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Neuhaus, Karl Guido Hujnes Lehre von den

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University of Toronto

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Humes Lehre von den Prinzipien der Ethik

ihre Grundlagen, ihre historische Stellung und philosophische Bedeutung

I. TEIL: Die Grundlagen der praktischen Philosophie Hurries

INAUGURALDISSERTATION

zur Erlangung der Doktorwürde der hohen philosophischen Fakultät der Georg-August- Universität zu Göttingen vorgelegt von

KARL NEUHAUS

aus Berlin

FRITZ ECKARDT VERLAG •:• LEIPZIG 1908

Mit Erlaubnis der hohen philosophischen Fakultät der Georg-August-Universität zu Göttingen gelangt hier nur der erste Teil der eingereichten Dissertation zum Druck.

Tag der mündlichen Prüfung: 26. Februar 1908

Der Referent: Herr Professor Dr. HUSSERL

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Meinen Eltern

Vorwort.

Die vorliegende Dissertation habe ich unter der Leitung von Herrn Professor Husserl verfaßt. Ich brauche daher kaum zu erwähnen, daß ich die „Logischen Untersuchungen" (Halle 1900, 1901) gründlich studiert und benutzt habe. Außer diesem Werk verdanke ich viele Anregungen den Vorlesungen und Übungen (darunter ganz intimen Übungen), in denen Herr Professor Husserl gerade die prinzipiellen Probleme, die Grundlagen der Philosophie betreffend, wiederholt und ausführlich zur Sprache brachte.

Für meine Arbeit waren mir besonders wertvoll und lehrreich die Übungen über Kants Ethik aus dem Sommersemester 1906.

Es ist selbstverständlich, daß sich keine festen Grenzen ziehen lassen zwischen dem, was ich den Anregungen meines Lehrers verdanke, und dem, was ich mir, auf diesen Grundlagen weiter- bauend, selbst erarbeitet habe.

Es schien mir bei einer derartigen Sachlage notwendig, dieses Vortwort vorauszuschicken.

Der Verfasser.

Einleitung.

David Hume gilt meist als der Skeptiker und Psychologist Kai E^oxtp im Gebiete der Erkenntnistheorie. Von seinem Skep- tizismus in Hinsicht auf die Sphäre der Axiologie, der Ethik und der Praktik überhaupt ist selten die Rede, ja gelegentlich ist, wie z. B. von Falkenberg ^), bestritten worden, daß man ihn auch in diesen Beziehungen als Skeptiker bezeichnen dürfe.

Natürlich wird es darauf ankommen, was man unter Skepti- zismus versteht 2). Hat man dabei die fundamentalen kritizistischen Fragestellungen im Auge, die nach „Ursprung" und Sinn der Ob- jektivität der Erkenntnis, der Wertung, der Wollung, so unterliegt es keinem Zweifel, daß Hume überall und im parallelen Sinne als psychologistischer Skeptiker zu bezeichnen sei.

Diese Abhandlung stellt sich nun das Ziel, dem Psychologis- mus in der praktischen Philosophie Humes nachzugehen. Sie will seine Lehre von den Affekten^) und von ihrem Verhältnis zur Vernunft einer kritischen Analyse unterziehen. Die Absicht dieser Lehren ist bei Hume bekanntlich keine psychologische, sondern durchaus eine s. z. s. vernunfttheoretische. Sie ist gerichtet auf die Begründung einer relativistischen Gefühlsmoral, durch den ver- suchten Nachweis, daß es absolute Objektivität im Sinne echter Vernunftobjektivität, in der ethischen Sphäre nicht geben kann. Die psychologistischen Quellen dieser Verirrung sollen in der nachfolgenden Untersuchung aufgewiesen werden.

*) Falkenberg, Geschichte der neueren Philosophie. 1901. S. 207.

-) Über den Begriflf des echten Skeptizismus, dessen Übertragung auf alle „kritischen" Disziplinen leicht zu vollziehen ist, vgl. Husserl, Prolegomena zur reinen Logik. Halle 1900. S. 116 122

^) Hume befaßt unter dem Tittel „Affekt" alle Gemütserlebnisse, wie das Gefühl, den Wunsch, den Willen.

Kapitel I.

Humes Lehre von den Affekten und dem Willen, und Kritik dieser Lehre').

§ I-

Ein Affekt ist nach Hume, wie jedes Erlebnis, eine Perzep- tion, und zwar eine Impression. Eindrücke zerfallen wieder in primäre und sekundäre; der Affekt gehört zu den letzteren. ^'Origi- nal impressions or impressions of Sensation are such as without any

antecedent perception arise in the soul, Secondary, or reflec-

tive impressions are such as proceed from some of these original ones, either immediately or by the interposition of its idea" -).

Zu den ersten Eindrücken gehören die Sinneseindrücke und die körperlichen Schmerz- und Lustgefühle, zu den sekundären Eindrücken der Selbstwahrnehmung die Affekte.

Die primären Eindrücke hängen von physikalischen Ursachen ab und gehören daher in die Naturwissenschaften. Die Lehre von der menschlichen Natur hat sich also (außer mit den Ideen) nur mit den Eindrücken der Selbstwahrnehmung zu befassen.

Die Affekte lassen nun eine Einteilung nach zwei Gesichts- punkten zu^). Einmal kann man ruhige von heftigen Affekten

*j Für die Affektenlehre Humes kommen hauptsächlich zwei seiner Schriften in Betracht, einmal das zweite Buch des „Traktat über die mensch- liche Natur", „of the passions" betitelt, und seine Abhandlung „A dissertation on the passions". Wir zitieren nach der Ausgabe der Humeschen Werke von Green and Grose, in der die genannten Werke im zweiten Band des „Treatise of Human Nature" und im zweiten Band der „Essays moral, poli- tical etc." zu finden sind. Wir benutzen die deutsche Übersetzung des Trak- tats von Th. Litps.

*) Vgl. Treatise of human nature. Vol. II. pag. 75. Green and Grose.

*) Treatise of human nature. Vol. II. pag. 76.

Humes Lehre von den Prinzipien der Ethik.

unterscheiden. Ein ruhiger Affekt ist etwa das Gefühl der Schön- heit beim Anblick von Kunstwerken, ein heftiger Affekt das Ge- fühl der Liebe oder des Hasses.

Einen anderen Gesichtspunkt zur Einteilung der Affekte bietet ihre mehr oder minder komplizierte Entstehungsweise. Danach hat man zwischen direkten und indirekten Affekten zu unterschei- den. HuME bemerkt zu dieser Einteilung: "Bey direct passions I understand such as arise immediately from good or evil, from pain er pleasure. By indirect such as proceed from the same prin- ciples, but by the conjunction of other qualities. This distinction I cannot at present justify or explain any farther". x\ls Ziel seiner Untersuchung bezeichnet Hume die Verständlichmachung der Affekte; er will ihre Natur, ihren Urspmng, ihre Ursachen und ihre Wirkungen aufweisen.

Diese allgemeine Charakteristik gibt Hume im Traktat. Nicht wesentlich verschieden davon sind die einleitenden Bemerkungen zu der "Dissertation on the passions". Dort^) heißt es im Anfang: Einige Gegenstände bringen unmittelbar eine angenehme Empfin- dung hervor vermöge der ursprünglichen Struktur unserer Or- gane, und solche Gegenstände heißen daher Gut, wie andere durch die unmittelbar unangenehme Empfindung, die sie hervor- bringen, den Namen des Übels erhalten. Jedes Gut und Übel erzeugt verschiedene ,, passions" und „affections", je nach dem Standpunkt, von welchem aus es gesehen wird.

Darauf nennt Hume die wichtigsten "passions". Freude tritt ein, wenn das Gut sicher oder sehr wahrscheinlich ist. Schmerz und Trauer, wenn das Übel in dieser Lage ist. Furcht und Hoff- nung sind vorhanden, wenn das Gut oder Übel ungewiß ist. Begehren entsteht durch ein schlechthin betrachtetes Gut (also ab- gesehen von Wahrscheinlichkeit oder Sicherheit), Abscheu durch ein Übel. Über den Willen sagt Hume: "The will exerts itself, when either the presence of the good or absence of the evil may be attained by any action of the mind or body".

Also auch der Wille ist ein Affekt. Diese Ansicht Humes findet sich auch im Traktat. In dem Kapitel, welches von den „Motiven des Willens" handelt, werden Wille und Affekt ohne weiteres auf gleiche Stufe gestellt. An einer Stelle ist die Zuge-

') Essays moral, political etc. Vol. II. pag. 139/140.

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Karl Neuhaus.

Hörigkeit des Willens zu den Affekten ganz deutlich ausgespro- chen i). „Die Eindrücke, die am natürlichsten aus einem Gut oder Übel entstehen, und der wenigsten Vorbereitung bedürfen, sind die direkten Affekte, des Begehrens und des Absehens, des Kum- mers und der Freude, der Hoffnung und der Furcht, endlich des V/illens." An anderen Stellen wiederum sagt Hume ausdrück- lich, der Wille sei kein Affekt.

Mit diesen Bemerkungen hält Hume die Analyse des Affekts im wesentlichen für erschöpft.

Die Affekte gehören, wie wir lasen, zu den sekundären Im- pressionen oder zu den Impressionen der Reflexion. Die Aus- drücke ,, Sensation" und ,, Reflexion" stammen aus der Lockeschen Philiosophie. Locke stellt zunächst gegenüber Wahrnehmung eines äußeren Dinges, und Wahrnehmung eines inneren geistigen Aktes, wie Wahrnehmung der Wahrnehmung, des Urteils usw.-). Zugleich spielt aber in diese Unterscheidung noch ein wesentlich anderer Gegensatz hinein. Die Wahrnehmung eines äußeren Dinges ist eine schlichte Wahrnehmung, eine sinnliche Wahrneh- mung, sie hat ihre Präsentanten in den Daten des Gegenstandes. Nehmen wir dagegen die Wahrnehmung einer Relation, etwa: ,, dieser Tisch ist höher als jener Stuhl". Dieses ,, Höher sein" können wir nicht , »sinnlich" sehen, wie den Stuhl selbst. Die Re- lation kommt erst hinein durch unser Beziehen. Also sie kommt erst zustande durch einen ,, inneren" Akt, und ist nicht in den ,, äußeren" Gegenständen zu finden.

Es ist klar, daß Reflexion im vorigen Sinn die Idee des Be- ziehens, nicht aber die der Beziehung ergibt. Locke vermengt also unter dem Titel Reflexion die ,, innere" Wahrnehmung des Aktes und die wahrnehmende Erfassung einer nur durch einen fundierten Denkakt zur Gegebenheit kommenden Relation (eine ,,kategoriale" Wahrnehmung im Sinne Husserls). Übrigens ver- mengt er auch unter seinem Titel Sensation Empfindung und äußere Wahrnehmung: Das Bewußtsein vom erlebten sinnlichen Inhalt (und eventuell die auf ihn gerichtete immanente sinnliche

') Vgl. Traktat Buch II. Teil 111, Abschn. 9. Lifps Bd. 2. S. 177.

*) Locke, Über den menschlichen Verstand. Buch II, Kap. i, § 4. Man vergleiche zur Kritik dieser Theorie: Husserl, Logische Untersuchungen. Bd. II. Halle 1901. S. öiiff.

Humcs Lehre von den Prinzipien der Ethik.

Wahrnehmung) und andererseits die äußere, auf das erscheinende Ding gerichtete Wahrnehmung.

HuME hat sich die Lockesche Unterscheidung von Scn.sation und Reflexion (mit den soeben berührten Vermengungen) zuge- eignet und sie mit seiner fundamentalen Einteilung der Perzep- tionen überhaupt in Impressionen und Ideen verbunden. Dabei vermischen sich bei ihm wie bei Lockk deskriptive und gene- tische Unterschiede, obschon man wohl sagen muß, daß der Zug auf Deskription bei ihm ungleich stärker hervortritt als bei Locke. So w^erden die Ideen den Impressionen gegenüber genetisch als Nachbilder vorangegangener Impressionen und zugleich deskriptiv durch die inneren Unterschiede der Stärke und Lebhaftigkeit charakterisiert.

Was die Einteilung der Impressionen in primäre und sekun- däre anlangt, so rechnet er zu den letzteren, wie schon erwähnt, die Affekte. Sie allein führt er unter diesem Titel jederzeit aus- drücklich an. Gelegentlich^) spricht er allerdings auch von einer Impression der Notwendigkeit, die er nach seiner bekannten Lehre natürlich nicht als Impression der Sensation, also nur als ,, sekun- däre" verstehen kann. Sie gehört offenbar in eine andere Linie. Als Impression von einer Relation würde sie in der Tat unter einen anderen Reflexionsbegriff (den oben unterschiedenen zweiten Reflexionsbegriff Lockes) fallen.

Bezüglich der Entstehung der sekundären Impressionen lehrt HuME, daß sie entweder unmittelbar aus den primären oder durch Vermittlung einer Idee entstehen. Als Beispiel der ersten Art können wir etwa die Freude nennen. Ich sehe einen von mir ge- schätzten Menschen und freue mich. Das „Sehen" ist eine pri- märe Impression; die Freude, die sich gewissermaßen auf dieser Wahrnehmung „aufbaut", ist eine sekundäre Impression. Die Entstehung der sekundären Impressionen durch Vermittlung einer Idee beschreibt Hume folgendermaßen:

"An Impression first Strickes upon the senses, and makes us perceive heat or cold, thirst or hunger, pleasure or pain of some kind or other. Of this Impression there is a coppy taken by the mind, which remains after the impression ceases ; and this we call an idea. This idea of pleasure or pain, when it returns upon

1) Green and Grose. Vol. I. pag. 460.

Karl Neuhaus.

the soul, produces the new impressions of desire and aversion, hope and fear, which may properly be called impressions of reflexion, because derived from it. These again are coppied by the memory and imagination, and become ideas. So that the im- pressions of reflexion are only antecedent to their correspondent ideas; but posterior to those of Sensation, and deriv'd from them^).

Die Stelle wird erst verständlich, wenn man beachtet, daß HuME Eindruck und wahrgenommenes Ding, ebenso Vorstellung und vorgestellten Gegenstand, Lust und Lust erregenden Gegen- stand nicht ausdrücklich auseinanderhält. Hume will folgendes sagen: Ich sehe einen Gegenstand oder Vorgang, dieser ruft irgendwelche Lust- oder Unlustgefühle in mir hervor. Verschwin- det der Gegenstand, so habe ich nicht mehr die entsprechende Wahrnehmung, auch nicht die mit ihr auftretenden Gefühle. Nun kann ich mir aber einen derartigen Gegenstand „vorstellen", und mit dieser ,,Idee" kann dann eine neue Impression eintreten. Nehmen wir z. B. an, jemand habe eine schwere Krankheit durch- gemacht und dabei heftige Schmerzen empfunden. Stellt er sich diesen Zustand mit den Gefühlen vor, die er dabei hattt, so kann ein aktueller Abscheu vor der Krankheit eintreten. Es ist dann in der Tat eine neue Impression vorhanden.

Der Kenner von Husserls^) Lehren über Fundierungsverhält- nisse zwischen Akten wird sagen können, daß Hume hier, bei den sekundären Impressionen, auf solche Verhältnisse stößt, sie aber, obschon er sie vor Augen hat, nicht als Fundierungsverhältnisse zu verstehen und zu charakterisieren vermag. Der Gedanke an eine rein phänomenologische Forschungsweise und Forschungs- sphäre, an die Möglichkeit einer reinen Wesenslehre des Bewrußt- seins lag ihm überhaupt noch fern. Verhältnisse, die rein am phänomenologischen Gehalt der Erlebnisse hängen, die als ideale Möglichkeiten rein im generellen „Wesen" von Erlebnissen solchen „Inhalts", solcher Artungen gründen, werden als empirisch-ps3^cho- logische Fakta gedeutet, deren Beschreibung durch empirische Zusammenhänge und psj'chologische Entstehung zu leisten sei. Die Affekte der Freude, des Absehens usw. bauen sich so und so auf, das besagt nach Hume: unter den und den Umständen

') Treat. of hum. nat. Vol. I. pag. 317.

^) HussERL, Logische Untersuchungen. Bd. IJ. Untersuchung 5, beson- ders Kapitel 4, S. 427 ff.

Humes Lehre von den Prinzipien der Ethik.

entstehen sie im menschlichen Geiste. Es kommt Hume nicht zum Bewußtsein, daß es zum immanenten Wesen z. B. von Freude als solcher gehört, Akte bzw. Aktzusammenhänge gewisser, eng umgrenzter Artung als Unterlagen zu fordern, und daß diese Sachlage in reiner Intuition bzw. Ideation als essenzielle All- gemeinheit („a priori") zu erfassen ist. Hier wie überall entgeht ihm das erst in unseren Tagen erschlossene Feld der „immanenten" Analyse, der Wesenslehre des Bewußtseins überhaupt im Gegen- satz zur Psychologie als „Naturlehre" des menschlichen oder tierischen Bewußtseins.

Im übrigen finden sich bei Hume manche wertvolle Ansätze zu einer deskriptiven Analyse. Wie mir scheinen will, sieht HUiME z. B. sehr richtig, daß der Unterschied zwischen Hoffnung und Freude ein Unterschied der Gewißheit betreffs des Eintretens des Gegenstandes ist; und daß wiederum beim Begehren dieses Ge- wißheitsmoment gar keine Rolle spielt.

