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HUNDERT JAHRE
BILDER AUS DER GESCHICHTE DER
STADT ZÜRICH
IN DER ZEIT VON 1814-1914
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I. BAND
ZÜRICH 1914 DRUCK UND VERLAG DER BUCHDRUCKEREI BERICHTHAUS
(VORMALS ULRICH & Co.)
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GELEITWORT
Die Firma Buchdruckerei Berichthaus, vormals Ulrich &Co., blickt am i.Juli 19 14 auf ein hundertjähriges Bestehen zurück. Dieses im Leben eines Geschäftes seltene Ereignis fällt mit zwei Veranstaltungen zusammen, die für das graphi- sche Gewerbe von besonderer Bedeutung sind, nämlich mit der Landesausstellung in Bern und der Internationalen Aus- stellung für Buchgewerbe und Graphik in Leipzig. So haben wir uns entschlossen, unsern Freunden und Gönnern aus alter und neuer Zeit dieses Buch als Erinnerungsschrift zu widmen, zugleich als Zeugnis derzeitig zürcherischer Buch- druckerkunst. Eingedenk dessen, dass seit Erscheinen des Tagblattes (früher Donnstags-Nachrichten) Freud und Leid, Handel und Wandel, Leben und Sterben, Jubel und Ivlage, Friede und Streit der Einwohnerschaft Zürichs in den im Berichthaus erschienenen Blättern getreuen Ausdruck ge- funden haben und dass das Tagblatt seit fünfzig Jahren zugleich städtisches Amtsblatt ist, erscheint das Buch statt als Geschichte des Berichthauses als eine solche der Stadt Zürich in den letzten hundert Jahren. Es hat sich nun glücklich getroffen, dass in der Person des Redaktors der bei uns gedruckten „Zürcherischen Freitagszeitung", Herrn S. Zurlinden, sich ein Mann fand, der ganz besonders ge- eignet war, diese Aufgabe zu erfüllen. Der Verlag dankt Herrn Zurlinden für dieses Werk seiner Feder, umsomehr, als ihm für die grosse und mühevolle Arbeit nur eine knapp bemessene Zeit zur Verfügung stand.
Der Satz in Mediaevalschrift ist auf unseren Monotype- Setz- und Giessmaschinen erstellt worden. Den ein- und mehrfarbigen Illustrationsdruck haben wir mit Klischees vom Artistischen Institut Orell Füssli nach Originalen, welche uns die Stadtbibliothek Zürich, das Stadtarchiv und andere Gönner freundlichst zur Verfügung gestellt haben, ausgeführt. 500 Exemplare wurden auf von der Zürcher Papierfabrik an der Sihl zu diesem Zwecke besonders hergestelltes Bütten- papier gedruckt. Der Bucheinband nach unsern Angaben stammt von der Firma Günther, Baumann & Co. in Erlen- bach.
So hoffen wir denn, dass die vaterländische Veröffent- lichung Freude bereiten werde und uns zu den alten Freunden und Gönnern noch viele neue gewinnen möge.
BUCHDRUCKEREI BERICHTHAUS Paul Römer Rudolf Ulrich
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Bei den vorliegenden Aufzeichnungen hat der Verlag dem Verfasser mit Bezug auf Anordnung und Gestaltung des Stoffes völlig freie Hand gelassen. Es konnte sich von vornherein nicht darum handehi, eine lückenlose Gescliichte der Stadt Zürich in den letzten hundert Jahren zu schreiben; nur ein möghchst anschauhches Bild von den pohtischen Ereignissen, den geistigen Strömungen, den führenden Männern, insbesondere aber von der baulichen Entwicklung Zürichs seit 1814 sollte gegeben werden. Da somit das Buch bei aller historischen Treue im Ganzen und Einzelnen nicht im Gewände der gelehrten Geschichtsschreibung erscheinen will, durfte auch im Interesse der Handhchlceit und leichteren Lesbarkeit auf Anmerkungen und Fussnoten verzichtet und ein summarisches Quellenverzeiclitüs als genügend erachtet werden. Trotz aller Beschränkung gestattete das reiche Material rücht, den Stoff in einem einzigen Bande zur Darstellung zu bringen. Der vorhegende Band schhesst mit den ersten fünfzig Jahren ab. Der zweite Band wird diesem ersten möghchst bald folgen.
*
Der Verfasser dankt allen denjenigen, die ihn mit Mitteilungen aus dem reichen Schatz ihres Wissens unterstützt haben, insbe- sondere den Herren Professoren G. Meyer von Knonau und W. OechsU und Bibhothekar Dr. H. Escher; auch Herrn Dr. C. Keller-Escher verdankt er manche wertvolle Anregung. Die Gesellschaft für Herausgabe der Freitagszeitung ist dem Unter- zeichneten in verdankenswerter Weise dadurch entgegengekommen, dass sie ihm gestattete, sich für einige Zeit in der Hauptarbeit der Redaktion vertreten zu lassen.
Zürich, den 4. April 1914.
S. ZUREINDEN.
INHALT DES ERSTEN BANDES
Geleitwort Seite III
Inhaltsübersicht VII
Verzeichnis der Illustrationen XV
Benutzte Quellen 349
Alphabetisches Namen- und Sachregister 353
I. TEIL: HINTER WALL UND GRABEN
1. Kapitel: Neujahr 1814
Die Gesandten v. Lebzeltem und Capo d'Istria in Zürich, Seite i ; der Durchmarsch der Alliierten 2; der Bundesverein (vom 29. Dez. 18 13) 6; Zürcher Abordnung zum Monarchenbesuch in Basel 6; kantonale Ver- fassungsrevisionen 7.
2. Kapitel: Im neuen Schweizerbund.
Die „lange Tagsatzung" in Zürich 8; Alliiertenfeier in Zürich (12. April 1814) 9; der erste Pariser Friede 9; Verfassung des Kantons Zürich (vom II. Juni 18 14) 10; der Wiener Kougress 10; eidg. Aufgebot gegen Na- poleon 12; die Zürcher vor Hüningen 12; Bundesschwiu: im Grossmünster (/.Aug. 1815) 12; Teuerungsjahre (i8i6und 1817) 13; verfehlte Zollpohtik 14; I<inthkorrektion 14; Hans Konrad Escher von der Linth 15.
3. Kapitel: Stadt und Festung Zürich
Die Festimgswerke 16; Stadelhoferporte, Holzschanze, Grendel 17; Wellen- berg, Helmhaus etc. 18; Chorherrenstift, Kirchgasse, Zwingiiplatz 19; Münstergasse, Post 20; Berichthaus 21; Elsasser, „N. Z. Z.", Fisch- markt 22; Hauptwache, Metzg 23; Rathausbrücke, Oberer und Unterer Mühlesteg, Langer Steg, Neumühle 24; Niederdorftor, Seiler- und Hir- schengraben, Ketzerturm 25; Spital, Kronentor, Rechberg 26; Kasino Theater, Rämi-Bollwerk 27; Bauschänzchen, Fröschen- und Schanzen- graben, WolhshoferpörtH 28; Sekiau, Kratzturm, Baugarten, Kappeler- hof, Alumnat 29; Fraumünsteramt, Kornhaus 30; Zeughäuser In Gassen, Cafe Htteraire, „Schwert", Schipfe (Bürkhs ,, Freitagszeitung"), Augu- stinerkirche, Hinteramt, Rennweg 31; Ötenbach, Waisenhaus, Sihl- kanal 32; Schützenhaus, Platzpromenade, Kräuel, St. Jakob 33; Bota- nischer Garten, St. Anna, Felsenhof 34 ; Seidenhöfe, Talacker 35 ; Neu- markt (Paradeplatz), Tiefenhoflinde 36; Bevölkerung Zürichs (18 14) 36; erste öffentliche Beleuchtung 37.
VIII
4. Kapitel: Der erste Stadtpräsident
Die provisorische Munizipalität (179S) 3S; die Franzosen in Zürich 39; Ausscheidung des Stadtvermögens 40; erste und zweite Schlacht bei Zürich (1799) 41; konstituierte Munizipalität 41; Bombardement durch General Andermatt 42; Gemeinderat, Stadtrat und Stadtpräsident 43; der erste Stadtschreiber Haus Heinrich Hofmeister 43; der erste Stadt- präsident Hans Konrad Escher 44 ; Stadtpräsident Werdmüller 44 ; Stadt- präsident Hans Heinrich Landolt 45; Stadtpräsident Hans Georg Finsler 45; Stadtpräsident Hans Konrad Vogel 46; Stadtpräsident Georg Konrad Bürkli 4-.
5. Kapitel: Fürstenbesuche
Kaiserin Marie Luise (1814) 48; Grossfürsteu Nicolaus und Michael 48; König Friedrich Willielm III. 48; Zar Alexander I. 49; Kaiser Franz von Österreich 50; Kronprinz Ferdinand von Österreich 51; die „Heilige Al- lianz" 51; Frau Juliane v. Krüdener 51; die „Heilige Gret" von Wildis- puch 53; fremde Orden und Auszeichnungen 53; Mihtär-Kapitulationen 54; das I/öwendenkmal in Luzern 55.
6. Kapitel: Vater Pestalozzi
Pestalozzis Armut 56; seine Bedeutimg 57; Erziehimg 58; im Neuhof 58; Lienhard und Gertrud 59; Stans 59; Burgdorf, Yverdon 60; das Ende 61.
7. Kapitel: Stadt und Land
Wiederherstellung der Stadtaristokratie 62 ; Hans v. Reinhard 63 ; die Schule zur Restaurationszeit 63; Justiz 64; das „Stadtzürchersystem" in der Verwaltung 65; Opposition in der Stadt 65; die Stadtliberalen 66; Fall Finsler und Fall Hirzel (1829) 66; J uhre volution in Paris 67; die Be- wegung auf der Landschaft 68; das Küsnachtermemorial 69; der Tag von Uster (22. Nov. 1S30) 69; das Memorial von Uster 72; konservative Schützenhausversammlung {23. Nov. 1830) 72; die Verfassungsrevision und Volksabstimraimg (20. März 1831) 73; Reinhards Abschied 74.
II. TEIL: AUS DER REGEXERATIONSZEIT
8. Kapitel: Das Alte stürzt
Die grollende Stadt 79; Dr. Ludwig Keller 80; Staatsanwalt Da\nd Ulrich 81 ; Oberrichter Wilhelm Füssh 82; Stadt- und Landliberale 82; die Partei der Gemässigten, BluntschU etc. 83; die Altkonservativen, David Nüscheler etc. 83; die Regierung von 1831 84; Bürgermeister Dr. Paul Usteri 85; der Bassersdorfer Verein 86; der Rücktritt der 8 konservativen Regie- rungsräte 87 ; Aufhebung des Kasernendienstes 88 ; Aufhebung des Chor- herrenstifts 88; Schleifung der Festungswerke 89; Aufhebung des Direk- torialfonds 91.
IX
9- Kapitel: Neues Leben
Unterrichtsgesetz 93 ; Gründung der Hochschule 93 ; Eröffnungsfeier (29. April 1833) 95; Gründung der Kantonsschule 95; Einweihimg des Kan- tonsschulgebäudes {15. Aug. 1842) 96; Gründung des Kantonsspitals 98; Tierarzneischule und Botanischer Garten 99; Schulreform, Ignaz Thomas Scherr 99; Strafgesetzbuch von Dr. J. C. Ulrich (Berichthaus) 100; Gesetz- gebimg der Regenerationszeit loi ; Museumsgesellschaft (1834) 102; Anti- quarische Gesellschaft 102; Hans Georg Nägeü 102; stürmischer Fort- schritt 103; der Aufruhr in Bauma 104; der Brand von Uster {1832); die Unruhen von Stadel und Raat {1834) 105; Berufung von Prof. Elwert (gegen Bavid Friedrich Strauss 1836) 105.
10. Kapitel: Eidgenössische Fragen
Basler imd Schwyzer Wirren 106; Sarnerbund (14. Nov. 1832) 106; ver- gebliche Bemühungen für eine Verfassungsrevision 107; Flüchtlinge 107; Griechen 108; Asylfrage 108; Polen und Deutsche 109; Student I^essing ermordet (4. Nov. 1835) 109; Fremdengesetz iio; Volksversammlung auf der Ägerten (21. Aug. 1836) iio; der Spitzel Conseil iio; Prinz Louis Napoleon iio; Spaltimgen in der liberal-radikalen Partei in; die Brutal- Radikalen 112; Dr. Kellers Rücktritt 113.
11. Kapitel: Eidgenössisches Schützenfest 1834
Eidgenössische Feste 114; erstes eidgenössisches Schützenfest Aarau (12. Juni 1824) 115; Ehr- imd Freischiessen in Zürich 1821 116; eidge- nössisches Schützenfest in Zürich (12. Juli 1834) 116; Eröffnimg 118; offi- zieller Tag iig; poHtische Toaste 120; Volksversammlimg im „Kräuel" 121.
12. Kapitel: Das Dampfschiff
Beginn der Dampfschiffahrt 122; „Guillaume TeU" auf dem Genfersee (1823) 122; Gesellschaft für die Dampfschiffahrt auf dem Zürich- und Wallensee (1834) 123; StapeUauf der „Minerva" und erste Fahrt (ig. Juli 1835) 123; Dampfschiffbau 124; Untergang des „Delphin" im Wallensee (17. Dez. 1850) 125; Schiffsunglück bei Meilen (29. Aug. 1872) 126; Über- gang der Dampfschiffahrt an die Nordostbahn 127.
13. Kapitel: Stadtpräsident J. J. Escher (1831 — 1837)
Biographie 128; bauliche Entwicklung der Stadt 129; Einweihimg der Münsterbrücke (20. Aug. 1838) 130; die neuen Quais 131; Komhaus und Hafen 131; Poststrasse (1838) 131; Hotel Baur, Postgebäude, Bleicherweg- brücke 132; Kirche Neumilnster (11. Aug. 1839) 133; Gemeindeordnung vom 14. Sept. 1831 133; engerer und grösserer Stadtrat 134.
14- Kapitel: Stadtpräsident Ziegler (1837 — 1840)
Biographie 139; politische Bewegung 1837, Verfassimgsrevision 139; Volks- abstimmung (4. Febr. 1838) 140; neue Stadtverfassong (1839) 141; Gross- ratswahlen (4. März 1838) 141; die „Stampfsynode" (29. Okt. 1833) 141; Scherrianer und Hirzelianer 142; poUtische Lage 1838 143.
III. TEIL: DER ZÜRICH-PUTSCH 1839
15. Kapitel: „vStrauss kommt!"
David Friedrich Strauss 147; die Berufung 148; die Motion von Antistes Füssli (31. Jan.) 149; „Strauss kommt" 150; „der lange Mitmensch" 151; die Gründung des Glaubenskomi tees 151; die Konferenz von Wädenswil (13. Febr.) und das erste Sendschreiben 152; die Komiteewahlen 153; der radikale Schutzverein 155; Kundmachung der Regierung vom 20. Febr. 156; Verschiebung der Berufimg von Strauss 156; Konstituierung des Zentralkomitees 157; erste Adresse 157; Sendschreiben an die Kirch- gemeinden und Petition 158.
16. Kapitel: Strauss kommt nicht
Zurückweismig der Adresse und Kundmachung vom 5. März 161 ; Abstim- mung in den Kirchgemeinden 162; Pensionierung von Strauss 163; der Uterarische Kampf 164; Grosser Rat vom 18. März 167; Rücktritt des Zentralkomitees 171.
17. Kapitel: Revolution
Jakob Hürhmaim-I,andis 173; die Männer der Glaubensbewegung 174; Rahn imd Spöudlin 175; Überweisung der Petitionen 176; Wülielm Meyer- Ott 176; Rekoustituierung des Zentralkomitees 177; Gemeindewahleu 177; Ablehnung der Petitionen 178; das Sendschreiben vom 8. August 179; Besprechung der Radikalen am 20. August 181; Regierungsratsprokla- mation 23. August 183; Antwort des Zentralkomitees 184; das Zentral- komitee in Klotcn 185; Proklamation vom 31. August 186; Truppen- aufgebot 187; Meuterei in der Kaserne 188.
18. Kapitel: Der Tag von Kloten, Montag den 2. September
Der Aufmarsch 189; Eröffnung 191; die Adresse von Kloten 193; Schluss- anspracheu 195; falsche Gerüchte 196; Empfang der Deputation durch die Regierung 197; Entlassung der Truppen 198; die Aufregung in der Stadt 199; die Pläne des Komitees 200; wilde Gerüchte 201; das Bulletin von Dr. Rahn 204; Regierxmgsratssitzung vom 5. September 206; die Berichte vom Aufbruch des Landsturms 206.
XI
ig. Kapitel: Der sechste September
Pfarrer Dr. Hirzel von Pfäffikou 209; der Aufbruch des Landsturms 210; Abmahnung Rahns 210; die lUnauer kommen 211; Alarm in der Kaserne 211; militärische Massregeln 212; die Studenten 213; das Aufgebot der Bürgerwache 213; der Zug nach Hirslanden 214; Erklärungen von Stadt- präsident Ziegler 215; der Landsturm ist da! 216; die Deputation der Regierung 217; die Sitzung des Zeutralkomitees 218; das Aufgebot der Landgemeinden 219; das Aufgebot der Seegemeinden 220; letzte Truppen- aufsteUmig 221 ; die Regiervmg auf dem Posthaus 222; „sie kommen I" 223; der Einmarsch des Landsturms 224; die Kolonne Hirzel auf dem Münster- hof 225; der Kampf bei der „Waag" 227; die Kolonne Rahn 228; Hegetsch- weüers Tod 229; Sturmläuten der Stadt 22g; Stadtpräsident Oberst Zieg- ler 230; das Ende des Kampfes 231 ; Stadtpräsident imd Bürgermeister 232; Übergabe der Zeughäuser 232; die Kolonne Spöndlin 233; das Einrücken des Landsturms 234; Dr. Hegetschweiler 234; die Auflösung der Regie- rung 235; die provisorische Regierung 236; Proklamationen 237; die Opfer des 6. September 238; Streik der Offiziere 240; der Landsturm in den Kirchen 241; Sulzberger 242; Agnes Schebest wird Frau Dr. Strauss 242; die Landsgemeinde auf dem Paradeplatz 242; Einrücken des Militärs 243.
20. Kapitel: Reaktion
Dank an Stadtpräsident Ziegler 244; Wirkungen des 6. September 245; Auflösung des Grossen Rates (9. Sept.) 246; Auflösung der kantonalen Behörden 247; die Verchristhchung von Hochschule imd Volksschule 249; das Seminar 250; die „Friedensvereine" 250; Friedrich und Theodor Rohmer 251; die Radikalen 252; Schulsynode in Winterthur (31. Aug. 1840), der TJstertag in Bassersdorf (22. Nov. 1840) 253; Zürichputsch und Sonderbundskrieg 254; Volksversammlung von Schwamendingen (29. Aug. 1841) 255; f Ludwig Meyer v. Knonau (21. Sept. 1841) 256; Gross- ratswahlen 1842 257; Dr. Kellers Wahlablehnimg imd Auswanderung 257; Jesuiten- und Klosterfrage 258; Volksversammlung in Unterstrass (26. Jan. 1845) 260; BluntschUs Rücktritt und Auswanderung 262; die Wahlen von 1846 und das Ende der Septemberregierung 263.
IV. TElIv: DIE LIBERALE AERA
21. Kapitel: Die Eisenbahn
Erste Eisenbahngesellschaft in Zürich (1838) 268; Martin Escher-Hess 268; Schweiz. Xordbahngesellschaft 269; der Bahnbau 270; Einweihung der Eisenbahn Zürich-Baden am 7. August 1847 271; Schweiz. Nordostbahn vmd Alfred Escher 272; der Ausbau des Eisenbahnnetzes 273.
XII
22. Kapitel; Kriegsbilder (Sonderbundskrieg)
Wirt Gross vom Cafe litteraire 275; die Befreiung von Dr. Steiger in Luzern {20. Juni 1845) 276; Mobilisation in Zürich 277; die Konservativen und der Sonderbund 278; erste Feindseligkeiten 27g. — Lunnern 279; das Gefecht 283; Panik bei Rickenbach 286; Gislikon 287; Anmarsch der Division Ziegler 2S9; Kampf der Di\-isiou Gmür 290; Operation gegen Honau imd GisUkou 291; der Kampf am Rooterberg 292; der Kampf der Brigade Egloff 294; der Sieg von Gislikon 296; Maler MüUer-Weg- manu von Zürich 297. — Der Einzug in Luzem 297; Ziegler Platzkommau- dant 298; Rückgabe der Waffen Zwingiis 299; Empfang und Ehrung Zieglers in Zürich 299.
23. Kapitel: Das Polytechnikum
Eidgenössische Hochschiilbestrebungen 301; erster Bundesbeschluss (1848) 302 ; Verhaudlimgeu der Bundesversammlung 304 ; Gründungsgesetz für das Polytechnikum (7. Febr. 1854) 304; die Verpflichtungen Zürichs 305; Wahl des Schulrats und der Professoren 305; Eröffnimgsfeier {15. Okt. 1855) 307; der Bau des Polytechnikumsgebäudes 308; Bezug desselben (1864) 309; aus der Gratulationsadresse der Universität zum sojährigen Jubiläum des Polytechnikums 30g.
24. Kapitel: Alfred Escher
Jugend und Erziehung 31:; Studien, erstes politisches Auftreten 312; rasche Carriere 312; das „System" 313; Sozialismus xmd Kommunis- mus 314; Treichler imd Schneider Weithug 314; Karl Bürkli 316; Treichler Regierungsrat 317; Gottfried Keller Staatsschreiber 318; Eschers Grüu- dmigen 319; Gotthardbahn 319; Krankheit imd Tod (6. Dez. 1882) 320; Denkmaleinweihung (22. Juni 1889) 321; Belvoirpark 322.
25. Kapitel: vStadtpräsident Hess (1840 — 1863)
Biographie 323; Vogelschaubild der Stadt Zürich um 1850 (Beschreibimg) 325; bemerkenswerte Begebenheiten und bauliche Veränderungen 1840 bis 1863 328. — 1840: Ütüberggasthaus, grosses Zeughaus beim Bahn- hof 328. — 1841: Packhof 328. — 1842: Pfrundanstalt, Friedhof St. Jakob 329. — 1843: „Tagblatt der Stadt Zürich" (erster Vertrag mit der Stadt 1863) 330; eidgenössisches Sängerfest; erste Briefpostmarken 330. — 1844: Ausscheidung des Nutzungsgutes 330; Wipkingerfähre, Schiffahrts- schleuse 331. — 1S45: Hinrichtungen 331. — 1846: Pestalozzifeier, Industrie- ausstellung 331. • — 1847: Wilhebn Meyer-Ott Stadtrat 331. — 1848: Friedhof Hohe Promenade, Nägeli-Denkmal 332. — 1849: Neues Schützenhaus Sihl- hölzh, badische Flüchtlinge, General Dufour in Zürich 333. — 1851 : Bundes- feier am I. Mai 334. — 1852: Richard Wagner in Zürich, Villa Wesendonk, Telegraph 336. — 1853: Grossmünsterschulliaus (7. April) 337; Leichen- wagen, Droschken, Abfuhrwagen, Dieustmänner 337. — 1855: elektrisches
XIII
Licht am Sechseläuten, Cholera, Friedhof Riedtli, Limmatquai, Gas- beleuchtung 33S. — 1856: Einweihung des Tunnels Örlikon, Brand des Limmathofs 339; Kadettenfest, die Stadtschreiber Hofmeister, Niischeler, Gysi und Eugen Escher 340. — 1S57: Neuenburger Frage, Dufour in Zürich, Offiziersfest, Revision der Stadtverfassung, Tiefenhoflinde 341. — 1858: Hochschuljubiläum, eidgenössisches Sängerfest, Krankenasyl Neu- münster 342. — 1859: Österreichisch-italienischer Krieg, Friede von Zürich (10. Nov. 1859), eidgenössisches Schützenfest 342; Bezirksgebäude, Kom- haus beim Bahnhof 343; städtisches Baukollegiimi, Bauprogramm 344. — 1860: GrossmünsterkapeUe {15. Nov.), Frage der Vereinigung mit Ausser- sihl 344. — 1861 : Brand von Glarus, Freie Strasse, Drahtschmiedlifähre 345. — 1862: Zehnrappen porto, Ablenkung des Schanzengrabens, Vereinigimgsfrage, Stadelhofer Anlagen, Marktgasse, Metzgpassage 345 ; SchlachthausWalche und Fleischverkaufshalle 346. — 1863: städtisches Baugesetz, Schulhaus Lang- strasse, Projekt der Bahnhof Strasse, Kasemenvertrag mit dem Staat 346. — 1863: Seiler- imd Hirschengraben, Bau der Bahnhofbrücke 347. — Das alte imd das neue Zürich 347; Konrad Ferdinand Meyers Huldigung an das neue Zürich 348.
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ILLUSTRATIONEN
1. Blick von der Rathausbrücke limmat-aufwärts . . . Titelbild
links die Ecke des Rathauses, dann das niedrige Gebäude der Ankenwage und der Rüden, zwischen Grossmünster und Helmhaus der Hottiugerturm, hinter der Slitte der obem Brücke der Wellenberg, rechts das Kornhaus (Kaufhaus).
2. Hans von Reinhard, Bürgermeister und Landammann
der Schweiz vor Seite i
3. Einzug der Tagsatzung ins Grossmünster .... Seite 8/9
das Bild stammt aus dem Jahr 1807, ist aber typisch für das Zeremoniell auch der spätem Jahrzehnte. Am Gross- münster sieht man noch die hölzernen Treppen über dem Hauptportal.
4. Johann Conrad Escher von der Linth Seite 14/15
5. Die alten Porten und Tore Zürichs Seite 18/19
Reproduktion des Aquatintablattes „Erinnerung an das alte Zürich".
6. Plan der Stadt Zürich 1 8 1 4, von D. Breitinger, In-
genieur Seite 22/23
7. Eingang zum Aktien-Theater (1834) in der ehemaligen
Barfüsserkirche Seite 26/27
links die Häuser ,, Untere Zäune" und der Brunnen, ■welcher 1 873 auf die Predigerhofstatt kam ; der Grimmen- turm in der Mitte des Hintergrundes verlor 1865 bei einem Umbau Helm und Türmchen.
8. Der Münsterhof 1833, getuscht imd koloriert von Anna
Zwingli Seite 30/31
die Krambuden vor dem Fraimiünster wurden 1836 ent- fernt, diejenigen am Chor erst Ende der neunziger Jahre, in der Mitte des Hintergrvindes rechts die ,,Waag".
9. Hans Conrad Escher, der erste Stadtpräsident von Zürich Seite 32/33
10. Hans Heinrich I,andolt, Stadtpräsident Seite 36/37
11. Bombardement von Zürich diu'ch den helvetischen Gene-
ral Andermatt am 12./13. September 1802 .... Seite 40/41
12. Hans Georg Finsler, Stadtpräsident Seite 44/45
13. Georg Conrad Bürkli, Stadtpräsident Seite 46/47
14. Auf der Rathausbrücke, vor dem Hotel „zum Schwert" Seite 50/51
das hohe Giebelhaus ist der ,,rote Turm", später Cafe litteraire", am Weinplatz, ihm schräg gegenüber der „Weggen".
XVI
15- Heinrich Pestalozzi Seite 56/57
16. Das alte Schlachthaus und die „Metzg-Passage" . Seite 62/63
links, dem Schlachthaus gegenüber, das ehemalige „Ehe- gerichtshaus" mit der alten Fleisclivcrkaufshalle im Erdgeschoss.
17. Kasino am obern Hirschengrabeu Seite 66/67
später umgebaut zum Obergerichtsgebäude ; in der Mitte das Künstlergütli, unten die „Krone" (Rechberg), das einzelne hohe Haus rechts ist das von Jakob Bodmer und Ludwig Vogel bewohnte Haus ,,zum obern Schönen- berg", wo Klopstock, Goethe usw. einkehrten-
18. Bauschänzli-Anlagen Seite 76/77
ünks Kernhaus (Kaufhaus), rechts Wellenberg und Was- serkirche, in der Mitte die obere Brücke.
19. Paul Usteri, Staatsrat und Bürgermeister Seite 84/85
20. Schanzengraben und Bleicherweg Seite 90/91
von der ,,Katz" aus gesehen, in der Mitte die Tücher- bleiche.
21. Zürcherisches Kantonal-Militär I (um 1820) .... Seite loo/ioi
der Schauplatz ist der „Neue Markt" oder Parade- platz; das Bild ist aufgenommen vor dem Bau der Post- strasse, des Posthauses, des Hotel Baur usw. ; links das Artillerie-Zeughaus ,, Feldhof", dann das , .grosse gelbe Zeughaus" mit Treppengiebeldach und Bhck in die Zeug- haus-(Waag-)ga.sse, rechts neben der Tiefenhoflinde der Werkhofturm ; den Abschluss des Paradeplatzes bildet der Tiefenhof in seiner altern Gestalt; das Häuschen vor der Tiefeuhofhnde kann beim Bau der Poststrasse weg.
22. J. C. Ulrich, Oberrichter, Chef der Buchdruckerei Bericht-
haus bis 1882 Seite 11 2/1 13
23. Eidgenössisches Schützenfest 1834 Seite 116/117
Beschreibimg des Festplatzes (Aegerten) im Text.
24. Dampfschiffläude in Zürich 1845 Seite 122/123
das ,, Hotel du Lac" ist jetzt Privat- und Geschäftshaus ( Gysier- Wunderli usw.), s. Text Seite 18.
25. J. J. Escher, Stadtpräsident Seite 128/129
26. Plan der Stadt Zürich 1838, von Heinrich Keller . . Seite 132/133
27. Paul Karl Eduard Ziegler, Oberst und Stadtpräsident Seite 134/135
28. David Friedrich Strauss Seite 146/147
29. Dr. Ludwig Keller, Obergerichtspräsident Seite 168/169
30. Zürcherisches Kantonal-Militär II (um 1830) . . . Seite 188/189
das Gegenstück zu dem Bilde Seite loo/ioi, etwa zehn Jahre später; au der Ostseite des Paradeplatzes steht jetzt das Hotel Baur en ville, gegenüber das (später um zwei Stockwerke erhöhte imd ,,ZentraUio£" genannte)
XVII
Posthaus; die Tiefenhofliude ist freigelegt und in den Bürklischen Garten mit eingefriedet, gehört aber der Stadt.
31. Flucht über die Münsterbrücke am 6. September 1839 Seite 208/209
Rückzug der Kolonne Ralin, s. Test Seite 228.
32. Ludwig Meyer v. Knonau, Regierungsrat Seite 256/257
33. Dr. J. C. Bluntschli, Professor imd Regierimgsrat . . . Seite 262/263
34. Martin Escher- Hess, Gründer und Direktor der ersten
schweizerischen Eisenbahn Zürich-Baden Seite 268/269
35. Der Bahnhof der Nordostbahngesellschaft in
Zürich 1S47 Seite 272/273
links Brücke über die Schanzengrabenmündung, da- hinter ein TeU des alten Schützenplatzes, rechts „Langer Steg" und Eingang in die Platzpromenade.
36. Schlussgefecht von Gislikon am 23. November
1847 Seite 274/275
Text Seite 293. Das Bild enthält die Porträts von Oberst Ziegler, Hauptleute Steinemann und Pfister, Ober- leutnants Rieder und Jakob Vogel (i. G.), Leutnants Geilinger, Tobler imd Konrad Bürkli.
37. Polytechnikum 1865 Seite 300/301
38. Dr. Alfred Escher, Regierungspräsident und Nationalrat Seite 310/31:
39. Hans Ludwig Hess, Stadtpräsident Seite 322/323
40. Zürich aus der Vogelschau ums Jahr 1850, von H. Sieg-
fried Seite 326/327
Erläuterimgen im Text an gleicher Stelle.
41. Eidg. Sängerfest in Zürich 1843 Seite 330/331
Festhalle auf dem Exerzierplatz an der Talgasse beim Botanischen Garten, links im Hintergrund der Kratzturm.
42. Sechseläuten 1854, Umzug der Gewerke Seite 336/337
auf dem Stadthausplatz Unks Kratzturm, rechts bei der Münsterbrücke Kaufhaus (Zeiclmimg perspektivisch mangelhaft)
43. Tiefenhofliude beim Paradeplatz Seite 340/341
innerhalb des Biirkhschen Gartens zum „Tiefenhof", links „Windegg" (mit Turmanbau) imd gelbes Zeug- haus, in der Mitte Posthaus.
44. Baugarten mit Kratzturm, Schlussbild Seite 349
im Vordergrund Brücke der äussern Talgasse über den Fröschengraben.
ERSTER TEIL
HINTER WALL UND GRABEN
(j"-iii.iU \\>u J.Ui.ii in r.ai;, i:' i
Qfans von ^^inhard
ßandammann
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ERSTES KAPITEL
NEUJAHR 1814
Am 21. November 1813 trafen zwei fremde Kaufleute in Zürich ^ ein. Der diensttuende Offizier bei der Sihlporte hatte in den vorge\^^esenen Pässen die Namen Leipold und Conti ge- lesen und gleichmütig den Reisewagen passieren lassen. In einem bescheidenen Gasthof der Innern Stadt stiegen die Herren ab. vSie hatten es aber offenbar eihg, mit ihren Geschäften zu beginnen ; denn sie verUessen alsbald nach ihrer Ankunft wieder den Gast- hof, als gelte es, einem gefährhchen Konkurrenten womöglich noch zuvorzukommen. Leipold und Conti, die nach ihrem vornehmen Äussern wohl als Vertreter einer Weltfirma gelten konnten, lenkten ihre Schritte geradewegs nach der ,, Krone", dem heutigen Rech- berg, damals Residenz des zürcherischen Bürgermeisters und Landammanns der Schweiz, Hans von Reinhard. Mit der ihm eigenen Würde trat ihnen im Audienzsaal der statthche Mann entgegen, den sie vor allen für ihre Interessen zu gewinnen trach- teten. Vor ihm durften sie auch ohne weitere Umstände ihr Inko- gnito ablegen: der österreichische und der russische Bevollmäch- tigte, Ritter v. Lebzeltern und Graf Capo d'Istria, hatten sich ja schon am 11. November von vSchaffhausen aus als Be- auftragte in geheimer Mission beim Landammann der Schweiz angemeldet und nur zuvor noch auf einem allerdings etwas weiten Umweg über Bern bei dem dort krank hegenden österreichischen Gesandten v. Schraut einige Informationen über Personen und Verhältiüsse in der Schweiz eingeholt.
Der Landammann nahm mit verbindhchen Worten das Ac- creditiv der beiden Gesandten der AUiierten entgegen und lud die Herren zu einer am gleichen Abend im Kasino stattfindenden Reunion ein. Dort stellte er sie alsdann mit gut gespielter Unbe- fangenheit ihrem ,, Konkurrenten", dem französischen Gesandten Talleyrand vor. Für die glänzende Gesellschaft im Kasino (jetzt Obergerichtsgebäude) war die Sendung Lebzelterns und Capo
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d'Istrias somit kein Geheimnis mehr, und es schien dem Ritter V. Lebzeltern Vergnügen zu machen, sich mehrmals ostentativ dem Spieltisch Talleyrands zu nähern und dabei ein paar hundert neugierige Augen auf sich gerichtet zu sehen. Übrigens hatte es die Firma Leipold & Conti bald gemerkt, dass sie zu spät auf dem Platze erscliienen war. Was sie zunächst hatte verhindern wollen, die Neutralitätserklärung der Schweiz im Entscheidungs- kampf gegen Napoleon, das war von der Tagsatzung in Zürich drei Tage vor ihrer Ankunft, am 18. November, feierUch beschlos- sen worden. Nun konnte man höchstens der Schweiz Bedingun- gen stellen für die Anerkennung ihrer NeutraHtät durch die AlHierten. Wenn beispielsweise verlangt wurde, dass die Schweiz den Titel Napoleons und seine Rechte als ,, Vermittler der Schweiz" nicht mehr anerkenne, die Regimenter im Solde Frankreichs ab- berufe und die darauf bezüghchen Kapitulationen annulliere, so waren das nur die Konsequenzen einer wirklichen Neutrahtät.
Allein Reinliard war für nichts zu haben, oder wenigstens getraute er sich nicht, irgend ein Zugeständnis zu machen ohne die EinwilUgung Talleyrands, der natürhch in gar nichts einwil- hgte. Was sollte auch aus den schönen französischen Offiziers- stellen und Pensionen werden, wenn man die Schweizerregimenter plötzlich heimberief! So etwas durfte Reinhard diesen Offizieren und ihren Famihen nicht antun. Er verhinderte nicht einmal die französischen Werbungen, mahnte vielmehr noch am 8. Dezem- ber die Kantone zu pünktHcher EinUeferung der Rekruten in die französischen Depots! War es ein Wunder, wenn die Schweizer Gesandten v. Reding und vStaatsrat Escher, die im Haupt- quartier der AlHierten in Frankfurt a. M. die Anerkennung der Neutrahtät erwirken sollten, vielen ,, Bedenken" begegneten und die Meinung hören mussten, eine solche Neutralität sei die reine Spiegelfechterei.
Freihch hatte der Kriegsrat der AlHierten schon am 8. No- vember den Durch niarsch der Hauptarmee unter Fürst Schwarzenberg durch die Schweiz beschlossen, und wenn der österreichische Kanzler Fürst Metternich am 11. Dezember Herrn v. Reding, wie schon vorher dem Zaren Alexander, einem warmen Freund der Schweiz, sein Ehrenwort verpfändete, dass die Truppen der AlHierten die Schweiz nicht betreten würden, so
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geschah das in der festen Absicht, dieses Wort zu brechen und den Zaren, ,,das gute Kind", zu düpieren. Einen kostbaren Vor- wand, um wenigstens seinem eigenen Herrn, dem Kaiser Franz, die Einwilhgung zum Einmarsch in die Schweiz abzunötigen, gaben dem Fürsten Metternich die Patrizier, welche die Ge- schichte — nach einer zufälhgen Zusammenkunft in Waldshut — unter dem Namen ,,Waldshuter Komitee" kennt. Es waren Ari- stokraten, die den Sturz ihrer Herrschaft durch die Franzosen im Jahre 1798 nicht verwinden konnten und nun im Gegensatz zur Landesregierung alle Anstrengungen machten, um das Heer der AHiierten herbeizurufen. Sie boten sich ihm als Führer an und stellten ihm jede Unterstützung in Aussicht, — unter einer Bedingung : dass die Alliierten die Wiederherstellung der Zustände vor 1798 versprechen sollten. Mit solchen Plänen erschienen Ende November in Zürich bei Lebzeltern und Capo d'Istria die Bemer Patrizier Oberst Gatschet und Hauptmann Steiger von Riggis- berg und wünschten Pässe ins Hauptquartier. Auch der Zürcher Gerichtsherr Escher von Berg reichte den Gesandten eine Denkschrift im Sinne der Herstellung des Alten ein. Der ,, kind- lich gewordene General Bachmann, welcher mit seinen auslän- dischen Orden geziert, majestätisch herumwandelte" (H. Escher), und andere ,, Leute von Distinktion" (Bericht Lebzeltems) anti- chambrierten mit ähnhchen Absichten bei Lebzeltern und Capo d'Istria.
Die Gesandten antworteten zunächst ausweichend, da sie noch nicht wussten, wie Mettemich eine Empfehlung dieser Ver- schwörer aufnehmen würde. Gatschet reiste ,, tränenden Auges" nach Bern zurück, um auch seinerseits eine Denkschrift auszu- arbeiten ; Steiger jedoch organisierte in Zürich einen mihtärischen Spionendienst für die Gesandten. Nachdem diese erfahren, dass Mettemich inzwischen selbst Beziehungen zum Waldshuter Komitee angeknüpft hatte, und zwar durch Vermittlung des in österreichischen Diensten stehenden Bündners Joh. v. Salis- Soglio, trugen sie kein Bedenken mehr, die gewünschten Pässe auszustellen. Die Nachrichten für Mettemich sollten aber noch günstiger werden. Mit 16 gegen 5 Stimmen hatte die Berner Regierung ihre Tagsatzungsgesandten desavouiert und das An- schlagen der Neutrahtäts-Proklamation vom 20. November im
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ganzen Kanton verboten. Am 7. Dezember sodann kam der schweizerische Obergeneral Niki aus Rudolf von Wattenwil, gewesener Schultheiss von Bern, von Dragonern eskortiert in Zürich an und wurde wie ein grosser »Sieger mit freigebig gespendetem Kanonendonner begrüsst. Er selbst dachte nicht, dass er dazu kommen würde, dem Ritter v. Lebzeltern seine Kapitulation anzubieten. Der Schultheiss v. Watten'wnl war ein strenger Herr; die Bauern am Zürichsee hatten es mit Schaudern erfahren, als er nach dem Bockenkrieg Reinhard zu härtester Bestrafung der Rebellenführer antrieb. Dem Österreicher gegenüber zeigte er sich von seiner weichem Seite. General v. Wattenwil hätte den Neutralitätsbeschluss der Tagsatzung durchführen und die Grenzen gegen jeden Einbruch schützen sollen. Er war dazu nicht imstande, schon wegen des lächerlich geringen Truppenaufgebots, das ihm die Tagsatzung zur \'erfügung stellte, — • und nicht einmal dieses Kontingent hatte Reinliard in seinem Sparsinn vollzählig einbe- rufen! Aber Wattenwil machte keinen Versuch, auch nur die schweizerische Waffenehre zu retten, sondern erklärte sich schon am 13. Dezember in Zürich, bevor überhaupt der Befehl zum Ein- marsch ergangen war, zur Auflösung der schweizerischen Grenz- besetzungstruppen bereit, indem er nur um die nötigen Formen bat, um seine Verantwortlichkeit zu decken und beiderseits Un- annehmhchkeiten zu ersparen. Diese Verhandlungen bheben selbstverständlich geheim. Ihr Resultat offenbarte sich in der am 19. und 20. Dezember zu Basel und Lörrach zwischen dem österreichischen Kommandanten Bub na und dem Berner v. Her- renschwand abgeschlossenen Kapitulation der eidgenössischen Armee. Dass die Soldaten in ihrer \\'ut die Gewehre zerbrachen, wendete die vSchmach nicht mehr ab.
Das Hauptquartier der \'erbündeten war am 12. Dezember nach Freiburg i. B. verlegt worden. Hier erlangte Mettemich von Kaiser Franz die Erlaubnis, ,,dem Kanton Bern zu Hilfe zu kom- men". Am 20. Dezember erhielten Reding und Escher die IMit- teilung, dass die schweizerische Neutrahtät mcht anerkannt wer- den könne und der Durchmarsch bevorstehe. Umsonst hatte sich Reding anerboten, selber die Orte unterhalb Hüningen zu bezeich- nen, wo der Übergang mit Leichtigkeit bewerkstelligt werden könnte. Dienstags den 21. Dezember, morgens 6 Uhr, setzten
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sich die verschiedenen Korps gegen den Rhein hin in Bewe- gung. In wenigen Tagen war die ganze 100,000 Mann starke österreichische Armee samt den 30,000 Bayern zu Basel, Rhein- felden, Laufenburg und Eglisau auf Schweizerboden über- getreten. Regiment auf Regiment, endlose Artillerietrains und Wagenkolonnen zogen Tag und Nacht über die alte Basler Holz- brücke. Die Schweizertruppen — 10,000 Mann von Basel bis zum Bodensee ■ — wurden zurückgezogen imd am 24. Dezember entlassen. Schon Tags zuvor war Bubna in Bern eingetroffen. Die Patrizier illuminierten. Am nächsten Morgen verkündete die alte Regierimg in einer Proklamation den erstaunten ,, Unter- tanen" die Wiederübemahme der Gewalt und geruhte zu ver- sichern, dass sie ,,nach der Weise Unserer in Gott ruhenden Regi- mentsvorfahren bisherige Verirrungen väterlich übersehen und zu keiner persönlichen Ahndung ziehen werde" . . .
In Zürich langte am 23. Dezember, von EgUsau kommend, die österreichische Division Trautenberg an. Mit fliegenden Fahnen und kUngendem Spiel defilierte .sie, dem Landammann zu Ehren, vor dem Rechberg. Auch Fürst Moritz Liechtenstein war schon an diesem Tage mit seiner leichten Di\äsion in Zürich. Was für herrhche Zeiten gab es da für die Zürcher Schuljugend! ,,Der eine oder andere von uns," erzählt Prof. Mousson in seinen Lebenserinnerungen, ,, schwänzte den Unterricht, um an dem Kronen- oder Niederdorftor den Trompetenstössen der ankom- menden Kriegsscharen zu lauschen. Wie er dann die freudige Nachricht brachte, war von Lernen keine Rede mehr; die Schule wurde entlassen, und alles stürzte sich auf die Strasse oder auf den Graben, die aufgestellten Kürassierregimenter oder die langen W^agenzüge mit Kriegsgerät und Vorräten aller Art anzugaffen."
Nun aber, wie soll es werden mit unserer Verfassung? Das war jetzt die dringendste Frage. So wie die gnädigen Herren von Bern — das erkannten Reinhard und die Zürcher wohl — konnte man nicht dreinfahren, oder man setzte die halbe Schweiz in Brand. Die Kantone W^aadt, Aargau, Thurgau, St. Gallen, Tessin, die der Mediationsakte von 1803 ihr Dasein verdankten, würden nicht wieder ins Nichts versinken, freie Bürger nicht neuerdings Untertanen werden wollen. Der Vorort lud rasch eine eidgenössische Versammlung nach Zürich ein. Bei Reinhard
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im Rechberg berieten am 27. Dezember die Abgeordneten von zwölf Kantonen über die Lage. Man war darüber einig, dass die Mediationsverfassung fallen müsse, sofort aber der Grund zu einem neuen Bunde zu legen sei, wobei keine mit den Rechten eines freien Volkes unverträglichen Untertanen\-erhältnisse wieder- hergestellt werden sollten. Das war der wesentliche Inhalt einer vom ,, Bundesverein" in Zürich am 29. Dezember getroffenen „Übereinkunft". Berns Gesandtschaft, die folgenden Tages eintraf, reiste unter Protest sogleich wieder ab. Zürich bUeb einst- weilen Vorort und Reinhard Landammann.
Neujahr 1814! Lebzeltern und Capo d'Istria stellten sich gratulierend im Rechberg ein und überreichten dem Landammann eine gemeinsame Note, worin gesagt war, der Augenblick sei für die Schweiz gekommen, wieder ihren Rang unter den freien, un- abhängigen Nationen Europas einzunehmen und sich als solche eine \'erfassung zu geben, welche die Garantie der Dauer in sich trage. Die verbündeten Mächte versprächen ihr, die \\'affen nicht niederzulegen, bis ihre ,, absolute" Unabhängigkeit und die von ihr frei entworfene und angenommene Verfassung unter die Garantie Europas gestellt und ihr die von Frankreich entrissenen Gebiete zurückerstattet seien. — Als am 13. Januar 1814 die drei ver- bündeten Monarchen, Zar Alexander I. von Russland, Kaiser Franz I. von Österreich und König Friedrich Wilhelm III. von Preussen ihren feierUchen Einzug in Basel gelialten hatten, fand es der Vorort für schickhch, die Souveräne durch eine Ab- ordnung mit Reinliard an der Spitze zu begrüssen. Die Berner mit Schultheiss v. Mülinen waren aber auch schon da, um den Wiederanschluss des Aargau zu betreiben; aargauische Gesandte wirkten in entgegengesetztem Sinne. Genfer Deputierte hatten allerlei Wünsche für ihre Stadt vorzubringen, und dazwischen wühlte und intriguierte das Waldshuter Komitee. So gab der Monarchenaufenthalt in Basel den Eidgenossen Gelegenheit, ,,ihre tausend kleinen Erbitterungen vor den Souveränen und Staats- männern Europas zur vSchau zu stellen". Reinhard und seine Begleiter fanden überall die Uebenswürdigste Aufnahme. Von Kaiser Franz zur Tafel gezogen, sass er zwischen diesem und Met- ternich. Der Kaiser war sehr gemütUch und fragte Reinhard u. a., was er für einen Eindruck von seinem Schwiegersohn Napoleon
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erhalten habe. Reinhard, der ja bei Abschluss der Mediations- akte in Paris viel mit Napoleon verkehrt hatte, erwiderte: ,,Je nach Umständen traf ich ihn in sehr ungleicher Stimmung, stets von hohem Geiste, dabei zuweilen ebenso strenge als anderemal wohlwollend." Gerade so, meinte der Kaiser, habe er ihn auch kennen gelernt und beurteilt . . .
Also mit dem mediateur in Paris wären wir jetzt fertig. Das französische Protektorat über die Schweiz ist durch die öster- reichischen Bajonette sauber hinweggefegt. Aber haben wir nicht nur eine Fremdherrschaft gegen die andere getauscht? Zwar der Bundesverein vom 29. Dezember 1813 war ein höchst löblicher Anlauf zur Selbständigkeit, die erste spontane Tat der Schweiz seit 1798. Doch Capo d'Istria und Lebzeltern bleiben in Zürich als unsere Berater und Erzieher. Sie verlangen den Entwurf der Verfassungskommission und machen ihre kritischen Bemerkungen und Vorsdiläge dazu. Sie mahnen und drängen fortwährend, mit den Verfassungsrevisionen in den Kantonen vorwärts zu machen, geben an, in welcher Richtung sich diese Revisionen zu bewegen haben, kümmern sich um alles, und wenn man seinem Winke nicht gleich nachkommt, kann Capo d'Istria auch ruppig werden. ,,Wenn Sie Ihres Amtes nicht fähig sind," sagt er zu dem Tessiner Rusca, ,,dann werden wir Ihre Regierung auffordern, Sie abzuberufen und Leute herzusenden, die mich besser verstehen." Capo d'Istria, der von Corfu stammte, war als ,, Republikaner" von Alexander I. speziell für den Posten in der Schweiz ausgewählt worden ; so schrieb der Zar seinem schwär- merisch verehrten ehemaligen Erzieher Cäsar Laharpe, dem Führer der Waadtländer Revolutionäre. ,,Ich bitte Sie inständig, ihn zu leiten, und ich versichere, dass er eine tiefe \^erehrung für Sie empfindet, da er in St. Petersburg Gelegenheit hatte, die Hefte durchzulesen, welche Sie uns als unser Erzieher diktiert hatten." Indessen bedurfte Capo d'Istria der Leitung Laharpes nicht; wohl aber leitete er selbst mit grossem Geschick — den Landammann der »Schweiz.
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ZWEITES KAPITEL
IM NEUEN SCHWEIZERBUND
Unser „Buiidesverein" vom 29. Dezember 1813, eine Art eidge- nössischer \"erfassungsrat, ist ein gar zartes und schwächliches Geschöpf, nicht imstande zu stehen und zu gehen ohne einen fremden Gesandten hnks und rechts, der es stützt und vorwärts schiebt. Die Waldstätte wollen nichts von dem ,, Zürcher Bund" wissen. Der Bemer Mutz muss von Alexander I. tüchtig am Ohr genommen werden; erst eine scharfe Drohung des Zaren kann Bern bestimmen, die Tagsatzung in Zürich zu beschicken. Am 21. März 1814 erschienen in Zürich zur Beratung des \"erfassungs- entwurfes nur die Gesandten von elf Kantonen: die acht andern Kantone hielten seit dem 17. März eine vSondertagsatzung in Luzern. Druck und Zwang des Auslandes brachten schhesshch am 6. April 1814 die Eröffnung einer vollzähhgen Tagsatzung in Zürich zuwege. Die »Session dauerte bis zum 31. August 1815! Unter unbeschreiblichen Mühen und beständiger Nachhilfe durch die fremden Diplomaten errang der neue Bundesvertrag am 8. Sep- tember 1814 in der ,, langen Tagsatzung" endhch eine Mehrheit (13^/2 vStände). Aber auch nach seiner Proklamation am g. Sep- tember drohte er noch zehnmal wieder auseinander zu fallen. Erst als am 7. August 1815 der neue Bund im Grossmünster zu Zürich von allen Ständen mit Ausnahme Xidwaldens beschworen worden war, durfte die Gefahr des Bürgerkrieges und damit des Unterganges der Eidgenossenschaft für beseitigt gelten. Das protestantische Bern hatte an der Spitze der katholischen Kan- tone für die möglichste \\'iederherstellung des Alten gekämpft und auch die eidgenössische Klostergarantie in die \'erfassung hineingebracht. Zürich — mit Basel, Schaffhausen und nament- lich den neuen Kantonen — hielt energisch an der Abschaffung aller Untertanenverhältnisse fest, so sehr es sich im übrigen be- mühte, im Bundes\"ertrag und besonders in den kantonalen \'er- fassungen den \'ertretem des Alten das Übergewicht zu verschaffen.
F. lies
Ginzug der eidg. Qesandten in die Qrossmünsierlai-cße bei Gröffnung der 'Vagsai^ung
o ZWEITES KAPITEL: IM NEUEN SCHWEIZERBUND 9
So kam eine Bundesverfassung zustande, die zwar die wesentlich- sten freiheitlichen Errungenschaften der Helvetik und der Media- tionsverfassung nicht wieder austilgte, aber doch vom demo- kratischen Standpunkt aus einen Rückschritt bedeutete.
Zunächst jedoch schien man sich unter der treuen Obhut der Diplomaten in Zürich überglücklich zu fühlen. Zur Feier des Einzugs der AlHierten in Paris (31. März 1814) veranstalteten am 12. April Lebzeltem, Capo d'Istria und die übrigen Gesandten ein Fest, das nach der Schilderung der ,, Freitagszeitung" zu einem Freudentage für die ganze Bevölkerung wurde. Beim Bankett im Hotel zum , .Schwert", das in seinem geschmückten Lustschiff auf der Limmat eine flotte Tafelmusik instalhert hatte, begleitete die Toaste auf die hohen Verbündeten, diese ,, Organe der Gott- heit", Kanonendonner vom Lindenhof herab. Abends war Ball im Kasino und Illumination der ganzen Stadt. Das Beglückendste aber in all dieser nie gesehenen Pracht war für die Bevölkerung ,,das von den Herren Ministem abgelegte Zeugnis von Dero Zu- friedenheit und ihre Versicherung, dass sie ihren hohen Souveräns von der guten Gesinnung der Zürcher rühmlich Meldung tun würden".
Viel weniger rühmlich war dagegen die Rolle der Sendlinge der Schweiz beim Abschluss des ersten Pariser Friedens am 30. Mai 1814. Über dem Streit, wo zwischen Bern und Aargau die Grenzpfähle zu setzen seien, verpassten die hadernden Eid- genossen die unwiederbringliche Gelegenlaeit, die Landesgrenze zu verbessern. ,, Bitter wird man es bereuen, den grossen Moment so heillos unbenutzt gelassen zu haben. Wäre seit zwei Monaten ein von der Tagsatzung abgesandter Bevollmächtigter hier ge- wesen, der kein Lokalinteresse im Auge, sondern nur die eidge- nössischen Angelegenheiten besorgt und im Herzen gehabt hätte, wären wir jetzt im Besitz wahrer Grenzen im Westen und hätten Konstanz im Osten. Man darf an all dieses nicht denken, ohne Bluttränen weinen zu mögen." (Stapfer an Usteri).
Die um vmsere Bimdesverfassung so vielverdienten fremden Gesandten in Zürich liessen es sich auch angelegen sein, den kanto- nalen \'erfassungsräten und Regierungen ihre Hefte zu korri- gieren. Talleyrand schildert einmal, wie die Deputierten aller Kantone vor den Türen der Minister sich drängten mit Bitten,
lo ZWEITES KAPITEL: IM NEUEN SCH^VEIZERBrND o
diesen oder jenen Verfassungsartikel noch ändern zu dürfen. Zürichs neue kantonale Verfassung ist zur Zufriedenheit Cape d'Istrias ausgefallen. Sie bringt einige bescheidene demokratische Neuerungen bezügUch des Wahlrechts, die aber bei weitem auf- gewogen werden durch den bedeutenden Vorrang der Stadt, der sich überdies noch durch ein sinnreiches Wahl- und Auslosungs- system für die Grossratswahlen \-on Jahr zu Jahr automatisch verstärken muss. Die neue Verfassung wird am ii. Juni 1814 vom Grossen Rat mit 105 gegen 62 Stimmen angenommen und am 25. Juni beschworen. Eine Volksabstimmung findet mcht statt. An demselben 12. September 1814, da die „lange Tagsatzung" Walhs, Neuenburg und Genf in den Bund der Eidgenossen auf- nahm, ernannte sie ihre Gesandten für den Wiener Kongress der Mächte: Reinhard, den Bürgermeister Wieland von Basel und den Freiburger Aristokraten v. Montenach. Kurz vor der Abreise am 19. September hatte Reinhard noch eine Eingabe der Bündner Regierung in Sachen des Velthns erhalten, die ihm aber nicht in den Kram passte, weshalb er sie der Tagsatzung einfach nicht mitteilte und Heber ohne Instruktion über diesen Punkt nach \\'ien ging. Auf dem Kongresse war die offizielle Schweizer Gesandtschaft eine absolute Null. Montenach trieb PoUtik auf eigene Faust und sagte selbst: ,,]\Iein erstes war, die beiden andern (Reinhard und Wieland) zu trennen, was leicht war, da keiner den andern leiden mochte. Ohne meine Grundsätze aufzuopfern, tat ich dergleichen, als ob ich bald die Meinung des einen, bald die des andern biUige; so wurde ich der Vertraute von beiden, und es gelang mir, ihre Tätigkeit zu lähmen, soweit sie der meinigen entgegen war." Reinliard machte auf die Minister ,,den Eindruck der Borniertheit und Trägheit" zugleich ; Wieland, den sie für den klügern hielten, litt an Schüchternheit. Die Schweizer Ge- sandten waren auch nicht etwa Mitgheder des Kongresses, sondern erschienen nur ab und zu vor einer Kommission desselben, dem sogenannten »Schweizer Ausschuss, der als Gerichtshof über ihr Schicksal zu entscheiden hatte. Und nicht einmal bei ihrem ersten Erscheinen vor dem Ausschuss, am 15. November 1814, waren die drei Gesandten einig. Hätten sie aber auch eine Meinung gehabt, sie wäre immer wieder durchkreuzt worden von dem Schwärm von Sondergesandten aus der Schweiz, der sich in Wien lästig
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machte. Umsonst warnte der Zar, der die Schweizer Gesandt- schaft am 23. Oktober in seinem Schlafzimmer empfing, mit der Miene des bekümmerten väterlichen Freundes vor Uneinigkeit und Spaltung. Die Schweizer hatten es noch immer nicht begriffen, was er ihnen schon am 2. Juni in Paris ans Herz gelegt hatte: sie seien eine Nation! Unter dem 28. September 1814 schrieb der preussische General v. Knesebeck an den Minister v. Stein: ,,Wie eingeengt, wie erbärmUch ist der Sinn der neuen Helvetier! Sind das die Sieger bei Murten und Sempach ? Ist das der Sinn der Stauffacher und Melchtale, der aus den Verhandlungen der Tag- satzung spricht ? Wo ist hier noch Vaterlandshebe und Gemein- sinn ? Jeder sieht nur seine sieben Kartoffeln, seinen Distrikt, seinen Herd, seine Famiheninteressen allein und zankt sich darum mit den andern. Ist das nicht das wahre Krähwinkel unter den Staaten?" Und Knesebeck war dafür, dieses Krähwinkel mit Deutschland zu vereinigen.
Dazu kam es nun zwar lücht, aber sonst haben wir in Wien fast nur schlechte Geschäfte gemacht. Nordsavoyen ging uns ver- loren; Reinhard meinte, wir hätten jetzt schon zu viel Kantone, und ihn erschreckte die Masse KathoUken, die wir dort wieder be- kommen würden. \'elthn, Bormio und Chiavenna verdanken dem Starrsinn der Bündner Abgeordneten und der Kurzsichtigkeit Reinhards ihren Anschluss an Italien. Manchmal bheben die Schweizer Angelegenheiten auch wieder wochenlang unberührt hegen. Der Kongress hatte mit der ,, Rekonstruktion Europas" zu viel zu tun, oder — was häufiger der Fall war — er kam vor lauter Vergnügungen überhaupt lücht zum Arbeiten. ,,L,e congres danse, mais ne marche pas", sagte der Fürst von Ligne. An einem der unzähhgen Bälle mischte sich auch Freund Hein unter die Tanzen- den. Ein dänischer Kavaher ward vom Schlage gerührt, bekam im Todeskrampf Reinhards Domino zu fassen und riss ihm seine Blonden- Spitzen von oben bis unten entzwei. Die Nachricht von Napoleons Flucht von der Insel Elba bereitete den Wiener Lust- barkeiten ein jähes Ende. Mit den Schweizern wurde schnell fertig gemacht. Die Deklaration vom 20. März 1815 eröffnete ihnen die definitiven Beschlüsse des Kongresses. Ein schüchterner Protest wegen der verlorenen Gebietsteile erweckte Mettemichs ,, Erstau- nen" und der Kongress ging darüber zur Tagesordnung.
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Wie ihre Herren in Wien, waren die in Zürich akkreditierten Gesandten beim muntern Schäferspiel vereinigt, als eine Depesche, welche Schraut erhielt (,, Montblanc" nannten die Jüngern Diplo- maten den weisshaarigen hagern Österreicher) der Gesellschaft die Landung Napoleons in Cannes kundgab. Beim Anitsbürgermeister und Tagsatzungspräsidenten David v. Wyss (dem jungem) traf am IG. März,, abends neun Uhr, ein Kurier des Staatsrates von Genf ein mit der Meldung, dass Napoleon schon in Grenoble ein- gezogen sei. Um 7 Uhr morgens, den 11. März, war die Tagsatz- ung versammelt; sie beschloss schleunige Einberufung der ab- wesenden Mitgheder, Aufbietung des halben eidgenössischen Kon- tingents und Entsendung des Oberst- Quartiermeisters Finsler als Kommissär nach Genf. Von Neutrahtät war diesmal keine Rede; die Schweiz musste sich wohl oder übel dem ,, System" der Yer- bündeten anschliessen, und der österreichische General v. vStei- gentescli wurde hergesandt, um das militärische Einvernehmen mit der Schweiz herzustellen, musste aber bald erfahren, dass ,,in diesem Lande, wo alle Entschlüsse auf dem langen Wege der Über- legung und des Herkommens reifen, den fünf Jahrhunderte mit breiten Förmhchkeiten ausgetreten haben", Geduld das erste Er- fordernis war. Doch brachte die »Schweiz bis Alitte Juh ein für ihre Verhältnisse imponierendes Bundesheer von 40,669 Mann, 2871 Pferden und 118 Geschützen auf. In einem kurzen Grenz- feldzug im Jura führte General Bachmann (später von Finsler ab- gelöst) den Oberbefehl; vor der Festung Hüningen bei Basel spielten \aer Zürcher Mörser, darunter der ,, Apollo", dem fran- zösischen Kommandanten Barbanegre zum Tanze auf und die Zürcher Scharfschützen nahmen aus ihren ,, Fuchslöchern" die Verteidiger einzeln aufs Koni.
Während der Belagerung Hüningens, das am 28. August 1815 fiel, war der Erzherzog Johann von Basel nach Zürich geeilt, um am 7. August im Grossmünster dem Bundesschwur beizu- wohnen. Seine Anwesenheit wurde als hohe Ehre empfunden, aber des Guten zu \äel tat die ,, Freitagszeitung", wenn sie schrieb, sein holder Blick habe dem neuen Schweizerbund das kösthchste Siegel aufgedrückt. Die Feier verlief würdig und ernst. Morgens um 9 Uhr begaben sich die sämtUchen Gesandtschaften der Kan- tone auf ihr gewöhnhches Sitzungszimmer in der ,, Aleisen", unter-
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schrieben und besiegelten dort die Bundesurkunde. Dann schritten sie in feierUchem Zuge zwischen Spaüeren von Soldaten unter Glockengeläute und Artilleriesalven zum Grossmünster, voran die Weibel in ihren Mänteln in den Standesfarben nach der Rangord- nung der Kantone, dann der Grossweibel der Tagsatzung mit der Bundesurkunde, die eidgenössische Kanzlei, der Präsident der Tagsatzung und die Gesandtschaft der Vorortes, hierauf die Ge- sandtschaften der übrigen Stände und am Schluss die in Zürich anwesenden Stabsoffiziere. Gesang und Instrumentalmusik emp- fingen die ins Gotteshaus Einziehenden; auf besonderer Tribüne hatte bereits der Erzherzog Johann, umgeben von den fremden Diplomaten, Platz genommen. Der Grosse Rat, die Geisthchkeit und zahlreiche Zuschauer füllten die weiten Hallen des ehrwürdigen Domes. Bürgermeister David v. Wyss hielt eine eindrucksvolle Rede. Hernach verlas der eidgenössische Kanzler Mousson die Bundesurkunde und die Eidesformel. Sämtliche Gesandte standen auf und sprachen, die Rechte erhoben, dem Präsidenten den Eid Wort für Wort nach. In diesem Augenbhck fiel der Kanonendonner wieder ein, Musik ertönte, und beim Verlassen der Kirche beglei- teten die Gesandtschaften ihren Präsidenten zu seiner an der alten Ringmauer der Stadt in der Torgasse gelegenen Wohnung, wo das Mihtär defiUerte. Mittags folgte ein Bankett im Kasino mit zahlreichen Tafelreden auf den neuen Bund, die Alliierten und ihre Feldherren. Erzherzog Johann toastete auf die Frei- heit, Unabhängigkeit und das Wohlergehen der »Schweiz. Beim Ball am Abend überreichte ihm ein zwölfjähriges Mägdlein mit einer artigen Deklamation einen Blumenstrauss. Der Erzherzog blieb bis Mitternacht; beherzigenswert war sein guter Rat, den er wiederholt schweizerischen Würdenträgern gegenüber äusserte: ,, Bleiben Sie bei der Einfachheit. Diese wird Ihnen die Achtung des Auslandes am meisten verschaffen."
Der schweizerische Brudersinn und das Nationalgefühl der Eidgenossen war mit dem neuen Bunde noch nicht ohne weiteres Gemeingut geworden, wie sehr auch zahlreiche edle Eidgenossen, gemeinnützige und patriotische Gesellschaften und Vereine sich mühten, ihn zu wecken und zu pflegen. Das offenbarte sich be- sonders in den furchtbaren Teuerungsjahren 1816 und 1817. Im Kanton Zürich herrschte eine förmUche Hungersnot. Das
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Land wimmelte von Bettlern; man fand vSterbende an der Strasse, in Feld und Wald. Die Tagsatzung traf einige halbe Massregeln, die Kantone aber sperrten gegeneinander die Grenzen, um alle Lebensmittelausfuhr zu verhindern. ,, Nirgends brüderhches Ent- gegenkommen, treues ^Mitteilen, gemeinsames Ausharren", sah der preussische Gesandte Justus Grüner; ,, überall selbstische Sorge und einseitige verderbliche Massregeln ; in schauderhafter Gestalt hat sich die innere Zerrissenheit dieses Bundes.staates offenbart". Kaiser Alexander spendete 100,000 Fr. Zürich verwendete 700,000 Fr. für den Ankauf von fremdem Getreide und Reis, ord- nete Liebesgabensammlungen an und beschäftigte die Arbeitslosen mit der \'erbesserung der Strasse durchs Tösstal. Eine ähnliche Erscheinung wie bei der Teuerung zeigte sich wieder in den für die Schweiz so drückenden Jahren 1818 und 1819 des französischen Prohibitivsystems. Jeder Kanton trieb Zollpolitik auf eigene Faust, als ob die übrigen Kantone Ausland wären. Die vSchweiz envies sich im x^irtschaftlichen Kampfe vollständig wehrlos. Noch im Jahre 1823 durfte der französische Gesandte I\Iarquis de Mous- tier wegwerfend schreiben: ,,Ich werde diese Leute mit dem Takt- stock regieren; die »Schweizer haben mehr schwache Seiten als andere Leute; ihre Eitelkeit, ihre Personen- und Familieninter- essen bieten ebenso vdele Mittel der Verführung dar, aus denen man grossen Nutzen ziehen kann."
Und wie ging es mit der Linthkorrektion, die man von der Mediationszeit als Erbe übernommen hatte! ,,In Monarchien", meinte Grüner, ,, würde ein ähnhches Unternehmen gar kein Auf- sehen erregen; hier hat man ihm aber grossen Nationalrulim bei- legen müssen, um die Fonds zusammenzubringen." Öchsli be- tont: ,,Dass Schweizer aus allen Kantonen freiwiUig nahezu eine Million zusammenlegten, um einen Landesteil vor dem Untergang zu retten, war zwar ein erhebendes Zeichen des erwachenden Ge- meinsinnes, aber ebensosehr auch ein betrübendes Zeichen der Schwäche des Staates, der solche Unternehmungen ganz auf frei- wilUge Beisteuern gründen musste. Das Werk hatte daher fast bis zur \'ollendung mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen, weil die Tagsatzung vor dem kleinsten Geldopfer als vor einer \'er- fassungswidrigkeit zurückscheute. 181S wurde ein neues Gesuch um 10,000 Fr. mit 13 gegen 9 Stimmen abgewiesen, so dass Escher
^oßann Conrad Gscßer von der ßinifi
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in die eigene Tasche greifen musste, um seinen Arbeitern den Lohn auszuzahlen. 1823 war das Werk soweit vollendet, dass die Tag- satzung am 14. August die Übergabe an die drei beteiligten Kan- tone Glarus, Schwj-z und St. Gallen beschliessen konnte. Der Mann aber, dem die allgemeine Stimme das Hauptverdienst an dem wohlgelungenen \^'erke beimass, erlebte die Übergabe nicht mehr. Hans Konrad Escher starb am 9. März 1823, allge- mein betrauert als einer der selbstlosesten, hochsinnigsten Charak- tere, welche die Schweiz je her\-orgebracht. Am 12. Juni beschloss der Kleine Rat von Zürich, nach einem Sprachgebrauch, der sich bereits eingebürgert hatte, den Verewigten und seine Nachkom- men als ,, Escher von der Linth" zu bezeichnen, und die Tag- satzung fügte am 14. August den Beschluss hinzu, ihm in der durch ihn geretteten Landesgegend ein einfaches Denkmal zu setzen, sowie der Familie eine goldene Denkmünze und pergamentene Urkunde zu überreichen."
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DRITTES KAPITEL
STADT UND FESTUNG ZÜRICH
Wilhelm Füssli meinte: „Die Stadt Zürich ist mehr eine plan- lose Kollekte von Häusern, denn eine regelmässig gebaute Anlage von Quartieren, und bietet mit ihren zum Teil engen Ga.ssen keinen schönen Anblick dar." Gerold Meyer v. Knonau wurde durch sie an deutsche Reichsstädte erinnert; ,,in einzelnen Gassen mödite man sich noch jetzt in die oberitahenischen Städte und selbst nach Genua versetzt glauben". Für den modernen Menschen wäre das Zürich des Jahres 1814 mit seinen Türmen und Zinnen entzückend zum Anschauen, — weniger vielleicht zum Drinwohnen. Und doch ward es damals von seinen Bürgern über alles geliebt. Sie fühlten sich so sicher und wohlgeborgen in ihren Mauern! Den Kern der Altstadt umschloss auf lange Strecken immer noch die alte Ringmauer mit Toren und Wachttürmen, und in weiterem Umfang, ungefähr das Gebiet des heutigen ersten Kreises um- ziehend, bildete ein zusammenliängendes vSystem von Bastionen, Gräben und Ravelins den mächtigen Schutzwall der Stadt. Je zwei Durchgänge — eine äussere ,, Porte" und ein inneres ,,Tor" — hatte man zu passieren, um von irgend einer Seite her ins Herz der Stadt zu gelangen, und diese Porten und Tore waren keine blossen Dekorationsstücke, sondern sie wurden nachts 10 Uhr, Sommers um 1 1 Uhr geschlossen und der Schlüssel auf die Haupt- wache gebracht (die Kästchen mit den Stadtschlüsseln sind heute im Stadtarchiv). Das mochte zu Zeiten unbequem sein, gab aber den Bürgern das Gefühl der Sicherheit, und viele von ilmen hörten es sehr ungern, als man davon zu reden anfing, dass die Festungs- werke geschleift werden sollten. Es kam ihnen vor, als wollte man die Haustüre aushängen und jedem Landstreicher freien Einlass gewähren. Als im Sommer 1832 die Regierungsräte Hüni und Brändli die schadhaft gewordene Brücke über den Graben bei der Kronenporte besichtigten und dabei äusserten, es sei gut, dass diese Brücke bald durch festen Boden ersetzt werde, riefen ihnen
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zwei vorübergehende, „nicht unangesehene" Männer zu: ,,Me wird I!" (Ludwig Meyer v. Knonau).
Aber schon vor 1814 hatte das Wegräumen begonnen, wenn- gleich erst bei den innem Befestigungen. Der Oberdorfturm und das Augustinertor, um nur diese zu erwähnen, wurden 1812 nieder- gerissen, das Linden- oder Junkerntor fiel 1S13. Noch lange stan- den indessen die äussern Porten unberülirt. Zur Stadelhofer- porte führte eine lange, fahrbare Brücke. Der Mauer entlang, zu Füssen des Geissbergbollwerks, dehnte sich ein Friedhof der Gross- münstergemeinde, das ,, Fuchsloch" genannt. Als der Friedhof imis Grossmünster aufgehoben wurde, hatten sich die Toten teils in den Krautgarten, teils ins Fuchsloch vor die Stadt hinaus flüch- ten müssen. Von dort verzogen sie sich später nach der ,, Hohen Promenade" auf dem Geissbergbollwerk, aber auch da wird ihres Bleibens nicht sein. Die Stadelhoferporte stand ungefähr an der Stelle des heutigen ,, Olivenbaum". Auf der ,, Holzschanze" am See, die man durch Auffüllungen verbreiterte und mit dem festen Land verband, wurde 1839 das neue Komhaus erstellt, das der lebenden Generation noch als ,,alte Tonhalle" in Erinne- rung ist. Die untere Rämistrasse, damals ,,Schmidgasse" genannt, ging bis zum See, wo das ,,KohlenpörtU" nach der kleinen Kohlen- schanze sich öffnete. Das unterste Haus beim Kohlenpörtli war das ,, Salzmagazin"; bis an dieses heran trat das Häuserviereck zwischen Torgasse und Schmidgasse, das den Weg limmatabwärts vollständig sperrte. Man muss sich gewaltsam losreissen von der Gegenwart, um ein klares Bild der ,, Schiff lande" von 1814 und üirer Umgebung zu erhalten. Enorme Auffüllungen haben die UferHnien gänzlich verändert. Der See reichte damals bis zu der doppelten Palisadenreihe, die vom Bauschänzli quer durch die Limmat bis zum Wassertor des Grendel lief. ,, Grendel" hiess der mit Eisenspitzen beschlagene, auf dem Wasser liegende und mit einer Kette bewegUche Sperrbalken, durch welchen den Schiffen die Ein- oder Ausfahrt geöffnet und verschlossen werden konnte. ,, Hatte man Oberwind gehabt", erzählt Hardmej-er-Jennj' noch aus eigenem Erleben, ,,so hiess es warten, bis Schlag sechs Uhr der Grendelwart den Balken aufgehoben hatte und der freie Ein- tritt in die Kapitale geöffnet war. Anderswo ans Land zu gelangen, war nicht möglich, die Palisaden sperrten vom Kohlenschänzli
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beim Salzmagazin bis in die Enge hinüber die Ufer. Hier am Hafen der Stadt war bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts das Zentrum des Verkehrs." Mitten aus dem Fluss ragte noch der düstere Wellenberg, das Kriminalgefängnis, von dem aus Waldmann und noch mancher nach ihm seine letzte Fahrt angetreten. Hart am Wasser standen die Häuser zur ,, Sonne" (jetzt Albert Müller), zum ,, Stern" (später Hotel du Lac, jetzt Gysier- Wunderli) und der stark frequentierte Gasthof zum ,,Raben" mit seiner aus- sichtsreichen Terrasse, der kurze Zeit einmal auch ,,Bellevue" hiess und jetzt von Geschäftsleuten bevölkert ist (Hechtplatz Nr. i). Sehr besucht waren auch die Wirtschaften zum ,,Rössli", zum ,,Bilgerischiff" und andere an den zur Schiff lande herab- steigenden Gassen.
Weiter abwärts gelangte man nur hinter 'dem ,, Raben" und der ,,vSonne" hindurch auf den Sounenplatz und zur Wasser- kirclie, die schon seit 1634 die Stadtblibhothek beherbergt. Das Magazin zwischen Wasserkirche und Strasse, ,, Wasserhaus" ge- nannt, ist 1858 durch einen steinernen, mit der Stadtbibliothek verbundenen Neubau ersetzt worden. Wahrscheinlich, weil au dieser Ecke seinerzeit eine der ersten öffentlichen Laternen Zürichs brannte, hiess das schräg gegenüber liegende Wirtshaus ,,zur La- terne", dessen Namen im Lateruengässchen heute noch fortlebt. An das Lateruengässchen schloss sich der Hottingerturm (bis 1856), dessen unterer Teil vor Jahrhunderten schon als Kaufhaus eingerichtet worden war (jetzt Musikalienliandlung Hug & Co.), daneben das Salzhaus (städtisches Salzverkaufslokal, jetzt Eisenhandlung Kisling). Durch die Bogen und die Halle des Helmhauses aber gelangte man auf die hölzerne obere Brücke. Kirchenratssekretär Dr. F. Meyer (t 30. März 1910) sagt von ihr in seinen ,,Jugenderinnerungeu" : ,, Diese war ein Steg für Fuss- gänger; man gelangte zu ihm durch die breite Toröffnung an der Westseite des Helmhaus. (Nach Vollendung der ■ — einige Meter weiter unten erbauten — Münsterbrücke wurde sie zugemauert und dafür das mittlere Fenster an der Nordseite zum Durchgang erweitert, wie es jetzt noch besteht. Auf dem Plane von 1838 sieht man noch beide Brücken nebeneinander.) Das Geklapper der hölzernen Bretter des Brückenbelages, wenn wir Schüler darüber trampelten, ist mir jetzt noch in Erinnerung, und es war etwas
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Unerhörtes, dass einmal einige Dragoner es wagten, zu Pferde über die Treppenstufen des Zugangs hinaufzusetzen und durch das Helmhaus über die Brücke zu reiten."
Eine grosse Merkwürdigkeit für Fremde war immer das auf der obern Brücke stehende Brunnenhäuschen mit dem Wasser- rad und den dazu führenden Fang%vuhren in der L,immat, eine Einrichtung, die bis 1835 bestand und Trinkwasser aus der Limmat in einen Brunnen mit sieben Röhren schöpfte. Solche Wasser- räder waren errichtet worden, nachdem der Aberglaube aufgekom- men, dass die Juden die Brunnen vergiften.
Über die Salzhaustreppe kommen wir zum Grossmünster und in die Kirchgasse. Viel weiter als das jetzige Grossmünster- schulhaus ragte das alte, unansehnlich gewordene Chorherren- stift (CaroHnmn, höhere Schule, besonders für Theologen) in die Kirchgasse hinein. Die ganze Kirchgasse hinauf aber reihte sich fast ein (dem Stift gehörender) ,,ChorherrerLlaof" an den andern; wir nennen bloss das Diakonat zum Silberschild, heute alkohol- freies Restaurant ,,Karl der Grosse"; die ,,Provisorei" (Ecke Kirchgasse-Neustadtgasse), daneben den (1858 verschwundenen) Brunnen mit der schönsten Brunnensäule Zürichs, schräg gegen- über, am Chorherrenplatz, die Schulei, Zwingiis letzte Amts- wohnung, und — nach einem Zwischenraum — die Stifts ver- walterei. Zu oberst an der Kirchgasse war 1814 im vSteinhaus die Staatskanzlei untergebracht; Martin Usteris ,, Erggel im Stein- huus" ist 1831 bei einem Umbau verschwunden. Das Haus zum ,, roten Adler", schräg abwärts dem Steinliaus gegenüber, hat 1830 Dr. Ludwig Keller sehr schön um.gebaut.
Der Zwingiiplatz hatte 1814 schon ungefähr die heutige Form, und den benachbarten Häusern sind ihre Namen bis jetzt geblieben, die Häuser selbst aber teilweise bis zur Unkennthchkeit umgebaut. Der Flügel des Chorherrenstifts gegen den Zwingliplatz diente damals der Französischen Kirche. Einen befremdlichen Eindruck machte die am Grossmün.ster klebende hölzerne gedeckte Doppeltreppe, die (bis zum Jahr 1844) vom ehemaligen Friedhof auf die Emporen hinauf führte und das prächtige Hauptportal mit ihrem Überbau verunstaltete. Das Antistitium (,, Oberst- pfarrhaus"), Sitz des Antistes, ist (wie die ,, Schulei") erst 1856 als Pfarrhaus in den Besitz der Kirchgemeinde übergegangen.
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Das „grüne Schloss" (heute Berichthaus) wurde 1835 Privat- besitz. Im Haus zum „Loch" wohnte der gelehrte Chorherr J. H. Bremi mit seiner vSchule; der letzte Chorherr, welcher die „Weinleiter" bewohnte, war der liberale Theologe Joh. vSchult- hess. Auch die ,, Blaue Fahne" existierte schon, aber nicht als Bierhaus; weiter kommen wir in der Münstergasse, am Meyers- hof vorbei, der vier Jahrhunderte lang im Besitz der Famihe Meyer v. Knonau war, zum alten Turm der M anesse (zu unterst an der Napfgasse) und — ihm gegenüber — zur Post! Es ist nämhch zu beachten, dass wir uns hier in der Hauptstrasse des alten Zürich befinden; die wichtigste ^'erkehrsader ging von der Stadelliofer|Dorte durclis Oberdorf, die mittlere Kirchgasse, Müustergasse und das Niederdorf.
Das zürcherische Postwesen verdankt seinen Ursprung den Kaufleuten Hess, welche (zwei Häuser weiter, links, an der Münstergasse) im Haus zum ,, roten Gatter" wohnten. Sie richteten 1630 einen Fussbotendienst nach Lyon ein, wo sie eine Nieder- lassung hatten, und auch mit Italien knüpften sie Postverbindungen an. Im Jahre 1632 übergab die Regierung das Post- und Boten- wesen dem neugebildeten Kaufmännischen Direktorium, das die Post in die Häuser zum ,,Schäppeli" und ,, Grauen Mann" an der Münstergasse verlegte. Als tmmittelbare Nachbarin erhielt die Post später das Berichthaus. Mit der Ausdehnung des Post- verkehrs und der Einfülining immer neuer Eilwagenkurse staute sich der Verkehr auf dem kleinen Platz bei der Post, die keinen Hof und keine Remise hatte, oft zu beängstigendem Gedränge; zur Winterszeit war der Platz für die Fulirwerke fast unzugänghch. Dazu kamen dann noch die ^Menschenansammlungen %-or den Schaltern des Berichthauses. Auf seinem Weg zur Schule (im Haus zum ,, schwarzen Garten" an der Stüssihofstatt) hatte einst auch Dr. F. Meyer diese Stelle zu passieren; er erzählt: ,,Das dortige Plätzchen war kleiner als jetzt; um acht Uhr standen die vierspännigen Eilwagen nach den verschiedenen Richtungen zur Abfahrt bereit, dicht aneinaudergedrängt, so dass es für den kleinen Schüler keine Kleinigkeit war, längs des Hauses über Treppen- stufen, an Pferdebeinen und Wagenrädern \'orl3ei die »Strecke bis gegen die ]\Iarktgasse hin ungeschoren zurückzulegen. Noch schwieriger hatten es die kleinen Mädchen, die von der Münster-
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gasse her ins Schulhaus zum Napf (zweitoberstes Haus an der Napfgasse, später auch Lokal der Musikschule) gingen und darum das Plätzchen durchkreuzen mussten. Da geschah es denn, dass sie nicht selten sich unter den Pferdebäuchen hindurchwanden, um ans Ziel zu kommen. Auch das Abfahren der Posten den steilen Abhang bei der jetzigen ^Vleyerei und durch die enge Marktgasse hinunter war für Pferde, Wagen und das die Gasse passierende Pubhkum keineswegs angenehm, sondern geradezu gefährhch. Die Posten nach Winterthur fuhren durch die obere Kirchgasse hinauf über den Hirschengraben bis zum Rechberg oder durch Rinder- und Neumarkt ebendahin und dann durch das Halseisen (Künstler- gasse) hinauf zur Kronenporte; nach Baden und ebenso nach Horgen durch Marktgasse, Strehlgasse und Renuweg durch die Sihlporte; nach Rapperswil durch das Oberdorf und die Stadel- hoferstrasse."
Das ,, Berichthaus" neben der Post ist eine Gründung des Hauptmanns Hans Jakob Lindinner in Zürich, welcher am 23. Februar 1730 die erste Nummer der ,,Donnstags-Nachrich- ten" herausgab, ein Inseraten- oder Reklameblatt, das sich fast ausschliesslich in den Dienst des wirtschaftlichen Verkehrs stellte. Indem es, das häusliche Leben, sowie Handel und Wandel berück- sichtigend, vSuchende und Anbietende einander näher brachte und den Austausch \'on Sachgüteni und Diensten vermittelte, ver- drängte es mehr imd mehr das mittelalterliche Amt des öffentlichen Ausrufers. In seinem Haus zur ,,Provisorei" an der Kirchgasse eröffnete Lindinner zugleich ein sogenanntes , , Adress-Comptoir" zur Auskunfterteilung, und dieses ,, Adress-Comptoir" wird in Nr. III der ,,Donnstags-Nachrichten" vom g. Merz 1730 zum erstenmal ,, Bericht-Haus" genannt. Im Volksmund hiess es meist ,,Blätth-Huus". Hauptmann Lindinner trat das Geschäft nach wenigen Jahren seinen Brüdern ab, die sich mit einem Prä- zeptor Ziegler assoziierten. Später führte der Sohn des letztern, Buchdrucker Caspar Ziegler, das Geschäft allein. Seit dem 21. März 1768 befand sich das Berichthaus in den von Ziegler an- gekauften Häusern zum ,, Goldstein" und ,,vSchlegel", Münster- gasse-Ankengasse, neben der Post, zu denen bei weiterer Aus- dehnung des Geschäftes noch das Haus zum ,, roten Gatter" kam, die \^'iege des zürcherischen Postwesens. Ziegler nahm in
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der Folge seinen Schwiegersohn Joh. Casp. Ulrich ins Geschäft auf, und seit 1794 lautete die Firma , .Ziegler & Ulrich". Die ,,Donn- stags-Xachrichten" liiessen vom 4. Januar 1781 an „Donnstags- Blatt", imd mit dem Jahre 1801 erschienen sie als „Zürche- risches Wochenblatt" wöchenthch zweimal, ^Montags und Donnerstags. Xach dem Tode seines Sch\vieger\-aters verkaufte Joh. Casp. Ulrich, ein Sohn des letzten Landvogts von Kyburg, das Berichthaus samt Druckerei seinem Bruder, dem Landschreiber J. J. Ulrich in Andelfingen. Das war am i. Juli 1814.
Wenige Schritte weiter führen uns zum ..Elsasser", oben an der ]\Iarktgasse, dem Sitz der grössten Buchdruckerei Zürichs im 18. Jahrhundert. Es hatten sich im Jahre 1766 die Herren Konrad Orell, Buchdrucker, Salomon Gessner, der bekannte Dichter, und der Historiker Heinrich FüssU zu einer Buchhand- lungsgesellschaft unter der Firma Orell, Gessner, Füssli & Companie vereinigt. In ihrer Offizin, die sich nach dem Aus- scheiden Gessners auf die Namen Orell, Füssli & Co. beschränkte, erschien am 12. Januar 1780 die erste Nummer der ,, Zürcher Zeitung", nach ihrem Erscheinungsort im Volksmund auch etwa ,, Elsasser-Zeitung" genannt. Jalirzehntelang kam das Blatt nur zweimal wöchenthch heraus, Mittwochs imd Samstags, und es haben in den bewegten neunziger Jaliren die Stäfner jeden ^littwoch und Samstag ein eigenes Schiff nach Zürich gesandt, um im ,, El- sasser" die Zeitmig zu holen. \'om i. Juli 1821 an hiess das Blatt ,,Neue Zürcher Zeitung" und wurde in den folgenden Jalir- zehnten bald dreimal, bald zweimal wöchentlich ausgegeben; seit dem I. Januar 1843 erscheint es täglich. Der ,, Elsasser" aber hat inzwischen mehrmals den Besitzer gewechselt — ■
\'om Helm haus ging die ,,alte Wühre" zwischen einer dop- pelten Reihe von Buden (Läden), die eine hart am Wasser, die andere vor der jetzigen Münsterterrasse, zum Wettingerhaus und dem Zunfthaus Zimmerleuten. Die Limmat bespülte die Grund- mauern des ,, Rüden", Fussgänger- und Wagen verkehr ging hinten durch, unter den Bögen, über den Rüdenplatz mid durch die ,,Tihnen", mit wagrechten Dielen bedeckte Durchgänge unter den Häusern zur Kerze, Käshütte, Büchsenstein, Haue und Safran. Der Brunnen auf dem Fischmarkt (Simson mit dem Löwen) stand damals am Wasser, gleich oberhalb dem Rathaus, und wurde
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erst bei der Quaibaute verlegt. Planchen traurigen Aufzug hat der Fisclimarkt gesehen. Dehnquenten, die zum Tod, zu Pranger oder Prügelstrafe verurteilt worden waren, wurden vor der Exe- kution unter Glockengeläute zum Rathaus geführt. Auf den Stufen der Rathaustreppe knieend, die ziemlich weit in die Strasse hinein reichte, hatten sie das Urteil anzuhören, welches aus einem Fenster des Rathauses laut verlesen wurde. Hier gleich in der Nähe muss auch der Pranger gestanden haben, denn als im Juni 1831 der Grosse Rat Pranger und Peinhchkeit abschaffte, haben noch in der gleichen Nacht Sträflinge in aller vStille den Pranger beim Rathaus weggeschafft (vgl. Vogel, Memorabilia Tigurina 1841, p. 234). Das dem Rathaus gegenüber liegende Gebäude an der lyimmat hiess früher das Richthaus, weil dort zu Zeiten Gericht gehalten worden war. Aber schon zu Anfang des ig. Jahr- hunderts diente dasselbe als Haupt wache, und bei ungünstiger Witterung spazierte die Schildwache hinter den hölzernen Säulen des Vordaches hin und her. An das Richthaus war die Metzg angebaut, und unmittelbar neben der Hauptwache befand sich das ,,Speckkämmerh", wo gelegenthch Betrunkene eingesperrt wurden. Die frühem Gerichtsräume über der Hauptwache hatte ein gewisser Cordes gepachtet, der im untern Lokal ein Cafe hielt. Metzg und Hauptwache wurden 1823 bis 1826 neu gebaut, das neue Schlachthaus am 19. Mai 1825 von den Metzgern durch einen Umzug eingeweiht; vor der Hauptwaehe zog am 2. Oktober 1825 eine Kompagnie Soldaten mit Fahnen und Fanfaren auf. (Nach Abschaffung des Garnisonsdienstes wurde die Hauptwache am IG. Oktober 1832 von den Landjägern bezogen.) Zwischen der Metzg und der ,, Metzgerlaube" (Fleischverkaufshalle, an der Stelle des jetzigen Museumsgebäudes) ging nur ein schmaler Weg hindurch. Auch nach dem Neubau des Schlachthauses war diese Passage nicht überflüssig breit. ,,Wer am Vormittag dort hin- durchging, musste vSorge tragen, von den blutigen Fleischstücken, die aus dem einen Gebäude über die Strasse ins andere getragen wurden, oder von den Hunden, die im Schlachthause Blut leckten, kein Andenken zu bekommen. Von da reichte die fahrbare vStrecke noch bis zur Rosengasse; dort bildete das Haus zur Gerwe den Abschluss, und nur ein Fussweg führte längs der Limmat weiter. Die Wagen mussten noch bis zur Erbauung des Uimmatquais
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(1855 bis 1S59) durch Rosengasse und Niederdorf den weitem Weg suchen." (Dr. F. Meyer.) — Die Rathausbrücke (Gemüse- brücke) war ursprünglich eine hölzerne Brücke, auf fünf Reihen von Pfählen ruhend, und lange Zeit der einzige Limmatübergang in Zürich. Auch hier sah man bis 1821 ein Brunnenhäuschen mit Wasserrad und etliche Jahrzehnte länger noch ein sogenanntes , .Budengebäude" .
Auf dem ,, Obern Mühlesteg" befanden sich 1814 fünf Mühlen und eine ,, Schleife" (letztere wurde 1840 in ein Pumpwerk umgebaut). Der Obere Mühlesteg hatte noch keine Verbindung mit dem linken Ufer. Erst nach einem furchtbaren Brand auf dem Obern Mühlesteg im Jahre 1842 wurde ein hölzerner V^erbindungs- steg und ein Fussweg bis zum Waisenhausgarten erstellt. Der Fussweg ist 1875/76 in eine Fahrstrasse bis zum Wollenhof, der Obere Mühlesteg 1880 in eine fahrbare Brücke verwandelt worden. Auf dem ,,Werd", das heisst der Insel am ,, Untern Mühlesteg", befand sich schon seit Jahrhunderten eine Papiermühle, welche 1842 in den Besitz der I\Iechanischen Papierfabrik an der Sihl überging. Das ,, gedeckte Brücklein" stammt etwa aus dem Jahre i68g.
Wo die heutige Bahnhofbrücke am linken Ufer aufliegt, mündete der Schanzengraben in die Limmat. Gleich unterhalb dieser Stelle traversierte in schräger Richtung nach der ,,Xeu- mühle" der ,, Lange Steg" den Fluss (zwischen der Walchebrücke und Bahnliof brücke). Die Bahnhofbrücke, 1864 vollendet, hat nicht dieselbe Richtung wie der ,, Lange Steg"; sie wurde von der zur ,, Neumühle" gehörenden Limmatburg her (heute Hotel Zentral) über den Papierwerd zur vSchanzengrabenniündung ge- legt und alsdann der ,, Lange Steg" abgebrochen. Auf dem rechten Ufer führte der ,, Lange Steg" mitten in die Etablissemente der Neumühle hinein. Die hier gelegene, von der Bastion zwischen Limmat und Niederdorfporte umschlossene alte Neumühle war ehedem ein obrigkeitliches Lehen und wurde 1805 an einige Kaufleute verkauft, die unter der Firma Escher Wyss & Cie. hier zuerst eine weitläufige Maschinen-Garnspinnerei errichteten; diese wurde bald auf Metallbearbeitung ausgedehnt und hat später sogar Dampfschiffe und Lokomotiven erstellt. Der eigentUche Gründer der Finna war Hans Kaspar Escher-v. Muralt in:
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„Felsenhof" (f 22. August 1859), ^^ dessen Namen heute noch das „Kaspar Escher-Haus" erinnert. Die Häuser und Werkstätten der Neumühle erstreckten sich bis herwärts der heutigen Bahiüaof- brücke in die Stadt hinein. Das letzte Haus auf dieser Seite, die alte Landmühle, dann ,,Spitalermühle" genannt, ging 1834 an Escher Wyss & Cie. über. In diesem Haus allein glühten und sprühten elf Essen, und es kostete Mühe und ziemlich viel Geld, als die den Zugang zur Bahnhofbrücke sperrende Spitalermühle von der Stadt erworben werden musste (in der Bürgergemeinde vom 14. April 1862 wurde starke Opposition gemacht).
Dicht an die Spitalermühle stiess das Niederdorf-Tor, ein schmaler Durchgang für Fussgänger und daneben ein breiterer unter dem Turm hindurch für Fuhrwerke. Die Schlaguhr auf dem Tunn wandte ihr Zifferblatt dem Niederdorf zu, das schon 1256 in den Akten als ,,villa inferior" figuriert. Als 1824 der Niederdorfturm abgetragen wurde, kam die Schlaguhr auf die Sihlporte, und als 1834 auch diese fiel, aufs Rennwegtor. Das Niederdorttor war der Ausgangspunkt der Strassen nach Eglisau, Schaffhausen, dem Neuamt und der Herrschaft Regensberg. Der Zoll wurde bei der im äussern Bollwerk (bei der Neumühle) er- richteten Niederdorfporte eingezogen. Ziemlich schmal war die Passage vom Niederdorftor zur Niederdorfporte, zwischen den Häusern der ,, Neumühle" hindurch. Erst mit Vertrag vom April 1869 wurden Escher Wj^ss & Cie. veranlasst, durch Abtragung einiger Häuser auf der Ostseite die Strasse auf 13% Meter Breite zu enveitern.
Längs dem Seilergraben, dem schon seit 1780 die Hirschen- graben-Promenade zur Seite ging, zog sich im Jahre 1814 vom Niederdorftor zum Kronen- oder Neumarkttor noch ein wohlerhaltenes Stück der alten städtischen Ringmauer hin, und auch ein stattlicher Turm (auf Breitingers Plan nur mit X be- zeichnet) ragte noch aus der Ringmauer auf: der Ketzerturm; er fiel erst im Jahre 1878 und ist in Gottfried Kellers Zürcher Novelle ,, Ursula" verewigt. Noch heute ist — oben an der Gräbli- gasse rechts — ein Überrest der Ringmauer zu sehen; nur ein paar Schritte weiter in der Fortsetzung dieser ]\Iauer gegen die Heringsgasse zu stand der Ketzerturm mit Uhr. Innerhalb der Ringmauer, ungefähr von der Häringsgasse bis zum Predigerplatz,
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lag der Prediger-Friedhof. Die weitläufigen Gebäulichkeiteii des ehemaligen Dominikanerklosters bei der Predigerkirche dienten schon seit der Reformation dem vSpital und seineu Dependenzen. Von 1S14 bis 1816 wurde das Irrenhaus gebaut (das allein- stehende Gebäude auf dem Platz am Nordende des Friedhofs). Von den andern Gebäuden hiess das eine „Neuhaus", das andere „Krankenliaus" ; die Gebäulichkeiten erstreckten sich bis zum Niederdorf. Zwischen Älushafenplatz und Xiederdorf, in der alten Spitalkapelle, befand sich seit 1810 die Kantonsapotheke, auf der andern Seite des Mushafenplatzes die Anatomie (,,Theatrum Anatomicum" heisst sie noch bei Werdmüller, ]\Iem. Tig.) ; es muss da gelegentlich etwas sorglos mit den armen \'erschnetzelten \'er- brechern und Spitalinsassen umgegangen worden sein, denn im September 1835 trieb ein Menschenkopf, welcher bei der Anatomie in den Wolfbach gefallen und von ihm beim Obern Mühlesteg in die Ivimmat geschwemmt worden war, zum Grausen der An- wohner flussabwärts. Im Häuserviereck beim Prediger war nach dem Neubau des Kantonsspitals in Fluntern die Versorgungs- Anstalt untergebracht, welche 1867 nach Rheinau verlegt wurde. 1873 ging das ganze Spitalareal in den Besitz der Stadt über, welclie die ehemalige \"ersorgungsanstalt einstweilen für alle möghchen Zwecke \-enTiietete. Am Samstag abend, den 25. Juni 1887, ist diese ganze ^Mietskaserne radikal abgebrannt. Kirche imd Kantonsbibliothek (seit 1872 im Chor der Predigerkirche) standen in höchster Gefahr; ^lanuskripte und Bücher wurden von Bibliothekaren und .Studenten mit Bravour ,,geflöchnet".
Das Kronentor — am Ausgang des Neumarkts nach dem Hirschengraben — stand bis 1827. An Stelle des angrenzenden Hauses wurde 1833 von Martin Escher-Hess vom Wolleiüiof, dem Zürich seine erste Eisenbahn \-erdankt, der prächtige Neubau zum ,, Kronentor" aufgeführt. Das gegenüber liegende Haus ,,zur Krone", von Zunftmeister Hans Kaspar Werdmüller 1766 bis 1776 erbaut, das vornehmste Privathaus des altern Zürich, beherbergte nacheinander die Generale Schauenburg, Massena, Hotze, Korsakow und ^lacdonald, dann Jahrzehnte hindurch den L,andammann Reinhard; von 1807 bis 1830 war es der ^Mittelpunkt des diplomatischen Lebens in Zürich. 183g ging es in den Besitz der Familie v. Schulthess Rechberg über und hiess seitdem ,,Rech-
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berg". Oben am „Halseisen" (Künstlergasse, zwischen Poly- technikum und neuer Hochschule), „auf der erhabendsten und lustigsten Anhöhe an der Strasse nach Winterthur", stand die Kronenporte, ein stattlicher, in Quadern aufgefülirter Bau.
Das Obmannamt, früher die Amtswohnung des , .Obmanns gemeiner Klöster", ist ein Bestandteil des alten Barfüsser- klosters. Der Teil des ausgedehnten Gebäudekomplexes, in dem sich die Weintrotten des Klosters befanden, wurde 1806 von der ,,Assemblee-Gesellschaft" erworben, welche unter der Leitung von Kaspar Escher zum Felsenhof und andern an dieser vStelle das Kasino erbauen Hess, die Tonhalle des alten Zürich. 1874 kaufte die Regierung das Kasino zurück und baute es zum Obergerichts- gebäude um. Vorher (seit 1838) war das Ober-, Kriminal- und Schwurgericht in dem Flügel des Obmannamts hinter dem Kasino untergebracht, den 1876 das Staatsarchiv bezog. Das ,, Konvent- haus", der Hauptflügel gegen den Hirschengraben, der ganz zum Zwecke der kantonalen Verwaltung eingerichtet wurde, erhielt 1839 und 1840 ein drittes Stockwerk, der Mittelbau 1880 noch einen weitem Aufbau. Die Barfüsserkirche (im Flügel gegen die Untere Zäune) ist 1833 zum Theater umgebaut und am 10. No- vember 1834 mit der ,, Zauberflöte" eröffnet worden, am i. Januar 1890 aber — kurz nach Beginn des vierten Aktes des Birch- Pfeifferschen ,,Der Leiermann und sein Kind" — abgebrannt.
Längs dem Wolfbach (das dortige Schulhaus wurde 1866 ein- geweiht) führte ein Ausgang aus der Stadt durch das Hottinger- pörtli. Vom Rämi-Bollwerk umschlossen, erhob sich das hübsche Haus des Sängervaters Nägeli, das später der Kantons- schule weichen musste, und wenn man den Stadtplan Breitingers ansieht, begreift man allerdings einigermassen die Klage der ,, Freitagszeitung" von 1838, dass die Kantonsschule in den ,,äussersten Winkel der vStadt" gestellt werden solle. Seit dem grossen ,,Sterbent" im Pestjahr 1611 bestand im Krautgarten ein Friedhof der Grossmünstergemeinde (bis 1848!). Ein weiteres Stück der Stadtmauer umzog 1814 noch die Winkel wiese; sie reichte früher längs der Torgasse bis zum vSee hinab, und die heutigen Anlagen bei der Freien Schule an der Waldmannstrasse waren seit 1775 Viehmarkt, vorher Rossmarkt; der Aufgang zur Hohen Promenade hiess ,, Kühgasse".
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Wir sind damit wieder an den See gelaugt. Was wir bisher durchwanderten, war die „grosse Stadt" (früher „mehrere vStadt") im Gegensatz zur „kleinen Stadt" („mindere Stadt") links der Limmat.
Die „kleine Stadt" betreten wir beim Bauschänzchen; es gehört seit 1841 der Stadt, die es im folgenden Jahre durch einen gewölbten vSteg, die ,, Seufzerbrücke", mit dem Festland verband. Die flache Brücke datiert von 1856. Dicht bei der ..»Seufzer- brücke" stand noch bis 1841 das Steinrad in rundem Gehäuse, auf dessen Dach der Kran oder ,,Kraiüch" funktionierte. Süd- lich vom sogenannten ,, Bauplatz" ist jetzt alles aufgefüllt bis auf die Höhe des kleinen Inselchens, auf dem ein ,, Schiffshaus" stand. Auf der nur über einen schmalen Damm zugänglichen Halbinsel zwischen den Einmündungen von Fröschengraben und Schanzen- graben stand 1814 noch der Schiffsschopf, der Kriegshafen des alten Zürich! Von hier fuhr — z. B. noch im Bockenkrieg 1804 — die zürcherische Armada aus, das ,,MeeqDferd" und der , .Neptun", jedes mit sechs Kanonen bewehrt und jedes mit eigenem Schiffs- hauptmann, Sclüffsprediger und Scliiffsschreiber. Noch im Jahre 1791 war ein neues ,, Kriegs- und I^ustschiff", die ,, Stadt Zürich", erbaut worden. Die Ringmauer der ,, kleinen Stadt" zeigte schon 1814 — 1817 allerlei Lücken und Einbrüche, wodurch, wie Erni (Mem. Tig.) sagt, ,, Gassen und Gebäude mehr Heiterkeit erhalten". Der Fröschengraben vor der Ringmauer — vom See bis zum Rennwegtor und von dort nach der Werdmiüile und bis in die Limmat — erhielt erst am 13. Mai 1817 eine richtige Zufahrt vom See her, so dass die Weidlinge vom See bis zum Rennwegtor fahren konnten. An verschiedenen Stellen wurden steinerne Treppen an den Ufern des Kanals angebradit. Eigent- lich aber waren es zwei Fröschengräben, der grosse und der kleine nebeneinander, dazwischen ein mit W^eiden, Nussbäumen und Linden bepflanzter Wall. Die schönste dieser Linden stand beim Tiefeiiliof am Paradeplatz. Der Schanzengraben, dessen Be- stimmung sein Name andeutet, war für die ausserhalb liegenden, früher schon teilweise zur Stadt gehörenden Gebiete ein schweres Verkehrshindernis. Zwischen vSihlporte und See bildete das W o 1 1 i s- hoferpörtchen mit hölzernem Steg den einzigen und nur für Fussgänger passierbaren Durchlass; die Strasse von Luzern, Zug
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und Schwyz musste im Bleicherweg nach dem Selnau abbiegen und in grossem Bogen die Sihlporte erreichen. Das Selnau wurde durch die Befestigung gänzlich von der Stadt getrennt und erhielt erst nach zwei Jahrhunderten v^ieder eine direkte Verbindung mit ihr durch die 1854 erbaute Schanzengrabenbrücke. „Im Spitz" hiess die Gegend beim obersten Teil des Fröschengrabenwalles ; die ,, Spitzschöpfe" standen ungefähr an der Stelle der heutigen Börse.
Beim Eingang aufs Bauschänzli stand das Stadthaus (ehe- mals „Bauhaus"), das bald nach der Vermögensaussonderung zwi- schen vStaat und Stadt vom Jahre 1803 Sitz der Stadtver- waltung und des vStadtpräsidenten ward. (Mit seinem Abbruch wurde im Oktober 1886 begonnen.) Der „Bauplatz" hinter dem Stadthaus war den Zimmerleuten und Steinmetzen angewiesen. Auf dem grossen freien Platz „im Kratz" vor dem Stadthaus wurde Jahrzehnte hindurch Markt gehalten. Der Baugarten mit seiner einzigartig schönen Aussicht war als Gartenwirtschaft — auch der \'ater von Ernst Zahn aus Göschenen hat einmal da gewirtet — auf dem alten Bollwerk beim Kratzturm (x) errichtet; er fiel 1879 samt dem Kratzturm dem Fanatismus der geraden Linie zum Opfer, als man die Bahnhofstrasse bis zum See fortsetzte. Umsonst hatten Rud. Alex. Pestalozzi-Wiser und andere Freunde des Heimatschutzes alle Anstrengungen gemacht, um zu erlangen, dass durch eine kleine Abdrehung der Achse der Strasse nach Westen wenigstens der Baugarten erhalten bleibe. Der Kappeler- hof — nicht der 1886 entstandene pompöse Häuserblock dieses Namens, sondern sein anspruchsloserer Vorgänger an der Ring- mauer beim Fröschengraben — war 1814 österreichisches Mihtär- lazarett, seit 1833 Bezirksverwaltungs- und Stadtgerichtsgebäude (bis 1859), sowie Parlamentspalast für den Grossen Stadtrat und enthielt eine Zeitlang auch Schullokale; er verschwand 1878 mit dem übrigen Kratzquartier. Das zweite Haus limmatwärts, am Eingang in den ,, Kratz", gegenüber dem ,,Seminarium" (Plan D), war die Helferei, seit 1835 Pfarrhaus der Fraumünstergemeinde.
Das eben genannte ,,Seminarium" diente dem Alumnat (,, Zuchthof"), d. h. dem Konvikt der Zöglinge oder ,, Alumnen", die auf obrigkeitliche Kosten zu Geistlichen ausgebildet wurden (1832 aufgehoben und in ein Stipendiat ver^A'andelt). Das leitet
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uns hinüber zur Fraumünsterabtei, deren Gebäulichkeiten zum grossen Teil ebenfalls für Schulzwecke eingerichtet waren, und zwar umschlossen die Schulräume den innern Kirchhof; im östlichen Flügel dieses Vierecks war bis 1876 das »Staats- archiv untergebracht. Die Abteigebäude zunächst der Limmat sind auf dem Plan mit b b „Fraumünsteramt" bezeichnet; der eine Teil davon, nächst dem Alumnat, war der frühere Hof der Äbtissin und des Fraumünsteramtmanns (später Verwaltungs- gebäude) ; der andere Teil, an die Kirche angebaut, hiess ehedem ,, Haberhaus" und enthielt im obern vStock den Musiksaal. Gegenüber stand an der Limmat das Kornhaus (von 1835 an Kaufhaus). ,,Am Freitag war Alarkt, da kamen die Schwaben- fuhrleute von Winterthur her durchs Halseisen, die ^Marktgasse hinunter über die untere Brücke und durch die Storchengasse an- gefahren. Der Platz zwischen Koriüiaus und Fraumünsteramt war mit Pferden, Wagen, Säcken und offenen ,, Standen", in denen das Getreide zur Besichtigung der Käufer unter freiem Himmel ausgestellt war, so ausgefüllt, dass wir uns kaum zur .Schule durch- drängen konnten . . . Der Zugang zum .Schulhaus war auch hier etwas kompUziert. Er führte durch den schmalen Hausgang des Fraumünsteramtes über einen kleinen Platz, an den der Kirchhof Fraumünster stiess, durch das Gebäude des Staatsarchivs und einen Teil des ehemaligen Kreuzgangs eine enge winklige Treppe hinauf in die 1834 neu erstellten .Schulräume. In den Pausen stürmte alles in den Kreuzgang und ins anstossende Höfli hinunter, wo man in wildem Geschrei sich herumtrieb." (Dr. F. Meyer.) — Der übrige Teil des Gebietes der einstigen Abtei ward 1814 noch hauptsächlich vom Werkhof, der Arbeitsstätte staatlicher Bau- arbeiter, eingenommen. Gegen den Fröschengraben begrenzte ihn die 25 Fuss hohe Ringmauer, die samt dem 53 Fuss hohen Werkhofturm 1829 abgetragen wurde. Durch den Werkliof legte man 1838 die Poststrasse. — Ums Fraumünster drängten sich allerhand Krambuden, teils dicht am Chor anklebend, teils in den Münsterhof vorstehend; die letztem wurden erst 1836 entfernt, die andern nodi viel später.
,,In Gassen" befanden sich 1814 nicht weniger als drei Zeughäuser; ganz vorne, zwischen,, Waaggasse" imd ,, In Gassen", das grosse (gelbe) Zeughaus, auch ,, Büchsenhaus" oder ,, altes
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Zeughaus" genannt (jetzt Eisenmagazin Bär im hintern Teil) ; dann das „Venezianische Zeughaus", jetzt Privathaus ,,zum alten Zeughaus" am Zeugwartgässchen, mid endlich der „Leuen- hof" (jetzt französische Warenhalle), in dessen Hof eine Ecke der Peterskirche hineinragt. — Am alten Kommarkt, jetzt \\'ein- platz, bewachte den Eingang in die Storchengasse der Rote Turm, der in den dreissiger und \-ierziger Jahren als radikales ,,Cafe litteraire" zu einer gewissen Berühmtheit gelangte (jetzt Pelzwarenhandlung Heintze). Das Hotel ,,vSchwert" auf der ,,niedem Brücke" stand um 1814 in seiner Blütezeit. Hier hat gelegentlich auch Joh. Heinrich Bürkli von der ,, Freitagszeitung" mit fremden Kriegsobersten getafelt. Er war kein unbedeutender Mann; Lavater zählte zu seinen Freunden und Goethe hat ihn gekannt und besucht. Die Bürklische Druckerei befand sich in der Schipfe. Dort holten jeden Freitag die Boten vom Land und die Leser in der Stadt ihre ,,Bürkli-Zeitung" ab. Die ,, Zürche- rische Freitagszeitung" ist die älteste der noch bestehenden Zei- tungen Zürichs und der Schweiz und eine der ältesten deutschen Zeitungen überhaupt. Ihr erstes Erscheinen fällt ins Jahr 1674. Der Gründer der Bürklischen Offizin, Joh. Kaspar Bürkli, kaufte 1724 mit der Hardmej-erschen Druckerei auch das Verlagsrecht der ,, Freitagszeitung", das dann bis 1890 im Besitz der Familie Bürkli blieb. David Bürkli, welcher der Firma seinen Namen gab, führte das Geschäft von 1756 bis 1791, sein Sohn Joh. Hein- rich David BürkH bis 1821. — Die Augustinerkirche war seit Aufhebung des Klosters nur Holz- und Fruchtmagazin. Erst 1843 bis 1844 wurde sie samt der anstossenden Münze umgebaut und den Katholiken wieder überlassen. Im südlichen Flügel des Klosters war das Almosenamt installiert, im westlichen Flügel (dem sogenannten Hinteramt oder Rütiamt) befanden sich seit 1805 verschiedene Regierungskanzleien. Im Jahre 1834 wurden beide Flügel der neugegründeten Hochschule eingeräumt. Über den ,, Fröschengraben" führte seit 1813 beim alten Augustinertörli die steinerne Augustinerbrücke. — Den Rennweg schloss noch bis 1866 ein Tor mit imposanter Bastei ab (ein nach aussen halbrundes, daher auch Rondell genanntes, nach innen vier- eckiges Festungswerk). Die Barmherzigkeit des Mittelalters hatte neben dem Tore ein Kruzifix angebracht zur Tröstung für die
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armen Schacher, die man aus der Stadt zur Richtstätte führte. Das letzte Haus Unks am Rennweg, gleich innerhalb dem Renmveg- tor, hiess ,,Der Feuermörser", in welchem seinerzeit Bürgermeister Melchior Hirzel wohnte. Der Lindenhof, dieser ,, majestätische Hügel" (Erni, Mem. Tig.) gehört der ältesten Geschichte Zürichs an. Das Kloster Ötenbach, welches seinen Namen von seinem früheren Domizil am Ötenbach (Hornbach) am Zürichhom mit in die Stadt genommen hatte, erhielt schon lange vor 1814 seine Bestimmung als Zuchthaus (R) und war anfangs auch zugleich Waisenhaus, bis dann die Waisenkinder 1771 ihren schönen Neubau (Plan g) bekamen. Im südöstlichen Flügel des alten Klosters (Plan Oet.) befand sich die Waisenhauskirche, in welcher bis 1868 Gottesdienst gehalten wurde; den Ostflügel (Q) bewohnte das Kornamt. Unten an der Limmat lag der Wollen- hof, von 1702 bis 1867 Sitz der Firma Salomon Escher, welcher auch Martin Escher-Hess angehörte. Und ganz unten im ,, Spitz" beim gedeckten Brückh trutzte der Zeit eine Bastei, die spätere Gärtnerwohnung und Wäscherei des Waisenhauses. Dicht dabei stand das ,, grüne Hüsli"; es wurde darin einmal ein ,,CafeNord- balm" geführt; 1867 kam das ,, grüne Hüsli" an die Stadt, wurde Sitz der ,, Freiwilligen- und Einwohnerarmenpflege" mid ist 1900 verschwunden.
In dieser Gegend mündeten nebeneinander in die Limmat: der Fröschengraben und der Sihlkanal, die , .zahme Sihl" genannt im Gegensatz zur ,, wilden Sihl", dem Sihl-Fluss. Das Dreieck zwischen Limmat und Ringmauer, auf dem das Waisen- haus steht, hiess der vSihlbühl und sein nördlicher Abhang, zwischen der Ringmauer am Ötenbach und dem Fröschengraben, der Beatenrain. Der Sihlkanal, welcher bei der Schortanne oberhalb dem Sihlhölzli aus der ,, wilden Sihl" abgeleitet worden war und beim Bau des vSchanzengrabens zunächst der Sihlporte über diesen hinweg geführt werden musste, diente schon seit dem 13. Jahrhundert zum Betrieb von sechs Mühlen und zur Flösserei. Noch bis 1868 wurde den Bürgern ihr Bürgemutzungsholz aus dem Sihlwald auf der zahmen vSihl in die Stadt hinein geschwemmt. Von den sechs Mülilen seien die folgenden genannt: i. die Stein- mühle (unterhalb der Sihlporte, rechts vom Löwenbollwerk, auf einer kleinen Kanalinsel); 2. der Sihlhof, 1866 für den Bau
^ans Conrad Cscßer
der erste Sladipräsident
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der Bahnhofstrasse abgetragen. Man findet den Sihlhof im „Sihl- wiesH", jener dreieckigen Insel zwischen den beiden Armen des untern Sihlkanals; das länghche Gebäude bei den Bäumen in der südhchen Spitze des vSihlwiesH ist das „vSihlwiesli-Magazin" (Salz- magazin), das Haus daneben der „Sihlhof". 3. Die obere Werd- mühle, bei dem kleinen Inselchen gleich unterhalb dem Sihlhof, zwischen Sihlkanal und Fröschengraben; unterhalb dem dortigen Zusammenfluss von drei oder vier Kanalarmen befand sich eine Säge. 4. Die untere Werdmühle, später Ölmühle oder vSchleife, sowie auch Säge, zu Füssen des Ötenbach am Beatenrain, die untersten Gebäulichkeiten zwischen Fröschengraben und Sihl kanal. Im März 1860 ist die ehemalige untere Werdmülile, Öle, Säge und Rosshaarfabrik des Herrn Koller mit hundert Stühlen und massenhaft zur Versendung bereit liegender Ware abgebrannt.
HeTO"ärts der Schanzengrabenmündung stand das alte Schützenhaus ,,am Platz", das 1849 verlassen wurde. Der Schützen platz, zwischen Limmat und Sihl, hatte durch die Festungsbauten seinen ganzen obern Teil verloren, diente aber noch Jahrhunderte zu Schützenfesten, Exerzitien, Musterungen und später auch Kadettenmanövern. An den Schützeupiatz, zwischen den Alleen der spätem Platzpromenade, stiessen die Bürgergärten, Pflanzland, welches an die Bürger verlost wurde. Der ,, Platzspitz" bestand bereits 1814 als ,, Lusthain", Gessner- promenade genannt nach dem dort nach Salomon Gessuers Tod (1788) errichteten Gtssner-Denkmal (in dem Rondell, süd- lich davon der Pavillon) . Zum Drahtschmidli hinüber konnte man mittelst Fähre gelangen, ebenso ans linke Sihlufer in die Gegend des Kräuel, das spätere ,, Industriequartier". Hier hatte der unternehmende Rittmeister und Hotelier Ott vom ,, Schwert" für sich und seine vornehmen Gäste ein reizendes Landhaus errichtet, das ,,OttengütU", leicht kennthch an den beiden Alleen (beim gedruckten Namen ,,Sihl-Fluss").
Den Weg an der Reitbahn vorbei weiter südwärts verfolgend kommen wir in die Gegend von St. Jakob ausser der Stadt. An die Kapelle war das länghche ,, Siechenhaus" angebaut, das bis zur Erbauung der Pfrundanstalt vSt. Leonhard (1839) benutzt wurde. Der kleine Friedhof vor dem Chor der St. Jakobskapelle war die Ruhestätte der in der nahen ,, Hauptgrube" hingerichteten
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Verbrecher (die Hauptgrube lag an der Badenerstrasse, auf dem Plan gleich ausserhalb am Rande links) ; der andere, dreieckige Friedhof auf der vSüdwestseite des Siechenhauses diente einem Teil der St. Peter- Gemeinde (für die Hintersassen und Dienstboten, die Herrschaften und Bürger kamen nach St. Anna). 1807 erwarben auch die Katholiken einen eigenen Friedhof beim Siechenhaus ; vor- her mussten sie ins Kloster Fahr. Nachdem wir die gedeckte Sihl- brücke (1866 abgebrochen) und die Sihlporte passiert, in deren Nähe auf dem Katz-Bollwerk 1836 der Botanische Garten errichtet wurde, teilt sich der Verkehr stadtwärts durch die Sihl- strasse zum Rennwegtor und den Talacker zum Neumarkt (Parade- platz). Die Sihlstrasse fülirt uns am St. Anna-Friedhof vorbei, der von der alten St. Anna-Kapelle den Namen hat. Sie war seit 1807 dem katholischen, seit 1844 dem englischen und zuletzt dem lutherischen Gottesdienst eingeräumt. Nachdem schon 1840 die Beerdigungen zu St. Anna aufgehört, ist 1912 auch die Kapelle verschwunden. Sie hat samt dem ganzen umliegenden Gebäude- komplex dem St. Annahof des Lebensmittelvereins Platz gemacht. Die Häuser gegenüber der Kapelle, an der St. Annagasse, hiessen zum ,, goldenen Winkel"; eines von ihnen enthielt noch Spuren der ehemaligen »St. .Stephanskirche. Dem Friedhof gegenüber lag die Füsslische Giesserei, an deren Stelle 1864 die ,,neue St. Annakapelle" von Mathilde Escher errichtet wurde, und hinter dieser Liegenschaft, an der Sihlstrasse, gegenüber der Stein- mühle, das alte Glockenhaus. Das Glockenhaus, die neue St. Annakapelle und die Häuser im Goldenen Winkel sind 1910 wegrasiert worden, und es erheben sich nun dort in mächtigem Häuserblock die Bauten des Christlichen \'ereins junger ^länner, das Famihenhotel Glockenliof, die neue St. Anna- Kapelle und das Freie Gymnasium. Das letztere ist unmittelbar benachbart dem ,, Felsenhof" an der Pelikanstrasse, der Wohnung Hans Kaspar Eschers von der Neumühle.
