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Indische Gletscherfahrten
Reisen und Erlebnisse im Bimalaja
von
Dr. Kurt Bocck
Mit 3 Karten und 6 Situationsskizzen und mit 4 Panoramen, 50 Separat- und ca. 150 Cextbildern nach photographischen Aufnahmen des Verfassers
Stuttgart und Leipzig Deutsche Verlags-Anstalt 1900
THENEW YORK PUBLIC LIBRARY
Ale Reh,
indbejonbere dab Hedt der Weberfegung in andere Spradien, vorbehalten,
Raddrud wird gerictlid, verfolgt.
Papier und Drud der Deuticen Berlagt-Anftalt in Gtuttgart.
Meinem lieben geduldigen Srauchen
widme ich diese Reiseschilderungen
als Ersatz für ausgebliebene Briefe
Der Verfasser
Elb-Florenz, im Frühling 1900
1.Rapitel. 2. Rapitel. 3. Kapitel. 4.Rapitel. 5. Kapitel. 6. Kapitel. 7.Rapitel. 8.Rapitel. 9. Rapitel. 10. Rapitel. 11. Rapitel. 12. Kapitel. 13. Rapitel. 14. Kapitel. 15. Kapitel. 16. Rapitel. 17. Kapitel. 18. Kapitel. 19. Rapitel. 2. Rapitel. 21.Rapitel.
22. Rapitel. 3. Kapitel. 4.Rapitel. 25. Rapitel.
Inhalt.
Eeite Zum Himalaja . . . 1 Aus der „Stadt der Bleichgefichter“ in 1 daß Woltenmeer 19 Leiden in dem Luftort —W 37 Flucht nah Weften . . . Pa 72 Aufbruch ind Hochgebirge...» 2.2... . 1 Marfch-Abenteuer . . . vn. 12 Der Pindargleticher aus der Boneiigan ven. 165 Eine gräßliche Entdedung . . . . - vn. 186 Durch die Berg dfhungeln . . 2 2.2.2.2... 19 Böfe Prüfungsftunden . » 2 2 2 20m. 218 Eine Ueberrafhung . . . nn. 297 Der höchfte Weideplatz im Kumaon⸗ dinaleja nn. 40 Befteigung des Panfhaluri . . . re 1} Eine fabelhafte Erfcheinung . . nn. 276 Eisfletterei am „Bötterthron” Nanda Dei. .. 283 Gletfherfahrten und Zeltleben an der Grenze von Tibet 3083
Durch die Lawinen der Girthi-Shluht . . . . - 317 Mein Marterweg nad) Dichofi-Math . ... Eine Bergwallfahrt nach Badrinath
Marſch auf der Kammhöhe des Singalefa. . . . 376 Ueber Schnee und Eis zu den „Fünf Göastemmern des .
großen Gletfchers“ . . . . 390 Durch die Sumpffchluchten Sithims en. all Ein aufregendes Schaufpiel . . . 425 Fefteffen und Konzert bei den Lamas“ a Bemiongisi 441 Heimmeg nach Dardihiling . . - . 456
— —
Abbildungen.
Rundbild des Kumaon-Himalaja . . . . . . . (Titel-Banorama) Lage ber Berggruppen de3 Nanda Devi in Rumaon und des Ranfchen- dſchunga in Siffim . . . . . (Separatbild)
Bild des Verfaſſers.
Mein Begleiter, der tiroler ðletſcherfuhrer Hans Kerer "(Separatbilb)
Einnahme von Kohlen in Port Sad . . . . . . (Separatbild)
Ausleger-Boote im Hafen von Colombo Pau EEE Er
Sinhalefenjunge . B
Sinhalefin . B .
Muffula-Boot an der Rüfte bei Madras
Kuli, auf feinem Korb au Bambus fchlafend .
Raſtende Träger im Außen-Himalaja ..
Kurfeong, Ausweich-Station der Himalaja-Eifenbahn. (Cora)
„Slom, Sob, Bokſchühſch!“. .
„Dandi“, von vier Kulis auf Stangen getragner Stuhl
Mein Briefträger in Dardſchiling
Händlerin mit Betel, die unter einem Begefans © aus ® Beinieäcen kauert
Taſche aus Bronze für Veteiblatter
Kapſel mit gelöfchtem Kalk und einer Betelnuß. PP
Ziwiebelverfäufer auf dem Bazar in Dardfchiling . . (Separatbild)
Nepaler, der Dütchen aus Betelblättern verfauft, und eine Bhotije⸗ Dean mit dem Traglorb am Stirnband
Verkäuferin von Hirfe.. . B
Händlerin mit Gewürzen .
Repalifches Kukrimeſſer
Mihändler .
Barbiere, die den Kunden den Kopf safleren
Blinder Bettler mit führendem Knaben
Muſilant mit Guitarre
Bettlerin or.
Zunge Bhotija⸗ Mutter . B
Neugierige Gaffer vor meinem Denen .
Frau aus Nepal . . B
Vornehme Bhotij⸗ Madchen.
Schmuck der Bhotija⸗Frauen
Eeite
- RK —
Um da3 Handgelenk getragne Mufchel . 75 Hirfebiertrinfende Bhotija-Rinder . 222 Pa ’ Der Gyal-Po von ein | in der ae . (Separatbild) 78 Feueranbläfer . B B wenn 82 Tibetifche Sirdare 3 Laftträger 85 Promenade in Dardfſchiling . 87 Dorfſtraße in Guhm 97 Kartenſtizze. 627 Hütte eines Sindubauern . 108 Arms, Fußgelent- und Zehen: Ringe einer Hindufan 107 Promenade am See in Naini Tal . . . 115 Am Ufer des Naini-Sees . 116 Wald-Einfiedler 5 0. 131 Raſt meiner Träger bei ben Tempelruinen in Am-Bagedwar . en. 188 Bageswar . 141° Der Affenkönig Hanıman bringt ben Boni Meru aus bem m Sinalja
nad Salon W 143 Kali, die Todesgöttin . 143 Die Göttin Kali . 144 Schiwa und Rali 144 Wildm. . . . 145 Ballfahrende Nonne aus Nepal mit "Dann und Rind B 148 Ag... 149 Mein Schupraffi, der einem ettler in Anfen wit. 151 Hirtenfteg über den Gori. . . 155 Waldheren in Kati . . . 163 Der Furfia-Bungalo von vorm weten. 167 Eingang ins Pindarthal . ven. 168 Wafferfall am FurkiaBungalo . (Separatbild) 168 KRumaon-Hirten .. .. rn. 1 Hirtenhütte Mein-Martoli . (Separatbild) 170 Schafſchur bei Rlein-Martoli vo... 1 Ber Pindargletjcher. .. B vr... 18 Edelweiß-Biefe am Pindargletfcher . B Separatbild) 174 Nieberblid vom Schonfchal in dag Pindarthat . ve... 18 Gletſcher auf dem Zaka Parhar . » (Separatbild) 184 Mein Kulitroß beim u des GSirie wingalo ven. 1 Das Furli-Schughaus B 195 Paßhöhe bei Kati 199
Mein Obdach in Mikila Raſt zwifchen Kati und Mikila.
Mein Shilar. . .
Notbrüde über die Fälle des Kam Ganga
GSeparatbild) 202
(Separatsitb) 212
(Separatbild) 208 209
Hirten und junge Frauen in Namil. . . . (Separatbild) Raſt meiner Kuli3 auf der Paßhöhe vhertan Namit. —— Steg über die Gori-Schlucht. .
Raſt am Gori-Gletfcherbah . . . Par Notiteg längs der abgeftürzten Sangtari Beiänanı . (Separatbild)
Nilkot . . a Mein Empfang in 1 Groß-Martoli Enns (Separatbild) Der Hirtenplag Milam . . . 22.2.2202... (Separatbild) Mein Obdad in Milam . . . . (Separatbild)
Tibeter mit rumzocqhe u und mit eat beladenem Padtaf „Sepratsiib) Mein Tiroler . nen Frauen-Schmud . ee, — —— Webende Hirtenfrau in Milam a ER Ewaratid⸗ Der Szurdfe-Rund . Pau EEF EEE Der böfe Gott Schima mit feiner Gemahlin Parbati.
Nanda Devi, der „Götterthron” . Pe Mein Zeltlager beim Bergfee neben dem œHam · iecheꝛ Geparatbild Szurdſe-Kund, aus Süden . . .
Kadſchi Wadfchi, der Gebirgß-Cinfiebfer i in nfet einem Dbdach Eeparatbild) Nördlicher Seitengletſcher des Mongſchapu-Gletſchers (Separatbild) Der untre Eisfall des Monglchapn Sienchere . .. Eeoeparatbild) Zwei Kartenſlizzen
Spalte im Mongfchapu-Bletfeher . . a Der obre Eisfall des Mongfhapu-fetfchers” 2. (Separatbild) Ausſicht vom Panfchugrat nah Sübmelten . . . . (Separatbild)
Raſt im Dung-Thal an der Einmündung des Samgong-Baches . Landſchaft auf dem Marfch zum THaburha-Bietiärr B Aufftieg zum Utaburha-Gletjcherpaß . Br .
Biwak bei den Bamlas-Spigen, im Unwetter
Raſt bei den Ruinen bes Hirtenplages Oirthi
Raſt auf der Höhe von Schiruans
Die wegloſe Girthi-Cchluht.. . . . . . . . . . (Separatbilb)
Ausgang der Pa . + (Separatbild)
Malari . ..
Das Bergdorf Malari .
Malari . . . .
Bettlerfchale (&ota) aus Bronze und Kette aus Fruchtiernen zum Gebet: zählen
Krifchna bezaubert mit feinem Flötenfpiel ein ı Hirtenmäbchen . Kriſchna ergößt fich mit ben Hirtenmäbchen auf einer Sant. B Bronzefigur Kriſchnas als Butterdieb Be B Ein Lepra-Ausfägiger . L
Dfchofi-Math . .. Büßer vor der Tempelthin in n Dſchoſi⸗Vaih. >... (Separatbild)
Schreiben Iernende Hirtennaben . . . . . . . (Separatbild) zer Wallfahrtstempel Badrinath . . B PER BP ER PERF ERBE Der Nalifanta . . .... Die Türme bes Tempelß » von 1 Babrinath aratbild) — Der DOber-Brahmine (Rauhil) ER 3 Der Wallfahrtsort Badrinath . . . B " ‚Separatbild) 3 Der Ruli, den ich mit Gold zum Wechfeln aus Milam nach Almora ſchickte 3
Reisſtampferin mit einem kleinen Nafenring . . . . EsSeparatbild) 3
BHotija-Prinzeffin . . -
Neugierige Bhotija-Rinder
Bhotija-Rinder auf der Infektenjagd. Brettſpiel der Vhotija-Rinder . oo. Sie Mall-Promenade in 6 Boliften . . 5
Tibetifcher Bergihub .
Weg-Hebungen und Sentungen zwiſchen Vardſchiling und Sandut Zu 3
Dat Bungalo Sandulgu . .
Der Berfaifer auf dem Marfche zum Kanfgenbfungg (Separatbilb) Landſchaft zwiichen Sandul-Fu und Falut . . . —— Eine meiner Kulifrauen
Der Verfaſſer mit einigen Reis eſſenden auiis und Rutie
frun .... 22... (Separatbild) Felsplatten und Blöde Fa re EEE ER Meine Kulis beim Aufbruch . -» . . 2.2.2... (Separatbild) Meine Kulis im Mari . 88 Mein Zeltlager am Singaleta . . . . 2... (Separatbilb)
Mein Sirdar am Tihumbab-La . B
Tie Gruppe des Mount Evereit und die Nepal: Alpen
Tie Gruppe des Dſchannu, Kabru und Kanfchendichunga . o. Mount Everejt, der höchite Berg der Erde . . . . . (Yanorama)
Der Kanfchendfchunga und feine Nachbargipfel. . . . (Panorama) 3
Bid von der Paßhöhe oberhalb des Tiehumbab:ta . Tie Gruppe des Mount Evereft . B B Die höchiten Gipfel des Himalaja auf der Grenze zwiſchen
Sithim und Nepal. . . . . . . (Panorama) Tie jüdliche Umgebung des genſchendſchunga wen "(Separatbild) Mein Zeltlager bei Dfchongri . B Pau Mein Alpen-gelt. . . . Mein Sirdar mit erfrornen Süßen B Pau EEE PER Der Ranfchendfhunga. . » 2 2 2.2.2.2... (Separatbild) Verfchneite Blodhütte . a zer Pandim . . . 220. . (Separatbild)
Gebirgsſtock des Pandim und Narfeng . 2. (Separatbild) Brüde beim Hirtenplag Thangem EEE
— XI — Eeite Hirtenhütte Dichongri . . . . (Separatbild) 412 Pandim und Narfeng mit ie füdtichen Fortſehung Eeraratim 414 Mon Lepticha . B . 415 Meine Kulis überfhreiten. eine Feitgenmue ä Bambusbrüce B “ 419 Yal:Sın. . . . B ek Serra) 422 Ban, Meffer der Leptſchas .. 428 Gebetsmũhlen (Manis) nebſt Ania: PR ER . 429 Leptfcha-Öruppe . . . - er nne (Separatbilb) 430 Bambusgruppe FE ©: 3 Bogen der Lepticha . . 434 Einer meiner Kulis nebft Frau —— 438 Lamagrab bei Bemiongtfhi . . . oo... " (Separatbitb) 440 Hörner aus Menfchenknochen; lopper aus mei mit Haut befpannten Hirnfchalen einftiger Lamas .. 42 Kloftertempel Pemiongtfhi . . - ur (Sera) 444 Inneres des Bubdhilten-Tempels Pemiongtfäi . er B 446 Furbus, Dolche aus Bronze und Holz zum Geifter-Außtreiben .. 7 Die Ober-Lamas des Tempels Pemiongtfhi . . . . rat) 448 Gebetzfchelle (Dril:bu), Donnerkeil wu . 449 Bambus-Schoppen . . 451 Tempel-Flöte . . 452 Lama, eine fupferne Tempelpofaune blafend . B . 452 Maslentänzer in der Thür des Tempels Beniongeihi . 453 Nepalifche Tempel-Räucherlampe . B . 455 Lama bei der Anfertigung von Dämonen-Masten . . 458 Alter Lama . . . 459 Bambus:Brüde bei Ss Senn. 460 Bhotija-Mädchen . .. (Separatbild) 466 Buddhiſtiſche Vettel: ilanten ... 2468 Vollsmenge. . . Venen nenn. (Separatbild) 468 Tibetiſche Schamanen⸗Maske .. 6 469 Altarlöme; Nepal ! 470
Rarten.
Ueberſichtskarte zu Dr. Boed3 Reife im Sikhim-Himalaja. Maäflob 1: 357,00.
Ueberfichtsfarte zu Dr. Boed8 Reife im weltlichen Central-Himalaja.
Maßflab 1:370,000.
= —
Erſtes Kapitel. Zum Himalaja.
imalaja! Was für ein Glanz, was für eine ſtrahlende Fülle F von Wohlklang ſtrömt doch aus dieſem markigen Alkorde! —8 Klingt er nicht wie ein feuriger Heroldsruf, der uns hinweg- reißen möchte aus unfrem, ach, fo engen Dafein, weit, weit fort, über Land und Meer, zu Schönheit und Freiheit, zu Gefahren und Wundern?
Schon während meiner Studienzeit im göttlichen Zürich, auf lehrreichen und ftählenden Ausflügen in die Alpen war die Sehnfucht, mir einft auch die geheimnisvolleren Reize der indifchen Hochgebirgs- welt entjchleiern zu dürfen, in mein ſchönheitsdurſtiges Herz gezogen. Der Sirenengefang wuchs zur lockenden Fanare. Ob ich bereue, ihrer Herausforderung fchließlich gefolgt zu fein? Am beiten ant- worte ich da wohl mic dem Geftändnis, das William der Unfterb: liche feinem Romeo in den Mund legt: Ich wäre wenig glücklich, wenn ich fagen könnte, wie ſehr ich es bin!
Das Schweigen ift der Gott der Glücklichen. Darin liegt wirk- ih ein Grund, warum ich nicht unmittelbar bei meiner Rückkehr das, wa3 mir im Himalaja Seele und Sinne erfüllt hatte, in Buch- form herausgab, fondern mich auf mündliche, faft möchte ich fagen vertrauliche Mitteilungen vor gleichfühlenden Kreifen beſchränkte. Oder, Hand aufs Herz, lieber Lefer! würden Sie e3 fiber fich gewinnen,
glühend im Glüct endlich errungener Gegenliebe Ihren Triumph Bord. Indie Gletjherfahrten. 1
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ſofort ſchwarz auf weiß in alle Winde zu ſtreun und Reize, die Sie in ſtiller Mondnacht entzückten, jedem Spötter mit dürren Worten zu zergliedern? Und wen widerſtrebt es nicht, alle die Heinlichen Widermärtigfeiten anzugeben, alle die herben Geduldsproben und Entfagungen und vieleicht auch nicht unbeträchtlichen Gefahren auf- zuzählen, die das köſtliche Ziel auf allen Seiten umgaben?
Doch durch Ausfchweigen entftehen feine Bücher. Die Auf: forberung der Deutſchen Verlags-Anſtalt, dem Lefepublitum zu ver- taten, wie e3 auf einer jo außergewöhnlichen Bergfahrt zugeht, be wegt mich, mit dieſer Schilderung nicht zurückzuhalten.
In den adjt Jahren, die feit meiner erften Rückkehr aus dem höchſten, merkwürdigſten aller irdifchen Gebirge verraufchten, trieb es mic) noch dreimal (1893, 95 und 98) in das heiße Wunderland Indien, dem jene Eisgipfel entragen. Was mir auf meiner erſten Reife, von der in den folgenden Blättern ausſchließlich die Rede ift, unklar und übertafchend geblieben war, wurde mir durch dies wieder: holte Eindringen in Indiens wunderbares Volkstum immer ver- ftändlicher, ohne daß ich jemals über Indiens üppiger Natur die beglüctenderen Vorzüge unfrer beutfchen Heimat verkannt hätte.
Inzwiſchen ift meine Schwärmerei zu ruhigem Erinnern gereift, meine Begeifterung durch gerechtere8 Urteilen geläutert; völlig unverändert aber find die Erfcheinungsformen des Himalaja ge- blieben, die die Strahlen der indifchen Sonne in die Silberſchichten meiner photographifchen Platten gezeichnet haben. Mögen dieje un- geſchminkten Bilder meine Worte Fraftvoll ergänzen, mögen fie denen nüßen, die, wie einft mich, der Wunfch befeelt, den ewigen Schnee der imdifchen Alpen unter dem Fuße knirſchen zu hören! Deutjche Wanderluft, der Drang, meinen Gefichtsfreis durch lebhafte eigne Anſchauung ferner Länder und Menfchen zu erweitern und das Er- ſchaute oder Erlebte im zuverläffigen Spiegel der Photographie nach Haufe zu tragen, andren als Quelle ergögender Belehrung, mir zum Jungbrunnen fteter Freude, ift die Triebfeder meiner Reifen. Wer,
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gleich mir auf dieſer Himalajafahrt, jede Beobachtung ganz allein zu verzeichnen, alle Ausgaben aus eigner Taſche zu beſtreiten hat, darf ſich nicht unerfüllbare Aufgaben ſtellen. Das ſo wichtige, ja heutzutage unerläßliche Belegen der Tagebuchnotizen durch ſorgfältig aufgenommne Photographieen erfordert grade im Himalaja-Hoch- gebirge einen derartigen Aufwand von Geduld und Kraft, daß für andre Arbeiten nicht allzuviel übrig bleibt; doch zum Glück weiß die alles mit gleicher Mutterliebe beachtende Wiffenfchaft auch Honig aus Blüten zu faugen, die nicht von Gelehrfamfeit überzufließen ſcheinen. —
„Heimat de3 Schnee” würde der bei den Eingebornen nicht mehr üblihe Name Himalaja in deutſcher Zunge lauten, denn der Sansfritfundige belehrt uns, daß Hema Schnee und Alaya Wohn- ftätte bedeutet und daß wohl auch unfer Wort Himmel derfelben Wort- wurzel entjprofjen ift. Zu dem erhabnen Träger dieſes volltönenden Namens, auf den reinen Firn, der den Himmethohen Scheidewall der ungeheuren Ländermaffen Tibets und Indiens frönt, fol ich nun- mehr meine geneigten Leſer geleiten und, will es das Glück, auch wißbegierige h¶ Leſerinnen.
Wenn ich auch in dieſer Reiſebeſchreibung möglichſt wenig trockne Zahlen angeben möchte, muß ich doch bitten, nicht zu vergeſſen, daß es ſich um ein Hochgebirge von ungefähr 2700 Kilometer Länge handelt, alſo um ein Gebiet, das etwa der Strecke zwiſchen Memel und den Küſten Algiers gleichkäme.
Von den ſtolzen Höhen der Hauptzüge dieſes eigentlichen Hima- laja, auf denen felbft die Glutfonne Indiens den Schnee niemals wegfengt, und zwiſchen denen zerflüftete Gletfcherftröme thalab ziehen, zweigen ſich nach Süden zu niedrigere, mit üppiger Vegetation be- deckte Rücken ab, die fchließlich zu einem fumpfigen Urmaldgürtel abfallen, dem Terai, dad eine Grenze zwiſchen dem Gebirge und dem indijchen Flachlande bildet. Nach Norden aber geht das Hoch- gebirge ohne waldbeſtandne Zwifchenberge in das mehr oder weniger
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öde, durchfchnittlich 14750 englifche Fuß (4550 Meter) über dem Meere liegende Hochland von Tibet über.
Mit Scharfblid wählten die jetzigen Beherrſcher Indiens die Ichönftgelegnen Dörfer in den ſüdlichen Himalaja-Vorbergen zu tühlen Zufluchtsſtätten während des indifchen Sommers ; ihre ftärkende Höhenluft wurde zum Balfam für die Leiden der durch das Tropen- klima erjchöpften Europäer, und in den legten Jahrzehnten erblühte ein ftattlicher Kranz derartiger Hügelftationen an dem fühlichen Himalaja-Abhang. Mit überrafchender Schnelligkeit wuchſen dieje „hill stations“ zu üppigen, eleganten Villenorten, und bald gehörte es zum guten Ton für die englifch:indifche Zebewelt, den Sommer hier oben, angeficht® der fernen Schneegebirgäfetten, der „snowy range“, zu verbringen. Wie fi aber in Indien alles in den ſtärkſten Gegenfägen bewegt, jo auch hier: bis zu diefen Sommer: feifchen führen bereit8 entweder, wie zu dem weltbefannten Dardfchiling, die Eifenbahn oder, wie nah Simla, Naini Tal, Miffuri, Dalhaufie und fo weiter, gut gepflegte Fahrftraßen, auf denen e8 eine Luft ift, dahin zu rafſeln, und fein Vergnügungsreifender verabjäumt, eine derartige bequeme Fahrt, zum mindeften nach Dardfchiling, als „Slanz« punkt“ feines Fluges durch Indien zu unternehmen. Von der Um— gebung diefer hill stations an gilt jedoch die fernere Gebirgswelt als mit Brettern vernagelt, und ein Vordringen darin bis hinauf zu den fehimmernden Schneehöhen wird als ein hoffnungslofes Unterfangen verfpottet. j
In den europäifchen Alpen kann freilich jedes Flitterwochen: pärchen, da3 heute feinen Sekt im Rigi-Kulmhotel ſchlürft, darauf rechnen, ſich ſchon am nächſten Tage, als Vorſchmack künftiger Che freuden, mit Bällen aus reinem Alpenfchnee bombardieren zu können oder in Eisgrotten herummalzen zu dürfen, die von der Fremden— induftrie tief in das Mark der Gletjcher gefägt wurden. Wer aber im Himalaja von derartigen Hügelausfihtspunften aus zu dem von ferne herleuchtenden Alpenfchnee hinaufiteigen will, muß fich nicht auf Tage
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MADRAS|
Pondischerry
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und Wochen, ſondern auf Monate mühevolliter Wanderung gefaßt machen ; vom Neufchnee, der zur Winterszeit bis zu diefen hill stations hinunterfchneit, fpreche ich natürlich nicht, fondern von den Bergen, die oberhalb der Grenze des ewigen Schnee liegen. Diefe fteigt
im Himalaja bekanntlich weit höher als bei allen andern Gebirgen; an feinen füdlichen Abhän- gen liegt fie bei 15 bis 18000 Fuß (4500 bis 5400 Meter), an den nördlichen gar bei 20 bis 21000 Fuß (6000 bis 6300 Meter) über dem Meere. Weld) ein Unter: ſchied gegen die Polar- länder, in denen dieſe Schneegrenze bis in die Meeresoberflädhe finkt!
Meine Reife verlief fchlieglih, um es kurz voraufzufhiden, in fol- gender Weife: Ueber Zeylon fuhr ich Anfang 1890 nad) Kalkutta und
Bild des Verfassers nad) einer im Frühjahr 1900 von I. Aurich in Blaſewitz aufgenominnen Photographie.
der Hügeljtation Dardſchiling. Alle Verſuche, von hier aus in das Alpenland Sikhim einzudringen, ftießen zunächſt wegen des faum beendigten Sikhim-Krieges der Engländer „gegen Tibet auf unüber- windliche Schwierigkeiten; ebenfo wurde mir die Erlaubnis zum Be— treten de3 für Europäer ftreng verſchloſſnen Himalaja-Stönigreiches Nepal verweigert, und erft gelegentlich meiner foeben beendeten vierten Indienreiſe gelang es mir, auch diefen zentralen Nepal-Gimalaja zu
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beſuchen. Ich brach deshalb das endloſe Warten in Dardſchiling ab und zog es vor, nach dem weit weſtlicher liegenden Almora, der letzten engliſchen Garniſon in Kumaon, zu reiſen. Von dort aus durchwanderte ich im Sommer 1800 die hart an der tibetiſchen Grenze liegenden merfwilrdigen Alpenländer Kumaon und das angrenzende Garhwal, wobei ich Höhen bis zu 20000 Fuß er- ftieg. Durch kaum befannte Schluchten und auf hohen Gletjcher- päffen gelangte ich hier an die verſchiednen Seiten des Hauptitods dieſes Gebirgsteiles, der im Nanda Devi 25000 Fuß (7826 Meter) hoch gipfelt, fomie in das Gangesquellgebiet; auf tibetifchem Gebiet weiter zu reifen, war wegen des erwähnten Krieges zwifchen England und Tibet um den Befis von Sikhim unmöglih. Im Herbft 1890 fehrte ich nach Dardichiling zurüd; diesmal ſetzte ich die Bereifung der Sithim-Alpen durch, in denen ich glücklich bis auf die Gletſcher des Kanſchendſchunga vordrang. Noch weiter nach Norden zu gehen, war wegen der Winterfchneeftürme ganz unausführbar. Ueber Dardſchiling und Bombay fehrte ich wohlbehalten nach Europa zurüd.
Ich habe alfo das Himalajagebirge an zwei weit auseinander- liegenden Stellen von durchaus verfchiednen Eigenfchaften durch- wandert. Während in Sikhim, im Oſten, Eingeborne von mongo= liſchen Raffeneigentümlichkeiten und bubbhiftifchen oder, genauer ger jagt, Tamaiftifchen Religionsanfhauungen leben, find die Bewohner des weſtlichen Zentralhimalaja in Kumaon arijchen Stammes und Vertreter de3 brahminifchen Hindutums, umd grade durch diefe gewaltigen Gegenfäge wurden dieſe beiden Alpenreifen fo Iehrreich und feffelnd, wie feine andren je fein können.
Doc; wenden wir uns nun zu den Begebenheiten meiner Reife, für die es von Vorteil wurde, daß ich den befannten Gletjcherführer Hans Kerer aus Kals am Großglockner als feheluftigen, getreuen Begleiter in die indischen Alpen mitnahm, nachdem er ſich ſchon auf einer Reife, die ich mit meinem Jugendfreunde Dr. Windelmann aus Straßburg im Jahre 1887 durch den Kaukaſus machte, in jehr
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gefahrvollen Lagen als zuverläſſiger Berater bewährt hatte. War bei dieſem beſtändigen Zuſammenleben mit beſagtem Hans, das ei Verheiratetjein nahefam, ein erfrifchendes Gewitter manchmal ur meidlich, fo hatten glüclichermeife die Naivitäten des Landbewohr deren Durchbruch diefe Donnermetter entfefjelten, auch ihre erheite Seite; fol einem Naturkinde haftet doch fo manches von heimifchen Scholle an, was wir fehlimmen Kulturmenfcen : immer gleich mit vollem Exnfte zu würdigen vermögen.
Zum Glück war der Tiroler diesmal fein völliger Neuling ı in der großen Welt; er mußte fogar fehon ganz nett „mit Dan umzugehen“, wie Reuter fagen würde, und die Anfängerftreiche ji Lehrjahre auf der Kaufafusreife, von der ich ſprach, waren lö vergeben und vergefjen. Freilich waren dieſe nicht grade alltä, geweſen. Bei der eriten Gafthaustafel zum Beiſpiel, an der fpeiften, nahm mein guter Hans dem Kellner ganz gemütlich die ri Gemüfefchüffel aus der Hand, ftellte fie vor fich nieder und fu mit zufriednem Gottvertraun darin umher, unbefümmert um langen Gefichter der übrigen Tijhgäfte; mir blieb wirklich jähem Schrecken ein Bilfen Brot, an dem ich eben ke— im Halfe ſtecken, und faum vermochte ich ihm eine Belehr wegen feines Verſtoßes zuzuraunen. Zum Glüd fand ſich bald für ihn Gelegenheit, fein Verſehen mieder gut zu mac denn al3 der Pudding kam, legte er fich beſcheiden nur einige & dieſer feiner Zeibfpeife auf den Teller, leckte dann den Löffel grün ab und ſteckte ihn fein fäuberlich in den Pudding zurück. Wie fogt, derartige naturwüchfige Eulenfpiegeleien gehörten einer ü wundnen Entwicklungszeit an, haben aber jedenfalls eine fehr w thuende Wirkung auf mein Zwerchfell geäußert.
Dankbar dafür, jchalte ich hier ein Bild des Tirolers ein, er auf einem in feinem Heimatdorf wohl nicht grade üblichen F tier fein Fortkommen findet, und ebenjo habe ich dem braven Ma auf dem Umfchlage diefes Werf3 ein Denkmal zu ſetzen verfu
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ich werde auch nicht verſäumen, urige Ausdrücke meines treuen Kameraden gelegentlich zu überliefern. —
Die einundzwanzig Eildampfertage dauernde Fahrt vom Mittel- meer durch den Suezfanal über den Indifchen Ozean bis nach Zeylon brauche ich wohl nicht erft zu jchildern. Man wird e3 glauben, daß uns beiden Thatendurftigen das „Leben wie ein Graf" — fo nannte Hans refpeftvoll unſre Unthätigleit an Bord bei reichlicher Leibes- pflege — nicht fonderlich zufagte. Zum Glüd fand jeder von uns irgend etwas auf dem Schiff, was fein Denken und Trachten von unfrem fernen, hohen Ziel zeitweilig abzulenfen vermochte. So ftaunte Hans zum Beifpiel beim Einnehmen der Kohlen in Port Said und Aden über die Schwindelfreiheit, die die Rohlenträger an den Tag legten, wenn fie wie ſchwarze Teufel auf ſchmalen Bretter fteigen ihre Laften ins Schiff fchleppten, noch weit mehr aber beim Anblick der Taucherkunftftüce der Somali-Bübchen im Hafen von Aden, die den Paffagieren vorreden, daß fie wohl Silberftüce, nicht aber Kupfer im Waffen zu fehen vermöchten; eifrigft entleeren natür- lich die über die Schiffswand guckenden Paſſagiere ihre Geldbörfen nach diefer Vorfehrift und behalten ihr Kupfer für fih. ‚OD, ihr klugen, Üugen Weißen!‘ mögen die fchlauen ſchwarzen Kerichen mit den fteohblond gebeizten Kraushaaren denken, wenn fie den Silber regen einheimfen, der ihnen von allen Seiten in den Schoß des Meere geworfen wird.
Ein englifcher Miſſionar war jedenfalls der Iehrreichite Mit- teifende, denn er befreite mid) gründlichft von dem Vorurteile, daß englifche Miſſionare ſtets wahre Mufter felbftlofer Genügjamteit feien. Erſt durch meinen Aufenthalt in Indien wurde ich gewahr, daß die dortigen englifchen Miffionare durchaus nicht immer mit den ſich kümmerlich durchichlagenden Sendboten der Miſſionsgeſellſchaften andrer Nationen, die unter Entbehrungen und Gefahren ihrer ein- famen Pionieraufgabe obliegen, gleichzuftellen find; als wohlbezahlte Gentlemen leben fie mit Frau und Kind, Ponymwagen und Velociped
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nicht zu vergeſſen, in behaglichen Bungalos herrlich und in Freuden, an Orten, die bereits hinlänglich engliſche Bewohner haben, um einen Kricketplatz einrichten zu können. Sie leſen ihre Predigten, über— wachen den Unterricht und ſpielen im übrigen den fröhlichen mattre de plaisir auf dem Lawn Tennis-Platz und im Ballfaal.
Nie habe ich einen, um einen milden Ausdrud zu gebrauchen, eßfähigeren Menſchen gefehn als diefen mitreifenden Mann Gottes! Er war einer von denen, die im ftande find, ohne Gnade und Er— barmen allen Spargeln auf der Schüffel die Köpfe abzufäbeln und fie fi) mir nicht? dir nichts zu Gemüte zu führen, jo daß meine Ernährung in der Nachbarfchaft dieſes Talentes bald ernftlich zu leiden begann. Als er mir ;aber eines Morgens die geleerte Marmeladenbüchfe reichte, nachdem er ihren Inhalt als einen füßen Schimboraffo auf feinen Teller geftürzt hatte, konnte ich, wenig erbaut von dieſer Heldenthat, doch nicht umhin, ihm zu fragen, ob ihm zufällig während feiner letzten Seetrankheit die chriftliche Nächitenliebe über Bord gefallen jei. Mit ftrengem Stirnrunzeln antwortete er durch die Gegenfrage:
„Sie jcheinen nicht an Gott zu glauben, dear Sir?"
„Wenigftens glaube ich nicht,“ erwiderte ich, „daß Gott e3 gerne fieht, wenn meine Erbbeermarmelade in die unrechte Kehle kommt.“
Ein arger Spaßmacher konnte e3 fich fchließlich nicht ver- fagen, dem mohlbeleibten Seeljorger ein Meines Totengerippe aus weißladiertem Draht auf den Rücken feines ſchwarzen Gehrodes zu beften, in dem er ftet3 fo ungemein gravitätifch einherfchritt. Ueber: Haupt fchien der gefährliche Tiſchnachbar eine auffallende Anlage zum Pechvogel zu haben: wenn jemandem der Deckſtuhl beim Draufſetzen einknickte oder ein Tauende von den in der Taklung arbeitenden Matroſen auf den Rüden oder beim Deckwaſchen ein verirrter Wafferftrahl ins Geficht gelenkt wurde, fo war es zufällig fiets Seine Ehrwürden. Wohl möglih, daß ihm derlei befondre Auf- merfjamfeiten feine Gewohnheit eintrug, nach Tifch einzelne Paſſagiere,
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mit Vorliebe ein paar fchöne junge Mädchen, in ein höchft falbungs- volles Gefpräch zu ziehen, während er fich mit Seelenruhe in feinem Deckſtuhl wiegte. Mild und mürdevoll ftreichelte er dabei den hübfchen Lämmern Händchen und Wangen und Arme —, al er aber eines Tages das eine Badfifchlein ganz gemütlich auch auf feinem Knie ſchaukeln wollte, ereilte ihn das Strafgericht in Form einer Standrede von feiten der Mutter, deren Beredfamkeit überall ein beifälliges Echo fand.
Ich erwähne diefe Bekanntſchaft grade auch deshalb, weil der hochwürdige Herr zu einer Gattung von Amateurphotographen ge: hörte, die fo find, wie fie eigentlich nicht fein follen. Mir wurde der Vorzug, in fein ganz befondres Vertrauen gezogen zu werden. Mit Pathos zeigte er mir feinen funfelnagelneuen Momentapparat, deſſen Einrichtung er mir erflärte: „Hier an diefem Knopf ziehe ich, um die Aufnahme zu machen, mit jener Schraube dort ändre ich die Geſchwindigkeit des Verfchluffes, mit diefer hier die Schärfe der Einftellung, jenen Hebel lege ich nieder, um die Platten zu wechieln, und auf biefe Feder drücke ich in der Duntelfammer, um bie Platten aus diefem Behälter hier zu nehmen“ — dabei tippte der Unglücks- mann im Eifer der Rede auf diefe Feder, das Magazin jprang auf, und ein Dutzend milchmweißer Lichtempfindlicher Glasplatten purzelte ihm wie ein Spiel Kartenblätter in die Hand. Der blendende Sonnenfchein funfelte wie ſchadenfroh auf diefen Täfelchen, al3 der fromme Mann, in einen recht unfrommen Zorn geratend, dem nichts⸗ nutzigen Fabrikanten alle Schuld an diefem Mißgeſchick beimaß. Er ſchien aber auch wirklich grundjäßlich gegen alle Regeln der edlen Lichtbildnerei verfahren zu wollen. Raum zeigte ſich irgend ein Pünft- hen am Horizonte, fo ftolperte er eilend3 herbei, um diefes Pünktchen, das vielleicht ein Schiff war, in feinen Zauberfaften zu bannen, ohne zu bedenken, daß ein fo ferner Gegenftand auf dem Bilde kaum ficht- bar werden könne. Bot fi) aber eine geeignetere Gelegenheit, dann hatte er gewiß nicht rechtzeitig den Momentverjchluß gejpannt oder
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eine ſchon benutzte Platte nochmals mit einer Aufnahme belichtet oder bereits ſein ganzes Pulver verſchoſſen; alle Augenblicke ſah man ihn in einer andren Ecke ſtehn und krampfhaft an ſeinem Kaſten ſchũtteln ober mit verdrehten Augen an dem Hebel herumzerren, wenn ihm die Wechjelvorrichtung nicht gehorchte. Allmählich wichen Pafjagiere und Matrofen feinem „Bitte, recht freundlich!" aus, denn nachdem es ihm geglüctt war, aus einem jchelmiichen, blonden
Ausleger-Boote Im Hafen von Colombo.
Mäbchenköpfchen mit allerliebiten Grübchen in den Wangen eine ftier blidende Negerhere zu machen und einer graziöfen Dame wahre Un: geheuer von Plattfüßen zuzulegen, war die Beliebtheit diefes Mit- bürger3 auf einen Gipfel geftiegen, der um feine gefunden Glieder bejorgt machen konnte. — .
Nach der langen Seefahrt war der Aufenthalt auf Zeylon eine wahre Erquidung. Doch weder eine ausführliche Schilderung der Neize diefes Eilands noch der Vefteigung feiner Bergfpigen, des Pedro Talegalla und des Adam-Peaf, foll mich lange aufhalten, den
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Leſer in unfer eigentliches Wandergebiet zu geleiten. Bon den Aus- legerbooten der finhaleftichen Fifcher, die den Dampfer bei der An- kunft im Hafen umſchwärmen, bis zu den mehr oder weniger echten Perlen, den Körbchen aus Stachelfchweinsborften und Ebenholz, fo wie den ausgehöhlten gedörrten Elefantenfüßen, mit denen uns die Händler bei der Abreife bis auf das Schiffsded verfolgten, war mir ja alles fo neu, jo feſſelnd, daß ich ganz glücklich war, diefen weiten Ummeg über Zeylon gemacht zu haben, zu dem ich mir auf der Heimreife, ſalls das Glück mir eine ſolche vergönnte, vorausſichtlich feine Beit gelafjen haben würde. Ein drolliges Bufammentreffen an den Geſtaden Zeylons darf ich aber doch mohl nicht unerwähnt laſſen Ich ſah mit Hans den Künften eines Schlangengauffers zu; ziſchend wiegten die efefhaften Vipern ihre aufgeblajnen Hälfe, auf denen die warnende Brille gezeichnet ift. Plötzlich mifchte fich ein keck blickendes Bürſchchen in unfre Unter
haltung.
„Ick ooch deitſch ſprechen!“ ſagte ex ftolz.
„Wiefo ?" fragte ich er- ftaunt,
„Oho, id Berlin jeweſen!“ erwiderte jener und patjchte fi dabei auf den ſchokolade— farbigen Magen.
Die klaſſiſche Sprache der Spree-Athener Klang jo echt von feinen Lippen, daß ich mich gar nicht gerundert hätte,
Singalefenjunge. wenn er meinen verrunderten
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Mienen fofort ein „Wat jachfte nanu?” oder gar ein „Kieken Se mir man nic) jleich an wie die Kuh s neue Thor!” entgegengeftellt hätte. Das erlöfende Wort „Hagenbed" Härte das Wunder; der Junge hatte zu ber Sinhalefen-Raramane gehört, die damals gleich wilden Tieren durch Europa gefchleppt wurde, hatte aber die Berliner Luft nicht ver- tragen, fondern war frank in die Heimat zurüdtbefördert worden. Enaju Dabla nannte ſich der Knirps, der mir geſtand, auf feiner Reife durch Europa zu ber Ueberzeugung ge: kommen zu fein, daß „weiße Mann ſchlechte Mann, ſchwarze Mann gute Mann“ jei. Er mußte anfcheinend gar nicht, wie grob er war, als er mir diefe Entdeckung anvertraute, oder dachte er gar wie Goethe Baccalaureus im Fauft: „Im Deutfchen lügt man, wenn man höflich ift"? Sein Deutfch genügte jedoch, um mir auszuplaudern, in welchen Plantagen die hübfcheften Mädchen zu arbeiten pflegten.
€3 wäre nicht recht von mir, wenn ich jo Nebenjächliches be— richtete, ohne zu erwähnen, wie fehr meinem wackren Begleiter Hans ftet3 mein Wohl am Herzen lag; daß jeine Erziehungsverfuche mir gelegentlich einen blauen Fleck eintrugen,. ändert an feiner guten Ab- ficht durchaus nichts. Mir ift es, als fchmerze mich noch heute die Stelle, an der er mich im Höchften Schreden knuffte, als er. ge- wahr wurde, wie id) mir an der Hoteltafel zum erjienmal das orangefarbne, weiche Fleifch einer faftftrogenden Mangofrucht als Nachtiſch einverleiben wollte.
Einpaleiin.
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„Um Gottes willen, friß doch das Zeig nicht; da ſitzt doch die Peſcht drin, man ſchmeckt's ja!“ rief er eifrig, indem er den durch: dringenden Terpentingeruch der grünen Fruchtfchale durch das tiro- leriſche „Schmedfen“ bezeichnete.
In der That mwiderftand ich der Berfuchung und fing bald an, den üppigen Fruchtreichtum Indiens und Beylons, all die ver- Iodenden Ananas und Mangos und Pommolos, ebenfo wie das weichliche, wenn auch angeblich filtrierte und geeifte Waſſer zu meiden und den Durft auf diefer ganzen Reife nur mit gefochtem Waffer, will jagen Thee, zu befämpfen. In andern Punkten mar mein Hans aber doch etwas leichtfinnig, denn in den Hotels fand ich ihn gewöhnlich neben feiner prächtigen, von mallenden Muffelinvorhängen oben und an den Seiten gegen die Moskitos ge- ſchützten Bettſtelle platt auf die Steinfließen hingeftredt den Schlaf des Gerechten fchlummern. „Da drinnen ifht die Luft jo viel ängftlich!" entfehuldigte er fich, unbefümmert um die zahllofen Beulen, von denen Geficht und andre Körperteile durch Infektenftiche bedeckt waren; wenn die Moskitos die wahren Ueberträger der Malariafieberkeime in Indien find, fo fiel ihre emfige Thätigfeit bei Hans jedenfalls nirgends auf dankbaren Boden.
Bei der Erwähnung der freundfchaftlichen Rippenftöße zu meinem Beſten darf ich auch einen beſonders herzhaften nicht vergefien, den mir mein getreuer Begleiter verabreichte, als ich mit ihm einen Eifenbahnwagen erſter Klaſſe zur Fahrt nach Kandy befteigen wollte. Zufällig beabfichtigte ein Häuptling der Berg-Sinhalefen, der in dem vollen nationalen Prunfanzug feiner mächtigen Vorfahren einen Be ſuch in Colombo abgeftattet hatte, in demfelben Wagenabteil Platz zu nehmen. Ihn und feine nicht minder koftbar und feltfam ge ſchmückten ſchwarzhaarigen Damen in buntjeidnen Kleidern ge— wahrend, riß mich Hans in höchfter Beſorgnis zurück, deutete auf die Wagenaufjchrift „First Class“ und flüfterte mir ängjtlich ins Ohr:
„Sell iſch ja der Wagen des Firfchten do; du ſirt's ja!" und
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nur mit Mühe konnte ich ihm Mar machen, daß auch wir voll- gültige „fürftliche" Fahrkarten befäßen.
Diefe Fahrt nach Kandy trug mir übrigens ein Anrecht auf die Seligkeit ein, denn ich fand in ben dortigen Wäldern den von Beftien zerriffnen Leichnam eines Affen, und nad) ſinhaleſiſchem Sprichwort darf ja derjenige der Seligfeit gewiß fein, der in feinem
Mufula-Boot an der Rüfte bel Madras.
Leben eine weiße Krähe, das Nejtchen eines Reisvogels, oder einen toten Affen erblict hat.
Doch nun fein Wort mehr über das überſchwänglich geprieine und von Neberfättigten ebenfo arg verfegerte Zeylon! —
Unter franzöſiſcher Flagge dampften wir über Pondifcherri, die wichtigfte franzöfifche Kolonie an den Küften Vorderindiens, nad) Madras und Ralkutta. In Madras verblieben und nur zwölf Stunden Aufenthalt, und ich muß geftehn, daß das Aus- und Ein- laden der Paffagiere das Unterhaltendite an dieſem Aufenthalt war. Mir wäre wohl jet noch nicht ganz klar, wie wir vom Ded des
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Dampfers auf die Muffulaboote gefommen find, falls man ein paar jufammengebundne Mangoftämme ein Boot nennen kann, und aus den Booten auf das feite Land, wenn nicht eine franzöfiiche Gouvernante duch ihr Mägliches Gefchrei, das fie bei diefem Trans- port anftimmte, meine Aufmerkſamkeit auf die Einzelheiten diejes „Ueberpadens" hingelenkt hätte. Sch habe von feiner großen dramatifchen Künftlerin, weder von Fräulein Poppe noch von der Dufe, je einen fo erfehütternden Weheruf auf den mweltbebeutenden Brettern gehört wie von diefer Jungfrau, als fie von den fchmwarz- häutigen Gondolieren im Adamskoſtüm inmitten der Brandung ohne viel Federlefens von den Floßftämmen heruntergeriffen und auf dem geölten Rüden eines folchen Burfchen ans Land getragen wurbe. Sie glich zu guter Lebt ganz einem Lämmlein, das zur Schlachtbank ge- ſchleppt wurde; ab und zu ſtreckte fie dabei ihre zappelnden Füß- hen gen Himmel, wohl um die Götter zu Zeugen ihres Elends zu maden.
Zum Ausflug nad) den großartigen,. aber ſchwer zu erreichenden Merkwürdigkeiten der Umgegend von Madras, die mich bei jpätren Beſuchen in höchſtes Staunen verfeßten, fehlte damals bie Zeit, und ich wußte wirklich nicht, ob das Cholerahofpital oder das Lepra- Afyl oder eine Gerichtsfigung in dem prachtvollen High Court die genußreichfte Verwendung für unfre karg zugemefinen Rajtitunden abgeben würde; jchließlich überwog aber Hanfens Verlangen, einmal einen lebendigen Tiger zu fehen, dem er bis dahin nur auf Bilder» bogen begegnet war. Einen ſchäbigeren Vertreter diefer Katzenart mochte e3 allerdings in Indien faum geben al3 den, der im zoologifchen Garten von Madras fein räudiges Dafein vergähnte,
„Den fchlage ich ja mit meinem Alpſtock derfammen!" rief Hana der fcheußlichen Rate verächtlich ins Geficht, die die Augen zufniff und wehmütig an bie ſchönen Tage zu denken ſchien, als fie noch jehnig und jugendfrifch der Antilope an die Gurgel zu fpringen vermochte. Der Wächter des Tiger3 bemühte fich eiligft, ein Heines Trinkgeld zu ver
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dienen, indem er den Tiger in Ermanglung eines Regenſchirms mit höchſteignen Fingern zu necken und zu kitzeln verſuchte; die ruppige Kreatur fand es jedoch unter ihrer Würde, auf dieſe Handgreiflichkeit zu antworten, worauf diefer mufterhafte Wärter jein Glück bei einem Nashorn verjuchte, das unweit in einer Pfütze fchnaufte. Der Dic- häuter fchien nicht fo dickfellig wie der greife Rönigstiger zu fein, ſondern quetjchte den Auffeher fo energifch an die Barriere, daß dem Frevler ein paar Rippen zerfnadten und er ſchleunigſt zum Arzt ge ſchleppt werden mußte. Nach diefem aufregenden Schaufpiel ver- mochte ſelbſt der Glanzpunft dieſes dürftigiten aller zoologiſchen Gärten, nämlich ein Hahn mit drei Beinen, keinen jonderlichen Ein- druc mehr auf mic) zu machen. —
Die fünf Tage, die der Dampfer von Madras bis Kalkutta brauchte, famen mir wie eine Emigfeit vor; e3 kann auch fein nieber- drücenderes Gefühl geben, al3 wochenlang wie in einem Dampfbade zu ſchmoren, während man beabfichtigt, ſich auf Firnfchnee und auf Gletfchereis zu tummeln.
Die franzöfiichen Paffagiere und Schiffsbeamten liefen es fich keineswegs merfen, daß wir ihnen als deutjchredende Fahrgäfte un- willtommen feien. Nur der Schiffszimmermann, eine Figur wie der weltbekannte Bonjour Meifter Haaſes, wies einen Verſuch kollegialer Annäherung von feiten des Tirolers in feiner Werkſtatt ingrimmig zurück, indem er prophezeite:
„Das nächte Mal werden unjre Söhne beffer ſchießen!“ Damit hatte aber auch fein Chauvinismus ausgetobt, der freilich bei dem Tiroler an die unrechte Adreſſe gekommen war.
Ein Rätfel ſchienen wir den Leuten aber doch allmählich zu werben. Bejonders die fnorrige Enaksgeftalt des Tiroler3 in Lodenjoppe und Filzhütchen ſtach jo gegen die übrigen Gentlemen in jchneeweißen, zarten Tropenanzügen und Sonnenhelmen ab, daß de3 Kopfſchüttelns gar fein Ende war; auch daß ich that, als fei mir die Zunge ab- geſchnitten, während ſonſt überall eine ungemein flotte Unterhaltung
Boed, Indilge Gletiherfahrten. 2
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geführt wurde, veranlaßt durch die Mitfahrt einer Operettengejell- haft, ſchien angeſichts fo viel pifanter Weiblichkeit den Franzmännern ein blaue3 Wunder.
Als endlich das langſame Vorwärtsloten durch die Untiefen und Riffe der Huglimündung vorüber war und die Anferfetten in das gelbe, ſchlammige Hugliwaſſer raffelten, atmete ich glücklich auf; denn in furzem follte ja nun die Reife in die Berge beginnen! Doch der Menſch denkt, und Gott lenkt — befonders im fernen Often.
Zweites Kapitel. Ans der „Stadt der Bleihgefichter” in das Wolkeumeer
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Dr Zollbeamte fam an Bord. Er fragte:
© „Haben Sie Steuerpflichtiges?"
2 „Ich glaube kaum; ich habe feinen Tabak, keine Spiri- tuoſen,“ entgegnete ich.
„Darauf kommt es gar nicht an. Haben Sie Waffen bei fi?”
Schnell flüfterte mir ein Schiffsbeamter zu:
„Sagen Sie nein, dann ift die Gefchichte vorüber!"
Ich gab jedoch der Wahrheit die Ehre und erllärte, daß ich einen bereit3 gebrauchten Revolver zu eignem Gebrauch mit mir brädhte.
„Heraus damit!" hieß es.
„Aber bejter Herr, ich weiß wirklich nicht, in welchem Gepäds itüct das Ding grade ſteckt. Ich zahle ja gern, was Sie ver: langen, nur erlaffen Sie mir bei diefer entjeglihen Hitze das Suden!"
Der Zöllner, ein junger, pockennarbiger englifcher Rüpel, be- ftand grob auf feinem Verlangen. Nun mag eine Zollrevifion im gemütlichen Sachſen vielleicht ein ungeheure Vergnügen bereiten, in Kallutta ſicherlich nicht.
Ich Hatte mich für einen Beſuch auf dem bdeutjchen Konjulat bereit3 feierlichft in einen ſchwarzen Bratenrock geworfen, das „Angſtkleid in der Unluftfarbe”, wie es der „Seelenriecher" nennt,
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oder das „firfchtliche Gewandel”, wie es mein Tiroler bewundrungs- voll taufte. Das mar freilich nicht ganz das geeignete Arbeits: foftüm, um in überhister Wafchküchenluft alle Kiften und Koffer zu öffnen, deren ſinnreiche Vexier- und Sicherheitsfchlöffer mein eignes "Handanlegen erforderten. Ich ſah bald aus, als hätte ich erfolg- reich zu der Allmacht gebetet: „O ſchmölze doch dies allzu fefte Hemd!" denn alles, was Plättwäfche hieß, zerfloß in wenigen Minuten zu windelmeichen Lappen, die ich außringen fonnte. Doch die Hauptfreude ftand mir noch bevor!
Man kann fid) ja denken, mit welchem Behagen diejenigen an Bord, deren Neugier durch unſre problematifche Exiſtenz aufs höchſte gereizt war, jetzt diefem Auspacken unfrer Habfeligkeiten beimohnten. Selbft Damen, die, von ihren ſchmachtenden Gatten abgeholt, es gewiß eilig hatten, da3 Schiff zu verlaffen, blieben wie angezaubert ftehen, als unfre Wunderdinge zum Vorfchein kamen, Matrofen ftiegen in die Stridfleitern, Schiffoffiziere auf die Kommandobrüde, und der Schiffszimmermann ftand mit der Art über der Schulter in Pofitur, wie bereit zum Dreinfchlagen, falls etwas Gefährliches vorfiele.
Während ich in dem zufammengeroliten Zeltbündel herummühlte, börte ich allerlei Meinungen austaufchen. Ein nichtsnutziger Schiffs- kellner verficherte allen Umftehenden aufgebracht, daß mwir weiter gar nicht3 feien als ruffiiche Spione; er habe ganz genau gehört, daß Hans mit mir nicht deutſch fpräche, wie ich fäljchlich behauptete, jondern eine ihm ganz unbefannte Sprache, die doch nur Ruſſiſch fein könne. Pielleicht hatte er Hanſens Stoßfeufzer gehört, mit dem diefer mich einmal beneidete, als ich auf dem Schiff gelegentlich bald feanzöfifche, bald englifche Worte wechfelte: „Du bafcht’3 gut, du kannſt ruſſiſch reden mit den Leit!“
Wir wurden vecht unliebfam ſcharf aufs Korn genommen. ch habe ja ſchon manches fchlaue Geficht gefehen, aber die Mienen, mit denen unfre Pelz: und Wollfachen, unfre dicken Kappen und Fauft-
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handſchuhe gemuftert wurden, während das Quedjilber in Kalkutta über 50°C. hinaufichlich, waren mir doch neu. Jetzt brachte Hans gar das Gletſcherſeil und die mwuchtigen Bergſtöcke zum Vorfchein. Mäuscenitille; das Erftaunen war auf der Höhe.
„Seiltänzer!“ fchrie plößlich ein vom Geift Exleuchteter, und: „Seiltänzer!" brüllte, lachte und Frächzte der infame Chorus hinterdrein. Ich blicte Hans mit Dulderaugen an, denn man hatte uns fchon einmal im Kaufafus, wo wir eigne Sättel mit uns herumfchleppen mußten, für Kunfteeiter gehalten, dann jchritt ich auf den Weifen aus dem Morgenlande los und fagte höflich:
„Mein Herr, wenn ich ein Seiltänzer bin, dann ift dieſer dort“ — dabei deutete ich auf den Tiroler — „mein ‚starker Mann‘, und Sie darf ich wohl als unfren Clown engagieren ?“
Damit hatte ich die Lacher auf meine Seite gebracht. Zum Glück fand fich der Revolver bald in einem benagelten Bergſchuh, fonft hätte unfer Küchengefhirr mich vielleicht noch zum Garkoch und Hans zum Zahlkellner geftempelt. Die Gaffer zerjtreuten fich, als ich die Unglückswaffe ausgeliefert hatte. „Mögeft du ihn nie gebrauchen,” hatte mir der Spender des Revolvers einft gewünſcht — o hätte fein Wunſch Erfüllung gefunden!
„In einigen Tagen können Sie die Waffe gegen Erlegung der Gebühren auf dem Zollamt abholen,“ war mein Beſcheid.
Ich fah aus, als ob ich hätte Kielholen müfjen, und es war unmöglih, in diefem triefenden Zuftande auf dem Konfulat zu erfcheinen, um dort noch meine Briefe zu erheben und den Nach: mittagszug nach Dardſchiling zu erreichen, wie ich beabfichtigt hatte.
Alſo zum Umfleiden in ein Hotel! Ich bat einen in crömefarbige Seide gefleideten Engländer, der dem Verladen meines Gepäds in eine Droſchke zuſchaute, dem Kutfcher die Adreſſe eines Gafthofs anzugeben; im Hinblif auf Hans fügte ich hinzu, ich ginge am Tiebften in ein deutſches Haus, denn man hatte mir erzählt, daß es in Ralfutta ein von einem beutfchen Gaſtwirt geleitetes Hotel gäbe.
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„Deutfches Haus, German house?” fragte der Gentleman mit einem auffallend ſtechenden Blick. „Mit all Ihrem Gepäd, fo naß, wie man Sie wohl eben aus dem Waffer gefifcht hat?"
„Natürlich, grade deshalb, nur ſchnell!“ antwortete ich barſch und mußte nicht recht, ob eine Cholera-Anwandlung oder ein Gallen: fieber über mich fäme,
„Well, Sir!“ Hierauf nannte der Englifhman den Hindu- futfcher eine Adrefje, der braune Kerl grinfte ſataniſch, der Janhagel freifchte, Hans Hletterte in die Gepäckdroſchke, ich in einen zmeiten Klapperkaften, und vorwärt3 ging die Fahrt.
An ausgedehnten Gartenanlagen mit heil leuchtenden, Iuftigen Villen, an großartigen, eleganten Hotels fuhren wir fpornftreich® vorüber, über viefige Plätze, breite, prächtige Straßen. Ich ſah, daß die Bezeichnung Kalfuttas als city of palaces, als Stadt der Paläfte, ihre volle Berechtigung hatte, aber von dem Zutreffen des Wortſpiels, es ſei eine city of pale faces, das heißt eine Stadt, in der man nur ungefund bleiche Europäergefichter erblide, fonnte ich mich weniger überzeugen, denn die Straßen und Plätze waren fajt menfchenleer; auch waren in der Mittagshige alle Fenjter- läden gegen den beißend hellen Sonnenfchein luftdicht verſchloſſen. Vergebens hoffte ih, daß der Kutfcher endlich vor einem dieſer Paläjte halten würde.
Nach und nach wurden die Gafjen unfaubrer, vorftädtifcher. Es befremdete mich, daß unfre Kutfcher fich alle Augenblide um- drehten, um uns dreift und frech zuzunicen und zu grinfen. Endlich hielten die Klepper vor einem durchaus nicht fonderlich einladend ausfehenden, blaßblau getünchten Haufe mit gefchlofinen Fenſter— läden.
Ich ftieg aus, konnte jedoch vor dem blendenden Wiederjchein des Sonnenglanzes die Augen Taum öffnen; das Straßenpflajter ſchien zu glühen. Seine Seele ließ fich blicken. Die Kutfcher fehrieen: „O Kuli! Au! Au!“, fagten auf alle Fragen mechaniſch: „Yes,
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Sir!“, hatten aber ebenſowenig Ahnung vom Engliſchen wie ich von ihrem Bengali.
Ich flüchtete aus der Ueherfülle von Licht in das Haus. In dem halbdunklen Billardzimmer ftieß ich mit dem Kopf gegen eine Panka, wie man die viefigen Holzrahmen nennt, die mit Zeug be— fpannt find und von außen an Stricken hin und her gezogen werden; die Panka ſchwingt über dem Haupte des Europäer in Indien, wo immer er ſich auch befindet: über dem Schreibtifch wie über der Mittagstafel, in der Kirche wie über dem Bette pendelt ſolch ein Niefenfächer über dem fehwigenden Weißen.
Hinter dem Schenktifch ſchnarchte ein riefiger Kerl, ein afrika— nifcher Neger. Schlaftrunfen grunzte er: „Master gone out!“, als ich nach dem Wirt fragte. Erſt meine Erkundigung, ob ich bier logieren könne, fchien Leben und Erftaunen in den Kerl zu bringen; er trat an die noch halb geöffnete Thür, und ic) glaubte nicht anders, als daß der wüſte Menſch plöglich wahnwitzig würde. Er hatte den Tiroler erblickt, der, wie ein Titan auf den Trümmern einer Welt, auf unfrem Haufen von Gepädftücen thronte, die ein paar jchlotternde braune Geftalten vor die Thüre gelegt hatten; zitternd ftanden die armen, nadten Kerle da umd ftredten ihre magren Hände nad dem Trägerlohn aus. Der Schwarze quiekte, ftöhnte, grunzte und jauchzte in allen Tonarten und ſchien eine ganze Menge neuer Gattungen des Lachens zu erfinden, die vielleicht auf dem Saturn Mode find; fo mag der Teufel jubeln, wenn die Seele eines Ertrabratens in feine Hölle geflogen kommt!
Ich zahlte die Kutſcher und Kulis aus, nachdem fie das Ge- päck in den Billardraum getragen hatten; auch fie machten fich mit niederträchtigem Grinfen auf die Soden oder richtiger auf die Ferſen, Die jedoch bei den Hindus ebenfo wie die Handflächen feine braune ſondern weiße Fleifchfarbe zeigen.
Mein Hans kam nun gelaffen hineingeftiefelt. Die Hände in den Joppentaſchen, mujterte er, ohne eine Miene zu verziehn, die
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Deldrudbilder an den Wänden des Zimmers; diefe jtellten Frauen- zimmer dar, die, wohl der herrfchenden Temperatur entiprechend, etwas dürftig beffeidet waren.
Eine widerliche, ſchwüle Luft Herrfchte in dem Raum und den angrenzenden, mit zufammengemürfelten Möbeln ausgeitatteten Zimmern, durch die mich der Hausknecht aus Nubierland auf einen Hofraum führte. Er deutete auf bie fteile Treppe, bie auf einen ringsum laufenden Balkon führte; auf diefen mündete ein Dutzend Zimmerthüren. Dann verſchwand der Kerl, immerfort grinſend.
Ich ſtieg hinauf und öffnete eine der Thüren. Noch geblendet von dem Sonnenlicht im Hofe, konnte ich in dem dunklen Gemach, durch deſſen geſchloſſne Jalouſien nur ſpärliche Sonnenftrahlen fielen, nicht das mindeſte erkennen. Ich zündete ein Streichholz an und hörte in demſelben Augenblick ein Geräuſch von der Bettſtelle her. Das Moskitonetz wurde haſtig in die Höhe gerafft, und zwijchen den Mufjelinvorhängen gudte ein Weiberfopf mit un- georbneten Haaren heraus, neugierig, bleih, aber gar nicht fonderlich entrüftet.
Ich ftotterte erfchrodten ein „Beg your pardon!* und rannte ichleunigft aus dem Zimmer und die Treppe hinunter. Alsbald erichien das Frauenzimmer auf der Galerie und erhob ein Zeter- geſchrei, das ähnliche Geftalten aus den andern Thüren Iodte; alle ſchnatterten gleichzeitig in ſämtlichen europäifchen Sprachen auf mich ein, lachend und lärmend. Zum Glück war ich nicht wie weiland Joſeph in einen Mantel gehüllt, fonft wäre dieſer unfehlbar bei meiner Flucht in den Händen der Horde geblieben.
Hans ſchien ingrimmig etwas zu knurren, als ich, von diefen leicht gefehürzten Furien gejagt, in das Billardzimmer ftürzte und die Thüre verfperrte. Ich wußte wahrhaftig nicht, ob ich lachen oder wüten jollte; ein Hein wenig würdiger hatte ich mir unjern Einzug in das Wunderland Indien denn doch vorgeftellt!
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Es war gut für meinen Seelenzuſtand, daß ich nur ein Miß- verftändnis annahm und gar nicht ahnte, daß eine gewiſſe Sorte niedrig gejinnter Engländer in Indien ihre Sympathie für alles Deutfche durch die perfide Bezeichnung der liederlichen Dirnen als „german girls“, „deutfche Mädchen“, ausdrücken, obgleich fie vecht mohl wiſſen, daß dieſe bedauernswerte lebendige Ware zumeift aus Irland und noch häufiger über Konftantinopel aus Ungarn und den Balkanländern nad; Indien verfchachert wird. Hoffentlich ift dem wirklich gebildeten Engländer eine derartige nationale Gehäffigkeit fremd, und mit aufrichtiger Dankbarkeit gedenfe ich der vielen Freund- lichkeiten, die mir Gentlemen wie Colonel Durand, der Sekretär des indifchen Vizekönigs, der in Indien höchſt populäre Mr. Nivett- Carnac und viele andre erwiefen haben.
Hanfens vernehmliches Knurren fonnte recht wohl eine Mahnung de3 Mittag3appetit3 an feine Rechte bedeuten. Aber hier ejjen? Ein Schauer überlief mic) bei diefem Gedanken. Zum Glüd lag
Ruli, auf feinem Korb aus Vambus fhlafend. 2*
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einer von den Kulis noch wie eine matte Fliege in der Nähe des Hauſes an einem Gartenzaun. Mein pantomimiſches Talent reichte hin, ihm klar zu machen, daß ich dieſes Lokal ſchleunigſt zu verlaſſen und ein paar Wagen zu haben wünſchte; in kurzem wurde unſer ſonderbares Gepäck wieder auf und in die Holzkaſten gepackt, denen man durch die Bezeichnung „Wagen“ zu viel Ehre erweiſen würde.
Ich kleidete mich im Billardzimmer um, denn ich wollte mich doch wenigſtens endlich wieder menſchlich fühlen. Dann rief ich dem Kutſcher „German Consulate!“ zu.
„Yes, Sir!“ lallte der Roſſelenker. Erleichtert ſank ich in bie Wagenecke.
Wieder fuhr der Wagen Straße auf, Straße ab, der andre mit dem Tiroler immer hinterdrein; vor einem prachtvollen, blaßgelb getünchten Haufe hielt das elende Fuhrwerk. Siegesgewiß ſprang ich heraus und las an verſchiednen Stellen: „Newman & Comp., Bookstore.“ Von einem Konfulat war nichts zu erbliden!
Ich klagte einem der englifchen Gehilfen in der Buchhandlung mein Leid. Er fam mit mir vor die Thür, und ich fonnte nur annehmen, daß er ſich alle Mühe gab, dem Kutfcher in bengalifcher Sprache genauen Beſcheid zu erteilen.
Wie rafend fuhren num die Wagen davon, doc fchienen wir ung von der Stadt zu entfernen. Häufer famen nur noch in großen Abftänden zum Vorjchein. Schließlich rollten die Drojchken in einen prachtvollen Park. „Welche herrliche, ganz angemefine Lage hat doc) unfer deutfches Konſulat!“ fagte ich ftolz zu mir felbft. „a, . aber wo iſt e8 nur?“ fragte ich mich, alS der Wagen hielt. Wir befanden und am Ufer eines Heinen Weiher; leiſe zitterte auf jener Fläche das Spiegelbild eines hölzernen Gebäudes im burmefifchen Pagodenftil, das auf dem jenfeitigen Ufer ftand; Palmen faßten das prächtige Landfchaftsbild ein. So jehr ich auch Freund aller Naturfchönheiten bin, durchlief meine Gefichtöfarbe bei diefem Anblick wahrfcheinlich alle Abjtufungen vom kreidigſten Weiß bis zum tiefiten
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Ponceaurot, Gelb und Grün gewiß nicht ausgenommen. Mit ficht- lichem Intereſſe fehienen der Kutjcher und fein Genoſſe diefe Wand: Tung in meinen Gefichtszügen zu ftudieren; gleichzeitig ftecte Hans da3 bufchige Haupt zu feinem Wagenfenjter heraus und fragte fehr ernjt, ob hier num endlich gegefien werden ſolle. Nun fing auch ich an zu lachen, o, eine gräßliche Lache! Heute morgen als Geil- tänzer, jest als zweibeiniges Chamäleon angegloßt zu werben, ftatt die von langer Seefahrt erfchlafften Glieder in kühler Gebirgsluft zu regen — das war ja auch zu nett!
Entſetzt fuhren die beiden Hindus bei meinem fürchterlichen Lachen in die Höhe und erbleichten, ſoweit ihre Schofoladenfarbe dies zuließ. Zum Glüd fam ein engliicher Sergeant mit weißem Helm, weißen Hofen und krebsroter Jacke anfpaziert, ohne Seitengewehr, nur eine Reitgerte in der Hand. Ich bat ihn, den Kutſchern klar zu machen, daß ich jchleunigft in das befte Hotel von Kalkutta wolle, da ich es aufgäbe, noch länger nad) dem Konfulate zu ſuchen. Er warf den zitternden armen Teufeln ein paar indifche Schmeichelmorte an den Kopf, zog ihnen dann ein paar pfeifende Jagdhiebe über die dünnen Zädcyen, daß fie laut aufquieften, hatte aber doch den Erfolg, daß ich in einer halben Stunde unter dem Moslitonetz eines faubren Bettes in einem Zimmer des Great Eajtern Hotel liegen und die Ereignifje dieſes Tages überdenken konnte.
Bor allen Dingen beſchloß ich, nicht fo thöricht zu fein, die Gelbſucht oder gar die Tollwut zu befommen, fondern lieber meinen Verdruß an ein paar Biskuits auszulafien, während ſich Hans in die Schüffeln vertiefte, die uns auf das Zimmer gebracht wurden. Einige andre hatte er bereit8 mit Verachtung beijeite gejchoben, denn fie enthielten Fifche, Hummern und ähnliche Schaltiere, die er kaum anjehn mochte; naiv fragte er mich, wer wohl jo tapfer geweſen jei, Die erfte Aufter, den erften Krebs zu verzehren. Außerdem hatte ihm der Kellner Südfrüchte gebracht, die er für ungefund hielt, und ein Huhn, das er al3 eine ganz wertloje Tiergattung mißachtete.
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„Do is keine Kraft dabei!“ belehrte er mich ſtets, ſo oft ich ſpäter einem Huhn das Lebenslicht ausblaſen laſſen wollte, wenn ſich ſonſt grade nichts Genießbares vorfand; volle Gegenliebe und Hochachtung ſchenkte er dagegen dev Mehlſpeiſe, von der ihm der weißbeturbante Kellner leider viel zu wenig für ſeinen, wie er ſagte, unartigen · “ Appetit aufs Zimmer gebracht hatte.
Am nächften Morgen weckte mic, das Gekrächz der Geier, das durch die offnen Fenfter hereinſchallte. Ich rieb mir die Augen und erſchrak ein wenig, einen Hindu mit einem bligenden Mefjer in der Hand dicht neben meinem Bette herumhantieren zu jehen; das Mostito- neß ließ die Züge des Mannes nicht deutlich erkennen, doc, bemerkte ich feine lauernden Blicke und ſah, daß er fein Mefjer eifrig auf dem linken Handballen wetzte. Ich erinnerte mich, daß an der Thür fein Schloß geweſen war, und daß ich es verfäumt hatte, irgend ein Gerät gegen diefelbe zu Iehnen — jo war der Barbier, denn als folcher entpuppte ſich der Mefjerfchwinger, lautlos herein gefommen, um mir feine Künfte anzubieten. Dies lautlofe Herum— fchleichen der Indier, auch der Dienerfchaft, auf nackten Füßen dürfte wohl nur reifende Kneippianer fongenial berühren, ein Sterblicher gewöhnlichen Schlages fieht es nicht allgugern, wenn fol ein brünetter Menfch unerwartet wie Banquos Geift ftet3 grade da auftaucht, wo man ihn am allerwenigften erwartet oder wünſcht.
Nachdem der braune Burfche Hanſen und mir die Mähne geftußt hatte, wofür er zuerjt fünf Aupien, etwa acht Mark verlangte, fich dann aber mit dem fünften Teil davon begnügte, obgleich ihm ein Eingeborner höchftens den vierzigften bezahlt haben würde, entwarf ic) den Tagesplan. Vor allen Dingen wollte ich auf das Konfulat, dann zu der Firma Schröder, Smidt & Co., an die ich empfohlen war, dann in das Geological Survey, wo id) mir von einem dort angeftellten deutfchen Gelehrten beträchtliche Unterftügung mit Nat und That verſprach, und fchließlich wollte ich fehn, ob ich im indifchen Generalftab zuverläffigere Karten de3 Hocgebirges erhalten könnte,
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als fie mir zu Gebote ſtanden. Dann — endlich — ſollte die Ab- reife nad) der Gebirgsftation Dardfchiling mit dem täglich nad) mittags dorthin abfahrenden Zuge erfolgen.
Auf dem Konfulat war noch niemand zu fprechen. Der Bureau: diener oder Schuprajjie drückte mir vertrauensvoll ein Bündel Briefe in die Hand, die an Heren Geheimen Regierungsrat Profefjor Dr. Baftian adrejjiert waren; zum Glück bemerkte ich diefen Irrtum de3 Beamten fofort. Dann hinterlegte ich auf dem Konfulat eine Geldfumme, um dem Tiroler die Heimkehr zu fihern, falls er von mir getrennt werden oder mir etwas Menfchliches zuftoßen follte.
Im Geologijchen Inftitut wurde ich von dem Herrn Profeſſor, auf dejjen Beihilfe ic) fo fehr gerechnet hatte, nicht grade mit allzu freundlichen Mienen empfangen. Vielleicht mwitterte er allerlei Kon- kurrenzabfichten, die mir vollftändig fernlagen; jedenfalls that er fein möglichfte3, um mir mein Vorhaben in ein recht wenig verlockendes Licht zu ftellen. Nun ift es ja wahr, daß die Gefahren und Schwierigkeiten im Himalajagebirge unberechenbar und gar nicht
/ aufzuzählen find und keinesfalls unterſchätzt werden dürfen, aber Gott,
4 verläßt doch keinen Deutſchen! Ich gebe übrigens gern zu, daß der⸗ artige Heimſuchungen durch Reiſende einem Gelehrten, der in Kalkutta gewiß keine beneidenswerte Arbeitsſtätte hat, nicht jonder- lich willkommen ſein mögen!
Jedeuſalls vergeſſe kein in Indien Reiſender, daß unſre Lands- leute es dort nicht immer gern ſehn, öffentlich an ihre Herkunft erinnert zu werden!
Major Gore im General Survey zeigte ſich dagegen als ein entzückend liebenswürdiger, jovialer Herr, der ohne jede hochmütige oder argwöhniſche Voreingenommenheit meine Abſichten an der Hand des ihm erreichbaren Kartenmaterials eingehend mit mir durchſprach. Ich fühlte lebhaft, wie gern er ſeinem heißen Kalkutta entflohen wäre, um die männlichen Freuden dieſer Wanderung mit mir zu teilen; id) würde in Sikhim fo Großartiges fehen, meinte er, daß ich
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meine Reiſe keinesfalls bereuen würde. Das klang doch recht ermunternd, und frohen Mutes fuhr ich mit Hans zum Bahnhof, das Studium der Kalkuttaer Sehenswürdigkeiten auf ſpätre Gelegen- heit verſchiebend. —
Im Bahnhofsgebäude hatte ſich Hans von meiner Seite entfernt, und als die Abfahrtszeit nahte, ohne daß er ſich wieder einfand, ergriff mich lebhafte Beſorgnis. Der Zug dampfte mit meinem gefamten Gepäd pünktlich davon, und ich wußte nicht, an welchem Ende der mächtigen Halle ich nun meine Nachforfchungen beginnen follte. Plötzlich ſtürzte ein Herr, ein englifcher Bahnhofsbeamter, mit zorngerötetem Geficht auf mich los:
„Gehört diefer Mann zu Ihnen?" fragte er ziemlich barjch und wies dabei auf den Tiroler, der gemächlich herbeifam; einige niedre indiſche Bahnangeftellte folgten ihm lachend und geftifu- lierend. Froh, daß ich meinen Adjutanten wieder ſah, der hilflos gewefen wäre, wenn er je meine Spuren verloren hätte, erfundigte ich mich nach dem Vorgefallnen.
„Iſt diefer Mann verdreht?"
„Durchaus nicht!"
„Do, er iſt's!“ fchrie der Engländer.
„Aber warum denn?"
„Wiffen Sie, was er gemacht hat? Er hatte fich in den Damenmartefaal erfter Klafje und das daneben befindliche Bade: zimmer eingefchlichen und fich dort fo häuslich wie möglich eingerichtet, als Miß N. dort eintrat. Die Lady liegt noch immer. in Ohnmacht. Wozu find denn die Aufichriften ‚For ladies only! angebracht? Diefer Frevel Eoftet dem Mann dort Hundert Rupien Buße! Was für eine Art von Menſch ift das überhaupt?“
„Verehrter Herr, beruhigen Sie fich doch, das ift ein redlicher Tiroler, der aber der englijchen Sprache nicht mächtig. ift.”
„Ein Tirofer?" rief höhniſch der aufgeregte Beamte, „haha, ein Ruſſe ift er! Es fteht ja Heute ſchon in der Zeitung, daß
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geitern ein paar ruffifhe Spione eingetroffen find, um die Gebirge unfrer Nordgrenze zu bereiſen.“
„Das it ja eine nette Beſcherung,“ dachte ich bei mir und ver- ſuchte nicht ohne Erfolg, dem Beamten das Lächerliche dieſes Ver— dachtes zu beweiſen. Ein paar Zeilen von der Hand des Major Gore, die ich ihm vor Augen halten konnte, jchlugen feine legten Zweifel nieder. Beinahe hätte ich die Sache aber doch durch den übel angebrachten Scherz: ich hoffte, die Dame würde durch den Anblick des Tirolerd feine nachhaltigen Folgen zu erleiden haben, wieder vollftändig verfahren. Der Beamte ſah plöglich im Geifte allerlei Beſchwerden, Unterfuhungen und Verfügungen auftauchen, fo daß es ihm leid zu thun fchien, mir bereits verraten zu haben, daß in einer Viertelftunde ein Eilzug abginge, durch den wir den Dardichifingzug einzuholen im ftande wären. Glücklich erreichte ich aber doch diefen Anſchluß und zugleich unfer Gepäd. —
Allen Ernftes durfte ich nun hoffen, in den nächiten Tagen auf dem Marfch in die Berge zu fein. Aber wie wenig mußte ich noch, was e8 heißt, in das Himalajahochgebirge eindringen zu wollen!
Eine erquicffiche Unterbrechung der einförmigen Fahrt durch die indifche Ebene bis an den Fuß des Gebirges bildete die Weber- ichreitung de3 breiten Ganges bei Damugdea. Vier englifche Meilen weit liegen dort die beiberjeitigen Stationen auseinander; ein Dampfer vollzieht das Hinüberbringen der Paffagiere und Ladung um die Zeit des Sonnenaufgangs. O wie föftlich mundete mir der Thee auf dem Verde diefes Schiffes, das mich meinem Ziele jo munter entgegentrug!
Von Kalkutta ab hatten wir die mächtigen Wagen der Eajtern Bengal Railway benußt, gegen die nun die Wagen der jchmalfpurigen North Bengal-Eifenbahn auf der andern Gangesfeite klein erfchienen. Aber als in Siliguri um neun Uhr morgens die fiebzehnftündige Eil- zugfahrt durch die Ebne ihr Ende erreicht hatte und das Umfteigen in den Zug der hier beginnenden Himalaja-Eifenbahn nötig war, hätte
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ich beinah laut aufgelacht. Ich hätte es wirklich nicht für möglich gehalten, daß es außer als Kinderfpielzeug fo winzige Lokomotiven und Wägelchen auf der Welt gäbe! Zwei Fuß nur beträgt bie Spurweite dieſer drolligen Bergbahn, die uns binnen 7 Stunden 7000 Fuß in die Höhe fchaffen ſollte.
Zuerft führt die Bahn, die nur eingeleifig ift, durch wüſt ver- wachſnen Wald. Doch fo herrlich diejes phantaſtiſche Schaufpiel auch wirkt, jo üppig dieſes Wirrfal von Schlinggewächſen und Orchideen auch grünt und blüht, verjchleiert e8 doch todhauchenden Boden, die fumpfigen Vrutftätten des Malariafiebers! Diefer modrige Vegetationsgürtel des Himalaja, das Terai, faugt alle die übelduftenden Säfte ein, die aus den Unmaſſen verfaulender pflanz⸗ licher und tierifcher Leichen in den Urmäldern diefer Vorberge zu Thal ſickern. Spute dih Zug, rafchle hurtig hindurch durch diefe Bone, ſchnell hinauf in reinere Luft!
Sieben Meilen etwa geht die Fahrt faft eben durch dieſe Wälder, deren Bäume man vor verfchlungnen Schmarogergefpinjten nicht fieht; der betäubte Blick giebt e8 auf, dem Durcheinander bes Reigens zu folgen, den hier eine toll gewordne Pflanzenwelt gaufelt.
- Dann fteigt die Bahnlinie.
Je höher wir fommen, um fo mehr lichtet ſich das bisher für das Auge undurhdringlihe Chaos von Blättern, Zweigen und Ranken; die grünen Mauern löfen fich auf in einzelne Bäume, deren Rinde von Kriechpflanzen umfponnen und mit Orchideen geſchmückt ift, während fich zierliche Guirlanden von einem Zweige zum andren fchlängeln. Elefanten und fonftige wilde Bewohner des Dickichts find natürlich in diefem von der Eifenbahn berührten Zeile des Terai nicht mehr zu erbliden,
Die allmächtige Natur fpielt ihre Trümpfe hier keineswegs auf einmal aus. Die Palmen der Ebene find zwar verſchwunden, aber ihre Formen finden wir troßdem wieder. Die Farnen, diefer zarte Schmud unfrer Wälder, gewinnen auf dem fruchtbaren indifchen
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Boden die Größe und Geftalt ſchlankſtämmiger Bäume und entzüden unfer Auge durch ihre zierlich gefiederten Kronen. Mit dem Klarer⸗ werden des Iandfchaftlichen Eindruds wird aud die bisherige drüdende und ſchlecht riechende Luft kräftiger, reiner. Wir nähern una der Grenze der fubteopifchen Pflanzenwelt, Bäume der Heimat begrüßen uns wieder; Eiche, Ahorn, Kaftanie zeigen ſich um fo häufiger, je höher die Bahn fteigt.
Unfer Zug hat inzmwifchen die unglaublichften Kunſtſtücke fertig gebracht. Ohne Zahnräder hat er Steigungen von 1 zu 19 in immer gleich bleibender Eile bewältigt, wobei die Bahnlinie nicht nur Kurven und enggezogne Schleifen, fondern fogar eine richtige Spirale, das Double Loop, bejchreibt, deren obrer Halbmefjer nicht mehr als 60 Fuß (circa 18 m) beträgt! Dann war der Bug fed und gewandt mie eine Eidechje an fteilen Felſen hingerannt, den Abgrund jo dicht zur Seite, daß ſchwachnervigen Fahrgäften himmel- angit werden mußte, fo oft die Dampfpfeife ertönte, um die Inſaſſen der offnen Wägelchen zum Feithalten an ihren Sitzen zu ermahnen, wenn eine beſonders ſcharfe Biegung bevorjtand, ganz ähnlich wie in Amerika die Kondufteure an folhen Eden ihr „hold fast“ in die Wagen der Straßenbahn rufen. An der „Agony Point“, zu deutjch Todesfampfede, fährt der Zug fo dicht an einem ſchier unergründ- lichen Abgrunde hin, daß dort ſchon manchem fröhlichen Welt- reifenden das Lachen vergangen fein mag! An andern Stellen wird der fteile Berghang nicht durch gefrümmte Umgehung, fondern durch ſpitzwinklige Zickzacks bewältigt, wobei der Reifende bald vorwärts, bald rückwärts fährt, indem der Gipfel der erreichten Steigung durch eine horizontale Strecke mit der Baſis des nächiten Anftiegs ver: bunden ift; dieſe Zickzackſtaffeln werden natürlich nicht duch Um: wenden, ſondern durch ein Hin und Herfchieben de3 Zuges und entiprechendes Weichenwechſeln erklettert.
Gegen Mittag läuft der Zug in die Station Kurſeong ein,
wo er dem von Dardſchiling herunterkommenden ausweicht. Auf voea, Indifde Gletſcherfahrien. 3
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der neben dev Eiſenbahn hinziehenden Landſtraße bemerkt mar häufig Scharen von Lajtträgern, Paharis, die zu noch niedrigeren Frachtſätzen als die Bahn Stücgüter befördern.
Viel wichtiger als der Mittagsimbiß ſchien aber an diefer Halteftelle den mei- ften dur) das in⸗ difhe Klima gegen die Kälte empfindlich gewordnen Mitrei- fenden das Wechfeln ihrer Kleidungsftüce zu fein. Diever- mummt und mit Winterüberziehern angethan, Tiefen die Paſſagiere hände- reibend auf und ab; fie waren nicht fehr zahlreich, denn nur ausländifhe Ber: gnügungsreijende fahren vor der eigent- lichen, erſt mit dem Sommer beginnen» den „Saifon" nad Dardſchiling. Dann freilich, in der Hochſaiſon, während in Kal- futta maßlofe Regengüffe mit ftechender Hitze wechſeln, vermögen die winzigen Züge die Zahl der Reifenden kaum zu bewältigen. Für Hans und mic waren aber die fühlen Windftöße, die uns von Norden her ins Geficht bliefen, ein köſtliches Labſal, wußten
Kaftende Träger im Auen-Gimalaja.
"Bing? 2qnaadu} avhaaq 229 gıfpaa ↄquoutuoinvaoqg 2 N "ugequastg-efepeuug ap uoueis · cpoasni
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offt auf der Höhe des Latparipaſſes den ber befand.
jeit, mich ftaunend an dieſer Ausſicht zu nblict zeigte fich diefer marferfrifchende wieder eine ungefüge Bergnaſe, um bie ‚ dem Bahnendpunkt Dardſchiling, hinab- Ihr in den Bahnhof einrollte, entzogen majeftätifche Panorama meinen Blicken. n wir und um volle 580 Kilometer von
in —
Drittes Kapitel. Leiden in dem Luftert Dardidiling.
B“ in Guhm und den vorhergehenden Stationen hatten die Ka Bewohner der elenden Hütten und bettelnde Kinder durch
ihre ſchlitzäugig ausfehenden, unfaubren, flachgedrüctten Ge- fihter verraten, daß fie hier nicht mehr den Hindus ähnlich, ſondern vorwiegend mongolifcher Abjtammung feien. Farne, Mooje, Orchideen, bunte Käfer und Schmetterlinge wurden uns von den Heinen, neben dem Zuge hintrabenden Schmußfinten mit aufdringlichem Anruf in die offnen Wägelchen gereicht. .
„Kaufen Sie den Burfchen um Gottes willen eine Kleinig- keit ab, fonft rächen fich diefe Naturaliften bitter, indem fie Ihnen eine übelriechende Wanze in die Kleidung ſtecken!“ riet mir ein gegenüberfigender erfahrner Arzt, der bereit3 eine ungemein fichre Hand bezeigt hatte, indem er mir während der holprigen Fahrt einen der mafjenhaften jcharfen Kohlenfplitter, mit denen unfre 2ofomotive die Inſaſſen der offnen Liliputanerwagen überfchüttete, mit einem Streichholz aus dem Auge gegabelt hatte.
„Slom, Sob, Bokſchühſch!“ lallten diefe ſchmierigen Kinder in allen Tonarten, den Gruß „Salam, Sahib!" mit dem Bettlerver- langen nad) einem „Bakſchiſch“ vereinigend. Es war ſchwer, diefe Ketten abzuſchütteln und zur ruhigen Befinnung zu kommen, als ich aus meinem Miniaturwägelchen ftieg und nun, endlich, in Dardſchiling ftand, dem eigentlichen Anfangspunkt meiner Reife.
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Eine wirklich drollige Beförderungsart fiel mir auf dieſem Bahn- hof in die Augen, denn während mein Gepäd zujammengehäuft wurde, bemerkte ich, wie unſre Lokomotive einen ganz Heinen, vier- rädrigen Wagen davonfchleppte; ein Herr und ein Mafchinijt hatten darin auf den zwei jchmalen Bänken Pla genommen. Man belehrte
„Slom, Eob, Botihühih!*
mid), daß dieje „trolly“ fo bis nad) Guhm gefchafft würde, um dann von diefem höchften Punkt der Bahn aus jetzt, wo die ganze Strede frei war, ohne jede Majchine und ohne Aufenthalt die 81 Kilometer fange Strede bis nad) Siliguri Hinunterzurajen, und daß ſolch eine koſtſpielige Rutjchpartie von eiligen Reifenden mit Bor- liebe angewendet würde: natürlich erfordert fie einen. völlig fchrwindel- freien Kopf, da die Bahn ohne Geländer auf ſchmalen Balfenbrüden
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über tiefe Schluchten und an grauenhaften Abgründen entlang führt. Noch niemals habe ich fo ſehr das Gefühl gehabt, in einer Flug: majchine zu figen, wie in diefen Wägelchen der Himalajabahn. In wieviel Jahren werden mohl die englifchen Damen in lenkbaren Luftſchiffen aus Kalkutta über diefe Bergrücken hinwegſegeln, um auf den Eisfeeen des Himalaja Schlittſchuh-Quadrillen zu tanzen? —
Mir wirbelte doch der Kopf nad) den mannigfaltigen, aufregen- den Eindrücken diefer Fahrt. Ich hieß meine Kulis das Gepäd in das dicht bei dem Bahnhofe liegende Hotel Woodland fchleppen, fonnte allerdings vor Kichern diefem Wunfche kaum Ausdrud geben, denn was für ein Gefindel Hatte fich inzwiſchen meiner Kiften und Kaſten bemächtigt! Gab e3 wirklich folche runzlige, verfchrumpfte, triefängige Weiber, folche großföpfige, ſchmutznaſige Kinder mit ſchauderhaft verfilzten Haaren und frech vorfpringenden Baden: knochen wie die, die dort meine Habe auf Kopf und Rüden einher ichleppten ?
„Nanu, wo wollen Sie denn hin?" fragte mich in deutfcher Sprache ein aus pfiffigen Aeuglein guefender Herr, der am Bahn hofausgang die neuen Ankömmlinge mufterte. Wohlmeinend riet er mir von jedem Verſuch ab, in das Woodland Hotel zu gehn, dort jet es ühgrfüllt und unfinnig teuer; aus Gefälligfeit wolle er mir jedoch eine preiswerte Privatmohnung vermitteln, da wir ja doch wohl Landsleute feien. Als er berausbefommen hatte, daß Hans aus Tirol und ich aus Schlefien ſtamme, fiel er plöglich in einen Miloſchdialekt und verficherte:
„Bin ich auch Stickhen Efterreih, Hob’ ich Blut ungorifches in Odern meiniges."
Als ich ihm bemerkte, daß Schlefien doch nicht durchweg öfter: reichiſches Gebiet fei, vertraute er mir fehnell, daß er von Geburt eigentlich Berliner fei, und gab ſich Mühe, diefe Behauptung ſogleich durch einen fleißigen Gebrauch von „ick“ und „det“ und „fiel emal“, „Lojen”, „Fleeſch“ und „Beene“ zu erhärten. Nun habe ic) durchaus
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nichts gegen den ſchlagfertigen Witz eines Berliner Droſchkenkutſchers einzuwenden, wenn ich in Berlin bin, aber bei der Ankunft an einem der wundervollſten Punkte nicht nur Indiens ſondern der ganzen Welt, als Willkomm das ſchnoddrige Gewäſch eines Mannes anhören zu müſſen, vor dem mich eine innre Stimme fofort eindringlich warnte, ver: droß mich doch ein wenig. Ich fagte mir aber, daß diefer Mann mir als Ortskundiger nüglich werden könne, da er ſich als Händler in Naturalien und „Curiosities“ vorftellte, und verbat mir nur feine Scerze in Bezug auf Hans, der fich ftillfchweigend das Gewitzel über feine Erſcheinung gefallen ließ.
„So wat kraucht ja bei mir uf'm Boden nic) rum!" rief der Naturalienhändler aus und ließ fich deutlich anmerken, daß ihn mein Neifeplan aus irgend einem Grunde jehr lebhaft beunruhige.
Ich hatte das Gefühl, durch meine Vertrauenzfeligfeit eine große Dummheit begangen zu haben, glaubte aber doch, mein Mißtrauen, für das ich ja noch gar feinen triftigen Grund hatte, unterbrüden zu follen, beſonders jemandem gegenüber, der alle Augenblide jo nachdrücklich den Landsmann betonte.
Unfer ungerufner Helfer Iotfte uns und die zwölf Kulis eine halbe Stunde lang wegauf, wegab. Wagen oder Drojchten jtanden nicht am Bahnhof, wären auch auf den fteilen Straßen des Ortes gar nicht zu benugen geweſen. Wer nicht zu Fuß ging, der ritt
oder ließ fi im Dandi,einemTrag: ftuhl, von drei rüftigen Dienern auf den Schultern tragen. Anftattaber die munderbaren neuen Eindrüde, die fih auf allen
„Dandi*, von vier autis auf Etangen geiragner Stubl. Seiten boten, ges
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mũtsruhig wahrnehmen zu können, mußte ich meine Aufmerkſamkeit auf die jchlechten Wie des Landsmann richten, vor dem ich um jo mehr Abneigung empfand, je mehr er mir feine Biederkeit und die Hilfe pries, die er ſchon manchen andren deutfchen Reifenden zugewendet haben mollte.
In der DVorhalle eines Landhaufes, hier Bungalo genannt, das nicht grade zu den eleganteiten zählte, ließ unfer Begleiter end⸗ lid, die ächzenden Kulis ihre fehweren Bürden aus den geflochtnen Stirnbändern heben, an denen fie felbft jo ungeheure Laften wie ein Klavier auf dem Rücken zu ſchleppen pflegen; dann legte er bereit- miligft den Trägerlohn aus. Gleich darauf hörte ich ihn leiſe im Nebenzimmer mit einer Frauenftimme lebhafte Zwieſprache pflegen; ſchließlich kam er mit einer Dame, der Hausbefigerin, zurüc und erklärte, daß dieje die außerordentliche Gefälligkeit haben wolle, uns gegen tägliche Zahlung von nur einem Pfund Sterling Koft und Wohnung zu geben.
„Da brauchen Sie Ihr englifches Gold nicht erft in Rupien zu wechſeln!“ bemerkte ſcherzend der Wackre, der aus mir herausgeholt hatte, daß ich mich für die Gebirgsreife hauptfächlich mit englifchen Pfundſtücken verfehen hatte.
Ich fpürte feine Neigung, für die wenigen Tage meines Aufent- haltes in Dardichiling erjt noch weitre Umſchau nach andren Quar- tieren zu halten, jondern ging nad) einem wenig zufriedenftellenden Imbiß frühzeitig zur Ruhe; die letzte Zeit hatte grade genug Un- tube mit fich gebracht, um die Wohlthat eines langen, ſüßen Schlafes ausgiebig würdigen zu können.
In den nächften Tagen hatte ich mit Hans vollauf zu thun, unjre Gepäckſtücke naczufehen und meine Ausrüftung für die Bandrung ins Gebirge zu vervollftändigen; auf die Einzelheiten derfelben komme ich fpäter zurüd.
Da ich ſtets fo viel Rühmendes von der großen perfönlichen Freiheit gehört hatte, deren ſich das Thun und Lafjen der Europäer
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in Indien erfreue, hatte ich gar nicht daran gedacht, irgend welche weitre Erlaubnis zu meiner Reife durch die unmirtlichen Alpen Silhims einzuholen. Ich ſetzte voraus, daß man im indischen Generalftab doch wohl nicht verjäumt haben würde, mich darauf hinzumeifen, falls die3 bejondrer Genehmigung beburft hätte, und glaubte, daß mein dortiger Beſuch und ebenſo die Mitteilung und Beſprechung meines Reiſeplanes mich hinreichend ermächtigten, fo fchnell es mir möglich wäre, in das Gebirge abzumarſchieren.
Ganz harmlos fragte mich der Landsmann, der fich täglich ein- fand, um in meinen Habfeligfeiten herumzufhnäffeln und mich mit zubringlichen Fragen auszuforichen, ob ich denn jchon die Erlaubnis des Bürgermeifteramt3 habe, die Dak Bungalows, das heißt die Unterkunftshütten, von denen ſich einige in der Umgegend Dardfchilings befinden, zu benußen. ch bemerkte, daß eine folche zu erhalten doch wohl faum Schwierigkeiten machen würde, daß dagegen das Befchaffen eines tüchtigen Trägertrupps mir weit mehr Sorge bereite und mie ich mich wundre, daß er nicht verfprochnermaßen die erjten Schritte zu ihrer Anwerbung thäte.
„Das ift ja eine Kleinigkeit; bejorgen Sie fih nur erſt Die Erlaubnisfcheine für das Webernadhten in den Schushütten!" war die beinah höhnijch gegebne Antwort.
Ich wurde etwas ftußig. Wie fonnten die wenigen Schuähäufer in der nächiten Umgebung in Betracht kommen, wenn ich wäh: rend meiner weitren Reiſe doch beftändig auf mein Zelt ange wiejen war?