Ganz verfehlt ist es und gegen Humes eigene Prinzipien, wenn er die in Frage stehenden Erlebnisse durch Einwirkung der Gegen- stände auf die Struktur unserer Organe erklären will. ^) Auch werden die gemachten Unterschiede in den Erlebnissen nicht streng festgehalten, wenn das Begehren und sogar das Wollen ohne weiteres neben die sonst sogenannten Affekte gestellt wird. Allerdings kann diese Klassifikation darauf hinweisen, daß in allen Gemütserlebnissen etwas Gemeinsames zu finden ist, aber es kommt gerade darauf an, dieses Gemeinsame herauszuarbeiten. Erst dann kann man entscheiden, welche Gruppen näher zusammen- gehören. So pflegen wir ja das Begehren, dem Wünschen und Wollen näher zu stellen und diese drei dann den Gefühlen gegen- überzustellen. Es müßte nun gezeigt werden, mit welchem Recht man diese Einteilung vornimmt.

Erwähnenswert sind noch einige besondere Bemerkungen HuMEs über den Willen. Wenn er den Willen auch meist zu den Affekten rechnet, wie wir schon sagten, so betont er doch an einer Stelle, der Wille sei kein Affekt. Es heißt dort:

"Of all the immediate effects of pain and pleasure, there is none more remarkable than the will; and tho', properly speaking, it be not comprehended among the passions, yet as the füll under-

') Wir werden in unseren Bemerkungen über Wert und Lust darauf zurückkommen.

8 Karl Neuhaus.

Standing of its nature and properties, is necessary to the ex- planation of them, we shall here make it the subject of our enquiry ^).

HuME will unter dem Willen nichts anderes verstanden wissen, als „den innerlichen Eindruck, den wir fühlen und dessen wir uns bewußt werden, wenn wir mit Bewußtsein eine Bewegung des Körpers oder eine Perzeption des Geistes ins Dasein rufen". Dieser Eindruck, meint Hume, läßt sich so wenig definieren als die Affekte, „und es ist unnötig ihn genauer zu beschreiben.'*

Diesem Ausspruch ist er leider treu geblieben; denn nirgends sonst hat er auch nur den Versuch einer Beschreibung gemacht. Er hat sich mit diesem einen Satz begnügt. Nur gelegentlich er- fahren wir noch, daß der Wille nur auf gegenwärtige Handlungen wirken kann 2)

Daß der Vorwurf, den ich hier gegen Hume erhebe, berechtigt, und daß eine rein deskriptive Willensanalyse möglich ist, soll durch den nachfolgenden Versuch erwiesen werden, eine solche Anal^'se, mindestens eine Strecke weit, wirklich durchzuführen, der übrigens, wie sogleich ersichtlich, an ältere Versuche dieser Art anknüpfen könnte. Zu dieser Absicht müssen wir auch auf das Wesen des Wunsches einen Blick werfen.

§ 2. Beiträge zur Analyse des Wunsches und Willens.

Um hier die elementaren, in die Augen fallenden Unterschiede anzugeben, genügt es zunächst, an die kurze Willensanalyse des Aristoteles^) zu erinnern^). Er hebt folgende Punkte hervor, in denen sich der Wille von dem Wunsch unterscheidet:

1. Das Wollen richtet sich nur auf dasjenige, welches die Möglichkeit der Erfüllung durch „eigenes Tun" zuläßt.

2. Das Wollen richtet sich nur auf dasjenige, welches die Möglichkeit einer Erfüllung durch das Tun eines Mensches zuläßt,

3. Das Wollen richtet sich nicht nur auf das „Telos", sondern vorwiegend auf das, was zum Ziele führt, also auf das Tun.

Aristoteles fügt ausdrücklich das Wort „oi'egßai" hinzu, wo

') Treat. of hum. nat. Vol. II. pag. 181.

') Treat. of hum. nat. Vol. II. pag. 285.

■') Aristoteles, Ethic. Nie. III, 4.

*) Vgl. auch: A. Pfänder, Phänomenologie des Wollens. Leipzig 1900.

Humes Lehre von den Prinzipien der Ethik.

es sich um „Möglichkeit" handelt. Das bedeutet, daß es nicht auf das tatsächlich Mögliche ankommt, sondern auf die Über- zeugung, etwas tun zu können.

Aristoteles spricht hier offenbar mehr vom Gegenstand des Wollens, als von diesem selbst, indem er die Merkmale des- jenigen nennt, auf welches sich das Wollen „richtet" oder richten kann. Auch wir wollen zunächst den Gegenstand des Wunsches betrachten.

Angenommen, jemand spreche den Wunsch aus: Möge doch morgen schönes Wetter sein!

Fragen wir nach dem Gegenstand dieses Wunsches, also etwa: Was ist gewünscht?, so kann die Antwort lauten: Schönes Wetter; oder: daß schönes Wetter sei. Beide Antworten aber geben den Gegenstand an. Freilich sieht man sofort, daß hier in verschiedenem Sinne vom „Gegenstand" gesprochen wird. Die Sachlage beim Urteil, bei der wir Analoges finden, wird uns das verdeutlichen. "

Dem Urteil: „diese Rose ist rot", entspricht ein Sachverhalt (oder nicht). Diesen Sachverhalt wollen wir den Gegenstand des Urteils nennen. Man nennt ja auch noch etwas anderes so, nämlich dasjenige, was dem Subjekt des Satzes entspricht, in un- serem Fall: die Rose. Wir haben also wieder zwei Begriffe von Gegenstand; nämlich einmal meint man den Gegenstand, über den geurteilt, und der im Urteil durch eine auf ihn in nominaler Weise bezogene Vorstellung vertreten wird. Wir nennen ihn kurz den „Gegenstand worüber". Der andere Gegenstandsbegriff wird auf das angewendet, was dem ganzen Urteil in gewisser Weise ,, gegenübersteht", worauf es als Ganzes ,, gerichtet" ist, in unserem Fall der ganze Sachverhalt, daß die Rose rot ist.

In analoger Weise kann man auch beim Wunsch zwei Be- griffe von Gegenstand finden, einmal den Gegenstand, ,,in betreff dessen" gewünscht wird, im obigen Beispiel: Das schöne Wetter. Andererseits kann man dasjenige als Gegenstand auffassen, was dem ganzen Ausdruck entspricht: möge das Wetter schön sein! Das ist wie der Sachverhalt ein einheitliches Gebilde. Wir wollen es den Wunsch verhalt nennen. Dieser Wunsch verhalt ist schon dadurch von dem Sachverhalt fundamental verschieden, daß er eben nur Gegenstand eines Wunsches ist; nicht aber eines Urteils. Zwar kann ihm auch in Form eines Urteils Ausdruck

lo Karl Neuhaus.

gegeben werden, etwa: ich wünsche, daß schönes Wetter eintreten möge. Aber dieses Ganze (der Satz) ist nun wieder Ausdruck für einen Sachverhalt, also Gegenstand eines Urteils. Man sieht sofort, daß dem Wunsche jetzt in ganz anderer Weise ,, Ausdruck" verliehen wird als bei dem Ausspruch: möge das Wetter schön sein!

Wir können auf diesen Tatbestand nur hinweisen'), da es uns hier nicht um eine ausführliche Analyse des Wunsches und seines Gegensatzes zum Urteil zu tun ist.

Noch auf einen anderen bedeutsamen Unterschied von Sach- verhalt und Wunschverhalt machen wir aufmerksam. Für den Sachverhalt ist es wesentlich, daß er besteht oder nicht besteht. Für den Wunschverhalt dagegen hat die Frage nach dem Bestand gar keinen Sinn. Freilich existiert er (im weitesten Sinne des Wortes) als Gegenstand des Wunsches, aber diese Existenz hat mit dem Bestand nichts zu tun. Vielmehr sind Sachverhalt und Wunschverhalt ganz heterogene Gebilde. Ob es für den Wunschverhalt etwas dem Bestand beim Sachverhalt Entsprechendes gibt, das wollen wir hier nicht entscheiden.

Um uns das Wesen des Wunschverhaltes zu weiterer Klarheit zu bringen, fragen wir, ob er sich irgendwie ändert, w^enn sich der Wunsch erfüllt. Dann nämlich tritt das Erwünschte ein. Offenbar kann aber nun der Wunschverhalt nicht eintreten. Er ist vielmehr ein logisches Gebilde, mit dem nichts geschieht, das sich auch nicht verändern kann. Wenn man sagt, bei Erfüllung des Wunsches trete das Erwünschte ein, so muß etwas anderes gemeint sein. In unserem Fall tritt das schöne Wetter ein, nicht aber: Möge das Wetter schön sein!

Damit werden wir hingeführt zu dem ,, Gegenstand in betreff dessen". Wenn w^ir ihn das ,, Erwünschte" nennen, so kann man die Frage stellen, wie beschaffen dieses Erwünschte ist vor und nach seinem Eintreten. Die Identität des einen und anderen liegt nicht nur in dem Vorstellungsmäßigen, sondern gerade darin, daß es eben Gegenstand eines Wunsches ist. Versuchen wir das noch näher zu beschreiben.

Um es uns klar zu machen, stellen wir daneben die Bestä- tigung einer Meinung. Jemand behauptet: ^Morgen wird schönes

^) Vgl. HussERL, Log. Untersuch. II. S. 78 ff. und S. 480 ff.

Humes Lehre von den Prinzipien der Ethik. n

Wetter sein. Tritt dann das schöne Wetter ein, so bestätigt sich seine Behauptung.

Es kommt nun beim Wunsch nicht nur auf das „tatsächUche" Eintreten an. Wenn ich gestern etwas wünsciitc, und heute ist es mir gleichgültig geworden, so charakterisiert sich das Eingetretene nicht als das Erwünschte. Nehmen wir sogar den Fall an, daß es mir so gleichgültig geworden ist, daß ich meinen gestrigen Wunsch nun gar nicht mehr verstehe, so hat der Gegenstand, vom Wunsch aus gesehen, nicht mehr seine Identität. Er ist nicht mehr ,, derselbe" Gegenstand, nämlich als Gegenstand des Wunsches, trotzdem ich rein vorstellungsmäßig behaupten kann: ja, das wünschte ich gestern.

Um uns dieses „Erwünschte" noch weiter zu klären, blicken wir auch auf die ,, Wunschenttäuschung" hin. Das Erwünschte mag eintreten, und doch können wir das Bewußtsein haben: das ist eigentlich nicht, was ich wünschte. Wiederum ist das Ein- getretene vor'stellungsmäßig das Erwünschte, und doch erkennt es der Wunsch sozusagen nicht als dieses an. Damit erkennen wir zugleich ein wichtiges Moment des Erwünschten. Es muß nach seinem Eintreten Befriedigung gewähren; sonst ist der Wunsch nicht erfüllt. Die Befriedigung ist das Zeichen dafür, daß der Gegenstand, das Erwünschte im prägnanten Sinne, wirklich ,, das- selbe" ist.

So belehren uns die Phänomene der Erfüllung über die Eigenart und das Wesen des Gegenstandes, und daraus Aviederum lernen wir die Komponenten des Wunsches kennen. Erstlich ist der Wunsch fundiert in einer Vorstellung, die ihm seinen Gegen- standgibt. Aber, eigentlich gesprochen, gibt die Vorstellung ihm noch nicht seinen Gegenstand, wie wir gesehen haben, vielmehr muß schon im Wunsch das enthalten sein, was jener ,, Befriedigung" nach der Erfüllung des Wunsches entspricht. Es muß also noch ein eigenartiges Wertbewußtsein vorhanden sein. Endlich ist die Seele des Wunsches die Spannung, die zwischen dem Sein und Nicht-Sein des Erwünschten besteht.

Dabei ist ausdrücklich zu bemerken, daß wir uns nur an die immanente Sphäre zu halten haben. Es kommt nicht auf das wirkliche Sein (resp. Nicht-Sein) an, sondern nur auf die dem Wunsche zugrunde liegende Überzeugimg von dem Sein oder Nicht- Sein des betreffenden Gegenstandes. Übrigens können

12 Karl Neuhaus.

Zweifel oder bloße Vermutung an Stelle der Überzeugung stehen.

Wir haben uns damit begnügt, einige Probleme, betreffend die Konstitution des Wunsches, aufzustellen. Sehr viel kom- plizierter und schwieriger gestalten sich alle diese Probleme beim Willen. Auch hier wollen wir nur auf Weniges hinweisen.

Daß der Wille ^) dem Wunsche nahe verwandt ist, hat schon Aristoteles gesehen, ja die Alltagspsychologie sieht es und ver- wechselt daher beide oft ebenso wie die Sprache.

Auch im Wollen ist das Gewollte irgendwie vorgestellt, auch hier ist es wertvoll (oder erscheint doch so), aber das Wollen ist seinem Wesen nach von dem Wünschen durchaus verschieden. Es wäre verfehlt, zu meinen, daß zu dem Wunsche einfach ein gewisses Plus, gewisse Elemente, von denen sogleich die Rede sein wird, hinzukämen. Vielmehr liegt ein anderes, neues Bewußt- sein vor, und im Wollen kann man auf keine Weise als Teil einen Wunsch finden. Der „Gegenstand" des Wollens ist auch ein ganz anderer als der des Wunsches.

Als ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal gegenüber dem Wunsch gilt im Willen die Überzeugung, das Betreffende „durch eigenes Tun" realisieren zu können. Damit hängt aufs engste zusammen der Willensimpuls, der allerdings nicht wesensgesetzlich mit jener Überzeugung gegeben ist. Dieser hiipuls, das ,,fiat", ist ein bedeutsames Moment im Willen, man kann sagen, das Zentrum des Willens. Ich kann die Realisierung eines Objektes durch eigenes Tun für möglich halten, das Objekt kann mir wert- voll erscheinen, und es braucht doch nicht ein Wollen meinerseits einzutreten. Dazu gehört jener ,, Entschluß", das eigentliche ,,ich will". Dieses Moment wird uns am deutlichsten bei der Wahl- entscheidung. Wir haben etwa zwischen zwei Handlungen zu wählen; einmal scheint uns die eine besser zu sein, dann wieder die andere. Man kann sagen, daß zunächst beide gewollt sind, aber es ist ein unentschiedenes Wollen, eine bloße ,, Willens- neigung" nach beiden Seiten. Erst wenn dann einer der beiden

*) Von modernen Büchern zitiere ich hier: A. Pfänder, „Phänomenologie des Wollens," Leipzig 1900 und H. Schwarz, „Psychologie des Willens", Leipzig 1900. Schwarz unterzieht das menschliche Willensleben einer ein- gehenden psychologischen Analyse. Gleichwohl kann man sich auch bei phänomenologischer, d. h. rein immanenter Wesensbetrachtung viele seiner Untersuchungen zu Nutze machen.

Humes Lehre von den Prinzipien der Ethik. jo

Möglichkeiten durch irgend etwas vor der anderen entschieden der Vorzug gegeben wird, tritt das ,,fiat'\ der Willensimplus, ein. Aber es wäre nicht richtig, würde man diese ,,Wahl" allein als Wollen ansehen. Das Moment (das ,,fiat") ist auch beim schlichten einfachen Wollen vorhanden, nur daß es uns nicht explizite zum Bewußtsein zu kommen braucht.

Wir führten schon an, daß Aristoteles betont, der Wille richte sich mehr auf das Tun, als auf das „Telos". Das gleiche Problem hat Pfänder im Auge, wenn er sagt, das Wollen sei immer ein Tun -Wollen oder es schließe ein solches in sich.^) In beiden Thesen ist ein Problem berührt, auf welches wir wenigstens aufmerksam machen müssen. Es ist die Frage nach dem Gegen- stande 2) des Wollens. Um sie zu erwägen, nehmen wir ein Beispiel zu Hilfe. Nehmen wir an , ich will ein Buch kaufen. Dann ist jedenfalls nicht das Buch Gegenstand des Wollens. Zu- nächst ist der Besitz des Buches ,,Ziel** des Wollens. Aber Ziel ist hier nicht identisch mit Gegenstand. Gegenstand im prägnanten Sinne ist Realisierung des Zieles oder Realisierung eines Sach- verhaltes, der als Ziel gesetzt ist. Daher ist weder das bloße Ziel noch das bloße Tun Gegenstand. Schon wenn wir von Rea- lisierung reden, so schließt das ein, daß etwas realisiert wird.

Aber was macht das Ziel zum Ziel, und gibt es andererseits ein Wollen, bei dem kein Ziel vorhanden ist, sondern nur ein Tun- Wollen? Das sind schwierige Fragen, die eine eingehende Willensanalyse in Angriff zu nehmen hätte. Wir mußten nur HuME gegenüber hervorheben, daß der Wille doch nicht eine gar so einfache Sache ist, bei der es weiter nichts zu beschreiben gäbe.

Über die Motive des Willens und das Verhältnis von Zweck und Mittel werden wir in dem nun folgenden Abschnitt sprechen.

^)' Pfänder, Phänomenologie des Wollens. S. 87.

-) Welcher „Gegenstand" hier gemeint ist, ob der dem Wunschverhalt analoge, oder der Gegenstand „in Betreff dessen," können wir hier nicht entscheiden. Ob man beim Wollen überhaupt vom Gegenstande „in Betreff dessen" reden kann, ist nicht ohne weiteres klar.

Kapitel II. Die Motivation.