Auf der Sihlstrasse weiter schreitend, kommen wir in den Be- reich der Seidenhöfe, die uns mit einer ganzen Kolonie zürche- risclier Zelebritäten aufwarten können. Da ist zunächst der Alte Seidenhof, an der Gabelmig von Sihlstrasse imd Seideugasse; hier wohnte unter andern Generalfeldzeugmeister Hans Georg Werdmüller, der die Fortifikation der grossen Stadt durchführte;
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dann Pfarrer und Kirchenrat Salomon Vögelin, Verfasser des ,, Alten Zürich", femer sein Sohn, der Professor für alte Sprachen am GjTnnasium, Anton Salomon Vögelin; auch der Aquarellist und Dialektdichter Leonhard Steiner stammt aus dem Alten Seidenhof ; in den letzten Jahrzehnten hatte der Kaufmännische Verein sein Heim im alten Seidenhof. — Ihm gegenüber, auf der andern Seite des Eingangs in der Seidengasse, steht der Neue Seidenhof, heute Sihlstrasse Nr. 16, mit zwei Hintergebäuden (Nr. 8 und 10). Hier wurden geboren und wohnten : Hans Konrad Escher von der Linth, Erbauer des Linthkanals; sein vSohn, der Naturforscher Professor Arnold Escher von der Linth; Rittmeister und Stadt- präsident Georg Bürkli, Seidenindustrieller, und dessen drei Söhne : Adolf Bürkli, Oberfeuerkommandant; Konrad BürkH, Präsident der Kaufmännischen Gesellschaft; Stadtingenieur Dr. Arnold Bürkli, Schöpfer der Quaianlagen. — Das Eckhaus vis-ä-vis, Sihlstrasse Nr. 7, jetzt City-Hotel, war der Gelbe Seidenhof, Geburtshaus des eidgenössischen Münzdirektors Escher-Platel. Im ,,Schmidtenhaus" nebenan, Sihlstrasse Nr. 5, wurde geboren der Afrikareisende und Direktor des Botanischen Gartens Professor Dr. Hans Schinz, im ,,Usterihaus", Sihlstrasse Nr. 3, Ständerat Dr. Paul Usteri. Das äusserste Haus in der Reihe gegen den Fröschengraben hiess ,,zum Brünneli", nach dem auf dem Plan verzeichneten Brunnen. EndHch ist noch zu nennen der Grüne Seidenhof, dem Brünneli gegenüber (heute Warenhaus Jelmoli). Er war das väterliche Haus von Ingenieur Albert Vögeli, aus dessen ,, Jugenderinnerungen" wir hier schöpfen. In diesem Haus wohnte als Älieter Erziehungsrat Ferdinand Meyer, der Vater des Dichters Conrad Ferdinand Meyer, und Albert Vögeli wusste allerlei zu erzählen von dem menschenscheuen Jüngling und seiner lebens- lustigen Schwester Betsy. Zwischen dem Grünen Seidenhof und dem Rennwegtor stand die Trülle, das stattliche und heimelige Wohnliaus von Stadtpräsident Dr. Melchior Römer. In der ,, Trülle" wohnte auch, von 1876 bis 1883, Professor Oswald Heer, der berühmte Naturforscher, und verbrachte Nationalrat Vögelin seine letzten Lebensjahre.
Nun noch von der Sihlporte durch den Talacker nach der Stadt! Wir grüssen im Vorbeigehen das Talegg, wo der liebens- würdige Martin Usteri wohnte und dichtete (am Pelikanplätzli
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links, Nr. 34). Rechts kommt die Kaserne, ehemals das ,, grosse Magazin"; es musste 1798 in aller Geschwindigkeit zur Kaserne mngevvandelt werden, als die Franzosen kamen. An ihrer Stelle stehen jetzt die Häuser Talacker Nr. 21 und 23. Am innem Ende des Talacker lag das grosse Viereck des Feldhofs, das Kriegs- Munitionshaus zur Aufbewahrung der Geschütze samt Zubehör. Das Haus in der Glitte des Hofes war die Wohnung des Zeugherrn. Das Haupttor öffnete sich nach dem Neumarkt, der bis 1819 ,, Säumarkt" hiess, seit 1865 aber den stolzen Namen ,, Parade- platz" führt. An den Neumarkt grenzte südhch die Liegenschaft zum , .Tiefenhof" mit ihren ausgedehnten Gärten. Das Bürklische Haus an der Ecke gegen den Fröschengraben wurde Ende der dreissiger Jahre entfernt und die Tiefen hoflinde frei gelegt; es war ihr noch zwei Jahrzehnte zu leben \-ergünnt.
Viele der Namen, die auf dem Rundgang durch das alte Zürich uns vor Augen kamen, werden auf den folgenden Blättern ims wieder begegnen. Eingeschnürt von seinem Festungsgürtel, bot das alte Zürich nur einer massigen Bevölkerungszahl Raum und Existenz. Am i. Dezember 1812 zählte mau nach dem Bürgeretat 7828 Bürger und 2647 Ansässen, zusammen 10,475 Einwohner. Von den Ansässen waren 2194 Kantonsbürger, 277 Schweizer- bürger, 80 französische Bürger (die im alten Zürich immer eine besondere Stellung einnahmen und nicht zu den übrigen Aus- ländem gezählt wurden), und endhch 96 ,, Bürger fremder Staaten". Am I. Dezember 1814 waren es 7669 Bürger; die Ansässen wurden damals nicht gezählt. — Es war aber um jene Zeit auch schon niclit mehr das ganz alte Zürich, das nächthcherweile ,, pechschwarz verblieb, wenn der Mond nicht gerade dabei war, und jeder Bürger mit einer eigenen Blendlateriie über die Strasse sicli forthalf wie ein Leuchtkäfer: da stralilte auf der ,, untern Brugk" schon die erste Laterne, die im Jahre 1778 öffentlich ausgehängt wurde. Sie war zur Bedienmig der Hauptwache und des Rathauses \-om Beginne der Nacht bis zum Torschlüsse aller Stadtporten hellauf, so schlecht und so recht es ihr immer gelang." (Olga Amberger.) Eine zweite Laterne — beide von Privaten gestiftet — brannte oben an der ]\Iarktgasse, und bald kamen noch einige andere in den Hauptstrassen dazu. Nach und nach erschien der Bürger- schaft der Nutzen dieser Strassenlaternen so ,, einleuchtend", dass
^ans Jfeinridi JLoandolt
StadIpräsiJeni
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die Bürgen-ersanimlung vom 31. Juli 1S06 im Grossmiinster den Beschluss fasste, die Stadt solle inskünftig von 160 Laternen beleuchtet werden, woran jede Haushaltung ein Gewisses beizu- tragen habe. Zürich im Glanz seiner hundertsechzig Laternen, den eine sparsame Stadtverwaltung auf wenige Abendstunden zubilHgte, erfüllte doch seine Bürger mit nicht geringerem Stolz als uns die heutige Grosstadt in ihrer permanenten Illumination.
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VIERTES KAPITEL
DER ERSTE STADTPRÄSIDENT
Die Wiege der zürcherischen Stadtverwaltung bewachten fran- zösische Bajonette. Unsere gute Landesmutter, die „Stadt und Republik Zürich", war am 13. März 1798 gestorben, und auf den Zunftstuben Zürichs flössen herbe Männerzähren um ihren Tod. Sagt was ihr wollt von ihrem Regiment, das Urteil der Geschichte ist ihm längst gerecht geworden. Es war ein er- schütternder Augenbhck, als an jenem 13. März die alte Zürcher Regierung durch den ehrwürdigen Amtsbürgermeister Kilch- sperger ihre Gewalt in die Hände der Landeskommission nieder- legte. Nun gab es auf Jahre hinaus keinen Kanton Zürich melir, nur noch eine ,,Präfektur" der einen und unteilbaren helvetischen Republik. Die Stadt Zürich aber, ihrer Herrscherkrone beraubt, sah sich zur gewöhnlichen ,, Commune" degradiert. So betäubend wirkte der .Schlag auf ihre Bürger, dass man wochenlang nicht daran dachte, der selbständig gewordenen Gemeinde nun auch eine eigene Verwaltung zu geben. Erst als es zur Gewissheit wurde, dass trotz aller gegenteiUgen Versprechungen die Fran- zosen am 26. April doch kommen würden, stellten in der Nacht vorher einige jüngere Leute die Liste für eine ,, provisorische Munizipalität" zusammen und liessen sie am Morgen durch eine grössere Bürgerversammlung wählen. Präsident dieser ersten Stadtbehörde wurde der ,, Bürger" Hans Conrad Escher, alt Seckelmeister (geb. 8. Oktober 1743, t 12. Dezember 1814 kurz nach seiner Wahl zum Bürgermeister). Auch ,, Bürger" Hans Reinhard befand sich unter den 20 En^-ählten.
Einstweilen hatte die IMunizipalität freilich mehr für die Franzosen als für die eigenen Bürger zu sorgen. Sie war ihnen das Mädchen für alles. Das erste Geschäft in der ersten Sitzung am 26. April I7q8 betraf die Einrichtung des grossen ]\Iagazins im Talacker zur Kaserne, und die ]\Iitgheder Bürger Ott und Tobler wurden auf die Umschau bei den Glasermeistern ,,nach
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etwan vorräthigen alten Fenstern" ausgesandt. Und als die Franzosen dann wirküdi da waren, fingen die Zumutungen erst recht an, für deren Erfüllung sich die Munizipalität von der Ver- waltungskammer und dem fränkischen Commissariat die Kompe- tenzen erst erbitten, die allernötigsten ersten Betriebsmittel aber als Beitrag aus dem „sequestrierten Aerario" förmhch erbetteln musste. Daneben hatte die jMunizipaHtät auch noch für die gut patriotische, d. h. helvetische Gesinnung zu sorgen. Wiederholt wurde ihr der ausschliessliche Gebrauch des ,,Tituls Bürger" in allen Dikasterien eingeschärft. Zürcher Schilde, I^öwen und andere Insignien des Adels oder der alten Regierung waren auch an den Privathäusem zu entfernen. Den ,, Patriotismus" hatte man, wie heute das rote Bändeli an der Maifeier, ,, sichtbar zu tragen". Die Mitglieder der Munizipalität dekorierten sich mit der dreifarbigen »Schärpe, für die Bürger war das Tragen der helvetischen Cocarde (grün-gelb-rot) obligatorisch — die Zürcher Farben Weiss-Blau waren verpönt und abgetan — ; auch L,and- leute, die in die Stadt kamen, hatten sich mit der Cocarde zu ver- sehen, wollten sie nicht Gefahr laufen, ,, wegen Ungehorsams" vom fränkischen Militär angehalten zu werden (Schreiben des Platzkommandanten Gore vom 17. Juli 1798). Es gab nun einmal nichts anderes als mit den fränkischen Wölfen zu heulen. Das begriff auch ohne weiteres das Tagblatt, damals ,, Hochobrig- keitlich bewilligtes Donnstagsblatt " , das den jungen Morgen des 22. März 1798 mit dem jauchzenden Aufschrei ,,Freyheit! — Gleichheit!" begrüsste (am Tag zuvor hatte die Kantonal- versammlung die helvetische \^erfassung angenommen). ,,Frey- heit" und ,, Gleichheit" blieben fortan, statt der bisher vorge- druckten hochobrigkeitUchen Bewilligung, als Zierde am Kopf des Blattes, verschwanden während des österreichisch-russischen Interregnums und kehrten hernach in etwas kleinerer Schrift wieder zurück. Dieselbe anmutige Abwechslung zeigt das Proto- koll der Munizipahtät im Gebrauch der Titel ,, Bürger" oder dann wieder ,, Junker" und ,,Herr". Hie und da mochte die fränkische fraternite der Munizipahtät etwas allzu aufdringhch vorkommen, so z. B. am 21. Januar 1799, als sie am Festmahl Massenas auf der ,, Meisen" zur Erinnerung an die Enthauptung Ludwigs XVI. teilzunehmen hatte und abends vor dem illuminierten Rechberg
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der Präsident alt Seckelmeister Escher mit dem jedenfalls nicht mehr nüchternen General die Carmaguole tanzen musste.
Die Franzosen hessen sich die Freiheit und Gleichheit, mit der sie uns beglückten, schwer bezahlen (was sie uns sonst noch alles brachten, kriegte man freihch gratis). Kommissär Lecarlier präsentierte schon am 8. April 1798 den Mitgliedern der alten Zürcher Regierung eine Rechnung von 3 Millionen, und die Kom- missäre Rapinat, Rouhiere und Pommier erbrachen und plünderten am 5. Juni das Schatzgewölbe im Grossmünster. Den Protesten des helvetischen Statthalters Pfenninger antwortete nur ein höhnisches Grinsen: ,,Voilä les baj^onettes!" Man durfte nicht mucksen. Die Redaktoren der ,, Freitagszeitung" und der ,, Zürcher Zeitung", die den Vorgang beim Grossmünster einfach berichtet hatten, ohne Bemerkungen daran zu knüpfen, wTirden vor den General Schauenburg zitiert, der sie wutschnaubend anfuhr und mit ,, hundert Arsprügeln" bedrohte, wenn sie weiter derartiges berichteten. Die grösste Mühe musste die Munizipalität auf- wenden, damit nicht alles, was unzweifeUiaft der Stadt und nur der vStadt gehörte — wie der Chorherrenstiftsfond, Direktorial- fond, Pf rund Verbesserungsfond usw. — , in dem unersätthchen Schlund des ,, hei vetischen Nationalguts" verschwinde. Staats- und Stadtvermögen, bisher eins und dasselbe, waren ja noch gar nicht ausgeschieden, und es bedurfte eines langen, zähen Ringens von Seiten der Munizipalität, um für die Stadt das ihrige sicher- zustellen. Hier hat sich besonders Reinhard verdient gemacht. Das helvetische Gesetz \-om 3. April 1799 ermöglichte die vorläufige Ausscheidung, kam aber in Zürich nie zur Ausführung. Erst die Mediation brachte am i. September 1803 die richtige Aussteue- rungsurkunde für die Stadt Zürich, der am 22. Juli 1805 noch ein sog. ,,Abchurungsinstrument" für die Ausführung folgte. Es wurde — abgesehen von den der Bürgergemeinde zustehenden Fonds und Stiftungen — ganz detailHert zusammengerechnet, was die Stadt für Bewachung der Tore, Pohzeidienst und alle ihre sonstigen öffentUchen Aufgaben aufwenden müsse; man war so auf eine Summe von 70,500 Fr. gekommen und hatte der Stadt Einkünfte im gleichen Betrage zugeschieden. Noch nach hundert Jahren, 1905, kamen die Abmachungen von 1803 zur Anwendung beim Auskauf der städtischen Freiplätze in der Spannweid.
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1799 war für die I\Iunizipalität ein besonders bewegtes Jahr. Mitten im Schlachtenungewitter hielt sie getreulich ihre „durch Abwechslung permanenten" Sitzungen. Am 3. Juni notiert der wackere Sekretär Hofmeister, dass keine förmliche Session ge- halten werden könne, „indem das von der Höhe bei Wytikon bis an den See den ganzen Tag über dauernde Gefecht nur augen- blickhche Dispositionen zuliess". Desgleichen am 4. Juni, da die Schlacht auch bei den Redouten begann und bis in die Nacht um die grosse Stadt her tobte. Massena retirierte am 6. Juni, aber nur bis an den Ütliberg, und warf sich dann am 25. September mit neuer Wucht auf die Russen unter Korsakow, die am 28. Au- gust die inzwischen abberufenen Österreicher ersetzt hatten. Das Protokoll gibt in wenigen Sätzen ein anschauliches Bild der zweiten Schlacht bei Zürich und der furchtbaren Verwirrung, die in der Stadt beim Abzug Korsakows durch die ihm einzig noch offen stehende Oberdorfpforte entstand. Dann wird kaltblütig beige- fügt: „Diesen vorgehenden Unordnungen zu steuern nicht im- stande, war man wenigstens bemüht, die von allen Seiten eingehen- den Klagen (der geschädigten Bürger) zu derjenigen Gelassenheit herabzustimmen, welche zu möglichster Beibehaltung der öffent- hchen Ruhe und Sicherheit erforderlich schien." In der Munizipah- tät sollten nun einige Lücken wieder ausgefüllt werden. Den mit andern Notabihtäten im April verhafteten und nach Basel depor- tierten Bürgern Reinhard und Pestalutz wurden ihre Plätze aus- drückUch offen behalten ; zu ersetzen waren dagegen \'ier MitgUeder, darunter der Präsident alt Seckelmeister Hans Konrad Escher, die am 20. Juni in die kurzlebige kantonale Interimsregierung berufen worden waren. Diese hatte sich gebildet in der verfrühten Hoff- nung, der österreichische Sieg werde nun auch dem helvetischen Elend in Zürich ein Ende machen. Aber nicht eher als am 25. No- vember 1799 konnte die im Oktober neugewählte Munizipali- tät sich konstituieren. Reinhard führte das Präsidium, bis er am IG. November 1801 das Amt des Regierungsstatthalters antrat.
Die heftigen pohtischen Kämpfe zwischen den helvetischen Unitariern und den Föderalisten verraten sich vielfach auch im Protokoll der ,, konstituierten Munizipahtät" von Zürich. Auf ganz Schlimmes deutete im September 1802 der Wiederbeginn dieser verwünschten Dauersitzungen Tag und Nacht. — Hannibal
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ante portas! — Der helvetische General Andermatt war vor den Porten der kleinen Stadt erschienen und hatte die „fast un- glaubhche" Forderung gestellt, ihm binnen einer halben Stunde den Durchmarsch zu gestatten, und als dem nicht entsprochen wurde, fing ein ,, unerhörtes Bombardement mit Haubitzgranaten an, welches über zwei Stunden fortwütete" (Prot. v. lo. Sept.). Am II. erfolgte die ,, Überfahrt der Helvetier" über den See nach Erlenbach und Küsnacht, in der Nacht vom 12./13. ein zweites Bombardement aus drei Batterien, diesmal auch mit glühenden Kugeln. In den Spital allein fielen 28 Granaten und 4 glühende Kugeln, und es war ein unbegreifUches Wunder, dass nur eine Person, Diakon Schulthess, tötlich verletzt wurde. Die Ankunft des helvetischen Kommissärs v. May von Bern machte der tollen Belagerung Zürichs ein Ende, und am 16. September zogen die „Helvekler" unter Spott und Hohn der Zürcher ab. Die Franzosen waren um jene Zeit lücht mehr da. Napoleon hatte sie abberufen, w'ohl wissend, dass dann seine lieben Helvetier so hintereinander kommen würden, wie er es wünschte, um im gegebenen ^Moment als Retter und Vermittler sich anbieten zu können. Der Abzug der Franzosen von Zürich begann am .Samstag den 31. Juli 1802. Am Sonntag brachte ihre Musik dem vStatthalter im Steinhaus und der Munizipalität ein vStändchen und spielte zum Abschied eine Weile auf der obern und untern Brücke. Aber wie lange dauerte es, und die Zeitungen verkündeten : Die Franzosen kommen wieder! Der ,, Junker Regierungsstatthalter" Reinhard war schon im April 1802 wieder abgesetzt worden, sein Nachfolger Ulrich demissionierte am 3. September und dessen Stellvertreter Hof- meister verweigerte nach der Behandlung Zürichs durch den ,, feigen Mordbrenner" Andermatt, wie er sich ausdrückte, den weitern Dienst. vSo musste denn am 28. Oktober der französische General Dombowsky den neuen helvetischen Statthalter Koller in Zürich einfüliren. Reinhard wurde (als Präsident der zweiten, am 25. September gebildeten Interimsregierung) am 11. November auf dem Zunfthaus Zimmerleuten verhaftet, als er sich eben zur Abreise an die von Napoleon nach Paris einberufene helvetische Consulta anschickte. Die Bemühungen der Munizipalität und die Fürsprache des Generals Seras ermöglichten es ihm, mit einigen Tagen Verspätung doch nach Paris zu gehen.
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Die Mediationsakte Napoleons vom 19. Februar 1803 machte aus der Schweiz wieder einen Föderativstaat von 19 sou- veränen Kantonen. Sie gab dem Kanton Zürich seine erste Ver- fassung, der Stadt Zürich ihren „Gemeinderat" an Stelle der helvetisch-französischen „Munizipalität". Der Gemeinderat wurde erstmals am 19. Juni 1803 und den folgenden Tagen von der „Generalversammlung" der Bürgerschaft gewählt. Er bestand aus 15 Mitgliedern, von denen alljährlich ein Drittel der Erneue- rungswahl unterlag. Auch der Präsident des Gemeinde- rats wurde von der Generalversammlung gewählt. Für ihn scheint sich zuerst in der Umgangssprache der Titel ,, Stadtpräsident" eingebürgert zu haben, bevor derselbe offizielle Bezeichnung wurde; immerhin sagt doch schon das Protokoll des Gemeinde- rates vom 30. Juni 1803, wenn auch mehr beiläufig, dass ,,der Herr Stadtpräsident" Escher mit dem Quästor Bürkli den General Barbou zu begrüssen habe, und am 2. Mai 1804 wird beschlossen, dass ,,der Herr Stadtpräsident" ohne weiteres das Präsidium an der Generalversammlung zu führen habe. (Zum Sitz des Stadtrats wurde am 16. Februar 1804 das bisherige Bau- haus bestimmt; bisher war man bei den Konstaffeln zu Gast.) Das Protokoll der Behörde geht vom 5. auf den 11. JuU 1804 ganz unvermittelt zur Bezeichnung ,, Stadtrat" für den Ge- meinderat über; aus der Munizipalität war auch der Sekretär Hans Heinrich Hofmeister in den Gemeinderat herüber- genommen und alsdann zum ersten Stadtschreiber befördert worden, welches Amt er noch bis 1830 mit Auszeichnung versah. „Stadtschreiber" gab es allerdings auch schon vor 1798, aber mit anderm Pflichtenkreis; z. B. war der Bürgermeister Hans Konrad von Escher, der Jüngere, gewählt 1803, im Jahr 1794 ,, Stadt- schreiber". Um es hier gleich anzuführen: wir haben nämUch seit 1803 auch wieder einen ordentlichen Bürgermeister (d. h. Regierungspräsidenten!) im Kanton Zürich, oder vielmehr, wie früher , deren zwei, die sich j ährlich im Präsidium ab- lösen, mit dem Unterschied aber, dass sie mit der Stadtver- waltung nichts mehr zu tun haben und nicht etwa mit den gleichzeitigen Stadtpräsidenten zu verwechseln sind. Die ersten zwei Bürgermeister, welche nach dem helvetischen Tohu- wabohu gewählt wurden, waren Hans v. Reinhard und der eben
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genannte Hans Konrad v. Escher. In den Kleinen Rat, dessen engerer Ausschuss „diplomatische Kommission", später ,, Staats- rat" hiess, wählte der neue Grosse Rat am gleichen i8. April 1803 neben 20 Aristokraten nur 5 Demokraten! Die ,,gute alte Zeit" kündigte ihre Rückkehr an.
Der erste Stadtpräsident von Zürich, von der ,, General Versammlung" gewählt am 19. Juni 1803, war Hans Konrad Escher vom Pfauen in der Froschau, geb. den 7. April 1743, t 8. Januar 1814. Nach dem Werk von Dr. C. Keller-Escher über die Familie Escher vom Glas besuchte Hans Konrad Escher die gelehrten Schulen seiner Vaterstadt, trat 1763 eine längere Auslandreise an und beteihgte sich hierauf im väterlichen Fabri- kation-sgeschäft. Im Jahre 1778 wurde er ,, Zwölfer zu Schuh- machern" (d. h. einer der zwölf Grossräte, welche die Zmift zu Schuhmachern zu wählen hatte), am 31. Januar 1794 Zunftmeister und Mitghed des Kleineu Rats (,, Ratsherr"). Noch im gleichen Jahre wurde ihm die Ober\'Ogtei Erlenbach übertragen, und im Jahre 1796 entsandte ihn die Regierung als Obervogt auf den schwierigen Posten von Stäfa. Beim Ausbruch der Revolution und der kriegerischen Unternehmungen Frankreichs gegen die Republik Benr befand sich Escher als Mitghed des eidgenössischen Kriegsrates in Bern. Nach seiner Rückkehr wählten ihn seine Mit- bürger zum Mitghed der Landesversammlung, und diese übertrug ihm das verantwortungsvolle Amt des Kantonskriegskommissärs, das er in allen Stürmen bis zur Einführung der Mediationsakte mit Treue und Gewissenhaftigkeit bekleidete. 1803 kam Escher wieder in den Grossen Rat; bald darauf wurde er vStadtpräsident und gleichzeitig ernannte ihn die Regierung zum Bezirksstatt- halter. Am 31. Dezember 1803 erhielt er die Stelle eines \'er- walters des Obmannamtes, als welcher er die Einkünfte der zur Reformationszeit säkularisierten Klöster zu beziehen und zu be- sorgen hatte wie früher der ,, Obmann gemeiner Klöster"; er resignierte daher nach einigen Monaten als Stadtpräsident. Sein Urenkel, Dr. Conrad Escher-Ziegler, hat ihm in einer pietätvollen Biographie ein ehrendes Denkmal gestiftet.
Hans Rudolf Werdmüller, der zweite Stadtpräsident (geb. 12. Juni 1756, f 9- Juni 1825 im Pfarrhaus zu Elgg), war Kaufmann im Alten Seidenhof. Er wurde am 4. September 1798
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zum ^litglied der provisorischen Munizipalität gewählt und be- sorgte meist das Quästorat. Dem Grossen Rat hatte er als „Acht- zehner zu Konstaffel" von 1791 bis 1798 angehört. Im Juni 1803 trat er in den Gemeinderat, und nachdem Hans Conrad Escher am 2. Mai 1804 zurückgetreten war, wurde Werdmüller am darauf- folgenden 7. Mai von der Generalversammlung zum Stadtpräsi- denten gewählt. Haushohes und geschäftliches Unglück veran- lasste ihn, am 23. Dezember 1809 seinen Rücktritt zu erklären. Der Fall war schwierig und es bedurfte für den erfahrenen Stadt- schreiber einer kunstvoll aufgebauten Satzperiode von neimund- zwanzig Zeilen und zweihundertsiebenunddreissig Worten, um Dank, Anerkennung, Bedauern und ]VIitgefühl in geziemender Form zum Ausdruck zu bringen. Werdmüller verwaltete nach seinem Rücktritt noch eine Zeitlang das Schlossgut von Elgg (Familienfideikommiss), bis er schhesshch noch erbhndete.
Zum dritten Stadtpräsidenten erhielt Zürich Hans Hein- rich Landolt ,,auf dem Graben" (geb. 13. August 1763, f 10. Ja- nuar 1850). Er war Mitghed des Stadtgerichtes (für Zi\ilstreitig- keiten), 1794 des Grossen Rats als ,, Zwölfer" von der »Schneidern, 1795 Assessor Synodi, 1797 ,,Schultheiss", wie der Präsident des Stadtgerichts tituhert wurde. Einige Jahre zuvor hatte Landolt das väterhche Haus (des Bürgermeisters Heinrich Landolt im Burg- hof) verlassen, nachdem er sich den prächtigen Sitz zum Linden- thal erbaut hatte, der dann später durch die Munifizenz seines Enkels, Stadtrat Heinrich Landolt-Mousson, in das Eigentum der Stadt überging. Hans Heinrich Landolt wurde am 3. Januar 1805 Mitghed des Stadtrates und Stadtseckelmeister, am 8. ]Mai 1810 Stadtpräsident. Zum Mitglied des Kleinen Rates gewählt, trat er im Dezember 1814 als Stadtpräsident zurück, und der Stadtrat entsandte eine Gratulationsdeputation zu seiner Beförderung an ihn. Gleichzeitig war auch der neugewählte Bürgermeister Junker DaN-id Wj'ss zu beglückwünschen, und es gab da feine Unter- schiede des Zeremoniells : zum Junker Bürgermeister ging der Stadt- rat in corpore in schwarzer Kleidung, mit Degen und in Begleitung des Stadtschreibers, sowie eines Weibels in den Stadtfarben ; zum Ratsherrn Landolt ohne Degen und vStadtfarben.
Hans Georg Finsler, der vierte Stadtpräsident (geb. 23. Mai 1748, t 29. März 1821) wohnte im Haus zu ,, allen Winden"
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im Kratz. Er war vSeidenfabrikant, 1775 Zunftsclireiber, 1787 Zwölfer von der Meisen, Oberst der Artillerie, 1803 Stadtrat und Bauherr, vStadtpräsident vom 24. Mai 1815 bis zu seinem Tod. Ausdrücklich wird im Protokoll vom 30. Mai 1815 die Übergabe der vStadtschlüssel von seinem Vorgänger an Finsler erwähnt. In die Amtszeit Finslers fällt eine wichtige Änderung der Stadt- verfassung, und zwar, vom demokratischen Standpunkt aus ge- sehen, wieder in rückschritthchem Sinne. Das vom Grossen Rat am 14. Juni 1816 angenommene Gesetz betr. die Organisation der Stadträte von Zürich und Winterthur schaffte die bisherigen General- und vSektionsversammlungen der Bürgerschaft ab. Bisher w'ar die Stadt für gewisse Wahlen und \^erwaltungszwecke in drei vSektionen eingeteilt: i. »Sektion grosse vStadt, oberer Teil (bis zu den Strassen von der Kronenporte zur Marktgasse) ; 2. Sektion grosse Stadt, unterer Teil; 3. Sektion kleine vStadt. Die General- versammlung hatte u. a. den Stadtrat und Stadtpräsidenten zu wählen. Jetzt wurden alle diese Kompetenzen der Sektionen und Generalversammlung einer neuen Körperschaft, dem grössern Stadtrat, übertragen, in den die Zünfte 52 Mitglieder zu wählen hatten (jede der 13 Zünfte 4 Mitglieder) und dem der engere Stadtrat mit Stimmrecht ex officio angehörte (total also 67 ;\Iit- gheder). Als Sitzungslokal wurde vorerst der ]\Iusiksaal bestimmt. Den Mitgliedern des grossem Stadtrates war für die Sitzungen schwarze Kleidung vorgeschrieben. Als Anrede in den Sitzungen setzte der Stadtrat nach reiflicher Erdauerung am 2. Juli fest: ,,Herr Präsident! Hochzuverehrende, hochgeschätzte Herren!"
Fünfter Stadtpräsident: Hans Konrad Vogel von der ,, Sonnenblume" an derötenbachergasse (geb. den 11. Oktober 1750 in Knonau als vSohn des dortigen Landvogte, f den 28. Februar 1835). Er wurde 1773 Zunftschreiber zu Zimmerleuten, 1777 Proselytenschreiber, 1781 Zwölfer,' 1782 Assessor und Almosen- pfleger, 1785 Obmann im Almosenamt, 1793 Examinator (kirch- liche Aufsichts- und Verwaltungsbehörde mit Vorschlagsrecht für die Pfarrstellen ; eine Kommission dieser Behörde hatte mit Zuzug der Chorherren die Theologiekandidaten zu prüfen. An die Stelle des Examinatorenkonvents trat später der Kirchenrat, dem Vogel ebenfalls angehörte). Er war am 25. ]\Iai 1799 in die provisorische Munizipalität gewählt worden, aber sein Name verschwindet —
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wie der anderer Mitglieder — bald wieder aus dem Protokoll. Im Jahre 1803 kam \'ogel in den Stadtrat, am 14. Januar 1805 in das französische Konsistorium. Zum Stadtpräsidenten wurde er vom grossem Stadtrat am 12. April 1821 gewählt. Er demis- sionierte am 30. November 1830 aus Altersrücksichten. In sein letztes Amtsjahr fällt eine neue Änderung der Stadtverfassung. Der Stadtrat wurde auf 13 Mitgheder reduziert, die auch dem grossem Stadtrat angehörten; die andern 60 Mitglieder dieser Behörde wählten die Zünfte, und zwar jede so viele als sie Mit- glieder des Grossen Rates zu wählen hatte.
Der sechste Stadtpräsident: Georg Conrad Bürkli, Kauf- marm im Tiefenhof und Talhof, später im Neuen Seidenhof (geb. den 2. Juni 1787, f den 5. März 1873), hatte eine Tochter (Dorothea) Eschers von der lyinth zur Frau. Er war Rittmeister, oberster Feuerwehrkommandant, kam am 12. April 1821 in den Stadtrat und wurde am 18. Januar 1831 zum Stadtpräsidenten gewählt. Er verabschiedete sich aber schon am 14. September gleichen Jahres wieder von seinen Kollegen, da er für die am gleichen Nachmittag noch stattfindenden Neuwahlen nicht mehr zu kandidieren gedachte.
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FÜNFTES KAPITEL
FURSTENBESUCHE
Um den „hinreissenden Anblick des Züriclisees" zu geniessen machte die Kaiserin Marie Luise am 6. Maii8i4 von Schaff- hausen aus einen Abstecher nach Zürich. Doch nur wenigen Be- wohnern der Stadt war es vergönnt, die Gemahhn Napoleons und Tochter des Kaisers Franz von Angesicht zu sehen. Sie reiste im strengsten Inkognito und empfing nicht einmal den Gesandten V. vSchraut; vor den neugierigen Blicken des Pubhkums schützte sie ein grosser Hut. Der Wirt zum „Schwert" musste der Kaiserin auf dem WerdmüUerschen Landgut zu Wolhshofen ein Diner servieren; dann machte sie eine Seepartie und stieg zum Nidelbad hinan, von wo aus sich ihr bei dem prächtigen Wetter der Zürich- see in seiner ganzen Schönheit zeigte. Abends kehrte die Kaiserin nach Schaffhausen zurück, und folgenden Tages verreiste sie mit ihrem Gefolge von 62 Personen nach Konstanz. 119 Pferde standen auf jeder »Station zum Auswechseln bereit.
Marie Luise von Frankreich war nur die Vorläuferin einer ganzen Reihe von fürstlichen Personen, welche anno 181 4 und die folgenden Jahre Zürich mit ihrem Besuch beehrten. Anfangs JuU 1814 waren die russischen Grossfürsten Nicolaus und Michael schon zum zweitenmal in Zürich. Am 22. Juli folgte ihnen der König von Preussen, Friedrich Willaelm III., auch er nur inkognito; einzig der Bürgermeister Reinhard konnte ihn sprechen. ,,Der Anblick unseres vSees, auf dem sich gerade bei höchstderselben Ankunft viele Schiffe befanden, schien einen angenehmen Eindruck auf Ihro Majestät zu machen. Eine See- fahrt, die man allerhöchstdemselben am 23. geben wollte, unter- blieb wegen ungünstiger Witterung, und Sie verreisten schon morgens %io Uhr." (,,Monatl. Nachr."). Nach den Zürchern hatten die Schaf fhauser am Rheinfall Gelegenheit, die ,,edle Simplizität" des Königs zu bewundern.
Eine gewisse Aufregung verursachte es in Zürich, als auf den 9. Oktober 181 5, einen Montag, ziemlich unerwartet die Ankunft
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des Kaisers Alexander I. von Russland angekündigt wurde. Der in Eile zusammenberufene Stadtrat traf die nötigen Anordnungen, namentlich Räumung und Reinigung der Strassen von der Sihlporte zum Rennwegtor und zum „Schwert", wo der Kaiser logieren wollte — ein Privatlogis für ihn hatte sein Ge- schäftsträger Baron v. Krüdeuer abgelehnt — und ebenso waren instand zu stellen ilarktgasse, Rindermarkt, Neumarkt, oberer Hirschengraben für die Fahrt zum Rechberg und Kasino. Dem Löbl. PubHco wurde durch Trommelschlag die Ankunft des Kaisers bekannt gemacht mit der Einladung, für eine Illumination der Häuser auf den Abend zu sorgen. Dem hohen Gaste wurden vom Staatsrat Oberst Füssh und Oberstleutnant v. Muralt mit einer Eskadron zürcherischer ,,Chevauxlegers" unter Anführung des Rittmeisters Melchior Meyer an die Grenze nach Dietikon entgegengeschickt. Als die Ka\-alkade der Sihlporte nahte, er- dröhnten von allen Wällen die Kanonen und che Kirchenglocken läuteten, bis der Kaiser beim ,, Schwert" abgestiegen war. Hier empfing er sogleich die Delegation des Staatsrates mit Bürger- meister David V. Wyss an der Spitze, der ihn in wohlgesetzter, kluger Rede begrüsste. Der Zar war von grösster L,iebenswürdig- keit. ,,Ich bin so weit von Ihnen entfernt," sagte er, ,,dass ich Ihnen nur Gutes tun kann." Und dann überraschte er die Zürcher mit zwei grossen Neuigkeiten ; dass die Mächte beschlossen hätten, die Festimg Hüningen, die stets bedrohliche Nachbarin der Schweiz, zu schleifen, und dass zwischen allen Staaten Europas mit Einschluss der Schweiz, ein Bund geschlossen werden soll, der es keinem Machthaber mehr mögUch machen würde, etwa die Rolle Napo- leons zu spielen. Drei Kompagnien des Bataillons Eandolt hatten von der Sihlporte bis zum ,, Schwert" Späher gebildet, die Grenadier- kompagnie dieses Bataillons hatte die Ehrenwache beim ,, .Schwert", die Scharfschützen von der ,, Legion" standen bei der Haupt- wache. Abends zündete eine allgemeine Illumination in alle die , .malerischen Winkel" von Zürich hinein, nur schade, dass der starke Wind so manches Lichtlein immer wieder ausblies. Von 9 bis II Uhr war der Kaiser auf dem Ball im Kasino ,,und setzte die zürcherischen Schönen durch seine Anreden in Verlegenheit". Frühmorgens am 10. Oktober besuchte der Kaiser zu Fuss in Begleit des Barons v. Krüdener, Eschers von der Linth und
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anderer Herren den vSchützenplatz, die Katze und den hohen Wall ob Stadelhofen und Hess sich die Stellungen der Russen und Franzosen im Jahre 1799 zeigen; schhesshch besuchte er noch die StadtbibUothek, wo ihn besonders J. Müllers Relief der Kantone Glarus, St. Gallen und Graubünden interessierte. Dann setzte er sich in seinen Wagen, der beinahe noch in der Metzg- Passage stecken blieb. Schützenwachtmeister Heinrich Escher (vom WoUenhof) und noch ein anderer Schütze von der Haupt- wache eilten herbei und hoben den kaiserhchen Wagen von der fatalen Hausecke weg (Dr. Conrad Escher in der „Zürcher Wochen- chronik"). Im Rechberg verabschiedete sich der Kaiser von den beiden Bürgermeistern Wyss und Reinhard, inspizierte nochmals die dort aufgestellte leichte Kavallerie und fuhr dann das Hals- eisen hinauf Konstanz zu.
Zwei Tage später, Donnerstag den 12. Oktober 1815, kam Kaiser Franz von Österreich nach Zürich, mit denselben Ehren und Feierhchkeiten empfangen ^^"ie der Zar. Er hatte aber von Baden her den W^eg rechts der L,immat über Ober-Eng- stringen, Weiningen und Höngg genommen. Ludwig Mej'er v. Knonau befand sich auf seinem Gut ,,Ankenliof" bei Ober- Engstringen und schrieb hernach an seinen Freund Hegner in Winterthur: ,,Ich liess dem Kaiser Franz die Strasse zurecht machen und sah ihn, vom Steg unter unserm Gute, dicht neben mir vorbeifahren. Er grüsste den Lehenmannsjungen und mich nüt gleicher Aufmerksamkeit." Der Weg von der Xiederdorfporte zum Rechberg, dem Absteigequartier des Kaisers, war schon seit dem Montag von Marktbuden und dergleichen gesäubert. Der Empfang gestaltete sich wieder sehr herzhch. Kaiser Franz pries in seiner Antwort auf die Anrede des Bürgermeisters Wyss die Schweiz als die wichtige Vormauer seiner Staaten. Reinhard und Escher \^ou der Linth begleiteten liierauf den Kaiser in die Escher- sche Spinnerei in der ,, Neumühle" und auf die vStadtbibHothek, wo man auch eine kleine Ausstellung der vorzüghchsten Produkte der zürcherischen Fabriken und [Manufakturen, von Arbeiten des Bhndeninstituts und Gemälden von Salomon Gessner und Ludwig Hess veranstaltet hatte. Nach Tisch begleitete David ^^ Wyss den Kaiser nach dem seinem Bruder gehörenden Werdmüllerschen Landgut in \^'ollishofen. Bei diesem gemütUchen Beisammensein
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fand Wyss Gelegenheit, auch vom \'eltHn anzufangen, aber Kaiser Franz meinte freundUch ablenkend, der Wiener Kongress habe ihm dieses Land gegeben, und man werde begreifen, dass er nun nicht wohl darauf verzichten könne; dagegen wolle er gerne be- hilflich sein, den ungerechtenveise zu Schaden gekommenen Bündner FamiUen ein Entgelt zu bieten durch ein unparteiisches Schiedsgericht. Abends wurde im Rechberg das diplomatische Korps empfangen und dem Kaiser zu Ehren ein kleines Konzert gegeben. Xatiirhch brannten die Strassenlaternen wieder die ganze Nacht, und der Kaiser machte mit dem Bürgermeister eine Fahrt durch die Stadt, um sich die Illumination zu besehen oder \nel- mehr, wie Wj'ss an Mühnen schrieb, ,,um dem PubUkum Ver- gnügen zu machen". Morgens 6 Uhr fuhr auch er das Halseisen hinauf und durch die Kronenporte, um über Winterthur und Wil St. Gallen zu erreichen. Der österreichische Kronprinz und nachmalige Kaiser Ferdinand wurde am 6. November 1815 in Zürich mit 50 Kanonenschüssen bewillkommt und mit einer See fahrt regaUert.
Was der Zar Alexander bei seinem Besuch am 9. Oktober an- gekündigt hatte, war die sogenannte ,,H eilige Allianz", welche die Grundsätze des Christentums zum obersten Gesetz in der innem Verwaltung der Staaten wie in ihren Beziehungen unter- einander erklären sollte. Alexander hatte eigenhändig die seltsame Urkunde entworfen, und der Köiüg von Preussen, sowie der Kaiser Franz taten ihm den Gefallen, am 26. September 1815 das Doku- ment zu unterzeichnen, ,, nachdem Metternich die Bedenken seines Herrn mit der Bemerkung beruhigt hatte, es sei blosser Wortschwall". Auch der Schweiz ward also ,,ein Plätzchen auf der untersten Treppenstufe der Heihgen AUianz" eingeräumt. Am 23. Juli 1816 lud der russische Gesandte in Bern, Baron Paul von Krüdener, die Tagsatzung zum Beitritt ein. In allen Grossen Räten und Landsgemeinden, die damals noch — zum Zweck der Instruktion der Tagsatzungsgesandten — viel in auswärtiger Pohtik zu machen hatten, wurde über den Bei- tritt beraten. Den Grossen Rat von Zürich veranlasste eine glän- zende Rede Dr. Paul L^steris zur Zustimmung. Am 27. Januar 181 7 hatte Baron Krüdener die Beitrittserklärung der Schweiz in Händen. Es hiess, dass seine Mutter, Juliane von Krüdener,
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nicht ohne Einfluss auf die EntschUessung des Zaren Alexander gewesen sei, mit dem sie in Paris religiöse Gespräche geführt hatte. Frau v. Krüdener war eine Dame der grossen Welt, Vex- fasserin eines ziemlich schlüpfrigen Romans , .Valerie", bekehrte sich dann und reiste seitdem als Busspredigerin durch die Welt. Im Hungerjahr 1817 kam sie nach der Schweiz und bereitete den Behörden viele Verlegenheiten. Man hatte der Mutter des rus- sischen Gesandten gewisse Rücksichten zu tragen, und doch konnte man das Geläuf, zu dem sie Anlass gab, nirgends lauge dulden. Hungerndes \'olk, aber auch viel Lumpengesindel, von ihren wahllos gespendeten Gaben angelockt, strömte ihr massen- haft zu. So wurde sie immer wieder ausgewiesen und pohzeilich von Kanton zu Kanton abgeschoben. Am 3. Juh 1817, abends IG Uhr, brachte der Oberamtmann von Knonau die interessante Frau nach Zürich. Bei der Durchfahrt ihres Wagens unter den ,, Bögen" wurde ein Koffer vom \'erdeck heruntergerissen und krachend ging das schöne Porzellangeschirr, mit dem der Koffer vollgepackt war, in Stücke. Auf der ,, Platte" hielt dann am fol- genden Tage die ,,Frau Prinzessin" oder ,,Frau Herrgöttin", wie das Volk spottete, eine flammende Busspredigt. ,,Wehe über die Schweiz! \"\^ehe über Zürich, wo die Kinder schon Holofernes- Gesichter haben!" »Sie hatte die unempfänglichen Schweizer um- sonst zur Busse gerufen, umsonst sogar Wunder getan. ,,In Luzern speiste ich neunhundert Menschen urit neunzehn Broten und ein wenig Butter . . . Schon öfters lag ich mit dem russischen Kaiser, mich Gott innigst hingebend und ihn um seinen heiligen Geist bittend, vor ihm auf die Knie geworfen. Der Kaiser selbst, der doch einen grossen Schaden am Knie hatte (es fuhr ihm nämlich ein Rad über dasselbe), lag tief gebückt vor dem Höchsten im Staube. Dies ist die walire Andacht ...", aber ,,wehe denen, die mich aus ihren Ländern Verstössen, Gott wird mich an ihnen rächen!" Von Zürich ausgewiesen, verlegte Frau v. Krüdener ihre Wirksamkeit in das badische Grenzdorf Lotstetten. Dort befand sich unter ihren Zuhörern die damals 23jährige Älarga- retlia Peter von \Mldispuch bei Benken. Die beiden Frauen zogen einander an und Frau v. Krüdener suchte die Margret dauernd an sich zu fesseln. Sie aber fühlte sich selber zu noch höherem berufen. Wir wollen sie nicht erzählen, die traurige
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Geschichte von der ,, heiligen Gret" von Wildispuch, die mit dem Blutbad in der Famihe Peter am 15. März 1823, der schauerlichen Kreuzigung und Nicht -Auferstehung am dritten Tage ihren Ab- schluss fand. Zürich bekam davon noch das gerichtUche Nach- spiel zu sehen. Da man zu jener Zeit auch die Verkündigung und Vollstreckung von Strafurteilen mit einem gewissen Pomp zu umgeben für nötig hielt, fanden die elf Verurteilten von Wildis- puch auf ihrem bittern Bussgang am Donnerstag den 4. Dezember 1823 ein grosses Geleite. Kaum aus dem Wellenberg beim Korn- haus ans Land gebracht, ward die Margret Jäggli von mehreren Ohnmächten befallen, weshalb der Jammerzug zum Rathaus nur langsam vorwärts kam. Dort mussten die vier Schuldigsten während der Urteilsverlesung auf der obersten Treppenstufe knien, die andern sieben auf der untersten. Dann gings durch die Marktgasse und die Hauptstrasse zum Grossmünster. Glocken- geläute, massenhaftes Volk in den Strassen, alle Landjäger in grosser Gala mit der schwarzen Feder auf dem Tschakko — , man konnte glauben, die Tagsatzung komme, es fehlte nur der Ka- nonendonner und das Militärspalier. Für die obrigkeitlich ver- ordnete Predigt des Chorherm Kramer hatten die Delinquenten Sperrsitze um den Taufstein her. Das endliche Verschwinden hinter den Zuchthausmauern war für sie eine Erlösung.
Der häufige Umgang mit den fremden Fürsthchkeiten hatte für ,, Unsere Herren und Obern" — ganz allmählich bürgerten sich die alten Titel recht solide wieder ein — allerhand Annehmlich- keiten, Orden, Schnupftabaksdosen und andere Andenken zur Folge. Überhaupt deutete alles darauf hin, dass die Schweiz wirklich als vollwertiges MitgUed der , .Heiligen AlUanz" betrachtet wurde. Die eidgenössische Kanzlei im Obmannamt hatte genug zu tun, um nur alle die erlauchten Zivilstandsnachrichten, die ihr von den hohen Dynastien Europas zugingen, pfhchtgemäss an sämtliche 22 Stände weiter zu leiten und zum Ableben eines Gross- onkels, der glückhchen Entbindung einer Cousine, der Heirat von Prinzen und Prinzessinnen bald des einen, bald des andern Hauses entsprechend zu kondolieren oder zu gratulieren. Mit den Orden war es eine eigene Sache. 1817 machte die Tagsatzung in Bern, wo der präsidierende Amtsschultheiss v. Wattenwyl und der Kanzler Mousson mit dem roten, der zweite bernische Ge-
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sandte Elirchsperger mit dem schwarzen preussischen Adlerorden, der erste Gesandte Zürichs mit dem österreichischen St. Stephans- orden prangten, auf Talleyrand den Eindruck einer Versammlung, die von einem preussischen Prinzen präsidiert werde, und sar- kastisch schrieb er am 17. JuU 1817: , .Einst erhielt man die Mehr- heit auf der Tagsatzung durch Geld, und heute, wo das Geld rar ist, kann man sie erlangen, wenn man der EigenHebe der Regie- rungen durch Verleihung von Titeln und Orden schmeichelt." Über die Wirkung der preussischen Dekorationen schrieb der Ge- sandte Justus Grüner am 25. Mai 1817; ,,Der König kann jetzt ganz auf Bern zählen und ich verspreche mir grossen Erfolg von den Geschäften der nächsten Tagsatzung durch meinen Einfluss auf den Präsidenten und den Rat des Vororts." David v. Wyss hatte den vStephansorden nicht ohne schwere Bedenken und nur mit Erlaubnis des Kleinen Rats, Mousson den roten Adlerorden nach Befragung der 22 Stände angenommen ; General Finsler, der dem Kaiser Franz nicht die persönlichen Rücksichten schuldete wie Wyss, lehnte die österreichische Auszeichnung ab, und der Kleine Rat von Zürich beeilte sich, ein Gesetz auszuarbeiten, das seine MitgUeder durch ein striktes Verbot vor künftigen ähnUchen Verlegenheiten schützte.
Jeder Kanton schloss auf eigene Faust mit fremden ]\Iächten sogenannte ,, Kapitulationen" ab für die Lieferung von Söld- nerregimentern, und beim Abschluss solcher Kapitulationen gab es wieder Geschenke und Auszeichnungen für die regierenden Häupter, z. B. für den Zürcher Bürgermeister einmal eine Mar- morbüste Ludwigs XVIII. Erst im Jahr 1831 verbot Zürich diese Kapitulationen, die schon Stapfer eine ,, Versündigung an der Nationalehre und Volkswohlfahrt" genaimt hatte. Denn tat- sächUch hatten Land und Volk von diesem Kriegsdienst im Solde fremder Mächte nicht den geringsten Nutzen, nicht einmal irgend- welche handelspoUtische Vorteile. Es war dabei einzig und allein auf die Offiziersstellen als eine ehrenvolle und lukrative Car- riere für die Angehörigen der hohem Stände abgesehen. In Frank- reich allein standen 546 solcher Stellen zur Verfügung. Die Tag- satzuug aber trieb einen förmhchen Kultus mit der bezahlten und selbstverständlichen Treue der angeworbenen Söldner für ihre fremden Herren. Sie verlieh am 7. August 1817 den Überleben-
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den der Schweizergarde in Paris „in tiefer, ewiger Dankbarkeit und Bewunderung" eine eiserne Denkmünze an rotweissem Band mit dem eidgenössischen Kreuz imd der Aufschrift: „Treue und Ehre." Demselben Geiste entsprang die Errichtung des Löwen- denkmals in Luzern zu Ehren der beim Tuileriensturm am 10. August 1792 gefallenen Schweizer. Das prachtvolle Werk Thorwaldsens wurde am 10. August 1821 in Gegenwart zahl- reicher hoher Persönhchkeiten und der ganzen Söldneraristokratie feierhch enthüllt. Der Luzemer Studentenverein „Zofingia" aber, eingedenk dessen, dass die Helden von Sempach, St. Jakob und Neuenegg noch kein Denkmal hatten, beteiligte sich nicht an dieser Feier, sondern fuhr an diesem Tage demonstrativ in die Hohle Gasse bei Küssnacht und feierte dort das Andenken von Wilhelm Teil.
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SECHSTES KAPITEL
VATER PESTALOZZI
Als Johann Heinrich Pestalozzi am 17. Februar 1827 zu • Brugg die müden Augen schloss, war sein Weltruhm schon un- austilgbar begründet. Auch die Heimat hat „ihrem Propheten" bei seinem Tode die Anerkennung nicht versagt. Die „Monatschronik" vom Februar 1827 spricht von dem „welthistorischen Impuls, den er durch seinen Enthusiasmus, geniale Ideen, hingebende Liebe der ganzen gebildeten Welt gab, die erste Erziehung, die \'olks- schulen, die untern Volksklassen überhaupt mehr zu berücksich- tigen, als es bisher geschehen war". Dennoch kam die Vater- stadt erst spät dazu, ihrem grossen Sohne ein Denkmal zu errich- ten: am 26. Oktober 1899 wurde das Werk des Bildliauers Hugo Siegwart in den Anlagen vor dem Linth-Escher-Schulhaus, etwas abseits von der »Strasse, enthüllt. Pestalozzi war ein Freund und Helfer der Armen und Elenden und selber einer der Ärmsten unter ihnen! Der ärmste Mann in Zürich, der am Pestalozzi-Denkmal vorübergeht und seine Augen zu dem Standbild erhebt, wird kaum von solcher Not bedrückt, wie Pestalozzi sie in einem Brief an Zschokke sclülderte: ,, Freund, wusstest du es nicht? Dreissig Jalire war mein Leben eine unaufhörHche ökonomische Verwirrung und ein Kampf gegen eine zur W^ut treibende äusserste Armut. Wusstest du es nicht, dass mir gegen dreissig Jahre die Notdurft des Lebens mangelte ? Nicht, dass ich bis auf heute weder Gesell- schaften noch Kirchen besuchen kann, weil ich nicht gekleidet bin und nüch nicht zu kleiden vermag? Zschokke, wusstest du es nicht, dass ich auf der Strasse das Gespött des \'olkes bin, weil ich wie ein Bettler unüierlaufe ? Wusstest du es nicht, dass ich tausendmal kein Mittagessen vermochte und in der Stunde, da fast alle Armen an ihrem Tische sassen, ich ein Stück Brot mit Wut auf den »Strassen verzehrte? Ja, Zschokke, noch kämpf ich den entsetzHchen Kampf zwischen drückender Armut und fürchter- lichen Ausgaben und habe das einzige Ziel, durch Standliaftigkeit
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in meinem Plan noch vor meinem Tode die elendeste unter allen Haushaltungen, meine eigene Haushaltung, aufrichten zu können." Und die Armut blieb dem Vater Pestalozzi treu sein lieben lang. Nicht viel anders als ein alter Landstreicher mag er ausgesehen haben, als er im Oktober 1814 zu Fuss von einem Besuch auf dem Neuhof bei seiner Frau nach Iferten zurückkehrte, in den Schuhen der treuen Lisabeth, seiner frühern Magd und nunmehrigen Ver- waltersfrau im Neuhof. Er schickte dann die vSchuhe zurück und schrieb dazu seiner Frau: ,,Sie haben mir auf der Reise so weh getan, dass ich sie von Lenzburg aus heruntertreten und so durch Bern bis liieher reisen musste."
Bei Pestalozzi kam zur Armut noch die natürhche Hässlich- keit und ein angeborner Mangel an Ordnungssinn und Reinlich- keit, um sein Äusseres so unvorteilhaft als mögHch zu gestalten. ,, Stellt euch," sagt Vulliemin in seinen «Souvenirs racontes ä ses petits-enfants >^ , , ,einen sehr hässUchen Mann vor mit aufstehenden Haaren, mit einem blatternarbigen und mit roten Flecken be- deckten Gesicht, stechendem, ungepflegtem Bart, ohne Halsbinde, mit schlecht zugeknöpften Hosen, die auf Strümpfe herabfallen, die ihrerseits über grobe Schuhe hinabgehen, mit schwankendem, stossweisem Gang, mit Augen, die sich bald erweitern und Feuer- bhcke ausstrahlen, bald sich halb schhessen, der innem Betrach- tung zugewandt, mit Gesichtszügen, die bald eine tiefe Traurig- keit, bald eine SeUgkeit voll Sanftmut ausdrücken, mit einer Sprache, die bald langsam, bald schnell, bald weich und melodisch erkUngt, bald wie der Donner erschallt, dann habt ihr ein Bild von demjenigen, den wir Vater Pestalozzi nannten." Nichts war weniger geeignet, Pestalozzi zu einer weltgeschichtlichen Auf- gabe vorzubereiten, als seine Erziehung und Veranlagung. ,,Es ist eigentlich ein wundersames Phänomen: der Mann, der zeitlebens nicht orthographisch schreiben konnte, wird der Prophet für die Methode des Unterrichtens; der Mann, der in seiner Naivetät den Freunden gestand, er verderbe (durch seine bhnde Gutmütig- keit) alle die, mit welchen er zu tun habe, der Prophet der Er- ziehung; der Mann, der nur in der Gegenwart lebte und dessen geistiges Leben nach Niederers treffendem Ausdruck eigenthch keine Geschichte hatte, eine Persönhchkeit von zentraler kultur- geschichtUcher Wirksamkeit; der Älann, der sozusagen nie über
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die Grenzen seines kleinen Vaterlandes hinausgekommen, zieht die Bewunderer aus aller Welt zu sich heran ; der Mann, der sich selbst der absoluten Regierungsunfähigkeit anklagt, war der herrschende Mittelpunkt und der Gegenstand einer Hingebung, die das Unmög- Uche um seinetwillen möglich zu machen suchte." (Hunziker.) Die wahrhaft schöpferische Idee Pestalozzis, dem eine Königin Luise ,,in der Menschheit Namen" dankte, erbUckte vSeyffarth darin, ,,dass er den Menschengeist selbst zum Gegenstande der Behandlung machte, während man früher den Geist nur als ein Gefäss betrachtet hatte, in welches ein gewisser Unterrichtsstoff hineingefüllt werden musste. Das war ein ganz neues Prinzip, das den ganzen Unterrichtsbetrieb umgestalten musste." G. v. Zezsch- witz bezeugt: ,, Pestalozzi ist mehr als nur Reformator; er ist der Schöpfer des Anschauungsunterrichts nach seinem organischen Zusammenhange mit der Ausbildung aller Geisteskräfte."
Als Geburtsstätte Pestalozzis gilt nach der Tradition (dokumen- tarisch bezeugt ist es nicht) das Haus zum ,, schwarzen Hom" am Rüdenplatz, dem ehemahgen ,,Stücklimärt" ; nebenan ist das Geburtshaus seiner Frau (zum ,, Pflug"). Geboren am 12. Januar 1746, verlor Heinrich Pestalozzi schon mit fünf Jahren seinen Vater, einen unbemittelten Chirurgen, und wuchs nun ,,als Weiber- und Mutterkind auf, wie nicht bald ein grösseres sein kann". Die Dienstmagd Babeli sperrte den Buben soviel als mögUch ein, damit er der Mutter nicht unnütz Kleider brauche. In der Schule hiess er ,,der Heiri Wunderli von Toriikon"; aber als es ,,erd- bebnete" (1755), konnte man nur ihn in das in toller Flucht ver- lassene Schulhaus zurückschicken, die Kappen und Bücher zu holen. Als vStudent kam Pestalozzi in den Verdacht, dem Verfasser einer politischen Flugschrift zur Flucht verholfen zu haben, und ward deshalb vier Tage eingesteckt, das Pamphlet vor dem Rathaus öffenthch verbrannt. Pestalozzi gab das Studium bald wieder auf, widmete sich der Landwirtschaft und kaufte mit entlehntem Geld den Neuliof bei Birr im Aargau, der nun im Jahr 1913 als ,, Pestalozzistiftung" (Erziehungsanstalt) eröffnet worden ist. Er wollte dort vor allem seiner jungen Frau, Anna Schulthess, ein gemütliches Heim bereiten und daneben einen ^'e^such mit der Krappkultur (Wurzel der Färberröte) im grossen machen. Doch die Sache rentierte nicht, ebensowenig die hierauf begonnene
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Sennerei. Da kam ihm der Gedanke, eine Armenerziehungsanstalt zu errichten (1774). Es war eine ökonomisch-pädagogische Speku- lation: das verwilderte Land sollte durch ebenso verwilderte und ungebrauchte menschliche Kräfte angebaut werden, der Mensch die Natur und die Natur den Menschen kultivieren, die Kinder aber mit der Zeit so viel verdienen, dass die Unkosten früherer Jahre gedeckt wurden. Die Spekulation schlug gänzhch fehl. Die Bettelkinder wollten sich nicht an die Arbeit gewöhnen, liefen in den geschenkten Sonntagskleidern wieder weg, und jeden Sonn- tag hatte Pestalozzi das Haus voll Leute, welche schimpften und den Zustand ihrer Kinder ungenügend fanden. Nach sechs Jahren ging die Anstalt ein. Jetzt versuchte es Pestalozzi mit der Feder. Es erschien seine ,, Abendstunde eines Einsiedlers" und dann (1781) das Volksbuch ,,Lienhard und Gertrud", das ihm mit einem Schlage zu europäischer Berühmtheit verhalf, ihn aber nicht aus seiner Schuldennot errettete.
1798 schickte ihn die helvetische Regierung nach St ans zur Pflege und Erziehung der Kinder, die durch den Kampf gegen die Franzosen am 9. September Waisen geworden waren. Er kam am 7. Dezember dort an, leistete in fünf Monaten an Liebe, Hin- gabe, Fürsorge und Treue, was nur ein Pestalozzi leisten konnte. Mehr als das aber hob seinen Kredit, dass er von 6000 Franken, die ihm bewilhgt waren, 3000 zurückgeben konnte! Die nächste Etappe war eine Schulmeisterstelle in Burgdorf, 1800 die Er- öffnung der Erziehungsanstalt im dortigen Schloss mit Unter- stützung der helvetischen Regierung, 1801 die Veröffentlichung der pädagogischen Schrift ,,Wie Gertrud ihre Kinder lehrt", die den Einfluss Pestalozzis auf das Schulwesen des 19. Jahr- hunderts begründete. Seltsamerweise befand sich der unprak- tische Pädagoge 1802 unter den Abgeordneten zur helvetischen Consulta in Paris, wo er sein Zimmer neben Paul Usteri hatte. Nach Nej's Bericht an Talleyrand wäre dort eine nette Gesell- schaft exaltierter Köpfe beisammen gewesen: ,, Usteri, on le nomme exalte et intolerant, Pestalozzi homme celebre par les Sciences, mais exalte dans les opinions pohtiques. Pfenninger patriote exalte, vSchweizer aristocrate exalte, Reinhard aristo- crate exalte, Soulzer modere." Pestalozzis Denkschrift an Na- poleon über eine rechte Verfassung zur Emporbildung des Volkes
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fand ungnädige Aufnahme. „Ach was, ich kann mich um Eure Abc-Lehren nicht kümmern," lautete der barsche Bescheid.
Da die wiederhergestellte Bemer Regierung das Schloss Burg- dorf für sich reklamierte, musste Pestalozzi 1804 ins alte Johan- niterhaus Müncheubuchsee umziehen. Im nahen Hofwyl führte Philipp Emanuel v. Fellenberg seine Erziehungsanstalt. Pestalozzi schloss sich ihm an, stellte seine Anstalt unter Fellenbergs Yer- waltung und zog selbst nach Yverdon, um dort ein neues In- stitut zu gründen. 1805 folgten ihm Lehrer und Schüler von Münchenbuchsee nach. Yverdon (Iferten) war die äusserlich glänzendste Periode von Pestalozzis Wirksamkeit, allein schon nach wenigen Jahren zeigten sich die Keime des Zerfalls. Pesta- lozzis Kraft war dem stark erweiterten Institutionsorganismus nicht mehr gewachsen. vSchwere Krisen brachen herein, verschärft durch Streitigkeiten unter der Lehrerschaft, die selbst zu häss- lichen Prozessen führten. Auch Pestalozzi wurde in der öffent- lichen Polemik nicht geschont und überdies von der Vaterstadt aus, durch den Chorherm Bremi in der ,, Freitagszeitung", aufs .Schärfste kritisiert. Schhesslich Hessen ihn die Lehrer gänzhch im Stich. ,, Jeden Hess er besonders kommen. Die Worte, die er in diesen Momenten der rührendsten Niedergeschlagenheit und in unbegreifhcher Herzensbewegung sprach, sind nicht zu wieder- holen. Wohl zehnmal wollte er zu ihren Knien fallen, bat, weinte, stellte vor, wie sie das ganze Institut stürzten, einen armen un- glücklichen Mann zugrunde richteten, wie sie es rummer vor der Welt würden verteidigen können." Schmid, um dessen willen die andern Lehrer gehen wollten, rettete zwar das Institut als finan- zielles Unternehmen, stellte aber zugleich Pestalozzi unter seine Vormundschaft. Der Verfall war trotzdem nicht auf die Dauer aufzuhalten. 1825 löste sich die Anstalt auf, Vater Pestalozzi zog zu seinem Enkel auf den Neuhof. In ergreifenden Selbstanklagen strömte Pestalozzi sein Leid aus in den letzten seiner Schriften, „Lebensschicksale" und ,, Schwanengesang", und als am 21. Juli 1826 der Achtzigjährige die Armenerziehungsanstalt Zellers in Beuggen durchwanderte, rief er aus: ,,Das ist's! Das habe ich gewollt!" Zu Tränen rührte ihn das Lied der Kinder ,,Der du von dem Himmel bist", das er in ,,Lienhard und Gertrud" aufgenommen hatte.
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Die letzten Lebenswochen verbitterte die leidenschaftliche Schmähschrift Bibers. Noch kurz vor seinem Tode schrieb Pesta- lozzi: ,,0, ich leide unaussprechUch ! Kein Mensch vermöchte zu fassen den Schmerz meiner Seele. Man verschmäht und beschimpft den alten, schwachen, gebrechHchen Mann und sieht ihn jetzt nur noch als ein unbrauchbares Werkzeug an. Das tut mir nicht um meinetwillen weh, aber es tut mir weh, dass man auch meine Idee verschmäht und verachtet und unter die Füsse tritt, was mir heilig war und wonach ich während meines langen kummervollen Lebens gerungen habe. Sterben ist nichts; ich sterbe gern, denn ich bin müde und möchte endHch Ruhe haben ; aber gelebt zu haben, alles geopfert zu haben und nichts erreicht zu haben und alles zertrümmert zu sehen und so mit seinem Werk ins Grab zu sinken, — o das ist schreckUch, und ich kann es nicht aussprechen." Die Erschütterung warf ihn aufs Krankenlager. Ein qualvolles Leiden führte die Grösse und die tiefe Tragik dieses Lebens einem raschen Ende entgegen. Am 15. Februar 1827 wurde der schwer Leidende, in einem Schlitten wohl verpackt, nach Brugg gebracht, damit er der ärzthchen Hilfe näher sei; aber zwei Tage später hauchte er seine Seele aus. Am 19. Februar begrub man ihn in aller Stille beim Schulhaus in Birr. Als man ihn einst gefragt hatte, was er sich für ein Grabdenkmal wünsche, soll Vater Pestalozzi geant- wortet haben: ,,Ein ganz roher Feldstein tut's; denn ich selbst bin nichts anderes gewesen."
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SIEBTES KAPITEL
STADT UND LAND
Es war einmal eine konservative Stadt Zürich, welcher eine radikale und fortschritthche Landschaft gegenüberstand. Das hatte seinen natürUchen Grund darin, dass die Stadt Zürich die ihr im Jahre 1798 entrissenen Vorrechte, soweit es irgend möglich war, zurückzuerobern und zu behaupten trachtete, während die Landschaft an der Proklamation ihrer Freiheit und Ebenbürtig- keit mit der Stadt (5. Februar 1798) festhielt und darauf ihre nur vorübergehend zum Schweigen gebrachten Forderungen stützte. Formell war jene Proklamation ja nie widerrufen worden; der Grundsatz der Rechtsgleichheit hatte vielmehr in den Verfassungen von 1803 und 1814 seinen Ausdruck gefunden. Aber die Wirk- lichkeit zeigte ein ganz anderes Bild. Es war, als hätte die natür- lidie Entwicklung der Dinge, welche keine Sprünge liebt, eine nochmahge fast vollständige Wiederherstellung der Herrschaft der vStadtaristokratie verlangt, weil diese Herrschaft, als sie 1798 stürzte, bei allen ihren Fehlern keineswegs eine schlechte und verrottete gewesen war, sondern nur ihre Zeit nicht begriffen hatte. Die Geschichte gab ihr nun nochmals auf die Dauer eines Menschen- alters Gelegenheit, den veränderten Verhältnissen sich anzupassen, das in der Not verpfändete Wort lo3'al einzulösen und beim Volk statt nur des untertänigen Gehorsams Verständnis, Sympathie und freiwiUige Unterordnung unter die Interessen des Ganzen zu suchen. Das aber wurde versclimäht. Darum schliesshch die un- vermeidliche und unwiderrufhche Entthronung durch das eigene Volk im Jahr 1830. ]\Ian darf freilich nicht vergessen, dass der Rückkehr des Patriziats in der Zeit der ,, Restauration" (Wieder- herstellung des Alten) das allgemeine Ruhebedürfnis in Europa nach den Xapoleonischen Stürmen und bei uns noch insbesondere die herbe Enttäuschung nach der durch die Franzosen gründlichst kompromittierten ,, Freiheit und Gleiclilieit" ausserordenthch zu- statten kam. Dieses Ruhe- und Friedensbedürfnis der \'ölker wurde
Wilh.lm Sch.'iicliz.r
(iTcßfacßfßaus in ZüricH 1820
o SIEBTES KAPITEL: STADT UND LAND 63
von den Aristokraten allerwärts, in manchen Kantonen der vSclivveiz und in monarchischen Staaten noch ganz anders als in Zürich, für die eigenen Standes- und Familieninteressen ausgenützt. Sie haben es also bei uns nicht etwa ganz besonders schUmm getrieben; sie machten hier nur leider keine Ausnahme.
Der typische und von seinen Standesgenossen allverehrte Repräsentant der regierenden Zürcher Aristokratie der Restau- rationszeit war Bürgermeister Hans von Reinhard, ein Mann von mittelmässiger Begabung und engem Horizont, aber heihg und aufrichtig davon überzeugt, dass nur seinem Stande durch die Vor- sehung die Weisheit des Regierens verUehen, dem Volke aber das Dienen und Gehorchen in alle Ewigkeit verordnet sei. Dabei waren ihm Hochmut und persönUche Selbstüberhebung fremd; er spricht von sich in seinen Memoiren mit rührender Bescheiden- heit und hat namentlich vor der Wissenschaft eine scheue Ehr- furcht. Nicht Bosheit oder bewusste Pfhchtvergessenheit ver- schuldeten die grobe \'ernachlässigung des ihm lange Jahre unter- stellten Volksschulwesens, vielmehr das instinktive Gefühl, dass für das zum Gehorchen bestimmte Volk eine bessere Schul- bildung eigentlich gar nicht nötig sei, wie dies ein Zeit- und Standes- genosse Reinliards ausdrückte: ,,Was braucht der gemeine Mann mehr, als dass er ein bisschen lesen, schreiben und rechnen könne, um seinen Katechismus zu lernen, seine Obligationen zu unter- zeichnen und sich vor den Prellereien der Juden zu schützen ? Ist in einer Gemeinde auch nur ein geschickter Mann, so ist's genug." Dafür genügte dann allerdings eine Lehrerbildung, wie sie die Restaurationszeit noch kannte und über deren Stand eine anfangs der dreissiger Jalire vorgenommene Musterung den traurigsten Aufschluss gab. Wenn einer von den geprüften Schul- meistern meinte, der Riese GoHath sei in der Schlacht bei vSempach gefallen, ein anderer Basel ans Schwarze Meer verlegte, der dritte als die ersten Eidgenossen Kaspar, Melcher und Balthasar auf- führte, so waren das noch nicht die schHmmsten Elemente unter der zürcherischen Lehrerschaft. Auf die ,,Religion" aber ver- standen sich die Schulmeister ausnahmslos vortrefflich, ,, Re- ligion" — wenn auch nichts anderes — wurde den Kindern des Volkes in den Schulen in reichlichen Quantitäten beigebracht. Die gesetzlichen Schulbücher waren ausschliesslich religiöse: das
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Namenbüchlein (zum Buchstabieren), der Lehrmeister (Fragen über Gott, die zehn Gebote etc.), das Waserbüchlein (Gebete, geisthche Lieder, Bibelsprüche), Katechismus und Neues Testa- ment. Scherr beschreibt ein Examen, an dem der vSpruch zu be- handeln war: ,,Der Herr ist nicht ferne von unser einem Jeden". Der Lehrer fragt: ,,Wer oder was ist nicht?" Schüler: ,,Der Herr ist nicht." Lehrer: ,,Gut! Wo ist der Herr nicht?" Schüler: ,, Ferne." Lehrer: ,, Von wem ist er nicht ?" Schüler: .."^'on unser." Lehrer: ,,Von wem unser?" Schüler: , .Einem Jeden." Lehrer: ,,Ganz gut."
Ein Hauptmittel in der Hand der herrschenden Klasse zur Bändigung des Volkes lag in der Justiz. Es gab keine unabhän- gigen Gerichte, keine Trennung der Gewalten, keine Appellation. Umsonst drangen Dr. Paul Usteri, Ludwig ]\Ieyer von Knonau, Esclier von der Linth und andere auf einen Kriminalkodex; die- jenigen, welche das sogenannte ,,richterhche Ermessen", das heisst die Willkür vorzogen, fanden immer wieder Mittel, selbst vor- handene Entwürfe zu beseitigen und viele Jahre hindurch ,,das vS tillschweigen und die Kraft der Trägheit" den Neuerem entgegen- zusetzen. Körperstrafen wurden nicht nur durch Urteil verhängt, sondern es konnte jeder Untersuchungsbeamte zur Erpressung eines Geständnisses, wenn sein cholerisches Temperament durch das Leugnen des Verhafteten gereizt wurde, Rutenstreiche auf- messen lassen so\äel ihm gut dünkte. Im Wellenberg wurde schwer geprügelt, ebenso im Zuchthaus, wo in der Regel der Samstag ,, Zahltag" war. Ein Untersuchmigsgefangener, der zu seinem Un- heil gerade an einem Samstag eingeUefert worden war, hörte vor seiner Zelleutür den Ruf: ,,Chum usse, du!"; er gehorchte und empfing eine furchtbare Tracht Prügel, die einem ganz andern zugedacht gewesen war. Zu den eifrigsten Vorkämpfern für die Abschaffung der Prügelstrafe gehörte der Knonauer Oberamtmann und spätere Bürgermeister Melchior Hirzel. Das Landvolk seufzte unter Zehnten und Grundzinsen ; die Hauptlast der Steuern (fast ausschliessUch indirekte) lag auf den untern Klassen, die innern Zölle drückten auf die Gewerbetreibenden; man konnte keine neue ,, Gelte" nach Zürich tragen, ohne sie an der Porte zu verzollen. Korn für die Mühlen durfte im ganzen Kanton nur via Kernhaus Zürich eingeführt werden; der Müller Heinrich
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Gujer in Bauma, der „kluge Müller" oder ,,Müller-Heiri" ge- nannt, der wegen Umgehung dieser Vorschrift vom Oberamtmann von Kyburg aufs gröbste angefahren worden war, verHess das Schloss mit dem innerlichen Entschluss, diesen Bann brechen zu helfen. Nicht nur besass die zwanzigmal kleinere Stadtbevölkerung im Grossen Rat fast die doppelte Vertretung wie das Land, im Kleinen Rat (25 Mitglieder) verfügte sie über vier Fünftel der Stimmen; in den Staatsrat (engerer Ausschuss des Kleinen Rats) oder gar zum Bürgermeisteramt kam ein Landbürger überhaupt nie. Die vom Kleinen Rat gewählten 11 Oberamtmänner, welche mehr Gewalt besassen als heute Statthalter, Bezirksrat und Bezirksgerichtspräsident zusammen, waren sozusagen nichts anderes als die wiedererstandenen Landvögte, in deren Schlössern sie auch meist residierten. Von ihnen wurden die Gemeinde- anmiänner gewählt. Von den Oberamtmänneru waren 8, von den 160 Pfarrern 140 Stadtzürcher ; die letztem hatten die Schule unter sich, nahmen im öffentlichen Leben eine tonangebende Stellimg ein und fühlten sich auch als poUtische Beamte. Das Selbstgefühl der reichen Familien auf dem Lande wurde verletzt dadurch, dass man ihren Söhnen die Epauletten der Stabsoffiziere und der ,, brillanten Dragoneroffiziere" niclit gönnte. Auf die ganze Staats- verwaltung erstreckte sich das , .Stadtzürchersystem", das seinerseits ganz vomehmUch der Partei Reinhard zur Versorgung ihrer Anhänger und Trabanten dienen musste, und nicht immer waren es die Würdigsten, die auf diese Weise zu Amt und Würden kamen.
Harmloser, wenn auch oft lästig empfunden war die Titel- sucht der Regierenden, ihr Vomehmtun, das hochfahrende Wesen den Audienz nachsuchenden Bürgern gegenüber. Auch höhere Beamte, die vom Junker Amtsbürgermeister Reinhard aufs Kanapee eingeladen zu werden die Ehre hatten, durften nur dessen Meinung anhören; eine Gegenrede, Einwendung oder der- gleichen wurde nicht erwartet; der Bürgermeister stand auf, wenn er gesprochen hatte, und geleitete den Gast höflich zur Tür. Alle ihre Verhandlungen und Beschlüsse umgab die Regierung mit der grösstmöghchen HeimHchkeit; die böse Presse ward mittelst der Zensur im Zaum gehalten. Doch allmählich entstand diesem Regiment auch in der Stadt eine immer schärfere Opposition.
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Um eine Gruppe hochachtbarer Männer scharte sich das streit- bare Fähnlein der Stadtliberalen. Unter den edelsten Trägern der neuen Ideen befand sich Staatsrat Ludwig Meyer von Knonau, der die Republik auf Tugend und Rechtlichkeit, auf Öffentlichkeit und Walirheit gründen wollte; dann Staatsrat Paul Usteri, dem der Kanton Zürich nebst anderm die Press- freiheit verdankt; selber hervorragend in der Presse tätig (an der „Augsb. Allg. Zeitung" und der „Neuen Zürcher Zeitung"), ruhte Usteri nicht, bis am 15. Juni 1829 vom Grossen Rat das neue Pressgesetz endhch angenommen, die Zensur gänzlich aufgehoben war; Melchior Hirzel, ein Riese an Gestalt, mit dem Gemüt und der Stimme eines Kindes, achtungswürdig allein schon durch seine warmherzigen ,, Wünsche zur \'erbesserung der zürcherischen Landschulen" (1829). In die Justiz brachte der hochbegabte Amtsrichter Dr. Friedrich Ludwig Keller, ein Schüler Sa- vignys in Berhn, neues Leben und neue Prinzipien; sein Freund und Gesinnungsgenosse David Ulrich, Staatsanwalt seit 1824, teilte mit ihm die grossen pohtischen Erfolge seiner Glanzzeit. In seinem ,,vSchweizerischen Beobachter" machte der junge, sehr selbstbewusste Theologe Heinrich Nüsclieler mit seinem leb- haftem Temperament beinahe Usteri von der ,, Neuen Zürcher Zeitung" den Rang streitig. Diese entschlossene Phalanx stadt- zürcherischer Fortschrittsmänner gewann der Aristokratenpartei Schritt für Schritt Terrain ab. Einen wuchtigen Vorstoss führte sie besonders mit dem neuen Grossratsreglement vom 14. Dezember 1829, das dem Gros.sen Rat die Gesetzesinitiative verschaffte. Fatal waren andrerseits für die konservative Regierung zwei ^'orkomm- nisse des Jahres 1829: der Konkurs des Handlungshauses Ge- brüder Finsler, an dem der Staatsrat imd General Finsler als Associe beteihgt war. Infolge Kreditgewährung durch den General hatte der Staat an das Geschäftshaus eine Forderung von 114,000 Franken an Wechselschulden, die aber in wenigen Tagen gedeckt war. Trotzdem musste Finsler von allen seinen Ämtern zurück- treten. Am 9. No\'ember verschwand der wackere Staatsrat Jakob Hirzel. Als am folgenden Morgen die Grossräte den Ratssaal betraten, sahen sie die beiden Bürgermeister und den Polizeipräsidenten in eifrigem Gespräch. Unter der Hand ver- breitete sich die Kunde \-on dem Geschehenen und machte einen
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ausserordentlichen Eindruck. Erst am 22. November fand man Hirzel tot im Hochwachthäuschen auf dem Ütliberg. L,. Mej'er V. Knonau kam es damals vor, als ob, wenn ein Ratsherr spazieren gehe, die Menge starr auf ihn hinbUcke und denke: Da geht auch wieder ein Ratsherr zum Tore hinaus. Es hiess, mit Finsler habe die konser\-ative Regierung den rechten, mit Hirzel den linken Arm verloren. Hirzel, der an Erschöpfung gestorben war, hinterliess Amt und Haus in vollständiger Ordnung. Als charakteristisches Anzeichen für einen politischen Witterungs- umschlag betrachtete man das Unterbleiben des bisher üblichen ,,Scharinggelhofs" am i. Januar 1830: zum erstenmal fehlten bei der Neujahrs- Auf Wartung in den Salons der Herren Bürger- meister die glänzenden Uniformen der Offiziere.
Doch wer weiss, wie lange sich in Zürich das alte Regime noch hätte halten können, wäre nicht auch diesmal der elektrische Funke aus Paris auf den lange angesammelten Zündstoff über- gesprungen. Die Pariser hatten in ihrer Julirevolution den König Karl X. verjagt und den ,, Bürgerkönig" Louis Philipp an seine Stelle gesetzt, der eine Zeitlang als Flüchtling im Bündner- land geschulmeistert hatte. Die vSchweizer Söldner wurden nach Hause geschickt. Ein Teil von ihnen kam am i. September gänz- lich abgerissen rmd zerlumpt in Zürich an. Dem ,, Tagblatt" (,, Zürcher Wochenblatt") vom 6. September war ein Aufruf des Spitalschreibers Fäsi zur Spendung von Hemden, Schuhen usw. für die entlassene und verlassene Söldnerschar beigelegt. Die radikale Presse aber jubelte. ,,Hast du ihn vernommen, den rauschenden Flügelschlag des sich wieder erhebenden Geistes deiner uralten Freiheit?" vSo fragte am 4. September 1830 die auch im Kanton Zürich stark verbreitete ,, Appenzeller Zeitung", und bedeutsam fügte sie hinzu: ,, Vernommen hast du ihn wohl, aber ob auch verstanden?" Die Antwort Hess nicht lange auf sich warten. Zuerst regte es sich wieder am See. Die vSöhne der Stäfner Patrioten von 1795 hatten schon vor 1830 in einem Turm- stübchen der Ringmauer von Rapperswil heimliche Zusammen- künfte gehalten und der Aristokratie den Untergang geschworen. Jetzt Hessen sie ein Flugblatt in 6000 Exemplaren ins Land flattern und riefen die ^Mitbürger zur Freiheit auf. In der Stadt erschrak man ob diesem Ungestüm. Auch die Liberalen wandelte
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die blasse Furcht an, und selbst der charakterfeste Usteri wurde bedenkhch. „Nur kein Bauernregiment", lautete das Schlag- wort; in einem ,, Bauernregiment" erbückten konser\'ative und liberale Stadtzürcher das Grab aller Bildung und Kultur. Es musste ein Deutscher kommen, Dr. Ludwig Snell aus Nassau, um den freisinnigen Stadtzürchern Vertrauen auf das Volk zu predigen. Dr. Snell, ein begeisterter Volks- und Freiheits- freund, weilte seit 1827 in der Schweiz. Im Sommer 1830 traf er auf dem Rigi mit Staatsanwalt Ulrich zusammen, der ihm seine Besorgnisse wegen einer kommenden bildungsfeindlichen Demo- kratie, rohen Massenherrschaft usw. anvertraute. Aber Snell er- widerte: ,,Ihr niüsst im allgemeinen aufs \''olk vertrauen, das, mag es jetzt noch so roh und ungebildet sein, doch unverdorben genug ist, um das Gute zu wollen. In der Freiheit wird das Volk für die Freiheit reif werden, und während die alte Generation die Schule der politischen Bildung durchmacht, wächst in den umge- stalteten vSchulen ein neues, aufgeklärtes und strebsames Geschlecht heran. Welch herrlicher Wirkungskreis dann für tatkräftige Männer!" Ulrich war ergriffen. ,,Die Bildung der Masse, das ist ein grosser Gedanke." Mit neu entfachter Begeisterung reiste er nach Zürich. Ganz anders der , .Beobachter" Heinrich Nü- scheler, der sich bisher ungemein radikal geberdet hatte. Ihm hatte, auch während eines Ferienaufenthaltes in Hütten, Dr. Schmid von Richterswil etwas vom ,, Brechen der vSklavenketten" vordeklamiert und dabei gehofft, den Gesinnungsgenossen aus der vStadt für die Bewegung der Landschaft zu gewinnen. Tötlich erschrocken, ging Nüscheler von »Stund an hinter sich; er hatte sich eingebildet, die ganze Fortschrittssache in seiner Hand zu halten, und musste nun erkennen, dass die Landschaft auch ohne die Führung der vStadtliberalen vorzugehen imstande wäre.
Nach seiner Rückkehr vom Rigi besuchte Dr. Snell seinen Freund Dr. Streuli in Küsnacht, einen Schwager der Gebrüder Gessner, die Nüschelers ,, Beobachter" druckten. Auf dem Weg nach Küsnacht begegnete Dr. Snell am Mühlebach dem ihm ebenfalls befreundeten Nüscheler, der ihn aber sehr kühl und befangen grüsste. Abends erzählte Nüscheler sehr erregt auf der ,,Saffran", dass die radikalen Landleute nun doch ihren Organi- sationsmann gefunden hätten: Dr. Snell! Er habe ihn heute
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nach Küsnacht gehen sehen. Wirkhch wurde Dr. Snell in Küs- nacht, wenn auch mit vieler Mühe, von Dr. StreuH überredet, den Seeleuten eine Denkschrift über die Volkswünsche aufzu- setzen, die dann unter dem Namen ,,Küsnachter Memorial" bekannt wurde. Ihre in der Folge auch durchgedrungene Haupt- forderung bestand in der Änderung der Vertretung im Grossen Rat: von 212 Grossräten sollten zwei Drittel dem l,and, ein Drittel der Stadt angehören. Das Memorial sollte in Abschriften beim \'olk als Petition an den Grossen Rat zirkuheren und unterzeichnet werden. Der cholerische Nüscheler aber erliess am 26. Oktober eine öffenthche Erklärung, dass er seine Beziehungen zu den Ge- brüdern Gessner im Schwänli, ,,die dem von einem Fremden verfassten Memorial nicht fremd gebheben" seien, abbreche und mit dem ,, Beobachter" zu Orell Füssh & Co. im Elsasser über- siedle. Daraufhin wurde das Küsnachter Memorial gedruckt, was man zuerst nicht beabsichtigt hatte.
Während die Stadthberalen, die so viel von Rechtsgleichheit und voller Freiheit zu schreiben gewusst, jetzt — da die Sturm- zeichen am Himmel standen — die Segel einzogen und ängstHch dem heimischen Hafen zuruderten, griff die Bewegung auf dem Lande immer weiter um sich. Im Lauf des September fanden auf Bocken, in der ,, Krone" zu vStäfa, in Richterswil und Meilen Versammlungen statt, wo man einig wurde, etwas zu tun zur Herbeiführung des demokratischen Fortschritts. Wahrscheinhch auf Veranlassung der Stadthberalen setzte auf dem Lande zugleich eine Gegenaktion ein mit dem Zweck, dem radikalen \''olksbegehren durch einen weise temperierten Fortschritt zuvorzukommen. Am 13. Oktober 1830 versammelten sich im ,, Kreuz" zu Uster 31 stadtfreundUche Landgrossräte und verfassten ein Memorial mit dem Begehren der schleunigen Einberufung des Grossen Rates zur Behandlung einiger der wichtigsten (im Memorial aufgezählten) Volkswünsche. Das Memorial wurde am 14. Oktober von Stadt- präsident KünzH von Winterthur, Quartierhauptmann HürU- mann von Richterswil und einigen andern Grossräten den beiden Bürgermeistern übergeben. Eine neue Flugschrift der Seeleute, ,, Gespräch zwischen Jakob und Konrad", erschien gegen Ende Oktober; sie verlangte, dass die Verfassung sich auf den \'olks- willen gründe. Der am i. November versammelte Grosse Rat
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beschloss, den gemässigten Wünschen der Landgrossräte in Uster entgegenzukommen; er war geneigt, dem Land io6 Grossräte einzuräumen, io6 den Städten Zürich (92) und Winterthur (14) zusammen, welches letztere man damit vom Lande zu trennen hoffte. Es wurde eine Re\isionskommission aus fast lauter Stadt- bürgem mit Usteri an der vSpitze eingesetzt, die am 25. November ihre Anträge einbringen sollte. Das Memorial von Küsnacht, von vSnell verfasst, fand im Grossen Rat keinerlei Beachtung; Snell selbst, von der Polizei in Zürich als ,, gefährlicher Mensch" übenvacht, entzog sich einer drohenden Ausweisung durch die Flucht nach Basel.
Die Totalrevision der Verfassung war also abgelehnt; nur eine Partialrevision sollte vorgenommen werden. Damit konnte sich die Landschaft nicht zufrieden geben. Am Tage nach dem Stäfner Wochenmarkt. Freitag den 19. November, kamen in Stäfa über hundert ]\Iänner aus verschiedenen Teilen des Kantons zusammen. Die Beratung dauerte bis Mitternacht und endete mit dem Beschluss, auf Montag den 22. November eine grosse Landsgemeinde nach Uster einzuberufen. Schnell wurde eine Einladung geschrieben und gedruckt, — nur eine kurze Aufforde- rung (ohne Unterschrift) an ,,alle Kantonsbürger, denen das Glück des \"aterlandes am Herzen liegt und die den Drang des Augen- blickes fühlen", nach Laster zu kommen. Reiter und Schnell- läufer verbreiteten den Aufruf im ganzen Kanton. Die Komit- tierten begaben sich am Sonntag Abend nach Uster, nicht alle in freudig gehobener Stimmung, auch nicht einig unter sich. Dr. Hegetsch Weiler von Stäfa, ein Freimd von Dr. Paul Usteri mid von diesem beeinflusst, hatte im Sinn, gegen ein radikales \"orgehen zu sprechen und Anschluss an die \^orschläge der Stadt- liberalen zu empfehlen. ]\Ian konnte nicht wissen, wie es gehen werde und welche Stellung die Regierung zu der Landsgemeinde zu nehmen beabsichtige. Noch lebte und regierte der nämliche Bürgermeister Hans v. Reinhard, der die Führer des Bockenauf- standes hatte hinrichten lassen, und es war kein blosser Scherz, als der \'ater Gujer in Bauma dem nach Uster abreisenden Sohn nachrief: ,,Heiri, wenn's fehlt, kann's dich den Kopf kosten." Der Heiri hatte auch vorsorglich den Reisepass zu sich gesteckt, um im Fall der Not ins Badische zu entkommen. Aber es war seit 1804
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denn doch manches anders geworden, und die Regierung wagte nichts gegen die Landsgemeinde zu unternehmen.
Den Kommittierten ward es leichter ums Herz, als am Montag morgen der Wachtposten im Kirchturm von Uster meldete, man sehe von allen Seiten ganze Massen von Volk herankommen. End- lose Züge \-on Landleuten sali der Oberamtmann Ott von Grü- ningen an seinem Schloss vorüberziehen, und die ernste, feierliche Stimmung der Leute machte ihm Eindruck. Acht- bis zehntausend Mann kamen in Uster zusammen, auch die Winterthurer stellten sich ein, mit Freuden begrüsst. Im ,, Kreuz" führte man Dr. Hegetschweiler ans Fenster und liess ihn die ruhig wartenden Massen überbhcken. Ergriffen wandte er sich um und sagte: ,,Es weiss das Volk, was es will, vmd ist des Rechtes würdig. Ich stehe ab \"on meiner Absicht und will als Redner für eure Ansicht auf- treten." Die Versammlung war zu gross für die Kirche und musste auf die kleine Anhöhe des ,,Zimiker" verlegt werden. Dort spra- chen nacheinander Heinrich Gujer von Bauma, Dr. Heget- schweiler, Arzt und Naturforscher, der mit den Dichterworten begann: ,,Frei ist der Mensch, ist frei, und war' er in Ketten ge- boren"; endhch J. J. Steffan von Wädenswil, Direktor einer der Kunzischen Fabriken in Uster, ein gutmütiger, etwas über- schwengHcher Mensch, bei dem (nach Scherr) die Gemütswogen zuweilen den Verstand bedeckten. Mit lauter Stimme verlas er den Entwurf des Komitee für die Petition und eröffnete dann die allgemeine Umfrage nach allfälhg weiteren Wünschen. Da kam denn alles ]\Iöghche; bereitwilhg ging der hitzige Steffan, von sei- nen Mitkommittierten immer ängsthcher am Rockärmel gezupft, auf alles ein, und als die Zürcher Oberländer, welche durch die neuen Webmaschinen brotlos geworden waren, riefen: ,, Web- maschinen weg!", da tröstete der gute Steffan wieder: ,,Au da muess ghulfe sü", nicht ahnend, dass dieses törichte Wort zwei Jahre später die Fabrik seines Kollegen Corrodi in Uster in Flam- men setzen werde.
Abgesehen von diesen paar Entgleisungen nahm der Tag von Uster, das wichtigste pohtische Ereignis in der Geschichte von Stadt und Kanton Zürich in den letzten hundert Jahren, den er- hebendsten und würdigsten Verlauf. Kleinere Versammlungen fanden an demselben Tage statt auf Schloss Mörsburg, zu Wiesen-
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dangen, Hettlingen, Wülflingen und andern Orten. Im Auftrag des Komitee schrieb Fürsprech Furrer von Bubikon (f 1837) die Petition in endgültiger Redaktion nieder. Es ist dies das be- rühmte Memorial von Uster, dessen Anrede lautete:
„Hochwohlgebomer, Hochgeachteter Junker Amtsbürger- meister ! „Hochgeachtete, Hochzuverehrende Herren und Obere!"
Es sei allgemein bekannt, fängt das Schriftstück an, dass durch die Vorfälle des Juli in Frankreich auch in unserem Kanton verschiedene Begehren und Wünsche wieder aufgeweckt wurden, die seit dem Jahre 1814 in Schlummer eingewiegt worden waren. Dann folgt eine ruhige und leidenschaftslose Auseinandersetzung der Sachlage. Das ganze Schriftstück ist im Tone der Ehrerbietung und bewunderungswürdiger Mässigung abgefasst. Es enthält kein unziemhches Wort und lässt nur ganz am Schluss in einem einzigen Satz durchblicken, dass eine starke männliche Entschlossenheit hinter den höfhchen Worten steht: ,,Aber so wie sich das Volk früher und an jenem Tage gezeigt hat, ist bestimmt anzunehmen, dass bei Nichtentsprechung seines \'erlangens es mit dem näm- lichen Mute, aber vielleicht nicht mit der näniHchen Ruhe seine Wünsche wiederholen werde."
In Zürich war man auch ohne Telephon ra.sch unterrichtet von den Vorgängen in Uster. Reinhard hatte bei den ersten Berichten über die Menschenansammlung die ]Mitgheder des Staats- rates, den PoHzeipräsidenten u. a. in seine Wohnung berufen. Man vernahm dann, dass alles ruhig verlaufe, wer gesprochen habe, was beschlossen wurde und dass die \''ersammlung schhesslich sich auflöste und nicht nach Zürich marschierte, wie einige befürch- tet hatten. Dienstag den 23. November fand im Schützenhaus eine Versammlung von Stadtbürgern statt, welche von dem liberalen Professor der Geschichte Heinricli Escher geleitet wurde. Sie bestand in der grossen Mehrheit aus Anliängern des Alten. Eine Kundgebung, die sie an die Bevölkerung erliess, nannte als Zweck der Versammlung die Aufrechthaltung von Rulie und Ordnung in der Stadt; es wurde auch eine Kommission ernannt, in welche man fünf höhere konservative Offiziere delegierte. Der Regierung, welche an diesem Tage ebenfalls eine zur Ruhe mah-
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nende Proklamation erlassen hatte, scheint, man nicht mehr die nötige Kraft zur Wahrung der öffentlichen Ordnung zugetraut zu haben. Mittwoch den 24. November meldeten sich beim Amts- bürgermeister Reinhard im Rechberg neun Abgeordnete der Versammlung in Uster, an ihrer Spitze Rektor Troll von Winter- thur, zur Übergabe des Memorials. Der Weibel wies den Herren das Zimmer an, in welchem 1813 die Mediationsverfassung von den XIII alten Orten als aufgehoben erklärt worden war, und sagte, „S. Exzellenz der Junker Landammann" werde so- gleich kommen. Als er eingetreten war, richtete Troll eine An- sprache an ihn, die allen Anwesenden mit Ausnahme Reinhards Tränen entlockte. Der Bürgermeister lud die Abgeordneten zum Sitzen ein und Hess sich dann in väterhch mahnendem Tone über die ,,Bittschrift" vernehmen — ,, Denkschrift" oder ,, Memorial" zu sagen, vermied er stets gefUssenthch — von der er meinte, es werde nun viel darauf ankommen, wie der Grosse Rat diese Äusse- rungen aufnehmen werde. Auch an die einzelnen Abgeordneten richtete Reinhard seine \'orstellimgen und sanften Zurechtwei- sungen, bis das allseitige Aufstehen und Rücken der Stühle den Bürgermeister belehrte, dass die Mäimer des Volks diese nutzlose Unterredung zu beendigen wünschten. ,, Freudig lächelnd" zogen sie von dannen. Folgenden Tages trat der Grosse Rat zusam- men. In zehnstündiger Sitzung Hessen sich über neunzig Redner vernehmen. Einstimmig wurde das Repräsentationsverhältnis von zwei Drittel Land und ein Drittel Stadt gutgeheissen und am 27. November beschlossen, dass schon am 6. Dezember ein neuer Grosser Rat nach diesem Verhältnis zu wählen sei, der dann sogleich eine neue Verfassung auszuarbeiten habe. Der wesentlich verjüngte Grosse Rat konnte schon am 14. Dezember von Rein- hard wieder eröffnet werden. Der Greis hielt eine Ansprache, die seine absolute Verständnislosigkeit für die treibenden Kräfte der \^olksseele verriet und in elegischen Tönen über die herrliche Verfassung von 1814 und den aües Begreifen übersteigenden Wan- del der Zeit sich erging. Am 20. März 1831 fand die Volksab- stimmung über die neue Verfassung statt. Sie wurde mit 40,503 Ja gegen 1721 Nein angenommen; in der Stadt Zürich standen 1791 Ja nur 138 Nein gegenüber. Damit hatte sich das Zürcher Volk zum erstenmal durch Urabstimmung kraft seines
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Selbstbestimmungsrechtes und ohne fremden Einfluss eine Ver- fassung gegeben.
Nun war für den 75jährigen Hans v. Reinhard die Zeit gekommen, da er sich zurückziehen durfte. Zwei Tage nach der Volksabstimmung schrieb er sein Entlassungsgesuch nieder, ver- bheb aber im Grossen Rat, um in den folgenden Jahren gelegent- lich noch für die Interessen der Stadt das Wort zu ergreifen oder sich für seine geliebte Jagd (d. h. die Beibehaltung des Jagd- bannes) zu wehren, der er bis in sein hohes Alter eifrig oblag. Der Zufall der Geburt hatte ihn auf die Höhen des gesellschaftHchen Lebens gestellt und mit Heroen der \^'eltgesclüchte in persönliche Berührmig gebracht. ]Mit Napoleon I. hatte er bei verschiedenen Gelegenheiten verkehrt und auch seine wechselnden Launen mit Würde zu ertragen gewusst. Am interessantesten war wohl die Begegnung im Kriegslager zu Regensburg (kurz vor der zweiten Eroberung Wiens 1809). Als eine action d'eclat im Leben Rein- hards darf sein tadelloses Benehmen am Bankett nach der Über- reichung der ]\Iediationsakte in Paris im Jahre 1803 angeführt werden. Dort war, als die Gäste dem \\'ein bereits gehörig zuge- sprochen hatten und das Mahl sich seinem Ende näherte, vom französischen Kommissär Roederer nur so ganz beiläufig mitgeteilt worden, es habe in der Mediationsakte noch eine kleine redak- tionelle Änderung angebracht und deshalb das letzte Blatt mit den Unterschriften abgetrennt werden müssen; man möchte so gut sein und die unbedeutende FörmHchkeit durch das Anbringen der neuen Unterschriften gleich erledigen. D'Affr^- und Glutz unterzeichneten arglos ohne weiteres; Reinhard aber erklärte, er sei jetzt nicht in der Verfassung, um Redaktionen zu prüfen; nach einem solchen Mahle gezieme es sich nicht, etwas Ernsthaftes vorzunehmen. Je stärker man ihm zusetzte, um so misstrauischer wurde Reinhard und bheb dabei, heute unterzeichne er nicht mehr. Dadurch aufmerksam geworden, verweigerten auch Jauch und andere ihre Unterschrift. Der Streich Roederers war an Rein- hards Standhaftigkeit gescheitert. Mit der angebUchen kleinen ,, redaktionellen Änderung" hätte der Kanton Zürich sein Eigen- tumsrecht auf die Domänen Weinfelden, Wellenberg, Neunforn, Pf3"n, Steinegg, Sengen, Amt Stein und Sax im Wert von über einer Milhon Gulden eingebüsst.
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In der Schweiz und im Kanton Zürich wurde Reinhard beinahe wie ein Fürst verehrt. Dem Volke gegenüber, dem er auf seinen Jagden öfters nahe kam, zeigte er sich gerne leutseHg, wo man dies als Herablassung empfand. Dass er zeitlebens nie über die Vor- urteile seines Standes hinwegkam, wird ihm kein Verständiger zum Vorwurf machen. Hans von Reinhard starb am 23. Dezember 1835 und wurde am 27. Dezember begraben. Die ,, Freitagszeitung" gibt von der Trauerfeier die folgende, etwas trockene Beschreibung: ,,Das ausgezeichnet grosse Begleit, das letzten Sonntag der Leiche des sei. Junker Landammann Reinhard folgte, war ein Zeuge, welcher Achtung dieser Mann unter allen Klassen des Volkes genoss. Dass bei demselben zum erstenmal die Leidtragenden die Hüte auf dem Kopf behielten und auch das andere Pubhkum dieses Beispiel nachahmte, ist eine Sitte, die schon längst wünschens- wert gewesen wäre und die hoffentlich fortgesetzt wird. Gewiss ist's, dass schon manche Kranklieit bei dem frühern Gebrauche bei einem Leichenbegängnis geholt wurde."
ZWEITER TEIL
AUS DER REGENERATIONSZEIT
ACHTES KAPITEL
DAS ALTE STÜRZT
Die Stadt Zürich grollte. Sie sah sich durch den Ustertag zum zweitenmal entthront. Nicht weniger als der Verlust des poHtischen Übergewichts schmerzte die Einbusse an zahlreichen materiellen Interessen. Hatten auch die vornehmern FamiUen das eigentUche Regiment für sich reserviert, so waren doch neben ihnen viele andere Stadtbürger zu Stellen und Einfluss ge- kommen und überzeugt, dass auch sie eine Art Aristokraten seien. Die Handwerker, namenthch die Besitzer von sogenannten Ehe- haften, Wirte, Müller, Fleischer, usw., glaubten ihre Privatvorteile und Vorrechte in Gefahr. Die konservative Schützenhausver- sammlung hatte dieser städtischen Opposition schon am ersten Tage nach der Landsgemeiude \-on Uster eine feste Organisation gegeben, und es sah ganz danach aus, als ob die Gewalt in der Stadt nun zunächst bei diesem konservativen Stadtverein Hege, waren doch selbst die Wächter auf den Türmen angewiesen, bei einer 'V'olksbewegung auf keinen Befehl zu achten als auf den- jenigen des Generals Ziegler und seiner vier Mitvorsteher vom zürcherischen Stadtverein. Die Bildung einer Bürgergarde, die der mit dem Stadtverein harmonierende Stadtrat am 31. Ok- tober 1831 beschlossen hatte, untersagte der Regierungsrat. Die bitterböse Stimmung der Stadtbürger bekamen die Parteigänger der Umwälzung auf allerlei Weise zu spüren. Der gesellschaft- liche Verkehr zwischen früher befreundeten FamiUen wurde unmöghch, man versagte den Freunden der I^andpartei den Gruss auf der Strasse, indem man ,,mit martiahschem Blick" an ihnen vorüberging. Das Haus von Dr. Ludwig Keller an der obern Kirchgasse (zum ,, roten Adler") wurde mehrmals beschädigt. Als Ludwig Meyer v. Knonau mit einem seiner Mieter den Miet- vertrag erneuerte, verlangte der Mann Schadloshaltung für alle eingeschlagenen Fensterscheiben, da er nicht die Folgen der Unpopularität des Hausherrn tragen wollte ; bei seinem Hut-
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macher Morf entschuldigte sich Meyer v. Knonau, weil er jetzt — wegen viel geringerer Abnützung durch Grüssen — weniger Hüte brauche als früher. Im Grossen Rat erhoben die Radi- kalen des öftern bittere Klagen über Belästigungen und Ver- folgungen, denen sie in der vStadt ausgesetzt seien. Regierungsrat Pfenninger erklärte, er fühle sich in Zürich nicht mehr sicher und werde nachts aufs Land gehen. Friedensrichter Fierz aus Küsnacht, ein 70jähriger Greis, war tätlich misshandelt worden, und zwar bei einem Krawall vor der Gessnerschen Druckerei, wo seit dem 26. November 1830 das neue radikale Blatt, der ,, Schwei- zerische Republikaner" erschien. Auch Offiziere in Epauletten be- teiUgten sich an dem Auflauf, bei dem der Inhaber der Druckerei, seine Frau und sein Bruder mit Schlägen traktiert wurden. Leidenschaftliche Debatten, während denen u. a. Stadtpräsident J. J. Escher und Dr. Ludwig Keller wiederholt ,, aneinander auf- standen", füllten manche Grossratssitzung aus.
Für die Stadtliberalen war der Ustertag zum trennenden Keil geworden. Dr. Ludwig Keller, der noch an der Schützen- hausversammlung teilgenommen, hatte rasch die Nutzlosigkeit eines Widerstandes gegen die demokratische Strömung einge- sehen und kurzerhand beschlossen, sich ihrer zu bemächtigen, um sie zur Verwirklichung seiner Staatsideale zu benützen. Das ist ihm denn auch in hohem Mass gelungen. Er wurde das Haupt der hberal-radikalen Mehrheitspartei, der in allen Fragen und Entscheidungen tonangebende Führer der Landgrossräte und damit der eigentliche Beherrscher Zürichs, ohne dessen Rat und Zustimmung nichts geschehen konnte. ,,Peisistratos von Limmat- Athen", ,, Tyrann von Zürich" nannten ihn seine Gegner, wenn sie höfUch sein wollten ; sonst hatten sie für ihn auch noch andere Namen. Friedrich Ludwig Keller, geboren den 17. Oktober 1799, einziger Sohn des ,, reichen Keller von Goldbacli", stammte aus alt angesehenem Stadtzürcher Geschlecht. In ihm verehren die zürcherischen und schweizerischen Juristen den ersten Begründer und Bildner einer wissenschaftlichen schweizerischen Jurispru- denz. An der Schaffung einer wohlorganisierten zürcherischen Rechtspflege hatte Keller das Hauptverdienst. Niemand hat das mit grösserm Freiniut anerkannt und ausgesprochen als sein schärfster poUtischer Gegner Johann Caspar Bluntschli,
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selber ein Jurist von phänomenaler Begabung und eine Autorität von erstem Range für sein Fach. So verschieden Keller und Bluntschli politisch dachten und handelten, in der Rechtswissen- schaft stehen sie nebeneinander als leuchtendes Doppelgestirn. Kellers Schwäche lag in seiner „allzugrossen Verehrung für das weibliche Geschlecht", die dem von ihm und seinen Freunden frequentierten Restaurant am Wolfbach den Namen ,,Cafe Ober- richter" eintrug. Keller betrachtete diese Neigung als Privat- sache, die niemand etwas angehe; aber wenn selbst BluntschU deswegen gegen die ,,zur Schau getragene Unsittlichkeit" der Radikalen protestierte und Keller die Stimme versagte, wie konnte dann ein im Brennpunkt des pohtischen Kampfes stehender Parteiführer envarten, dass das übrige Pubhkum sich um seine ,, Privatangelegenheiten" nicht kümmern werde? Man muss dies erwähnen, weil die Revolution von 1839 von daher zum guten Teil ihre Berechtigung herleitete. Aber derselbe Bluntschli hat Dr. Keller in seinem Nachruf auch folgende Worte gewidmet: ,, Überhaupt habe ich die reinigende und veredelnde Macht der \^lssenschaft selten deutlicher erkannt als in dem Leben Kellers. Er stürzte sich in die wissenschaftUchen Studien wie in ein frisches, stärkendes Bad, welches allen Schmutz des täghchen Lebens und alle Flecken der Leidenschaft abwascht. Da war er immer unbe- fangen, heiter, frei nach Wahrheit ringend. Ich habe nie einen Zug des Neides, keine Spur von Gelehrten- oder Autoreneitelkeit an ihm bemerkt. Jeder Fortschritt, den andere in seinem Umkreis machten, war für ihn eine Freude; er war ebenso bereit, denselben zu fördern, wie für sich nutzbar zu machen. Von ganzer Seele liebte er die Wahrheit."
Mit Keller trat an die Spitze der liberal-radikalen Partei Staatsanwalt David Ulrich, geb. 1797, Enkel (mütterhcher- seits) und Pathenkind des Bürgermeisters David von Wyss (Vater). ,,Wenn an dem Juristen und Staatsanwälte das unbe- stechliche Gerechtigkeitsgefühl, an dem Politiker der unabhängige Charakter, das gesunde Urteil, wodurch er den meisten überlegen war, allgemein anerkannt wurden, so mussten die Schroffheit des pohtischen Auftretens, die dem ausgesproclienen Parteimann und Parteiführer trotz seiner angeborenen Gutmütigkeit eigen war, und noch mehr die offenkundigen Blossen seines Jung-
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geselleiilebens, von dem die chronique scandaleuse allerlei pikante Abenteuer zu erzählen wusste, ihm bald Anfechtungen und Feinde zuziehen." (Wettstein, Regeneration). Der dritte im Bunde war der 1803 geborene Wilhelm Füssli, „radikaler Parteimann schärfster Tonart, schneidiger journahstischer Vorkämpfer dieser Tendenzen, launig-derber Redner im Grossen Rat, voll Liebe für Wissenschaft und Kunst und alle edleren Richtungen der Men- schen." Mit Vehemenz wehrte sich Füssh gegen ungerechte, seine Partei herabsetzende \'erallgemeinerungen. ,,Man hat den Radi- kalen vorzüglich Unsittlichkeit vorwerfen wollen: was mich be- trifft, so greife jemand meine Sittlichkeit an, wenn er kann. Ich kann jedem Rede stehen. Man darf durch meine Fenster sehen, wie es in meinem Hause zugeht." Keller, Ulrich und Füssli bildeten nach der N. Z. Z. (Juni 1834) ^i^i ,, Triumvirat, dem es eine Zeitlang so ziemlich gelungen war, vor ihrer Allgewalt einen gewissen Schrecken zu verbreiten." Als abhängig von diesem Triumvirat nannte die N. Z. Z. in erster Linie den Oberrichter Schulthess, den die Zunft zu ,, Zimmerleuten" wegen seiner Gesinnimg aus dem Grossen Rat entfernte und deshalb vom ,,Repubhkaner" als eine Gesellschaft von Kakerlaken tituhert wurde; und sodann den Bürgermeister Hess, den das Trium\-irat durch Schmeicheleien zu führen glaube. Zur Partei gehörten ferner der Winterthurer Jurist Dr. Jonas Furrer (späterer Bundespräsident), Conrad Melchior Hirzel, mit Keller zwar oft auf gespanntem Fusse stehend, Professor Eduard vSulzer, der aber bald zu den Konservati \'en überging und das konservati\"e Parteiblatt ,,Der schweizerische Konstitutionelle" gründete und redigierte. Auch der edle Ludwig Mej'er von Knonau, ein Staatsmann der alten Schule (geb. 176g), stand auf dem Boden der hberal-radikalen Partei, ,, rüstig und freudig bejahend trat er in den Umschwung der Dinge ein und arbeitete mit der lebendig- sten Teilnahme für alle neuen Aufgaben, welche dem Staatsleben gestellt wurden." Von den radikalen Landvertretern seien nur genannt Dr. Hegetschweiler, der sehr tüchtige und brauchbare Amtsrichter und nachherige Regierungsrat Weiss, alt Statthalter Pfenninger, Heinrich Gujer von Bauma (erster Grossratspräsident vom Lande!). vSie alle aber fügten sich — wenigstens im Anfang — willig der geistigen Überlegenheit der stadtzürcherischen Fülirer.
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Der rechte Flügel der Stadtliberalen war seit dem Ustertag zur städtischen Opposition abgeschwenkt und bildete innerhalb derselben die „Partei der Gemässigten", des „juste-milieu", die ihr geistiges Haupt in Joh. Caspar Bluntschli besass. Bluntschii (geb. 1808), damals Gerichtsschreiber beim Bezirks- gericht Zürich und städtischer Notar, nahm energisch Stellung gegen den ,, Souveränitätsschwindel der Menge" und wurde des- halb von der radikalen Landpartei samt seinem ,,iuste-miUeu"- Gefolge mit den Aristokraten in denselben Topf geworfen. \'on den gemässigt Konservativen, die der Richtung BltintschHs nahe- standen, sind besonders zu nennen Bürgermeister Conrad von Muralt, die Regierungsräte Ferdinand Meyer — Vater des Dichters C. F. Mej-er — und J. J. Hottinger, Dr. jur. Joh. G. Finsler, Oberrichter Joh. Caspar Ulrich, Chef der Buch- druckerei Berichthaus; der Philologe Joh. Caspar v. Orelli ge- hörte anfänglich ebenfalls zum rechten Flügel der Liberalen, aber doch nur kurze Zeit. Organ der Gemässigten war — nach dem Eingehen des ,, Beobachter" (Heinrich Xüscheler starb am 15. Juli 1831) — der ebenfalls nur kurzlebige ,, Vaterlandsfreund", den der radikale ,,Repubhkaner" als ,, Hofhund der Aristokratie" verbrüllte. Die ,, Freitagszeitung" war konservativ und aristokratisch und zählte zu ihren Mitarbeitern hauptsächUch GeistHche. Die ,,Neue Zürcher Zeitung", eine Zeitlang redigiert von dem gewesenen Oberlehrer an der Blindenanstalt, dem Württemberger Ignaz Thomas Scherr (geb. 1801) und dann von dem Kriminal- gerichtspräsidenten und nachherigen Regierungsrat Heinrich Escher und dessen poU tische Schwankungen getreuUch wider- spiegelnd, wurde gelegentlich mit gleicher Heftigkeit von rechts und hnks angegriffen. Das Gros der städtischen Bürgerschaft hörte aber viel weniger auf die Stimme der Gemässigten, als auf den Vertreter der Stockkonservativen, der Opposition ä tout prix, Oberstleutnant und Stadtrat David Nuschele r. Das war ihr Mann, ,,der sagte es ihnen", der bekämpfte , .unerschrocken" alles und jedes, was die Regierung bringen mochte. Das lauwarme Getränk der ,, Gemässigten" mundete den Stadtbürgern nicht und den verbindUchen, freundUchen Bürgermeister v. Muralt verspotteten sie als ,, Seidenhändler Muralt". Ob mehr gemässigt oder extrem-konservativ, hat man sich in jedem Fall die Stadt
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Zürich schon vom Ustertage an als feindüches Lager gegei:über der Regierung und herrschenden Partei im Kanton zu denken, und die Anhänger der letztern bildeten in der .Stadt eine kleine und scheel angesehene Minderheit.
Die Verfassung von 1831 stellt einen Markstein dar in der Geschichte des Kantons Zürich. Indem sie, wie Dr. L. Keller sagte, als wesenthchste Errungenschaft die Wegschaffung des alten väterlichen, aus Gnade und Ungnade regierten Staates und die Konstituierung der Herrschaft des Grundsatzes, des Gesetzes und der Wissenschaft brachte, trennte sie zwei Zeitalter von- einander. Die überraschend glänzende Annahme der Verfassung am 20. März 1831 täuschte indessen eiuigermassen über den Grad der Reife des Volks für die neuen Grundsätze. Es kam so, wie Keller einmal an Bluntschli schrieb: ,,Bekannthch beissen die allgemeinen Grundsätze, die in einer Verfassung stehen, niemanden ; aber die Spezialisierung und Durchführung derselben, die freihch derjenige, welcher mit Grundsätzen und der Entwicklung zu ver- kehren gewohnt, als blosse Folge, der Alltagsmensch aber als etwas Neues betrachtet, die beissen so, dass viele zucken und schreien, die an dem allgemeinen Grundsatz keinen Anstoss ge- nommen haben." Einstweilen herrschte freilich die Freude vor, und in dieser Freude hatte die siegreiche radikale Partei die Gut- mütigkeit, von 19 Sitzen des Regierungsrats, wie der ,, Kleine Rat" jetzt hiess, zehn, also die Mehrheit, den Stadtzürchern zu überlassen (23. — 25. März 1831). Unter den MitgUedern des Regierungsrats, innerhalb dessen sich wieder ein ,, Staatsrat" für auswärtige Angelegenheiten und andere Subkommissionen kon- stituierten, nennen wir von konservativer Seite David v. \^'yss, Conrad v. Muralt, Ferdinand ;\Ieyer, von radikaler: Dr. Paul Usteri, Dr. Hegetschweiler, Pfenninger, C. ;\I. Hirzel, Prof. Ed. vSulzer, L. Meyer v. Knonau, die Amtsrichter Melchior Sulzer und Heinrich Weiss von Fehraltorf. Das Bürgermeisteramt in doppelter Bestellung mit jährlichem Wechsel in der Amts- führung wurde beibehalten. Die Walil des von der Landschaft unbegrenzt verehrten radikalen vStadtzürchers Dr. Paul Usteri zum ersten Bürgermeister war gegeben; zweiter Bürgermeister wurde David v. Wyss. Ebenso selbstverständHch wie die Wahl Usteris zum Bürgermeister war diejenige von Amtsrichter Dr.
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Fr. Ludwig Keller zum IVIitglied und Präsidenten des Ober- gerichts (26. März 1831). Dass er das Obergericht als koordi- nierte Behörde neben dem Regierungsrat auffasse, zeigte Dr. Keller ostentativ an dem gemeinsamen Bankett nach der Kon- stituierung der sämtUchen Behörden, bei dem er ohne weiteres mit grösster Unbefangenheit — ,, Frechheit" sagten die Konser- vativen — den Platz gegenüber dem Bürgermeister David v. Wyss für sich belegte.
Am 28. März 1831 war Bürgermeister Dr. Paul Usteri auch zum Grossratspräsidenten gewählt worden. Er hatte am 30. März kaum die Sitzung eröffnet, als ihn ein Unwohlsein befiel. Er musste den Saal verlassen und wurde in einer Sänfte heimgebracht. Am 9. April starb der vortreffhche Bürger und Staatsmann, der wie kein anderer berufen schien, die Gegensätze zwischen Stadt und Land auszugleichen und das Staatsschiff sicher durch die Wogen der Parteileidenschaften zu steuern. Gleich ausgezeichnet als Staatsmann wie als Rechtsgelehrter, Arzt, Naturforscher und Journahst und infolge seiner glänzenden Geistesgaben und weisen Ausnützung der Zeit von ungewöhnhcher Leistungsfähigkeit, war Usteri in der ganzen Eidgenossenschaft hochangesehen, und seine Grösse wurde auch von dem erzreaktio- nären Karl Ludwig v. Haller widerwillig anerkannt, indem er ihn als ,, unverbesserlichen Revolutionär" und ,, Haupt der Jakobiner- partei der ganzen Schweiz" bezeichnete. Auf der zürcherischen Landschaft wurde Usteri beweint und betrauert wie ein Landes- vater. Die Beschwörung der neuen Verfassung, Sonntag den 10. April nach dem Gottesdienst, die besonders am See als gross- artige Festlichkeit geplant war, gestaltete sich zur Trauerfeier. Zum Begräbnis am 12. April strömten die Landleute in Scharen zur Stadt. Die Sängervereine vom See kamen in schwarz bewim- pelten Schiffen, auf denen die eidgenössische Fahne Usteris vater- ländische Bedeutung kennzeichnete, und der kleine St. Anna- Friedhof sah nie ein imposanteres Trauergeleite als an diesem Tag.
Paul Usteri wurde am 13. April 1831 im Grossen Rat ersetzt als Regierungsrat durch den liberal-konservativen Historiker J. J. Hottinger, als Bürgermeister durch Conrad v. Muralt und als Grossratspräsident durch Melchior Hirzel. Es standen somit nun an der Spitze der Regierung zwei konservative Bürgermeister
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und im Kollegium des Regierungsrats bestimmten die acht konser- vativen Stadtzürclier im \'erein mit einigen ihnen innerhch nahe- stehenden radikalen Kollegen die pohtische Richtung. Die Un- natüriichkeit des Verhältnisses zu dem mehrheithch radikalen Grossen Rate musste sich bald fühlbar machen. Dr. Ludwig Keller beherrschte den Grossen Rat unumschränkt. Eine ganze Reihe konservativer Regierungsräte und Grossräte konnte die treffUchsten überzeugendsten Argumente mit grösstem Fleiss für eine Ansicht zusammentragen: wenn Dr. Keller zuletzt aufstand und dagegen redete, so war alles wie weggewischt. Er brauchte auch nicht einmal zu reden, sondern nur gegen den konservativen Antrag in der Abstimmung aufzustehen, und totsicher stand die Mehrheit des Rats mit ihm auf. Es war oft für die Konservativen zum Wütendwerden. Nun begab es sich, dass am 26. Februar 1832 zu Bassersdorf ein radikaler kantonaler Verein gegründet wurde, der \-ielberufene ,, Bassers dorfer Verein". Wilhelm Füssli präsidierte und ein Hauptredner war der damals noch extrem- radikale Dr. Schmid von Richterswil. Vorausgegangen war diesem Ereignis die Gründung eines schweizerischen frei- sinnigen vSchutz Vereins in Langental am 25. September 1831, dessen Zweck darin bestand, den freisinnigen Regierungen der regenerierten Kantone als Stütze zu dienen, ihren Schutz gegen aristokratische Wiederherstellungsversuche zu bilden, sie zur Durchführung der Reformen anzuspornen, sowie auch eine Re- vision der unter dem Segen der alliierten Mächte entstandenen und lücht mehr zeitgemässen Bundesverfassung von 1815 anzustreben. Der ,, Bassersdorf er Verein" war lüchts anderes als der Zürcher Kantonalverband des radikalen Langentaler Vereins. Ausserdem schlössen — am 17. März 1832 während der Tag- satzung in L,uzern — die radikalen Regierungen der Kantone Euzern, Zürich, Bern, Solothum, St. Gallen, Aargau und Thurgau das sogenannte ,, Siebner-Konkordat" zu gegenseitigem Schutz und Beistand gegen aristokratische Umwälzungsversuche. Der Beitritt Zürichs zu diesem Konkordat, einem radikalen Sonder- bund, wurde am 11. April 1832 nach hitziger Debatte mit 127 gegen 61 Stimmen vom Grossen Rat beschlossen und mit 118 gegen 65 Stimmen der Dank an die Tagsatzungsgesandten votiert, worauf C. V. Muralt, gefolgt von 33 weitem Mitgliedern, den
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Saal verliess. Die endgültige Ratifikation erfolgte mit 128 gegen 21 Stimmen.
