroischen Würde. Den der hohen Aufgabe würdigen Stil gibt ihm seine himmlische Muse ein, die ihn ungerufen nächtlich besucht und seine Verse inspiriert.

Ob die Anlage des Paradise durch Odyssee und Aeneis, oder auch durch die Vorschriften des Horaz beeinflußt sei, möge dahingestellt bleiben. Jedenfalls verdankt es seine Geschlossenheit dem echt künstlerischen Ge-

Finsler: Homer in der Neuzeit, 19

290 England

danken, den Abfall der Engel und die Schöpfung als Erzählungen Gabriels und Adams in die Mitte zu rücken. Dagegen ist der Einfluß Homers in wesentlichen Punkten deutlich erkennbar, so gleich im Eingang mit der Anrufung der Muse, der Angabe des Themas, der Frage nach der bewegenden Ursache und dem Übergang zur Erzählung. Die Aufzählung und Schilderung der bedeutendsten Teufel ist durch den Schiffskatalog veranlaßt und für den Fortgang der Handlung nicht von Belang, außer- dem stark mit alttestamentlicher Gelehrsamkeit beschwert. Für die große Vision der letzten Bücher dagegen, welche die Geschichte des Menschen- geschlechts darstellt, und an deren massigem Stoff selbst Milton's Kraft erlahmte, ist Homer nicht verantwortlich; hier herrscht der Einfluß der Italiener.

Aus Homer stammt das Bild von der Schicksalswage, in der Gott alle Ereignisse wägt, und die er aushängt, um zu entscheiden, ob zwischen Gabriel und Satan Kampf ausbrechen solle oder nicht. Die Wage ist nicht so verwendet wie in der Ilias vor Hektors Fall, wo Zeus das Schick- sal befragt, sondern so wie vor der Schlacht des achten Buches. Hier weiß Zeus den Ausgang ebensogut voraus wie Gott bei Milton und braucht die Wage nur, um die Unabänderlichkeit seines mit dem Schick- sal identischen Willens zu verkünden.

Der Kampf gegen die abtrünnigen Engel verläuft in drei Stufen und drei Tagen. Der erste Tag bringt eine im ganzen wie im einzelnen vollkommen homerisch aufgebaute Schlacht. Deren Schluß bildet der durch Rede und Gegenrede eingeleitete Kampf zwischen Michael und dem Satan, dessen Verwundung und Heilung der des Ares nachgebildet sind. In den Kämpfen der folgenden Tage ist Homer nicht mehr Vorbild, weil der Dichter für die Entscheidung gewaltigerer Mittel bedurfte. Die schwüle Liebesszene nach dem Sündenfall gestaltet Milton nach der Berückung des Zeus. Homerische Gedanken sind es, daß den Geknechteten mit der Freiheit auch die Tugend verloren gehe, und daß Gott unter den Menschen wandle, um ihre Taten zu betrachten. Vor allem aber hat Milton manches aufgenommen, was Homer von den Kritikern zum Fehler angerechnet worden ist. Wie viele hatten sich in alter und neuer Zeit über die Götter aufgehalten, die gleich Menschen schlafen, schmausen und Feste feiern. Nun läßt Milton, dem wohl niemand Mangel an Ehrfurcht vorwirft, Gabriel dem Adam von dem großen Feste erzählen, das der Empörung Satans voranging. „Auch wir", sagt Gabriel, „haben unseren Abend und Morgen, nicht weil wir das nötig hätten, sondern weil der Wechsel Vergnügen macht." In der prächtigen Schilderung des Festes und der nachfolgenden Nachtwache, ist der homerische Olymp ganz unbefangen

Milton Bunyan 291

ins Christliche übersetzt, lebenswahr und doch so, daß wir das Bewußt- sein, Poesie, nicht Glauben vor uns zu haben, nie verlieren.

Am nächsten steht Milton dem Homer in der Gestaltung des Gleich- nisses. „Nie verläßt er", sagt Addison, „sein Gleichnis, bevor er sich zu einem großen Gedanken erhebt, der oft der Gelegenheit, die es veranlaßte, fremd ist. Die Ähnlichkeit bleibt vielleicht eine oder zwei Zeilen lang, aber der Dichter fährt im Gleichnis fort, bis er ein glorreiches Bild oder Gefühl daraus hat emporsteigen lassen, das den Geist des Lesers ent- flammt und ihm die erhabene Art von Unterhaltung gewährt, die dem Epos angemessen ist." Wer Homer und Virgil kenne, werde sich an Milton's Gleichnissen erfreuen; unwissende Leser dagegen, die ihren Ge- schmack an den affektierten Gleichnissen und Wendungen des Witzes, terms of wit, der modernen Poesie gebildet haben, könnten an diesen Schönheiten keinen Gefallen finden. Verdorbener Geschmack sei auch der Grund gewesen, warum Perrault die homerischen Gleichnisse ins Lächerliche gezogen habe.

Aus dem Paradise Begained ist für uns die Partie wichtig, wo der Versucher Jesus auffordert, sich die Kunst und die Weisheit der Heiden zu eigen zu machen. Hier leiht der Dichter dem Satan seine eigenen Gedanken. Wärmer ist nie über das Altertum, prachtvoller nie über die Tragödie gesprochen worden. Die Ablehnung Jesu mit dem Preise der hebräischen Poesie als der einzig wahren und der herben Kritik der an- tiken Dichter offenbart in Milton's Seele den nämlichen schweren Kon- flikt, den Piaton durchzukämpfen hatte. Beiden schien das Gottesreich den Verzicht auf die geliebte Poesie zu fordern.

Das Verlorene Paradies ist zuerst von Dryden mit Jubel begrüßt worden. In einem berühmten Epigramm erklärt er, Homer rage durch Erhabenheit, Virgil durch würdige Anmut hervor, die Kraft der Natur aber, die nicht weiter gehen konnte, habe in Milton beide vereinigt.

Mit der Nennung Dryden's treten wir in eine Zeit ein, da in den Kreisen des Hofes Karls H. die kritischen Anschauungen der Franzosen Raum zu gewinnen begannen. Dem großen Publikum wurden sie wesent- lich durch das Theater vermittelt, das sich langsam dem Klassizismus erschloß. Doch hielten weite Kreise die altenglischen Ideale aufrecht. Nicht nur blieb Dryden sein Leben lang der Verehrung für Shakespeare treu: die moralische Allegorie Spenser's feierte einen vollen Triumph in John Bunyan's TJw Filgrim's Progress, zuerst 1678 erschienen, einem Buche, das zu den moralischen Bestrebungen des folgenden Jahrhunderts die Brücke bildet. Aber in den Hofkreisen drangen die Poetiken des Aristoteles und Horaz ein, zugleich Boileau, Le Bossu, Rapin und Dacier's

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Kommentar zu Horaz. Doch fehlte der Widerspruch nicht. Als ein solcher darf Edward Phillips' 1675 erschienenes Theatrum poetarum Anglicorum angesehen werden, das den Engländern ihre poetische Ver- gangenheit ins Gedächtnis rufen will. Denn, so denkt PhilUps, was in Kunst und Wissenschaft einst schön und gut war, fährt immer fort es zu sein. Er findet eine belustigende Laune darin, daß die Engländer nicht nur französischer Mode, sondern auch französischer Musik und Poesie willfahrig sein sollen. Neben den Dichtem der eigenen Nation stellt er als Muster die Alten auf, daneben, besonders der Form wegen, die Italiener.

Da Phillips Milton's Neife war, haben viele geglaubt, in den Er- örterungen über Poesie die Hand des Dichters wahrnehmen zu können. Saintsbury bezweifelt das und nimmt nur an, daß der Umgang mit Milton auf die Anschauungen des Neffen von Einfluß gewesen sei. In Phillips' Preface ist nur ein einziger neuer Gedanke ausgeführt, aber einer von höchster Bedeutung, die Verkündigung des poetischen Genies. Geist, Scharfsinn, Gewandtheit im Verse, selbst Schönheit der Sprache machen das wahre Wesen der Poesie nicht aus. Dieses besteht in einem Duft, einem Hauch, den kein Studium, kein Fleiß geben kann, und den die genaueste Befolgung der Regeln nicht ersetzt. Diese poetische Energie, die allem andern Leben gibt, kann aus rauher und ungefeilter Hülle leuchten wie bei Spenser und Shakespeare und bei den verfeinertsten Erzeugnissen fehlen. Daß Milton so dachte, ist nicht zu bezweifeln: aber auch Dryden verficht diese Anschauung, und zwanzig Jahre früher hatte Bogan von dem in jedem außerordentlichen Genie wirksamen göttlichen Geiste gesprochen.

Phillips' Erörterung über das Epos lehnt an Aristoteles, Horaz und Tasso an und bietet nichts Besonderes. Den Hauptinhalt des Buches bildet die Vorführung einer stattlichen Menge von Dichtern und ihrer Werke, zuweilen mit kritischen Bemerkungen.

Ein Jahr früher, 1674, hatte Thomas Rymer Rapin's im Original bereits bekannten Reflexions sur la poetique ins Englische übersetzt, in der ausgesprochenen Absicht, den aristotelischen Grundsätzen in England Geltung zu verschaffen. Wie er in der Vorrede ausführt, haben nämlich die Engländer nicht geringere poetische Fähigkeiten als andere Völker; so übertreffen ihre Dichter in der Schilderung der Nacht alles Dagewesene. Was ihnen bisher abging, ist die Kenntnis der Regeln. Von diesem Gesichtspunkte aus werden nun die englischen Epiker der Reihe nach abgekanzelt. Die Fehler, die ihnen vorgehalten werden, bestehen im Wesentlichen in Abweichungen von den aristotelischen Regeln: bei

Phillips Rymer Roscommon Buckingham 293

Spenser und Davenant in dem Mangel an Wahrscheinlichkeit, bei Cowley in der Wahl eines historischen Stoffes und dem geringen Hervortreten des Haupthelden, der eigentlich gar nicht handelt. Das steht, sagt Rymer, ganz im Gegensatz zu Homers Kunst. Homer beginnt nur mit einem einzigen Zuge seines Helden, dem Zorn; aber da dieser Himmel und Erde in Mitleidenschaft zieht, läßt uns Homer in ihm die ganze Größe des Achilleus ahnen. Da er so wenig verheißt, wird die Ausführung bewun- dernswerter und überraschender. Bei Cowley haben wir gleich zu Anfang den ganzen Helden, und der Dichter kann nichts tun als unsere Vor- stellung von diesem aufrecht erhalten. Hier verrät sich der Einfluß Castelvetro's.

Mit Rymer war das Programm des modernen Klassizismus auch für England aufgestellt: Unterwerfung unter die Regeln und Nachahmung der Alten, für die Epiker Homers. Für das Drama ist später Rymer's Wirksamkeit noch viel verhängnisvoller geworden.

Des Horaz Ars Poetica übersetzte der Earl of Roscommon, der 1680 auch den Essay on translated verse veröiffentlichte. Er will die englische Literatur durch Übersetzungen der Alten bereichert wissen; vor allem sieht man deutlich, daß er einen englischen Virgil wünscht. Denn Homer ist ihm um der zankenden Helden und unwürdigen Götter willen nicht sympathisch, aber er will darüber schweigen, um seine Meister Virgil und Horaz, die Homer geliebt haben, nicht zu erzürnen. Der in hübschen Versen geschriebene Essay ist darum beachtenswert, weil Ros- common vom Übersetzer dieselbe Vertiefung, Hingabe und Begeisterung verlangt wie vom Dichter selbst.

Die erste kleine englische Poetik schrieb John Sheffield, Duke of Buckingham, 1682. Der Essay on Poetry lehnt an Boileau an und ist mit allerlei Kritik der englischen Schriftsteller erfüllt. Im Epos, mit dem das Büchlein schließt, findet der Verfasser nur -zwei untadelhafte Muster, Homer und Virgil. Beim Preise Homers verläßt ihn alle kritische Schärfe: „Einmal Homer zu lesen läßt alle andern Bücher ärmlich und gering, ihre Verse als Prosa erscheinen; man fahre fort zu lesen, und Homer wird das einzige Buch sein, dessen man bedarf." Nun würde aber, so heißt es dann leider, die Welt auf dieses Wunderwerk der Kunst mit der verständnislosen Bewunderung von Indianern geblickt und nicht ge- hofft haben, unterwiesen, sondern nur begeistert zu werden, wären uns nicht durch Le Bossu die Geheimnisse Homers nach Inhalt und Form erschlossen worden. Ihm müsse ein Engel den Faden durch dieses Laby- rinth gegeben haben. Wer aber werde mit dem richtigen Urteil, gleich Virgil, den vorgezeichneten Weg gehen? Er müßte Tasso's hohen Flug

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überbieten und Erfolge haben^ wo Spenser und selbst Milton fehlgegangen seien.

Als 1706 Rapin's sämtliche Werke, Yon verschiedenen übersetzt, her- ausgegeben wurden, konnte in der Vorrede auf den großen Einfluß hin- gewiesen werden, den diese Schriften in den letzten dreißig Jahren aus- geübt hatten. Le Bossu's Ansehen hat sich weit ins 18. Jahrhundert hinein behauptet. Wenn die literarische Kritik Englands nicht in Regel- zwang unterging, so ist das vor allem das Verdienst Dryden's.

Während Davenant und Hobbes die Richtschnur der Poesie nur in in der Vernunft, und zwar in ihrer eigenen, gesucht hatten, sj^ürt man in der Vorrede zu Dryden's erstem größeren Gedichte, dem 1667 erschie- nenen Ännus Mirabilis, eine gewisse Wirkung der ausländischen Theorie. Dryden will nämlich sein Gedicht historisch, nicht episch nennen, ob- wohl Handlung und Handelnde so heroisch seien wie nur in irgend- einem andern. Aber die Handlung sei nicht vollkommen einheitlich und nicht in den letzten Erfolgen durchgeführt. Das ist aber auch die einzige Konzession Drydens an die Regeln. Für das heroische oder historische Gedicht lehnt er das lehrhafte Moment fast ganz ab. Anmut, Anschau- lichkeit, glückliches Auffassen des Gedankens, dessen Verwertung durch die Phantasie und Anpassung an den Gegenstand in richtigem Ausdruck, das ist es, was das Epos leisten soll. Hier zeigt sich schon der ganze* Dryden, wie er bis an sein Ende war. Er läßt sich von gut geformten Definitionen und Regeln imponieren, wie in dieser Vorrede von der Auf- fassung der Poesie bei Davenant und Hobbes. Den Franzosen und ihren englischen Verehrern ist er später oft mehr als billig entgegengekommen. Aber wo er selbst zu Worte kommt, da erweist er sich als selbständigen, klaren, überlegenen Geist, der für den Dichter Freiheit fordert, dem die oberste Aufgabe der Poesie die Erweckung des Vergnügens ist, uud dem auf das poetische Genie unendlich mehr ankommt als auf alle Theorien.

Der Ännus Mirabilis, der in der Stanze Davenant's gedichtet ist, und in welchem Dryden dem Virgil gefolgt zu sein angibt, behandelt die Ereignisse des Jahres 1666, den Seesieg über die Holländer und den großen Brand von London. Verbunden sind die zwei Teile höchstens durch die Rettung der Schiffs magazine durch einen Engel, die an die Seesiege des ersten Teiles erinnert. Hier stören die vielen maritimen Ausdrücke, auf die sich Dryden nicht wenig zugute tat, im zweiten Teil die Schmeicheleien gegen den König. Die historische Wirklichkeit ist ungefähr so behandelt wie bei Basini. Aber das Gedicht ist pracht- voll, in der gesamten Führung wie in der Einzelschilderung, großartig vor allem das Feuer von London, das sein eigenes Leben bekommt

Dryden 295

und wie ein Feindesheer daherstürmt. An Homer, der in der Vorrede nicht genannt wird, erinnern einige Verse. Die Gleichnisse dagegen sind wie bei Shakespeare mit möglichst weitgehender Parallelisierung durch- geführt.

Bald nach dem Annus Mirabilis trat Dryden an den Versuch heran, ein Drama nach dem Muster des Epos zu schaffen, ein Heroic Play, im Gegensatz zu Davenant, der das Epos zum Abbild des Dramas gemacht hatte. Die herrschenden Affekte sollten die nämlichen sein wie dort, Tapferkeit und Liebe. Dann sollte das Drama den schönsten Schmuck des Epos, die Götter und Geister, übernehmen, wobei nichts darauf an- komme, ob man sie glaube, sondern nur darauf, daß sie möglich und daher nicht naturwidrig seien. Das erste und für uns wichtigste dieser Dramen ist der Conquest of Granada 1672, dessen Helden Almanzor Dryden nach Achilleus, Rinaldo und Calprenede's Roman Artaban zeichnen will. An den Gestalten Homers und Tasso's schätzt er es besonders, daß sie neben dem von den Franzosen übertrieben hervorgehobenen Ehren- punkt auch menschlicher Leidenschaften und Schwächen fähig sind. Der Held sollte indessen gegenüber dem König, der ihn beleidigt, keinerlei Vasallenpflichten haben, sondern sich den Verteidigern Granada's ganz frei anschließen, damit auf ihn nicht ein Tadel falle wie auf Achilleus und Rinaldo, wenn er infolge der Kränkung dem König den Rücken wendet. Von dieser Freiheit macht Almanzor denn auch ausgiebig Ge- brauch und tritt bald dieser, bald jener Partei bei, immer mit ausschließ- licher Rücksicht auf seine Ehre und seine Liebe.

Der große Stoff mußte in zwei fünfaktige Dramen zerlegt werden, die mehrere Handlungen verknüpfen. Die Darstellung ist spannend, die Charaktere, vor allem Almanzor und die Königin Almahide, vorzüglich durchgeführt. Die Geister spielen eine wesentlich bescheidenere Rolle als in den späteren Stücken.

In der Folge hat Dryden homerische Gestalten nicht mehr in freier poetischer Tätigkeit verwendet, wohl aber sich noch mehrfach über Homer ausgesprochen. Zuerst geschieht das in der Apology for heroic poetry and poetic licence 1674, der Einleitung zu dem Versuch, Milton's Paradies in ein Musikdrama umzuwandeln. Nirgends hat Dryden so kräftig die Freiheit des Dichters verteidigt, nirgends der Kritik so feste Schranken gezogen. Nicht Fehler hat sie aufzusuchen; Aristoteles hat sie eingesetzt als Richt- maß für gutes Urteil, dessen wesentlicher Teil in der Beobachtung der Vorzüge besteht, die einen verständigen Leser erfreuen können. Diesen Gedanken finden wir später bei Swift, Addison, Spence und andern wieder. Wenn, fährt Dryden fort, Plan, Ausführung und Darstellung von wahrem

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poetiscliein Genius zeugen, so kommt es auf Kleinigkeiten nicht an, wie ja schon die Schrift vom Erhabenen das Genie bei allen Fehlem der korrekten Mittelmäßigkeit vorgezogen hat. Homer und Virgil, die an- erkannten Meister in der obersten poetischen Gattung, dem Epos, haben die herbsten Methaphem, die stärksten Hyperbeln. Die beste Autorität ist hier das beste Argument: die Billigung so vieler Zeitalter hat die Kraft einer Tradition. Eine Berufung von dieser auf die Vernunft vermag erst etwas, wenn wir zeigen können, daß wir das Menschenherz und dessen Affekte besser verstehen, als die großen Dichter sie verstanden haben. Ihr Urgesetz war die Kenntnis der Natur, und diese sollten die Dichter ebenso studieren, wie sie es mit Aristoteles und Horaz, ihren Interpreten, tun. Aus den Werken, welche Nachahmungen der Natur waren, wurden die Regeln abgeleitet, weil man beobachtete, was wirksam war. Nach einer lebhaften Verteidigung der poetischen Freiheit in den Fi- guren spricht Dryden den Dichtem auch das Recht zu, übernatürliche Wesen vorzuführen, wenn sich der Glaube an diese auf den Volksglauben gründe, und beruft sich auf die Bibel und Homer, die solche Wesen mit menschlichen Zügen ausstatteten. In allen Zeiten, sagt Dryden ferner, war es den Dichtern erlaubt, Dinge zu sagen, die über den Ernst der Prosa hinausgingen. Dies ist das Geburtsrecht des Dichters seit unsern Vorvätern von Homer bis auf Ben Jonson. Die Grenzen dieser Frei- heiten wechseln je nach Völkern und Ländern.

Auf die nämlichen Fragen kommt Dryden viel später, im Essay on Satire 1693, noch einmal zu sprechen, aber nicht mit derselben Ent- schiedenheit. Zwar stellt er Homer und Shakespeare als Muster des universalen Genies auf, das alle Künste und Wissenschaften, alle Moral- und Naturphilosophie besitzen müsse. Aber stärker als in der Apology verlangt er das Studium der Kritiker und zeigt sich in der Beurteilung des Epos, besonders des modernen, von Aristoteles zu sehr beeinflußt. Daher werden Ariost und Spenser vornehmlich für ihren Mangel an Einheit getadelt; wogegen das Urteil über Tasso ganz vortrefflich ist. An Milton hat Dryden auszusetzen, daß der Stoff nicht eigentlich he- roisch, der Ausgang nicht wie der aller andern Epen glücklich sei, und daß den vielen übersinnlichen Wesen nur zwei Menschen gegenüber- stehen. Doch habe niemand Homers Art so glücklich kopiert wie Milton, niemand seine Gräzismen wie die lateinische Eleganz Virgils so reich übertragen. Auch hier hält Dryden das Recht zur Einführung über- sinnlicher Gestalten aufrecht, im Gegensatz zu dem verwerfenden Urteil Boileau's. Die geeigneten Figuren, meint er hier, könnten die Dichter im Alten Testament finden, vor allem bei Daniel die Schutzengel der

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einzelnen Völker, die, erhaben und doch nicht vollkommen, leicht im Gegensatz zueinander und im Kampfe mit den höllischen Mächten dar- gestellt werden könnten.

Wichtig sind für uns besonders die Vorreden zu den zahlreichen Übersetzungen. Da ist zuerst die Preface on Translation zu der Samm- lung Second Miscellany 1685, wo sich Dryden mit Roscommon ausein- andersetzt. Er erklärt offen, er habe bei seinen Übersetzungen zusetzen und auslassen, ja zuweilen Erklärungen geben müssen, die ihm kein hol- ländischer Kommentator verzeihen werde. Er habe dabei Schönheiten entdeckt, die nur ein Dichter finden könne. Der Übersetzer habe das Original, unter Wahrung von dessen Charakter, angenehm zu machen. Eiu guter Übersetzer müsse selbst ein guter Dichter sein, der die Mutter- sprache vollkommen beherrsche, zugleich aber auch und vor allem in den Stil seines Autors einzudringen vermöge. Doch gesteht Dryden,. dabei manchmal unübersteiglichen Schwierigkeiten begegnet zu sein.

Auf eine Vergleichung Homers mit Virgil ist Dryden zum ersten- mal ganz gelegentlich im Essay ofDramatic Poesy zu sprechen gekommen, jenem meisterhaften Werke, das die dramatischen Theorien der Franzosen, zumal die Lehre von den drei Einheiten, so energisch bekämpft. Hier nennt er Ben Jonson den korrekteren Dichter, Shakespeare das größere Genie. Shakespeare war der Homer oder Vater unserer Dramatiker; Jonson war der Virgil, das Vorbild sorgsam ausgearbeiteter Schriftstellerei. „Ich bewundere ihn, aber Shakespeare liebe ich."

Fast zwanzig Jahre später, in der Dedikation zur Vhersetzimg der Aeneis 1687, kommt Dryden auf die Vergleichung der beiden Dichter zurück. Der Einfluß der klassizistischen Theorie macht sich in der Schrift sehr geltend, so daß über das Wesen des Epos und seines Helden wenig Neues zu gewinnen ist. Den größten Teil des Aufsatzes nimmt die Rück- weisung von Angriffen auf Virgil ein, meistens in Anlehnung an Segrais' Vorrede zu dessen Übersetzung des Dichters. Dabei kommt Homer in steigendem Maße zu kurz. Dryden ist nämlich eifrig bemüht, von Virgil den Vorwurf abzuwälzen, daß er kein Erfinder sei, weil er so manches aus Homer entlehnt habe. Dieser, sagt Dryden, hat doch seinen Stoff auch nicht erfunden, und unter Erfindung darf man überhaupt nicht die eines ganz neuen Gegenstandes verstehen. Nur im Argument, d.h. in der Haupt- handlung, und deren Ökonomie und Disposition muß der Dichter selb- ständig sein. Wohl hat Virgil manches entlehnt, bietet aber auch viel Eigenes. Der Grieche hatte nur den Vorteil, früher zu sein. Wo Ähn- lichkeit besteht, hat Virgil ihn übertroften. Bei der Lektüre Homers lernte Virgil seine Erfindung nachzuahmen, d. h. nachzuahmen gleich ihm. Da&

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ist nicht mehr, als wenn ein Maler Raffael studiert, um nach seiner Art entwerfen zu lernen.

Seine Abhängigkeit von Segrais gibt Dryden unumwunden mit der Begründung zu, daß die Franzosen als Kritiker die Engländer eben- sosehr überragten, wie sie als Dichter hinter ihnen zurückständen; genau so wie sie diese an theoretischer Kriegskunst überträfen, während ihnen die Engländer am Tage der Schlacht doch überlegen seien. Auch der Auffassung Le Bossu's hat sich Dryden unterworfen; er übernimmt dessen Lehre von dem moralischen Zweck der Ilias und sucht auch für die Aeneis einen solchen festzustellen, die Beglückung des Volkes durch dessen Gewinnung für die neue Staatsform. Diese Abhängigkeit von der Kritik könnte bei einem Manne auffallen, der einst triumphierend die Frage gestellt hatte, wer nicht lieber Homer als Scaliger sein möchte. Aber außer der oft zu großen Unterwürfigkeit unter die Regeln und dem Schwanken, mit dem er z. B. bald dem Epos, bald der Tragödie den ersten Rang in der Poesie zuteilt, hat hier ohne Zweifel die Freude an dem Dichter mitgewirkt, durch dessen Übersetzung Dryden eine wirklich künstlerische Tat vollbracht hat.

Nicht wesentlich anders lautet das Urteil in der Dedication to the Third Miscellany 1693, einer Sammlung, die neben Übersetzungen aus Ovids Metamorphosen auch eine solche von Hektors Abschied enthält. Dryden findet hier den Homer geeigneter die männlichen Leidenschaften zu erregen als die der Klage und des Mitleids. Bewunderung flößt er ihm mehr ein als Virgil, aber er tadelt an ihm, daß er oft geschwätzig sei und sehr abschweife. So lasse er Andromache Dinge erzählen, die Hektor ebensogut wisse wie sie selbst. Virgil würde etwas so Über- flüssiges vermieden haben. Er stehe zwar dem Homer an Erfindung nach, übertrefi'e ihn aber durch sein bewundernswertes Urteil. Wenn Dryden an dieser Stelle über den Standpunkt von Rapin's Comparaison kaum hinauskommt, so ist die Ursache davon wohl wiederum die, daß ihn die eifrige Beschäftigung mit den Römern der homerischen Poesie stark ent- fremdet hatte.

Er urteilte über Homer wieder anders, als ihm der Gedanke nahe trat, auch jenen ganz zu übersetzen. In der Preface of the Fahles 1700 berichtet er, wie er bei der Arbeit fand, die Übertragung Homers sei doch eine erfreulichere Aufgabe als die Virgils; nicht eine weniger mühe- volle, aber der Grieche sei seinem eigenen Genius vertrauter. Ohne Homer würde Virgil nie die epische Poesie geschaffen haben, und wenn Er- findung die erste Tugend des Epikers sei, so nehme Virgil doch nur die zweite Stelle ein. Dryden freut sich bei Homer vor allem an dem

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rastlos stürmischen Charakter der Erzählung, die den Leser nie erkalten läßt und seinem eigenen Temperament besser zusagt als Virgil. Doch sei, gesteht er, die Übersetzung keine Freude ohne Mühe gewesen. Die beständige geistige Aufregung habe ihn ermüdet, und er habe zwischen den hitzigen Geschichten, heats, mancher Erholungspause bedurft. Voll- endet wurde nur das erste Buch der Ilias, ganz nach Dryden's Über- setzungsgrundsätzen, so daß wir oft genug mehr eine Umschreibung und Ausführung als eine wörtliche Wiedergabe vor uns haben. Aber das Buch liest sich schön und gibt Zeugnis von dem Feuer, das Dryden bei Homer gefunden hat.

Wir finden bei Dryden Widersprüche, die nicht ausgeglichen sind. Wie er nie dazu gekommen ist, an der Überlegenheit des Genies über die Regeln rückhaltlos festzuhalten, so hat auch im kleinen sein Urteil gewechselt, wie wir es bei seinen iiußerungen über Homer und Virgil sehen. Ein Beispiel ist dafür besonders bezeichnend. In der Dedikation der Aeneis führt er für die Verbesserungen homerischer Anregungen durch Virgil Dido an: „Was sind die Tränen der Kalypso darüber, daß Odysseus sie verläßt, gegen Didos Worte und Tod? Wo findet man in der schmach- tenden Episode der Odyssee die ganze Entwicklung der Leidenschaft und deren gewaltsame Wirkungen? Wenn das kopieren heißt, so mögen uns die Kritiker die nämlichen Anlagen und Züge, die nämliche Farbengebung im Original nachweisen." In der Preface zu den Fabeln dagegen sagt er, es könne, ohne Virgil zu nahe zu treten, ausgesprochen werden, daß er seinen Plan bei Homer gelernt habe; man werde nicht leugnen können, daß Dido die poetische Tochter der Kalypso sei. Dryden ist bei dem Stoff, mit dem er sich gerade beschäftigte, warm geworden, wie ein Dichter zu tun pflegt, und zeigt deshalb, wie durch eine zu große Nachgiebigkeit gegen fremde Einflüsse, oftmals Widersprüche. Das schmälert aber sein großartigstes Verdienst nicht, daß er der erste laute Verkünder des Genies gewesen ist. Dadurch hat er auf Dubos und Diderot, noch mehr auf seine eigenen Landsleute gewirkt. Wenn England den Klassizismus ohne zu große Mühe überwunden hat, so gebührt Dryden dafür der vornehmste Ruhm.

Wie sehr am Ende des Jahrhunderts die französischen Auffassungen Boden gefunden hatten, dafür zeugt am besten Richard Blackmore's episches Gedicht Prince Arthur 1695 samt der Vorrede. Es behandelt die Wiedergewinnung des von den Sachsen eroberten England durch den britischen Fürsten Arthur. Absicht des Gedichtes ist es, der entarteten englischen Poesie, zumal der Komödie, etwas Erhabenes und moralisch Gutes entgegenzusetzen.

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Blackmore's Theorien sind die Le Bossu's. Er verlangt vom Epos einen w^örtlichen und einen typischen Sinn; beides findet er bei Virgil glücklich durchgeführt, während, w^ie er behauptet, Homer oft nur alle- gorisch, nicht auch buchstäblich zu 'fassen sei, Spenser aber und Ariost sich in wilde Allegorien verlieren. Auch sonst ist er ein gläubiger An- hänger der Franzosen; von den Engländern preist er deshalb besonders Rymer. Ihre Regeln sind ihm für die Beurteilung des Epos maßgebend. Gegen Boileau polemisiert er, ohne ihn zu nennen, da er nämlich dessen Behauptung, die Gestalten der christlichen Religion seien für epische Poesie weniger geeignet als die der heidnischen, ganz unrichtig findet. Wesentlich oder notwendig seien sie für das Epos nicht, aber Himmel und Hölle für die Sache zu interessieren hebe den Gegenstand mächtig und lasse die Handlung wunderbarer erscheinen. Wirklich tut er alles, was Boileau tadelt. Sein Lucifer mischt sich jeden Augenblick ein, ohne je etwas Rechtes ausrichten zu können. Diese Versuche des Teufels entsprechen wohl zuweilen den Stellen, wo Virgil die dem Aeneas feind- lichen Götter verwendet, aber die direkten Vorbilder zu Blackmore's Dämonen stehen bei Chapelain und Desmarets.

Blackmore's Angabe, daß Virgil das Muster seines Gedichtes sei, ist buchstäblich zu verstehen. Der Prince Arthur ist eine sehr unfreie Nachbildung der Aeneis, von der Ausfahrt Arthurs zur Wiedergewinnung Britanniens bis zum Zweikampf mit dem feindlichen Helden Tolle. Daneben ist mancherlei benutzt: Milton, Cowley, die Bekehrung des Paulus, die Geschichte Bileams, in der großen Schlacht und der Be- stattung Macors auch Homer. Die Erzählung des Aeneas bei Dido wird durch einen theologischen Vortrag ersetzt, den Arthur dem König Hoel über Schöpfung, Menschwerdung und jüngstes Gericht hält, um ihn zum Christentum zu bekehren. Die frühere Geschichte von England erfahren wir durch eine Erzählung, die künftige in einem Traum Arthurs, alles nach bewährten Rezepten, natürlich auch einen Katalog der Führer aller Streitkräfte. Erzählung ist nicht Blackmore's starke Seite, dagegen entwickelt er zuweilen eine beträchtliche Rhetorik.

Um dieselbe Zeit schlugen auch einige Wogen der Querelle des Anciens et des Modernes von Frankreich nach England hinüber. Ge- ärgert durch die Urteile Fontenelle's und Perrault's, veröffentlichte Sir William Tfemple 1692 den schön geschriebenen Essay upon the ancient and modern learning. Ohne viel Kenntnis der Sache und von der Voraussetzung ausgehend, daß sich die Menschheit beständig ver- schlechtere und daher die ältesten Bücher notwendig die besten gewesen sein müßten, bewies er, daß die Alten den Modernen in jedem Wissen

Blackmore Temple 301

überlegen waren und die Fortschritte der letzteren nicht viel zu bedeuten hätten. So absurd und phantastisch die ganze Geschichte ist, so muß Temple doch gegen den Vorwurf Macaulay's, daß er die größten mo- dernen Dichter ignoriert habe, in Schutz genommen werden. Temple unterscheidet nämlich scharf zwischen Wissen und Poesie und hat daher die Besprechung der Dichter für den Aufsatz Of Poetry aufgespart, wo er mit viel größerer Sachkenntnis redet. Er beschränkt sich hier vor- nehmlich auf das Epos, weil ihm dieses die Krone der Poesie ist, und weil nach seinem Urteil im Drama die Engländer von vornherein alle Alten und Neuen übertreffen. Im Epos erreicht niemand Homer und Yirgil, von denen schließlich jenem der erste Preis zuerteilt wird. Temple's Urteile über diese Dichter sind zwar nicht sein eigen, sondern meistens aus Dryden geborgt, aber der historische Abriß über die Ent- wicklung der Poesie ist nicht ohne Interesse. Einige Urteile über Epiker mögen hier Platz finden. Natürlich bedeutet die Entwicklung gegen- über den großen Alten einen Verfall, woran vor allem dem eindringenden Reim schuld gegeben wird. Eine Wiederbelebung der Poesie brachte die Wiederentdeckung des Altertums, freilich in den neuen Formen. Ariost und Tasso, dem hohen Fluge des Epos nicht gewachsen, studierten die Alten und verfielen in die Nachahmung Virgils, soweit es ihnen die Kraft ihres Genies und die Nachteile der modernen Sprachen ge- statteten. Die antike Mythologie, die in die alten Epen so angenehm verwoben war, ersetzten sie durch die christliche Religion, die sie da- durch herabwürdigten. Spenser suchte den Mangel durch Moral zu er- setzen; sein Gedicht ist ausgezeichnet durchgeführt und hat hohen Flug der Phantasie; aber seine Absicht, statt einer Geschichte die Belehrung zum Gegenstand des Epos zu machen, war armselig, und die Moral lag zu offen da, um wirken zu können. Damit sind die nennenswerten Epiker der Neuzeit erschöpft. Gegenüber diesen doch ziemlich schiefen Urteilen erfreut bei Temple ein wirkliches Verständnis für Poesie.

Regeln über diese zu geben lehnt er nämlich ab, vornehmlich im Hinblick auf die französischen Kritiker, die es bei aller Einbildung doch nicht weiter gebracht haben als zu Kommentaren zu Aristoteles und Horaz. Der Genius der Poesie ist zu frei, als daß er sich in Regeln einschließen ließe; wer ihn diesen unterwerfen will, zerstört seinen Geist wie seine Anmut. Das entscheidende Merkmal des großen Dich- ters besteht darin, daß er die Leidenschaften, die er fühlt, auch in den Hörern erweckt und diese in seinen Zauberkreis entrückt. Kritiker haben noch nie einen großen Dichter gebildet, selbst Aristoteles und Horaz nicht.

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Auf die erste Sclirift Temple's antwortete William Wotton in geinen Refledions lipon ancient and modern Jearning 1694. Mit gründ- lichstem Wissen untersuclit der Verfasser jeden Zweig des geistigen Lebens und weist die in den exakten Wissenschaften und der Philosophie dem Altertum gegenüber gemachten Fortschritte nach, die er ganz ein- fach auf die längere Erfahrung und Entwicklung zurückführt. Anders urteilt er über die Prosa, eloquence, und die Poesie. Den Franzosen, so führt er aus, war es vorbehalten, diese Künste mit den übrigen zu- sammenzuwerfen. Auch Temple wirft zwei Fragen durcheinander, näm- lich die, ob die Alten oder die Modernen die größeren Menschen gewesen seien, und die andere, welche von beiden die Entwicklung mehr gefördert haben. Das ist nicht dasselbe. Die erste Frage ist schwer zu entscheiden, weil es an einem Durchschnitt fehlt, auf den man den Beweis gründen könnte. Man kann wohl die Werke gegeneinander abwägen, aber der Frühere hat immer den Vorteil vor dem Spätem. So kann man z. B. Paradise Lost und Faerie Queene für vollkommener halten als die Ilias und doch Homer größeres Genie zuerkennen als Milton und Spenser. Um sich im Urteil vor Irrtümern zu bewahren, muß man die Wege kennen, auf denen die Genies zu ihren Erfindungen gekommen sind und diese vervollkommneten.

Wotton geht von dem Satze aus, daß die Verehrung für die Poesie und Prosa der Alten mehr sei als ein bloßes Vorurteil. Nicht nur ge- währt ihre Lektüre wirklichen Genuß, sondern es sind auch die Werke der Modernen um so besser, je mehr diese die Alten studiert haben. Diese Überlegenheit kann nicht damit erklärt werden, daß die Alten früher waren. Auch kann die Blüte dieser Künste nicht auf eine Natur- anlage oder auf Fleiß zurückgeführt werden, sonst müßte sie bei allen Völkern dieselbe sein. Es hängt vielmehr alles von den fördernden oder hindernden Faktoren ab. Damit hat Wotton etwas Neues und Entscheidendes getan: er hat die Theorie des Milieu aufgestellt, die dann in Frankreich zuerst von Dubos übernommen wurde. Für die griechische Poesie, setzt Wotton auseinander, war die erste glückliche Vorbedingung die prachtvolle Modulationsfähigkeit der Sprache; dann wurde sie getragen durch die Achtung der Menschen vor der Schönheit ihrer Verse und ihrem sittigenden Gehalt. Diese allgemeine Achtung brachte einen regen Wettbewerb in Formen und Stoffen hervor, bis endlich das Hervorragendste als Muster aufgestellt wurde. Die Prosa verdankte ihre Entwicklung der Freiheit und Mannigfaltigkeit der grie- chischen Verhältnisse, wie ja auch in Rom die Kunst der Rede mit der politischen Freiheit stand und fiel. Unter gleichen Bedingungen

Wotton Blackwall 303

könnte unsere Zeit gleich große Dichter und Prosaiker hervorbringen; ist doch unsere Geschichtschreibung der antiken zum Teil bereits eben« bürtig. Dabei leugnet Wotton die Wichtigkeit des Genies und des Urteils für die Poesie nicht, stellt sie aber in zweite Linie.

Ebenso bedeutsam ist die Auseinandersetzung mit Perrault. Die Lehre, daß die Frühern die Spätem übertreffen müßten, ist, sagt Wotton, nicht aufrecht zu erhalten, da das Literesse der Menschen nicht immer an denselben Gegenständen haftet und Niedergänge historisch nach- gewiesen sind. Vor allem hat Perrault Unrecht, wenn er auch in der Poesie den Fortschritt auf die beständige Vermehrung von Beobachtungen und Regeln zurückführt. Die Poesie befaßt sich mit den Affekten des Gemüts, und hier genügte die Erfahrung weniger Zeitalter, unterstützt durch Bücher, welche die einzelnen Fälle aufbewahrten, um die volle und überhaupt mögliche Höhe zu erreichen. Zeigen doch die Werke des Aristoteles und der Stoiker die Kenntnis des Menschen in nicht zu übertreffender Klarheit. Die Einfachheit des Altertums hinsichtlich der Gefühle ist durchaus kein Zeichen von Roheit, sondern von Ge- sundheit im Gegensatz zu der von Perrault gepriesenen Überfeinerung. Wenn die Alten fehlen, so geschieht es durch allzu große Natürlichkeit. Ohne Perrault seine Unkenntnis des Griechischen direkt vorzuwerfen^ führt Wotton femer aus, daß die französischen Kritiker bei ihren Urteilen nur auf Sinn, Verknüpfung und Methode sähen, ohne zu beachten, wie wichtig für das Kunstwerk die sprachliche Form ist. Sie beurteilen die alten Dichter nach den französischen Übersetzungen in Prosa, bei denen das Beste verloren gegangen ist. Wer jene in ihrer Sprache nicht lesen kann, hat nur einie halbe Vorstellung von ihrer Kunst, und auch diese Hälfte ist nicht zuverlässig.

Temple's Schrift hatte, wie er mitteilt und Wotton bestätigt, großen Anklang gefunden, da der Respekt vor dem Altertum allgemein und groß war. Diesen hat Wotton nicht vermindert, sondern ihm nur seinen richtigen Platz angewiesen. Mit seinem Buch ist der Kampf für Eng- land tatsächlich schon zu Ende, da er hier ohnehin keinen Boden hatte. Es wird gelegentlich noch da und dort darauf Rücksicht genommen. Eine besondere Schrift An Introduction to the Classics widmete Anthony Blackwall 1718 den Vorzügen der alten Klassiker, ohne indessen viel Neues vorzubringen. Er zitiert eine Reihe ihrer Widersacher, preist (He durchsichtige und klare Schreibart der Alten, bekämpft die Meinung, als ob man sie durch Übersetzungen kennen lernen könne, und hebt ihren Nutzen für die Betätigung im Staat und für die Moral hervor. Für ihn steht es, wie für Stillingfleet und Pincinelli, fest, daß vieles

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in der heidnichen Theologie aus dem Ritus der jüdischen Religion ab- geleitet ist. Ob Blackwall, der nach Addison und Pope geschrieben hat, stark gewirkt habe, ist zu bezweifeln, denn er hat doch im damaligen England nur offene Türen eingestoßen. Die Frage nach den Vorzügen der Alten und Modernen wird gelegentlich noch berührt, aber im 18. Jahr- hundert denken die Engländer über die Querelle ziemlich einhellig so, wie später Macaulay getan hat, der sie kurzerhand müßig und ver- ächtlich nennt.

Die Kontroverse zwischen Temple und Wotton hatte jedoch ein Nachspiel, das folgenreicher wurde als die Streitfrage selbst. In seinem Bestreben, die menschliche Entwicklung als fortdauernden Verfall dar- zustellen und daher den ältesten Büchern den ersten Rang einzuräumen, hatte Temple die ältesten griechischen Prosawerke als die vorzüglichsten ihrer Art bezeichnet. Es waren die Briefe des Phalaris, des Tyrannen von Akragas im 6. Jahrhundert v. Chr., und die Fabeln Aesops. Wotton's zweiter Auflage 1697 gab nun der große Gelehrte Richard Bentley eine Dissertation bei, die den Nachweis leistete, daß die Briefe des Phalaris «ine späte Fälschung und die für äsopisch gehaltenen Fabeln die von dem byzantinischen Gelehrten Maximus Planudes im 14. Jahrhundert verfaßte Prosaparaphrase der Fabeln des Babrios seien.

Bentley hatte, ganz unbekümmert um Anciens und Modernes, nur der Wahrheit die Ehre gegeben. Aber der Aufruhr, der sich gegen ihn erhob, und die Parteinahme des großen Publikums gegen ihn müssen doch noch andere als nur persönliche Gründe gehabt haben. Es sei mir gestattet, darüber eine Vermutung zu äußern. Uns ist es heute selbstverständlich, daß seine Methode, sein Wissen, seine Art der Po- lemik über die Gegner triumphieren mußte. Aber damals lagen die Dinge noch anders. Die große Menge der literarisch und philosophisch Gebildeten war gewohnt, die philologische Arbeit geringschätzig zu be- trachten. Dryden, Temple, Saint-Evremond, selbst noch Shaftesbury haben nur Verachtung für die Pedants. Jetzt kommt aus diesen moderigen Schreibstuben plötzlich einer mit etwas ganz Neuem, das den Gebildeten das größte Unbehagen verursacht, mit der historischen Kritik. In- stinktiv fühlt die Welt, daß ihr bis jetzt so sicherer Besitzstand bedroht ist. Wenn die berufensten Hüter der Antike so gegen die Alten vor- gingen, wohin konnte das führen. Diese Stimmung hat sich nirgends so sichtbar niedergeschlagen wie in Swift' s 1696 geschriebener, 1704 ver- öffentlichter Schrift Ä Tale of a Tub, in die er nachträglich zugunsten Temple' s und gegen Bentley zwei Digressionen einlegte. Die erste handelt von der Kritik und stellt in Anlehnung an Dryden fest, daß die alten

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Bentley Swift 305

Formen der Kritik, die zur richtigen Beurteilung- und zum wahren Genuß der Schriftsteller anleiteten oder alte Gelehrsamkeit vor Vernichtung schützten, ausgestorben seien, und daß nur derjenige Kritiker übrig- geblieben sei, der, von Momus und Hybris abstammend, seine Aufgabe in Entdeckung und Sammlung von Fehlem erblicke. In diese Kate- gorie gehörten neben dem antiken Homerfeind Zoilos in der Neuzeit Bentley, Wotton, Perrault, Dennis, eine sehr gemischte Gesellschaft. Die Fülle von boshaften Bemerkungen zeigt, wie tief Bentley's Kritik in Temple's Kreis eingegriffen hatte.

Mit Bentley beginnt auch die zweite Digression, die dann auf den eigentlichen Streitpunkt eingeht. Swift meint, die Modernen hätten das schwach glimmende Licht der Alten so verdunkelt, daß man sich darüber streite, ob es überhaupt Alte gegeben habe; man könne sich darüber bei Bentley Belehrung holen. Es sei zu bedauern, daß kein Moderner einen Extrakt des gesamten Wissens undMeinens zusammengestellt habe; Swift gibt dafür ein höhnisches Rezept. Homer, fährt er fort, hat allerdings etwas derart versucht; aber obwohl er für einen Alten ein erträgliches Genie war, zeigt er doch unverzeihliche Vernachlässigungen. Man nennt ihn einen Kabbalisten, aber sein Bericht über das Opus magnum ist armselig und mangelhaft, und die Anthroposophia theomagica hat er nur unvollkommen gelesen. Auch seine Kenntnis der Mechanik ist mangel- haft. Mit der größten Aufmerksamkeit kann man nicht entdecken, daß er die Konstruktion des Kerzenhalters, save-all, gekannt habe, ohne den wir im Finstem tappen müßten. Mit Recht tadelt ihn Wotton, daß er von der englischen Monarchie und Hochkirche keine Ahnung gehabt habe. Für andere Fehler ist Homer weniger verantwortlich. Er konnte die Errungenschaften der letzten drei Jahre oder so herum wirklich nicht kennen und steht denn auch hierin weiter zurück, als seine Verehrer Wort haben wollen. Man kann ja anerkennen, daß er den Kompaß, das Schießpulver und den Kreislauf des Blutes erfunden habe; aber man zeige mir einen Bericht über den Spleen oder über politische Wetten. Seine Erörterung über den Tee ist ganz ungenügend, und auf seine Methode, den Speichelfluß ohne Quecksilber zu heilen, ist kein Verlaß. So geißelt Swift mit glänzendem Witz ebenso sehr die blinden Verehrer, die alles in Homer finden wollten, als die oberflächlichen Tadler, die hochmütig von ihrer Kulturhöhe auf ihn heruntersahen.

Gegen Bentley ist auch die geistvolle Satire The Battle of the Books gerichtet, die 1697 begonnen wurde, aber frühestens 1698 vollendet worden sein kann. Die letzte Partie nämlich, The episod of Bentley and Wotton, läßt Charles Boyle als Kämpen auftreten und nimmt

Finaler: Homer in der Neuzeit. 20

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damit Bezug auf den an Bentley's Dissertation sich knüpfenden Streit. Boyle hatte, offenbar durch Temple's Schrift angeregt, 1695 die Briefe des Phalaris herausgegeben. Nach Bentley's Auftreten erschien unter Boyle's Namen 1698 ein heftiger Angriff auf seine Arbeit und seine Person, und diese Schrift muß Swift bei der Vollendung seiner Satire bereits vorgelegen haben.

Dem Battle of Books hat wahrscheinlich De Callieres zum Muster gedient, aber nur ganz im allgemeinen. Der Inhalt ist kurz folgender. Seit langer Zeit hatten die Alten und die Modernen die beiden Gipfel des Parnaß inne, und die Modernen hatten sich längst darüber beklagt, daß ihnen die Alten die Aussicht versperrten, zumal nach Osten, wo nämlich Temple den Ursprung aller Künste und Wissenschaften ent- deckt hatte. Sie verlangten, die Alten sollten ihnen den Platz räumen oder ihnen erlauben, den hemmenden Gipfel abzutragen, worauf diese, mit Berufung auf ihr angestammtes Besitzrecht, antworteten, die Mo- dernen könnten ja ihren eigenen Gipfel erhöhen. In dem darob aus- brechenden, mit Tinte und Feder geführten Kriege errichteten beide Parteien eine Menge von Siegeszeichen in Gestalt der massenhaft er- scheinenden Streitschriften. Die wichtigsten davon wurden in Biblio- theken aufgestapelt, wo die Geister der Verfasser über ihnen schwebten, bis Staub und Würmer die Schriften verzehrten. Man hatte bisher die Bücher, um in den Bibliotheken die Ruhe aufrecht zu erhalten, mit eisernen Ketten angebunden. Wie nun die Streitschriften über den Parnaß erschienen, hatte Swift geraten die Kämpfer paarweise zusammen zuketten, damit sie ihr Gift nur gegeneinander verspritzen könnten. Die Nichtbeachtung dieses klugen Rates sollte sich rächen. Eine Neu- ordnung der Bücher, die Bentley, der BibHothekar von Saint -James, zugunsten der von ihm patronisierten Modernen vornahm, veranlaß te große Aufregung und eine kriegerische Rüstung beider Parteien. Ein Zufall brachte den Kampf zum Ausbruch. In einer Ecke der Bibliothek, an einem Fenster, hatte eine große Spinne ihr Netz gesponnen, in dessen Fäden zahlreiche Fliegen hängen geblieben waren. Da geriet eine Biene in das Netz, machte sich aber gewaltsam frei und zerriß dabei einen großen Teil desselben. In höchstem Zorn ereiferte sich die Spinne über den unnützen Vagabunden, der ihr Gebäude zerstört hatte, das sie doch ganz aus eigener Kraft, ohne fremde Muster, verfertigt, und zu dem sie das Material ganz ausschließlich aus den eigenen Ein- geweiden genommen habe. Die Biene erwiderte, das Werk der Spinne entbehre trotz der Künste der Mathematik und Architektur, mit denen es aufgebaut sei, der Solidität, und wenn man aus den Erfolgen der

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Spinne schließen wolle, sei das Material, das jene dem eigenen Leibe entnommen habe, lauter Gift. Sie dagegen, die Biene, lebe niemand zu Leide und bilde nur Honig und Wachs aus den Blumen, die sie be- suche. Das Gespräch verstand Aesop, der eben durch Bentley aus den Reihen der Alten gestrichen worden war. Er erhob sich und hielt eine Rede, in der er das Gespräch auslegte. Die Spinne, führte er aus, ist den Modernen zu vergleichen, die keinem Vorgänger etwas schuldig sein wollen, alles sich selbst zu verdanken meinen und sich mit ihren Kenntnissen in den exakten Wissenschaften brüsten, deren Gebäude aber durchaus unsolid sind. Wie die giftige Spinne mit den armen Fliegen tut, so spritzen sie ihr Gift auf die wehrlosen Lisekten der Literatur. Die Alten dagegen haben, wie die Biene nur Flügel und Stimme, nur ihre Laspiration und ihre Sprache; aber mit unermüdlichem Feuer formen sie, wie jene Honig und Wachs, die für die Menschheit wertvollsten Dinge, die Feinheit der Sitten und die Erleuchtung des Geistes.

Aesops Rede entflammt die Gemüter. Die Bücher ordnen sich zur Schlacht. Momus, der oberste Gönner der Modernen, eilt nach Novaja Semlia, wo die Kritik mit ihren Eltern Unwissenheit und Hochmut und einer ganzen Sippe dieser Art in einer Höhle haust, umgeben von den Resten halb aufgezehrter Bücher. Von Momus aufgestachelt, fährt die Kritik nach der Bücherei von Saint -James, um vor allem ihrem geliebtesten Sohne Wotton im Kampfe beizustehen.

Von den uns zuweilen schwer verständlich gewordenen Einzel- heiten des beginnenden Kampfes erwähne ich nur das Auftreten Homers. Er reitet ein wütendes Pferd, das er selbst kaum bändigen kann, und dem sonst niemand nahe kommen darf. Alles wirft er vor sich nieder, zuerst Gondibert, der gelobt hatte, die Wahlstatt nicht zu verlassen, bevor er Homers Rüstung erbeutet haben würde; der Tor hatte eben den Träger der Rüstung noch nie gesehen. Perrault hebt er mit mäch- tiger Kraft aus dem Sattel, schleudert ihn auf Fontenelle und schlägt beiden mit einem einzigen Hiebe das Hirn aus.

Den Schluß der Satire bildet das jämmerliche Ende Wotton's und Bentley's, von denen besonders der letztere mit grenzenlosem Haß, nach dem homerischen Thersites, gezeichnet ist. Dieser Haß begeistert Swift zu einer wahrhaft epischen, mit Gleichnissen in der Art Homers aus- geschmückten Schilderung. Bentley gelingt es zwar, den schlafenden Feinden Phalaris und Aesop ihre an einem Baume hängenden Rüstungen zu stehlen, während Wotton von hinten den Speer auf Temple wirft, ohne daß es dieser auch nur bemerkte. Schließlich sendet ApoUon

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den in eine ihm von den Göttern geschenkte Rüstung gehüllten Boyle gegen die Verhaßten. Ein Stoß seiner Lanze heftet beide zusammen, wie eine geschickte Köchin ein Paar Schnepfen spießt. So eng waren sie noch im Tode vereint, daß Charon sie für eine einzige Person hielt und sie für das halbe Fahrgeld über die Styx setzte.

Es fällt uns heute schwer zu begreifen, wie Bentley zum Führer der Modernen gegen die Alten gemacht werden konnte. Aber in der Schätzung des gebildeten Publikums errang er den Sieg selbst dann noch nicht, als er in seiner scharfsinnigen und unanfechtbaren Disser- tation 1699 die Angriffe Boyle's widerlegte und die Unechtheit der Briefe des Phalaris schlagend nachwies. Hätte er damals schon in den Augen der Welt so als Sieger gegolten, wie das heute der Fall ist, so hätte Swift's Battle of Books 1704 nicht mehr erscheinen köimen; erst in diesem Jahre nämlich wurde die Satire zugleich mit dem Tale of a Tub gedruckt. Erst um die Mitte des 18. Jahrhunderts wurde allgemein anerkannt, daß Bentley der Sieger war.

Einen heftigen Angriff Swift's auf moderne Kritik und Literatur zugleich enthält die viel spätere Schrift Martinus Scribleriis Pert Bathous, or of the Art of sinking in poetry 1727. Der Titel „Vom Niedrigen" ist dem der Schrift Vom Erhabenen entgegengesetzt und verspricht eine Poetik der Modernen, die den Weg zum Niedrigen weisen soll, dem Mittelpunkt der modernen Poesie. Unter den Modernen versteht Swift fast nur seine Zeitgenossen, von denen Blackmore mit seinem Prince Arthur und anderen Gedichten die Hauptzielscheibe seines Spottes bil- det. Den Gipfel der Bosheit erreicht die Schrift in dem Rezept für ein episches Gedicht. Da heißt es im Anfang, die Kritiker hätten viele mechanische Regeln niedergelegt, aber zugleich fast jeden von der Mög- lichkeit, ein Epos zu machen, ausgeschlossen, weil sie von ihm ver- langten, daß er ein Genie sein müsse. Das sei indessen gar nicht not- wendig, und der Dichter brauche weder etwas zu wissen noch viel zu lesen. Mit Genie ein Epos zu machen sei keine Kunst; die Geschick- lichkeit bestehe darin, es ohne Genie zu können.

Das Rezept lautet kurz folgendermaßen. Man nimmt aus einem alten Buch, sei es Geschichte, Gedicht oder Roman, die Partien heraus, die sich für lange Beschreibungen eignen, fügt sie zusammen und bringt alle Abenteuer, an denen man Gefallen findet, in eine einzige Erzählung. Dann wählt man einen Helden, der einen gut klingenden Namen hat, setzt ihn in die Mitte dieser Abenteuer und läßt ihn zwölf Bücher lang wirken, bis er zum Sieg oder zum Heiraten gut präpariert ist; denn der Schluß des Epos muß glücklich sein. Zu Episoden verwendet man Stücke

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der frühem Sammlung, die man nicht gern wegwirft, und gibt sie einer anderen Person, die man im Verlaufe wieder verschwinden läßt. Moral und Allegorie kann man nachträglich aus der Fabel ziehen; sie werden sich zur Genüge herauspressen lassen. Auf den Helden häufe man sämt- liche Tugenden des Altertums, doch ist es besser, das Verzeichnis nicht ganz vollständig zu machen, da die Kritik noch nicht einig ist, ob der Held notwendig ein Ehrenmann sein müsse. Untergeordnete Charaktere nimmt man aus Homer und Virgil, natürlich unter andern Namen. Für die Göttermaschine empfiehlt es sich, Virgil zum Muster zu nehmen, für die Engel Milton, für die Geister Tasso: doch greife man zu diesem Mittel nur, wenn der Held oder der Dichter sonst nicht weiter können. Be- schreibungen, wie von Stürmen und besonders Schlachten, sind durch eine Sammlung von Bildern aus Homer und Virgil leicht herzustellen, Schlachten temperiere man brav durch Gleichhisse.

Mit dem 18. Jahrhundert nimmt in England die Kenntnis des Griechischen den machtvollsten Aufschwung. Ganz darnieder gelegen hatten ja diese Studien nie, wie uns Cowley, Milton, Dryden, Duport, Bogan, Stillingfleet, Cudworth lehren. Aber während der Bürgerkriege und der Restauration hatten sie sich doch gegen die Ungunst der Zeit und die Vorliebe für die lateinische Literatur nur mühsam behauptet. Erst mit der Wiedergeburt des englischen Volkes nach der Revolution vollzog sich auch hier eine Änderung, an der Bentley den hervor- ragendsten Anteil hatte, und die vor allem Homer zugute kam.

1711 veröffentlichte Jos ua Barnes seine Ausgabe Homers, die alle frühem übertraf, weil sie, obwohl noch immer auf der byzantinischen Vulgata fußend, doch eine mit großem Fleiß und Berücksichtigung alles vorhandenen Materials bearbeitete Textgestaltung gab. Barnes zog die ihm zugänglichen Handschriften heran und suchte durch Beobachtung der metrischen Gesetze Fehler zu verbessern. Die lateinische Überset- zung ist die durchgesehene des Henricus Stephanus. Die Ausgabe ist für lange Zeit grundlegend geworden. Aus ihrer Geschichte ist bemerkens- wert, daß Barnes, der für die Kosten selbst aufkommen mußte, seine Frau zur Herausgabe eines Erbes durch die Vorspiegelung gewann, die Gedichte seien von König Salomo verfaßt. Nach Bogan's Homerus hebraizon und Duport's Parallelen war ja die Angabe ganz plausibel.

Auch Bentley, seit 1700 Master des Trinity College in Cambridge, arbeitete wiederholt und lange an einer Ausgabe Homers, ohne indessen zu einem Abschluß zu gelangen. Die Vorarbeiten, die wesentlich in die Jahre 1732 1734 fallen, bestanden in der Vergleichung von Hand-

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sclirifteii, Scholien und Zitaten bei alten Autoren, besonders aber in der Wiedereinführung des seit dem frühen Altertum aus der Homerüberliefer- ung verschwundenen Buchstabens Y, den man nach seiner inschriftlich erhaltenen Gestalt j^ das Digamma nennt. Schon 1713 hatte Bentley aus metrischen Beobachtungen geschlossen, daß zur Zeit der Entstehung der Gedichte dieser Laut noch gesprochen worden sein müsse, und ge- dachte ihm sein Recht wieder werden zu lassen. Sein handschriftlicher Nachlaß gibt darüber wie überhaupt über seine grammatischen Studien zu Homer hinreichende Auskunft.

Die für lange Zeit herrschende Ausgabe Homers wurde die von Samuel Clarke, 1729 1740. Sie fußt auf der von Barnes und zeichnet sich durch umfassende Berücksichtigung sprachlicher und metrischer Fragen aus. Die zahlreichen Anmerkungen erstrecken sich auf die Kunst des Dichters, den poetischen Schmuck und die Erklärung einzelner Verse, nehmen auch Rücksicht auf die Angriffe der Kritiker seit Scaliger, sind aber, wie die vielen griechischen Zitate beweisen, vornehmlich für Gelehrte bestimmt. Zu Nutz und Frommen der Studierenden ist die lateinische Übersetzung beigefügt, die Clarke bei Barnes vorfand, zum Teil sorgfältig verbessert, zum Teil durch eine eigene ersetzt. Die Aus- gabe wurde, da Clarke darüber verstarb, von seinem Sohn zu Ende geführt. Sie hat weit über die Grenzen Englands hinaus Geltung ge- wonnen.

Ein Werk von großer Gelehrsamkeit war JohnPotter's Archaeo- logia Graeca, 1702 englisch erschienen und noch im selben Jahre in Leyden ins Lateinische übersetzt. Das erste Buch handelt von Athen, dessen wichtigste Gesetze im Original mit lateinischer Übersetzung mit- geteilt werden; die drei folgenden Bücher betreffen die staatlichen und sozialen Zustände des übrigen Griechenlands. Überall steht Homer an der Spitze der Darstellung. Die Angaben des Dichters sind sorgfältig untersucht und in guter Ordnung zusammengestellt. Homer wird grie- chisch zitiert, doch ist die lateinische Interlinearversion beigefügt. Eu- stathios ist ausgiebig berücksichtigt.

Eine schöne wissenschaftliche Leistung ist auch James Geddes' Essay on the composition oftJie Äncients 1748. Obwohl sich die Unter- suchung weiter erstreckt, bleibt es doch ein Hauptaugenmerk des Ver- fassers, zu zeigen, wie sehr auch die großen Prosaiker Xenophon, Herodot, Piaton dem Homer verpflichtet sind und sich vielfach an ihn anlehnen. Homer ist ihm die Quelle, aus der die griechischen Schriftsteller ihre größten Vorzüge ableiteten. Aus seinen Urteilen über Homer spricht eine ehrliche und auf guter Kenntnis gegründete Begeisterung.

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Die große Tätigkeit der Universitäten übte nach und nach auf alle gebildeten Kreise einen nachhaltigen Einfluß. Ein besonderes Verdienst ist dabei Barnes und Clarke zuzuschreiben, deren Ausgaben das Ein- dringen in den griechischen Homer erleichterten. Um diese Zeit sprach Voltaire es aus, daß in England jeder Gentilhomme Latein und Griechisch verstehe, und Geddes kann geradezu sagen, es gebe wenige, die mit Homer nicht bekannt seien; wer nicht in früher Jugend das Glück gehabt habe, an der Quelle zu trinken, von dem setze man doch voraus, daß er den reinen Strom in Pope's Übersetzung gekostet habe.

Der Anfang des 18. Jahrhunderts war für England eine Periode regsten literarischen Lebens. Es galt etwas ganz Großes, die Besserung der verlotterten Zustände im Leben und in der Poesie, zumal der Bühne, durchzusetzen. Nach diesem Ziel streben alle, mögen sie nun die Besse- rung mehr von der Anlehnung an antike Muster oder an die großen Dichter Englands erwarten. Sehr wirksam zeigen sich überall die Ge- danken Dryden's, die verhinderten, daß der klassizistische Regelzwang allmächtig wurde. Auf Homer beziehen sich fast alle, die in diesen Dingen mitreden; aber er bildet kein Kampfobjekt wie in Frankreich. Wohl wird der eine oder der andere englische Dichter ihm gleichgestellt oder vorgezogen, aber der Respekt vor ihm bleibt unangetastet. Ein Dichter kann nicht größer, sondern nur noch größer sein als er. Von direkter Nachahmung will niemand wissen; schon Dryden und Temple hatten mit Recht davon abgeraten. Der allgemeine Zug geht mehr und mehr auf engen Anschluß an die Größen der eigenen Vergangenheit, Spenser, Shakespeare, Milton. Selbst Pope stellt den Regelzwang nur gegen die Verderbnisse der Literatur, nicht für die direkte Nachahmung der Alten auf. Während man diese verehrt, ist man sich des eigenen Reichtums bewußt, und so wird das Altertum zu einem Ferment der Kultur, sogar in steigendem Maße, je mehr der fremde Regelzwang er- schüttert wird und abbröckelt. Von Bedeutung ist besonders, daß auf die antiken Muster je länger, je entschiedener mit Übergebung der Kritik aufmerksam gemacht wird.

.Wie das gemeint ist, zeigt sich zuerst in den tiefgründigen Aus- führungen Shaftesbury's, denen gegenüber Vida's und Boileau's For- derungen nach Disziplinierung des Genies ganz oberflächlich anmuten. Das Große und mächtig Ergreifende in Shaftesbury ist die unauflösliche Ver- bindung des ethischen und des ästhetischen Moments. Das Wichtigste für unser Leben, so führt er in der Schrift Solüoquy or advice to an author 1710 aus, ist die Erkenntnis unser selbst, die wir dadurch gewinnen.

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daß wir unsere Seele in zwei Personen teilen und diese einander Rede stehen lassen. Selbsterkenntnis ist vor allem für den Schriftsteller er- forderlich, denn nur sie befähigt ihn Charaktere darzustellen. Wie nun im gesellschaftlichen Leben der gut Erzogene vor dem, der die guten Sitten nur nachahmt, sogleich kenntlich ist, so geschieht es auch in der Literatur. Das Pferd macht noch nicht den Reiter, die Glieder nicht den Ringer, das Genie nicht den Dichter. Dieser muß durch die besten Kunst- regeln gebildet sein, und die stellt nur die Philosophie fest.

Die vollkommensten Darstellungen menschlicher Sitten und Charak- tere geben uns Piaton und Homer, der bei aller Bewegtheit der Handlung doch nur eine kunstvolle Reihe von Dialogen zeigt. Nie hören wir ihn selbst schildern; seine Personen stellen sich immer selbst dar. Die Tragödie hatte nach ihm nichts zu tun als seine Dialoge auf einer Bühne in Szenen vorzuführen. Im Dialog konnten die Alten ihr eigenes Gesicht sehen. Nur in solcher Darstellung von Menschen und Sitten erweist sich der wahre Dichter.

Homer habe, glaubt Shaftesbury, den vor ihm herrschenden erhabenen, nur Staunen hervorrufenden Stil durch den natürlichen und einfachen ersetzt und nur beibehalten, was dem bildlichen und metaphorischen Stil anstand. Sein Ziel war die wirkliche Schönheit der Komposition, die Einheit des Plans, die Wahrheit der Charaktere und die richtige Nach- ahmung der Natur in jeder Einzelheit.

Über homerische Charaktere verbreitet sich Shaftesbury eingehend in den Miscellaneous Reflections 1714. Er beantwortet da die vielerörterte Frage, warum Homer keinen moralisch vollkommenen Charakter geschaffen, damit, daß Homer nicht das Mögliche, sondern das Wahrscheinliche dar- stelle; ein vollkommener Mensch wäre ein künstliches Gebilde, unpoetisch und falsch. Homers Charaktere sind aus der Natur geschöpft; ihre Fehler sind die Übertreibungen ihrer Tugenden. Die Richtigkeit der Zeichnung bewirkt, daß wir Homer auch alle möglichen Hyperbeln zugeben. Die Ausschreitungen jedes Charakters werden durch den Dichter wieder zu- rechtgerückt. Durch richtige Verwendung der Unfälle, die jenen folgen, werden unsere in heftigster Weise erregten Leidenschaften in der heil- samsten und wirksamsten Weise gebessert und gereinigt. Die Originalität des Dichters beruht auf der Mannigfaltigkeit seiner Modelle, und diese ist allein natürlich, während die übertriebene Regelmäßigkeit der Häß- lichkeit nahekommt. Deshalb wäre ein vollkommener Charakter das größte Monstrum, weder einladend noch bessernd.

Der Dichter, so lautet Shaftesbury's Gesamtforderung, muß sich selbst kennen, beim Philosophen die moralischen Lehren suchen, selbst

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Shaftesbury 313

ein guter und weiser Mann sein, Verständnis für moralisclie und poetische Wahrheit haben und sich an den besten Mustern bilden. Wenn Shaftes- bury als solche Piaton und Homer den berühmten Engländern, Shake- speare und Milton, vorzieht, so sind seine Gründe stilistischer Natur. Auch bei Shakespeare erkennt er die Richtigkeit der Moral, die zutreffende Schilderung und natürliche Charakterzeichnung an, bei Miltön die edle Leidenschaft und den ununterbrochenen Faden moralischer Belehrung; aber er vermißt bei ihnen das Ebenmaß und die weise Selbstbeschränkung, die er an den Alten bewundert.

In den Angriffen auf die Alten sieht Shaftesbury nur ein Mittel der Modernen, sich selbst herauszustreichen. Um einen modernen Poeten zu erheben, müsse immer gleich ein Homer oder Pindar heruntergerissen werden. Man könne die Alten in Ruhe lassen; wenn man sie aber zitiere, um sie herabzusetzen, so könnten sie im Ernst beunruhigend werden. Sie würden unter den Weisen und Gelehrten jedes Zeitalters eine starke Partei haben, und Beleidigungen gegen sie würden immer ihren Rächer finden.

Die Verwendung biblischer Stoffe im profanen Gedicht verwirft Shaftesbury, ebenso die der überirdischen Gewalten. In der Begründung deckt er sich zum Teil mit Boileau, will aber dessen Urteil nicht auf Milton angewendet wissen. Denn der Kampf im Himmel und der Fall des Menschen seien in der Bibel so dunkel geoffenbart, daß sie die dichterische Behandlung wohl vertrugen; bei Behandlung späterer Pa- triarchengeschichten würde sich Milton selbst von der Schwäche seiner orthodoxen Muse überzeugt haben.

Nur durch seine Überzeugung von der Notwendigkeit der moralischen Selbstzucht des Genies ist Shaftesbury verhindert worden, den Gedanken Wotton's über das, was wir MiHeu nennen, weiteren Raum zu geben. Denn er hat ihn wohl erkannt. Mit Eifer führt er aus, daß nur die Freiheit der wahre Nährboden der Künste sei, während despotische Ge- walt nur mißgestaltete und barbarische Erzeugnisse zeitige.

Shaftesbury hat sich an Aristoteles mehrfach angelehnt, aber nie, ohne die Sätze der Poetik neu zu begründen und gewöhnlich zu ver- tiefen. Über die klassizistische Theorie hinaus greift er nach den alten Mustern, in denen er mehr entdeckt, als jene gefunden hatte. Sein Haupt- ziel ist nicht ästhetisch, sondern moralisch; er will die Unmoral der neuesten Literatur durch Hinweis auf die besten Vorbilder bekämpfen.

Eine gleiche Absicht äußert ein ungleich weniger freier Geist, John Dennis. Seine Schriften sind äußerst schwer zu erreichen, doch habe ich die beiden für meinen Zweck wichtigsten einsehen können. La dem

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Aufsatz The advancement and reformation of modern poetry 1701 er- klärt sich Dennis zunächst, in der Dedikation an Lord Buckingham, als unbedingten Anhänger der Regeln, die in der Poesie so notwendig seien als in der Natur, und die schon Homer und Virgil erkannten und verwendeten; denn sie schrieben für ihre Mitbürger in der ganzen Welt, für alle Länder und Zeitalter, und wußten, daß nur das, was der Ordnung der Welt ähnlich war, sie unsterblich machen würde. Auch in Frank- reich habe die Kritik die Poesie auf die höchste Höhe geführt, während England noch durchaus der Förderung durch die Theorie bedürfe, um den Mangel an Ebenmaß ablegen zu können.

Der Aufsatz selbst geht von dem Streit der Alten und Modernen aus, der etwas oberflächlich dargestellt ist, über den aber Dennis die gute Bemerkung macht, daß er nur gegenseitige Verbitterung zur Folge gehabt habe. Er ist von der Überlegenheit der Alten im ganzen über- zeugt, lehnt aber jede Erklärung aus dem Milieu entschieden ab. Die äußern Verhältnisse waren den Alten nicht günstiger als uns, ebenso wenig waren diese durch Anlagen und Geist überlegen. Ihr Vorzug in hoher Poesie beruht auf den Gegenständen, die sie behandelten. Denn das religiöse Gedicht erweckt den Enthusiasmus, einen durch Urteil gebildeten Affekt, stärker als das profane, weil es die größten Gegen- stände behandelt. Wo die Religion aus dem Spiele bleibt, wie in der Komödie, haben die Modernen den Vorsprung, während die alte Tragödie überlegen ist, weil die Handlung beständig von Göttern geleitet wird. So wird auch im Epos die Bewunderung für die Taten der Helden durch die Mitwirkung der Götter gesteigert. Der Mensch wird in unsern Augen erhöht, wenn wir ihn vom Himmel beschützt sehen. Die hohe Poesie der Griechen blühte so lange wie der Oflenbarungsglaube und hörte mit diesem auf, da der antiken Religion die Moral fehlte und sie ohne jenen Glauben nicht fortbestehen konnte. Boileau hat mit seiner Behauptung, Poesie und Christentum seien unvereinbar, nur insofern Recht, als die Mysterien des Christentums nicht mit heidnischen Fiktionen vermischt werden dürfen. Sonst aber stimmt die Poesie, je näher sie der Vollkommenheit kommt, mit der Absicht der Religion überein, das Elend des Menschen durch Aufhebung des Konflikts in seinem Ltmeren auszugleichen. Die hohe Poesie stellt eine Vereinigung von Vernunft und Leidenschaft her und versetzt daher den Menschen in den glücklich- sten Urzustand.

Virgil modelte die griechische Offenbarung nach der platonischen Philosophie, die dem Christentum näher stand, und überwand dadurch den Homer. Denn er steht ihm in Darstellung der Affekte nicht nach.

Dennis 315

befriedigt aber die Vernunft besser, die durch die Extravaganzen der homerischen Theologie beleidigt wird. So steht wenigstens für uns, sagt Dennis, Yirgil höher, und noch mehr müßte das bei den modernen Poeten der Fall sein, wenn sie ihre Poesie mit der wahren Religion vereinigen wollten.

Man sollte glauben, Dennis würde die Krone der Entwicklung in Milton erblicken, und in der Tat behauptet er, daß dieser wie andere religiöse Dichter stärkere Affekte erwecke und darum größeres Vergnügen gewähre als Virgil. Dennoch sei dieser durch die fortwährende Harmonie des Versbaues, die beständige Schönheit des Ausdrucks und die immer gleiche Erhebung vorzuziehen. Die Schuld gibt Dennis der englischen Sprache und dem Mangel an kunstvoller Behandlung. Es sei eben leicht zu beweisen, daß kein Modemer die Kunst der epischen Poesie verstanden habe, der schrieb, bevor Le Bossu ihre Mysterien enthüllte.

Wenig mehr bietet die spätere Schrift The grounds of criticism in poetry 1704. Die Gedanken des Advancement sind breiter entwickelt, aber kaum vertieft. Das Ganze läuft in eine ziemlich unfruchtbare Theorie des religiösen Epos aus. Bemerkenswert ist nur, daß hier Milton eine Stellung angewiesen wird, die bei einem so eifrigen Verehrer der Regeln überrascht. Milton, so sagt nämlich Dennis, durchbricht die ihm wohl- bekannten Regeln des Aristoteles, um nicht dem Geschick aller Epiker nach Homer zu verfallen, ein Kopist statt eines Originals zu sein. In der Erfindung waren diese Dichter ja selbständig, nicht aber in der Aus- führung. Milton ist der erste originale unter ihnen. Sein Gedicht ist nicht wider die Regeln, sondern steht über ihnen. Denn er beobachtete, daß sie aus Homer abgeleitet waren, bei dem die Götter erst in zweiter Linie kommen, wogegen die Menschen die erste Rolle spielen. Bei Milton aber sind der Satan und der Mensch die Hauptpersonen, und jener ist, da er die Oberhand gewinnt, der Hauptheld. Hier macht sich, wie noch oft bei Dennis, Dryden's Einfluß bemerkbar; aber er unterscheidet sich von ihm grundsätzlich dadurch, daß er im Vergnügen nur das unter- geordnete, in der Belehrung das entscheidende Moment der Poesie erblickt.

Unter Dryden's Einwirkung steht auch Addison, bei dem die Widersprüche, die jener bietet, bis zu einen gewissen Grade fortdauern und eine einheitlich geschlossene Anschauung ebenso wenig vorhanden ist. Seine Ansichten lassen sich an seinen Urteilen über Homer gut ver- folgen; sämtliche Äußerungen über diesen fallen in den Zeitraum von 1710 bis 1714.

Die erste davon hat mit den theoretischen Fragen nichts zu tun. Addison will im Tatler an der Unterweltsfahrt des Odysseus die ältesten

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Vorstellungen von Leben und Tod erörtern, kommt aber nicht recht dazu, weil er sich zu sehr in Bemerkungen über die schöne und lehr- reiche Charakteristik und die in dieser Erzählung enthaltenen moralischen Vorschriften ergeht. Dabei ist ihm begegnet, daß er die wichtige Be- lehrung der Antikleia über die Seelen im Hades ohne Kommentar über- setzt und die bittem Worte des Achilleus über den Tod nicht einmal berücksichtigt.

Die Stellung Addison's zur theoretischen Poetik der Zeit erhellt am besten aus dem Spedator. Er hat die Regeln der Kritiker besonders gern da verwendet, wo es ihm darauf ankam, Erzeugnisse der englischen Literatur als gleichwertig mit den antiken Poesien zu erweisen. Das erste Beispiel ist die warme und schöne Empfehlung der altenglischen Ballade The Song of Chevy-Chase. Nachdem Addison die allgemeine Be- liebtheit solcher Balladen auf den großen Eindruck zurückgeführt hat, den diese Gemälde der Natur auf jeden Unverbildeten machen müssen, findet er in diesem Song zuerst die Hauptregel erfüllt, daß das Epos auf einen moralischen Lehrsatz gegründet sein müsse. Hier wie anderswo zeigt sich, daß ihm die Weisheit Le Bossu's sehr imponiert hat, da dessen moralische Erklärung des Epos zu sehr mit seinen eigenen Ideen über- einstimmte, als daß er sich dagegen hätte auflehnen mögen. Wichtig ist ihm dann besonders der Nachweis, daß die Ballade an Größe der Gefühle nicht hinter Virgil zurückstehe, der beständig zur Vergleichung herangezogen wird.

Umfassender prüfte Addison das Verhältnis Milton's zu den Ge- setzen der Kritiker und den antiken Mustern. Sein Vorgehen erinnert an Paolo Beni, nur daß er von vornherein jede polemische Tendenz ab- lehnt. Da sich allgemeine Erörterungen nur um Worte zu drehen pflegen, will er nicht untersuchen, ob das Verlorene Paradies ein Epos sei; es genügt, wenn es alle Vorzüge dieser höchsten Dichtungsgattung hat. Daß dies der Fall sei, weist er zuerst im allgemeinen an der Hand der Regeln nach, wobei er vorwiegend Rapin, Le Bossu und Dacier zu- grunde legt. Er ist aber nicht gesonnen, die Kritiker unbedingt zur Richtschnur zu nehmen. So bekämpft er die allgemeine Giltigkeit der Lehre, daß der Fall des vollkommen Tugendhaften nicht dargestellt werden dürfe, gerade mit dem Beispiel des ersten Paares und fügt hinzu, die Regeln des Aristoteles passten nicht durchaus für die späteren Epen; seine Lehrsätze wären noch vollkommener geworden, wenn er die Aeneis erlebt hätte. Er denkt darin wie Giraldi Cinthio. Sogar gegen Le Bossu erklärt er sich insofern, als er nicht glaubt, daß der Dichter zuerst einen moralischen Lehrsatz wähle, um nachträglich eine Geschichte dazu zu

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machen; er gibt nur zu, daß aus jedem Epos eine große Moral müsse abgeleitet werden können, und die des Paradise sei, daß Gehorsam gegen Gott glücklich, Ungehorsam unglücklich mache.

So ist Addison auch nicht um jeden Preis bestrebt, Milton über die Vorbilder zu erhöhen. Er gibt dem Paradise den Vorzug in der Ein- heit, Ganzheit und Geschlossenheit der Handlung. In den Charakteren preist er die Mannigfaltigkeit und Eigenart Homers, hinter dem Virgils Einförmigkeit stark zurückstehe, erkennt aber etwas Neues und Pracht- volles in der Zeichnung des Standes der Unschuld. Den listenreichen Odysseus überbiete der Satan. Wenn es der Vorzug der Alten war, ihre Nation zu interessieren, so sei Miltons Gedicht eine Angelegenheit der Menschheit. An Erhabenheit der Gedanken übertrifft für ihn Milton alle Alten und Modernen, Homer ausgenommen, an dessen Größe Virgil nur heranreiche, wenn er ihn kopiere. Affektiertheit und Unnatur sehen wir bei den Alten nie, dagegen habe Milton darin gelegentlich seiner Zeit einen Tribut entrichtet. An ihm tadelt Addison auch die vielen allegorischen Einzelheiten und Symbole, die mehr den Geist Spenser's und Ariosts als den Homers und Virgils atmeten. Besonders stören ihn in Milton's Gedicht die Gestalten der Sünde und des Todes, so groß- artig sie gezeichnet seien, und er merkt an, daß das weit über die Ver- wendung allegorischer Figuren hinausgehe, wie wir sie bei den alten Dichtem finden.

Richtschnur der Besprechung im einzelnen ist Dryden's Wort, die wahre Kritik habe vor allem auf die Schönheiten hinzuweisen. Obwohl er es z. B. grundsätzlich nicht für angebracht hält, wenn Milton über seine Blindheit, die Ehe, die Nacktheit der ersten Menschen und vieles andere längere Reflexionen anstellt, so findet er doch gerade in diesen Digressionen eine solche Schönheit, daß er sie nicht aus dem Gedichte wegdenken möchte. Die nämliche schöne Wärme beseelt den Hauptteil der Arbeit Addison's, die fortlaufende Erklärung des Verlorenen Para- dieses. Hier hat Addison zwar bei weitem nicht alle, aber doch die wich- tigsten Parallelstellen aus Homer herangezogen, meistens ohne gegen- seitige Abwägung der Schönheiten. Wir stimmen ihm bei, wenn er sagt, er habe die großem Übereinstimmungen nicht nur unparteiisch hervorgehoben, sondern sie dadurch auch vor den Spitzfindigkeiten der Geschmacklosen und Ignoranten gesichert.

Wenn Addison in seiner Kritik des Paradise den Regeln mehrfach die freie Schönheit gegenüberstellt, so geht er anderwärts noch weiter. In einer Ausführung über das Genie sagt er, die am meisten bewunderten Genies seien die, welche ihre Werke ohne Unterstützung von Kunst und Gelehr-

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samkeit schufen, und in denen eine wilde Schönheit walte, die weit schöner sei als das, was die Franzosen bei esprit nennen. Viele dieser ursprüng- lichen Genies finden sich im Orient: Homer, dessen Flug Virgil niemals erreichte, die Dichter des Alten Testaments, die Homer noch übertreffen. An Korrektheit und Zierlichkeit, nicety, stehen sie hinter den Modernen zurück. Ihre Gleichnisse entbehren oft der Schicklichkeit, wie der bekannte Esel Homers und andere. Aber solche Einzelheiten können nur Witz- linge belachen, die sie nicht zu genießen verstehen. Zu diesen Genies gehört auch Shakespeare. Andere unterwerfen ihre Talente den Ein- schränkungen der Theorie. Jene erinnern an den reichen Boden in einem glücklichen Klima, wo eine ganze Wildnis edelster Pflanzen ohne be- stimmte Ordnung aufwächst; diese haben den nämlichen reichen Boden, der aber durch die Kunst des Gärtners Form und Schönheit erlangt hat. Diese sind in Gefahr, sich zu sehr nach Mustern zu bilden und so der Nachahmung zu verfallen, die nie an die Originale heranreicht. Später wiederholt Addison das nämliche Bild in der Artikelserie über Pleasures of Imagination. Die Dichter, heißt es da, sollen sich an der Natur und am Landleben bilden, mit der Pracht der Höfe und den bildenden Künsten vertraut machen und dadurch die angeborne Fähigkeit ausbilden, lebendige Vorstellungen in sich aufzunehmen und die Phantasie der Leser zu beleben. Von den alten Dichtem, die durch diese Fähigkeit hervorragen, wirkt Homer durch Größe, Virgil durch Schönheit, Ovid durch Seltsamkeit. Das ist alles nicht gerade neu, wohl aber das darauf folgende Stück, die Parallele zwischen Homer und Virgil. Wenn wir die Ilias lesen, sagt Addison, wandern wir durch unbewohntes Land, wo die Phantasie durch tausend wilde Bilder unterhalten wird; durch weite Einöden, große Moräste, ungeheure Wälder, formlose Felsen und Abgründe. Die Aeneis dagegen ist ein wohlgeordneter Garten, wo jede Ecke geschmückt ist und das Auge überall schöne Pflanzen und Blumen erblickt. Mit den vorhin erwähnten Ausführungen zusammen ergeben diese Gedanken die Gegenüberstellung nicht von zwei Dichtem, sondern von zwei grund- sätzlich verschiedenen Arten der Poesie. Es liegt allerdings nicht nur am Fehlen der Kunstausdrücke, wenn nicht ausdrücklich zwischen Na- tur- und Kunstpoesie unterschieden wird. Addison hat gleich nachher Homer majestätisch, Virgil angenehm genannt, hat Ovid nachhinken lassen, der gar nicht hergehört, und am Schlüsse noch seinen Milton eingeführt, was alles die Schärfe des Gegensatzes verwischt. Dennoch ist dieser nicht besser zu bezeichnen, als durch die Unterscheidung der beiden Arten von Genie und die Vergleichung von Ilias und Aeneis geschehen ist. Die Werke der Natur stellt Addison auch sonst über

Addison Kleine epische Gedichte 319

die der Kunst und gibt nur zu, daß beide um so besser gefallen, je mehr sie sich einander nähern. Shakespeare nennt er einmal einen Stein des Anstoßes für die minderen Kritiker, stellt seine Werke bocb über die nach den Regeln gebauten und vergleicht ihn mit dem Stein in Pyrrhos' Ring, der Apollon und die Musen zeigte, ein Spiel der Natur, dem keine Kunst nachgeholfen hatte.

Mit Heftigkeit wendet sieb Addison gegen die Verwendung der antiken Mythologie im modernen Gedichte. Er hatte wohl dabei vornehmlich die Oden im Auge, welche die Siege des spanischen Erbfolgekrieges verherr- lichten. Es gab aber daneben eine kleine Zahl epischer Stücke, welche sich an die antiken Epiker in manchen Punkten anlehnten.

John Hughes bietet in seinem Gedichte The Court of Neptune 1699 Neptun mit seinem ganzen Gefolge von Tritonen und Nereiden auf, um den von einer Reise aus Holland nach England zurückkehrenden Wilhelm III zu geleiten. John Philips läßt in seinem Gedicht Blenheim 1705 Marlborough wie einen homerischen Helden kämpfen, der die ganze Arbeit allein vollbringt. Ein solcher Held ist Marlborough auch in Nicolas Rowe's Poem on tJie lote glorious successes, in dem zahlreiche Personifikationen und die Genien Englands mitwirken. Rowe hat auch ein homerisches Gleichnis übernommen und es verbessern zu müssen geglaubt. Leonard Welsted schrieb 1709 ein Gedicht über den Sieg von Audenarde, das sehr reich mit homerischen Reminiszenzen gespickt ist, aber fast nur aus Deklamationen besteht. Die Poeme sind sämt- lich frostig, und wenn noch eine gute Szene vorkommt, wie bei Philips die Schilderung der in die Donau gedrängten Franzosen, so ist sie durch gelehrte Reminiszenzen verunstaltet.

Von solchen Versuchen hob sich Addisons Gedicht The Campaign 1704 sehr vorteilhaft ab. Marlborough ist hier ein wirklicher moderner General, kein Aias oder Achilleus. Auch die Anlage ist vortrefflich. Einige homerische Reminiszenzen fehlen nicht. Am Schluß bemerkt der Dichter, daß zwar für Handlungen, die ohne Schmuck kraftlos wären, Götter vom Himmel und Flüsse aus ihrem Bett herbeigerufen werden mögea; da könne die Erfindung die Wirklichkeit schmücken; wo jedoch die Taten der Helden schon hell genug glänzten, sei die wahrste Schilde- rung der höchste Preis. Wenn hier Addison die übermenschlichen Mächte für seinen Zweck wenigstens für überflüssig erklärt hatte, ging er im Spectator 1 7 1 2 der Göttermaschine überhaupt zu Leibe. Er preist Thomas Tickell's Gedicht On the Prosped of Peace, das freilich abgesehen von der Weglassung der Götter wenig Lob verdient. Addison verspottet die Heranziehung der Mythologie als Schülerexerzitien. Kein Gedanke könne

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schön sein, er sei denn auf Wahrheit oder allgemeinen Glauben ge- gründet. Nur im komischen Epos will er die Götter noch gelten lassen, ohne Zweifel eine Konzession an den Lutrin und Pope's Lockenraub. Mit humoristischem Ernst erläßt er ein förmliches Edikt gegen die Verwendung der Mythologie im ernsten Gedicht, wo sie nur lächerlich wirke. Anders stellt er sich zu den Fabelwesen des englischen Aberglaubens, Feen, Hexen, Geistern, Kobolden, wie sie schon in englischen Dichtem, be- sonders bei Shakespeare, meisterhaft behandelt seien. Sie mögen unwahr- scheinlich sein, aber da wir doch an intellektuelle Wesen außerhalb der Menschen glauben, geben wir uns der Täuschung willig hin.

Nicht vergessen möchte ich endlich den erst 1739, zwanzig Jahre nach Addisons Tod, gedruckten Discourse on ancient and modern learning. Der Titel ist irreführend. Es handelt sich nicht um den abgestandenen Kohl. Addison stellt vielmehr die sehr berechtigte Frage, ob wir die alten Dichter mit dem nämlichen Vergnügen zu betrachten vermögen, wie es die Zeitgenossen an ihnen fanden. Diese waren, so lautet die Ant- wort, dadurch weit günstiger gestellt als wir, daß sie die Personen kannten, deren Porträts Homer, die Komiker und Satiriker gaben, ebenso die Zusammenhänge der Poesie mit der bildenden Kunst, wie z. B. den Virgils mit dem Laokoon. Dann lebten sie im Lande ihrer Dichter, an die jeder Ort sie erinnerte; Homers und Virgils Helden waren die ihrer Nation. Und endlich genossen sie bewußt den Klang und die Harmonie ihrer Sprache, von der wir nicht einmal recht wissen, wie sie geklungen hat. Alle diese Dinge fallen für uns weg. Dafür sehen wir an den Alten nur die unvergänglichen, von allem Beiwerk befreiten Schönheiten. Ihre Namen, ihre Helden, selbst ihre geographischen Bezeichnungen wirken er- haben, nicht wie aus einer gewöhnlichen, sondern gleichsam einer roman- haften Welt. So finden wir vielleicht manches selbstverständlich und schön, woran die Zeitgenossen Anstoß genommen haben.

Die Regeln, deren Herrschaft Addison in vielen Punkten aufgehoben hatte, wurden durch Pope zu uneingeschränkter Geltung erhoben. Sein Essay on Criticism, geschrieben 1709, gedruckt 1711, wurde das Glaubens- bekenntnis des Regelzwangs. Es ist gewiß zuzugeben, daß sich Pope eigentlich nur die Aufgabe gestellt hatte, gegenüber der Affektiertheit und Unnatur eines großen Teils der Literatur des 17. Jahrhunderts eine feste Richtschnur des literarischen Urteils zu spannen, und daß er da- mit in stilistischer Hinsicht Gutes gewirkt hat. Mehrere seiner Bemerkungen über Kritiker und Dichter der Zeit sind ganz vorzüglich. Bedenklicher ist schon, daß er als Muster nur die Alten zuläßt, und die Art, in der dies geschieht, ist es noch viel mehr. Pope rät den Kritikern und

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Dichtern, an die er sich abwechselnd und in verwirrender Weise wendet, vor allem Homer zu studieren, an ihm ihr Urteil zu bilden, ihn mit sich selbst zu vergleichen und sich ihn dann durch Yirgil erläutern zu lassen. Dann folgt die berühmte Stelle: Virgil beabsichtigte zuerst in schrankenlosem Sinn durch ein Gedicht Rom zu überdauern; vielleicht dünkte er sich über die kritischen Gesetze erhaben und verschmähte es, nur aus dem Born der Natur zu schöpfen. Als er aber jede Einzel- heit prüfte, da fand er, daß Homer und Natur dasselbe sei. Überführt und bestürzt hielt er in seinem kühnen Unternehmen inne, und die Regeln beschränkten nun sein mühevolles Werk so enggeschlossen, als ob Aristoteles jede Zeile überwachte. Daraus soll man richtige Achtung vor den alten Regeln lernen; die Natur zu kopieren besteht darin, jene zu kopieren.

Pope's ganze Ausführung ist ein keckes Wirtschaften mit fremdem Gut. Dryden hatte in der Dedikation zur Aeneis den Virgil gegen den Vorwurf, ein Kopist zu sein, in Schutz genommen: Virgil habe beim Lesen Homers gelernt, dessen Erfindung nachzuahmen, d. h. gleich ihm nachzuahmen. Raffael habe die Natur nachgeahmt; wenn ein Maler ihn studiere, so heiße das nichts anderes, als daß er wünsche, nach seiner Art entwerfen zu lernen. Das war einfach und verständlich, ebenso wenn Dryden in der Vorrede zu Troilus und Cressida gesagt hatte, die Regeln seien gemacht, um die Natur in methodische Ordnung zu bringen. Auch das wiederholt Pope, benutzt nun aber alles zu einem ungehörigen Schlüsse. Wenn er Homer und Natur gleichsetzt, so kann man das noch gelten lassen und als einen Fortschritt gegenüber den französischen Auf- fassungen ansehen. Der Schluß aber, daß Virgil durch das Studium Ho- mers zur Beobachtung der aristotelischen Regeln geführt worden sei, und daß demnach die Natur am besten nach den antiken Regeln kopiert werde, ist eine Gewalttat. Die antike Poesie ist als Muster ausgeschaltet. An ihre Stelle tritt die antike Poetik, erläutert durch Boileau und den über- schwänglich gepriesenen Vida, der seit kurzem den Engländern durch die Übersetzung von Basil Bennet nahe gebracht worden war.

Dem gegenüber verschlägt es nichts, daß der Essay keine Weisungen über die einzelnen Dichtungsgattungen enthält; es macht im Gegenteil die Sache nur schlimmer. Boileau's Art poetique hatte doch wirkliche Vorbilder aufgestellt; Pope leitet die Rückständigkeit der englischen Literatur davon ab, daß sich die tapfem Briten, im Stolz auf ihre Geistesfreiheit, nicht wie die der Knechtschaft gewohnten Franzosen den Regeln unterwerfen wollten. Der Spott, der zunächst auf Dryden's mannhafte Selbständigkeit geht, schließt die großen englischen Dichter,

Finaler: Homer in der Neuzeit. 21

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Shakespeare und Milton, in den Vorwurf der Unzivilisiertheit ein. Die kümmerlichen Leistungen eines Roscommon, Buckingham, Walsh werden als Beginn der Ära gepriesen, in der die gesamte antike Kritik in England ihren Einzug halten werde.

Dieser entsetzlichen Enge gegenüber will es nicht viel sagen, wenn auch einmal ein freierer Gedanke zum Ausdruck kommt. Pope vergleicht die Leute, die ausschließlich nur eigene oder fremde, antike oder mo- derne Schriftsteller gelten lassen, den intoleranten Menschen, die nur einer einzigen Sekte den wahren Glauben zugestehen. Die Sonne scheine überall hin und habe es immer getan, und doch wechseln überall Wachstum und Zerfall, helle und dunkle Tage. Das ist aber das ein- zige Zugeständnis, das er für die Modernen übrig hat. Die Forderung, daß man bei Beurteilung jedes Dichters seinen besondern Charakter, wie den seiner Zeit studieren müsse, kommt nur den Alten zugute, und wenn mit Rapin verborgene Schönheiten außer jeder Regel an- genommen werden und dem Genie eine glückliche Freiheit zugebilligt wird, so müssen sich die Modernen die Weisung gefallen lassen, daß sie darin nicht über das Beispiel der Alten hinaus gehen sollen. Was sonst an dem Essay unsympathisch anmutet, ist die Unsicherheit der Be- griffe, die großenteils daher rührt, daß die meisten Gedanken entlehnt sind. Ganz unerträglich ist vor allem, daß man nie recht weiß, was Pope mit dem Wort Natur sagen will. Es sind darüber die verschiedensten Erklärungen aufgestellt worden, wie denn überhaupt über den Wert des Essay noch heute in England keineswegs Übereinstimmung herrscht.

Die Gedanken Pope's gibt im ganzen, aber ohne Rücksicht auf das Altertum, sein Anhänger Thomas Parnell in dem Gedicht Essay on the different styles of poetry wieder. Er läßt einen Sänger erzählen, wie ein anderer Dichter auf dem Musenpferd einen Flug über verschie- dene Länder ausführt, in denen er Wohnung sucht. In den ersten, zu denen er gelangt, kann er nicht bleiben, weil da poetische Mißstände herr- schen; es sind die nämlichen, die Pope angegriffen hat. Endlich kommt er in das Land des Schönen, wo Phantasie und Urteil regieren, wo die Dichter zwar mehr ihrem Genie als der Kunst vertrauen, wo aber die Kunst ihre Bestrebungen als richtig anerkennt. Der Schluß ist moralisch gewendet: das Beispiel der großen Dichter möge zur Nacheiferung im Leben anfeuern, wie das des homerischen Hektor zu ruhmvollen Taten begeistert.

Li Pope's Gedichten, die mit dem Essay ungefähr gleichzeitig sind, spielt Homer eine bedeutende Rolle. Zuerst in dem 1711 verfaßten, 1715 gedruckten Temple of Farne, einem nach Chaucer's Vorbild ent-

Pope Übersetzungen 323

worfenen allegorischen Gedicht mit stark satirischem Einschlag. Im Tempel der Fama thront auf einer der Säulen, die den Altar umgeben, der mächtige Homer, blind und doch kühnen Blicks, vom Alter un- gebeugt. Am Pfeiler sieht man die troischen Kämpfe abgebildet, die Verwundung der Aphrodite durch Diomedes, den Triumph Hektors über Patroklos und seine Schleifung um die Mauern Trojas. Bewegung und Leben herrschen überall; das kühne Werk zeugt vom Feuer des Meisters, der vor allem starken Ausdruck zu erstreben schien und auch da und dort eine tapfere Nachlässigkeit offenbarte. Daneben, das Auge unver- wandt auf Homer gerichtet, sitzt Yirgil in bescheidener stolzer Anmut; auf seinem Schrein sind seine wohldurchdachten Werke dargestellt.