Das Kapitel, dessen Inhalt der Hauptgegenstand unserer Untersuchung und Kritik werden soll, ist von Hume überschrieben: „Von den Motiven, die den Willen beeinflussen". Hume hat das, was er unter Motiv versteht, nicht näher bestimmt; und zugleich sieht er das Motiv als Ursache an. Wenigstens verwendet er beide Begriffe füreinander. Da es uns scheinen will, daß hier einer der Hauptmängel seiner Theorie liegt, so haben wir uns zunächst klar zu machen, was Motivation ist. Weiterhin erwächst uns die Aufgabe festzustellen, worin der Unterschied von Moti- vation und Kausation besteht.

Wir bedienen uns zu einer nur vorläufigen Klärung des Mo- tivationsverhältnisses unseres früheren Beispiels. Ich wünsche ein Buch zu besitzen. Ich überzeuge mich, daß es in meiner Macht steht, das Buch zu erwerben, zu kaufen. Dann kann sich der Wunsch in den Willen, das Buch zu kaufen, verwandeln. Das Ziel ist der Besitz des Buches. Aber ich will nicht nur das Ziel, sondern ich will auch das Ziel realisieren. Hierbei ist bis jetzt von einem Motiv noch keine Rede. Nehmen wir an, um das Buch zu kaufen, muß ich etwa einen Weg in die Stadt machen. Will ich das Buch wirklich kaufen, so wird auch der Willens- entschluß eintreten, in die Stadt zu gehen. Ich will den Weg machen. Aber dieses Wollen ist kein primäres Wollen. Ich will in die Stadt gehen, weil ich mir das Buch kaufen will. Das eine Wollen ist motiviert durch das andere Wollen. Der Gang in die Stadt ist das Mittel, das Kaufen des Buches (und schließlich der Besitz) ist der Zweck. Also Motiv ist das Wollen des Zweckes,

Huraes Lehre von den Prinzipien der Ethik. ic

das Motivierte ist das Wollen der Mittel. Oder: das Motiv für das Wollen der Mittel ist das Wollen des Zweckes. Der Besitz oder Gebrauch des Buches kann nun wieder Mittel zu einem an- deren Zweck sein usw.

Also nur das Wollen der Mittel hat ein Motiv, das Wollen des Endzweckes ist ein letztes i) Das Wollen des Endzweckes ist also ein kategorisches, das Wollen der abgeleiteten oder Mittel- Zwecke ist ein hypothetisches. Das eine Willenserlebnis ist vor- handen, weil das andere vorhanden ist. Wo immer in der Sphäre des Wollens dieses „Weil" vorkommt, da liegt ein Motiv vor. Diesem ,,Weil" entspricht auch immer ein ,, Damit", welches auf den Endzweck hinweist. Ich will a realisieren, weil ich b rea- lisieren will; damit b realisiert werden kann, ist a zu realisieren.

Beide Sachverhalte korrespondieren einander. In dem ,,Weil" liegt die Beziehung zwischen Motiv und Motiviertem, also die Be- ziehung zwischen den Willensakten; in dem „Damit" liegt die Be- ziehung zwischen Zweck und Mittel, also die Beziehung zwischen den Gegenständlichkeiten der Willensakte.

Wir sprachen bald von Zweck, bald von Endzweck. Im Grunde sind beide Fälle gleich. Wenn wir von Endzweck sprechen, so heißt das nur, daß eine ganze Kette von Zwecken vorliegt; oder besser: eine ganze Kette von Mitteln, die zu einem Endzweck führen. Die einzelnen Zwecke werden notwendig zu Mitteln. Also wo wir von Endzweck sprechen, liegt nur ein kom- plizierterer Fall vor, ähnlich wie beim einfachen Schluß und beim Kettenschluß. Ein schlechthin Gewolltes ist durchaus noch kein Zweck, vielmehr ist ein Zweck nur da möglich, wo (in der mit dem Wollen verwobenen Meinung des Wollenden) Mittel vor- handen sind, deren Verwirklichung die Verwirklichung des Zweckes bedingt. Das Gewollte charakterisiert sich im W^ollen als Zweck, wenn zu seiner (des Gewollten) Realisierung Be- dingungen vorliegen, deren Realisierung eine conditio sine qua non bilden zur Realisierung des eigentlich Gewollten.

Diese eigentümliche Beziehung zwischen dem eigentlich oder primär Gewollten und den conditiones involviert dann das Moti- vadonsverhältnis. Ich will a; ich glaube nun, daß a nicht zu rea- lisieren ist, wenn nicht vorher b realisiert worden ist; also will

') Vgl. Pfänder a. a. O. S, 98 ff.

i6 Karl Neuhaus.

ich b, aber nicht primär, sondern weil ich a will. Aus diesen Überlegungen geht hervor, daß das Motiv etwas im Phänomen des Wollens Gegebenes 'ist. Nur dann habe ich ein Motiv, wenn ich (um es populär auszudrücken) weiß , warum ich will. Und zwar ist das nicht eine bloß psychologische Tatsache, sondern das gehört zum Wesen der Motivation. Es hat gar keinen Sinn mehr, von einem Motiv zu reden, wenn jenes ,,weil" nicht im Wollen „enthalten" ist. Und ebenso ist es etwas Wesenhaftes, daß die Motivation nur im vermittelten Wollen vorliegt. Es gehört zum Wesen des einfachen Wollens, daß es nicht motiviert sein kann. Eine durchgeführte Willensanalyse hätte aufzuzeigen,'welche Wesensgesetze bestehen zwischen Wollen, Motiv, Zweck und Mittel. Nach dieser, freilich recht skizzenhaften Charakteristik der Motivation, die aber für unsere Zwecke genügt, wenden wir uns zu der Frage nach dem Verhältnis von Motiv und Ursache, die ja gerade mit Bezug auf Hume von der größten Wichtigkeit ist. Grund Ursache Motiv, haben diese drei etwas Gemein- sames? Bei allen kann man von Folgen, Erfolgen und conditio sine qua non sprechen. Der Schluß folgt aus den Prämissen, die Wirkung erfolgt auf die Ursache, das Wollen der Mittel ist eine Folge des Wollens des Zweckes.

Obwohl nun Grund (als logischer) und Ursache schon ge- legentlich von Platon geschieden sind, sind sie doch in der Ge- schichte der Philosophie immer wieder vermengt worden. Man darf jedoch sagen, daß man sich heute meist des Unterschiedes zwischen ihnen bewußt ist. Das Verhältnis von Grund und Folge ist ein rein logisches, ideales und unzeitliches, es findet sich nicht im Gebiete der Tatsachen. Es ist ein Verhältnis zwischen Sätzen, zwischen idealen Einheiten. So folgt aus den Axiomen und den Kongruenzsätzen der Satz, daß im gleichschenkligen Dreieck die Basiswinkel gleich sind. Ob jemand diese Sätze urteilt oder nicht, ist ganz gleichgültig. Das Verhältnis zwischen Grund und Folge bleibt, was es ist. Wenn wir behaupten, diese Beziehung könne zwischen Tatsachen nicht stattfinden, so heißt das nicht, daß sie nicht statthaben kann zwischen Sätzen über Tatsachen. Aus zwei Sätzen über physikalische Tatsachen z. B. kann ein dritter Satz über solche folgen. Trotzdem bleibt bestehen, daß dieses Ver- hältnis, das ja ein logisches ist, zwischen Tatsachen selbst, die real sind, nicht stattfindet.

Humes Lehre von den Prinzipien der Ethik. jt

Das Verhältnis von Ursache und Wirkung gehört in die Sphäre der dinglichen, realen Welt und ist ohne Zeitmoment nicht denk- bar. — Gewöhnlich sagt man nun, daß die Motivation in der Mitte von beiden steht, daß sie von beiden etwas an sich habe, von Grund und Folge und von Ursache und Wirkung. Man könnte danach mit gleichem Rechte sagen: Mein Streben nach dem a ist der Grund für mein Streben nach dem b; und: Mein Streben nach dem a ist die Ursache meines Strebens nach dem b.

Das klingt recht plausibel, aber scheinbare Selbstverständlich- keiten dürfen wir nicht ohne weiteres hinnehmen.

Offenbar nun können wir von Motivation nicht nur in der Sphäre des Wollens reden, sondern auch in der des Urteilens. Mein Urteil der Prämissen bildet das Motiv für das Urteilen des Schlußsatzes. Es wäre absurd zu sagen, daß die Prämissen das Motiv seien für den Schlußsatz; oder auch: daß die Prämissen das Motiv seien für das Urteilen des Schlußsatzes. Sätze, Wahr- heiten können nicht Motiv sein, wohl aber das Urteil, das diese Prämissen zum ,, Inhalt" hat, zusammen mit der Einsicht (oder Überzeugung), daß aus diesen Prämissen der Schlußsatz folgt. Weil ich von der Richtigkeit der Prämissen überzeugt bin, und dem Folgen des Schlußsatzes, ,, fühle" ich mich gedrängt, den Schlußsatz zu urteilen. Kann man hier auch von einer Ursache sprechen? Um diese Frage zu beantworten, machen wir uns an einem Beispiel klar, was wir unter Ursache zu verstehen haben :

Ein Funke fliegt in ein Pulverfaß, darauf erfolgt eine Explo- sion. Das Fliegen des Funkens in das Pulverfaß nennen wir Ur- sache, die Explosion nennen wir Wirkung, Aber damit ist 'die Sachlage noch nicht genau beschrieben, noch nicht alle conditiones sine quibus sind aufgezählt. Wenn etwa heute der Funken in das Pulverfaß fliegt und über ein Jahr in diesem Fasse ein Explo- sion erfolgt, so werden wir den heute hineingeflogenen Funken nicht Ursache und die Explosion (nach einem Jahre) ihre Wir- kung nennen. Wenn die Explosion eintritt ohne das Fliegen des Funkens, werden wir auch nicht sagen, die Wirkung sei da, die Ursache wirke nur nicht. Außerdem müssen noch andere Bedingungen erfüllt sein. Das Fliegen des Funkens an irgend einen Ort genügt nicht, sondern er muß gerade in das Faß fliegen. Auch das Pulver muß gewisse Eigenschaften haben, es darf z. B. nicht naß sein, damit die Wirkung eintreten kann.

Neuhaus, Humes Lehre von den Prinzipien der Ethik. 2

j8 Karl Neuhaus.

Faßt man die Sache so, dann darf man eigendich nicht von einer Ursache reden, sondern von einem Ursachenkomplex i). Ist dieser vollständig, so tritt notwendig, d. i. naturgesetzmäßig, der Anfang des Wirkungsvorganges ein. Keine der Bedingungen darf fehlen; alle sind gleich notwendig. Immerhin hat die letzte, „komplettmachende" Bedingung, in unserem Beispiel das Ein- schlagen des Funkens, eine besondere Rolle. Sie vollendet den Tatsachenkomplex und macht ihn in gewisser Weise erst zum Ursachenkomplex, mit ihr tritt dann gesetzmäßig der Anfang der Wirkung ein. Man kann sie mit Recht die Ursache im enge- ren Sinne nennen.

Diese Ursache im engeren Sinne ist immer eine Veränderung, sie ist die bewirkende Veränderung in Relation zu der bewirkten. Und zwar ist sie entweder Veränderung einer ruhenden Bestimmt- heit oder einer Veränderung, die weitere Veränderungen gesetz- mäßig bedingt. Jedenfalls gehören zur Kausation Veränderungen oder Veränderungsvorgänge. Diese Veränderungen nun können nicht s. z. s. in der Luft schweben, sie müssen ein Substrat, ein „Hypokeimenon*' haben. Die Veränderung geht ,,an" oder „in" oder „mit" einem Dinge vor sich. Dieses Ding als das identische im Ablauf ,, seiner" Veränderungen nennen wir eine Substanz. Notwendig gehört somit zur physischen Kausadon Gesetzmäßig- keit realer, das ist, dinglicher Veränderungen, die als solche in der einen objektiven Zeit vonstatten gehen und als physisch dinghche in einem Raum der Natur.

Wir haben uns bisher nur an Ursachen in der Körperwelt, in der „physischen" Natur gehalten.

Zur Erörterung des Problems, ob Motivation als Kausation gefaßt werden kann, wird man zwei Fragen beantworten müssen. Sicherlich kann die Motivation, wenn überhaupt, nur psychische Kausalität sein. Es fragt sich also, ob der Begriff der Kausation ohne weiteres vom physischen auf das psychische Gebiet über- tragbar ist; und weiterhin, ob in der Motivation wirklich eine der- artige psychische Kausalität vorliegt.

Die Übertragung der Kausalität auf das psychische Gebiet hat nun seine Schwierigkeiten. Vom Psychophysischen sehen wir hier ganz ab, weil das für die Motivation gar nicht in Betracht

^) Vgl. zu dieser Ausführung, Schopenhauer, W. W. Bd. III, Satz vom Grunde. S. 47 ft", Reklam.

Humes Lehre von den Prinzipien der Ethik. jg

kommt. Motivation ist eine Beziehung zwischen Erlebnissen, also vielleicht zwischen psychischen Phänomenen unter sich, keinesfalls aber zwischen Physischem und Psychischem.

Die Psychologie würde als Beispiel für die psychische Kau- salität etwa die Vorstellungsassoziationen anführen. Haben sich die Vorstellungen a und b miteinander assoziiert, so ist eine „Dis- position" begründet, vermöge deren das Auftreten von a die ,, Ten- denz" hat, dasjenige von b zu bedingen. Tritt b wirklich ein, so hat a als Ursache, sei es auch als bloße Mitursache, fungiert.

Wie steht es hier mit der Gesetzmäßigkeit der Veränderungen räumlich zeitlicher Substanzen? Der Raum fällt im psychischen Gebiet fort, die psychischen Veränderungen (die der ,, Erlebnisse") sind keine räumlichen. Dagegen kommt ihnen objektive Zeitlich- lichkeit zu. Sollen wir sie nun als reale Veränderungen ansehen und von psychischer Kausalität als einer Gesetzmäßigkeit dieser realen Veränderungen sprechen dürfen, so müssen wir ihnen offenbar wieder Substanzen unterlegen, d. i., wir müssen sie auf- fassen als „Erlebnisse" erlebender Wesen, die als bleibende Träger des Flusses unräumlicher Veränderungen, die wir ihre Er- lebnisse nennen, gedacht sind. Es ist aber noch problematisch, ob und wie die Idee dieser Kausalität und einer realen psychischen Gesetzmäßigkeit durchzuführen ist und in weiterer Folge die Idee einer physische und psychische Substanzen befassenden kausal einheitlichen Welt. Jedenfalls sind die Schwierigkeiten des Pro- blems der psychischen Kausalität bisher noch nicht gelöst.

Kehren wir nun zurück zur Motivation, und zwar im Gebiete des Urteils. Das Urteilen der Prämissen und die Überzeugung davon, daß der Schlußsatz daraus folgt, ruft das Schlußurteil her- vor. Das Zeitmoment haben wir auch in diesem Erlebnis, das eine Urteil folgt zeitlich auf das andere. Aber dieses Moment spielt offenbar hier eine ganz andere Rolle als im Falle der Vor- steUungsassoziation. Diese beiden Urteile gehören in ganz anderer Weise zusammen als die assoziierten Vorstellungen. Es ist hier kein bloßes Zusammen auf Grund früherer mehrmaliger zeitlicher Kontiguität, sondern eine sinnvolle Zusammengehörigkeit. Ferner sind wir hier nicht genötigt, jene psychische Substanz zu postulieren. In der Kausalität handelt es sich um ein Verhältnis zwischen (physischen oder psychischen) Realitäten. In der Mo- tivation dagegen haben wir ein Verhältnis zwischen immanenten

20 Karl Neuhaus.

Erlebnissen. Das wird uns klar werden, wenn wir die Frage aufwerfen, was einerseits die Beziehung von Ursache und Wir- kung, andererseits die Motivation phänomenologisch für uns be- deutet, wie weit diese Beziehungen wirklich gegeben sind. Bleiben wir zunächst bei der Kausation.

Ich lasse z. B. einen Stein fallen und höre ein Geräusch. Das Fallen und Aufschlagen des Steines sind Ursache des Ge- räusches. Was ist davon unmittelbar gegeben? Die Steinwahr- nehmung, die Fallwahrnehmung, und die Schallwahrnehmung, außerdem das Bewußtsein der Aufeinanderfolge. Einzig durch dieses Zeitmoment haben die Phänomene eine wirklich in der Wahrnehmung gegebene fühlbare Beziehung zueinander. So- fort sprechen nun frühere Erfahrungen, Erinnerungen von solcher Aufeinanderfolge, und ich „interpretiere" sie als Ursache und Wir- kung. Ich „schließe" aus meinen Wahrnehmungen, daß der Schall bewirkt sei durch das Fallen und Aufschlagen. Aber das Erfolgen ist als solches nicht mit Evidenz gegeben, wie eine logisch-analy- tische Folge, die ich unmittelbar einsehe. Also dieser „Schluß" ist nicht ein analytischer Schluß, sondern, wenn überhaupt ein Schluß, ein Wahrscheinlichkeitsschluß aus Tatsachen. Ich gehe über das Gegebene hinaus und interpretiere die Phänomene. Schließe ich wirklich, so sind die Prämissen meines Schlusses die Urteile über das soeben Wahrgenommene, vielleicht auch der Er- fahrungssatz, daß jede Wirkung ihre Ursache habe oder gewisse physikalische Gesetze usw. Aber fast immer fehlt dieser Wahr- scheinlichkeitsschluß, meist dient uns die Wirkung ohne Schließen nur als bloßer Hinweis auf die Ursache. Gewisse symbolische Vorstellungen, die ganz vage sind, Assoziationen usw. lassen uns diese Beziehung in das wahrgenommene Phänomen hineinlegen. Denken wir uns die ganze „Erfahrung" weggestrichen, so ist die Wahrnehmung des Schalles, Falles usw. nicht mehr zusammen- gehörig, als die beiden Wahrnehmungen, die ich habe, wenn jetzt ein Stein fällt, und dann unmittelbar darauf ein Blitz vom Himmel niederfährt. Beide stehen in Beziehung durch ihre zeitliche Auf- einanderfolge.