Die Erwähnung des Siebner Konkordats musste hier etwas vorausgenommen werden, um die — in Zürich sofort begriffene — Bedeutung des „Bassersdorfer Vereins" in die richtige Beleuch- tung zu rücken. Man war in der Stadt um so mehr erschreckt und erbittert, als in Bassersdorf auch von der Schleifung der Festungswerke und Verteilung der Kanonen aufs L,and gesprochen wurde. Die Regierung hielt den Bassersdorfer Verein für verfassungswidrig und legte dem Grossen Rat einen Gesetzes- entwurf vor, der die Konstituierung von Vereinen an gewisse Bedingungen knüpfte. Die Grossratsdebatte über diesen Entwurf erfolgte unter dem Vorsitz von Dr. L. Keller am 8. und 9. März. Sie endete mit der Verwerfung des Gesetzes mit 94 gegen 85 Stimmen. Daraufhin legten sämtliche acht konser\'ative stadt- zürcherische Regierungsräte ihr Amt nieder. Die Ersatzwahlen am 19. März bereiteten erhebliche Schwierigkeiten. Einer um den andern ^-on den Vorgeschlagenen lehnte ab. Die Konservativen frohlockten und schlugen ,,zum Schund" die unmöghchsten Namen vor, um den \Vahlakt lächerHch zu machen. ,,Es war ein verfluchter Nachmittag", schrieb Keller seinem Freund J. J. Hess nach Luzern. ,,Der Missmut und der Ärger auf unsrer Seite, der Triumph der Gegner stieg mit jedem Augenbhck, die Unsrigen waren grösstenteils niedergeschlagen, manche verloren den Kopf. Die Feinde jubiherten und hohnlachten ganz laut, unverhohlen und einmütig. Es sah ordenthch aus, als ob wir zu Kreuz kriechen und den alten Herren gestehen müssten, dass, wenn sie nicht regieren, bei uns nicht regiert werden könne." Vorzeitig brach der Präsident die Sitzung ab, dann gings zum ,, Seh wert", wo Keller seinen Leuten den Standpunkt klarmachte und ihnen sagte, ,,es frage sich jetzt, ob die Versammlung von Uster eine Dummheit gewesen sei und ob wir wieder an die Gnade unserer alten Herren kommen müssten." Am nächsten Morgen gingen die noch ausstehenden fünf Ersatzwahlen ganz glatt von- statten. Bürgermeister wurden Melchior Hirzel und J. J. Hess. Alle diese Vorgänge spielten sich noch unter Ausschluss der Öffenthchkeit ab. Erst Ende des Jahres 1832 erhielt der Rats- saal gemäss der von der Verfassung vorgeschriebenen Öffentlich-
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keit der Verhandlungen seine Tribüne, für welche man auf die Weise Platz schaffte, dass man die Decke des Ratssaales um ein Stockwerk hob und sie nach dem klugen Rat Eschers von der Neumühle an den Dachstulil hängte.
Am 27. Januar 1832 hatte der Grosse Rat nach einer Debatte, die von 5 bis 11 Uhr abends dauerte, mit 83 gegen 79 Stimmen die Aufhebung des Kasernendienstes beschlossen. Die Frage, um welche man stritt, lautete: ,, sollen die Rekruten auf ländlichen Trüllplätzen, wie dies zahlreiche eingereichte ,,\"olks- wünsche" verlangten, oder aber wie bisher 21 Tage in der Kaserne der Hauptstadt eingeübt werden?" Die städtischen Offiziere sprachen mit grösster Lebhaftigkeit gegen die Trüllplätze, und als der Rat im gegenteihgen Sinne entschied, legten zehn höhere konser\'ative Offiziere ihre Kommandos nieder. Noch bedeutend grössere Aufregung verursachte in der Stadt die Aufhebung des Chorherrenstifts, welche Keller bereits in einer ]\Iotion vom 21. Dezember 1831 beantragt hatte. Als ein Anachronismus ragte das Chorherrenstift noch in die Regenerationszeit hinein. Ein ,,Cliorherrenstift" und protestantische ,, Chorherren", das musste Nichtzürchern immer erst erklärt werden, ,, wieso". Den Zürchern selbst war ,,die Stift", wie sie zu sagen pflegten, wohl- vertraut; mit dem Gemeinwesen aufs engste verwachsen und durch Erinnerungen, die in die Zeit Karls des Grossen hinauf- reichten, beinahe geheihgt, hatte das Chorherrenstift auch die Stürme der helvetischen Revolution überdauert. Hand an ,,die Stift" zu legen, das erschien vielen Zürchern als frevles Attentat, als Sakrilegium. Das Kollegium das Chorherrenstifts zum Gross- münster bestand seit der Reformation nur aus einem engen Kreise von etwa 12 Personen: dem Antistes, zwei Archidiakonen, dem Pfarrer zu Predigern, sechs Chorherren, welche zu Schuldiensten am Gymnasium verpflichtet waren, und drei weitern Würdenträgern. Die jMitgheder des Stifts gehörten von Amtes wegen der Synode an; sie waren Inhaber der Kollatur verschiedener Pfarrstellen und Verwalter eines sehr bedeutenden Stiftsvermögens, aus dem u. a. 47 Prediger besoldet, 16 Stipendien an Theologiestudenten verabfolgt und eine Anzahl Predigenvitwen unterstützt wurden. Das Chorherrenstift hatte seine grosse Zeit; allein nun stand es einer gründhchen Reform und \'erbesserung des höhern Unter-
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lichts im Wege. Unter der Aegide des Stifts hatten und behielten die Unterrrichtsanstalten Zürichs einen einseitig theologischen Zuschnitt. Wo man die Frage des höhern Unterrichts auch an- packen mochte, es war um das Stift nicht herumzukommen. Die Chorherren wehrten sich verzweifelt gegen die Aufhebung, ganz besonders der freisinnige Dr. Johannes Schulthess, welcher Urkunden auf Urkunden, Streitschrift auf Streitschrift häufte, um die Unverletzlichkeit des Rechts darzutun, das dem Chor- herrenstift die Fortdauer garantierte. Aber wie steht es mit solchem ,, sonnenklaren" urkundHchen Recht? War nicht der Stadt Zürich schon durch die Urkunde Kaiser Karls IV. 1362 der Zürichsee ,,so weit die Wellen schlagen" als Eigentum zuge- sichert ? Ist nicht noch 1799 urkundlich und unwidersprechHch das götthche und menschUche Recht der Herrschaft der Stadt Zürich über die Landschaft nachgewiesen worden? ,, Recht" kann nicht ewig Recht bleiben. Durch die Veränderung der Verhält- nisse wird es zum Unrecht und muss durch neues Recht ersetzt werden. Dr. Keller gab seiner Motion die mildeste Form; die gegenwärtigen Mitgüeder des Stifts sollten im lebenslängHchen Genuss Uirer ökonomischen Vorteile verbleiben. Mit 133 gegen 34 Stimmen wurde die Motion erhebhch erklärt, am 10. April 1832 mit 131 gegen 52 Stimmen auf den regierungsräthchen Gesetzes- entwurf eingetreten. Das Stiftsgut sollte auch in Zukunft als abgesondertes Kantonalgut verwaltet und unter Beachtung der auf demselben haftenden besondern Verpfhchtungen für die Zwecke der Kirche und des höhern Unterrichts ungeschmälert verwendet werden. Die Aufsicht über die Verwaltung und Ver- wendung des Stiftsguts hatte eine dem Regierungsrat unter- geordnete Stiftspflege zu übernehmen. Die Aufhebung des Chor- herrenstifts machte die Bahn frei für die Gründung und Finan- zierung der höhern kantonalen Lehranstalten.
Schlag auf Schlag folgten die für das altzürcherische Bürger- tum niederschmetternden Ereignisse. Das nächste, was nun kam, war die Schleifung der Festungswerke, die im Jahre 1832 ein Petitionssturm vom Lande nach dem andern verlangte, da man auf der Landschaft in der Festung ,,das Bollwerk der reaktio- nären Stadtpartei" erblickte. Man sprach es sogar offen aus, dass die feindselige Stadt einmal den Regierungsrat und Grossen Rat
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einfach gefangen nehmen könnte. Für viele Stadtbürger hinwieder erhielten die Festungswerke, die ihnen vielleicht gleichgültig geworden waren, einen erneuten Wert, als vom Lande her Angriff auf Angriff gegen sie erfolgte und der eminent pohtische Charakter dieser Frage mehr und mehr zutage trat. Unter der Führung David Nüschelers entspann sich in Zeitungen und Broschüren ein hitziger Kampf zur Erhaltung der Festung, ohne welche Zürich zum Dorf herabsinken und allen räuberischen Überfällen preisgegeben sein würde. In einer städtischen Gemeindever- sammlung vom 15. Oktober 1S32 verwies Dr. Rahn-Escher warnend auf das Beispiel von Aarau, das als offene Stadt leicht von den Freischaren Fischers von Merischwanden überrumpelt werden konnte. In der entscheidenden Grossratssitzung vom 30. Januar 1833, welche 10 vStunden dauerte, sagte es Dr. Schmid von Richterswil rund heraus, es sei der politische Gesichtspunkt, aus welchem die Schleifung der Festungswerke verlangt werde. Ebenso offen fügte Regierungsrat Weiss bei: ,,Die Wünsche der Landschaft beruhen auf politischen Rücksichten, wenn ich sagen darf, auf Misstrauen; und wenn man gestanden hätte, dass die Bürgerschaft der Stadt auch aus Misstrauen die Beibehaltung wünsche, so hätten beide Teile die Walirheit gesagt. Wenn man sagt: Misstrauen gebiert Misstrauen, so ist das richtig; man schaffe aber nur die Schanzen weg, so wird der Gegenstand und der Grund des Msstrauens beseitigt." Mit 131 gegen 53 Stimmen wurde die Demolierung der Schanzen beschlossen. Ludwig Me3'er v. Knonau sah mit Zuversiclit dem nahen Zeitpunkte entgegen, wo nicht nur die ausserhalb der Stadt verhasste Scheidewand fallen, sondern auch der beständige Reiz schwinden werde, ,, hinter Wällen und Gräben der Landschaft Trotz zu bieten." Noch im Frühjalir 1833 begann die Abtragung der Fortifikationen mit der Wegnahme der Porten, Barrieren und Fallbrücken und Verebnung des flachen Bollwerks beim Hottinger Pörth durch Straf Unge. Mit Verdruss sahen manche Bürger diesen Arbeiten zu, und ]\Ieyer v. Knonau hörte etwa an den Stadtausgängen sich Begegnende fragen: , .Wollen Sie auch ausser dem Dorf gehen ?" Oberstleutnant David Nüscheler, der im Talacker wohnte, benutzte Jahre lang nicht die naheliegenden bequemen Ausgänge, sondern machte konse- quent den grossen Umweg durch die Werdmühle und die Brücke
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beim Schützenhaus. Den Bemühungen von Regierungsrat L. Meyer V. Knonau war es zu danken, dass die „Katze" im Botanischen Garten, das Bauschänzh und die Hohe Promenade erhalten bUeben. Dass die Stadt es infolge der pohtischen Misstimmung versäumte, sich das kostbare Schanzengebiet zu sichern, wurde in spätem Jaliren ausserordentlich bedauert. ,,Unsre Sibyllinen", so schrieb die ,, Freitagszeitung" 1862, ,,das war das Schanzengebiet. Zwei- mal kam die radikale Regierung zu der konservativen Stadt und zweimal bot sie ihr das Schanzengebiet an. Immer weniger waren der Blätter und immer teurerer Preis wurde gefordert. Das dritte Mal musste die Stadt froh sein, dass sie den kleinen Rest zu aller- höchstem Preis nur noch angeboten erhielt, und sie nahm schnell an." Das Blatt meinte, die Verwerfung der Angebote sei weniger erfolgt aus mangelnder Einsicht in die Interessen der Stadt ,,als um der verhassten radikalen Regierung durch Opposition Ver- legenheiten zu bereiten".
Das vierte der grossen Probleme, welche anfangs der dreissiger Jahre die Gemüter erhitzte, war die Aufhebung des Direk- torialfonds. Im Jahre 1662 gründeten die zürcherischen Kauf- leute das ,, Kauf männische Direktorium", welches das Postwesen übernahm und von der Regierung das Recht erlüelt, zur Deckung der Betriebskosten auf jedem in Zürich ein- und ausgehenden Stück Gut eine Abgabe zu erheben. Als im Jahre 1803 die Post Staatsregal wurde, bildete sich die Ansicht, dass der aus den Rechnungsüberschüssen entstandene ,, Direktorialfond" vom Staat beansprucht und für die Öffentlichkeit fruchtbar gemacht werden sollte. Es gelang indessen dem Direktorium, das Eigentumsrecht an den Fond zu behaupten. Erst am 30. September 1830 kam die Regierung dazu, vom Direktorium Rechenschaftsablegung über die \'en\-altung des Fonds zu verlangen, wogegen sich das Direktorium feierlich verwahrte. Drei Jahre lang wurde nun um den Direktorialfond hin- und hergestritten. Die Position des Direktoriums verschlechterte sich aber sehr erheblich, als der ,, Republikaner" am 29. November 1833 ein von der Regierung von 1804 geheim gehaltenes und selbst den Grossräten bisher unbekannt gebhebenes Dokument an erster Stelle veröffentlichte: den Beschluss der helvetischen Liquidationskommission vom 15. Juni 1804, welcher den kaufmäniüschen oder Direktorialfond
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„als wahres und unmittelbares Kantonaleigentum" erklärte. Man sah nun ein, dass man sich mit dem Staat vergleichen müsse, wollte man nicht riskieren, dass sich der Grosse Rat durch einen ,, Gewaltstreich" des ganzen Direktorialfonds bemächtige. Es kam ein Vertrag zustande, der am 17. Dezember 1833 in einer Sitzung, die von 8 Uhr morgens bis 8 Uhr abends dauerte, mit HO gegen 72 Stimmen im Prinzip gutgeheissen wurde. Nach diesem Vertrag fiel dem Staat ein Betrag von 1,100,000 Fr. zu, aus dem dann der sogenannte ,, Industriefond" (für Strassen- und Brückenbau) gebildet wurde. Das ,, Kauf männische Direktorium" behielt 700,000 Fr. mit der Verpflichtung der Ausführung einer Reihe von Bauten in der Stadt Zürich. Gemäss diesen Ver- pflichtungen wurden bis 1840 u. a. ausgeführt: ^Nlünsterbrücke, Rathausquai, Sonnenquai, Hafenbau, Kornhaus (,,alte Tonhalle"), Poststrasse, Abtragung des Wellenbergs, mehrere vStrassendurch- brüche usw.
Aufhebung des Kasernendienstes, Aufhebung des Chorherren- stifts, Aufhebung der Festung, Aufhebung des Direktorialfonds, das waren die letzten wuchtigen Axthiebe, die den stattlichen, uralten Baum stadtbürgerhcher Herrschaft, Privilegien und vSonderrechte endgültig zum Falle brachten, nachdem er schon im Jahre 1798 vermittelst einer fränkischen Säge unheilbar ange- schnitten war. Wehmut und Trauer in bangen, verzagten Herzen begleiteten seinen dröhnenden Sturz. Doch im Geiste seilen wir schon einen ganzen Wald von jungkräf tigern Nachwuchs empor- spriessen, der heute noch seinen Schatten spendet : Hochschule — Kantonsschule — Seminar — Kantonsspital — Gewerbefreiheit — \'olksschulreform, ein Treiben und Sprossen und Blühen auf allen Gebieten, wie es kein Zeitalter vor und nach der ,, Re- generation" der dreissiger Jahre jemals erlebt.
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NEUNTES KAPITEL
NEUES LEBEN
Als einen der dringendsten \^olkswünsche hatte das Memorial von Uster „eine durchgreifende Verbesserung des Schul- wesens" bezeichnet. Der Grosse Rat beeilte sich, diesem Begehren zu entsprechen. Schon am 20. Juni 1831 wurde durch ein Gesetz der seit dem 4. Juni 1803 bestehende Erziehungsrat umgestaltet und mit der Aufsicht über das Schulwesen des ganzen Kantons betraut. Er bestand — inklusive drei Regierungsvertretem — aus fünfzehn Mitgliedern und teilte sich in zwei Sektionen: für die höhereu Lehranstalten und für das Bezirks- und Gemeinde- schulwesen. Präsident der Gesamtbehörde und zugleich der zwei- ten Sektion wurde Bürgermeister Melchior Hirzel; der ersten Sektion gehörten u. a. an J. J. Hottinger, C. v. Orelh, Dr. L. Keller, Hof rat J. C. Homer, Ferdinand Meyer, der zweiten: Hans Georg Nägeli, Ignaz Thomas Scherr. Aus den Vorarbeiten beider Sek- tionen ging das Unterrichtsgesetz hervor, das vom Grossen Rat in acht langdauernden Sitzungen vom 25. bis 28. September 1832 durchberaten und angenommen wurde. Es war ein Werk der Verständigung und ,, stellte in wohlgelungenem Grundriss das Gebäude dar, zu welchem zum erstenmal die öffentlichen Unter- richtsanstalten von der Elementarschule bis zur höchsten Stufe als ein einheitliches Ganzes vereinigt werden sollten". Der Ab- schnitt über die zu gründende Hochschule wurde entgegen den ,, Bedenken" David Nüschelers mit 148 gegen 9 Stimmen (von neun stadtzürcherischen Militärs) gutgeheissen. Es trug zu diesem günstigen Ergebnis nicht wenig bei, dass gerade damals viel von einer eidgenössischen Hochschule gesprochen wurde und Zürich hoffte, Sitz derselben zu werden. Durch Regierungs- beschluss vom 29. Dezember 1832 wurde der Hochschule das Hinteramt (s. Seite 31) als Wohnstätte angewiesen, allein der Umbau und Ausbau dieser Gebäulichkeiten zog sich noch bis ins Jahr 1838 hinein. Vorerst musste das am 23. Januar 1832 auf-
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gehobene Alumnat (»Seite 29), das nach der ,,N. Z. Z." seit langem nur „eine Pflanzschule der Bequemlichkeit und gesicherten Schlaff- heit" gewesen war, für die Vorlesungen benutzt werden, und ein chemisches Laboratorium wurde ,,in der Chorherren" eingerichtet. Im März 1833 erschien das erste Lektionsverzeichnis: 46 Dozenten der theologischen, staatswissenschaftlichen, medizinischen und philosophischen Fakultät kündigten 105 Vorlesungen an; 161 Studenten hatten sich immatrikulieren lassen (61 Zürcher, 67 andere Schweizer, 33 Ausländer). Auf der Dozentenliste figu- rierten eine Anzahl glänzender Namen. Von den Theologen seien nur erwähnt H. C. M. Rettig aus Giessen und der Badenser Ferdinand Hitzig. An der staatswissenschaftlichen Fakultät wirkten Dr. Wilhelm Snell, Bruder des uns schon bekannten Dr. Ludwig Snell, Freiherr Dr. Ludwig v. Low, der späterhin mit seinem Büchlein , .Zürich im Jahre 1837" die Zürcher nicht wenig ärgerte, aber bei der von ihm selbst konstatierten grossen Gutmütigkeit derselben bald wieder Absolution fand; dann Dr. L. Keller, Kriminalgerichtspräsident H. Escher und Kellers ehemaliger Schüler am politischen Institut J. C. Bluntschli. An der vSpitze der medizinischen Fakultät stand Dr. Lukas Schön lein aus Würzburg, der sich in Deutschland schon eines bedeutenden Rufes erfreute. Schönlein war ein geistreiclier, ori- gineller Mensch und zeichnete sich durch ,, göttliche" Grobheit aus. Wie er den an einem Knödielchen beim Essen beinalie er- stickenden Regierungsrat Ed. Sulzer behandelte, erzählt Dr. Conrad Escher in einer gelungenen Anekdote (Aus Zürichs \"er- gangenheit, I, 23). Öfters hörte man ihn etwa ingrimmig knurren: ,,So was kann auch nur in Zürich vorkommen." Er mag sich diese Redensart angewöhnt haben, seitdem ihm, dem Katho- liken, die Bürgergemeinde Zürich die Aufnahme ins Bürgerrecht verweigert hatte. vSchon im Jahr 1834 wollte ihm der Stadtrat das Bürgerrecht schenken; die deswegen anberaumte Bürger- versammlung vom II. September musste jedoch wegen formeller Einsprachen wieder aufgelöst werden. In der \'ersammlung vom 9. Juni 1836 wurde die Einbürgerung eines Katholiken abermals grundsätzlich scharf bekämpft und die Aufnahme Schönleins mit 205 gegen 191 Stimmen abgelehnt. Damit fiel auch die Aufnahme eines zweiten Katholiken dahin: Junker Jakob Dürler von Luzem
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(Über den nicht abgestimmt wurde). Stäfa hatte inzwischen, schon aus alter Vorhebe für die vStadt, den berühmten Universitäts- professoren (am 26. Oktober 1834) mit seinem Ehrenbürgerrecht beschenkt. Der 1839er Sturm verleidete Schönlein (und andern Dozenten) den Aufenthalt in Zürich und er liess sich nach BerUn berufen. Zur philosophischen Fakultät gehörte der am 20. April 1833 gewählte erste Rektor der Hochschule Zürich, Lau- renz Oken von München, an den heute noch die ,,Okenhöhe" auf dem Pfanuenstil erinnert. Eine Zierde der Fakultät war J. C. V. Orelli. Der vom dankbaren Küsnacht mit dem Bürger- recht und einem Grossratsmandat betraute Dr. Ludwig vSnell, Redaktor des ,,Repubhkaner", dozierte Geschichte und Philo- sophie. Unter den Privatdozenten befanden sich besonders viele Kantonsschullehrer. Zu poUtischer Berühmtheit gelangte der Dozent für Sanskrit und OrientaHa, Dr. Bernhard Hirzel, nachmals Pfarrer in Pfäffikon.
Die Eröffnungsfeier der Hochschule erfolgte am 29. April
1833 in Gegenwart der in Zürich versammelten Tagsatzung im Grossmünster. Ansprachen hielten Bürgermeister Melchior Hirzel und Rektor Oken. Den Schluss bildeten ein Bankett im Kasino und der erste Kommers, den Zürich sah. Die Hochschule hatte von Anfang an mit allerlei Widerwärtigem zu kämpfen. Sie war kaum eröffnet, als ihr Besuch durch die deutschen Regierungen verboten wurde, und zwar infolge des Frankfurter Attentats vom 3. April 1833, wo eine Anzahl Studenten einen sinnlosen Putsch zur Sprengung des deutschen Bundestages unternommen hatte; wer dabei nicht erwischt wurde, floh in die Schweiz. Am 14. März
1834 beschloss Bern die Gründung einer eigenen Universität und vereitelte dadurch Zürichs Hoffnungen auf den Sitz der eid- genössischen Hochschule. Gegen Zürich eröffnete Bern sofort einen unlautern Wettbewerb, indem es ihm Professoren und Stu- denten abzujagen suchte (z. B. durch Verzicht auf jeden Maturi- tätsausweis!). Von den Professoren Hessen sich allerdings nur die Mediziner Dr. Demme und die Brüder Snell für Bern gewinnen. Letztere wurden dann dort die Führer der ,, nationalen Partei" gegen die ,,Burgdorfer Partei" der Brüder Schnell.
Gleichzeitig mit der Hochschule ward die Kantonsschule geschaffen. Sie trat an die Stelle der bisherigen Schulen für höhere
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Berufsarten: Bürgerschule (für das 9. bis 11. Altersjahr) und Gj^mnasium am Chorherrenstift. Das letztere hatte sich in folgende Abteilungen gegliedert: die Gelehrtenschule mit erster Einführung ins Altertum (der Vorsteher hiess „Ludimoderator"); das untere Kollegium (Collegium humanitatis im Fraumünster- stift) ; das obere Kollegium (Carohnum, Gymnasium im engern Sinne, im Chorherrenstift). Dann bestand noch die 1773 gegrün- dete „Kunstschule" (im Anschluss an die Bürgerschule) als Vorbereitung zum Eintritt in handvverkhche oder Handels-Lehre oder zu höheren mathematischen, technischen und kaufmännischen vStudien. Den Mangel einer Universität ersetzten bis 1833 einiger- massen das medizinisch-chirurgische Institut (gegründet 1782, seit 1804 Kantonal- Anstalt) , das politische Institut für künftige Verwaltungsbeamte und Juristen (gegründet 1807 auf Anregung von Escher von der Linth, L. Meyer v. Knonau und Konrad v. Meiss) ; das technische Institut (seit 1826) zur Weiterbildung in mathematischen, naturwissenschaftlichen und sprachHchen Fächern, unterhalten von einem Privatverein, der sich nach Gründung der Industrieschule auf Ostern 1833 auflöste. Die neu gegründete Kantonsschule gliederte sich ebenfalls in zwei Abteilungen: Gj'mnasium (unteres und oberes) und Indu- strieschule (untere und obere). Beide wurden am 22. April 1833 feierhch eröffnet. Ihre Lokahtäten befanden sich im Chorherren- gebäude und im Haus zum ,,Loch". 1835 beschloss der Regie- rungsrat, an vStelle des erstem einen Neubau in byzantinischem Stil zu errichten, allein man kam von dem Plane wieder ab, und am 7. Dezember 1837 entschied sich der Regierungsrat für den Bauplatz auf dem ,,Rämi-Bollwerk". Am 15. August 1842 konnte der von Architekt Wegmann erstellte Bau bezogen werden. Dr. F. Meyer erzählt davon in seinen ,, Erinnerungen": ,,Auch die dortige Gegend hatte infolge der Schanzenschleifung eine neue Gestalt erhalten. Die Krautgartengasse, die vorher zum Hot- tingerpörth geführt hatte, war nun durch eine gerade Strasse mit dem Zeltweg verbunden und dieser selbst verbreitert worden. Damit begann dort auch der Bau neuer Häuser; besonders gross- artig für damahge Begriffe waren die Escherhäuser, für meine Erinnerung die erste Privatbaute, die von dem Erbauer nicht nur als Wohnung für ihn selbst, sondern als Kapitalanlage errichtet
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wurde. Für den Wolfbach wurde zur Ablagerung des Geschiebes ein Bassin erbaut, das im Winter als Eisbahn sehr frequentiert war. Zwischen diesem und dem Schulgebäude war der neue Turn- platz angelegt, in der Mitte ein gewaltig hohes Klettergerüste mit Leiter, Stange und Seil . . . Schon lange Zeit vor der Ein- weihung hatte der Gesanglehrer mit uns den Chor aus Rombergs Komposition von Schillers Glocke: .Holder Friede, süsse Ein- tracht' eingeübt. Als dann bei den letzten Proben alle Klassen zusammengezogen wurden und zu unsern Knabenstimmen nun auch die Bässe der .Grossen' erschollen, so machte mir dieser erste ,gemischte Chor', an dem ich teilnahm, einen gewaltigen Eindruck. Und die Feier selbst war vollends ein wichtiges Ereignis. Behör- den und Schüler versammelten sich in dem Singsaal, der schon durch seine Grösse und Höhe, sowie durch die nach damaligen Begriffen sehr schöne Bemalung der Wände uns imponierte und nun noch durch Topfpflanzen dekoriert war. Die Reden des Präsidenten des Erziehungsrates und des Rektors Uessen wir ohne zu grosse Aufmerksamkeit über uns ergehen, unser Gesang aber war prächtig. Am Abend wurden auf dem Schützenplatz an der Limmat, der ausser dem jetzigen Platzspitz auch den ganzen Bahnhofplatz und die Gessnerallee in sich fasste. Spiele gemacht, und im Schützenhaus (ungefähr an der Stelle des jetzigen Schützen- gartens) hatten wir Schüler ein Abendessen."
Auch der Kantonsschule blieben in ihrer Jugend gefährhche Stürme nicht erspart. Die schlimmste Krisis hatte sie 1836 zu bestehen, als Winterthur, von der Stimmung der Landschaft sehr begünstigt, ernsthafte Anstrengungen machte, Sitz der Kantonsschule zu werden. Die Stadt Zürich hatte bisher wenig Lust gezeigt, an die Baukosten und den Unterhalt der höhern kantonalen Lehranstalten einen erheblichen Beitrag zu leisten. Sie ging von der Ansicht aus, dass ihr bei der Ausscheidung zwischen Stadt und Land ihr früheres Eigentum genommen und nur das zum Leben Notwendige gelassen wurde. Nun wäre es unbillig, wenn sie ihr Privatvermögen noch einmal für die Kantonal- anstalten hergeben sollte. Die Winterthurer Gemeindeversamm- lung vom 2. Februar 1836 dagegen stellte ein Baukapital von 400,000 Fr. und einen Jahresbeitrag von 16,000 Fr. zur Verfügung, wenn die Kantonsschule Winterthur zugesprochen werde. Der
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radikale ,, Republikaner" bezeichnete diesen \'orstoss als eine sehr nützliche „Demonstration gegen Zürichs PlüHsterei und Geiz", und der am i. März 1836 zum erstenmal erschienene Winterthurer „Ivandbote" bemühte sich vor allem, der Landschaft und den Landgrossräten die von Winterthur vorgeschlagene Lösung plau- sibel zu machen. Die stadtzürcherische Gemeindeversammlung vom 3. März 1836 beschloss daraufhin fast einstimmig, einen Jahres- beitrag von 20,000 Fr. zu übernehmen, solange die höhern Lehr- anstalten in Zürich verbleiben würden (alt Bürgermeister C. v. Mu- ralt und Bürgermeister J. J. Hess hatten überdies je 16,000 Fr. geschenkt, um der Stadt die zu übernehmende \'erpfHchtung zu erleichtern). Am 22. März wurde darüber im Grossen Rate de- battiert. Mit nobler Selbstverleugnung trat Regierungsrat Ed. Sulzer von Winterthur im Interesse der Schule und Wissenschaft dafür ein, dass die höhern Lehranstalten nicht auseinandergerissen werden sollten, und seinem Beispiel folgte der Sprecher der Winter- thurer, Reinhart-Hess, indem er seine Anträge zurückzog.
Am 27. Dezember 1836 beschloss der Grosse Rat den Bau des Kantonsspitals in dem ,, Schönhaus" genannten Spitalgut. Die Spannweid sollte alsdann als Kranken- und Versorgungsanstalt aufgehoben, die Pfründer und Hauskinder derselben in den alten Spital bei der Predigerkirche, die Krauken des Spitals und der Spannweid aber in das neue Krankenhaus versetzt werden, .so dass der alte Spital neben der Irren- und Gebäranstalt dann aus- schliessHch als Versorgungsanstalt für alte, gebrechliche, elende und unheilbare Personen benützt werden konnte. ,,Am 20. Juni 1842 wurde das neue Krankenliaus eröffnet und 109 Patienten aus dem vSpital und q aus der vSpannweid in verschiedenen Arten von Wagen schnell dalün versetzt und eine Einweihungspredigt gehalten" (Vogel). Schönleins Nachfolger, Prof. Dr. Carl Pfeufer, schrieb nach Eröffnung der Khniken an seinen Vater: ,,Wenn ich in mein herrhches Spital gehe und bedenke, wie die Losreissung von einer peniblen und verhältnismässig unfruchtbaren Praxis mich in die glückUchste Lage zu wissenschafthcher Ausbildung gesetzt hat, so möchte ich Herrn v. Abel die Hand küssen, der mir den Weg aus Bayern so leicht machte." Aus privaten ^Mitteln wurde der Neubau der (1809 gegründeten) Blindenanstalt an der Stelle der ehemaligen Kronenporte erstellt. Die Anstalt nahm
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seit 1827 auch Taubstumme auf. Ihr neues Heim wurde am 2. Oktober 1838 festlich eingeweiht. Bis dahin hatte sie im Haus zum Brunnenturm Unterkunft gefunden. Die 1820 gestiftete, 1823 verbesserte Tierarzneischule wurde durch Gesetz vom 13. Januar 1834 nach den Forderungen der Wissenschaft und den Bedürfnissen des Kantons Zürich erweitert und eingerichtet. Ihr erstes Lokal war das sogenannte Enderlinsche Anwesen zunächst der ,, Hauptgrub". Nach Aufhebung der vScharf richterstelle, 13. Januar 1834, wurde ihr das Wohnhaus des vScharfrichters am Sihlkanal angewiesen; der ohne Entschädigung entlassene Scharfrichter (Vollmer) starb an gebrochenem Herzen. Durch Regierungsbeschluss vom 30. Dezember 1834 war die Verlegung des Botanischen Gartens der physikalischen Gesellschaft vom „Schimmelgut" in Aussersihl nach dem stehen gebUebenen Boll- werk „zur Katze" gutgeheissen worden. Die »Stadt spendete (13. Juni 1837) mit Anrechnung privater Gaben für diese Neu- anlage 50,000 Fr. Seine abschliessende Vollendung erhielt er erst 1839. Obergärtner („Universitätsgärtner") wurde der Deutsche L. Th. A. Fröbel. Älit den Besitzern des benachbarten Wasser- turms wurde ein Vertrag abgeschlossen für Zuleitung von Wasser zu einem Springbrunnen und Sumpfpflanzenteich.
Den Glanzpunkt der Umgestaltungen der dreissiger Jahre bildet die Schulreform. ,, Neben den guten Strassen," sagte Eduard Sulzer, ,,ist die neugeschaffene Schule die Krone unter den Leistungen dieser denkwürdigen Zeit." Seit Erlass des Unterrichtsgesetzes bis Ende 1843 entstanden 141 neue, zum Teil recht schöne Schulhäuser im ganzen Kanton herum, deren Ein- weihung jedesmal für alt und jung ein frohes Fest war. Vor allen Dingen aber wurde für eine tüchtige Lehrerbildung gesorgt. Vom 30. September 1831 datiert das ,, Gesetz betreffend die Errichtung einer Bildungsanstalt für Schullehrer". Zu seinem Sitz erkor am 25. Januar 1832 der Erziehungsrat unter sieben Gemeinden Küsnacht, welches seiner Eingabe den Satz beigefügt hatte: ,,Die Schullehrer sollen auch die freisinnigen Ideen im ganzen Kanton verbreiten und befestigen, und dies wird geschehen, wenn sie in möghchst freisinnigen Umgebungen gebildet wurden, wie das in Küsnacht der Fall ist". Zum Seminardirektor wurde am 29. Februar 1832 Ignaz Thomas Scherr gewählt, der Mann,
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aus dessen Hand Plan und Methode der Volksschule hervor- gegangen waren und der sich in rastloser, aufreibender Tätigkeit die grössten Verdienste um die zürcherische \'olksschule erwarb. Am 7. Mai 1832 wurde das Seminar im NägeHschen Privatgut „Zum Seehof" in Küsnacht eröffnet; dank den Bemüliungen Scherrs konnte es 1834 in das sogenannte Amthaus, das frühere Kloster oder die Johanniter-Komthurei übersiedeln. Gleichzeitig wurde ihm auch die Heranbildung von Sekundarlehrern über- tragen. Mehrmals sprach sich noch 1835 der konser\-ative ,, Kon- stitutionelle" mit begeisterter Anerkennung über die Leistungen des Seminars und der neugeschaffenen \'olksschule aus. Intensiven An- teil hatte Scherr auch an der Schaffung der neuen Lehrmittel für die Volksschule. Das Gesetz vom 24. September 1833, um- gearbeitet 1837, brachte die Organisation der Sekundärschule. Das Straf- und Gerichtswesen wurde gründlichst umgestaltet, mit den Resten mittelalterlicher Justiz abgefahren und statt des Richtschwertes das Fallbeil eingeführt. Verfasser des am 24. Sep- tember 1835 erlassenen »Strafgesetzbuch es war Oberrichter Johann Caspar Ulrich (geboren den 6. »September 1796, ge- storben 14. Oktober 1883). Ihm sprach im Namen des Grossen Rates sein politischer Gegner, Dr. L. Keller, Dank und Anerken- nung aus, und die Universität Zürich belohnte seine \'erdienste mit der Verleihung des Ehrendoktortitels (1838). Oberrichter Ulrich, .Sohn des gewesenen Landschreibers \-on Andelfingen (siehe Seite 22) besuchte die Universitäten von BerUn und Paris. Wäh- rend der Vater das in Zürich übernommene Notariat besorgte, stand die kluge, hochbegabte Frau Landschreiber der Buch- druckerei Berichthaus vor und ermögHchte danüt dem Sohn nach seiner Heimkehr eine höchst ehrenvolle und einflussreiche öffent- Uche Tätigkeit. Seit 1820 wirkte er als Lehrer am poUtischen Institut, wurde 1823 Amtsrichter, 1831 Oberrichter. Dem Grossen Rat gehörte er von 1830 bis 1853 an, war dreimal Präsident des- selben, und es gibt Bände des Protokolls, in denen sozusagen auf jedem Blatt sein Name zu finden ist. Von gemässigt kon- servativer Richtung, scharfer Logik und klarer Diktion, führte LHrich öfters in wichtigen Fragen die Entscheidung herbei. Auch im Grossen Stadtrat und in der Gemeindeversammlung war ein Votum Dr. Ulrichs in der Regel von durchschlagender Wirkung.
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Nur flüchtig streifen können wir die ausserordentliche Frucht- barkeit der Regenerationszeit auf andern gesetzgeberischen Ge- bieten : die Landwirtschaft beglückte sie mit der Herabsetzung des Salzpreises, dem Loskauf der Zehnten und Grundzinse. Die volle Gewerbefreiheit erschien selbst jener radikalen Zeit noch als ein so ungeheuerhcher Umsturz, dass man sie nicht einzuführen wagte. ,,Es geht die Sage," hiess es im ,, Vaterlandsfreund", ,,die Hand- werke sollen aufgehoben, gänzUch freigegeben werden! Jeder könne treiben, was er wolle, zu was er Lust, Talent, Vermögen, Ge- legenheit habe! So vielerlei, als ihm einfalle" usw. Das erschien der tausendköpfigen Handwerkerversammlung von Bassersdorf am 8. April 1832 als Vernichtung des Gewerbes, als ,,Grab des Bürgertums". Man begnügte sich daher zunächst mit einer halben Gewerbefreiheit, und erst am 26. September 1837 wurde mit dem bisherigen Zunftsystem gänzlich gebrochen und alle Handwerke freigegeben. Im Jahr 1838 wurden alle Weggelder im Innern ab- geschafft und an die Grenzen verlegt, womit die Zölle an der Stadtgrenze von Zürich und Winterthur aufhörten (ein Bankett im neuen Hotel Baur im Dezember 1838 feierte diesen Sieg). Von besonderer Bedeutung auch für die Stadt Zürich waren die Ge- setze vom 30. Mai 1831 über die Gemeindeverwaltung und Ge- meindeversammlung. Das erste Staatssteuergesetz erschien am 29. Juni 1832. Fünf Gesetze ordneten die Bezirk-sverwaltung. Die Militärorganisation des Kantons Zürich datierte vom 8. August 1832; die drei Waffengattungen besassen treffHche Instruktoren in den hochgebildeten Offizieren Oberst Salomon Hirzel (Ar- tillerie), Major Bruno Uebel, einem in Herrliberg eingebürgerten Deutschen (Kavallerie), und Oberstl. Johannes Sulzberger von Frauenfeld (Infanterie). Viel glimpflicher als man es bei dem Radikalismus der Machthaber hätte erwarten sollen, kam in der pohtischen Umgestaltung des Kantons die Kirche weg. Zwar stärkte das Kirchengesetz vom 25. Oktober 1831 trotz Protesten der Geistlichkeit die Stellung des Staates ihr gegenüber; auch gegen die wissenschaftHch-theologische Lehrfreiheit an der Universität, welche ,,den Irrlehren Tür und Tor öffnen werde", vermochte die Opposition nichts auszurichten. Das Recht der Pfarrwahl hatte den Gemeinden schon die neue Verfassung ge- währt. Den Pfarrern wurde aber auch das Präsidium der Gemeinde-
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scliulpflegeu übertragen, und alle Angriffe der Lehrerschaft gegen dieses Privilegium nützten nichts; es bheb dabei noch bis über 1869 hinaus!
Hand in Hand mit der poHtischen Erneuerung ging ein un- gemein reges geistiges und geselüges Leben in der vStadt Zürich, an dem es ihr übrigens auch unter der alten Regierung nie gefehlt hat. Aber nun bildeten die neuen Lehranstalten und die Anwesen- heit der zahlreichen deutschen Professoren ein neues anregendes Element. ,,Es galt, sowohl an der Kantons- und Hochschule, als im Leben überhaupt ein einträgliches und ausgleichendes Zu- sammenwirken aller, des schweizerischen und des deutschen Wesens, anzubahnen und festzuhalten". Ludwig v. Low rühmt in dem erwähnten Büchlein die Eintracht und Harmonie, die unter dem akademischen Lehrerkollegium herrschte. ,,\^on den sonst unter Umversitätslehrern leider so häufigen Zänkereien, Spaltungen und Intriguen findet sich fast keine Spur. In einer wöchentHchen Abendvereinigung findet man fast alle ohne Unterschied des Alters, der poHtischen oder wissenschafthchen Ansichten einträchtig ver- sammelt." Als Bindeghed zwischen den Professoren und den Ge- bildeten unter der städtischen Bevölkerung konnten die \-er- schiedenen Gesellschaften gelten, denen die erstem beitraten. Im Frühjahr 1834 gründeten Hans Konrad Ott-Usteri und Direktor Hans Konrad Pestalozzi-Hirzel die ,, Museums- oder Lesegesellschaft", die anfänglich auf dem ,, Rüden" (später im Neubau Marktgasse) Lesesaal und Bibhothek besass. Sie war entstanden durch Verschmelzung der 1808 gegründeten Lese- gesellschaft der Gelehrten auf der Chorherrenstube mit der 1828 gegründeten kaufmännischen Lesegesellschaft. Am i. Juni 1832 gründete Ferdinand Keller V.D.M. (f 21. JuH 1881) die Antiquarische Gesellschaft, wozu ihm die Aufdeckung eines keltischen Grabhügels beim Burghölzli die Anregung gegeben hatte. Durch Hans Georg Nägeli von Wetzikon, den begeisterten Pestalozzianer und streitbaren Politiker, erhielt das Gesangsleben einen ausserordentlichen Aufschwung. Er ist der Schöpfer der Männerchöre, denen er seine weihevollen Lieder auf den Weg mit- gab. Überall im Kanton entstanden Sängervereine. 'Slan las mit Rührung, wie der Sängerverein von Wald dem am 27. Juh 1827 im ,, Pfauen" zu Rapperswil auf dem Sterbebette Hegenden Dichter
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Martin Usteri die letzten Lebensstunden versüsste. L. v. l,öw bemerkt über Nägeli: ..Ein gewisses Selbstgefühl, ja eine Art Übermut, wie man ihn gerne bei genialen Menschen mag, trat überall hervor und kleidete ihn wohl. Man erzählt sich unter anderm, dass, als im Erziehungsrat, dessen Mitghed er war, die \'eTbesserung des Unterrichts im Gesang beschlossen worden, er den Antrag gestellt, für Angabe der zweckmässigsten Mittel eine Kommission zu ernennen, bestehend aus den drei Männern, die einzig der Sache kundig seien, nämüch dem Haus, dem Georg und dem Nägeli." Wie Geizer meinte, gUch Nägeli im Charakter auffallend seinem vertrauten Freunde Pestalozzi und besass ,, die- selbe Glut für heihge Menschheitsinteressen, dieselbe kindliche Unkenntnis aller Bedingungen des äusserhchen, bürgerhchen Be- stehens und Fortkommens". Sängervater Nägeh starb tief be- trauert am 26. Dezember 1836 und wurde am letzten Tag des Jahres beerdigt. Eine erhebende Totenfeier fand am i. Juni 1837 im Fraumünster statt.
Staunen und Bewunderung wird die Schaffensfreudigkeit der dreissiger Jahre immer erregen, allein das Bild hatte auch seine Kehrseite. Dieser Fortschritt in Siebenmeilenstiefeln eilte dem Verständnis des Volkes weit, weit voraus. Führer und Volk rede- ten bald nicht mehr die gleiche Sprache, hatten sich vielleicht von Anfang an mehr oder weniger missverstauden. Das ver- heissene goldene Zeitalter hatte sich das Volk hauptsächUch als Erleichterung seiner ökonomischen Lasten gedacht, und nun trat ja gerade das Gegenteil ein: ein ganz unerhörtes Anziehen der Steuerschraube, besonders für das Schulwesen. Da wurden auf einmal die alten Herren mit ihrer ,, weisen Sparsamkeit" wieder wert, und was es kostete, das von ihnen Versäumte nachzuholen, schrieb man der ,, leichtfertigen radikalen Verschwendungssucht" aufs Konto. Selbst im Grossen Rate zeigte es sich, dass die Hoch- schule und ähnliche Schöpfungen von einigen Landvertretern für nicht viel mehr als kostspielige Liebhabereien angesehen wur- den. Über alle Bedenken und Einwände stürmten aber die radi- kalen Juristen der Hauptstadt rücksichtslos hinweg, und ob das Volk nachzukommen vermöge oder nicht, danach fragten sie zu- letzt. Hatten die gnädigen Herren von ehemals mit ihrer väter- lichen Pedanterie doch immerhin viel Güte und aufrichtiges Wohl-
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wollen für das Volk verbunden, so waren diese Demokraten von solchen Schwächen völhg frei und sie spreizten sich gelegentlich mit einer förmlichen Volksverachtung, die sich auch schon in ihrer völhgen Wurstigkeit gegenüber der ihre Person beurteilenden öffentHchen Meinung ausdrückte. Sie schufen Grosses, das die konservative Bedenklichkeit und Knauserigkeit der alten Zeit nie zu schaffen imstande gewesen wäre, sich selber bereiteten sie mit ihrem Übermut den Untergang.
Nicht ungewarnt ! Es wetterleuchtete am Horizont schon bedenklich, als die Regeneration kaum begonnen hatte, und lehr- reiche Vorkommnisse zeigten, in welcher Geistesverfassung die Masse des Volkes sich noch befand. Zum Beispiel der Aufruhr von Baunia im Juli 1832, wo sich ein 74Jähriger lediger ]\Iann erhängt hatte und auf Anordnung des Statthalters im Kirchhof beerdigt wurde. Das wollte das christliche Volk von Bauma nicht dulden und grub den Mann wieder aus. Eine Abordnung von drei Regierungsräten und ein Aufgebot von 24 Landjägern vermochten nicht, dem Selbstmörder im Friedhof der braven Leute ein Grab zu sichern. Er musste in einem extra angekauften abgelegenen Stück Land verscharrt werden. Oder der Brand von Uster an der Feier des Ustertages, den 22. November 1832 ! Hatte man dem Volk nicht am Ustertag versprochen, die Webmaschinen abzuschaffen ? Man hatte es angelogen, und nun schritt es zur Selbsthilfe. Die Spinnerei Corrodi wurde angezündet. ,,Ich weiss, was ich tue," sagte der Anführer der Brandstifter, Felix EgU von Bäretswil, ,,denn ich bin jetzt 51 Jahre alt, aber wir sind es uns und unsern Kindern schuldig, die Maschinen zu zerstören, weil sie uns um unsern Verdienst bringen. Diese muss verbrannt sein; bis dahin haben wir keine Ruhe und kein Glück." Bald loderten die Flammen aus den Fenstern. Die Regierungsräte Fierz uiid Bürgi, Delegierte des Bassersdorf er- Vereins zur Uster- tagfeier, wehrtet! mit aller Macht ; Fierz, für den Eigentümer Corrodi gehalten, wurde beinahe niedergeschlagen. Wilhelm Füssli rief der Volksmenge zu: ,,Mir nach, wer \'aterland, Ordnung und Eigentum heilig hält!" Die IMehrzalil der Anwesenden folgte ihm zum Fest- platz, die Brandstifter wurden überwältigt. In seiner Ansprache an die \'ersammlung sagte FüssH: ,,An diesem Tag hat vor zwei Jahren das \'olk den schweren Kampf gegen die Aristokratie,
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heute den schwereren gegen die Anarchie siegreich bestanden!" In Zürich war man womöghch noch bestürzter als vor zwei Jahren am Ustertag. Die wehrfähige Mannschaft sammelte sich „zu den Pannern" und bewachte die Tore bis zum Morgen. Aber schon um \-ier Uhr nachmittags kam ein Leiterwagen mit 56 gefesselten \'erhafteten, und alles atmete auf. Vieljährige Kerkerstrafe traf die Unglücklichen. In dieses Kapitel gehört auch das „Revo- lutiönchen" von Stadel im Jahr 1834. Die Wehntaler wollten von der religionsgefährhchen „neuen Lehre", die aus dem Seminar Küsnacht kam, nichts wissen und verbaten sich insbesondere die verdächtigen neuen Lehrmittel. Als der Grosse Rat über ihre Petition zur Tagesordnung schritt, drang das Volk am 14. Mai zu Stadel und Raat in die Schulhäuser ein und warf die Beherr- schen Sprachtabellen zum Fenster hinaus. Zwanzig Landjäger stellten die Ordnung wieder her. War es nicht, nach rückwärts projiziert, genau der ,,Züriputsch" von 1839? Wer Ohren hatte, konnte das dumpfe Grollen des heraufziehenden Gewitters jetzt schon vernehmen; unheimUch pfiff der Wind vom Oberland her, und über den sich kräuselnden Wellen flatterte als Sturmvogel, jähen Fluges und bald wieder entschwindend, der Name Strauss! Es war im Jahr 1836, als das Zürcher Volk zum erstenmal von diesem IManne hörte. Im Erziehungsrat war beantragt worden, den Tübinger Theologieprofessor zum Nachfolger des verstorbenen Rettig zu berufen. Hans Georg Nägeli war Feuer und Flamme gegen einen solchen Antrag und schrieb seine letzte Streitschrift: ,, Laienworte über Dr. Strauss Leben Jesu und Ansichten gegen dessen Berufung an die Universität Zürich". Auch der Präsident, Bürgermeister Melchior Hirzel, bekämpfte mit Lebhaftigkeit den Antrag, und es wurde Elwert berufen. ,,Die Sache ist, denke ich, beseitigt", schrieb Hirzel an einen Bekannten . . .
ZEHNTES KAPITEL
EIDGENÖSSISCHE FRAGEN
Waren es nicht Probleme der iunem Verwaltung, an denen der Parteikampf in der Stadt Zürich sich entzündete, dann boten dazu um so reichlichere Veranlassung die eidgenössischen Angelegenheiten. vSo Hessen insbesondere die Bas 1er und die Schwyzer Wirren die Leidenschaften emporlodern. In Schwyz verhielt sich der alte Landesteil, Inner-Schvvyz, ablehnend gegen Gleichberechtigungsforderungen der äussern Bezirke (March, Wäggital, Höfe etc.), die sich deshalb im April 1832 als eigener Stand ,,Ausserschwyz" konstituierten und Aufnahme in den Bund begehrten. Basel machte seiner Landschaft nur so geringe Zu- geständnisse, dass diese die völlige Trennung anstrebte. Drei- mal suchten im Jahre 1831 mihtärische baslerische Expeditionen die Landschaft heim, eine vierte erUtt am 7. April 1832 bei Gelter- kinden eine Niederlage. vSelbstverständlich sjtnpathisierte die Stadt Zürich mit Basel und Innerschwyz, die Landschaft und die radikale Partei mit Basellaud und Ausserschwyz, und von die- sen Positionen aus wurden in der Presse, in \'ersanimlungen und im Grossen Rat die hitzigsten Gefechte geliefert. Zur Abmahnung von geplanten Freischarenzügen nach Basel hatte die Regierung schon im August 1831 eine Proklamation erlassen. Die Tagsatzung sprach sich am 14. September 1832 für die Trennung von Basel, Stadt und Landscliaft, aus. Gegen diesen Beschluss erhoben Basel, Uri, Schwyz, Unterwaiden, WalHs und Neuenburg Protest. Diese Stände (ohne WalHs) schlössen am 14. November 1832 in Samen einen neuen vSonderbund, den ,, Sarnerbund", mJt dem Zweck, die Zulassung von Baselland und Ausserschwyz zur Tag- satzung zu verweigern und keine Re\ision der Bundesurkunde von 1815 zuzulassen. Nachdem am 22. April 1833 die Tagsatzung auch eine Vertretung \-on Ausserschwj'z aufzunehmen beschlossen hatte, schlug der Samerbund los. Am 31. Juli 1833 besetzte Oberst Theodor Abj'berg mit 600 I\Iann und 4 Kanonen Küsnacht,
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das zu Ausserschwyz hielt. Die Baselstädter unter Oberst Vischer aber holten sich am 3. August bei Pratteln eine neue Nieder- lage. Nun schritt die Tagsatzung mit grösster Energie ein. Der Vorsitzende, Bürgermeister J. J. Hess, sonst eher ein schwanken- der Charakter, zeigte sich der Situation vollkommen gewachsen, und das zürcherische Kontingent zur Besetzung von Basel und Schwyz war besonders stattlich. Wenn eine anonyme Broschüre unter dem Titel: ,,Das entlarvte Standeshaupt oder Trembleur Hess von Zürich" den Bürgermeister als ,,kour agierten National- grobian" bezeichnete, so war das für ihn ein Komphment. In Basel bUeb es bei der Trennung, in Schwyz, wo kein Blut geflossen war, versöhnte man sich unter der Garantie einer neuen Verfassung. Den Sarnerbund hatte die Tagsatzung schon am 12. August als aufgelöst erklärt. Die kraftvolle Entschiedenheit, mit welcher die Eidgenossenschaft diesen Zwist aus der Welt schaffte, machte den günstigsten Eindruck. ,,In wenigen Tagen haben wir ein Jahr- hundert zurückgelegt", sagte die ,,N. Z. Z.".
Einen weniger rühmhchen Verlauf nahmen die Anstreng- ungen für eine Revision der Bundesverfassung von 1815. Hier kämpften die Stadtkonservativen teils gegen jede Revision, teils für eine Revision in mehr föderalistischem Sinne. Auch die Radikalen spalteten sich. Die einen waren für Vermittlung, die andern für einen zentraUstischen Vorstoss. Es kam vor, dass von den beiden Bürgermeistern Hirzel die eine, Hess die andere An- sicht im Grossen Rat vertrat. Der Ende 1832 von der Tagsatzung zustande gebrachte Entwurf der neuen Bundesverfassung war ein Werk des ,,juste-miUeu"; als erster hat ihn am 10. Juni 1833 der Grosse Rat des Kantons Zürich mit 124 gegen 54 (konservative) Stimmen angenommen. Aber in den meisten andern Kantonen war die Aufnahme so frostig, dass die Revision am 10. Oktober 1833 von der Tagsatzung aufgegeben wurde.
Grossartig war zu allen Zeiten die Hilfsbereitschaft Zürichs für das Unglück im eigenen Vaterland oder in der Fremde. Als die Stadt noch wenig über 10,000 Einwohner zählte, hat sie wieder- holt an einem einzigen Januarsonntag Eiebessteuern im Betrag von 14,000 bis 18,000 Gulden zusammengebracht, Summen, die von der Stadt der 200,000 an einem Bettag oder Reformations- sonntag nicht mehr erreicht werden. Flüchtlinge aller Na-
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tionen fanden in ihren Mauern die gastlichste Aufnahme. Das erfuhren 1821 schon die Griechen in ihrem unglückhchen Auf- stand gegen die Türken. Für die im Jahr 1823 besonders zahl- reich in Zürich eingetroffenen Griechen wurde in jeder Hinsicht gesorgt. Major Fäsi exerzierte mit ihnen und Hess sie an einem Manöver bei Wipkingen teilnehmen. Der Theologiestudent C. H. Schweizer hielt für sie Bibelstunden in neugriechischer Sprache. Der Griechenenthusiasmus in Zürich war ausserordentlich und der vom Chorherrn Joh. Heinr. Bremi am 11. November 1821 gegrün- dete Griechenhilfsverein leistete Bewunderungswürdiges. Er rüstete sogar Freischaren nach Griechenland aus, wurde allerdings auch gelegentUch schwer hereingelegt, so von dem SendUng des ,, osthellenischen Areopags, Kephallas vom Olymp". Der bay- rische Philhellene Oberst Heidegger, welcher in Nauplia Gaben verteilte, war ein geborner Zürcher. Beim Sturm auf Athen er- stieg ein Zürcher als erster die Ringmauer der Stadt. Der Medizin- student J. J. Meyer von Schöffiisdorf, in dessen Armen Lord Byron gestorben sein soll, richtete in Missolunghi ein Spital von 80 Betten ein und starb am 28. April 1824 den Heldentod beim Untergang der Stadt. Den fremden Gesandten in der Schweiz war diese Unterstützung der ,, modernen Argonauten", in denen sie nur Aufrührer salien, ein Greuel. Capo d'Istria allerdings machte nun keine Schwierigkeiten mehr. Nachdem er 1816 rus- sischer Minister des Äussern geworden und 1822 gestürzt war, privatisierte er in Genf und förderte nach Kräften die Sache seiner Landsleute. Sie wählten um im Mai 1827 zum Präsidenten der griechischen Republik, allein schon am 31. Oktober 1831 wurde er von den beiden Mauromichalis unter dem Portal der Kirche St. Spiridion zu NaupUa erdolcht.
Nicht mit den Griechen erst hatten die Reklamationen der fremden Mächte bei der Schweiz begonnen. Schon von 1814 an und sozusagen das ganze 19. Jahrhundert hindurch bildete die Asylfrage immer wieder den Anlass fremder Einmischung. Wegen der Flüchtlinge wurde die Gesinnung des Zaren Alexander gegen die Schweiz sehr unfreundlich, und auch Franz I. machte den vScliweizern harte \"orwürfe. Die Tagsatzung suchte sich umsonst mit dem ,, Press- und Fremdenkonklusum" vom 14. Juli 1823, das die Presse und die Flüchtlinge unter strenge Kontrolle
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stellte, Rulie zu schaffen. Erst als die Macht der Reaktion in Eu- ropa etwas nachzulassen begann, konnte (am 8. Juli 1829) dieses Konklusum aufgehoben werden. Doch der Zustrom von Flücht- Hugen erneuerte sich immer wieder und damit der Notensturm der Mächte. 1832 reisten 243 Polen durch Zürich. Auch zu ihrer Unterstützung bildeten sich \'ereine und kamen grosse Summen zusammen. Ein starker Trupp Polen traf am 9. April 1833 in Saignelegier im Berner Jura ein. Es waren zum Teil grobe, brutale AdeUge, die sich frech in die innern Angelegenheiten unseres Lan- des einmischten und der Schweiz Verlegenheiten bereiteten. Auch italienische Revolutionäre, unter ihnen Mazzini, flüchteten scharenweise in die Schweiz. Polen und Italiener unternahmen am I. Februar 1834 einen tollen Einfall nach Savoyen, welcher gänzHch misslang, aber die Schweiz nötigte, IVIitte Juni eine Ent- schuldigungsdeputation an König Karl Albert auf Schloss Cham- bery in Savoj^en zu senden. Einige Studenten der Universität Zürich, die an dem Zug teilgenommen hatten, wurden relegiert. Besonders zahlreich waren in den zwanziger und dreissiger Jahren die deutschen Flüchtlinge. Manche von ihnen bewährten sich als tüchtige Leute und erlangten in der Schweiz als Lehrer oder Politiker — oder auch beides — einflussreiche Stellungen. Die Flüchtlinge Dr. Fein und Dr. Kom_bst waren Redaktoren der ,,N. Z. Z.", Dr. Schauberg Redaktor des ,, Konstitutionellen". Nach einer von den deutschen Revolutionären am lo./ii. August
1834 in Zürich abgehaltenen Versammlung fanden einige Ver- haftungen und Ausweisungen statt. Am Morgen des 4. November
1835 fand man auf dem Fussweg an der Sihl, zwischen SihlhölzU und Wollishofer Ahmend, den deutschen Studenten Ludwig Lessing von zahlreichen Dolchstichen durchbohrt. Er galt als Polizeispitzel und seine Mörder wurden nie entdeckt. Man \'er- mutete sie unter den ^Mitarbeitern des ungefähr in der Sx^rache der heutigen extremen »Sozialistenpresse geschriebenen revolu- tionären Blattes ,,Das NordÜcht". 1836, am 23.724. Mai, hielten die Jungdeutschen im Lavatergüth in der Enge ihr ,, Nachtparla- ment". Sie wurden von der Tochter des Hauswirts belauscht und denunziert. Die Folge war das Gesetz vom 29. September 1836, das den FlüchtHngen und übrigen Landesfremden die Bei- bringung von Schriften auferlegte und ihren Aufenthalt an eine
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Bewilligung des Regierungsrates knüpfte. Die Tagsatzung hatte es nicht leicht, auf die Noten der fremden Mächte immer die rich- tige Antwort zu finden. Die Radikalen fanden sie den fortwäh- renden Zumutungen gegenüber zu nachgiebig, und eine am 21. August 1836 auf der Ägerten in Wiedikon abgehaltene schweizerische Volksversammlung sollte ihr den Rücken stärken. Es sprachen die Regierungsräte Zehnder und Eduard Sulzer, vStatthalter Gujer, Hans Georg Nägeli und besonders hitzig in seinem breiten Schwäbisch Semiuardirektor Scherr, dem dieses Auftreten sehr verübelt wurde.
Zu den schwierigsten Auseinandersetzungen kam es mit Frankreich wegen des Pohzeispitzels Conseil. Der französische Gesandte Montebello, der nicht wusste, dass Conseil bezahlter PoHzeispion sei, hatte brüsk dessen Ausweisung aus der Schweiz verlangt, da er am Attentat Fieschis auf Ludwig Philipp am 28. Juli 1835 beteihgt gewesen sei. Da stellte sich ihm der Ehren- mann in seinem wahren Charakter vor und erhielt einen vor- datierten Pass auf den Namen Fran9ois Hermann. Graf IMonte- bello beharrte aber der vSchweiz gegenüber auf der Forderung der Ausweisung von Fieschis angeblichen Mitschuldigen. Dr. Lud- wig Keller von Zürich, damals Tagsatzungsgesandter, Hess ohne Befragung der Regierung seinen Bericht über die Affäre drucken und erregte mit der öffentlichen Aufdeckung des ganzen frechen Conseil-Schwindels die grösste vSensation. Frankreich sah sich blossgestellt und verhängte nun zur Strafe den Blocus hermetique über die Schweiz, d. h. es Hess keine Schweizer und schweizerischen Waren mehr über die Grenze und zahlte auch die MiUtär-Pensionen nicht mehr aus. Die Tagsatzung musste Abbitte tun.
Zwei Jahre später sollte es mit Frankreich wegen dem Prinzenhandel beinahe zum Kriege kommen. Unter den Flücht- lingen befand sich auch Prinz Louis Napoleon. Seine ]\Iutter Hortense Beauharnais, Napoleons I. vStieftochter und Gattin des Königs Ludwig (Bonaparte) von Holland, hatte das Schloss Arenenberg in der thurgauischen Gemeinde Salensteiu gekauft. Salenstein und der Kanton Thurgau schenkten Louis Napoleon das Bürgerrecht. Er absolvierte seinen Militärdienst in Thun unter Dufour und brachte es bis zum Artilleriehauptmann. 1834
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beim eidgenössischen Schützenfest in Zürich sah man ihn in Ge- sellschaft des Regierungsrates Bürgi, der ihm auch das Bürger- recht von Oberstrass verschaffte (das aber von den Oberbehörden nicht anerkannt wurde). Der Prinz besuchte in Zürich gelegentlich auch die Gartenwirtschaft im Seefeld („Seefeldgarten"), das Rendez-vous der fremden FlüchtUnge, wo ihn einmal Prof. Oken dem Deutschen JuHus Fröbel vorstellte. Der schmächtige kleine Leutnant soll dem Deutschen nicht sonderhch imponiert haben. 1838 beim Schützenfest in St. Gallen war L,ouis Napoleon der Sprecher der Thurgauer Schützen. Noch als Kaiser mischte er gerne schweizerdeutsche Brocken in seine Unterhaltung mit Schweizern. Da indessen Louis Napoleon durch das Komplott von Strassburg 1836 klar bewiesen hatte, dass er nach dem Throne seines Oheims strebe, verlangte Frankreich immer dringender seine Ausweisung. Die Schweiz zögerte und das Volk nahm in zahlreichen Versammlungen für den Prinzen Partei. In Herisau verkündete der Standesweibel einer aufgeregten Volksmenge als Beschluss des im Rathaus tagenden Regierungsrates: ,,Frankriich isch ab- und zur Ruch g'wise!" Aber Frankreich bedrohte trotz- dem die Schweizergrenze mit einem Beobachtungsheer von 27,000 Mann. Um seinem Adopti\^'aterland weitere Schwierigkeiten zu ersparen, verHess im September 1838 Napoleon freiwillig die Schweiz und ging nach England.
Auf die liberal-radikale Partei in Stadt und Kanton Zürich wirkten die Auseinandersetzungen über die Flüchtlings- und Fremdenfragen wie Sprengpulver. Liberale und Radikale überschütteten sich mit Grobheiten; die konservative Partei stand als tertius gaudens still und hoffnungsfroh auf der Seite. Dass Bluntschli und Keller sich ausgesöhnt hatten und wieder persönlich verkehrten, trug zu der konservativen Zurückhaltung wohl auch etwas bei. Überdies war Keller in eidgenössischen Fragen bei weitem nicht so radikal wie seine Freunde Füssh, David Ulrich u. a. Mit den Konservativen stimmte der liberale Flügel der Radikalen darin überein, dass man im Lande Ruhe wünschte und der Flüchthnge wegen nicht diese ewigen und ge- fährlichen Streitigkeiten mit dem Ausland haben wollte. Das war ganz besonders die auf dem Lande vorherrschende Meinung, und es vollzog sich über den Erörterungen des Fremden wesens
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allmählich eine sehr bemerkenswerte Abkehr der Landlibe- ralen von den Radikalen. Sie waren aufs tiefste augewidert von der rohen Sprache der radikalen Presse, die z. B. einem Bürger- meister Hirzel gegenüber vor keiner Gemeinheit zurückschreckte. Eine „Hundesprache" nannte der Redner von Uster, Steffan, die Sprache des „Republikaner" und erklärte, er wolle nun auch einmal mit Lavater unter die Schweine fahren und den betreffen- den Artikelschreiber einen Sauhund nennen. Aus dem Kantonal- verein (von Bassersdorf) zogen sich die besonnenen Elemente mehr und mehr zurück und überUessen das Feld den , .Brutal-Radi- kalen", den ,, Radmännern", von denen sich ,, jeder ein kleiner Napoleon" zu sein dünkte. Wenn es (1835) sogar dem »Staatsan- walt Ulrich passieren konnte, im Kantonalverein zu Bassersdorf ausgepfiffen zu werden, bis er zu reden aufhörte, dann musste die Entfremdung zwischen Stadt- und Landliberalen schon sehr weit gediehen sein. Dass trotz alledem die Radikalen bei den Grossratswahlen vom 3. November 1834 wieder auf der ganzen Linie siegten und nicht ein einziger der bisherigen vStadtvertreter gewählt wurde, war für die Konservativen eine bittere Enttäusch- ung, und sie mussten es als neuen Schlag empfinden, als der Grosse Rat am 17. Dezember 1834 den radikalen Dr. med. Hans Ulrich Zehn der von Ober-Engstriugen in den Regierungsrat wälilte (Zehnder wurde nach einigen Jahren der erste nichtstädtische Bürgermeister). Dennoch hatte Kellers Stern den Zenith bereits überschritten und begann zu sinken. Die Angriffe auf den ,, dünkel- haften Despoten" mehrten sich von Jahr zu Jahr. Auch sein grosses Werk, die Justizreform, wurde immer schärfer kritisiert. Man fand die neue Justiz fremd, kalt, rücksichtslos. Der gemeine Mann begriff nicht, dass er wegen eines Formfehlers hangen bleiben konnte, wenn er in der Sache selbst recht hatte, und doch bestand der Unterschied gegen früher hauptsächUch darin, dass die alten Richter die Formen bald beachteten, bald aber nicht, wie es ihnen gerade behebte, während Keller sie nun konsequent durchgeführt wissen wollte. Er selbst nahm es besonders seinen Schuldnern gegenüber peinhch genau und duldete den gemütlichen Schlen- drian nicht mehr, dass man jeweilen den Zins fürs \^orjahr zahlte, den laufenden aber wieder schuldig blieb. Das trug ihm im ganzen Kanton den Ruf eines heillosen ,,\A'ucherers" ein, und die Sj'm-
Or. g. C. Üifricß, Oberridiier
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pathien für ihn mehrte es auch nicht, wenn er mit einem gewissen wissenschaftlichen Genuss Prozessgegner an einer ihnen nagel- neuen Form des römischen Rechts aufspiesste und zappeln Hess. Kein Geringerer als Hans Georg Nägeh, einst ein schwärmerischer Verehrer Kellers, machte sich im Grossen Rat als erster zum Spre- cher der populären Antipathien gegen das neue Recht. Die Wahl eines Laienrichters vom Lande, Hanliart von Pfäffikon, ins Ober- gericht am 17. Dezember 1835 kennzeichnete die zunehmende Strömung gegen die Fachjuristen. Am 11. März 1837 trat J. C. Ulrich aus dem Obergericht zurück, um die Leitung der Buch- druckerei Berichthaus ganz zu übernehmen. Zu seinem Nach- folger schlug Dr. Keller J. C. BluntschH vor. Der Grosse Rat wählte jedoch den Kriminalrichter Dürr, worauf Keller als Mit- glied und Präsident des Obergerichts seine Demission einreichte. BluntschU, durch die Zurücksetzung ebenfalls verletzt, wurde in seinen poUtischen Anschauungen noch schroffer als vorher, und auch der alte Hass zwischen ihm und Keller flammte bald wieder auf. BluntschH sagte sich vor den Wahlen öffentlich von ihm los, und Keller quittierte damit, dass er ihn als ,,den schmutzgebore- nen Sohn des \'aters der Lichter" betitelte (Bluntschlis Vater war Kerzenfabrikant). Die aus den Hberalen Kreisen hervor- gegangenen Angriffe auf die Justiz und die Juristen mussten die Zersetzung des Uberal-radikalen Regiments mächtig beför- dern. ,,Der Gegensatz zwischen den Liberalen und den Radi- kalen lag jetzt neuerdings vor aller Augen, und ebenso offenbar war die stets abnehmende Bedeutung der Radikalen. Dafür zeigte es sich immer deutHcher, dass die eigentUch reaktionären Ele- mente sich zum vollständigen Sturze des Hberal-radikalen Regi- ments je länger je mehr mit den ochlokratisch-antiwissenschaft- Hchen Tendenzen verbanden, die aus den Tiefen der Volksmassen heraufstiegen und die bei den Hberalen Fülirern der Landschaft stets weniger festen Widerstand fanden." (Wettstein.)
ELFTES KAPITEL
EIDGENÖSS. SCHÜTZENFEST 1834
Wenn aus der Geschichte der Mediations- und Restaurations- zeit uns so oft ein wahrhaft herzbeklemmender Älangel an Schweizersinn, an eidgenössischem Patriotismus, an Ge- fühl der Zusammengehörigkeit der Kantone entgegentritt, dann weiss man es den eidgenössischen vSchützenfesteu und den \'eran- staltungen anderer schweizerischer Gesellschaften doppelt Dank, dass sie durch alle trüben Zeiten kleinlichen Haders unter den Kantonen das heilige Feuer des eidgenössischen Brudersinnes, der Liebe zum gemeinsamen Vaterland immerfort unterhalten und genährt haben. Den Schützenfesten \-or allen gebührt dieser Ruhm. Sie wurden die eigenthche Pflanzstätte des schweize- rischen Nationalgefülils und gestalteten sich mehr und mehr zu einer wirklichen \'erbrüderung der Kantone. Bonstetten schrieb 1823: ,, Diese helvetischen Versammlmigen haben eine elektrische Wirkung auf den Patriotismus der vSchweizer, alles ist darauf be- rechnet, die Schweizer in eine Nation zusammenzuzaubern." Und einige Jahre später noch einmal: ,, Nichts hat der Schweiz mehr Nutzen gebracht, als die helvetischen \'ersammlungen jeder Art; das waren die Sammler der freien Gedanken, die sich da zusammen- paarten." — ,,Mit unbeschreibhchem Eifer üben alle Schweizer sich im Scheibensclüessen ; überall findet man ein Ziel aufgestellt," schrieb ein preussischer Spion 1822. Der französische Legations- sekretär Vicomte de la Passe machte 1824 dieselbe Beobachtung mit erheblichem Missfallen. Er fand, die schweizerische Schützen- gesellschaft sei nur darauf berechnet, der Gebirgsbevölkerung, die wenig Geschmack an Künsten und Wissenschaften habe, da- gegen die Schützenkunst leidenschaftlich hebe, das revolutionäre Gift einzuimpfen, indem man den einfältigen, aber mutigen Leuten die Vaterlandsliebe als Lockspeise vorhalte. Was dem französi- schen Legitimisten als ,, revolutionäres Gift" erscheint, ist uns der männliche Unabhängigkeitssinn, die nationale schweizerische
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Demokratie. Ihr dienten, bewusst oder unbewusst, alle jene 87 grössern und kleinern Ehr- und Freischiessen, die allein in den Jahren i8iq bis 1823 in den Kantonen Zürich, Bern, Luzern, Schwyz, Untenvalden, Zug, Solothurn, Aargau, St. Gallen und Waadt abgehalten wurden. Die Idee, die vSchweizer Schützen zu einem dauernden eidgenössischen Verein mit wechselndem Vorort zu verbinden und regelmässige eidgenössische Wett- kämpfe zu veranstalten, wurde im August 1822 auf einem kanto- nalen Schützenfest in Aarau geboren. Die Aarauer Schützen- gesellschaft nahm die Verwirklichung an die Hand, und vom 7. bis 12. Juni 1824 fand das erste eidgenössische Schützenfest auf dem Schach en, einer waldbekränzten Ebene bei Aarau, statt. ,,Die Reinheit des Himmels, die Anmut der FrühUngslandschaft, das bunte frohe Gewirre der Menschen, dazwischen das ununter- brochene Feuer der Schützen, die fröhlichen Gesänge längs den Tischen, der Donner des Willkomms- oder Abschiedsgrusses der Kanonen, der Schall der Musik, das Jauchzen der Sieger unter den wettkämpfenden Schützen, das unverhoffte Zusammentreffen von Bekannten aus weitgetrennten \^aterlandsgegenden, die ersten Freundschaftsversicherungen sich vorher unbekannter Personen, die Nationaltrachten und Nationalphj-siognomien, die Ausgleich- ung jedes Standes und Ranges unter der Macht der Freude und des Gefühls, Eidgenoss zu sein, — das alles machte auf das Gemüt wohl jedes Zuschauers, der zugleich in dem grossen beweghchen Bilde Mitspieler war, ungewöhnhchen Eindruck." Dasselbe vScliau- spiel wiederholte sich am eidgenössischen Schützenfest 1827 in Basel, 1828 in Genf, 1829 in Freiburg, 1830 in Bern. Ausser manchen reformierten gehörten auch mehrere hberal-katholische Geistliclie zu den Besuchern und Rednern der eidgenössischen Schützenfeste, so Christopher Fuchs, am Schützenfest in Euzern 1832 als ,, zweiter Rösselmann beim neuen Rütlibund" bewill- kommt, oder Pfarrer Kahn von Zürich. An den eidgenössischen Schützenfesten sah und hörte das Volk die bekanntesten Männer der Eidgenossenschaft: Casimir Pfyffer, Baumgartner, Mun- zinger, Oberst Dufour, Druey, Luvini u. a. Von stürmischem Jubel wurde stets Landammann Sidler von Zug begrüsst, den man ,,den edelsten und reinsten Republikaner, den Augapfel und das Herz des Schweizervolkes" nannte. Beredt wie er war Land-
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ammann Waller von Aarau; „wie vom Himmel tausend Sterne sind seine Worte auf die Zuhörer herabgefallen".
Für Zürich war das Ehr- und Freischiessen vom Juli 1821 eine wohlgelungene Vorprobe auf das grosse eidgenössische Schüt- zenfest 1834. Das erstere wurde auf dem Schützenplatz bei der Platzpromenade abgehalten. Als das Fest am Dienstag morgen 6 Uhr, den 3. Juli, durch Kanonendonner eröffnet wurde, rückten die Schützen trotz des trüben Regenwetters in Scharen ein, nach altem Brauch herzUch und freundschaftlich begrüsst und zu dem mit den alten Ehrenpokalen prangenden ,, Willkomms- tisch" geführt. Am Mittwoch morgen trafen die Schützengesell- schaften von Baden ein, abends diejenigen von Bern und Lenzburg unter Vorantragung ihrer Banner. Auf dem Kutschbock des Bemer Wagens sass zum grossen Gaudium der Jugend der Mutz. Von den Zürcher Schützen stellten neben der vStadt die Winter- thurer und die beiden Seeufer das Hauptkontingent. Die Falmen wurden alle vor dem Schützenhaus aufgepflanzt. An den Schöpfer des zürcherischen Scharfschützenkorps, Oberst Landolt, erinnerte sein bekränztes Bild. Am 7. JuH, mittags punkt i Uhr, verkün- dete ein Kanonenschuss das Ende des Schiessens. Es folgte das „Absenden" und dann die feierliche Verabschiedung jeder ein- zelnen Gesellschaft. Besonders herzUch gestaltete sich der Ab- scliied von den Bernern, die erst am Sonntag morgen verreisten. Ihrem Wagen voraus fuhr auf besonderem Gefährt die Zürcher Knabenmusik. Der Berner Mutz schwenkte in seiner Pranke ein Zürcher Fähnlein, und neben ihm sass ein in die Zürcher. Farben gekleideter Knabe mit der Berner Fahne. Im Talacker huldigten die Berner noch in einer kleinen Ovation dem Dichter Martin Usteri, welcher freundhch dankend an ihren Wagen herantrat.
Einen bedeutend grössern Umfang erhielt nun allerdings das eidgenössische Schützenfest von 1834, zu dem der Re- gierungsrat 6000 Fr. spendete. vSchöne Gaben stifteten auch die Stadträte von Zürich und Winterthur. Fest platz war die so- genannte ,,Ägerten" bei Wiedikon, eine ausgedehnte Matte an der Sihl, gegenüber dem Sihlhölzli. Die ganze, grossartige und geschmackvolle Anordnung der Festbauten, welche die ungeteilte Bewunderung aller Festbesucher erregte, war entworfen worden von Scharfschützen-Leutnant Wild, damals noch Schneidermeister,
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später Ingenieur der Strassburger Eisenbahn. Die auf allen Seiten offene Festhütte bot einen prächtigen Überblick über den gan- zen Festplatz und den hinter ihm aufragenden, dicht bewaldeten Üthberg. An 2 X 74 Tischen konnten 3000 Gäste auf einmal bewirtet werden. Eine erhöhte Estrade war für die Musik errichtet worden. In der IVIitte der Hütte stand die rot und weiss ausge- schlagene Rednertribüne. Die ganze Festhütte umzogen an der Aussenseite grüne Kränze mid Guirlanden aus roten und weissen Tüchern. An einem ^'orsprung des Daches gegen den Festplatz prangte ein Kolossalgemälde der drei Eidgenossen im RütU, und unter demselben las man der ganzen Stirnseite der Festhütte ent- lang in mächtigen Schriftzügen die Worte: „Willkommen, ihr Männer zu Berg und Tal! Hier gebt Euch die Hände beim fröh- lichen Mahl. Euch eine das traute Gespräch und der Wein: Ge- selHge Freunde und Brüder zu sein!"
Vor der Festhütte erhob sich auf vier Pfeilern die Fahnen- burg mit den Namen und Jalireszahlen von 28 Schweizerschlach- ten. Sie überwölbte wie ein Baldaclün die Riesenstatue eines alten Schweizer Kriegers. Mancherlei Inschriften priesen an den Pfeilern die Eintracht, den Mut usw.
Rechts und hnks vom Festplatz lockten zwei reich deko- rierte Festwirtschaften zur ,, Eintracht" und zur , .Treue", jede mit einem obeni Boden, der auf bequemen Treppen zugäng- lich war. Vor jeder dieser Wirtschaften hielt ein steinerner Banner- träger die Ehrenwache. Die Mitte des Festplatzes bezeichnete der 150 Fuss hohe, weithin sichtbare Freiheitsbaum, mit der ungeheuren eidgenössischen Fahne auf dem Wipfel. ,,Es weht die Fahn' in weiter Fem; sie leite euch als guter vStern", las man auf einem der zahlreichen Zugänge zum Festplatz. Am Fuss ent- quoll dem Freiheitsbaum in zwei Röhren frisches Wasser. Klein und niedhch war das Gabentempelchen, auf drei mit Moos und Blumen bedeckten Stufen erbaut und mit den Fähnchen in den 22 Kantonsfarben geziert. Seine vier Seiten bildeten ebenso- \-iele Glaskasten, in denen die Gaben zu sehen waren. Die grösse- ren Becher standen in besondern, an den vier Ecken vorspringen- den Glaskästchen, und das Ganze krönte eine Glasglocke, unter welcher der erste Preis, ein silberner Pokal von ansehnlichen Di- mensionen, in der Sonne bhtzte.
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Nach der Seite gegen den Ütliberg war der Festplatz abge- schlossen durch den langgestreckten Schützenstand, über dessen Haupteingang ein Gemälde den Tellenschuss darstellte und eine Inschrift mahnte: „Brüder! Herz ui:d Auge, Arm und Hand Weiht, wie Wilhelm Teil, dem Vaterland." Es konnte nach 41 Scheiben, darunter acht Stichscheiben, geschossen werden. Für die Scheibe Grüth waren vier Gaben, für jede andere, auch die ,,vScheibe der Heimatlosen", zwei Gaben bestimmt. Aus jeder Öffnung des Schützenstandes konnte nur die dazu gehörende Scheibe gesehen werden, weil lange Reihen von Tännchen die Richtung nach jeder andern Scheibe verschlossen. Kleine Däch- lein, etwa 50 Schritte vor dem Stand, erleichterten das Zielen noch mehr. NatürUch bedurfte der Fest- und Schiessbetrieb noch einer Reihe von Nebengebäuden, so nameutUch einer Kugel- giesserei, eines Sekretariats, einer Wachtstube etc.
Das Fest eröffneten am Samstag abend den 12. Juh, um 8 Uhr, 22 Kanonenschüsse, und auf dem Festplatz weihten Musik- vorträge die Festhütte ein. Am Sonntag den 13. war schon vom frühen Morgen an grosse Bewegung in den Strassen. Von allen Seiten strömten die Schützen und Festbesucher herbei, in geschmückten und bewimpelten Schiffen, auf Leiterwagen, in ganzen Karawanen von Kutschen und Cabriolets. Ein grosser Wagen brachte das Zentralkomitee von Luzern mit der eidgenössischen Schützenfahne. Als sinniges Symbol des Frie- dens und der Eintracht hatte das Zentralkomitee auf seinem Wagen einen Ohvenbaum mitgebracht — ein Ölzweig allein hätte, wie es zu fürchten schien, bei der mit so viel Elektrizität gelade- nen poütischen Atmosphäre nicht genügend Eindruck gemacht. Um den Ölbaum her standen 22 Stutzer, verbunden durch die kantonalen Wappen. Die Schützen sammelten sich auf dem Lin- denhof, und von dort aus setzte sich um halb 11 Ulir der Fest- zug in Bewegung, der über den Paradeplatz, den Talacker und die Sihlbrücke den Festplatz erreichte: voran 40 gehamischte Reiter, dann eine Abteilung Scharfschützen, die neu organisierte Zürcher Militärmusik, 50 Zeiger in roten Hemden und weissen Hosen, ihre Zeigerfähnchen in der Hand, auf den Köpfen weiße und rote Mützen in 50 versclüedenen phantastischen Formen. Hierauf kam die vortreffliche Luzerner Blechmusik, das abtretende und
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das neue Zentralkomitee, das eidgenössische und das kantonale Schützenbanner. Eines von beiden — ■ die Quellen widersprechen sich in diesem Punkt — wurde von einem Wilhelm Teil getragen, dem der Knabe mit Pfeil und Apfel zur Seite ging. Ein langer Zug von Schützen und Schützengesellschaften schloss sich an; die Winterthurer und die Richterswiler hatten ihre eigene Musik mitgebracht. Zuletzt wieder eine Abteilung Scharfschützen und dann eine ungeheure Menge Volks. Kanonendonner von der ,, Katze" und dem Festplatz her und vielstimmiges Glocken- geläute begleitete den Zug.
Auf dem Festplatz bildete er ein Carre um die Fahnenburg. Oberst Schumacher von Luzern übergab die Schützenfahue ; der neue Zentralpräsident, Regierungsrat Dr. Hegetschweiler, nahm sie in Empfang. Der Trunk wurde geboten und dann pflanzte man die Fahnen auf: als erste erschien auf der Zinne die Fahne von Schwj'z. In der Festhütte folgte das Eröffnungsbankett mit den ersten feurigen Toasten. Tag für Tag kamen und gingen nun die Schützengesellschaften, in der noch heute üblichen Weise begrüsst und entlassen. Schmuck nahmen sich besonders die Bündner aus in ihren grauen Hüten und grünen Jagdwämsem, mit der \A'eidniannstasche angetan. Sie hatten ihre Zelte mitge- bracht und kampierten auf dem Festplatz.
Der Donnerstag, 17. JuU, war offizieller Tag, an welchem auch die in Zürich versammelte Tagsatzung, das diplomatische Korps und die akademische Lehrerschaft sich beteiligten. Die Zahl der auf dem Festplatz anwesenden Menschenmenge wurde auf 30,000 geschätzt. Um 12 Uhr war die Festhütte schon so voll, dass man sie räumen musste, um für die .Schützen Platz zu machen. Um 2 Uhr fand das zweite Bankett statt, an dem die offiziellen Toaste ausgebracht wurden. Man musste auf Verschiedenes ge- fasst sein. Es war eine Zeit der grössten politischen Spannung wegen der FlüchtHngsangelegenheiten und der fremden Noten. Die abenteuerlichsten Gerüchte gingen vor dem Feste um über einen angeblich geplanten Handstreich der Radikalen, und über die Festtage selbst verstummte nicht für einen Moment das Pol- tern und Schmählen der radikalen Presse. Einem der steinernen Fahnenträger auf dem Festplatz hatte der Wind das Fahnentuch ums Haupt gewunden. ,,Uns schien es," schrieb der ,,Republi-
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kaner', „als schäme er sich, auf die Enkel herabzublicken, die in sorgloser Munterkeit, ohne das zermalmende Gefühl der Schmach, um ihn her wogten." War auch der radikale Putsch nur leeres Gerede, so stand doch die Absicht mancher radikaler Redner fest, den Tagsatzuugsherren und fremden Gesandten jetzt, da man sie vor sich habe, die ,, Meinung zu sagen". Den ersten Trink- spruch hatte ,, Bundespräsident" Melchior Hirzel auszubringen. (,, Bundespräsident" nannte man schon damals häufig den je- weiligen Amtsbürgermeister des Vororts mid Tagsatzvmgs\or- sitzenden.) Hirzel schlug sogleich kräftige Töne an. , .Friedsam soll er (der Fremde), wie es einem Gaste geziemt, in unserm Hause sich aufführen oder dahin gehen, wo ungeahndet das Gastrecht verletzt werden kann. Es kann nicht unsere Aufgabe sein, in der einen Hand die Kai.ser, in der andern die Könige zu erdrücken. Weisen wir solche Renommistereien in die Spielkammer der Kin- der ..." ,,Abe, abe," hiess es an einigen Tischen, und der Bundes- präsident musste zeitweise die Rede unterbrechen. Nach ihm sprach Dr. L. Keller, dann Pfarrer Bonihauser, Casimir Pfyffer, Bürger- meister J. J. Hess, Oberst Dufour, Baumgartner von St. Gallen, Curti von Rapperswil, eine nicht enden wollende Reihe von Red- nern. Nach einer Pause trat Obergerichtspräsident Dr. Emil Frey von Ifiestal auf, der es nun unternahm, der Tagsatzung ins Ge- wissen zu reden, aber seine Worte gingen bald in den allgemeinen Protesten an den offiziellen Tischen und den Beifallsrufen seiner Freunde unter. Die Regierungsräte Hess und Hegetschweiler eilten auf die Tribüne und versuchten nach rechts und links die Gäste zu beruhigen, aber Dr. Frey kam nicht mehr zum Wort. Nach den folgenden Reden — es sprachen noch Dr. Henne, Dr. Hans Schnell von Bern, dem General Guiger ,,A bas!" zurief, und Oberst Fetzer von Aarau — liess Hegetschweiler allemal rasch den Sängerchor einfallen, worüber sich der ,, Republikaner" schwer beklagte als ,, Missbrauch des Männerchors zur Festpolizei".
Folgenden Tages tadelten Pfarrer Zschokke und Dr. Wil- helm vSnell auf der Tribüne die Behandlung, welche Emil Frey erfahren hatte. Am Samstag bekam man noch den festberühmten Landammann vSidler von Zug zu hören, dann schloss das eidge- nössische Schützenfest mit einem die eroberten Ge\^'inne zu froher Schau tragenden Zuge nach dem L,indenhof, wo sich die Festver-
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Sammlung auflöste. Man kann ja nun nicht gerade sagen, dass das eidgenössische Schützenfest von 1834 in Zürich ohne jeden Misston verlaufen sei; dazu waren die Zeitumstände auch gar nicht angetan und in der den Rednern wie den Hörern notwen- digen Disziplin und Selbstbeherrschung besass man noch zu wenig Übung. Auch die Hörer befanden sich in einem Zust9,nd der Ner- vosität, der sie oft kaum recht verstehen Uess, was der Redner meinte, dessen Worte sie sofort mit Beifall oder Missfallen quit- tierten. Dem radikalen Redaktor Leuthy flog schon am zweiten Tage während einer Rede ein Weinglas an den Kopf. In der Fest- wirtschaft zur ,,Treu" wurde der General Guiger wegen seinem „A bas!" ausgepfiffen, und drüben in der Hütte ,, Eintracht" passierte es einem Neuenburger, dass er von einem Berner Ober- länder am Kragen gepackt und die Treppe hinabbefördert wurde, weil er behauptet hatte, noch nicht zu wissen, ob er ein Schweizer oder ein Preusse sei. Nicht den von ihren radikalen Veranstal- tern erhofften Effekt machte jedoch die Volksversammlung vom 20. Juli im ,,Kräuel" (gegenüber der Platzpromenade), auf der noch alles das nachgeholt werden sollte, was man in der Fest- hütte nicht hatte sagen können. Die in der Nähe befindliche Mauer, vor welcher der Bauemführer HäberUng 1804 standrecht- lich erschossen wurde, war mit schwarzen Tüchern behangen. Von der Platzpromenade aus schauten eine Anzahl Leute, u. a. Bürgerineister Hirzel und sein Freund Oken, der Versammlung von ferne zu. Aber keiner der Festberichte, nach welcher Partei- richtung er auch gefärbt sein mochte, berechtigt zu der Annahme, dass nach dem allgemeinen Gefühl das Fest nun etwa in einer Dissonanz ausgeklungen sei. Sie stimmen vielmehr darin über- ein, dass nur das Grosse und Schöne in der Erinnerung haften, die Missklänge aber bald vergessen sein werden. Die Missklänge waren unvermeidlich, können aber gar nicht in Betracht fallen gegenüber der Tatsache, dass auch die Radikalen bei allem ihrem Ungestüm, ihrer Phrasenhaftigkeit und Zügellosigkeit nichts anderes meinten und wollten als die Ehre und die Unabhängig- keit des Vaterlandes. So durften denn die Bewohner Zürichs mit vollem Recht sich noch lange der glanzvollen Tage des eid- genössischen Schützenfestes freuen.
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ZWÖLFTES KAPITEL
DAS DAMPFSCHIFF
Die Dampfschiffahrt hat im Jahre 1835 auf dem Zürichsee ihren Einzug gehalten, ^'ielleicht wäre er schon hundert Jahre früher damit beglückt worden, wenn nicht wütende Fluss- schiffer Papins Dampfschiff, mit dem er 1707 auf der Fulda ge- fahren sein soll, zerstört hätten. Auch die Schiffsleute am Zürich- see sahen das Dampfschiff nur ungern und mit grossen Sorgen kommen. Die ,, Freitagszeitung" lieh ihren Kümmernissen Aus- druck, als sie im Januar 1825 sdirieb, es sei schon genug, dass man sich der fremden Maschinen bediene, wo es nun einmal ,, nicht änderst" sein könne, imd man würde klug tun, diejenigen zu ver- mindern, die nicht Bedürfnis seien und dennoch den Verdienst und Lebensunterhalt vieler Familien schmälern; ,,denn am Ende muss der Mensch vom Menschen leben." Doch mit solchen Be- denken und Befürchtungen hat sich noch niemals eine Erfindung, wenn sie einmal praktisch erprobt war, fernhalten lassen. Den durchschlagenden Beweis der Brauchbarkeit des Dampfschiffes leistete Robert Fulton, als er 1807 mit seinem ,,Claremont" auf dem Hudson die regelmässige Flussdampferfahrt einrichtete und sodann 1819 mit dem Dampfer ,,Savannah" zum erstenmal den Ozean durchkreuzte. Der erste Zürcher, welcher ein Dampfschiff konstruierte, war der in Konstanz niedergelassene Mechaniker J. C. Bodnier. Unter den Wenigen, die ihm Aktien abnahmen, befanden sich der Vizekönig Eugen und die Königin Hortense auf ,, Arenenberg". Der vStapellauf sollte am 30. September 1817 stattfinden; da aber die englische Fabrik die Maschine nur gegen Barzahlung liefern wollte und Bodmer kein Geld hatte, musste das Schiff auf Abbruch verkauft werden. Es hiess ,, Stephanie"; der Volkswitz machte daraus ,,Steh fahr nie".
Früher als der Zürichsee kam der Genfersee zu seinem Dampfer, dem ,,Guillaume Teil", der am 28. Mai 1823 seine erste Fahrt unternahm. Das Erstaunen der Uferbewohner beim An-
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blick dieser neuen Schiffahrt ohne Segel und Ruder war grenzenlos. Alles eilte herbei und bezeugte durch Geschrei und tausend De- monstrationen seine Überraschung. Man sah manche sich be- kreuzen, den Gottesdienst verlassen und auch den allein gebHebenen Priester ans Ufer eilen. Man sah Schiffer, wie sie dem ,,Guillaume Teil" mit Rudern folgen wollten; aber schon in zwei Minuten liess er sie weit hinter sich. Da Hessen sie die Ruder sinken und folgten bewundernd seinem Laufe mit den Bhcken. Wie die ,, Freitags- zeitung" berichtet, nahm im September der ,,Guillaimie Teil" zum erstenmal am Schiffahrtsfest auf dem Genfersee teil. ,,Er umkreiste auf der Heimfahrt dreimal die Flotte, und zwar mit einer Schnelhgkeit, wie kamn ein berittener General seine Bataillone hätte mustern können, welche Bewegungen den Zuschauem be- sonderes Vergnügen machten."
Im Jahre 1834 entstand in Zürich eine Gesellschaft für die „Dampfschiffahrt auf dem Zürich- und Wallensee". An der Spitze standen die Unternehmer Caspar von Rorschach und Ivämmlin, Mechaniker, von Schaffhausen; einer der Haupt- aktionäre war Kaspar Escher von der Neumühle. Die Gesell- schaft bestellte einen eisernen Dampfer samt Maschinen in England. Von Selby aus fuhr dieses Dampfschiff unter dem Namen ,, Vulkan" mit beträchtHcher Ladung über Rotterdam und den Rhein hinauf nach Mannheim, Basel und Kaiseraugst, indem es die lange disku- tierte Frage, ob der Rhein zwischen Strassburg und Basel mit Dampfschiffen befahren werden könne, praktisch löste. In Kaiser- augst wurde der ,, Vulkan" von Lämmlin demontiert, nach Zürich gebracht und hier wieder zusammengesetzt. Am 20. Juni 1835 konnte er bei der ,, Holzschanze" in Stadelhof en von Stapel gehen (die Pallisaden im See und beim Grendeltor in der Limmat waren bereits weggeschafft; das Grendel tor wurde allerdings erst 1836 abgetragen) ; dann wurde noch die innere Einrichtung vollendet und das Schiff auf den Namen ,,Minerva" umgetauft. Die erste Lustfahrt nach Rapperswil, zu welcher Caspar, LämmUn & Cie. in den öffentHchen Blättern geziemend eingeladen hatten, ging am 19. Juh 1835 glücklich von statten. Die Mitfahrenden sammel- ten sich unter obügatem Kanonendonner und Glockengeläute auf dem Bauschänzli. Punkt 11 Uhr wurde abgefahren. ,,Die weiss und grüne Fahne (St. Galler Standeszeichen) schwellte sich.
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der Dampf fing an mit einem eigentümlichen, rauschenden Getöse gleich der Stimme eines Ungeheuers zu arbeiten; ein Kommando- wort, das Schiff machte eine Schwenkung und fuhr dann pfeil- schnell mitten durch die Seefläche hin, bis man es allmählich aus den Augen verlor. Mittags i Uhr landete das Dampfboot in Rapperswil, wo ein glänzendes Mittagessen mit Musik und Tanz stattfand. Abends 6 Uhr fuhr dasselbe wieder von Rapperswil ab, landete zirka 8 Uhr glücklich bei der Bauschanze und wurde mit allgemeinem Jubel begrüsst." Gleich am folgenden Tage nahm die ,, Minerva" ihre regelmässigen Fahrten auf. Die Passa- giere wurden anfangs in kleinen Booten an den Dampfer heran- gebracht. Die ,, Minerva", später ,,vSplügen" getauft, hatte eine I,änge von 33,6 m, eine Breite von 4,8 m und zwei Hochdruck- maschinen von je 25 HP. Die Leute gewöhnten sich rasch an das neue Verkehrsmittel. Man muss in dem Büchlein ,,Aus Zürichs Vergangenheit", I. Bändchen, J. Hardmej-er- Jennys prächtige ,, Bilder vom Zürichsee" nachlesen, um den stimmungsvollen Übergang vom alten Marktschiff zum Dampfschiff recht zu ge- niessen. Drei Tage nach der Eröffnung gab es auch schon die erste Panik auf der ,, Minerva". Einige zu nah am Kessel Hegende Holz- stücke gerieten in Brand (es wurde bis 1855 ausschliessUch, bis 1868 teilweise mit Holz gefeuert). Obwohl keine Gefahr bestand, fuhr der Steuermann zur Beruhigung der Passagiere sofort ans Land. 1836 Hess eine am Unken Seeufer entstandene Konkurrenzgesell- schaft den Dampfer ,,Linth-Escher" bei Escher Wj-ss & Cie. erbauen. Schon nach zwei Jahren vereinigten sich beide Gesell- schaften, sahen aber alsbald einen dritten Konkurrenten auf- tauchen, eine Aktiengesellschaft, die 1839 den ,, Republikaner" auf den Zürichsee setzte. Er war ebenfalls bei Escher \V5-ss & Cie. erbaut und ging am i. Januar 1842 um einen sehr hohen Preis in den Besitz der alten Gesellschaft über. Dem PubHkum hatte diese Konkurrenz den "\'orteil einer bedeutenden Fahrpreisermässi- gung gebracht. Der ,,Linth-Escher", welcher zuerst den Wallen- see befahren hatte, kam 1839 ^uf den Zürichsee und dafür die ,, Minerva" auf den Wallensee. ,, Republikaner" und ,,Linth- Escher" wurden sehr stark benutzt. ,,Das eine Schiff landete am Bauschänzli, das andere an der Hafenmauer (ungefähr beim jetzigen Hotel Bellevue). Ihre An- und Abfahrt geschah im Anfang, bis
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Maschinen und Steuer recht eingeübt waren, mit grosser Langsam- keit und UmständUchkeit, und noch \-iele Jahre war stets eine Anzahl Zuschauer da, um dieses Schauspiel mitanzusehen. Es war auch wirklich hübsch, wie die »Schiffe bei der Abfahrt vom Hafen rückwärts bis gegen die Münsterbrücke hinunterfuhren, dann den Kurs vorwärts nahmen oder zur Landung am Bau- schänzli vor demselben sidi drehten, um dann rückwärts zum Landungssteg zu gelangen. Ein Stück der wachsenden Frequenz bildeten die Pilgerzüge, die im Herbst nach Einsiedeln gingen. Hatten sie vorher den Weg aus dem Elsass oder Schwabenland ganz zu Fuss gemacht, so benützten sie nun gerne für die Strecke Zürich bis Wädenswil oder Richterswil die neue Verbindung. , , Auf dem Schulweg sahen wir die Scharen, ihre Lieder singend oder Gebete murmelnd, zum Bauschänzh ziehen, und da kam es vor, dass ein mutwilhger Ruf ,'s pressiert! 's Schiff god ab!' oder sogar ,'s Schiff isch scho im Wasser!' die ganze Menge der Weiber in ihren bunten Trachten in Galopp setzte." (Dr. F. Mej-er.)
1845 kaufte die Dampfschiffgesellschaft den kleinen, von Mechaniker Lämmhn erstellten Raddampfer ,,Delphin", 1846 liess sie den ,, Gustav Albert" bei Escher Wyss & Cie. erbauen. Der ,, Delphin" kam 1850 zur Bestellung des Postkurses Zürich- Chur auf den Wallensee, ging aber schon nach fünf Monaten mit Mann und Maus unter. Es war eine furchtbar stürmische Winter- nacht (16. /17. Dezember 1850). Von Weesen aus hatte man (zwischen 12 und i Uhr) die Lichter des von Wallenstadt kom- menden ,, Delphin" noch gesehen, dann aber verschwand er spur- los in einem wirbelnden Schneegestöber. 17 Personen fanden den Tod. Das einzige lebende Wesen, welches schwimmend das Ufer erreichte, war der Hund des Postkondukteurs Rosenstock. Die Passagiere Morandi von Mailand und Mondelh von Como hatten in Wallenstadt Oberst v. Muralt von Zürich getroffen, der ihnen dringend, aber vergeblich abriet, die Nachtfahrt zu machen. Frau Veragut von Stäfa war in Thusis gewesen, um ihr Vermögen zu holen. Ihr Koffer mit den Wertschriften trieb ans Land, sie selbst war versunken. Schiffskassier Franz Schlegel von Wallen- stadt hinterhess neun Kinder. Als am Dienstag der ,,Splügen" von Wallenstadt wegfahren sollte, kam ein Knabe Schlegels, um dem Vater das Mittagessen in einem Körbchen nach Weesen
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ZU schicken. Die Schiffsleute nahmen das Körbchen und wandten sich wortlos ab, um die verräterischen Tränen zu verbergen.
Als Ersatz für den „Delphin" erschien am 14. Mai 1851 auf dem Wallensee der „Schwan". Mit Eröffnung der Wallensee- linie 1860 wurde indessen die Schiffahrt auf diesem See gänzlich eingestellt. Zum Schiffspark des Zürichsees gesellten sich noch 1856 die „vStadt Zürich", 1858 die „Stadt Rapperswil", 1862 ein zweiter ,,Linth-Escher", nachdem der erste abgetakelt war. Die hübschen Dividenden, welche die Gesellschaft 1856 bis 1862 aus- richten konnte, führten zur Gründung der „Dampfschiffgesellschaft vom linken Seeufer", mit Sitz in Horgen, welche 1863 das Güter- schiff ,,Biene", 1864 die ersten Schraubendampfer ,,Schwalbe" und ,, Taube", 1866 die ,, Lerche" in Betrieb setzte, worauf die alte Gesellschaft 1864 mit dem Stapellauf der ,, Konkordia", 1865 des ,,Gotthard" und des ,, Lukmanier" antwortete. Im Dezember 1868 kam die Fusion der beiden Gesellschaften zustande. Am 29. August 1872, abends 7I/2 Uhr, ereignete sich in der Nähe von Obermeilen eine Katastrophe, bei welcher der Dampfer ,,Gotthard" von der ,, Konkordia" angerannt und zum Sinken ge- bracht wurde. Auf der ,, Konkordia" befanden sich 450 Schul- kinder und 60 Erwachsene von Meilen, die von einem Ausflug zurückkehrten. Die »Situation war fürchterhch: Vom ,,Gottliard", dessen Untergang jeden Augenblick erfolgen konnte, flüchteten die Passagiere auf die ,, Konkordia" hinüber. Sehr schwierig war die Rettung der Leute in der Kajüte des ,,Gotthard", da der eingedrungene Vorderteil der ,, Konkordia" den Ausgang sperrte. Schiffskassier Brändli, ein Bruder von Regierungsrat Brändli, tat Übermenschliches bei diesem Rettungswerk. Zuletzt versuchte er noch die Kajütendecke mit der Axt zu öffnen, die aber bald seiner ermatteten Hand entsank. Doch waren in diesem Moment schon alle gerettet bis auf eine Jgfr. Gysin, Arbeitslehrerin von Basel, die im Schreck den Ausweg nicht finden konnte. Mit einem furcht- baren Schrei sank sie samt dem Schiffe, das sich nun von der „Konkordia" löste, in die Tiefe; aber auch der brave Brändli ver- schwand lautlos im Strudel ; Taucher Hess fand ihn am 18. Sep- tember am Hinterteil des Schiffes angeklammert.
Die nächsten Jahre zeigten eine grosse Zunahme des Verkehrs. 1873 beschloss die Gesellschaft den Bau des Salondampfers ,,Hel-
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vetia" bei Escher Wyss & Cie. ; er sollte 64 m lang, 6,7 m breit werden und für 1200 Personen Platz bieten. Noch bevor aber der Bau vollendet war — die „Helvetia" lief 1875 vom Stapel — ging der ganze Schiffspark samt Mobiliar und Immobihen der Gesellschaft durch Vertrag vom 30. Oktober 1874 an die Nordost- bahn über, womit eine erste Phase der Dampfschiffahrt auf dem Zürichsee abgeschlossen war.
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DREIZEHNTES KAPITEL
STADTPRASIDENT J. J. ESCHER
Der siebente in der Reihe der zürcherischen Stadtpräsidenten ist Johann Jakob Escher aus dem Wollenhof (geboren den 15. April 1783, gestorben am 7. Juni 1854). Er war ursprünglich wie seine jüngeren Brüder Martin Escher-Hess und Hans Heinrich Escher Seidenfabrikant, sodann Amtsrichter und von 1823 bis 1831 Oberrichter. Am 14. September 1831 wählte ihn der Grosse Stadtrat an Stelle des zurücktretenden Georg Konrad Bürkli zum Stadtpräsidenten. Er war auch Mitglied des Grossen Rates (bis 1850) und von 1832 au Präsident der Zunft zur Meisen. vSeinen Rücktritt als Stadtpräsident erklärte er im Stadtrat am 14. No- vember 1837; durch eine Abordnung dieser Behörde wurde ihm eine Dankesurkunde überreicht. Dem Grossen Stadtrat gehörte J. J. Escher bis zu seinem Tode an. Der politische Umschwung zu Anfang der \ierziger Jahre liess ihn wie andere konser\-ative Pohtiker mehr und mehr in den Hintergrund treten. Die „Freitags- zeitung" meinte bei seinem Hinschied, seine beiden Brüder hätten sich als Industrielle ein dankbareres Gebiet gewählt. ,,Es wäre unschicklich, am frischen Grabe unnütze Vorwürfe zu machen; aber die Andeutung darf zu Ehren des Verstorbenen gewagt werden, dass Zürich Dienste, die es einst zu seinem Vorteil an- genommen und anerkannt, auf unverantworthche Weise ihm gegenüber wieder vergass und zwiefach sich verfehlte, indem es die Achtung und Dankbarkeit gegen ein mit Ehren und in seinen Diensten ergrautes Haupt bei vSeite setzte." Die konser\'ative ,, Eidgenössische Zeitung" hob die bleibenden Verdienste her\^or, die sich J. J. Escher um die Admimstration der Stadt Zürich er- worben hat. ,,Er besass ein ungewöhnUches Organisationstalent, war in Rechnungssachen ein Muster von Genauigkeit und Schärfe und zeichnete sich durch einen unbeugsamen Rechtssinn aus."
In die Amtsjahre des Stadtpräsidenten J. J. Escher fällt eine bauliche Entwicklung der Stadt Zürich von beispielloser
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Grossartigkeit. „Wenn die Stadt sich jetzt mit einem Schlage ihres mittelalterlichen Charakters zu entkleiden und eine moderne Physiognomie zu erhalten begann, so waren eben jetzt die beiden Bedingungen erfüllt, welche diese Entwicklung mögHch machten: die Aufliebung des kaufmännischen Direktorialfonds gab die ^Vlittel zu \^elen der grossartigen Neubauten der Stadt und des Staates, und den nötigen Raum schaffte man sich durch die Schleifung der Schanzen, welche bis anhin gleichsam wie ein Panzer die Stadt eingeschnürt und jede bauliche Entwicklung grösseren Mass- stabes unmöglich gemacht hatten. Als schon im Jahre 1833 die Abtragung der Schanzen begann und von da an Jahr für Jahr unter der Leitung der Schanzenkommission grössere oder kleinere Teile der Befestigungen beseitigt wurden, erstanden gleichzeitig auf dem Schanzenterrain zahlreiche neue Haupt- und Verbindungs- strassen oder wurden schon bestehende Kommunikationen er- weitert und verschönert. Auf den Teilen des Schanzengebiets, die der Staat verkaufte, erhoben sich viele neue Gebäude von Privatleuten, welche die Stadt bedeutend vergrösserten und in einem Masse verschönerten, dass sie nach dem Bericht eines Zeit- genossen bald einen reizenden Anblick darbot. Namentlich in der Richtung gegen den vSee dehnte sich die Stadt aus, z. B. an der Seefeld- und oberhalb derselben an der Zeltwegstrasse, und die in blühenden Gärten liegende Kirchgemeinde Neumünster bildete mit ihrer Kirche und ihren vielen prachtvollen Gebäuden bald ein eigenes Stadtquartier. Rings um die Stadt herum, in und ausser dem Schanzengebiet, erhoben sich bald ganze Strassen neuer Ge- bäude, welche die neue Betriebsamkeit im Bauwesen an die Stelle der abgetragenen Mauern, Schanzen und Wälle hinstellte. Man erhält einen Begriff von dieser Bauleidenschaft, wenn man hört, dass im Sommer 1836 in der Stadt und den Vorstädten gleich- zeitig an die 500 neu begonnene Bauten gezählt wurden, die Tau- senden von fremden Arbeitern Beschäftigung und den Städtern hinwieder Verdienst gaben . . . Hätte die zürcherische Regene- rationsperiode nichts anderes geleistet als diesen erstaunUchen Aufschwung der Stadt Zürich, so würde sie schon ruhmreich genug in der Geschichte dastehen." (Wettstein, Regeneration.)
Den Mittelpunkt der grossen Umwandlung der innem Stadt bildete der Bau der Münsterbrücke (1835 — 1838). Sie öffnete
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nun den freien Verkehr zwischen der grossen und der kleinen Stadt, zwischen dem rechten und dem linken Seeufer, und blieb neben der Rathausbrücke, die in der kleinen Stadt nur an enge Gassen anschloss, noch für lange Jahre die einzige wirklich fahr- bare Verbindung über die Limmat zwischen dem vSee und Baden im Aargau. Die Ausführung der Brücke, wie der andern in den Verträgen von 1834 und 1835 mit dem Staat genannten Bauten, hatte das Kaufmännische Direktorium zu übernehmen, an dessen Spitze Martin Escher-Hess in rein ehrenamtlicher Tätigkeit unserer vStadt die grössten Dienste leistete. Die Plan- ausarbeitung und Bauleitung wurde dem Ingenieur Ludwig Negrelli, bisher vStrassen- und Wasserbauinspektor des Kantons St. Gallen, übertragen. Die Grundsteinlegung feierte man am 22. Februar 1836, die Einweihung am 20. August 1838, und zwar gründlich: Man ging hinüber, herüber und unten durch, um das Bauwerk auch wirklich von allen Seiten zu besichtigen. Die Ehrengäste hatten sich im Rathaussaal versammelt und um II Uhr in feierlichem Zuge zum Helmhaus begeben, wo die ersten offiziellen Ansprachen gewechselt wurden. Dem Ingenieur NegrelU überreichte Stadtpräsident Ziegler eine goldene Medaille. Dann ging man zuerst zu Fuss über die Brücke und bestieg in der Nähe des alten Rathauses vier bekränzte Schiffe, die unter den schlanken Gewölben hindurchfuhren. An den Treppen der neuen Quais ge- landet, bestiegen die Ehrengäste 22 bereitstehende Equipagen, die sich über die Brücke, den Münsterhof und die enge Waaggasse bewegten, um alsdann im Triumph durch die neue Poststrasse zurückzukehren und die Brücke zum zweitenmal zu befahren. Während die Eingeladenen sich zum offiziellen Bankett ins Kasino begaben, stürmte das Publikum jubelnd über die freigegebene Brücke. Abends um 8 Uhr erstrahlten Brücke und Stadt in feen- hafter Beleuchtung, und auf den Trümmern des dem Abbruch verfallenen Wellenberg prasselte ein Brillantfeuerwerk. Ganz be- sonders flott hatte sich auf dieses Fest die am 5. Juni 1837 ^^ Zunfthaus zur , .Meisen" an der Münsterbrücke eröffnete ,,Bank in Zürich" herausgeputzt.
Die Einweihungsfeier hatte aber nicht nur der Brücke, sondern auch den angrenzenden Quais gegolten, die ungefälir gleichzeitig mit ihr entstanden waren. vSchon 1823— 1825 hatte man ein Stück
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des Limmatquai (von der Roseiigasse bis zum Schlachthaus, der jetzigen Fleischhalle) gebaut. Zehn Jahre später folgte der Rathausquai; daran schloss sich der Sonnenquai, wobei der Einfluss des Kanals unter dem Helmhaus zugedeckt wurde, und am gegenüberliegenden Ufer der Stadthausquai (zwischen dem alten Stadthaus und Kaufhaus). Die Quais mit ihren hohen Mauern und Geländern haben die Zürcher etwas von ihrem Flusse abgesperrt, dem dadurch viel Leben und Bewegung entzogen wurde. Nach den Schilderungen Lud. v. Löws hatte sich z. B. auch das Sechseläuten, das seit 1819 in grösserem Umfang ge- feiert wird, zum guten Teil auf dem Flusse abgespielt. Diese Zunft- begrüssungen auf den reichgeschmückten Schiffen und das bunte Gewimmel der ,, Gondeln" zwischen den Ufern hin und her fielen wie so mancher Reiz des alten Zürich der modernen Zeit zum Opfer. Mit einem Durchbruch an der untern Torgasse wurde von der Rämistrasse und dem Seefeld her der Zugang zum Sonnenquai gewonnen. ,,Das erste neue Haus, das an den Sonnenquai gebaut wurde, war der Gasthof zur ,, Goldenen Krone", jetzt ,,Zürcherhof", der durch seine für damahge Begriffe ungeheure Höhe mich in Erstaunen setzte. Daneben entstand die ,, Budenhalle", in ihrer Art auch eine sehr merkwürdige Neuigkeit, so viel Läden ,,alle beieinander!" (Dr. F. Mej'er). Dafür verschwanden die Buden- reihen unterhalb dem Helmhaus, an der ,, alten Wühre", und es wurde auch dort, am Fusse der Grossmünsterterrasse, eine aus Quadersteinen massiv gebaute neue ,, Budenreihe" errichtet. So- wohl das ,,neue Kornhaus" (,,alte Tonhalle") auf der Holz- schanze, wie der neue Hafen wurden nach Plänen Negrellis ausgeführt. Der lange steinerne Hafendamm reichte herab bis auf die Höhe der heutigen kleinen Anlage beim Cafe de la Terrasse, und dort Uefen die Dampfschiffe zur Landung ein. Der obere Teil des Hafendammes (beim Kornhaus) war vom Lande aus zugäng- lich und fahrbar. Ganz bedeutende Auffüllungen haben am hnken Limmatufer, hinter dem alten Stadthaus, stattgefunden vmd in der Gegend der Fröschengraben- und Schanzengrabeneinmündung grosse Veränderungen herbeigeführt.
Die neue Poststrasse (Paradeplatz — Münsterhof), zu welcher Architekt Conrad Stadler die Idee gab, war im Oktober 1838 vollendet. An ihrem Eingang, auf der Nordseite, erstand das erste
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eigentliche Hotel der Stadt, das „Hotel Baur", das die bisherigen Gasthöfe, auch ,, Schwert" und ,, Krone", an Eleganz und Grösse überstralilte. Das erste Bankett im ,, Hotel Baur" hat am 31. Ok- tober 1838 stattgefunden zur Feier der Eröffnung des gegenüber- Uegenden Postgebäudes. Ein malerischer Umzug, in dem die verscliiedenartigsten Postveliikel paradierten, war der Feier vor- ausgegangen, und mit Trommelwirbel, Trompetengeschmetter und dem Jauchzen der Menge wurde der erste Post-Kurswagen be- grüsst, der durch den Eingang in den Posthof sprengte. Dass dieser denkbar günstig gelegene Prachtbau 1872 von der eid- genössischen Postverwaltung aufgegeben und der Privatspekulation überlassen wurde, um dafür (am i. Dezember 1873) einen nüch- ternen Neubau auf dem Areal des alten Feldhofs an der Bahn- hofstrasse zu beziehen, verstellt heute kein Mensch mehr. Hatte früher zum Paradeplatz nur die Verbindung der Katzentor- brücke (am Ausgang der Waaggasse) bestanden, so wurde nun der Fröschengraben auf eine weitere Strecke überwölbt und da- durch der Neue Markt (Paradeplatz) vergrössert; hier stand eine einsame Linde (s. vSeite 36) noch bis zum 25. März 1857. Seit 1835 war durch die Bleie her wegbrücke über den Schanzen- graben die neue Fahrstrassenverbindung mit der Enge hergestellt. Von noch grösserer Bedeutung war für die .Stadt der Durchbruch der Rämistrasse zwischen der Hohen Promenade und dem Landoltschen Besitztum (Kunsthausareal) ; er hiess lange Jahre ,,der Durchbruch" schlechthin und war Hauptmotiv des Sechse- läutenumzugs vom 3. April 1837, von der löbUchen Weggenzunft mit fremden Architekten in Equipagen, schaufei- und pickel- bewehrten Lazzaronis etc. dargestellt. ,, Poetische" Inschriften lauteten: ,,E ganz neus Züri gids, e bsunders Späcktackel", oder ,,Fahr hin, du altes Nest, das uns geboren, die neue Zürich reisst mächtig mich dahin". Die vom Staat erbaute Rämi-Tannenstrasse fand ihre Fortsetzung in der 1837/38 entstandenen Neuen Winter- thurer Landstrasse. Der bedeutend verbreiterte und mit Trottoirs versehene Zeltweg wurde 1837 bis zur alten Kreuzkirche am Kreuzplatz verlängert und dort die Kirchhofmauer durchbrochen. Bald ging es auch dem Kirchlein selbst ans Leben. Es war ur- sprünglich nur als Abdankungskapelle für einen 1611 neu an- gelegten Friedhof erbaut, wurde aber dann in immer steigendem
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Masse als Filialkirche des Grossmünsters für die Gemeinden Hot- tingen, Riesbach und Hirslanden benutzt und ausgebaut. Am 19. Januar 1834 beschlossen diese drei Gemeinden die Ablösung von der Kirchgemeinde Grossmünster und Bildung einer selb- ständigen, neuen Kirchgemeinde, für welche am 29. Juni gleichen Jahres unter elf Vorschlägen der Name Neumünster gewählt wurde. Da aber die drei Gemeinden über den Bau einer neuen Kirche nicht einig werden konnten, bildete sich zu diesem Zweck eine Aktiengesellschaft. Auch über die Wahl des Bauplatzes, den Baustil usw. herrschte viel ^Meinungsverschiedenheit. Die Ge- meinde entschied sich am 27. April 1834 für den sogenannten Zelgli- hügel als Baustelle. Am 23. Juh 1836 wurde der Grundstein der Neumünsterkirche gelegt, am 11. Augu.st 1839 die Kirche eingeweiht.
Durch die kantonale \'erfassung vom 10. März (Volksabstim- mung 20. März) 1831 war auch die Gemeindeverwaltung im Kanton Zürich neu geordnet worden. Erst jetzt erhielten die Gemeinden ihren Charakter als öffentlich-rechtHche Korporationen, und es knüpfte sich nun an die Verfassungsbestimmungen über die Gemeindeverwaltung eine reiche Gesetzgebung, wobei das soge- nannte ,, junge Zürich" mit Dr. Bluntschli au der »Spitze für mög- Hchst ausgedehnte vSelbständigkeit und Freiheit der Gemeinden eintrat. Die Organisation der Gemeinden bUeb sich im allgemeinen gleich, nur waren jetzt die Bürger wieder im vollen Besitz ihrer politischen Rechte. Den auf Grundeigentum Niedergelassenen wurde durch das Gesetz vom 20. September 1833 in Angelegen- heiten der Schule und Kirche das Stimmrecht eingeräumt (erst das Gesetz betreffend das Gemeindewesen vom Jahre 1855 ver- liess den Boden der reinen Bürgergemeinde und schuf die Ein- wohnergemeinde). Das Gesetz vom 30. Mai 1831 führte auch für Zürich, wie für die andern Gemeinden die Gemeindeversamm- lungen ein, womit der Aktivbürgerschaft die Rechte und Kom- petenzen zurückgegeben wurden, die sie 1816 an den Grossen Stadtrat hatte abgeben müssen. Auf Grund der neuen Verfassungs- artikel gab sich Zürich nun auch seine neue ,, Stadtverfassung", die Gemeindeordnung vom 14. September 1831. Nach dieser besteht die Gemeindeversammlung aus den stimmberech- tigten, ins Bürgerbuch eingetragenen vStadtbürgern. Zu ihren
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Kompetenzen gehört unter anderm die Wahl des engern Stadt- rats und des vStadtpräsidenten. Der engere Stadtrat besteht aus 13 MitgHedern; er unterhegt alle zwei Jahre der hälftigen Er- neuerungswahl. Der grössere Stadtrat besteht aus dem engern Stadtrat und 60 weitem Mitgliedern, die \-on den Zünften gewählt werden, und zwar von jeder Zunft so viel als sie Grossräte zu wählen hat. — Das Jahr 1837, das letzte der Amtsperiode von Stadt- präsident J. J. Escher, war ausgefüllt mit Kämpfen für eine aber- maüge Verfassungsrevision, die auch für die Stadt Zürich wichtige organisatorische Änderungen mit sich brachte.