Auf einer wirklichen Begebenheit fußt der Lochenrauh, ein an- mutiges Nichts von vollendeter Grazie. Pope war aufgefordert worden die Geschichte zu 'besingen, wie ein junger Edelmann einer Dame eine Locke abschnitt, und wie daraus ein großer Haß zwischen den beiden Familien entstand. Die erste Fassung des Gedichts von 1712 enthielt nur die einfache Erzählung; in die zweite, 1714, flocht Pope gegen Addispn's Rat helfende Geister ein, Ariel, Sylphen, Gnomen, in Anlehnung an Spenser und an den Sommernachtstraum. Diese zarten Wesen sind ohne Zweifel anmutiger als die kalten Abstraktionen des Lutrin, den sonst der Lockenraub an komischer Kraft bei weitem nicht erreicht. Von großer Wirkung sind die Entlehnungen aus Homer, die natürlich beim Leser Kenntnis des Dichters voraussetzen. Wenn der Locken- räuber mit den nämlichen Worten bei der geraubten Locke schwört, wie Achilleus bei dem Zepter; wenn um die Locke ein Kampf tobt, der der Götterschlacht der Ilias nachgebildet ist, oder Belinda's Haar nadel eine ebenso glorreiche Geschichte hat wie Agamemnons Zepter, so wirkt in der Tat die Einführung des majestätisch Epischen in das ganz Winzige überwältigend komisch.

Durch nichts haftet Pope's Name mehr im Gedächtnis der Menschen als durch seine Übersetzung Homers. Seit Hobbes waren mehrere kleine Anläufe zu Übersetzungen gemacht worden. Congreve gab Stücke von Ilias 24 mit überflüssiger Rhetorik. Thomas Yalden übersetzte den Anfang von Ilias 16 so ungenau als möglich mit gänzlicher Zerstörung des einleitenden Gleichnisses. Christopher Pitt gab eine Probe von Odyssee 23. Thomas Tickeil beabsichtigte die Übersetzung der ganzen Ilias, ließ es aber nach dem Erscheinen von Pope's Werk beim ersten Buche bewenden und erklärte, er veröff'entliche diese nur, um das Pub- likum für seine Übersetzung der Odyssee zu gewinnen. Von Dryden's Übersetzungen ist bereits gesprochen. Diese Versuche sind alle in ge-

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reimten Couplets gehalten; nur William Broome versuchte für Ilias 10 Milton's Blankvers.

Von Pope's Biad erschien der erste Band 1715, der letzte 1720, 1723 bis 1725 die Odyssey, die nicht Pope allein gehört. ElijahFenton übersetzte davon vier, William Broorae acht Bücher, unter Wahrung des Stils der Iliad und unter Pope's Oberaufsicht. Die Zitate aus Eusta- thios, die einen großen Teil der Anmerkungen ausmachen, übersetzten ihm Broome und Jortin. Der Essay on the life, writings and learning of Homer, der dem ersten Bande vorgedruckt ist, war ein Geschenk von Thomas Parnell, der Pope's Sammlungen benutzte.

Dieser Essay ist ein wichtiges Dokument für den damaligen Stand der gelehrten Homer studien, denn er zeigt eine interessante Mischung von kritischer Schärfe mit noch ziemlich weitgehendem Befangensein in hergebrachten Anschauungen. Parnell befaßt sich nicht mit den Kämpfen der Modernen, sondern nimmt nur die Alten als Gewährs- männer. Er untersucht die Angaben des Altertums über Homer nach ihrem Ursprung und findet diesen entweder in abergläubischer Verehrung oder in neidischer Verkleinerungssucht, endlich in dem unkritischen Bestreben, durch Sammlung aller möglichen Notizen ein Lebensbild des Dichters zu gewinnen. Was Parnell selbst als feststehend betrachtet, ist nur, daß Homer wahrscheinlich kurze Zeit vor Einführung der Olympiadenrechnung lebte, in Smyrna oder Chios zu Hause war und sein Wissen auf weiten Reisen gewann. Aus den Werken sucht er die Züge für ein Charakterbild Homers zu gewinnen, das er aber nur als seine eigene Anschauung gibt. Inbezug auf die Echtheit der verlorenen, dem Homer zugeschriebenen Gedichte beruft er sich auf die antiken Zeug- nisse. Aus seiner Übersicht der Geschichte der homerischen Poesie im Altertum ist hervorzuheben, daß er zwar Peisistratos die zerstreuten Ge- dichte in ein Ganzes redigieren läßt, diese Sammlung aber nur als die Wiederherstellung des ursprünglichen Planes ansieht. Die allegorischen Erklärungen der Neuplatoniker betrachtet er als Waffe gegen die Angriffe der Christen. An der Hand der Werke prüft er Homers Wissen. Er er- kennt in ihm den, der in Wahrheit zuerst den Namen eines Dichters verdiente. Seine Religion ist die seiner Zeit, ein aus der wahren Gottes- vorstellung verderbter Polytheismus; aber dazwischen schimmern Lichter wahrer Erkenntnis, die nur leicht durch Allegorien verhüllt sind. In Zeus erkennen wir den wahren Gott, dem aber infolge des Mangels an reiner Vorstellung menschliche Züge beigelegt wurden. Die andern Götter sind Personifikationen der menschlichen Tugenden und Talente; aber Parnell warnt davor, jeden Zug allegorisch erklären zu wollen, da die

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ParneU Pope 325

Absicht des Dichters, durch Erstaunen Vergnügen zu bewirken, den moralischen Gehalt oft unterdrückte. Doch wiegt nach Pamell der lehr- hafte Charakter der Gedichte vor; darin ist er noch ganz von Le Bossu abhängig, dessen Moral der Ilias er übernimmt. Die vielbesprochene Ge- lehrsamkeit Homers bestimmt er dahin, daß der Dichter nicht nur im vollen Besitz des Wissens seiner Zeit war, sondern in seinen Werken der Nachwelt die Quellen neuen Wissens erschloß.

In Pope's Iliad ist vor allem die Vorrede wichtig, der man anmerkt, daß zwischen ihr und dem Essay on Criticism die Aufsätze des Spectators liegen. Die Bedeutung der Erfindung wird gegenüber der des Urteils viel kräftiger hervorgehoben, Addison's Unterscheidung des wilden Para- dieses Homers von dem wohlgepflegten Garten Virgils in mehreren bilder- reichen Vergleichungen weitergeführt.

An der Fabel unterscheidet Pope das Wahrscheinliche, das Allego- rische und das Wunderbare. Die wahrscheinliche Fabel ist die Erzählung von Handlungen, die, wenn nicht geschehen, doch möglich, oder, weim geschehen, durch Episoden und Zusätze Fabeln geworden sind, wie die Rückkehr des Odysseus oder die Ansiedelung der Troer in Italien. Die der Ilias ist der Zorn des Achilleus, der kürzeste Gegenstand, den je ein Dichter gewählt hat, der aber durch Geschichten aller Art bereichert ist. Virgil, der diese Wärme des Genies nicht besaß, half sich durch aus- gedehnteren Stoif und Zusammenfassung beider Gedichte Homers in einen einzigen Plan. Spätere haben durch eine Mehrheit der Fabeln die Einheit der Handlung zerstört und die Zeitgrenze zu sehr ausgedehnt; aber die wichtigsten Züge haben sie alle bei Homer geborgt. Der allegorische Reichtum Homers ist wunderbar, wenn man bedenkt, welche Summe von Kenntnissen der Natur und physikalischer Philosophie er nach allgemeiner Annahme in seine Allegorien gehüllt hat. Darin haben ihn andere nicht erreicht; ja sie sind zu loben, wenn sie sich beschränkten. Da nämlich in späterer Zeit das Wissen unverhüllt dargeboten wurde, war es für die Modernen ebenso vernünftig es bei Seite lassen, als es von Homer war es heranzuziehen. Vielleicht ist es für Virgil kein Unglück gewesen, daß seine Zeit den Reichtum dieser allegorischen Erfindungen nicht verlangte. Das Wunderbare hat Homer zuerst in ein System gebracht. Seine Götter- maschine mag vom religiösen und philosophischen Standpunkt aus an- fechtbar sein, nicht aber vom poetischen. Seine Götter sind die der Poesie geblieben.

Die Bemerkungen Pope's über Charaktere, Reden, Ausdruck, Gleich- nisse usf. sind großenteils Ausführungen von Gedanken Addison's und zeigen eine starke Herabsetzung des bessern Künstlers Virgil gegenüber

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dem großem Genie Homer. Eigentum Pope's ist dagegen die Übersicht über die Verkleinerer Homers, deren Vorwürfe ihm übrigens kaum der Rede wert scheinen. Entweder suchen sie, wie Rapin, auf die parteilichste Weise Virgil über Homer zu erhöhen; oder sie wählen, wie Scaliger, Stellen Homers aus, um zu zeigen, daß Virgil, was er entlehnte, besser ausgearbeitet habe. Andere, wie Perrault, keifen gegen angeblich ge- meine und niedrige Ausdrücke, zuweilen aus falscher Delikatesse und Spitzfindigkeit, öfters aus Unkenntnis der Schönheiten des Originals, und triumphieren dann über die Albernheit ihrer eigenen Übersetzungen. Noch andere, wie La Motte, unterscheiden zwischen dem Dichter und seinem Werk und gelangen dazu, den Ruhm des Dichters aus der Ignoranz und dem Vorurteil der Zeiten abzuleiten. Alle diese Einwendungen rauben Homer den Ruhm des größten Erfinders nicht.

Die Grundsätze der Übersetzung stellt Pope dahin fest, daß weder sklavische Übertragung noch ungenaue Umschreibung dem Dichter ge- recht werden könne. Man dürfe ihn nicht verbessern, nicht da erhaben machen, wo er selbst es nicht sein wolle. Die Abwechslung von Ein- fachem und Erhabenem lerne man am besten bei ihm selbst. Die Bei- wörter, dieses Kreuz aller Homerübersetzer, gedenkt Pope nur da bei- zubehalten, wo sich aus ihnen eine besondere Schönheit der Situation ergibt. Von seinen Vorgängern tadelt Pope an Chapman Schwulst und Nachlässigkeit, muß aber gestehen, daß sich ein feuriger Geist darin zeige, wie etwa Homer selbst vor den Jahren der Besonnenheit geschrieben haben könnte. Hobbes ist ihm zu knapp und läßt daher viele Schönheiten des Originals vermissen. Nur Dryden erhält eine erträgliche Zensur. Dann spricht Pope Verständiges über die Pflichten eines Übersetzers, und zum Schluß Seltsames. Er rät nämlich dem Übersetzer zwar an, den Homer im Text, nicht an Kommentaren oder anderweitigen Urteilen zu studieren, ihn aber beständig mit Milton und Virgil zu vergleichen. Fenelons Telemaque soll ihm den wahrsten Begriff von Geist und Denkart Homers geben, Le Bossu's bewundernswerte Abhandlung die richtigste Kenntnis seiner Absicht und Führung. Die Rücksicht auf alle diese Muster mußte doch die Übersetzung mehr beeinträchtigen, als alle Kommentare gekonnt hätten. Für seine Übersetzung benutzte Pope neben den eng- lischen Vorgängern M™^ Dacier, La Valterie und Eoban Hesse. Er verfuhr so, daß er im ersten Schwung ein Stück übersetzte, es dann nach dem Original korrigierte, mit anderen Übersetzungen verglich und zuletzt die Verse feilte.

Keine Homerübersetzung der Welt hat so viel Aufsehen gemacht, keine ist auch verschiedener beurteilt worden. Das Härteste hat darüber

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Macaulay gesagt: Weder bei Tickell, noch bei Pope könne Homer in einem anderen Sinn übersetzt, translated, heißen, als in dem des Peter Quince, der im Sommernachtstraum dem mit einem Eselskopf zurück- kehrenden Bottom zurufe: „Bless thee, Bottom, thou art translated." Höflicher, wenn auch in der Sache nicht weniger scharf, hatte sich gleich nach dem Erscheinen des Werkes Bentley geäußert, der zu Pope sagte, die Übersetzung sei ein recht nettes Gedicht, aber Homer dürfe er es nicht nennen. Er hatte freilich nicht Unrecht. Pope hatte wenig Ur- sache seinen Vorgängern Ungenauigkeiten vorzuwerfen; seine Arbeit strotzt davon. Einfache Gedanken scheinen im Ausdruck unnötig ge- steigert, sehr vieles ist breit umschrieben, die Zahl der zugesetzten Worte ist Legion, die homerische Art zu denken wird beständig durch die moderne ersetzt. Scheu vor angeblichen Niedrigkeiten hat ihn nicht selten beherrscht: den berühmten Esel hat auch er nicht beim Namen zu nennen gewagt.

Aber das alles schadete dem Werk in den Augen der Mitwelt nicht. Samuel Johnson, der diese Zeit verstand, hat uns über die Gründe der guten Aufnahme aufgeklärt. In Verfolgung der Prinzipien Dryden's, sagt er, hat Pope's Iliad die englische Sprache ungemein gehoben und bereichert. Eine einfache Wiedergabe Homers war nicht nur des Vers- maßes wegen unmöglich; schon Virgil fand die bloße Natur für die verfeinerten Ohren seiner Zeit unerträglich. Einfacher Ausdruck paßt für die Zeiten, in denen die Menschheit aus der Barbarei erwacht; aber später, mit der Entwicklung des Wissens, verlangt man eine verfeinerte Form. War das schon für Virgil richtig, wieviel mehr für Pope. Man wird viele schöne Stellen der Übersetzung im Original vergeblich suchen, und Homer verdankt ihr gewiß manche ovidische Grazie. Aber hinzuzu- fügen ist kein Verbrechen, wenn nur nichts weggelassen ist. Der Dichter will gelesen sein. Pope schrieb für seine Zeit und machte daher Homer an- mutig, mochte er ihm dafür auch etwas von seiner Erhabenheit nehmen.

So dachte die ganze gebildete Welt. Addison sagte, Pope habe für Homer das getan, was Dryden für Virgil tat. Geddes, der Homer sehr gut kennt, meint, von denen, die das Original nicht verstehen, könne man wenigstens voraussetzen, daß sie dessen reinste Ströme gekostet haben, wie sie in dieser englischen Übersetzung fließen. Der Gelehrte Joseph Spence schrieb 1727 in Form eines Dialogs den in jener Zeit viel- gelesenen Essay on Mr. Popes Odyssey, in dessen Anfang zugegeben wird, daß Pope über die Einfachheit Homers sehr oft unnötig hinausgehe und sich noch andere Übertreibungen zuschulden kommen lasse. Im Verlauf aber wird nachgewiesen, daß diesen Fehlern viel größere Schön-

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heiten gegenübertreten und Pope sein Original vielfach verschönert habe. Seine Fehler seien menschlich, seine Schönheiten die eines Engels, jedenfalls eines ungewöhnlichen Genies. Den Abschluß der Übersetzung feierte John Gay in dem schönen, einer Stelle Ariosts nachgebildeten Gedicht 3Ir. Pope's Welcome from Greece. Lang ist der Dichter in homerischen Landen und auf wilder See der Heimat fern geblieben, nun kehrt er, wie ein König empfangen, auf reich geschmücktem Schiffe heim. Aber die Huldigung seiner Freunde macht ihn nicht eitel; all seinen Ruhm ver- dankt er doch dem erhabenen Homer, dem zu seinen Lebzeiten der Lohn ausgeblieben ist.

Wir können das Entzücken der Zeitgenossen begreifen. Aus jeder Zeile der Übersetzung spricht ein wirklicher Dichter, der in den Stoff eingedrungen ist und ihn mit Kraft und Anschaulichkeit wiederzugeben vermag. Schlachtenschilderungen und Reden sind sehr wirksam gestaltet und die Charaktere kräftig herausgearbeitet. Welche Fehler immer der Übersetzung anhaften mögen, sie hat den Homer zu einem englischen Dichter gemacht und ihm in der heimischen Literatur für immer einen Platz erobert.

Die Anmerkungen zur Übersetzung wollen, im Gegensatz zu den ge- lehrten und den grammatischen Kommentaren, auf die Schönheiten der Dichtung aufmerksam machen. Es ist Wertvolles darunter, wie die Be- merkungen über den Charakter der Helden, aber nötig waren die vielen Stücke antiker Gelehrsamkeit aus Eustathios und Plutarch nicht, ebenso- wenig die gelegentlichen Auseinandersetzungen mit den Franzosen. Viel bedeutender sind die beigegebenen Essays, vor allem der Über Homers Schlachten. Pope bewundert Homer, daß er bei so vielen Schlachten- schilderungen nicht einförmig geworden sei, und forscht nach den Ur- sachen der Abwechslung. Homer, so führt er aus, charakterisiert die Fallenden auf verschiedene Weise, wechselt in der Stellung der Fechtenden und Getroffenen ab und zeichnet die verschiedenen Arten der Verwun- dungen mit genauester Kenntnis des menschlichen Körpers. Die stereo- typen Wiederholungen, mit denen er den Tod eintreten läßt, lagen im Stil der alten Zeit. Sodann legt Homer zwischen die Kämpfe Pausen ein, um den Geist mit andern Szenen zu erfreuen; besonders gern füllt er sie mit Gleichnissen aus, die zugleich dem Gegenstand entsprechen und von ihm verschieden sind. Hier wendet sich Pope energisch gegen die Vorwürfe von Saint-Evremond und La Motte, daß Homers Gleichnisse die Aufmerksamkeit vom Gegenstand ablenken, und daß sie zu gleichartig und zu oft vom gleichen Tiere, vde dem Löwen, hergenommen seien. Die Sonne, sagt er, sehen wir bequemer in ihrem Spiegelbild im Wasser^

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und das Auge der Einbildungskraft muß, gleich dem körperlichen, zu- weilen vom Gegenstand abgewendet werden, um ihn desto besser zu sehen. Die Wiederholung des nämlichen Bildes müßte doch nach den gleichen Kritikern vernünftiger sein als ein Wechsel. Und dann wird unsere Auf- merksamkeit nicht sowohl auf das Tier gelenkt, als auf dessen Handlung und Stellung, die bei Homer immer verschieden sind. Zwei verschiedene lebende Wesen in der nämlichen Tätigkeit sind einander mehr gleich, als ein und dasselbe Wesen sich selbst in verschiedener Tätigkeit gleicht.

Homer belebt femer die Kämpfe durch die Teilnahme und das Mit- leid, mit denen er uns für die Getroffenen erfüllt, jeden kleinen Umstand hervorhebt, die Gefühle der Kämpfenden vorführt, auch durch das mannig- fache Eingreifen der Götter. Um einen Helden wie Diomedes auszuzeichnen, stellt er ihn in stufenmäßiger Steigerung andern gegenüber, erst den Feinden, dann den Göttern, bis er sich schließlich Zeus selbst widersetzt. Dies geschieht aber nur, um Hektor zu erheben, der dann seine sieg- reiche Rolle fortführt, bis Achilleus auftritt und ihn in die Flucht schlägt. So läßt Homer immer einen Helden hervortreten, neben dem die andern zurückstehen, um durch reiche Mannigfaltigkeit das Gedicht seinem Ziele zuzuführen.

In der sorgfältigen Studie über homerische Waffen möchte Pope gern annehmen, daß die Panzer von Bronze, Schwert und Speerspitze aber von Eisen gewesen seien, weil er sich sonst die Durchbohrung der gerüsteten Krieger nicht erklären kann; da er aber zugeben muß, daß auch die Angriffswaffen ehern heißen, so behilft er sich mit der Annahme einer außerordentlichen Kraft der Werfenden.

Die bedeutendste Entdeckung Pope's ist die, daß Homer nicht die Zustände der eigenen, sondern die einer früheren Zeit geschildert habe. Er war darauf durch eine Bemerkung von M™® Dacier geführt worden, die in der Preface zu ihrer Iliade ihre Yerwanderung darüber ausspricht, daß sich die Griechen so lange mit den unbequemen Streit- wagen behalfen, ohne zur wirklichen Reiterei überzugehen. Streitwagen seien ja auch im Orient lange Zeit ausschließlich im Gebrauche gewesen, aber in den Zeiten Samuels und Sauls, 60 Jahre nach dem troischen Krieg und etwa 130 Jahre vor Homer, finde man dort eine von den Streitwagen verschiedene Reiterei. M""® Dacier wünscht, es möchte ein- mal untersucht werden, wann diese neben den Streitwagen aufgekommen, und wann letztere verdrängt worden seien. Die Frage beantwortet Pope dahin, daß zu Homers Zeiten die Reitkunst zwar bekannt gewesen sei, Homer sich aber verpflichtet gefühlt habe, die Sitten des Zeitalters zu berücksichtigen, das er besang. Dagegen schließt er ebenso richtig aus

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der Erwähnung der Trompete in einem Gleichnis, daß der Dichter sein Gleichnis aus den Dingen der Gegenwart nehme, die vor seiner Zeit nicht im Gebrauch waren.

Der zweite wichtige Essay behandelt den Ächilleusschild. In der Abwehr der törichten Angriffe Scaligers und anderer läßt Pope Dacier reden, in der Zeichnung des Schildes schließt er sich Boivin an. Dann geht er aber weiter und studiert die Bilder vom malerischen Gesichts- punkt aus. Er findet auch hier die Meinung bestätigt, daß Homer nicht nur das ganze Wissen seiner Zeit umspanne, sondern in seinen Ge- danken noch weit darüber hinausgegangen sein müsse. Es habe jedoch nicht nur die Malerei zu Homers Zeiten höher gestanden, als man gewöhn- lich annehme, sondern sie müsse schon in der Zeit, die Homer schildert, sehr geachtet gewesen sein. Bei den Bildern waren die Umrisse ein- graviert, das übrige emailliert oder auf Metall gemalt, worauf die Farben durch Feuer fixiert wurden. In den Szenen des Schildes erkennt Pope Erfindung, Komposition, Ausdruck, Kontrastwirkung, ja er entdeckt so- gar Perspektive. Mit guten Gründen lehnt er Terrasson's Kritik ab.

Nach all den einsichtigen, von gründlichem Eindringen in den Dichter zeugenden Urteil ist man unangenehm überrascht, der Übersetzung der Odyssee einen Auszug aus Le Bossu vorgedruckt zu finden.

Es ist bereits Joseph Spence mit seinem Essay on Mr. Fope's Odyssey erwähnt worden, der es sich zur Aufgabe machte, das Verhältnis der Übersetzung zum Original festzustellen. Dieser Essay enthält zwischen den Erörterungen über Pope allerlei bemerkenswerte Beobachtungen über epische Kunst, in freier Folge, und für die Beispiele aus Homer nicht immer zuverlässig, weil die Übersetzung und nicht der homerische Text zugrunde gelegt ist. Das Wichtigste sei hier aufgeführt. Spence unter- scheidet Malerei und Poesie nur nach ihren Ausdrucksmitteln. Jene kann ein Gesicht nur in einer Stimmung darstellen, diese vermag entgegen- gesetzte Affekte auf einem und demselben Antlitz vorzuführen. Letzteres hat auch die Malerei versucht: das Gesicht der Maria von Medici auf dem Gemälde im Luxembourg vereinigt mit dem Grundzug des Kummers einen wohlgefälligen Blick auf ihren Sohn. Vergleichen wir damit Hek- tors Abschied bei Homer, so sehen wir größere Mannigfaltigkeit, und dabei jede Einzelheit vollkommen richtig und vollendet. Auf Hektors Antlitz vereinigen sich die Kampflust und die Zärtlichkeit, die ihn für ein letztes Gespräch verweilen läßt, auf dem des Astyanax Liebe und Schrecken vor dem Vater, Andromaches Gesicht ist durch ein zärt- liches Lächeln weich und zugleich von Tränen naß, die für ihren Hektor fließen.

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Bei den früheren Kritikern vermißt Spence ein Eingehen auf die poetische Weissagung, durch die der Leser mit kommenden Ereignissen bekannt gemacht wird. Er unterscheidet die Weissagung durch den Dichter selbst, der durch den Mund eines höheren Wesens, eines Prie- sters oder eines Sterbenden spricht. Diese hat vielleicht größere Weihe; poetischer aber ist die Figur der Vorwegnähme, prevention, die uns entfernte Ereignisse vor Augen stellt, als ob sie schon gegenwärtig wären. Das packendste Beispiel dafür ist die Weissagung des Theo- klymenos vom Untergang der Freier, in der Spence das wahre Erhabene, jene orientalische Ausdrucksweise erblickt, die sich auch bei den Pro- pheten findet. Theoklymenos sieht die Leiber der Freier im Blute schwim- men und ihre Seelen ins Totenreich sinken. Wenn dagegen der Dichter selbst weissagt, so hat er keine Vision, sondern ist durch die Muse ge- lehrt, weshalb seine Prophezeiung nicht den Schwung annimmt wie die des Sehers.

Die nachdrücklichen Partien Homers, sagt Spence weiter, sind nicht allein so gedrängt, daß sie ebenso viel Gedanken als Worte enthalten, sondern sie haben die Kraft, gewisse Vorstellungen mehr anzudeuten, in- timate, als auszudrücken. Homer sagt nicht ausdrücklich, daß ein Held den Feinden schrecklich gewesen sei; er erwähnt die Wirkungen und über- läßt es dem Leser zu schließen, wie furchtbar der Held gewesen sein müsse. Die bloße Stimme des Achilleus bringt die Troer in Verwirrung; sie be- raten, ob sie das Feld halten wollen, nur weil sie ihn gesehen haben. Lessing hat diese Beobachtung, wohl ohne Spence's Buch zu kennen, auf die Schilderung der Schönheit angewendet.

Phantasiereiche Schriftsteller häufen Beschreibung auf Beschreibung. Das hat Homer mit gutem Urteil vermieden, und zwar in der Odyssee noch mehr als in der lUas. Jene ist ein moralisches Gedicht, das als solches alle antiken Schriften, auch die der Philosophen, übertrifft und alle Pflichten des Lebens hervorhebt. Daher läßt sie keine Verschwendung von Farben zu. Der ganze letzte Teil spielt im Hause des Odysseus, in der Hütte des Eumaios und dem Garten des Laertes und bietet wenig Raum für Schilderungen; die Rückreise des Telemachos, die Gelegen- heit dazu gegeben hätte, wird als eine Episode mit Eile behandelt. Den- noch sind die Plätze, auf denen die Handlung vorgeht, ganz bestimmt gezeichnet. Über die Gleichnisse merkt Spence an, daß Bilder des ruhigen Lebens um so mehr wirken, wenn sie in eine verworrene Lage ein- gefügt sind oder Bilder des Schreckens veranschaulichen. Dann findet er sie besonders passend, wenn sie zur Handlung eine nähere Beziehung haben. So sind die Gleichnisse zum Kampf am Skamandros sämtlich

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vom Wasser genommen und der Szenerie angepaßt. Von diesem Gesichts- punkte aus erscheint das Bild vom Angler viel weniger zutreffend, wenn es in eine Sdilachtbeschreibung eingestreut ist, als wenn es zur Illustration der die Gefährten ergreifenden Skylla, des Meerungeheuers, dienen muß. Glücklich ist auch die gegenseitige Anpassung der Personen der Hand- lung an die des Gleichnisses. Wenn Penelopes Schönheit und Keusch- heit gezeichnet werden soll, wird sie mit Artemis verglichen, wenn nur ihre Schönheit, mit Aphrodite. Die Ausweitung des Gleichnisses über den Vergleichungspunkt hinaus verteidigt Spence mit der Freiheit der Muse; dagegen weiß er nicht recht, was er mit den vielen Gleichnissen anfangen soll, in denen keine Ähnlichkeit der Personen und Gestalten, sondern nur der Umstände und Handlungen zu finden ist. Hier hätte er bei Pope lernen können. In der Beschreibung des Schildes zeigen Homer und Virgil ihre hohe Vorstellung, notion, von der Kunst. Sie sagen nicht, daß die Figuren eine Handlung zu vollbringen scheinen, sondern sprechen von ihnen als von wirklich lebenden; sie sagen geradezu, daß jene sich bewegen, handeln, sprechen. Die Kritiker, die das als zu große Kühnheit tadeln, zeigen nur ihre eigene Frostigkeit und ihren Mangel an Geschmack. Diese Art sich auszudrücken ist ebenso richtig als kühn; sie belebt die Schilderung, und wo ein Dichter vorsichtiger ist, da ist er gerade deswegen weniger lebendig.

Wichtig besonders für die Entwicklung in Deutschland wurde Thomas Blackwell's Enquiry into tJie life and writings of Homer 1735. Blackwell stellt die Frage, woher es komme, daß Homer im Epos nach so langer Zeit immer noch unerreicht dastehe. Es ist ihm von vornherein erwiesen, daß, wie Horaz lehrt, das größte Genie ohne Aus- bildung ebensowenig Hervorragendes leisten könne, als die feinste Bildung ohne natürliche Anlage. Da er nun an Homers Genie nicht zweifelt, sollen die Verhältnisse untersucht werden, die dieses so ausnehmend be- günstigten, und zwar an der Hand der homerischen Gedichte und der ge- samten antiken Tradition. So führt er denn aus, daß für Homer alle Bedingungen außerordentlich günstig lagen. Er lebte in dem glücklichen Klima Kleinasiens, in einer Zeit, die sich noch keiner geordneten staat- lichen und militärischen Verhältnisse erfreute, sondern wo sich der Mensch noch zeigen konnte,- wie er ist. Er fand eine kraftvolle, bilderreiche Sprache vor, die bereits die erhabensten Gefühle auszudrücken vermochte; eine aus Ägypten eingeführte, in Allegorien gekleidete Religion, die mit dem griechischen Wesen bereits verwachsen war; eine ungeschminkte Einfachheit der Sitten und endlich die Überlieferung der großen Dichter

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der Vorzeit, Orpheus, Linos usf. Zu diesen allgemeinen günstigen Be- dingungen traten persönliche. In Phemios' Hause lernte Homer die Poesie kennen, und da er arm geboren war, wählte er den in hohem Ansehen stehenden Beruf eines wandernden Aöden oder Barden. Seine Reisen er- schlossen ihm die Kunde von allen Teilen seines Landes und machten ihn zum Weltbürger. Er hatte Zutritt zu den Häusern der Vornehmen, deren Leben er so genau zu schildern versteht. Im sorglosen Wanderleben lag ■der wichtigste Teil der Erziehung Homers ; es brachte ihm mit der Fülle der Anschauungen zugleich die Vertiefung der Gedanken. Er wanderte auch nach Ägypten, wo er die allegorische Darstellung der Religion aus •eigener Anschauung kennen lernte. Den Abschluß seiner Bildung erlangte «r in Delphi, einer Kolonie der Kreter, deren Wissen auch wieder auf Ägypten zurückging. Die Kenntnis der außergriechischen Welt ver- mittelten ihm seine Beziehungen zu den Phönikern, mit denen er zur Zeit ihrer regsten Kolonisationstätigkeit bekannt wurde. Endlich, und das war die Hauptsache, fand er den glücklichsten Stoff. Die troische Jjbene kannte er aus eigener Anschauung, die Verhältnisse der Troer von Überbliebenen des Volkes. Die Beschränkung des Stoffes gab ihm die Geschichte selbst, da mit dem Zorn des Achilleus eine Wendung in der Führung des Krieges eingetreten war. Seine Charaktere brauchte er nicht zu erfinden; die Geschichte lieferte sie ihm in aller Mannigfaltigkeit, und •er selbst kannte noch Menschen genug, die jenen alten Helden glichen. Homers größtes Glück war, daß er so nach der Natur zeichnen konnte nnd sich keinen Zwang aufzulegen brauchte wie Virgil, der seinem Volke die verschwundenen, aber um so mehr zur Schau getragenen Römertugen- den vorführen mußte. Zu Homers Zeiten machte niemand ein Hehl aus seinen Gefühlen. Sein Verdienst ist die Treue und Wahrheit, mit der •er uns die Natur vorführt.

So groß Blackwell's Gelehrsamkeit ist, mit der er die Züge zur grie- chischen Vorgeschichte zusammenträgt und manchen Punkt der homeri- schen Gedichte erläutert, so fehlt ihm doch die ruhige Kritik in der Sichtung der Quellen, wie wir sie bei Pamell gefunden haben. Was die Alten über Homer berichten, glaubt Blackwell aufs Wort, außer wo es ihm nicht gerade in sein System paßt. Dieses aber ist, so sehr er ver- sichert, damit der erste zu sein, nichts anderes als die Milieutheorie Wotton's, mit dessen Argumenten die seinigen im Anfang zusammen- fallen. Nur treibt er das System zur äußersten Konsequenz. Von Homers Genie bleibt imgrunde nichts übrig als die allerdings hohe Kunst, das Leben seiner Zeit zu zeichnen, wie es war; sind doch selbst die Anordnung des Stoffes und die Charaktere nicht sein Eigentum. Damit glaubt aber

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Blackwell den Dicliter nicht herunterzusetzen, sondern erkennt eben in dieser getreuen Wiedergabe der Wahrheit dessen unerreichte Größe. So wird ihm Homer zum Natur dichter. Dieser Begriff ist jedoch bei ihm etwas anders gefaßt als bei Addison. Denn der Gegensatz, den er zwischen Homer und Virgil feststellt, ist nicht sowohl der zwischen Natur und Kunst, als vielmehr dessen, was Schiller nachmals naiv, und dem, was er sentimentalisch genannt hat.

Bentley hatte Homer seine Lieder zum Vortrag an Festen dichten lassen. Blackwell trägt eine ganz neue Ansicht vor, in einer Weise, die deutlich zeigt, wie er im Verlauf seiner Zeichnung des Lebens der Barden nach und nach darauf geführt worden ist. Auch sein wandernder Sänger bringt in die Häuser der Vornehmen seine Lieder mit; aber während des Vortrags, wenn seine Phantasie sich erhitzt und die Worte fließen, dann füllt er die hohlen Stellen seines Werkes aus; dann strömen ihm die kühnen Metaphern und feurigen Bilder einem Waldstrome gleich zu und tragen in sein Werk ein Feuer und eine Anmut, die keine Theorie zu geben vermag. Die Rücksicht auf seine Zuhörer legt ihm das richtige Maß im Wunderbaren und Wahrscheinlichen auf. Die Abenteuer müssen derart sein, daß das Volk sie versteht, und die Art, in der sie vorge- tragen werden, muß die Einbildungskraft überraschen, die Aufmerksamkeit anziehen und die Herzen gewinnen. Aus der Vereinigung von diesem allem begreifen wir, warum die an sich unwahrscheinlichen Geschichten Homers eine solche Ähnlichkeit mit Natur und Wahrheit an sich tragen. Er sagt ja selbst, daß die Hörer den neuesten Gesang immer am meisten preisen. Seine Gedichte waren eben für den mündlichen Vortrag, nicht zum Lesen bestimmt, und wer sie nicht von diesem Gesichtspunkt aus liest, verliert einen großen Teil des Vergnügens daran. Nur wenn man sich den Rhapsoden vergegenwärtigt, wie er vor seinen Hörern steht, begreift man die Geschichten, die er oder seine Helden, zuweilen selbst in der Hitze der Schlachten, erzählen. Homer sang vor dem kriegerischen Geschlecht eines freien Landes, das gern von den Taten seiner Ahnen singen hörte. Dieser Gedankengang führt Blackwell zu dem Ausspruch, die Sänger hätten sich die Gewohnheit aneignen müssen aus dem Stegreif zu singen, eine Ge- wohnheit, zu der sie die Neigung bereits mitbrachten, und die durch Übung zur Meisterschaft wurde. Sodann bereicherte der einsam wan- dernde Barde seine Phantasie mit Bildern, durch die er seine Zuhörer wieder erfreute; denn da er im Moment des Vortrages die Affekte seiner Hörer, den Ausdruck ihrer Augen und ihre Gedankengänge studierte, mußte er, wenn er allein war, einen Schatz von solchen Bildern sammeln, die erfahrungsgemäß am meisten wirkten. Er sammelte die Wunder-

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geschichten jeder einzelnen Gegend, die ihren Grund in der Landesnatur oder der Überlieferung von mächtigen Ahnen hatten und, von Hand zu Hand weitergegeben, zu einer Allegorie oder mystischen Erzählung wurden. Die Kenntnisse und Tugenden seiner Helden entspringen aus- schließlich ihrem Genius und ihrem Verkehr mit den Menschen, nicht einer besondem Schulgelehrsamkeit. So ist auch Homers Wissen durch- aus natürlich und nicht gelehrt. Seine Sänger singen unter einem Impuls, der auf Götter zurückgeführt wird, einer Inspiration. Keine Poesie ist ohne Genie denkbar, und dieses Genie selbst hat seine Anfälle und glück- lichen Stunden, die durch das sorglose Wanderleben des Barden am glücklichsten hervorgerufen und gefördert wurden.

So ist Blackwell ohne jede Rücksicht auf die theoretische Poetik und die Regeln dem Wesen und Werden des epischen Gedichts nach- gegangen. Daß auf die Art, wie er sich das vorstellt, nur kleine Stücke auf einmal zur Ausarbeitung kommen konnten, ist klar; aber auf die Frage nach der Entstehung des Ganzen brauchte er sich nicht einzulassen, da ja nach seiner Meinung Homer den ganzen Stoff bereits disponiert vor- fand. Innerhalb dieses Rahmens hat er zuerst die Lehre von der Improvi- sation vorgetragen. Bedeutend ist auch seine eingehende Charakteristik der homerischen Personen, besonders der Frauen. Die stoische Anschauung von Homer als dem Inbegriff alles Wissens hat er gleich Bentley bekämpft. Daß er noch in der allegorischen Erklärung der Götterwelt befangen ist, muß ihm als Tribut an die noch herrschenden Anschauungen zugute ge- halten werden. Das Schlimmste an seinem Buch ist eine ungemessene Weitschweifigkeit und zu wenig gesichtete Gelehrsamkeit, Fehler, welche die freien und wohltuenden Partien des Werkes zu verdunkeln geeig- ,net sind.

Die nun folgende Zeit bis gegen Ende des Jahrhunderts ist eine Periode herrlichster Entwicklung, die um 1800 mit dem vollständigen Sturz des klassizistischen Systems abschließt. Wir sehen die verschie- densten Strömungen auftreten, sich bekämpfen, sich gegenseitig befruchten, vor allem aber bei jedem einzelnen Schriftsteller eine sehr bedeutende Selbständigkeit des Denkens. Pope's den Franzosen entlehnte Auffassung, daß die Alten, und zwar die mit den Augen der Kritiker gesehenen Alten, unverrückbares Vorbild bleiben müßten, wurde schon durch die immer wachsende Verehrung für die großen englischen Dichter, Shakespeare, Milton und Spenser erschüttert. Die Vertreter seines Systems hielten an der Unfehlbarkeit der Regeln selbst nicht fest, wenn sie auch die antike Literatur als Vorbild zu halten suchten. Immer stärker wirkte Dryden's

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Lehre vom Genie, dessen Überlegenheit über die Regeln immer allge- meiner verkündet wurde. Daneben gehen die Versuche her, die Ästhetik, mit Übergehung der gesamten Kritik von Aristoteles bis Boileau, auf neuer Grundlage aufzubauen. Höchst wirksam wurde endlich die Wieder- belebung der alten nationalen Balladenpoesie.

In diesem Reichtum geistigen Lebens spielte der alte Homer eine sehr bedeutende Rolle. Er war nie, wie in Frankreich, selbst Gegenstand des Streites, aber immer tritt er wieder hervor, und zwar wird er fast nie anders als mit Verehrung behandelt. Das erklärt sich ganz einfach daraus, daß kaum einer über ihn sprach, -der ihn nicht im Original hätte lesen können; schon 1727 hatte Spence sagen können, es werde deren nur wenige geben. Der Aufschwung der griechischen Studien auf den Universitäten gab allen Urteilen über das Altertum die solide Grundlage, die man in Frankreich so oft vermißt. Dabei mußte, so selten Homer eigentlicher Gegenstand der Erörterung war, sein Verständnis mächtig gefördert werden. Seine Erscheinung in ihrer Gesamtheit zu begreifen, wurde wiederholt versucht: Blackwell, Brown und Wood bedeuten ver- schiedene Auffassungen des Problems.

Für die Darstellung dieser Zeit muß die rein chronologische Reihen- folge aufgegeben werden, auch auf die Gefahr gelegentlicher Wiederholung hin. Es muß versucht werden, das Gleichartige zusammenzustellen, und das ist um so eher berechtigt, als sich mit wenigen Ausnahmen alle in Betracht kommenden Erscheinungen in den Raum eines Menschenalters zusammendrängen.

Beginnen wir mit der epischen Poesie. Es wäre zu verwundern gewesen, wenn es nicht Dichter gegeben hätte, die im Anschluß an Pope epische Gedichte versucht hätten. Zwar scheint nach Swift's fürchterlicher Satire niemand mehr Lust gehabt zu haben, im Stil Chapelain's und Black- more's zu dichten; wohl aber entstanden einige Epen mit stärkerer Nach- ahmung Homers selbst. Richard Glover veröffentlichte 1737 seinen Leonidas, der bis 1770, wo er in erweiterter Fassung erschien, sechs Auflagen erlebte. Das Gedicht zeigt in interessanter Weise die Schwierig- keiten, die der epischen Behandlung eines historischen Stoffes entgegen- stehen. Herodots Bericht über die Schlacht von Thermopylä, der uns an sich schon wie ein mächtiges Heldengedicht anmutet, war in seiner schlichten Großartigkeit nicht zu überbieten; und statt des adeligen Spar- tanerheeres den Leonidas zum Helden zu machen, bedeutete ein Her- absteigen von der Erhabenheit der historischen Erzählung. Dami konnte der notwendige Umfang eines Epos nur erreicht werden, wenn noch andere Helden hervortraten, und so entsprechen den homerischen Achäerfürsten

Glover Wilkie 337

bei Glover die Führer der verbündeten Kontingente. Ihre Zweikämpfe mit vorangehenden Wechselreden laufen der historischen Wirklichkeit ganz zuwider. Da dem Dichter Herodots großartige Einfalt nicht genügte, griff er zu der Ausschmückung Diodors, daß Leonidas in der Nacht vor dem letzten Kampfe das Lager der Perser überfallen und sich erst nach einem fürchterlichen Blutbad in den Paß zurückgezogen habe. Es fehlt nicht an sentimentalen, ebenso unhomerischen als unhistorischen Episoden; dahin gehört auch der Abschied des Leonidas, der dem Hektors nachge- bildet ist. Zuweilen beschwert überflüssige Gelehrsamkeit die Darstellung. Daneben machen sich Reflexionen über Freiheit und Tugend breit, wie denn der große Erfolg des Gedichtes mehr seiner freiheitlichen Tendenz als seinen poetischen Schönheiten zugeschrieben worden ist. Doch fehlt es nicht an Vorzügen. Manches ist wirklich schön, die Schilderung des letzten Kampfes geradezu packend. Li den angewandten Kunstmitteln spürt man das Studium Homers zu stark, zumal in den vielfach aus- geklügelten und darum unwirksamen Gleichnissen. Dagegen zeugt es von poetischem Takt, daß Glover keine Götter eingeführt hat.

Das Gedicht wurde enthusiastisch gepriesen. Lord Lyttelton stellte es gleich hoch wie Milton und Pope. Dieser habe England zwar den Homer, aber kein eigenes Epos gegeben und dadurch für Glover den Weg offen gelassen. Doch habe er, der große Verbesserer des englischen Verses, ihm diesen Weg zugleich geebnet, so daß die Diktion des Leonidas weicher und der Fluß der Verse harmonischer geworden sei als selbst die des Ver- lorenen Paradieses. In Wahrheit liefert gerade Glover den Beweis, daß für erhabene Poesie der Blankvers nicht in jedermanns Hand paßt.

Im Jahre nach Glovers Tode, 1787, erschien seinGediicht The Ätheniady eine unermeßliche und undurchdringliche Chronik der Perserkriege, die als Fortsetzung des Leonidas gedacht war.

Andere Wege schlug William Wilkie mit dem großen Epos The Epigoniad ein, das zuerst 1753 in gereimten Couplets erschien. Anders als Tasso preist er die Vorzüge eines ganz alten Stoffes, der jedoch nicht historisch sein soll; darin stimmt er mit Davenant überein. Seine Verteidigung der Einführung homerischer Götter und der Nachweis, daß durch sie der Wert der Helden nicht herabgesetzt werde, enthalten zwar manches Bemerkenswerte, passen aber zum Gedicht selbst nicht recht, weil in diesem die Götter keine organische Rolle spielen und ihre Einwirkungen nur aufgeflickte Ornamente und Halbheiten sind. Von hohem Interesse ist dagegen die Stellung, die Wilkie zu seinem Stoff einnimmt. Er verwirft für das Epos die ganz freie Erfindung und zieht die Anlehnung an eine Tradition vor, wie ja auch Homer getan habe. Denn, sagt er, die Erzählungen

Finaler: Homer in der Neuzeit 22

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der Überlieferung sind darum beliebter als andere, weil sie den Affekten und Neigungen der Masse der Menschheit angepaßt sind, genau wie die nationalen Sprichwörter ihrem Verständnis. Das rührt in beiden Fällen daher, daß wir es nicht mit dem Werk eines Menschen oder Zeitalters, sondern vieler zu tun haben. Traditionen werden durch ihre ersten Er- finder nicht vollkommen gemacht, sondern in den Händen derer, die sie einander durch die Zeitalter hin übermitteln, stufenweise verbessert und vervollkommnet. Im Anfang ist die Tradition von beschränktem Umfang, dann dehnt sie sich aus, und, unterstützt durch Zeit und wiederholte Ver- suche, paßt sie sich den natürlichen Affekten, Neigungen und Vorurteilen der Menschheit so genau an, daß sie zuletzt mit den Gefühlen jedes Herzens vollkommen übereinstimmt. Keine Erfindung reicht an das Vergnügen heran, das die Überlieferung gewährt. Indessen bleibt sie in den Händen des Volkes in Form und Inhalt roh und erreicht die Vollendung, deren sie fähig ist, erst durch die Hand der Dichter. Homers Erfolg rührt eben daher, daß er die Traditionen seines Volkes gesammelt und geordnet hat. Seine vielen unabhängigen Geschichten mit ihrem oft überflüssigen Detail zeugen dafür, daß sie bereits im Umlauf waren. Das konnte kein einzelner Mensch erfinden, und so waren die Dichter auf etwas angewiesen, das stärker war als ihre eigene Erfindung, nämlich auf die vereinigten Be- mühungen vieler, geordnet und geleitet durch das Urteil von Zeitaltem. Was Wilkie hier gibt, ist eine vollständige und richtige Theorie der Sage und der Entstehung des Epos, zu der er durch Blackwell ange- regt war. Denn auch dieser hatte die Geschichten der einzelnen Gegenden von Hand zu Hand gehen und beständig umgeformt werden lassen. Jeden- falls teilt Wilkie mit Blackwell die Auffassung, daß Homer seinen Stoff bereits vorgefunden habe. '

Die Praxis des Dichters entspricht seiner Theorie nicht recht. Zu- grunde liegen seinem Gedicht nur die dürftigen Andeutungen der Ilias über die Eroberung Thebens durch die Epigonen, die Söhne jener Sieben, die einst vor Theben gefallen waren. So mußte doch die Erfindung das meiste tun. Den Rahmen zu füllen, entlehnt Wilkie der Ilias Aga- memnon, Menelaos, Nestor, Odysseus, die vor Theben gar nichts zu tun haben; er legt lange Episoden ein, von denen die vom Tode des Herakles ein ganzes Buch füllt. Der eigentliche Gegenstand ist, wie bei Homer, der Zorn des Haupthelden, hier des Diomedes. Wie dieser von Venus verlockt wurde, um der Reize eines Weibes willen seinen Feldherm, sein Heer, sich selbst zu verraten, das hat einst Homer gesungen. Aber der Sang ist im Meere der Vergessenheit untergegangen, und nun will der Dichter die Spur wieder aufnehmen; allerdings nicht in der Hoff-

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nung Homer zu erreichen, zu dem er sicli verhält wie das kurzlebige Unkraut zu der die Zeiten überdauernden Eiche. Die Durchführung der Liebesgeschichte des Diomedes rückt das Gedicht von der Ilias ab und stellt es an die Seite der Epen im Sinne Tasso's. Besonders hat Venus bei Wilkie starke Ähnlichkeit mit dem von Boileau getadelten, immer und ohne Erfolg gegen den Eümmel heulenden Teufel.

Die Epigoniad beginnt wie die Ilias in einem Zeitpunkt, wo der Krieg bereits in vollem Gange ist. Venus, die für ihr geliebtes Theben zittert, geht nach Paphos und versammelt dort ihre Nymphen zur Rats- versammlung, wie es bei Cowley der Satan mit den Teufeln tut, um ihre Hilfe zu erbitten. Es handelt sich darum, Diomedes, dem allein Theben erliegen kann, dem Heere der Argiver abwendig zu machen. Diomedes hat sich in seiner Heimat Aetolien mit der schönen Cassandra verlobt, die mit ihrem Vater Alcander vor dem Tyrannen Echetus aus Italien dorthin geflohen ist. Aber er hat vor der Hochzeit in den Krieg ziehen müssen; Eifersucht und Furcht für das Schicksal der verlassenen Geliebten quälen ihn. Er weiß nicht, daß sie ihm unerkannt in Waffen gefolgt ist und alle Mühen des Krieges mit ihm teilt. Durch den Ge- danken an sie hofft Venus den Diomedes zum Abfall vom Heere zu bewegen. Die Nymphe Zelotype, ein Abbild von Cowley's Envy, über- nimmt es das durchzuführen. Im Traume spiegelt sie Diomedes vor, Echetus plane die Verfolgung der Cassandra, und trifft ihn mit einem vergifteten Pfeil in die Brust. Sogleich läßt er die Heergemeinde auf- bieten und stellt den Antrag den Krieg einzustellen und nach Hause zu ziehen. Aber er dringt nicht durch; die Fürsten beschließen Fort- setzung des Krieges, und Diomedes fügt sich. Nach einer wütenden Schlacht, in der er, von Pallas mit ihren eigenen Waffen angetan, Wunder- dinge verrichtet hat, bietet Creon, der König von Theben, einen Waffen- stillstand an. Diomedes widersetzt sich, weil er rasch zum Ziele kommen und nicht den Erfolg durch die Verzögerung aufs Spiel setzen möchte. Er wird überstimmt, erklärt aber, bei dem Abschluß des Vertrags nicht zugegen sein zu wollen, um nicht an dessen schlimmen Folgen mit- schuldig zu werden, und zieht sich grollend in sein Zelt zurück. Um den Schmerzen der Sehnsucht, die ihn plagen, ein Ende zu machen, beschließt er mit seinen Truppen Theben allein anzugreifen, da er sich nicht an den Vertrag gebunden erachtet. Diesem Beginnen sucht sein alter treuer Erzieher Deiphobus zu wehren, aber dessen Tadel versetzt Diomedes in solche Wut, daß er ihn erschlägt. Der raschen Tat folgt die tiefste Verzweiflung des Helden. In dieser Stimmung sieht er, den jetzt die Seinen sonst meiden, mit Verwunderung einen jungen Krieger

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kommen, der ihm einen Zaubertrank anbietet, den Kummer zu verscheuchen. Bald erkennt er in diesem Cassandra; aber er vermag jetzt in ihr nur die Ursache seines Elends zu sehen und weist sie mit harten Worten von sich. In ihrem Jammer flüchtet sie sich in einen Hain zu einem Tempel der Ceres, die sie um Hilfe anfleht. Nachdem ihr dort, sehr zwecklos, Zelotype in der Gestalt ihrer verstorbenen Mutter erschienen ist und sie aufgefordert hat zu ihrem verlassenen Vater zurückzukehren, fällt sie einem Trupp von Thebanem in die Hände, die sie zu Creon bringen. Da sie die Rüstung eines gefallenen Thebaners trägt, die ihr Diomedes geschenkt hat, soll sie am Scheiterhaufen der Toten als Opfer geschlachtet werden. Dabei wird sie erkannt, und die Thebaner be- schließen sie als Pfand zu behalten. Sie senden einen Herold zu Dio- medes und bieten ihm Rückgabe der Gefangenen an, unter der Be- dingung, daß er das Argiverheer verlasse. Der Tydide, der seine Heftigkeit längst bereut hat, verspricht nach langer Verhandlung für sich und sein Heer eine Waff'enruhe von zwanzig Tagen, wofür Cassandra un- gekränkt zurückgegeben werden soll. Eine auf Thebens Mauer auf- gesteckte Fackel verkündet ihm, daß Creon einwilligt. Aber es kommt nicht zu Cassandra's Rückgabe. Verräterisch brechen die Thebaner den geschworenen Vertrag, überfallen die ungerüsteten Argiver und bringen sie in solche Not, daß Ulysses auf Pallas' Rat Diomedes um Beistand angeht. Nach heftigem Widerstreben läßt sich dieser erbitten und rettet das Heer. Aber jetzt ist Cassandra verloren. Creon läßt sie durch einen rohen Soldaten ermorden. Dem Streit im Argiverheer, ob die Stadt durch Sturm oder durch Einschließung bezwungen werden solle, macht Creon ein Ende, der, mit Cassandra's Haupt auf einer Lanze, auf der Mauer erscheint. Jetzt stürmt Diomedes, wird aber zurückgeworfen. In bitterstem Unmut wendet er sich gegen Ulysses, der ihn in solches Elend gebracht hat. Einen drohenden Zweikampf der Helden verhindert Pallas, die dem Diomedes das Frevelhafte seiner ganzen Handlungs- weise vorhält und ihn mit neuer Kampflust erfüllt. An der Spitze des Heeres erobert er die Stadt.

In einem besondern Gedicht Ä Dream sagt Homer zu dem Dichter, er verdanke doch alles ihm, worauf Wilkie antwortet, von Virgil und Tasso würde auch nicht viel übrig bleiben, wenn Homer sein Eigentum geltend machen wollte. In der Epigoniad ist Homer wohl stark aus- gebeutet, aber es sind ihm nirgends ganze Szenen und Charaktere ent- lehnt. Wilkie's Verhältnis zu ihm ist am ehesten dem Ariost's zu Boiardo zu vergleichen, nur daß Wilkie, obschon seine Verse sich angenehm lesen, denn doch kein Ariost war.

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In jenem Traum hält Homer dem Dichter auch das Unnütze der kritischen Regeln vor. Lerne doch auch der Adler ohne Regeln fliegen. Freilich hätten auch die Musen Regeln, strengere noch als die der Pedanten, die an die Erhabenheit der Natur niemals heranreichten. Aber die Offen- barungen des Schönen seien so mannigfaltig, daß niemand diese oder jene die allein richtige zu nennen berechtigt sei. Daher dürfe der Dichter nicht die Natur ihrer Magd, der Kunstfertigkeit, unterwerfen.

Schon viel früher, 1724, hatte der Dichter Leonard Welsted die Regeln angegriffen, in der Dissertation concerning the perfection ofEnglish language. Er nennt alles, was die Alten und ihre modernen Kopisten über die Regeln geschrieben haben, eine Reihe von Selbstverständlich- keiten, die jeder vernünftige Mensch kenne, ohne sie gelernt zu haben, und nach denen sich noch nie ein großer Dichter gebildet habe. Die nach der Ars Poetica verfaßten Essays, sagt Welsted, wirtschaften immer mit den- selben Gedanken und befassen sich ausschließlich mit der Form, ohne die Hauptschönheiten der Poesie erfassen zu können, die nur von dem verstanden werden, der die Empfänglichkeit dafür mitbringt. Groß wird der Dichter nur durch das Studium der Welt und beständige Arbeit an sich selbst. Nur das originale Werk hat einen W^ert; die Nachahmung anderer ist Gift für die Poesie.

Von Welsted's unabhängigem Standpunkt gibt auch die Vorrede zu seiner Übersetzung der Schrift vom Erhabenen Zeugnis. Deren Verfasser, für den man damals allgemein Longinus hielt, hatte gesagt, die Odyssee erweise sich als ein Produkt des Alters, denn sie zeige gleich der sinkenden Sonne nicht mehr die ebenmäßige Erhabenheit und den unaufhörlichen Schwung der lebendigen Darstellung wie die Ilias; der alternde Dichter sei auf Fabeln und Märchen verfallen. Dem gegenüber hält es Welsted für ganz unmöglich, daß der menschliche Geist, der in solchen W^erken seine äußerste Spannung erreiche, durch das Ganze hindurch sich in gleicher Majestät behaupten könne. Die Natur verlange auch aufzuatmen. Wer Homers Höhe erreichen will, soll auch gleich Homer tändeln können. Wenn die großen Dichter zuweilen sind wie der erregte Ozean oder die Sonne in ihrer Mittagshöhe, so muß ihnen erlaubt sein, ihr auch zu- weilen in ihrem Niedergang zu gleichen. Li allen Werken der großen Genies zeigt sich diese Unbeständigkeit.

Welsted gehört noch in die Zeit Pope's, Wilkie bereits in die fünf- ziger Jahre, in denen sich diese freien Gedanken machtvoll entfalteten. In der literarischen Kritik blieb das klassizistische System zunächst noch aufrecht, aber nicht ohne die größten Zugeständnisse an die freiheitlichen Ideen. Sein berühmtester Vertreter, Samuel Johns on, war gleich seinem

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Vorbild Pope von der unbedingten Vorbildlichkeit der Alten überzeugt. In der Zeitsebrift The Idler findet er es, allerdings etwas ironisch, gar nicht so schlimm, daß ein Teil der antiken Literatur untergegangen sei. Das Beste sei ja doch gerettet, und wenn alles erhalten wäre, würden die Modernen gar keinen Platz mehr haben, denn es hätte dann jeder mo- derne Schriftsteller seinen von vornherein anerkannten Nebenbuhler. Wie wenig, sagt Johnson, vermochte die vereinigte Erfahrung der Menschheit den heroischen Charakteren, wie Homer sie darstellt, beizufügen; wie wenige Vorfälle hat die fruchtbare Einbildungskraft des modernen Italien noch hervorgebracht, die nicht in Ilias und Odyssee zu finden wären. Dennoch will er von direkten Nachahmungen der Alten so wenig wissen als Dryden und Temple. Er stellt im JRamhler den Virgil geradezu als warnendes Beispiel dafür hin, wie zu eifrige Nachahmung das Urteil des Dichters unterdrücke. Das Beste, was die wärmsten Verehrer Virgils rühmen könnten, sei das Geschick, mit dem er die Schönheiten beider Gedichte Homers vereinigt habe. Auch Bearbeitungen antiker Stoffe haben nicht Johnson's Beifall. In der Biographie des Dichters Nicholas Rowe sagt er von dessen Drama Ulysses, es sei, nach dem gewöhnlichen Schicksal mythologischer Geschichten, gänzlich vergessen. Wir sind, sagt Jolpison, mit den poetischen Helden zu früh bekannt geworden, um von ihrer Wiederbelebung be- sonderes Vergnügen zu erwarten. Führt man sie uns in der uns geläufigen Gestalt vor, so ärgert uns die Wiederholung; gibt man ihnen neue Eigen- schaften oder neue Abenteuer, so beleidigt man uns durch Verletzung angenommener Vorstellungen.

Pope's Essay on Criticism hat Johnson zwar in alle Himmel er- hoben, aber er ist weit davon entfernt die ganze Masse der Kritiker so gleichmäßig gelten zu lassen, wie Pope getan hatte. Vielmehr unter- scheidet er zwischen den Regeln: die einen müssen als fundamental und un- erläßlich, andere nur als nützlich und willkommen angesehen werden; einige sind durch Vernunft und Notwendigkeit diktiert, andere durch ein despo- tisches Altertum verordnet; die einen durch ihre Übereinstimmung mit der Natur und der Tätigkeit des Intellekts unangreifbar gestützt, andere zufällig gebildet, nur nach Beispielen gemacht und daher der Erörterung und Änderung ausgesetzt. Jeder Schriftsteller sollte die Natur von der Gewohnheit unterscheiden, oder das, was festgesetzt ist, weil es richtig ist, von dem, was nur richtig ist, weil es festgesetzt ist. So würde er weder durch Streben nach Neuheit wesentliche Prinzipien verletzen noch sich den Weg zu Schönheiten versperren, die in seinem Gesichtskreise liegen, bloß durch die unnötige Furcht, Regeln zu brechen, die kein literarischer Diktator aufzustellen berechtigt ist. Diese Weite des Blickes

Johnson 343

hätte Pope's ganzes System zunichte gemacht, wenn sie festgehalten worden wäre. Aber Johnson's Äußerungen sind noch widerspruchsvoller als die Dryden's, und er hat, während er seine kritischen Vorgänger verachtete, selbst neue und manchmal recht enge Regeln aufgestellt. Ein Beispiel bietet die Stelle im Leben Pope's, wo er sich über das poetische Gleichnis verbreitet. Er steht im ganzen auf dem Standpunkt Addison's, daß nämlich das Gleichnis der alten Dichter sowohl erkläre als die Phantasie erfülle, also ein Sonderdasein führen dürfe. Aber dann kommt gleich die Schulmeisterei. Die Wettfahrt zu Schiff dürfe nicht, wie Homer und Virgil tun, mit einem Wagenrennen verglichen werden, denn dieses Bild könne weder illustrieren noch erweitem, da der Unter- schied nur in dem von Land und Wasser bestehe. Ovid habe die ganze Verfolgung der Daphne durch Apollo mit dem Gleichnis vom Hasen und Hund nicht klarer gemacht, und die Wahl des Bildes sei für die handelnden Personen unvorteilhaft. Johnson verrät dadurch, daß er die Natur des homerischen Gleichnisses doch nicht so klar erkannt hat wie Addison.

In der Schrift The history of Basselas prince of Ahessinia, 1759, kommt Johnson auf die Frage zu sprechen, warum in allen Ländern die ältesten Dichter als die besten angesehen werden. Unter vielen anderen Ursachen hebt er zum Schluß besonders hervor, daß die früheren im Besitz der Natur, die späteren in dem der Kunst gewesen seien; jene ragten in Kraft und Erfindung, diese in Eleganz und Verfeinerung hervor. Das kann nur auf den Unterschied zwischen Homer und Virgil gehen, und Johnson's Biograph Boswell erzählt dorm auch, er habe Homer für den größeren Dichter, die Aeneis aber für das schönste Ge- dicht erklärt. In einem Gespräch mit Burke läßt ihn Boswell den Satz verfechten, Homers Charaktere seien vorzuziehen, weil sie nicht geschildert würden, sondern sich selbst enthüllten. Dennoch ist er in der Abschätzung der beiden Dichter schwankend. Zwar zitiert er im Rambler Scaliger als Beispiel für die nationale Voreingenommenheit der Kritiker; aber im Leben Pope's sagt er, zu Virgils Zeiten würde, infolge der größeren Feinheit der Sitten, die reine Natur nicht mehr vertragen worden sein, und vielleicht habe Virgil wirklich die Mehrzahl der aus Homer ent- lehnten Stellen verschönert. Da die Annahme der Verfeinerung für Pope's Zeit noch mehr zutreffen muß, so ist der Schluß Macaulay's berechtigt, daß Johnson die Übersetzung Pope's wahrscheinlich dem Original vorge- zogen habe.

So frei sich Johnson im einzelnen über die Lehrsätze der Kritik äußert, so wenig Wert er auf die früheren Kritiker legt, so daß er ein- mal selbst Horaz der Oberflächlichkeit bezichtigt; ja so sehr er einmal

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betont, daß jedes neue Genie die festgestellten Regeln wieder aufhebe: von der Notwendigkeit der Regeln kommt er doch nicht, los. Der ein- zige, recht zweifelhafte Fortschritt besteht darin, daß man nun nicht mehr weiß, welches denn die richtigen Regeln sind, und daß man auch Johnson's Lehrsätzen skeptisch gegenüber steht, wenn man bei ihm selbst lesen kann, wie viele Faktoren dazu beitragen das klare Urteil der Kritiker zu verwirren.

Enge Anlehnung an Johnson zeigt Joseph Warton. Freilich war jener mit seines Freundes Nachweis, daß Pope kein Dichter im eigentlichen Sinne des Wortes, sondern ein didaktischer und moralischer Philosoph sei, nicht einverstanden. Aber wenn man erwartet, bei Warton einen An- griff auf die kritische Diktatur Pope's zu finden, so ist man ganz ent- täuscht. Allerdings verwirft er die französischen Kritiker, aber auch nicht alle. Le Bossu nennt er den besten Kommentator des Aristoteles und preist die große Regelmäßigkeit seines Plans und die Exaktheit seiner Methode. Von Le Bossu übernimmt er die Lehre vom moralischen Grund- gedanken des Epos in den drei Aufsätzen des Ädveniurer, in denen er die Bevorzugung der Odyssee vor der Ilias im Jugendunterricht fordert, ohne daß die Yergleichung der beiden Epen viel Neues zutage förderte. Boileau's Art poetique zollt er in dem Essay on Pope ungeheure An- erkennung. Doch ist er mit Johnson der Meinung, daß durchaus nicht alle Regeln gleichwertig seien. Wie im Adventurer, so gibt er auch in dem Essay zu, daß die Franzosen einige ausgezeichnete Kritiker hätten, Le Bossu, Boileau, Brumoy, Fenelon. Aber er hält ihre Systeme für durchaus ungenügend zur Bildung eines richtigen Geschmacks. Dazu gehöre das Zurückgreifen auf die ursprünglichen Quellen aller gesitteten Literatur, die griechischen Schriftsteller. Nur bei ihnen lerne man, um mit Milton zu reden, welches die Gesetze der wahren epischen, dramatischen, lyrischen Poesie seien; bei ihnen finde man die Zweckmäßigkeit und die wahren Meisterwerke, die man zu beobachten habe.

Noch ist der Standpunkt unsicher, die Fessel der Kritik nicht ganz zerbrochen. Die Forderung, über sie hinweg zu den großen Mustern zu- rückzukehren, wurde 1765 von Hurd deutlicher erhoben, und Warton ist ja auch nicht ihr erster Verfechter; aber seine Äußerungen sind ein Zeichen, wie wenig das klassizistische System noch zusammenhielt.

Ein anderes Bild aus diesem Werdeprozeß bietet Hu gh Blair, dessen Lectures on Bhetoric and Beiles Lettres, seit 1759 in Edinburg gehaltene Vorlesungen, 1783 zum erstenmal gedruckt wurden. Viel neue Gedanken sind, was unsern Gegenstand betrifft, in diesen fast ängstlichen Versuchen, die klassizistische Tradition mit den neuen Gedanken zu vereinigen, nicht

Warton Blair Beattie 345

zu entdecken. Es kommt Blair vor allem darauf an, das Ansehen der Regeln festzuhalten und womöglich neu zu begründen, und dabei arbeitet er mit fast lauter fremdem Gut. Eigen ist ihm die entschiedene Ablehnung der Theorien Le Bossu's. Etwas Frostigeres und Absurderes läßt sich nach Blair nicht denken. Mit Recht erkennt er in dem Helden, den der Dichter besingen will, und der Geschichte, welche die Grundlage des Epos bilden soll, die ersten Objekte, die den Dichter bewegen. Dieser ist kein Philosoph, der einen moralischen Plan macht. Die allgemeine Lehre geht aus der Geschichte hervor, und aus dieser lassen sich noch ganz andere Dinge ableiten, als Le Bossu will. Moralisch ist der Einfluß des Epos, weil es unsere Ideen von menschlicher Vollkommenheit erweitert, also Bewun- derung erregt. Blair findet es auch absurd Definitionen aufzustellen, durch die einer ganzen Reihe von Gedichten der Charakter des Epos abge- sprochen wird. Dieses ist nichts als die Erzählung eines hervorragenden Unternehmens in poetischer Form. Milton, Ossian, Voltaire, Glover ge- hören genau zu derselben Gattung wie Homer und Virgil. Gut ist auch das Urteil über Pope. Blair gibt zu, daß dieser den Homer zuweilen sogar verbessert habe, aber eine Modernisierung sei seine Übersetzung doch, und sie lasse von der Einfachheit des Originals nichts mehr sehen. Freilich werde bei keinem Dichter eine Übersetzung so schwer gemacht als bei Homer.

Gleich Blair steht unter dem Einfluß der philosophischen Ästhetiker, Burke und Home, James Beattie in dem Essay on poetry and picture 1776, wohl einer der letzten, der die aufgetretenen Gegensätze auszu- gleichen sucht. Er will nachweisen, daß ein großer Teil der aus den Alten abgeleiteten Regeln auf die Natur gegründet und daher allgemein verbindlich sei. Die Schrift ist wenig selbständig und läuft im Wesent- lichen auf den Versuch hinaus, Bacon's Sätze über den Vorzug der Poesie vor der Geschichte mit der aristotelischen Poetik in vollen Einklang zu bringen. Viele seiner Ausführungen sind denn auch nicht viel mehr als Paraphrasierungen der aristotelischen Gedanken.

Selbständigen Wert hat die liebevolle Studie über homerische Charak- tere, im Anschluß an die Frage nach der Vollkommenheit des epischen Helden. Beattie erblickt Homers größtes Meisterwerk in dem nicht un- verwundbaren Achilleus, der mit seinem Edelmut und seiner Gewalt- tätigkeit zugleich Achtung, Bewunderung und Mitleid errege. Nichts kenn- zeichne ihn besser, als daß er den nahen Tod wähle, nur um den Freund rächen zu können. Die Weissagung seines Pferdes sei daher ganz am richtigen Orte eingesetzt, um den unbeugsamen Mut des Helden ins rechte Licht zu setzen. Gleich eingehende Behandlung erfahren noch mehrere

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Gestalten Homers, vor allem Hektor, den der Dichter zum Liebling der ganzen Menschheit gemacht habe. Die reinste Moral, überlegener Geist und Menschlichkeit glänzen in diesem wunderbaren Dichter, betrachte man nun seine Werke als Schilderung des frühesten Zeitalters, als einen Schatz der Weisheit und Moral, als ein Monument der Macht des Genius oder als eine interessante und belehrende Geschichte. Mit besonderem Nachdruck weist Beattie auf die unmittelbare Freude Homers an den Schönheiten der Natur hin. Der Enthusiasmus für sie und ihr wich- tigstes Objekt, den Menschen, eine Eigenschaft aller jungen und unver- bildeten Leute, sei gerade für Dichter und Maler ein ganz notwendiges Er- fordernis. Von Beattie's Gedicht The Minstrel werden wir später sprechen, da es die ganze Entwicklung der sechziger Jahre voraussetzt.

Während die Klassizisten ihr System selbst nicht mehr recht aufrecht erhielten, erlitt es von anderer Seite einen tödlichen Stoß. Hervorragende Schriftsteller hielten zwar an der Notwendigkeit bestimmter Gesetze für die Poesie fest, wollten aber diese nicht mehr auf die überlieferten Regeln gegründet wissen, sondern suchten die Grundlage in der Er- kenntnis der psychischen Empfindungen, denen die Kunst entspringe, und der wiederum durch sie erweckten Empfindungen. Obwohl die Würdigung dieser Entwicklung der Ästhetik außerhalb unserer Aufgabe liegt, sind doch die aus ihr abgeleiteten Urteile gerade über Homer wichtig.

Die Regeln, sagt David Hume in der Abhandlung Ofthe Standard of Taste 1742, sind auf die Beobachtung dessen gegründet, was in allen Zeiten und Ländern allgemein gefallen hat. Aber viele Schönheiten der Poesie beruhen auf Unwahrheit und Fiktion, Hyperbeln, Metaphern, Miß- brauch der Wortbedeutung, und es kann nicht Aufgabe der Kritik sein, dies alles durch die Wahrheit zu korrigieren. Gleichwohl muß die Poesie durch Kunstgesetze eingeschränkt werden, die der Dichter durch Genie und Beobachtung findet. Er wird nie durch etwas anderes gefallen als durch diejenigen Eigenschaften, die der richtigen Kritik entsprechen; so übersieht man Ariosts Bizarrerien um seiner wirklichen Vorzüge willen.

Die Wahrnehmung des Schönen ist nicht rein subjektiv; die Er- fahrung widerstreitet einer solchen Meinung. Daß den Menschen eine Grundlage des Geschmackes gemeinsam ist, beweist die allgemeine Be- wunderung Homers, dessen Ruhm kein Wechsel des Klimas, der Re- gierungsform, der Religion und Sprache zu verdunkeln imstande war. So ist es mit allen Werken des Genius. Übereinstimmendes Urteil von Nationen und Zeitaltern ist maßgebend. Die Einheit des Geschmacks wird naturgemäß beschränkt durch die Neigungen des Gemüts oder durch den Vorzug, den wir zeitgenössischen Darstellungen vor denen

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fremder Zeitalter geben. Man darf jedoch einen Dichter nicht nach der Ver- schiedenheit der Sitten beurteilen, wie es die Modernen mit Homer getan haben. Von wirklichen Fehlem eines Dichters kann nur gesprochen werden, wenn er das Laster nicht mit unzweideutigem Tadel belegt. Nicht daß eine Prinzessin Wasser holt oder ein Held selbst kocht, ist anstößig, wohl aber, wenn die Grenzen von Tugend und Laster verwischt sind, wie bei Homer und den Tragikern zuweilen geschieht. Denn die wahren moralischen Anschauungen erlauben keine Abweichungen.

Li dem Aufsatz Of the rise and progress of the arts and sciences setzt sich Hume mit der Theorie des Milieu auseinander, zuerst in enger Anlehnung an Shaftesbury, dann mit eigenem Material. Er ist durchaus der Ansicht, daß das Aufblühen und Sinken der Künste und Wissen- schaften von allgemeinen Ursachen abhänge, unter denen er besonders die Unberührtheit des Nährbodens hervorhebt. Für den Einzelnen gibt er zwar zu, daß der in der Nation lebendige Geist von Jugend auf Ge- schmack und Urteil der großen Schriftsteller erziehe, und darin sieht er auch die Ursache jener Erscheinung, welche die Alten Lispiration nannten. Dieses Feuer brennt in der ganzen Nation und teilt sich jedem mit; nur leuchtet es da am hellsten, wo die Materialien am besten vor- bereitet sind. Aber weiter will Hume nicht gehen. Ein Mann, der unter- suchen wollte, warum ein bestimmter Dichter wie z. B. Homer gerade an diesem Ort, in dieser Zeit existierte, würde sich kopfüber in ein hoff- nungsloses Wagnis stürzen und könnte einen solchen Stoff nicht ohne eine Menge falscher Subtilitäten und Spitzfindigkeiten behandeln. Hier paßt nur das Wort des Horaz von dem Genius des Einzelnen. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß diese Ausführung gegen Blackwell gerichtet ist.

An Hume schließt sich Edmund Burke's PMlosophical Enquiry into tJie origin of the Sublime and Beautifid 1757. Auch Burke verficht die Einheit des Geschmacks, hebt die Notwendigkeit des Urteils für die Poesie hervor und sucht dafür die Basis sicherer Erfahrung. Auch er findet die Kritik nicht geeignet unser Führer zu sein. Sie hat die Regeln der Kunst am falschen Orte gesucht, nämlich in den Werken der Kunst selbst, während doch die Kunst niemals die Gesetze geben kann, die eine Kunst hervorbringen. Das ist der Grund, warum Künstler, besonders Dichter, in einen so engen Kreis gebannt sind: sie ahmten mehr einander als die Natur nach. Die Kritiker folgten ihnen und konnten darum nicht zu Führern werden, weil man kein Ding beurteilen kann, wenn man das Ding selbst zum Maßstab nimmt. Einsicht gibt nur das sorgfältige Eindringen in die Natur. Aus den Erscheinungen dieser sollen die Gesetze der künstlerischen Empfindung abgeleitet werden.

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In Burke's scharfsinnigen Eröterungen über das Erhabene und das Schöne wird Homer oft herangezogen, am umfassendsten bei der Beweis- führung, daß das Große und Gewaltige wohl mit dem Erhabenen, nicht aber mit dem Schönen vereinbar sei und daher auch die durch das Schöne hervorgerufenen Gefühle, Mitleid und Liebe, nicht erregen könne. Li der ganzen Ilias, sagt Burke, erregt kein durch Größe und Stärke aus- gezeichneter Mann durch seinen Fall unser Mitleid, und er soll es nach der Meinung des Dichters, dieses Kenners der menschlichen Natur, auch nicht tun. Wohl aber rührt uns der in holder Jugendblüte den Eltern entrissene Simoeisios, rührt uns Iphidamas, der fem von der jung ver- mählten Gattin fallen muß. xichilleus gewinnt bei allen äußern Vor- zügen und mannigfachen trefflichen Eigenschaften unsere Liebe nicht. Den Troern dagegen, deren Geschick unser Mitgefühl erregen soll, leiht der Dichter die liebenswürdigsten Züge; denn Mitleid beruht auf Liebe, und diese wird durch die kleineren, sozusagen häuslichen Tugenden der Troer geweckt. Li staatlichen und kriegerischen Tugenden sind ihnen die Griechen weit überlegen. Die Ratschläge des Priamos sind ohn- mächtig, Hektors Arme verhältnismäßig schwach, seine Tapferkeit weit unter der des Achilleus. Aber wir lieben die Troer mehr als ihre Über- winder, für die Homer Bewunderung erwecken wollte, und denen er daher diejenigen Tugenden verlieh, die mit Liebe nur wenig zu tun haben.

Umfassender als Burke stellt Henry Home, Lord Kames, in den Elements of Criticism 1761 1765 die Ästhetik und Kritik auf eine neue Grundlage, die er in der Erforschung des menschlichen Seelenlebens findet. Auf die Ästhetik, besonders Deutschlands, hat das weit schichtige Buch großen Einfluß ausgeübt.

Der herrschenden Kritik wirft Home vor, daß sie, ungleich den übrigen Wissenschaften, in denen die Menschen ihr Recht auf eigenes Denken behaupten, der Autorität gegenüber immer gleich sklavisch sei. Le Bossu könne sich für seine Regeln immer nur auf die Praxis Homers und Yirgils berufen, die durch die Autorität des Aristoteles gestützt werde. Seltsamerweise habe dieser nie darüber nachgedacht, ob und in- wiefern diese Regeln mit der menschlichen Natur übereinstimmten. Er konnte doch diese Dichter, so eminent ihr Genie war, nicht für berechtigt halten, der Menschheit ein unverbrüchliches Gesetz zu geben und blinden Gehorsam gegen ihre Willkür zu verlangen. Wenn sie selbst keine Regeln befolgten, warum sollten sie nachgeahmt werden? Wenn sie die Natur studierten und sich vernünftigen Prinzipien unterwarfen, warum sollten diese vor uns verborgen werden?

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Damit sind die alten Dichter als Muster abgeschaflPt und die Kritik mit ihnen. Es ist nur schade, daß Home nicht die innere Freiheit gehabt liat, es dabei bewenden zu lassen, anstatt aus seinen ästhetischen und psychologischen Entdeckungen gleich wieder einen neuen Regelkodex zu machen. Die Dichter, selbst sein über alles verehrter Shakespeare, werden an den gewonnenen Resultaten gemessen und danach beurteilt. Homer ergeht es dabei nicht sonderlich gut.

Home stellt das Gesetz auf, daß alle Teile eines Werkes ihrer Be- stimmung entsprechend mit dem Ganzen verbunden sein müssen, weil jedes Werk dann angenehm sei, wenn es mit dem natürlichen Lauf unserer Begriffe vereinbar ist. Nur dann haben wir den Eindruck einer richtigen Komposition. Homer ist in Ordnung und Verbindung mangel- haft. Regelmäßigkeit, Ordnung und Verbindung sind eben lästige Ein- schränkungen der kühnen und freien Einbildungskraft, und man unter- wirft sich ihnen erst nach langer Kultur und Disziplin. Sie sind aber notwendig, wenn nicht alles, die Führung des ganzen Lebens, ein bloßes Spiel des Zufalls sein soll.

Es war ein großer Fortschritt, daß Home dem alten und etwas törichten Streii^ ob die Poesie Erfundenes oder Historisches darzustellen habe, ein Ende machte. Nach seiner Meinung kommt darauf gar nichts an; denn in der Darstellung handelt es sich nur um ideale Gegenwart, die im Gegensatz zur realen ein wacher Traum genannt werden kann, im Gegensatz zu reflektierender Erinnerung intuitiv ist. Wir werden durch sie zu Zuschauem, und der vollbeschäftigte Geist fragt nicht nach der Wirklichkeit des Geschehenden. Hektors Abschied und die Szenen des Lear geben den Eindruck der Realität vollkommen, und ganz gleich können geschichtliche Darstellungen wirken. Göttliche Wesen dagegen können den Eindruck der Realität nie hervorbringen und geben dem ganzen Werk, wie z. B. der Gerusalemme und der Henriade, den Cha- rakter des Erfundenen.

Der Eindruck der Erhabenheit vnrd besonders durch Weglassung der geringfügigen Züge erreicht. Homer entspricht dieser Forderung ge- wöhnlich, nur in den Schlachtenschilderungen nicht immer. Einzelkämpfe sind bei ihm selten. Das fünfte Buch, der längste Schlachtenbericht der Ilias, enthält nichts als einen langen Katalog von Führern, die einander töten, nicht im Zweikampf, sondern aus der Feme, und von denen man nachher nichts mehr hört. Die detaillierte Beschreibung der Wunden würde in ihrer Genauigkeit einem Anatomen Ehre machen, wirkt aber im Epos langweilig und ermüdend. Die gräßliche Ermattung erleichtern da nur die schöne griechische Sprache und die Melodie des Verses. Auch

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die Schilderung der Penelope, die den Bogen des Gemahls holt, weicht stark von der gegebenen Regel ab.

Der Forderung der Übereinstimmung, congruity, zwischen Gegen- stand und Ornamenten entspricht der Achilleusschild nicht. Wie im Ball- saal alle Dekorationen heiter, in Kirchen alle Gemälde religiös sein müssen, so sollte auf einem Schild jedes Ornament eine Beziehung auf den Krieg haben, wie es bei Virgil geschehen ist, und nicht friedliche oder fröhliche Szenen darstellen wie bei Homer.

Besondere Sorgfalt verwendet Home auf die Theorie des Gleich- nisses, nachdem er schon früher die zu häufige Wiederholung des näm- lichen Bildes Homer zum Vorwurf gemacht hatte. Die sehr ins einzelne gehenden Unterscheidungen bieten nicht viel Neues, zumal Home zu sehr in der Betrachtung über gewählte oder zu wählende Gegenstände befangen ist. Mit Johnson verwirft er die Wahl der mit der Handlung zu ähnlichen Bilder, mit Addison verteidigt er das Gleichnis Milton's und damit Homers. Die Zulässigkeit der Setzung eines Gleichnisses mißt er an den Stimmungen, die im gewöhnlichen Leben bildlichen Schmuck erlauben oder erfordern. Hier weist ihm Homer den Weg, der in wörtlich angeführten Reden fast keine Gleichnisse hat. Gegen d^n Vorwurf der Niedrigkeit verteidigt er zwar Homer, wenn dieser durch die Gleichnisse von Bienen und Fliegen die Vorstellung von großen Massen hervorbringt, findet aber selbst, es dürfe kein Gleichnis auf einem so niedrigen Bild aufgebaut sein wie dem von den Wespen oder der Mücke, die Pope mit Recht durch die Hornisse ersetzt habe.

Wer die französische Kritik kennt, wird bei diesen Urteilen Home's nicht selten von der Ähnlichkeit mit jener überrascht sein. Sie ist ohne Zweifel zufällig, beweist aber nur, daß die Beurteilung der Poesie durch den neuen Maßstab nicht gewonnen hat. Es ist ein enges System durch ein anderes ersetzt, und dieses wird mit gleicher Intoleranz durchgeführt. Den Dichtern kann es wirklich gleichgiltig sein, ob sie im Namen Homers oder dem der Beobachtung des Lebens eingeschnürt werden; die Freiheit des Genius wird hier und dort gleich wenig respektiert. Von der stark moralischen Tendenz des Werkes soll hier nicht gesprochen werden, da dieser Zug fast dem ganzen Jahrhundert eigen ist. Es wäre noch von dem reichlichen Tadel zu sprechen, der gegen Homers Stil erhoben wird; aber mit einer einzigen unbegründeten Ausnahme gehen sämtliche Rügen auf die Übersetzung Pope's, nicht auf das Original.

Mit dem Kampf gegen die Kritik beginnt auch der Bischof Richard Hurd seine literarische Laufbahn. Schon sein erstes Werk über Horaz' Ars Poctica 1749 ist eine Tat; er setzt das Gedicht von dem lange be-

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haupteten Rang eines Lehrbuches der Poesie ab, indem er nachweist, daß es das gar nicht sei, sondern eine in der zwanglosen Form der Epistel gehaltene Kritik des römischen Dramas. Aus jenem Grundirrtum ergaben sich die Schwierigkeiten, die sich erhoben. Man suchte nach griechischen Quellen des Buches, die gar nicht da waren, und anstatt dem Gedankengang des Gedichtes nachzugehen, ekelte man die Welt mit insipiden Vorlesungen über Aristoteles und andere Kritiker an; deren gediegener Sinn wurde durch die delikate französische Kritik so verdünnt, daß diese beinahe die Kunst selbst in Verruf gebracht hätte. Hurd erläutert den Zusammen- hang der Ars Poetica, wobei es überrascht, wie sehr er, obwohl sie ihm kein Gesetzbuch mehr ist, doch ihren einzelnen Aufstellungen Beifall zollt, während er der übrigen Kritik gegenüber einen sehr freien Stand- punkt einnimmt.

In der Ausgabe von Horaz' Epistola ad Augustum 1751 verlangt Hurd von der wahren Kritik, als der gerechten Beurteilerin der Verdienste großer Schriftsteller, philosophischen Geist und starke Einbildungskraft. Die ersten Kritiker waren die Rhapsoden, die für die Werke ihrer Lieb- lingsschriftsteller zwar Bewunderung erregten, aber keine Rechenschaft darüber ablegen konnten. Dann bemächtigte sich der Kritik die wissen- schaftliche oder spekulative Philosophie. Dem verstandesmäßigen Aufbau des Aristoteles fehlt Phantasie und lebhafte Darstellung, während es Lon- gin, der die eigentliche Seele der Poesie zu durchdringen die natürliche Gabe hatte, wieder an der Präzision und Gedankentiefe des Aristoteles fehlen läßt. Longin ist von der neuesten Kritik besonders nachgeahmt worden, und er wurde ihr einzig maßgebendes Vorbild in der Manier, welche die Dichter nur preist, ohne sie zu erklären; aber da nur ein über- legener Genius diese Art der Betrachtung erträglich machen kann, ist sie oberflächlich und abgeschmackt geworden. Hurd preist seinen Freund Warburton dafür, daß er zwischen beiden Extremen die richtige Mitte getroffen habe.

Finden wir hier eine noch nicht recht abgeklärte Auffassung, so setzt uns der Verlauf der Dissertation on poetical Imitation 1757 noch mehr in Verwunderung. Denn im ersten Teile bestreitet Hurd aufs eifrigste die Meinung, als ob Übereinstimmung zwischen zwei Dichtem notwendig auf Kopierung des einen durch den andern schließen lasse. Gleiche Gegen- stände und Affekte bringen, richtig beobachtet, gleiche Darstellungen hervor. Erfindung ist ja überhaupt nichts als richtige Beobachtung. Nicht in der Entdeckung neuer Gefühle und Bilder, sondern in der mächtigen Vorführung und Einprägung der bekannten liegt Homers und Shake- speare's Überlegenheit; den Genius erweist die richtige Behandlung. Dabei

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läßt es sich Hurd besonders angelegen sein, den Yirgil gegen den Vorwurf, daß er ein Imitator sei, zu verteidigen.

Nach solchen in mancher Hinsicht so berechtigten Ausführungen sind wir ganz erstaunt, im zweiten Teil zu erfahren, daß es Nachahmer doch gebe. Wir sind, führt Hurd aus, von Jugend auf gewohnt, die Welt mit den Augen der großen Dichter zu sehen; ihre Verehrung ist durch die Jahrhunderte festgestellt, und die Kritik hat sie immer als Muster betrachtet. Deshalb wagte man im Altertum und noch in der Neuzeit keine andern Wege einzuschlagen, als Homer gegangen war, undmankonnte es vielfach auch nicht. Nun kann aber wirklich der Nachahmer durch trefflichere Behandlung das Original überbieten; er kann die Mittel, die er in der Schatzkammer der Früheren findet, neu gestalten und ergänzen, wofür das sechste Buch der Aeneis ein unsterbliches Beispiel ist. Pope hat gesagt, es bleibe uns nichts übrig, als unsere Werke durch die Nach- ahmung der Alten zu empfehlen, und sicher ist, daß ein Schriftsteller, der durch alle die genannten mächtigen Beweggründe auf die Nachahmung angewiesen ist, notwendig verunglücken muß, wenn er gegen sie revoltiert und um jeden Preis original sein will. Ein betrübendes Beispiel dafür ist der Gondibert. Durch die Absicht, den Plan des Epos nach der Tragödie zu gestalten, begab sich Davenant der wichtigsten Vorteile und verzichtete durch Weglassung der überirdischen Mächte auf das, was dem Epos die größte Pracht verleiht. Mit der Sucht nach Originalität hängt bei Davenant die Affektiertheit der Darstellung und des Ausdruckes zusammen. Wahrer Ruhm erwächst eben nur aus der anspruchslosen Einfachheit der Natur, ob man sie nun in ihrer eigenen und eigentümlichen Gestalt oder durch Reflexion in dem treuen Spiegel der wahren Muster betrachte. Die Furcht, als Nachahmer zu gelten, ist die Hauptursache der Verderbnis des Ge- schmackes.

Auf die kritischen Regeln nimmt Hurd keine Rücksicht. Das Ziel des Epos ist ihm Bewunderung, hervorgebracht durch die Großartigkeit des Planes und die Fülle bedeutender Ereignisse und gestützt durch eingehende Umständlichkeit der Darstellung. Mit Aristoteles trifft er in einzelnen Punkten zusammen, doch hat er in der Dissertation on the provinces of the drama die Giltigkeit der aristotelischen Vorschriften für die moderne dramatische Poesie direkt abgelehnt, weil bei den alten Dichtem keine Beispiele für die Zwischengattungen zu finden seien. Saintsbury weist darauf hin, daß dieser Ausspruch dem Aufsatz On the idea of universal poetry 1765 widerspricht, wo Hurd verbietet, die durch Natur und Vernunft festgesetzten Dichtungsgattungen zu vermehren oder zu verändern.

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Der Regelzwang ist überwunden, aber neben der Natur bleiben die alten Muster in ihrem Rechte. Daß auch sie nicht durchaus verbindlich sind, erörtert Hurd in seinem bedeutendsten Werke, den Letters on Cliivdlry and Homance 1762, dem Heroldsruf für das neuerwachte Interesse an der mittelalterlichen Poesie, vor allem an Spenser. Das Werk eröffnet eine mehr romantische als historische Studie über das Rittertum, für welche die Züge zum größten Teil aus Spenser selbst genommen sind. Das tut aber nichts zur Sache.

Hurd findet, infolge der gleichen Vorbedingungen, zwischen den „gotischen" und den homerischen Zuständen die überraschendsten Paral- lelen. Jene überragen diese durch die ritterliche Hochherzigkeit, den Frauendienst und die erhabene Feierlichkeit der Superstitionen, Das Unglück ist nur, daß die gotischen Zeiten keinen großen Dichter hervor- brachten und die späteren, Tasso und Spenser, die Zustände, die sie be- sangen, schon selbst nicht mehr kannten; wenn Homer in gotischer Zeit gelebt hätte, würde er aus einem gotischen Stoffe noch etwas weit Er- habeneres gemacht haben als die Ilias.

Für den Stil des gotischen Gedichtes ist der klassische nicht maß- gebend, ebensowenig als man einen gotischen Bau nach den Regeln der griechischen Architektur beurteilen darf; sie haben ihre eigenen Gesetze. Spenser hat keine Einheit der Handlung im klassischen Sinn, aber seine Einheit ist die des Plans, design. Sie besteht in der Beziehung aller Abenteuer auf den Ausgangspunkt, den Befehl der Königin Gloriana.

So weit wäre alles recht, und Giraldo Cinthio hätte an seinem späten Rächer seine Freude haben können. Aber Hurd ist unzufrieden, daß die von ihm entdeckte Regel des gotischen Epos von Spenser nicht in voller Reinheit durchgeführt worden ist. Er findet nämlich, die Abenteuer der einzelnen Ritter hätten, jedes einzelne in sich, streng abgeschlossen sein müssen. Statt dessen habe Spenser die Abenteuer mehr verknüpft, als die Einheit des Plans erforderte, indem er die eigentliche Geschichte jedes Buches in verschiedene Bücher zerstreute und in allen Prinz Arthur auf- treten ließ. Es sei das eine ungehörige und tadelnswerte Konzession Spenser's an die klassische Lehre von der Einheit der Handlung. Man sieht, wie dringend sich bei Hurd das Bedürfnis nach neuen Scheuklappen geltend macht, kaum daß die alten weggeworfen sind. Denn er tut Spenser Unrecht. Die bunte Verwicklung bei diesem ist die Ariosts, dessen Ähn- lichkeit mit Spenser Hurd allerdings höchst unbequem liegt. Für Prinz Arthur muß er selbst zugeben, daß dieser, wenn er im allegorischen Sinne des Gedichtes eine Vereinigung aller Einzeltugenden darzustellen habe, auch überall mitwirken müsse. Das ist aber nicht nur vom allegorischen,

Finsler: Homer in der Neuzeit. 23

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sondern auch vom poetischen Standpunkt aus notwendig; denn wenn Arthur schließlich die Hand der Faerie Queene erlangen sollte, durfte ihm nicht nur ein einzelnes Abenteuer zugeteilt werden wie jedem anderenRitter.

Neben der erkämpften Berechtigung des gotischen Epos ist die Be- handlung der Wunder, die darin vorkommen, bemerkenswert. Mit Feuer preist Hurd die goldenen Träume Ariosts und die himmlischen Visionen Tasso's. Ganz entsprechend seiner etwas schwankenden Haltung macht er zwar den schüchternen Versuch, das eine oder andere Wunder in ihnen natürlich zu erklären, wie z. B. die magischen Flammen als griechisches Feuer zu deuten. Aber er besinnt sich, verwirft diese Sorte von Verteidi- gung und heißt alle die Wunderbarkeiten in ihrer eigenen Gestalt will- kommen. Er findet zwar die oft gestellte Forderung, daß der Dichter der Natur folgen müsse, durchaus berechtigt; aber die Welt der hohen Poesie ist nicht die des gemeinen Weltlaufes, sondern die der Imagination. Hurd glaubt allerdings, daß solche Fiktionen nur so lange wirken können, als sie im Volksglauben wurzeln; aber das beweist ihm nur, daß nicht jedes Zeit- alter für das Epos gleich geeignet ist. Die Dichter tragen mit größerem Erfolge vor, was sie selbst glauben, als was sie der Überlieferung ent- nehmen, und darum ist eine Erneuerung der Feengeschichten nicht anzuraten. Milton hat Götter und Feen durch Engel und Teufel ersetzt. Wenn man auch diese nicht mehr glaubt, so hat das epische Gedicht die wirksamsten Mittel verloren, da Bewunderung nur durch die Ein- führung höherer Wesen bewirkt werden kann.

Hurd stellt weiter die Frage, warum man die klassischen Sitten immer noch bewundere und nachahme, während die gotischen gar nicht mehr beachtet werden, und findet dafür verschiedene Ursachen. Die klassi- schen Sitten fanden in der Zeit ihrer Blüte die hervorragendsten Darsteller; die gotischen waren schon verschwunden, als große Dichter sich ihrer an- nahmen. Gegen das Rittergedicht richteten Chaucer und Cervantes ihren Spott. Das Mittelalter wurde nicht mehr verstanden; romantisch und un- natürlich galten als gleichbedeutend. Die Sitten Homers dagegen, die aus dem bekannten und gewöhnlichen Zustand der menschlichen Natur hervor- gegangen waren, hatten viele Urbilder und erscheinen auch denen natürlich, die nichts Ahnliches mehr vor Augen sehen. Obwohl uns die Sitten Homers so fremd sind wie die des Rittertums, freuen wir uns ihrer stets, weil sie uns natürlich vorkommen. Das Mittelalter aber kennt niemand, und niemand kann glauben, daß die romantischen Zustände einmal natür- lich gewesen seien. Der Wertschätzung der romantischen Poesie hat die Aufklärung ein Ende gemacht. Wir mögen dabei um ein Stück Vernunft reicher geworden sein, haben aber eine schöne Fabelwelt verloren, deren

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Illusion dem entzückten Geiste so willkommen ist, daß Fairy Spenser, aller Philosophie und Mode zum Trotz, noch immer im höchsten Rang der Dichter steht, wenigstens für die, welche selbst zu dieser Sippe gehören. Dieser Schluß ist zu melancholisch. Hurd hat sein Ziel er- reicht imd Spenser wieder zu Ehren gebracht, zum Ärger Johnson's, der besonders von Nachahmungen des Dichters nichts hören wollte.

Mit der Herrschaft der Regeln war es aus. Als Brown 1764 den Nachweis antrat, daß Aischylos kein Nachahmer Homers gewesen sei, sagte er, es könnte vermessen erscheinen, einen Punkt in Frage zu ziehen, den Aristoteles, der große Meister der griechischen Kritik, selbst ent- schieden habe. Aber, entgegnet er, laßt uns daran denken, daß die Tage jetzt vorüber sind, da man es als eine Ehrensache ansah auf die Meinungen eines Meisters zu schwören. Aristoteles ist oft bewunderungswürdig, ge- wöhnlich scharfsinnig, vielleicht aber oft im Irrtum, sogar über Dinge und Menschen seines eigenen Landes. Aber auch mit der Mustergiltigkeit der antiken Poesie war es vorbei, und daran hatte Hurd, obwohl er an ihr noch festhielt, unwissentlich großen Anteil. Denn wenn er zwischen der direkten Nachahmung der Natur und der indirekten Homers unter- schied, und wenn er dem klassischen Muster das gotische gleichberechtigt zur Seite stellte, so war Homer auf einen recht kleinen Raum eingeschränkt.

Den von Hurd festgestellten Unterschied der Nachahmungen griff Edward Young in der Schrift On Original Composition 1759 wieder auf und bewies in feuriger Begeisterung, daß nur Nachahmungen der Natur Anspruch auf den Namen von Originalwerken erheben können. Das Büchlein atmet das Gefühl des vollen Sieges der neuen Ideen. Daß die Neuzeit so wenige Originale habe, komme nur daher, daß berühmte Beispiele die Freiheit hemmen, mit Vorurteilen erfüllen und zaghaft machen. Wir könnten es ihnen aber leicht gleichtun. Es fällt Young nicht ein die Alten herabzusetzen: wer die nicht bewundert, verrät ein Geheimnis, das er gern verbergen möchte; er sagt der Welt, daß er sie nicht ver- steht. Aber nachahmen sollen wir sie nicht. Homer darf uns nicht vor der Sonne unseres eigenen Genius stehen. Oder doch, ahmen wir sie nach, aber so, wie es richtig ist. Nicht der ahmt den Homer nach, der die göttliche Ilias nachahmt, sondern nur, wer Homers Methode erwählt, durch die er zur Vollkommenheit gelangt ist. Je weniger wir die Alten kopieren, desto mehr werden wir ihnen ähnlich sein. Man gehe zu der Quelle, an der sie tranken, zur Brust der Natur.

Genie und guter Verstand unterscheiden sich wie ein Zauberer und ein Baumeister; jener schafft durch unsichtbare Mittel, dieser durch den kunstmäßigen Gebrauch der gewöhnlichen Werkzeuge. Gelehrsamkeit und

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Regeln braucht das Genie nicht; sie sind wie Krücken, eine notwendige Hilfe für den Lahmen, ein Hindernis für den Gesunden. Ein Homer wirft sie weg und erkennt über sich kein Gesetz an. Wie die Verachtung des Geldes oft der größte Gewinn für die Tugend ist, so erlangt das Genie seinen größten Ruhm durch die Verachtung der Gelehrsamkeit; denn diese ist eine erborgte Wissenschaft, das Genie aber die uns angeborne, eigen- tümliche. Ein großer Teil der Schrift gilt überhaupt dem Preise des Genies, dessen Verehrung in dieser Zeit immer allgemeiner zutage trat und selbst von den Klassizisten nicht umgangen werden konnte.