Ich ging fchleunigft in die „Rutfcherri" zum „Magiſtrate“, wie man den Bürgermeifter in Britifch- Indien kurzweg nennt, und ver- nahm, daß meine Vermutung ganz richtig geweſen fei und daß mir das Benugen der Rafthäufer mit Vergnügen geftattet würde. Als ich mid) empfehlen wollte, fragte mich der Beamte ruhig, bis zu welchem Bungalo ich meinen Ausflug auszudehnen gedächte. Ich feste ihm meine weitgehenden Abfichten auseinander, worauf er mit der freund:
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lichſten Miene von der Welt fragte, ob ich mich und meine Pläne auch ſchon dem Lieutenant-Governor vorgeftellt hätte. Auf meine Verneinung wurde mir der Nat, dies doch ja nicht zu unterlafien; an der Genehmigung wäre dann wohl nicht zu zweifeln, aber ohne fie dürfe ich nicht in das Grenzgebirge,
Nun war aber der genannte Herr Lieutenant:Governor gar nicht in feiner wundervoll gelegnen Billa in Dardſchiling zugegen, fo daß eine zeittaubende Korrefpondenz nötig wurde, ehe nur fein augen- blicklicher Aufenthalt ermittelt wurde.
Gemwohnt, widerwärtige Vorfälle auf die leichte Achſel zu nehmen, benugte ich diefen Aufſchub der Abreife zum gründlichen Umfchaun in Dardſchiling. Vor allen Dingen zog ich einige Erkundigungen über meinen Hilfsbereiten „Landsmann“ ein und fand meinen Argmohn nur zu ſehr beftätigt. Ex galt für einen ganz charakterlojen Schaum: fchläger in des Worts verwegenfter Bedeutung, denn er war als Bart- kratzer und Haarfchneider nach Dardjchiling gefommen, hatte aber bald die höchſt einträgliche Idee erfaßt, einen Handel mit allerlei Natur- feltenheiten und fonftigen Merkwürdigkeiten anzufangen, die in Sikhim vorfommen und die ihm von den bergbemohnenden Bazarbefuchern gegen einen Hundelohn zufammengefucht wurden. Das wäre ja auch techt achtungswert gewefen, wenn der unleugbar ganz talentvolle Mann nicht zugleich verfucht hätte, fich einen unverdienten Heiligenfchein jelbitlofer Biederfeit zuzulegen. Die zahlreichen „Weltläufer" — denn fo überjegt man das englifche globetrotter wohl am höflich- ften —, die Dardfchiling befuchen, find ja zumeift jehr wohlhabende Herren, bei denen niemand einen andren Reiſezweck al3 den einer an- genehmen Unterhaltung vorausfegt. Das waren natürlich willkommne Kunden in diefes Händler? Haus, ftaunende, danfbare Bewundrer feiner Zungenfertigfeit. „Ich bin ein Mann, der in die Welt paßt!" verficherte er ftet3 fchmunzelnd, wenn er eben jemandem einen rieſigen Bären aufgebunden hatte. Trotdem glaubte ich, fünf grade fein laſſen und den Verkehr mit diefem Manne nicht völlig abbrechen zu
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ſollen, da ich annahm, daß er mir doch ſchließlich fur Geld und gute Worte das Anmwerben von eingebornen Trägern wirklich ver- mitteln würde, wie er es mir tagtäglich verſprach. Man wird ja bald jehn, in welcher Weife er Wort hielt.
Zum Glüd fand ich in Dardſchiling einen zuverläffigeren Lands- mann in der Perſon eines wackren Uhrmacher, der wenigitens im Orte gut Bescheid wußte, bei den Maßnahmen für eine Hochgebirgsreife freilich wenig helfen fonnte. Zu meinem Bedauern hatte er fich auch niemal3 mit dem Bau photographifcher Verfchlüffe zur Erzielung von Augenblid3bildern vertraut gemacht, jo daß er mir nicht helfen fonnte, meinen Momentverfchluß wieder in Ordnung zu bringen. Durd die Einwirkung der heißfeuchten Seeluft waren die blauen Metallblätter oder „Lamellen“, wie die Techniker die Durch den Drud auf einen Gummiball auf und zu gehenden Stahlſcheibchen eines ſolchen Verſchluſſes nennen, fo feſt zufammengeroftet, daß der Leber: tragungsmechanismus das blitzſchnelle Oeffnen und Schließen nicht mehr zu bewirken vermochte. Da ich auch fonft feinen geeigneten Erſatz finden konnte, ſah ich mich genötigt, in Zukunft folche Auf- nahmen durch das mehr oder weniger raſche Abheben des Objektiv: deckels mit der Hand zu machen. Weil ich aber die Geſchwindigkeit auf diefe Weife nicht immer genügend zu fteigern vermochte, verfiel ich fpäter auf einen Ausweg — und dies ermähne ich zum Nutzen andrer, die etwa einmal in eine ähnliche Notlage geraten —, indem ich in die Mitte eines Streifend Pappe ein viereciges Loch fchnitt, etwas größer als die Linfenöffnung. Wenn ich num einen Gegen- ſtand photographieren wollte, während er fich bewegte, ſchob ich, nachdem ich bei gefchlojfnem Objektivdedel die Kaffette, in der die photographifche Platte enthalten war, aufgezogen hatte, diefe Papp⸗ ſcheibe dicht zwifchen das Objektiv und ben leiſe geloderten Dedel, den id) dann in die Tajche fteckte; das Objektiv war hierbei durch das dicht davor gehaltne Pappftüct vor dem Lichteinfall geſchützt, und das Loch in der Scheibe befand fich jeßt oberhalb des Objektivs.
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Kam dann der geeignete Augenblid zur Aufnahme, jo zog ich mit einem kurzen, vorjichtigen aber ſchnellen Ruck den durchlöcherten Bappftreifen vor dem Objektiv vorbei; dadurd) wurde die photo: graphifche Platte belichtet. Nun verfchloß der obre Teil des Streifens das Objektiv; ich legte dann den Objeltivdedel von außen gegen die Pappe, zog diefe behutjam zwiſchen Dedel und Objektiv fort und ſchob den Deckel wieder leiſe über den Objektivrand. —
Der Tiroler hatte mir, fo oft der Naturalienhändler von feinen Vergfahrten prahlte, jedesmal einen jchmerzhaften Stoß in die Seite verabreicht, ohne eine Silbe zu äußern. Waren wir aber allein, jo brach fein rechtichaffner Unmut durch, und ein tief entrüftetes: „Sell iſch ja ein Flauſenmacher!“ zeigte die Hochachtung, die er vor dem Schwäßer beſaß. „Sell iſch ja ein Plauderer, ein ganz ein echter!" war das vernichtende Urteil meines Hans.
Da mir weder unfre öde Wohnung noch unfre geringmwertige, fabe Beköſtigung die tägliche Einbuße eines Goldfuchſes wert ſchien und der Aufenthalt fich in Erwartung der Antwort des Governors von Tag zu Tag verlängerte, fpazierte ich an einem ſchönen Abend, an dem ich durch einen verdächtig freundlichen Blick unfrer Wirtin beglüdtt worden war, nach Woodlands Hotel, um mid) dort endlich ein- mal von der angeblichen Ueberfüllung und Teurung zu überzeugen. Das ganze Gebaren der Dame ſchien mir nämlich, gar nicht recht damit im Emflang ftehen zu. wollen, daß fie, wie der Naturalift mir ver: traut hatte, eine Generalswitwe war.
In Woodlands Hotel fand ich Platz in Hülle und Fülle, be— hagliche Zimmer, gewählte, gute Gejellichaft, vortreffliche Küche und einen köſtlich Fühlen, verftändnisinnig gefüllten Keller, in Indien begreiflicherweife eine jeltne Wohlthat. Zu meiner Ueberraſchung verlangte man bier nur zwei Drittel von der an die Generals: witwe gezahlten Summe für vollen „board“; fo-nenmt der Ci
nur der der Deutſche mit „Benfion” ber
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Ich belegte ſchleunigſt für die nächſten Tage ein paar gemütliche Zimmer. Auf dem Wege nach Haufe traf ich den Uhrmacher, der laut aufjubelte, als er hörte, welchen Umzug ich vorhätte; den Grund wollte er mir nicht recht eingeftehn, um feine Klaticherei anzuzetteln, doch erfuhr ich von andrer Seite, Daß meine Wirtin eine Sergeanten- frau fei, deren „Männer“ verfchollen oder verftorben feien. In Indien ſichern fich nämlich die Soldatenfrauen von vornherein einen ober mehrere Kameraden ihres Gatten als feſt verpflichtete „Erſatz- männer" für den nicht feltnen Fall, daß dem eigentlichen Che geſpons etwas zuftößt; anders als „two or three deep“, das heißt „zwei oder drei tief" verheiratet, beiteigt eine ſolche vorforgliche Soldatenfrau nicht das Kafernenfchiff, das Albions rotrödige Mus- fetiere nach dem männermordenden Indien befördert. Diefe wackre Frau war nun unſrem ungarifchberlinifchen Landsmanne Geld ſchuldig; konnte es da wohl für diefen eine rettendere Gelegenheit al3 mein Erfcheinen geben, um fein Guthaben „ohne alle Apparate“ durch die Hand feiner Schuldnerin aus meinem Beutel in den feinigen zaubern zu lajjen?
Man muß freilich der Vorſehung dankbar fein, wenn man Welt und Menjchen recht gründlich fennen lernt und von feinen Illuſionen und Idealen fuccefive kuriert wird — id) weiß wirklich nicht, ob ich dasfelbe ſage, wenn ich hierfür fehriebe: wenn man von feinen Einbildungen und edlen Anfchauungen nach und nach geheilt wird — aber angenehm ijt es wahrhaftig nicht, auf dem ganzen Erdenballe gewöhnlich zumächft diejenigen Europäer kennen zu lernen, die eine geradezu unheimliche Fertigkeit bejigen, uns die Haut in Geftalt unfrer Banknotentaſche über die Ohren zu ziehn.
Ich bemerfte bald, daß der Tiroler mit feinem gefunden Blick durchaus recht gehabt hatte, wenn er mir täglih warnend zurief:
„Schau nur, daß du von ‚ihm‘ geſchwind loskommſt; das ift ein Gefährlicher, ein ganz ein Echter!"
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Daß Feindfeligkeiten eines jo geriebnen Menfchen feine Kleinig- feit fein würden, zumal unter den obmwaltenden Verhältniffen, mußte ich mir aber doch auch jagen; deshalb bemühte ich mich, e8 wenig. ſtens nicht zu einem Streit oder Bruch kommen zu laffen. Meine Ueberfiedlung in das Hotel Woodland war jedoch ein zu offenkundiger Beweis, daß ich den Gut- edel — den wir Herrn Seife nennen wollen — bereits durchfchaut hatte; bald ſollte ich die Folgen davon fpüren!
Erſt viele Monate fpäter erfuhr ih, daß grade Freund Seife fi) bemüht Hatte, der thatſächlich aus der Kalkuttaer Zeitung bis nach Dardſchiling geflatter- ten Ente von den beiden „eufjiichen Grenzſpionen“ neue Nahrung zu geben; daher trat und an allen Eden die tieffinnige Frage entgegen, wie ich über Ruß- land dächte. Jedes Geſpräch, Mein Briefträger in Dardfiiling. das ich mit irgend einem Engländer anfing, und wenn es auc, die Fabrikation von roter Tinte betroffen hätte, wurde von diefem unfehlbar fofort auf Ruß: fand gelenkt. Ich bildete mich deshalb allmählich zu einem taub- ſtummen Mitglied der Tafelrunde aus und ließ die Gäfte zifcheln, foviel fie wollten.
Endlich brachte mir der Briefträger den erjehnten Beſcheid des
Sieutenant-Governor. Ich hättedem Postboten vor freudigem Ungeſtüm,
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den Brief an mich zu nehmen, beinah auf den Fuß getreten. Dies wäre dem martialifch dreinjchauenden Beamten ficherlich etwas ſchmerzlich geweſen, denn er zog beim Eintreten in mein Zimmer jedesmal höflichft die Schuhe aus, ftellte fie ganz behutſam vor die Thüre und fam dann barfuß drei Schritt in die Stube; zugleich fuhr feine Hand als Salamgruß über Stirn, Augen und Magen, ehe er die Briefichaften austramte. Den zu bedeutender Höhe empor: gewidelten Turban behielt er aber dabei auf dem Kopfe, denn es gilt bei den Indiern als eine arge Beleidigung, diefe Kopfbedeckung vor einem Mitbürger abzunehmen. Ich ſtutzte beinah, als der erite Geldbriefträger, der mir nad) der Heimkehr das Vergnügen machte, mein Zimmer zu betreten, nicht feine unfaubren Stiefel auszog, dafür aber die Müße in die Hand nahm.
Der Beicheid des Lieutenant-Governor war ſehr freundlich, betonte aber, daß wegen der gegenwärtigen politifchen Verhältnifie mein Reifeplan zunächſt von Mifter White, dem Political Agent in Sikhim, begutachtet werden müſſe, der zurzeit „wahrſcheinlich“ in Tumlong fei; von dort aber konnte ich faum eher als in zehn Tagen Antwort erhalten. „Auch dieſes!“ feufzte ich umd verfuchte, die Zwifchenzeit zu einigen Studien in der Bhotijafprache zu benußen.
Der liebe Seife hatte mir aber noch einen andren Liebesdienjt erwiefen. Er hatte auf dem Bazar ausgejtreut, ich fei ein ganz fabelhaft reicher Sahib, der gar nicht wüßte, wo er mit all jeinem Gelde hinfolle. Wollte ich nun irgend etwas kaufen oder einen befonder8 bemerkenswerten Eingebornen photographieren, jo wurden mir fo lächerlich hohe Forderungen geftellt, daß ich darauf verzichten mußte. Dies war wirklich fehmerzlich für mich, denn der Bazar von Dardſchiling ift für den Freund der Völkerkunde eine ganz un- vergleichliche Fundgrube merfwürdiger Geitalten.
In andren Teilen Ajiens, zum Beifpiel in Perfien, haben die Bazarhändler ihre Verkaufspläge meiſtens in jchönen, geräumigen Hallen oder an endloſen übermwölbten Gängen, jo daß der Europäer
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von dem Getümmel der Menfchen, von dem Reichtum der Waren und von der Pracht der Gebäude ganz geblendet ift. Bon alledem ift nichts in Dardichiling zu fehn, denn man darf nicht vergefien, daß erſt im Jahr 1850 angefangen wurde, dies Dardſchiling aus einem wüſten Dorfe zu einer wundervollen Sommerfrifche zu machen; ganz genau tibetifch geſchrieben lautet der Name übri- gend nad Profefjor Grünwedel: r Dor- jehi gling, was eine genaue Ueberſetzung vom altindifchen Va- jradvipa ift.
Raub und roh wie die Eingebornen dieſer wilden Berge und Wälder ift auch ihr Markt, der alljonn- täglich in Dardſchi⸗ ling abgehalten wird, doch Habe ich dort nur ſehr felten eine englifche Dame bei
den Marktfeuten Die unter incn Regerfäub aus Weichen Te. ihre Einkäufe machen fehn; es fchien mir zu den ehelichen Pflichten ihres Gatten zu gehören, mit den Bergbewohnern, die man ganz im allgemeinen dort Bhotijas nennt, um die Küchenkräuter, um Butter und Eier herumgufeilfchen. Wenn fich eine Lady überhaupt auf dem Markte jehen läßt, jo fißt fie auf einem Pony oder in ihrem hohen Trag- ftuhl und bezeichnet von dort aus ihrem Gemahl, was er ein-
taufen fol. Bed, Indiſche Bletfgerfahrten, 4
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ktplatz ftrömen von nah und fern die abenteuer- ammen; mehrere Tagereifen weit fommen fie agtorb am Stirnband auf bejchwerlichen Berg- md ſogar aus Nepal und Butan hierher, um ıen Erzeugniffe zu verkaufen, wäre es aud nur fer oder ein magres Huhn. Ja, einmal jah der nicht? als mohlgezählte fünf Heine Zwiebel- Allerding3 fümmerten fie fih, wie man auf dem Bilde fieht, Herzlich wenig um ihr Geſchäft, fondern zogen e8 vor, plaubernd auf dem Bäuchlein zu liegen, mit den Füßen in der Luft herumzufahren oder fich in ähnlicher Weife zu vergnügen. Selbitverjtändlich bildeten auch auf dem Markt von Dardſchiling die in Indien allgemein beliebten grünen, aus dem ſcharf und beißend fchmedenden Blatt des Betel- pfeffers gemictelten Dütchen einen wichtigen » Handelsgegenftand. Gar nicht weit von Woodlands Hotel hockte tagtäglich eine Frau, deren wenig ſchönes Geficht glück— felig lächelte, wenn fie abends ihr a3 heißt ihren Vorrat, der nie mehr als tchen betrug, an den Mann oder auch an hatte, denn beide Gejchlechter jaugen und ter mit gleicher Vorliebe. Um diefe unent- e ſtets ungerdrüct mit fich führen zu können, ier in eine Kapſel aus dünnem Meffing- eine geräumige Zigarrentajche ausfieht. Doch fein thut's nicht. Vor dem Genuß wird die mit gelöfchtem Kalk getaucht, die der Indier ſtets bei ſich trägt. Warum aud nicht?
Iter.
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Tauchen wir doch auch eine gepfefferte warme Wurſt, die ja nach einem berühmten geflügelten Wort am beſten „aus freier Fauft“ ſchmeckt, zur Erhöhung diefes Wohlgefhmads noch in eine Büchje mit Senf! Die Händler machen ihre Vetelblätter aber noch durch andre Zuthaten als durch diefe Kalkbeize verlockend. Einige, wie die vorhin erwähnte Bhotijafrau, ftopfen die Blattdüten mit anfehn- lien Stücken des öligen Kerns einer Kokosnuß voll, andre haden
Nevater, der Düthen aus Betelblättern verfauft, und eine Bholifa-frau mit dem Zragforb am Etirnband.
lieber feine Scheiben der Arefapalmnuß hinein und preifen ihren Kunden diefe Füllung als Duintefjenz des Wohlgeihmads an. Die Feinſchmecker unter den Betelfauern fuchten jedoch auf dem Markt in Dardichiling mit befondrer Vorliebe einen langhaarigen Händler aus Nepal auf, defjen Blätter ungefähr den Ruf hatten, der einer gewiffen Weinforte meiner fchlefifhen Heimat nachgefagt wird: die Bhotijas behaupteten nämlich, fie wären fo ſcharf, daß beim Ge- muß derfelben jogar das unfcheinbare, namenloje Geziefer in bie Weite flöhe, das dieſe unfaubren Leute doch ſonſt jo anhänglich begleitet.
Es machte mir ftet3 viel Vergnügen, dem Ab- wiegen ber Waren zuzu⸗ fchauen, und befonders eine Hänbdlerin mit Hirfe war ein rührendes Mufter von Gutmütigfeit, denn ih ſah ſtets, daß fie noch eine ftattliche Zugabe drein gab, fobald der
Bertäuferin von Hirfe, Käufer die geringſte Ipre Wage Hegt unter ihr, Die Galdlette beficht aus Nüngen. Miene ber Unzufrieden⸗ heit aufſetzte.
Die appetitlichſte Ware ſchienen mir die Gewürzhändlerinnen feil zu halten. Die ſcharlachroten Pfefferſchötchen, die gelben Altheewürzelchen, die zierlichen Schilizwiebelchen und Nußchen, das Kurkuma und alle die andren Zuthaten, die der Körribrühe ihren wechſelnden Geſchmack geben müſſen, um das ewige Einerlei der täglichen Reisſchüſſel erträglich zu machen, ſahen ganz allerliebſt aus, wenn ſie auf einem bunten Tuche neben den Füßen der auf der Erde kauernden Verkäuferin lagen. An einigen dieſer Händ- Ierinnen ſah ich zugleich wahre Wunder von Schmucjachen prangen. In den Ohren der einen hingen zum Beifpiel tellergroße, dünne Gold— ſcheiben. Auf dem linken Nafenflügel ſteckte eine Roſette, in deren Mitte eine Perle fehimmerte, und an diefem Nafenflügel hing außerdem noch ein dünner Goldreif von mehr al3 10 cm Durchmeffer, während in einem Heinen Ringe an der Nafenfpige ein breites Golbplättchen mit zitternden Troddeln aus gerolltem Golddraht und Perlen fchaufelte. Um den Hal trug fie außer mehreren Ketten aus Xernftein- fugeln und Korallen einen filbernen Faßreifen von dem doppelten Durchmeffer des Kopfes und ein ebenfo ſchwerfälliges Schmudftüd in Form einer Halskrauſe aus gerippten, dick vergoldeten Silberfcheiben
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und Korallenplatten. Als ich aber dieſen goldklirrenden Rothſchild unter den Marktfrauen photographieren wollte, ſchob ſich ein Mann
Händlerin mit Gewürzen. Ihr Raſenting IR aus Gold; Ter Hinter ihr fiehende Mann aus Repal trägt ein Kutri-Meffer im Gürtel,
durch die Jungen und fonftigen läftigen Zufchauer, die ſich mie gemöhn- lich al3 ungebetne Gäfte vor meinen Apparat drängten; er gab mir zu verftehn, daß er der Gatte diefer lebenden Schagfammer und feines- wegs geneigt fei, mir zu erlauben, daß ich das Konterfei feiner
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teuren Gemahlin fo ohne weitres davontrüge. ch ließ dem Manne durch einen de3 Englifchen fundigen Goldfchmied, der nicht weit davon feinen Stand hatte, fagen, daß id) nicht abgeneigt fei, auch feine ehrwürdige Geftalt auf das Bild zu bringen, aber, wie er wohl gemerkt haben würde, fei dies ein Vorzug, den ich nur ganz beſonders bedeutenden Leuten angebeihen ließe, und er möge fich bei feiner unfchäßbaren Gemahlin für diefen Vorzug bedanken.
Nepaliſches KAufrir-Mejjer. Die Holjiceide if mit Rerbholifänigerei verziert. Durch dad untre Mefier wird eine Rupie-Münge gerfeiniuten,
Halb gejchmeichelt, Halb mißtrauifch, folgte der handfefte Mann, der zum Stamme der Limbus gehörte, feinem Ehrgeiz und ftellte ſich, auf feinen Stecken geftüst, hinter feiner Ehehälfte auf; recht trogig ſchaute ihm dabei fein gekrümmtes Meffer, das Kufri, aus dem Gürtel. Dies Kukri ift nämlich ein gradezu unentbehrliches Gerät für die Bergbewohner. Wird ein Bhotija im Walde von der Nacht über- raſcht, fo fchlägt er ſich damit hurtig ein paar Aeſte ab, um fein Lagerfeuer zu fpeifen ober daraus einen Regenſchutz zu bauen; merft er, daß feine Fingernägel Krallen geworden find, fo ift dieſes Mefjer
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aus faltgejchmiedetem Stahl ſtets ſcharf genug, um fie zu kürzen, doch iſt e8 durch feine gefrümmte Form aud) hinreichend wuchtig, um im Handgemenge gegen einen anftürmenden Feind oder beim Begegnen eines reißenden Tieres zur furchtbaren Waffe zu werden. Steigt er im Gebirge über Glatteis und Schnee, fo kratzt er ſich Stufen mit feinem geliebten Kukri, um mit den glatten Sohlen feiner Berg- ſchuhe vorwärts kommen zu können, und fteht er mit feiner Aus— . erwählten vor dem Teufelsbanner, der zum Beifpiel bei den Limbus die Trauung vollzieht, fo reißt diefer zum Schluß der Feier dem Heiratsfandibdaten das Kukri aus der Scheide, die aus Leder und ebeljteinbejegtem Silber oder auch aus Holz mit Kerbſchnitzereien befteht, und fehlägt damit einem Hahn, den der Bräutigam, und einer Henne, die die Braut während feiner Beſchwörungen in den Armen hält, die Köpfe ab, wodurch das Kukri zum Glüdsbringer geweiht it. Das aus den Hälfen der geköpften Vögel quellende Blut fängt der Seelforger in etwas gefochtem Reis auf, der in einem grünen Bananenbfatt liegt, und aus den fich im Reis zeigenden Figuren prophezeit er dem abergläubifchen Pärchen fein zufünftiges Familienglück, wie er auch ſchon vorher auß dem Studium der Sterne vorhergefagt hatte, ob fie einander überhaupt heiraten dürfen ober nicht. Der unfehlbare Mann tüftelt e8 nämlich ganz genau heraus, in was für Tierförpern die Seelen der beiden Heiratsluſtigen in ihrem früheren Dafein geftectt haben, denn mehr oder weniger verworrene Vorftellungen von dem Wandern der Seele herrfchen ja bei den meiften indifchen Stämmen. Nun ift es doc ganz Hlar, daß die Ausfichten recht wenig erbaulich find, wenn der Wahrjager behauptet, daß der „Er“ einſtmals ein Tiger oder fonjtiger blut» dirjtiger Wüterich und die „Sie" ein Lämmlein oder Täubchen geweſen fei; dagegen wird der Fuge Mann wohl nicht die Hoffnung auf einen fröhlichen Eheftand aufgeben, wenn fich beide Teile ſchon einmal al3 verträglichere Tierchen, etwa „Sie" als Kaninchen und „Er“ als Ziegenbod, auf der Erde herumgetummelt haben.
Eine ganz ungewöhnlich jchneidige Anwendung des Kukrimeſſers fah ich aber eines Tages auf dem Markte, al ein Bhotija eine halbe Rupie zu bezahlen hatte und nur eine ganze beſaß: ohne viel Umftände fchnitt er die Münze mit dem Kufri mitten entzwei und
Milgpändler. Die Milögefäße beRchn aus Bambusrofr.
bezahlte mit einer Hälfte. Ich möchte wohl das Geficht eines Wiener Zahlkellners fehn, dem von einem Silbergulden, der an Wert einer indischen Aupie entfpricht, auf diefe Weife das Trinkgeld zugeſchnitzelt würde!
Im allgemeinen haufen auf den indiſchen Bazaren die Händler mit gleichen Waren, die Handmwerker und Gemerbetreibenden nad) ihren Zünften gejondert, dicht bei einander: in diefer Gaffe fauern
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alle Schneider, in jener hämmern alle Schmiede. Kommt ein Ein- kauf in einem Laden nicht zu ftande und geht der Kunde in das Nachbar⸗ geihäft, fo folgt gewöhnlich der Verkäufer aus feiner Bude in die feines Nachbars, um neidlos zuzuhören, ob und unter welchen Bedingungen hier der Verkauf abgefchloffen wird, ohne daß er zu befürchten braucht, Hinausfomplimentiert zu werden.
In Dardſchiling aber fand ich auf dem Bazar ziemlich bunte Neihe. Hier ſaß der Milhhändler vor feinen Bambusrohren voll Milh und dort, dicht daneben, ein Geldwechsler, der die kaum erfennbaren Präs gungen der ver: ſchiedenſten indi⸗ ſchen, tibetiſchen, butaniſchen, nepa⸗ liſchen Münzen nicht erſt lange unterſuchte, ſon⸗ dern einfach das gleiche Gewicht von Barbiere, die den Kunden den Ropf tafieren,
Münzen der Ru—
pienwãhrung in derfelben Metallforte unter Abzug eines Kleinen Nutzens abmog. Ebenfo jah ich ihn beim Verkaufe feiner Schmuckwaren ver⸗ fahren: auf die linke Schale feiner Wage legte er ein dickes filbernes Armband, auf die rechte Rupie nach) Rupie, bis das Bünglein in der Mitte ftand; dann berechnete er für jede Rupie den achten Teil, das heißt zwei Anna, als Arbeitslohn. Ob er bei feinen zierlichen, aber äußert leichten Filigranarbeiten ebenfo genügſam berechnete, hatte ich leider nicht Gelegenheit zu beobachten.
In einer recht ungeeigneten Nachbarfchaft fand ich bei einem meiner Bazarbefuche einen Kuchenhändler. Der gute Mann hatte ſich mit feinem Bambuskorb voll Mebriger Schätze dicht neben den Platz gefauert, auf dem die eingebornen Barbiere und Haarfchneider
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hockten. Wenn er auch darauf rechnete, daß mancher, ehe er ſein
Haupt unter das Meſſer des Haarkuünſtlers neigte, ſich fein gebeugtes
Daſein während dieſer beſchwerlichen Sitzung duch den Genuß
einigen Zuckergebäcks verfüßen würde, jo hatte er doch nicht daran
gedacht, daß, wo gehobelt wird, auch Späne fliegen. Jeder Wind-
ftoßtriebeinen Sprüh-
regen abgejchnittner
Haare auf feine mit
Honig glafierten Ku—
hen und zierlichen
Stengelchen und knu⸗
fprigen Bregeln, ſo daß
fie ſchließlich alle wie
mit jchäbig gemord-
nem Pelzwerk über-
zogen ausfahen. Zum
Glück entjeßten ſich
ſeine Kunden nicht
im mindeſten vor
dieſen haarigen Ver-
zierungen, wahrſchein⸗
lich in der gerechten
Erwãgung, daß das
Blinder Bettler mit führendem Knaben. Haar doch der ſchönſte
Schmuck des Menfchen
iſt, ſolange er keinen andren beſitzt. Auch dem Tiroler ſchien
manches, was mir hier und ſpäter als unſaubre oder abſtoßende
Eigentümlichkeit der Bergbewohner unangenehm auffiel, fo jelbftver-
ſtändlich und entſchuldbar, daß er ſeiner Verwundrung, wie ich
mich vor ſo natürlichen Dingen ekeln könne, den klaſſiſchen Aus— druck gab:
„Du biſcht noch viel zu ekelhaft für dieſes Gebirge!“
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Diefen Vorwurf mußte ich zum Beifpiel einmal hören, al3 ic) den guten Hans mit meiner Zahnbürfte in der Hand antraf; er konnte gar nicht begreifen, wie ich dies mißbilligen könne, da er ja nur feine Zähne und nicht meine Stiefel damit gepußt habe.
Daß ich auf dem Markte ftetS von einem jo außerordentlich großen Schwarm von Menfchen umgeben war, die gern auf andrer Leute Koften leben, war mir im Anfang ganz unbegreiflich; ich mußte ja noch nicht, daß der holde Seife mich zum Nabob geftempelt hatte. Sobald ich mich blicken ließ, kamen alle Krüppel, die auf dem Markte herumkrochen, eiligft zu mir herangehumpelt und hefteten fih an meine Sohlen; ein Knabe leitete den von ihm geführten blinden Mann vor meine Augen, Volksſänger ftimmten ihre gellendften Töne an, und der Guckkaſtenmann, der ſchmierige Bapierphotographien augftellte, die wohl irgend ein Europäer, wie ich hoffe, in aufmwallendem Anſtands⸗ gefühl fortgeworfen haben mochte, glaubte mid) ganz beſonders durch die Verfihrung anloden zu können, daß er die ſchönſten „Ruffinnen“ in feinem Zauberfaften babe.
Noch viel jchlimmer wurde es aber für mein Trommelfell, al3 eine® Tages ein noch dazu aus Europa, aus Stalien, ftammender Mufifant auf dem Marktplatz hinter mir herlief, der mit den Ell- bogen Paufe und Beden und mit den Händen den Triangel ſchlug, auf dem Kopf einen Schellenbaum und an ben Fußknöcheln Tamburin und Gaftagnetten trug, die Melodie dieſes Höllenſpektakels aber auf einer Trompete blies, die er vor den Mund gebunden hatte. Wenn es ja auch ganz nützlich fein mag, den BBB
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ſtaunenden Indiern zu zeigen, welche Vervollkommnung ihre Muſik noch in Zukunft durch den Genius des weißen Mannes erfahren kann, ſo mag ſich doch das Herz manches noch aus der guten alten Zeit ſtammenden Anglo-Indiers vor Wut zuſammenkrümmen, wenn er ſieht, in wie unwürdiger Weiſe hier ein Vertreter der weißen Raſſe in zerfetzten Lumpen vor den unſaubren Bhotijas oder auf den ſonnigen Straßen Kalkuttas vor den feiſten Bengalen um Gnadenpfennige bettelt. Vielleicht erinnerte ſich dieſer italieniſche Künftler an das klaſſiſche „non olet“ feines kaiſerlichen Landsmannes Veſpaſian, wenn er ohne Gewiſſensbiſſe eine Scheidemünze nach der andren in die Tafche unter feinem neapolitanifchen Du- delſack ſteckte, in den er von Zeit zu Zeit mit der Nafe Luft einblies. Während mir diefer Virtuofe von rechts in die Ohren quiefte und paulte, liefan meiner andren Seite ein indifcher Kollege dieſes Künftlers, der auf der einen Saite, die feine elende Fiedel nur hatte, ein widermärtiges Geklimper vollführte, Als feine Töne ben erhofften Goldregen aus mir nicht herauslocken konnten, bes nußte er fein Inftrument als Spazierftod und ftapfte erboft davon.
Diefe Nabobftemplung war wirklich der infamfte Streich, den mir der füße Seife fpielen fonnte; o, er fannte die Schliche, durch die man jemand wegärgern kann! Denn daß ich heimliche Kon— furrenzabfichten haben mußte, daß ic) nur desmegen in das hohe Gebirge wolle, um von dort Käfer und mertvollere Naturalien oder jeltnere Dinge zu holen, als er fie befäße, das war für ihn wohl feine Frage.
Kam ic) von irgend einem Ausgang nad Haufe zurüd, fo
Bettlerin,
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umlagerte gewöhnlich eine unabjehbare Bettlerſchar die Hotelthür; auf ihrer einen Seite fauerte ftet3 ein ausfäßiges altes Weib, in eine wahrjcheinlich aus dem Kehricht hervorgegabelte, einft wunder: ihöne Tiſchdecke gehült, an der andren jaß gewöhnlich ein ftrammes, aber jedenfalls ſehr faules, junges Weib3bild mit ihrem dickköpfigen Kinde, das fie quer über ihre Kniee zu legen pflegte. Inzwiſchen meldeten ſich allerlei unheimliche Geſtalten, die angaben, von Herrn Seife geſchickt zu ſein, um mir als Träger zu dienen. So wenig diefe ſchwächlichen, ausgemer- gelten Gejtalten auch meinen Wunſchen entfprachen, fchrieb ich mir doch ihre Adreſſen auf, um fie beim Eintreffen der Reife-Erlaubnis des Political Agent fogleich bei der Hand zu haben, dann aber auch, um Erfundigungen über dieſe Leute einzuziehen. Und fiehe! Cs waren Leute, die der Schlau: Zunge BHotija-Mutter. berger Seife beauftragt hatte, Srenhpep gete auf meiner Reiſe allerlei Natu⸗ talien, die nur in dem hohen Gebirge vorkamen, heimlich für ihn einzuſammeln, da fie für ihn bislang unerreichbar geblieben waren. Es war wirklich wie verhert; alles ſchmeckte fozufagen nad) diefem fatalen Seife, und unglüclicherweie hatte niemand am Orte jo viel Verkehr mit den Eingebornen mie grade er. Einige engliſche Beamte bezeichneten mir ihn fpäter, als ich mich von dem Auffen- verdacht gereinigt hatte, al3 den „böfen Geiſt“ von Dardichiling.
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Im Hotel Woodland war es auch bald nicht mehr auszuhalten, denn feit man uns für Ruſſen hielt, wurden Behandlung und Ver— pflegung immer fehlechter. Mit wahrer Sehnfucht wartete ich auf die Antwort von Mr. White, erhielt aber den nieberjchmetternden Beſcheid, daß diefer auf einer Reife durch fein Gebiet fei, aber in etwa brei bis vier Wochen in Dardichiling einzutreffen gedächte und dann meine Angelegenheit mit mir befprechen wolle. Das Hatte grade noch gefehlt! Hätte ich nicht ſchon größere Widerwärtigfeiten bezwungen gehabt, würde ich ficherlich meine fieben Sachen gepackt und auf den ganzen Himalaja verzichtet haben.
Je mehr der Mai verrann, um fo Iebhafter wurde die Saifon in Dardſchiling. Das Hotel war jet wirkfich täglich überfüllt, und der Aufenthalt wurde für uns nachgrade jhauderhaft. Der Tiroler war ja allerdings inmitten biefer vornehmen Gefellihaft eine fo ungewöhnliche Erſcheinung, daß nicht einmal die ruffiiche Legende nötig geweſen wäre, um ihn in für mic) unliebfamer Weije zum Mittelpunkt des Intereſſes der Ladies und Gentlemen zu machen.
Da erinnerte ich mi, an der Hauptftraße, die zum Bazar hinunterführte, einen leerftehenden Laden gejehen zu haben. Einzelne möblierte Zimmer waren in dem Ort nicht zu haben, und für das Aufftelen unſres Zeltes wollte niemand im Orte ein Fleckchen Garten- Iand hergeben. Ich entjchloß mich kurz, dies einſtöckige, mit Wellblech ge- deckte Häuschen zu mieten, bis Mr. White eintreffen würde. Der Be- fier dieſes Haufes verlangte natürlich die volle Vierteljahrsmiete und, um nur von den Bafilisfenaugen der ruffenfpürerifchen Hoteltafelrunde loszukommen, zahlte ich die zweihundert Rupien Miete, in der Hoff: nung, das Gewölbe beim Ausziehn anderweitig vermieten zu können.
Die zwölf Kulis, die meine Sachen von der Soldatenwitwe ins Hotel gebracht hatten, mußten wohl diefen Wendepunkt geahnt haben, denn Tag für Tag hatten fie mit dem Bettlergefindel an der Hotelthür gelauert, um unermüdlich ihre Dienfte anzubieten. Nun war endlich der große Augenblic erfchienen, wo fie mein rätfelhaftes Ge⸗
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päc wieder aufladen und in nicht grade ſehr glanzvollem aber fröhlichen Zug aus dem feinen Hotel in den leeren Laden fchleppen konnten, in dem früher Blechwaren verkauft wurden. Blech! Mir wird noch jegt kalt und warm, wenn ich dieſes Wort höre; man wird bald merken, weshalb.
Die Kuliweiber und -kinder legten meine wohl gezählten zwölf Gepäckſtücke — mit meinem Regenſchirm waren es dreizehn — auf den Boden des riefigen Gemachs, denn einen andren Raum gab es nicht in dem Häuschen; dann entfernten fich die unfaubren Geifter. Dod nein, fie gingen nur die drei Stufen vor meiner Glasthür hinunter, die ich hinter ihnen verfchloß; dann ftiegen fie wieder auf die Stufen und gloßten mit offnen Mäulern in den öden Raum, in dem ich) nun mit dem Tiroler auf unfrem Gepäd ſaß.
Nach der Straße beitand die Hauswand aus der Glasthür und zahlreichen Heinen Glasfenftern, die von dem Wellblechdach bis auf den Boden reichten; die andren Seiten waren Holzwände. In der nördlichen war eine Thür, die auf einen hölzernen Balkon führte, über den da3 Dach wegragte, und von diefem Ballon hatte man eine herrliche, freie Ausficht über den zu Füßen liegenden Marktplatz auf das Hofpital; auch die fernen Schneefelder der Sikhimalpen hätte ich von hier in Muße bewundern können, wenn fie nicht feit dem Tag unfrer Ankunft von dicken Wolken verhüllt geweſen wären, An dem Balkonende befand fich ein Heines Nebengelaß, das einen befondren Zu- gang von der Straße her für den Auskehrer, den „sweeper“, bejaß.
Man denke fih nun gütigft, daß in irgend einem deutfchen Krähwinkel zwei Zulufaffern angereift kämen und ſich in einem leeren Laden mit großen Schaufenftern niederließen! Wie würde e8 bald vor diefen Fenftern ausjehen? Ungefähr fo wie vor meiner Billa!
Ich vergeffe in meinem Leben nicht den Anblick, der mir wurde, al3 ih, nad) unfrem Einzuge mit dem Oeffnen unfrer Kiften und Koffer bejchäftigt, aufblieten mußte, weil ich eine zunehmende Ver— finfterung bemerkte: eine wahre Mauer von mongolifch zugefchnittnen Gefichtern ftand Kopf an Kopf draußen vor der Glaswand, und mit
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höchſtgeſpannter Neugier ſtarrten und ſtierten nun all dieſe geſchlitzten Augen auf uns und unſer weitres Thun in dieſen unſren neuen vier Wänden! Ich verhing den Wißbegierigen zunächſt den Einblick in unſre Verhältnifje mit ein paar Laken, dann braute ich einen duftenden Thee und weihte unfre Feldküche durch ein großartig aus⸗ fallende Gericht Glogaugen, auch Spiegeleier genannt, ein. Bei einem englischen Kaufmann, der eine Buchhandlung und zugleich einen Verlauf von alferlei Eßwaren be= trieb, hatte ich etwas „Schinken aus York- ſhire“ eingehandelt ; aus der Not eine Tu- gend machend, be- nußten wir unfre Kiften und Kaſten als Tiſch und Stühle und ließen’3 ung ſchmecken. Das Gemach maß etwa zehn mal zehn Meter, war alfo ein hoffnungslos unge⸗ mätliher Raum, Wir tollten unfre Kamel- haardecken auseinander und ſtreckten uns, darin eingemwidelt, auf dem Fußboden aus, um zu fchlafen.
In den legten Wochen war es ganz unerträglich gewitterſchwül geweſen; irgend ein furchtbares Naturereignis fchien in der Luft zu liegen, und mein Einfchlafen wurde durch die beklemmende, drückende Hitze nicht fonderlich gefördert. Die ganze Tageshitze ſteckte noch in dem Wellblehdach und ftrahlte auf uns herunter.
Während ich noch meine Betrachtungen über die auserlefnen
Reugierige Gaffer vor meinem Penfer,
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Genüffe meiner Reiſe anſtellte, ſchien es mir, als ob Sand oder etwas Aehnliches ganz leiſe auf daS Dach rieſſe; dann wurde es wieder ganz ſtill. Nach einiger Zeit brach dafür ein fchauderhafter Wirbelfturm 108; man hörte aufs und zujchlagende Fenfter, das Klirren von Scherben, das Pfeifen und Heulen des Sturmes. Einige Stunden währte diefe angenehme Nachtmufit, dann legte fich auch das Getöfe des Windes. Aber ein andre Geräufch blieb beftehn und betäubte faft mein Ohr. Es lang grade, als ob einige Taufend Tamboure vor der Thüre jtänden und ohne Unterbrechung mit aller Gewalt auf ihren Kalbfellen herummirbelten. Nun machen ja Trommeln und Bauten eine ganz herrliche Mufit, aber es mollte mir doch nicht recht gelingen, die Augen dabei zuzudrüden. Ganz jo wie man in einem Gartenkonzert einen Apfel faum anders als nach dem Takte des grade gefpielten Walzers zerfauen kann, fehienen auch meine Augen- lider daS Trommelgeraffel durch entfprechendes Zwinkern begleiten zu mollen. Selbft Hans war durch dies fürchterliche Gedonnre aus feinem Schlaf, der beneidenswert feſt zu fein pflegte, aufgefchrectt worden; verdutzt fragte er mich, ob und wo e3 brenne. ch jtand auf, ſchlug den gegen die Neugier unfrer lieben Mitbürger vor den Fenftern an- gebrachten Vorhang zurüc und öffnete eine diefer winzigen Scheiben.
„Herrgott!“ fehrie ich auf, „das ift ja Regen!"
„Unglaubmwirdig!" tönte das Echo aus Hanjens Munde.
Aber es war wirkfich Regen, gar nichts andres als unermeßlicher, mütender Regen, der mit wahrhaft höltifcher Gewalt auf unjer Well blechdach prafjelte. Es war mir jofort Mar, daß die von allen andren Menfchen in Indien inbrünftig herbeigejehnte Regenzeit an- gebrochen fei. Ich hatte urfprünglid) darauf gerechnet, beim Eintreten diefer Negenzeit bereits hoch im Gebirge, wohl gar ſchon jenſeits der Wetterfcheide des Hochgebirgsfammes zu jein, wo mir der Regen nicht mehr allzu hinderlich fein konnte, und nun erwifchte mic) die Regenzeit noch hier in Dardichiling!
Die Regenzeit ift befanntlich für ganz Indien von der aller-
Bord, Indiſche Gletjſcherfahrten. 5
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n Wichtigkeit, denn ihr Ausbleiben verſchuldet ſchlechte Ernten ungerönot. Mit welcher Sorge mujtert der adlerbauende Hindu simmel und harrt auf die aus Südweſten erwarteten Haufen- 1, die Borboten des regenbringenden Sommermonfuns und was für ure Summen werden durch Wetten auf das Fallen der erften Regen: n im englifchen Klubs in Indien gewonnen und verloren! die Gewalt und Maffe der Monjun-Regenmengen fpottet jeder Be— ung, aber es befommt wohl nur der Meteorologe eine deutliche ‚lung von diefer unerhörten Wafferfülle, wenn er lieft, daß im öftlichen Himalaja, nicht weniger als 508 cm durchſchnitt⸗ ihrliche Regenhöhe aufweiſt, Scherra Pundſchi in den Kafiabergen jam fogar 1270 cm, mährend Deutjchlands durchſchnittliche he Regenmenge an den regenreichſten Orten höchſtens 60 cm t! Die vernichtende, fündflutartige, von Erdbeben begleitete überſchwemmung im Jahre 1899 wird in Dardfchiling wohl ange in fürchterlihem Andenken bleiben. Beder Hans noch ich fonnten ung erinnern, jemals jo entfegliche erlebt zu haben, wie fie von num an mit ganz unbebeutenden n tagtäglich vom Himmel ftürzten. Vor unfrer Thüre ſchoß das x auf der Straße vorüber und verwandelte fie in entjeßlichen Hans jah mich mit Blicken an, die mehr ſprachen als Worte. 53 war flar, daß Freund Seife, den die Neugier ab und zu in Obdach führte, diesmal nicht log, wenn er fchadenfroh erklärte, n Durchfommen durch die Waldgebirge Sikhims jetzt in der Regen- :ausführbar ſei, namentlich, wenn ich dabei Bilder aufnehmen wollte. ‚Sie müſſen halt da8 Ende der Regenzeit abwarten!" war fein Ich fragte ihn, wie lange diefer Südweſtmonſun in Sikhim mich anzuhalten pflege. ‚Das ift hier fehr verfchieden," mar die leider nur zu wahre ort, „manchmal is e3 hier wirklich, als ob der Deibel det von 'n Rejen wechjefchnitten hätte!" Ich erfundigte mich nun bei zuverläfjigen Leuten, konnte jedoch
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feinen tröftlicheren Beſcheid bekommen, als daß der Regen nicht vor Mitte des Dftobers, manchmal aber erſt im November, völlig nachzulaffen pflege. Und jest hatten wir Mai! Es war wirklich zum Verzweifeln.
Wenn ich bei meinem Plane bleiben wollte, dem ich geduldig ſchon fo beträchtliche Opfer an Zeit und Geld gebracht hatte, konnte ich gar nichts Beſſres thun, als ganz ruhig in meinem trodnen Laden figen zu bleiben, meinen Thee zu trinken und abzuwarten. Der Tiroler erbleichte, als ich ihm diefen Entſchluß mitteilte.
Das einzige Mittel, glücklich über die bevorftehende Wartezeit wegzukommen, war Thätigfeit, und diefe hoffte ich in Sprachitudien und photographifchen Arbeiten zu finden, für die das aus allen Himalajaländern in Dardſchiling zufammenftrömende Völkergemiſch reiche Vorbilder zu liefern verſprach.
Vor allen Dingen richtete ich unfre Wohnung ein wenig gemüt- licher ein. Hans war froh, jeine Zimmermannskünſte verwerten zu kõnnen; er zerteilte den Rieſenraum durch einige Lattenkreuze, die ich mit billigen indifchen Zeugtapeten überzog und dadurch mehrere ftilvolle Zimmer herftellte, die ich dann mit einigen zierlichen aber feften Bambusmöbeln wohnlich ausjtattete. Die große Glaswand gab meinem photographijchen Atelier das nötige Licht. Durch die Thür trat man zuerft in einen Heinen Vorraum und von dort grabeaus in die Bohnftube und in die beiden Schlafzimmer, rechts in das Atelier, an das meine Dunkelkammer ftieß. Statt der Thüren zwifchen den einzelnen Räumen blieben die Ecken der Zeugtapeten wie Vorhänge beweglich.
Sobald das erfte kurze Ausfegen des Tag und Nacht niederpeitfchen- den Regens e3 gejtattete, ging ich auf den Marktplatz. Dort zu photo: graphieren hatte ich freilich aufgeben müfjen, denn ich habe ja wohl ichon berichtet, wie ſchlau mir Monfieur Seife die Bereitmilligfeit zum „Sigen“ bei den Eingebornen untergraben hatte. Aber mir war in einem pfiffigen Heinen Bhotijajungen ein deus ex machina geworden, wie ic) ihn mir gar nicht bejjer wünſchen konnte. Mit unmwiberfiehlich ſchlauem Lächeln winfte er mir, jobald er meiner auf
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Bazar anfichtig wurde, mit den Augen, denn er hatte flink zt, worauf e3 mir ankam, und ich fonnte gewiß fein, jedesmal in id einem entlegnen Marktwinfel eine feltiame Figur anzutreffen, n ich feinem Augenzwintern folgte. Nickte ich ihm dann zu- nend mit dem Kopf, jo war darauf zu rechnen, daß der Heine elskerl durch Schmeichelei oder Bakſchiſch diefe Perfon in mein zhaus lockte, deſſen zahlloſe Fenfterjcheiben ich mit geöltem Seiden- er belegt hatte, jo daß ich zwar Licht in Hülle und Fülle behielt, Reugierigen aber mit langen Gefichtern abziehen mußten. Diefen igen Gehilfen ftellte ich nun ſeſt als Diener, al „boy“ an, und follte merken, daß er, fo Elein er war, bedeutende Anlagen zum Gedanken⸗ hatte. Ich bin überzeugt, daß ich ohne feine Hilfe unter den ob- enden Umftänden niemals in die Lage gelommen wäre, nachzuweiſen, ibertrieben bie ungalante Märijt, Die oberflächliche Reiſende über die Igängige Häßlichkeit der Bhotijafrauen zu verfünden beliebt haben. Wie bei allen Völkern befinden fich natürlich auch unter den tijafrauen und Mädchen der niedren, ſchwer arbeitenden Klafjen yöne Erfcheinungen, von denen man einzelne ganz gut, ohne ı zu fehmeicheln, Drachen und Hexen nennen könnte; ſchon die golifche Gefichtsbildung macht eine unfaubre Bhotijafrau mit inem Gedankenkreis zu einem Scheufal. Aber in den wohlhabenderen Bhotijafamilien, die fich freilich von dem erſten beften europäifchen Bergnügungsreifenden hinter Gardinen gucken laſſen, giebt es ganz allerliebite, ſchelmiſche ıenzimmerchen voll gejunder Kraft und Grazie, mit prächtig n, ehrlichen Gefichtern, einzelne fogar von hervorragender Schön- und hoheit8vollem Benehmen. Mein Heiner boy hatte mir wohl an der Nafenfpige angefehn, jern ich einige diefer zurückgezogen Iebenden Schönheiten abgebildet und führte wirklich eines Tages eine junge nepalifche Frau der ten Klafje in mein Studio. Sie hatte zur Feier des Tages ihr 9 mitgebracht und wollte nur dieſes „ſitzen“ lafjen, woran mir
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freilich gar nichts lag. Ich ließ das Kind vielmehr links liegen und machte mich daran, die Frau Mama aufzunehmen, die bei jedem Schritte wie eine Galeerenſtlavin klirrte. Sie hatte nämlich nicht
Frau aus Nepal. Die Halstraufe befteht aus Rupie-Müngen,
nur die allgemein üblichen riefigen Zierate und Ketten und Nafen- klunker, um nicht zu jagen Berloques, angelegt, fondern fchien auch zeigen zu wollen, daß ihr Barvermögen nicht zu verachten fei. Eine die, ſchwere Kette aus Silberrupien — ich zählte hundert folcher
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— hatte fie ſich um die linke Schulter und rechte Hüfte gen, wie fi) unfre meißgeffeideten Jungfrauen wohl eine de von Eichenlaub umhängen. Um den Hals hatte fie fich flen Halstragen gelegt, den fich der Menſch ausdenfen kann, eine Halskrauſe aus an- und übereinandergelegten ebenfolchen aunzen. Nur unter der Bedingung, daß ich auch das Heine Würm- auf das Bild brächte, erlaubte mir jchließlich dieſes Prachtſtück x Schmuckliebe die Aufnahme, die dieje Schilderung erläutert. leicht hatte meine freundliche und fcherzende aber durchaus wolle Behandlung diefem Weibchen gefallen und ihre Er— die Neugier ihrer Freundinnen erregt, ſelbſt zu fehn, wie neinem geheimnisvollen Glashäuschen wohl zuginge, denn n nächften Tage bemerkte ich zwei auffallend reich geſchmückte näbchen in feftlichen Gemändern vor meiner Glasthür wie ig auf und ab gehen. Meinem unmiderftehlichen boy gelang auch dieſe ſchönen Kinder in mein Atelier zu bitten, und ich icht recht, ob ich meinen boy oder mic) für eine neue Auflage tenfänger8 von Hameln betrachten follte. Jedenfalls hatte des ftrömenden Regens von nun an offenbar Glüc bei dem Geſchlecht von Dardſchiling. Mein Photographenherz jubelte, diefe augerlefnen Mufter von Bhotijafshönheit fo vertrauens- mir figen fah, ohne daß der abfcheuliche Janhagel, der auf irkt und den Gaffen jede Aufnahme zu einer Qual machte, » dazwifchentreten Tonnten.
3 Bild diefer Schweitern fpricht eigentlich für fich felbit. hre Gefichter auch ein wenig flachgedrüdt und die Aeuglein yentümliche Hautfalten gefchligt ausfahen, fo gaben doch die ge- aut, das ſchön geordnete Haar, die faubere Kleidung, der reiche ‚ihr Anftand und ihre Heiterkeit den beiden Mädchen etwas minnendes. Und dazu denke man ſich die gefälligen, nicht ıen Farben diefer Gemwänder! Indigoblauer Ueberwurf, vrote Leibchen, cremefarbiges Untergewand mit langen,
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jaltigen, mehrfach umgeſchlagnen Aermeln, deren gelbſeidnes Futter und die darin ſteckenden Aermel eines Hemdchens aus weißer Seide zu ſehen waren und dazu eine Schürze in den tibetiſchen Lieblings- jarben Blau, Rot und Grün, in horizontaler Richtung geftreift.
Bornehime Bhotija-Mädgen.
Gradezu geblendet aber war ich, als ich die wertvollen Schmud- jachen meiner Modelle genauer betrachtete, die ein ganzes Vermögen darftellten. Die Armbänder aus Gold mit einem eingelegten eifernen Ring konnten als Juwelierarbeit befter Art gelten, denn die blauen Steine, mit denen alle diefe koſtbaren Stücke bejegt waren, Hatten feine ſchwarzen Riſſe oder fonftigen Fehler wie die Türkifen,
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die man gewöhnlich im Bhotijaſchmuck ſieht. Und auf was für ge—
ſchmackvoll geformten und verzierten Käſtchen ſaßen dieſe Steinchen! Die obre der beiden anſehnlichen Kapſeln, die die links ſitzende der zwei Schweſtern an einer Schnur aus Korallen und Bernſteinketten um den Hals trug, beſtand aus reinem Gold, die andre aus Silber. Und was enthielten dieſe wundervoll ziſelierten Behälter? Ich ſetzte meine zärtlichjte Bettelmiene auf, um einen Blick in das verſchloſſne Innre dieſer allerliebften beiden Schachteln thun zu dürfen, denn meine mündlichen Bittgefuche fanden fein rechtes Verftändnis; die Mädchen Hatten nämlich) vom Englischen nicht die leijefte und mein boy nur eine recht ſchwache Ahnung. Es ift ein zwar verbreiteter, aber ganz irriger Glaube, daß jeder Indier die Sprache des ihn beherrſchenden englifchen Volkes verflünde; wer es darin bereits fo weit gebracht hat, irgend eine Beamtenanftellung übernehmen zu können, wirft fich ftolz in die Bruft und wird von feinen weniger ge- lehrten Landsleuten mit Bewundrung „Babu“ tituliert. “ Schließlich ergab fi, daß in dem goldnen Amulett ein fehier enblofer, zufammengerollter Streifen aus vergilbtem Baftpapier ſteckte, auf dem tibetifche Schriftzeichen aufgemalt waren. Ein Theepflanzer aus Irland, der grade von feinen Pflanzungen in der Nähe Dar: dſchilings herauffam, um mich zu befuchen, erklärte mir, daß dieſe regelmäßig wiederholten Sätze die allgemeine geheimnisvolle Gebets- formel de3 Lamaismus feien, die „Um ma-nyi pe-me hum“ lautet, zu deutfch etwa: „DO du Juwel in dem Lotos!" Man thut jeden- falls beffer, die Religion der Bhotijas und der Tibeter Lamaismus und nicht Buddhismus zu nennen, denn von den edlen Lehren des Stifters diefer Religion, die darin gipfeln, daß jeder Menſch, ohne Unterfchied feiner Kafte, jogar ſchon auf Erden das Glück volliter Seligfeit genießen könne, wenn er, unter Geringſchätzung der welt- lichen Genüffe, ſtets nur Gutes dächte, fprädhe und thäte — von diefem Wort, durch das der fpäter Buddha genannte Fürjt Gautama Kapilavaftu volle 500 Jahre vor Chriftus feine Mithindus aus dem
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Zwange der Kaſten und von der Bevormundung der Brahminen erlöſen wollte, iſt dieſen Aſiaten wohl kaum noch etwas bekannt: dagegen werden ſie vollſtändig durch das Formelweſen und eine Unzahl von Kultusverrichtungen ihrer Prieſter, der Lamas, in ſtumpfſinniger Unterwürfigkeit erhalten. Für den Wißbegierigen füge ich hier gleich Hinzu, daß der Name „Vhotijas" eigentlich nur den aus Bhot, das heißt Tibet, eingewanderten Rumpas zulommt, daß aber geröhnlich alle mongolifch-tatarifchen Stämme in Silkhim, die Lept- ſchas, Limbus, Murmis, ſowie deren Mifchlinge mit den Tibetern furzweg mit dem Namen Bhotijas bezeichnet werden.
Die filberne, noch geräumigere Hülfe wollte mein ſchöner Gaft aber durchaus nicht öffnen. Ich kramte vor ihr alles aus, was von meinen Habjeligkeiten vielleicht merkwürdig für fie fein konnte, um fie mitleidig zu ftimmen. Doch weder die Bilder'meiner Lieben daheim, noch die Zauberkraft des Hufeifenmagneten, mit dem ich die Stahlftäbchen in meinem Maximum⸗ und Minimumthermometer zu leiten pflegte, noch eine Heine Mufikuhr, die ich ihr zum Gefchen? anbot, machten irgend einen Eindrud auf den Troßfopf. Da griff plößlich ihre Schweiter nad) dem gemwichtigen Schmuckſtück, riß die Schachtel ohne meitres auseinander und ftürzte den Inhalt auf den Tiſch. Ich glaubte zuerſt, es fämen ein paar Rattenſchwänze herausgepurzelt! Haftig wickelte bie hocherrötende Bhotijapringeffin diefe beiden Haarzöpfchen wieder zufammen und packte fie nebſt den ebenfalls herausgefallnen vier Hornfpänen, die wie beſonders lange Fingernägel ausjahen, wieder in ben Eoftbaren Behälter. Ich wußte damals noch nicht, daß dieſe Leutchen ihre höheren Lamas fo ſehr verehren, daß fie jelbft deren Fingernägelabſchnitte fammeln und als Reliquien bei fich tragen; mas für Einfluß folc ein Talisman auf die Inhaberin äußert, hat man mir allerdings nie ganz deutlich verraten. Die Bedeutung der Rattenſchwänz⸗ hen werde ich ſpäter enthüllen; auch fie war mir damals noch unklar.
Wa3 aber bejonder8 der auf dem Bilde links Sitenden ein vornehmes Ausfehen verlieh, war ein feltfamer Kopfkranz, der das
ein umgab. Patuk nennen die geflochten ift, genauer gefprochen oder Dſchubbuh, eines Baftards kranz wird mit rotem Tuch über- n ſchließlich dicke Knollen von BVernftein und Korallen, ſtellenweis auch vielfträhnige Silberfäden genäht.
Die Ohrringe der älte- ten Schweſter beſtanden eben⸗ falls aus Gold, reich mit tadelloſen Türkiſen beſetzt; das Bild erſpart mir die langatmige Beſchreibung. Der Leſer ſieht auch auf der Tafel mit Schmuck die Formen dieſer Ohrringe und ebenſo die der Amulette, wie ſie ſämtliche Bhotijas tragen; ganz beſonders muß ich aber wohl auf das Kettchen hin⸗ weiſen, an dem allerlei für die Körperpflege nötige Ge- räte hängen: ba fehlt weder . eine Heine Zange, um uner⸗
in winziges Löffelchen, noch eine it bei diefen Hilfsmitteln. Unfre ı ber Weite angehaft und zum ijamädchen haken fie ins Haar. 1g ihr vom Gürtel herunter und 5eidenbändern, mit denen Die Regenzeit jo entjeblich kotigen
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Straßen weit höher emporgerafft werden, als dies bei uns üblich iſt.
Wenn ich meinen Beſuch vorhin als Bhotijaprinzeſſin bezeichnete, ſo habe ich dazu inſofern ein Recht, als die Mädchen aus der Familie des Gyal-Po, des einſtigen Herrſchers von Sikhim, ftammten. Da ich in dieſem Buche nicht die Aufgabe habe, die Geſchichte des Landes Sifhim zu erzählen, erwähne ich nur, daß fie eine unaufhör: liche Folge von Kriegen mit Tibet und den andren Nachbarländern Nepal und Butan ift, von Reibereien mit den Engländern, von allerlei gebrochnen Verfprechungen und Verträgen, die im Jahre 1889 das Ergebnis hatten, daß dies fruchtbare, ſchöne Land und das herr- liche Dardſchiling für immer in die Hände der Engländer geriet. Diefer Ort, der diefelbe Jahrestemperatur wie das gefegnete Meran hat, nämlich nur 12,50 C., £ \ ift in der That eine wahre Wohlthat für folche Europäer geworden, deren Gefundheit dem indie “> ſchen Klima ihren Tribut zahlen mußte, und der mas Gandgelent ge vege Beſuch Darbichilings hat bereits ein An- wurkmunang ner wachſen der bis 1835 ganz unbedeutenden Ein- wohnerſchaft diejes Bezirls auf mehr als zweimalhundertfünfzigtauſend Seelen bewirkt. Der Fürft von Sikhim erhielt nach dem Friedens: ſchluß einen englifchen Refidenten als „Ratgeber", ließ fich aber auf allerlei Ränte ein, die ihn veranlaßten, im Jahre 1892 durch Nepal nad) Tibet zu fliehn. Auf der Flucht wurde er von den Nepalern ge- fangen und den Engländern ausgeliefert, die ihn in ein Dorf bei Dar: dſchiling verbannten; meinen Befuch bei ihm werde ich fpäter erzählen.
Nachdem ich mich ſchließlich überzeugt hatte, daß die junge Dame trotz meines Beiftandes nicht die ſchneeweiße Mufchel, die ihr rechtes Handgelent umfpinte, herunterzuziehen vermochte, daß diejer an- ſehnliche Zierat vielmehr feft in den fleifchigen Unterarm eingewachſen war, verließen die Holden fröhlich und zufrieden, daß das Photo- graphieren gar nicht wehgethan hatte, meine Sommerwohnung. Das
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Rind mußte wohl feſt überzeugt ſein, daß ihr Verlobungs- — denn das mar zugleich das Schmuchſtück — nicht abzuftreifen hätte fonft ficherlich nicht meine bezüglichen Verfuche geftattet, weil intfernung diefer Zierde als gemwaltiges Unglück betrachtet wird. 3 Kleinod wird aus der auch von den Brahminen als Blas- nent verwendeten Opferhornmufchel (turbinella rapa) ange aber das in meiner Sammlung befindliche Stück fann ich freilich mit andren Gedanken betrachten, al3 fie Hamlet beim Anblic oricks Schädel empfindet, denn es ift nicht eher möglich, diefen ick von dem Körper zu trennen, als nachdem er fich bereits der Mutter Erde vermählt hat und zu Staub zerfallen ift. m muntven Bhotijafraudhen mag wohl die hier abgebildete el einft den rundlichen Arm geſchmückt haben? Munter find nlich alle ohne Ausnahme. Schon nach zwei Tagen famen meine guten Freundinnen wieder, achten fie diesmal noch ein paar andre Verwandte mit, einen Buben von etwa acht Jahren und ein luſtiges Ding in fähigem Alter. Dieje beiden jchleppten Bambusrohrjtüde mit vie ich fie bei den Milhhändlern auf dem Markt und auch exeit3 fo vieljach in den Händen der Eingebornen gejehen hatte, h ganz erftaunt war, daß die Bhotijas jo viel Milch zu trinken n. Das übermütige Mädchen fauerte fi) ohne alle Ziererei den Jungen, ließ aber ebenfowenig wie der Bube das Bambus- aus der Hand; ab und zu faugten die beiden dann mit ficht- Behagen an einem langen dünnen Röhrchen, das in den annen ſteckte. Mich trieb die Neugierde, mich niederzubeugen nmal den Dedel eines diefer mit Bronze bejchlagnen dicken üde zu lüften. Kaum bemerkte die wilde Hummel meine Ab- ils fie auffprang, mir in herzlicher Schalfhaftigfeit einen Klaps : Schulter verfeßte, das Gefäß in die Höhe hob und mir unter einer Heiterkeit das lange Saugröhrchen in den Mund nötige. Niene zum Eindlichen Spiel machend, jog ich und faugte, doch:
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„Hilf, Himmel!“ rief id) plötzlich, „die Milch iſt ja Vier!“
Die Götter im Olymp fönnen beim Anblick des bekannten, jeltfamen Nebinhaltes nicht jo herzlich gelacht haben, wie meine fröhliche Gefelljchaft bei der Veränderung in meinen Zügen, deren
Hirjebier teinfende Bhotija-Rinder.
Urfache -ich bereit3 in der Bhotijaſprache zu äußern vermochte. Draußen ſchoß der Regen wie aus Millionen Feuerfprigen vom Himmel, jo daß mein Blechdach rafjelte und dröhnte, und drinnen wackelte meine ganze Holzbube vor unfrem unbändigen Lachen, daß die hundert Fenſterſcheibchen Elirrten. Ich habe ja mit lieben, treuen
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Freunden gar manchen guten Trunk gethan, ſelten aber hat mir ein Frühſchoppen ſo unvergleichlich gemundet wie das harmloſe Gelage mit dieſer unſchuldsvollen Jugend! Mochten draußen auch Dummheit und Bosheit allerlei Knüppel zuſammenſuchen, um fie mir zwiſchen die Füße zu werfen — folange mein guter Humor ſolche Nahrung fand, war mir wirklich nicht bange!
Es war gar nicht fo leicht, von den beiden jugendlichen Zechern ein brauchbares Bild zu machen, denn unter dem Einfluß des
GHirſebiers wuchs ihre Heiterkeit fo gewaltig, daß ich mir das „Witte, recht freundlich!" erfparen konnte. Das junge Mädchen fchien wirklich die redlichjte Abficht zu haben, ftill zu fien; fobald fie mich aber anfah, erinnerte fie ſich gewiß der Milch meiner thörichten Denkungs- art und platte 108, daß ihr die Thränen über die Wangen liefen. Und doch war mein Irrtum ſehr verzeihlich, da mir jeden Morgen unfre Milchfrau ein ganz gleiches Bambusrohr voll Milch zuftellte. Hans gab mir übrigens den Rat, ftatt diefer „greifigen Gefellin“, bei deren Anbli die Milch fauer würde, ein „feiches, ſaubres Milchmadel“ mit der Milchlieferung zu betrauen, und ich habe auch den Rat des in der Milchwirtſchaft jo erfahrenen Tiroler nicht zu meinem Schaden befolgt. Der' Kleine ſchien übrigens zu denken: ‚Schwefterchen, du lachft zu viel und trinkt zu wenig,‘ denn er hatte feinen Schoppen leergejaugt, bevor noch eine Aufnahme ge- lungen war.
Wie eine gute That gewöhnlich andre im Gefolge hat, jo follte diefer erfte Schluck Hirſefreibiers nicht der legte bleiben. Gegen mein Verfprechen, das Bild zum Abdruck zu bringen, fall ich je ein Buch über meine Reifen ſchriebe, hatte ich fpäter fogar den Vorzug, die fürjtlihe Familie aufnehmen zu dürfen. Dem würdigen Papa Syal-PBo fchien der Verluft jeines Reiches wenig Kummer zu machen; vielleicht behagte ihm auch ihr Erfah, die fette Rente, die er von den Engländern bezog, beffer als die früheren Regierungsforgen und die dürftigen Abgaben feiner einftigen Unterthanen, nämlich ein
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Tuch und zwei Pfund Salz für jedes Haus, zwei Pfund Butter für jeden Yak. Ich erfuhr jedoch kürzlich, daß ihn die Engländer im Jahre 1896 wieder in die Regierung feines Landes eingejegt haben, natür- ich unter ihrer Obhut. Mit Wohlmollen gab er mir zu verftehen, daß ich das Recht hätte, aus jedem Bambusrohr zu faugen, das ich in feinem Familienkreife erblickte. Da er nun nicht nur ſelbſt einen ungeheuren Humpen neben fich ftehen hatte, fondern auch jede der drei Damen feines Haufe, die er wohl in der Vorausſetzung meiner Vorliebe für holde Weiblichkeit um ſich verſammelt hatte, und ſelbſt die kleinen Töchterchen ihre Stammſchoppen zur Stelle gebracht hatten, ſo kann man ſich ja wohl denken, in was für einen feuchtfröhlichen Zuſtand zu kommen ich damals Gelegenheit hatte. Alle dieſe weiblichen Weſen trugen majeſtätiſche Kopfkränze und gingen in ihrer Huld fo weit, mir zu erlauben, genau zu erforfchen, wie fie diejen „Patuf” auf dem Kopfe fefthielten. Den glatten Mittelfcheitel hatten fie am Wirbel treisförmig um einen Strahn Haare herumgezogen, und in der Mitte dieſes Kreifes das Ende des Kettchens eingehakt, da3 den Kopfkranz in die Höhe hielt. Ich überzeugte mich auch bei dieſer Gelegenheit, daß die Rapfeln, die den Damen an den Koſchia genannten Ketten aus bunten Steinen vor Bruft und Magen hingen, meift Buddhafigürchen einſchloſſen.
Recht lehrreich war es auch für mich, zu ſehen, wie der Bierſtoff für dieſe Familienkneiperei erſt kurze Zeit vor dem Bedarf zubereitet wurde. Die gegorene Murmahirje (Eleusine coracana) befand ſich in einem Vorratskorbe, aus dem in jeden Bierfchoppen Eine Handvoll abgefüllt wurde; aus einem Kefjel wurde dann ſiedendes Waſſer ein- gefüllt, und nad) einiger Zeit ftand ein Trunf zur Verfügung, der ungefähr wie laue3 Berliner Weißbier ſchmeckte und jo harmlos wie Leipziger Gofe auf mich mwirlte,
Durch die Einrichtung meiner Künſtlerwerkſtatt, meines „studio“, wie die Engländer dafür jagen, hatte ich mir ahnungslos den giftigen Haß des vortrefflichen Seife zugezogen. Ich ahnte ja nicht, daß
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früher auch einmal in der edlen Lichtbildnerei verfucht, diefe Kunft aber wieder an den Nagel gehangen hatte, al er ſah, : doch erft eine ganze Menge fleißiger Arbeit aufwenden müffe, me Erzeugniffe jo gut ausfielen, ein Gejchäftchen damit machen men; da3 war nicht nad) Monfieur Seifes Geſchmack, der andre für fich arbeiten ließ. Daß es mir glücte, regelmäßig ſilder herzuftellen, war ein Verbrechen, das mir ein jo hämifcher ye nicht verzeihen konnte, und daß ich eine jo ehrliche Haut m Tiroler al3 getreuen Gefährten an der Seite hatte, ließ auch zu einem Dorn in feinen Augen werden. mdlich erfuhr ich, daß Mifter White, der „political agent“ für 1, angefommen fei. Ich legte meinen ſchwarzen Anzug bereit, ım fehleunigft einen Beſuch zu machen, ging aber erſt noch in die Dunfelfammer, um bie legte Platte einer großen I von ausgemählt ſchönen und feltnen Aufnahmen zu ent 1, die ich am Tage vorher gemacht hatte; die andren bereits hervor- en und gemafchnen Glasnegative ftanden in Reih und Glied auf Geftell zum Trocknen im Atelier, und mir [achte das Herz, fo oft fe Föftlichen Aufnahmen erblickte. Während ich in der Dunkel x arbeitete, hörte ich, daß jemand, ohne anzuffopfen, ganz uch die Glasthür in das Atelier trat. Der Tiroler war an runnen gegangen, um eine Kanne Wafjer zu holen, und da ? Dunfelfammer während des Entwickelns der Platte nicht en konnte, fragte ich durch" die Thür, wer gelommen fei. Zu a Mißvergnügen hörte ich die Stimme des lieben Seife, der ı Atelier etwas zu fehaffen machte und vorgab, mir die An- Mifter Whites melden zu wollen, die doch bereits jedes Kind Ich erfuchte ihn, mein Haus wieder zu verlaffen, hörte ihn noch fortwährend in dem Atelier herumhantieren, fo daß ich cch meine Platte im Stich ließ, um aus der Dunfellammer 3 Atelier zu treten. „DO Pardon!“ fagte überrafcht Freund und ftellte eine Negativplatte, die er grade in der Hand hielt,
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wieder auf den Plattenbod; dann verließ er, eine gewaltige Rauch- wolle aus feiner Zigarre durch Die Stube paffend, ohne auch nur den Hut zu lüften, das Haus,
Mein Heiner Diener kam jetzt ganz aufgeregt aus dem anftoßen- den Zimmer gejtürzt, von dem aus er den braven Seife beobachtet hatte, wozu er nur den Vorhang ein wenig beifeite zu fchieben brauchte; er fief auf meinen Rod zu, den er erſt vor einer Stunde ausgebürſtet hatte und zeigte mir entrüftet ein ganz riefiges Loch, da3 Seife mit Hilfe eines krummen Nagels, der noch auf dem Tifche lag, in den Oberarm des fchönen ſchwarzen Rockes geriffen hatte; dann wies der fleine Kerl auf das Plattengeftell hin. Ich glaubte vor Wut und Scham über fo viel menfchliche Bosheit in die Erde finten zu follen, denn der edle Seife hatte fich das kindliche Ver- gnügen gemacht, feine brennende Zigarre in die Nähe jedes auf den Negativen abgebildeten Gefichtes zu halten, bis die moch weiche, feuchte Gelatine an den betreffenden Stellen breiartig auseinander: geflofjen war.
Ich war nahe daran, mit dem heimfommenden Hans zu dem nieberträchtigen, neidifchen Buben Hinzugehen und ihm endlich einmal die gebührende Tracht Prügel zufommen zu lafien; jedenfalls war ich feft entfchloffen, bei der nächften Gelegenheit die Sache ins Reine zu bringen.
‚Den Rod brachte ich zu einem mufelmännifchen Schneider, der neben mir wohnte; ich mochte den Mann ganz gut leiden, denn er ſchien ein Verehrer der ſchönen Künfte zu fein, und für die habe ich ftetS einige Zuneigung übrig. Häufig fanden ſich jpät abends feine Freunde bei ihm ein, deren gemeinfchaftliches Mufizieren mich dann in den Schlaf wiegte, weil jeder Ton aus feiner Wohnung durch die dünne Holzwand an mein Ohr drang. Einmal, es war grade in der Nacht meines Geburtstages, Tonnte ich der Verfuchung doch nicht widerftehn, die Künftler perfönlich kennen zu lernen; ich ſteckte mir eine Flaſche Cognac unter den Arm und ging hinüber. Ich
Doed, Indiſqe Bieticerfaßrten. 6
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freundlich willkommen geheißen, von meinem Cognac nicht3 angenommen; dafür ging ihre Wafferpfeife von ınde, an dem meinigen jedoch vorüber. In dem Orchefter Ber einer altindifchen Winada-Guitarre drei Trommeln, ind Caftagnetten aus Stahljtäbchen, und höchſt ergötzlich wie der Vorfänger bei gefühlvollen Stellen die Augen tierter Schaufpieler ſchloß oder verdrehte; merkwürdig rzen, unvermittelten Schlüffe, mit denen alle Muſikſtücke abrijjen.
Ein Schlafmittel wurde aber auch nach) und nach wirklich nötig, denn das Nacht für Nacht auf unfrem viefigen Dach aus verzinktem Eiſenwellblech rafjelnde Negengetrommel hatte mir bereits bedenkliche Schlaf- Iofigfeit zugefügt. Es Elang nicht anders, al3 wenn ohne Aufhören Flintenkugeln aus ungeheuren Höhen über dieſes Blechdach gefchüttet würden, und ich fing an, auf alles, was Blech hieß, einen heimlichen Groll zu befommen. Als nun gar noch hie und da Kauf: Iuftige in Erinnerung an den früheren Bewohner des Ladens bei mir eintraten, um anzuftagen, ob
yäft wieder eröffnet fei, und ob wieder die fo beliebten 3 Blech zu haben feien, da ſchien mir das Wort „Blech“ de3 Entjeglichen zu fein. Diefe landesüblichen Blafe- erkwürdig genug, denn fie bejtehn aus einer Rupfer« tr ein Kleines Loch an der Spige ihres umgebognen diefe Flajche wird erwärmt und der Hals in Wafler uch) fich die Flafche beim Abkühlen vol Waſſer faugt. : Flafche wird ſchließlich in die Rohlenglut geftellt, die der uchende Dampf dann zu helllodernder Flamme anfacht. yähnten Nachbar Schneider vertraute ich den Bratenrock in gleichartiges ſchwarzes Kammgarnzeug auftreiben ließ, nen Aermel einzufegen, bat ich ihn himmelhoch, das
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große Loch möglichjt gut zuzuftopfen; das verſprach auch der Nadel- held, nur meinte er e3 etwas zu gut, denn er flickte noch einen ſchönen bfauen Fleck auf den geſtopften Riß. An dem fchönen Blau an ſich war gar nicht auszufegen, aber auf dem ſchwarzen Aermel ſah es wie irgend ein geheimnisvolles Abzeichen aus. Als ich diefe Glanzleiftung erblidte, befam ich eine Lachanwandlung, die den Schneider mit einem entjeßten Bockſprung in die Höhe ſchnellen ließ; ex fchien ernftlih an meinem Schönheitsfinn zu zweifeln, als id) ihm erklärte, mit einem fo buntfchedigen Gewande nicht einhergehn zu wollen. Ich wußte damals noch nicht, daß fein Europäer bei einem Indier neue Kleider anfertigen läßt, daß aber die indifchen Schneider nad einem vorhandenen Mufter ganz außerordentlich genau ein gleiches Kleidungsftüct anfertigen könnten, fonft hätte ich meinem lieben Nachbar einfach den Invaliden dagelafjen und mir danach einen neuen Tuchrock machen lafjen; ber hätte dann gefeffen wie angegoffen. Der beturbante Meifter Fips verſprach aber, den Rod in vierund- zwanzig Stunden fertig zu machen, und da feine Tuchprobe mir zuſagte, ließ ich mir zu einem neuen Rode Maß nehmen. Das Kerlchen maß und fchrieb, ftrich dann aus und maß wieder, um nochmals auszuftreichen, was er gefchrieben hatte. Wie freute ich mid über diefe Gemwifjenhaftigleit — das mußte ja ein mahres Meifterftüct werden !
Am nächften Morgen probierte ich da3 Staatsgewand an. Ich glaubte zuerft, der Schneider hätte fich verfehen und mir den Rod eine3 ausgewachſnen Jungen in die Hand gegeben. Als ich mit vieler Mühe in die Aermel geſchlüpft war, rutſchten diefe fogleich bis an die Ellbogen hinauf, die rechte Schulter war viel zu breit, die linke ein wenig zu ſchmal, und von Zufnöpfen war keine Rede. Man bekommt ja in Dardichiling manchmal recht ſeltſame Koftüme zu jehen, ich glaube aber doch nicht, daß ſchon jemals ein ähnlich figender Roc auf der Promenade, auf der „Mall“ zu fehen gemejen ift. Mit welchem Bli und mit wie heißem Dank ich dem großen Manne
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ſein Erzeugnis in die Arme legte, brauche ich wohl nicht erſt zu ſagen. Kenner tröſteten mich durch die Bemerkung, ich könne froh ſein, dem Schneider nicht den urſprünglichen Rock als Muſter gegeben zu haben, da er ſonſt gewiß in der üblichen, bis ins kleinſte gehenden genauen Nachbildung der Vorlage auch bei dem neuen Rock einen ebenſo herrlichen blauen Fleck auf den Aermel geſetzt haben würde.
Nachdem ich die Gewalt des Monſunregens in Sikhim durch tägliche Erfahrung gründlich Tennen gelernt hatte, mußte ich mir doch jagen, daß es ein beinah unfinniges Unterfangen wäre, felbft wenn ich die Erlaubnis dazu exhielte, bei fo niederfchmetternden Waſſer— maffen meine Reife nach dem Kanſchendſchunga anzutreten. Wenn es auch richtig fein mochte, daß oberhalb der Grenze des ewigen Schnees die Niederſchläge an Regen oder Schnee geringer fein würden, fo lag doc) die Gefahr nahe, vorher in Sümpfen oder Wildwafjern zu ertrinken; einen Verfuch wollte ich jedoch unter allen Umftänden wagen, um zu erfahren, wie weit ich fäme. Auf Herrn Seifes Hilfe hatte ich verzichtet, dagegen verjuchte ich jeßt, durch meinen boy einen „Sirdar“ zu erhalten, der mir geeignete Träger beforgen konnte, denn die fchlotternden, kümmerlichen Bazarkulis, die am Bahnhof
herumlungerten, konnten natürlich nicht in Betracht
kommen. Nun führte mir der kleine Kerl zwar ein paar ſolcher Sirdare zu, doch zeigte ſich bald, daß dieſe nur einen der üblichen Heinen Ausflüge nach dem Tibenſche Eirdare. Schutzhauſe Sun-
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dugfu oder nad) dem Tempel Pemiontichi im Sinne hatten. Sowie die Leute hörten, um was e3 fich handle, erbebten fie und erklärten, es fei überhaupt ganz unmöglich, für eine folche Reife ins Ungemiffe außerhalb der üblichen Wege Träger zu befommen; mit diefer Vor- herfage entfernten fie fi).
Der eine Sirdar, ein wirklich recht unternehmend ausjehender Mann, kam nad) einer halben Stunde zurück, um mir zuzuraunen, daß er trogdem die Sache unternehmen wolle, ich möchte ihm nur immer ein Handgel von hun- dert Rupien geben, um Träger anwerben zu kön⸗ nen. ‚Aha! dachte ich und erjuchte den Dann, mir doch erſt einmal am nächſten Tage einige der Leute, die er ins Auge gefaßt hätte, „marfch- fertig" vorzuftellen.
Und er fam! Du lieber Gott, was brachte er mit ih? Ein paar Bahari-Rulis, Kerle, die Rräar DI Zum am an End asen zwar ſehr feſte Muskeln zu haben ſchienen, die aber jedenfalls noch nie über ein Schneefeld ge— gangen waren. Schuhwerk ſchienen ſie ſämtlich für einen verwerflichen Luxus zu halten; einer von ihnen hatte ſeine Unausſprechlichen für dieſe Reiſe, wohl der Erſparnis halber, durch einen herunterhängenden Zipfel ſeines Hüftentuches erſetzt, und ein andrer zitterte ſchon jetzt in ſeinen leinenen Kniehöschen, die ihm der Regen an die Schenkel gepeitſcht hatte. Aufgepackt hatten die Burſchen allerdings, als ſolle
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ang marſchiert werden, aber als ich in die rieſigen Tragkörbe die ſie am Stirnband ſchleppten und darin wärmende Decken leider und Reisvorräte vorzufinden erwartete, fiel ich denn doch auf den Rücken. Was hatten die Helden für die Reife ein- t? Rettiche, Salatblätter, Grünkohl und — ich traute meinen ı kaum — Brenneffeln, ftrogend grüne Brennefjeln! Dazu euerliche, ſchwere Bronzekeſſel, ein paar ſchmale Bambustaſchen, ien rohe Eier ſteckten, und obenauf ihren Regenſchirm, keinen üfchen, ſondern einen landesüblichen, das heißt zwei dünne, aus en geflochtne Matten, die an einer Seite zufammenhängen ls Regenſchutz über Kopf und Schultern geftülpt werden. der Tiroler würdigte diefe Leute feines Blickes. Er war offen- ı feiner guten Verfafjung, und das lange Stillliegen konnte an ftarfe Körperbewegung gewöhnten Manne feiner Art auch h nicht zuträglich fein. Bon Tag zu Tag war er mißmutiger infilbiger geworden; ich merkte, daß er fich mit einem großen ten trug. Er that mir in der Seele leid, und ic) zerbrach mir opf, um herauszubefommen, wie ihm wohl zu helfen jei. Da : Hans ganz plöglich den Vorſchlag, ich folle ihn auf dem iten Wege nad) Bombay hinunterfchaffen, von wo er dann nad; Europa fahren fönne; die Regenzeit könne er hier un- h mit aushalten! Das wäre nun freilich für ihn ganz praftiich n, da er dann grade noch zur Sommerreifezeit nach Tirol ge- m wäre — aber ich hatte ihn doch nicht mitgenommen, damit einen Augenblick das Schneegebirge von Dardſchiling aus an- n fonnte, i8 mar fein Zweifel, daß der Tiroler noch mehr als ich durch endlofen Regen, der nur auf ganz kurze Stunden durch ab: ch ftechenden Sonnenfchein unterbrochen wurde, feinen Mut ine Kräfte verlor; „man wird armfelig ſchwach dabei!" klagte zlich. Als Hilfsmittel hatte ihm zum Unglück einft Freund den Genuß von recht viel Cognac empfohlen, und in der That
bemerkte ich, daß Hans ſich angewöhnte, fein Trinkwaſſer dur Cognac zu veredeln. Ich ftellte ihm vor, daß es beffer fei, den Durſt Hier überhaupt nicht mit Waffer, fondern mit Thee zu Löfchen, doch Hans erklärte, daß er durchaus Waffer brauche, da ihm das Efienfonft „das Herzabbrenne”,
„Bier in Indien aber muß ein ftarfes Getränk in das Waſſer Tom: men, "belehrteer mic, „denn hier hat das Waſſer viel zu viel Feuchtigeit!" Nun wußte ich's wenigſtens.
Tag für Tag jaß Hans, wenn er mir nicht bei photo- Promenade in Darbfhiling. Dahinter Bazar und Hofpitat, graphifchen Ar- . beiten zur Hand ging, auf dem Holzbalfon und jtarrte wie ein Ritter Toggenburg in Lodenjoppe” nad) der Richtung des Hofpitals, hinter dem, wie er mußte, die Schneegipfel lagen; doch entweder verfchleierte ein dicker Wolkenvorhang ober ftrömender Regen den Anblick dieſes Gebietes, daS uns fo beharrlich verichloffen zu bleiben ſchien. Alles andre, was ſich da unten auf dem Bazar abipielte, tonnte den Tiroler nicht feffeln, und als ich ihm einmal einen Vortrag über bie dort verivetnen merkwürdigen Raffen hielt, meinte er achjel- zudend: „Sehr gleichgiltig, was fir Razen es hier giebt!"
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Nah und nad) hatte ich einen ganz netten Kreis englifcher Herren fennen gelernt, die ſich an dem allmählich doch als alberne Fabel erfannten Aufjenverdacht nicht länger ftießen, fondern mich zu Heinen Ausflügen in die Umgegend einluden. Beſonders in dem Vürgermeifter von Kurfeong, Mr. Earle, Iernte ich einen ganz außer- ordentlich gut unterrichteten Herrn Tennen. Sein Haushalt zeigte mir, wie behaglich der Europäer in Indien zu leben vermag, fobald ex über das nötige Kleingeld verfügt, für jede Verrichtung einen eignen Diener anjtellen zu fönnen. Ein „anfpruchslofer Heiner“ Haushalt, wie der Herr Bürgermeifter den feinigen nannte, erfordert in Indien gewöhnlich die Kleinigkeit von folgenden 32 Dienftboten, deren Monat3lohn ich in Rupien eingeflammert beifüge: Kammerfrau, „Eia“ gerufen, (10), Amme (10), Rindermädchen (4), Hausmeijter (10), Koch (10), Rammerdiener (10), Hausdiener (8), Ausläufer (6), Küchenjunge (5), Ausfeger (5), Wäſcher (13), Wafferträger (5), Schneider (10), Geflügelwärter (5), Viehhüter (6), Nachtwächter (5), Kutſcher (8), 3 Pferdeburfchen (15), 3 Futterfchneider (12), 6 Fächer: ſchwinger (24), Gärtner (6), 2 Gärtnergehilfen (83). So gering jede Bezahlung auch ift, verlangen diefe Löhne zufammen jährlich doch das Sümmchen von 2328 Rupien! Troß diefer riefigen Dienerzahl giebt es aber häufig Streit, wer ſchnell eine dringliche Beſorgung machen oder einen Rock abbürjten fol, wer ein Stück Papier von der Erde aufzuheben und wer dem geftrengen Weißen, dem Sahib, den „Peg“ einzufchenten hat. Dieſes finnreiche Getränt braut fich "u der nach Indien kommende Engländer, eingedent feiner guten Grund- B fäge, anfänglich jelbft und tröpfelt fehr brav ein winzige Gläschen Whisky zu einer vollen Flafche geeiften Sodawaſſers. Iſt er aber erft einige Jahre im Lande, fo bemeift er, daß er ſich an das Klima gewöhnt hat und duldet, daß fein verſchmitzter Kammerdiener dieſes Miſchungs⸗ verhältnis allmählich umkehrt, wahrſcheinlich um auf diefe Weife die fo ungefunde Feuchtigkeit völlig aus dem Waſſer zu verdrängen.
Am 17. Juni war ich wieder nach Kurfeong gegangen; der
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„magistrate“ wollte mir einige ungeheure Motten zeigen, die er ges fangen Hatte, denn er war ftolz auf jeden feiner köſtlichen Schmetter- linge, den er eigner Anftrengung verdanfte. Während ich, auf einem Fußpfad über die Wiefe dahinfchreitend, zu den unten auf der indifchen Ebene liegenden Wollen hinunterfchaute und auf das Geräufch hörte, das die Inſelten in den Theegärten machten und das ich zuerft für das Hämmern von hunderttaufend Steinfiopfern hielt, ſchien es plöß- lich merkwürdig dunfel zu werden; ich blickte auf und fiehe da: die Sonne war vom Himmel verfchmwunden! Es war grade 5 Uhr 15 Minuten. Gleichzeitig erhob fich ein jämmerliches Gefchrei aus der Gegend von Kurjeong her, alle Bhotijas rannten wie unfinnig nad) ihrem Buddhatempel, aus dem ein furchtbares Trommeln, Tuten und Tamtamgepaufe hervorjchallte. Die Hindus dagegen Tiefen Hals über Kopf nad) einem heiligen Tümpel, um dem vermeintlichen Welt- untergang in dem unfaubren aber heiligen Waffer entgegenzufehn. Nie zuvor hatte ich eine totale Sonnenfinfternis beobachtet und fand das unerwartete Schaufpiel — den Uebergang der Sonnenfichel in einen Haardünnen Goldreif — jo unheimlich ſchön, daß ich gar nicht auf den Weg achtete, bis mich ein ftechender Schmerz am Fußgelenk erſchreckte, denn der erſte Gedanke bei folchen Empfindungen ijt in Smdien natürlich ftet3 ‚Brillenfchlange‘. Doch Feine Schlange, ſondern ein riefiger Blutegel, ein fogenannter Pferdeblutegel, hatte fih am Rande des niedrigen Schuh durch den Strumpf an mein Fußgelent feftgefaugt und war nur mit großer Anjtrengung zu entfernen; die Blutung währte noch eine gute halbe Stunde, hatte aber das Gute, mir da3 Blut wegen all der mir entgegenftehenden Schwierigkeiten nicht allzufehr zu Kopfe fteigen zu laſſen.
„Es fpreizt ſich alles unartig,“ ſchimpfte der Tiroler, „bald muß e3 befjer werben!"
Aber e3 wurde nicht beſſer, fondern e3 vegnete Tag und Nacht, und wenn’3 genug geregnet hatte, dann — fing es wieder von vorne an; man konnte wirklich denken, die Welt folle erfäuft werben! Das
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Getrommel auf den Blechdächern war nicht mehr zum Aushalten; wohin ich auch flüchtete, überall dröhnte das gewellte Blech in der- ſelben Tonart. Schließlich fing ſogar der Tiroler an, ſich krank zu fühlen; war die Feuchtigkeit des Waſſers ſchuld oder fein unab— läffiges Hoden auf dem naſſen Balkon, um nach den verſchleierten Gletſchern des Kanſchendſchunga zu lugen, jedenfalls befam Hans eine die Bade und Hagte über Zahnjchmerzen. Das erhöhte begreiflicher- weiſe unſre Gemütlichfeit noch ganz bedeutend.
Mein guter Engel ſchien mir einen Netter zu ſchicken. Ein Sprach⸗ lehrer aus Allahabad, der in Dardfchiling die Sommerzeit verbrachte, fragte mi, warum ich denn nicht nach Weiten, nad) Kafchmir, reife; dort fei doch die Regenzeit bei weitem nicht jo böfe wie in Sifhim.
Ich wendete ein, daß dies meinem Plan völlig zumider Taufe und daß grade die noch fo wenig betretnen Sikhimalpen und der Kanſchen⸗ dſchunga mich mehr anzögen als das häufig bereifte Gebiet von Kafchmir, und daß überdies eine fo ungeheure Fahrt nach Weiten durch ganz Indien während des Sommers ein gefährliches und koſtſpieliges Ding fei.
„So fahren Sie doch wenigſtens nad) der „Hill Station" Naini Tal oder nach Almora; ich weiß aus Erfahrung, daß ſchon in der Nordweſt⸗ provinz Kumaon die Regenmenge geringer iſt als hier. Sie werben dort, wenn auch unter Schwierigfeiten, wenigſtens vorwärts fommen können!"
Diefer Vorfchlag gefiel mir; mein Plan war gefaßt. Sikhim war mir vorläufig ziemlich gleichgültig geworden; das berühmte Alpenreich Kumaon mit feinem fagenhaften Hauptgipfel, dem Götter- thron Nanda Devi, hatte jegt meine Wanderluft entflammt.
Der Tiroler war glüdjelig über den Entſchluß, das fehöne, aber für und unerträglich gewordne Dardſchiling verlafjen zu dürfen; zugleich vertraute er mir, daß er eine wichtige Entdeckung gemacht habe.
Wenn Hans ftill und einfam auf feinem Balkon faß, dann fümmerte ex fich herzlich wenig um das interefjante, ſchmierige Bhotijagefindel, daS fich unter feinem Pla auf dem Bazar herum- balgte und ſich zum Schluß gewöhnlich die Beſen aus gefpaltnem
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Bambusrohr um die Ohren ſchlug, dieſelben Beſen, mit denen es ſich vorher durch die Haare gekämmt hatte. Aber mit Kennermiene mufterte er von dort die zierliche, Iuftige Bauart des Hoſpitals und den Zufammenhang der Berggüge und Hügel, auf und an benen Dardſchiling fo geſchickt angelegt wurde, denn Dardfchiling liegt keines⸗ wegs in einem Thal; man fieht dort von den Ausfichtpuntten tief unter ſich die Waffer des Rangit nur wenige hundert Fuß über dem Meeres: ſpiegel zwifchen tropifchen Palmen dahinraufchen, blickt darüber hin: weg auf eine Unzahl bewaldeter oder kahler Bergrüden in Sikhim und kann gleichzeitig da8 Glück haben, zu fehen, wie hoch oben im flaren Himmelsblau die finfende Sonne dem Kanſchendſchunga einen glühenden Kuß auf den filbernen Firngipfel Haucht, während ein Wolfenmeer feine felfigen Füße ummogt.
Hinter dem Hügel, auf dem das Hofpital jteht, liegt noch ein andrer mit fehönen Parkanlagen, der „Bich Hill“. Aus den Büſchen auf diefem Hügel hatte nun Hanfens aufmerkfames Ohr allabendlich das Teife, aber klare und helle Läuten eines Glöcleins vernommen, wenn die verjchiednen Gotteshäufer den Tag durch mehr oder weniger harmonische Töne bejchloffen, wenn das Schmettern der Mufchel- börner und das tolle Geflingel aus dem Brahminentempel der Hindus fi in das Tuten und Pauken der Lamas oder in das Gebets— rufen eines Muſelmanns mifchte. Dann war es bei diefem Kapellen⸗ geläute gewiß wie Heimmeh über den guten Kerl gefommen, wenn er an fein friedliches Kalfer Kirchlein und feinen würdigen Herrn Pfarrer dachte, der ihn für die Zeit feiner Reife fo freundlich von feiner BVeichtpflicht enibunden hatte. Dieſen Glodentönen war Hans nad)- gegangen und Hatte in den Büuſchen des Hügel? nicht nur das St. Joſephs College mit einer fatholifchen Kirche, fondern dort ſogar einen deutfchen, in Kalkutta erkrankten Miffionar gefunden.
Ich eilte, diefem Pater Schäfer meinen Beſuch zu machen, und fand in ihm den Mann, den ich brauchte! Obwohl er bald merkte, daß ich ein Andersgläubiger war, half er mir doch mit Rat und
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That wie ein redlicher Freund. Er kannte die Verhältniſſe in Dardſchiling von Grund aus und war auch erſtaunlich gut über das Treiben des famoſen Seife unterrichtet. Auch er billigte durchaus meinen Plan und war außerdem überzeugt, daß augenblidlich der Verſuch meiner Reife durch Sikhim zwecklos und gefährlich ſei, da eben die Nachricht eingetroffen war, daß ein Amban, ein Gefandter aus Tibet, in Sikhim ermordet worden fei. Er verſprach mir aber für den Fall, daß ich nad) der Reife durch Rumaon nach Dardſchiling und Silhim zurückkommen follte, feinen kräftigften Beiftand ; beſonders mollte er fich inzwiſchen nach geeigneten Trägern umſehen.