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VIERZEHNTES KAPITEL
STADTPRÄSIDENT ZIEGLER
Kurz, aber bedeutungsvoll war die Zeit, da Oberst Paul Karl Eduard Ziegler an der Spitze von Zürichs Stadtverwaltung stand. Als scharfkantiger Charakter, als willensstarke Persönlich- keit tritt er uns aus der in ihrer soldatischen Schlichtheit und Geradheit so sympathischen Biographie Adolf BürkUs entgegen. Ziegler (geboren den ii. Dezember 1800, gestorben am 21. August 1882) gehört zu den hervorragendsten historischen Gestalten Zürichs im 19. Jahrhundert, und seinen Namen umgab schon zu seinen Lebzeiten ein Glorienschein. Er hat ihn sich erworben durch seine eines antiken Helden würdige Haltung in schicksalsschwerer Stunde. Am 6. September 1839, ^^^ ^^^t jedermann in Zürich auf die eine oder andere Weise sich blamierte, als niemand mehr wusste wo aus imd an, hat er allein von allen den massgebenden Persönlichkeiten den Kopf lücht verloren, er allein gewusst, was er wollte — und damit die Stadt vor namenlosem Unglück bewahrt. Und \\ieder trat das Schicksal mit einer entscheidenden Frage an ihn heran; zur Sonderbundszeit, als Oberst Ziegler mit allen seinen Sympathien auf der vSeite der KathoUkeu stand. Er wählte als Mann und Soldat den Weg der Pflicht, und er hat sie erfüllt als ein Held auf blutiger Wahlstatt. An Popularität im Schweizer- land stand Oberst Ziegler wenig liinter einem General Dufour zurück, und überdies gehörte ihm auch die verehrungsvolle Be- wunderung der Besiegten. Was verschlug's, dass daneben Oberst Ziegler in seinen politischen Ansichten zeitlebens einer einseitigen und oft genug in schroffer Form auftretenden konservativen Richtung huldigte ! Das begriff sogar der RadikaUsmus seiner Zeit, dass es einen Oberst Ziegler nicht nach den für andere gelegent- lich fast imgeniessbaren parteipolitischen Anschauungen beurteilen durfte, und Ziegler selbst hat sich durch die strenge Unparteilich- keit imd geistige Überlegenheit, mit der er als Stadtpräsident und \4elbewunderter Leiter der Gemeindeversammlungen seines
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Amtes waltete, den Respekt seiner politischen Gegner erzwungen, den sie in solchem Grade nicht leicht einem andern Konservativen dargebracht hätten.
Eduard Ziegler war ein Soldatenkind. Sein \'ater, der spätere niederländische Generalmajor Jakob Christoph Ziegler, stand im Dezember 1800 als ,, Oberstwachtmeister" (Bataillonskommandant) im Regiment Bachmann im Engadin den Franzosen gegenüber; seine Frau Johanna Margareta, geb. v. Meiss von Teufen, hatte er nach Sterzing in Tirol in Sicherheit gebracht. Dort wurde Eduard Ziegler geboren und am 18. Dezember 1800 vom Pater Guardian des Kapuzinerklosters zu Sterzing getauft. \'om 20. August 1801 an wohnte die Familie wieder in Zürich, und hier verbrachte Eduard Ziegler mit seinem altem Bruder Hans (Stadt- rat 1840 — 1842) glückliche Kinderjahre. Schon 1815 konnte der körperlich stark entwickelte Eduard in das neugebildete hol- ländische Regiment seines Vaters eintreten. Er wurde 181 7 Ober- leutnant, 1821 Bataillonsadjutant, 1826 Regimentsadjutant mit Hauptmannsrang. Im Dezember 1828 kündete Holland die Militär- kapitulation, und zu Anfang 1830 bezog die FamiHe Ziegler wieder ihre frülrere Wohnung im ,, vordem Pehkan" (am PeHkanplätzli, Seite 35). Im Juni 1830 wurde Eduard Ziegler vom Kleinen Rat des Kantons Züricli zum Oberstleutnant und Kommandanten des 4. Auszüger-Bataillons ernannt. Freiwillig \\-idmete er sich neben seinem Kommando der Instruktion des Knaben-Kadettenkorps. Der Ustertag 1830 brachte seine militärische Karriere für einst- weilen zum vStillstand. Im Februar 1832, nach der Aufhebung des Kasernendienstes, verzichtete Ziegler auf sein zürcherisches Offiziersbrevet. Es war die Zeit, da die miwirschen Konservativen es hebten, der Regierung ,,den Bündel vor die Füsse zu werfen", zu demissionieren, demonstrativ aus der Grossratssitzung weg- zulaufen usw. Ziegler schnallte den ,, Habersack" an den Rücken und liess sich mit seinem Freund Hauptmann Meyer-Biedermann als gemeiner Infanterist bei der Eandwehr des Stadtquartiers einreihen. Inzwischen wählte ihn die Schiffleutenzunft (1832) in den Grossen Rat, dem er bis 1868 miunterbrochen angehörte. In den Stadtrat war er schon am 14. September 1831 gewählt worden; im Etat des Stadtrats figuriert Ed. Ziegler in den ersten Jahren als ,,Ofengschauer"; später wurden ihm wichtige Zweige zu-
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geteilt. Am 20. November 1837 wählte ihn die Gemeindeversamm- lung an Stelle J. J. Eschers zum Stadtpräsidenten. Die Stadtgemeinde sprach ihm am 10. Oktober 1839 für seine Haltung am 6. September ihre Dankbarkeit aus, die der Stadtrat noch durch Überreichung einer pergamentenen Urkunde besiegelte. Eine Versammlung im Kasino am 19. Januar 1840 dedizierte ihm aus gleichem Anlass einen Ehrendegen mit goldenem Griff und passender Inschrift. Gerne nahm Ziegler nun aus den Händen der konserv-ativen Regierung die Erneuerung seines Offiziers- brevets entgegen; mit einem Sprung avancierte er nun wieder (April 1840) vom gemeinen Landwehrsoldaten zum Obersten der Infanterie und gleichzeitig zum Waffenkommandanten der Infanterie des Kantons Zürich. Am 26. Mai 1840 erfolgte seine Wahl zum Regierungsrat, die seinen Rücktritt als Mit- glied und Präsident des Stadtrates nach sich zog. Er verabschie- dete sich am 4. Juni 1840 mit bewegten Worten von seinen Stadt- ratskollegen; ,,eine Männerträne im Auge, verliess jedes Mitglied die Sitzmig", sagt das Protokoll.
Im Regierungsrat sass Ziegler bis Ende 1866 und war häufig dessen Präsident (als einziger der bisherigen konservativen Re- gierungsräte blieb er aucli nach 1845 unangefochten in der Regierung) . Eine fruchtbare Tätigkeit entfaltete Ziegler besonders als ;\IiHtär- direktor, stiess dabei allerdings auch auf Widerstand in den Reihen der Offiziere selbst, so 1841, als eine Anzahl Kavalleristen wegen einiger Äusserungen Zieglers im Grossen Rat im ,, Landboten" eine Aufsehen erregende Fehde gegen ihn führten. 1844, nach dem Tode von Oberst und Zeugherr Salomon Hirzel im Feldhof, wurde Oberst Ziegler Präsident des Kantonskriegsrates. Im August des gleichen Jahres wählte ihn die Tagsatzung in Luzern zum eidgenössischen Obersten. 1845, beim Aufgebot wegen des Frei- scharenzugs, erhielt er das Kommando der 2. Brigade der Di- vision Gmür, am 22. August 1845 die Ernennung zum Mitglied und Vizepräsidenten des eidgenössischen Kriegsrates. In brüskem Tone quittierte Ziegler im August 1847 diese Stellung, weil Ochsenbein von Bern, den die Tagsatzung wegen seiner Be- teiligung am Freischarenzug aus dem eidgenössischen Stabe ge- strichen hatte, nun trotzdem beim Übergang des Vororts an Bern als dessen Regierungspräsident die Tagsatzung präsidieren sollte.
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Im Sonderbundskrieg führte Oberst Ziegler die 4. Division. Am 13. Januar 1848 wurde ihm vom zürcherischen Regienmgsrat ein Dankschreiben überreicht; im Grossratssaal übergab er in feier- Uchem Akte die aus Luzern mitgebrachten Waffen Zwingiis, die sich nun im Landesmuseum befinden. Dem Nationalrat gehörte Eduard Ziegler von 1848 bis 1855 und dann wieder von 1860 bis 1866 an. Als er 1856 anlässlich des Xeuenburger Handels und wieder 185t) beim oberitalienischen Krieg ein wichtiges Kom- mando erhalten sollte, bereiste er zuvor als Zi\'ilist die in Be- tracht fallenden, der Schweiz benachbarten Grenzgebiete. 1860 war Oberst Ziegler Divisionär und Platzkommandant in dem von Unruhen heimgesuchten Genf und erwarb sich auch dort trotz seiner unbeugsamen Strenge im Dienst eine ausserordenthche Popularität; er wurde mit Ehren- und Dankesbezeugungen über- häuft. Xach Xiederlegung seiner öffentlichen Ämter, Ende 1866, gehörte er noch bis 1869 der Stadtarmenpflege an und ärgerte sich dabei etwa, wenn Arme für sich mehr verlangten, als er selbst, der Bedürfnislose, zu seinem Unterhalt bedurfte. Die Schiffleuten- zunft verehrte in ihm ihren vieljährigen Präsidenten. Sein Bio- graph sagt von Eduard Ziegler: ,,\Vir haben ihn als von Hause aus konservativ kennen gelernt; so bekämpfte er denn auch im Rate energisch alle Bestrebungen, die ihm begründete Zustände und Ordnungen in vStaat und Kirche zu bedrohen schienen, und machte mitunter in schroffer Weise seinem Unmute über solche Bestrebungen L,uft. Zur Abhilfe von wirkUchen Übelständen und zu dem, was er als Fortschritt erkannte, bot er nichtsdestoweniger die Hand. Er war überhaupt nicht ein Parteimann, der die eigene Überzeugung hätte verleugnen oder welcher sich in wichtigen Fragen der von seinen politischen Frevmden ausgegebenen Parole ohne selbständige Prüfung hätte unterziehen können. Im Gegen- teil erwies er sich, wie wir aus der Schilderung der Septembertage von 1839 ersehen haben, diesen Freunden mitunter sehr un\\-ill- fälirig und durchkreuzte ihre Pläne. Rücksichtslos im Vorgehen, wo sein Pflichtgefühl in Frage kam, tnig er den äusseren Formen nicht immer volle Rechnung; im Ratssaal hielt man aber dem Manne, der sich auf dem Felde der Ehre als Ritter ohne Furcht und ohne Tadel em-iesen hatte, hie und da ein herbes Wort zu gut, das an andern scharf gerügt worden wäre."
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Als Eduard Ziegler sein Amt als Stadtpräsident antrat, be- fand sich das politische Leben des Kantons in starker Bewegung. Die ersten sechs Jahre, nach welchen gemäss einer Verfassungs- bestimmung frühestens eine Verfassmigsre\'ision vorgenommen werden durfte, waren abgelaufen, und nun meldeten sich aufs neue die ,, Volks wünsche" nach einem Ausbau der Verfassung. Zu ihrem \'ertreter machte sich insbesondere der einflussreiche Winterthurer ,, Landbote". Im Vordergrund dieser Volksbegehren stand wiederum eine Änderung der Vertretung im Grossen Rat zugunsten des Landes und sodann das ,,Veto" oder Referendum (Volksabstimmung über die wichtigsten Gesetze). Da war es denn höchst interessant und lehrreich zu sehen, dass gerade die mit der Demokratie emporgekommenen Radikalen sich mit aller Macht gegen eine weitere Demokratisierung der Verfassung stemmten, während beispielsweise das ,,Veto" in konservativen Kreisen, in der ,,Freitagszeitung" und anderwärts, sehr warme Verfechter fand. Man konnte nicht \'erächtUcher, nicht wegwerfender von der ,, Masse", vom ,, Pöbel" sprechen als es Dr. Ludwig Keller im Grossen Rate tat (vgl. Verhandlungen vom 28. März 1837), ^^- dem er die Gebildeten zum Zusammenhalten im Kampf gegen ,, Roheit und Pöbelherrschaft" aufrief. Nicht minder charak- teristisch war andererseits die Äusserung eines bekannten Rats- mitgliedes vom Unken vSeeufer, welches die so geheissene Mittel- klasse und die Angesehenen der Landschaft als ,,den eigentlichen Souverän" bezeichnete. Gegen das Begehren einer abermahgen Beschränkung ihrer Vertretung im Grossen Rate erhob sich in der Stadt auffallend wenig Widerstand. Es war ja nicht zu leugnen, dass die Männer von Uster mit ihrer Zustimmung zu einer Ver- tretung von ein Drittel Stadt und zwei Drittel Landschaft der Stadt immer noch ein grosses Vorrecht gelassen hatten. Jetzt aber verlangte man die verhältnismässige Vertretung nach der Kopfzahl, nach ,, Proporz", wie man damals gesagt hätte, wenn das Wortungetüm schon bekannt gewesen wäre. Die bisherige Zunfteinteilung der Wählerschaft fiel weg, und der ganze Kanton wurde in 51 Wahlkreise eingeteilt, welche insgesamt 192 Mit- glieder direkt zu wählen hatten; indirekt konnte der Grosse Rat selbst noch 12 weitere Mitgheder wählen. Die Stadt Zürich bildete fortan nur einen einzigen Grossratswahlkreis mit 13 Ver-
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tretern (statt 66!). Das „Veto" und die Grossratstaggelder wurden abgelehnt. Der ganze Verfassungsentwurf wurde vom Grossen Rat am 19. Dezember 1837 "^t 131 gegen iq Stimmen angenommen. Unter den Verwerfenden befanden sich (als einziger bedeutender Landvertreter) der ganz in einen ängstlichen Kon- servativen umgewandelte Regierungsrat Dr. Hegetschweiler, Ge- neral Ziegler, alt Bürgermeister v. Muralt, vStadtpräsident Oberst Ziegler, alt vStadtpräsident J. J. Escher u. a. Mit der neuen Ver- fassung, die vom Volk am 4. Februar 1838 bei sehr schwacher Beteiligung mit 15,307 gegen 3379 Stimmen angenommen wurde, begann für den Kanton Zürich die grundsätzhche, wenn auch vor- erst bloss repräsentative Demokratie. Die Zahl der vom Grossen Rat zu wählenden Regierungsräte blieb zunächst 19; erst das Verfassungsgesetz vom 26. Mai 1840 brachte die Reduktion auf 13 Mitglieder. Das letzte ihrer seit der Revolution immer noch innegehabten Vorrechte verlor die Stadt mit dem Verfassungs- gesetz vom 27. September 1838, welches ihre ausnahmsweise Vertretung in den Bezirksbehörden aufhob und sie darin den übrigen Gemeinden gleichstellte. Dass die Stadt nach dem Gesetz vom 30. April 1832 nicht wie die andern Gemeinden eine Schul- gemeinde bildete und für die Beaufsichtigung ihres Schulwesens einen eigenen vSchulrat besass, dass im fernem das Gesetz vom 27. März 1833 für die Kirchgemeinden der Stadt und der dahin kirchgenössigen Landgemeinden besondere Bestimmungen auf- stellte, war nicht sowohl als Vorrecht, denn als bilHge Berück- sichtigung ihrer besondem Verhältnisse zu betrachten.
Mit der neuen kantonalen \'erfassung erhielt die Stadt Zürich auch eine neue Gemeindeordnung oder Stadtverfassung. Da- bei wurde u.a. der Wahlmodus für den Grossen Stadtrat ge- ändert. Zwar blieb es für diesen bei der bisherigen Zunfteinteilung ; es wurde der Personalbestand der Zünfte sogar noch gestärkt, indem jeder Bürger gezwungen wurde, einer Zunft beizutreten. Auf 30 Zünfter war je ein Vertreter in den Grossen Stadtrat zu wählen, und es sollte jede Zunft mindestens einen Vertreter haben ; die bisherige Liniite von 60 ^litgliedern des Grossen vStadt- rates wurde also fallen gelassen, ebenso die hälftige Erneuerungs- wahl alle zwei Jahre; die Gesamterneuerungswahlen sollten je am Schluss der vierjährigen Amtsperiode stattfinden. Der engere
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Stadtrat wurde auf 9 Mitglieder reduziert, die wie bisher es officio auch dem Grossen Stadtrat als stimmberechtigte Mit- glieder angehörten. Die neue Stadtverfassung trägt das Datum der Gemeindeversammlungen vom 10. Oktober und 23. Dezember 1S39 und die Unterschrift des Stadtpräsidenten Ziegler.
Schon bei den erstmals nach den neuen \'erfassungsbestim- mungen vorgenommenen Grossratswahlen vom 4. März 1838 war offenbar geworden, wie sehr die Radikalen die Fühlung mit dem Volk verloren hatten. Dr. Ludwig Keller, Wilhelm FüssH, Eduard Sulzer u. a. wurden nirgends mehr gewählt und konnten nur auf den Krücken der indirekten Wahlen wieder in den Rats- saal gelangen. Staatsanwalt David Ulrich verdankte sein Mandat dem Wahlkreis Bülach. Zu der unheildrohenden Verschärfung und Zuspitzung der politischen Lage im Jahr 1838 hatte der Kampf um die Schule und der wachsende Gegensatz zwischen Schule und Kirche nicht wenig beigetragen. Während in der Schule ein frisches, reiches Leben pulsierte, herrschte in der Kirche Stillstand und Unfruchtbarkeit. Sie entfremdete sich dadurch die InteUigenz; die Presse der ,, Brutal-Radikalen" aber behandelte Kirche und Pfarrer fortwährend mit dem giftigsten Hohn und Spott. Pohtische, religiöse und persönliche Motive machten die üben\-iegende ^Mehrheit der GeistUchen zu unversöhnHchen Gegnern der herrschenden radikalen Partei und namentUch der durch die regenerierte Volksschule repräsentierten sogenannten ,, neuen Lehre". Die ostentative LiederUchkeit der Lebensführung ein- zelner radikaler Führer erleichterte es den Pfarrern, Texte zu lehrreichen Predigten gegen die ,,neue Lehre" zu finden. ,,An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen". Gehörte auf dem Lande anfangs da und dort noch einiger IVIut dazu, gegen die neue Ord- nung zu predigen, so waren dagegen Sticheleien gegen die Re- genten für die Kanzeln der Stadt immer ein dankbares Thema. In der Kirchensynode kam es zu heftigen Zusammenstössen zwischen Pfarrern und weltlichen radikalen Mitghedern der Sy- node. Radikale Redner wurden auf der Synode vom 29. Oktober 1833 von den geistUchen Herren mit Stampfen, Scharren und Brummen unterbrochen, was dieser hohen \'ersammlung deu Namen der ,, Stampf sj-node" und zudem einen regierungsräthchen Rüffel wegen unziemUchen Betragens eintrug. Wenig Eindruck
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machte es hinwieder, wenn Dr. Keller im Grossen Rat (1837) die Geistlichkeit einen »Stand nannte, der in einer Periode allgemeiner Tätigkeit nur Trägheit, Dummheit imd Lahmlieit zeige und einen Scheelblick auf alles werfe, wo sich edleres Leben rege. Als Stadt- zürcher (mit wenigen Ausnalimen) waren die Geistlichen fast durch- weg konservativ. Sie erblickten in der neuen Ordnung der Dinge, wie Li. Meyer von Knonau ausfülart, ,,eine vStorung mancher bis- her genossener und von vielen jetzt noch als ein Recht angesehener Vorzüge. Das Neue, das den noch übrig gebhebenen Nimbus, der die weltHchen Beamten umgab, zerstörte, hatte auch den der Geistlichkeit nicht unangetastet gelassen und ihn auf diejenige Würde beschränkt, mit welcher Pflichttreue und moraHscher Wert den Beamten immer umgibt. Ihre Macht und ihr Ein- fluss waren in mehreren Beziehungen vermindert worden, und wenn das Gesetz mit Recht den Schullehrer höher stellte als früher, so sah gleichwohl mancher Pfarrer bald mit mehr, bald mit weniger Grund durch die Ansprüche des jungen Mannes sich verletzt, der die Herrschaft über die intellektuelle Sphäre mit ihm teilen wollte." Gegen Scherrs Schulreformpläne hatte die Geist- lichkeit schon anfangs 1832 entschieden und nicht immer in ge- wählten Worten Stellung genommen. Sie bezichtigte ihn (1836) auch als Urheber des Antrags, Strauss zu berufen. Der Bildner der jungen, mit Korpsgeist erfüllten, seinen Freisinn und Ra- tionalismus zur Schau tragenden Lehrer war den Geisthchen immer ein Gegenstand besonders kräftiger Antipathie.
vScherr machte sich aber auch im eigenen radikalen Lager mit seiner reizbaren, selbstgefälligen und eigensinnigen Art, die ihm den Vorwurf der Unfehlbarkeit und Dünkelhaftigkeit ein- trug, viele Feinde. ,, Schulpapst" und ,,Schult3-rann" nannten ihn nicht nur die Konservativen. Mit Bürgermeister ]\Ielchior Hirzel, dem Prä.sidenten des Erziehungsrats, kam er ganz aus- einander. Hirzel fürchtete nicht ohne Grund, Scherr könnte ihm den heiss ersehnten Ruhmespreis, in der Gesclüchte als Haupt- urheber des regenerierten Volksschulwesens bezeichnet zu werden, streitig machen. Scherr dachte skeptisch von der Schulsynode, einer Schöpfung Hirzels (Gesetz vom 26. Oktober 1831) ; auch über andere wichtige Punkte bestanden zwischen den beiden Männern Differenzen. Da Hirzel die Mehrheit des Erziehungsrats
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fast immer auf seiner Seite hatte, erklärte Sclierr im Herbst 1835 seinen Rücktritt aus dieser Behörde. Der Grosse Rat nalim je- doch die Demission nicht an. Der Streit dauerte fort und drang in die Öffentlichkeit, die sich alsbald in ,,Hirzehaner" und ,,Scherri- aner" spaltete. Nun demissionierte Scherr am 26. Februar 1836 als Seminardirektor. Es wurde aus der Sache eine hoch- politische Affäre. Während der Entscheid über das Rücktritts- gesuch noch in der Schwebe bheb, erhess der Grosse Rat am 28. Sep- tember 1836 ein neues Seminargesetz nach den Wimschen Scherrs ; allein den Bemühungen Hirzels gelang es, ein Ausführungsregle- ment dazu durchzusetzen, das Scherrs Sieg illusorisch machte und den Seminardirektor unter eine besondere Aufsichtsbehörde stellte. Ein neuer heftiger Feind erstand Scherr in Dr. J. C. Bluntschh, dessen Durchfall bei der Oberrichterwahl Scherr in einer Korrespondenz der ,,Augsb. Allg. Zeitg." besprochen hatte. Bluntschh schrieb eine leidenschafthche Streitschrift gegen Scherr, welcher daraufhin am 24. Juli 1837 sein Entlassungsgesuch er- neuerte. Der IMeinungskampf um diese Angelegenheit im Grossen Rat und in der Presse dauerte noch weit ins Jahr 1838 hinein und endete damit, dass Hirzel und Scherr sich wieder versöhnten und letzterer seine Demission am i. November 1838 zurücknahm. Der Hader im radikalen Lager war nun endhch beigelegt, aber seine Spuren Hessen sich nicht mehr verwischen. Er hatte mitgeholfen, die Lage kritisch zu gestalten. Ludwig Meyer von Knonau äussert sich über dieselbe: ,,Im Kanton Zürich stand gegen Ende des Jahres 1838 das poUtische Barometer nicht tiefer als in den meisten andern Schweizerkantonen und europäischen Staaten. Man war mit einem Teil der Gesetzgebung, der Ver- waltung und Rechtspflege, im ganzen genommen, nicht befriedigt. Warme Anhänghchkeit an das Bestehende war nicht vorhanden; doch sann man nicht auf dessen Umsturz." Die Regierung — sagt Me3-er von Knonau, selber Mitglied des Regierungsrates — ,,genoss als solche keiner wahren Achtung, und wenn etwas davon gegen einzelne Mitgheder geäussert wurde, so geschah dies in persönlicher Weise. Es konnte auch schon wegen der beständigen Ausfälle der meisten öffentlichen Blätter nicht anders sein." Im Schosse des Regierungsrats herrschten oft herbe Differenzen, es fehlte der Zusammenhalt, die einheithche Leitung. Von den
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beiden Bürgermeistern konnte weder Hirzel noch Hess als Staats- mann im wahren Sinne des Wortes gelten. Melchior Hirzel, gutmütig und treuherzig von Natur und von Leidenschaften un- befleckt, richtete mit seiner rastlosen Vielgeschäftigkeit und seinem unklaren Enthusiasmus \'iel Verwirrung an. Es fehlte ihm auch gelegentlich an Gefühl für die Würde seiner ,, konsularischen Stellung". Wenn er als Bundespräsident selber im Hotel ,, Schwert" vorsprach, um die Korrespondenzen in Empfang zu nehmen und damit dem fremden Kurier ,, einen Gang zu ersparen", oder wenn er im Kasino einer internationalen Flüchtlingsgesellschaft, mitten im Saale stehend, mit seiner hohen Teuorstimme ein paar Schweizer Älplerweisen vorjodelte, so fand auch das Volk das unpassend. An J. J. Hess, dem Sohn eines der privilegierten Metzger der Stadt, vermisste L. Meyer von Knonau ungern ,,das Gefülil der Unabhängigkeit, zu welchem er durch seine A'erhältnisse berufen schien". Er war bildsames Wachs in den Händen Eudwig Kellers. An der Spitze des Grossen Rates stand seit dem 19. März 1838 der ,, kluge Müller von Bauma", Statthalter Heinrich Gujer, der erste Grossratspräsident vom Lande, neben ihm als Vizepräsident Jonas Furrer von Winterthur. Gujer entliess am 20. Dezember 1838 den Grossen Rat mit den Worten: ,,Der eine trägt sich mit der Verwirklichung grossartiger edler Pläne, während andere tausend näher liegende Bedürfnisse zu befriedigen suchen, ohne sich tiefer mit der Frage zu befassen, welches der Erfolg der Gewährung derselben für das Ganze wäre. Auch unsere Revolution hat diese Erscheinungen dargeboten. Eine grosse Zahl von Wünschen und Hoffnungen hat nicht befriedigt werden können, weil sie nicht gut waren. Viele glaubten sich dadurch zurück- gesetzt und getäuscht. Ein gewisser Missmut und L'nzufriedenheit bHeben als Folge davon zurück. Die Stimmung dauert fort. Auch den neuen Grossen Rat trifft der \'orwurf, dass er den Wünschen und dem Interesse des Volks zu wenig Rechnung trage." Die Präsidialrede klang wie eine letzte Mahnung und Warnung. .Sie blieb fruchtlos wie alle frühern.
DRITTER TEIL
DER ZÜRICH-PUTSCH
;i^
(Diivid Friedrich (bfrauss
von ßiidwigsburg
FÜNFZEHNTES KAPITEL
„STRAUSS KOMMT!"
Alles hatte der Radikalismus in seine Gewalt gebracht: Ge- ■ setzgebung, Verwaltung, Justiz, höheres Unterrichtswesen und Volksschule. Als er sich auch hinter die Kirche hermachte, brach er zwar nicht den Hals, aber beide Beine und musste eine Zeitlang das Bett hüten. Es war für ihn eine heilsame Lehre, die bis heute noch nachwirkt. Insofern mag es eine offene Frage bleiben, ob der 6. September 1839 ,,das schwärzeste Blatt in der Geschichte Zürichs" genannt werden darf, wie L,udwig Meyer von Knonau meinte. Sicher aber war es eines der lehrreichsten.
Professor Eduard Elwert aus Cannstatt (Seite 105) war im Herbst 1838 in den Kirchendienst seiner schwäbischen Heimat zurückgekehrt. Dr. David Friedrich Strauss von Ludwigs- burg, welcher 1836 bei der Berufungswahl Elwert gegenüber unter- legen war, hoffte nun sein Nachfolger zu werden. Jedenfalls hatte er den lebhaften Wunsch, nach Zürich zu kommen, und er bat Hitzig, dafür zu wirken. Günstig war für ihn der Umstand, dass der Präsident des Erziehvmgsrats, Bürgermeister Melchior Hirzel, jetzt ganz und gar für ihn gewonnen war. Hirzel hatte Strauss 1837 in Stuttgart besucht und schwärmte seitdem förmhch für ihn. Doch wiederum erhoben sich gegen diese Nomination im Erziehungsrat die schwersten Bedenken. Der damals 27jährige Theologe war 1836 wegen seines Buches ,,Das Leben Jesu, kritisch beleuchtet" aus dem württembergischen Kirchendienst ausge- schlossen worden. Das Buch, welches überall grösstes Aufsehen erregte, zeichnete sich aus durch unerhörte Kühnheit, weniger durch Klarheit und Folgerichtigkeit. Strauss zweifelte an allem und zweifelte zuletzt an seinen eigenen Zweifeln. Dass seine Lehre für die christUche Gemeinde nicht taugte, davon war er selber überzeugt. Nur ein fanatisch gewordener Aufklärungstrieb, schrieb er, könnte versuchen wollen, die Gemeinde auf diesen Standpunkt zu erheben; ein Prediger von seiner Gesinnung aber, der sich auf
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den Standpunkt der Gemeinde herablassen wollte, müsste der- selben und am Ende auch sich selber als Lügner erscheinen. Theo- logische Kritik hatte es zwar vor Strauss schon gegeben, auch au der Hochschule Zürich und sogar schon am Chorherrenstift. Dr. Johannes Schulthess, J. J. Hottinger u. a. wären da zu nennen. Auch 1838/39 war in der theologischen Fakultät nicht etwa aus- schUesshch die orthodoxe Richtung vertreten. Trotzdem kam die Fakultät in ihrem am 23. Dezember 1838 erstatteten Gutachten dazu, mit allen Stimmen gegen diejenige Ferdinand Hitzigs zu erklären: dem Hauptwerke extrem-negativer Kritik von Strauss gegenüber, welches dem Bewusstsein und Glauben der Kirche, namentUch der protestantischen, als Kriegserklärung erscheinen müsse, hege keine genügende positive Leistung des Verfassers vor, um die Besetzung der einzigen Professur für Dogmatik durch seine Berufung zu rechtfertigen. Die erste Sektion des Erzie- hungsrates sprach sich mit Stichentscheid ihres Präsidenten Ferdinand Mej-er gegen diese Berufung aus; der gesamte Erzie- hungsrat aber beschloss (26. Januar 1839) mit 7 gegen 7 Stimmen und Stichentscheid des Präsidenten Hirzel die Berufung. Die Radikalen handelten in ihrer Stellungnahme für Strauss aus ver- schiedenen Motiven. J. C. von Orelli hatte ausschliessHch ein ernstes wissenschaftliches Interesse im Auge mid hielt es für falsch, wegen ,, äusserer BedenkUchkeiten" einer neuen Richtung den Weg zu verrammeln. Melchior Hirzel war \-on eben jenem ,, fanatischen Aufklärmigstrieb" besessen, den Strauss für mi- angebracht hielt. Dr. Keller und seine Freunde aber mochten hoffen, mit Hülfe der Straussischen Theologie die Kirche beim Volk zu entwurzeln, wobei sie sich indessen ,, überlupften". Es sollte sich bald zeigen, dass die Kirche und ihre führenden ;\Iänner mit dem Volk in \-iel engerer Fühlung standen, seine Gefühle und Stimmungen besser kannten und die Lage richtiger be- urteilten als die Radikalen. Sogleich nach dem Beschluss des Erziehungsrates hatte die ,, Freitagszeitung" geschrieben, dass die Folgen dieser Berufung ,,sehr ernster Natur" werden könnten. Zwei Tage nach diesem Beschluss (28. Januar) lag vor dem Regierungsrat eine Eingabe des Kirchenrats, welche in ernstem und würdigem Tone vor einer Bestätigmig der Berufung warnte. Prophetisch klang das \\'ort: ,, Glaubt man endlich, nachdem
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kaum die politischen Kämpfe bei uns sich gelegt haben, nun die religiösen hen^orrufeu zu müssen ? Wohl ! Sie werden auf diesem Wege nicht ausbleiben, diese wichtigsten und gefährlichsten aller Kämpfe. Aber sie werden auch in ihren nächsten und entferntesten Folgen Resultate herbeiführen, welche ihre Urheber weder er- warten noch anstreben und welche durch Gefährdung der innem und äussern Ruhe, sowie der fortschreitenden geistigen und sitt- Hchen Bildung des Volkes eine schwere Verantwortung über die- selben bringen dürften."
Im Grossen Rat, welcher am 31. Januar zusammentrat, brachte Antistes Füssli, Pfarrer der Neumünstergemeinde, die Angelegenheit zur Sprache in Form einer Motion, welche ein Vorschlags- oder Mitwirkungsrecht des Kirchenrats bei der Wahl von Theologieprofessoren verlangte. In seiner Begründung warnte Füssh vor den ,,gefährhchen Träumen" von einer neuen Reformation, indem er mit deutUcher Anspielung auf Strauss und Hirzel dartat, dass Zwingli mit dem trefflichen Bürger- meister Röust an der Seite die Grundlagen des Glaubens her- stellen, nicht zerstören wollte. Melchior Hirzel zeigte, dass er in der Tat gerade diese neue Reformation erhoffe und erstrebe ; der Grosse Rat möge wie der Rat vom 29. Januar 1523 beschhessen: ,, Meister Ulrich soll fürfahren, das EvangeUum nach dem Geiste Gottes zu verkünden." Professor Alexander Schweizer (später Pfarrer am Grossmünster), ein feiner und kluger Kirchenmann, bestritt dem Erziehungsrat das Recht, von sich aus eine neue Reformation einzuführen. ,,Ich bin ein Feind von Unternehmungen, die mit mehr als Mut begonnen, dann aber nicht durchgeführt werden können. Wir hier sind die einzigen, welche den Mut haben, Herrn Dr. Strauss zu berufen, während wir noch nicht wissen, ob wir dann mit Schande wieder umkehren und, wenn allerlei Reaktionen uns nötigen, künstliche Mttel, Vorwände suchen müssen, um irgendwie wieder zu entfernen, was wir so leichtfertig gerufen haben." Dr. Keller bekämpfte die Motion als formwidrig, verwerflich und unnütz. Er verstieg sich auch zu einer Definition des Glaubens, der nach ihm besteht „in dem zutrauensvollen Anschhessen an die religiöse Begeiste- rung, welche ein bevorzugter Mann empfinden und andern mit- teilen kann". Als ,, Demagogenkniff" bezeichnete Staats-
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anvvalt Ulrich die ganze Sache. „Man will eine Frage, die in den Kreis der gesetzlichen, hiezu kompetenten Behörden gehört, auf ein Feld ziehen, wo man hofft, vermittelst Erregung von mancherlei Vorurteilen und Missverständnissen einen Sieg zu erringen. Man hat uns ja prophezeit, das sei eine Frage, über welcher die Radi- kalen endlich einmal den Hals brechen werden." Nach neun- stündiger Debatte, welche den eigentHchen Beratungsgegenstand kaum berührte und fast nur um Strauss sich drehte, wurde die Motion mit c)8 gegen 49 Stimmen bei 65 Abwesenden als un- erheblich erklärt. Der Beschluss musste notwendigerweise auf- gefasst werden als eine Billigung der Berufung von »Strauss durch die verfassungsmässige Vertretung des Volkes.
Der Regierungsrat handelte demgemäss. Obschon ihm be- reits elf abmahnende Petitionen vorlagen, bestätigte er am 2. Februar mit 15 gegen 3 Stimmen die Berufung. Mit Blitzes- schnelle verbreitete sich die Kunde davon im ganzen Lande. ,, Strauss kommt!" Ein Schrei des Erstaunens, der Entrüstung allüberall. ,,In den Hütten des Landmannes wie im Famihen- kreise der Gebildeten wurde dieselbe Frage laut: Sollen wir es dulden, dass das Höchste, was wir besitzen, dass unser Glaube uns und unsem Kindern planmässig geraubt, dass unser Land in einen Abgrund sittlicher \'ersunkenheit und geistiger \'erüdung gestürzt wird?" Diese Besorgnis, diese Empörung waren unver- fälscht und walir. Nur der bornierte Hochmut einer so \-olks- fremdeu und volksfeindlichen herrschenden Partei wie der radi- kalen von 1839 konnte darüber im Zweifel sein. Die Berufung von David Friedrich Strauss war die grösste politische Dummheit, die je im Kanton Zürich begangen worden ist. Es kam, was kommen musste. Im Handumdrehen hatte der ,, Stillstand Neumünster" am 4. Februar 668 Protestunterschriften beisammen, und in Zei- tungsartikeln, Inseraten, Broschüren, Flugblättern erhob sich ein Sturm des Unwillens, der seinesgleichen nicht hatte. Mit fassungs- losem Erstaunen bückte Melchior Hirzel in dieses Toben der Elemente. Das hatte er nie erwartet, und er setzte sich hin und schrieb (am 10. Februar) einen offenen Brief ,,An meine Mit- menschen im Kanton Zürich". Liebreich und freundhch setzte er ihnen die Sache auseinander, versicherte, dass niemand daran denke, ihnen den Glauben zu nehmen, und er bat und flehte:
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„Zünit uns nicht länger, dass wir es dem Dr. Strauss möglich ge- macht, die ihm von Gott verliehene Gabe unter uns leuchten zu lassen. Seid nicht mehr böse, seid wieder gut!" Eine Flut von Gift und Hohn war die Antwort. Was ..^Mitmenschen" ? Also nicht einmal mehr Mitchristen ? Jeder Satz, jedes Wort ward ihm aufgerupft, verdreht und mit der höhnenden Anrede ,, teurer Mit- mensch" ins Gesicht geworfen. Jeder anonyme Wicht kühlte sein Mütchen an dem ..langen Mitmenschen", der zur ständigen Figur in den Blättern wurde. In einem anonymen ,, Sendschreiben" von 16 Druckseiten unternahm es ,,ein GeistUcher der östHchen Schweiz", den unglücklichen Bürgermeister recht eigentlich herunterzuhudeln, seine L,eibeslänge, sein ,, erhabenes Antlitz" zu verspotten, seinen ,, schlecht versteckten Christushass" ans Licht zu ziehen. ,,vSchmach und Schande hegt auf Ihrem Namen, vSie sind in der Sittengeschichte Zürichs gestempelt. Sie stehen so in der \A'ahrheit, wie der Arge von Anfang an." Und der fromme Mann schüesst: ..Weil Sie Jesum, den Gottessohn, verachten, kann ich mit der Achtungsbezeugung, die Ihnen sonst wohl gebühren mag, nicht schhessen. aber mit dem tiefsten und wärmsten Be- dauern Ihrer argen Verirrung."
Das war so ein kleiner Vorgeschmack von der Kampfesweise der Gegner, mit denen es die Regierung nun zu tun bekam. Als- bald erhob sich aber auch eine hochemste politische Gefahr. und zwar wieder vom See her! Am 7. und 8. Februar begannen Zusammenkünfte von Männern aus Hombrechtikon, Stäfa, ^Meilen, Bubikon usw.; am 10. Februar tagte in Richterswil bereits eine Versammlung von 80 Gemeinde Vertretern. Es waren meistens Liberale, ehemahge Freunde und Verbündete der Radikalen und Parteigänger des Ustertages. Die Versammlung bestellte ein Komitee mit Fabrikant H. J. J. Hürlimann-Landis in Rich- terswil als Präsidenten und Dr. S c h m i d in Richterswil als Aktuar. Beide gehörten der liberalen Richtung an; Dr. Schmid galt sogar bisher als extrem-radikal und hatte als leidenschaft- licher Redner auf der Bassersdorfer Tagung vom 26. Februar 1832 starke Entrüstung in der Stadt erregt. Nach einer öffenthchen Erklärung Dr. Schmids vom 27. Februar 1839 war die einstimmige Meinung der Richterswiler Versammlung dahin gegangen, die Aufhebung der Hochschule wäre das radikalste und für die
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Regierung schonendste Mittel, die Berufung des Dr. Strauss zu verhindern. Das Komitee hielt seine erste ordentliche Sitzung am II. Februar in der „Sonne" zu Stäfa. Entscheidend war die \'^ersammlung der Abgeordneten von 29 Gemeinden am 13. Februar in Wädenswil. Hier ist, unter der Assistenz von Geistlichen, ein niedliches kleines Revolutiönchen zur Welt gekommen, echte Rasse vom Zürichsee, etwas dunkel in der Farbe zwar, aber von guter Stimme und kräftigem Gebiss. Es wird schon recht bald seine Zäline zeigen. Über seine wahre Natur befand sich in- dessen die Versammlung von Wädenswil in einer seltsamen Täusch- ung, nur der Abgeordnete von Thalwil, der Sängerfreund Pfarrer Sprüngli, bezeichnete es gewissermassen als ein garstiges Vieh, vor dem man sich werde in acht nehmen müssen. Da fielen aber die andern dermassen über ihn her, dass er es \-orzog, die \"er- sammlung zu verlassen. Einmütig fasste diese darauf eine Reihe von Beschlüssen, von denen die wichtigsten folgende sind:
1. Die Einberufung von Dr. Strauss sei auf verfassungsge- mässem, gesetzlichem Wege zu behindern durch Konstituie- rung von Kirch-, Bezirks- und Zentralvereinen und durch das Mittel des Petitionsrechts.
2. Zu diesem Behuf e soll in jeder Kirchgemeinde ein Verein von 12 ]\Iitghedern gebildet werden.
3. Die Vereine haben aus ihrer ^Mitte je zwei Mitglieder in den Bezirksverein zu wählen.
4. Hinwieder liegt es den Bezirksvereineu ob, die Wahl von je zwei Mitgliedern in das Zentralkomitee zu veranstalten.
Dieses Zentralkomitee, von den Gegnern alsbald ,, Glau- benskomitee" getauft, sollte somit aus 22 Mitghedern bestehen (den sogenannten ,,XXIIern").
Ein Sendschreiben vom 13. Februar 1839, unterzeichnet von Hürlimann-Landis und Dr. Schmid, teilte sämtlichen Kirchgemeinden die Beschlüsse der Wädenswiler Versammlung mit und forderte sie auf, die Abgeordneten für die zu konstituieren- den Vereine zu wählen. Das Sendschreiben zeichnete auch in Um- rissen Veranlassung und Ziel der eingeleiteten Bewegung: ,,Frei geboren und gewohnt, ihre Gefühle ohne Scheu auszudrücken, fühlt sich die Bevölkerung beleidigt, gekränkt in den heiUgsten Rechten der Menschheit, durch eine, ohne den Volkswillen zu be-
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fragen, in den Annalen der Geschichte beispiellose Verfügung über ihre religiöse Zukunft — und wie Ein Mann, Eine Seele steht sie auf, die ganze Bevölkerung des Kantons Zürich, und spricht als Freyin des Vaterlandes zu ihrer Regierung: ich will in meinem evangehsch-reformierten Glaubensbekenntnis fernerhin unwandel- bar beharren, und fordere von Euch, gestützt auf unsem Pakt, dass Ihr den Doktor Strauss von Ludwigsburg entlasset, an den theologischen Lehrstuhl der Dogmatik einen rechtgläubigen Theo- logen berufet. — ■ Der Zentralverein wird die Mittel und Wege beraten, welche einzuschlagen sind, um die Entfernung des Dr. Strauss vom theologischen Lehrstuhle der Dogmatik zu erwirken. Er wird auf Garantien denken, welche die Wiederholung ähn- licher \'ersuche vereiteln, und zugleich, in bezug auf die Schule, die sich nach vielfach geflossenen Äusserungen auf dem Wege der IrreHgiosität befinden soll, die nötig erachteten Forderungen stellen. Er wird in Untersuchung ziehen, wie Verbesserungen in imsem kirchlichen Verhältnissen, auf die imantastbare Grundlage unseres christhch evangelisch-reformierten Glaubens hin, vorgenommen werden können." Beiläufig wird in dem Send- schreiben auch betont, das Mittel der Vereinsorganisation sei ge- wählt worden, um auf ,, gesetzlichem Wege" die Entfernung von Dr. Strauss zu erlangen und ,,die Angelegenlieit, als rein religiös, in keinerlei Beziehung zur Politik zu halten". Dieser Satz offenbart bereits den fundamentalen Irrtum, in dem sich die IMänner der Glaubensbewegung von allem Anfang an befanden. Sie glaubten ehrhch und aufrichtig, eine ,,rein reü- giöse" Bewegung zu inszenieren, stellten aber dabei Forderungen, die sich ohne Verfassungs- und Gesetzesänderungen, ohne Mit- wirkung der politischen Instanzen, folghch auch ohne politischen Kampf gar nicht erfüllen Hessen. Es war eine Illusion, eine solche Angelegenheit ,,in keinerlei Beziehung zur Politik" halten zu kön- nen. So absurd die Beschuldigung seitens der Radikalen war, man habe die ReHgion nur zum Deckmantel einer pohtischen Aktion gemacht, mit Hilfe einer fingierten und ungeheuerlich aufgebausch- ten ,, Religionsgefahr" die Regierung zu stürzen gesucht, darin hatten die Gegner recht, dass sie den pohtischen Charakter des Glaubenskampfes immer und immer wieder betonten. ,,Rein reli- giös" wäre die Bewegung nur dann gebUeben, wenn sie sich auf
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das nach dem damaligen Stand der Verfassung und Gesetzgebung allein zulässige Mittel der Petition beschränkt hätte. Allerdings waren auch die Vereine nach der Verfassung gestattet; dafür hatten ja die Radikalen mit Hülfe des Bassersdorfer Vereins (1832) gesorgt, ohne freilich zu ahnen, dass sich dieses zweischneicUge Schwert so bald schon gegen sie selber kehren werde. Aber selbst diesen Vereinen bUeb verfassungsmässig gar nichts anderes übrig, als in corpore gegen die Berufung von Strauss zu petitionieren. Die reine Demokratie mit direkter Ausübung der Volksherrschaft existierte damals im Kanton Zürich noch nicht, Referendum und Initiative hatte man noch nicht, das Gesetz stellte klar und un- zweideutig die Wahl der Professoren in die ausschliesshche Kom- petenz von Erziehungsrat und Regierungsrat. Es war ganz mid gar ungehörig, d. h. revolutionär, an diese allein kompetenten Behörden die mit Drohungen verbundene Forderung zu stellen, eine ergangene Berufung zurückzunehmen. In seinen spätem Kund- gebungen hat das Zentralkomitee dann die Anklage erhoben, dass die Regierung ihrerseits die Verfassung verletzt habe und des- halb zur Rechenschaft gezogen werden müsse. Eine echt revo- lutionäre Argumentation, mit der noch fast jede Revolution ein- geleitet wurde. Im vorliegenden Falle sollte § 4 der Staatsver- fassung verletzt worden sein, welcher sagt: ,,Die christUche Reh- gion nach dem evangelisch-reformierten Lehrbegriffe ist die \-om Staate anerkannte Landesreligion." Es gehörte die ganze \-er- fahrene pohtische Lage von 1839, der gesteigerte Hass der Par- teien, der begreifhche und nicht miverdiente Mangel an \^ertrauen und Achtung vor den Behörden dazu, aus der Berufung eines ex- trem-freisinnigen Dogmatikers an die Hochschule eine Verfas- sungsverletzung zu konstruieren. Die ,,neue Reformation", welche Strauss inaugurieren sollte, war nichts weiter als eines der vielen Himgespinnste des ja sattsam bekannten, phantasiereichen Konfusionärs Melchior Hirzel. Um eine neue Reformation im Kanton Zürich zu machen, genügten »Strauss und Hirzel nicht. Da mussten erst die pohtischen Behörden, der Kirchenrat, die Synode, die Geisthchkeit mitmachen wollen, und wenn diese alle dafür gewesen wären, so war als ausschlaggebender Faktor immer noch das Volk selber da, welches mit seinem passiven Wider- stand eine von oben herab oktrovierte neue Reformation verun-
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möglicht hätte. Soweit es sich um die politische Seite der Glaubensbewegung handelt, fehlte ihr formell und materiell die verfassungs- und gesetzmässige Grundlage. Dass die Urheber der Bewegung den aufrichtigen Willen hatten, selber in den Schran- ken von Verfassung und Gesetz zu bleiben, ist unbestreitbar, be- weist aber nichts für den Charakter der Bewegung, die sie weder zu übersehen, noch auf die Dauer zu beherrschen vermochten. Bald genug sollte in ihr infolge des Anschlusses aller möglichen unzufriedenen Elemente eine ausgesprochen revolutionäre Unterströmung hervortreten, die in Verbindung mit dem ent- fesselten religiösen Fanatismus schlimme Tage über den Kan- ton Zürich brachte.
Das Wädenswiler Komitee hatte mit seinem Aufruf einen fabelhaften Erfolg. Mit verschwindenden Ausnahmen antworteten alle Kirchgemeinden des Kantons zustimmend und bestellten ihre Komitees. In Zürich und Winterthur erfolgten diese Wahlen am 21. Februar (Winterthur widerrief allerdings am 4. März mit 215 gegen 193 Stimmen seinen Anschluss an das Komitee wegen „Überschreitung der Kompetenzen" durch das letztere). Neu- münster erlebte am 24. Februar in seinem alten Kreuzkirchlein bei den Abgeordnetenwahlen den ersten Ausbruch des frommen Terrors. Als Kriminalrichter Boller in offener Aussprache vor der „revolutionären" Bewegung warnte, brach ein wilder Tumult los. Mit Scharren, Schreien und Drohungen wurde der Redner zum Schweigen gebracht. Nicht besser erging es Kantonsrat Streuh, worauf etwa 80 Mann der Opposition die Kirche verUessen. Der pastor loci, Antistes FüssU, sah dem Skandal zu und wagte nicht, sich zu rühren. 37 Bürger von Bülach protestierten öffent- üch gegen die dortige, ,, gegen alle Ordnung" abgehaltene Kirch- gemeindeversammlung und hofften, dass viele nach und nach ein- sehen werden, ,, welch miserables Spiel mit ihnen zu treiben beab- sichtigt wurde". Das bheben indessen vereinzelte Erscheinungen einer Opposition in den Kirchgemeindeversammlungen. In Zürich entstand am 21. Februar ein radikaler Schutzverein ,,zur Aufrecht- haltung gesetzhcher und verfassungsmässiger Ordnung" mit Kan- tonskriegskommissär Orell, Regierungsrat Zehnder und Ober- richter Füssli an der Spitze. Man konnte sich in der Kaserne und im Cafe litteraire zum ,, Roten Turm" am Weinplatz als Mitglied
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einschreiben, aber der Erfolg blieb mager. Es war das genaue Gegenstück zum konservativen Schützenhausverein vom 23. No- vember 1830! Die »Stimmung auf der Landschaft zeigte sich so ziemlich einlieUig „antistraussisch" und regierungsunfreundhch. Zwar hatte Regierungsrat H. Escher auf einer SchUttenfahrt nach Bubikon nichts BedrohUches bemerkt und bei einer Tanzpartie in der „Brach" sogar ganz straussenfreundUche Äusservmgen gehört. Aber Regierungsrat Hüui, mit dem er nachher darüber sprach, hatte andern Bericht und erwiderte: nicht diejenigen, welche sich auf den Tanzplätzen belustigen, werden entscheiden; es sind die ,, Stillen im Lande", die in ihren warmen Stuben beisammen sitzen, unter welchen sich der Umsturz vorbereitet. Und Hüni Hess sich für eiiüge Monate zu einer Studienreise nach England beurlauben.
Die Regierung wurde besorgt und suchte abzuwiegeln. Sie erHess am 20. Februar eine Kundmachung, in der sie erklärte, die Bewegung zu ehren, in welcher sich ein rehgiöser Sinn kund- gebe, und weit davon entfernt zu sein, den Art. 4 der Verfassung verletzen zu wollen ; sie warnte aber vor Unordnung und mahnte zur Rulie, zur Achtung vor dem Gesetz und vor den Beschlüssen verfassungsmässiger Behörden. Die Kundmachung sollte am 24. Februar von allen Kanzeln verlesen werden; an vielen Orten lief aber das Volk weg, ohne sie anhören zu wollen, x^ucli im Er- ziehungsrat regten sich bängliche Gefühle. Er beschloss am 23. Februar, unter gegenwärtigen Umständen die Einberufung von Dr. Strauss zu verschieben und demselben die Veranlassung des Aufschubs mitzuteilen. vStrauss sprach in seiner Antwort die Hoffnung aus, der ,,hochpreisUche Erziehungsrat" werde ihn in den Rechten und Ansprüchen zu schützen wissen, die ihm als wirk- lichem und ohne eigene Schuld au der Akti\dtät verhinderten Professor zustehen.
Mit wunderbarer SchnelHgkeit hatte sich die Organisation der Glaubenskomi tees durch das ganze Land vollzogen. Schon auf den 28. Februar konnte das Zentralkomitee zu seiner Kon- stituierung nach Zürich einberufen werden. Die Besorgnis der Regierung stieg. Einige ]VIitgheder begannen von Abdankung zu sprechen. Wilde Gerüchte regten das Land auf. Es hiess, die Re- gierung wolle das Zentralkomitee verhaften und seine MitgHeder werden darum unter bewaffneter Bedeckung nach Zürich gehen.
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\'om obem rechten Seeufer wälze sich ein drohender \'olkshaufe heran, der unten\'egs das Seminar in Küsnacht erstürmen, das Haus von Regierungsrat Fierz daselbst anzünden wolle. Man be- schwor den Seminardirektor, dem Haufen seine Abdankungs- urkunde entgegenzuschicken. Scherr weigerte sich und erklärte, auf seinem Posten zu bleiben, komme was da wolle. Es zeigte sich, dass die Gerüchte keinen Untergrund hatten und die von der Regierung gesandten Landjäger wieder abziehen konnten. Das Zentralkomitee hielt seine Beratungen im Sitzungssaal des Stadtschulrates beim Fraumünster. Es war eine poUtisch recht gemischte Gesellschaft. Als Vertreter der städtischen Kreise beteihgte sich Dr. med. Conrad Rahn-Escher, der zum Vize- präsidenten des Zentralkomitees gewählt wurde (neben Hürlimann- Landis als Präsidenten). Von den Land-Liberalen ist besonders nennenswert Rektor Troll von Winterthur, Führer der Depu- tation von Uster bei Bürgermeister Reinhard am 24. November 1830 ! So ändern sich die Zeiten. Unter den 22 MitgUedem waren sechs Pfarrer. Der eine und andere von ihnen zog sich in der Folge still zurück, als er gemerkt hatte, dass er als Pfarrer nicht in einem Revolutionstribunal sitzen dürfe. Das Zentral- komitee fasste den Beschluss, der Regierung eine iVdresse (rucht Petition) zu überreichen. Die Übergabe an den Amts- bürgermeister J. J. Hess erfolgte am i. März, abends 5 Uhr, durch drei Abgeordnete des Zentralkomitees. Die Adresse ver- weist auf den gewaltigen Erfolg der Wädenswiler Tagung und nennt als übereinstimmende Forderung der Bezirke:
,,Strauss darf und soll nicht kommen!" Das Volk, sagt die Adresse weiter, befinde sich im höchsten Grade der Spannung wie im höchsten Grade der Kraft! ,,Der Wille des Einzelnen ist der Wille des Ganzen geworden, und jeder Widerstand unserer Regierung, dem Volkswillen in dieser Hin- sicht seine Rechte zu versagen, ist gefährlich!" Die Regierung werde zu der Überzeugung gelangen: Wir müssen nachgeben und wir wären für die Folgen verantwortlich, die aus einem langem Widerstand hervorgehen würden. ,, Jetzt ist's noch Zeit, den üblen Eindrücken zu begegnen, das lockere Band zwischen Regierung und Volk neu zu befestigen." Das einfache Mittel hiezu sei die Berufung eines rechtgläubigen Dogmatikers an Stelle des
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Dr. Strauss. Der Hochschule solle nichts geschehen. Dagegen wird eine Petition angekündigt, welche die Rückkehr der echt christlich-evangelischen Richtung in Kirche und Schule, Hebung des kirchlichen Lebens und Läuterung der Sitten bezwecke. Diese Petition werde, je nach den Beschlüssen des Regierungsrates, im Geschäftsbereich des Grossen Rates bleiben oder daraus weg- fallen (eine vielsagende Andeutung). Zum Schlüsse gibt das Zen- tralkomitee der Regierung nochmals die Folgen zu bedenken, die für sie und für das ganze Land aus der Ablehnung seiner Forderungen hervorgehen müssten.
Folgenden Tages (2. März) erliess das Zentralkomitee ein Sendschreiben an alle Kirchgemeinden mit der Mittei- lung von der Erfolglosigkeit der bisherigen konfidentiellen Ver- handlungen mit der Regierung und der Bitte, die beigelegte Pe- tition an den Grossen Rat bis spätestens den 10. März durch die Kirchgemeindeversammlung beschliessen zu lassen. Es soll der Regierung gezeigt werden, dass die ihr vorgetragenen Wünsche wirkHch allgemeiner und entschiedener Volkswille sind. Dann wird die Petition einlässlich erläutert, von den vielfach vorge- schlagenen weitern Forderungen, auch Scherr sei zu entlassen und die Hochschule aufzuheben, abgeraten und die Erwartung ausge- sprochen, die Gemeinden werden an den bevorstehenden vSitzungs- tagen des Grossen Rates nicht nach Zürich gehen, sondern den Entscheid ruhig in der Heimat abwarten.
War das würdig gehaltene Memorial von Uster (1830) ein ernst erhobener Drohfinger, so gUch nun die ,, Petition" der Kirchgemeinden der geballten Faust, die der Regierung brutal unter die Nase gehalten wurde. Als schlechtes Plagiat jenes ^le- morials begann auch sie mit der Pariser Julirevolution, nur in anderem Tone: ,,Es gibt im Leben der »Staaten Momente, wo die gesetzmässigen Gewalten ihre Befugnisse überschreiten, die Völker sich erheben und diese Missbräuche bestrafen! — Die Ge- schichte gibt dazu Belege, und einer der neuesten ist die anno 1830 stattgehabte Schilderhebung des französischen Volkes gegen sei- nen König, der die getanen Übergriffe mit dem Verlust seines Thrones büssen mu-sste!" Die Petition rühmt nun die letzten sieben , .gottgesegneten Jahre", in denen ,,alle die Wunder de? jungen Staatslebens" entstehen konnten, bilhgt u. a. die Aufheb-
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ung des Chorherrenstifts, dessen Fond „seiner früliern fehlerhaften Bestimmung" entzogen worden sei, und spricht von ,, allen diesen glücklichen Entwicklungen" im poUtischen Staatsleben (von denen jede einzelne bis zum Äussersten bekämpft worden war!), beklagt dann aber die zutage getretene sittUche Entartung, die rehgiöse Leere, die Polemik einer zügellosen Presse. ,,Die Anmassungen des Direktors am Seminar zu Küsnacht, seine mibegrenzte Macht- vollkommenheit, die Zweifel an seinem evangehschen Glauben und die aus seiner Streitsucht her\'orgegangene, dünkelhafte Un- bescheidenheit \aeler der daselbst erzogenen Schullehrer" weckten die Frage, ob nicht die sittliche und rehgiöse Gemütsbildung an einem verhängnisvollen Irrwege stehe ? Die Berufung von Dr. Strauss habe nun vollends den Plan enthüllt, auf das irrehgiöse Element der Schule auch eine irreligiöse Kirche zu gründen. Darin liege eine klare Verletzung von Art. 4 der Staatsverfassung. Eine „unsäghche Aufregung", habe das zürcherische Volk erfasst und einstimmig sei der Ruf durchs Eand erschallt:,, Doktor Strauss soll und muss entlassen werden!" Wenn aber der Regie- rungsrat dabei beharre, die Volksgefühle unbeachtet zu lassen, daim bleibe kein anderer Weg, als den Grossen Rat zu ersuchen, denselben wegen Verfassungsverletzung im Namen des Volkes zur Rechenschaft zu ziehen. Dem Volk genüge es zu er- klären, ,,dass es den Doktor Strauss weder auf dem Lehrstuhl der Kirchengeschichte und der Dogmatik, noch an irgend einer andern wissenschafthchen vS teile seiner Lehranstalten haben will!" Die Petition trägt daher ,, ehrerbietig" an, die Berufung von Dr. Strauss aufzuheben, ihm auch keine andere Anstellung zu geben und statt seiner einen Mann von entschiedenem, evangelisch- christlichen Glauben zu berufen. Es folgen noch eine Reihe anderer Wünsche: gemischte Kirchensynode, Prüfungsrecht des Kirchenrats für alle Wahlen von theologischen Professoren, Wahl eines Drittels des Erziehungsrates durch die Kirchensynode, Wahl des Rehgionslehrers am Seminar auf Vorschlag des Kirchenrates, mehr ReHgionsstunden auf allen Schulstufen, neues religiöses Lehrmittel, Genehmigung aller rehgiösen Lehrmittel durch den Kirchenrat, Totalrevision des vSeminargesetzes im Sinne der ReH- gion als Grundlage des Unterrichts: alle Seminarlehrer hätten im evangehsch-reformierten vSinne zusammenzuwirken, weshalb nur
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bekenntnistreue Lehrer zu wählen seien; der Direktor soll seine Tätigkeit rein dem Seminar zuwenden und dürfe nicht ^litglied des Erziehungsrates sein.
Was hätte wohl der selige Reinhard zu einer derartigen „Petition" gesagt?
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SECHZEHNTES KAPITEL
STRAUSS KOMMT NICHT
Der Regierungsrat hatte noch so viel Charakter, die Adresse des Zentralkomitees vom i. März zurückzuweisen. Gleich- zeitig beschloss er jedoch (4. März) mit 10 gegen 8 Stimmen, ,,in Betrachtung der allgemeinen Bewegung im Kanton den Erziehungs- rat einzuladen, er möge untersuchen, ob Strauss seiner Ver- pflichtungen in Anwendung von § 185 des Schulgesetzes (über Pensionierung) nicht entlassen und die Stelle anderweitig besetzt werden könnte, da die Umstände ihm eine nützhche Wirksamkeit für einmal unmöghch machten". In einer öffentlichen Kund- gebung des Regierungsrates vom 5. März heisst es: ,,Wir haben die vom i . März datierte Adresse eines sogenannten Zentral- komitee zurückgewiesen, weil es im Namen des zürcherischen Volkes gesprochen, wozu nur dessen Stellvertreter, der Grosse Rat, befugt ist, weil es nicht Wünsche und Petitionen, sondern Forderungen und Drohungen an uns gerichtet, weil es endhch einer Sprache sich gegen uns bedient, wie sie sich gegen keine Regierung, geschweige gegen eine aus dem Volke nach dem Grund- satze der Rechtsgleichheit herv^orgegangene Regierung geziemt. Missversteht diese Zurückweisung nicht; sie gilt der bekannten unschicklichen Adresse, nicht aber Euren Wünschen! Richtet Euere Wünsche zutrauensvoll unmittelbar an uns, oder an Euem Stellvertreter, den Grossen Rat. I,asst Euch aber diese Wünsche nicht durch Dritte vorschreiben; heisst keine derselben gut, die Ihr nicht geprüft und einzeln beraten habt! Wir wiederholen die Zusicherung, dass wir bilhge Wünsche mögüchst berücksichtigen werden; unbilhge, ungerechte Wünsche müssen wir hingegen um Euerer Ehre willen von uns abweisen. Was den gesetzHch gewählten Herrn Professor Strauss anbelangt, so haben wir dem Erziehungs- rat den Auftrag erteilt, uns ein Gutachten zu hinterbringen, ob derselbe in Ruhestand zu versetzen sei. Es ist eine Kommission zur Prüfung der eingekommenen Petitionen eingesetzt worden."
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Der engere Ausschuss des Zentralkomitees suchte in seiner Erwiderung die Vorwürfe des Regierungsrates zu entkräf- ten, sah sich aber doch veranlasst, an dem den Kirchgemeinden zugestellten Petitions-Entwurf einige Streichimgen und Milde- rungen vorzunehmen; namentlich wurde der Eingang (von der Julirevolution) weggelassen. Der Erziehungsrat hatte am 9. März das vom Regierungsrat gewünschte Gutachten zu er- statten. Es lagen zwei Anträge vor: Eduard Sulzer proponierte, dem Regierungsrat die Pensionierung von Dr. Strauss zu emp- fehlen. Regierungsrat Zehnder schlug vor, Strauss einstweilen nicht einzuberufen, aber auch nicht in den Ruliestand zu ver- setzen, sondern an der Hochschule noch eine zweite Professur für Dogmatik zu errichten, die dann der strenggläubigen Richtung zu überlassen wäre. Die Stimmen standen wieder ein: 7 gegen 7, und der Präsident Melchior Hirzel gab den Stichentscheid für den Antrag Zehnder.
Unterdessen hatte die Abstimmung in den Kirchge- meinden über die Petition stattgefunden. Die vier städti- schen Kirchgemeinden Grossmünster, Fraumünster, Predigern und St. Peter hatten am 7. März die Petition mit 1191 gegen 27 Stimmen angenommen. Nur im Grossmünster, das mit 300 gegen 24 Stimmen annahm, war von David Ulrich, Dr. Keller u. a. eine Diskussion gefülirt worden. Das Gesamt-Resultat des Kan^ tons ergab nach der Zählung des Zentralkomitees 39,225 Ja und 1048 Nein; nach einer gegnerischen Statistik waren es 2976 Nein. 34 Gemeinden mit 10,336 zustimmenden Votanten hatten die erste, schärfere Redaktion angenommen, die übrigen die zweite. In einigen Gemeinden hatte wegen drohender Störungen die Ab- stimmung nicht vorgenommen werden können. Einzelne Gemein- den verwahrten sich gegen alle ungesetzhchen Schritte und even- tuelle Kosten, andere verlangten ausdrücklich die Aufhebung der Hochschule. Nach diesem Abstimmungsergebnis war dem Zentral- komitee der Anspruch, im Namen des Volkes gesprochen zu haben, nicht mehr zu bestreiten. Das Schauspiel dieses Massen- aufmarsches für eine im Kern und Wesen religiöse Forderung hat weit über Zürichs Grenzen hinaus den tiefsten Eindruck gemaclit. Machtvoll und imponierend ist hier einmal die Kirche als Ge- samtheit des Volkes in die Erscheinung getreten. Dass die
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Kirche nicht nur aus den paar Dutzend Pfarrern bestand und dass es Wahnwitz wäre, ihr ans Leben zu wollen, das musste jetzt auch der kirchenfeindhchste Radikale sehen und begreifen. Wäre es bei dieser wahrhaft erhebenden Demonstration gebheben, man würde von Herzen gerne all das ungereimte Zeug mit in Kauf nehmen, das bei der ihr vorangegangenen Bewegung mit unterlaufen war.
Das nahezu einstimmige Begehren der Kirchgemeinden, die man als sozusagen identisch mit der Aktivbürgerschaft betrachten durfte, schuf für den Regierungsrat eine neue Situation. Seine früliere Mehrheit wurde zur Minderheit. Mit 13 gegen 4 Stimmen beschloss er am 14. März, entgegen dem Gutachten des Erziehungs- rates Pensionierung von Dr. Strauss und anderweitige Be- setztmg seiner Stelle ohne Errichtung einer zweiten Professur. Unter freiwilhgem Verzicht auf die eigene Kompetenz beschloss er gleichzeitig, die ganze Angelegenheit dem Grossen Rat ,, ehr- erbietigst zu unterbreiten". Man war also genau da angelangt, wo nach der Prophezeiung Alexander Schweizers am 31. Januar der Karren stecken bleiben sollte: in einer hülf losen und beschä- menden Blamage.
Hinter der in ihrer Kraft und Grösse Respekt einflössenden reUgiösen Bewegung einher schritt die Furie Fanatismus, die Be- gleiterin aller Religionskämpfe, und nicht ungebildetes Volk allein machte sich zu ihren Helfern und Schergen, auch Gebildete heben ihr die Feder, imd selbst zu Kanzeln erhielt sie Zutritt. Ein „Strauss" zu heissen, war fast so schhmm wie Räuber und Mörder genannt zu werden. Wer es noch wagte, für Strauss Partei zu er- greifen, bekam es auf alle Weise zu fühlen, gesellschaftUch und geschäftUch. Ganze Gemeinden schlössen sich der Bewegung nur deshalb an, um nicht als ..straussisch" von den Nachbarn ver- fehmt zu werden. Bis auf die Schuljugend herab erstreckte sich die Parteiung nach ,,Straussen" und ,,Antistraussen". Als zehn- jähriger Junge vernahm Dr. F. Mej^er mit Grauen, dass ein naher Verwandter und Mitschüler sich als ,, Strauss" bekannte. An der Fastnacht wurden grosse Puppen herumgetragen, ,,Scherr", „Hirzel" und ,, Strauss", die man verhöhnte, verbrannte oder durchs Wasser schleifte. Karrikaturen machten den Bürgermeister Hirzel lächerhch und nahmen auf der andern Seite die ,, Pf äffen" aufs Korn. Krämer, Metzgerknechte, Hausierer trugen die ab-
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surdesten Geschichten von Dorf zu Dorf : Keller und Ulrich wollten die Hauptstadt zu einem Sodom und Gomorrha machen; Strauss sei in Deutschland gebrandmarkt worden und trage Galgen und Rad auf dem Buckel. Auch die sancta simphcitas des Weibleins bei Hussens Scheiterhaufen fand ihr Ebenbild in einer Aargauerin, die in der „Freitagszeitung" gegen die „Beleidigung der weib- hchen Würde" protestierte, weil Bürgermeister Hirzel Straussens „Liebenswürdigkeit" gepriesen hatte. Was haben, fragt sie, edle Frauen und Mütter mit Straussens PersönHchkeit für Gemein- schaft? Die ,, Freitagszeitung", das verbreitetste, volkstümlichste Blatt jener Zeit, hatten einige jüngere Geisthche als Mitarbeiter ganz unter ihren Einfluss gebracht; sie wurde die eigenthche Bannerträgerin der Bewegung. Gegnerische Äusserungen wurden, soweit sie Aufnahme fanden, in den Inseratenteil verwiesen, so auch alle die Ehrenerklärungen der Schulkapitel für den hart angefochtenen Seminardirektor Scherr. Neben Strauss war vScherr das Hauptobjekt des Hasses und Abscheues der Bewegungs- mäuner. Wilhelm Wackernagel in Basel schrieb am i8. Februar an seinen Schwager Bluntschh : , ,Ihr müsstet dem \^olke die Augen noch besser gegen Scherr hin öffnen; denn selbst wenn Strauss auf guten Rat hin oder aus Furcht wieder ablehnt, so bleibt doch in Küsnacht immer noch das Narrennest: das muss fort, oder Ihr habt doch in jeder niedem Schule ein Sträusslein." Dieses Rates bedurfte es in Zürich nicht erst. Scherr selbst, dem man immer wieder den gewesenen Kathohken aufrupfte, schlug sich in mehre- ren ,, Sendschreiben" mit den XXIIem herum. Grossratspräsident Jonas Für r er von Winterthur sagte von der Petition: ,,so spricht ein Bettler mit geladener Pistole". Eine radikale Streit- schrift rief den XXIIem zu: ,, Anathema eurer Gleisnerei, von der die ganze Petition stinkt. So werden von euch unsere neuen poUtischen Schöpfungen gelobhudelt, die \'er\-ollkommnung des Landbaues gerühmt, die schöne Blüte des Volksschulwesens be- sungen, die Juhrevolution gepriesen. Ihr Pharisäer! Wisset ihr nicht, dass Karl X. als Freund der Pfaffen und Aristokraten aus dem Lande gejagt wurde? Geht, Heuchler, aus dem Gewand der ReUgion lasst ihr den Dolch des Terrorismus her\-orbhnken. Ihr habt in der Tat gegen unsre Gesetze ein Veto geübt, wie jemals der römische und Pariser Pöbel. Warum kommt nicht noch eine
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Petition etwa des Inhalts : ... so wünschen wir nochmal ehrer- bietigst und wünschen in aUer Untertänigkeit (mit uns 40,000 geballte Fäuste), die Wahl eines Professors der Dogmatik unserer höchsten und letzten Sanktion zu unterbreiten." Strauss mischte sich auf Veranlassung seiner Freunde ebenfalls mit einem ,, Send- schreiben", dem V. OrelU ein Vorwort beigab, direkt in den lite- rarischen Kampf. Er erblickte in der ganzen Aufregung nur den Konkurrenzneid der Geisthchen, die Abneigung der Zunftgenossen gegen eine neue Erfindung, und sagte: ,,Die meisten Geistlichen sind nur darauf eingeübt, mittelst des Klebens am Buchstaben der biblischen Erzählungen und Vorstellungen fromme Gefühle in ihren Zuliörem zu erwecken; dass wir uns anheischig machen, auch bei freierer Ansicht von der Bibel uns und andere zu er- bauen, setzt sie in Verlegenheit und erregt ihren Unwillen, weil sie darauf nicht eingerichtet sind." Für unbelehrbar hält Strauss ,,jene aufgeregte Masse, die von einem gewiss nicht christhchen Ketzerhasse gliilit und unter dem Deckmantel der Frömmigkeit jetzt alle möglichen andern, weltlichen Interessen verfechten will; mit dieser habe ich nichts zu reden, des Spruches Christi eingedenk, der solcherlei Menschen das Kleinod religiöser Über- zeugung vorzulegen ausdrücklich verbietet".
Die Flut der Pamphlete, Sendschreiben, Broschüren, Predig- ten, Lieder, Gedichte und Dramen, eine ganze Literatur, stieg zu unheimlicher Höhe an und die Heftigkeit des Tones steigerte sich auf beiden Seiten von Woche zu Woche. Würdig gehalten war die von Pfarrer J. C. Grob in Rorbas geschriebene, von der Evan- gelischen Gesellschaft herausgegebene Broschüre. Aus dem Lager der Brutal-Radikalen kam dann etwa wieder ein ,,AntistraussischeT Gruss", dessen Verfasser, offenbar Publizist J. H. Meyer, in när- rischer Selbstironie sich als ,,Struthio Camelus", die Herausgeberin als ,, Gesellschaft für \'eredlung des Abtrittpapiers" bezeichnete, und der im Paroxismus des Hasses stammelte ,,von den ortho- doxen Ochsen, vSchauer-Auer-Ochsen, welche grochsend bochsen, und von manchem Licht, das der Bluntschli nicht gezogen, man- cher schweren Irrlichts-Lehre und des »Schicksals Donnerhagels schwaben-lichtputz-scheere ..."
Wenn die Presserzeugnisse der ,, Glaubensstreiter" an schlag- fertigem \Mtz und Sarkasmus manchmal hinter den radikalen
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Pasquillen zurückstanden, an Bosheit waren sie ihnen häufig noch „über". Die radikalen vSkribenten- wollten aber wenigstens nicht noch fromm sein dazu, sondern gaben sich wie sie waren, wäh- rend es Schmähschriften, Zeitungsartikel und Inserate gibt, die von Frömmigkeit triefen und dabei doch nur Hass und Hohn verraten. Die Fechtweise der Frommen machte deswegen nicht etwa einen minder rohen Eindruck als die der Radikalen, weil sie ihre Boxliandschuhe mit Bibelsprüchen wattiert, ihre oft vergifteten Lanzen und Pfeile mit frommen Redensarten be- wimpelt hatten. Der Vorwurf kann verschiedenen Wortführern der Glaubensbewegung nicht erspart werden, dass sie zur Ver- mehrung der Aufregung, zur Aufstachelung des Fanatismus, zur Aufhetzung gegen die Obrigkeit beitrugen. \^'ie soll man es nennen, wenn die ,,Neue Kirchenzeitung" am 13. März ein Bulletin im Lande verbreitete, worin es heisst: ,,Aus dem Aargau hören und lesen wir: Wünscht Zürich Truppen aus unserm Kanton? Etwa 700 Juden ständen zu Gebote! Christenbrüder aber werden nie gegen Christen, die für ihren Glauben stehen, zu Felde ziehen! Nein, gewiss nicht!" Und diese plumpe Mache, die nur auf die Verhetzung der Massen berechnet sein konnte, wird ver- brämt mit dem Bibelspruch; ,, Befiehl dem Herrn deine Wege" usw. Vor mis hegt eine antistraussische vSchmähschrift, die unter dem Titel einer ,, Bettagspredigt für die eidgenössischen Regenten" dem Volk seine Obrigkeit in infernahsch-benga- lischer Beleuchtung zeigt: ,,Um diese Altäre herum hegen nun eidgenössische Regenten Tag und Nacht, pflegend den schmutzigen Dienst. \^on dort weg muss man sie holen, wenn sie mitreden sollen zu des Landes Wohl. Dort werden die heihgsten Ange- legenlieiten lachend in den Kot getreten und aus diesem Kot hervor in die Ratsäle gezogen. Von dort wanken eidgenössische Regenten besudelt heim erst mit anbrechendem Tage, \'erfassen in trunkenem Zustande Gesetze für das Land, Richtersprüche gegen Witwen und \^^aisen . . . Geld, Geld, tönt es ihnen im Traume, schwebt ihnen vor auf den grünen Bänken, liinterm grünen Glase, im vSchos.se der Buhlerin, Geld ist das Losungs- geschrei bei der Stellenjagd, Geld der goldene Hintergrund der Gesetzgebung, der goldene Himmel aller Staats- und namenthch Finanzreformen. Mit wohlbezahlten Stellen paart man die Tag-
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gelder, krönt beide mit unverschämten Kostensnoten, um alles windet man dunkle Spekulationen, und, wie Vampyre an den Schlafenden, klammert mau sich mit teufhschem Wucher an die Unmündigen im Volk und lacht mit teufhschem Hohn den Todes- seufzem der Ausgesogenen." Man begreift es vollständig, wenn feinere Naturen wie Kirchenrat Salomon Vögelin, der die vortreffhche Eingabe des Kirchenrats vom 28. Januar an die Re- gierung geschrieben hatte, an diesem literarischen Hexensabbat von radikalem Cj^nismus und frommer Raserei in keiner Weise sich beteihgten und auch sonst gänzhches Schweigen beobach- teten, da in dem wilden Kampfe jede Stimme der Vernunft und Mässigung wirkungslos verhallen musste. Was Vögehn dachte, erfuhr dann erst ein späteres Geschlecht (aus dem Neujahrsblatt der Stadtbibliothek von 1885) : ,, Seinem streng gesetzUchen Sinn war die Erhebung einer Volksgewalt neben derjenigen der Re- gierung ein Unding, die dadurch herbeigeführte Anarchie und Revolution ein Gräuel." — ■
Der 18. März kam heran, an welchem Tage der Grosse Rat sich schlüssig machen musste, ob er dem peccavi der Regierung sich anschliessen wolle oder nicht. Als eine Art Nebenregierung etabherte sich zugleich das Zentralkomitee in der Schmid- stube, um den Gang der Verhandlungen zu überwachen und durch seine Anwesenheit in der Hauptstadt der eingereichten Petition den nötigen Nachdruck zu verleihen. Grossratspräsident Dr. Jonas Furrer nahm denn auch in seiner Eröffnungsansprache Bezug auf die ,, gleichzeitige Sitzung eines Kantonal-Komitees, das sich als zweiten Repräsentanten des Volkes aufgestellt hat." Eduard Sulzer begründete den Mehrheitsantrag der Regie- rung: Pensionierung von Dr. Strauss, Melchior Hirzel den Minderheitsantrag. Regierungsrat Bürgi stellte eine Motion auf Aufhebung der Hochschule, ein ganz perfides radikales Manöver. (Die Motion, deren Beratung Dr. Keller und seine Tra- banten mäuschenstille beiwohnten, wurde am 19. an eine Kom- mission gewiesen und dann später abgelehnt.) Erziehungsrat Ferdinand Meyer brachte eine Motion ein, mit welcher den Wünschen der Petenten bezüghch der Kirchensynode und Schul- gesetze einigermassen entgegengekommen werden sollte (ging am 20. an eine Kommission). Zur Frage Strauss äusserte Dr. Keller:
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In einem Staat mit Repräsentativgewalt ist die Meinung des Volkes ausgedrückt in der Meinung seiner Vertreter, und wenn daneben noch 700 gültige oder ungültige Gemeindeversammlungen abgehalten werden. Es soll sich nun zeigen, ob eine Republik eine Unmöglichkeit oder eine Narrheit sei. Gott hat die Menge nidit geschaffen, dass sie über einen theologischen Professor ur- teilen kann. Die Bewegung ist in ihrer Quelle unrein, in ihrer Entwicklung unrein, in ihren Resultaten staatsgefährhch. Unsere GeistUchen sollten auch einmal hinstehen und sagen müssen, was sie eigentUch glauben; es nähme mich dann wunder, wie viele den Unterschied von ihrem Glauben und dem von vStrauss be- greifen würden. Es nehmen an der Bewegung, die in unordent- Uch zusammengetrommelten \'ersammlungen vor sich ging, Per- sonen teil, die das Verderbliche kennen, wenn die morahsche Kraft einer aus dem \'olk herv^orgegangenen Regierung gebrochen wird. Gegen wirkhche oder vermeintliche Verfassungsverletzung kann man beim Richter klagen. Man rufe die Miteidgenossen des Siebner- konkordats an; geben sie uns recht, dann belange man die Be- wegungsmänner entschlossen als Aufrührer. Kein Rückzug ! Keine Konzession! Aber der feste Vorsatz, dann jede physische und morahsche Gewalt gegen die DemoraUsation aufzubieten, damit diesem anarchischen Zustande ein Ende gemacht werde.
Eduard Sulzer replizierte: für eine ,, unreine Bewegung" hätten nicht 40,000 Bürger sich erhoben. Oberrichter Füssli: In den Kircligemeindeversammlmigen wurden die Opponenten teils hinausgeworfen, teils niedergebrüllt. Muss man erst noch mit den Flinten in die Kirche kommen und die Opponenten nieder- schiessen, bevor die Bewegung eine ,, unreine" genannt werden darf ? Es ist eine Prüfungsstunde für den Grossen Rat. Ich frage Sie, ob Sie nicht den Mut haben, einem ungeheuren Haufen ent- gegenzutreten ? Schmählich ist es, davonzulaufen, bevor die Ge- fahr vor die Nase tritt. Amtsbürgermeister J. J. Hess war jetzt auch für Pensionierung. ,,Bei den Juristen heisst es: fiat justitia, pereat mundus ; der Staatsmann aber muss trachten, einem Bürger- krieg auszuweichen, wenn noch irgend ein gangbarer \^'eg dafür ist." Statthalter Heinrich Gujer von Bauma gab zu, dass sich der Bewegung auch unedle, selbst strafwürdige Tendenzen beigemischt haben, aber bei welcher grossen Bewegung wäre das
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nicht der Fall ? Man sei billig und bedenke, wie viel Bande sich seit 1830 gelöst haben und welche Opfer und Anstrengungen das Volk auf sich nehmen musste, um früher Versäumtes nachzu- holen! Wie leicht können rehgiöse Impulse den Fanatismus her- vorruien, und diese furchtbare Gefahr bedroht uns auch jetzt, wenn nicht bald das erlösende Wort gesprochen wird. Die Be- wegung hat einen moraUschen Haltpunkt, der sie unüberwindlich macht. Die Stillen im Lande, die rechtlichen, ruhigen Bürger können des Gewissens halber nicht ruhen, Straussens Wirksam- keit zu verhindern, so lange es ihnen möghch ist. Prof. Alexander Schweizer erwiderte Dr. Keller, man könne die Sache nicht nur wie einen Rechtshandel betrachten. ,,Dass Regierungen ihrem Volke sagen: seid sittUcher, besser, religiöser, kirchhcher, das ist oft vorgekommen. Dass ein Volk sich erhebt und seinen Füh- rern, Erziehungsräten und Regenten sagt: wir beschwören Euch, seid sitthcher, reUgiöser als bisher, sorget besser für die Erhaltung dieser tiefsten Fundamente der öffenthchen und häushchen Wohl- fahrt, — solche Sprache eines Volkes zu seiner Regierung ist mir noch nie vorgekommen." Melchior Hirzel sah seine Sache verloren und gestand mit aufrichtiger Bekümmernis: ,, Bergen kann ich es nicht, dass diese Bewegung mich mit Trauer erfüllt, weil ich sehe, dass die rehgiöse Bildung tiefer steht, als ich gedacht hatte." Mit 149 gegen 38 Stimmen beschloss der Grosse Rat, Strauss zu pensionieren. In Vollziehung dieses Beschlusses setzte am 19. März der Erziehungsrat die Pension auf 1000 Fr. fest. Bitter klagte J. C. v. Orelh: ,,So habt Ihr denn abermals einen Ketzer abgeschlachtet. Nehmet Euer Opfer hin! Bratet ihn, zehret ihn auf!"
Für die Regierung wäre nun wohl der psychologische ^lo- ment gewesen, abzudanken. Regierungsrat H. Escher erzählt auch von einem Ratschlag, bei welchem Oberst Fierz von Küs- nacht den \'orschlag machte, es sollte der gesamte Regierungs- rat, wenn er den Willen des souveränen Volks entschieden gegen sich habe, freiwilhg abtreten; dadurch könne man schhmme Auf- tritte vermeiden und werde die Mehrzahl am ehesten wieder zur Besinnung kommen. Darauf rephzierte Melchior Hirzel: ,,Das wäre tmsem Feinden eine gemähte Wiese; eben dieses wünschen sie ; aber das wollen wir nicht tun. Im Gegenteil, wir wollen ihnen
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die Stühle nicht abtreten, sondern us daran festbinden." Mit diesen Worten zog er sein weisses X stach aus der Tasche und befestigte damit eines seiner langen Beine am Stuhl. Es war aus seiner Miene zu schliessen, dass er ;lbst das Lächerliche dieser Gestikulation einsall ; aber mit ernster^timme fügte er bei: „Herr Fierz hat gut sagen, er kann als begcerter Mann sich wieder in seiner Heimatsgemeinde Küsnacht dr Landwirtschaft widmen; aber was soll ich dann anfangen, da ia weder einen Gütergewerb noch eine Fabrik besitze . . . ?" H. scher berichtet ferner von einer Zusammenkunft bei Regierungrat Eduard Sulzer, wo er auch Statthalter Gujer traf. Diesr habe ihn und die andern Eingeladenen zu bestimmen gesucht, ;idi für diese ,, schöne Be- wegung" zu entscheiden. ,,Ich wollte leinerseits den Herrn Gujer belehren, dass lünter der Bewegung ich eine revolutionäre, ari- stokratische Tendenz verstecke, wehe den Endzweck habe, die Demokratie um die 1831 ernmges Freiheit zu betrügen und die Gewalt in die Hände der ^'orrecller zu spielen. Herr Gujer beharrte auf seinem Ansinnen, indener sagte, wenn der Zweck, den Strauss, Scherr und ihre Verbüneten zu beseitigen, erreicht sei, so werde man die Mittel schon fiden, allfälhge Zwecke, die zum Nachteil der Rechtsgleichlieit ereichen könnten, zu ver- eiteln. Nach diesen Erörterungen wvde das bei Sulzer versam- melte Komitee ohne Resultat entlasjn."
Triumphieren konnte nun das Zentralkomitee; es hatte einen ersten bedeutungsvollen Sieg eningen. Und doch fand es noch ein Haar in der Suppe: die tusendfränkdge Pension für den vertriebenen Strauss ! In seinem endschreiben vom 20. März sagt das Komitee, dass Herr Straus; ,,wenn er dieses Geld an- nimmt, sich dadurch vor aller Welt ;s einen unehrenhaften und habsüchtigen Mann darstellt, von desen SittUchkeit usw. dann wohl niemand mehr \ael zu rühmen ^agen wird, dem dafür dann vielmehr die \'erachtung jedes Biedanannes zuteil werden und um so sicherer jedes Wirken als Lehn: abgeschnitten sein wird." (Es sei hier gleich beigefügt, dass Stiuss auf diese Anrempe' nicht reagierte, sondern sich kaltblüt; die Pension Jahr f'" ausbezahlen Hess bis zu seinem Tod 1874; er über Geld der Armenkasse Ludwigsburg zum Andenl- Mutter; unter der Hand schickte eiauch Beträr
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die Stühle nicht abtreten, sondern uns daran festbinden." Mit diesen Worten zog er sein weisses Nastuch aus der Tasche und befestigte damit eines seiner langen Beine am Stuhl. Es war aus seiner Miene zu schhessen, dass er selbst das Lächerliche dieser Gestikulation einsah; aber mit ernster Stimme fügte er bei: „Herr Fierz hat gut sagen, er kann als begüterter Mann sich wieder in seiner Heimatsgemeinde Küsnacht der Landwirtschaft widmen; aber was soll ich dann anfangen, da ich weder einen Gütergewerb noch eine Fabrik besitze . . . ?" H. Escher berichtet ferner von einer Zusammenkunft bei Regierungsrat Eduard vSulzer, wo er auch vStatthalter Gujer traf. Dieser habe ihn und die andern Eingeladenen zu bestimmen gesucht, sich für diese ,, schöne Be- wegmig" zu entscheiden. ,,Ich wollte meinerseits den Herrn Gujer belehren, dass hinter der Bewegung sich eine revolutionäre, ari- stokratische Tendenz verstecke, welche den Endzweck habe, die Demokratie um die 1831 errmigene Freiheit zu betrügen und die Gewalt in die Hände der Yorrechtler zu spielen. Herr Gujer beharrte auf seinem Ansinnen, indem er sagte, wenn der Zweck, den Strauss, Scherr und ihre Verbündeten zu beseitigen, erreicht sei, so werde man die Mittel schon finden, allfälUge Zwecke, die zum Nachteil der Rechtsgleichheit gereichen könnten, zu ver- eiteln. Nach diesen Erörterungen wurde das bei Sulzer versam- melte Komitee ohne Resultat entlassen."
Triumphieren konnte nun das Zentralkomitee; es hatte einen ersten bedeutmigsvollen Sieg errungen. Und doch fand es noch ein Haar in der Suppe: die tausendf ränkige Pension für den vertriebenen Strauss ! In seinem Sendschreiben vom 20. März sagt das Komitee, dass Herr Strauss, ,,wenn er dieses Geld an- nimmt, sich dadurch vor aller Welt als einen unehrenliaften und habsüchtigen Mann darstellt, von dessen Sittlichkeit usw. dann wohl niemand mehr viel zu rühmen wagen wird, dem dafür dann vielmehr die Verachtung jedes Biedermannes zuteil werden und um so sicherer jedes Wirken als Lehrer abgeschnitten sein wird." (Es sei hier gleich beigefügt, dass vStrauss auf diese Anrempelung nicht reagierte, sondern sich kaltblütig die Pension Jalir für Jalir ausbezahlen Hess bis zu seinem Tod, 1874; er übermachte das Geld der Armenkasse Ludwigsburg zum Andenken an seine Mutter; unter der Hand schickte er auch Beträge nach Zürich
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ZU gemeinnützigen Zwecken durch seinen Freund Hitzig.) Nicht ganz befriedigt war das Zentralkomitee auch deshalb, weil der Regierungsrat nicht in Anklagezustand wegen Verfassungsver- letzung versetzt worden war; aber der Grosse Rat habe das Land nicht Stürmen preisgeben wollen (hingegen das Komitee wollte also das!), welche möghcherweise durch eine solche Anklage heraufgerufen worden wären. Zum Schluss erklärte das Zentral- komitee seinen Rücktritt wegen vollständiger Erfüllung seiner Aufgabe. VertrauUch ging indessen die Mitteilung an die Bezirkskomi tees, dass die ganze Organisation der Bezirks- und Gemeindekomitees aufrecht erhalten bleiben solle, um nötigen- falls jeden Augenbhck zum Eingreifen bereit zu sein. Als Vor- ort der Bezirkskomitees wurde Horgen bezeichnet.
SIEBZEHNTES KAPITEL
REVOLUTION
Ist es nicht sonderbar, dass die Men- schen so gerne für die Religion fechten und so ungern nach ihren Vorschriften leben ? Lichtenberg.
Um die Osterzeit des Jahres 1839 erhielt die Denktafel christ- licher Wohltäter und Jugendfreunde in der Schulstube Zol- likerberg eine neue Eintragung: zehn Gulden „zum Andenken an den grossen Triumph Jesu über Tod und Grab, sowie über den straussischen Unglauben". Die Widmung war wohl etwas ver- frülit; denn eben weil der .Straussische Unglaube ja nicht erst mit Strauss gekommen wäre, sondern schon längst vom Seminar, der Volksschule usw. Besitz ergriffen hatte, musste nach der Über- zeugung der Gläubigen, auch nachdem Strauss verjagt war, der Kampf erst recht aufgenommen werden. Der christliche Wohltäter im Zollikerberg ging auch darin zu weit, dass er die Sache seiner Partei zur ,, Sache Jesu" schlechtweg machte. Wäre es wirklich die Sache Gottes und Jesu gewesen und nicht bloss eine mensch- liche Parteisache, die durch das Glaubenskomi tee vertreten wurde, dann hätte nicht nach ihrem zum Teil mit höchst frag\\-ürdigen Mitteln errungenen Augenbhckserfolg der sogenannte Straussische Unglaube wieder auf der ganzen Linie obgesiegt und dann hätten auch nicht die damahgen Sieger sich hernach nur mit einem steigenden Unbehagen an das fatale Jahr 1839 erinnern lassen. Ohne deswegen den radikalen Vorwurf der Heuchelei zu ver- dienen, berauschten sich die ,,Antistraussen" förmlich in frommen Illusionen. Weil die ,, Sprache Kanaans" nun einmal zu der im Lande herrschenden geworden war und fast widerstandslos von Freund und Feind ertragen werden musste, glaubte man nicht nur eine tiefgewurzelte Landesreligion, sondern auch eine all- gemeine Landesfrömmigkeit pietistischer Fasson voraussetzen zu dürfen, deren rapides Dahinschwinden nach dem Jahre 1839 dann allerdings die Haltlosigkeit dieser Annahme deutlich erwies. So konnte der Ausspruch von Hürlimann-T<andis, ,,das Zürcher-
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volk ist ein hehres, christliches Volk", zum geflügelten Worte werden. Er behauptete mit Überzeugung, das Verhältnis von Gläubigen und Ungläubigen im Kanton Zürich sei wie 50:1.
Jakob Hürlimann-Landis, der Präsident des Glaubens- komitees (geb. 1796), schätzte die Rehgion hauptsächhch von prak- tischen Gesichtspunkten aus: als Trost der Armen und Elenden, Schutz \ or Verbrechen und Unmoral und Unterpfand ewiger SeHg- keit. Hie und da kann man sich des Eindrucks einer gewissen geistigen Beschränktheit bei Hürhmann-Landis (welcher schwer- hörig war) nicht ganz erwehren, doch mag der Eindruck täuschen. Der englische Gesandte David Richard Morier, selber ein sehr rehgiöser Mann, der mehrere Unterredungen mit Hürhmann hatte, spricht von ihm in seinen Berichten an Palmerston (herausgegeben von W. Oechsli im Z. Taschenbuch 1909) mit grosser Achtung und Sj-mpathie. Solcher achtungswerten Männer wie Hürlimann- Landis, denen die Rehgion ein höchst wertvolles Gut war, gab es Hunderte und Tausende. In den überheferten vSatzungen und Lehren der Kirche erbhckten sie sozusagen die vertraglichen Garantien für dieses hohe Gut. Wer an diesen Vertragsklauseln etwas änderte oder umstellte, konnte nach ihrer Meinung mög- licherweise bewirken, dass der ganze Vertrag hinfälhg wurde, wes- halb man sich für die vermeinthch bedrohten Vertragsklauseln bis zum Äussersten wehrte, so ungefähr, wie man einen Zivil- prözess mit allen Mitteln bis zur höchsten Instanz hindurch ver- ficht. Daher dieses unaufhörHche Rumoren im Lande herum, worüber in den ,, Briefen eines Zürchers an einen Basler" geklagt wird. ,, Diese hierarchisch geghederten Komitees, von den Gemeinen bis zur Spitze, dieses unablässige Hetzen, das dem Volke keine Ruhe und keine Besonnenheit Hess, dieses Verdächtigen in öffent- lichen Blättern — wahrlich, auf diese Weise musste der Ruhigste fanatisch und gereizt werden. Diese ZentraUtät, dieses Auf- treten und Vorschreiben von oben für alle nach einem Formular, hat der rehgiösen Bewegung ihre Freiheit genommen. Alles ging nach einer Form und einem Schnitt, und der ganze Zweck war der äussere Erfolg! Als ob kein Gott im Himmel wäre, als ob von ihnen alles abhänge, als ob sie es durchsetzen müssten wohl oder übel, so war ihr Auftreten in der Sache. Es war ein Stürmen, nichts anderes." Dieses zwängerische und über alle Be-
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denken sich hinwegsetzende Hinarbeiten auf den äussern Erfolg erklärt es denn auch, warum man bei aller gehässigen Befehdung der „Straussen" andererseits dann doch wieder die Mitarbeit von Männern sich gefallen Hess, selbst in der Leitung der Bewegung, von denen man wissen konnte, dass sie innerlich den sogenannten ,,Gottesläugneni" Strauss und Scherr ziemlich nahe standen. Für den Sanskritforscher Pfarrer Dr. Bernhard Hirzel in Pfäffikon, der als Folge der Berufung von Strauss für Zürich einen , , Rückfall in die Orthodoxie ' ' befürchtet hatte , galt es : Jetzt oder nie ist der Zeitpunkt, den Radikalismus zu stürzen, und dafür will ich arbeiten! Es %var bei ihm, sagt der Ver- fasser der erwähnten ,, Briefe", nicht beschränkte Kirchhchkeit, es war ihm alles viel weiter und grossartiger, aber auch \-iel welt- licher und unreiner. Der Freimaurer J. C. Bluntschli, das geistige Haupt der Konservativen, kennzeichnete nach der Bewegung seinen Standpunkt mit den Worten: ,,Die alte dogmatische Vor- stellung, dass Christus ein Gott sei, war von allen als veraltet und undenkbar aufgegeben; aber wilhg verehrten wir in Christus den gottbegeisterten Menschen und achteten in dem Christen- tum die Rehgion der Gottes- und Menschenliebe." Melchior vSulzer, ein eigentlicher \'ertrauensmann des Glaubenskomitees im Regierungsrat, war aus nichts weniger als kirchenfreundHchen Motiven gegen die Berufung von Strauss und sagte oft zu seinen Regierungskollegen: ,,Ihr werdet sehen, ihr arbeitet mit eurem Plan bloss den Geistlichen in die Hand, die werden euch bei dieser Gelegenlieit über den Kopf wachsen; und am Ende ist dieser Strauss selbst so ein Gelehrter, ein Pfaff wie diese, und stellt euch ums Geld übers Jahr wieder ein neues System auf."
Unerklärlich bleibt, neben andern Rätseln dieser Episode, der fast bedingungslose Anschluss der Konservativen an die Be- wegung, auch dann noch, als über ihr revolutionäres Ziel niemand mehr im Zweifel sein konnte. ,,Die konser\'ative Partei des Kan- tons Zürich hatte bisher die \^'urzeln ihrer Kraft in dem Einstehen für die verfassungsmässige Ordnung und in der Verwerfung jeder Revolution besessen. I\Iit dem Zürich-Putsch gab sie diese Grund- sätze preis und zerstörte mit eigener Hand den sichern Boden, darauf sie stund" (Prof. Fritz Fleiner, Herausgeber des Brief- wechsels Bluntschh-W'ackernagel) . Es fehlte nicht an warnenden
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Stimmen. Ganze Gemeinden und Bezirke der Glaubensorgani- sation selbst, die sich nicht täuschen üessen durch die fort- währende Betonung des „streng gesetzlichen", unpolitischen Vor- gehens, waren für das Zuwarten bis zu den nächsten ordenthchen Erneuerungswahlen, d. h. also für den einzig möglichen, wirk- lich gesetzUchen Weg, den auch ein Christ beschreiten darf, wenn er eine Umwälzung des Regierungssystems für nötig hält. Die Mehrheit wollte es anders, und nur zu leicht redete das Glaubens- komitee sich ein, dass auch in diesem Falle ,, Volksstimme Gottes- stimme" sei. Wenn der konser\-ative ,, Beobachter aus der öst- lichen Schweiz" schon Monate vor der Katastrophe drohte: ,,Wir jagen euch alle ins Weite", wenn selbst ein ,, angesehener Geist- Ucher" erklären konnte: ,,Wir ruhen nicht und werden nicht ruhen, bis Hirzel, Keller, Scherr und Ulrich vertrieben sind", diese Herren aber rücht freiwilhg gehen wollten, so musste es eben zur Revolution kommen. Ob dann in den dramatischen Hauptmomenten die ]Marseillaise oder Psalmen gesungen werden, macht keinen wesentlichen Unterschied. Als Menschen dürfen die herv'orragendsten städtischen Führer der Bewegung, ein Dr. Rahn, der herzensgute, in tätiger Nächstenliebe unermüd- liche Arzt und -Menschenfreund, und der charaktervolle Proku- rator (Fürsprech) Spöndlin, unsere ungeminderte Hochachtung beanspruchen. Hat doch selbst H. Escher, der in seinen ,, Er- innerungen" keinen schont und weder bei Bluntschh, noch bei Gujer und andern irgendwelche religiöse Motive anerkennen will, die absolute Lauterkeit von Spöndlins religiöser Überzeugung her\-orgehoben. Dass Rahn und Spöndhn, Vizepräsident und Aktuar des rekonstituierten Zentralkomitees, in der kritischen Stunde das Volk nicht im Stiche Hessen, sondern selber vorne hinstanden, wo es am gefährhchsten war, kann die S^-mpathien für sie nur vermehren. Diese Männer fühlten sich getragen und vorwärtsgedrängt von einer übermächtigen Strömung, die — weil sie nun einmal gegen die Radikalen ging — selbst einem so guten Demokraten wie Jonas Furrer das Geständnis abpresste, er könne und möge gar nicht sagen, was in ihm vorgehe, wenn er nur vom ,, Volkswillen" höre . . .
Liberale IMittelsmänner hatten den Führern der Bewegung unter der Hand zugesagt, bei der nächsten Teilerneuerung des
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Regierungsrates ein paar von den im Austritt befindlichen radi- kalen Mitgliedern beseitigen zu helfen. Am 3. April bot sich dazu Gelegenheit, aber der Grosse Rat bestätigte sämthche sechs Regierungsräte, die sich der Wiederwahl zu unterziehen hatten. Folgenden Tages kamen die 158 Petitionen der Kirchge- meinden zur Behandlung. Referent Surber beantragte, die 114 Petitionen der milderen Fassung (zweite Redaktion) an die am 19. und 20. März bestellten Kommissionen zu weisen, über die andern (schärfere, erste Redaktion) zur Tagesordnung zu schreiten. Dr. Keller wollte sämtliche durch Vermittlung des XXIIer Ko- mitees eingegangene Petitionen abweisen und charakterisierte die Bewegung neuerdings als ,, etwas Schlechtes in jeder Beziehung" und einen schlecht bemäntelten Aufruhr weniger \"erfiihrer und vieler Verführten. Das Resultat der Beratung war die Über- weisung sämtlicher Petitionen an die Kommissionen ohne jede Rüge oder Missbilligung. Hieher gehört nun ein kleines vStimmungs- bildchen aus den Aufzeichnungen von \^'ilhelm Meyer-Ott, der sich selbst als ,, nicht eigentlich ruhigen, aber ehrbaren Bürger in Stadelhofen" bezeichnet. Ja, das war er, durch und durch ehrenhaft und von einer kostbaren Geradheit und Aufrichtigkeit. Tausende dachten wie er, und die Berichte von Meyer-Ott, die sein Sohn, der ebenfalls schon oft zitierte Kirchenratssekretär Dr. F. Meyer im Zürcher Taschenbuch 1910 mitgeteilt hat, dürfen wohl zu den wertvollsten Quellen der Geschichte des 6. September 1839 gezählt werden. Anknüpfend an die Berufung von Strauss schreibt Meyer-Ott, damals Kassier der „Bank in Zürich" auf der ,, Meisen": ,,Das Zentralkomitee wurde von entschlossenen Freun- den gleichsam auf den Knieen gebeten, Gewalt zu brauchen. Aber es blieb standhaft. Die von den Radikalen so oft verhöhnten Häupter desselben, Hürlimann-Landis, Dr. Ralin, Pfarrer Meyer und andere, erklärten: Ihr Freunde, wir wollen keine Revolution, wir werden auf gesetzlichem \^'ege verharren und Gott wird uns helfen. — Das ist ganz gut, sagten wir andern, aber Ihr habt es mit schlechten Kerls zu tun, die Euch nur auslachen. Lasst doch nur während des Grossen Rates ein wenig unbewaffnetes Volk in die Stadt kommen, wir bitten Euch! — Da schrieb das Zentral- komitee an alle Gemeinden: Wir erwarten von Euch, dass Ihr während des Grossen Rates ruhig zu Hause bleibt und nicht nach
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Zürich kommt. — • Man gehorchte, aber viele weinten vor Zorn. Der Grosse Rat trat zusammen und beschloss Straussens Ent- fernung; die Petition aber warf er gleichsam unter den Tisch, und einige Mitglieder Hessen die empörendsten Äusserungen über Re- ligion imd Gottesdienst hören. Das Volk knirschte. Einige Männer des juste milieu intriguierten beim Komitee und versprachen bei den gleichzeitig eingetretenen Emeuerungswahlen von einem Drittel des Regierimgsrates ihre Beihilfe zur Ausstossung einiger schlechter Subjekte. Diese dem Grossen Rate zuständigen Wahlen wurden vorgenommen und jene schlechten Menschen alle mit grossem Mehr wieder gewählt. Das war nach Ostern. Das Volk tobte; aber, hiess es, jetzt kommt die Feldarbeit. Nach dem Herbst wollen wir mit der Regiertmg abrechnen, nach dem Herbst !" Von vielen Seiten war das Zentralkomitee dringend ge- beten worden, seine Tätigkeit wieder aufzunehmen. Kaum ab- gesessen, schwang es sich denn, mit ,, freudigem Ernst" dem er- haltenen Rufe Folge leistend, wohlgemut wieder in den Sattel und ergriff mit fester Hand die Zügel. Die vSitzung vom 22. April in Zürich zeitigte ein Sendschreiben an das Volk, mit welchem das Zentralkomitee seine politische Tätigkeit offiziell er- öffnete. Dieses Sendschreiben ,,an die Bürger der vereinigt pe- titionierenden Gemeinden" enthielt nämlich die energische Auf- forderung zu lebhafter BeteiUgung an den bevorstehenden Ge- meindewahlen, bei denen dafür gesorgt werden müsse, dass rechtschaffene und gottesfürchtige Männer in die Gemeinde- behörden kommen. Gleichwohl ist das Zentralkomitee natürhch auch hier ,,fem davon, das Politische mit imserer heihgen Sache vermengen zu wollen, wie gerne und gefhssen auch unsere Gegner uns dieses andichten". Die Eröffnung des Wahlkampfes durch das Zentralkomitee nötigte an verschiedenen Orten Bürger und Gemeinden zu öffentHchen Verwahrungen gegen allfällige ,, Ver- dächtigungen", straussisch gesinnt zu sein. Mit ihren Namens- unterschriften bezeugten Kantonsräte in gemeinsamen öffent- lichen Erklärungen, im Grossen Rat gegen Strauss gestimmt zu haben. Die Gemeindewahlen standen ersichtlich im Zeichen der Glaubens bewegung. Die Kirchgemeinde Neumünster zum Bei- spiel entfernte am 28. April vier ,,Straussen" aus der Schulpflege. Der Regierungsrat, noch nicht gewitzigt, kassierte die von Radi-
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kalen aus formellen Gründen angefochtenen Wahlen der Gemeinden Wald und Wetzikon, deren Mannschaft nunmehr samt und son- ders zum Zentralkomitee überging. In der Grossratssession vom 24. bis 27. Juni kamen die „Volksv^Tinsche" der Kirch- gemeindepetitionen zur materiellen Erledigung. Die wichtigsten derselben wurden abgelehnt, so namentlich die gemischte Kirchensynode, die Revision des Seminargesetzes, das Vorschlags- recht des Kirchenrates für Professorenwahlen usw. Einige Kon- zessionen machte man bezüglich vermehrter Religionsstunden in den Schulen. Die Antwort des Zentralkomitees bestand zu- nächst in dem Beschluss (2. Juli), eine neue Petition vor- zubereiten betreffend die im Herbst bevorstehende Emeuerungs- wahl des Erziehungsrates und einen Plan zur Errichtung eines ,,auf christlichem Grund und Boden wurzelnden Schullehrer- Seminars". In der ,, Freitagszeitung" wurde gesagt: ,, Zwischen dem Volke und seinem Stellvertreter ist bei uns eine ungeheure Kluft, und die Regierung scheint sich zur äussersten Linken halten zu wollen. So geschraubt, wie die Sachen nun stehen, können sie sich unmöglich auf die Dauer erhalten. Aber kein anderer Aus- weg ist vorhanden, als dass das Volk, auf seine verfassungsmässigen Rechte sich stützend, sich versammle und a. Abschaffung der indirekten Wahlen verlange, b. das Veto (Referendum) in die Verfassung einführe."
Über die hochbedeutsame Sitzung des Zentralkomitees vom 8. August berichtet das nämliche Blatt: ,,Das Zentralkomitee hat in seiner heutigen Sitzung infolge langer und ernster Dis- kussion beschlossen, dem Volke eine Beleuchtung der heihgen Sache, wie sie sich durch die Beschlüsse des Grossen Rates gestaltet, vorzulegen. Alle Deputierten stimmten darin überein, dass das Volk, dem die Sache immer noch von der nämUchen Bedeutung sei, sich mit den kleinen Vergünstigungen des Grossen Rates umso- weniger begnügen werde, als einzelne Hochgelehrte in ihren Voten nur zu klar gezeigt, wie fern sie dem Volk, seinen Wünschen und seinem Glauben stehen. Die Garantie für die Aufrechthaltung der Verfassung und namentUch des § 4 derselben muss geleistet werden, bevor das Volk sich beruhigen wird; der Erziehungsrat muss in vielen seiner Mitglieder anders komponiert werden, bevor die Schule als eine christliche gesichert ist. Es ist das Zentral-
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koniitee, wie bisher, fest entschlossen, auf gesetzlichem Wege zu bleiben; aber auf diesem Wege wird es standhaft und aus- dauernd bis zum Ziele gehen, nicht fürchtend weder den gottlosen Spott, noch die eitlen Drohungen seiner Gegner. Bessert es früher nicht, so wird doch die Zeit der Emeuerungswahlen das treue Volk dahin bringen, an die Stelle seiner Gegner seine Repräsen- tanten zu setzen; vielleicht bringt die Zeit noch vorher glückliche Änderungen."
Das hier angekündigte Sendschreiben des Zentral- komitees, ebenfalls vom 8. August datiert, knüpft an die Mit- teilung der Grossratsbeschlüsse die Bemerkung, dass die Be- sorgnisse des Zentralkomitees keineswegs gehoben seien und das Volk sich bei den Äusserungen seiner Gegner im Grossen Rat nicht beruhigen könne. ,, Solange die Gegner solche Waffen gegen Euch brauchen, solange sie solche zu den ihrigen zählen, die nicht nur gegen Euch mit unehrUchen Waffen kämpfen, sondern Gottes deutliche Offenbarung Unwahrheit nennen und also auch diese verwerfen, solange kann von einer Beruhigung und einer auf- richtigen Versöhnung keine Rede sein." Das Zentralkomitee hält es deshalb für seine Aufgabe, auch fernerhin noch andere gesetz- liche Mittel und Wege aufzusuchen und anzuraten, um die ge- wünschten Garantien zu erhalten. Darüber soll jetzt mit den Bezirkskomitees beraten werden. Das Sendschreiben schliesst mit den Worten: ,,Wir grüssen Euch im Namen des Herrn." Es hätte ebensogut sagen können: ,,Es lebe die Revolution". Die Kriegserklärung war deutUch und wurde auch verstanden. Mit dürren Worten sagte das Komitee: wir geben keine Ruhe und keinen Frieden, bis wir eine christliche Regierung und einen christUchen Grossen Rat haben.
Sogleich nach dem Erscheinen des Sendschreibens schlug der ,, Republikaner" L,ärm und sagte es dem Zentralkomitee auf den Kopf zu, dass es revolutionieren wolle. Das wurde bestritten und noch am 16. August unter anderm erklärt: ,,Von einer Volks- versammlung ist weder geheim noch offen die Rede; davor brauchen sich die Herren nicht zu fürchten."
Was gedachte nun eigentHch die Regierung zu tun? Im Gegensatz zu der kraftvollen Energie und Geschlossenheit, welche das Zentralkomitee beseelte, bot sie das Bild jämmerlicher Lahm-
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heit und Zerrissenheit. Sie hatte es dulden müssen, dass dieses Zentralkomitee einen erheblichen Teil der öffentlichen Gewalt an sich riss, dass es sich in seinen Erlassen und Kundgebungen über den Kopf der Regierung liinvveg direkt an das Volk wandte und in Anordnungen, die den Stil amtlicher Verfügungen trugen, die politische Organisation der Aktivbürgerschaft, als welche damals die Kirchgemeinden anzusehen waren, ungescheut zu seinen Zwecken benützte. Man sehe sich die verschiedenen Sendschreiben an, in denen die Kirchgemeinden „eingeladen" werden, an diesem und jenem Tage ihre Versammlungen zu halten, und in denen unter anderm verfügt wird, dass die Petition nur als Ganzes durch offenes Stimmenmehr anzunehmen oder zu verwerfen, vom Präsi- denten und Aktuar namens der Gemeinde zu unterzeichnen sei usw. Was aber das vSchlimmste war: diesen Anordnungen und Ver- fügungen des Zentralkomitees wurde überall mit dem grössten Eifer nachgekommen, während den Befehlen der wirkHchen Re- gierung durch verschiedene Statthalter und \'iele Gemeinde- beamte nur sehr lässig oder gar nicht gehorcht wurde. Wie konnte es auch anders sein, da der unheilvolle Zwiespalt in der Regierung längst offenkundig war und sie bei den Bürgern wirkUche Achtung nicht mehr genoss und auch kaum mehr verdiente. Von den 19 Regierungsräten waren zum mindesten Eduard mid Melclüor Sulzer, sowie Hegetschweiler als ,,Antistraussen" und heimUche Freunde und Helfershelfer des Glaubenskomitees zu betrachten. Regierungsrat H. Escher, der diese drei Kollegen einfach als Ver- räter bezeichnet, berichtet sogar von nächtlichen Zusammen- künften Hegetschweilers mit dem engem Ausschuss des Glaubens- komitees im Haus eines gewissen Stauber im Seefeld. Der Staats- schreiber J. H. Hottinger und sein Sohn und Gehilfe waren dem Komitee mit Leib und Seele ergeben; das letztere erfuhr jedes Wort, das im Regierungsrat gesprochen wurde, und hatte Kennt- rus von amtlichen Verfügungen noch vor ihrer Publikation. Einer der aufrechten, achtungswerten und in jeder Hinsicht makellosen Charaktere im Regierungsrat war Oberst Heinrich Weiss von Fehraltorf, der Präsident des Kriegsrates. Dr. Ludwig Keller hatte dem Regierungsrat nie angehört, sondern vor- gezogen, als Präsident des Obergerichts und Drahtzieher hinter den Kulissen des Regierungsrates beide ,, Gewalten" zu dirigieren.
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Am Abend des 20. August fand eine vertrauliche Be- sprechung zwischen einigen radikalen Mitgüedern des Re- gierungsrates statt, an welcher auch Dr. Ludwig Keller teilnahm. Man kam ohne viel Worte zu dem Schlüsse, die Regierung dürfe dem erneuten Treiben des Zentralkomitees nicht stillschweigend zusehen; es sei evident, dass die ganze Tendenz derer, die an der Spitze stehen, eine poHtische und nichts weniger als eine rehgiöse sei. Den Bürgern des Landes, denen Ruhe und Ordnung heb wären und die sich aufs neue nach dem Schutze der Regierung gegen leidenschafthche Verfolgung in dem Masse sehnten, dass sie sich mit \"erachtung von der schwachen, ohnmächtigen Re- gierung zu wenden drohten, sei man schuldig, zur Wiederherstel- lung eines geregelten Zustandes das MögUche zu tun. Man kam überein, dass Oberst W'eiss im Namen des Poüzeirates einen An- trag auf Erlass eines Dekrets oder dergleichen im Regierungsrat stellen solle. Oberst Fierz und Dr. Ludwig Keller übernahmen es, inzwischen den stets unentschiedenen Amtsbürgermeister Hess im Sinne der Konferenzbeschlüsse zu bearbeiten, was denn auch von Dr. Keller mit vollem Erfolg besorgt wurde. In einer Unter- redung mit Oberst Weiss am 22. August zeigte sich Hess sehr ent- schlossen und übergab Weiss den von Keller verfassten Entwurf einer Kundmachung mit der Bitte, sie während der vSitzung der Tagsatzung, die seit dem i. Juli unter dem Vorsitz von Hess in Zürich tagte, mit Keller noch vollends zu redigieren.
Auf Freitag den 23. August morgens 7 Uhr hatte Amts- bürgermeister Hess eine ausserordentliche Sitzung des Re- gierungsrates anberaumt. In seiner Eröffnungsansprache er- klärte Hess, dass ihm bei der erneuten Tätigkeit des Zentral- komitees notwendig scheine, auch von selten der Regierung Schritte zu tun, indem jenes Treiben die Schranken der GesetzUchkeit überschreite, immer frecher und arroganter werde und das Ansehen der Behörden und ihre Wirksamkeit total untergrabe. Dann gab er Oberst Weiss das Wort zur Begründung seines Antrages, welcher in ernster Stimmimg auseinandersetzte, dass es einem so unermüdlich tätigen Feinde gegenüber Pflicht der Regierung sei, nochmals wenigstens den Versuch zu machen, die Zügel zu erfassen und sich einer Existenz zu entwinden, wo sie in allen ihren Verrichtungen gehemmt und kontrakarriert würde. Alle
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Mitglieder hörten beifällig zu; nur Hegetschw eiler schüttelte den Kopf und sagte dann, der Zeitpunkt zum Einschreiten sei noch nicht da; bis jetzt sei vom Komitee aus nichts Ungesetzliches geschehen und wenn man nicht reize, werde auch nichts ge- schehen. Solche Massnahmen schaden mehr als sie nützen; sie verdächtigen die Sache der Regierung und bringen das \'olk in Harnisch. Überdies sei von den Radikalen, die jetzt diesen Vor- schlag bringen, und ihren Organen vieles verdorben und auf die Spitze getrieben worden. Finde die Regierung sich stark genug, bei den Vereinen und Gemeinden zu imponieren imd mit Erfolg gegen sie zu agieren, wohl, so möge sie es tun; dann aber müsse sie nicht bloss bei diesem Erlass stehen bleiben, sondern weiter gehen, dem Komitee befehlen, sich aufzulösen, und die \^'ider- spenstigen bestrafen lassen. Wäre man des Erfolges sicher, so würde er aucli dabei sein, allein er bezweifle dieses. Während dieser Rede hatte Bürgermeister Hess mehrere Zeichen des Un- willens und der Ungeduld gegeben; mit bittem Worten widerlegte er sodann den Redner und verlangte Entscheidung. Nachdem noch H. Escher in ähnlichem Sinne wie Hegetschweiler ge- sprochen, wurde der Dekretsentwurf angenommen. M. Sulzer war erst unmittelbar vor der Abstimmung eingetreten, hatte pro forma nach dem Stand der Verhandlungen sich erkundigt und sich dann der Abstimmung enthalten. Eduard Sulzer war in Baden und missbilHgte nachträghch den Regierungserlass. Ver- traulich und ausserhalb der Beratung hatte Hegetschweiler noch zu Oberst Weiss geäussert: ,,Mein Gott, es wäre um ein geringes Opfer zu tun, alles wieder ins Geleise zu bringen ! Könnten sich diese drei, vier Männer, um die es sich handelt, denn nicht entschhessen, das Opfer zu bringen ? \^ersprechen Sie wenigstens, Scherr fallen zu lassen." Weiss wies dieses Ansinnen zurück mit dem Bemerken, es wäre eine Schande für alles, was Mann heisst im Kanton Zürich, wenn man mit Wahrheit sagen könnte, es wären ihrer dreie oder viere, die im Kanton Zürich Sonnenschein und Regen, Glück oder Unglück machen könnten, und zu einem so schwarzen Undank den \'erdiensten Scherrs gegenüber würde er nimmermehr Hand bieten. ,,Nun, wenn man nicht will, in Gottes Namen," erwiderte Hegetschweiler achselzuckend und kehrte dem Kollegen den Rücken.
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In dem nunmehr beschlossenen Erlass des Regierungs- rates vom 23. August wird gesagt, dass in den vom Komitee an- gebahnten Schritten ungeachtet des Anstrichs von Gesetzlichkeit nichts anderes liege als eine Aufwiegelung gegen verfassungs- mässige Behörden und die von denselben ausgegangenen Amts- handlungen. Diese Bestrebungen erscheinen umsoweniger als mit der Ordnung im vStaate verträglich, als der vStaatsorganismus selber dazu missbraucht werde, eine unrechtmässige Gewalt den gesetzlichen Behörden entgegenzustellen. Die Statthalter der II Bezirke werden deshalb beauftragt, an alle ihre Gemeinde- ammänner, Gemeinderäte, Pfarrer, Stillstände und Beamte sofort durch Expresse und unter Zustellung des gegenwärtigen ge- druckten Erlasses den ausdrückUchen Befehl ergehen zu lassen, bei Verantworthchkeit keine Gemeindeversammlungen in- folge etwaiger von jenem sogenannten Zentral- oder andern ähn- lichen Komitees ausgegangenen Aufträge zu veranstalten. Gegen Dawiderhandelnde soll gehörigen Ortes Klage eingeleitet werden.