Auf Übersetzungen Homers ist Young natürlich nicht gut zu sprechen. Sie sind, wie die Nachahmungen, ein Piedestal und erhöhen den Ruhm des Originals, indem sie zeigen, wie wenig sie dieses erreichen konnten. Sie geben nicht den Achilleus Homers, sondern etwas, das gleich dem Patroklos seinen Namen annimmt und mit eigener Gefahr an seiner Statt erscheint. So groß ist der unnachahmliche Vater der Dichtkunst und das Orakel aller Weisen. Die vielen Übersetzungen seiner Gedichte sind, so steht zu befürchten, nur ebensoviele Zeugnisse, daß dieser göttliche Dich- ter noch immer unübersetzt ist. An Pope's Übersetzung erbittert Young vor allem der Reim. Milton, in dem Homers Genie wieder erstanden ist, hatte doch den Briten durch sein eigenes Beispiel verboten Homer diese Beleidigung anzutun, und so kann man es kaum verzeihen, daß Achilleus durch diesen weibischen Aufputz zum zweitenmal in Weiberkleidem er- scheint. Aber gesetzt auch, Pope's Leistung wäre vollkommen, so ist doch jede Übersetzung vom Original so verschieden wie der Mond von der Sonne.

Die Veränderung in den Anschauungen der Zeit erkennt man auch an kleinen Zeichen. Li dem Essay über Lydgate's Gedichte verteidigt Thom as Gray die Umständlichkeit, circumstance, bei dem alten englischen Dichter. Sie werde von dem gewöhnlichen Publikum verlangt, sei aber überhaupt das Wesen und Leben der Beredsamkeit und der Poesie, und sie zugunsten der Raschheit und empfindlichen Ungeduld unserer Zeiten aufzugeben, könnte leicht den Verfall der schönen, von der Einbildungs- kraft abhängigen Künste bedeuten. Jedenfalls bedürfe Homer, der Vater der Umständlichkeit, der nämlichen Verteidigung wie Lydgate und seine Vorgänger. Es fällt Gray, dem gründlichen Kenner des Altertums, gar nicht ein, Lydgate durch Homers Autorität zu verteidigen; er erklärt vielmehr die gemeinsame Erscheinung durch die nämliche Ursache, will aber die Vergleichung beider Dichter nicht weiter ausdehnen.

Zu der reichen Ideenentwicklung der Zeit tritt belebend die neue Erkenntnis bisher wenig beachteter Literaturgattungen. Es war schein-

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bar eine der klassischen wie der modernen Literatur recht ferne Welt, in die des Bischofs Richard Lowth Buch De Sacra poesi Hebraeonim praelectiones 1753 führte. Auf den poetischen Gehalt der Bücher des Alten Testaments hatten freilich schon Milton, Addison, Steele aufmerksam gemacht, aber noch nie war es mit einer so begeisterten Wärme und so umfassender Gelehrsamkeit geschehen.

Im ersten Bande erörtert Lowth die poetischen Mittel der hebräischen Poesie und nimmt dabei selbständig Stellung zu den kritischen Fragen; im zweiten bespricht er die einzelnen Dichtungsgattungen des Alten Testaments. Gleich im Beginn erweist er sich als begeisterten Interpreten Homers. Denn dessen unsterbliches Genie ist ihm der beste Beweis dafür, daß das durch die Poesie gewährte Vergnügen der Weg zu ihrer eigent- lichen Aufgabe ist, die Menschen zum Guten zu führen. Fühlen wir uns nicht, wenn wir ihn lesen, von unerhörter Freude durchdrungen, und bemerken wir nicht, wie uns die schönsten Lebenslehren gleichsam in die Seele eingebrannt werden? Hören wir doch bei ihm die lebenden Stimmen der Tugend, schauen ihr lebendes Bild. Dasselbe gilt von der Tragödie, die man eine auf die Bühne gebrachte Philosophie nennen könnte, wofür Shakespeare das glänzendste Beispiel ist.

Inbezug auf den Unterschied zwischen Geschichte und Poesie schließt sich Lowth an Aristoteles, näher aber an Bacon an und dehnt dessen Lehre, daß das Epos den Geist zum Erhabenen emporreiße und die Bilder den Wünschen des Herzens anpasse, auch auf die Ode aus. Nur stellt er zwischen dem Verfahren der beiden Gattungen einen Unterschied fest. Das Epos verfolgt sein Ziel langsam, mit mehr Vorsicht und Umsicht, deshalb vielleicht sicherer. Kaum merklich schleichen sich die Rührung und Freude, die es bewirkt, in die Seele ein. Es übt seine Gewalt bald im Ansturm, bald im Zurückweichen. Dagegen ist die Wirkung der Ode eine plötzliche. Das Epos gleicht dem Feuer, das, vom Winde angefacht, langsam das ganze Haus ergreift, die Ode dem einschlagenden Blitz.

Neben der hohen Bedeutung der Poesie für das ganze Seelenleben haben die poetischen Ornamente auch für die wissenschaftliche Arbeit hohen Wert. Das zeigt sich nirgends besser als bei Piaton, der nicht nur über die Sache selbst falsch geurteilt hat, sondern dem für seine feindselige Haltung gegenüber der Poesie, der er so viel verdankte, der Vorwurf der Undankbarkeit nicht erspart werden kann.

So erhaben und vorbildlich nun die Poesie überall ist, so zeigt sie sich doch nirgends großartiger, als wo sie sich mit den heiligen Gegen- ständen, ihrem eigensten Gebiete befaßt, und das ist nirgends so sehr der Fall wie bei den Hebräern. Obwohl jedoch diese Poesie alles Mensch-

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liehe übertrifft, muß man auch bei der Erklärung ihrer Wirkung die Art ins Auge fassen, wie sie die Affekte erregt. So kommt Lowth dazu, sich auch mit den kritischen Theorien auseinanderzusetzen, und obwohl er darin nicht so weit geht wie andere, erweist er sich doch als ein echtes Kind seiner Zeit. Die Theorie, sagt er, ist überall aus der Beobachtung hervor- gegangen, und die vielen Einzelbeobachtungen wurden dann methodisch geordnet und in bestimmte Gesetze zusammengefaßt. Sie hat also ihren Ursprung in den Werken der Genies, und diese verdanken ihren Ruhm keineswegs der Unterstützung durch die Theorie. Man wird richtig daran tun, deren Vorschriften auch dann zu Rate zu ziehen, wenn man die Schriften derer erklärt, die nichts davon wußten odernicht darauf achteten. Und wenn man die Mittel betrachtet, mit denen die heilige Poesie den Menschen zu heben sucht, wird man daraus der Theorie eine bedeutende Unterstützung zuführen. Es lohnt sich, diese Auffassung mit Addisons Milton zu vergleichen. Nicht soll das Neue, bisher Unbekannte an der Theorie gemessen, sondern diese soll von den neuen Werken aus wo- möglich gestützt und erweitert werden.

In den heiligen Gesängen, sagt Lowth, kann man den göttlichen Ursprung der Poesie erkennen. Sie bestätigt daher den Glauben der Griechen an die Inspiration; er war bei diesen ein Stück ursprünglicher Einsicht, das auch blieb, als die Sache selbst verloren gegangen war.

Die Abhandlung über die poetischen Mittel der hebräischen Poesie, die den größten Teil des ersten Bandes umfaßt, ist äußerst interessant. Ich kann aus dem reichen Inhalt nur herausheben, was für Homer von Wichtigkeit ist. In der Untersuchung über Metapher und Gleichnis schärft Lowth vor allem ein, daß zum richtigen Verständnis des alttestament- lichen Bilders chmuckes eine genaue Kenntnis von Sprache, Sitten und Denkart der Hebräer gehören. Er zeigt, wie die Hebräer ihre Metaphern den gewöhnlichsten Dingen entnahmen, am liebsten dem Ackerbau und der Viehzucht. Wer das unangenehm finde,. möge nicht den alten Dichtem, sondern seiner eigenen Unwissenheit die Schuld beimessen. Er weist darauf hin, wie auch Homer die Bilder des ländlichen Lebens liebt. So führe dieser mehrfach die Dreschtenne ein, zweimal zur Vergleichung für geringfügige Dinge, dann in großartigster Weise für den über die Leichen und Schilde hinjagenden Achilleus; und doch erreiche die Stelle an Erhabenheit und Kühnheit die Verwendung der Dreschtenne bei Jesaia bei weitem nicht. Überhaupt gibt Lowth, was Schwung und Erhabenheit betrifft, in sorgfältiger Erwägung der zahlreichen Parallelstellen den Propheten den Vorzug vor Homer. Darin ist er nicht weiter gekoramen als manche seiner Zeitgenossen, daß erin den Gleichnissen die Vergleichungs-

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punkte immer noch in den Gegenständen findet und daher, wie Johnson, die Wahl zu ähnlicher oder zu unähnlicher Bilder tadelt. Die Scheidung zwischen erläuternden, erhöhenden und rein ausschmückenden Gleichnissen stammt sogar direkt aus La Motte.

Gott mit menschlichen Zügen und Affekten auszustatten, hält Lowth in der Poesie mit Recht für unumgänglich, da wir sein wahres Wesen nicht dar- stellen können. Doch gewinne das, was, wörtlich genommen, Gottes Eigen- schaften am unähnlichsten scheine, als Metapher oder Gleichnis gefaßt, die höchste Erhabenheit, da der Geist aus dem Bild immer auf die Wahrheit schließe. Diese Erklärung läßt jedoch Lowth nicht auch für Homer gelten, den Longin mit Recht dafür tadle, daß er seine Götter noch unter die Menschen herabdrücke. Homer habe, von seinen falschen Meinungen verführt, von den Göttern Dinge berichtet, die, so absurd und gottlos sie seien, wenn man sie wörtlich nehme, doch kaum, ja nicht einmal kaum, allegorisch verstanden werden können. Lowth lehnt also für Homer die allegorische Erklärung ab. Daraus erklärt sich das auf den ersten Anblick Befremd- liche, daß er seine Allegoria mystica rein nur für die Hebräer in An- spruch nimmt und von der allegorischen Auslegung Homers, die so sehr gewuchert hatte, ganz schweigt. Darin hat er vollkommen Recht. Er hätte nur unterscheiden sollen. Homer konnte die Götter nicht anders darstellen, als die Hebräer taten, mit menschlichen Zügen und Affekten; aber an den Göttergeschichten, die so viel Ärgernis gegeben haben, war nicht sein blindes Heidentum schuld, sondern Überlieferung und philoso- phischer Pessimismus.

War durch Lowth die alttestamentliche Literatur für die poetische Betrachtung gewonnen worden, so gab die Wiedererweckung der alten englischen Balladenpoesie den neuen Ideen einen noch mächtigern Anstoß. Die ersten Anregungen zu ihrer Wiederbelebung liegen weit zurück. Ben Jonson erklärte, wie Addison mitteilt, er würde lieber der Verfasser des Song of Chevy-Chase sein als der seiner eigenen Werke. Sir Philip Sidney war bei jedem Anhören desselben Gedichts mehr als durch Trompetenstoß bewegt, obwohl es nur von gewöhnlichen blinden Leuten mit rauher Stimme und in rauhem Stil vorgetragen wurde. Jetzt sei das Gedicht so übel in Staub und Spinnweb jenes unzivilisierten Zeit- alters gekleidet: wie würde es im Schmuck der prächtigen Sprache Pindars wirken. Addison selbst hatte, wie wir sahen, das Gedicht mit Virgil in Parallele gesetzt.

Eine erste, gewöhnlich Ambrose Philips zugeschriebene Collection of old Ballads erschien 1723. Die Vorrede zum ersten Buch ist darum merkwürdig, weil sie diese Balladen ohne alle Umstände mit den Ge-

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sängen Homers auf gleiclie Stufe stellt, unverkennbar unter dem Ein- fluß Bentley's. Auch Homer, sagt die Vorrede, war ein Balladensänger, der von Tür zu Tür zog. Nach seinem Tode fand es jemand passend seine Balladen zu sammeln und gab uns, indem er sie etwas verband, die Ilias und Odyssee, die seither so sehr bewundert worden sind. In jenen alten Zeiten hielt man keine Unterhaltung für vollkommen, wenn nicht beim Gelage ein Sänger alte oder doch über alte Stoffe geschriebene Weisen sang. Im zweiten Bande wird gegen Addison behauptet, die englischen Balladendichter müßten mit dem Altertum bekannt gewesen sein. Borgen sie doch von den Alten nicht nur Gedanken und sogar Wendungen, sondern weichen auch nach antikem Vorbild aus Gründen der Schönheit oder Moral von der historischen Wirklichkeit ab. Es trafen in ihnen natürliches Genie und Bildung zusammen.

Ohne so weitgehende Behauptungen empfahl Allan Ramsay 1724 seine Sammlung Ever-Green dem heimischen Publikum als eine Probe wahrhaft bodenständiger Kunst.

In seiner Besprechung von Pope's Temple of Fame wundert sich Joseph Warton, daß die modernen Dichter die Druidenzeiten und die Überlieferungen der alten Barden so wenig benützten, die doch in Bilder- reichtum und Empfindung fruchtbare Stofi'e liefern würden. Doch fügt er hinzu, Thomas Gray habe den Fehler bereits gut gemacht. Gray 's schwungvolles Gedicht The Bard, gedruckt 1757, knüpft an die Ermor- dung der wallisischen Barden durch Edward I. an. Der letzte über- lebende Barde erblickt in den furchtbaren Geschicken von Edwards Ge- schlecht die Rache für die Freveltat; aber nach den dunklen Zeiten sieht er die Sonne der Poesie, die Edward nicht hat auslöschen können, in Spenser, Shakespeare, Milton, Dryden wieder aufsteigen. Gray hat in den Fatal Sisters und dem Bescent of Odin isländische Gedichte para- phrasiert und dadurch das Interesse auch für die nordische Poesie ge- weckt, ferner in den Welch Fragments einige Proben aus Evan's Spe- cimens of Welch Poetry englisch wiedergegeben.

Von durchschlagendster Wirkung waren aber die 1765 von dem Bischof Thomas Percy herausgegebenen Eeliques of ancient English poetry j die auf einen allseitig vorbereiteten Boden fielen. Percy führt seine alten Dichter sehr bescheiden ein. Viele von den Überresten der alten Zeit, meint er, verlangen wohl in unserem gebildeten Zeitalter viel Nachsicht. Aber sie haben eine anmutige Einfachheit und manche kunstlose Reize, die, wie schon Addison und Dryden gesagt haben, den Mangel an hö- heren Schönheiten aufwiegen und, wenn sie auch nicht die Einbildungs- kraft blenden, gar oft die Teilnahme des Herzens erregen. Ja es dürften

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viele dieser ungelelirteii fahrenden Sänger, die nur augenblicklichen Bei- fall und Unterhalt begehrten, modernen Dichtem vorzuziehen sein, welche alle Vorteile der Wissenschaften ihrer Zeit besaßen und für Ruhm und Nach- welt schrieben. Die Träger dieser Poesie sind die Minstrels, deren Ge- schichte Percy in einem besondern Essay schildert.

Wenn man ins Auge faßt, daß der Klassizismus es höchstens zu einer Epigoniad gebracht hatte, daß der Regelzwang gebrochen, die Vorbildlichkeit der alten Muster geleugnet, neben dem antiken das go- tische Epos als gleichberechtigt erklärt worden war, daß man in der Poesie nur das Genie und nur die unmittelbar aus der Natur geschöpften Ori- ginalwerke gelten lassen wollte, so begreift man den ungeheuren Erfolg der Reliques. Obwohl, so viel ich sehe, Percy nirgends eine Vergleichung der Minstrels mit Homer angestellt hat, so spricht er es doch am Ende des Aufsatzes On the old metrical Bomances klar genug aus, daß diese Gedichte Bewunderung erregen und Tugend einflößen, indem sie die Tat eines einzelnen vom Himmel begünstigten Helden besingen, daß sie also den Namen der epischen Poesie reichlich verdienen. Aber nicht diese theoretische Erörterung gewann den Balladen die Herzen der Men- schen. Die Parallele mit Homer zogen diese schon selbst: hier waren Blackwell's wandernde Barden mit ihren Stegreifdichtungen und ihrer Naturpoesie, hier die ältesten Träger der historischen Überlieferung, hier die von allem Wissensqualm freien unmittelbaren Dichter.

Es fehlte unter den vielen Barden und Minstrels nur eine berühmte Person, ein uralter Dichter, der bereits größere Komplexe verfaßt hatte, kurz ein wirklicher Homer. Diesen gab Macpherson. Nachdem er schon 1760 die Fragments of ancient poetry herausgegeben hatte, die er aus dem Gälischen übersetzt zu haben behauptete und Ossian, dem Sohne Fingais, zuschrieb, ließ er 1765 The tvorJcs of Ossian in erwei- terter Fassung erscheinen. Die Gedichte wurden damals allerdings über- schätzt, trafen aber in ihrem sentimental-heroischen Charakter, in der Zeich- nung der Hochlandsnatur, in dem Schwelgen in den ritterlichen Sitten einer grauen Vorzeit und in der Schönheit der Sprache so sehr mit den Bedürfnissen der Zeit zusammen, daß man diese Überschätzung sehr wohl begreifen kann. Ihr Charakter ist nicht episch, sondern lyrisch, ihr Inhalt nicht Handlung, sondern Stimmung. Einen größeren Unterschied als zwischen dem Fingal und dem Song of Chevy-Chase kann man sich gar nicht vorstellen. Einzelne Partien und auch ganze Stücke, wie The Songs of Selma und Berrathon, gerade die von Goethe im Werther übersetzten, sind von großer Schönheit, und die düsteren Naturbilder üben ihre Wirkung noch heute.

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Gleich beim ersten Erscheinen des Fingal erklärte Samuel John- son, diese Produkte hätten nie in einer andern Form existiert als in der vorliegenden, und so weit hatte er unzweifelhaft Recht, als die Ge- dichte keine Übersetzungen sein können. Sie verraten in ihrem Stil auf Schritt und Tritt den Nachahmer; alttestamentliche Redeweise, vir- gilische Wendungen, Cowley'scher Marinismus haben durcheinander als Muster gedient. Die Mädchen, die dem Geliebten unerkannt in Waffen folgen, stammen aus Wilkie. Den zahllosen Entlehnungen aus Homer nachzugehen ist noch viel weniger notwendig. Für den ersten Band der Ausgabe von 1765 hat uns Macpherson selbst der Mühe überhoben, da er in Fußnoten beständig auf die wichtigsten Parallelstellen auf- merksam macht; ein geeignetes Mittel, um über die Entlehnungen hin- wegzutäuschen. Zum achten Buch von Temora bespricht er die auf- fallende Übereinstimmung beider Dichter inbezug auf die natürlichen Gesetze des Epos. Da der Gedanke an Nachahmung Homers durch Ossian ausgeschlossen sei, so sei jene Übereinstimmung in den großen wesentlichen Eigenschaften des Epos weit entscheidender als alle Vor- schriften des Aristoteles. Die Nachahmung erhellt nicht nur aus den vielen entlehnten Stellen, sondern namentlich auch aus der meist un- geschickten Fassung der stehenden Beiwörter.

Während so die Form ausschließliches Eigentum Macpherson's ist, scheint er den Stoff, wenigstens die Hauptpersonen, nicht erfunden, son- dern in schottischen Überlieferungen wirklich vorgefunden zu haben, da sie, worauf mich Singer aufmerksam macht, der keltischen und nor- dischen Sage angehören. Wie weit dieser Einfluß geht, wird schwer festzustellen sein. Eine andere Einwirkung liegt dagegen offener am Tage. Macpherson hat sich sorgfältig der herrschenden literarischen Kritik angepaßt. Über die Frage, ob vom epischen Helden moralische Vortrefflichkeit gefordert werden müsse, war seit zwei Jahrhunderten gestritten worden. Macpherson entschied sich, dem herrschenden mora- lischen Zuge entsprechend, um so lieber für den vollkommen tugend- haften Helden, als er Charaktere überhaupt nicht zeichnen konnte. So sind denn seine Helden über alle Gedanken großherzig und edelmütig. Der Einzige, der diese Harmonie stört, der Bösewicht Cairbar in Te- mora, wird beförderlichst entfernt, und an seine Stelle tritt Cathmor als ritterlicher Feind. Sodann hatten sich zahlreiche Kritiker, zuletzt noch Home, über die Mannigfaltigkeit der Wunden und Todesarten bei Homer aufgehalten: Macpherson vermeidet lange und detaillierte Schlachten- schilderungen, und auch das kommt ihm zustatten, weil er weder er- zählen noch einen großen Aufbau zu schaffen vermag. Addison hatte

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die Struktur des Gleichnisses bei Homer und Milton verteidigt; Ossian haut sein Gleichnis homerisch. Dagegen hatten Hurd und Blair ein Zeichen von Nachahmung darin gesehen, wenn ein englischer Dichter Züge einer fremden Natur aufnehme, z. B. wenn er den englischen Frühling mit den Farben des italienischen male oder fremde Tiere wie Löwen und Tiger ins Gleichnis einführe: um nicht als Kopist zu gelten, hält sich Ossian streng an die schottische Hochlandsnatur mit ihrer sturmdurch- brausten Heide, den ewigen Nebeln und dem trüben Schein des Mondes, neben dem heller Sonnenschein nur selten auftritt.

Es fragt sich, ob hierher auch das Fehlen der Götter bei Ossian zu ziehen ist. Macpherson teilt uns in der einleitenden Dissertation mit, die gälischen Götter seien beim Sturz der Druiden, der Hüter der alten Religion, in Mißkredit geraten und ihre Verwendung deshalb von den Barden vermieden worden. Aber das ist ja die reine Fabelei. Wenn €s in Liedern, die Macpherson vorlagen, keine Götter gab, so rührte das einfach daher, daß jene Lieder nicht, wie Macpherson will, in heid- nischer, sondern erst in christlicher Zeit entstanden waren. Aber es fehlten doch wohl dort auch Ossian's Geister, diese wunderlich aufge- stutzten Fratzen der homerischen Seelen, deren Züge auch durch den nordischen Nebel noch überall durchscheinen. Nicht weil die alten Lieder keine Götter kannten, fehlen sie bei Ossian, sondern weil Addison sie dem modernen Epos verboten hatte, während er die Geister als nationale Eigentümlichkeit erlaubte. Da nun Macpherson diesen wichtigen Teil der homerischen Welt nicht einführen zu dürfen glaubte, so erklärte er das mit einer erfundenen Geschichte vom Sturz der alten Religion und hielt sich dafür an den Geistern schadlos. Macpherson bietet uns also einen nach allen Regeln der Kunst verbesserten Homer. Nur in der Haupt- sache, dem eigentlich Epischen, gleicht sein blinder Sänger dem Vorbild auch gar zu wenig. Oft werden die Voraussetzungen der Handlung eines Stückes breit und ermüdend dem Gedichte vorangeschickt. Die Episoden sind oft schwer verständlich. Die zahllosen unbekannten Namen müssen fortwährend in Anmerkungen erklärt werden, ohne daß sie des- halb leichter im Sinne zu behalten wären. Endlich ist keine seiner Ge- schichten spannend, weil der unüberwindliche Fingal ja doch immer den Sieg behalten wird. Von allen Stücken ist das, welches den Namen dieses Helden trägt, am klarsten durchgeführt, aber auch dieses mit einer mehr als einfachen Handlung.

Für die Homerfrage wurde es von Bedeutung, daß Macpherson die Gesänge der Barden und so auch Ossian's lange Generationen hindurch nur mündlich, ohne Hilfe der Schrift, überliefert sein ließ. Bei der An-

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läge der Lieder, die der Musik angepaßt waren, habe der Text nicht verloren gehen können. Die Schrift sei erst lange nach dem Aufkommen der Barden bekannt geworden. Da diese einen erblichen Stand bildeten^ sei die Festigkeit der Tradition leicht zu begreifen. Nur sagt Macpherson leider nicht, wie es dann kam, daß Fingais Sohn, der Kriegsmann Ossian^ selbst ein solcher Barde wurde. Hugh Blair ist ihm beigesprungen und hat erklärt, Ossian sei eben in der Bardenwissenschaft erzogen worden. Aber damit ist gar nichts gewonnen. Denn mit der Annahme eines dich- tenden, das Heldenideal immer weiter ausgestaltenden Standes harmoniert eine Person Ossian so wenig als die Homers mit der Lachmann'schen Liedertheorie.

Die erwähnte Stelle steht in Hugh Blair' s Critical dissertation of the poems of Ossian, die der Ausgabe von 1765 beigedruckt ist. Blair wiederholt zunächst die Angaben Macpherson's über Druiden und Barden und zeichnet dann, in Nachahmung Blackwell' s, ein Bild der günstigen Voraussetzungen, unter denen der nordische Homer entstehen konnte. An der Hand der Gedichte entwirft er ein Bild der altschottischen Welt, verteidigt das hohe Altertum der Gedichte gerade mit dem Fehlen der Götter und der Ähnlichkeit mit dem Alten Testament und zieht dann eine Parallele mit Homer, durch die er wenig mehr beweist, als daß Ossian rein lyrisch und kein Erzähler ist. Ossian stimmt nach Blair nicht in allem mit Homer und Virgil überein, aber durchaus mit den Regeln des Aristoteles, der die Natur an Homer studiert hatte. Das wird für die Gedichte Fingal und Temora im einzelnen ausgesponnen, darauf die Yergleichung Ossian's mit Homer fortgesetzt. Es ist ergötzlich, mit welcher Gläubigkeit Blair, darin Cesarotti gleich, den alten Barden behandelt. Vieles in dem Aufsatz stimmt mit seinen LectureSj die erst später gedruckt wurden, fast wörtlich überein.

Das ganze Gewoge des reichen Jahrzehnts spiegelt sich inBeattie's schönem Gedicht The Minstrel or the Progress of Genius 1771. Wir haben gesehen, wie sehr Beattie den Dichtem das Studium der Natur ans Herz legt, und mit der Natur beginnt auch die Entwicklung seines Dichters, des Schäferburschen Edwin. Die Bezeichnung als Minstrel ist eine Reverenz gegen Percy, denn bis auf diesen hatte man fast nur von Barden gesprochen. Die Freude an der freien Natur und dem Landleben, bereits auch im Gegensatz zur Verderbnis des Hofes und der Stadt, war der englischen Poesie seit Spenser's Tagen eigen, hatte sich aber im 18. Jahrhundert gesteigert und war vielfach zur Schwärmerei geworden. Jedenfalls konnte man sich keinen Dichter vorstellen, der nicht die Natur studiert hätte. Selbst Johnson läßt im Rasselas den Dichter Lnlac die

Blair Beattie Brown 365

ganze Natur durchstreifen, und von ihm ist Beattie vielleicht angeregt worden. Der Unterschied ist nur der, daß es Imlac tut, um sich die dem Dichter notwendigen Kenntnisse zu sammeln, während Beattie's Edwin durch die großen Eindrücke der Natur von selbst zum Dichter wird. Die reichen Naturschilderungen erinnern zuweilen lebhaft an Ossian, nur ohne dessen Düsterkeit. Edwin's Phantasie entzündet sich noch mehr an den Erzählungen und Liedern, die ihm seine Großmutter in Winter- nächten singt. Zwei der dabei namhaft gemachten Lieder, das Nußbraune Mädchen und die Kinder im Walde, stehen bei Percy. Die mannig- faltige, seltsame und langgewundene Erzählung von Helden, Rittern und Waffentaten weist auf die Faerie Queene, die Hexengeschichten auf Shake- speare. Das alles, mit erneuter Wirkung der Natur, macht Edwin zum Dichter von Schönem, Neuem und Erhabenem, und nicht weniger stark wirken die durch die alten Geschichten erweckten Kenntnisse.

Aber im zweiten Teil lenkt Beattie ein. Ein Eremit belehrt den Sänger über die Notwendigkeit die Phantasie zu lenken, zuerst durch die Vorbilder des Lebens in der Geschichte, dann durch die Philosophie, deren Macht die gesetzlose Wut der Einbildungskraft zügelt. Dadurch bekommt, obwohl die Lispiration der Muse den ersten Platz behält, die Phantasie des Dichters ein festes Ziel, und endlich begeistert er sich an Yirgil und Homer. So wird seine Poesie kunstvoll und zum Aus- druck jedes Affekts geschickt.

Deutlicher kann der Sieg der neuen Ideen nicht demonstriert werden als an diesem Klassizisten, der kein Wort von Regeln mehr wagt, und dem Virgil und Homer nicht mehr Muster sind, sondern nur noch Yer- anlasser des höchsten Entzückens. Daß man sich an ihnen bilden könne, hatten auch die Gegner des Regelzwangs nicht bestritten. Aber die Bewunderung für das Genie Homers war eine unmittelbare geworden, seitdem man nicht mehr gezwungen war, ihn durch die Brille der Theorie zu sehen.

Li die wichtige Zeit der sechziger Jahre fallen zwei wissenschaftliche Werke, in denen das Werden und Wesen der homerischen Poesie von verschiedenem Standpunkt aus erklärt wird. Das erste, weitaus be- deutendere, ist John Brown's History of the rise and progress of poetry 1764. Brown ist ein Entdecker. Nicht mit willkürlicher Spekulation, sondern auf dem sehr realen Grund ethnologischer Forschung zeichnet er die Entwicklung der Poesie. Diese Betrachtungsweise scheint ihm die allein zulässige, und auf ihre Nichtbeachtung oder Unkenntnis führt er die vielen begangenen Irrtümer, auch die des Aristoteles, zurück. Es ist

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erstaunlicli, wie nahe er sich mit dem berührt, was Platon in den Gesetzen vorgetragen hat. Gleich diesem läßt er die Ordnung der natürlichen Äuße- rungen der Affekte in Geberde, Stimme und Sprache durch das natürliche Bedürfnis des Menschen nach dem hervorgerufen werden, was Platon Harmonie und Rhythmus, Brown measured melody nennt. Gemeinsam ist beiden, nur bei Platon noch schärfer und bestimmter akzentuiert, die Lehre von der ursprünglichen und innigen Wechselwirkung der In- strumentalmusik, des Tanzes und des in Worte gefaßten Gedichts.

Seinen Ausführungen legt Brown die ausführliche Beschreibung zu- grunde, die Lafitau von einer großen Feierlichkeit der Irokesen gegeben hat. Die Schlüsse, die er daraus zieht, wendet er auf die Griechen an, um zu zeigen, daß auch bei ihnen die Entwicklung nicht anders verlaufen ist, als bei andern Völkern. Auch bei den Griechen waren Musik, Tanz und Gesang unzertrennlich. Wie bei den Indianern, sangen die Häuptlinge ihre eigenen Taten und die ihres Volkes; die Häuptlinge und Gesetz- geber waren zugleich die Barden. Nach ihrem Tode wurden sie göttlich verehrt, und den Göttern verblieben deshalb die Attribute von Musik und Gesang. Ganz natürlich nahm die Sprache die abgemessene Periode^ den rhythmischen Vers an, in dem zuerst alles abgefaßt war, die Gesetze wie die ältesten Geschichten, und der deshalb auch die älteste Form aller frühesten schriftlichen Abfassung bildete.

Die poetischen Gesänge feierten die Taten der Vorfahren und wurden deshalb zu einem religiösen Akt. Die eingeflochtenen Maximen und Er- mahnungen, gegründet auf das Beispiel der zu Göttern erhobenen Ahnen, wurden zur Grundlage der privaten Sitte und des öffentlichen Rechts, und so entstand aus den Festen das ganze Gebäude der Religion, der Moral und des Staates. Von alten Barden sind uns Nachrichten erhalten, von Linos, Orpheus usf. Am Ende der Entwicklung steht Homer. Seine unvergleichlichen Gesänge stellen uns die Religion, den Staat und die Sitten des alten Griechenlands mit der ganzen Kraft der Wahrheit dar. Die gesetzgeberische Kunst ist noch unvollkommen, die moralischen Begriffe beschränkt, kriegerische Tugenden herrschen vor. So zeichnet er Menschen und Götter. Aber gerade weil er der hervorragendste Maler natürlicher Sitten ist, muß die Meinung, als sei er ein Lehrer der Moral, beseitigt werden. Seine Götter und Helden werden weder durch moralische Begriffe von innen noch durch eine geläuterte Gesetzgebung von außen einge- schränkt. Von dem angeblichen Preise der Tugend ist bei Homer nichts zu entdecken. Er ist dafür nicht zu tadeln. Der Fehler liegt an dem Mangel der Gesetzgebung in seiner unzivilisierten Zeit. Wenn Pope moralische Gedanken einflocht, so hat er den Dichter unsem Anschauungen ge-

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nähert, aber die ursprüngliche Einfachheit vernichtet. Brown entwickelt sodann die Fortschritte der Poesie in Griechenland selbst.

Gesetzgeber und Barden trennten sich nach einer gewissen Zeit. Blackwell's Auffassung von den Barden ist für die frühere Periode un- richtig. Nach der Trennung waren sie, wie in Sparta noch lange, Gehilfen der Regierenden, so überhaupt in freien Gemeinwesen, während sie in despo- tischen Staaten in Abhängigkeit gerieten, wie das Beispiel des Demodokos am Hofe des Alkinoos zeigt. Nach der Trennung kam es auch langsam zu einer Scheidung der verschiedenen Dichtungsgattungen. Dabei kommt Brown auf die Frage, ob es möglich sei, daß Homer wirklich im An- fang des epischen Gesanges stehe. Er beginnt mit einer Polemik gegen Herodot, der gesagt hatte, Homer und Hesiod seien älter als die an- geblichen früheren Dichter. Damit meint Herodot Orpheus, Linos u. a.; er hat aber nicht, wie Brown meint, Vorgänger Homers überhaupt be- stritten, sondern selbst zugegeben, daß solche existiert haben können. Aber von diesem Mißverständnis abgesehen hat Brown durchaus Recht, wenn er ausführt, die bloße Struktur der homerischen Gedichte verbiete, sie an den Anfang der Entwicklung zu stellen. Die Kräfte der Natur, sagt er, können wohl ein außerordentliches Genie erzeugen, wofür Shake- speare ein Beweis ist. Aber daß ein so verwickelter, ausgedehnter und doch so vollkommener Plan wie der der Ilias, den schon zu erfassen ein ungewöhnliches Eindringen erfordert, den selbst der gedankenreiche Virgil nicht erreichte, und dem nur Milton gleichgekommen ist: daß ein solcher Plan aus rohen Fabeln plötzlich und unvermittelt aufgetaucht sein soll, das widerstreitet allen unsern Begrijffen von dem Fortschritt der menschlichen Geisteskräfte. Ebensogut möchten wir annehmen, die Paulskirche sei das früheste Gebäude oder Raffaels Transfiguration das älteste Gemälde der Welt, als daß die staunenswerte Ilias, die von allen Zeitaltern nach ihr bewundert wurde, der erste Versuch in epischer Poesie gewesen sei. Es muß eine stufenweise Entwicklung vorangegangen sein.

Daß die epischen Gesänge öffentlich vorgetragen worden seien, ist ohne weiters klar, für die älteren Dichter, fügt Brown hinzu. Ob sie aufgeschrieben wurden oder durch einen plötzlichen Enthusiasmus aus dem Stegreif entstanden, läßt er unentschieden. Blackwell's Nachweis, daß Homer dem Stand der Barden angehört habe, nimmt er an, doch liegt ihm offenbar für Homer die Behauptung, daß manche seiner Lieder Impromptus seien, nicht recht. Sie paßt doch so gar nicht zu seiner klaren Erkenntnis von dem tief durchdachten Plan der Ilias, von dem Unterschied des großen Epos und des kleinen Einzelvortrags. Aber Brown hat nicht gewagt, auch hier den Knoten zu lösen oder zu durch-

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hauen und rundweg* zu erklären, daß eine Ilias ohne Annahme der Schrift ein Ding der Unmöglichkeit sei.

Brown's Buch scheint wenig Beachtung gefunden zu haben. Seine naturwissenschaftliche Methode konnte weder den Klassizisten noch den Originalgenies passen. Um so größer war der Erfolg von Roh er t Wo od's Essay on the original genius of Homer, der zuerst 1769 für Freunde gedruckt und nach dem Tode des Verfassers mit seinen Zusätzen erweitert her- ausgegeben wurde. Hier herrscht keine Entwicklungslehre, auch nicht die Milieutheorie Blackwell's, sondern die Gedanken Young's sind rein und unverwischt auf Homer angewendet. Daß Homer ein Genie gewesen sei, bezweifelte ja niemand; aber daß sein Werk im Sinne Young's darum eine Originalkomposition sei, weil er das Buch der Natur und des Menschen studierte, das zu beweisen ist die Aufgabe, die Wood sich stellt. Gleich Blackwell sind ihm die Gedichte die vornehmste Quelle des Verständnisses Homers, aber an Stelle der antiken Gelehrsamkeit, die jener daneben ins Feld geführt hatte, tritt bei Wood die eigen e Anschauung. Er kannte durch Reisen den Orient, Ägypten, Griechenland und Kleinasien und gibt oft geradezu prächtige Schilderungen von seinen Eindrücken. Mit ein Beweggrund zu seinen Reisen war, die Ilias und Odyssee in eben den Gegenden zu lesen, wo Achilleus stritt, Odysseus reiste und Homer sang. Was er sah, stimmte mit den Angaben Homers überein; folglich mußte Homer das alles auch gesehen haben und ist sein W^erk die getreue Darstellung der griechischen Natur und seines Zeitalters. Das war in der Tat etwas Neues und Großes, und man begreift leicht, wie mächtig es wirken mußte, als man nun die homerische Welt greifbar vor sich sah, gereinigt von all dem Staub, den die Jahrhunderte darüber gelegt hatten. Nicht aus den Büchern, sondern leibhaft trat der alte Sänger in die neue Zeit. Die aus eigener Anschauung geschöpfte Erkenntnis würde, so glaubt Wood, be- sonders der Odyssee zugute kommen, deren häuslicher und privater Charakter weniger unmittelbare Wirkung hervorbringe, als der Ilias, deren belebte Gemälde des menschlichen Herzens den Empfindungen aller Zeiten entsprächen. Einen moralischen Plan bei Homer finden zu wollen lehnt Wood ab; das Verdienst des Dichters ist es, den Menschen, wie er ist, ohne Parteilichkeit und dem Zustande seiner Zeit gemäß dargestellt zu haben; womit nicht bestritten werden soll, daß sich aus dieser schönen Nachahmung der Natur vortreffliche Lehren ziehen lassen.

Als Homers Vaterland, so beginnt die Ausführung, muß nach allen Angaben des Dichters das griechische Kleinasien angesehen werden, als seine Heimat vielleicht Chios, wahrscheinlicher Smyrna. Manches, was bisher schwer zu verstehen schien, erklärt sich leicht durch die Entdeckung,

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daß er in lonien gedichtet hat. So wird die schwere Stelle der Odyssee, welche Syrie, die Heimat des Eumaios, an den Ort der Sonnenwende setzt, einfach und richtig- dahin erklärt, daß für einen Teil loniens die Sonne zur Zeit der Sonnenwende hinter Syros untergeht. Aus lebendigster Anschauung erklärt Wood die für lonien so zutreffendenden Meerbilder Homers. Er untersucht die Ausdehnung der geographischen Kenntnisse des Dichters, der sie zum Teil schon in seinem Vaterlande verbreitet fand, größtenteils aber durch eigene Reisen erweiterte. Diese Kenntnisse auf Homers Verkehr mit den Phönikem zurückzuführen, hält Wood für un- nötig, da zu Homers Zeit auch Griechen schon große Seereisen gemacht hatten; besonders mißtraut er der zweideutigen und verdächtigen Hilfe der Etymologie, durch die man fast allenthalben phönikische Kolonien herausgebracht habe, eine Bemerkung, die gegen Bochart gerichtet ist.

In der Religion Homers unterscheidet Wood, darin den Ansichten von W^^. Dacier ähnlich, eine reine und der Vernunft entsprechende Gottes- anschauung Homers von den mythologischen Geschichten. Daß seine religiösen Vorstellungen aus Ägypten gekommen und allegorisch zu deuten seien, glaubt er ganz und gar nicht, besonders da er von der Höhe der ägyptischen Wissenschaft keine hohe Vorstellung hat. Um so mehr über- rascht es, wenn er Blackwell plötzlich zugibt, die Personen und vielleicht ein Teil der mythologischen Erdichtungen Homers könnten aus Ägypten und dem Orient gekommen sein. Im übrigen behandelt er sie als alte Sagen des gemeinen Mannes und hergebrachte Vorurteile, denen jeder gute Dichter von Homer bis auf Shakespeare entgegenkommen zu müssen geglaubt habe. Daß nach seinem Gefühl Homer dieses Entgegenkommen zu weit getrieben habe, gibt er unumwunden zu. Aber er macht geltend, daß auch hier der Dichter von der Treue der Imitation nicht abging, da er nämlich die Szenerie, in die er seine Göttergeschichten verlegte, genau festhielt; wie denn die Erzählung des dreizehnten und vierzehnten Buches der Ilias auf der Karte verfolgt werden könne. Hier in Griechen- land allein war der Ort, wo der phantastische ägyptische Aberglaube glücklich angebracht und von der Phantasie des Dichters in ein System der Mythologie gebracht werden konnte, das Homer so wirksam auf die ganze dichterische Nachwelt fortgepflanzt: hat. Virgil dagegen mußte den ganzen mythologischen Apparat in eine Gegend und Zeit übertragen, wo er nicht mehr passte. Hatte Homer die größten Wunder in den fabel- haften Westen versetzt, so war für die Leser der Aeneis das für Homer so günstige Dunkel, das über diesen Gegenden lag, nicht mehr vorhanden.

Homers Sittenschilderungen fand Wood auf seinen Reisen durch seine an den Stämmen des Innern Arabiens gemachten Wahrnehmimgen

Finaler: Homer in der Neuzeit. 24

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bestätigt, die ihn wiederum an die Patriarchen des Alten Testamentes erinnerten. Er leitet die Übereinstimmungen aus der allen eigenen Unvoll- kommenheit der ersten gesellschaftlichen Verfassung ab. Hervorstechende Eigentümlichkeiten der Orientalen sind Verstellung und Treulosigkeit im öffentlichen, zärtliche Freundschaft im privaten Leben; dann Grausam- keit, Gewalttätigkeit, Ungerechtigkeit, deren Härte durch die Gastfreund- schaft gemildert wird. Orientalisch ist die Ausschließung des weiblichen Geschlechtes von den Vergnügungen und Beschäftigungen des Lebens; doch gibt Wood zu, daß die Frauen Homers bei aller Unterwürfigkeit doch mehr ein Teil der Gesellschaft zu sein scheinen, als es bei den alten Hebräern und heute im Orient der Fall sei. Trotzdem behauptet er, Homer habe nicht ein einziges Beispiel von der Macht und den Wirkungen der edleren, über das bloß sinnliche Vergnügen erhabenen Liebe gegeben, um dann doch wieder zu sagen, der Dichter habe die Sitten seines Vater- landes an Anstand und Delikatesse ebenso sehr übertroffen, als kultiviertere Zeiten an Genie. Als Beispiel bringt er Hektors Abschied, wo der Dichter unsere feinsten Empfindungen in der Gewalt habe, aber in der Herbheit der letzten Worte Hektors der Roheit der Sitten seiner Zeit nachgebe. Hier sei Virgil durch die verfeinerte Zeit in glücklicherer Lage gewesen; seine Dido übertreffe Kalypso an Zärtlichkeit und Feinheit der Empfindung. Femer findet Wood, nur aus den Sitten der Orientalen lasse sich der unser Gefühl beleidigende Umstand verstehen, daß sich Könige mit ihren Herden beschäftigen oder ihre Mahlzeit selbst bereiten.

In dieser Partie hat Wood vielleicht die Beduinen Arabiens richtig geschildert, ist aber mit Homer recht frei umgegangen, um die Parallele möglichst genau durchzuführen. Die homerischen Helden sind wirklich keine arabischen Scheikhs und keine alttestamentlichen Patriarchen. Auch Wood's Vergleichung des naiv rohen und des kultiviert verfeinerten Witzes ist unzutreffend; hier entscheidet, wie man noch heute sehen kann, der Volkscharakter; die Kulturstufe kommt höchstens für die Frage in Betracht, was in der Gesellschaft zu sagen erlaubt oder verboten sei. Daß seine Vergleichung im ganzen schief ist, hat Wood wohl selbst gefühlt; wenig- stens beeilt er sich beizufügen, Homer habe aus der größten Einförmigkeit der einfachsten Sitten, die je einem Dichter als Vorwurf zuteil wurde, die größte Mannigfaltigkeit der Charaktere zu bilden verstanden, die je ein Genie geschaffen habe. So ist der Hauptteil der Abhandlung nicht recht gelungen, wie schon Goethe eingesehen hat. Dieser bemerkt aber, die Auffassung Wood's habe mit dem herrschenden Naturbekenntnis übereingestimmt, und kennzeichnet damit sehr zutreffend die Ursache des Erfolgs, den das Werk hatte. Naturgetreu sind aber Homers Schil-

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deningen auch dann, wenn man ikre Muster nicht bei den Wüstenvöl- kem sucht.

Um Homer auch als wirklichen Historiker zu erweisen, untersucht Wood dessen Nachricht über die Regierung des Geschlechtes des Aeneas nach dem troischen Kriege und verweist die Fahrt des Aeneas nach Italien in das Reich der Erfindung. Mit Blackwell glaubt er, Homer müsse die troischen Geschichten von überlebenden Augenzeugen erfahren haben. Bei Gelegenheit der Chronologie Homers kommt er wieder auf den Unterschied von Virgil zu sprechen, dessen Zeitrechnung er unbestimmt und wider- spruchsvoll findet, und dem er noch andere Nachlässigkeiten vorwirft, von denen Homer frei sei. Aber er will die Unterschiede zwischen beiden mehr in den Verhältnissen als in ihrem Genie sehen; denn hätte Virgil zuerst gelebt, so würde Homer ihn kopiert haben. Der Vorteil, zuerst im Besitze des allgemeinen Beifalls zu sein, sei eben nicht zu unterschätzen. Dabei begegnet Wood der merkwürdige Satz, Homer verdanke vielleicht den Ruhm seiner Schriften mehr einem gewissen besonders glücklichen Zufall als ihrem inneren Werte, so groß er auch sei, dem nämlich, daß seine Gedichte dem goldenen Zeitalter der Literatur von dem feinsten und scharfsinnigsten Genie jedes Zeitalters übergeben wurde, das dann zweitausend Jahre lang Richter in Sachen des Geschmacks und der Philo- sophie gewesen sei. Wollte man Wood beim Wort nehmen, so käme man auf die Behauptung der Modernes hinaus, Homers Ruhm beruhe auf zweitausendjährigem Vorurteil. Aber das kann Wood nicht gemeint haben. Es war ihm offenbar darum zu tun, Virgil nicht zurücktreten zu lassen. Er findet bei diesem mehr Plan und Absicht als selbst bei Homer. Unter wiederholter Ablehnung der Lehre Le Bossu's und der allegorischen Er- klärung vermutet er sogar, Homer habe einen großen Teil seiner Moral schon in seiner Fabel vorgefimden, und die der Geschichte abgeborgten Begebenheiten hätten in der Ordnung und mit dem Urteil, das bereits über sie gefällt war, stehen bleiben müssen. Virgil dagegen, der seinem Kaiser und seinem Lande schmeicheln wollte, habe die ganze Fabel der Moral wegen erdichtet. Eine solche Auffassung führt auf den Standpunkt Blackwell's zurück und läßt für den Genius Homers nur das Lob der Naturtreue übrig; jedenfalls wird dadurch die Einheitlichkeit von Wood's Äußerungen stark beeinträchtigt.

Ganz im Vorbeigehen redet W^ood von der breiten Ausführlichkeit des epischen Stils, die ihm wieder ein Beweis von Naturtreue ist, obschon er sie imgrunde nicht billigt. Die Liebe zur Wahrheit, sagt er, mache Homer oft zu sehr zum Maler, zu dessen Freiheiten es gehöre, in Kleinig- keiten genau und umständlich sein zu dürfen, ohne unangenehm und

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ermüdend zu werden. Addison's Lehre vom epischen Gleichnis hat Wood nicht hegriffen. Schön sind seine Ausführungen über den Adel und die Natürlichkeit der homerischen Sprache. An sie schließt er den Beweis, daß Homer die Buchstabenschrift nicht gekannt habe. Sein vornehm- stes Argument dafür ist die ganz richtige Wahrnehmung, daß sich in den Gedichten keine Spur von Schrift findet; ebenso richtig erklärt er, der Brief des Proitos müsse aus Malereien bestanden haben, welche die Stelle des Alphabets vertraten. Noch lange nach Homers Zeiten, sagt er weiter, wurde alles, was man den Menschen einprägen wollte, auch die Ge- setze, in Verse gebracht und gesungen. Der allgemeine Gebrauch der von den Phönikern übernommenen Buchstabenschrift fällt mit dem Beginn der griechischen Prosa zusammen und gehört in die Mitte des 6. Jahr- hunderts. Homers Gedichte wurden nur mündlich überliefert; bei natür- lichen Völkern ist das Gedächtnis von ausnehmender Stärke. Daß Homer die Schrift nicht gekannt haben könne, macht Wood auch durch den Nach- weis wahrscheinlich, wie wenig es überhaupt mit den vielgerühmten Kennt- nissen Homers in Wissenschaften und Künsten auf sich habe. Er zitiert den Josephus, der bezeuge, daß Homer seine Gedichte nicht schriftlich hinterlassen habe, und findet im Charakter der homerischen Sprache die Belege für seine Ansicht.

Rousseau's kleiner Aufsatz, der dieselbe Ansicht verfocht, war Wood vermutlich nicht bekannt. Trotzdem ist Wood ohne Zweifel nicht selb- ständig zu seiner Meinung gelangt, sondern durch Ossian darauf geführt worden. Wußte doch Macphersoi; auch von diesem zu berichten, daß seine Gedichte unendlich lange Zeit nur mündlich fortgepflanzt und erst spät aufgeschrieben worden seien. So gut nun aber Ossian, Fingais Sohn, eine historische Persönlichkeit war, so ist es Wood nicht eingefallen die Geschichtlichkeit Homers zu bezweifeln. Solon und Peisistratos haben dessen zerfahrene Lieder genau so gesammelt wie Macpherson diejenigen Ossian's.

Die Frage nach dem Alter der Schrift behandelte später noch John Pinkerton in den Select Scotish Ballads, 1783, aber in ganz unklarer Weise, so daß es nicht lohnt darauf einzugehen. Interessanter sind die Letters of Literaturen die Pinkerton 1785 unter dem Namen Robert Heron veröffentlichte. Die in den 57 Briefen abgehandelten Gegenstände sind mannigfaltig, doch geht durch die meisten ein gemeinsamer Zug, der ins Extrem gesteigerte Preis des Originalgenies und die gründliche Ver- achtung der Kritik und der Nachahmung. Pinkerton selbst ist jedoch nicht original, obwohl ja manche gute Bemerkung ihm zu eigen gehört. Der Nachweis z. B., daß die Ilias eine Stufe in der menschlichen Ent-

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Wicklung darstelle, auf der die Mensclien vom Hirtenleben zur Gründung der Gesellschaft übergegangen seien, ist doch, nur eine Ausführung der Gedanken Wood's. Die gänzliche Verwerfung Yirgils, der alles gestohlen, und den nur sein Stil vor dem Untergange bewahrt habe, muß als äußerste Konsequenz der Gedanken Young's angesehen werden. Für Boileau und Addison hat Pinkerton sehr harte Worte; etwas milder beurteilt erDubos, der einer der geistreichsten Kritiker Frankreichs gewesen sei, wenn das überhaupt ein Ruhm genannt werden könne.

Dubos' Milieutheorie schränkt Pinkerton in die engsten Grenzen ein. Jenem wird Gray entgegengesetzt, der den Einfluß des Klimas zwar für die Veranlagungen zugab, aber die Vervollkommnung, d. h. die Korrektur der aus Luft und Boden stammenden Fehler, der vereinigten Wirkung von richtiger Erziehung und Regierung zuschrieb. Dieser Ansicht ist auch Pinkerton. Er weist darauf hin, daß Asiens günstiges Klima keine Genies hervorgebracht habe, und wendet sich heftig gegen die, welche aus der hebräischen Poesie Beispiele des Erhabenen und Schönen her- leiteten, denn sie sei absurd. Dabei passiert ihm, daß er ein Bild des Hiob besonders sinnlos findet, das gerade sein verehrter Gray wieder verwendet hat. Der Zorn gegen die Hebräer kommt bei ihm nur daher, daß er als Originalgenies und Muster allein die Griechen gelten läßt.

Von dem letzten Brief On tJie nature of Criticism ist der Leser, der eine begeisterte Auseinandersetzung erwartet hat, gänzlich enttäuscht. Das gute Bild von dem Genie, dem kühnen Entdecker, der nach Schätzen in unbekannte Meere fährt, und dem furchtsamen Lotsen, der Kritik, der sich nicht hinaus getraut, aber hinterher weise ist, hat Pinkerton nach Davenant gestaltet. Was er sonst über das Wesen der Kritik sagt, ist auch nicht neu, der Angriff auf Aristoteles nichts als eine hohle Schimpferei. Pinkerton versteht es temperamentvoll mit fremdem Gut zu operieren, seine Behauptungen hinzuwerfen, ohne sich um Begründung sonderlich Sorge zu machen, und sich den Anschein eines Bahnbrechers zu geben in einer Zeit, wo die Bahn schon vollkommen glatt und die Arbeit getan war.

Seinen Freunden ging Pinkerton zu weit. So schrieb ihm Horace Walpole, der Grund, warum Schriftsteller, die man als Nachahmer ver- werfe, gleichwohl so große Berühmtheit erlangten, sei nicht nur in ihrem Stil, sondern vor allem in ihrer Grazie zu suchen. Dahin gehöre Virgil. Gewiß, sagt Walpole, es herrscht in ihm Dürre der Erfindung, und wenn er erfindet, ist es oft töricht, und seine Erfindungen zeigen wenig gesunden Verstand, wenig Abwechslung und wenig Gewalt über die Leidenschaften. Die Verachtung für Virgils Gegenstand und der Reiz seiner Harmonie

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haben Walpole auf den Gedanken gebracht, er würde mehr Freude an dem Gedicht haben, wenn er es deklamieren hörte, ohne Lateinisch zu verstehen. Doch sei bei Virgil mehr als Harmonie: was er äußere, sei graziös, und er veredle seine Bilder, besonders in den Georgica. Ein anderer Freund, Knight, schreibt an Pinkerton, die Verehrer Virgils unter seinen Be- kannten seien beleidigt und verwürfen deshalb die ganzen Heronsbriefe, offenbar weil der Besitzstand ihrer alten Vorurteile in Frage gestellt sei. Das ist leicht zu verstehen. Die große Mehrzahl der gebildeten Engländer war von der Überlegenheit Homers über Virgil überzeugt, aber, wie Wood's Beispiel zeigt, keineswegs geneigt, den römischen Dichter nun so tief unter jenen zu stellen, wie die Stürmer und Dränger wollten. Diese Besonnenheit des Urteils ist denn auch hauptsächlich die Ursache ge- wesen, daß die mit Wordsworth beginnende neue Zeit zwar mit den Resten des Klassizismus gründlich aufräumte, daß aber die Wertschätzung des Altertums dabei nicht den geringsten Schaden nahm.

Es war auch ein Zeichen der neuen Zeit, als Thomas Twining 1789 es unternahm, die PoetiJc des Aristoteles den Gelehrten und Ge- bildeten in englischer Übersetzung vorzuführen, und zwar den echten Aristoteles, nicht den von der klassizistischen Kritik erklärten. In der Vorrede begründet Twining seinen Standpunkt. Erste Aufgabe ist ihm, den Aristoteles zu erklären, wie er da ist, aus sich selbst und aus Piaton, dessen hervorragenden Anteil an der aristotelischen Poetik Twining in weitem Umfang erkannt hat. Aber wenn Aristoteles erklärt werden soll, so darf das nicht heißen, daß man in ihm nur Vollendung zu er- blicken habe. Die Zeit ist gekommen, sagt Twining, wo wir die Alten nicht mehr mit einem von fortgesetzter Bewunderung gefesselten Urteil lesen. Er will auch von den Fehlem des Werkes frei reden, selbst wenn dies Fehler des Aristoteles selbst sind. Mit Respekt erwähnt er die Arbeiten der gelehrten Italiener, vor allen Castelvetro und Paolo Beni. Er gibt zu, daß sie weitschweifig und durch logische Analyse lästig sind und sich oft bemühen, nicht vorhandene und selbstgeschaffene Schwierig- keiten hinwegzuräumen; aber er schätzt an ihnen nicht nur zahlreiche richtige Erklärungen im einzelnen, sondern namentlich auch ihre Freiheit im Urteil, die sich in seinen Augen von der sklavischen und unbedingten Bewunderung eines Dacier vorteilhaft abhebt. Am höchsten stellt er die Übersetzung und den Kommentar von Piccolomini. An Aristoteles selbst hebt er rühmend hervor, daß seine Philosophie sein Gefühl für Poesie nicht beeinträchtigte. Eine Kritik, sagt er, die vom Dichter die feste Raison verlangt, findet bei Aristoteles keine Unterstützung; immer hat er das

Twining Cowper 375

Ideal im Auge. Er hat erkannt, wie sehr populäre Meinung und Glaube für die Glaubwürdigkeit bestimmend sind, und hält am Vergnügen als am letzten Ziel der Poesie fest. Er erlaubt ihr alles, wenn sie dieses Ziel erreicht.

Dieser weite und freie Blick zeigt sich in dem mächtigen Kommentar, der die spätere Kritik in großem Umfang heranzieht und auch der modernen Literatur Beachtung schenkt. Das Buch bedeutet die Be- kämpfung der Theorien des Klassizismus durch Aristoteles selbst und ist damit ein Gegenstück zur Hamburgischen Dramaturgie, die Twining sehr bewunderte. Daß Le Bossu jetzt endgiltig weggefegt wurde, ist selbst- verständlich.

Twining spricht sich auch über die Grundsätze seiner Übersetzung aus. Vor allem will er ein lesbares englisches Buch bieten. Eine Über- setzung muß sich wie ein Original lesen, und man darf ihr nicht ansehen, daß sie eine Übersetzung ist. Auf der andern Seite hat Pope mit Recht gesagt, wenn der übersetzte Autor nicht sein eigenes Gesicht zeige, sein Ge- wand und seine Art, so sei die Übersetzung eine Verkleidung. Damit, findet Twining, hat Pope den größten Fehler seiner Übersetzung selbst an- gegeben; Homer trägt bei ihm nicht die eigenen Züge. Nun hat die Übersetzung eines Dichters größere Schwierigkeiten und verlangt größere Nachsicht als die eines Prosaikers. Aber auch hier erweist sich die Be- folgung der von Johnson aufgestellten Regel, die Übersetzung müsse so sein, wie der Autor sie gegeben hätte, wenn er Englisch geschrieben hätte, beinahe als ein Ding der Unmöglichkeit. Twining glaubt nicht, daß man in der Praxis mehr verlangen könne, als daß sich der Über- setzer vom Ausdruck des Originals nicht weiter entferne, als es der ver- schiedene Genius der Sprachen offenkundig erfordere. Denn Johnson's Regel gebe der Phantasie des Übersetzers zu weiten Spielraum. Es würde sich da jeder einbilden, sein eigener oder der von ihm am meisten geschätzte Stil sei genau der, den der Autor vorgezogen haben würde, wenn er Englisch geschrieben hätte.

Der feinsinnige Gelehrte berührt sich hier mit dem letzten großen Dichter des Jahrhunderts, William Cowper, der 1791 seine Homer- ühersetzung herausgab. Cowper hat als Versmaß Milton's Blankvers gewählt. Denn, so führt er in der Vorrede aus, eine annähernd treue Wiedergabe Homers in Reimen ist durchaus unmöglich. Alle Fehler Pope's, der leistete, was sich in Reimen erreichen ließ, stammen von dieser selbstgewählten Fessel. Falsch ist auch die Meinung, der Übersetzer müsse suchen den Ton zu treffen, den Homer vermutlich gewählt haben würde, wenn er ein Eng- länder gewesen wäre; von sechs Übersetzern würde jeder einen andern

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Ton und keiner den richtigen finden. Die Übersetzung soll eng an- schließend, aber nicht sklavisch sein, frei, aber nicht bis zur Zügellosigkeit. Erhabenheit ist nicht unter allen Umständen anzustreben, denn auch Homer ist nicht immer erhaben; es gehört zu seinen größten Vorzügen, daß er es am richtigen Orte ist. Auch unvollkommene Verse sind kein Fehler, wie das Beispiel Milton's zeigt; sie heben die Gleichförmigkeit auf und lassen die Vollkommenheiten besser hervortreten. Eine Ver- gleichung Homers mit Milton weist den Übersetzer von selbst auf den Blankvers, der übrigens schwerer ist als der Reim, weil er sich von der gewöhnlichen Sprache weiter entfernen muß und größeres Können er- fordert. Die Einleitung der Reden durch ganze Verse ist beizubehalten, weil Homer sie für notwendig gehalten haben muß. Sie sind wie Herolde in einem feierlichen Aufzug, wichtige Personen, da sie noch wichtigere einführen als sie selbst sind. Die meisten Schwierigkeiten fand Cowper in der Wiedergabe der detaillierten Beschreibungen, wie der Bereitung eines Mahls oder Bespannung eines Wagens. Hier, sagt er, hat Homer, der immer für das Auge schreibt, bei all seiner Erhabenheit und Groß- artigkeit die Genauigkeit eines flämischen Malers. Cowper scheidet von seinem vollendeten Werk mit dem Ausdruck des Bedauerns, weil es ihm auf Schritt und Tritt ein treuer Gefährte gewesen war.

In der Vorrede für eine zweite Auflage, die er nicht mehr erlebte, erklärt er, warum die Ilias, obschon in der neuen Bearbeitung stark ver- ändert, doch viel weniger Änderungen erfahren habe als die Odyssee. Die Ilias erforderte von vornherein das Einsetzen aller Kraft, gleich der Besteigung eines fast senkrechten Berges. Die Odyssee dagegen war ihm zuerst wie eine offene und ebene Gegend erschienen, in der sich behaglich wandern ließ. Das hatte ihn zu Nachlässigkeiten verführt, die ihm, im Moment wenig beachtet, bei genauerer Prüfung unangenehm auffielen.

Cowper hat Homer in wirkliche Milton'sche Verse übersetzt. Man spürt die Hand des echten Poeten, der sein Rüstzeug beherrscht. Auch bei ihm fehlt es nicht an Abweichungen und kleinen Zusätzen, aber der Eindruck des Ganzen ist wohltuend und erhebend. Hier hat in Wahrheit Homer einen Dichter als Übersetzer gefunden.

Ein Preis Homers, schließt Cowper, ist überflüssig, da ja Jahrhunderte ihn verehrten, vergötterten. Damit haben sie recht getan. Wenn es mög- lich wäre, daß sich ein bloßer Mensch durch einen Vorrang irgend welcher Art zu göttlicher Ehre berechtigt glauben könnte, so gebührt ein solcher Anspruch am besten den wunderbaren Kräften Homers.

DEUTSCHLAND UND DIE SCHWEIZ.

In der deutschen Renaissance ist von vornlierein die Beschäftig-ung mit Homer sehr lebhaft und seine Kenntnis sehr ausgebreitet. An die Spitze dürfen wir Erasmus stellen, der, obwohl er kein Deutscher war und seine Wirksamkeit auch für Frankreich und England hochbedeutend ist, dennoch auf die deutsche Entwicklung den größten Einfluß geübt hat. Wie umfassend seine Homerkenntnis war, zeigt sich nirgends schöner als in dem köstlichen Lob der Narrheit, das er 1508 auf der Reise von Italien nach England verfaßte. Nicht nur sind die Zitate sehr zahlreich, sondern die homerischen Stellen werden auf die witzigste und geistreichste Weise für die paradoxen Beweisführungen des Verfassers verwendet. In den Adagia sammelt Erasmus hundert homerische Verse, die sprichwörtlich verwendet werden können. Dem griechischen Text sind Übersetzungen in eleganten lateinischen Hexametern beigegeben. Auch in den Briefen und anderen Schriften sind homerische Reminiszenzen häufig.

Cesarotti hat Erasmus unter die Tadler Homers eingereiht, und in der Tat ist, was dieser über den alten Dichter zu sagen hat, nicht lauter Lob. Er habe zwar durch die wunderbare Mannigfaltigkeit der Fabeln der Langeweile zu entrinnen gewußt, wenn schon nicht überall, wie z. B. in der wörtlichen Wiederholung von Aufträgen; darin habe ihn Virgil richtig gekürzt. In der Einleitung zum Lehen des Hieronymus 1516 spricht Erasmus von dem Schmuck der Fabeln, durch den die Alten ihre Weisheit einhüllten, um moralische Belehrungen zu geben, der aber nicht von gutem moralischem Einfluß sein konnte. Homer, den man einen Ozean von Fabeln nennen könnte, zeichne die Götter so, wie kein wohl- geordneter Staat seine Beamten haben möchte; die Frauen der Götter so, wie kein rechtschaffener Bürger seine Gemahlin wünschte oder er- trüge. Kein verständiger Familienvater möchte Kinder haben, wie die homerischen Götter, und Alexander hätte den Achilleus nicht um den Herold seines Ruhmes beneidet, wenn er die Pflichten eines wahren Fürsten richtig verstanden hätte.

Daß Erasmus trotzdem kein Feind Homers ist, erhellt nicht nur aus vielen anderen Stellen, besonders aus dem warmen „noster Homerus" im Lob der Narrheit, sondern vornehmlich aus der Stellung, die er dem Dichter im Jugendunterricht anweisen will. Um in den Kindern die Lust zur

378 Deutschland und die Schweiz

Erlernung der Sprachen zu wecken, empfiehlt er in der Schrift De ratione studii vor allem die Lektüre der Fabeln der Dichter, die einem doppelten Zwecke dienen könnten. Einmal nämlich mache es Spaß, wenn z. B. die Gefährten des Odysseus in Tiere verwandelt werden, zugleich aber lerne der Knabe dabei die Hauptlehre der moralischen Philosophie, daß nämlich die, welche sich von den Leidenschaften hinreißen lassen, keine Menschen, sondern Tiere seien. Kein Stoiker lehre das besser als die lächerliche Fabel. Dieses philosophische Moment sei bei der Erklärung vor allem zu betonen; dadurch können auch Stellen, die schädlich wirken könnten, unschädlich gemacht werden, weil der Geist der Lernenden teils durch die Anmerkung in Anspruch genommen, teils auf höhere Gedanken ge- richtet werde.

Die fein durchdachten Aufsätze über Jugenderziehung erregten den Widerspruch des Jacobus Latomus, der in einem Dialog heftig da- gegen zu Felde zog. In seiner Erwiderung wendete Erasmus die Sache so, daß er bewies, wie wenig die AngrilSe ihm gelten könnten; in Wahr- heit ist seine Apologia eine warme Verteidigung der früher geäußerten Ansichten, besonders auch der zur Lektüre empfohlenen Schriftsteller. Der Gegner, so führt er hier aus, verpönt die Fabeln Homers und Lukians als gottlos, unsauber und abergläubisch. Weim sie von den Göttern Un- würdiges berichten, so müssen sie ja gerade dem Christen um so teurer sein, da die Jugend um so weniger Gefahr läuft, in heidnische Superstition zu verfallen. Da müßte man mit besserem Rechte vor Aristoteles und Piaton warnen. Etwas Unreines ist bei Homer nicht zu bemerken, bei Lukian wenigstens nicht in den Dialogen, die wir übersetzen. Da gibt es unter den Lateinern viel gefährlichere Leute, die man doch unbedenklich liest. Gefahr für die Religion der Jugend kann bei Homer und Lukian nur finden, wer auch meint, die Kinder würden durch die äsopischen Fabeln zum Glauben verführt, daß Füchse und Löwen wirklich geredet hätten. Anstößige Stellen gibt es auch in den heiligen Schriften; aber ein verständiger Lehrer wird sie übergehen oder so behandeln, daß die Jugend keinen Schaden nimmt. Weit gefährlicher sind Poggio's Facezien oder Pontans Dialoge, und wenn man für die Schamhaftigkeit der Jugend so sehr fürchtet, so wird diese durch gewisse Anleitungen zur Beichte mehr gefährdet als durch die Fabeln Homers, und man täte besser, sich über die jährlich erscheinenden und rasch populär werdenden lasziven Lieder aufzuregen, als über den alten Dichter.

Die Auffassung des Erasmus wurde von dem ganzen humanistischen Deutschland geteilt. Es war freilich schwer ein Exemplar Homers zu erlangen. Reuchlin, der erste Deutsche, der nach Jahrhunderten wieder

Erasmus Reuchlin Melanchthon 379

Griechisch verstand, bemühte sich lange, auch nur eine lateinische Über- setzung zu erhalten; doch ist ihm später auch das Original bekannt ge- worden. Es wird berichtet, er habe den Zweikampf des Paris und Menelaos ins Deutsche übertragen. Von lateinischen Übersetzungen findet sich die des Homer zugeschriebenen Gedichtes vom Kampf der Frösche und Mäuse in einer nicht von Reuchlin besorgten Wiener Ausgabe.

Während sich Erasmus bei Homer hauptsächlich an der Buntheit der Fabeln freute und ihn einmal sogar den Vater der Tändeleien, nugarum pater, nennt, findet Reuchlin mit Plutarch und den Italienern, es sei in ihm alle Philosophie enthalten und aus ihm entsprungen; doch führt Geiger von Reuchlin auch den Ausspruch an, Homer habe mit seinen Lügen weder Gott noch die W^elt geschont.

Gute Kenntnisse Homers verrät Huttens satirisches Gedicht NemOj 1512, das durch die Kyklopengeschichte der Odyssee angeregt war, wo Odysseus sich dem Polyphem gegenüber den Niemand nennt; aus Homer wird eine Stelle griechisch zitiert. In einem Brief an Erasmus 1517 vergleicht Hütten die freundliche Annahme, die er in Venedig findet, mit der des Odysseus durch Alkinoos.

Während im 15. Jahrhundert die Deutschen ihr Griechisch noch in Italien oder bei den wenigen Griechen lernen mußten, die über die Alpen kamen, wurde es mit dem Beginn des 16. Jahrhunderts auf den deutsehen Universitäten überall heimisch, und überall wurde auch Homer gelesen. Die Begeisterung der studierenden Jugend für die neue Wissen- schaft hielt freilich zunächst nicht an, weil sich das ganze öffentliche Interesse dem großen Glaubensstreit zuwandte, zum guten Teil auch der großen Schwierigkeiten wegen, die mit dem Studium der griechischen Schriftsteller verbunden waren; denn die Vorbildung für die Lektüre der Griechen war sehr mangelhaft. Das ist es aber alles nicht, worüber Melanchthon in seiner Intimatio de Homero praelegendo 1531 klagt, sondern der materielle Sinn der Zeit. Homer, sagt er dort, ist noch im Tode ein Bettler, wie er im Leben gewesen sein soll; er irrt umher und bettelt um solche, die ihn hören wollen. Geld versprechen kann er nicht, aber er verspricht die Lehre von großen und ehrenvollen Dingen. Darum bettelt er nicht um die Banausen, die es nur auf gewinnbringende Künste abgesehen haben und von keiner edlen Wissenschaft gebildet sind, sondern sogar den Ruf der Weisheit gerade darin suchen, daß sie die ehrenvollen Wissenschaften großartig verachten. Vielmehr ruft Homer die zu sich, die aus Liebe zur Tugend die Wissenschaften pflegen.

Doch verstummten die Klagen über mangelhaftes Interesse nach und nach. Durch die von Melanchthon entworfene kursächsische Schul-

380 Deutschland und die Schweiz

Ordnung 1528 wurden auch die griechischen Studien auf einen festen Boden gestellt. Er selbst verfaßte eine griechische Grammatik, der er aus Homers Ilias die Stelle über Thersites und einen Abschnitt aus den Hymnen beigab. Die Verse über Thersites erklärt er des ethischen Nutzens wegen ausgewählt zu haben; nach seiner Art habe er nicht sowohl ein Beispiel der grammatischen Übung, sondern der Sitten ge- wählt, damit man den eigentlichen Nutzen der Poesie erkenne. Denn er sei mit denen gar nicht einverstanden, die bei den Dichtern vor dem Ausdruck nichts zu sehen pflegen. In der Kenntnis der Sprache und der moralischen Belehrung erblickt Melanchthon den Hauptwert der klassischen Lektüre, dann auch in der durch sie gewonnenen Redegewandtheit, elo- quentia, der die Urteilsfähigkeit folge, wie der Schatten dem Körper. Habe doch schon Homer seinem Odysseus beide Eigenschaften in gleich hohem Maße zuerteilt.

Am umfassendsten spricht sich Melanchthon über Homer in der Ein- leitung zu seinem Honierkolleg 1538 aus, die von Vitus Vinshemius vor- gelesen wurde. Vergnügen, heißt es da, kann man bei Homer wohl finden, aber die Hauptsache ist der Nutzen, den er stiftet. Er fördert die Einrichtung des menschlichen Lebens ; über alle menschlichen Dinge finden sich bei ihm Gedanken. Seine Sentenzen sind gleich Gesetzen, die ewig im Gedächtnis bleiben sollten. In der Ilias lehrt er die kriege- rischen, in der Odyssee die Tugenden des bürgerlichen Staatslebens; an den verschiedenen Seiten, in denen er uns den Odysseus zeigt, erweist er sich als Lehrer für jeden Staatsmann. Er hat allen Dichtem die Palme vorwegenommen, in ihm sind die Keime aller Philosophie enthalten. Piaton hat ihn aus dem Staat verbannt, aber was hat er selbst Besseres über die Götter geäußert? Darauf werden Piatons Vorwürfe widerlegt: Homer hat sehr viel Wahres von der Gottheit gesagt und in den Allegorien auf die Sitten der Menschheit und die Natur angespielt. Die Tränen der Helden sind löblich, da sie uns wirkliche Menschen sehen lassen, die den menschlichen Geschicken unterworfen sind. Seine Unterweltsbilder schrecken nicht, sondern lehren nach den Anschauungen seiner Zeit die Unsterblichkeit der Seele. Wohin auch Piaton den Homer verbannt hat, überall, wohin er kam, hat er Bildung und Gesittung verbreitet. Bergen wir ihn im Schrein unserer Herzen wie Alexander in der kostbaren Lade. Allerdings, Schätze hat er nicht zu bieten; seine Verehrer bleiben arm wie er; aber das ist das Los der besten Dinge in diesem von Irrtümern und Blindheit erfüllten Leben. Und dennoch sind die Güter des Geistes und der Tugend, die Homer vermittelt, sicherer und wertvoller als die äußeren Glücksgüter.

Melanchthon Luther Camerarius 381

Durch Melanchthon angeregt, hat sich auch Luther in den Homer Tertieft und ähnlicli wie Erasmus in seinen Schriften oft homerische Wendungen angebracht. Auch ihm ist er, wie dem Melanchthon, der Vater der Dichter, die Quelle, ja der Ozean aller Gelehrsamkeit. Die homerischen Helden sind ihm vertraute Gestalten. Merkwürdig ist Luthers Ausspruch, erst die wunderbare Poesie Homers habe die an sich gering- fügigen Ereignisse vor Troja zu Ehren gebracht. Es ist das ein Beweis von tiefem Verständnis, das in seiner Zeit angenehm berührt; denn diese würdigt sonst, ihren Zielen ganz getreu, nicht sowohl den Dichter als den Weisen Homer.

Das zeigt sich besonders schön in der Einleitung zu Joachim Camerarius' Kommentar zum ersten Buch der Ilias, 1538, die auch sonst höchst interessant ist. Sie zeigt vor allem, mit wie viel Vorurteilen das Studium des Griechischen damals noch zu ringen hatte, daß es aber bereits einen tüchtigen Stamm eifriger Studenten gab. Denen, die ihm vorhielten, alle diese Dinge seien ja längst in den Schulen behandelt worden, antwortet Camerarius, es handle sich jetzt nicht mehr um die un- fruchtbaren Disputationen der Scholastik, sondern am den Aufbau des neuen Wissens auf der Grundlage solider sprachlicher und sachlicher Kennt- nis der Alten. Besonders warnt er die Studenten davor, in der Poesie nur das Spiel eines müßigen Vergnügens zu erblicken, da die Dichter viel- mehr unter schöner Form die tiefste Weisheit böten. Darin steht ihm Homer obenan, der für alle Spätem die Quelle der Weisheit und des besten Ausdrucks geworden sei. Die Beispiele, die Camerarius beibringt, hat er selbst gesammelt. Homer soll den Schülern der Wegweiser für richtige Lebensanschauung sein, wie er es den Alten war; das predigt Camerarius mit wahrer Begeisterung. Aus den mit der umfassendsten Gelehrsamkeit gearbeiteten Kapiteln über die Person und das Werk des Dichters ist hervorzuheben, daß er des Aristoteles Poetik nicht kennt, sondern die Einteilung der Poesie nach Piaton gibt, der das homerische Epos zu der aus Erzählung und Handlung gemischten Gattung zählte. Auf Piaton weist auch die starke Betonung des poetischen Enthusias- mus. Die Geschichte von der Sammlung des Peisistratos kennt Came- rarius, ohne eben viel daraus zu machen. Dagegen erwähnt er einige Nachrichten des Altertums über Homer mit der Bemerkung, es habe ein unendlicher Schwärm von Grammatikern an Homer die eigene Weisheit zu zeigen versucht. An astrologische Bedeutung der Fabeln, z. B. der Reise des Zeus zu den Äthiopen, glaubt er, kann aber nicht umhin zu finden, die bisher vorgebrachten Erklärungen seien in den Dichter hinein- gelegt und gingen nicht aus ihm hervor. Dem Kommentar, der auch auf

382 Deutschland und die Schweiz

den Zusammenhang der Ereignisse aufmerksam macht, folgt der grie- chische Text und eine flüssige, wenn auch ziemlich freie Übersetzung in lateinischen Hexametern.

In der reformierten Schweiz trat zwischen den theologischen und humanistischen Interessen gleich vom Beginn der Reformation an ein festes Verhältnis ein. Zwingli, ein begeisterter Verehrer des Alter- tums und Homers, zu dessen Ilias er leider verlorene Schollen geschrieben hat, erkannte im Studium der antiken Sprachen und Literaturen, vor- nehmlich der griechischen, die richtige und notwendige Grundlage zur Erforschung der Schrift, aber auch für die verständige Einrichtung des Lebens. Die Neuordnung der Schule, 1525, an der Zwingli selbst lehrte,, zeigt ein lebhaftes Studium der Antike, besonders auch Homers, und neben der sprachlichen eingehende sachliche Erklärung. Unter den Leh- rern ragte Rudolf CoUinus hervor, auf dessen Ho m er erklär ung sein Schüler Konrad Gessner die Worte des Allegorikers Herakleitos anwendete,. Homer stehe neben jedem beim Lebensbeginn, erreiche mit ihm die Blüte des Mannesalters, und bis zum Alter werde niemand seiner überdrüssig.

Eine für lange Zeit giltige Ordnung gab Bullinge r der zürcherischen Schule. Schon 1527 hatte er sich in der Schrift Studiorum ratio über die neue Erziehung geäußert, in Übereinstimmung mit den Grundsätzen Zwingli's, der eben damals sein Werk an der Schule begann. BuUinger wendet sich gegen die Verächter der antiken Profanschriftsteller mit dem Hinweis auf die christlichen Schriftsteller der ersten Jahrhunderte, welche die hohe Bedeutung der Heiden wohl eingesehen hätten. In den Epikern,, vornehmlich Homer und Virgil, findet er Allegorien verborgen; als Bei- spiel bringt er die auch von Erasmus verwendete, aus Plutarch entlehnte Erklärung von der Verwandlung der Gefährten des Odysseus durch Kirke. Das Erfreuliche an den Dichtern sind ihm die Fabeln, in welche die Dichter ihre Wahrheiten einhüllen, wie die Arzte ihre bittem Medizinen in süssen Tränken geben. Bullinger sieht aber in den Epen auch manche historische Überlieferung und naturwissenschaftliche Belehrung, sei es im Gewände der Fabel oder ohne diese Hülle. Das belehrende, erzieherische, praktisch wichtige Moment der Poesie steht bei allen, Humanisten wie Refor- matoren, im Vordergrund, gibt aber nicht den einzigen Gesichtspunkt ab. Da und dort bricht auch wirkliches Verständnis für die Poesie als solche durch, vrie denn Zwingli in seiner begeisterten Vorrede zu Pin- dar neben der religiösen auch der poetischen Bedeutung des Dichters alle Gerechtigkeit widerfahren läßt. Und ob nun auch in Melanchthons und Bullinger s Schule die Heiden und damit auch Homer dem höheren Zweck, dem Verständnis des Neuen Testaments, dienen mußten, sie

Zwingli Bullinger Hesse 383

wurden doch gelesen und erklärt und stellten einen wesentlichen Teil der Bildung dar.

Zu der gleichen Zeit, da die protestantischen Gelehrtenschulen ent- standen, wagte sich der deutsche Humanismus an eine Aufgabe, die der italienische kaum angegriffen hatte, an die Übersetzung Homers in latei- nischen Hexametern. Eine Probe hatte schon Camerarius gegeben. Von Oporinus angeregt, übersetzte nun Eoban Hesse die ganze Ilias, von der er schon früher einzelne Stücke veröffentlicht hatte. Das Werk er- schien 1540 in Basel in schönem Druck. Die an den Antwerpener Kauf- mann Kaspar Schetus gerichtete Epistola nuncupatoria enthält neben den unvermeidlichen Schmeicheleien an seinen Gönner manches Bemerkens- werte. Mit berechtigtem Stolze stellt sich Hesse neben Peisistratos. Wie dieser einst die zerstreuten Teile Homers gesammelt und den Dichter für Griechenland gerettet hat, so macht ihn nun Hesse in italischen Landen heimisch. Der verächtliche Seitenblick, den er auf die bisherigen fragmentarischen Versuche wirft, ist allerdings nicht ganz am Platz, denn in den ersten Büchern ist der Einfluß Polizians unverkennbar; wo dieser aufhört, wandelt Eobans elegante Muse ihre eigenen Wege.

Er preist die Muse, welche Unsterblichkeit verleiht; ohne Homer bliebe Troja ewig begraben, wüßte niemand etwas von Achilleus und Odysseus. So sehr erjedoch in der lateinischen Übersetzung eine Bereicherung auch für den des Griechischen Kundigen erblickt, so verkennt er doch nicht, daß das Griechische auf Geist und Gemüt größeren Einfluß übt. Doch betrachtet er die Übersetzung als ein treffliches Mittel, die Jugend zum Studium des Originals anzuregen, und hofft auch auf den Beifall der Gebildeten. Wichtig ist, daß er die Unmöglichkeit hervorhebt, die Verszahl des Originals beizubehalten.

Energisch wendet er sich gegen die, welche die Sorge um die lateinische Sprache und die ausschließliche Freude an der eigenen Literatur verführen, den Virgil über Homer zu stellen. Gemeint ist Vida. Gewiß, sagt Hesse, ist Virgil unvergleichlich, aber Homer ist eben so groß. Da tadeln sie die Länge der Glaukosepisode, die Vergleichung des Aias mit einem Esel, der Troer mit Fliegenschwärmen, die unnötigen Wiederholungen. Mag es wahr sein, daß Virgil hierin geschickter ist, dem Homer entreißt er den Ruhm doch nicht. Wie in den alten Tempeln die Bilder das Auge des Beschauenden fesseln, so ist, was Homer in Einfachheit wiederholt, mehr zu bewundem als abzuschlachten. Diese reinste Form stand der alten Zeit gut an, während die Nachwelt kunstreicher wurde. Und doch war für die Talente Homer die erste Quelle, und Virgil ist nicht der Einzige, der sich in ihr das Antlitz gewaschen hat. Li allem andern, welche

384 DeutscMand und die Schweiz

Gewandtheit, welche Macht, die Gemüter nach seinem Willen zu zwingen! Kein Meer, kein Weltstrom, kein vom Himmel stürzender Regen könnte gewaltiger sein.

Ebenfalls bei Oporinus und in gleicher Ausstattung erschien 1549 des Simon Lemnius lateinische Übersetzung der Odyssee, die an Eleganz der Verse und sorgfältiger Durcharbeitung mit Eobans Werk wetteifert. Gewidmet ist sie Heinrich H. von Frankreich; die eigentliche Praefatio ist an den Connetable de Montmorency gerichtet, der dem König das Buch überbringen soll. An ungeheuren Schmeicheleien überbietet erEoban. Daß Montmorency die vortrefflichen Eigenschaften aller homerischen Helden übertrifft, darf uns nicht wundem, ebenso wenig die Behauptung, daß, wenn Homer heute die Taten der Franzosen besänge, dieses Gedicht die Ilias übertreffen würde. Das Hochgefühl des Verfassers, daß er, ein Sohn Rhätiens, die Odyssee zuerst übersetzt habe, ist sehr begreiflich. Von dem wahrhaft poetischen Verständnis Eobans ist er jedoch ziemlich weit entfernt. Ihm ist Homer wesentlich ein Lehrer der Weisheit, und wenn er den Inhalt der Odyssee erzählt, streut er lauter moralische Betrach- tungen ein. Die Geschichte bei den Lotophagen zeigt, so führt er aus, daß keine Wollust die Tugend besiegt; die des Polyphemos, daß Trunken- heit schädlich ist und die Tugend im Maßhalten besteht. Der Schlauch des Aiolos lehrt, wie das Laster immer die Tugend bestürmt und die Be- gierde das Herz schädigt. Das Kraut Moly ist die Weisheit, die, mit kriege- rischer Tapferkeit verbunden, die harten Schicksale besiegt. So ist nach Lemnias die ganze Geschichte des Odysseus ein Beispiel für alle Tugenden.

Ganz gleich wurde die Bedeutung der Odyssee von dem ersten deut- schen Übersetzer gefaßt. Simon Schaidenreißer, genannt Miner- vius, veröffentlichte sein Werk zuerst 1537 in Augsburg; nach seinem Tode erschien 1570 in Frankfurt eine zweite Ausgabe, in der die Vor- rede der ersten wiederholt ist. Die Übersetzung wird demnächst von F. Weidling neu herausgegeben werden. Der Herausgeber hat, wie ich einer freundlichen Mitteilung von ihm entnehme, ermittelt, daß Schaidenreißer nicht nach dem griechischen Original, sondern nach lateinischen Übersetzungen gearbeitet hat, und zwar lag ihm neben der- jenigen des Raffaello da Volterra eine mir bisher unbekannte von Gregor Maxillus al. Uebilin, Straßburg 1510, vor. Letztere ist geeignet unser Interesse zu erwecken, da sie, wenn nicht alles täuscht, ein Abdruck der Übersetzung des Francesco Aretino ist. Weidüngs Ausgabe wird darüber Klarheit bringen.

Die Vorrede Schaidenreißers ist in mancher Hinsicht bemerkens- wert. Er findet bei Homer die Forderung des Horaz, daß die Dichter

Leinnius Schaidenreißer 385

nützen oder ergötzen wollen, am besten erfüllt. Nach dem Urteil aller Weisen ist die Odyssee ein Lob der Tugend, ein klarer, rechter Spiegel des menschlichen Lebens. Odysseus zeigt uns einen Mann, der den Ge- horsam gegen die Obrigkeit dem eigenen Wohle überordnet, allen Ge- fahren und Lockungen zum Trotz die Heimat nicht vergißt und mit dem Kraut Moly, der ihm von dem Planeten Mercurius eingepflanzten Weisheit, alle Hindemisse überwindet; wie er denn auch, unter dem Schutze der Minerva, den Phäaken liebenswert erscheint, so daß ihn Nausikaa zum Gespons, Alkinoos zum Eidam begehrt. Daraus zeigt sich, wie auch bei barbarischen Völkern die Tugend als eines der höchsten Güter ge- achtet wird. Penelope ist ein Vorbild aller Frauen. Auch Lehren für Obrigkeit und Untertanen finden wir in der Odyssee. Das Wunderbarste an Homer ist, daß seine Lehren und Sprüche nach so viel tausend Jahren noch auf jede Zeit und jedes Alter passen, als wäre in so langer Zeit gar keine Änderung eingetreten. Schon im Altertum haben ihn deshalb Heiden wie Christen in höchsten Ehren gehalten.

Wenn in diesen Sätzen wenig eigenes Urteil, sondern fast nur Einfluß antiker Zeugnisse zu finden ist, so hat der Verfasser doch auch eine herzliche und unmittelbare Freude an seinem Homer gehabt. Der Titel erklärt die Odyssee als die allerzierlichsten und lustigsten 24 Bücher des ältesten, kunstreichsten Vaters aller Poeten, Homers, und der Ver- fasser hofft, sie werde denen, so Kurzweil aus deutschen Büchern und Historien suchen, zu Nutz und Lust gereichen. Die Veranlassung zu dem Werke war der patriotische Stolz zu beweisen, daß kunstreiche Sprache nicht mehr nur Griechen und Römern eigen seien, sondern daß auch Deutschland, das sich gegenwärtig durch so viel eigene Erfindung und durch Verdolmetschung der Alten auszeichne, nicht nur in Waffen, son- dern auch in Weisheit und Bildung glänze. Die Übersetzung riskiert nur im Anfang einige Knittelverse und geht dann in einer Prosa weiter, die zwar oft recht unbeholfen anmutet, aber ein gutes Verständnis des Textes zeigt. Ausdrücklich hebt Minervius hervor, daß er nicht von Wort zu Wort, sondern „sinns weise" übersetzt habe. Beigegeben ist ein Leben Homers, wesentlich nach Herodot und Plutarch. Von der in Aussicht gestellten, bereits begonnenen Übersetzung der Dias scheint sich nichts erhalten zu haben.

Die Übersetzung Schaidenreißers hat Hans Sachs bald nach ihrem Erscheinen kennen gelernt und zuerst in Gedichten, dann auch in einem Drama verwertet. Daß die Übersetzung die einzige Quelle seiner Homer- kenntnis war, erweist sich, abgesehen von den bei Abele zusammen- gestellten Übereinstimmungen mit Schaidenreißer, vor allem aus folgen-

Finsler: Homer in der Neuzeit. 25

386 Deutschland und die Schweiz

dem. Zu dem am 2. Januar 1554 aufgeführten Stück Die mörderisch Clitemestra ist Homer als Gewährsmann genannt, obwohl in dem merk- würdigen Drama keine Spur von ihm zu finden ist. Dagegen nennt Sachs für die am 28. April 1554 gespielte Tragödie Die Zerstörung der Stadt Troja von den Griechen nur Dictjs und Dares, die recht frei be- handelt sind; an die Ilias erinnert kein einziger Zug. Es hat also Sachs mit der Nennung Homers in der Clitemestra die Odyssee gemeint, in der die Königin vielfach erwähnt wird.

Die Comedi Die Irrfahrt ülissi mit den werhern und seiner gemahel Penelope, am 20. Februar 1555 aufgeführt, zeigt eine in ihrer Schlicht- heit meisterhafte dramatische Bewältigung des großen epischen Stoifes. Ohne die homerische Darstellung irgendwie auszuschmücken, hat Sachs aus allen Ecken der Odyssee das dramatisch Geeignete zusammengeholt. Ein guter Griff war es schon, daß er die Zahl der Freier auf vier redu- zierte: Antinoos, Eurymachos, Agelaos, Amphinomos. Der erste Akt zeigt bereits das ganze Personal von Ithaka. Doch hat man gelegentlich das Gefühl, Sachs sei im Bestreben den Stoff zu konzentrieren fast zu weit gegangen, wenn er sich z. B. die Erkennungen bei Menelaos, bei der Fußwaschung und bei Penelope entgehen läßt. Durch Kürzung und veränderte Stellung der Motive erreicht er starke Wirkung. Wenn am Schlüsse der Ehrenholdt auf die Vorbildlichkeit der homerischen Per- sonen hinweist, so ist das ebensowohl auf die ganze Zeitrichtung wie auf Schaidenreissers Einfluß zurückzuführen.

Des Hessus und Lemnius elegante lateinische Versionen waren ein Nachklang zur echten Renaissance, nicht der Beginn neuen Lebens. Schaidenreißers Werk erlebte wenigsten eine zweite Auflage, aber von weiterer Wirkung ist nichts zu spüren. Die Wissenschaft tat für die Erklärung Homers und die Ausbreitung seines Verständnisses sehr wenig. Der Einfluß der großen Franzosen erhielt das Interesse noch eine Zeit lang rege, zumal Salmasius im Beginn des neuen Jahrhunderts in Heidelberg tätig war. Eine Wirkung Homers auf die Literatur fand aber, so viel ich sehe, nicht statt. Die Schuld am Zurücktreten des Griechischen und damit auch Homers lag zum Teil an der Schule, die in steigendem Maße das Lateinische vorzog. Nicht daß, wie in Frank- reich, ein prinzipieller Kampf zwischen griechischer und lateinischer Bildung stattgefunden hätte, in dem, wie dort, die letztere durch die Kirche unterstützt worden wäre. Das protestantische Deutschland hielt im Gegenteil am griechischen Unterricht gerade darum fest, weil er der einzige Weg zur Erforschung der heiligen Schrift war. Aber die

Hans Sachs 17. Jahrhundert 387

Anforderungen, die der rein formale lateinische Unterricht an Zeit und Kraft der Schüler stellte, waren dem griechischen hinderlich, zumal man auch hier fast nur die Erlernung und den Gebrauch der Sprache im Auge hatte, ein Ziel, das gar nicht zu erreichen war, mochte man auch sogar die Lektüre der Autoren in den alleinigen Dienst der Grammatik stellen. Und dann wurde gerade die starke Betonung des neutestament- lichen Studiums zu einer Gefahr. Schon Zwingli, Bullinger, Melanchthon hatten sich theologischem Übereifer gegenüber für die Profanschriftsteller wehren müssen. In der Mitte des 17. Jahrhunderts, klagt Breitinger, wurde, mit Verachtung der Einrichtungen der großen Vorfahren, der griechische Schulbetrieb auf das Neue Testament und ein paar Kirchen- väter beschränkt, wobei man es bei der einen und anderen Rede des Chrysostomos oder einigen aus diesem oder Gregor von Nazianz unordent- lich herausgegriffenen Blümchen und Näschereien bewenden ließ. Das habe zur Folge gehabt, daß nicht nur die alten Griechen, sondern auch diese Kirchenschriftsteller vernachlässigt wurden. An einem anderen Orte behauptet er, auch das Neue Testament werde von wenigen verstanden, von den Profanschriftstellem lieber zu schweigen. Das war in der Schweiz so, die sich friedlicher Zustände erfreute. Rechnen wir für Deutschland das unsägliche Elend des dreißigjährigen und der folgenden Kriege dazu, so begreifen wir leicht, wie tief die Studien sinken mußten.

Von den Leistungen inbezug auf Schulgrammatiken ist bereits die Rede gewesen. Es waren alles unhandliche und schwerfällige Werke, von denen aber einige bei den Schülern ein nicht geringes Maß von Vorbildung voraussetzten, wie Scapula's griechisch-lateinisches Lexikon und besonders Wolfgang Sehers homerischer Wortindex 1604, zu dem die Schüler durch Anlegen kleinerer Sammlungen das Material be- schaffen mußten. Es sind da zu jeder homerischen Form alle Belegstellen gegeben, ein weitschichtiges Werk, das in einer Zeit lebhaft betriebener Studien sehr nützlich hätte sein können und offenbar auch im Anfang des Jahrhunderts noch benutzt wurde; wenigstens erschien 1649 in Amster- dam ein Neudruck. Aber es ging mit der Kenntnis des Griechischen abwärts. Des Listrius Ausgabe von Erasmus' Lob der Narrheit 1676 verrät mehrfach eine große Unsicherheit in homerischen Dingen. Noch 1740 behauptete Gottsched, es gebe auch unter den Gelehrten wenige, die den Homer und Virgil ohne Anstoß in ihrer Muttersprache lesen könnten, und wenn sie es ja könnten, so täten sie es anderer Arbeiten und Ergötzungen wegen nicht. Tatsache ist, daß Bodmer und Breitinger, Winckelmann, Herder, ja noch Goethe und Voß ihren Homer nicht in der Schule kennen lernten, sondern in schwerer privater Arbeit erobern

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mußten. Nur in Pforta und St. Afra in Meißen war die Tradition ge- blieben und hatte der Unterrieht gegen Ende des 17. Jahrhunderts leben- digere Gestalt angenommen, so daß Klopstock und Lessing wohl vor- bereitet aus ihren Schulen ins Leben traten. Sonst lagen damals die griechischen Studien so sehr danieder, daß sie nicht einmal auf allen Universitäten, geschweige denn auf den unteren Schulen getrieben wurden.

Mit der Wissenschaft stand es nicht besser. Die Frage der peisi- stratischen Sammlung interessierte die Leute, und Wetstein und Küster legten sich die Sache nach ihrem Ermessen zurecht. Große Mühe brauchten sie sieb damit nicht zu geben, da ja das Material gesammelt vorlag. Im übrigen hat Wetstein eine fleißige Übersicht über die Homerwissen- schaft des Altertums und der neueren Zeiten gegeben, aus der namentlich hervorgeht, daß das 17. Jahrhundert so gut wie nichts geleistet hat. Es ist denn auch Homer in Deutschland von 1606 bis 1759 nur ein einziges Mal gedruckt worden, 1651 in Basel. Wenn in dieser Hinsicht fast nichts geschah, so hat doch die Zeit durch Sammlung von Mate- rialien ein Verdienst erworben. Morhofs ungeheure Gelehrsamkeit ver- dient unsere Bewunderung, und des Fabricius Bibliotheca ist ein noch heute sehr verwendbares Repertorium.

Im Beginn des 17. Jahrhunderts fand die Ilias den ersten deutschen Übersetzer in dem Augsburger Johann Spreng, der sie in „artliche deutsche Reime", d. h. in Knittelverse brachte. Gedruckt wurde sie erst nach dem 1601 erfolgten Tode des Verfassers, 1610. Form und Ausdruck nötigen heute dem Leser nicht selten ein Lächeln ab, aber der Übersetzer hat seinen Text verstanden und ist in dessen Wiedergabe oft ganz glücklich. Die Wahl des deutschen Metrums ist im Prinzip gewiß richtig; so haben sämtliche Italiener, dann Salel und Certon, Dryden und Pope für die Übersetzung Homers die nationale Form gesucht. Den Hexameter wählten nur die Humanisten für die lateinische Wiedergabe.

Die literarische Kritik Deutschlands im 17. Jahrhundert weiß so- zusagen nichts von Homer. Opitz in der Deutschen Poeterey 1624 nennt ihn einige Male, hat ihn aber offenbar nicht selbst gesehen. Die Zitate sind aus antiken Schriftstellern übernommen, die Urteile über epische Poesie wesentlich aus Scaliger's Poetice und Ronsard abgeschrieben, den Hauptquellen der Poeterey. Opitz folgt jedoch Scaliger, dem er sich sonst unbedingt anschließt, in den heftigen Angriffen auf Homer nicht, wie Borinski annimmt, infolge seiner Freundschaft mit Caspar Barth. Dieser hat sich in den Adversaria, einer unermeßlichen Sammlung von Verbesserungs vorschlagen zu Schriftstellern und Notizen aller Art, 1624, energisch gegen Scaliger ausgesprochen. Er weist die Herabsetzung

Spreng Opitz Leibniz Thomasius Kant 389

Homers g-egenüber Virgil sehr scharf zurück, ja er wirft Scaliger geradezu vor, mit seinem fortgesetzten Irrtum seine im übrigen göttliche Poetik herabgewürdigt zu haben. Scaliger sehe nicht ein, daß es dem Lobredner Yirgils gar nicht förderlich sei Homer herunterzureißen und die Vollendung erst in jenem, nicht in seiner Quelle erkennen zu wollen; und durch die Verachtung der im ganzen wie im einzelnen so herrlichen Werke Homers gewinne Virgil nicht.