Also die Beziehung von Ursache und Wirkung ist keine evi- dent gegebene; und wie sollte sie es auch sein, da die W^irkungen Veränderungen an Substanzen sind, an Dingen, und adäquate An- schauung von Dingen nicht möglich ist? Im besten Falle ur-

Humes Lehre von den Prinzipien der Ethik. 21

teilen wir über die Kausalbeziehung auf Grund evidenter Wahr- scheinlichkeit. Inwiefern auch darin eine Gegebenheit liegt, und was diese evidente Wahrscheinlichkeit zu bedeuten hat, insbeson- dere für die Begründung und Fundierung der Erfahrung, das zu untersuchen ist hier nicht unsere Sache.

Ganz anders verhält es sich nun mit der Motivation, wie wir oben ausdrücklich betont haben. Das „Weil", durch welches diese Beziehung ausgedrückt wird, ist uns evident gegeben, es ist im motivierten Wollen mitbeschlossen. Z. B.: ich will b reali- sieren, weil ich a realisieren will. Hier ist nicht das Wollen des a und daneben, nur durch zeithche Kontiguität verknüpft, das Wollen des b gegeben, so daß ich nun die Motivation hinein in- terpretieren müßte, sondern die Beziehung, in der das Wollen des b zum VyoUen des a steht, ist mitgegeben. Es ist nicht mit evi- denter Wahrscheinlichkeit erschlossen, daß ich b will, weil ich a will, sondern diese Beziehung sehe ich mit derselben Evidenz ein, mit der ich seihe, daß ich jetzt eine so und so bestimmte Wahr- nehmung habe. Die beiden Wollungen sind nicht zufällig asso- ziiert, sondern ich habe mir klar gemacht: ich will a; a ist aber nur zu realisieren durch Verwirklichung von b, also muß ich auch b realisieren wollen. Freilich ist die Motivation nicht immer in dieser Weise einsichtig, sondern oft, und in den meisten Fällen, nur symbolisch. Aber schon daraus, daß sie einsichtig sein kann, und zwar nicht bloß in der Weise der Wahrscheinlichkeit, son- dern in evidenter Gewißheit, geht hervor, daß sie eine Relation ist, die den Erlebnissen immanent ist, die in ihrem Sinne liegt.

Aber kann man nicht in dem oben Beschriebenen doch etwas von Ursächhchkeit finden? Ich sagte: ich muß b wollen. Darin liegt doch eine Notwendigkeit. Sehen wir uns aber diese Not- wendigkeit näher an, so merken wir sofort, daß von einer kau- salen (Notwendigkeit) nicht die Rede sein kann. Es ist denkbar, daß einer a will, die Realisierung von b als conditio für die von a erkennt, und dann doch nicht b realisieren will. Also er muß nicht im Sinne der naturgesetzlichen Notwendigkeit das b reali- sieren wollen, sondern er muß es, wenn er vernünftig wollen soll, wenn sein Wollen nicht mit sich selbst in „Widerstreit" sein soll. Es gibt eben auch ein richtiges oder vernünftiges und ein „falsches" oder unvernünftiges Wollen.

Nach diesen Betrachtungen sind wir nicht mehr geneigt, die

22 Karl Neuhaus.

Motivation für einen Spezialfall der Kausation zu halten. Einer- seits bereitet die psychische Kausalität Schwierigkeiten, die bei der Motivation nicht vorliegen. Das Entscheidende aber ist, daß die Kausation eine Relation zwischen Realitäten, die Motivation dagegen eine Beziehung immanenter Phänomene, eine Einheit des Sinnes der Erlebnisse ist.

Zum Schluß kehren wir zu der Frage zurück, wie sich die Motivation zu dem logischen Verhältnis von Grund und Folge ver- hält. Wir stellten die These auf, daß die Motivation sowohl etwas von der idealen Beziehung Grund Folge als auch von der realen Beziehung Ursache Wirkung in sich zu „enthalten" scheine. Die letzte Behauptung haben wir als eine unberechtigte zurückgewiesen. Wie steht es mit der anderen?

Das Verhältnis von Grund und Folge so sägten wir ist ein logisches, ideales, unzeitliches. Es ist ein Verhältnis zwischen Sätzen ihrem bedeutungsmäßigen Gehalt nach. Ob in diesen Sätzen jemand denkt oder nicht, ist ganz gleichgültig. Schon in den einfachsten logischen Gebilden, in den Schlüssen, finden wir dieses Verhältnis. Einen ganzen Komplex von Gründen und Folgen haben wir in der Mathematik; ja man kann sagen, daß sie sich daraus aufbaut. Ableitungen und Beweise geben Beispiele dafür. Das gilt aber nicht nur für die Mathematik, sondern für jede theoretische Wissenschaft überhaupt.

Man darf sich nicht beirren lassen dadurch, daß wir oft von Grund und Folge sprechen auch da, wo es sich um Tatsachen und reale Dinge handelt. Meist ist diese Rede nicht streng zu nehmen, da in diesen Fällen ein Ursachverhältnis oder Motiva- tionsverhältnis vorliegt. Immerhin könnte man uns auf eins auf- merksam machen: Sagt man nicht mit vollem Recht: aus der Tatsache, daß alle Menschen sterblich sind, und der anderen Tat- sache, daß SoKRATES ein Mensch ist, folgt die Tatsache, daß So- KRATES sterblich ist? Sind das etwa keine Tatsachen? Sagen wir lieber nicht „Tatsachen", sondern setzen wir dafür „Sachver- halt": Den angeführten Sätzen (alle Menschen sind sterblich) ent- sprechen Sachverhalte. Allerdings liegt kein Ursachverhältnis vor, denn die Sterblichkeit aller Menschen kann nicht die Ursache für die Sterblichkeit des Sokrates sein. Beachten wir, daß Sach- verhalte bereits etwas logisch Geformtes sind, und vermöge ihrer logischen Formung findet zwischen ihnen dies Verhältnis statt.

Humes Lehre von den Prinzipien der Ethik. 2Q

Auch den mathematischen Sätzen entsprechen ja ideale Sach- verhalte.

Also es bleibt dabei, daß Grund und Folge niemals ein reales Verhältnis zwischen Dingen ist, also auch nie ein zeiüiches. Denn eine Realität, die nicht in der Zeit ist, ist ein „Unding".

Das führt uns wieder hin zur Motivation. Motivation ist ein Verhältnis zwischen Akten, wie aus dem früheren hervorgeht. Das macht einen fundamentalen Unterschied zwischen ihr und jenem logischen Verhältnis aus. Bleiben wir zunächst bei der Motivation zwischen intellektiven Akten. Ich halte z. B. einen arithmetischen Satz für richtig. Ich habe dafür meine „Gründe". Fragt mich jemand, warum ich ihn für richtig halte, so gebe ich die Motive für meine Überzeugung an. Und zwar kann ich hier zeigen, daß meine Überzeugung logisch motiviert ist. Ich kann bis zu den Axiomen zurückgehen, und diese unmittelbar einsehen. Die Überzeugung von ihrer Richtigkeit kann nicht mehr begründet, nicht mehr logisch motivitiert werden. Ihre Evidenz ist mir un- mittelbar gegeben. Dieses „Nicht-Können" ist nicht etwa eine besondere Unfähigkeit unserer Erkenntnis, sondern es hat keinen Sinn, hier noch weiter zu fragen. Hier haben wir Erkenntnis im letzten prägnanten Sinne.

Motiv ist also immer ein Akt im Hinblick auf einen anderen Akt. Die Motivation besteht in dieser Relation. Zugleich muß immer ein letztes, ein unmittelbares, hier die Anschauung des Sachverhaltes (der Axiome) vorhanden sein. Auch die Gegen- stände dieser Akte müssen in einem bestimmten Verhältnis stehen, wie beinahe nicht gesagt zu werden braucht. Bei der logischen Motivation ist das besonders klar. Hier stehen sie in dem Ver- hältnis von Grund und Folge (wenn auch vielleicht nur ver- meintlich).

Steht nun die Motivation auch außer dem Zeitlichen oder ist dieses in ihr zum mindesten unwesentlich? Die Sachlage ist hier ganz eigenartig und kompliziert. Das Motivationsverhältnis nimmt ja überhaupt eine Sonderstellung ein. Einerseits gehört es nicht in die ideale Sphäre, andererseits aber auch nicht in das Gebiet der Realitäten. Das zeigt sich denn auch im zeitlichen Moment. Wir sagten, daß für das logische Verhältnis von Grund und Folge die Zeit gar nicht in Betracht komme. Es ist nicht an einen „Vollzug" gebunden. Ganz anders die Motivation. Jeder

24

Karl Neahaus.

Akt, auch wenn man ihn wie wir nicht als psychische Realität, sondern als sinnvolle Intention auffaßt, hat seine zeitliche Ausbrei- tung. Die Motivation ist nun ein Verhältnis zwischen derartigen Akten, also sie kann sich nur in einer Zeitausbreitung vollziehen. Andrerseits jedoch liegt in dem oben besprochenen „Weil" gar keine zeitliche Beziehung, sondern eine Beziehung des Sinnes in den Akten, und damit indirekt eine Beziehung der Gegenständ- lichkeiten, auf die sich die Intentionen richten. Weil ich über- zeugt bin, daß a ist, so urteile ich, daß b ist. Darin liegt gar keine zeitliche Beziehung. Meint man nun aber, das Motiv müsse doch dem Motivierten vorhergehen, so ist das gewiß in einem Sinne richtig, es kommt nur darauf an, was man unter dem „Vorhergehen" versteht. Es ist nämlich ein sachliches Vor- hergehen, in unserm Beispiel ein logisches, oder wenigstens ein solches, welches auf ein wirklich oder vermeintlich logisches zurückzuführen ist.

Man kann also sagen: das zeitliche Moment ist unwesentlich für den Sinn der Motivation, wesentlich für das Phänomen der Motivation.

Aber wie steht es nun beim Willen, von dem wir ja eigent- lich ausgingen? Auch hier weist „Motivation" auf Mittelbarkeit hin und auf ein letztes Unmotiviertes. Das Mittel ist „um des Zweckes willen" gewollt. Beide sind gewollt, d. h. zwei Willens- akte hegen vor, aber diese beiden sind nicht einfach nebenein- ander, sondern sie stehen in einem phänomenologisch Innern Verhältnis, dem der Motivation. Zweck und Mittel, die Gegen- stände des Wollens, stehen offenbar in einem andern Verhältnis als die beiden Wollungen, aber es ist eine Korrelation vorhanden, wie es im Wesen des konstituierenden Aktes und der entspre- chenden konstituierten Gegenständlichkeit liegt.

Also auch beim Wollen zeigt sich die Motivation als ein Ver- hältnis zwischen Akten, welches zurückweist auf die Gegenstände der Akte. Wie kein Satz, kein Sachverhalt „an sich" Grund oder Folge ist, sondern nur in Beziehung auf einen andern Satz oder Sachverhalt, so ist auch kein Gegenstand des Wollens „an sich" Zweck, sondern nur in Beziehung auf die Realisierung eines andern Zieles (des Mittelzieles). Das Parallele gilt von den Akten, und damit von der Motivation.

Es ist klar, daß auch im Wollen das Zeitmoment in dieser

Humes Lehre von den Prinzipien der Ethik. 25

Hinsicht keine wesentliche Rolle spielt. Zwar ist auch hier das Motiv vor dem Motivierten, aber das gründet in dem Verhältnis, in dem das Zweck -Wollen zum Wollen des Mittels steht, wie aus den früheren Darlegungen hervorgeht.

Diese Ausführungen mögen genügen. Auf eins jedoch sei noch hingewiesen, nämlich den Unterschied zwischen den intellek- tiven und Willensakten. Willensakte sind wertende Akte. Das Verhältnis zwischen Zweck und Mittel kann dies schon lehren. Das Mittel wird gewollt, „um des Zweckes willen". „Eigentlich" wird der Zweck gewollt, ja es ist möghch, daß ein Gegenstand (ein Ziel) als Objekt einer schlichten Willensintention Gegenstand eines Nicht-Wollens ist. Erst als Mittel betrachtet wird er dann Gegenstand eines positiven Wollens. So will z. B. keiner gern heftige Schmerzen aushalten; aber wenn jemand etwa durch eine schmerzhafte Operation sich dauernde Gesundheit verschaffen kann, so wird er die Schmerzen auf sich nehmen wollen. Da der Zweck gewollt wird, so wird um seinetwillen das Mittel ge- wollt. Also so erhält das Mittel auch einen gewissen Wert in Relation zum Zweck. Auf jeden Fall aber erscheint der Zweck als wertvoller als das Mittel.

So haben wir einen Blick geworfen auf das Verhältnis von Grund und Folge, das der Motivation und Kausation, und haben dabei die obige These auch nach der andern Seite hin verneinend beantwortet. Das Verhältnis der Motivation ist grundwesentlich verschieden von dem logischen Verhältnis von Grund und Folge; das eine ein Verhältnis zwischen Akten, das andre zwischen Sätzen oder Sachverhalten.

Zusatz zu Kapitel II.

Wir erwähnen noch, daß auch Meinong die Frage nach dem Verhältnis von Kausation und Motivation behandelt und, wenig- stens nach einer Seite hin', zu denselben Resultaten wie wir ge- langt. In seinen „Hume-Studien" II (Sitzungsberichte der Wiener Akademie 1882, S. 688—692) geht er davon aus, daß die Kau- sation eine Relation ist, die nicht „in innerer Wahrnehmung" ge- geben sein kann. An Schopenhauer erinnernd, fragt er, ob viel- leicht nicht in der Motivation eine solche in innerer Wahrnehmung gegebene Kausation liege. Es könnte sich dann nur um Fälle handeln, in denen der Willensakt wirklich motiviert ist. Denn

26 Karl Neuhaus.

nicht jede Wollung ist motiviert, und ist sie es nicht, dann ist von der innem Wahrnehmung einer Kausation keine Rede. Wie steht es nun mit den motivierten Willensakten? Z. B. das Kind will den Zucker essen, weil er süß ist (das Weil hat die Moti- vation mit der Kausation gemeinsam)^). Hier steht es so, daß der Gegenstand um einer bestimmten Eigenschaft willen gewollt wird. Fällt diese Eigenschaft fort, so wird der Gegenstand (wenn nicht schheßlich in manchen Fällen aus Gewohnheit) überhaupt nicht mehr gewollt.

Meinong schließt diesen Passus (S. 691) folgendermaßen: „Um also beim Wollen des Mittels auf den Zweck hinzuweisen, dazu ist gar keine innere Wahrnehmung von Kausation erforderlich, man muß sich nur gegenwärtig halten, was man eigentlich will." Das Motiv läßt sich jedenfalls nicht ohne weiteres als Ursache fassen, höchstens als Mitursache, und als solche ist es in innerer Wahrnehmung eben nicht gegeben." Wir lesen auf S. 692, „daß auch bei der Motivation ganz ähnlich wie bei den durch den Willen bestimmten Zuständen, Ursache und Wirkung noch gar nicht gegeben ist, so lange man nur Motiv und Willensakt in Be- tracht zieht. Die Vorstellung, die das eine Mal als Motiv auftritt, kann ein anderes Mal bestehen, ohne einen Willensakt nach sich zu ziehen: sie ist nur Motiv unter Voraussetzung einer bestimmten psychischen, vielleicht auch physischen Disposition von dieser Disposition aber gibt innere Wahr- nehmung keine Kenntnis."

Wie aus unsrer Darstellung ersichtlich ist, stimmen wir mit Meinong darin überein, daß Kausation nicht in „innerer Wahr- nehmung" gegeben .sein kann. Dagegen geht aus den im Druck gehobenen Stellen des Zitats hervor, daß Meinong darum doch die Kausation zum Wesen der Motivation rechnet. Seine Ansicht ist die, daß Motivation sich aus zwei Arten von Komponenten zusammensetzt, denjenigen, die uns in innerer Wahrnehmung ge- geben sind, und solchen, bei denen das nicht der Fall ist, und die, wenn sie mitgegeben wären, uns das Kausalverhältnis evident machen würden. Das ist ein prinzipieller Irrtum. Meinong sieht nicht, daß Motivation in sich gar nichts mit Kausation zu tun hat, daß sie in einem eigentümlichen phänomenologischen Verhältnis

^) Natürlich hat das „Weil" hier und dort eine verschiedene Bedeutung

Humes Lehre von den Prinzipien der Ethik. 27

zwischen Erlebnissen oder einer eigentümlichen phänomenologischen Einheit von Erlebnissen besteht, und als das in der immanenten Betrachtung wirklich gegeben ist. In ihrem Wesen birgt sie nichts von Beziehung auf Transzendenz und somit auf Kausalität und sie gewinnt solche erst durch empirisch-psychologische Apper- zeption, durch Beziehung auf die begehrende Person usw. Analog gehören auch sonst Wesensverhältnissc und Kausalverhältnisse in ganz verschiedene Linien. So liegt es ja im Wesen des kate- gorischen Urteils, daß die Prädikatssetzung auf der Subjekts- setzung ruht und beide zu einer Einheit befaßt sind, während mit solcher Wesensbetrachtung gar nichts zu tun hat die Frage, ob die Prädikatssetzung durch die Subjektssetzung kausiert ist.