Aus den tindichten Wänden des Regiermigsratssaales ver- breitete sich die Kimde von dem Erlass wie ein L,auffeuer durch die ganze Stadt. Schon mn 11 Uhr wurde er auf einem Cafehaus laut als Verfassungsbruch proklamiert. Die Regierung will die Gemeindeversammlimgen verbieten, das Petitionsrecht ab- schaffen, sie hat die Verfassung gebrochen — das flog von Mund zu Mund. Der engere Ausschuss des Zentralkomitees bemächtigte sich sofort des Erlasses und liess ihn samt einem gehörigen Kom- mentar abdrucken, lun ihn durch seine beflügelten Boten, der amthchen vSchneckenpost weit vorauseilend, in alle Gemeinden verbreiten zu lassen und für den Befehl der Regierung, wenn er dann endlich eintreffen werde, einen angemessenen Empfang vor- zubereiten. ,, Teure Mitbürger! Brüder!", sagt das Komitee in seinem Kommentar, ,,wir teilen Euch mit unserer gewohnten Offenheit den obigen Beschluss (des Regierimgsrates) mit." Es ruft die ganze Welt zum Zeugen dafür, dass es sich immer innert den Schranken der Verfassung und der Gesetze bewegt habe. Nie habe es den Gemeinden Befehle oder Aufträge, sondern nur Ratschläge erteilt. Trotzig wird beigefügt: ,, Solange Ihr ihm Euer Vertrauen schenkt, wird es Euch ferner beistehen, bis die heihge Sache zu Euerer Befriedigung erledigt sein wird, uu-
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bekümmert um alle Kränkungen, die wir für unsere Hingebung erfahren. Die Gemeinden dürfen sich in ihren Angelegenheiten, von wem immer es sei, raten lassen, und mit der Verfassung und den Gesetzen in der Hand werden sie ihr Recht geltend zu machen wissen, jeden beUebigen Gegenstand, der von der Vorsteherschaft oder von einzelnen Bürgern ihnen vorgelegt wird, in Beratung zu ziehen und darüber Beschlüsse zu fassen. Seid mannhaft und stark. Der Herr wird Eure gute Sache zum Siege führen."
Die Staatsanwaltschaft interessierte sich um den an- gekündigten Kommentar des Zentralkomitees und Hess in der Buchdruckerei Zürcher & Furrer die ganze Auflage von 3000 Stück beschlagnahmen. Etwa 120 Stück waren allerdings bereits an den Aktuar Spöndhn abgehefert worden. Der Komiteeausschuss liess nun den etwas abgeschwächten Kommentar hthographieren und zur Versendung bringen. vStaatsanwalt Ulrich aber erbUckte in dem vom Komitee gebrauchten Bibelspruch ,,Seid mannhaft und stark" (i. Kor. 16, 13) die direkte Aufforderung zum Drein- schlagen und erhob gegen die Mitgheder des engem Ausschusses Hürhmann, Rahn, Spöndhn und Bleuler Strafklage. Einen ähn- lichen Bibelspruch-Prozess hatte der Staatsanwalt in diesen Tagen - — die ja zu solchen Häkeleien geeignet waren wie keine andere Zeit! — angehoben gegen die ,, Schweiz. Evang. Kirchenzeitung" wegen des Ausdrucks, die Väter des Landes hätten einen ,, Frevel im Heiligtum" gutgeheissen. Vom Kriminalgericht freige- sprochen, wurden die beiden Redaktoren am 2. September vom Obergericht zu je 64 Franken Busse und den Kosten verurteilt. Die Mitgheder des Komitees wurden am 4. September vom Kri- minalgericht freigesprochen; die Berufung des Staatsanwalts ans Obergericht wurde durch die Ereignisse hinfälhg.
Von den Radikalen abgesehen, welche die vorübergehende Anwandlung von Energie der Regierung freudig begrüssten, fand der Erlass vom 23. August im Laude eine recht schlechte Aufnahme und verursachte bedeutende Aufregung. Von den Statthaltern wurde das Dekret sehr verschieden aufgefasst und ausgelegt; einzelne, wie Hirzel in Wetzikon, gingen scharf ins Zeug mid knüpf- ten von sich aus noch strengere Weisvmgen an dasselbe; andere nahmen es bedeutend gemütHcher. Von den Gemeindevorständen vervveigerten eine Reihe rundweg den Gehorsam und wiesen die
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Verfügungen der Regierung zurück. Der Stadtrat Zürich antwortete am 27. August ganz im Tone des Komiteeschreibens. ÄlmUch tönte es von Erlenbach, Pfäffikon, Illnau, Kyburg, dessen Stillstand (Kirchenpflege) und Gemeinderat antworteten, sie seien der Regierung nur dann Gehorsam schuldig, wenn ihre Befehle mit der Verfassung und ihrer Überzeugung übereinstimmen. Ganz vereinzelt bheb das Vorgehen der Gemeinde Uster, welche sich am 23. August vom Komitee losgesagt hatte, weil dessen Ten- denzen anfingen, mehr pohtischer denn rehgiöser Natur zu sein. Die Bezirksorganisation Uster bheb jedoch fortbestehen. Wie wenn das Komitee noch nicht genug Beschwerdepunkte hätte und die Regierung ihm weitem Agitationsstoff besorgen müsste, be- schlagnahmte die Staatsanwaltschaft wiederholt auf der Post den (in Frauenfeld gedruckten) ,, Beobachter aus der östlichen Schweiz" und gab das Blatt erst frei, nachdem der Staatsanwalt imd der Bürgermeister Hirzel es gelesen hatten.
Das Zentralkomitee, ,,mit einigen andern einflussreichen Leuten", versammelte sich am Donnerstag den 29. August in Kloten. Der Beschluß der Versammlung ging dahin: Montag den 2. September vormittags 9 Uhr versammeln sich sämtliche Bezirkskomitees zu einer Generalversammlung in Kloten mit der Tagesordnung: Wahlvereine und neue Petition. Das war die Anberamnimg einer Volksversammlung, ,,denn wenn man in Zeiten von Gärung ein paar Hundert speziell zusammenruft, dann will man, dass fünfmal so viel Tausende erscheinen sollen" (Meyer- Ott). Die Atmosphäre ward schwül wie vor einem Gewitter; jeden Augenbhck konnte der Sturm losbrechen. Aus einem Ge- spräch vom 30. August zwischen zwei Männern, von denen der eine hernach eine hohe, der andere eine einflussreiche Stellung er- hielt, verzeichnet L,. Meyer v. Knonau das Wort: ,,Wenn man nur trauen dürfte!" An diesem Tage waren im Cafe Utteraire im ,, Roten Turm" etwa 60 Radikale aus dem ganzen Kanton versammelt. ,, Alles war überzeugt, dass vSturm und Entscheid mit schnellen Schritten herannahen, und alles hoffte auf die Festigkeit der Regierung als das einzige Mittel, den Staat aufrecht zu erhalten. Dieselbe darin noch zu bestärken, wurde eine Adresse an sie beschlossen imd solche durch fünf Abgeordnete an Bürger- meister Hess überbracht."
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Zu ernster Beratung trat am 31. August der Regierungsrat zusammen. Oberst Weiss rechtfertigte den Erlass vom 23. August und referierte über die Antworten der Gemeinden; er stellte den Antrag, durch einen neuen Erlass das Volk im allgemeinen über den ersteren aufzuklären. Die Andeutung, dass es nötig werden könnte, Truppen aufzubieten, fand zur Verwunderung des Referenten selber allgemeine Zustimmung; nur Hegetsc h- weiler stellte die Bedingung, dass gleichzeitig der Grosse Rat einberufen werde, um ihm über die Massregel Rechenschaft zu geben. Es wurde beschlossen, das bereits auf Pikett gestellte Auszügerbataillon i (Brunner) auf Pikett zu belassen, das Ba- taillon 4 (Markwalder, 621 Mann) auf vSonntag abend den i. Sep- tember nach Züricli einzuberufen. Man wählte dieses aus dem Weinland stammende Bataillon, weil jene Gegend noch als halb- wegs regierungsfreundhch galt. Der Oberbefehl wurde dem ,,Zeug- herm" Oberst Salomon Hirzel im Feldhof übertragen. Während der Regierungsrat zur Behandlung anderer Geschäfte überging, redigierten Eduard Sulzer und Zehnder im Nebenzimmer die neue Kundmachung vom 31. August, die noch in der Nacht in 40,000 Exemplaren gedruckt werden sollte. Sie erklärt, es seien dem vorausgegangenen Erlass (vom 23. August) mit oder ohne Absicht falsche Deutungen gegeben worden, welche Beunruliigung her\-or- Tufen mussten. Der Regierungsrat habe jedoch nicht die Ab- sicht, die Befugnisse der Gemeinden oder das Petitionsrecht der Bürger zu beeinträclitigen, sondern ledighch die Ausübung dieser Rechte von jedem äussern Zwang rein zu bewahren. Die dem Stande Zürich als gegenwärtigem eidgenössischem Vorort in noch erhöhtem Masse obhegende Pflicht der Aufrechthaltung von Ordnung und Gesetzen habe zu einem Truppenaufgebot genötigt, das aber keineswegs bestimmt sei, ruhige Versammlungen zu stören, die persönUche Sicherheit zu gefährden oder die Ausübung verfassungsmässiger Befugiüsse zu hemmen. — Obwohl dieses Truppenaufgebot dem Regierungsrat eine gewisse martialische Pose geben sollte, entging es dem scharfen Auge seiner Gegner nicht, dass er den mit entschlossener Geberde aufgehobenen Fehde- handschuli des Komitees heimUch wieder hatte fallen lassen. Die Regierung, welche sich in solchen Momenten aufs Parlamentieren, Erklären und Entschuldigen einlässt, hat Angst und ist bereits
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verloren. Mej'er-Ott fand die Proklamation noch „zweideutig genug, um daraus zu ersehen, dass von unserer Seite mit Kraft gehandelt werden müsse".
Der Sonntag (i. September) ging in der Stadt ziemUch ruhig vorüber. Nur das Komitee befand sich in fieberhafter Tätig- keit für die Volksversammlung vom Montag. In den Strassen wurden Einladungen verteilt an die ,, teuren Freunde und Glaubens- genossen", den Verhandlungen des Volkes in Kloten über seine heiligsten Interessen beizuwohnen; man werde sich um halb sechs Uhr beim Helmhaus sammeln und mit Fahnen nach Kloten ziehen. Im spätem Nachmittag trafen bereits zahlreiche L,andleute auf dem Durchmarsch nach Kloten in der Stadt ein, und die Strasse dorthin wimmelte die ganze Nacht über von Fussgängem, Reiten- den und Falarenden. HürUmann-Landis war ohne Aufenthalt durch die Stadt gefahren. Seine Fabrikarbeiter hatte er ermahnt, ruhig weiter zu arbeiten und nicht nach Kloten zu gehen. Am Abend rückte bei strömendem Regen das aufgebotene Militär in die Stadt ein. Die Ordre de bataille weist folgenden Bestand vom I. September auf: Oberkommando Oberst Hirzel; I. Adjutant und Stabschef Oberstleutnant Brunner; II. Adjutant Oberst- leutnant Sulzberger; Yo Kompagnie Artillerie (Rynaclier); y2 Kompagnie Scharfschützen (Meister) ; i Kompagnie Kavallerie (Forrer) ; 4. Auszüger-Bataillon (Markwalder) . Dazu kam noch die Militärschule (der sog. Kadetten), 363 Mann, darunter 34 Dragoner (Offiziere und Mannschaften), unter dem Kommando des Instruktors Major Uebel. Insgesamt befanden sich in der Kaserne im Talacker am Sonntag abend iioo Mann. Die Stim- mung unter den Leuten war nicht die beste. Tropf nass und müde waren sie eingerückt, und man hatte jedem von ihnen % Mass 34 er Wein nebst Brot gereicht, bevor die Suppe aufgetragen wurde. Ferner fasste jeder »Soldat sogleich 30 scharfe Patronen, wobei allerlei unhebsame Bemerkungen fielen. Beim Lichter- löschen machte einer, dem der Wein zu Kopf gestiegen, Radau. Junker Hauptmann Escher vom Birchrütihof bei Höngg hess den Schreier in Arrest setzen, aber sogleich nahmen seine Kame- raden für ihn Partei und verlangten seine Freilassung. Der Tumult verbreitete sich durch die ganze Kaserne, die Obersten Sulzberger, Brunner und ^Markwalder eilten herbei, und Sulzberger entHess
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nach kurzem Verhör den Mann aus dem Arrest. Aber nun kamen andere Sachen aufs Tapet. Die Soldaten wollten wissen, warum man sie einberufen; es sei ja nicht an ihnen, sondern das i. Bataillon sei auf Pikett, aber sie müssten immer die Narren sein und daher- gelaufen kommen, auch wenn die Kelirordnung gar nicht an ihnen sei. Das möge man aber zum voraus wissen, dass sie nicht auf ihre Väter und Brüder schiessen werden. Auch wegen der dunkel- blauen und hellblauen Kapötte gab es ein ,, Spitzeln" hin und her, und schUesslich forderten die ,, Dunkelblauen" von ihren Offi- zieren, dass auch sie künftig die Kapötte mit heininehmen dürfen. Die Offiziere waren himmelfroh, als die Leute endUch auf dem „Schrägen" lagen und schUefen. Auf diese Mannschaft war kein Verlass, das zeigte sich am ersten Abend schon. Am Montag bUeb die Truppe konsigniert; nur eine ,, Ehrenkompagnie" für den durch- reisenden Grossherzog von Baden sollte ausrücken. Die Dragoner der Kompagnie Forrer verlangten trotzig, sogleich nach der In- spektion nach Hause entlassen zu werden, mid man musste ihnen willfahren! Am Dienstag den 3. September entschloss sich die Regierung schweren Herzens, auch das Bataillon Markwalder wieder zu entlassen. Die konser\^ative Presse, alle ihre Tra- ditionen verleugnend, bilhgte unverkennbar die Meuterei, welche gezeigt habe, ,,dass des Vaterlandes Söhne überall Brüder sind".
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ACHTZEHNTES KAPITEL
DER TAG VON KLOTEN
OIhr siebenmal gescheiten Radikalen, was habt Ihr angestellt mit Eurer Politik, den Konservativen einen solchen Tag zu verschaffen, viel grösser und schöner als der Tag von Uster! So musstet Ihr es machen, so verächthch und wegwerfend von allem reden und schreiben, was den l,euten heiUg ist, um schliesshch den ganzen Kanton auf die Beine zu bringen und gegen Euch marschieren zu lassen. Nun sitzt Ihr, auf ein kleines Trüpplein zusammengeschmolzen, während des ,,herrhchen" Tages von Kloten im ,, Löwen" zu Bassersdorf beisammen wie die betrübten Lohgerber, denen die Felle fortgeschwommen, und flucht auf die ,, fromme Demagogie", die der Eurigen den Rang abgelaufen. Nehmt Euch nur selber bei der Nase; dass es so gegangen, daran seid Ihr ganz allein und selber schuld. — Doch auch über die Konservativen muss man sich wundern, nun sie auf der Bahn der Auflehnung gegen die Obrigkeit, der Agitation, der Versamm- lungen und Volkstage zu sehen. Ihrem Herzen mag es wohlgetan haben, einmal vom Jubel des Volks umrauscht, einmal als die „lieben, guten Herren" vom Volk gepriesen zu werden, einmal die Süssigkeit zu kosten der wandelbaren Volksgunst. Es lauert aber ein Dämon in der heissflackemden, imsteten Liebe des Demos, der gern denjenigen tötet, der geblendet und benebelt sich ihm in die Arme wirft. Einen Tag von Kloten gab es niemals wieder. ,,Im Land hinten rüsten sie die Wagen und nehmen die Fahnen her\^or," erzählte einer am Sonntag miserm braven Meyer- Ott. ,,Wer? Die Unsrigen oder die Radikalen?" Die Antwort wusste man ihm lucht zu geben. Die ganze Nacht hindurch regnete es in Strömen und am Montag früh war der Himmel grau wie ein Sack. ,,Früh um 5 Uhr trete ich ans Fenster und sehe nichts als Regen. Da tönt es in der Strasse leise: tratsch, tratsch, tratsch, und ein Zug von zwölf ehrbar gekleideten Männern schreitet unter Regenschirmen einher. Hurrah, das kommt gut! Eine Weile
IQO ACHTZEHNTES KAPITEL: DER TAG VON KI.OTEN o
später, tratsch, tratsch ; wieder so .ein Trüpplein. Jetzt ist gut Wetter im Land und die Regierung wird das Arretieren bleiben lassen. Da sitzen wir nun, fünf Freunde, um 7 Uhr im bequemen Wagen und fahren zur Stadt hinaus. Ausserhalb der Stadt sehen wir viele einzelne Wanderer dieselbe Strasse ziehen. Eine Viertel- stunde weiter, wo man eine lange Strecke Weges vor sich sieht, ist alles bunt von Regenschirmen. Da erkenne ich den alten Pfarrer von Knonau mit einem Trupp. Vortreffhch! Wenn die Freiämtler kommen, die man hier sonst für die Gleichgültigsten hielt, so ist die Sache auf guten Wegen. Dann aber, je näher \^•ir gegen Kloten kommen, desto ummterbrocliener die Züge der Wan- derer. Gar niedlich sahen die langen Reihen der bunten Schirme aus, wo sie über die Wiesen und durch die Hölzer zogen. Alle Gesichter heiter und fröhhch. Jetzt sind wir in Kloten. Ein ganzer Park von Chaisen ist aufgefahren, seitwärts an der Strasse, diese gedrängt voll Menschen. Die Wirtshäuser gestopft voll, alle Fenster der Bauemliäuser mit Köpfen dicht besetzt. Wir gehen hinauf in den Saal des Wirtshauses zum Löwen. Da sind unsere wackem Fussgänger aus Zürich neben vielen Landleuten schon beim Frülistück und alles gemischt, Herr und Bauer, Fabri- kant und Handwerker, Aristokraten und Liberale. Manche, die sich seit 1830 nie mehr gegrüsst, schütteln sich herzlich die Hand. Von den Feinden sieht man nur selten einen über die Strasse schleichen. Aus dem Bezirk Pfäffikon sind mehr als tausend Freunde da, aus der acht Stunden entfernten Gemeinde Wald himdert Männer, alle in ihren Sonntagskleidern. \\'ir bezeugten ihnen unsere Teilnahme wegen des schlechten Wetters. ,,Ihr Herren", war die Antwort, ,,bei gutem Wetter hätten wir nicht kommen können wegen der Feldarbeit; der Regen aber macht uns nichts." Die Szenen, welche Meyer-Ott beschreibt, Hessen sich ver- hundertfachen. Der Aufmarsch in Kloten war schlechthin impo- sant. Dem offiziellen Zug der Stadtgemeinde Zürich schlössen sich die Fahnen der drei Neumünstergemeinden an; an der Spitze des Zuges marschierten Oberstleutnant Bürkü und Hauptmann Frei. Aus den östUchen Gegenden pilgerten während der ganzen Nacht grosse Scharen nach Kloten. Schauerüch tönte ihr Lied durch die mitternächtige Stille, wenn sie an einem Friedhof vor- überkamen: ,, Staub bei Staube ruht ihr nun in dem friedevollen
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Grabe; möchten wir wie ihr auch ruh'n in dem friedevollen Grabe." Etlichen von ihnen sollte der Wunsch bald erfüllt werden. Aus der Gemeinde Fischental allein sollen mehr als 500 Mann in Kloten gewesen sein, darunter einige Greise von mehr als 70 Jahren. In Bauma und anderwärts bestritten die Wohlhabenden die Reise- kosten der Armen ; durch die Rosa-Brille eines geistlichen Bericht- erstatters gesehen („Des Zürcher Volkes Kampf und Sieg"), Hessen diese Armen ,, freudig ihre Arbeit und ihren Verdienst für einen oder zwei Tage faliren, um ihrem Heiland aufrichtige Treue zu beweisen." Regierungsrat Weiss sagt in seinem ,, Beitrag zur Geschichte der Revolution" etc.: ,,Was mir über die verschie- denen Mittel, eine grosse Zahl zusammenzubringen, erzählt worden ist, gehört nicht zu dieser Darstellung. Genug, die Leute waren da, und das ist's eben, was man wollte. Mir kommt es jetzt vor, wie wenn ein General vor der Schlacht über seine Armee Heer- schau hält und je nach dem Ergebnis seinen Plan macht. Die Regierung hatte ihr — Bataillon, die Stadt ihre — Bürgerwache." Die Schätzungen der Volksmenge in Kloten schwanken zwischen 8000 und 25,000; es werden nach den zuverlässigsten Berichten 10 — 15,000 gewesen sein.
Das tausendstimmige Summen und Brausen des Volkes auf der Strasse ward plötzUch unterbrochen durch die Rufe: ,,Der Herr Präsident! Seht ihn dort!" Auf dem Balkon des Wirts- hauses ersclüen Hürlimann-Landis mit einigen Begleitern, alle in schwarzer Kleidung. Er ist von mittlerer Statur, mager, blassem Gesicht, schwarzen glatten Haaren, und um seinen Mund spielt ein leichtes Lächeln. ,,Heil' Dir, Du christhches Volk des Kantons Zürich", so begann sein Gruss. ,,Du hast empfunden den Ernst des AugenbHcks und bist herbeigeeilt aus allen Gauen Deines Vaterlandes zum Schutze Deiner heihgen Religion." Er schilderte nun die Bestrebungen des Zentralkomitees und die Haltung der Regierung, welche allen Vorstellungen gegenüber unzugänghch und verstockt geblieben sei wie das Herz des Pharao. Jetzt aber, da dem Komitee von selten der Regierung Verfolgung drohe, trete es zum erstenmal vor das versammelte Volk, damit der Regierung über die Gesinnung des Volkes kein Zweifel übrig bleibe. Wenn Ihr also die Schritte des Komitees gutheisset und auf der angetretenen Bahn w^eiter vorwärts gehen wollet, so sprechet
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Ja !" Ein allgemeiner Jubelruf war die Antwort. So werde man nun, fuhr der Redner fort, zu den Geschäften schreiten. Ein Zeichen der Glocke solle die Mitgheder der Bezirksausschüsse nach der Kirche berufen. Den Zug werde man erkennen an der vater- ländischen Fahne, die ihm vorangetragen werde. ,,Maclit ihm freundlich Platz und drängt nicht nach, drückt nicht, damit Ordnung bleibe." Die von den Ausschüssen nicht besetzten Plätze seien für das Volk. Da aber nur der kleinere Teil in der Kirche Platz finde, so müssen sich die übrigen im Freien gedulden. Von Zeit zu Zeit aber werde von dieser Stelle (dem Balkon) das Volk über alle in der Kirche vorgegangenen Verhandlungen und Be- schlüsse unterrichtet werden. Während dieser Rede hatte der Regen auch nicht eine Minute innegehalten, und doch durfte kein Schirm aufgespannt sein; von der ganzen !Masse wich kein Mann und mancher greise Schädel bheb die ganze Zeit über vöUig entblösst. Unter Glockengeläute begaben sich die Bezirksdelegierten in die Kirche, in welcher sich gegen 4000 Menschen zusammen- drängten. Hürlimann-Landis begrüsste die Versammlung ,,im Namen des Herrn, der das Weltall regiert, und im Namen des gött- hchen Erlösers und Heilandes." Vieles, was er vorbrachte, klingt dunkel, schwülstig, phrasenhaft. Mit Nachdruck hob er die Haupt- forderungen hervor: das vSeminargesetz muss geändert werden; die Leitung des Seminars muss in andere Hände kommen. Die Regierung, statt sich einer so herrhchen Richtung im Volk zu freuen und Gott dafür zu danken, blickt finster und gewitter- drohend auf das Volk herab. Ihr bieten sich heute drei Wege dar: EinwiUigen in die Volkswünsche, freiwilhger Rücktritt, der jetzt noch mit Ehren erfolgen kann, oder — • ,,der unheilbringendste von allen" — Beharren auf der gegenwärtigen Bahn! ,,Du aber, gläubiges, für deine Rehgion entflammtes Volk, unterstütze femer, wie bisher, auf gesetzliche Weise, die grosse Angelegenheit, die du zum zweitenmal vor den Grossen Rat zu bringen hast. Wir schwören dir feierlich, unser Leben, unsere Kräfte für die heilige Sache zu opfern, so lange du uns dazu aufforderst. Wir werden die Bahn der Gesetze nicht verlassen, und du wirst uns auf der- selben stets begleiten. Nur wenn die Verfassung verletzt wird oder ungerechte Verfolgung gegen uns eintritt, ist der Widerstand geheiligt!"
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Nach der Rede Hürlimanns übernahm Dr. Rahn-Escher das Tagespräsidium. Er legte der Versammlung den Entwurf einer Adresse an die Regierung vor, die heute noch über- reicht werden soUte, und zwar mit dem Ersuchen um sofortige Erledigung. Die Adresse macht aufmerksam auf die von den Regierungsproklamationen verursachte Aufregung. Die beab- sichtigte Beruliigung sei durch das ungerechtfertigte Truppen- aufgebot illusorisch gemacht. Die Regierung wird dringend gebeten, das vorhandene Misstrauen nicht durch weitere Mass- nahmen zu schärfen und dadurch das ,, biedere Volk" zu kränken. Die Versammlung venvahrt sich gegen die auf das Zentralkomitee gehäuften Vorwürfe, erklärt sich mit ihm soUdarisch imd biUigt alle seine Schritte. ,,Die Vereinigimg von 40,000 Bürgern für gesetzliche und heiUge Zwecke ist eine Macht, die jeder Regierung, jeder Behörde einen Eindruck machen muss." Nur böswilUge Verdrehung konnte aus einem Bibelwort eine Anklage gegen das Komitee schmieden, und die Regienmg Hess auch eine schwere Verletzimg der Pressfreiheit durch die Staatsanwaltschaft ge- schehen. ,,Das Volk ist fest entschlossen, seine bürgerUchen und kirchUchen Rechte unverletzt und unangetastet zu erhalten und zu schirmen. Es ehrt Verfassung imd Gesetz und bleibt ihnen treu, aber es weiss, dass sie ihm gehören." Zum vSchlusse werden drei Bitten ,, ehrerbietig" vorgelegt; ,,die Folgen ihrer Versagung zu ermessen, überlassen wir der Regierung selbst." Die drei Bitten bestanden in folgenden Forderungen:
1. Zurücknahme der gegen das Zentralkomitee erhobenen Be- schuldigungen ;
2. Unterdrückung der Klage der Staatsanwaltschaft gegen das Komitee;
3. Massregelung der Staatsanwaltschaft wegen Verletzung der Pressfreiheit.
Es folgt noch die allgemeine Bitte, die Bürger ihr Petitions- recht frei imd ungehindert üben zu lassen, die hemmenden Befehle der Statthalterämter zu entkräften und die Herren vStatthalter zur Rechenschaft zu ziehen.
Die Versammlung wählte sogleich 22 Delegierte, aus jedem Bezirk zwei (u. a. Pfarrer Hirzel in Pfäffikon), um nach Schluss der Verhandlungen die Adresse dem Amtsbürgermeister Hess zu
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Überbringeil. Namens des Zentralkomitees beantragte ferner J. Bleuler-Zeller von Neumünster die Bildung von Gemeinds- vereinen zur Fördermig der Religiosität durch Kirche und »Schule, namenthch zu dem Zwecke, um bei vorkommenden Wahlen in Gemeinds-, Zmift-, Bezirks- und Kantonsbehörden gemeinsam dahin zu streben, dass nur tüchtige und christlich gesinnte Männer an die vStellen erwählt werden. Pfarrer Meyer von Glattfelden erläuterte und begründete die vom Zentralkomitee vorgeschlagene neue Petition an den Grossen Rat, welche dieselben Ten- denzen verfolgt wie die frühere Petition und speziell verlangt: Garantien für den Art. 4 der Verfassung; Umwandlung des Seminars in eine Pflanzschule religiöser und gläubiger Jugend- lehrer; andere Bestellung des Erziehungsrates (aus christlich ge- sinnten Männern). Leonhard von M uralt verlangte vom Grossen Rat eine kategorische Erläuterung des § 4 der Verfassung. Es sei Zeit, dass einmal deutlich ausgesprochen werde, welches das Fundament des evangehsch-reformierten Lehrbegriffes sei. Er finde dasselbe ausschüessHch in den heihgen Schriften des alten und neuen Testamentes nach ihrem vollständigen und im- verfälschten Inhalt, ohne Mehrung noch Minderung. ,,Ein donnern- der Beifall folgte diesen Worten von selten der sonst die ganze Zeit hindurch in würdevoller Stille verbhebenen Versammlung und legte zum Erstaunen manches bloss poHtischen Parteimannes die Lebendigkeit des kirchlichen Motivs in dieser Volksbewegung zutage." Präsident Hardme3^er von Zunükon verlangte unter lebhaftem Beifall baldige ausserordentliche Einberufung des Grossen Rates, damit die Sache nicht immer wieder ^■on oben herab auf die lange Bank geschobeh werde. Die Schlussrede von Dr. Rahn-Escher klang aus in eine Huldigung für Hürlimann- Landis, welcher seinerseits die Ehre Gott und den Dank dem Volke weitergab.
Stundenlang hatte inzwischen die Menge im Freien dem Unwetter standgehalten. Von Zeit zu Zeit fuhren Fremde in vierspännigen Wagen durch. Man öffnete ihnen eine Gasse und führte die Pferde am Zügel. Ein Engländer stieg aus und wohnte der Versammlung bis zum Ende bei. Grosse Freude verursachte die Nachricht aus Zürich, dass ein Teil des Mihtärs sich geweigert habe, Munition zu fassen und sich gegen Väter und Brüder ge-
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brauchen zu lassen. Zwei Stunden mochten seit dem Zuge in die Kirche verflossen sein, als endUch der Jubelruf erschallte: „Sie kommen! Sie kommen!" Auf dem Balkon des Wirtshauses stellte das Komiteemitglied Bindschädler von Männedorf den Pfarrer Dr. Bernhard Hirzel von Pfäffikon als Freund der guten Sache dem Volke vor und übergab ihm dann das Manuskript der Rede Hürlimanns in der Kirche, das Hirzel verlas und noch mit einer eigenen feurigen Ansprache begleitete. Spöndlin legte die mit stürmischem Applaus aufgenommene Adresse vor, Pfarrer Meyer die Petition. Die 22 Deputierten, denen man einige Wagen zur Verfügung gestellt hatte, waren bereits nach Zürich abgegangen. Nun kam auch noch Dr. Rahn-Escher auf den Balkon und dankte dem Volk für seine Treue und Ausdauer. ,,Dich segnen alle Christen im engem und weitern Vaterland. Deiner gedenken im Gebet die Gläubigen der entfernten Länder. Auf dich sehen aus dem Aufenthalte der Seligen herab die dir vorangegangenen Väter, deine Eltern, die bei der heiligen Taufe das hier von dir erneuerte Gelübde gegen deinen Gott imd deinen Erlöser in deinem Xamen abgelegt; sie sagen: Herr, dort stehen sie, die du uns an- vertraut hast. Dich segnen Zwingli und die Helden, welche für die reine evangeUsche Lehre ihr Blut freudig geopfert haben." Alle Häupter entblössten sich während dieser Rede, Hunderte suchten ihre Tränen zu verbergen, indem sie den Hut oder die Mütze vor das Gesicht hielten. Einzelne Greise hörte man rufen: „Ja, so ist es, es ist alles wahr, Gott sei mit Euch, Gott segne Euch, Ihr heben Herren." Zuletzt erschien nochmals Hürli- mann, dankte mit herzUchen Worten, mahnte zu ruhigem Be- nehmen während der Heimkehr, verabschiedete und segnete das Volk. Während drei Viertelstunden waren alle von Kloten aus- gehenden Strassen schwarz von Menschen.
Wie sonderbar aber, dass auf einmal alle diese Wanderzüge stockten, wie festgebannt sich nicht weiter bewegten. Stafetten aus Kloten waren den Leuten nachgeeilt, hatten befohlen, stille zu stehen und auf den Turm zu Kloten zu achten, wo ein Zeichen gegeben werden solle, wenn man sich wieder sammeln müsste. Was war denn geschehen ? War sie schon da, die Stunde des „geheihgten Widerstandes"? WiUielm Meyer -Ott soll es uns er- zählen :
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In Kloten weilten noch die Mitglieder des Zentralkomitees, um die Rückkehr der Deputierten abzuwarten. Im ganzen Dorf waren kaum noch ein paar hundert Männer beisammen. Da kommt von Zürich her Oberstleutnant Bürkli in gestrecktem Galopp zurückgefahren, springt aus dem Wagen und bringt die Botschaft, unsere 22 Deputierten seien sämtlich arretiert. Sein Ge- währsmann war der Kassier des Bankierhauses Schulthess, dessen einer Chef noch in Kloten zu Tische sass, der andere bei der Depu- tation sich befand. BürkU hatte den Kassier auf dem \^'ege ge- troffen, den atemlosen Mann zu sich in den Wagen genommen und rasch umgewendet. Nim entstand ein gewaltiger Tumult unter den noch Anwesenden. Einige erblassten, andere jubelten: ,, Hurrah, jetzt geht's los, jetzt soll sich's zeigen, ob noch Schweizerblut in unsem Adern fliesst." Wieder andere riefen: ,,Eilt zur Kirche und zieht die Glocken an!"
Da erschien Hürlimann. Seine ersten Worte waren: ,,Das ist nicht mögUch, es kann nicht Gottes Wille sein." Sogleich aber fragte er ruhig: ,,Wo ist der Mann, der die Nachricht brachte?" Der arme Kassier trat nun hervor und erzählte, von schwerem Keuchen unterbrochen, — gleich nach der Ankunft der Depu- tierten, die im Kasino abgestiegen waren, sei eine Anzahl Land- jäger in die Wohnung des Bürgermeisters beschieden worden, und auf dem Wege dahin habe einer derselben dem Bruder des Dr. Rahn-Escher die Worte in die Ohren geraunt: ,, Jetzt geht's ans Arretieren." Von diesem Bruder Dr. Rahns habe er selbst diese Nachricht. (Man muss wissen, dass das ganze Landjäger- korps bis zum letzten Mann der guten Sache schon seit dem Früh- jahr ergeben war.)
,,Dass also unsere Deputierten wirklich arretiert sind, wissen wir noch nicht", sprach Hürlimann, ,,aber einen kleinen Augen- blick Geduld; wir werden bald im Klaren sein."
,,Aber," fragte jemand, ,, gesetzt den Fall, man habe sie arretiert, dürfen wir dann läuten?"
,,Dann," antwortete er ruhig, ,,wird Sturm geläutet, jeder ergreift die erste beste Waffe, und Jung und Alt marschiert nach Zürich."
Nun wurden bei offenen Türen aufs ungenierteste die zu er- greifenden Massregeln verhandelt. Es wurde laut ausgesprochen,
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dass die Regierung auch ohnehin abgesetzt sein müsse, auch dass man auf die erste Nachricht von Truppenaufgeboten aus andern Kantonen den Sturm wolle ergehen lassen usw. Ein Landmann äusserte: ,,;\Ieine Herren, ich hege das Vertrauen zu Zürichs Bürgerschaft, dass, wenn im Moment der Abreise dieses Boten unsere Deputierten festgenommen waren, sie in diesem Augen- blicke schon befreit sind." Dieses schöne Zutrauen war nicht unverdient. Auf die erste Sage hin hatte der kräftige Stadtrat Gysi schon zu allen Glocken Leute beordert, und es bedurfte nur eines Winkes, so intonierte das Grosse Münster den Sturm,
Aber siehe! Da kommen unsere Deputierten wohlbehalten zurück. (Rahn eilte ihnen entgegen; das Volk spendete lauten Beifall für die sofort getroffenen Anordnungen und bezeugte, dass es mit Leib und Leben zum Komitee halten werde.) Der Bürgermeister Hess hatte sie freundhch empfangen und seine Verwendung für Erfüllung der Wünsche zugesagt. Unmittelbar darauf liess er den Regierungsrat zusammenberufen; denn eben zu diesem Behufe hatte er jene Landjäger zu sich bestellt. Nun trennten sich alle Freunde in Kloten tmd reisten nach Hause. Diejenigen Züge, welche zu Fuss durch Zürich kamen, zogen schön geordnet und vaterländische Lieder singend durch die Stadt. Ein ansehnhcher Trupp von ein paar hundert Mann verfügte sich noch zum Kasino, um denjenigen der 22 Deputierten, welche nicht mehr nach Kloten zurückgekehrt waren, ihre Anhänghchkeit zu bezeugen, und viel Volk aus der Stadt strömte ihnen nach. Escher- Schulthess (alt Oberamtmann von Wädenswil) dankte ihnen und beruliigte sie, worauf sie friedUch nach Hause gingen. —
In der Sitzung des Regierungsrates um halb 4 Uhr, welche im Saal auf dem Posthause stattfand, hatte Amtsbürger- meister Hess über den soeben erfolgten Empfang der Klotener Deputierten referiert. Es wurde über eine den Deputierten schrift- hch zu erteilende Antwort beraten, die, wie Weiss sagt, ganz dem vom Regieningsrat von Anfang an eingeschlagenen System ent- sprach: ein schwankendes weder Ja noch Nein! Hess meinte, die Deputierten werden sich mit dieser Antwort begnügen ; Heget- schweiler bezweifelte es stark. Während der Beratung wurden die bemischen Tagsatzungsgesandten Neuhaus imd Steinhauer angemeldet und Hegetschweiler und Zehnder beauftragt, sie im
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Nebenzimmer zu empfangen. Die beiden Herren kamen nach einiger Zeit zurück und teilten anscheinend ihrer nähern Umgebung etwas von der Unterredung mit ; die entfernteren MitgUeder hörten aber nichts davon und eine offizielle Mitteilung wurde in der Sitzung nicht gemacht. Die schhesshch genehmigte Antwort des Regierungsrats, welche sofort ins Kasino gebracht wurde, bezieht sich auf den Erlass vom 31. August, welcher hinlängliche Zusicherung gebe, dass den verfassungsmässigen Rechten der Bürger keinerlei Eintrag geschehen solle. Darüber sich weiter auszusprechen, sei der Regierungsrat nicht im Falle, dagegen soll dem Grossen Rat einlässhch Bericht erstattet werden. Bezüglich der Klage der Staatsanwaltschaft stehe dem Regierungsrat keine Einwirkung auf die Gerichte zu; über die Beschwerde betreffend Verletzung der Pressfreiheit sei der Staatsanwalt zum Bericht aufgefordert. Den Statthalterämtem seien die nötigen Beleh- rungen über den Vollzug der Beschlüsse vom 23. und 31. August bereits zugegangen.
Selbstverständhch genügte dem Ausschuss des Zentral- komitees diese Antwort in keiner Weise, was denn auch den ,, teuren Freunden und Brüdern" sofort durch Sendschreiben kundgetan wurde. ,, Womit das Volk, womit dessen Abgeordnete diese neue Kränkung verdienen, wissen wir nicht. Aber wie wir in Kloten einander, wie wir es dem Volke feierHch versprochen haben, fest und ruhig der heihgen Sache treu zu dienen, so bleiben wir es auch jetzt. Der engere Ausschuss erachtet es daher in seiner PfUcht, die sämtUchen Bezirks- und Gemeindskomitees zur ernsten und sorgfältigsten Wachsamkeit aufzufordern, damit die Güter, für welche sich unsere Mitbürger heute feierhch und freudig erklärten und deren Begehnmg sie uns auftrugen, denselben gesichert seien." Ein Postskriptum sagt: ,, Soeben ver- nehmen wir, dass die Truppen abgedankt werden sollen" (weiter oben war über die Fortdauer ihrer Anwesenheit und ihre Vermehrung geklagt worden).
In der vStadt war ein gewaltiges Treiben den ganzen Tag. Es wurde wenig gearbeitet und viel nach Neuigkeiten gefragt. Am Abend wogte es auf den Strassen und Plätzen von Menschen. ,,Hell und hoffnungsreich leuchteten die Gesellschaftshäuser der Städter, wo man mit Witzen und Gelächter über die lyage der
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Regierung und der Liberalen sich belustigte." (Leuthy.) Lud- wig Meyer von Knonau suchte das Gesellschaftshaus auf, wo die Tagsatzungsgesandten zum Abendschoppen zusammen- zukommen pflegten. „Es wurde in sehr ungleichem Sinne von dem Ereignisse des Tages, der ganzen Angelegenheit und der Stellung der Tagsatzung gesprochen, auch die Frage berührt, ob diese Bewegung nicht die Einmischung der andern Kantone er- forderhch machen könnte. Ich beschränkte mich auf die Ver- sicherung, dass die Tagsatzungsgheder persönlich von dem Volke des Kantons Zürich, welcher Partei es auch angehöre, nichts zu besorgen haben und dass ich hoffe und wünsche, unser Grosse Rat werde ohne äusseres Zutim unsere Wirren zu lösen wissen. Jede auswärtige Einmischung würde unser Übel ärger machen und könnte die Eidgenossen selbst unter sich trennen. Ausser mir war kein anderes Mitghed (des Regierungsrats) zugegen als Heget- schweiler, der, soweit ich seine Worte vernahm, dieselbe Sprache führte." Ob die ,,Konkordätler" für die Regierung marschieren werden oder nicht, das war eine der brennendsten Fragen dieser schwülen Tage, und sie hat ja auch schHesslich die Katastrophe direkt herbeigeführt. Das Siebnerkonkordat (s. Seite 86) ver- pflichtete die in diesem Sonderbund vereinigten radikalen Kan- tone, einander gegen konservative Umsturzversuche beizustehen, aber die radikale Zürcher Regierung hatte in ihrer Not doch lücht mehr den Mut, diese Hilfe anzurufen. Das Misstrauen des Volks schrieb ihr trotzdem fortwährend diese Absicht und bereits ge- troffene Abmachungen mit den Gesandten zu und zeitigte die tollsten Gerüchte von dem Anmarsch der ,, fremden Truppen", wie die Eidgenossen in den Bulletins des Glaubenskomitees be- harrlich genannt werden. Aber auch die Komiteeleute sondierten emsig bei den Gesandten der Nichtkonkordatskantone, und Meyer- Ott weiss zu berichten, dass die ,, treuen alten Eidgenossen der drei Urstände" Uri, Schwj'z und Unterwaiden die besten Zu- sicherungen gaben. Weiss äussert sich über die Frage: ,,Wer wollte glauben, dass zwischen den Gesandten der freisinnigen Kantone und einzelnen Mitgliedern der Regienmg nie kein Wort über unsere Zustände gewechselt worden wäre! Allein Haupt- gegenstand der Konversation war ein mitleidiges, ich möchte fast sagen verächtliches Beurteilen unseres Musterkantons, das uns
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alle tief beschämen musste. Die gegenseitige Stimmung schien mir in dieser Beziehung lange Zeit so beschaffen zu sein, dass jene aus Unwillen, wir aus Scham und Zerknirschung uns über die Sache nicht einlassen mochten. Ich meinerseits wenigstens war froh, deshalb nie befragt, in keine Unterhaltung hineingezogen worden zu sein. Was demnach über diese Truppenanerbietungen und Forderungen gefabelt worden ist, hat nicht den mindesten Gehalt," — abgesehen uatürUch von dem noch zu erwähnenden offiziellen Schritt der Konkordatsgesandten.
Der Dienstag (3. September) ging ruhig vorüber, ,,wenn man das fieberhafte Schlmnmern eines Kranken Ruhe heissen kann." Die Regierung beschloss die Entlassung des Bataillons 4 und Einberufung des Grossen Rates auf Montag den 9. vSeptember. An diesem Dienstag Abend hielt Hürlimann- Landis eine Besprechung mit seinem Stabe im Kasino, und es wurde dort der Plan erörtert, es solle in der kommenden Gross - ratssitzung ein Mitglied den Antrag stellen, der Grosse Rat möge sich als aufgelöst erklären; diesem Antrag soll eine gleich- zeitige gewaltige Volksdemonstration vor dem Rathaus das nötige Relief geben; etwa 16,000 Mann würde man zu diesem Zwecke unbewaffnet in die Stadt kommen lassen. Meyer-Ott spricht auch von ganz einlässhchen militärischen Plänen, die für den Fall des Aufruhrs und des Kampfes gegen die Konkor- dätler zwischen Komiteemitgliedern erörtert wurden; u. a. ist dabei die Rede von einer ,, Avantgarde der christlichen Landesbewaffuung", die sich von Männedorf her gegen Zürich in Be^^•egung setzen sollte usw. Während man in den hohem Regionen der Glaubensstreiter die Revolution in möghchst glatten Formen zu vollziehen gedachte, ging man in den untern etwas handgreifhcher zu Werk. Auf offener Strasse verhiess man sich, den Grossen Rat mit dem Stock auseinander zu jagen, wenn er diesmal nicht nachgebe. Alles war in gespannter Erwartung. Geht's bald los ? — • Lasst Euch nicht überraschen. — Sclimiedet das Eisen, während es warm ist, imd was dergleichen Redensarten mehr waren. Doch war man allgemein der Meinung, dass die Stadt nicht die erste Glocke ziehen dürfe, damit es nicht heisse, es sei alles nur Aristokratenmache zur Herstellung der städtischen Privilegien .
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Mittwoch den 4. September. Das Fieber steigt. Die un- sinnigsteu Gerüchte jagen durchs Land; Hürlimann, Rahn, Spöndlin sollen verhaftet sein; 15 Bataillone Bemer seien unter- wegs; Oberrichter Füssli sei extra nach Bern gereist, um sie in Bewegung zu setzen. Die Radikalen hätten schon eine Pro- skriptionsliste aufgesetzt, einen Scharfrichter aus Colmar mid zwei Guillotinen aus Köln bestellt, und diese Guillotinen waren den Leuten nicht mehr aus den Köpfen zu bringen; sie überdauerten noch um Monate den 6. September und wurden von konservativen Mitgüedern des Grossen Rates noch am 5. November gegen die Radikalen als Anklage heraufbeschworen! Bereits an diesem Mittwoch den 4. September teilten einige zürcherische Einwohner, die nicht zu den Häuptern der Einge- weihten gehörten, dem in Zürich wohnenden Bruder des Regie- rungsrates Fierz mit, in wenigen Tagen werde eine proviso- rische Regierung aufgestellt sein; sie nannten ihm auch die meisten Namen der Mitglieder, die dann warkUch gewählt wurden. Das Komitee Hess neuerdings ein Bulletin ins Land flattern, das wahrscheinlich ,, beruhigen" sollte, aber auch nur wieder eine Kanne Öl zum Feuer goss. ,, Warten wir ruliig die Sitzmig des Grossen Rates ab und lassen die Feinde des Volkes ihre ohn- mächtigen Versuche machen. Das Volk, welches gross und ernst in Kloten seinen Willen kundgetan, wird sich nicht durch schwache Versuche reizen lassen, sondern ruhig die nicht aus- bleibende Erfüllung seiner Wünsche erwarten." Damit hatte das Volk aus der Hand seines angebeteten Komitees die Bestätigung des von ihm längst felsenfest geglaubten, schauderhaften radi- kalen Komplotts, mit dem man ihm fortwährend zusetzte und den Kopf heiss machte. Von einer freisinnigen Versamm- lung am Mittwoch Abend auf der ,, Platte" berichtet Weiss: ,,Ohne die mindeste Verabredung, bloss getrieben von der Sorge für die Aufrechthaltung des Bestehenden und der Gefahr seines Unterganges fanden sich mehr als hundert der in und um die Stadt wohnenden Freisinnigen zusammen, Leute, weitaus zum grössten Teil uns unbekannt, von Unter- und Oberstrass, Neu- münster, auch Studenten (wahrscheinUch befand sich auch ein Spion unter ims, der rapportierte). Natürlich frug man sich auch hier: was ist zu tun? Femer: kann man sich darauf verlassen,
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dass die Regierung handeln werde ? Allgemein wurde die letzte Frage mit Nein beantwortet. (Bei dieser Gelegenheit erzählte man, ein gewisses IVIitglied des Regierungsrats habe sich geäussert, es sei sicher, auch in einer neuen Regierung wieder seinen Platz zu finden. Ebenso wurde auch laut bemerkt, ein gewisses Regie- rungsmitghed habe gestern bis Mittemacht mit HürUmann im Kasino zugebracht.) Nach vorhergegangenem Austausche gegen- seitiger Ansichten wurde man dahin einig, auf nächsten Freitag die freisinnigen Mitgheder des Grossen Rates zu einer Zusammen- kunft einzuladen und jedem derselben zu überlassen, einen oder mehrere seiner vertrauten Freunde mitzubringen. Sogleich boten sich Freiwillige an, alsobald in die Bezirke zu gehen und die Ein- ladungen zu besorgen. Nach diesem gingen neun Zehntel der An- wesenden auseinander. Das Wort Zeughaus kam über memandes Lippen, keine Silbe wurde darüber verloren und weder vor- noch nachher war hiezu auch keine Gelegenheit, weshalb auch dieses bloss eines der tausend Gerüchte gewesen sein muss, die zu dieser Zeit gefhssentlich im Land herum verbreitet wurden, das aber, wie es scheint, ebenso gefUssen benutzt wurde, um daraufhin einen allgemeinen Aufstand zuwege zu bringen."
Ihren Höhepimkt erreichte die antistraussische Hetz- und Wühlarbeit am Donnerstag den 5. September. Der engere Ausschuss des Zentralkomitees verbreitete abermals eines seiner Bulletins, die mit ihren vagen Andeutungen, halben Dementis und versteckten Aufreizungen den brodelnden Kessel schUessUch zum Überkochen bringen mussten. Es wurde in diesem Bulletin erzählt, der Statthalter von Winterthur habe den versammelten Gemeindevorständen seines Bezirks erklärt, es werde der Regienmg wohl nichts anderes übrig bleiben als abzu- danken und alles der Anarchie zu überlassen. Der Statthalter habe deshalb von sich aus befohlen, unverzüglich in den Ge- meinden den ersten imd zweiten Bundesauszug aufzubieten und jeden Augenbhck marschfertig zu halten. Im Bezirk Winter- thur werde auch verbreitet, wenn man sich nicht vom Komitee lossage, so werden fremde Truppen kommen. Die Regienmg habe jedoch das Truppenangebot einiger Stände bestimmt ab- gelelmt. ,,Der Plan einer radikalen Landsgemeinde, der lange reifUch erwogen wurde und mit dem dann noch andere
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kriegerische Pläne auf den Montag zusammengehangen haben sollen, scheint wieder einstweilen aufgegeben worden zu sein, ob ganz, wissen wir nicht."
Was das Glaubenskomitee nur anzudeuten, diplomatisch klug zu umschreiben für gut fand, hatte die ebenfalls am Donnerstag noch ausgegebene ,, Freitagszeitung" ins Populäre, Massive, Handgreifhche zu übertragen, den heraufbeschworenen Phan- tomen Fleisch und Blut zu geben, die Radikalen, die man andrer- seits nicht verächtHch genug als unbedeutende Minderheit be- handeln konnte, dem Volke direkt als die Urheber des kommenden Bürgerkriegs zu denunzieren. Die ,, Freitagszeitung" schrieb: „Sonntags wollen die Straussen, so wenig ihrer sind, eine Volks- versammlung in Winterthur abhalten und dann am Montag unter Anführung von Statthalter Sulzer nach Zürich ziehen, um die dort versammelten Bürger des Kantons auseinander- zusprengen. Das heisst also nichts anderes als Bürgerkrieg beginnen. Dies wird so leicht nicht gehen; der See, die Stadt, die hintern Bezirke, die sich so zahlreich in Kloten einfanden, lachen über diese Hand voll Leute, die von Winterthur her kommen dürften. — Jedenfalls ist der nächste Montag, wo sich der Grosse Rat besammelt, der wichtigste Tag für unser Volk. Da wird es sich entscheiden, ob der unglückhche Zustand, wo Volk und Regenten sich gegenüberstehen, noch länger dauern, ob nicht das Volk wieder seine Rechte erlangen und endhch einmal in Ruhe und Frieden seines wieder errungenen Glaubens froh werden köime. Wie das zu erreichen, ist noch lücht ausgemacht; es gibt der Wege mehrere, aber nur einen sichern. — Diejenigen, welche auf Winterthur gehen, wird man kennen."
Als Oberheizer im Dienst des Glaubenskomitees fungierte Regierungsrat Eduard Sulzer. Dieser Magistrat hatte schon am Montag zu seinem Kollegen Weiss wörthch gesagt: ,, sobald Sie oder sonst jemand diese Intervention (der Konkordatskantone) in der Regierung zur Sprache bringen und durchzusetzen suchen, werden wir uns entschieden zur andern Seite schlagen." Obwohl nun seitdem die Intervention im Regierungsrat noch nicht offiziell zur Sprache gekommen und irgend ein Beschluss rücht gefasst war, Hess Sulzer am Dormerstag Vormittag den Domänenkassier Steffan, den radikalen Redner von Uster (,,au da muess ghulfe
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si") und jetzigen Freund der , .guten Sache", zu sich kommen und sagte ihm wörtlich folgendes: „Sagen Sie Ihren Freunden, vor allem aus Herrn alt Oberamtmann Escher von Wädenswil, es drohe ihrer Sache ein Komplott; in 24 Stunden werden 30,000 Konkordätler gegen Züricli auf dem Marsch sein; FüssH ist nach Bern verreist und Rordorf wird die Basellandschäftler heran- führen." Diese psychologisch absolut unerklärHche Mitteilung eines Regierungsrates entbehrte, wie sich bald herausstellen sollte, jeder Grundlage; sie war nichts anderes als die Wieder- gabe umlaufender Gerüchte, die nun aber im Munde eines Regie- rungsrats und mit dem daran geknüpften Auftrag offiziellen Charakter und Glaubwürdigkeit erhielt. Die Nachricht musste in der Stadt wie eine Bombe einschlagen. Auf der Strasse hiess es schon in kürzester Frist: ,,\Venn Ihr nicht unverzügHch los- schlaget, so geht es Euch in sechs Stunden an den Kragen!" vSteffan war zuerst zum Vizepräsidenten des Glaubens- komitees, Dr. Rahn-Escher, gelaufen, vmi ihm das regierungs- räthche Geschwätz brühwarm zu hinterbringen, hatte ihn aber nicht angetroffen und war dann bei andern herumgegangen. Als Dr. Rahn endlich gefunden wurde, sandte derselbe unverzüglich an sämtUche Bezirkskomitees das folgende, berühmt gewordene Bulletin (nach einer Kopie in den Akten Spöndlin) :
Freunde, Brüder! Die Feinde wollen das Land mit fremden Truppen über- fallen. — Neuhaus bietet Bern auf; — ■ Baselland rüstet sich. — Ich ersuche Euch, schnell alles zum Sturm in Bereitschaft zu setzen, und wenn die Glocken losgehen, dass ein guter Teil nach der Stadt komme, ein Teil aber zur Bewahrung des eigenen Herdes gerüstet bleibt, — für Gott und das Vaterland. Donnerstag 10 Uhr.
Rahn-Escher.
Jetzt war die Kugel aus dem Rohr und keine Macht der Welt brachte sie mehr zurück. Rahn machte dazu zwar noch einen ehrlichen Versuch, als nach einigen Stunden das ganze Lügen- gewebe offenkundig war, allein der lalune Gaul des zweiten Boten traf in Pfäffikon erst ein, als der Landsturm schon aufgebrochen war. In der Stadt wusste ausser den Eingeweihten niemand etwas
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von der Alarm-Depesche Rahns, am wenigsten die Regierung. Alles war nur gespannt auf den kommenden Montag und mit den Vorbereitungen für den Empfang und die Bewirtung der auf jenen Tag nach der Stadt aufgebotenen I^andleute beschäftigt, als Eduard Sulzers Tartarennachricht in der freudig erregten Bürgerschaft die Hoffnung erweckte, dass der Kampf der ,, Guten" und ,, Schlechten" — nach Meyer-Otts einfacher Klassifikation — gleich jetzt ziun Austrag gebracht werden könnte. ,, Schon jetzt zeigte sich, wie gut die Bürger dachten, denn die meisten waren voll Freude und harrten mit Sehnsucht des ersten Glocken- schlags; auch die wenigen Landleute, die in der Nähe waren, entbrannten sogleich, und es wurde von vielen Pulver und Blei gekauft." Stadtpräsideut Oberstleutnant Ziegler wurde dringend gebeten, sogleich Sturm läuten zu lassen. Dieser aber erklärte, auf eine so vage Nachricht liin sei es nicht ratsam, von dem System abzuweichen, das er sich in dieser Sache vorgesetzt habe, nämhch „Ruhe und Ordnung aufrecht zu halten und nur dann an einer Insurrektion teilzunehmen, wenn es für die Sicherheit der Stadt selbst notwendig werde. Wenn die I^andschaft Lust hat, die Regierung fortzujagen, so mag sie es tun, welche dieselbe einge- setzt hat. Unklug wäre es von uns, die Initiative zu ergreifen und dadurch denen die Waffe in die Hände zu geben, welche sagen, die Stadt strebe nach Herstellung ihrer Herrschaft über das Dand." Im Kaufhause traten die Knechte vor die Herren und fragten, ob sie zuschhessen imd mit den Sparren ausrücken sollen. Die städtische Polizei gab sich alle Mülie, das Volk zu beruhigen. Hauptmann Fehr, Chef der Pohzeiwache, eilte von einem zum andern, um abziunahnen und zu beschwichtigen. Alle jene Nach- richten seien ,,erheit und erlogen; Füssh sei nicht in Bern, sondern in seinem Hause am Wolfbach; wir sollen doch Geduld haben bis am Montag; Hess halte es ja mit uns; er und seine Landjäger halten es ja mit uns; niemand werde ims etwas Leides zufügen, aber nur sollen wir um Gottes und des Heilands willen nicht stürmen." Dieser Vorfall, fügt Meyer-Ott bei, wird hier nur des- halb erwähnt, um zu zeigen, dass die Regierung bewacht war und dass jeder Versuch zu einer energischen Massnahme, z. B. Aufpflanzen von Geschütz, dem unmittelbaren Aufstand in der Stadt gerufen hätte.
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Nachmittags um 5 Uhr war wieder ausserordentliche Sitzung des Regierungsrats. Es lagen zwei Zuschriften vor von den Statthaltern von Zürich und Winterthur. Der erstere empfahl, den umgehenden Gerüchten von der Einberufung „fremden Volks" durch eine Kundmachimg entgegenzutreten, da sonst bis zum Montag kaum alles ruhig bleiben dürfte. Der Statthalter von Winterthur meldete vollkommene Ruhe in seinem Bezirk und die Erklärung mehrerer Gemeindevorsteherschaften, treu zur Ver- fassung und Regierung zu halten. Beide Zuschriften wurden einstweilen ad acta gelegt, um vorerst die Zuschrift der Tag- satzungsgesandten der sechs mit Zürich im Konkordat stehen- den Kantone zu behandeln. Die Eidgenossen baten um beförder- lichen Aufschluss über den Stand der Bewegung und vorzügUch über Kraft und Wirksamkeit der Regierungsbehörden des Kantons Zürich. Die Zuschrift wurde von versclüedenen Seiten als un- gebührUch, voreiUg und anmassend bezeichnet, von Bürger- meister Hess und andern in Schutz genommen. Da es sich nun hier um die wichtige Frage der Intervention oder Nicht- intervention handelte, die Meinungen darüber aber weit aus- einandergingen, beschloss der Regierungsrat einstimmig, die den Gesandten zu erteilende Antwort erst morgen Freitag Mittag zu beraten. Um 7 Uhr ging man auseinander.
Abends waren die Diberalen wieder zahlreich auf der Platte beisammen. ,,Kaum hatte ich mich niedergesetzt", erzählt Weiss, ,,als es lüess, im Bezirk Pfäffikon werden Anordnungen zum Sturm getroffen. Ein Augenzeuge versicherte, diesen Abend in Russikon gesehen zu haben, wie ein Bote von Pfäffikon den Auftrag ins dortige Pfarrhaus brachte, auch da Sturm zu läuten, sobald die Glocken in Pfäffikon ertönen. Ungefähr um halb 9 Uhr suchte mich ein Expresser von Hin au auf, mir die Nachricht zu bringen, dass dort seit 5 Uhr abends die Kirche umstellt und Alles in Bereitschaft sei zum Sturmläuten; der Pfarrer habe den Weibel in die Häuser geschickt, anzuzeigen, dass das Geläute nicht einer Feuersbrunst, sondern dem Marsche nach Zürich gelte." Weiss, Kantonsrat Studer von Wipkiugen und noch ein dritter begaben sich zu Amtsbürgermeister Hess, um ihn zu unterrichten und zu Massnahmen zu veranlassen; Studer setzt ihm hart zu, aber ohne Erfolg. Als sie das Haus
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verliessen, ritten eben zwei junge Leute auf kotbespritzten Pferden vorbei; sie hatten, wie sich nachher herausstellte, dem Komitee die Nachricht vom Aufbruch des Landsturms gebracht.
Weiss begab sich auf die Haupt wache und ordnete an, dass die Landjäger von Stunde zu Stunde zu rapportieren hätten. Um IG Uhr wurde ihm ein Mann gebracht, den er kannte und der ihm die bestimmte Versicherung gab, dass bei seinem Abgang von Pfäffikon die Glocken in vollem Gange gewesen seien. Nun verfügte sich Weiss zu Oberst Hirzel im Feldhof und erklärte ihm, dass sie beide als Mitgheder des Kriegsrats nicht zusehen dürften, sondern einige Massregeln treffen müssten. Hirzel, damit einverstanden, erhielt von Weiss, dem Präsidenten des Kriegsrats, die schriftHche Vollmacht, ,,die ihm zweckmässig scheinenden Massregeln zu treffen." Das sei eine weite Vollmacht, meinte Hirzel, man könne sie so oder anders auslegen; aber Weiss über- liess ihm, seine Einrichtungen nach seinen Kräften zu treffen. Auf dem Rückwege zur Hauptwache begegneten Weiss einige bewaffnete Bürger. Er Hess deshalb den städtischen PoUzei- präsidenten Stadtrat Gj'si zu sich kommen und bat ihn um Auf- schluss. Gysi berief sich darauf, dass er ihm schon im März die Kontrolle einer Bürgerwache von zirka 65 Mann vorgewiesen habe, die jetzt aufs Stadthaus berufen worden sei. Ferner besitze man eine Liste von 500 Mann, die man, wenn sich die Gerüchte erwahren sollten, ebenfalls besammeln werde, aber einzig zur Handhabung von Ruhe, Ordnung und Sicherheit und ohne poU- tischen Zweck. Die Unterredung endete mit Händeschütteln und gegenseitiger Versicherung redUcher Absichten. Nun erschien auch Regierungsrat Hegetschweiler, Vizepräsident des PoUzei- rates, auf der Hauptwache, fortwährend behauptend, es seien alles nur Gerüchte. Allein jetzt kamen die Berichte imd Anzeigen zu Häuf. Um Mittemacht meldete sich schweisstriefend ein junger Bauembursche von Schwamendingen, mit dem Hegetschweiler ein barsches, inqmsitorisches Verhör anstellte, das den jungen Mann, der auf eine ganz andere Aufnahme gerechnet hatte, ver- blüffte und einschüchterte. Endhch brachte man aus ihm heraus, dass ein Dragoner, von einer Übung nach Hause reitend, auf der Brücke von Dübendorf in einen Haufen bewaffneter und mit Stöcken und allerlei Werkzeug versehener Landleute geraten und
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sogleich umgekehrt sei, um in schnellster Carriere die Nachricht nach Zürich zu bringen. Aber in Schwamendingen habe er das ermüdete Pferd nicht mehr weiter gebracht, weshalb ihm, dem Boten, aufgetragen wurde, nach Zürich zu gehen. Hegetschweiler bUeb noch immer verstockt. Man ging hinaus, um auf der Brücke hin und her zu spazieren. Nun kam auch ein Landjäger mit der Meldvmg, dass er die L,eute in Dübendorf gesehen habe, ebenso ein Mann aus Pfäffikon (dem Rahn dann den abmahnenden Brief an Pfarrer Hirzel nach Dübendorf mitgab). Unterdessen stiess auch Herr Steffan zu der Gruppe und wandte sich an Weiss: ,,Herr, ich frage Sie, woher wissen Sie, dass in Pfäffikon gestürmt wird? Es ist an allem nichts!" Weiss erwiderte: ,,Herr, es ist nur zu wahr; hinlänghche Berichte sind da, dass Herr Pfarrer Hirzel das Stürmen angeordnet hat." Steffan ging mit der kräf- tigen Verwünschung: ,,Dann soll ihn das " usw.
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NEUNZEHNTES KAPITEL
DER SECHSTE SEPTEMBER
Im Pfarrhaus Pfäffikon weilte Besuch aus der Stadt. Das trauhche Beisammensein wurde unterbrochen durch einen Ex- pressen, welcher Rahns Alarm-Bulletin überbrachte. Das war Donnerstag nachmittag 2 Uhr (den 5. September). Pfarrer Dr. Hirzel, ein ßijähriger Mann von leidenschaftHchem Tempera- ment, erhob sich alsbald in lodernder Empörung. Sein böser Genius riss ihn fort zu handeln, wo ihm doch nur Bereitschaft befohlen war. Der Besuch reiste ab und brachte die erste Nach- richt vom bevorstehenden Sturm nach Zürich. Hirzel selbst er- zählt in seiner Rechtfertigungsschrift (,,Mein Anteil" usw.): ,, Sogleich berichtete ich die umliegenden Gemeinden, dass sie auf die Glocken von Pfäffikon achten möchten, und überlegte sodann mehrere Stunden lang allein vor Gott die Lage der Dinge." Die ihm von allen Seiten zugetragenen Gerüchte von einem An- schlag der Radikalen und Studenten auf das Zeughaus, der be- stellten Guillotine, dem Marsch der Winterthurer nach Zürich, dem Aufgebot „fremder Truppen" Hessen es ihm als das Richtigste erscheinen, ,,den Plänen der Radikalen zuvorzukommen", und so befahl er denn (um 5 Uhr) das Sturmläuten. Zu gleicher Zeit gingen Expresse nach Zürich und an den See, den Aufbruch mitzuteilen ,,und zur Teilnahme einzuladen". Pfarrer Hirzel hat die Revolution nicht gemacht; er hat nur im kritischen Augen- bhck das Oberkommando an sich gerissen und damit das Zentralkomitee in eine peinhche und ohnmächtige Passivität den kommenden Ereignissen gegenüber versetzt. Aber mit dem ersten Ton der Sturmglocke zerriss der Dunst und Nebel von Gerüchten, durcheinander wogenden Meinungen und frommem Selbstbetrug, und es erschien Hellsehenden wie eine Vision, darob sie bis ins Innerste erschraken, die Fratze der Revolution. Der Pfarrer von Hittnau hatte nichts gesehen und Hess sechs Stunden lang die Glocken ziehen. Auch Russikon, Illnau und Bauma
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stimmten ein in das Lied der Rache und Empörmig, und der jmige Pfarrverweser von Bauma segnete beim Fackelschein in der Kirche Waffen und Mannschaft zum heiligen Krieg. Dagegen blieben die Glocken von WeissUngen, Zell, Wildberg, Wiesen- dangen stumm. Nach und nach sammelten sich in Pfäffikon an die 2000 Mann. ,,Ein kleiner Teil bewaffnete sich, um damit dem Zuge ein gewisses Ansehen zu geben." Ein Gemeindeseckelmeister hinwieder steckte eine Summe Geld, den Zehnten, zu sich, um sie bei dieser guten Gelegenheit der Finanzkanzlei in Zürich ab- zuliefern. Von Dorf zu Dorf schwoll der Landsturm lawinen- artig an. In Volketswil vereinigte man sich mit dem ,,Zug der Kellenländer" aus Sternenberg, dem Tösstal, Hinwil. Pfarrer Hirzel sagt nichts davon, dass in Volketswil die Kirche gewaltsam erbrochen wurde, um Sturm zu läuten, und dass Radi- kale sich in Kellern und hinter Scheiterbeigen verstecken mussten, um nicht zum Mitgehen gepresst oder insultiert zu werden; er weiss nur von ,, tausendstimmigem Gesang frommer Lieder aus Herzensgrund". In Dübendorf war seine Armee auf 5000 Mann angewachsen. Doch hier suchte ihn ein Mann und übergab ihm folgendes Brief lein:
An die Männer von Pfäffikon.
Zürich, den 5. September 1839, Mitternacht.
Teure Freunde ! Ich eile. Euch zu bitten, nüüg zu bleiben. In der vStadt ist alles ruhig, aber bereit gegen die Radikalen, die, wie es sich herausstellt, einen Handstreich im Sinne hatten, der aber durch Euch glücklich abgewendet scheint. Ich bitte Euch daher, entweder ruhig zu bleiben und nach Hause zu gehen, oder, wenn Ihr nach der Stadt kommt, nichts anderes als zu sagen, Ihr kommet, um zu wissen, ob Spöndhn und ich wohl seien.
Älit Treue und Freundschaft Euer
Rahn-Escher.
Nun was tun? ,, Vorwärts marschieren!" riefen die Männer von Pfäffikon, und ihr Pfarrer und Feldherr willigte ein ,,in der festen Überzeugung, dass die andern Bezirke einerseits
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uns sicherlich nicht stecken lassen wollen, anderseits auch nicht
können werden, da ja unser aller Interesse nur eines, unsere
Niederlage ihre eigene sei."
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Hürlimann-Landis hatte Donnerstag nachmittag noch eine Komiteesitzung in Zürich abgehalten und war dann ahnungs- los nach Hause gereist. Ralin und Spöudlin wurden abends, wie alle Welt, überrascht durch die Berichte aus Pfäffikon, denen auf dem Fuss die ileldung folgte, die Illnauer seien bereits im Anzug. Unverzüglich wurde vom engern Komitee Spöndhn ab- geordnet, ihnen entgegenzugehen mid sie zur Umkehr zu bewegen, weil man sie nicht gerufen mid sie in der Stadt weder brauchen könne noch wolle. Auf der Höhe des Zürichbergs erfuhr Spöndhn, dass das ganze Hinterland im Aufstand sei. Sofort schrieb er im Hause eines Bekannten vier Briefe, worin er die betreffenden Ge- meinden beschwor, ruhig zu bleiben, da das Gerücht vom Heran- nahen der Konkordatstruppeu unrichtig sei. Darauf kehrte er nach der Stadt zurück. Um 9 Uhr, als die Berichte immer be- stimmter lauteten, wurden die Gemeinden am See nochmals durch driugHche Botschaft aufgefordert, sich durch kein Gerücht zum Aufbruch bestimmen zu lassen, bis es im Neumünster stürme.
Im Kasemenhof am Talacker rasselte abends halb 10 Uhr ein Trommelsignal: ,, Feld weibel heraus". Oberstleutnant Sulzberger gab den Befehl, die Mannschaft solle angezogen, mit umgehängter Patroutasche sich bereit halten, die Lichter sollen brennen, die Fenster geschlossen sein und niemand an denselben sich blicken lassen. Einige der jungen Wehrmänner taten noch ein Übriges und versuchten, ihre stumpfen Säbel zu schleifen. An die Ka- vallerie war der Befehl ergangen, in den Stall an der Sihl zu gehen, zu satteln, aufzusitzen und in die Kaserne zu kommen. Sie rückte um 11 Uhr in den Kasernenliof ein, und damit war die gesamte Truppenmacht der Regierung beieinander! Sie hatte nichts anderes zur Verfügimg als die MiHtärschule (Offiziers- Aspirantenschule), grossenteils Brüder und Söhne der bei der Volksbewegung beteihgten oder doch mit ihr sympathisierenden
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Bürger. Das ganz unzuverlässige Landjägerkorps, 50 bis 60 Mann, war, \'on einzelnen Posten abgesehen, zu nichts anderem zu ver- wenden als zur Bewachung des Zuchthauses. Oberst Salomon Hirzel, der Oberkommandant der ,, Regierungstruppen", hatte auf den Schlachtfeldern in Spanien und Portugal und an der Bere- sina gekämpft, aber eine schwierigere Stellung und Aufgabe war ihm nie zuteil geworden als in dieser Nacht. Als konservativer Stadtbürger sollte er die radikale Regierung stützen und be- schützen, und er erfüllte diese saure Pfhcht als Soldat und Ehren- mann solange er konnte und musste. Um sie unter den Augen zu haben, wie es liiess, hatte Oberst Hirzel die radikalen Offiziere Oberstleutnant Konrad v. OrelU (Artillerie), Markwalder und Brunner in den Dienst berufen imd sein Augenmerk zunächst auf den Schutz der drei Zeughäuser In Gassen gerichtet, die nach „konfidentiellen Mitteilungen" des Bürgermeisters Hess durch einen radikalen Putsch bedroht sein sollten, aber auch Angriffsobjekt des anrückenden Landsturms bilden konnten. Vom vStadtpräsidenten Oberst Ziegler, der zu ihm in den Feldhof ge- kommen war, erbat sich Hirzel 40 bis 50 Mann der Bürger- wache, die er bewaffnete und in die Zeughäuser verteilte. Damit behielt er seine kleine Truppe frei und hoffte auch, der Landsturm werde von den Zeughäusern abstehen, wenn er sie in den Händen der befreundeten Bürgerwache sähe. Dann begab er sich nach der Hauptwache, wo er noch die Regierungsräte Weiss und He- getschweiler traf, deren Mitteilungen ihm die ganze Schwere seiner Verantwortung klar machten. Die ihm hier ,,sehr zudringlich angebotene" und verdächtig scheinende Hilfe der Studenten verbat er sich entschieden. Nachdem er nochmals in den Zeug- häusern Nachschau gehalten, suchte Oberst Hirzel den Stadt- präsidenten im vStadthaus auf. Dort wurde ihm gemeldet, dass hundert Studenten bei der Tiefenliofhnde am Paradeplatz auf- gestellt seien. Sofort dahin eilend, fand er sie nicht mehr; sie hatten sich zur Kaserne begeben. Die Studenten waren an diesem Abend bei ihrer Semester-Schlusskneipe im ,, Widder" am Renn- weg versammelt, als die Nachricht vom Sturmläuten auf dem Land auch sie erreichte. AugenblickUch organisierten sie sich als mili- tärisches Freikorps und stellten sich dem Amtsbürgermeister Hess zur Verfügung, der ihnen den zweideutigen Rat gab, ruhig bei-
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sammen zu bleiben und auf einen eventuellen Ruf sich bereit zu halten. Ähnlich antwortete Weiss, den dreimal Deputationen auf der Hauptwache aufsuchten. Auf die Bitte von Oberst Hirzel ging ihnen Weiss dann auch gegen die Kaserne nach und traf sie beim Feldhof, worauf sie sich auf sein Zureden zerstreuten. Auch ein späterer Versuch, sich in die Bürgerwache einreihen zu lassen, scheiterte; man hatte angebUch keine Gewehre mehr für sie. Im Cafe htteraire sassen die ganze Nacht Radikale bei- sammen, eines Winks der Regierung gewärtig; doch keiner der regierungsrätlichen Stammgäste liess sich blicken. Kantonsrat Studer bemühte sich, im Limmattal ein FreiwilHgenkorps zu- sammenzubringen; aber niemand begehrte seine Dienste.
Unter den in aller Stille um Mittemacht Mann für Mann aufs Stadthaus entbotenen Bürgern befand sich auch Meyer-Ott vom St. Urban in Stadelhofen. Im Hausflur des Stadthauses war schon eine ganze Anzahl Bewaffneter versammelt; sie wurden von alten Offizieren, die in Holland vmd Frankreich gedient hatten und nun plötzHch, ihren funkelnden Augen nach zu urteilen, um 25 Jahre jünger geworden waren, in Reih und Ghed gestellt. Das Kommando über die gesamte Bürgerwache fülirte Oberst- leutnant Friedrich Schulthess zur ,, Weinleiter", Sohn des Uberalen Chorherrn Dr. Johannes Schiüthess und Gründer der Buclihandkmg Schulthess. Ohne an der Leitung der Volksbewegung irgendwie beteiUgt zu sein, sj'mpathisierte er mit ihr. Seiner ruhigen, tapfern und taktvollen Haltimg am 6. vSeptember gebührt neben Zieglers Feldhermgenie das Hauptverdienst daran, dass es für die Stadt ohne grösseres Unglück ablief. Die Bürgerwache des Stadtpräsidenten Oberst Ziegler bildet neben den Regierungs- truppen den zweiten für die Revolution des 6. vSeptember in Be- tracht fallenden, mihtärisch organisierten Machtfaktor. Ihre .Stel- lung gegenüber der vom Landsturm mit Umsturz bedrohten Landesregierung war die der nicht wohlwollenden NeutraUtät. Man kann eine Landesregierung auf zwei Arten stürzen: die Re- volution in der Arbeiterbluse geht ihr direkt und roh an den Kragen; die Revolution im Frack wahrt möglichst die äussern Formen, vermeidet Roheiten, rührt aber für den Schutz der Re-
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gierung nicht den kleinen Finger und geht bei ihren Verteidigern herum mit der Erklärung: untersteht ihr euch, für die Regierung einen Schuss zu tun, so bekommt ihr's mit mir zu schaffen. So wird, kalt und klug, der Moment abgewartet, da die wehrlose Re- gierung am Boden liegt und der drohenden Anarchie gegenüber der Anschluss an die siegreiche Revolution im höchsten Interesse der Ordnung und Sicherheit des Gemeinwesens liegt.
Oberstleutnant Schulthess verteilte seine Mannschaft auf ver- schiedene wichtige Posten. Meyer-Ott hatte unversehens eine weisse Binde am Arm und sah sich in ein Kontingent von etwa dreissig Mann eingeteilt, dem die Aufgabe zufiel, den Herren Dr. Rahn und Spöndlin als Eskorte zu dienen. Es war die (übrigens falsche) Meldung eingegangen, der Landsturm rücke über Witikon heran. Die Komiteeabordnuug sollte ihm entgegen- gehen und nach seinem Begehren fragen. Durch die schlafende Stadt ging es hinaus nach Hirslanden. Beim Wirtshaus zum ,, Wilden Mann" wurde Halt gemacht. Vom BürgU her dröhnte ein Schuss der Lärmkanone; es brannte in vSchlieren oder Dietikon, aber mit dem Aufrulir stand das Signal in keiner Verbindung, denn am See bheb alles totenstill in der ruhigen, sternhellen Nacht. Die Knechte im Wirtshaus freuten sich, ,,dass es einmal hinter diese schlechte Regierung her geht", und sagten, hier herum wohnen alles Gute, ausser dem vSchneider Fink da unten, der sei der einzige Strauss in der Nähe. Da auf einmal Pferdegetrampel. Zwei Reiter nahen von Witikon her. Es sind Boten des wackern Pfarrers und Dekans Werdmüller von Uster. Der Pfarrer hatte das Glaubenskomitee von Uster schon vor einiger Zeit aufgelöst, weil ihm die Sache zu poUtisch geworden war; nun aber wurde er von seiner Gemeinde bedrängt, welche stürmen wollte, und fragte des- halb an, was er tun solle. Dr. Rahn empfalil in seiner Antwort (morgens 2 Uhr), ruhig, aber wachsam zuzusehen. Nachdem es klar geworden, dass der Landsturm einen andern Weg ein- geschlagen hatte, sandte die Deputation noch eine dringende Ab- mahnung nach Kloten und kehrte zur Stadt zurück. Beim ,, Falken" in StadeUiofen wurde man bereits von einem starken Posten Bürgerwache angerufen, und auf dem Stadthaus wimmelte es von Bewaffneten.
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Um dieselbe Zeit rückte die Kavallerie aus. Major Bruno Übel ritt mit seinen 34 Dragonern auf den Münsterhof. Der preussische Instruktor, ein schöner, ritterlicher Mann mit klarem Verstand und makellosem Ruf, wurde die Zielscheibe der ersten Schüsse; aber nicht hier war ihm bestimmt zu fallen. Übers Jahr erst sollte ihn eine Araberkugel niederstrecken in den Wüsten- sand. Seine FamiUe bheb in der Schweiz, und seine Tochter wurde die Gattin Alfred Eschers. Mit der spärlichen Infanterie besetzte Oberst Hirzel die obere und die untere Brücke und einige exponierte Posten. Die Spitze des üandsturms war bereits aus Schwamendingen gemeldet worden. Im Zimmer des Pohzei- rats auf der Haupt wache hatten sich einige Mitgheder des Re- gierungsrates zusammengefunden; die fehlenden wurden noch einberufen. L. Mej-er v. Knonau, im Fraumünsteramt wohnend, musste sich zwischen den Soldaten und dem Geländer der Münster- brücke durchwitaden. H. Escher, der vom Hirschengraben kam, bemerkte nichts Auffälhges ausser den Laternen in den Gassen, die in unruliigen Zeiten von Mietern und Hausbesitzern vor ihre Türen gehängt werden mussten. Auf Veranlassung von Regierungs- rat Weiss wurden auch Stadtpräsident Oberst Ziegler und Stadtpohzeipräsident Gysi auf die Hauptwache beschieden, um über die immer weiter ausgedehnte Bewaffnung der Bürger- schaft und ihre Bewegungen nochmals Aufschluss zu geben. Bürgermeister Hess, Weiss und Eduard Sulzer sollten mit den Herren reden. Oberst Ziegler berief sich auf das (von Dr. Keller stammende) Aufruhrgesetz von 1832, das die Gemeinden haftbar erklärte für den bei Unruhen entstehenden Schaden. Nur die Abwendung solchen Schadens und der Schutz der Personen und des Eigentums sei zunächst der Zweck der städtischen Bewaff- nung. Mit vollkommener Offenheit fügte Ziegler jedoch bei, dass die Bürgerwache angewiesen sei, die Dandieute frei passieren zu lassen und nicht mit ihnen anzubinden. Bei der in der Stadt herrschenden Stimmung könne er, Stadtpräsident Oberst Ziegler, allerdings nicht dafür bürgen, dass sich die Bürgerwache nicht mit dem Landsturm vereinigen werde.
Es kann also niemand behaupten, dass die Stadt Zürich am 6. September treulos und hinterUstig an der Regierung gehandelt habe. Noch bevor eines Landstürmers Fuss städtischen Boden
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betreten hatte, wusste die Regierung ganz genau aus des Stadt- präsidenten eigenem Munde, wessen sie sich von der Stadt ver- sehen musste. Die Regierungsdeputation aber erklärte sich von den Eröffnungen des Stadtpräsidenten ,, befriedigt", und sie gewährte weiter die von Oberst Ziegler kaltlächelnd ausgespro- chene Bitte, dieser seiner Bürgerwache, für deren Regierungstreue er keinen Augenblick einstand, 500 Gewehre samt Munition aus den Zeughäusern verabfolgen zu lassen. Endlich wurde, um das Mass des Entgegenkommens voll zu machen, der Ober- kommandant der Regierungstruppen, Oberst Salomon Hirzel, angewiesen, mit dem Oberkommandanten der Stadttruppen, Oberst Ziegler, die weiter zu treffenden militärischen Massnahmen zu vereinbaren. Die beiden Kommandanten ^verständigten sich dahin, dass gegen die Bauern keinerlei Offensive zu ergreifen sei, Oberst Hirzel die Zugänge zu den Zeughäusern zu decken, Oberst Ziegler für die Ruhe und vSicherheit der Stadt zu sorgen habe. Nun war bloss noch dieser Preusse Übel als unsicherer Faktor in Rechnung zu ziehen. Oberst Ziegler beschloss, ihn auf die Probe zu stellen. Meyer-Ott erhielt den Auftrag, mit einer Patrouille von vier Mann ein paarmal den Münsterhof zu passieren. vSollte Übel vSchwierigkeiten machen, so habe er nur zu sagen, man werde an Hirzel rapportieren, imd wenn dies nichts nütze, zu erklären, dass man ihn als Feind behandeln werde. ,,Aber ganz höfüch und so ruliig, wie ich jetzt zu dir rede, musst du ihm das sagen". Meyer-Ott kam ungehindert durch und sah auch Oberst Hirzel neben Übel stehen, so dass das Einverständnis allseitig gesichert schien.
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Der Landsturm ist da! Hirt und Herde lagern bei der ,, Linde" in Oberstrass. Es ist morgens 4 Uhr. Dr. Rahn bittet auf dem Stadthaus Meyer-Ott, ihn mit einer Eskorte von 20 ]\Iann zu begleiten. Unterwegs werden sie schlüssig, das Volk beim Einmarsch nicht über die Brücken zu führen, sondern am Rat- hausquai den Zuzug vom See abzuwarten und dann erst im Ein- verständnis mit der Bürgenvachc dem Militär gegenüber Terrain zu gewinnen und die BesitznaJime des Zeughauses zu erwirken. Beim Volk angelangt, tritt Rahn sogleich ins Gasthaus zur , .Linde",
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währendMej'ersichmit den Bauern unterhält. Da kommt Pfarrer Hirzel, schüttelt Mej-er die Hand und sagt: „Mein Volk will die Stadt nicht beunruhigen, nur den Bescheid der Regierung auf die Adresse von Kloten abwarten und dann nach Hause gehen." Dann geht er Rahn nach ins Wirtshaus. Das Aussehen der Leute findet Meyer miserabel. Die Mehrzahl scheint der armen Fabrikler- klasse anzugehören. Alle sind in ihren schlechten, zum Teil zer- rissenen Kleidern, auch unordenthch mit ihren mirasierten Stoppel- bärten. Ein alter, kleiner Mann tritt vor den Stadtherm hin mit den Worten; ,,Wir begehren der Regierung nichts Leides zuzu- fügen; es ist uns gleich, wer in Zürich regiert." — ,,Aber was sind eigenthch eure Forderungen?" — ,,Nur das, was in Kloten ge- redet worden ist. Ich weiss sonst von nichts anderem." — Neu- gierige aus der Stadt wollen auf ähnUche Fragen die Antwort erhalten haben, sie wüssten es eigenthch selber nicht, warum sie gekommen, oder auch: die Regierung müsse weg. Ein Student schrieb seinen Eltern nach St. Gallen von ,, Gesindel, mutlos, un- schlüssig, verlorenen Schafen gleich". —
Bevor die auf der Hauptwache sitzende Regierung zu einem Schluss kommen kann, was angesichts des Landstunns zu tun sei, lässt Oberst Salomon Hirzel melden, dass er das MiUtär von den Brücken zurückziehen müsse tmd der Regierung nur im Zeug- haus Löwenhof Schutz bieten könne. Man ratschlagt nun zunächst über ein geeignetes Sitzungslokal (im Rathaus wird umgebaut). Melchior Hirzel will ins \'enezianische Zeughaus gehen; die Mehr- heit ist aber dafür, die nächste Sitzung auf halb 8 Uhr in den ge- wohnten Sitzungssaal im Posthaus anzuberaumen. Dann wird beschlossen, eine Deputation, Hegetschweiler und Eduard Sulzer (zwei ,, Gutgesinnte" nennt sie Meyer-Ott) in Begleitung eines Weibels in den Standesfarben nach Oberstrass zu entsenden und nach dem Zweck und \^orhaben der Leute zu fragen.
Es mochte auf 6 Uhr rücken, als die Regierungsabordnung die neue Rämi-Taimenstrasse heraufgestiegen kam. Das Volk hielt den Weibel in seinem Amtsornat für einen vornehmen Offizier. Hegetschweiler schien ob dem schlechten Aussehen imd der geringen Bewaffnung der Leute sehr — bestürzt ! Die Deputation wurde bei Pfarrer Hirzel ,, vorgelassen", wie Hegetschweiler in seinem Bericht sich ausdrückte. Als ,, ehrerbietige, aber feste"
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Wünsche des Volkes wurden ihr unterbreitet: i. Annalime der Adresse von Kloten, 2. bestimmter Verzicht auf alle fremde Hilfe zur Ordnung innerer Angelegenheiten, 3. Austritt aus dem Siebner Konkordat. Das wäre also so eine Art Ultimatum. Als Frist dürfen zwei Stunden angenommen werden, derm für so lange gab Pfarrer Hirzel nach der Unterredung seinem Volke Urlaub, indem er beifügte, die Regierung werde jetzt Sitzung halten, und wenn sie den Wünschen nicht entspreche, so ziehe man in die Stadt; das Komitee werde dann sagen, was zu tun sei. Die Leute zerstreuten sich darauf in die Wirtshäuser; manche gingen auch in die Stadt und betrachteten misstrauisch die bewaffneten Bürger. Aber überall hiess es, ,,wir tun euch nichts", und ein Offizier versicherte: ,,Ich lasse das Gewehr präsentieren, wenn ihr kommt". Die Stadtbürger waren ob dem friedhchen und vielversprechenden Verlauf der Unterredung in Oberstrass nur halb erbaut, und manche ,, besorgten" — nach Meyer-Ott — so- gar den Fortbestand der Regierung. Als Meyer dem vStadtpräsi- denten seine Eindrücke mitteilte, meinte Ziegler: ,,Ja, ja, ich glaube auch, es werde alles arrangiert werden. Wenn aber die Regierung nicht nachgibt, so dürfte es am Nachmittag doch noch zu Auf- tritten kommen."
Das Komitee, wo ist das Komitee? Eines nach dem andern von seinen auswärtigen Mitgliedern ist während der Nacht in Zürich eingetroffen; auf ,, Zimmerleuten" findet die unfreiwillige ausser- ordentUche Sitzung statt. Wenige hundert Schritte voneinander tagen die reguläre und die irreguläre Regierung, eine vor der andern sich fürchtend, miteinander in Ratlosigkeit wett- eifernd. Auch der Präsident Hürlimann langt an und bringt nichts weniger als ermutigenden Bericht. Auf Pfarrer Hirzels Aufforderung hin hatte er den Sturm in den obern Seegemeinden befohlen, und Bindschädler von Männedorf war von einer Ge- meinde zur andern geeilt, aber keine wollte stürmen! ,,Denn die Vornehmen hatten sich vor der \'olksmasse gefürchtet, vor der Regierung gefürchtet, vor den Kugeln gefürchtet, mit einem Wort gefürchtet!" Das Komitee steht vor der Entscheidung. Zu ungewollter Stunde zwingt sie sich ihm auf. Glaubte das Ko- mitee, monatelang das Volk gegen eine ,, schlechte Regierung"
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aufwiegeln, alle Masseninstinkte, die guten und die schlimmen, aufpeitschen und dann dem Sturm gebieten zu können, wann und wie er ausbrechen soll, so befand es sich im Irrtum. Jetzt ist der Pfäffiker Landsturm da, ungerufen, in einem Zustand, dass es kaum der Handvoll Dragoner Übels bedarf, um ihn auseinander- zusprengen. Und dann — gibt es für uns nichts anderes mehr als ,,in Kriminalprozessen unterzugehen". Pfarrer Hirzel hatte ganz richtig kalkuhert: sie können mich nicht im Stiche lassen. Also — das andere. Noch wagt es keiner auszusprechen, und doch, sie ist's, die Revolution. Sie kommt. Mögt ihr davor zurückschaudern, das Glockenseil des Aufruhrs zu ergreifen, jetzt müsst ihr . . .
Wenn doch auch die Stadt anfangen wollte! Mit einem Schlage wäre die Sache erledigt, wir aus allen Ängsten ! Mehrmals gehen Deputationen zum Stadtpräsidenten, bitten und flehen, Sturm läuten zu lassen. Aber Ziegler bleibt hart. Auf all das verzweifelte Drängen hat er immer nur sein kurzes, kaltes ,,Noch nicht!". So müssen wir denn andere zu Hilfe rufen. Spöndlin schreibt, morgens 6 Uhr: ,,Der Bezirk Uster soll kommen, so schnell möghch! — Allenthalben soll Sturm geläutet werden!" Hürlimann (dasjenige Mitghed, das am wenigsten Skrupel empfand und für seine ,, heilige vSache" mit was immer für IVIitteln zu kämpfen bereit war) sendet durch den Amtsrichter Merz in den Bezirk Andelfingen eine Botschaft, die zeigt, dass er schon seinen fertigen Plan im Kopf hat: ,,.... Inzwischen besitzt die volkstümhche und für das Volksinteresse warm schlagende Stadt alle Posten zur Aufrechthaltung guter Ordnung des Eigen- tums. Die Bezirke Horgen, Meilen und Zürich fangen jetzt an Sturm zu läuten und heranzukommen. Das Zentralkomitee wird sich beraten, was zu tun sei. Eine provisorische Regierung wird gebildet werden müssen, da die alte das Zutrauen nicht mehr besitzt. Die Grundsätze der Verfassung, unbedingte Rechts- gleichheit, sowie die Volksrechte im allgemeinen als das heiligste Gut betrachtet. Morgen wird eine ungeheure Volksversamm- lung die nähern Beschlüsse fassen. Dasst Sturm läuten, Brüder! Vereinigt euch ztim Schutze der verletzten ReUgion, der verletzten Verfassung, der Grundlage einer besseren Zukunft ! — Gott mit euch und uns!"
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Die Brüder Franz und Fritz Meyer reisen mit Vollmachten ab, um den See aufzubieten, ersterer ans rechte, Fritz ans linke Ufer. Mit dem Zuger Postwagen fährt Fritz IMeyer bis auf die Höhe von Adliswil und rennt nach Kilchberg zum Pfarrer mit der Bitte, stürmen zu lassen, was sogleich geschieht. Das ,,5traus- sische" Thalwil (Pfarrer Sprüngli, Melchior Hirzels Schwager!) wird links liegen gelassen, in Oberrieden sagt Pfarrer Gessner, Lavaters Enkel: ,,Herr! Wissen Sie, was Sie tun? Das heisst: Re-vo-lu-ti-on!" — ,,Das ist nicht die Frage, was es heisst," erwidert Meyer ärgerUch, ,, sondern ob Sie den armen Ivcuten aus dem hintern Land helfen oder sie im Stich lassen wollen." — ,,Nein, in Gottes Namen, nein!" — ,,So werden es andere tun." — Weiter nach Horgen. ,,Nein," heisst es da, ,,wir wollen unsere Freunde sonst zusammenrufen und unbewaffnet nach Zürich ziehen wie zur Landsgemeinde nach Kloten." Aber kaum in Wädenswil angekommen, hört Meyer Horgen läuten; man hatte dort die ,,friedUchen Herren" sanft zur Seite geschoben und die Kirchentür gewaltsam erbrochen. Trotzdem will Wädenswil nicht läuten; ,,es könnte traurigen Auftritten rufen". Und auch der alte Statt- halter Hüriimann in Richterswil, der Vater des Komitee- präsidenten, erklärt: ,, Läuten lasse ich nicht"; er will auch nicht, dass man bewaffnet nach Zürich geht. Eben erst ist die Mann- schaft abgegangen, da kommt ihr von Wädenswil her Dr. Schmid entgegengelaufen (,, diesmal sein demagogisches Talent der guten Sache widmend", sagt Meyer-Ott) mid ruft: ,,Fremide, jetzt muss alles an alles gesetzt werden; man schlägt sich in der Stadt, der Platz beim Feldhof liegt voller Toten, Hegetschweiler ist er- schossen." vSofort eilt alles ins Dorf zurück, bewaffnet sich, rückt nach Wädenswil und mit der dortigen Mannschaft vereint nach Zürich, wo die Schar bei einbrechender Nacht eintrifft. — Ähn- liche Erfahrungen wie der Bruder macht Franz Meyer auf dem rechten Ufer. In Meilen wird zögernd die Stunnglocke an- gezogen, zögernd sammeln sich die Männer. Eine resolute Frau tritt imter sie: ,,Seid ihr Männer? Schämt ihr euch nicht? Beim Sapperment, trüge ich Hosen, ich wäre längst auf dem Weg nach der Stadt!" In Männedorf lauter Bedenkhchkeiten und Ausreden. Stäfa bricht auf, sobald es jenseits des Sees läuten hört.
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Ungewiss, was die Brüder Mej-er am See ausrichten werden, durchlebt das Zentralkomitee auf ,, Zimmerleuten" peinvolle Stunden. Ziegler bleibt mierbittUch, vor der Stadt lärmt der Landsturm und will nicht mehr warten — etwas muss gehen. Neumünster soll läuten, soll den Brüdern am See das Zeichen geben. Doch Bleuler-Zeller, KomiteemitgUed und Gemeinde- präsident von Neumünster, wehrt sich und sperrt sich mit aller Macht. Die schönen neuen Glocken in der neuen Kirche, kaum eingeweiht — ,, Friede sei ihr erst Geläute" — sie sollen nun den Bürgerkrieg einläuten? Hilft alles nichts; ihr müsst ....
Es war Freitag, Wochenmarkt in Zürich, und es ist rührend zu lesen, dass an diesem Revolutionstage das Mihtär von den Brücken zurückgezogen wurde, um den Marktverkehr nicht zu behindern. Die Bauern vom See, frühzeitig auf ihren Schiffen eingetroffen, waren sehr erstaunt ob den Neuigkeiten, die sie in Zürich vernahmen. Meyer-Ott traf auf dem Weg zur Bank auf der Münsterbrücke einen Bekannten von Wädenswil, der ihm sagte: ,,Ach Gott, was ist denn das? Die unsrigen sind noch ganz imwissend darüber." Um 8 Uhr öffnete Meyer wie gewohnt sein Gtiichet und stellte Geld auf; es kamen Leute auf die Kasse und auch ins Comptoir. Allgemein wurden die Läden geöffnet, und da nun schon genug Leute Pfarrer Hirzels wenig Furcht ein- flössende, eher bemitleidenswerte Scharen gesehen hatten und kein weiterer Zuzug kam, hielt man das- Unternehmen für gefehlt. Oberst Salomon Hirzel konzentrierte seine Truppen in der Gegend der Zeughäuser. Eine erste vSchul-Kompagnie sperrte den Eingang in die Zeughaus-(jetzt Waag-)gasse vor der ,,Waag" mit einer Postenkette vom Wiserschen Haus (Gebrüder Pestalozzi & Cie.) bis zum WilHamschen Haus (später Bankhaus Kugler). Die Infanterie wurde durch 26 Dragoner verstärkt. Eine zweite Schulkompagnie unter Oberstleutnant Markwalder war am Ein- gang In Gassen von der vStorchengasse her postiert. Zwei Ab- teilungen ,, Kadetten" (Offiziersaspiranten), unter dem Befehl von Oberstleutnant Sulzberger, standen vor dem grossen gelben Zeug- haus mit Front nach dem Paradeplatz und einer starken Posten- kette von der Ecke des Hotel Baur zum Fröschengraben, eine Ab-
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teilung Scharfschützen am Ausgang der Zeughausgasse, gegen den Paradeplatz. Seine zuverlässigsten Leute, Exerziermeister, Unter- offiziere usw. nebst einer Abteilung Kadetten stellte Oberst Hirzel als Reserve In Gassen auf. In den Feldhof mit dem neuen Zeughaus wurden 20 Artilleristen unter dem Kommando von Oberstleutnant v.OrelH gelegt. Die Bürgerwache, nunmehr 386 Mann zählend, verteilte Oberstleutnant Schulthess auf verschiedene Punkte der Stadt; eine Reserve von 86 I\Iann bUeb beim Stadthaus zur un- mittelbaren \'erfügung des Stadtpräsidenten. ,,Wir jungen Leute," schreibt Adolf Bürkh, ,,grüssten im Vorbeimarsch unsere Ver- wandten und Freunde unter den Militärschülern auf dem ]Münster- hof und In Gassen, nicht ahnend, dass die MögHchkeit nalie lag, ein paar Stunden später als Feinde aufeinander schiessen zu müs- sen." Oberst Hirzel machte gegen 7 Uhr, von einigen Dragonern begleitet, noch einen Ritt durch die Stadt, mn sich dem Landvolk zu zeigen, damit es bei eintretender Unordnung desto eher auf seine Stimme achten möge. Wie der Stadtpräsident, envartete er erst gegen Abend mögUche Unrulien, hess es daher der Mannschaft sich bequem machen und ging um 8 Uhr ebenfalls nach Hause in den Feldhof, um etwas Rulie zu geniessen. Der vStadtrat hatte schon frühzeitig zwei Ochsen schlachten lassen und trug Vorsorge, etwa um 10 Uhr oder 11 Uhr Fleisch, Brot und Wein nach Ober- strass zu schicken. Man glaubte im Stadthaus, die Leute würden warten, bis der See herankäme, und dann erst einrücken.
Inzwischen versammelte sich der Regierungsrat zu seiner letzten Sitzung auf dem Post hause. Eduard Sulzer, den man mehrmals herbescheiden musste, erschien absichthch eine Stunde zu spät. Hegetschweiler referierte in sehr günstigem Sinne über die Sendung nach Oberstrass. Man beriet anderthalb Stunden lang über eine Antwort, welche die Kanzlei ausfertigen sollte; sie sagte in der Hauptsache, man habe die Herbeiziehung fremder Truppen nie beabsichtigt und werde sie auch nicht beschUessen. Auch eine Kundmachung an das Volk — die letzte — wurde noch redigiert und erlassen, welche den Anmarsch fremder Truppen bestritt und erklärte, der Regierungsrat habe die ganze Angelegenheit in den Schoss des Grossen Rates niedergelegt. Nun wurde eingetreten auf die den Konkordatsgesandten auf ihre Anfrage vom Donnerstag zu erteilende Antwort.
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Plötzlich fährt ein Summen und Sausen durch die Gassen der Stadt, wie der erste Windstoss, der vor dem Gewitter her die Strassen fegt, Läden zuschlägt, Fenster erklirren lässt und re- spektlos die Papiere auf dem Tisch der Ratsherren herumwirbelt. Bei der Aleisenbank kommt's zuerst vorbei. Ein Mann lässt pressiert an der Kasse fünf Banknoten wechseln, streicht das Geld ein und sagt: ,,Herr Meyer, wissen Sie, dass es im Neumünster stürmt ?" Meyer ruft die Neuigkeit ins Comptoir, und der Direktor ruft zurück: ,,Dann müssen wir schUessen!" Im gleichen Augen- blick stürzt der Kassendiener herein mit dem Ruf: ,,Sie kommen alle nach der Stadt," imd eine dritte Stimme verkündet: ,,Da sind sie schon!". Im Hui fliegen Läden und Jalousien zu. — Die Beratung der Regierung unterbricht der Weibel Brändli mit der Nachricht, das Volk komme über die obere Brücke daher. Er- schrocken fahren einige Herren von ihren Stülilen auf, Bestürzung und Ratlosigkeit malen sich auf allen Gesichtern, doch wird in aller Hast noch ein Antrag Melchior Sulzers angenommen, die Klage gegen die Mitglieder des Komitees zurückzuziehen, ,,aber jetzt, m.eine Herren," sagt der Staatsschreiber Hottinger, ,,ist es Zeit, das Sie sich in Sicherheit bringen, denn ich weiss be- stimmt, dass jetzt vom See her grosse Massen im Anzüge sind, und ich besorge, dass Ihnen Schhmmes begegnen könnte," und er will den Regierungsräten Anleitung geben, wie sie in den hintern Räumen des Erdgeschosses durch Fenster in die Kappeler- gasse gelangen und von dort den weitem Ausgang suchen könnten. .... Flintenschüsse, hell und scharf, vom Münsterhof her, galoppierende Pferde, schreiende Menschen in der Poststrasse. ,, Jetzt die Kanonen heraus," ruft angsterfüllt Eduard Sulzer. Weiss, in dessen Ressort die Kanonen gehören, verlangt als vorsichtiger Mann schriftlichen Auftrag. ,, Versteht sich," sagt Sulzer, und verschwindet. Nun knattert's auch auf dem Paradeplatz. Schnell wirft Amtsbürgermeister Hess einen Be- fehl an den Truppenkommandanten aufs Papier, das Feuer ein- zustellen. Aber wer soll das Papier dem Obersten Hirzel zustellen ? Der Weibel Brändh hat dazu nicht die mindeste Lust.
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Dem Volk in Oberstrass war das Warten verleidet. Man sprach von Heimziehen, wenn's jetzt nicht bald vonvärts gehe. Die Leute desertierten haufenweise. Die Regierung hess nichts von sich hören. Pfarrer Hirzel schlug den Ungeduldigen vor: Wir ziehen jetzt einmal in die Stadt liinunter, lagern uns auf einem Platz und schicken eine Deputation an die Regierung. Einverstanden! Die Haufen ordneten sich. Ein Kellenländer, der ein Jagdhorn umgehangen hatte, instruierte seine Leute: ,,Wenn i eimol blose, so ränned; wenn i zweimol blose, so ränned gege mir." Der geisthche Feldherr haranguierte die Menge wie ein Bramarbas: ,,Fremide! Jetzt muss mit Entschlossenheit ge- handelt werden. Ergreift die Stöcke! Das dicke Ende in die Höh' ! Also hat der grosse Napoleon seine Siege erfochten. Marsch!" Der Landsturm setzte sich in Bewegung, zu Vieren geordnet, Scharfschützen voraus, etwa 20 Mann, dann hundert mit In- fanteriegewehren, hierauf ein ganzer Wald von Stöcken, Prügeln, Gabeln, Äxten, die an lange Stangen gebunden waren und die zu „friedlichen Unterhandlungen mit der Regierung" nicht unbedingt erforderUch gewesen wären. Bei der Blindenan- stalt gab's nochmals einen Halt. Hier wurden die Gewehre geladen. Unter den Zuschauern stand auch der Urner Tag- satzungsgesandte, Landammann Schmid. Er überlegte sich, dass geladene Gewehre, mit denen ein aufgeregter Volkshaufe daherkommt, die Eigentümlichkeit haben, loszugehen; ob mit Absicht oder aus Versehen, macht dann in der Folge wenig aus; der besonnene Mann ging deshalb heim auf sein Zimmer im Frau- münsteramt.
Der Landsturm, im ganzen etwa 1500 Mann, kommt das Halseisen herunter, ihm voran ein Schwärm Buben, der von Gasse zu Gasse den Ruf verbreitet: ,,Sie kommen! Sie kommen!" Durch den Neumarkt und Rindermarkt erschallt mächtig das Lied der Kreuzf alirer : ,,Dies ist der Tag, den Gott gemacht, sein werd' in aller Welt gedacht". Aus den Fenstern grüssen lachende Bürger. Die meisten aber bücken stumm und ernst auf das ungewohnte vScliauspiel eines ,, betenden Aufrulirs". Von einem alten schwäbischen Fuhrmann berichtet L. Meyer v. Knonau, der — die Fäuste in die Hüften gestemmt — in die Worte aus- brach: ,,Das ist wieder einmal eine rechte Sauerei." An der Markt-
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gasse stutzt der Zug einen Augenblick. Man hat beim Rathaus \-ier Landjäger mit Gewehr und aufgepflanztem Bajonett ge- sehen. Auch der Posten auf der Hauptwache steht unter Gewehr. Da sich aber keiner rührt, geht man weiter. Hier hat sich aucli Dr. Rahn wieder eingefunden. Ein alter Kriegsmann unten an der Marktgasse findet, es wäre artig, wenn sich die Kolonne teilen würde, die einen über die untere, die andern über die obere Brücke vorrückten. Dies wird für gut befunden und vorläufig abge- redet, auf dem Münsterhof wieder zusammenzutreffen. Vor der Trennung noch ein Choral aus dem Kirchengesangbuch: ,,Gott ist mein Lied, er ist der Gott der Stärke". Dann stellt sich Rahn an die Spitze von achthundert der unbewaffneten, d. h. nur mit Stöcken versehenen Landstürmer, um sie den Quai aufwärts imd über die Münsterbrücke zu führen. Sie singen: ,,Kein vSperling, Herr, fällt ohne deinen Willen". Nebenlier auf dem Trottoir be- gleiten sie die Neugierigen, Volk aller Stände, auch Frauen und Mädchen. Im Neumünster stürmt's.
Die Bewaffneten folgen Pfarrer Hirzel über die Rathaus- brücke in die Storchengasse. Neben der ersten Rotte von Scharf- scliützen marschiert mit gezogenem Degen ein älterer Offizier in abgetragener hellblauer Uniform, zwischen den Scharfschützen imd den übrigen Gewehrtragenden Pfarrer Hirzel. Eben sind zwei Ausspäher der Kavallerie über den W'einplatz nacli der Brücke geritten; nun werfen sie die Pferde herum und traben durch die Storchengasse zurück. Jubelnd begrüsst der Land- sturm die vor dem ,, Weggen" aufgestellte Abteilung der Bürger- wache, aber auch mit der Kompagnie Markwalder, die in der Schlüsselgasse steht und Brot und Wurst verzehrt — es ist 9 Uhr — werden nicht etwa Kugeln gewechselt, sondern nur ein gemüt- liches ,, Guten Tag!" Anders Major Übel, den die Meldung vom Anrücken des Landsturms erreicht hat. Er kommt über den Münsterhof geritten, rasselnd und khrrend mit ihm die Ka- vallerieschwadron ; am Ausgang der Storchengasse in den Münster- hof stossen die Dragoner auf den Landsturm. ,, Zurück! Der Platz soll frei bleiben!" Die Kolonne hält; die Scharf- schützen fassen die FUnten, zum Anschlag bereit, Murren, Ge-
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sclirei, Tumult erhebt sich, Gewehrhähne knacken, in den liintem Reihen ruft und drängt man ,, vorwärts!" Pfarrer Hirzel springt vor die Scharfschützen, beschwört sie, nicht zu schiessen, „bis zwei von uns tot am Boden hegen" ; die Dragoner drängen und drücken die Rosse in die in der Gasse sich stauende Menge. ,, Friede!" ruft man ihnen zu. ,,Ja wohl, Friede, aber der Platz muss frei bleiben; ihr dürft nicht vorrücken!" !Man zankt und streitet sich herum. Jetzt stellt sich Pfarrer Hirzel in Positur und hält eine Ansprache an Major Übel: ,,Wir kommen bloss, um unsere friedhchen Verhandlungen mit der Regierung fortzu- setzen. Ich beschwöre Sie, beginnen Sie keinen Bürgerkrieg!" Major Übel erwidert kein Wort, hört wohl überhaupt nicht, was der Pfarrer sagt; er sieht nur vor sich (nach seiner zu hoch gegriffenen vSchätzung) dreihundert bis vierhundert feindhche Soldaten in blauen, grünen und allen mögliclien Uniformen und mit schussfertig gehaltenem Gewehr, dahinter in der Luft eine Menge bedrohlich winkender Holzschlegel; er weiss hinter sich, bei der Waag, eine ganz dünne Postenkette zum Schutz des Zeug- hauses, die im Augenblick über den Haufen gerannt sein wird, wenn er den Landsturm auf den Münsterhof herauslässt, und — ,,Zurück!!" donnert es noch einmal, zum letztenmal dem Pfarrer von Pfäffikon entgegen. ,, Zurück!" ruft und winkt mit der Hand hinter den Dragonern jetzt auch der Höchstkommandierende, Oberst Salomon Hirzel, der auf den Lärm zu Fu.ss herbei- geeilt ist. Ein junger Dragoner, mit dem Säbel in der Faust, rückt dem Pfarrer mit seinem Gaul gefährlich nahe auf den Leib. Ein Schuss kracht; das Pferd dreht sich auf den Hinterfüssen und stürzt mit dem Reiter, der, nur leicht verletzt, unter ihm sich her\-orarbeitet. An dem Gestürzten vorbei stürmen jetzt die Pfäffiker unaufhaltsam vorwärts. Fünf, sechs Schüsse sind dem ersten gefolgt, ein ganzes Rottenfeuer, aber alle zu hoch. ,,Nun denn, in Gottes Namen vorwärts!" kommandiert Pfarrer Hirzel. Der Landsturm debouchiert auf den Münsterhof und treibt wie ein wilder Bergstrom in seinen Wirbeln die Dragoner vor sich her. Zwei oder drei kommen zu Fall, werden aber von den Kameraden herausgeholt. Hinter den Jalousien des Hinter- zimmers in der Meisenbank jubeln die jungen Herren: ,,Die Dra- goner fliehen!" Sie sehen, wie ein Dragoneroffizier von der Masse
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Über den ganzen Platz bis zum Fraumünster gedrängt wird. „Das ist der verfluchte Übel!" ruft der Aufgeregteste der Jünglinge und schlägt sofort das Gewehr auf ihn an; der Bankdirektor Finsler fällt ihm aber in den Arm. Beim Fraumünster gerät Übel in die Tete einer neuen „feindlichen Abteilung", der Kolonne Rahn, die über die Münsterbrücke singend herangezogen ist. Jetzt ist die Kavallerie endgültig geworfen. FUehende Dragoner galoppieren durch die Poststrasse und über den Paradeplatz bis zum Eingang des Talackers. Mit den übrigen trabt Major Übel durch die Zeughausgasse auf die Hauptstellung zurück. Die In- fanterie-Postenkette hat sich beim Anbhck der anrückenden Massen aufgelöst und in die angrenzenden Häuser geworfen: in die „Waag", in das (nunmehrige) Cafe Orsini, in den Erker der Bäckerei Vögeli. Die Kolonne Hirzel schwenkt rechts und will geradewegs um die „Waag" herum auf das gelbe Zeug- haus los. Doch die „Waag" speit Tod und Verderben. Zwischen Jalousien blinken Gewehrläufe, Bhtz und Rauch fährt aus ihnen hervor, Blei schlägt in Köpfe, in Leiber, wirft Leute nieder, die mit ihrem Blut das Pflaster färben. Erschüttert steht Pfarrer Hirzel; rechts und hnks fallen die Seinigen, ihn trifft es nicht, und doch wäre eine Kugel vor den Kopf ein besseres Los gewesen, als heute noch wie ,,ein zweiter ZwingU" gefeiert zu werden, Samstag Abend als Held im illuminierten Pfäffikon empfangen zu werden, und dann — nach einigen Jahren — sich zu drücken aus der Gemeinde, auszutreten aus Pfarramt und Kirchendienst, unterzugehen in Paris in der äussersten Nacht der Verzweiflung. Unglücklicher Pfarrer! Was tust du? Führst deine Schafe selber zur Schlachtbank! Nun fliehen sie, zutode er- schrocken, eiiüge ohne sich umzusehen über den Berg bis nach Dübendorf, verbreiten auf dem Land die erste Schreckenskunde, dass alles verloren ist. Der uns schon bekannte vStudent will gehört haben, wie davonspringende Bauern riefen: ,,Die Dunner- hagle schüsset jo! Das hämmer bim Eid nüd gmeint!" Einige von ihnen verlaufen sich, stadtunkundig, in den Winkelgassen der Neustadt und kommen an eine verschlossene Türe, die den Ausgang nach der Winkelwiese sperrt. ,, Sprengt sie doch auf!" rufen mitleidige Bürger aus den Fenstern. ,,Gott behüte uns, wir sprengen keine Türen." Zum Glück wird die Tür von der
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andern Seite geöffnet. Mit dem Rest seiner Truppen tritt Pfarrer Hirzel einen mehr oder weniger geordneten Rückzug über die Münsterbrücke an, hält unentschlossen nochmals am obern Quai, wird aber einige Augenblicke später von den in rasender Flucht daher rennenden Massen der Kolonne Rahn gegen vStadel- hofen hinaus mitgerissen. Diese Kolonne ist — A-on einem nach dem Kratz abgesprengten mid dort verirrten Haufen abgesehen - — mit wildem Geschrei durch die Poststrasse gestürmt, wo im Hotel Baur die Tagsatzungsgesandten, gegenüber an den Fenstern und auf der Terrasse des Posthauses einige Regierungs- räte, unten am Tor der Post Weiss und Hegetschweiler mit Postbeamten und andern L,euten zuschauten. Beim Feldhof war wenige Minuten vorher Generalmarsch geschlagen worden. Oberst vSal. Hirzel hatte, nach dem Münsterhof eilend, den beim Gelben Zeughaus noch ruliig umlierstehenden Kadetten zugerufen: ,,An die Gewehre!" und kam nun, vom Münsterhof schleunigst zu- rückkehrend, noch gerade recht, um die führerlos aus der Post- strasse herv-orbrechenden, mit wild geschwungenen Prügeln auf die Scharfschützen und Kadetten losstürmenden Bauern zu empfangen. Umsonst ruft Oberst Hirzel, rufen Sulzberger und die andern Offiziere: ,,Halt, halt! — Zurück!" Die Bauern sind schon auf acht Schritte herangekommen, da wird endhch Feuer ge- geben und die vordersten fallen. Gleichzeitig bricht die beim ,, Windegg" wieder gesammelte Kavallerie vor und reitet auf die Masse ein. Panik erfasst das Volk, es stiebt auseinander. Die Stöcke wegwerfend, fhehen die Bauern zu Hmiderten die Post- strasse zurück, von wenigen Dragonern verfolgt. Hegetsch- weiler ist vom Posttor verschwunden, hinaufgeeilt in den Sit- zimgssaal, hat den Befehl zum Feuereinstellen, der nocli unbe- stellt auf dem Tisch liegt, ergriffen, kommt zurück — ,,auf mit dem Tor!" — und stürzt sich hinaus ins Kampfgewülil. Das Papier hoch in der Rechten schwingend, läuft er ums Eck des Hotel Baur, auf die Dragoner los, übergibt es dem Leutnant Fenner von der Forch, der laut zu den Offizieren hinüberruft: „Ein Befehl von der Regierung!" und das Schriftstück an Oberstleutnant Brunner weiter gibt. Hegetschweiler hat sich umgewendet und geht zurück. Noch ein Schuss, der letzte in diesem Bürgerkrieg. Er trifft Hegetschweiler in den Kopf.
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Der Mann schwankt, schlägt hin auf dem Trottoir vor dem Hotel Baur. Dragoner jagen über den Platz, kehren von der Verfolgung zurück. Oberst Hirzel sieht seine kleine Schar von Kadetten mächtig erschüttert durch den Anblick der Toten und \^envunde- ten. Sie wird einem erneuten Angriff des bewaffneten Land- sturms, der jeden Augenblick vom See her kommen kann, nicht mehr standhalten. Er bringt einige Mannschaft in den Feldliof, imi das Gartentor von innen gegen einen Einbruch zu sichern, und befiehlt, ein Geschütz in Bereitschaft zu halten; ein zweites soll neben dem Venetianischen Zeughaus (Pulvermagazin!) auf- gefahren werden. Dann sieht Oberst Hirzel sich um nach seinen besten Leuten, den alten gedienten Instruktoren und Unter- offizieren, die er als Reserve In Gassen postiert hatte — — • —
Jetzt — läutet das Grossmünster. Fraumünster, St. Peter fallen ein. Ein Dragoner auf dem Münsterhof lässt vor Schreck den Säbel fallen und starrt nach dem Grossmünster hinüber, ob's hervmtersteigen wolle, teilzimehmen an dem Kampf. Es hallen und wallen die ehernen Töne über die Stadt dahin. Das bedeutet Sturm. Das bedeutet, dass die Stadt dem Aufruhr bei- getreten ist, der Stadtpräsident sich an die Spitze der Revolution gestellt hat. Jeder begreift es ujid erschauert ob den sonoren Erlangen. Sie tragen die Kunde ins Land hinaus. Alle Kirchen nehmen sie ab imd geben sie weiter. Bis über die Tliur hinaus sind die Glocken in Bewegung. Es läutet das ganze Land. — Jetzt ist es ganz aus mit ims, jetzt wehe uns! Ein Regierungs- rat springt die Estrichtreppen im Posthaus hinauf, verkriecht sich ins Dachgebälk, — zwei andere die Treppe hinunter, suchen Deckimg in den alten Postkutschen im Hof. — Es hallen die Glocken. — Umsonst sucht Oberst Hirzel seine treuen Reserven In Gassen. Kein Bein ist mehr da. In den hintersten Schlupf- winkeln des \"enetiamschen Zeughauses haben sie sich versteckt. Urteilt nicht zu hart über sie ! Ein Oberstleutnant, der eben noch tapfer im Feuer gestanden, fleht eine Freundin an um ein Damen- kleid, steckt sich in Hut und Schleier, vergisst nur in der Hast, den buschigen Schnurrbart zu rasieren — Herr Gott, wenn das Grossmünster Aufriilir läutet und der vStadtpräsident Revolution
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macht, wer soll da nicht verrückt werden! — Der See bedeckt sich mit fliehenden Marktschiffen; sie rudern nach Kräften, aus dem Bereich der stürmenden Stadt zu kommen. Verwirrt und betäubt von dem Geläute irren die Dragoner in den Gassen um- her, verlassen die Stadt, einzeln oder in Gruppen, setzen bei Wip- kingen über die Limmat. Und dort auf der Strasse nach Baden stiebt in einer Wolke Dr. Ludwig Keller davon, die schnellsten Rosse Zürichs an seinem Wagen. Ihn jagen die Kirchenglocken. Auf demselben Wege folgen ihm die Fremide, Wilhelm Füssli, David Ulrich, Jonas Furrer — —
In den Glockenklang mischt sich jetzt kriegerischer Trommel- schall. Mit seinen die Luft durchschneidenden Schlägen, mit dem festen Taktschritt bewaffneter Bürger kommt in das Bild der Verwirrung, der Panik und kopflosen Flucht auf einmal die Ruhe und Sicherheit eines überlegenen Willens und zielbewusster Kraft. Jetzt tritt er auf den Plan, der Mann, der allein von allen diesen Augenbhck klar vorausgesehen, der allein von allen von diesem »Sturmgeläute nicht bewegt und nicht erschüttert wird, weil sein Befehl die Glocken in Schwingung setzte : Oberst Eduard Ziegler, der »Stadtijräsident von Zürich. vSeht dort, er ist es, der an der Spitze einer kleinen Schar einherschreitet, im schwarzen Frack, den Mihtärhut auf dem Haupt, den Degen in der Scheide. Wohl dem Land und wohl der Stadt, wenn im Augenbhck des Zusammenbruchs aller staathchen Autorität ein Mann da ist, der weiss, was er will, dessen Persönhchkeit allein schon Autorität genug ist, den Staat zu retten, dessen Bhck allein das Gespenst der Anarchie zu bannen vermag. Die Glocken hallen, der Stadt- präsident ist auf dem W^ege, ein Ende zu machen. Schicksal imd Geschichte des Kantons Zürich, Schutz und Hort der Stadt, Strafgericht unwürdiger Regenten, das alles verköqiert sich in diesem Augenblick, in diesen zwei Stunden in seiner Person. Er will, dass diese Regierung nun endhch verschwinde, die mit üirer charakterlosen Schwäche den Staat an den Rand des Abgrundes geführt, er will, dass ihretwegen kein Tropfen Bürgerblut ver- gossen werde; er ist imstande, das zu vollbringen und kaum da- bei die Hand zu regen. Hinter dem Stadtpräsidenten sdireitet, mit blankem Säbel, der Kommandant der Bürgenvaclie, Oberst- leutnant Friedrich Schul thess, mid dann — ■ tambour bat-
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tant — die Mannschaft, meist ältere Herren, erst seit diesem Mor- gen in Dienst, noch migewiss — als sie auf des Stadtpräsidenten Befehl vor dem Stadthaus die Gewehre luden — , ob sie nicht den eigenen Söhnen, die bei der MiUtärschule stehen, entgegenzu- treten haben werden. Gleichzeitig mit der Reserve haben sich auch die übrigen, auf verschiedene Punkte der Stadt verteilten Kontingente der Bürgerwache in Bewegung gesetzt. Trommel- schlag und Taktschritt marschierender Kolonnen von allen Seiten. Die Salzhaustreppe herab kommt, das Gewehr in der Hand, die hallenden Glocken über sich, das Kontingent des Oberstleutnant Rahn, vom Sonnenquai Oberstleutnant Weiss, vom Weinplatz Oberstleutnant Bürkli, von der Wühre Oberstleutnant Nüscheler — es ist ein Schauspiel, dem nur die grössere Büline fehlt, um es imposant zu nennen.