Homer hat lange warten müssen, bis er wieder einen so beredten Ver- teidiger fand. Die großen Philosophen um die Wende des 18. Jahrhunderts verhielten sich ablehnend gegen ihn. Leibniz hält dafür, Homerus habe die Götter und Helden lächerlich vorgestellt, weil er nicht wie Virgilius für einen Augustus etwas Majestätisches, sondern für den griechischen Pöbel, dem er seine Aufsätze vorgelesen, was Lustiges habe macheu wollen. Inzwischen zeige er an vielen Orten einen großen Geist und schwinge sich hoch, wenn er wolle. Thomasius ist versichert, daß, wer Hans Sachsen und Homerum ohne Vorurteil lese, mehr Artigkeit und ludicium in Hans Sachsen als in Homero antreffen werde. Von Hans Sachsen hätten wir doch noch das geistreiche Lied in der Kirche „Warum betrübst du dich, mein Herz?" Aber Homerus habe solche Schnitzer begangen, daß auch Heraclitus schon zu seiner Zeit sich nicht habe enthalten können zu sagen, Homerus wäre wert, daß man ihm Maulschellen gäbe. Noch sehr viel später sagte Kant, die Gedichte Virgils und Klopstocks fielen ins Edle, die Homers und Milton's ins Abenteuerliche, und die alten Gesänge von Homer bis Ossian, von Orpheus bis zu den Propheten verdankten das Glänzende ihres Vortrags bloß dem Mangel an Mitteln ihre Begriffe auszudrücken.

Vom dreißigjährigen Kriege ab gerät Deutschland mehr und mehr in die vollständige geistige Abhängigkeit von Frankreich, die sich auch schon in den Urteilen von Leibniz und Thomasius fühlbar macht. Opitz hatte sich an Scaliger und Ronsard angelehnt. Am Ende des Jahrhunderts begegnen wir einem Versuch, das moderne französische Poeme hero'ique in Deutschland einzubürgern und damit den Deutschen das ihnen fehlende Epos zu schenken.

Christian Heinrich Postel ist nun freilich kein bloßer Nachahmer. Er war nach Angabe seines Biographen Weichmann im Besitz ausgedehnter Sprachkenntnisse, aber ein Feind der abgeschmackten Poeterei, die den schönen deutschen Purpurrock mit übel angebrachten fremden Lappen schände. Sein Epos Der große Wittekind sollte ein echtes deutsches Werk sein. Der Mangel war nur, daß sich der Dichter aus Armut an Erfindung

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gezwungen sah, sich an alle möglichen Vorbilder anzulehnen. Im Grund- riß ist das Gedicht nach Scudery's Alaric gearbeitet, dem besonders der Gedanke entnommen ist, den geschlagenen Wittekind nach Spanien fahren zu lassen, um von dort aus Karl bekämpfen zu helfen. Daneben finden sich Nachbildungen von Ariost, Tasso, Graziani, Milton, Camoens und anderen, die oft mit großer Kunst verbunden sind. So erlebt ein Teil der Schiffsmannschaft das Abenteuer der Lusiaden auf der Nympheninsel, um dann gleich Rinaldo bei Tasso zur Pflicht zurückgerufen zu werden. Über allem aber schwebt der Geist Marino's, in Schilderungen von Turnieren und Tempeln, in Deklamationen über die verschiedensten Gegenstände und breit ausgekramter Gelehrsamkeit. Dennoch hat Weichmann ganz Recht zu sagen, Postel sei natürlich genug und, wie emsig er auch den Italienern und Spaniern, besonders Tasso und Marino nebst Lohenstein folge, gehe er dennoch von deren hochtrabender schwülstiger Schreibart gar merklich ab. Nach unserem Gefühl ist genug davon übrig geblieben, aber für seine Zeit ist das Gedicht von löblicher Natürlichkeit. Die Ent- lehnungen bemüht sich Postel durchaus nicht zu verbergen, im Gegenteil führt er in Fußnoten alle seine Quellen gewissenhaft an. Er betrachtete es als einen Ruhm, seine Belesenheit zu beweisen.

Besonders zahlreich sind die Anklänge an Homer, den Postel ungefähr so gut im Kopf hat wie Spenser. Bezeichnend für seine Art ist z. B. die Verwendung der Geschichte der Nausikaa. Obwohl teilweise wörtlich aus Homer übersetzt, ist die Episode doch ganz in die Sphäre modernster Dezenz gerückt. Feme davon, daß die Prinzessin Fatima ihre Wäsche selbst besorgte; sie lustwandelt am Ufer, findet den nicht ganz nackten Schiffbrüchigen und läßt ihn in ihrem Schlößchen am Meer speisen, kleiden und schlafen, um ihn dann am folgenden Morgen nach Granada mit- zunehmen.

Begonnen wurde das Gedicht 1698. Als 1701 die vorhandenen zehn Bücher vollendet waren, gab Postel das Dichten auf, vielleicht weil das Werk zu weitläufig angelegt war. Gedruckt wurde es 1724, lange nach dem 1705 erfolgten Tode des Verfassers. Weichmanns Einleitung beklagt, daß das Epos nicht fertig geworden sei; wäre es der Fall gewesen, so hätte, meint er, Deutschland mehr Ruhm davon als Italien von Tasso und Marino zugleich.

Im nämlichen Jahre 1698 begann Postel auch die Übersetzung der Berückung des Zeus, 1700 unter dem Titel Die listige Juno gedruckt. Die Vorrede ist für die Zeit von Bedeutung. Postel bestreitet die oft geäußerte Meinung, als ob Homer in keine andere Sprache übersetzt werden könne; es entspringe das Vorurteil einmal einem heidnischen Aberglauben,

Postel Weichmann Ayrer 391

der eine Übersetzung als eine Entweihung des für heilig und göttlich gehaltenen Dichters betrachte, sodann aber auch dem Arger über die wörtlichen lateinischen Übersetzungen, oder die deutschen in Knittelreimen, womit er auf Spreng zielt, oder die französischen und holländischen in Prosa; mit jenen meint er wohl Du Souhait und La Valterie. Diese hätten Homer in allgemeine Verachtung gebracht, so daß er kaum noch bei einigen Schulleuten im Werte stehe. Bei diesen fange er aber auch an so selten zu werden, daß, wenn Alkibiades zu ihnen kommen und eine Ilias begehren sollte, mancher von ihnen Maulschellen kriegen würde, w^eil er keine besitze. In den Augen des Kenners der griechischen Sprache habe allerdings Homer nicht gelitten, auch nicht bei denen, die gute Über- setzungen oder seine köstlichen Nachfolger, Virgil, Tasso, Milton ins Auge fassten. Denn wäre Homer nicht eine Schatzgrube aller Köstlich- keiten gewesen, so würden diese großen Männer ihre unschätzbaren Ge- dichte nicht nach ihm eingerichtet haben. Das werde jeder einsehen, der ihre Entlehnungen mit dem Original vergleiche. Unter den Übersetzern preist Postel besonders Eoban Hesse, auch Chapman und mit etwas weniger Wärme Hobbes; Dryden's Versuche findet er unübertrefflich. Was von des Herrn Dacier französischer Übersetzung zu hoffen sei, werde ver- mutlich die Zeit in kurzem lehren. Nun will aber Postel beweisen, daß sich auch das Deutsche zur Übersetzung eignet, und andere dazu er- mutigen. Er will sich nicht sklavisch an die Worte, sondern an den Sinn binden, auch nicht die Verszahl beizubehalten suchen, da dies nicht ohne Zwang geschehen könne. Die Übersetzung ist in Alexandrinern verfaßt und dem griechischen Text gegenüber gestellt. Dem Stück folgt ein schwerer Kommentar mit des Eustathios und eigenen Erklärungen. Es ist da eine große Gelehrsamkeit aufgewendet, die aber kein Maß hält. Zahlreiche Proben von anderen Übersetzungen und von Nachbildungen sind beigebracht.

Posteis Ausleger Weichmann hat sich in seiner Vorrede zu Brockes Irdischem Vergnügen in Gott 1721 über Homer in einer Weise ausge- sprochen, die wohl Posteis Beifall kaum gefunden hätte. Er preist an Brockes die glückliche Wahl der Worte, die stets durchaus auf die Sache paßten, im Gegensatz zu Homer, der seine Personen stets mit denselben Beiwörtern belege, obgleich die veränderten Umstände manchmal notwendig eine Abwechslung erfordert hätten. Der Vorwurf ist der zeitgenössischen französischen Kritik entlehnt, die in der ersten Hälfte des 18. Jahrhun- derts allmächtig wurde.

Einige Aufmerksamkeit erregte auch die Quer eile des Anciens et des Modernes. 1735 übersetzte Georg Heinrich Ayrer die früher erwähnte

392 Deutschland und die Schweiz

Schrift von Anton Blackwall ins Lateinische und fügte im nämlichen Bande eine Dissertatio de comparatione eruditionis antiquae et recentioris hinzu. Seine Gedanken sind nicht neu; gegen die Überschätzung des Altertums wie der Modernen verwendet er die in der Querelle gebrauchten Argumente. Er selbst ist ein Feind beider Extreme und verficht den Standpunkt Bacon's, der zwischen Altertum und Neuzeit ein Bündnis haben wollte. Ayrer zitiert viele Freunde und Gegner des Altertums. Be- sonders wichtig ist seine Darstellung der Querelle selbst, sowohl des Kampfes zwischen Perrault und Boileau, als desjenigen La Motte's mit M""® Dacier, eine sehr gründliche und sorgfältige Studie, in der auch die unbedeutendste Schrift notiert ist. Richtigerweise stellt er zu Perrault's Gegnern auch Wotton, dessen Standpunkt er im ganzen teilt.

Selbständiger war ein Jahr vorher, 1734, Albrecht Haller in die Frage eingedrungen, und zwar in einer in Bern gehaltenen akademischen Rede. Im Beginne finden wir auch hier im ganzen die gleichen Gedanken wie bei Wotton, aber dann folgt Eigenes. Li allen Künsten, die dem In- genium selbst entspringen, führt Haller aus, können uns die Alten er- reichen, da diese Künste allen Zeiten angehören und zur Vollendung nur eines kurzen Zeitalters der Ausbildung bedürfen. Dahin gehören Poesie, Beredsamkeit, Logik, Politik, Mathematik. Anders steht es mit den exakten Wissenschaften, in denen die Neuzeit voraus ist. Wenn die Alten uns in jenen ersten Künsten übertroffen haben, so liegen dafür besondere Ur- sachen vor. Die Alten erfreuten sich öffentlicher Förderung der Künste durch Ehren und Anerkennung; Beschäftigung mit den Künsten schloß bürgerliche Betätigung nicht aus. Dann waren sie fleißiger als wir und brauchten nicht so viele Sprachen zu lernen, um von den Büchern etwas zu haben. Vor allem aber schädigt uns die Vielwisserei. Die Modernen schweifen durch alle Wissenschaften und zersplittern sich; so wird der Geist zuerst überladen, dann entnervt. Zur Bewältigung des gesamten Wissens reicht das ganze Leben nicht aus, und der Gedächtniskram tötet das Urteil. Die Alten konnten sich mehr auf das einzelne konzentrieren. Sodann sind bei uns Einbildungskraft und Urteil seltener verbunden, auch fehlen uns die Vorzüge des Stils. Man vergleiche Virgil mit den modernen Epikern: bei ihm Großartigkeit, verbunden mit Festigkeit und Anmut, bei Milton Kraft ohne Gleichmäßigkeit und plötzliche Flammen durch Finsternisse, bei Tasso Talent ohne Urteil, bei Voltaire nichts Eigenes.

Von dem Gang durch die übrigen Künste können wir absehen. Es fällt auf, daß in der ganzen Rede Homers Name fehlt; denn Haller hat ihn sehr gut gekannt. Homer sei sein Roman im zwölften Jahre gewesen, schrieb er 1772 an Gemmingen. Aber von früh an fesselte ihn Virgils

Ilaller Gottsched 393

sich gleich bleibende rhetorische Erhabenheit stärker. An Homer ver- misste er die Sittenlehre. Jn der Ilias, schrieb er 1753 an Bodmer, fand er fast nur den Abschied der Andromache und die Reden des in den Tod gehenden Hektors seiner Bewunderung würdig; der Charakter des ver- schlagenen, lügnerischen und grausamen Odysseus dagegen wurde ihm immer mehr zuwider. Was ihm an Homer gefiel, war die Abbildung der uralten Sitten der Menschen. Er vermisste aber an ihm einen Geschmack für das Edle und sittlich Gute, ohne den ibm nichts Vergnügen erwecken könne. In der Ilias sah er den Sieg der Gewalttat, in der Odyssee den Triumph der List. Daher stellte er, als Ossian erschien, diesen im ganzen über Homer. Ossians Helden seien freigebiger, bescheidener und gütiger als Homers nur durch ihre Stärke bervorragende Räuber; die Seele Os- sians unendlich mehr fühlend, in der Liebe unendlich zärtlicher. Trotz dieser einseitigen Bevorzugung dessen, was ihm für moralisch galt, hat Haller in Göttingen an Heyne's Homerstudien lebhaftes Interesse ge- nommen, wie aus den Arbeiten des letztem mehrfach hervorgeht.

Hallers Urteil ist subjektiv und selbständig. Bei seinem Zeitgenossen Holberg finden wir dagegen den Einfluß des Streites der Franzosen um Homer, wobei er keine Partei nimmt. Schreibart und Geist des Dichters erregen seine Bewunderung, aber die Vorteile, die Redner, Staatsmänner und Kriegsleute bei ihm finden sollen, kann er nicht herausfinden. Er möchte keinem General raten, gleich Hektor mitten in der Schlacht das Heer zu verlassen und sich nach Hause zu begeben, um sein Hauswesen zu besorgen. Ebenso hat Holberg bei Homer niemals die ihm zugeschrie- bene Kenntnis aller Künste und Wissenschaften entdecken können.

Schon vor den letztgenannten Urteilen hatte die französische Kritik in Deutschland ihren Einzug gehalten. In Gottsched's Critischer Dicht- kunst 1730 herrscht sie ausschließlich. Dem Werke ist dasjenige Buch vorangeschickt, auf dem auch die französische Kritik im Wesentlichen fußte, des Horaz Ars Poetica, in deutscher Übersetzung und mit Anmer- kungen versehen. Daß Gottsched's Dichtkunst ein großes und eminent wichtiges Werk war, der Ausgangspunkt für die ästhetischen Studien in Deutschland, wird niemand bestreiten. Gottsched hat sich nicht den Anschein gegeben, als ob er Eigenes und Neues brächte; er nennt viel- mehr alle Gewährsmänner, denen er verpflichtet ist.

Über den Kampf, der kurz vorher in Frankreich zu Ende gegangen war, ist Gottsched vollständig unterrichtet, und er weist auch auf diesen Federkrieg hin. Aber es fällt ihm gar nicht ein, entschieden Partei zu nehmen. Im ganzen veranlasst ihn die Autorität des Aristoteles, für das

394 Deutschland und die Schweiz

Heldengedicht als unerreichtes Muster den Homer anzuerkennen. Darüber, ob Gottsched Homer griechisch habe lesen können, finde ich keine direkte Angabe. Braitmaier sagt, er habe so wenig Griechisch verstanden, daß er Homer französisch habe zitieren müssen; aber indirekt läßt sich Be- kanntschaft vielleicht aus seinen Übersetzungsproben und besonders auch aus einem dabei begangenen Fehler schließen, den er in keiner andern Übersetzung vorgefunden haben kann; es müßte denn sein, daß er sich hier von einem andern habe helfen lassen; aber in der ganzen Critischen Dichtkunst findet sich nicht ein einziger selbständiger Gedanke über den Dichter. Die ganze Partie über das Heldengedicht ist durch die moralische Auslegung Le Bossu's beherrscht, die mehrmals mit mehr oder weniger Umständlichkeit vorgetragen wird. Daneben kommt auch Boileau ge- legentlich zum Wort. Aber mit gleicher Selbstverständlichkeit wird mit La Motte die verächtliche Zeichnung der Götter und Helden getadelt; hier hat Gottsched gar nicht gemerkt, daß La Motte's Auffassung mit der von Le Bossu in direktem Widerspruch steht. Auf die Kritik des Achilleus- schildes scheint Terrasson gewirkt zu haben. Der dogmatische Teil der Lehre vom Epos schließt sich im ganzen an Aristoteles an, den Gott- sched in der Übersetzung Dacier's benutzte, und an dessen Auslegung durch Le Bossu.

Wie sehr Gottscheds Anschauungen die des französischen Klassizismus waren, zeigt sich am besten an der Kritik, die er in den Beyträgen zur critischen Historie 1734 dem Heldengedicht des Wolf Helmhart von Hoch- berg Der hdbsburgisclie Ottöbert angedeihen ließ. Das ungeheure Opus, das 1664 erschienen war, verdiente die eingehende und fleißige Arbeit Gottscheds zwar nicht; aber es ist immerhin interessant, wie dieser den klasszistischen Maßstab daran anlegt. Natürlich konnte der Roman in Versen, wie Gottsched das Gedicht nennt, den aristotelischen Ansprüchen nirgends genügen; dennoch hat ihm Gottsched etwas Poetisches nicht ab- gesprochen. Hier zeigte sich der Kritiker in eigenster Gestalt. Er gab zu, daß der Poet nicht mit Kenntnis der Regeln geboren werde, meinte aber, eine Ahnung davon müsse ihn antreiben sie zu erlernen; sonst werde er es zu nichts Ordentlichem bringen, wie denn die poetischen Einfälle Shakespeare's seine Unwissenheit und Übertretung der theatralischen Regeln nicht gut machen könnten.

Von Wichtigkeit waren Gottscheds Bemühungen für eine Überset- zung Homers. Er hatte schon 1734 auf Schaidenreißer und Spreng auf- merksam gemacht und bei diesem zwar die Reime nach Hans Sachsens Art nicht gebilligt, die Arbeit aber, „sonsten, was den Verstand anbe- triflPt, noch ziemlich" gefunden. 1737 bespricht er eine ihm zugesandte

Gottsched 395

Übersetzung des ersten Buches der Aeneis in reimlosen achtfüßigen Jam- ben. Der Verfasser, meint Gottsched, habe geglaubt, durch das lange Silbenmaß den Sinn der virgilischen Verse desto leichter von Zeile zu Zeile ausdrücken zu können. Aber er hält es nicht für die größte Tugend einer guten Übersetzung, daß sie mit dem Original gleich viel Zeilen habe. Gegen den Versuch, reimlose Verse zu verwenden, hat er nichts vorzu- bringen, erinnert aber daran, daß dann der Vers an Reinheit, Nachdruck und Wohlklang ersetzen müsse, was ihm an den Reimen abgehe, und dazu gehöre eine große Sprachfertigkeit, ein feiner Geschmack und ein gutes Ohr. Die Richtigkeit der Beobachtung hätten ihm zahlreiche Ita- liener und Engländer bezeugen können. Er will aber selbst zeigen, daß es auch ohne Reime angehe einen angenehmen Wohlklang hervorzubringen und gibt die Übersetzung der ersten 58 Verse der Ilias in erträglichen achtfüßigen Trochäen.

Im nämlichen Jahre kommt er in der zweiten Auflage der Critischen Dichtkunst auf die Sache zurück, und hier gibt er nun der reimlosen Übersetzung unbedingt den Vorzug, da das Joch der Reime die Schwierig- keiten fast unüberwindlich mache. Wenn er zwar fortfährt, die Engländer köimten, weil sie den Reim vermieden, alle alten Schriftsteller in Versen ihrer Sprache lesen, während die Franzosen auf die Prosa angewiesen seien, so täuscht er sich; denn die meisten englischen Übersetzungen zeigen den Reim. Die Prosa, sagt Gottched, raube dem Original die Hälfte seiner Schönheit, da sie nie so viel Feuer, Geist und Nachdruck haben könne wie die harmonische Schreibart der Poeten. Nun sei es aber nützlich, daß auch Unstudierten und Frauen die Alten zugänglich ge- macht würden, und deshalb schlägt er vor, die Ilias in „alexandrinischen" reimlosen Versen zu übersetzen. Was er so nennt, ist der Hexameter, den er in der folgenden Probe von zehn Versen gut handhabt. Dieses Maß tritt hier zum ersten Mal für eine deutsche Homerübersetzung auf.

Wenn von Gottsched für eine Neubelebung des Interesses für Homer wenig geschah, so war eine solche umsomehr das unbestrittene Verdienst der Zürcher Bodmer und Breitinge r. Der große Streit zwischen Leipzig und Zürich, der die neuere Literaturgeschichte einleitet, ging freilich nicht um Homer, wie die Kämpfe in Frankreich. Dafür fehlte es zu sehr an einem klaren Gegensatz in der Auffassung des alten Dichters. Gingen doch die Schweizer ebensogut wie Gottsched von der französischen Kritik aus ; und wenn sie sich gegen Homers Widersacher energischer auflehnten, als er mit seiner gleichzeitigen Anerkennung Le Bossu's und La Motte's überhaupt gekonnt hätte, so bildeten diese Fragen doch kein Kampfobjekt. Wohl aber wurden die Schweizer durch den stets wachsenden Einfluß der

396 Deutschland und die Schweiz

Engländer zu einer immer intensiveren Beschäftigung mit Homer geführt. Addison und Pope eröffneten ihnen ein Verständnis, das sie aus den Fran- zosen niclit gewinnen konnten; und wenn sie in der poetischen Theorie mehr oder weniger in den französischen Anschauungen stecken blieben, so eröffneten sie dagegen für das Verständnis Homers, Milton's, Shakespeare's,, neue Bahnen und wirkten dadurch kraftvoll auf die kommenden Zeiten ein. Die wichtigsten ihrer Werke sind Breitingers Buch Über die Gleich- nisse, Bodmers Schrift Vom Wunderbaren in der Poesie, Breitingers Critische Diclitlcunst, alle drei 1740 erschienen; ilmen reihte sich 1741 Bodmers Schrift IJber die poetischen Gemälde der Dichter an. Überall sind zahlreiche Beispiele für die ausgesprochenen Gedanken dem Homer entnommen.

Nun hat gerade diese Seite von Breitingers Tätigkeit während der literarischen Fehde einen sehr heftigen Angriff erfahren. In den Gottsched- schen Beyträgen 1744 warf ihm ein als Kleon unterzeichnender Mitarbeiter vor, er habe nicht nur Stellen Homers aus M^'^Dacier und der lateinischen Interpretation des Giphanius statt aus dem Original übersetzt, sondern auch Anmerkungen von M'^^Dacier in schlechtem Deutsch als die seinigen gegeben. Dafür werden Belege beigebracht; nicht so für die weitere Be- hauptung, die Schweizer hätten auch an Pope und Muratori Plagiate be- gangen. Das zu beweisen, verhinderte den Verfasser seine Unkenntnis des Englischen und Italienischen. Diese Vorwürfe, die von den neueren Dar- stellern nicht beachtet zu sein scheinen, wiegen zu schwer, als daß sie ein- fach registriert werden dürften. Eine Vergleichung aller von Breitinger in deutscher Prosa gegebenen Homerstellen ergab mir, daß die Behauptung,, er habe sich an das Französische der M™® Dacier angelehnt, in weitem Umfang richtig ist. Mit der Annahme der Benutzung lateinischer Über- setzungen scheint mir jedoch Kleon im Unrecht zu sein. Doch urteilt auch Bernays von Bodmers viel späterer Homerübersetzung, sie verrate dem Kundigen vielfach ihren Ursprung aus dem Lateinischen. Es muß aber hervorgehoben werden, daß diese Wahrnehmungen weder bei Bodmer noch bei Breitinger überall zutreffen. Auch letzterer hat eine Reihe von Stellen, deren Formung sein Eigentum sind, und Bodmer hat die lateinische Übersetzung zwar zu Rate gezogen, aber nicht zugrunde gelegt. Die Sache beleuchtet in vorzüglicher Weise den schwierigen Weg, den die Zürcher zu gehen hatten, um sich in den Besitz des originalen Homers zu setzen. Die Schulen ihrer Vaterstadt waren genau so schlecht wie die meisten in Deutschland. Hilfsmittel zum privaten Studium gab es so gut wie keine; so mußten sie ihr homerisches Griechisch mühsam aus den Übersetzungen lernen. Daß dabei ein Mann von sprachlichem Gefühl wie

Bodmer Breitinger 397

Breitinger lieber zu dem immerhin anmutigen Französisch der M™* Dacier als zu den stillosen lateinischen Versionen griff, ist leicht zu verstehen, und nicht minder, daß er bei den eigenen Übersetzungsversuchen von seiner Lehrmeisterin nicht mehr loskam.

Der andere Vorwurf, der des Plagiats, ist insofern nicht unbegründet, als sowohl Bodmer als Breitinger sehr oft fremde Schriftsteller benutzen, ohne sie zu nennen; der Umfang, in dem dies geschah, ist weder Bächtold noch Braitmaier genügend bekannt gewesen. Trotzdem scheint eine Täu- schung nicht beabsichtigt gewesen zu sein. Bodmer hat seiner Schrift vom Wunderbaren die Übersetzung von Addison's Aufsätzen über Milton beigefügt und dadurch seine Quelle sattsam bezeichnet. Breitinger zitiert seine Gewährsmänner nicht selten, nur nicht konsequent, so daß man eher von Nachlässigkeit als von Plagiat sprechen darf. Wir werden nur ein Beispiel finden, wo diese harte Bezeichnung am Platz ist. Sodann haben sich die Schweizer selten damit begnügt das fremde Gut zu geben, sondern das übernommene selbständig, wenn auch nicht immer glücklich, ausgebaut. Vor allem haben sie alles das, wovon sie sprachen, selbst und gründlich angesehen, auch wo sie ihr Urteil fremdem unterordneten. Nicht selten sind sie in dem Bestreben, verschiedene Auffassungen zu vereinigen, in Wirmisse geraten. Aber immer sehen wir sie bestrebt, dem, was sie als gut erkennen, den Weg zu bahnen und neue Ziele zu verfolgen.

Daß Bodmer von denen, die er sonst in höchster Verehrung hielt, nicht sklavisch abhängig war, beweist er in der Abhandlung Von dem Wunderbaren in der Poesie und dessen Verbindung mit dem Wahr- scheinlichen. Es handelt sich um die Verteidigung Milton' s, den er 1732 zuerst übersetzt hatte, gegen die Vorwürfe Voltaire's und Magny's. Er, für den sonst Boileau's Art poetique „kanonische Geltung hatte", nimmt in der Frage, ob Engel und Teufel in das Epos eingeführt werden dürfen, entschieden Stellung gegen seinen Meister. Diese Gestalten, sagt er, sind Gegenstände des christlichen Glaubens und werden uns durch Milton noch vertrauter. Aus demselben Grunde hatte Homer seine Helden so eingehend geschildert. Will man sagen, daß Milton darin Homer nach- geahmt habe, so ist das ein Lob, da sich Homer nach den menschlichen Affekten gerichtet hat; deshalb erscheint es aber zweifelhaft, ob der eng- lische Poet die Natur selbst oder das Muster derselben in dem griechischen Poeten, der ihr gefolgt, nachgeahmt habe. Nachdrücklicher wendet sich Bodmer gegen die Meinung, als habe Milton in der Verwendung der Engel Homer nachgeahmt; die Engel ständen eben doch hoch über den grobirdischen Göttern der Alten. Die griechischen Dichter, sagt er, sind freilich zu entschuldigen, da sie nur den Aberglauben der Menge wieder-

398 Deutschland und die Schweiz

gegeben haben. Die Aufnahme der heidnischen Götter in ein christliches Gedicht kann niemand schaden; ihre Verdrängung würde die ganze Kennt- nis des Altertums auslöschen. Sie dürfen aufgenommen werden als ein Hirngespinst, als die Geschichte einer der Welten, welche die Poeten er- funden oder doch für sich in Besitz genommen haben. Fenelon redet doch im ganzen Telemaque nach den Grundsätzen der heidnischen Theologie. Nicht nur Boileau tritt hier Bodmer entgegen, sondern auch Addison, der bei aller Hochschätzung Milton's die Benutzung Homers durch ihn ruhig zugegeben hatte.

Die folgenden drei Werke gehen von der Yergleichung der Poesie mit der Malerei aus, wie sie Dubos 1719 neu gefaßt hatte. Allerdings sind die Schweizer auch von ihm nicht durchaus abhängig. Die Haupt- sache ist ihnen in der Poesie das malerische Moment, nicht die Technik der Erzählung; das Einzelbild, nicht die Gesamtkomposition.

Schon vor Bodmers zuletzt erwähntem Buche war Breitingers Cri tische Abhandlung von der Natur, den Absichten und dem Gebrauch der Gleichnisse erschienen, für die Erläuterung Homers das wichtigste deutsche Buch vor Herder. Breitinger hatte sich ein vollständiges Ver- zeichnis der homerischen Gleichnisse angelegt und die Kommentare von M™® Dacier und Pope sehr eingehend studiert. Wie diese dem Eustathios, Pope hinwiederum vielfach M™® Dacier gefolgt war, so schließt sich Breitinger oft seinen Vorgängern an, strebt aber kräftig nach einem eigenen Standpunkt und geht vielfach weit über jene hinaus.

Das Buch ist nicht von vornherein leicht zu überblicken. Zwar ist es in ganz klar geschiedene Kapitel eingeteilt; aber das Hauptinteresse des Verfassers wie des Lesers ruht auf der Besprechung der sehr zahl- reichen Beispiele, die zu einem sehr großen Teile Homer entnommen sind. Da nun bei diesen Beispielen Bemerkungen aller Art angebracht werden konnten, die sich nicht notwendig auf das Thema des einzelnen Kapitels beschränkten, so erhält das Ganze den Charakter des Unübersichtlichen, der dadurch verstärkt wird, daß wichtige Fragen durch das ganze Buch hin verstreut und nicht im Zusammenhange behandelt sind. Dieser Grundcharakter des Werkes erklärt sich sogleich, sobald man entdeckt, daß Breitinger seinen Plan nach La Motte's Discours sur Homere, spe- ziell nach dem Kapitel Des Comparaisons gestaltet hat, und daß alles in diesen Rahmen hineingearbeitet ist.

La Motte hatte damit begonnen, die Verwendung der Gleichnisse zu unterscheiden. Sie werden, sagt er, gebraucht, um eine lebhaftere und ge- nauere Idee der dargestellten Gegenstände zu geben; oder um deii Geist durch edle und angenehme Bilder zu erheben oder zu erfreuen; oder end-

Breitinger Gleichnisse 399

Hell, um eine zu trockene und einförmige Erzählung zu beleben und mannig- faltig zu machen. Diese Einteilung legt Breitinger zugrunde, läßt jedoch die zweite Art der Verwendung fort und teilt in erleuchtende und aus- zierende Gleichnisse. Dazu fügt er die nachdrücklichen, auf die er durch Pope aufmerksam geworden ist. Dieser findet nämlich, Homer habe das Gleichnis der Odyssee von dem ermüdeten, nach dem Abendbrot begierigen Landmann so eingehend gestaltet, um es nachdrücklicher in unserm Ge- dächtnis haften zu lassen. Endlich bilden für Breitinger auch die lehr- reichen Gleichnisse eine besondere Art; er weist sie der didaktischen Poesie zu, obwohl jedes Gleichnis, wenn auch nur zufällig, Belehrung in sich habe.

Wenn sich Breitinger inbezug auf die erleuchtenden Gleichnisse an La Motte anschließt, so ist er mit dem Vorwurf gar nicht einverstanden, den dieser gegen Homer erhebt, daß er deren wenige habe. Er gibt eine ziemlich große Menge Beispiele, in denen er allerdings, wie in dem Gleich- nis von den gefangenen Fischen, zahlreiche erläuternde Beziehungen zur verglichenen Handlung findet, an die der Dichter nicht gedacht haben kann.

Breitinger hatte aber das richtige Gefühl, daß sich die Gleichnisse nicht so nach der Schablone scheiden lassen, und spricht daher im fünften Kapitel von der Vereinigung der Absichten in einem Gleichnis. Man findet, sagt er, bei Homer und Virgil nicht wenige ausführlich ausein- andergesetzte Gleichnisse, die neben dem, was notwendig zu der Ver- gleichung gehört, und worin die Dinge einander ähnlich sind, sich über verschiedene Punkte weiter ausbreiten. Darauf folgt die Übersetzung der Stelle aus Addison's Spectator, nach welcher diese Dichter das Gleichnis niemals aufgeben, bis es zu einem wichtigen Gedanken fortgestiegen sei, der oft die Sache, die dazu Anlaß gab, nichts angehe. Die Ähnlichkeit währe oft nur eine oder zwei Zeilen, aber der Dichter treibe den Einfall weiter, bis er daraus einen herrlichen Gedanken abgeleitet habe, der das Gemüt des Lesers entzünde und das der heroischen Poesie gemäße Ergötzen hervorrufe.

Demselben Addison entnimmt Breitinger die Stelle Boileau's, in der dieser gegen Perrault die Gleichnisse ä la longue queue verteidigt. Schon Addison hatte sich nicht genügend klar gemacht, daß Boileau nicht das- selbe sagt wie er, sondern den Ursprung des ausgeführten Gleichnisses in der Absicht sucht, den Leser auf anmutigen Gegenständen ausruhen zu lassen, besonders auf denen der ihm bekannten Natur. Allerdings hatte auch Boileau bestritten, daß das Gleichnis im einzelnen der Handlung genau entsprechen müsse, und gesagt, es genüge eine allgemeine Be-

400 Deutschland und die Schweiz

Ziehung. Aber zu Addison's aus Milton gewonnener Erkenntnis vom selbständigen Leben des Gleichnisses war er nicht fortgeschritten. La Motte hatte gesagt, es sei nicht notwendig, daß die Gleichnisse den dar- gestellten Gegenständen vollständig entsprechen. Die Phantasie vermehre gern selbst die unvollkommenen Beziehungen, nur dürfe man sie nicht zu fühlbar verwirren. Homer nehme auf die Phantasie nicht die ge- bührende Rücksicht. Er vermenge die Dinge, die er vergleiche, zu sehr mit widersprechenden Umständen. Es genüge ihm, daß sein Gleichnis in einem Punkte gleiche, und er lasse sich ohne Skrupel gehen, um es nach den Seiten zu verfolgen, die zu der Handlung keine Beziehung hätten. La Motte hatte die Natur des homerischen Gleichnisses richtig erkannt, aber ge- tadelt. Diesen Vorwurf konnte Breitinger auf seinem Homer nicht sitzen lassen; aber er vermochte sich zu Addison's Auffassung nicht zu erheben, obwohl er sich ihr schon in den früheren und wieder in späteren Teilen des Buches mehrfach genähert hat.

Dies ist zunächst im dritten Kapitel der Fall, wo er von den nach- drücklichen Gleichnissen handelt. Hier betont Breitinger wiederholt, daß im heroischen Gleichnis nicht Dinge oder Personen, sondern Handlungen und Affekte verglichen werden. Wenn Virgil die Zerstörung Trojas mit dem Fällen einer mächtigen Eiche vergleiche, so liege die Übereinstimmung in der ähnlichen Handlung. In einer Reihe von Gleichnissen wolle der Dichter die Stärke eines Affekts bestimmen; so wenn die Freude des Odysseus über die nahe Rettung mit der von Kindern über die Genesung des Vaters verglichen wird, oder die Freude der Penelope über die Heim- kehr des Gatten mit dem Gemütszustand geretteter Schiffer, oder die Tränen des Odysseus mit denen der Frau, die um den erschlagenen Gatten klagt. Hier werde nicht etwa Odysseus mit der Frau, sondern seine Emp- findung mit der ihrigen nach ihrer wahren Größe verglichen und ab- gemessen. Das ist alles gut und richtig. Aber Breitinger fand bei Pope und M™® Dacier Erklärungen der einzelnen Züge der Gleichnisse, die ihm richtig schienen. Deshalb nahm er sie auf und ging noch darüber hinaus. Die geschilderten Affekte sollen durch alle Einzelheiten des Gleichnisses erst ins rechte Licht gesetzt worden sein, so daß es oft genug auf eine Vergleichung aller Partien hinausläuft. Breitinger kann sich auch nicht enthalten, in manchem Gleichnis eine Lehre versteckt zu finden. Dann hatten schon Pope nach Eustathios und besonders Spence herausgefunden, die Gleichnisse seien um so zutreffender und anmutiger, je mehr Be- ziehungen sie zur dargestellten Szene hätten, wie z. B. im Kampf des Achilleus mit dem Fluß alle Gleichnisse dem Wasser entnommen seien; so fand nun Breitinger, der jede ihm gewordene Anregung weiter führte,

Breitinger Gleichnisse 401

auch die Verg-leichung der Freude der Penelope mit der von get-etteten Schiffern um so richtiger, als das Bild vom Meere hergenommen sei, das dem Odysseus auf seinen Reisen am verhängnisvollsten gewesen war.

Wir werden uns deshalb nicht wundern, wenn in der Ausführung über die Vereinigung der Absichten im Gleichnis auf Addison gar keine Rücksicht genommen ist; freilich hätte man nicht erwartet, daß Breitinger, gleich nachdem er die Stelle aus ihm angeführt hat, genau das Gegen- teil davon lehren würde. Das schlimmste Beispiel ist die Vergleichung des Falles des Simoeisios mit dem einer Pappel. Pope zitiert zu der Stelle Hobbes, der in dem Gleichnis nur die Absicht sah zu zeigen, wie schön der Tote da lag, nicht die Art des Falles. M™® Dacier fand, die Ver- gleichung mit der am Wasser wachsenden Pappel sei gewählt, weil Simoeisios an einem Flusse geboren sei, und weil die Orientalen die Fürsten gerne mit Bäumen verglichen. Breitinger aber entdeckt in jedem Zug, in jedem W^ort des Gleichnisses eine Beziehung auf die Geschichte des Simoeisios, läßt jenem also gar nicht das selbständige Leben, das Addison gesehen hatte. Im zehnten Kapitel sagt er ausdrücklich, der Grundstein, die Seele und das Wesen des Gleichnisses beruhe unfehlbar auf dem Tertium Comparationis, auf der Eigenschaft oder Handlung, nach welcher zwei Dinge einander ähnlich seien, zumal sie oft nicht das geringste mit ein- ander gemein hätten als diesen Punkt der Vergleichung. Wenn er diese allein richtige Auffassung nirgends festgehalten hat, so lag dies vielleicht vornehmlich daran, daß er die Frage nicht im Zusammenhang behandelt und gründlich durchdacht hat. So verfiel er zu sehr dem Einfluß der ihm vorliegenden Kommentare, zu deren Auffassung ihn wohl auch seine persönliche Neigung zog. Denn ohne diese wäre er nicht so oft selb- ständig weiter gegangen als M™® Dacier und Pope, und hätte nicht dem Dichter Gedanken und Absichten unterlegt, die diesem nie eingefallen waren. Bei alledem erfreut die herzliche Wärme, die Breitinger beseelt. Er liebt seinen Dichter, preist den glücklichen Maler, hebt seine Schön- heiten lebhaft hervor und kanzelt La Motte für seine Ausstellungen ge- hörig ab. Pope hatte ihn sehen gelehrt. Er freut sich des neuen Lichts und ist eifrig bestrebt, es auch andern leuchten zu lassen.

Zum sechsten Kapitel, Von dem rechten Ort und Sitz der Gleich- nisse, war Breitinger durch einen Tadel La Motte's angeregt, der be- hauptet hatte, das Gleichnis von dem Vogel, der sich für seine Jungen aufopfert, passe nicht in den Mund des erzürnten Achilleus. Überhaupt unterscheide Homer zu wenig zwischen dem Stil seiner eigenen Erzählung und dem seiner Personen; jener dürfe eine besondere Sprache haben, die Personen aber müßten ihrem Charakter und der Situation gemäß

Finaler: Homer in der Neuzeit. 26

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sprechen. Dasselbe hatte Gottsched in seiner Kritik des Ottobert ge- sagt; weitläufige und wohlausgeführte Gleichnisse paßten nicht in den Mund der handelnden Personen. Pope hatte Homer verteidigt, besonders geschickt mit der Bemerkung, daß an dieser Stelle die Leidenschaft des Achilleus noch nicht auf ihrer Höhe angelangt sei. Spence hatte ge- sagt, im Gespräch sei für Metaphern wenig Raum, jedenfalls müßten sie einfach und von dem Gegenstand nicht weit entfernt sein. Breitinger stellt nun sämtliche Stellen zusammen, wo bei Homer Gleichnisse in Reden vorkommen. Hier geht er, wie er selbst ausdrücklich bemerkt, ohne Vorbild seinen eigenen Weg. Er findet, die bildliche Rede gehöre nicbt zur Sprache der Gemütsbewegung, das ausgeführte Gleichnis nämlich ; kurze Vergleichungen seien überall am Platz. In Homers Reden, sagt er, findet sich kaum ein Dutzend Gleichnisse, und diese sind überall richtig gesetzt, nie im Momente des höchsten Affekts, sondern entweder im Munde von Personen, die in ruhiger Stimmung sind, oder deren Leidenschaft die höchste Höhe noch nicht erreicht oder bereits überschritten hat. Die Beobachtung ist vollkommen richtig und hätte, wenn Breitinger die home- rische Technik im großen hätte überschauen wollen, leicht auf die Stellung der Gleichnisse überhaupt ausgedehnt werden können. Von dem Maße und der Zahl der Gleichnisse handelt das achte Kapitel. Das Übermaß tadelt Breitinger bei Hoffmannswaldau und Lohenstein. An Homer hatte La Motte z. B. am Ende des zweiten Buches der Ilias eine zu große Häufung der Gleichnisse entdeckt, die nach seiner Meinung durch ihre Länge an- widere und die Handlung unangenehm unterbreche. Die Anklage wider- legt Breitinger, in vielfacher Anlehnung an M™® Dacier und Pope, durch den sorgfältigen Nachweis, wie passend, ja notwendig in jedem einzelnen Fall die Häufung von Gleichnissen sei. Die Einwendung von Saint- Evremond, daß uns die Gleichnisse von der Haupthandlung abzögen, sind mit den Argumenten bekämpft, die Pope in dem Essay über Homers Schlachten vorgebracht hatte. Aus dem nämlichen Aufsatze stammt, fast wörtlich übersetzt, im zehnten Kapitel die Abwehr gegen die Be- hauptung von La Motte und Saint-Evremond, Homer verwende zu oft die nämlichen Gegenstände. Neu ist bei Breitinger nur die Einführung des Begriffs des Tertium Comparationis , auf das alles ankomme. Den Hauptgedanken, daß, auch wenn dieselben Gegenstände gewählt sind, das Gleichnis sich ändert, sobald die Handlung eine andere ist, hat er Pope entlehnt.

Weniger Interesse bieten die Erörterungen über die Vergleichung großer Dinge mit kleinen und umgekehrt, und Über den Wohlstand der Gleichnisbilder, d. h. die dem Homer vorgeworfene Niedrigkeit. Es ver-

Breitinger Gleichnisse 403

dient hervorgehoben zu werden, daß Breitinger aer erste war, der in dem Gleichnis von der Mutter, die dem Kinde die Fliege abwehrt, die Absicht erkannte zu zeigen, mit welcher Leichtigkeit Athene die Gefahr von Menelaos abwendete.

Überblickt man Breitingers gesamte Leistung, so wird man un- bedenklich sagen dürfen, daß sie etwas Großartiges an sich hat. Die kritischen Gedanken der Zeit, wie sie sich bei La Motte, Saint-Evremond, Boileau, M™® Dacier, Addison, Pope, Spence finden, sind gesammelt und, so gut es möglich war, gesichtet. Wenn man, was bei Breitingers Art zu zitieren nicht immer ganz leicht war, zu jedem Satz die Vorlage ge- funden hat, so ergibt sich ein klares Bild dessen, was ihm die Vor- gänger boten, und des nicht geringen Fortschritts, den er über sie hinaus getan hat. Breitinger hat sich nicht von ihnen losmachen können; aber er hat das ganze Material vorgelegt und zum Teil richtig beurteilt. Be- sonders aber hat er für Deutschland geleistet, was Addison und Pope für England taten: er hat die Angriffe der französischen Kritik auf Ho- mer siegreich zurückgewiesen und damit dem Verständnis des Dichters den Weg gebahnt.

Noch ein sehr wichtiger Punkt ist hervorzuheben. Im neunten Kapitel, Über Neuheit der Gleichnisbilder, erklärt Breitinger, er betrachte Homer als einen Originalgeist, der seine Werke, die Muster aller vergangenen und künftigen, ohne einen Vorgänger hervorgebracht habe, und schreibt ihm deshalb die Erfindung aller Gleichnisse als dem ersten Urheber zu. Er erkennt zwar nachher die Möglichkeit von Vorgängern Homers an, glaubt aber nicht ernstlich an sie. Die wissenschaftliche Begründung seiner Ansicht fand er in dem Essay on Homer, den Parnell zu Pope's Biad beigesteuert hatte, wo jedoch der Schluß auf das Original- genie nicht gezogen ist. Breitinger ist meines W^issens der erste, der in Deutschland dieses Wort ausgesprochen hat. Es bedeutet höchst wahr- scheinlich eine Polemik gegen Blackwell, den er kannte, wenn er so stark betont, daß Homer alles sich selbst und seiner ungeheuren Wißbegierde zu verdanken gehabt habe. Nicht minder offenkundig ist in diesem Punkte die Abkehr von Dubos. Von dessen Theorie hat der Teil, der vom Genie und seinem Wesen handelt, auf Breitinger stark gewirkt, während er dessen Lehre vom Milieu abgelehnt hat.

Hatte im Buche von den Gleichnissen Homer den Mittelpunkt ge- bildet, so tritt er in der Critischen Dichtkunst 1740 etwas zurück, immer- hin so, daß er an wichtigen Punkten stark herangezogen wird. Brei- tinger entwickelt zuerst das Wesen und den Begriff der Poesie in engem Anschluß an Dubos. Als die eigentliche Aufgabe der Poesie betrachtet

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er die poetische Malerei, die lebhafte, herzbewegende Schilderung. Hier ist ihm Homer ein vorzüglicher poetischer Maler, ein Urteil, für das er Cicero und besonders die Vorrede Pope's zur Iliad anführt. Beiläufig be- streitet er das Urteil Longin's, daß in der Odyssee ein. Erkalten des ho- merischen Geistes spürbar sei, mit dem Hinweis auf den Unterschied im Ton der Gedichte, der von deren verschiedenem Stoff herrühre. An einigen Beispielen, einem Gleichnis vom Löwen, Hektors Abschied, dem Beginn des Wettrennens zeigt er, welchen Eindruck Homers anschauliche Schil- derungen in unserm Gemüt hervorzubringen vermögen. Das letzte Bei- spiel bringt ihn auf die Vergleichung mit Virgil: Homer ist viel aus- führlicher und genauer in Ansetzung derjenigen Umstände, welche dazu dienen, die Sachen sichtbar vor Augen zu führen und seinen Gemälden viel Bewegung, Handlung und Leben zu verleihen. Virgil dagegen ist viel kürzer und sucht seinen Vorteil in Beiwörtern, welche die Gestalten und Beschaffenheiten der Dinge erklären. Auf diese Parallele ist Breitinger selbständig gekommen. Dagegen entnimmt er gleich nachher der Vor- rede Pope's jene denkwürdige Vergleichung beider Dichter, die in An lehnung an Addison den Unterschied des Naturdichters vom Kunstdichter feststellt und in dem Satze gipfelt, Homer sei der größere Genius, Virgil der bessere Künstler. Daß auch hier, über Pope hinaus, der Originalcha- rakter der homerischen Poesie hervorgehoben wird, ist beachtenswert. Ist nun auch solche Erkenntnis nur zum kleinen Teil Breitingers Eigentum, so war es doch von höchstem Wert, daß sie in Deutschland einmal aus- gesprochen wurde. Dreißig Jahre später beherrschte sie alle Gemüter. Bei einem so weiten Gesichtskreis, wie ihn Breitinger aus Pope ge- wonnen hatte, setzt es einigermaßen in Verwunderung, daß er noch die epische Fabel mit der äsopischen in Parallele setzen konnte. Es geschieht dies im Zusammenhang der Erörterung vom Wunderbaren und Wahr- scheinlichen. Die äsopische Fabel ist ein lehrreiches Wunderbares und will auf eine verdeckte und angenehme Weise moralische Wahrheiten vermitteln. Den Unterschied zur epischen Fabel sieht Breitinger nur im Umfang. Diese ist in ihrem Grundriß und ersten Entwurf von einer äso- pischen Fabel, in welcher Menschen handelnd auftreten, nicht wesentlich verschieden. Nur hat die epische Fabel zur Hauptabsicht eine große und wichtige, meistens politische Wahrheit, an deren Beobachtung nicht nur die Wohlfahrt einzelner Menschen, sondern das Heil ganzer Völker hängt. Daher müssen die Hauptpersonen berühmte Helden von hohem Gemüt und Charakter und muß die Handlung, der symbolischen Ab- sicht gemäß, groß imd wichtig sein. Sie muß sich durch mancherlei unvermutete Zufälle und Verwirrungen nach und nach entwickeln, und.

Breitinger Bodmer 405

es wird in ihr durch die Dazwischenkunft und den Beistand der Götter die Würde der menschlichen Personen nicht wenig gehoben.

Das ist die Auffassung des Epos, die sich von Aristoteles und Horaz her bei den Franzosen ausgebildet hatte. Bei der Heranziehung der äso- pischen Fabel denken wir natürlich an Le Bossu. Aber dieser ist nicht genannt, die von ihm entdeckte Moral der Ilias und Odyssee nicht vor- geführt, und Breitinger sagt überhaupt nicht, worin die Lehre dieser Epen bestehen soll. Bei Gottsched hätte er das finden können, und auch die Engländer hielten ja an Le Bossu's Weisheit fest. Statt dessen zitiert er nur La Motte, der in seinem Discours Sur la Fahle die Fabel ein kleines episches Gedicht genannt hatte, das sich vom großen nur durch den Umfang unterscheide.

Wo in der Cri tischen Dichtkunst sonst noch von Homer die Rede ist, sind es wesentlich Verteidigungen gegen die Angriffe von Perrault und La Motte, die mit den Argumenten von Boileau, der beiden Dacier und Pope widerlegt werden. Es ist in diesen Stellen ein steigender Wider- wille gegen jene Kritiker wahrzunehmen. La Motte scheint ihm durch seine Homerübersetzung die stärkste Probe von der Unrichtigkeit seiner Vorwürfe gegen Homer gegeben zu haben, denn in ihr sei die Ilias zu einem Schattenbild geworden, das nicht mehr Anmut habe, als ein neben den Leib gestellter Schatten.

Das letzte Hauptwerk der Schweizer sind Bodmers Critische Be- trachtungen über die poetischen Gemälde der Dichter 1741, eine erweiterte Umarbeitung der 1727 erschienenen Schrift Von dem Einfluß und Ge- hrauche der Einhildungshraft. An der Arbeit war Breitinger stark be- teiligt. Das poetische Gemälde wird als eine kunstvolle Nachahmung der Natur definiert, durch welche der Phantasie eben so lebhafte Bilder vor- geführt werden, als die Natur sie bietet. Einen besonderen Wert legt die Schrift auf die Gemälde des menschlichen Gemüts, d. h. die Schilde- rung der Affekte. Homer ist hier nur gelegentlich herangezogen, aber einige Stellen haben für die Auffassung von ihm Wichtigkeit. Zu be- merken ist vor allem, daß er als Meister in der Kunst gilt, die Phantasie zu bereichem; denn er habe alle Geheimnisse der Natur und der Kunst in so hohem Grade besessen, daß er allen Späteren Muster wurde; man habe aber zugleich angemerkt, daß er diese große Wissenschaft auf weit- läufigen Reisen gesammelt habe. Darin ist wohl eine Anerkennung Blackwell's zu erblicken.

Sehr wichtig ist die Forderung, daß die Beschreibung nicht Selbst- zweck sein dürfe. Bodmer knüpft an die der Nausikaa-Episode nach- geahmte Szene in Posteis Wittekind an. Fatima's Zimmer ist dort mit

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Teppichen von gewirkten historischen Bildern umhangen, deren Inhalt der Poet weitläufig erzählt. Diese Erzählung, sagt Bodmer, ist an dem Orte, wo sie steht, ganz überflüssig, da sie mit der Handlung in keiner Verbindung steht. Homer hat sich wohl gehütet, in der Geschichte der Nausikaa die Aufmerksamkeit des Lesers durch eine solche Abschweifung von der Materie abzuziehen. Die Stelle ist Bodmer zwar erwünscht, um an einem deutschen Gedicht die sinnliche Kraft der Malerei mit der ebenso lebhaften Stärke der schildernden Phantasie zu vergleichen; aber es ist wichtig sich klar zu machen, wie energisch Bodmer gegen die Schilderungs- sucht des Marinismus Stellung nimmt. Doch geht er nicht so weit wie Lessings Laokoon. Die Schilderung gilt ihm für erlaubt, wenn sie mit der Handlung in Verbindung steht, und damit deckt er sich durchaus mit Homers Praxis.

In der Partie über das Angemessene verlangt Bodmer, der Dichter müsse sich mit den Zeiten, aus denen er seine Personen nimmt, bekannt machen. Homer könne man also für seine Charaktere und Sitten nicht tadeln, höchstens seine Zeit. Auch hier finden wir einen wesentlichen Fortschritt über die Apologetik von M""® Dacier hinaus. Nicht eine Ent- schuldigung sollen die rohen Zeiten füT Homer bilden; ihre Darstellung wird vielmehr gefordert. Übrigens findet Bodmer Homers Zeit nicht bäurisch, sondern eher unschuldig und einfältig. Man solle an diesen Helden nur die Klugheit, die Billigkeit, die Gastfreiheit beachten. Es sei mit der Beurteilung Dante's dieselbe Sache. Später kommt er, in der Besprechung der Modernes, auf die Sache zurück. Vernunft, Ver- stand und Billigkeit, sagt er, erfordern, daß man von einem Dichter keine anderen Gemälde erwarte als die seiner Zeit und seines Landes, und daß sich der Leser in diese Zeiten versenke. Die alten Dichter hätten eben die prophetische Gabe nicht gehabt, die Gemütsart und die Ge danken der folgenden Zeiten vorauszusehen.

An eine berühmte Stelle des Laokoon erinnern zwei Wahrnehmungen Bodmers. Er sagt, in dem materialischen Reiche habe der Gesang für die Ohren ebensoviel Annehmlichkeit, als die Farbe für die Augen. Ein Beispiel biete Demodokos, der wohl eher für einen trefflichen Poeten als für einen Virtuosen zu halten sei. Beide Male, wo er auftrete, beschreibe Homer neben einem allgemeinen Lobe seine Geschicklichkeit nach der Wirkung, die sie auf die Zuhörenden, vornehmlich auf Odysseus, gehabt habe. Ebenso habe Homer den Tanz der Phäaken nicht eingehend ge- schildert, sondern ihre Geschicklichkeit darin nach der Wirkung auf Odysseus gezeichnet, dem zu Ehren der Ball angestellt worden war. Es ist mir wahrscheinlich, daß Bodmer hier von Spence angeregt war.

Bodmer 407

Die Frage nacli dem Verhältnis Virgils zu Homer erörtert Bodmer an der Vergleicliimg der Seestürme des fünften Buches der Odyssee und des ersten der Aeneis. Er findet beide Schilderungen, den Voraus- setzungen gemäß, vortrefflich. Virgil hat die meisten Umstände aus Homer entlehnt, aber anders verbunden, und das gereicht ihm zum Lobe; dagegen scheinen Bodmer seine Zusätze überflüssig oder gesucht. In der Vergleichung der Stürme des zwölften Buches der Odyssee und des dritten der Aeneis nennt er Virgil einen sehr geschickten Übersetzer; er rechtfertige das Urteil des Macrobius, nach welchem Virgil Homers Verse so in sein eigenes Werk übertragen habe, daß man sie für die seinigen halten müsse.

Die Vergleichung des Zorns des Agamenmon und des Mezentius führt Bodmer auf den Unterschied der Sittenlehrer von den Dichtem, über den er sich in einer merkwürdig freien Weise ausspricht. Jene, sagt er, schildern die schlimmen Affekte, um uns einen Abscheu vor dem Laster beizubringen; diese wollen sie uns nur lebhaft vor Augen führen. Und wie uns der wahre Anblick eines Menschen im Affekt in einen gleichen Affekt setzt und uns seine Partei ergreifen läßt, so tut das auch die geschickte Schilderung nach dem Leben und der Natur. Mithin gilt es dem poeti- schen Maler als solchem gleich viel, ob die Geberden und Gesichter, die er abmalt, von der Tugend oder dem Laster herrühren, ob sie anmutig oder häßlich seien. Nur gibt Bodmer zu, die Dichter könnten, bei eigenen moralischen Absichten, ihre Gemälde zu vortrefflichen Sittenlehren machen.

Es könnte nach dieser Äußerung befremden, daß Bodmer zehn Jahre später sehr entschieden von dem moralischen und politischen Charakter der Odyssee spricht. Dies geschieht in dem Brief über Homers lustige Stücke 1750, der im Archiv der schweizerischen Kritik abgedruckt ist. Bodmer verteidigt Homer gegen allerlei nicht neue Angriffe junger Leute mit Argumenten, die ebensowenig neu sind. Nach den Darlegungen in den Poetischen Gemälden könnte der kleine Aufsatz mit der Verteidigung homerischer Charaktere und Sitten höchst zwecklos erscheinen, wenn eben nicht die Hervorhebung der Odyssee als eines moralischen Werkes da wäre. Den Gedanken und den daraus gezogenen Schluß, die Odyssee könne nicht so farbenprächtig sein wie die Ilias, fand Bodmer in Spence's Essay on Fopes Odyssey, der 1737 in zweiter Auflage erschienen war^ und den schon Breitinger gelegentlich benutzt hatte. Er hat offenbar auf Bodmer stark gewirkt, denn er beherrscht fast sämtliche Aufsätze des Archivs. Genannt wird er aber nirgends. Das ist wohl der Grund, warum der folgende Aufsatz des Archivs Mastigophel über Homers Sprache 1751 ganz falsch aufgefaßt worden ist.

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Homer, sagt Mastigophel, ist ein großer Meister im Erdichten, steht aber in poetischen Redensarten weit hinter unsern guten Poeten zurück. Was man bei ihm Poetisches findet, sind Vorzüge der Sprache viel mehr als des Dichters, der, wenn man von den sprachlichen Hilfsmitteln ab- sieht, insgemein gute Prosa schreibt. Das wird sofort klar, wenn man z.B. den Anfang der Odyssee in Prosa übersetzt; diese prosaische Sprache würde auch im Hexameter nicht poetischer werden. Pope, der Homers Schreibart über die Prosa zu erheben trachtete, ist darin meist sehr glücklich gewesen, hat aber nicht verhüten können, daß sich aus Homers Schreibart einige hundert prosaische Verse in seine Übersetzung ein- geschlichen haben. Zum Beweise gibt Mastigophel die Probe einer pro- saischen Übersetzung der Pope'schen Odyssee. Er macht dann einen Vor- schlag, wie man über Pope hinaus zu einem wirklich poetischen Homer gelangen könnte. Er ist von der Aussicht ganz begeistert, in wahrhaft poetischer Sprache die prosaische Odyssee des blinden Griechen wieder- zugeben. Wenn man sieht, daß jene Probe im Stile des von Bodmer zeitlebens bekämpften Marinismus gehalten ist, so versteht man nicht, wie jemand die ironische Absicht verkennen konnte. Der ganze Aufsatz geht gegen Spence und seine Überschätzung Pope's. Spence hatte durch seine Nachweise, wie oft Pope den Homer verschönert und erhoben habe, selbst der Kritik die Waffen geliefert. Ganz gleich ironisch ist es, wenn Mastigophel hofft, man werde nichts gegen das Lob der Verehrer Pope's einzuwenden haben, daß er zu Homer etliche kurze Züge hinzu- getan habe.

Nicht unter der Maske der Ironie, sondern direkt bekämpft Bodmer die Behauptung von Spence, daß die Worte des Zeus, Here würde ihren Zorn gegen Troja erst besänftigen, wenn sie Priamos und deren Söhne roh verschlingen könnte, erst durch Pope in einer des Zeus würdigen Weise wiedergegeben seien. Spence hatte zwar nicht direkt den Homer der Plattheit beschuldigt, sondern nur seine früheren Übersetzer. Da aber diese Homers Worte genau wiedergaben, so fällt der Tadel auf den Dichter zurück. Sehr fein gibt Bodmer den Kritikern zu bedenken, daß unsern Nachkommen auch der artige Pope die nämlichen Angriffspunkte bieten und man alsdann auch seine Plattheiten zu erheben gezwungen sein werde; denn man könne nicht wissen, zu welchem Gipfel der Delikatesse die Menschheit sich noch aufschwingen werde. Er hält es für das allein Richtige, daß sich der Übersetzer ganz in Homers Denkart, seine Charaktere, Sitten und Personen versenke, da noch genug Schönes und Erhabenes übrig bleibe, das den Ekel gegen Roheiten seines Zeitalters nicht über- hand nehmen lasse.

Bodmer Sulzer 409

Es wäre besser gewesen, Bodmer hätte sicli seinen Gegner mit dessen Namen gehörig vorgenommen, in der Weise Lessings, statt gegen einen Schatten zu polemisieren. Er hätte ihm dann auch da, wo er ihm An- regungen verdankt, Gerechtigkeit widerfahren lassen können. Denn das war reichlich der Fall. Die ganze Schrift An Chaereas von vermischten Schönheiten 1751 ist eine Zusammenstellung der vielen feinen Beobach- tungen Spence's über Homer, zu denen Bodmer auch nicht einen einzigen Gedanken beigesteuert hat. Er beginnt mit dem Satz: „Jener hat recht gesagt, der schöngte Weg, einen Scribenten zu loben, sei der, daß man hie und da einige Fehler an ihm aussetze." „Jener" ist Spence, der dann vollständig ausgeplündert wird. Der von Kleon erhobene Vorwurf des Plagiats trifft hier in vollem Umfang zu.

Auch zu dichterischen Versuchen wurde Bodmer später durch Homer begeistert. Sein Trauerspiel Patroclus 1772 ist eine Dialogisierung der Ereignisse der Patroklie mit strenger Beobachtung der drei Einheiten. Der dichterische Wert ist nicht groß, doch sieht man, wie sehr dem Verfasser jede Einzelheit der Ilias zugebote steht. Ganz anmutig ist der Hymnus, den Diomede und Iphis auf Achilleus und Patroklos singen, und che Anordnung des Stoffes ist geschickt.

Das Gedicht Telemach 1774 ist die in eine Rahmenerzählung eingelegte Rekapitulation der Phäakenepisode in Hexametern. Nausikaa wandelt, in Erinnerung an Odysseus versenkt, an den Ort, wo sie ihm begegnet ist, und findet da den Telemachos, der auf der Suche nach dem Vater auch nach Scheria gelangt war. Er erzählt ihr seine Fahrt zu Menelaos, sie antwortet mit dem Bericht über den Besuch des Odysseus.

An die Zürcher schließe ich Johann Georg Sulzer an, der sich in seiner Allgemeinen Theorie der Schönen Künste 1771 auch über das Epos ausspricht. Im Artikel Held polemisiert er wesentlich gegen Shaftes- bury, der einen vollkommen tugendhaften epischen oder tragischen Helden nicht anerkennen wollte. Sulzer findet nur, es sei unendlich schwerer einen solchen interessant zu machen als einen durch heftige Leidenschaften aufgebrachten. Das Epos sucht er aus seiner Entstehung zu erklären. Er macht es Aristoteles und überhaupt der Kritik zum Vorwurf, daß sie Homers Gedichte zu Mustern einsetzten, ohne zu bedenken, was darin notwendig und natürlich, und was zufällig sei, so daß dieser Teil der Poetik mit willkürlichen oder falschen Regeln und Vorschriften überhäuft wurde. Er unterscheidet also zwischen den natürlichen Grundlagen des Epos und dessen künstlerischer Ausbildung und findet jene in dem Trieb, große Begebenheiten darzustellen. Solche wurden bei rohen Völkern durch alljährliche Feste gefeiert, bei denen die heimischen Heldentaten zuerst

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durch die Helden selbst oder Augenzeugen, später durch Leute von leb- hafter Phantasie erzählt wurden. Aus diesen bildete sich der Stand der Barden. Die Erzählung war durch Musik begleitet, wodurch das metrische Element hinzutrat. Der Barde sang nur eine einzige Begebenheit, die kurz, einheitlich und unter starker Hervorhebung des Helden vorgetragen wurde. Dieser Versuch, für die Entstehung des Epos die Sitten wilder Völker heranzuziehen, ist etwas ganz Neues. Man könnte an Benützung von Brown denken, aber dann wäre nicht recht verständlich, warum Sulzer dessen schöne Überleitung von einem solchen Festvortrag zum großen Gedicht unbeachtet gelassen hätte. Bei ihm geraten wir durch einen Sprung in das vollkommene Epos hinein. Die Einheit der Handlung wird, nach- dem sie historisch motiviert ist, auch theoretisch als dringend notwendig erwiesen. Einfach müsse ferner die Handlung sein, weil dadurch der Dichter für eine breite Darstellung des Wesentlichen Raum gewinne. Daher setzt Sulzer die Ilias über die Aeneis, mit einer überraschenden Begründung. Die Aeneis, sagt er, beschäftigt nämlich die Einbildungskraft weit mehr als den Verstand und das Herz, und der Dichter hatte so viel weniger Zeit und Kraft Menschen zu schildern, je mehr Arbeit er auf solche Schilderungen anwenden mußte, die bloß die Phantasie erregen. Nach Sulzer besteht nämlich die Absicht des Epos darin, den Gemütern große Empfindungen einzuflößen und die Hörer zu großen Menschen zu machen, und diese Absicht wird durch zu lebhafte Erregung der Phantasie ge- fährdet. Er merkt aber, daß man darin einen Tadel der Odyssee finden könnte, und verteidigt deren Mannigfaltigkeit an sinnlich wirksamen Szenen damit, daß der Dichter nur einen Menschen zu schildern hatte, den er, um dessen Charakter ganz zu entfalten, durch mancherlei Abenteuer hin durchführen mußte.

Von Bedeutung ist, daß Sulzer die Theorie Le Bossu's ablehnt. Das epische Gedicht müsse nicht durch die Begebenheiten und den Erfolg der Dinge lehrreich sein; diese Art des Lehrreichen biete die Geschichte. Wenn man die Ilias in eine bloße Erzählung verwandle, so könnte sie wohl einige kalte Lehren enthalten. Die wahre sittliche Kraft der Ilias liege in den Handlungen und der Sinnesart der Personen, deren Grund- sätze dadurch erkannt würden, und an denen man sich im Guten und Schlimmen ein Beispiel nehmen könne. Auf den Stoff des Epos kommt Sulzer wenig an. Wenn es einst kriegerisch war, so ging schon die Odyssee davon ab, so daß also dem epischen Dichter mannigfache Stoffe zur Verfügung stehen. Auch auf kleinere Gegenstände kann der epische Stil angewendet werden, wie des Musaios Gedicht Hero und Leander oder aus der neueren Zeit Bodmers Jakob beweisen. Von schöner freier Denkart

Sulzer Studium des Griecliischen 411

zeugt es, daß Sulzer neben Homer und Yirgil zu den seltenen großen Epikern Milton und Klopstock, Tasso, Dante und Ariost, auch Bodmer zählt. Vieles andere geht nicht über die landläufigen Theorien hinaus. Wir sehen einen Mann vor uns, der sich von ihnen noch nicht frei ge- macht hat, aber über sie hinausstrebt und selbständig zu werden sucht. Gottsched wie den Zürchern gegenüber bedeutet Sulzers Auffassung des Epos einen unleugbaren Fortschritt.

Den großen Aufschwung, den die Kenntnis des Altertums und be- sonders Homers in der nächsten Zeit nahm, bereiteten die energischen Bemühungen um eine Verbesserung des Unterrichts imGriechischen vor. Die Wendung ist auch in Frankreich und Italien zu verspüren; England steht bereits seit Anfang des Jahrhunderts auf der Höhe. Für Deutschland wurde es von besonderer Bedeutung, daß die griechischen Studien in den Niederlanden neu aufblühten. Hier war zwar die philologische Wissenschaft nie erloschen, aber sie hatte sich während des 17. Jahrhunderts fast ausschließlich dem römischen Altertum zuge- wandt. Diese Zeit brachte noch die großen Sammlungen eines Gronovius und Graevius hervor, hatte aber keine iimere Verbindung mit dem Hel- lenentum. Da war es Hemsterhuys, seit 1704 Professor in Amsterdam, der, ein neuer Joseph Scaliger, „die fliehenden griechischen Musen zurück- hielt". Unter seinen Schülern Valckenaer und Ruhnken, an die sich Wyttenbach anschließt, entwickelt sich die griechische Wissenschaft mächtig und wirkt namentlich auf Deutschland belebend.

Als Valckenaer 1741 mit sechsundzwanzig Jahren den Lehrstuhl in Franeker bestieg, untersuchte er in seiner Antrittsrede die Ursachen der auffallenden Erscheinung, daß die griechischen Studien je länger je mehr zurückgetreten seien, während der allgemeine Wissensdrang die übrigen Wissenschaften aufblühen ließ und sich auch die lateinische Philologie reicher Pflege erfreute. Zunächst macht er die Theologen ver- antwortlich, welche die Kenntnis der griechischen Profanschriftsteller für unnütz ansahen, sodaim die törichte Meinung, als ob frühere Genera- tionen das Wissenswerte aus den Werken der Griechen längst ausgeschöpft hätten; die Verwerfung des freien Urteils, durch das sich die Engländer so sehr über alle Nationen erheben; die Spöttereien über das Altertum; den wohlfeilen Spott über die philologische Kritik, als ob nicht diese, in ihrem wahren Sinne genommen, durch die Erklärung der historischen Erscheinungen den Geist erst urteilsfähig machte; sodann die ganz un- berechtigte Präponderanz des Lateüiischen. Einen besonderen Anteil am Rückgang des Griechischen schreibt Valckenaer den lateinischen Über-

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Setzungen zu, in deren trübem Gewässer die Leute ihren Wissensdurst löschten statt an den Quellen; aus denen Halbwisser die Mittel nehmen, um die Originale zu besudeln; und deren Dürre vom Studium der grie- chischen Literatur abschrecken muß. Was kann es, ruft er aus, Unklareres, Nüchterneres, Abgeschmackteres, Ekelhafteres geben als einen lateinischen oder französischen Homer? Reicht doch das Lateinische nicht einmal für eine Übersetzung Piatons aus, geschweige für die Schönheiten der Dichter. Bei den Historikern ist es nicht anders. Nicht nur geben die Übersetzungen kein Bild von der Eigenart ihres Stils, sie verbreiten auch durch ihre Fehler bedauerliche Irrtümer. Endlich beklagt es Valckenaer, daß der griechischen Wissenschaft die Gunst der Mächtigen fehle, die in der Zeit der Renaissance ihr Aufblühen so mächtig gefördert hatte.

Was Valckenaer aufführt, deckt sich zum Teil mit Le Clerc, der aber die Übersetzung noch für ein gutes Mittel ansah in das Original einzudringen. Die Übersetzungen hatte am Ende des 17. Jahrhunderts auch Rollin für den Mangel an Literesse an den Griechen verantwortlich gemacht. Schwerlich ganz mit Recht. Die Übersetzungen von Pope und Voß fallen doch gerade in Zeiten des lebhaftesten Aufschwungs der griechischen Studien und haben diese nicht beeinträchtigt. Richtig ist dagegen Valckenaers Beobachtung, daß Dilettanten wie Perrault und Desmarets aus schlechten Übersetzungen Angriffe gegen die Originale zusammengezimmert haben. Was Le Clerc als Ursache für den Rückgang des Griechischen besonders hervorhebt, die kirchliche und politische Reaktion, hat Valckenaer nicht berücksichtigt; man möchte gerne wissen, warum nicht.

Seine Rede ist ein Programm für die energische Aufnahme der durch Hemsterhuys begründeten Studien. Es klingt wie ein Kriegsgesetz, wenn er den Studenten, die wirklich etwas lernen wollen, alle Förderung ver- heißt, den andern aber bedeutet, daß sie hier nichts zu suchen hätten. Von seiner imposanten wissenschaftlichen Tätigkeit zu sprechen, ist über- flüssig. Es möge nur erwähnt sein, daß er zuerst eine im modernen Sinn wissenschaftliche Ausgabe eines homerischen Stückes unternahm, des 22. Buches der IHas, 1747. Auf der Grundlage von Clarke gestaltet er den Text durch Vergleichung der besten Ausgaben und berichtigt eine größere Reihe von Fehlem bei Barnes und andern. Hauptsache ist ihm eine kritische Ausgabe der in einer Leydener Handschrift enthaltenen Schollen, als Probe einer wissenschaftlichen Gesamtausgabe dieser antiken Er- klärungen.

Die nämlichen Bestrebungen wurden damals auch in Deutschland immer lebhafter. Sie knüpfen sich vor allem an den Namen Matthias Gesner, der entgegen dem hergebrachten Schulbetrieb die Forderung

Valckenaer Gesner Breitinger 413

aufstellte, man müsse die antike Literatur nicht studieren, um sie nach- zuahmen, sondern um sie zu genießen und Urteil und Geschmack an ihr zu bilden. Die Alten sollen wirklich gelesen, nicht als Grundlage gram- matischer und rhetorischer Übungen behandelt werden. Die Griechen stellt er weit über die Römer; aber Griechisch soll man nicht lernen um es zu schreiben, sondern nur um es zu verstehen. Daher soll nach den Elementen der Formenlehre gleich mit der Lektüre begonnen werden. Am liebsten würde er mit Homer beginnen; aber er sieht den Wider- stand der Theologen voraus, die, ein Zeichen für ihre Kenntnis des Grie- chischen, den Stil des Neuen Testaments für den reinsten und schönsten halten. So will er also auch weiterhin mit dem Neuen Testament beginnen, dann aber auch profane Schriftsteller lesen und zwar in ganzen Stücken. Zu diesem Zwecke hat er seine GJirestomathia Graeca 1731 zusammen- gestellt, die nur Prosaiker umfaßt. Schriftsteller, von denen zugängliche Ausgaben vorhanden waren, unter ihnen auch Homer, sind nicht auf- genommen.

Zu der weitem Entwicklung dieser Dinge in Deutschland weiß ich der auf ein gewaltiges Material gegründeten Darstellung Paulsens nichts beizufügen. Ich möchte nur kurz von den dort nicht berücksichtigten Verdiensten Breitingers um den griechischen Unterricht sprechen, da dies mein Thema näher angeht. Mit dem ganzen Feuer seines Wesens hat Breitinger die Anregungen Gesners und Valckenaers übernommen und, wie er zu tun pflegte, selbständig weiter entwickelt. In seiner Antritts- rede als Professor des Griechischen 1745 untersucht er, nach gebührender Würdigung der griechischen Sprache, die Ursachen, warum ihr Studium so sehr vernachlässigt worden sei, und findet sie einmal in dem ge- meinen Nützlichkeitsstandpunkt, den er herzhaft verspottet, sodann darin, daß die Leute glauben, sich mit den lateinischen Übersetzungen begnügen zu können, was doch nur eine Ausrede der Faulheit sei. Wenn sie diese Machwerke wirklich kennten, würden sie weniger günstig darüber urteilen. Es sind mehr Metamorphosen als Übersetzungen. Was würde man sagen, wenn man Opitz oder Haller in einer derartigen Übersetzung lesen müßte, wie der unglückselige Homer übersetzt ist. Es gibt gewiß vorzügliche Übersetzungen Homers, die von M"'® Dacier, Pope, Salvini; aber diese Übersetzer haben selbst bekannt, daß sie die Schönheiten des Originals nicht erreichten. Das Studium des Originals wird dadurch nicht überflüssig. Gleich Gesner wendet sich Breitinger heftig gegen die dem Text gegen- über gedruckten lateinischen Interpretationen. Es tut sich da ein starker Wandel der Anschauungen kund. Was in den Zeiten des Humanismus als wertvolle Unterstützung des privaten Fleißes geschätzt worden war,

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wird jetzt als schnöde Eselsbrücke verworfen. Breitinger verurteilt wie Gesner den öden und fruchtlosen Schulbetrieb; seine lebhafte Schilderung- verdankt ihre Schärfe ohne Zweifel der eigenen Erfahrung. Er hat für die Schüler ebenfalls eine Chrestomathie, Eclogae betitelt, 1749 drucken lassen.

Breitinger hat die Erfüllung seiner Wünsche noch erlebt. Die zürche- rische Schulordnung von 1772, über die wir den schönen Bericht von Leonhard Usteri haben, sollte „die einseitig philologische Schulbildung zu einer mehr allgemein humanen ausweiten und auch jene selbst aus der grammatikalisch-formalen Beschränkung zu einem humanen Bildungs- mittel umgestalten." In drei Schulreden hat Breitinger die Ziele der neuen Schule beredt auseinandergesetzt. Für das Griechische und zumal Homer war Raum geschaffen. Breitinger suchte auf alle Weise den neuen Unter- richt zu fördern, indem er auf geeignete Lehrmittel hinwies. Schon 1761 hatte auf seine Anregung hin Johannes Schaufelb erger eine Nova Clavis Hotneriea verfaßt, einen vollständigen grammatischen und sach- lichen Kommentar, der freilich mit seinen acht Bänden weit über das Bedürfnis der Jugend hinausging. Als eine Frucht aller Bestrebungen der Zürcher läßt sich der Aufsatz von H. Wyß über die Ilias ansehen,, der in seinem ersten Teile zwar mehr nur in einer Übersicht über schon vorhandene Urteile besteht, im zweiten aber die Szenen der Freundschaft zwischen Achilleus und Patroklos und die Klage der Andromache schön und einsichtig erklärt.

Noch war die Fehde zwischen Leipzig und Zürich in vollem Gange,, als das von den Schweizern so eifrig gewünschte deutsche Epos in Klo p- stocks Messias erschien. Die ersten drei Gesänge traten 1748 an die Öffentlichkeit; 1751 wurden zehn Gesänge, die bis zum Kreuzestod reichen,, in einem Bande vereinigt herausgegeben.

Klopstock war wesentlich von Milton inspiriert, aber Eingang und Anlage erinnern viel mehr an Yida's Christias als an das Verlorene Para- dies. Klopstocks Biograph Muncker hält es für möglich, daß jener Vida gekannt habe, gibt aber zu, in dem, was beide gemeinsam haben, könnte am Ende auch nur ein Spiel des Zufalls vorliegen. Das wäre indessen ein sehr eigentümlicher Zufall. Denn die Übereinstimmung beschränkt sich keineswegs auf einzelne Züge, sondern auf die Grundlagen der Ge- dichte. Es versteht sich doch nicht ohne weiters von selbst, daß sich ein Gedicht vom Messias auf die Passion beschränkt. Hier kann man erklären, Klopstock habe gleich Vida die Lehre des Aristoleles und Horaz befolgt, daß die Handlung streng einheitlich sein müsse und nicht etwa das ganze

Schaufelberger Wyß Klopstock 415

Leben des Helden umfassen dürfe. Aber wie will man es deuten, daß sich bei beiden Dichtern die Hölle erst mit dem Beginn der Passion zum Streite rüstet und die Passionstage zu einem Kampf zwischen Gott und dem Satan werden? Das war weder durch die Evangelien noch durch Milton gegeben, sondern es ist Vida's kühne Darstellung, durch die denn auch Klopstock bestimmt worden ist. Der Beginn des Kampfes ist in beiden Epen ganz derselbe. Wie bei Vida, versammelt der Satan die Teufel zur Versammlung; wie bei ihm, steigen sie auf die Oberwelt und schrecken in Träumen die Hohenpriester; Satan selbst verführt im Traum, in Gestalt seines Vaters, den Judas zum Verrat. Bei beiden hält in der Versammlung der Priester Nicodemus eine Verteidigungsrede für Jesus, ein Zug, der den Evangelien fremd ist. Klopstock beginnt mit der Aus- rufung „Schöpfer Geist!" wie Vida mit „Spiritus alme!", und bekennt wie dieser vor der Schilderung der Verurteilung Jesu seine Ohnmacht dem heiligen Stoff gegenüber. Auf weitere Ähnlichkeiten im einzelnen möchte ich weniger Gewicht legen. Aber auf Wirkung Vida's ist es gewiß zu- rückzuführen, wenn Klopstock so lange nicht fertig werden konnte. Vida hatte im letzten Buch, kurz und geschlossen, die Ereignisse zwischen Ostern und Pfingsten erzählt. Dringend notwendig war das auch bei ihm nicht gewesen. Klopstock hat nach der Auferstehung noch sechs Bücher gedichtet, mit erlahmender Kraft, offenbar in der Überzeugung, das dem Stoffe schuldig zu sein. Wenn sich die Übereinstimmung nicht weiter erstreckt, so liegt das an der fundamentalen Verschiedenheit der beiden Dichter. Bei Vida ist alles Kraft, Leben, Gegenständlichkeit; bei Klopstock alles Gefühl, Rede, Gebet; er scheut sich ordentlich vor der Erzählung von Tatsachen und flüchtet sich beständig in die Sphären der Reflexion. Durch die Reden und Gefühle der Zuschauenden nehmen wir, gleich wie durch etuen Nebel, die Ereignisse wahr. Da konnte Vida nicht Führer bleiben.

Mit dem Gesagten steht die Frage nach der Wahl des Versmaßes ohne Zweifel im Zusammenhang. Der Messias ist das erste deutsche Ge- dicht im Hexameter, dem Verse Homers. Aber Klopstock nahm den Vers nicht unmittelbar aus dem griechischen Dichter. Er hatte die seruem erhabenen Stoff entsprechende Form lange zu suchen und war nach mannig- facher Überlegung zuerst entschlossen, sein Epos gleich Fenelon's Tele- maque in Prosa abzufassen. Endlich entschied er sich 1746 für den Hexa- meter. Es ist schwer glaublich, daß für seine Wahl die zehn Verse, die Gottsched in diesem Metrum aus der IHas übersetzt hatte, bestimmend gewesen seien. Denn Gottsched hatte den Vers nicht für die freie Dich- tung, sondern für die Übersetzung Homers vorgeschlagen. Breitinger

416 Deutschland und 'die Schweiz

zitiert in der Critischen Dichtkunst wohl Maffei, der den antiken Hexa- meter für den neuen Maßen überlegen erklärt hatte, war aber selbst weit davon entfernt, ihn den Deutschen zu empfehlen. Bei Vida nun fand Klop- stock wie den Plan, so die passende Form für sein großes Werk. Für die Gestaltung des Verses ging er jedoch über Vida und dessen Muster Virgil auf Homer selbst zurück.

Er hatte in Pforta ein Glück genossen, das wenige Zeitgenossen mit ihm teilten; er war nicht nur in die Sprache, sondern auch in den künst- lerischen Gehalt der Alten eingeführt worden und hatte früh die Über- legenheit der Griechen, als der erfinderischen Schöpfer des Schönen, über die Römer erkannt. Seine in Pforta gehaltene Abschiedsrede preist Homer, den Bruder der Natur, dem Virgil ebenbürtig folgen würde, wenn er nicht sein Nachahmer wäre. Beklagenswert sind ihm beide ihres heidnischen Irrglaubens wegen, da sie des Christentums so würdig gewesen wären.

So sehr ihm Homer in der Form vorleuchtete, wie er denn auch oft dessen Beiwörter übernahm er zuerst hat im Deutschen von „ge- flügelten Worten" gesprochen so hat er doch dem griechischen Dichter stofflich weit weniger entlehnt, als es Vida tat. Außer der von Muncker namhaft gemachten Stelle von dem toten Elisama, dem sein Hund noch die Hand leckt, um darauf ebenfalls zu sterben, einer Stelle, die an den treuen Hund Argos der Odyssee erinnert, finde ich nur zweimal größere Anklänge. Der Seraph Selia läßt sich von dem Seraph Orion die Jünger erklären, wie Priamos von Helene die Achäerhelden; und Philo's Anrufung von Moses Geist ist nach dem Gebet des Glaukos an Apollon gestaltet.

Die Gleichnisse sind der Form nach homerisch, haben aber meistens nicht die Vorgänge in Natur und Menschenleben, sondern die Gefühls- welt zum Inhalt. Muncker hat Klopstock dafür Verkennung des Charakters des Gleichnisses vorgeworfen und zu ergründen versucht, auf welchem Wege er zu dieser vollständig neuen Behandlung gekommen sei. Das ist wohl nicht berechtigt. Wenn irgendwo, so zeigt sich in den Gleichnissen Klop- stocks allem Gegenständlichen abgewandte, rein lyrische Art. Und dann ist es eine Verkennung des Gleichnisses, wenn man es vorwiegend als Erläuterung eines erzählenden Momentes auffaßt. Diese ist wohl nirgends wirklich notwendig, und Breitingers Irrgänge beweisen, wohin man mit dieser Auffassung gelangt. Das Gleichnis ist ein Ausfiuß des überquellen- den poetischen Enthusiasmus. Es strömt der Phantasie des Dichters aus der Fülle der von ihm geschauten Bilder zu, als Schmuck und Ausführung des in der Handlung enthaltenen Gedankens. Wenn nun die Welt eines Dichters das Gemütsleben ist, so wird er von selbst, ohne Plan und Absicht, seine Bilder diesem entnehmen, und wie uns Homer aus dem

Klopatock Bodmer 417

Wirrwarr der Schlachten in die sonnige Natur und das rege Getriebe der Menschen entführt, so Klopstock in die Welt seiner Gefühle und über- sinnlichen Gedanken. Dazu hat er das Recht, ein Recht, das nachmals auch Lenau mit höchster Wirkung für sich in Anspruch genommen hat.

Den ersten begeisterten Propheten und zugleich den ersten Nach- ahmer fand der Messias in Bodmer. Ihm hatte das Verlorene Paradies früh den Gedanken an ein biblisches Epos nahe gelegt, und er hatte schon 1742 an eine Darstellung der Geschichte Noahs gedacht. Die Form fand er, nachdem der Messias erschienen war. Die erste vollständige Ausgabe der Noächide erschien 1752, eine umgearbeitete, verbesserte 1765. Das Urteil über das Gedicht geht übereinstimmend dahin, es sei eine venmglückte Nachahmung, und sein Verfasser habe sich gröblich ge- täuscht, wenn er sich für einen Dichter hielt. Sicherlich ist vieles daran zu schelten, neben zahlreichen Geschmacklosigkeiten im einzelnen die aufdringliche Gelehrsamkeit und die satirische Zeichnung der Gegenwart unter dem Bilde grauer Vorzeit, oft auch Trockenheit und Einförmigkeit. Dennoch liest es sich nach meiner eigenen Erfahrung in weiten Partien durchaus angenehm. Der Stoff ließ eine große einheitliche Handlung nicht zu, so daß der Dichter, nachdem er ihn einmal gewählt hatte, von selbst auf episodische Behandlung angewiesen war. Darin liegt nun gerade die Begabung Bodmers. Die idyllischen Szenen sind oft von wirklicher Schönheit. Muster waren ihm für das Ganze Klopstock und Milton, für die Schilderung der Sitten einer patriarchalischen Vorzeit Homer. Die Anregungen, die er diesem verdankt, hat er selbst in dem ironischen Brief des Zoilus Teiito an Colon zusammengestellt. Es sind ihrer nicht viele, und die Liste ist, abgesehen von Anklängen im einzelnen, ziemlich vollständig. Der homerische Schmuck ist nicht ausgeplündert, wie bei Trissino oder Postel, sondern maßvoll verwendet. Auch für die patriar- chalischen Sitten ist zwar die Odyssee im allgemeinen das Vorbild, aber die Einzelzüge sind selbständig durchgeführt. Dem Streben nach home- rischer Einfachheit und Natürlichkeit entspricht die Wahl der Stoffe für das Gleichnis; sie sind der realen Welt und der Geschichte entnommen, zuweilen recht glücklich behandelt und geben dem Gedicht einen von Klopstock verschiedenen, verständlicheren Charakter.

Der Noachide folgte eine Sintflut von biblischen Epen. Zu ihnen gehört Wielands Prüfung Abrahams 1753. Wieland hatte schon 1751 das Fragment seines Epos Hermann an Bodmer geschickt. Angeregt war auch er durch Klopstock, dessen Messias er über die Ilias stellte. Doch hat er nach seinem eigenen Geständnis 1751 den Homer noch nicht im Original lesen können. Seine Vorlage für den Hermann war

Finsler: Homer in der Neuzeit. 27

418 Deutschland und die Schweiz

die Aeneis. An Homer klingen vielleiclit, wie Doell auseinandersetzt, einige Stellen an, docli scheint ilim der griecliisclie Dichter mehr nur für das Kolorit der Schilderung in Betracht zu kommen. Ich finde im Hermann herzlich wenig von homerischem Kolorit, und wenn Doell ver- mutet, Wieland möchte die Jugendgeschichte des Achilleus, die derjenigen Hermanns zugrunde liegt, in der Schule gehört oder in Schulbüchern gelesen haben, so dürfte sich das mit dem ganzen Inhalt der homerischen Epen nicht anders verhalten. Auf den weiteren Entwicklungsgang Wie- lands hat Homer, so viel ich sehe, nicht gewirkt. Seine griechischen Romane zeigen ein Altertum, das alles, nur nicht griechisch und nament- lich nicht homerisch ist. In späteren Jahren hat sich seine Poesie dem Romanzo zugewendet, der sonst in allen Ländern abgestorben war, und den auch Hurd's Beredsamkeit nicht wieder zum Leben erweckt hatte. Die bedeutendste und schönste Frucht seiner romantischen Poesie, der Oberon, 1780, mißt sich zwar an poetischer Kraft nicht mit Ariost oder Spenser, gewann sich aber mitten im klassischen Deutschland einen ehren- voll behaupteten Platz.

In denselben Jahren, da die Zürcher mit den Leipzigern in bitterer Fehde lagen, eroberte sich in der stillen Schule zu Seehausen Winckel- mann seine Kenntnis Homers und seine Anschauung von der Griechen- schönheit. Er war 1735 nach Berlin gegangen, weil er gehört hatte, daß dort Griechisch gelehrt werde, hatte bei dem Rektor Damm die Anfangsgründe der Sprache und den Homer kennen lernen und bildete in Seehausen seine Kenntnisse aus. Es wurde ihm verargt, daß er in der Predigt den Homer las; während der niederen Schulstunden betete er homerische Gleichnisse. „In norddeutscher Nacht und Nebel fühlte er die Glut des ionischen Himmels in den Versen des Dichters, der mit der höchsten Grazie begabt war." Homer blieb durch sein ganzes Leben sein Führer. In der Auffassung des Dichters ist er nicht durchaus ein Ver- künder von etwas Neuem; huldigte er doch in der allegorischen Erklärung der Götter, wie sie Damm ihm vorgetragen hatte und er sie durch Gravina bestätigt fand, noch älterer Anschauung. Aber wenn er den Homer als den unübertroffenen Maler preist, so geht er, so sehr das an Bodmer und Breitinger erinnert, weit über diese und Dubos hinaus. Im homerischen Bilde zeigte sich ihm die griechische Schönheit, zu deren Propheten er berufen war. Ihn entzückte vor allem der sinnliche Eindruck, den er durch die Schilderung und mehr noch durch die Sprache Homers empfing. Aus deren Wohllaut, der Wahl und Zusammensetzung der Vokale und Konsonanten, ging für ihn untrüglich hervor, wie schön der ionische Körper

Wieland Winckelmann 419

gewesen sein müsse. Klang und Wortfolge mit ihrem Ubergewiclit der Vokale drückten ihm von selbst Gestalt und Wesen der Sache aus. Die Schönheit wurde er, wie Goethe sagte, zuerst in den Schriften der Alten gewahr, dann kam sie ihm in den Werken der Kunst persönlich entgegen. Was man in dem alten Dichter das Malerische nannte, mußte ihm freilich das Wichtigste sein, aber er blieb nicht bei dem engen Begriffe stehen, in dem man das Wort bisher genommen hatte. Das Schönheitsideal, das ihn Homer und Piaton gelehrt hatten, fand er nicht erst in den Statuen Roms, sondern schon in den Abgüssen der Dresdener Sammlung. Gleich Young, dessen Schrift über die Originalkomposition vier Jahre später erschien, erblickte Winckelmann in den Gedanken über die Nachahmung der Alten 1755 für den modernen Künstler den einzigen Weg groß, ja unnachahmlich zu werden in der Beobachtung der Art, wie die griechischen Künstler vorgegangen waren. Die griechische Regel, sagt er, führt den Künstler schneller zur Nachahmung der Natur, als wenn er diese direkt zum Vorbild nimmt. Verbindet er die in der Natur entdeckten Schönheiten mit dem vollkommenen Schönen, so wird er auch die Natur nachahmen und sich selbst zur Regel werden.

Dem Wunderwerk der Kunstgeschichte 1764 gegenüber erscheinen alle früheren Versuche, die Kunst in ihrem Werden zu begreifen, unzuläng- lich. Bei Winckelmann erhebt sich die Vereinigung der Einflüsse des Himmels und des Bodens, der Volksart und Erziehung, der Staatsform und Religion zu einem organischen Ganzen, aus dem sich die Hoheit der griechischen Kunst wie von selbst erklärt. Wie das Volk war, so mußte die Kunst sein. Vieles, was wir uns als idealisch vorstellen möchten, war bei den Griechen Natur. Nirgends war die Schönheit so hoch ge- achtet, und dieser Grundstimmung des griechischen Wesens entsprach auch eine schöne Heiterkeit des Gemüts. Vor allem wirkte die persönliche Freiheit veredelnd und erzeugte große und vornehme Gedanken.

Die Schönheit der griechischen Kunst ist idealisch. Aus dem Zu- sammenzug der schönsten Einzelformen entstand, wie durch eine neue geistige Zeugung, eine edlere Geburt, deren höchster Begriff immer- währende Jugend war. Zu den ewig jugendlichen Göttergestalten gaben die ersten Stifter der Religion, die Dichter, die hohen Begriffe, und diese verliehen der Einbildung Flügel, ihr Werk über sich selbst und das Sinn- liche zu erheben.

Wie Winckelmann hier auf Homer zurückkommt, so begleitet ihn der Dichter überall. Die Einzelheiten der homerischen Darstellung er- läutern seine Untersuchungen über Gestalt, Körperformen und Bekleidung, wie über das Wesen der Götter und Helden. So erinnert ihn der Ausdruck

27*

420 Deutschland und die Schweiz

in Bildwerken aus der Heldenzeit mit ihren der Fassung des weisen Mannes gemäßen Leidenschaften an den homerischen Achilleus, dessen Seele mitten in Jähzorn und Unerbittliclikeit offenherzig und ohne Verstellung und Falsch ist. Dem Künstler ist jedoch in der Darstellung der Helden weniger erlaubt als dem Dichter, weil jener das Schönste in der schönen Bildung suchen muß und daher auf einen gewissen Grad der Leiden- schaften eingeschränkt ist.

Winckelmanns Einfluß hat sich für Homer nur langsam durchgesetzt. Der Kunstgeschichte folgten erst die Untersuchungen über homerische Erzählung, die Lehre vom Volksdichter, die Begeisterung für das Original- genie. Erst auf den konnte Winckelmann ganz wirken, der von ihm die homerische Poesie mit dem Auge des Künstlers erfassen lernte, auf Goethe.

Bald nach der Kunstgeschichte, 1766, erschien Lessings Laokoon. Lessing hatte in der Fürstenschule zu St. Afra in Meißen gut Griechisch gelernt, den Homer aber allerdings privatim studieren müssen. Denn die mit 1713 einsetzende höchst wohltätige Reform der Schule war den griechischen Dichtern nicht hold gewesen. Das der Reform vorhergehende Gutachten der adeligen Schulinspektoren hatte sich für die Prosaiker ausgesprochen. Der Konrektor Sillig verlangte allerdings eine Wieder- aufnahme des gänzlich einge schlaf enen Unterrichts in griechischer Poesie, aber einen griechischen Moralpoeten wie Hesiod und Theognis oder eine Sammlung von Poemata sacra „statt des weitläuftigen vormals einge- führten Homeri." Danach scheint man sich gerichtet zu haben. Aber St. Afra förderte die Privattätigkeit ihrer Schüler, so daß diese keines- wegs zur Nebenbeschäftigung herabsank. Aus dem Laokoon sehen wir, daß Lessing seinen Homer gut studiert hat. Der Dichter hat ihm zu seinen Untersuchungen über die Grenzen der Malerei und Poesie manche Waffe geliehen. Aus ihm erklärt er die Hauptsätze seiner Arbeit ab- geleitet zu haben.

Die von Lessing ermittelte Praxis Homers in der Schilderung ist das Wichtigste, was uns hier angeht. Er bleibt damit durchaus in dem Rahmen von Dubos, der Zürcher, Winckelmanns. Seiner Aufgabe ent- sprechend kümmert er sich weder um die Gesamtkomposition der Epen noch um die Kunst der Erzählung. Er beschränkt sich ganz auf das, was Bodmer die poetischen Gemälde der Dichter genannt hat. Auch geht er selten über das Epos und Homer hinaus.

Daß Homer für ein Ding gewöhnlich nur einen beschreibenden Zug habe, bald das schwarze, bald das hohle Schiff usf. sage, hat Lessing selbst korrigieren müssen. Er gibt zu, daß die Beiwörter zuweilen auch

Winckelmann Lessing 42 1

gehäuft sind, erklärt aber, in solclien Fällen folgten die mehreren Züge für die verschiedenen Teile und Eigenschaften in gedrängter Kürze so schnell aufeinander, daß wir sie alle auf einmal zu hören glauben. Hierin komme dem Homer seine vortreffliche Sprache zustatten, die ihm alle mögliche Freiheit in Häufung und Zusammensetzung der Beiwörter ge- statte und für die gehäuften Beiwörter eine so glückliche Ordnung habe, daß der nachteiligen Suspension ihrer Beziehung dadurch abge- holfen werde. Für die poetische Praxis Homers hat diese Frage wenig Bedeutung, da die Beiwörter fest und nicht erst von Homer geprägt sind.

Nun aber die Hauptsache: „Zwingen den Homer ja besondere Um- stände, unsern Blick auf einen einzelnen körperlichen Gegenstand länger zu heften, so wird dem ohngeachtet kein Gemälde daraus, dem der Maler mit dem Pinsel folgen könnte; sondern er weiß durch unzählige Kunstgrifle diesen einzelnen Gegenstand in eine Folge von Augenblicken zu setzen, in deren jedem er anders erscheint, und in deren letztem ihn der Maler erwarten muß, um uns entstanden zu zeigen, was wir bei dem Dichter entstehen sehen." Im weiteren Verlauf definiert Lessing diesen Kunstgriff dahin, daß Homer das Koexistierende seines Vorwurfs in ein Konsekutives verwandle und dadurch aus der langweiligen Malerei eines Körpers das lebendige Gemälde einer Handlung mache. „Will uns z. B. der Dichter den Wagen der Juno sehen lassen, so muß ihn Hebe vor unsern Augen Stück für Stück zusammensetzen. Wir sehen die Teile des Wagens, nicht sowohl wie er beisammen ist, sondern wie er unter den Händen der Hebe zusammenkommt." Das Beispiel ist unzutreffend. Hebe setzt nichts an als die Räder, die wohl zum Schmieren der Achse ab- genommen waren, wie an anderer Stelle der Wagenkorb aufgebunden werden muß, und das Joch, das immer weggenommen wurde. Alle andern Teile sind schon beisammen und werden deshalb koexistent geschildert; den Rädern ist eine besondere Beschreibung gewidmet.

„Will Homer zeigen, wie Agamemnon bekleidet gewesen, so muß sich der König seine Kleidung vor unsern Augen Stück für Stück umtun". Nur daß Homer das gar nicht zeigen, sondern durch die umständliche Er- zählung des Aufstehens auf das große kommende Ereignis vorbereiten will. Wie er verfährt, wenn er Agamemnons Kleidung schildern will, ist vor der großen Schlacht des elften Buches zu lesen. Der König zieht sich hier Stück für Stück die Rüstung an; aber jedes dieser Stücke ist beschrieben, koexistent, der Panzer in fünf, der Schild in fünf, der Schildriemen in drei Versen.