Kapitel III.

Das Verhältnis der Affekte und des Willens zur Vernunft nach Hume.

„Von den Motiven des Willens^)."

Wir kehren zu Hume zurück, und zwar stellen wir zunächst ohne Kritik seine Erörterungen über das in der Überschrift an- gedeutete Thema dar.

Man spricht gewöhnlich viel vom Kampf der Affekte mit der Vernunft. Dabei gilt die Vernunft als das gute Prinzip. Sie muß siegen, damit das WoUen und Handeln tugendhaft sein kann. Die Vernunft soll daher das Hauptmotiv in unseren Hand- lungen sein.

Demgegenüber will Hume zweierlei beweisen:

1. Die Vernunft allein kann nie Motiv eines Willensaktes sein.

2. Die Vernunft kann auch nicht hinsichtlich der Richtung des Willens den Affekt bekämpfen. Hume identifiziert im Folgenden Vernunft mit Verstand und zeigt, daß die Well des Verstandes etwas völlig Heterogenes ist zu der der Affekte und des Willens. In seinem Sinne können wir sagen, daß, so wenig eine bloße Wahr- nehmung einen Körper von seinem Platze bewegen kann, so wenig die Vernunft einen Affekt hervorzurufen imstande ist.

Der Verstand 2) kann sich nur auf zweierlei Weise betätigen. Er vollzieht relations of ideas und Demonstrationen in der Mathe-

*) Traktat II, S. 150 ff. (Lipps). Treat. Vol. II, p. 193 197 (Green and Grose).

-) Die andre Auffassung Humes vom Wesen der „Vernunft" werden wir in unsrer Kritik berücksichtigen. Wir folgen hier der Darstellung des 2U besprechenden Abschnittes.

Humes Lehre von den Prinzipien der Ethik. 20

matik; andererseits vollzieht er Urteile über die Beziehungen der realen Gegenstände nach Wahrscheinlichkeit, d. h. er bewegt sich in der Sphäre der niatters of fact.

Betrachten wir die erste Tätigkeit, so ist es klar, daß die Erkenntnis mathematischer Beziehung als solche den Willen nicht beeinflussen kann. Wir können zwar mathematische Verhältnisse im Leben benutzen, ja wir müssen das; denn keiner kommt ohne Zahl, Größe usw. aus, aber es wäre doch lächerlich zu behaupten, daß die Beziehung, die in dem Urteil 3 X 5 = 15 ausgesprochen wird, mich zu irgend einer Handlung treiben könnte. In der Mathematik bewegt sich der Verstand in der Welt der Ideen, der Wille aber bewegt sich in der Welt der Realitäten,

Aber vielleicht kann der Verstand durch die andere Funktion, das Urteilen über Beziehungen zwischen den Dingen, den Willen beeinflussen. Das wäre ein Irrtum, meint Hume, zu dem man schon leichter verführt werden könnte; aber in Wahrheit verhält sich die Sache folgendermaßen: Nur Lust und Unlust können uns zu den Handlungen treiben, also ein Gefühl, niemals eine Ver- standestätigkeit, also auch nicht Urteile über matters of fact. Wenn wir von einem Gegenstande Lust oder Unlust erwarten, so stellt sich ein Gefühl der Neigung oder Abneigung ein. Wir fühlen uns daher gedrungen, das, was uns befriedigt, aufzusuchen, dagegen das, w^as uns Unbehagen bereitet, zu meiden. Dies Gefühl läßt uns auf die Gegenstände achten, die mit dem lust- bereitenden Gegentande in Beziehung von Ursache und Wirkung stehen. Natürlich ist dies Aufsuchen der Beziehungen eine Ver- standestätigkeit, aber sie ruft ja nicht jenes Gefühl der Lust hervor, sondern folgt ihm. Nur weil wir in dieser Weise an den Gegen- ständen interessiert sind, vollziehen wir diese Verstandestätigkeit. Also die „Vernunft" kann nie ein Wollen oder Handeln er- zeugen; daraus folgt dann die zweite These, die Hume „beweisen" will, daß die Vernunft auch nicht imstande ist, ein Wollen zu hindern oder mit einem Affekt oder Gefühl um die Herrschaft zu streiten.

Das Wollen wird durch einen Affekt erzeugt, dieses Wollen kann also nur verhindert werden, wenn der Affekt aufgehoben oder verzögert wird. Der Affekt ist eine psychische Kraft, die nach einer bestimmten Richtung wirkt. Eine Kraft kann nur auf- gehoben werden durch eine ihr entgegengesetzte und gleiche

oo Karl Neuhaus.

Kraft, d. h. hier durch einen Affekt (oder den Impuls eines Affektes, wie Humf sagt) von entgegengesetzter Richtung*). Die Vernunft könnte also nur das Wollen verhindern, wenn sie unserem Affekt eine entgegengesetzte Richtung geben könnte. Wir haben nun oben gesehen, daß die Vernunft keinen ursprünglichen Ein- fluß auf den Willen haben kann. Die Affekte aber haben diesen ursprünglichen Einfluß. Wie soll also die Vernunft gegen ein der- artiges Prinzip kämpfen können, dessen Kraft (diesen Einfluß zu üben) sie überhaupt nicht hat, gerade bei der Betätigung dieser Kraft? Das Prinzip, welches dem Affekt entgegentritt, ist nicht die Vernunft selbst. Die Vernunft ist nur der Sklave der Affekte. Sie darf eine andre Funktion nie beanspruchen, als die, denselben zu dienen und zu gehorchen.

Aber man kann dieselbe These noch auf anderm Wege be- weisen. (Hier gibt Hume der Wesensbestimmung der Affekte eine wichtige Ergänzung.) ,

Die Vorstellung stellt ein Ding vor oder ist Abbild eines Dinges, sie repräsentiert dieses Ding. Der Repräsentant (V.) soll dem Repräsentierten (D.) entsprechen, dann trifft die Vorstellung den gemeinten Gegenstand oder das Abbild entspricht dem Ur- bild. Ist dies der Fall, so ist die Vorstellung richtig, wahr oder vernünftig. Trifft dagegen die Vorstellung den Gegenstand nicht, so ist sie unrichtig, falsch oder unvernünftig. Ganz anders nun steht es bei den Affekten. Ein Affekt ist ein „originales Etwas" oder die Modifikation eines solchen. Er verdankt nicht Entstehung und Bedeutung etwas anderem, das er eigentlich meint, er ist etwas in sich und weist nicht eo ipso auf etwas anderes hin. Der Affekt hat keinen Gegenstand, auf den er gerichtet jist, er kann ihn also auch nicht treffen oder verfehlen, er ist kein Re- präsentant oder Abbild. Wenn ich z. B. ärgerlich bin, hat das durchaus keine Beziehung auf einen Gegenstand; der Ärger kann weder wahr noch falsch sein, also kann er auch nicht der Vernunft widersprechen oder ihr gemäß sein. „Damit etwas der Vernunft widerspricht, muß es zu ihr in Beziehung stehen, das aber ist nur im Urteil der Fall."

») Vgl. Spinoza, Ethik. Buch IV, Lehrs. 7: „Ein Affekt kann nicht anders gehemmt oder aufgehoben werden, als durch einen andern entgegen- gesetzten und stärkeren Affekt." Ähnlich IV, Lehrsatz 14.

Humes Lehre von den Prinzipien der Ethik. oj

Nun sind AfTekte und Handlungen mit urteilen verknüpft, und diese Urteile können natürlich wahr oder falsch sein. Also insofern, aber auch nur insofern, können Affekte mit der Vernunft in Beziehung stehen, ihr gemäß sein oder ihr widerstreiten. Und zwar ist das auf zweierlei Weise möglich:

1. Der Affekt kann auf der Voraussetzung des Daseins von Dingen beruhen, die in Wirklichkeit nicht existieren.

2. Man kann bei Betätigung eines Affektes Mittel wählen, die dem Zweck nicht entsprechen. Wir haben oben darauf hinge- wiesen, daß HuME den Affekt und das Wollen nicht klar scheidet. Auch an dieser Stelle kann man unter „Affekt" nur das Wollen verstehen. „Vielleicht will ich die Ausführung gewisser Hand- lungen als Mittel zur Erreichung eines gewünschten Gutes. Dann ist mein Wollen dieser Handlungen nur ein sekundäres, und be- ruht auf der Voraussetzung, daß diese Handlungen Ursache der gewollten Wirkung sind. Sobald ich den Irrtum dieser Voraus- setzung erkenne, müssen sie mir völlig gleichgültig werden." PIuME faßt noch einmal in folgender Weise seine Behauptungen zusammen:

„Beruht ein Affekt nicht auf falschen Voraussetzungen, und werden keine für den Zweck unzulänglichen Mittel gewählt, so kann derselbe durch den Verstand weder gerechtfertigt noch ver- dammt werden. Es läuft der Vernunft nicht zuwider, wenn ich . Heber die Zerstörung der ganzen Welt will, als einen Ritz an meinem Finger."

Also der Affekt (und das Wollen) widerspricht nie der Ver- nunft, sondern nur das damit verbundene Urteil.

Zuletzt spricht Hume Vermutungen darüber aus, wie ein der- artiges Vorurteil vom Streit der Affekte mit der Vernunft zu- stande kommen könne. Ruhige Affekte nämlich, die natürlich mit heftigen streiten können, werden mit Tätigkeiten der kühlen, kalt abwägenden Vernunft venvechselt wegen gewisser äußerer Momente. So ist Abneigung gegen das Übel und Streben nach dem Guten ein Affekt, ebenso Wohlwollen, aber diese Affekte treten ohne starke Gefühlserregungen auf. Daher halten wir sie für Vernunft.

Kapitel IV.

Kritik der Humeschen Theorie von den Motiven

des Willens, vornehmlich von der Motivation

durch Vernunft.

§ I.

HuMEs Verständnis der Gemütserlebnisse und der Motivation zwischen diesen.

Wenden wir uns nun zur Kritik der eben dargestellten Theorie.

In diesem Kapitel „Von den Motiven des Willens" sind die Grundlagen der praktischen Philosophie Humes enthalten. Es kommt uns also bei der Tendenz dieser Arbeit alles darauf an, dieses Kapitel richtig zu verstehen und zu würdigen.

Wie notwendig aber unsere früheren Betrachtungen, beson- ders die über das Wesen der Motivation waren, zeigt sich sofort. HuME meint eigentlich überall das Motiv, aber er spricht von Ur- sache; und indem er die Merkmale der Ursache auf das Motiv überträgt, vermengt er sofort beide Relationen und verschiebt damit von vornherein die vorliegenden Probleme.

Er will zeigen, daß eine bloße Beziehung von Vorstellungs- inhalten oder Vorstellungen (bei Hume wird beides nicht ausein- ander gehalten) nicht Motiv eines Wollens und Handelns sein kann, daß immer ein Gefühls- oder Willensmoment, ein Wert- moment, damit verflochten sein muß. Für ihn ist es aber von vornherein eine ausgemachte Sache, daß Motiv und Ursache gleichbedeutend sind. Die Gefühle und Affekte sind ihm dann keine Gegebenheiten mehr, keine Intentionen, deren innerer Ge- halt und Konstitution zu erforschen ist, sondern psychische

Humes Lehre von den Prinzipien der Ethik. rio

Energien, die durch Druck und Stoß aufeinander und auf den Willen wirken. Verfolgen wir das im einzelnen.

Nach HuME ist es gänzlich falsch, von einem Kampfe der Vernunft mit den Affekten zu reden, wie das bei Philosophen und Laien so häufig geschieht.

Er sucht dagegen zu zeigen, daß es unmöglich ist, daß die Vernunft die Affekte beeinflußt, was doch bei einem Kampfe zwischen beiden die erste Voraussetzung sein müßte. Vernunft und anderseits Afifekt und Wollen sind völlig heterogene Funktions- weisen des menschlichen Geistes. Die Vernunft hat nur zwei Funktionsweisen. Sie vollzieht Relationen zwischen Ideen, die schon in ihr liegen, oder sie bringt Beziehungen zwischen Tat- sachen hervor, die ihr schon gegeben sind. Sie ist inaktiv, wie HuME sagt. Wollen und Affekte dagegen führen zu Handlungen, sie bringen etwas hervor in der Welt der Realitäten, sie sind aktiv,

Geben wirHuME nun einmal zu, daß der Verstand nur diese beiden Tätigkeiten habe, Relationen zwischen Ideen und Urteile über „matters of fact". Nun kann der Ausdruck „Relationen zwi- schen Ideen" zweierlei bedeuten, einmal mathematische Beziehungen, gleichgültig ob sie jemand denkt oder nicht; und zweitens das Denken dieser Beziehungen (bei Hume ist allerdings meist das letztere gemeint). Es ist klar, daß eine mathematische Beziehung an sich keinen Affekt hervorrufen oder zerstören kann, weder im Sinne der Motivation noch in dem der Kausation. Also damit hat Hume recht; aber er hat auch recht, wenn wir unter den Rela- tionen den Vollzug dieser Relationen verstehen. Die bloß theore- tische Einsicht in einen mathematischen Zusammenhang vermag keinen Willensakt hervorzurufen. Gewiß muß ich vorher die Ab- sicht, also den Willen, haben, den mathematischen Beweis zu verstehen, d. h. den ganzen Zusammenhang der einzelnen Beweis- schritte, und dieser Wille zieht sich dann durch die ganze Kette der Einsichten hindurch. Was wir hier vollziehen, sind intellek- tive Akte, zusammengehörig, einen Komplex bildend, durch die Einheit des Gegenstandes, d. h. des Beweises. Nun kann es vor- kommen, daß wir nach der Einsicht in diesen Zusammenhang unsre Kenntnisse anwenden möchten, wir wollen Aufgaben lösen, um das, was wir uns eben zum Verständnis gebracht haben, an- zuwenden. Hier hat es doch den Anschein, als ob die bloßen Relationen

Neuhaus, Humes Lehre von den Prinzipien der Ethik. 3

04 Karl Neuhaus.

zwischen Ideen (d.h. die von uns erfaßten) unsern Willen motivierten? Ist das wirklich "so? Es ist gar keine Frage, daß sich zwischen dieses Wollen und jene intellektiven Akte ein Wertgefühl ein- schiebt. Der Beweis interessiert uns, wir werten ihn als etwas Interessantes. Und dieses Wertgefühl ist ein ganz bewußtes. Vielleicht kommt auch die Freude dazu, Gelerntes anzuwenden. Also die „Verstandestätigkeit" allein ist wirklich nicht imstande, einen Willen oder ein Gefühl hervorzurufen. Sollte man diese sogenannte Tatsache nicht in Form eines Wesensgesetzes aus- sprechen können, dahin lautend, daß wertende Akte nur motiviert sein können in wertenden Akten? Bei Hume wird die Sache so dargestellt, als ob es Gesetz der menschlichen Natur, und näher der menschlichen Psyche sei, daß wertende Akte, wie Gefühl, Begehren, Wollen usw. nur kausiert werden durch andre wertende Akte. Das können wir in dieser Form nicht anerkennen. Ein- mal wissen wir von Kausalität nichts, vielmehr nur von Motivation, als etwas in den Akten selbst gegebenem. Jederlei Akte, wenn man sie als psychische Realitäten faßt, wird man ja als irgendwie kausiert ansehen, und zugleich wird es hier nicht gelten, daß wertende Akte nur durch wertende Akte kausiert werden. Bei der Motivation ist die Sachlage eine ganz andere. Hier gilt jenes Wesensgesetz ausnahmslos, wie ja überhaupt Wesensgesetze als Gesetze, die aussagen, was in dem in genereller Intuition adäquat zu erfassenden „Wesen" unaufhebbar gründet, absolut gelten; von Ausnahmen zu sprechen hat hier gar keinen Sinn. Nicht alle wertenden Akte sind motiviert, es liegt in ihrem Wesen, daß ein letzter unmotivierter Akt da sein muß, wie wir das beim Wollen gesehen haben. Aber, wenn er motiviert ist, kann er nur durch einen wertenden Akt motiviert sein. Und all dies liegt nicht in der zufälligen Natur der menschlichen Konstitution, sondern das gründet immanent im Wesen des Wertens und Wollens überhaupt. Verweilen wir noch bei dem Satze über die Motivation bei wertenden Akten. Ein Gefühl (natürlich ein intentionales)^) kann nur motiviert sein durch ein anderes. Es wäre falsch, wenn man annehmen wollte ein Gefühl, etwa ein Gefallen, werde durch seinen Gegenstand hervorgerufen oder motiviert. Man sollte in immanenter Analyse diese Reden von „Hervorrufen" usw. über-

') Näheres darüber siehe S. 47/48 dieser Abhandlung.

Humes Lehre von den Prinzipien der Ethik. oe

haupt lieber vermeiden. Der Gegenstand, auf den sich ein Ge- fallen richtet, kann unmöglich sein Motiv sein. Der Gegenstand konstituiert sich ja überhaupt erst als gefälliger, wertvoller, mit dem Gefühl und durch dasselbe. Das Motivationsverhältnis drücken wir ja sprachlich durch „weil" aus. Man könnte fragen, was dieses „weil" hier, bei einem einfachen intentionalen Gefühl, zu schaffen hat. Ein Gefühl kann nur motiviert sein durch ein anderes (oder durch ein Begehren), z. B. durch Freude, durch Hoffnung usw. Hier wird unser früher ausgesprochener Satz bestätigt, daß Moti- vation ein Verhältnis zwischen Akten ist. Ebenso ist es im Be- gehren. Wir fragen etwa jemanden, warum möchtest du den Gegenstand haben? Die Antwort ist entweder: nun, weil ich ihn eben haben möchte; (d. h. das Begehren hat dann kein Motiv). Oder: weil er mir gefällt.