Nun hatte ſich ja endlich alles zum Guten gewendet! Doch nein, eins war noch nicht gut, ganz abgefehn von dem Regen, nämlich) Hanfens Zahnfchmerzen. Ich wollte den Tiroler zu einem Zahnarzt führen, er behauptete aber, feine Schmerzen jelbit dämpfen zu können, wenn ich ihm nur „Roffer” bejorgen wolle. Ich ftellte ihm gern alle meine Koffer zur Verfügung, doch ärgerlich verlangte er den richtigen Koffer, den mit dem ftrengen „Gefchmad" ; unter Schmeden verſtand er al3 Tiroler natürlich Riechen. Ich wurde nicht Hug aus diefem magifchen Koffer, fondern brachte Hanfen in das Hofpital.
Die Aerzte kamen der Reihe nad), um Hanjens Gebiß zu ftudieren, und erklärten, daß der Zahn heraus müffe. Die Unter- ſuchung fand auf einer mächtigen Veranda ftatt; der arme Hans lag in einem Armfefjel, und rings herum jammelte ſich allmählich eine andachtsvolle Menge von Hofpitalinfafjen und beturbanten Dienern. Diefen allen fehien nun das Herummühlen der Aerzte in Hanſens Zähnen eine ganz unausfprechliche Freude zu machen. Es war aber auch feine leichte Sache, den Zahn herauszubefommen. Dr. Murphy löſte fich mit den andren Xerzten ab, und jedesmal, wenn einer ſchweiß⸗ triefend von weitren DVerfuchen abjtand, und ein andrer mit einer noch gefährlicher ausfehenden Zange an die Reihe kam, und Hanfens Züge zu immer neuen Grimafjen verzerrt wurden, dann ging ein heim- licher Jubel durch die Zufchauer; das war doch) einmal ein Schau-
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ſpiel, das man in Dardſchiling nicht alle Tage hatte! Halb ärgerlich, halb lachend gaben ſchließlich die Doktoren ihre Verſuche auf, er- Härten: „Solche Zähne kommen in Indien nicht vor!“, verzichteten auf jede Bezahlung ihrer Kraftleiftungen und gaben Hanjen den Troft, daß der Zahn in ein paar Jahren gewiß Leichter herausgehen würde. Mit einem vorwurfsvollen Blick fchmollte Hans:
„Wenn du mir nur den Koffer angefchafft Hätteft!"
Einige Monate fpäter, als ich ein paar ausgeftopfte Vögel mit Kampfer behandelte, befam ich von Hans grollend einen Rippenftoß:
„Sixt, da hafcht ja den Koffer!"
Da erſt wurde mir Klar, was er gewollt hatte. —
Während unſres Zufammenpadens verflüchtigten ſich Hanfens Zahnſchmerzen. Die zwölf Kulis, die bereit3 dreimal unfre Herrlich keiten hin und ber gefchleppt hatten, waren Tag für Tag um mein Glashaus gefhlichen, in der Hoffnung, daß ihre Dienfte wieder einmal nötig werden würden. Nun wurden ihre Fühnen Wünfche erfüllt!
Jedermann glaubte, daß mir ein für allemal aus Dardſchiling abzögen, als die Kulis unter Neden und Scherzen unfre Bündel und Kaſten und Koffer zum Bahnhof fchleiften. Wie zum Hohn oder auch al Lockung hörte grade am Morgen unfrer Abfahrt der Regen für kurze Zeit auf, und große Teile des blauen Himmels wurden Durch die zerreißenden Wolfenmaffen fichtbar; mit unfren längften Schritten ftiefelten wir beide auf den Ausfichtspuntt „Obfervatory Hi". Ohne ein Wort äußern zu können, blicten wir uns nur blitzſchnell an, dann ftareten wir wieder auf das Schaufpiel, das fi) vor unfren Augen entrollte.
Obwohl e3 auf unfrem Plage nicht windig war, zeigte das Heer- lager von Wolken, das fi) vor uns zwiſchen den Höhenzügen Sithims bis an die ferne Mauer des Kanjchendfchunga Hin aus: dehnte, lebhafte Bewegung. Als ob Taufende und Abertaufende von Titanen diefe ungeheuren Woltenballen hin und her wälzten, zogen fie umher, in vielen Staffeln binter- und übereinander. So mag
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vor dem Entſtehen einer Welt der Urbrei durcheinanderquirlen, unauf⸗ hörlich, unmiderftehlich! Und jetzt zerrten die unfichtbaren Wolken: ſchieber auch an den plumpen Vorhängen, die ſchon wochenlang ben Himalaja verfchleiert hatten, mit gemaltigem Schwunge murben fie zur Seite gefegt, und in überirdifcher Klarheit, mit friſchem Neufchnee getüncht, lachte das ungeheure Alpengebiet Sikhims vom Horizont!
Stechender Sonnenfchein ftrahlte durch die Luft, und fein Wöllchen ſchwebte über und an dem tiefblauen Himmelsgemölbe, doch zu unfren Füßen zwifchen den fernen, aber unnatürlich nah ausfehenden Bergmafien und unfrem Standpunkte brodelten noch die unabfehbaren Wolkenklumpen auf und nieder, wallten hin und her, bis ein einziger mächtiger Nebelſchwall die erhabne Erſcheinung weg— fpülte. Wie aus einem wundervollen Traume erwacht, fehüttelte ich den Kopf und fuhr mir mit der Hand über die Stirn — dann konnte ich meine Augen anftrengen, foviel ich wollte, dad Traumbild kam nicht wieder!
Dicht neben mir hatte während dieſes beraufchend ſchönen und überwältigenden Naturfpiels ein Indier eine Ziege gefchlachtet; ernft- haft ſpritzte er ihr Blut aus einer eingefchnittnen Halsarterie gegen den Lingamftein auf der niedrigen Opferftätte, die er bereitS vorher mit Reiskörnern beftreut hatte. Dann lief er dreimal um dieſen Platz, warf fich bei jedem Umgang nieder und berührte den Erdboden mit der Stirne; mit einem ehrfurchtSvollen Bid auf den erhabnen Kanſchendſchunga, diefen „Garten“ feiner Götter, entfernte er ſich. Kaum eine Stunde fpäter ſetzte ein Sturm ein, der fich vorgenommen zu haben ſchien, mir fämtliche Blechdächer von Dardſchiling zum Abſchied vor die Füße zu legen.
Hans aber fchien wie verwandelt, feit ich ihm gefagt hatte, daß unter allen Umftänden marfchiert würde, und fein Auge bliste vor tühner Unternehmungstuft. Auch ich hoffte, daß fich nun endlich das Blättchen zu unfren Gunften wenden würde,
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Biertex Kapitel. Flucht nad Weſten.
— 7 usreißen ift wahrhaftig nicht ſchön, aber Stillliegen und > Faulenzen, um nicht zu jagen Verfaulen, ift es noch weniger. 7 Wir fteahlten vor Wanderluft, als unfer Kufigefindel beim Abraſſeln des minzigen Zuges die unfaubren Mäuler aufriß, um uns „Fare-well!* und ein Hoffnungsfreudiges „Come back, Sir!* zuzukrächzen.
Es ſchien mir eine recht günſtige Vorbedeutung, daß in meinem Wägelchen mir gegenüber eine unverſchleierte indiſche Dame mit ihrem Gatten Play nahm. Eine liebenswürdige Frau, ein fchönes Mädchen erfüllen ja überall mein Herz mit ehrfurchtsvoll ftaunender Wonne, aber grade in diefer wunderbaren Natur war diefe zarte weibliche Erſcheinung in ſchönfarbigen, köſtlichen Gewändern, mit dem tieffhwarzen Haar und dem herrlichen Zierat ein willlommneres Gegenüber als die gelangweilten Engländer in dem folgenden Wagen, die ihrer erkrankten Leber wegen nach Dardſchiling geſchickt worden waren. Die englifchen Beamten in Indien pflegen befanntlich meift ihren Aufenthalt al3 eine Verbannung zu betrachten, die ihnen in der Hoffnung auf den einftigen Genuß ihres veichlichen Ruhegehalts in „old merry England“ unerträglich lang vorkommt, und das drüdt fich Häufig genug in den öden Mienen aus, mit denen fie durch ihr Wunderland ftiefeln.
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Zu meiner Ueberraſchung kannte der Indier, ein Profeſſor Boſe aus Kalkutta, unfer ſchönes Deutfchland aus eigner Anfchauung, und während der Zug durch die üppige indiſche Waldherrlichkeit bergab rollte, wurde ich durch unſre Unterhaltung an den romantiſchen Glorienſchein erinnert, der die epheuumrankten Schloßtrümmer von Heidelberg umſtrahlt, an unſre mächtig aufblühende Reichshauptſtadt, an die Schönheit von Dresden, Stuttgart und München und noch an fo manches andre, was den Fremden in Deutſchland entzückt.
Der Herr Profefjor ging europäifch gekleidet. Seine Gattin trug ein lachsfarbiges Sammetbarett, von dem ein Seidenfchleier in ebenfolcher aber noch lichtrer Färbung herunterwallte. Ueber dem dunfelvoten, reich mit ſchwarzen Figuren gefticten Tuchkleide lag ein fchneeweißer Seidenmantel, der auf der Schulter durch eine bligende Agraffe zufammengehalten wurde; eine gefticte Kante mit aller- liebften winzigen bunten Blüten und Blättchen ſäumte diefen präch- tigen Mantel. Eine lachsfarbige Schürze, fternförmige Perlenohr- ringe und ein paar ſchwere Goldfpangen, mit Löwenköpfen befekt, vervollftändigten ihre Bekleidung, die für eine fo mit Ruß über: ſchüttete Fahrt allerdings etwas zu zartfarbig war. Spötter bes haupten, daß die Lokomotiven erſt fo fürchterlichen Kohlenqualm vergeuben, feitdem die Tonne Kohlen nicht mehr 35 Rupien, jondern jet, nach der Auffindung von Steinkohlen in Indien, nur nod 8 Rupien koſtet.
Nur bis Guhm vermochten die ſchmierigen Bhotijabettelfinder neben den Wagen herzulaufen und ihr „Slom, Sob, Bokſchühſch“ zu ftammeln und ihre Körbchen voll Orchideen, ihre Rindentäften mit zerzauften Schmetterlingen oder bunten Wanzen in die kleinen, offnen Wagen hineinzureichen, denn bis Guhm fährt der Wagen bei der Thalfahrt zunächſt bergauf. Um im Nebenherlaufen aber nicht zu ermatten, hatten ſich die ſchlauen Kerichen zu zweien oder dreien mit ihren Zöpfchen aneinander gebunden, fo daß feiner aus dem Gefchäft treten und zurüd- bleiben konnte. Von Guhm an aber faufte der Zug wie im Fluge
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bergab, und man mochte mandjmal. böje werden, wenn die herrlichen Landichaftsbilder jo ſchnell verſchwanden, wie fie auftauchten. Was bieten die engen Dorfgaffen von Guhm für drollige Einblicke in das Leben der niederen Bhotijas! Doch ehe wir noch alles entwirren tönnen, ift der Zug fehon weiter geeilt, neuen Eindrüden entgegen ; man lernt hier den Dampfwagen verwünſchen und fehnt fich in die gute alte Zeit vor dem Jahre 1880 zurüd, wo die Reife von Kal-
Torfftraße in Guhm.
tutta nach Dardſchiling nicht 24 Stunden, fondern volle 20 Tage er: forderte, für die Kranken allerdings eine Ewigkeit.
Zwei Meilen hinter Guhm hielt der Zug plöglich mit erfchreden: dem Rud. Geplauder und Lachen verftummten; in wilder Hajt Hetterte alles aus den Wagen. Wenige Minuten zuvor war die ganze, durch den unabläffigen Regen aufgeweichte Bergfeite, an ber wir entlang fahren follten, in den Abgrund zur Rechten gejtürzt, und mit entjeßten Blicken ftarrte jeder auf die Enden dev Schienen, die aus der unabfehbaren Schlammmaffe heroorragten, die bei einem Haar
Boed, Indijche Gleticerfaßrten. 7
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ib unſres Zuges geworden wäre. Zwölf Stunden dauerte die Fahrgäſte dieſes wüſte, lehmige Trümmerfeld voll Wurzeln, ken und Bäumen auf rieſigen Umwegen umgehn und n Zuge untergebracht werden konnten, der uns auf ber Seite der Unglüdsftätte entgegenfam. Merkwürdigermweife ) bei der Hinfahrt mit Hans die Möglichkeit eines ſolchen ſches juſt an diejer Stelle erörtert. jließlich faßen die Reijenden, mehr oder weniger befudelt und wieder in dem Zuge, der nun mit verboppelter Schnelligkeit ihoß. Es hatte etwas VBetäubendes, durch die erdrückend Waldespracht in die übelriechende, immer wärmer wer: sumpfluft mit fo toller Fahrt hinunterzurafen; diefer wilde, tige Genuß ließ reine Freude nicht auffommen. Selbſt die tigende Ausficht von der „sensation corner“ auf da in der gende, endlos ausgedehnte indifche Flachland wurde in diefer ich gefteigerten Eile und in der Nachwirkung des Entſetzens Gefahr, der wir alle entronnen waren, ohne Xeußerung des ft ftet3 üblichen „very nice, indeed!“ gewürdigt. ) mußte einen ganz verzwicten Weg nehmen, um nad) Naini fommen. Der weitefte wäre der nächte geweſen, das heißt, je Ummeg von Dardſchiling über Ralkutta hätte uns fchneller : Station Katgodam gebracht al3 die kürzere Strede, die der möglichſt nahefommt, eine Abmefjung, die von den Eng— durch die bezeichnenden Worte „as the crow flies“ (mie je fliegt) umfchrieben zu werden pflegt. Vor Kalkutta hatten de aber eine gewaltige Abneigung, die diejenigen kaum be— verden, die nie einen Sommer in Jndien durchgemacht, jondern föftfichen Wintermonate für ihre Vergnügungsreife gemählt vie dies für eine ſolche ausfchließlich üblich ift. So ſchön der alt in den indifchen Städten vom November bi März iſt, :slich ift er im den andren Monaten, und häufig genug ch dann plöglich in den Schatten eines Hausthores treten,
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weil mich das Vorgefühl eines Sonnenſtiches überkam, ein unhei liches Schwarzwerden vor den Augen. Die genannten Orte liegen ungefähr fo zu einander:
QNaini Tal ofaigodam
. Dardschiling Süigeri
Kalkutta
Man fieht, daß bei Parbatipur eine andre Linie ziemlich dir nad) Benares abzweigt; e3 gab aber bei meiner Neije noch fein durchgehenden Wagen auf diefer Strecke. Der einzige Trojt für t zahlreichen Aufenthalte und Wagenwechſel beitand darin, daß i echt gründlich erfuhr, wie verfchieden man auf den verſchiedn indifchen Bahnſtrecken reift, luxuriös auf den Hauptlinien, Hägli auf den andren. Aber jelbjt ein Blitzzug wäre noch zu träge fi jemanden, der eine Wandrung in da3 Hochgebirge des Himala antreten will!
Aber noch find wir nicht jo weit; wir haben ja erſt in Pa batipur den nad) Kalkutta fahrenden Zug verlafjen, ein „vegetab eurry“, daS heißt Reis mit allen möglichen gepfefferten Gemüfe al3 Nachtmahl verzehrt, unfre Deden und Kopffiffen auf den niedrige geflochtnen Bettftellen, den Tſcharpois, ausgebreitet und vergebli verjucht einzufchlafen. Vergeblich, weil gleichzeitig mit uns, in dei
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felben Wartejaal, ein Engländer übernachtet, der ſich ein Ver— gnügen daraus machte, die ganze Nacht hindurch Thee zu brauen; bauptfächlic wollte er aber wohl herausbelommen, warn feine große Spiritusflafche explodieren würde, aus der er zeitweilig in die brennende Lampe nachgoß. ch bat, ich jchimpfte — e3 half nichts, er plätfcherte weiter mit dem Spiritus, und id) ſah uns mit unfrer ganzen Habe ſchon von Flammen eingehült. Da faßte mich der Zorn. Ich fprang von meinem Bett, nahm ein Stüc Blankokreide, mit der ich mir meinen Sonnenhelm friſch gemweißt hatte, und malte in der Nähe feines, des Engländer3, Kopfes einen großen weißen Fleck an die braune Thürfüllung. Dann packte ic) ein ſchönes Jagd: gewehr, das ich für alle Fälle in Dardichiling gefauft hatte, aus dem Futteral und fing an, es zu laden.
„What do you do?“ fragte der Theekocher bejorgt.
„Ich werde nur ein wenig nach diefer Scheibe ſchießen, wenn Sie noch einmal Spiritus in Ihre brennende Lampe gießen; eins ift jo rückſichtsvoll wie das andre."
Es kam jedoch nicht zum Knallen; der feuergefährlihe Mit- bewohner hielt mich gewiß für fpleenig genug, meine Ankündigung auszuführen, und Töfchte das nächfte Mal feine Lampe hübſch aus,
“bevor er nachgoß. Die Hite fteigt in Indien thatſächlich vielen Reuten oft fo jchnell zu Kopfe, daß man auf die fonderbarften Tropen- toller gefaßt fein muß; fo bat mich zum Beifpiel einmal in der Nähe von Madras eine mit mir allein in der Eifenbahn fahrende, plöglich närrifch werdende Dame:
„Bitte, ftecen Sie doch einmal den Kopf zum Fenſter hinaus.”
„Aber warum denn?"
„Weil ich ihn abfchneiden möchte,” jagte fie und holte dabei ein geeignetes Brotmeſſer aus ihrem Gepäck! Wie ich ihr entronnen bin, gehört wohl nicht hierher.
Kurz vor Sonnenaufgang ſpazierte ich in das nahe Dorf; die drei Stunden bis zur Abfahrt des Zuges konnte ich gar nicht beſſer
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verbringen. Ueberall waren die Leutchen vor ihren zierlich aus Bambus geflochtnen Häufern fo fehr mit der Morgentoilette be» ſchäftigt, daß fie meine Annäherung gar nicht bemerkten. Wie herr: lich fahen doch diefe Frauen und Mädchen in dem offnen ſchwarzen Haar aus, ehe fie e3 nad) vielem Striegeln und Einfetten mit Kokosöl zu einem Zopfe verflochten! Waren fehließlich auch noch die Stirnhaare glatt angeffeiftert, jo konnte ich die lockigen Schelme wirk— lich nicht wieder erkennen; verkörperte Poefie und Profa folgten uns mittelbar aufeinander. Solange das Haar noch in ‘weichen Wellen da3 braune Gefichtchen umflutete, waren die Frauenzimmerchen alle wie von hunderttaufend Kobolden beſeſſen; fie tollten und kicherten nad) Herzenzluft. Sobald aber der Zopf zufammengemidelt war, ichien alle Grazie auszubleiben, und nur noch Haushaltungsangelegen- heiten oder ähnlicher nüchterner Unterhaltungsftoff fchienen dann ein Recht zum Dafein zu haben. Ich glaubte zu fehen, wie daS feite BZufammenziehen der Zopffträhnchen alle ungebundne, angeborne Lebenzluft und Eigenart aus den guten Leutchen hinausdrüdte, bis Lauter eingezwängte, uniformierte Köpfe übrig blieben, die nur für den einzigen Gedanken Raum haben durften: Eine Frifur genau fo wie die andre, ja feine eigne Meinung, feine felbjtändige Entwicklung!
Nah und nad) wurden die Dörfler auf mich aufmerkfam; wahrſcheinlich fonnten fie e3 nicht faffen, mit welchem Verdruß ich die ungebändigten ſchwarzen Mähnen an den Kopf bügeln fah, denn bei den Hindus gilt ja das Begegnen eines weiblichen Weſens mit aufgelöftem Haar als ein Unglück, und ic) fchien diefes holde Un— glüd förmlich aufzufuchen! In diefem Landesteil, in Vengalen, find zwar die Anfichten über das Abſchließen der Frauen nicht jo ftreng wie etwa weiter im Weften, in der Radfchputana. Immerhin fchien mein böfer Europäerblid fo gefürchtet, daß die Mädchen ichleunigft von den voten Waſſerkrügen megliefen, mit denen fie ſich unter den Vananenjträuchern an ihren Häufern gegenfeitig über: goffen hatten, aber mahrfcheinlich hätten es europäifche Damen in
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ſolcher Evaverfaffung auch nicht viel anders gemacht. Andre ge— tieten in ihrer Derlegenheit auf den fchlauen Ausweg, den der Vogel Strauß bei feiner Verfolgung einfchlagen foll, und den ich bereit3 in Perfien wiederholt beobachtet hatte: wenn da die Perfer- mädchen an der Dorfftraße ftanden, auf der ich mit meiner Karamane vorbeitrabte, verhülften fie fich gewöhnlich fehleunigft mit ihrem einzigen kurzen Röckchen das Geficht, um diefes oder wenigftens den Mund ja recht dicht vor dem Männerauge zu verfchleiern.
Unerfchöpflich war für mich auch in diefem Dorfe, wie überall, das Vergnügen, den Heinen, fplitternacften Kindern zuzufchauen. Die an- geborne, unendliche Grazie der Hindus kommt ſchon bei den find- lichen Spielen zur Geltung und gewinnt durch die ſparſame Aus- ſchmückung der braunen Knirpſe einen eignen Reiz. Ein Schnürchen mit einem voinzigen Amulettkapſelchen um die Hüfte oder um den Hals, ein filbernes Armband um das zarte Handgelent — das ift außer der gründlich mit Kokosöl eingeriebnen Haut die ganze Veklei- dung der indijchen Heinen Eva und ihres Brüderchens. Wie haſtig rannte aber hier jedesmal die Mutter herbei, wenn fie merkte, daß mein Auge mit Wohlgefallen auf diefen unjchuldsvollen Geftalten ruhte, und wie entjeßt ſchlug fie dann ihr Kopftuch über die Heinen Würmden! Eilig 309 fie dann eine Nußfchale voll ſchwarzer Tufche aus den Falten der Tücher, aus denen fi die Hindufrau ihre Be— kleidung zurechtwickelt, und malte einen dien Strich auf jedes untre Augenlid der Kinder, ganz jo, mie es die Helden der Bühne und andre Schminkfünftler thun; dadurch waren fie vor der Nachwirkung meines böfen Blickes geſchützt.
Die Höfe waren fehr fauber durch Aloehecken abgegrenzt; gewöhn⸗ lid) Tagen Kühe mit Gemshörnern darin, und zroifchen ihnen ſpazierten ſchöne Pfauen umher. An der Seite fauerten Weiber, die orange- gelbes Mangomus auf dünne Brote ftrichen und diefe Pflaumen- fuchen dann in der Sonne trockneten, während die älteften Frauen diefem wichtigen Vorgang zuſchauten und dabei an einer Waffer-
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pfeife faugten. Dei feinem Haufe fehlte der Bananenjtrauch, den der Hindu bei feiner Vermählung anpflanzt, um einen beftändigen Emährer zur Seite zu haben. Indien ohne Bananen iſt jo undent- bar wie Jtalien ohne Orangen und Zitronen; ob jedoch der Apfel des Paradiejes wirklich eine Ba⸗ nane geweſen ift, wie man munelt, wage ich nicht zu behaupten. Ungemein drol- fig war ber Kinder⸗ transport, al3 die Bauern auf ihre Felder hinaus- zogen. Die Mutter padte die Kleinen zu dreien ober vieren in einen Tragkorb und nahm den ſchweren Pflug über die Schulter; der Va— ter trug ein Kind
auf dem Rüden, Hütte eines Qindubauern. Die fauernde Frau faugt an einer ein andres Eam- Waflerpfeife; neben ihr ein nur mit einem filbernen Armband befleideter
merte fid) an Bruft m
und Schultern, ein drittes hodte in der Hüfte; jo belaftet trieb er feine Zugtiere hinaus auf die überſchwemmten Aecker. Das Kinderhäuflein wurde am Feldrande niedergefeßt, dann murde des Regens wegen eine zeltförmige Bambusmatte über fie geftülpt, während die Väter, oft bis an die Hüften im Waffer, hinter
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dem Pfluge hergingen, der noch, wie vor Tauſenden von Jahren, ein roher Holzhaken iſt, vor den gewöhnlich ein Büffel mit einem Zebu zuſammen eingeſpannt iſt. Luſtig ſah es aus, wie während des Pflügens nicht nur kleine Buben, ſondern auch Vögel aller Art den Rücken der Wiederfäuer als das trockenſte Plätzchen be— trachteten, und auch die Stare benutzten dieſe Gelegenheit, um ſich allerlei Leckerbiſſen aus dem Zell der Zugtiere zum Frühſtück herauszugabeln. Es wunderte mich übrigens, daß die Ausſaat ganz ſorglos auf die überſchwemmten Felder geworfen wurde, wo doch Störche und andre hochbeinige Vögel dicht hinter den Pflügern einherſtelzten.
Am Bahnhof kauerte ein kleiner Hindubube; ſechs Betelblätter waren ſein ganzer Vorrat an Waren, den er bei der Liebhaberei der Hindus für dieſen Genuß wohl bald abgeſetzt haben wird, wobei es gut für ihn war, daß die Indier Geldmünzen im Werte von einem Drittel» pfennig haben, denn fo viel kojtet das halbe Dutzend diefer Blätter.
Auferordentlich zweckmäßig fehienen mir hier auch die Laftträger zu verfahren. Die elaſtiſche Tragftange binden fie mit einer untren, fürzren zufammen, fo daß eine jtarf federnde Tragvorrichtung ent— fteht, an deren beiden Enden fie ganz riefige Laſten aufhängen und auf der Schulter davonjchleppen können.
Bei der Station Biral begann eine neue Verbindungsbahnlinie, die aber in einem nicht jehr erbaulichen Zuftande war. Unſer Nacht zug mußte ganz ausfallen, denn:
„Es hat feinen rechten Zweck, in die Nacht hineinzufahren, wenn man weiß, daß man dabei verunglücten muß!" bemerkte lakoniſch der Stationsmeijter, aber erjt am nächften Tag zeigte fich, wie ſchauder— haft Erdbeben und Ueberſchwemmung der Bahn mitgefpielt hatten. Es ift ja immer ein jeltfames Gefühl, auf wackligen, verbognen Schienen zu fahren; liegen dieje aber auf einer geländerlofen, zerborftnen Brücke, jo wird die Sache doch etwas unappetitlich, wenn, wie hier, Dutzende von Krofodilen ihre fchläfrigen Augen und anfehnlichen Kauwerkzeuge
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aus dem gelben Sumpfwaſſer ftreden. Wie die Bewohner eine in dem Sumpf ftedtenden Dorfes fich mit diejer efelhaften Nachbarſchaft vertrugen, konnte ich nicht erfahren; man wird den heiligen Tierchen wohl ab und zu einen abgefchiednen Mitbürger oder ein neugebornes Mädchen oder fonft etwas für den Hindu Wertlofes aufgetifcht haben, um die Freundfchaft zu erhalten.
Großen Spaß machten mir aufdiefen Heinen Stationen im Mofußil gewöhnlich die Vorfteher, die im Hochgefühl ihrer Würde ihr blaues Zurbantud bis in die Wolfen emporgemidelt hatten; dazu trugen fie ein blaues Jäckchen und ein weißes, zum Beinkleid zufammen- geichlungnes Hüftentuch, in dem die nadten Bronzemaden ſteckten. Weld ein Unterfchied zum Beifpiel gegen die feſchen Stations: . vorfteherinnen in Norwegen, die dort mit buntbebänderten grauen Filzhütchen auf dem blonden Kraustopf das Zeichen zur Abfahrt geben, das ihr barfüßiger Hindufollege durch einen Hammerſchlag an einem aufgehangenen Stüd Eifenbahnfchiene erzeugt! Auf größren Stationen find in Indien die Vorfteher aber ftet3 Europäer.
Je weiter wir nun nach Weften fuhren, defto heller braun fchien die Hautfarbe an den Stationen der verfammelten Eingeborenen zu fein; erſchreckend viel Ausfägige und Hautfranfe waren darunter. Die Fliegenſchwärme ließen fi) bald auf diefe armen Teufel, bald auf die Herrlichfeiten de3 Zuckerbäckers nieder, der auf feiner Station fehlte. Seine Süßigkeiten trug er gewöhnlich auf einem geflochtnen Tiſchchen, deſſen zierlicher Fuß in einer flachen Meſſingſchüſſel Stand, auf der er dann das Eingefaufte in ein Bananenblatt packte.
Als wir glücklich über die wackligen Brücken fort waren, ging die Fahrt ununterbrochen in dem ſeichten Waſſer weiter, das die Schienen bedeckte, und eine feuchtre Eiſenbahnfahrt konnte man ſich wirklich nicht denken. Kleine, grüne Papageien und andre bunt: Ichillernde Vögel faßen auf den Telegraphendrähten, Raben und Krähen auf den Stangen, und hie und da plätfcherte ein plumpe3
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Ruderboot mit gemwaltigem Holzkreuz als Steuer dicht an dem Zuge vorüber; fonft war oft jtundenlang nicht3 als überſchwemmtes Ge— lände zu fehen.
Dann, al3 wir der Station Katihar näher kamen, zeigten ſich ftattliche aber zertrümmerte Häufer. Sie hatten Rädelsführern in der großen indifhen Empörung, in der „mutiny“, gehört, und ihre Ruinen mußten feit diefem Jahre 1857 zum warnenden Merkzeichen dienen.
In Katihar hatten wir den Zug zu wechſeln, wobei ich das Mißgeſchick hatte, mein Notizbuch Tiegen zu laffen. Ich befchrieb einem englifchen Bahnbeamten fogleich den Platz, an dem er e3 finden möüffe und bat, e8 mir nad) Naini Tal nachzufenden. Statt des Buchs erhielt ich die Mitteilung, ex habe es gefunden, würde e3 aber nur gegen vorherige Einfendung von 100 Rupien an mic) einjchiden. Leider brauchte ich die darin enthaltnen Notizen zu dringend, fonft hätte der Herr wohl einen andren Finderlohn fennen gelernt als diefe unbefcheidne Summe.
Bei Sahibgundich Fam wieder Leben in die öde, überſchwemmte Landſchaft. Kanonen und Wagen, mit Kamelen beipannt, Karren mit zwei wuchtigen Holzfcheibenrädern und zierlich ausgeputzte Wagen, mit votem Tuch verhangen, fuhren auf der gutgepflegten Landſtraße vorüber. Die zulegt erwähnten zweirädrigen verfchlofinen Wagen beförderten Frauen, die von einer Hochzeit famen, denn das weiße Fell der Bugtiere, der Zebus, war mit glückbringenden bunten Zeichen bemalt, und die Hörner waren prächtig vergoldet; von den zarten Infafjen war jedoch) nichts zu fehen als hie und da ein Füßchen, deſſen Gelent und Zehen reich mit Ringen geſchmückt waren. Der erfte Anblick eines folchen Fußes, defjen Zehen von dem liebevollen Gatten mit devartigem Schmud überladen worden waren, wirkte verblüffend auf mich. "
Die Temperaturen während dieſer Sommerfahrt durch Nord- indien waren mittags durchichnittlih 409 C. im Schatten; in der
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Nacht janken fie gewöhnlich bis auf 34%, einmal fogar bis auf 30%, Wir gaben es auf, uns durch das übliche Wedeln mit einem Heinen Palmfächer Kühlung zu verfchaffen; obwohl dies allgemein auch von den Eingebomen geübt wird, folgt auf die Abkühlung dur die mit dem Fächeln verbundne förperliche Anftrengung ein um fo bemerkbareres Wärmegefühl.
Man hat vielfach behauptet, daß derfelbe Hohe Wärmegrad an verſchiednen Orten verſchieden auf denfelben Menſchen einwirke. Es wird damit wohl fein, wie mit den römifchen und ruffischen Bädern. Während dem einen 50° in trodner Luft er- träglicher dünfen als diefelbe Tempe: ratur in heißem
Wafjerdampf, giebt es viele, bei denen ſich die Em- pfindunggradeum- gefehrt äußert. Mir perfönlich ift die mit Wafjerdünften gefättigte Hite noch widerwärtiger als eine gleich hohe trodne Wärme, weil bei diejer. der auftretende Schweiß ſchnell verflüchtigt wird, während er in feuchter Hitze nicht verdunten kann, jondern ſich unangenehm bemerkbar macht.
Die wichtigfte Umfteigeftation nächjt Benares, wo wir erft auf der Rückreiſe kurzen Aufenthalt nahmen, war für uns fchließlic Bareilly an der Oudh- und Rohilfandlinie. Man merkte aus dem Getümmel der Soldaten auf dem Bahnhof, von denen die euro- päifchen mehrfach ein Gläschen über den Durft getrunken hatten, daß hier eine verfehrsreiche Garnifon fein müffe Das reifende eingeborne Zivilpublifum war infofern auch uniformiert, als die Fahrgäfte ganz gleiche Regenjchirme und Laternen, ſcheinbar aus der-
Arme, Fußgelent: und Zehen / Ringe einer Hindufrau.
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jelben Bezugsquelle, als Handgepäck mitgenommen hatten, genau fo wie man in einem Mecklenburger Dorfe fämtliche Bauern mit der- jenigen Mützenſorte einherftolzieren fieht, deren Mujter vor dem Angeficht des maßgebenden Stimmführers in Müsenfachen zufällig Gnade gefunden hat. .
Auf dem Bahnhof ging e3 toll genug zu. Wartefäle für die Eingebornen, die in der dritten Klaffe fahren, giebt es natür- lich nicht; in großen Hallen fauern oder liegen fie familien» und faftenweife in Haufen beifammen, bis die Abfahrtszeit heranfommt. Gewöhnlich benugen fie diefe Gelegenheit, um die langen, dünnen Turbantücher, in die fie fich nacht3 einzumiceln pflegen, frijh um den Kopf oder zur Abwechslung auch einmal als Beinkleid um die Hüften oder als Mantel um die Schultern zu jchlingen, wobei man wahrnehmen Tann, wie die meiften den Kopf bis auf einen Haarbüfchel am Wirbel fpiegelglatt gefchabt tragen, während andre nur einen handbreiten Scheitelftreifen ausrafieren laſſen. In Bareilly ſchienen fich die Leutchen dabei die Zeit vortrefflih zu vertreiben. Ein Tierftimmenimitator brülfte mitten unter den Wartenden bald wie ein Tiger und gadferte bald wie eine Eier legende Henne; dann tat ein fpindeldürrer Kerl in fehauerlichen Lumpen auf, der mit anerfennenswerter Gemütsruhe ein Dutzend blecherner Schwerter in den Mund und bis ans Heft in die Speiferöhre ſteckte. Wäre ich zufällig Agent eines europäifchen Tingeltangel® geweſen, hätte ich durch das Engagement diefer Leute jedenfalls ein ganz gutes Ge— ſchäft einleiten können. |
Draußen vor dem Bahnhof warteten Packeſel und Ochfen auf ihre Lajten; in den nahen Gehöften ſah man gefefjelte Elefanten, die zum Ziehen ſchwerer Geſchütze beftimmt waren. Eins diefer Untiere war mit feinem Jungen zufammen angebunden, jo daß beide durch ihre feltfamen Stellungen den aus der offnen Bahn- hofshalle Zufchauenden unerfchöpflichen Stoff zu jcherzhaften Be— trachtungen und Vergleichen gaben, bejonder3 weil gleichzeitig ein
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Kamel mit feinem ebenfo drolligen Sprößling auf der Straße ging. Auf dem Höcker des Kamels kauerte ein Hindu mit einem Stuhle, der aber ſchwerlich fein Eigentum war, da der Hindu fich ſtets niederhockt und nie auf einen Seffel fegt, weil auf diefem ja ſchon einmal jemand von niedrigerer Kafte geruht haben kann.
Der geneigte Lefer wird ermeflen Fönnen, mit welcher Freude wir in Ratgodam den Eifenbahnwagen nad) viertägigem Schmoren verließen. Wir hatten fat ftets Sonnenfchen gehabt, und ber Regen fchien wirklich) im Abnehmen zu fein, fo daß Hans fich bereit3 in den ſchönſten Hoffnungen wiegte. Wir packten unfre Sachen auf vier Packpferde und marjchierten nebenher, um endlich einmal die Glieder wieder rühren zu können, da die Sommerfrijche Naini Tal nur vier Wegftunden entfernt fein follte.
Die bald fteil amfteigende und jehr fotige Straße war von prädtigen Bäumen übermölbt; wären nicht zahllofe große, graue Affen in den Wipfeln herumgefprungen, hätte man fic) nad) den Harz verfeßt denfen können. Allerdings waren die 38% Hige in diefen Baumhallen jo drücdend, daß man doch fortwährend daran erinnert wurde, in Indien zu wandern. Diefer Marfch griff uns ganz auffallend an; die vier heißen Reifetage in der Eifenbahn hatten und fo matt wie Fliegen, die aus der Milch gezogen find, gemacht, jo daß Hans wiederholt den Stoßfeufzer äußerte: „Wenn i nur an Wein hätt’!", während er bei dem guten Wein an der Hoteltafel in Dardſchiling beftändig gewünſcht hatte: „Wenn i mur ein brauchbares Waffer hätt!" Als nun gar eine riefige Büffel- herde und entgegenfam, und jedes diefer plumpen Tiere unfrem Weitergehen boshaften Widerjtand entgegenzufegen verfuchte, bereute ich es doch, nicht mittels einer Ertvapoft, einer „Tonga“, ſchnell nad Naini Tal gefahren zu fein.
Die Bergzüge waren vielfach) gewunden und verzweigt, fo daß das graue und entgegenfchäumende Bergwaſſer zahlreiche Zuflüſſe erhielt. Nach einigen beſonders fteilen Stellen famen wir zu einem
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»as nichts Geringre3 als eine Brauerei war; an der : duch einen prächtigen Brunnen, einen Stierfopf aus ut einer gemaltigen Kobrafchlange als Abfluß, auch für sirjtigen gejorgt, aber mit gradezu frampfhafter Ueber- iſres brennenden Durftes verfagten wir uns den Genuß md Waffer, da uns fchon in Katgodam ein erfahrner e wegen der in Kumaon grade beſonders bösartig herrichen- ı vor diefer verführerifchen Stelle ernftlich gewarnt hatte. ste Anſtieg auf der breiten Chauffee nach Naini Tal fo viel Mühe, al3 ob wir von einer jchweren, eben über- Trankheit erfchöpft wären. Diefe entnervende Wirkung n Klimas fo deutlich an uns zu jpüren, war förmlich ternd. Wir fahn uns gegenfeitig mit Vefremden an wohl gleiche Sorge wegen unfrer fernern Reife.
Fünffee Kapitel. Aufbrud ins Hochgebirge.
wurde dunfel, ehe wir die erjten Häufer von Naini Tal erreichten. Der Mond war aufgegangen und beleuchtete F magiſch das phantaftifche Bild des Ortes, das fich bei einer plöslihen Straßenwindung unter uns zeigte. In dem Spiegel des Sees funfelten die Lichter aus den Villen und Klubhäufern, die an jeinem Ufer zwifchen Bäumen verſteckt Tagen. Dahinter ftiegen be: waldete Bergrücken empor und erinnerten an den verheerenden Berg: rutſch, der am 18. September 1880 den Ort mit zahlreichen Ein- wohnern verjchüttet hatte. Diefe Sommerfrifche wird nämlich aud) im Winter von den Familien englifcher Beamten, die nur ihren kurzen Sommerurlaub hier zubringen können, bewohnt.
Ganz ungewöhnlich erfchienen mir die Häufer des Bazard an der Straße, die fih zum Seeufer hinunterzog. Dieſe braunen, mit Schnißereien reich verzierten Holzhäufer hatten nämlich vorn und hinten eine Thür zu der im Zickzack, alſo zweimal, an jedem Ge- bäude vorbeiführenden Straße; die vordre, nad) dem See gefehrte Seite hatte viele Etagen mit Galerien, während die rückwärtige außerordentlich niedrig und glatt war.
Wir fanden im übervollen Albion-Hotel nur mit Not und Mühe Unterfunft; der Wirt fah uns gleich an, daß wir nicht zu den üblichen Sommerfrifchlern gehörten, lächelte aber recht fpöttifch, als ich ihm fagte, daß ich auf die „snows“ des Himalaja gehen wollte.
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„Sie können allerhöchftens bis zum Furkia-Bungalo und an den Fuß des Pindargletfchers kommen; dann müſſen Sie unbedingt wieder umkehren!" erklärte ev mit Beftimmtheit. Hans gab mir einen feiten Rippenftoß und raunte mir zu:
„Laß uns nur erjt hint’ fein, nachher wollen wir ſchon weiter- kommen.“
Am nächſten Morgen ging ich zuerſt in die Bibliothek des Konverſationshauſes und fand glücklicherweiſe im Theaterſaal auch eine Karte von Kumaon angeſchlagen, die wegen fehlender Nachfrage ſonſt nirgends erhältlich war. Man darf nicht vergeſſen, daß ich mich ganz plötzlich zu dieſer Reiſe nach Naini Tal entſchloſſen hatte und deshalb gar nicht auf ſie vorbereitet war. Dieſe Karte kopierte ich vor allen Dingen unter dem ſtaunenden Geflüſter der klatſch— füchtigen Herrn Sommerfrifchler; das ſchien ein gefundnes Thema zu fein! Daß jemand zum Vergnügen in die durchweichten Urwälder und in allerlei unbelannte Gefahren fpazieren und die Billards, Lawn Tennis-Pläge und Tanzredouten von Naini Tal entbehrlich finden wollte, das war doch ein ganz unmahrfcheinlicher Gedanke; da mußte etwas andres dahinter ſtecken, befonders weil der einzige glaubwürdige Grund zu folchen Ausflügen, die Jagd, von mir nicht vorgeſchützt wurde,
Mit Beforgnis fah ich das Angſtgeſpenſt der ruffifchen Grenz- fpionage wieder fein Unmefen treiben. Der Hotelier hatte mir am Ankunftsabend verfprochen, für Reit- und Pacpferde bis zum nächſten Bungalo forgen zu wollen, und hatte mich zugleich belehrt, daß es in Kumaon Landesfitte oder „dasturi“ fei, täglich und von Ort zu Ort die Pferde und Träger zu wechſeln, daß aljo hier nicht wie in Sikhim ein „Sirdar" mit feinem Trägertrupp die ganze Reife mit- mache. Als ic) aber von meiner Rartenabzeichnung zum Tiffin, das heißt zum Mittageffen, in das Hotel zurücktehrte, machte ev allerlei Ausflüchte geltend. Ex berief fich auf die in der That in Kumaon herrſchende Cholera und die Mißernte, zeigte mir aud) einen Erlaß
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des Deputy Commissioner, der vor Reifen in das durchfeuchte Gebiet warnte und erklärte ſchließlich, er könne unter feinen Umftänden Pferde bejorgen. Die Sache fing aljo auch hier wieder recht erfreulich an. Die Schidjalstüden in Dardfchiling hatten mich jedoch ſchon fo weit abgebrüht, daß ich ganz ruhig eine größre Anzahl Pfundnoten in Rupienſcheine wechjelte und ein paar Kiften Ronjerven einkaufte. Dann miachte ich mich mit Hans daran, unfre Ausrüftung durchzumuftern.
Ich fiel beinah in Ohnmacht, als Hans die Koffer auspadte und ich fah, was die indifche Regenzeit verübt hatte.
„Solch einen armfeligen Schimpel giebt e3 ja gar nicht; das ift ja ein unglaubmwirdiger Schimpel!" fo Hang es unausgeſetzt von des Tirolers Lippen, als er die mit zolldicken Schimmelfruften überzognen Lederfachen, die Bergftiefel, Gamaſchen, Riemen und Taſchen auskramte. Wahre Klumpen von Infekten und Würmern famen aus den Koffern zu Tage. Daß jedes Eifenftückhen in einen Haufen Roft verwandelt war, Tufche, Briefmarken und Couvert3 fich zu einem unauflöslichen Baden zufammengeffebt hatten, während alle geleimten Holzſachen verquollen oder au3einandergefallen waren, bedarf wohl kaum der Erwähnung. Drei von meinen foliden Transportfäften mußte ic) al unbraudbar fortwerfen und erfegte fie durch Tandesübliche würfel- förmige Fellkoffer; zwei davon waren mit Hirfch- und einer mit Leopardenhaut überzogen. Das ärgerlichite war, daß mein großer Anerordbarometer unter der gemeinfamen Einwirkung von Feuchtigkeit und Hiße feine Verrichtungen eingeftellt hatte und ich mich auf ein fleine3 und wenig zuverläffiges Inftrument befchränten mußte, das noch dazu jpäter entwendet wurde. Genaue Mefjungen lagen zwar außerhalb meines Programms, aber grade diefe Inſtrumente find für jeden Reifenden faft unentbehrlich, obgleich fie, wie Whymper jagt, „dem Reifenden das Bergfteigen verleiden können“. Gern hätte ich einen Erſatz aus Kalkutta kommen lafjen, aber Hanfens Befinden fing an, ernjtliche Beſorgnis zu erregen; ex drängte auf fehleuniges Fortlommen, und auch ich fürchtete, einer neuen Wartezeit nicht
Bed, Indiſqe Getiherfaßtten. 8
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mehr gewachſen zu ſein, wußte auch bereits aus Erfahrung, wie gewagt derartige Beſtellungen in Indien ſind, denn irgend einen Mangel weiſen ſolche Sachen, die einige Zeit in Indien gelagert haben, ſtets auf.
Ich ſetzte die Abreiſe, kurz entſchloſſen, auf den nächſten Morgen feſt, wußte aber ſelbſt noch nicht, wie ich ſie ermöglichen ſollte.
In aller Gemutsruhe nahm ich, ohne mein Vorhaben zu äußern, mit Hans an der Abendtafel teil; ein Salat von Tomaten und Waſſer⸗ kreſſe war eine wahre Erfrifchung für unfren ausgeglühten Zuftand, - doch glaube ich, daß der Tiroler diefe fteifen Table d’Hote-Abfütterungen vermwünfchte, weil ihm die Beachtung der englifchen Tifchfitten ohne Zweifel recht läſtig fiel, wenigftens fagte er naiv, als fich beim jedes⸗ maligen Weggang einer Dame alle zurüctbleibenden Herren der Tafel- runde erhoben:
„Warum foll ih denn aufftehen? Ich kenne fie ja gar nicht! Wenn ich aber aufftehe, dann muß ich fie doch wohl auch nachher auf der Straße rupfen?“ Unter „Rupfen“ verjtand er natürlich das grüßende Hutabnehmen und nicht etwa irgend etwas andres.
Das Tiihgefpräch wurde auch hier bald auf Rußland gelenkt und dabei das Gerücht der Ermordung des Zaren durch einen beutfchen Sozialiften beſprochen. Es ftellte fich aber heraus, daß diefe Nach- richt von einer indischen Beitung erfunden war, um andren Blättern, die ihre Telegramme unbefugt nachzudruden pflegten, eine Blamage zu bereiten.
Nach Tiſch machte ich mich auf die Suche nach Pferden und Kulis; wenn ein Hotelmirt jagt, es giebt Feine folchen, thut man freilich für gewöhnlich am beiten, von allen perfönfichen Bemühungen abzufehen.
Als ich das Hotel verließ, hörte ich ein ganz jämmerliches Ge- minfel und fah, wie der Hotelbäder zwei Hindumädchen mit einem derben Beſen erbarmungslos durchprügelte. Die jungen Damen waren feine Schweftern, die mit ein paar englifchen Soldaten durch
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gegangen, aber veumütig wieder zurüctgefehrt waren. Warum tragen aber auch die britifchen Soldaten Uniformen aus fo unwiderſtehlich ſcharlachrotem Tuch!
Auf dem Bazar fand ich einen Pferdehändler, der mir zwar verficherte, daß alle verfügbaren Pferde für einen Jagdausflug des
Bromenade am Ger in Raini Tal. Gine Dame im Xragfuhl. Im Hintergrund ein Dindu - Temdel.
„Gouverneurs der Nordiweftprovinzen“ in Anſpruch genommen feien, daß er mir aber gegen Erlegung der dreifachen Tare ein paar Reit- pferde und acht Kulis zum nächften Morgen beforgen wolle, die mich bis nad) Almora begleiten würden, Mir fiel ein Stein vom Herzen, und mit einem fröhlichen: „Hans, es geht los!“ kehrte ich zu dem Tiroler zurück. Bor Freude ſchien diefer feine Unpäßlichfeit plötzlich
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abzufhütteln, und glücjtrahlend bat er mich), mit ihm noch einen Abendfpaziergang um den See zu machen.
Der etwa zwei englifche Meilen (3,2 km) lange und 98 Fuß oder 28 m tiefe See liegt 6350 Fuß (1986 m) über dem Meer, und hat diefem Orte den Namen gegeben, denn das hindoſtaniſche „Tal" heißt „See“; er ift eine Inndfchaftliche Perle edelſter Art! Es fehlt ja außer einigen Keinen Waſſerbecken in der Nähe Naini Tals jo fehr an Seen und Waſſerfällen im Himalaja, daß man diefen Mangel ſtets betonen muß, wenn man die müßige Frage beantworten foll, ob der Himalaja fehöner fei als die europäifchen Alpen, eine Frage, die ebenjo unmöglich zu entfcheiden iſt wie die, welche von zwei blendend ſchönen Frauen von verſchiede⸗ ner Raſſe die reizvollere ſei. Wer die landſchaft⸗ liche Schönheit nur im Zuſammenklang aller gewohnten Beſtandteile finden kann, wird freilich im Himalaja manches vermiſſen; wer da» gegen auch unter dem Beiſpielloſen und Ungeheuren die oft faſt erdrückte Schönheit herausfinden kann, wird ſeine kühnſten Träume überflügelt ſehn!
Der See iſt von ſtattlichen Bergen umſäumt, deren höchſter der 8500 Fuß (2590 m) hohe Chiner iſt. Auf ſeinen Fluten ſchaukelten ih) im Mondichein flotte Jachten, aus dem weißgetündten Hindu- tempel ſchallte mächtiger Tamtamfchlag und heftiges Klingeln, vom Bazar her tönte das Gefchrei der Feiljchenden wie leiſes Murmeln,
Am Ufer des Naini Sees.
und aus bem Ballſaal des Konverfationshaufes drangen die lockenden Töne eines Walzer3 an mein Ohr.
Auf der Promenade hufchten Holdfelig blidende Ladies an mir vorüber, um die Würde der Ballkönigin zu ertangen. In Dandi- teagjtühlen, deren Laſt mittels Stangen auf den Schultern dreier Kulis verteilt wird, faßen die englifchen Schönen in mollig zarten Bolten von Spiten, Seide und Muffelin; der Pelz für die nächtliche Heimkehr hing über der Lehne. Fadelträger warfen ihr unſtetes Licht auf diefe bunten, wechielnden Bilder, deren Glanzpunkt das Erfcheinen der Gemahlin de3 Gouverneurs bildete, kenntlich an der fteahlend feharlachroten Farbe, die nur für die Tracht feiner Diener in Anwendung kommen darf. Alle andren leiden ihre Dienftboten nad) Geſchmack und Mitteln, und es giebt faum eine Farbe, die nit für Turban oder Hüftentuch oder Jacke verwendet würde; am fiebften fcheinen diefe Hindus ihre braunen Beine mit einem fchnee- weißen Schurz zu umfchlingen, während für Sopftücher Hellrot, Lachsfarbe und Schwefelgelb bejonder3 beliebt find.
Die Dandis waren mir ſchon von Dardichiling her bekannt; aber bier in Naini Tal waren fie viel mehr in Gebrauch. Man Huldigte bier viel auffälliger der Anficht, daß es der Würde der Weißen nicht gezieme, ſich zu Fuß gehend den Eingebornen zu zeigen. Bill ein Engländer „Luft eſſen“, wie der Indier das Spazierengehen nennt, fo wird er dies in einem Park thun, aber nicht auf der offnen Landſtraße.
Wir fehrten zeitig nach Haufe zurüd, um alles für den nächften Morgen marjchbereit zu machen. Natürlich hatten wir während des Berpadens eine Unzahl von Hotelbedienten als Zufchauer, wobei ich für Wißbegierige gleich anmerfe, daß es in Indien ſowohl in Hotel3 wie in Privatwohnungen nur noch männliche Dienftmädchen giebt; in früheren Jahrzehnten war dies anders, aber die unerwünſcht zunehmende Zahl von verachteten „half cast“-Kindern machte die Einführung von männlichem Dienftperfonal nötig.
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Das Zuſchaun machte den Leuten weiter feine Schwierigfeiten, da unfre Zimmerthilr nur aus Spalten beftand, das heißt aus einem Vorhang von Schnüren, auf die Bambusftäbchen und bunte Glasperlen fo aufgereiht find, daß in der Geſamtwirkung ein gefäliges Mufter entfteht. Diefe Thüren geftatten der Luft be ftändig freien Zutritt und zeigen doch durch ihr Klappern jeden Eintretenden an.
Die allgemeine Neugier wurde durch ein herrliches Schaufpiel belohnt. Als der Tiroler nämlich fnieend den Riemen meines Apparaten- koffers ftark anzog, riß der Riemen ab, und Hans prallte zurück⸗ taumelnd mit dem Kopfe gegen das Marmorgefims des Kamins. Der Krach war jo fürchterlich, daß die Zufchauer danonrannten und ich glaubte, der Aermſte hätte fich ein ungeheures Loch in den Schädel geſchlagen; doch gleichmütig fuchte Hans die Ramintrümmer zufammen und brummte verächtlich etwas von jchlechter Steinarbeit in den Bart, ohne auch nur an den Kopf zu fafjen.
Der nächſte Morgen brachte eine jähe Enttäufchung. Mit einem wahren Märtgrergeficht weckte mich Hans unter der trübjeligen Ver- fiherung:
„Es vegnet auch) hier ganz armfelig!" Zur Beftätigung praffelte der Regen auf dem Dach, al3 ob er durch das Wellblech hindurch- ſchlagen wolle.
„Sa, Hans, was follen wir da machen? Sollen wir gehen? Entſcheiden Sie!" Der Tiroler jah mich prüfend an, ging dann zum Fenfter, ſchaute lange in die herunterfchießenden Wafjerftröme, dann Fam er zurüd und ſprach achjelzudend und gelafjen das große Wort:
„Wegen meiner mögen Sie machen, was Sie wöllen!" —
Ich hatte den Kulis eine Extrarupie verjprochen, wenn fie Punkt fünf Uhr vor meiner Thür wären. Das waren fie freilich, aber die Pferde ließen auf ſich warten. Ich fehicte einen Kuli nach den Pferdefnechten, den „Sais“; die andren fieben dürftigen Kerlchen
Ent su
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padten auf und marfchierten jeelenvergnügt über den Extrabakjchifch in den Regen hinaus. Als Negenfchüter hatten fie ſpitzige Dächer aus Blättermatten über Kopf und Lajt gebunden. Auch für Hans hatte ich am Abend vorher auf feinen Wunſch einen „Dembröller“ getauft, wie er fortan feinen Regenſchirm nannte; er hatte wohl gemerft, daß die Engländer nie ohne ihren umbrella das Haus verließen. Zwei Stunden fpäter famen die Pferde, ein paar präch— tige Renner, mit denen wir die Kulis noch vor unfrem heutigen Biele, dem Dak-Bungalo Ramgar, einholten. \
Der heftige Regen hatte die Luft abgekühlt; allmählich hörte feine Wucht auf, und es war nun eine Luft, durch den Rhododendron⸗ wald dahinzutraben. Die fußlangen, dicken, auf der untren Seite roft- roten, elaftifchen Blätter, die ungeheuren und mafjenhaften, blutroten Rhododendronblüten, die üppig mit Moos, zierlichen Farnen und Orchideen bewachſnen Baumftämme, an’ denen Affen auf und ab turnten, fehienen mir zuzurufen: ‚Jet mach die Augen und die Seele weit auf, es geht ja nun bald ernftlich hinein in die wider ſpenſtige, phantaftifche Bergwelt des Himalaja!
Nach etwa dreiftündigem Ritt hatten wir die Kulis eingeholt, die troß ihrer ſchwächlichen Erſcheinung jo hurtig wie Wiefel mit ihren Bürden dahinrannten. Der Rhododendronmwald. nahm übrigens bald ein Ende, und Mandelbäume traten an feine Stelle, unter denen die Luft jogleich viel fräftiger und erfrifchender zu fein fehien.
Nach einiger Zeit lichtete fich die Waldung, und auf den Wiejen zeigten ſich einige wilde Birn-, Aepfel- und Pflaumenbäume; Rinder mit hochftehenden Hörnern graften um ein einfaches Häuschen, den Bungalo Ramgar. Um den Hals der Tiere hingen Gloden an Bändern, die mit Kaurimuſcheln beſetzt waren, und fo hielt ich unter dem Klange de3 Kuhreihens zum erftenmal Einzug in einen indifchen Dak-Bungalo im Gebirge. Der Zuſatz: Dak, das heißt „Regie rung“, befagt, daß das Schutzhaus von der Regierung erbaut wurde und unter allgemein befannt gemachten Bedingungen von Europäern
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benußt werben kann; eins der mwichtigften diefer Geſetze lautet, daß man den Bungalo fpäter eintreffenden Reifenden überlafjen muß, wenn man felbft bereit8 24 Stunden darin Obdach gefunden hat.
Ich fand den Bungalo ſchon von einem aus Irland gebürtigen Polizeihauptmann und feiner Schmwefter bejeßt. Da ich die Räumung des Bungalo nicht beanfpruchte, fondern erklärte, mic) zum Nachtlager mit der geräumigen Veranda begnügen zu wollen, ftellte ſich bald ein behagliches Einvernehmen her, da3 mir eine Einladung zu einem vortrefflichen Abendeffen und einigen Flaſchen ebenbürtigen Ahein- wein eintrug. Mehr als diefe Gaftfreundfchaft erquickte mich aber die Bewundrung, mit der meine liebenswürdigen Wirte von den Deutſchen fprachen; es fiel mir dies um fo angenehmer auf, als die Dame, Mr3. Montrefor, einen franzöfifchen Gatten befaß. Zum Nachtiſch befam ich fogar das Verfprechen des Hauptmanng, er wolle mir, wenn ich einmal in feinen Polizeibezirt käme, einen gezähmten Tiger fchenten, dem ich getroft den Kopf in den Rachen fteden könne. Mein verfchwenderifcher Gönner ſchien unfer Sprüchlein nicht zu kennen, demzufolge wir gejchenkten Tieren nicht einmal in den Schnabel zu gucen, geſchweige denn ganz hineinzukriechen pflegen.
Die Herrſchaften waren auf der Rückreiſe von Almora, wohin ich am nächſten Tage um fünf Uhr aufbrechen wollte. Ich wurde jedoch durch einen fehr wichtig thuenden Beamten aufgehalten, der in der Nacht von Naini Tal angetrabt war, um mir noch eine Menge ver- fänglicher Fragen über den Zweck meiner Reife vorzulegen. Er ſchloß damit, daß ich nicht ohne Zuftimmung des höchiten Bezirksbeamten in Almora über diefen letzten von Engländern dauernd bewohnten Platz hinausgehen dürfe.
Unfer Weg führte uns in vielen Windungen auf und nieder; Pinien ſtreckten ihre Aefte wie Kronleuchterarme in die Luft, dann titten wir durch ein Wäldchen mit wilden Birnbäumen. Die Büffel, denen wir darin begegneten, fehienen uns aber für Stierfämpfer zu halten und verzögerten unfer Forttommen ganz außerordentlich.
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Bei Deodwar überfchritten wir einen Nebenfluß des Kofi und er: reichten nach vier Stunden den auf der Paßhöhe liegenden Bungalo Peora. Hier gelang es mir, für Hans etwas Büffelmilch zu befommen, da ich es nicht länger mitanfehen Eonnte, wie er jede Wafjerader durch⸗ probierte, um zu fehen, ob da3 Wafjer noch immer nicht den „rechten Wurm" habe; jedesmal aber fprudelte er es wieder mißmutig aus, indem ex fagte:
„Eh wir nicht hint' hineinkommen, eher wird's nicht befjer.“
Da ich wußte, wie fiebergefährlich dieſe Wafjerkofterei für ihn war, verftectte ich ihm fehließlich feinen Lederbecher, worauf er einfad) wie weiland Diogenes aus der hohlen Hand trank, verdrießlich, Daß er feinen Becher „ausgekeut“, das heißt aus der Tafche ver- loren habe. .
Beim Zufammenftoß zweier Zuflüffe des Kofi führte eine Draht: ſeilbrücke über das hochgefchwollne Waſſer; das Flußbett mar weit hinauf mit unermeßlichem Steingeröll bedeckt und zeigte, was für entjegliche Wildwafjerbrüche hier gehauft hatten. Die dürren, ſtach— ligen Raktuspflanzen in dem Steingeröll gaben der Landſchaft einen ganz unheimlichen Ausdrud. Exit beim Erreichen der Höhe des nãchſten öftlichen Hügelzugs änderte fich diefer fremdländifche Ein- druck der felfigen Schlucht und wurde dem de3 Bodethales im Harz merkwürdig ähnlich).
Sechſtes Kapitel. Marfh-Abentener.
@ Pr drei Uhr nachmittags trafen wir in Almora ein. Der A Regen hatte aufgehört; um jo ſchwüler drückte jetzt die Luft Ro) Ei in dem Keffel, in dem Almora erbaut ift.
Hier galt es nun, unfre legten Vorbereitungen zu treffen. Bor allen Dingen fuchte ich den Senior Affiftant Commiffioner F. Giles auf, was bei den weit außeinanderliegenden Häufern und den unaus- bleiblihen Mißverftändniffen eine zeitraubende Aufgabe war.
In Mr. Giles fand ich einen Fraftftrogenden Herrn, der mir mit Stolz einige Dutzend Felle felbfterlegter Tiger zeigte, aber auch aus jedem feiner Worte merkte ich, daß ich einem furchtlofen Sportsman gegenüberftand. Um fo mehr Gewicht hatte feine Verficherung für mid), daß der Weg in das Hochgebirge, felbft wenn ich nur bis zum Furfia-Schushaufe gehen wolle, jest während der Regenzeit in lebensgefährlihem Zuftande fei; noch weiter vorzudringen fei aber wegen ber täglich |ftattfindenden Bergrutiche und Lamwinen, ſowie megen der meggerifinen Brücken gradezu unmöglih, und jeloft ihm fei es troß wiederholter Verſuche während feiner mehr- jährigen Amtsführung noch nicht gelungen, bis nach dem zu feiner Verwaltung gehörenden !höchitgelegnen Hirtendorf Milam, das zu— nächſt mein Standquartier werden follte, zu gelangen. Außerdem herrſche, wie ich wohl wifje, in Kumaon die Cholera außergewöhnlich heftig, und wegen der legten Mißernte und dadurch hernorgerufnen
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Hungersnot könne ich nicht hoffen, Lebensmittel zu bekommen. Dann 30g er mich ins Vertrauen und verficherte mir ernfthaft, daß die Verhältniffe an der tibetifchen Grenze wirklich äußerſt kritiſch lägen. Die Tibeter feien über ihre Gebirgspäfle in Kumaon und Garhwal eingedrungen und hätten allerlei Zwangsmaßregeln ergriffen, um fteeitige Hirtenpläge an der Grenze in ihre Gewalt zu bringen; fie brandſchatzten die Bergbewohner und hätten denfelben unbedingt ver⸗ boten, Europäer über die Grenze zu begleiten. Es fei das alles um fo bedenklicher für mich, als bei dieſen Scharmügeln einigen Tibetern die Zöpfe abgefchnitten worden feien, wodurch fich alle Tibeter in einem vache- und mutjchnaubenden Zuftande befänden.
Ich ftellte dem Negierungsbeamten vor, daß e3 für mich ein weniger erträgliches Ding fei, unverrichteter Sache wieder nach Haufe zu fahren, al3 den genannten Gefahren entgegenzugehen. Mit auf- richtiger Beforgnis beſchwor mich Mr. Giles nochmals, von meinen Hochgebirgsplänen abzuftehen.
„Machen Sie fih doch die Sache bequemer,“ fagte er; „dort oben im Hochgebirge finden Sie wirklich nichts als Gefahren. Hier am Himalajarande aber wohnen mehrere Radſchahs; befuchen Sie doch diefe vereinfamten Fürften! Da haben Sie ftet3 gebahnte Wege, risfieren Ihre Haut nicht, werden, ohne Ihr jchönes Geld auszu- geben, gut gepflegt, erhalten Reittiere zum Weiterfommen geborgt und können fogar ſchließlich noch ganz annehmbare Gaftgefchenfe mit gehen lafjen, wenn Sie Ihre Gaftgeber gut zu unterhalten verftehn!"
Ich verficherte meinem Gönner, daß ich zum Spaßmacher indifcher Duodezfürften nur wenig Neigung verjpürte, und fichtlich befümmert ließ er mir die „General-Purwana“ ausfertigen. Er nahm mir nur das DVerjprechen ab, mwenigftens feine unliebjamen folgenfchweren Zwiſchenfälle gemaltfam heraufzubeſchwören.
Ich jubelte innerlich. Die Reife war nun doch wenigftens behördlich erlaubt, und die begleitenden Umjtände waren fo romantifch und indiſch mie möglich. Allerdings verfannte ich nicht das
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Gefährliche meiner Lage. War e3 richtiger, hier umzufehren oder vormwärt3 zu gehen? „Durch!“ mußte ich antworten, und „Durch!“ fagte auch Hans.
In der General-Burwana wurde jedermann aufgefordert, meine Reife nad Kräften zu unterftügen. Mit wahrer Rührung betrachtete ich daS wichtige Dokument und legte es voll Zärtlichkeit unter mein Kopfkiſſen.
Für den nächſten Morgen hatte ich) mir durch den Ausrufer alle Leute beftellt, die Luft hatten, meine Reife als Dolmetjcher mit: zumachen; dem Anmwerben dieſes wichtigften Neifegefährten jah ich nach prächtig verfchlafner Nacht im Dak-Bungalo mit begreiflicher Spannung entgegen.
Das einfache Austrommeln meines Wunfches hätte wohl wenig geholfen, wenn nicht der Miffionar von Almora, Reverend Oakley, den maßgebendften Eingebornen mein Begehren and Herz gelegt hätte, Wie ein Lauffeuer breitete fich die Nachricht meines beab- fihtigten Zuges auf dem Bazar aus, und bald mwimmelte und fummte e3 vor dem Daf-Bungalo wie ein Bienenjchwarm. Ich faß an einem Tifch und hatte einen Bogen Schreibpapier zur Hand genommen, um die Leute der Reihe nach anzuhören und gelegentlic) dem neben mir ftehenden Tiroler die Aeußerungen der Bewerber zu verdeutfchen, während mir wieder ein Hilfslehrer des Miſſionars als Dolmetfcher beiftand. Diefer vertraute mir, daß der Schwarm nicht nur aus Dolmetfchern beftände, jondern daß auch noch andre hoch: wichtige und hier zu Lande unerläßliche Neifebegleiter dabei feien.
Ich ließ alfo zuerſt alle Leute vortreten, die als Dolmetjcher mitgehen wollten. Es waren nicht weniger als fieben, von denen aber ſechs in ihren Kenntniffen de3 Englifchen nicht viel weiter als zum „Yes“ vorgedrungen waren; aber felbjt die Bedeutung diejes Wortes war thatfählih nur fünfen völlig Mar geworden, der fechite ſchien das Yes für einen Naturlaut ohne fonderliche Bedeutung zu halten, den man nur fo häufig mie möglich von fich zu geben brauche,
um ſich damit vor Gott und Menfchen angenehm zu machen. Dieje ſechs mußten das Lofal unter allgemeinem Hallo fofort unrühmlich verlaffen. Der jiebente, ein leiblich Englifch fprechendes, vermidertes Männchen, das fich ftolz Babu Dſchai Kifchan Fofchen titufierte, wäre auf dem Marjche in den erjten zehn Minuten zufammengebrocen. Glüdlicherweife fam noch zum Schluß ein achter „Dubhafia” an- ipaziert, ein langaufgefchofiner, vielverjprechender Jüngling, der fich Narain Dalla Khawas nannte. Er plapperte das Englische mit dem Tonfall eines Mühlrades und behauptete, außer feinem Hindoftanifch nicht nur Tibetiſch, jondern auch alle Dialekte der Bergbewohner, der Barharis und Bhotijas zu beherrfchen. Für einen fo gelehrten Herrn ſchien mir der verlangte Lohn von einer Rupie für den Tag nicht zu viel; der Babu trat fogleich feinen Dienft an und half mir die übrige Geſellſchaft fortieren.
Demnädjft war ein Schupraffi nötig, um fpäter mit der Wünfchel- rute der Purmana in der Hand von Ort zu Ort voraugzueilen und Kulis und Lebensmittel aufzutreiben — ein begehrtes Amt, das mancherlei Nebeneinkünfte mit fi bringt. Was für verſchmitzte Galgenvögel und abgefeimte Diebsgefichter brachten fich dafür mit den herrlichiten Zeugniffen in Vorſchlag! Ich mißtraute aber diefen Belobigungen, da ich mußte, daß ftellungfuchende Indier auf den Bozaren glänzende Zeugnifje zu kaufen oder zu leihen pflegen, und ſchrieb Lieber ein paar Zeilen an den Diſtriktsvorſteher, in denen ich bat, mir einen zuverläffigen Schupraffi zu ſchicken; ein ſolcher traf auch bald in der Perfon des Gulab Singh ein, der feine unberech— tigten Konkurrenten fofort zum Bungalo hinauswarf.
Nun kam eine Rotte von etwa zwanzig ebenfo fragmürdigen Gefellen an die Reihe.
„Was bift du?" fragte ich den erjten.
„Kanſahma, Koch!"
„Und du?"
Koch!“
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„Und du?“
„Auch Koch!“
Ich zeigte Hanfen diefe Löffelgarbe; der aber jagte mit ruhiger Würde:
„Kochen thun mir uns ſelber!“ und ſchob die Kaſſerolleburſchen zur Thüre hinaus. Nun rief mein Dolmetfcher die Kitmatgard oder bearers, da3 heißt die Diener, auf; etwa acht unfaubre Geifter fprangen mit tiefen Salamverbeugungen und heuchlerifchem Grinfen vor.
„Der Diener bin ich!“ rief aber Hans und fegte mit einem einzigen Armdrud die ſchmierige Sklavenbande zum Thore hinaus.
„Was willft du denn bei mir, mein Söhnchen?“ fragte ich hierauf einen winzigen, nadten Knirps mit hübfchen filbernen Arm- bändern.
„Die Hunde verforgen!"
„Ich nehme ja aber gar feine Hunde mit!"
„Dann will ich Ihre Raten beforgen!" erflärte der Kleine mit Zuverficht.
Da ich mir aber für diefe Reife weder Kater noch Kate anzu: ſchaffen gedachte, mußte auch der Tierbändiger mit langem Geficht davonziehen. Nach einigen Sekunden war er aber ſchon wieder im Zimmer und fragte flehend:
„Darf ich denn nicht wenigftens die Hühner rupfen, o Herr?"
Ich bedauerte, feine Männer unter acht Jahren mitnehmen zu önnen, und mit Thränen in den Augen ſchlich der Heine, rupfluftige Junge davon. .
Nun trat ein riefenhafter, poctennarbiger Lümmel mit frechem Gefiht an den Tiſch.
„Was willſt du thun?“
„Ihre Lampen puben und anzünden, Herr!"
Wenn er gefagt hätte: „Ich will Felſen niedertreten und Bäume ausreißen,“ hätte ich ihn höchft wahrjcheinfich mitgehn laſſen, aber ich fürchtete doch Hanfens Eiferſucht, wenn ich zum Anſtecken unfrer
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einzigen kleinen Taſchenlaterne einen ſo bedeutenden Lampenputzer mitnähme; mit höflichem Dank mußte auch er ſeiner Wege ziehn. Der übrige Schwarm von Stiefelpugern, Wäfchern, Schneidern, Grasmãhern und ähnlichen fich für unentbehrlich haltenden Würden- trägern war bald abgethan. Nur einen muntren Burfchen behielt ih aus der ganzen Maffe zurüd; er geftand ein, er könne nichts als ſchön pfeifen und die Kulis antreiben, und das fchienen mir doch äußerft wertvolle Künfte zu fein. Dann überlegte ich mit Hans, wie mir unfte Ausrüftung vervollitändigen müßten.
Das Gewehr und die Patronen follte der Dolmetfcher ver: walten, der ſich für einen gewaltigen Nimrod und Scharfichügen außgegeben hatte.
„Wollen jehen, ob's wahr ift!" murmelte Hans mit feitifchen Biden.
Unfer wichtigftes Gepädjtücd war mein Meines Zelt, ein nur zwanzig Pfund ſchweres, prismaförmiges Whymper-Alpenzelt von 7 mal 7 Fuß Bodenfläche, deffen Spannſchnur an jedem Ende an einem in die Erde gerammten Bergſtock oder Eispidel feitgebunden wird. Obwohl die Leinwand waſſerdicht fein follte, hatte ich nach meinen Erfahrungen im Kaukaſus für nötig befunden, eine dünne Gummidecke von der Größe bes Zeltdachs mit Bändern benähen zu laffen, um fie bei beſonders ſchweren Regengüffen jeft über das Zelt binden zu fönnen. Ebenfo konnte auf dem Leinwandboden de3 Zelte eine ftarfe, mit anheimelnd fauber Farierter Leinwand bezogne Gummidecke feitgebunden werden, auf die dann erft die Schlafjäcke gelegt wurden. Auf Feldbetten, ebenfo auf Klapptiſch und Stuhl hatte ich verzichtet, weil fie das Gepäck fehr beträchtlich ver- mehrt hätten und im Notfall, zum Beijpiel beim Uebernachten in Sümpfen, durch meine Packkiſten erjeßt werden konnten. Meine Kamelhaardecken nebſt den Ropfliffen füllten den einen Fellfoffer, die Erſatzkleidungsſtücke, Strümpfe und Wäfche den zweiten.
In dem dritten Fellkoffer brachte ich Erſatzſchuhe und fonftige
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Lederwaren, Schuhfchmiere, Medilamente, Handwerkszeug, Bücher, das Wajjerfilter, Steigeifen, Schneebrillen, Inftrumente und Heine Geſchenke unter.
Die Kochgefchirre mit den Spiritusfannen bildeten die fünfte Trägerlaft. Someit irgend möglich, wollten wir natürlich mit Holz- feuer kochen, um den koſtbaren Spiritus zu ſchonen; man wird aber bald fehen, warum ich in Zukunft Petroleum vorziehen würde.
Die ſechſte Kuliladung beftand aus der photographifchen Aus- rüftung, einer außgezeichneten Talbotfchen Reifefamera für 13><18 cm Platten mit Objektiven, Stativ, 6 Doppeltaffetten, Panorama-Ein- richtung und den Dunfelfammergeräten. Ferner waren da: Zwei Kaften mit Sicherheitsfchlöffern voll photographifcher Trockenplatten, die von Schippang & Co. in Berlin mit befondrer Sorgfalt ab- fichtlich als „jehr wenig empfindlich“, dafür aber in den Tropen haltbar bergeftelft worden waren. Drei Kiſten Fleifch- und Gemüſekonſerven, jede eine Trägerlaft, daS heißt 40—50 Pfund ſchwer. Ein Kaſten voll Erbswürſte, Zucker, Speck, Thee, Kaffee, Schokolade, Gewürze, Fleifchertraft und Sturmſtreichhölzer. Eine Blechkiſte voll Brot und Biskuits. Ein Kaften voll Mehl. Ein paar Säde Reis. Damit hoffte ich, drei Monate auszulommen. Außerdem trug Hans gleich mir einen Ruckſack mit Regenmantel, Gamafchen, Seil, Kompaß, Schnellfocher, „eifernem" Proviantbeftand an Biskuits und Schofo- lade, Laterne, Toilettengeräten und fonftigen Kleinigfeiten.
Unfre ganze Ausrüftung war auf ein für anglo-indiiche Ver: hältnifje gradezu dürftiges Maß beſchränkt und erforderte trotzdem tagtäglich fünfzehn Träger, zu denen außer Hans und mir noch der Dolmetiher, der Schupraffi und der Eleine Kulitreiber oder Kunft- pfeifer famen, den ich wegen feines ehrlichen Geficht3 zum Träger eines Sades voll Kleingeld auserkoren hatte; im ganzen waren wir alfo zwanzig Perfonen. Um diefen Sad voll Kleingeld aufzutreiben, mußte ich einen ganzen Nachmittag in firömendem Regen bei den Geldwechslern auf dem Bazar herumlaufen, der wegen der Cholera
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unheimlich menfchenleer war; ich behielt nur ein Säckchen mit 400 Sovereigns zurüd und mechjelte meine ſämtlichen Rupien- ſcheine in Silber und Scheidemüngen um, die ich in einem großen Sad jammeln und ſchließlich in einen Bottih mit Waffer ausfchütten ließ, das ich reichlich mit Karbolfäure verſetzt Hatte. Auf diefe Weiſe hoffte ich, die unfaubren Geldftüde, duch die in Indien haupt ſãchlich efelhafte Krankgeiten übertragen werden, weniger gefährlich und unappetitlich zu machen. Dann mußte mein Kunftpfeifer die Münzen abtrodnen und in einen Doppelſack füllen, wie ihn dort die Landleute in Form einer Gelbbörfe, mit Kartoffeln oder Mehl angefüllt, über Kopf ober Schulter tragen und zwar jo, daß ber eine Beutel auf dem Naden, der andre var der Bruft hängt. Dies Kapitälden von etwa 2000 Mark in Kleinen Münzen nahm fich ganz ftattlich in der Niefenbörfe aus; doch enthob ich den Kulitreiber bald der Verpflichtung, das Geld jo offenkundig einherzutragen, denn ich bemerkte, daß die armen Kulis fich das Schielen angewöhnten, Tobald fie herausbefommen hatten, wo „Mofes und die Propheten“ fi) befanden. ebenfalls erwies ſich meine Vorficht fpäter als außerordentlich berechtigt; ift e8 in Indien häufig ſchwer genug, eine Rupiennote der Stadtbank von Madras in einer andren Stadt, zum Beifpiel in Lucknow, loszuwerden, jo nimmt natürlich im Ge— birge abjeit3 der „hill stations‘ fein Menſch ein Stück bedrucktes Papier an Zahlungsftatt entgegen.
Der Yuli fing mit einem herrlichen, wolkenloſen Morgen an, und mit aufrichtigem Entzüden fah ich meine Kolonne aus Almora abmarfchieren. Bis zum Furkia-Bungalo follten es nur ſechs oder fieben Tagesſtationen fein, in acht Tagen konnten wir alfo hoffen, einen Trunt aus dem Eife de3 Pindargletfcher3 herausfchlürfen zu Binnen. Hanfens Geficht ftrahlte bei diefer Hoffnung vor Entzüden!
Der beinahe nackte Pfeifer hatte fich meinen Ruckſack aufgebudelt, Hans aber wollte den feinigen durchaus feinem fremden Rüden anvertraun, denn es ſteckte ja fein umerfegliches Führerbüchel darin!
Dort, Indie Gletfderfaßrten. . 9
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Fröhlich trabte mein brauner Ruckſackträger im Gefühl feiner Würde neben meinem Gaul her und blies bald auf einer eifernen Maul- trommel, bald mit den Lippen allerlei Melodieen, die mir einen befiren Begriff von indiſcher Muſik beibrachten als die nächtlichen Fideleien meines Nachbars Schneider in Dardſchiling. Dadurch befam unfer Zug ein ganz heitres Ausfehn, wenn auch unfre Kulis recht ausgemergelte, jämmerliche Geftalten waren, die alle Laſten ohne Kiffen oder Zwiſchenlagen mit gejchicter Unterftägung des Schwer- punkts auf dem Kopfe trugen, ohne ein Stirnband anzuwenden.
Meiftens führte der Weg in nördlicher Richtung durch Pinien- wald fort, dann an Felſen und Steinbrüchen vorüber, in denen Mädchen mit bunten, auf dem Rüden zugefnöpften Jäckchen arbeiteten. Zwiſchen Jaden und Rod war der Körper etwa zwei Hand breit unbebedt, was für derartige ſchwere Arbeiten jehr bequem und zweckmäßig fein mag.
Bei einer überdachten Quelle, die der Stadt Almora Wafjer zuführt, hörte ich plöglich Hinter mir ein Dröhnen und fah grade noch die Füße des Tiroler3 in der Luft herumrühren; der mut: willige Bony, der ihn jo unfanft auf die Exde geſetzt hatte, rafte wie befefien nach Almora zurüd, und erft in Bafoli fand ich für ihn Er- ſatz. Der Weg wurde übrigens bald fo fteil, daß ich vom Pferde abftieg und ebenfalls zu Fuß ging.
Bei Bafoli ftanden einige‘ verwitterte Steinhäufer inmitten zart- grünender Reisfelder, und nach einer Viertelftunde zeigte fich in dem mit mächtigen Rhododendronbäumen durchwachſnen Fichtenwald abfeit3 von der Straße ein winziges Blockhaus, aus Ueberreften früherer Hindutempel zufammengefügt. Bor der Thür diefes Tempel- chens hockte ein Einfiedler mit untergefchlagnen Beinen und gab ſich mit Inbrunft dem weltlichen Genuß einer Pfeife Tabak hin, hielt dabei aber den Pfeifenkopf in der Iinten hohlen Hand und faugte durch die ſpitzwinklig daran gehaltne hohle rechte Hand den Rauch ohne Rohr aus dem Pfeifenkopfe.
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Das Rauchen oder Tabak trinken", wie der Hindoftane fagt, it in Kumaon feine Gewohnheit mehr, fondern ein Vebürfnis. Mit
Balb-Einfledler.
Staunen jah ich, mie die Kulis auf ihren hinreichend ſchweren Bürden nicht nur ihre Decken, Reisfäde und Kochgefchirre aus Bronze, fondern ſtets noch obendrauf eine ſchwere Wafjerpfeife, die Hufa, gepackt hatten. In der Weife de3 genannten Einfiedlers
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hen aber nur ganz bedürfnislofe Menfchen, ja häufig fieht man ye fogar ohne Pfeifenkopf rauchen; fie Höhlen dazu ein Loch in Iehmige Erde, in das fpäter der Tabak und die glimmende zkohle geftopft wird, ftechen dann mit einem Stäbchen einen ig anfchließenden Kanal dahinein und bohren jchließlich von oben einen andren Kanal in die Erde, der den früher gemachten in m rechten Winkel trifft. Auf diefe Weife entfteht das winklige ıgeohr einer Pfeife, die den großen Vorzug der Billigkeit hat zugleich eine fehr nüßliche Leibesübung bedingt, indem man fich hrem Gebrauch der Länge nad) platt auf den Erdboden legen muß. Nach einer halben Stunde famen wir an den Ort, wo ber iedler im Walde feine Bruchſtüche tanzender Göttinnen und nder Stiere zufammengefucht haben mochte; Am-Bageswar nannten e Leute diefen Raſtplatz unmittelbar neben den Trümmern : geoßen und zweier Kleinen Säulen, wie folche neben den meiften sutempeln als riefige Lingams errichtet zu werden pflegen. Ob Berftörungen aus dem Kriege herrührten, der im Jahre 1817 England mit Nepal um den Beſitz Kumaons geführt wurde, aus früheren Zeiten, als mohammebanifche Eroberer hier alle Hlichen und tierifchen Figuren aus der indijchen Götterfage ver- sten, konnte mein Dolmetfcher von feiner Seite erfahren.
Es war faum elf Uhr. Die Sonne hatte aber jhon fo unbarm- 9 geſtochen, daß die Kulis bei ihren Laften niederfanfen und fich in den langen Schuppen zu fehleppen vermochten, der als Obdach derartige Wandrer aufgebaut war. Auf dem Bilde ift diefer ppen an der linfen Seite vor der Tempelruine zu jehen; vechts ein Kuli vor dem langen Zeltbündel, im Hintergrunde fteht der ıetfcher bei meinem Schimmel. Allmählich erholten jich jedoch tulis und machten ſich daran, im Schatten eines Nußbaums demüfe zu kochen; es war Grüntohl, den fie mit Waffer, Salz Del dämpften. Vor der Mahlzeit legten fie ihre Kleider ab, t fie überhaupt ſolche anhatten, wufchen fie in dem nahen
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Vach und legten fie wieder an, nachdem fie von der Sonne ges trodnet waren. Eine andre Gruppe, wohl von etwas höhrer Kajte, kochte einen
Naft meiner Träger bei den Tempelruinen in Am-Bagerwar. Bor meinem Pferde ſieht der Dolmetjcer mit dem Gewehr. delifaten, mit Tamarinde gelblich gefärbten Milchreis, von dem mir der Babu einen gehäuften Teller „zum Koften“ verabreichte, jo daß ih meine eigne Mittagskocherei für diesmal fparen konnte; zum Echlemmen mar ich ja nicht in diefe Berge gezogen. .
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Die in dem Bad liegenden Büffel lockten eine Unzahl von Mostitos und Stechfliegen an, die den Aufenthalt nicht fehr gemütlich werden ließen; auch erhob fih ab und zu ein jchlammtriefender Büffel, um fich an irgend einem von unfrer Geſellſchaft fauber zu feuern. Hans kleidete fein Erftaunen über diefe plumpen Sumpf- bewohner in die Worte:
„Solch Püffel ift doch ein ftolzes, greifige Tier; in jedes Tafel legen fie fich hinein!“
Eigentlih war es gar nicht fo thöricht von dieſen Tieren, während der Tagesihmüle ein fühlendes Schlammbad zu nehmen.
Während unfrer Raft war hin und wieder ein Brahmine oder fonftiger Hindupriefter aus einer Höhlung in der Tempelruine hervor» getreten, hatte mit einer Klingel und durch Blafen auf einer weißen Mufchel einiges Getöfe verurfacht und dann einigen Kulis mit roter Farbe einen Punkt auf die Stirn gemalt; hierauf war er wieder verſchwunden. AL er zufällig unfre Anjtalten zum Aufbruch ſah, tam er eilends herbei, um fich durch die verjtändliche Bemerkung: „Rupie! Rupie!” eine klingende Anerkennung feiner mufifalifchen Talente auszubitten. Ich war thöricht genug, aus Hochachtung vor feinem geiftlichen Beruf, diefem Verlangen zu entſprechen, anjtatt ihn nur mit einigen Rupfermünzen abzufpeifen.
Wäre das feljige Thal, in das wir nachmittags beim Bungalo Tafula eintraten, nicht von fo entjeglich ſchwülen Dünften angefüllt gewefen, fo hätte e8 wunderſchön genannt werden müfjen; die Natur fchien dort ihre zierlichften Farne auf die Felsblöde, der Aberglaube der Bergbewohner die bunteften Opferflaggen an den Weg gepflanzt zu haben. Später traf ic Akazien, die ihren Schatten auf ftaffel- förmige, in winzige Vierecke eingeteilte Reisfelder warfen; Iuftig gekfeidete Weiber verpflanzten die faftiggrünen, zarten Halme aus den obren Etagen in ben untren, überſchwemmten, friihen Nähr- boden, warfen aber fofort das rote oder gelbe Umſchlagetuch über bie Gefichter, wenn fie unfre Annäherung bemerkten.
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Erſt um fieben Uhr abends famen wir an die Drahtfeilbrüde, die bei Bageswar den Zufammenfluß des Gomali und Sarju über- ſpannt, mußten aber noch durch die lange, enge Hauptgaffe des Ortes und fchließlich über eine neue Drahtfeilbrüde auf die andre Seite des Sarju reiten, um in dem Schußhaufe, dem Dak-Bungalo, Obdach zu fuchen.
Längs der Straße drängten fich buntbeturbante, braune Gefichter mit farbigen Stirnzeihen Kopf an Kopf in den engen, gejchnißten Fenſterchen, zwifchen denen hölzerne, buntbemalte Gößenbilder auf- geftellt waren; die Hite und die Dünfte des Tages hatten mir den Kopf aber fo benommen, daß ich die ſtarrblickenden, zähnefletichenden Indier häufig für Holzpuppen und die Gößenfragen für übermütige Hindububen hielt. Mit Sorge fpürte ich die erften Anmandlungen eines Fiebers und machte mir Vorwürfe, Hanfens Beifpiel gefolgt zu fen und von dem warmen Sarjuwaſſer genafcht zu haben, deſſen graue Farbe uns zu dem irrigen Glauben verführt hatte, bereits Gletſcherwaſſer vor uns zu haben; wir hatten vergeffen, daß in der Regenzeit alle Bergwäfjer aufgerührtes Erdreich mit fortſchwemmen! Der Appetit auf weitre Koftproben wurde und bei diefer Gelegenheit aber gründlichft abgemöhnt, denn mit wahrem Entfegen ſahen wir hin und wieder im Wafjer angebratne Teile von Leichen treiben, die an oberhalb gelegnen Stellen in den Fluß gemorfen waren, und erinnerten uns hierbei, wie ſchonungslos die Cholera grade in diefem Bezirk unter den Eingebornen wütete. —
Ich faß nun mit meinem Tiroler in der öden Halle bes Bungalo. Der Kulitroß Hatte mit unfren Pferden nicht Schritt zu halten vermocht, und nur der ebenfalls berittne Dolmetſcher war gleichzeitig mit uns eingetroffen, verſchwand aber fofort, um einen Korb Eier und einen Aft mit einer Riefentraube von fünfzig Bananen für mic, einzuhandeln.
ch lachte recht teufliih, als ich mit meinem Hans vor dem viefigen leeren Tiſch ſaß und als wir uns gegenfeitig das Geftändnis
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egier zuflüfterten. In andren, häufiger befuchten Dat: findet man wohl gelegentlich auch eine ganz brauchbare 3, aber in diefen nur fehr felten von Sportsleuten oder sbeamten aufgefuchten Rafthäufern ftarren dem hungrigen Wandrer nur Tifche, Stühle und ein paar leere, niedrige entgegen; alle8 übrige muß er felbft mitbringen.
onnten nicht einmal Hanfens eifernen Proviant in Geftalt Biskuits und einer Tafel Schokolade verzehren, denn er hließlich doch bequemt, feinen Ruckſack auf eine Kifte, die it anfcheinender Leichtigkeit auf dem Kopf trug, zu paden, in fein ftörrifcher Gaul fo plöglich zu einem „Fuß: degradiert hatte.
ulis und mit ihnen der Träger des Kochapparat3 ließen ve auf Stunde warten. Wir hatten von den fünfzig yereit3 die Hälfte verfnabbert, aber der durchfichtige, ge- mbuskorb mit frifchen Hühnereiern auf dem Tiſch reizte ıger gewaltig. Die unfaubren Eier roh auszufaugen, war er Cholerafeuche allerdings nicht rätlich; auch war ich ein auf meine in Dardſchiling bis zur Virtuofität gefteigerte an der Erzeugung tadellofer Ochjenaugen und unmiber: ‘ühreier, doch im ganzen Bungalo fand fich Fein Blech— yen ich die Eier hineinfchlagen konnte, deshalb ließ ich en Pferdejungen, den Sais, nochmals mein Pferd fatteln te nad) Bageswar zurüd. Wie in jeder indifchen Stadt ud, dort jenes malerifch bunte und rege Nachtleben auf :, das für mich durch die wechſelnden Beleuchtungs- ſtets einen ganz außerordentlichen fünftlerifchen Reiz befist. ite ich eine bronzene Pfanne, etwas fchneeweiße Büffel- : Handvoll Ealz, eine Kerze, ein paar Schupattibrote und chen Ingwerlimonade eingehandelt, und zwanzig Minuten d ich fehon wieder im Bungalo, um über einem praffeln- ıer ein Niejenrührei zu braten.
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Nah dem Genuß unfrer Delifateffen Ia3 ich das Thermometer ab, fand volle 30° C., und zufrieden mit diefer genügfamen Kletter- fertigfeit de Quedfilber3 Iegte ich mich auf das Netzwerk meiner Tſcharpoi⸗ Bettſtelle und verfuchte einzufchlafen; Bienen und Moskitos jummten mir ein Schlaflied, und draußen knatterte das Zirpen von unbefannten Riefeninfetten wie Pelotonfeuer.
Mir ging natürlich daS Ausbleiben der Kulis im Kopf herum; & war ja Mar, daß fie fich entweder verlaufen oder bösmwillig ent⸗ fernt hatten. Ich geftand mir widerwillig, daß fol eine Himalaja- teife denn doch weit mehr Schwierigkeiten und Widerwärtigteiten böte, als ich in meiner Schulweisheit bisher für erdenklich gehalten hatte. Da erſchien plößlich das ohnehin ſtets blaßgelbe Geficht des lang aufgefchofinen Dolmetjchers in der offnen Thür, geifterhaft und erſchreckend von dem fladernden Licht einer Kerze beleuchtet, die ich in ihrem eignen Paraffin auf die Tifchplatte geklebt hatte. In der Hand hielt er die Flinte.
Mir ftand das Herz ftill. Der Anblick war noch unheimlicher als das Spufbild Cäfars im Zelte des Brutus bei den „Meiningern“. Wollte der Kerl morden, oder war er verdreht geworden? Sch ſprang von dem Tſcharpoi herunter und riß dem Babu mit einem Kraftwort das Mordgewehr aus der Hand; e8 war geladen!
Mühfam, faft bebend, brachte der Burſche die Mitteilung heraus, daß er foeben von dem Bungalowächter erfahren hätte, daß es in diefem Bungalo nicht geheuer fei, fondern daß böfe Geifter darin hauſten; ex bäte mich dringend, es zu machen wie die Friegerifchen Gorkas, die beim Schlafen an derartigen Orten einen blanken Säbel oder ein geladnes Gewehr unter den Kopf zu legen pflegten.
Ich verzieh dem Jüngling eine gutgemeinte Warnung, Iehnte die Flinte zu feiner Beruhigung forgfältig gegen den Stuhl an dem Tiſch, auf dem der Korb mit den übriggebliebnen zehn Eiern ftand, und verfuchte abermals einzufchlafen. Der Babu ging wieder in das Häuschen des Wächters.
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Mein Blut war aber doch in Wallung gelommen; auch ſteckte troß der offnen Fenfter und Thüren noch die ganze Tageshite in dem Haufe, und zum Unglüd wirkte die Kerze bald wie ein Magnet auf alles, was in unfrem Zimmer und draußen in Feld und Wald herumfummte. In wahren Wolken brummten und ſchwirrten Käfer, rieſige Motten und Nachtfalter in das Gemach, und der Südſeeforſcher Ribbe, der befannte Naturalienhändler in Radebeul, wäre bei diefem Anblic gewiß vor Vergnügen an die Dede gefprungen. Schon nad wenigen Minuten hatte der Flügeljchlag eines gewaltigen Schmetter- lings das Licht ausgelöfcht, und es wurde ftille; die Moskitos und Stechfliegen fummten natürlich auch ohne Beleuchtung unverdroffen weiter und fchienen mich für ein Nadelkiſſen zu halten.
Die Ermüdung fiegte; nach kurzer Zeit fühlte ich, daß mir die Augen zufallen wollten.
„Um Gottes willen, mas ift das?“ fchrie ich aber Los, weil ein harter Krach durch das Gemach ſchallte; gleichzeitig hörte man vom Tiſch ber ein leifes Rollen, das mit einem ftumpfen Fall oder Schlag endigte. Hans Mnurrte:
„Da, was war denn dös?“
„Haben Sie denn feine Streichhölzer bei der Hand, Hans?" fragte ich haſtig.
„Ei freilich!" kam gemächlich die Antwort.
Die Streichhölzer waren aber in der Regenzeit feucht geworden, und erſt nach acht vergeblichen Verfuchen befam der Tiroler Licht. Nun wollte ich die Kerze anzünden — die Kerze war verſchwunden! Dabei ftieß mein Fuß an einen harten Gegenftand, den ich al3 das Gewehr erkannte, da8 am Boden lag; dicht daneben fand ich das Licht, das vom Tifche heruntergerollt und in der Mitte zerknickt war.
Wie war das zugegangen? Sch konnte drauf ſchwören, daß niemand duch die Thür, die ich im Auge gehabt hatte, eingetreten mar; das Gewehr und das Licht hatten ſich aber unzweifelhaft in feiten Stellungen befunden.
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Die Sache fing an, ungemütlih zu werben. Mic an einem Choleraherd in einem fieberberüchtigten Ort zur ungefundeften Jahres» zeit und ohne ein einziges Stüd Gepäd mit böfen Nachtgefpenftern herumbalgen zu follen, erſchien mir durchaus nicht erquicklich. Sollte der Babu ſich einen dreiften Scherz mit mir gemacht haben? Das war doch ganz unmwahrfcheinlich.
„Böfe Geifter giebt’3 ja nicht,“ fagte ich tröftend zu dem Tiroler. Der zog die Mundwinkel herunter, zuckte mit den Achjeln und gudte mich an wie einen Menden, der eine ungeheure Dummheit gejagt hat; dann ſtreckte er fich wieder nieder, daß fein Bettgeftell in allen Fugen knackte.
Ich behielt die Streichhölger und die Kerze bei der Hand und verfuchte nochmals, in Schlaf zu kommen. Von Hanfens Bettftatt ber ſchallte ein Terniges Raſſelgeräuſch, das mir die tröftliche Ver- fihrung gab, daß der Tiroler wohl noch nicht vom Fieber erfaßt fei; bald ſchlief auch ich, fanft, traumlos, glückſelig.
Ich weiß nicht, wie lange ich gefchlummert haben mochte. Ein noch viel merkwürdigeres Geräufh als das erſte ſchreckte mich auf. Ih muß mit einem gradezu furchtbaren Schrei aus dem Schlafe aufgefahren fein, denn aus dem Wächterhäuschen, das ich durch das Fenſter erblicken Konnte, kamen der Wächter und der Babu mit lodernden Fadeln in die Halle geftürzt, um mit angftverzerrten Zügen zu fragen, was es gäbe. Ich hatte das Gefühl, daß mir noch immer die Haare zu Berge ftünden; ich war über und über in Schweiß gebadet, mein Puls flog. Mit Zittern und Beben zeigte der Wächter auf den Korb, der unter dem Tiſch in einer Pfüte von zerfchlagnen Giern auf der Erde Ing.
Ich kochte vor Hitze und Aufregung. Hans gab die Bemerkung zum beiten: „Sell ifch wirklich merkwirdig!“ und der Babu lifpelte mit bleichen Lippen wieder etwas von böfen Geiſtern; ich hätte ihm einen Katzenkopf geben mögen.
Ich nahm das geladne Gewehr mit in mein Bett und nahm
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mir vor, wach zu bleiben. Der Fadelzug der beiden Männer entfernte fi wieder, aber noch lange hörte ich fie in dem Wächterhäuschen laut und angelegentlich ihre Meinungen über die Geheimniffe diefes verwünfchten Ortes austaufchen.