Damit ist es mit den eigentlichen Beispielen schon zu Ende. Denn was in diesem Stück des Laokoon noch folgt, trifft das Wesen der Frage

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Qicht. Lessing sagt, statt einer Abbildung von Agamemnons Zepter gebe Homer die Geschichte des Zepters^ und so kenne er, Lessing, dieses Zepter besser, als es ihm der Maler vor Augen legen oder ein zweiter Vulcan in die Hände liefern könnte. Wirklich? Lessing mag uns, wie schon Breitinger tat, darauf aufmerksam machen, daß die Geschichte des Zepters einen Begriff von der Macht des Königs gibt, und finden, die Verse über das Zepter Achills zeigen diesen in einer geringeren Machtfülle; aber wenn er sagt, es sei dem Homer nicht sowohl daran gelegen gewesen, zwei Stäbe von verschiedener Materie und Figur zu schildern, als uns von der Verschiedenheit der Macht, deren Zeichen diese Stäbe waren, ein sinn- liches Bild zu machen: was hat denn das mit den Grenzen der Malerei und Poesie zu schaffen? Die Sache ist: Lessing hat selbst gesehen, daß die Verse uns das Zepter, wie es war, nicht kennen lehren, wie denn zur Stunde noch niemand weiß, wie es ausgesehen hat. Es ist irreführend, wenn er von weiteren Absichten spricht, die Homer hier mit seiner Be- schreibung verbinde. Was er weitere Absicht nennt, ist beim Zepter Agamemnons die einzige Absicht, und für die Frage des Laokoon ist deshalb das Beispiel wertlos.

Nicht besser steht es mit dem nächsten Beispiel, dem Bogen des Pandaros. Es sei hier, sagt Lessing, dem Homer um das bloße Bild zu tun, aber er verstreue dieses Bild in eine Art von Geschichte des Gegenstandes, um die Teile desselben, die wir in der Natur nebenein- ander sehen, in seinem Gemälde ebenso natürlich aufeinander folgen zu lassen. So sehen wir beim Dichter entstehen, was wir beim Maler nicht anders als entstanden sehen können. Gut, aber warum haben wir denn auf Wolfgang Reichel warten müssen, um zu erfahren, wie dieser Bogen wirklich ausgesehen habe? Weil das Beispiel wieder einen fremden Ge- sichtspunkt in die Erörterung hineinträgt. Gewiß, Homer gibt die Ge- schichte des Bogens, aber nicht um das Bild in Erzählung aufzulösen; daran hat er gar nicht gedacht, denn die Kenntnis, wie ein Bogen aus- sehe, konnte er bei seinen Hörern voraussetzen ; sondern wieder, um auf die bevorstehende Katastrophe wirksam vorzubereiten.

Ebensowenig sind wir imstande uns aus der bloßen Lektüre Ho- mers ein Bild des Achilleus Schildes zu machen, und Homer hat sich wahrscheinlich auch selbst keines gemacht. Die Einführung der einzelnen Szenen des Schildes mit den Worten „er setzte hin" oder „er machte darauf" beleben ja sicherlich weit mehr als die Beschreibung bei Virgil; aber von einer runden Anschauung des Ganzen ist gar keine Rede. Virgil wollte den Schild als fertigen zeigen und ist deshalb absichtlich von Homer abgewichen. Dieser hat eine bunte Reihe von Bildern vorgeführt,

Lessing 423

ohne im einzelnen um die Anordnung zu sorgen. Das Wesentliche für uns sind die einzelnen Bilder in ihrem Verhältnis zur Möglichkeit ihrer malerischen Darstellung. Hier wäre ein Kardinalpunkt für die Grenzen der Künste zu finden gewesen, wie Cesarotti ihn zu finden versucht hat. Aber in seinem Eifer, Boivin zu bekämpfen, hat sich Lessing nur einmal über diese Seite der Sache ausgesprochen. Er spricht dem Dichter die Freiheit zu, „sich sowohl über das Vergangene als über das Folgende des einzigen Augenblicks in dem Kunstwerk auszubreiten, und das Ver- mögen, sonach uns nicht allein das zu zeigen, was uns der Künstler zeigt, sondern auch das, was dieser nur erraten lassen kann". Damit ist die Sache deshalb nicht erledigt, weil die Bilder Homers noch viel mehr enthalten, als uns der Künstler erraten lassen könnte.

In der Polemik gegen Boivin kommt Lessing, um für die Bilder mehr Raum zu gewinnen, auf den Einfall, Homer könnte auch die konkave Fläche des Schildes benutzt haben. Ob er in der Festsetzung von zehn Bildern Recht habe, lasse ich dahingestellt. Er betont gegen Boivin stark, daß jedes Bild ausdrücklich eingeleitet sei, muß aber selbst zu- geben, daß das bei dem der belagerten Stadt nicht der Fall ist; und ob- wohl er Recht hat, wenn er in der Gerichtsszene nur ein einziges Bild erblickt, so hat er doch unterlassen zu sagen, wie diese und der Hoch- zeitszug auf einem Gemälde vereinigt sein konnten.

Eine andere Art der Schilderung, die Homer, das Muster aller Muster, angewendet hat, fand Lessing in der berühmten, auch durch ihn berühmt gewordenen Szene, wo Helene vor die troischen Greise tritt. „Was Homer nicht nach seinen Bestandteilen beschreiben konnte, läßt er uns in seiner Wirkung erkennen." Der Gedanke ist schon bei Spence, dessen Essay on Pope's Odyssey Lessing offenbar nicht kannte, und nach jenem bei Bodmer zu finden, doch von keinem von ihnen auf die Schilde- rung der Schönheit angewendet worden. Einleuchtend ist er, nur fragt es sich, ob Homer wirklich diese Absicht gehabt habe. Lessing hat gleich nachher selbst zugeben müssen, daß Homer im Thersites die Teile der voll- kommenen Häßlichheit koexistent schildert. Hier hilft er sich mit den kühnsten Sprüngen aus der Verlegenheit. Erstens soll durch die Auf- zählung der Elemente die Wirkung der Häßlichkeit aufgehoben werden ; in der Schilderung des Dichters werde die Häßlichkeit zu einer minder widerwärtigen Erscheinung, und darin liege die Rechtfertigung Homers. Daß die Wahrnehmung falsch ist, empfindet jeder ohne weiters; das Häßliche wird um so häßlicher, je weiter es ausgemalt wird; man kann sich bei Spenser davon überzeugen. Unbezahlbar ist aber das Wort von der Rechtfertigung Homers. Also der Dichter muß gerechtfertigt werden,

424 Deutschland und die Schweiz

wenn er der von Lessing aus ihm abgezogenen Regel nicM entspricht. Wir kommen zu einem andern Schluß. Entweder ist die Regel richtig; dann kann sie nicht aus Homer abgeleitet werden. Oder Homer ist auch hier Muster, und dann ist die Regel falsch.

Zweitens aber habe Homer die Häßlichkeit nicht für sich selbst, wohl aber als ein Ingrediens nützen können, um gewisse vermischte Empfin- dungen, nämlich die des Lächerlichen und des Schrecklichen, hervorzurufen. Daß das Gemälde des Thersites koexistent gebildet ist, kann niemand be- streiten. Wenn dies damit verteidigt wird, die Schilderung sei nicht Selbst- zweck, sondern diene einer weiteren Absicht des Dichters, so wird die Frage wieder verschoben. Es dürfte dann also der Epiker nach Herzenslust koexistent schildern, sobald die Schilderung nicht Selbstzweck, sondern organisch mit dem Zusammenhang verbunden ist. So kann man allerdings die schönen Gemälde der Odyssee mit dem Laokoon vereinigen: die Grotte der Kalypso, die Gärten des Alkinoos, die Ziegeninsel, den Phorkyshafen und noch manches andere. Aber man kann damit auch den halbenMarino retten. Die Auskunft, daß sich in mancher dieser Schilderungen auch Leben zeige, hilft zu nichts; denn das ist der Fall, sobald der Dichter statt des Adjektivs das Verbum verwendet.

Lessing war nicht ausgezogen, um zu beweisen, was auch Bodmer schon gewußt hatte, daß im Epos die Schilderung nicht Selbstzweck sein dürfe. Er hatte festgestellt, daß die Poesie Handlungen darstelle, und aus der Praxis Homers geschlossen, daß der wahre Epiker das Koexistente in Sukzessives auflöse. Für diese letzte Wahrnehmung lassen sich aus vielen Dichtem gute Beispiele sammeln, nur aus Homer nicht; denn bei diesem verhält sich die Sache ganz anders.

Was seinen Zuhörern bekannt war, schildert Homer nie, außer durch kurze Beiwörter. Es fällt ihm nicht ein, das Bild eines Zepters, eines Bogens zu geben, die seine Hörer alle Tage vor Augen hatten. Was sie aber nicht kennen konnten, schildert er, und zwar koexistent, den Götter- wagen, die Aigis, die Rüstung Agamemnons, den Palast des Priamos, die neu eingeführten Landschaften der Odyssee. Daß Homers Fürsten, Männer wie Frauen, schön sind, versteht sich von selbst; er braucht sie also nicht zu beschreiben; aber ein häßlicher Kerl wie Thersites ist seiner Welt fremd, und der Haß des Dichters zeichnet ihn mit abstoßenden Zügen. Wir sehen, daß die epische Poesie einen Einschlag koexistenter Schilderung ganz gut verträgt, wie auch die bildende Kunst die Bewegung in weit größerem Umfang zuläßt, als der Laokoon zugeben will. Die Künste sind nicht durch so scharfe Grenzen geschieden, obwohl ihnen ihre Mittel ver- schiedene Gebiete anweisen. Der Nachdruck liegt nicht hierauf, sondern

Lessing 425

auf dem, was damals die Engländer judgment nannten, auf dem weisen Gebrauch auch derjenigen Mittel, die ihrer Kunst nicht eigentlich an- gehören.

Von den vielen einzelnen Stellen des Laokoon, in denen Homer sonst noch erwähnt ist, sei nur eine hervorgehoben, weil ihre Erklärung eine kleine Geschichte hat. Bei der Einholung der Toten verbietet Priamos zu weinen; 'so vollziehen die Troer schweigend, traurigen Herzens, die Verbrennung. Schon Eustathios hatte, auf die alten Schollen gestützt, in dieser Schilderung einen Gegensatz zwischen Achäem und Troern zu sehen geglaubt. Die Troer dürften nicht weinen, damit sie nicht weich- lich schienen und nicht aus Rührung das Werk vernachlässigten; bei den Achäem heiße es aber nur, sie hätten betrübten Herzens ihre Toten verbrannt. M™^ Dacier übersah die Erklärung, daß die Troer den Feinden nicht weichlich scheinen sollten, und verstand „das Werk" von der Kampf- arbeit des folgenden Tages, möglicherweise mit Recht. Lessing nun findet, Homer wolle uns lehren, daß nur der gesittete Grieche zugleich weinen und tapfer sein könne, indeß der ungesittete Trojaner, um tapfer zu bleiben, alle Menschlichkeit zuvor ersticken müsse. Herder bezweifelt die Richtigkeit dieser Auffassung und gibt zu bedenken, ob das Verbot des Priamos nicht die Absicht gehabt habe, die Troer vor gänzlicher Verzweiflung zu bewahren, da sie doch für mehr zu fürchten hatten als die Griechen. Blümner sieht den Gegensatz in der Disziplin der Achäer und der mangelnden Ordnung bei den Troern. Nun klagen und weinen aber in der Stadt die Troer nach Herzenslust; sie sollen es also nur auf dem Felde nicht tun. Die ganze Stelle sagt folgendes. Beide Partien waschen ihre Toten unter heißen Tränen. Dann verbietet Priamos das W^einen, die Troer bestatten ihre Toten in Schweigen mit betrübtem Herzen; ebenso bestatten die Achäer ihre Toten mit betrübtem Herzen. Beide Heere verfahren ganz gleich. Das Gewicht ruht auf dem Schweigen. Priamos hat die laute Totenklage verboten, vrie Aias vor dem Zweikampf mit Hektor das laute Gebet, damit nicht von den Feinden ein störender Ruf hinein seh alle. Danach richten sich auch die Achäer, denn auch von ihnen wird nicht berichtet, daß sie die Totenklage erhoben.

Außer im Laokoon hat sich Lessing wenig mehr mit Homer be- schäftigt. Sehr schön ist die in der Dramaturgie ausgesprochene Ver- mutung, daß es die Vortrefflichkeit der Epen verursacht habe, wenn wir von der Person des Dichters so wenig v^dssen. Über dem Werk hat man des Künstlers ganz vergessen. Bemerkenswert ist auch, daß Lessing aus dem Eingang der Odyssee schließt, es seien die Abenteuer des Odysseus vor oder neben Homer von anderen Dichtem besungen worden, und daß

426 Deutschland und die Schweiz

er die Odyssee zu den Nosten rechnet, den Epen von der Rückkehr der Helden von Troja.

Nicht viel jünger als Lessing ist das Geschlecht, dem Homer in seiner vollen Pracht, mit seinem wahren Gesicht aufgegangen ist. Die siebziger Jahre sind die Blütezeit der neuen Erkenntnis, die Zeit einer wahren und echten Begeisterung, zugleich eines tieferen und volleren Verständnisses. Der Drang danach kam von innen heraus, die fruchtbaren Anregungen von England. Unter den Ursachen des verdorbenen Ge- schmackes der Deutschen in der Literatur nannte der Hallenser Professor Georg Friedrich Meier die Vernachlässigung des Griechischen in den Schulen. Man sollte doch an dieser Quelle nicht vorbeigehen, da ja auch die Römer von den Griechen denken gelernt hätten. Wie sehr sich Gesner und Breitinger dafür bemühten, ist bereits mitgeteilt. Ihnen reihte sich Heyne an, der seit 1763 Gesners Nachfolger in Göttingen war. Eine wesentliche Erleichterung des Homerstudiums trat ein, als Ernesti von 1759 an Clarke's Ausgabe mit vermehrtem Apparat herausgab, „nach- lässig genug" sagt Herder. Clarke's Text mit kritischem Apparat und kurzen Noten, aber ohne die lateinische Übersetzung und den eigentlichen Kommentar, zum Gebrauch beim Unterricht, gab August Hermann Niemeyer 1778 heraus. Daneben nennt Goethe den Meinen Wetstein, eine nach dem Verleger Wetstein in Amsterdam benannte, von Johann Heinrich Lederlin und Stephan Bergler nach Chalkondyles und Stephanus gearbeitete Ausgabe mit durchgesehener oder neuer lateini- scher Version ohne irgendwelche Noten. Es ist ein richtiger Augenmörder, aber für einen Werther bequem in der Tasche herumzutragen und daran den Verdruß zu verbeißen.

Wie beschwerlich es immer noch blieb, sich des Originaltextes zu bemächtigen, lehrt Goethe's humorvoller Brief an Sophie La Roche vom 20. November 1774, in dem er die Methode zu lernen vorschreibt. Zu- nächst soll der Studierende den Vers auf sich wirken lassen; versteht er den Lihalt nicht, so lese er wechselseitig das Original und die Glarke'sche Übersetzung, bis ihm ein Licht aufgeht über die Konstruktion, die im Homer reinste Bilderstellung ist. Dann studiere er die Wortformen in Schaufelb ergers Clavis, notiere sie sich auf Karten, die er immer bei sich tragen soll, und lerne sie auswendig, immer dreißig oder vierzig Verse auf einmal. Nachdem er so zwei bis drei Bücher durchgearbeitet habe, werde er den Homer fließend lesen.

Von den ausländischen Übersetzungen waren fast nur die von M"^® Dacier und Pope bekannt. Jene erklärte Breitinger 1745 als das Höchste,

Die siebziger Jahre 427

Avas in einer durchgearbeiteten Übersetzung erreichbar sei, von dieser sagte er, daß sie, unter Wahrung der Anmut der englischen Sprache, den homerischen Charakter zu allgemeiner Bewunderung wiedergebe. Aber diese Urteile blieben nicht zu Recht bestehen. Lessing hat gesagt, unter der Feder der gewissenhaften Frau Dacier habe den guten Homer oft das Schicksal betroffen zum langweiligsten Schwätzer zu werden, und ihr Werk ist dann auch in Deutschland vergessen worden. Gegen die Über- schätzung Pope's hatte sich schon Bodmer aufgelehnt, und als dann Young's Schrift über die Originalkomposition durch die deutsche Über- setzung bekannt wurde, war es mit dem Ansehen Pope's vorbei.

Auf Deutsch konnte man Homer nur in der durch Herrn von Loen besorgten Neuen Sammlung der merkwürdigsten Reisegeschichten lesen, 1754, durch die Goethe zum ersten Mal mit Homer Bekanntschaft ge- macht hat. Der sechste Band des Werkes enthält die Erklärung der Götter, der siebente eine Geschichte der Argonauten, dann die aus allen möglichen Schriftstellern zusamm engestellte Vorgeschichte des troischen Krieges, endlich die Übersetzung der Ilias in Prosa; der achte die der Odyssee. Zugrunde liegt der Übersetzung nicht das griechische Original, sondern die Arbeit von M™® Dacier; der notwendigen Originalität halber ist sie sehr oft in plumpen und derben Ausdrücken gehalten, ist aber sonst recht lesbar. Die beigegebenen Kupfer, Illustrationen des Textes ohne Kunst- wert, in französischem Theatergeschmack, verderbten Goethe dermaßen die Einbildungskraft, daß er sich lange Zeit die homerischen Helden nur unter diesen Gestalten vergegenwärtigen konnte. Sie meint er, wenn er später von einem angespannten und aufgedunsenen Heldenwesen spricht.

Addison's Aufsätze im Spectator und Pope's Untersuchungen in seinem Homer hatten schon auf die Zürcher großen Einfluß geübt, der sich bei Herder noch in erhöhtem Maße fühlbar machte. Nun trat Blackwell mit seinem Versuch, Homer historisch zu begreifen, hinzu. Über der neuen Erkenntnis versanken die literarischen Streitigkeiten der Franzosen über die Alten und Neuen, ganz wie in England. Herder hat noch 1794 den Streit sehr leer genannt und gesagt, man habe sich nichts Bestimmtes dabei gedacht, genau wie Conti über den Kampf von 1715 urteilte. Von der durchschlagendsten Wirkung war in der Zeit der Originalgenies, nach dem Büchlein von Young, Wood's Schrift über das Originalgenie Homers. Hatte man bei Guys vom Fortleben altgriechischer Sitten bei den modernen Hellenen gelesen, so fand man, mit Goethe zu reden, in Wood's 1773 übersetztem Werk die abgespiegelte Wahrheit einer uralten Gegenwart, durch die man die Werke der Alten von der Seite der Natur betrachten lernte. Goethe war freilich damals schon selbst weit genug in den Ho-

428 Deutschland und die Scliweiz

mer eingedrungen, um zu erkennen, daß eine Yergleichung seiner Heroen mit wilden Völkern und Sitten nicht recht zutreffend sei; denn der von Homer gezeichnete Kulturzustand stehe höher als diese, vielleicht höher als der, den die Zeiten des trojanischen Krieges mochten genossen haben.

Der erste, bei dem wir die neue Anschauung von Homer finden, ist Hamann, der in seinen Schriften von 1759 bis 1763 mehrfach auf den Dichter zu sprechen kommt. Er hat in jenem Jahre die Odyssee zu lesen begonnen, und dadurch geht ihm ein ganz neues Licht über die Poesie auf. Er erkennt die ganze Enge der bisher herrschenden Auffassung: Bodmer und Klopstock haben den Homer gewiß studiert^ sie haben ihn aber nicht anders als im Kleinen, im Detail nachzuahmen verstanden. Für die Werke der Alten ist ihm die Natur der einzige Erklärer. Jene verhalten sich zu dieser wie die Erklärer zu ihrem Autor; wer die Alten, ohne die Natur zu kennen, studiert, liest Erklärungen ohne Text. Wer kein Fell über den Augen hat, für den hat Homer keine Decke; wer den hellen Tag noch nie gesehen, an dem werden weder Didymos noch Eustathios Wunder tun. Die Meinungen der Weltweisen^ heißt es anderswo, sind Lesarten der Natur, und die Satzungen der Gottes- gelehrten Lesarten der Schrift. Der Autor ist der beste Ausleger seiner Worte, mag er durch Geschöpfe, durch Begebenheiten oder durch Blut und Feuer und Rauchdampf reden, worin die Sprache des Heiligtums besteht. Hier spricht allerdings Hamann vom Weltschöpfer, aber er hat vom schöpferischen Genie dieselbe Meinung. Ein Liebhaber des Homer,, sagt er, läuft gleiche Gefahr, durch einen französischen Paraphrasten wie La Motte und einen tiefsinnigen Dogmatiker wie Samuel Clarke die Einheit des Verstandes zu verlieren. Diese Verachtung der Gelehrsamkeit gegen- über dem Original diktierte Hamann auch in der Anzeige von Herder» Zweitem kritischen Wäldchen 1769 die Worte: Wir haben zu unserer Zeit nicht eine Stunde an der Theopneustie eines Homer gezweifelt, ohne uns deswegen an der Blindheit weder seiner Scholiasten noch Zöllen zu ärgern, die ihn wechselweise vergöttert oder gegeißelt haben, und wünschen deshalb, daß die Herren Lessing und Herder, anstatt den Herrn Geheimen- rat Klotz in dem so kurzen Genuß seines Lustri zu betrüben, ihre Muße und Talente vielmehr zu vollendeten Werken sammeln und erhalten möchten. Hamann fordert sie auf, Winckelmanns Verdienste um Reinheit der Sprache und Wiederherstellung des griechischen Geschmacks zu über- treffen.

Einige der erwähnten Stellen stehen in der Schrift Äesthetica in nuce^ eine Wiapsodie der kahhalistischen Prosa, die mit dem berühmten Satze beginnt, daß Poesie die Muttersprache des menschlichen Geschlechtes sei.

Hamann Herder 429

Dem Titel entsprechend ist die Schrift dunkel und schwer, so daß mir ein Referat darüber zu gewagt erscheint. Dasselbe gilt von solchen Äuße- rungen über Homer, die in einem abstrusen Zusammenhang stehen. Be- merkenswert sind noch folgende Stellen. Hamann erwägt die Frage der Erstgeburt zwischen Homer und Hesiod. Er findet bei diesem eine Ein- falt und Unschuld, die ihn antiker macht als Homer, sieht aber in dieser Einfalt eine Kultur schimmern, die ihn um ein Jahrhundert zu verjüngen scheint. Gegen Diderot, der aus der Poesie das Burleske und Wunder- bare als Schlacken verbannt, wendet Hamann ein, daß damit göttliche wie menschliche Dinge ihren wesentlichsten Charakter verlieren, Brüste und Lenden der Dichtkunst verdorren. Gerade im Törichten der homerischen Götter besteht das Wunderbare seiner Poesie, das Salz ihrer Unsterb- lichkeit. Das Burleske verhält sich zum Wunderbaren, das Gemeine zum Heiligen, wie oben nnd unten, hinten und vom, die hohle zur gewölb- ten Hand.

Hamann hat stark auf Herder gewirkt, den Mann, in dem sich die neuen Anschauungen recht eigentlich verkörpern. Seine erste wie seine letzte Schrift befassen sich mit Homer. Seine Auffassung des Dichters ist nicht von Anfang an vollkommen abgerundet, sondern hat sich er- weitert und vertieft; aber wenn wir fast dreißig Jahre nach seinem erstem Auftreten, 1795, zurückblicken, so finden wir kaum ein Schwanken der Auffassung. Das Werden der Erkenntnis bei ihm zu verfolgen ist sehr erfreulich. Gleich seine erste Schrift, die Fragmente über die neuere deutsche Literatur, enthält ein vollständiges Programm für das Studium der Griechen durch die Deutschen. Es müsse zuerst der Wortverstand erforscht werden, dann aber solle man suchen, mit dem Auge der Philo- sophie in den Geist der Griechen zu blicken, mit dem der Ästhetik ihre feinen Schönheiten zu zergliedern, mit dem der Geschichte Zeit gegen Zeit, Land gegen Land und Genie gegen Genie zu halten. Es ist die Forderung einer universalen Erforschung der Griechen, wie sie, so sehr sich auch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Frankreich und besonders in England die historische Betrachtung Bahn brach, doch in diesem Umfang noch nicht erhoben worden war. Eine höhere Stufe wäre, so meint Herder, eine Übersetzung, die nicht nur den Sinn, sondern den unterscheidenden Ton des Originals träfe, uns Homer zeigte, wie er war, und was er für uns sein kann. Dafür bedeutet ihm Blackwell's Buch eine wichtige Vorarbeit; Anmerkungen und Erläuterungen würden sehr notwendig sein, nur müsse uns der Übersetzer nach Griechenland führen und uns anleiten, das „große Staatsgeheimnis der griechischen Literatur" kennen zu lernen. Was Herder verlangt, ist historische Auf-

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fassuüg im weitesten Sinn. An die Bemerkung, daß weder Bodmer noch Klopstock mit Homer verglichen werden können, knüpft sich die lehr- reiche Untersuchung über das Verständnis Homers bei den Alten selbst.

Die universale Auffassung, die Herder verlangt, zeigt schon der Fünf- undzwanzigjährige in seinem Ersten Kritischen Wäldchen^ der Kritik des Laokoon. Gleich in der Polemik gegen Lessings Behauptung, daß Homers Krieger nicht selten mit Geschrei zu Boden fallen, zeigt sich ein viel tiefe- res Eindringen in die Gefühlswelt Homers. Herder hat gesehen, daß die Helden fast ausschließlich über Leiden der Seele weinen, edle Tränen, neben denen das Geschrei und das Weinen über eine Wunde kaum in Betracht kommt. Wenn Lessing den transitorischen Moment aus der bildenden Kunst verbannt, so schränkt Herder diese Regel in die engsten Grenzen ein, indem er hervorhebt, daß nur die tote Natur nichts Vorübergehendes hat. Ganz selbständig ist er in der Auffassung der homerischen Götter. Er stimmt mit Lessing darin überein, daß eine Gottheit beim Dichter nicht durch das kenntlich ist, was sie ist, sondern durch das, was sie tut. Aber er ist nicht damit einverstanden, daß die Handlungen einer Gottheit ihrem Charakter in keinem Zuge widersprechen dürfen. Die Dichter, sagt er, haben die Mytho- logie erfunden und bestimmt, aber nicht als eine Galerie abstrakter Ideen, sondern als himmlische Individuen, die freilich ihren Charakter durch Hand- lungen festsetzen, aber nicht dazu da sind, diese und jene Idee in Figur zu zeigen. Von größter Bedeutung ist es, daß Herder in der homerischen Götterwelt eine Realwelt erkennt, im Gegensatz zu den frostigen und überflüssigen Maschinerien späterer Poeme. Er hat gesehen, daß der die Helden umhüllende Nebel keine poetische Redensart für unsichtbar machen, sondern eine wirkliche verhüllende Wolke ist, die zum Wunderbaren der Fiktion, zum epischen Mythos notwendig gehört. Er wirft Lessing vor, seine Erklärung laufe aller schönen Sichtbarkeit homerischer Er- scheinungen zuwider, und zeigt das in der ausgezeichneten Widerlegung des Lessing'schen Satzes, daß Unsichtbarkeit der natürliche Zustand der Götter Homers sei.

In der für die Auffassung der Praxis Homers entscheidenden Partie bestreitet Herder vor allem, daß Sukzession das Wesen der Poesie sei, da diese jeder Rede zukomme. Das erste Wesentliche in der Poesie ist wirklich eine Art von Malerei, sinnliche Vorstellung; dazu tritt als zweites die Kraft, die im Räume dadurch wirkt, daß sie die ganze Rede sinnlich macht. Wenn darauf Herder auf das Einzelne eingeht, so macht er nur den einzigen Fehler, daß er nicht die ganze Lehre Lessings von der Praxis Homers verwirft, sondern sie gelten läßt und nur bestreitet, daß der Dichter durch die Sukzession die Vorstellung des Koexistenten hervor-

Herder 431

bringen wolle. Homer, sagt er, schreitet durcli die Teile, weil ihm an dem Bilde des Ganzen durchaus nichts lag; er schreitet in Handlungen fort, weil alle diese Teilhandlungen Stücke seiner ganzen Handlung sind, weil er ein epischer Dichter ist. Man soll nicht wissen, wie der Wagen, das Zepter, der Bogen ausgesehen haben, sondern diese Dinge sind nur eingeflochten, um auf unsere Seele mit einzuwirken. Kunstgriffe, um eine körperliche Beschreibung zu vermeiden, sind das nicht. Das ist alles sehr richtig. Es hätte für Herder nur noch eines kleinen Schrittes bedurft, um die volle Wahrheit zu finden. Ist er ihr doch nahe genug gekommen, wenn er ausführt, daß, was für Homer gelte, nicht für die ganze Poesie giltig sei; daß auch er lange tote Schilderungen hasse, aber nicht mit dem tödlichen Hasse, um jedes einzelne ausgeführte Gemälde, wenn es auch koexistent geschildert wäre, zu verurteilen, und nur aus dem Grunde, weil die Poesie in sukzesiven Tönen schildert, oder weil Homer dies und jenes macht oder nicht macht. Zwar ist damit der starre Schematismus des Laokoon bereits gesprengt, aber der Sieg wäre vollkommener gewesen, wenn Herder nicht nur Ossian, Milton, Klopstock, Virgil, sondern Homer selbst als Eideshelfer aufgeführt hätte.

Vollständig gelungen ist die Ausführung über Thersites. Wenn der Dichter die Schönheit nicht schildern darf, dann auch die Häßlichkeit nicht; und wenn ihm diese zu schildern erlaubt ist, wenn er sie nutzen kann, wie viel mehr die Schönheit! Er darf also körperliche Gegenstände schildern. „Was wollen wir mehr? Die Schärfe des Bogens hat nachgelassen, erschlafft liegt er da! Mit einer solchen Zugabe hat Herr Lessing den größten Teil seines Buches widerlegt." Der Triumph ist vollauf berechtigt, so wenig er auch in der Folge anerkannt worden ist. Die Mittel der Streitenden waren ungleich. Lessings klare und scharfe Deduktionen eroberten sich, das Feld gegenüber Herders nicht immer klaren Ausführungen. Und doch hatte dieser Recht, jenem vorzuwerfen, er operiere nur mit den äußeren Mitteln der Poesie; und doch stritten auf Herders Seite weit größeres und wärmeres Gefühl für Poesie und vor allem viel mehr Verständnis und Kenntnis Homers. Dieses Erste Kritische Wäldchen ist denn auch viel mehr geworden als eine bloße Polemik, nämlich eine wahre Ver- kündigung Homers, deren Einzelheiten oft von hinreißender Schönheit sind. Nicht vergessen wollen wir, daß sich Herder auch über das home- rische Gleichnis ausgesprochen hat. Er definiert es als „ein Kreisbild, wo ein Zug in den andern fällt, wo das Vorige zurückkehrt, um das Folgende zu entwickeln." Herder hatte vorher an einem Beispiel aus- geführt, wie Homer das gewählte Bild nach und nach ganz zeichnet, um es zum Schluß wieder an die Erzählung anzuknüpfen. Damit geht er

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über Breitinger auf Addison zurück, nur daß dieser bedeutend klarer ge- wesen war.

Das Zweite Kritische Wäldchen befaßt sieb mit des Geheimrat Klotz Epistolae Homericae, die 1764 erschienen waren. Klotz batte nach einem überladenen Lob Homers von dessen Fehlem gesprochen; besonders reebnet er dazu die Art Homers, an unpassendem Orte das Gelächter der Leser zu erregen, wie in den Szenen des Iros, Hepbaistos und Thersites. Solche Dinge, behauptet er, seien im ernsten Gedichte unstatthaft und störten die Harmonie des Epos. Er würde am liebsten die Verse über Thersites als dem Homer untergeschoben streichen. Dagegen hob Lessing in den Briefen antiquarischen Inhalts hervor, daß die feierliche Harmonie des Epos eine Grille sei: schon Eustathios rechne das Lächerliche aus- drücklich unter die Mittel Homers, wieder einzulenken, wenn das Feuer und der Tumult der Handlung zu stürmisch geworden sei. Ahnlich Herder: Die Harmonie des Epos ist Bewunderung; aber es darf in Neben- personen alle Gefühle erregen, wenn sich diese nur ineinander verlieren, so daß in der Seele doch zuletzt nur die Bewunderung bleibt. Über Thersites hatte Herder schon im Ersten Wäldchen die ausgezeichnete Be- merkung gemacht, er sei der Mund des griechischen Pöbels, der sich jetzt erklären soll oder gar nicht, und daher sei er nicht lächerlich, sondern häßlich, und Homer habe die Schlechtigkeit dieser Seele durch ihre Lächer- lichkeit etwas gemildert.

Wir könnten mit Hamann finden, der ganze Zorn und Hohn Herders sei auf einen unwürdigen Gegenstand verschwendet, zumal Klotz un- verblümt vorgeworfen wird, seine Argumente stützten sich nur auf die lateinische Übersetzung Homers. Aber die heftige Polemik förderte manches zutage, was von Herders Verständnis Homers zeugt und an sich von hohem Werte ist.

Klotz hatte behauptet, die Vermischung von Ernstem und Lächer- lichem lasse sich nicht mit der Einfalt der homerischen Sitten entschul- digen. Darauf antwortet Herder zunächst, es sei sehr schielend, Homer nach den Begriffen unserer Zeit zu beurteilen, und legt dann seine eigene Auffassung dar. Homer schildert die Zeit vor ihm und mußte sich nach ihr bequemen; aber er hatte die Vorstellungen verflossener Jahrhunderte in der Sprache und Gedankenwelt seines Zeitalters wiederzugeben. Er ist ein Barde voriger Zeiten für seine Zeit, oder wie Herder sich später ausdrückt, ein Bote der Vorwelt, aber weise für seine Zeit. Wer sich in diese zurückversetzen kann, für den singt Homer, für keinen andern. Die Entdeckung, daß Homer eine ältere Zeit besinge als seine eigene, hatte Pope gemacht; von da geht Herder weiter und fordert für das Ver-

Klotz Herder 433

ständnis des Dichters die Kenntnis seiner Zeit. Hier handelt es sich nicht mehr um Apologie des Dichters, sondern es wird jedem verboten mit- zureden, der das historische Verständnis nicht besitzt. Auch Blackwell's Anregungen werden in diesem Sinne vertieft; nicht nur aus dem Zu- sammenfluß günstiger Umstände, sondern aus seinem Zeitalter soll der Dichter erklärt werden. Je besser man dieses kennen lernt, desto mehr lernt man Homer erklären, und desto mehr schwindet der Gedanke, ihn als einen „Dichter aller Zeiten" nach dem Bürgerrechte unserer Zeit und Nation zu beurteilen. Am Genie Homers zweifelt Herder natürlich nicht, aber er denkt es sich im engsten Zusammenhang mit dem Zeit- alter des Dichters. Aus der Milieutheorie Blackwell's erwächst bei Herder die historische Auffassung. Sie war schon im Ersten Kritischen Wäldchen hervorgetreten, wo Herder Ariost's Schilderung von der Schönheit der Alcina auf den damals in Italien herrschenden Geschmack zurückge- führt hat.

Ganz prächtig zeigt sie sich in den Erörterungen über die Mytho- logie im modernen Gedicht. Scharf tadelt es Herder an Klotz, daß er Dichter verschiedener Zeiten und Länder nach einerlei Machtspruch be- urteile und, anstatt Zeiten und Völker zu studieren, blindlings in den Lostopf der Jahrhunderte greife, um nichts als ein mageres Regelchen herauszulangen. Herder zeigt, wie nahe der Poesie der Renaissance die heidnische Mythologie lag, da die Poeten lateinisch dichteten und die Grenze zwischen römischer Sprache und Denkart nicht festzuhalten war. So entstand bei Vida, noch mehr bei Sannazaro das seltsame Gemisch orientalischer Religion und altrömischer Poesie. Ausgezeichnet ist dabei die Schilderung der Renaissance mit dem Zusammenstoß des Heidentums und Christentums und die kurze Charakteristik der Dichter von Dante bis Marino. Die Verwendung der alten Mythologie durch Milton be- gründet Herder sehr fein damit, daß der Dichter diese nicht in die Zeit setzt, die er besingt, sondern daß er sie für die klassisch gebildete Gegen- wart anbringt. Sein Schluß ist, die Vermengung christlicher und heid- nischer Religion sei nicht darum unzulässig, weil jene wahr, diese un- wahr sei, sondern weil sie einander aufheben.

Schon in diesem Aufsatz hat Herder es ausgesprochen, daß es zu Homers Zeit noch keine Bücher gegeben habe. Bestärkt wurde er in dieser Meinung durch Ossian, dessen 1771 erschienene Übersetzung durch Denis ihn 1773 zu dem Aufsatz Über Ossian U7id die Lieder alter Völker veranlaßte. Was Macpherson nicht zu sagen gewagt hatte, sagt Herder: Homers Rhapsodien und Ossian's Lieder waren gleichsam Impromptus, weil man damals nichts als Impromptus der Rede kannte. Die erste

Finaler: Homer in der Neuzeit. 28

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Fassung des Gedankens gehört freilich nicht Herder, sondern Blackwell, der zögernd und wie zufällig darauf gekommen war und neben den Im- promptus auch zum Vortrag vorbereitete Lieder angenommen hatte. Aber wieder verwertet Herder die überkommene Anregung zu einem weit- tragenden Gedanken. Er verbindet sie mit der Auffassung vom Volkslied. Percy's Balladen wiesen dem ohnehin auf das Volkslied gerichteten Geist den Weg. In dem Aufsatz Von Ähnlichkeit der mittleren englischen und deutschen Dichtkunst 1777 weist er auf den ungehobenen Schatz der deutschen Volkspoesie. Mit flammender Begeisterung spricht er von England, dessen Poesie durch die Berücksichtigung der alten Ballade national geworden sei und Chaucer, Spenser, Shakespeare hervorgebracht habe. Und dabei entdeckt er das Wesen der Sage, ganz aus sich selbst, denn Wilkie hat er nicht gekannt, auch geht er von ganz andern Gesichts- punkten aus. Volkssagen, Märchen, Mythologie sind gewissermaßen Resultat des Volksglaubens, seiner sinnlichen Anschauung, Kräfte und Triebe, wo man träumt, wo man nicht weiß, glaubt, wo man nicht sieht, und mit der ganzen unzerteilten und ungebildeten Seele wirkt. Bei Homer findet er es nicht anders. Wood lehrt ihn, daß auch die Griechen einst, wenn wir so wollen, Wilde waren, und daß selbst in den Blüten ihrer schönsten Zeit mehr Natur ist, als das blinzelnde Auge der Scholiasten und Kritiker findet. Homer sang nach alten Sagen, und sein Hexameter war nichts als Sangweise der griechischen Romanze.

Aus dieser Erkenntnis erwächst ihm das Bild Homers als eines Volksdichters, eine Auffassung, durch welche diejenige Addis on's und Pope's vom Naturdichter ersetzt wird. Homers herrliches Ganzes ist nicht Epopöe, sondern Epos: Märchen, Sage, lebendige Volksgeschichte. Er machte nicht ein Heldengedicht in 24 Gesängen nach Aristoteles Regel oder auch, so die Muse wollte, über die Regel hinaus, sondern sang, was er gesehen und lebendig erfaßt hatte. Seine Rhapsodien blieben nicht in Buchläden und auf den Lumpen unseres Papiers, sondern im Ohr und im Herzen lebendiger Sänger und Hörer, aus denen sie spät gesammelt wurden und zuletzt, überhäuft mit Glossen und Vorurteilen, zu uns ge- langten. Diese Worte samt dem Preise des ewig wechselnden, ewig neuen Maßes des Hexameters stehen in der Vorrede zu der herrlichen Sammlung der Volkslieder, den Stimmen der Völker, 1778 79.

Ganz gleich spricht sich Herder im selben Jahre 1778 in dem Auf- satz über Wirkung der Dichtkunst auf die Sitten der Volker aus. Die größten Wirkungen geschahen, als die Poesie noch lebendige Sage war, da noch keine Buchstaben, viel weniger geschriebene RegeLa da waren. Der Dichter sah, was er sang, hatte es lebendig vernommen und trug

Herder 435

es mit sich im Herzen als ein Schoßkind umher; nun öflEnete er den Mund und sprach Wunder und Wahrheit.

In den Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit 1784 kommt Herder auf Homer zurück. Die Richtung des Buches hat bewirkt, daß er sich mit seinen früheren Äußerungen in Widerspruch setzt. Er sagt, mit ausdrücklicher Beziehung auf Blackwell und Wood, man habe sich Mühe gegeben das Werden Homers zu erklären, der doch nichts als ein Kind der Natur war, ein glücklicher Sänger der ionischen Küste. Hier fehlt uns die historische Erkenntnis. Um so lieber ist uns die Schilderung des Dichters selbst. Die Gegenstände, sagt Herder, die Homer bringt, sind Kleinigkeitennach unserer Auffassung; seine Kenntnisse von den Göttern, der Natur, der Erde, der Moral sind auf seine Zeit und ihre Sage eingeschränkt. Aber die Wahrheit und Weisheit, mit der er ein lebendiges Ganzes webt, der feste Umriß seiner Charaktere, die unangestrengte, sanfte Art seiner Erzählung, die unablässig von seinen Lippen strömende Musik machen ihn in der Geschichte der Menschheit zum einzigen seiner Art. Noch tiefer geht er auf den ethischen Gehalt Homers in den Briefen zur Beförderung der Humanität 1794 ein, wobei er an Gedanken von Addison und Pope anknüpft. Er verwahrt sich dagegen, daß man, wie vor- mals in Frankreich, nun in Deutschland wieder anfange, bei Homer Mangel an Bildung und moralischem Geschmack zu finden. Es sei keine Kunst, Parallelen mit wilden Völkern aufzufinden und zu übertreiben, dagegen das Auge vor der Kunst und Weisheit zuzuschließen, die Homer auf die Komposition der Ilias gewandt habe. Homer besingt nicht die Ge- schichte des troischen Krieges, auch nicht die des Achilleus, sondern dessen Zorn; diesen preist er nicht unbedingt, sondern er ist ihm eine verderbliche Plage der Götter, um so bedauernswerter, als sie bloß aus einem unseligen Zwist entstand, an dem Agamemnon schuld war. Herder rechtfertigt das Tun des Achilleus durchaus und spricht ihn von der Schuld am Unglück der Griechen frei. Sehr fein und richtig sind die folgenden Ausführungen. Homer kennt keinen Groll gegen ein mensch- liches Geschöpf, geschweige gegen den König selbst. Der Spiegel Homers, in dem sich alle Dinge der Welt gleich klar und rein darstellen, zeigt alle Gestalten gleich menschlich und milde. Bei völligen Gegensätzen scheint eine Vergleichung kaum möglich, und doch wirft Homer auf alle, wo er irgend kann, den milden Strahl der Menschheit, selbst auf Paris und Helene. Wem Homers Muse den Nebel vom Auge nimmt, der gewinnt über die Dinge der Welt eine große, weise und am Ende fröhliche Aussicht. Selbst im Heldengedichte denkt Homer über Krieg und Frieden menschlich. Er nimmt unser Mitgefühl für die Fallenden in Anspruch,

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Mitgefühl spendet er besonders den Troern. Alles Kriegsunglück entsteht durch Fehler und Leidenschaften der Götter und Menschen; so wird Troja von Zeus dem Eigensinn" eines unversöhnlichen Weibes aufgeopfert. Was Diderot über die Einfalt im Homer sagt, läßt sich auch von seiner Humanität sagen: „Welche Schule der Humanität ist in ihm!"

Aus dem folgenden Jahre, 1795, stammt der Aufsatz Über Homer und Ossian. Gewiß, meint Herder, haben beide Dichter manches gemein- sam, vor allem die Art der Entstehung der Gedichte, den auf Hörer berechneten Gesang. Aber wie mag man sie sonst vergleichen? Homers Gestalten schreiten wie unter freiem Himmel in hellem Licht, leibhaft, in völliger Wahrheit. Bei ihm sieht man die Handlung, die man bei Ossian's Nebelgestalten nur ahnt. Wer Götter und Helden bilden will, lerne bei Homer; denn bei Ossian gleicht eine Figur der andern. Ossian ist ebenso rein subjektiv, wie Homer objektiv ist. Hier erzählt sich alles selbst, dort ist es schwer, den dunkel zusammengereihten Episoden sinnlich zu folgen. Was die Exposition der Gedichte betrifft, so hätten Macpherson und Blair sich hüten sollen, sie auch nur miteinander zu vergleichen.

Mit den letzten Schriften sind wir schon in eine spätere Periode gelangt; sie sind aber notwendig, um das Bild staunenswerter Fülle abzurunden, das uns aus Herders Offenbarungen entgegenleuchtet. Nicht alles ist klar genug ausgedrückt; Widersprüche fehlen nicht. Aber der göttliche Sänger hebt sich bei ihm, losgelöst von dem Staub der Kommen- tare, vom Wust der Regeln, von den wenig fruchtbaren literarischen Erörterungen, in das volle Licht der Geschichte der Menschheit. „So dichtet mein Homer!" ruft er mit berechtigtestem Selbstgefühl aus. Seiner Entdeckungen dürfen wir uns noch heute freuen; sie verdienen, von jedem, der über Homer spricht, berücksichtigt zu werden.

Herder war der eifrigste Verkünder Homers, aber die ganze literarische Welt war von dem nämlichen Zuge ergriffen. In den Briefen über Merlt- würdiglieiten der Literatur j 1766, bemächtigt sich Gerstenberg der Frage nach dem Wesen des Genies. Er wirft Thomas Warton vor, daß er Spenser mit dem Virgil in der einen und dem Maßstab der französischen Kritik in der andern Hand beurteile. Er hält es des menschlichen Geistes für würdiger, die hohen Talente der kunstlosen Natur zu bewundern, als die Spielwerke der Kunst. Er erkennt Homer nicht deutlicher in der Einheit und den Verhältnissen seines Plans, als in dem großen Umriß, der un- verfeinerten Simplizität, dem kühnen Ideal seiner Helden, der Fruchtbarkeit seiner Einbildungskraft und dem Reichtum seiner Erfindung. Heftig weist er Warton's Tadel gegen Ariost zurück, daß sich dieser nach Boiardo

Herder Gerstenberg 437

statt nach den Regeln der griechischen und römischen Muster gerichtet habe. Die Maschinerien Homers seien nicht mehr und nicht weniger Ge- schöpfe der Einbildungskraft als die Zaubereien Ariosts* denn auch diese waren national und boten einem Genie wie Ariost ein weites Feld für die malerische Phantasie. Ariost konnte sehr wohl Homer als Modell ge- brauchen, ohne sich an die ängstliche Nachahmungsart Virgils zu binden.

Es ist die reine Kriegserklärung gegen alles Hergebrachte. Nicht die Korrektheit ist maßgebend, sondern Fülle und Reichtum, nicht die Regel, sondern das Genie. Dieses scheidet Gerstenberg scharf von dem schönen Geist, dem bei esprit. Poesie ist nur das, was das Werk des poetischen Genies ist, alles andere verdient den Namen nicht. Ben Jonson, Corneille, Yirgil waren große Köpfe, machten Meisterstücke und hatten kein Genie. Shakespeare, ein Genie, machte selten Meisterstücke und war kein schöner Geist.

Fenelon's Telemaque hat den gleichen Grundstoff der Handlung wie die Odyssee; er hat Erfindung, Maschinen und eine glänzende Sprache. Es fehlt ihm nichts als der Geist Homers, die Kraft, die man Trug oder Illusion nennen mag, die Kraft, die Natur wie gegenwärtig in der Seele abzubilden. Homer läßt uns die Gegenstände sehen. Alle seine Charaktere haben ihr besonderes Gepräge; das Genie drückt sein Siegel darauf. Seine Gefühle sind Funken aus der glühenden Hitze des Genies, reine geistige und subKme Funken ohne den Rauch des Schwätzers. Seine Bilder, seine Gleichnisse sind uns Original, weil unser Auge nur auf der Oberfläche blieb, durch welche das Auge des Genies weit hindurchgedrungen war; der ganze Anstrich wird uns neu, weil er seine Farben von dem wieder- strahlenden Feuer des Dichtergeistes herübemimmt. Virgil, Tasso, Voltaire haben neue Erfindungen, neue Seiten; sie haben alles, was Homer hat, mit Ausnahme des einzigen, wodurch er uns Homer ist.

Meinen wir nicht Piaton zu hören, der das ganze Rüstzeug der Poeten gegenüber der dichterischen Inspiration verwirft? Es wiederholt sich die uralte Scheidung: ohne es zu wissen, führen die Stürmer und Dränger Piatons Gedanken gegen die ganze Heerschar der Aristoteliker ins Feld.

Derselbe Geist weht in Goethe's kleinen Schriften aus dem Jahre 1772. Goethe hatte mit Herder in Straßburg und dann in Wetzlar eifrig Homer studiert. Er hatte das Aufgehen des homerischen Lichtes will- kommen geheißen und es begrüßt, daß das beständige Hinweisen auf Natur auch die Alten von dieser Seite betrachten lehrte. Selbst die Bedenken gegen Wood überwand er, weil dessen Vergleichung der homerischen Helden und der arabischen Wüstenhäuptlinge mit dem herrschenden

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Naturbekenn tnis übereinstimmte. Darum zieht auch er mit grimmem Hohn gegen die Schulweisheit los, die sich erkühnt, mit Regeln den Dichter erklären zu wollen. Er zerzaust Professor Seyholds Schreiben über den Homer und macht auch vor der geheiligten Autorität des Horaz nicht halt. Wenn der Stoff der Ilias der Zorn des Achilleus ist, so reißt uns Homer nicht, wie Horaz behauptet, mitten in die Ereignisse, sondern fängt ab ovo an, ja noch bevor das Ei empfangen war. Nach der Rezension scheint Seybold, dessen Schrift ich nicht selbst gesehen habe, im ganzen die Gedanken Le Bossu's reproduziert zu haben. Bemerkenswert ist der Schluß. Seybold hatte gesagt, ein junges Genie lerne von Homer Dichter seiner Nation werden wie Yirgil. Darauf ruft Goethe aus: „Wann war Virgil Dichter seiner Nation? den Römern das, was Homer den Griechen war? Wann konnte er es sein? Wenn sie sonst nichts aus ihm lernen, als was Virgil, was mehrere aus ihm gelernt haben, mit Hyazinthen, Lotos, Violetten ihre Gedichte auszuputzen, braucht's all den Aufwand nicht." Seit Breitinger war der römische Nachahmer allmählich hinter seinem Original zurückgetreten, aber noch nie so unbarmherzig degradiert worden. Goethe ist freilich zu weit gegangen, denn im ersten Jahrhundert war Virgil wirklich der Dichter seiner Nation. Aber wenn man mit dem ganzen Wust der hergebrachten Anschauungen aufräumte, konnte er keine Gnade finden. Nicht minder herb behandelt Goethe in dem kleinen Aufsatz Franken zur griechischen Literatur einen Auszug Herwigs aus der Ilias. Homer, sagt Goethe, bleibe ihm trotz allen Unbilden der Kommentatoren unverletzt wie Hektors Leichnam.

Natur, Genie, Homer erschienen manchem Bürger der Zeit identische Begriffe, bestimmt, die Welt vom Zwange der Konvention zu befreien. In seiner Ode An das Meer gibt Leopold Stolberg in prachtvollen Versen das Glaubensbekenntnis seiner Zeit. Den Dichter zeugt der Geist des Herrn, mütterlich säugt ihn die Erde, seine Phantasie wiegt sich groß auf dem blauen Wellenschoß des Meeres. Umrauscht von den Wogen und den Riesentaten goldner Zeit, stand der blinde Sänger am Meer; ihn überkam die Begeisterung des Gesangs, und der See ent- stiegen Ilias und Odyssee. Dem Sehenden wären Himmel, Erde und Meer vor dem Anblicke entschwunden, dem Blicke des Blinden sangen sie alles das zurück. Von der lästigen Gesellschaft geärgert, Üüchtet Werther zu seinem Homer, und es ist ein Anzeichen der beginnenden Verdüsterung, wenn Ossian in seinem Herzen den Homer verdrängt. Die begeisterten Jünglinge des Hainbundes sehen in dem Dichter einen der ihren, einen ionischen Barden, der seinem Volke Aufklärung predigt. Lavater, dessen kleiner Aufsatz über Genie auch ein wahres Glaubens-

Goethe Stolberg Merian 439

bekenntnis dieser Zeit ist, sagt vor einer Büste Homers : Der Mann sieht nicht, hört nicht, fragt nicht, strebt nicht, wirkt nicht. Der Mittelpunkt aller Sinne dieses Hauptes ist in der obem, flach gewölbten Höhlung der Stirn, dem Sitze des Gedächtnisses. In ihr ist alles Bild geblieben, und alle ihre Muskeln ziehen sich hinauf, um die lebendigen Gestalten zur sprechenden Wange herabzuleiten. Niemals haben sich diese Augen- brauen niedergedrängt, um Verhältnisse zu durchforschen, sie von ihren Gestalten abgesondert zu fassen; hier wohnt alles Leben mit- und neben- einander. Es ist Homer. Dies ist der Schädel, in dem die ungeheuren Götter und Helden so viel Raum haben, als im weiten Himmel und auf der grenzenlosen Erde.

Es stimmt mit dem Zuge der Zeit überein, wenn die Lehre von dem Einfluß der Wissenschaften auf die Poesie geleugnet wird. In dieser Hin- sicht ist ein Aufsatz lehrreich, den Johann Bernhard Merian in den Jahren 1773/74 der Berliner Akademie vorlegte. Merian geht davon aus, daß die göttliche Inspiration ein berechtigter Glaube der Dichter sei, der Rausch des Genies; wer der Poesie, führt er aus, einen menschlichen Ursprung gibt, sucht ihn im Herzen des Menschen. Das Wunderbare erzeugte sich in den ältesten Zeiten von selbst, aus dem Anschauen der ganzen Natur. Der Gesang entstand aus den menschlichen Affekten, Form gab ihm die Verknüpfung zum Rhythmus. Die ersten Gesänge erschollen in der Ernte und Weinlese, bei Opfern und Erntefesten. Nirgends ist dabei ein Einfluß der Wissenschaften zu spüren, die es auch in den Zeiten der ältesten Dichter gar nicht gab. Bei den Griechen wurden die frühesten Gedichte spät aufgeschrieben oder sind verloren, oder die, von denen berichtet wird, haben gar nicht existiert, und die Tradition von ihnen ist Fabel. In der hebräischen Poesie erzeugte der Gegenstand den Ausdruck unmittelbar. Kelten und Germanen waren unwissende, aber durchaus poe- tische Völker. Ossian ist ein Beispiel, wie hoch sich ein Genie ohne Hilfe der Wissenschaften erheben kann. Was über griechische Dichter und Ge- dichte vor Homer berichtet wird, ist alles von sehr zweifelhafter Echtheit.

Homer selbst kannte wahrscheinlich die Schrift nicht und lebte in einem halbrohen Zeitalter, von dem Merian, ohne Zweifel durch Wood verleitet, eine abschreckende Beschreibung macht. Bei Homer ist alles von der schönsten Einfachheit, aber von Kenntnis der Wissenschaften findet sich keine Spur; er war einfach ein trefflicher Beobachter. Der Versuch Plutarchs, Homer zum Vater der Wissenschaften zu machen, ist ganz verfehlt; übrigens hat der Verfasser, der nicht Plutarch ist, seinen Einbildungen selbst nicht recht getraut. Besonders eifrig setzt Merian der allegorischen Auslegung Homers und der Mythen zu, die Winckel-

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maim noch angenommen, Lessing und Herder abgelehnt hatten. Er weist eingehend nach, daß sie im Altertum gar nicht allgemein anerkannt war, und daß vor allem in der heroischen Poesie davon keine Rede sein könne. Sind doch selbst Personifikationen von Abstraktionen bei Homer wesen- hafte, untergeordnete Gottheiten. Der Irrtum kam daher, daß man diese Wesen später nicht mehr mit den Augen der homerischen Welt ansah. Zuerst haben die Philosophen durch die allegorisehe Deutung die Poesie entstellt, nach ihnen die Kommentatoren, die den ganzen Olymp ver- flüchtigten und sich dabei auf Homer beriefen. Am schlimmsten wurde die Sache, als im Kampf gegen das Christentum die Neuplatoniker das Heidentum hinter der Allegorie verstecken mußten. Diese Art der Er- klärung war zugleich immer ein Freibrief des Unglaubens. Wenn sie sich bis heute fortgesetzt hat, so ist es wie eine erbliche Krankheit und eine falsch verstandene Liebe zu Homer; die Verblendeten zerstören dach ihr Werk selbst, wenn sie in Homer bald die tiefsten Erkenntnisse in Religion und Moral finden, bald anstößige Götterszenen dadurch zu retten suchen, daß sie die Götter zu Elementen machen. Von den modernen Allegoristen zitiert Merian Bacon, Cudworth, Duport; von Le Bossu's Rezept für das Epos sagt er, nie habe man methodischer gefaselt. Er urteilt, M™® Dacier habe sich nur durch die allegorische Auslegung La Motte gegenüber eine Blöße gegeben, der sonst bei völliger Unkenntnis des Altertums und Homers nicht würdig gewesen sei, mit ihr in die Schranken zu treten. Von Pope, einem Übersetzer ersten Ranges, bedauert Merian, daß er dieser Art von Erklärung nachgegeben habe. Will man,^ sagt Merian ferner, behaupten, Homer habe sein Wissen unter der Alle- gorie versteckt, um die Hörer nicht abzuschrecken, so gibt man zu, daß Wissen und Poesie nicht zusammenpassen. Man versuche nur dem buch- stäblichen überall den mystischen Sinn unterzulegen, und man wird sehen, welch ein Wechselbalg herauskommt; die Poesie verderbt die Wissenschaft, und diese erdrückt die Poesie. Li den folgenden Aus- führungen herrschen die Ansichten von Blackwell und Wood. Merian erörtert die günstigen Bedingungen, die Homer vorfand, und preist ihn als das Originalgenie, den Schöpfer des Epos und aller spätem Dichtungs- gattungen. Er schließt damit, daß eine gleichzeitige Höhe der Poesie und Wissenschaft noch kein Beweis für die Beeinflussung jener durch diese sei; wohl aber erwecke die Poesie, die bei allen Nationen das frühere sei, das Verständnis für die Wissenschaft.

Der neuen Begeisterung für Homer entsprang das Bestreben, ihn zu übersetzen. Als Form der Übersetzung hatte Gottsched zuerst

Merian Übersetzung 441

Trochäen, dann den Hexameter vorgeschlagen, und sein Schüler Venzky erörterte in den Beyträgen die für den Übersetzer notwendigen Eigen- schaften. Eifrig erwog Breitinger in der Critischen Dichtkunst die Gesetze der richtigen Übersetzung, gab aber die Homerstellen, die er zitierte, in Prosa. Bei dieser Form blieb auch die von gründlichem Wissen zeugende, aber herzlich unbeholfene Übersetzung von Winckelmanns Lehrer D amm, 1769, der auch ein etymologisches Wörterbuch zu Homer verfaßte. Für Bodmer galt von vornherein Klopstocks Hexameter als die für die Homerübersetzung gegebene Form; daß sich die übrigen modernen Völker, sofern sie nicht, wie die Franzosen, die Prosa wählten, an ihre nationalen Maße hielten, störte ihn nicht. Gegenüber der angeblichen Verschönerung durch Pope bestand er auf dem engsten Anschluß an den Wortlaut des Originals. Von 1755 an gab er mehrmals Proben eigener Übersetzungen heraus. Die Möglichkeit und Notwendigkeit einer guten Übersetzung wurde immer lebhafter besprochen. Moses Mendelssohn sprach den Wunsch aus, es möchten sich vierundzwanzig Männer zusammenfinden, die mit Gemächlichkeit die Ilias in irgendwelcher Form übersetzten. Lessing griff in die Frage wenig ein. Er geht in Diderot's Spuren, wenn er von dem grimmig herabschreitenden ApoUon sagt, es sei unmöglich, die musika- lische Malerei, welche die Worte des Dichters mit hören lassen, in eine andere Sprache zu übersetzen. Auch weist er im Laokoon auf die Schwierig- keit hin, die Freiheit Homers in Häufung und Zusammensetzung der Beiwörter nachzubilden. Über die Schwierigkeiten jeder Übersetzung eines Dichterwerkes in Prosa hat er sich in der Dramaturgie ausgesprochen. Klotz und seine Sippe wollten von einer Übersetzung überhaupt nichts wissen. Sie schlössen an eine Kritik Damms die Urteile der Franzosen, das von M™® Dacier gegen die poetische, das Voltaire's gegen die prosaische Übersetzung. Klotz selbst gefiel sich darin, homerische Stellen in zier- lichen lateinischen Hexametern wiederzugeben, eine seiner Zeit gegenüber törichte Gelehrteneitelkeit.

Auch hier eröfinete Herder tiefe Einblicke. Von einem Literaturbrief Abbt's ausgehend, untersucht er die Möglichkeit, durch das Mittel der alten Sprachen die eigene zu bereichern, und warnt dabei so eindringlich als möglich vor Anwendung der antiken Silbenmaße, besonders des Hexa- meters; eine in diesem Verse abgefaßte Übersetzung wäre etwas ganz anderes als Homer. Mit dem feinsten Verständnis zeigt er, wie wenig der ganz auf das Ohr berechnete Vers Homers unserer Art des Ausdrucks entspreche. Ein wirklicher Übersetzer müsse ein schöpferisches Genie sein^ wenn er in Übertragung der in Worte gekleideten Gedanken, der in Bil- der verwandelten Empfindungen seinem Original Genüge tun wolle; denn

442 Deutschland und die Schweiz

er müsse die Schönheiten einer Sprache, die noch keine ausgebildete Prosa hatte, in eine andere verpflanzen, die auch im Silbenmaß noch Prosa bleibe. Wenn dann Herder im ersten Aufsatz Von der griechischen Litera- tur in Deutschland das Ideal einer Homerübersetzung entwirft, so fügt er hinzu, er würde darin Poesie und Hexameter nicht gerne vermissen, aber beides in griechischem Geschmacke wünschen. Selbst dann würden die Schönheiten kaum einigermaßen ersetzt, die im Homer unübersetzbar bleiben. In den Kritischen Wäldern sagt er, man lese Homer nur dann wirklich, wenn man ihn insgeheim in die eigenen Gedanken, in die Mutter- sprache übersetze. Nicht aus Bedürfnis, sondern aus Patriotismus wünscht er einen deutschen Homer, und er verzweifelt nicht an der Möglichkeit der Übersetzung Homers durch einen Originalgeist. Hier wird nicht von der Form gesprochen.

Im Anschluß an Wielands und Eschenburgs Prosa-Übersetzungen Shakespeare' s, die er in Straßburg kennen lernte, redete Goethe, wenig- stens für den Anfang jugendlicher Bildung, der Prosa das Wort. Ich ehre, sagt er, den Rhythmus wie den Reim, wodurch Poesie erst zur Poesie wird, aber das eigentlich tief und gründlich Wirksame, das wahr- haft Ausbildende und Fördernde ist dasjenige, was vom Dichter übrig bleibt, wenn er in Prosa übersetzt wird. Dann bleibt der reine voll- kommene Gehalt, den uns, wenn er fehlt, ein blendendes Äußere oft vorzuspiegeln weiß, und verdeckt, wenn er gegenwärtig ist. Seinen Vor- schlag, eine der Stufe der deutschen Literatur würdige Übersetzung Ho- mers in Prosa zu unternehmen, stützt er mit dem Hinweis auf Luther, dessen einheitliche deutsche Übersetzung die Religion mehr gefördert habe, als wenn er die Eigentümlichkeiten des Originals im einzelnen hätte nach- bilden wollen. Für die Menge, auf die gewirkt werden soll, bleibe eine schlichte Übertragung immer die beste. Jene kritischen Übersetzungen, die mit dem Original wetteifern, dienten eigentlich nur zur Unterhaltung der Gelehrten untereinander.

Wenig später, 1776, übersetzte Klopstock das zweiundzwanzigste und einen Teil des zwanzigsten Buches der Ilias in Prosa. Die damals erschienenen Proben der Übersetzung Bürgers im Blankvers hatten nicht seinen Beifall gefunden; aber bemerkenswert bleibt, daß er, der Schöpfer des deutschen Hexameters, diesen Vers für eine Homerübersetzung nicht für geeignet erachtete.

Der Originalgeist, der Homer den Deutschen so übertragen hätte, wie Herder es wünschte, ist nicht erschienen. Doch zeitigten die siebziger Jahre mehrere wichtige Leistungen. 1771 trat Bürger mit der Probe einer Übersetzung im Blankvers auf. Die Vorrede zeigt den Dichter von

Übersetzung Bürger Stollberg 443

Herders Fragmenten stark beeinflußt, weicht aber darin von ihm ab, daß er Homer darstellen will, wie ihn Piatons Zeitalter gesehen hat, als einen ehrwürdigen Mann von altem Schrot und Korn. Der Deutsche solle einen Homer erhalten, der nach Altertum schmecke, weshalb altertümliche Worte zu wählen seien, wie sie sich bei Luther, den Minnesängern, unter den Neueren bei Klopstock, Ramler, Ringulph demBarden finden lassen. Homer muß mit allen scheinbaren Flecken übersetzt werden, denn wir wollen nicht irgend eine Ilias, sondern Homers Ilias. Treue bedeutet aber nicht sklavische Abhängigkeit; vielmehr hat der Übersetzer Wendungen, die im Deutschen niedrig wären, zu adeln. Den Hexameter verwirft Bürger. Wenn Herder, sagt er, auch nicht beweise, daß man keine Hexameter machen müsse, so beweise er doch, daß man Hexameter nicht in Hexametern übersetzen solle. Bürger wählte daher das iambische Maß, das dem nor- dischen Ohre eindrucksvoller sei und genügend Abwechslung erlaube, während er auch in der Einleitung zu den weiteren Proben 1776 den deutschen Hexameter als zu monoton erklärt.

Dem Versuch, für Homer ein heimisches Gewand zu finden, gebührt volle Anerkennung. Das haben beim Erscheinen von Bürgers Proben Goethe und Wieland anerkannt. Sie behaupteten einem enthusiastischen Verehrer Homers gegenüber, Homers Versifikation verliere in jeder Über- setzung notwendig, würde aber im deutschen Hexameter weit mehr ver- lieren als im iambischen Vers, der ihrer Meinung nach das echte, alte, natürliche Maß unserer Sprache sei. Die vielen Härten der Verse, eine notwendige Folge des gewählten Maßes, und der Mangel an der musi- kalischen Pracht, die das Original auszeichnet, wogen die erste Freude an der männlich kraftvollen Sprache Bürgers nicht auf. Im Verlauf wurde die Arbeit manierierter, die Willkür dem Original gegenüber größer. Als dann Stolberg mit seiner Übersetzungsprobe auftrat, blieb Bürger verstimmt stecken; und wie in rascher Folge Stolbergs Ilias, Bodmers Homer und Vossens Odyssee erschienen und damit der Sieg des Hexameters entschieden war, kapitulierte Bürger selbst vor dem Sieger. Er widerrief 1784 die Irrtümer seiner Jugend und veröffentlichte die Übersetzung einiger Bücher der Ilias in Hexametern.

Von Klopstock angeregt, trat Leopold Stolberg zuerst 1776 mit dem zwanzigsten Buch, dann 1778 mit der ganzen Ilias hervor. Von ihm hat Lavater gesagt, im Bogen der Augenlider und im Glänze der Augen sitze nicht Homer, aber der tiefste, innigste, schnellste Empfinder, Ergreifer Homers, nicht der epische, aber der Odendichter; Genie, das quillt, umschafft, veredelt, bildet, schwebt, alles in Heldengestalt zaubert, alles vergöttlicht. So ist wirklich das Werk, dessen Lektüre noch heute

444 Deutschland und die Schweiz

Genuß gewährt, obwohl es einen zwiespältigen Eindruck macht. Sicher übertrifft Stolberg an poetischem Verständnis, an kongenialem Erfassen Homers alle seine Nebenbuhler. In gewaltigem Schwünge strömt die Sprache dahin; die homerische Schilderung wirkt in voller Lebensfülle und Anschaulichkeit. Aber die Form ist zu nachlässig behandelt; dieses Genie verachtete die Feile. Nicht daß Stolberg den deutschen Hexameter dem griechischen nicht enger angenähert hat, ist das Verfehlte, sondern daß wir gar zu viele Verse nicht rhythmisch lesen können, ohne zu skan- dieren. Wir wollen nicht alle Augenblicke an einen Prellstein anrennen. Mag sich der deutsche Hexameter zum griechischen verhalten wie er will, jedenfalls verlangt der deutsche Leser zum ruhigen Genuß eine klare Form, und das ist Stolbergs Vers vielfach nicht. Seine Ilias gibt Herders Bedenken gar zu oft Recht. Dennoch sind ihm unübertroffene Partien gelungen. Er zuerst hat jene Beiwörter geprägt, die seither im Deutschen als die richtige Wiedergabe der homerischen gelten. Er ist auch der erste, der Jupiter Juno Minerva absetzt und Zeus Here Athene wieder zu ihrem Rechte verhilft.

Im gleichen Jahre 1778 gab Bodmer seine Übersetzung des ganzen Homer. Er, der noch in hohem Alter beim Nennen Homers zum Jüng- ling wurde, hatte seit seinen ersten Versuchen die Arbeit nicht mehr ruhen lassen, bis sie nun in seinem achtzigsten Jahre vollendet war. Wenn besonders der weimarische Kreis die Gabe sehr freundlich aufnahm, so geschah das wohl nicht aus Pietät, sondern infolge der großen Vertraut- heit mit dem Original, die der Übersetzer zeigte. Herder sagte mit Recht, man werde den Mann gewahr, der mit dem Altvater lange Jahre unter einem Dache gewohnt und ihm redlich gedient habe, und Goethe nahm die Übersetzung 1779 mit auf die Schweizerreise.

Daß Bodmer den Hexameter wählte, war für ihn selbstverständlich. Aber es ist auffallend, wie viel ungefüger, schwerer, massiger der Hexameter dieser Übersetzung daherstolpert als der der Noachide; ein sprechender Beweis, wie viel schwerer die Form zu lenken ist, wenn sie nicht der dichterischen Erfindung, sondern einem fremden Original zu dienen hat. Von Stolbergs genialem Zug ist Bodmers Werk durchaus verschieden. Oft verunzieren triviale und moderne Ausdrücke den Vers, und das Ganze spricht wohl von strenger, tüchtiger Arbeit, aber nicht von der Fähigkeit^ die Erhabenheit und Schönheit des Originals wiederzugeben. Die Bei- wörter und Eingangsformeln hat Bodmer nach Bedarf verschieden über- setzt, oft gekürzt; viel seltener zeigen sich Erweiterungen.

Während man noch die Verdienste Stolbergs und Bodmers gegen einander abwog, erschien 1781 Johann Heinrich Voß mit seiner Über-

Übersetzungen Bodmer Yoß 445

Setzung" der Odyssee. Von allen Übersetzern der Zeit verfügte er über die reichste Kenntnis des Griechischen und in sprachlicher und sach- licher Hinsicht über das größte Verständnis Homers. Seele des Hain- bundes, hatte er Klopstock über alles erhoben, vorübergehend auch Ossian über Homer gestellt. Als er 1776 Blackwell ins Deutsche übersetzte, gab er die Homerzitate in Hexametern; denn daß dies die einzig denkbare Form der Übersetzung sei, stand ihm fest; Bürgers Versuch verachtete er als modische Ziererei. Zur Übersetzung der ganzen Odyssee war er, wie Stolberg, durch Klopstock angeregt worden. 1777 erschien eine erste Probe, 1781 das ganze Gedicht. Diese erste Fassung zeigt unstreitig das vielfach geglückte Bestreben, bei aller Treue gegenüber dem Original Homer wirklich deutsch zu geben. Sie bewahrt dem griechischen Vers gegenüber noch eine freiere Haltung, obwohl sie Klopstocks Hexameter bereits nach dem Muster des homerischen weiter bildet. Als Voß 1793 die Odyssee zum zweitenmal und zugleich die Ilias herausgab, zeigte sich eine bedeutend größere Glätte der Form, aber eine beträchtliche Einbuße an Frische des Tons.

Der größte Vorzug der Übersetzung ist die Treue im einzelnen. Was eiserner Fleiß und philologische Gewissenhaftigkeit vermögen, ist hier so ziemlich geleistet. Dennoch fehlt es an Zusätzen und Weglassungen durch- aus nicht, und die deutsche Wendung weicht von dem homerischen Sinn nicht selten ab. Daran ist vielfach der verderbliche Eigensinn schuld, mit dem Voß es durchsetzen wollte, die Verszahl des Originals in der Über- setzung beizubehalten. Schon der alte Gottsched hatte mit richtiger Ein- sicht davor gewarnt. Kein Gedicht einer fremden Sprache kann auf diese Weise auch nur annähernd ausgeschöpft werden. In der Mehrzahl der Fälle, in denen sich die Übersetzung dem Original nicht anpassen kann, wird sie dieses beschneiden müssen. So hat Voß gleich im zweiten Vers der Ilias die bedeutsame Charakteristik des Zornes als eines fluchwürdigen einfach unterdrücken müssen. Gleich verderblich hat das genannte Prinzip in Schlegels Shakespeare gewirkt. In weniger häufigen Fällen war ein leerer Raum auszufüllen, und dies geschah durch Auszierungen, die den schlichten homerischen Charakter fälschten, und die man nicht damit hätte verteidigen dürfen, daß Homer durch sie unserer Empfindung näher gebracht werde. Was bei M""® Dacier und Pope ein Fehler war, kann bei Voß keine Tugend sein.

Der homerische Stil verlangt die Einführung jeder Rede durch einen besonderen Vers. Was dem Hörer des rhapsodischen Vortrags eine Er- leichterung war, macht den deutschen Vers schwerfällig und beleidigt das deutsche Stilgefühl. Schon die Nibelungen führen die redende Person

446 Deutschland und die Schweiz

ganz kurz, oft parenthetisch ein, und als Goethe für sein herrliches Idyll die homerische Form wählte, vermied er diese Schablone. Das Beiwort hatte schon bei Homer nicht mehr durchaus die feste Beziehung- zum Sinn des Satzes, die ihm bei seiner Prägung eigen gewesen war. Es war an seinem Beziehungswort haften geblieben und steht nun bei Homer vielfach auch da, wo es unnötig, ja unstatthaft erscheint. Hier wurde die Treue der Übersetzung zum Fehler. Das Beiwort mußte gewogen werden und durfte nur da Platz finden, wo es zum Sinn in Beziehung ge- setzt werden kann. Dazu kommt, daß die Beiwörter, auf die Voß so namen- lose Mühe verwendet hat, vielfach einen viel größeren Raum einnehmen als im Original, weil er oft gezwungen war zum Partizip zu greifen, wo- durch er zugleich die Schilderung in Handlung umsetzte. Daß er bei der Prägung solcher Wörter arge Absurditäten beging, darf nicht verschwiegen werden; eine der schlimmsten dürfte sein, daß aus den vornehmen Troer- innen mit den langen Schleppen „die saumnachschleppenden Weiber" geworden sind.

Wenn die Bekanntschaft mit dem niederdeutschen Bauemieben Voß manche Einzelheit Homers verstehen lehrte, so war gerade die idyllische Betrachtung das größte Hindernis, den Dichter richtig zu erfassen. Zu- gleich mit der Arbeit an der Odyssee dichtete Voß den Siebzigsten Ge- burtstag und begann die Luise, und da ihn an der Odyssee vor allem das idyllische Moment anzog, beherrschte der Ton des Idylls, den er für homerisch hielt, auch die Übersetzung.

Worttreue und immer stärkere Ummodelung des Hexameters nach dem griechischem Vorbild sind die charakteristischen Eigenschaften des Homer von 1793. Klopstock hat gesagt, wenn das Original verloren ginge, könnte es nach Voß wieder hergestellt werden; aber das ist ein zweifel- haftes Lob, denn man könnte das nach den lateinischen Interpretationen wohl auch. Was im Homer steht, erfahren wir aus Voß genauer als aus irgend einem seiner Vorgänger; aber es fehlt die Seele des Dichters, das stürmische Feuer, es fehlt vor allem die Schönheit. Herder hatte Recht behalten: der deutsche Hexameter ist nicht der griechische, und um Homer zu übersetzen, hätte es eines Originalgeistes bedurft.

Trotz alledem war das bisher Geleistete wenigstens in der Form über- boten, und Stolberg wie Bürger erkannten das rückhaltlos an. Wieland besprach die Arbeit verständig, aber mit hohem Lobe. August Wilhelm Schlegel schrieb 1796 eine von tiefstem Verständnis zeugende, sehr ein- schneidende Kritik. Er zog zwar später gelindere Saiten auf, als er durch die eigenen Versuche die Schwierigkeit der Übersetzungskunst kennen gelernt hatte, sprach aber über die späteren Ausgaben doch das harte

Voß Goethe 447

Urteil aus, Voß habe die Deutschen mit einem steinernen Homer beglückt. Schiller ließ nur die Odyssee von 1781 gelten, die spätere Fassung und die Ilias nicht. Goethe war für die vossische Übersetzung nur langsam gewonnen worden, übersah dann aber in seiner großen Art die Fehler neben der Tüchtigkeit der Leistung. Doch gibt es noch aus seinen letzten Jahren eine Äußerung von ihm, das beste Urteil, das je über Voß aus- gesprochen worden ist. Er besitze, sagte er zu Eckermann, Zeichnungen nach Raffael und Domenichino, die nach dem Urteil Meyers etwas Unge- übtes haben, aber zeigen, daß der Zeichner ein zartes und richtiges Gefühl von den Bildern hatte, so daß sie uns das Original treu vor die Seele rufen. Ein jetziger Künstler würde richtiger zeichnen, uns aber von den alten Meistern bei weitem keinen so reinen und vollkommenen Begriff geben. So sei es auch mit Übersetzungen. Voß habe von Homer eine treffliche gemacht, aber es ließe sich denken, daß jemand eine naivere^ wahrere Empfindung des Originals hätte besitzen und auch wiedergeben können, ohne im ganzen ein so meisterhafter Übersetzer zu sein wie Voß.

Goethe hat Homer sein ganzes Leben lang begleitet. Mit der be- ginnenden Klärung am Ende der siebziger Jahre begann ihn Winckel- manns Betrachtungsweise, die ihm zuerst in Leipzig durch Oeser vermittelt worden war, ganz zu erfüllen. Das griechische Schönheitsideal stieg sieg- reich vor seinem innern Auge auf; wie er es faßte, zeigt die Iphigenie. Als er dann den Boden des klassischen Landes betrat, wurde ihm die Antike lebendig, traten ihm Himmel und Meer, Gestade und Liseln, wie die einfachen Verhältnisse der homerischen Zeit greifbar deutlich ent- gegen, wurde ihm die Odyssee ein lebendiges Wort. Darüber hinaus reifte in ihm der Entschluß zu vollbringen, was Winckelmann und Young den Künstlern als Ziel vorgezeichnet hatten: mit den Augen der Griechen die Natur zu betrachten, in ihrer Weise sie nachzuahmen und ihnen sa ebenbürtig zu werden. La Sizilien zuerst dachte er an eine Tragödie mit homerischem Stoff, NausiJiaa, und griff damit in „Hellas' urväterlicher Sagen göttlich heldenhaften Reichtum". Hier in der Sage lagen, so hatte schon Herder gelehrt, die Wurzeln der Kraft der alten Dichter; hier ge- dachte Goethe mit ihnen zn wetteifern. Die Liebe der Nausikaa zu Odysseus, die uns Homer nur in unvergleichlich zarten Strichen andeutet, sollte den Inhalt des Dramas bilden. Nausikaa sollte zur Hauptperson werden und an der Unmöglichkeit ihrer Liebe untergehen.

In den Jahren nach Goethes Rückkehr tritt Homer etwas zurück^ ist aber nicht vergessen. In der ersten Epistel erfreut die feine Be- gründung der allgemeinen Popularität des Dichters. Er wird von allen

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gehört, von allen gelesen, weil er sich in den Geist jedes Hörers einzu- schmeicheln versteht. Den Helden im hohen Palaste klingt die Ilias immer herrlich; auf dem Markte, wo sich der Bürger versammelt, hört sich besser Ulyssens wandernde Klugheit an. Dort sieht sich jeder Held im Helm und Harnisch, hier sieht sich sogar der Bettler veredelt. Von Interesse ist an dieser Stelle die Unterscheidung des heroischen Cha- rakters der Ilias von dem bürgerlichen der Odyssee; wir haben den Ge- danken ähnlich schon bei Gravina, Le Bossu, Spence und Wood gefunden. Der Freundschaftsbund mit Schiller führte Goethe, wie zur Poesie überhaupt, so auch wieder zum Epos zurück. Als er 1795 an Hermann und Dorothea dachte, sprach er zwar zuerst nur von einer bürgerlichen Idylle und kleinen Stoffen, an die er sich fortan halten werde. Aber das Gedicht wurde ihm zur,, großen Idylle", die er schließlich selbst ein Epos nannte, zu einer Parallele zu den Werken des epischen Altvaters, den er wieder eifrig studierte. Es ist nicht schwer, in dem herrlichen Gedichte die homerischen Reminiszenzen zu bemerken; daß es trotzdem gar nicht antikisierend ausfiel, war der Beweis, wie vollständig die Nachahmung der Alten im Sinne Winckelmanns erreicht war. Das hat keiner besser gesehen, als August Wilhelm Schlegel in seiner ausgezeichneten Rezension des Gedichtes. In der Einfachheit des Epos, führt er aus, nicht als der höchsten und vorzüglichsten, wohl aber einer reinen, vollendeten Gattung, stimmt Hermann und Dorothea erstaunenswürdig mit den großen Vor- bildern überein. Der Stoff des Epos verlangt den festen Boden der Wirk- lichkeit, entweder die Sage als Darstellung früherer Sitte oder die Sitte des Zeitalters, in dem der Dichter lebt. Für diese epische Darstellimg des Privatlebens eignet sich unsere Zeit besser als für öffentliche Taten und Verhältnisse, und zwar für das gesunde Leben mittlerer Stände. Die Einfachheit der von Goethe geschilderten Sitten erfüllt uns mit ähnlicher Ehrerbietung, wie die Griechen zu Homers Zeit die heroische Kraft seiner großen Gestalten. Doch erfordert die epische Darstellung nicht nur einen stillen Kreis häuslichen Lebens, sondern ein Zusammentreffen außerordent- licher Umstände. Daher knüpfen bei Goethe die individuellen Vorgänge an das Allgemeine und Wichtigste an und tragen das Gepräge des ewig denk- würdigen Jahrhunderts. Das ist das Wunderbare, wie es in einem Epos aus unserer Zeit einzig stattfinden darf. Der Stil ist dem Werke nicht von außen mit schmückender Hand angelegt, sondern als notwendige Hülle des Gedankens von innen heraus gebildet. Es scheint, als hätte Goethe, nachdem er das Wesen des homerischen Epos, abgesehen von aUen Zufälligkeiten, erforscht, den göttlichen Alten gänzlich von sich ent- fernt und gewissermaßen vergessen. Sehr fein ist zum Schlüsse die Art,

Goethe Schiller 449

wie Schlegel der Verwendung der poetisclien Mittel, Beiwörter, Gleich- nisse, Wiederholungen, nachgeht und klarlegt, wie sich, da sie für den ver- änderten Stoff modifiziert sind, gerade in den Abweichungen die wahre Übereinstimmung zeigt.

Schon in Hermann und Dorothea sehen wir die Früchte der theo- retischen Studien am Epos, wie sie uns im Briefwechsel mit Schiller offen vor Augen liegen. Als wesentlich für das Epos erkannte Goethe die retardierenden Momente, von denen denn auch in Hermann und Dorothea «in ausgiebiger Gebrauch gemacht ist. Daneben betont Schiller die Selb- ständigkeit der Teile, die aus dem Zweck des Epikers stammt, der bloßen, aus dem Innersten herausgeholten Wahrheit. Dieser Zweck des Dichters liegt schon in jedem Punkte der Bewegung, weshalb wir nicht unge- duldig zu einem Ziele eilen, sondern mit Liebe bei jedem Schritte ver- weilen. Diese Erkenntnisse waren neu. Die Retardationen Homers hatte einst Vida hervorgehoben, den jedoch Goethe vermutlich nicht kannte; übrigens hatte Vida sie lästig gefunden. Die starke Hervorhebung des ■einzelnen Teils ist so ziemlich das Gegenteil von des Aristoteles Lehre von den Episoden und ihrem Verhältnis zum Ganzen. Den Aristoteles nahmen die Dichter während ihrer Studien wieder zur Hand, vermutlich in der 1753 erschienenen Übersetzung von Michael Conrad Curtius. Sie lesen ihn mit Vergnügen und weitem, freiem Geiste, lassen ihm auch sein historisches Recht unverkürzt, sind aber gar nicht gewillt, die selbst- erworbene Erkenntnis ihm gegenüber aufzugeben. Schiller sagt, wenn man die Sache, die Aristoteles abhandle, nicht schon vorher gut kenne, so müsse es gefährlich sein bei ihm Rat zu holen, und Goethe erklärt mit dürren Worten, über das Epos finde man bei ihm gar keinen Aufschluß in dem Sinne, wie „wir ihn wünschen". In der Tat enthält denn auch Goethes kleiner, die gemeinsamen Studien zusammenfassender Aufsatz Über epische und dramatische Dichtung keine Anklänge an Aristoteles, sondern gründet sich auf die Auffassung Herders. Der Unterschied beider Gattungen wird ihm am besten durch die Gegenüberstellung des Rhapsoden und des Mimen charakterisiert. Jener vergegenwärtigt vollkommen Ver- gangenes und zwar so, daß er in ruhiger Besonnenheit das Geschehene übersieht, die Zuhörer beruhigt, das Interesse gleichmäßig verteilt und nach Belieben vor- und rückwärts greift. Er hat es mit der Einbildungs- kraft zu tun, die sich ihre Bilder selbst hervorbringt, und der es bis zu «inem gewissen Grade gleichgiltig ist, wofür man sie aufruft. Der Mime dagegen verlangt, daß man alles über seiner sinnlichen Gegenwart vergesse.

Der tiefe Ernst, mit dem die Dichter die Grundsätze des Epos suchten, hatte einen sehr praktischen Hintergrund. Goethe machte sich immer

Finslor: Homer in der Neuzeit. 29

450 Deutschland und die Schweiz

mehr mit dem Gedanken vertraut, ein Epos mit homerischem Stoff zu dichten. Er machte aus der Ilias einen eingehenden, erst 1821 gedruckten Auszug und studierte die homerische Geographie, besonders an der Hand von Wood. Aus dieser Zeit stammen auch die schönen kleinen Proben von Übersetzungen homerischer Stücke, die erst vor kurzer Zeit gefunden worden sind. Es müsse, schien ihm, zwischen ILias und Odyssee noch ein Epos liegen. In der Überlieferung fand er zuerst nur tragische Stoffe^ glaubte jedoch, der Tod des Achilleus lasse sich vielleicht doch episch behandeln. Gewaltig war sein Ringen mit dem Stoff. Zuzeiten schien ihm die Aufgabe unmöglich; dann tröstete er sich damit, daß schon die klare Einsicht von der Unerreichbarkeit eines solchen Vorbildes einen unaus- sprechlichen Genuß gewähre. Sehr einsichtig warnt Schiller vor zu großer Abhängigkeit vom Original und der Absicht, die Achilleis antik werden zu lassen. Er legt Goethe ans Herz, bei Homer bloß Stimmung zu suchen, ohne sein Geschäft mit Homer eigentlich zu vergleichen. Wenn der Stoff tragisch und sentimental sei, so werde Goethe das durch seinen subjektiven Dichtercharakter unfehlbar balancieren, und sicher sei es mehr eine Tugend als ein Fehler des Stoffes, wenn er den Forderungen unserer Zeit entgegen- komme. „Ihr schöner Beruf ist, ein Zeitgenosse und Bürger beider Welten zu sein, und gerade um dieses höheren Vorzuges willen werden Sie keiner ausschließend angehören."

Den Hauptinhalt der Achilleis sollte der Tod des Achilleus und dessen Liebe zu Polyxena bilden. Wie das Epos durchgeführt worden wäre, läßt sich nicht genau sagen. Denn es ist sicher, daß Goethe den massenhaften, der epischen Behandlung widerstrebenden Stoff, den er aus Dictys zusammengetragen hatte, gründlich gesichtet und zum größten Teile über Bord geworfen haben würde.

In formeller Beziehung steht das Gedicht zu Homer im nämlichen Verhältnis wie Hermann und Dorothea. Man spürt vom ersten Vers an, daß der Fortsetzer Homers ein modemer Dichter ist, der sich bei dem Original, wie Schiller es geraten, Anregung holt, aber von sklavischer Nachahmung ganz frei ist. Von höchstem Interesse ist die Art, wie Goethe an die Ilias anknüpft, um die neue Entwicklung zu ermöglichen. Das letzte Buch der Ilias hatte die Versöhnung im Himmel und auf Erden gebracht. Achilleus hatte Hektors Leib herausgegeben und den Vater des Todfeindes bewirtet, Here der in den Olymp eintretenden Thetis den Willkommensgruß entboten. Damit war die Geschichte an ihrem Ende angelangt und duldete psychologisch keine Fortsetzung. Daher hat Goethe die Versöhnung ignoriert. In Achilleus lebt der Haß gegen Hektor fort, und Here lehnt es unwillig ab, Thetis freundlich zu emp-

Goethe ^ 451

fangen. Sie ist unversöhnlich, weil die Bitte der Thetis so vielen Achäern den Tod gebracht hat und Zeus immer noch freundlich der Zeit gedenkt, da er sich mit Thetis vermählen wollte. Die um das unabwendbare Geschick ihres Sohnes klagende Thetis wird von Zeus damit getröstet, daß das Schick- sal nicht unabänderlich sei und überall die Hoffnung, die liebliche Göttin, Raum habe. So könne auch kein Gott wissen, wem die Rückkehr von Ilios bestimmt sei. Dem gegenüber verweist ihn Here auf seinen Schwur, daß Ilios fallen werde, und damit steht im engsten Zusammenhang, daß auch Achilleus fallen muß; denn er steht dem Schicksal Trojas im Wege, weil ihm nicht bestimmt ist, die Stadt zu erobern; er muß also vorher sterben, wenn die Stadt fallen soll. Darum fordert Zeus die Troja freund- lichen Götter auf, den Achilleus zu schirmen, um damit die Stadt zu schützen. Den Feinden Trojas liegt das traurige Werk ob, den herrlichsten Helden der Danaer zu töten, wenn sie den Untergang der Stadt herbei- führen wollen.

Diese Exposition ist durchaus neu und eigenartig. Von Homer ent- lehnt ist nur, was der Dichter dazu brauchen konnte, vor allem die Gestalt der Thetis, die schon Homer vollendet geschaffen hatte. Erweitert ist ihr Bild dadurch, daß sie, um für Achilleus Erbarmen zu finden, an das Mitleid appelliert, das Here für ihren Sohn Hephaistos fühlt, auch dies ein neuer Zug. Ganz neu aber ist, daß das Schicksal Achills von demjenigen Trojas abhängig gemacht und darum in die Hände der Götter- parteien gelegt wird. Auch in dem Streit zwischen Here und Zeus geht Goethe weit über Homer hinaus. Bei diesem regiert Zeus nach Willkür und läßt sich nur durch die Rücksicht auf den olympischen Frieden bestimmen, Here nachzugeben. Bei Goethe beruft sich Here auf das Recht, auf Themis, die ewigste der Götter, während Zeus ihre Auflehnung verwerflich schilt.

Athene jedoch weiß, daß Achilleus dem Schicksal nicht entrinnen wird. Wenn sie beklagt, daß der wilde Jüngling nicht, der Welt zum Segen, ein wohltätiger Fürst werden könne, so erinnert der Gedanke an die Bmenau; und wenn sie nun hinabsteigt, um dem Todgeweihten heute das Glück im Gedanken an den künftigen Ruhm zu bringen, damit ihm der Stunde Hand die Fülle des Ewigen reiche, so mahnt das an den Faust. So bildet der einzige vollendete erste Gesang den verheißungsvollen Eingang eines ganz eigenartigen Werkes, eines Epos mit homerischem Stoff in ganz modemer Behandlung. Wenn Riemer von dem Urteil eines ungenannten Philologen berichtet, es hätte nach Goethes Absicht in der Achilleis kein Vers stehen sollen, den Homer nicht geschrieben haben könnte, während in Wahrheit keiner darin stehe, den dieser ge-

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schrieben haben könnte, so ist der erste Satz nicht wahr, und der zweite enthält ein unfreiwilliges, aber hohes Lob. Goethe gedachte im Sinne Winckelmanns mit Homer zu wetteifern. Seine Götter und Menschen sind nicht griechisch, sondern tragen die Züge der Gegenwart. Man braucht nur einen Blick auf Trissino oder Wilkie zu werfen, um den fundamentalen Unterschied des Nachahmers von dem ebenbürtigen Rivalen zu begreifen. Der letzte Teil des Gesanges ist, bei hoher Schönheit im einzelnen, zu breit angelegt. Wir sehen nicht recht, wie der Dichter das Kommende einleiten wollte.

Von weiterer poetischer Einwirkung Homers auf Goethe zeigt nur die Helena noch einzelne und nur äußerliche Spuren.

An den Studien über das Epos hatte Schiller hervorragenden Anteil genommen. Für das Verständnis des Originals war er in weniger glück- licher Lage als Goethe. Das Griechisch, das er in Stuttgart bei Nast gelernt hatte, wo er Homer im Original so ziemlich lesen konnte, ging in der Folge fast ganz verloren und konnte nicht wieder gewonnen werden. Er war daher auf Übersetzungen angewiesen. Aber wie er die Alpennatur der Schweiz oder die sonnenhelle Landschaft Siziliens herzerquickend und wahr schilderte, ohne sie gesehen zu haben, und wie er sich aus den Übersetzungen des Euripides den Geist des Originals neu erschuf, so erkannte er mit divinatorischem Blick die Schönheit des Altertums durch die oft nur zu sehr verdunkelnde Vermittlung. Auch für ihn bedeutet der Freundschaftsbund mit Goethe den Beginn einer erneuten, regen Be- schäftigung mit Homer. Wir sehen in den Briefen an Goethe und Hum- boldt, mit welcher Freude und welchem Eifer er sich in den Dichter versenkt. Hatte schon sein frühestes Gedicht Hektors Abschied zum Gegen- stand gehabt, so sind die Anklänge an Homer in dieser späteren Pe- riode zahllos. Wir gedenken der schönen Charakteristik der homerischen Helden im Siegesfest, der Erkennung im Grafen von Hdbshurg, der Be- stattung des Achilleus in der Nänie, der Verwendung der Lykaonepisode in der Szene zwischen der Jungfrau von Orleans und Montgomery, vor allem auch der geistreichen Parodien von Odysseus Hadesfahrt in den Xenien. Zum Bilde des Sängers in den Vier Weltaltern hat Homer die Züge geliefert, Homer, wie ihn die Zeit Herders schaute: der Dichter, in dessen Gemüt Gegenwart und Zukunft sich spiegeln, der das Leben vor uns entfaltet, das irdische Haus zum Tempel schmückt, in die kleinste Hütte den Himmel voll Götter einführt, gleich Hephaistos auf dem ein- fachen Runde des Schildes in den flüchtig verrauschenden Schall des Augenblicks das Bild des unendlichen Alls prägt und sich, ein Sohn des kindlichen Alters der Welt, allen Geschlechtem und Zeiten gesellt.

Schiller 453

In den Sängern der Vorzeit preist er Homer besonders dafür glücklich, daß sich die Gefühle des Hörers und des Sängers zu wechelseitiger Glut entzündeten, und in den Künstlern läßt er eine Ilias die Rätselfragen des Schicksals der jugendlichen Yorwelt auflösen, lang ehe die Weisen darüber ihren Ausspruch wagten. Auch wo Homer nicht benutzt ist, waltet sein Geist, in den Epigrammen, wie im ersten Teile des Spazier- gangs.

Den bedeutendsten Einfluß hatten Schillers Studien über Homer auf den tiefen Aufsatz Über naive und sentimentalische Dichtung. Wenn der Grieche nicht mit Innigkeit, Empfindsamkeit, süßer Wehmut an der Natur hängt, so erklärt das Schiller daraus, daß er die Natur in der Menschheit nicht verloren hatte, daher außerhalb dieser auch nicht von ihr überrascht werden und so kein dringendes Bedürfnis nach Gegenständen haben konnte, in denen er sie wiederfand. Die Dichter sind die Bewahrer der Natur, und, je nachdem sie das noch ganz sein können oder nicht, werden sie entweder Natur sein oder die verlorene suchen, werden sie naiv oder sentimentalisch sein. Der naive Dichter ist streng und spröde. Ohne alle Vertraulichkeit entflieht er dem Herzen, das ihn sucht, dem Verlangen^ das ihn umfassen will. Das Objekt beherrscht ihn gänzlich, so daß er mit seinem Werke eins ist. Ein solcher Dichter ist unter den Alten Homer. Er zeichnet eine Welt, in der die Einheit zwischen Denken und Empfinden wirklich noch existiert, deren Wirklichkeit zu schildern seine einzige Aufgabe ist. Seine Größe liegt in der Begrenzung, die auch den hohen Vorzug der bildenden Kunst des Altertums ausmacht. Dadurch siegt er über die Neueren in der Einfalt der Formen und dem, was sinnlich darstellbar und körperlich ist, und es wirkt lächerlich, wenn man Milton oder Klopstock den Namen eines modernen Homers beilegt. Auf der andern Seite kann der neuere Dichter ihn in dem hinter sich lassen, was man in Kunstwerken Geist nennt. Die naiven Dichter können aber, da sie nur die wirkliche Natur darstellen und nicht nach der wahren streben, nur so lange schön sein, als die wirkliche Natur selbst schön ist. Da diese auch niedrig sein kann, ist die Gefahr vorhanden, daß aus dem poetischen Gefühl ein gemeines werde. Denn der Dichter ist von seinem Objekt abhängig, und dieses wird für ihn oft nur zu sehr bestimmend.

Der Unterschied zwischen Natur- und Kunstpoesie ist bei Schiller aufgehoben. Ein Künstler ist jeder wahre Dichter. Auch die Unter- scheidung nach Zeitaltern fällt insofern fort, als Shakespeare und Goethe zu den naiven Dichtem gerechnet werden. Der Umfang und die Tiefe der Schrift gehen ja nun weit über die angeführten Sätze hinaus. Die

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Charakteristik Homers ist Schiller nicht Selbstzweck gewesen. Aber er zeigt ihn uns in einer neuen Beleuchtung, die das Resultat ernsten Forschens und tiefen Verständnisses ist. Mögen wir nicht mit jeder Einzelheit ein- verstanden sein, jedenfalls hat die Schrift das wahre Verständnis Homers mächtig gefördert.

Eine der bedeutendsten Erscheinungen des ausgehenden Jahrhunderts ist Wilhelms von Humboldt etwas weitschweifiges Buch Über Hermann und Dorothea 1799, das, wie kaum eine zweite Publikation der Zeit, von der freien Überlegenheit ihrer Bürger Zeugnis ablegt. Veranlassung des Werkes ist der Wunsch, die Stellung von Goethes Gedicht innerhalb der Weltliteratur näher zu bestimmen, und das geht auch bei Humboldt nicht ohne Aufstellung von Definitiotien und Regeln ab. In dieser Be- ziehung erinnert er an Le Bossu und Terrasson; aber der große Unterschied ist, daß er die neu gewonnenen Gesetze nicht wie jene verwendet, um Poesie und Dichter zu schulmeistern, sondern um beide von der Herrschaft der hergebrachten Regeln zu befreien und für alle Licht und Raum zu schaffen. Er verwirft die seit Aristoteles übliche Methode, die Regeln aus vorhandenen Mustern abzuleiten. Damit verwickelt er sich allerdings in einen gewissen Widerspruch, da er doch auch selbst nicht umhin kann, seine Anschauungen aus dem Vorhandenen zu schöpfen. Berechtigt ist die Ablehnung jener Methode insofern, als man aus den aus Homer und Virgil abstrahierten Regeln nicht das Recht ableiten darf, alle späteren Erscheinungen danach zu beurteilen, wie ja hundertfach geschehen war. Was Humboldt zu ver- meiden trachtet, ist eine zu enge Begrenzung jener Definitionen, wodurch der Poesie der Lebensnerv unterbunden wird.