Über das Wollen haben wir früher gesprochen. Zu Zwecken der Kritik genügen diese Andeutungen.

So hat HuME überall etwas Richtiges gesehen, aber durch Einmengung psychologischer und insbesondere psychogenetischer Motive hat er die deskriptive Sachlage verfälscht; das hier, wi6 überall, im Empirischen waltende Apriori, der phänomenologische Wesenszusammenhang kommt bei ihm nicht zur Abhebung.

Auch den grundwesenthchen Unterschied, der zwischen den intellektiven und den wertenden Akten besteht , hat Hume be- merkt. Wir würden zwar den Ausdruck nicht korrekt finden, daß der Wille sich in der Welt der Realitäten bewegt, aber wir haben festgestellt, daß der Gegenstand des Urteils ein Sachver- halt, der des Wunsches und Willens ein total andrer ist: ein Wunsch- bzw. Willensverhalt.

Kann die sogenannte erste Tätigkeit des Verstandes kein Ge- fühl „hervorrufen", so auch nicht die zweite, das Urteilen über matters offact. Di^ Erkenntnis kann uns nur als Leitfaden dessen dienen, was wir zu suchen und zu meiden haben, was mit den Gegenständen, die Lust und Unlust bereiten, in kausaler Beziehung steht. Denn nur Lust und Unlust treiben uns zum Wollen.

o6 Karl Neuhaus.

§ 2.

Exkurs über die „Lustheorie".

Hier kehrt die alte, schon von Aristoteles bekämpfte Theorie zurück, daß wir nur begehren, was uns Lust bereitet. Es lohnt sich, auf diese auch heute noch verbreitete Theorie einen Bhck zu werfen^). Insbesondere auf eins sei hingewiesen. Man hat sich bisher nur die Frage vorgelegt: sind alle unsre Strebungen auf Lust gerichtet? Man stellte also die Tatsachenfrage. Eine uns durch die neue Phänomenologie gestellte andre Frage ist diese: Gehört es zum Wesen des Begehrens, daß nur Lust begehrt werden kann? Die erste Frage könnte bejaht werden, ohne daß die zweite bejaht werden müßte. In Wirklichkeit wird man beide verneinen müssen.

Knüpfen wir an Aristoteles an 2). Er bekämpft die Ansicht des EuDOXOs, der folgende Theorie aufstellt:

1. Alles strebt nach Lust. Immer ist das, was begehrt wird, auch das Zuträgliche, Nützliche, Richtige. Wenn also alle nach demselben streben, so ist dies eben das eigentliche Gute, Er- strebenswerte, das höchste Gut.

2. Dasselbe ist evident aus dem Gegenteil. Die Unlust ist etwas, das an sich von allen gemieden wird, ebenso wie das Gegenteil von allen erstrebt wird.

3. Dasjenige ist am meisten erstrebenswert, was um seiner selbst willen erstrebt wird. Es hat bei der Lust an der Lust keinen Sinn mehr zu fragen, warum man diese Lust habe.

4. Endlich wird jedes Gut erstrebenswerter, wenn daraus Lust resultiert. Eine Wohltat ist noch erstrebenswerter, wenn sie dem Wohltäter selbst zugleich Lust bereitet.

An dieses letzte Argument knüpft Aristoteles an und sagt: Hierdurch werde zwar gezeigt, daß Lust ein Gut ist, aber es werde damit keineswegs bewiesen, daß ihr eine Sonderstellung zukommt. Denn „jeder Wert ist zusammen mit einem anderen Werte erstrebenswerter als der eine Wert allein" 3).

^) Vgl. auch die Ausführungen von Schwarz, Psychologie des Willens. § 10 u. § 18.

*) Aristoteles, Ethica Nicom. Hb. K. cap. 2.

') Träv yoLQ fiet hsgov ^ayadov aiQtrdixsQOv ^ /tovovfifvov. Vgl. auch F. Bren- tano, Ursprung der sittl. Erkenntnis, S. 25, und Schwartz , Psychologie des Willens. S. 103.

Humes Lehre von den Prinzipien der Dthik. ^y

Diejenigen gehen nun wieder zu weit, welche behaupten, die Lust sei überhaupt kein Gut. Gewiß ist sie ein Gut. Darauf folgt eine Polemik gegen die, welche die Lust aus irgendwelchen Gründen nicht als Gut gelten lassen wollen. Das können wir hier unberücksichtigt lassen, um uns nur darauf zu beschränken, die Einwände gegen die oben angeführte Lusttheorie beizubringen.

Man hat behauptet, fährt Aristoteles fort, Lust sei die Er- füllung eines natürlichen Bedürfnisses. Die „Hedone" ist aber keine „Anaplerosis", sondern wem diese zuteil geworden ist, der freut sich darüber, empfindet darüber Lust. Diese Meinung scheint entstanden zu sein aus der Beobachtung der Lust und Unlust bei der Befriedigung oder Nichtbefriedigung von Nahrungs- bedürfnissen. Der Hungrige empfindet Lust bei der Stillung des Hungers. .Aber es handelt sich durchaus nicht bei jeder Lust um die Befriedigung eines Bedürfnisses. So ist in der Freude an mathematischer Beschäftigimg von Erfüllung eines Naturbedürf- nisses nichts zu merken. Endlich ist nicht alle Lust von einerlei „Eidos", von einerlei Art. Anders ist die Lust aus sittlich Gutem, und anders die aus sittlich Verwerflichem. Einige Arten von Lust können gar nicht alle Menschen haben, z. B. nur der Gute und Edle kann an Gutem Lust haben, der Gebildete allein an Kunst und Wissenschaft Niemand möchte sich mit den Freuden be- gnügen, die das Kind kennt. Aristoteles schließt diesen Passus mit der Bemerkung: „Um vieles würden wir uns eifrig bemühen, auch wenn es keine Lust brächte, z. B. Wahrnehmen, Erinnern, gewisse Fähigkeiten zu haben. Wenn aber diesen Dingen not- wendig eine Lust folgt, so sagt das gar nichts."

Also in der Hauptsache sind es drei Gegenargumente, die Aristoteles vorbringt.

1. Nicht alles Begehren und Streben überhaupt geht von einem Mangel aus, so daß wir darin Unlust meiden, Lust suchen.

2. Nicht alle Lust ist gleichartig.

3. Man muß nicht die Lust, die der Begehrungserfüllung folgt, als begehrte Lust interpretieren.

Mit seinem zweiten Argument schneidet Aristoteles eigentlich schon der extremen Form der Lusstheorie *) das Wort ab. Diese

*) Der z. B. eine ethische Theorie entstammt, die lehrt, es sei die Auf- gabe des Menschen, „die größte Lust der größten Anzahl" zu fördern. \'gl. O. Kraus, Zur Theorie des Wertes. Die Schrift bietet eine wertvolle Er- gänzung zu unsern nur summarischen Ausführungen.

q8 Karl Neuhaus.

behauptet, alle Lust ist qualitativ gleichartig. Wir streben immer naqh demselben, nach Lust. Die Gegenstände unterscheiden sich für das Begehren nur dadurch, daß sie mehr oder weniger Lust bereiten. Wir ziehen etwa auch einen Gegenstand einem anderen vor, weil wir von ihm mehr Lust erwarten. So ist also alle Ver- schiedenheit im Werten und Begehren auf Quantitatives zurück- zuführen.

Was man sich unter einem Quantum Lust denken soll, ist nicht abzusehen. Etwas derartiges müßte z. B. in einem Akte des Vorziehens zum Bewußtsein kommen. Man müßte also einen Lustmesser haben, mit dem man die Lust beim Genuß eines Kunstwerkes mit der beim Genuß einer wohlschmeckenden Speise vergleichen könnte.

Aristoteles wendet mit Recht ein, daß nicht alle Lust gleich- artig sei. Nun gibt die Lusttheorie in ihrer milderen Form die verschiedenen Arten der Lust zu. Aber immer noch behauptet sie, daß wir nur nach Lust streben oder nur nach Lust begehren^).

Derj einige, welcher nicht durch eine Theorie voreingenommen ist, \yird das nicht ohne weiteres anerkennen. Er wird darauf hinweisen, daß wir zwar nach Lust begehren können, daneben aber doch auch nach allen möglichen anderen Gegenständen be- gehren. Das finden wir vor, wenn wir das Erlebnis des Be- gehrens ansehen, und das kann keine Theorie widerlegen, weil es eine letzte Gegebenheit ist. Also wir können mit Recht ver- langen, daß die Lusttheorie diese Differenz zwischen der „unmittel- baren Erfahrung" und ihren .Hypothesen erklärt. Dann hebt in der Tat die Schwierigkeit für die Theorie an, wenn es sich darum handelt, zu erklären, daß wir nicht nur Lust, sondern vieles Andere begehren. Der Hedoniker bestimmt nun seinen Satz dahin, daß jeder Gegenstand „um der Lust willen" begehrt werde, die er wecke.

Was bedeutet das „um willen?" Zwei Auffassungsweisen sind hier möglich.

I. Entweder es liegt in dem „um willen" eine Motivation. Dann heißt der Satz: Alles Begehren ist ein Streben nach Lust.

') Wir beschränken uns hier, von Hume ausgehend, nur auf das Be- gehren. Für das Werten und Wollen wäre das Entsprechende auszuführen, wenn es sich nicht einfach von selbst ergibt.

Humes Lehre von den Prinzipien der Ethik. qq

Also jedes Begehren, das nicht selbst auf Lust geht, ist motiviert, und zwar durch ein Begehren nach Lust.

Auch diese Behauptung widerstreitet dem Erlebnis, in dem wir etwas begehren, das nicht Lust ist, und das auch nicht moti- viert ist. Daß ein derartiges Begehren möglich ist, kann man gar nicht bezw^eifeln! Oder meint man vielleicht, daß dabei das Streben nach Lust unbewußt sei? Das mag sein, dann sehen wir aber nicht ein, wie man davon überhaupt wissen kann. Und gehört nicht zum Wesen eines motivierten Strebens die Mög- lichkeit, sich das Motiv in expliziter Vorstellung evident zu machen?

Lassen wir gelten, daß auch Lust begehrt werden kann, und daß dies ein Motiv für ein anderes Begehren sein kann. Ich möchte mich z. B. irgendwie vergnügen. Dann fällt mir vielleicht etwas ein, durch das ich mir das Vergnügen bereiten kann. Dann begehre ich diesen bestimmten Gegenstand, weil ich Lust begehre 2). Die Möglichkeit dieser Motivation geben wir zu, nicht dagegen, daß jedes Begehren sich so vollziehen müsse.

2. Oder „um der Lust willen" wird folgendermaßen inter- pretiert:

Ich begehre ein Objekt. Ich stelle mir dabei vor, daß ich bei Eixistenz des Begehrten Lust empfinde. Ich möchte etwa eine Reise nach Italien machen. Wie schön wäre es, sage ich mir, wenn ich jetzt in Italien wäre oder die Reise dorthin machte. Also ich versetze mich in der Phantasie in die gewünschte Situation und habe Lust, d. h. eine Quasi-Lust, eine Lust in der Phantasie. Diese Lust ist selbstverständlich nicht begehrt. Aber der Gegen- stand ist begehrt, der mir als „lustvoller" vorschwebt. Hier kann man in einem uneigentlichen Sinne sagen: Der Gegenstand ist begehrt, „um der Lust willen".

Dagegen hätten wir zwei Einwände. Erstens hat es keinen Sinn, von einem Gegenstande zu sagen, er sei lustvoll. Lust ist etwas in einem Erlebnis. Will man aber die Rede von lust vollen Gegenständen nicht wörtlich nehmen, so nenne man auch die

-) Wie mir scheinen will, heißt das nur so viel, daß der begehrte Gegenstand unbestimmt ist. Da es nun im Sinne des Begehrens liegt, daß nur „Wertvolles" begehrt wird, so ist dieses „irgend etwas" jedenfalls „lust- voll" schon dadurch, daß es begehrt wird. Es liegt in diesem Beispiel wohl keine Motivation vor; sondern der Gegenstand, der vorher unbestimmt war, wird nur bestimmt.

Ao Karl Neuhaus.

Sache anders. Eine schiefe Terminologie kann gerade hier viel Schaden anrichten. Wenn man die Theorie von Grund aus be- seitigen will, muß man mit diesem unklaren Begriff der „Lust" anfangen.

Zweitens ist diese Quasi-Lust nicht in jedem Begehren vor- handen. Ich kann vom Begehren abschweifen und mich dann in den betreffenden Zustand hineinversetzen, aber das ist nicht not- wendig.

Daß aber die Theorie in der zweiten P^orm einen bedeut- samen Gedanken enthält, werden wir nach Einführung des Begriffes „Wert" sehen. Man kann wohl sagen, wir selbst haben davon gelegentlich der Wunschanalyse gesprochen daß es zum Sinn des Begehrens gehört, daß der begehrte Gegenstand diese gewisse Färbung hat, die man gewöhnlich ,,Lust" nennt.

Keinesfalls aber kann der Satz aufrechterhalten werden, daß Alles ,,um der Lust willen" begehrt w^rd, mag man ihn nun wörtlich oder im übertragenen Sinne verstehen.

Wie wir schon andeuteten, haftet der Lusttheorie ein funda- mentaler Mangel an. Sie operiert mit einem Begriff, der durchaus unklar ist. Lust ist ein Gattungsmerkmal, ein Moment, das in allen wertenden Akten, aber in gar verschiedener Weise vor- zufinden ist. Sollen wir nun nach ,,Lust überhaupt" streben, und soll sich diese durch die einzelnen Gegenstände spezifizieren? i\lso ist jedes Streben auf etwas Unbestimmtes gerichtet? Man sage nicht, wir wüßten aus Erfahrung, was Lust sei. Das wissen wir keineswegs. Wir haben erfahren, was Freude, Liebe u. dgl. ist, aber nicht was Lust ist. Das wessen wir nur durch Ab- straktion. Theorien dieser Art pflegen sich ja mit besonderer Vorliebe auf die Erfahrung zu berufen, und im Grunde sind sie doch weiter nichts als metaphj'sische Hypothesen. Sie können gar nicht auf Erfahrung beruhen, denn diese lehrt etwas ganz anderes. Wir begehren gar verschiedene Gegenstände, die auch in der Regel, wenigstens nach der Meinung des Begehrenden, durchaus bestimmt sind. Wir wissen, „was wir haben möchten". Habe ich z. B. den Wunsch, daß morgen schönes Wettes ist, so habe ich nicht den Wunsch nach Lust, sondern eben nach schönem Wetter.

Wenn wir nun auch die Lusttheorie in keiner Form gelten lassen können, so gibt sie uns doch zu denken. Wir müssen

Humes Lehre von den Prinzipien der Ethik. az

fragen, wie es kommt, daß sie in der Geschichte der Philosophie immer wieder aufgetaucht ist. In ihr muß wohl etwas liegen, das einen Kern Wahrheit enthält und über die scheinbare Plau- sibilität hinausgeht. Wenn ich etwas begehre, etwas will, so ist mir der Gegenstand doch nicht gleichgültig. Wir haben ja gesagt, daß in den wertenden Akten ein Lustmoment zu finden ist. Solche Zweifel sind durchaus berechtigt.

Wir sprachen oft von ,, wertenden" Akten, und damit nannten wir schon den Begriff, der hier überall eine Lösung in Aussicht stellt, den Begriff des Wertes. Der Gegenstand, der begehrt wird, muß dem Begehren irgendwie wertvoll erscheinen. Auch würden wir ein Ziel nicht wollen, wenn es uns nicht irgend einen Wert^) repräsentierte.

Der Hedoniker würde uns das vielleicht zug-eben und sich freuen, daß wir soweit mit ihm übereinstimmen. Denn wir haben ja scheinbar weiter nichts getan, als einen neuen Namen für eine alte Sache eingeführt. Was früher Lust hieß, nennen wir jetzt Wert. Aber wozu die neue Terminologie? Wir können ja jetzt mit demselben Recht sagen: Jeder Gegenstand wird um seines Wertes Willen begehrt, also ist eigentlich nicht der Gegen- stand, sondern der Wert begehrt. Mithin sind auch nach dieser Auffassung in einem Begehren die Gegenstände immer dieselben.

Daß gegen eine derartige Theorie genau dieselben Einwände am Platze wären, die wir gegen die Lusttheorie vorbrachten, braucht kaum gesagt zu werden. Zunächst haben unsere obigen Bemerkungen nicht sagen wollen: Alles Begehren richtet sich auf seinen Gegenstand „um des Wertes willen". Das würde heißen, daß wir eigentlich den Wert begehrten, und dann würden wir eben nicht den Gegenstand begehren. Das können wir auch gar nicht, denn der Gegenstand hat den Wert, (zunächst den sub- jektiven für den Begehrenden) wenn wir ihn begehren. Wir haben vielmehr gesagt: Ein Gegenstand wird nur begehrt, wenn er irgendwie wertvoll erscheint. Also das Wertvolle am Gegen- stande ist die Voraussetzung dafür, daß er begehrt wird, aber nicht das eigentliche Ziel oder Objekt des Begehrens.-)

^) Wert ist hier im allerweitesten Sinne zu nehmen. "0 So kann man in objektiver Redeweise sagen. Vom Standpunkt des Begehrens aus heißt das: das Begehrte erscheint als wertvoll. Das liegt im

Karl Neuhaus.