Die Zeit kroch mir langfam dahin; ich wollte und mußte diefen rätfelhaften Spuk ergründen. Endlich ſchlug die Stunde der Er- löfung von meinen Zweifeln.
Ohne daß ich das mindefte Geräufch vernahm, erblicte ich plöglich etwa einen Fuß über der Thürfchwelle ein paar große grün- liche Punkte aufleuchten; unbeweglich ftanden fie glühend dort und ſchienen auf mich hinzuftieren. ‚Das ift ja ein wildes Tier!“ fagte ih zu mir und fühlte, wie mir eine neue Erfchütterung durch Nero und Adern riefelte. Ich hatte bisher nur wenig Gelegenheit gehabt, Tiere auf der Jagd zu erlegen, und wenn ich mic) auch al8 leidlicher Schüge fühlte, fo hatte diefe Sache doch einen fcheußlich unbehaglichen An- ſtrich. Ich konnte von der Beſtie nichts als die funkelnden Augen erkennen; ficherlich Tonnte das Tier meinen Körper im Dunkeln viel beffer wahrnehmen. Blitzſchnell zuckte mir die Befürchtung durch den Kopf, daß das Tier mir an die Gurgel fpringen wolle; im Nu turnte ich deshalb vom Bett, gab Feuer und fah im Aufbligen des Schuſſes eine riefige Wildfage mit gewaltigen Sätzen davonfpringen.
Durd den Schuß Tamen die andren an die Reihe, zu erſchrecken. Wiederum fanden ſich die beiden Fackelträger mit ſchlotternden Gliebern bei mir ein, und auch Hans erklärte, daß er bei derartigen Geräuſchen nicht gut fchlafen könne.
Der Wächter war über unfre unheimliche Nachbarfchaft ganz beftürzt; er bezmeifelte nicht, daß die Beſtie beim Kerzenfchein die Eier wahrgenommen und dann verfucht hätte, den Korb davonzu- ſchleppen, wobei fie Gewehr und Licht umgeriffen hätte. Eine ſchwere Verwundung des Tieres war fraglich, feine Wiederkehr für diefe Nacht alfo immerhin zu befürchten; es fam aber nicht wieder.
Am nächften Morgen ritt ich zu dem Patwari oder Ort3vor-
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ſteher, um Maßregeln zur Auffindung der Kulis zu treffen. Der Herr war grade mit einer heiligen Handlung, nämlich mit dem Morgenbade, beſchäftigt und konnte mich nicht gleich ſprechen.
Bageswar, von der Brüde gejehn. Hinter dem Tempel erheben ſich Reizfelder.
In der Zwiſchenzeit fpazierte ich mit dem Dolmetſcher nad} dem Tempel, deffen weiße Kuppel auf dem Bilde über den niedrigen Häufern des Ortes zmwifchen üppigen Bananenjtauden hervorragt ; hinter dem Tempel lagen treppenförmig angelegte Reisfelder. Um zum
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Tempel zu kommen, mußten wir an der niedrigen Häufermauer längs des Fluffes entlanggehn, doch ſchien der ganze Ort diefe Promenade As Rloake zu benugen, und es wurde mir Mar, warum bier Peft und Cholera fich fofort von einem zum andren übertragen müſſen.
Es war ber erfte Hindutempel, den ich betreten durfte, und ih erfchrat über die entſetzliche Unfauberfeit darin, denn durch blut- vote Speichelrefte betelfauender Hindus war das Innre einem Schlachthauſe ähnlicher geworden als einem Tempel. Ein gemäfteter Brahmine empfing mich mit mürriſchem Geficht; er hatte fich die beilige Schnur aus fünf weißen Baumwollfäden, die der Brahmine ftet8 auf dem Körper tragen joll, zur Abwechslung um die Ohren gewidelt, große, orangefarbige Blumen über diefe Ohren geſteckt und war grade damit befchäftigt, ähnliche Blumen auf das Steinbild eine8 ruhenden Stieres in der Mitte des Hofes zu ftreun.
Nach einem Valjchifch von zwei Anna, die ich ihm kaum an- zubieten wagte, wurde der feifte Herr auf einmal ſehr freundlich und riß den gelben Vorhang zur Seite, der die niedrige Halle verhüllte. IH fah in einem Napf Wafjer einen mächtigen, blutrot angemalten Stein in der allgemein üblichen Kegelform des „Lingam", das be kanntlich als Begriff der Schöpfungsfraft des Gottes Schiwa das Idol dieſes furchtbaren, mit Wiedererzeugungskraft ausgeftatteten Weltzerftörers bildet. Das Lingam ift das heiligfte Kultusgerät für die Hindupriefter, während die große Mafje des Volks die Be- deutung desſelben faum noch kennt; für dieſe ift e8 ein mirklicher Götze geworden, der ftumpffinnige Anbetung findet.
Mein Babu war genügend in der indifchen Götterlehre unter- richtet, um mir aus den zahllofen, im Hofe aufgeftellten, ver- ftümmelten Gößenbildern die wichtigſten herauszufuchen. Befonders ſchön erhalten war eine Darftellung des Affenkönigs Hanuman, der grade den heiligen Himalajaberg Meru nad} der Infel Zeylon trägt; und zwar aus folgendem Grunde: As Rama, eine Menſchwerdung de3 gütigen Gottes Wifchnu, mit einem götterfeindlichen Riefen, der”
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Ramas Gemahlin Sita geraubt und nach Zeylon geführt hatte, im Streite lag, hatte der Affenkönig dem Rama ſeinen Beiſtand angeboten und auch gleich durch Herſtellung der zyklopiſchen Adamsbrucke bethätigt. Er hatte von Rama den Auf: trag erhalten, zur Heilung einer Wunde ein Kräutlein herbeizuholen, das nur auf dem Götterfige Meru im Himalaja wuchs. Sr Mfrnldnig Ganıman ing Der Affenkönig fuchte das Kraut, konnte dm J— Fr Slmataje es jedoch nicht finden und riß deshalb kurz entfchlofjen den ganzen Berg aus, den er nach Zeylon fchleppte, damit ſich dort Rama jelber die Wunderblume fuchen könne.
Ferner fanden ſich dort mehrere Reliefs, die die Gemahlin des böfen Gottes Schiwa in verſchiednen Verkörperungen darftellten, als vielarmige Kriegsgöttin (Durga), als ftolze Göttin der Berge (Par: bati) und als blutgierige Todesgöttin (Kali), die, trunfen von dem Blut des von ihr Erfchlagnen, auf dem Leichnam ihres Gatten Schiwa herumtanzt, bis derfelbe wieder, kraft feiner Gottheit, zum Leben erwacht. Der Babu machte mich darauf aufmerfjam, daß fich diefer Kali einft die Mörderfelte der Thugs ausschließlich gewidmet babe, um ihr zu Ehren möglichft viel Menfchenblut fließenzulafien, und daß in einigen nahen Berg- dörfern noch derartige Thugs hau⸗ ften, die fich bisher dem Arm der Voligeizuentziehengewußsthätten. all, bie Zobesgättin, mit Blutriefender Zunge.
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Ein viefiges Steinbild des ele- fantenköpfigen Gottes Ganefch ver: anlafte den Babu, mir auch die feltfame, faft Eindifche Entftehungs- legende diefer phantaftifchen Erſchei⸗ nung zu erzählen. Dieſer Sohn Schiwas und der Kali fei urfprüng- lich ein wohlgeftalteter Knabe Na- men3 Ganeſcha gemwefen, dem einft bie Mutter befohlen Habe, niemand zu ihr eintreten zu lafjen, folange fie im Bade weile. Da fei Schiwa gefommen und habe in den Bade- raum eintreten, dev Sohn aber dies nicht zugeben wollen; Schiwa, der nad) Anficht der Hindu als
Die Göttin Rali; fe weint, weil ihr Saiwa ifren Eopn Ganeih mit einem Glefantentopf Bringt.
fürchterlicher Wüterich im Vollbeſitz aller menjchlichen Lafter ift,
babe in feiner Wut dem Knaben
den Kopf abgefchlagen, dann
aber, um die Mutter Kali zu tröften, einem Diener befohlen, dem
Säiwa und Kali; daymifgen ihr Sohn Ganefh.
erſten Wefen, das ihm begegnen “ würde, den Kopf abzufchneiden und auf den Rumpf des Sohnes zu ſetzen. Zufällig fei dem Diener zuerſt ein Elefant begegnet, und dadurch fei das elefantentöpfige Ungetüm entjtan- den. Zur Verföh-
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nung der abermals tiefbetrübten Mutter habe Schiwa dieſen Ganeſch ſchließlich mit fo glänzenden Geiſtesgaben ausgeftattet, daß er ber Gott der Klugheit geworden fei, der nun von Gelehrten und Kauf- leuten ganz beſonders verehrt werde. Die hier abgebildeten figür- lichen Darftellungen diefer Familie Schimas habe ich jedoch nicht in Bageswar, jondern in Lucknow erworben und fpäter dem Mufeum für Völkerkunde in Leipzig zulommen lafjen, wo fie ihren dauernden Platz gefunden haben,
Das Gegenftüd Schiwas, der welterhaltende Wiſchnu, befand fih in einem trau- rigen Zuftand; fein Relief jah aus, als habe der zerſtörungs⸗ luſtige Schiwa ſein
Spiel damit ges trieben. Nur wenn man die fonftigen Darſtellungsweiſen dieſes „guten“ Got⸗ tes bereits kannte, Wilanu, der auf einem Lager von godralchlangen ruht; feine Gemahlin Latjchmi ſalbt ihm die Füße, vermochte man zu erkennen, daß er mit feiner Gemahlin Lakſchmi, der Göttin der Liebe, die ihm die Füße ſalbt, auf einem Haufen heiliger Schlangen ruhend abgebildet war,
Diefe mythologifchen Betrachtungen hatten mich fo gefeffelt, daß ich überrafcht war, plötzlich den Schupraffi vor mir auftauchen zu jehn, der mir meldete, daß die Kulis foeben im Bungalo ein- getroffen feien. Sie wären von der Dunkelheit im Wald überrafcht worden und hätten aus Furcht vor dem zahlreichen Tigern und andren wilden Tieren nicht gewagt meiterzugehn, fondern hätten die Nacht bei einem mächtigen Feuer abgemwartet.
Ich war froh, daß ich mein Gepäc wieder hatte, und ließ mir
Does, Indiſche Gletſcherſahrien. 10
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kaum noch Zeit, einen Blick auf die Nonnen zu werfen, die neben dem Tempel in einem ftallähnlichen Gebäude hauften. Sie hatten ſich das Geficht und die wilden, wirren Haare dit mit Ajche bejtäubt, wozu in Indien mit befondrer Vorliebe die Aſche von verbranntem, beiligem Kuhdünger benugt wird, und wollten hier noch fieben Monate auf Koften ihrer Landsleute leben, um das im Januar ftatt- findende Feſt Utrain Sankranti mitzumahen. Ich war überrafcht, daß ſich diefe heiligen Frauenzimmer nicht, wie manche weniger heilige, vor meiner fündigen Erſcheinung entfeßten und verfchleierten. Da— durch bin ich in der angenehmen Lage, berichten zu können, daß ein paar pausbädige Damen darunter waren, die in ihrem Aſchenbewurf beinah fo reizend ausfahn wie unfre jungen Mädchen, die fi für einen Mastenjcherz in Rokokotracht das Haar gepudert haben; andre fahn aber aus, al3 wenn fie eben erft vom Walpurgisnaht-Ritt heimgefommen wären. Ehe wir gingen, flüfterte der Babu einer Nonne etwas ins Ohr, die darauf in der Iandesüblichen Weife durch einen furzen Emporrud des Kopfes bejahte.
Als ich im Bungalo eingetroffen war und mid) überzeugte, daß zwar alle Sachen zur Stelle waren, vier von den Kulis aber heftig vom Fieber gejchüttelt wurden, fagte ich den Leuten, id) würde fie auszahlen, fobald mein Schupraffi andre Kulis für den Weiter- marjch aufgetrieben hätte. Diefe Maßregel riet mir der Dolmetfcher an, weil ſich nun die Kulis beeilen würden, den Schupraffi in feinem Werben zu unterftügen und überall auszupofaunen, was ic) für ein umgänglicher, fröhlicher Herr ei, daß meine Gepädjtüde jo gut wie gar nichts wögen, und ähnliche Notlügen mehr.
Troß aller Mühe konnte aber der Schupraffi feine Kulis be— tommen, und die alten wollten nad Haufe zurüd; als Grund wurde mir die Cholera angegeben, die überall grade unter dem armfeligen Kulivolk entfeßlich wütete. Ich verſprach den bisherigen Kulis, erft am nächften Tage weitergehn zu wollen, wenn fie dann gegen dreifachen Trägerlohn noch eine weitre Tagereife mit mir
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machen wollten. Sie ftimmten zwar zu, aber gleichgültig, ohne Freude. Fre Hauptforge ſchien zu fein, einen unendlichen Vorrat von dünnen Vroten, Schupattis, zu baden; fie verproviantierten fi für ben nädjften Wandertag, als ob e3 in einen Feldzug ginge, denn ich hatte ihnen ja das Zugeftändnis gemacht, das Mehl für die „nötigen“ Schupattis zu bezahlen, und nun fah ich), was bei folchen gummi- elaſtiſchen Verfprechungen herauskommen fann. Mit ſcheuen Mienen braten einige Kulis auch ein paar nad) Branntwein duftende Flafchen berbei und verftecten fie in ihren Deden. Als ich mich von dem Kunftpfeifer zu der Quelle dieſes Stoffs führen ließ, fand ich eine Anftalt, wo in thönernen Blajen der gegorne Saft de3 Zuder- rohrs zu einem „Pfuhl“ genannten Getränk abdeftilliert wurde. Die Veteuerungen der Kulis, daß fie diefes Löftliche Labſal nicht etwa felber tränfen, fondern nur für die Bhotijas brauten, waren viel zu ũberſchwänglich, um glaublich zu fein.
Im Bungalo fand ich intereffanten Beſuch. Ein fehöner, Ieb- hafter Hinduburfche ftand mit einem Speer in der Hand wie eine Schildwacht vor meiner Thür und beugte bei meinem Nahen fein Haupt bis zur Erde, zugleich Stirn und Bruft mit der Hand be— tührend. Der Babu erflärte mir hierbei die verfchiednen Arten des indifchen Grüßens, bei denen es als Zeichen äußerfter Unterwürfigkeit gilt, wenn der Höherftehende den Nackenwirbel des fich Verneigenden erhlien Tann, der zugleich pantomimifch fein Denken und Fühlen feinem Oberen zu Füßen zu legen vorgiebt. Mich fefjelte befonders der Speer, den mir der junge Hindu aber um feinen Preis verkaufen wollte, weil er das Zeichen feines Amts als Sonderbriefbote war. Dan hatte den Mann mit nachgeſandten Briefen aus Almora meinem Zuge nacheilen laſſen, und ich betrachtete e8 als ein günftiges Vor— zeichen, mit Glüctwünfchen aus der Heimat meinen nun doch endlich in Fluß gefommnen Marſch in die indifchen Alpen antreten zu Tonnen. Diefer Briefträgerfpeer. ſah ganz wie eine Ianggeftielte Streit- art mit langer Spie aus und war mit einem Dutzend Schellen und
gel beim Dahineilen des ıgen haufenden, reißenden
Thür, nämlic die fromme ı Tempel etwas ins Ohr geraunt hatte. Ich machte ihr meine re ſpeltvolle Verbeugung und bedauerte unend⸗ lich, daß ſie für dieſe Viſite ihre maleriſchen, wildverfilzten, bepu⸗ derten Haarſtrãnge auf dem Hinterkopf zu einem Beutel zufam- mengefnotet und dort in einem Kopftuch ver⸗ borgen hatte; das Stirnhaar war glatt fortrafiert, und auch den Ajchepuder hatte fich die Frau aus dem Geſicht gewiſcht. Tiefe Nonne lebte übrigens praltifcherweife in > ein Pilgerfnabe folgten Ehrfurcht vor der Heilig- n nicht herauszulommen, erbei von Pantoffelfurcht i diefen barfuß gehenden inen eifernen Stab, an Diefes Werkzeug dient
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dazu, die Ankunft frommer Bittgänger vor den Thüren der Hindus auszuffingeln, denn das Bitten mit Worten ift ja unter der Würde ſolcher Leute. Jedes Mitglied diefer von einem Wallfahrtätempel
Agori, mit EhimeStirngeien, der einen Menſchenſchädel benagt.
zum andren fich durchbettelnden Familie war mit einer Kette aus Fruhtternen behangen, die einem frommen Hindu fo unentbehrlich iſt wie der Roſenkranz dem Katholiken. Als id) mid) mit dem photo- aphiihen Apparat diefer Gruppe näherte, hing mir die Nonne einen dünnen Kranz von Jasminblüten um den Hals, wovon ihr
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Söhnen reichlichen Vorrat in einem Körbchen zu Opferzweden mit ſich führte, und eine andre Blumenkette legte fie über meinen geheimnisvollen photographifchen Kaften.
Es war mir aufgefallen, daß der ſchlaue Heine Kunftpfeifer fich weggeſchlichen hatte, jobald er bemerfte, wie große Freude mir Diefe photographifche Gelegenheitsmacherei des Babus bereitet hatte; nach einem Stündchen fam er wieder zurüd, als ich grade durch ein kleines Nachmittagsichläfchen die furchtbaren Aufregungen der Testen Nacht wieder gut zu machen verfuchen wollte. Er hob leiſe die Binfen- matte hoch, die auf der Abbildung Seite 149 über der Bungalothür zuſammengerollt ift, weckte mich aber dabei durch die einfallenden Lichtſtrahlen; dann machte er ein wie von Grauen erfülltes, geheimnis- volles Gefiht und zifchelte mir furchtfam das Wort „Agori“ ent gegen. Ich folgte ihm in die Vorhalle des Bungalo und fah dort einen fat nadten, ſchwarzbraunen Kerl fteif wie einen Laternenpfahl und mit ftierblictenden Augen ftehn; er hatte drei dicke, weiße Querſtriche auf der Stirn, aus denen jeder Indier erkennen fonnte, daß er ein Schiwait, alfo ein befondrer Verehrer des böfen Gottes Schiwa, fei. Gleichzeitig flüfterte mir der Dolmetfcher mit Abſcheu ausdrüdenden Blicken auf den fparfam beffeideten Herrn zu, daß diefer eine ganz außergewöhnlich feltne Erſcheinung vorftelle.
„Willen Sie, was der Mann in den Händen hält?"
Ich konnte den Klumpen nicht gleich deutlich erkennen.
„Es ift der obre Teil eines angebratnen Menfchenfchädels, den dieſer Paria, diefer „outcast“, fich heimlich von irgend einem Hindufcheiterhaufen geftohlen hat und nun bemagt,“ belehrte mic) der Babu; „foldy ein Agori verzehrt nämlich alles, was er findet. Ordentliche Nahrung wird ihm nicht gereicht, denn jeder flieht vor feiner verunreinigenden Nähe, und fo bleibt ihm nichts übrig, als nachts derartige Leichenteile und meggemworfne Küchenabfälle zur Stillung feines Hunger3 zu fuchen. Der beim Verbrennen der Leiche berftende Schädel entgeht gewöhnlich der Einäfcherung und
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wird von dieſen Leuten als ein wahrer Leckerbiſſen betrachtet; d ſchale dient ihnen fpäter als Becher, Die täuberifche Berühru Bananenpflanzung, eines Obſtbaums ober gar eines Kornfeldei diefem verfemten Menfchen mit fofortigem Totfchlag gelohnt n Der Babu er:
wähnte auch
noch den furchtbaren
Brauch dieſer
Agoris, den zu
ihrer fluchbe⸗
ladnen Sipp⸗
ſchaſt gehöri⸗
gen Toten ſo
lange mit einer
Kolosnuß auf
den Schädel zu
hämmern, bis
die Nuß in die
Bruche geht
und den Kopf
mitihrem Saft
überſchwemmt.
Mit unendli⸗
Gem Mitleid Men Eupraffi, der einem Bettelmufifanten ein Almoſen x mußte ich die-
ſes unſelige Geſchöpf betrachten, das Kaſtenſatzung zu einem tieriſchen Daſein verurteilt hatte!
Dieſer Agori war wirklich ein ſonderbarer Menſch; w ließ er alles über ſich ergehen, Gutes und Schlimmes. J ihönen, warmen Teppich und das faubre Laken, das ic) elenden Reiſedecke Hinzufügte, hatte er fein Wort des Danke
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h fonft den Hindus fo unheimlichen photographiichen Apparat ex keinerlei Angft, und der Babu verficherte mir, daß er fich läge gefallen, ja, ſich töten lafjen würde, ohne auch nur ene zu verziehn. en anfpruchslofern Reifenden konnte man ſich allerdings t denken: Auf dem Kopf das Bündel Deden tragend, an dem Photographie feine Wafferpfeife ohne Saugrohr Iehnt, zieht a Unglücksmenſch feine gefürchteten Wege von einem Ende bis zum andren, als Schreden der Dörfer und Quäl- gelegner Hütten, vor deren Thür er fich niederfauert, bis tanenblatt voll Speifereften herausgefchleudert wird, oder n die Hunde auf ihn hetzt. Ahasver in der ſchwärzeſten a nächjften Morgen fühlte ein leichter Regen die Luft und die ? Erde, aus der bald übelriechende Dünfte emporftiegen ; ich förmlich die Cholerabazillen darin. Meine Kulis hatten fich yen Bäuche durch Schupattikuchen geſchwellt, auch wohl einen Pfuhlſchnaps drauf gefeßt und mweigerten fich jest zu gehn. yupraffi ſchimpfte, erflärte fich aber als machtlos und die Ber g der Kulis, fie würden bei diefem Wetter das Fieber be ‚ für durchaus begründet. Hans knirſchte vor Wut, daß die auf Gletſcherwaſſer immer wieder verzögert wurde,
kam der Retter in der Not. Der Kleine Knirps, der ſich eifen und Kuli-Antreiben angeboten hatte, ſchleppte das Ge: die Stube und gab mir pantomimifch zu verftehn, ich folle em die Kulis bedrohn. Zur Vorficht nahm ich die Patrone ? Lauf und trat dann ohne das Gewehr unter die Kulis. lte ein wenig Komödie mit den Burfchen, that, als ob ich [ ärgerlicher wäre, als ich wirklich war, rannte dann ergrimmt immer, holte die ungeladne Mordmwaffe und legte auf den jreier an.
gleich brachten die Kerlchen ihre Kiften und Käften auf die
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Köpfe und verließen zitternd mit ihren gewohnten, hajtig trippelnden Schritten unfer vor dem Regen ſchiltzendes Haus.
Bis Kapkot führte unfer Weg durch ein enges Thal mit fteilen Velswänden; die nafjen Kakteen und Stechpalmen glänzten wie geölt, und Farnbäume fpreizten ihr zierliches Gefieder wie ſchützende Regen- ſchirme über wildes Himbeergebüfch. Faſanen und andre bunte Vögel flüchteten fih vor dem immer gewaltiger niederjtürzenden Regen unter die überhängenden Kalkjteinblöde, in die der Weg hineingehauen war, und vecht wie zum Hohn hörte der Regenguß erft auf, als wir das Schughaus Kapkot erreicht hatten. Neben dem Bungalo hatte ſich ein Bettelmufifant, der die Hirtenpläge abgefammelt hatte, in der modrigen, von Käfern und Moskitos wimmelnden Höhlung eines riefigen Eichbaumes vor dem Regen verfrochen; ich füge auf Seite 151 ein Bild bei, mo der neben dem Baum feine Hufa-Wafferpfeife ſchmauchende Schupraffi dem fahrenden Künftler eine Gabe verabreicht.
Von Kapfot an meitete fi) das Thal, ruhiger raufchte der Fluß. Ein Fiſcher kam uns entgegen, begleitet von einem prächtig gewachſnen Burfchen, der wahrfcheinlic glaubte, daß fein zierlich aus Schilfhalmen geflochtnes und feet auf die rabenſchwarzen Loden gedrüctes Müschen eine volllommen ausreichende Bekleidun Der Jüngling fehleppte ein paar faft meterlanger Fif Ankauf ich mir der herrfchenden Cholera wegen verfagt fo bildſchön, daß ich mich eiligft daran machte, das Di meined Apparate aufzuftellen, denn nie habe ich einen getroffen, der mit Matkowsky in feinen Jugendjahren mehr $ gehabt hätte als diefer bronzefarbige Hindu. Auf die Mitn photographiſchen Hand-Apparates hatte ich, nebenbei gejag Reife verzichtet, weil die Objektivgläfer der fogenannter apparate gewöhnlich „Weitwinkel“ find, mir aber zweds ft größerung an der mathematifchen Genauigkeit meiner Aufn« jümtliche Wilder in diefem Werk find mit einer „Stati Photographiert.
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Der Fifcherfnabe blickte mich mit feinen ſchwärmeriſchen, vollen Augen fo treuherzig an, daß id) eine Perle für meine Bilderfamm- Tung gefunden zu haben glaubte. Aber ein efelhafter Kuli, der von mir bereit3 einen Denkzettel erhalten hatte, weil er mir den unerſetz⸗ baren Magneten meines Marimum- und Minimumthermometers zu fehlen verfucht hatte, raunte ihm ein paar Worte ins Ohr, die wie ein Zauberbann auf den braunen Adonis zu wirken fchienen; furcht- bebend rannte er fpornftreich® davon, und felbft mein verlockendes An- gebot einer Handvoll Rupien blieb vergeblich. Der Babu verriet mir, der ſchuftige Kuli hätte meinen Apollo durch die Mitteilung ver- jagt, daß in meinem Kaften bereits das Bild des Agori ſtecke, und der Fifcherburfche habe fein Konterfei nicht durch ſolche Nahbarfchaft in Gefahr bringen wollen. Alfo ſelbſt noch in die Ferne wirkte der Fluch diefes Unholds! Am liebſten hätte ich dem nichtswürdigen Warner abermald ein paar Hiebe verabreicht, aber ich fühlte feine fonderliche Begabung zum Profoßen und begnügte mich, ihm bie viel niederfchmetterndere Strafe der Bakſchiſchentziehung anzufünden.
Der Weg wurde nunmehr beftändig fteiler, modriger, ſchlüpf⸗ tiger. Unſre Pferde blieben in fortwährendem Autjchen, fo daß ich Hans den Vorfchlag machte, das Reiten lieber ganz aufzugeben und die Pferde zurückzuſchicken. Der fußhohe Kot ließ dem Tiroler, der niedrige Bergſchuhe trug, das Marfchieren nicht fonderlich verlodend erfcheinen, fo daß er in das Abſitzen erft mwilligte, als die Pferde mit feiner Gewalt mehr vorwärts gegerrt werben konnten.
Ein Mädchen begegnete uns, die eine Eleine Sichel in das zu einem Mozartzopf zufammengefaßte Haar geſteckt und den Rod hinten in Form eines drolligen Zipfels in die Höhe gebunden hatte; an einem aus Bambus geflochtnen Stirnband fchleppte fie einen Korb voll Rhabarberftauden. Beſorgt gab fie und zu veritehen, daß die nächte Brücke weggeſchwemmt fei, doch mären bereit3 ein paar Hirten befchäftigt, eine Anzahl neuer Balken über den angefehwollnen Waldftrom zu legen.
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Sie war das erſte weibliche Weſen in diefem Landesteile, das aus freiem Antrieb mit und plauderte; die Auskunft, die fie über uns erhielt, fchien bedeutenden Eindruck auf fie zu machen, denn als
Qirtenfeg über den Gori,
fie hörte, daß wir das Schneegebirge zu befuchen ftrebten, kniete fie, jo aufgeweicht der Weg auch war, vor Hans nieder und ftriegelte mit fromm bewundernden Blicken feine Kniee, als ob fie ihn maffieren wollte; der wackre Tiroler wurde nämlich faft überall wegen feines ſtolz⸗
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ſchweigſamen Verhaltens von den Eingebornen für meinen geftrengen Herrn und ich nur für den eifrigen Vollzieher feiner Wünfche ge halten. Eine Huldigung durch Anieftreicheln war ihm aber wohl noch nicht vorgefommen; ganz abgefehn davon, daß er etwas kitzlich fein mochte, kam ihm diefe Huldigung wohl noch nicht ganz verdient vor, und deshalb entzog er fich dieſer erftaunlichen Annäherung, die das Mädchen wohl nur in einem Zujtande von Vegriffsverwirrung beging, denn offenbar hielt fie uns für ein paar ganz beſonders buß- fertige Hindupilger, die ſich durch eine fo mühenolle Wallfahrt bei den Göttern der Berge einen ganz befondren Stein im Brett fichern wollten.
Die erwähnte Hochachtung, die Hans in Indien wiederholt fo- wohl in den Gafthöfen wie von meinen Kulis gezollt wurde, weil id) mich ja ftet8 nach feinen Wünfchen erkundigen mußte, um diefe dann den Leuten nad) meinen Kräften verftändlich zu machen, hatte fpäter die angenehme Folge, daß ich meinen Reis und meine Hammel recht billig einkaufen konnte. Die Leute fahn es als ganz felbit- verftändlih an, mir billig zu liefern, damit ic) noch Gelegenheit hätte, den Iandesüblichen Kommiffionsverdienft auf die Rechnung zu fchlagen, die ich nach ihrer Meinung fpäter meinem ſtarken ſchweig- famen „Here“ im Tirolerhütchen abverlangen würde. Vorderhand ging aber jede Vermittlung durch den Dolmetſcher oder den Schuprafji, die ziemlich lange Gefichter machten, al3 ic von unfrem leidlich breiten Steige bei einer Wegteilung links, das heißt nördlich ab» ſchwenkte, während der direfte und befire Weg nach Milam rechts, alfo in öftlicher Richtung weiterführte. Man fah unfrem jegigen, verfumpften Weg an, daß feit geraumer Zeit fein Menſch mehr auf dieſem verwahrloften Pfade gegangen war.
Das fteile Auf- und Niederfteigen war zwar ungemein an= greifend, aber die Landichaft wurde jo überwältigend großartig, daß diefe Beſchwerden gar nicht beachtet wurden. Bald zog ein Faſan mit filberweißen, bald ein folcher mit golden glänzenden Federn meine
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Aufmerfjamfeit auf fi), bald ein dicker Klumpen ſchwarz⸗weiß farierter Schmetterlinge und bald das Treiben einer Affenherde in den Baummipfeln. Dazu der wilde, an den Felſen Hinkletternde Steg und der in der Tiefe donnernde Bergitrom — fürwahr, es konnte feine romantifchere Wandrung geben! Erſt mit einbrechender Dunkel: heit erreichten wir den Bungalo Loharket.
Wo der Schupraffi am nächiten Morgen andre Kulis herbelommen wollte, entzog fich meiner Beurteilung. Unfre bisherigen Träger lagen noch in ihren dünnen Tüchern in dem Vorfaal des Bungalo herum, als ich ſchon um halb vier Uhr marjchfertig war; der Schupraffi hatte mir verfprochen, bald mit neuen Kulis zu folgen.
Ich hatte gehört, daß auf der nächſten Paßhöhe eine Quelle aus dem Felfen entfpringen follte, und dies war für Hans und mich ein Grund, fo fehnell wie möglich den mit wahren Schmerzen ent⸗ behrten Genuß zuträglichen frifchen Quellwaſſers aufzufuchen. Das Waſſer de3 Wildbachs beſaß jelbft nach dem Kochen und Filtrieren einen jo widrigen Modergefhmad, daß es zum Genuß untauglich war. So ftiegen wir denn in der Morgendämmerung durch eine Urmwaldlandfchaft, wie ich fie in fo erſchreckender Wildheit bisher nicht einmal in den furchtbaren Schluchten des Retjegat in den fieben- bürgifhen Karpathen gefehn hatte, denn hier kam noch die fremd» axtige Pflanzen- und Tierwelt zu dem unerhört wüften Durcheinander von zertrümmerten Felſen und verwachinem Walde.
Ein Mann mit einer Felltafche fam mit mächtigen Schritten hinter uns bergeftiegen; er holte ung ein und verkaufte mir etwa ein Pfund Butter und ein Bambusrohr voll dicker Milch, doch ſchmeckte die Butter fo ranzig, daß ich fie wegwerfen mußte. Der pfeif- luſtige Burfche, der e3 ſich nicht Hatte nehmen lafjen, mir mit dem Apparatenkoffer zu folgen, griff gierig nach der weggeworfnen Butter und verfchlang den Klumpen, ohne einen Biffen Schupatti dazu zu effen. Ich fragte den Tiroler, was er von einer fo her- vorragenden Leiſtung halte, doch mit Geringihägung meinte er:
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‚ bei uns daheim grauſt's halt auch den Stadtherren, wenn Rnöbdel Hinunterlafj’!" —
Steig zog fih in fchier unendlichen Windungen auf den hinauf, der unfer Thal von dem des Pindarflufjes trennte. 3 Stunden brauchten wir, um diefe Paßhöhe, die vom 18 faum eine Stunde entfernt zu fein fchien, zu erreichen; einflußten bereit3 die ungeheuren Bergmaſſen meine Urteils- mein Augenmaß!
Nann mit der vanzigen Butter gab auf Befragen an, daß inbodjäger, ein Schikar aus Loharfet fei, wo ich feine Hütte in der Nähe des Bungalo bemerkt hatte. Er ‘eine Dienfte an, die ich mit Freuden annahm,
ſcheint ein echter Gamsjager zu fein, ein echter!" bemerkte r bewundernd oder ironisch; ich wurde nicht recht Har, Bezeichnung Gamsjager meinte,
Auelle auf der Paßhöhe hatte auch noch nicht die richtige “, den rechten „Wurm“, um mit dem Tiroler zu reden, e bei einer Höhe von etwa 10000 Fuß (8078 m) ent: ar das Wafjer auch zuträglicher als alles, was ich bisher in trunken hatte, fo fehlte doch auch hier der vollendet reine, : Gefchmad einer wahren Felfenquelle, das Waſſer enthielt h zu viel „Feuchtigfeit". .
fh blickte ih mit Hans auf den Wollenvorhang vor n auf der andren Seite unſres Höhenzuges. Zu unfren ; auf der einen Seite der Bungalo Loharlet, von dem i, auf der andren, weitlihen, im Pindarthal die Schuß: kuri, zu der wir nunmehr abjteigen wollten. Ein Stoß 13 in meine Hüfte verriet mir durch feine Herzhaftigeit, ich irgend etwas Bedeutendes geſchehen fei, und richtig! Woltenballen lugten einige Schneegipfel der Trijulgruppe yeren Einzelheiten man bereit8 mit unbewaffnetem Auge onnte.
En
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„Wenn's nur aufreißen möcht'!“ jeufzte Hans — doch e8 riß nicht auf, fondern regnete ruhig weiter.
Der Bungalo war in einem gräßlichen, verlotterten Zuftand, und eine handgroße Spinne hatte ihr derbes Netz quer vor die Thüre gefpannt.
„Die will ich bald wegputzen!“ triumphierte mein Hans, zückte fein „im Griff feititehendes Mefjer“ und ſchnitt mit fichrer Hand den pflaumendicten Körper des efelhaften Tieres mitten durch. Doc) man fol nie zu früh frohloden! Die beiden Hälften fetten ſich als- bad einzeln in Bewegung und krochen auf zwei verfchiednen Wegen in mein Schlafgemad).
Gewitzigt durch unfre Hungerleiderei in Bageswar hatte ich diesmal vorfichtig eine Erbswurſt und den Schnelffocher mitgenommen, fo daß ich uns gleich eine delifate Suppe brauen konnte. Unfer neues Mitglied, der Schifar, verſprach, mir Föftliche Schupattis zu baden, doch hatte er wohl nicht feinen guten Tag oder es war ihm eine Wange oder fonft irgend etwas Entfegliches in fein Mehl geraten, was die fchliffigen Kuchen nicht vecht genießbar machte.
Rechtſchaffen hungrig ftellte ich mich in der Nähe des Bungalos auf, um das Herabfteigen des Kulitrupps zu beobachten; ich ftand mit etwas auögefpreizten Beinen und hielt den Krimftecher in den Händen. Plöglich fühlte ich etwas Dickes, Plumpes von hinten her zwiſchen meine Beine rennen, mich in die Luft heben, und zu meinem maßlofen Erftaunen faß ich für einen kurzen Augenblick auf dem borftigen Rüden eines Wildfehweins, lag aber in der nächften Sehunde bereit im Graſe; das war alles fo flink und unerwartet gelommen, daß mir zum Erfchreden gar feine Zeit blieb.
Nachdem ich mich überzeugt hatte, daß mir diefer jchier un glaubliche Hinterrücsüberfall feine Verftauchung zugefügt hatte, ſah ih nad) dem Eber und bemerkte ihn dicht am Waldesrand mit einem Rudel andrer fi) in dem Gebüſch herummälzen, defjen Aefte von irgend welchen Tieren ganz kurzgenagt waren. Wie wenig
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mußten diefe einfamen Rafthäufer befucht werden, wenn das Wild
Beſucher fo ohne weitres umlief! Ich bedauerte, daß der & nicht mit dem Gewehre zur Stelle war, um einmal unfre an einem Wildſchweinskopf verfuchen zu können, doc) klärte lakoniſch: „Ein Schaf ift beſſer al3 ein Schwein!" it wurde befchloffen, bei der Ankunft im Furfia-Bungalo melfchlachtfejt zu veranftalten. nãchſten Tage erffeiterte ich mit Hans die höchite Spibe kurirückens in der Hoffnung, während einer Regenpaufe yama de3 Trifulgebirges zu erhalten. Der Regen näfte * gründlich durch, ohne uns länger al3 einen einzigen Augen- er Ausficht zu gewähren. : regnet ja ala wie —“ brummte der Tiroler, ohne jedoch veffenden Vergleich zu finden; hätte er fortgefahren: als ob ut hereinbrechen wollte, jo würde er feine Uebertreibung et haben. nds faß ich bei der Lampe fchreibend auf der mit Wellblech Veranda des Bungalos, al3 ich urplöglich abermals ein Bildfchmwein dicht vor den Eingangsftufen ſtehn und mic anblinzeln ſah; ich wollte die Lampe nach dem frechen fen, doch weniger die Beforgnis, dadurch Petroleumflede fetten Schmeinsbudel zu verurfachen, als vielmehr die Er- die Lampe als Inventarſtück des Bungalos nachher be ı müffen, hielt mich von einer jo verlocdenden Wurfübung ch einen Schlag mit dem Bergſtock verfcheuchte ich den Beſuch. her hatte ich außer der Wildkatze in der Schreckensnacht war noch fein reißendes Tier geſehn, doch am nächſten Tage ) Gelegenheit dazu finden. 3 Wetter hatte fich endlich ein ganz klein wenig aufgeheitert; n Hintergrunde des von Weiten kommenden Thals zeigten yarze Gipfel mit fehimmernden Eisfronen und ließen mic
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ahnen, in was für eine erhabne Gebirgämelt wir nun famen. Der Weg führte in unaufhörlicher Abwechslung durch Bambusdidicht und Wald aller Art, dann aber längs fteiler Felswände fort. Unten ftäubte und donnerte der Pindarfluß in beftändigen, von der Sonne durchblitzten Kaskaden, jo daß in dem feinen Sprühftaub ein Regen- bogen über dem andren entjtand, und daneben führte der Steig durch mannshohe Difteln dahin. Der Schikar hatte bereits feit einiger Zeit forgfältig alle Spuren auf dem Wege geprüft, und auf einmal, als die Diſteln fich Lichteten, zeigte er haftig gegen den fernen Rand bes Waldes und fchrie und zu, daß dort foeben ein junger Tiger mit mächtigen Sätzen verſchwände. Dann erzählte er mir, daß er diefem Tiere ſchon feit mehreren Wochen auflaure, weil es ſich nachts regelmäßig ein Schaf aus Kati, dem nächjften und letzten Heinen Dorf im Pindarthal, hole, und daß dort Hinten in den Dſchungeln eine Tigerfamilie haufe, der er den Untergang gejchworen habe. Dabei brachte er aus einem Sad von Hirfchfell die tollite Waffe zum Vorſchein, die ich je in meinem Leben gefehen habe, nämlich ein eifernes Rohr, kaum zwei Fuß lang, das auf einer alten zer- brochnen Wagenradfpeiche mit Draht feit aufgebunden und am Ende mit einer angelöteten Kupfermünze verfchloffen war; von obenher war an diefem Ende ein Zündlodh in das Rohr gebohrt. Der Jäger behauptete, da3 Rohr bereit3 mit Pulver, Kugeln und Nägeln vollgeftopft zu haben, und Iud mic) ein, der Erlegung des Tigers beigzumohnen. Ich dankte behutfamjt für diejes Vergnügen und ftellte ihm in Ausfiht, daß er felbft dabei durch das Zerfpringen des Gewehrs in hundert Kochitüce zerfetzt werden würde.
Bei einigen Heinen Gerjtenfeldern ftand neben ein paar Lehmhütten der Bungalo Kati, nur drei Stunden von dem Bungalo Dankuri entfernt. Hier rafteten wir und wurden von dem Schaufidar, dem Wächter des Häuschens, mit faurer Milch bemwirtet. Ich lobte die goldnen Ohrringe des Mannes, die einen ſeltſam geflammten Heinen
Kranz aus Stahl einfchloffen, und fragte ihn, ob noch mehr fo ſchöne Boed, Indiſche Bletiherfahrten. 11
ER...
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Ohrringe im Orte vorfämen. Zögernd warf er den Kopf zum Zeichen der Bejahung in die Höhe, verſchwand dann und kehrte mit ein paar Frauenzimmern zurüd, die er entjchieden duch einen Vorreiter mit der Warnungstafel: Vorficht! hätte einführen müſſen. Ich befam vor dieſer unerhörten Häßlichfeit einen folchen Schreck, daß ich wahrſcheinlich vor Entfegen gezittert habe, als ich den Apparat aufbaute, um die Damen auf der Mattglasjcheibe einzuftellen. Ich fage „wahrfcheinlich", denn ich war wirklich wie betäubt. Ein weib- liches Wefen braucht ja durchaus nicht immer ſchön zu fein, aber ein ganz Mein wenig liebensmwärdig muß fie doch mwenigftens jcheinen können — bier aber hatte ich einen leibhaftigen Satan, einen alten Drachen vor mir, wie er fürchterlicher von feinem Karifaturenzeichner der Welt erdacht werden konnte! Mir wurde ganz ſchwach und elend bei diefem fcheußlichen Anblick, und ic) war nahe daran, ein Heines Fläſchchen Cognac zu entfiegeln, das ich für ſehr ernjtliche Notfälle, Choleraanmandlungen oder dergleichen, zu mir geſteckt hatte. Zum Glück befänftigte die muntre Enkelin der Furie meine innre Empörung, obgleich, fie beim Photographiertwerden des Guten etwas zu viel that. Während nämlich die Alte dreinfhaute, ala wolle fie alle Brunnen der Welt vergiften, fletfchte die Kleine die Zähne, als ob ich ausschließlich das Bild ihrer Kaumerkzeuge haben wollte, und dabei hatte ich nicht einmal: „Bitte, vecht freundlich!" gejagt. Der Schmuckbehang der beiden beitand durchweg aus Eifen, die Hals- fetten, die Toilettengeräte, die Heinen Gloden, um beim Opfern damit zu bimmeln, und ſelbſt die Fafjung der Eberzähne, mit denen fie die Mehl⸗ ſäcke ausfragen. Um den Hals trugen fie Bänder mit Kaurimufcheln und an einer Schnur ein unfaubres, unheimliches Leberbeutelchen, defien Beſtimmung mir erſt fpäter klar werden follte. In der Nafenfpige der Alten baumelte ein viefiger Ning aus dünnem Gold- draht, der nur noch durch ein ganz dünnes Fleifchrändchen gehalten wurde und der bei der nächften ftarfen Bewegung auszureißen drohte.
Durch fturmbewegte Gruppen von Bambus, Difteln und Farnen
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in nicht für möglich zu haltender ungeheuerlicher Größe, dann wieder duch Wälder mit durcheinandergeftürzten, wild mit Schmarogern überwucherten Bäumen marjchierten wir nach einftündiger Raſt dem Pindarſtrome entgegen. Auf einer Brücke, bei deren Anblid ein mit dem Schwindel Behafteter unfehlbar am Herzichlag geftorben
Waldheren in Kati.
wäre, mußten wir auf die andre Flußſeite hinüber. Hans fagte ganz gelaffen, voll tiefer Entrüftung:
„Nah, auf folcher etelhaftigen Bricke do mach’ i nicht mehr mit!"
Als ich aber mit rafhem Lauf über die wackligen, ſchlüpfrigen Sparren hinüberlief, aus denen die geländerlofe, durch den be ftändigen Wafferftaub der darunter brülfenden Waſſer krumm und ſchief gezogne Brüde zufammengefügt war, da faßte er fich eben- falls ein Herz, zog Schuhe und Strümpfe aus und fehritt mit merklich
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blafjem Geſicht über die nichtsnutzigſte Brüde, die es vielleicht auf der ganzen Welt gab, vorfichtig hinüber.
Auf dem andren Ufer angelangt, fah ich vier riefige Affen mit ſchneeweißen Badenbärten auf einem Felsblode kauern, und man hätte denken können, daß fie einen Stat miteinander fpielten; fie ſchälten jedoch nur abwechjelnd von einigen Bananen große weißliche Streifen ab, die fie auf den Stein fehleuderten, Auf einer ungeheuren, fteilen Felsklippe fonnte ſich eine mehr als meterlange, graugelbe Schlange, deren Hinauflommen auf diefen wie abgehadt ausfehenden Stein mir ein Rätſel war; ſchöne gelbe Schmetterlinge umgaufelten die efelhafte Viper.”
Das wilde Thal verengte fich ſchließlich zu einer fchauerlichen Schlucht, in die von allen Seiten Gießbäche hineinſchoſſen und in der eine Hängebrücte aus Bambusftäben und Stricken beim Einfluß des grauen, von Nordoft kommenden Kofini in den gelben Pindar zu dem Bungalo Dali führte. Die Umgebung dieſes Rafthaufes ſchien nicht allzu gemütlich zu fein, denn an den fteilen Felswãnden der Schlucht, von denen jene Gießbäche herunterftürzten, hingen zahllofe ſchwarze, mühlfteingroße Waben, die dicke Schmärme von milden Bienen umfchwirrten, und die Stiche diefer indiſchen Gebirgs- bienen gelten für tödlich!
Am nächften Tag, dem 7. Juli, hatte ſich das Wetter wieder gebeffert, und hoffnungsfreudig machten wir und auf den Weg zu dem legten Schughaus in diefem Gebirgsthale, zu dem Furlia- Bungalo. Eine Stunde hinter Dwali erreichten wir in einer Höhe von 9000 Fuß (2700 m) die Grenze des Baummuchfes; frifchere Luft blies mic) an, und ſchon nad) einer mweitren Stunde waren wir abermal3 taufend Fuß höher geftiegen. Zwiſchen Gebüfch und Felsblöcken erblicte ich ein winziges Hüttlein und wiegte mich in die tröftliche Hoffnung, daß hier oberhalb der Waldgrenze die Niederfchläge nicht mehr jo mafjenhaft fein würden wie bisher.
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Siebenfes Kapitel. Der Pindargleticher ans der Vogelſchau.
ir hatten, von Almora ausgehend, folgende Rajthäufer bes N rührt: Takula, Bageswar, Kapkot, Loharket, Dankuri, <> Dali und Kati. Nun hatten wir das lebte Obdach diefer Art, den 10500 Fuß (3202 m) hoc) liegenden Zurkia-Bungalo und damit da8 eigentliche Alpengebiet erreicht.
Die Ausstattung dieſes drolligen, weißgetünchten, nur ein einziges einfenftriges Zimmerchen nebft einem Wafchraum enthaltenden Häus- chens war fo einfach wie möglich: das übliche leere Bettgeftell, ein Tifch, zwei Stühle. Für die Dienerfchaft mar dicht daneben, zwiſchen den Trümmern eine3 vor wenigen Jahren hier durch eine GSteinlamine zerftörten Schughaufes, ein Heiner Schuppen erbaut worden; ich konnte aljo mein Haupt mit der angenehmen Hoffnung zur Ruhe legen, die Wiederholung eines ſolchen Felsfturzes zu erleben.
In Kati hatte ſich der Hirt, unter deſſen Aufficht diefer Bungalo geftellt war, unfrem Zuge angefchloffen; in diefer Eigen- ihaft nannte er ſich Schaufidar, das heißt Wächter. Vor allen Dingen machte er ſich daran, den Raum durch eine beſonders dazu mitgebrachte Jammergeftalt ausfegen zu laſſen, denn für ihn oder die Kulis wäre dies natürlich eine entwürdigende Beſchäftigung gewejen, die ihre Kaftenreinheit in Gefahr gebracht hätte. Was für eine efle Mafje verweſter Ratten und verdorrter Inſekten kam dabei zum Vorſchein! Mir graut noch jebt, wenn ich daran denke.
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ı hatten bier wahrfcheinlich ungeftört und monatelang von aſſnen Speifereften des legten Bewohner geſchmauſt und m für ihre Schlupflöcher zu fett geworden ober in ber e erfroren; vielleicht auch hatten fie fich an diefem fried- fchließlich gegenfeitig den Garaus gemacht, denn wo eſen bei einem fetten Biffen zufammentreffen, „da herrſcht : und nur die Stärke fiegt.“ Trupp hatte fih um den Schikar, den Schaufidar und ‚ wie der sweeper oder Ausfeger bindoftanifch heißt, ver frierende, barfüßige Rulirotte hatte der Schupraffi mit yeißt durch Vorenthaltung des Trägerlohnes bewogen, ihre hierher zu fchleppen. Daß aber weiter hinauf in das m dieſen jchlotternden Geftalten nicht das mindeſte erwartet vfte, ging aus der Eile hervor, mit der fie ſich ihr Geld um nad) ihrem heißen, dunftigen Bageswar zurüdzufehren ; bei unfrem Eintreffen im Schatten volle 17 Grad Celſius „ behaupteten die armen Teufel, vor Kälte umkommen zu enn fie nicht fofort nach Haufe gehn dürften. 5chaukidar berichtete, daß einige Stunden weiter aufwärts thal der Sommerweideplag Klein-Martoli läge, wo wir ızeit Kulis bekommen würden; der Schupraffi wollte aller- yeren Bereitwilligkeit nicht jo ohne weites glauben. Ohne te und wollte ich aber- hier nicht figen bleiben, fondern ſchickte taffi mit dem Schaufidar nad Kati zurüd, um Erfah. en zu holen. Am nächiten Tage kamen fie mit fünf zurück, "den einzigen, die fie in Kati angetroffen hatten. m ihres guten Willens brachte jeder eine verfümmerte : Banane mit, die er mir mit tiefem Salam vor die Füße was ift befjer al3 nix!“ war Hanſens weiſe Erklärung, ie Bageswar Kulis durch einen tumultuarifchen Auftritt nung durchgejegt hatten und diefe fünf neuen Kulis die rägerlaften mit erftaunten Mienen durchmufterten.
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Am nãchſten Tage juchte ich den Hirtenplag Martoli auf. Es tegnete nur ganz fein, fo daß ich mich mit Hans verftändnisinnig anblicte, der ausrief:
„Bei folhem Regen können wir ja gehn wie die Deirel!“
Der Zurtia-Bungalo, von vorn geſehn; reis Acht mein Schautidar.
Diefer Vergleich ſchien infofern ganz pafjend, al3 der Hirten- fteig durch ein wirklich verteufeltes Gewirr von ſcharfkantigen Blöden führte, die das obre Pindarthal wie ein Meer ausfüllten; die Berg und Felsſtürze mußten hier in unheimlicher Häufigkeit nieder- fallen. Unmittelbar beim Bungalo war von diefem fußbrechenden
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Zuftande de3 weitren Weges allerdings noch nichts zu bemerken, denn da führte er noch leidlich gangbar an Rhododendronbüſchen dahin, zwiſchen denen ungeheure Mafjen von mannshohem Sauerampfer und von Jungfrauenhaar wuchfen, einer Schlingpflanze, deren zart aus- gefägte, win- zige Blätter an fo überaus dũn⸗ nen, ſchwarzen Stielhen figen, daß fie bei der leiſeſten Luftbe⸗ wegung in lang⸗ dauerndes Zit⸗ tern geraten. „Die beben ja, wenn man ſie nur an⸗ ſchaut!“ ſagte mein weiſer Be⸗ gleiter aus dem Tiroler Lande, Die Lage des Bungalo war jeltfam und ſchön zugleich. Zwifchen den Felsblöcken und Ruinen des früheren Schughaufes blühten unabjeh- bare Mengen von Vergißmeinnicht, und gleichzeitig verlockten mafjen- hafte vote Exbbeeren und blaßgelbe Himbeeren zum Schmaufen. Bon der Felswand auf dem andren, dem weftlichen Ufer des Pindarfluffes ftürzte ein anfehnlicher Gießbach herunter, während nach Norden bin die felfigen Thalfeiten auseinander traten und die Ausficht auf
Eingang ins Pindarthal. Lints Rept mein Guitar im Anfhlag.
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einen prachtooll gemwölbten Gipfel eröffneten, der von Firm und Gletſchern bedeckt war; mit prachtvollem Glanz leuchteten die über- hängenden Eisbrüche biejer Gletſcherbedachung von den fteilen Fels: hängen herunter. Unfer Schi- tar hatte fich beim Eintreffen des Dolmetjchers fo- glei des Ge- wehrsbemächtigt, mit dem er auf dem Marſche nach Martoli allerlei Verſuche machte, den Monals bei» iulommen, die mit ſchwerfälli⸗ gem Fluge von Kippe zu Klippe flatterten. Der Mann hatte fich au Hanfens voller Zufriedenheit „ganzbrauchbar" mit ein Paar von
. Rumaon-girten mie abgelegten dor dem Furtia-Ehukhaufe; Saftträger des Verſahſen.
Veinkleidern und
einem langen Nittel ausgerüftet, während die Hirten ihre Bein- beffeidung nur durch ein langes, um die Hüften gefchlungnes und dann zwijchen den Schenkeln durchgezognes Tuch hergeftellt hatten ; eine Heine Kappe, ein leichtes, ärmelloſes Jäckchen und eine wollne Dede vervolfftändigten ihren Anzug. Die Deden ſchlugen fie in einer
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ungemein finnreichen, aus der Photographie erfichtlichen Weife um den Körper und ftedten deren Eden mit eifernen Nägeln zufammen. Auf diefem Bild erkennt man auch, welche Breite der nie von einem Schuh eingezwängte Fuß folcher Naturkinder erlangt.
Der Tiroler mujterte dieſe für Hochgebirgsmandrungen allerdings nicht ganz geeigneten nackten Beine der Hirten mit äußerfter Gering- ſchätzung. Tief und beforgt feufzte er:
„Se hent jo nir an! Im Kaukafus haben die Träger doch wenigſtens was angehent!" —
Eine halbe Stunde oberhalb des Bungalo verfperrte ein von Oſten fommender Zufluß des Pindar das Fortlommen. Ein Wollen: bruch hatte den Bach weit über feine Ufer. getrieben, und die mit geriffnen Steine machten das Durchſchreiten des Iehmigen Wild— waſſers zu einer Unmöglichkeit. Unter Anführung des Schifars, der mit feinen abgehärteten nadten Füßen ein unübertrefflicher Klettrer auf den glatten, fteilen Felshängen war, ftiegen wir dem Wildbad) entgegen, bis es uns gelang, an einer ſchmalren Stelle auf die andre Seite zu kommen. Die enge Felsjchlucht, durch die diefes wüſte Gewäſſer tobte, zeigte deutlich die Anweſenheit von Bären, und mit Zuverficht ſteckte dev Schikar feine Naſe und fein bereit gehaltnes Gewehr in jede Höhlung des Gefteins, ohne jedoch das erhoffte Bärenfell erringen zu können.
In Martoli war die Aufregung und Weberrafchung über unfre Ankunft groß. Seit den kartographiſchen Studien, die hier vor einigen Jahren unternommen waren, hatte fih in Martoli nur ein einziger englifcher Sportsman gezeigt, der fchließlich von einem Bären am Pindargletiher zerriffen worden war, und der Schilar wies mir voll Stolz die Belobigung vor, die er von ber indifchen Regierung für die Bergung feiner Leichenrefte erhalten hatte.
Die Hirten trafen wir grade bei der Schafſchur oder richtiger beim Abfchaben der Wolle; jeder Hirt hatte ein ausgeſtrecktes Schaf auf einer Decke vor fich liegen, das mit den Füßen an vier Pflöcken
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Birtenhütte Klein-Martoli; in der Ferne Fints der PindarsOlerfcher, vedits der vom Berfafler erftiegene Schouſchal.
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fefigebunden war. Auf diefem Opferlamm wurde nun mit einer ſchartigen Sichel jo lange herumgekratzt, bis der Hirt mitten in der Volle ſaß, die dem abgefchabten Tierchen gehört hatte, und die roten Heibekrautblüten, mit denen die Wiefe überfät war, gaben für biefe weißen Wollhaufen einen prächtigen Teppich ab. Ich ſah jo- jort, daß dieſer Weideplatz Mar⸗ toli für ein‘ Belt- lager ſehr geeignet, ja fogar unüber- trefflich gelegen war, denn die nieb- tige ſtrohgedeckte Steinhütteder Hir- ten wäre mit ihren derben Mauern für den Fall ſchwerer Orlane ein befirer Zufluhtsort als mein leichtes Zelt⸗
den geweſen. & ft Shajigur bei Rlein-Martoli;
‘yon wollte ich rechts raucht mein Schltat aus dem Pfeifentopf durch die Hohle Hand. den Tiroler zurück⸗
fenden, um das Zelt und die nötigften Geräte herauftragen zu laſſen, als die Hirten mir zu verftehn gaben, daß ihre riefigen Hunde uns unfehlbar zerfleifchen würden, wenn wir uns auf ihrem Gebiete nieder: liegen. Gaftfreundlich räumten fie uns jedoch einen Winkel in ihrer Hütte ein, in die man freilich nur auf allen Vieren hineinkriechen fonnte,
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Nachdem ich mich überzeugt hatte, daß beſonders ein von den Hirten Schonjchal genannter Felsgipfel gegenüber der Südſeite des am Thalſchluß fichtbaren Pindargletſchers einen guten Ueberblid aus der Vogelſchau über diejes Bergland gewähren müffe, nahm ich mir vor, dieſe Beſteigung ſobald wie möglich auszuführen. Zunächit aber fehnte ich mich, dem Pindargletfcher aus dem fehr profaifchen Grunde einen Beſuch abzuftatten, vecht bald von feinem Waſſer an der Quelle trinken zu können. Mit grimmigem Heulen und Kläffen gaben ung die Hirtenhunde ein Stückchen Wegs das Geleite.
Der faum erkennbare Steg zum Pindargleticher führte zunächft durch hohe Gräfer, und der Anblick der Felſen, die den Thalleſſel bildeten, war durch die Gletſcher, die ſcheinbar aus den auf allen Höhen liegenden Wolken hervorzuquellen ſchienen, ein furchtbar drohen⸗ der, aber zugleich phantaftifch fchöner.
Vor mehreren Jahrzehnten waren die Eisverhältniffe des Gletſchers in dem Thale, das fich öſtlich vom Schonfchal zum Gorithal zieht, für die Begehung fo günftig geweſen, daß der Commiffioner Traylls und die Gebrüder Schlagintweit mit einigen Jägern und Hirten über diefen Trayllispaß von hier aus nad Milam im Gorithal gelangen konnten, doc) wie mir der Schifar auseinanderſetzte, war dieſer Gletſcher in den Ießten Jahren fo zurückgegangen und zerborften, daß ein derartiger Verſuch zurzeit ausſichtslos wäre. Grade diefer Webergang war aber mein Plan geweſen, denn das Pindarthal bildet im übrigen eine vollftändige Sadgafje, aus der nur jemand den Uebergang in andre Stromgebiete erzwingen könnte, der mit einer ausreichenden Zahl europäifcher, gleticherfefter Laſtträger ausgerüftet hierher käme.
Als der Schikar im Bunde mit den verfammelten Hirten von Martoli mir die Eröffnung machte, daß der Uebergang in das Gori- thal ganz unmöglich wäre, brummte Hans nur fein gewöhnliches: „Wollen fehen, ob's wahr iſt!“ und riet mir zur Beſteigung des Schonſchal. Die Erjteigung dieſes Gipfels follte uns, fo hoffte ich, über den gegenwärtigen Zujtand de3 Gletſcherpaſſes Aufichluß geben.
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Der Pindargletſcher entſprach in Wirklichkeit nicht dem un- bedeutenden Bilde, das ich mir von ihm nach der Karte gemacht hatte, und wahrfcheinlich hatte der Kartenzeichner gar nicht den Eisfall
Der Bindargletfger; vorn fieht der Exıtar.
erfliegen, um die gewaltige Ausdehnung dieſes zerklüfteten Gleticher- ſtroms wahrzunehmen. Die Regierungslarten des Himalajagebirges find. ganz vortrefflich aufgenommen, folange e3 ſich um Pläge handelt, die noch durch Wege miteinander verbunden find, obgleich ja auch
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bier die nie ausbleibenden furchtbaren Zerftörungen durch Natur« ereigniffe manche Abweichung der Karte und des wirklichen Weges mit ſich bringen. Bon den jo ungeheuer ausgedehnten Hochgebirgs- regionen wird aber fein billig Denfender unbedingte Genauigkeit ver- langen, fo fehmerzliche Folgen die Irrtümer auch manchmal haben; die Rartographen müfjen ſich nur zu häufig auf ungenaue Ausfünfte von Zägern und Hirten ftügen, die in den jeltenften Fällen beträcht- liche Höhen befteigen.
Es ift nicht möglich, den Empfindungen Ausdrud zu geben, mit denen ich und gewiß auch Hans unfren Fuß zum erftenmal auf das Eis dieſes Himalajagletjchers festen. Wie unendlich ſchwierig war uns dieſer erfte Schritt durch allerlei Hindernifje geworden, die grade dadurch, daß fie nicht unbedingt mit den Gefahren des Ge- birge3 verfnüpft waren, jo widerwärtig und niederdrüdend gemirkt hatten! . Der an jeinem untren Ende ungemein fehmußige, fteinige Gletſcher hatte zwei Abflüfje, deren Waſſer aber keineswegs unfren Erwartungen entſprach; obwohl wir beide gewohnt waren, in den euro- päifchen Alpen eiskaltes Gletſcherwaſſer troß der darin aufgerührten Felsſtäubchen zu trinken, hatte der Regen die Gletjcherquelle des Pindar fo garftig und Iehmig gemacht, daß erſt durch umftänbliches Filtrieren ein annehmbares Getränk daraus zu erhalten war.
Der Gfletfcher ftrich von Nord-Nordweft nad) Süd-Sädoft und war in feinem obren Teile jharf nah Norden umgebogen. Wir exkletterten den fteilen, etwa 400 Fuß (130 m) hohen Moränenwall und den obren Gletjcherboden und fanden ein von Dften ber ein- mündendes, zahlloſe Schliffe und Kritze zeigendes Yelfenbett eines Gletiher3, von dem nur noch ein am Nanda Kat in bedrohlicher Abfturzbereitfchaft hängender Reſt erhalten war. Jeden Augenbligt konnten diefe hundert Meter diefen, blau fchimmernden Eisbrüche auf uns herunterfchlagen, denn daß rings um uns her taufend unficht- bare Gemwalten an dem ernten Antlig des Hochgebirgs nagten,
Edelweiss-Wiese am Pindar-Gletscher. Born fiehen Hirten mit ihren Hunden.
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hörte ich aus dem Krachen der Lawinen, die bald hier, bald dort in den großartigen Pindarthalfeffel ftürzten.
Immer ſtärker werdender Regen trieb uns von dem Gletfcher hinunter, deſſen zahlreiche Serats in auffällig mürbem Zuftande waren. In der Nähe de3 Gletjcherfußes klaffte eine feitliche Spalte, in die von der Moräne her ein unfaubrer Pfad zu führen ſchien; zahlreiche Spuren bewieſen deutlich, daß hier Bären vor Regen oder Sonne Unterfchlupf zu fuchen pflegten. Es war im höchften Grade ärgerlich, daß der Schifar mit dem Jagdgewehr feiner uns beihuhten Füße wegen auf der Moräne zurückgeblieben und durch fein Schrein und Rufen zu erreichen war, weil er, des Wartens müde, ſich hereit3 auf den Heimweg nad) Martoli gemacht hatte; ohne Waffen in die Eisgrotte einzubringen, wäre aber eine ganz überflüffige und in der Erinnerung an den hier zerriffnen Engländer fogar recht bedenkliche Neugier geweſen. Ich ging deshalb ohne fonder- liche Ueberftürzung nach Martoli, denn ich hatte mir bereit8 in den Rarpathen durch wiederholte Begegnungen mit Bären die Aengftlichkeit vor derartigen Beſtien ein wenig abgewöhnt, und es wird mir un: vergeßlich bleiben, wie dort bei meinem erften Zufammentreffen Meifter Petz das Hafenpanier ergriff, als ihm mein Begleiter Taltblütig eine Erdſcholle ins Geficht fehleuderte. Jedenfalls ift diefer Teil des Himalaja ein weit ergiebigeres Jagdfeld für Raubwild als das öjt- lichere Sifhim, von deſſen Bereifung ich fpäter zu fprechen habe, doch war ich ja nicht zum Einheimjen von Jagdtrophäen ausgezogen und ließ deshalb den Bären in Ruhe.
Mit prächtigen, auf den Kalkfelſen beim Pindargletjcher gepflüctem Edelweiß am Hut fehrte ih am nächften Tag in den Furkia Bungalo zurüd, nachdem wir in der Hirtenhütte Martoli genächtigt und den Schifar durch unfre Erzählung von dem Bärenſchlupfwinkel vor Jagdneid ganz Frank gemacht hatten.
In unfrer Begleitung befand fich ein vielverfprechender Hammel, den ich von den Hirten gekauft hatte, um ihn am nächſten Tage
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zu verfpeifen. Beim Scheine eines übelviechenden Feuers aus Rhododendronholz brachte Hans das unjchuldige Tierchen um und hing es troß meines Abratens während der Nacht in die überdachte Veranda vor der Thür.
Während mir fehliefen, krachte ein Schuß, der uns auf die Beine brachte. Der Schilar hatte fich in der richtigen Erwartung, daß der geichlachtete Hammel das Gelüfte irgend eines Raubtiers erweden würde, auf die Lauer gelegt und behauptete, einen Leoparden mit feiner Gewehrkugel getroffen zu haben, bevor er noch unfren zutünftigen Braten berührt hätte. In der That fanden fich Blutſpuren, denen der Schifar am nächften Morgen nachging; bei Sonnenuntergang legte er mir triumphierend das herrliche Fell des Tieres zu Füßen.
Die Hammelbraterei war ein recht ſchwieriges Problem ber Kochkunſt für mich. Somohl Hans wie ich waren in dieſem naht- haften Zweige menfchlicher Wiſſenſchaft nody nicht fo weit gefommen, wir hatten das „noch nicht gehabt”, wie die Schüler in Bezug auf ſchwierige Rechenaufgaben fagen, die fie nicht löfen können. Jeden⸗ falls war mir Har, daß zum Braten Zuder und Mehl nicht unbe dingt nötig fei, dagegen hatte ich allerlei dunfle Erinnerungen, daß Eſſig oder Schampignons dabei erforderlich fein möchten. Ich mußte nur nicht gleich, ob das Fleifch vor den Pilzen gebraten und dann Eſſig drauf gegoſſen werden müfje oder umgekehrt; vor allen Dingen wußte ich aber nicht, woher ic) Eſſig und Pilze nehmen ſollte. Schließlich einigten wir uns dahin, die eine Keule in Heine dünne Scheibchen zu fchneiden, diefe tüchtig mit Salz und Pfeffer zu beftreun, mit zwifchengelegten Scheiben Sped auf einen ftarfen Eifendraht auf: zureihn, den der Schilar als Ladeſtock für feine vorweltliche Flinte zu benugen pflegte, und fo über offnem Feuer zu röjten.
„Sell iſch ein Reibereſſen, ein ganz ein echtes, do is eine arm- felige Kraft dabei!" jubelte Hans, als ich das wirklich delikate und faftige Gericht auftifchte und er räubermäßig drüber herfiel.
Durch diefen Erfolg kühner gemacht, ſchmolzen wir eine gewaltige
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Menge Butter in einem Blechkeſſel, fenkten die andre Hammelkeule hinein und ftellten fie ein paar Stunden übers Feuer; aus allen andren Fleifchteilen kochten wir mit Salzwafjer und Reis ein fürjt- fies Abendeſſen.
Am Abend mufterten wir den Himmel bejonderd aufmerkſam, denn am nächften Tage wollten wir den Schonfchal befteigen; doch funtelten die Sterne mit fo unheimlich ſtarkem Glanz, daß wir una feine ſonderlichen Hoffnungen auf gutes Wetter machten. Der Dols metfcher, der ebenfo wie der Schupraffi durch die für ihr Empfinden kalte allzu feuchte Luft in einen kläglichen Zuftand von Dysenterie gelommen war, bat mic) himmelhoch, von diejer Befteigung abzufehn, weil an diefem Berg eine Unmafje giftiger Kräuter wüchſe, deren Ausdünftungen, wie er von den Hirten beftimmt gehört habe, Krant- keit und Tod verurfache; jedenfalls könne er nicht einmal den ent- jeglichen Weg bis nad Martoli nochmals zurüclegen. Ich merkte, daß er ebenſo wie der Schupraffi am liebften nad) Almora zurüd- marfchiert wäre, wenn nicht der reiche tägliche Lohn eine zu mächtige Anziehungskraft befefjen hätte.
Ich brach mit Hand und dem Schikar fehon vor Morgengrauen auf; doch fehon dicht Hinter Martoli brach ein Platzregen nieder, der uns Hals über Kopf in die Hirtenhütte trieb, jo daß mir erft ſpät am Nachmittag heimkehrten. Mit unmäßigem Appetit wollte ih mich mit Hans über die in der Badeftube wohl vermahrte kalte Hammelfeule hermachen, auf die wir un bereits feit Mittag gefreut hatten. Der Hammelbraten war aber verfchmunden!
Es wäre freilich nicht nötig, bier alle diefe Nebenfachen zu berichten, aber ich bin gewiß, daß der eine oder andre Lefer dadurch am beften erfennt, wie es auf fold einer Reife wirklich zugeht, und was für ernfthafte Folgen aus geringfügigen Urſachen entjtehen können. Nichts zum Veifpiel Tann fo verhängnisvoll werden wie das Fehlen von geeignetem Proviant.
Wo war die Hammelleule geblieben? Der Schaufidar behauptete,
Boed, Indiige Gletſcherfahrten. 12
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daß weder er noch die Kulis ihr Mauerloch verlafjen hätten, und
der Dolmetſcher ebenfo wie der Ausfeger, die einzigen Perfonen,
denen der Austritt zu dem Bungalo ſtets frei ftand, hatten oft mit Entrüftung verfichert, daß fie als ftrenggläubige Hindus fein Fleiſch äßen, da man ja nie wiſſen fönne, weſſen Seele in dem betreffenden Tiere das Erdenleben zur Strafe begangner Sünden noch einmal durchmachen müffe.
Mißmutig rührte Hans beim Schein unfrer Tafchenlaterne in der Erbſenſuppe herum, die als Erſatz für unfren Braten dienen follte, denn unfre Konferven wollten wir für künftige Notfälle auf fparen; währenbbefien blinzelte mir der Heine Pfeifer geheimnisvoll zu, nahm dann die Laterne und lockte mich in den Baberaum, mo unter einem umgeftülpten Gimer bie fchon liebevoll befnabberte Hammel: feule auf einem Steinfcherben lag. Der Heine Kerl war grade groß genug geweſen, um durch das Fenfter diefen Diebftahl des Ausfegers beobachten zu können.
Trogdem die Kulis ſchon zur Ruhe gegangen waren, ließ ich doch meine ganze Begleitung aus dem Heinen Schuppen in den Bungalo herüber rufen, um als Warnung für Fünftige Beiten ein fürchterliche8 Strafgericht abzuhalten. Der arme sweeper wurde mehr tot als Iebendig hereingefchleppt und gab ganz zerfnirfcht zu, die Keule gemauft zu haben. Auf meine Frage, wie er denn ben Fleifchgenuß vor feinem brahminifchen Gewiſſen rechtfertigen könne, erbarmte ſich der Babu feines Landsmannes und verficherte mir, daß erftlich ein Ausfeger kein ehrbarer Hindu fei, und daß überdies felbft ein Hindu befirer Kafte zwar niemals Fleifch vom heiligen Nindvieh efjen würde, in ganz beftimmten Fällen aber, zum Beifpiel wenn er argen Hunger leiden müffe, Fleiſch von folchen Ziegen oder Schafen genießen dürfe, deren Hörner nach oben gedreht wären. Zufällig fand fich der abgenagte Schafsfchäbel dicht beim Haufe, doch zeigten feine Hörner unzweifelhaft nach unten; ein mildernder Um- ftand lag alfo nicht vor, und der Feger erhielt feine Standpaufe,
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Eine mir gradezu endlos dünkende Reihe von vierzehn Regen⸗ tagen fefjelte uns unausgefeßt an ben Bungalo; jeder Schritt aus dem Haufe während diefer Beit wäre eine offenbare Thorheit gemejen. Der Regen drofch alles zufammen und verbot vor allen Dingen jedes Aufftellen des photographifchen Apparats. Ich fing an, ein wenig melandolifch zu werden, denn Unthätigfeit und Unmut find unzu- trägliche Gäfte!
Zum Glück fand ich einige Zerftreuung in dem Studium indiſcher Dichter, die ja fo häufig auf den Himalaja Bezug nehmen, wie zum Beifpiel in Kalidafas „Wolfenbote”, wo der liebende Hima- lajapilger (nah M. Müllers Ueberſetzung) fehnfüchtig ruft:
Wenn mich des Waldes Götter ſehn, wie ich nach dir die Arme breite, Um dich an meine Bruſt zu ziehn, wähn ich im Traum mic) dir zur Seite,
Dann glaub’ ich, werden oftmals auch aus ihren Augen Thränen finken, Die, groß wie Perlen, in dem Wald rings an den frifchen Anofpen blinfen.
Die Winde vom Himalaja, die manchen Blütenfelc, zerteilen, Und füß vom Blumennektarfaft hin nach dem Süden weiter eilen, Sie fühlen meine heiße Bruft — ich fühle Wonne im Gedanken, Daß fie vielleicht in frührer Zeit auf beine Glieder niederfanfen! — Wenn du aus diefer Botſchaft nun gehört von meinem Wohlbefinden, So laß, Schmarzäugige, darauf auch böfe Zweifel ſchwinden; Die Trennung ift der Liebe Tod, fo jagt man wohl, doch die Entbehrung Macht größer nur der Liebe Glüd, wenn unfrem Sehnen wird Gewährung!
Die wenigen lichten Momente, in denen ſich die Gewalt des
Regens zu legen fchien, benußte ic, um meine Glieder zu Fräftigen und zu üben. Die Felfen der nahen Schluchten waren eine vorzügliche Kletterfchule, und der unmäßig angeſchwollne Wildbach bot beifpiellos gute Gelegenheit zu Springübungen mit dem Vergftod. In immer weitem Abjtande lernte ich in Hanfens Gefellfchaft den Ueberfprung von einem glatten Bloc zum andren machen, bis dabei der voraus- zuſehende Fall eintrat, daß mein ticoler Haſelſtock zwischen ein paar Steinen ſtecken blieb, abbrach, und ich dadurch mitten in die dahin— ſchießenden Waffer und Geröllmafjen gefchleudert wurde. Ich trieb mit zunehmender Geſchwindigkeit dem Wafferfturz zu, doch mit Riefen-
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ſätzen ſprang Hans neben dem Wildwaſſer her, reichte mir im geeig- neten Augenblid feinen ſchier endlos langen Bergſtock Hin, deſſen eifernen Umfafjungsring ich grade noch mit äußerſter Anftrengung umfrallen konnte, dann 30g ber Tiroler kräftig an, und ich fam wieder auf die Beine.
„Sell war arg!" ſagte Hans hierauf ganz ruhig.
Der Verluſt meines Bergſtocks war nicht zu unterfchägen. Wegen de3 häufig nötigen Ueberfchreitens von brückenloſen Bächen find lange Bergftöde im Himalaja noch notwendiger und nüßlicher als Eispickel, für die allenfalls Steigeifen einigen Erfah geben. Ich ahnte aber doch nicht, daß in der jetzigen Regenzeit im ganzen Himalaja fein geeignetes Stüd Holz aufzutreiben fein würde. Hans ſchnitt mir zwar fpäter einen Stod aus einem Bambusftamme, doch hielt dieſer gar feinen Vergleich mit meinem feiten Hafel-Berg- ſtock aus.
Nach einem entfeglichen Nachtorfan, der das Haus wie einen Iofen Felsblock hin und her fchüttelte, fahen wir am frühen Morgen des erſten Auguft alle Höhen bis tief herunter mit Neufchnee bedeckt.
„Wenn's fo tief herunterfchneibt, wird’3 Wetter immer beſſer!“ frohlodte Hans.
Sofort padten wir Proviant in unfre Rudjäde, der Schikar nahm das Gewehr, ein Kuli den Apparat, und mit dem feften Ent- ſchluſſe: „Heute müffen wir auf den Schonfchal!" brachen wir auf.
Ich wollte mir einreden, daß die Luft recht fühl und erfrifchend wäre, aber Hans ftöhnte ingrimmig:
„Es bat doch noch immer nicht die rechte Adligfeit !"
Mit fcharfen, fengenden Stichen brach die Sonne durch die diefen Wolkenklumpen im Pindartdal und taute binnen wenigen Stunden die Neuſchneedecke von den Bergen. Ohne uns in Martoli oder am Pindargletfcher ange aufzuhalten, ftiegen wir an den Felfen, die die ſüdöſtlichſte Wand des Thalkeſſels bilden, in die Höhe.
Nach zmweiftündigem Steigen machten wir Raſt. Sch ſah den
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Tiroler an, und er prüfte mich ebenfall® mit den Augen. Es waren wwar allerlei fteile fchlüpfrige Grashalden und einige „Ichieche Platten”
Niederblid vom Sqhonſchal in das Pindarthal.
zu überwinden geweſen, aber die hätten uns in feinen Tiroler Alpen nicht die mindeften Schwierigkeiten gemacht. Und hier? Keuchend und ſchweißtriefend ftanden wir beide mit fliegenden Puljen da, als ob wir eine Leiftung unerhörtefter Art vollbracht hätten.
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„Der erſte Auguft gilt in Hals für einen Unglüdstag!" murmelte der Tiroler in den Bart und bif ſich auf die Lippen, wohl weil er bemerkte, wie ſchwer ihm jeder weite Schritt Steigens wurde. Ich kam mir vor, als wäre alle Kraft von mir genommen, oder als litt ich an einer grenzenlojen Migräne; ich glaubte vor Kopfſchmerzen toll werden zu follen, al3 wir um zehneinhalb Uhr mit beinah taumelnden Füßen die Gipfelfteine de Schonfchal betraten. Um halb vier Uhr früh waren wir vom Bungalo abmarfchiert und bis auf eine Heine Raft von zehn Minuten in ununterbrochnem Steigen geblieben; ich war aber fejt überzeugt, daß wir in den europäifchen Alpen in dieſer Zeit das Doppelte geleiftet haben würden.
Ich verfuchte, den prachtvollen, ſchwindelerregenden Niederblick in das Pindarthal aus der Vogelſchau mit einem ermutigenden Fodler zu begrüßen, doch meine fonjt ziemlich klangvolle Stimme verfagte und war matt und heifer. Ich war erfchöpft wie noch nie in meinem Leben, und auch Hans zifchte:
„Weiß der Teufi, was dös is!"
IH möchte hier gleich erwähnen, daß wir fpäter weſentlich guößre Höhen beftiegen als den Schonfchal, der nur etwa 16000 Fuß (4800 m) hoch.ift, ohne auch nur annähernd ähnliche Anzeichen der: artiger wirklicher Erkrankung zu erleiden. \
Welche Umftände wirkten hierbei mit? Faſt glaube ich, daß die Gräfer und Kräuter, deren Ausdünftung der Babu al3 fo giftig geſchildert hatte, eine gewiſſe Rolle bei der Entjtehung der fogenannten Bergkrankheit fpielen, wenn auch in einem ganz andren Sinne, als der Babu es meinte. Ich neige der Anficht zu, daß der Mangel an Kohlenfäure, die nachgewieſnermaßen neben dem Sauerftoff und Sticjtoff zum Atmen nötig ift, auf hohen Gipfeln dem menfch- lichen Organismus empfindlicher wird als der ſchwächer werdende Luftdruck; durch dichten Vegetationsbeftand wird aber der Beitand an Kohfenfäure naturgemäß mehr erſchöpft al3 durch unorganifchen Gipfelboden wie 3. B. Feljen oder Schnee. Jedenfalls Tann ich nad)
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meinen Erfahrungen nicht behaupten, daß zunehmende Höhe ftet3 entiprechenb wachſendes Uebelbefinden im Gefolge hat; andrerſeits glaube ich, daß es ſich mit der Vergkrankheit fo unberechenbar wie mit der Seekranlheit verhält.
Der Blick von dem Gipfel war wirklich groß, da ſich der ganze Pindargletfcher nach Norden voll überblicken ließ; darüber ragte die furchtbar prächtige, von diefer Seite dem Wetterhorn ähnliche Spitze des Nanda Kat empor. Dann aber enthüllten fich hier oben zwei andre Gletſcher, von denen meine Karte nichts zeigte. Der ine ſtürzte unerhört fteil und wüſt zerklüftet ſüdlich von unfrem Gipfel zwifchen diefem und dem uns gegenüberliegenden, drohend und jãh aufiteigenden Dulia Parhar herunter, der andre war hoch oben in die Mulde gebettet, die von den Felsmaſſen des norb- weftlichen Pindarthalfchluffes, des Zaka Parhar, gebildet wird. Die ' winzig erfcheinende Figur meines Schikars im Vorbergrunde links an der untren Ede des Bildes giebt eine Vorſtellung von dem Größenverhältnis des im Hintergrund fichtbaren Gletſcherſturzes.
Mein Uebelbefinden legte fich hier oben, das kochende Blut kam zur Ruhe. Wolfen zogen vor den mich umringenden idealſchönen Hochgebirgäbildern Hin und her, fie bier enthüllend und dort ver: ſchleiernd; dazwiſchen bligten Sonnenftrahlen und gligerten bald auf dem Wafferfall, der in der Mitte des Pindargletſchers hervorbricht, bald auf den Schneefeldern in den Spalten unter meinem Zelsgipfel und bald auf den Wolfenmaffen, die wie ſchwere Klumpen und Säde in der Tiefe über den Hirtenplatz Martoli thalab rollten. Schließlich lagen Gletſcher und Thal in unverhüllter Schönheit unter meinen Blicken.
Der Tiroler hatte ſich auf einer Felsklippe lang ausgeſtreckt und fpähte geſpannt in die Tiefe; plötzlich gab er mir ein Zeichen, vorfichtig näher zu kommen. Ich kroch neben ihn, folgte feinem Fingerzeig und zuckte vor Freude, al3 ic) zwei ſchneeweiße Steinböde, Hier Thar genannt, erblickte, die in der Tiefe äften. Durch ein
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unvorſichtig von mir abgebröckeltes und herunterſpringendes Steinchen erſchreckt, entflohen die herrlichen Tiere, während gleichzeitig ein paar tiefige, buntfchillernde Monals, die wir beide vorher nicht bemerkt hatten, aus ihrem Verftet in unfrer nächſten Nähe aufflatterten und über den Gletſcher nad) dem Dulia Parhar hinüberflogen.
Hanſens Ausfehen hatte fich verändert. Sein abgeipanntes, müdes und etwas mürrifch gewordnes Wefen war feiner angebornen guten Natur gemwichen, der fehnige Sohn der Berge fühlte fich wieder in feinem Element.
Diefe Beſteigung follte etwas jehr Wichtiges bezwecken. Ich wollte ermitteln, ob eine Ueberfchreitung der von fchroffen, übereiften Rüden durchfchnittnen Firnfelder möglich wäre, die fich hier in öftlicher Richtung von dem Nanda Kat nad) dem Stromgebiet des Gori hinunterziehn.
Hans kam mit mir zu der Üeberzeugung, daß wir für unfre Perſonen den Uebergang gewiß ausführen könnten. Es lam jest nur darauf an, einige tüchtige Träger für den allerdings keineswegs Teichten Uebergang zu gewinnen, aber der Schilar gab uns zu verftehn, daß ich niemand al Träger mitbelommen würde.
Wir ftiegen mit thunlichfter Schnelligkeit ab, um noch im Hellen nad) Haus zu kommen. Die Hirten von Martoli kannte ich bereits fo genau, daß ich fofort die zwölf brauchbarften ausmählte und jedem den zehnfachen Trägerlohn, das heißt vier Rupien für den Tag, zuſagte, der mit mir über den Gletjcherpaß gehen wolle. Sie erklärten aber auf das bejtimmtefte, daß dies wohl noch vor zehn Jahren möglich gewejen, gegenwärtig aber auf den gletfcherlofen, glatten Felsabſtürzen ganz unausführbar fei; kein Gelb der Welt könne auch nur einen einzigen Mann zum Mitgehn bewegen. Hans fnirfchte: „Wann fen nich gehn, nacher kannſt nir machen!" und, die Nußlofigfeit mir überhaupt nie zufagender Gemwaltmaßregeln einfehend, gab ich den ſchönen Plan auf.
Inzwifchen war die Dämmerung hereingebrochen, und wir
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mußten verfuchen, uns den Weg mit Hilfe der Taſch die ſchauderhaften und gefährlichen Felstrümmer zu fu auch gar nicht lange, bis der Schikar auf die Nafe ein paar Zähne ausbrad), dann ftolperte ih in ſchlug mir das Schienbein auf, und ſchließlich ftürgtı Sprung über den Wildbad von einem nachgebendei eine ziemlich mitgenommne Gefellichaft in den | gehumpelt fam. Der Heine Pfeifer, der nicht mil gefommen war, hatte aus Martoli eine Kupferfla milch in die Küche gefchleppt und für ung alle einen reis gejotten.
Achtes Kapitel. Eine gräßliche Eutdecung.
‘3 war mir aufgefallen, daß Hans jeit dem Tage, an dem > wir mit den Hirten zufammengepfercht in Martoli übernachtet
® Gatten, nicht mehr fo ruhig ſchlief, ſondern auch mich im Einfchlafen ftörte, indem er ſich unaufhörlich und ziemlich geräufch- voll die Haut kratzte. Auch ich fühlte ein ganz fatales und zunehmend läftiger, auftretendes Hautkribbeln und Tonnte mich nur durch faſt übermenfchliche Anftrengung überwinden, Hanfens ſchabendem Bei: fpiel nicht zu folgen. Mit Graufen dachte ich an bie zahlreichen Ausfäsigen, denen wir bisher begegnet waren, denn daß uns nichts Harmlofes im Blut lag, was fo entſetzlich juckte und zwickte und zwackte, war klar.
Kaum graute der nächſte Morgen, jo ſtanden wir auch ſchon in der Badeſtube, goſſen uns ein paar Kübel heißes Waſſer über den Körper, der bei Hans bereit8 ganz blutrünftig ausſah, legten friſche Wäfche an und fühlten uns fogleich wie genefen.
Doc) die Freude dauerte nicht lange.
Schon nad einer halben Stunde jprang der Tiroler wütend vom Frühftücktifch auf und rannte wie ein Wolf in unjrem Käfig herum; draußen goß der Regen wieder in Strömen, und ich meinte, dies fei die Urfache feiner Tobſucht. Plöglich glaubte ich, wieber das nichtänußige Hautprideln zu jpüren. Das Geficht des Tirolers
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verzerrte fich immer mehr; fein Benehmen machte mir ernftlich Sorge, und teilnehmend fragte ich:
„Hans, was haben Sie denn?"
Zuerſt jtöhnte er nur, dann aber brüllte er das Wort: „Läufe!" Er brüllte es mit einem fo gräßlichen Tone, wie ich noch nie einen ähnlichen aus menjchlihem Munde vernommen habe, und das mill wirklich bei mir etwas fagen.
„Läuſe?“ wiederholte ich ftammelnd, „Hans fein Sie gnädig, vielleicht find es nur Flöhe.”
Mit einem gellenden Hohngelächter ſchaute mich Hans jo gering- ihäßig an, al ob ich noch ein ganz grüner Anfänger in den Myfterien diefes irdifchen Jammerthals wäre. Dann rief er mit einem Anflug von entrüfteter Würde:
„Flöhe? Ein Floh ift doch etwas Heiliges gegen eine Laus!“
So entſetzlich es Tlingen mag, darf ich doch nicht beitreiten, daß Hans volltommen vecht hatte. Ich fragte ihn, unkundig in der Kunft, derartige Tierchen zu fangen und zu bändigen, was dagegen wohl das beite jei.
„Das beſte?“ höhnte Hans, „nix is das beite! Do hilft nig, vein gar nie! Aufgefreffen wer'n wir! Aufgefrefien!"
Das hatte wirklich noch gefehlt! Zuverfichtlich hatte ich bisher geglaubt, daß ein reinlicher Menſch vor folchen eklen Gäften gefeit bleibe. Ich erinnerte mich jest allerdings, in der Martolihütte gefehn zu haben, wie ſich die Schafhirten zwar derartige Schmaroßer abgefucht, aber als echte Hindus, aus fcheuer Verehrung des Lebens in allen Formen, nicht getötet, fondern mit zärtlicher Behutſamkeit auf die Erde gefegt hatten; es hatte ihnen gewiß al3 indijches Seitenftüct zu der befannten bäurifchen Hausinfchrift in den Ohren gellungen:
Ich bitt dich, heilger Florian, Bring dieſe Laus einem andren an!
Auch darin behielt Hans leider recht, daß kein uns erreichbares
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Mittel verfangen wollte, diefe widerwärtigen Mitbürger los zu werden. Wir bejtäubten und mit Snfektenpulver “von oben bis unten, badeten jede Stunde des Tages, kochten unfre Wäſche und klopften fie mit Steinen — es half alles nichts. Ich 30g den Babu ins Vertrauen; der aber fagte ganz gelafien:
„Bier hat jeder Läufe, davan gewöhnt man ſich. In ein paar Wochen jpüren Sie nicht? mehr davon!"
Wir gemöhnten uns aber nicht daran. Draußen jtrömte ber Negen Tag für Tag mit genau derfelben Heftigkeit, mie vorher in Dardichiling, jo dag man nicht zum Haufe heraustreten konnte, ohne daß Schirm und Hut zufammengefchlagen wurde, und drinnen wurden wir von ben Läufen aufgefrejfen, mie weiland Biſchof Hatto in feinem Turm von den Mäufen. Da kam Hans auf eine glorreiche Idee:
„Wenn nir hilft,“ fagte er, „nacher bringen wir fie einzelt um; aber weiſcht, feine einige darf und entwifchen, feine einige!"
Und während draußen der Regen auf das Schieferdach klatſchte, itanden wir beide, wie uns Gott gejchaffen hatte, in unfrer Babe: ftube und durchforſchten unfre Kleidungsſtücke mit dem Scharfblic afrikanischer Diamantenfucher. In der rechten Hand hielt jeder eine Nadel und neben jedem brannte eine Kerze Mit wildem Jubel wurde jeder Treffer ausgerufen, die Fagdbeute mit fatanifcher Luft an die Nadel geipießt und in die Flamme gehalten, mo die faftige exotifche Beſtie bald mit hörbarem Krach erplodierte.
Keine Eiche fällt auf einen Hieb! Das erjte Schlachtfeit ge nügte nicht, ein zweites, ein drittes folgte, fchließlich fogar ein ſechſtes. Dann erft konnten wir ausrufen:
„Gott ſei ewig Dant, fie find weg!"
Bei diefer Gelegenheit möchte ich erwähnen, daß ich fehon aus dem Grunde, ſtets eine wirkſame Einreibung gegen folche unvermeid- lichen Zugaben zu einer Himalajareife bei der Hand zu haben, in Zukunft ſtets Petroleum als Heizmaterial für den Ofen dem Spiritus vorziehen würde; auch Benzin wäre gut, ift aber doch zu feuergefährlich.
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Durch diefe widermärtige, erniebrigende Jagd, durch den be ftändigen Aufenthalt in dem engen, dumpfigen Schughaus und den Mangel an Bewegung und appetitlichen Speifen famen wir merk lich herunter. Viermal hatten wir das Zeltlager nach Martoli hineingefehafft, ohne von dort aus auch nur eine einzige Hochtour erfolgreich ausführen zu können, meil das Nachlafjen des Negens ſich jedesmal als trügerifch erwies; bis auf die Haut durchnäßt, fonnten wir von Glück jagen, unfer Zelt in Nebel und Regen immer mieder gefunden zu haben. Doc das genügte noch nicht. Der Dolmetfcher wie der Schupraffi erkrankten und mußten von mir nad Haufe geſchickt werden, damit fie nicht in dem für fie unerträg- lichen Klima umlamen.
Um uns die trübe Regenzeit zu verkürzen, war ich fchließlich auf den Gedanken gefommen, aus einem Kiſtendeckel Schachfiguren zu ſchnitzeln und Hans in die Züge des Löniglichen Spieles einzumeihn. Das half wenigſtens über den Stumpffinn hinweg, denn von Lejen war feine Rebe: erſtens hatten wir feine Bücher und zweitens hätte da3 monotone Regengepraſſel jede Lektüre verhindert; ein Backfiſch⸗ penfionat, das tagaus tagein die C-dur-Tonleiter über unfrem Haupte übt, wäre eine Nervenkuranftalt im Vergleich zu dem unerträglichen Waffergetrommle geweſen.
Doch noch hatten die Niederfchläge nicht ihre größte Macht entwidelt. Als beim Niedergang eines Wolkenbruches ſelbſt der helle Tag buchftäblich zu dunkler Nacht wurde, rief der Tiroler mit Auf⸗ wand ungewöhnlicher Heftigkeit aus:
„Jetzt iſt's gar, fell Halt’ ich nicht mehr aus!" und nad) feinem verzweifelten Gebaren halte ich es für durchaus begreiflich, daß zum Beijpiel unter der Garnifon von Dardfchiling häufige Selbjtmorde wegen de3 hirndurchhohrenden Regengeplätſchers vorkommen folen.
Ohne felbft vecht daran zu glauben, ftellte ich Hanfen vor, daß doc) jest das Aergſte hinter uns läge und daß nach einem ſolchen Höhen: punkt der Entladung endlich erträglicheres Wetter eintreten müffe.
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Nach dieſer hoffnungsreichen Rede trat ich aus der Thür unter die Veranda, taumelte aber förmlich zurück, denn der weiße Tangel- Gießbach, dem ich fonft zu meiner Linken zu fehen gewohnt war, donnerte heute wie ein pechfchwarzer ungeheurer Tintenfall von ber Felswand herunter, Taufende von Felsblöden und Steinen im Stürzen mit fich reißend; das war ein marferfchütternd müfter Anblid. Das Klatjchen des Wolkenbruchs auf unfrem Schieferdache und das Toben de3 Orkans hatte felbt diefes unaufhörliche Krachen und Brüllen des raſend gewordnen Waſſers übertäubt. Wir ftanden beide fprachlos vor dieſer unglaublichen Machtentfaltung des ent⸗ feffelten Elements.
„Sell ift graufig!" war des Tirolers einzige Kritik.
Es gab nur zwei Möglichkeiten, falls wir nicht nach Almora zurückgehn und dort daB Ende der Regenzeit erwarten wollten: ent: weder den Weg nad) Almora ſüdwärts bis zu der Wegteilung bei Kaplot zuräcdzumarfchieren und von dort längs des Gori dem Hirten- fteige nah Milam zu folgen ober unterhalb der Schneegrenze, aber in möglichft direkter öftlicher Richtung die Höhenzüge zwifchen den Steomgebieten de3 Pindar und des Gori zu überqueren; der Schikar hatte mir vertraut, daß leßteres in der guten Jahreszeit hie und da von Fühnen Jägern verfucht würde, aber jelbft dann als ein ver- zweifeltes Unternehmen betrachtet würde.
Der Reiz eines folchen Uebergangs war für mich nicht gering; ich fühlte, daß eine derartige außergewöhnliche Anfpannung meinen verfumpfenden, erjchlafften Kräften wieder die gewohnte Federkraft geben würde.
„Hans, wir paden auf und gehen quer über die Berge nad Milam !"
„Sell wird eine unartige Arbeit!" entgegnete troden der Tiroler.
Zur Feier diejes Entfchluffes verdoppelte ich den üblichen Fleiſch⸗ extraftzufag zu unfrer Linfenfuppe, dazu brieten wir ein paar
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Schneehũhner, die der Schikar erlegt hatte, mit reichlichem Sped, und um dieſe unerhörte Schlemmerei vollſtändig zu machen, hackte ich einen leider etwas verfalznen Reispudding, der mir aud) ein wenig anbrannte.
„3a, wenn du nicht genug Schmuß hineintuft! Da muß doc eine unartige Maſſe Schmuß hinein, damit nir anbrennt!" belehrte mi eifrig mein Tiroler, indem er feine heimifche Bezeichnung „Schmus“ für „Schmalz“ gebrauchte; tief zerknirſcht gab ich zu, in den Pudding überhaupt gar feinen „Schmutz“ gethan zu haben.
Wir padten unfre verjchimmelten und beinah vermoderten Sachen zuſammen; hätten wir diefe nicht bei jeder Gelegenheit ges füftet und gefonnt, wären ſicherlich unſre Bergſchuhe und Kleider und Deden nur ein einziger Schimmelhaufen geweſen. Die wenigen photographifchen Platten, die ich nicht bis zum lebten Augenblick in ihren feftverlöteten Blechſchachteln gelafjen und nach der Auf- nahme wieder mit gleicher Vorſicht verpadt hatte, zeigten bereit3 nad einigen Tagen die merfwürdigften Wucherungen auf ihrer Gelatinefchicht, dem denkbar günftigften Nährboden für Bazillen und Schimmelkulturen. Diefe unſäglich mühvollen, allnächtlichen Arbeiten des Plattenwechſelns, Verpackens und Verlötens erwähne ich niemals ausdrücklich, um nicht damit zu ermüden; der geneigte Lejer möge mir aber glauben, daß folde aufregenden und heillen Arbeiten jedesmal die allergrößte Selbftüberwindung für einen fchlafbedürf- tigen Himalajareifenden bedeuten.