In der Poesie läßt er als wirksame Kraft nur die Phantasie gelten. Kunst ist ihm die Fertigkeit, die Einbildungskraft nach Gesetzen produktiv zu machen. Sie ist deshalb auch nicht schlechthin eine Nachahmung der Natur, sondern eine Darstellung der Natur durch die Einbildungs- kraft, die eine Einheit der Phantasie erschafft. Notwendige Folgen davon sind Schönheit und Totalität, letztere in dem Sinne, daß der Künstler nicht die Aufgabe hat uns alles zu zeigen, sondern uns in die Lage versetzt alles zu sehen. Weiter fließt aus dem Wesen der Kunst der Charakter der Idealität und der Objektivität. Humboldt verlegt das We- sentliche in der Poesie in die Seele des Dichters und der Zuschauer, auf die das Gedicht wirken soll. Er findet einen Unterschied innerhalb der beschreibenden Dichtung; gemeint ist die epische, die er aber im allgemeinen Teil nicht so nennt, weil er noch speziell auf sie eintreten will. Es handelt sich darum, ob diese Poesie mehr durch Mannigfal- tigkeit und Verschiedenheit der Figuren, oder durch Gestaltung der ein-

Humboldt 455

zelnen und Verbindung aller zu einem Ganzen zu wirken bestimmt sei; ob der Dichter seine Gruppen mehr als Massen oder als Ganze behan- delt habe, mehr durch Farbe und Kolorit oder durch Form erreichen wolle, kurz ob er mehr bildend oder mehr stimmend, musikalisch wirke. Zu beidem hat der Dichter das nämliche Recht, beide Arten der Dar- stellung" stehen gleichberechtigt nebeneinander, und so auch ihre glän- zendsten Vertreter, Homer und Ariost. Humboldt führt das in einer prächtigen Parallele aus, die zum schönsten gehört, was über beide Dichter geschrieben worden ist. Im Reichtum stehen sie einander gleich; auch sind ihre Personen gleich gegenwärtig. Aber bei Homer verschwindet der Dichter, bei Ariost behält man ihn stets im Auge. Bei Homer sehen wir ein festes Gewebe der Begebenheiten, Ariost läßt immer die Herr- schaft seiner Willkür blicken, ordnet aber den Stoff imgrunde nach den inneren Gesetzen der Sympathie und des Kontrastes der Empfindungen, die er in seinem Zuhörer weckt. Homer beschreibt nie, Ariost immer; bei jenem ist bloß die Natur und die Sache maßgebend, bei diesem auch der Dichter und der Leser, der immer an ihn erinnert wird, so daß er sich nicht selbst vergessen kann. Ariost gefällt mehr durch Glanz und Reichtum seiner Farben, Homer durch die Reinheit der Formen und die Schönheit der Komposition. Beide haben Einheit und Mannigfaltigkeit, aber bei Homer steht jene voran, dem Ariost ist diese vor allem wichtig. Man kann Homer den naiveren, Ariost den sentimentaleren nennen, aber der Unterschied liegt doch wesentlich in der höheren Objektivität Homers. Dessen Gesetzmäßigkeit, die der Einbildungskraft ursprünglich einverleibt sein muß, wirkt tiefer und wohltätiger auf Gemüt und Gesinnung, Ariosts heitere und anmutige Leichtigkeit auf die Stimmung und das Temperament. Der Unterschied zwischen beiden drückt sich auch in ihrem Verse aus. Hermann und Dorothea stellt Humboldt zur homerischen Art. Nicht Sinne und Leidenschaften des Lesers sind rege, aber sein Sinn ist be- schäftigt, sein Gemüt still bewegt. Es ist der Kreis, in dem wir zu leben gewohnt sind, aber die Wirklichkeit hat eine Veränderung erfahren; sie ist nicht mehr Wirklichkeit, sondern nur reines Erzeugnis der dichte- rischen Einbildungskraft. Die vollendete Darstellung der Menschheit durch die Einbildungskraft gelingt nicht ohne einen ruhig bildenden Sinn und eine gewisse Anhänglichkeit an die einfache Wahrheit der Natur. Dieser echte Kunstsinn pflanzt sich auch auf andere fort. Li dem Leser schmelzen, wenn er Homer liest, in diesen Augenblicken die Einheit seines Wesens und die seiner Werke in eins zusammen und wachsen, indem sie sich über die ganze Natur verbreiten, so wie wir diese alsdann ansehen, zu «twas Unendlichem an. Bei den Alten beruht das Geheimnis dieser Kunst

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in der natürlichen Zusammenfügung aller Teile, in der, wie in der organischen Schöpfung selbst, jeder aus dem anderen frei und doch not- wendig hervorgeht; auf der Größe und Reinheit der Elemente, aus der sie ihre Formen zusammensetzen; endlich auf einer gewissen kühnen Manier, mit der sie nicht ängstlich für das Auge malten, sondern vielmehr nur die Phantasie mit Begeisterung und Kraft ausrüsteten, den bloß angelegten Umriß selbst zu vollenden. Ihre Einbildungskraft war mit allen den Eigenschaften verschwistert, die den Menschen ruhig und weise durchs Leben führen, mit dem streng organisierenden Verstände, dem ruhig aufnehmenden Blick und dem schönen Gleichgewicht aller Neigungen und Seelenkräfte. Alle diese Vorzüge vereinigen sich bei Goethe über- raschend schön mit den Fortschritten und Verfeinerungen neuerer Zeiten. Bei keinem der alten Dichter trifft, man diese hohe, feine und idealische Sentimentalität, bei keinem neueren, verbunden mit diesen Vorzügen^ diese schlichte Natur, diese eiafache Wahrheit, diese herzliche Innigkeit.

Es kann überflüssig erscheinen, daß Humboldt noch speziell auf das Epos eingetreten ist, aber es war ihm darum zu tun, sich noch mii den geltenden Definitionen auseinanderzusetzen und sie von der neu- gewonnenen Erkenntnis aus zu beleuchten. So sieht er den Einteilungs- grund aller wesentlich verschiedenen Dichtungs arten weder im Stoff noch in der Form, sondern ausschließlich in der Natur der dichterischen Ein- bildungskraft und des allgemeinen Zustandes der Seele des Dichters wie des Lesers. Die Untersuchung dieser beiden Stücke für sich und in ihrer Verbindung ergibt den Charakter jeder einzelnen Dichtungsart, die subjektive Stimmung, aus der sie hervorgeht und die sie wiederum hervor- bringt, und aus diesen läßt sich die objektive Definition ableiten. Die gewöhnlich gestellte Forderung einer wichtigen und merkwürdigen Hand- lung heroischer Personen und eines gewissen Umfanges des Plans trifft mit derjenigen Stimmung zusammen, in der sich unser Gemüt in dem Zustande ruhiger, aber lebendiger Beschauung befindet; dieser Zustand sucht im epischen Gedicht seine Befriedigung. Der Epiker darf die Ruhe des Betrachters nicht zerstören, muß sie aber im einzelnen in Gefahr bringen. Das epische Gedicht ist also eine solche dichterische Darstellung einer Handlung durch Erzählung, welche, nicht bestimmt, einseitig eine gewisse Empfindung zu erregen, unser Gemüt in den Zustand der leben- digsten und allgemeinsten sinnlichen Betrachtung versetzt.

Die seit Jahrhunderten an das Epos gestellten Forderungen erklärt Humboldt als zu unbestimmt, schon die des historischen Stoffes; denn wenn dieser wenig bekannt ist, so nähert er sich der poetischen Er- findung. Was sonst verlangt wird, Wichtigkeit, Umfang, sinnliche Be-

Humboldt 457

wegung der Handlung, sind relative Dinge, und die Wirkung des Wunder- baren, das erforderlich sein soll, hängt von der Zeit ab, in welcher, und von den Menschen, zu denen man redet. Dennoch ist die Wichtigkeit der Gesamtheit dieser Faktoren nicht zu leugnen. Gewiß ist die Wahl des Stoffes nicht gleichgiltig, aber das Entscheidende sind die Empfin- dungen, die er hervorbringen soll. Die Sänger der Ilias und Odyssee glaubten von den wichtigsten Ereignissen ihrer Zeit erfüllt zu sein und darum auf die allgemeine Teilnahme rechnen und mit dem größten Stolz auftreten zu dürfen.

Goethe, sagt Humboldt, entspricht der allgemeinen Definition des Epos. Er leistet den Beweis, daß der Stoff erdichtet imd bürgerlich sein,, und daß die Ereignisse wenige Personen statt ganzer Nationen betreffen können. Er hat die epische Wirkung erreicht. Mengt man Nebenbegriffe ein, wie Umfang des Gedichts, Größe der Handlung, Wunderbares, so ist das ein Fehler der Kritik, da jene Forderungen nicht aus dem Wesen des epischen Gedichtes fließen. Für das heroische Epos treffen sie allerdings zu. Dieses malt ins sinnlich Reiche, Glänzende und versetzt die Ein- bildungskraft in eine Stimmung, wo sie sich der lebhaftesten Mitwirkung der äußeren Sinne erfreut. Das bürgerliche Epos setzt die Einbildungs- kraft in nähere Verbindung mit dem bloß bildenden Sinn, mit dem Geist und dem Gefühl. Während jenes den Gestalten eine raschere, mehr mit sich fortreißende, vielfachere Bewegung leiht, so gibt ihnen dieses eine reichere, tiefer eindringende und seelenvollere Sprache. Ein heroisches Epos wäre übrigens heute beinahe eine Unmöglichkeit. Einem antiken Stoffe würde es an Natur und pragmatischer Wahrheit fehlen, und in der neueren Geschichte findet sich keine Handlung, in der der Mensch allein und unmittelbar handelt und zugleich als Held auftritt. Und selbst wenn sich eine solche fände, dürfte der Dichter dem Helden keine bloß körperliche Beschäftigung, nichts, was zum gewöhnlichen Leben gehört^ zuschreiben, da dies nach unsern Begriffen unanständig und des ge- bildeten Mannes unwürdig ist. Es bleibt daher nichts übrig, als die epischen Stoffe aus dem Privatleben zu nehmen, das freilich des höchsten Schwunges der Phantasie entbehrt.

Wie für die Gleichberechtigung Ariosts mit Homer, so plädiert Humboldt für die des bürgerlichen mit dem heroischen Epos. Wir werden unwillkürlich an Giraldi erinnert, vor dem Humboldt wesentlich die Gunst der Zeit voraus hat. Der Grundgedanke ist bei beiden derselbe. Da steht ein Gedicht, vollendet in seiner Art, das den alten Theorien nicht ent- spricht. Diese gangbaren Definitionen sind nicht falsch, passen aber nur für das heroische Epos. Gut, lassen wir sie für Homer gelten, aber für

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das Epos schlechthin sind sie nicht verbindlich. Dessen eigenstem Wesen entspricht Hermann und Dorothea so gut wie Ariost.

Im nämlichen Jahre, wie Schillers grundlegender Aufsatz, 1795, er- schienen Friedrich August Wolfs Prolegomena ad HomeruMj in denen die Existenz einer historischen Persönlichkeit Homer bestritten war. Wolf war der Schüler von Christian Gottlob Heyne gewesen, der seit 1763 in Göttingen Gesners Werk fortsetzte.

' Heyne wirkte in erster Linie als akademischer Lehrer. Eine große Zahl später berühmt gewordener Philologen ist durch seine Schule ge- gangen. In ihm verkörperte sich das Bestreben, die Kenntnis des Alter- tums nicht nur sprachlich, sondern auch sachlich seinen Schülern zu vermitteln. Die Resultate seiner rastlosen Forschungen über Homer verö£Fentlichte er in zahlreichen Aufsätzen, besonders auch im Kommen- tar zu seiner Ausgabe Virgils 1787; das Wesentlichste von seinen Homer- studien ist in den Exkursen zu seiner großen Homerausgabe gesammelt, die er früh in Angriff nahm, aber, zu spät für seinen Ruhm, erst 1802 erscheinen ließ. Diese Exkurse enthalten großenteils sprachliche und grammatische Untersuchungen, daneben aber auch wichtige andere.

Schon der erste größere Aufsatz Über das Eingreifen der Götter ent- hält fast das ganze Programm der Forschungen Heynes. Dieses Ein- greifen entsprang nach ihm dem Volksglauben einer rohen Zeit. Es bildet bald einen Teil der Handlung der Ilias selbst, bald steht es außerhalb der Handlung in Episoden. Zu altertümlicher Erzählungsart gehört es, wenn auf das Eingreifen der Götter zurückgeführt wird, was sich nach dem natür- lichen Verlauf der Dinge ereignet. Erfunden hat Homer diese Dinge nicht, sondern er muß sie schon in früheren Gedichten vorgefunden haben. Nur sind wir über den Umfang des von ihm Übernommenen und dessen, was ihm gehört, so sehr im Unklaren, daß es besser ist vom Werk als vom Dichter zu sprechen. Bei dieser Resignation beruhigt sich indessen Heyne nicht lange. Da es ihm ausgemacht ist, daß manches im Homer auf histo- rischer Überlieferung beruht, so hält er es auch für sehr wahrscheinlich, daß schon in dieser die Rollen der Götter verteilt waren, in kleineren Gedichten, so daß es keines großen Scharfsinnes bedurfte, den Eiafluß der Götter auch auf das Ganze der Ilias auszudehnen. Da nämlich, wenn ein Gott seine Aufgabe durchgeführt hat, von ihm nicht weiter die Rede ist, und da unsere Aufmerksamkeit immer nur auf einen Helden gelenkt wird, so zerfällt die Ilias in lose Teile, von denen man sich leicht vor- stellen kann, daß sie einst einzeln existierten und erst später in ein Ganzes zusammengewachsen seien. Ethische Vorschriften sind in diesen Götterge-

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schichten nicht enthalten. Mit den Gestalten der Religion haben die poetischen Götter nur den Namen gemein. Die Geschichten sind von den roheren Ge- fühlen früherer Menschen entworfen und zeigen deshalb bald unwürdige, bald erhabene Vorstellungen von den Göttern. Daran stießen sich Menschen mit reineren Gottesbegriffen, und daher stammen die allegorischen Erklärungen.

Schon vor Homer waren historische Ereignisse, sowie Naturvorgänge in mythische Erzählungen umgesetzt worden; Homer hat sie nur ins Wunderbare erhoben. Damit will aber Heyne die allegorische Erklärung nicht gebilligt wissen. In dem Exkurs Vher ho7nerische Allegorie stellt er zwischen allegorischer und symbolischer Rede einen Unterschied fest. Unter dieser versteht er die den Menschen einer roheren Zeit notwendige Umsetzung von Naturvorgängen und Gedanken in Geschichten und Per- sonen von Göttern, unter jener, daß man dem Homer die Absicht beilegt, physische, ethische und anderweitige Vorstellungen im Gewände der Er- zählung absichtlich verhüllt zu haben. Diese Unterscheidung, die sich schon bei Bacon findet, ist gewiß richtig, und wir werden Bacon und Heyne ohne weiters zustimmen, wenn sie sagen, Homer habe von dem symbolischen Charakter seiner Geschichten gar keine Ahnung gehabt. Nur ist damit die Frage nach dem Ursprung dieser Geschichten bloß um eine Stufe zurückgeschoben. Homer als naiver Erzähler ist gerettet, aber der allegorischen Erklärung die Hintertür aufgemacht.

Davon abgesehen hat Heyne auf d'Aubignac weiter gebaut, denn von diesem stammt der Gedanke an die Existenz früherer Gedichte ver- schiedener Dichter. Mit großem Scharfsinn hat Heyne die Analyse der Ilias durchgeführt und die einzelnen Gedichte ausgesondert. Es mag be- sonders hervorgehoben werden, daß er der Ilias vorangegangene Epen über Herakles erkannte und die diesen entlehnten Züge im Homer ganz richtig bezeichnete. Aber er erblickte in der Ilias nicht wie d'Aubignac eine einfache Zusammenreihung, sondern eine durch Dichterhand voll- zogene, kunstvolle Verknüpfung. Das poetische Genie, das sie vollzog, hat dem Ganzen den Zorn des Achilleus zugrunde gelegt; durch die Eini- gung wurde bewirkt, daß diese Grundlage nie mehr aus den Augen ver- loren wurde. Einigend wirkte es, daß die ganze Geschichte unter den Ein- fluß der Götter gestellt wurde; das Bestreben, die einzelnen Teile zu verknüpfen, zeigt sich gerade in den Eingriffen der Götter, durch die manchmal die Erzählung unterbrochen v^drd. Es ist eine Auffassung, die der kritischen Forschung und den Forderungen der Poesie gleich sehr gerecht zu werden sucht. Was bei Heyne unangenehm wirkt, ist der nachträgliche Versuch, seine schönen und klaren Resultate mit Wolfs Prolegomena in Einklang zu bringen, wodurch bei Heyne Konfusion ein-

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getreten ist. Sehen wir davon ab, so ist er unter den Neueren der erste, der den Namen eines Homerkritikers in Wahrheit verdient.

Wie selbständig er in den Stoff einzudringen wußte, zeigen seine Erörterungen über den Schild des Achilleus. Wenn man, sagt er, die bei dem Schild vorauszusetzende Kunst den ältesten Zeiten zuweist, so entsteht ein großer Abstand zwischen ihr und der sonst bekannten Ent- wicklung der Künste in Griechenland. Nun vernehmen wir von der Technik gar nichts, die zu erklären zwar nicht Sache des Dichters war, die aber sehr groß gewesen sein muß, auch wenn die Bilder auf dem Schild nicht ein Relief, sondern getriebene Arbeit waren. Kunstgegen- stände dieser Art hat der Dichter nicht vor dem 6. Jahrhundert sehen können; denn wenn sie auf ein asiatisches Vorbild zurückgingen, müßten die Figuren anders ausgesehen haben. Nun gehören aber solche Bilder mit so vielen Figuren gar nicht auf einen kriegerischen Schild. Gesetzt aber auch, ein Künstler hätte einen solchen Schild machen wollen, so wären, abgesehen von der ungeheuren und langwierigen Arbeit, die Figuren ihrer Kleinheit und Zahl wegen kaum zu unterscheiden gewesen.

Der Schild ist ein rein poetisches Werk und geht gar nicht auf eine künstlerische Vorlage zurück. Zugrunde lag viel eher ein Gedicht, das viele Teile und Szenen des menschlichen Lebens schilderte und zwar solche der schon verfeinerten ionischen Kultur; da der Dichter die ganze Welt darstellen wollte, wurde er leicht auf die Kreisform geführt. Wie in der kosmogonischen und theogonischen Poesie die Darstellung der Welt mit einem Gewand, Peplos, verglichen wurde, so mochte sich ein Dichter seine Szenen auf einer Erztafel vorgestellt denken, und zwar, da Himmel und Erde darauf vorkamen, auf einer runden. Erst als dann in der Zeit des Solon und Peisistratos die Künste aufblühten, konnte sich ein Rhapsode oder einer der Redaktoren der Ilias versucht fühlen, jenes alte Gedicht zur Beschreibung eines Schildes zu machen, die zu dem Gange des Epos ursprünglich gar nicht gehörte. Es ist deshalb vergeblich, über die Kunst des Schildes zu disputieren, der nie ein Kunstwerk gewesen ist. Für die Studien der Neueren über die Anordnung der Bilder und Figuren gibt das Gedicht gar keinen Anhaltspunkt. Wenn Heyne zuletzt selbst einen Versuch in dieser Richtung macht, so bleibt er sich bewußt, daß er ein poetisches Spiel zu rekonstruieren unternimmt,

Heyne war sich gar wohl bewußt, daß nach seiner Arbeit von Homer nicht länger als von dem schöpferischen Genius, dem erfindungsreichen Schöpfer des Epos gesprochen werden dürfe. Am Schlüsse seiner Aus- gabe erklärt er sich mit der Herabsetzung des Dichters allerdings nicht einverstanden, wendet sich aber zugleich gegen dessen törichte über-

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Itzung, deren Ursachen er aufdecken will. Die Gedichte, so führt er aus, stammen erstens aus einem natürlichen, noch von keiner Kunst geschminkten Zeitalter, und das gewährleistet ihnen die freudige Be- wunderung der ganzen Nachwelt. Dazu kamen zu allen Zeiten und bei allen Völkern noch besondere Ursachen. Die lonier waren stolz auf die Erhaltung der Gedichte ihrer Sänger und den Preis ihrer Vor- fahren; die Athener sahen sich in den Gedichten als Stammväter der lonier verherrlicht. Spätere Geschlechter verehrten in ihnen die gesamte Überlieferung ihrer frühesten Vergangenheit, und so konnte Homer die Quelle alles Wissens, der Vater jeder Poesie genannt werden. Da so viele in Stoff und Stil so ähnliche Gedichte in ein Ganzes verschmolzen waren, konnte alles auf einen und denselben Dichter bezogen und er dafür verherrlicht werden, mochte er auch nicht einmal dem Namen nach genügend bekannt sein. Was die bewunders werte Schar der io- nischen Sänger vorgetragen hatte, und was durch den Einzelvortrag ver- loren gegangen wäre, das wurde durch den Anschluß an den einen Namen Homer gerettet. So wurde durch ein geheimnisvolles Band die ganze folgende Literatur mit seinem Namen verknüpft.

An Homer entzückt vor allem die wahre und unmittelbare Zeich- nung der Zustände ältester Zeit, die zur Erweckung der Affekte ge- stalteten Mythen, die durch das Eingreifen der Götter wahrscheinlich gemachten übernatürlichen Dinge; dann auch die einfache, flüssige, wechselvolle Sprache und die dramatisch wirksame Erzählung. Wir schöpfen aus Homer Vergnügen und Bewunderung, lernen aber auch zugleich die Urzustände der Menschheit kennen und vergleichen sie mit den alten Schriften der Hebräer und den Nachrichten über wilde Völker der Gegenwart. Wir verfolgen den Ursprung der Sprache und gelangen dadurch zur Kenntnis der Völker und der Natur des Menschen. Aus alledem erwächst uns ein besonderer Nutzen des Studiums Homers. Verdienst des Dichters ist dabei die wahrheitsgetreue Zeichnung der alten Zeiten; aber die Sache interessiert auch an sich und hat wieder zu einem sachlichen Studium Homers geführt.

Besonderer Ruhm erwuchs Homer aus seinem Stoff; aber dieser ist nicht von ihm zuerst behandelt worden, wie schon die Odyssee zeigt; er hatte darin Vorgänger. Auch die naturwahre Schilderung der Affekte ist nicht ein Resultat besonderer Kunst. Durch lebhafte Kraft des Geistes gab er wieder, was er gesehen und gefühlt hatte. Die dramatische Lebendigkeit der Erzählung ist eine Eigentümlichkeit der Zeit des Dichters. An Homers Sprache gefällt der Altertümlichkeit wegen manches, was in prosaischer Rede abstoßend wirken würde.

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Heyne hat alles zusammengetragen, was sein Jahrhundert an Homer zu preisen gefunden hatte, aber er hat es dem Dichter zum größten Teile genommen und als Eigentum der alten Zeit erklärt. Das aus Homer zu gewinnende Wissen gilt ihm mehr als der unmittelbare Genuß der Dichtung, wenn er diesem auch sein Recht zu lassen sucht. Seine Resul- tate bedeuten keinen zwingenden Schluß. Wenn Homer für sein Werk bereits vorhandene Gedichte verwertet hat, so ist über die Art solcher Verwertung noch nichts gesagt. Heyne ist mit Recht über d'Aubignac's Annahme einer einfachen Zusammenfügung hinausgeschritten, aber bei einer Gesamtredaktion unter einheitlichen Gesichtspunkten stehen ge- blieben. Daß der Dichter, wie Shakespeare getan hat, seine Vorlagen auch im einzelnen seinem Zweck dienstbar gemacht, besonders aber in die einheitliche Form gegossen und allem den Stempel seines Genies aufgedrückt haben könnte, ist ihm nicht in den Sinn gekommen.

Auf die Frage, ob zu Homers Zeiten die Schrift bekannt gewesen sei, hat Heyne nicht das geringste Gewicht gelegt. Faktisch war ja für seine Zeit die Sache längst entschieden. Rousseau hatte bereits sehr früh be- hauptet, die Odyssee sei unter Annahme der Bekanntschaft mit der Schrift undenkbar. Was Macpherson für Ossian ermittelt hatte, daß dessen Gedichte Jahrhunderte lang mündlich überliefert worden seien, mußte auch für Homer gelten, und so geht denn Herders ganze Auffassung vom münd- lichen Vortrag der homerischen Gedichte aus. Percy's Balladen legten ihm sogar den Gedanken nahe, von den einzelnen Liedern seien drei- und vierfache Traditionen entstanden, und die erhaltenen Rhapsodien seien später dem besten Kritikus in die Hände gefallen. Dieser Gedanke, den er 1795 dahin formuliert, daß Bücher das Grab des Epos seien, durch- zieht alle seine früheren Schriften. Entschieden hatte Wood Kenntnis der Schrift bei Homer geleugnet und die Einführung der Buchstaben- schrift in die Mitte des 6. Jahrhunderts, zugleich mit dem Beginn der Prosa gesetzt. 1788 behauptete De Pauw, selbst Lykurgos habe weder lesen noch schreiben können. In der Berliner Akademie erörterte Merian 1789 im Anschluß an Wood die Frage nach dem Alter der Schrift. Auch er geht von primitiven Völkern aus, auch von Ossian. Macpherson ist ihm der Peisistratos Ossian's, wenn er nicht etwa selbst der Homer dieser Gedichte ist. Jedenfalls beweist die Sammlung der homerischen Gedichte durch Peisistratos, daß sie nicht geschrieben waren, sonst hätte die Nach- richt keinen Sinn; möglich ist ja, daß einiges vorher schon aufgeschrieben war. Homer kann die Schrift nicht gekannt haben, denn er spricht nicht davon; würde er, der sonst überall sein Wissen zeigt, diese Kenntnis verschwiegen haben? Der Brief des Proitos war nicht in einer Schrift

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sondern in verabredeten Zeichen abgefaßt. Homer sang die Taten des Acbilleus genau so, wie dieser die Ruhmestaten der Helden. Was von Schriftlichem vor Homer bestanden haben soll, ist alles spät, wie die Gedichte des Orpheus. Von den Phönikem konnte Homer die Kenntnis der Schrift nicht haben; denn diese haben keine Kultur verbreitet, sondern trieben nur Handel und Seeraub und konnten wohl selbst ebensowenig schreiben, wie noch heute oder im Mittelalter das niedere Volk. Die Ge- schichten von der Einführung der Buchstabenschrift durch Kadmos und Palamedes sind Fabeln. Ebensowenig konnte Homer seine Kenntnis aus Ägypten haben, denn daß er dort gewesen sei, ist eine haltlose Annahme, und in alter Zeit hatten die Ägypter keine Buchstabenschrift. Der Ein- wurf, man hätte so große Gedichte nicht im Gedächtnis behalten können, ist nicht stichhaltig; zu Sokrates Zeiten konnte man es doch auch, und noch Tasso hat die Gerusalemme im Kopf komponiert. Gesetzt aber auch, es wären zu Homers Zeiten Anfänge der Schreibkunst vorhanden gewesen, so fehlte es doch gänzlich an geeignetem Schreibmaterial. Es stand ihm weder Pergament oder Papyrus, noch Tinte zur Verfügung, und auf Stein hat er doch wohl seine Gedichte nicht eingekratzt. Wenn er blind war, so mußte er sich ganz auf sein Gedächtnis verlassen, wie sein Abbild Demodokos; für Milton war die Blindheit geradezu eine Förderung. End- lich beweist die Existenz alter Inschriften für Homer und seine Heroen ebensowenig als das Vorkommen einzelner Buchstaben für die Aufzeich- nung großer Gedichte. Übrigens sind manche von diesen Inschriften un- echt oder unsicheren Datums.

Außer den nämlichen Argumenten hatte Wolf in den Prolegomena nichts vorzubringen als solche von zweifelhaftem Wert. Nach dem Vor- bild von Macpherson's Bardenschulen erfand er die Rhapsodenschulen, in denen die Kunst des Vortrags gelehrt worden sei. D'Aubignac ent- nimmt er den Gedanken, daß die ganzen Gedichte nicht von einem Einzel- nen entworfen und ausgearbeitet sein könnten, und daß sie, da sie für Hörer bestimmt waren, auch keine Daseinsberechtigung gehabt hätten. Ebenfalls aus d'Aubignac stammt die Behauptung, Plan und Einheit der Gedichte seien schon durch die Sage gegeben gewesen. Endlich behauptet er, das ganze Altertum bezeuge einstimmig, daß Peisistratos zuerst die Gedichte Homers aufgeschrieben und in die gegenwärtige Form gebracht habe. Das ist, ob wissentlich oder nicht, eine Ver- drehung des Tatbestandes, wie Boileau längst dargelegt hatte. Das Alter- tum hat an Homer als dem Dichter der lUas und Odyssee nicht ge- zweifelt, sondern es gab nur eine Überlieferung, die Gedichte seien durch den Vortrag der Rhapsoden oder sonst wie zerstreut worden und in Un-

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Ordnung geraten, und Peisistratos habe die ursprüngliche Fassung wieder hergestellt.

Wolf wagte den letzten Schluß nicht zu ziehen. Wenn alle seine Ar- gumente richtig waren, so hat es einen Homer nicht geben können. Aber ei nahm für die Mehrzahl der Gedichte und ihre Reihenfolge doch wieder einen einzigen Dichter an, den er Homer nennt. Es bleiben dann nur die letzten sechs Bücher der Ilias Eigentum eines andern oder anderer. Diese Inkonsequenz war durch das Studium der von Villoison heraus- gegebenen Schollen bestimmt, denen Wolf auch die wenigen Beispiele für Widersprüche innerhalb der homerischen Gesänge entnahm. In der Zeit Wolfs hat auf diese nachträgliche halbe Zurücknahme der ersten Resultate niemand geachtet.

Das Aufsehen, das die Prolegomena machten, war ungeheuer. Es waren da so sehr die vielen während der letzteu Jahrzehnte laut ge- wordenen Gedanken über die Entstehung des Epos in einer scheinbar «treng wissenschaftlichen Form zusammengefaßt, daß die Absetzung Homers als eines dichterischen Individuums als ein fast unausweichlicher Schluß erschien. Herder nahm sofort Stellung dazu. Denn wenn auch der Aufsatz Homer ein Günstling der Zeit schon früher entworfen sein mag, so nimmt doch der Schluß entschieden Bezug auf die Prolegomena. Was Herder sonst bringt, sind Wiederholungen seiner früheren Ansichten und ist deshalb nicht von großer Bedeutung, wohl aber, was er über Solon und Peisistratos sagt. Denn mögen auch seine Ausführungen über die rhapsodische Verknüpfung der Gesänge im Homer unklar sein, so ist doch das sehr klar, daß der Abschnitt über diese Männer eine Polemik gegen Wolf ist. Lykurgos und Solon, sagt Herder, haben uns den Homer i^.rhalten, Peisistratos und Hipparchos sind auf Solons Wegen fortge- schritten. Man lasse aber ihr Verdienst bestehen in seinen Grenzen. Wenn Solon befehlen konnte, die Rhapsoden sollten die Gedichte singen, indem sie sich ablösten, so muß der Zusammenhang schon vorhanden gewesen sein; Solon hat die Epen nicht geschaffen. Ebensowenig haben Peisi- stratos und Hipparchos ein Dichterverdienst am Homer; weder sie noch ihre Helfer konnten hervorbringen, was nicht da war; aber was da war, konnten sie redigieren, ordnen. Ihr unsterbliches Verdienst ist, daß sie die Gedichte Homers, wie sie sich ihnen gaben, auf ewig vom Unter- gang gerettet und in der Pallas Schleier gleichsam geborgen haben. Die Ausführung trifft den Nagel auf den Kopf. Herder konnte ja zwar den einen Homer nicht unbedingt, sondern nur als den festhalten, der einen Keim, ein episches Kunstgebilde gepflanzt habe, während die Homeriden den Baum zur letzten Entwicklung brachten. Das war die notwendige

Herder Cesarotti 465

Konsequenz aus der Annahme der Impromptus und des Balladendicliters Ho- mer. Aber daß die Einheit der Gedichte vor Peisistratos da war, daß dieser nicht der Dichter der Ilias ist, hat Herder mit aller Schärfe erkannt, ebenso, daß es das unsterbliche Verdienst Athens ist, Homer der Nachwelt gerettet zu haben. Auf die häßlichen Angriffe, die Wolf für diesen Aufsatz auf Herder und in der Folge auch auf Heyne gemacht hat, gehe ich nicht ein.

Eine einschneidende Kritik, wenn auch in die schönsten lateinischen Komplimente eingewickelt, enthielt ein Brief Cesarotti's an Wolf. Wäh- rend dieser behauptet hatte, d'Aubignac's Conjectures hätten ihm beinahe die Fortsetzung seiner Homerstudien verleidet, fängt Cesarotti mit dem Satz an, Wolf habe d'Aubignac's Ketzerei mit strengerer Beweisführung zur seinigen gemacht. Wolf wisse, was er davon halte. Die Prolegomena hätten ihn nun zwar etwas bedenklich gemacht, aber nicht bekehrt. Man könnte aus den Widersprüchen des homerischen Stils und der Vereinigung von Vorzügen und Fehlem vielleicht auf eine Mehrheit der Verfasser schließen. Da. aber Wolf nicht an der Vortrefflichkeit der Ilias, sondern an der Existenz des einen Verfassers zweifle, so fürchte er, jener habe etwas zu Blendendes gefunden, um seine Meinung zu stützen; denn jedem seiner Argumente lasse sich ein anderes entgegensetzen, das es zum mindesten schwäche. Vor dem zweiten Teil der Prolegomena, der die Beweise bringen solle, könne er, Cesarotti, nichts Sicheres sagen; vor allem wünsche er, daß Wolf die Rhapsodien bezeichne, die er Homer wegnehme, und die Gründe dafür anführe. Damit ist alles gesagt. Wolfs Argumente sind rein äußerlicher Natur.

In einer besondern Rezension hat Cesarotti femer gesagt, die Be- hauptung, daß die Einheit im Stoffe liege, enthalte einen Widerspruch gegen Wolfs Hypothesen; denn wenn die Einheit schon da war, konnte sie doch der Dichter um so leichter beibehalten. Homer konnte doch so gut wie Ariost und Tasso den einfachen Rahmen nach und nach durch Episoden erweitem; man brauche dafür keine Rhapsoden zu bemühen. Wenn man femer zweifle, ob die Kraft des Gedächtnisses für ein so großes Gedicht ausgereicht habe, wäre es dann nicht natürlicher, sich dieses Arguments zu bedienen, um von der Existenz Homers aus die Notwendig- keit der Existenz der Schrift abzuleiten, statt aus dem Fehlen der Schrift die Nichtexistenz Homers zu beweisen? Und endlich seien gerade die letzten Bücher der Ilias, die Wolf dem Homer abspreche, in den Augen vieler die schätzenswertesten.

Wenn wir von Herder, Stolberg, Goethe, Schiller, Humboldt zu Wolf kommen, so fühlen wir uns wie mit kaltem Wasser übergössen, ein Ge-

Finsler: Homer in der Neuzeit. 30

466 Deutschland und die Schweiz

fülil, dessen wir uns schon bei Heyne nicht immer erwehren können, und das auch durchaus das der Zeitgenossen war. Ein Menschenalter später hat Goethe daran erinnert, welch schmerzliches Gefühl über die Freunde der Dichtkunst und des Genusses daran sich verbreitete, als die Persön- lichkeit Homers, die Einheit des Urhebers jener weltberühmten Gedichte auf eine so kühne und tüchtige Weise bestritten Avurde. Die gebildete Menschheit, sagt er, war im Tiefsten aufgeregt, und wenn sie schon die Gründe des höchst bedeutenden Gegners nicht zu entkräften vermochte, so konnte sie doch den alten Sinn und Trieb, sich hier nur eine Quelle zu denken, woher so viel Köstliches entsprungen, nicht ganz bei sich auslöschen. Diese Stimmung beherrscht schon Goethe's erste Äußerung über die Prolegomena. Er schreibt an Schiller, die Bemühung sei respek- tabel, wenn nur nicht diese Herren, um ihre schwachen Flanken zu decken, gelegentlich die fruchtbarsten Gärten des ästhetischen Reiches verwüsten und in leidige Verschanzungen verwandeln müßten; und am Ende sei mehr Subjektives, als man denke, in dem ganzen Kram. In der Folge streitet in ihm der Respekt vor der Wissenschaft und Wolfs Methode mit dem Bewußtsein des Dichters. Dieser, dessen Beruf es ist, zusammen- zufügen und ungleichartige Teile in ein Ganzes zu vereinigen, hat in seinen Augen ein ganz anderes Interesse als der trennende und zerlegende Kritiker, und so zieht er als Dichter eine unübersteigliche Scheidewand zwischen sich und dem heillosen Beginnen der Kritiker. Gleichwohl glaubt er diese wieder nicht entbehren zu können, da er ihnen Dank weiß, wenn sie homerische Stellen, an denen er Anstoß nimmt, für unecht erklären. Er fand, die scheinbarsten Widersprüche ließen sich durch die Annahme erklären, daß sich Homer der Errungenschaft und des Eigentums vieler Sänger vor ihm bemächtigt und auf dieser Basis die Epopöen, die wir besitzen, aufgebaut habe, wodurch die psychologische Unmöglichkeit weg- fiele. Es ist im ganzen die Auffassung Heynes, aber tiefer gefaßt, da Goethe eine poetische Durcharbeitung des übernommenen StoflPes annimmt. Zur Erklärung der Widersprüche glaubt er auch eine Verzettelung der bereits geordneten Rhapsodien durch Ungeschicklichkeit der Rhapsoden und eine Wiedervereinigung durch Solon annehmen zu sollen. Es ist bei tunlichster Anerkennung der Resultate Wolfs der sehr berechtigte Ver- such, den wichtigsten Faktor, den dieser ganz bei Seite gelassen hatte^ wieder in seine Rechte einzusetzen, nämlich die Poesie.

Im nämlichen Sinne, nur dem Wortlaute nach viel schärfer, spricht sich einige Jahre später Schiller aus. Er hat den Homer wieder zur Hand genommen und schwimmt ordentlich in einem poetischen Meer. Wenn man sich, sagt er, in einige Gesänge hineingelesen habe, müsse

Goethe Schiller Wieland 467

einem der Gedanke an eine rhapsodische Aneinanderreihung" und an einen verschiedenen Ursprung notwendig barbarisch vorkommen, denn die herrliche Kontinuität und Reziprozität des Ganzen und seiner Teile sei eine seiner wirksamsten Schönheiten. Auch einige beißende Epigramme und Xenien bekunden Schillers Abneigung gegen Wolfs Hypothese: die Väter des vollendeten Werkes kann man ja zählen, aber es zeigt die un- sterblichen Züge der einen Mutter, der Natur. Da der Wolf Homer zer- riß, mögen sich die Städte, die sich seiner rühmten, in die Stücke teilen. Heyne schickt dem Sänger der Ilias ein Pack Göttinger Würste; aber sie reichen, da sie nur für einen bestimmt sind, für die vielen Sänger nicht aus. Dieses Epigramm ist mir nicht recht verständlich, da sich loch Heyne nie als starren Unitarier gezeigt hat.

Wieland urteilte nach eigener Erfahrung, es sei ihm sehr gut denkbar, daß Ilias und Odyssee nach und nach, dem vorhandenen Plane ungefähr gemäß, zusammengesetzt worden seien. Er habe zum Oberon nie einen eigentlichen Plan entworfen, wie sich etwa ein Maler zu einem historischen Gemälde eine Skizze vorzeichne. Ein dunkles Gefühl habe ihn von einem zum andern geleitet, und die genetische Dichterkraft habe so lange fortgewirkt, bis alles ineinander griff und zu einem Ganzen verschmolz. Warum sollte es mit dem homerischen Erzeugnis nicht ebenso gegangen sein?

Einmal hat sich Goethe ganz auf Wolfs Seite gestellt, in der Elegie Hermami und Dorothea. Er bringt die Gesundheit des Mannes aus, der uns vom Namen Homeros befreite und die Bahn erschloß, auf der auch wir Homeriden sein können, da ja mit dem Einen der Kampf nicht zu wagen ist. Hier zieht Goethe aus den Prolegomena den Schluß, den Wolf zu ziehen nicht gewagt hatte: während dieser hinterher doch noch eine Person Homer als möglich angenommen hatte, löst sich für Goethe das Epos in Werke der Homeriden auf. Aber schon bei der poetischen Arbeit an der Achilleis fühlt er sich durch die Rücksicht auf die Prolegomena gehemmt. Er muß alle Chorizonten mit dem Fluche des Bischofs Emulphus verfluchen und, wie die Franzosen, auf Leben und Tod die Einheit und Unteilbarkeit des poetischen Werkes in einem feinen Herzen festhalten und verteidigen. Im Widerspruch dazu steht eine andere Äußerung. Schiller hatte Goethe gefragt, ob nicht das Lied vom Streite des Achilleus und Odysseus, das Demodokos bei den Phäaken singt, auf ein verloren gegangenes Gedicht schließen lasse, dessen Thema der Ilias vorangehe. Goethe antwortete, das Stück scheine sich allerdings auf eine der un- zähligen Rhapsodien zu beziehen, aus denen dann die ganzen Gedichte so glücklich zusammengestellt worden seien. Er fügt hinzu, es hätten die

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468 Deutschland und die Schweiz

Gedichte aus dem ungeheuren Vorrat der rhapsodischen Genieprodukte mit subordiniertem Talent, ja bloß mit Verstand zusammengestellt werden können; die Kontinuität sei vielleicht schon durch die Forderung des Geistes an den Rhapsoden im allerhöchsten Grade vorbereitet gewesen; ja man habe vielleicht nicht einmal alles, was hineingepaßt hätte, in die Ilias und Odyssee aufgenommen. Endlich sagt er sogar, diese Vorstellungs- art sei der Arbeit an der Achilleis günstig. Vierzehn Tage nachher ist er mehr als jemals von der Einheit und Unteilbarkeit der Ilias über- zeugt; sie erscheint ihm so rund und fertig, man mag sagen, was man will, daß nichts davongetan werden kann. Dabei gibt er zu, daß er sich jeden Augenblick auf einem subjektiven Standpunkte befinde.

Bedeutsam ist eine schon aus dem Jahre 1797 stammende Äußerung, die sich an eine Kundgebung Friedrich Schlegels knüpft. Dieser hatte 1796 einen Aufsatz Uher die homerische Poesie mit Rüclcsicht auf die Wölfischen Untersuchungen erscheinen lassen und sich gleich von vorn- herein feurig für Wolf erklärt. Der genannte Aufsatz sollte als Probe eines Grundrisses der Geschichte der Massischen Poesie der Griechen und Römer dienen, deren erstes Stück 1798 erschien, und in der die Gedanken des Aufsatzes überarbeitet und ausgeführt sind. Die Arbeit fußt gleich- mäßig auf Winckelmann, Herder und Wolf und zeigt ein ebenso großes Verständnis für Poesie wie historischen Sinn und eine für den Vierund- zwanzigj ährigen erstaunliche Gelehrsamkeit.

Schlegel kann sich die homerische Poesie nur auf dem Boden einer bereits hochentwickelten Kultur vorstellen, wo der Sänger der natürliche Begleiter der Heroen ist. Mit dem Heldentum entstand, wuchs und blühte das Epos, dessen Inhalt der Ruhm der Ahnen war, zunächst in Liedern. Daß epischer Gesang schon vor Homer blühte, zeigen die teilweise schwer verständlichen Anspielungen Homers auf alte Lieder und Sagen. Die Kunstübung wurde vielseitig durch die unschätzbare Freiheit der Ent- wicklung; das Epos umfaßt das ganze Leben mit gleicher Teilnahme. Dadurch bekommt die Naturpoesie den Charakter des Allgemeinen und Menschlichen. Es ist Naturpoesie, d. h. die Kunst war ein freies Natur- gewächs; das zeigt sich darin, daß sie sich den ihr eigentümlichen Charakter 'der Heldensage rein gewahrt hat. Die von echter Bildung zeugende Gestalt und Ordnung ist von Berechnung und tief angelegtem Entwurf weit ent- fernt. Einheit offenbart sich mehr in der einzelnen Rhapsodie als im Ganzen der beiden Epen, wo die üngleichartigkeit der Massen nicht immer sanft genug verschmolzen ist.

Natürliche, historische und logische Ordnung ist der künstlerischen ebensosehr untergeordnet als im lyrischen Gedicht. Das Epos hat keinen

K

Friedricli Schlegel 469

'■endigen Anfang noch ein notwendiges Ende; die einzelne Rhapsodie schließt sich nur so forterzählend und weiterdichtend an das Vorige an, ohne bestimmt und schlechthin anzuheben. Knüpfung und Lösung der Fäden zeigen sich in einzelnen Gruppen von Rhapsodien, aber es fehlt die Herleitung aller Fäden des Werkes aus einem Anfangspunkt, die Hin- leitung auf einen Endpunkt. Alle Handlung ist zufällige Begebenheit, deren jede das Glied einer endlosen Reihe ist, die Folge früherer und der Keim späterer Begebenheiten. Darum steht auch der epische Held nicht so im Mittelpunkt wie der tragische, weil er nicht Zweck des Ganzen ist. Vom Epos darf man nicht die Geschlossenheit verlangen wie vom Drama. Sein ruhig gleitender Strom enthält in jedem Punkte seines Laufes Anspannung und Befriedigung zugleich.

Wenn man Homers Poesie Naturdichtung nennt, so muß man genau wissen, was man sich dabei denken will. „Wenn man alle Poesie Kunst nennen will, die sich durch Allgemeinheit des Geistes, der Gattung und Gestaltung bis zur zweckmäßigen, wenn gleich absichtslosen und nur durch Natur entstandenen Übereinstimmung mit den Forderungen der Schönheit und bis zur Urbildlichkeit erhebt, so ist Homer ein Künstler." Setzt man aber das Wesen der Kunst in die abgesonderte Ausbildung oder gar in die selbsttätige Nachahmung anerkannter Vorbilder, so beginnt sie später als Homer. Schlegel ist geneigt, die ganze alte Poesie in dem Sinne Naturpoesie zu nennen, als sie sich den Gesetzen aller lebendigen Kräfte gemäß gestaltete, blühte ün^ endlich auflöste.

Wenn von Homer die Rede ist, so will Schlegel darunter nicht eüie historische Persönlichkeit, sondern die Gesamtheit der epischen Poesie verstanden wissen. Er macht sich W^olfs Resultate zu eigen, legt aber allen Nachdruck darauf, daß man nun nicht mehr fragen dürfe, was in den Epen homerisch sei und was nicht, sondern nur, wie sie entstanden seien, und welche Arbeit die späteren Überarbeiter daran getan haben. Es gilt, in die Werke einzudringen. Die letzten zehn Bücher der Ilias zeigen höheren Schwung und rascheres Leben als die früheren, die mittleren der Odyssee mehr homerische Vorzüge als die letzten. Daraus zu schließen, daß die Überarbeiter, Diaskeuasten, die eigentlichen Dichter seien, wäre voreilig. Sie haben nur die unverbundenen Gedichte in die Ordnung gebracht, die den Dichtern selbst bei deren Abfassung vorschwebte. Die Idee der IHas als einer Aristie, die der Odyssee als eines Nostos, also eine innere poetische Einheit, würde bei der Auflösung der Gedichte in einheitliche Partieen noch stärker hervortreten. Es haben alle Teile den nämlichen Charakter, und der epische Bau ist im ganzen und einzelnen, der gleiche. Die Diaskeuasten hatten also nur die bereits in den Gedichten

470 Deutschland und die Schweiz

vorhandene Ordnung wiederherzustellen; ihre Fugen und Klammern ge- stalteten die Poesie nicht um; die einzelnen Stücke, die sie verbanden, sind die echten. Man darf also fortfahren, diese ganze Poesie homerisch zu nennen, ohne die Möglichkeit zu leugnen, daß unter den Sängern der Uias und Odyssee einer der hervorragendste gevresen sein möchte, das Haupt der Schule, wahrscheinlich der älteste der beinahe gleich Vortreff- lichen. Nur dürfe man sich diesen nicht wie einen großen Kunsterfinder ohne Vorgänger denken, der die Grundlage des Göttergewebes eigentlich gemacht habe mit einem Male, sondern auch nur als den uralten, doch letzten Vollender der vom ersten Keim an stetigen Ausbildung einer langen Reihe die epische Kunst immer mehr verfeinernder Sänger.

Diese letzte Erwägung, die im Grunde die ganze Argumentation wieder umwirft und die Diaskeuasten höchst entbehrlich macht, stand noch nicht in dem Aufsatz von 1796; vielmehr war dort viel Gewicht auf den Unterschied zwischen dem Drama und dem Epos hinsichtlich der Einheit gelegt, und dagegen hat Goethe protestiert. Weil man im Epos die dramatische Einheit nicht nachweisen könne, solle es keine Einheit haben noch fordern, das heißt aufhören, ein Gedicht zu sein. Denn, sagt er, die Ilias und Odyssee, und wenn sie durch die Hände von tausend Dichtern und Redakteurs gegangen wären, zeigen die gewaltsame Ten- denz der poetischen und kritischen Natur nach Einheit. Schlegels Aus- führung sei doch nur zugunsten der Wolfschen Meinung, die eines sol- chen Beistandes gar nicht einmal bedürfe. „Denn daraus, daß jene großen Gedichte erst nach und nach entstanden sind und zu keiner vollstän- digen und vollkommenen Einheit haben gebracht werden können, ob- wohl beide vielleicht weit vollkommener organisiert sind, als man denkt, folgt noch nicht, daß ein solches Gedicht auf keine Weise vollkommen, vollständig und Eins werden könne noch solle."

Der Stand der Homerfrage um 1800 stellt sich so dar, daß die alte, biß auf Lessing herrschende Meinung aufgegeben war, als habe Homer die Ilias etwa so verfaßt, wie Milton das Verlorene Paradies. Darauf hatte Herder mehr, als ihm wohl bewußt war, vorbereitet. Eine positive Hypothese über die Entstehung der Ilias lieferte Heyne 1802, der eine starke Mitwirkung poetischer Tätigkeit bei der Gestaltung des Ganzen annahm. Das hatte Wolf nicht getan; bei ihm war aus dem homerischen Himmel der Gott verbannt worden. Den suchen die Großen der Zeit, während sie Wolfs Voraussetzungen zugeben, in seine Rechte wieder einzusetzen. Es ist bezeichnend, wie wenig Goethe und Schlegel auf das Märchen von Peisistratos eingehen. Die nächste Folgezeit meinte Wolfs Argumentationen vom Alter der Schrift entkräften zu müssen, während sie darüber genau

Friedrich Schlegel Goethe 471

so wenig" wußte wie er. Ihn durch den Nachweis von der Hohlheit seiner Argumentationen zu widerlegen, fiel niemand ein als Cesarotti, dessen Kritik in Deutschland unbekannt blieb.

Goethe hatte in den neunziger Jahren den Resultaten der Prolegomena zögernd und meist ablehnend gegenübergestanden und in einem Brief an Eichstädt gesagt, es komme viel darauf an, wie der Beschauer eines poetischen Werkes gestimmt sei. Sei er zur Trennung geneigt, so zer- störe er mehr oder weniger die Einheit, die der Künstler zu erringen strebe; möge er lieber verbinden, so helfe er dem Künstler nach und vollende gleichsam dessen Absicht. Die Homerkritiker des 19. Jahrhunderts haben größtenteils zur ersten Gruppe gehört.

Bei Gelegenheit des Plans einer gemeinschaftlichen Lektüre von Wil- helm Meister mit Riemer erledigt Goethe in völlig zutreffender Weise die Frage des Einzelvortrages der Rhapsodien. Er weist darauf hin, daß die Poesie nicht so leicht zu übersehen sei wie die bildende Kunst, und daß daher Werke von größerem Umfang rhapsodienweise vorgetragen werden müssen, so daß, wenn ein Ganzes auch vorhanden wäre wie z.B. in Homer, es notwendig in Rhapsodien zerlegt werden würde, um es zu genießen.

Zum letzten Mal zeigt sich eine stärkere Annäherung an die Kritik in einem Gespräch mit Gräfin Egloffstein, wo es Goethe als wahrscheinlich bezeichnet, daß Homer gar nicht gelebt und also auch nicht geschrieben habe. Die Welt sei geneigt, in allem die Persönlichkeit zu lieben, und schreibe darum einem Einzigen so große Gabe zu; wahrscheiuLich hätten aber mehrere aufeinanderfolgende Dichter jene Gesänge zustande gebracht und durch mündliche Überlieferung weiter gefördert, bis dann einer auf den gescheiten Gedanken gekommen sei, sie aneinanderzureihen und zu redigieren, dem davon auch der größte Ruhm gebühre. Das ist aber nicht Goethe's letztes Wort. Er erzählt in den Annalen 1821, wie die Mehrheit der klassisch Gebildeten „sich wiederherzustellen", aus der Kritik wieder zum Ganzen zu gelangen wünschte, und wie durch eine kräftige Jugend der frühere Geist der Versöhnung wieder waltete. Er begrüßte darum K. E. Schubarths herzlich schwaches Buch Ideen über Homer und sein Zeitalter aufs wärmste. Schubarth machte darin Homer zu einem Troer und Sänger am Hofe des Aeneas und versuchte den Nach- weis, daß die Gedichte als Einheiten aufzufassen seien, jedoch mit einer ganz wertlosen, auf oberflächliche Analyse und subjektive Feststellung des Plans der Ilias gegründeten Beweisführung. Immerhin stimmte das Resultat mit Goethe's innersten Wünschen überein. Zeugnis davon gibt das kleine Gedicht Romer ivieder Homer y der Absagebrief an die zer- setzende Kritik, der gegenüber Goethe Homer als Ganzes denken, als

472 Deutschland und die Schweiz

Ganzes freudig empfinden will. Noch mehr mußte ihn darin das mit echter Homerbegeisterung geschriebene Büchlein von G. Lange bestärken Versuch die poetische Einheit der llias zu bestimmen, ein Sendschreiben an Goethe 1826. Lange erklärte die Widersprüche und Ungleichheiten aus dem Wesen des schaffenden Naturgenies. Die ganze frische Art, mit der er das Verhältnis der Haupt- und Xebenpartien der llias auf einen poetischen Plan zurückzuführen sucht, mußte Goethe sehr sympathisch sein, da sie noch mehr als Schubarths Buch geeignet schien „die Wunden zu heilen, die uns von dem Raubtier geschlagen wurden".

Friedrich Schlegels Gedanken wurden durch seinen Bruder August Wilhelm in der Rezension von Hermann und Dorothea wiedergegeben und liegen auch dessen Berliner Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst 1801/3 zugrunde, die außerdem über die Geschichte der Homer- auffassung und die epische Technik Homers vorzügliche Ausführungen enthalten. Aber bei allem Sinn für Poesie war eben doch das Literesse der Brüder Schlegel ein rein wissenschaftliches. Sie haben zum Verständnis Homers viel beigetragen, aber nicht erwärmt und belebt wie Herder. Mit Goethe schließt die Periode des lebendigen Einflusses Homers auf die geistige Entwicklung Deutschlands. Mochten die Führer der Romantik, die in den klassischen Traditionen aufgewachsen waren, ihre Unter- suchungen noch der Homerfrage zuwenden: die Romantik selbst wandte sich von dem alten Sänger ab und beschritt neue Wege. Li der roman- tischen Literatur ist er so gut wie vergessen. Wenn Heinrich von Kleist einen heroischen Stoff wie die Penthesilea behandelt, so geschieht das im geraden Gegensatz zur homerischen Naivetät.

In der Zeit, da die Romantik das Geistesleben der Völker des Kon- tinents beherrschte, wandert ihr großer Gegner, Graf Platen, durch die Gassen Neapels. Da sieht er am Molo den Erzähler, wie er vor einer ihn dicht umgebenden, aufmerksam lauschenden Menge den Furioso und die Gerusalemme vorträgt, oft von dem mutigen Rufe der Hörer unter- brochen. Da ruft er Homer zu, er möge auferstehen. Hier fände er, der vielleicht im Norden kalt von Tür zu Tür gewiesen würde, ein halb- griechisches Volk und ein griechisches Firmament.

Die Worte klingen wie ein wehmütiger Nachklang der Tage, da auch im Norden die Herzen dem alten Erzähler entgegen flogen, an die Tage Herders und Goethes. Indessen war Homer nicht in gänzliche Vergessenheit gesunken. Davor bewahrte ihn schon die Schule, das neu- humanistische Gynmasium, in dessen Lehrplan er eine hervorragende Stellung einnahm. Nicht überall freilich war die Wechselwirkung zwi-

Schlußwort 473

sehen dem klassischen Unterricht und dem geistigen Leben der Nation so lebendig und fruchtbringend wie in England, wo der alte Dichter alle Veränderungen der literarischen Strömungen sieghaft überdauerte. Gleich beim Beginn der neuen Zeit tritt die Verehrung für ihn warm und erfreuend zutage, bei Keats, in Shelley 's herrlicher Defence of Poetry, am machtvollsten bei Lord Byron. Die Darstellung, die ich für die vergangenen Zeiten gewählt habe, könnte für England in der gleichen Art bis zum heutigen Tage festgehalten werden. Nicht gleich steht es mit den übrigen Völkern. Es gibt zwar bei ihren Schriftstellern, vor allem in dem Deutschland der sechziger Jahre, eine große Zahl von Be- ziehungen zu Homer, und es ließe sich vielleicht auch da, wie für Italien und Frankreich, sein Verhältnis zu den literarischen Perioden zusammen- hängend darstellen. Nur ist mir das Material noch allzu lückenhaft be- kannt, als daß ich wagen möchte es vorzulegen. Mit wahllos zusammen- gerafften Zitaten würde niemand gedient sein.

Von größter Bedeutung wurde das 19. Jahrhundert für die wissen- schaftliche Erklärung Homers, wie sie Heyne als die vrichtigste Frucht der Homerstudien gepriesen hatte. Einen gewaltigen Aufschwung ver- dankten diese Bestrebungen der Aufdeckung so vieler Stätten des Alter- tums, vor allem Tiryns, Mykene, Troja, zuletzt Kreta. Zunächst schien es, als ob sich die Resultate der Ausgrabungen mit den Angaben Homers bis ins einzelste deckten, und sicher ist ja, daß er durch sie, wie hin- wiederum sie durch ihn, in der überraschendsten Weise erklärendes Licht erhalten haben. Es konnte jedoch nicht ausbleiben, daß in der Folge auch die Unterschiede der ionischen Kultur Homers von der der ausgegrabenen Stätten beachtet wurden, und daraus ergab sich die neue Aufgabe, die Kulturentwicklung der ältesten griechischen Zeiten als solche zu betrachten und Homers Stellung innerhalb dieser Entwicklung zu bestimmen.

Das größte Interesse brachte das 19. Jahrhundert, zumal in Deutsch- land, der durch d'Aubignac und Heyne angeregten, durch V^olf populär gemachten Homerfrage entgegen. Die Phasen der Kämpfe um die Ent- stehung der Gedichte habe ich in meinem Homer 1908 dargestellt. Eine Einigung der Wissenschaft ist auf diesem Gebiete bis heute nicht er- zielt, ja die neuesten Erscheinungen führen davon so weit als möglich ab.

Scheffel hat die Homerkritik zerstörungsfroh genannt, und es läßt sich nicht bestreiten, daß sie im Aufspüren von Widersprüchen in der Gesamtkomposition wie in den Einzelheiten der Gedichte das Maß des Zulässigen weit überschritten hat. Was das Schlimmste ist: bei gar zu vielen der Gelehrten findet sich zu wenig Gefühl dafür, daß wir es mit

474 Schlußwort

Poesie zu tun haben, und daß Poesie ohne einen Dichter undeiikbar ist. Und nun ist dieser Dichter nicht nur der älteste unter den erhaltenen, sondern der leben dig-ste, frischeste, unverwüstlichste. Ihn von der Seite der Poesie zu betrachten, ist denn auch die Aufgabe, die sich in neuester Zeit viele gestellt haben.

Mir ist es bei meiner Wanderung durch die Jahrhunderte klar ge- worden, daß sich so viele geistvolle Menschen unmöglich im Irrtum be- funden haben können, wenn sie sich um die Erfassung des Charakter- bildes Homers bemühten. An der Frage der Entstehung der Gedichte dürfen wir nicht achtlos vorübergehen; so viel geben wir der Kritik zu, und ihre Zweifel sollen wir erwägen. Aber es darf der Irrtum nicht bleiben, als ob die Ilias etwas qualitativ anderes wäre als irgendeine andere große poetische Schöpfung der Welt. Wir müssen anerkennen, daß, so viele Vorgänger und Vorlagen Homer auch gehabt haben möge, in erster Linie die Frage gestellt werden muß, was er aus dem über- kommenen Gute gemacht habe, inwiefern in der Gesamtheit der Epen der Stempel seines Genies zu spüren sei. Anleitung zu solcher Er- kenntnis finden wir bei vielen großen Dichtern und Denkern der ver- gangenen Jahrhunderte. Vor allem wird für die richtige Auffassung Homers maßgebend sein, was Goethe unter dem Eindruck der Prole- gomena Wolfs geäußert hat. Bekennen wir uns vor allem zu einer poe- tischen Persönlichkeit Homer; dann wird uns die Kritik und Erklärung der Werke weiter fördern, als wenn ihr Resultat nur die Zertrümme- rung ist, wie es vielfach der Fall war. Dann wird auch die Freude an dieser unvergänglichen Poesie die weitesten Kreise der gebildeten Welt wieder ebenso stark durchdringen wie in Herders unvergeßlicher Zeit.

EINZELNACHWEISE.

Die Werke sind in den Ausgaben angegeben, in denen ich sie gelesen habe. "Wo meine Angaben ans zweiter Hand stammen, ist es angemerkt. Die Homer- ausgabeu sind hier nicht sämtlich aufgeführt.

DAS MITTELALTER.

S. 1. Walahfrid Strabus bei P. M.Mart j : Wie man vor tausend Jahren lebte und lernte, Jahresbericht der Erziehungsanstalt von Maria Einsiedeln 1857 S.14. Eine Nachprüfung der Angaben ist mir nicht möglich gewesen. E.v.Leutsch Homer im Mittelalter Philologus XII 1857 S. 366. Waltharius, latei- nisches Gedicht des 10. Jahrhunderts, von J. V. Scheffel und A. Holder Stuttgart 1874, Hagens Zorn 627. 1061. 1112. 1266. Hagen 1277. 1279. Jl. 22, 268. 305. Pandaros 727 Aen. 5,495. Walth. 730: hie spernens hastam pharetram gestavit et arcum Jl. 5, 201 vom Wagen.

S. 2. IliasLatina bei A. Baehrens Poetae Latini minores III Leipzig 1881 S.l.

S. 3. Dictys Cretensis Ephemeris belli Troiani rec. F. Meister Leipzig 1872. M. Ihm Der griechische und lateinische Dictjs, Hermes 44. 1909 S. 1.

S. 6. Dares Phrygius De excidio Troiae historia rec. F.Meister Leipzig 1873. 0. Schissel von Fieschenberg Dares - Studien Halle 1908.

S. 8. Benoit de Sainte-More, ten Brink I S. 197. II S. 89. Guido delle Colonne, ten Brink II S. 90. Gaspary I S. 60. Konrad von Würzburg, Goedeke Grundriß I S. 218. Chaucer Works Globe Edition London 1898. House of Fame 3, 365 S. 575. Aeneis 1, 140 S. 500. Galfried von Monmouth, ten Brink I S. 158.

S. 9. Petrarca Epistolae XI 9.

S. 10. Tzetzes Antehomerica etc. ed. J. Bekker Berlin 1816. Allegorien, Matranga Anecdota Graeca Rom 1850 S. 364. Exegesis in Homeri Iliadem bei G. Hermann Draco Stratonicensis Leipzig 1812. Quintus Smyrnaeus Posthomerica ed. Köchly Leipzig 1853.

S. 13. Eustathios Commentarii ad Homerum Leipzig 1825/30. Göttergespräch Jl. 4, 1.

ITALIEN.

S. 15. Dante Inferno 4, 88. Tod des Odysseus Inferno 26, 90. Petrarca Opera Basel 1581 II S. 1036 De sui ipsius et multorum ignorantia. Epistolae Venedig 1501 III 6. Vi. VI 2. IX 9. Voigt I S. 20 ff.

S. 16. Boccaccio De genealogia Deorum gentilium, cum annotationibus Jacobi Micylli Basel 1532. Leonzio Pilato. Probe der Übersetzung bei J. Ber- nays : Pentas versionum Homericarum Bonn 1850. Etymologie von Achilleus Meineke Analecta Alexandrina Berlin 1843 S. 98.

S. 17. Paget Toynbee, Benvenuto da Imola and the lliad and Odyssee, Ro- mania 29 S. 403. Darin auch die Homerzitate bei Dante.

S. 18. Servii Grammatici in Vergilii carmina Commentarii ed. Thilo und Hagen Leipzig 1881/1902. Homer und Virgil IUI S. 128. Macrobius Saturnalia ed. Eyssenhardt Leipzig 1893. Petrarca Trionfo della Fama 3, 1.

476 Einzelnachweise

S. 20. Die neue Bildung in Florenz Voigt I S. 183. Bruni Leichenrede auf Strozzi, bei Baluzius Miscellanea Paris 1678 III S. 226. Poggio Rede auf Bruni Baluzius III S. 248.

S. 21. Chrysoloras Gaza Chalkondyles bei Legrand Bibliographie hellenique 1 Paris 1885.

S. 22. Bruni Übersetzung bei Baluzius Miscellanea ed. Mansi Lucca 1761/64 III S. 158. Quintilian Institutiones oratoriae ed. Bonnell Leipzig 1869. Plutarch Über Homer, Moralia ed. Bemadakis Leipzig 1896 VII S. 329.

S. 24. Marsuppini Übersetzung und Dedikation: Bandini Bibliotheca Leopol- dina Laurentiana Florenz 1791 II S. 439.

S. 27. Horatius Romanus Porcaria ed. Lehnert Leipzig 1907. Darin auch die Übersetzung Marsuppini's S. 40. Rosmini Vita di Francesco Filelfo Mailand 1808 11 S. 95.

S. 28. Homeri poetarum principis cum Iliados tum Odysseae libri 48, Laurentio Valien. etRaphaelo Volaterranointerpr. Antwerpen? apud J. Grapheum 1528. Vahlen Laurentii Vallae opuscula tria Wien 1869.

S. 29. Jani Pannonii poemata Trajecti 1784.

S. 30. Basinii Parmensis poetae opera praestantiora nunc primum edita et op- portunis commentariis illustrata Rimini 1794. Meleagros Jl. 9, 529.

S. 33. Angelus Politianus Opera Basel 1553. Übersetzung und Widmung bei A. Mai Spicilegium Romanum Rom 1839 II S. 1. Mencken Historia vitae et in literas meritorum Politiani Leipzig 1736. Erblindung Homers Scholion zu Piatons Phaidros 243 a.

S. 38. Codrus Urceus Orationes Bologna 1502.

S. 39. Villari La Storia di Girolamo Savonarola Florenz 1887 I S. 500.

S. 40. Boiardo Orlando Innamorato Bologna 1906. Ruggiero 11 16. Circella I 6, 50. Angelica badet Roland I 25, 38. Sirene II 4, 33. Balisardo Proteus H 10, 22 Od. 4, 457. Lästrygonen II 18, 34 Od. 10, 81. Orco Polyphemos III 3 Od. 9.

S. 42. Hinweis auf den Ausgang Furioso 13, 80.

S. 44. Pigna I Romanzi Venedig 1554 S. 71. P. Rajna Le fonti delP Orlando Furioso Florenz 1900. Zorn Rolands Boiardo II 29, 37. 30, 61 Jl. 16, 85. Furioso 8, 71. 9, 1. Rinaldo 27, 8. Rodomonte 27, 105.

S. 45. Orco Boiardo EI 28. Furioso 17, 29. Verkleben der Ohren Od. 12, 173 Furioso 33, 124. 20, 87. Schlauch des Aiolos Od. 10, 19. Für. 38, 30. Netz des Caligorante Boiardo I 5, 81 Für. 15, 56 Od. 8, 266. Homer Für. 35, 27.

S. 47. Firmin-Didot Aide Manuce et l'Hellenisme ä Venise Paris 1875. H omer ausgaben bei Heyne Homeri Ilias Leipzig 1802 III S. 7. Cesarotti I S. 337. Terret Homere Paris 1899 S. 542. Andreas Divus lustopo- litanus Homeri Ilias ad verbum translata Salingiaci 1540.

S. 48. Vi da Poemata omnia Padua 1730. Poetica Oxford 1722.

S. 49. Mauerschau Jl. 3, 121. Bogen des Odysseus Od. 21, 1. Weissagungen Aen. 6, 83. 756 Jl. 16, 851. Wagen der Here Jl. 5, 730. Thersites Jl. 2, 212. Glaukos Jl. 6, 119. Wiederholungen JL 2, 23. 66. 1, 366. 4, 194. 204. 9, 120. 262. 12,344.353.

S. 50. Gleichnisse. Bienen Aen. 1, 434. Ameisen Aen. 4, 402. Fliegen Jl. 16, 641 Der Esel Jl. 11,557. C. Vettii Aquilini Juvenci Euangelia ed. Huemer Leipzig 1891. Burckhardt Die Zeit Constantins des Großen 2. Aufl. Leipzig 1880 S. 277. Christias: Tempel 1,551. Transfiguration 1,931.

') Einzelnach weise 477

Kreuzestod 6, 992. Judas 2, 73. Creizenacli Geschichte des neueren Dramas I Halle 1893 S. 336: La Passione di Gesü Cristo, rappresentazione sacra in Piemonte nel secolo XV ed. Promis Turin 1888. S. 52. Christias 5, 508 Jl. 8, 350.

S. 54. Sannazaro de Partu Yirginis Paris 1547. Totenklage Od. 24, 47. Anrede I an die Myrmidonen Jl. 16, 200. Himmelstor Jl. 8, 393. Hunde Od. 16, 162.

I Nereiden Jl. 18, 39. Proteus Od. 4, 365. Nymphengrotte Od. 13, 103.

156. Aristoteles: Finsler Piaton und die aristotelische Poetik Leipzig 1900. Ausgaben der Poetik bei Butcher Aristotle's Theory of Poetry and Fine Art London 1898 S. XXIX. 57. Trissino Opere Verona 1729. Procopius Opera ed. Haury Leipzig 1905 II S. 1. 60. Alamanni L'Avarchide Bergamo 1761. Gaspary II S. 540. Giraldi Cinthio Discorso intorno al comporre dei Romanzi Venedig 1554 S. 113. Bernardo Tasso Amadigi bei Gaspary II S. 153. Pigna I Romanzi Venedig 1554. S. 63. Minturno Poetica Toscana Neapel 1725

S. 64. Muretus ed. Frey Leipzig 1871 Oratio 14 S. 135. Capriano Della vera poetica 1555; die Stelle bei Spingarn S. 211. Fulvius Ursinus Virgilius coUatione scriptorum Graecorum illustratus Leovardiae 1747. La Badessa L'Iliade d'Omero Padua 1564. Über Bacelli und Dolce Cesarotti I S. 248. 251. S. 65. Torquato Tasso Opere Venedig 1722/42. P. A. Serrassi Vita di Tasso Bergamo 1790. Solerti Vita di Tasso Turin 1895. Discorsi ed. Solerti Turin 1901. S. 67. Traum Goffredo's Gerusalemme 1, 12 Jl. 2, 1. 24, 347. Ratsversammlung Ger. 1, 19. Jl. 2, 53. alg Koigavog Uta Ger. 1, 30 Jl. 2, 204. Heerschau Ger, 1, 36. Mauerschau Ger. 3, 17 Jl. 3, 162. Sturm auf das Christenlager Ger. 9. Zorn Rinaldo's Ger. 5, 10. 16, 18. Zweikampf Argante's mit Tan- credi Ger. 6, 1 Jl. 7, 66. Vertragsbruch Ger. 7, 99 Jl. 4, 85. Eingreifen der Hölle Ger. 7, 114 JL 17, 319. Argillano Thersites Ger. 8, 57 Jl. 2,212. Bitt- gang Ger. 11,29 Jl. 6, 305. S. 70. Castelvetro La poetica d'Aristotile vulgarizzata e sposta Basel 1576. Einteilung der Poesie Aristoteles c. 4 Castelvetro S. 33. Charaktere Arist. c. 15 Cast. S. 319. Abgeschlossenheit Arist. c. 7. 23 Gast. S. 153. 211. Ein- heit Arist c. 8 Cast. S. 173. Irrtum Castelvetro's Arist. c. 8. 1451 a 29. 17 pilfiriaig svog iativ, evog ist Neutrum, nicht Maskulinum. Historischer Stoff Cast. S. 182. Homer und Virgil Cast. S. 55. S. 73. Streit um die Gerusalemme: Tasso Opere II S. 65 L'Infarinato secondo: enthält eine Zusammenstellung der ersten Streitschriften. H S. 285 Apologia di Torquato Tasso. II S. 143 Dialogo di Niccolb degli Otti. II S. 446 Risposta di Giulio Guastavino all'Infarinato. III S. 197 Discorso di Orazio Lombardelli. S. 76. Patrici Della Poetica: la Deca istoriale Ferrara 1585, la Deca disputata 1586. Parere di Patrici in difesa di Ariosto: Tasso Opere III S. 147. Tasso Discorso sopra il Parere Opere III S. 161. Patrici II Trimerone: Tasso Opere IH S. 173. S. 78. La Gerusalemme Conquistata Tasso Opere IV.

478 Einzelnachweise

S. 81. Giordano Bruno Opere ed. Wagner Leipzig 1830 II S. 313.

S. 83. Beni Comparazione di Torquato Tasso con Homero e Virgilio. Insieme

con la difesa dell' Ariosto paragonato ad Homero Padua 1612 Länge der

Ilias Arist. Poetik 24. Der brüllende Ares Jl. 5, 859. Die aufgehängte Here

Jl. 15, 18. Berückung des Zeus Jl. 14, 153. Paris und Helene Jl. 3, 437. S. 85. Tassoni Dei pensieri diversi libri dieci Venedig 1665. Olympische Szene

Jl. 1, 565. Prüfung des Heeres Jl. 2, 134. 183. Paris und Helene J]. 3, 437.

Cicaden Jl. 3, 153. Pandaros Jl. 4, 104. Götter verwundet J]. 5, 330. 900.

Adrastos Jl. 6, 55. Hektors Herausforderung Jl. 7, 92. Flucht des Odysseus

Jl. 8, 92. Tränen Agamemnons Jl. 9, 14. Mahl bei Achilleus Jl. 9, 206. Kund- schaft des Diomedes Jl.lO. Gleichnis von den Schnittern Jl. 11,67. Hektors

Ohnmacht Jl. 11, 349. Der Esel Jl. 11, 559. Liebschaften des Zeus Jl. 14, 315. S. 88. La Secchia rapita Venedig 1788. S. 89. Udeno Nisieli bei Cesarotti IS. 167. Marino L'Adone Venedig 1626.

Ithaka Adone 17, 166. Thetis Ad. 19, 313. Ares und Aphrodite Ad. 7, 191.

Od. 8, 266. Cyklop Ad. 19, 127. Faustkampf Jl. 23, 664 Aen.5,368 Ad.20,142.

Gleichnisse Ad. 12, 61. 238. 273. 14,53. S. 92. Epik, Belloni II Seicento S. 130. Graziani II Conquisto di Granata

Modena 1650. Heerschau Canto 10. Zorn der Helden Canto 15. 16. 23. S. 94. Loredano bei Belloni Seicento S. 205. S. 95. Martorelli, fifO-vffrtxcbraros di Omero, Justi Winckelmann H S. 195.

Salvini Omero trad. in versi sciolti Florenz 1723. S. 96. MaffeiIliade,ilprimolibroLondonl736. Itreprimilibri Verona 1736. Brazo-

lo Cesarotti IS. 158. BozzoliLTliada d'Omero trad. in ottava rima Rom 1769. S. 97. Gravina Prose ed. Emiliani-Giudici Florenz 1857. S. 1 Della Ragione

poetica. S. 247 Discorso sopra l'Endimione. S. 288 De disciplina poetarum. S. 100. Muratori Della perfetta poesia italiana Mailand 1821. Gleichnis J1.16, 7. S. 102. Metastasio Estratto delF Arte poetica d' Aristo tile Venedig 1784. Jagd

auf dem Parnass Od 19, 394. Freier in der Unterwelt Od. 24, 15. Glaukos

Jl. 6, 152. Arist. Poetik c. 25. S. 104. Ricci Dissertationes Homericae Florenz 1740. Fliege Jl. 17, 570. S. 105. Conti Prose e poesie Venedig 1739/56. IIS. 126 De' fantasmi poetici. S. 106. Andres Dell' origine, progressi e stato attuale d' ogni letteratura Parma

1785 1822. Apollonii Argonautica ed. Merkel Leipzig 1854. S. 108. Vi CO Principi di una scienza nuova 1. Aufl. 1725 Neudruck Sonzogno

S. 171. Opere ed. Ferrari Mailand 1836 V S. 456. S. 111. Cesarotti Le poesie d'Ossian trasportate dalla prosa inglese in verso

italiano Padua 1772. L'Iliade di Omero l.Aufl. Padua 1786 94. 2. Aufl.

1798/1802. Schild des Achilleus VII 1. Aufl. S. 435. S. 117. Foscolo und Monti Esperimento di traduzione della Iliade di Omero

Brescia 1807. Nicken des Zeus Jl. 1, 528. S. 118. Monti L'Iliade Turin 1905. Pindemonte L'Odissea Neudruck Sonzogno.

FRANKREICH UND DIE NIEDERLANDE. S. 119. Jean Lemaire de Beiges Les Illustrations de Gaule et singularitez de Troye Lyon 1528. I. Stecher, Jean Lemaire de Beiges, sa vie, ses oeuvres Louvain 1891. Dion von Prusa ed. Dindorf Leipzig 1857. Rede 11 Troiana I S. 166. H.V.Arnim, Dion von Prusa Berlin 1898 S. 166.

Einzelnachweise 479

S. 122. Jehan Samxon Leslliades d'Homere, poete grec et grand hystoriographe. Avec les premisses et commencemens de Guyon de Coulöne, souverain

hystoriographe. Additions et sequences de Dare Phrygius et de Dictys de Crete. Translatees en partie de latin en langage vulgaire Paris 1530. Eine längere Partie der Übersetzung hat Hr. Weng in Paris für mich kopiert. Rabe- lais Oeuvres Amsterdam 1741. Verteutscbt von G. Regis Leipzig 1832/11.

S. 123. Montaigne Essais London 1754 II 12. YIII 36.

S. 124. Ausgaben s. Heyne Homer HI S. 10. Cesarotti I S. 241. Terret Homere S. 542. Über Lonicerus Bursian S.197. Micyllus S.192. Camerarius S.185. Portus S. 232. J. Bernays, Joseph Justus Scaliger Berlin 1855.

S. 125. Feith Antiquitates Homericae Straßburg 1743, auch in Gronovius The- saurus VI S. 370.

S. 126. Isaac Casaabonus Animadversionum in Athenaei Deipnosophistas Leip- zig 1796.

Les 24 livres de l'Iliade d'Homere prince des poetes grecs, tradiüts de grec en vers fran9ais, les 11 premiers par Hugues Salel, et les 13 derniers par Amadis Jamyn, avec les trois premiers livres de l'Odysseö Rouen 1605.

S. 127. Du Bellay Defense et Illustration de la langue fran9aise Paris 1553. Pelletier du Maus Art poetique Lyon 1555.

S. 128. Ronsard Oeuvres par Marty-Lavaux Paris 1890. III Franciade.

S. 130. Saluste, Seigneur du Bartas, La Judith Paris 1580. La Sepmaine ou la creation du monde Paris 1580. Goethes V»^erke Heinemann XXVIII S. 199.

S. 131. Vauquelin L'art poetique, par G. Pellissier Paris 1885.

S. 132. Die Hirschkuh mit Hörnern Arist. Poetik c. 25. 1460 b 32.

S. 133. Certon L'Odyssee Paris 1604. L'Iliade Paris 1605. Julius Caesar Scaliger Poetice 3. Ausg., apud Petrum Santandreanum 1586. Über Vor- gänger: Vorrede. Genie 1 S. 10. Norm 1 S. 25. 3 S. 364. Virgil 3 S. 208. Homer und Virgil 5 S. 537. Joseph Scaliger: Scaligerana Haag 1666 8. V. Musaeus. Scaliger Epistolae Leyden 1627 S. 531.

S. 138. Lipsius bei Cesarotti I S. 130. Meric Casaubonus De nupera Homeri editione Lugduno-Batavica dissertatio: in Isaaci Casauboni Epistolae Rotter- dam 1709.

S. 139. Daniel Heinsius de tragoediae constitutione liber, ed. auctior. Cui et Aristotelis de Poetice libellus accedit Leyden 1643. Gerardus Joannes Vossius Opera Amsterdam 1697. III Institutiones oratoriae. III S. 315 De Rhetoricae natura et constitutione. Neu paginiert: S. 1 De Artis Poeticae natura et constitutione. S. 43 Poeticae institutiones. S. 169 De imitatione. S. 193 De veterum poetarum temporibus.

S. 140. Cluverius Italia antiqua Leyden 1624. II 2 Sicilia antiqua, zuerst 1619. Bochart Geographia sacra Frankfurt a. M. 1674.

S. 141. G. J. Vossius Opera V De theologia gentili et physiologia christiana» sive de origine ac progressu idololatriae, deque naturae mirandis quibua homo adducitur ad deum.

S. 142. Stillingfleet Origines sacrae, or a rational account of the grounds of Christian Faith, as to the truth and divine authority of the scriptures 4. Aufl. London 1675. Thomassin La methode d'etudier et d'enseigner solidement et chretiennement les lettres humaines par rapport aux lettre» divines et aux ecritures Paris 1681. 1. Teil L'etude des poetes.

480 Einzelnachweise

S. 144. Croesius "'OiiriQog'EßQcctog sive Mstoria Hebraeorum ab Homero Hebraicis nominibus ac sententiis conscripta in Odvssea et Iliade Dordrecbt 1704. Diderot Dict. encycl. Grecs XV S. 160.

S. 145. Grotius Oi^era theologica omnia Amsterdam 1679. I Annotationes ad Vetus Testamentum 1653. Bogan '''O^tiqos eßgccitav sive comparatio Homeri cum scriptoribus sacris quoad normam loquendi Oxford 1658.

S. 146. Meric Casaubonus Super loco Homerico dubiae apud antiquos inter- pretationis, quo Dei in hominis tarn mentes quam fortunas imperium asseritur, dissertatiuncula. Od. 18,129 136. In : Isaaci Casauboni Epistolae Amsterdam 1709. Duportus Homeri poetarum omnium facile principis Gnomologia duplici paralleliamo illustrata, uno ex locis S. Scripturae, altero ex gentium scriptoribus Cambridge 1660. Radulphi Cudworthii Systema intellectuale huius Universi seu de veris naturae rerum originibus Commen- tarii: Lateinische Übersetzung von Moshemius Jena 1733.

S. 147. Picinelli Lumi reflessi, o dir vogliamo Concetti della Sacra Bibbia osservati nei volumi non sacri Mailand 1667. Hugo Vera historia Romana seu origo Latii vel Italiae ac Romanae nrbis Rom 1655. Cappellus bei Duport, Einleitung.

S. 148. Leo AUatius De patria Homeri. Gedicht 'O ^-^qov yovai, mit lateinischer Übersetzung von Andrea Bajano: Gronovius Thes. Ant. Graec. X S. 1625. M«"« Dacier Iliade I S. 23.

S. 149. Cuperus Apotheosis vel consecratio Homeri Amsterdam 1683. La Saine Homeri Nepenthes bei Dugas-Monbel S. 130. Petiti Homeri Nepenthes sive de Helenae medicamento Utrecht 1698. Od. 4, 219.

S. 150. Poetae Graeci Christiani, Una cum Homericis centonibus ex sanctorum patrum operibus collecti et utraque lingua seorsim editi Paris 1609. Schulbücher. Posselius Syntaxis Graeca Frankfurt 1594. Vigerus De praecipuis Graecae dictionis idiotismis ed. Lederlin Straßburg 1708. Scapula Lexicon Graeco -Latinum Paris 1643. Clavis Homerica sive Lexicon, opus primum in Anglia concinnatum, deinde auctum et saepius editum Rotterdam 1615. Perkins Clavis Homerica London 1647. Clavis Homerica Rotterdam 1673.

S. 151. L(e) C(lerc) Parrhasiana ou pensees diverses Amsterdam 1699. 1713. I S. 212.

S. 152. Racine Oeuvres Paris 1888 VI S. 56. Andromaque- II S. 95: 3, 8 V. 1014.

S. 154. Lefebvre Les vies des poetes grecs en abrege Amsterdam 1700. Baillet Jugemens des savants sur les principaux ouvrages des auteurs, nouv. ed. Amsterdam 1725 III S. 215 Des poetes Grecs. Du Souhait L'Iliade d'Homere prince des poetes Grecs, avec la suite d'icelle. Ensemble le ravissement d'Helene, sujet de l'histoire de Troie, derniere edition Paris 1634. Boitel L'Odyssee d'Homere, traduict de grec en fran9ais Paris 1617. Eine Partie hat Hr. Weng für mich kopiert. Egger Traductions S. 191.

S. 155. De la Valterie Traduction de Tlliade Paris 1681. Egger S. 193. E. Bovet La Preface de Chapelain ä l'Adone Festschrift Morf Halle 1905.

S. 157. J. Duchesne Histoire des poemes epiques fran9ais du 17™® siecle Paris 1870. Chapelain La Pucelle ou la France delivree, derniere edition Paris 1656. Pucelle, les 12 derniers chants, publies pour la premiere fois par M. Hardouin Orleans 1888.

piter

Einzelnachweise 481

158. Scudery Alaric ou Rome vaincue Haag 1685. Orosius Historiae ad- versus paganos ed. Zangemeister Wien 1882. Stilicho 8, 38. Claudian ed. Koch Leipzig 1893; Gedicht 27 de hello Grothico. Prokop de hello Vandalico 1, 2.

S. 159. Desmarets Clovis ou la France chretienne Paris 1666.

S. 162. Marie Magdeleine ou le triomphe de la Gräce Paris 1669.

S. 163. Desmarets La comparaison de la langue et de la poesie fran9aise avec la grecque et la latine. Et des poetes grecs, latins et fran9ai8 Paris 1670.

164. Od. 12, 441, Odysseus springt auf das aus der Charybdis auftauchende Ge- bälk. Desmarets: Ce qu'il fit alors, dit Homere, aussi promptement, et avec autant de joie, qu'un juge sort de son siege ä Theure du diner, apres avoir ete fatigue toute la matinee par plusieurs causes. Quel rapport d'ülysse pendu a ces hranches, avec ce juge assis sur son siege! Raffaello da Volterra: Aegre autem adhaerebam quod illa rursus malum et carinam voraverat; cupienti tandem mihi serius reversa sunt, üt quando vir a foro ad prandium redire solet, qui multas litigantium iuvenum contentiones iudicat et cognovit, sie tunc demum ligna haec ex Charybdidis ore reiecta apparuerunt.

165. Clovis 1673 Vorrede: Discours pour prouver que les sujets chretiens sont les seuls propres äla poesie heroique. Beigegeben: Traitepourjuger des poetes Grecs, Latins et Fran9ais, eine Umarbeitung der Comparaison ohne neue Gesichtspunkte. Boileau Oeuvres Paris 1713. S.7 Satires. S. 111 Epitres. S. 189 Traite du Sublime. S. 349 Arret donne en la Grand'Chambre du Parnasse etc. pour le maintien de la doctrine d'Aristote. Epos Art poetique Chant. ni. Vom Erhabenen, JJeqI vipovg ed. Vahlen Bonn 1887.

S. 168. Lutrin Oeuvres S. 233. Die Perruquiere Chant H.

S. 169. Desmarets La defense du poeme heroique, avec quelques remarques

sur les Oeuvres satyriques du Sieur D.* Dialogues en vers et en prose

Paris 1674. Le Bossu Traite du poeme epique Paris 1675. Lessings

Vt^erke Hempel XVHI S. 265. S. 171. Rapin Oeuvres dern. ed. Haag 1725. I S. 97 Comparaison d'Homere et

de Virgile. H S. 109 Reflexions sur la poetique. [S. 173. ßossuet, die Stellen bei Duchesne S. 305. [S. 174. Charles Perrault Saint - Paulin Eveque de Nole Paris 1686. S. Gregorii

Papae primi cognomento Magni Opera Paris 1675. H Dialogi. 3, 1 De

Paulino episcopo Nolanae urbis. J. 175. Bacon Works London 1824. I S. 3 Of the Proficience and Advancement

of Learning divine and human. Scaliger S. 764. J. 177. Gueret Le Parnasse reforme et la guerre des auteurs Haag 1716. 179. Claude Perrault Un poeme inedit: Revue d'histoire litteraire de la France

VII 1900 S. 449. Pierre Perrault, bei Rigault S. 138. Racine Oeuvres IH

S. 143. S. 180. Charles Perrault Le Siecle de Louis le Grand, abgedruckt bei De Callieres. S. 183. La Fontaine Oeuvres Paris 1883. Longepierre Discours sur les

Anciens Paris 1687, anonym. S. 1^4. Fontenelle Oeuvres Paris 1767. I S. 24 Dialogues des Morts. HI S. 127

Reflexions sur la Poetique. IV S. 170 Digression sur les Anciens et les

Modernes. VIH S. 279 Sur la Poesie en general.

Finsler: Homer in der Neuzeit. 31

482 Einzelnachweise

S. 187. De Callieres Histoire poetique de la guerre nouvellement declaree entre les Anciens et les Modernes Paris 1688, anonym. Furetiere Nouvelle all^gorique ou histoire des derniers troubles arrives au royaume de l'elo- quence Heidelberg 1659.

S. 189. Perrault Parallele des Anciens et des Modernes, nouv. ed. Paris 1693.

S. 190. A. Dacier La Poetique d'Aristote, traduite en Fran9ais avec des remar- ques Paris 1692.

S. 195. Boileau Reflexions sur Longin Oeuvres S. 491.

S, 198. Bayle Nouvelle de la republique des Lettres Amsterdam I 1684 S. 72. Dictionnaire historique et philosophique 4. Aufl. Amsterdam und Ley den 1730.

S. 199. Saint-Evremond Oeuvres par Maizeaux Amsterdam 1753. V S. 10& Sur les poemes des Anciens. S. 120, Du merveilleux qui se trouve dans les poemes des Anciens, VI S. 19 Sur le disput touchant les Anciens et les Modernes, Stances irregulieres.

S. 201. (L)e C(lerc) Parrhasiana Amsterdam 1699 I S. 1 Des poetes et de la poesie.

S. 202. Homerfrage: Cicero de Oratore 3,34. Aelian Varia Historia 13,14. Plutarch Lykurgos 4. Suidas s. y.'V^riQos. Josephus contra Apionem 1, 2.

S. 203. Lilius Gyraldus Opera Basel 1580 Dialogus H S. 66. Annius von Viterbo habe ich nicht selbst gesehen. Camerarius Kommentar zu JL I Straßburg 1538 S. 30. Paolo Beni Comparazione I S. 52.

S. 204. Scaliger Poetice S. 26. 112. Aelian 8,2. Casaubonus zu Diog. Laert. 9,12, die Stelle bei Volkmann S. 5. Meursius Pisistratus: Gronovius Thes. Graec. antiq. V S. 1434. Salmasius Plinianae exercitationes in C. Julii Solini Polyhistora Utrecht 1689 S. 590. Solinus ed. Mommsen Berlin 1864 S. 186f.

S. 205. Perizonius Animadversiones historicae 1684, bei Volkmann S. 6.

S. 206. Wetstein De fato scriptorum Homeri per omnia saecula Basel 1684, Küster Historia critica Homeri, in Wolfs Ausgabe der Ilias Halle 1785. Morhof Polyhistor litterarius, philosophicus et poeticus 4. Aufl. Lübeck

1707 I S. 1025. Die erste, allein vom Verfasser selbst publizierte Abteilung Lübeck 1688. Bursian I S.304. Gronovius Thesaurus V Vorrede. Diome- des Scholia in Dionysii Thracis Artem grammaticam ed. Hilgard Leipzig 1901 S. 29. Jo. Alberti Fabricii Bibliotheca Graeca 2. Aufl. Hamburg

1708 IIl S. 269. Bentley's Briefwechsel von J. Bernays Rhein. Mus. VIII S. 1. R. Jebb Bentley London 1909 S. 146.

S. 207. Rapin Oeuvres I S. 153. Perrault Parallele II S. 25. Boileau Reflexions sur Longin Cap. 3.

S. 208. D'Aubignac Conjectures academiques ou dissertation sur l'Iliade Paris 1715, anonym. Finsler Neue Jahrbücher VIII 1905 S. 495.

S. 210. Zoega's Betrachtungen über Homer ed. Michaelis Straßburger Festschrift 1901 S. 1.

S. 211. Harduinus Opera varia Amsterdam 1733 S. 282 Pseudo-Virgilius. S. 320 Pseudo-Horatius. Rigault S. 433. Gacon Homere venge Paris 1715^ Lettre 5. Rousseau Essai sur l'origine des langues, Oeuvres Genf 1782 XVI S. 240. Bellerophon Ji. 6, 168. Goguet Untersuchungen über den Ur- sprung der Gesetze usf. Übersetzung von Hamberger Lemgo 1760 II S. 207.

S. 212. M™^ Dacier L'Iliade d'Homere traduite en fran9ais Paris 1711. L'Odyssee Paris 1717.

Einzelnachweise 483

S. 214. Regnier bei Rigault S. 379, Houdar de la Motte Oeuvres Paris 1754 II S. 1 Discours sur Homere. S. 141 L'ombre d'Homere, Ode. S. 147 L'Iliade.

S. 219. M™ö Dacier Des Causes de la corruption du goüt Paris 1714. La Motte Reflexions sur la Critique Oeuvres III S. 1.

S. 221. Fenelon Oeuvres Paris 1826 X S. 308 Lettre ecrite ä FAcad^mie. S. 433 Correspondance litteraire avec La Motte 1713/14. XII L'Odyss^e d'Homere.

S. 223. Terrasson Dissertation critique sur l'Iliade d'Homere Paris 1715. Hektors Rede an Paris Jl. 6, 325. Ungerechte Richter Jl. 16, 384. Rede des Phoinix Jl. 9, 529. Nestor Jl. 11, 670. Über Allegorien II S. 83. Schild des Achilleus II S. 249 Jl. 18, 478.

S. 227. Gacon Homere venge par L. P. S. F. (le poete sans fard) Paris 1715, anonym. Boivin Apologie d'Homere et le bouclier d'Achille Paris 1715.

S. 228. Marivaux Oeuvres Paris 1781. X Homere travesti ou l'Iliade en vers burlesques.

S. 229. Saint-Hyacinthe Chef d'oeuvre d'un inconnu. Poeme heureusement decouvert et mis au jour, avec des remarques savantes par le docteur Chrisost. Matanasius 1716, anonym. Im selben Bande: Dissertation sur Homere et sur Chapelain. Buffier Homere en arbitrage; in: Nouvelles litteraires contenant ce qui se passe de plus considerable dans la republique des lettres I Haag 1715 S. 353, anonym.

S. 230. De Pons Dissertation sur le poeme epique, contre la doctrine de M™® Dacier Oeuvres Paris 1738. Fourmont Examen pacifique sur la que- relle de M™« Dacier et M. de la Motte sur Homere. Avec un traite sur le poeme epique et la critique des deux Iliades et de plusieurs autres poemes Paris 1716. Hardouin Apologie d'Homere. Ton explique le veri- table dessein de son Iliade et sa Theomythologie Paris 1716. Lykurg Jl. 6, 130. Prophezeiung über die Aeneaden Jl. 20, 307.

S. 231. M"^« Dacier Homere defendu contre l'Apologie du R. P. Hardouin, ou Suite des Causes de la corruption du goüt Paris 1716.

jS. 232. Conti Prose et Poesie II Venedig 1756 S. 108 Brief an Maffei. Cartaud de la Vilate Essai historique et philosophique sur le goüt London 1751. J. 233. Dubos Reflexions critiques sur la Poesie et sur la Peinture, 6. ed. Paris 1755. A.Lombard La Querelle des Anciens et des Modernes; l'abbe Dubos Neuchätel 1908. 1.237. Voltaire Oeuvres Amsterdam 1725. Oeuvres complets Paris 1877/83. VIII S. 304 Essai sur la poesie epique. IX Pucelle. XII S. 247 Essai sur les moeurs et l'esprit des nations. XIV S. 115 Ecrivains fran9ai8 du siecle de Louis XIV. XVIII XX Dictionnaire philosophique. 1.241. Batteux Principes de Litterature, nouv. ed. Paris 1777. II S. 138 Traite. du poeme epique. Achilleus am Graben Jl. 18, 217. Les Quatre Poetiques. Paris 1771.

[8.243. Diderot Oeuvres Paris 1875. I S. 376 Lettre sur les sourds et lea muets. Gebet des Aias Jl. 17, 645. Vom Erhabenen Kap. 9. Boileau Traitfe du Sublime Kap. 7. VII S. 319 De la poesie dramatique. S. 312 Kontrast Jl. 13, 1. Xni— XVI Dictionnaire encyclopedique , Artikel Bibliotheque. Grecs. Jliade. Odyssäe.

31*

484 Einzelnachweise

S. 245, Marmontel Poetique Fran9aise Paris 1763.

S. 246. La Harpe Lycee ou cours de litterature Paris 1798/1802. I S. 187 Epos.

S. 247. Übersetzungen: Bitaube Oeuvres d'Homere, traduites en fran9ais nouv. ed. Paris 1835. De Rocbefort L'Iliade d'Homere traduite en vers, nouv. ed. Paris 1772. L'Odyssee Paris 1777.

S. 249. Le Brun L'Iliade d'Homere, traduction nouvelle Paris 1776, anonym. Gin Oeuvres completes d'Homere, traduetions nouvelles Paris 1786.

S. 250. Mercier Mon bonnet de nuit Neuchätel 1784 I S. 266 Cesarotti I S. 203.

S. 251. Memoires de litterature tires des registres de l'Aeademie royale des Inscriptions et helles Lettres 1736 1 S. 176 Boivin Sur la que- relle des partisans d'Homere et ceux de Virgile. ES. 1 Massieu Pa- rallele d'Homere et de Piaton. 1764 Bd. 30 S. 539 Chahanon Disser- tation sur Homere considere comme poete tragique.

S. 252. Guys Voyage litteraire de Grece, ou lettres sur les Grecs anciens et mo- dernes, avec un parallele de leurs moeurs Paris 1771. D'Hancarville Antiquites Etrusques, Grecques et Romaines du cabinet de M. Hamilton Neapel 1766. HI S. 163 kretischer Tanz Jl. 18, 590. HI S.177 Mantelspange des Odysseus Od. 19, 226. IV S. 114 Homer über die Künste. Achilleusschild,

S. 253. Goguet Untersuchungen von dem Ursprung der Gesetze, Künste und Wissenschaften, übersetzt von G. Ch. Hamberger Lemgo 1760. II S. 142 Metallurgie.

S. 254. Caylus Tableaux tires de Tlliade, de l'Odyssee d'Homere et de l'Eneide de Virgile, avec des observations generales sur le costume Paris 1757, anonym.

S. 255. Barthelemy Voyage du jeune Anacharsis en Grece Paris 1817.

S. 256. Reisen in der Troas. Belon Les observations de plusieurs singularites et choses memorables trouvees en Grece, Asie, Indie, Egypte, Arabie et autres pays etrangers Paris 1588, 1. Aufl. 1553. II S. 178 Troye. Be- lurger bei Cesarotti IS. 131. Sandys A relation of a journey begun 1610 London 1627, bei Dalzel Anm. zu Lechevalier S. 74. Pietro della Valle Viaggi Brighton 1843 I S. 9.

S. 257. Spon et Wheler Voyage d'Italie, de Dalmatie, de Grece et du Levant, fait aux annees 1675 et 1676 Amsterdam 1679 I. S. 150. Lady Mon- tague Letters written during her travels in Europe, Asia and Africa Paris 1784 Letter 44. Pococke Beschreibung des Morgenlandes, über- setzt von Windheim Erlangen 1754/55 III S. 155 Troja.