Ferner ist die Lust nichts am Gegenstande, der Wert aber ist ein Moment des Gegenstandes. Der Wert ist auch nicht mit begehrt. Wohl kann das Werten eines Gegenstandes, das Ge- fallen am Gegenstande, Motiv sein für das Begehren ; aber im moti- vierten Begehren selbst ist das Motiv nicht mehr als solches „wirksam", an Stelle des Gefallens am Gegenstande ist eben ein neuer Akt- charakter, eine neue Intention getreten, eben das Begehren. Und zwar steht dann der Gegenstand als schon gewerteter, als ge- fälliger, da. So ist es auch im unmotivierten Begehren. Der Gegenstand muß uns also irgendwie gegeben sein, er muß apper- zipiert sein, und hier ist er schon als gefälliger apperzipiert.

Also der Wert ist nicht wie die Lust etwas im Erlebnis, sondern etwas am Gegenstande, dem natürlich etwas im Erlebnis entspricht, nämlich das Werten. Daß nun in jedem Werten ein .Lustmoment enthalten ist, ist nicht zu bezweifeln. Darauf geht ^ber nicht die Intention im Weiten und Begehren. Das zu be- .h^upten, wäre etwa so absurd, als wenn man sagen woUte, die Wahrnehmung eines Gegenstandes sei zugleich auf die Empfin- , jungen gerichtet, die die präsentierenden Inhalte in der Wahr- nehmung sind. Eine Bemerkung könnte hier auf Widersprucji stoßen. Man wird nämlich nicht zugeben wollen, daß der Wert etwas am Gegenstande sei. Freilich ist diese Redeweise cum grano salis zu verstehen. Der Wert ist nicht eine Eigenschaft am Gegenstande wie das Rot oder Viereckig. Und doch hat auch der Wert wie diese seine Repräsentanten. Der Farbe des Gegen- standes entspricht ja die Empfindungsfarbe. Und so entspricht dem Wert des Gegenstandes ein gewisses Lustmoment, im Ge- fallen, in der Freude usw.; dieses Lustmoment strahlt gleichsam ■hinüber auf den Gegenstand und auch hier entsprechen sich in gewisser Weise Lust und Wert; die Lust ist verschie- denartig und ebenso der Wert. Wir werten eine gute Zigarre anders als eine sittliche Tat, und in beiden FäUen ist auch die Lust eine andere. Selbstverständlich ist das Lustmoment nicht der Wert, sondern der Gegenstand ist wertvoll, Stellen wir uns

„Sinne" des Begehrens. Ist es als Begehrtes „gesetzt", so ist immer damit das Wertmoment gesetzt.

Hier wird klar, daß in jener zweiten Form der Lusttheorie ein guter Kern steckt. Nur verleitet es zum mindesten zum Irrtum, wenn man jenen Sachverhalt durch die Worte ausdrückt: „um der Lust willen".

Humes Lehre von den Prinzipien der Ethik. ao

einen lieben Freund vor, so wissen wir, was wir hier mit „Wert" meinen. Dann ist uns nicht unsere Freude (an dem Freunde) wertvoll, sondern der Gegenstand, der Freund. Es gilt wie überall so auch hier, daß wir im „Vollzuge" des Aktes nicht einem -Moment im Akte, sondern dem Gegenstande zugewendet sind.

Wir betonten, daß der Gegenstand des Begehrens „irgendwie" wertvoll ist. Damit wollen wir nicht sagen, daß uns im Begehren eines Gegenstandes das Abstraktum „Wert" vorschwebt, sondern der Gegenstand hat einen ganz bestimmten Wert, dessen wir uns im Begehren gar nicht ausdrücklich, etwa in Form eines Wert- urteils, bewußt zu sein brauchen, da wir ausschließlich dem Gegen- stande zugewendet sind. Er ist gefällig, angenehm, nützlich oder dergleichen. Alles das hat etwas Gemeinsames, das Wertmoraent. Wir mej-ken sofort, daß diese Eigenschaften etwas wesentlich an- deres sind, als wenn wir von einem Gegenstande sagen, er sei rot, rund, schwer usw.

Wie wir sahen, vertritt auch Hume die Lusttheorie. Er legt aber kein prinzipielles Gewicht darauf. Auch erscheint sie bei ihm nicht in extremer Form. Er erkennt ja in seiner Ethik aus- drücklich an, daß z. B. die Lust an einer guten Tat eine ganz be- sonders geartete Lust sei, wie überhaupt nicht jede Lust gleich- artig sei.

Immerhin haben wir einige wichtige Ergänzungen zu Humes Bemerkungen über die Gefühle und das Begehren hinzugefügt.

Die Gefühle der Lust und Unlust veranlassen uns nun nach Hume, auch auf andere Gegenstände zu achten, die mit den lust- bereitenden Gegenständen in der Beziehung von Ursache und Wirkung stehen. Nur soweit soll der Verstand im Gebiet des Fühlens und WoUens eine Rolle spielen, er ist der Sklave der Affekte.

Wenn diese Bemerkung wörtlich genommen werden soll, ist sie schon deshalb falsch, weil sie auf der Lusttheorie beruht. Was Hume meint, scheint dasjenige zu sein, was man heute mit dem Terminismus „sekundärer Wert" bezeichnet. Ich werte z. B. einen Gegenstand um eines anderen Willen. Ein Gegenstand, der einer von mir geschätzten Person gehört, ist mir vielleicht um ihret- willen lieb. Dieses Beispiel allein zeigt, daß die genannte Be- ziehung durchaus nicht immer die Ursachbeziehung ist. Inwiefern soll die Person die Ursache ihres Besitzes sein? Unter den

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Karl Neuhaus.

modernen Werttheoretikern vertritt Meinung die Ansicht, daß der sekundäre Wert zu dem primären, eigentlichen Werte immer in dieser kausalen Beziehung steht i) Es ist nicht einzusehen, warum hier nur diese Beziehung statthaben soll. Ähnlichkeit, Kontrast und vieles andere kann die Beziehung zwischen dem primären und sekundären Werte gleich gut bilden.

Übrigens sieht man hier sofort, daß dieses „um willen" beim Wert in einer nahen Beziehung zum Motivwollen steht. Das Werten ist hierin dem Wollen gleich. Das „ursprüngliche" Wollen und Werten richten sich beide auf den „eigentlichen" Gegenstand, das mittelbare WoUen und Werten auf das sekundäre. Andererseits nimmt der sekundäre Wert in der Wertkonstitution dieselbe Stelle ein, wie das Mittelziel im Wollen.

HuME hat recht, wenn er sagt, daß hier auch der Verstand beteiligt sei. Wir müssen ja z. B. den Gegenstand als Eigentum der geliebten Person erkennen, und so in jedem Falle zunächst als so oder so bestimmten auffassen, ehe wir ihn unmittelbar oder mittelbar werten.

Ob wirklich ein Gefühl und ein Wille nur der Vernunft wider- streiten könne, wenn das zugrunde liegende Urteil falsch ist, werden wir gleich nachher prüfen. Jedenfalls ist richtig, daß man nicht von einem W^illensirrtum oder Gefühlsirrtum sprechen kann, wenn das zugrunde liegende Urteil falsch ist. Wenn ich z. B. meine Uhr vermisse und der Überzeugung bin, daß sie mir jemand gestohlen hat, während ich sie in Wirklichkeit verlegt habe, so wird man den Zorn über das Verschwinden der Uhr nicht unberechtigt nennen. Wäre es wirklich so, wie ich glaubte, so würde der Zorn durchaus berechtigt sein. Falsch ist nur meine Überzeugung, die dem Zorn zugrunde liegt.

HuME vertritt hier überall die Eigenberechtigung der wertenden Akte gegenüber der sogenannten Vernunft. Und er hat mit seiner Polemik gegen den Kampf der Vernunft mit den Affekten wirklich den Grundirrtum in der Ethik des Rationalismus getroffen. Er selbst nun aber geht in dieser Richtung zu weit, indem er dem Gefühl und dem Willen jede Beziehung zu einer „Vernunft" abspricht.

^) Melnong, Werttheorie. S. 60.

Humes Lehre von den Prinzipien der Ethik. ^e:

§3-

Die fundamentalen Irrtümer der Humeschen Theorie.

Wenn wir die Humesche Theorie bisher im einzelnen kri- tisiert haben, so gilt es jetzt, prinzipielle Mängel, grundirrige Voraussetzungen hervorzuheben.

Wir haben gesehen, daß man die Frage nach dem Verhältnis der intellektiven zu den wertenden Akten mit gutem Rechte stellen kann, und daß sie sich wesensgesetzlich lösen lassen wird. Die fundamentale Wichtigkeit des Problems hat Hume zwar erkannt, aber er hat es von vornherein schief gestellt. Wo immer von Vernunft die Rede ist, da liegt keine Frage über Tatsachen vor. Zwischen Motiv und Ursache macht Hume keinen Unterschied, und schon damit hat sich die eigentliche Frage in eine Tatsachen- frage verwandelt.

Die Argumente, durch die er zu beweisen sucht, daß die Vernunft die Affekte und den Willen nicht beeinflussen kann, sind früher gegeben worden. Worauf beruhen sie?

Vernunft wird mit Verstand identifiziert und als ein mensch- liches Vermögen angesehen, als das Vermögen zu urteilen. Ver- nunft bewegt sich im Reiche der Ideen und ist „inaktiv". Diesem Vermögen zu urteilen wird als etwas durchaus Heterogenes der Affekt, als psychische Kraft, wirkend in der Welt der Realitäten, aufs schroffste gegenübergestellt. Affekt und Wille sind daher vöUig vernunftlos, sie sind mechanische Kräfte, daher ohne Sinn und Meinung. Sie weisen also nicht über sich hinaus, sie richten sich nicht sinnvoll auf einen Gegenstand, sie sind ein „originales Etwas". Wenn Hume gerade vor ihnen sagt, sie seien aktiv, der Verstand aber inaktiv, so ist das natürlich nicht in unserem Sinne als „Akt" zu verstehen; denn für uns bedeutet Akt nicht ein Wirken, eine Tätigkeit, sondern eine „Intention" auf einen Gegen- stand, ein Meinen, ein Erlebnis überhaupt oder besser ein phäno- menologisches, konkretes Datum, zu dessen Wesen es gehört, sich auf Gegenständlichkeit „zu beziehen"; also gerade das Gegenteil von einem Sinnlosen. Das Gefühls- und Willensleben ist bei Hume zu einem Spiel von sinnlosen Kräften ohne „Geist" und „Vernunft" geworden. An dieser Stelle konnte sich Hume ganz besonders als den Newton der Geisteswissenschaften fühlen, und man kann nicht leugnen, daß er seine in gewissem Sinne geist-

^5 Karl Neuhaus.

volle und jedenfalls neue Hj^pothese mit großem Scharfsinn durchführt.

Die Annahme von der Heterogenität des Gebietes der Vernunft (gleich Verstand) und des Wertgebietes ist richtig, aber die Ar- gumente, durch die Hume sie stützt, sind verfehlt. Freilich ist auch sein Satz nur dann richtig, wenn man ihn passend inter- pretiert. Wir haben oben versucht, den einzelnen Bemerkungen einen tiefer gehenden Sinn zu geben, und man muß anerkennen, daß Hume überall etwas richtiges ahnt und oft sieht. Aber durch psychologische und metaphysische Interpretation verfälscht er das,' was er sieht.

Daß Hume die rein immanente, im kritischen Sinne voraus- setzungslose Betrachtungsweise, die alle echte Erkenntnis- und Willenstheorie fordert, nirgends innegehalten hat, und überall sofort in das Fahrwasser des Psychologismus geraten ist, haben wir schon oft konstatieren können.

Aber selbst wenn er deskriptiv psychologische Analyse und Tatsachenwissenschaft zu treiben beabsichtigt, so geht die Art der Einführung der psychischen Phänomene als Kräfte über die Sphäre einer zulässigen Psychologie hinaus. Er verwendet Ausdrücke, wie Kraft, Impuls, Richtung des Affekts im physikalischen Sinne^) und stellt den Satz auf, daß ein Affekt nur aufgehoben werden' kann durch einen anderen ihm an Kraft gleichen und in seiner Richtung entgegengesetzten Affekt; ein Satz, der offenbar einfach aus der physikalischen Mechanik übernommen ist. Das ist nicht wissenschaftliche Psychologie, das ist dogmatische Metaphysik. Es ist ganz unberechtigt, physikalische Begriffe ohne jedwede Er- klärung auf das Gebiet der Ps3Thologie zu übertragen. Es mag Ja sein, daß ein in gewissem Sinne analoges Gesetz besteht, aber auf keinen Fall ist es erlaubt, ohne jede Analyse und ohne jede Erfahrungsgrundlage den Satz als eine Selbstverständlichkeit hin- zustellen. Auch die Physik ist nicht durch metaphysische Bö- trachtung zu diesem Resultat gekommen. Der Satz ist also auch als Erfahrungssatz über psychische Phänomene unbegründet.

Warum sind nun Affekte und Wollungen mechanische Kräfte, „Verstandestätigkeiten" dagegen nicht? Für diese Hypothese hat

') Das lehrt besonders der Schluß der „Dissertation on the passions", Essays moral, etc. Vol. II, S. i66.

Humes Lehre von den Prinzipien der Ethik. 4-7

HuME allerdings seine Gründe. Die Tätigkeiten der Vernunft haben ihren Gegenstand und weisen über sich hinaus. „Treffen" sie ihren Gegenstand (ihren Sachverhalt), so ist das Urteil richtig oder vernünftig, widrigenfalls ist es unvernünftig. Gefühle und Wol- lungen dagegen haben keinen Gegenstand, sie können ihn also nicht treffen, sie weisen nicht über sich hinaus, können also auch nicht richtig oder falsch sein, sondern sie sind eben Tatsachen. Und von einer Tatsache zu sagen, sie sei falsch, ist widersinnig.

In dieser Argumentation steckt eine Fülle von Verkehrtheiten. Erstens ist die Behauptung, daß Gefühle und Wollungen keinen Gegenstand haben, falsch; eine Hypothese, die auch heute nicht überwunden ist, sondern sich bei vielen Ethikern und Psycho- logen findet. Wäre das richtig, so hätten Gefühle und Wollungen keine Beziehung zur „Vernunft", dann ist aber auch nicht ein- zusehen, auf welche Weise eine Ethik möglich sein soll. Blicken wir doch hin auf einen Akt des Gefühls oder des Wollens. Ich freue mich etwa darüber, daß mein Freund angekommen ist. Was liegt da vor? Meiner Ansicht ist die Freude ein Gefühl, und ihr Gegenstand in unserm Fall die Ankunft des Freundes. Man soll hier nicht erwidern, dieser Sachverhalt sei eben der Gegenstand der zugrunde liegenden Vorstellung. Dann möchten wir wissen, ob die betreffende Freude etwa beziehungslos zum Gegenstande ist, ob sie einfach angekittet ist an die Vorstellung, so daß sie auch wieder abgelöst werden kann, ohne daß der Gegenstand sich ändert

Wir können dieses schwierige Thema hier zwar nicht im Vorübergehen erledigen; nur eins sei bemerkt. Der Gegenstand ^iner Freude ist ein ganz anderer als der eines Urteils, wenn auch der Sachverhalt „genau" „derselbe" wäre. Dem Akt der Freude steht eben der Gegenstand als ein „wertgefärbter" gegen- über. Daß man dies so oft übersieht, scheint darin seinen Grund zu haben, daß man den Wert oder das Wertmoment nur in den Akt verlegt und dann einfach als Lustmoment interpretiert. Man vergißt hier nur, daß wir dem Gegenstande zugewendet sind, nicht dem Akt.

Und doch liegt etwas Richtiges in der Annahme von der bloßen Subjektivität des Gefühls. Hume behauptet, das Gefühl sei keine Intention, kein Akt. Er schiebt überall für „Gefühl"

48 Karl Neuhaus.

das unter, was Husserl Gefühlsempfindung genannt hat. ^) Eine bloße Lust- oder Unlustempfindung ist kein Akt, richtet sich also auch nicht auf einen Gegenstand. Im Hinblick auf sie kann Hume sagen, ein Affekt habe so wenig eine Beziehung auf einen Gegen- stand außer ihm, als wenn, „ich krank oder fünf Fuß groß bin". Eine Lustempfindung muß ebenso wie jede andere Empfindung eine gleichsam vergeistigende Auffassung erfahren, sie muß Be- standteil eines Aktes sein, damit in ihr eine Beziehung auf einen Gegenstand liegt. Wir haben zu unterscheiden zwischen Gefühls- empfindungen und intentionalen Gefühlen, wie Gefallen, Freude usw. Die letzteren übersieht Hume vollständig und viele Neuere mit ihm. Bei den intentionalen Gefühlen trifft es nicht zu, daß sie keine Intentionen sind, daß sie nicht über sich hinausweisen, wie Hume sagt. Dasselbe gilt für das Wollen. Wir selbst haben früher vom Gegenstande des Wollens gesprochen.

Haben wir nun erkannt, daß auch Gefühle und Wollungen ihren Gegenstand haben, so liegt die Vermutung nahe, daß auch sie wie die intellektiven Akte Beziehung zu einer „Vernunft" haben, aber nicht zu einer theoretischen, sondern zur praktischen, wertenden Vernunft. Sprechen wir nicht von unberechtigten Gefühlen, von unberechtigtem Wollen? Wenn sich jemand über das unverdiente Unglück seines Feindes freut, so nennen wir das unrecht. Also auch hier der Unterschied von rechtem und un- rechtem Fühlen.