Nach dem Unwetter kamen friedlihere Tage. Sobald wir den Wildbach wieder überfpringen konnten, eilte ich mit dem Pfeifer, der, ohne Englifch zu können, fich eine ftaunenswerte Gefchiclichkeit im Enträtfeln meiner Wünfche angeeignet hatte, nach Martoli, um Träger nad) Kati zu werben. Eingedenf meines früheren Angebots zehnfachen Trägerlohns für die Begleitung über die Gletſcher ver- langten die ſchlauen Kerls jet das Gleiche für den Weg nad; Kati, doch fehrte ich ihmen, ohne ein Wort zu fprechen, den Rüden. Ich
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Mein Rulitroß beim Derlafien deb Furtia-Bungalo,
bewältigen follte. Ohne mid) umzufehn, ging ich zu unfrem Bungalo zurück, doch ſchon nad) zwei Stunden wimmelten etwa zwanzig hand- feſte Burſchen aus Martoli vor der Thüre herum, von denen ich ein halbes Dusend unfreundlich ausfehende abjonderte und Die übrigen als ausgewählte Leibgarde ſoweit wie möglich mit mir zu
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nehmen beichloß. Den Pfeifer, der mir die Hirten zugeführt hatte, ftellte ich in ihre Mitte, um das hier beigefügte Gruppenbild von meiner Bande aufzunehmen, ehe fich unſer Bug in Bewegung febte.
Die fünf Kulis aus Kati fchienen herzlich froh zu fein, daß ich den ftämmigeren Leuten aus Martoli den Vorzug gegeben hatte, | denn fie erflärten mir ebenfo wie der Schilar, daß ich unmöglich | in der Regenzeit Iebendig ducch die Dfchungeln nad) Milam kommen j fönnte.
„Wollen erft jehen, ob's wahr ift!" meinte auch hier feptiich der Tiroler.
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Boed, Indijche Gletfherfahrten. 13
Beuntes Kapifel. Durh die Berg-Dſchungeln.
18 war eine feltfame Empfindung, den Käfig zu verlafien, in P dem ich fo abfcheuliche Geduldsproben hatte durchmachen 9 müſſen, um nun einer offenbar auch nicht ſehr roſigen Zukunft entgegenzuwandern. Ich hatte bei unſrem Marſche nach dem Furkia- Bungalo ſchon grade genug von der fürchterlichen Wildheit der Kumaon · Urwälder und ihres Dſchungeldickichts geſehn, um bie Schwierigkeiten und Gefahren ihres Durchdringens in dieſer Jahres zeit ahnen zu können.
Schwere Nebelmafjen zogen uns thalaufwärts entgegen und verhülften die Umfchau, als wir die mir bereits befannte Weg- ftredte bis Kati hinunterftiegen. Die Verwüſtungen, die der jüngfte Wolkenbruch und das Wildwafjer in der Pindarfchlucht verübt hatten, waren fo grauenhaft, daß wir zu dem Bergabmarfche bis Kati, der unter gewöhnlichen Verhältniffen in wenigen Stunden zu machen ift, einen vollen Tag brauchten. Ich fand es durchaus er- Härlih, daß allein in der Himalajaprovinz Kumaon während jeder Regenzeit mehrere taufend Eingeborne bei dem Begehen der Berg- pfade das Leben verlieren follen.
Auch unjrem Trupp ftand ein fchmerzlicher Verluſt bevor. Vorforglich ließ ich an den gefährlichten Wegftellen das Gletjcherfeil des Tirolers durch ein paar Kulis feithalten, damit die Leute einen Halt finden konnten, wenn das Erdreich unter ihnen abrutfchte, und
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auf diefe Weife wurde mancher Unfall abgemwendet. Der Pfeifer: burfche, der ſich als Träger meines Apparates dicht bei mir zu halten pflegte, bemerkte an einer folchen Stelle, daß mir mein Blei- ftift entfiel und zwifchen den Geröllblöden des fteilen Ufers ver- ſchwand. Ohne ſich zu befinnen, feste er Hurtig den auf dem Kopf getragnen Apparaten: tofferniederund Hetterte dem Bleiſtift nad. Ich ſchalt und beichwor ihn, zurüchzubleiben, aber er lachte nur übermũtig und bückte ſich, um den Schreib⸗ fift zu erfaſſen. Im diefem Au- genblid Tamen die Steine, auf
denen er ftand,
ins Schieben,
die Bewegung
ern auf Das Burtiarsgunpuus, u w Seite; davar meine Träger. loſe zufam-
mengehäufte Nachbargeröll, und mit gefteigerter Schnelligkeit ſchoß und tollte die ganze Uferfeite in Taufenden von Steinen aller Größe in den Pindar hinunter, der dort in gewaltig jhäumenden Sprüngen von Stufe zu Stufe fiel. Wir jahen, wie der arme kleine Knirps ver- weifelt mit Händen und Füßen um fich griff, um dem unaufhaltfamen Steinrutſch und dem jchlieflichen tödlichen Sturz zu enttommen —
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vergebens! Kopfüber fchoß er in den Fluß! So fchnell es der lehmige, abgeſchwemmte Steig erlaubte, eilte ich an den Wafferjturz hinunter und vermwünfchte das Fehlen meines zuverläffigen Hafelnuß- bergſtocks. Bei diefer Gelegenheit möchte ich jedem künftigen Hima- lajareifenden nochmals die Mitnahme möglicht langer, ftarfer Alpen- ftöde aus Europa recht dringlich ans Herz legen; fein Eispidel Tann die Hebelfraft eines Iangen, feften Bergftodes beim Bewältigen der Wildwaſſer oder folher Berg und Steinrutfche erjegen.
Der Schikar kannte den Flußlauf ausgezeichnet. Er winkte mir, den Weg zu verlafien, und führte mich durch Difteln und Dornengefträpp hart an die faufenden Waflermafjen, die in eine teffelartige Ausbuchtung ftürzten, um nad) kurzem Lauf einen neuen Wafferfall zu bilden. In dem feichten Gifcht dieſes Keſſels war die rollende Stein- und Lehmmaffe zur Ruhe gelommen, und oben auf diefem wüften Haufen lag der Burfche, aus vielen Wunden blutend, aber doch noch lebend und atmend; Pulsadern waren nicht verlegt, und innerlich fhien er mit ein paar gebrochnen Rippen davongelommen zu fein. Ich ließ ein großes Tuch mit beiden Enden wie eine Hängematte an einen diden Baumſtamm binden und auf diefe Art den bedauernswerten Burfchen durch einige unbeladne Kulis aus Kati unter Aufficht des Schaufidars thal- abwärts in das Hofpital von Almora ſchaffen. In Almora kann nämlich jeder Menſch ſowohl von europäifchen wie indifchen Aerzten ganz vortreffliche Pflege bekommen, denn Almora ift engliſcher Garnifonsort und liegt keineswegs innerhalb bes Bereichs der Schneegebirge, wie mancher Indienreifender, der nicht weiter als bis nad) Almora vorzudringen vermochte, gern glauben machen möchte.
Bei den Hirten in Kati herrfchte die ganze Nacht hindurch eine Aufregung obnegleichen über unfren Vorſatz, oſtwärts vom Wege abſchwenken und über die Berge nach Milam gehn zu wollen. Es war rührend und abfchredend, uralte Krüppel aus ihren Hütten herauskriechen zu jehen, die mir im Bungalo zu Füßen fielen,
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den Saum meiner Joppe küßten und mich beſchworen, meinem Verlangen abzuftehn. Ich wurde wirklich etwas unfd als diefe doch unftreitig fehr erfahrnen Greife mir mit unzweidı Pantomimen zu verftehen gaben, daß wir allefamt Kinder des fein würden, wenn wir in diefer Jahreszeit durch die fieberdu Bergwälder wollten. Auch Hans wurde durch diefe eindrin Warnungen ftußig und betonte: „Sell ift fein leeres Gerede! diefe Leute mit aller Kraft unfre Kniee umklammerten un mimmernd zurückzuhalten verfuchten, als ich beim anbrec Morgen den entfcheidenden Schritt nach Often that.
„Umtehren kann ich ja immer noch!" fagte ich zu dem T Zum Glück fam uns nicht die entſetzliche alte Here in den W: ich hier früher photographiert hatte, fonft hätte ich doch nod beigegeben und Unglüct geahnt.
Zunädft gingen unfre fünfzehn Kulis zu ihrem erbärr Hindutempelchen, fehlachteten dort eine junge Ziege, für die ic Rupien bezahlen mußte, und fpristen ihr Blut auf das Steinbildnis der Todesgöttin Kali, der Gemahlin des furd Schima. Nach diefer Beſchwichtigung des göttlichen Blutdurft« ein alter Kuli an mich heran und bat demütig, mir ein paar abfchneiden zu dürfen; im Gefühl meines Ueberfluſſes gab ich Seitenftüct Delilas jogar mein fcharfes Federmeffer, um Operation zu erleichtern. Hans verweigerte dagegen jede traͤchtigung feiner Frifur, und fomit konnte der Mann nur fi ftatt achtzehn Haarbüfchelchen auf den Opferftein niederlegen fügte ex lächelnd ein Flöckchen Schafwolle hinzu; was der 2 mit diefer Zulage jagen wollte, konnte ich nicht ermitteln, dei Dolmetſcher fehlte ja jegt in meiner Truppe, ebenjo mein Schu der Schaufidar, der Ausfeger und der Pfeifer. Schließlich jeder Kuli einige Reiskörner auf den unfaubren Altar; aı glaubte, die Opferjpende durch einige Edelmeißblüten vermeh follen, die ih vom Hut nahm und zur fichtlichen Befrie
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meiner Kulis auf die Reisförner legte, und diefe tolerante Handlungs- weife fchien mir die Herzen der Kulis mit einem Schlag zu geroinnen. Etwa ein Dutzend wacklige Männer und Frauen hinten mit Weh— Hagen und Heulen hinter uns her, bis wir in den Bergwald ein- bogen; um einen guten Eindrud zu hinterlafjen, teilte ich eine Handvoll Kupfermünzen unter die ärmlichften Weiber aus, doch mit Entrüftung warfen fie da8 Geld zu Boden und fchrieen:
„Rupie, Rupie!“; als ich mich aber am Waldrande umtehrte, fiſchten fie im Straßenſchmutz emfig nad) dem Kupfer herum.
Der Waldweg war zunächft in leiblich gangbarem Zuſtand und erſt kürzlich von einigen Leuten benugt worden. Ich frohlodte ſchon in der Voraußfegung, daß dies wohl durchgehends der Fall fein würde, denn mir lag daran, möglichjt bald nad) dem hochgelegnen Sommerhirtenplag Milam zu kommen, das ein geeignetes Stand: quartier zu fein fehien, um das Hochgebirge im Quellgebiete des Gori kennen zu lernen.
Zahllofe Bienen von nie gefehner Größe umſchwärmten uns und fielen wie verabredet über einen hagern Kuli her, der unter ihren Stichen bald zu einer ganz unförmlichen Figur anſchwoll. Der Scilar nahm fchleunigft eine geheimnisvolle braune Maſſe aus feiner mit weißem Fell bezognen Jagdtafche und ftopfte fie in feine kurze Tabakspfeife, dann ftectte er diefen Tabak in Brand. O, welch einen — der Lefer entfchuldige gütigft das allein zutreffende Wort — welch einen nieberträchtigen Geftanf verbreitete das Kraut dieſes Mannes! Es war wirklich ein Tabal, der nur auf den allerhöchiten Bergen geraucht werden konnte, ein echter Stinkadores Himalajae. Ich glaube, es giebt in den Apotheken eine Subftanz mit dem an— fprechenden Namen Teufelsdrect, doch wohl nur das Kräutlein dieſes Mannes durfte ein volles Recht auf diefen ausgewählten Namen beanfpruchen. Aber es half gegen die entjeglichen Bienen, und das war die Hauptfache! Wir alle atmeten erleichtert auf trob des hölliſchen Duftes.
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Der Schikar Hopfte ſchmunzelnd feine Zauberpfeife aus und blinzelte wie ein Luchs in den Büfchen herum; vol grimmiger Wut wies er mir dort die Spuren und Speiferefte riefiger Raubtiere, die
Pahhöhe bei Kati.
den Bewohnern von Kati ſchon jo manches Schäflein entriffen hatten. Für fo vollgeftopft mit Beſtien fchienen die Kulis die Umgebung Katis zu halten, daß der eine oder andre beftändig auf einem kupfernen Keffel herumpaufte, um die Tiere zu verjcheuchen, obgleich
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der Schilar verficherte, daß der Schritt zweier fo ſchwer beſchuhter Männer hierzu volllommen ausreiche.
Das Wetter war zwar ungemein ſchwul, wie vor einem Gemitter, aber doch Har genug, um beim Erreichen der Höhe des erften Berg- rũckens einen Weberblid zu gewinnen. Im Norden fahen wir wieder die prachtvollen Alpen, denen wir auf dem Schonjchal fo nahe ins Geficht gefehn hatten, nach Oſten aber ftand drohend ein waldiger Nücden dicht Hinter dem andren; es bedurfte nur eines flüchtigen Blicks duch das Fernrohr, um zu wiſſen, daß dort Wälder von unerhörter Wildheit auf uns harrten. Der Tiroler biß fih in die Lippen, daß fie bluteten.
Es ſchienen ſich im ganzen vier Hauptrüden von dem Gebirgs- Inoten, zu bem der Echonjchalgipfel gehört, nach Süden abzufpalten; auf dem erften diefer Höhenzüge ſtanden wir jet nach neunftündigem heißem Klettern.
„Wie mag e8 wohl in den Schluchten zwifchen diefen Rüden ausfehn, Hans?" fragte ich. Statt aller Antwort zog ber Tiroler die Mundwinfel nieder und zog die Achjel bis zur Höhe der Augen- brauen hinauf; Promenadenpfade ſchien er dort nicht zu erwarten.
Wir ftiegen zu ein paar armfeligen Hirtenhäufern herunter, die auf halber Höhe des Berges lagen und von dem Schifar Kondjchuli genannt wurden. Weder Menjch noch Vieh fchien in diefen Hütten zu haufen, doc) ftürgten bei unfrer Annäherung ein paar riefige Köter mit fürchterlihem Gelläff auf uns los; mit vielem Scharfblick wählten fie ji Hans und meine Wenigkeit zum Ziel ihrer Angriffe. Der Schikar hatte aber auch hier ein wohlriechendes Hausmittelchen an der Hand; er ftreute eine Handvoll Schieppulver auf einen alten Tuchfesen, den er dann den Hunden in den Weg legte. Durch ein geſchickt darauf geworfnes, glimmendes Stückhen Feuerſchwamm entzündete er da3 Pulver, fo daß die geblendeten Kläffer heulend den Rüdzug antraten.
Auf der andren Seite de3 Thales fahen wir einen ähnlichen
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Hirtenplatz, Mikila nannten ihn die Leute, nach dem wir nun hinüber- zulommen verfuchen mußten.
Nach kurzer Mittagsraft, bei der ich zum erftenmal ir Ronferventiften griff und daraus ein Paar Frankfurter Würftd Sauerkraut fpendierte, ftiegen wir auf einem ganz leidlich baren Pfade zur Thaljohle hinunter. Hier war für das ſchreiten des Bergftromes durch eine Ihola geforgt, das heif eine jener Seilbrüden, deren fehmwindelerregende Ungemütlid nur noch von den im Sifhim-Himalaja üblichen Jalangbrüde troffen gefunden habe. Im mejentlichen befteht eine ſolche aus einem dien, aus Yalhaaren und Schlingpflanzen oi Ranken der Rattangpalme zufammengedrehten Tau, das ho dem böchitmöglichen Wafferftande aus einem Baummipfel o einen Ufer in einen folhen auf dem andren gefpannt ift. Ar Tau baumelt mittel® Striden und einer Schlinge aus äl Flechtmaterial ein ftarker Bambuskorb, den der Infaffe dur halten des Taus und kräftiges Ziehen von einer Seite zur befördern muß, während Laften in diefem Korbe durch da feftigte dünnere Seile hinüber- und herübergegogen werden.
Hans erklärte jofort diefe „efelhaftige Bricke“ für zı ſchimpelt“, um ung beide, die wir viel gemichtiger al3 die f tigen Hirten waren, zu tragen. Allerdings fehienen die pfla Teile de3 Seilwerks fchon bedenklich morfch zu fein, da < Kulis guten Muts ihre Luftichiffahrt begannen, blieb uns übrig, als uns ebenfall® dem entjeglichen Korbe anzuvertra kann mich nicht erinnern, jemals eine unangenehmre Art vo begier empfunden zu haben, als beim Hinübergleiten meinei ftuhls, während das Tragtau fich unheimlich quietfchend ftrec dehnte. Wird es reißen oder nicht? Das war die inte Frage, die mich während diejer Haarfträubenden Gondelei befd Glüdlih auf der andren Seite angelangt, bildete ich mir ein, auf fchlaffem Seil über den Niagarafall getänzelt zu je
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Nerven mögen bei beiden VBergnügungen in gleich angenehme Schwingungen geraten.
Die Bewohner Mikilas hatten unfren Webergang bereit aus der Höhe bemerkt. Etwa fünfzig Hirten, die ſich Regendächer aus Bambusmatten über Kopf und Schultern geftülpt hatten, famen uns entgegen, um mich mit Erſtaunen und der erfreulichen Berficherung zu begrüßen, daß der bisherige, überhaupt kaum gangbare Steig in ihrem Dorfe fein Ende gefunden habe.
Der Regen hatte das Erdreich fo aufgeweicht, daß dad Auf: ftellen meines Zelts eine Thorheit gemwejen wäre. Der Ortsältefte machte kurzen Prozeß und nötigte drei Mädchen, die von ihnen bewohnte niedrige Hütte mir und dem Tiroler einzuräumen. Ich ließ die vordre gänzlich offne Seite, die Thür und Fenſter zur gleich vorftellte, mit unfren Kiften zubaun und verfuchte dann in aller Gemütlichkeit, eine Erbsſuppe in unfrer Höhle zu kochen; deutſche Erbswurſt hatte ich auf Hanſens Wunſch in beträchtlichen Mengen mit auf die Reife genommen.
Der Regen ließ gegen Abend etwas nad, und nun follten wir zum erjtenmal die Gaftfreundfchaft unverfälfchter Himalajabemohner genießen. Bon allen Seiten famen Männer, Knaben und mäßig oder gar nicht verfchleierte Mädchen herbei, um uns auf grünen Blättern Butterflümpchen und Honig, fomie ein Bambuskörbchen voll kartoffelähnlichen Wurzelfnollen und Bronzegefäße mit etwas Milch anzubieten, wofür aber niemand Bezahlung annehmen wollte; jeder geizte nur nach dem Vorzug, feine Leckerbiſſen anzubringen. Ich träufelte den Honig aus den Blatidütchen in eine Flaſche und erzielte fo mindeftens zwei Pfund diefes edlen Nahrungsmittels, ebenfo ftrich Hans gleihmütig die verfchiednen Butterſtücke in die leere Ronfervebüchfe; die lange emtbehrten Kartoffeln erhielten heute von und nur ein paar fehnfuchtsvolle Blicke, und dann rollten wir unfre Schlafdeden in dem Palaft der drei Grazien von Mikila aus- einander und verfuchten einzufchlafen.
©. 202-203. Mein Obdah in Mikila; davor ehn Getreide worfelnde Mäden.
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ein großer Keffel mit Kartoffeln über dem Feuer in unfrem jung- fräulichen Gemach. Hans verfchlang bereit3 die Kartoffeln während des Kochens mit den Augen, doch als ich vorfchlug: wir haben ja fo viel Butter, wir wollen die Kartoffeln ſchälen, in Stücke ſchneiden und al Bratkartoffeln röften, da beftand er darauf, feine Kartoffeln gleich aus der Schale zu eſſen, da ihm Bratkartoffeln das „Herz abzubrennen” pflegten. Ein folches Herzleiden wollte ich doch nicht verfchulden, denn das Herz ift immerhin eine Sache, die mit einiger Schonung behandelt jein will, felbft bei einem Tiroler Gletihermann.
Es hatten fich noch einige Leute zum Gepäcktragen bereit finden laſſen, fo daß Hans und ich unbeladen mitgehn konnten. Che wir aber aufbrachen, nahm ich, weil daS Wetter befjer geworden war, das Bild der drei Mädchen auf, im deren Behaufung wir zwar gelegen, aber recht erbärmlich gefchlafen Hatten. Sie waren grade beichäftigt, vor ihrem Schuppen Buchweizen zu reinigen und ftanden auf einer großen Bambusmatte, auf der fie das Getreide mit Schaufeln aus Bambusgeflecht in die Luft worfelten, jo daß die reinen Körner zu Boden fielen und der Wind Spreu und Staub davonblies.
Als wir eben abmarjchieren wollten, tauchte plöglich ein Kult auf, der uns ſchon vom Furkia-Bungalo 'aus nachgeftiegen war. Wir hatten dort einige abgelegte Stück Wäfche und ein paar leere Streich bolzbüchfen weggeworfen, und die hatte der glückliche Finder uns pflichtſchuldigſt bis hierher nachbringen zu mäffen geglaubt!
Die Leute in Mifila hatten nicht zu viel Hinfichtlich der hier beginnenden Weglofigkeit gejagt. Die Steigfpur, die einft über die Bergwand oftwärt3 beftanden zu haben fchien, mar inzwiſchen weg- geſchwemmt worden oder verwachfen, und jo mußten wir ohne jeden Pfab in dem wüſt zerträmmerten Bett eines Fluffes bergauf fteigen. Um darin vorwärts zu kommen, bedurfte e8 wiederholt gewaltiger Sprünge, und bei einer folchen Gelegenheit fragte ich Hans, ob die Felsnaſe, von der ich abzufpringen im Begriff ſtand, meine Laft wohl aus: halten könne.
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„Die hebt Ihnen!“ fchrie Hans.
Ich wollte abfpringen, doc) in demfelben Augenblide brach Felsblock unter mir ab, und ich ftürzte in das bergabfchießende Wa
„Jeſſes!“ fchrie der Tiroler, riß blißfchnell fein zufammengero Seil von der Schulter und warf mir das Ende nach. Das wäre lich alles umfonft und viel zu fpät geweſen, wenn ich nicht glückli— weiſe auf die außgebreiteten Aeſte eines Rhobodendronbaumes gefc wäre und mich dort frampfhaft feitgehalten hätte, während ber Zi mit meiner Belaftung tief in den Wafferfturz niedertauchte; als ich dem jedernden Gezweige wieder langſam emportauchte, hatte ſich ftattlicher Wafjerkäfer in meinem Vollbart verfangen. Eine ! letzung am Handgelenk machte es mir zugleich außerordentlich fchron in meiner nicht grabe gemütlichen Lage das Ende des Seils fo um meinen Körper zu binden, daß mich Hans daran in die £ ziehen konnte, doch fand ich während diejer zeitraubenden Vorgi Muße, die brennend roten und grell gelben Orchideen zu bewund die mafjenhaft in diefer Felsſchlucht wuchſen. Wie es fchien, h früher einmal neben dem Wafjerlauf ein Steig beitanden, der ı zurzeit durch Wolkenbrüche und Erdrutſche völlig davongefchwe: war, jo daß das Weiterkrareln neben dieſen brüllenden Waſſerfe über jede Vorftellung gefährlich blieb. Bis zur Paßhöhe mußten ſchließlich Tänger als eine Stunde Schritt für Schritt in dem ftein Wildbachwaſſer hinauffteigen, eine der härteften Arbeiten, die ic auf touriftifchem Gebiet geleiftet habe. Erſt gegen zwei Uhr ha wir die Paßhöhe erreicht, die mein Schilar Madhari Binneg nar
Es war feine beherrfchende Höhe, die wir erflommen hai auf allen Seiten ftiegen noch höhere Bergzüge auf, fo daß man vergeffen konnte, bereits auf einem hohen Firfte zu ftehen. Grade Weften ftand der Danfuriberg vor und, auf dem wir vor f Wochen in fürchterlichem Regen herumgeflettert waren. Heute ex wolkenlos da und mußte einen herrlichen Einblid in die Gri de3 Triful gewähren. . J
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Beim Niederftieg nach Often blies uns feuchtkalter Wind ſtoß— weiſe entgegen. Wir benußten abermals eine fteinige, fteile und weglofe Schlucht, in der wir wiederholt an jo glatten Felswänden hinunter Eletterten, daß ohne Hanſens Gletjcherfeil gar kein Fort- tommen möglich und folgenſchwere Unfälle nicht zu vermeiden geweſen wären,
„Ein wildes Ort!" meinte Hans kopfſchüttelnd einmal über das andre, als eine unheimliche Wegitelle auf die andre folgte. Das ärgerlichfte Ereignis während diefer mühfeligen Kletterei war der Abſturz eines Kulis, der ſich nicht nur dabei die Aniefcheibe zer— ſchlug, fondern zugleich feine Laft, eine Kifte mit Konferven, verlor. Ich hätte blutige Thränen weinen können, denn ich mußte, wie unerſetzlich und unentbehrlich grade diefe eßbaren Schäße für unfre Zukunft waren, und ein einziger Blick in die Difteln, die in doppelter Mannshöhe zwiſchen dem Bambusdidicht wuchſen, in das die Kifte hinuntergerollt war, verriet, daß fie für mich unauffindbar und endgültig verloren fei.
Doch auf ſolch einer Reife wechſelt Glück und Mißgeſchick mit erftaunlicher Schnelligkeit, und grade in diefen unerwarteten Zu— fälligkeiten liegt einer ihrer Hauptreige; man empfindet vollauf die Kraft und Wahrheit des Dichtermortes:
„Bann erft genieß ich meines Lebens recht, Wenn ich mir jeden Tag aufs neu’ erbeute! “
Doch id) muß nochmals. auf die „Futterkiſte“ zurückkommen, Bald nachdem fie in dem Wirrſal von Nefjeln, Bambus, Difteln und Steinblöden verſchwunden war, drang aus diefer Gegend ein menfch- licher Ruf an unfer Ohr. Der Schifar antwortete, und bald darauf ftiegen aus jener Gegend ein paar Hindus herauf, mit mächtigen Kränzen aus Bambusblättern um den Haarfchopf auf der Mitte ihres im übrigen glattrafierten Kopfes. Der eine mit feltiamem rotem Haar hielt einen Fellfaften in der Größe eines Kinderfarges unter dem Arm, und in der That trug der Mann die Leiche feines an
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der Eholera verftorbnen Kindes auf den Bergrüden, um fie dı der bei Kinderleichen von den Kumaonbewohnern ausgeübt: nicht zu verbrennen, fondern unter einem Baume auszuſetze Leute hatten glüclicherweife unfre Kiſte fallen und zur Ruhe fehen, und mit einem urfräftigen Jodler begrüßte Hans die auffindung diefer Proviantſchätze. Dann Hetterten wir über un Niefenbäume und verwidelte Wurzeln wieder langſam mobei das üppige Bambusgebüfh Schritt für Schritt niede werden mußte. Schließlich erreichten wir eine Lichtung a Waldbach, neben dem wir lagerten und uns von den un Strapazen erholten.
&3 war ein zwar jehr feuchtes, aber ungemein mı Pläschen. Grüne Papageien flogen zwitſchernd und fchnat den Zweigen der wilden Birn- und Aprifofenbäume uml es erforderte einen energifchen Entfchluß, die beſchwerliche Wi wieder aufzunehmen.
Unfren Kulis mußte ich meine vollfte Bewunderung 30 gefährlichen Stellen legten fie ihre langen Manteltücher gingen mit vollftändig entblößten Beinen ohne Zögern glatteften Steine, durch das wildeſte Dickicht. Dabei beh aber beftändig die geliebte Wafferpfeife in den vor der Bruft g Armen und thaten vor dem gefährlichften und entfcheidendei jedesmal ein paar kurze, heftige Züge. Mit wahrer Verw bemerkte ich zugleich, daß bei diefen Kufis in Kumaon Streit wegen der Verteilung ihrer doch oft recht verſchieden Laften entftand; wer für den ftärkten Mann galt, wählte | da3 gemichtigfte Stüc aus, und bei diefer Selbſteinſchätzu wirklich jeder die feinen Kräften gebührende Laft zu erhalte
Das Mark der ungeheuren Difteln mundete den Ku ausgezeichnet. Schade nur, daß das meitre Abfteigen d furchtbare Ueberwuchrung des Bodens mit folchen Difteln ganz unentwirrbaren Büſchen, Kräutern und Dornen «
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befchreiblih mühvoNle Tantalusarbeit wurde, die gar fein Ende nehmen wollte. Numdara-Dfehungel nannten die Kulis dieſe ent jegliche Wildnis, und jeder Schritt erforderte hier ein zeitraubendes Wegfchneiden von hemmenden Ranken. Den Numdarabah, einen Zufluß des Ram Ganga, zu überfchreiten, blieb ſchließlich fein andres Mittel übrig, als ein paar Bäume zu fällen und aus diefen eine angfterregende Brüde zu baun, für die Hanjens Seil al frag: mwürdiges Geländer dienen mußte.
Das Bambusdidicht wurde immer dichter, aber da keiner von uns groß genug war, um darüber hinwegzufehn, richteten fich Die Kulis nur nach dem Sonnenftande, um aus dem erftidend fchwülen Bambusdidicht, einem wahren Brutherde von Kobrafchlangen, einen Richtweg nach Often herauszuhaun.
Bier Stunden mwährte diejes buchjtäbliche Durchichneiden des Dſchungeldickichts, und ich bin überzeugt, daß feiner von uns den entfeßlichen Aufenthalt in diefem Gebiet noch einige weitre Stunden auszuhalten vermocht hätte. Von unten her war nämlich der Boden durch den kurzlich gefallnen Regen aufgeweicht und mit den fabel- bafteften Pflanzenwuchrungen durchſetzt, und von oben ftach die Sonne zum Unfinnigwerbden. Dide Wolfen von Bienen, Horniffen, Moskitos und giftigen Fliegen brummten und jummten und um die Ohren, während der Schilar ununterbrochen mit feinem langen Steden in die Bambusbüſche und Difteln und Brennefjeln, die weggeſchnitten werben follten, hineinſtocherte, um vorher die Schlangen und ähnliche Bewohner des unentwirrbaren, übelriechenden Moraft- bodens zu verjagen. Der Tiroler hielt die Lippen feft aufeinander- gepreßt und ſchloß gleich mir faft beftändig die Augen vor dem Widerfchein der Sonne und dem wiberlichen Inſeltengeſchwärme, das uns jo betäubend wie das Saufen und Zifchen von hundert geöffneten Dampffeffelventilen umſprühte.
Endlich kamen wir auf fahlere Stellen, von denen wir einen NRücblid auf die grauenhaft ſchöne Wildnis werfen konnten. Wie
2. 208-0, Rast zwischen Kati und Mikila. Im der Mitte fieht der Zeltträger, der eine Waſſerpfeiſe raucht.
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leicht und flott ging es jet über fteile Grashalden und mit ſpär— lichen Obftbäumen bewachſne Bergwieſen zu den Gartenhäufern von Chiemu hinunter! Hinter unfrem Rüden im Weften brauften die Wafferjtürze des Dſchilum Sirah, während zur Linken, alfo im Norden, fteile Felsklippen und die fehneeweißen Wände der Alpen- gipfel heruntergrüßten. Drüben aber, auf der öftlichen Thalmand lebten als winzige Buntte die Häufer von Namik unter dem fahlen Berg- rücken, der nun zu= nãchſt überftiegen werden mußte.
Der Schikar gab mirzuverjtehn, daß der Verſuch, über die ungeheuerliche Schlucht de3 aus der Tiefe herauf- donnernden Ram Ganga hinüber: zufommen wohl den Höhepunft der Mein Shitar. Gefahr für uns bilden würde. Ich ftelle diefen Jägersmann meinen lieben Lefern auf dem beigegebnen Bildchen vor, denn in der That leiſtete er Bewunderns⸗ wertes. Unabläffig hatte er fein kurzes Holgpfeifchen im Munde, das aus der Hinterlafjenfhaft des von ben Bären zerriſſnen Sport3- manne3 ftammte; fo anſpruchslos mar diefer unerſchrockne Mann, der ſchweigend und unermüdlich wahre Wunder an Mut und Ge ſchicklichkeit vollbrachte, daß er durd das Auffinden eines von mir
weggemworfnen, durchgeſchwitzten Lodenhutes und eines gleichwertigen Bet. Indiſce Gleiiterfahrten. 14
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Paares von Filgpantoffeln in einen förmlichen Glücksrauſch verſetzt wurde! Al er ſah, daß die braune Farbe des Hütleins auf feiner inneren Seite noch nicht von der indifchen Sonne gebleicht war, krempelte ex den Hut liebevoll um; fo oft ich dann fpäter meine „umgedrehte Behauptung" auf feinem befchopften Schädel erblidte, mußte ich felbft in den allerwidermärtigiten und gefähr- lichften Lagen unfrer Reife ein helles Gelächter anftimmen.
Drei Heine, ſchmutzige Hirtenhäufer und ein entſprechendes Tempelchen bildeten den Hirtenplatz Chiemu, doc) troß dieſer Dürftig- keit lag ein unbefchreiblicher Zauber über dem Landfchaftsbilde. Zu den Rhododendronbäumen hatten fich Birken gefellt, und die Schnee- felber des Ram Ganga-Göll, das heißt des Gletfchergebietes, aus dem der zu unfren Füßen tobende Ram Ganga feinen Urfprung erhielt, thronten in majejtätifcher Ruhe über den raufchenden Wipfeln.
Meine Kulis waren von diejes Tages Laft wie zerfchmettert und vermochten faum noch das Gepäd hin und her zu tragen, als ich den Zeltplag wegen des fußhohen Kotes bei den Hütten wieder- holt verlegen mußte. In den übelriechenden, niedrigen Häufern hauften nur vier oder fünf vertierte alte Hirten, die heilig beteuerten, daß jeder Steig über den Ram Ganga meggeriffen jei. Außerdem ſah ich noch einen Knaben und zwei vermwitterte Seren, gegen die meine früher abgebildeten aus Kati faum noch den Schönheitsrekord zu halten vermochten. Ich fträubte mich, ein jo gräßliches Durcheinander von Triefaugen, Runzeln, Warzen und Schmuß zu photographieren, aber als ich mich im Hinblid auf meinen Reiſezweck endlich dazu aufraffte, fträubte ſich ſogar mein Apparat. Unter dem Einfluß des unerhört rafchen Wechfels von Regen, feuchten Dünften und glühen- dem Sonnenfchein fchien felbjt meine treue Kamera das Photo: graphieren für unerträglich zu halten und die Arbeit einftellen zu wollen; die ineinandergefehobnen und jest verquollnen Stativbeine ließen ſich mit aller Kraft nicht mehr auseinanderziehn, und ebenjo- wenig vermochte ich die Deckel der in die Kamera eingejebten
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Kafjetten aufzuziehn, weil die in die Außenjeite diefer Dedel ein» gelafinen Notiztäfelchen aus Elfenbein ſich frummgezogen hatten. Diefe verwünfchten Plättchen, die vielleicht aus dem Zahn eines Elefanten ftammten, der einft die Himalajamälder durchtobt hatte, mußte ich erft forgfältig mit einem Glasſcherben glatt und eben fchaben, ehe ich wieder an photographifche Aufnahmen denken konnte.
Das einzige, was ic) von den Gaftgaben diefer faſt im Schmuß vergrabnen Hirten, diefen „unglaubwirdig greifigen Leiten“, annehmen wollte, waren winzige Kartoffeln, die mir auch heute als lang- entbehrte lukulliſche Leckerbiſſen erfchienen; ich benußte den in der Ronfervenbüchje aufbewahrten Reft Butter zum Braten diefer Erbäpfel und warf dann die leere Blechdofe zum Zelte hinaus. O, hätte ich das Tieber nicht gethan! Die ganze Nacht währte das ſich um diefe Büchfe entfpinnende Hitige Wortgefecht der „Waldmenfchen“, wie ein Senfationslüfterner diefe abgelegnen Bergbemwohner Kumaons gewiß taufen würde, bis die eine Here, deren fehlagfertige Finger- nägel wahren Adlerklauen glichen, fiegreich aus dem Kampfe her- vorging.
Die gute Dame fchien fich erfenntlich bezeigen zu wollen. Ur- plöglih riß fie am frühen Morgen den Zeltvorhang auf, grinfte mid an und warf mir, ehe ich mich noch von ihrem furchtbaren Anblid erholt hatte, einen einen, fehmierigen und betäubend nad) Moſchus riechenden Lederbeutel auf die Bettdecke. Dann fehte fie ſich auf das einzige leidlich trockne Fleckchen diefer furchtbaren Alpe, das ich mittels einiger Steine und Bretter vor meiner Zeltthüre hatte herrichten laſſen, lüftete dort mit beifpiellofer Unverfrorenheit ihr zerlumptes Jäckchen und fing an, fich gewiſſenhaft nach Inſekten umzufhaun, die ich bereitS den Vorzug gehabt hatte, im Zurfia- Bungalo fo gründlich Tennen zu lernen.
Der Tiroler hatte ſich währenddeſſen erhoben. Er ſteckte den Kopf aus dem Zelt, um fi) das Wetter anzufehn und erblickte das Teufelsweib, als fie grade ein Prachteremplar ihrer Mit-
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bewohner erhaſcht hatte und neben fich niederfegen wollte. Mit einem rieſigen Sage fprang Hans ergrimmt neben fie hin, padte fie am Kragen und fchleuderte den unholden Drachen zehn Schritt weit zurüd. Das war das Signal für die Hunde, die unfer Zelt während der Nacht unabläffig Inurrend umkreiſt hatten und fih nun auf den Tiroler ftürzten, der mit feinem mächtigen Alpenftod wacker auf die Beftien eindrofch; erſchreckt ftürzten die Kulis aus den Hütten, in denen fie vor dem Nachtregen Zuflucht gefunden hatten, und ſcheuchten die wütenden Köter zurüd.
Der Schikar nahm den Mofchusbeutel mit wichtiger Miene an fi und ſteckte ihn in feine Felltafche; feine ſechs englifchen Brocken und mein Bindoftanifcher Wörterfchag genügten nicht, den Zwed diefer duftigen Gabe zu enträtfeln; vierundzmanzig Stunden fpäter ſollte ich ihn fennen lernen!
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6. 2182-18, Notbrücke über die fälle des Ram Ganga. Lints oben hodt mein Ediitar.
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konnte, oder war e3 der entfebliche Gedanke, nun über diefe rafend gewordnen Sturzbäche ohne Brücke hinmwegfteigen zu follen?
Die Kulis legten vorfichtig ihre Laften zwiſchen den ungeheuren Felsblöcken nieder und fchlichen zwifchen den Büſchen davon. Der Schikar beruhigte mich pantomimifch über ihren Weggang, und ratlos blickte ich zuerft ihn, dann den Tiroler und fchließlich die donnernden Wafferftrudel an, die natürlich jede mündliche Verftändigung über: brüllten. Der Tiroler ftarrte mit feſt aufeinander gepreßten Lippen, die Hände in den Joppentafchen, auf das Tohumabohu und fchien vollftändig verfteinert zu fein. Der Schikar legte die Hand an den feitlich geſenkten Kopf und ſchloß dann, indem er auf un hindeutete, die Augen, um mir diefen fürchterlichen Ort als Nachtlager vor- zuftellen. In kurzem waren wir von dem fprühenden Waſſerſtaub durchnäßt, hatten aljo gar keinen Vorteil davon, daß der Regen nachgelaſſen hatte; auch die Sonnenftrahlen drangen nicht bis in diefe düftre, fteilmandige Schlucht, durch die feuchtfalte Windſtöße hin und ber jagten und mich bis aufs Mark erfälteten.
Nach dreiftündigem Warten kamen die Kulis endlich wieder zurüd. Sie brachten ſechs Bambusftämme mit, jeden etwa dreißig Meter lang, und banden dann Stride aus Schlinggewächſen an die Spige jedes Stamms. Mit Hilfe diefer Stricleitung ftellten fie einen Stamm am Ufer aufrecht hin, neigten ihn über, bis feine Spitze auf einem klotzigen Felsblod in der Mitte des Wafferfalls auflag und fo den uns zunächitliegenden Wafjerarm überbrüdte; neben den erſten Baum legten fie auf diefelbe Weife einen zweiten.
In dem wüſten Durcheinander des Uferhanges lagen Hunderte vom Sturm gefnicter oder angefaulter Baumftämme von ungeheurer Größe. Einen folchen fchleppten nun die hagren Gefellen mit Auf- bietung unglaublicher Gejchielichfeit aus dem Didicht und drüdten durch das ſchwere klobige Ende der Wurzel dieſes Baums die Bambus» ftämme feft gegen den darunter befindlichen Felsvorſprung. Dann trat der Heine Burfche in Thätigfeit, der bisher nichts weiter gethan
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hatte, als von Zeit zu Zeit an den aus der Hand gefeßten pfeifen der arbeitenden Kulis zu ſchmauchen; ob er den Tabat in halten jollte oder ob er nur heimlich nafchte, fonnte ich ik anfehn, weil er aber vor dem Abmarſch zerfleinertes Zu an die Kulis ausgeteilt hatte, das von ihnen jchleunigjt Tabakspfeifen geftopft worden war, durfte er doch wohl die al Entgelt zu ſich nehmen. ö
Der Hirtenbube hatte jet die nichts weniger als E Aufgabe, an ein Baftfeil feftgebunden, zu wiederholten Mal die Bambusftämme nach dem Felsblock hinüberzufriechen unt dorthin zu fchaffen; fehließlich baute er dort einen Pfeiler dara Auflegen eines dritten, dünneren Stammes, der als Geländer follte, und deſſen andre Ende mit einem Baftfeil an den Eichenknubben feitgebunden wurde.
An das Aufftellen des Zeltes war auf fo zerflüftetem natürlich nicht zu denken, und meine Kulis zogen es vor, Nacht wieder den entfeßlichen Weg nach Chiemu zurückzumache Schikar aber blieb bei mir zurüd, um durch ein fürchterlic mende3 Feuer wilde Tiere von unfrem Lager abzuhalten, r Hans und ich unter einem vorfpringenden Felsblock zu fchla| ſuchten. Das Krachen und Tofen der Wafjermaffen, jo grc & auch rafaunte, ftörte mich viel weniger als die Unzahl gı Kröten und Würmer und Käfer und Taufendfüße, die ihre Rechte an den Plat unter meinem Felſen geltend zu machen ver Die Nacht fchien dadurch endlos zu werden. Zu meinem Le beuteten die Kulis das Fehlen eines Kuliantreibers am ! Morgen gründlichjt aus und kamen erſt gegen Mittag zurüd
Nun mußte noch der andre Arm des Wafjerfalles in d geſchilderten mühvolfen Weife überbrückt werden. Als aud Notfteg endlich fertig war, erflärte Hans, daß eine folche , Brücke“ uns beide nicht zu tragen vermöcte, und er als £ mann mußte das wohl auch beurteilen können. Während i
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noch unfchlüffig zauderte, mein foftbares Leben dieſer jchwindel- erregenden Notbrücke anzuvertraun, drückte mir der Schikar den Moſchusbeutel, mit dem mich die Here am vorhergehenden Morgen bombardiert hatte, in die Hand und bedeutete mir, das fchmierige Sädchen in den Mund zu fteden und im Genuß diejer Nerven ftärfung den fehauderhaften Salto mortale zu wagen. Dann ftreute er etwas Tabak ins Wafjer und ein paar Reiskörner als Opfer für die Todesgöttin auf den Baumftumpf, die Kulis ſteuerten nad Kräften bei und Iuden mich durch Gejten ein, mich in gleicher Weife der Huld der Kali, oder wie fie hier als Göttin der Berge genannt wurde, der Parbati, zu empfehlen.
Da man es mit Damen niemals verderben darf, über- legte ich, ob ich nicht mein Glück bei der indijchen Göttin der Abwechslung halber einmal mit einem anſehnlichen Stüd Erbswurſt verfuchen folle. Hans aber, der unfren Erb3mwurftuorrat wie feinen Augapfel behütete, erhob gegen diefe frivole Galanterie Einſprache, und deshalb legte ich nur den Mofchusbeutel auf den Opferplag; dann taftete ich über die aalglatten feuchten Stämme. Die Bäume bogen fich unter meiner Laſt weit tiefer al3 bei den kleineren Kulis, die mit gräßlich verdrehten Augen förmlich darauf zu warten ſchienen, daß ich von den öligen Stämmen abrutfchen und in dem um mich herumfprigenden Waſſergiſcht für immer verſchwinden würde. Hans beobachtete das fefjelnde Schaufpiel mit finfter gerungelter Stirne, auf der ich deutlich las: Fällſt du hier rein, fo bift du verloren, und fein Gott könnte dir helfen! Ex felbft war Hug genug, inzwifchen feine ſchweren Schuhe auszuziehen, während ich mit meinen nägel- befchlagnen Bergſchuhen fortwährend den Halt auf dem fchlüpfrigen, runden Stamme verlor und die feite Ueberzeugung hatte, ich könne unmöglich glücklich über diefen Todesfteg kommen. Doch ſchließlich waren mir alle wohlbehalten auf der andren Seite bis auf ben Hirten, der mit feinem Buben in fein Schmußneft zurückkehrte, aber nicht vergaß, den Beutel mit ungereinigtem Moſchus von dem Opfer:
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platz wieder fort und mit ſich zu nehmen. Der Schikar ve mir, daß grade hier in der Umgegend zahlreiche Moſchusböc tkämen und daß das Pfund ihres ſtrengriechenden Drüſe je nach der Reinheit, mit drei- bis ſechshundert Rupien bezahlt
Auf der andren Seite kletterten wir in treppenförmi ffüfteten Felsſpalten aus der Schlucht und fanden nad) dreiftü Steigen einige Wegfpuren; meiterhin mar der obre Thalhang weiſe mit Mais, Bohnen, Tabak und Kartoffeln bepflanzt.
In dem Hirtenplag Namik, zu dem wir nach drei ı Stunden famen, verurfachte unſer Erfcheinen eine ungeheu: ftürzung; ich fah die Frauen, Mädchen und Kinder in fo Flucht aus den Häufern und in den nahen Wald rennen, ı ih der Teibhaftige Satan und der Tiroler mein Schwieg gervefen wäre oder umgefehrt.
Der Schikar verficherte mir, daß die meiften diefer Leu niemal3 einen weißen Mann gefehn hätten, fondern nur vom: fagen fennten; ich thäte am beften, ihn das Gerücht ausftre laſſen, daß ich ein Negierungsbeamter fei, wie folhe in: ſelbſt in die entlegenften Dörfer gefchiett werden, um zu befti wie viel Reis im Falle einer Hungersnot dorthin geſchickt ı müßte.
Es dauerte auch gar nicht lange, bis diefe Kriegsliſt Zunächſt führte mich der Padwari vor eine Scheune, in d paar Dußend verfiegelte Riefentörbe voll Getreide ftanden, die wegen der Mifernte aufgefpart wurden. Um mir aber einer drücklichen Eindruck recht dichter Bevölkerung zu ermeden, nun alles, was Beine hatte, zu dem Ortsvorſteher entboten, der Eingang zu meinem niedrigen Holzfchuppen bald von Mı verjperrt war. Man hatte uns dieſes Obdach bereitwillig einge denn auch hier wäre es ganz unmöglich geweſen, ein nicht verfu Blögchen für mein Zelt zu finden.
Die Leute breiteten Bambusmatten auf den Boden des Sch
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und überboten fich in Gefälligkeiten, um mir den Aufenthalt erträglich zu machen. Ich hätte ein großartiges Feltmahl aus all diefen ver- fchiednen Spenden von Mais, Hirfe, Reis und Mehlfpeifen zufammen- ftellen können, doch trieb mich ein menfchliches Rühren, die fupfernen Rieſenſchüſſeln, in die zunächſt die grünen Blattteller entleert wurden, meinen ausgehungerten fpindeldürren Kulis zulommen zu laſſen. Mit großer Wichtigthuerei wurde mir zu guter Lest noch etwas ganz beſonders Gutes, eine Schale voll Mehlbrei, gebracht, der mit Honig zufammengefotten war und der auch ganz gut geſchmeckt hätte, wenn man nur vorher die abgeftorbnen Bienenmaden aus den Honigwaben entfernt hätte. Die ausgehöhlten dicken Baumftamm- ſtücke, die mit zwei Löchern verfehn als Bienenkörbe dienten, ftanden in unmittelbarer Nähe unſres Schuppens, fo daß nicht nur Menfchen, fondern auch ebenfo aufgeregte Bienen vor meinem Wigwam herum: fummten.
Die Kulis aus Mikila kehrten von Namik nah Haufe zurüd, und aud der Schitar mußte fich zu feinem ungeheuchelten Bedauern ihnen anfchließen. Ex hatte fich einen Fuß gebrochen, überredete aber einen jüngeren Kollegen, mich bis in das Gorithal zu leiten und für Kulis zu forgen.
Es war erftaunlich, welche Wirfung e8 auf die Bewohner von Namik machte, als der Schikar ihnen meine Opfer an Edelweiß und Moſchus für die Göttin Parbati berichtete. Hatten mir bisher nur zitternde Jägerveteranen mit bewundernden Blicken Speifen im den Schuppen gebracht, jo gewann jetzt fogar das ſchöne Gefchlecht Zutraun zu einem fo brahminifch gefinnten Sahib, und die fauber geffeideten Mädchen, unter denen, wie man aus dem Bilde fieht, ſehr gefällige Erſcheinungen vorfamen, näherten fi) mit unbezwing- licher Neugier meinem Schuppen.
So müde ich mic) von den fürchterlihen Strapazen dieſes Tages, eines der aufregenditen meiner Himalajareife, auch fühlte, machte mir die Wißbegier diefer Hinduweibchen doch unfäglichen
©, 218-190, Birten und junge frauen in Damik; die Rafenringe find Ehezeichen, in der Eiſenſchale befindet ſich Honigkuchen.
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Spaß. Jeder Gegenjtand meiner Habe war für fie eine Quelle un- endlichen Staunens, und beſonders der Schnellkocher ſchien für die Heinen Hausfraun den Höhepunkt menfchlichen Erfindungsgeiftes zu bedeuten. Bon dem Schilar erfuhr ich, daß der große Nafenring diefer ländlichen Schönen nicht nur Schmuckſtück, fondern zugleich ein Zeichen fei, daß fie bereit3 vermählt feien; er entgegnete auf meine Frage, ob diefer Zierat denn nicht bei verfchiednen Hand- lungen recht hinderlich fei, daß fol ein Ring dem Gatten doch eine ganz unübertrefflihe Handhabe böte, feine Gemahlin bei etwaigen Meinungsverjchiedenheiten zu feiner Auffafjung hinüberzufeiten, und daß die Hindus ihren Frauen grade ſolche Ringe mit Vorliebe fchentten. Da der Burfche aber bei diefer mit vollendetem Geſchick durch Worte und Gebärden abgegebnen Erklärung verſchmitzt lachte, will ich zur Ehre indifcher Ehemänner: hoffen, daß er fih nur einen etwas feden Scherz erlaubt hat. Meines Wiſſens giebt es bei den Hindus über- haupt nur einen einzigen Willen im Haufe; die Frau kennt feine andre Lebensaufgabe, als die Stirn ihres Gatten zu glätten und für fein und feiner Kinder Gedeihen zu forgen, um nicht durch früh- zeitiges Verwitwen für die Verfäumnis diefer Pflichten geftraft zu werden. Die Hindufrau ſcheint mir ein wahrer Inbegriff holdfeliger Hingebung und zärtlicher Weiblichkeit demjenigen gegenüber zu fein, der fie zur Frau umd Mutter madte, und e3 fällt ihr nicht im Traume ein, je etwas andres fein zu wollen als das, wozu die Natur fie erfchuf; andrerjeits hält e8 aber auch jeder gefunde Hindu für feine Pflicht, bemeibt zu fein. Jemand, der es befjer haben wollte al3 andre Männer, würde als ein Scheufal gelten; man würde mit ihm die Rinder ſchrecken, wie bei una mit dem ‚chwarzen Mannt, und rufen: „Hu! hu! da kommt ein Yunggefelle!" Dei diefer Be— leuchtung der ehelichen Machtfrage fei noch angemerkt, daß in einem Hinduhaufe ſchon aus dem einfachen Grunde Pantoffeln nicht gut geſchwungen werden können, weil ſolche hübſch außerhalb des Haufes niebergeftellt bleiben müffen und die ſtreng brahminifche Hindufrau
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überhaupt gar feine Pantoffeln aus tierifchem Leder benußt, fondern, wo fie nicht barfuß gehn kann, Fußplatten aus Holz, die durch einen zwiſchen den beiden größten Zehen befeitigten Pflock mit- gefchleift werben.
Ich hatte bemerkt, daß die meiten Hindus eine unbefiegbare Angft vor dem Photographiertiwerden bezeigten. Mein Babu hatte mir diefe Furcht aus der weit verbreiteten Annahme erklärt, daß der, der das Bild eines andern Menfchen anfertige und mit fi) davon- träge, etwas von ber Seele des Abgebilbeten mitnähme; bei mohamme- danifchen Hindus fommt hierbei überdies noch ein Wort des Pro- pheten in Frage, das folche Abbildung verbietet.
Ich fuchte nach einer Lift, um den Leutchen diefe ftörende Angft zu benehmen. Als wirkfamftes Mittel bewährte es ſich, der ton- angebenden Perfon de3 Ortes das Bild auf der Einftellfcheibe zu zeigen und zu erflären, daß der Apparat weiter nichts als ein Spiegel fei, um die Größe der Leute zu meſſen. Das fchmeichelte ihrer Eitelfeit und verhinderte fie, jene fatale Armfündermiene auf- zufegen, die von dem Bewußtſein des Vhotographiertwerdens unzer⸗ trennlich zu ſein ſcheint.
Mit einbrechender Dunkelheit wurde auf dem Platze vor unſrem Schuppen ein mãchtiges Feuer aus dürrem Bambusrohr angezündet; trotz des beginnenden Regens war es bald von einer bunten Reihe von Hirten und jungen Frauen oder Mädchen umringt. Ich hockte mit dem Tiroler in dem niedrigen Schuppen, der nach dem Feuer zu völlig offen war und hörte dem Singſang zu, den uns die guten Leute unter Anführung eines Vorſängers und unter Begleitung einer fußlangen, wie einer Sanduhr geſtalteten Trommel darbrachten.
Anfänglich ſtanden hierbei alle Beteiligten ſtill, und die Mädchen ſahen ſittſam zur Erde. Dann faßten fie ſich gegenſeitig mit ver- ſchränkten Armen an und machten einen Heinen Schritt feitwärts, neigten dann ihren Körper zurück, fchritten darauf mit dem nun vorgefeßten Fuße weiter aus und zogen den andren Fuß nad; fo
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bewegten fie ſich unter beftändigem Singen und Trommeln mit i lebhaftrer Schnelligkeit um das Feuer. Nach Beendigung Tanzes traten zwei Heine Hirtenbübchen in den Kreis, um mit hölz Schwertern einen drolligen Scheinfampf auszuführen, während: ih die ganze Einwohnerfchaft von etwa hundert Perfonen un immer höher gejchürte Feuer gefellte, dem ſelbſt der ſtrömende ? nicht? anzuhaben vermochte.
Ein neuer Reigen begann, oder richtiger ein allgemeines wãrtsſchreiten und Schwingen des vorbren, hochgehobnen Fußes, der Tonfall de3 dazu gejungnen Liedes ſchien die Tänzer bald zu beraufchen. Das pechſchwarze Haar der Mädchen flatterte dunklen Augen glühten, und ihre riefigen Nafenringe bliten im W fcheine de3 Feuers, als der Reigen fich zu Beugungen und tenkungen des Körpers fteigerte; durch ihre vafende, hingebung: Tanzleidenjchaft endete das aufregende Schaufpiel für die Teiln: mit volltommner Erſchöpfung. Die Zufchauer ließen während die Wafjerpfeife kreiſen, und ihre harmloſe Fröhlichteit ftieg au Gipfel, als ein Kerl mit einer plumpen, ſchwarzen Holzmasi ſchien, der durch gräßliches Zähnegefletfch die Weiber erſchreckt mit noch fliegenden Pulfen und wogenden Bufen ganz aufgelöf Tanzaufregung um das Feuer ftanden oder hodten.
Indem fich der Mastenträger mit gutgefpielter Wut die 30 Kopf: und Barthaare ausriß, patjchte er in alle Regenpfützer trieb durch den umherfprigenden Schlamm die Verfammlung einander; feine Abficht war offenbar, mir zur Ruhe zu verh und deshalb belohnte ich diefen Künftler mit einem Haufen b ausgefochter Theeblätter und einigen ebenfalls weggeworfnen Streichholzſchachteln, die er ſich ausbat; hierdurch ſchien er ganz außerordentlich hoch bezahlt vorzukommen. Stundenlang ich noch das Tuten und Klingeln aus dem kleinen Tempel Namik, das die Götter der Berge ehren und zugleich die V des Waldes verfcheuchen follte; dann fchlief ich ein.
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Auf der Höhe des Bergrüdens, an dem Namik liegt, ftanden 3e fturmgerfeßte Bappeln, und bis zu diefen gab mir am nädjten rgen die gefamte Einwohnerſchaft Namiks vier Stunden lang das eite. Die guten Leutchen verfuchten, mir durch das Opfer einer ye und unzähliger Wollflocken, die fie in die Zweige de3 Baums der Paßhöhe hingen, eine glücliche Weiterreife zu fichern, und dem Gefühl, ganz unvergleichliche, nie erſchöpfend zu fchildernde drüdte in dem Ram Gangathale durchlebt zu haben, trennte ich mid) diefen prächtigen, genügfamen Menfchen, bei denen die Patriarchen: noch nicht zum Schäfermärchen geworben war; durch die Ver- ıng eines Dutzend Kerzen fchrieb ich meinen Namen gemifier: ‚en mit Stearingriffeln in ihre Herzen ein. Wie tief, ja fait voll, haben ſchon die an Kaftenzwang gebundnen altindijchen ‚ter die Poeſie empfunden, die die gemütvolle Zufriedenheit x weltabgejchiednen Bergbewohner umgiebt! Zum Beifpiel im taſchatakam:
Glückſelig, die auf Bergen wohnen, Wo noch im waldverwachſnen Neſt Der ungeſtörten Lieb ſich fronen, Hingebung ſich noch üben läßt!
Da ſprießen dichtverſchlungne Hecken, Dort ſchmiegt ſich blattreich Aſt an Aſt, Und wilde Rohrdickichte decken,
Vom Wind geſchaukelt, ſüße Raſt.
Die Schwierigkeiten, durch die erdrückend üppigen Urwälder über die nächftfolgenden, wüſten Schluchten hinwegzukommen darin einen Raſtplatz für die Nacht zu finden, fteigerten ſich nheimlicher Weife. Die Bergrücden wurden noch weſentlich höher, Felsthäler noch breiter und wilder, die Wälder noch dichter und ımpfter al3 zuvor, und die fpärlichen Hirtenpläge Talla Gwar Rulu waren nur ein paar längft verlafine und verfaulte, von yerndem Unkraut vollftändig überwachſne Schuppentrümmer, enen nicht ein einziges trocknes Plätschen zu finden war.
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Der geneigte Leſer wird es mir aber wohl Dank wiſſen, wenn ich die num folgenden acht Marſchtage, die wir bis zum Erreichen des Gorithales noch aufmwenden mußten, nicht mit gleicher Aus- führlichfeit behandle wie die bisherigen, denn es würde wirklich ermüden, diefes mir fehier endlos dünfende Auf und Nieder von Tag zu Tag ganz genau mit allen Einzelheiten zu fehildern. Jede Wegipur hörte ö ſchließlich in dem verſumpften wü⸗ ſten Wirrwarr die⸗ ſer Urwälder auf, in denen ſtrömen⸗ der, mit ſtechendem Sonnenſchein ab⸗ wechſelnder Regen eine unerträgliche
Sumpfluft, eine
faulige Waſch⸗
tüchenatmoſphäre erzeugte, und es blieb ein Wunder, daß in dieſer Fieber⸗
atmoſphäre weder
“ — Raß meiner aulis auf der Bahhöhe oberhalb Ramit; ‚Hans nod) ich der einige taugen.
Malaria erlagen.
Eine Plage, die bisher nur ganz vereinzelt aufgetreten war, ſchien aber hier wirklich das Maß unver thatjächlic nicht aufzu- zählenden Strapazen zum Ueberlaufen bringen zu follen. Die Blut- egel nämlich fuchten uns und natürlich ganz befonder3 die nadt- beinigen Kulis in diefen Sumpfgegenden in jo unerhörten Mafjen heim, daß die armen Kerle durch den Blutverluft und das beftändige ſchmerzhafte Abreißen der läjtigen Blutfauger aufs äußerfte erfchöpft
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wurden. Als fie nicht mehr fähig fehienen, die Kasfaden eins Bergwaſſers kurz vor Kuiri, wo ich neue Kulis zu erhalten hoffte, zu durchfchreiten, erinnerte ich mich zum Glüde meines Cognac fläſchchens und verfuchte, ihnen durch Aufopferung einiger Tropfen diefes Labſals für die zum Uebergang erforderlichen Augenblide auf die Beine zu helfen; zum Dank für meine Hilfsbereitſchaft mußte ich es aber erleben, daß dieje armfeligen Hindufchemen fich meigerten, aus meiner Flafche zu trinken, weil fie bereits von meinen unheiligen Europäerlippen berührt worden war! So matt fie waren, nahmen fie fi die Mühe, aus grünen Blättern Eleine Tütchen zu drehen, durch die ich ihnen das edle Getränk in den Mund hinein- trichtern mußte. In Kuiri brachen diefe Leute aber volljtändig zu- fammen. Der Padwari erklärte rundmweg, daß in feinem elenden Neft überhaupt Feine fünfzehn gefunden Leute mehr vorhanden jeien; wa3 von der Cholera verjchont geblieben fei, wäre vom Sumpf⸗ fieber ergriffen, und ich müffe zufehn, wie ich mit meinen bisherigen Leuten meiterfäme,
Als Reifender, der fih zu helfen weiß, zog ich ganz gelafien irgend einen Brief mit dem Siegel der indifchen Regierung aus meiner Brieftafche. Unfeligerweife hatte mir der Schupraffi beim Abſchied die allmächtige Purwana nicht zurückgegeben, doch unter kraftvoller Ausrufung des Worte Daf Purwana, das heißt Regierungspaß, hielt ich dem Padwari das Siegel unter die Augen. Der Schred über diefen englifch gefchriebnen Brief fuhr dem Manne fo in die Glieder, daß ex fortlief und ein paar Stunden fpäter mit einer Horde von kropf⸗ hälfigen alten Krüppeln antrat, wie ich fie in gleicher Scheußlichfeit noch nirgends in der Welt gefehen hatte, felbft nicht als Karikaturen in den „liegenden Blättern“. Er legte felber mit Hand an, unjre Laſten bis nach dem nächften in der Semgatfchlucht liegenden Dörfchen Polu zu fehleppen, von wo fie dann ähnliche Helden über Sai völlig thalaufwärt3 bis in das Gorithal weiterbeförderten.
Um einen Begriff von den ganz außergewöhnlichen Annehmlic-
feiten de3 Weges zwiſchen diejen Orten zu geben, ermähne ich nur, daß er faft durchweg aus einer holprigen, müften Treppe aus natürlichen, unbehauenen Felsftufen beftand, die aber unter manns- hohen Brennefjeln und wilden, übelriechendem Hanf volljtändig be— graben lagen. Auch darf ich nicht vergeffen, den fürchterlichen Auf- fchrei zu erwähnen, den ein Kleiner Kulibengel ausſtieß, al3 ich beim Ausgleiten von einer diefer bemooften, unfichtbaren Steinftufen mit der Hand bei einem Haar eine mehr als mannslange, grünliche Schlange ergriff, die ich für einen auf einem feitlichen hohen Fels— block liegenden Baumaſt gehalten hatte.
In Polu und Sai fand ich zu meiner Freude weſentlich beffre zweiſtöckige Häufer, deren untres Stockwerk gewöhnlich offen und auf der einen Seite als Webraum, auf der andren al3 Mühle ein- gerichtet war. An dem feftliegenden untren Mühlfteine ſaßen dort gewöhnlich zwei Weiber, die den obren Stein an fußlangen Hand» haben herumdrehten und das Getreide von Zeit zu Zeit durch ein in dem obren Mühlſteine befindliches Loch nachſchütteten. Ganz beſonders übertafchend waren aber die forgfältig ausgeführten alten Schniereien aus rotbraunem Holz an Fenftern und Thüren, bei denen niemals der Elefant als Gefimsträgermotiv fehlte. Ich habe Arbeiten von ähnlicher Ausführung wie in diefem weltfernen Dörfchen nur bei meiner letztjährigen Reife im Nepal-Himalaja gefunden.
Diefe ganze, in des Wortes buchftäblicher Bedeutung fehauder: haft ſchöne Wandrung von Kati im Pindarthale durch die Dſchungeln über die Zmifchengebirge bis in das Gorithal hatte mir thatfächlich alle jene fabelhaften und ungeheuerlichen Urmaldbilder entrollt, die ich im ftillen von diefer Himalajareife mit einem feltfamen Gemiſch von Sehnfucht und Bangen erwartet hatte und die mir auf begange- neren Hirtenfteigen ganz verſagt geblieben waren. Daß jeder Tag diefes Marfches an ernten Gefahren überreich war, wird wohl jeder Leſer ohne meine feierliche Verjicherung empfinden, und ich weiß nicht, ob mir der Tiroler ein befondres Kompliment machen wollte,
Boed, Indifhe Gleiſcherfahrten. 15
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als er beim Erreichen des Hirtenpfades im Gorithal wie erleichtert und mit Nahdrud ausrief:
„Was Sie derlitten haben, derleidet fo leicht fein andrer Stadt: berr, fein einiger! Wenn Sie nicht eine fo unendliche Natur hätten, tönnten Sie es gar nicht derleiden!“
Der gute Mann ahnte wohl nicht, was das Leben der „Stadt: heren" auch fonjt noch für Aufgaben mit fich bringen kann.
Elftes Kapitel. Eine Ueberraſchuug.
B: Lilam hatte ich endlich den lange erjehnten : 5 getroffen, der von Milam an längs de3 Gori bit So . N .
T unter nad) Almora zieht; glich er auch keinesw wohl unterhaltnen Saumpfade, jo war es doch für mich e Erlöfung und Wohlthat, endlich einmal wieder ordentlich a zu können, ohne, wie in der vorhergehenden Zeit, jeden € Vorwärtstommens widerftrebendem Boden abringen zu m
Lilam gehört zu einer ausgedehnten Ortsgemeinſchaf Munfchari, deren Häufergruppen unter verjchiednen Ei in Höhe von 6 bis 7000 Fuß (1900 bis 2300 m) an bei des Gori verftreut liegen. Von Almora bis hierher nad) ' tann der Weg längs des Gori allenfalls ſogar für Reitti— werben, wenngleich hierauf der Bergrutſche wegen niemalß 1. heit gezählt werden Tann.
Nur armfeliges und krankes Gefindel ließ fih an di der folid gebauten, einftöctigen Häufer fehen, denn wie erfannten, hielten ſich alle mohlhabenderen Einwohner 11250 Fuß (3424 m) hoch liegenden Sommerdorf Milan ich zu erreichen ftrebte.
In Munſchari herrſchte die Cholera noch in entjeglic während ich alle folgenden, höher liegenden Orte von ihr Die Beulenpeft dagegen, die in Kumaon nicht nur endemifi
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fondern hier fogar ihre eigentlichite Heimat zu haben fcheint, ift an feine Höhengrenze gebunden.
Während Hand im Bungalo zu Lilam, dem letzten Rafthaufe, das in diefer Richtung im Gebirge zur Verfügung fteht, die Exbs- fuppe Eochte, benutzte ich die entjeßliche Sonnenglut, um endlich einmal das Zelt, unfre Decken und Kleider gründlich zu trodnen, meil fie von der beftändigen Feuchtigkeit ſchon beinah verfault und auf: gelöft waren. Dann ſetzten wir uns bin und fuppten den Erböbrei, nachdem wir ein paar Scheiben „Zulami", Hanfens Leibfpeife, hinein- gefhnitten hatten. Unglüdlicherweije war diefe Salamimurft bie letzte ihres Stammes, denn einer der Hirtenhunde hatte unfren Salami- würften einen verzehrenden Beſuch abgeftattet, al ich die Würfte wegen ihres Schimmelüberzugs einen Augenblid unbeauffichtigt vor dem Bungalo in der Sonne liegen gelafjen hatte. Niemals kann einem Menfchen etwas weniger „Wurſt“ geweſen fein, al uns dies unrühmliche Ende der unfrigen; dem guten Hans ftanden beinah die Thränen in den Augen. Gewiß argmöhnte er, daß ohne Zulami nicht allzu viel aus den Bergbefteigungen werben könne, die ich zur Erlangung zuverläffiger Hochgebirgspanoramen zu machen beab- fichtigte.
Diejenigen Bewohner Lilams, die nicht an der Cholera darnieder- lagen, kamen zu unfrem Bungalo und verfuchten, mir den Berluft der Salamimürfte durch Geſchenke von ftattlichen grünen Gurken zu erfeßen, zu denen fie noch eine Zwiebel und eine Holzfchale voll faurer Milch Hinzufügten. Hans warf diefe nach feiner Meinung „kraftloſen“ Speifen zum Bungalo hinaus, während draußen ein fürchterfiches Gemitter feiner Erregung über die auf den Hund gefommnen Würfte einen ganz entprechenden Ausdrud gab. Das Donnergepolter wurde in der Nacht dur) das kaum meniger unheimlich) drohende und durchdringende Knattern, Zirpen und Qualen von Inſekten, Käfern, Eidechfen, Fröſchen und andren indiſchen Nachtmuſikanten erfolgreich abgelöft.
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Der Goribach hatte fich ein merkwürdig gefrümmtes Bett aus: gefrejien; mit Erftaunen ſah ich feine oft rechtwinkligen oder halbs kreisförmigen Windungen, als wir am nächſten, mwunderfchönen Morgen an fei- nem Ufer berg- aufftiegen. Eine
nichtsnutzige glatte und ge
länderloſe Schindelbrücke, wie ich deren nun ſchon ſo manche über⸗ ſchritten hatte, führte auf die andre Flußſeite;
Bürubuthia Pul nannten fie die Kulis.
Der Weg führte an einem prãchtigen, Tilti Gare genannten Wafferfall vor- über, deffen von Steg über die Gori.Ehluht. der Felswand ftürzendes Wafjer in Milliarden von fonnenvergoldeten Stäubchen zeriprühte. Auch hier waren die Felfen mit mühlfteingroßen ſchwarzen Bienenneftern überpflaftert, vor denen fogar ein maghalfiger Kerl an einem auf der Höhe von feinen Genofjen gehaltnen Baftfeil hin und her pendelte, um in einem Fellbeutel den Honig einzuheimfen.
Dann engten ungeheure Wände die Schlucht ein, in der fich
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der Gori unter beftändigen Windungen fürchterliche Felsthore gefrefien hatte. Sobald e8 dort das Geröll erlaubte, eilte ich mit dem Tiroler an den Goribach hinunter, weil mich deſſen hellgraues Waſſer höchſt vertrauenerwedend anmutete. Kein Weinkenner kann ein neues Fäplein für feinen Keller mit jo kritiſchem Amtsgeficht prüfen, wie wir ben erften Schluck dieſes Waſſers.
„Sell iſch gut!” jauchzte Hans, und „Est! Est!“ rief auch ich. Mit Mühe zwangen wir ung zur Enthaltfamfeit und gingen zunädjit noch ein Stündchen weiter thalauf, um am Ufer ein geeigneteres Pläschen zur Mittagsraft zu fuchen.
Während die Hirten in der wilden Schlucht an dem raufchenden Goriwaſſer zwifchen den Felsblöcken Schupattis buken, machte ich mic mit dem Tiroler daran, den Gorifluß auszutrinfen, denn für etwas andre hätte ein Beobachter unfer Thun unmöglich halten Tönnen. Den ganzen, mit unerhörter Ueberwindung fo viele Monate zurüd- geftauten Durft nach wirklich reinem frifchen Bergwaſſer ließen wir frei gewähren und füllten unfre Becher Mal um Mal. Die Kulis überfiel allmählich ein Grauen, al3 fie die Fluten ihres Gori jo unaufhaltſam in unfren Gurgeln verfehwinden fahn, und fie fürchteten gewiß, daß eine ſolche Wafferanfüllung nur mit unfrem Zerplagen endigen könne. Hans aber fchüttelte nur fein biedres Haupt, als ich endlich ſchüchtern fragte: „Hans, ich glaube, es ift wohl jet genug?" nachdem jeder ein paar Dutzend Lederbecher voll Gletſcherwaſſer nebjt etlichen Schupattibroten feinem ausgedörrten Innern einverleibt hatte. Unter Schupattis ftelle man ſich gütigft dünne Eierkuchen vor, bei deren Herftellung Eier, Milch und Butter vergefen wurden.
Der Weg zog fi) von diefem, wie es ſchien mit Vorliebe zum Lagern benugten und Zirkai Döl genannten Pla am rechten, aljo weftlichen Goriufer auf einer wilden natürlichen Felſentreppe in die Höhe und führte dann hoc) oben an der Felswand dahin. So fürchterlich waren die Verwüftungen, die diefer Weg hier in feiner ganzen Fortfegung bis zum Uebergang in die ebne Thaljohle des
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obren Gorilaufs durch Regen und Wilbwafferbrühe erlitten hatte, daß er jchließlich völlig aufgegeben und durch einen neuen Weg an
Ra am Gori-Gletſcherbaqch; vorn bädt ein Auli flache Ehupattisrote.
der linken Thaljeite erjegt werden mußte. Nur mer bereit die Folgen ähnlicher Wafjerkataftrophen in den Alpenländern aus eigner Anfhauung fennt, wird fi) eine zutreffende Vorftellung davon machen fönnen, mit was für Vorficht und Vejchwerden wir über
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diefe frifch abgeftürzten Erd- und Gejteinsmafjen hinwegturnen mußten, ehe wir die Fortfegung de3 Weges am andren Ende des Trümmerfelde3 erreichten.
Ich übergehe die ausführliche Schilderung der wechfelnden Fern: blide auf die allmählich deutlicher fichtbar werdenden Schneegipfel, die ſich bei den vielfältigen Windungen des Gori für Augenblide aufthaten. Der Lejer wird meine Sehnſucht nachempfinden können, aus diefem ungeheuren Thal endlich zu dem Urfprunge feines Er- zeugerd, das heißt dem bei Milam endigenden Milamgletfcher zu gelangen. Aber einige Stellen dieſes viertägigen Marfches muß id doch herausheben, der um fo erfrijchender wurde, je mehr wir uns der Grenze des Baumwuchſes näherten.
Bon Weften her ftrömte ein tobender Seitenbach in den Gori und hatte fürzlich den dort über das Wafjer führenden Steg mit fortgeriffen; Bogdiar nannten die Kulis diefe von den Karamanen fihtlic gern zum Lagern benußte Stelle. Ich wußte nun nicht, ob ich befjer thäte, durch das mehr als metertiefe wilde Waffer zu waten, oder der höflichen Einladung eines Kuli zu folgen, der mich auf feinen Schultern hindurchtragen wollte. Um trockne Kleider zu behalten, Hetterte ich auf den Rücken de3 ftrammen Burfchen, den aber in der Mitte des wie toll dahinſchießenden Waffers plötzlich der Bock zu ftoßen fehien, wenigſtens flog ich mit einem Male von feinen Schultern und wurde troß meines Widerjtandes einige Dugend Schritte von den Strudeln thalabwärts gemirbelt; ich fühlte, daß die Steine, an die ich fieß, eine reichhaltige Mufterfarte von allerlei blauen und gelben Flecken, auch wohl grünen, auf meinen Gliedern vorbereiteten, behielt aber doch Gemütsruhe genug, das Ende des Bergſtocks zu ermwifchen, mit dem Hans nach mir angelte.
Trogdem ich nur ein winziges Fläſchchen Cognac für Krankheit: fälle mitgenommen hatte, konnte id) e8 mir nach diefem eisfalten Bade doch nicht verfagen, den Tiroler einen Fräftigen Grog brauen zu lafjen, während ich in meine marmen Deden gemidelt in dem Zelt
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lag, da3 wir in der Thalmeitung bei Bogdiar aufichluge Schmunzeln, mit dem mein Petrus Hans den Grog gemiffend: foftete und mit Kennermiene bald mehr Zuder, dann etw Feuchtigkeit und fchließlich wieder einen gehörigen Schuß hineinfchüttete, ſchien fo tiefgefühlt ducch den Magen au Herzen aufzufteigen, daß ich mich förmlich drauf freute, bal einmal ins Wafjer zu fallen, um ihm Gelegenheit zur I fiicherei mit nachfolgender Kneipkur zu geben.
Schon am nächſten Tage wäre, wie man gleich fel wieder eine auserleſne Gelegenheit geweſen, mit dem Gletſ de3 Gori Belanntichaft zu machen.
Vor dem Lagerplatz Tibu verengten fich die Felswände Schlucht, der man von befannteren Alpenklüften etwa die I vergleichend zur Seite ftellen könnte, doch tobte das Waſ in viel gewaltigeren Mafjen unter hölliihem Echogebrüll vı zu Sturz. Weiter oberhalb jtrömte der Gori etwas ruhig immer noch reißend durch die dort etwas breiter auseinander Felswände.
Der junge Schilar, der zur Auffindung eines Zeltla, Zuge vorausgeeilt war, kam plöglich zurüdgefprungen unt mit entfeßten Gebärden, daß die ganze Fels wand mit dem | Stromes daran entlang führenden Wege glatt abgeftürzt n ein Weiterfommen gar nicht denkbar fei.
In der That war der aufgemauerte Weg urplöglic) und die frifchen Bruchflächen der abgefpaltnen Felswant die Ausdehnung dieſes furchtbaren Ereignifjes.
An dem andren etwa dreihundert Meter fernen Ende t bruches waren bereit ein Dutzend Männer an der Arbeit, wieder herzurichten. Bei gemauerer Prüfung ergab fich, bereit3 früher Baumftämme in die Fugen und Spalten der recht abfallenden Felswand geſteckt oder in hineingemeißel getrieben worden waren, fo daß man dieſe furchtbare Fels
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darüber gelegten Brettern hatte umgehen können. Der neue Fels fturz war vermutlich eine Folge des Gefrierens von Waſſer, das fi in vermitternden Riſſen in dem Felſen angefammelt hatte, denn das Thermometer war in ben legten Nächten bis unter den Null- punkt gefunfen. Jedenfalls zeigten ſich noch hinreichende Refte der früheren Vefeftigung, um hoffen zu können, diefen unfreiwilligen Aufenthalt nicht vier Wochen lag ausdehnen zu müflen, wie der erſchrockne Kuli zuerjt behauptet hatte. Daß ich mich fehließlich aber an diefen Felfen auf den wackligen Brettern bis zum andren Wegende entlang zu taften vermochte, ohne von dem Donnern des neben und unter mir gurgelnden Waſſerſchaums ſchwindlig zu werden, betrachte ich beinah al3 ein Wunder. Einen „armfelig wilden Ort” fchimpfte Hans diefe von den Kulis Sangtari genannte Felswand, die im Bilde freilich nur wenig von der thatfächlichen Furchtbarkeit des dort tofenden Gletſcherwaſſers erkennen läßt.
Diefer Aufenthalt gab mir endlich einmal einigermaßen genügende Muße, meine feit dem Marſch durch die Dſchungeln noch nicht ge- mechfelten photographifchen Platten zu verpaden. Mit Zornbeben murde ich dabei gewahr, daß mein Argwohn nur allzu berechtigt geweſen war, als ich da8 auffällige Zurückbleiben des Kulis, der mir mit dem Apparat jtet3 zur Seite fein follte, mit einem neu- gierigen Verfuch der Leute in Zufammenhang gebracht hatte, ihre braunen Näschen auch einmal in dieſe fo forgfältig und geheimnisvoll behandelten Kafjetten zu ſtecken.
„Die Leit werden doch nicht fo Eindrifch fein, e8 find ja doch alte Zeit!” hatte der vertrauenzfelige Tiroler auf alle meine Befürd- tungen entgegnet, und nun ſah ich, wie berechtigt meine Sorge gewejen war.
Ich merkte fofort an den nicht wieder genau gefchlofinen Schiebern, daß die Mehrzahl der photographifhen Erinnerungen an jenen wahrhaften Todesmarſch durch die Dſchungeln für immer verloren fei; gerettet waren nur die Platten in den zugequollnen
Notsteg längs der abgestürzten Sangtari-elswand, an der ſich zwei Aulis entlang taften,
Sie, Google
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Sauerampfer und Rhabarber oder mit Arbeiten in den Buchweizen⸗ feldern beſchäftigt und Hufchten bei unfrer Annäherung fehweigend, aber fo rafch fie nur laufen konnten, in ein feitlich fich öffnendes
Riltot; in der Ditte ein pflügender Hirt,
Thal, wo fie fi) Hinter ein paar Wacholderbüfchen verjtedtten, bis wir das legte Haus von Rilkot im Rücken hatten. Der Dorfältefte kam aber mit entjeßlich finftrem Geficht, eine Spindel in der Hand, hinter uns her geftiefelt, um nach meinem Begehren zu forſchen.
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Schmweigend hörte er die Auseinanderfegung des Schikars an und erwiderte auf die Bitte, mich mit neuen Kulis nad) Milam auszu- rüften, ftolz und rauh:
„Von bier an giebt e3 überhaupt feine Kulis mehr; Hier und in den nächſten Hirtenplägen wohnen nur wohlhabende Hirten und freie Männer, die feine Kuliarbeiten für andre verrichten !"
Das Hang wahrlich nicht erbaulich, doch gelang es mir, unfre Kulis aus Munfhari zu bewegen, mich wenigftens noch bis zu dem nächſten Dorfe Groß-Martoli zu begleiten, das natürlich nicht mit dem früher von mir befuchten Hirtenplatz Klein-Martoli am Pindar- gletſcher zu verwechſeln ijt. Ein Eleines flintes Mädchen mit wilden Locken und einem augerlefnen Schelmengefichtchen war während diefer Berhandlungen in der Richtung nad) Martoli zu vorausgelaufen, ohne daß ich das fonderlich beachtet hätte; bald follte fich zeigen, was die Kleine dort angeftiftet hatte.
Die grauen und mit winzigen Fenftern verfehenen Steinhäufer auf dem Hirtenplage Tola am linken Goriufer ließ ich vecht3 liegen und beeilte mich, nad) Martoli zu kommen, mo ich mein Zeltlager aufzufchlagen dachte. Nach dem ungefälligen, ja feindfeligen Be— nehmen des Padhans in Rilkot und der dortigen fcheuen Weiber machte ich mir um fo weniger Hoffnung auf einen gnädigen Empfang in Martoli, als ich mich der im Geologifchen Reichsamt in Kalkutta gehörten, überaus ungünftigen Schilderung von dem gefährlichen, Händelfüchtigen Charakter der hiefigen Eingebornen erinnerte,
Der Senior Affiftant Commiffioner in Almora hatte mich bereits über die verwicelten Grenzitreitigfeiten in dem hier beginnenden Bezirk genügend aufgeklärt, fo daß ich auf ſehr unliebfame Zufammen- ftöße gefaßt fein mußte. Daß die Bergbewohner feine fonderliche Angft vor mir, der ich nicht einmal ein Engländer war, zu haben brauchten, war mir ebenfo klar wie die Wahrjcheinlichkeit, daß Hier niemals ein Hahn nad mir frähen würde, falls mir irgend etwas zuftieße. Die Schluchten und Felfennefter können hier leicht unzu-
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gänglich gemacht werben, und außerdem hat diejes Gebiet für Indien feine fo große Bedeutung, um fich hier oben in den wilden Bergen um jede Kleinigkeit viel zu fümmern.
Die weißen, quarzhaltigen Kalkſteine, aus denen die Häufer von Groß-Martoli zufammengefügt find, flimmerten und blendeten im Sonnenglanz, als wir uns dem 11070 Fuß (3374 m) hoch liegenden Ort näherten. Bei den erjten Schuppen und ummauerten Höfen am Dorfeingang bemerkte ich ein gefchäftiges Hin- und Herrennen von allerlei Leuten und fagte zu Hans:
„Baffen Sie auf, das wird böfe; doch zuerſt will ich verfuchen, mit den Leuten in Güte fertig zu werden!"
ALS wir näher kamen, glaubte ich wirklich, Trommelgerafjel zu vernehmen und war wirklich außerordentlich auf den Eriegerifchen Anblick gefpannt, der mir bei der nächiten Wegbiegung bevorzuftehen ſchien; allerdings war es mir verbrieflich genug, beim Eintritt in das Herz der Himalajaberge fogleich mit Streit und Gemaltmaß- regeln zu thun zu befommen.
Wir bogen jest um die Drehung des Weges, und ein höchſt feltfames Bild, das allein die ſchwierige Reife hierher wert geweſen wäre, lag vor meinem Blick! Ich mußte nicht, wohin ich meine Augen zuerſt wenden follte.
Ein faft wolkenlos blauer Himmel wölbte ſich über einem herr- lichen Hochgebirgähintergrund, über edel geformten ſchneeweißen Gipfeln und teilen, feitlich davon auffteigenden Felsrüden. Die nahen niedrigen und ſchiefergedeckten Steinblodhütten des Dorfes aber wurden von einem buntjarbigen Volksgewimmel verbedt, das ganz andre Dinge als Mord und Gemwaltthätigkeiten im Sinne zu haben fchien.
Den Mittelpunkt der Gruppe bildeten drei auffallend ſchöne, träftig gewachine Mädchen in grellfarbigen, flitterbefeßten Kleidern mit riefigen Nafenringen und andren in der Sonne funfelnden Schmudjtüden. Zwei beturbante Männer in zarten gefärbten Ge-
2. 20-30, Mein Empfang in Gross-Martoli durd Musikanten und Tänzerinnen; letztere knieen. Im Hintergrunde der Szurdſe· Aund.
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wãndern begleiteten den lebhaften Willlommg auf großen Trommeln, während zu beiben fröhliche Männer und Knaben, teils Halb ı Mädchen den Eindruck ftudierten, ben biefer der Schwelle de3 innerften Himalaja auf miı bekennen, daß dieſes unfagbar überrajchende S der Befürchtungen, die ich in Bezug auf dieſ hatte, wie ein Freudenrauſch auf mic wirkte,
Die Sängerinnen tanzten eine jehr gefäll ſchritten vor und zurüd, näherten und entfern verlangenden, bald befcheiden und zaghaft 3 Blicken; dabei wurde der zuerjt recht zimperl liche Ton ihrer Lieder immer Iebhafter, wohlklin voller. Immer heftiger raffelten die Schellen Füßen der Mädchen, immer lauter und muntrer t dazu, während aus den Mienen aller Zufchar thuung leuchtete, daß mir diefe unerwartete Hı liche und von mir durchaus nicht verhohlne Fr ohnegleichen Tag in diefem ſorglos heitren un leben, das ſich mir hier unter Gottes Himmel Eintritt in das Alpenland Indiens durch Sarg As fehließlich die drei Frauenzimmerchen in geftellten Anwandlung jehnfüchtiger Liebesleiden breitend zu Boden knieten, und die Kleine wild die unfre Annäherung gemeldet hatte, beim ftrahlenden Mienen aus ihrem Verſteck hervors Saum meiner Joppe aus geripptem Sammet Kippen zu drüden, da wußte ich, daß ich fei hatte, hierher zu kommen, daß ich wirklich da weile: im Reiche der Schönheit und Freiheit, und noch dazu kunſtliebenden Menfchen.
Die Einwohner von Martoli wie aud) di
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liegenden Sommerbörfer Burfu, Bildſchu, Mapa und Milam find wohl⸗ habend genug, fich eigne Gelegenheitsdichter halten zu können, die die Aufgabe haben, jedes feftliche und fröhliche oder betrübende Ereignis durch den Mund der Ortsfängerinnen zu feiern. Sch habe auf meinen fpätren Indienreifen Gelegenheit gehabt, die berühmteften Bajaderen Indiens in Delhi und Gmwalior zu hören, fann aber nicht fagen, daß fie hinfichtlich des angebornen Ausdrudsvermögens diefe Gebirgsfünftlerinnen erreicht hätten.
Doch diefer Willlomm war nur das Vorfpiel! Umringt von gleichfalls in weiße Wollkfeider und fchneeweiße Turbane gehüllten ftattlihen Männern kam jest der Ortsvorfteher, der Padhan, die Dorfitraße entlang; Hirtenbuben mit eifernen und kupfernen Schalen voll Mehl, Salz, roten Pfefferſchoten, dickſchaligen Knadmandeln und Würfelhen aus Kokosnußkernfleiſch folgten dem würdigen Manne, der mir in einer feierlichen Anfprache, von ber ich leider auch nicht eine einzige Silbe veritand, all diefe ſchönen Sachen zu Füßen legen ließ. Ich weiß nicht, ob der Mann Gedanken Iefen konnte, jeden- falls raunte er nad) einem langen Bfi auf den Tiroler, der dieſe Herrlichleiten etwas auffällig über die Achfel anfah, einem kleinen Burſchen ein paar Worte ins Ohr, der darauf ins Dorf rannte und nad) wenigen Minuten mit einem hoch in der Hand geſchwungnen Ziegenſchenkel zurückkam.
Das kleine Mädel aus Rilkot ſchien begriffen und weitergemeldet zu haben, daß ich mit keinerlei gefährlichen Abſichten, ſondern nur mit dem Wunſche käme, Land und Leute kennen lernen zu wollen; den wahren Grund dieſer bezaubernd gaſtfreundlichen Aufnahme erfuhr ich jedoch erſt ein paar Tage ſpäter, und er beſtand darin, daß die Kleine erlauſcht und ausgeplaudert hatte, wie ich in Kati den Göttern der Berge mein Opfer an Edelweißblüten dargebracht hatte!
Jedenfalls glaubte ich, keine Holzpuppe ſein zu dürfen, ſondern ſchwang mich auf die wohlgeſetzte Anſprache des Padhans zu einer Erwidrung auf. Ich hatte zwar, unvorbereitet wie ich in dieſe
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Landesenge können fich der Griechen Völker nicht dichter zufammen- gedrängt haben al3 diefe Männer, die von Neugier zu brennen ſchienen, zu erfahren, was fich weiter vor meinem Zelte begeben würde. Einen Augenblid kam es mir vor, als fpielten wir beide, der Tiroler und ich, in unfrem ummauerten Hofraum die Senfationg- nummer in einem Zirfus, das borende Ränguruh oder ein ähnliches Schauftüd. Doc dann übermog wieder das Heroijche in diefem Nachtbilde, und ich bedauerte, bei Nacht nicht photographieren zu können; ganz nebenbei bemerkt, habe ich die Kunſt nächtlichen Blitz- lichtbildens bei meinen künftigen indifchen Reifen ebenfalls erfolgreich ausgeübt.
Angefichts diefer durchweg ftolzen, männlichen Gefichter und der würdevollen Art, die weißwollne Toga um Hüften, Schultern und Geficht zu ſchlagen, kam mir auf einmal der Gedanfe: Gradeſo müffen alte Römer ausgefehn Haben! Der Senat der Siebenhügeljtadt ſchien in Hlaffifcher Ruhe um mich gelagert, magijch beleuchtet von dem filbernen Monde und den roten Spiglichtern meines Lagerfeuers.
Ich fühlte mich noch in der Schuld des Padhans, der fich wieder, beforgt um mein Wohlergehn, in unfrer Arena eingefunden hatte. Ich war in meiner beften, übermütigften Laune und bot ihm mit tiefem Salam-Gruß eine unfrer Sonferventiften, die dev Tiroler nebft einer andren für mich in die Mitte des Hofes neben das Feuer geftellt hatte, zum Sigen an. Der Padhan kletterte auch fogleich mit großem Geſchick oben auf den Kiftendedel und fauerte jich, feine Wafferpfeife ſchmauchend, darauf nieder. Dann ergriff ih das Biegenbein und rief, zu der mäuschenftill ringsum figenden Korona gewendet, unter dem Eindruck Haffifcher Erinnerungen:
„Mitbürger, Freunde, Römer! Glaubt ihr, diefes Ziegenbein ijt mir gefchenft, ohne daß ich diefe ſchätzbare Gabe erwidern werde?“
Ein beifälliges Murmeln verfündete mir, daß die Leute von dem Gefühl durchdrungen waren, höchſt erfolgreich mit ihrem Ziegen- bein nad) irgend einer noch nicht recht kenntlichen Spedkeite geworfen
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zu haben. Ich durchwühlte alle in meine Beitandteile meines auf das allernötigite befd aber dort wirklich nicht gleich eine geeign machen.
Da erinnerte ich mich eines hübfchen zuf fpiegel3, den ich nicht mehr jonderlich brc Rafieren im Gebirge längit abgemwöhnt hatte dem Padhan, indem ich die hindoſtaniſcher Tochter hinzufügte, um ihm eine Kleine Al gradigen Galanterie beizubringen.
Wahrfcheinlich verftand der gute Padha nicht richtig, denn er blieb fühl bis ans Her frampfhaft an feiner Wafjerpfeife, jah m den Galerieen erhob fich ein bedrohliches W gewiß ift es hier nicht üblich, fich den wer haber zu Gnaden empfehlen zu laffen. M urfauftifchen Wandrung durch die indifcher auch jet ein ungemein pafjendes Citat ein mid hin:
„Na warte, du folljt mich hören ftärfer
Schon war ich im Begriff, ein ſchi Perlmutterſchalen, an dem nicht nur zahlreid ſonſt noch allerlei nüßliche Werkzeuge angebra folgen zu laſſen, als mir einfiel, daß ich, Verſchenken meiner Habfeligfeiten fortführe, viel auf dem Leibe behalten würde. ch war womit ich ſchließlich herausrüden follte, un Tafelrebner, der ums Wort gebeten hat, oh zu haben, wen er eigentlich hoch leben laſſen
Der Padhan ſchien inzwifchen feine liel pfeife zu haben. Der Schikar reichte ihm e den er in eine Echarte de3 mit einem rı
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Pfeifenkopfs einzuführen verfuchte, aber der ſtärker werdende Nacht: wind vereitelte immer wieder feine Bemühungen und blies den Span aus. Ohne mir etwas Beſondres dabei zu denken, zündete ich hilfs- bereit ein fogenanntes Sturmftreichholz an, von denen ich bei jeber Gebirgsreife einen anfehnlichen Vorrat mitzuführen pflege, und zeigte des Scherzes halber dem einflußreichen Herrn, nachdem ich feinen Tabak in Brand geſetzt hatte, daß fein Wind und feine Lunge bie Flamme eines folchen Streichholges auszublafen vermöchte, ja daß fie fogar um fo Iebhafter brenne, je ftärker geblafen würde.
Als ob ich durch dieſes Experiment das Ei des Kolumbus gelegt hätte, bemächtigte ſich der ehrenmwerten Verfammlung eine ungeheure Aufregung. Meine Römer hüpften von Dach zu Dach bis in meinen Hof ‚herunter, um fich diefe wunderbare Erfindung noch einmal in nächfter Nähe zeigen zu lafjen, und obgleich mir gar feine hervorragenden Anlagen zum Gejchäftsmann in die Wiege gelegt wurden, merkte ich doch fofort, daß ich mit diefen Streichhölzern in der Hand durch den ganzen Himalaja kommen könnte. Von diefem Augenblit an hatte für mich jedes meiner Sturmftreichhölger grade fo gut eine Art Heiligenfchein um das Köpfchen, wie jede” Erbs- oder Salamimurft für den Tiroler. Durch das Geſchenk eines Dutzends diefer Hölzer machte ich den Padhan, wie e8 jchien, zu dem beftbeneideten Manne des Dorfes Martoli, doch gebe ich mich der Befürchtung hin, daß er die Streichhölger noch in derjelben Nacht durchprobiert hat, wie e3 jener befannte Offiziersburfche that.
Der Ruf meiner fturmfichren Künſte ſchien mir vorauszueilen. An den hübſch aus rotem Holz gefchnigten Thürpfoften der rauhen, finftren Steinhütten in den nächſten Dörfern, in Burfu, Mapa und Bildſchu ftanden am nächſten Tage die Einwohner mit gefpannter Neugier auf der Lauer und fchienen anzunehmen, daß ih nur in den Himalaja gepilgert fei, um ihnen am hellen Tage einen Streich- hölzer⸗Fackelzug darzubringen. Ich hielt mich im dieſen Neftern jedoch weder mit dem Abbrennen ſolchen Salonfeuerwerks auf, noch
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Anölffes Kapitel. Der höchſte Weideplag im Rumaon-Himalaja.
it Abzug der je vier Stunden erforbernden Heinen Abjtecher in die Seitenthäler des Lival Gadh und Panſchu dauerte unfer Marfch von Martoli nach Milam volle acht Stunden, fo daß ich erft in ſinkender Nacht dicht unterhalb Milams auf einer Rani Koti genannten Stelle an einem mächtigen Sandhügel mein Zelt auffchlagen konnte. Die vor den Schafhürben und Häuferftaffeln von Milam lodernden Feuerreihen erhellten jelbft unfren Lagerplaß ein wenig, gleichzeitig aber verurfachte das Gekläff der dort oben über unfre Anmwefenheit jchier rafend werdenden Hunde einen jo gräß- lichen und unaufhörlihen Nachtlärm, daß ich trotz der fechzehn ſchweren Marjchftunden fein Auge zuthun konnte.