Stadtpräsident Ziegler hat in einigen Minuten den Weg vom Stadthaus zum Münsterhof zurückgelegt, lässt hier seine Mann- schaft halten und geht allein nach der Storchengasse, wo die Kompagnie Mark walder der Militärschule noch immer in Gefechtsbereitschaft steht. Es bedarf nur einiger Worte des Stadtpräsidenten, um den Oberstleutnant Markwalder zu dem Versprechen absoluter Neutralität zu veranlassen. Oberst Ziegler wendet sich nach der Poststrasse, gefolgt von der Bürger- wache. Beim Heraustreten auf den Paradeplatz öffnet sich im gegenüber hegenden Feldhof ein Tor und eine (mit Kartätschen geladene) Kanone wird demaskiert, Kanoniere mit brennender Lunte daneben. Die Leute von Oberstleutnant Schulthess stehen still, aber keiner weicht vom Platz, nur etwas windschief gegen die schützende Ecke des Hotel Baur zu wird die Linie; aber ,, unser 20 hätte es doch geputzt", meint vSchulthess nachher. Der Stadt- präsident geht ganz allein ruhigen »Schrittes auf die Kanone los ; die Kanoniere starren auf ihn wie auf ein Phantom, der Kom- mandant, Oberstleutnant v. OreUi, vom Stadtpräsidenten ange- redet, ,, stammelt einige im verständliche Worte", und dann — verschwindet die Kanone. Hintendrein behaupteten die Kano- niere, sie hätten nicht geschossen, sie hätten ,, gemeutert". Ihr prahlt umsonst, Ihr konntet keinen Finger rühren, er hielt Euch alle in seinem Bann, dieser Eine, der Stadtpräsident von Zürich. Die Scharfschützen und Dragoner beim ,, Windegg"
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machen dieselbe Erfahrung. Was sonst noch herumsteht an „Regierungstruppen", ist nicht mehr von Bedeutung. Das Werk ist getan ; ein Befehl, die Toten und \'erwundeten wegzuschaffen, ist das letzte.
Noch eins, im Vorbeigehen. Unter dem Eingang des Post- hauses steht Bürgermeister Melchior Hirzel, unschlüssig, wo- hin er sich wenden soll. Da sieht er den vStadtpräsidenten auf sich zu kommen, streng und hart wie das Sclücksal, imd er hört die Worte: „Herr, Sie wissen, dass ich nicht Ihrer Ansicht bin; aber wenn Ihnen Ihr Leben heb ist, so machen Sie, dass Sie fort- kommen." — , .Wollen Sie mich begleiten?" lispelt ,,das grosse Kind". — „Mit Ihnen gehe ich nicht!" — Nicht ohne eigene Schuld wirst du nun zuletzt nur so fortgejagt, du kurzsichtiger Sesselkleber! Doch ein Böser warst du nie, und manche, die dein gutes Herz versiDotteten, sind nicht der Liebe imd Men- schenfreundlichkeit fähig, die dich immer beseelten. — Mitleidig folgt man seinen Schritten durch die aufgeregten ^lenschen- massen, ist froh, dass er mit einigen vSchimpfworten davonkommt und unbehelligt sein Haus erreicht. Wie heimatlos irrt der fort- geschickte Bürgermeister in den nächsten Wochen herum, nach Zug, nach Duzern, über den Brünig . . .
Als der Weibel Brändli sah, dass die Poststrasse sich mit Bürgergardisten füllte, lauter rechten Deuten, die er persönhch kannte, getraute er sich mit dem zweiten Befehl des Amts- bürgermeisters Hess über die Strasse und steckte ihn dem Oberst- leutnant Schulthess zu. Der Befehl lautete: ,,Herr Oberst Hirzel wird andurch beauftragt, die Zeughäuser der Bürgerwache zu übergeben." Als Hirzel den Befehl erhielt, sagte er: ,, Gott- lob! Sorgen Sie nur, dass es bald geschieht!" Rasch waren die Kadetten der Älilitärschule gesammelt, die man sofort heim in die Kaserne schickte. Im Thalacker begegneten die Truppen dem von den Sturmglocken herbeigerufenen Harst von Ausser- sihl. Oberstleutnant Sulzberger schwenkte sein Taschentuch, und die beiden Kolonnen marschierten salutierend aneinander vorbei. In der Kaserne erhielten die Soldaten und Offiziere bald darauf den Befehl, einzeln und womögUch in Bürgerkleidern fort-
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zugehen. So wurde eine Regierungstruppe verabschiedet, die sich immerliin mutig geschlagen hatte. Als der von Oberst Hirzel erwartete dritte Angriff des Landsturms kam, fand er keinen Gegner mehr. Nach der Kolonne Hirzel und der Kolonne Rahn die Kolonne Spöndlin, die wildeste von allen! Von den erstem hatte sich das Gros nach Stadelhofen geflüchtet. Spöndlin imd Hürlimann hefen ihm nach. Spöndlin, ausser sich vor Zorn, rief laut: ,, Haltet! Haltet! Kehrt um und schlagt die Strahl- haglen tot." Hürlimann, bedeutend ruliiger, sagte zu Ferdinand Mej'er, der im Hof seines Bruders zum ,,St. Urban" stand, mit einem sonderbaren Lächeln: ,,Wir haben ein kleines Scharmützel gehabt, leider ein paar Tote. Unsere Leute sind ein wenig er- schrocken. Ich werde sie draussen im Riesbach sammeln und dann wieder vorwärts führen." In diesem Augenblick kam, von Zolli- kon her, der erste Trupp des Landsturms vom vSee, vierzig Mann mit Stutzern und viele Unbewaffnete. Spöndlins Mittei- lungen versetzten sie in Wut. Er schwang seinen Spazierstock und rief: ,,Drum vorwärts, ihr Stralilhaglen," und mit tobendem Lärm ging es in die Stadt hinein. Auch die Geflüchteten hatten sich wieder angeschlossen. Hier wurden nun keine Psalmen mehr gesungen. Auf der Münsterbrücke lief dem Zug Stadtrat Gysi entgegen und sagte Spöndlin, dass der Kampf vorbei und weiteres Blutvergiessen unnötig sei. Spöndlin befand sich in einer solchen Aufregung, dass er sich schon nach kurzer Zeit dieser Unter- redung kaum mehr erinnerte. Auf dem Münsterhof wollten die Schützen die ,,\Vaag" unter Feuer nehmen, weil daraus zuerst geschossen worden sei. vSpöndUn stellte sich vor die Liiüe und schlug mit dem Stock die Fhntenläufe in die Höhe. Dann legten sie auf einen Haufen Neugieriger an, der aus der Poststrasse kam. Da packte SpöndHn den wildesten an der Gurgel und schüttelte ihn tüchtig. ,, Jetzt zur Kaserne!" SpöndHn und seine Leute hatten nichts Geringeres im Sinn, als die Kaserne zu stürmen. In der Poststrasse wurde der Landsturm von der Bürgerwache mit lautem Beifall begrüsst. Bluntschh erzählt: ,,Als die Männer vom See vor dem Hotel Baur die Blutlachen am Boden gewahrten, da machte sich der wilde Schmerz und der grimme Zorn in einem entsetzlichen Gebrülle Luft, das mir die Nerven erschütterte." Als Hotelknechte das Blut wegschaffen wollten, wehrte das Volk:
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„Nei, nei, lönds nu si, dass me sieht, wieme mit is umggangen ist." Mit verdoppelter Wut stürmte jetzt die Kolonne Spöndlin nach dem Talacker. Da war es Oberstleutnant Friedrich Schult- hess, der den Rasenden nacheilte und sie mit dem Ruf : „Im Xamen des Zentralkomitees Halt!" zum Stehen brachte. Seine Ver- sicherung, dass wahrscheinlich jetzt schon niemand mehr in der Kaserne sei und die Regiermigstruppen sich vollständig aufgelöst hätten, beschwichtigte die Landstürmer. Von jetzt an trafen ununterbrochen die Landsturmhaufen in Zürich ein, viele iirit Stutzern und Infanteriegewehren versehen, andere in der seltsamsten Bewaffnung, mit Sensen, Hellebarden, Morgen- sternen. Bis zum Abend dauerte der Zustrom an; sie kamen von den obem Seegegenden sowohl wie vom Wehntal und Rafzer- feld. Das wunderHche Heer, das sich in Zürichs Mauern zusammen- fand, mochte im ganzen 4 — 5000 Köpfe zählen.
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Der arme Dr. Hegetsc hw eiler! Hätte man ihn zurück- treten, zu seiner Botanik, seinen Herbarien zurückkehren lassen, als er im Januar seine Entlassung begehrte. Im Regiermigsrat fühlte er sich je länger je weniger an seinem Platz. Er hatte für die Pohtik die Nerven nicht und konnte sich schliesslich nur noch für die andern opfern. Das hat er buchstäbHch getan und ist als Held und Märtyrer gestorben. Woher der tödUche Schuss ge- kommen, wurde nie mit vSicherheit festgestellt. Es konnte eine Dragoner[3istole, ebensogut aber auch eine Landsturmflinte ge- wesen sein. Hegetschweiler hatte sich zwischen beide begeben, und es war kein Wunder, dass ihn ein vSchuss traf. Absolut ge- wiss ist jedoch, dass der schmälilich verleumdete Leutnant Fen- ner von der Forch rücht der Schütze war. Hegetschweiler war kaum um die Ecke des Hotel Baur \-ersch\%unden, als auch Re- gierungsrat Weiss ihm nacheilte, ihn aber schon am Boden hegen sah und sich umsonst bemühte, ihn aufzulieben, worauf Weiss nach dem Feldhof weiter lief. Ihm auf dem Fusse war Regierungsrat Kaspar Hirzel gefolgt, der stille, brave, un- beredte Mann, dessen Unzufriedenlieit mit misshebigen Beschlüssen jeweilen an seinem Kopfschütteln und dem Blättern in seinen Papieren zu erkennen war. Kaspar Hirzel und Professor Ulrich Faesi, der sich vorher schon heldenmütig um die verwundeten
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Landleute angenommen hatte, halfen den todwunden Hegetsch- weiler ins Posthaus tragen, wo sich Regieruugsrat Dr. med. Zehnder sofort um ihn bemühte und auch Ludwig Meyer v. Knonau zu assistieren suchte, während im Hintergrund des Zimmers Re- gienmgsrat Fierz in tiefen Gedanken mit verschränkten Armen auf und ab schritt. Hegetschweiler starb am 9. September und wurde am 12. mit grösster Feierlichkeit bestattet.
,,Was tun wir jetzt ?" hatte es im Regierungsratssaal geheissen, als Hegetschweiler mit dem Befehl des Feuereinsteilens fort- geeilt war. ,, Beisammen bleiben und den Erfolg abwarten," meinten die blutigeren. Die andern aber nahmen Reissaus, so- bald es zu läuten begann. Wälirend im Zimmer unter dem Rats- saal Hegetschweiler mit dem Tode rang, schrieb Hess seinen letzten Befehl (zur Zeughausübergabe). Ohne förmhchen Beschluss löste sodann die Regierung sich auf, fiel wie ein ver- faulter Baumstrunk auseinander, indem einfach eines um das andere von ihren MitgHedem sich entfernte. Eduard Sulzer (und nach ihm in gleicher Weise Melchior Sulzer) liess sich von seinem Finanzweibel Schenkel mid einem bewaffneten Bürger, Glaser Gimpert, nach dem Stadthaus begleiten, um sich unter den mächtigen Schutz des Stadtpräsidenten zu stellen. Oberst Fierz verschmähte den menschenfremidlichen Rat des Staats- schreibers, durch ein hinteres Fenster hinauszuschlüpfen, und er- klärte: ,,Ich gehe durch diejenige Tür hinaus, durch die ich ein- getreten bin." Auch H. Escher liess sich das Hauptportal öffnen. Der letzte auf dem Platz war der greise Junker Meyer v. Knonau, der den Saal vollständig leer fand, als er von Hegetschweilers Sterbelager wieder heraufkam. Weiss traf im Feldhof Oberst Pestalutz, der ihm erklärte, er sei hier im Hause nicht sicher. Er ging in die Wohnung des Zeugherrn (im Garten des Feldhofs). Oberst Hirzel kam bald darauf, schweisstriefend und ganz ver- stört, sagte bloss: ,,Gott! dass dies hat geschehen müssen", stürzte ein Glas Wein hinunter und wieder fort. Jetzt kam auch Oberst Pestalutz ins Wohnhaus, warnte nochmals Weiss und anerbot sich ritterhch, ihn zu begleiten, wohin er wolle. Weiss wünschte in die Wohnung des Amtsbürgermeisters Hess im ,, Tannen- berg" zu gehen. Hess war lücht da, kam aber in einer Viertel- stunde. ,,Was ist?" rief Weiss dem alten Freimd und Partei-
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genossen entgegen. „Was ist?" gibt Hess grob zurück, „das Glaubenskomitee regiert halt jetzt! — Ich denke, jetzt tut man gut, bei Weib und Kind bei Hause zu bleiben. Ich weiss nicht, — aber wenn Bürgi und solche den Leuten in die Hände kämen, es würde ihnen nicht gut gehen." — ,,Sind denn diese Leute Mei- ster?" — Hess zuckt die Achseln. ,,Eine vertrauHche Besprech- ung hat vorläufig stattgefunden; aber wollen vSie jetzt nicht gehen?" — Um 4 Uhr war Weiss in Winterthur.
Die ,, vertrauliche Besprechung", welclre in der Tat um 10% Uhr auf dem Stadthaus unter der Ägide des Stadtpräsidenteu Ziegler stattgefunden hatte, galt der Konstituierung einer provisorischen Regierung. Sie wurde gebildet aus — vier radikalen Mit- gliedern der gestürzten Regierung (!): Hess, Eduard und Melchior vSulzer, Meyer v. Knonau; zwei Konservativen: alt Bürgenneister C. v. Muralt, alt Oberamtmann Escher-Schulthess, und dem Präsideuten des Glaubenskomitees: Hürhmann- Landis. Hess blieb Präsident. Den Vorwürfen der Radikalen gegenüber erklärte er später: ,,Ich habe meine persönUche Ehre dem Vaterland und den Freunden zum Opfer gebracht." Meyer V. Knonau, welcher erst nach dem Mittagessen an den eigenthch für Hegetschweiler bestimmten Platz berufen wurde, schreibt: ,,Der Gedanke des \'aterlandes Hess mich die Parteien und die VerantwortUchkeit, die ich auf mich laden könnte, vergessen, um so \ael mehr, als der Moment nicht ungefährlich war und ich immer glaubte, in Zeiten der Gefahr müsse ein Mann, der an einer höhern Stelle sich befindet, nie dem Vorwurf der Furchtsamkeit sich biosstellen und Ueber gewagt als verzagt handeln, soweit es nur seine Person betrifft." Er erzählt folgenden Zwischenfall: ,, Einer der ersten Lenker der Bewegung trat in das Zimmer, gerade als Hürlimann abwesend war, und sagte, nachdem einige Worte waren gewechselt worden: ,Es bleibt nichts übrig, als dass die provisorische Regierung gemeinscliaftlidi mit dem Komitee handle und sich an dasselbe anschUesse!' Muralt, an den er diese Worte gerichtet hatte, antwortete mit Bewegung: ,Das können wir nicht, wenn wir eine Regierung sein sollen; allein wir werden gewiss handeln, wie es die jetzige Lage der vSachen erfordert.' Nun bhckte jener Mann mich an, und mit kräftiger Stimme ant- wortete ich ihm: .Alles werde ich für Ruhe und Ordnung redlich
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tun, aber an das Komitee können wir uns nie anscliliessen, ins- besondere nach dessen Treiben in den letzten Tagen.' Gelassen ging der Sprecher weg, ohne Zweifel im vollen Bewusstsein, dass die Macht bereits in seinen und seiner Genossen Händen Hege." Die pro\'isorische Regiervmg erHess folgende Proklamation an das Volk: ,,Die Unterzeichneten haben es für ihre ernste PfHcht erachtet, unter den gegenwärtigen verhängnisvollen Umständen, bei der Auflösung des Regierungsrats, die einstweilige Leitung der öffentHchen Geschäfte als ergänzter eidgenössischer Staatsrat zu übernehmen, bis ein Grosser Rat die Behörde wieder organisiert haben wird. Mitbürger! Verhütet jeden Aus- bruch der Gewalt, alle Exzesse! Ein Grosser Rat wird für die Mittel sorgen, die öffentHche Ruhe und Ordnung wieder her- zustellen, die Gesetzgebung fortan nach den Bedürfnissen des Volkes zu ordnen." Auch das Zentralkomitee erHess eine Proklamation, worin u. a. behauptet wird: ,,Das Volk rückte friedlich, aber entschlossen ein, Schutz für seine heiUgen Rechte zu verlangen. Da wurde es plötzlich überfallen und ange- griffen" usw. Bei einer Revolution wird eben alles auf den Kopf gestellt, auch die Wahrheit. Den eben abfahrenden St. Galler und Berner Postwagen wurden die beiden Proklamationen reich- Hch mitgegeben und alle Passagiere hielten deren in der Hand. Der französische Gesandte Graf Mortier machte dem neuen (alten) Amtsbürgermeister Hess sofort seinen Besuch. ,,Vous avez fait une belle revolution," schmeichelte der Franzose. Er hatte auf dem Balkon des Hotel Baur zugeschaut, bis eine Kugel in un- gemütHcher Nähe aufschlug und gleichzeitig aus dem Hotel gemeldet wurde, die Frau Gräfin sei in Ohnmacht gefallen.
Neben der sofortigen Einberufung regulärer Truppen (zwei Bataillone Infanterie, eine Kompagnie Artillerie, deren Oberkommando dem Stadtpräsidenten Oberst Ziegler über- tragen wurde) war die Hauptsorge der provisorischen Regierung die Abwehr jeder Intervention von selten der Eidge- nossen, denen gegenüber mit Hartnäckigkeit der Standpunkt verfochten wurde, es habe eigentHch gar kein Regierungs- wechsel stattgefunden oder doch nur ein unbedeutender, die Verfassung sei in keiner Weise geändert, jede fremde Einmischtmg überflüssig, auch stehe der gleiche Amtsbürgermeister mit dem
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Staatsrat an der Spitze des Vorortes und könne somit ruliig als Bundespräsident der Tagsatzung weiter Vorsitzen. Ein Send- schreiben vom 6. September an die „getreuen lieben Eidge- nossen" sagt nur kurz, dass die Regierung infolge eines „laut ausgesprochenen Volkswillens" sich aufgelöst habe, die öffentUche Ruhe ,,wälirend einigen AugenbUcken gestört wurde", jetzt aber die Ordnimg wieder hergestellt sei, und legt sodann dar, dass eine Intervention nicht nur unnötig, sondern auch bedauerUch und für che Rulie von Kanton und Eidgenossenschaft gefährUch wäre. Trotz anfänghchem lebhaftem Widerstreben namentUch von Seiten der Mitvororte Bern mid Luzern und der Gesandten einiger Konkordatskantone bequemte sich die Tagsatzung zur Gutheissung des Zürcher Standpunktes und Anerkennung seiner
weitem Funktionen als Vorort.
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Die Opfer des 6. September waren 15 Tote (Hegetsch- weiler und 14 Bauern) und 17 Verwimdete. Auf Seite der Regierungstruppen waren nur einige leichte Verletzungen zu konstatieren. Acht Bauern waren am 6. September gefallen, einer am 7. September, die andern fünf etwas später gestorben. Neun \'on ihnen wurden Sonntag Nachmittag 4 Uhr im Prediger- kirchhof bestattet. ^lan hatte die Verwundeten und Sterbenden zuerst auf Sesseln, Tragbahren und Leitern ins Stadthaus ge- schafft, wo ein Ratsdiener in grosser Aufregung sich mitten unter sie stellte und laut betete: ,, Meine Lebenszeit verstreicht" usw. Hierauf wurden sie unter gewaltigem \^olksauflauf in den Spital beim Prediger gebracht. Das Volk ,, verlangte" die Ausstellung der Toten im Chor der Predigerkirche; es defiUerte vor den grausig aussehenden, mit ihren offenen ungewaschenen Wunden dahegenden Leichnamen, und man hörte die Leute sagen: ,,Den hat der tlDel erschossen; dem hat er den Kopf gespalten". Ein Hilfskomitee nahm sich der Hinterbhebenen an, nachdem es über die Toten sorgfältige Erkundigungen eingezogen hatte. Die Leumundszeugnisse lauteten gottlob mit einer Ausnahme günstig. Exzesse wurden in der Stadt trotz der massenhaften Ansammlung von Bewaffneten keine verübt; immerhin musste die ,,Waag", gegen die sich der Volkszom hauptsächhch richtete, ständig von starken Posten bewacht werden. Die Landjäger
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beim Rathaus wurden zum Dank für ihre „gute Gesinnung" so geplagt und gehänselt, dass Hürlimann geholt werden musste, welcher die Ablösung dieser Posten beim Rathaus und der Haupt- wache durch die Bürgerwache befahl, ,, womit das Volk sich jubelnd zufrieden gab." Nicht als Urteil, nur als Stimmungsbild aus radikalen Kreisen ist die Bemerkung des schon erwähnten Stu- denten interessant: ,,Wäre nicht Verrat im Innern so gewiss als etwas vorauszusehen gewesen, so würde die Regienmg jetzt sieg- reich dastehen; aber die Spiesse und Aristokraten alle machten und machen gemeinsame Sache mit dem Pöbel, den sie sonst ver- achten, geben ihm zu saufen in den Kirchen, quantum satis super- que, und stralilen vor Freude, wo man sie sieht . . . Der ehemahge aufgeklärte! freisinnige! geistreiche Professor Bernhard Hirzel von Zürich, der an der hiesigen Hochschule Treffüches geleistet in orientalischer Sprache, hielt diesen Nachmittag (4 Uhr) in der Fraumünsterkirche eine so fanatische Predigt, wie kein Peter von Amiens oder sagen wir lieber kein Walter von Haberüchts je fähig gewesen wäre, eine solche zu halten." Gut gekleideten Leuten, die um diese Zeit von der Stadt weggingen und Land- stürmem begegneten, konnte es passieren, für ,,Straussen" ge- halten und belästigt zu werden. Auf der Forch wurde Kantons- rat Suter von Gossau misshandelt ; auf den alten Kriminalrichter Boller wurde geschossen. Das Forchwirtshaus erhielt höchst gefährlichen Besuch von Landstürmen! , die das Gerücht in Wut versetzt hatte, der Sohn des Hauses habe Hegetschweiler er- schossen. Man musste froh sein, wenn die Leute nur assen und tranken ohne zu zahlen. Der Vater Fenner hatte sich bereits ge- flüchtet. Zwischen Wermatschweil und Fehraltorf und dann bei Pfäffikon machten die Bauern Jagd auf ihn, bis er von Bezirks- richter Zimmermarm gerettet werden konnte. Die Hauptführer der Radikalen waren in Badcu in Sicherheit. Dr. Keller, der sich nach seiner Ankunft ,,mit seinem bekannten Hohngelächter" zur Tafel gesetzt hatte, führte dort einige Wochen mit seinen Freunden ein ,, fröhlich-frivoles Emigrantenleben".
Das erste, was der Stadtpräsident Oberst Ziegler als neu- emannter Höchstkommandierender sämtUcher Stadt- und Land-
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truppen erlebte, war — ein Streik der Offiziere! Der Zauber von heute morgen war verflogen, man hatte es wieder mit ganz gewöhnlichen eigensinnigen Menschen zu tun. Der in die Stadt eingerückte Landsturm musste irgendwie organisiert, eingeteilt und untergebracht werden. Ziegler wollte ihn den einzelnen Kontingenten der Bürgerwache zuteilen und deren Komman- danten unterstellen, allein die Offiziere der Bürgerwache weigerten sich mit Heftigkeit, solches Volk, das nicht viel mehr als Gesindel sei, zu befehligen; man solle das denen überlassen, die es her- gerufen haben. Sie anerkannten auch keine Verpflichtung gegen irgend eine Regierung oder Komitee, sondern nur für die vSicher- heit der Stadt. ,, Meine Herren," sagte Oberst Ziegler, ,,ich kann Sie nicht zwingen, Sie sind zudem ältere Offiziere als ich. Die Massregel ist aber absolut notwendig, und wenn mich niemand unterstützen will, so kommandiere ich allein." Ungerülirt ver- harrten die Offiziere bei ihrer W^eigerung. Ziegler musste teil- weise zum — Zivil greifen, um Bataillonskommandanten für den Landsturm zu bekommen. vSo kommandierte in der Kaserne Herr Professor Bluntschli, der nie eine Uniform getragen und nun eine Nacht hindurch sich ,,Herr Oberst" titulieren lassen konnte. Nachträglich Hessen sich allerdings doch noch einige höhere Offiziere zu Kommandos herbei, und der treue ^Nleyer- Ott, freiUch selber auch nicht ^MiUtär, aber begeisterter Mili- tärfreund und Militärschriftsteller, erklärte: ,,Ich gehe auf jeden Posten, wo man mich liinstellt." Noch während dieser Verhand- lungen ,,kam eiti besoffener Kerl, den man Feldweibel nannte, und sagte, das Volk auf dem Paradeplatz fange an, ungeduldig zu werden, dass es keine Offiziere und keine Gewehre erhalte". Es war Zeit, mit diesen Leuten, an welche 70 Saum Wein aus dem Stadtkeller verabfolgt worden waren, abzumarschieren in die Nachtquartiere (die vier Kirchen). Sie wurden in A-ier Batail- lone eingeteilt, zum Zeughaus geführt, wo sie ihre Stecken usw. gegen Gewehre austauschten, Patronen in Rock- und Hosen- taschen steckten und vergnügt zur Kirche wanderten. Meyer- Ott kam mit seinem Bataillon in die Predigerkirche. Hier Sassen schon 50 bis 60 Wehntaler Bauern um eine leere Weintanse herum und sangen geistliche Lieder. Als aus dem Spital ein Sarg gebracht wurde, um den andern im Chor beigesellt zu werden,
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stimmten sie an: „Wie sicher lebt der Mensch, der Staub". Es wurde dem Landsturm in der Kirche Brot und Fleisch gebracht; die Leute sangen: „Wir danken alle Gott", klagten dann über grossen Durst, bis Meyer-Ott sich rüliren Hess und noch eine Tanse Wein bestellte. Immer wieder erschallte in der Kirche der hehre Männergesang, bald aus dem ,,christüchen Gesangbuch" oder auch ,,In des Waldes düstern Gründen" und Ähnhches. Auf einmal ein Schrei: ,,Die Straussen kommen!" Alles stürzt aus der Kirche. Es hatte einer den Sitz eines Männer- stuhls polternd heruntergeschlagen, um sich darauf zu setzen; die Schildwache aber, die den Schrei getan, meinte, ,, einen fernen Schuss" gehört zu haben. Dem Zentralkomitee war zu Ohren gekommen, dass es im Prediger etwas laut zugehe. Es erschien deshalb eine Deputation, bestehend aus einem Pfarrer und einem Landmann, ,,den ich seitdem", sagt Meyer-Ott, ,,als Erzspitz- buben kennen gelernt habe." Vor der Tür sagte mir der Pfarrer: „Wie geht's drinnen?" — ■ ,,Sie sind alle voll." — ,,Wie steht's mit dem Gehorsam?" — ,, Nicht übel, die drinnen befehlen, ich gehorche." — Der Pfarrer betrat die Kirche mit den Worten: ,,Gott grüss euch, christliche Freunde." — Keine Antwort. — „Wir sind Abgeordnete des Zentralkomitees." Alsbald flogen die Hüte von den Köpfen, und andächtig lauschten die Männer einer längeren Ansprache des Pfarrers, der sich dann auch noch nüt einzelnen in ein Gespräch einhess; ein grosser alter Kerl trat vor ihn hin, sah ihm mit dem stieren Blick des Trunkenen ins Gesicht und hielt seinerseits eine geläufige Ansprache über einen Bibel- text, die der Pfarrer mit ,,So, so, hm, hm" quittierte. Auch der Höchstkommandierende kam auf seiner nächthchen Runde ein- mal in den Prediger und wurde von demselben Kerl angerempelt, ob es wahr sei, dass man Sulzberger gefangen, was mit ihm ge- schehe usw. Ziegler fertigte ihn kurz ab, worauf sich der Alte wieder verkroch.
Richtig, Sulzberger! Er war in der Tat bei der Sihlbrücke erwischt worden, als er — eine elegante Dame — in einem Zwei- spänner sich flüchten wollte. Gab das ein Hailoh und Gelächter! Der englische Geschäftsträger fand das Detail interessant genug, um es an Palmerston zu berichten. Sulzberger sei in seiner Ver- kleidung in Parade durch das Volk und vor das Komitee geführt
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worden, habe da eine Art Urfehde schwören müssen und sei dann ohne weitere Unbill entlassen worden. Der Gegenstand war dankbar für Karrikaturen, Fastnacht und Schnitzelbänke und wurde auch weidhch dazu benutzt. Es gab Leute, die sich noch in hohem Alter mit Vergnügen an den Gutjalrr-Dirggel erinnerten, den sie etwa von einer Tante- Gotte bekommen und auf dem die tragikomische Geschichte abgebildet war. Die , .schönste" Eroberung in Zürich am 6. September aber machte — ratet ein- mal! — David Friedrich Strauss! Der Züriputsch ver- schaffte ihm zu der Zürcher Pension, die er schon hatte, auch noch — seine Frau, die schöne Opernsängerin Agnes Sche- best, die am Abend des 6. September in einem Gastspiel des Aktientheaters als ,, Romeo" in Belhnis Oper ,,Die Montecchi imd Capuletti" hätte auftreten sollen (s. ,, Tagblatt" Nr. 248). Der Landsturm verdarb ihr das Gastspiel, aber der Mann, nach dessen Namen sich ein ganzes Volk in zwei Parteien spaltete imd blutig duellierte, interessierte sie in hohem Grade, imd aus dem Interesse wurde Liebe und — Heirat. Die Geschichte macht bis- weilen solche Witze.
Die Nacht ging ohne den von Baden her befürchteten Über- fall der Radikalen vorbei. Auf Samstag vormittag 10 Uhr hatte das Zentralkomitee grosse Landsgemeinde auf dem Paradeplatz angesagt. Mit Trommelschall zogen die I^andsturm- Kompagnien auf. Präsident Hürlimann war umgeben von der Ehrengarde seiner Richterswiler Scharfschützen, und der grosse Platz füllte sich mit einer ungeheuren Menschenmenge, aus welclier Gewehre, Morgensterne, Keulen, Speere imd Hellebarden her\'or- ragten, — eine Versammlung, wahrhaftig würdig der ]\Iemora- biha Tigurina, wo sie sich auch aufgezeichnet findet. Nachdem Rahn-Escher die Begrüssuugsansprache gehalten, ward Hür- limann mit stürmischem Beifall empfangen, und hier sprach er, über dieser in Waffen starrenden Gemeinde, sein grosses Wort: ,,Das Zürcher Volk ist ein hehres christliches Volk!" Es jubelte das Volk und freudig kUrrten Speere, Hellebarden und Morgensterne, als Hürlimann ankündigte, dass der Grosse Rat sich auflösen werde, um einem neuen Platz zu machen, und dass die
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noch im Zuchthaus sitzenden Brandstifter von Uster (1832) begnadigt werden sollen. Eine Parallelversammlung fand auf dem Münsterhofe statt. Nach dieser Landsgemeinde wurde der unbewaffnete Landsturm in die Heimat entlassen, der be- waffnete hatte noch zu warten, bis das reguläre Militär einge- rückt war, was zum Teil (Bataillon Däniker) noch an diesem Abend geschah. In der Nacht gab es im Neumünster, infolge eines blinden Schusses, einen gewaltigen Rumor. Man glaubte den Antistes mit dem Tode bedroht, und eine grosse Schar seiner Getreuen stellte sich als Schutzwache um sein Haus. In Stadel- hofen aber rief der 68jährige Major Mej-er-Pestalozzi : ,,\Vas zum T. ist das für ein Lärm ? Da meinen diese Torenbuben gleich, der Feind komme, wenn einem solchen Lappi das Gewehr los- geht." Spöndlin kam mit blankem Säbel gelaufen, den An- tistes zu verteidigen. Der Alte aber brummte: ,, Glaubt doch nicht solche Dummheiten; so verrückt sind die Radikalen nicht." Am Sonntag den 8. September konnte auch der bewaff- nete Landsturm entlassen werden, nachdem das Bataillon Brunner eingerückt war. Mit diesem Bataillon, das auf dem Münsterliof sich besammelte, gab es noch einen recht unangeneh- men Vorfall. Sein Kommandant war wegen einer nicht-dienst- lichen Untersuchung zur Zeit nicht dienstfähig. Das Bataillon verlangte aber stürmisch diesen imd keinen andern Komman- danten; eine Deputation wurde nach seiner Wohnung geschickt, imi sich zu erkundigen, ob ihm nichts fehle, und die Mannschaft ruhte nicht, bis Oberstleutnant Brunner das Kommando über- nahm. Oberst Ziegler war froh, am 12. das Oberkommando wieder an Sal. Hirzel abtreten zu können. Noch einmal wurde in der Sonntag-Nacht unnötig Alarm geschlagen und sogar Geschütz aufgefahren. Ein ehrhcher Mann hatte mit eigenen Augen eine Kolonne mit zirka 300 Bewaffneten gesehen (vielleicht vom Mond beschienene Rebstickel ? fragt Meyer-Ott). Jene Männer aber, welche am Montag früh vom Albis herniederstiegen und denen ein Weib atemlos voraus lief, um die Stadt auf den Überfall vor- zubereiten, waren friedliche Deputierte aus dem Amt Affoltem, welche kommen wollten, um dem Staatsstreich des Grossen Rates beizuwohnen.
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ZWANZIGSTES KAPITEL
REAKTION
Weil man einen Missgriff der Regierung zum „Verfassungsbruch" gestempelt und mit einer Revolution beantwortet hatte, war man nun gezwungen, eine ganze Reihe wirklicher Ver- fassungs- und Gesetzesverletzungen der krassesten Art selber zu begehen. Weil die Frommen sich nicht damit begnügt hatten, der Stimme ihres Gewissens gegen ein vermeintUches Attentat auf Religion und Kirche laut und deuthch Ausdruck zu geben und des überraschend grossartigen Erfolges eines solchen Pro- testes (40,000 Stimmen und Abberufung von Strauss) sich dank- bar zu freuen, weil sie vielmehr geglaubt hatten, sie müssten der unbegreiflichen Langmut Gottes gegen die radikalen Regenten nun ein wenig nachhelfen, selber dafür sorgen, dass solche Sachen, wie die Berufung von vStrauss, nicht mehr passieren können, mit einem Wort selber ein wenig Vorsehung und Weltgericht spielen, so hatten sie diese Rolle nun auch durchzuführen und zu zeigen, wie man es nach ihrer Meinung machen und einrichten muss, um das Reich Gottes ein- für allemal gegen alle Bosheit der Radikalen ,, sicher zu stellen". Ungeschickte Kinderhände, die dem Vater bei der Arbeit helfen wollen und ihm die Tinte aufs Manuskript leeren! Ein Klex auf der Geschichte der christlichen Kirche, das ist der 6. September 1839.
Wohl hatte dank Zieglers überlegener Taktik die Revolution nur wenig äussern Schaden angerichtet, und die Regiervmg dankte ihm auch in ihrer Urkunde vom 12. Oktober dafür, dass er die Ordnung und Sicherheit der Hauptstadt aufrecht zu erhalten vermochte, als ,, unter der Gewaltsbewegung der Bevölkerung (eine hübsche Umschreibung) die ganze Organisation der Staatsbehörden versank und wenige Hände, durch Selbst- bewusstsein und allgemeines Zutrauen stark, das Staatssteuer er- griffen". Aber auch Spöndlin hatte recht, als er nach dem Kampfe zu Meyer-Ott äusserte: ,,Eine Revolution ist und bleibt
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ein greuliches Ding". — Eine „christliche" Revolution voll- ends ist ein Unding, das Widersinnigste, was es auf der Welt geben kann; in ihren demoralisierenden Wirkungen ist sie noch weit schhmmer als eine radikale Revolution. Ludwig Meyer von Knonau schrieb: ,,Von dem Volke wich der letzte Überrest des Glaubens, dass die Regierung auf einer hohem Stufe stehe. Es hatte zu klar gesehen, wie es mit einem Stosse eine solche nieder- werfen und wie leicht es eine andere aufstellen könne. Die Mittel und Vorspiegelungen, deren man sich bedient hatte, machten zwar nicht im ersten AugenbHcke, aber in der Folge imd durch die Wirkungen des Kampfes der Parteien in den öffentUchen Blättern, dass bei einem grossen Teile des Volkes eine Misstim- mung entstand, durch welche es nicht nur das Vertrauen und den Glauben an alle Höherstehenden verlor, sondern über die höchsten Angelegenheiten unschlüssig wurde und fragte: Wem können wir vertrauen ? — Hätte uns die Septemberregierung bis im Frühling 1842 bestehen lassen und ihre Opposition mit Umsicht und Popu- larität fortgesetzt, so wären wir genötigt gewesen, entweder nur zu vegetieren und dadurch lächerlich zu werden, oder aber Miss- griffe zu machen und anzustossen, und so wäre sie auch, zwar etwas später, aber auf eine rechtmässige Weise zur Herrschaft gelangt, und die nachteihgen Wirkungen, die der 6. September nicht nur auf den Kanton Zürich, sondern auf die ganze Schweiz hatte, wären unterblieben." In den ,, Briefen eines Zürchers an einen Basler" heisst es: ,,Man kennt noch gar nicht, was alles im Volke aufgerülirt ist. Durch den Gegensatz, dass man der Rehgion wegen der Obrigkeit untreu werden dürfe, ist nicht bloss das sittliche Bewusstsein untergraben worden, sondern auch das religiöse hat von seinem Leben verloren und ist in leeres Formelwesen bei vielen ausgeartet. Die Religion ist nicht mehr die Macht über ihr sittUches Verhalten, die sittUchen Begriffe überhaupt sind locker geworden. So hörte ich neulich einen sonst wackern Gemeindebeamten von einer nochmaUgen Re- volution sprechen in einem so gleichgiltigen Tone, als spräche er von einer Pfeife Tabak. Indem das Volk gegen die gestürzte Re- gierung zur Verachtung gereizt wurde und dieser Kampf als ein ,,heiUger Kampf" gepriesen wird, ist es leicht geneigt, gegen Re- gierungen als solche überhaupt mit Geringschätzung und am Ende
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mit Widerstand aufzutreten. Endlich ist dem Volk durch die letzten Ereignisse klar geworden, welche Macht in den Massen liegt. Der Unbedeutendste dünkt sich Souverän zu sein, und mehr- mals hörte ich die Äusserung: wir wollen es mit der neuen Re- gierung probieren; jetzt weiss einmal das Volk, was es vermag; handelt diese nicht nach dem Volkswillen, so macht man es ihr wie der alten. — Überhaupt nur kein Wort der Ruhe und Ver- nunft durfte nach dem 6. September gesprochen werden. Es lag eine furchtbare Inquisition auf dem Land, und dass so wenig Unheil geschah, kommt daher, dass die Gegen- partei kaum wagte zu atmen. Der Name ,,Strauss" war dem Volk jetzt mehr als Dieb, Hurer und Mörder, und mit diesem Namen brandmarkte man bald jeden Ruhigen. Von diesem Gefühl mögen freihch diejenigen nichts wissen und ahnen, die an der Spitze der Bewegung standen. Von diesem Gefühl wissen aber die Ruhigen recht viel."
Am Montag den 9. September kam der Grosse Rat zusammen — derselbe, den man nötigenfalls mit dem Stock aus- einanderjagen wollte. Wieder strömte eine Masse Ueute in die Stadt, alle sonntäghch gekleidet, es war wie an einem Fest. Im Fraumünster hielt das Zentralkomitee eine kurze Ver- sammlung; dann ging's ,,in brausendem Strom" über die Münster- brücke zum Grossmünster, wo unter dem Schutz der Bajonette und in Anwesenheit der Tagsatzungsherren und der fremden Ge- sandten der Grosse Rat tagte. Die Verhandlungen hatten schon begonnen, allein das Volk erzwang sich mit Tumult und Lärm den Zutritt. ,, Gegen den Grossen Rat wurden keine Schreckmittel angewandt; aber das Gebrüll einzelner roher ]\Iensclien, Beifalls- äusserungen bei einzelnen Voten zeugten von dem Zustande der pohtischen Auflösung" (M. v. K.). Trotz der Abwesenheit von 75 radikalen Mitgliedern konnte die Beschlussfähigkeit konstatiert werden. Das ganze Bureau, Präsidium und Kanzlei, war ab- wesend, auf Reisen. Bürgermeister Hess wurde zum Präsi- denten, Gujer zum Vizepräsidenten gewählt. Der gewandte Eduard »Sulzer begründete den Antrag auf Bestätigung der provisorischen Regierung und sofortige Auflösung des Grossen Rates. Diesen letztern Antrag bekämpften Prokurator Schock und Kantonsrat vStuder von Wipkingen als verfassungs-
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widrig und ungesetzlich. Professor Bluntschli unterstützte die Regierung mit einer Rede, die den stürmischen Beifall des Volkes fand. „So ist's recht; so wämmer's ha!" hiess es. Der Präsident gebot ,, Stille, oder ich hebe die Sitzung auf!", was mit noch grösserem Lärm beantwortet wurde. Ein alter Bauer schrie von der Emporkirche herunter: ,,Hochgiehrti Herre, das ist euseri Meinig; mir wand nüd wie der Prokrater Schoch!" C. V. Muralt: ,,Ich fordere jeden Bürger auf bei seiner Ehre, bei seiner VaterlandsHebe vmd allem, was ihm heilig ist, die Eintracht imd Ruhe zu wahren." Mit lautem Jubel begrüsste das Volk das Ergebnis der Beratung: Auflösung des Grossen Rates (mit allen Stimmen gegen diejenige Studers, der auch am 6. September furchtlos 'den ganzen Tag in der Stadt herumgeritten war) . Noch am gleichen Tage erschien die Weisung der Regierung für die am 16. und 17. September ,, unter Anrufung des götthchen Beistandes" vorzunehmenden Neuwahlen. Auch das Zentralkomitee er- liess ein Wahlmarüfest.
Bei diesen Neuwahlen wurde die Partei der ,,Straussen" fast vollständig aufgerieben. Im ganzen traten nur 57 Mitgheder von der alten in die neue Behörde über. Von jeder Landzimft wurden auch vStadtzürcher gewählt. Der Grosse Rat trug einen ,, wahr- haft puritanischen Charakter". Die konstituierende Sitzung fand am 19. September statt. Präsident des Grossen Rates wurde alt Oberrichter Dr. Ulrich, Vizepräsident Melchior Sulzer. Es wurde einstimmig beschlossen, es seien ausser dem Regierungs- rat auch das Obergericht, das Kriminalgericht, die Staatsanwalt- schaft, das Kantonalverhöramt, der Kirchenrat und der Erziehungs- rat aufzulösen und neu zu wählen, — ■ dies einzig zu dem Zweck, um die ,,Straussen" aus allen diesen Behörden lünauszuwerfen. Jeder einzelne dieser Beschlüsse bedeutete einen Verfassungs- bruch, eine schwere Rechtsverletzung gegenüber den mitten in der Amtsperiode ohne Urteil und Recht abgesetzten und entlasse- nen oder doch den Daunen und Zufälligkeiten einer Wiederwahl ausgesetzten Beamten. Das Dispositiv 2 erhöhte noch die Ge- hässigkeit des Beschlusses mit der Bestimmung: ,, Nicht wieder gewählte Mitgheder haben keinen Anspruch auf Besoldung, noch auf Entschädigung." L- Mej-er v. Knonau hatte in der provisori- schen Regierung lebhaft, aber vergebHch gegen den Beschlusses-
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antrag protestiert; ihm inissfiel besonders, dass man schon die Namen der neuen Mitglieder aufzählen konnte, und er besuchte seitdem die Sitzungen des Regierungsrates nicht mehr. Es war einigen der ,,Straussen" bedeutet worden, sie möchten doch so vernünftig sein und selber zurücktreten, damit man nicht ihret- wegen sämthche Behörden umkrempeln müsse; aber diese Radi- kalen hatten die Gemeinheit, nicht zu demissionieren, sondern extra den Konservativen diese Verlegenheit zu bereiten, sich mit dem Odium des Verfassungsbruches beladen zu müssen. Es war rein tüchts zu machen. Der zum absoluten Herrscher proklamierte Volkswille verlangte gebieterisch das Opfer der Straussen, und so hatte denn Conrad v. Muralt, die Milde, Versöhnlichkeit und Loj-alität in Person, die äusserst unangenehme Aufgabe, jenen ominösen Antrag vor dem Grossen Rat zu begründen, wobei er ausführte, es sei angesichts der \\'eigerung der Radikalen, frei- wilhg zurückzutreten, die Auflösimg der Behörden ,,das Ehren- festeste". Auch von ihm mag gelten, was Fürst Metternich in Wien (1842) zu Bluntschh über den ^Minister Guizot sagte: ,,Er ist ein ehrlicher Mann; seine Prinzipien sind gut, aber seine Lage ist schief." Mit Mühe und Not — ein eindringliches Sendschreiben des Zentrallvomitees verrät es — konnte ein noch weiter gehender Antras; verlündert werden, auch sämthche Gemeinde- und Be- zirksbehörden neu zu wählen; schHessUch wollte man sich denn doch nicht noch 500 abgesetzte Beamte zu Todfeinden machen. Am 20. und 21. September wurde der (einstweilen noch iggüedrige, später auf 13 reduzierte) Regierungsrat neu be- stellt mit den Bürgermeistern Hess und Muralt. Von der alten Regierung fanden ausser Hess auch Hürü, Eduard und Melchior Sulzer wieder Gnade. Her\-orragende Mitgheder waren neben V. Muralt noch Bluntschli, Ferdinand Mej'er und Bezirks- richter Heinrich Mousson (welcher nach dem Rücktritt von Hess am 22. Juni 1840 Bürgermeister wurde). Der Baron v. Sul- zer-Wart gehörte dem Kollegium ebenfalls an. Für sämtliche Vergehen am 6. September wurde Amnestie erteilt, den Brand- stiftern von Uster Begnadigung gewährt. Dann konnte alsbald die ,, trockene Guillotine" zu arbeiten beginnen: Als Tag- satzungsgesandte wurden Dr. Keller und Weiss durch IMelchior Sulzer und Bluntschh ersetzt, Staatsanwalt David Ulrich hatte
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dem Gericlitsschreiber Rahn, sein Substitut Benz dem Proku- rator Spöndlin Platz zu machen. Am i. Oktober kamen das Obergejicht und Kriminalgericht an die Reihe: Williehn Füssli, Gessner, Boller etc. erhielten den L,aufpass; am 2. Oktober, der auch den Austritt aus dem Siebner Konkordat brachte, konn- ten Baron Sulzer, Antistes Füssh, Pfarrer Bernhard Hirzel ihren Einzug in den Erziehungsrat halten. Es hat indessen keinen Wert, allen den Taten der am 6. September in Zürich aufgerichteten ,, christlichen" Tyrannis, den formlosen Absetzungen von miss- liebigen Beamten, Lehrern, Pfarrern, der bemühend kleinlichen Behandlung Scherrs usw. im einzelnen nachzugehen.
Der zwangsweisen Wiedergeburt des Staates folgte eine in- tensive, künstliche VerchristUchimg von hohen und niedern Schulen. Mit Gesetzen, Verordnungen und Reglementen glaubte man den Straussischen Geist austreiben und wahres Christentum an seine Stelle pflanzen zu können. Die Hochschule insbe- sondere geriet direkt in Bedrängnis. Die Volksstimmung war ihr nicht günstig. ,,Wir hätten nichts dagegen," schrieb die ,, Frei- tagszeitung", ,,wenn die Hochschule — Hochmutsschule nannte sie gleich bei ihrem Beginnen ein geistreicher Mann im Kanton Aargau — aufgehoben würde." Das Verhältnis zwischen Bevölke- rung und Studenten bheb andauernd ein gespanntes und entlud sich u. a. in einem tragischen Vorfall am 25. Mai 1842, bei welchem der unbeteiligte Student Kirchmeier von der PoHzei tödhch ver- wundet wurde. Ein Gesetzesentwurf vom 2. April 1840, welcher im Hinblick auf Strauss die Pensioiüerung von Professoren ganz wesentHch einschränken wollte, wurde allerdings wieder zurück- gezogen, weil er mit der Stiftungsurkunde der Hochschule in allzu schroffem Widerspruch stand. Aber auch gegen die neuen Be- stimmungen des Niederlassungsgesetzes vom 10. April 1840 muss- ten die Professoren Einsprache erheben. Am schlimmsten war jedoch für die Hochschule die Bedrohung der lyehrfreiheit. Nicht nur wurde dem Kirchenrat das Vorschlagsrecht für die Wahl der Theologieprofessoren und das Recht der ,, Einsicht- nahme in den evangehsch-reformierten Rehgionsunterricht auch an der Hochschule" eingeräumt; der Grosse Rat beschloss vielmehr am 24. Juni 1840 auf einen Antrag Sulzer- Wart geradezu: ,,Die der Hochschule gestattete theologische Lehrfreiheit soll sich
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nur innerhalb der Grenzen des biblischen Christentums bewegen." (§ 7 des neuen Unterrichtsgesetzes.) Umsonst machte der konser- vative alt Oberrichter Dr. Ulrich, selber ein bibelgläubiger Mann, gegen den Antrag nachdrückliche Opposition ; er wurde mit 73 gegen 41 Stimmen angenommen und folgenden Tages gegen- über einem Wiedererwägungsantrag von Prof. Alex. Schweizer festgehalten. Eine Protesteingabe der theologischen Fakultät wies der Erziehungsrat mit einer Rüge über die gebrauchten Ausdrücke ab. Zum Professor der Dogmatik an die vStelle von Strauss war der strenggläubige Pastor Lange in Duisburg be- rufen worden.
Das Seminar erhielt durch das Gesetz vom 26. Februar 1840 seine neue Gestalt und in der Person des Pfarrers Dr. Bruch von Wädenswil, damals Vorsteher einer Erziehungsanstalt in Lausanne, seinen neuen Direktor und neben diesem als Religions- lehrer Pfarrer Burkhard. Die Lehrer an der ^'olksschule waren gleich am 16. Oktober mit einem Rundschreiben des Erziehungs- rates bedacht worden, das sie an die christlich-rehgiöse Grund- lage der Volksschule erinnerte und ermahnte, Hand in Hand mit der Kirche an der geistigen Bildung der Jugend zu arbeiten. Ein Antrag, das Neue Testament in allen vSchulen obligatorisch ein- zufüliren, wurde unter Streichung der Worte ,,in einer sprachlich bereinigten Ausgabe" vom Grossen Rat angenommen, den Leh- rern in § 18 des neuen Schulgesetzes fleissiger Besuch des Gottes- dienstes zur Pflicht gemacht. Um aber auch im Volke die religiöse Bewegung weiter zu fördern und zu schützen, entstanden in einer Reihe von Ortschaften sog. ,, Friedensvereine", welche u. a. speziell der Prozessiersucht der Leute entgegenwirken sollten. Nach der Idee Hürhmanns wurde das Maximum, um welches miter Brüdern nicht prozessiert werden durfte, in den Statuten auf 1000 Franken festgesetzt. Der ,, Friedensverein" der Stadt Zürich, für den man sich auf dem Stadthaus und an einigen andern Orten als Mitghed einschreiben konnte, wurde am 18. Juli 1840 gegründet; er reduzierte aber in seinen Statuten das nicht prozessierbare Maximum auf 400 Franken. Solche ,, Friedens- vereine" fanden sich auch in Richterswil, Älännedorf, Hinwil, Bubikon, aber eine nennenswerte Verbreitung und Lebensdauer erhielten diese künsthchen Gebilde nicht. \'on einer fatalen W^ir-
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kuiig für die konservative Partei war ihre enge Verbindung mit den Brüdern Friedrich und Theodor Rohmer, zwei Deut- schen, von denen der erstere mit einem grenzenlosen Toupet als politischer Messias, der zweite als sein Prophet und Impresario auftrat. Es gehört zu den grössten UnbegreifUchkeiten dieser sonderbaren Zeit, dass ein so grundgescheidter Mann wie Prof. Bluntschli sich von den Rohmern und ihrem Evangelium voll- ständig gefangen nehmen lassen konnte, ihnen sein Organ, den „Beobachter aus der östUchen Schweiz" zur Verfügung stellte und mit seiner goldenen, eines Bessern würdigen Freundestreue und Uneigennützigkeit schUesslich noch allein für sie gegen eine ganze Welt einstand. Den konservativen Parteifreunden Bluntsch- lis bereitete diese unglückseHge Rohmerei vielen Verdruss. Der damals noch recht junge, hochbegabte Georg v. Wyss (geb. 31. März 1816, 2. Staatsschreiber seit Dezember 1842), ein Sohn des Jüngern David v. Wyss, schrieb 1841 an Wenck: ,, Bluntschli erklärte sich öffentUch als ihren Freund und Anhänger ihrer Philosophie und zog uns so in die fatale Stellung einer einzig und allein durch die Rohmer und die Rohmerschen Prinzipien reprä- sentierten Partei hinein; denn BluntschU ist ohne alle Ausnahme der erste und tüchtigste Kämpfer auf konservativer Seite, unser Führer und Leiter, und aUes, was von ihm ausgeht, gilt als von ims sohdarisch verbürgt. Das war nun sehr schHmm; denn ein- mal wollte uns dieses \^oranstellen fremder, unbekannter Leute als Verfechter an und für sich nicht gefallen, und zweitens standen unsere festesten Überzeugungen, unsere Bestrebungen auf reli- giösem und kirchUchem Gebiete im allerdirektesten Gegensatz zu den lächerlichen Anmassungen Friedrich Rohmerscher All- wissenheit; drittens sahen wir unter der glänzenden Hülle der neuen Apostel bedenkliche Erscheinungen sich regen. — Gott weiss, wie die Sache enden mag. Ich fürchte, BluntschH sei der Betrogene im Spiel; sie leben auf seine Kosten, und was noch viel schhmmer ist, ich fürchte, die Hebenswürdige Aufrichtigkeit, Wahrheit und Treue seines Herzens leide im Umgang mit diesen glanzschuppigen Schlangen." Auch der Schwager Bluntschhs, Wackernagel in Basel, schüttelte bedenkUch den Kopf zu dieser Freundschaft, und in der ,, Basler Zeitung" schrieb der konser- vative Ratsherr Professor Andreas Heusler: ,, Merkwürdig,
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in dem intelligeuten Zürich, dem schweizerischen Athen, vertrauen beide Teile Ausländern die Führung des Streites. Es handelt sich um die wichtigsten Interessen des Volkes, aber Deutsche sind die Heerführer auf beiden Seiten. Es ist das eine Tatsache, die dem Volke von Zürich, offen gesagt, wenig Ehre bringt, dass sich die Parteien auf solche Weise unter die Vormundschaft Frem- der stellen. Der .Republikaner', der ,Iyandbote', der .Pädagogische Beobachter' werden von geborenen Deutschen redigiert, die, zum Dank für gastfreundliche Aufnahme, seit Jahren die Deute hintereinander zu hetzen suchen, der .Östliche Beobachter' hat in neuerer Zeit auch die Hilfe Fremder angerufen, nur der alte David Bürkli soll sich von dieser Manie fremder Intervention frei erhalten. Diese Fremdlinge haben recht gewandt eine schwache Seite des Zürchervolkes herauszufinden gewusst: sie schmeicheln ihm mit der weltgeschichtlichen Bedeutung des zürcherischen Meinimgsstreites, während doch höchst wahrscheinHch die Welt- geschichte um diese streitsüchtigen vSchulmeister sich wenig küm- mern wird." Das Ende vom Lied war ein Skandal- und Injurien- prozess. welcher zwar zugunsten Fr. Rohmers entschieden wurde, aber ihn doch veranlasste, den vSchweizerboden zu verlassen. — Die Radikalen feierten 1839 "'•i^ einen stillen Ustertag. Der ..Repubhkaner" erschien am 22. November mit Trauerrand. Aber sich in den Schmollwinkel stellen und den Kopf hängen lassen, ist nicht radikales Temperament. Pah! Ein Jass ist ab- geklopft, die Karten werden verteilt, das Spiel beginnt von neuem, nun lasst uns sehen, wer diesmal die bessern Trümpfe in die Hand bekommt! Jetzt sind wir wieder die Opposition, und wir werden Euch das Leben und Regieren schon sauer machen ! In der Presse begann ein unablässiges Stechen und Bohren: immer und immer wieder die Revolution und das vergossene Blut, tagtäglich das vergossene Blut und die Revolution, bis zum Ekel und Über- druss ; kein Frühstück konnte man mehr nehmen, ohne dass einem der , .sechste September" aufs Brot gestrichen wurde. ,,Hört doch jetzt einmal auf mit diesem 6. September," bat erustHch die ,, Freitagszeitung". Ach, da kann die ,, Freitagszeitung" noch siebzig Jahre älter werden als sie schon ist und sich den 6. Sep- tember immer noch umsonst ,, verbitten". In aufrichtigster, ehr- hchster Meinung mahnten konservative Staatsmänner im Grossen
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Rate und in den Blättern zum Frieden, zum Vergessen, und boten die Hand zur Versöhnung. Ha! Das würde Euch jetzt passen, Ihr habt uns wahrhaftig das Beispiel gegeben von vergessender Liebe und Versöhnüchkeit ! ,,Zu einem freundUchen Handbieten," sagt der ,, Landbote", ,,müsstet Ihr vorerst laut und offen vor aller Welt erklären, das Volk des Kantons Zürich sei unter dem Titel ,Rehgionsgefahr' auf eine schändHche, niederträchtige Weise miss- braucht, belogen und betrogen worden." Winterthur wurde der Sitz der heftigsten Opposition, und dort beschloss schon am 15. De- zember 1839 eine Versammlung eine Petition an den Grossen Rat zum Schutz der Schule. Sie war nur die erste von dreissig bis vierzig ähnUchen Petitionen, die unter anderm auch die Beibehal- tung Scherrs verlangten. Natürlich trat der Grosse Rat darauf nicht ein. Die erste bedeutsame Protestkundgebung gegen das Septemberregiment erhess die Schulsynode von Winterthur am 31. August 1840. Ihre Resolution sprach mit dem innigsten Bedauern von der Umgestaltung des Seminars, bezeugte dem ge- waltsam vertriebenen Direktor achtungsvollen Dank, erklärte die neuen Anordnungen im Schulwesen für höchst betrübende und nachteihge Rückschritte, sprach den gemassregelten Lehrern auf- richtige und herzhche Teilnahme aus und bezeichnete den Kirchen- zwang der Lehrer als Herabwürdigung. Zum Schluss wurde Schert zum Synodalpräsidenten gewählt. Diese ,, revolutionären" Beschlüsse der Lehrerschaft warfen gewaltig Staub auf. Die Regierung erteilte der Synode einen scharfen Verweis und erklärte ihre Beschlüsse für null und nichtig; der Grosse Rat erHess ein Gesetz, wonach Präsident und Vizepräsident der Synode vom Erzieliungsrat zu wählen seien, und die nächste Synode tagte dann imter dem Präsidium eines Herrn Pfarrer Hug im Neumünster.
Am Ustertag von 1840 in Bassersdorf, wo sich etwa 5000 Mann aus allen Teilen des Kantons zusammenfanden, feierten die Liberalen, wie Dubs sagt, ,,ein Wiedersehen voll Trauer und Freude". Dieser 22. November 1840 wurde ,,der Tag der Wieder- geburt der Liberalen Partei, die Bassersdorfer Adresse geradezu ein historisches Dokument". Die Redner des Tages waren Dr. Weid- mann in Niederweningen, Fürsprech Dr. Pestalutz in Winter- thur und Dr. med. Koller von Winterthur. Die einhellig an- genommene Adresse spricht ihren Abscheu aus über die seit dem
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6. September an der Verfassung begangenen Frevel, ihr tiefes Bedauern über die Rückschritte im Schulwesen, die Verfolgung freisinniger Männer, den fortgesetzten Missbrauch der Kanzel zu pohtischen Zwecken, und schUesst mit einer Reihe von ,, Volks- wünsche n", die allerdings von der Septemberregierung ignoriert wurden, zum grossen Teil aber dann in der demokratischen Be- wegung der sechziger Jahre ihre Erfüllung fanden. Für die ,,Bas- sersdorfer Wünsche" wurde eine Unterschriftensamm- lung eingeleitet, zu welcher trotz heftigster Bekämpfung durch die regierende Partei 17,726 Bürger ihre Namen gaben. Eine von Wädenswil ausgegangene Gegenaktion für eine Ergebenheits- adresse an die Regierung erzielte etwas über 10,100 Unterschriften. Der Zürich-Putsch wurde der Ausgangspunkt einer die ganze Schweiz erschütternden Bewegung, an deren Ende — • der Sonderbundskrieg steht. Nirgends war die zürcherische Glau- bensbewegung mit grösserem Interesse, mit freudigerem Erstaunen verfolgt worden als in den kathohschen, von einer radikalen Partei regierten Kantonen: Wenn in einem reformierten und freisiimigen Kanton eine radikale Regierung wie vom ,, Blast" weggefegt werden konnte, wenn sogar gläubige Protestanten zu diesem Zweck eine Revolution ins Werk setzten, was zögern wir Katho- Hken denn noch lange, das Joch einer radikalen Regierung ab- zuschütteln ? Zwei Monate nach dem Zürichputsch brachte der Bauer Leu von Ebersol im Grossen Rat von Luzern eine Motion ein, welche neben andern interessanten Sachen Rücktritt vom Siebner Konkordat und Berufung der Jesuiten verlangte. ,,Mit Entrüstung" schritten Regierung und Grosser Rat über diese Forderungen zur Tagesordnung. Aber das konservative Ruswiler Komitee, dem auch der radikale Staatsschreiber Siegwart- Müller und der liberale zweite Staatsschreiber Bernhard Meyer beigetreten waren, brachte eine Volksbewegung zustande, welche eine neue konservative Verfassung einführte. Auch der Aargau erfreute sich einer radikalen Regierung und eines echt straussischen Seminardirektors, Augustin Keller in L,enzburg. Dort war das Bünzener Komitee am Werk, bessere Zeiten herbei- zuführen. Die Regierung beschloss Verhaftung der Komitee- mitgheder, und Landammann Waller, der bekannte Schützen- festredner, ging selber als Kommissär ins Freiamt, um die Aus-
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führung des Befehls zu überwachen. Aber das bekam ihm übel. Wütende Volkshaufen in Bremgarten und Muri befreiten die Ge- fangenen, misshandelten den Landammann und sperrten ihn ein. Die katholischen Führer ordneten die Volksbewaffnung an und fülirten den Landsturm nach Villmergen, wo er aber am II. Januar 1841 mit leichter Mühe von Oberst Frei-Herose aus- einandergesprengt wurde. Daraufhin beschloss der aargauische Grosse Rat am 13. Januar, die (in der Bundesverfassung von 1815 ausdrückhch garantierten) Klöster als Herde des Aufruhrs imd der Unkultur aufzuheben. Zu eidgenössischem Aufsehen gemahnt, Hess Zürich am gleichen Tage das Bataillon Mark- wald er ins Freiamt einrücken, welches dort mit den Truppen von Baselland und Bern die aufgehobenen Klöster besetzte. Fort- an aber bildete die Aargauer Klosterfrage den wertvollsten Agitationsstoff der Radikalen. Klöster, Pfaffen und Jesuiten, das waren Trümpfe, mit denen sie die Konservativen ausstechen konnten. — Der Zürcher Grosse Rat, zur Instruktion seiner Tagsatzungsgesandten am 9. März 1841 versammelt, erklärte die Klosteraufhebimg für unvereinbar mit der Bundesverfassung. Die ausserordentliche Tagsatzung in Bern schloss sich mit 1272 Ständen am 2. April diesem Antrag an und lud den Aargau zur Wiedererwägung seines Beschlusses ein. Am 23. Juni wiederholte der Grosse Rat Zürich seine frühere Instruktion mit dem Zusatz, es sei der Tätigkeit der wiederherzustellenden Klöster eine Richtung auf das Gemeinnützige und Wohltätige zu geben. Der entgegenkommende Beschluss des Aargauischen Grossen Rates vom 19. JuH, die drei Frauenklöster Gnadental, Fahr und Baden bestehen zu lassen, wurde von der Tagsatzung als nicht genügend erachtet.
Nicht zufrieden mit diesem Gang der Dinge, veranstalteten die Radikalen am 29. August 1841 eine gewaltige Volksver- sammlung in Schwamendingen. Sänger- und Schützen- vereine zogen mit ihren Fahnen auf, Gesang und Musik eröffneten die Verhandlungen. Redner waren Fürsprech Dr. Pestalutz, Dr. Weidmann, alt Regierungsrat Dr. Zehuder. Das zürcherische Volk, meinte einer von ihnen, habe die besondere Pfhcht, dem Aargau beizustehen, ,,weil diesem das Unglück nicht von der Aare, noch von der Reuss gekommen, sondern auf den Wellen
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der Limmat zugeführt worden sei." Der Grosse Rat des Kan- tons Zürich wurde in einer Adresse aufgefordert, sich nicht weiter in die innern Angelegenheiten des Kantons Aargau zu mischen, sondern diesen in seinem Rechte zu unterstützen. An den aar- gauischen Grossen Rat ging eine Sympathieadresse. Die Vorsichts- massregeln der Regierung (Platzkommandant: Oberst Ziegler, seit 26. Mai 1840 Regierungsrat; Bewachung der Zeughäuser: Oberst Sal. Hirzel) erwiesen sich als überflüssig; die Versamm- lung löste sich friedUch auf. Von den Männern der Glaubens- bewegung, HürHmann-Landis usw., wurde (am 13. vSeptember) wiederum eine Gegen-Eingabe an die Regierung gerichtet, um sie in ihrer vermittelnden Tendenz zu bestärken. Am 16. Sep- tember erHess Hürlimann auch ein Sendschreiben an seine Getreuen, im vSinne des konfessionellen Friedens und der Abwehr radikaler Aufwiegelungen, aber diese vSendschreiben des Glaubens- komitees hatten nun ihre Wirkung fast ^•ölhg verloren. Über- dies war durch einen groben Vertrauensmissbrauch eine Korres- pondenz Hürlimanns mit ,Siegwart-Müller in Luzern auf- gedeckt worden, die von den Radikalen mit ingrimmiger Schaden- freude ausgeschlachtet wurde. Während dieser Kämpfe starb am 21. September 1841 im Alter von 72 Jahren Dudwig Mej'er V. Knonau, nachdem er an seinem Geburtstag, den 12. Septem- ber, noch ein ergreifendes , , Absclüedswort" an seine Mitbürger niedergeschrieben hatte. Es verrät die ganze Reinheit und Tiefe dieser adeligen Seele und bildet das Testament eines der edelsten Staatsmänner des Kantons Zürich. Der Grosse Rat vom 6. Oktober 1841 verwarf mit 165 gegen 16 Stimmen den Instruk- tions-Antrag der Minderheit, die Tagsatzung habe sich mit dem Anerbieten Aargaus zu befriedigen, und beschloss mit 138 gegen 38 Stimmen, auch die Wiederherstellung des Frauenklosters Hermatschweil zu verlangen, aber unter gewissen Bedingungen auf die Wiederherstellung der vier Männerklöster zu verzichten. Die Tagsatzung in Bern (25. Oktober bis 2. November) ging resultatlos auseinander. Der Ustertag in Zürich am 22. No- vember 1841 konnte bereits wieder mit einem glänzenden Fackel- zug gefeiert werden, der dem früheren Bürgermeister Melchior Hirzel vor seiner Wohnung eine Huldigung darbrachte (Melchior Hirzel hatte mit einem Plädoyer vor Bezirksgericht Regensberg
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seine Anwaltspraxis wieder aufgenommen). Am 26. Februar 1842 entstand in Zürich unter dem Vorsitz von alt Regierungsrat Zehnder ein radikaler Scliulverein, welchem sofort 610 Mitglieder beitraten. Zum erstenmal hörte man um diese Zeit auch von Anstrengungen der Radikalen, die Arbeiterschaft für ihre Wahlinteressen zu gewinnen.
Der Wahlkampf im Frühjahr 1842 nahm äusserst lebhafte Formen an. Die Konservativen mussten alle Kräfte anspannen, nm nur überhaupt Herren der Situation zu bleiben. Der kon- servative Wahlverein der Stadt Zürich, mit Georg v. Wyss als Präsident, erliess am 13. März einen geschickten und eindring- lichen Wahlaufruf. Die Wahlen fanden nicht alle am gleichen Tage statt; in sechs ländlichen Wahlkreisen vollzogen sie sich unter vStörungen und Unruhen, die teilweise das Einschreiten von Regierungskommissären nötig machten. Hauptwahltage (Stadt Zürich usw.) waren der i. und 2. Mai. Und das Resultat? Die Konservativen verloren nahezu die Hälfte ihrer Sitze; fast alle namhaften Führer der Radikalen zogen wieder in den Rat ein, Leute wie Melcliior und Eduard Sulzer, Baron v. Sulzer- Wart, mussten froh sein über das Rettungsseil der indirekten Wahlen, das ihnen wieder aufs Schiff half. Jonas Furrer wurde in Wiedikon gewählt, und die ,, Freitagszeitung" ärgerte sich über das dort zu seinen Ehren veranstaltete Freudenfest. Dr. Ludwig Keller dagegen, in Höngg gewählt, lehnte das Mandat beharrhch ab. Von den Launen der Volksgunst erhoben und gestürzt, hatte er genug von allen Arten Demokratie und strebte fort von Zürich. In seiner Absage an die Wähler schreibt Dr. Keller: ,,So haben sie (die Konservativen), im krassen Widerspruch mit ihrem vorgeb- Hchen Prinzip, die schlechtesten Elemente der Volkskraft ent- fesselt, die Herrschaft der rohen Gewalt herbeigeführt und geübt, und so geht es noch immer fort. So sind in den letzten Jahren im Namen Gottes, als dessen Attribute ich von Jugend auf Wahr- heit, Gerechtigkeit und Liebe betrachtet habe, viele Werke des Hasses, der Ungerechtigkeit und Lüge verübt worden. Glauben Sie mir, ich zürne nicht den Knütteln des 6. September, viel weiuger denen, die sie trugen, wohl aber denen, welche dergleichen anstifteten, begünstigten und dann, um die Früchte zu geniessen, mit heuchlerischem Bedauern — in den Riss standen." Der Sep-
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tember-Regierung gegenüber hatte Keller eine vollkommen in- differente Stellung eingenommen, sich um Pohtik nicht mehr ge- kümmert und nur noch seiner Professur gelebt. Er benützte die erste Gelegenheit, die sich ihm bot, einen Ruf an die Umversität Halle im Jahre 1843, um nach Deutschland überzusiedeln. Die Studenten brachten ihm am 14. März 1844 einen Absclüeds- Fackelzug dar, der nachmaUge Stadtschreiber Spyri hielt eine begeisterte, dankerfüllte Ansprache an ihn, und am folgenden Tage begleiteten ihn vSchüler und Freunde bis Bülach. Schon 1847 wurde er dann an die Universität Berhn berufen. In Deutschland ging Keller zur hochkouservativen, aristokratischen, feudalen Politik über, bequemte sich in Halle sogar zum regelmässigen Kirchenbesuch xmd Hess den 1487 von Kaiser Maximilian seiner Famihe verhehenen Adelsbrief auffrischen, d. h. sich in die preus- sische Adelsmatrikel eintragen. Als Mitglied des preussischen Abgeordnetenhauses wurde Keller eine Stütze der konservativen Partei und nahm an vertrauhchen Zirkeln bei König Friedrich Wilhelm IV. teil. 1860 von einem Besuch in der alten Heimat zurückkehrend, wurde er in Halle von einem Schlaganfall be- troffen. Erstarb am 11. September 1860 in Berlin. Bluntschli, sein alter Gegner, widmete ihm einen Nachruf, der mit den Worten schloss: ,,In der Schweiz aber wird sein /Andenken nicht nur bei den Gerichten, sondern auch im Volke gesegnet bleiben"! —
Im Grossen Rat stand am 23. Juni 1842 wiederum die aargauische Klosterfrage auf der Tagesordnung, und den veränderten poHtischen Verhältnissen entsprechend lautete die Instruktion an die Gesandten (mit 103 gegen 84 Stimmen) nun dalün, sich mit der Erklärung Aargaus vom 19. Juh 1841 zu be- gnügen und die Angelegenheit der aargauischen Klöster aus Ab- schied und Traktanden fallen zu lassen. Die Tagsatzung (4. Juli bis 27. Aug. 1842) kam wiederum zu keinem Beschluss. Weitere Symptome einer veränderten pohtischen Windrichtung im Kanton Zürich bildeten der Wiedereintritt von Dr. med. Zehnder in die Regierung am 5. April 1843 und die Wahl von Melchior Hirzel zum Oberrichter am 21. Juni 1843. Hirzel starb aber schon am 8. Juli; es wurde am 31. Oktober im St. Peter eine Ge- dächtnisfeier zu seinen Ehren gehalten.
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Eidgenössischer Vorort für 1843 war Luzern, wo die Tag- satzung am 31. August mit 1273 Ständen beschloss, das An- erbieten Aargaus, auch noch das vierte Frauenkloster wieder- herzustellen, als befriedigend zu erklären und die Augelegenlieit als erledigt zu betrachten. Diesen Beschluss erklärten I^uzern, Uri, Schwyz, Unterwaiden, Zug, Freiburg, Wallis, Appenzell Inner- rhoden als Verfassungsbruch und gaben Protestation und Ver- wahrung zu Protokoll. Zürich (Hüni und Dr. Furrer), an der Spitze von 12V2 Ständen, veranlasste eine Gegenprotestation, welche die Tagsatzung für kompetent, die Protestation der 7 Stände als unzulässig und rechtswidrig erklärte. Der Sonder- bund, welcher bereits mit der geheimen Konferenz von Brunnen am II. Oktober 1841 ins Leben getreten war, erhielt nunmehr in der Zusammenkunft vom 12. September 1843 im Bad Rothen festere Gestalt. In Zürich machte der Umschwung zugunsten der liberalen Sache tägUch Fortschritte. Die ,, Zürcher Flug-Blätter", der ,, Beiwagen" zur Freitagszeitung, begingen die dritte Wieder- kehr des Tages von Kloten in recht gedrückter Stimmung mit der bemühenden Konstatierung eines Massenabfalls. Da im Mai 1844 die WalHser Liberalen und Jesuitengegner am Trientbach eine blutige Niederlage erUtten hatten und in Luzern die Jesuiten- berufung mit Gewalt durchgesetzt werden sollte, instruierte der Grosse Rat von Zürich, dem schon eine Menge Petitionen gegen die Jesuiten vorlagen, seine Gesandtschaft am 19. und 20. Juni 1844 dahin, es sei einem weitern Umsichgreifen des Jesuitenordens entgegenzutreten, von einer gewaltsamen Aus- weisung der Jesuiten aus der Schweiz aber abzusehen. Dem- gemäss wurde auch von der Tagsatzung am 20. August der An- trag Augustin Kellers, die Jesuiten von Bundes wegen auszuweisen, mit 17I/2 Ständen verworfen. Eine schwere Niederlage erhtten die Zürcher Konservativen am 26. September 1844 im Grossen Rat, welcher mit 94 gegen 90 Stimmen die Motion BluntschH auf Reorganisation des Erziehungsrates und Aufhebung der Schul- synode ablehnte. Der Grosse Rat Luzern beschloss am 24. Ok- tober 1844 definitiv die Berufung der Jesuiten; eine gewaltige Aufregung in der ganzen Schweiz war die Folge. Den ersten Freischarenzug der Luzemer Liberalen am 8. Dezember 1844 schlug die Luzerner Regierung mühelos nieder, was den Zorn und
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Abscheu der Radikalen der übrigen Schweiz nur noch vermehrte. Unter diesen Eindrücken erklärte im Zürcher Grossen Rat am i6. Dezember 1844 Bürgermeister Conrad v. Muralt, dessen innerster Natur wilde, leidenschaftUche Parteikämpfe wider- strebten, seinen Rücktritt. Zum Amtsbürgermeister und Bun- despräsidenten (da Zürich mit 1845 Vorort wurde) rückte dei zweite Bürgermeister Heinrich Em. Mousson vor. Zum zweiten Bürgermeister wurde am 17. Dezember im sechsten Wahlgang mit dem absoluten Mehr von 99 Stimmen der radikale Dr. Zehnder gewählt (als erster mchtstadtzürcherischer Bürgermeister). Der konservative Gegenkandidat Dr. Bluntschli unterlag mit 97 Stimmen. Dies wurde auf der Tribüne mit einem tosenden, minutenlangen Beifallslärm begrüsst und im ganzen Land mit SpottUedern besungen. Bluntschli, ein vornehmer Charakter ohne alle Kleinhchkeit, wurde mit der einstimmigen Wahl zum Grossratspräsidenten entschädigt und nahm dieselbe au. Am 18. Dezember beschloss der Grosse Rat, die Regierungsräte Zehnder und Melchior Sulzer nach L,uzern abzuordnen mit dem freund- eidgenössischen Ersuchen, die Berufung der Jesuiten zurück- zunehmen. Georg V. Wyss hatte als Staatsschreiber am 26. De- zember die Abordnung nach Luzern zu begleiten und beim Schult- heissen Siegwart-Müller anzumelden; er erhielt von dessen frostigem und zugeknöpft ungeschickten Wesen keineswegs einen günstigen oder gar Sympathie erweckenden Eindruck. Die Ab- ordnung richtete denn auch nichts aus.
Der 26. Januar 1845 sah eine imposante schweizerische Volksversammlung auf der Wiese beim ,, Kreuz" in Unter- strass. Zu Ross und Wagen waren die Zürcher in Massen herbei- geeilt und mit ihnen Aargauer, Berner, Luzerner, Thurgauer, Solo- thurner, Basellandschäftler usw. An einem Winterthurer Wagen, der in Schwamendingen stehen gelassen wurde, las man die In- schrift: ,, Jesuitenfreund ist vSchweizerfeind, Jesuitenstift ist Christengift, Jesuitenbund der Höllen Schlund, Jesuitenlehre des Teufels Wehre. Darum fort nüt der Jesuitenbande aus unserem Vaterlande, 's nächstemal Kugeln in Sack fürs Jesuitenpack." Auf der Tribüne sah man die KorA-phäen der radikalen Partei, und neben ihnen — siehe da, ein neuer Stern am politischen Himmel Zürichs, eben erst über dem Horizont sichtbar, aber
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bald alle an Glanz überstrahlend: Alfred Escher. Auch Dr. Robert Steiger von Luzern und Landammann Sidler von Zug befanden sich auf der Tribüne und wurden wiederholt gerufen, liessen sich aber entschuldigen. Die Reden von Jonas Furrer, Weiss und Oberst Fierz machten grossen Eindruck, wenn auch Weiss den Mund vielleicht etwas voll nahm mit der Behauptung, dass die hier ertönende Volksstimnie an den Marmorwänden von Rom und ^^'ien widerhallen werde. Die von der Versammlung angenommene Adresse sprach die Erwartung aus, dass die Jesu- iten weggewiesen werden und dass die Bundesbehörde ihrem Beschlüsse Nachachtung zu verschaffen wissen werde. — - Die Konservativen lancierten eine — • wiederum von Wädenswil ausgehende — Gegenpetition, die sich mit 18,251 Unter- schriften bedeckte und darauf drang, mit allen erlaubten und moralischen Mitteln auf die Zurücknahme der Jesuitenberuf uug nach Luzern hinzuwirken, aber von allen Gewaltmassregeln ab- zusehen, um nicht einen Bürgerkrieg heraufzubeschwören. Die von Dr. Jonas Furrer eingereichte Petition von Unterstrass sollte die Meinung von 25,000 Einwohnern, welche angebhch der Versammlxmg beigewohnt hatten, und 9000 weiteren Bürgern vertreten.
Die vorörtliche zürcherische Regierung stand auf dem Boden der konservativen Petition, und noch in seiner Eröffnungsrede im Grossen Rat am 4. Februar 1845 warnte Regierungsrat und Grossratspräsident Bluntschli vor gewalttätiger Vertreibung der Jesuiten. Am 5. und 6. Februar wurde über die Frage lebhaft debattiert. Bei dieser Gelegenheit hielt auch das jüngste Rats- mitglied, Dr. Alfred Escher, seine Jungfernrede und wies aus der neuern Geschichte den verderbUchen Einfluss der Jesmten nach. Mit 103 gegen 95 Stimmen verwarf der Grosse Rat die Anträge der Regierung und beschloss: Luzern sei zur Abberufung der Jesuiten aufzufordern und jede weitere Aufnahme von Jesuiten in irgend einem Kanton von Bundes wegen zu untersagen. ,,Die vorörtUche PoUtik erhtt im vorörtHchen Kanton eine Niederlage." Der zweite Freischarenzug am 31. März 1845 nahm wiederum ein Ende mit Schrecken; es war gerade Sechseläuten in Zürich, als die Nachricht von seiner Niederlage sich verbreitete. Am 2. April war im Grossen Rat die Erneuerungswahl von fünf
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Regierungsräten vorzunehmen; einer von ihnen, Mousson, wurde bestätigt, die andern vier Konservativen durch Radikale ersetzt. Dies veranlasste Bluntschli, am 3. April seinen Rück- tritt als Regierungsrat zu erklären, und dieser Demission schloss sich nun auch Mousson an. An die Stelle der beiden konserva- tiven Staatsmänner traten Jonas Furrer und EssHnger, und Jonas Furrer, das erklärte Haupt der liberalen Partei, wurde mit 120 von 165 Stimmen in derselben »Sitzung zum Amtsbürger- meister und Tagsatzungspräsidenten gewählt. Er hatte sich lange geweigert, eine solche Wahl anzunehmen, aber der Grossratspräsident Bluntschli redete ihm ins Gewissen: ,,Herr Dr. Furrer ist als Führer der Partei, welche die jüngsten Wahlen in den Regierungsrat vollzog, morahsch verpflichtet, die Wahl anzunehmen; es ist nicht möghch, dass er auf seiner Weigerung bestehe. Es genügt nicht, einer Regierung in den Zügel zu fallen, sondern man muss auch die Verantworthchkeit der daherigen Folgen übernehmen." In seiner Schlussrede sagte Bluntschli, immer über der »Sache stehend: ,,Ohne Revolution ist eine totale Umänderung in der Regierung eingetreten; hoffen wir, dass dieses Ereignis zum Segen des Vaterlandes werde." Bei den Kon- servativen verursachte dieser Wandel der Dinge tiefste Nieder- geschlagenheit. Bluntschli, auf dessen Dienste das Vaterland ver- zichtete, richtete seine Bücke nun ebenfalls auf das grössere Deutschland. Er Hess sich 1848 nach München, 1861 nach Heidelberg berufen, nahm aber nach München noch den Auftrag Jonas Furrers mit, das von Keller begonnene, von ihm fortgesetzte bürgerliche Gesetzbuch für den Kanton Zürich zu vollenden, mit dem er sich ein bleibendes Denkmal in seiner alten Heimat gesetzt hat. Seine ausserordentUch vielseitige und fruchtbare Tätig- keit in Deutschland auf politischem und kirchUchem Gebiet und seine universelle Bedeutung als Jurist stellen ihn in die erste Reihe der Söhne unseres Vaterlandes. Mitten in der vollsten und schön- sten Wirksamkeit starb er am 21. Oktober 1881 zu Karlsruhe. — In Zürich nahm die Auflösung der Septemberherrschaft ihren unaufhaltsamen Fortgang. Am 16. Dezember 1845 wurde der Amtsbürgermeister Furrer Grossratspräsident, der 1839 vertriebene Weiss Vizepräsident, Zehnder Amtsbürgermeister, der Erziehungsrat erfuhr eine radikale Renaissance. Die
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Grossrats wählen vom Mai 1846 vollendeten den friedlichen Umsturz und boten das genaue Widerspiel zu den Wahlen vom September 1839: Dezimierung der Konservativen bis auf eine Gruppe von 30 bis 40 Mann. Dass durch diesen vollständigen Systemwechsel auch einem Mann wie Georg v. Wyss die weitere politische Karriere für immer abgeschnitten wurde, haben nicht nur seine engeren Parteifreunde bedauert. Statt dass man nach dem Rücktritt des ersten Staatsschreibers Hottinger (1847) Wyss hätte vorrücken lassen, wurde Dr. Alfred Escher an diese Stelle gewählt und zum zweiten Staatsschreiber der Winterthurer Jakob Sulzer, welcher Wyss schon 1846 als Sekretär des Grossen Rates verdrängt hatte. — Mit den Gross- ratswahlen von 1846 fand die Geschichte des 6. September 1839 ihren Abschluss. 1832 — 183g ,, sieben gottgesegnete Jahre" (nach dem Zeugnis der Kirchgemeindepetitionen); 1839 — 1846 sieben Jahre Reaktion. Aber nicht haben diese wie die sieben mageren Kühe in Pharaos Traum ihre sieben fetten Vorgänger aufzu- zehren vermocht, sondern sie sind ihrerseits bis zum letzten Schwanzzipfel wieder verschlujigen worden. Die ,, Freitagszeitung" vom 18. September 1846 bemerkte: ,,Wir sagen nichts Neues und nichts Unerhörtes, wenn wir darauf aufmerksam machen, dass gegenwärtig fast alle Wahlen über den radikalen Ivcisten gehen und dass man Konservative höchstens etwa noch aus Mitleiden als Hüberlinge zum Flicken braucht."
VIERTER TEIL
DIE LIBERALE AERA
EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL
DIE EISENBAHN
Napoleon I. hatte sich sehr verächtHch über Eisenbahnen aus- gesprochen. Von dem berühmten Physiker Arago war der „wissenschaftHche Nachweis" erbracht worden, dass auf einer Eisenbahn niemals würden Lasten befördert werden können. Nach einem Urteil der französischen Akademie der Wissenschaften wäre der Techniker, der an den Bau von Eisenbahnen gehen wollte, ,,reif für die Zwangsjacke". In den Archiven der am 7. Dezember 1835 eröffneten ersten deutschen Eisenbahn Nürnberg-Fürth liegt ein Gutachten der bayrischen Ärzte, welches erklärt: ,, Orts- veränderung vermittelst irgend einer Art von Dampfmaschine sollte im Interesse der öffentlichen Gesundheit verboten sein. Die raschen Bewegungen können nicht verfehlen, bei den Passagieren die geistige Unruhe, dehrium furiosum, herv'orzurufen. Selbst zugegeben, dass Reisende sich freiwilHg dieser Gefahr aussetzen, muss der Staat wenigstens die Zuschauer beschützen; denn der Anblick einer Lokomotive, die in voller Schnelligkeit dahinsaust, genügt, diese schreckliche Kranklieit zu erzeugen. Es ist daher unumgängUch nötig, dass eine Schranke, wenigstens sechs Fuss hoch, auf beiden vSeiten der Bahn errichtet werde." Wenn es also auch im Kanton Zürich Leute gab, welche dem Projekt einer Eisenbahn mit starkem Zweifel und Kopfschütteln gegenüber- standen, so befanden sich dieselben in sehr guter Gesellschaft. Allerdings war man mit dem Wort ,, unmöglich" etwas vorsichtig geworden, seitdem das erste Dampfschiff den Zürichsee durch- furchte und die Zweifler sich durch Augenschein an Bord der „Minerva" von der Leistungsfähigkeit einer Dampfmaschine über- zeugen konnten, um schUesshch mit dem bewundernden Ausruf: ,,Was doch der Tüfel nid alles ersinnet" zu kapituheren (vgl. Hardmeyer-Jermys ,, Bilder vom Zürichsee"). Die Bedenken gegen ein zürcherisches Eisenbahnuntemehmen hatten ihren Grund denn auch viel weniger in techiüschen Schwierigkeiten
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als in der für immöglich gehaltenen RentabiUtät. Nachdem die Zürcher Handelskammer am ii. März 1836 Vorstudien angeregt und vSchritte bei den Behörden eingeleitet hatte, konstituierte sich am 17. Januar 1838 unter dem Vorsitz von alt Bürgermeister C. V. Muralt in Zürich die „Eisenbahngesellschaft Basel- Zürich"; aber von den 30,000 Aktien wurden nur Q178 gezeich- net, und nach erfolglosen Bemühungen um behördliche Unter- stützung und das Vertrauen des Publikums musste am 5. Dezem- ber 1841 die Gesellschaft ihre I^iquidation beschUessen. Auf die zu öffenthcher Versteigerung gebrachten Pläne und Akten der Gesellschaft ging ein einziges Angebot (von 3600 Fr.) ein. Es kam von Martin Escher-Hess aus dem Wollenhof, später „Dampf -Escher" genannt.
Mit Martin Escher-Hess (geb. 1788, t 28. September 1870) tritt eine der sympathischsten Gestalten des altem Zürich vor die Augen des Lesers. Seine Vaterstadt schuldete — und bezeugte ihm auch — ihre tiefste Dankbarkeit für seine uneigen- nützige, aufopfernde Tätigkeit an der Spitze des Kaufmännischen Direktoriums bei der baulichen Umgestaltung Zürichs. Mit seiner grossen persönhchen Liebenswürdigkeit und Generosität, seiner zähen Ausdauer, seinem kaufmänmschen Talent und Scharf- blick gelang es ihm schliesslich, die enormen Schwierigkeiten zu besiegen, welche dem Anschluss Zürichs an das in raschem Ent- stehen begriffene europäische Eisenbahnnetz im Wege standen. Martin Escher wurde der Gründer und Direktor der ersten schweizerischen Eisenbahn (der bei Basel auf Schweizer- gebiet hereinreichende, am 15. Juni 1844 eröffnete Stumpen der Strecke St. Ludwig-Basel kann nicht als ,, schweizerische Eisen- bahn" angesprochen werden). Mit seinen Freunden Conrad Ott- Imhof, Schulthess-Landolt, Salomon Pestalozzi und G. v. Schult- hess Rechberg bildete Martin Escher im Sommer 1845 ein Initia- tivkomitee, in dessen Auftrag er nach Wien reiste, um den General- Inspektor der österreichischen Bahnen, Ingenieur v. Negrelli, den Erbauer der Münsterbrücke, für den Bahnbau zu gewinnen und bei dessen Oberbehörden den nötigen Urlaub zu erwirken. Die Pläne für die Bahnliöfe in Zürich und Baden und für die Überbrückung der »Sihl in Zürich hatten die Zürcher Ingenieure Wegmann und Ferd. Stadler ausgearbeitet. Die zürcherische
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geb. 1788
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Konzession datiert vom 26. Juni 1845, die aargauische vom 3. Juli 1845. Mit Baselland, welches eine gänzhche Ver- ödung seiner I^andstrassen und hoffnungslose Verarmung seiner Wirte und Fuhrleute befürchtete, und mit Baselstadt, das lieber nach Luzern und dem Gotthard strebte, war nichts zu machen, so dass man sich vorerst auf das Teilstück Zürich-Baden beschränken musste. Von den 40,000 ausgegebenen Aktien wur- den 32,939 eingezahlt; den Rest musste die Gesellschaft selber übernehmen. Im Kasino Zürich tagte am 16. März 1846 die erste Generalversammlimg der Aktionäre der ,, Schweizerischen Nordbahn- Gesellschaft". Sie bestellte die Direktion aus Martin Escher-Hess (Präsident), Ott-Imhof, Schulthess Rech- berg, Regierungsrat EssHnger und VögeH-Wieser, sämtHch in Zürich. Zum Präsidenten des Ausschusses (Verwaltungsrates) wurde gewählt Regierungsrat Eduard Sulzer, zu MitgUedern: Salomon Pestalozzi, Schulthess-Eandolt, Bürgermeister Dr. Jonas Furrer, alt Bürgermeister C. v. Muralt, Landammann Frei-Herose (Aarau), Regierungsrat Schaufelbühl (Laufenburg) ; alt Bürger- meister J. J. Hess, alt Oberrichter Dr. Ulrich, Escher-Pestalozzi zum Steinliof, Hans Stockar-Escher. Die Konstitmerung der Eisenbahngesellschaft erweckte in Zürich grossen Enthusiasmus. Das Sechseläuten am 23. März 1846 stand ,,im Zeichen des Verkehrs". Ein vielbewundertes Gedicht des populären Metzgers und Poeten Gramer pries die Errungenschaften der fünf Männer des Initiativ-Komitees als herrhches Friedenswerk in trüber Zeit. Zum ,, Kronentor", dem prächtigen Wohnhaus Martin Eschers am Seilergraben, bewegte sich abends ein brillanter Fackelzug sämtlicher Zünfte. Im Zug marschierten 800 Fackelträger, 13 Zunftpräsidenten, 26 Träger der Ehrengeschirre, 26 Marschälle nebst Stab und Pannerträgern. Oberst Bürkü-Füssh hielt eine begeisterte Ansprache an Martin Escher, die dieser beantwortete. Sänger trugen zwei speziell für diesen Anlass gedichtete Lieder vor und ein silberner Becher mit der Widmung ,,Die Stadt Zürich Herrn Martin Escher" und den Emblemen der Münsterbrücke und des Kornhauses wurde dem Gefeierten überreicht.
Der Grosse Stadtrat hatte bereits am 14. Januar 1846 beschlossen, das Terrain für den Bahnhof im Schützenplatz imentgeltUch abzutreten, und die Bürgergemeinde bestätigte
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diesen Beschluss am 5. Februar 1846. Die ganze Bahnhofanlage wurde mit einem Holzgitter eingefriedigt. Die Geleisehalle über- dachte fünf vSchienenstränge : zwei in der Abfahrtshalle (links, gegen die Stadt zu), zwei in der Ankunftshalle (rechts, gegen die Platzpromenade) und ein mittleres Rangiergeleise. Alle fünf Schienenpaare liefen in dem halbkreisförmigen Platz vor dem Bahnliof auf eine Drehscheibe zusammen. Nach der Sihl hin waren die Geleise durch eine hölzerne Barriere abgesperrt, die jedesmal nach Ankunft eines Zuges, wenn der ,,Choh" im vStall war, zugemacht wurde und dafür denFussweg öffnete. Im Gebäude hnks (gegen die Stadt) befand sich die Verwaltung, im Zwischen- bau waren die Wartesäle, auf der rechten Seite (nach der Platz- promenade) Magazine und Dienstgebäude. Ein eigener Omnibus- dienst der Gesellschaft vermittelte den Verkehr des PubHkums aus dem Zentrum der Stadt nach dem recht entlegenen Bahnhof. Die Wagen fuliren vom Posthof über Paradeplatz und Talacker und dann über die hölzerne Schanzengrabenbrücke beim Bahn- hof, wohin man vom rechten Limmatufer her zu Fuss auf dem ,, Dangen Steg" gelangte. Die Schwierigkeiten des Bahn- baues begannen schon gleich ausserhalb des Bahnhofs: bei der Sihlbrücke, die infolge eines zweimaligen schweren Wolkenbruchs im August 1846 für grösseren Hochwasserdurchlass umgeändert werden musste. Sie führte anfänglich zwei, 1856 nach der ersten Bahnliof erweiterung sieben Geleise über die Sihl. Nicht geringe Kosten verursachte die Korrektion und Überbrückung der Rep- pisch bei Dietikon. Das Terrain von Spreitenbach bis Baden war sehr ungünstig; die jetzt durch zwei Brücken abgeschnittene Halbinsel beim Seminar Wettingen wurde mit einer grossen Schlaufe umgangen. Der Bau des 90 Meter langen Tunnels durch den Schlossberg in Baden brachte eine gewaltige Erdmasse ins Rutschen; er musste durch hohe Mauern geschützt werden, wobei leider wertvolle Weinberge zerstört wurden. Bei den Expropriationen längs der BahnUnie machten die Landeigentümer einen tüchtigen Schnitt; auf zürcherischer Seite überstiegen die Preise den Voranschlag um 23%, auf aargauischer um 129%. Eine grössere Station erhielt bloss Dietikon, einfache Haltestellen Altstetten und vSchlieren. Die Eschen für die Schwellen waren vorsorghch schon im Winter 1845/46 gefällt worden, die Schienen
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bezog man durch Escher Wyss & Co. aus englischen Werken. Vier Lokomotiven, „lyimmat", „Aare", ,, Rhein" und ,,Reuss" wurden in den Werkstätten von Emil Kessler in Karlsrulie her- gestellt, und ein junger Basler Mechaniker im Dienst dieser Firma, Nikiaus Riggenbach, der spätere Erbauer der Rigibahn, hatte die Freude, diese vier ersten L,okomotiven über die Schweizer- grenze hereinzubringen. Er schildert in seinen ,, Erinnerungen" das bedenkhche Kopfschütteln manches ehrsamen Basler Bürgers beim Passieren der alten Rheinbrücke und den Jubel der Zürcher Bevölkerung bei der ersten Probefahrt Zürich- vSchlieren. Der Wagenpark der Gesellschaft bestand aus 31 Personen- und 9 Ge- päck-, Güter- und Viehwagen.
Die Einweihung der Bahn am Samstag den 7. August 1847 lockte viel Volk nach Zürich und Baden und an die Zwischen- stationen. Ein Extrazug holte am Morgen die aargauischen Be- hörden und Ehrengäste in Baden ab. Im reich dekorierten Warte- saal in Zürich wurden die ersten Begrüssungsansprachen zwischen Martin Escher und Landammann Siegfried gewechselt, worauf man die ganze Bahnliofanlage eingehend besichtigte. Punkt
1 Uhr verhess der Festzug mit 140 Personen die Bahnhofhalle. Die bekränzte Lokomotive ,,Aare" war vorgespannt; auf ihrem Vorderteil standen in alter Waffenrüstung, mit Pannem in der Hand, zwei zürcherische Lokomotivführer; ein dritter lenkte die Maschine. Sodann folgte ein offener Wagen mit treffUcher Musik imd nach ihm die Personenwagen. Die Stationen und Wärter- häuschen an der Linie trugen Kränze und Blumenguirlanden; auch der Bahnhof Baden war prächtig geschmückt. Ein Triumph- bogen mit Inschrift stand am Weg nach den Bädern. Den an- kommenden Gästen wurden Blumensträusse, Herrn Escher ein Lorbeerkranz überreicht, den er aber nicht annahm. Zahllose Toaste würzten das Bankett im Gasthof zum ,,Schiff". Die schönste Rede hielt beim Abschied am Bahnhof Landammann Waller. Am 9. August wurde der regelmässige Betrieb eröffnet. TägUch fuhren vier Züge nach jeder Richtung, Sonntags noch je ein Extrazug. Zum Schmerz der Direktion ereignete sich schon am dritten Betriebstag ein schwerer Unglücksfall. Der Ober- kondukteur Brunner hatte eben noch die Passagiere gewarnt, nicht hinauszulehnen, da jetzt das Brücklein über die Reppisch
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komme; er selbst beobachtete diese Vorsicht nicht, wurde vom Zug gerissen und schreckHch verstümmelt. Die Frequenz war gleich von Anfang an eine recht erfreuliche; schon während der drei ersten Wochen wurden zwischen Zürich und Baden 24,836 Personen befördert.
Der Ausbau des zürcherischen Bahnnetzes verzögerte sich über Erwarten. Die unruhigen politischen Verhältnisse beein- flussten den Geldmarkt sehr ungünstig, und sodann musste, nach Gründung des neuen Bundes, zunächst einmal die Frage: ,, Privatbau" oder ,, Staatsbau" entschieden werden. Nach heissem und langem Kampfe siegte der Privatbau, und zwar mit Hülfe Zürichs und Alfred Eschers. Den politischen Zentra- listen beherrschte ein starkes föderalistisches Bedenken: wenn Bern zum Bundessitz auch noch die Zentralverwaltung der Schweizerbahnen erhielt, könnte es Zürich gegenüber allzu mächtig werden. Auch die Broschüre des weitblickenden bernischen Staatsmannes Stämpfli für den Rückkauf der Eisenbahnen wurde in Zürich sehr ungünstig beurteilt. Die ,, Freitagszeitung" erklärte (1862) einen Sieg der Stampf hschen Ideen für ein Natio- nalunglück, den Untergang der alten Schweiz. ,,Mit dem kanto- nalen Deben und der kantonalen Selbständigkeit wäre es aus. Wir hätten eine Hauptstadt, in der allein die Geschicke der Schweiz abgemacht würden, auf die sich alles politische Leben und Treiben konzentrierte, in der man zu siegen und dann über die Schweiz zu herrschen streben würde, von der aus Gnaden und Ämter allein ausgingen, — kurz, die Schweiz würde zu einem De- partement und aller Patriotismus der Unabhängigkeit müsste erlöschen. Napoleon könnte zugreifen, wann und wo und wie er wollte. Fände die Schweiz ja dann nicht einmal mehr das Geld, um zum Kriege zu rüsten, wenn sie ihren Kredit für die Eisen- bahnen erschöpft hätte und schon über und über in Schulden stäke." Aus solchen und ähnlichen Erwägungen heraus war in der Tat schon 1852 der »Staatsbau von der Bundesversammlung abgelehnt worden.
In Zürich war 1S51 ein neues Unternehmen entstanden: die ,, Zürich-Bodensee-Eisenbahngesellschaft", welche mit Vertrag vom 29. April 1853 mit der Nordbahn zur ,, Schweize- rischen Nordostbahn" (N. O. B.) fusionierte, an deren Spitze
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Alfred Escher trat. In St. Gallen entstanden durch Fusion der ,,St. GalHsch-AppenzelHschen Eisenbahngesellschaft", der ,, Schweizerischen Südostbahn" (nicht zu verwech.seln mit der spätem gleichnamigen Gesellschaft Wädenswil-Einsiedeln etc.) und der Glattalbahn am 10. April 1857 die „Vereinigten Schwei- zerbahnen" (V. S. B.). Von den 1855 — 1865 neu eröffneten Linien sind für Zürich folgende von Bedeutung:
Winterthur-Romanshorn N. O. B. 16. Mai 1855;
Örlikon-Winterthur N. O. B. 27. Dezember 1855;
Zürich-Örlikon N. O. B. 26. Juni 1856;
Wallisellen-Uster V. S. B. i. August 1856;
Baden-Brugg N. O. B. 29. September 1856;
Winterthur-Schaffhausen N. O. B. 16. April 1857;
Uster-Wetzikon V. S. B. 9. November 1857;
Brugg-Aarau N. O. B. 15. Mai 1858;
Wetzikon-Rüti V. S. B. 15. August 1858;
Rüti-Rapperswil-Glarus V. S. B. 15. Februar 1859;
Turgi-Waldshut N. O. B. 16. August 1859;
Zürich-Altstetten-Zug-Ivuzern i. Juni 1864;
Zürich-Örlikon-Bülach mit Oberglatt -Dielsdorf i. Mai 1865.
Die beiden letztern I,inien wurden nur von der N. O. B. geleitet und betrieben, bildeten aber besondere Unternehmungen. Die übrigen mit N. O. B. bezeichneten Linien sind das alte Stamm- netz der Nordostbahn.
Wenn im ersten Betriebsjahr 166,248 Personen befördert worden sind auf der ,, Spanisch Brödlibahn" (so genannt nach einer beliebten Badener Spezialität), jetzt aber jährlich über 4^/2 Millionen Menschen nur allein vom Hauptbahnhof Zürich abreisen, täglich insgesamt 500 Züge in denselben einlaufen und aus seiner Halle abfahren, so nimmt sich bei solchem Ver- gleich der Betrieb der ersten schweizerischen Eisenbahn ja recht winzig aus. Sie war nichtsdestoweniger eine Glanzleistung für ihre Zeit. Wie oft mag der ehrwürdige Martin Escher-Hess noch von seinem Landsitz im Engenweg in Unterstrass sinnend hinübergeschaut haben auf die Lichter der Bahnlinie, von der wie ein Gruss aus schöner alter Zeit der Pfiff der Loko- motiven herüberschallte. Als die ,, Spanisch BrödUbahn" eröffnet
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wurde, war das I,and von Sonderbundssorgen erfüllt; als Martin Escher die müden Augen schloss, beschäftigte der deutsch- französische Krieg Sinnen und Gedanken der Leute. Beides war einer vollen und gerechten Würdigung seines Werkes nicht gerade günstig; den Tribut der Dankbarkeit und Verehrung aber zollten ihm seine Mitbürger, ^litarbeiter und frülieren Untergebenen noch über das Grab hinaus.
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ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL
KRIEGSBILDER
EIN \'ORSPIEL. Der Wirt Johann Gross zum Cafe litteraire in Zürich (f 1897 im Altersasjd Helfenstein) war ein feuriger Radikaler und dabei ein guter Mann. Der radikale Patriotismus, der an den Stammtischen seiner berühmten Wirtschaft dominierte, war ihm selber Evangelium, innerste Überzeugung, für die er alles zu opfern, ja sein Blut zu verspritzen bereit war. Das bewies er auch mit der Tat: Johann Gross stand als Leutnant bei Lunnern an der Reuss tapfer im Kugelregen und half Zürichs Waffenehre glänzend retten, während andere — davonHefen. Im Cafe Htteraire sind zuweilen Verhandlungen geführt und Beschlüsse gefasst worden, die denjenigen im Grossen Rat den Weg vorzeichneten. Der nachmaUge Regierungsrat Karl Walder, 1847 Sekretär des Grossen Rates, berichtet von einer interessanten Szene, bei der alt Regierungsrat Oberst Weiss an den bekannten runden Tisch, an dem mehrere Regierungsräte und höhere Offiziere sassen, heran- trat und ihnen seine Meinung über den schwächUchen Instruktions- antrag der Regierung deutHch aussprach, womit er eine Änderung der Instruktion bewirkte. In der ganzen Schweiz berühmt geworden ist aber das Cafe litteraire und sein Inhaber besonders durch die Befreiung und Entführung von Dr. Robert vSteiger in Luzern. Dr. vSteiger, ein sehr geachteter und beliebter Arzt, hatte sich be- wegen lassen, an dem zweiten unglückhchen Freischarenzug 1845 teilzunehmen, war dabei gefangen genommen und am 2. April in Luzern eingebracht worden unter einem teuflischen Gejohle des Pöbels, das selbst einem Siegwart-Müller durch Mark und Bein ging. Im Kesselturm, der Bastille der Luzerner Regierung, wurde Steiger eingekerkert und am 3. Mai zum Tode durch Erschiessen verurteilt. Das Obergericht verwarf die Appellation. Das Schick- sal des Gefangenen ging dem Wirt Gross und seiner gleichgesinnten Frau, die darob viel Tränen vergoss, tief zu Herzen. Er beschloss, Steiger zu befreien. Mit einem seiner Gäste, dem Luzerner Flucht-
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ling Bühler von Büron, führte er darüber eifrige Gespräche. Bühler verschaffte Gross die Bekanntschaft eines Landjäger- Korporals Birrer in L,uzern, mit dem er das Nähere über den Befreiungsplan besprechen sollte. Fünfmal reiste Gross zu diesem Zweck über den Albis und wieder zurück, ohne etwas ausgerichtet zu haben. Birrer hielt die Entführung für unmögUch. Nun aber schrieb die ebenfalls ins Vertrauen gezogene Frau Dr. Steiger, Gross möchte noch einmal kommen und 6 — 8000 Fr. mitbringen. Gross hatte nur 2000 Fr. zur Verfügung; er bat einen seiner eben anwesenden Gäste, Maler, auf der Waid bei Zürich, um das Fehlende, und dieser hef spornstreichs nach Hause, um die 6000 Fr. zu holen.
Unverzüghch ging Gross nun an die Ausführung seines Planes, bestellte zwei Wagen — • im einen fuhr seine unternehmende Schwägerin Jungfer Bosshart mit — und reiste nach Luzern, wo er nachts 11 Uhr eintraf und im ,, Weissen Kreuz", die Schwägerin im ,, Schwanen" einkehrte. Dem Korporal Birrer war es nämhch inzwischen doch gelungen, noch zwei Kollegen, Kaufmann und Hofmann, für die Sache zu gewinnen. In der Nacht (des 19. /20. Juni) führte Birrer den Landjäger Hof mann zur Ablösimg eines andern Postens vor den Kesselturm. Hofmann öffnete mit einem Nachschlüssel die Gefängnistür und half Dr. Steiger durch eine Öffnung im Korridor in die anstossende Scheune des Kutschers Hofstetter schlüpfen, wo Kaufmann seiner harrte. Während Hof- mann auf seinen Posten vor der Tür zurückkehrte, schlüpfte vSteiger in eine bereit gehaltene Landjägeruniform und spazierte dann mit Kaufmann als ,,PoUzeipatrouille" ruliig am Kesselturm und an Siegwarts Haus vorbei, dem Kriensbach entlang und über die Reussbrücke zur Kapellgasse. Ohne von irgend einer Wache an- gehalten zu werden, gelangten die beiden in die Zürcherstrasse, wo Gross voll Angst und Sehnsucht mit dem Fuhrwerk harrte und sie rasch einsteigen Hess. Dann ging es in hellem Galopp davon und morgens zwei Uhr war man auf Zürcherboden in Knonau in Sicherheit. Eine Stunde nach dem Ausbruch Steigers führte Birrer einen andern Landjäger zur Ablösung Hofmanns vor den leeren Kesselturm, ging mit Hofmann auf die Wachtstube, Hess sich für den Rest der Nacht durch einen Vize-Postenchef vertreten und begleitete endHch Hofmann ebenfalls in die Zürcherstrasse — zum Wagen der Schwägerin. Um 3 Uhr war auch dieses Fuhrwerk in
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Knonau. In frühester Stimmung wurde die Reise nach Zürich fortgesetzt und unterwegs nur noch in Bonstetten bei Freunden Halt gemacht. Die ganze Stadt Zürich geriet ob der Neuigkeit in Bewegung, das Cafe htteraire wurde fast erstürmt, jedermann wollte Dr. Steiger sehen und seinen Befreiern wurden begeisterte Ovationen dargebracht. Dr. Steiger Hess sich hierauf in Winterthur nieder und schuf sich dort einen neuen Wirkungskreis. Die Ge- meinde Höngg schenkte ihm das Bürgerrecht, der Regierungsrat das Landrecht. Auch die drei Landjäger wurden — nicht ohne lebhaften Protest konservativer Jlinderheiten, welche in bestech- lichen Landjägern keine wünschbare Acquisition erbhckten — in Wiedikon, Schheren und Bonstetten eingebürgert. Während die Luzerner Regierung auf der sogenannten Lästerbank eine Tafel anbringen liess mit den Worten: ,, Jakob Robert Steiger, dato landesflüchtig, ist wegen Hochverrats laut Freischarengesetz zum Tod durch Erschiessen verurteilt", feierten die Winterthurer Liberalen den Geretteten in fast überschwengHcher Weise. Oberst Ulrich jVIeister erinnert sich noch an den langen Kutschenzug, mit dem Dr. Steiger durch Benken an den Rheinfall geführt wurde und der auf der Rückfahrt dann auch in Benken zu einer be- sondem Feier anhielt.
MOBILISATION. Der umgekehrte Fall vStrauss: die konser- vative Luzerner Regierung beruft die Jesuiten; radikale Frei- scharen versuchen das mit Gewalt zu hindern, werden aber blutig geschlagen, und die Jesuiten halten zu Allerheihgen, i. November 1845, ihren triumphierenden Einzug in Luzern, herzlich bewill- kommt von dem jetzt konser^'ativen Schultheiss Siegwart-MüUer, der noch wenige Jahre zuvor die Jesuiten als Filzläuse bezeichnet hatte, die man — einmal eingenistet — nicht mehr los werde. Doch mm machte die eidgenössische Tagsatzung die Jesuitenfrage zur Bundessache, erklärte die Jesuiten als Landesgefahr und verfügte ihre Ausweisung aus dem ganzen Gebiet der Eidgenossen- schaft. Da sich die sieben Kantone des Sonderbundes diesem Bundesbeschluss widersetzten, musste derselbe schliessUch mit Waffengewalt vollzogen werden. Die Zürcher Konserva- tiven gerieten durch diesen Gang der Dinge in arge innere Not
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und Bedrängnis. Zwar die Jesuiten waren auch ihnen durchaus unsympatliisch, allein als überzeugte Föderalisten waren sie der Ansicht, daß ihre Berufung ausschUesslich in die Kompetenz der „souveränen" Kantone falle und auf keinen Fall mit Gewalt von Bundes wegen gehindert werden dürfe. Den Siebner-Sonder- bund setzten sie in Parallele mit dem radikalen Siebner-Kon- kordat und meinten, was dem einen recht, sei dem andern billig, bedachten aber zu wenig, dass sie selber das Siebner-Konkordat immer bekämpft und schliesslich aufgehoben hatten, sobald sie die Macht dazu besassen. Sie konnten auch mcht ahnen, mit welchen wahrhaft hochverräterischen Plänen der Sonder- bund — zum Untersclüed vom Siebner- Konkordat ! — von Anfang an umging, • — Plänen, deren Ausführung die Zertrümmerung der Schweiz unfehlbar hätte herbeiführen müssen. Die lebende Gene- ration ist, namentlich dank den Forschungen Wilhelm Öchslis in den Wiener Arclüven, auch über die Geheimgeschichte des Sonderbundes unterrichtet, und es wird heute wenig Leute mehr geben, die es bestreiten würden, dass der Souderbundskrieg eine absolute Notwendigkeit im Interesse der Erhaltung der Schweiz gewesen war. Das konnte man aber damals noch nicht so deuthch und klar erkennen, wie es jetzt der Fall ist. In den Augen der Konser\'ativen war es denn auch nicht die Eidgenossen- schaft, nicht das Vaterland, das für seine Existenz sich wehren musste, sondern es war ledighch ,,der Radikalismus", welcher zum vernichtenden Schlage gegen das konser\'ative und födera- hstische Prinzip ausholte. Das muss man sich vor Augen halten, um zu begreifen, dass zürcherische konservative Offiziere zum Fahneneid demonstrativ schwarze Handschuhe anzogen und der treffUche Adolf Bürkli, der bei der Batterie Scheller so tapfer focht, ,,mit wehmütigem Gefühl, mit fast gebrochenem Herzen" den Schwur leistete. Da war es denn nun ^\^eder eine gar nicht hoch genug zu schätzende Tat Oberst Eduard Zieglers, dass er in diesem Gewissens- und Gefühlskonflikt seinen konservativen Gesinnungsgenossen und Kameraden den klaren Weg der PfHcht zeigte. Er wäre der letzte gewesen, der ,,für den Radikahs- mus" das Schwert gezogen hätte, aber an seinem Beispiel und Vorbild konnten nun die Konserv^ativen erkennen, dass es sich um anderes und um weit mehr handelte als um den Radikahsmus.
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Und es erhielt diese Treue gewissermassen ihre Belohnung dadurch, dass dann gerade Oberst Ziegler mit seiner Division dazu be- rufen war, den Entscheidungskampf in diesem Kriege durch- zuführen und die Ehren des Sieges zu ernten.
Noch bevor die Tagsatzung in Bern Dufour zum General ernannte, che Sonderbundsgesandten am 29. Oktober 1847 die Tagsatzung verHessen und am 4. November der entscheidende Kriegsbeschluss gef asst wurde , begann in Zürich die Mobilisation, und zwar auf speziellen Wunsch St. Gallens, das in seinem See- bezirk von einer aufständischen Bewegung bedroht war. Am 22. Oktober wurde das Bataillon Schmid auf dem Platz hinter dem Stadthaus beeidigt und sodann auf einem Dampfer und sechs Schleppschiffen eingeschifft. In schöner, mondheller Nacht fuhr es seeaufwärts nach Stäfa, und am 23. Oktober folgte ihm eben- daliin das Bataillon Ginsberg. Seitdem genoss nun die Stadt Zürich das fast täghche Schauspiel des Einzugs, der Beeidigung und des Abmarsches von Truppen, des Durchmarsches eidge- nössischer Kontingente von St. Galleu, Schaffhausen, Thurgau, Graubünden; es war ein imaufhörHches Kommen und Gehen. Dass der Krieg tatsächhch ausgebrochen und auch ihren Grenzen schon ganz bedeiikhch nahe gerückt sei, zeigte den Zürchern der Brand der gedeckten Brücke von Sihlbrugg (8. November), in welche die Sonderbündler einen Wagen mit brennendem Stroh geschoben hatten. Auch die gedeckte Brücke von Hütten teilte ein paar Tage darauf dieses Schicksal. Bei der Aufstellung der Ordre de bataille wurden die Zürchertruppen hauptsächhch der 4. Division, Ziegler, Hauptquartier Aarau, und der 5. Di- vision, Gmür, Hauptquartier Zürich, später Af foltern a. A., zu- geteilt.
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LUNNERN. Die Division Ziegler im Freiamt hatte ihre Vorhut bis Dietwil im südlichsten Zipfel des Aargau vorge- schoben. Am 8. November war der Divisionär noch selber da- gewesen und hatte die Offiziere der Kompagnie Forrer zu grösster Wachsamkeit ermahnt. Dessenungeachtet zog Hauptmann Forrer am 10. November morgens seine Schildwachen bis auf einen ein- zigen Posten ein und setzte sich mit seinen drei Leutnants im Pfarr-
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haus zum Frühstück. Da ging die Tür auf; sonderbündlerische Offiziere traten ins Zimmer und ersuchten die Herren Kameraden, sich zur sofortigen Abfahrt nach Luzera bereit zu machen. vSie hatten sich im Schutz des Xebels mit einer starken Abteilung dem Dorf genähert, die einzige Schildwache entwaffnet und die halbe Kompagnie gefangen genommen; die andere Hälfte war zum Teil mit Zurücklassung ihrer Waffen geflohen. Am gleichen Vormittag ging die gedeckte Reussbrücke von Sins in Flammen auf. Diese Vorkommrüsse deuteten auf Unternehmungslust von sonder- bündlerischer Seite und die Notwendigkeit vermehrter Wachsam- keit der eidgenössischen Truppen. Oberst Rotpletz, damals ein junger Soldat, erzählt, dass er sich mit zwei andern als FreiwiUiger der Führung eines Wachtmeisters Sutermeister anvertraute, welcher die Stellung des Feindes bei Reitnau erkunden sollte. „Der Weg ging durch einen Streifen niederu Gehölzes, durch das ein ganz unbedeutendes, zwei bis drei Schuh breites Bächlein floss. Als wir an den Steg gekommen waren, sagte der eine vSchütze: .Ich bliebe denn do an der Brücke als Wache'. Sutermeister lachte grinsend und marschierte ohne ein Wort zu sagen weiter. Als wir aber den Weidenbusch durchschritten hatten und uns auf freiem Feld gegen Reitnau wandten, meinte der zweite vSchütze, ein ge- waltiger, grosser, rothaariger \^'achtmeister, der mich tags zuvor auf der Feldwache kujoniert hatte: ,Ich bliebe denn do am Wald in Aufnahmestellung!' Jetzt brach der Führer in helles Gelächter aus und wandte sich an mich mit den Worten; ,Wottst du öppen au in Aufnahmestellung zurückbleiben?' — ,Ich gehe mit Euch, so weit Ihr wollt', war meine Antwort."
Bei Lunnern schlugen am Freitag den 12. November zürche- rische Pontoniere eine Schiffbrücke über die breit und reissend dalünfUessende Reuss; nur eine Fähre hatte dort bisher den \^er- kehr zwischen den beiden Ufern vermittelt, die seit 1876 durch eine sohde, eiserne Strassenbrücke verbunden sind. Es ist ein hebUcher Fleck Erde, den der vSonderbundskrieg für seine erste ernsthaftere Aktion ausersehen hat. In ihrer ganzen Pracht und Grösse stehen im Süden Rossberg, Rigi und Pilatus nüt dem Kranz der ewigen Firnen. Die anmutige Talschaft weitet sich hier zu nicht unbeträchtlicher Breite, die aber fast ganz der aargauischen vSeite zugute kommt, während auf dem rechten zürcherischen Ufer
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das Terrain schon 14 J^™ vom Fluss entfernt zu der sanft geneigten Anhöhe von Unter-Lunnern ansteigt. Die braunen Häuser und Scheunen dieser Ortschaft, die sich ziemlich eng zusammengedrängt am obern Rand der Anhöhe lagern, gehören zu der Gemeinde Ob- felden, welche gerade in diesem Jahr 1847 eine selbständige Kirch- gemeinde geworden und gerade an diesem Freitag, den 12. No- vember, damit beschäftigt war, den Kirchturm aufzurichten, welche Arbeit indessen wegen der in höchst bedrohHcher Nähe herumsausenden sonderbündlerischen Granaten zeitweise unter- brochen werden musste. Das flache Uferband besteht zmn grössten Teil aus Ried, das mit alten Weidenstrünken bestanden ist und auf dem an dem Tage, von dem wir berichten, die Streue-Ernte zu IG — 12 Fuss hohen Schobern aufgeschichtet war. Strecken- weise begleitet das Ufer, wie übrigens auch jenseits, eine damm- artige Erhöhung. Auf der aargauischen Seite treten die Häuser des Dörfleins Rickenbach ziemHch nahe an den Fluss heran. Aus einer Entfernung von einer halben Stunde schaut vom Fuss des langgestreckten Lindenberg über die Bäume und das Busch- werk der Niederung der schlanke, weisse Käsbissen- Kirchturm der freundUchen Ortschaft Merischwanden herüber. Man sieht auch von der Lunnern-Höhe aus die Landstrasse, die in der Ebene längs des Lindenberg von Merischwanden nach dem % Stunden flussaufwärts an der Reuss gelegenen Mühlau führt, wo sich das Tal wieder bedeutend verengt. Mühlau bildet die vSpitze eines länghchen Dreiecks, dessen zwei Ecken Merischwanden und Rickenbach bezeichnen.