Faßt man aber das Gefühl und Wollen als ein „originales Etwas" auf, dann hat die Rede von Vernunft, von berechtigt und unberechtigt keinen Sinn. Dann sind Gefühle eben Tatsachen. Andererseits aber muß man dann auch die intellektiven Akte für ein originales Etwas ansehen, d. h. für ein psychisches Ge- schehnis. Beide Betrachtungsweisen sind berechtigt, die erste ist die der Vernunftkritik, die eigentlich philosophische, die andere

^) Es sei hier verwie.sen auf: Husserl, Log. Unters. II, S. 369—374. Zuerst findet sich diese Unterscheidung zwischen Gefühlsempfindungen und intentionalen Gefühlen bei Brentano, allerdings in etwas andrer Form, als Husserl sie vertritt. Vgl. Husserl, a. a. O., S. 371 Anmerkung, und F. Bren- tano, Psychologie vom empirischen Standpunkte. S. iii. Auch C. Stumpf macht den Unterschied zwischen „rein sinnlichen Gefühlen der AnnehmHch- keit und Unannehmlichkeit" und „den eigentlichen Affekten, die sich auf einen Sachverhalt beziehen". (Vgl. Stumpf, Über den Begriff der Gemütsbewe- gung. Zeitschr. f. Psychologie XXI, 1899. S. 47 ff.)

Humes Lehre von den Prinzipien der Ethik. 40

ist die psychologische. Der Akt als psychisches Faktum ist über- haupt nicht im eigentlichen Sinne vernünftig zu nennen. Ver- nünftig heißt er ja nur um seines Wesens, um einer gewissen idealen Bedeutung willen und dessen, was zu ihr idealiter gehört Auch beim Fühlen und Wollen ist es nicht der Willensakt als Erlebnis einer psychischen Person, der unvernünftig (resp. richtig) ist, sondern der identische Inhalt des Wollens, das Wie und das Was des Wollens. Daß die Verhältnisse in anderer Hinsicht wesentlich andere sind als beim Urteil, geht schon aus der Ent- gegensetzung von theoretischer und praktischer Vernunft hervor. Das Wort „Vernunft" erinnert uns zugleich an die Kardinalfrage, die wir hier stellen müssen, und die wohl schon mancher längst erwartet hat, die Frage: Was ist „Vernunft", und was versteht HuME darunter?

Nach HuME ist, wie wir sahen, die Vernunft ein menschliches Vermögen, und zwar nur das Verstandesvermögen oder das Ver- mögen zu urteilen. Eine praktische Vernunft erkennt er nicht an, weil Gefühle und Wollungen etwas schlechthin Außer\'ernünftiges sind. Daß Hume wirklich ein menschliches Seelenvermögen meint, wenn er von Vernunft spricht, sehen wir an den Ausdrücken: Beeinflussung, Wirkung usw., die ja kausal verstanden werden. Außerdem wird ausdrücklich von Funktionsweisen der Vernunft gesprochen, von Vernunfttätigkeiten. Also Vernunft wäre somit eine Realität. Entspringen nun die Urteile aus der Vernunft oder sind sie Funktionsweisen der Vernunft, so müßten alle Urteile vernünftig, also (nach Humes eigenen Worten) richtig sein. Oder Vernunft ist das Vermögen, richtig zu urteilen. Dann muß man auch ein Vermögen der Widervemunft annehmen, aus dem die falschen Urteile entspringen. Wie soll man aber dem Urteil an- sehen, ob es aus dem einen oder anderen Vermögen stammt; hat es einen bestimmten Index an sich? Wir sagen gewöhnlich, ein falsches Urteil widerspreche der Vernunft, es sei unvernünftig. Das kann jetzt nur heißen, die beiden realen Vermögen streiten miteinander, aber nicht im logischen Sinne. Es ist wenigstens nicht einzusehen, w^as das bei Realitäten bedeuten soll. Sie können nur in der Weise realer Kräfte miteinander streiten. Aber warum sollten dann die einen vor den anderen Urteilen noch einen Vorzug haben? Man wird doch nicht im Ernst behaupten wollen, die sogenannten richtigen Urteile riefen ein Lustgefühl, die anderen

Neuhaus, Humes Lehre von den Prinzipien der Ethik. 4

CO Karl Neubaus.

ein Unlustgefühl hervor! Vielmehr hat der Begriff „richtig" über- haupt ieden Sinn verloren. Und damit kennzeichnet sich eine der- artige Theorie als skeptische, wie jede Theorie, die Vernunft in irgend einer Weise für ein menschliches reales Vermögen hält.

Vernunft in dem allein berechtigten Sinne ist ein Inbegriff idealer Wahrheiten, die gelten, ob sie jemand denkt oder nicht. Wahrheiten sind was sie sind, sie gelten und gelten für jedes Denken. Ein Denken ist eben dann vernünftig, wenn es sich jenen Wahrheiten gemäß vollzieht, wenn es sich von ihnen „beein- flussen" läßt, wobei das Beeinflussen natürlich nicht im kausalen Sinne zu verstehen ist. Ist der Mensch ein denkendes Wesen, so hat er jenen Wahrheiten im Denken zu folgen, wenn er ver- nünftig denken will. Sie sind ihm nicht ins logische Gewissen geschrieben, sie sind überhaupt nicht irgendwie in seiner Seele, als ob sie als ein Reales darin existierten, sondern sie sind ideal, a\ißerzeitlich, „ewig" geltend. Also nichts wird vernünftig dadurch, daß der Mensch nun einmal so zu denken pflegt, sondern der Mensch ist vernünftig und hat Vernunft, weil und soweit er im Sinne jener Wahrheiten denkt.

HuME verfällt in seine Irrtümer durch psychologische Inter- pretationsweise. Und doch hatte gerade er die Mittel in der. Hand, das Richtige zu sehen. Erinnern wir uns an seine Gegen- überstellung der ,,relations of ideas" und ,, matters of fact". In unserem Kapitel stellt er die Sache so dar, als ob wir es hier ledighch mit zwei verschiedenen Arten der ,, Tätigkeit des Ver- standes" zu tun hätten. Im Traktat über den menschlichen Ver- stand jedoch erkennt man die fundamentale erkenntnistheoretische Wichtigkeit dieser Unterscheidung. Hume behauptet, Urteile über ,, matters of fact" ließen sich nicht vernünftig rechtfertigen. Und da haben wir die eigentliche Bedeutung, den echten Sinn des Wortes ,, Vernunft". Vernunft ist hier kein menschhches Ver- mögen, sondern die Sphäre der Relationen zwischen Ideen. Die Scheidung betrifft nicht den psychologischen Ursprung, sondern den Geltungswert und Gewißheitswert der Urteile.

Tatsachenurteile lassen sich deshalb nicht vernünftig rechtfer- tigen, weil sie nicht auf Relationen zwischen Ideen zurückgeführt werden können. Also müssen die Relationen zwischen Ideen die Sphäre der Vernunft umschreiben. Inwiefern ist das der Fall? Machen wir es uns an einem Beispiel klar. Um den Sachverhalt

Humes Lehre von den Prinzipien der Ethik. ct

3 < 4 einzusehen, haben wir uns nur das Wesen von 3 und 4

zu vergegenwärtigen. Wir müssen nur die „Vorstellungen" fest- halten, um zu sehen, daß in ihnen die Relation beschlossen ist. Wir bedürfen dazu keiner Erfahrung, sondern erkennen diese Be- ziehung aus ,, reiner Vernunft". Relationen zwischen Ideen sind Wesensbeziehungen, Beziehungen, die zum Sinne der ,, Vorstel- lungen" gehören. Die Leugnung einer derartigen Beziehung er- gibt Widersinn, sie ist widervernünftig. Das gilt nicht nur für den menschlichen Verstand allein, sondern das gilt für jedes Den- ken. Jedes ,, vernünftige" Wesen muß die Beziehungen anerkennen.

Das Gebiet der Relationen zwischen Ideen umfaßt weiter- hin alle Wahrheiten, die aus jenen primitiven Wahrheiten ab- geleitet sind.

Gibt es nun praktische Vernunft, so kann auch sie nicht in einem menschlichen Vermögen bestehen. Sie wird umschrieben durch Normen für das Wollen und Handeln, die für jedes wollende und handelnde Wesen gelten. Ob es auch hier Rela- tionen zwischen Ideen gibt, diese Frage hat Hume nicht einmal gestellt. Die praktische Sphäre ist für ihn nur ein Tatsachen- gebiet. Wäre sie das wirklich, so dürften wir nicht mehr von „rechtem" Wollen, Handeln und Werten reden. Damit kenn- zeichnet sich die Humesche Theorie als eine relativistische.

Wir können hier keine ,, Kritik der prakdschen Vernunft" geben; wir wollen nur ein Beispiel einer praktischen Norm an- führen. Wir kennzeichneten es schon an einer früheren Stelle dieser Arbeit als einen praktischen Widersinn, wenn jemand zwar den Zweck realisieren will, aber nicht die Mittel, die die Reali- sierung des Zweckes allein herbeiführen können, trotzdem der Betreffende sie als solche erkannt hat.

„Wenn du den Zweck realisieren willst, so mußt du auch die zugehörigen Mittel realisieren wollen." So würde etwa dieses Gesetz lauten. Wir betonten früher schon, daß dieses „Müssen" kein psychologisches ist, sondern eine Vernunftnotwendigkeit aus- drückt. Diese Gesetzmäßigkeit liegt im Sinne des Wollens, im Sinne von Zweck und Mittel.

Daß Hume nur die Tatsachenfrage stellt, zeigen auch die Bei- spiele in dem von uns besprochenen Kapitel. Alles kommt bei ihm darauf an, daß ein Wunsch oder ein Werten der Vernunft nicht widersprechen kann. Kleinigkeiten ziehen wir oft den höch-

4*

C2 Karl Neuhaus.

sten Werten vor, das kann Hume nicht genug betonen. Das werden auch wir nicht bestreiten. Wenn man jedoch die Frage nach der Beziehung der Affekte zur „Vernunft" stellt, so handelt es sich nicht darum, wie ge wertet wird, sondern mit welchem Rechte in dieser oder jener Weise gewertet wird.

Hat Hume nun wirklich bewiesen, was er beweisen wollte? Kann die Vernunft den Willen nicht „beeinflussen" und kann sie nicht mit den Affekten streiten? Wir müssen antworten: Ja und nein. Wir verstehen hier unter Beeinflussen nur Motivieren. Wenn die Vernunft im Sinne von Verstand, Intellekt genommen wird, so werden wir sagen, daß ein bloßes Urteil nicht Motiv des Willens oder Gefühls sein kann. Wir sahen, daß dazu ein Wert- moment unbedingt notwendig ist. Faßt Hume aber Vernunft so, daß er meint, eine praktische Vernunft könne es nicht geben, „richtige" Wollungen und Handlungen seien ein Unding, so wer- den wir diese Behauptung aufs entschiedenste zurückweisen. Be- einflussung durch praktische Vernunft heißt soviel als Motivation durch vernünftige Motive; und richtiges oder vernünftiges Wollen ist das Wollen berechtigter Ziele usw.

Daß das Gefühl an sich nichts Unmoralisches, Unvernünftiges ist, daß es nicht eo ipso der ,, Vernunft" widerstreitet, das ist wohl nach unseren Ausführungen selbstverständlich. Wenn es im Wesen der wertenden Akte liegt, daß sie nur durch wertende Akte mo- tiviert sein können, so muß es ja, wenn es überhaupt praktische Vernunft gibt, auch „richtige" Gefühle und Wollungen geben. Und was für die Gefühle gilt, ist m. m. auch für die Affekte richtig.

In gewissem Sinne will übrigens auch Hume hier die Ver- nunft zulassen. Er unterscheidet ja ruhige und heftige Affekte. Ein ruhiger Affekt ist das Streben nach dem Guten, die Freude am Schönen usw., überhaupt Instinkte, die in unserer Natur liegen. Derartige Affekte haben wir ohne die starke Gefühlserregung der heftigen Affekte, und so werden wnr veranlaßt, sie als eine Tätig- keit der Vernunft anzusehen. Dasselbe finden wir in der Abhand- lung über die Affekte^) (der „dissertation on the passions").

*) A. a. O. S. i6i: VVhat is commonly in a populär sense called reason and is so mach recommanded in moral discourses, is nothing but a general and calm passion, which takes a comprehensive and a distant view of its objects, and actuates the will, without exciting any ^sensible emotion ....

.... Aman, we say, adheres to justice from reason; that is, from a calm regard to public good, or to a character with himself and others."

Humes Lehre von den Prinzipien der Ethik. co

Zugleich wird dort noch ein anderes Merkmal hinzugefügt, nämlich die Entfernung von dem Objekt der Affekte. Die.selben Objekte, aus der Ferne betrachtet, sind Objekte der Vernunft (in diesem Sinne) wie aus der Nähe betrachtet Objekte des Affekts.

Diese Bestimmung der praktischen Vernunft als eines all- gemeinen und ruhigen Affekts, die auch in der Ethik Humes eine Rolle spiek, ist recht äußerlich. Im Grunde beruht sie auf der Intensität der Gefühle. Merkwürdig ist nur, daß dieser Affekt ein allgemein menschlicher Instinkt ist. Wie man sofort sieht, be- Tuht auch diese Auffassung auf der Überzeugung, daß „Vernunft" etwas psychisch Reales in der allgemein- menschlichen Natur ist.

Schluß.

Nach diesem Einblick in die Grundlagen der praktischen Phi- losophie HuMEs hat sich unsere in der Einleitung aufgestellte Be- hauptung als richtig erwiesen. Die Huniesche Philosophie ist Skeptizismus auch in der praktischen Sphäre. Wer eine Vernunft, wie wir sie im letzten Kapitel umschrieben haben, prinzipiell nicht anerkennt, ist Skeptiker.

Das jioänov i^ievdoq bei Hume liegt darin, daß er im Willen und den ihm verwandten Erlebnissen keinen ,,Sinn" sieht. Er faßt die , .Affekte" nur als tatsächliche, psychische Ereignisse auf. Weil er phänomenologische Analysen, wie wir sie immer wieder gefordert haben, nicht vornimmt, übersieht er das, worauf es allein ankommt.

Auf diesen Grundlagen baut sich dann seine Theorie vom moralischan Gefühl als der eigentlichen Quelle und dem letzten Maßstab der objektiven Richtigkeit im Werten auf. Die „Begrifife" gut und böse gründen in der menschlichen Konstitution.

Aber alle diese Mängel dürfen uns nicht hindern, anzuerkennen, daß Hume, wie überall, so auch hier einen scharfen Blick für die philosophische Problematik zeigt. Hat er doch das Problem der Objektivität im Wertgebiete gerade durch seine konsequent durch- geführte Theorie so klar gestellt wie kaum ein anderer vor ihm.

Lebenslauf.

Ich, Karl Guido Neuhaus, evangelischen Giaubens, bin ge- boren am 7. Januar 1883 zu Köln a. Rh. als Sohn des Ministerial- direktors Dr. Neuhaus und seiner Frau Klara, geborenen Scheibler. Nachdem ich meinen ersten Unterricht teils an der Volksschule, teils am Progymnasium in Hattingen a. d. Ruhr erhalten hatte, wurde ich in Berlin zunächst krankheitshalber zu Hause unter- richtet bis zu meinem Eintritt in das Leibniz-Gymnasium in Berlin, Ostern 1896. Von Ostern 1897 an besuchte ich dann das Kaiserin Augusta-Gymnasium zu Charlottenburg, das ich Ostern 1902 mit 1 Zeugnis der Reife verließ.

Von Ostern 1902 bis Michaelis 1903 studierte ich in Frei- burg i. B. ein Semester Jurisprudenz, zv^ei Semester klassische Phlologie und Philosophie. Seit Michaelis 1903 studierte ich in Göttingen, zunächst vorwiegend klassische Philologie, dann Philo- so :;hie. Ich hörte Vorlesungen bei den Herren Dozenten: Jonas G»»HN, DovE, Dyroff, Fabricius, Hense, Himstedt, Rickert, 4ELIN, Bernhardt Schmidt, Richard Schmidt, Stutz, Thurn- ^Y en in Freiburg i.B.; Vorlesungen und Übungen bei den Herren: B/. jmann, Brandi, Busolt, Gustav Cohn, Herglotz, Hilbert, ' ' 3SERL, Max Lehmann, Leo, Georg Elias Müller, Riecke, Eduard SciiWARTZ, Stein, Wackernagel in Göttingen. Allen Herren Pro- fessoren, an deren Vorlesungen und Übungen ich teil nahm, sage :'i; meinen aufrichtigsten Dank. In meinen philologischen Studien . 'danke ich ganz besonders viel der Förderung durch Herrn (*r^fessor Schw^aptz. Meine philosophische Ausbildung erhielt ich . Herrn Pro'css!'r HussERL in Vorlesungen und Übungen, vor ailtm aber in persönlichen Besprechungen während meiner ganzen Göttinger Studienzeit. Ihm danke ich auch die Anregung zu dieser Arbeit und helfenden Rat bei ihrer Ausführung. Die mündliche ^"^ifung fand am 26. Februar 1908 statt.

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Druck von Radelli & Hille in Leipzig

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B Neuhaus, Karl Guido.

14.99 Humes Lehre von den Prin-

EBN4. zipien der Etiiik.

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