Erſt am nächjten Morgen bemerkte ich, daß wir unvorfichtiger- weiſe in nächfter Nähe des BZufammenfluffes des vom Utadurha- gletjcher kommenden gelblichweißen Dung Pam und des aus dem Milamgletfcher firdmenden hellgrauen Gori genächtigt hatten; wäre ein ſchwerer Regen oder zufällig gar ein Wolfenbruch niedergegangen, fo hätten wir die denkbar günftigfte Stelle zum Weggefchwemmt- werden gehabt.
Bei Erwähnung des Namens Dung Pani möchte ich der außer- ordentlichen Schwierigkeit gedenfen, die meiner Berftändigung mit den Eingebornen hinfichtlich der Berg: und Flußbezeichnungen entgegen= ftand. Jeder Hirt oder Jäger im Himalaja fennt gewöhnlich nur Die
©. 246-47. Der Birtenplat; Milam. Mein Zeit Rept in der Mitte, was recht
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allernächfte Umgebung feines Platzes und auch diefe nur, fo für feine Bedürfniſſe in Frage kommt. Für alle andren Gip Bergwäſſer, wenn fie ihm auch noch fo fehr ins Auge fallen zeigt er nicht ‘daS mindefte Intereſſe und kümmert fih n geringften um deren etwa vorhandne Namen. Aus den 2 Parhar Berg, Göll Gletfcher, Pani Wafjer und den Ausdrü die Farben wie für groß und Klein oder andre Eigenfchaften er zur Verftändigung mit feinen Dorfgenofjen ſchön vol Hingende und auch an und für fich recht bezeichnende Namı aber gewöhnlich feinerlei allgemeingültigen Wert für den Rı haben. So find mir wenigſtens zehn anjehnliche Bergwäſ dem gleichen Namen Dub Pani vorgeftellt worden, weil fi Gletſchern entfprungen, milchtrübe Farbe zeigten, denn Dud
nichts andre als Milch und Pani Waſſer. Ich erwähne
in diefen Schilderungen gar nicht erft die zahlreichen mir frag ericheinenden Namen folcher Art, um nicht etwa fünftigen R die ohnehin reichlich genug bemefinen Schwierigkeiten einer Hi reife noch zu vermehren.
Man hatte in Milam natürlich unfer Zeltlager bereits | fo daß ich bei unfrem Eintreffen auch dort mit allen Eh pfangen wurde. An der foliden Holgbrüde, die über den ( dem auf feiner Linken Seite liegenden Orte führte, jtanden di Dorfälteften und leiteten mich, wohl um mir einen guten ( von der bei ihnen erftrebten Bildung zu geben, durch eir mauerten Hof, in dem etwa ein Dußend Knaben im S unterrichtet wurden, Leider verftand der Herr Schulmeiftı Silbe Engliſch, aber ic) konnte doch herausbefommen, daß r geftatten wolle, mein Zelt in der Mitte des Ortes aufzuftell: ich fortging, um einen geeigneten Pla& dafür zu ermitteln, ber ich noch die Schreibübungen der Jungen. Sie tauchten mit Bambusrohrfedern in gelöfchten Kalt, den fie in einem bc Kokosnußfern neben ſich ſtehn Hatten, und jchrieben mil
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weißen Tinte auf dunkle Holzbrettchen. Ich legte mir bei dieſem Anblick die Frage vor, wann und wo die Bergvölker zuerſt darauf verfallen fein mögen, die wunderbaren Eigenfchaften des Kalls fo zu benugen. Daß die Einwohner von Milam ihre Kalkſteine aber auch vorzüglich zu Mörtel zu verarbeiten verjtanden, jah ich aus ihren forgfältig gemanerten und meiß abgepußten Häuschen. Lachenden Herzens ftellte ich mein Zelt auf einem leidlich ebnen Plässchen auf und fühlte mit unendlichem Behagen, nunmehr endlich an die richtige Schmiede gelommen zu fein.
Doc der blaue Himmel wurde bald wieder bewölkt, und noch immer trieb der Wind das Regengewölk aus ſüdweſtlicher Richtung thalaufwärts. Ich Hatte mich bereit3 in die tröftliche Hoffnung gewiegt, daß jebt, am 23. Auguft, die unfelige Regenzeit wenigſtens bier oben bereit3 zu Ende fein würde, und daß ich mich nun endlich nach Herzensluft auf den umliegenden fteilen Felshöhen bewegen könnte. Doch gleich in der erjten Nacht brach ein derartiger Platz- regen nieder, daß ich ſchon am nächiten Morgen den Padhan, wie man in der Bhotijafprache jenes Grenzbezirks den Ortsvorſteher ftatt Padwari nennt, um ein gefchüßteres Obdach erſuchen mußte, als es unfer Zelt.war, befonder8 auch, weil wir die ganze Nacht hindurch das zweifelhafte Vergnügen gehabt hatten, den unter dem Zeltvorhang hineinbellenden Kötern mit unfren Bergſtöcken auf die Nafen zu ſchlagen. Nach einer ſchier endlofen Beratung der an- gefehenften Einwohner wurden meine Sachen von übermütigen Hirtenbuben in einen an einer Geite teilmeije offnen Schuppen gefehleppt, der außer diefer Deffnung weder Fenfter noch Thür befaß, fo daß ich fortan buchftäblich von meinen vier oder genauer drei⸗ zweifünftel Wänden fprechen konnte. Der Bau mar mit Schiefer gedeckt, aber fo niedrig, daß ich darin nicht einmal ganz aufrecht figen, gejchweige denn aufftehn konnte. Wenn ich oder ber eben- falls jehr groß gewachſne Tiroler den Eingang benutzen mollte, mußten wir uns jedesmal fo tief büden, als ob wir wie Feine
Mein Obdah in Milam; davor die Dorfmufifanten und ein jpinnender Hirt,
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Bergſchuhe bereit anfingen, in die Brüche zu gehn; die unerhörten Anftürme der letzten Zeit waren denn doc zu heftig für fie gemefen. Hans fand den Fall um fo kritiſcher, als die Schuhe ein wahres Meifterwert eines Lienzer Schuhmachers geweſen waren. Meine Reſervebergſchuhe hatte ich aber bei unfrer Lumpenparade in Mun- fhari von Schimmel und Fäulnis angefreffen gefunden und als unbrauchbar weggeworfen; ich hatte von ihnen feinen andren Nuten als das Vergnügen, ein Rudel Hunde fi) eine Stunde lang um diefe Leckerbiſſen herumbalgen zu fehn, wobei ich diefen riefigen Beſtien, die mir überall den Schlaf wegbellten, von ganzem Herzen das Leibfchneiden gönnte, das fie vorausfichtlich durch die fcharf- Tantigen Schuhnägel erlitten haben werben.
Nun befand fi) zwar in Milam, mo manche Einwohner in Lederſandalen herumgingen, ein Schufter, der, wie alle Handwerker in Milam, zum allgemeinen Gebrauch angeftellt war, jedoch nicht mit Geld, fondern, ganz wie in einem fozialiftifchen Utopien, mit Lebensmitteln oder jonftigen Gegenleiftungen andrer Handmerfer bezahlt wurde. Der bievre Mann erflärte ganz offen, daß das Flicken eines derartigen Schuh über feine Kräfte ginge, und fo verfuchte ich mich denn mit Hilfe des Tiroler? und unter Anwendung eines Lochbohrers, gemachten Bindfadens und dünnen Drahtes in der Rolle eines Hans Sachs; wenn meine Flickſchuſterei auch nicht grade ſehr ſchön ausfah, jo war der Schuh doch wenigftens wieder zu.
Zum Glüd war mein Schifar anftellig genug, durch gute Worte und Hangvolle Verſprechungen ein Dugend ftrammer Burfchen dazu au bewegen, mich auf meinen Touren als Träger begleiten zu wollen ; fie ſchworen hoc) und teuer, daß fie dies nur aus Liebe zur Sache thun wollten, und wenn fie das Vierfache des fonft üblichen Träger- lohns annähmen, fo thäten fie das nur, um fich die verjäumte Zeit bezahlen zu lafjen. Mit gejpanntejter Sehnſucht wartete ich auf den erſten Haren Tag, an dem ich mit diefer Leibgarde einen Ausflug in die ringsum aufragende Hochgebirgswildnis wagen konnte.
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Eben hatte ih mit Hans unfer Mittagsmahl in Geftalt der geröfteten Ziegenkeule verfpeift, als ein ungeheurer Tumult im Dorf ein bedeutendes Ereignis verkündete. Alles lief haftig auf den Weg, der im nordöftlicher Richtung durch das Dung-Thal aus dem an- grenzenden Tibet herkommt; dort verſchwanden die Leute in einer Schlucht, deren Hintergrund, von Milam aus gefehn, durch den prachtvollen Schneegipfel gebildet wird, den das Bild von Milam zeigt. Auch ich ſchloß mich dem allgemeinen Auszuge an.
Von einem Hügel an der Thalbiegung follte ich jeßt ein Schau- fpiel erblicken, wie man es fich nicht leicht merfwürdiger denken Tann. Die Bewohner Milams, Männer, Greife und Kinder, rannten wie bejeffen einer nach Taufenden zählenden Schafherde entgegen, die als dichter, Eribbelnder Haufen aus der Dung-Schlucht heruntergeffettert am; gleichzeitig trommelten die Dorfmufifanten aus Leibeskräften, und die Sängerinnen jauchzten und plärrten. Das Zeltgerät hatten die Antömmlinge auf ungeheuren Yals oder Grunzochſen aufgepadt, die mit ihrem bis auf die Erde hängenden zottigen Haar, hoch- gewölbtem Rüden und tiefgejenktem Kopf die auffallendfte Tiergeftalt des tibetifchen Grenzgebirges abgeben.
Jedem diefer taufend Schafe, ja felbft den fie bewachenden Hunden hing ein ſtrotzender Doppelfad aus indigoblauer Wolle über den Rüden, der, wie ich mich fpäter überzeugte, mit rohem Rod) jalz gefüllt war; einige rot gefärbte Beutel enthielten Borar. Auf diefe Art ſchaffen nämlich die Tibeter nicht nur die Schäe, die fie an den Ufern der Salzjeen ihrer wenig fruchtbaren Heimat zufammen- fragen, über die Gletſcherpäſſe nach hochgelegnen Stapelplägen auf indiſchem Gebiet, wie zum Beifpiel Milam ein folcher ift, und bringen dann das für ihr Salz eingetaufchte Getreide auf gleiche Weiſe nach Haufe zurück, fondern ebenjo gehn aud) die Einwohner Milams mit Getreidefaramanen nad; Tibet und bringen dafür Salz zurüd; eine folche Heimkehr vollzog fi nun foeben. Wie ich jpäter erfuhr, werden für zwei Gemichtsteile Salz drei Gewichtsteile Gerfte
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gegeben nnd für jede Schaflaft dreizehn Seer gerechnet; demnach ent⸗ hält, da ein Seer foviel wie achtzig Aupienmünzen oder eiwa ein Kilogramm miegt, jeder Doppelſack fünfundzwanzig bis ſechsund⸗ zwanzig Pfund Salz.
Die Milambewohner, alt und jung, fuchten nun freudeftrahlend die ihnen gehörigen Schafe zu erhafchen, knüpften dem ftattlichjten Widder ihres Stalles jubelnd den Doppelſack ab, luden ihn über die eigne Schulter und nahmen dann rittlings auf dem fich gegen diefe Weberlaftung fteäubenden Hammel Platz, die Ohren als Zügel benugend; oftmals zuſammenknickend torfelten die poffierlichen Tierchen dann mit ihren ſacktragenden Reitern nach Milam hinein.
Unter den mit der Herde Antommenden befand ſich aud ein Hindu mit fpärlihem Schnurr- und Kinnbart in halb europäifcher Kleidung. Er trug eine gelbe Sammtjade, gerippte Beinkleider, die an den Knöcheln zugebunden waren, eine rote, fesähnliche Kappe und einen roten Shawl um bie Hüften. Auf dem nächiten Bilde fitt diefer Inder in andrer Tracht in der Mitte der Gruppe, eine Landkarte auf dem Knie haltend. Zu meiner unfagbaren Freude fand ich in ihm zwar nicht den erwarteten Babu, wohl aber deffen Onkel, der vortrefflich englifh fprah und ſich bald als ein Herr von un- gewöhnlicher Bildung offenbarte. Wie fich herausftellte, hatte ich es fogar mit einem fehr berühmten Manne zu thun, ber in den Jahren 1879 bis 1882 ganz auferordentlich erfolgreiche Forſchungs⸗ reifen quer durch Tibet bis zum Hoangho und nach Lhafa gemacht hatte.
Es ift nicht allgemein befannt, daß die englifchindifche Regierung ſchon im Jahr 1863 begonnen hat, zur Erforſchung der für Europäer verjchlofinen Himalajaländer Nepal und Butan und der an Indien grenzenden Teile von Tibet im geheimen wifjenfchaftlich ausgebildete Inder, fogenannte Pandits, auszufenden, die bei ihren Beobachtungen naturgemäß weniger gefährdet find als Europäer, die aber auch die Vorſicht gebrauchen mitffen, ihren wahren Namen auf den von ihnen
©. 252-583. Tibeter mit Grunjobs und mit Salz beladnem Padıschaf. Auf der Mauer im Hintergrunde fauert der Pandit Kriſchen Singh.
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herrührenden Karten und Berichten durch Buchſtaben zu verbergen; ſie entgehn dadurch leichter etwa gegen ſie geſchmiedeten Racheplänen und verſchließen ſich nicht eine Wiederaufnahme ihrer Forſchungsreiſen. Ich hätte es mir nicht träumen laſſen, grade hier als wahren Helfer in der Not, den Bandit A—E oder wie er wirk⸗ lich heißt, Krifchen Singh Milmmwal, anzutreffen, ber fogar den Ehren- titel Radſch Ba⸗ hadur führen darf. Unſre Freundſchaft be⸗ gann natürlich von ſeiner Seite ſehr zurückhal⸗ tend, bald aber hatte er Vertraun zu mir und In⸗ tereſſe für meine Abſichten gewon⸗ nen und bot mit gar nicht genug zu dankender Lie⸗ benswürdigkeit alles auf, um mir den Aufenthalt in Milam fo an: genehm zu machen, wie es in einem den üblichen Formen der Bivilifation fo fernliegenden Orte möglich war. Aber auch als Friedensſtifter trat er auf, um ernftliches Unheil von meinem Haupte abzuwenden, das des Tirolers Naivität eines ſchönen Morgens un- beabfihtigterweife heraufbeſchworen hatte; nämlich fo:
Mein Ziroler, vor ibm Ktiſchen Singh mit einer Sandlarte und der Padhan im Eafpelj, an einer Wafferpfelfe rauchend.
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Der Weg von unſrem Inn, wie man kurz unſer Abſteigequartier nannte, bis hinunter zum Gletſcherwaſſer des Gori war ſteil und zeitraubend. Hans aber, der auch die Aufgabe hatte, jeden Morgen von dort das für unſren Haushalt erforderliche Waſſer heraufzu—⸗ holen, hatte bereits am dritten Tage unſrer Anweſenheit ausfindig gemacht, daß die Frauen des Ortes bei Morgengraun mit rieſigen weithalſigen Kupferflaſchen ebenfalls regelmäßig zum Waſſerholen hinunterſtiegen, und glaubte, ſich den Gang abkürzen zu können. Ganz gemütlich trat er auf ein dralles Hirtenmädchen zu, das ihm mit einem gefüllten Krug auf dem Kopfe, ſchwer keuchend, entgegen- kam, und verfuchte dem über feinen unvermuteten und damals in der That etwas räubermäßigen Anbli gewiß nicht wenig erſchrocknen Mädchen verftändlich zu machen, ihm von ihrem Wafjerüberfluß ein wenig in fein Kochgeſchirr abzugießen. Diefe Abficht mißlang wohl ein wenig, denn Hanſens hindoftanifcher Sprachſchatz belief fich nur auf den Anruf: O Kuli! und die Vokabel für Waſſer Pani, die er ſich angeeignet hatte, um die Kulis ftatt feiner das nötige Waſſer in das Zeltlager fchaffen zu lafjen. Im übrigen befaß er aber eine erftaunliche Meifterjchaft, fich mittelft hehe! haha! und hm! hm! mit den Eingebornen zu verjtändigen; hihi und Huhu erinnre ich mich jedoch nicht, von ihm gehört zu haben.
Das weibliche Weſen ahnte wohl nicht, was Hans mit den flangvollen Silben he! he! meinte, oder verſtand feine ehrbaren Ab- fichten ganz falſch. Hans dagegen dachte mohl,. daß man zumeilen bei Damen am fchnellften zum Ziel kommt, wenn man keck und unverfroren auf fein Ziel losfteuert, und griff, ohne viel nußlofe Worte zu verfchwenden, nach dem Rieſenkruge, um ihr fein harm⸗ loſes Begehren klar zu machen.
Vielleiht kam er dabei ganz zufällig ihren meichen braunen Armen ein ganz klein wenig zu nahe, denn fie ließ entjeßt den Krug fallen, jo daß das Waſſer dem armen Hans um die Ohren fprigte, und lief, ſich verhülfend, fpornftreichs in ihre Hütte. Ich beobachtete
den Vorgang von der Höhe aus und jah plöglic alle Weiber, die grade vom ober zum Wafjer unterwegs waren, nach den verſchie⸗ denften Seiten Hals über Kopf dem Beifpiel ihrer fcheuen Genoffin folgen und eiligft außeinanderftieben, wobei manche auf dem fteilen Abhang ins Stolpern und Fallen kamen und fi) im Hinabrollen ebenjo wie ihre Krüge unaufhörlich überfchlugen.
Unter andren Verhältniffen hätte ich mich bei einem fo überaus komifchen Anblick vor Lachen wahrfcheinlich jelber überjchlagen, aber in diefem Falle ſchwante mir doch Unheil, als Hans wie ein be— gofjner Pudel in unfrem Hüttlein auftauchte und fich verdrießlich beflagte, daß das Weibsbild gar jo „heikel“ geweſen fei.
Es dauerte auch nicht lange, fo verfammelten fich die männlichen Einwohner Milams in fihtbarer Aufregung vor unfrer Behaufung; Hans ließ fich ſchlauerweiſe nicht blicken. Die Männer grolften und ſchimpften und tobten immer lauter. Der Aufruhr wurde wirklich jo geräufchvoll, daß ich einen ernftlichen Zufammenftoß für ganz unvermeidlich hielt. Zum Glüc erſchien der Pandit noch rechtzeitig genug, um zu Worte kommen und von der Mauer unfres Hofes aus der Berfammlung auseinanderfeßen zu können, daß wir beide ja nicht aus England, fondern aus einem ganz andren Lande jtammten, wo man gar feinen Begriff hätte, wie behutfam man mit indifchen Damen umgehen müßte. Die Hauptfchreier gaben fich freilich durch dieſe Erklärung noch nicht zufrieden, fondern brüllten weiter nach Rache.
Da fiel mir ein, daß das Gerücht von meiner windfejten Feuer: werferei ſchon aus Martoli bis nach Milam gedrungen war; ich erklärte mich bereit, zur Sühnung von Hanfens Vergehen fofort die ungeheure Anzahl von drei unauslöfchlichen Streihhölzern zum beiten zu geben. Einige von den Schreihälfen hielten diefen Vor— ſchlag allerdings für Hohn und verlangten erſt recht, daß wir ſofort aus Milam verfchmänden, aber die Neugier der Mehrzahl überwog ſchließlich. Ich ftieg alfo auf die Mauer und verſuchte aus Leibes- kräften, folch ein brennendes Streichholz auszublafen. Der negative
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Erfolg meiner Blasübung wirkte gradezu durchſchlagend. Die Mauer wurde förmlich geftürmt, und Dutzende von Pausbaden mühten fi bis zum Verften, das zweite Holz zu verlöfchen. Als dies felbft den ftrebfamften Jünglingen nicht glückte, war mein Triumph befiegelt; der frevelhafte Hand war vergeffen und meine glorreiche Hererei das Tagesgeſpräch. Ich ſchmiedete das Eifen, folange es heiß war, und exitand von einem begeifterten Zufchauer für ein winziges Schächtelchen meiner Zauberhölger eine feifte Ziege, deren Braten uns, wie ich hoffte, auf der nächſten Bergtour bei Kräften erhalten follte. —
Es war mir bereit8 in Martoli aufgefallen, daß fich in manchen der ummauerten Höfe Perfonen aufhielten, die bei unfrer Annäherung fofort in das Dunkel ihrer Hütte rannten, ehe ich fie noch deutlich erkennen konnte. Nur hörte ich manchmal außer dem lebhaften Flüſtern allerlei Töne mie leifes Kettenklirren aus den Käufern fallen; in den Höfen ſchienen die Entfliehenden meiftenteils eine lange, ſchmale Decke und ein paar meterlange Stäbe zurüdzulafien, über die ich in folgender Weife Aufklärung erlangte.
Im Lauf unſres Aufenthalts fteigerte ſich durch unfer wirklich mufterhaft ſittſames Betragen und Hanſens zur Schau getragne Neue das Vertraun der Weiblichkeit von Milam ſchließlich fo ſehr, daß das anfangs allgemein übliche Flüchten nach und nad) unter: blieb und ich allmählich die ſchöne Welt in den Gehöften bei ihren Hantierungen beobachten Tonnte.
Die Frauen der vornehmften und mwohlhabendften Bewohner Milams, die nicht gleich den geringeren Weibern das Haus verließen, um Waffer zu holen, oder in einer der zehn Heinen Wafjermühlen am Goriſtrom ihren Buchmweizen zu mahlen, oder dort in Steintrögen durch Herumtreten mit den Füßen die Wäfche zu waschen, legten zu Haufe nicht etwa die Hände in den Schoß, o nein, in den Schoß legten fie etwas ganz andres, nämlich ihren Webftuhl, deſſen ein- fache Bauart durch einen Bli auf das Bild fofort Har wird. Das darauf erzeugte bumtgeftreifte Wolltuch fpannten fie während des
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Webens nad) jedesmaligem Durchſtechen eines Stabes, der dem bei uns üblichen Weberjchiffchen entjpricht, mittels eines um den Leib gebundnen Ledergürtels feit an. "
Aber in was für einem Aufpuß ſaßen fie bei der Arbeit! Grade als ob fie zeigen wollten, daß die Koftbarkeiten diefer Welt nicht nur im Grünen Gewölbe in Dresden zufammengetragen feien, fondern daß ein ganz hübſches Teilchen davon an ihren Nafen, Füßen, Zehen, Fingern, Armen und Ohren hängen geblieben jei, von dem Halfe gar nicht zu fprechen, um den, abgejehn von einem Dutzend zier- licher Goldfettchen, noch ein ſchwerer, maſſiv goldner oder filberner Ring in der Größe eines Tonnenreifens zu hängen pflegte.
Doch was diejen zierlichen und gediegnen Schmuck erft zu blenden⸗ der Wirkung kommen ließ, das waren die Heidfamen, ſchönfarbigen Gewän- der der Damen. Die Milam-Schön- heit zum Beifpiel, die der Pandit nad) langem, geduldigem Werben Frauen-Ehmud dazu überredete, mie zu figen, und für Obr, Haar, Etirn, Naſe und Hals, deren ausdrucksvolle Züge ich meinen freundlichen Leſerinnen auf der nächſten Seite im Bilde vorftellen kann, trug eine purpurrote Sammt- jade und ein blaßgelbe3 Seibentuch mit eingewirkten grünen und roten Blümchen, das in äußerft kleidſamer Weife als Sonnenjchuß über Kopf, Naden und Schultern gelegt war. Während die Frau webte, ließ fie ſich von den Kindern der Dorfmufifanten mit Tanz, Gefang und Trommel: ſchlag ergögen; ihr eignes Söhnlein guckte mit aufgewickeltem Kopftuch der Arbeit feiner Frau Mama zu, die unvermeidliche Hula vauchend, indem er das befonders in Indien geltende Sprüchlein befolgte: „Für den Spaß iſt das Pläfter, für die Spägin find die Pflichten!"
Boed, Indijche Oletiherfabrten. 17
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Der feierliche Staatsbeſuch, den mir der Pandit nach der An- kunft feines Neffen Bala Singh, mit diefem von mir fehon fo lange erwarteten „Babu“, abjtattete, brachte mir eine bittre Enttäuſchung; nicht etwa, weil ſich die Herren ihre eignen Gläfer aus ihren Häufern holen ließen, um daraus meinen ihnen zum Willkomm angebotnen Cognac entgegenzunehmen, den fie ſelbſt al3 aufgeflärte Hindus nicht aus meinen Gefäßen trinken zu dürfen glaubten, aber der Babu war entweder zu verlegen oder, nun, ih will jagen, zu ungeübt, mir feine angeblichen Kenntniffe des Engliſchen irgendwie bemeifen zu fönnen. Bon einer Mitnahme diefes Gelehrten auf meine weitre Reife konnte fonach eine Rede fein; ferner verficherte mir der kürzlich aus Tibet zurückgekehrte Pandit, daß die Tibeter gedroht hätten, denjenigen Bhotijas die Köpfe abzufchlagen, die als Laftträger oder Begleiter irgend eines Europäers auf tibetijchem Gebiet betroffen würden, und ebenfo beftätigte er mir das Gerücht der räuberifchen Einfälle der Tibetaner nad) Garhwal. Es wäre alfo augenblictich volllommen unmöglich, durch Tibet in daS weſtlich gelegne Quellgebiet des Ganges hinüberzulommen, und ich müſſe deshalb von Milam wieder längs des Gori zurück nad Almora gehn und von dort über Naini Tal nad) Badrinath zu kommen ſuchen, das ich al3 den berühmteften Wallfahrtsort der Hindus im Himalaja befuchen wollte,
Denfelben Weg zurüct machen, den ich gefommen war? Nein, da3 wäre ganz gegen meine Gewohnheit geweſen. Ich war feit entjchlofien, das Aeußerſte zu verfuchen, damit mir ein fo wenig ehrenvoller Rückweg erjpart bliebe; allerdings Hatte ich noch feine ganz Mare Vorftellung davon, wie das möglich) gemacht werden könnte.
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Preizehnfes Kapitel. Befteigung des Pauſchakuri.
rdlich von Milam erhebt fi ein gewaltiger Felsrü Steilabjtürze nad Süden, alfo nad) Milam hir - erfteiglich ausfehn. Der Wejtabhang diefes Berge Milamgletfcher ſchien dagegen feine allzu großen Schwier bieten, und da mir, nad) forgfältiger Brifung der Umge andre Höhe eine jo umfaffende Ueberfchau der um d gletſcher gruppierten Gebirge verſprach, beſchloß ich die diefes vom Panditen Panſchakuri genannten Rückens, un aus ein Panorama der Rumaonalpen aufzunehmen.
Die Witterung hatte fi zwar in den Ießten Tagen gebefjert, aber „e3 hat halt immer noch nicht die rechte ' brummte der Tiroler tagtäglich, weil der Wind noch in aus dem allein jeligmachenden norböftlichen Himmelswinfe geruhte. Trotzdem wollten wir den Aufftieg verfuchen.
Zunächſt ging unfer Marſch von Milam in nor Richtung bis zu dem etwa zwei Kilometer fernen Eisthore d gletjchers, aus dem bei 11340 Fuß (3456 m) die £ Gori herausjtürzt. Dann ftiegen wir auf ber gewaltige des Gletſchers und auf feiner mit Geröll beſchütteten Ob: gleicher nordweitlicher Richtung weiter, als Thalſchluß wundervolle Schneepytamide des 23220 Fuß (7077
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Szurdſe Kund vor Augen, wie man aus der Abbildung ſieht, eine Hochgebirgserſcheinung allervornehmſter Art. Aus den Becken dieſes Berges ſchieben ſich die Eismaſſen zuſammen, die den etwa zwanzig
Der Ejurdfe Rund, vom Milam-Gleiſcher geſehn.
Kilometer langen Milamgletfcher bilden, den größten Gletſcher im zentralen Himalaja.
Wie die Karte zeigt, erhebt fi der Panſchakuri inmitten eines wahren Labyrinthes von Gletſchern und Hocgebirgsrüden. Eine anfchaulichere Vorftellung von dem Bau dieſes Gebirges wird ſich der Leer aber mit Hilfe des zufammenhängenden Panorama vor
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dem Titelblatte dieſes Werkes verſchaffen können, deſſen Aufnahme der eigentliche Zweck meiner Beſteigung des Panſchakuri war; wie ich bei dieſer Gelegenheit nochmals betonen möchte, war ich durchaus nicht mit der Abſicht, einen bergſteigeriſchen „Rekord“ zu ſchaffen, in das Himalajagebirge gegangen, wie es zum Beiſpiel der vor wenigen Jahren im weſtlichen Himalaja durch eine Lawine ver— unglücte Engländer Mummery beabſichtigt hatte; ich weiß ſehr wohl, daß ein folches Unternehmen ganz anders und nur unter Mitnahme einer Schar von Trägern aus den europäifchen Alpen ins Wert gefegt werden müßte!
Um dies Panorama richtig zu würdigen, muß der Beſchauer die Freundlichkeit haben, fich zu vergegenwärtigen, daß ich danach trachten mußte, für meinen Aufnahmeapparat einen Standpunft ausfindig zu machen, der außer den von dort aus fichtbaren umliegenden Gipfelzügen auch diefen Standort ſelbſt, das heißt den Panfchakuri- tüden und feine Lage als Wafjerfcheide zwifchen Gori und Dung Boni zur Anſchauung brachte; durch feine unmittelbare Nähe im Vordergrunde beeinträchtigt diefer gewaltig hervortretende Rücken aller- dings den Eindrucd der ungeheuren, jedoch ferner liegenden Höhen. Durch diefe Aufftellung vermochte ich aber gleichzeitig einerfeit3 den Niederblick aus der Vogelſchau in die Tiefe auf den zur Linken, faft ſũdöſtlich abfließenden primären Milamgletfcher mit feinen mejtlichen fefundären Seitengletfehern darzuftellen und andrerjeit3 den Einblick in die Thäler und Gletſcher, die im Often und Südoften zur Schlucht de3 Dung Pani und Utadurhagletjchers hinabziehn. Ich nahm wahr, daß, je höher hinauf ich den Standpunkt des Apparates auf diefem aus entjeßlich ſchroffem Kalkſchiefer beftehenden Rücken verlegte, Bauart und Zufammenhang des Gebirgsſtocks immer weniger zum Ausdruck gebracht werden fonnte, aber grade den Anblid des Milamgletſchers mit feinen von Weiten her einmündenden Zuflüffen betrachte ich für diejenigen als ungemein Iehrreich, die fich noch nicht aus eigner Anfchauung eines Gletſchers und durch eigne Erfahrung in
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den Alpen aus meinen Worten ein zutreffendes Bild dieſer nur umftändlich zu beſchreibenden Gebirgsverhältniſſe zuſammenzubaun vermögen. Ueberhaupt hoffe ich die Zuſtimmung meiner verehrten Leſer zu finden, wenn ich die Schilderung der Bergformen durch Worte möglichft knapp faſſe und dafür lieber meinen bildlichen Dar- ftellungen mehr Platz einräume. Ich brauche dann auch nicht fort- während den ſonſt üblichen aber mißlichen Weg einzufchlagen, Vergleiche mit befannteren Bergformen heranzuziehen, die naturgemäß immer binfen und doch nur den wenigen, die wirklich die angezognen Beifpiele ganz genau fennen und vor Augen haben, einigen Nuben zu bieten vermögen. Aus diefem Grunde habe ich fämtliche Photo: graphieen in diefem Werk auf die allein zuverläffige, wenn auch überaus beſchwerliche Weife, das heißt mit ſorgſam nivellierter Stativ- Kamera und mit Objefiven, die genau den menfchlichen Geſichts- winfel umfafjen, aufgenommen und nicht mittels eines der meit bequemeren, aber optijch oft verzeichnenden Handapparate.
Doc ich bin der Schilderung diefer Beſteigung durch den Hin- weiß auf ihr Ergebnis vorausgeeilt, und doch war dasfelbe nicht fo einfach und leicht zu erringen, wie es nach dem nun in aller Ge mãchlichkeit vor dem Lefer ausgebreiteten Bilde den Anſchein haben könnte; es darf nämlich nicht vergefjen werden, daß der Punkt, an dem meine Kamera ftand, die mittel Quedfilberbarometer gemefine Höhe von 17090 Fuß (5509 m) über dem Meere, aljo 5650 Fuß (1823 m) über dem Endpunkt de3 Milamgletfchers hat, der auf dem Bilde ſcheinbar jo nah iſt. Hierbei will ich anmerken, daß ich allen Höhenangaben durch Anerordbarometerablefungen, wenn fie nicht, nad) Freiheren von Richthofens Nat, auf drei Inſtrumenten gleichzeitig gemacht werden konnten, jo wenig Wert beilege, daB ich nicht fonderlich böfe war, al3 mein Aneroid, auf einem Zelsblod liegend, beim Zuſammenpacken eines Biwaks überfehn und vergefien wurde. Direkte Höhenmefjungen follten nur durch Queckjilberbarometer oder Siedepunktbeftimmungen de3 Waſſers bewirkt werben, obgleich
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letzteres die Krone aller Geduldsproben vorftellt und bei meinen Berfuchen, wohl wegen des mwärmeableitenden Wafjerbehälters aus Nickelmetall, faft niemals befriedigende Refultate ergab. Kenner werden wohl wiſſen, daß neuerdings ein von Oberft Watfins er- fundnes Mountain-Anerordbarometer in London (bei J. 3. Hicks) bergeftellt wird, das die ſchädliche plaftifche Nachwirkung des Ueber- tragungsmechanismus weſentlich aufheben „joll".
Die Schieferwände des Panſchakuri find jo überaus glatt und fteil, daß Schnee nur an einigen ebneren Stellen an diefem Rüden haften bleibt; dennoch habe ich zufällig auch diefen ganzen Fels- rücten als eine einzige eisgligernde Mafje gefehn, wie ich bald bei der Bejchreibung feiner Beſteigung erwähnen werde.
Als wir, den Milamgleticher verlaffend, über grasarme, fteile Wiefen am Panjchakuri aufftiegen, fand ich in etwa 15000 Fuß Höhe Dicht bei einer anfehnlicden Schneemulbe eine Löftlich mundende Quelle, von einem der Burſchen aus Milam Döldhar Pani genannt, wobei mir diefer Jungling zu verftehn gab, daß die Hirten in den vorher: gegangnen wärmren Wochen mit ihren Yaks und Kleinen Berg- pferden bis hier hinauf gemeibet hätten.
An diefem günftigen Plate flug ich mein Zelt auf, während Die Kulis fih in aller Eile aus Schieferplatten einen Windſchutz aufſchichteten; dann zerftreuten fie fich über die Halden, um dürren Pferdedünger als Brennmäterial zu fammeln. Da ich nach der Ueber- ſchau von Panſchakuri wieder nad) Milam zurüctehren wollte, hatte ich mein Gepäd in unfrem dortigen offnen Hüttchen ganz un: verwahrt zurückgelafjen, ohne auch nur einen Wächter dafür zu be Ttellen; fo fehr vertraute ich der Verficherung des Pandit Kifchen Singh, daß in Milam noch niemal® Raub oder Diebjtahl vor: gefommen jeien! Mit Verwunderung hatte ich bereits an den Häufern in Milam das Fehlen von Thürfchlöffern, ja häufig jogar felbft von Thüren an den Häufern bemerkt. Wie ich gleich hinzu— fügen will, brauchte ich mein Vertrauen nicht zu bereun.
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Ich hatte nicht mehr als ſieben Kulis und den Schikar und nur wenig Proviant für diefe Beiteigung mitgenommen, weil ic) glaubte, bereit3 nach wenigen Tagen wieder im Standquartier Milam zurüd fein zu Können. Ich hatte allerdings meine kürzlich ein- gehandelte Ziege mittreiben laſſen, um für alle Fälle vor dem Ber- hungern geſchützt zu fein, aber das Tier erwies fid) al3 ganz unglaub- lich bocbeinig und hinterliſtig. Willig folgte e8 dem Führer, bis das Leitfeil ganz fchlaff Hing, um dann urplöglich einen Verſuch zu machen, durch einen Bockſprung zu entwifchen und thalabwärts zu hüpfen; dann wieder ftemmte es ſich mit gefenkten Hörnern fo feit auf die Vorderbeine, daß alle freien Hände daran herumfchieben und zerren mußten, um den Rader im Schnedenfchritt vorwärts zu lotſen. Da ich nun aber nicht zum Ziehlampf mit eigenfinnigen Biegen nad) Indien gekommen war, überließ ich diefen langgehörnten Hemmſchuh ſchließlich feinem Schickſal. Künftigen Himalajareijenden Tann ich überhaupt das Mitnehmen von Schlachtvieh nur menig empfehlen: es hält auf, loct in der Nacht reißende Tiere in das Lager, und auch da3 Schlachten und Kochen wird auf dem Marid) im Hochgebirge zur Plage, und fchließlich wird dem Reifenden ganz friſch gefchlachtetes Fleifch bald ebenjo zumider wie Büchſenfleiſch; Hans mit feiner ftilen Liebe zu feiner Zulamiwurſt ſcheint ſich auf einem ganz gejchmadvollen Wege dem Ernährungsproblem auf folchen Reifen zu nähern, aber am beften ift der daran, der zeitweilig von Hirtenfoft zu Ieben vermag. Medernd blieb die erwähnte dumme Biege wohl eine Stunde lang ftehn, um unſrem Emporfteigen nad): zufhaun, dann verlor ich fie aus den Augen; nad) Milam ift fie, wie ich fpäter hörte, nicht zurückgekehrt, wird alfo wohl einem der Schneeleoparden, die hier oben den Mofchustieren, Thars oder fonjtigen Wildziegen nachitellen, zum Opfer gefallen jein. Auch wieder ein fetter Biſſen, der in eine faljche Kehle gefommen ift!
Den zufammengetragnen Dünger benußten die Kulis, die Fugen ihrer Windmauer zu verftopfen und das Feuer zu unterhalten, über
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den fie ihre Schupattifuchen baden mußten, denn der Strauchwuchs hatte bereit3 an der Moräne des Milamgletfchers fein Ende gefunden. Bor Kälte zitternd hodten fie händereibend um das Feuer herum, trogdem die Temperatur kaum den Gefrierpunft erreichte. Dann legten fie fich Dicht zufammen, in ihren dünnen wollnen Deden ge- widelt, hinter den Windfang, um die Nacht zu verfchlafen.
Der nächſte Tag brachte fo ungünftige Witterung, daß an den Weiterftieg nicht zu denken war; die Kulis verlangten ſtürmiſch nad Umkehr. Ich fagte mir aber, daß doch jet jeden Tag der end- gültige Windwechfel eintreten könne und mollte ben gewonnenen Vorſprung nicht wieder aufgeben. Ich behielt deshalb nur den Schikar und einen einzigen Kuli bei mir und ließ die andren mit dem Auftrag nad) Haufe gehn, bei einer Befjerung des Wetters Tofort hierher zurückzukehren.
An den beiden folgenden Tagen verfuchte ih, mir in den wüſten Schiefertrümmern etwas Bewegung zu machen und eine Strecke höher hinaufzufteigen, aber ſchauderhafte Gewitter mit Regen und Hagelfchlag jagten mich bald zurücd. Ich grämte mich nicht fehr Darüber, fondern beobachtete das Thermometer mit lachendem Herzen, und als ic) das Quedffilber unter den Gefrierpunft rutfchen fah, war mir ganz Mar, daß der Wetterwendepunft, das heißt der vegen- verjcheuchende, kalte Nordoftwind, im Anzuge fei.
Und richtig! Im der Nacht vom erſten zum zweiten September bemerkte ich, daß das Plätſchern des Regens auf der über mein Zelt gefnüpften Gummidecke nachließ und dafür ein ganz ſeltſames Kniſtern und Prafjeln vernehmlich war. Um zwei Uhr nachts fchaute ich aus dem Zelt, und mit einem wahren Jubelſchrei weckte ich den Tiroler. Flugs kam auch Hans herausgekrochen und fah fi, mit den Händen in den Tafchen, gelaffen im Kreife um; dann famen die inhalt jchweren Worte von feinen Lippen: „Jetzt fannfcht du gehen! Was wünſchen Sie, Kaffee oder Thee?“ Letzteres war nämlich feine regelmäßige Morgenfrage; den Kaffee durfte mir mein Mundkoch
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Hans machen, den Thee brühte ich aber lieber ſelbſt auf, weil andre es in dieſem Punkte gewöhnlich zu gut mit mir meinen und den Thee fo lange „ziehen laſſen“, bis alles aromatiſche Thein verduftet iſt und nur eine widerliche, ungeſunde Tanninbrühe übrig bleibt. Der Mond und die ungewohnten fühlichen Sternbilder leuchteten
auf ein ganz märchenhaftes Schaufpiel. Mir kam die ſchone Schilde⸗ rung der Mondnacht)] in) des altindiſchen Dichters "Hala Sapta- ſchatakam in den Sinn, die nad) Brunnhofers Ueberfegung lautet:
Stolz wie ein weißer Flamingo
Wandelt in filberner Pracht
Der Mond am fledenlofen Himmelsteiche der Nacht.
Kein Wölkchen trübt die Klarheit, Die Luft iſt göttlich rein,
Es ftrahlen die Sternenblumen Leuchtend ins All hinein!
Die Hochgebirgsriefen lagen noch in tiefem Schlaf und hatten dicke mollige Wolkenkappen über die Ohren ihrer ehrwürdigen, ſchnee⸗ weißen Häupter gezogen. Darüber aber war der Himmel ganz prächtig rein, doch ſchien er mir durch den Gegenſatz des blendenden Sternenlichts, das aber auffallend wenig flimmerte, die Farbe von tieffhmarzem Sammt zu haben, auf dem diefe Heerjcharen von Ge ftienen wie funfelnde Diamantgarben prangten.
Den befremblichften, übernatürlichiten Anbli aber boten bie Schieferfcherben und Felsblöde neben, über und unter unfrem Zelt: lager; wohin das Auge jah, da glänzte und gleißte der Rauhreif, der den am Abend vorher noch unheimlich ſchwärzlichgrauen Panfchakuri- rücken in einen Haufen von gligerndem, weißem Kryftallitaub ver- wandelt zu haben ſchien. Eine folche ganz unerwartete und volllommne Farbenveränderung einer Landſchaft gehört zu den nachhaltigſten Eindrüden, die de3 Alpenfteiger3 harren.
In Eife kochten wir eine Fräftige Erbswurſtſuppe, ich ſteckte
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ein Büchschen Sardinen, ein andres mit Rindszunge, etwas Schoko— lade und Biskuits in die Joppentaſchen, Hans hüllte den Zipfel unſrer letzten Salamiwurſt mit wehmütig zärtlichen Blicken in ſein Taſchentuch und ſchien dabei zu ſeufzen: Mein Freund, kannſt du nicht länger fein? Dann fügte er unſrem Proviant etwas Erbs- wurft und ein Dutzend Schupattis hinzu, die un- fer Schifar während der Aufbruch3vorbereitungen an dem Lagerfeuer aus Yaldünger geröftet hatte. So ausgerüftet, machte ich mic, auf den Weg und befahl dem Kuli, den Koffer mit der photo graphiſchen Kamera und den Raffetten aufzupacken und mir damit zu folgen. Der gute Jüngling fah mich mit Augen an, die aus dem Kopfe zu quellen drohten. Jetzt, Der boſe Gott Edima mit feiner Gemaslin Parbati; feine
. Qaut iR mit Ace befläubt, durd) feine Loden winden Rh um drei Uhr nachts, fange _Aobra-Scilangen. Im Gintergrunde ber fagenhafte Götteriöron
bevor noch die verehrte Nanda Devi. (Nat einem indifgen Gemälde.)
Sonne am Horizont emporgeftiegen war? Bebend Iallte er, er molle lieber auf jeden Verdienft verzichten, als fo freventlich den Nacht- gefpenftern in die Arme laufen. Wergerlich wollte ich die Laft des fonft gar nicht üblen Burſchen dem Schikar aufbürden, der aber wies eine fo unerhörte Zumutung mit Entrüftung von fich, erklärte ſtolz und zornig, er fei fein Kuli, fondern ein Jäger, und Außerdem wäre es ganz unmöglih, daß wir lebendig auf den eisſtarrenden Panſchakuri herauf oder von ihm herunterkämen.
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Beruhigend zeigte ich ihm die Steigeifen, das Seil, die Schneebrillen, die Hans in feinem Ruckſack zur Sicherheit der Kulis mitnähme; aber mit entfeßtem und geheimnisvollem Geſicht verfuchte er mir ber greiffich zu machen, daß die Göttin Parbati ſelbſt nächtlichermeile diefen ſchneeweißen Teppich über die Berge ausgebreitet habe, um darauf mit ihrem göttlichen Gatten Schiwa reinen Fußes luſtwandeln zu können, nad) dem beide von ihrem Frühbad in den heiligen Fluten des Ganges aus Benares nad) ihrem Throne Nanda Devi zurüd: gefehrt feien. Ich könne ihm mehrere taufend Rupien bieten, und felbft dann würde er nicht vor Eonnenaufgang mitgehn; wenn ich aber überhaupt auf fein Mitgehn rechnete, möchte ich gefälligit zuvor die Konſervenbüchſe wieder auspaden, auf der er einen Rinde topf bemerkt hätte, denn durch Gemeinſchaft mit fo gottlojen Leuten, die fih auf diefen gottgeweihten Bergen mit Fleifch vom heiligen Rindvieh zu ftärken beabfichtigten, wolle er nicht feinen Untergang unvermeidlich heraufbeſchwören.
Das ging mir denn doc) über den Spaß. Genau drei Jahre früher wurde mir mit demjelben Hans im Kaulafus eine Beiteigung des Kasbek vereitelt, indem uns die Träger, gruſiniſche Cteinbod- jäger, auf dem Marſch im Stiche Tiefen, weil fie in ihrem ſchauder⸗ haft verwirrten religiöfen Fanatismus wähnten, Jeſus Chriftus, der auf der Eisfuppe de3 Kasbek wohne, würde uns mit Steinwürfen töten, weil Hans unreine, das heißt vom Schweine ftammende Nahrung in Geftalt von Salamiwurft zu fi) genommen habe und noch große Mengen davon im Ruckſack bei fi trüge. Vergebens hatte ich damals diefen Leuten das thörichte ihrer Anficht Har zu machen verfucht, und nachdrücklich betont, daß eine echte, rechte Salamiwurft nicht von fetten Schweinen, fondern von viel edleren Tieren, nämlid) von hagren Ejeln, abzuftammen pflege — aber nicht3 hatte geholfen. Und nun follte ich hier, taufend Meilen von jenem Schauplat entfernt, durch einen ähnlichen religiös angehauchten Unfinn den mit jo unendlicher Sehnfucht ſchon fünf Monate lang
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erharrten erſten wirklich ſchönen Tag im Himalaja beeinträchtigen Iafjen? Nimmermehr!
Mit einem Blick unfäglicher Hochachtung vor fo weit getriebner Frömmigkeit nahm ich diefem Mufterweidmann ſtillſchweigend den Apparatenkoffer fort und packte ihn zu der wollnen Jade, der aus Seide geftrietten Kappe, den Fauſthandſchuhen, den dicken Schneeftrümpfen und dem Schnelllocher in meinen Rudjad. Um drei ein Viertel Uhr verließ id) mit Hans das Zeltchen und verftärkte den Schein des Mondes dur das Licht unfrer Laterne; mit blöden Augen gafften Die beiden fonft wirklich recht braven Bergfteiger ung nad, von Denen Hans beim Aufftieg an ſchroffen Stellen oft genug bewundernd gejagt hatte: „Die Teufelskerle gehen ja wie die Gemjen!" Ich rief den Burfchen zu, fie möchten beim Eintreffen der andren Kulis unfer zurücgelafines Zeltlager nicht etwa nad) Milam fchaffen, ſteckte mit einem recht überflüffigen herausfordernden Seitenblick die Büchſe mit Rindszunge aus der rechten Tafche in die linke, und dann ftieg ich unverdrofjen hinein in die glatten, übereiften und im Mondlicht gligernden Schieferblöde.
Der Aufftieg ging unausgefeßt über Schieferfcherben und glatte Platten, die die größte Vorficht erheifchten, jo daß wir mit einigen ſehr kurzen Raſten erft gegen neun Uhr die Felsnaſe erreichten, die mir für meine Aufnahme des Panorama geeignet erſchien. Ein paar Stunden fpäter tauchten dort auch die beiden treulofen Männer auf mit der DVerficherung, daß inzwifchen die andren Kulis aus Milam zum Zeltlager gefommen fein würden.
Erſt gegen fieben Uhr ging in dieſer vorgerücten Jahreszeit die Sonne auf — aber was für einen Anblick enthüllte fie dann! Jedem der auf dem Panorama fichtbaren zahllofen Hochgipfel küßte die rofenfingrige Morgenröte mit warmem Hauche die nächtlichen Schleier von der Stirn, und wie mit allgewaltiger, magnetifcher Kraft wurden gleichzeitig überall zarte Wölkchen von den Gipfeln gehoben; aus all den zahllofen Schluchten und von allen Spigen ſchwebten diefe
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Wölkchen mit majeftätifcher Ruhe wie Opferrauch in den Aether und zerfloffen dort fpurlos ins Nichts. Mit übermältigender, durch alle Nerven bebender Gewalt drang mir das Göttliche diefes Anblicks ins Herz. Ich ftand, wohin ich mich feit meiner Fünglingszeit ge- fehnt hatte, ich ftand im Mittelpunfte des Himalaja, angefichts der erhabnen „Heimat des Schnees“! Da lagen fie in greifbariter Nähe rund um mich her, diefe ftolzen Neden des Kumaon-Himalaja, eine Riefengarde eisjtarrender Häupter mit ftolzen, energiſch aus: geiprochnen Zügen, und aus ihrer Schar türmten ſich die wahrhaft majeftätifchen Geftalten des Nanda Devi und feines ebenſo hoheits- voll dreinblidenden Zwillingsgipfels Nanda Kot mit der ruhigen Zuverſicht empor, als unbeftrittne Sieger in diefem Schönheitswett- fampfe jungfräulicher, lilienreiner Hochgipfel dazuftehn.
Staunend und ſchweigſam hatte auch der Tiroler, der doch fo manchen Morgen feines Lebens auf hoher Alpenzinne begrüßt hatte, der bejeligenden Enthüllung diefes unvergleichlichen Denkmals voll: endetfter Naturfchöne beigemohnt; exit als die letzten Wolfenfafern fi in den azurblauen, kryſtallklaren Himmelsdom verflüchtigt hatten und der magiſche Goldhauch von den Firnfpigen ſchwand, ſprach er gemefjen:
„Bei Gott, fell i8 wirklich großartig!"
Dann reckte er fich, daß ich feine Gelenke knacken hörte, und fchien plöglich wie verwandelt; er mar wieder ganz ber ftahlharte, fröhliche Sohn der Berge. Alles Ungemach ſchien vergejien, und behutjam holte er vor allen Dingen feine geliebte Zulami aus der Brufttafche und frühjtücte mit dem heiter glücklichen Geficht eines Menfchen, der die Feuerprobe vedlicher Pflichterfüllung beftanden hat.
Aber ich war nicht nur von dem heiligen Schauer eines über jeden Ausdruck erhabnen Genuſſes durchbebt, fondern mich fror gleichzeitig ganz unmenfchlich. Ich packte deshalb, fobald ich nad) viel» fahem Hin- und Herkfettern den geeignetften Pla zum Photo: graphieren ermittelt hatte, den Schnelljieder aus dem Rudjad, um
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mir während der vollkommnen Windſtille eine Schokolade zu kochen; im Hinblick auf das wolkenloſe Firmament glaubte ich, die nicht ganz leichte Aufnahme dieſes wichtigen Panoramas ungeſtraft noch ein Viertelſtündchen aufſchieben und erſt meine Kräfte ein wenig ſtärken zu dürfen.
Die wirklich grenzenloſe Freude über das mir vergönnte uns bezahlbare Schaufpiel hatte mich gegen die Empfindungen des Körpers mohl etwas gleichgültig gemacht, aber jo mühfam das vorfichtige Emporklettern über die nicht ganz ungefährlichen ſcharfen Scherben auch geweſen war, geftand ich mir doch ein, auch nicht eine Spur von jenen entfeßlichen Beſchwerden zu verfpüren, die mich bei der Erjteigung des Schonfchal geplagt hatten, der doch meit niedriger gewejen war, und der Tiroler äußerte die gleiche Empfindung. Ich Hetterte fjogar mit dem Tiroler noch etwa vierhundert Meter höher, bis zu der nächſthöchſten Stelle de8 Maffivs, zu dem mein Standpunft gehörte, ohne daß wir auch nur das mindefte Ungemach gefpürt hätten; im Gegenteil konnte Hans dort oben nicht oft genug aus- rufen:
„Nein, dieſe Luft, der herrliche!“
Selbſt bei den ſpäter von uns erreichten, noch beträchtlicheren Höhen von etwa 20000 Fuß habe ich feine Wahrnehmungen ge— macht, die wefentlich von den Erjchöpfungszuftänden unterjchieden geweſen wären, die man bei anftrengenden Vergbefteigungen in unfren Apen durchzumachen hat. Erwähnenswert dürfte hierbei auch die Beobachtung fein, daß die Lamas, die auf dem Rücken von Yaks über ihre durchfchnittlih 18—20000 Fuß hohen Gletfcherpäffe aus Tibet zu fommen pflegen, die Bergkrankheit nicht zu kennen ſcheinen, und daß fie aud) Kapitän Turner in dem Bericht über feine Himalaja- teife nicht erwähnt.
Es mag jein, daß der lange Aufenthalt, den wir nun doch ſchon monatelang in beftändig dünner werdender Luft gehabt hatten, uns für die Wirkungen des noch weiter verminderten Luftdruck
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weniger empfindlich gemacht hatte. Freilich würde es ju viel inter- effanter klingen, wenn ic) von allerlei entfeglichen phyfiologifchen Er⸗ fcheinungen berichten Fönnte, aber außer einem gradezu unergränd- lichen und „unartigen" Appetit, um mit dem Tiroler zu fprechen, ftörte dort oben nicht? mein Behagen und das unendliche Glüds- gefühl, ein fchönes Etwas durch unfagbare Geduld errungen zu baben und es nun ungeftört ganz für mich genießen zu dürfen. Ich tam mir vor wie ein Kunftfreund, der feine paar Batzen an ein ihm köſtlich dunkendes Meijterftüc eines Malers, in das er fich ver- narrte, gewendet hat und e3 nun in feiner einfamen Rlaufe freude äitternd immer wieder mit andachtsvollen Blicken von allen Seiten vergöttert.
Plötzlich ſprang ich auf; nicht etwa weil mich irgend etwas gebiffen hätte, aber doch, weil mir etwas Umerfreuliches in bie Augen ftah. Man wird gleich hören, mas ich meine.
Der Mittelpunkt des Intereſſes für mid) war natürlich der wirklich fabelhaft fehöne Doppelberg Nanda Devi, die höchſte Er- hebung dieſer gewaltigen Menge ungeheurer-Gipfel, geweſen. Einen ftolgeren Lieblingsthron hätten fich die Hindus für ihren Gott Schiwa und jeine Gemahlin wirklich faum auswählen können, denn der Nanda Devi mißt nicht weniger als 25660 Fuß (7826 mı) und hat als zweiten Götterftuhl eine Zwillingsipige, den Nanda Kot 24379 Fuß (7435,6 m) hoch; der auf dem Bilde faum bemerfbare Höhenunterfchieb beträgt alſo nicht weniger als 1281 Fuß (390,7 m). Aus diefem Beifpiel kann fih der gütige Lefer die ungeheuren Höhen und Maffen vorftellen, die jeder Blick auf dieſes Panorama umfpannt!
Ich hatte meine Aufmerkſamkeit auf die Schluchten gerichtet, die fi, mit Gletfchern angefüllt, aus dem weftlichen Einfafjungs gebirge des Milamgletfchers zu diefem Herunterziehn; fie waren be: ftändig bis in die legten Fernen erfennbar geweſen. Da, während ich grade den legten Schluck Kakao an die Lippen brachte, um neu
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) geſtärkt meine Aufnahmen zu machen, bemerkte ich einen leifen Schleier unmittelbar an ber eisftarrenden, tief eingefpaltnen Wand, die die beiden Gipfel des Nanda Devi verbindet. Wohl wiſſend,
Nanda Devi, der Götterthron, vom Panfgaturi über die Sqchlucht des Milamgletichers hiuweg geiehn.
daß fich derartige Trübungen mit reißender Geſchwindigkeit zu ſchnell wachſenden Nebeln und Wolken zu verdichten pflegen, riß ich mit fieberhafter Gejchwindigfeit meine Apparate aus dem Ruchſack, ftellte
haftig die Kamera auf und richtete fie blitfchnell für die Aufnahme Boed, Indlice Bleherfahrten. 18
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des Rundbildes her. Aber ſo ſehr ich mich auch dabei beeilte, hatte ſich der zarte Schleier an der genannten Stelle doch ſchon zu einer undurchdringlichen Wolke verdickt. Auch an andren Stellen ſchleppten bereits die „formlos grauen Töchter der Luft“ ihre „Nebeleimer“ in die Klüfte oder ſtürzten ſie über die Gipfel, ſo daß ich von wahrem Glück ſagen konnte, das Panorama doch noch in der vor- liegenden Schärfe auf meine Platten gebracht zu haben; ſchon nad) einer Vierteltunde hingen an fämtlichen Gipfeln jo trübfelige dicke Wolkenfahnen, daß diefe meine Photographieen wertlos gemacht haben würden. Aus dieſem Grunde wird eine Hochgebirgäreife im Hima— laja während der Regenzeit in photographifcher Beziehung ziemlich ergebnislos verlaufen, in gipfelftürmerifcher natürlich noch mehr. Waren aud; die Gipfel im Weften jetzt verhält, jo blieben doc wenigſtens die im Often liegenden Grenzgebirge von Tibet noch Har, und ganz unwiderſtehlich fefjelnd mar der Blick nach Sübdoften, über die riefige luft des Dung Pani hinweg auf einen aus Südoften herunterziehenden Gletfcher, deſſen obres Firnbeden in wundervoller Reinheit zu mir herüberleuchtete; auf dem Panorama kann man dieſen Lauf des Gletſchers und das Hervorbrechen des Waſſers aus feinem Fuße vorzüglich erkennen. Diefes jenfeitige Ufer des Dungbaches erhebt ſich zu ganz wundervollen, fanft gerundeten Bergen, und id) erwähne vorgreifend fchon hier, daß ich fpäter durch diefes Thal de3 Dung meinen Weg nahm, um auf den Utadurhagletfcherpaß und damit an die tibetifche Grenze zu kommen. Auch den Goriftrom fieht man auf dem Titelbilde fehr deutlich aus dem Milamgletjcher herausbrechen; von hier oben gejehn, gleicht er nur einem dünnen Silberfädchen, das zur Zeit meiner Aufnahme durch Hleinre Bäche einen fat Fveisförmig gebognen Lauf zu nehmen ſchien. Ber junge Strom rauſcht dann nach Südoften, um unterhalb Milams den von Nordoften fommenden Dung aufzunehmen. Die links auf dem genannten Bilde fichtbaren Gipfel gehören zum Syſtem des Bambadurha, während im Rücken dieſes Gletſchers der Kalaba-
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landgletſcher jich nach Oſten um einen 20150 Fuß (6142 m) hohen Gipfel herumzieht, der auf dem Bilde hinter dem Gletfcherkeffel hervorragt.
Ich hatte volllommen vergeffen, die Zeit zu beachten, und war höch- lich überrafcht, als die Uhr fehon auf die vierte Stunde wies; deshalb ftiefelten mir mit unſren längften Schritten ſchleunigſt bergab, dem Zelt- Tager entgegen. War das Hinauffteigen jehr anftrengend gemefen, fo mar diefer Abftieg außerordentlich gefährlich, denn die glatten Platten, das loſe Geröll und die feharfen Schiefertrümmer boten ein beiſpiellos heimtücifches Gefchiebe. Mehrmals kamen einzelne Blöcke unter unfren Füßen ins Gleiten und Rollen, fo daß bald die ganze Scherbenbefleivung der Bergwand mit uns in unaufhaltfam raſende Abwärtsbewegung geriet und wir fo unheimlich fchnell bergab fauften, daß uns das Lachen verging. Ich hatte jedoch mit dem Tiroler. bereit3 in den fiebenbürgifchen Karpathen ähnliche nicht zu unterfchägende Gefahren zu kreuzen gelernt, und fo famen wir wohlbehalten nach kaum vier Stunden zum Zeltlager zurüd. Die Dort verfammelten Kulis behaupteten mit bemundernden Blicken, wir feien heruntergeflogen „wie die Adler“; ob freilich Adlern die Klauen fo entjeßlich gejchmerzt haben würden, wie mir meine Füße, erfcheint mir doch fraglich.
Natürlich hatten jet die verfammelten Kulis den großen Mund und ſchwadronierten die ganze Nacht um ihr Feuer aus Pferdemift, während die Huka von einem Munde zum andren ging. Ich fümmerte mich nicht darum, fondern fchlief nach Genuß meiner Rindszunge und nad) einem langen Zug aus der köſtlichen Döldhar- quelle den Schlaf eines Menſchen, der ſich jagen Fonnte, nicht ganz nußlos eine ſchier unglaubliche Menge von Schwierigkeiten über-
wunden zu haben.
en
Vierzehntes Kapitel. Eine fabelhafte Erfheiunng.
r nächſte Tag begann in gleicher Schönheit, und es fiel mir deshalb nicht ein, fofort wieder nach Milam zurückzukehren.
* Wäre ich ausſchließlich des Bergkraxelns wegen in den Himalaja gegangen, hätte ich allerdings kaum etwas Geſcheitres thun tönnen, als auch noch die Hintre, mehrere taufend Fuß höhere Spite der nördlichen Fortfegung des Panfchafurigebirgsftocts bis zum letzten Gipfelfirſt zu erflimmen. Nachdem ich mich aber durch unfer ſchon erwähntes Höherhinaufflettern um weitre vier- bis fünfhundert Meter überzeugt hatte, was für „fchieche Platten” hierbei zu überwinden waren, ſchienen uns doch die mir jest befchiebnen Haren Tage zu foftbar für ein folches Vergnügen, da meine Bilderausbeute dadurch feine fonberliche Bereichrung erfahren konnte; jeder Kenner wird wiſſen, daß der Bildeindrud einer Hochgebirgsphotographie keines⸗ wegs immer mit ber Höhe des Standpunftes zunimmt.
Dagegen reiste e3 mich, den obren Teil des Milamgletjhers etwas näher kennen zu lernen. Ich nahm deshalb außer dem Tiroler den beften Klettrer unter den Kulis mit mir, ſchickte Die übrige Gefellichaft mit dem Gepäd nad) Milam und ftieg in nordweſtlicher Richtung zum Milamgletfcher ab. Beim Abbrechen meines Zeltes ftellte fich zu meiner freudigen Neberrafchung heraus, daß e3 auf einem wahren Teppich von winzig Meinem, faft moosartigem Ebdel- weiß geftanden hatte.
©. 216-277. Mein Zeltlager beim Schamgas-Kund-See neben dem Milam-Gletscher, deſen Moräne von rechts nach lints (Mord nah Süd) zieht und in den von Welten Her ein ſetundärer Gletſcher mündet; lintz die Gruppe des Malla Mangrong,
TIm'
Dig
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Der Abftieg war zunächit ftellenweis jo bösartig, daß ich auf den glatteften Felſen die benagelten Bergſchuhe aus- und dafür ein Paar rauhe Wollſocken anzog; der Kuli mit feinen abgehärteten, nadten, breiten Rletterfüßen war auf diefen fürchterlichen Platten Telbft dem Tiroler an Gewandtheit und Mut zum mindeften ebenbürtig.
Nachdem wir den fteilen und entjeßlich zerflüfteten obren ‚Eis- fall des Milamgletfchers bejucht hatten, jah ich auf dem Rückmarſch unter dem Öftlichen Moränenfuße einen Wafferfpiegel glänzen. Es Hatte fi) hier wohl unter dem Einfluß des ungeheuren Druckes eines von der entgegengejeßten, vechtäliegenden, das heißt weſtlichen Seite in den Milamgletfher hineinfchiebenden ſekundären Gletſchers ein idylliſcher Staufee gebildet, in defjen regungslofem Wafjer fih nun Die gegenüberliegende Hochgebirgsherrlichkeit mit märchenhafter Klar- heit abfpiegelte. Die fteilen Zinnenndes Malle Mangrong und feiner Nachbarn ftanden wie Kuliffen um die ungeheure Bühne jenes Gletſcherzufluſſes herum, und ber riefige Schuttwall der Moräne des Milamgletſchers zog ſich quer über die Mitte dieſes mwunder- vollen Spiegelbildes. Der Bejchauer der von mir dort aufgenommnen und hier beigefügten Photographie möge fich vergegenwärtigen, daß in der Verlängrung nad) rechts, das heißt Nordweſten, der Szurbfe- Kund-Berg zu denken ift, von dem, wie erinnerlich fein dürfte, der Milamgletjcher entfpringt, der nach dem in der linfen Fort: ſetzung der Moräne zu denkenden Orte Milam abfließt. Diefer See wurde von dem Hirten Schamgas Kund genannt; die baro= metriſch bejtimmte Höhe feines Wafferfpiegels liegt bei 12820 Fuß oder 3910 m.
Beim Umfchreiten des jüdlichen Seeufers fpiegelte ſich nach und nad die ganze Reihe diefer wunderſchönen Bergwände in dem See mit jener feltfamen Wirkung wieder, die ein Landſchaftsmaler genießt, der fein Motiv in einem ſchwarzen Glasfpiegel ftudiert, und als fich beim Weiterwandern ſchließlich die entjchleierte Gejtalt des ebel- geformten Szurdfe-Rund in diefem Bauberfpiegel zeigte, konnte ich
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mich ebenſo ſchwer von dieſer hinreißenden Entfaltung ſinnbethörender
Hochgebirgsſchönheit trennen, wie ſich Fauſt in der Hexenküche von dem
verzücten Staunen über die bezaubernde Macht unverhüllter Frauen: reize loszureißen vermag.
Doch gleich wie Fauſt ſich vor dem Hexenſpiegel im Uebermaß nie zuvor gefühlter Eindrücke an die faft zerjpringende Stirn greift, jo mußte aud ic mich einen Augen: blick befinnen, ob ich machte oder träumte, als id
urplötzlich auf
einem gewaltigen
Felsblock eine
überirdiſche Ge
ftalt auftauchen
ſah, die für dieſe
fühle Gegend
bar die Mori va Sham On u vr Ebenen. NTDE ganz Are mäßig angezogen
zu fein ſchien. Der Menſch, der dort eben vom legten "Schein der verfinfenden Sonne geftreift wurde, war nämlich vollftändig nadt, doc) erſchien feine braune Haut durd) draufgeftäubte Aſche beinah weiß. Mit dem weſenloſen Gebaren eines Geiſtes blickte er ftieren Auges nad) Weften, jenfte dann mehrmals feierlich das Haupt, auf
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dem das Haar in dicken Zöpfen zu einem wilden Knoten empor— gewidelt war, nach der Richtung des Nanda Devi; er beugte fich dabei jedesmal jo tief, daß feine Stirn den Felsboden berührte,
Dann wickelte die Geiftererfcheinung eine große weiße Opfer: hornmufchel aus einem feuerroten Säckchen, ſetzte fie an die Lippen und brachte darauf einen fehauderhaften, heulenden Trompetenton nach dem andren hervor, den das Echo jedesmal wiederholte. Nach diefer herrlichen mufifalifchen Leiftung hob der unbefleidete Sonderling ein Tamtam empor, das er mit unheimlichem Mute zu bearbeiten an- fing; e3 fah grade jo aus, als habe er gemweitet, das Bronzebeden durch die Schläge mit feinen Anöcheln zu zertrümmern. Nachdem ihm dieſes Kunſtſtück trotz mindeftens zehn Minuten währender An— ſtrengung nicht gelingen wollte, ftellte ex auch diefen ohrbetäubenden Spektakel ein, der ebenfalls durch das aufmerkſame Echo verviel- facht wurde, und verſchwand fo ſchemengleich von und hinter feinem Felsklotz, wie er gelommen war.
Mit einer Miene unendlicher Hochachtung machte mich mein Begleiter am Seeufer auf eine Zufammenfchichtung von Schiefer- platten in Form einer großen Hundehütte aufmerffam, und ein gewaltige, weißgetünchtes Lingamidol vor diefer verlafinen Bude machte mir Har, daß fie vermutlich das Obdach diefes frommen oder, wenn man will, närriſchen Einfiedlers in der märmeren Jahreszeit geweſen fein mochte. ch ärgerte mich ein wenig, die interefjante Geftalt diefes Sanyafjis aus den Augen verloren zu haben und gab e3 gleichzeitig auf, Milam noch an diefem Abend zu erreichen.
AS ich aber am nächſten Tage das Ende der Moräne erreichte und mir" dort grade eine umermeßliche Menge Gletſcherwaſſer ein- verleibte, deutete der Kuli auf ein paar Wacholderbüfche in der Nähe des rauſchenden Gori. Ich bemerkte dort eine halbfreisförmige, roh aus Steinen zufammengefchichtete und von einer geflochtnen Bambus- matte überdachte Mauer und fah mit freudigem Schreden in dem
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tiefen Schatten diefer Grotte wieder die merkwürdige Geftalt ſitzen, den entfeglichen Virtuofen. Klugerweiſe hatte er aber jet feine Glieder in eine mollige bordeaurrote Wolldecke eingewickelt und ſaß auf einem weichen Leoparbenfell; feinen Rüden Iehnte er ganz gemütlich an ein weißfeidnes Kiffen. Tamtam und Mufchelhörner lagen neben ihm auf einer Bank aus Steinen, im übrigen aber fchien der fonderbare Schwärmer auf Mobiliar verzichtet zu haben.
Eben fehwebte mir die Frage auf den Lippen, wie fich dieſer Klausner wohl ernähre, al3 mit ebelftolzem Schritt und mie ein tichtiger deus ex machina ein Hirſch aus dem Wacholderbufc) trat. Der Kuli wies, ehrerbietig flüfternd, auf eine Glocke, die der Hirſch um den Hals trug, und raunte mir dabei zu, daß dieſes Tier beinah täglich in Begleitung eines viefigen, wachſamen Schäfer: Hundes, der neben dem Heiligen lag, nad) Milam fpaziert käme; dort kennten die Einwohner bereit3 die Legende von dem Klauöner im Gebirge feit Jahren und padten dem Hirich jedesmal einen Querfad mit allerlei Lebensmitteln auf, mit denen beladen das Tier dann zu feinem Eigentümer zurückfehre; das Gebell des Hundes und das Geläute der Glocke genügten zum Verfcheuchen von Schnee leoparden und andren Raubtieren.
Der verehrungsmürdige Herr Kadſchi Wadfchi, fo nannte der Burſche den Büßer, ſchien aber in meinem dreiften Anblicken wohl die geziemende Ehrfurcht vor feinem frommen Müßiggange zu ver miffen; mit dünner Fiftelftimme feifte er beftändig vor fich hin und ſchien ale Verwünſchungen diefer Welt auf meinem armen Haupte zu verfammeln. Er verbat fich entjehieden meine weitre Annäherung, aber ohne mich dabei eines Blicks zu würdigen und ohne feine bequeme Lage auf dem Leopardenfell zu verändern; fein zottiger Hund begann bereit3 bedenklich zu knurren. Da fehnitt id) ein möglichft fcheinheiliges Geſicht und ließ ihm durch den Kuli keck vorlügen, ich fei ganz aus drücklich über den indischen Ozean gefommen, weil der Ruf feiner ‚Heiligfeit bereit3 bis in meine Heimat gedrungen fei; deshalb mödte
6. Kadshi Vadschi, der Hocgebirgs-Einsiedler in seinem Obdach,
vor dem der zahıne dirſch deb fagenhaften Heiligen febt,
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er mir zur Belohnung doch auch gnädigft erlauben, jein ehrwürdiges Gefiht in meinem „Spiegel“ anfehn zu dürfen, um mir feine heiligen Züge vecht deutlich einprägen zu können; hierzu fei e8 aber unbebingt nötig, ihm noch ein wenig näher auf den Leib zu rücken.
Während diefer Bettelei hatte ich meinen Apparat ſchußfertig gemacht und aufgeftellt; als der weltentſagende Heilige eitel genug war, auf meine dreifte Notlüge anzubeißen und feinen feifenden Mund einen Augenblick zu fehließen, nahm ich die hier beigefügte Photographie diefer märchenhafteften Begegnung auf, die mir je in Indien vor Augen gekommen iſt. Nur dem regungslofen Vorſich- hinſtarren des merkwürdigen Heiligen verbanke ich das Gelingen der Aufnahme, zu der ich wegen der eben untergehenden Sonne und des dunklen Schattens in der, Behaufung des Wundermanns eine Erpofitionszeit von etwa dreißig Sekunden verwenden mußte; auch der Hirfch ftand fo lange ftil. Ganz außer mir vor Erftaunen über dies beinah unglaubliche, aber meinen vom „Wunderland” Indien- gehegten Hoffnungen durchaus entjprechende Vorlommnis kam ich erſt in der Duntelheit in Milam an.
Die fonft vor den Häufern brennenden Feuer fladlerten heute, der wilden Tiere wegen, in den Höfen zum Schuße der aus Tibet zurückgekommnen Packſchafe; die Tiere mederten und blöften um die Wette, und gleichzeitig vollführten die Wachhunde das übliche ohren: zerreißende Gekläff. Um zu verhindern, daß ein Schaf durch die Thorlüde in der niedrigen Hofmauer entlaufen oder von einem Raubtiere davongefchleppt werden konnte, waren lange Seile durch den Hofraum gezogen, an denen die Tiere in regelmäßigen Abftänden umſchichtig angebunden waren, alſo in der Art, daß fich die beiden Reihen der an einem Seil befeftigten Schafe die Köpfe zumendeten, wobei jedesmal ein Schaf in der Lücke zwifchen feinen beiden auf der andren Seite angebundnen Kollegen ftand.
In Milam herrſchte bei unfrer Ankunft noch äußerft veges Leben. In den niedrigen Häufern hockten dichte Schwärme um die
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lodernden Feuer und erörterten bei lebhaftem Gelutfche an ihren kreifenden Wafferpfeifen die wichtigen Tagesneuigkeiten, unter denen natürlich meine Panfchakuribefteigung obenan ftand; aber auch die Berichte der aus Tibet eingetroffnen Karamane und die Vorberei- tungen zum Verlaffen des Sommerdorfs Milam, das ja des Schnees wegen nur von Ende Juni bis Ende Auguft oder Anfang September bewohnt werden Tann, gaben endlofen Unterhaltungsftoff ab. Ich babe wohl ſchon bemerkt, daß fi) die Sommerbemohner von Milam während des Winterd nad) ihren heimatlichen Wohnſitzen in Mun⸗ ſchari und Bageswar zurückziehen.
Sobald unſre Rückkehr bemerkt wurde, ſchickte der Padhan nach den Sängerinnen und Muſikanten, die mich bei Fackelſchein und während des Zuſammenlaufens aller Dorfinſaſſen unter Abſingung ihrer klangvollſten Hymnen bis zu meinem Schuppen begleiteten.
ALS dann dort in meinem Hofraum die phantaftijchen Geftalten der Kulis und Hirten in ihren meißwollnen, faltigen Gewändern, die buntgeffeideten Tänzerinnen und beturbanten Mufifanten um das lodernde Feuer wogten, und als zu guter Let die Sängerinnen mit klirrendem Goldſchmuck und im Fackelſchein bligenden Nafen- ringen von heißer Liebesleidenfchaft überfließende Lieder unter ent: fprechendem Augenauffchlag zum beften gaben, während die um- liegenden Alpenzinnen vom Mondlicht verklärt fchienen, da mußte ich Doch angeſichts des fich über diefem Schaufpiel wölbenden indiſchen Sternenhimmels und eingedent der bei der Befteigung des Panſcha⸗ furi gefofteten Genüffe entzüct vor mich binflüftern: „Kühn war das Mühen, herrlich der Lohn!" —
En nn 2
Fünfzgehntes Kapitel. Eisfletterei am Götterthron Nauda Devi.
U: nicht wieder durch das Gorithal thalabwärt3 wandern zu uU müffen, verjuchte ich, eine Uebergangsmöglichkeit über die y gewaltige Bergkette ausfindig zu machen, die die weftliche Seite des Milamgletjher3 begrenzt und die im Nanda Devi gipfelt.
Ich merkte bald, daß ich für meine Fünftigen Bergbefteigungen in Milam noch weniger Geneigtheit für Trägerbienfte finden würde als vorher. Die Kulis, die mit mir auf dem Panſchakuri gemwefen waren und die ji) damit brüfteten, eigentlich feine Kulis zu fein, hatten, ebenfo wie der Schifar, fo abenteuerliche Dinge über die Zu— mutungen verbreitet, die ich an fie geftellt hätte, und der Schikar hatte jo ängftlich auf die möglichen Folgen meines Verzehrens von heifiger Rindszunge hingewiefen, daß der Bandit nur acht Hirten gewinnen konnte, als Lajtträger für meine nächfte Gebirgswandrung zu dienen, über deren Zweck und Biel ich zunächſt nur ganz unbeftimmte und harmloſe Andeutungen machte.
Ich war überzeugt, daß es niemand wagen wirde, mit mir zu fommen, wenn ich offen verkündete, daß ich beabjichtigte, über eine der vergletjcherten Felsfcharten am gefürchteten Götterfig Nanda Devi zu klettern, um auf diefe Weiſe nach Weſten und in das Quell- gebiet des heiligen Gangesfluſſes zu gelangen. Ich ließ deshalb die Kulis Proviant für mindeftens vierzehn Tage, reichlich warme Deden und ihr beftes Schuhwerk einpaden, und dann nahm ich Abfchied von
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meinen Freunden in Milam. Pandit Kriſchen Singh, den ich ins Vertrauen gezogen hatte, erklärte mein Vorhaben rundweg für un ausführbar, ſchon deshalb, weil die Kulis nach feiner Erfahrung nie dahin zu bringen fein würden, über die unbekannten Gletſcher zu gehn. - Ich vechnete jedoch auf den bereit erwachenden Ehrgeiz einiger diefer Leute und marfchierte nach dem Milamgletfcher ab; fünf Gepädlaften, für die fich feine Träger finden ließen, bat ih den Pandit, nad) Naini Tal fhaffen zu laſſen.
Meine Begleiter, die wohl nur auf eine nochmalige Befteigung des Panſchakuri rechneten, waren fröhlich und ſchwatzhaft, bis ich in ein am Fuße des Milamgletfcherd von Weften ber einmündendes Felſenthal abſchwenkte; es war die nördlich vom Panſchuthal Liegende, von den Eingebornen Mongfchaputhal genannte Schlucht. Mit einem Schlage änderten fich die Mienen meiner Leute, und verdrießlich ftiegen fie mit mir eine faum Fenntliche Wegfpur empor, die an dem jäh herunterfhäumenden Mongſchapubach auf einem abjchüffigen Hirtenplaß endete. Ein widerwärtiger, blödfinniger Greis mit glatt- geihornem Schädel und ein um fo hübfchrer Hirtenbube, ein ent- züdend fehelmifcher Lodenkopf, hauften hier in einer kaum fichtbaren Steinhütte mit drei Dußend Ziegen; fie gerieten bei meiner Annähe- rung wie von Sinnen, besten fofort ihre fürchterlihen Hunde auf mid) und wurden nur mit großer Mühe von den mir nachleuchenden Kulis beſchwichtigt.
Viel ſchlimmer aber war e3, daß die beiden Hirten meinen Begleitern von den Gefahren des obren Thalbodens eine jo entjegliche Schilderung entwarfen, daß diefe auf das beftimmitefte erklärten, nicht einen Schritt weiter mit mir gehn zu wollen; erſt durd) Verbopplung ihrer Löhne, die ohnehin ſchon das Vierfache der üblichen betrugen, vermochte ich fie zum Mitlommen zu bewegen. Der Rückblick auf die tief unten fihtbaren, von bunten Buchweizenfeldern umrahmten Steinhüttchen von Milam und den aus dem gejpaltnen Eisthore des Milamgletfchers ſchießenden Goribach war von diefem Hirtenplatz
©. 284-285. Nördlicher Seitengletscher des Mongschapu-letschers, der in der Tiefe von lintz nad) rechts (Wert nad CN) zieht.
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aus nicht weniger fefjelnd als der Anblick des Panſchakuri, von deſſen Höhe ich wenige Tage zuvor in diefe Schlucht hinuntergeblictt hatte.
Mit unfäglicher Mühe trieb ich nun die Kulis Schritt für Schritt weftwärts in das Thal hinauf. Plöglich warfen fie mit ungeheurer Haft ihre Laften und fich felbft auf den Boden, denn in einer von Norden her zum Mongfchapugletfcher ftoßenden, ebenfalls mit einem ungeheuer zerflüfteten Gletſcher ausgefüllten Schlucht hatte fich eine Lawine abgelöft, die num al3 erfchredend anwachſende Mafje von Schnee, Eis und Steinen heruntergedonnert kam; ihr gar nicht enden- wollendes Getöfe Hang in diefem unheimlich ftillen und engen Alpenthal wahrhaft gräßlich. Bei diefen Leuten wurde aber der überwältigende Eindrud diefer für fie ja nicht aus wiſſenſchaftlichen Gründen erklär- baren Naturerfcheinung noch durch die Ueberzeugung gefteigert, daß die Gottheit felber diefes -Warnungszeichen gefendet hätte, damit wir nicht noch weiter über die geheimnisvolle vergletfcherte Schwelle dieſes Götterthronfaales fchritten, nicht noch länger auf die Eryftall- Haren Eisbrüche blicten, in denen. nach Anficht der Hindus nur die „Mädchen des Himmels“ ihre grenzenlofe Schönheit wie in einem Spiegel befchauen dürfen.
Um meinen grimmigen Unmut über die verzagten und jedes Weitergehn vermeigernden Kulis loszuwerden, Hetterte ich allein an der Moräne vorwärts und entdedte nad) einer Stunde zu meiner Freude am Fuße des Gletfcherfalls einen winzigen Quell ausgezeichneten Trinkwaſſers, den ich durch Losbrechen einiger Steine zu einem Heinen Becken erweiterte. Nun hatte ich wenigſtens einen triftigen Grund, die Kulis das Zelt noch bis hierher fehleppen zu laſſen, wo fie mir mit gradezu unheimlich drohenden Mienen halfen, die beiden Haltpflöcte des Zeltſeils in den Boden zu treiben; e8 war das wegen des dichten Steingerölls feine leichte Sache. Dieſe nichts Gutes verkündenden Mienen machten mich noch beforgter als das unaufhörliche, aus dem Innen der Eismaffen des Gletjcher3 hervor: tönende Krachen, untermifcht mit fabelhaften, nie gehörten, Tang-
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gezognen, heulenden, knarrenden Tönen, die ich in dieſer Art noch auf keinem Gletſcher gehört hatte. Das Zeltchen ſtand wirklich an einem recht gefährdeten Platz, denn häufig genug kam ein mehr oder weniger großer Stein den Eisfall herunter, und auch da3 Nieder: gehn von Lawinen war an diefer Stelle zu befürchten. Mir blieb aber feine Wahl, denn die Kulis rührten feine Hand mehr, rüd- wärts wollte ich nicht, und nad) Weiten fehien die ungeheure Wand des Gletjcherfall3 jedem Vorbringen Halt zu gebieten. Trotzdem war ich entichloffen, das Aeußerſte zu verfuchen, um das Erfteigen diefer Eiswand durchzufegen.
Um über das geeignetfte Mittel, die Kulis weiter zu treiben, nachzugrübeln, fuchte ic) mir auf der Seitenmoräne des fich zur Rechten abzmweigenden Hauptgletfchers ein von dem geräufchnollen Schwaßen der Kulis entferntes Plätzchen, wo ich mich in die Be trachtung des großartigen Gletſcherzirkus verſenkte. Allerdings ver- mißte ich den Anblict des Nanda Devi, den ich in der Richtung des Thalſchluſſes erwartet hatte. Statt deſſen fah ich dort oberhalb des Gletſcherbruchs die rechte Seite eines prachtvollen, weißgetigerten Felsdomes zum Vorſchein fommen, der mir zunächft nicht geringes Kopfzerbrechen machte.
Ich hatte diefen herrlichen Gipfel vom Panſchakuri aus nicht bemerken können, weil er dort durch eine gewaltige Felsnafe des Rückens verdect geweſen war, der die Mongſchapuſchlucht von ihrem nördlihen Nachbarthal trennt; außerdem hatte grade an dieſem Gipfel jene Woltenanfammlung ftattgefunden, deren Ueberhandnehmen mid), wie ſich der geduldige Leſer vielleicht noch erinnern wird, zur ſchleunigen Aufnahme de3 Panoramas angefpornt hatte. Der Nanda Devi erhebt fi aber nicht wie der Nanda Kot unmittelbar aus dem fortlaufenden. Kamm, von dem fi) alle die Seitenäjte abjpalten, zwifchen denen die fieben ſekundären Gletfcher des Milamgletjchers liegen, fondern ſteht als aus diefer Flucht nach Weften vorgefchobner Pfeiler etwas hinter dem Längskamme. Trotz der viel beträcht-
©. 286-87. Der untre Eisfall des Mongschapu-Gletschers.
licheren Höhe des Nanda Devi fing diefer mich überrajchende Zmwifchen- gipfel, den die Kulis Mongſchapu nannten, den Blick auf den Nanda Devi auf, weil ich diefem ſchon zu nahe ftand. In dem untren Teil des Mongichaputhales hatte aber der Nanda Devi nicht in der Geſichtslinie gelegen, weil diefer untre Teil ein wenig nad) Süden
Panschuthal
494951979 WON
Nanda Deri
Mengschapu — gebogen iſt; bei dem be= trächtlichen Abjtand, den ich auf dem Panſchakuri gehabt hatte, war natür- —e nie lich der Nanda Devi hin- ter und über dem Längs- grate in al feiner Majeftät fichtbar geweſen. Die beifolgenden Skizzen im Querfchnitt und Aufriß werden das Gefagte vielleicht ein wenig deutlicher machen. Ich halte mich hierbei fo lange auf, weil dies Beifpiel recht Mar zeigt, wie man im Hochgebirge durch Gipfelverwechslungen irregeführt werden kann und wie man felbft ganz nahe, hohe Gipfel zeitweiſe gar nicht zu Gefichte befommt. Freilich hatte ich nicht wohl
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annehmen können, daß der Längsgrat oder Hauptlamm ſich grade an biefer bei,der Relognoscierung vom Panſchakuri aus verdedt geweinen Stelle zu einem fo ftattlichen Gipfel erheben würde.
Die Moräne war an ihrem untren Ende mit allmählich immer winziger werdendem Wacholder und Rhododendrongebüfch bewachien gewefen. Hier oben aber fugten ftatt Strauchwerks nur noch zierliche Edelweißpflänzchen zwifchen dem Moränenfchutt hervor, und zugleid gewahrte ich Spuren von Steinböden, fo daß ich mich behutſam binter einen großen Stein verftedtte, um vielleicht eins dieſer eblen Tiere zu Geficht zu befommen. An das Erlegen eines ſolchen konnte ich nicht denfen, denn das Gewehr hatte ich als überaus Läftigen Ballaft dem Schikar überlafjen, der es in der That nur fehr felten erfolgreich zu Jagdzwecken verwendete, und. andrerfeit8 war ih nicht ganz frei von der Befürchtung, doch vielleicht einmal in ber Aufregung über unfolgfame Kulis, unter dem Einfluß der oft gradezu finnverwirrend ftechenden indifchen Sonne, aus der üblichen Drohung bittren Ernft zu machen und den Rädelsführern durch ein paar Schrote auf die Beine zu helfen. Zur Jagd war ich auch gar nicht ausgezogen, denn diefer Tann man fi) im Himalaja nicht gut gleichzeitig mit andren Zweden hingeben.
Während des Herumfpähens hörte ich, etwa zwanzig Meter hinter mir, ein Geräuſch und fah auch dort etwas Geröllfhutt Iangfam an der Moräne herunterriefeln. Als Urſache erblickte ich grade noch einen zufammengebuctten weißen Schneeleoparden, der eben davonfchleichen wollte und alsbald zwifchen den Felsblöden verfchwand. Ich war fo erfreut über den wunderbaren, feltnen Anblid, daß ich zunächſt gar nicht an die Möglichkeit dachte, das Raubtier könne einen hinter: liftigen Angriff auf mich unbewaffneten Einfamen beabfichtigt haben.
Da e3 bereit3 dunfelte, und die Dämmerung in Indien nur von ſehr furzer Dauer zu fein pflegt, machte ich mich fchleunigft auf den Rückweg nad) dem Zelte; die Nachbarfchaft ungegähmter Leos parben war mir noch etwas neu, und ich hatte viel mehr Appetit
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auf eine Büchſe Irish Stew als auf einen Ringkampf mit einer ſchönen Beftie.
Am nähften Morgen griff ich zu einer Kriegslift. Sch hatte bemerkt, daß fi) von meinen acht Kulis befonder3 drei als auf- fäffige Rädelsführer auszeichneten und die andren aufheßten, Zelt und Gepäd nicht mehr weiter, das heißt über den Gletfcher zu dem Thalſchluß hinaufzubefördern. Ich ließ deshalb das Zelt vorläufig ruhig ftehn und ſchickte diefe drei böartigften Kulis zum Holzholen thalab. Die andren fünf aber nahm ich mit ganz leichten Laſten mit mir, um fie auf einem Aufklärungsmarſche von der übertriebnen Angſt vor dem Gletſcher zu erlöfen, und dann fpäter mit der ganzen Karawane den dabei für gut befundnen, auch wohl durch Stufen- ſchlagen bereits etwas vorbereiteten Weg nochmals zu machen und bis ans Ziel zu verfolgen.
Herrlich glühte der prachtvolle Kegel des Nanda Kot im Früh: licht, als ic) meine Kulis durch die Verfihrung, daß wir abends wieder zum Lagerplatz zurüdfehren würden, zum Betreten des Gletſchers bewog. Die Zerflüftung des Gletichereifes ftellte aller- dings an die Gewandtheit der Leute hohe Anfordrungen, denen fie aber unter Hanfens Beiftand zu meiner Freude entfpracdhen. Dann ging es fteil und mühevoll in der Schutthalde hinauf, die den djt- lichen Rand des obren, überaus wilden Gletfherurfprungs begrenzt. Je höher ich fieg, um fo föftlicher wurden die Rückblicke in der Richtung nad) Milam, wo die edle Firnfpige Kolkang, rechts davon die zerfeßten Felsmafjen des Otſchkuri und links der maffige Biltat ſich vorfchoben. Ganz nahe aber drohten mir hier die finjtren Felswände des fteilen Thalfchlufjes entgegen, die durch weiße Schnee: flesten doppelt furchtbar erjchienen.
War es au in dem lojen Geröll nicht leicht geweſen, die Kulis der von ihnen jo jehr gefürchteten Paßhöhe zuzutreiben, fo vermehrte fich ihr Widerftand noch, als wir nad; Erreichen der
Scharte, aus der dieſes Trümmerfeld hinunterführte, uns fogar Boed, Indiſche Gletjäerfahrten. 19
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gezwungen ſahn, die Steigeiſen und das Seil anzulegen, um den ſich hier oben zeigenden ungeheuren und ebenfalls erſchreckend zer- klüfteten und mit Neuſchnee bedeckten Gletſcher zu überſchreiten; meine Abſicht war, auf ſeinem jenſeitigen Rande bis zur Höhe dieſes Sporns des Nanda Devi-Maſſivs vorzudringen und meine Aufgabe für die kommenden Tage feſtzuſtellen. Dieſe von mir auf dem Titel-Banorama mit K bezeichnete Stelle des Gletſchers leuchtet Hell über die Nord- flanke des Mongſchapu⸗ thales herüber.
Von den höheren Teilen dieſes wilden Gletſcherzirkus ſtürzten aufjäl- lig viel Schnee⸗ lawinen herun⸗ ter, und da die Mittagsſtunde ſchon vorüber war, erhoben ſich bereits hier und da kleine Wölkchen, die in raſchem Wachstum zuerſt als unſtet flatternde Fetzen hin und her zogen, dann aber als wogende, jagende Ballen umhertoſten und der großartigen Scenerie den Anſtrich grauſigſter Wildheit verliehen.
Die Kulis hatten ſich inzwifchen recht fonderbar gegen den Schnee- glanz zu fehügen gefucht; fie hatten ihren Schopf langer Haare auf gelöft, die fie jonft unter dem Turban verſteckt als einen zufammen: gedrehten Knoten trugen und breiteten fie nun als einen ſchwarzen
Evalte im Mongibapu-Oletiwer.
©. 2909-91. Der obre Eisfall des Mongschapu-Gletschers.
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Schleier vor dem Geſicht auseinander. Alles Anſpornen, Bitten und Drohen erwies ſich aber vergeblich; die in der That ganz er« bärmlich angegriffnen Kulis warfen ſich mit jämmerlichem Wehllagen in dem Schnee oder am Öletjcherrande nieder und waren durch fein Mittel, felbft nicht durch verſchwenderiſche Belohnungszuſichrung, zum Weitergehn zu bewegen, befonder3 nachdem der eine das Un- glück gehabt hatte, von einem Steinfchlage getroffen und dadurch be— täubt zu werden.
So ftieg ich denn mit dem Tiroler zufammengefeilt noch etwa
drei Stunden Höher und Höher; ich fühlte, daß ich meine Abficht auf diefem Wege ſchwerlich erreichen könne, wollte mir aber doch ben Genuß nicht verfagen, diefe wahrhaft erhabne, weltferne Gletſchereinſamkeit in ihrer ganzen ftummen und doch fo unendlich beredten Sprache auf mich wirken zu laſſen, wollte das wonnige Kraftgefühl auskoſten, das jedem Alpenfteiger als ſchönſter Lohn für freiwillig erbuldete Plagen und vergofine Schweißtropfen befchert zu werden pflegt.
Doch dichter und dichter wurden die trägen Nebelmafjen, immer dicker, ſchwerer und ſchwärzer klebten fie fih an die wilden Fels— mauern ringsum. Es war Klar, daß ich, zumal bei der vorgerüdten Nachmittagaftunde, ohne Zelt, Schlaffäce und Proviant nicht auch noch an eine weitre Fortfegung unfres Aletterns jenfeit3 der höchiten Schneide diefes etwa 20000 Fuß (6100 m) hohen Grates denken durfte, fondern die3 auf einen fpätren Tag verfchieben mußte; diefe von mir erreichte höchfte Gratftelle liegt auf dem Panorama bei U. Beim Abftieg ſchnob mir der Sturm eißfalt entgegen, und ich war froh, ein mäßig geneigtes Schneefeld anzutreffen, auf dem wir Halt genug fanden, um mit Hilfe des Schnellfieders in aller Eile eine ftärfende Erbsſuppe kochen zu können.
Hier ftießen Tau die treulofen Kulis wieder zu uns, die in- zwiſchen tiefer unten einen beträchtlichen Vorrat eines weißen, von ihnen Negesdaro genannten Mooſes zum Stopfen ihrer Pfeifen ge- jammelt hatten, ein Kraut, daS ber Tiroler mit feinen heimifchen
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„Geißftrauben" verglich, und ich konnte ihnen die Verwundrung an den Augen ablefen, daß uns Parbati, die fchlimme Göttin der Berge, mit Heiler Haut aus ihrem Hochrevier entlafjen hatte; mit tüdifchen, unheildrohenden Blicken ftiegen fie mit mir zum Biwak ab.
AL nun am nächjften Tage die Wandrung gemeinfchaftlich mit allen Leuten und Sachen wiederholt und fortgefegt werden jollte, fpielte fich eine jener fatalen, unvermeiblichen Scenen ab, über die jeder Neifende im Himalaja ſtets die begründetfte Urfache haben wird zu Magen. Zunächit fehügten die geftern kaum belaftet mit- gegangnen Kulis Leiden und Verlegungen aller Art vor und weigerten wiederum auf das entjchiedenfte jeden Fortgang, dann aber warfen fich die andren drei handfeften Kerle mit den jämmerlichiten Bittgebärden zur Erde und beſchworen mich, nicht auch ihr Leben aufs Spiel zu ſetzen. Was halfen da Drohungen, Bitten und Ver— mittlungsvorfchläge! Selbft mit Anmendung brutaliter Gewalt hätte fich höchftens ein ganz vorübergehender Erfolg erzielen laſſen, denn wenn bei diefen Leuten die allmächtige Rupie wirkungslos bleibt, dann kann man auc) getroft Revolver oder Peitſche als nußlos im Gürtel ſtecken laſſen, die doc) fonft recht bewährte Drohungsmittel beim Rulitreiben zu fein pflegen.
Es war Mar, daß ich mit folchen Begleitern, noch dazu bei fo ungünftigen Schneeverhältniffen, niemal® den erwünſchten Uebergang erzwingen würde; vielleicht war diefe Unmöglichkeit aber mein Glüd, denn der Nachmittag brachte wirklich ganz furchtbares Wetter in der Höhe, und die Träger hatten dies doc) vielleicht vichtig im voraus gefpürt. Unter diefen Umftänden hielt ich es für das Lohnendfte, die fünf geftern benußten aber dadurch bereits vollftändig erſchöpften Leute mit dem Gepäd nah Milam zurückzuſchicken und mit den drei frifcheren Kulis den auf der andren, das heißt füd- lichen Seite zwifchen unfrem Mongfchaputhale und dem Panſchuthale liegenden Bergrücen zu überklettern und fo nad) Milam zurüczufehren.
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Es wurde dies eine zuerjt auf weichem Moosboden leidlich bequeme, ichfießlich aber wegen der ſcharfen Schieferfplitter der in unzählige Scharten zerfägten Schneide ganz unglaublich beſchwerliche Wan- derung. Dieſen Rüden verfolgte ich einige Stunden bergauf, um einen möglichft nahen Anblid des im Thalſchluß des Panſchuthales aufragenden circa 7320 m hohen Nanda Kot zu gewinnen. Aller- dings wurde diefer erhoffte Anblic durch bald auffteigende Wolfen- maſſen faft beftändig verhüllt, doch um fo eindrudsvoller war das ganz unvermutete Erſcheinen einzelner feiner jähen Abftürze und furdtbaren, überhängenden Ranzen, wenn bie feit in feine Schlünde
- und auf feinen Scheitel gepappten Nebeltlumpen in neckiſch aufregendem Wogen fich für einige kurze Gefunden zerteilten, um ſich dann wieder für geraume Zeit dicht zu verfchließen. Dabei deuteten alle Anzeichen abermals auf heranziehendes Unwetter, und die Sonne ſtach in faum noch) erträglicher Weife.