S. 258. Wood Versuch über das Originalgenie Homers Frankfurt 1773, An- hang S. 83 Vergleichung des alten und gegenwärtigen Zustandes der Landschaft von Troja. Chandler Reisen in Kleinasien, unternommen auf Kosten der Gesellschaft der Dilettanti Leipzig 1776. Choiseul- Gouffier Voyage pittoresque de la Grece I Paris 1782 II 1 1809 II 2 1822. Die Quellen II 1 S. 229. 269. Jl. 22, 147.

S. 260, Lechevalier Beschreibung der Ebene von Troja. Mit Anmerkungen von Dfilzel. Aus dem Englischen übersetzt und mit Vorrede, Anmerkungen und Zusätzen von Heyne begleitet Leipzig 1792. Bryant Observations upon a treatise entitled A description of the piain of Troy by M. le Che-

Einzelnachweise 485

valier Eton 1795. A Dissertation conceming the war of Troy etc. Ohne

Druckjahr. Troja in Ägypten Strabon 17, 809 Steph. Byz. Tgoicc Diodor

I 56, 4. Troja in der Ebene Jl. 20, 217. S. 261. Lenz Die Ebene von Troja nach dem Grafen Choiseul-Gouffier und andern

neueren Reisenden Neu-Strelitz 1798. S. 262. Ansse de Villoison 'Opi'^QOv 'IXidg. Homeri Ilias ad veteris codicis

Veneti fidem recensita. Scholia in eam antiquissima Venedig 1788.

Andre Chenier Oeuvres poetiques ed. G. de Chenier Paris 1874.

ENGLAND. S. 265. Morus Utopia, mit der ersten englischen Übersetzung von Ralph Ro-

bynson 1561 Oxford 1895. S. 266. Daniel Defence of Rhyme, bei Spingarn S, 297. Harington, bei Spin- garn S. 293 Hamelius S. 15. S. 267. Ben Jonson Works ed. Gifford London 1816 VII Discoveries. Bacon

Works London 1824 I S. 3 Advancement of Learning. X S. 155 De sapi-

entia veterum. Briareos Jl. 1, 397. S. 269. Wilson Arte of lihetorique ed. Mair London 1909 S. 195. Ascham

The Scholemaster ed. Arber Westminster 1903. Piatons Staat III 393 a. S. 270. Gössen The Schoole of Abuse, and A short apology of the Schoole of Abuse

ed. Arber London 1906. Plutarch de Musica cap. 42 Bernadakis VI S. 528. S. 271. Sidney Apology for Poetrie ed. Arber London 1908. S. 273. Webbe Discourse of English poets ed. Arber Westminster 1895. Putten-

ham Art of English Poetrie ed. Arber London 1869. S. 274. Watson, bei Ascham Scholemaster S. 73. Hall, bei Sandys II S. 241. S. 275. Chapman Works ed. Shepherd London 1875. I The whole works of

Homer, Prince of Poets. S. 276. Shakespeare. R. A. Small, The Stage-Quarrel , Kölbing Forschungen I

1899 S. 164. Anders Shakespeare's Books Berlin 1904 S. 42. Geschichte der Troilus - Episode bei ten Brink I S. 197 II S. 89. Lydgate, bei ten Brink II S. 233. Heinrich IV 2. Teil 1, 1.

S. 277. Spenser The poetical Works Boston 1855. Traum des St. George Faery Queene 1 1 Od. 19, 562. Jl. 2, 1. Sansioy F. Q. I 5, 13. 29 Jl. 20, 320. 23, 188. Kette F. Q. I 5, 25 JL 8, 29. Büßer F. Q. I 5, 35 II 7, 58 Od. 11, 576. Gu- yons Fahrt F. Q. II 12 Od. 10. 12. Marinell F. Q. IE 4. Bitten F. Q. V 9, 31 Jl. 9, 502. Katalog der Flüsse IV 11, 9. Der Berg F. Q. 1 10, 53. Phantastes F. Q. II 9, 52.

S. 280. Warner Albion's England bei Chalmers IV S. 509. Daniel The history of the Civil Wars, Chalmers III S. 455.

S. 281. Drayton The Barons' War, Chalmers IV S. 25. Chalkhill Thealma and Clearchus, bei Saintsbury Minor Poets of the Caroline Period Oxford 1905 n S. 367. Das Kraut Moly V. 1848 Od. 10, 277.

S 282. Hannay Sheretine and Mariana, Saintsbury Minor Poets I S. 643. Kynaston Leoline and Sydanis, Saintsbury Minor Poets IIS. 61. Knoten des Tuches V. 962 Od. 10, 19. Katalog V. 2906. ChamberlaynePharonnida, Saintsbury Minor Poets I S. 17. Ismanders Heimkehr IV 2, 496. Tragödie 114,435. Heliodor: E. Rohde Der griechische Roman 2. Aufl. Leipzig

1900 S. 453.

486 Einzelnachweise

S. 284. Cowley Davideis, a sacred poem of the troubles of David. Works London 1688. Jonathans Schlacht Dav. 17. Envy Dav. I Adone 12, 60.

S. 285. Davenant Works London 1673, Chalmers VI S. 349.

S. 287. Hobbes The Iliad and Odyssey of Homer, translated out of Greek into English 3. Aufl. London 1686.

S. 288. Milton Parad.Lost. 9,1 Über Homer. Schicksals wage P.L. 4,996 Jl.22,209. 8, 69. Kampf der Engel P. L. 6. Liebesszene P. L. 9, 1039 Jl. 14, 346. Fest im Himmel P. L. 5, 616. Gleichnis Addison Spectator No. 303. Parad. Regained 4, 236. Drydens Epigramm Works ed. Saintsbury XI S. 162.

S. 292. Phillips Theatrum Poetarum Anglicorum, containing brief characters of the English poets, ed. Brydger Genf 1824. The whole critical Works of Monsieur Rapin, newly translated in English by several hands London 1706. II S. 109 Monsieur Rapin's Reflections on Aristotle's Treatise of Poesie, made English by Mr. Rymer; by whom is added some reflections on English poets.

S. 293. Roscommon Works Glasgow 1753. Sheffield, Earl ofBuckingham Works 3. Aufl. London 1740. I S. 127 Essay on Poetry.

S. 294. Dryden Works ed. Saintsbury Edinburg 1882. IX S. 290 Annus Mira- bilis. IV S. 1 Conquest of Granada. V S. 111 Apology for heroic poetry. XIII S. 1 Essay on Satire. XIV S. 129 Aeneis. XV S. 273 Essay of dramatic Poesy. S. 347 Homer und Virgil. XII S. 281 Second Miscellany. XII S. 53 Third Miscellany. XI S. 208 Preface to the Fables. Kalypso und Dido XIV S. 188. XI S. 215.

S. 299. Blackmore Prince Arthur, an heroic poem London 1695.

S. 300. Temple Works London 1750. I S.151 Essay upon the ancient and modern Learning. S. 233 Of Poetry.

S. 302. Wotton Reflections upon ancient and modern Learning London 1694.

S. 303. Blackwallius De praestantia classicorum auctorum commentatio, latine vertit G. H. Ayrer Leipzig 1735.

S. 304. C. Boyle Phalaridis Agrigentinorum tyranni epistolae Oxford 1695. Bentley A dissertation upon the epistles of Phalaris, Themistocles, Eu- ripides and others; and the fables of Aesop London 1697. Boyle Bent- ley's Dissertation examined 2. Aufl. London 1698. Swift Works Edin- burg 1824. X S. 217 A füll and true account of the battle fought last Friday, between the ancient and the modern books in Saint James' library. S. 64 A tale of a tub Sect. 3. XIII S. 25 Martinus Scriblerus Ttsgl ßdd-ovg, of sinking in poetry. Über Swifts Anteil an dieser Schrift Saintsbury II S. 452.

S 309. Barnes Homeri Ilias et Odyssea, et in easdem Scholia etc. Opera studio et impensis Josuae Barnes Cambridge 1711. J. Bernays Bentley's Brief- wechsel Rhein. Mus. VEI 1855 S. 1.

S. 310. Clark e Homeri Carmina Graece et Latine cum notis London 1832. Pott er i Archaeologia Graeca sive veterum Graecorum, praecipue vero Atheniensium ritus civiles, religiosi, militares, domestici Leyden 1702. Geddes An essay on the composition and manner of writing of the ancients, particularly Plato Glasgow 1748.

S. 311. Shaftesbury Charakteristicks of Men, Manners, Opinions, Times etc. Lon- don 1733. I S. 151 Soliloquy or advice to an author. III Miscellaneous reflections 5, 1 S. 260.

Einzelnachweise 487

S. 313. Dennis The advancement and reformation of modern Poetry London 1701. The grounds of Criticism in poetry London 1704.

S. 315. Addison Tatler, :Nr. 152 Od. 11, 217. 488. Spectator Nr. 70. 74 the song of Chevy-Chase. Nr. 262 ff. über Milton, Neudruck Arber Westminster 1903. Nr. Gl. 160 Genies. Nr. 414. 417 Natur and Kunst. Nr. 592 Shake- speare. Pyrrhos Ring Plinius Nat. Hist. 37, 5. Nr. 523 Mythologie.

S. 319. Hughes Court of Neptune, Chalmers X S. 12. Philips Blenheim, Chal-

tmers VIII S. 380. Rowe A poem of the late glorious successes, Chalmers IX S. 464, Das Gleichnis Jl. 4, 452. Welsted A Poem occasioned by the late famous victory of Audenarde London 1787. Addison The Campaign, Poems Paris 1780 S. 51. Tickell On the prospect of Peace, Chalmers XI S. 102. Addison über Göttermaschine Spect. Nr. 523. Fabelwesen Nr. 419. .320. Addison A discourse on ancient and modern Leaming, now first pub- lished from an original manuscript London 1739. Pope Works ed Elwin London 1871. II S. 1 Essay on Criticism. I S. 185 The temple of Fame. n S. 145 The Rape of the Lock. Schwur bei der Locke 4, 133 Jl. 1, 234. Belinda's Haarnadel 5, 89 Jl. 2, 101. Götterschlacht 5, 45 Jl. 20, 1. S. 322. Parnell Essay on the different styles of poetry, Chalmers IX S. 412. S. 323. Übersetzungen, bei Chalmers. Congreye XS. 275. Yalden XI S. 73.

Pitt XII S. 390. Tickell XI S. 302. Broome XII S. 24. S. 324. Pope The Iliad of Homer London 1771. Odyssey London 1745. Über

Parnell Courtehope, Pope's life, Works Y S. 154. VIII S. 44. S. 327. Spence An Essay on Mr. Pope's Odyssey. 2. Aufl. London 1737. S. 328. Gay Mr. Pope's Welcome from Greece, Pope Works V S. 170. Ariost Für. Canto 46. Pope Iliad H S. 47 An Essay on Homer's Battles. Reit- kunst Jl. 15, 679 Od. 5, 371 Pope zu Iliad 4, 336. Trompete Jl. 18, 219 Pope zu Iliad 18, 259. Iliad IV 237 Oberservations on the shield of Achilles. S. 330. Spence S. 212 Poetische Weissagung Od. 20, 251. S. 275 Intimation Jl. 18,

222. 246. Der Angler Jl. 16, 406 Od. 12, 251. S. 332. Blackwell An enquiry into the. life and writings of Homer 2. Aufl. London 1736. Deutsch von J. H. Voß Leipzig 1776. Französisch von Quatremere-Roissy Paris An VII. S. 119 Improvisation. S. 336. Glover Leonidas 4. Aufl. London 1739. Diodor 11,9. 10. Lyttelton

Chalmers XVII, S. 4. Athenaid Chalmers XVII S. 80. S. 337. Wilkie The Epigoniad 2. Aufl. London 1759. Chalmers XVI S. 133. S. 341. Welsted Works in verse and prose ed. Nichols London 1787 S. 127. Remarks of Longinus S. 398. Samuel Johnson Works London 1820. VII S. 267 Idler Nr. 66, 1759. V 320 Rambler Nr. 121, 1751. X S. 63 Leben Rowe's. VI S. 95 Rambler Nr. 156, 1751 über Regeln. XI S. 175 Leben Pope's Gleichnis Od. 13, 81 Aen.5,144 Ovid Metam. 1,533. IIIS.327 Rasselas Prince of Abissinia. Homer und Virgil bei Boswell Life of Samuel Johnson ed. Napier London 1884 II S. 61. 453. Johnson V S. 138 Rambler Nr. 93 über Scaliger. VII S. 306 Idler Nr. 77 über Horaz. S. 344. Joseph Warton An Essay on the genius and writings of Mr. Pope 5. Aufl. London 1806. Adventurer new. ed. London 1788/97 Nr. 49, 1759 über Le Bossu. Nr. 75. 80. 83 Ilias und Odyssee. Blair Lectures on Rhethoric and belies Lettres Basel 1788.

488 Einzelnachweise

S. 345. Beattie Essai sur la poesie et sur la peinture, Übersetzung Paris An. VI.

S. 346. Hume The philosophical Works Edinburg 1826. III S. 256 Of the Stan- dard of Taste. III S. 124 Of the rise and progress of the Arts and Sciences. Horaz Epist. II 2, 187.

S. 347. Burke The Works Paris 1834. I S. 22 A philosophical enquiry into the origin of our ideas of the Sublime and Beautiful. Simoeisios Jl. 4, 474. Iphidamas Jl. 11, 221.

S. 348. Home Elements of Criticism Basel 1795. Wespen Jl. 16,259. Fliege Jl. 17, 570.

S. 350. Hurd The Works London 1811. I Horatii Epistolae ad Pisones et Au- gustum. II Diss. 1 Oii the idea of universal Poetry. Diss. 2 On the provinces of the Drama. Diss. 3 On poetical Imitation. Diss. 4 On the Marks of Imitation, IV S. 231 Lettres on Chivalry and Romance.

S. 355. Young Gedanken über die Originalwerke, deutsch Leipzig 1761.

S. 356. Gray Works ed. Gosse London 1902. I S. 393 Lydgate und Homer.

S, 357. Lowth De sacra poesi Hebraeorum praelectiones Oxonii habitae, ed. Michaelis Göttingen 1758. Dreschtenne Jl. 5, 499. 13, 588. 20, 495. Jesaia 41,15.

S. 359. Philips A CoUection of old Ballads. Corrected from the best and most ancient copies extant London 1723.

S. 360. Ramsay The Ever-Green, a CoUection of Scots poems wrote by the ingenious before 1600 Edinburg 1874. Warton Essay on Pope I S. 355. Gray 's Gedichte, Works I S. 27. Percy Eeliques of ancient English poetry, consisting of Old Heroic Ballads, Songs and other Pieces of our earlier Poets. Together with some few of a later date London 1765.

S. 361. The Works of Ossian the son of Fingal, translated from the Galic lan- guage by James Macpherson London 1765. I S. 1 Macpherson A Disser- tation, dann: A Dissertation concerning the antiquity of the poems. II S. 311 Hugh Blair A critical Dissertation on the poems of Ossian.

S. 364. Beattie The Minstrel, or the progress of Genius, and other poems London 1817.

S. 365, Brown The history of the rise and progress of poetry Newcastle 1764. Herodot 2, 53. 23.

S, 368. Wood Versuch über das Originalgenie Homers, deutsch von Michaelis Frankfurt 1773. Syrie Od. 15, 443.

Ä. 372. Pinkerton Select Scotisch Ballads London 1783. Diss. I On the oral, tradition of poetry. Robert Heron Letters of Literature London 17&5 Brief 1. 9. 14. Virgil 16. 23. Klima 27. Gray I S. 113 the Alliance of Education and Government. Hiob 39, 19, alte englische Übersetzung: hast thou clothed his neck with thunder? Gray X S. 36 Progress of poetry: with necks in thunder cloth'd.

S 373. The literary correspondence of John Pink ertön London 1830. Walpole IS. 71. KnightlS. 100.

S. 374. Twining Aristotle's Treatise on Poetry, translated with notes on the translation and on the original London 1789.

S. 375. Co wp er The Iliad of Homer translated 2. Aufl. ed. J. Johnson London 1802. The Odyssey 2. Aufl. London 1802.

Einzelnachweise 489

DEUTSCHLAND.

S. 377. Erasmus Mcogiag iyxtaiiiov, Stultitiae Laus, ed. Listrius Basel 1676, Cesarotti IS. 159. Hieronymus Opera omnia cum scholiis Erasmianis Basel 1516/20. Erasmus Opera omnia Leyden 1703/6. I S.490 Pueros ad virtutem ac literas liberaliter instituendos. S. 520 De ratione studii. II Adagiorum chiliades 3,7. W S. 671 Homer und Virgil. IX S. 90 Apologia rejiciens quorundam suspiciones ac rumores, natos ex dialogo figurato qui Jacopo Latomo sacrae theologiae licentiato inscribitur Dialogus de tribus Unguis et ratione studii.

S. 378. Geiger Johannes Reuchlin Leipzig 1871.

S. 379. Hütten Opera omnia ed. Münch Berlin 1821. IS. 147 Nemo Od.9,366. 369. 408. II S. 342 Brief an Erasmus. Melanchthon Opera omnia ed. Bretschneider Braunschweig 1834/60. YII S. 397 Praefatio in Homerum Viti Winshemii. K. Hartfelder, Philipp Melanchthon als PräceptorGermaniae Berlin 1889. S. 83 Intimatio de Homero praelegendo. S. 220 Grammatik. Thersites Jl. 2, 212.

S. 381. O.G.Schmidt, Luthers Bekanntschaft mit den alten Klassikern Leipzig 1883 S. 48. Camerarius Commentarius explicationis primi libri Iliados Straßburg 1538. Zu Buch 2 Straßburg 1540. Piaton Einteilung der Poesie, Staat. 3, 392d.

S. 382. Zwingli Werke ed. Egli und Finsler Berlin VII 1911 S. 303. 590. Vor- rede zu Ceporinus Ausgabe Pindars Basel 1526. E. Stäheli, Huldreich Zwingli Basel 1895 I S. 151 II S. 123. U. Ernst Geschichte des zürche- rischen Schulwesens bis gegen Ende des 16. Jahrhunderts Winterthur 1879 S. 9. Breitinger Vorrede zu Seh auf elb ergers Clavis 1761. Bullinger Studiorum ratio sive hominis addicti studiis institutio, Capellae Tigurinorum 1594. Plutarch Bernadakis VI S. 82.

S. 383. Helius Eobanus Hessus Homeri Iliadis de rebus ad Troiam gestis libri XXIV, nuper Latino carmine elegantissime reddidit Basel 1540.

S. 384. Simon Lemnius, Rhetus Curiensis, Odyssee libri XXIV, Heroico Latino car- mine facti et amendis quibusdam priorum translationum repurgati Basel 1549. Odyssea durch Meister Simon Schaidenreißer genannt Minervium mit Fleiß zu Teutsch transferiert Augsburg 1537. 2. Aufl. Frankfurt 1570. Neue Ausgabe von F. Weidling Teutonia 13 Leipzig 1911.

S. 385. Hans Sachs, Bibliothek des Lit. Vereins in Stuttgart XII 1879: Die Irr- fahrt Ulissi mit den werbern und seiner gemahel Penelope. Die Zerstörung der Stadt Troja, Die mörderisch Clitemestra. hg. von Adalbert Keller. Abele, die antiken Quellen des Hans Sachs Cannstatt 1897.

S, 387. Breitinger Vorrede zu Schaufelbergers Clavis Homerica Zürich 1761 S. 11. Museum Helveticum Zürich III 1746 Antrittsrede Breitingers.

S. 388. Schulbücher oben S. 150. Th. Flathe St. Afra, Geschichte der Fürsten- schule zu Meißen Leipzig 1879. Seber Index vocabulorum in Homeri poematis Heidelberg 1604, neue Titelaufl. Amsterdam 1649. Gottsched Beyträge zur critischen Historie der deutschen Sprache Leipzig 1740 24 Stück. Wetstein, Küster, Morhof, Fabricius oben S. 206. Ilias Homeri, das ist des alten fürtrefflichen Poeten 24 Bücher usf. in artliche teutsche Reimen gebracht von Johann Spreng Augsburg 1610. Opitz,

490 Einzelnachweise

Aristarchus und Buch von der deutschen Poeterey ed. Witkowski Leipzig 1888. Poeterey ed. Berghoeffer Frankfurt a. M. 1888. Barth Adversa- riorum commentariorum libri 60 Frankfurt 1624. 22 S. 1479. 47 S. 2230. S. 389. Leibniz, die Stelle bei Bernays Rhein. Mus. VIII 1853. Thomasius. Kant, die Stellen bei Friedländer Deutsche Rundschau XII 1886 S. 214. Herakleitos bei Diels Vorsokratiker Berlin 1903 S. 73. Postel Der große Wittekind in einem Heldengedicht Hamburg 1724. Nympheninsel Ges. 7. Camoens 9, 69. Tasso 16, 56. Fatima Nausikaa 5, 86. Die listige Juno Hamburg 1700. Jl. 14, 153—222.

■8.391. Weichmann Vorrede zu Brockes Irdischem Vergnügen in Gott Ham- burg 1732; die Vorrede schon zur Ausgabe von 1721. Blackwall oben S. 303. Übersetzung Ayrers mit der Dissertation Leipzig 1735.

S. 392. Haller Sermo academicus ostendens quantum antiqui eruditione et in- dustria antecellant modernos, dictus 31. Mai 1736 bei Hirzel Albrecht von Hallera Gedichte Frauenfeld 1882 S. 381. Brief an Gemmingen S. 397. Brief an Bodmer S.361.

S. 393. Ludwig Freiherrn von Holbergs eigene Lebensbeschreibung in Briefen, aus dem Lat. übersetzt 2. Aufl. Leipzig 1754 S. 335. Das Original 1737 und 1745 geschrieben. Gottsched Versuch einer critischen Dichtkunst vor die Deutschen Leipzig 1730 2. Aufl. 1737. J. Schöberl, Gottsched und die Franzosen München 1866

S. 394. Der Fehler in der Übersetzung: Beyträge 1737 Stück 37. 11.1,22: ndvTBg i7tr]vcpr]^ri6av 'A%ccloI

alÖEiöd'ai -9^ hgficc xccl äy^ccä di^Q'cii änoivcc. „aber die Achäer schwiegen,

teils aus Hoff'nung des Gewinns, teils aus Ehrfurcht für den Priester." Gottsched Beyträge zur critischen Historie der deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit, hg. von einigen Liebhabern der deutschen Literatur. Leipzig 1734. Stück 8: Der habsburgische Ottobert. Ottobert, der habs- purgische, durch ein Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft Erffurt 1664. Beyträge Stück 10: Von deutschen Übersetzungen alter griechischer Scribenten. Übersetzung Beyträge 1717 Stück 17 Critische Dichtkunst. 2. Aufl. 1737 S. 359.

S. 395. Breitinger Critische Abhandlung von der Natur, den Absichten und dem Gebrauch der Gleichnisse Zürich 1740. Bodmer Critische Abhandlung vom Wunderbaren in der Poesie, nebst Addison's Abhandlung von den Schönheiten in Milton's Verlohrenem Paradies Zürich 1740. Breitinger Critische Dichtkunst Zürich 1740. Bodmer Critische Betrachtungen über die poetischen Gemähide der Dichter Zürich 1741.

S. 396. Beyträge 1744 Stück 32: Briefwechsel von den breitingerischen Über- setzungen einiger Gleichnisse aus dem Homer.

S. 399. Gleichnisse: Der ermüdete Landmann Od.13,21. Gefangene Fische Od. 22, 384. Addison Spect. 1712 Nr. 303. Boileau Reflexions sur Longin Kap. 6.

S. 400. Gleichnisse: Der gefüllte Baum Aen.2,624. Genesung des Vaters Od. 5, 394. Gerettete Schiffer Od. 23, 233. Tränen des Odysseus Od. 8, 523, Spence S. 328. Simoeisios JL 4, 481.

S. 401. Gleichnis vom Vogel Jl. 9, 324. La Motte hat irrtümlich vom fünften statt vom zweiten Buch der Ilias gesprochen. Die Mutter und die Fliege Jl. 4, 130.

Einzelnachweise 49 1

S. 402. Der poetische Maler Cicero Tuscul. 5, 114. Gleichnis vom Löwen J1.20, 164.

Wettrennen Jl. 23, 362. S. 405. Aesopische Fabel, Critische Dichtkunst I S. 164. La Motte Discours sur

la fable. Oeuvres IXS. 11. Bodmer Poetische Gemälde S. 17 Homer.

BS. 50 Postel. S. 179. 202 Demodokos Od. 8, 62. 487. Tanz der Phäaken Od. 8, 264. S. 240 Homer undVirgil. Seestürme Od. 5, 291 Aen. 1, 81. Od. 12, 403 Aen. 3, 192. Zorn des Agamemnon und Mezentius Jl. 1, 104 Aen. 10, 767.

S. 407. Bodmer Archiv der schweitzerischen Kritik Zürich 1768. S. 52 Über Homers lustige Stücke. S. 80 Mastigophel über Homers Sprache. Schroeter hat S. 49 die Ironie für bare Münze genommen. Spence Essay S.246: the translator is sometimes as artful in addiug of himself some short strokes to what Homer had said.

S. 408. Rede des Zeus Jl. 4, 30 Spence S. 113. Bodmer Archiv S. 215 Brief an Philetas. Bodmer Archiv S. 137 An Chaereas von vermischten Schön- heiten. Patroclus, ein Trauerspiel nach dem Griechischen Homers Augs- burg 1778. Telemach, beigedruckt dem Wilhelm von Oranse, Frankfurt '1774. Sulzer Allgemeine Theorie der schönen Künste Leipzig 1771 S. 525. 526.

S. 411. D. Ruhnken Elogium Tiberii Hemsterhusii Leyden 1768. Valckenaer Oratio inauguralis De causis neglectae literarum Graecarum culturae 9. Oktober 1741 Franeker 1741. Rollin bei Rigault S. 60.

S. 412. Valckenaer Opuscula philologica critica oratoria Leipzig 1808. II Hectoris interitus Carmen Homeri sive Iliados liber 22 cum scholiis ve- tustis Porphysii et aliorum, nunc primum e codice Leidensis Bibliothecae evulgavit Valckenaer. Matthias Gesner bei Paulsen II S. 15.

S. 413. Museum Helveticum Zürich III 1746: Breitingeri Oratio qua adiit Litteraturae Graecae professionem publicam 1745. Eclogae ex optimis Graecis scriptoribus Zürich 1749.

S. 414. Leonhard Usteri Nachricht von den neuen Schulanstalten in Zürich, Zürich 1773. G. Finsler Zürich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Zürich 1884. J. Schaufelberger Nova Clavis Homerica Zürich 1761/68. Wyss Über die Ilias des Homers Schweizerisches Museum Zürich 1784 S. 629. 1785 S. 618. 1786 S. 436. Klopstock: F. Muncker F. G. Klop- stock Berlin 1893 S. 111. Judas Messias 3, 535 Vida 2, 89. Nicodemus Messias 4, 233 Vida 2, 163. Geflügelte Worte Messias 7, 632 Bodmer Noachide 1 S. 8. Elisama Messias 16, 270 Od. 17, 291. Selia Mess. 3, 105 Jl. 3, 166. Philo Mess. 4, 162 Jl. 16, 514.

S. 417. Bodmer Die Noachide Berlin 1765, anonym. Archiv S. 201 Brief an Colon. W.Doell Wieland und die Antike München 1896. Die Einflüsse der Antike auf Wielands Hermann München 1897.

S. 418. Winckelmann Geschichte der Kunst des Altertums ed. J. Lessing Leipzig 1882. S. 301 Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst. C. Justi, Winckelmann und seine Zeitgenossen 2. Aufl. Leipzig 1898.

S. 420. E. Schmidt Lessing 2. Aufl. Berlin 1899. H. Blümner Lessings Laokoon 2. Aufl. Berlin 1880. Laokoon Stück 16 Wagen der Juno Jl. 5, 722. Wagen- korb Jl. 24, 267. Agamemnons Rüstung Jl. 2, 42. 11, 16. Zepter Jl. 2, 101.

492 Einzelnachweise

1, 234. Bogen des Pandaros Jl. 4, 105. Laokoon Stück 18. 19 Schild des Achilleus Jl. 18, 478. Stück 21 Schilderung der Schönheit Jl. 3, 155 Spence S. 275 Bodmer Archiv S. 142. Stück 23 Thersites Jl. 2, 217. Stück l Einholung der Toten Jl. 7, 427 Aias Jl. 7, 195.

S. 425. Lessing Hamb. Dramat. Stück 36, Philologischer Nachlaß Hempel XIII 1 S. 284.

S. 426. Meier, die Stelle bei Schaufelberger Vorrede. Ernesti Homeri Opera cura Clarkii 2. Aufl. Leipzig 1824. Niemeyer Homeri Ilias ex recen- sione S. Clarkii in usum scholarum et academiarum Halle 1778. Lederlin und Bergler Homeri Opera Amsterdam bei Wetstein 1707. Goethe an Sophie Laroche, Briefe Weimarer Ausg. 11 S. 295.

S. 427. V. Loen Neue Sammlung der merkwürdigsten Reisegeschichten. VII. Teil Frankfurt 1754. VIII. Teil 1755. Goethe Dichtung und Wahrheit 1, 1. 3,12.

S. 428. Hamanns Schriften ed. F. Roth Berlin 1824/43. I S. 514. II S. 220. II S. 257 Aesthetica in nuce. S. 440 Diderot. III S. 6. 22. III S. 431 An- zeige der Kritischen Wälder.

S. 429. Herder Werke ed. Düntzer Berlin Hempel. XIX S. 1 Fragmente über die neuere deutsche Literatur. S. 128 Von der griechischen Literatur in Deutschland. XX Kritische Wälder. S. 1 Erstes Wäldchen, Herrn Lessings Laokoon gewidmet. S. 151 Zweites Wäldchen, über einige Klotzische Schriften.

S. 432. Klotz Epistolae Homericae Altenburg 1764. Lessing Briefe antiquarischen Inhalts Nr. 51 Werke XIII 2 S. 193.

S. 433. Herder V S. 345 Über Ossian und die Lieder alter Völker. S. 373 Von Ähnlichkeit der mittleren englischen und deutschen Dichtkunst. S. 1 Stimmen der Völker. XVII S. 3 Wirkung der Dichtkunst auf die Sitten der Völker. XI S. 77 Ideen zur Philosophie der Geschichte der Mensch- heit. XIII S. 145 Briefe zur Beförderung der Humanität. XVH S. 405 Über Homer und Ossian.

S. 436. Gerstenberg Briefe über die Merkwürdigkeiten der Literatur Stutt- gart 1890. 1, 2. 19. 3, 20.

S. 438. Goethe Werke ed. Heinemann, Leipzig. XXI S. 13 Schreiben über den Homer von Seybold, Professor in Jena. S. 16 Franken zur griechischen Literatur.

Lavater Ausgewählte Schriften ed. J. C. Orelli Zürich 1842. III S. 148 Homer. S. 304 Genie.

S. 439. Merian Comment les sciences influent dans la poesie. Memoires de l'Academie royale 16 Dezembre 1773. 24 Novembre 1774 Berlin 1776 S. 455.

S. 441. Übersetzungen. Damm, bei Schroeter S. 88. Damm Novum Lexicon Graecum ctymologicum et reale, Neuausgabe Glasgow 1824. Herder Werke XEK S. 38. 130. XX S. 100.

S. 442. Goethe Dichtung und Wahrheit 3,11. G.A.Bürgers sämtliche Schriften hg. von K. Reinhard Göttingen 1797. III Übersetzungen.

S. 443. Goethes Gespräche hg. von W. v. Biedermann Leipzig 1889/96. Über Bürger April 1776 I S. 40. Stolberg Homers Ilias übersetzt Leipzig 1879. Lavater über Stolberg bei Goethe Dichtung und Wahrheit 4, 19.

Einzelnachweise 493

' S. 444. Bodmer Homers Werke, übersetzt vom Verfasser der Noachide Zürich 1778. Voss Odyssee, Abdruck der ersten Ausgabe von 1781 durch M. Bernays Stuttgart 1881. Jl. 1, 2 öXofiBvriv. A. W. Schlegel Werke ed. E. Böcking Leipzig 1846 X S. 115. 181. Goethe Gespräche VII S. 71

»8. April 1829. 47. H. G. Graf Goethe über seine Dichtungen Frankfurt a/M. II 3, 1906 S 562 Nausikaa. I 1, 1901 S. 79 Hermann und Dorothea. S. 1 Achilleis. A. W. Schlegel Werke XI S. 183. S. 448. Aristoteles Dichtkunst ins Deutsche übersetzt von M. C. Curtius Hannover

1753. S. 449. Goethes Auszug aus der Jlias Werke Heinemann XXVI S. 9. Übersetzungen

Weimarer Ausgabe V 2 S. 382. :!>. 452. L. Hirzel Über Schillers Beziehungen zum Altertum Aarau 1872. Ly-

kaon Jl. 21, 34 Jungfrau von Orleans 2, 7. S. 454. W. V. Humboldt Ästhetische Versuche I Braunschweig 1799. S. 458. Heyne Homeri Carmina Leipzig 1802. IV S. 168 De interventu deorum.

VIU S. 563 De Allegoria Homerica. V S. 519 Herakleen. VIH S. 770 De

Iliade universa et de eins partibus rhapsodiarumque compage. VII S. 581

De clipeo Achillis. S. 462. De Pauw Recherches philosophiques sur les Grecs Berlin 1788 H S. 378.

Merlan Examen de la question si Homere a ecrit ses poemes. Sitzung vom

19. Februar und 19. März 1789 Memoires de l'Academie royale Berlin

1793. S. 513. S. 463. Wolf Prolegomena ad Homerum Halle 1884.

5.464. Herder Werke VH S. 251.

5. 465. Cesarotti Prose edite e inedite ed. 6. Mazzoni Bologna 1882 S. 395 Brief an Wolf. S. 183 Digressione sopra i Prolegomeni di F. A. Wolf.

S. 466. Goethe Annalen, Werke Heinemann XVI S. 348. Brief an Schiller 17. Mai 1795 Briefe Weimarer Ausg. X S. 265. S. 163 Schiller 27. April 1798. S. 164 Goethe 28. April 2. 16. Mai 1798. Briefe XIII S. 126. 134. 148. Od. 8, 72.

S. 468. Friedrich Schlegel Prosaische Jugendschriften ed. J. Minor Wien 1882 I S. 215 Über die homerische Poesie. F. v. Schlegels sämtliche Werke Wien 1846 III S. 1 Geschichte der epischen Dichtkunst der Griechen. Goethe über Schlegel 28. April 1797 Briefe XTI S. 105.

S.471. Goethe an Eichstädt 15. September 1804 Briefe XVII S. 196. Riemer 26. März 1814 Gespräche III S. 124. Gräfin Egloffstein 16. März 1819 Gespräche IV S. 4. K. E. Schubarth Ideen über Homer und sein Zeit- alter Breslau 1821.

S. 472. G. Lange Versuch, die poetische Einheit der Ilias zu bestimmen Darm- stadt 1826. A.W. Schlegel Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst Heilbronn 1884 II S. 110 Homerisches Epos.

NAMEMEGISTEB.

Abbt 441

Acciajuoli 34

Addison 50. 252. 315 ff. 334. 357. 359. 360. 396. 427 Pope 320. 325 Johnson 343 Home 350 Loicth 358 Philips 360 Ossian 362. 363 Wood 372 Pinkerton 373 Bod- mer 397. 398 Breitinger 399. 400. 401. 403 Herder 432. 435

Aelian 202. 203. 204. 205. 206 Bapin 207 Boileau 208

Aesop 170. 184 Breitinger 404 Bentley 304 Swift 307 Erasmus 378

AfiFb 33

Aga von Bunarbaschi 259. 260

Aischylos 251. 355

Alamanni 60

Aldus Manutius 47. 55

Alexander der Große 37. 208..256. 377. 380

Alfonso von Neapel 30

Alkibiades 391

Allatius Leo 148 f. 206. 207.

Andreas Divus lustopolitanus 47. 125 Meric Casauhonus 138

Andres 106 ff

Andronikos IE 15

Angilb ert 2

Annius von Viterbo 203

Antigonos 256

Apollonius von Rhodos 107. 132 Spenser 277

Apuleius 254

Archilochos 203

Aretino Francesco 29. 384

Argyropulos 33. 34.

Ariost 42ff. 48. 65. 89. 114. 167. 317. 340. 418. 457. 465 Trissino 57. 58. 60 Gi- raldi 61 Pigna 63 Minturno 63 Tasso 66. 67. 77 Castelvetro 70. 72 Marino 90 Graziani 92 Bozzoli 96 Du Bellay 127 Pelletier 128 Bonsard 129 Vauquelin 132 Besmarets 157. 164 Chapelain 158 Voltaire 239. 240 Harington 266 Spen-

ser 277. 353 Bryden 296 Blackmore 300 Temple 301 Gay 328 Hume 346 Hurd 353. 354 Postel 390 Sulzer 411 Äerr^er

433 Warton 436 Gerstenberg 436 und Homer 42 SSalviati 74. 75 Patrici

77 J5ent 84. 85 Tassoni 86. 88 Dm Bellay 127 Humboldt 455

und Tasso Pellegrino 73 Sdlviati 73 Gravina 99 2>m6o5 234 Aristarch 21. 177

Aristoteles 24. 65. 175. 180. 182. 186. 265. 277. 285. 289. 292. 405 Petrarca 17 Argyropulos 17 Furetiere 187

Poetik : Ausgaben Italien 55 Frank- reich 132 Heinsius 139 Bacier 190 Baiteux 243 Curtiue 449

Italien 46 Trissino 57 Giraldi 61 Pi^rwa 63 Minturno 63 Tasso 65. 66. 77. 79 Castelvetro 70. 71 Salviati 74 Petrici 76 Giordano Bruno 82 5ene 83. 84. 85 Gravina 97 Metastasio 103

Frankreich 131. 132 Pelletier 132 Vauquelin 1S2 Scaliger 1S3.1S4: Vossius 139 Chapelain 156 Besmarets 163 5oi- ieaii 166 ie J5ossm 169 J^apm 173. 207 G^werei 178 Perrault 193 d'Aubignac 208 Jtf"** Z)ac^■er 212. 219 Xa Jtforte 215 Saint- Hyacinthe 229 Fourmont 230 Dubos 233 Marmontel 246 ia Harpe 246 Bochefon 248

England 266. 291. 303. 336 Ascham 266 /Sidne?/ 266. 272 Harington 266 ^en Jonson 267 Chamberlayne 284 Darmant 286 Bryden 295.296 Shaftes- bury 313 Addison 316 Pope 321 Beattie 345 i^ome 348 Swrd 351. 352 £row»^ 355 ioM;*/i 357 5?a?> 364 TFoof? 371 Pinkerton 373 Twining 376

Deutschland Erasmus 378 Camerarius 381 Gottsched 393 5wZ^er 409 Herder

434 Gerstenberg 4:31 Goethe Schiller 4:iQ Humboldt 454.

Namenregister

495-

Arnault l'ol

Ascham 265. 266. 269 f. 274

Athenaeus 126

d'Aubignac 208 ff. Vico HO CesarottillS. 465 Gueret 178 PerruuH 207 Boileau 208 Gacon 208 Zoega 210 La Motte 219 M""" Dacier 219 Mercier 250 Äeyne 210. 459 TToZ/* 210. 463. 465

Augustus 27. 48. 197

Aurispa 22. 24. 28

Averrhoe8 55

Ajrer 391

Babrios 304

ßacelli 64

Bacon 175 f. 267 f. 459 Beattie 345 Lowth 357 Ayrer 392 Merlan 440

Bajano 149

ßaillet 154

Barlaamo 15. 16

Barnes 309. 310. 412

Bartas du 130f. 132. 133 Spondanus 131 Goethe 131

Barth 388 ;

Barthelemy 255 Clioiseul 258. 260 |

Basilius von Caesarea 78

Basini 30 ff. 65. 294

Battaglini Francesco und Angelo 33

Batteux 241 ff.

Baudoin 178

Bayle 144. 198 f. 214

Beattie 345 f. 364 f.

Bellay du 127. 128. 132

Belon 256

Belurger 256

Bembo 57

Benedikt XII 15

Beni 72. 82 ff. 138. 172. 203 Tassoni 87 Addison 316 Twining 374

Bennet 321

Benoit de Sainte-More 8. 10. 120

Bentio 47

Bentley 206 f. 265. 304 ff. 309 f. 334 Black- well 335 Philips 360

Benvenuto da Imola 17

Bergler 426

Binder 262

Bitaube 247

Blackmore 299 f. 336 Swift 308 Blackwall 303 Ayrer 392

I Blackwell 251. 382 ff. 336. 361. 427 Cesa-

j rotti 114 Bochefort 247 Wilkie 338

j Hume 347 Blair 364 Broten 367 Wood 368. 369 Breitinger 403 Bodmer 405

I Herder 429. 433. 434. 435 Merian 440«

i Voß 445

I Bladus 47

I Blair 111. 344 f. 364 Ossian 363 Herder 4r^(^^

i Boccaccio 9. 16 ff. 20. 27. 56. 104. 276 Chaucer 9 Lemaire 120 Trissino 57

I Bochart 140f. 148. 152 Thomassin 142 Croese 144 M"" Dacier 212 Wood 36»

i Bodmer 387. 393. 395ff. 405ff. 417. 444 Sulzer 410. 411 WincJcelmann 418 Les- sing 420. 424 Hamann 428 Herder 430.. 444 Goethe 444 Bogan 145. 309 Croese 144

Boiardo 40 ff. 48. 81. 130. 340.

Ariost 44. 45. 436 Tasso 66 Graziani 92- Spenser 277

Boileau 95. 97. 152. 157. 158. 165 ff. 171. 172. 179. 195 ff. 214. 221. 289. 291. 312. 392. 463 Muratori 102. 103 Cesarotti 111 Swift 165 Besmarets 169 Pierre Perrault 180 Charles Perrault 181. 182. 191. 193 f. de Callieres 188. 189 Saint- Evremond 201 M"^^ Dacier 212. 21 a Cartaud 232 Dubos 236 Voltaire 23» Diderot 244 La Harpe 246 Buching- ham 293 Dryden 296 Blackmore 300 Shaftesbury 313 Dennis 314 Pope 321 Wilkie 339 Warton 344 Pinkerton 373" Gottsched 394 Bodmer 397. 398 Addison 399 Breitinger 399. 403. 405

Boisrobert 178

Boitel 154. 155

Boivin 226. 227 f. 247. 251 Cesarotti 11& Lessing 228. 423 Pope 330

Bossu le 155. 169 ff. 291. 448. 454 Gra- vina 99 Lessing 171 Boileau 171 Bapin 172 Perrault 192 ie CZerc 201 M'"^ Dacier 212. 219. 230 La Motte 214. 216 Terrasson 225 Batteux 242 Ifar- montel 246 ia Harpe 247 Rochefort 248 Xe ^rjm 249 Buckingham 293 Dryden 298 Blackmore 300 Dennis 315

496

Namenregister

Addison 316 Farneil 325 Pope 326. 1 330 Warton 344 Blair 345 Home 348 ' Wood 371 Twining 375 Gottsched 394. 395. 405 Breitinger 405 Sulzer 410 5ei/- 6oZ(i 438 Merian 440

Bossuet 173 f. 175

Boswell 343

Bourbon Connetable de 227

Boyle 305. 308

Bozzoli 96

Brandolese 112

Brazolo 96

Breitinger 2l6. 387. 395 ff. 413 f. 415. 42G Winckelmann 418 Lessing 422 Herder 432

Brockes 391

Broome 324

Brown 336. 355. 365 ff. Sulzer 410

Brumoy 344

Bruni Lionardo 20. 22. 24. 36. 40

Bruno Giordano 81 f. 94. 215

Bryant 260 f. Lenz 262

Buckingham 293. 314. 322

Bude 124

Bürger 442 f. Klopstock 442 Goethe Wie- land 443 Voß 445

Buffier le 229

Bullinger 382. 387

Bunyan 291

Burckhardt 50

Burke 343. 347 f. Blair 345 Beattie 345

Caligula 145

Callieres de 186 ff. Swift 306 Caloprese 97 Calprenede 230. 295 Camerarius 124. 203. 381. 383 Camoens 188 Postel 390 Campanella 94 Cappellus 148 Capriano 64

Carel de Sainte-Garde 168 Cartaud de la Yilate 232 Casaubonus Isaac 124. 126. 204. 262 Casaubonus Meric 138. 146. 172 Bayle 198 Castalio 124. 138

Castelvetro 55. 57. 70 ff. 81. 266 Pellegrino 74 Salviati 74 Beni 83 Scudery 161

Le Bossu 171 Dacier 190 Puttenham

274 Bymer 293 Twining 374 Cato 16 Caxton 276

Caylu8 254f. Guys 262 Lessing 264: Gm 255 Gazas 259 Cephalaeus 124 Certon 133. 154. 388 Cervantes 227. 354 Cesarotti 111 ff. 210. 250. 423. 465. 471

Foscolo 117 Chabanon 251 Chalkhill 281

Chalkondyles 33 f. 47. 57. 203. 426 Chamberlayne 282 ff. Chandler 258 Chapelain 92. 152. 155 ff. 157 ff. 160 ff.

169. 217. 336 Schiller 158 Boileau 157.

158. 166 Gueret 178 de Callieres 188

Perrault 191. 193 La Motte 218 Saint-

Hyacinthe 229 M'"^ Dacier 230 Duhos

234. 236 Voltaire 239 Blackmore 300 Chapman 275 Pope 275. 326 Shakespeare

276 Postel 391 Chaucer 8. 276 Spenser 277 Pope 322

Hurd 354 Herder 434 Chenier 262 ff. Choiseul-Gouffier 252. 258 ff. Lechevalier

260 Lenz 261 Christine von Schweden 159 Chrysoloras 20. 21. 22. 23. 40 Chrysostomos Johannes 387 Cicero 16. 17. 28. 48. 118. 195. 202. 203.

207. 272. 404 Ciriaco d'Ancona 23. 24. 26 Clarke Reisender 259 Clarke Herausgeber Homers 112. 310. 311.

412. 426. 428 Claudian 159 Clemens YII 50. 54 Cluverius 140. 148 Bochart 140 Bochefort

248 Collins 206 Collinus 382 Columbus 92. 175 Congreve 323

Conti 105 f. 232 Cesarotti 111 Copernicus 175

!N amenregister

497

Coras 184

Corneille 159. 166. 171. 184. 187 f. 195.

197. 437 Cornelius Nepos 6 Cosimo de' Medici 24. 26 Coulon 150 Cowley 284 f. 309 Bymer 284. 293 Wilkie

339 Ossian 362 Cowper 375 f. Cripps 259

Croese 144 f. Diderot 145 Cudworth 146. 309. 440 Cuperus 149. 206 Bugas-Monbel 149

Bayle 198 Curtius Michael Conrad 449 Cyrano de Bergerac 152

Dacier Andre 187. 190. 212. 291 Meta- stasio 104 Addison 316 Pope 330 Twi- ning 374 Gottsched 394

Dacier M«"« 95. 144. 148. 208. 212 ff. 219 ff. 230. 231. 236. 392. 425. 445 Bicci 104. 105 Cesarotti 111 Lessing 214. 427 ia il^o^e 214.218.220 Terrassen 2 24 f. Ma- rivaux 229 Cartaud 232 Voltaire 240 La Harpe 247 Bitauhe 247 Le Brun 249 Guys 252 Pope 326. 329 Wood 369 Postel 391 Bodmer 406 Breitinger 396. 898. 400. 401. 402. 403. 413. 426 von Loen 427 Merian 440 Klotz 441

Dahn 57. 58. 59. 60

Daidalos 252

Dalzel 260. 261

Damm 418. 441 Winckelmann 418 Klotz 441

Daniel Samuel 266. 280

Dante 15. 23. 33. 85. 88. 99. 100. 102. 104. 433 Spenser 278 Bodmer 406 Sulzer 411

Dares 6 ff. 10 Chaucer 9 Benoit 10 Pelle- grino 74 Salviati 74 Lemaire 120. 121 Samxon 122 Warner 280 Kynaston 282 »Sac/?s 386

Davenant 285 ff. 289. 294 Chamberlayne 282 Ä)&&es 287 %mer 293 Bryden 295 Äüi/i^ 307 TFVZÄie 337 Hurd 352 Pinker- ton 373

Decembrio 27. 40

Demetrios der Kreter 34

Finaler: Homer in der Neazeit.

Demodokos 367. 406. 463

Demokritos 11. 17

Denis 433

Dennis 313 ff. Swift 305

De Pons 230

Descartes 166. 176. 186 Dulos 235

Desmarets 93. 153. 155. 157. 160 ff. 169.

176 f. 178. 199. 224. 228 Boileau 166.

169 Le Bossu 171 Perrault 180. 181.

193 de Gallier es 187 Saint- Evremond

200 La Motte 214. 218. 220 Fourmont

230 Dubos 234 Voltaire 239 Blackmore

300 Valckenaer 412 Devarius 47 Dictys 3 ff. 7. 10 Chaucer 9 Tzetzes 12

Pellegrino 74 Salviati 74 Lemaire 120.

121 Samxon 122 /Sac/iS 386 ^oetÄe 450 Diderot 145. 243f. 245. 248. 429. 436. 441

Guys 252 Hamann 429 Lessing 243. 441 Didymos 124. 428 Dieuchidas 202 Diodor 337

Diomedes Grammatiker 206 Dion von Prusa 34 Lemaire 120 Dionysios Thrax 21 Dolce 64 Domenichino 447 Don Quichote 227 Dorat 123. 127 Drayton 281 Dryden 265. 288. 291. 294 ff. 304. 309. 311.

323. 335. 342. 343. 360. 388 Buhos 234.

299 Addison 295. 315. 317 Swift 295.

304 Spence 295 Biderot 299 Temple 301

Bennis 315 Pope321.326.327 PosteWdl Dubois 259. 260

Dubos 233 ff. 418 Voltaire 237.238 Pinker- ton 373 Bodmer 398 Breitinger 398.

403 Lessing 420 Dugas-Monbel 149. 228 Duport 146. 148. 309. 440 Croese 144 Du Soubait 154.155 Besmarets 163 Postel

391

Eckermann 447 Edward VI 265 Eicbstädt 471 Egloffstein Gräfin 471

32

498

Namenregister

Ekkehard 1

Elisabeth 265. 276. 277

Ennins 62. 195

Erasmus 124. 132. 265.377f. Cesarotti 377

BuUinger 382 Ltstritis 387 Erlebald 1

Emesti 426 Herder 426 Emulphus 467 Eschenburg 442 Estienne Henri, Henricns Stephanus 124.

125. 262. 309. 426 Euemeros 12

Euphorien von Chalkis 16 Euripides 146. 179. 195. 452 Eustathios 13 f. 16. 34. 47. 125. 137. 138.

188. 310. 328.391.398.400.425.428.432. Evans 360

Fabricius 206. 388

Feith 104. 125

Fenelon 221 ff. Terrasson 221. 224 Gin 249 Pope 326 Wartori 344 Bodmer 398 Klopstock 415 Gerstenberg 437

Fenton 324

Ficino 35

Filelfo 24. 27. 120

Fioretti 89

Fontenelle 184 ff. 215. 219 PerrauU 189 Conti 232 Temple 300 Swift 307

Foscolo 117 f.

Fourmont 218. 230

Francesco von Modena 94

Franco Niccolö 246

Franz I 122. 123. 126. 133. 152

Friedrich der Große 247

Friedrich von Braunschweig 96

Furetiere 187

Gacon 144. 208. 211. 219. 227

Galfried von Monmouth 9

Galilei 94

Gay 328

Gaza Theodoros 30

Geddes 310. 327

Gemmingen 392

Gerstenberg 436 f.

Gesner 412. 426 Breitinger 413. 414 i

Geßner Konrad 382

Gian Francesco II von Mantua 29

Gin 249. 255

Giphanius 124. 396

Giraldi Cinthio 60 ff. 64. 74. 457 Addison 316 Hurd 353 Humboldt 4:67

Giulio Romano 122

Giunta 47

Giustiniano 28

Glover 336 f. Lyttelton 337 Blair 345

Goethe 104. 131. 246. 361. 387. 426. 427. 437 f. 442. 446. 447 ff. 450 ff. 465 ff. A. W. Schlegel 448 Schiller 450. 453 Hum- boldt 454 ff.

und Homer 450 A. W. Schlegel 448 und das Altertum Schiller 450 Hum- boldt 456

Goguet 211 f. 253 f.

Gonzaga Federigo 122

Gonzaga Vespariano 63

Gosson 270 f. Sidney 271

Gottsched 387. 393 ff. 402. 405 Sulzer 411 Klopstock 415

Graevius 411

Gravina 97 ff. 103. 448 Bicci 105 Cesarotti 111 Winckelmann 418

Gray Jane 265

Gray Thomas 356. 360 Pinkerton 373

Graziani 92 f. Chapelain 92. 157 Desma- rets 93. 160 Postel 390

Gregor von Nazianz 387

Grimald 1

Grimm Melchior 251

Gronovius 148. 206. 411

Grotius 145

Guarino de Verona 23. 24. 27. 29

Gueret 177 f.

Guicciardini 57

Guidi 97

Guido delle Colonne 8. 9 Lemaire 120 Samxon 122 Lydgate 276

Gunzo 1

Guys 252. 258. 427

Gyraldus 203

HaU 274

Haller 392 f. 413

Hamann 428 f. 432 Herder 429

Hamilton 252

Namenregister

499

I

d'Hancarville 252 f.

Hannay 282

Hardouin 211. 230 f.

Hardy 177

Harington 266

Hatto 1

Heinrich II von Frankreich 384

Heinrich lU 131

Heinrich lY 130. 133. 236

Heinrich YIII von England 162. 265

Heinsius Daniel 139

Heliodoros 283

Hemsterhuys 148. 411

Herakleitos Philosoph 389

Herakleitos AUegoriker 382

Herbort von Fritzlar 8

Herder 210. 387. 425. 428. 429 ff. 441 ff. 444. 446. 447. 464. 465 Goethe 437. 447. 449 Schüler ^62 Wolf 4.6b F. SchlegeUGS

Herodot 34. 143. 203. 209. 310. 336. 385 Valla 28 Lefebvre 154 Brown 367

Herwag 124

Herwig 438

Hesiod 78. 128. 420 Spenser 277 Hamann 428

Hesse Eoban 203. 383 f. 386 Chapman 275 Pope 326 Postel 391

Heyne 210. 260. 261. 393. 426. 458 ff. 465 Wolf 465 Goethe 466 Schiller 467

Hipparcbos 204. 206. 210. 464

Hobbes 285. 287 f. 294. 323. 401 Dryden 288 Pope 326 Postel Z^l Breitinger 4:01

Hochberg, Helmhart von 394

Hoffmannswaldau 402

Holberg 393

Home, Lord Kames 348 ff. Blair 345 Beattie 345

Homerus Latinus 2 f. 218 Petrarca 18 Valla 28

Horaz 46. 63. 95. 193. 256. 289. 291. 292. 293. 405. 414 Polizian 38 Vida 48. 133 Castelvetro 70. 71 Gravina 97 Pelletier 127 Ronsard 130 Vauquelin 131 Sca- liger 134. 135 Vossius 140 Thomassin 142 Boileau 166 Le Bossu 171 La Fon- taine 183 Bayle 198 Hardouin 211 La Motte 215 Saint- Eyacinthe 229 Batteux 243 Aschum 266 Wehhe 273 Puttenham

274 Hohhes 288 Bader 292 Eoscommon 293 Blackwell 332 Welsted 341 Johnson 343 Hume 347 Hurd 350 f. Schaiden- reißer 384 Gottsched 393 Goet?ie 438

Huet 183. 197

Hughes John 319

Humboldt 452. 454 ff. 465

Hume 346 f.

Hurd 344.350ff. 418 Johnson 355 Ossian 363

Hütten 379

Jacopo von Pavia 35

Jamyn 126 f. 130 Vauquelin 132

Janus Pannonius 29

Jeanne de Navarre 130

Johnson Samuel 284. 341 ff. 362. 375 Ma-

caulay 343 Home 350 LowthZ69 Beattie

364 Twining 375 Jonson Ben 267. 296. 297. 359 Gerstenberg

437 Jortin 324

Josephus 202. 203. 204. 207. 209. 372 Irene 10 Isotta 30 Italiens 2

j Juan von Kastilien 28 Juvencus 50. 54

I Kadmos 463 I Kant 389

I Karl der Große 1. 2. 40 I Karl V. von Deutschland 120 Karl Vin. von Frankreich 119 Karl IX. von Frankreich 129. 130 Karl XH. von Schweden 238 Karl I. von England 282 Karl n. von England 291 Kauffer 259. 260 Kleist Heinrich von 472 Kleon 396. 409

Klopstock 107. 388. 414 ff. 417. 442. 446 Kant 389 Sulzer 4:11 Bodmer 4:11 Wie- land 417 Hamann 428 Herder 430. 431 Bürger 443 Stolberg ^4.^ VoßUb Schiller 453 Klotz 428.432 Lessing 432 Serder 432. 433 Knight 374

Konrad von Würzburg 8 32*

500

Namenregister

Küster 206. 388 Kynaston 282

La Badessa 64

La Bruyere 152. 197

Lachmann 364

Lafitau 366

La Fontaine 152. 165. 183. 236

La Harpe 246 f.

Lalli 94

Lambert M""« 229

Lambin 124

Lamoignon 154

La Motte 95. 153. 154. 208.214ff.220.392. 405 Cesarotti 116 Fontenelle 219 Fenelon 223 Terrasson 223. 224. 225 Gacon 227 Boivin 228 Marivaux 229 Conti 232 Cartaud 232 I)uhos2Se Voltaire 232. 24:0 Batteux 242 La Harpe 247 Guys 252 Caylus 255 Pope 326. 328 Lowth 359 Gottsched 394. 395 Breitinger 398. 401. 403. 405 Hamann 428 Merlan 440

Lange 472

La Roche Sophie 426

La Saine 149

Latomus Jacobus 378

La Valterie 155 Bayle 198 Pope 326 Postel 391

Lavater 251. 438 f. 443

Lazarini 96

Le Bron 249

Lechevalier 260 Dalzel 260 Bryant 260 Heyne 260. 261

Le Clerc 151 f. 201 f. 412

Lederlin 426

Lefebvre 154

Lefevres 276

Leibniz 389

Lemaire de Beiges 119 ff.

Lemnius 384. 386

Le Moyne 157. 220. 239

Lenau 417

Lenz 261

Leo X. 50. 152

Lessing 171. 214. 228. 243. 245. 254. 331. 388. 406. 409. 420 ff. 470 Twining 375 Hamann 428 Herder 430 f.

Linos 366. 367

Lipsius 138

Listrius 387

Locke 233

von Loen 427

Lohenstein 390. 402

Lollius 9

Lombardelli 75. 76

Longepierre 183

Longinus Vom Erhabenen 107. 165 Vico 110 Boileau 165. 195 Bapin 172 AT"* Dacier 230 Diderot 243 Welsted 341 Hurd 351 Lowth 359 Breitinger 404

Lonicerus 124

Loredano 94

Lorenzo de' Medici 33. 34. 35. 38. 57

Loschi 22

Lowth 357 ff.

Lucanus 288

Lucrez 263

Ludwig Xm. 133. 163

Ludwig XIV. 161. 164. 165. 180. 197. 221

Lukian 378

Luther 147. 381 Goethe 442 Bürger 443

Lydgate 276. 356

Lykurgos 202. 205. 207. 210. 462. 464

Lysimachos 256

Lyttelton 337

Macaulay 183. 301. 304. 326. 343

Macchiavelli 57

Macpherson 111. 361 ff. 372 Servier 433. 436 Merian 462 Wolf 463

Macrobius 18 Giraldi 62 Pelletier 128 Bodmer 407

Maffei 96. 99. 232 Breitinger 416

Maggi, Madius 55. 132

Magny 397

Majoranus 47

Malalas 10

Malatesta Sigismondo 30. 31. 32

Marc Twain 4

Maria von Medici 330

Marino 89 ff. 92. 157. 424 Arcadia 94 Muratori 100 Chapelain 155. 158 Scu- dery 159 Boileau 165 Bapin 173 Cow- ley 284 Postel 390 Herder 433

Marivaux 229

Namenregister

501

Marmontel 245 f.

Marsigli 21

Marsuppini 24 ff. 33. 36. 38. 206 PoUzian 34

Martorelli 95

Massieu 251

Maxillus 384

Maximus von Tyros 271

Meier Georg Friedrich 426

Melanchthon 124. 148. 150. 379 f. 382. 387

Menage 152. 187

Menandros 109

Mendelssohn 441

Mercier 250

Merian 439 f. 462 f.

Metastasio 103

Menrsius 204. 206

Meyer 447

Michelangelo 73

Micyllus 124

Milchhöfer 254

Milton 246. 250. 277. 288 ff. 309. 311. 335. 357. 360. 363. 396. 400. 470. Dryden 289. 291. 295. 296 Addison 289. 291. 316 Phillips 292 Boileau 289 Bucking- ham 294 Wotton 302 Shaftesburg 313 Dennis 315 Pope 322. 326 Glover 337 Warton 344 Blair 345 Home 350 Hurd 354 Young 356 Cowper 375 Kant 389 Postel 390. 391 Halle)- 392 Bodmer 397. 417 Sulz er 411 KlopstocJc 414 Herder 431. 433 Schiller 453 Merian 463 und Homer Broum 367 Bodmer 397 und Virgil Dennis 315

Minturno 63 f. 65. 72. 74 Vauquelin 131. 132 Harington 267 Sidney 271

Moliere 165

Montague Lady 257

Montaigne 123

Montesquieu 248

Mouti 117 f.

Montmorency 384

Morel 132

Morhof 206. 388

Morus 265

Muhamed ü. 123

Muratori 100 ff. 105. 173. 396

Muretus 64. 124

Musaios 135. 137. 274. 410

Naevius 195

Nast 452

Nerli 34

Niccoli 24

Niccolb d'Este 29

Nicolaus V. 24. 26. 27. 30

Niemeyer 426

Oeser 447

Offenbach 88

Ogilby 288

Opitz 388. 413

Oporinus 383. 384

Orazio Romano 27

Orosius 159

Orpheus 366. 367. 389. 463

Orsini Rinaldo 31

Ossian 111. 114. 361ff. Ccsarotti 111.364 La Harpe 246 Blair 345. 364 Goethe361 Johnson362 BeattieS66 Wood 372 Kant 389 Herder 431. 433 Merian 439. 462 und Homer 363 Cesarottilllf. Mac- pherson 362 Blair 364 Haller 393 Her- der 436 Goethe 438 Voß 445 und Chevy-Chase 361 und die literarische Kritik 362

Ovid 81. 327 Marsuppini 26 Barini 30 Giraldi 61 Lemaire 120 Bonsard 132 Caylus 255 Chcnier 264 Spenser 277 Drayton 281 Addison 318 Johnson 348

Palamedes 463

Pamell 322. 324. 333 Breitinger 403

Pasquier 130

Patrici 76 ff. 78. 81. 85

Pauw de 462

Pazzi 55

Peisistratos 83. 110. 202 ff. 210. 286. 388.

460 Wood 372 Camerarius 381 Hesse

383 Merian 462 Wolf 463 Herder 464

Goethe 470 F. SchUgel 470 Pellegrino 7 3 ff. Pelletier 64. 127 f. 132. 133 Percy 360 Beattie364t 365 Herder 4:34: A62. Perizonius 205. 206 Perrault Charles 95. 153. 165. 172. 174f.

178f. 180ff. 184. 185. 187. 189ff. 197.

199. 202. 207.214.219.224.228.300.392.

399. 405 Muratori 102 Bicci 104 Bot-

502

Namenregister

leau 182. 195 f. Cartaud 232 Dubos 233. 236 Voltaire 238 Guys 252 Addison 291 Wotton 303 /Sm/it 305. 307 Pope 326 Valckenaer 412

Perrault Claude 178 f.

Perrault Pierre 179

Perkins 151

Petit 149

Petrarca 9. 15 ff. 27. 56 Poggio 20

Phalaris 304. 306. 307

Philips Ambrose 359

Philips John 319

Phillips 292

Piccolomini 55. 57. 374

Picinelli 147. 303

Pigna 44. 62 *

Pilato Leonzio 16 f. 19. 22

Pindar 132. 195. 313. 382

Pindarus Thebanus 3

Pindemonte 118

Pinkerton 372 f. Walpole 373 Knight 374

Pitt 323

Pins II. 29. 32. 123

Planudes 304

Platen 472

Piaton 11. 15. 24. 39 f. 56. 265. 310. 433. 437 Polizian 38 Savonarola 39 Lornbar- delli 75 Tasso 78 JBotVeau 195.197 Äscham 270 Sidney 272 Milton 291 Shaftesbury 312. 313 Brown 366 Erasmus 378 Came- rariits 381 Winckelmann 419

nnd Homer 39 f. Gravina 100 Conti 106 Heinsius 139 Croese 145 Perrault 192 M^'^Daci€r2dO 3Iassieu261 Äscham 270 Lowth 357 Melanchthon 380 imd Aristoteles Twining 374

Plautus 137

Plethon 40

Plutarch Über Homer 34. 241. 385 Bruni 22. 36 Marsuppini 26. 36 Polizian 36 Urceo 38 Tassoni 85 Salel 126 Pope 328 Beuchlin 379 Merian 439 Lyknrgos 202. 207 Über Musik Gasson 270

Pococke 257. 258

Poggio 20. 21. 22. 378

Polizian 33 ff. 47. 48. 94. 168 Babelais 123 Salel 1 26 BenilSS AUatius 148 Hesse 383

Pontano 378

Pope 216. 241. 249. 311. 320 ff. 325 ff. 335. 336. 388. 396. 412. 427. 441. 445 Cesa- rotti 116 Voltaire 238 Bitaube 247 Guys 252 Geddes 327 Addison 273 Ma- caulay 327 Bentley 327 Johnson 327. 342. 343 5;29ence 327. 330. 332 GZovcr 337 Warton 344 5Zair 345 Home 360 Äwrd 352 Toww^r 356 Brown 366 Tm- mw^ 375 Cowper 375 Bodmer 408. 427 Breitinger 398. 399. 400. 401. 402. 403. 404. 405. 413. 427 Hej'der 432. 435 Merian 440

Porphyrios 124

Portus 124. 125. 138

Posselius 150

Postel 389 ff. 417 Weichmann 389 Bodmer 405

Potter 310

Poussin 190

Primaticcio 122. 180

Prokopios 57. 59. 159

Pulci 33. 113 Vida 48 Trissino 57 Spen- ser 277

Puttenham 2 73 f.

Quinault 179 Quintilian 22. 183 Quintus Smymaeus 10

Rabelais 122 f.

Eacine 152 f. 165. 179. 184. 236.250 Monti 118 Perrault 181 f. de Callieres 189 Boileau 195

Raffael 190. 222. 227. 254.298.321.367.447

Raffaello de Volterra 29. 46. 154 Des- marets 163 Schaidenreißer 384

Ramler 443

Ramsay 360

Rapin 171 ff. 207 . 208. 248. 291. 294 Baillet 154 Besmarets 163 Muratori 173 Per- rault 180. 191. 192. 207 f. Bymer 292 Dryden 298 Addison 316 Pope 322, 326

Regnier 214

Reichel 422

Reuchlin 378 f.

Ricci 96. 104 f.

Richelieu 166. 178

Riemer 451. 471

Namenregister

503

Hingulph 443

Rinucci de Castiglione 28

Robortello 55. 132

Bochefort 247 f. 252

Roland M««« 251

Rollin 412

Ronsard 126. 127 ff. 132. 133. 285 Vau-

quelin 132 Boüeau 166. 195 Opitz 388.389 Roscommon 293 Dryden 297 Fope 322 Rosso 122 Rousseau 211 241. 462 Marmontel 245

Wood 372 Rowe 319. 342 Johnson 342 Ruhnken 411 Rymer 285. 292 f.

Sachs Hans 385 f. 394

und Homer Thomasius 389

Saint-Amand 183. 188. 193

Saint-Evremond 199 f. 214. 217. 304 Pope 328. 402 Breitinger 402. 403

Saint-Hyacinthe 229

Salel 126, 388 Vauquelin 132 Hall 274

Sallustius 6

Salmasius Saumaise 124. 204 f. 386

Salomon, König 309

Salutato 20. 21. 22. 24. 118

Salviati 73 ff. Beni 84

Salvini 95. 103 Bozzoli 96 Bicci 104 Brei- tinger 413

Samxon 122. 154

Sandys 256

Sannazaro 54 f. 57 Herder 433.

Sarpi 94

Sarrazin 188

Savonarola 39. 47

Scaliger Julius Caesar 133 ff. 161. 169. 172. 176. 204. 266 Gravina 99 Bicci 104 CesaroUi 116 Beni 138 Vossius 139 Allatius 149 Chapelain 157 Desmarets 163.164 Gueret 178 Terrasson 226 Boivin 228. 248 B'Hancarville 253 Sidney 138. 271 f. 273 Puttenham 273 Hohhes 288 Dryden 298 Pope 330 Johnson34:3 Opitz 388. 389 Barth 388

Scaliger Joseph 104. 124. 137. 411

Scapula 150. 387

Scarparia 21

Schaidenreißer 384 f. 386 Sachs 385 Gott- sched 394

Schaufelberger 414. 426

Schetus 383

Schiller 158. 334. 447 ff. 452 ff. 465. 466.

Schlegel August Wilhelm 445. 446. 448. 472

Schlegel Friedrich 468 ff. 472 Goethe 4:10.

Schliemann 256. 261

Schrevelius 138

Schubarth 471

Scudery 155. 157. 159 ff. 166 de Callieres 187 Postel 390

Seber 387

Segni 55. 57

Segrais 297. 298

Seneca 223

Septimius 3

Servius 18. 62

Seybold 438

Sforza Francesco 31

Shaftesbury 304. 311 ff. Chdbanon 251. Hume 347 Sulzer 409

Shakespeare 239. 276. 279. 280. 291. 296. 297. 3 11. 318. 320. 335. 360. 396 Brayton

281 Kynaston 282 Phillips 292 Shaftes- bury 313 Addison 319 Pope 322 Home 349 Hurd 351 Lowth 357 Beattie 365 Brown 367 Wood 369 Gottsched 394 Herder 434 Wieland 442 Eschenburg 442 Ä. W. Schlegel 445 SchilUr 453

und Homer 462 Sidney 138. 271 ff. 279. 359 Puttenham

273 Webbe 273 Sigeros 15. 16 Sillig 420

Sisyphos von Kos 12 Sokrates 134. 463 Solinus 204

Solon 206. 372. 460 Herder 464 Goethe 466 Sophokles 71. 139. 195. 223. 251. 265 Spence 3^7. 330 ff. 336. 448 Breitinger 4,00.

403. 407 Bodmer 406. 407 ff. 423 Lessing

331. 423. Spen8er277ff. 281. 311. 317. 335. 353. 360.

390. 418. 423 Chalkhill 281 Hannay

282 Kynaston 282 Chamberlayne 282 Davenant 286 Bunyan 291 Phillips 292 Bymer 293 Buckingham 294 Dryden

504

Namenregister

296 BlacJcmore 300 lemple 301 Wotton 302 Hurd 353 ff. Johnson 355 Beattie 365 Herder 434 Warton 436

Speroni 65

Spon 257

Spondanus 125. 131 Chapman 275

Spreng 388 Fostel 391 Gottsched 394

Statins 8. 19. 132

Steele 357

Stillingfleet 142. 303. 309

Stolberg 438. 443 f. 446. 465 Lavater 443 Bürger 443 Bodmer 444

Strabon 248. 258. 260. 261

Strozzi 20

Suidas 141. 202. 203. 206. 207

Sulzer 409 ff.

Swift 165. 304 ff. 336

Tacitus 241

Tasso Bernardo 60. 62

Tasso Torquato 41. 45. 65 ff. 73. 75. 77 f. 79 ff. 89. 113. 114. 309. 353. 465 Beni 82 f. 85 Tassoni^B, Graziani 92 f. Mura- tori 101. 173 Cesarotti 111 Bonsard 128. 129. 132 Du Bartas 131 Picinelli 147 Chapelain 157. 160 Scudery 161 Des- marets 161. 164 Boileau 165. 167 Bapin m de Cdllieres 188 Voltaire 237. 239 Marmontel 246 Spenser 277. 278 Dave- nant 286 Milton 289 Phillips 292 Buk- Jcingham 293 Bnjden 295. 296 Temple 301 WilUe 337.339 jEZowe349 Hurd'dU Fostel 390. 391 Haller 392 Merian 463 und Homer Lombardelli 75 f. Patrici 78 5em 82 f. Tassoni 86. 88 ^wtZres 108 Perrault 193 Terrasson 224 TfiZÄ:»« 340 Gerstenberg 437

Tassoni 86 ff. 88. 176. 178 Besmarets 163 Boileau 168 Bapin 172 Pierre Perrault 179 Charles Perrault 190

Temple 300 f. 304. 342 TFbi^on 302 ilfa- caulay 301

Terenz 182. 183

Terrasson 221. 223 ff. 454 Cesaro«« 115.116 (7acow 227 Boivin 228 M'^'Bacier 230 Coni* 232 Bitaube 247 d'Hancarville 253 Pope 330 Gottsched 394

Tesauro 97

Theognis 420

Theokrit 128. 185

Thomasius 389

Thomassin 142 ff. 148. 152 ^ai/Ze 144

G^acon 144 31"" Dacier 144 Baillet 154 Thukjdides 28 Tickeil 319. 323. 327 Tizian 222 Toscanella 183 Trissino 41. 57 ff. 67.81.417.452 Bernardo

Tasso 60 Giraldi 62 Torquato Tasso

65. 66. 67. Gravina 99 Trypbiodor 11

Tumebus Tourneboeuf 125. 132. Twining 374 f. Tzetzes 9 ff. 16. 26. 231

Ugone 147 ürceo Codro 38 Ursinus Fulvius 64 Usteri Leonhard 414

Valckenaer 411 f. Breitinger 413

Valla Giorgio 55

Valla Lorenzo 28. 154 Ariost 46 Lemaire 121 Samxon 122 Chapman 275

Yalle Niccolo della 27. 29

Yalle Pietro della 256

Vauquelin 130. 131 f. 133. 157. 236. 285

Yenzky 441

Vettori, Victorius 55. 132

Vico 108 ff. Cesarotti 113 Mercier 250.

Yida 48 ff. 57. 85. 133. 312. 449 Sannazaro 54 Capriano 64 Tasso 67 Gravina 97 Bu Bellay 127 Pelletier 64. 128 Vau- quelin 131 Scaliger 134 Chapelain 157 Boileau 166 Batteux 243 Pope 321 Hesse 383 Klopstock 414 f. Herder 43a Goethe 449

Yigerus 150

Yilloison 262 Cesarotti 112 TFo?/" 464

Yinshemius 380

Yirgil 6. 9. 21. 26. 34. 43. 48. 81. 88. 96. 256. 293. 294. 297. 301. 309. 318. 320. 345.365.400.436 Ekkehard ll Chaucer 9 Ciriaco 23 Basini 32 Polizian 35 Vida 49 ff. 51. 53 Marino 91 Foscolo 118 Lemaire 120 Bonsard 129. 130 Vauquelin 132 Scaliger 134 ff. Heinsius

Namenregister

505

I

139 Desmarets 164. 177 Boileau 167. 169. 195 Perrault 182. 193 de Callüres 188 M"''Dacier 212 Fenelon 222 Vol- taire 237 Caylus 254 Harington 266 Spenser 277. 278 Kynaston 282 i^os- common 293 Buckingham 293 Black- more 300 Dennis 314 Addison 316 Pojse 326 Johnson 327. 343 -ffotne 348 Ossiayi 362 Pinkerton 373 Walpole 373 KnigJit 374 PosieZ 391 HaZZer 392 IZerc/er 431 Gerstenberg 437 G^oe</je 438

und Homer 43. 91. 374 Petrarca 18.19. 49 Servius 18 MacroMus 18 FaZ?a 28. 49 Polizian 36. 49 Vittorino 49 Ftda 49 Giraldi 62 Capriano 64 Muretus 64 Ursinus 64 Tasso 66 Castelvetro 73 Peni 83. 85 Gravina 99 Muratori 102 Coni* 106 J.»idres 107

Montaigne 123 Pelletier 64. 128 Pow- «arcZ 129. 130. 133 Spondanus 131 Fait- gweZtn 132 Scaliger 135 fF. 176 Lipsius 138 Heinsius 139 Vossius 140 Chapelain 159 Desmarets 164. 177 i^apm 171.172 Gmret 178 Xa Fontaine 183 Longe- pierre 183 Perrault 193 ie CZerc 201 Terrasson 224 Voltaire 239. 247 Pa<- iewaj 242 Boivin 247 Diderot 248 ilfow- tesquieu 248 Bochefort 248 (jin 250

fibö&es 288 Dryden 291. 297. 298. 299 Blachnore 300 Temple 301 Dennis 314 Addison 317. 318 Pope 321. 323. 326. 404 Blackwell 333 T^^7Ä:^e340 Jo/in- S0W342.343 Ifowe 350 JTwrd 352 Brown 367 TFbod 369. 370. 371 Pinkerton 373 Erasmus 377 ifesse 383 Par^Ä 389 Leihniz 389 Zawt 389 XfaZZer 392 Pret- tm^er 404. 438 Bodmer 407 /SMZ^er 410 Klopstock 416 Lessing 422 6^odÄe 438 Yittorino da Feltre 29. 30. 49. 104 Yleughals 228 Yoiture 188

Voltaire 237 ff. 266. 311 Cesarotti 114 Diderot 243 Ca^/Zws 255 P?air 345 fibwie 349 JTaWer 392 Bodmer 397 Gerstenherg 437 XZo<2; 441 Voß 387. 412. 444 ff. Klopstock 446 Stolberg 446 Bürger 446 Wieland 446 ^. TT. /S^c/iZe- ^eZ 446 5cÄi/?er 447 GoeiAe 447

Vossius 139 f. 141 f. 148. 157 Stillingfleet 142 Thomassin 142 f.

Walahfrid Strabus 1

Walpole 373

Wakh 322

Warburton 351

Warner 280

Warton Joseph 344. 360

Warton Thomas 436

Watson 266. 274

Webbe 273

Weichmann 390. 391

Welsted 319. 341

Wetin 1

Wetstein 206. 388

Wetstein, Verleger 426

Wheler 257

Wieland 417 f. 442. 446. 467

Wilkie 337 ff. 361. 452 Ossmn 362 Herder

434 Wilson 269

Winckelmann 95. 387. 41 8 ff. Gw^/s 252,

Chenier 263 öoef/ie 419. 420. 447. 452

Lessing 420 Hamann4.28 F. Schlegel 468

Wolf F. A. 210. 458. 463 f. 465 Heyne 45»

Herder 464 Cesarotti 465. 471 (roe^/ie

466. 467. 472 Schiller 466 Wieland 46T

2''. Äc/i?e^eZ 468. 469

Wood 251. 258. 336. 368 ff. 427.448 Andres

107 Cesarotti in. lU Guys262 ChoiseuJ

258 Lechevalier 260. 261 j5ei/ne 261

Goähe 370. 427. 437. 450 Pinkerton 373

PTer^Zer 434. 435 Merian 439. 440. 462

Wordsworth 374

Wotton 302 ff. Dubos 235. 302 Swift 305. 306.307 Blackwell 833 ^i/rer 392 ITaZZer 392 Wyß 414 Wyttenbach 411 Xenophon 310

Yalden 323 Young 355 f. 419. Pinkerton 373

427. 447 Wood 368

Zoega 210

Zoilos 177 Swift 305 Hamann 428

Zola 153

Zwingli 382. 387.

SACHREGISTER.

Academie des Inacriptions 247. 251

Academie fran9aise 166. 178. 180. 182. 185. 197. 222. 251.

Accademia della Crusca 73. 82

Achilleis 450

Achüleus Dictys 4 Salviati 75 Patrici 77 Tasso 77 Gravina 98 Conti 106 Cesa- rotti 115 Scaliger 136 Thomassin 142 Le Bossu 171 Boisrobert 178 Perrault 193 Bayle 198 Saint- Evremond 199 Xa ilfo«e 216 J[f""' Daczer 220 Terrasson 224 Gacow 227 Saint- Hyacinthe 229 Batteux 241 Sidnei/ 272 jR^/mer 293 Beattie 345 Young 356 TrmcZ:eZwaww 420 Herder 435

Ruggiero Boiardo 41 Marinell /Spcw- ser 278 Name PiZato 16

-4(ione 89

Ägypten 12. 143. 146. 160. 247. 261. 332. 369. 463.

Africa 17

Agamemnon Patrici 77 Tassoni 77 6rra- vina 98 Bochefort 248

Aias Salviati 75 Gosson 271

Akademie von Berlin 439. 462

^Zanc 159

Alexandria Troas 256. 257. 258. 261

Alexandriner, Vers 126. 130. 132. 249. 391

Alexandrinische Dichter 264

Alexandrinische Gelehrsamkeit 262

Allegoria mystica Lowth 359.

Allegorie Renaissance 16. 48 Chapelain 161 Scudery 161 Spenser 277 Bunyan 291 Milton 317

Allegorische Erklärung Homers Altertum 11. 440 Byzanz Tzetzes 11 ff. Eusta- thios 13 Pilato 16 Marsigli 21 Petrarca Boccaccio 56 Giraldi 62 Pigna 63 /SaZ- «tai* 75 Fioretti 89 Gravina 98 J/m- ratori 101. 102 5aZmm 103 i^icc* 105 F«co 109

Babelais 123 Montaigne 123 Scaliger 135 Croese 145 Bogan 145 iüfe/ic (7a-

saubonus 146 Duport 146 ie Bossu 169. 170 FontenelU 184 i^f"*" Dacier 212 ia Motte 220 Fenelon 223 Ter- rasson 225 Marmontel 246 Barthelemy 256

5acon 268 TFi7son 269 Ascham 269 (7ossow 271 5m;»/< 309 Parnell 324 Po^je 335 Blackwell 333. 335 ioiü^Ä 359 TTood 369

Erasmus 377 Camer arius 381 PwZ- Zm^rer 382 Lemnius 384 Damm 418 Tr»ncZ;eZwann 418. 440 Lessing 440 Herder 440 Merian 440 Heyne 459

Allegorische Figuren F«6?o 53 Graziani 93 Boileau 168 Voltaire 237 Spenser 277 Daniel 580 Chamberlayne 283 J/e- nan 440

Altertum, Verhältnis zum Tzetzes 10 Bruni t 22 Polizian 36 Savonarola 39 Boiardo 41 J.nos* 42 Fida 54 Giraldi 61 ilfa- nwo 89 Gravina 98

Z)w Bellay 127 Scaliger 134 Boileau 167 G^werei 177 J5acow 175. 176 Des- carfes 176 Desmarets 176 Boisrobert 178 CZawt^e Perrault 179 Pierre Per- rawZ^ 179 Bacine 179 Charles Perrault 180 ff. Xa Fontaine 183 Pat/Ze 198 ie CZerc 201 Fenelon 222 Cartaud 233 Marmontel 245 Caylus 255 Barthelemy 255 Chenier 263

England 311. 335. 374 Daniel 266 ilfiZton 291 TFottow 302. 303 Shaftes- bury 313 J.<Z<Zison320 Pope 322 Johnson 342 Warton 344 Fown^r 355

Melanchthon 380 Zwingli 382 Goethe 450. 456.

Altertum und Natur Hamann 428

Altertum, Kenntnisse des 175 Perrault ^ 180 Fontenelle 185 Saint - Evremond i 200 Dw&os 235

Altertumskunde Ciriaco 23 Frankreich 251 D'Hancarville 252 (ro^rwe^ 253 Caylus 254 Barthelemy 255 Potter 310

Sachregister

507

Alttestamentliche Redeweise Ossian 362

Ambra 36

Andeutung der Größe durch ihre Wir- kung Spense 331 Bodmer 406

Andeutung der Schönheit Lessing 423

Andromache Rochefort 248 Spence 330

Annus MirdbiUs 294

Anschauung eigene Wood 368

Anstand 62. 66. 370

Antike und Moderne Tassoni 87 Desma- rets 164 Bacon 175. 176 Gueret 177 PerrauU 180. 189 fiF. Longepierre 183 Fontenelle 185 Boileau 167. 182. 195 JBay?e 198. 199 Saint -Evremond 200. 201 Fenelon 223 Dwfeos 235 Chenier 263 TempZe 300 TTo^ow 303 5m;«/* 305. 306 Shaftesbury 313 J.c7fiesow 320 Pope 322 ^yrer 392 Haller 392 Croe^Äe 447 Schiller 453

Aöden 333

Apotheosis Homeri 149

Arcadia 95

Athens Verdienst um Homer Herder 464

Athene Muraiori 101 Terrasson 225

Auffassung historische Herder 433

Aufklärung 438 Saint -Evremond 199 Chenier 263 ^wr^Z 354 deutsche 389

Ausdruck vereinigter Stimmungen Spence 330

in der Skulptur durch Körperhaltung ä'Hancarville 253

Ausgaben Homers Chalkondyles 34 J.Z- dmae Juntinae Bomana 47 Cesarotti 112 JBaseZ Mwd Straßburg 124 Turnebus 125 Stephanus 125 Schrevelius 138 Villoison 262 ^rsie London 265 Barnes 309 Bmtley 310 CZar^'e 310 Basell651 388 FaZc^"ewaer 412 Ernesti 426 iWe- we^/er 4t26LederUnBergler 4:26 Heyne 458

Autor bester Erklärer seiner Werke Ha- mann 428

Avarchide 60

Balladen 356. 359 ff. Addison 316 Barden 333. 360. 364 Warton 360 Kenner des Altertums Philips 360 erblicher Stand 5Za/r 364 /SwZ^er 410 Schulen 364 TFoZ/" 463

Beduinen 370

Beiwörter Bm>u" 23 FaZZa 28 iJfa/fe* 96 Andres 107 6'aZeZ 126 Pelletier 128 Certon 133 Scaliger 136 i)u Souhait 154 ilf"^ Dacter 213 Pope 326 TTeicÄ- mawn 391 Lessing 420. 441 Stolberg 444 Bodmer 444 FoyÖ 446

Fenelon 221 Ossian 362 Klopstock 416 Goe^Äe 449

bei esprit 318. 437.

Beschreibung von Kunstwerken d'Han- carville 253

Beschreibungen 390 ilfan'wo 89 Chapelain 158 Scudery 159 Desmarets 160 Per- rawZ* 174 Spence 331

Betrachtung der Poesie ästhetisch-mora- lisch J-rcacZia 95 Gravina 97. 98 iltfM- rafon" 100

Betrachtung Homers idyllisch Foy8 446

Bewunderung und Liebe Burke 348

Bibel poetisch erklärt Petrarca 56 Dry- <Zen 296 Milton Addison Steele Lowth 357

Bibliotheken in Florenz 24. 39

Blankvers 289. 337. 375. 442. 443

Bronze und Eisen 329

Bücher das Grab des Epos Herder 462

Büste Homers Lavater 439

Buiek 257

Bunarbaschi 258. 259. 260. 261

Burleske 179. 184 Diderot Hamann 429

Byzanz 9f. 19. 21. 23. 150

Cambridge 265. 309

Campaign the 319

Cattivo Gusto 95. 100

Centonen 150

Charaktere des Epos Aristoteles 56 Tasso 66.78 Castelvetro 70 Cesarotti 111 Sca- liger 134 Desmarets 161 Le Bossu 171. 172. 173 Terrasson 225 Gacon 227

Homers Salviati 75 Patrici 77 Gra- vina 98 Vico 109 G^acon 227 BaUeux 243 Shaftesbury 312 ^tZdtson 3 17 Pojpe 325 Blackwell 333. 335 Johnson 343 Beattie 345 TFoo^Z 370

Christias 50

Chroniken, römische 6. 7

508

Sachregister

Chorizonten 467

Claves Homericae 151. 414

Clovis 160

College Coqueret 123

College de France 123. 125

congruity Home 350

Conquest of Granada 295

Conquisto di Granata 92

Couplet 266. 275. 337

Daniel Buch 296 Deisten 146. 206 Diaskeuasten 362. 469 Dichter, der wahre Chenier 263

als Schöpfer Macrobkis 18 Tasso 67 Sid7iey 271

göttlich Tasso 67 Chenier 263 Bewahrer der Natur Schiller 453 absoluter und relativer Wert Cesa- rotti 114

Charakteristikum Teniple 301 Darsteller der Menschen und Sitten Shafteshury 312 Dichtererziehung Beattie 364 Forderungen an den Dichter Shaftes- hury 312

und Bildhauer Desmarets 164 und Kritiker Goethe 466 und Künstler Winckelmann 420 Schiller 453

und Regeln Giraldi 62 und Sittenlehrer Le Clerc 201 JBod- mer 407

und Werk unterschieden Saint-Evre- motid La Motte 218 Pope 326 Hum- boldt 455 Heyne 458 Digamma 310 Diomedes Patrici 77 Tassoni 87 Sidney

272 Pope 329 discretion Hobbes 288 Drama englisches Davenant 286 Temple

301 Druiden 360. 363

Edomiter 144

Eindruck sinnlicher Winckelmann 418 Einfachheit des Epos Sulzer 410 A. W. Schlegel 448

Homers Gravina 98 Fenelon 221. 222 Voltaire 238 Bousseau 241 Diderot 244 J5omn 248 jffcsse 383 Bodmer 417 Merian 439 Einheit des Gedichtes JDulos 233 der Handlung Xa üfo^fe 215 des Epos 65 Trissino 57 Giraldi 61 Minturno 64. 65 Tosso 66. 67. 79. 80 Casielvetro 72 Patrici 77 5m?" 83 i>ii- 6os 233 Voltaire 237 Bryden 294 .4(i- d/son 317 ^SwZ^er 410 Humboldt 455 (xoeiÄe 470

der Ilias 5eni 83 Metast asio 103 ie Bossu 170 Scaliger 204

des Plans bei Spenser, Hurd 353 der Phanthasie Humboldt 454 bei Boiardo 40 J.nosf 43. 74. 84. 453 Trissino 58 Tasso 79. 80 Klopstock 414 Einheiten dramatische Metastasio 103 ia ikfo^e 215 Bryden 297 Bodmer 409 I Einzelheiten das Wesentliche in der j Poesie Dt«&os 233 Voltaire 239 , England 396. 411. 426. 434 Enthusiasmus Piaton Polizian 35. 37. 38 Fida 48. 52 Patrici 81 Giordano Bruno 81 Muratori 101 Scaliger 133 Chape- lain 156 Dennis 314 Camerarius 381 Ephemeris belli Troiani 3 Epigoniad 337

Episoden 43 Castelvetro 71 Salviati 74 .Ben* 84 Tassoni 86 Desmarets 163 Äiüi/"* 308

bei Basini 30 Trissino 58 Tasso 83 Graziani 92 Scudery 160 Voltaire 237. 240 Z)amd280 TT^*7Z:ie 338 bodmer 417 bei Homer 43 Tassoni 86 Xa Jfoi^e 220 Epos bürgerliches J.. TT. Schlegel 448 bürgerliches und heroisches Hum- boldt 457

byzantinisches 10 deutsches EJopstock 414 englisches Zet^ der Elisabeth 276 ff. CoiüZej/ 284 Davenant 285 il/»7ton 288 Dryden 296 mit antikem Stoff Glover 336 TFi7^-ie 337

französisches in England BJackmore 299

Sachregister

509

Epos französisches in Deutschland Postel 389

französisches nationales Du Bellay 1*27 Felletier 128 Ronsard 129 Vau- quelin 132 Diibos 236 Voltaire 239

französisches nationales christliches Chapelain 157 Scudery 159 JDesmarets 160 Boileau 162. 165. 166 ie 5osst* 171 Mapin 173 Bossuet 173 PerrauU 174. 181. 193 <Ze Callieres 189 Ä'am^ Evremond 200.

in Friedenszeiten spielendes Chape- lain 155

gotisches ^wr^? 253

heroisches in der Neuzeit 66. 157 Humboldt 457.

italienisches klassisches 70 Trissino 57 Tas50 65 ff. 81 ff. 17. 18. Jahrhundert 92. 95 Graziani 92

komisches 88. 168. 320. 323

lateinisches 48 Petrarca Boccaccioll Basini 30 F»<:Za 49 ff. Sannazaro 54 Scaliger 137 jffer^ier 433

modernes mit homerischem Stoff , Goethe 450 f. j

nationales in Italien Basini 30 Tasso \ 65 j

religiöses Dennis 315

bei rohen Völkern Brown 366 Sulzer \ 409 I

vorhomerisches 2^. Schlegel 468 i

Definition (fehlt bei Aristoteles Pa- \ trici 76 Goethe 449) Tassoni 86 Mura- \ tori 101 Desmarets 164 Boileau 167 i Xe -Bossw 169 ilf"»« Dacier 212 La Motte \ 215 Terrasson 224 Fourmont 230 FoZ- | <a*Ve 237 Xa JTarpe 247 Puttenham 273 ! £?««> 345 Goethe Schiller 449 Humboldt 456 f.

Anfang, Mitte und Ende Castelvetro 71 F. Schlegel 469

Angemessenheit Lombardelli 75

Aufgabe und Zweck Aristoteles 56 Castelvetro 71 Muratori 101 Marmontel 246 Ä^■dne2/ 272 ^wrt^ 352 Breitinger 404 ßft^Z^er 410

Bild der Welt Tasso 67 Pelletier 128

Bild der Zeit Fico 109

Epos Enstehung Blackwell 334 Wilkie 337 jBrowJn 366 5^i(7^er 409

Gegenstände Sbra^; 49 Vida^9 Tasso 77 Pelletier 128 5acow 268 /St«?£;er 410 ^. TF. Schlegel 448 Humboldt 457

Grundgesetze 65

Grundlage allegorisch Chapelain Scu- dery 161

Handlung Abgeschlossenheit und Ganzheit Speroni 65 Tasso 66 Castel- vetro 70 BeniSS Milton28^ ÄddisonSll

Handlung Dauer Minturno 63 ^a- rington 267

Handlung einzige einer oder mehre- rer Personen Castelvetro 72 Pellegrino 73

Handlung Größe und Wichtigkeit Breitinger 404

Handlung Übersichtlichkeit Trissino 57 Castelvetro 71

Handlung Umfang Tasso 66 J5ene 83

Handlung Verknüpfung und Lösung Marmontel 246

Harmonie ^Zof^ Lessing Herder 432

Krone der Poesie 48. 119. 301 Sidney 212 Dryden296. 29S Äddison31& Temple 301

Majestät Muratori 101 Bayle 199

Mannigfaltigkeit Voltaire 237

natürliche Grundlage und künstle- rische Ausbildung Sulzer 409

Naturpoesie T'. Schlegel 468

Norm der übrigen Dichtungsgattun- gen Scaliger 134

Ordnung F. Schlegel 468

Selbständigkeit der Teile Schüler 4.^:9

Sitten würdige Trissino 57

Stoff, historisch oder erfunden? 5a- stm 31 Tasso 65 Castelvetro 72 PeZZe- ^rn'wo 74 Salviati 74 5en* 83 Ronsard 129 ie Bossu 170 Puttenham 274 Dave- nant 286 Dryden 294 Pojpe 325 TFi7Ä:/e 337 Sowie 349 5?^Z2:er 410 ^. TF. Schlegel 448 Humboldt 456

Stoff, zufällige Begebenheit P. Ä'c/iZe- (/eZ 469

Stoffe biblische Rymer 284 Shaftes- bury 313

Umfang Voltaire 237

510

Sachregister

Epos Unterschiede Humboldt 456

Verbindlichkeit der gangbaren Re- geln Humboldt 456 f.

Vergnügen am Epos Le Clerc 201 Bryden 294

Vollkommenes und Unvollkommenes Muratori 101

Esprit 240. 244

De Excidio Troiae historia 7

i

Fabel des Epos Einteilung Pope 325 Fabel äsopische FonteneUe 184 Bacon 268 äsopische und epische Le Bossu 170 La Motte 404 Breitinger 404

Vorbildlichkeit Sidney 272 Putten- \ Fabelwesen antike Boileau 167. 168

harn 274

Wirkung Aristoteles 56 Tasso 66 Beni 83 i?ap«n 173 Marmontel 246

Wohlanständigkeit Tasso 74 Bapin 172

Würde Trissino 57 Muratori 102

Zeit der Handlung Tasso 66

Zweck Schiller 449 Epos und Balladen Percy 361

und Drama Day^nant 286 Goethe 4:i9. 470 F. ÄcÄZe^eZ 469

und Einzel Vortrag Brown 367 Sulzer 410 Ö'oet/ie 471

und Geschichte Bacon 267 Sulzer 410

und historische Wirklichkeit Basini 30 Bryden 294

und Ode Lowth 357

und Tragödie Aristoteles 56 Tasso 66 Heinsius 137 Marmontel 246 Erfindung Definition Chenier 263 Bryden 297 iJwrrf 351 Recht d. E. Salviati 74 Gravina 97

und Urteil Po^e 325

bei Basini 31 Ronsard 129 Erforschung des Griechentums jSer6?er 429 Erhabenes und Schönes Burke 348 Erhabenheit Tasso 66 Fico 109 Voltaire 249 Pope 326 /Spewce 331 ifome 349 Cowper 376 Erkenntnis der psychologischen Empfin- dungen 346 Erklärung Homers mythische Eu^tathios 13

sprachlich -sachliche Tzetzes 10. 12 Eustathios 13

ästhetisch-poetische Polizian 35 jRicez 104 Cesarotti 112. 115 Spondanus 125 ikf"»« Docker 212 Pope 328 Erzählungsweise , universaleggiata und particolareggiata Castelvetro 73

Faerie Queene 277

Fanatismus 59

Ferrara 29

Filostrato 17. 44

Florenz 19. 20. 21. 24. 29. 35. 38

Form poetische FonteneUe 184 Le Clerc 202 Boivin 228 Bubos 236 Biderot 243 sprachliche Wotton 302

Forschung ethnologische Brown 365

Fortschreiten zum Unendlichen Hum- boldt 455

Fortschritt, Lehre vom, Bescartes 176 Tassoni 176 Scaliger 11 & Besmarets 17 6. 177 FontenelU 185 Perrault 190. 192 Boileau 196. 197 Terrasson 224 Bubos 236 Temp/e 300 Wotton 303

Franciade 129

Frankreich und Niederlande 129

Französische Sprache Lemaire 120 /SaZe? 126 Dm J5eZZa?/ 127 Pelletier 128 JSacme 153 ilf"»« Bacier 212 Chenier 263

Franzosen Besmarets 164

Franzosen und Italiener 119

Frauen Homers TFoocZ 370

Freier Andres 107

Freiheit poetische FonteneUe 185 Hobbes 287 Bryden 294. 295

Freiheit des Genies Scaliger 133 Boileau 166

Froschmäusekrieg Marsuppini 24 Meuch- lin 379

Ganzes und Teile Cesarotti 113 Bubos 233

Sbwe 349 Schiller 449 Ganzes und Episoden Salviati 75 Geburtsrecht der Dichter Bryden 296 Gedächtnismäßige Überlieferung d'Aubi- 5fnac209 Cesarofit 113. 465 i^owsseaw 211 Ossiaw 363 TToo^Z 372 Merian 463 Gedichte früheste Merian 439

Sachregister

511

Geflügelte Worte KlopstocJc 416

Gegenreformation 46. 53. 152. 175. 412

Gegenwart ideale Home 349

Geist Schüler 453

Geister Dryden 295 Addison 320 Pope

323 Ossian 363 Gemälde poetische Bodmer 405 Genealogien mythische 120 Genie Tassoni 88 Desmarets 177 Dubos 234 Diderot 244 Dryden 292. 296. 299 Addison 317 Pope 322 Blackwell 335 Äw?we 346 ifwr<^ 351 England 361 Breitinger 403 Gerstenberg 436 Lavater 438 Merian 439 Herder 441 Genius /Sca- %er 133 ^o^ran 145. 292

und Ausbildung Blackwell 332 und bei esprit Gerstenberg 437 und Bildung Philips 360 und Entwicklung Brown 367 und Gelehrsamkeit Yown^ 356 und Kunst Parnell 322 und Milieu Wotton 303 Blackwell 332

und moralische Selbstzucht Shaftes- bury 311 ff. und Ordnung Home 349 und Raison Bapin 173 und Regeln Giordano Bruno 81. 82 Longin 165 Boileau 165. 166 Bapin 173 PerrauU 193 Dw&os 234. 236 FoZ- iatre 239 Bochefort 248 Dryden 294. 296. 299. 355 TmpZe 301 >Sm/t 308 Shaftesbury 312 Addison 317 Parnell 322 Tri7Ä;te 341 Welstedt 341 Johnson 344 Young 356 Lowth 358 Gerstenberg 437 Goei/je 438

und Theorie Addison 318 und Verstand Young 355 Unbeständigkeit Welsted 341 Genie Ariosts Minturno 63

Homers Polizian 35 Bogan 145 ilfa- nwo 90 Andres 103 Bapin 172 Perrault 180. 191 J5a2/Ze 199 Saint- Evremond 200 Marmontel 246 Caylus 255 Bochefort 248 Howe 348 Gerstenherg 437 und Zeitalter Herder 433 Tasso's Lombardelli Ib Geographie homerische JRicd 105 CZw- j

«;enws 140 Bochart 140 Boche fort 248 TTood 368 f. (roe^Äe 450

Gerechtigkeit poetische Chapelain 15Z Terrasson 225 5acow 267

Germanen Merian 439 j Gerusalemme Ltberata 67 Conquistata 78-

Gesang Entstehung Merian 439

Geschichte der antiken Poesie Patrici 76 F. Äc/iZe^eZ 468

Geschmack 352. 433 Monii 118 Fontenelle 184 Perrault 194 Bousseau 241 Ifeier 426- einheitlich Hume 346 Burke 347 der Nationen verschieden Voltaire 238

Gesetze der künstlerischen Empfindung^ J5wrÄ;e 347

Gewalten übernatürliche im modernen, Epos Tasso 66. 67 Boileau 167. 16a Bossuet 174 Perrault 182. 191 /Sam^ Evremond 200 Marmontel 245 Dryden 295 Blackmore 300 /S'^ü^■/^ 309 Shaftes- bury 313 ^owe 349 Äwr<^ 352 Bodmer

397 Himmel und Hölle bei F»(^a 52 Trissino 59 Tasso 67 Graziani 92 Di« Bartas 131 Chapelain 160. 162 Scudery 160. 162 Desmarets 160. 161 Perrault 174 Chamberlayne 283 CotüZe^/ 284 Da- vewan^ 286 iWiZ^on 289 Dryden 294 Blackmore 300 Klopstock 415

Glaube, der Poesie notwendiger (^a^jeZaiV*

156 Gleichnis 416 Theorie Marmontel 246-

jffo&&es 288 fib?«e 350 Breitinger 398 ff. Einteilung ioz</'</i 359 Xa ilfo^ie 217.