Die Batterie Scheller hatte am Freitag vormittag noch fleissig in Bonstetten manövriert und exerziert, als gegen 12 Uhr ein Befehl des Brigadekommandanten Oberst Blumer sie schleunig nach Affoltern a. A. berief. Sofort wurde Alarm geblasen und das verabredete Signal von acht Kanonenschüssen abgefeuert. In der Stadt verursachte dieser Kanonendonner nicht geringe Auf- regung. Es wurde Generalmarsch geschlagen und die gerade an- wesenden (kathohschen !) St. Gallertruppen sammelten sich rücht sehr eihg. Die wildesten Gerüchte flogen durch die Gassen und verursachten gewaltigen Schreck: die Sonderbündler seien in Rnonau hereingebrochen, die Eidgenossen zurückgeworfen, Kappel und Hausen brennen! Massenhaft rannten die Leute auf den
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Albis und Ütliberg, um vSicheres zu vernehmen. In scharfem Trabe war die Batterie Scheller nach Affoltern gefahren, wo sie einige Kompagnien vom Bataillon ^leyer Nr. 29 und die Batterie Zeller vorfand. Oberstbrigadier Blumer erwartete nach den ihm zuge- gangenen Meldungen ein \'orrücken des Feindes über die Reuss und von Zug her. Am meisten bedroht erschien indessen zunächst der Übergang von Rickenbach-Lunnern. Eben war in Affoltern der Train-Offizier Manch von der Pontonier-Kompagnie Huber, welche die Schiffbrücke geschlagen hatte, mit neuen dringUchen Meldungen vom Anrücken des Feindes eingetroffen. Batterie Scheller erhielt deshalb den Befehl, an die Reuss vorzurücken zur Sicherung der Schiffbrücke von Rickenbach. In schnellster Gang- art, mit Rasseln und Dröhnen, wurde der etwa 4 km lange Weg über Toussen, Obfelden, Ober- und Unter-L,unnern zurückgelegt. Hauptmann Scheller fand die Schiffbrücke bereits fertig erstellt und ritt sofort zur Rekognoszierung ans linke Reussufer hinüber. Hier waren um das Dorf lein Rickenbach her eine Jägerkompagnie und eine vScharfschützenkompagnie aufgestellt; zwei Füsilier- Kompagnien hatte der in lyunnern kommandierende Major Brup- pacher als Reserve auf dem rechten Ufer zurückbehalten. Nun liess Hauptmann Scheller den Leutnant Hauser mit zwei Ge- schützen ebenfalls über die Schiffbrücke nachrücken und sie am Ausgang des Dörfchens Rickenbach, links neben der Strasse nach Merischwanden, auffahren, von wo aus sie diese Strasse und die ganze Ebene, durch welche sie sich zieht, auf 1000 — 1200 Schritt Distanz bestreichen konnten. Oberleutnant Adolf BürkH erliielt den Befehl, mit den zwei andern Geschützen der Batterie weiter rückwärts, auf der Anhöhe bei Unter-Lunnern, eine Position zu wählen, von welcher aus er ebenfalls die jenseitige Landstrasse, aber im Notfall auch die Schiffbrücke zur Deckung eines Rück- zuges unter Kartätschfeuer halten konnte.
Kaum waren diese Dispositionen getroffen, als zwei Luzerner Flüchtlinge atemlos und schweissbedeckt gelaufen kamen mit dem Bericht, ein starkes Kor|3s Luzerner Truppen mit vieler Artillerie habe bereits Mühlau passiert und sei im Anmarsch auf Meri- schwanden begriffen. Die Absicht dieser Truppen konnte keine andere sein, als sich in Merischwanden mit einer scharfen Rechts- schwenkung gegen Rickenbach zu wenden und sich der hier ge-
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schlagenen Schiffbrücke zu bemächtigen. Die ^Meldung der Flücht- linge erhielt ihre volle Bestätigung durch die eigene Beobachtung der Kanoniere auf der Höhe von Lunnern, welche ganz deutlich grosse Truppenmassen auf der Strasse von Mühlau nach Meri- schwanden marschieren sahen. Einer solchen Übermacht gegen- über konnte von einem Standhalten auf dem linken Ufer mit zwei Kompagnien und zwei Geschützen keine Rede sein. Major Brup- pacher befahl den Rückzug sämthcher Truppen auf das rechte Ufer und den sofortigen Abbruch der Scliiffbrücke. Zuerst gingen die zwei Geschütze wieder über die Brücke zurück, gefolgt von einem Fuhrwerk mit fhehenden Landleuten, und dann die Schützen und Jäger, so lange der fortschreitende Abbruch der Brücke es gestattete; die letzten Schützen brachte man noch mit der Fähre ans rechte Ufer. Auf Wunsch des Pontonierhauptmanns Huber Hess Hauptmann Scheller seine beiden zurückgezogenen Geschütze zunächst rechts imd links vom Brückenzugang aufstellen, machte aber bald dem Kameraden begreifHch, dass er ihn viel besser aus einer erhöhten Stellung weiter rückwärts werde schützen können. Er sprengte darum mit seinen zwei Kanonen die Anhöhe nach Unter-L,unnem hinan und protzte vor den Häusern dicht neben der Strasse ab. Inzwischen ging das Abbrechen der Brücke rasch vor sich. Die Jäger und Schützen bildeten flussaufwärts und -abwärts eine Schützenkette unter Benutzung aller zur Deckung dienhchen Gegenstände. Die zwei Füsilierkompagnien standen etwa 50 — 60 Schritte vom Ufer entfernt in der Ebene, teilweise gedeckt durch die Uferböschung und den bei der Brücke aufge- fahrenen Ponton-Train. Kurz vor drei Uhr sah man aus Meri- schwanden starke Kolonnen auf die Ebene debouchieren und sich nach Rickenbach zu in Bewegung setzen. Als die Avantgarde um ein kleines Wäldchen, 500 Schritt vor Rickenbach, herumbog, löste sie sich in tadelloser Ordnung en tirailleurs auf und stürmte im Laufschritt mit lautem Hurrah auf die nahe Reuss zu, und schon sprengten einzelne Reiter dem Flussufer entlang. Mit dem Ruf ,,Obwalden! Obwalden!" eröffneten die Scharfschützen hinter Bäumen und Erderhöhungen hervor alsbald ein heftiges Kreuz- feuer auf die Pontoniere, welche den Abbruch der Brücke kalt- blütig vollendeten und glückhch das letzte Ponton aufs Ufer brachten, während allerdings drei Birago-Böcke zunächst dem
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rechten Ufer stehen gelassen werden mussten. Ein Pontonier wurde am Fuss verwundet.
Der feindhchen Avantgarde war von Merischwanden her eine starke Kolonne Artillerie gefolgt, auf welche Hauptmann vScheller das Feuer seiner sämtlichen vier Geschütze eröffnete, ohne sie jedoch am Abprotzen und Auffahren hindern zu können. Ein Geschütz hatte liinter den Häusern von Rickenbach \-erdeckte Stellung genommen und auf nur 250 Schritt Distanz das rechte Ufer mit Kartätschen zu beschiessen begonnen. Die FüsiUer- kompagnien, die sich in kleinere Gruppen aufgelöst und hinter den Streueschobern Schutz gesucht hatten, wurden schon durch den ersten Kartätschenschuss gänzUch in Verwirrung gebracht und zogen sich in überstürzter Flucht den Abhang liinauf gegen Lunnern zurück, allen voran ein Instruktions-Hauptmann aus neapohtanisclien Diensten und ein zweiter Offizier. Die Pon- torüere, die jetzt mit ihrer Arbeit fertig waren, sammelten sich in einem nahen Wäldchen und schauten dem weitem Verlauf des Kampfes zu. Am Ufer standen nur noch Scharfschützen und Jäger, aber auch sie zogen sich, um bessere Deckung zu finden, immer näher am Abhang heraui. Einer, der nicht vom Platze weichen wollte und hinter einer Eiche am Ufer hervor mit Todes- verachtung immer weiter schoss, war der vScharfschütze Jakob Spörri von Niederglatt. Auf ihn richtete sich schliesslich vom linken Ufer her ein konzentriertes Feuer und er erhielt vier Kugeln, bevor er niederstürzte. Das Ufer war nun bei der Brückenanfahrt ganz verlassen, und schutzlos stand dort angesichts des jubelnden Feindes der Ponton-Train, den er sich gar zu gern geholt hätte. Am schönsten hielt sich, nach dem Zeugnis des auf dem Platze anwesenden Dr. med. Lüning, die Artillerie; ,,die Mannschaft stand und feuerte in ihrer ungedeckten Stellung so ruhig und ge- lassen, als ob sie einer altgedienten Truppe angehört hätte." Das Gefecht war je länger je mehr zum blossen Geschützkampf ge- worden. Die feindlichen Granaten flogen zuerst hoch über die Köpfe der Zürcher Artilleristen hinweg und schlugen in die hinter ihrer Stellung gelegenen Scheunen und Wiesen ein, aber zusehends schoss sich der Feind besser ein und um wenige Zoll sch\\irrten nun die Kugeln vorbei; eine von ihnen tötete das Rlittelhandpferd eines Gespanns.
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jVIit grosser Mühe war es einigen Offizieren, darunter dem Leutnant Gross, gelungen, die erschrockenen FüsiUere oberhalb Lunnerns wdeder zu sammeln, aber die Truppe zeigte auch jetzt noch keine starke Xeigimg, das Gefecht wieder aufzunehmen. Die Lage der unausgesetzt feuernden Batterie Scheller hätte kritisch werden können, wenn es dem Feind eingefallen wäre, den Fluss bei der in der Nähe gelegenen Furt zu passieren und sich auf Lunneru zu stürzen. Glücklicherweise kam das den Sonderbündlern nicht in den Sinn, \aelmehr begann ihr Geschützfeuer auf einmal zu stocken und verstummte endUch ganz. Durch den sich ver- ziehenden Rauch sah man die Artillerie aufprotzen und mit Zurück- lassung eines demontierten Geschützes in aller Eile davonfahren. Ein freudiges Hurrah der Zürcher Kanoniere begleitete diesen Abzug, und es wurde den Davontrabenden noch manche Kugel nachgesandt. Zweimal versuchte man drüben, mit sechs Pferden die stehengebhebene Kanone wegzuliolen, aber die Batterie Scheller sprach dazu ihr gewichtiges Nein. Zur Deckung des Rückzugs Uess der Feind nochmals eine Scharfschützenkompagnie bis an den Fluss vorrücken, deren Feuer jedoch der grossen Entfernung wegen keinen Schaden anrichtete. Als der Kampf vorüber war, erschien — von Affoltern her — auch noch die Batterie Zeller auf dem Platz und bewies mit zwei über die Reuss gesandten Granaten wenigstens ihren guten Willen. Auch Infanterie kam nun in grosser Zahl. Als es Nacht wurde, sah man bei Rickenbach Laternen herum- schwirren ; der Feind suchte die Stücke seiner zerschossenen Kanone zusammen und schaffte sie weg. Als am Morgen ein Genieoffizier in einem Ponton über die Reuss setzte, fand er auf dem Kampf- platz nur noch ein totes Pferd, ein Gewehr und einen Tornister. Die leider zu spät von Affoltern aufgebrochene Infanterie war einigen Flüchtlingen von Lunnern begegnet, unter denen sich auch der erwähnte Instruktionshauptmann befand. Leutnant Karl Walder, an der Spitze seiner Stadtzürcher-Kompagnie, stellte den hinkenden Hauptmann, der am Fuss verwundet sein wollte, zur Rede. Der Hauptmann fing eine grosse Jeremiade an von dem Unglück in Lunnern, die auch die begierig horchenden Soldaten stutzig zu machen drohte, weshalb Walder seine Pistole zog und dem Hauptmarm zurief: ,,Mach Platz, oder ich behandle dich als Deserteur!" Einen Trompeter, der nicht mehr vorwärts wollte.
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traktierte Walder mit der flachen Klinge, die Stadtzürcher aber folgten dem Leutnant mit freudigem Zuruf. Am folgenden Tag erschien der fragwürdige Hauptmann mit einem Finken an einem Fuss ; er musste seine Wunde zeigen, man fand aber nichts als ein Hühnerauge.
Die Zürcher hatten bei Lunnern zwei Tote und i8 Ven\'undete. Einer der Toten war ein Luzerner Flüchtling, der sich an Stelle eines kathohschen Zürchers von Dietikon hatte einreihen lassen; der andere hiess Staub, von Thalwil, und es fügte sich, dass sein Bataillon gerade in derselben Viertelstunde Thalwil passierte (auf dem Marsch nach Richterswil), als man bei seinem Haus für ihn das Leid abnahm. So konnte er dann noch mit miUtärischen Ehren bestattet werden. Samstag vormittag besichtigte auch der Di\'isionär Oberst Gmür den Kampfplatz von Lunnern. Die Schiffbrücke hatte man weiter flussabwärts nach Ottenbach ge- sandt und dort in besser gedeckter Lage neu aufschlagen lassen. Am vSonntag erfolgte eine grosse Rekognoszierung über diese Schiffbrücke ins Freiamt hinüber. Infanterieabteilungen bewegten sich am aargauischen Reussufer aufwärts bis Rickenbach, stellten Feldwachen aus und hielten fleissig Ausschau: eine halbe Kom- pagnie rekognoszierte, von den andern unbemerkt, noch weiter, bis gegen Mühlau, kam dann auf der Landstrasse nach IMerischwanden und debouchierte aus diesem Dorfe auf die Ebene gegen Ricken- bach, genau wie am Freitag die vSonderbündler. Als sie von den bei Rickenbach stehenden Füsilieren und Offizieren bemerkt wurde, packte diese ein panischer Schrecken, und sie stoben auf und davon ! In weniger als fünf Minuten war die ganze \'orposten- linie mit Ausnahme eines Offiziers und 15 — 20 Mann in heller Retirade; der Schreck, der in die Leute gefahren, war entsetzhch. Jeder lief, was er konnte, Gräben und Hecken überspringend, über welche nachher kälteren Blutes keiner mehr zu setzen wagte, Tschakkos, Gewehre und Tornister von sich werfend. So ging es in rasendem Laufe bis zur rettenden Schiffbrücke in Ottenbach und über dieselbe ins Dorf hinauf, wo man erst wieder Atem zu schöpfen wagte. Die vSappeure und Pontoniere bei der Brücke hatten höchst verwundert die Infanteristen vorüberstürmen lassen, ohne selber mitgerissen zu werden, bereiteten sich aber schleunigst auf die Abwehr des den Ausgerissenen vermeinthch auf den Fersen
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folgenden Feindes vor. Statt dessen kam ganz gelassen der zurück- gebliebene Offizier mit seinen Leuten und brachte die Aufklärung. Oberst Meister fügt der Mitteilung dieser Episode aus Adolf Bürklis Tagebuch die Bemerkung bei, dass solche Ausbrüche einer sinn- losen Panik bei jeder Armee, auch der stehenden, zuweilen vor- kommen; sie gehören zu den überraschendsten und gefürchtetsten Erscheinungen eines Feldzuges.
GISIylKON. Nachdem am Soimtag den 14. November Freiburg, am Sonntag den 21. November Zug kapituUert hatte, richtete General Dufour den konzentrischen Angriff von fünf Di\'isionen auf Luzern. Drei von ihnen, Ochsenbein, Burkhard und Donat, sollten von Westen und Nordwesten her vorrücken, die 4. und 5. Division, Ziegler und Gmür, von Norden ins luzer- nische Gebiet eindringen.
Dem Vormarsch dieser letztern zwei Divisionen, denen der grösste Teil der Zürcher Truppen zugeteilt war, stellte das bis 800 m ansteigende, zerklüftete, von Bächen und waldigen Tobein coupierte Massiv des Rooterberges zwischen Zugersee und Reuss eine starke natürhche Barriere entgegen. An zwei Stellen sollte dieselbe durch den Verstoss der eidgenössischen Truppen durchbrochen werden : im Osten durch das Defile Ibikon- Meierskappel (zwischen dem Rischer Berg am Zugersee und dem Rooterberg) — ■ die Aufgabe der Division Gmür! — , und an ihrem äussersten westlichen Rand, bei Gislikon au der Reuss. Das war der kritische Punkt; Ider musste sich die Sache entscheiden. In den Schanzen von Gislikon kommandierte in eigener Person der General der Sonderbundsarmee : Johann Ulrich von Salis-Soglio, ein Protestant von ritterhcher Gesinnung, auch tapferer Soldat, aber schlechter Feldherr. Seinem Freund und Waffengefährten von Holland her, Oberst Eduard Ziegler, war es vorbehalten, ihn aus den Schanzen von GisUkon zu werfen und seinen Feldherrnruhm für immer zu vernichten.
Bei Gislikon schmiegt sich die Reuss dicht an den Fuss des Rooterberges und lässt nur der Landstrasse — jetzt noch der Eisenbahn — , sowie einigen Häusern Platz. Das eigenthche Dörflein hegt kaum hundert Schritte unterhalb der langen ge- deckten Brücke, zum grössern Teil auf der Bergseite der Strasse.
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Bedeutend breiter ist die Talsohle jenseits der Reuss. Eingebettet zwischen den letzten Ausläufern des Lindenbergs und der Reuss, lässt sich die langgestreckte Flussebene bis zu den Höhen von Oberrüti hinab überblicken, wo die Reuss dann wieder zum Linden- berg hinüberbiegt. Die Niederung wird doniimert von der statt- lichen Kirche des uns schon bekannten Dietwil, drüben am Berghang, 4 km Luftlinie direkt nördlich von Gislikon. In der gleichen geraden Richtung stehen die Kirchturmspitzen von Ober- rüti und Sins.
Die Landstrasse Luzern-Zug geht von Gislikon weiter dem Fuss des Rooterberges entlang und tritt von der Reuss mehr und mehr zurück, so dass sich auch auf dieser Seite des Flusses eine Niederung öffnet; aber es ist meist schlechtes, unwegsames Terrain, voll Löcher, Hecken und Höcker, in der Nähe des Wassers auch sumpfig. Eine Viertelstunde vorwärts Gishkon passieren wir Dorf und Kapelle Honau. Die Landstrasse schlägt dann nordöstliche Richtung ein nach Rotkreuz (3 km) und Cham (8 km von Honau).
Bis nach Rotkreuz wagten sich am Tage von Gishkon, Dienstag den 23. November 1847, Schlachtenbimimler von Zürich, unter ihnen auch Fr. Vogel, Verfasser der MemorabiHa Tigurina, und sein 11 jähriger Knabe Gerold. Der Platz war nicht schlecht gewählt und es gab nach den interessanten Aufzeich- nungen Vogels (II, Seite 128 ff.) in Rotkreuz recht vieles zu sehen. Man steht hier gerade vor der Mitte des Nordhangs des Rooter- berges, und mit bange klopfendem Herzen fragten sich die Zu- schauer, wie es den Kolonnen Zieglers beim Ersteigen dieser Schluchten und Tobel, dieser so leicht zu verteidigenden, wald- umsäumten steilen Matten ergehen werde. Der ganze Rooterberg, von der Reuss bis zum Zugersee, war am Frühmorgen mit Sonder- bündlern gespickt. Auch auf der höchsten, baumlosen Kuppe, bei der weit in die Lande blickenden Kapelle St. Michael, ge- walirte man durchs Perspektiv eine bedeutende, in Linie aufge- stellte Masse mit roter Fahne, hinter welcher der Kommandierende geschäftig hin und her ritt.
Eine klare, mondhelle Nacht war dem 23. November vorauf- gegangen. Die Division Ziegler hatte in der Gegend von Sins biwakiert. Zeitig wurde Tagwacht geblasen. Am frühesten
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mussten die Pontoniere aufbrechen. Eine aargauische Pon- tonier- Kompagnie hatte den Befehl, unterhalb der zerstörten Sinserbrücke eine Scliiff brücke zu schlagen für den Übergang der Brigade Egloff. Der Ponton-Train der Zürcher Kompagnie Huber, welche bei Lunnern ihre Feuertaufe empfangen, bewegte sich in die Ebene von Dietwil herunter, um bei der Fähre von Eien, 2 km östUch von Dietwil, für die Brigade König eine Brücke, meist mit Birago-Böcken, zu erstellen. Pontons und Kähne dienten zum Übersetzen der Scharfschützen und Jäger, die als Tirailleure der Division vorauseilen sollten. Auch hier hatten die zürcherischen Pontoniere die Ehre, das feindliche Artilleriefeuer zuerst auf sich zu ziehen. Als sich um 10 Uhr der Nebel zerteilte, bemerkte die Luzeruer Batterie Mazzola, welche auf einer Anhöhe bei Rotkreuz postiert war, die Truppenbewegung an der Reuss und begann zu bombardieren. Die Granaten fuhren zum Teil ganz nahe bei den schon am rechten Ufer wartenden Scharfschützen und Jägern in den Boden, vermochten aber den Brückenschlag nicht zu stören, so dass sich die feindhche Batterie bald auf Honau zurückzog und um 11 Uhr die Brigade König, bei der sich auch der Di\dsionär befand, die Brücke ungelündert passieren konnte. — Die dritte Brigade, Müller, sollte auf der hnken Flusseite bleiben und von dort aus die Operation gegen Gishkon unterstützen, leistete aber darin mchts Besonderes und war nicht \nel mehr als Bedeckung der Artillerie-Reserve unter dem Kommando von Oberst Denzler, welche zwischen 10 und II Uhr durch Dietwil rasselte und herwärts dieses Dorfes, bei der Ziegelliütte, auffuhr, um sogleich mit dem gegenüberhe- genden Honau ein Artillerie-Duell zu beginnen. Der erste Tote auf dieser Seite des vSchlachtfeldes war ein Luzerner Flüchthng, welcher der Artillerie von Oberst Denzler als Fülirer gedient hatte. Doch nun lasst uns rasch von Gishkon nach der St. Michaels- Kapelle hinaufeilen, um — wenigstens für einige AugenbUcke — den Anmarsch der Division Ziegler zu sehen. Die Lage der Kapelle ist entzückend. Hinter ihr ragt, zum Greifen nahe, die Pyramide des Rigi, zu Füssen Hegt ihr das Juwel des Zuger- sees, in der Ebene blinkt in der Sonne bis weit liinab das Silber- band der Reuss. Rings um die Kapelle mit ihrer ]VIiniatur-Be- stuhlung im Innern ist ein schmales Bänklein angebracht, damit
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man recht bequem nach allen Seiten Ausschau halten könne. Nahe dabei steht in der Wiese ein massives Steinkreuz, das St. Michaels-Kreuz. Heute tobt der Schlachtenlärm um die Kapelle. Rechter Hand ist die Division Gmür bereits in voller Aktion, der Rischer Berg schon in ihrer Gewalt, jetzt stürmt Bataillon Brunner gegen Ibikon herauf, über die Stürmenden hinweg feuert die Batterie Scheller, doch allzunahe fliegen die Kugeln über die Köpfe dahin, das Bataillon wird von Furcht ergriffen, wankt, weicht abwärts, nur einige Offiziere bleiben stehen und ein paar Mutige um sie her; da wird Hauptmann Frauen felder von Henggart schwer getroffen und fällt; wild jauchzend stürzen die sSchwyzer aus dem Gebüsch den Fhehenden nach, versetzen dem liegengebliebenen Hauptmann Kolbenstösse auf Brust und Kopf. Ein anderer ver^vundeter Offizier findet einen Helfer und Retter in einem gutherzigen Füsiher, dem Gassen- besetzer (Pflasterer) Meier von der Enge. Zwei Kugeln gehen diesem durch den Tschakko, eine dritte zerreisst den Tragriemen des Habersacks, die \aerte trifft die Säbelkuppel, Meier lässt nicht locker und bringt seinen Offizier in vSicherheit. — Das ist Krieg. — ,,Sieh mich an," sagt ,,der Artillerist" von Selma Eagerlöff zu seiner Frau, ,,ich bin nie im Krieg gewesen. Kann ich wissen, wie ich mich benehmen werde, wenn die Kugeln sausen ? Vielleicht werde ich Angst bekommen. Vielleicht werde ich die Besinnung verlieren. Man kann nie wissen." — ,, Gewiss nicht, du wirst bis zuletzt auf deinem Posten ausharren," hatte sie geantwortet. — ,,Wir wollen es hoffen. Aber das ist wirkUch etwas, was man nicht sicher wissen kann. In solchen Augen- blicken ist man nicht Herr über sich selbst. Da ist es etwas anderes, das die Macht an sich reisst und einen führt. Dann kommt es darauf an, ob das, was in einem steckt, stark oder schwach ist. Solange man die Probe nicht bestanden hat, weiss keiner, wie er handeln wird, wenn eine grosse Gefahr kommt." — Dieser Artil- lerist hat die Probe bestanden. Am Rooterberg hat sie auch mancher Zürcher und Eidgenosse bestanden und mancher Sonder- bündler, andere dagegen nicht, wie es immer war und immer sein wird. Es bedurfte auf eidgenössischer Seite teilweise der grössten Anstrengungen und des alles dransetzenden Beispiels der Offiziere, um die Truppen an den Feind heranzubringen.
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Ausschauend nach der Division Ziegler, sehen wir sie nun in langer schwarzer Linie von der Reuss durch die Ebene gegen den Rooterberg sich heranbewegen. Brigade Egloff hatte schon um acht Uhr die Schiffbrücke bei Sins passiert, war dann nach der sanft ansteigenden Höhe von Hünenberg marschiert, um sich hierauf wieder mehr der Reuss zu nähern und über Meisters- wil, parallel der Reuss, Berchtwil zu erreichen, dessen Häuser noch zehn Minuten von Rotkreuz entfernt sind. Zur Brigade Egloff gehörten von Zürcher Truppen die Bataillone Gins- berg, Benz und Zuppinger, die Scharfschützenkompagme Bleuler, die Kavalleriekompagnie Hanhart und die Batterie Schweizer. Ausserdem waren dieser Brigade noch zugeteilt das Aargauer Bataillon Häusler und die Berner und vSolothurner Batterien Moll und Rust. Die Bataillone waren der grössern Beweghchkeit wegen sämthch in Halbbataillone eingeteilt. Hinter der Infanterie fuhren in langem Zuge die Geschütze, die Caissons und die Wagen für Verwundete. Berchtwil hegt am rechten Reussufer gerade über der Fähre von Eien, wo die Brigade König die Schiffbrücke passiert hatte und sich nun mit der Brigade Egloff vereinigte. Bei der Brigade König standen das Zürcher Bataillon Fäsi, das Aargauer Bataillon Berner, das Thurgauer Bataillon Ernst und das Appenzeller Bataillon Bänziger nebst zwei Kompagnien Thurgauer und St. Galler Schützen.
In Berchtwil letzte Dispositionen des Divisionärs, und dann: vorwärts zum Angriff! Dem Oberst-Brigadier Johann Konrad Egloff von Tägerweilen im Thurgau fiel die ehrenvolle Aufgabe zu, den Sturm auf Hon au und Gislikon zu führen. Ihn betraute Ziegler mit diesem schwersten und blutigsten Teil der Arbeit, weil er sich auf ihn verlassen konnte wie auf sich selbst. Nötiger war die persönhche Begleitung und Führung des Divisionärs bei der Brigade König, welche den Rooterberg von Sonderbündlern säubern und dadurch den Vormarsch der Brigade Egloff unten im Tal sichern sollte. So teilten sich denn in Berchtwil die Wege: Brigade Egloff, mit dem rechten Flügel an die Reuss gelehnt, marschierte durchs Ufergelände auf Honau los, Bataillon Ginsberg imd Häusler voran; Brigade König überschritt zwischen Rot- kreuz und der Binzmühle die I,uzerner Landstrasse. Nun Teilimg der Brigade in zwei Kolonnen: Oberst König soll mit den Aar-
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gauern und Thurgauern nach der Höhe des Berges vorgehen, Richtung St. Michaelskapelle ; Oberst Ziegler will mit dem Appen- zeller Bataillon Bänziger und dem halben Bataillon Fäsi an halber Höhe des — Honau und Gishkon überhöhenden — Abhanges \'or- rücken (das andere halbe Bataillon Fäsi bleibt als Artillerie- bedeckung zurück). Jägerketten über die ganze Breite des Ab- hangs verbinden die Kolonne Ziegler mit der unten kämpfenden Brigade Egloff, und gegen den Schluss der Aktion gehen die bei- derseitigen Truppen immer mehr ineinander über.
Den längsten und in Bezug auf das Terrain wohl auch müh- samsten Weg hatte die Kolonne des Oberst-Brigadier König zurückzulegen. Unter stetem Geplänkel mit den Tirailleurs der Sonderbündler gelangte sie nach und nach in die Höhe. Ihre Jäger und Schützen standen schliessUch am Rande des Gehölzes, das nur noch durch den baumlosen Wiesenhang von der Kapelle auf dem Gipfel getrennt war. Vergebens envartete das um die Kapelle gescharte Schwyzer Bataillon mutig und entschlossen den Sturmangriff Königs; die Haltung der Sch\\yzer imponierte dem eidgenössischen Brigadier dermassen, dass er seine Bataillone wieder — den Berg hinunter gehen liess und damit auch die vor- geschobenen Schützen nach sich zog, — und das in demselben Moment, als unten bei Gishkon der Sieg erfochten, der Durch- bruch erfolgt war! Nun aber räumten die Schwyzer freiwiUig das Feld. Nachdem auf ihrer rechten Flanke — bei Meierskappel — die 5. Division hereingedrungen war und hnks bei Gishkon Ziegler den Durchgang forciert hatte, mussten sie fürchten, vom Rückzug abgeschnitten zu werden, und zogen sich deshalb sachte rechts den Berg hinunter gegen Meierskappel zu. Um 5 Uhr flatterte die eidgenössische Fahne auf der Kuppe des Rooterberges und die Rosse des Brigadestabes zerstampften den Rasen beim St. Michaels- kreuz.
Oberst Ziegler war mit dem halben Bataillon Fäsi und dem Bataillon Bänziger über die ,, Fuchsberg" genaimte Anhöhe am Rooterberg heraufgestiegen. Das Reiten wurde bald so schwierig, dass er es vorzog, abzusteigen und zu Fuss zu gehen, welchem Beispiel auch seine Adjutanten folgten. Es hatte das noch den weitern Vorteil, dass der Divisionär den Truppen näher bleiben konnte. Bis ungefähr in die halbe Höhe des Berges ging der Vor-
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marsch glatt vonstatten; dann aber wurde die Sache schwieriger. Die Schussweite zwischen den hinter Felsen, Bäumen und Häusern gut gedeckten sonderbündlerischen Jägern und den eidgenössischen Truppen verringerte sich mit jedem Schritt, und unheimUch be- gannen die Kugeln an den Ohren vorbeizupfeifen. Mit ruliig- gleichmässigem Gange schritt der Di\'isionär bergan, gefolgt von dem halben Bataillon Fäsi und etwas weiter zurück von den Appenzellem. Brav und unerschrocken gingen die tirailUerenden Jägerkompagnien immer voraus. Aber auch die sonderbündle- rischen Jäger hielten tapfer Stand und liessen sich eher von den sie im Vorrücken überholenden Eidgenossen gefangennehmen, als dass sie vom Posten gewichen wären. Man kam unter immer lebhafter werdendem Kampfe an eine offene Waldwiese, deren oberer Rand, eine dichte WaldUsiere, sehr stark vom Feinde besetzt war. Er musste unter allen Umständen auch aus dieser Position geworfen werden, und der Divisionär schritt seinen Truppen weiter voran, allein derer, die ihm nachfolgten, wurden immer weniger. Das Appenzeller Bataillon, dessen Major Bänziger verwundet worden war (Fr. Vogel sah ihn in Rotkreuz wegtranspor- tieren), war ganz zurückgebHeben, aber auch das Halbbataillon Fäsi zog sich immer mehr rechts herunter gegen Honau zu.
Inzwischen hatte sich aber auch der Abstand zwischen den Truppen Zieglers und der Brigade Egloff, welche unten im Tal und über der Strasse auf der Berglehne vorrückte, so verringert, dass man sich gegenseitig die Hand reichen konnte. Ziegler erhielt Verstärkung durch das halbe Bataillon Häusler, allein auch damit wollte es nicht recht vorwärts gehen, ,,dem Tambour will der Wirbel nicht unterm Schlägel fort", er starrt mit angstverzerrten Zügen nach der Höhe, von der die todbringenden Kugeln immer dichter herabsausen, und da tritt nun der historische Moment ein, den der Zeichner unseres Bildes, Leutnant J. Sulzer von Winterthur im Stabe Zieglers, festgehalten hat: wo Ziegler den erbleichenden Tambour am Kragen packt und mit sich nach der Höhe reisst, ihm nach die wieder Mut fassenden Füsihere. Wie Ziegler haben auch seine Offiziere mit Heldenmut die Soldaten angefeuert. Adjutant Siegfried, Leutnant Konrad BürkH, Major Schorer, sie alle haben mitgewirkt, das Gefecht herzustellen und die letzte gefährUche Position über Gishkon, die noch gesäubert
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werden musste, einzunehmen. Ziegler wusste wohl, was er tat, als er an der verwundbarsten vStelle seiner Vormarschhnie sich selbst, seine Person, sein Leben einsetzte und mit seinem und seiner Offiziere Beispiel die Situation rettete. Hätte auch diese Hälfte der Brigade König versagt, so wären bald die triumphierend vom Berg herabstürzenden Sonderbündler im Rücken der im Tal vorgehenden Eidgenossen gestanden imd hätten sie zwischen zwei Feuer genommen.
Die Brigade Egloff war durch den weglosen ,,Schachen" an der Reuss und auf der Landstrasse gegen Hon au vorgerückt, voraus die Tirailleurkette der Jäger und Scharfschützen, welche — Gewehr in der Hand, vSack am Rücken • — über Hecken und Gräben springend, grössere Hindernisse umgehend, kühn und geradewegs auf die feindliche vStellung bei Honau losmarscliierten. Sobald die Sonderbundsartillerie in Honau, die sich bisher aus- schliesslich mit der Reserve-Artillerie Denzler vor Dietwil unter- halten hatte, auf der ^Strasse grössere Truppenmassen heran- kommen sah, richtete sie ihr Feuer gegen diese, und gleich eine der ersten Kugeln riss einem .Soldaten den einen Fuss weg. Die Berner Zwölf pfünder-Batterie Moll, am Rande des Plateaus bei Berchtwil aufgefahren, schleuderte ihre Geschosse über die vor- rückenden Truppen hinweg nach Honau hinein. Die andern Batterien, Rust, Müller und Schweizer, folgten auf der Strasse den in breiter Front auf- und unterhalb derselben und am Abhang oberhalb vorgehenden Bataillonen und bezogen suk- zessive ebenfalls vStellung. Ihr vereintes Feuer zwang den Feind, Honau und die Stellung oberhalb des Dorfes am Berg aufzu- geben und sich samt seiner Artillerie auf Gislikon zurückzu- ziehen.
Unverzüghch drängte Oberst Egloff mit seiner ganzen Macht nach. Er selbst ritt auf dem Feldweg oberhalb und parallel der Landstrasse, hinter sich die Batterie Rust, welche an ihm vorbei und geradezu tollkühn bis in die unmittelbare Nähe von Gislikon vorging und bei der Mühle am Feldweg abprotzte. Auf der Landstrasse unten ging das Bataillon Ginsberg voran, aber bei der scharfen Biegung derselben gegen Gishkon zu wurde es von dorther mit einem heftigen Kartätschfeuer empfangen, wes- halb es schleunig hinter einer nahen Kiesgrube Deckung suchen
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musste. Glücklicherweise kam nun Verstärkung vom Berg herab: Zieglers Adjutant, Oberleutnant Siegfried, von ihm beauftragt, das abhanden gekommene Bataillon Bänziger aufzusuchen und zweckmässig zu verwenden, brachte die Appenzeller heran, die mit den andern Truppen vereint das Dorf GisHkon immer enger umschlossen. Aber aus den Schanzen bei der Gisliker Brücke entlud sich nun ein so starkes Infanterie- und Artillerie- feuer auf die Tirailleure, die Batterie Rust und die liinter ihr stellenden Bataillone, dass zunächst die stark mitgenommenen Jäger und Schützen zurückgingen und die Batterie Rust ent- blössten. Bei dieser wurden durch eine Kugel drei Pferde und drei Mann getötet oder verwundet. Eine I^uzerner Jägerkompagnie rückte aus dem Laufgraben der Schanze mit lautem Geschrei bis auf 100 — 150 Schritte an die Batterie heran und begann ihr Feuer; eine Infanteriekette folgte. Die Batterie, welche etwa 20 Minuten lang dem Feuer ausgesetzt war, musste aufprotzen und unter Zurücklassung eines Geschützes sich im schärfsten Galopp hinter die Gefechtshnie zurückziehen, um sich dort neu zu ordnen.
Der Moment war kritisch. Es bedurfte der vollen Tatkraft und der heldenhaften Entschlossenheit von Oberst Egloff und Adjutant Siegfried, um eine Panik und allgemeine Retirade zu verhüten. Egloff zwang wiederholt flüchtige Tambouren, umzu- kehren und Sturm zu schlagen, brachte mit Aufbietung aller Energie die FüsiHere zum Stehen und Wiedervorrücken und ver- anlasste einen jungen Offizier, der hinter einem Nussbaum Deckung gesucht (,,Nussbaumer" hiess er dann sein L,eben lang), sich mutig dem Feuer auszusetzen. Siegfried vermochte die wankenden Appenzeller festzuhalten und zur Wiederaufnahme des Gefechts anzufeuern. Major Schorer pflanzte auf dem rechten Flügel eine eidgenössische Fahne neben sich in die Erde und rief mit weit- schallender Stimme- ,, Schweizer! Wisst ihr, was diese Fahne bedeutet?" Und in die zagenden Soldatenherzen kehrte freudiger Mut zurück. Gleichzeitig eilte das aus seiner Reservestellung herbeigerufene Bataillon Ginsberg im Laufschritt auf den Kampf- platz, um neben den Appenzellem ins Gefecht einzugreifen. Sieg- fried und Aidemajor v. Hofstetter drangen mit den Tirailleurs ins Dörflein GisHkon vor, nahmen in und zwischen den Häusern gute Stellungen und Hessen auf die letzte Schanze des Feindes bei
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der Brücke feuern, was aus den Rohren ging. Im Galopp sprengte die Batterie Moll eine Anhöhe hinan und richtete ihre Feuer- schlünde ebenfalls auf die Schanzen von Gislikon, die Batterie Schweizer, oberhalb GisHkon aufgefahren, verrichtete treffliche vorbereitende Arbeit, auch Bataillon Benz rückte nun in die Linie, und vom linken Ufer her kamen — endlich ! — auch die Tirailleurs der Brigade Müller bis in die Nähe der Brücke, — 3000 Gewehre und 20 Kanonen schleuderten nun von allen Seiten ihre Projektile auf diesen einen Fleck, die von der Batterie Mazzola heldenhaft verteidigte Schanze bei der Gisliker Brücke. General von Salis selbst ward von einem Kartätschenschuss an der Schläfe gestreift, stürzte ohnmächtig nieder und hess sich, zur Besinnung gekommen, im Wirtshaus an der Brücke verbinden, um das Kommando weiter zu führen. Doch nun war auch ihm die Unmöghchkeit des längern Widerstandes klar geworden; er erteilte den Befehl zum Rückzug; Batterie Mazzola stellte das Feuer ein und fuhr ab, die Infanterie folgte, die Schanzen, in denen eine Vierpfünderkanone stehen gebheben war, wurden mit Hurrah von den Eidgenossen in Besitz genommen. Auch die Brücke, von der nur einige Bretter fehlten, wurde schnell wieder hergestellt und besetzt; neben dem zer- schossenen Wirtshaus und in seiner Scheune fand man einige Tote tmd Verwundete. Adjutant Siegfried Hess von der Brigade Müller alle entbehrUche Mannschaft über die Brücke nachrücken, und ohne weitern Kampf marschierten die eidgenössischen Truppen nunmehr über Root hinaus, wo das Biwak rechts und hnks der Landstrasse bezogen wurde und schon frühzeitig die Lagerfeuer brannten. Es war dem Di\asionär Ziegler von General Dufour befohlen worden, an diesem Abend, nachdem er Gislikon ge- nommen, bei Root zu biwakieren, — und so war man denn jetzt da ! Gishkon und Honau aber hatten an diesem Tage die Schrecken des Krieges erfahren müssen. Vier Häuser brannten hchterloh, zwei andere waren von Kanonenkugeln durchlöchert. In einer Scheune auf dem Berg verbrannten mehrere Stück Vieh und in einem Stall unterhalb der Strasse bei Honau wurden vier Kühe durch eine Kanonenkugel getötet. Auf dem Kampfplatz lagen mehrere tote Pferde, Gewehre, Tschakkos, Mützen, Säbel, abge- schossene Baumäste, und der Boden war an \-ielen Orten von den Kanonenkugeln aufgerissen. — Aber auch eines edlen Friedens-
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boten sei noch gedacht: der Zürcher Maler und Panoramen- zeichner Müller -Wegmann, hatte in dem von der Division Gmür mit Sturm genommenen Meierskappel verwundete Sonderbündler vor ^lisshandlungen geschützt und Plünderungen so\-iel als möghch Einlialt getan. Dann war er mit einem oder zwei Begleitern vor den Eidgenossen her, über Udligenswil, Adligen- wil usw., von Dorf zu Dorf gelaufen und hatte den Leuten ge- sagt: „Seht uns an, wir sind auch Eidgenossen, ganz wie die, welche jetzt kommen werden. Und nun seid verständig. Stellt Tische vor die Häuser und Most und Käs und Brot darauf, und wenn die Soldaten kommen, so versteckt Euch nicht in die Häuser, sondern seid freundhch mit ihnen ; sie werden Euch nichts Böses tun!" Der hebenswürdige, von seinen Freunden als goldiger Cha- rakter geschätzte Zürcher Künstler verrichtete Engelsdienste.
LUZERN. Schultheiss, Staatsschreiber und Regierungsräte- Jesuiten, Kapuziner und weinende Nonnen, — • alle auf ein Dampf- schiff gepackt und fort nach Flüelen! Staatsschreiber Bernhard Meier schrieb: ,,Auf dem Schiffe Jammer, mitunter Weinen, Konsternation auf allen Gesichtern. Auf der Seite, wo die Ge, fechte bei Gishkon, Meierskappel und derenden stattgefunden, war der Himmel mit einer grässhchen Flammenröte bedeckt, welche das Dunkel bis zu uns durchbrach und den nächthchen Spiegel des Sees blutigrot färbte — , dieses furchtbare Schauspiel, das Unglück meines gehebten Luzerner Volkes, ich kann noch heute nicht an diese Überfahrt zurückdenken, ohne dass meine Seele tief erschüttert wird" . . .
Am folgenden Tag: Einzug der eidgenössischen Trup- pen in Luzern, von mittags bis in die Nacht, 24,000 Mann, während 16,000 vor den Toren bleiben. In den Strassen furcht- bares Gedränge, Durcheinander, beginnende Exzesse, Sturm der Luzemer Bastille und Befreiung der Gefangenen, Verwüstung des Hauses von Siegwart-Müller, Bedrohung der Klöster — wer soll in diesem Wirrwar Ordnung schaffen? Wer anders als Oberst Ziegler, der Mann der Ordnung par excellence; er wird zum Platzkommandanten von Luzern ernannt und er schafft
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Ordnung! So dass die eroberte Stadt dem Kommandanten des Besatzungsheeres Blumen des Dankes streut und sein Wirken segnet und lobpreist. General Dufour ist ebenfalls eingetroffen, und er umarmt den Sieger vom Rooterberge mit den Worten: ,,Je V0U3 en garderai un eternel souvenir." Oberst Siegfried schilderte nach Zieglers Tod dessen Tätigkeit in Luzern: „Zum Platzkommandanten von Luzern ernannt, zeichnete sich nun Ziegler wieder aus durch seine ausserordentliche Anstrengung, Ausdauer und Befähigung in Bemeisterung der eingetretenen Verwirrung, Unordnung und Rechtswidrigkeiten. Dabei legte er eine unerschöpfhche Ruhe und Geduld, Milde und Ernst, Billig- keit und Gerechtigkeit an den Tag. Als zur Erleichterung für die Einwohnerschaft so rasch als möglich für die Truppen Natural- verpf legung eingeführt wurde, traf auf dem Divisionsbureau der Bericht ein, dass die Mannschaft einer Zürcher Artilleriekompagnie sich dagegen auflehne. Ziegler befahl sofort, dass dieselbe auf den Schwanenplatz geführt werde, und hess die ihm treu ergebene und intelhgente Zürcher Kavalleriekompagnie Hanhart ebendahin ausrücken. Alsbald in Begleit seiner Adjutanten daselbst zu Pferd angelangt, Hess er die Artilleriekompagnie zwischen die in zwei Reihen in angemessener Entfernung voneinander aufgestellte KavaUeriekompagnie einrücken und rief den Hauptmann der Batterie zur Berichterstattung über die Entstehung und die An- stifter der Auflehnung vor. Die paar genannten Anstifter rief Ziegler hervor, Uess sie die Waffen abgeben und durch ein kleines Detachement Kavallerie sofort zur kriegsgerichthchen Unter- suchung und Beurteilung abführen. Dem Hauptmann der Kom- pagnie warf er dann laut Mangel an Energie zur Unterdrückung des Skandals vor, diktierte ihm vorläufig scharfen Arrest und die Kompagnie selbst hess er sofort zu einem Strafmarsch abmar- schieren. So zerstörte Ziegler durch rascheste imd klarste Energie den Keim einer widrigen Bewegung; denn jedermann fülilte auf dem Schwanenplatz, dass die Kavalleriekompagnie nicht umsonst aufgestellt war."
Die Duzerner Regierung liess Ziegler durch ihren Schultheiss Kopp einen Dankbesuch für sein Wirken abstatten und erklären, dass sie ihm gerne noch irgendwelchen Beweis ihrer ErkenntUch- keit geben würde. Nach Beratung und im Einverständnis mit
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seinem Regierungskollegen Bollier erbat sich darauf Ziegler die im Luzemer Zeughaus aufbewahrten Waffen Zwingiis. Er sagte in seinem Schreiben vom 2. Januar 1848: „Eines hegt mir indessen am Herzen und wenn ich Ihre Geneigtheit in diesem Sinne in Anspruch nehmen dürfte, so würde die Gewährung meiner Bitte mir allerdings grosse Freude machen. Es ist dies die Aushin- gabe der vor mehr als 300 Jahren den Zürchern abgenommenen Streitaxt, Schwert und Sturmhaube Zwingiis. Einer unerlaubten, gewaltsamen Hinwegnahme dieser gescliichtUch wertvollen Gegen- stände beim Einzug der eidgenössischen Truppen hätte ich mich, meinen Grundsätzen getreu, mit Gewalt widersetzt, deren Empfang- nahme auf hochdero Verfügung hin hätte aber einen um so grossem Wert für mich und stolz dürfte ich sein, mit dem Geschenk der einen Regierung vor die andere zu treten."
Mit Schreiben vom 5. Januar willfahrte die I/Uzemer Regie- nmg diesem Wunsche, ,,in der Absicht, der Eidgenossenschaft, insbesondere dem Stande Zürich, einen Beweis zu geben, wie sehr Luzem freundeidgenössisches Entgegenkommen und Be- seitigung jegHcher Erinnerung konfessionellen Haders wünsche." Am 6. Januar 1848 kehrte Oberst Ziegler mit seiner kostbaren Gabe nach Zürich zurück. Die Regierung beschloss, ihm zu Ehren eine besondere Feier im Rathaus zu veranstalten. Am festgesetzten Tage, den 13. Januar, fuhr eine Deputation der Regierung in fünf zweispännigen Wagen nach der Wohnung Zieglers im PeHkan und übergab ihm dort ein Dank- und Aner- kennungsschreiben der Regierung. Dann fuhr Ziegler mit der Deputation zum Rathaus, wo im Grossratssaal der Regierungsrat imd eine grosse Zahl von Stabsoffizieren seiner wartete. Amts- bürgermeister Dr. Zehnder hielt eine Begrüssungsansprache an den mit dem Eorbeer des Siegers aus dem Kriege heimgekehrten Divisionär, die dieser in seiner charakteristischen Weise beant- wortete: ,, Hochhebst zu bedauern war es," sagte er u. a., „dass Eidgenossen gegen Eidgenossen zu Felde ziehen mussten. Doch weil es einmal so beschlossen war, so kaim ich mich nur freuen, dass wenigstens da, wo ich und die meinem Kommando unter- stellt gewesenen Truppen waren, ein kräftiger Widerstand ge- leistet worden ist und dass unsere Gegner, welche sich ja auch im Rechte glauben mochten, den Platz nicht ganz leichten Kaufes
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räumten. Die Opfer, die gefallen sind, bringen dem Schweizervolk wahrhaftig mehr Ehre und Kraft, als wenn Alles ohne Schwert- streich vorübergegangen wäre. Wenn aber denjenigen, welche sich, wde es Schweizern geziemt, gehalten haben, Anerkennung gebührt, so bleibe auch die Schande für diejenigen nicht aus, sie mögen in unsern oder des Gegners Reihen gestanden haben, denen es vergönnt war, am Kampfe teilzunehmen, die aber den Kampf- platz aus Feigheit verUessen, damit es auf alle Zeiten für einen Jeden zur Warnung diene. Glückhch dürfen wir uns schätzen, dass der Kampf, nachdem er ehrenhaft durchgefochten, so bald zu einem Resultate führte. Das Werk des Siegers werde gekrönt durch ein gemässigtes Verfahren gegen die Besiegten, sonst wird jenes mcht gedeihen ... In hohem Masse fand auch in Luzern die einfache Pfhchterfüllung, sowohl bei Kantonal-, als auch bei Stadtbehörden die vollste Anerkennung und mit grösster Freude vernahm ich, dass die h. Regierung meinem und meines Kollegen Bollier ge- äusserten Wvmsche entsprochen und die Rückgabe des Helmes und der Waffen Zwinghs beschlossen, die durch die Standeskom- mission auch stattfand. Ich bin stolz darauf, meiner Regierung dieses Geschenk überreichen zu können, nicht zweifelnd, dass das Opfer, welches sich die Regierung des hohen Standes Luzern ge- fallen Hess und welches für uns von hohem Wert ist, bei Ihnen alle Anerkennung finde."
Unter freudiger Bewegung der ganzen Stadt wurden nach dieser ebenso schHchten als erhebenden Feier die Waffen Zwingiis in das grosse gelbe Zeughaus gebracht. Ihrem Überbringer aber widmete Oberst Siegfried in seinem Nachruf 1882 die Worte: ,,Aus dem Feldzug gegen den Sonderbund hinterliess Oberst Ziegler, zunächst und zmneist bei den ihm dauernd nahe Gestan- denen, allmähhch dann aber auch bei jedermann, der mit ihm in Berührung kam, insbesondere bei seiner zahlreichen Di\äsion, wie in Stadt und Land Luzern den prägnanten Eindruck eines an militärischen und bürgerhchen Tugenden her\-orragenden Mannes. Uns gilt und erhebt er als das Bild eines vollendeten Truppen- führers und wahren Edelmannes, und wir rufen ihm wie \'iele dankerfüllt und wehmütig mit General Dufour nach: Nous lui en garderons un etemel souvenir!"
DREIUNDZWANZIGSTES KAPITEL
DAS POLYTECHNIKUM
Zum fünfzigjährigen Jubiläum des eidgenössischen Poly- technikums im Jahre 1905 erschien als erster Teil einer moniunentalen Festschrift eine Geschichte der Gründung dieser Anstalt mit einer Übersicht ihrer Entwicklung 1855 bis 1905, verfasst von Wilhelm Oechsli. Ein Gang durch dieses Buch, auf den sich die nachfolgenden knappen Aufzeichnungen be- schränken, erinnert daran, dass der stolze Bau der eidgenössi- schen pol5-technischen Schule sein Dasein der Idee einer schweize- rischen Hochschule verdankt, die schon in einer von Philipp Albert Stapfer verfassten Botschaft des helvetischen Direk- toriums vom 18. November 1798 figuriert, aber nicht zur Aus- führung gelangte. Ein junger Tessiuer Schulmeister, der nach- malige Bundesrat Franscini, griff in einer 1827 ersclüenenen Druckschrift den Gedanken wieder auf, und mit noch grösserem Nachdruck tat dies 1829 der Luzerner Philosoph Troxler. Im Schosse der helvetischen Gesellschaft in vSchinznach bezeichnete (Mai 1831) Dr. Kasimir Pfyffer von Luzern die Schöpfung einer schweizerischen Universität als die notwendige Konsequenz der angebahnten, poUtischen Bewegung. Am 15. Juni 1832 be- schloss der Grosse Rat des Kantons Waadt, bei den andern Ständen die Errichtung einer Universität grossen Stiles auf dem Konkordatswege zu beantragen. Diese Anregung kam zwar auf der Tagsatzung in Luzern nicht offiziell zur Sprache, wurde aber auf einer freien Konferenz im Tagsatzungslokal (24. August 1832) lebhaft besprochen und hatte zunächst die Folge, dass Zürich die Gründung seiner Hochschule beschleunigte. Der Entwurf der Tagsatzungsgesandten fand in den Kantonen und auch in Zürich nur kühle Aufnahme; es scheiterten aber ebenso die Be- mühungen Zürichs, mit seinem Kreisschreiben vom 3. Mai 1835 zehn andere Kantone zmn Beitritt in einen Verband zu veran- lassen, der die Hochschule Zürich zu einem interkantonalen
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Institut der östlichen Schweiz erheben sollte. Für das technische Bildungswesen in der vSchweiz war von den Kantonen schon vieles getan worden; es fehlte aber noch eine wohlausgerüstete technische Hochschule, wie sie eben kein einzelner Kanton, son- dern nui das ganze Land schaffen und erhalten konnte.
Schon vor dem Sonderbundskrieg hatten die der Basler Diö- zese angehörenden Kantone Unterhandlungen geführt für die gemeinsame Errichtung einer theologischen Anstalt in Solothurn, in dem Bestreben, an die Stelle des in den in- und ausländischen Jesiütenanstalten erzogenen Klerus eine modern gebildete, vater- ländisch gesinnte katholische Geistlichkeit zu setzen. Auf die Anregung des Vororts Bern fand daselbst am ii. Februar 1848 eine Konferenz statt, welche die Errichtung einer kathoUschen Priesterschule neuerchngs besprach. Allein schon am 24. Februar beschloss die Revisionskommission für die Bundesverfassung, die eidgenössische Hochschule in ihren Entwurf aufzu- nehmen, allerdings nur in der bescheidenen Form einer vom Bund zu subventionierenden Konkordatsanstalt. In der zweiten Lesung am 8. April kam ein erweiterter Beschluss zustande, wonach die Eidgenossenschaft für Errichtimg einer schweize- rischen Universität, einer polytechnischen Schule und für Lehrerseminarien sorgen werde. Dieser Antrag musste den Kantonen für die Instruktion ihrer Tagsatzungsgesandten unter- breitet werden. Im Grossen Rat von Zürich sprachen am 11. Mai 1848 Bürgermeister Jonas Furrer dagegen, x\lfred Escher und Dubs dafür. Der Rat schloss sich jedoch dem Bürgenneister an. Auf der Tagsatzung siegte am 24. Juni die fakultative Form, welche sodann in die Bundesverfassung vom 12. September 1848 überging: ,,Der Bund ist befugt, eine Universität und eine eidgenössische polytechnische Schule zu errichten."
Gleich in der ersten Session der neugeschaffenen Bundes- versammlung stellte am 18. November 1848 Nationalrat Ochsen- bein von Bern die Motion, es solle eine eidgenössische Universität errichtet werden, deren Sitz nicht in der Bundesstadt sein dürfe. Der Sinn dieser Motion war der: wenn Bern Bundesstadt werde, so überlasse es Zürich die eidgenössische Urüversität. Der ber- nische Erziehungsdirektor Imobersteg ergänzte die Motion Ochsen- bein dahin, dass auch die polytechnische Schule eiuzubeziehen
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sei. In diesem Sinn wurde die Motion am 25. November erheblich erklärt. Drei Tage später wählte die Bundesversammlung Bern zur Bundesstadt. Der Bundesrat veranstaltete am 4. Januar 1849 eine Umfrage bei den Kantonen nach ihren Wünschen be- züghch einer eidgenössischen Universität und polytechnischen Schule. Am 17. Dezember 1850 beantragte er im Nationalrat einen Budgetposten von 1000 Fr. für die Beiziehung von Sach- verständigen für die Hochscliulfrage. Der Nationalrat bewilhgte 3000 Fr. und lud den Bundesrat ein, bis zur nächsten Session Bericht über die Frage zu erstatten. Am 26. Mai 1851 trat in Bern eine Expertenkommission zusammen, in welcher Alfred Escher die beste Stütze der Hochschulbestrebungen wurde. ,,\Venn einer, so war er imstande, sie zu verwirkhchen, w^eil er durch seine erstaunUche Arbeitskraft und gefürchtete Redege- walt sich in kürzester Frist zum ersten Parlamentarier der Schweiz aufgeschwungen hatte. Im Gegensatz zu Jonas Furrer hatte Escher schon mit Begeisterung die Idee der eidgenössischen Hochschule ergriffen, als seine Vaterstadt noch wenig Aussicht auf die Ehre ihres Sitzes hatte; jetzt, wo es als selbstverständHch galt, dass Zürich dadurch für die verlorene Vorortschaft zu ent- schädigen sei, setzte er das ganze Gewicht seiner imponierenden Persönlichkeit für diese schönste schweizerische Kulturfrage ein." Die Expertenkommission bejahte beide Hauptfragen und räumte der Universität die Priorität vor der polytechnischen Schule ein. In wenigen Tagen redigierte Escher die beiden Gesetzes- entwürfe (für Universität und Polji:echnikum) . Sein Berater war dabei für das Polytechnikum der Rektor der zürcherischen Industrieschule, J. W. v. Deschwanden. Die Expertenkom- mission (27. Juni bis i. Juli 1851) spaltete sich bezüghch der Universität in Mehrheit und Minderheit, das Polytechnikums- gesetz wurde angenommen und die Meinung ausgesprochen, dass die Universität in die deutsche, das Polytechnikum in die welsche Schweiz zu verlegen sei.
Der Nationalrat bestellte am i. August 1851 für das Trak- tandum eine Neunerkommission. Unter den Motiven, welche Alfred Escher bewogen, seine Haltung gegen den vStaatsbau der Eisenbahnen einzunehmen, spielte auch die Besorgnis mit, der Bund werde, wenn er sein Geld in den Eisenbahnen festlege,
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nichts mehr für die Hochschule übrig haben. Als der Privatbau gesiegt hatte, ging Escher mit um so grösserem Eifer hinter die Hochschulfrage. Die Mehrheit der nationalrätlichen Kommission beantragte Eintreten, die Minderheit Verschiebung der Angelegen- heit auf unbestimmte Zeit. Unter dem Beifall der Studenten auf der Tribüne beschloss der Nationalrat am ig. Januar 1854 Eintreten mit 64 gegen 43 vStimmen, und abends brachte die Studentenschaft Berns den zustimmenden Volksvertretern einen Fackelzug. Aus taktischen Gründen kam Escher dazu, während der Detailberatung beide Gesetze in einen Entwurf zu verschmel- zen. Der Nationalrat stimmte der Verschmelzung zu und nahm das ganze Gesetz mit 59 gegen 39 Stimmen an. Der Ständerat dagegen lehnte am i. Februar 1854 das Eintreten auf die vereinigte Vorlage Urüversität-Polytechnikum ab, beschloss aber zugleich mit 24 gegen 17 vStimmen, es sei eine eidgenössische poly- technische Schule in Verbindung mit einer Schule für das höhere Studium der exakten, pohtischen und humanistischen Wissenschaften in Zürich zu errichten. Kaum war dieser Ent- scheid gefallen, so produzierte der Kommissionsreferent Kappeier den fertigen Gesetzesentwurf für das Polytechnikum, den er für diesen Fall schon zum voraus durch vStreichung alles auf die Uni- versität Bezüghchen aus dem verworfenen Gesetz und durch die nötigen Abänderungen präpariert hatte. Trotz den Protesten der ,, überrumpelten" Minderheit beschloss der vStänderat am 3. Februar sofortiges Eintreten und am 4. Februar Annahme dieses Gründuugsgesetzes für das Polytechnikum, dem am 7. Februar sodann auch der Nationalrat beistimmte. ,,Die gewaltige Hochschuldebatte, die mit wenig Unterbrechungen vom 16. Januar bis 7. Februar 1854 gedauert hatte, eines der denkwürdigsten Ereignisse in den Annalen des schweizerischen Parlamentarismus, war zu Ende und die Schweiz um eine hohe Bildungsanstalt reicher. Das Hauptziel, für das die Träger der Hochschulidee mit dem Einsatz ihrer ganzen Kraft gestritten, war zwar nicht erreicht, aber dafür war die polytechnische Schule, die sie neben der Universität hatten gründen wollen, weit um- fassender geworden als es im ursi^rünglicheu Plane gelegen hatte." Als die Seele der Operation bezeichnete der ,,Bund" Dr. Alfred Escher, ,,der hier aufs neue bewies, wie viel eine mit allen Tugen-
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den eines produktiven und energischen Staatsmannes ausge- rüstete Kraft auch unter den schwierigsten Verhältnissen zu leisten vermag, und wie sehr die Eidgenossenschaft und der Kanton Zürich Ursache haben, auf ihn stolz zu sein."
In Zürich war die Freude gross, wenn auch nicht ungeteilt; die Studenten brachten den National- und Ständeräten am 17. Februar einen Fackelzug, die gegnerischen Ansichten der konservativen ,, Eidgenössischen Zeitung" bheben auf einen engen Kreis beschränkt. Nun hatte sich aber Zürich noch zu erklären, ob es die mit der Übernahme des Polytechnikums verbundenen Bau- und andern Pf hellten auf sich nehmen wolle. In glückhcher Ahnuugslosigkeit rechnete man mit einer Bauausgabe von etwa 400,000 Fr. Die Stadt erklärte sich zu einem fixen Geldbeitrag bereit, wenn auch die ,, Ausgemeinden" ein Gleiches tun würden. Infolgedessen bewilUgten am g. April 1854 die zürcherischen Vororte insgesamt eine Aversalsumme von 20,000 Fr. In Ausser- sihl, welches für einen Beitrag zu arm war, legten Private 750 Fr. zusammen, damit die Gemeinde auch auf der Liste figuriere. Die Stadt bewiUigte am 10. April sodann mit 496 gegen 307 Stim- men 12,000 Fr., von welchem Betrage die Bürgergemeinde allein 4000 Fr. übernahm, wogegen für das Übrige Bürger und Nieder- gelassene gemeinsam durch Steuern aufzukommen hatten. Der Grosse Rat genehmigte am 19. April einstimmig die Anträge der Regierung über die Verpfhchtungen des Kantons Zürich.
In der Juhsession 1854 gewährten die eidgenössischen Räte einen Spezialkredit von 144,000 Fr. für die erste Einrich- tung der polytechnischen Schule und einen ersten Budgetkredit von 127,000 Fr. pro 1855. Daraufhin beschloss der Bundesrat am 31. JuH, die Eröffnung der polytechnischen Schule habe im Herbst 1855 stattzufinden und es solle dem ersten Schuljahre ein halbjähriger, im Frühjahr 1855 beginnender Vorbereitungs- kurs vorangehen. Am 2. August 1854 bestellte der Bundesrat den schweizerischen Schulrat nüt Dr. Joh. Konrad Kern von Berhngen im Thurgau als Präsidenten und Dr. Alfred Escher als Vizepräsidenten. Unverzüglich ging der Schulrat nun an die Aufsuchung und Berufung von Professoren, wobei sich nament- Ucli Kern durch seine Umsicht und unermüdhche Tätigkeit grosse Verdienste erwarb. Eröffnet wurde die Reihe der Berufungen
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durch den stolzen Namen Gottfried Sempers für die Bau- schule, auf den Richard Wagner Escher und Kern aufmerksam gemacht hatte. In Karl Culmann erhielt dann auch die In- genieurschule ihren \'orzüglichen Leiter. Aus der grossen Zahl der übrigen Professoren seien hier nur einige der allgemeiner bekann- ten erwähnt: so der Aarauer Gewerbeschulrektor und Chemiker P. A. Bollej'; der Professor der Forstwissenschaften Ehas Landolt; der Physiker Albert Mousson, Sohn des frühern eidgenössischen Kanzlers; R. J. Clausius, der Begründer der geltenden Wärme- theorie; der Botaniker Oswald Heer; Arnold Escher von der Linth, nach Heims Urteil „der grösste Alpenforscher, den es je gegeben hat und geben wird" (»Sohn des Erbauers des Linthkanals) ; De- schwanden, welcher der erste Direktor des Pol\i;echnikums wurde; der Astronom Joh. Rud. Wolf; der streitbare Ästhetiker Fr. Th. Vischer, Freund und Verteidiger von D. Fr. Strauss; der Lehrer für allgemeine Gesclüchte Willielm Adolf Schmidt ; der Kunst- und Kulturhistoriker Jakob Burckhardt von Basel; der Staatsrechts- lehrer und Regierungsrat J. J. Rüttimann. Im Lande herrschte nur eine Stimme der Anerkennung über die vom Schulrat getroffenen Wahlen. Der Berner Konsen^ative v. Gonzenbach, ein Gegner des Polytechnikumprojektes, schrieb am 2. März 1855 an Alfred Escher: ,, Erlauben Sie, dass ich diesen Anlass benutze, um Ihnen meine innige Freude über die Vorschläge der Lehrstellen am Polyteclinikum auszusprechen. In der Schweiz war man an ein derartiges Absehen von der pohtischen Färbung seit langem nicht mehr gewohnt. Ich begrüsse diese Erscheinung als einen wirkHchen Fortschritt und sage Ihnen in der Überzeugung, dass Sie dazu wesenthch beigetragen, meinen herzUchsten Dank dafür."
Die Aufnahmeprüfungen für den Vorkurs fanden am 23. und 24. April in Zürich statt; der Vorkurs dauerte vom i. Mai bis 8. September. Am 28. August wählte der Schulrat Deschwan- den zum Direktor. Das erste Vorlesungsverzeichnis zeigt die Einteilung des Polytechnikums in folgende Schulen: Bauschule, Ingenieurschule, mechanisch-technische Schule, chemisch-tech- lüsche Schule, Forstschule, und eine sechste Abteilung nüt Natur- wissenschaften, mathematischen Wissenschaften, literarischen und staatswirtschaftlichen Wissenschaften. Die Gesamtzahl der Stu-
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dierenden des ersten Semesters betrug 183, womit die Berech- nungen der Kommissionen und Behörden bereits um ein Erkleck- liches übertroffen wurden.
Am Montag den 15. Oktober 1855 erfolgte die Eröffnungs- feier des Pol3-technikums. Die Ehrengäste sammelten sich beim Rathaus. Unter dem Donner von 22 Kanonenschüssen und dem Geläute der Glocken setzte sich der Festzug um 2 Uhr nach dem Fraumünster in Bewegung. Weibel in den eidgenös- sischen und Standesfarben schritten den Behörden des Bundes, des Kantons und der Stadt voran, Professoren und Studenten schlössen den Zug. Alfred Esclier war zu allgemeinem Bedauern durch Krankheit von der Feier ferngehalten. Im Fraumünster, wo , .Harmonie" und ,, Stadtsängerverein" ihre Lieder vortrugen, sprachen Bundesrat Frey-Herose und Schulratspräsident Kern. Ein Festbankett im Kasino belebten zahlreiche Toaste und die Studenten brachten mit einem vor dem Kasino erscheinenden Fackelzug eine wohltuende Abwechslung in die Tafelfreuden. — Aber wo war denn nun eigentlich das Polytechnikum der ersten Zeit ? Es war auf fünf oder sechs meist weit auseinanderliegende Lokah täten verteilt. Den Hauptsitz hatte es im Universitäts- gebäude im Hinteramt bei der Augustinerkirche und im daran anstossenden Münzgebäude. Die Bauschule hauste in der ehe- maligen Stiftsverwalterei an der obern Kirchgasse, wo jetzt die Grüthbuchhandlung sich befindet; auch die chemisch-technische Schule und die Kunstfächer hatte man hier untergebracht. Chemie und Physik befanden sich in der Kantonsschule, die Ingenieur- schule und die Sammlungen mussten das Kornamt am Ötenbach beziehen, und bei diesem unbefriedigenden Provisorium bUeb es fast ein ganzes Jahrzehnt.
Der Grund der Verzögerung des Neubaues lag zum Teil in der Krankheit Alfred Eschers, die ihn am 30. September 1855 zum Austritt aus dem Staatsdienst veranlasste, hauptsächlich aber in der panikartigen Verblüffung der Zürcher Regierungs- kreise über den Umfang und die Kosten des vom Schulrat aus- gearbeiteten Bauprogramms. Statt auf 400,000 Fr. musste man sich jetzt auf mehr als eine Million Baukosten gefasst machen. Erziehungsdirektor Jakob Dubs arbeitete zunächst ein Gegen- programm aus, bei dem er von der Annahme ausging, die Schüler-
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zahl am Polytechnikum werde schwerlich je auch nur 200 erreichen (beim Jubiläum 1905 waren es 1300 reguläre Studenten und 700 Zuhörer). Am 12. März 1857 ^^^ ^^^ Zürcher Regierung so weit, dass sie gerne eine MilUon für den l,oskauf von allen Bauver- pflichtungen gegeben hätte, aber darauf trat der Bundesrat nicht ein. Streit herrschte auch darüber, wie die Vertragsbestimmung zu verstehen sei, dass Zürich nicht nur die Lokalitäten zu erstellen, sondern auch ,, gehörig einzurichten" habe. In Bern verstand man darunter auch die Möblierung, Zürich anerkannte aber diese Verpflichtung keineswegs, und so musste Kern jeden Schrank, jeden Ofen, jede Gasröhre, welche die Schule brauchte, bei der Regierung von Zürich erbetteln, indem er zugestand, es solle ihre Lieferung kein Präjudiz bilden für die Entscheidung der Frage, wer es schliesshch zu bezahlen habe. Der Bundesrat wollte auch die Mitbenützung der Polytechnikumsräume durch die Universität Zürich lücht zugeben und bloss gestatten, dass die Universität im gleichen Gebäude, aber in vom Polytechnikum getrennten Räumen untergebracht werde. Unter den zur Ver- fügung stehenden Bauplätzen fiel die Wahl des Regierungsrates auf den ,,Schinhut", dem auch der Bundesrat zustimmte.
Die überaus fruchtbare Tätigkeit Dr. Kerns als Schulrats- präsident beendete dessen Wahl zum Gesandten in Paris am 28. Juh 1857. Sein Nachfolger wurde wiederum ein Thurgauer, Ständerat Karl Kappeier, unter dessen Leitung das Polytech- nikum sich zu ungeahnter Blüte entwickeln sollte. Ein Nachtrags- gesetz vom 29. Januar 1859 führte den einjährigen Vorbereitungs- kurs am Polytechnikum ein und erhöhte den jährhchen Bundes- beitrag auf 192,000 Fr. Mit den kantonalen Mittelschulen wurden 1860 und in den folgenden Jahren Verträge abgeschlossen, die unter gewissen Bedingungen ihren Schülern nach bestandener Matura die Aufnahme ans Polytechnikum ohne Examen zusicher- ten. Von 1859 ^'^ begann die Frequenz des Polytechnikums sich erhebhch zu steigern; im Wintersemester 1863 64 betrug die Schülerzahl bereits 650. Nachdem ein erster Wettbewerb für den Polytechnikumsbau keinen befriedigenden Erfolg gehabt, über- trug die Zürcher Regierung die Ausarbeitung der Pläne Prof. Gottfried vSemper, dem sie den Staatsbaumeister Wolff als gleichgeordneten Mitarbeiter beigab. Bei der Ausführung
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dieses Baues zeigte Zürich sich nun nicht kleinhch und sein Grosser Rat bewilhgte am 28. Dezember 1858 mit 170 gegen 2 Stimmen den geforderten Kredit von 1,700,000 Fr. Noch einmal verzögerte sich aber die Inangriffnahme der Bauarbeiten, weil über die Mobiharfrage und die Sammlungen mit dem Bund noch beson- dere \^erträge abgeschlossen werden mussten. Als alle diese Fra- gen endUch bereinigt waren, konnte im August 185g mit den Erdarbeiten für das Neben- oder Chemiegebäude (hinter dem Polj-technikum) begonnen werden. Die immer unerträgHcher werdende Raumnot Hess es nicht zu, dass mit dem Einzug in den Neubau bis zu dessen gänzhcher Vollendung gewartet worden wäre. Unter Wolffs energischer Leitung ward derselbe stück- weise fertig gestellt und stückweise bezogen. Im April 1864 be- zog die Universität Zürich ihre neuen Räume im Südflügel des Hauptbaues und im Oktober siedelten die letzten Abteilungen des Poh'teclmikums in den Neubau über. Inzwischen war Zürich noch um eine weitere Baute Sempers, die schöne Sternwarte reicher geworden, die zu Ostern 1864 ihrer Bestimmung übergeben wurde. Am 24. August 1866 fasste der Bundesrat den Beschluss, das Hauptgebäude zu übernehmen, und sprach zugleich Zürich ,,für die ausgezeichnete Erfüllung der übernommenen BaupfUcht seine volle Anerkennung aus". Ein besonderer Akt der Ein- weihung, wie er nach Vollendung eines so grossen und schönen Werkes wohl am Platze gewesen wäre, wurde zwar geplant, kam aber nicht zur Ausführung, weil die Vollendung der Aula sich so lange hinauszögerte und wohl auch, weil der Kanton Zürich in den Jahren 1867 bis 1869 von einer schweren pohtischen Krisis erschüttert wurde, die keine festhche Stimmung aufkommen Hess.
Was aber das Polytechnikum der Gegenwart ist und bedeutet, das kann nicht schöner ausgedrückt werden als mit den Worten der Glückwunschadresse der Universität Zürich, welche beim fünfzigjährigen Jubiläum von Rektor Prof. Dr. Haab ver- lesen wurde:
,,Ein halbes Jahrhundert lang hat die eidgenössische poly- technische vSchule, immer in vorderster Reihe, die fruchtbarste Tätigkeit entfaltet.
,, Ungezählte Adepten sind aus ihr hervorgegangen, um mit tausend Künsten
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,,zu errichten den geistigen und materiellen Bedürfnissen der Menschen zweckdienhche, dem Auge wohlgefällige Bauten ;
„zu durchbrechen gewaltiger Felsmassen Schranken;
„spielend zu heben den Menschen auf die höchsten Höhen der Berge;
„tiefe Kluften kühn zu überbrücken;
„zu bezwingen Raum und Zeit;
„zu erwirken, dass über Ozeane hinweg Menschen in kurzer AugenbHcke Frist sich durch sichtbare Zeichen verstän- digen und dass ihre vStimme vernehmhch in ferne Gegen- den und ferne Zukunft töne;
„zu nähern I,änder und Völker;
,,zu bändigen des reissenden Wassers Gewalt und sie zu verteilen und zu wandeln in leuchtendes L,icht, behag- Uche Wärme und friedliche gewerbliche Kraftleistung;
„zu zerlegen die Materie und aus ihren Elementen neue nützliche und wohltätige Verbindungen aufzubauen;
„einzudringen in die geheimnisvollen Werkstätten der leben- den Natur, um mit ihren eigenen Mitteln fördernd oder umgestaltend, hemmend oder ablenkend in ihr Getriebe einzugreifen ;
„das Erdreich fruchtbarer zu machen, der Wälder wohl- tätige Herrhchkeit zu erhalten und zu erneuern;
,,als Lehrer zu wirken an den Bildungsstätten der reiferen Jugend, den empfänglichen Boden ihres Geistes zu ebnen und vorzubereiten für die Saat vertiefter Erkenntnis, für die Keime zu höheren Trieben, zu fördern den Drang nach Wissen und Wahrheit. ,,In hervorragendem Masse hat sich zu jeder Zeit die eid- genössische technische Hochschule diesen hohen und gewaltigen Aufgaben gewidmet und ihr gehört ein reicliHch zu bemessender Anteil an den Fortschritten der Kultur, welche sich in der zunehmenden Unterwerfung der Naturgewalten, die der Wohlfahrt der Menschheit dienstbar gemacht werden, offenbaren."
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VIERUNDZWANZIGSTES KAPITEL
ALFRED ESCHER
Ein Fremder, der zum erstenmal nach Zürich käme mid, beim Austritt aus dem Bahnhof das Alfred Escher-Monument be- wundernd, denken würde, es möchte dies wohl ein verstorbener ,, Landesfürst" gewesen sein, hätte so übel nicht geraten. Sie nannten ihn den ,,Princeps", den ungekrönten ,, König Alfred", und sagten damit die Wahrheit. Dieser Mann in Erz, der Gründer der Gotthardbahn, der Gründer des Polytechnikums, der Gründer der Schweizerischen Kreditanstalt und der Schweizerischen Renten- anstalt, war zu seiner Zeit der unumschränkte Herrscher des Kantons Zürich, kaum wahlfähig geworden schon Kantonsrat, als jüngstes Mitglied des Grossen Rates dessen Präsident, als eines der jüngsten Mitgüeder des Nationalrates dessen Präsident, eben erst über die Schwelle des gesetzlichen Alters getreten und schon Regierungsrat und Bürgermeister, der einflussreichste Parla- mentarier der Eidgenossenschaft, der nur deshalb nicht Bundes- präsident geworden, weil ihm sein Belvoir heber war als ein Bundes- ratsfauteuil in Bern. Alfred Escher (geboren den 20. Februar 1819) ist aufgewachsen und erzogen worden wie ein Prinz. Sein Vater, der in Amerika reich gewordene Kaufmann Escher-ZoUikofer, Erbauer der ,,Escherhäuser" am Zeltweg, hatte 1826 das ver- sumpfte ,, Schwertgut" in Enge angekauft und bis 1831 zu dem fürsthchen Landsitz ,, Belvoir" umgestaltet. Dem begabten Sohne gab Escher-Zolhkofer die besten Hauslehrer: Prof. Alexander Schweizer, Anton Sal. Vögelin, Oswald Heer, der seine Stelle als Theologe antrat und nach sieben Jahren das Belvoir als Natur- forscher verhess. Aus diesem MiUeu von Reichtum und Luxus, in dem die Kunst und Wissenschaft und alles Schöne gepflegt wurde, ging ein Mann her\^or, dessen stärkste Leidenschaft die Arbeit war. In ehrhcher Bewimderung schrieb Alfred Eschers Alters- genosse Gottfried Keller 1847 in sein Tagebuch: ,,Der Sohn eines Millionärs, unterzieht er sich den strengsten Arbeiten vom Morgen
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bis zum Abend, übernimmt schwere, weitläufige Ämter in einem Alter, wo andere junge Männer von 25 bis 28 Jahren, wenn sie seinen Reichtum besitzen, vor allem nur das Leben geniessen." Nicht sein Reichtum und auch nicht seine Talente haben Alfred Escher gross gemacht, sondern seine Arbeit.
Das erste juristische Doktorexamen, welches überhaupt an der Universität Zürich abgelegt wurde, hat Alfred Escher (17. Sep- tember 1842) bestanden, und zwar summa cum laude. \"oraus- gegangen waren der Promotion Studien in Zürich, Bonn und Berlin, ein Aufenthalt in Paris schloss sich an. Im Frülijahr 1844 habi- litierte sich Dr. Alfred Escher als Privatdozent für Staatswissen- schaften an der Hochschule Zürich. Doch schon sehr bald zog ihn die Politik in ihren Bannkreis, um ihn alsdann nicht mehr los- zulassen. Der Wahlkreis Elgg entsandte am 21. Juli 1844 den jungen Rechtsgelehrten in den Grossen Rat. Es war um die Zeit, da es mit der Septemberregierung reissend abwärts ging. ,,Noch kein Grosser Rat, wie der von 1839, war so sehr mitten aus dem \^olk her\'orgegangen, und doch ist noch keiner dem ^"olke so bald wieder verleidet, nach kurzer Zeit so wenig mehr von ihm ge- achtet worden. Nicht, dass er nicht recht gehandelt, nicht, dass er nicht gute Gesetze erlassen hätte, aber das ^'olk merkte, dass diese Gesetze mehr souffliert als .selbst geschaffen waren, und es kehrte nach wenigen Jahren — unter schmählichem Falle der Volksvertreter aus dem Volke, die sogar froh waren, wieder ins Dunkel zurücktreten zu können • — ■ zu dem eine Zeit lang durch Ostrazismus verbannten Beamten und Advokaten zurück" (,, Frei- tagszeitung"). In einer beispiellosen Karriere häuften sich auf das junge Haupt Alfred Eschers Ämter und Ehren; er ward 1845 Tagsatzungsgesandter, Mitglied des Rates des Innern, des Er- ziehungsrats, der wichtigsten Kommissionen des Grossen Rates, 1847 vStaatsschreiber und Grossratspräsident, am 27. Juni 1848 Regierungsrat, im Herbst darauf eidgenössischer Kommissär im Tessin, am 15. Oktober 1848 Mitghed des Nationalrats und sofort dessen Vizepräsident, am 27. Dezember Amtsbürgermeister und am 16. April 1849 Präsident des Nationalrats. IVIit 30 Jahren stand Alfred Escher schon auf der obersten Sprosse der Staffel republikanischer Ehren und brauchte nur die Hand auszustrecken, um den Bundesratstitel zu pflücken. Er überHess ihn aber, als
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Jonas Furrer, der erste Bundespräsident, am 25. Juli 1861 starb, dem von ihm in die politische Laufbahn eingeführten Jakob Dubs, dem klugen und sympathischen Gastwirtssohn von Affoltern a. A. ]\Iit dem Eintritt Alfred Eschers in die Regierung begann für den Kanton Zürich eine zweite Regeneration. Professor Johannes Scherr, ein Bruder des gewesenen Seniinardirektors und Gegner Eschers, bezeichnet es in seiner Biographie desselben als be- wundernswert, was in dieser Zeit die kleine Repubhk Zürich in der Gesetzgebung und \"er\valtung, in der Schaffung gemeinnütziger Anstalten aller Art, in der Hebung von Industrie und Verkehr leistete. Als Chef des Erziehungsdepartements genoss Escher das unbedingte Vertrauen der Lehrerschaft; er gab sich grosse Mühe für die Hebung der Volksschule und bereitete auch ein neues Schulgesetz vor. Ausser der vöUigen Beherrschung seines eigenen Departements arbeitete er sich als Regierungspräsident in die wichtigsten Geschäfte der übrigen Departemente ein und hielt so die Fäden der ganzen Verwaltungsmaschine in seiner kräftigen Hand. Er war darum auch im Obmannamt ebenso gefürchtet als bewundert, denn keine Nachlässigkeit, vom Departementschef an bis zum Kopisten hinunter, entging seinem ScharfbHck. Mehr- mals kam es vor, dass er sich im Obmannamt ein Bett aufschlagen Hess, um nach einigen Stunden Ruhe sofort seine Arbeit wieder aufzunehmen. ,,In jener Zeit war Escher die bewegende Seele in der Regierung sowohl als auch im Grossen Rat und konzentrierte eine solche Fülle von Machtmitteln in seiner Person, dass sich vor seinem Willen fast alle Knie beugten. Er bestimmte die Rich- tung der Politik, besetzte die Ämter und drückte Ungefügige an die Wand; er übte einen souveränen Einfluss auf seine Umgebung aus." Dieser Einfluss dauerte auch dann noch an, als Escher am 30. September 1855 krankheitshalber aus der Regierung zurück- getreten war. Nach wie vor blieb das Belvoir der Ort, wo die Geschicke des Kantons Zürich bestimmt, Gunst und Gnaden gewährt oder versagt wurden. Die als ,,vSystem" bezeichnete Herrschaft Alfred Eschers, die ohne Frage den Kanton Zürich zu hoher äusserer Blüte brachte, musste von unabhängigen Geistern als drückend empfunden werden. Andersdenkende konnte er in seiner Umgebung nicht dulden, Widerspruch nicht ertragen. Seinem frühem Lehrer Anton Salomon Vögelin hat er für eine
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Professur am Gj'mnasium einen weit weniger fähigen, aber dafür gefügigeren Bewerber vorgezogen. Seinem Alters- und Studien- genossen Georg V. Wj'ss, dem er die Staatsschreiberstelle vonveg- genommen, legte er Schwierigkeiten in den Weg, wo er konnte, und Hess ihn weder Nordostbahndirektor, noch Staatsarchivar, noch ordentlicher Professor werden, solange er es zu hindern vermochte. Wj'ss freihch wusste genau und schrieb auch dem Bruder: ,,Wer nicht den Hof macht, ist ein Feind. Möchte sein Tross noch zehn- mal grösser sein, ich werde rüe dazu gehören." Dabei war Escher aber wieder ein zu grosser Geist, um eitel zu sein. Den altehr- würdigen Bürgermeistertitel legte er nieder, sobald er ihn er- langt hatte. Seiner Initiativ^e entsprang das Gesetz vom i8. No- vember 1849, das den Regierungsrat auf neun Mitglieder redu- zierte und an die Stelle des ,, Bürgermeisters" den einfachem Regierungspräsidenten setzte. Die Grossratswahlen vom 5. Mai 1850 brachten den Konservativen neue Verluste. ,,Auf der andern Seite trat eine radikale Opposition in ihren ersten Anfängen auf: die Doppelwahl des Herrn Prokurators Treichler (in Wiedikon, wo er sogar Herrn Bürgermeister Escher die Palme streitig machte, und in Richterswil) darf als ein bedeutsames Wetterleuchten des Sozialismus angesehen werden" (,, Frei- tagszeitung"). Bei den Regierungsratswahlen im Grossen Rat am 24. Mai wurden Hüiii, Melchior und Eduard Sulzer, die seit 1831 ununterbrochen im Regierungsrat sassen, ,, gesprengt", dagegen Oberst Ziegler, der einzige und letzte konservative Re- gierungsrat, mit der höchsten Stimmenzahl bestätigt.
Der Name Treichlers ist verknüpft mit den Anfängen des Sozialismus auf zürcherischem Boden. Fremde Handwerks- gesellen haben dieses Importgewächs bei uns eingeführt. Einer von ihnen, der Schneider Wilhelm Weitling aus Magdeburg, der die Feder so gewandt wie die Nadel zu handhaben verstand, liess bei Hess in Zürich sein ,, Evangelium des armen Sün- ders" drucken. Weitung war im Februar 1843 nach Zürich ge- kommen trotz Abraten des hier eingebürgerten Dr. JuHus Fröbel, Redaktors des ,, Republikaner" und Leiters des im Dienst der deutschen freiheithchen Bewegung stehenden ,, Literarischen Comp- toirs". Eben war der Dichter Georg Herwegh, dem die Stu- denten ein Ständchen gebracht hatten, ausgewiesen worden. Keine
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Zeit konnte für Weitlings Evangelium des Kommunismus, unter welchem Titel der Sozialismus zuerst auftrat, ungünstiger sein. Er aber kündigte sein Buch noch mit einem grossartigen Pro- spekt an und zog sich damit den Staatsanwalt auf den Hals. Die Druckbogen wurden beschlagnahmt. Weitling verhaftet, zu zehn Monaten Gefängnis verurteilt und ausgewiesen. Prof. Bluntschli aber verfasste seinen berühmten Kommissionsbericht über den Kommunismus (Juli 1843). Jetzt trat jedoch auch ein Zürcher als Kämpfer auf den Plan für den Kommunismus: Johann J akob Treichler, geboren 1822, armer Leute Kind vom Berg in Richterswil. Als Fabrikhandlanger verdiente er zuerst ein kümmer- liches Brot. Gute Leute, darunter Hürlimann-Landis, verhalfen ihm mit Vorschüssen zum Eintritt ins vSeminar Küsnacht (1839!). Krankheit nötigte ihn im Januar 1840 wieder zum Austritt. Durch Hürhmann-Landis erhielt Treichler sodann eine Buch- halterstelle bei Junker Escher im Schloss Eigental bei Berg am Irchel, siedelte 1842 ins Seminar Lenzburg über und wurde als Lehrer patentiert. Als Schulverweser wirkte Treichler nacheinander in Egg bei Zürich und Geroldswil im Limmattal. Diese letztere Gemeinde geriet mit dem Erziehungsrat wegen Treichlers Be- soldung in Konflikt, der mit der pohzeilichen Ausschaffung Treichlers und Landjägerbegleitung bis zur Grenze von Weiningen endigte. Treichler war den Behörden bereits als unruhiger Kopf verdächtig geworden. Er hatte in Geroldswil despektierliche Zeitungsartikel verfasst unter dem Titel ,, Wintergedanken des Schulmeisters Chiridonius Bittersüss". Als Sekretär von Dr. JuHus Fröbel angestellt, kam er nun mit der Journahstik in noch engere Berührung. Eben um jene Zeit hatte auch Gottfried Keller (am 13. August 1843) schüchtern mit seinen dichterischen Erst-' hngsversuchen an der Tür des ,, Literarischen Comptoir" angepocht. Gegen Treichler strengte der Erziehungsrat wegen heftigen An- griffen im ,, Republikaner" vStrafklage an, und er wurde im April 1844 zu vier Tagen Gefängnis verurteilt. Dieser Prozess, bei dem sich der junge Bursche glänzend selbst verteidigte, gab ihm den Geschmack an der Juristerei; er wurde stud. jur. ! Inzwischen hatten ihn, im Zusammenhang mit BluntschUs Kommunisten- bericht, die pohzeilichen Schnüffeleien auch in die Weithng-Affäre hineingezogen; es konnte festgestellt werden, dass Treichler schon
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in Geroldswil ein früheres Werk Weitlings mit Begeisterung ge- lesen hatte. Fortan war auch er als „Kommunist" amtlich ab- gestempelt. Als „Chiridonius Bittersüss" gab der unternehmende Student jetzt ein eigenes Wochenblättchen, den ,,Usterboten" heraus, das er dann in ein .«Not- und Hilfsblatt" umwandelte und zu einem Organ der ,, sozialen Demokratie" gestaltete. In Zürich gründete Treichler einen ,, gegenseitigen Hülfs- und Bildungsverein" und hielt im ,, Widder" Aufsehen erregende Vor- träge über den Kommunismus, die bald einmal vom Stadtrat verboten wurden. Die Regierenden apostrophierte Treichler in seinem Blättchen als ,, Maulaffen" und ,, Schöpse", sprach vom Geld als dem den Arbeitern abgezapften Blut und Lebenssaft usw. Liberale und Konservative waren einig, dass diese Sprache nicht geduldet werden könne, und schmiedeten gegen Treichler und sein Blatt das Gesetz vom 24. März 1846 ,, gegen kommunistische Umtriebe", das erste ,,Maulkrattengesetz", gegen welches nur die konservative ,, Freitagszeitung" im Namen der Pressfreiheit lebhaften Einspruch erhob. Treichler musste wirklich seine Tätig- keit einstellen. Er ging nach Lausanne, dann ins Baselland, kam 184g zurück und machte sein Prokurator-Examen (für die erste Stufe der Advokatur, der 1854 der ,, Fürsprech" folgte). 1850 konnte er in den Grossen Rat einziehen, wo sich ihm (November 1851) ein zweiter Sozialist zugesellte: Karl Bürkli aus dem Tiefenhof am Paradeplatz, ein aus der Art geschlagener Aristo- kratensprössling. Sein Vater, Oberstleutnant Bürkli, stand 1839 in den vordersten Reihen der Antistraussen. vSchon der Knabe Karl fing an ihm ,, fürchterlich" zu werden; konnte er doch nach einem Tischgebet die entsetzten Eltern überraschen mit dem Seufzer: ,,0 wänn's nu au kän Herrgott und kän Heiland gab, dass mä nüd eso plaget wurd". Karl Bürkli (geboren 1823) lernte das Gerberhandwerk und ging nach Paris, wo er ein Anhänger Fouriers, eines utopistischen Vorläufers des Sozialismus, wurde. Nach des Vaters Tod heimgekehrt, bekannte er sich auch in Zürich zum Sozialismus und kandidierte im Wahlkreis W^iedikon, zu dem noch Aussersihl, Altstetten, Albisrieden, Enge und WoUishofen gehörten, für den Grossen Rat. In der Wahh-ersammluug im alten Kirchli zu Wiedikon gaben die liberalen Häupter die Parole aus, wem im ersten, wem im zweiten Wahlgang zu stimmen sei,
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,,nu dass da eh. . . . Sozialist Bürkli nüd ine chunnt". Da streckte ein Arbeiter in der Neumülile den Kopf in die vordere Reihe der Matadoren und sagte ganz trocken: ,,Jä, meined ihr öppe, mer müesid zweimal schribe ? Verflucht bin i, im erste Skrutinium chunt de Bürkli use!" Und so kam es auch. Treichler und Bürkh standen im Grossen Rat zusammen. Für die Motion Treichler (Verfassungsrevision) standen am 31. März 1852 nur Treichler und Bürkli auf. Sie gründeten auch zusammen den ersten Konsum- verein. Im gleichen Jahr 1852 sass Treichler bereits als National- rat in Bern.
Aus den mehr oder weniger bewusst sozialistischen, klein- bürgerüch-radikalen und „neudemokratischen" Elementen braute sich nach und nach eine demokratische Opposition gegen das „System" zusammen, die schon 1853 in einer getrennten Ustertagfeier in die Erscheinung trat. Die Liberalen waren, wie gewohnt, auf der , .Platte", die Demokraten in der ,, Blume" Aussersihl. Der liberale ,,Ustertag" verlor von Jahr zu Jahr an Glanz und wurde ein reines ,, Beamtenfest". Ob man ihn nicht Heber abschaffen und dafür Treichlers Geburtstag feiern wolle, fragte boshaft die ,, Freitagszeitung". Die Grossratswahlen vom 7. Mai 1854 brachten, der Opposition weitern Zuwachs von Stimmen und Sitzen, und die neuen Männer schienen auch mit neuen Mit- teln operieren zu wollen: betreten wohnte der Grosse Rat einem Tränenausbruch des Tierarztes Zangger bei, als dieser eine Rede über den Wucher hielt. Es war Alfred Eschers Gedanke, dass man ,, wilde SoziaHsten" am besten zähme — • durch ihre Wahl in die höchsten Behörden, und er veranlasste, zur grenzenlosen Ver- blüffung Zürichs, am 27. Oktober 1856 die Wahl Treichlers zum Regierungsrat! Das Verfahren ist probat; es hat nur den einen Haken, dass dann noch mancher denkt: in dem Fall werde ich auch mal ein ,, wilder SoziaHst"; das Schlimmste, was mir dabei passieren kann, ist Regierungsrat zu werden. Der Staatsschreiber Gottfried Keller hat einmal eine hübsche Anekdote erzählt: es war beim Bankett zu Ehren der österreichi- schen und itahenischen Bevollmächtigten, welche nach dem lom- bardischen Feldzug am 10. November 1859 auf dem Rathaus den ,, Frieden von Zürich" geschlossen hatten. Einer der Öster- reicher, der früher in der Schweiz in diplomatischen Diensten ge-
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standen, wandte sich an den neben ihm sitzenden Regierungsrat mit der Frage: „Als ich noch ein junger Anfänger war, da trieb sich gerade im Kanton Zürich ein langer, hagerer Kerl umlier, der gewaltige Brandreden hielt und den Kommunismus predigte. Wir mussten über diese Hopfenstange viel nach Wien an den sehgen Staatskaiizler berichten. Aber bitte, wie hiess doch gleich der Kerl ? Leichler, Weichler, Meichler oder so ungefähr ?" Worauf der Gefragte mit bezeichnender Handbewegung gegen den der Tafel Vorsitzenden bemerkte: ,, Exzellenz zu dienen, unser Herr Regierungspräsident Dr. Treichler!" Nicht \ael geringer war übrigens das Erstaunen in Zürich, als durch Alfred Eschers Ein- fluss am 14. September 1861 der Regierungsrat Gottfried Keller, den ehemaligen Mitarbeiter an Treichlers ,,Not- und Hilfs- blatt" und demokratischen Agitator, der noch das Jahr vorher Dr. Eschers PoHtik in einem öffentlichen Marüfest ,,Marklosigkeit und VerschHffenheit der Grundsätze" vorgeworfen hatte, zum Staatsschreiber wählte. Jetzt fehle bloss noch, meinte die über diesen ,, Geniestreich der Regierung" untröstliche ,, Freitags- zeitung", dass man den Dichter Herwegh zum Erziehungsdirektor mache. Aber Gottfried Keller beschämte dieses Misstrauen in seiner I5jährigeu Staatsschreibertätigkeit. Der eidgenössische Kanzler Schiess pflegte zu sagen, Gottfried Keller sei der beste, zuverlässigste Staatsschreiber der Schweiz gewesen.
Die Zulassung einzelner Oppositionsvertreter zu den staat- Hchen Ämtern und Würden konnte die Opposition selbst nicht ent- waffnen, weil ihre materiellen Forderungen: Umwandlung des Re- präsentativsystems in die reine Demokratie, ökonomische Erleich- terungen, Errichtung einer Kantonalbank, soziale Gesetzgebung usw. vom herrschenden System unberücksichtigt bheben. Die demo- kratische Bewegung kam zum Durchbruch, schadete aber Eschers persönhchem Ansehen so wenig, dass er, 1868 aus dem Nationalrat zurückgetreten, sofort mit gewaltigem Mehr gegenüber dem Pamphletär Locher wieder gewählt wurde. Escher gehörte auch weiterhin dem Kantonsrate an. Lange bheb auch sein mass- gebender Einfluss in der eidgenössischen Politik unge- schwächt. Zum ersten schweizerischen Eisenbahngesetz von 1852 gab seine Motion die Grundlage; zur Neuenburger- und Savoyer- frage, zur Verfassungsre^^sion sprach er sein klares und bestim-
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mendes Wort. Anfangs mit dem radikalen Berner Stämpfli eng verbunden und mit ihm vereint die Bundesversammlung be- herrschend, trennte er sich, in den Eisenbahnfragen und aus- wärtigen Angelegenheiten andern Anschauungen huldigend, nach und nach von StämpfU und wurde der Führer einer gemässigten Richtung. Vollends nach dem Sturz des ,, Systems" in Zürich und der weitern Ausdehnung der radikal-demokratischen Bewegung in der Schweiz beschränkte sich Eschers Führerschaft auf die liberale Zentrumsgruppe.
,,Um den Beweis zu leisten," sagt Eschers Biograph Willielm ÖchsH, ,,dass die Schweiz auch mit dem Sj'stem des Privatbaues zu den notwendigen Eisenbahnen komme, stellte sich Escher an die Spitze einer ,, Zürich-Bodensee-Eisenbahngesellschaf t", die sich im Januar 1853 konstituierte und im Laufe des gleichen Jahres sich mit der ,, Nordbahn" zur ,, Schweizerischen Nordost- Balm" verschmolz. Am 12. September 1853 wählte ihn die General- versammlung der N. O. B. zum Präsidenten der Direktion. Auch bei dieser Schöpfung hatte er nur das Landeswohl im Auge; aber es kennzeichnet doch die schiefe Stellung, in die er geriet, dass er den Vertrag über die Konzession, die der Gesellschaft erteilt wurde, in seiner doppelten Eigenschaft als Regierungspräsident des Kantons Zürich und als Präsident der N. O. B. zu unterzeichnen hatte." Nach seinem Rücktritt aus der Regierung widmete er sich ganz der N. O. B., die sich unter seiner Leitung zu der best- verwalteten Eisenbahn der Schweiz aufschwang, sowie seiner zweiten grossen wirtschafthchen Gründung, der Schweizerischen Kreditanstalt (1856), unter deren Auspizien 1857 auch die Schweizerische Rentenanstalt ins Leben trat. Escher bheb Präsident der Kreditanstalt, bis 1877 ein Konfhkt ihrer Interessen mit denjenigen der Gotthardbahn ihn zum Rücktritt zwang. Den grössten Ruhm und die schärfsten Dornen brachte ihm die Grün- dung der Gotthardbahn. Nach seinem Plan konstituierte sich am 8. August 1863 unter dem Vorsitz von Regierungsrat Zingg in Luzern die ,,Gotthardvereinigung", welcher 13 Kan- tone, sowie die Zentralbahn und Nordostbahn beitraten. Unter unendHchen Schwierigkeiten, in deren Bemeisterung Alfred Escher seine ganze Energie und GeniaUtät entfaltete, kam die Finanzie- rimg mit Hilfe Deutschlands und ItaUens zustande, und am
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4. Mai 1871 konnte die Gotthardvereinigung in Luzern ihre letzte Sitzung abhalten. Die Stadt schwamm in Jubel, Alfred Escher ward als der „Escher vom Gotthard" gefeiert. Er trat an die Spitze der Direktion der neuen Bahn. Aber gar zu bald sollte dem Hosiannah das Kreuzige folgen. Der Tunnelbau erforderte 100 Millionen mehr als berechnet worden war; die Gotthardbahn- aktien sanken von 300 Franken auf 30 Franken, die Obhgationen von 1000 auf 350 Franken, und an allem Unglück sollte Alfred Esclier schuld sein. Keine Schmähung wurde ihm erspart; drei seidene Schnüre wurden ihm anonym zugesandt. Neue grosse Opfer mussten vom Bund und von den Gotthardkantonen, sowie von den Subventionsstaaten für das Unternehmen gebracht werden. Alfred Escher erklärte am 30. April 1878 seinen Rück- tritt aus der Direktion der Gotthardbahn, weil, wie er einem Freunde schrieb, ,,fast alle Berner und die Grosszahl der Zürcher Demokraten in der Bundesversammlung als Preis für ihre Stimm- gabe zugunsten der Unternehmung meinen Austritt verlangen." Unter allen den Aufregungen und Anstrengungen dieser Kämpfe hatte Eschers Gesundheit stark gelitten. Schonung seiner selbst kannte er dabei nicht und arbeitete unablässig von früh bis spät, auch stets während der Ei.senbahnfahrt. Den Winter 1881/82 brachte er in Nizza zu, wo er sich einer Carbunkel-Operation unter- ziehen musste. Seine letzte öffentliche Kundgebung war wohl die von ihm erlassene Erklärung der liberalen Fraktion der Bundes- versammlung zugunsten des sogenannten ,, Schulvogtes". Auch die Eröffnung der Gotthardbahn erlebte er noch, ohne aber daran teilnehmen zu können. Eine erneute Carbunkelbildimg fülirte am 6. Dezember 1882 nach furchtbaren Schmerzen zum Tode. Kurz vorher hatte er noch seine Tochter Lydia mit dem Sohne von Bundesrat Welti verlobt. Der Leichenzug, welcher am 9. Dezember Eschers irdische Reste zum Fraumünster und dann zum Famihen- grab beim Bethaus in Enge brachte, war wohl der grösste, den Zürich je gesehen. Professor Alexander Schweizer, der schon lange nicht mehr öffentlich aufgetreten war, hielt die Leichenrede. Dann sprachen namens der Bundesversammlung Dr. Deucher und namens der Stadt Zürich Stadtpräsident Dr. Römer. Als Leit- stern Eschers bezeichnete der Stadtpräsident in dieser Rede ,,das Streben, das engere und weitere \'aterland nach den Ideen des
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modernen Zeitalters umzugestalten, auf dass es im Innern glück- lich sei und nach aussen als das Muster eines Staatswesens da- stehe. Seine hohe Begabung Hess ihn die treibenden Ideen der Zeit erkennen und richtig erfassen. Er gewahrte, dass die besten Staatsformen ein Volk nicht zu beglücken vermögen, sofern ihnen nicht grosse wirtschafthche Schöpfungen zur Seite stehen, und als einer der ersten in unserm Lande begriff er die weltumgestaltende Bedeutung der Eisenbahnen in ihrem vollen Umfange. Trat er an eine Frage heran, so suchte er sie mit unerschütterUcher Energie bis auf den Grund zu durchdringen, und nichts gab er aus der Hand, das nicht inhaltlich und formell gleich vollendet gewesen wäre."
Auf den 2. Februar 18S3 lud Stadtpräsident Dr. Römer einen Kreis von Verehrern und Freunden Alfred Eschers zu einer Be- sprechung der Frage eines Denkmals ein. Ein öffentUcher Auf- ruf war von schönem Erfolg begleitet, und das Denkmalkomitee konnte mit dem Solothurner Bildhauer Richard Kissling einen Vertrag abschhessen. Am Samstag den 22. Juni 1889 fand die feierUche Enthüllung statt. Es war eine eigenartige Doppel- feier: die Einweihung des Denkmals für den letzten Bürgermeister fiel zusammen mit der Feier des berühmtesten Bürgermeisters Zürichs, Hans Waldmann, der vor vierhundert Jahren tragisch geendet hatte. Vormittags 11 Uhr fielen auf dem Bahnhofplatz die Hüllen vom Escherdenkmal und zeigten den 6000 Zuschauem eines der herrHchsten Kunstwerke der Stadt. Oberst Karl Pesta- lozzi übergab das Denkmal der Obhut der Stadt, in deren Namen es Stadtpräsident Hans Pestalozzi entgegennahm. In der alten Tonhalle fand das sehr belebte Festbankett statt. Während am Abend das Escherdenkmal mit seinem wirksamen Hintergrund des Bahnhofgebäudes in elektrischem und bengaHschem Lichte er- strahlte, begann in der Tonhalle die Vorfeier des Waldmanntages.
Noch einmal war Alfred Eschers Name in aller Mund, als seine Tochter, Frau Welti-Escher, ihr Vermögen im Betrage von 2 V2 MilUonen Franken am 6. September 1890 der Eidgenossenschaft als ,, Gottfried Keller-Stiftung" schenkte zu besonderer Ver- waltung mit dem doppelten Zweck der Förderung der Kunst in Friedenszeiten und für die Pflege verwundeter und kranker Wehr- männer beim Kriege. Zur Gottfried Keller-Stiftvmg gehörte auch
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das Belvoir, dem infolgedessen die Gefahr der Parzellierung und Veräusserung nahe stand. Als im September 1890 aus der Bundes- stadt gemeldet wurde, der Bundesrat gedenke das Grundstück zu parzellieren, schrieb ,,ein Freund der Natur und der Kunst" in der ,, Freitagszeitung", es wäre doch ein wahrhaftes Verhäng- nis, weim eine Stiftung zur Förderung der Kunst den Anlass bieten sollte, ein solch wunderschönes Stück Natur zu ruinieren, und er warf die Frage auf, ob es nicht möghch wäre, das Bel- voir zu einem öffentlichen Garten zu gestalten und so für alle Zeiten vor den Brutalitäten der Häuserspekulanten sicher zu stellen. Die Anregung fiel auf fruchtbaren Boden. Es gelang einer Anzahl gemeinnütziger Männer in Verbindung mit den Stadtbehörden, das Belvoir als öffentUche Anlage für die Stadt zu retten. Das aus den Herren Stadtingenieur Dr. Arnold Bürkli, Karl Fierz-L,andis und Eduard Guyer-Freuler gebildete Initiativ- komitee erwarb das Belvoir von der Eidgenossenschaft zuhanden der Gemeinde Zürich-Enge, verkaufte einen Teil davon und stellte die übrige Liegenschaft als öffentlichen Garten von 37,000 m" Grundfiäche (Platzpromenade 51,000 m^) der Stadt zur Verfügung, welche ihren Besitz am i. Januar 1901 antrat. Zwar meinte Direktor Georg Stoll einmal, Alfred Escher würde sich im Grabe umdrehen, wenn er wüsste, dass aus seinem Belvoir ein Wirtshaus geworden sei. Die Bevölkerung Zürichs aber dankt es jenen Männern bei jedem Besuch des Belvoir, dass sie ihr diesen herr- lichen Park erhalten haben.
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FUNFUNDZWANZIGSTES KAPITEL
STADTPRÄSIDENT HESS
HANS LUDWIG HESS ist geboren am 5. JuH 1788 als Sohn des Cliirurgus und Sekretärs des medizinischen Instituts zum „Schwarzen Garten" H. J. Hess. Er widmete sich ebenfalls der Medizin und studierte zu Wien 1811 und 1812, nachdem er zuvor das zürcherische medizinische Institut besucht hatte und anderthalb Jahre zu Brück in der Lehre gewesen war. 181 3 machte er als Feldarzt bei der kaiserlich österreichischen Ambulanz den Feld- zug mit durch Böhmen, Leipzig, Frankfurt, Genf und zurück nach Wien, wo er sich noch vier Monate aufhielt und hierauf heimreiste. Gleich nach seiner Ankunft aus der Fremde bat er sich (Januar 1815) ein Examen aus, worin er Proben besonderer Geschicklichkeit ablegte und unverzüglich bei der eidgenössischen Armee als Oberarzt eine Ambulanz besorgte. 1818 wurde Hess Armenarzt der Grossmünstergemeinde, 1819 Lehrer am medi- zinisch-chirurgischen Institut, 1822 Aktuar desselben. In dem- selben Jahr erhielt Hess das Amt eines Adjunkts des Bezirksarztes für das Oberamt Zürich und rückte am 5. JuH 1823 selber in die Stelle des Bezirksarztes ein, die er bis 1847 bekleidete. ,,In seinen Gutachten legte er seine reichen Kenntnisse und seine klare, oft geniale Beobachtungsgabe an den Tag. Seinen sehr geschätzten Vorträgen über gerichtliche Arzneikunde am medi- zinischen Institut verdankte der Kanton Zürich die gediegene Bildung seiner Bezirksärzte. Auch nach der Niederlegung der Bezirksarztstelle nahm Hess grossen Anteil an den Ergebnissen der medizinischen Literatur, wie er denn auch, so viel es ihm seine Zeit erlaubte, an den Versammlungen der ärztlichen Vereine teil- nalim." Dem Stadtrat gehörte Hans Ludwig Hess seit dem 15. September 1831 an, dem Grossen Rat als Vertreter der Schmie- denzunft seit April 1832. In diesem Kollegium zählte Hess zu den Konserv^ativen und tat sich besonders hervor als Ver- fechter der Wünsche und AnHegen der Handwerker, die vor der
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Einführung der Gewerbefreilieit grosse Befürchtungen hegten (vgl. Wettstein, Regeneration). In den Diskussionen hierüber wies Hess speziell darauf hin, dass die alte Regierung im Jahr 1830 von der Bürgerschaft Zürichs darum nicht kräftiger unterstützt worden war, weil sie im Verdacht stand, die Gewerbefreiheit ein- führen zu wollen; nach der ,,N. Z. Z." (1832, Nr. 37) mochten sich die neuen Regenten dies gemerkt und eben deswegen die Rechte der Gewerbefreiheit nicht entschiedener und durchgreifen- der geltend gemacht haben. Hess gehörte auch zu den Unter- zeichnern der Protestatiou gegen das Siebner-Konkordat.
Als im Mai 1840 Oberst Ziegler in die Regierung übertrat, wählte die am 25. Juni 1840 in der St. Peterskirche versammelte Stadtgemeinde Stadtrat Hess zum Stadtpräsidenten. Volle 23 Jahre hindurch stand er an der »Spitze der Stadtverwaltung und erwarb sich durch seine unermüdliche Pflichttreue viel Verdienste um die Stadt. Das Neujahrsblatt des Waisenliauses 1872 hebt noch besonders hervor: ,,Als im Jahre 1855 die asiatische Cholera Zürich einen kurzen Besuch machte, finden wir Hess als einen der ersten auf dem Kampfplatze, und seinen ebenso umsichtigen als energisch durchgeführten Massnahmen war die erfolgreiche Be- kämpfung des Übels vorzüghch zu verdanken. Eine seltene Ge- däclitniskraft, die ihm den Namen des lebendigen Protokolls zu- zog, unerschütterliche Gemütsruhe und Pflichttreue, erheitert durch freundhche Geselligkeit, erleichterten ihm seine Geschäfts- last und erhielten ihm bis an sein Eebensende das Zutrauen seiner Mitbürger." Im Jahr 1856 durfte Hess sein 25iähriges Jubiläum als Mitglied des Stadtrates begehen. ,,In bewegter Stim- mung und mit lautloser Stille" erklärte am 15. »September 1856 die Bürgergemeinde den von Regierungsrat Hageubuch befür- worteten Antrag des Vizepräsidenten Mousson zum Beschluss, es sei dem Herrn Stadtpräsidenten durch eine besondere Abordnung eine Dankesurkunde zu überreichen und dieselbe mit der goldenen Verdienstmedaille zu begleiten. , .Abends feierte die Bürger- Mittwochgesellschaft, deren Mitgründer und beständiges, \-on allen geachtetes und geliebtes Mitglied Herr Hess ist, den Jubilar mit einem Bankett und einem Ständchen. Nach einer Ansprache bei diesem Fest im Schützenhaus öffneten sich hinter dem Ju- bilar plötzhch zwei Vorhänge, und ein Transparent erschien,
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in welchem die Tigurina in weiss und blauem Kleide dem Ge- feierten den Kranz bot („dem Verdienste seine Krone") und in ihrem Gedenkbuche zwei Blätter aufgeschlagen hatte, auf denen der 15. September 1831 und der 15. September 1856 verzeichnet standen. Herr Hess gab darauf der Versammlung eine kurze und gemüthche Geschichte seines Eintritts in den Stadtrat imd dessen, was mit ihm, der Behörde und der Stadt selbst seither vor- gegangen" (Frtgsztg.). Alters- und Gesundheitsrücksichten ver- anlassten Hans Ludwig Hess am 30. Mai 1863 zum Rücktritt als Stadtpräsident; sein Nachfolger wurde am i. Juni 1863 alt Bürgermeister Heinrich Emanuel Mousson. Hess starb, auf- richtig betrauert, am 27. November 1866.
Die Stadt Zürich zur Zeit des Stadtpräsidenten Hess zeigt das diesem Kapitel beigeheftete Vogelschaubild aus der Mitte des letzten Jahrhunderts. In der Ecke unten Unks drängen sich die Bäume der Platzpromenade zusammen. Sie umrahmen die Bürgergärten hinter dem Bahnhof, in welche 1855/56 die Gasfabrik gestellt worden ist, an deren Stelle sich jetzt das Landesmuseum erhebt. Vom Bahnhöfchen und seinen Neben- gebäuden leitet die primitive Eisenbahnbrücke in den ,,Kräuer' hinüber (Ecke rechts), in welchen (um 1870) die Mihtärbauten, Kaserne und Zeughaus, verlegt worden sind. Die drei Häuser an der Sihl, am Ende der Allee, sind die alten MiUtärställe und die Reitbahn. Die düstere gedeckte Sihlbrücke, die erst 1866 durch eine offene Gitterbrücke ersetzt wurde, ist von den Ausser- sihlern lange Jahre als lästiges Verkehrshindernis empfunden worden, um dessen Beseitigung sie eifrig petitionierten. Links von ihr sieht man den einzigen Bogen der Sihlportenbrücke über den Schanzengraben. Der Schanzengraben umfhesst hier das stehen gelassene Katz-Bollwerk, auf welchem der Botanische Garten angelegt wurde (leicht kennthch an der Baumgruppe auf der obersten Terrasse). Durch den Schanzengraben vom Botani- schen Garten getrennt, ragt der noch jetzt bestehende Wasser- turm. Auf der entgegengesetzten Seite des Botanischen Gartens, zwischen Talgasse imd Schanzengraben, dehnt sich der ehemalige Exerzierplatz, auf welchem häufig Festhchkeiten stattfanden und auch etwa Truppen beeidigt imd verabschiedet wurden (Gegend des jetzigen Schanzengrabenschulhauses).
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Jenseits des Schanzengrabens, dem Botanischen Garten gegen- über, liegen die Häuser des Sein au, die erst 1854 durch eine steinerne Brücke (in der Fortsetzung der PeHkanstrasse, an Stelle des bisherigen Fussgängersteges) wieder ihre richtige Verbindung mit der Stadt erliielten. Weiter dem Schanzengraben aufwärts fol- gend, treffen wir auf die Bleicherwegbrücke und den nach der Enge und Wollishofen hinaus führenden Bleicherweg. Die Talgasse läuft dem Schanzengraben parallel bis zum See. Die drei Häuser zu oberst, gegenüber dem Kratzturm, sind die De- pendance des Hotel Baur, später Baur au lac, erbaut von dem- selben ehemaUgen Bäckergesellen Baur (gestorben 1865), der auch das Hotel Baur en ville beim Paradeplatz errichtet hat. Der grosse, von einer Allee dem Ufer entlang eingesäumte Platz hinter dem Stadthaus ist bei der Sonderbundszeit genannt worden. Hier wurden öfters Truppen vereidigt und dann beim BauschänzH nach den obern Seegegenden eingeschifft. Das Häusergeviert des Kratzquartiers, dessen südwestliche Ecke der Kratzturm mit dem Baugarten bezeichnet, schhesst den Stadthausplatz ein, auf dem der wöchenthche und der Jahrmarkt zu Martini ge- halten wurde (das Stadthaus ist das erste Haus rechts gegenüber dem BauschänzH). An der Ljmmat (bei der Münsterbrücke) steht isoHert das Kaufhaus, an der Poststrasse das Post haus (jetzt Zentralhof), gegenüber Hotel Baur, am Paradeplatz die Tiefenhoflinde und dahinter der Bürklische Tiefenhof, auf der Nordseite des Paradeplatzes der Feldhof, in der Mitte des Talackers (rechts, das länghche Gebäude) die Kaserne, herwärts derselben am PeHkanplätzh der vordere Pelikan, Wohnung des Stadtpräsidenten Ziegler. An der Sihlstrasse hegt noch der alte St. Anna-Friedhof. DeutUch hebt sich aus dem Bild der Fröschengraben mit der an seiner Westseite entlang laufenden Strasse hervor und von der Bastei des Rennwegtors schräg aufwärts gegen die Peterskirche der Renn weg. Halbwegs zwischen Paradeplatz imd Rennwegtor führt über den Fröschen- graben die Augustinerbrücke; zwischen der Peterskirche und der Augustinerbrücke hegt das Geviert der Augustinerkirche mit dem ,, Hinteramt", dem ersten Universitätsgebäude. In der Mitte der Rathausbrücke ein Budengebäude, rechts vorsprin- gend das Hotel ,, Schwert". Der Lindenhof, das alte Zuchthaus
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am Ötenbach, das Waisenhaus daneben und das „gedeckte Brückli" sind nicht zu verkennen, ebensowenig das alte Schützen- haus an der Linimat (zwischen dem „gedeckten BrückU" und der Schanzengrabenmündung) . Das hufeisenförmige Gebäude rechts vom Schützenhaus und gegenüber dem Bahnhof ist das sogenannte neue Zeughaus; die Pappeln dabei umgeben als BHtzableiter drei kleine Pulverhäuser. Auf der langgestreckten, rechts spitz zulaufenden Wiese vor dem Zeughaus wurde bei Hinrichtungen das rot bemalte Blutgerüst aufgeschlagen. Die Strasse, welche als Fortsetzung der Talgasse den Schanzengraben bis zur Limmat begleitet, hiess die Löwenstrasse.
Am See ist die lange weisse Linie der Seefeldstrasse sichtbar; deutlich erkennt man auch das Kornhaus (die ,,alte Tonhalle"); Hnks von ihr Stadelhofeu und die Kreuzbühl- strasse, oben am Kreuzplatz zusammenlaufend nüt dem Zeltweg. Die Gartenanlagen des Gutes zum Linde ntal korrespondieren mit dem gegenüberliegenden grossen Turnplatz der Kantons- schule. Das turmartige, viereckige Gebäude soll die Kantons- schule vorstellen. Links davon, bei dem Rondell an der Rämi- Tannenstrasse, dehnt sich der weitläufige Bau des Kantons- spitals mit der Anatomie, dahinter, etwas erhöht, das Absonde- rungshaus. \'om Rondell abwärts geht der Weg an der Blinden- anstalt und dem Künstlergütli vorbei das Halseisen liinunter zum Rechberg vmd Hirschengraben. Auf die viereckige Wiese gegenüber der Bhndenanstalt, den ,,Scliienhut", kam dann das Polytechnikum zu stehen. In erhabener Lage über den Resten des alten St. Leonhard-Bollwerks (links) thront die Pfrundanstalt; unten an der Limmat verbindet der Lange Steg die Etablisse- mente von Escher Wyss & Cie. mit der Platzpromenade; der Limmatquai ist nur bis auf die Höhe der Rosengasse durch- geführt und dort abgebrochen. Im allgemeinen befanden sich die ^^erkehrsverbindungen im Innern der Stadt und die Zugänge zu derselben von aussen vor 50 bis 60 Jahren noch in einem recht imbefriedigenden Zustande. Strassen, auf denen bequem gefahren werden konnte, waren nur sehr wenige vorhanden: in der ,, kleinen Stadt" der Talacker und die Poststrasse, in der ,, grossen Stadt" der Rathausquai, der Sonnenquai und allenfalls der Hirschen- graben; sodann die an Stelle der früheren Schanzenumwallung
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angelegten Strassenzüge : links der Limmat die Löwenstrasse und Talgasse, rechts der Limmat Rämistrasse und Leonhardstrasse. Alles andere waren schmale, krumme, meist unebene Gassen. Recht anschauHch beschreibt z. B. Dr. Conrad Escher in der , .Zürcher Wochenchronik" den damaUgen komphzierten Ver- kehr mit dem Balmhof. Der Fahrverkehr aus der , .kleinen Stadt" ging durch den Talacker und die Löwenstrasse; Fussgänger benützten die Fröschengrabenstrasse bis zum Rennwegtor; von da ging's rechts hinunter zur ,, Werdmühle", wo sich eine fleissige Sägemühle befand. Der Weg führte unter einem Dach durch die Säge hindurch und dann in mehrfachen romantischen Krüm- mungen zum Bahnhof. Nicht viel besser und direkter war der enge Weg durch die Schipfe. Ganz misshche Verkehrsverbiudungen bestanden für die grosse Stadt. Die ..Metzgpassage" zwischen der Hauptwache und dem Haus zum ,,Kiel" war so eng, dass zwei Fuhrwerke Mühe hatten, aneinander vorbeizukommen, und von der Rathausbrücke abwärts gab es keinen fahrbaren Flussübergang mehr; der ganze Fuhrwerkverkehr musste den Umweg durch die kleine Stadt nehmen.
In chronologischer Reihenfolge seien nun noch einige der bemerkenswertesten Begebenheiten und baulichen Ver- änderungen in der Stadt Zürich aus der Zeit von vStadtpräsident Hans Ludwig Hess verzeichnet:
1840. — Auf dem Ütliberg hat sich ein Gasthaus auf- getan. Es wurde von Friedrich Bej-el auf dem Kulm neben dem alten Hochwachthäuschen im Stil der Appenzeller Alphütten er- baut. Beyel ist 1866 gestorben und die Famihe weggezogen. Das neue grosse Zeughaus beim Bahnhof, dessen erster Flügel 1837/38 erstellt wurde, befindet sich noch in vollem Ausbau; der mittlere Verbindungsflügel (gegen das vSchützenhaus) wurde erst
1844 fertig.
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1841. — Der Packhof (hinter den Fraumünstergebäuhch- keiten an der Kappelergasse), ein mit dem Betrieb des Kaufhauses in Zusammenhang stehender Bau, wird vollendet und der Stadt übergeben.