Auch die anfänglid) völlig reine, umfaffende Umfchau, die fich auf diefem hohen Panſchugrat nad Dften Hin bot, das heißt bis nad) den Schneegebirgen Tibet3 und nad) den wenige Wochen zuvor von der andren Seite, nämlich aus dem Pindargleticherthale und vom Schonſchal aus gefehnen abgefchrägten Gipfeln des Nanda Kat und feiner Nachbarn, fowie auf ben Fürzlich beftiegnen Banfchakuri und feine Umgebung fing nun ebenfall3 an, fich mit düfteen, ſchwarzen oder bfeigrauen Wolkenmaſſen zu füllen. Ich nahm deshalb den Abftieg zu dem in der Tiefe faft fenkrecht zu meinen Füßen erfcheinenden langgeſtreckten Panſchugletſcherboden in Angriff, zu dem von dem füdlichen Hange zahlreiche ſchmutzige Schnee- und Eismaffen hinab: zogen. Meine felbftgefliten Bergſchuhe konnten aber hierbei nicht auf die Dauer den maffenhaften meſſerſcharfen Schieferfcherben widerftehen, und fo wurde das an und für fich höchfte Vorficht und Ruhe erheifchende Abfteigen nicht nur von Schmerzen, fondern auch von einigen zum Glück nicht ſehr folgenfchweren Stürzen begleitet. Am fatalften war mir hierbei der Mangel meines brauchbaren Alpen-
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ſtocks, und ich kann etwaigen Nachfolgern wirklich nicht dringend genug taten, außer dem Eispidel die zum Fortlommen über die Bäche ganz unerläßlichen Vergftöde in mehrfacher Auflage aus den euro- päifhen Alpen mitzubringen; was in den Hügelftationen an Berg- ſtöcken feilgeboten wird, find zwar fehr hübfch verzierte Kofettier- ftöcihen aus Bambus, die aber gar feinen praftifchen Wert haben.
Auf diefem in der Gewitterſchwüle doppelt bejchwerlichen Nieder- ftieg zu dem gerölfbedecten Panſchugletſcherboden fand fich nirgends ein Waffer, „das an’ Wurm hatte“, wie ber Tiroler Elagte, und auch die fteilen, glatten, mit verdorrten Gräfern bewachſnen Abhänge, die unterhalb der Schieferflippenregion durchkreuzt werden mußten, konnten wahrlich Teine Erleichterung des Marfches genannt werden, obgleich die dort in ganz erftaunlicher Menge wuchernden Edelweiß- pflanzen einen merkwürdig anregenden Eindrud hervorbrachten. Neben dem ranfenartigen Leontopodium Himalajanum fand fi bier auch unfer L. alpinum. Sehr betrübend ift es für mich, von den in den Hochregionen gelegentlich gefammelten Pflanzen, Inſekten und Schmetterlingen nur wenige wohlerhaltne Stüde aus den zer- ftörenden Einflüffen der heißen Regenzeit gerettet zu haben; dieſe verfchiednen Edelweißarten, darunter ſolche mit meterlangem Stengel, haben fich jedoch ganz vortrefflich erhalten.
Schließlich gelangten wir zu einem, verlafinen Weideplag und auf den Gletfcherboden, der einen in feiner Furchtbarkeit faft be drüdenden Rückblick auf die nahe Niefenkuppel des Nanda Kot gewährte. Ihr ganz frifches Schneelleid zeigte mir, was für Ent- ladungen dort oben in den geftrigen Nachmittagsftunden gemitet haben mußten, fo daß ich ohne allzu Iebhaftes Bedauern über den veränderten Verlauf meines Vorhabens auf dem unzählbar oft durch Schlamm und Steinrutfhe unterbrochnen und dadurch kaum gang- baren Hirtenpfad durch die Panſchuſchlucht munter thalabwärts fletterte und über diefem anregenden Abftieg fogar meinen Groll auf die Kulis vergaß. Wer jedoch nicht fo hurtig „umzufatteln“ ver-
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mag, ſondern der Gewohnheit fröhnt, ſich nachträglich i Dinge zu ärgern, der bleibe behutſamſt aus dem Himo müßte an der Gelbfucht fterben! \
Ehe der Panſchubach in den Gori fällt, treibt fein zu den Heinen Sommerdörfern Ganagarh und Panſ Mahfmühlen, Heine Blodhäufer, in denen durch eine Kurbelüberjegung eine horizontale Schieferjcheibe über gedreht wird. Die dabei hodenden Weiber, mit mäı tüchern und maffenhaftem Schmucbehang und natürl dem nie fehlenden ungeheuren Nafenring verziert, ent! wie die am Ufer befchäftigten jungen und hübſchen mit allen Anzeichen äußerfter Angit, als wir zu ihne wie der Tiroler fagte, „derfeßten und derpirſchten“ Ge: mit unſren neben den zierlichen Bhotijas beinah rie| ſcheinungen aus einer Gegend niedergeftiegen kamen, die furhtbaren Gottheiten betreten gilt.
In Milam felbft wurde ich auf den Bericht dei unfre, mir gar nicht jonderlich hervorragend vorfommeı einer an Ehrfurcht grenzenden Bewunderung begrüßt.
Der Schuppen, in dem ich bereit früher in Milam gefunden hatte, mar inzwifchen von einigen mit Ajche bi in orangefarbene Umfchlagetücher gehüllten Büßern genommen worden. Diefe waren aus dem fernen S nah Milam gepilgert, um Kadſchi Wadſchi, dem Helden einer meitverbreiteten Legende gemordnen einjiedfer am Götterthron Nanda Devi und feinem berühmten zahmen Hirſch ihre Huldigung darzubringen ich denn mein Zelt wieder inmitten des Dorfes auf.
Meine wichtigfte Aufgabe war, den zerrifinen Vers herzurichten. Meinen eignen Schuhflicerfünften traute i fo vecht, und deshalb mußte der Dorfichufter fein H Unter des Tirolers und meiner Obhut nähte er mi
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einem langen Lederjtreifen gefchnittnen Faden einen handgroßen Flicken weißes Schafleber feft über das Lee, den er dann auf der Schub: ſohle mit Nägeln, die Hans vorforglich mitgebracht hatte, befeftigte. Es ſah allerdings nicht grade fehr elegant aus, aber ich wollte damit ja auch nicht zu einem the dansant gehen.
Die männlichen Bewohner Milams machten einen großen Bogen, ſobald fie mich kommen fahn; es hatte niemand mehr Luft, von mir zu Kulidienften überredet zu werden, weil die bisher mit mir gegangnen Träger in fo übertriebner Weife von den fürchterlichen und ungeheuren Gejahren renommiert hatten, die jie mit uns hätten durchmachen müffen, daß es ein Wunder geweſen wäre, wenn fie ſich geneigter gezeigt hätten.
Durch folgenden, fcheinbar fehr merkwürdigen, wenngleich recht geringfügigen Zufall verloren zum Glück meine Beftrebungen, zu dem geheiligten Bezirk des ewigen Schnees vorzudringen, in den Augen der Leute den Anfchein des Frevelhaften, fonft hätte ich wohl fpäter auch nicht einen einzigen neuen Begleiter gewonnen.
Der Sanyafji Kadſchi Wadfchi, der nackte Klauſsner, war nämlich an einem Sindufefttage mit feinem Hirſch ins Dorf Milam herunter: gekommen, um den Hirten einen Beſuch abzuftatten. Er mußte dabei unmitlelbar an meinem Zelte vorbei, und ich unterließ nicht, ein paar Zmwergebelweiße vom Hut zu nehmen, die ich auf dem Panfcha: furigipfel gepflückt hatte, und fie dem Klausner vefpektvoll zu über: reihen. Schon diefe harmloje Huldigung machte einen vorzüglichen Eindrud auf die Einwohner. Inzwiſchen aber hatte der Hirſch ber ftändig vor der Thür meines Zeltes herumgeleckt und jehien fich zum alfgemeinften Erftaunen dort jo wohl zu fühlen, daß er nur durch Teife Gemwaltanwendung von feiten des Heren Kadſchi Wadſchi zum Weiter: gehn zu bewegen war. Konnte e8 für die abergläubijchen Hirten einen bejjren Beweis geben, daß ich ein den Hindugöttern wohl- gefälliger, bußfertiger Pilgrim war? Daß Hans unfre Salzdofe vor dem Zelt umgeftoßen hatte und der Hirfch ſich an den Salzkrümchen
€. 290-91. Aussicht vom Panscugrat nach Südwesten. Waft meiner Rule,
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gütfich that, konnten fie ja nicht ahnen. Mit faſt andächtiger Be mundrung blidten von diefem Augenblicke an manche Milamer zu mie empor und mußten fichtlich nicht mehr recht, was fie auß mir machen follten; jedenfalls jchien ihnen allmählich ar zu werden, da ich mit ihren Berggöttern und deren Werkzeugen, zu denen ſchließlich doch auch der fahelhafte Hirſch gehörte, in alferbeitem Ein- vernehmen ftünde. Selbſt das weibliche Gefchlecht ließ fich von nun an ohne Scheu vor mir fehn, und aus manchem freundlichen Blick glaube ich fogar fchließen zu dürfen, daß ich in diefem Bergdorf gar nicht ſchlecht gebettet gewefen fein würde, wenn ic) eines ſchönen Tages erklärt hätte, mein Leben unter diefen einfachen, ehrlichen Leuten als ftillvergnügter, brahminifcher Mitbürger befchließen zu mollen.
AB ich zu Pandit Krifchen Singh, einem der aufgeflärteften Hindus, die ich je kennen gelernt habe, gelegentlich äußerte, daß fold ein Klausner wie Herr Kadſchi Wadſchi doch eigentlich ein ganz angenehmes und forgenlofes Leben führe, erzählte er mir lächelnd, daß er bereits einen Europäer kenne, der ganz nad) Art eines folchen Büßers in der Nähe‘ von Simla auf einem Hügel inmitten einer Affenherde haufe, die von den dortigen Hindus in einer Tempel- tuine gefüttert werde. Diefer habe es fchließlich dahin gebracht, daß ihn die Affen als ein befonders begabtes Mitglied ihrer eignen Sipp- ſchaſt, fozufagen als ihren König betrachteten und ihm alle Ehren eines folchen erwieſen, daS heißt die beften Lederbiffen zufommen ließen. Der Pandit wollte ſich mit diefer Bemerkung nicht etwa über den Darwinismus Iuftig machen, wie ich zuetft argwöhnte, fondern & wurde mir fpäter amtlich bejtätigt, daß dort thatjächlich ein der- artiger fpleeniger Sonderling Namens William de Rouffette exiftiert babe, defjen fteuerfreie Sommermwohnung aber auf die Dauer nicht die Gegenliebe der hohen Polizei in Simla zu erwecken vermochte, fondern ihrem Bewohner eine Strafe wegen Vagabundage eintrug.
Ueberhaupt bot mir jede Unterhaltung mit dem Pandit viel Neues. Am Tiebiten hörte ich ihn über feine Reifen in Tibet und
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von feinen Bejuchen in Lhafa beim Dalai Lama — oder genauer gefchrieben Teleh Lama — erzählen. Er konnte dann recht ärgerlich über die Ammenmärchen werden, die über die angebliche Graufam- feit diefer Perfonifilation Buddhas von Senfationzlüfternen aus: geiprengt würden. Der übliche Vergleich dieſes Dalai Lamas mit dem „Papſte der Buddhiſten“ ift, mebenbei gejagt, ſchon deshalb nicht zutreffend, weil ja jeder Dalai Lama beim Heranwachſen durch ein andres Knäblein erſetzt und dadurch in fcheinbar ewigem Kindes: alter erhalten wird.
Ich war überrafcht zu hören, daß die Vegetation bei Lhſaa, da3 an 100000 Einwohner haben foll, von denen jedoch mehr als die Hälfte aus Lamaprieftern bejteht, troß der hohen Lage von 11910 Fuß (3630 m) noch ſchöne Gemüfe- und Vlumengärten und Alleen von Aprilofenbäumen bietet, wie-folche zum Beifpiel zu dem vergoldeten, eine Meile vor der Stadt liegenden Tempelpalaft des Dalai Lamas führen follen und zwar vorbei an Häufern, deren Wände völlig aus ſchwarzen und meißen Hörnern von geopferten Schafen, Biegen und Yaks zufammengefchichtet find.
Ich erwähne hier nur das Wenige, was ich damals in meinen Tagebüchern in Bezug auf die Tibetaner und Lhafa niederzufchreiben Gelegenheit hatte. Alles, was ich erft neuerdings, befonder3 auf meiner Reife in Nepal im Winter 1898 zu 99 fiber Tibet beobachtete ober in Erfahrung brachte, werde ich in der Schilderung diefer nepalifchen Reife vorbringen. Als Rekord-Kurioſum will ich noch hinzufügen, daß es im Jahre 1898 einer Fühnen Dame, die ich auch in Dardſchiling zu ſehn den Vorzug Hatte, geglückt ift, durch den Sikhim-Himalaja und durch Tibet bis an die Thore Lhaſas vorzudringen, wie 8 — abgefehn von ältren Zeiten, in denen Lhaſa auch verhäftnismäßig oft von europäifchen Reifenden und Miffionaren befucht werben konnte — im Jahre 1890 dem machen franzöfifchen Pamier- teifenden Vonvalet gelang, dem Führer der großartigen Tibet-Durch⸗ querungs-Erpedition de3 Prinzen Heinrich von Orleans. Auch
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der heroiſchen, erfolgreichen Durchquerung Tibets von Nord nad Süd durch Dr. Thorold und Kapitän Bower im Jahre 1892 möchte ich bier gedenken, denn alle diefe heldenmütigen Reifen find dem größten Publitum nicht nach Verdienft befannt geworden; deshalb will ich aud) den Namen der vorhin erwähnten Dame, einer englifchen Miffionarin, nicht verfchweigen, fie Heißt Mit Annie R. Taylor. Meine Befuche in der Wohnung de3 Pandit8 waren ungemein lehrreich für mich. Er zeigte mir nicht nur die Auszeichnungen, die ihm für feine Reifeleiftungen von vielen gelehrten Gefellichaften ver- ehrt worden waren, darunter eine Medaille der Pariſer Akademie und einen goldnen, ihm von der Royal Geographical Society ge: ftifteten Chronometer, fondern auch höchſt wertvolle, von Tibetern gezeichnete Karten und faſt künſtleriſch gemalte Bilder aus Tibet. An der Wand feines Zimmers lebte eine Ueberſichtskarte aller geheimen, von ihm und andren indifchen Pandits für die englifch- indifche Vermefjungsbehörde ausgeführten Reifen. Beſonders inter- effierten mich auf diefer die Forſchungsreiſen des Pandit Nain Singh, der 1862 den Brahmaputra von den Quellen bis Lhaſa ftudierte, aber bald darauf von einem noch erfolgreicheren indiſchen Pandit übertrumpft wurde, der in den Jahren 1865 und 1866 unter thatfächlichen Gefahren und verkleidet Südtibet von den Manfaraurfeen und den Quellen des Brahmaputra bis bin nad) Lhaſa durch Kompaßpeilungen und afteonomifche Beftimmungen ver- meffen und fartographifch dargeftellt hat. Der Pandit löſte fogar diefe Karte von der Wand und verehrte fie mir; ich bewahre fie noch heute als wertvolles Andenken, zufammen mit einem genauen Plane von Lhaſa und feiner Umgebung. " Bei diefer Gelegenheit machte mich der Pandit auf die Schil- derung der Reife dieſes bewundernswerten Indiers Nain Singh auf für ihn „verbotnen Wegen“ aufmerkfam, die wohl nur jehr wenig befannt iſt. Sie führt den Titel: Report on the Trans-Himalajan Explora- tions during 1865—67, drawn up by Captain T. G. Montgomerie,
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R. E. 4°, 96 pp. Dehra Dovn 1867. Seine verhältnismäßig vor: zügliche Karte, die die früheren Annahmen betreffs de3 Brahma- putralaufes und feiner Quellen richtig ftellte, liegt ebenfalls gedrudt vor, fie heißt: Route Survey from British India into Great Tibet through the Lhasa Territories, and along the upper course of tbe Brabmaputra River or Nari-chu-sangpo, made by Pandit N. N. and compiled from the original materials by Captain T. G. Montgomerie, R. E. Dehra Dovn 1867. Diefer gewiſſenhafte Forfcher läßt dort auch den auf die Trennung des Manfaraurfee vom Rakus Tal bezüglichen Beobachtungen des englifchen Tibetreifenden E. €. Ryall ſowie den Beobachtungen von Gapt. H. Strachey Ge rechtigkeit widerfahren, ebenfo denen von Mooreroft, der fchon im Jahre 1812 Tibet und die beiden Manfaraurfeen befucht hat.
Doc dies fei genug Über Tibet, das ja Verfaffer von Räuber: gefchichten für Kinder gern als ein Land Hinftellen, das noch „nie von Europäern“ betreten wurde, und deffen Landkarten nur mit Hilfe von eignem Blut und eignen Knochenfplittern gezeichnet werben können.
In Milam ſtand mir zu guter Lebt noch) eine böfe Ueberraſchung bevor. Schon aus Dardichiling hatte ich einem Vertrauensmann in Kalkutta Geld angewieſen und gebeten, mir eine Kiſte voll Fleiſch- konſerven und ein Fläſchchen Saucenefjenz, oder deutſch: „Tunken— auszug” und die erforderlichen Karten von Garhmwal, koſte es was es wolle, durch befondre Kulis nach Milam zu ſchicken. Die Kiſte fam auch an, doch was enthielt fie? Nichts als ſcharfe „Worcefterfauce” und eine einzige Büchſe voll Corned beef! Die Karten aber jeien nad) der Verficherung des Geological Survey ganz out of print, das heißt vergriffen.
Auch meine indifchen Geldforten im Betrage von etwa taufend Mark, die ic) aus Almora mitgenommen hatte, waren allmählich bis auf einen ziemlich unbebdeutenden Reſt verausgabt worden. Sch bat deshalb den Pandit, mir einen Beutel mit hundert Pfund Sterling gegen indifche Rupien umwechſeln zu laſſen, aber mit der ruhigften Miene
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von der Welt erklärte er mir, daß dies hier oben in Milam, wo nur Tauſchhandel mit Tibet getrieben würde, ein Ding der Unmög- lichkeit fei. Zum Beweiſe ließ er die angefehenften Bervohner Milams zu mir ins Zelt kommen, wo fie jämtlich erflärten, daß fie jolche Goldſtücke und fo rotgefärbtes Gold noch niemals geſehn hätten; meine merkwürdigen Münzen feien wohl gar fein Gold, denn echtes Gold müfje doch jo gelb wie Schwefel ausfehn, und nur folches würde von den Tibetern aus ihren Goldfeldern über die Grenze gebracht oder von den Goldfehmieden in Indien zu Schmudgegenftänden ver- arbeitet. Sie bedauerten deshalb und fo meiter und fo weiter.
Trotz meiner Säcke voll Gold kam ich mir plöglih fo arm vor mie eine Kirchenmaus. Glücklicherweiſe fiel mir ein, daß ich bei der Abreife aus Deutfchland als Talisman drei Zwanzigmarkſtücke aus dem denfwürdigen Jahre 1888 mitgenommen hatte, die die Bilder der in diefem Jahre regierenden drei erften deutſchen Kaiſer trugen; ich glaubte mich zu erinnern, daß diefe von auffallend rein gelber Farbe geweſen waren. Raſch holte ich fie aus meinem Iedernen Bruftgeldtäfchhen und zeigte fie mit einigen erflärenden Worten dem Bandit. Zu meiner freudigften Weberrafchung erwies ſich dieſer wohl vertraut mit der neuften Gefchichte Deutfchlands und ſprach mit Bewundrung von dem jungen Kaifer und den mit ihm ver- einigten deutſchen Herrſchern. Dann fragte er mich, ob ich denn nicht auch ein Goldſtück mit dem Bildnis Bismarcks bei mir hätte, und diefe überrafchende Frage hier im Herzen de3 Himalaja zeigte mir doch recht deutlich, mie weittragende Schwingen der Ruhm unfres Nationalhelden befaß.
Während die Münzen mit den Kaiferbildern unter Ausrufen des Staunen: von Hand zu Hand gingen, näherte ſich mir ein alter Einwohner Milams und händigte mir für die drei Zwanzig- markſtücke das gleiche Gewicht reiner gelber Goldkörner ein, die ich dann ohne Schwierigkeit gegen Rupien umtaufchen konnte. Gern möchte ich wohl noch einmal in meinem Leben nad) Milam, um zu
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sehn, an welchem ſchönen Buſen diefe drei Kaiferbildnijfe dort jetzt als Schmudkette prangen! Ich ſah es aber deutlich kommen, daß ich troß all meines englifchen roten Goldes und meiner Kreditbriefe in dieſen entlegenften Gebieten des Himalaja verhungern Eonnte, wenn es mir nicht gelang, indijches Geld zu erhalten; auf die Rückkehr eines zum Geldwechſeln nad Almora geſchickten Eilboten hätte ich aber ficherlich vier unerſetzlich wertvolle Wochen warten müffen, und fomit war wirklich guter Rat teuer.
Nach Anficht des Pandits blieb mir nichts übrig, da ich feinem Rate durchaus nicht folgen und nicht auf demfelben Wege, auf dem ich gelommen war, nad; Naini Tal zurückkehren wollte, um dann von dort aus die weftlich liegende Gebirgsprovinz Garhwal zu be fuchen, als über den Utaburhapaß zu gehen und längs der tibetijchen Grenze zum Nitipaß und von dort duch das Thal des Dhauli Ganga nad) Badrinath und Dſchoſimath und erft zum Schluffe der Gebirgsreife wieder nach Naini Tal zu marfchieren. Bis nad Dſchoſimath würde ich, fo ſchätzte der Pandit, mit dem noch in meinem Beſitz befindlichen Gelde allerdings nur dann gelangen können, wenn während diefer Zeit ein Eilbote, der leicht belaftet drei Kulitagesmärfche an einem einzigen Tage zurüclegen kann, mit einem Säckchen meiner Goldſtücke nad) Almora eilte und dann von dort aus mir mit dem gewechfelten Betrage bis Dichofimath entgegenkäme, um mich auszus löfen. So vorfündflutlich mic diefer Geldwechfel, für den mir nicht die allermindefte Sicherheit gewährt werden konnte, auch erfcien, mußte ich doch darauf eingehn; ich bat in einem beweglichen Brief den Miffionar Oaklay in Almora, fich diefer Geldwechfelei freund- lichſt anzunehmen und fah dann mit fehr gemifchten Gefühlen den Kuli mit meinem Beutel voll Gold thalabwärts fpringen. Der Tiroler konnte nicht umhin, feine Welterfahrung in die Worte zu Heiden: „Der englifche Miffionar hat doch für Frau und Kinder zu forgen! Du hätteft das Geld befjer an den Zefuitenpater in Almora gejchidt."
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Sechzehntes Kapitel. Gletſcherfahrten und Zeltleben an der Grenze von Tibet.
E: widerftrebte mir, auf dem weiten Ummege über der
den Grenzuölfern verhältnismäßig viel begangnen Ni das im Weften gelegne Gebiet der Gangesquelle zu erre Ih mwünfchte vielmehr, in einem nördlih um den Nanda führenden Bogen dorthin zu gelangen und den eisgeharni Reden des Hochgebirges möglichft nahe zu bleiben. Eine Möglichkeit, zum Thale des Dhauli Ganga zu kommen, ſchien durch die Gletfcherfchlucht des Girthi gegeben zu fein. Abe welchen Mienen wurde diefer Plan vernommen!
„Durch das Girthithal wollen Sie? Durch diefe von Hirten und Jägern feit vielen Jahren gemiebne, durch zahllofe ‘ rutſche und nie aufhörende Steinfälle ungangbar gemachte, übelberüchtigte Schlucht? Es wird niemand mitgehen!" fagte Kr Singh, „es ift zu ſchwierig, ja es ift jogar unbedingt lebensgefähr
Es war ehrlich gemeinte Beſorgnis diefes prächtigen Hi der nur widermillig daran ging, durch die von mir gebotne, a gewöhnliche Befoldung von vier Rupien pro Tag und Mann nete Burſchen anzumerben. Es reiste mich aber unmiderjts wenigſtens einen Verfuch zu machen, auch dieſe furchtbarften, borgenften Schreckniſſe de3 inneren Himalaja aus eigner Anfche fennen zu lernen. Umkehren kann ich ja immer nod), wenn mi Tanz zu toll werden follte! fpiegelte ic) mir vor.
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Trotz aller Ueberredungskünſte und aller Rupienverheißungen konnten ſchließlich nicht mehr als fünf allerdings ganz wunderbar muskelſtramme und frohmutige Hirten bewogen werden, mic al Träger zu begleiten. Die Verhandlungen mit diefen gar nicht hoch genug zu rühmenden fünf Kulis wurden von Kriſchen Singh mit diplomatifchem Geſchick geleitet, während die gefamte männliche Dorf- bemohnerfchaft im Kreife herum und auf den nahen niedrigen Schiefer: dächern hodte, um ja feine Silbe diefer für fie fenfationellen, umjftändlichen Unterredungen zu verlieren und um das forgfältige Ab- mefjen meine® Mehl: und Getreideproviants beobachten zu Können.
Endlih war alles geordnet. Mein nicht unbedingt nötiges Gepäd übernahm der Bandit, um es bei Gelegenheit tyalabwärtd nad Almora und Naini Tal zu fenden, was fpäter.eine Fülle der ärgerlichften Mißverftändniffe und Verfehlungen zur Folge hatte, wie das in Indien in folchen Fällen nun einmal üblich und unvermeidlich iſt. Ein Reifender im Himalaja braucht nämlich durchaus nicht immer in Sorge vor Raub und Diebftahl zu leben, wohl aber muß er darauf gefaßt fein, durch Einfalt und falſch oder zu hajtig bethätigten guten Willen der Eingeborenen unnennbaren Schaden zu erleiden. Um nur eins zu erwähnen, jchreiben zum Beifpiel die Poftbabus in Bombay oder Kalkutta auf den für entlegne Gebiete Indiens be ftimmten Briefen die englifchen, beziehungsmeife europäischen Adrefien nochmals in dem betreffenden Schriftzeichen der dortigen Ein gebornen auf. In meinem Namen lafen aber natürlich die engliſchen Poſtbeamten das oe für u und fhrieben ihn demnach auch in diejer U-Lautierung hindojtanifch nieder; bei der ins Kleinliche gehenden Genauigkeit der Hindus in Neußerlichkeiten fiel es aber dann fpäter feinem eingebornen Poſtbeamten ein, mir meine Briefe zu verabfolgen, wenn ich unter meinem eigentlichen, aber anders Elingenden Namen danach fragte. Auch an Derartiges möge jeder denken, der Indien außerhalb der von den Vergnügungsreifenden befahrnen Orte zu beveifen denkt!
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Ich machte mich in der kühlen Frühe des 8. September auf den Weg, der zuerſt durch die bizarr zerriſſne Eroſionsſchlucht des Dung Pani führte. Seltſame, durch Fortſpülung und atmoſphäriſchen Einfluß aus dem mürben Konglomerat herausgeknabberte Geſteins- bildungen ſchmück⸗ ten hier die Thal- hänge. Diefe zahl- loſen, Tanggeftiel- ten Riefenpilge und ähnlihen Säulen waren entitanden, indem ein flacher, mãchtiger Stein das darunter befind⸗ liche, mit kleinrem Geröll durchſetzte Erdreich davor ge⸗ ſchutzt hatte, gleich dem nicht in folcher Art bedeckten durch⸗ feuchtet, aufgelöſt und fortgewaſchen zu werden. Je weiter ich auf dieſem goteslen Schluch⸗ tenwege fortſchritt, um ſo umfaſſender wurden die Ausblicke ſowohl rückwärts nach dem ungeheuren Nanda Kot, wie vorwärts im Norden nach den wilden ſteilen Schneegebirgen am Utadurhapaß.
Bei der Einmündungsftelle eines von Oſten kommenden Gletfcher- bachs hielten wir Raſt; diefer 12030 Fuß (3666 m) hochliegende
Platz, Samgong genannt, diente fihtlih den Salzkarawanen als Bert, Indifhe Gletfcrrfahrten. 20
Raft im Dung · Thal an der Ginmündung des Gamgong- Bades
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Raſtplatz und lag grade am Ausgang jener Schlucht, in die ich vom Panſchakuri von oben her bineingeblidt Hatte. Auf dem Titel: panorama ijt diefes mit S bezeichnete Seitenthal des Dung Pani fofort an ber herrlich gemölbten Schneefuppe des Samgongberges wieberzuerfennen.
Die kahlen, gelblihen Konglomeratwände biendeten unerträglich, als wir in empfindlich ftechendem Sonnenfchein unfren Weg meiter fortfegten, der fich wiederholt mittel fehmindelerregender Stege, das heißt langer ſchwanker Anüppel von einem Ufer des Gletſcher⸗ bachs zum andern zog. Der fpärlihe Strauchwuchs hörte ba vollends auf, und die Kulis beeilten ſich, die letzten erreichbaren Krummpolzftauden abzufäbeln und fie als Feuerholz für Die folgenden Tage mitzufchleppen, denn hoch oben, unter der Paphöhe des 17590 Fuß (5365 m) hohen Utadurhapaffes, follte das fühle Nacht lager bezogen werben.
An den frifch abgeftürgten Wänden der öden, vielfach gemundnen Felſenkluſt konnte man deutlich bemerken, unter wie unermeßlichem Druck bier einft die Gejteinslagen gebogen und durcheinander: geihoben worden find. Schließlich bildete die Schlucht einen Kefiel, der eine prächtige Ausfiht auf die fteilen grandiofen Klippen und Gletſcher des nahen, im Norden vorgelagerten Schikeldani, auf den furchtbaren Schutpani Parhar im Often und den noch zerftörtere Umriſſe aufmeifenden Oldur im Weften gewährte.
Der Steig wand fich hierbei beftändig zwiſchen Sandfteinen und Quarzblöden von enormer Größe hindurd) und führte dann über einen in kunſtvoll⸗roher Weife aus Steinklögen gemölbten Brückenſteg zum Lagerplage Dung in 13720 Fuß (4185 m) Höhe. Zahlreiche, als Opfer auf den großen Steinblöden von den Tibetern nieder- gelegte Verfteinerungen und Kryftalle erinnerten hier an den felt- ſamen Verkehr, der ſich zeitweis durch diefe Gebirgswüſtenei zieht.
Wie bedauerte ich, daß ich meinen Leuten nicht ein einziges Pfund Gepäc weiter aufbürden durfte und die ſchöne Gelegenheit, das hier
aufgeitapelte, wiſſenſchaftlich ſo wertvolle Material mitzunehmen, unbenugt laſſen mußte! Allerdings bin ich nicht Juriſt genug, um mir über die Berechtigung zum Einheimfen folcher den Göttern geopferter Kryftallfunde ganz klar fein zu fönnen, doch möchte ich denjenigen Sammeleifrigen jehn, der an folchen vollgehäuften Bräfentiertellern vorbeiginge, ohne den einen ober an- dren Leckerbiſſen da- von zu ftibigen! Von Dung ab fliegen wir dem von Weſten herkommen⸗ den Ablauf des über⸗ aus ſchmutzigen unt⸗ ten Utadurhaglet⸗ ſchers entgegen, zu⸗ erſt auf ſeiner ſüd⸗ lichen, dann, den Gletſcher überque⸗ rend, auf ſeiner nörd⸗ lichen ungeheuren Schuttmoräne. Aber auch von Nordoften kommt bei Dung ein Sandisaft auf dem Marfhe um Utadurfa-Gleifher. Vach aus dem Lha- fargletfcherpaß, alfo von der tibetifchen Grenze herunter, und der Fluß trägt erft von diefer Vereinigungsftelle an den Namen „Dung“. Auf dem Gletfcher, von defjen vordrer Eiswand bejtändig Geröll und Eisſtücke herunterriefelten, begegneten wir einer der mir nun ſchon hinlänglich bekannten, aus Tibet tommenden, mit Borar und Salz beladnen Ziegenherden; die Treiber trugen nach tibetifcher
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Weife den rechten Arm nebjt Schutter vollitändig entblößt, obmohl die bereit3 unter den Gefrierpunkt gefunfne Kälte recht empfindlich war. Gie hatten ein reich mit Glasperlichnüren gefchmüctes Weib bei ſich, deren offner, naiv-dreifter Geſichtsausdruck, mit dem fie mich anftaunte, ganz unmiderftehlich komiſch wirkte, weil fie es ſich dabei nicht verfagenfonnte, mir in ber landes⸗ üblichen Weife un- ausgefeßt die Zunge entgegenzuftredten. Diefes naturwũch⸗ fige Zeichen der Freude und Hoch achtung machte mir jedes fernere Zu- fammentreffen mit ZTibetern zu. einem Hauptipaß.
Das Begeguen folcher tibetifchen Salztransporte hat aber aud) feine we- niger heitre Seite, denn die Hunderte von garftigen, hals⸗ ftarrigen Ziegen fuchten uns ſtets förmlich von dem Gletfcher herunterzudrängen ; hierbei verlor eine ihre ſchwere Doppeltafche voll Salz, rutjchte aus und ftürzte ab. Das erwähnte, auf dem Eis ſehr unficher tappelnde Weib verfuchte zwar das Tier zu fafjen, fam aber dabei felber ins Stürzen und kollerte, fich fortwährend überfchlagend, ein Schneefeld hinunter. Noch geraume Zeit tönte das aufgeregte Gefchrei ihrer
Aufitien zum Utadurha-Glerferpaß.
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Begleiter von unten herauf, und ich bedauerte lebhaft, ihr nicht als Wundarzt beijpringen zu können; ich tröftete mich fchließlich mit der Verficherung, die mir gelegentlid der Pandit gegeben hatte: dieje Tibetaner find wie Leder, fie verlegen ſich nie, fie waſchen fich nie!
Der Weg auf der nördlichen Moräne war übrigens recht be— ſchwerlich, da von den dor anftehenden zer⸗ tüfteten Kalk⸗ felfenungäblige,
ganz friſche Broden abge ftürgt waren und Wletfcher und Moräne überfchütteten. So waren wir denn froh, als wir den Malla Bamlas ge nannten Platz erreichten, wo fih der über- ſchrittne Glet⸗ Biwat bei den Bamlas-Spitzen, im Unwetter. ſcher aus zibei von Weit und Oft kommenden Eisftrömen bildet; die Höhe ift hier 15320 Fuß (4670 m).
Bon. den unfer Zeltlager einfchließenden Bergen konnte ich nur ein unvollfommne3 Bild aufnehmen, da jie von raſenden Wolfenmafjen und ſchließlich durch einen heftigen, mit Eisnadeln gemifchten Platz- regen verfchleiert wurden. Allmählich machte mic aud) meine ſtetig böfer werdende Fußverlegung viel zu fchaffen, die ich mir in meinem
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durchgefcheuerten Bergſchuh zugezogen hatte; der Flickkünſtler in Milam hatte ihn grade nur für einen dreiftündigen Gebrauch aus« haltend mwiederherzuftellen vermocht.
Als aber die nächſte Frühſonne ihre erſten Strahlen auf den mwöften, ſchroffen und deshalb faſt ſchneeloſen Schileldani und die klotzigen füblihen Bamlasſpitzen warf, wirkte da8 nun kryſtallklare Bild diefer nahen Eispracht und der dahinter liegenden Gipfel herr⸗ lich und erſchütternd. Die von dort entipringenden kleinren Gletſcher vermählten fi) mit dem Utadurha, während aus Weiten ſich drei ähnliche Eisjtröme ergoffen.
Durch endlofes Kalkjteingeröll und über wahre Scherbenberge ging es nun nordiweitlich, fpäter nördlich weiter, biß ſchließlich der aus dreien zufammenfließende obre Utadurhagletfcher überfchritten wurde. Wegen jeder Spalte machten die Kulis ängftliche, weite Ummege, fo daß id mit dem Tiroler durch ihr direktes Meberqueren einen Vorfprung von mehreren Stunden gewann und mit Muße von der bei 17590 Fuß (5360 m) liegenden Utadurhapaßhöhe die herrliche Scenerie dieſes Gletſcherkeſſels bewundern Eonnte; einige Adler Freiften darüber.
„Schau, wie ftolz er daherreitet," äußerte der Tiroler, als ein derartiger mächtiger Vogel fo nahe an uns vorbeiraufchte, daß id feine Schwungfedern fat mit dem Stock erreichen konnte.
Auf einem die Paßhöhe bezeichnenden Steinhaufen hatten fromme Seelen befonders zahlreiche und anfehnlihe Drüfen von Kalkipat- kryſtallen aufgehäuft, ebenfo Berfteinerungen, Wollfloden, bunte Zeuglumpen und andre Opfer.
Da ich mich ebenfo wie der Tiroler hier auf der Paßhöhe noch überrafchend rüftig fühlte und die lange Wartezeit bis zum Herauf- fommen der Kulis nicht unthätig frierend verftreichen laſſen wollte, ftiegen wir noch zu einem zmwei- bis dreihundert Meter höheren Schneegipfel norböftlich von der Paßhöhe empor, der eine noch um: faffendere Ausficht auf die Hochgipfel der Nanda Devi- und der Bamlasgruppe und auf die fteilen und vegetationslofen, öden Gipfel
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der tibetifchen Hochebene verſprach und aud) gemährte. Rechts und links von der mit frifchem Neufchnee bedeckten Paßhöhe erhoben fich mächtige Schneefpigen, zmwifchen denen wir nun zu den feinen, an ihrem Fuße liegenden Seeen abftiegen, um dort unfre Leute zu er- warten und unſer Frühmahl zu halten. Weftlich von der Paßhöhe 308 ſich in fanfter Mölbung ein Gletfcher herunter und endete in einem diejer Seeen.
Als mein Trägertrupp anlangte, klagten die Leute, obwohl fie Eingeborne des hochgelegnen Bergdorfes Milam waren, über allerlei doch wohl nur durch die Dünne der Luft hervorgerufne Uebel, während mir und dem Tiroler thatfächlich nicht die geringfte merk⸗ liche Beeinträchtigung unfres Wohlbefindens auffiel; allerdings hatten wir durch gehöriges Zeitlafjen beim Aufftieg für Ruhe unfres Bluts gejorgt, während die Kulis fih in ganz unnötiger Weife an Haft überboten und ihre Atemnot durch Schmauden aus ihrer jogar während des bejchmwerlichen Steigens von einem zum andern man- dernden Hufamafferpeife gewiß nicht verminderten.
Unmittelbar unter der Paßhöhe des Utadurha, die durd den ſchon genannten Opferfteinmann gefrönt ift, zmweigte von dem Saum- pfade nad) dem Nitipaß ein andrer in nordöftlicher Richtung nad) dem fhon zu Tibet gehörenden Kungribingripaß ab. Diefem Wege folgte ich einige Kilometer weit zur Paßhöhe des Jandi, die leider nur einen ſtark verfchleierten Rücblict auf das Alpengebiet des Nanda Devi gewährte, daS ich nunmehr auf feiner Nordfeite zu umgehen beabfichtigte. Meinem Verſprechen gemäß, in diefen kritifchen Zeiten ungefchlichteter Grenzftreitigfeiten feine Verwicklungen herauszu— fordern, widerſtand id; dem lodenden Verſuch, einen mweitren Aus: flug nad) Tibet zu unternehmen, und ftieg zu dem vom Utadurha nieberziehenden Schneefelde hinab, um zunächſt dem nach dem Niti- paß gerichteten Pfade zu folgen.
Das Gehen in dem tiefen Neufchnee wurde uns hier fehr er- leichtert, weil erſt Fürzlich eine Herde von Schubuhs, das find
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Baſtarde von Rind und Yak, bier herübergefommen war und dieje Tiere mit ihren tief geſenkten mächtigen Köpfen, jtämmigen Beinen und zottigem Haarbehang wie Schneepflüge gewirkt hatten.
Nach zweiftündiger Schneemandrung trafen wir auch diefe ganze ‚Herde von Schubuhs nebft Ziegen und Schafen auf dem Raftplage Laufa um fünf tibetifche ſchwarze Zelte gelagert, wobei jedes Tier mit feinen Hörnern durch einen Strid aus Yalhaaren an die Hörner eines andren gebunden war; um jedes Zelt war eine niedrige Steinmauer als Wind- und Schneejchuß. errichtet.
Die im Innern des größten, zmweiteiligen Zelte8 um das qual- mende Feuer kauernden Tibeter gloßten mich bei meinem Eintritt mit offnen Mäulern an, während die beiden an dem großen Keſſel waltenden Weiber ohne jede Scheu auf mich losfteuerten, um mit gleichfalls weit aufgerifinen Augen und heraushängender Zunge die Aermel meiner aus geripptem Sammt gefertigten Joppe zu betaften. Das Gefühl, das dieſes neugierige Streicheln in ihren Fingerſpitzen erregte, jchien ihnen aber weit intereffanter zu fein als meine fonitige europäifche Erfcheinung. Ich erinnerte mich allerdings, diefe Horde bereit8 in Milam gejehn zu haben, mo die Tibeter einen ihnen von Rechts wegen gar nicht zufommenden Abgabentribut für das Geftatten des Taufchhandel3 von den Grenzbewohnern ertroßt hatten. Ich Hatte mich aber in Milam von diefen tibetifhen Schön beiten etwas zurückgehalten, erftlich weil in ſolchen Ländern die Mißhelligkeiten zroifchen Eingebornen und Europäern nur zu häufig aus übel aufgenommnen Galanterien gegen Damen entjtehn und zweitens, weil diefe auch fonft nicht grade peinlich faubren tibetifchen Evastöchter fich die Wangen fo greulich mit blutbrauner Farbe voll- zumalen und fo vanziges Fett in ihre bebänderten und mit Zieraten behangnen Zöpfe zu fehmieren pflegen, daß ich, troß aller Ver- ehrung für das weibliche Gefchlecht, dem Dunftkreife diefer Frauen in Milam etwas aus dem Wege gegangen war; nun ereilte mic hier das Geſchick, und ich mußte ftillhalten.
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Das eine Weib war ſehr robuft, fie ftroßte von Gefundheit und Kraft; für die andre wäre es aber befier geweſen, fie wäre nie geboren worden. Erinnern Sie fic, geehrter Leſer, des Scheu- ſals, das mir in Kati begegnet war? Denſelben Brechreiz mußte ich hier nochmals erleiden, denn grade fie, diefe weniger Holde, war jo unausfprechlich liebenswürdig gegen mich, daß ich vor Entſetzen faft in die Erde ſank. Ich bitte, mich aber ja nicht faljch zu verftehen, mein Wettermantel blieb ganz und gar aus dem Spiele, aber die Unfelige fchien ausnahmsweife eine Freundin der Sauberkeit zu fein und ledte ihre fettige, altersfchwarze Holsfchale erft blitzblank, ehe fie mir den Thee darin Tredenzte. Eine Ablehnung wäre einer Kriegserflärung gleihgelommen. Und wie fah ihre Theebrühe aus? Einfach entjeglih! Ich hätte eine Heine Baggermafchine anwenden müffen, um darin Klarheit zu fchaffen. Der ſchon wiederholt von mir zitierte, weil mir ungemein ſympathiſche Chemiker Dr. Heinrich Fauft kann in der Herenküche keinen. größren Efel vor der „breiten Bettelſuppe“ und ihrer auf dem Befenftiel duch den Schornftein einreitenden Erzeugerin befommen haben, als er in mir bei der Herftellung dieſes Theegebräus aufftieg.
Man vergegenmärtige fich gefälligft nur dieſes verräucherte und verſchmutzte Zelt, durch deſſen morſche Lumpen ich beim Gradeftehn mit dem Kopfe hinducchfuhr. Dann denke man gütigft an den in die Augen beißenden Dualm und das Dämmerlicht darin, die gemifchten Düfte von. verdorbnem Fleiſch, fauer gewordner Milch, vanziger Yutter, altem Käfe und nie gereinigten Menjchen und Kleidern, und fchließlich ftelle man ſich die in diefem Geſtank hockenden, mich anglogenden und dazu ſchnaufenden, grunzenden, ſich bald hier bald dort fehabenden, ungebärdigen Theetrinker vor, und man wird mic um dieſen five o’clock tea wohl nicht ſehr beneiden!
Die braunrot gefchminkte, unruhige Megäre trottelte hierhin und dorthin. Bald griff fie in einen an einem Ziegenhorn am Zelt pfahle hängenden Sad und holte daraus eine Handvoll geröftetes
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Gerſtenmehl hervor, dann kratzte ſie aus einem ähnlichen Beutel ein Häuflein erdiges Kochſalz und bröckelte ſchließlich einen Haufen dürrer, großer Theeblätter aus einem in Ziegelform gepreßten und in weißes Hafenfell eingenähten Paket und rührte alles zufammen in ben Keſſel. Man wird begreifen, daß ich einer Ohnmacht nahe fam, als bie ſchöne Dame daranging, den Haupttrumpf ihrer Freundlichkeiten auszufpielen. Nämlich folgenden.
Ich erinnerte mich, bei den mir begegnenben tibetijchen Herden Meine Hirtenbuben beobachtet zu haben, die einen mulftigen Lederjad auf dem Rüden trugen, und wußte aud), daß in folche Zellbeutel allmorgendlich die fette Milch der Yafkühe eingemolfen wird, damit fie darin durch das lebhafte Herumfpringen des Jungen ausgebuttert wird, wobei die Butter zwifchen den Fellhaaren hängen bleibt und bei der Ankunft im Lager herausgefragt wird. Aber als nun die er: wãhnte Here aus einem unheimlichen Beutel eine jo hergejtellte Butter- kugel herausholte und mit ihrem unfaubren Zeigefinger ein Klümpchen Butter davon abfraste und verfuchte, dieſe haarige Gabe Gottes unter fortwährendem Zungenherausſtrecken, mit triefenden Augen und teopfender Nafe in meine ſchon vorher von ihr fo gründlich aus- gefchledte und mit verfalzner Theefuppe gefüllte Taſſe abzu- ftreifen — da, ich gefteh e8 ganz offen, da habe ich das Grufeln gelernt, und zwar gründlich! Da ftieg felbft in mir etwas wie Weiberhaß auf.
Und nun vergeffe man nicht, daß die Landesfitte oder der durch den efelhaften Thee beftändig verborbne Magen der Tibeter es mit ſich bringt, daß bei jeder tibetifchen Mahlzeit nicht nur befriedigt mit der Zunge gefchnalzt, fondern auch allerfeit3 unaufhörlih ein gräßliches Rülpfen hervorgebracht wird, das wie eine Mifhandlung des Wortes „Worpswede“ Elingt. Da prahle doch niemand, daß er Anwandlungen von Seekrankheit nicht zugänglich ſei, bevor er nnter folchen Umftänden tibetifchen Thee jchlürfen mußte!
Die Tibeter fchienen an mir irgend etwas auszufegen zu haben.
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War e3 die fichtliche Bevorzugung ſeitens de3 gefchilderten Weibes, war e3 meine Anfängerfhaft im Vortragen jener angedeuteten, aus tiefftem Magen kommenden Bufriebenheitslaute, was fie veranlaßte, . immer geräufchvoller zu brummen und zu knurren und finſtre Blicke in meine Ede zu fenden? Plötzlich fprang ein vierfchrötiger, durch feinen dickgefütterten, langen Aermelrock hünenhaft ausſehender Rüpel wie von der Tarantel geſtochen auf, packte haſtig meinen Bergſtock, mit dem ich draußen die kläffenden Hunde zurückgeſcheucht und den ich dann ahnungslos mit in das Zelt gebracht hatte, und ſchleuderte ihn vor die Zeltthür. Ich hatte völlig überſehn, daß das Herein- beingen eines Stodes bei dieſen fehr auf die üblichen Formen haltenden Leutchen ein weit ärgres Vergehen bedeutet, al3 wenn bei ung zu Lande jemand feinen Hut im Zimmer bejtändig auf dem Kopfe behalten wollte. Exft nachdem ber unhöfliche Stod an die frifche Luft geſetzt war, herrfchte Ruhe und Frieden, und mehr als einmal wurde mir eine lange Tabafspfeife angeboten, in deren winziges Köpfchen ein verdächtige Pulver gepfropft war, das aber gar nicht nach Tabak duftete; woraus dieſer Stoff beftand, weiß ich ſelbſt heute noch nicht. Die Gemütlichleit wurde fchließlich ganz allgemein; die Weiber ftiegelten meine Sammtjoppe, und ich zog ihnen die mit herrlichen Türkifen bejegten Haarnadeln aus dem Kopfputz oder mufterte die Anhängfel, die die Männer an einem ledernen Gürtelriemen mit ſich berumfchleppten. Da baumelte mandjerlei: ein Hornring als Finger: hut, ein Nadelbuch in Geftalt eines wappenförmigen Ledertäfchcheng, ein Sädchen mit Stahl, Feuerftein und trocknem Baummoos, dann eine Heine Zange zum Auszupfen vereinzelter Barthaare, ein Biegen- born zum Austragen der Salzſäcke, ja ſelbſt roh gefchnittne Stempel zum Abgeben der Unterjchrift und allerlei Meffer. Alles, was ich von Tibetern hier und fpäter in Sikhim und im vergangnen Jahre in Nepal zu Geficht bekommen habe, wiber- fpricht der mweitverbreiteten Anficht, daß das ganze tibetifche Volt aus feigem Gefindel beftehe. Selbjtverftändlich fühlen und fürchten
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fie die Ueberlegenheit der raffinierten Mordwaffen der Engländer, durch die fie im Sikhimfeldzuge hilflos zuſammenkartätſcht wurden. Aber Leute, die fo oft mit den vielfachen Bejchwerden und Gefahren des Hochgebirges zu kämpfen haben, und noch dazu mit völlig uns zureichender Ausräftung, die wird man doc wohl eher beherzt als feige zu nennen haben. Ebenſowenig ift das gutmätige, tollpatſchig rohe Volk zu Grauſamkeit und Blutvergießen geneigt; wohl giebt es in dem ungeheuren Tibet Räuber und Gefindel wie anderswo auch, aber im übrigen lieben die Bewohner des füdlichen Tibet Frohſinn und derben, forglojen Lebensgenuß. Es wird ihnen niemand ver- denken, daß fie ſich das Schickſal Indiens zu Herzen genommen haben und es den Herren Engländern nicht erleichtern, über den Himalaja zu ihnen bineinzuftolzieren, um die ungeheuren Goldlager zu anneftieren, die in Tibet noch der Ausbeutung harren und die von den Eingebornen mit ſcheuer Ehrfurcht als nur den Erdgeiftern gehörig betrachtet werben. Sie magen es höchftend nad einem ängftlichen Opfer, fich haftig ein weniges von dem auf der Steppe liegenden Goldſegen in die Tajchen zu füllen, denn die allgemeine An- ſicht ift die, daß das Land verarmen und das Volt entarten würde, wenn eifriger nad; dem fegens- und fluchmwerteften aller Metalle gefchürft werden dürfte. Große Goldflumpen werden fogar ſtets wieber in den Boden verſcharrt, um dort kleinre zu erzeugen.
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Siebjehntes Kapitel. Durch die Lawinen der Girthiſchlucht.
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B- nächſten, faum ſechs Kilometer weiter nördlich liegenden \ und Topi Dunga genannten Raftplag der Salzkarawanen 7 © trennte fih mein nun weſtlich abzweigender Weg von dem weiter nordwärts dem Nitipaß entgegenführenden. An dem Aus- bleiben der Schaf und Ziegengerippe längs des Pfabes konnte ich bemerken, daß ich fortan meinen eignen, einfamen Weg ging.
Hier auf der Nordfeite des Gebirges, deſſen fteilen Gipfeln der Schnee beinahe völlig fehlte, zeigte ſich das Landſchaftsbild unter dem Einfluß mejentlich geringrer Luftfeuchtigkeit vollftändig verändert. Statt ungeheurer, von allen Seiten daherflutender Gletſcherſtröme nichts als öde Trümmerhalden oder mit mwinzigem Edelweiß und gelblichen Moofen überfäter Boden, der, von mehr: fachen heißen Quellen ermeicht, das Fortchreiten erfchwerte. Und wie ſchritten die Kulis mit ihren Laften aus! Juſt als hätten fie den Böfen im Naden. Und richtig! ALS follte daS ganze Himalaja- gebirge von der Erdrinde fortgeblafen werden, feste ein Sturm, der bald zum Orkan anfchwoll, feine mächtigen Backen in ganz unbefchreiblich wirkungsvolle Bewegung. Wahrfcheinlich hatten die Kulis als erfahrne Gebirgsjäger diejes Ummetter geahnt, das man ganz gut für den Beginn des Weltunterganges halten konnte. Wehe demjenigen, den ein Orkan von ſolchem Kaliber auf irgend einer Hochzinne de3 Himalaja ereilt! Er muß in die Tiefe!
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Wir fanden zum Glück einigen Schutz, als uns die rieſigen feſtungsmauergleichen Felſen zum Windbrecher wurden, die auf dem nördlichen Ufer des weiter unten Girthi genannten Waſſerlaufes emporftarrten, während wir unfren Kampf gegen das tobende Element an dem jüblichen ausfochten.
Nach einigen Stunden bot uns ein Gletſcherwaſſer Halt, das von dem jest jüblich von uns liegenden Schneegebirge abfloß, alſo von demfelben Gebirgsſtock, der auf feiner Südfeite den Oberteil des Milamgletfchers einſchloß und hier auf der Nordfeite in einer von den Kulis Turger genannten Spitze gipfelte und die Firnbecten zweier Gletſcher umfaßte. Das Waſſer war fo hoch geſchwollen, daß die meiften der von dem tobenden Naß überfpülten gewaltigen, im Flußbett liegenden Steine nicht einmal gejehn, geſchweige denn duch Sprünge mit Hilfe des Alpenſtocks erreicht werden konnten. Selbjt der Tiroler ftand bier ratlos. Nur mit Widerftreben willigten wir darein, auf dem Rüden der an folche eisfalten Bäder gemöhnten Kulis den furchtbar jäh dahinwirbelnden, mächtige Steine mit fich reißenden Bad rittlings zu überfchreiten, wobei den Leuten das Waſſer oft bis über die Hüften ging. Bei dem wütenden Orkane war das fein ganz harmloſes Thun: ein einziger Fehltritt eines dieſer abgehärteten, unter unfrer ſchweren Körperlaft mächtig hin und ber ſchwankenden Bhotijas und — — nun, da8 weitre wird fich wohl jeber ausmalen können, der die elementare Macht folder Wild waſſer kennt!
Von nun an begann ein Weiterwandern ohne jeden Pfad über ſteile Berghänge und dazwiſchen eingeſattelte ſumpfige Wieſen. Ein andrer ungeſtümer Bach, von dem grotesken, ſichtlich aus verwittertem Kalkſtein beſtehenden Kanadar herſtrömend, wurde durch Sprünge von einem Stein zum andren ohne Unfall überſchritten. Als ſich dann das zunächſt von mir verſuchte Fortkommen längs des Girthi⸗ fluſſes nicht weiter durchführen ließ, wurde in einiger Höhe von Felsblock zu Felsblock fortgeklettert und ſchließlich ein leidlich ebnes
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und zum Zeltlager geeignetes Fleckchen gefunden. Hier bot ſich auch zum erjtenmal weiter nach Weften hin ein voller Einblick in die dort wirklich ganz ſchauderhaft fteilmandige und öde, fo ſehr gefürchtete und al3 Hirtenverkehr vollftändig aufgegebne Girthiſchlucht. ‚Kommt Zeit, fommt Rat!‘ dachte ich, ließ mir den Abendthee munden und ichlief, troß des fteinigen Bodens unter dem Zelt, fo traumlos Löftlich, mie ich immer fchlafen möchte.
Die Morgenfälte erfchien mir aber doch außerordentlich bitter, nachdem ich mich aus meiner Schlafſackdecke aus Kamelhaar heraus: geihält Hatte und nun zähneklappernd Umfchau hielt. Es hatte in der Nacht geregnet, und dide volle Wolfen hingen recht wenig ermutigend zwiſchen den düftren Felswänden der Schlucht, an deren Riſſen und Vorfprüngen wir und nun fortarbeiten mußten; beſſer wurbe e3, als wir einiges Strauchwerk, dürftige Weiden und verfrüppelte Birken mit faſt zur Kugel verfchrumpftem Stamm erreichten, wo fich auch ein neues Seitenthal aufthat, aus dem vom Girthike Parhar her ein anfehnlicher Zufluß für unfren, von hier an exit Girthi genannten Bad) herunterfam.
Nahe bei der Einmündungsitelle diefes Baches Tagen die Ruinen und verwilderten, aber doch noch) erkennbaren Buchweizenfelder bes hier einft vorhandnen, aber wegen der unaufhörlichen Thalverwüftung durch Lawinen vor geraumer Zeit verlafjnen Sommerdorfs Girthi. As ich zu diefen verwitterten Ruinen kam, die in Büſchen von Hagebutten, Birken und Ianggeftieltem Edelweiß zerftreut lagen und nun das wildſchöne Hochgebirgsbild des Hoch in ben jeßt wolkenlos blauen Himmel hinaufragenden ſchneeweißen Girthiberges, feines Gletſchers und de3 daraus hervorſchäumenden Baches von einer diefer zerfallnen Hütten aus betrachtete, überkam mich doch ein vecht weh— mütiges Gefühl der Bedeutungslofigkeit des fich fo ungemein wichtig dünfenden Menjchen gegenüber einer jo unausfprechlich erhabnen, von fo unermeßlichen, erbarmungslos waltenden Kräften geftalteten Natur. Die Fragen über den ſchließlichen Zweck unfres Dafeins und
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Wirkens, unfre3 Entjtehns und Vergehns und andre unergründlice Nätfel zogen durch meine wahrhaft andächtig bewegte Seele, doch der Schredensruf aus Hanſens Munde: „Deirel, i hob ja die Erbs wurſcht ausgefeut!" führte mich von meiner unfruchtbaren Grübelei in die Wirklichkeit
zurüd. Ich tr
ftete Hans über
das Ausfeuen,
das heißt das un-
achtſame Aus · der⸗
Taſche⸗Fallenlaſ⸗
ſen ſeines Schatzes
durch den Hin⸗
weis auf den Vor⸗
rat ſeiner Leib⸗
ſpeiſe in meinem
Ruckſack. Zu weit⸗
rem Troſte ließ
ich einen fetten
Hammel ſchlach⸗
ten und braten,
den ich in Laufa
von meinen tibeti-
ſchen Gaſtfreun⸗
den erſtanden hatte
Raft bei den Ruinen des Hirtenplages Girthl und bisher hatte mittreiben laffen.
Der weitre Weg, den ich mir von hier aus durch dichtes, ver: filgtes, dorniges Gejtrüpp und loſem Geröll am ober ftellenmeis thatſächlich im Girthibachbett zu fuchen hatte, wobei fortwährend ſenkrechte, weit in die Wafferfälle norfpringende, ſchlüpfrige Wände überkfettert werden mußten, fpottet jeder Beſchreibung! Es würde
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eine folche auch ziemlich zwecklos fein, da nicht einmal ein Leſer, der glaubt, bereit3 ähnliche Schwierigkeiten felbft durchgemacht zu haben, ſich die richtige Vorftellung von der unwegfamen Verwüftung zu bilden vermöchte, die fi nun auf weite, ſchier endlofe Streden hin zeigte; bie ſich Hierbei aufthuenden übernatürlichen, ja hölliſchen Bilder zu ſchildern, verfagt mir die Sprache, weil dort das Un- mögliche Geftalt befommen zu haben fchien.
Die ganze linke, alfo füdliche Thalmand war fortan wiederholt Kilometer weit friich heruntergebrochen und an ben noch überall in die Tiefe polternden oder ziſchend herunterriefelnden Steinmafjen, die auf die Trümmer von älteren Bergrutfchen ftürzten, konnte ich ermefjen, über was für ein unfagbar gefährliches Gebiet wir ſchweigend, in weiten Abftänden und mit äußerjter Vorſicht mie Wilddiebe vorwärts tafteten. Ab und zu erdröhnte, Ranonen- ſchlägen gleich, daS Losbrechen und Niederprafjeln andrer Felswände, bald nah, bald fern. Im tiefften erjchüttert, in mein Schickſal ergeben, jah ich hier mit beinah freudigem Grauen das ergreifend fremdartige und nie von mir in diefer Art für möglich gehaltne Schaufpiel einer im beftändiger Selbſtzerſtörung begriffnen Fels— wildnis. Die Folgen anhaltender Regenzeit und der jetzigen Nacht- feöfte unter Mitwirkung mittäglicher Glut konnten wahrlich nicht draftifcher anfchaulicd) gemacht werden. Hierher möge der Herr Direktor des naturwiſſenſchaftlichen Theaters „Urania“ in Berlin feine Schritte lenken, wenn er dem Publitum ein Schauftüd von noch nie erhörter Wucht auf feine Bretter, die die Welt bedeuten, zu bringen wünſcht.
Am ſchwierigſten war das Fortkommen in dem reißenden Waſſer, wenn die ſenkrecht abfallenden harten Lehmwände keine Möglichkeit mehr boten, daran fortzukommen. Wie oft ſprangen die braven Burſchen ins Waſſer, um mir Aeſte oder Knüppel zum Darüber ſchreiten zu halten, damit ich nicht wie fie unausgefeßt bis an die Bruft durch das brüllende, eijige Waſſer fchreiten mußte; dann
Boed, Indiſche Gletferfahrten. 21
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wieder famen Uferjtellen, ausgewafchen und unterhöhlt, die nur „auf allen Vieren“ durchkrochen werden konnten. Doc tro alledem ftrahlten wir, auch meine Indier, vor Luft, wen eine feheinbar unüberrindliche Stelle nad) der andren durch Vorficht, Geduld, Ruhe und Gemandtheit befiegt worden war. Nirgends habe ich mehr den Mangel einer ſchnell gebrauchsfertigen Handkamera bedauert als bier, wo das Aufſtellen meines Stativs naturgemäß eine vollftändige Unmöglichkeit war.
Die Ufer wurden fteiler und fteiler; die zerfeßten Kalkfelſen nahmen gefpenfterhafte, phantaftifche Formen fabelhafter Wälle mit Türmen und Erlern an. Aus gewaltiger Höhe ſchoß -über eine diefer Mauern ein herrlicher Schleierfall herab, zerjplitterte aber im Fallen, durch den braufenden Wind auseinandergeblafen, in Tau und Dampf, jo daß nichts von feinem breiten Wafjerguß unten anlangte. Auf die Höhe eben dieſer Wand mußten wir nun hinauf, da unten im Waffer fein Fortlommen mehr war. In unglaublichen Zickzacklinien, dicht und knapp an die Felſen gequeticht, zogen und ſchoben wir uns um dieſe entfeßlichen Mauern herum und durch noch viel fürchterlichere Kamine empor; ab und zu bot fich dabei ein Blick hinunter in die enge, finftre Schlucht, in der, mindeftens jechs- hundert Meter tiefer, die in weißen Gifcht verwandelte Wafjermaffe des Girthibachs raſte und kochte. Schließlich vermehrten verfrüppelte Weidenbüfche, jcharfbornige Hagebuttenftauden und meift durch Schneebelaftung horizontal von ber Felswand fortgebogne Birken- büfche die unerhörten Hindernifie diefes Kletterns; ich durfte glauben, in dieſer Beziehung ſchon einiges durchgemacht zu haben, aber hätte ich ſolche Schwierigkeiten für denkbar gehalten, würde ich diefen Weg unter feinen Umftänden unternommen haben!
Später erfchien in der Felswand ein tiefausgefchälter Kefiel, über den ein mächtiger Waſſerfall hinüberftürzte; es blieb feine Wahl, wir mußten grade unter diefem faft zermalmenden Sturzbade hindurch, fort zu immer neuen, noch ſchwierigeren Stellen. Das
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Ganze bildete eine touriftijche Arbeit der allerſchrecklichſten Art. „Hier geht jeden Tag keiner!" fagte ber Tiroler mit beinah erjtarrten Mienen, um dann wieder, gleich uns andren, ſchweigend in die Felfen und Buſchwurzeln zu paden und raſtlos fortzuffimmen, weiter, immer weiter, denn fehon fiel die Dämmerung ein und noch war fein Plägchen eben genug geweſen, um uns darauf zur Ruhe ' niederlegen zu können; an ein Auffchlagen bes Zeltes war erſt recht nicht zu denken.
Im Dunkeln, gegen acht Uhr abends, fanden wir endlich ein Teidlich geeignetes, aber immer- hin noch recht heikles Fleckchen, von dem aber das Zelt mit Inhalt gar zu leicht hätte ab und in die Tiefe rutfchen können, jo daß ich es vorzog, in meine Dede gewicelt im Freien zu ſchlafen.
Der nächſte Morgen brachte das gleiche, viel- leicht noch gefährlichere Thun, denn jet galt es, über ſehr glatte, ſchräge Schieferplatten hoch über dem und längs des unten bonnernden Baches fortzufommen und ein auf der Höhe grünendes Birkenwäldchen zu erreichen. In diefem fand ich zu meiner grenzenlofen Ueberraſchung endlich wieder die Andeutung eines Steges, der uns ſchließlich um viele Gebirgsausläufer herum nad) dem verlaffnen Weideplatz Schiruans leitete, mo fich eine weite, entzücende Ausficht auf die
Raft auf der Höhe von Schiruans.
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Schneegebirge, auf den Gletfcher am Uja Trifche im Süden und auf die wunderbaren Felsgebilde des Laptalpafjes im Norden erſchloß. Eine Raft wie bier ift allerdings eine nicht leicht zu vergeflende Wohlthat, nachdem das Leben buchftäblich in unausgefester hand» greiflicher Gefahr geweſen ift.
Bon hier ging e8 auf glatten, fteilen Wiefen und bedrohlich überhängenden Felſen hinunter zum mafjerreichen Bad) des Uja Triſche, über den hinwegzukommen ich zunächſt gar keine Möglichkeit ſah. Schließlich entdeckten die fcharfen Augen meiner unvergleichlichen Kulis weit, weit unten eine frühere Hirtenbrüdte — aber was für eine! Zwei mit Steinplatten befchwerte lange Baumftämme ftellten die Verbindung zweier im Fluß liegenden, oben abgerundeten und aalglatten Rieſenblöcke her, auf die hinauf oder herunter zu kommen eine Aufgabe war, die nur barfuß und unter Beihilfe aller Teil- nehmer zu überwinden war; wäre unfer glüdliches Fortlommen nicht eine fo verzweifelt ernfthafte Sache geweſen, hätte ich mich hierbei über unſre Anftrengungen halb totlachen können.
Der Steig führte weiterhin über eine ausgedehnte und wegen ihrer fteilen, ſchlüpfrigen Abhänge ebenfalls außerordentlich ſchwer paffierbare Schlammlamine hinauf zum Weideplag Schilkuans, mo ich endlich wieder Menfchen, und nody dazu ganz reizende, drollige Hirtenbübchen mit ſeltſamen, keck auf das Ohr gerückten, zylindrifchen Wollmügen antraf. Ich kann mir nicht denken, daß einem Feinſchmecker gebratnes Schnepfengedärm befjer munden kann als mir der Honig und der weiße fette Schaffäfe, den mir diefe allerliebften Bengel nebjt frifchgeröfteten Schupatibroten vorſetzten; allerdings zeigten fih, um die Wahrheit zu geftehn, in Honig wie Käſe einige dunkle Punkte, doch wo fehlten die wohl gänzlich im Leben? Geld wollten die guten Leute aber unter feiner Bedingung von mir annehmen, fo daß ich wieder zu meinen bewährten Sturmftreihhölzern griff und fie damit unendlich glücklich machte; Gelb beſaßen und fannten fie nämlich überhaupt nicht, wie es fchien.
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Auf leidlich gutem Pfad ging der March von hier durch ein Rhododendrondickicht, doch bald war durch einen mächtigen, ganz feifchen Erdſturz abermals jede weitre Spur dieſes Weges verwiſcht. Nur mit unendliche Mühe famen wir fiber das aufgemeichte Trümmer feld und erreichten endlich den ebenfalls nicht mehr benugten Weideplatz Talla Schilandy, von wo aus ich tief unter mir in wahrhaft graufen- erregender ſchwarzer Kluft den Uja Trifche brodeln und braufen ſah.
Der Verſuch, von diefem hochgelegnen Punkte über abjcheulich ſchlüpfrige Grashalden zum Girthithal abzufteigen, ftellte an unfre ſchon aufs äußerfte erfchöpften Kräfte faft nicht mehr zu bemwältigende Zumutungen. Auch hier war jede Wegſpur verwifcht; dann zeigte fih ein frifcher Bergrutich nach dem andren, und e8 begann wiederum ein höchſt angreifendes Klettern um unzählige verwitterte Felsnafen und über teile Schutthalden, aus denen dort die Girthithalmände bejtehn.
Wir kamen nur in einem wahren Schnedenjchritt vorwärts, doch plöglich gab es in der Thatgar Fein Vorwärts mehr, und auch das Zurück ſchien unmöglich, denn eine als Griff unentbehrliche Felskante brödelte unter dem zuerft gehenden Kuli ab, der dadurch bei einem Haar ſelbſt in die Tiefe ſtürzte, von Hans aber noch mit Hilfe des Alpftod3 zurücgehalten wurde.
„Da find wir ja an einem raren Ort!" war des Tirolers lakoniſche Bemerkung; dann fragte er fich in der Aniefehle, als ob ihn dort etwas biſſe. Sichtlich beſorgt rollte er fein langes Seil auseinander, mit deffen Hilfe wir zunächft uns und dann ſchließlich das Gepäd zu der unmittelbar über ung vorftehenden Klippenjtufe emporjeilten, mas ungefähr zwei Stunden mühevoller Arbeit Eojtete; zum Weberfluß fteömte währenddefjen ein heftiger Platzregen nieder,
AL wir ſchließlich alle fieben glücklich oberhalb der nichtsnußigen Abbruchftelle verfammelt waren und wieder anfingen, durch das Geröllmeer weiterzutaften, an das fich nach unten fteile, glatte Fels- wände anfchlofien, erlangten wir die jehmerzliche Gewißheit, auch an
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dieſem Abend, der bereits einbrach, keinen Platz für ein Zeltlager finden zu können, doch zum Glück trafen wir ſchließlich wenigſtens unter einem überhängenden Felſen eine Art Höhle an. Nachdem die Kulis die darin bemerkbaren Spuren und Speiſereſte wilder Tiere entfernt hatten, fachten fie ein Feuerchen an, und trotz deſſen Qualm und Raud) jchlief ich, in meine Dedfe gehüllt, wie ein Dachs. Draußen aber ging während der Nacht ein Unmetter nieder, wie das vor kurzem erft überjtandne, das uns zwar gründlich anblies aber auch die Luft für den nächſten Tag rein und alle Wolten thalausmwärts fegte. Den Ausgud aus dieſem Felfenhorft durch die Girthiſchlucht thalabwärts zeigt das beiftehende Bild, aber nur der Kenner fann ahnen, was e8 heißt, unausgefegt an ſolchen Wänden ohne jede Wegipur, ohne jeden Gemsſteig vorwärts Hettern zu müfjen. Auch der nächite Tag brachte ähnliche und infofern noch ärgre Schwierigkeiten, al3 ſich mein Bergſchuh vollftändig in Faſern auf zulöfen begann und mir jede Sicherheit de3 Tritt? in den abſcheu— lichen, uns in dem Bachbett beftändig entgegenfchiebenden, meffer- ſcharfen Scherben benahm. Ich konnte wirklich von fabelhaftem Glück fagen, als ich fhließlih den breiten Ausgang der Girthi- ſchlucht erreichte und mit meinen Getreuen in allerdings entſetzlich heruntergefommnem Zuftande, aber doc mohlbehalten und in guter Laune meinen Einzug in das Sommerdorf Malari im Thale des obren Dhauli Ganga halten konnte, wo man uns mit jtarrem Ent: ſetzen begrüßte. Seit langen Jahren war es ſelbſt den eingebornen Mofchustierjägern nicht mehr gelungen, auf diefem hoffnungslos ge: fährlichen einftigen Hirtenfteige von Milam nad) Malari zu kommen! Wenn ich aud) viel gewagt hatte, jo glühte ich doch vor Zufriedenheit, eine derartige, in ihrer Art ganz einzig daſtehende Tour durch den allerwildeften Teil des Himalaja erfolgreich zurüd: gelegt zu haben; das gab mir Kraft und Luft und Mut, den fernren Schwierigkeiten meiner Reife getroft die Stirne zu bieten. a — —
©. 326-27. I. Die weglose Girthi-Schlucht, aus meinem Lager im Felſenloch photographiert.
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©. 8286-27. II. Ausgang der Girthi-Schlucht; tm Vordergrund meine fünf Rutis,
Arhtzehntes Kapitel. Mein Marterweg nah Dſchoſi-Math.
Fn Malari wurde ich der Mittelpunft einer Aufmerkſamke vielleicht‘ ehrenvoll fein follte, aber jedenfall recht Läftig
7” Die über meine Ankunft durch die Girthiſchlucht völlig geregten Dorfinfaffen folgten mir auf Schritt und Tritt bei dem! gang, den ich zur Ermittlung des beften :Beltlagerplages durch de unternahm. Ein ſolches Plägchen an der grenzenlos kotigen $ ftraße zu finden, war eine fehr mißliche Aufgabe, denn mc Umgebung eine3 der Holzhäufer von feinen Bewohnerinnen I vein gefegt, jo erfuchte mich gewiß der betreffende Hausherr hö eine Nummer weiter zu wandern, vielleicht grade aus Sorge diefe weiblichen Hausgenofjen; jedenfalls wurde mir das Ein in die Häufer überall mit wahren Gebärden de3 Entſetzens ver: In Ermanglung meiner abhanden gelommnen Purwana hatte ir fein andres Recht, irgend etwas zu verlangen, als das A da3 der weiße Mann in Indien überhaupt beanfprucht, dod Glück fragte der Ortsältefte gar nicht nad) dem landesüblichen weispapier, fondern flug mir vor, mein Zelt in dem dör Verfammlungs- und Beratungsjchuppen aufzuftellen. Das wäre gar fein fo übler Platz geweſen, aber es hatte dort ganz fi eine Yalkarawane genächtigt und den großen Hof in eine Düngergrube verwandelt; aber aud) in dem Schuppen felbft | nicht viel faubrer aus, und von Regenſchutz war darin nid,
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zu fpüren, weil die leßten Inſaſſen die Mehrzahl der hölzernen Dach: fparren herausgeriffen hatten, um ihr Feuer damit zu unterhalten. Der Negen goß zur Abwechslung wieder einmal in Strömen,
Malari; Gruppe von Dorfbewoßnern, dahinter eine webende Frau.
und mein Befinden war durch die Nachwirkung der ftrapaziöfen un- geheuerlichen Eindrücke der letzten Tage ſowie durch die Qualen infolge meine3 vermundeten Fußes das denkbar erbärmlichite. Deshalb ließ id), um wenigſtens fo troden und jauber mie möglich zu wohnen, mein Belt in den Schuppen hinein und unter das durchlöcherte Dach
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ftellen. Der Schuppen war aber jo niedrig, daß die Zeltftangen nicht zu ihrer ganzen Länge von zwei Metern aneinandergeftedt, fondern nur als Hälften benust werden Tonnten; ich mußte alfo in einem Zeltchen haufen, deſſen Eingang ein Dreieck mit zwei gleichen, je faum einen Meter langen Schenfeln vorftellte, jo daß wir nur friechend aus dem efelhaften Kotbrei in das Belt hineinfommen konnten.
Raum hatte ich mich in das Zelt zurückgezogen, um mich end- lich einmal wieder auf leidlich ebnem, wenn auch entfeglich übel- viechendem Boden der Länge nad) auszuftreden, fo fingen auch ſchon wieder die üblichen, verwünſchten Höflichkeitsbezeigungen an; der gutmütige Padwari ſchickte einen Buben nach dem andren mit gräß- lich unreinem Honig, ungewafchnen Eiern, haariger Butter, ſchlick- tiger Milch und feifigen Kartoffeln. Der Hofraum wimmelte bald von Menfchen, die fehnatternd den entfeßlichen Kot durcheinander trampelten, während die Sonne durch die Regenwolken ftach und die widerlichſten Dünfte aus dieſem Moraft brütete. Was ift doch zu viel Liebe für eine Qual! mußte ich denken, denn id) lag während dieſes Getümmels mit zerfchundnem Fuß in dem unbe quemen Zeltchen und wurde von Hunderten von biffigen Pferdefliegen gepeinigt ; der Tiroler fehnarchte, und die Kifte mit Küchengeſchirr Tag noch ungeöffnet in einer Ecke des verjauchten Schuppens, fo daß ich den fchmierigen Heinen Händen, die mir die genannten Delikateffen auf Blättern in das Zelt bineinjchoben, nicht einmal Gefäße zum Einfammeln ihrer köſtlichen Gaben entgegenreichen konnte.
Den ganzen nächſten Tag hielt mich mein Fuß unbeweglich an dieſes entjeßliche Biwak gefeffelt, doch am folgenden konnte ich die betäubenbe Luft, neben der die eines Kuhſtalls ein himmliſcher Wohl- geruch geweſen wäre, einfach nicht mehr aushalten. Ich humpelte auf die Gaffe, um mir den Verkehr auf dem Saumpfade, der über den Nitipaß aus Tibet hier vorbeiführt, ein wenig anzufchaun; er war dürftig genug. Eine Schar widerjpenftiger, von ein paar betrunfnen
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Tibetern getriebne Efel war alles, mas von Norden herüberkam; die Ejel waren mit ungeheuren Bündeln HYakſchweifen beladen, die in Indien gern al3 Fliegenwedel für vornehme Hindu-Haushaltungen getauft werben.
Hans wollte inzwifchen endlich einmal unfre waſchbaren Hab- feligfeiten reinigen und begab fich deshalb zu dem Wäfcherinnenplag an einen feichten Arm des Dhauli Ganga, doch faum bemerkten die halb entkleideten Gejchöpfe feine Abficht, al3 fie mit erfchresften Mienen davonftoben. Hans ließ fich aber in feinem Betriebe durch die abſchreckende Wirkung feiner verwetterten Hünengeftalt auf das zarte Gefchlecht in Malari nicht im mindeften irremachen, fondern rieb und fnetete unfre Wäfche nuch Herzensluft. Das reizte doch mohl die Neugier der Fleinen Weiber, denn fie famen nad und nach wieder herangefchlichen, um mit Staunen wahrzunehmen, dab ihr Konkurrent die Wäjche weder, wie fie, mit den Füßen hin und ber ftampfte, noch durch Schlagen mit Holztnüppeln oder Eteinen bearbeitete; vermutlich hielten fie ihn noch für einen Anfänger in derartigen Künften, doch war ich nicht indißfret genug, zu beobachten, ob und wie fie ihn eines Beſſren belehrten.
Die Einwohner Malaris trugen in ihrer Kleidung viel Wohl: habenheit, die fie ihrer eignen regen Webthätigkeit verdanften, zur Schau. Faft an jedem Haufe ſah ich eine Frau auf einer diden Wolldede ſitzen und an einem langen Zeugftreifen weben, der an der Hausmauer befeftigt war und deſſen andres Ende mit der Web- vorrichtung von der Weberin im Schoß gehalten wurde. In hübſchen Wolljaden und auf der rechten Schulter feſtgeſteckten Umſchlage⸗ tüchern jahen dieje Weiber ſehr gefällig aus, wozu aber wohl aud) die Sitte beitrug, nicht allein den linken Nafenflügel mit einem Ninge von mindeftens zehn Gentimeter Durchmeſſer, fondern auch noch das Nafenfpischen durch ein allerliebftes kleines, mit einem bligenden Stein bejetstes Ringelchen zu verzieren. Ich erſchrak aber förmlich, als ich bei meinem wißbegierigen Herumhinken in einem
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abgelegnen, offnen Schuppen vor dem Orte ganz unerwartet ein halbes Dusend derartig geſchmückter Köpfchen nebſt den dazu ges hörigen, in dicke Wolldeden eingehüllten Dämchen erblickte, die auf der Erde nebeneinander lagen wie Pöfelheringe. Ich glaubte zuerft,
Das Bergdorf Malari. von Eüden geſehn.
in ein Lazaret gelommen zu fein, doc der Padwari flärte mic) fpäter durch die Mitteilung auf, daß dieſes Haus von denjenigen weib- fichen Dorfinfafjen bewohnt werden müßte, die grade vom „böfen Geiſt“ bejeffen wären, was von Zeit zu Zeit bei einer jeden der Fall zu fein pflege. Ich fand diefen Gebrauch ungemein finnreich und hielt ihn für ein würdiges Seitenftüd zu dem nachahmenswerten Zorn:
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gemach, das viele Hindus in ihren Häufern einrichten, um darin die von ſchlechter Laune befallnen Familienmitglieder vor dem Bildnis der Göttin des Zorns fo lange einzufchließen, bis fie reumütig be kennen, daß die ſchlimme Göttin von ihnen gewichen fei und bis fie böflichft bitten, daß man fie doch wieder herauslaſſen möchte.
Während die Frauen webten, hodten die Männer um fie ber, um bie Fäden herzuftellen; fie wirbelten dabei den Wollknäul im Kreife um und über den Kopf, bis der Faden eng genug gezwirnt war. Zur Erzeugung dickrer Schnüre fpreizte der Mann vier Faden durch zwei kreuzweis hindurchgeſteckte Hölzchen auseinander, und ein andrer Mann drehte dann diefe Fäden wie ein Seiler zu: fammen. Auch fah ich in der Nähe einige Weiber Hanf ernten, mobei fie jedes einzelne Pflänzchen ſamt der Wurzel mit einem Heinen Pickel aus der Erde fragten.
Die Holzhäufer von Malari mit ihren bemooften und mit Steinen beſchwerten Schindelbächern waren wie Schwalbennefter an die fteile, wilde Felsſchlucht geklebt, durch die der Dhauli Ganga braufte; fait fahn fie wie Schweizerhäufer aus. Dice, verwetterte Tannen und Inorrige Cyprefjen mit wagerechten Aeften fäumten das ſchöne Land: ſchaftsbild, daS bie mit blendendweißem Neuſchnee bedeckten Gipfel de3 Bunga und Kati Banar frönten; im Vordergrunde weideten Zebukühe, Eſel und Ziegen an einem jähen, frifchen Felöfturze, und ein Adler ſchwebte einfam über der mit zerftäubten Waſſer gefüllten und von einem dreifachen Regenbogen überwölbten Schlucht.
So fchön die Lage von Malari auch war, und fo fehr auch mein Fuß der Schonung bedurfte, drängte e8 mich doch weiter nad Dſchoſi⸗Math zu kommen, wohin ic) mir das eingemechfelte indiſche Geld und meine Briefjchaften durch den aus Milam nach Almora geſchickten Eilboten bejtellt hatte, wie ſich der Leſer wohl noch erinnern wird. Der Weg thalabwärts Tängs des Dhauli Ganga war allerdings durchaus nicht verlodend, denn er beftand eigentlich nur aus ſechs Viehſteigen, auf denen feit alten Zeiten Yats, Schafe
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und fonftige Saumtiere, eins hinter dem andren getrieben wurden, auf denen aber auch die Wallfahrer aus diefem Grenzbezirt nach Badrinath zu pilgern pflegten. Auf Befragen gab ich beharrlich an, daß ich nur deshalb aus dem fernen Deutfchland hierher gekommen fei, um
Malari.
das Heiligtum in Badrinath zu beſuchen; ich konnte mir ſchon denken, daß ich dort als Europäer nur ſehr ungern geduldet werden würde.
Die Vilgerfahrt führte zumächft durch eine tief eingefchnittne Schlucht, in der da8 Donnern der Wafferftürze gewaltig wieber- halte. Ich hatte unfreiwillig viel Muße, diefem Dröhnen zu laufchen,
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denn wir kamen nur ſehr langſam vorwärts; bei jeder Kuli- ober Hirtengruppe, die wir antrafen, hielten meine Träger an und reichten ſich die Wafjerpfeife, die dann von Mund zu Munde ging, wobei auch den Begegnenden allerlei wichtige Neuigkeiten über mich be- richtet wurden. Die und Begegnenden traten dann zum Abjchied regelmäßig vor mich Hin und führten mit tief zur Erde gebeugtem Haupt die Hand an die Stirn, aber durch die ruckweiſe Ausführung dieſes Grußes ſah das grade fo aus, als bückten fich die Leute urplößlich, um einen großen Stein von der Erde aufzulöffeln und in gebüdter Haltung gegen mich zu fehleudern, und ich geftehe, daß ich bei der erften, unvermuteten Anwendung dieſes Grußed ein wenig ftußte. Weil aber der Grüßende dabei Salam Sahib! Heil dir, Herr! ausrief, ſchien zugleich mein armer Tiroler in fchmerzlicher Er: innrung an feinen legten Salamizipfel zufammenzuzuden, fo daß ih ihn mit der Hoffnung bejänftigte, in Naini Tal gewiß gute englifche Wurſte für unfre fernere Reife zu erhalten; er fchien jedoch nur zu unfven heimatlichen Produkten Vertrauen zu hegen. Nach eignen üblen Erfahrungen kann ich fpätren Himalajareifenden nicht dringend genug ‚raten, ihre gefamte Ausrüftung und vor allen Dingen ihren Konfervenbedarf in ganz friiher Ware entweder vollftändig mit fih zu bringen ober beizeiten mitteljt Frachtdampfern, zum Beijpiel des Deftreichichen Lloyd oder der direften Hanja-Linie von Hamburg nad Kalkutta ſchicken zu laffen. Diefe Spefen find gering gegenüber dem ungeheuren Vorteil, genau zu wiffen, daß man friichen Proviant hat. Freilich iſt in den riefigen Magazinen in Kalkutta und Bombay fait alles zu haben, was das Herz begehrt und noch dazu fo, daß man in demjelben Kaufhaus Schmweizerfäfe und photographijche Apparate, Sättel und Damenfleider erhalten kann, aber es iſt feine Annehm: lichkeit, auf hohem Bergesgipfel ſich an einer Fifchlonferve laben zu müffen, die zufällig bereit3 ein paar indifche Sommer hindurh in Kalkutta den Laden gehütet hat. Außerdem entjprechen die deutjchen Konferven unſrem Geſchmack doch mehr als die englijchen. Für
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Hochtouriſten find natürlich ſelbſtkochende Konſerven, das heißt Büchien in Verbindung mit einer Wärmevorrichtung, wie ſie neuerdings zum Beiſpiel die Firma Reeſe in Wülfel bei Hannover in den Handel bringt, eine nicht zu unterjchägende Neuerung. Auch alles alpine Gerät, wie Bergfchuhe, Alpenzelte, Bergſtöcke, Schlafiäde, Laternen, Schneebrillen, Eispickel, Steigeifen und dergleichen, bringe man ums Himmels willen aus Europa mit, fonft läuft man Gefahr, daß man bei Beftellung auf ein „Gebirgszelt“ ftatt eines winzigen, federleichten Alpenzeltes einen wahren Wald von Leinwand und Stangen zugeſchickt befommt, der zum Fortfchaffen allein eine Kompagnie von Kulis erfordert, allerdings dafür auch die Möglichkeit bietet, eine Heine Tanzfejtlichkeit darin zu veranftalten. Man darf bei Reifen im Himalaja nie vergeffen, daß in Indien unter der Vezeichnung Himalaja gewöhnlich nur die ſchon fo oft erwähnten hill-stations verjtanden werden, in deren Umgebung man allerdings vollfommen mit den auch in der Ebne üblichen Tuftigen und eleganten Lurus- zelten auskommen Tann.
Die Blide auf die zahlreichen Wafjerfälle der Seitenfchluchten mit ihren gletfchergefüllten Thatjchlüffen entfchädigten für den holprigen Weg über die endlofen Steinblockmaſſen, zwifchen denen Hagebutten und Wacholderbüfche nebit üppigen Brennefjeln wuchſen. Hin und wieber zeigten fich in den Felswänden feheinbar ganz unzugängliche Höhlungen; in einer folchen ſaß pagodengleich ein nadter und durch Afche weiß getünchter Büßer mit untergefchlagnen Beinen und mit dem üblichen hohen Neft aus verfilzten Zöpfen auf dem Haupte. Die Vorübergehenden Iegten dem Sonderling, der feinen Schlupf: winkel nur mit Hilfe eines von oben heruntergelafinen Taus er- reicht haben konnte, ihre Almofen oder Spenden an Lebensmitteln in feine aus einem Kürbis gejchnittne Schale, die er an einem Strid aus feiner Sommerwohnung bis zut Straße herunterhangen ließ; fpäter jah ich auch derartige Bettlerfchalen oder Lotas in gleicher Form in Bronze gearbeitet als Geſchenke frommer Verehrer folcher
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wunderlichen Heiligen, die man heutzutage in Indien nur noch ganz abſeits der großen Heerſtraßen in voller Urſprünglichkeit findet.
In dem ausgehöhlten Stamm einer ungeheuren Pinie hatte ſich ein ähnlicher Sanyaſſi an der Straße niedergelaſſen, doch, trotzdem das Innre des Baumftamms duch das von dem Büßer darin
unterhaltne Feuer vollftändig verfohlt war, grünte der Wipfel des Baums noch in üppigiter Friſche und Kraft.
Von Malari, daS 10048 Fuß (3062 m) hoch Tiegt, zog fich der Weg fehr hoch über dem in der Tiefe zwifchen prächtigen Tannen bergab ſchäumenden Dhauli Ganga hin, fo daß ich am Schluffe des Tagesmarjches beim Hirtenplag Dſchelam nicht tiefer heruntergefommen, fondern geftiegen war, denn Dichelam liegt in 10109 Fuß (3081 m) Höhe. ‘Der Bli auf die gelben und
Betilerihale (Lota) aus toten Buchweizenfelder an den Berglehnen war BBB aus dieſer kahlen, mit Edelraute überwucherten Höhe ungemein maleriſch, nicht minder das bunte Treiben um mein Zeltlager, das ich notgedrungen inmitten einer Herde von mehr als tauſend Laſtſchafen aufſchlagen mußte, die Gerſte nach Tibet ſchafften. Die Treiber hatten ſchon vor meinem Eintreffen jedes freie Plätzchen in Dſchelam mit Beſchlag belegt, und wo ein- mal fo ein tibetijches Schaf fein ſtattlich behörntes Haupt zur Ruhe niedergelegt hat, da helfen weder Prügel noch Lift, um es vor voll: zogner Raſt zum Aufftehn zu bemegen.
Die Abend: und Morgentemperatur ſank auch hier täglich unter den Nullpunkt, aber nie habe ich wohl ein fröhlicheres Gelächter aufgefchlagen, al3 beim Anblick ber vor Froft zitternden Hirten von Dſchelam. In dien Jaden aus Schafzfell und mit bafchlikartig um Kopf und Mund und Hals und Ohren gewidelten Kopftüchern und fabelhaften Leibbinden, durch die fie fettwanftig wie Falſtaffe
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ausfahn, aber mit volljtändig nadtten, ſpindeldürren Beinchen trippelten fie fröftelnd hin und her, um die Tiere loszubinden. Für einige leere Konfervenbüchfen taufchte ich zwar von ihnen einen großen Beutel mit Bohnen ein, aber zum Lafttragen war bier für den nädften Tag fein einziger Mann zu bekommen, denn jeder war zu ſehr mit der Abfertigung der riefigen Schaflaramane beſchäftigt.
Nach einem beträchtlichen Opfer von Sturmftreichhölgern wurden mir jchließlich zwei zitternde, kopfwackelnde Greife, ein ebenfo ur altes Weib mit einem Rieſenkropf, das feinen richtigen Schritt machen fonnte, weil ihre Füße nach einwärts gekehrt waren, ferner zwei ganz hübfche, junge Mädchen und ein etwa fünf Jahr alter Bube mit einer ftattlichen, wie ein Seemannsſüdweſter geformten Müse aus Schaffell zur Verfügung gejtellt. Nie hat in mir Erbarmen und Lachluft mit jo wechjelndem Erfolge gelämpft, wie beim Anblick diefer Mäglichen Trägerkolonne, die Hans nicht einmal eines einzigen Vlies zu würdigen ſchien. Die Hauptſache war jedoh, daß die Reife wieder vorwärts ging, wenn auch mit einer Geſchwindigkeit, die an Stillftehn ftreifte.
Die beiden Mädchen hatten vollauf zu thun, der taprigen, alten Here über glatte Felsplatten hinwegzuhelfen, oder den kopfwackelnden Greifen beizuftehn, die natürlich ihre geliebte Wafjerpfeife während des Bergabkletterns nicht ausgehn laſſen wollten. Manchmal, aber nicht allzuhäufig, reichten fie diefes Labfal auch der garftigen, gierig danach greifenden, alten Vettel und noch feltner den beiden Mädeln, die nicht umhin konnten, beim Saugen heimliche Blicke nad) mir zu richten; fie mochten wohl in meinen lächelnden Mienen lefen, daß ich noch füßre Genüffe für zarte, ſchwellende Mäbchenlippchen kannte, als fo eine unfaubre Allerweltspfeife. Um gleich einen praftifchen Beweis davon zu geben, gab ich dem einen Fräulein etwas in Staniol gewickelte Schokolade von Hartwich und Vogel zu koſten, die fie aber nur eigenhändig aus der Blechbüchſe nehmen wollte, während die
andre lieber an dem Hlebrigen Pfeifenrohr weiterſchmauchte. Die Boed, Indiſche Gletſcherfahrten. 22
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Schokolade fehien ihr auch fo gut zu ſchmecken, daß fie, für dieſen Tag wenigftens, die Tabalspfeife mit Verachtung ftrafte und beſtändig bettefnd das Mäulchen ſpitzte oder mit den Lippen ſchmatzte, fo oft fie in meine Nähe kam; ich beforge freilich, daß fie an ihrem häus- lichen Herde doch bald wieder dem üblichen Rauchen von gedörrten Hanfblättern, Zuckerrohrſtückchen und dergleichen ſchönen Dingen gefrönt haben wird.
Der Weg führte fortwährend fteil hinunter und an den zahl: reichen Feuerftellen der Lagerpläge Kola und Thuma Gwar vorüber, bis er dicht an den Fluß trat, in deſſen Stromfchnellen wunderfam ausgehöhlte und fpiegelglatte, rundgeſchliffne Rieſenblöcke Lagen. Deutlich konnte man hier an den himmelanftrebenden und am obren Rande phantaftiich zerfplitterten Uferwänden die ausgewafchnen Spuren de3 einft viel höher hinaufreichenden Flußbettes ſehen. Wiederholt waren auf diefer Strede die Brucken weggeſchwemmt und durch abfcheuliche Notbrüdten erfegt, und noch viel häufiger war der Steig durch Bergrutjche zerftört und dann verlegt worden.
ei dem mächtig unterfpülten Gari-⸗Felſen änderte fi das Land- ſchaftsbild ganz überrafchend. Ich war wie geblendet, als ich aus der bisherigen düſtren, fteilmandigen Felsſchlucht hinaustretend ein weites liebliches, lachendes Gefilde vor mir fah, deffen grüne Wiefen und ausgedehnte Felder zu ben verfallenden Hütten des nahen Pungerafu Gwar gehörten.
Nach einiger Zeit traten bie Ufer abermals fteil zufammen, bis bei Nagbotta der an die Felſen gepreßte, im Zickzack geführte Weg wieder fo bösartige Stellen aufwies, daß mich mein noch immer kranker Fuß ganz gewaltig hinderte und fehmerzte; aus diefem Grunde durfte ich über die unglaublich langſam fortichleichenden Kulis gar nicht einmal ernftlich zürnen. Ich zog unter wahren Tantalusqualen meinem Wallfahrtsziele entgegen.
Das hoch oben an einem von Often einmündenden Seitenthal liegende Dorf Tolma jah fo abſchreckend dürftig und die von dort zu
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uns herabeilenden Kinder jahen jo ausfägig und fchmierig aus, ! ich meinen jämmerlichen Kulitrupp durch reichliches Spenden ı Schokolade und Verſprechung leerer Konfervenbüchjen noch ein p Kilometer weiter tyalabwärts bis Lata lockte. Die hier für Want bergerichteten Hütten glihen aber jo auffällig großen Schmweineftäl daß ich es vorzog, die Nacht unter einem überhängenden Felsb zuzubringen; Ramwolta nannten die Kulis den Plab.
Kaum hatte ich meine Schlafdecken ausgebreitet, al3 neue | fömmlinge eintrafen, die ebenfalls beabfichtigten, die Nacht unter i Schuß besjelben Felſens zuzubringen. Zuerſt erfchien ein in ſchi weiße Leinentücher gehüllter, fetter Hindu auf einem ſchellenraſſelnt geſcheckten Bergpony mit einem bunten Troß von mehr als brei Dienern; es war ein Beamter der indischen Regierung, der Nı forfchungen wegen der von den Tibetern in dieſem Grenzgebiet wil rechtlich erhobnen Abgaben angeftellt hatte. Dann folgte ein Dub Hirten mit ihrer Ziegenherde, und zum Schluß Hetterten zwei a gehungerte, klapperdürre Männchen den Felsſteg, der zu mei Unterfchlupf führte, hinunter; fie hatten um ihre braunen Kör nichts weiter al3 fadenfcheinige Lalen gewickelt, die in guten Ta wohl einmal orangefarbig geweſen fein mochten. All diefe Geftal gruppierten ſich ſchwatzend um das lobernde Feuer vor meiner Fel luft, und wenn fie aud ein überaus malerifches Stüd indife Zigeunerlebens darftellten, wünfchte ich doch lieber in Ruhe a ſchlafen zu können. Ich freute mich deshalb herzlich, als ein Pl vegen dazwiſchenfuhr und das ganze Gewimmel nach Tolma fprenı freilich flüchteten fih aber vor biefem Regen auch dide, borft braune Raupen in Legionen unter mein Felſendach, ſo daß ich ganze Nacht mit dem Ableſen dieſer garſtigen Tiere zu thun ha glücklicherweife hatte ich ſchon durch das früher erwähnte Abklau von Blutegeln in derartigen Griffen einige Fingerfertigfeit erlaı doch war ich überraſcht, immer noch neue Uebungen diefer Art ten Iernen zu müſſen, die die früher vollgognen an Eigenart übertra
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Dieſe unangenehme Nacht wurde übrigens noch dadurch ver- ſchlimmert, daß der Qualm unſres Lagerfeuers vom Winde in mein Felſenneſt getrieben wurde, fo daß mein Kopf bis zur Meerſchaum⸗ ſchwaͤrze angeräuchert wurde. Kurz vor Sonnenaufgang aber erhoben indische Nachtigallen und zahllofe andre buntgefiederte Singoögel, die ihre Nefter in den Zeljenfpalten hatten, einen hundertftimmigen Morgengefang von fo hinreißender Schönheit und Kraft, daß ich einigermaßen verjöhnt den Greigniffen des kommenden Tages ent- gegenfah.