398 Breitinger 398

in Reden Breitinger 402

Gleichnis homerisches F«(Za 50 Giraldi 62 5em 84 i?*ca 105 Scaliger 137 Perrault 192 Boileau 196. 399 >S'am^ Evremond 200 d'Aubignac 210 M"'^ Daaer 213 ia Jfotte 210. 217. 398 ff. Batteux 242 Marmontel 246 (rin 24» Jf"'* i^oZawfi 351 Addison 291. 399- Pojpe 328. 330. 402 Spenser 331. 400.402 Johnson 343 jffome 350 LoivthSbS Wood 372 Breitinger 398 ff. 403 JSTercZer 431

Gleichnisse bei Ekkehard 1 Basini 32 FicZa 53 Marino 91 Graziani 94 Chape- lain 158 Desmarets 160 Fenelon 221

512

Sachregister

Voltaire 237 Shakespeare 279. 295 Spen- ser 279 Daniel 280 Cowley 285 Milton 291 Dryden 295 /S'^tv//'« 307 Glover 337 Ossmn 363 KJopstock 416 ienaw 417 Bodmer 417 Goethe 449

Gott Darstellung Loivth 359

Götter Homers Dictys 4 Bares 6 Tzetzes 11. 13 EustatJiios 13. 14 Marsuppini-26 Savonarola 39 Piaton 40 Giraldi 62 Patrici 77 Tosso 78 ^ene 84 Tassoni 86 3IaffeidS Muratori 101. 102 Andres 107 F«co 110 Scaliger 135 Thomassin 142. 144 Cudiüorth 146 Desmarets 163. 165 Boileau 168. 173 i^o^jm 172. 173 Bossuet 173 Fontenelle 185 Saint-Evre- mond 199. 200 ie CZerc 201 d'Auhignac 210 Xa iJfo^e 215 Fenelon 222. 223 Terrasson 225 G^acon 227 Hardouin 231 Voltaire 238 Marmontel 245 Bochefort 247 Gosson 271 Milton 290 Boscommon 293 TmpZe 301 Dewms 315 Pope 325. 329 TFVZ^te 337 iow^/i 359 .Broiüw 366 TFbof? 369 Erasmus 377 Leibniz 389 Bodmer 397 Breitinger 405 WincJcel- mann 419 Hamann 429 Lessing Herder 430 Gerstenberg 437 Heyne 458

Götter, antike im modernen Epos Basini 31. 32 Tassoni 88 Marino 90 Graziani 93 Lemaire 121 Dm Bartas 131 J?on- sard 132 Boileau 168 Bossuet 173 Oa- wioe>i5 188 Saint-Evremond 200 Spenser 279 Kynaston 282 illft7<ow 290 /Sm;?/!^ 309 Dennis 314. 315 Addison 319 Glover 337 Tr«7Ä;ie 338 Ossmn 363 Bodmer 398 üer^ier 433 G^oe«/je 452 !

Göttemamen griechisch Stolberg 444

Gotik 223. 353

Griechen Tr»>?c^-eZ»waM*i 419

Schöpfer des Schönen Klopstoch 416

und Natur Schiller 453 j

und Römer Petrarca 15 F«^a 49 G^*- |

raZiZi 61 Gravina 99 Andres 106 Dm '

5eZZa2/ 127 Scaliger 135 Fontenelle 186 j

Gesner 413 Klopstock 416

und Troer Burke 348 Lessing Herder 425

Griechen in Italien 16f. 19. 20 f. 30. 33. 34

Griechenschönheit Chenier 263 TFtnc^•e^

mann 418 Goethe 447 Großes und Gewaltiges 5wrÄ:e 348

Hainbund 438. 445

Handlung Definition fehlt bei Aristoteles Patrici 77

Hektor Patrici 77 Tasso 86 Cowiz 106 Terrasson 224 Beattie 346 Ifowie 348

Held des Epos s. auch Charaktere. Tosso 66 Castelvetro 70 Cesarotti 111 Des- marets 161 Terrasson 225 ^Stüi/i^ 309 Shaftesbury 312. 409 Beattie 345 Ossian 362 Breitinger 404 >S'wZ<2rer409 Humboldt 456 F. ÄcÄZe^reZ 469

einziger Giraldi 61 Castelvetro 72 Minturno 72 J5em 83

der Ilias und Odyssee F«co 111

Helden Homers Piaton 40 Lombardelli 76 .Be^u■ 83 Gravina 98. 99 Oowi* 106 Oesa- ro^^i 111 Desmarets 161 Bapin 172 Per- rawZ^ 180 Da Mo^^e 216 Fenelon 222 Gacon 227 Voltaire 238 Boscommon 293 Shaftesbury 312 Brown 366 Leibniz Z^^ Bodmer 406 Schiller 452

Helden durch Damen gebadet Boiardo 41

Helene Conii 106 Herder 435

Henriade 237

Heraklesepen Heyne 459

Hermann 417

Hermann und Dorothea 446. 448

Heroic Play Dryden 295

Heronsbriefe 372. 374

Hervortreten des Dichters Ariost 44. 445 Tassoni 86 Spenser 217 Englisches Epos 277 Jf/Zton 277. 317 Shaftesbury 312 Lessing 425 Humboldt 455

Hesperis 30

Hexameter 388 ikfa^e* 96 TTaisow 266. 274 Gottsched 395 Breitinger 415 JS^/op- s^ocÄ; 415 Bodmer 417. 441. 444 Herder 434. 441. 443. 446 G^oe^Äe 443 ^ür^er S'toZftergf 443 FoyS 445.

Hieroglyphen der Dichtung Diderot 243

Hiob 146. 373

Hipparchos 204. 206. 210 iTerder 464

Hissarlik 257

Sachregister

513

Homer Abbildung uralter Sitten Haller 392

Absicht Castelvetro 71 Shaftesbury 312 Leibniz 389

Abwechslung Pope 328 apokalyptisch ügone 147 archaisierend Goguet 212. 254 Pope ^54. 329 Herder 432

durch Athen gerettet Herder 464 Auffassung bei den Alten Addison 320 Herder 430

Augenfälligkeitil/wrafon 102 schreibt für das Auge Coivper 376

Ausdruck seines Zeitalters Vico 109 Ausdruck des nationalen Empfindens Bossuet 173

Begründer der Humanität Vico 108 Schule der Humanität Herder 436 Beobachter vortrefflicher MerianA39 im Besitz aller Geheimnisse der Natur und Kunst Bodmer 405

Bewunderung Ursachen Giraldi 61 Tassoni 85 Heyne 461

Bewunderung ein Vorurteil Bois- robert 178 P. PerrauU 180 ia Motte 218 M^^Dacier 220 Voltaire 238 Pope 326 TT^ooc? 371

Bild des vollkommenen Fürsten Babe- lais 123

Blindheit 35. 37. 178. 209. 438. 463 Breite Capriano 48 Beni 83 Mura- tori 102 Batteux 242 TFbod 371 Bruder der Natur Klopstoch 416 erster und letzter Dichter Montaigne 123

Digressionen FiVZa 49 Bapin 172 Einfalt der Formen Schiller 453 Einheit zwischen Denken und Emp- finden Schiller 453

Einheit der Person und des Werkes g Humboldt 455 ^B Erfinder größter Pope 326 ^™ Erfinder der Kunst der Poesie Sca- liger 135

Erfinder der Burleske Perrault 194 Erfindung Fruchtbarkeit der Andres 108 Hobbes 288 Erfindung Muster der Vida 49

Finsler: Homer in der Neuzeit.

Homer Erfindungen, gehäufte Desmarets

163 Erhabenheit Voltaire 249 Erhaben über den Ehrgeiz Polizian 35 Erregung der Affekte Andres 108 Feuer der Erzählung Dryden 299 Form Diderot 243 Freude an der Natur Beattie 346 Führung der Handlung 42 Fülle Marsuppini 25 Polizian 37. 38

Andres 108

Gedichte die Arbeit einer Nation

Vico 109

Gegenstände, Kleinigkeiten nach un- serer Auffassung Herder 435 Gehalt ethischer Herder 435 Gelächter unpassendes Klotz 432 Gerechtigkeit gegen den Feind J.no5^

43 Trissino 60 Tasso 69 Graziani 92 Gesamtheit der epischen Poesie JFL

Schlegel 469

Geschichte des Naturrechts F*co 110 Geschmacklosigkeiten Tassoni 88 Geschwätzigkeit Fioretti 89 Voltaire

239

Größe in der Begrenzung Schiller 453 Hauptlösungen frostig 5enz 83 Herbheit 44

Herold aller Tugenden für die Nach- welt Polizian 37

im Jugendunterricht Warton 344

Erasmus 377 f.

Hilfsmittel für die Autorität der Bibel

Croese 145 Historiker TFbo6^ 371 Kenner des menschlichen Herzens

Boche fort 248 Chabanon 251 ^MrÄ:e 248 Kenntnisse Wood 372 Herder 435

Merian 439 Kind der Natur Herder 435 komponiert ins Blaue Tassoni 87 Komposition Herder 435 Konstruktion reine Bilderstellung

G^oei^e 426 Kontrastwirkung Diderot 244 Kraft der Schilderung FoZtoire 238 Kulturstufe F. Schlegel 468 Künstler F. Schlegel 469 33

514

Sachregister

Homer Kunst, geschaffen aber unvollendet gelassen Scaliger 135 Voltaire 239

Kunst der Darstellung verschieden Muratori 101 Voltaire 239

kunstvolle Reihe von Dialogen Shaf- tesbury 312

Lebendigkeit Maffei 96

Lehrer des Altertums PoUzian 38

Lehrer der Barbaren Tasse 78 Pa- trici 78

Lehrer der Menschheit Tzetzes 12 Marsuppini 25 Polizian 35 Montaigne 123 Collins 206 Marmontel 246 JBocfce- /br* 248 Dewn«« 314

Lehrer der Pythagoreer Marsuppini 26

Lehrer einer Zeit Vico 109

Lehrer der Weisheit Wilson 269 Lemnius 384 Schaidenreißer 385

löst die Rätselfragen des Schicksals Schiller 453

Lügen Eeuchlin 379

Maler TFoocZ 371 glücklicher J5m- tinger 404 poetischer JBretYm^er 404

Maler der Sitten Gravina 99 seiner Zeit Brown 366

Malerei musikalische Diderot Lessing 441

Mangel an konventionellem Anstand Giraldi 62 Capriano 64 Ta550 66 2^«o- rettt 89

Mangel an Mitteln des Ausdrucks Kant 389

Mangel an moralischem Geschmack Herder 435

Maugel an Ordnung Home 349

Mannigfaltigkeit Pojpe 329 Wood BIO Era^smus 377

Meister in allen Künsten Colli)is 206

Meister in der Kunst, die Phantasie zu bereichern Bodmer 405

Menschlichkeit Beattie 346 Herder 435

Mitgefühl für die Fallenden Pope 329 Burle 348 Herder 435

Mörder des Anstandes Fioretti 89

Monument der Macht des Genies Beattie 346

Homer Monotheist Marsuppini 26. 30 Muster aller Muster Lessing 423 Muster aller Spätem Breitinger iO'S Bodmer 405

Muster deiBichteiCesarottilllSaint- Evremond 199 La Motte 215 G^m 250 Nachahmer der Natur Gacon 227 nicht einer schönen Natur La Motte 220 Naivetät Bonsard 129 Bayle 199 Natürlichkeit iHa/fe* 96 Gravina 9a /SaZeZ 126 BoiJeau 167 Bousseau 241 Barthelemy 255 Bodmer 417

Naturtreue Blackwell 333 TFboc/ STO- Niedrigkeiten F*äfa 50 Giraldi 62 ^ewe 83. 84 Fioretti 89 Muratori 102 Cesarotti 111 Scaliger 136. 137 Racine 153 Rapin 172 Boisrobert 178 Boileau 196 ^ai/Ze 198 iJf"»« Bacier 213 Batteux 242 Marmontel 246 Pope 327 i/ome 350 Breitinger 402

Nutzen für die christliche Predigt. Picinelli 147

Nutzen für das Leben MelancMhon 380

Nutzen für den Unterricht Thomassin^ 142

Objektivität TassoniSQ Humboldt 455 Orakel aller Weisen Young 356 Organ des Vaters der Lüge ia Moite- 220

Original Gerstenberg 437 Originalität Andres 108 Cesarotti 114 Shaftesbury 312 Gerstenberg 437 Originalgeist Breitinger 403 Originalgenie TToo^Z 368 Merian 440 Ozean von Fabeln Era^mus 3T7 Poesie im Widerspruch zu aller dich- terischen Kunst Fioretti 89 Preis der Tugend Tosso 78 Quelle, erste, der Talente JETi^sse 38a Quelle der Weisheit Camerarius 381 redendes Gemälde Marsuppini 126' Redner vollkommener PrMWz23 il/ar- suppini 25

Reichtum Polizian 37 Sänger fahrender Boisrobert IIS Tas- soni 178 Gwerc^ 178 Bentley 206 Philips 360

Sachregister

515

$

Homer Schatzgrube aller Köstlichkeiten

Postel 391

Schilderer der Affekte Fenelon 222 Schilderer des frühesten Zeitalters

Beattie 345

Schilderer der Wirklichkeit Schiller

453

Schulbuch in Byzanz 10 Streben nach "Wahrheit Gravina 98 Theopneustie Hamann 428 Tragiker und Komiker Marsuppini

25 Chabanon 251

Treue der Darstellung Wood 368 Überschätzung Heyne 460 Übersichtlichkeit Castelvetro 71 Übertreibungen Vida 49 Shaftesbury

312

Ungezwungenheit, naive Bofisard 129 UnWahrscheinlichkeit Vida 49 Beni

84 Tassoni 86 Bayle 199 Dtt&os 233 Unwürdiges Beni 84 Tassoni 86 öra-

wwa 94 Andres 107 JBayZe 198 ^roÄ-

wms 378

Urbild des Dichters Schiller 452 Ursachen seiner Popularität Goethe

448

Urteile über ihn Cesarotti 115 Yater der Dichter Marsuppini 25

Plutarch 26 Polizian 35. 36 Melanch-

thon Luther 381 Vater des Epos Gueretm Brown 367 Vater aller Künste Tassoni 85 Cesa-

ro<<t 114 Perrault 192 Holberg 393 Vater der Lüge wie der Wahrheit

Croese 145

Vater aller Philosophie Babelais 123

Montaigne 123 /SaZeZ 126 Beuchlin 379

Melanchthon 380

Vater der Poesie Young 356 Vater der Tändeleien Erasnius 379 Vater der Umständlichkeit (rray 356 Vater alles Wissens Plutarch 26

Polizian 38 C/rceo 38 Co^Z^■us 206 Par-

W€ZZ 325

Verbesserer der Religion Fenelon

223 Bochefort 247

Verbot das Unerforschliche zu er- forschen Petrarca 17

Homer Verbreiter der Gesittung Melanch- thon 380

verhüllt die Wahrheit der Geschichte Dion 121

verletzt das Gefühl Beni 84

Verständnis für ihn Boivin 227 Diderot 244

Volks dichter Herder 434

Vollender der epischen Kunst Brown 367 J?'. Schlegel 470

Vorbild der antiken Schriftsteller Geddes 310

Vorbildlichkeit Polizian 38 T7co 109 Gosson 270 ^SacÄs 386

Vorwürfe gegen ihn, gesammelte, Tassoni 86 Scaliger 136 Desmarets 163 JJopm 172 Perrault 180. 191

Vorzüge gehören seiner Zeit Heyne 462

Wahrheit der Zeichnung Gravina 99 Bossuet 173 Fenelon 223 (?acon 227 FoZia^re 239 Diderot 244 Boche fort 248 Shaftesbury 312 Hei/we 461

Wahrheit und Weisheit Herder 435

wechselseitige Glut des Sängers und Hörers Schiller 453

Wegweiser richtiger Lebensanschau- ung Camer arius 381

Weltanschauung, fröhliche Herder 435

weisester Schriftsteller Ascham 269

Weisheit Beattie 346

Wiederhersteller der Grundgedanken der Poesie Fico 108

Wirkung, dauernde Bochefort 248

Wissen Marsuppini 26 Hobhes 288 iSw;*/* 305 Poi9e 325. 330 Blackwell 355 TToocZ 372 Merian 439 J^ei/tze 462

wissenschaftliche Anregung Heyne 461

mächtigster Zauberer Gravina 98

Zeichnung der Affekte Andres 108

des Vollkommenen Gravüm 99 3Iura- tori 101 Homer, der wahre Fico 110

und Aristoteles Metastasio 103

und Natur Barthelemy 255 Pope 321

und das Alte Testament JRicce 105 33*

516

Sachregister

Thomassin 142 Croese 144 Grotius 145 Duport 146 Cudworth 146 Picinelli 147 Bossuet 174 3f"" Dader 212. 220. 230 La Motte 216 Hardouin 230 Bryden 296 Addison 318 Xomj^ä 358 TTood 370 Heyne 461 Homer und die geoffenbarte Religion 3far- suppini 25. 26 Thomassin 142 Bogan 145 Jtfenc Casaubonus 146 Duport 146 Cudworth 146 Saint- Evremond 199 ia iJfo«e 216 ParneZZ 324

und die Künste D'Hancarville 252 Goguet 254 CayZws 254 ITet/ne 460

und die Tragödie Horaz 48 F«co 109 Scaliger 135. 204 Salmasius 205 , Hobhes 288 Shafteslury 312

Heimat und Leben Tzetzes 12 Ciriaco 23 Polizian 37 Ftco 109 Croese 144 Ällatius 148 Lefebvre 154 ParneJl 324 JBZacÄ:«re?Z 332 TfoofZ 368 Schubarth 4:11

Name Croese 144

Zeit Fossms 140 Parnell 324

Zeitalter Herder 433 Merlan 439

Ausbildung Blackwell 332 Homerfrage Fico 109 Cesarotti 113. 210. 465 Heinsius 139 Gyraldus 203 J.nnms

203 Camerarius 203 J?esse 203 Scaliger

204 Casaubonus 204 Meursius 204 ÄaZ- masius 204 f. Perizonius 205 Wetstein 206. 388 JTwsier 206. 388 Morhof 206. 388 Gronovius 206 Fabricius 206 ^en<- % 206 iJopm 207 PerrauU 192. 207. 219 Boileau 208. 463 d'Äubignac 110. 112. 209 f. ia ikfofie 219 M"*« Daaer 219 G^acow 208. 211 Hardouin 211 Bousseau 211 Voltaire 238 Mercier 250 ITercZer 210. 434. 464 Se^/^e 210. 458 ff. TFo?/" 210. 458. 463 f. Zoe^a 210 Ter- rosson 224. 225 iew0 262 Parnell 324 Philips 360 Merian 462 f. (roef/ie 465 ff. 470 ff. ÄcMZer 467 Wieland 467 F. Schlegel 468 f. Ätowc? (?er i^ra^re t^m iSÖÖ; 470

Homeriden Herder 464 Goethe 467 von

Chios M"»« Dacier 148 Hou^e of Farne 8 Humanismus und Kirche 26. 32 Hymnen homerische 148. 154

Ideal Marmontel 245 Idealfiguren F?co 109 Scaliger 134 G^acow 227 Chenier 263 /Se^Zwe^/ 271 TFmcÄ;eZ- wiann 419 Idealität Humboldt 454 Idealschönheit D'Hancarville 253 TFtw-

ckelmann 419 Idyll G^oefÄe 448 Idyllenpoesie Fontenelle 185 Jeniaseri 257 Jesuiten 150. 152. 197 Ilias Abschluß versöhnend 60. 450

Analyse Heyne 459

ein einzelner Akt Salmasius 205

Anfang Castelvetro 71 Salviati 75

Aufbau Batteux 241

Auszug GoetJie 450

Bildergalerie G'«n 249

Entstehung Heyne 458

setzt eine Entwicklung des Epos voraus Brown 367

Gegenstand und Handlung Tzetzes 12 Tosso 66. 67 Castelvetro 71. 72 Patrici 11 Beni 83 Tassoni 86 Cesarotti 113 Croese 144 Desmarets 163 ie ^ossu 170 D'Äubignac 209 Xa ilfot^e 214 Sar- <?OMm 230 iüf"" Dacier 231 Batteux 241 Marmontel 246 TFe&&e 273 Po^^e 325 Herder 435 (roe^/«e 438 Heyne 459

Gegenstand nicht würdig Andres 107

Grundgedanke Ffco 109

Länge Pem 83

lehrt kriegerische Tugenden Scaliger 135 Melanchthon 380

Plan Terrasson 224 Lange 472

Sieg der Gewalttat ifaZZer 393

Stoff, überliefert oder erfunden? 157 Tzetzes 10 f Eustathios 14 Pellegrino 74 Salviati 74 Muratori 101 Lemaire 121. 122 Samxon 122 Bonsard 129 Scaliger 135 Croese 145 Bapin HS La Motte 215. 216 Dtt&os 236 Dryden 297 Blackwell 333 TFtZHe 338 TFoorf 371 He2/ne 458. 461 TFoZ/* 463 öoe^/ie 466

und Odyssee Giraldi 62 Longin 110 Feco 109. 110 ifef"»« Dacier 230 Äpewce 331 Welsted 341 War ton 344 TFooc?

Sachregister

517

^Tm;

368 Cowper 376 Melanchthon 380 Brei- I

tinger 404 Goethe 448. 470 F. Schlegel 469 | Ilias Schluß 44. 60. 450 Salviati 75 Des- '

marets 163

Titel Tzetzes 12 Hardouin 230 |

Urbild der Fehler Fioretti 89

ustration de Gaule 119

aginatioD, Welt der Hurd 354 Impromptus Herder 433. 465

provisation Blackwell 334 Brown 367

dianer Gebräuche Thomassin 144 Inspiration des Genies Chenier 263 üfeY-

ion 289 BlackweU 335 ^wwe 347 Lowth

358 Gerstenberg 437 Merian 439 Interesse an Homer stofflich Petrarca 17 intimation 331 Isländische Gedichte 360 JtoZia Über ata da' Gotti 57 judgment 425 Judith Buch 131

Kalypso und Dido Bryden 299 TTood 370 Katalog Vida 50. 54 Sannazaro 54 5oi-

ardo Ariost 54 Tasso 67 Bonsard 129

Spenser 278 Kynaston 282 Jft7ton 209

Blackmore 300 Katharsis Aristoteles 56 Chapelain 156

Shaftesbury 312 Kelten Merian 439 Kirchenväter 142. 147. 265. 387 Kirke Boiardo 41

Elassizismus Frankreich 153. 196. 246 England 267. 291. 299. 313. 321. 325.

341. 344. 346. 361. 374. 375 Deutschland 389. 391. 393. 394 Klassizität Andres 107 Kleine Ilias 205 Knittelvers 385. 388. 391. 394 Koexistentes und Konsekutives Lessing

421 Herder 430 Kommentar wissenschaftlicher <Spon<:?«nMS

125 Kommentatoren Gravina 97 Heinsius 139

Boisrobert 178 Fontenelle 186 Saint-

Hyacinthe 239 Croe^/te 436 Komnenen 9

Komödie 56. 87. 284. 299. 304 Kompilatoren der Ilias d'Aubignac 209.

210 Bousseau 211

Kontrast der Empfindungen Diderot 244

Humboldt 255 Kostüm historisches Caylus 255 Kritik ÄwJi/lt 305 Burke 347 fiowe 348 Hurd 351 Pinkerton 373 >S'M?;?er 409

Aufgabe Dryden 295 Swift 30b Addi- son 317

Notwendigkeit Hume 346 und Dichter Teniple 301 deutsche im 17. Jahrhundert 388 französische 155 ff. Temple dOl War- ton 344 SMrtZ 351 Pinkerton 373 französische in England 291 französische und englische Dryden 298 Dennis 314

französische in Deutschland 393. 395 403 ff.

historische 304

literarische in Frankreich 155 in England 266

philologische Valckenaer 411 philosophische 217 Kunst Definition Humboldt 4:64: F.Schlegel 469

Summe der Regeln Perrault 189. 193 Wotton 303 Werden der Kunst Winckelmann 419 Künste Grenzen 424 Grundlagen 346

in Griechenland d'Hancarville 254 Heyne 460 Kunstsinn echter Humboldt 455 Kyklos epischer 205 Kyniker 11 Kyprien 205

Lächerliche, das Lessing 432

Lancelot 127

Landleben Chalkhill 281 Chamberlayne 283

Laokoon Statue 320

Lateinisch und Griechisch 165. 411

und Italienisch 33. 46. 48. 57. 137 Lateinische Bildung Italien 20. 21. 26 f. Nachahmung der Alten Bossuet 174

Le Clerc 201 Latinisierung der Bildung Frankreich

138. 158 Lear 349

518

Sachregister

Lehrbücher 21. 150. 161. 387

Leonidas 336

Leukosia 23

Liebe 161. 182. 212

Lieder Pigna 63 Perizonius 205 d'Auhi- gnac 209 F. Schlegel 468

Literatur Einteilung nach Perioden An- dres 106

Lockenrauh 323

Lutrin 168

Lycee 246

Lyrik 88

Maler poetischer Bodmer 407

Malerei d' Hancarvüle 253 Goguet 254 Pope 330

Mannigfaltigkeit Humboldt 455

Mantua 29

Marcianus A 262

Margites 70

Marie Magdeleine 162

Marinismus Bodmer 406. 408

Maßstab der Beurteilung alter Werke Tasso 60 Tassoni 88 Muratori 102 Bacine 153 PerrauU Claude 179 Per- \ rault Charles 175. 194 Fontenelle 186 Boileau 195. 196 ia Mo«e 215. 216. 218. 220. 221 Fenelon 222 Ö^acon 227 Boivin 227 i)w6o5 234. 235 Voltaire 237.238.240 Marmontel 24:6 Bar thelemy ' 256 Addison 291 Bryden 296 Pope 322 | JTwwe 346 Bodmer 404 ^oi^ 432 J3"er- i der 432. 433 Gerstenherg 436 !

Mauerschau Castelvetro 71

Meleagris 30

Menelaos Gosson 270

Merveilleux Chretien 160. 162. 166

Messias 414

Metaphrase Ascham 270

Metalltechnik Goguet 254 Pope 330 Heyne 460

Metra klassische Webhe 273

Milieu Blackwell 114. 333 Cesarotti 114 Wotton 235. 302 Di^feos 235 Shaftesbury 313 i)enM?s 314 ifwme 347 TToo^i 368 Pinkerton 373 Crray 373 Breitinger 403 Winckelmann 419 Herder 433 Merian 440

Minnesänger 433

Minstrels 361. 364

Mitleid und Liebe PwrA-e 348

Mitleid und Schrecken Aristoteles 56 Tasso 66 Marmontel 246 Chamherlayne 284

Mittelalter Tassoni 176 Fontenelle 186

Moira Xa Mof^e 216 Terrasson 225

Moly Ascham 269 Schaidenreißer 385

Moment ethisches und ästhetisches Shaftesbury 311

transitorischer Lessing Herder 430

Monotheismus im Altertum 146. 216

Moral des Epos ie Bossu 170 Perrault 192 Xe CZerc 201 M'"' Bader 212 Xa ilfoWe 214 Batteux 242 Marmontel 246 Xe :Brt*n 249 /Sm^i/* 309 Addison 316 J?ZaiV 345 TFbot^ 368. 371 Sei/we 485 des Mythos Bacon 268 Homers Xa iHfoWe 217 M^^'Dacier 220 Terrasson 224 (xacon 227 Xe jBrwn 249 Beattie 346

der Ilias Tzetzes 12 Le Bossu 170 Xa ilfo«e 217 ÄwZ^er 410

Moralischer Einfluß der Poesie Bacon 267 Einfluß der Dichter gering Xe C/erc 201 Nutzen der Poesie Chapelain 156

Moralische Grundsätze unwandelbar lasso 66 ^Mwe 347

Wirkung durch Abschreckung Conti 106

Moralische Tendenz Home 350

Mumie der Helene 213

Musik antike Gosson 270

Muster 76 Horaz 48. 49 Vide 48. 49. 51. Minturno 63 Ä'treii um die Gerusalemme 76 Tasso 85 Bisorgimento 94. 95 Maffei 96 Gravina 98. 100 Muratori 101 Cesa- ro«^■ 112 Pelletier 128 Bonsard 129 X)w Bartas 130 Vauquelin 132 Scaliger 134. 135. 176 Chapelain 157. 159 <Sat- deri/ 160 Boileau 169. 197 Xe J5ossw 171 Bapin 173 Desmarets 177 Perrault 182. 194 Fontenelle 186 G^acon 227 Voltaire 237. 240 ilf armo wieZ 246 Caylus 255 Chenier 263 Englisches Epos 280 CoMJZey 284 Bavenant 285 Phillips 292 Buckingham 293 Bryden 296 Blackmore

Sachregister

519

500 Wotton 302 Swift 309 Shaftesbury \ 312. 313 Addison 316. 318 Pope 321 Johnson 342 Hume 348 Hurd 352. 355 Beattie 365 Pinkerton 373 Gottsched 394 Bodmer 397 Breitinger 403 >SwZ^rer 409 Lessing 423 Humboldt 464 Mythus Fico 108 ^acon 268 i

I Nachahmer Scaliger 137 Homers Dennis \

315 und Rivale 452

Nachahmung Definition Sidney 271

Nachahmung Scaliger 135 Xa Motte 220

Addison 318 Pinkerton 372

richtige Bryden 297. 311. 321 Pope

321 Young 356 Wiyickelmann 419

Goß^Äc 447. 448. 450

des Altertums Boiardo 41 Xe CZerc

201 Marmontel 245 Chenier 263 Bryden

511 Temp/e 311 Pope 320 |

antiker Metra TFe&Z^e 272 i

gegenseitige, der Dichter Burke 347 ^

des Genies Diderot 244

Gift für die Poesie TFe/sietZ 341

Homers Giraldi 61 Tassoni 88 Saint-

Evremond 199 GZot'er 336 "W'VZ^ie 337

Merkmal der, JBZmr J3m-(Z 363

fremder Muster Davenant 285

Unterschiede if^rti 351. 352. 355

Young 355 j

Naiv und sentimentalisch Blackwell 334 j

Schiller 453 Humboldt 455

Natur Sbra^f 49 "R^^e 49. 51. 52 CasieZ- j

^;eiro 70. 73 Gravina 97 Muratori 102

Scaliger 134 Duport 146 Boileau 167

Fontenelle 185 Pai/Ze 199 Xa Jfotte

220. 221 G^acon 227 Rousseau 241

3Iarmontel 245 Caylus 285 Barthelemy

255 Daniel 266 Pacow 267 Hobbes 287

Dryden 296 Addison 316 Poi9e 321

Johnson 327. 342. 364 Blackwell 333

5ea«^e 346. 364 ^wrile 347 XToJwe 348

XZt^rd! 352. 354 Toim^r 355 TFooeZ 370

Bodmer 405 TF'mcZ:eZmann419 Hamann

428 -ffercZer 434 G^oe^/ie 437. 438 Merian

439 iSc/tiZZer 453

Natur wirkliche und wahre Schiller 453

und Altertum Goethe 437

und Gewohnheit Johnson 342

Natur und Kunst Daniel 266 Adisson 319 Johnson 343 Gerstenberg 436 Humboldt 465 F. Schlegel 469 und Kunstfertigkeit TF^7^'^e 341

t^nd Regeln Pojpe 321 Beattie 345 Sbme 348

Naturbekenntnis herrschendes GoetheSlO. 438

Naturdichter Blackwell 334

Naturdichtung JP. Schlegel 469

Natur- und Kunstpoesie Addison 318 Pope 325.404 Breitinger 4^04: Schiller 4:6B

Naturschilderung F^cZa 51 Englische Poesie 266. 280. 364 Drayton 381 Chamber- layne 283 Ossian 361 Beattie 365

Nausikaa Giraldi 62 Tasso 66 Croese 145 Bacine 153 Rapin 172 Claude Perrault 179 Boileau 196 Pai/Ze 199 Fetielon 223 Rousseau 241 Chenier 264 G^osson 270 ITuwe 347 Pos^eZ 390 Bodmer 409 6roei/ie 447

Nebel Lessing Herder 430

Nepenthe 149

Nestor Gosson 271

Neubearbeitung antiker Stoffe Tasso 66 Boileau 168 Johnson 342

Neues Testament 382. 387. 413

Neugriechen (rwys 252 Choiseul 252. 269

Neuhumanismus Gesner 413 Zürich 414

Neu-Ilion 256. 257. 258

Neuplatoniker 11. 124. 324. 440

Nibelungen 445

nicety 318

Noachide 417

Notwendigkeit Aristoteles 55 Minturno 63 Castelvetro 71

Nützlichkeitsprinzip Breitinger 413

1 Numa 110

I O&eron 418

I Objekte, erste, des Dichters PZaiV 345 Objektivität Humboldt 454 Odyssee Anfang Castelvetro 72

Beispiel für alle Tugenden Lemnius 384

Belehrung auch für gewöhnliche Bürger Xe Bossu 170

bürgerlicher Charakter Goethe 448

520

Sachregister

I

Odyssee bürgerliche Klugheit ScaligerlSb Gemälde des Elends der Menschen Wilson 269 gewöhnliche Leute Tasso 77 Grundgedanke Vico 109 häuslicher Charakter Wood 368 Kunst und Norm der Lebensführung Gravina 98 Spence 331

Kontinuität und Reziprozität Schiller 467

stark komisch Perrault 192 lebendiges Wort Goethe 447 Lehren für Obrigkeit und Unter- tanen Schaidenreißer 385 moralisches Gedicht Spence 331 moralischer und politischerCharakter Bodmer 407

ein Nostos Lessing 425 Schilderung eines Menschen Sulzer 410

Spiegel des menschlichen Lebens Schaidenreißer 385

Spiegel für Reisende Äscham 269 Stoff Croese 144 Triumph der List Haller 393 Tugenden des bürgerlichen Staats- lebens Melanchthon 380 Zahl der Tage Bicd 105 Odysseus Homerus Latinus 3 Salviati Ib Gravina 98 Äscham 269 Sidney 272 Melanchthon 380 Schaidenreißer 385 Haller 393 Odysseus Tod Dante 15 Oenone 119 Oper 194

Original und Gelehrsamkeit Hamann 428 Originalgenies 427 Originalwerke 361 Welsted 341 Young

355 Orlando Innamorato 40 Orlando Furioso 42 Ottobert der habsburgische 394. 403

Paläologen 9. 19 Pantheismus philosophischer 147 Paradise Lost 288 JRegained 291 Paradiso degli Alberti 21 Paraphrase Äscham 269

Paris Conti 106 Lemaire 119. 121 Herder

435 Parisurteil Lemaire 121 ia J/otte 219 I Marioaux 229

Parodie Tassoni 88 Loredano 94 Boileau 168 Claude Perrault 119 Dugas-Monhel 228 Marivaux 229 Parthenon 24 (Ze Partu Virginis 54 i Passionsspiel 52 I Pastorale 87 Paulskirche 367 Pedanten 82. 166. 304. 341 Penelope Gravina Bicd 105 Spence 332

Schaidenreißer 385 Pentateueh 146

{ Personifikationen Chamberlayne 283 Bowe I 319 Boileau 287 Merian 440 I Pforta 388. 416

Phantasie Marino 89 Muratori 101 Chapelain 156 Fontenelle 185. 186 Dubos 234 Marmontel 245 Bacon 267 Hobbes2Sl Addison 31S Blackwell 334^ La Motte 400 Bodmer 406 Äw/^^er 410 Humboldt 454

der Alten Humboldt 456 Phantasie und gesunder Menschenver- stand Saint-Evremond 200 und Herz Voltaire 238 und Regeln Voltaire 238 und Philosophie Beattie 365 und Vernunft F^rfa 48 und Urteil Muratori 101 Voltaire 237 Poi^e 322 Parnell 322 und Wirklichkeit Gravina 97. 98 Phemios 333 Philhellenen 259 Philologie französische 124. 262 Phöniker Bochart 141 Thomassin 143 Croese 144 Blackwell 333 TFbod 369. 372 Marino 463 Pleiade 123. 127. 133. 177 Poesie Aufgabe und Zweck Trecento 16 Polizian 38. 47 Savonarola 39. 47 P?a^on 40 Muratori 101 Conti lOe Lemaire 120 Samxon 122 Pelletier 128 Scaliger 134 Thomassin 144 Croese 145 Chapelain 156 Scudery 159 Desmarets

Sachregister

521

161 LeBossulGd.llO Bapinll2 LeClerc \ 201 La Motte 215 Fenelon 222 Gacon 227 Diibos 234 Bacon 267 Sidney 272 TTeöfte 273 PuttenJiam 274 Bavenant 286 £ro?)6es 288 Brydeyi 294 Dennis 314.315 ParneUS26 Loivth'Sbl Twining 375 Melanchthon 380 Camerarius 381 BulUnger 382 Breitinger 403 Poesie Angemessenes Bodmer 406

Arten Giordano Bruno 81

Charakteristikum Bruno 82 Scaliger 134

Definition Marmontel 245 Gersten- her g 437 Humboldt 455

antike Poesie, Nutzen, Gosson 270

antike Poesie, bewußte Täuschung Saint- Evremond 200

und bildende Kunst d' Hancarville 253

eigentlich zu nichts gut Fontenelle 186

Einteilung Bacon 268 Camerarius 381 Schiller 453 Humboldt 459

Einteilung nach Ständen Castelvetro 70 Puttenham 274

Entwicklung Scaliger 176

entzückt durch die Einzelheiten Dm&os 233 Voltaire 239

Erleuchteiin aller Nationen Sidney 271

Erzeugerin der Zivilisation Horaz 38. 48 Polizian 38. 48 Fenelon 222

erste gemeinsame Sprache Fico 108

ethisches und ästhetisches Moment Shaftesbury 312

Form der Theologie 56

galante 194

Gebiet heilige Gegenstände Lowth 357

und Geschichte Aristoteles 56 Castel- vetro 72. 73 Chapelain 156 Bacon 267 Sidney 271 ioiü^Ä 357

göttlichen Ursprungs Lowth 358

Grundgesetze 65

hebräische Lowth 357 Pinkerton 373 Merian 439

Imitation Gravina 98

Imitation des Lebens Aristoteles 56 Metastasio 103 Sidney 271

Poesie kosmogonische 360 und Kunst Caylus 255 lebendige Sage Herder 434 malerische 419 malerisches Moment 398 und Malerei Cesarotti 116 Besmarets^

164 Perrault 191 Dm&os 233 ilfar- wowieZ 245 /Spewce 330 Bodmer 398. 407 Lessing 420 Herder 430

Mechanik der Poesie Dubos 234 Muttersprache des menschlichen Ge- schlechts Hamann 428 Norm Scaliger 134 und Philosophie Chapelain 156 i^'on- teweZZe 185 Perrault 194 ^StcZwer/ 271 Regelmäßigkeit notwendig iZome 349 und Religion Dennis 314 und Rhythmus Brown 366 Schilderung der Affekte Bodmer 405 des Stils Dw&os 234. 236 Ursprung Fontenelle 185 Welt der Bodmer 398 Wesen Savonarola 39 Quattrocento 4=7 Breitinger 403

das Wesentliche in die Seele des Dichters und Hörers verlegt Humboldt 454

Wirkung auf das Herz Bapin 173

Wirkung auf die Phantasie Dm&os234

Wirkung auf die Sitten Herder 434

und Wissenschaft Loivth 357 Merian

439

Poetik 47 Horaz 47 F^■c?a 48 Aristoteles

65 Trissino 57 Minturno 63 Tasso 65^

Patrici 76 Gravina 97 Muratori lOO

Ccm<i 105

Pelletier 127 Eonsard 129. 130 Fate- quelin 131 Scaliger 133 Vossius 139- Chapelain 155 Desmarets 164 Boileau

165 Xe Sosstt 169 iJa;p*Vi 172 ilf "»« Da- cier 212 Xa ilHo«e 215 Fenelon 22^ Voltaire 237. 238 Batteux 243 ilfar- montel 245 Xe Harpe 246

J5acon 267 Äi^wey 271 Puttenham21S' Hobbes 288 Englisches Epos 286 Bymer 292 Buckingham 293 Notwendigkeit der Fenelon 222 der Modernen ^^i^i/f 308 Welsted 341

522

Sachregister

Polyxena 5. 7. 460

Porcaria 27

Port Royal 150

prevention 331

Priamos Conti 106 Diderot 244 Burke

348 Profanschriftsteller Bullinger 382 JBrei-

tinger 387 Valckenaer 411 Gesner 413 Prooimion der Ilias Patrici 78 Tasso 78

Tassoni 86 d'Auhignac 210 Propheten Z^aw« 389 Propheten und Homer Spence 331 Lowth

358 Prosa englische 266 Protestanten 54. 58. 133. 152. 386 Psychologie homerische Boche fort 248 Pucelle Chapelain 157 Voltaire 240 Puritaner 270. 271. 276 Pyrrhos Ring 319 Pythagoreer 26

Quellen des Skamandros 258. 259 -Querelle des Anciens et des Modernes 175. 180 ff. Macaulay 183. 304 Bayle 198 Saint- Evremond 201 Fenelon 222 Conti 232.427 Cartand2'S2 Dubos2SSS. Voltaire 239. 240 Temple 300 WoUon 302 Dennis 314 Ayrer 391 Holberg 393 Gottsched 393 Herder 427

Ratio jffora^ 49 F«Via 48. 97. 157. 166

Scaliger 137 Ragione Gravina 97. 98 Raison Cliapelain 157. 166 Boileaii 97. 166. 167 i^opm 173. 285 G^weVet 177 Saint -E er emond 200 ia Mo^ie 220 £omn 228 J5m6o5 234. 235 Chenier 263 Dryden 296 Twining 374 Raison und Aristoteles identisch 138 Realien homerische i^ei^/i 104. 125 Bicci

104 G^o^rwei 253 Potter 310

Jlecht an der Fabel zu ändern Gravina 97

Redekunst Einteilung Bruni 22

Reden der homerischen Helden Vida 49

Capriano 64 J5ewi 84 Tassoni 86 PeZ-

Zeieer 128 Scudery 160 Desmarets 163

iJopm 172 Boisrobert 178 Perrault 180

Batteux 242 Barthelemy 255 Hesse 383

Regeln, s. auch Genie Giraldi 62 Gra- vma 97. 100 Scaliger 135 Chapelain 156 f. Boileau 169 Eapm 173 Perrault 174. 182. 183. 194. 197 Fontenelle 184. 186 J5oiym 228 Englische Epiker 280 Bymer 292 Dennis 314 Addison 316. 320 Pope 320 f. Blachwell 335 BZaiV 345 i/wrd 352 England 355 £ea«ie 365 Gottsched 394 Lessing 424 Herder 433 TTarion 437 GoeiÄe 438 Humboldt 454 Regeln des Aristoteles und der Alten unvollständig Gravina 97

nicht für das Epos aller Zeiten ver- bindlich Giraldi Ql AddisonZlQ Hurd 353 Humboldt 458

für uns hinfällig Saint- Evremond 200

überall zutreffende gibt es nicht 277 Metastasio 103 Regeln der Kritik unzureichend ia ilf ofie 215

Ursprung 296 Bruno 82 Scaliger 134 Voltaire 237 Dryden 296 i?t*we 346 PMr^•e 347 Home 348 ioi^i/i 358

Vervrerfung als Maßstab der Beur- teilung J)m&os 236 Bochefort 248 6^er- stenberg 436

willkürlich Barthelemy 355 und falsch *Si<?^er 409

zerstören Geist und Anmut der Poesie TempZe 301 Regeln vernünftiger Grund Gravina 97

und gesunder Menschenverstand Metastasio 103

und Gebrauch Daniel 266

und Homer Lessing 424

und Milton Dennis 315

der Musen und der Pedanten TFt7- Ä;*e 341

Unterschiede Johnson 342

des poetisch Schönen auf das Gute gegründet Muratori 102 Regelkodex neuer Home 349 Regolisti di poesia Bruno 81 Reim Daniel 266 TempU 301 Town^ 356 Coicper 375. 376 Gottsched 395 G^oei/<e 442

Sachregister

523

Reiterei bei Homer 329 Beliques 360

Renaissance Le Clerc 152 Tassoni 176 Fontenelle 186 Temple 301 Valckenaer 412 Herder 433 in Byzanz 9

deutsche 377. 386 und Reformation Schweiz 382 Rhapsoden 202. 465 Vico 110 CesaroUi 113 Scaliger 204 Salmasius 204. 205 PerraiiU 207 d'Auhignac 209 Rousseau 211 Mercier 250 iew<s 262 Blackwell 334 Jfwr^i 351 (roefÄe 466 Rhapsode und Mime Goethe 449 Rhapsodenschulen Tro?/" 463 Rhythmus Brown 364 ilfman 439 Goethe

442 Rimini 30 Risorgimento 94 Rom 26 ff. JRoman de Troie 6 Roman altfranzösischer 127

französischer 126. 127. 214. 215. 295 historischer 3 satirischer 197 Romantik 264. 472 Romanzo 40. 157 Wieland 418

und Epos Trissino 57 Giraldi 61 Pigna 62 Minturno 63 Speroni 65 Tasso 66 Salviata 74. 75 Patrici 76 Muratori 101 Saint- Evremond 200 Rührung Cesarotti 111 Fenelon 222 Dubos 234. 236 Marmontel 246 ^wrÄe 348

SängerBegleiter der Heroen F. Schlegel 468 Sage Bayle 19S Blackwell 3d6 Wilkie 'dSS

Herder 434. 447 Goet/^e 447 ^. TT. /ScMc-

^d 448 F. ÄcMe^reZ 468 Äamt Paulin 174 Salomon 105. 309

Sammlung der antiken Literatur 16. 23 Samuelbuch erstes 284 S. Spirito 21 St. Afra 388. 420 Satan Milton's 289 Satire 88, 193 Scheria 140. 141. 144 Schichtentheorie Mercier 250

Schiffskatalog Castelvetro 71 Schild des Achilleus Ilias 18. 478ff. Ho- merus Latinus 3 Polizian 37 Cesarotti 116 Spondanus 131 Eustathios 137 Sca- liger 137 Desmarets 160. 164. 180 Per- rault 180 de Callieres 188. 189 Dacier 190 Le Clerc 201 Xa ikfo^^e 219 Ttr- rasson 226 Lessing 228.422 Mercier 250 d'Hancarville 252. 253 Gogiiet 254 Po^Je 330 iSpmce 332 Home 350 Gottsched 394 Schiller 452 i?eyne 460 Schilderung epische Spence 331 Bodmer 405. 406. 424. 431 Lessing 420 ff. Jffer- der 430 f. Schlachten Homers Pope 328 f. Schöne das Hume 346 Burke 347 das poetische Muratori 102 Aufgabe Fenelon 222 Schönheit Humboldt 454 der Teile Dw&os 233 und Freiheit Marmontel 245 Winckel- mann 419

bei den Griechen geehrt Winckd- mann 419 I und Häßlichkeit, Darstellung X/Cssm^r

; 423 f. ifer(^er 431

und Regeln Addison 317 Schönheitsideal Winckelmann 419 ; Scholastik 16. 20. 39. 56. 381 Scholiasten Hamann 428 Herder 434 ; Schollen 14. 26. 124. 125. 138. 262. 425

Valckenaer 412 I zur Ilias Zwingli 382

I Schreibmaterial Merian 463 I Schrift, Kenntnis der 470 Wood 113. 372. 462 Cesarotti 113. 465 Josephus 202. 204 Casaubonus 204 Perizonius 205 Bousseau 211 Goguet 211 Ossian 363. 462 Brown 368 Pinkerton 372 Herder 439. 462 Merian 439. 462 fZe Paww; 462 Se?/ne 462 TTo?/" 463 Schulordnung kursächsische 379

zürcherische 382. 383. 414 Schwindelliteratur 3 Scriblerus Vom Niedrigen 308 Secentismo 89. 92. 100 Seelenleben, Erforschung als Grundlage der Ästhetik Home 348

524

Sachregister

Selbsterkenntnis Shaftesbury 312

Selbstkiitik Vida 48

Sentenzen Homers Duport 146

sentiment 234

Septuaginta 206

Siede de Louis le Grand 180

Sigeion 37. 54. 256. 257. 258

Sitten Homers Girdldi 61 Tasso 66 Tas- soni 8S Gravina99 3Iuratoril03 Andres 107 Cesarotti 114 Bapin 172 Perrault 192 Bayle 199 Saint- Evremond 199 M"*' Dacier 212 La Motte 220 Fenelon 221. 222 Conti 232 Dm&os 233. 236 Voltaire 238 G^tiys 252 Barthelemy 255 Shaftes- bury 312 Hume 347 Ifwrd 354 Brown 366 IFoofZ 370 Bodmer 406. 407

der kochende Achilleus Tassoni 87 Muratori 102 FoZiatVe 238 Sime 347 TFood 370 Bodmer 417 Ztoi^; 432 Ser- ver 432

Könige als Hirten irood 370

Sitten homerische und gotische Hurd 353

Sitte herrschende Tasso 66

Skulptur Ausdruck d' Hancarville 253

Song of Chevj-Chase 316. 359. 361

Spannung Homer und Äriost 42 Vida 49 Trissino 59.60 La Motte 215 Boivin227

Sprache Homers lontenelle 186 Diderot 243 BlackweU 332 TFboci 372 jBodw2er 408 TF^>^c^•eZmanw 418 Lessing 421 Heyne 461

Staat Homers Thomassin 143

Stanze 96. 266 Davenanfs 286. 288. 294

Steigerung der Effekte Pojpe 329

Stil Homers Marsuppini 25 Shaftesbury 312

des Dichters und seiner Personen Pope Gottsched La Motte Breitinger 402. 404

Stimmungen, verschiedene vereinigt Spence 330

Stoiker 11. 36. 47. 268. 272. 303. 335. 378

Streit um die Gerusalemme 69 ff. 267 um die englische Versifikation 266

Streitfragen 329

Studium des Griechischen Mittelalter 1 Byzanz 9 f.

Italien Petrarca 15 f Boccaccio 16 Florenz 19. 21. 24. 29. 38 Mantua Fer-

rara 29. 30 16. Jahrhundert 47 17. Jahr- hundert 94 Marino 89. 94 18. Jahr- hundert 94 f. Neapel 97

Frankreich 16. Jahrhundert 122. VIS. 133 Babelais 122 17. Jahrhundert 138. 150. 151 f. Thomassin 142 Ursachen des Rückgangs 151. 387. 411 ff. Kenntnis Homers 155 18. Jahrhundert 214. 251

Niederlande 16. 17. Jahrhundert 138. 148. 152 18. Jahrhundert Hemsterhuys Valckenaer 411

England ütopier 265 16. Jahrhundert 265 17. Jahrhundert 266. 276 18. Jahr- hundert 309. 336 Voltaire 266 311

Deutschland 16. Jahrhundert 379. 381 Schweiz 382 17. Jahrhundert 386 f. 18. Jahrhundert Gesner 412 Breitinger 396. 413. 420 Goethe 426 Herder 42^ Schiller 452

Symbolik moralische Lemaire 132

Symbolische Erzählungen Homers Bacon 286 Heyne 459

Sympathie, Gesetze der Humboldt 454

Syrie 369

Tafelrunde bretonische 40

Talent Patrici 81 Bruno 81

und Zucht Horaz 48 Vida 49

Telemachie Salviati 74 Beni 83

Telemachos Andres 107

Temple of Farne 322

Tenedos 256

Tertium Comparationis 401. 402

Teseide 17

Textkritik französische 124

Theomythologie 231

Theorie poetische in Italien 48 f. I Thersites Ilias 2, 212 Petrarca 17 Vida 49 Tasso 69 Patrici 11 Dacier 190 Puttenham 274 Swift 307 Melanchthon 380 Lessing 423 Klotz 432 Herder 431. 432

Thetis Goethe 450

Totalität Humboldt 454

Traditionen, verschiedene, von Liedern Herder 462

traducteurs traditeurs 127

Sachregister

525

Tragödie 56. 87. 186. 284. 291. 314. 357

Treue historische Bubos 233

Tristan 127

Trochäen achtfüßige 395

Troer bei Homer Burke 348 Herder 438

Troer Vorfahren der Römer 6 der Briten 9 der Franken 119.120.130 der Türken und Italiener 123

Troja in Ägypten 261

Trojas Andenken nur durch Homer er- halten Luther 381 Hesse 383

Troilus Dictys 5 Dares 7. 8 Benoit 8 Boccaccio 17 Chaucer Canton Lefevres Lydgate Shakespeare 276

Trompete 330

Übersetzung Theorie 21 Salutato 22 Qiry- soloras 22 Bruni 22 Jacopo von Pavia 35 Marino 90 Salvini 95 Maifei 96 Bozzoli 96 Bicci 104 Cesarotti 112.117 Foscolo 117 Monti 118

Salel 126 Bu Bellaij 127 Pelletier 128 VauquelinlB2 Leßbvre 154 Longepierre 183 PerrauU 191 ^o^Zeaw 196 M'^'Bacier 212. 213. 441 Xa Motte 218 Dt*&os 225 Voltaire 240. 441 Biderot 243. 441 Bitaube 247 Bochefort 247 Mercier 250

C/i op man 27 ö Boscommo w 2 9 3 Bryden 297 Wotton 303 Blackwall 303 Pope 326 6[pencc 330 J5Za*> 345 Town^ 356 Tm;!- mwgf 375 Cowper 375

JTesse 383 Schaidenrel ßer 385 PosieZ 390 G^o^tec/je^Z 395.440 Ft;n^% 441 JBo(i- wer 396. 408. 441 Breitinger 441 Herder 429.441.442.444 Lessing ^il Klotz Ul Mendelssohn 441 Goethe 442 Luther 442 Bürger 443 Fo/8 445

Zweck Samxon 122 5aZeZ 126 Faw- quelin 132

als Lehrmittel Vittorino Joseph Sca- liger Goethe Bicci 104. 124 ie CZerc 151. 412 Ascham 27 i Bollin 412 FaZcÄe- naer 412 Gesner Breitinger 413

Mittel die Jugend zu begeistern ITesse 383

Einleitung durch ganze Verse Coivper 376 FoyS 445 öoe^Äe 446

Beibehaltung der Verszahl Hesse 383

PosfcZ 391 Gottsched 395. 445 FoyS 445 A. W. Schlegel 445

t5l3ersetzung in Frankreich ausschließlich französisch 126

in Prosa 28 Goethe 442

Übersetzungen Homers. Lateinisch Pi- lato 16 Bruni 22 Marsuppini 26 Orazio Bomano 27 Filelfo 27 Becembrio 27 FaWa 28 Francesco Aretino29 Baffaello da Volterra 29 Manillus 384 Niccolö della Volle 27. 28 Janus Pannonius 29 Basini 30 Polizian 34 Andreas Bivus 47. 125. 138

Basel 1551: 124 Castalio 124 G'ipÄe- nms 124 Portus 124. 125 Stephanus

125. 309 Barnes 309 C/arZ:e 310 ^ras- wws 377 Beuchlin 379 Camer arius 382 Sesse 383 Lemnius 384 Ä"/©^^ 441

Italienisch ia Badena 64 Bacelli 64 Do/ce 64 5em 85 Salvini 95. 96. 103 Maffei 96 Brazolo 96 Bozzoli 96 Jfwra- ^on 103 Cesaro^t 112 Foscololl7 Monti 118 Pindemonte 118

Französisch Samxon 122 5a?eZ Jamyn

126. 132 Pelletier 127 Cer^on 133 Z)m Souhait 154 Boitel 154 ia Valterie 155 J^f"'« Dacier 212 ff. 230 Begnier 214 ia i)ifoi^6 214. 218 Fenelon 221 Voltaire 240 Bitaube 247 Bochefort 247 Xe 5rww 249 (ri'n 249

Englisch Watson 266. 274 SaZZ 274 Chapman 275 Hobbes 288 0^176?/ 288 Bryden 298 Congreve 323 TaZt^cn 323 Pi'^f 323 r«cMZ 323 Broome 324 Poi)e 324 Cowper 375

Deutsch Beuchlin 379 Schaidenreißer 384 ^Spren^f 388 Pos^eZ 390 Gottsched 395 Breitinger 396.441 Bam^nAAl Bod- mer 441, 443. 444 Klopstock 442 Bürger 442 Stolberg UZ Foy8 443 ff. Goethe 4:60

Universität Paris 166

Universitäten englische 311

Universitätsordnung Paris 150

Ursprung der heidnischen Religionen Fossils 141 Stillingfleet 142 Thomassin 143 Terrasson 225

Urteil Muratori 102 Scaliger 135 Bubos 236

526

Sachregister

Vaudevilles 230

Verisimile nobile Muratori 102

Verkleinerer Homers Pope 326

Verletzung des Gefühls Beni 84

Verso sciolto 57. 64. 85. 95. 96. 103

Vierzelinsilbler 275

Völker, wilde 255. 428. 435

Völkerwanderung 234

Volksdichter 434

Volkslied 434

Vollkommenes Shaftesbury 312

Vollkommenheit Coivper 376

Volterra 34

Voluttä 89

Vorbilder gegen die Unmoral 314

Vorbildlichkeit der Trojageschichte Le-

maire 120 Vorgänger Bomers Brown 367 Breitinger

403 Merian 439 F. Schlegel 470 Goethe

471 Vorschriften der Alten ungenügend Pa-

trici 76 Gravina 97 Vortrag mündlicher Blackwell 334 Broten

367 Herder 434 Vorzug der ältesten Dichter Johnson 343

Waffen homerische 329

Wahrheit poetische Aristoteles 56

Wahrscheinlichkeit Definition Duhos 233 Bruni 23 Vida 49 Aristoteles 56 Irissino hl Minturno 63 Tasso 65 Castelvetro 71 Lombardelli Ib Beni 84 Muratori 101 Cliapelain 156. 161 Bapin 173 Saint- Evremond 200 Hohhes 287 JBymer 293 und poetische Freiheit Hobhes 287 und Wirklichkeit Aristoteles 56 CAa- pelain 156

Wahrcheinliches und Wunderbares Tgwso 66 Dubos 233 Davenant 285 Blackwell 334 Breitinger 404

im antiken Epos Saint- Evremond 200

Wallisische Gedichte 360

Walthariics 1

Weinen der Helden Lessing Herder 430

Weissagung poetische Spence 331

Wertschätzung der Poesie bei Griechen und Römern Gravina 99

Widersprüche bei Homer Cesarotti 113

d'AuUgnac 210 ia ilfo^e 216 Terras- son 225 TroZ/" 464 6^oei/?^ 466

Widersprüche bei Spenser 279

Wiederholungen bei Homer Vida 49 J5en* 83. 84 Pelletier 128 d'Aubignac 210 FoZ- *at>e 239 Batteux 242 Ascham 269 Po^^e 328 ErasmusZll Sesse 383 Goethe ^4.^

Wirklichkeit ^. TT. Schlegel 448 Ä*m- feo7c?i 455

und innere Wahrheit Muratori 101 und Poesie Gravina 97 Spenser 279 Dryden 294 Philips 360

Wirkung, zu Herzen gehende Bapin 175

Wissen, neues, der Renaissance Came- rarius 381

Wissenschaft poetische Scaliger 134

Wissenschaften, Einteilung Bacon 267

TFiYieÄ:mc?, <?er ^rroySe 389

Wohlanständigkeit 74. 89 Pa^^m 172

Würste, Göttinger 467

Wunden Pope 328 Home 349 Oss^■an 362

Wunderbares und Übernatürliches Tasso 66 f. Tasso w* 86 MuratorilOl Besmaret» 161 Scudery 162 CJiapelainlQ2 Bapinnd^ Fontenelle 185 Saint-Evremond 200 ia iHfo^e 220 Batteux 242 Marmontel 245 Swrd! 354 BodmerSQl Diderot Hamann 429 Merian 439 Humboldt 456

und Natürliches bei Homer 3/ar- montel 246

Steigerung des Wunderbaren Cowi* 206

Wunderbare, das, der Poesie Tasso 78 Tassoni 86 ^. TF. Schlegel 448

durch Homer in ein System gebracht Pope 328

Zehnsilbler 126. 128

ZepterAgamemnons5reih'w^erXesstw^422

Zerfaserung der Gefühle Boccaccio Ariost 44

Zeus und Here Goethe 451

Zorn der Helden Ekke\ard 1 Dictya 4 Bares 7 Tzetzes 11. 12 Boiardo 44 J.Wost 44 Trissino 58. 67 J.Zama>mt 60 Tasso 67. 68. 80 Graziani 93 Dryden 295 mZifcze 338

Zwischengattungen der Poesie Hurd 352

I

Ilias

1, 1, 1, 1, 1, 1,

HOMEKISCHE STELLEN

1 streit der Helden JRapin 172

1 Prooimion Patrici 77 Monti 118

2 6Xo(i£vriv Voß 445

26. 37 Chryses Eapin 172

44 der zürnende Apollon Lessing 441

103 Zorn Agamemnons Bodmer 407

112 Agamemnon über Chryseis La

Motte 218

234 Zepter Achills Lessing 422

Schwur bei dem Zepter Pope 323

366 Erzählung Achills Vida 50 Tas-

soni 67 Felletier 128

396 Briareos Bacon 268

423 Zeus zu den Äthiopen Came-

rarius 381

503 Bitte der Thetis Saint- Evremond

199

528 Winken des Zeus Foscolo 117

Diderot 243

545 Götterszene Tassoni 86

561 Zeus und Here Petrarca 17

571 Hephaistos Klotz 432

601 Gelage der Götter Salviati 75

Agamemnons Traum Vida 50 Tasso

67 Saint- Evremond 199 Spenser 278

Prüfung des Heeres Tassoni 86 Gra-

ziani 93

42 Kleidung Agamemnonsiessm^r 421

87 Gleichnis von den Bienen Home

350

101 Zepter Agamemnons Pope 323

Breitinger Lessing 422 Herder 431

204 Vielherrschaft Petrarca 17 Tasso

67

255 HäufuDg der Gleichnisse La

Motte Breitinger 402

469 Gleichnis Fliegen Vida 50 Home

350 S'fsse 386

nias 3 Zweikampf des Paris und Menelao» Lemaire 121

3, 151 Gleichnis von den Zikaden Tas- soni 86

3, 155 Helene vor den Greisen Voltaire 238 Lessing 423

3, 161 Priamos Scaliger 136

3, 166 Mauerschau Vida 50 Tasso 67 Castelvestro 71 Lombardelli 75 (?ra- ;2ian» 93 Lemaire 121 Klopstock 416

3, 421 Paris und Helene Salviati 75-

JBem 84 Tassoni 86 4, 1 Göttergespräch Tzetzes 11 Eusta-

thios 11

4, 30 Worte des Zeus Bodmer 408

4. 104 Pandaros Ekkehart 2 Tas.so Tassoni 86 Lemaire 121 Terrusson 225

4. 105 Bogen des Pandaros Lessing 422 Herder 431

4, 130 Die Mutter und die Fliege £m-

tivger 403 4, 194. 204 Wiederholung des Auftrag»

FiVZa 50

4, 474 Simoeisios Burke 348 Breitinger 401

5, 330 Verwundung der Aphrodite Tas- soni 86 Scaliger 136 Pope 323

5, 499 Gleichnis von der Dreschtenne

Lotvth 358 5, 722 Wagen der Here Vida 49 Lessing

421 £[er<ier 431 5, 738 Aigis 424 5, 749 Die Hören am Himmelstor San-

nazaro 54 5, 777 Ambrosia Scaliger 136 5, 855 Verwundung des Ares Tassoni

86 Scaliger 136 Milton 290 Pope 325

528

Homerische Stellen

lias 5, 859 der brüllende Ares Beni 84 6, 86 Hektors Gang in die Stadt Hol- berg 393 6, 119 Diomedes und Glaukos Vida 49 Metastasio 103 Terrasson 225 Hesse 583 6, 130 Lykurgos Hardouin 231 6, 168 Brief des Vxoiio^ Bousseau 211

Wood 372 Merian 462 6,242 Palast des Priamos 424 6, 287 Bittgang der Frauen Tasso 69 6, 325 Rede Hektors an Paris Ter- rasson 225

6, 392 ff. Hektors Abschied Tasso 79 Andres 108 Bacine 153 Boileau 168 Bapin 172 La Motte 218 Äpence 330 (rZover 337 Sow^e 349 Wood 370 jBTaZ/er 393 Breitinger 406 Schiller 452

6,466 Astyanax Muratori 102 7,60 Hektors Herausforderung Tassoni 87

7, 67 ff. Zweikampf des Hektor und Aias Tasso 69

7, 194 Gebet des Aias vor dem Zwei- kampf 425

7, 424 Einholung der Toten Eustathios M'^'Dacier Lessing Herder Blüinner \ 425 I

S, 19 Kette des Zeus Spenser 278 j

«, 69 Schicksalswage Milton 290 j

8, 78 Niederlage der Achäer Tassoni 87 ; 8,350 Fahrt der Göttinnen Vida 52 ^, 122. 270 Wiederholungen Vida 50

9, 225 ff. Gesandtschaftsreden Bruni 22 Terrasson 223

9, 323 Gleichnis vom Vogel La Motte

401 Breitinger 401 Pope 402 9, 502 Bitten Spenser 279 |

9, 529 Meleagros Basini 30 Terrasson ^ 225

10, 5 Donner bei Schneefall Scaliger ISQ 11, 16 Rüstung Agamemnons 421 Sca- liger 136

11,67 Gleichnis von den Schnittern Tassoni 87

11, 78 Die Götter und Zeus Scaliger 136 11,241 Iphidamas Burke 348

11, 349 Hektor getroffen Tassoni 87

Ilias 11, 558 Gleichnis vom Esel Vida 50 Tassoni 87 Bicci 105 Claude Per- rault 179 M""" Bacier 213 Xa 3Io*«e 217 3Iarmontel 2t6 (?m 249 Pope 249. 327 Addison 318 i^esse 383

11,670 Nestors Erzählung Terrasson 225

13 Eingang Diderot 244

13, 588 Dreschtenne Lowth 358 14,214 Gürtel der Aphrodite de Cal-

lieres 188

14, 312 Berückung des Zeus Trissino 58 Beni 84 Milton 290

15, 18 Die in den Wolken aufgehängte Here Beni 84 Terrasson 225

16 Anfang Bapin 172 16, 7 Gleichnis vom weinenden Mädchen Muratori 102

16, 200 Achills Rede an die Myrmidonen Sannazaro 54

16, 259 Gleichnis von'den Wespen jffome

350 16, 384 Ungerechte Richter Terrasson

225 16, 407 Gleichnis vom Angler Spence

332 16, 514 Gebet des Glskukos Klopstock 416 16, 830 Tod des Patroklos Pope 323 16, 851 Weissagung Hektors Vida 49 17,570 Gleichnis von der Mücke Bicci

105 Home 350 17,645 Gebet des Aias Diderot 243 18, 39 Nereiden Sannazaro 54 18, 217 Achilleus am Graben Spence

330 18^ 219 Gleichnis von der Trompete

Pope 330

18, 373 Die Dreifüße Scaliger 136

19 Versöhnung Vida 49 Beni 84 La Motte 218

19, 24 Wunden des Patroklos Scaliger 136

19, 407 Das redende Pferd Scaliger 136

Beattie 344 20, 164 Gleichnis vom Löwen Breitinger

404 20, 306 Reich des Aineias Hardouin

230 M"*" Bader 231

Homerische Stellen

529

Ilias 20, 321 Aineias in der Wolke Spenser 278 20, 495 Gleichnis von der Dreschtenne

Loivth 358 21 Kampf am Fluß, Gleichnisse V. 12. 22. 257 Spence 332 Breitinger 400 21, 34 Lykaon Saint- Evremond 199

Schiller 452 21,385 Götterschlacht Terrasson 225

Pope 323 22, 165 Hektors Flucht Choiseul 259 ^2,209 Schicksalswage Milton 290 -22, 247 Hektors Tod Ekkehard 1 Sca- liger 136 ^2,395 Schleifung Hektors Fope 323 23, 188 Hektor in der Wolke Spenser 27 8 ■23, 362 Wettrennen Breitinger 404

23, 664 Faustkampf Marino 91

24, 1 Behandlung Hektors Saint-Evre-

mond 199 24, 101 Here bewillkommnet Thetis450

24, 485 Priamos bei Achilleus Conti 106 Andres 108 Fenelon 222 Diderot 244

Odyssee 1, 1 Prooimion Pntrici 77 1, 32 Worte des Zeus Marsuppini 25 1, 351 Der neueste Gesang Black well 334

3. 111 Antilochos Scaliger 136 4, 121 Helene Macine 153

4, 138 Erkennung des Telemachos

Andres 108 4,252 Baden der Helden durch Frauen

Boiardo 41 4,384.450 Proteus Boiardo 4.2 Sanna-

zero 54 Spenser 278 o, 63 Grotte der Kalypso 424 5, 234 Kalypso Bacine 153 Bapin 172

Perrault 192 Ascham 269 Kalypso

und Dido JDryden 299 Wood 370 5, 291 Seesturm Trissino 58 Bodmer

407 5, 394 Gleichnis vom genesenden Vater

Breitinger 400 7,91.100 Bildwerke bei Alkinoos d'Han-

carville 253

7. 112 Gärten des Alkinoos 424 Bous- seau 241

7, 153 Odysseus bei Alkinoos Beni 84 Ascham 269 Hütten 379

Finsler: Homer in der Neuzeit.

Odyssee 8, 75 Streit des Achilleus and Odysseus Goethe 467 8, 83. 521 Wirkung des Gesanges Bod- mer 406 8, 264 Tanz der Phäaken Bodmer 406 8, 266 Ares und Aphrodite Ariost 46 Salviati 75 Marino 90 Scaliger 136

8, 521 Erkennung Schiller 452

8, 523 Gleichnis von der weinenden

Frau Breitinger 400 9 12 Erzählung des Odysseus Beni 84 9 der Kyklop Boiardo 4.2 Ariost 45 Vida 49 Marino 90 Muratori 102 Chape- lain 156 Ascham 269 Lemnius 384

9, 83 Lotophageu Lemnius 384 9, 116 Ziegeninsel 424

9,366 Niemand Hütten 379 10, 19 Schlauch des Aiolos Ariost 65 Kynaston 382 Lemnius 384

10, 81 Lästrygonen Boiardo 42 10, 210 ff. Kirke Marsigli 21 Boiardo

41 Muratori 102 Ascham 269 Spenser 278 Erasmus 378 Bullinger 382

10, 305 Moly Ascham 269 Chelkhill 281 Lemnius 384 Schaidenreißer 385

11 Hadesfahrt Addison 316 ÄcÄiVZer 452

11, 23 Beschwörung der Schatten /S^ca- Zi^er 136

11, 576 Büßer im Hades Spenser 278

12 Irrfahrten Spenser 278 12,165 Sirenen Boiardo 42 Scaliger 136

Ascham 269 12, 173 Verstopfen der Ohren Ariost 45 Ascham 269

12, 251 Gleichnis vom Angler >Spence 332

12, 374 Sonnenrinder Scaliger 136 12,403 Seesturm Bodmer 407

13, 31 Gleichnis vom ermüdeten Land- mann Po^e 399

13, 79 der schlafende Odysseus Pelletier

128 13, 81 Gleichnis vom Wagenrennen

Johnson 343 13, 96 Phorkyshafen 424 13, 103 Nymphengrotte Sannazaro 55 14 Eumaios Bapin 172 15, 403 Jugendgeschichte des Eumaios

Salviati 75

34

530

Homerische Stellen

Odyssee 15, 403 Syrie Wood 369

16, 162 Die Hunde und die Gottheit

Sannazaro 54 17, 37 Penelope im Gleichnis Äpence 332 i 17, 291 Der Hund Argos 283 Chamber-

layne 283 Klopstock 416 17, 322 Sklaverei und Tugend ilft7ion290 17,485 Götter unter den Menschen

wandelnd Milton 290 18, 1 Iros Beni 84 Klots 432 18,193 Penelope im Gleichnis Spence 332 18, 129 Menschens chicksal Meric Ca-

saubontis 146 19, 54 Penelope im Gleichnis Spence 332 19, 394 Jagd auf dem Parnaß Metastasio

103

Odyssee 19, 562 Schlaf tore Spenser 278-

20, 350 Theoklymenos Spence 331

21, 42 Penelope holt den Bogen Vida 49 Home 350

22 Freiermord Beni 84 Scaliger 136

22, 384 Gleichnis von den Fischen Brei- tinger 399

23 Erkennung Andres 108 Chamler- layne 283 Sachs 386

23, 233 Gleichnis von den geretteten Schiffern Breitinger 400. 401

24, 19 Gespräche in der Unterwelt Me- tastasio 103

24, 47 Totenklage um Achilleus Sanna- zaro 54 Schiller 452

Druck von B. G. Teubner in Leipzig.

Verlag von ß» 6. Ccubncr in Leipzig und Berlin

Dom gleid)en Derfgffer ift frül}er erfd)ienen:

^omer

[XVIII u. 618 $.] gr. 8. 1908. (5e^. ITT. 6.-, in £cinroan6 geb. ttt. 7.-

„Das Bud} bietet unenölid) Diel tnefjr, als öcr Q^itcl ocrmutcn läfet. (Es finöet Uif} öarin tin foldjcr Rctd)tum oon (Beöanfcn, bie aus öcr Qitefe öcs fdjier unerfdjöpflidjen f)omcrifd}en Brunnens gef^öpft finö, öafe öer Berid)tcrftatter in Dcricgcnljett ift, roic er in einer fur3en Befpredjung öarübcr flusfunft geben |oII. Denn es toeröen fo 3iemli(b alle fragen beljanöclt, öie ]id\ auf Fjonier besieljen, mit Ausnahme 6er rein teftfritifdjen unb fpradjiidien Untcrfudjung cn. Aber aud| öie (Ergebniffe öiejer legieren finö überall mit in öie (Befamtöarftellung Dcrrooben. Der ungef)eurc Reid}tum öer 'Ijomerifdien IDcIt' roirö geaeigt in ben flbfdjnitten über Ilatur unö Ceben, ben ijomerifdjen lTlenf<i)en, (5ejeIIfd)aft unö Staat, Religion, rtidjts ift Dcrgeffcn; mit erftaunlid)er Bel)errjd)ung öes Stoffes ift ftjftcmatifd} alles 3ufammengcfa6t, toas fidj aus J}omer t)crausljoIe i läfet." (Dcutfcbe t-itcraturzcitung.)

„Das fcbönc t)omcrbud} faffc idj 3Unä*ft fo auf, toie roenn öcm RTufitliebljaber ein öurdj unö öurd) mufitalifdjer 5reunö auf öcm Klaotcr öicfe unö jene uertrauten Klänge aus einem öcr ti)m be= fonöers lieben großen Sontoerfe anfdjlügc. Balö öiefc, balö i^nt fd)immernöen ©öttcr^ unö f}eroen= geftaltcn treten cor unfere pijantafie unö, toie man öurdj eine längft tjcrtrautc Bilöcrgalertc roanöclt, ftef}en toir freuöig beroegt balö bti öcr einen, balö bei öer anöern öicfcr ©cftaltcn ftillc unö fül)len uns, obtDoI)! öie Sdjrift 5inslcrs ein Budj öcr fficlc^rfamfcit ift, t)om ganjcn 3aubcr öcr £)omcrifd)en tDcIt umfangen." (Der „Bund".)

DIE KULTUR DER GEGENWART

HERAUSGEGEBEN VON PROF. PAUL HINNEBERG Teil I, Abt. 8

Die griechische und lateinische Literatur und Sprache

3. Auflage. [VIII u. 582 S.j Lex.-8. 1912. Geh. c/^ 12.— , in Leinwand geb. .^ 14.—

Inhalt: I. Die griechische Literatur und Sprache. Die griechische Literatur des Altertums: U.V. Wilamowitz-M cell endorff. Die griechische Literatur des Mittelalters: K. Krumbacher. Die griechische Sprache: J. Wack ernage 1. 11. Die lateinische Literatur und Sprache. Die römische Literatur des Altertums: Fr. Leo. Die lateinische Literatur im Obergang vom Altertum zum Mittelalter: E.Norden. Die lateinische Sprache: F. S kutsch.

„Das sei zum Schluß allen sechs Beiträgen gleichmäßig nachgerühmt, daß sie sich dem Zwecke des Gesamtwerkes, die Kultur der Gegenwart verstehen zu lehren, in geradezu bewunderns- werter Weise angepaßt haben : so entlegen manche der behandelten Stoffe dem modernen Menschen von allgemeiner Bildung, aber ohne fachmännische Kenntnisse sein mögen: immer wieder wird des Lesers Blick auf die großen Zusammenhänge hingelenkt, die zwischen der klassischen Literatur und Sprache und unserer Kultur bestehen. Möge das Werk an seinem Teil mit dazu beitragen, die neuerdings so oft verkannte Bedeutung dieser Grundlage unserer Kultur wieder in weitesten Kreisen zur Geltung zu bringen." (Byzantinische Zeitschrift.)

Teil II, Abt. 4, 1

Staat und Gesellschaft der Griechen und Römer

IVI u. 280 S.j Lex.-8. 1910. Geh. Jl 8.—, in Leinwand geb. J6 10.—

Inhalt: I. Staat und Gesellschaft der Griechen: U. v. Wilamowitz-MoeUendorff. II. Staat und Gesellschaft der Römer: B. Niese.

,,v. Wilamowitz hat mit wahrhaft souveräner Beherrschung des Stoffes von dem staatlichen und gesellschaftlichen Leben der Griechen ein großartiges Gesamtbild gegeben, während Niese die gleiche Aufgabe, jedoch kürzer, hinsichtlich des Römertums verfolgt. Von der hohen Auffassung, dem Wert, dem Gedankenreichtum des Buches kann nur der Lesende einen Begriff gewinnen ; die Sprache ist des Gegenstandes würdig: gewählt, aber nirgends gesucht, die Darstellung ansprechend und fesselnd, reich an feinen und scharfen Beobachtungen, von großer Anschaulichkeif, der Stoff künstlerisch gestaltet und abgerundet, die Urteile sind maßvoll und wohl überlegt. . . .'•

(Zeitschrift für lateinlose Schulen.)

VERLAG VON B. G. TEUBNER IN LEIPZIG UND BERLIN

Finster, Homer in der Neuzeit.

Yerlag von B. G, Teubner in Leipzig und Berlin

Die hellenische Kultur. Dargestellt von Fritz Baumgarten, Franz Polaiid und Richard Wagner. 2., stark vermehrte Auflage. Mit 7 farbigen Tafeln, 2 Karten und gegen 400 Abbildungen im Text und auf 2 Doppeltafeln. [XI u. 530 S.] gr. 8. 1908. Geh. JC 10.—, in Leinwand geb. JC 12.—

„Eine wohlgelungene Leistung, die mit großer Gewissenhaftigkeit gemacht und von reiner Be- geisterung für die Sache getragen ist. Die Sorgfalt und die Kenntnis der Verfasser verdienen aufrichtige Anerkennung; das Ergebnis ist ein Buch, das ein glückliches Muster populärer Be- handlung eines manchmal recht spröden Stoffes darstellt. Man möchte ihm recht weite Verbreitung in den Kreisen derjenigen wünschen, die sich nicht bloß mit dem konventionellen Namen des »Gebildeten' zufrieden geben, sondern in Wahrheit zu dem geschichtlichen Verständnis unserer heutigen geistigen und politischen Lage vorzudringen trachten; und den Schülern der oberen Klassen unserer Gymnasien sowohl als auch den Studierenden unserer Hochschulen, besonders den Anfängern, wird das "Werk Ausgangspunkt und eine solide Grundlage für weitere quellen- mäßige Studien sein." (Historische Vierteljabrschrilt.)

Charakterköpfe aus der antiken Literatur. Von Eduard Schwartz. I. Reihe: 1. Hesiod und Pindar; 2. Tbukydides und Euripides; 3. Sokrates und Plato; 4. Polybios und Poseidonios; 5 Cicero. 4. Auflage. 8. 1912 Geh. J{ 2.20, in Leinwand geb. JC 2.80.

IL Reihe: 1. Diogenes der Hund und Krates der Kyniker; 2. Epikur; 3. Theokrit; 4. Eratosthenes; 5. Paulus. 2. Auflage. 8. 1911. Geh. M 2.20, in Leinwand geb. JC 2.80.

„Schwartz beherrscht den Stoff in ganz ungewöhnlicher Weise: das Reinstoffliche aber tritt all- mählich ganz in den Hintergrund, dafür erglänzt jede einzelne der Erscheinungen um so klarer und mächtiger im Lichte ihrer Zeit. Der Verfasser ist in den Jahrhunderten der griechischen Poesie sowohl in denen, wo sie sich entwickelte, al.^ aiich in denen, da sie ihre Blüte erlebte mit gleicher, sozusagen hellseherischer Sicherheit zu Hause; wir lernen jeden einzelnen der geistigen Heroen als ein mit innerer Notwendigkeit aus seiner Epoche hervorgehendes Phänomen betrachten und einschätzen, und Schwartz schildert ihn uns so lebendig, daß wir ihn wie mit Fleisch und Blut begabt vor uns zu sehen glauben. Dabei is^ jedes der Charakterbilder einheitlich aus einem einzigen Gusse, nirgends hören wir ein Wort gelehrter Polemik oder selbstbewußter Besser- wisserei." (Literarisches Echo.)

Greschichte der Autobiographie. Von Georg Misch. In drei Bänden.

L Band: Das Altertum, gr. 8. 1907. Geh. JC 8.—, in Halbfranz geb. J{ 10.— (II. und III. Band in Vorbereitung.)

„Der Verfasser hat seine Aufgabe so weit und tief begriffen, daß ihre Lösung den größten Inhalt bekommen hat, dessen sie fähig war, und über ihre monographische Anlage hinaus eine Geschichte des Selbstbewußtseins im Altertum geworden ist. So sicher füllt er auch die weitesten Umrisse, mit so feinem Takt greift er nach allen Seiten aus und zieht zusammen, sichtet und reiht ein, immer den konkreten Gegenstand im Auge und doch fällig, den schwanken Dunstkreis und die unfaßbaren Lebenskräfte nachzufühlen, woraus jede Einzelgestalt sich wirkt. In Mischs Werk durchdringen sich historische und philosophische Stärken, wie wir es kaum mehr unter unserem wissenschaftlichen Nachwuchs zu hoffen gewagt hätten. Sein Buch ruht auf einem festen Grund von Persönlichkeit und gesättigter Bildung, so daß wir uns seiner freuen als eines kräftigen Gliedes in der ehrwürdigen Überlieferung, die von den Tagen Kants und Herders, Hegels und Eankes herunterführt in unsere zerfahrenen Suchen und Empfängnisse." (Preilßiscke Jahrbüclier.)

Die antike Kunstprosa vom yi. Jahrhundert v. Chr. bis In die Zelt der Renaissance. Von Eduard Norden. 2. Abdruck. 2 Bände, gr. 8. 1909. Geh. je JC 14. , in Halbfranz geb. je JC 16.

„E.Norden hat die Aufgabe, die er sich gestellt, mit einer Energie und Gelehrsamkeit angefaßt, die ihm viele Ehre macht. Man mag über einzelne Abschnitte des sehr dicken Buches denken, wie man will, als Gesamtleistung verdient es die höchste Anerkennung. ... So ist es denn auch gar kein Wunder, wenn das Beste und wirklich Neue, was das Buch bringt, im 2. Bande steht. Namentlich was über die altkirchliche Literatur, die Geschichte der Predigt, über den Stil des Humanistenlateins und seinen Einfluß auf die Pro^a der lebenden Sprachen vorgetragen wird, verdient, nicht bloß von Philologen gelesen zu werden. Aber auch der 1. Band, der die Entwick- lung der griechischen und lateinischen Kunstprosa bis in die römische Kaiserzeit behandelt, erfreut durch eine Fülle treffender Einzelbeobachtuugen und gelehrter Sammlungen. Die Charakteristiken der einzelnen Persönlichkeiten sind geschickt ditrchgeführt ; sie zeugen von erfrevilich gesundem und besonnenem Urteil und sind mit einer Wärme geschrieben, die aus der Begeisterung für eine gute Sache stammt und doch von Überschwenglichkeit sich frei erhält. Es ist hier nicht der Ort, sich in Einzelheiten zu verlieren. Aber der Inhalt des bedeixtenden Buches ist so mannigfach und reich, daß es unmöglich wird, ihm mit ein paar zusammenfassenden Worten gerecht zu werden." (Deutsche Literaturzeitung.)

y erlag von B. G. Teiibner in Leipzig und Berlin

Die griechische Tragödie. Von Johannes Oeffcken, 2. Aufl. Mit einem Plan des Theaters des Dionysos zu Athen, gr. 8. 1911. Geh. JC 2. , in Leinw. geb. Jt 2.60.

Das Buch bietet ein lebendiges Bild des dramatischen Lebens in Athen. Verfasser behandelt die einzelnen hervorragenden Werke nach geschichtlicher Folge und Beziehung zueinander. Die Kunstmittel der alten Tragödie in ihrer Entwicklung und Fortwirkung werden in das rechte Licht gesetzt und die Persönlichkeiten der Dichter klar herausgearbeitet. Historische Kritik und ästhetische Behandlung sind zu einem harmonischen Ganzen vereint. Das Buch wird bei allen Freunden der Antike, Laien und Fachleuten, lebhaftes Interesse finden.

Vergils epische Technili. Von Kichard Heinze. 2. Auflage, gr. 8. 1908. Geh. M 12.—, in Leinwand geb. M 14.

., . . . Wenn das Urteil über eine der literarischen Weltgrößen wieder einmal schwankend geworden ist, so beweisen zwar diese Größen immer, daß sie erstaunlich fest auf ihren Füßen stehen, aber damit das Urteil nicht umfalle, müssen die Bedingungen, aus denen das Werk selbst hervor- gegangen ist, die persönlichen, nationalen, die im Zusammenhang der geistigen Bewegung Liegenden, neu untersucht werden; dann werden die reichi-ren Mittel der Zeit das Verständnis des Werkes gegenüber der Bewunderuug früherer Zeiten fester begründen. Nicht immer erzeugt die wissen- schaftliche Bewegung das Buch, auf das sie hindrängt; in diesem Falle ist es geschehen. . . . Das Buch ist, soweit ich die Literatur kenne, das Beste, was bisher über Vergil geschrieben worden ist. Es hat aber auch allgemeine Bedeutung als durchgeführtes Beispiel der Analyse und wissen- schaftlichen Würdigung eines der großen literarischen Kunstwerke."

(F. Leo in der Deutschen Literaturzeitung.)

Cicero im Wandel der Jahrhunderte. Von Thaddäus Zielinski. 3., vermebrte Auflage. Geh. ca. JC 7. , in Leinwand geb. ca. Ji 8.

„Eine Fülle von Gelehrsamkeit uud was mehr ist echter historischer und philosophischer Bild- dung auf einen engen Kaum zusammengedrängt ! Es ist eine wahre Lust, dem beredten Anwalt Ciceros zu lauschen, der den so viel verunglimpften Mann keineswegs durch eine eitle laudatio seinen Zuhörern nahezubringen sucht, sondern seine kulturgeschichtliche Bedeutung uns lediglich an seinen Wirkungen ermessen läßt. Diese Übersicht dürfte gezeigt haben, von welch großen Gesichtspunkten der Verfasser ausgeht und welche Fülle von Gedanken und Wissen ihm zu Gebote steht."

(Korrespondeiizblatt für die höh. Schulen Württembergs.) „Das Schriftchen ist mit Geist, mit reichem Wissen und freiem Blick für Geschichte, Menschentum und Kulttir geschrieben und kann und soll nicht nur" dem Ciceroliebhaber bestens empfohlen sein, sondern jedem, dem die Kenntnis von den Einflüssen des Altertums auf den Wandel der Jahr- hunderte am Herzen liegt. Durch die Lagerungen der Geschichte wird uns hier gleichsam ein , Vertikaldurchschnitt' gegeben, indem die dreifachen starken Einflüsse der Ciceroschriften auf die Weltentwicklung, zunächst auf die Begründung des Katholizismus, hernach auf die Kenaissance, zuletzt auf die französische Revolution und die geistige Bewegung, die sie vorbereitet, dargetan werden." (Historische Yierteljahrschrift.)

Die Anschauungen vom Wesen des Oriechentums. Von Crustav Billeter.

gr. 8. 1911. Geh. Ji 12.—, in Leinwand geb. Jt 13

. . . Durch Straße Disposition und eingehende erklärende Bemerkungen ist erreicht, daß nicht ein unklares mosaikartiges Bild zustande kommt. In erster Linie wurden naturgemäß die führenden Persönlichkeiten berücksichtigt: Beloch, Bergk, Böckh, Curtius, W. v. Humboldt, Jacobs, E. Meyer, Pöhlmann, Rohde, Wilamowitz kommen am häufigsten zu Wort; andererseits mußten, um die Verbreitung der einzelnen Auffassungen zu kennzeichnen, Urteile von Männern, die außer- halb des Faches, manchmal überhaupt außerhalb der Wissenschaft standen, angeführt werden: Chamberlain, Herder, Nietzsche, F. Schlegel werden hier am meisten genannt. . . . Die Auswahl der Belege ist mit großer Umsicht getrofien. . . . Fast alle Anschauungen vom Wesen des Griechen- tums bedürfen, das zeigt sich in diesem Werke immer von neuem, einer Einschränkung, um den richtigen Kern, den sie enthalten, erkennen zu lassen. Der Verfasser versucht in ganz vorsichtiger Weise, die Linie der Entwicklung über die Gegenwart hinauszuziehen. Da die Grundlagen des Werkes so massiv gelegt sind, kann es ohne Bedenken geschehen. Man wird seinen besonnenen Ausführungen gern folgen. Das sehr fleißige Buch verdient nicht nur das Interesse des Philologen und Geschichtsphilosophen, sondern aller, die eine nicht eben leichte Erörterung dieser Kultur- probleme zu würdigen verstehen. Ein Autoren- und zwei Sachregister erleichtern die Benutzung des Buches." (Literarisches Zentralblatt.)

Das Fortleben der Horazischen Lyrik seit der Renaissance. Von Eduard Steniplinger. Mit 9 Abbild, gr. 8. 1906. Geh. M 8.—, in Leinw. geb. oiC 9.—

„Der Verfasser hat jetzt seinem Liebling ein umfangreiches, gelehrtes und lebensvolles Buch gewidmet, das ein sehr willkommener und sehr wertvoller Beitrag zur europäischen Literatur- geschichte ist. Wer es noch nicht gewußt hat, wie weit- und feinverzweigt und wie mannigfach die Einwirkungen sind, die Dichten und Denken der letzten vier Jahrhunderte von Horaz erfahren hat, kann es nun gründlich und bequem bei Stemplinger lernen. Aber auch wem die Horaz- haltigkeit der europäischen Lyrik von der Renaissance bis zur Gegenwart wohlbekannt war, wird doch staunen ob diisser Fülle der Gesichte, und die Belesenheit und den Sammeleifer bewundern, die eine solche Masse von Beweisstücken aus vier Literaturen zusammengebracht haben. Es ist kein geringer Genuß, und es ist von nicht geringem Erkenntniswert, ein so erstaunliches, ja man möchte beinahe sagen, einzigartiges, Phänomen wie dieses unablässige Fortwirken und Fortzeugen der Gedanken und der Phantasie des Venusinors über Völker und Zeiten so unmittelbar vor Augen zu haben. Man legt Stemplingers überaus verdienstliche Arbeit mit lebhaften Dankgefühlen aus der Hand." (Berliner Philologische Wochenschrift.)

Verlag von B. G. Teubiier in Leipzig und Berlin

Staat und Gesellschaft der neuereu Zeit (bis zur französischen Revoluti^ ) Yon Fr. Y. Bezold, E. CrOthein, R. Koser. (Die Kultur der Gegenwart. Herab gegeben von Prof. Paul Hinneberg. Teil II, Abt. V, 1.) Lex.-8. 190 Geh. JC 9. , in Leinwand geb JC 11.

„Es ist ein bedeutsames Werk, das uns vorliegt, das Werk dreier Männer, die, jeder auf seinem Gebiete, anerkannt Hervorragendes geleistet haben und nun die gesicherten Ergebnisse lang- jähriger eigener und fremder Forschungen in abgeklärter, gediegener Form zusammenfassen und einem geschichtlich interessierten Publikum darbieten. Die drei Teile des Werkes stellen wohl- gesonderte, in sich abgegrenzte Gebiete dar, die allemal wenigstens ein Jahrhundert umfassen und »ich über alle wesentlichen Betätigungen des geschichtlich bedingten Menschen erstrecken. Aber die Bearbeiter halten sich keineswegs an äußerliche und willkürlich gesetzte Grenzen, sondern indem sie ausgeprägte Bichtungen und welthistorisch wichtige Abwandlungen darlegen, spinnen sie die Fäden dieses reichen Gewebes nach vorwärts und rückwärts, und es erwächst ein, soweit es unter solchen Umständen möglich ist, einheitliches Werk." (Mitteiluujren aus der Iiistüriüchen Litcratiii'.)

Die romanischen Literaturen und Sprachen mit Einschluß des Keltischen.

Inhalt: I. Die keltischen Literaturen. 1. Sprache und Literatur der Kelten im allgemeinen: H, Zimmer. 2. Die einzelnen keltischen Literaturen, a) Die irisch- gälische Literatur: K. Meyer, b) Die schottisch-gälische und die Manx- Literatur. c) Die kymrische (walisische) Literatur, d) Die kornische und die bretonische Literatur: L. Chr. Stern. II. Die romanischen Literaturen. 1. Frankreich bis zum Ende des 15. Jahrhunderts. 2. Italien bis zum Ende des 17 Jahrhunderts. 3. Die kastilische und portugiesische Literatur bis zum Ende des 17. Jahrhunderts. 4. Frankreich bis zur Romantik. 5. Das 19. Jahr- hundert: H. Morf. III. Die romanischen Sprachen : W. Meyer-Lübke. (Die Kultur der Gegenwart. Herausgegeben von Prof. Paul Hinneberg. Teil I, Abt. 11, 1.) Lex.-8. 1909. Geh. JC 12.—, in Leinwand geb. Ji 14.—

„Auch ein kühler Beurte^er wird diese Arbeit als ein Ereignis bezeichnen. Die Geschichte mehrerer romanischer Literaturen zu schreiben ist ja wiederholt versucht worden, doch ist keiner dieser Versuche bisher völlig geglückt. Dem Verfasser der neuesten Gesamtdarstellung blieb es vor- behalten, das katalanische wie das portugiesische, das rumänische wie das provenzalische Schrifttum ebenso gewissenhaft zu behandeln wie die große Geschichte der Weltliteraturen, und man merkt fast überall, daß Ergebnisse teils eigener wissenschaftlicher Forschung, teils der Prüfung der besten von anderen geleisteten Arbeit zu lebensvoller Einheit abgerundet vorgelegt werden. Die Dar- stellung, obwohl für das große gebildete Publikum geschrieben, ist derart durchgearbeitet und vertieft, daß sie in vielen Fällen auch der wlisenschaftlichen Forschung als Grundlage dienen kann." (Jahrboclt für Zeit- und KiUturgescliichte.)

Pie Renaissance in Florenz und Rom. Acht Vorträge von Karl Brandi.

3. Auflage. 1909. Geh. Ji 5. , in Leinwand geb. ,yfi 6.

... Im engsten Eaume stellt sich die gewaltigste Zeit dar, mit einer Kraft und Gedrungenheit, Schönheit und Kürze des Ausdrucks, die klassisch ist. Gerade was das größere Publikum erlangen will und soll, kann es daraus gewinnen, ohne doch mit oberflächlichem Halbkennen überladen zu werden. Den tiefer Dringenden gibt das schöne Werk den Genuß einer nochmaligen, kurzen, knappen Zusammenfassung; als habe man lange in einer fi-men, großartigen Welt gelebt, ganz von ihrem Sein und Wesen erfüllt, müsse nun Abschied nehmen und sehe sie noch einmal mit einem Schlage vor sich, groß, kühn, farbenreich und nahe und ins Gedächtnis unwandelbar ein- gegraben, indes man sich wieder der eigenen Zeit zuwendet und weiterwandert." (Die Nation.)

J>as Erlebnis und die Dichtung. Lessing, Goethe, Novalis, Hölderlin.

yier Aufsätze von Wilhelm Dilthey. 3., erweiterte Auflage, gr. 8. 1910. Geh. JC 6.20, in Leinwand geb. JC 6.20.

. . . Dieses tiefe und schöne Buch gewährt einen starken Keiz, Diltheys feinfühlig wägende und Leitende Han<J. das künstlerische Fazit so außergewöhnlicher Phänomene im unmittelbaren An- schluß an die k^appe, großlinige Darstellung ihres Wesens und Lebens ziehen zu sehen. Hier, das fühlt man auf Schritt und Tritt, liegt auch wahrhaft inneres Erlebnis eines Mannes zugrunde, dessen eigene ßeistesbeschaffenheit ihn zum nachschöpferischen Eindringen in die Welt unserer Dichter und Denker geradezu bestimmen mußte. . . . Was diesen auf einen Lebenszeitraum von 40 Jahren verteilten man wendet hier das Wort fast instinktiv an klassischen Aufsätzen ein ganz besonders edles Gepräge gibt, das ist der goldene Schimmer geistiger Jugendfrische, der sie verklärt, die lautere Verehrung unserer höchsten literarisch-künstlerischen Kulturwerke, die den Ausdruck überall durchzittert. Hier schreibt Ehrfurcht, und zwar lebendige Ehrfurcht, die sich den Geistern und ihrem Werk in liebendem Erkenntnisdrange hingibt und weiß, warum sie es tut." (Das literarische Echo.)

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