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1842. — Im Oktober wurde die neue Pfrundanstalt be- zogen, deren Bau von der Gemeinde am 4. Juli 1839 beschlossen worden war. Bei der Einweihting am 27. Oktober sangen die Zöglinge der Blindenanstalt einige Lieder. Das alte Pfrundhaus zu St. Jakob in Aussersihl wurde verkauft; die Kapelle diente eine Zeitlang als Magazin und schliesslich noch als Schlachthaus des Konsumvereins! Die Gottesdienste zu St. Jakob wurden in das am 6. Oktober 1844 eingeweihte neue Bethaus verlegt, welches die Gemeinden Aussersihl und St. Peter gemeinsam auf dem neuen Friedhof gegenüber dem alten Pfrundhaus an der Badenerstrasse erstellt hatten. Mit der Anlage dieses Friedhofs, an dessen Portal die Inschrift stand: ,, Grabesnacht — Frühlings- morgen", war schon 1820 begonnen worden. Nach dem Vertrag von 1843 sollte derselbe gemeinsam dem Stadtteil der St. Peters- gemeinde und der Filiale Aussersihl dienen, die Beerdigungen auf dem Friedhof St. Anna am 30. Juni 1845 aufhören.
*
1843. — Das ,, Tagblatt der Stadt Zürich" hat seine Metamorphosen beendet, Titel und Gestalt endgültig angenommen. Wir lernten es (Seite 21/22) zuerst kennen als ,,Donnstags-Nach- richten" (seit 1730), dann als ,,Donnstags-Blatt" (1781) vmd end- lich als ,, Zürcherisches Wochenblatt" (1801), unter welchem Titel es 1814 samt der Buchdruckerei Berichthaus an die Famihe Ulrich überging und fortgefülirt wurde. Nun gab aber das Berichthaus vom I. Januar 1837 an neben dem ,, Zürcherischen Wochenblatt" täglich, auch Sonntags (zwischen xo und 12 Uhr), das vorerst nur als zweiseitiges Blättchen erscheinende ,, Tagblatt der Stadt Zürich" heraus, das ledigHch die FremdenHste und daneben noch einige pressante amthche und private Anzeigen ent- hielt. Da die Fremdenhste unter Leitimg der Stadtpohzei erschien und an die Stelle des von einem eigens angestellten ,, Nacht- schreiber" angefertigten ,, Nachtzettels" trat, hatte dieses ,, Tag- blatt" gewissermassen amthchen Charakter. Bald Uef das ,, Tag- blatt" dem wöchentUch nur zweimal erscheinenden ,, Wochenblatt" den Rang ab. Im ersten Halbjahr 1843 wurde das ,, Wochenblatt" wie bisher zweimal wöchentlich, aber nur noch als zweiseitiges Blatt für die Landgemeinden ausgegeben, verschwand dann aber gänzHch, um dem ,, Tagblatt" das Feld allein zu überlassen.
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Seit 1855 lieferte das „Tagblatt" auch Börsenkurse und eine „Übersicht der Tagesnachrichten". Am 31. Dezember 1863 wurde sodami der erste Vertrag mit der Stadt Zürich ab- geschlossen, nach welchem das ,, Tagblatt der Stadt Zürich" als offizielles Pubhkationsmittel für alle Bekanntmachungen der städtischen Behörden gilt. SämtUche amtUchen Bekanntmachungen waren unentgeltUch aufzunehmen, sämtlichen städtischen Ver- waltungen und Kanzleien Freiexemplare abzuHefern. Der Abonne- mentspreis von 6 Fr. und der Insertionspreis von 6 Rp. pro Zeile durfte ohne Einwilligung des Stadtrates nicht erhöht werden, und es ist gewiss interessant, dass dieser Abonuementspreis von 6 Fr., durch welchen bei weitem nicht einmal die Kosten des Papiers gedeckt werden, bis auf den heutigen Tag, fünzig Jahre liindurch, derselbe geblieben ist! Auf Verlangen war das ,, Tag- blatt" von 1864 an auch durch Austräger ins Haus zu hefern. Der Stadt hatte das Berichthaus eine jährhche Remuneration von 5000 Fr. zu bezahlen (nach dem Vertrag vom i. November 1911 beträgt diese Remuneration nunmehr 90,000 Fr., was mit der unentgelthchen Aufnahme der amtlichen Inserate einer Gesamt- leistung von jährlich 150,000 Fr. an die Stadt gleichkommt). — Am 25. imd 26. Juh 1843 wurde vom vSängerverein ,, Harmonie" das eidgenössische Sängerfest durchgeführt. Auf dem Exerzierplatz am Schanzengraben (beim Botanischen Garten) war eine Festhütte für 3000 Gedecke errichtet. Die eidgenössische Sängerfahne, von Aarau kommend, wurde in Dietikon eingeholt und hielt in Begleitung von zwölf kostümierten Reitern ihren glänzenden Einzug in die vStadt. Die übhchen Begrüssungs- ansprachen wurden zwischen den Regierungsräten Häfehn von Aargau und Zehnder von Zürich gewechselt. Die Wettgesänge fanden im Fraumünster statt, wo eine bekränzte Büste H. G.NägeHs aufgestellt war; in den Verhandlungen vom 26. Juh wurde die Errichtung eines Nägeli-Denkmals beschlossen. Die Schlussrede hielt Dr. Zehnder.
Im März 1843 hatte der Kanton Zürich als erster Festlands- staat nach engli.schem Muster die Brief postmarken eingeführt, in Werten von 4 und 6 Rappen, \'on denen erstere zur Zeit mit 300 — 400 Fr. bezahlt wird.
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1844. — In der Gemeindeversammlung vom 18. Juli wurde die Vorlage über die Ausscheidung des stadtbürgerlichen Gemeinde- gutes vom Nutzungsgut angenommen. — An Stelle der heutigen Wipkingerbrücke wurde im Oktober 1844 eine Wagenfähre zwischen Wipkingen mid Aussersihl dem Verkehr übergeben; sie diente bis zum Bau der Brücke 1873. — • In Enge begann der Bau der neuen Landstrasse, und zwar mit der Abteilung vom Sternen bis Wollishofen ; 1845 wurde die Strecke Bleicherweg-Belvoir korri- giert und 1846 die ganze Strasse vollendet. — Bei der Kollerschen Mühle am Obern Mühlesteg wurde 1844 bis 1846 eine Schiffahrts- schleuse eingebaut. ^
1845. — Dienstag den 15. Juli wurden auf der Wiese beim neuen Zeughaus die Mörder I^attmann und Sennhauser in An- wesenheit grosser Volksmassen hingerichtet. Sträflinge hatten in der Nacht das Blutgerüst aufgestellt. Die Scharfrichter Mengis von Rheinfelden und Heygi \'on Genf vollzogen die Exekution. Am gleichen Ort wurde am 2. Juh 1856 wiederrun ein Mörder- paar, Bosshard und Reinberger, hingerichtet. Die „Freitags- zeitung" gibt davon eine grausige Beschreibung und fragt, ob man tücht endUch die ÖffentUchkeit dieser Hinrichtungen abschaffen soUte, da sie nur verrohend wirken könne. Der Mörder Kündig wurde am 26. Oktober 1859 guillotiniert.
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1846. — Am 12. Januar imposante Pestalozzifeier im Grossmünster zu Ehren des 100. Geburtstages von Heinrich Pesta- lozzi, verbunden mit einer Sammlung zugunsten einer Pestalozzi- stiftung, d. h. einer Musteranstalt im ehemahgen Stift Olsberg im Kanton Aargau. — Vom 3. bis 31. August im Theatergebäude und Kreuzgang des Obmannamtes erste Industrieausstellung des Gewerbevereins, Preisverteilung am 7. September im Kasino- saal, if.
1847. — Am 17. Mai trat der uns bestens bekannte Bank- kassier Wilhelm Meyer-Ott in den Stadtrat und widmete länger als ein Jahrzehnt dem Gemeinwesen seine wertvollen Dienste als städtischer Finanzminister. Er nahm 1863 gleichzeitig mit dem Stadtpräsidenten Hess seinen Rücktritt.
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1848. — Nachdem der im Jahre 1841 lebhaft ventiUerte Plan der Errichtung eines gemeinsamen städtischen Friedhofs im Selnau sich zerschlagen hatte, schlössen die Kirchgemeinden Gross- münster und Predigern am 28. März 1843 einen Vertrag mit der Regierung über die Anlage eines Friedhofs auf der Hohen Promenade. Diesem Vertrag trat am 10. August 1843 auch die Fraumünstergemeinde bei. Der Verein für Errichtung eines Privatkirchhofs sicherte sich für seine Zwecke ein Terrain an der Südostseite der Hohen Promenade und schloss mit der Fried- hofkommission einen Vertrag (1846) über gemeinsame Benutzung der auf dem öff entheben Kirchhof errichteten Abdankungs- kapelle (jetzt enghsche Kirche). Die Einweihung von Friedhof und Kapelle erfolgte am 27. August 1848, wobei vStadtpräsident Hess die Eröffnungsrede hielt. Damit hörte die Benutzung des Krautgartens mid des Predigerkirchhofs auf. Der letztere ging in den Besitz des Staates und 1873 mit dem gesamten Spitalareal in denjenigen der Stadt über, welche ihn 1875 applanierte. — Ein prächtiges Fest war die Enthüllung des Nägeli-Denkmals auf der Hohen Promenade am 16. Oktober 1848. Am Vorabend wurde die Front des Kasinos ausgeschmückt und auf allen »Strassen, die zur Stadt führten, Ehrenpforten errichtet. Die Sängervereine zogen vereint zum Balinhof, um die eidgenössische Fahne und die ankommenden Gäste zu empfangen und zum Kasino zu ge- leiten. Am Festtage selbst brachten Dampfschiffe und Wagen noch zahlreiche Sängergruppen. Im Hof des Postgebäudes sam- melten sich 800 bis 900 Sänger. Der Festzug bewegte sich vom Frau- münster aus nach der Hohen Promenade. Die Feier wurde in- toniert durch NägeUs ,,Wir fiüilen uns zu jedem Tun entflammet". Nach der Rede des Sängervereinspräsidenten Hauk fiel die Hülle, und es erschienen zwölf weissgekleidete IMädchen, welche das Piedestal des Denkmals bekränzten. Den Schluss machte Nägehs „Stehe fest, o Vaterland". Abends war Bankett im Kasino und Theatersaal.
1849. — Die Post ist mit diesem Jahr eidgenössisch ge- worden. — Durch den Bahnhof waren die Schützen von ihrem alten Schützen platz bei der Platzpromenade verdrängt worden, auf dem am 22. September 1845 das letzte Schiessen stattfand.
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Vom Stadtrat wurde der Stadtschützengesellschaft das Sihlhölzli als entsprechender imd „ganz sicherer" Raum abgetreten, und die Schützengesellschaft errichtete dort ein neues Schützenhaus, welches am 14. Mai 1849 bezogen und eingeweiht wurde. Das alte Schützenhaus ging 1860 mit Grund und Boden an den Kon- sumverein über.
Der badische Aufstand im Sommer 1849 brachte un- erwartet kriegerisches Leben nach Zürich. Die Schweiz musste ihre Grenzen sichern, und wieder genoss man in unserer %Stadt das häufige Schauspiel des Durchmarsches von Truppen. Am Abend des 7. Juh traf u. a. eine Kompagnie Schwyzer Scharfschützen auf einem Dampfschiff ein — die ersten TruppeBf^aiis 'den Sonder- bundskantonen seit 1847! Sie wurden in Enge einquartiert und marschierten folgenden Tages nach Eghsau. Am Montag den g. Juli langte ein Trupp von 250 Pfälzern, welche bei Basel die Grenze überschritten hatten und vom eidgenössischen Oberst Kunz einfach nach Zürich instradiert wurden, per Eisenbahn hier an. Es waren meist blutjunge unansehnliche Burschen, zum Teil in elendem Zustand. Am 11. JuH trat das Sigelsche Korps in die Schweiz über. vSigel, mit Generalsepauletten und umgeben von seinem Stab, an der Spitze seiner Armee, defiherte vor den im Rafzerfeld aufgestellten Zürcher Truppen und wurde dann entwaffnet. Mittags zwischen i und 2 Uhr kamen die ersten Badenser in Zürich an, etwa 70 Mann Freischaren, mitten zwischen ihnen ein Mädchen in ]Männerkleidung. General Sigel und sein Stab kamen gegen 3 Uhr in zwei Kutschen. Die Hauptmasse der entwaffneten Armee wurde erst am Donnerstag erwartet, und es ging ihr die halbe Stadt nach Unterstrass entgegen, um dieses nie gesehene Schauspiel zu gemessen. In den folgenden Tagen kamen immer noch mehr Flüchthnge nach Zürich, die zum grossen Teil auf das Uand verteilt werden mussten. Am 2. August er- nannte der Bundesrat General Dufour zum Kommandanten der Rheinarmee, Oberst Ziegler zu seinem Generalstabschef. Am Sonntag den 5. August war auf der WoUishofer Ahmend grosse Revue über die in imd um Zürich stehenden Truppen. Am 15. August traf General Dufour in Zürich ein und hielt fol- genden Tages auf dem Exerzierplatz am Schanzengraben eine Inspektion über Schwyzer und Luzerner Truppen, gegen welche
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er vor zwei Jahren im Felde gelegen. Mit der im Naclibarlande eingekehrten Ruhe konnten auch die eidgenössischen Truppen nach und nach wieder entlassen werden.
* 1851. ■ — Grossartig war die fünfhundert] ährige Jubel- feier von Zürichs Aufnahme in den Bund der IV Wald- stätte am I. Mai 1351. Das Fest wurde auf zwei Tage verteilt: Donnerstag den i. und Sonntag den 4. Mai. Eingeladen waren dazu selbstverständUch in erster Linie die getreuen lieben Eid- genossen der IV Waldstätte: Uri, »Schwyz, Unterwaiden und lyUzern. Leider konnten sich die drei Urkantone nicht entschhessen, der Einladung Folge zu leisten; noch brannten die Wunden des Sonderbundskrieges, und es ist begreifhch, wenn z. B. Uri schreibt, dass es die Stimmung, welche diese FestHchkeit voraussetze, nicht mitbringen könnte und anderseits das Volk von Uri durch die Teilnahme seiner Regierung unangenehm berührt werden dürfte. Das nun wieder radikal regierte Luzern war vertreten durch Staats- rat Pfyffer. Wiederum stand die für 3000 Personen berechnete Fest- hütte auf dem Exerzierplatz beim Botanischen Garten ; die Haupt- fassade gegen die Talgasse wurde mit den Wappenschilden der 22 Kantone und zwei Gemälden geschmückt, von denen das eine den Bundesschwur vom i. Mai 1351, das andere die Heimkehr der Zürcher aus der Schlacht von Tätwil bei Baden, 26. Dezemberi35i, darstellte (die Bilder befinden sich jetzt im Stadthaus). Das Ge- läute der Glocken im ganzen Kanton eröffnete um 6 Uhr morgens, am I. Mai, die Bundesfeier, und in Zürich donnerten dazu die Ka- nonen. Auf der Münsterterrasse wurden von einer Blechmusik Choräle gespielt. Um 9 Uhr setzte sich vom Rathaus weg der Festzug in Bewegung; er zählte mehrere Musikkorps, eine Menge Fahnen, lange Reihen von Abordnungen eidgenössischer, kanto- naler und städtischer Behörden, Offiziere, Professoren usw. (zwei deutsche Professoren hatten sich entschuldigt, weil sie ein Ereigms nicht mitfeiern könnten, bei dem sich ein wertvoller Teil des deutschen Reiches losgerissen habe). Die Strassen waren prächtig dekoriert. Auf dem Schützenplatz beim Bahnhof war eine Tribüne errichtet. Die Festreden hielten dort, nachdem der erhebende Eröffnungsgesang verklungen war, Regierungspräsident Dr. Zehn- der, Bundesrat Dr. Jonas Furrer und Staatsrat Kasimir Pfyffer.
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Beim Bankett in der Festhütte eröffnete Dr. Alfred Escher die Reihe der Toaste. Der kostümierte Festzug am Nachmittag wurde leider durch den Regen stark beeinträchtigt, Feuerwerk und Uferbeleuchtung am Abend mussten verschoben werden. Um den Glanz des Festes zu erhöhen, hatte der zürcherische Kantonal- Schützenverein auf die Tage der Bimdesfeier ein Ehr- und Frei- schiessen veranstaltet, welches am Samstag den 3. Mai seinen Anfang nahm. Zu diesem Schiessen kamen nun auch etwa 100 Schützen aus den Urkantonen, die in Zürich mit Jubel begrüsst und gehörig fetiert wurden. Sie hatten ihr Absteigequartier in der ,, Krone" (,,Zürcherhof") und wurden mit Musik ins Sihlhölzli begleitet. Durch alle herzlichen Begrüssungsreden klang der eine Grundgedanke: ,,Wir müssen zusammenhalten, gleich uusern Alten. Wir können ims wohl zu Zeiten hassen, aber rüe tmd nimmer voneinander lassen, und wenn wir auch fortschreiten mit der Welt, so bleibt doch, was uns aufrecht erhält, das weisse Kreuz im roten Grunde, die alte Treu im neuen Bunde". Es war zur Vermeidung unangenehmer Störungen bestimmt worden, dass beim Älittagessen keine politischen Toaste gehalten werden sollen, aber der erste, der das Verbot übertrat, war Herr Stadtpräsident Hess, welcher unter grosser Heiterkeit sein Hoch dem alten und dem neuen Bunde brachte. Der Obmann der StadtschützengeseU- schaft, Martin Escher-Hess, wixte am Nachmittag den Schützen einen Extrazug nach Baden, wo sie im Schlossberg von ihm mit grosser Liberahtät regahert wurden. Die Verabschiedimg der Schützen am 11. Mai durch den berühmten Festordner Heinrich Gramer war so herzHch, dass man sich innig umarmte imd ge- rührt voneinander schied. Der zweite Tag der Bundesfeier, Sonntag den 4. Mai, war durch Festgottesdienst und Jugendfeste bedacht worden. Ihre besondere Feier hatte an diesem Tage die Kantonsschule, die nach der kirchHchen Feier eine Dampferfahrt nach Horgen machte. Abends erwartete sie ein Festmahl in der Festhütte; dann zogen die Schüler mit Fackeln und Lampions an den See, um die nun erfolgende Illumination der Seeufer anzu- sehen. Den Schluss bildete der Zug zum bengaUsch beleuchteten Kantonsschulgebäude. Das BriUantfeuerwerk G. Schweizers konnte erst am 6. Mai abgebrannt werden.
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1852. — Das „Tagblatt" vom 24. April brachte folgende Theateranzeige: Sonntag den 25. April 1852. Mit aufgehobe- nem Abonnement. Unter persönHcher Leitung des Komponisten Herrn Kapellmeisters Richard Wagner. Mit verstärktem Or- chester- und Chorpersonale. Zum ersten Mal: „Der fliegende Holländer". — Richard Wagner lebte schon seit 1849 "i Zürich. Er war als schriftenloser FlüchtUng hergekommen, nachdem er bei der Revolution in Dresden auf einem der Kirchtürme Sturm geläutet hatte. Die Staatsschreiber Jakob Sulzer und Franz Hagenbuch leisteten Kaution für ihn. Am 18., 20. und 22. Mai 1853 fanden im Theater Musikaufführungen Richard Wagners statt. Die musikalischen Vereine der Stadt brachten ihm am 13. JuU 1853 ein Ständchen mit grossem Fackelzug. Richard Wagner erklärte in seiner Dankrede, dass er die ihm angetane Ehre erst verdienen wolle und fortfahren werde, Zürich zum Zentrum seines Wirkens zu machen. Um dieselbe Zeit hatte der rhein- ländische Grosskaufmann Otto Wesendonk in Zürich die Liegenschaften auf dem ,,Wyssenbülar' in Enge zusammengekauft, um sie zu einem prächtigen Park umzugestalten und eine neue Villa hineinzustellen (die jetzige Villa Rieter-Bodmer). In diesen Park kamen auch eine Anzahl Bäume aus dem Tiefen hofgarten am Paradeplatz, den ein Konsortium angekauft hatte, um darauf die jetzt dort stehenden Häuser (Konditorei »Sprüngli usw.) zu erstellen (1855/56). Otto Wesendonk und seine Frau waren gute Freunde Richard Wagners. Wesendonk hatte Wagner bei einer Einladung im Hause Marschall von Biebersteins kennen gelernt, der später eine Zeitlang die ,, Übersicht der Tagesnachrichten" im ,, Tagblatt" schrieb. Von 1857 bis 1859 bewohnte Richard Wagner ein ihm gastfrei angebotenes Haus, das zur Liegenschaft Wesen- donk gehörte.
Das Jahr 1852 brachte Zürich den Anschluss an das inter- nationale Telegraphennetz. Zwar führten die zürcherischen Zeitungen schon seit 1827 eine besondere Rubrik ,, Telegraphische Nachrichten", aber das waren keine Originaldepeschen, sondern nur ein Abdruck aus fremden Zeitungen. Am 15. Juli 1852 klopfte zum erstenmal der Apparat im Telegraphenbureau Zürich. St. Gal- len fragte an und erhielt Antwort; das telegraplüsche Gespräch dauerte 30 Sekunden. Am Sechseläuten 1853 machte sich ein
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zürcherisches jMitgHed der Bundesversammlung den Spass, seinen Zimftgenossen einen telegrapliischen Toast aus Bern zu übermitteki. UnsterbUch ist das Dienstmädchen, welches die Depesche, die es seiner Herrschaft abzugeben hatte, um und um drehte und ver- wundert sagte, es könne ,,das L,och" gar nicht finden (jenes Loch nämhch, an dem die Depesche dem Draht entlang hef).
1853. — Es war ein hoher Freudentag für die weibhche Schuljugend Zürichs, die bisher im ,,Napf" und zum Teil auch im Fraumünsteramt in engen Verhältnissen hausen musste, als sie am 7. April 1853 das für damaUge Begriffe imposante Schulhaus beim Grossmünster beziehen konnte, welchem das alte un- ansehnliche ,, Chorher renstift" hatte Platz machen müssen. Die Feier wurde eingeleitet durch einen kirchHchen Akt im Gross- münster, worauf die Jugend mit Jubel und Freude von den hellen, schönen Räumen Besitz nahm. Nachmittags wurde sie im Ka- sino bewirtet und unterhalten, abends bankettierten daselbst die Erwachsenen. Um das Zustandekommen dieses Schulhauses hatte sich ganz besonders alt Bürgermeister J.J.Hess verdient gemacht, dem dafür vom Stadtrat die goldene Verdienstmedaille zuge- sprochen worden war. Die gleiche Auszeichnung erhielt Oberst- leutnant Usteri-Wegmann. — In diesem Jahr erhielt das Frau- münster seine Orgel. — Im Strickhof wurde die kantonale landwirtschaftUche Schule eröffnet. — An den Strassenecken wurden auf hübschen blau emailherten Täf eichen die Strasse n- namen angebracht. — • Der Begräbnisverein beschloss am 27. September 1853 die Einführung der Leichenwagen; das ,, Klopfen" dagegen (die Sitte der Leidabnahme mit Handbieten) sollte beibehalten werden. — Die Einführung der Droschken wurde erst 1855 grundsätzUch beschlossen, und nicht früher als am 15. Juni 1856 wurden die ersten Droschken auf den verschiedenen Plätzen Zürichs aufgestellt. — Viel früher hatten die Abfuhrwagen in Zürich Eingang gefunden: am 30. April 1836 erklang zum erstenmal ihr anmutiges Geläute in den Strassen. — Nicht ohne Besorgnis sahen manche Leute im Mai 1863 die Dienstmänner kommen, weil man glaubte, ihre Löhne könnten den Neid der häusHchen Dienstboten erregen.
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1855. — Am Sechseläuten beleuchtete der Physiker Ro- bert von der Galerie des Grossmünsterturms aus die Stadt durch elektrisches Licht (Scheinwerfer); „an den beiden Quais war es fast so hell wie beim hellsten Vollmondhcht". — Am 14. Sep- tember versammelte sich zum erstenmal die Zürcher Kaufmann- schaft zu einer Börse im Theaterfoyer (später im Baugarten, jeden Freitag). — Ein schlimmer Gast stellte im September sich ein: die asiatische Cholera; es starben etwa 90 Personen. — Die Gemeinde Unterstrass errichtete im Riedth einen neuen Friedhof und hob den alten Friedhof zu vSt. Leonhard auf. — In den Jahren 1855 bis 1858 wurde der im Dezember 1854 be- schlossene Limmatquai (von der Rosengasse bis zur Neumühle) ausgeführt; leider wurde er von Anfang an zu schmal angelegt; es bHeb auch bis auf weiteres die enge Metzgpassage und der weite Umweg nach dem Bahnhof. — Bei Escher Wyss & Cie. brannten schon seit 1840 Gaslaternen. Viel später kam die Stadt zur öffentlichen Gasbeleuchtung. Am 30. Juni 1855 schloss der vStadtrat mit Herrn Riedinger aus Bayreuth einen („für die Stadt und die Konsumenten in der Folge als sehr vorteilhaft anerkann- ten") Vertrag für die Einrichtung und Betreibung der Gas- beleuchtung der vStadt mit Holzgas ab. Durch Gemeindebeschluss wurde ihm ein Teil der Bürgergärteu lünter dem Bahnhof als Bauplatz abgetreten. Im November 1856 konstituierte sich die Gasaktiengesellschaft, welche das ganze Geschäft um 800,000 Fr. übernahm. Am 18. Dezember gleichen Jahres fand die feierUche Eröffnung der Gasbeleuchtung statt. Das Pubhkum gewöhnte sich schnell an die neue Beleuchtungsart. Der Fall der Wöchnerin im Spital, welche nach alter Gewohnheit das Licht ausbhes, ohne den Hahnen abzudrehen, und dann erstickte, bheb vereinzelt. 1866 beschloss die Gemeinde die Verlegung der Gasfabrik in die Markstallermatte im jetzigen Industriequartier und die Einführung der Steinkohlengasbeleuchtung. Die neue Fabrik konnte am 2. Oktober 1867 eröffnet werden.
1856. — Zwei Tage (25. und 26. Juni) wurden der Eröffnung des Tunnels von Örlikon und damit der vollendeten Eisen- bahnstrecke Zürich-Romanshorn gewidmet. Das ,, Tagblatt"
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berichtet vom ersten Tag: „Der \'ormittag war der Probefahrt günstig. Ein gewaltiger Wagenzug fasste kaum die überschwäng- hche Zahl der Festfahrer. Der Bahnhof war hochfestHch ge- schmückt; aber die grünen Geschlinge, die weiss-roten und weiss- blauen Gewinde zogen sich bis hinaus zum neuen Damm, wo den Lokomotiven dieser Bahn eine feine Residenz erbaut ist. In brau- sender Schnelle bugsierte das Dampfrossgespann die lange Wagen- reihe über Damm und Limmatbrücke in den Tunnel. Dort brachte ein eigenes Gefühl Stille in die Menschenkasten, als dieselben durch den dunklen Schlund gerissen wurden. Die Minute dehnte sich lang aus, die verging, bis das Post tenebras lux zur Wahrheit wurde und der erste Bhck des Himmels durch die Wagenfenster fiel. Im Fluge war Winterthur erreicht." Die Rückfahrt von Romanshorn-Frauenfeld erfolgte gegen Abend, dann Festzug durch die Stadt, Bankett im Kasino und Mihtärmusik auf dem Kasino- platz. Donnerstag nachmittag den 26. Juni kostümierter Um- zug zu Ehren der Tunneleröffnung, Abendessen auf dem Linden- hof, Illumination und Feuerwerk. Ganz programmwidrig dröhnte in das Nachtessen auf dem Lindenhof das unheimüche Feuer- horn; es brannte das kleine, noch neue Hotel ,,Limmathof" (Haus zum ,, gewundeneu vSchwert", am Limmatquai unterhalb der Stüssihof statt) . \'oni Essen weg rannten die Kostümierten wie sie waren zum Löschen. Photograph und Architekt Keller drang als erster in eine Kammer ein, wo Grossmutter, Mutter und Kind erstickt waren. ,,Ein hingebender Rettungseifer belebte die von allen vSeiten herbeigeströmte Löschmannschaft. Man sah kräftige Gestalten auf rauchendem Dache das Wendrohr regieren und mit blanker Waffe gegen den feurigen Feind ankämpfen; man sah auch mutige Flöchner, ihre fhegenden Leitern in die Fensterbänke einhakend, eichhornfünk in die oberen Stockwerke klettern und durch den Rettungsschlauch angstvolle Gäste retten, denen der Qualm die Flucht über die Treppe verwehrte." In seinem Gedicht ,,Ein Festzug in Zürich" schildert Gottfried Keller das abenteuerHche Schauspiel:
Nie sah man solchen Mummenschanz sich tummehi in des Feuers Glanz Mit raschem Tun imd Schaffen. Hier schleppen dunkle Pfaffen Langbeinig Bett und Kasten fort, und starke Nonnen tragen dort Mit rauhem Ruf die Leiter her und richten sie, die schwank imd schwer. Mühsam empor; mit langem Schlauch
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Eiu perlbesäeter Hiudumann, der Maharadja, klimmt hinan
Und schwindet hoch in Qualm und Rauch.
Am Ufer schöpft australisch Volk vereint mit dem Kosakenpolk;
Die bräunliche Zigeunerin fährt mit dem Windlicht her und hin,
Sie schlägt dem dicken Mönch aufs Ohr, der sie zu müss'gem Scherz erkor.
Und schickt ihn zu den Spritzen. Tscherkessenhelme blitzen.
Und mit den kahlen Köpfen und rückenlaugen Zöpfen
Tun dort Chinesen enggeschart des Pumpwerks Arbeit heiss und hart.
So schiesst von allen Seiten bald das Wasser in den Flammenwald
Und stirbt in seiner wilden Glut das klare Labsal hold und gut.
Doch seht, auf höchstem Giebel ragt ein Wendrohrführer unverzagt:
Der Irokes' mit roter Haut, den graushch mau von unten schaut.
Der Bäcker ist's von Unterstrass, ein lustger Mann voll Schwank und Spass.
Jetzt mit dem Element im Kampf, verbirgt ihn bald der krause Dampf,
Bald steht er schwarz im hellen Schein auf kräftig ausgespreiztem Bein;
Umstoben von der Fimkenglut lenkt er des Wassers Silberflut
Und schleudert mächtig Strahl auf Strahl in den empörten Flammensaal.
Sein indianischer Kriegerschmuck erzittert vom gewaltgen Druck,
Der Geierfittig schräg im Schopf raucht halb versengt auf seinem Kopf.
Das ist ihm nun die wahre Lust. Ein Jauchzer steigt aus seiner Brust
Hoch über allen Lärm und Drang
Arg verregnet wurde das grossartige Kadettenfest in Zürich anfangs September 1856, zu dem Gottfried Keller ebenfalls zwei Gedichte gestiftet hatte. Die Memorabilia Tigurina verzeichnen mit Rührung die Tatsache, dass auf der Eisenbahnfahrt von Winter- thur zurück Oberst Ziegler sich zu den armen Jungen in die offenen Wagen begab, um ihren Mut aufrecht zu halten und ihnen zu zeigen, wie man sich einigermassen schützen könne. — Der Stadtrat ge- nehmigte am 17. Dezember 1856 das Rücktrittsgesuch des Stadt- schreibers Heinrich Gysi-Schinz und verHeh ihm die goldene Verdienstmedaille. Gysi war der dritte Stadtschreiber seit dem Bestehen der Stadtverwaltung; er amtete von 1839 bis 1856; ihm waren vorangegangen Hans Heinrich Hofmeister 1803 bis 1830 und Johannes Nüscheler 1830 bis 1839. ^'^^ seinem Stadtschreiber- amt war Gysi Stadtrat und Polizeipräsident gewesen. Zum Stadt- schreiber wählte der Stadtrat nunmehr Dr. Eugen Escher, Sohn von alt Regierungsrat und Professor Heinrich Escher. Mit Dr. Eu- gen Escher, dem spätem Nordostbahndirektor, erhielt die Stadtver- waltung eine ungewöhnlich tüchtige Kraft. Sein Substitut wurde 1862 Dr. Conrad Escher. — Aus den Werkstätten von Escher Wyss & Cie. gingen in diesem Jahr die ersten Lokomotiven her-
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vor. — Im Zuchthaus begann 1856, resp. 1859, eine grosse Um- bauperiode, welche erst 1S78 ihren Abschluss fand.
1857. — Abermals Kriegslärm! Die Neuenburgerfrage verwandelt die Schweiz in ein Kriegslager. In der Begeisterung sind die Zürcher Studenten wieder die ersten, bilden ein Freikorps, lassen sich in der Kaserne uniformieren und in Kapute stecken. Überall werden Liebesgabensammlungen veranstaltet. Am 13. Ja- nuar ist General Dufour in Zürich und wird mit einem Fackel- zug und einer Serenade begrüsst. Wieder wimmelt die Stadt von eidgenössischem ÄliUtär; viele der Schwyzer gehen ins Theater und begeistern sich am , .Wilhelm Teil". Offiziere, die sich im Sonderbundskrieg gegenüber gestanden, fraternisieren. Auch in Eglisau wird Dufour ,,nüt 22 Kanonen- und vielen Champagner- schüssen empfangen". Oberst Ziegler findet am Sonntag zwei Feldprediger im Wirtshaus zechend, während ihr Bataillon in der Dorf kirche sitzt ; er bnmimt den beiden geistUchen Herren zweimal 24 Stunden Arrest auf . All derKriegslärm war , ,pour le roi de Prusse" , glückhcherweise umsonst, da Friedrich Wilhelm IV. nachgibt und auf Neuenburg verzichtet. — Über Ostern grosse Eierbörse auf der Rathausbrücke; 20,000 Ostereier werden getupft. — Im Jurü wohlgelungenes schweizerisches Offiziersfest in Zürich. — Gegen Jahresschluss beginnt die Revision der Stadt- verfassung (Gemeindeordnung) die Pohtiker zu beschäftigen; die Niedergelassenen verlangen vermehrte Rechte. Die Beratimgen ziehen sich bis ins Jahr 1859 hinein. In der Gemeindeordnung vom 30. Mai 1859, welche die Unterschrift des Stadtpräsidenten Hess und des Stadtschreibers Dr. Eugen Escher trägt, wird u. a. bestimmt: Die Gemeindeversammlung besteht aus den in das Bürgerbuch eingetragenen, die Stimmfähigkeit besitzenden Stadt- bürgem. Femer nehmen die niedergelassenen Schweizerbürger teil an den Beratungen über solche Gegenstände, an welche sie durch Steuern beizutragen haben." — Am 15. März 1857 ist die herrhche Tiefenhoflinde unter den Axthieben der Bau- spekulanten gefallen; dasselbe Konsortium hatte 1856 auch die neuen Münsterhäuser erstellt.
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1858. — Die Hochschule Zürich feierte am 29. April ihr 25jähriges Jubiläum und zugleich das 50jährige Dozenten- jubiläum des ehrwürdigen Historikers Johann Jakob Hot- tinger. Die Stadt hatte sich in Flaggenschmuck geworfen; be- sonders das Kasino war fein herausstaffiert. Die Feier fand im Grossmünster statt; die Fe.strede hielt Professor Hitzig, die Rede zu Ehren Hottingers Georg von Wj'ss. Um 2 Uhr war Fest- bankett im Kasino, abends Fackelzug zu Ehren Hottingers und Freikommers in Unterstrass. — Die Kantonsschule hatte ihr Jubiläum acht Tage vorher in aller vStille gefeiert.
Zum eidgenössischen Sängerfest (18. und 19. Juü 1858) war schon frühzeitig eine Festmusik in Stuttgart bestellt worden. Die Baugartengesellschaft stellte den Sängern zu gemütlichen Anlässen ihr prächtiges Lokal zur Verfügung. Die Sängerhalle wurde auf dem Exerzierplatz, mit Front gegen die Kaserne, er- richtet. Gottfried Keller dichtete den „Festgruss", den Wil- helm Baumgartner komponierte. Das Fest verlief aufs präch- tigste. — In Hirslanden hat am 30. Nov. 1858 das Kranken- asyl Neumünster seine Tore geöffnet. — Am 11. August wurde die neue Reitbahn mit den Mihtärstallungen (zwischen Sihl und Schanzengraben) dem Gebrauch übergeben.
1859. — Wegen des österreichisch-italienischen Krie- ges muss sich ein Teil der Zürcher Truppen abermals in Uni- form werfen und in Tessiii und Graubünden Grenzdienst tun. Am 16. Juni kamen 238 Österreicher unter Bewachung von 40 Urner »Scharfschützen in Zürich an und wurden in der Kaserne einquartiert ; sie konnten dann an den Festbauten und Scheibenanlagen für das eidgenössische Schützenfest recht gut beschäftigt werden; ein paar Tage darauf brachten Graubündner Jäger auch österreichische Schiffsmannschaft von Laveno samt einer Marketenderin. (Der Friede von Zürich wurde am 10. November 1859 auf dem Rathaus unterzeichnet.)
Für das eidgenössische Schützenfest (3. bis 12. JuH 1859) '^3.r als Festort Riesbach auserkoren. Ein prächtiger Platz an der vSeefeldstraße, angrenzend an das Bodmergut und die Fröbelschen Baumgärten, stand dort zur Verfügung. Die Fest-
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hütte, deren obere Giebelseite gegen die Seefeldstrasse, die Längs- front gegen den Festplatz sich wendete, war nachts von 242 Gas- flammen erleuchtet. Die langen Scheibenhäuser standen ganz nahe am See und ausserhalb dem Hornbach. Zur Verhütung von Unglücksfällen waren starke Blendungen aus Ladenwänden, Steinplatten imd Scheiterbeigen (1651 Klafter Holz) errichtet. Die Straßen waren prachtvoll dekoriert; über dem Eingang in die Seefeldstrasse (gegen die Stadt) stand auf einem Triumph- portal eine riesige Statue Willielm Teils (die später nach Altdorf kam und dort verfiel). Zur Unterhaltung diente ein ganzer Jahr- markt von Buden und Kramladen, der sich vom Festplatz zu beiden Seiten der Seefeldstrasse bis weit ins Land liinaus erstreckte. Dichterische Gaben spendeten Georg Herwegh und Gottfried Keller.
Die eidgenössische Schützenfahne kam am 2. Juü von Bern imd wurde am 3. JuH nach dem Festzug von Regierungspräsident Dr. Dubs entgegengenommen. Zu Ehren der Schützen von Bremen fand am 5. Juh eine Lustfahrt auf dem See statt. Die Schützen der vier Waldstätte trafen am 6. Juli in gemeinsamem Zuge ein ; beim Anbhck der Teilstatue an der Seefeldstrasse brachen sie in ein Freudengeschrei aus. Am Sonntag Feldgottesdienst von Pfarrer Hiestand. Montags nahm am Festmahl in der Hütte auch die aus ihrem Land vertriebene Herzogin von Parma mit ihren beiden Knaben und zahlreichem Gefolge teil. Einer der Knaben meinte, wenn er nur auch ein Schweizer wäre ! Die Her- zogin stiftete einen vergoldeten Pokal. Während der beiden letzten Tage des Schützenfestes wurde auf der benachbarten Bodmer- schen Parkwiese auch ein eidgenössisches Turn- und Schwingfest abgehalten. — In engem Rahmen hielt sich, am 10. November 1859, die Schillerfeier.
Im Jahr 1859 ist das Bezirksgebäude im Selnau voll- endet worden, und es wuchs um dasselbe nach und nach das neue Selnauquartier (erweiterte Brandschenkestrasse, Gerechtig- keitsgasse etc. bis 1861, die an der Stelle des abgetragenen Reb- hügels Sihlbühl entstanden) ; auf dem Platz des Bezirksgebäudes stand ehemals das Kloster Seldenouwe. Bezugsfertig wurde 1859 auch das schöne Bodmerhaus am Schanzengraben bei der Sihl- portenbrücke. — Die Bürgergemeinde beschloss am 5. Sep- tember den Bau eines neuen Kornhauses beim Bahnhof (zwi-
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sehen diesem und der Gasanstalt, zunächst der Sihl, eröffnet 1860) und die Einführung eines städtischen Baukollegiums, das — zum grössten Teil vom Grossen Stadtrat gewählt — dem Stadtrat in Baufragen zur Seite stehen sollte. Dieses Baukollegium erwies sich als eine höchst wertvolle und zeitgemässe Institution. Auf seinen Vorschlag wurde 1860 beschlossen, neben der Stelle des vStadtbaumeisters auch noch diejenige eines vStadtingenieurs zu schaffen. An diese wichtige Stelle wurde im Dezember 1860 Arnold Bürkli gewählt, dessen Name mit der baulichen Ent- wicklung der Stadt in den nächsten drei Dezennien aufs engste verknüpft ist. Als dringendste Bauaufgabe der Stadt für die nächste Zeit bezeichnete das Baukollegium: i. die Erstellung der Bahnhof brücke, 2. die Erweiterung der sogenannten Metzg- passage und Verlegung des Schlachthauses, 3. Bau der Fröschen- grabenstrasse (Bahnhof Strasse), 4. Anlage neuer »Stadtquar- tiere. Wie diese verschiedenen Aufgaben angefasst und durch- geführt wurden, erzählt in seinem hübschen Büchlein ,,Die grosse Bauperiode der Stadt Zürich in den sechziger Jahren" Dr. Con- rad Escher, welcher eine Zeitlang Sekretär des Baukollegiums gewesen war und heute noch in bewunderungswürdiger Geistes- frische unter uns weilt. Nicht zuletzt durch seine Mitarbeit wurde die ,, Zürcher Wochenchronik", in der er seine Studien und Er- innerungen gewöhnlich zuerst veröffentHcht, zu einer so reichlich fUessenden Quelle der Zürcher L,okalgeschichte.
1860. — Einweihung der Grossmünster-Kapelle auf dem ehemahgen Chorherrenplatz am 15. November 1860. — Es wird die Frage einer Vereinigung von Aussersihl mit der Stadt Zürich aufgeworfen und in einigen Blättern besprochen. Eine Siebnerkommission mit Dr. med. Hauser an der Spitze erhält von einer öffentlichen Versammlung in Aussersihl den Auf- trag (Dezember 1860), mit der Stadt Zürich in Unterhandlung zu treten. Als äusserste westliche Grenze des eventuell von der Stadt zu annektierenden Gebietes wird die Rotwandstrasse be- trachtet.
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1861. — Freitag den 10. Mai, am Tage nach der Auffahrt, ist Glarus abgebrannt. Von Zürich ging eine Abordnung des Regierungsrates und eine Abteilung der Feuerwehr an die Un- glücksstätte. — Statt des ehemaligen Fussweges über den Hot- tingerboden vom Wolfbach bis zum Klosbach wurde die Freie Strasse angelegt. — Am 7. Juh versank unter der Last von vier- zig Personen, von denen drei ertranken, das Fahrscliiff beim Drahtschmiedli.
1862. — Auf den i. Juh wird das Zehnrappenporto eingeführt. — Im Zusammenhang mit den grossen bauhchen Ver- änderungen in der Gegend des Bahnhofes steht die Ablenkung des Schanzengrabens: er wird in der Nähe der neuen MiHtär- staUungen direkt in die Sihl gefülirt und nahe seiner Mün- dung ein provisorischer Steg erstellt, welcher 1866 einer steiner- nen Brücke (Usteribrücke) weicht. Die MiUionenprojekte für den Ausbau der Stadtquartiere rufen vielen Bedenken; die ,, Freitags- zeitung" bemerkt (27. Juh 1862): ,, Nochmals sei es gesagt: Opfer für die Grösse Zürichs so viel man will, nur nicht grössere als die Ausgemeinden sie für ihre Grösse bringen; denn jeder Rappen, den wir mehr als diese steuern, fällt mcht auf Stadtboden, son- dern hundertfältige Früchte bringend auf Ausgemeindeboden, und die Aussaat, die dort kräftige Wurzeln treiben wird, sie wird zuletzt dem Stadtboden jede Nahrung entziehen. Vereinige man die alte Stadt mit den Ausgemeinden und bringe dann die neue Stadt Zürich die grössten Opfer für ein neues, schöneres Zürich."
An der Seestrasse (jetzt Theaterstrasse), ausserhalb des Korn- hauses, lag der grosse Viehmarkt. Von demselben wurde der grössere Teil (gegen die Stadt hin) 1862 zu Bauplätzen verkauft (es steht dort jetzt das Stadelhof erquartier) ; den kleineren Teil wandelte man in die Stadelhofer-Anlagen um, in welchen 1870 eine Fontaine aufgerichtet wurde.
Um die ,,Metzgpassage" bei der Hauptwache auf die erfor- derUche Breite zu bringen, bheb nichts übrig, als den ganzen Häuserblock auf der Nordseite der untern Marktgasse nieder- zureissen, was im Lauf des Jahres 1862 geschah. Ferner beschloss
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die Gemeinde, das alte Schlachthaus hinter der Hauptwache abzutragen und an ihrer Stelle eine neue schöne Fleisch ver- kaufshalle zu errichten (da die dem alten Schlachthaus gegen- über gelegene Fleischverkaufshalle nun mit dem ehemaligen Ehe- gerichtshaus niedergerissen war). Ein neues Schlachthaus sollte in der Walche (rechtes Limmatufer gegenüber der Platz- promenade) erbaut werden. Fleischverkaufshalle und Schlacht- haus wurden 1864 in Angriff genommen und 1866 vollendet.
1863. — Eine grosse Erleichterung für die bauhche Ent- wicklung Zürichs schuf das vom Grossen Rat am 30. Juni 1863 erlassene städtische Baugesetz, für welches der Stadtrat auf Veranlassung des Baukollegiums schon 1861 petitioniert hatte. — Dr. Conrad Esc her trat als Nachfolger von Stadtpräsident Hess in den Stadtrat ein (Stadtpräsident wurde Mousson). — Ein mächtiges Zentralschulhaus wurde im Juni 1863 an der Langstrasse in Aussersihl eingeweiht.
Für die projektierte Bahnhofstrasse gab der Fröschen- graben in der Hauptsache die Richtung, den man nun als Wasser- lauf eingehen zu lassen und zuzudecken beschloss. Schwierigkeiten bereitete der oberste und unterste Teil der Bahnhofstrasse. Der obere Teil traf auf den Baugartenhügel, dessen Beseitigung auf starken Widerstand stiess. Da die Lösung dieser Frage nicht dringHch war, solange das Kratzquartier nicht in Angriff ge- nommen wurde, Hess man sie einstweilen offen. Dem untern Teil der künftigen Bahnhofstrasse, vom Rennwegtor abwärts, und der damit verbundenen Anlage des Bahnhofquartiers, stand u. a. das neue Zeughaus beim Bahnhof im Wege. Da der Staat ohnehin beabsichtigte, die verschiedenen Miütäranstalten an einem Ort zu vereinigen, und zwar in Aussersihl gegenüber den neuen Militärstallungeu, wurde das für diese Bauten, sowie für einen Exerzierplatz erforderliche Eand von der Stadt ange- kauft und dem vStaat zur Benutzung angeboten. Im übrigen kam im Juni 1863 zwischen .Staat und Stadt ein Vertrag zu- stande, in welchem die gegenseitigen Abtretungen und Verpflich- tungen genau geregelt wurden. Die Stadtgemeinde genehmigte den Vertrag nebst der Strassenbaute und Quartieranlage am
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29. Februar 1864. Es spielten bei den Verhandlungen im Grossen Rat über diesen Vertrag auch politische Momente mit, da Winter- thur ernstliche Anstrengungen machte, die Kaserne für sich zu erhalten.
Der Seiler- und Hirschengraben mussten erhebUch tiefer gelegt und ihre Gefällsverhältnisse ausgeghchen werden, wenn sie als Zufahrten zur neuen Bahnhofbrücke dienen sollten; auch waren die untersten Häuser am Hirschengraben abzutragen. Der Bau der Bahnhof brücke und die an diesen sich anschUessenden Arbeiten wurden am 10. Juni 1861 von der Gemeinde beschlossen und die Ausführung dem frühern Ober- ingenieur L. Pestalozzi übertragen. ]Mit den Bauarbeiten wurde im September 1861 begonnen und dieselben so weit durchgeführt, dass die Bahnhofbrücke Ende 1863 dem Verkehr übergeben werden konnte.
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Damit sind wir an der Schwelle des neuen Zürich an- gelangt. Für die jetzt in der Lebensreife stehende Generation ist es tatsächlich ein neues Zürich, das mit den grossen baulichen Veränderungen um die Mitte der 60er Jahre erstand. Aber mit jeder jungen Generation rückt auch die Grenze zwischen der ,, alten" und der ,, neuen Zeit" weiter vor. Fortwährend geht ein ,, altes Zürich" unter, mid immer schöner sehen wir es wieder auferstehen. Auf dem Wege, den wir zurückgelegt durch die erste Hälfte imserer , .hundert Jahre", ist uns mehr denn einmal der Wechsel von Altem und Neuem vor Augen getreten, bald schroff und unvermittelt, bald wieder in längern Übergängen, und wir wurden uns dabei auch bewusst, dass Zürich nicht nur ein ver- gnügliches Stilleben für sich führt, dass es vielmehr im engsten Zusammenhang und in unausgesetzter Wechselwirkung steht mit dem Leben des Kantons, der Eidgenossenschaft, ja der gesamten Kulturwelt. Wären doch manche von jenen Übergängen und politischen Umwälzungen in der Stadt Zürich gar nicht zu ver- stehen ohne den Hintergrimd des kantonalen, eidgenössischen oder weltgeschichthchen Geschehens, auf dem sie sich ab.spielten. Nur selten zwar hörte und verspürte man den Schritt der Weltge- schichte so unmittelbar wie 1799, als sie ihren Weg sozusagen
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direkt über Zürich nahm, und nicht jeder Generation ist es vergönnt, der Weltliteratur Männer wie Gottfried Keller und K. F. Meyer zu schenken, aber immerdar besteht der innige Zusammenhang mit der Weltkultur und Weltgeschichte, und auch Zürich ist ein Nagel, ein Eflock am Webstuhl der Zeit, an dem ein Teil der Fäden des Gewebes hängt. Nur umso lieber ist Zürich seinen Zürchern, nur umso wärmer wird es von ihnen gehegt und gepflegt, und es ist einer seiner Grossen, die der Welt und nicht nur Zürich angehören und teuer sind, Konrad Ferdinand Meyer, der die Verse schrieb:
Als ein Kind bin ich mit frischen Wangen Durch die Tore Zürichs noch gegangen, Sie zerbrach den Bann und wuchs und baute, Sich verjüngend, während ich ergraute.
Sie zerschlug des Walles starre Hülle Und entrollte sich in Lebensfülle, Und auf immer ungestümerm Flügel Krönte sie mit Zinnen rings die Hügel.
Doch aus reicherm Rahmen und Gefüge Sprechen immer noch die lieben Züge — FreimdUch dämmert fort im Traum der Dichtung, Was gesunken ist für Raum und Lichtung.
Limmat überbrückte sich aufs neue, Aber flutet noch in tiefer Bläue, Und mit ihren sehg reinen Stirnen Strahlen droben dort dieselben Firnen.
Menschenstunde gleicht dem AugenbHcke, vStädte haben längere Gesclücke, Haben Genien, die mit ihnen leben Und in immer weitem Kreisen schweben.
WW^ WWWT ▼▼▼▼▼▼▼▼▼▼▼▼ wwvvw w w
ilegi,.l.-l.
Q^augarien
BENUTZTE QUELLEN
W. Oechsli, Geschichte der Schweiz im 19. Jahrhundert, II. Band.
W. Oechsli, Der Durchzug der Alliierten diirch die Schweiz (Neujahrsblatt des Waisenhauses 1907/08.
W. Oechsli, Lebzeltern und Capo d'Istria in Zürich.
W. Oechsli, Zwei Denkschriften des Restaurators Karl Ludwig v. Haller über die Schweiz in den Jahren 1824 vmd 1825 (Aus der Festgabe für G. Meyer V. Knouau).
K. Dändliker (und W. Wettstein), Geschichte der Stadt und des Kantons Zürich, III. Band.
,, Monatliche Nachrichten schweizerischer Neuheiten" und „Schweize- rische Monatschronik" i8i4ff.
„Zürcherische Freitagszeitung" 1814 — 1914.
J. J. Leuthy, Geschichte des Kantons Zürich.
Gerold Meyer v. Knonau, Der Kanton Zürich.
Memorabilia Tigtirina von Emi, Vogel und G. v. Escher.
Sal. Vögelin, Das Alte Zürich, I. und II. Band.
Ludwig Meyer v. Knonau, Lebenserinnerungen.
H. Escher, Erinnerungen seit mehr als 60 Jahren.
Fr. V. Wyss, Leben der beiden Bürgermeister David v. Wyss.
A. Kramer, Das Stadtrecht von Zürich.
Handschriftliches Protokoll der pro\nsorischen und der konstituierten Muni- zipaHtät 1798 ff., des Gemeinderates imd Stadtrates und der Gemeinde- kammer 1803 ff.
Donnstagsblatt von Zürich I798ff.
P. Rutsche, Der Kanton Zürich und seine Verfassung ia der Zeit der Hel- veük.
C. Brunner, Der Kauton Zürich in der Mediationszeit.
Th. Curti, Geschichte der Schweiz im 19. Jahrhundert.
H. Sträuli, Verfassung des eidg. Standes Zürich.
V. Muralt, Hans v. Reinhard.
C. Keller-Escher, Geschichte der Familie Escher vom Glas.
Pestschrift zur Feier des 500jährigen Bestandes der Gesellschaft der Schildner zum Schneggen.
O. Hunziker, Heinrich Pestalozzi, biographische Skizze.
H. Morf, einige Blätter aus Pestalozzis Lebens- und Leidensgeschichte.
W. Wettstein, Die Regeneration des Kantons Zürich.
A. Schneider, Dr. Ludwig Keller (,,N. Z. Z." Dez. 1899).
J. C. Bluutschli, Dr. L. F. Keller (Allg. deutsche Biographie), sowie Nachruf auf denselben.
350 BENUTZTE QUEL-LEN o
J. C. Bluntschli, Denkwürdigkeiten aus meinem Leben.
G. Meyer v. Knonau, J. C. Bluntschli (Allg. deutsche Biographie).
G. Meyer v. Knonau, Georg v. Wyss (Neujahrsblatt des Waisenhauses 1895/96).
Chronik der Kirchgemeinde Neumünster.
F. Meyer, Erinnerungen eines alten Zürchers (Neujahrsblatt des Waisenhauses
1910).
A. Bürkli, Paul Karl Eduard Ziegler.
K. Dändliker, Der Ustertag und die politische Bewegung der dreissiger Jahre im Kanton Zürich.
G. V. Wyss, Die Hochschule Zürich, Festschrift zur 50. Jahresfeier. L. V. Low, Zürich im Jahre 1837.
Festschrift des Schweiz. Pressvereins 1908 mit den Beiträgen von J. Jakob,
5. Markus imd M. Uebelhör zur Geschichte des zürcherischen Zeitungs- wesens.
H. Geizer, Die Straussischen Zerwürfnisse in Zürich.
Fr. Schulthess, Aufzeichnungen über die Straussische Bewegung und den
6. September 1839 (Z. Taschenbuch 1906).
W. Meyer-Ott, Erlebnisse und Beobachtungen am 6. September 1S39 (Z. Taschen- buch 1910).
B. Hirzel, Mein Anteil an den Ereignissen des 6. September 1839.
H. Weiss, Beitrag zur Geschichte der Revolution vom 6. September 1839.
Betrachtungen über die Revolution im Kanton Zürich in Briefen eines Zürchers an einen Basler,
sowie weitere Broschüren, Flugblätter und Zeitungsartikel aus dem Jahre 1839.
F. Fleiner, ein politischer Briefwechsel zwischen J. C. Bluntschli imd W. Wacker- nagel.
,,Neue Zürcher Zeitung", einzelne Jahrgänge.
,, Züricher Kalender" von David Bürkli, i8i4ff.
W. Oechsli, Alfred Escher (Allg. deutsche Biographie).
Das Alfred Escher-Denkmal, Bericht des Zentralkomitees.
W. Oechsli, Geschichte der Gründung des eidg. Polytechnikums, Festschrift 1905, I. Band.
Fest Schrift zur Feier des 50jährigen Bestehens des eidg. Polytechnikums, II. Band, speziell die Beiträge von S. Pestalozzi (bauliche Entwicklung der Stadt Zürich), A. Weiss (Beleuchtung), Rob. Moser (Haupt- imd Nebenbahnen, Dampfschiffe).
P. Weissenbach, Das Eisenbahnwesen der Schweiz, I. Band.
C. Escher, Chronik der ehemaligen Gemeinden Wiedikon imd Aussersihl.
C. Escher, Die grosse Bauperiode der Stadt Zürich in den sechziger Jahren.
„Zürcher Wochenchronik".
„Aus Zürichs Vergangenheit" (Orell Füssli & Co., Verlag), 3 Bäudchen, speziell die Beiträge von Dr. C. Escher (Selnau und Bleicherweg, Tiefenhof- Linde, Vüla Rieter), Olga Amberger (Damals auf und bey der untern Brugk), J. Hardmeyer- J enny (Bilder vom Zürichsee, mittlere Bahnhofstrasse),
o BENUTZTE QUELLEN 35:
Fr. Schulthess-Meyer (ein Gang durch Stadelhofen) , Albert Voegeli (in den Seidenhöfen).
A. Tobler, Entwicklung der Schweiz. Schwachstromtechnik (Neujahrsblatt des Waisenhauses 1909).
Programme der Höhern Töchterschule, speziell die Beiträge von C. Weit- brecht, S. Stadler und Th. Vetter.
U. Meister, Die Entwicklung der liberalen Partei des Kantons Zürich.
U. Meister, Die Zürcher Truppen im Sonderbimdsfeldzug 1847 (Neujahrsblatt der FeuerwerkergeseUschaft 1896/97).
A. Heer und G. Binder, Der Sonderbund.
Th. Usteri, Die goldene Verdienstmedaille der Stadt Zürich.
P. Keller, Die zürcherischen Staatsschreiber seit 183 1.
A. Streuli, Treichler („N. Z. Z." 1906, Nr. 298ff.).
Eugen Escher, Lebenslauf in ruhigen imd bewegten Zeiten.
R. Seidel, W. Weitung (GrütUkalender 1914)-
,, Freie Jugend", Karl Bürkli-Festnummer, August 1913.
NAMEN- UND SACHREGISTER
Aarau, eidgenössisches Schützenfest: i6.
Aargau s. Klosteraufhebvmg.
Abäudenmgen der Verfassung s. Ver- fassungsrevision.
Abfuhrwagen ^^y.
Absonderungshaus 327.
Adhgeuswü 297.
Affoltem a. A. 279, 281, 282, 285.
Ägerten 116.
Alexander I. von Russland 2, 3, 6, 7, 8, II, 14, 49, 52, 108.
Alliiertenfeier 1S14: 9.
Almosenamt 31.
Altstetten 270.
Alumnat 29, 30, 94.
Anatomie 26, 327.
Andermatt, General 42.
St. Annahof 34.
St. Anna-Kapelle 34.
Antiquarische Gesellschaft 102.
Antistitium 19.
Appenzeller Zeitung 67.
Arenenberg 122.
Artillerie-Reserve Denzler 289, 294.
Asylfrage 108.
Augustinerbrücke 31, 326.
Augustinerkirche 3 1 .
Augustinertor 17, 31.
Aussersihl 232 (Landsturm), 344 (Ver- einigimg) .
B
Bachmarm, General 3, 12. Baden-Brugg (Eisenbahn) 273. Badischer Aufstand 1849: 333. Bahnhof Zürich 268, 269, 270, 325, 328, 332, 334 (s. Illustrationen Nr. 35 u.40).
Bahnhofbrücke 24, 344, 347.
Bahnhofquartier 346.
Bahnhofstrasse 29, 344, 346.
Bank in Zürich (Meisenbank) 130, 176.
Barbou, General 43.
Barfüsserhofstatt s. Illustration Nr. 7.
Barfüsserkirche 27.
Barfüsserkloster 27.
Basler Wirren 1832 ff. 106, 107.
Basler Zeitung 251.
Bassersdorf 189, 253, 254.
Bassersdorf er- Verein 86, 87, 104, 112,
154- Bataillon Bänziger 291 ff.; Benz 291,
296; Berner 291; Brunner 243, 290;
Däniker 243; Ernst 291; Fäsi29iff. ;
Ginsberg 279, 291, 294, 295; Häusler
291, 293; Meyer Nr. 29 282; Schmid
279; Zuppinger 291. Batterie Mazzola 289, 296; Moll 291,
294, 296; Müller 294; Rust 291, 294,
295; Scheller 278, 281 ff., 290;
Schweizer 291, 294, 296; Zeller 282,
285. Baugarten 29, 326, 338, 342, 346 (s. Il- lustration Nr. 44). Baugesetz, städtisches 346. Bauhaus (Stadthaus) 43. Baukollegium 344, 346. Bauhche Entwicklung 1833: 92, 128,
129. Bauma 104, 191, 209, 210. Baumgartner St. Gallen 115, 120. Baumgartner, Wilhelm, Komponist 342. BauschänzU 17, 28, gi, 123, 124, 125,
326 (s. Illustration Nr. 18). Beatenrain 32. Beleuchtung 36, $y.
23
354
NAMEN- UND SACHREGISTER
Belvoir 311, 313, 322.
Benken 277.
Benz, Substitut 249.
Beobachter, s. Schweiz. Beobachter.
Beobachter aus der östlichen Schweiz 175, 185.
Berchtwil 291, 294.
Berichthaus 20, 21, 329.
Bern Bundesstadt 302, 303.
Bevölkerung der Stadt Zürich 1814: 36.
Beyel, Friedrich, Wirt, Ütliberg 328.
Bezirksgebäude im Selnau 343.
Bezirksverwaltung loi.
Bezirksverwaltungs- und Stadtgerichts- gebäude 29.
z. Bilgerischiff, Wirtschaft 18.
Bindschädler, Männedorf 195, 218.
Birrer, Landjäger-Korporal, Luzern 276.
Blaue Fahne 20.
Bleicherweg 29, 326 (s. Illustration Nr. 20).
Bleicherwegbrücke 132, 326.
Bleuler-Zeller, Gemeindepräsident, Neu- münster 184, 194, 221.
Blinden- imd Taubstummenanstalt 98, 99, 224, 327.
Blocus hermetique iio.
,, Blume" Aussersüll 317.
Blumer, Oberstbrigadier 281, 282.
Bluntschli, Johann Caspar 80, 81, 83, 94, I", "3, 133, i43> 164, 174, 175, 233, 240, 247, 248, 251, 258, 259, 260, 261, 262, 315 (Porträt 262/263).
Bödmet, J. C, Mechaniker 122.
Bodmerhaus am Schanzengraben 343.
Bodnierhaus z. obern Schönenberg (s. Illustration Nr. 17).
BoUer, Kriminalrichter 155, 239, 249.
BoUey, P. A., Chemiker 306.
BoUier, Regierungsrat 299, 300.
Bombardement von Zürich 1802: 42 (s. Illustraüon Nr. 11).
Bonstetten 277, 281.
Bomhauser, Pfarrer 120.
Börse 29, 338.
Botanischer Garten 34, 91, 99, 325 (s.
Illustration Nr. 40). Brändli, Weibel 223, 232. Bremer-Schützen 343. Bremgarten 255.
Bremi, J. H., Chorherr 20, 60, 108. Briefpostmarken 330. Brigade Egloff 289, 29 i ff. ; König 289,
29 I ff. ; Müller 289, 296. Bruch, Dr., Pfarrer, Seminardirektor
250. Brugg-Aarau 273. z. Brünneli (Wohnhaus) 35. Brvmnenturm 99. Bnmner, Oberstleutnant 187, 212, 228,
243-
Brunner, Oberkondukteur ■\ 271.
Bruppacher, Major 282, 283.
Brutal-Radikale 112.
Bubikon 156, 250.
Bubna, österr. Kommandant 4, 5.
Büchsenstein (Wohnhaus) 22.
Buden (Läden) 22, 24, 30, 131 (s. Illu- stration Nr. 8).
Bühler von Büron 276.
Bülach 141, 155.
Bundesfeier 1851: 334, 335.
Bimdesschwur im Grossmünster 8, 13.
Bimdesverein 181 3: 5 ff.
Bundesverfassung 181 5: 5, 8, 9, 86, 107.
Bünzener-Komitee 254.
Burckhardt, Jakob, Basel 306.
Bürgergärten 33, 325, 338 (s. Illustra- tion Nr. 40).
Bürgerliches Gesetzbuch 262.
B ürgermeister ( Regierungspräsidenten) 43. 84, 314.
Bürger-Mittwochgesellschaft 324.
Bürgemutzungsholz 32.
Bürgerschule 96.
Bürgerwache 2i2ff., 222, 225, 231, 233, 240.
Bürgi, Regierungsrat 104, iii, 167, 236.
NAMEN- UND SACHREGISTER
355
Burkhard, Pfarrer, Religionslehrer 250. Bürkli, Adolf, Oberfeuerkommandant
35, 278, 282, 287. Bürkli, Arnold, Dr., Stadtingenieur 35,
32^, 344- Bürkli, Da\'id 3 1 . Bürkli, Georg Konrad, Stadtpräsident
35, 47 (Porträt 46/47). Bürkli, Joh. Heinrich (,,Freitagszei-
tung") 31. Bürkli, Joh. Kaspar (..Freitagszeitung")
31- Bürkli, Karl, Landwehrhauptmann 316,
317- Bürkli, Konrad, Leutnant (1847): 293. Bürkli, Kourad, Präsident der Kaiifm.
Gesellschaft 35. Bürkli, Oberstleutnant 183g: 190, 196,
222, 231, 316. Bürkli-Füssli, Oberst 1846: 269.
Cafe de la Terrasse 131.
Cafe litteraire 31, 155, 185, 213, 275,
277 (s. Illustration Nr. 14). Capo d'Istria, russischer Gesandter i,
3, 6, 7, 9, 108. Carolinum, s. Chorherrenstift. Caspar, Unternehmer, von Rorschach
'23- Cham 288. Chemiegebäude (beim Polytechnikum)
309- Christhcher Verein jimger Männer 34. Cholera 1855: 324, 338. Chorherrenhof 19. Chorherrenplatz 344. Chorherrenstift 19, 40, 88, 89, 94, 96,
148, 159, 337- Chorherrenstube 102. Clausius, R. J., Professor 306. Conseil, Polizeispitzel iio. Consulta, helvetische 42, 59. Cramer, Heinrich, Metzger 1846: 269,
335-
Culmanu, Karl, Professor 306. Curti, Landammann, von Rapperswil 120.
D
Dampfschiffe 122, 267 (s. Illustration Nr. 24). Dampfschiff „Biene" 126; „Delphin" 125, 126; ,,Gotthard" 126; ,,GuillaumeTell" 122; ,, Gustav Albert" 125; ,,Helvetia" 126, 127; „Konkordia" 126; „Lerche" 126; „Linth-Escher" 124, 126; ,,Luk- mauier" 126; „Minerva" 123, 124, 267; „Republikaner" 124; „Schwalbe" 126; ,, Schwan" 126; „Stadt Rapperswil" 126; ,, Stadt Zürich" 126; „Taube" 126.
Dampfschiffahrt 12 2 ff., 131.
Dampfschiffgesellschaft vom linken See- ufer 126.
Demme, Dr. 95.
Demokratische Opposition i853ff.: 317.
V. Deschwanden, J. W., Rektor 303, 306.
Deucher, Adolf, Dr. (Bundesrat) 320.
Dienstmänner 337.
Dieükon 270.
DietwU 279, 288, 289, 294.
Direktorialfond 40, 91, 92, 129.
Dombowsky, General 42.
Donnstags-Blatt 22, 39, 329.
Donnstags-Nachrichten 21, 22, 329.
DrahtschmidU 33, 345.
Droschken 337.
Druey, Bundesrat 115.
Dübendorf 207, 208, 210.
Dubs, Jakob, Bimdesrat 253, 302, 307,
313- Dufour, General 115, 120, 135, 298,
333, 341- Durchbruch (Rämistrasse) 132. Durchmarsch der Alliierten 2, 4, 5. Dürler, Jakob 94. Dürr, Kriminalrichter 113.
356
NAMEN- UND SACHREGISTER
Eggb. Zürich 315.
EgUsau 341.
Ehegerichtshaus 346 (s. Illustration Nr. 16).
Eidgenössische Fragen i83 4£f. : 106.
Eidgenössische Hochschule, s. Hoch- schule, Schweiz.
Eidgenössische Zeitung 305.
Eieu 28g, 291.
Einwohnergemeinde Zürich 133.
Eisenbahn 267£f., 272, Einweihung 271.
EisenbahngeseUschaft Basel-Zürich 268, 269.
Eiseubahngesetz 1852: 318.
Elektrisches Licht 1855: 338.
Elsasser 22, 69.
El wert, Eduard, Professor 105, 147.
EnderHnsches Anwesen 99.
Enge 331.
Erlenbach 185.
Erziehungsrat 93, 159, 162, 163, 169, 178, 194, 247, 249, 250, 253.
Escher, Alfred, Dr., Regierungspräsi- dent 215, 26:, 263, 272, 273, 302ff., 311 ff., 335 (Porträt 310/31 1).
Escher, Conrad, Dr. 328, 340, 344, 346.
Escher, Eugen, Dr., Stadtschreiber 340,
341-
V. Escher, Hans Konrad, Bürgermeister (t 1814) 2, 4.
V. Escher, Hans Konrad, d. jüngere. Bürgermeister 43, 44.
Escher, Hans Konrad, alt Seckelmeister, Präsident der provisor. Munizipali- tät 38, 40, 4!.
Escher, Hans Konrad, erster Stadtpräsi- dent 44 (Porträt 32/33).
Escher, Hauptmann, Höngg 187.
Escher, Heinrich, Professor der Ge- schichte 72.
Escher, Heinrich, Regierungsrat und Kriminalgerichtspräsident 83, 94,
156, 169, 170, 175, 180, 182, 215, 235, 340.
Escher, J. J., Stadtpräsident 80, 128, i34> ^37, '4° (Porträt 128/129).
Escher, Junker, Schloss Eigental bei Berg a. Irchel 315.
Escher, Mathilde 34.
Escher, Salomon, im WoUenhof 32.
Escher v. Berg, Georg, Gerichtsherr 3.
Escher-Hess, Martin 26, 32, 128, 130, 26S, 269, 271, 273, 274, 335 (Por- trät 268/269).
Escher von der Linth, Arnold, Professor
35, 3o'5-
Escher von der Linth, Hans Konrad 14. I5> 35. 49, 50, 64, 96 (Porträt i4/'5)-
Escher-von Jluralt, Hans Kaspar (Neu- mühle) 24, 27, 34, 88, 123.
Escher-Pestalozzi, zum Steinhof 269.
Escher-Platel, Münzdirektor 35.
Escher- Schulthess, alt Oberamtmann von Wädenswil 197, 204, 236.
Escher, Wyss & Cie. 24, 25, 124, 127,
-71, 327, 338, 340- Escher-ZoUikofer, Kaufmann 311. Escherdeukmal 321. Escherhäuser 96, 311. EssUnger, Regierungsrat 262, 269. Eugen, Vizekönig 122. Evang. Gesellschaft 165. Exerzierplatz (an der Talgasse) 325,
330, 333, 334, 34-, 34^ (s. lUustra-
tion Nr. 40).
Falken Stadelhofen 214.
Faesi, Ulrich, Professor 234.
Fehr, Hauptmann, Chef der PoUzei-
wache 205. Fein, Dr. 109. Feldhof 36, 132, 222, 228, 229, 234,
326 (s. Illustrationen Nr. 21 u. 30). von Fellenberg, Philipp Emanuel 60.
NASIEN- UND SACHREGISTER
357
Felsenhof 25, 34.
Fenner, von der Forch, Leutnant 228,
234> 239- Ferdinand, Kaiser von Österreich 51. Festungswerke 16, 34, 36, 87, 89, 90,
91, 129. Fetzer, Oberst, von Aarau 120. Feuermörser (Wohnhaus) 32. Fierz, Regierungsrat und Oberst 104,
157, 169, 181, 235, 261. Fierz-Landis, Karl 322. Finsler, Direktor der Bank in Zürich
227. Finsler, Hans Georg, Finanzminister
und General 54, 66, 67. Finsler, Hans Georg, Stadtpräsident
45, 46 (Porträt 44/45)- Finsler, Joh. G., Dr. jur. 83. Fischental 191. Fischmarkt 22, 23. Fleischverkaufshalle 23, 131, 346 (s.
Illustration Nr. 16). Flüchtlings- und Fremdenfragen 107,
log, III, 119 (s. auch Asylfrage). Forchwirtshaus 239. Porrer, Kavallerie-Hauptmann 187, 188. Frankfurter Attentat 95. Franscini, Bimdesrat 301. Franz I. von Österreich 3, 4, 6, 7, 50,
51, 108. Franzosen in Zürich 38, 39, 40, 42. Französische Kirche 19. Frauenfelder, Hauptmann, von Heng-
gart 290. Fraumünster 30, 229, 239, 246, 330,
3i^, 337- Frey, Emil, Dr., von Liestal 120. Frei, Hauptmann 1839: 190. Frei-Herose, Oberst und Landammann,
Aarau 255, 269, 307. Freie Strasse 345. Freies Gymnasium 34. Freischarenzüge 137, 259, 261, 275, 277. Freitagszeitung 31, 83, 164, 203, 252,
259, 263, 316.
Freiwillige und Einwohnerarmenpflege
32-
Frieden von Zürich 317, 342.
Friedensvereine 1839: 250.
Friedhof St. Anna 34, 326, 329; Fuchs- loch 17 (s. Illustration Nr. 5); Hohe Promenade 332; St. Jakob 329; Krautgarten 17, 27, 332; St. Leon- hard 338; Predigern 26, 332; Riedtli 338; Selnau 332.
Friedrich Wilhelm III. von Preussen 6, 48.
Fröbel, Julius III, 314, 315.
Fröbel, L. Th. A., Obergärtner 99.
Fröschengraben 28, 31, 32, 131, 132, 326, 346 (s. Illustration Nr. 44).
Fuchs, Christopher 115.
Furrer, Fürsprech, Bubikon 72.
Furrer, Jonas, Dr. Bundesrat 82, 144, 164, 167, 175, 230, 257, 259, 261, 262, 269, 302, 303, 313, 335.
Fürstenbesuche 48.
Füssli, Antistes, Pfarrer, Neumünster 149, 155, 243, 249.
Füssli, Heinrich, Historiker 22.
Füssli, Oberst (Divisionär) 49.
Füssli, Wilhelm, Oberrichter 82, 86, 104, III, 141, 155, 168, 201, 230, 249.
FüssHsche Giesserei 34.
St. Gallisch-Appenzellische Eisenbahn -
gesellschaft 273. Gasbeleuchtung 325, 338. In Gassen 30, 212. Gatschet, Oberst, von Bern 3. Gedecktes Brücklein 24, 32, 327. GeissbergboUwerk 17. Gelehrtenschule 96. Gemässigte Partei (Bluntschli etc.) 83. Gemeindegut 330. Gemeindeordnimg 1831 (s. auch Stadt-
verfassung) 133, 1859: 341.
358
NAMEN- UND SACHRBGISTER
Gemeinderat der Stadt Zürich 43. Gemeindeversammlung loi, 133. Gemeindeverwaltimg loi, 133. Gemüsebrücke s. Rathausbrücke. Generalversammhmg der Bürgerschaft
43, 46-
Genf, Unruhen 138.
Gerolds wil 315, 316.
Gerwe 23.
Gespräch zwischen Jakob u. Konrad 6g.
Gessner, Gebrüder, Buchdrucker 69, 80.
Gessner, Oberrichter 249.
Gessner, Ptarrer, Oberrieden 220.
Gessner, Salomon 22, Denkmal 33.
Gewerbefreiheit 10 1, 324.
Gislikon 28 7 ff. (s. Illustration Nr. 36).
Glarus (Brand) 345.
Glattalbahn 273.
Glaubeuskomitee 152, 155, 156, 172, 173, I75> 180, 199, 203, 236, 256.
Glockenhaus, Glockenhof 34.
Gmür, Oberst-Divisionär 279, 286, 287, 290.
z. Goldenen Winkel 34.
Goldstein 21.
von Gouzenbach, Bern 306.
Gore, Platzkommandant 39.
Gottfried Keller-Stiftung 321.
Gotthardbahn 311, 319, 320.
Gotthardvereinigimg 319, 320.
Gräbhgasse 25.
z. Grauen Manu 20.
Grendel 17, Grendeltor 123 (s. Illu- stration Nr. 5).
Griechenhilfs verein 108.
Grob, J. C, Pfarrer, Rorbas 165.
Gross, Johann, Wirt z. Cafe Utteraire 275, 276, 285.
Grosse Stadt 28.
Grosser Rat, Vertretung 65, 1830: 69,
70. 73- Grosser Stadtrat 29, 46, 140; 1831: 134. Grossmünster 19, 133, 162, 229, 246,
332, 342 (s. Illustration Nr. 3) ;
Schatzgewölbe 40, Kapelle 344.
Grossmünsterschulhaus 19, 337.
Grossmünsterterrasse 131.
Grossratsreglement 66.
Grossratswahlen 1830: 73; 1834: 112; 1838: 141; 1839: 246, 247; 1842: 257; 1846: 263; 1850: 314.
Gnmer, Justus, preussischer Gesandter
54- Grünes Hüsli 32. Grünes Schloss 20. Gujer, Henirich, Bauma 65, 70, 71, 82,
110, 144, 168, 170, 175, 246. Guyer-Freuler, Eduard 322. Guiger, General 120, 121. Gymnasium 96. Gysi-Schinz, Heinrich, Stadtrat und
Stadtschreiber 197, 207, 215, 233,
34°-
H
Haab, Prof. Dr., Rektor 309.
Haberhaus 30.
Häberling, Bauemführer 121.
HäfeHn, Regierungsrat, Aargau 330.
Hafen iS, 92, 131.
Hagenbuch, Franz, Staatsschreiber imd
Regierungsrat 324, 336. von HaUer, Karl Ludwig 85. Halseisen (Künstlergasse) 21, 27, 327. Handelskammer 268. Handwerkerversammlung von Bassers-
dorf loi. Hanhart (Pfäffikon), Oberrichter 113. Hardmeyer, Zumikon 194. Hardmeyersche Druckerei 31. Harmonie, Sängerverein 330. z. Haue 22.
Hauk, Sängervereinspräsident 332. ,, Hauptgrub" 99. Hauptwache 2^, 207, 213, 215, 217,
2^5, 345- Hauser, Leutnant 1847: 282. Hauser, Dr. med. (Aussersihl) 344. Hechtplatz ]8.
NAMEN- UND SACHREGISTER
359
Heer, Oswald, Professor 35, 306, 311.
Hegetschweiler, Dr. 70, 71, 82, 84, 119, 120, 140, 180, 182, 186, 197, 199, 207, 208, 212, 217, 222, 228, 229,
234, -35, 239. Heidegger, Oberst 108. Heilige Allianz 49, 51, 53. Heilige Gret, s. Peter, Jlargaretha. Helferei, Fraumünster- Gemeinde 29. Helmhaus 18, 131.
Helvetische Gesellschaft 301.
Henggart 290.
Henne, Dr., St. Gallen 120.
Heringsgasse 25.
von Herrenschwand, Bern 4.
Herwegh, Georg, Dichter 314, 318, 343.
Hess, Buchdruckerei 314.
Hess, J. J., Bürgermeister 82, 87, 98, 107, 120, 144, 157, 16S, 181, 182, 185, 197, 206, 212, 215, 223, 232,
235, 236, 237, 246, 248, 269, 337. Hess, Hans LudTrig, Stadtpräsident
323ff., 328, 331, 332, 335, 341, 346
(Porträt 322/323). Hess, Kaufleute, Gründer der Post 20. Heusler, Andreas, Ratsherr, Professor,
Basel 251. Hiestand, Pfarrer, Neumünster 343. Hinrichtimgen 327, 331. Hinteramt (oder Rütiamt) 31, 93, 307,
326. Hinw-il 210, 250. Hirschengraben 21, 25, 327, 347. Hirslanden 214. Hirzel, Bernhard, Dr., Pfarrer 95, 174,
193, 195, 208, 209, 210, ziyti., 221,
224ff., 239, 249. Hirzel, C. Melchior, Bürgermeister 32,
64, 66, 82, 84, 85, 87, 93, 95, 105,
107, 112, 120, 121, 142, 143, 144,
I47ff., 154, 162, 163, 164, 167, 169,
170, 175, 185, 193, 220, 232, 256, 258. Hirzel, Jakob, Staatsrat 66, 67. Hirzel, Kaspar, Regierungsrat 234. Hirzel, Salomon, Oberst loi, 137, 186,
187, 207, 2i2ff., 221, 222, 226, 228, 229, 232, 233, 235, 243, 256.
Hirzel, Statthalter in Wetzikon 184.
Hittnau 20g.
Hitzig, Ferdinand, Professor 94, 147, 148, 171, 342-
Hochschule, schweizerische 93, 301 ff.
Hochschule Zürich 31, 93, 94, 95, loi, 102, 103, 148, 151, 154, 158, 162, 167, 249, 250, 301, 309, 342.
Hofmann, Landjäger, Luzeru 276.
Hofmeister, Hans Heinrich, Stadt- schreiber 41, 42, 43, 340.
von Hofstetter, Aidemajor 1847: 295.
Hohe Promenade 17, 27, 91, 132, 332.
Holzschanze 17, 123, 131.
Honau 288 ff.
Höngg 277.
Horgen 171, 220.
z. schwarzen Hörn 58.
Hornbach 32.
Homer, J. C, Professor 93.
Hortense Beauharnais iio, 122.
Hotel Baur au lac 326; Baur en ville loi, 132, 228, 229, 231, 233, 234, 237, 326 (s. Illustration Nr. 30) ; ,,City" 35; ,,Du Lac" 18; ,,Limmat- hof" 339; „Schwert" 9, 31, 33, 49, 87, 132, 326 (s. Illustration Nr. 14); „Raben" (altes ,,BeUevue") 18; ,, Zentral" 24; ,,Zürcherhof" 131,
132, 335-
Hottinger, J. J., Historiker 83, 85, 93, 148, 342.
Hottinger, Joh. Heinr., Staatsschreiber 180, 223 (J. H., nicht J. J. Hot- tinger).
Hottinger, Jakob Heinrich, Staats- schreiber 263 (Sohn des obigen).
Hottingerpörth 27 (s. Illustration Nr. 5).
Hottingerturm 18.
Hug, Pfarrer 253.
Hülfs- und Bildimgsverein (Treichler) 316.
Hünenberg 291.
36o
NAMEN- UND SACHREGISTER
Hiini, Regierungsrat 156, 248, 259.
Hiiningen, Festung 4, 12.
Hürlimann, Quartierhauptmann, Rich- terswil 69.
Hürlim£inn, Statthalter, Richterswil 220.
Hürlimann-Landis, J. J., Richterswil 151, 152. 157, 172, 173, 176, 184, 187, 191 ff., 200, 201, 202, 211, 218, 219, 233, 236, 239, 242, 250, 256,
315- Hütten 27g.
I J
St. Jakob, Aussersihl 33, 34, 329. Jesuiten 254ff., 2yyii. Illnau 185, 206, 20g, 211. Imobersteg, Erziehmigsdirektor, Bern
302. Industrieausstellung 1846: 331. Industriequartier 33, 338. Industrieschule 96. Johann, Erzherzog 12, 13. Irrenhaus beim alten Spital 26. ,, Junges Zürich" 1836: 133. JuUrevohition Paris 67. Justizreform 23, 64, gg, 112.
K
Kadettenfest 1S56: 340; Kadetten- korps 136.
KäUn, kath. Pfarrer 115.
Kantonalverhöramt 247.
Kautonsapotheke 26.
Kantonsbibliothek 26.
Kantonsschule 27, 95, 96 (Einweihung 1842), 97, 102, 307, 327, 335, 342 (Jubiläum).
Kautonsspital g8, 327 (s. Illustration Nr. 40).
Kapitulationen (für den Söldnerdienst) 2, 54, 55, 67, 136.
Kappeier, Karl, Ständerat und Schul- ratspräsideut 304, 30S.
Kappelerhof 29.
Karl Albert, König von Sardinien 109.
,,Karl der Grosse", alkoholfreies Re- staurant 19.
Kaserne Aussersihl 325, 347; Talacker 36, 38, 155, ^ii, 326-
Kasemendienst, Abschaffung 23, 88, 136.
Käshütte 22.
Kasino, jetzt Obergerichtsgebäude i,
9, 13, 27, 49, 197, 198, 307, ii^, 339, 342 (s. Illustration Nr. 17).
Kaspar Escher-Haus 25.
Katholiken 31, 94.
Katz-BoUwerk 34, 91, 99, 325 (s. Illu- strationen Nr. 20 und 40).
Katzentorbrücke 132.
Kaufhaus (altes, jetzt Musikalienhand- lung Hug & Co. 18; ehemaliges Komhaus beim Fraumünster 30, 326 (s. Illustrationen Nr. i und 18).
Kaufmann, Landjäger, Luzern 276.
Kaufmännisches Direktorium 20, 91, 92, 130.
Kaufmännische Lesegesellschaft 102.
Kaufmännischer Verein 35.
Kavalleriekompagnie Hanhart 291, 298.
Keller, Architekt und Photograph 339.
Keller, Augustiu, Seminardirektor, Lenzburg 254, 259.
Keller, Ferdinand, Gründer der Anti- quarischeu Gesellschaft 102.
Keller, Friedrich Ludwig, Dr., Ober- gerichtspräsident 19, 66, 79, So, 81, 84ff., 93, 94, 100, II off., 120, 139, 141, 142, 144, 149, 162, 167, 169, 175, 176, 180, 181, 215, 230, 239, 248, 257, 25S (Porträt 168/169).
Keller, Gottfried 311, 315, 317, 318,
339, 340, 342, 343, 348. Kern, Jobann Konrad, Dr., Schulrats-
präsident 305, 306, 307, 308. z. Kerze 22. Ketzerturm 25.
NAMEN- UND SACHREGISTER
361
Kilchberg 220.
Kilchsperger, Bürgermeister 38.
Kirchengesetz loi.
Kirchenrat 148, 159, 178, 247, 249.
Kirchensynode 159, 167, 178.
Kirchgasse 19, 20, 21.
Kirchmeier, Student, f. 249.
Kirchsperger, bernischer Tagsatzungs- gesandter 54.
Kissling, Richard, Bildhauer 321.
Kleine Stadt 28.
Klosteraufhebung, Aargau 255, 256, 258.
Kloten 185, 187, 189, 190, 191, 195, 196, 197, 198, 214, 217, 218.
Knonau igo, 277.
Kohlenpörtü und Kohlenschanze 17.
Koller, Dr. med., Winterthur 253.
KoUer, helvet. Statthalter 42.
Kombst, Dr. 109.
Kommunismus 315, 316, 318.
Kompagnie Forrer 279.
Konservative Partei iii, 112, 174, 189, 257, 259, 261, 263, 277, 278.
Konstitutionelle, s. Schweiz. Konsti- tutionelle.
Konsumverein 317, 333.
Kopp, Schultheiss, Luzem 298.
Komamt 32, 307.
Komhaus beim Bahnhof 343; beim Fraumünster, s. Kaufhaus; am Hafen (alte Tonhalle) 17, 92, 131, 327-
Kommarkt (Weinplatz) 31.
Korsakow, General 4 1 .
Kramer, Chorherr 53.
Krankenasyl Neumünster 342.
Kratzquartier 29, 326, 346.
Kratzturm 29, 326 (s. lUtistration Nr. 40).
Kräuel 33, 121, 325 (s. Illustration Nr.40); Volksversammlung 1834:121.
Krautgartengasse 96.
Kreuzbühlstrasse 327.
Kreuzkirche, alte 132, 155.
Kreuzplatz 132.
Kriegs- und Lustschiff 28.
Kriminalgericht 247, 249.
„Krone", s. Rechberg imd Hotel ,,Zür- cherhof ' ' .
Kronenporte 21, 27 (s. Illustration Nr. 5).
zum ,, Kronentor" (Martin Escher) 269.
Kronen- oder Neimiarkttor 25, 26.
von Krüdener, JuHane 51, 52.
von Krüdener, Paul, russischer Gesand- ter 49, 51.
Kühgasse 27.
Kimsthausareal 132, 327.
Künstlergasse, s. Halseisen.
Künstlergüth 327 (s. Illustration Nr. 17).
Kunstschule 96.
Kunz, Oberst 333.
Künzh, Stadtpräsident von Winter- thur 69.
Küsnachter Memorial 69, 70.
Kyburg 185.
Laharpe, Cäsar 7.
Lämmlin, Mechaniker von Schaffhausen 123.
Landbote, Winterthur 98, 137, 139, 252. 253.
Landesmuseum 325.
Landjäger 212, 238.
Landliberale 112.
Landmühle 25.
Landolt, Elias, Professor 306.
Landolt, Hans Heinrich, Stadtpräsi- dent 45 (Porträt 36/37).
Landolt, Salomon, Oberst, gew. Land- vogt 116.
Landolt-Mousson, Heinrich, Stadtrat
45-
Lange, Professor, von Duisburg 250.
Langer Steg 24, 270, 327 (s. Illustra- tionen Nr. 5 und 35).
Langstrasse, Zentralschulhaus 346.
362
NAMEN- UND SACHREGISTER
Laternengässchen i8
Lebensmittel verein 34.
von Lebzeltern, österr. Gesandter i, 2,
3, 4. 6, 7, g. Lecarlier, Kommissär 40. Lehrer i84off. : 250, 253; Lehrerbildung
1814: 63. Lehrfreiheit an der Universität loi, 249. Leichenwagen 337. St. Leonhard- Bollwerk 327. Leonhardstrasse 328. Lessing, Ludwig, Student, fi i09- Leu, von Ebersol, Ratsherr 254. Leuthy, Redaktor 121. Liberale Partei 1840: 253. Liberal-radikale Partei 80, iii, 113. Liechtenstein, Moritz, Fürst 5. Limmatburg 24. Limmatquai 23, 131, 327, 338. Linde, Gasthaus, Oberstrass 216. Lindenhof 32, 120, 326. Linden- oder Junkemtor 17. Lindental, s. Kimsthausareal. Lindinner, Hans J akob, Buchdrucker 2 1 . Linthkorrektion 14, 15. Literarisches Comptoir 314. zum Loch 20, 96.
Locher, Friedrich, Dr., Pamphletär 318. Louis Napoleon iio, iii. Louis PhiHpp 67, 1 10. von Low, Ludwig, Dr. 94, 102, 103, 131. Löwendenkmal, Luzern 55. Löweustrasse 327, 328. St. Ludwig-Basel 268. Lüning, Dr. med. 284. Lunnem an der Reuss 275, 279, 280 ff. Luviui 115. Luzern 1847: 287, 29 7 ff.
M
Maler, Waid b. Zeh. 276. Männedorf 220, 250. Manesse-Tiu'm 20. Marie-Luise, Kaiserin 48.
MarkstaUermatte 338.
Marktgasse 21, 36, 345.
Markwalder, Oberstleutnant 187, 188, 212, 221, 225, 231, 255.
Marschall von Bieberstein 336.
Massena, General 39, 41.
Manch, Train-Offizier 282.
Maulkrattengesetz 1846: 316.
von May, Kommissär 42.
Mediation 40, 43, 74.
Medizinisch-chirurgisches Institut 96.
Meier, Pflasterer, Enge 290.
Meierskappel 292, 297.
Meilen 220.
Meisen, Zunft, 128, 130.
von Meiss, Konrad 96.
Meister, Ulrich, Oberst 277, 287.
Merischwanden 281 ff.
Merz, Amtsrichter 219.
Metternich, Fürst, 2, 3, 11, 51, 248.
Metzg xmd Metzgerlaube s. Schlacht- haus.
Metzg-Passage 50, 328, 338, 344, 345.
Meyer, Bernhard, Staatsschreiber, Lu- zern 254, 297.
Meyer, Betsy 35.
Meyer, Conrad Ferdinand 35, 83, 348.
Meyer, F., Dr., Kirchenratssekretär 163, 176.
Meyer, Ferdinand, Erziehxmgsrat 35, 83, 84, 93, 148, 167, 233, 248.
Meyer, Franz und Fritz 1839: 220, 221.
Meyer, J. H., Publizist 165.
Meyer, J. J., von Schöffüsdorf 108.
Meyer, Melchior, Rittmeister 49.
Meyer, Pfarrer, Glattfelden 176, 194, 195.
Meyer-Biedermaun, Hauptmann 136.
Meyer von Knonau, Ludwig 64, 66, 79, 82, 84, 90, 91, 96, 142, 143, 144, 199, 215, 235, 236, 245, 247, 256 (Porträt 256/257).
Meyer-Ott, Wilhelm 176, 187, 189, 190, 195, 199, 200, 205, 213, 214, 216, 217, 218, 220, 221, 223, 240, 241, 243. 244- 331-
NAMEN- UND SACHREGISTER
363
Meyer-Pestalozzi, Major 1839: 243.
Meyershof 20.
Michael, Grossfürst 48.
St. Michaels-Kapelle, Rooterberg 28 8 ff.
Militäranstalten Aussersihl 325, 346.
Müitärbilder (s. Illustrationen Nr. 21 mid 30).
Militärorganisation 1832: i o i .
Militärschule 183 2ff.: 187, 211, 232.
MiHtärställe 325, 342, 346.
Mobilisation 1847: 279.
Monarchenaufenthalt in Basel 6.
Montebello, französischer Gesandter 1 10.
von Montenach, Freiburg 10.
Morier, David Richard, englischer Ge- sandter 173.
Mortier, Graf, französischer Gesandter
237- Mousson, Albert, Physiker 306. Mousson, Heinrich Emanuel, Bürger- meister und Stadtpräsident 248,
260, 262, 324, 325, 346. Mousson, Kanzler 13, 53, 54. deMoustier, französischer Gesandter 14. Mühlau 281 ff., 286. von ilülinen, Schultheiss, Bern 6. Müller-Wegmann, Maler 297. Munizipalität 38 ff. Münsterbrücke 18, 92, 129, 130, 225,
227, 228, 233, 268 (s. Illustration
Nr. 31). Münstergasse 20. Münsterhäuser 341. Münsterhof 30, 215, 225, 226, 228, 243
(s. Illustration Nr. 8). Münsterterrasse 22, 334. Münze 31.
Munzinger, Solothum 115. von Muralt, Conrad, Bürgermeister
8 3 ff., 98, 140, 236, 247, 248, 260,
268, 269. von Muralt, Leonhard 194. von Muralt, Oberstleutnant 18 15: 49. Muri 255. Museums- oder Lesegesellschaft 23, 102.
Mushafenplatz 26. Musiksaal 30, 46. Musikschule 21.
N
Nägeli, Hans Georg, Sängervater 27,
93, 102, 103, 105, iio, 113, 330; Denkmal 330, 332.
zum Napf 21, 337; Napfgasse 20, 21.
Napoleon I. 2, 6, 7, 11, 12, 42, 43, 60, 74.
Napoleon III., s. Louis Napoleon.
Negrelli, Ludwig, Ingenieur 130, 131, 268.
Neue Kirchenzeitung 166.
Neue Zürcher Zeitung 22, 83, 109.
Neuenburgerfrage 138, 318, 341.
Neuhaus, bernischer Tagsatzungsge- sandter 197.
Neuhof bei Birr 58.
Neumarkt, grosse Stadt 21, 224; Neu- markt (kleine Stadt) s. Paradeplatz.
Neumühle 24, 25, 50.
Neumünsterkirche 133, 211, 221, 225.
Neumünster, Kirchgemeinde 133, 150, 155, T-77, 190, 243.
Neustadt 227.
Neutralitätserklärung der Schweiz 1 8 1 3 :
2, 3- Nicolaus, Grossfürst 48. Niederdorf 20, 24, 25, 26. Niederdorfporte 24, 25 (s. Illustration
Nr. 5) ; Niederdorf-Tor 25. Niedere Brücke, s. Rathausbrücke. Niederlassungsgesetz 1840: 249. Nordbahn-Gesellschaft, Schweizerische
269, 272, 319. „Nordlicht", Zeitschrift 109. Nordostbahn 127, 272, 273, 319. Not- und Hilfsblatt (Treichler) 316, 318. Nüscheler, David, Stadtrat 83, 90, 93,
231. Nüscheler, Heinrich, Redaktor 66, 68, 83. Nüscheler, Johannes, Stadtschreiber 340. Nutzlingsgut 331.
364
NAMEN- UND SACHREGISTER
o
Oberamtmänner 65.
Oberdorf 20, 21; Pforte 41; Turm 17.
Obere Brücke 18, 19.
Obergericht 1839: 247, 249.
Obergerichtsgebäude (s. Kasino).
Oberer Mühlesteg 24.
Oberrieden 220.
Oberrüti (Aargau) 288.
Oberstrass 216, 217, 222, 224.
Obfelden 281, 282.
Obmannanit 27, 44.
Ochsenbein, Ulrich, Bern 137, 302.
Oechsli, Wilhehn, Prof. Dr. 278, 301,
3J9- ÖrUkon-WinterthuT 273. Österreichisch-italienischer Krieg 342. Ötenbach, Kloster 32. Offiziersfest 1857: 341. Oken, Laurenz, Professor 95, iii, 121;
Okenhöhe 95. Olivenbaum 17.
Orell, Konrad, Buchdrucker 22. Orell FüssH & Co. 22, 69. von Orelli, Job. Caspar, Professor 83,
93, 95. 165, 169. von Orelli, Oberstleutnant und Kan-
tonskriegskommissär 155, 212, 222,
231- Ostereier 341. Ott, Ho teuer 33.
Ott, Mitglied der Munizipalität 38. Ott, Oberamtmann von Grüuingen 71. Ott-Imhof, Conrad 1846: 268, 269. Ott-Usteri, Hans Konrad 102. Ottenbach 286. Ottengütli 33.
Packhof 328.
Pädagogischer Beobachter 252. Pallisaden im See 17. Papiermühle „Werd" 24.
Paradeplatz 36, 132, 242 (s. Illustra- tionen Nr. 21 xmd 30).
Pariser Frieden, erster 9.
von Parma, Herzogin 343.
de la Passe, Vicomte, Legationssekre- tär 114.
Pelikan, vorderer 136, 299, 326.
PehkanplätzU 35, 136.
Pestalozzi, Hans, Stadtpräsident 321.
Pestalozzi, Johann Heinrich 56 ff., 331 ; Denkmal 56 (Porträt 56/57).
Pestalozzi, Karl, Oberst 321.
Pestalozzi, L-, Oberingenieur 347.
Pestalozzi, Salomon 1846: 268, 269.
Pestalozzi-Hirzel, Hans Konrad 102.
Pestalozzi-Wiser, Rud. Alex. 29.
Pestalozzifeier 1846: 331.
Pestalozzistiftung 191 3: 58; 1846: 331.
Pestalutz, Dr., Fürsprech, Winterthur
253, 255- Pestalutz, Mitglied der Munizipalität4 1 . Pestalutz, Oberst 1839: 235. Peter, Margaretha, von Wildispuch 52,
53- St. Peter 229. Petitionen 158, 162, 176, 178, 180, 185,
194, 195, 253, 254, 261. Pfäffikon 185, 190, 204, 206, 208 ff. Pfälzer Flüchtlinge 333. Pfenuinger, helvet. Statthalter 40, 80,
82, 84. Pfeufer, Prof. Dr. Carl 98. z. Pflug 58. Pfrundanstalt St. Leonhard 33, 327,
329 (s. Illustration Nr. 40). Pfrundverbesserungsfond 40. Pfj-ffer, Casimir, Dr. 115, 120, 301, 334,
335-
„Platte" 317.
Platzpromenade 33, 116, 322, 325 (s. Illustrationen Nr. 35 und 40).
Polen 109.
Politisches Institut 96.
Polytechnikum 3oiff., 327 (s. Illustra- tion Nr. 37).
NAMEN- UND SACHREGISTER
365
Pomraier, französischer Kommissär 40. Pontonier-Kompagnie Huber 282, 283,
289. Porten imd Tore (s. Illustration Nr. 5). Posthaus Münstergasse 20, 21. Posthaus Poststrasse 132, 197, 217,
222, 229, 232, 326 (s. Illustrationen
Nr. 30 und 43). Poststrasse 30, 92, 131, 233, 327. Postwesen, zürcherisches 20, 91, 332. Prediger-Kirche 26, 238, 240, 332. Predigerplatz 25.
Press- und Fremdenkonklusum 108,109. Pressfreiheit und Pressgesetz 66. Prinzenhandel iio. Prohibitivsystem, französisches 14. Provi.sorei 19, 21.
Q
Quais 23, 130, 131.
R
Radikale 112, 213, 252, 257.
Rahu-Escher, Dr. 90, 157, 175, 176, 184, I93ff., 201, 204, 205, 2o8ff., 214, 216, 2:7, 225, 227, 228, 242.
Rahn, Gerichtsschreiber 1839: 249.
Rahn, Oberstleutnant 1839: 231.
Rämi-Bollwerk 27, 96.
Rämistrasse 17, 131, 132, 328.
Rämi-Tannenstrasse 217.
Rapinat, französischer Kommissär 40.
Rathaus 23, 53.
Rathausbrücke 24, 31, 225, 326, 341 (s. Illustrationen Nr. i, 14 und 16).
Rathausquai 92, 13t, 327.
„Rechberg", ehemals ,, Krone" i, 5, 21, 26, 39, 51, 72,, 327.
von Reding, schweizerischer Gesandter 2, 4.
Regeneration 92, loi, 129.
Regierungspräsidenten s. Bürgermei- ster.
Regierungsratswahlen 1831: 84, 85;
1832: 87; 1839: 176, 177; 1850: 314. Reinacher (Rynacher), Artillerie-Haupt-
tnann 187. von Reinhard, Hans, Bürgermeister i ff.,
10, II, 38, 40 ff., 48, 50, 63, 65,
70 ff., 157 (Porträt i). Reinhart-Hess, Winterthur 98. Rennweg 21, 31, 32. Rennwegtor 25, 28, 31, 326, 346. Repubhkaner, s. Schweiz. Republikaner. Restauration 62, 63. Rettig, H. C. M., Professor 94. Richterswil 151, 220, 250. Richthaus 23. Rickenbach 281 ff. Riedinger, Gasfabrikant, aus Bayreuth
338. Riesbach 233, 342. Rieter-Bodmer, ViUa 336. Riggenbach, Niklaus, Mechaniker 271. Rindermarkt 21, 224. Robert, Physiker 338. Rohmer, Friedrich und Theodor 251,
252. Römer, Melchior, Dr., Stadtpräsident
35, 320, 321. Root und Rooterberg 287 ff. Rosengasse 23, 24, 131, 327, 338. zum RössU, Wirtschaft 18. Roter Turm, s. Cafe litteraire. zum Roten Adler ig, 79. zum Roten Gatter 20, 21. Rotkreuz 288, 289, 291. Rotpletz, Oberst 280. Rotwandstrasse 344. Rouhiere, französischer Kommissär 40. Rüden und Rüdenplatz 22, 58. Rusca, Tessiner Abgeordneter 7. Russikon 206, 209. Ruswiler Komitee 254. Rüti-Rapperswil-Glarus 273. Rüttimann, J. J., Regienmgsrat 306.
366
NAMEN- UND SACHREGISTER
Safran 22.
von Salis-Soglio, Joh., österreichischer
Unterhändler 3. von Salis-Soglio, Joh. Ulrich, General
287, 296. Salzhaus (jetzt Eisenhandlung Kisling)
18; Salzhaustreppe 19. Salzmagazin am See 17, 18; im Sihl-
wiesli 33. Salzpreis loi. Sängerfest, eidgenössisches 1843: 330
(s. Illustration Nr. 41); 1858: 342. Samerbund 106.
Savoyerfrage 318; Savoyerzug log. Schanzengebiet, s. Festungswerke. Schanzengraben 24, 28, 32, 131, 132,
325 (s. Illustrationen 20 und 35);
Ablenkung 345; Brücke 29. Schanzengrabenschulhaus 325. zum Schäppeh 20.
Scharfschützenkompagnie Bleuler 291. Schariuggelhof 67. Schauberg, Dr., 109. Schauenburg, General 40. Schaufelbühl, Regierungsrat, Laufen-
burg, 1846: 269. Scherr, Ignaz Thomas 83, 93, 99, 100,
HO, 142, 143, 157, 15S, 159, 163,
164, 170, 174, 175, 182, 249, 253. Scherr, Johannes, Professor 313. Schiess, Kanzler 318. Schiff alirtsschleuse 331. Schifflände 17, :8 (s. Illustration Nr.
24). Schiffleutenzunft 136, 138. Schiffshaus, Schiffschopf 28. Schiffsunglück bei Meilen 1872: 126. SchiUerfcier 1859: 343. Schimmelgut 99. ,,Schinhut" 308, 327. Schinz, Hans, Dr., Direktor des Bota- nischen Gartens 35. Schipfe 31, 328. Schlachten bei Zürich 1799: 41.
Schlachthaus 23, 344, 346 (s. Illustra- tion Nr. 16).
zum Schlegel 21.
SchUereu 270, 277.
Schmid, Dr., Richterswil 68, 86, 151, 152, 220.
Schmid, Landammann, Tagsatzimgs- gesandter, Uri 224.
Schmidgasse 17.
Schmidt, Wilhelm Adolf, Professor 306.
Schnell, Haus, Dr., Bern 120.
Schoch, Prokuratoi 246, 247.
Schönhaus, Spitalgut 98.
Schönlein, Lukas, Dr., Professor 94, 95, 98.
Schorer, Major 293, 295.
von Schraut, österreichischer Gesandter I, 12.
Schule und Kirche (Regenerationszeit) 141.
Schulei 19.
Schulgesetz 1S39: 161, 167.
Schulrat, schweizerischer 305.
Schulreform (Regenerationszeit) 93, 99.
Schulsynode 142, 253.
Schulthess, Diakon, f, 42.
Schulthess, Friedrich, Oberstleutnant, Buchhändler 213, 214, 222, 230 ff.
Schulthess, Joh., Chorherr 20, 89,148,213.
Schulthess, Oberrichter 82.
Schulthess-Landolt 1846: 268, 269.
von Schulthess Recbberg, G. 1846: 268, 269.
Schulverein, radikaler 1842: 257.
Schulvogt 18S2: 320.
Schützenfest 1821: 116; 1851: 335.
Schützenfest, eidgenössisches, Aarau 1824: 115.
Schützenfest, eidgenössisches, in Zürich 1834: III, 114, ii6ff. (s. Illustra- tion Nr. 23); 1859: 342, 343.
Schützenhaus, altes ^^, 327; Sihlhölzü
iii- Schützenhausversammlung, konserva- tive 1830: 72, 79, 80, 156.
NAMEN- UND SACHREGISTER
367
Schützenplatz 33, 97, 116, 269, 332,
334 (s. Illustrationen Nr. 35 und 40). Schützenverein, kantonaler 335. Schutzverein in Langenthai 86. Schutzverein, radikaler 1839: 155. Schwamendingen 207, 208, 215, 255. zum Schwarzen Garten 20. Schweizer, Alexander, Professor 149,
163, 169, 250, 311, 320. Schweizerischer Beobachter 66, 83. Schweiz. Evang. Kirchenzeitung 184. Schweiz. Konstitutioneller 82, 109. Schweizerische Kreditanstalt 311, 319. Schweizerische Rentenanstalt 311, 319. Schweizerischer Republikaner 80, 83,
91, 95, 179, 252, 314. Schwyzer Scharfschützen 333. Schwyzer- Wirren 1833: 106, 107. Sechseläuten 131, 132, 261, 269, 338
(s. Illustration Nr. 42). Seefeldgarten, Cafe 1 1 1 . Seefeldstrasse 327, 342, 343. Seestrasse (jetzt Theaterstrasse) 345. Seidenhöfe 34, 35. Seilergraben 25, 347. Sektionseinteilung der Stadt 46. Sekxmdarlehrerbüdung (Regeneration)
100. Selnau 29, 326, 343. Seminar Küsnacht 99, 100, 157, 159,
194, 250, 253, 315. Seminar Leuzburg 315. Seminargesetz 99, 143, 159, 178, 192. Semin arium (Fraumünsteramt) 29. Semper, Gottfried, Professor 306, 308. Septemberregierung 312. Seras, General 42. Sidler, Landammann von Zug 115, 120,
261. Siebner-Konkordat 86, 87, 218, 249,
254. 278, 324- Siechenhaus, s. St. Jakob. Siegfried, Landammann, Aargau 271. Siegfried, Oberst, Adjutant 1847: 293ff. Siegwart, Hugo, Bildhauer 56.
Sieg%vart-MüUer, Staatsschreiber imd Schultheiss 254 ff., 260, 275 ff., 297.
Sigelschps Korps 1849: 333.
Sihlbrücke 34, 241, 325 (s. Illustration Nr. 40).
Sihlbrugg 279.
Sihlbühl 32.
Sihihof 32, 33.
Sihlhölzh ^}}, 335.
Sihlkanal 32, 33.
Sihlporte 21, 25, 29, 32, 34 (s. Illustra- tion Nr. 5).
Sihlportenbrücke 325.
Sihlwald 32.
Sihlwiesh 33.
Silberschild, Diakonat 19.
Sins 280, 288, 289, 291.
Snell, Ludwig, Dr. 68, 69, 70, 94, 95.
Snell, Wilhelm, Dr. 94, 95, 120.
Sonderbundskrieg 135, 138, 254, 259,
278, 334-
zur „Sonne" (jetzt Albert Müller) 18.
Sonneuquai 92, 131, 327.
Sozialismus 3i4ff.
„Spanisch-Brödlibahn" 273.
Spannweid 40, 98.
Spital 26, 42, 98, 238.
Spitalareal 26, 332.
Spitalermühle 25.
Im Spitz (am See) 29.
Spöndlin, Fürsprech 175, 184, 195, 201, 210, 211, 214, 219, 233, 234, 243, 244, 249.
Spörri, Jakob, Niederglatt 284.
Sprüngli, Pfarrer, Thalwil 152, 220.
Spyri, Johann Bernhard, Stadtschrei- ber 258.
Staatsanwaltschaft 193, 247.
Staatsarchiv 27, 30.
Staatsrat 44, 84.
Staatssteuergesetz loi.
Stadel 105.
Stadelhofen 327, 345.
Stadelhofer-Anlagen 345.
368
NAMEN- UND SACHREGISTER
Stadelhoferporte 17, 20 (s. Illustration Nr. 5).
Stadelhof erstrasse 21.
Stadler, Conrad, Architekt 131.
Stadler, Ferd., Ingenieur 268.
Stadt und Land 62.
Stadt und Republik Zürich 38.
Stadtaristokratie 62.
Stadtbaumeister 344.
Stadtbibliothek 18, 50.
Stadthaus, altes 29, 43, 131, 238, 326.
Stadthausplatz 326; Stadthausquai 131.
Stadtingenieur 344.
StadtHberale 66, 67, 68, 69.
Stadtpräsidenten 29, 38, 43, 44, 46, 12S, 134, 135, 137, 139, 323.
Stadtrat, engerer 134, 141.
Stadtrat Winterthur 46.
Stadtrat Zürich 43, 46, 185.
Stadtschreiber 340.
Stadtschulrat 157.
Stadtschützengesellschaft 333.
Stadtverfassung 43, 133, 140, 341.
Stadtvermögen, Ausscheidung 40.
Stadtverwaltung 38.
Stadtzürchersystem 65.
Stäfa 220, 279.
Stämpfli, bern. Staatsmann 272, 319.
Stapfer, Phihpp Albert 301.
Staub, Thalwil 286.
Steffan, J. J., von Wädenswil 71, 112, 203, 204, 208.
von Steigeutesch, Österreich. General 12.
Steiger, Hauptmann, von Riggisberg 3.
Steiger, Robert, Dr., Luzem 261, 275 ff.
Steiner, I,eonhard 35.
Steinhauer, bernischer Tagsatzungs- gesandter 197.
Steinhaus 19, 42.
Steinmühle 32.
Steinrad 28.
St. Stephauskirche 34.
Sternenberg 210.
Sternwarte 309.
Stifts verwalterei 19, 307.
Stockar-Escher, Hans 1846: 269.
Stell, Georg, Direktor 322.
Storchengasse 225.
Straf- imd Gerichtswesen (Regene- ration), Strafgesetzbuch 100.
Strassennameu 337.
Strauss, Dr. David Friedrich I47ff., 242ff., 277 (Porträt 146/147).
Strehlgasse 2 1 .
Streuh, Dr., Küsnacht 68, 6g, 155.
Strickhof 337.
StückUmärt s. Rüdenplatz.
Studenten iS3gff.: 212, 217, 227, 239, 249, 257.
Studer, Kantonsrat, Wipkingen 1839: 206, 213, 246, 247.
Südostbahn 273.
Sulzberger, Johannes, Oberstleutnant loi, 187, 211, 221, 22S, 232, 242.
Sulzer, Eduard, Professor, Regierungs- rat 82, 84, 98, iio, 141, 162, 167, 168, 170, 180, 182, 186, 203, 205, 215, 217, 222, 223, 235, 236, 246, 248, 257, 269.
Siüzer, Jakob, Staatsschreiber, Winter- thur 263, 336.
Sulzer, Julius, Leutnant, von Winter- thur 293.
Sulzer, Melchior, Regierungsrat 84, 174, 180, 182, 223, 235, 236, 247, 248, 257, 260.
Sulzer, Statthalter, Winterthur 203.
von Sulzer-Wart, Baron 248, 249, 257.
Suter, Kantonsrat, Gossau 239.
„System" (Alfred Escher) 313, 317, 319.
Tagblatt der Stadt Zürich 39, 329, 330. Tagsatzmig, lange 8, 10 (s. Illustration
Nr. 3); 1832: 301; 1834: 119, 120;
1839: 181, 238; 1841: 255, 256;
1842: 258; 1843: 259; 1845: 277;
1847: 279; 1848: 302. Talacker 35, 327; Talegg 35.
NAMBN-UND SACHREGISTER
369
Talgasse 326, 328, 334.
Talleyrand, französischer Gesandter i,
2, 9, 54- Technisches Institut 96. Telegraph 336, 337. Teuening 1816 und 1817: 13, 14. Thalwil 220.
Theater 27, 242 (s. Illustration Nr. 7). Theaterstrasse 345. Tiefenhof 36, 326 (s. Illustrationen
Nr. 21 und 30). Tiefenhofgarten 336. Tiefenhoflinde 36, 132, 212, 326, 341
(s. Illustrationen Nr. 21, 30 und 43). Tierarzneischnle 99. Tilinen 22.
Tobler, MitgUed der Munizipalität 38. Tonhalle, alte, s. Komhaus. Torgasse 17, 27, 131. Tösstal 14, 210. Toussen 282.
Trautenberg, österr. Kommandant 5. Treichler, J. J., Professor 3i4ff. Tribüne im Ratsaal 88. TroU, Rektor, Winterthur 73, 157. Troxler, Philosoph, Luzern 301. TrüUe 35.
Tunnel von Örlikon 338, 339. Turgi-Waldshut 273. Tum- imd Schwingfest, eidgenössisches
1859: 343-
u
Uebel, Bruno, Major loi, 187, 215, 216,
225, 226, 227, 238. Udhgens^vil 297. Ulrich, David, Staatsanwalt 66, 68,
81, III, 112, 141, 150, 162, 175, 184,
230, 248. Ulrich, Joh. Caspar, in Firma Ziegler
& Ulrich 22. Ulrich, Joh. Caspar, Dr., Oberrichter,
Chef der Buchdruckerei Berichthaus
83, 100, 113, 247, 250, 269 (Porträt
112/113).
Ulrich, J. J., Landschreiber 22, 329. Ulrich, helvetischer Statthalter 42. Unitarier imd Föderalisten 41. Universitätsgebäude 326. Unterer Mühlesteg 24. Unterrichtsgesetz (Regeneration) 93,
250. Unterstrass, Volksversammlung 1845:
260. Uster 185, 214, 219; Fabrikbrand 71,
104, 105, 243, 248; Versammlung
der Landgrossräte 69. Uster-Memorial 72, 73, 93, 158. Uster-Wetzikon 273. „Usterbote" 316. Ustertag 70, 71, 72, 79, 84, 104, 136,
253. 256, 317-
Usteri, Martin 35, 103.
Usteri, Paul, Dr., Staatsrat und Bürger- meister 51, 64, 66, 70, 84, 85 (Porträt 84/85).
Usteri, Paul, Dr., Ständerat 35.
Usteri- Wegmann, Oberstleutnant 337.
Usteribrücke 345.
Ütliberg (Gasthaus) 328.
V
Vaterlandsfreimd 83.
Vereinigte Schweizerbahnen 273.
Vereinigungsfrage (Stadt Zürich) 344,
345- Verfassung und Verfassungsrevisiou,
zürcherische 1814: 10; 1830: 70,
73; 1831: 84, 133; 1837: 139, 140. Verfassimgsrevisionen in den Kantonen
1814: 7, 9. „Veto" 139, 140, 178. Viehmarkt 27, 345. Villmergen 255.
Vischer, Fr. Th., Ästhetiker 306. Vogel, Fr. (Memorabilia) 288. Vogel, Hans Konrad, Stadtpräsident
46, 47- Vögeli, Albert, Ingenieur 35.
24
370
NAMEN- UND SACHREGISTER
Vögeli-Wieser 1846: 269.
Vögelin, Anton Salomon, Professor 35,
3", 313- Vögelin, Salomon, Kirchenrat 35, 167. Vögelin, Salomon, Nationalrat 35. Volke tswil 210. Volksschulwesen 1814; 63.
w
„Waag" 221, 226, 227, 233, 238 (s. Illu- stration Nr. 8).
Waaggasse 132.
Wackemagel, Wilhelm, Professor, Basel 164, 251.
WädenswU 152, 220, 221, 254.
Wagenfähre Wipkingen 331.
Wagner, Richard 306, 336.
Waisenhaus 32, 327; Waisenhauskirche
32- Walche-Schlachthaus 346. Wald i;8, 190. Walder, Karl, Sekretär des Grossen
Rates 275, 285. Waldmann, Hans 321. Waldmannstrasse 27. Waldshuter Komitee 3, 6. Waller, Landammann von Aarau 1 1 6,
254, 271. WaUisellen-Uster 273. Wasserhaus, Wasserkirche 18. Wasserrad 19, 24 (s. Illustration Nr. 17). Wasserturm 99, 325. von Wattenwil, Niki. Rud., Schultheiss
von Bern 4, 53. Weggelder i o i . ,, Weggen" 132, 225 (s. Illustration
Nr. 14). Wegmann, Architekt 96. Wegmann, Ingenieur 268. Weidmann, Dr., Niederweningen 253,
255- Weinleiter 20. Weinplatz 31. Weiss, Oberstleutnant 1839: 231.
Weiss, Regierungsrat 82, 84, 90, 180, 181, 182, 186, 191, 197, 199, 201, 203, 2o6ff., 2i2ff., 223, 228, 234 ff., 248, 261, 262, 275.
WeissUngen 210.
Weitling, Willielm, Schneider 3i4ff.
Wellenberg, Kriminalgefängnis 18, 53, 64, 92, 130 (s. Illustration Nr. 18).
Welti-Escher, Lydia 321.
,,Werd" 24.
Werdmühle 28, ^3, 328.
Werdmüller, Dekan, von Uster 214.
Werdmüller, Hans Georg, Generalfeld- zeugmeister 34.
Werdmüller, Hans Rudolf, Stadtpräsi- dent 44, 45.
Werdmüllersches Landgut 50.
Werkhof imd Turm 30 (s. Illustration Nr. 21).
Wesendonk, Otto, Grosskaufmann 336.
Wettingerhaus 22.
Wetzikon 178; Wetzikon-Meilen 273.
,, Widder" 212, 316.
Wiedikon 277, 316; Volksversammlung 110.
Wieland, Bürgermeister von Basel 10.
Wieuer-Kongress 10, 11, 51.
Wiesendangen 210.
Wild, Scharfschützen-Leutuaut 116.
Wildberg 210.
„Windegg" 228 (s. Illustration Nr. 43).
Winkelwiese 27, 227.
Wiuterthur 155, 253.
Winterthvir-Romanshom 273.
Win terthur- Schaff hausen 273.
Winterthurer Landstrasse 132.
Wipkingen 230; Wipkingerbrücke 331.
Witikon 214.
Wolf, Joh. Rud., Astronom 306.
Wolfbach 27, 97.
Wolff, Staatsbaumeister 308, 309.
WoUenhof 24, 32.
Wollishofer Allmend 333.
WoUishoferpörtcheu 28 (s. Illustration Nr. 5).
NAIIEN- UND SACHREGISTER
i7i
Wülire, alte 22, 131.
von Wyss, David, der jüngere, Bürger- meister 12, 13, 50, 51, 54, 84, 85, 251.
von Wyss, Georg, 2. Staatsschreiber 251, 257, 260, 263, 314, 342.
Zahme Sihl 32.
Zahn, Ernst 29.
Zangger, Tierarzt 317.
Zehnder, Hans Ulrich, Dr. med., Re- giervmgsrat iio, 112, 155,162, 186, 197, 235, 255, 257, 258, 260, 262, 299, 330, 334-
Zehnrappenporto 345.
Zehnten mid Grimdzinsen 64, loi.
Zell 2IO.
Zeltweg 96, 132, 327.
Zensur 65, 66.
Zentralbahn 319.
Zentralhof 326.
Zentrumsgruppe 319.
Zeughäuser 212, 216, 221, 240, 256 (s. Illustrationen Nr. 20, 30, 40 und 43); grosses gelbes 30, 228, 300; venezianisches 31, 229; beim Bahn- hof 327, 328, 346 (s. Illustration Nr. 40); Aussersihl 325; neues s. Feldhof; iKJwenhof 31, 217.
Ziegler, Caspar, Buchdrucker 21.
Ziegler, Eduard, Oberst und Stadtpräsi- dent 130, 135 ff., 205, 212, 215, 216, 218, 219, 229ff., 236 ff., 256, 278, 279, 287, 2S8, 289, 291 ff., 314, 324, 326, 333, 340, 341 {Porträt 134/135)-
Ziegler, General 79, 136, 140.
Ziegler, Hans, Stadtrat 136.
Ziegler & Ulrich, Buchdrucker 22.
Zimmerleuten, Zimft 22, 82, 2i8, 221.
Zimmermann, Bezirksrichter 239.
Zingg, Regierungsrat, Luzern 319.
ZoUikon 233; ZolUkerberg 172.
Zschokke, Pfarrer 120.
Zuchthaus 32, 64, 326, 341.
Zimftsystem loi.
Zürcher & Ftirrer, Buchdruckerei 184.
Zürcher Flug-Blätter 259.
Zürcher Wochenchronik 344.
Zürcherisches Wochenblatt 22, 329.
Zürich-Altstetten-Zug-Luzem 273.
Zürich-Baden 269.
Zürich-Bodensee-Eisenbahngesellschaft 272, 319.
Zürich-Örlikon-Bülach 273.
Zürich-Putsch 145.
Zürich-Romanshom 338.
Zwingliplatz 19.
Zwingiis Waffen 138, 299, 300.
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