Mein Fuß war fo bebenklich angeſchwollen und ſchmerzte fo unfinnig, daß ich gar nicht ans Aufitehn denken konnte, gleichzeitig war aber das durch die nahe Schlucht tofende Waffer von dem in der Nacht zum Wolkenbruch ausgenrteten Regen dunkelbraun gefärbt und faft zum Ueberfchwellen gebracht worden; entwurzelte Bäume und rollende Steine trieben bereit3 ganz dicht an meiner Lagerftätte vorbei. Der Tiroler fehien auf den Tob erfchroden und machte fi) eben bereit, mich auf feinem Nüden an einen geficherteren Ort zu fchleppen, als unfrem Schlupfwinkel unmittelbar gegenüber eine Steinlawine von erjchredender Mächtigfeit niederbrach und Millionen von Steinen jeder Art und Größe in die Schlucht vor unfren Augen und fogar gegen die Felswand fchleuberte, unter der wir Zuflucht gefucht hatten; hätte fich Hans nicht jchleunigft platt neben mich unter den Felshang geworfen, wäre er unfehlbar von dem Steinhagel getroffen worden. Kein Sprengftoff Tann eine Granate in Trümmer von verheerenderer Wirkung zerfplittern, al fie hier offenbar wurde. Stundenlang dauerte noch das Raſcheln nachrollender Steine, aber der Höhepunkt der Gefahr war vorüber, fo daß ich ruhig liegen bleiben und meinen Fuß fehonen Tonnte.
Meine Kulis hatten inzwifchen für würdige Nachfolger geforgt. Ich Hatte mir für den nächften Tag ausdrüdlich weibliche Kulis verbeten, da e3 mir wirklich ins Herz ſchnitt, die armen Mädel jo überlajtet zu fehen; mit fatanifcher Freude ftellte mir num die alte
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Here den Erfolg ihrer Bemühungen vor. Sie brachte fünf Männer, die ausfahn, als ob fie ſchon mindeftens Hundert Jahre in der Erde gelegen hätten oder als ob jeder einzelne bei einer Ausftellung von Vogelſcheuchen den Meifterpreis davontragen wollte; es waren grabezu ideale Bogelfcheuchen, denn einer war immer doppelt jo ſcheußlich wie der andre. Für die fechite Laft war aber um fein Geld ein weitrer Träger aufzutreiben, und fo zog ich denn in der Frühe des 18. September mit diefen jchlotternden Lemuren ab, indem ſich Hans die fechite Kulilaft neben feinem eignen Ruckſack aufpadte; er ſprach jetzt gar nichts mehr, wahrſcheinlich hatte ihm die alte Furie bie Sinne ein wenig verwirrt. Auch verging mir bald das Spotten über meine trübfeligen Helfer, als fie mir winfelnd aus- einanderfegten, wie erbarmung3los Peſt, Cholera und Hungersnot zurzeit bier in den Bergen von Garhwal und Kumaon hauften und die Einwohner bezimierten.
Es war ein Glüd für mich und meinen leidenden Fuß, daß der Saumpfab von hier ab endlich etwas beffer wurde; ich hätte ſonſt doch ſchließlich wohl elend am Wege liegen bleiben müffen. Hans fchnigte mir aus einem geeigneten Aft eines wilden Aprikofen- baums eine geeignete Krüde, jo daß ich, ohne den gefchwollnen und jest ganz ſchuhloſen Fuß auf die Erde ſetzen zu müflen, thalabwärts bopfen Eonnte.
Bei Tapoban machte der Fluß eine ftarke Biegung um einen weit vorfpringenden glatten Felsberg, und dort zeigte fich ein ganz überrafchendesg Schaufpiel. Das Braufen des Fluffes übertönte wohl meine Ankunft, fo daß ich das ſich bietende Bild einige Augenblice in Muße würdigen konnte, obgleich es viel ziemlicher für mic, geweſen wäre, fchleunigit wieder hinter die Felfenkuliffe zurüczuhumpeln. Un diefer Stelle war nämlic eine heiße Quelle in zwei Becken geleitet; in dem einen ftampften ein paar hoch— geſchürzte junge Weiber ihre Wäfche taftmäßig mit den Füßen, im andren aber tummelten fich fröhlich ein Dutzend fehofoladenfarbige
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Püppchen herum. Sie gofien ſich das ſchwachdampfende Naß aus
Holzſchalen über die jungen Glieber und trieben allerlei jonftigen
Hokuspokus badender Nymphen; auf dem Dach eines niebrigen
Steinhüttchens faßen bereits ein paar andre, in weiße Deren gehüllte
ſchwatzende, ſchälernde Mädchen, die das heilkräftige Waſſer auf ihrer braunen Haut auftrocnen zu laſſen fchienen.
ebenfalls hatten die Damen hier feinen Europäer vermutet,
manche von ihnen einen folchen wohl
überhaupt noch nicht gefehn; man
kann fic) alfo denken, mit welcher
Haft die zierlichen Gefchöpfe zu ihren
Tüchern hufchten, und wie beſchämt
fie dann den Schleier über das Ge
ficht ſchlugen, als fie mich hinfenden
Krüppel nebjt dem ebenfalls furdt-
bar vermildert ausjehenden Tiroler
und der Trägerhorbe daftehn und
mid) im Begriffe fahn, den ihnen noch
unbelfannten aber jedenfalls nicht viel
Gutes verfprechenden photographi-
a en Kaſten auf den Dreifuß zu
ſchrauben und dann aufihre Figürchen
zu richten. Ich mußte lebhaft an Krifchna denken, den Lieblingsgott
der Hindus, genauer gefprochen eine Menſchwerdung oder Inkarnation
des Gottes Wiſchnu in Geftalt de3 Helden Krifchna, der nicht nur dad
Verdienſt hat, allerlei götterfeindliche Dämonen umgebracht zu haben,
fondern aud die den finnlichen Hindus fehr verftändfiche und
dankbare Rolle eines angenehmen Schwerenöter8 bei der mytho—
logiſchen Damenwelt Indiens fpielt. Won ihm geht nun die Gage,
daß er fich beſonders bei den Kuhhirtinnen beliebt zu machen mußte,
indem er fie zunächſt durch feelenvolles Flötenfpiel bezauberte, dann
fi) mit ihnen auf der Schaufel ergößte und fonftige kindliche Scherze
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mit ihnen trieb, bis er ſie in ſeinem Garn hatte. Mit Vorliebe wird deshalb Kriſchna als Hausgott aus Bronze mit einer den Hirtinnen zum Scherz weggemauſten Butterkugel in der Hand dargeſtellt, aber noch viel lieber wird er in den Zweigen eines Baumes ſihtzend abgebildet, zwiſchen denen er die Tücher verſteckt hat, die er heimlich den neben dem Baum badenden Hirtinnen weggemauſt hat. Und dieſer göttliche Unfug kam mir a dieicanädcen recht lebhaft in den Sinn, als bie Tafaofarbigen Najaden fo unfäglid) erſchreckt vor mir durcheinander quirkten und nad) ihren Schleiern herumfuchten. Es ſchien ihnen aber hierbei eine Hauptjache zu fein, daß vor allen Dingen ihr Gefichtchen durch irgend einen Tuchzipfel bedeckt wurde; alles übrige war gleichgültig.
Weiterhin am Wege ftand ein feltfames, aus Bafaltjteinen zufammengefügtes und mit alten Tempeltrümmern ausgefchmücktes Gebäude. Ueber der Thür befand fich ein eingemauertes Relief, eine grinfende Gottheit mit riefig langen Ohrläppchen vorftellend, und davor ſaß ein verwilderter Mann, wohl der Bewohner dieſes abgelegnen Obdachs. Als ich ihn grade berühren wollte, um eine Photographie feines von Leiden durchfurchten Gefichts zu machen, rifjen mid) die Kulis mit flehenden Gebärden zurüd und freifchten mir entjegt in die Ohren, daß diefer Unglüdliche ein Aus— fäßiger, ein mit der anſteckendſten Art der Lepra Behafteter fei, der deshalb hier s abfeit3 aller Lebenden haufen müſſe. Bronjefigur ariſchnas als Butterbieb.
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Während ich mich ſchaudernd in den Anblick biefes "Unfeligen und der ihm umgebenden, fo reich gefegneten Natur verfenkte, wurde ich von einer Unzahl von Fliegen beläftigt, gegen die weder Salmiak- geift noch Fliegenwedel halfen; für jede vernichtete jummten fogleich zehn andre herbei. Um die Reize diefer Fliegenjagb zu vermehren, brachte der ältefte meiner Kuli-Greife zitternd die Bemer- fung vor, daß bie Kulis keinen Schritt mehr zu gehen ver: möchten. Ich mußte dies den fiechen ar: men Teufeln mohl
glauben, wendete
aber doch meine be- wãhrte Vorſichts⸗ maßregel an, ihnen nicht eher den Trä- gerlohn auszuzahlen, als biß fie mir neue Kulis zur Stelle ge ſchafft hatten. Ein- geben meines Ver⸗ bote3, mir nie wieder weibliche Träger vor Augen zu bringen, kamen die alten Sünder jest mit einem Dutzend Heiner Kinderchen anfpaziert, und verficherten, daß in ganz Tapoban fein einziger erwachiner Kuli aufzufinden fei.
Die Kleinen fteetten die Köpfchen zu zweien oder breien unter je eine Kulilaft und trabten damit im Sturmſchritt davon, jo daß fie mir mit dem Gepäc bald aus den Augen kamen. Ich jah an
Gin Lepra-Ausfägiger.
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den Fußſpuren, daß fie den früheren, verlafinen aber näheren Steig eingefchlagen hatten, und war thöricht genug, zu verfuchen, ebenfalls über diefen Fürzeren aber jehr müften Steig nach Dſchoſi-Math hinunter zu hüpfen; mit größter Ueberwindung brachte ich e3 fertig, den invaliden Fuß ftet3 in der Schwebe zu halten und niemals auf die Erde zu ftellen. Entfeßlich kritifch wurde aber diefer Marſch, als eine Schlammlamwine, die wir grade im Begriff waren zu über- fteigen, aufs neue in Bewegung geriet, ehe wir fie noch zur Hälfte überfchritten hatten. Der breiige Lehmftrom floß mit uns unaufe haltfam einem fenkrechten Abfturze zu, von dem er fich als ekelhafter Moorfall in den reißenden Fluß hinunterwälzte. Die einzig mögliche Rettung beftand darin, daß wir fo eilig wie möglich in einem Winkel von 45 Grad gegen die Abfturzrichtung bergauf fteuerten, eine Leibes- übung, die meinem leidenden Fuße grade noch gefehlt hatte. Der Schlammftrom trug uns hierbei wieder fo weit bergab, daß wir an feinem andren Ufer richtig die Wegfortfegung erreichten. Da ich nur eines Fußes mächtig war, bildete diefer Schlammftromübergang eine der aufregendften und gefährlichiten Stellen meiner ganzen Reife.
Als ich am Dat Bungalo in Dſchoſi-⸗Math eintraf, Tauerten die Kuliknaben bereits in Reih und Gfied vor der Thür, und alsbald fand ſich auch der Poftmeifter des Ortes ein, der als einziger von fämt- lichen Hindus im Orte ein paar Brocken Engliſch verftand. Er hatte weder von Briefen noch Geldern für mich jemals irgend etwas gehört oder gefehn, wie dies ja auch noch gar nicht ander3 möglich mar; ich malte mir aber bereit3 aus, was mir hier bevorftände, wenn das Wechfelgeld überhaupt niemals anfäme.
Ich hatte jest faum noch drei Aupien im Eleiner indiſcher Münze in meinem Befis und machte deshalb auch hier den Ver— ſuch, einige andre deutfche Zwanzigmarkſtücke anzubringen, die ich noch in meinem Gepäck vorgefunden hatte. Aber weder der Poft- meifter noch) einer der reichten Bauern wollte fie für Gold gelten laffen. Mit grimmigem Galgenhumor fah ich bereits den Augenblict
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nahn, mo ich feierlich Konkurs anmelden würde, denn e3 war feines: wegs ausgefchloffen, daß mein nah Almora gejandtes Geld auf Nimmerwieberfehn verloren war. Das Warten auf das Eintreffen des Wechfelgeldes, das in etwa vier Tagen zu gemwärtigen mar, wäre mir natürlich ſehr langweilig und ungemütlich geworden, beshalb wollte ich, jobald ich mich ein wenig erholt hatte, in dieſer Zwiſchenzeit einen Ausflug nad) Badrinath unternehmen.
In dem dumpfigen Bungalo trieben ungeheure Spinnen, fait fo dit wie Tafchenkfrebje, ihr Wefen. Hans hatte mit feinem „Weg: putzen“ folcher Spinnen bereits früher jo üble Erfahrungen gemacht, daß er fich hütete, nochmals eine folhe Spinne zu zerfchneiden; diesmal warf er fie lieber ins Feuer. Er ficherte uns auf dieſe Weife einen ungeftörten Schlaf, troßbem draußen von allen Seiten durchdringendes Inſektengezirpe wie Kaftagnettengeflapper ertönte.
Vom Dat Bungalo aus bot fich ein recht hübſcher Blick auf das Dorf Dichofi-Math und die Schlucht des Dhauli Ganga, dur die ich gefommen war, eine Ausficht, die ich durch die beigefügte Photographie wiedergegeben habe. Das Dorf erfreut fich großer Wohlhabenheit, aber auch des Aufes, ein Kapua für diejenigen frommen Hindus zu fein, die von ihrer Wallfahrt nach Badrinath zurückkehren, denn alle weltlichen Freuden, die in dem heiligen Tempelort Badrinath verpönt find, können fie hier in Dſchoſi-Math ungeftraft in Hülle und Fülle genießen. Es fiel mir hier auch fofort auf, daß faft alle Frauenzimmer ein weit freiere, übermitigeres Wefen zeigten, als es ehrbaren weiblichen Perfonen in Indien geziemt. Der Gedanke lag nahe, daß diefe dreift und unbeforgt in die Welt trillernden Wefen zu jener Sorte von Lilien auf dem Felde gehörten, die Goethe in feiner formfchönen Dichtung „Der Gott und die Bajadere“ in zwar höchft poefievoller aber recht wenig indiſcher Weife zu fehildern verfucht hat. Merkwürdig und abweichend war auch die in Dicofi-Math übliche Form der Ohrringe; diefe beftanden aus einem viefigen Ning aus dünnem Golbdraht, der unten einen
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ſichelartigen Anſatz hatte. Auch die kurzen Jäckchen, die auf dem Rücken zugeknöpft werden und die Magengegend unbedeckt laſſen, hatten hier brennendere und gefälligere Farben als anderswo und
Diqoſi · Math, vom Dat Bungalo geſehn.
ſtimmten vortrefflich zu dem temperamentvollen Benehmen ihrer leichtfertigen Trägerinnen.
An dem Tempel fand ich mehrere Pilgerhäuſer, die mit Wall- fahrern und Büßern aller Art vollgeftopft waren. Ich machte grade eine Aufnahme von dem in Holz geſchnitzten Tempelthor, als ein recht merkwürdiger, nämlich völlig unbefleideter Herr langſam aus dem Tempel heraustrat. Wie mir der Poftmeifter erläuterte, war dieſer Mann erſt kürzlich von Badrinath zurücgefehrt, wohin er
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fich wegen Ungehorfams gegen feinen heimifchen Guru, feinen Haus- brahminen, auf den Bußweg hatte machen müffen. Der Schwere feiner Schuld entfprechend, war ihm aufgetragen worden, diefe Wall- fahrt in ziemlich unbequemer Weife auszuführen, nämlich nadt, ohne jede Kleidung, und ganz mit Ajche von verbranntem Dünger heiliger Kühe betreut. So hatte er von feiner weit entlegnen Heimat in Sädindien bis hoch hinauf zu dem Bergtempel in Badrinath. auf dem fteinigen, ſchmutzigen Erdboden hinfriechen müffen, aber dabei ftet3 feine Leibeslänge zweimal vorwärts mefjend, dann wieder einmal zurück, und immer fo fort, wobei er die Leibeslänge jedesmal mit einem Kuhhorn in den Weg fragen mußte. Diefe ganze Pilgerreife von feinem fernen Wohnfit bis zu dem Wallfahrtsort Badrinath hatte ihm bisher bereit8 vier Jahre feine Lebens gefoftet! Nun hatte er dort oben in einer der heiligen Quellen de3 Gangeszufluffes Alaknanda feine Sünden abgewafchen, auch dem Oberbrahminen von Badrinath die vorgefchriebne Sühnung geopfert, und war jetzt auf dem Heimmege begriffen. Aber auch diefen durfte er nicht etwa mie ein gewöhnlicher Sterblicher zurüdgehn, fondern nun hatte er die nicht minder peinliche Aufgabe, ſich während diefer ganzen Heimreiſe niemals binzufegen ober hinzulegen, und um ſich an diefe bejtändig ftehende Lebensweiſe zu gewöhnen, ließ er fi im Anfang feines Heimmeges während der Nacht mittel® einer um den Ellbogen gefnüpften Schnur an einem Baume oder an einem QTempelpfoften anbinden, um im Schlafen nicht nieberzufinfen. Gleichzeitig hielt aber diefer Büßer hierbei ftet3 feine herunterhängende Hand, feinem Gelübde entfprechend, feft zufammengepreßt, bis er feinen Wohnfiß erreicht hatte. Der Poftmeifter, der mich auf alle diefe Eigentümlichkeiten aufmerkſam machte, hegte feinen Zweifel, daß ihm bei der Ankunft daheim die nie befchnittnen Nägel der gefrümmten Finger tief in die Handflächen eingebrückt fein würden. Ein überzeugenderes Beifpiel der furchtbaren Macht der Brahminenhierarchie konnte ich mir beim Antritt meiner Reife nad) ihrem größten Heiligtum allerdings faum noch wünfchen.
Büsser vor der Tempeltbür in Dschosi-Math.
©. 3418-49.
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Auch der andre Büßer, der auf demfelben Bild auf der Tempel- ſchwelle fit, ift ein bezeichnendes Muſter diefer eigentümlichften Erfeheinungen des Hindutums. Diefer Mann, der, wie alle Bayragis, ftet3 in das Tuch eingehült war, in dem er einft verbrannt zu werden wünfchte, und der mit einer der ſchon früher gejchilderten Lota-Bettlerfchalen in der Hand von Dorf zu Dorf zu pilgern pflegte, hatte eine grabezu ſtaunenswerte Geſchicklichkeit erlangt, feinen im Lagerfeuer glühend gemachten Bettlerffirrftab mit der Zunge abzuleden, während er feine Gebete ober richtiger feine Rezitationen aus den heiligen Schriften des Brahmanentums, aus den Puranas und Vedas, hermurmelte,
Nicht weit von diefem Tempel befand ſich ein Eleinerer, der dem böfen Gotte Schiwa geweiht war. Ich erfah dies aus dem Lingam-Jdol in dem dunklen Innern des Tempels; die rot bemalte Lingam-Lehmfäule ftand in üblicher Weife in dem Dſchoni genannten Ergänzungsidol und war mit Jasminblüten befränzt. Durch beide Sole follen befanntlich die pofitiven und negativen, die männlichen und weiblichen Eigenfchaften der zerftörenden und zugleich wieder erſchaffenden Mahadeo-Form Schimas zum Ausdrud gebracht werben, Die Abkühlung diefes Götterſymbols in der Tageshige wurde hier ehr naiv durch eine darüber aufgehangne poröfe und mit heiligem Gangeswaffer gefüllte Thonflafche bewirkt, die aber während der tühlen Nacht fortgenommen und dur ein rotwollnes Mäntelchen erſetzt wurde, damit ſich das Götzenbild feine Erkältung zuzog.
Vor der engen Thür dieſes Tempelchens fand ich den Herrn Dorfichullehrer nebft ein paar Schülern zum Schreibunterricht um ein uraltes, vor feinem Schimatempel fehlendes Bildnis eines heiligen Rindes verfammelt, das, plump in Stein gearbeitet, mit einem Bebubucel verjehn und mit Blumenketten behangen war. Die zwanglofe Art, wie die mit filbernen Hals- und Armbändern geſchmückten Buben dort mit ihren Holztafeln Pla genommen hatten, mar für mein an ſtrenge deutſche Schulgebräuche gemöhntes
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Auge unmiberftehlich drollig; zumeift faßen fie in dicken Wolljaden und ſchön geſtrickten Stubentenmügchen mit untergefchlagnen, voll ftändig nadten Beinen auf den Steinfliefen und frigelten ihre tiefigen Hierogigphen mit dünnen Bambusftäbchen in den trodnen Sand, womit fie ihre Holzplatten beftreut hatten. Der Lehrer beobachtete dieſe Studien aus der Vogeljhau und ftieß, fobald er einen Fehler bemerkte, ohne viel Worte zu machen, mit der Fußſpitze an die Tafel, fo daß der Sand durcheinanderfuhr und der Meine Sünder feine Studien von vorn anfangen mußte.
In ganz Indien war in diefem Jahre durch öffentliche Bekannl- madhungen vor der Wallfahrt nad; Badrinath wegen der in Kumaon und Garhwal herefchenden Cholera und wegen des durch Mißernten entftandnen Getreidemangels eindringlich gemarnt worden. Die Fanatifer unter den Hindus ließen ſich durch diefe Warnung aber nicht abhalten, auch in diefem Jahr nad) Badrinath zu pilgern, und deshalb fand ich die für folhe Wallfahrer am Wege errichteten Rafthäufer, die nicht mit den für reifende Europäer beftimmten Bungalos zu verwechjeln find, dicht beſetzt. Wie entjeglich mag es aber erft unter verkehrsreichen Verhältniſſen in ſolchen Schlupflöchern an Negentagen ausfehn!
Es wurde dem Poftmeifter nicht ſchwer, mir. vier ungemein ſehnige Kulis als Begleitung nach Badrinath zu beforgen. Natürlich verriet ich mit feiner Silbe, wie knapp ich mit Iandesüblicher Münze verfehn war; ich wäre thatfächlich nicht fähig geweſen, die Träger löhne auszuzahlen, wenn bei meiner Rückkehr von Dſchoſi-Math das gewechfelte Geld noch nicht in Dſchoſi-Math eingetroffen war. Mir murde ganz ſchwach und unmohl bei dem Gedanken, daß das Gelb verloren gegangen fein könne,
©. 8350-51. Schreiben lernende Birtenknaben ; im Zempel fieht ein Singam = Idol, über dem eine voröje Thonflaſche aufgehangen iſt.
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Beunzehntes Kapitel. Eine Bergwallfahrt nad Badr
Tr fteile Kletterweg nach Badrinath ift fi I gange für feifte Hindufünder geeignet.
x Zunãchſt führen von Dſchofi⸗ Math eit glaublih holprige Steinftufen in die fchauerlich Dhauli Ganga hinunter, und in diefer leitete eine ne: feilbrücte über die gurgelnde und mwallende Waſ durch einen engen Spalt zwifchen den ganz nah ; Felswãnden hervordrängt, üm dann eitten fchmale mild jhäumenden Sturz zu bilden. An der gleid der in einer Reihe ſchäumender Kasfaden von W Alaknanda, und an eben diefen Wafjerftürzen ſch Felsfteig in ſtets weftlicher Richtung in Geftalt treppauf treppab bis hin nach Badrinath. Gleid rauhe Pfad dem Verkehr aus Tibet vom Manapc
Jeder Zufammenfluß von zwei Gewäſſern gil heilig, beſonders natürlich alle derartigen Steller Ganges, deffen Quellſtrom Dhauli Ganga ich die zur Seite gehabt hatte. Aus diefem Grunde fteh in Wiſchnu Prayaga einige beftändig vom Waf Tempelchen, in denen verfrüppelte und hier vollto gewordne fanatifche Büßer die Götteridole durch h vor meinen Blicken zu ſchützen verfuchten, als ich
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Auf allen Steinklögen ringsum lagen Blumen, Steine, Reiskörner oder Wollflocken als Opfergaben von Pilgern, und auf den rund gewafchnen Felsblöden im Waſſer ftanden nackte Pilgergeftalten, um ſich das zerftäubende Waſſer der Kaskaden auf den Körper ftürzen zu laffen. Häufig genug foll es vorlommen, daß fie dabei betäubt von dem Lärm des Waſſers in die Fluten taumeln und dann unrettbar verſchwinden.
Bei Pon Dugefchar ſchlug ich in der Nähe einer niedrigen, durch ein flatterndes Fähnlein ausgezeichneten Holzbude mein Zelt: lager auf. Der bei dem Schuppen mit einem bufchigen Yakſchweif in der Hand ftehende ausgedörrte Brahmine hörte bei meinem Nahen fogleih auf, die Fliegen und Mücden von dem darin aufgeftellten Götzenbilde zu wedeln, und warf mir mit unfreundlichen und giftigen Blicken den Thürflügel des Götterfchuppens vor der Nafe zu. Erft die Erzählung meiner Kulis, daß ich ausbrüdlich über das Meer gefommen fei, um nad; Badrinath zu pilgern, fowie das Opfern einer meiner beiden legten Halbrupien veranlaßte den heiligen Mann, fein hölzernes Budchen wieder aufzuthun. Ich durfte nun ruhig das Idol betrachten, das aus einem mit zinnoberroter Farbe be fchmierten, meterhohen Felskegel beftand, den ich für das Abliche Lingam zu Ehren Schiwas gehalten hätte, wenn nicht das riefige Nama Wiſchnus in Geftalt eines großen römifchen, unten abgejtumpften V im weißer Farbe darauf angebracht geweſen wäre. Nach diefer Vermiſchung von Schiwa: und Wifhnuhuldigung hätte ich mich gar nicht ſehr gemwunbert, ſtatt de3 Zeichens \ der Wifchnuiten oder des Tilal A ber Schiwaiten, da8 manchmal diefe in Erinnrung an das Lingem ftatt der drei Horigontalfinien auf die Stirn zu malen pflegen, auch einmal beide Zeichen gleichzeitig und zufammen, etwa fo: auf der Stirn irgend eines beſonders jchlauen Heiligen, der & weder mit dem böfen noch mit dem guten Gott verderben mil, zu erbliden.
Während noch mein Zelt aufgerichtet wurde, begegneten fih
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grade an diejer Stelle zwei Schafherden, von denen die eine mit Salzbeuteln beladen aus Tibet fam, die andre mit Reisſäcken be packt von Dihofi-Math dorthin unterwegs war. Natürlich entjtand eine babylonifche Verwirrung unter den zahllofen Hammeln, fo daß die Hirten die ganze Nacht ges räuſchvoll zu thun hatten, dieſe endlofe Ronfufion,oder, wie Hang fagte, „Schafskonfeſ⸗ ſion“ zu ent⸗ wirren.
Erſt gegen vier Uhr des nächften Tages
tauchte nad zehnſtündigem, mir aber unend⸗
lich ſchwerfal⸗ lendem Marſche die weiße Tem⸗ pelkuppel von Badrinath vor mir auf. Ich wollte ohne weitres in den Ort hineinmarſchieren, aber als ich grade den hellgrauen Gletſcherbach des Alaknanda auf einer Schindelbrücke überfchreiten wollte, kam mir bereits ein Hindu mit einer weißen Baumwollenſchnur als Zeichen ſeiner Brahminenwürde über der Schulter entgegengeeilt, um mich in höflicher, aber ſehr beſtimmter Weiſe darauf aufmerkſam zu machen, daß ich als Europäer die andre
Boed, Indiſche Gletiherfahrten. 23
Der Ballfaprıstempel Badrinath am Alatnanda; von Dit gelehn.
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Seite des Fluſſes, auf der der Tempel jtünde, nicht betreten dürfe; er betonte, daß jeder Europäer Rindfleifch zu verfpeifen und Waffen bei ſich zu haben pflege, und durch beides würde der geheiligte Boden von Badrinath verunreinigt. Ich fiel wie aus den Wolfen, weil id mic) ehrlich darauf gefreut hatte, diefen berühmteften jener vier Tempel tennen zu lernen, zu denen jeder Hindu in feinem Leben mindeftens einmal wallfahren muß, nämlich außer nad) Badrinath im Norden Indiens nah Dſchaganath im Often, Dwarkanath im Weften und Rhamnath im Süden.
Mir blieb vorläufig nichts übrig, als zu gehorchen und bie Ankunft meiner Kulis mit dem Gepäd abzuwarten. Ich war hungrig und mein wieder übel zugerichteter Fuß fchrie nach Pflege; die Kulis waren jedoch mit den warmen Deden, dem Zelt und Proviant noch weit zurüc, und ein eifiger Wind pfiff ganz unbarmherzig von’ den im Weiten fichtbaren Schneegebirgen durch die kahle, fteinige Schlucht herunter. Badrinath liegt nämlich bei 10124 Fuß oder 3087,8 m, alſo 3000 Fuß oder 915 m höher als Dichofi-Math. Das Herumfiten auf den Falten Steinen war demnach fein fonderliches Vergnügen, und ich fing an, meinen Eifer zu verwünfchen.
In einer ſüdlichen Felsſchlucht zeigte ſich der ſchroffe Schneegipfel des Nalikanta, in deſſen Gletſcherzirkus ich, um den Nachmittag nicht durch ödes Warten völlig zu vergeuden, ſogleich einen Ausflug unternahm, den ich aber eigentlich ein Hinſchleichen nennen muß. Ein eingeborner Jäger, ein Schikar, in faltigem, weißem Wollrock mit hoher, mwollner Müge fam mir aus Badrinath nachgelaufen, um mic einige große, verfteinerte Mufcheln zum Kauf anzubieten. Lachend gab ic) ihm meine legte Halbrupie, die ihm eine ganz fürft- liche Belohnung zu dünfen ſchien. Voller Dankbarkeit machte er mich auf zwei wilde Schafe mit ganz unglaublich diem, Turzem, gewundnem Gehörn aufmerkſam, die grade ein nahes, vergletjchertes Schneefeld überkfetterten und mir dann zwifchen den Felfen aus den Augen kamen.
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Zum Glück hatte der Tiroler feine Tafchenlaterne mit, fo daß wir uns glücklich bis zur Alaknandabrücke zurüdfinden konnten. Hier warteten ſchon die fäumigen Kulis mit, Zittern und Zagen ihres. Schickſals. Sie hatten alles mögliche gethan, um mich fanft
Der Ralitanta; vorn der Berfaffer und ein Schitar.
zu ftimmen, hatten ein himmelhohes Feuer angemacht und das Belt bereit3 aufgeftellt, aber dabei echt indiſch das Oberfte zu unterft gelehrt und meine Wolldecken achtlos in eine unfaubre Pfüße ge- worfen, die Zeltftangen weder richtig noch feft in die Erde gerammt und deren Bajonettanfchlüffe falſch ineinander gefügt, jo daß ich mit
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dem Tiroler die ganze Arbeit wieder von vorn anjangen mußte. Natürlich ließ ich es nicht an einer gehörigen Strafpredigt fehlen, und ba ich bemerkte, daß an der andren Seite des Fluſſes verfchiedne Späher auftauchten, donnerte ich, fo gewaltig ich nur konnte, auf die Leute 108; bei folchen Gelegenheiten fchalt ich natürlich immer gut deutih. Wie ich zu meiner Beruhigung bemerkte, hatten die Kulis an dem mächtigen Feuer ſchon einen duftenden Berg von Schupatis gebaden. Ohne erſt eine Konfervenbüchje auszupaden, nahm ich ein Dutzend Schupatis und Hetterte damit zum Gleiſcher⸗ waſſer hinunter, wo ich beim Schein einer Fadel meinen heißeften Appetit durch Waſſer und Brot ftillte und mich erft dann im bie Geheimniffe einer Büchſe mit corned beef verfentte.
Ich hatte die leere Blechbüchſe bereit3 achtlos aus dem Zelt geworfen, al3 mir bie verhängnisvolle Rolle einfiel, die das Bild des Ochſenkopfs auf der Büchfe mit Rindszunge bei meiner Panſcha—⸗ kuri-Erfteigung gefpielt hatte. Ich bat deshalb Hans, die weg: gefchleuderte Büchfe bei Laternenlicht zu fuchen, wozu er freilich den Grund nicht recht einfah.
Dann löfte ich mit heißem Thee die Etikette, auf der ein Mufter- ind abgebildet war, von der Büchſe und vernichtete fie; dafür klebte ich das Bild eines großen Fiſches, das ich von meiner einzigen Büchſe mit Lachs abgemeicht hatte, an ihre Stelle. Ebenſo jchabte ich alle andren Rindsbilder von den für diefen Ausflug aus Dichofi- Math mit heraufgenommnen Dojen herunter. Dann lachte ich wie ein ganz burchtriebner Erzgauner ftill in mich hinein, zog mir bie Kamelhaardecke über die Ohren und fchlief ein.
Am nächiten Morgen ging ich mit der leeren Konfervenbüchje in der Hand noch vor Sonnenaufgang über die Brücke nach Badri- nath. Die Pilger waren jedoch ſchon vor mir aufgeftanden, um der tofenfingrigen Göttin der Morgenröte, deren zarter Schleier eben die Schneegipfel jtreifte, ihre Huldigung darzubringen. Ich ſtieß auf lauter unfreundliche Gefichter und verjtand den Bhotijadialett der
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Einwohner nicht genügend; deshalb hielt ich es für geratner, wieder umgufehren, um mir einen meiner Kulis, mit dem ich mich auf hindoſtaniſch leidlich verjtändigen konnte, als Dolmetſch zu holen. Auch befand ich es für gut, die Doſe voll Lachs einzuſtecken, ebenſo ließ ich den Kuli den photographiſchen Apparat mitnehmen. Der Burſche ſang nun den Brahminen das alte Sirenenlied von meiner Herkunft aus dem fernen Deutſchland, um den berühmten Tempel in Badrinath zu beſuchen. Sobald ich die entſchieden günſtige Wirkung dieſer Rede bemerlte, zeigte ich der verſammelten Menge das Fiſch— bild auf der leeren Rindskonſervenbüchſe, um fie von der Gefahr— loſigkeit meiner Lebensweiſe zu überzeugen. in mit einem beſonders feinen Näschen begabter, aufgeſchwemmter Brahmine befchnüffelte aber die leere Büchſe mit äußerft mißtrauifchen Blicken, und ich fürchtete, er möchte am Ende den darin gemeinen Braten riechen. Ich wendete deshalb fofort die Kriegsliſt an, auf die ich mich fehon die ganze Nacht fo diebifch gefreut und die ich beſtens vorbereitet hatte. Ich zog nämlich kaltlächelnd den Konfervenöffner heraus, fehnitt unter ges ſpannter Aufmerkjamkeit der verfammelten Wallfahrer und Büßer meine Lachsbüchſe auf und hielt fie dem Herrn mit der feinen Nafe höflich, aber dicht vor die Augen. Ah, Fiſch! rief der Bonze be friebigt, und Fish! Fish! jauchzte die Menge. Ich ftand nun als Fiſchfreund und mutmaßlicher Fleifchverächter groß da und ſchmiedete das Eifen, folange es warm war, indem ich fogleich bat, das Zelt im Orte aufjtellen zu dürfen. Damit war ich aber fichtlich zu weit gegangen, denn der angefehenfte Brahmine, der Rauhil, wie er voll Ehrfurcht genannt wurde, erflärte mir, daß dies ein ganz unerfüll- bares Verlangen fei, daß ich mich aber nach Belieben in Badrinath umſehen möchte, natürlich mit Ausnahme des Tempels, deffen Innrem ich nicht zu nahe kommen möchte, wenn mir mein Leben lieb fei; es jeien kürzlich einige Fanatifer ftrenger Obfervanz eingetroffen, die bereits geſchworen hätten, mich zu fteinigen, wenn der Tempel durch das Betreten ſeitens eines Europäer für ewige Zeiten gejchändet würde,
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Die ganze Verhandlung hatte ſich auf der Dorfſtraße neben einem niedrigen Haufe abgefpielt, auf deſſen Schindeldach ein Haufen Büßer und Pilger hodte und dem Vorgange zuſah. Dieſe wilde Gruppe ſchien mir eine jo würdige Staffage für eine Aufnahme der Tempeltürme, über denen im Norden die Schneeipigen am Manapaß fihtbar waren, daß ich fogleich das Bild diefer Gruppe anfertigte, das nun hier beigefügt ift.
Auf der Stirn der meiften Büßer prangte das Wijchnu-Nama in ftattlicher Größe. Als ich hierbei den Leuten bewies, daß ich nicht nur die Bedeutung biefer Zeichen, fondern auch manches Ge heimnis ihres Kultus genau kannte, ftieg ich abermals eine Stufe in ber allgemeinen Achtung. Während ich eben im Begriff ftand, einen der nadten, bußfertigen Herren zu fragen, ob er denn bei der Temperatur von kaum zwei Grad über Null nicht in feinen fehlenden Kleidungsjtücten entſetzlich fröre, kam ein als Amtsdiener oder Schupraffi fenntlicher Jüngling eiligft die Straße vom Tempel ber auf mich Losgefchritten, Metterte auf das Schindeldach, über- reichte mir mit tiefem Salamgruß ein paar frifche, grüne Betel- blätter und lud mich pantomimifch ein, ihn zu folgen.
Troßdem die Straße hart am Tempelthor vorbeiführte, wagte doch niemand, mir in den Weg zu treten, als ich dem Schuprafji folgte. Ich vermied es abfichtlih, in den offnen Tempel hineinzu- fehen, und bemerkte, daß diefe Vorficht von den mir nachfolgenden Brahminen mit großer Genugthuung aufgenommen wurde; dieſer Tempel wird nämlich) als das Werk höhrer Wefen noch weit mehr vor aller Schändung behütet als jeder andre.
Der Bote führte mich in ein riefiges Zelt, dad an der Rüd- feite de3 Tempels aufgefchlagen war. Ein Hindu in halb euro päifchem Gewand, da3 heißt in ſchwarzem Gehrod aber mit einem roſa Turban auf dem Kopf, auf deffen Stirn ein zinnoberroter Punkt aufgetragen war, begrüßte mich, ftellte fi) mir als Pandit Dharma Naud, Deputy Collector von Garhwal, vor, und bemerkte, daß er
©. 358-359. Die Türme des Tempels von Badrinath; davor eine Gruppe von Pilgern und Büßern mit dem Wiſchnu-geichen auf der Stirn.
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zur Regulierung der Grenzftreitigfeiten mit Tibet hierhergefchickt fei. Zugleich bot er mir feinen ganzen Einfluß an, falls ich das Auf- richten meines Zeltes im Ort etwa durchſetzen wollte, und machte zwiſchen mir und dem Rauhil, der inzwifchen hinzugefommen war, in liebenswürdigfter Weife den Dolmetſcher. Schließlich veranlaßte er jogar diefen Ober⸗ brahminen, mir zu der hier eingefchalte- ten Photographie zu ſitzen.
Ganz wie eine junge Dame, die ſich photographieren laſ⸗ ſen will, legte der Oberprieſter zuvor ſeine ſchönſten gold⸗
nen Armbänder,
Ringeund Halsketten an und ließ fich feine zarteften blafroten und gelblichen Sei- dengewãnder holen, ehe er fih in ein niedrige8, nad) ber Straße zu volle. a cum dig offnes Gewölbe nieberfete, da3 mir für die Aufnahme tauglich erfchien. Erſt fpäter bemerkte ich, daß ich das Poftamt des Ortes zum photographiichen Atelier herabmwürdigte, denn eine große feuerrote Blechbüchſe hing als Brieffaften auf der linken, ein Blechſchild mit der Auſſchrift Post office nebft der hindoftanifchen und tamulifchen Ueberfegung auf der andren Seite de3 Gemachs, in dem während des Sommers jeden achten Tag
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ein Beamter die Briefichaften an die für die Wallfahrt nach Badrinath beurlaubten, im anglo:indifchen Dienft ftehenden Hindus verteilt. Dieſe Briefe werden durch fich ablöfende Poftjchnellläufer hierher gebracht.
Der Rauhil hatte inzwiſchen einen Buben nah Haufe geichidt und mir einen flachen Korb voll Zuder, Rofinen, Mandeln und Zuderbädereien in das Zelt tragen lafjen. Er duldete nicht, dab noch) irgend ein andrer außer ihm auf das Bild fäme, ftand aber während der Einjtellung feines Bildes plötzlich auf, um fein eignes Bild ebenfo auf der Mattjcheibe zu fuchen, wie ich ihm vorher die Büßergruppe bei der Einftellung auf diefer Scheibe gezeigt hatte.
Ih erfuhr ganz merkwürdige Dinge über den brahminifchen Betrieb in Badrinath. Am erbaulichften Hang mir die Mitteilung, daß die Würde des Rauhils dem Meiftbietenden aus dem Brahminen- Stamme der Schaulis oder Namburis zugeichlagen würde, was fi für diejen ganz gut bezahlt mache, da alle Pilger in Badrinath umab- läffig zu Geldopfern herangezogen würden, von denen der Löwenanteil in die Tafche des Rauhils flöfje. Die Wallfahrer müffen nämlich nicht nur für die Brahminen reiche Geldgefchente hinterlafjen, ſondern auch zur Erhaltung des Tempels und zur Pflege und Speifung des Idols nad ihren Mitteln beitragen. Die mächtigen Schüfleln voll Reis, die dem Idol täglich vorgeſetzt werden, entleeren natürlich die Brahminen mährend der Mittagszeit, in der der Tempel geſchloſſen ift, in große Kefjel, aus denen dann die armen Pilger gefpeift werden.
Schr interefjant war mir fchlieglich der Befucd der warmen Schwefelquelle, in der die Pilger nad) Maßgabe ihrer Vergehungen ſchmoren müfjen, bevor fie den Tempel in der vorgefchriebnen Anzahl von Malen ummwandern dürfen; mande müſſen dieſe heiße Reinigung fieben-, andre ſogar neunundvierzigmal wiederholen.
Ich konnte e8 mir nicht verfagen, den nad) dem Wafler, aljo nah Oſten hin offnen Tempel vom gegenüberliegenden Ufer aus zu photographieren. Es blitzte und blinkte darin aber derartig von hin und her bewegten Metalfflittern, daß ein deutliches Erfennen von
©. 30-61. Der Wallfahrtsort Badrinath, redis der Alataanda · Gleiſcherbach vorn Hirten und Mufitanten.
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Einzelheiten mir nicht möglich war, es machte mir aber den al3 ob in dem dunklen Raume Menfchen herumliefen, bie ni werden konnten, weil fie ſchwarze Tücher übergeworfen h daß diefe die mit zahllojen Metallplättchen beſtickten Fähı fonjtigen gleißenden Kultusgeräte in unruhiger Bewegung
Wie ich hörte, werden die beträchtlichen, angeblich ermeßlichen Schäße dieſes Tempels an Jumelen und edlen niemals verfchlofjen, ja jelbit im Winter follen die Tempe öffnet bleiben. Es habe zwar einft ein aus Tibet herüberg Räuber eine Laft Gold und Edelfteine davontragen wollen ein Adler aus der Luft auf den Dieb heruntergefchofien, mit fi) in die Wolfen hinaufgeriffen und von dort auf di fpige hinunterfallen lafjen, mo dann andre Raubvögel den Frevler in Stücke zerfetzt hätten.
Ein paar Muſikanten mit mächtigen Keffelpaufen a bis zur Alaknandabrücke das Geleite. Hier verabfchiedete von dem Bandit und dem Rauhil, nahm ein ganz kurzei den heiligen, aber eißfalten Fluten des Gangeszuflufjes | und ſah mich dann nach meinen Kulis um, die ich für den I zum Abmarſch beftellt hatte. Die Burfchen ließen fich jedod nachdem die Sonne bereit untergegangen war, weil fie überzeugt waren, daß ich num den Abmarjch erft am näd, antreten könne. Zu ihrem namenlofen Entſetzen hieß ic, wutentbrannt fofort aufpaden, und mit der Drohung, ihı Pfennig Trägerlohn zahlen zu wollen, den Heimmeg ant war fo ungehalten über die Unpünftlichkeit der Leute, da nicht an mein Fußleiden dachte und ebenfo völlig vergaß, eine unheimliche Ebbe in meiner Kaffe war. Ich bei meinen hier ganz wertlofen Krebitbriefen und einem Sä den angezweifelten deutſchen Goldſtücken grade noch ein filberne Zmweiannamünze und etwas landesübliches Kup| Geſtalt unregelmäßiger, gejtempelter Kupferklümpchen.
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Hätte ich freilich geahnt, wie halsbrecheriſch ber Felſenweg wurde, als pechichwarze Wollen vor der Mondfichel und den hellen Sternen vorbeizogen und nachdem meine Laterne in Unordnung geraten war, fo hätte ich den Kulis diefe Strafe gewiß erlaffen, denn fie traf mich und meinen jchmerzenden Fuß wohl am allerempfindlichiten; ich fam mir beim Vergabfrebjen ungefähr jo vor wie jener Bube mit feinem befannten Troft: „Es gejchieht meinem Vater ganz recht, wenn ich mir die Hände erfriere; warum fauft er mir feine Handſchuhe!“
Einige Male trafen wir im dichteften Schatten der Felſen Hirten um ihr Feuer gelagert, aus deren Wafjerpfeifen unfre Kulis fchleunigit ein paar Züge Rau „tranken“, fo daß ich erft mehrere Stunden nad; Mitternacht meinen früheren Lagerplatz Pon Dugefchar erreichte.
Eine innre Stimme verhieß mir, daß inzwifchen Geld und Briefe gefommen feien, und das trieb mich am nädjten Morgen jo früh wie möglich nad Dſchoſi-Math. ALS hierbei unfer Trupp duch Wiſchnu Prayaga kam, wollten es die dortigen Brahminen gar nicht für möglich halten, daß mir in biefer kurzen Beit in Badrinath geweſen jeien; fie verglichen unfre Schnelligkeit, die doch aus Rüd- ficht auf meinen Zuftand durchaus nicht hervorragend war, mit der von Hirfchen und Adlern, hängten mir dicke, gelbe Blumentetten um den Hals, drückten mir ein Betelblatt in die rechte, ein Blatt: tütchen voll Honig in die linke Hand und fehienen zu guter Legt nicht abgeneigt zu fein, mir auch eine Handvoll Aſche von heiligem Kuhdünger auf mein ſündiges Locenhaupt zu ftreun. Um mid) für jo viel Aufmerffamteit erfenntlich zu zeigen, reichte ich dem Prieſter da3 winzige Zweiannaſtück, mein letztes Geld, hin. Ohne jede Ent: rüftung nahm er die Münze an fi, doch konnte ich trotz geſpann⸗ tefter Aufmerkſamkeit nicht erfennen, wohin fie ber fromme, aber unbeffeidete Herr ſteckte, denn gleich allen brahminifchen Hindus hatte er feine Beinfleider und demnach auch Feine Hofentafchen. Nur ein mufel- männifcher Hindu kann ſich daS Vergnügen machen, die Fauft in einer genähten Hofentajche zu ballen, falls man ihn ärgert, wie das ja oft
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genug feitens der brahminiſchen Indier gefchieht, die gar zu gern Schweine an eine Mofcheethür anbinden, um Die Moslems zu verhöhnen.
In glühender Hige famen wir am Nachmittag in Dichofi-Math an. Ich that ganz gleichgültig, als ich den Poftmeifter erblickte, obgleich mir das Herz vor Aufregung bis in den Hals hinauf ſchlug; erſtlich fehnte ich mich nach Briefen aus der Heimat und dann fühlte ich, daß, wenn das Geld noch nicht da war, ich einen ziemlich bla- mierten Reifenden vorftellen müßte.
Sich mit unterthänigftem Salamgruß verbeugenb, bedauerte der Voftvorfteher unendlich, daß für mich weder Briefe noch Geld ange kommen feien. Wären nur Briefe eingetroffen geweſen, das Geld aber ausgeblieben, fo wäre ich wahrjcheinlich vor Schreck aus der Haut gefahren, jo aber nahm ich die Sache auf die leichte Achjel, padte im Bungalo eine Konferve von getrüffeltem Faſan aus meinem Schab- kaſten und lachte die Kulis fürchterlich laut aus, als fie zitternd und mit geöffneten Händen um ihren Lohn bettelten. Daß ein weißer Mann kein Geld haben könnte, hätten fie mir doch auf feinen Fall geglaubt, denn jeder Hindu glaubt fteif und feit, daß ein Europäer nur in die Tafche zu greifen brauche, um fie jeberzeit mit Geld gefüllt wieder herausziehn zu können.
Mir blieb zu meinem Leidwefen nichts übrig, als abermals meine Zuflucht zu einer Kriegsliſt zu nehmen; ich fpielte deshalb den rafenden Roland und fragte fie recht höhniſch, ob fie zur Strafe für ihr Ausbleiben in Badrinath lieber einen vollen Monat oder einund- dreißig Tage auf ihr Geld warten wollten. Mit einem barfchen: „Ich bin nicht in der Gebelaune heut!“ jagte ich dann meine doc fo vollberechtigten Gläubiger zum Bungalo hinaus und fügte lachend noch ein Büchschen Sardinen zu meinem Iufullifchert Faſanenſchmaus; Hans hatte inzwifchen fehon den Reis zum Kochen angefeßt, den mir der Poftmeifter nebft einigen Gurken, die einen belifaten Salat abgaben, verehrt hatte.
Den weitren Marjch auf dem Pilger- und Saumpfad längs
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des Dhauli Ganga bis Raniket und Naini Tal legte ih, nachdem am folgenden Tage das Geld und die heißerjehnten Briefe der Meinigen glücklich in meine Hände gelommen waren, in acht Tagen zurüd. Von Rechts wegen wären es vierzehn Tagesmärſche ge weſen, doch gelang e3 mir, durch Verdopplung ber Trägerlöhne, an den meiften der jonft üblichen Rajtftationen fofort wieder neue Kulis zu finden, die mir gleich weiter- halfen, aber gewöhnlih wird diefe Reife in folgende Tages: märjche abgeteilt: Dſchoſi⸗Math — Gulab Koti, Pipal Koti (Pilgerhaus), Schamauli, Nandaprayag (Pilgerhaus), Karanprayag, Ad Badri, Lobba (Dat Bungalo), Mail Schongri, Genai (Dat Bungalo),
Dwarahat, Der Ruli, Kaltura (Dat Bungalo), den ich mit Gold zum Wechſeln aus Milam nad) Mlmora fiidte. Kyrma (Dat Yungalo), Naini Tal.
Es war weniger die Sehnfucht, endlich einmal wieder in einem ordentlichen Gafthofsbett zu fchlafen, die mich in folchen Gewalt: märjchen nad) Naini Tal trieb, als der Wunfch, noch möglichft meit in Sikhim durch den Oſthimalaja wandern und wenn irgend möglich) dort fogär den Kanſchen-Dſchunga erreichen zu können, bevor in Sikhim unergründlicher Winterjchnee das Marjchieren verbot. —
Ich beabfichtige durchaus nicht, hier erichöpfende Schilderungen de3 Himalaja zu geben, und übergehe deshalb die Erzählung meiner
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Erlebniffe auf der fehon von andren Reijenden bejchriebnen eben- genannten Strede von Babrinath bis nad) Naini Tal. Der Niederftieg aus der einfachen, Fräftigen Vegetation des höheren Gebirges zu der üppig tropifchen in den tiefgelegnen Sohlen der Thäler, die ich überqueren mußte, gehört zu den mechfelvoflften Eindrüden, die de3 Reifenden im Himalaja harren. Man hat aber auf diefem von fo zahlreichen Wallfahrern begangnen Wege doch nicht mehr das Gefühl, in entlegner Gebivgseinfamkeit zu wandern; fondern findet alle Zugaben eines gejteigerten Verkehrs. Büßer und Bettler, Händler und Kulis warten auf die aus allen Teilen Indiens den Pilgerpfad nach Badrinath hinauf oder herab fteigenden Wallfahrer, um eine indifche Abart der „Frembenindujtrie” zu betreiben. J
Wie ich wiederholen muß, lernte ich dieſe Gegend allerdings in einem durch die Cholera ſchwer geſchädigten Zuſtande kennen. Es überlief mich wirklich ein heftiges Gruſeln, als ih, im Begriff, in Schamauli das Pilgerhaus zu betreten, um darin Schuß vor der ftechenden Sonne zu finden, von dem Poftmeifter beim Arme zurüc- gezerrt wurde, indem er mir. freundlich zulifpelte, daß Dies zurzeit ein Cholera-Lazaret.und noch dazu ein jehr überfülltes fei. Nach diefer teöftlichen Mitteilung rannte der wackre Beamte wieder zu feiner Herde von Zebutühen, die er grade weidete, Fam aber noch einmal zurüd, um zu fragen, ob feine Poſtuhr wohl ganz richtig ginge; e3 war nämlich) grade Mittgg, und feine Normaluhr zeigte auf halb ſechs! Durch meine geiftreiche Bemerkung, daß er mir vor allen Dingen erſt gefälligft erflären möchte, ob dies halb ſechs Vor: oder Nachmittag fein folle, ſetzte ich ihn dermaßen in Verlegenheit, daß er noch mit offnem Munde daftand, während ich mit meinem Trupp ſchon um die Wegecke verſchwand.
Sehr lehrreich waren für mich auf dieſem Heimwege die ver: ſchiednen Tandwirtfhaftlihen Gebräuche, in die ich dabei Einblick erhielt. Bor allen Dingen befremdete es mich, den Kuhdung hier
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endlich einmal richtig zum Düngen benußt zu fehn, während er im übrigen Indien nur in runden Scheiben behutfamft an die Haus— mauern geffebt wird, um durch die Sonne zu einem wertvollen, ja fogar heilig gehaltnen Brennmaterial gebörrt zu werden, das gleich feiner ebenfalls für heilig gehaltnen Aſche zu guten Preifen verhandelt wird. Köftlicher Tann zum Beifpiel der Scheiterhaufen für einen Abgeſchiednen gar nicht hergeftellt werden, als aus ſolchen trocknen Kuhdüngerfcheiben, und foll eine Hochzeit im Hinduhaufe recht feit- lich gefeiert werben, fo muß vor allen Dingen der Boden friſch mit einem Gemifh von Lehm und Kuhdung beftrichen werben; beehrt aber gar ein Brahmine den feitlichen Schmaus bei der Geburt eines Sohnes mit feiner Gegenwart, fo beftreut ganz gewiß bie Hindu- mutter zu Ehren eines fo hohen Gaftes ihren niedrigen Kochherd mit einer gehörigen Lage von Kuhdüngerafche, und fo geht es fort.
In Garhwal wurde das Gold des Landmannes, der Kuhdünger, in zierlich geflochtnen Körbchen von Mädchen auf die abgeernteten Felder getragen; auf andren Aeckern war zur felben Zeit die Aus- faat bereit3 bewirkt. Statt mittels einer Egge wurde dort der Samen durch ein geripptes, vieredige8 und von Büffeln gezognes, rauhes Brett, auf dem drei oder vier Weiber ftanden, in die aufgehackte Erde gedrüdt; manchmal jah ich auch nur einen einzelnen Mann, der dann gewöhnlich einen großen, runden Korb als Sonnenſchirm auf den Kopf geftülpt trug, auf fol einem Brett von Heinen Buben über das Feld gezerrt werben.
Auch das abgemähte Getreide wurde auf den Tennen in einer für mich neuen Weife ausgekörnt; drei nackte Männer liefen hierbei beftändig auf den Halmen herum, indem fie die Aehren mit den Sohlen rieben und rollten und fich fo die Halme einander unter die Füße arbeiteten, wobei fie. ihre Köpfe durch die Löcher eines leichten Gitter8 aus Bambusftäben gefteckt hatten, um beifammen zu bleiben. Aber auch Ochien, die mit verbundnem Maule im Kreife um einen Pflock getrieben wurden, ſah ich Getreide austreten.
©. 300-01, Reisstampferin mit einem kleinen Masenring.
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Den hübfcheften und bdrolligften Eindruck machten aber doch jedesmal die Heinen Hausfrauen, die mit einem ungeheuren „Dellöl"- Knüppel den Reis oder fonftiges Getreide für das Mittagsmahl vor ihrer Hausthär zu ftampfen pflegten. In diefer Gegend fand ich fie gar nicht ſonderlich ſcheu, und oft fahen fie mit fchelmifchen Blicken meinem Gebaren mit dem Apparate zu, nachdem ich fie durch die Ver— ſichrung beruhigt hatte, daß darin nur ihre Größe abgefpiegelt und gemefjen würden.
Auch einem Heuſchreckenſchwarm begegnete ich unterwegs und mußte lachen, als ich ſah, wie die Bauern durch Webeln mit langen Tüchern diefe gefräßigen Tiere von ihren Feldern weg und freund» nachbarlich auf die eines Mitbürgers hinüber zu fcheuchen fuchten; das Lachen verging mir aber, als ich das pelotonfenerartige Knattern hörte, daS das Auffpringen eines Rieſenſchwarmes folcher ungeladnen heißhungrigen Gäfte in meiner Nähe verurfachte. \
In Ranifet fielen mir zahlreiche englifche Damen in ſchwarzen Trauerkleidern auf. Raniket ift nämlich hier die vorgefchobenfte Garnifon, in der noch britifche Soldaten liegen, und unter dieſen hatte die Cholera ganz fürchterlich aufgeräumt, befonders im Offiziercorps. Ich konnte nicht daran denken, im Bungalo Plab zu finden, denn mindeftens zwölf plöglich zu Witwen gemworbne Damen waren aus der Sommerfrifche Naini Tal eingetroffen, um der Beerdigung ihrer Gatten hier beizumohnen. Dies langdauernde Getrenntlebenmüffen der in Indien ftationierten Beamten und Offiziere von ihren Frauen ift, nebenbei gefagt, ein arger Feind des indifchen Eheglücks, und einem zahmen beutjchen Ehemanne können dort bei dem allgemeinen Flirt allmählich wohl die Augen zum Kopf heraustreten.
Das Gerücht von meiner Wanderung durch da3 Hochgebirge war mir fchon vorausgeeilt, erweckte aber auch hier wieder den Ruſſen⸗ und Spionen-Argmwohn, an den ich nun fchon gewöhnt war.
Durch die Anweſenheit jo vieler Fremden waren die Laftpferde und Kulis des Ortes jo ſehr in Anfpruch genommen, daß ih nur
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nach endloſer Mühe zwei erbärmliche Packpferde aufzutreiben ver- mochte, auf denen die Pferdejungen meine Kiſten aber ſo unordentlich feſtbanden, daß alle zwei Schritte das eine oder andre Gepäditüd mit furchtbarem Krach zur Erde ftürzte, wobei mir jeder Sturz durchs Herz fchnitt, wenn ich an das mögliche Schickſal der photographiſchen Glasplatten mit meinen, unter jo unbejchreibfichen Mühen errungnen Aufnahmen dachte, die nun meine Berichte in dem vorliegenden Bud) illuftrieren.
Die beiden Gäule waren eigenfinnige Beitien. ch überließ es deshalb dem Tiroler, das Weitertreiben der bocbeinigen Tiere zu behüten, und ging mit ftarfen Schritten die nun herrlich breit: gewordne, glattgepflafterte Straße fürbaß. Ich fchlug einen ab- fürgenden Reitweg ein, weil mir das Chaufjeetreten nicht viel Ver- gnügen gewährte, bemerfte aber nad) zwei Stunden, daß der Reitweg ſtracks in den Fluß hineinführte, neben dem er bisher dahingeführt hatte; er war alfo nur für völlig nackte Eingeborne oder Berittne zu benugen. An dem Wafjer weiter entlang zu gehn, war wegen der Felswände ganz unmöglich, und zwei Stunden in ftechendem Sonnenfchein wieder zurüczulaufen, ſchien mir auch wenig verlodend: deshalb Meidete ich mich lieber aus, bis ich wie ein Cingeborner ausjah, trug mein Kleiderbundel auf dem Kopfe und fchritt eine halbe englifche Meile weit durch den mir biß weit über die Hüften veichenden, reißend thalabwärts ftrömenden, fteinigen Bad. Bon oben fengte die Sonne, und unten fehmerzten die Füße, die entweder von feharfen Steinen verlegt wurden oder von den rundgeſcheuerten Steinen abrutjchten.
Ich war infolgedefjen wirklich herzlich froh, den Bungalo in Kyrna leer zu finden. Als ich darin trockne leider angelegt hatte und grade dabei war, ein faftiges Huhn zu verfpeifen, kamen zwei nadtbeinige, braune Kerle in zerfeßten, grauen Leinwandjäckchen mit einem ſchweren Blecheimer voll Teer hereingewankt, und fingen an, mit einem riefigen Schwammpinfel den Teer aus bem Eimer auf
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zu faugen und ohne ein Wort zu fprechen auf die ſchneeweißen Wände zu fteeichen. Ich glaubte e8 mit ein paar Verdrehten zu thun zu haben, doch fie raunten mir nur heifer den im Deutfchen fo fröhlich klingenden Ausruf: Heißa! entgegen, und da mußte ich genug. Dies Wort bedeutet dort Cholera, und innerhalb diefer jelben vier Wände waren ganz fürzlich mehrere Reifende der Seuche zum Opfer gefallen; man wollte nun verfuchen, mich durch das Teeren vor dem gleichen Schickſal zu bewahren. Zum Ueberfluß befam ich nach meinem etwas unvernünftigen Flußbade einen hitigen Fieberanfall, und ic) dankte wirklich Gott, als mir am nächſten Tage der Schaufidar ein Neitpferd und ein paar befire Packpferde beforgte, jo daß ich wenigftend nicht auch noch mit hinfenden Füßen neben meinem faſt zu nichts zufammengefchrumpften Gepäck in Naini Tal einzuziehn brauchte, von wo ich vor drei Monaten jo frohen Mutes mit fünf- zehn vollen Trägerlaften in das Hochgebirge aufgebrochen war. Waren meine Hoffnungen in Erfüllung gegangen? Ueber alle
Maßen! Ich hatte das Gefühl, trot alles unvermeidlichen Ungemachs.
vom guten Glück im denkbar höchften Grade begünftigt geweſen zu fein; alles, was diejer Teil de3 Himalaja an verborgnen Reizen, an erhabner und furchtbarer Schönheit befist, hatte fich mir in aller Stille enthüllt!
Doc als ich von der Paßhöhe des Schinerhügels zum letzten⸗ mal einen Blit auf das nun fo ferne Hochgebirge werfen wollte, war dort der Wolfenvorhang gefallen. Das wahrhaft göttliche Schaufpiel, die Alpen des Rumaonhimalaja in menfchenferner Ruhe als ein von der Allmacht aus Urnachttiefe hervorgerufnes Kunft- werk auftreten und wirken zu fehn, war für mich beendet. Aber unmwiderftehlich trieb es mich nochmals zurück nach Often, um auch den dortigen Prunkhallen des ungeheuren Tempels der Himalaja- natur einen ftaunenden Beſuch zu machen. Bon meinen Erlebniſſen dafelbft ſollen die folgenden Kapitel dieſes Buches berichten.
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Boed, Indifge Gletſcherfahrten. 24
Zwanzigfies Kapitel. Marſch auf der Kammhöhe des Singafe-La.
mar ergötzlich, die verwunderten Gefichter der Hotelgäjte in % Naini Tal zu fehn, die Gelegenheit hatten, meine nun voll +7 ftändig zerfaferten Bergſchuhe in Augenschein zu nehmen, die ich nad) der Verfiherung des Hotelbefigers bei meinem Abmarſch vor drei Monaten neu und unverjehrt und wie für die Ewigkeit benagelt mit fortgetragen hatte. Sie jprachen ganze Bände von den tollen Zu mutungen, die inzwifchen an ihre Unvermüftlichkeit geftelft worden waren. Natürlich kamen die Fragefteller jofort in dien Haufen in mein Zimmer, um fi) zu vergemifjern, wie hoc) ic) geftiegen jei, mieviel Bären ich gefchoffen hätte und movon ich im Hochgebirge gelebt hätte.
Da ich Neugierigen nicht gern folche Vorträge halte, riß id ſchon am nächften Tage wieder aus, obgleich meine aus Milam heruntergeſchickten Gepäditücte noch keineswegs vollzählig eingetroffen waren.
Ich wäre am liebſten auf dem fchnelfften Wege und ohne Aufenthalt nad; Dardfchiling gefahren, aber ich fand in Naini Tal die Nachricht, daß für mich in Kalkutta eine Kifte auf dem Zollamte läge. Da ich dort außerdem neue Konferven und Kleider, ein andre Barometer, photographifche Platten und dergleichen kaufen wollte, machte ich den Ummeg über Kalkutta, unterbrach aber bie Reife, um der heiligen Tempeljtadt Benares einen Beſuch abzuftatten
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und die Fluten de3 heiligen Gangesſtroms mieberzufehn, in deſſen Gletſcherquelle ich in Badrinath ein eisfaltes Bad genommen hatte. Doch von diefem Beſuch in VBenare zu berichten, ijt hier nicht der Platz.
Auf dem Zollamt in Kalkutta dauerte es viele Stunden, bis meine Kifte gefunden und geöffnet werden konnte. Es war eine Sendung meines Mütterchens aus Deutfchland, mit der fie mir eine bejondre Geburtstagsfreude zu machen gedachte; der Tiroler half den Beamten beim Oeffnen der Kifte und der darin enthalten Büchſen. Als nun zufällig aus der erſten diefer Blechhülſen beim Auffchneiden eine ſtramme Salamimurft herauspurzelte und dem Zoll- beamten vor die Füße rollte, konnte der Tiroler nicht umhin, dieſe meine Geburtstagsmurft mit Freudenthränen zärtlich an feinen Magen zu drücken und gerührt auszurufen:
„Das vergejl’ ich der Frau nie, daß fie mir das gethan hat!"
Durch diefe foziafiftiiche Auffaffung von Mein und Dein be fundete mein guter Hans eine ganz nette Anlage zu einem jener Ehemänner, die ihrer Gattin zu Weihnachten eine ertragute Kifte Bigarren befcheren, um fie ihr an befonders hohen Sonntagen vorzus tauchen. Unter diefem Zeichen werden wir fiegen! fchien er jeben- falls zu denfen, ald wir mit unſrer Kifte voll Hefterfcher Gervelat- und Salamiwürften wieder nach Dardichiling hinauffuhren.
Wie alte Bekannte begrüßte ich die Waldriefen im Teraimalde, die Farnbäume bei Kurfeong und, endlich, die erften ſchmutzigen Bhotijahäufer von Dardſchiling.
Unfer Wiebderauftauchen in Dardſchiling verurfachte fein geringes Auffehen, denn niemand außer dem Pater Schäfer hatte gewußt, wo wir in der Zmoifchenzeit geftecft hatten; man hatte dort einfach angenommen, daß ich, des fruchtlofen Wartens müde, über Hals und Kopf nad Haufe zurückgekehrt fei.
Ich wurde bei der Ankunft am Bahnhof von meinen früheren ſchmierigen Kulis mit ungeheucheltem Entzücken begrüßt. Sofort
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wollten fie da8 Gepäck wieder nach dem Glashaufe jchleppen, doch hieß ich fie damit Fieber nach Woodlands Hotel gehen; jet, in den erften Tagen des Oftober, war dort die Saifon vorüber und auf behaglichere Unterkunft zu rechnen.
Das Wetter war bei meiner Ankunft ganz prachtvoll und wolfenlos, und jeder prophezeite, daß es nun bis zum Jahresende anhalten würde, weil die böfe Regenzeit jetzt völlig vorüber fei. Das Herz lachte mir im Leibe. Aber man foll ſich niemals eher freuen, als bis das Feſt ganz vorüber ift! Das follte auch ich erfahren.
Als ob wirklich böfe Bergdämone ihr neckiſches Spiel mit uns trieben, brach von neuem ein wochenlanges Regenwetter los, wie & zu dieſer Zeit felbft die in Dardſchiling nicht fehlenden „älteften Leute" in Erftaunen verfeßte. Diesmal war ich freilich feit ent: ſchloſſen, aujzubrechen, fobald die Vorbereitungen beendet waren und durch dick und dünn vormärtszugehn.
Das einzige, was mid) abermals aufzuhalten vermochte, war da3 Ausbleiben der Erlaubnispapiere, die man mir al3 ganz uner: läßlich bezeichnete und zwar ſowohl zur Bereifung Sifhims wie für die Benugung der im Anfang der Reife zu Gebote ftehenden Rait- häufer. Ich nahm mir im ftillen vor, mich dadurch nicht länger als drei Tage hinziehen zu laſſen, fondern im Bewußtſein, von mehreren hochjtehenden Beamten die mündliche Verficherung erhalten zu haben, daß meiner Reife nichts im Wege ftehe, einfach abzumar- fhieren und e3 fpäter auf die Folgen ankommen zu laffen.
In Dardſchiling ſah es ſchon recht öde aus. Was noch an englifchen Damen und Herren in der Sommerfrifche weilte, klagte über die „unerträgliche" Kälte, während die Temperatur doch nod) immer etwa fünfzehn Grad betrug, und man fehien mich ganz all- gemein für närrifch zu halten, daß ich in diefer Winterszeit in die Schneeregion binauffteigen wollte, während man früher meinen Verſuch, dies während der fommerlichen Regenzeit zu thun, ebenfalls als ein unfinniges Vorhaben verjpotiet hatte.
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Außer Herrn Seife fehienen aber die ftändigen Einwohner und eingebornen Bazarhändler über meine Wiederfunft nicht böfe zu fein; einmal weil in Dardſchiling in Ermanglung fonftigen Unter: baltungsftoffs jedes auffallende Unternehmen als ein Anlaß zum Disputieren und Klatfchen mit Freuden begrüßt wird, dann aber, weil ich für das froh⸗ finnige Weſen der Bhotijas den entſpre⸗ chenden ſcherzhaften Ton gefunden hatte,
FaftmitGewaltwurde
ich jest zu Familien
gelockt, in denen ſich
allerlei mehr oder we⸗
niger Hübfche Bhotija-
mädchen zum Photo⸗
graphieren zurecht ge-
macht hatten. Diejes
feierlihe Zurechtge⸗
machtſein war aber
gar nicht nach meinen
Wünfchen, auch wollte
ih meine früheren
Gönnerinnen nicht
durh das Eingehn _Bbotila-Peingeflin,
auf folhen MWettber mit Mufel-Armband und Kopflrany. . werb betrüben. Deshalb befchränfte ich mich darauf, einige von den nicht befonder8 vorbereiteten Kindern aufzunehmen, die mir überall in Erwartung irgend welchen unterhaltenden Schaufpiels auf den Ferjen folgten. Kleine Mädchen, die wohl noch nie gelernt hatten, ihr plattes Näschen zu fehneugen, und die gemöhnlich fehr ausgewachſne Babys auf dem Rüden oder einen zappelnden Hund
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in den Armen mit ſich herumſchleppten, bildeten die Mehrzahl dieſer Neugierigen.
Grade dieſe Bhotijakinder machten auf mid) ſtets einen erhei- ternden Eindrud. Ihre diden Köpfe und ihr reicher, verwilderter Haarwuchs, und befonders die langen, dictgefütterten Röckchen gaben ihnen das Ausfehen von zwerghaften Erwachſnen, deren kindiſches Gebaren unmiderftehlich komiſch wirkte. Ganz wie weiland Diogenes
Reugierige Byotija-Rinder.
in feiner Tonne fuchten diefe Kleinen in irgend einer leeren, weg⸗ geworfnen Kijte Schuß vor Sonne und Regen, wo fie dann jogleid die landesübliche, unfagbar ergiebige Infektenjagd eröffneten. Ein behaglicheres Dafein kann es für ein Bhotijawürmchen ja aud) gar nicht geben, als in fol einer fehattigen Kiſte zu liegen, ben im Sonnenſchein fpielenden Altersgenofjen zuzufchaun und fi von den lieben Gefchwijtern das judende Köpfchen abklauben zu laſſen. Neben einer folchen Gruppe jah ich einmal auch den zugehörigen
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Familienvater die Kopfhaut einer feiner ftruppigen Rangen eingehend unterfuchen, während ihm felbft zwei ebenfo unfaubre Sprößlinge auf dem Rüden herumturnten, die jedesmal in hellen Jubel aus- brachen, fobald ihre Jagd auf dem Schädel de Familienoberhauptes irgend einen hervorragend greifbaren Erfolg gehabt hatte. Beſonders beliebt fchienen bei den Bhotijafindern Spiele mit Kreifeln zu jein, die fie aus Bambusftähchen in Form eines Doppel- fegel3 zufammenfügten, ebenfo Uebungen mit Kleinen Steinkugeln
BHotija-Rinder auf der Infettenjagd.
nah Art des Murmelfpiel3 unfrer Straßenkinder. Auch einem Brettfpiel, ähnlich unfrer „Mühle“, wird von den Kindern häufig auf offner Straße gehuldigt; eine geometrifche Figur wie die um- ftehende wird dabei in den Sand gefragt und der Verſuch gemacht, zwei Reihen, das heißt zehn Stückchen von Eierjchalen, die fich nur gradlinig fortbemegen oder fchlagen dürfen, mit vier Stückchen Kohle, deren Bewegungen unbejchränkt find, durch Ueberfpringen wegzu— ſchlagen.
Die Landſtraße bei Dardſchiling bietet fortwährend irgend etwas Intereſſantes, denn der Ort wächſt noch ſtetig und es herrſcht eine
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rege Bautätigkeit. Sonderbar genug fieht e8 aus, wenn dabei die Bhotijas ungeheuer lange Bambusftämme nach dem Bimmerplat fchleppen, wo fie dann von chinefifchen Zimmerleuten zerfägt werden; Bruder Chinamann bämmert und fchafft in Afien bereits überall, wo er mehr verdienen kann Srenlviel der Bhotija-Rinder. als zu Haufe, in Kalkutta oder Singa- pore fo gut wie im Herzen Eibiriens.
Eine ergößliche Rolle fpielen auch die plumpen braunen Bhotija- burſchen als Kindermädchen, wenn fie fchreiende englifche Kinder im Arme wiegen. Gelegentlich kommt auch wohl ein Fopfwadelnder alter Lama aus dem buddhiftifchen Tempel nach Dardfchiling Hin- auf, vor dem fich die Bhotijas ſtets lang in den Straßenſchmutz werfen, um durch Auflegen feiner Hand gejegnet zu werden. Häufig genug fieht man auch die hohe Polizei mit irgend einem frifchen Fang einherfpazieren, zum Beifpiel auf unfrem Bildchen mit einem
Die MallPromenade in Dardfgiling; Bpotijas mit Bambut-Stämmen.
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Leptſcha, der ein Hühnchen geſtohlen hat und nun ſeiner Tracht Prügel entgegen geht. Die Wiedereinführung der Prügelſtrafe erwies fih Hier doch als unbedingt nötig, nachdem die Sträflinge den forgenlofen Aufenthalt im Gefängnis als das Gegenteil einer Strafe zu betrachten anfingen, und zum Beifpiel in Benares fleißig mit Hand anlegten, ihre dort durch ein Erdbeben nieder: geftürzten lieben Gefäng- nismauern wieder aufzu- richten, ftatt diefe günftine Gelegenheit zum Entwi- ſchen wahrzunehmen.
ALS der dritte Tag zu Ende ging, ohne daß die zugefagte Erlaubnis zur Reife durch Sikhim in meiner Hand war, gab ich es auf, noch länger zu warten; ich ging zu Pater Schäfer und bat ihn, mir die Kulis für den nächiten Morgen zu beftellen. Dann ſchrieb ic) nach dem Diktate des Miffionars einige Dutzend der nötigften Redewendungen jomohl in der Bhotija- und Leptfchajprache mie auf Tibetifh in mein Taſchenbuch, fhüttelte fchlieglich meinem liebenswürdigen Helfer herzlich die Hand und ging in ftrömendem Negen in das Hotel zurück, um mit dem Tiroler das Gepäd in Neih und Glied bereit zu ftellen. Hans ging noch einmal ans Fenſter, ſah in die vom Himmel ftrömenden Wafjergüffe, brummte wie vor ſechs Monaten dann vor fih hin: „Wenn’s jest nicht bald aufhört zu regnen, dann hört fich ja alles auf!” und legte fich gleich mir aufs Ohr. Das Laminengedonnre in der Girthifchlucht
Boligiften mit einem gefelelten Septice.
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hatte die Nerven meiner Gehörwerkjeuge jo gekräftigt, daß ich von dem mir früher fo entjeßlichen Regengetrommel auf dem Blechdach kaum noch etwas bemerfte.
Am Tage vor meiner Abreiſe hatte ich in Woodlands Hotel einen einflußreichen Engländer, Sir Robert Hart, kennen gelernt, der als Generalinfpeftor des chinejischen Zollweſens feinen Urlaub in Dardfchiling verbrachte und mir half, meinen tibetischen Wörtervor- tat zu vermehren. Nach feiner Meinung bedeutet der Name des Berges, Kanſchendſchunga, zu dem mich die nun beginnende Reife führen follte, foviel wie „Garten der fünf Götter“. Bei der außer- ordentlichen Schwierigkeit, die wirklich richtige Lautierung derartiger Namen feftzuftellen, find aber abmeichende Anfichten durchaus bes greiflich. Der bedeutendite Kenner auf diefem Gebiete, Projefjor Grünmwebel in Berlin, hatte die Güte, mir noch zwei neuere tibetijche Lesarten diejes Namens mitzuteilen, nämlich Gangschhen rje lega und Gangsphen mzod lega, erſtre würde dann „die fünf Könige des großen Gletſchers“, letztre bie „fünf Schaghäufer des großen Gletſchers“ heißen. Die tibetifche Orthographie iſt für jeden Laien jo ſchwierig, weil fie eine hijtorifche ift, daS heißt eine Menge von Konſo— nanten fehreibt, die heute gar nicht mehr gefprochen werden; Grün- wedel vergleicht dies Verhältnis von Ausfprache und Schrift annähernd demjenigen, in dem gefprochne3 modernes Franzöfiich und gejchriebnes elegantes Franzöſiſch des vorigen Jahrhunderts zu einander ftehn.
Vom Kanfchendichunga war nicht das mindefte zu fehn, als ih am nächſten Morgen in aller Frühe vor meine Thür trat und dort eine Schar von zehm nicht grade faubren, dafür aber hand- feiten Bhotijas auf mich warten jah; ich hatte bisher noch nie fo kraftſtrotzende Gefellen in Dardſchiling gefehn. Mit ſolchen Kulis Tieß ſich jchon etwas anfangen. Ich jandte einen innigen Dankes— blit nad) dem St. Joſeph-Kollegium zu Pater Schäfer und zog mit meiner dafeinsfroh und verwegen dreinfchauenden Bande in ftrömen- dem Regen mit franzöftichem Abſchied aus Dardſchiling ab.
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Auf den vorftehenden Backenknochen meiner fehligäugigen, flach nafigen Leute jhien die Wangenhaut faft zu plagen, jo lebhaft grinften fie; auch die wilden Haare fehienen vor Wanderluft aus der gewohnten Bopfform gegangen zu fein. In das Verteilen der Trägerlaften durfte ich dem Sirdar, dem Häuptling der Kulis, aber nicht hinein reden, obgleich ich mich mit Hilfe meiner praftifchen Lifte von Bhotija- wörtern ganz leidlich mit ihnen verftändigen Tonnte, denn auch Hin- doftani verftand der Sirdar ein wenig, freilich nicht viel mehr als ich felbit.,
Der Vertrag mit den Kulis war durch den vorfichtigen Miffionar dahin geregelt worden, daß der Sirdar, abgefehn von einem Vorſchuß für Proviant, die Entloh-
. nung für feine Kulis erjt bei der Rückkehr erhalten follte. Als ich mich über das Ausbleiben dieſes Proviant3 wunderte, bat mich der Sirdar lächelnd, deswegen ganz unbeforgt zu fein, mas mir in der That etwas ſchwer fiel.
Noch hatte kein einziger der bar- füßigen Burschen von den warmen tibeti- ſchen Bergſchuhen Gebrauch) gemacht; nur TIPrtilser Derataun. der verhältnismäßig zarte Sirdar, der ftet3 ein wenig zu ſtutzern liebte, hatte bereitS die blau-rotzgrün geftreiften Filzftrümpfe mit Fellbeſohlung angelegt und ftolzierte, ohne auch nur ein Pfund Laft zu tragen, in feinem weiten, indigoblauen Rod mit überlangen und deshalb oft umgefchlagnen, gelb gefütterten Aermeln hinter den Kulis her. Mit feinem dreifpigähnlichen Bortenhut, dem zierlichen Zöpfchen und dem langen dünnen Bambusſtecken, den er mit abgezirfelter Gravitãt handhabte, machte er ganz den Eindruck eines aſiatiſchen Rokoko⸗Püppchens, dem man die Beherrſchung jo ungeſchlachter, vierfchrötiger Kulis faum zutrauen konnte.
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Die erften drei Tage folgten wir, noch immer in ſtrömendem Negen, einem gemächlichen, wenn auch arg durchweichten Reitweg, der zunächft einen füblich und dann weftlich gefrümmten Hafen befchrieb, bis er fchließlich in nördlicher Richtung weiterführte. Diefer Weg liegt auf dem Singale-La-Ramm, einem mächtigen, über 60 engliſche Meilen (96 Kilometer) langen Südſporn des Kanſchendſchunga, der bis zum Terai hinunter reiht, alfo bis zu jener fumpfigen, fieberdunftigen Urwaldszone, die zwifchen der indifchen Ebene und dem Gebirge liegt. Die Gründe, die der Sprachforfcher 2. A. Wab- dell gegen den Gebrauch der Bezeichnung Singale-La-Kamm anführt, find mir zwar befannt, aber da diefer Name durch Hooker auf den Karten eingeführt wurde, möchte auch ich daran fefthalten; andre neue Schreibarten Waddells halte ich dagegen für nachahmenswert. Ich habe mich aber bemüht, in diefem Werk alle Ortsnamen, auch die englifchen, möglichit fo zu fchreiben, wie fie deutich ausgefprochen werden. Ich fchreibe alſo zum Beifpiel nicht Goom, ſondern Guhm.
An diefem Reitwege find mehrere Bungalos angelegt, um ben Sommerfrifchlern von Dardichiling Gelegenheit zu bieten, fich das erhabne Hochgebirge in aller Bequemlichkeit ein wenig näher und aus einer andren Richtung als gemöhnlich betrachten zu können; fol ein mit zahlreihem Troß vollzogner Beſuch diefes Bungalos von Sanduk-Fu oder de3 folgenden Namens Falut gilt dann ftet3 als ein großes touriftifches Ereignis in Dardſchiling. Diefer Weg bis Falut ift aber ſchon wiederholt bejchrieben worden, am ausführlichiten von E. von Schlagintweit, der im Jahr 1856 bis Falut vordrang und von dort aus die Höhe des Mount Evereit mittels Teleſkops trigonometrifh auf 29106 Fuß (8871,5 m) bejtimmte, während eine faft gleichzeitige englifche Mefjung aus ber Ebene die Höhenziffer von 29002 Fuß oder 8839,8 m ergab.
Ich legte die fehier unzählbaren Zickzacks diefes unabläffig auf und abfteigenden Weges unter ganz abfcheulichen Verhältniffen zurüd, denn die fünfmonatliche Regenzeit hatte den Boden des fubtropiih
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ng-ynpues pun Sunupspiegg upsımt uaßunyuag- pun uabungagg-Sap
qungBagg aꝛun (rad ij wropmag poit af u⸗dhzoit quonlgm 2x
2
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wuchernden Waldes erfolgreich verſumpft und den Ozongehalt der Waldluft durch miasmatiſche Dünſte vertrieben.
Bei Sanduk Fu zeigte ſich gegen Abend jenes tröſtliche Gerinnen und Zuſammenballen des öden, bleigrauen Wolkenmeeres, das den erfahrnen Bergſteiger auf ein Nachlaſſen des Regens und Zerreißen der Nebelmaſſen hoffen ließ. Und richtig! Der nächſte, faſt wolfen- 108 anbrechende Morgen zeigte mir das über jeden Ausdruck er-
Dat Bungalo Sandut-Fu, dahinter die snowy range bei Kanſchendſchunga.
habne prächtige Maffiv des Kanſchendſchunga mit einer Schärfe und Deutlichteit feiner Einzelheiten, wie fie eben nur nad) fo lang- dauernden atmofphärifchen Niederſchlägen und in fo reiner, hoher Luft troß der anfehnlichen Entfernung von circa 34 englifchen Meilen (54,7 Rifometer) möglich war. Auch verlor die Landſchaft hier nicht, wie die3 in den europäifchen Alpen von fo hohen, topographifch wertvollen Ausfichtspunften gewöhnlich gefchieht, an ihrer äfthetifchen Wirkung; im Gegenteil, hier wie von Falut, wo die Ausficht eine ganz ähnliche ift, gewährte das wundervolle Gleichgewicht in den
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Erſcheinungen der ferneren und näheren Schneegebirge und der zu gleicher Zeit überſehbaren nahen, waldigen Thalſchluchten ſowie der graſigen Windungen des Singale-La-Kammes und feiner Abſpaltungen einen wahrhaft harmoniſchen Eindruck, der das Gemüt in unend- liche Befriedigung und Weihe ver: jentte.
‚Hier Löfte fich auch das Rätſel wegen der Verpro- viantierung der Kulis, Meine Ruli- truppe wurde näm- lich beim Eintreffen in Sanduk⸗Fu von breifräftigen, mun- tren Bhotijawei⸗ bern erwartet, die fich dort Hinter dem Bungalo verſteckt hatten und nun fichernd und fchnat- ternd mit ihren Bambuskörbenvoll Keisjäden, Wal Fortis han semarge su tat deden und kupfer⸗ nen Kochgefchirren zum Vorfchein kamen. Sie trugen fämtlich ihre unförmlich hochbepadten Lajtförbe an einem aus Bambus- vinde geflochtnen und über die Stirn gelegten Band und waren ſchon einen Tag früher vorausmarfchiert, da fie ſchwerer aufgepadt hatten als ihre Gatten. Mit fchlauem Lächeln vertraute mir der Sirdar, daß die Herren Bhotijakulis derartige Reifen ins Ungemiffe
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nicht ohne ihre Frauen anträten, denn das fei nach jeder Richtung nüßlicher und angenehmer. Hierzulande habe nämlich faft jede Frau mehrere Männer, infofern fämtliche jüngre Brüder ihres Eheherrn ebenfall3 Gattenrechte an fie hätten, nicht aber die ältren; die Kinder betrachteten jedoch nur den älteften Gatten als ihren Vater. ALS ich ihn nun fragte, weshalb diefe Maßregel eingeführt fei, fagte er nicht etwa vernünftigerweife, daß
die große Armut und
der geringe Landbeſitz ſo⸗
wie die Notwendigkeit,
daß bei dem herum-
ſchweifenden Lebenswan⸗
del der Bhotijas ſtets ein
Herr im Haufe fein müffe,
wenn die andren Männer
auswärts thätig feien, zu
diefer national-öfonomi=
ſchen, entfchuldbaren Un-
fitte gezwungen babe;
nein, er feufzte nur tief,
fo unergründlich tief als
ob er damit jagen wollte:
Gine meiner Rulifrauen. Die Ehe ift doch eine fo ſchwierige Sache, daß
einer allein ſie gar nicht tragen kann! Auch wird behauptet, daß Bhotijas und Tibeter das Feſt ihrer Vermählung, an dem ſich doch ein deutſcher Jüngling für den glückſeligſten aller Sterblichen hält, mit einem inneren Grauſen, mit Heulen und Zähneklappen heran— kommen ſehn. Dort muß ſich eben jeder Jüngling verheiraten, er mag wollen oder nicht; thut er's nicht, ſo thut's gewiß ſein ältrer Bruder, und dann muß auch er deſſen Eheglück teilen, oder er muß auswandern. Will er's aber beſſer haben und ein eignes Frauchen
©. 3841-85.
Der Verfasser mit einigen Reis efienden Kulis und Kulifrauen; reits der Sirdar mit einer Gebeisfahne.
Im Hintergrund bie Gruppe des Mount Evereit. Dieſes Bild ift die linfe fFortiejung der vorigen Tafel, bei deren Aufnahme der Apparat um 45° weiter mach MWeften gedreht wurde.
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für ſich nehmen, ſo ſteht ihm das zwar frei, doch wird das arme Wurm dann die Dienerin der Frau des ältren Bruders, und nur dieſe darf von dem Fleiß und Verdienſt ihres Schwagers in Geſtalt von Schmuckſachen profitieren. Ich folgte fort-
an dem SHirten-
pfade, der über den
Singalelafporn in
mancherlei Win⸗
dungen zu einer
Einſattlung in dem
Sporn hinunter⸗ leitet; dieſe wird
Tſchau Bandſchan
genannt und bildet
einen Paß für den
Hirtenverkehr zwi⸗
ſchen den Ländern
Nepal und Sikhim,
deren Grenze auf
der Kammbhöhe des
genannten Spornd
hinzieht. Zu mei-
ner Ueberraſchung
fand ich hier einen Selsplatten und Blöde auf dem Eingalela-Grat;
darauf mein Girdar.
nagelneuenundmit
elegantem Komfort ausgeftatteten Bungalo, von deſſen Dajein man in Dardſchiling volftändig gefchwiegen hatte. Sikhim befist allerdings, als ein von Britifch-Indien aus zwifchen den unabhängigen Himalaja-Stanten Bhutan und dem verfchloffnen Lande Nepal bis nach Tibet hindurchgetriebner Keil ein ganz hervorragendes Intereſſe
für die Engländer, doch wird naturgemäß die genauere Kenntnis Boed, Indiſche Gletjherfaßrten. 25
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der Verhältniſſe des Landes Sikhim wohl mehr den Beamten und Offizieren, für deren Dienftreifen jener Bungalo hergerichtet wurde, gegönnt, als Touriften, und zumal fremdländiichen, die ja jtet3 im Verdachte der Spionage ftehn.
Wir hatten bereit den zwanzigſten Oftober, al3 ich von dieſem legten Schutzhaus Tſchau Bandſchan mit dem Sirdar, das heikt dem Anführer meiner Kulis, zum Gipfel des 11780 Fuß (3591 m) hohen Tihong Mabing emporftieg, und dem Tiroler da3 Nach- treiben der Kulis überließ. Mein Sirdar, der einer befiren Bhotija- flafje angehörte und mir für die Kulis verantwortlich war, wie er auch am Schluffe der Reife für fie die gefamte Bezahlung erhielt, fchien den Antritt de3 jetzt ernftlich beginnenden Marfches ins Obdach⸗ lofe gern fo Tange wie irgend möglich Hinauszuziehn; an einem Vor⸗ wande hierzu fehlte es nie. Nachdem zum Veifpiel die Kulis gemerlt hatten, daß ich eins der Kulimeiber zurüdjandte, weil fie von einem wirklich furchtbaren Keuchhuften gequält wurde, brach die ganze Ge ſellſchaft alsbald in ein umerträgliches, andauerndes Krächzen und Bellen aus, das nur den Zweck haben follte, mich noch einige Zeit mitleidsvoll in dem Schlaraffen-Bungalo aufzuhalten. Statt defien griff ich den Hauptkrächzer heraus, zahlte auch ihm feinen fälligen Lohn und erfuchte ihn, fich gleichfalls Heimzufcheren. Das half. Die Katarchheuchler befürchteten die Einbuße ihrer Gage und gemafen plöglich vom Huften, verfuchten aber dafür ihren Leiden durch den bittren Froſt einen möglichſt erbarmenswerten Ausdruck zu geben und erſchienen in den abenteuerlichiten Vermummungen vor mir; erſt als fie jahen, daß da3 viel weniger mein Mitleid ald meine Heiterkeit erregte, nahmen ihre Luftballon-Ropftücher und fonftigen Verpackungen wieder die üblichen Formen an.
Auf dem Tſchong Mabing feflelte mic) vor allem die ſchon bei Sanduf-Fu und Falut fihtbar gemorbne und die lange Schneekette feiner nepalifchen Nachbaralpen weit überragende Gebirgägruppe des Mount Evereft, der auch ohne die Annahme, daß diefer Berg die
Meine Kulis beim Aufbruch aus dem Biwat.
6. 3836-87.
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höchſte bekannte Erhebung unfrer Exdrinde ift, ein übermältigendes Hochgebirgsbild abgegeben hätte, obwohl feine Entfernung in der Luft- linie noch etwa 60 englifche Meilen (96,5 Kilometer) Betrug. Doch nur von einer beftimmten Stelle zwiſchen Falut und diefem Tſchong Mabing fieht man feinen höchften Gipfel, der etwa3 hinter den beiden andren, öftlich davor liegenden Spitzen dieſer Gruppe liegt, hinter denen er dann bei mei⸗ nem Weiterfort⸗ ſchreiten auf dem Singalelakamme mehr und mehr verſchwand.
Es iſt hier nicht der Ort, auf all das einzugehn, was ich während meiner vierten in⸗ diſchen Reiſe in Nepal im Win- ter 1898/99 in Bezug auf den Mount Evereft in Erfahrung gebracht habe, der befanntlich auf der Grenze von Nepal und Tibet liegt, und ich werde mid erft bei der Schilderung meiner nepalifchen Reife ausführlicher mit dieſem Berge, dem Problem jeiner Erfteigbarfeit und dergleichen zu befchäftigen haben, ebenfo mit ben Streitfragen, ob der Mount Evereſt in der That der höchite Berg unfres Erdballes ift, und ob
Meine Rulis im Mari auf den Singalela-Grat; im Sintergrund die Gruppe des Mount Evereſt.
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der deutſche Himalaja-Forfcher Schlagintweit irrigerweiſe einen andren Gipfel al3 die unter dem Nachfolger von Sir Evereft arbeitenden englifchen Geometer ind Auge gefaßt und mit Gauriſankar bezeichnet bat. Ich werde aber trogdem im nächſten Kapitel Gelegenheit Haben, nachzuweiſen, durch welche Umftände grade bei der Mount Evereit: gruppe eine Verwechslung der einzelnen Spigen leicht vorkommen fonnte,
Zu meinem Verdruß bemerkte ich bald die große Gleichgültigkeit de8 Sirdars und der KAulis für geographifche Namen, ja, fie ver- ftanden nicht einmal Har und deutlich auf irgend einen Berg oder Punkt hinzuzeigen, ſondern fuchtelten nur ganz unbeftimmt in der Luft herum. Es fam ihnen gar nicht darauf an, den Mount Evereit auch als Dewala oder Dewalagiri zu bezeichnen, und ähn— liches mehr; ‚über die meiften Bergnamen ‚konnten fich diefe Leute gewöhnlich nicht einigen, und felbft für das. äußerft charakteriftiiche, man fönnte faft jagen zeltförmige und von jedermann in Dardſchi⸗ ling Kabru genannte Schneehorn, wendeten die Kulis den Namen des weſtlich hinter dem Kabru ftehenden Dſchannu an und bezeichneten mit Kabru einen weiter füblih vom Kanſchendſchunga Tiegenden, niedrigeren Gipfel. So mag es fi wohl auch erklären, daß über die angebliche Erſteigung dieſes Kabru durch einen Mr. Graham feine Gewißheit zu erhalten ift. Waddell neigt der Anficht des Oberft Tanner zu, daß Graham den mehr ald 2000 Fuß niedrigeren Kangtſen für den Kabru gehalten und beftiegen hat. Der Höhen- beftimmung Grahams fcheint das indiſche Vermeffungsamt nicht viel Wert beizumejjen, da fie nur mit Aneroidbarometer abgelejen wurden und die kleinren Inftrumente diefer Art doch nicht viel mehr als Spielzeuge für lady pioneers find.
Doc nicht nur nach Weiten über die Thäler und Höhenzüge Nepals bis zum Mount Evereit und nad) Norden zum Kanſchen- dſchunga und feinen Nachbarn war die Umſchau von unvergleid- lichem Interefje; auch nach Often, mo Sikhims üppige Walbthäler
. ©. 2388-89. Mein Zeltlager am Singale-La; techta bringt ein Auli Schnee zum Schmelzen. Der Verfaffer füllt grade den Theekocher mit Spiritus,
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ſich zum Rangit hinunterjenkten und nach Süden und Südoften, wo die faum noch kenntlichen Zinkdächer von Dardichiling in weiter Ferne im Sonnenfchein funfelten, bot fich eine jo überaus feſſelnde Ausficht, daß ich mich gar nicht davon loszureißen vermochte.
Ich konnte mehrere Stunden lang einer ſchwach angebeuteten Viehfpur längs der arg zerfeßten Kammhöhe folgen, die mich nach einer zum Lagerplab geeigneten Stelle und zu lange vergeblich gefuchtem Trinkwaſſer leitete, der Duelle des Sidibungbadhes. Hier, bei 13000 Fuß (3962 m) Höhe, waren die bisherigen ftattlichen Rhododendronſträucher bereit3 in Alpenrofenbüfche übergegangen, und die Umgebung gewann mehr und mehr den Charakter einer ver- laſſnen Hochgebirgslandfchaft; die hier im Hochſommer herumziehen- den Yale und Schafherden fehlten bereits, weil fie ihre Weideplätze ſchon im Oktober verlaffen hatten. ji
In der That wajen hier die Nächte ganz entſetzlich kalt; mein Maximum⸗ und Minimumthermometer hatte mir ein Sturm- wind vom Beobachtungsplatz heruntergefcjmettert, jo daß ich die genauen Zahlen nicht- angeben kann,! ich glaube aber beftimmt, daß die Temperatur in der Nacht weit unter — 15° C ſank. Die Zelt mänbe fnifterten beftändig vor Froft, und das fonft jo windelmeiche Zelt ftand auch nach dem Löfen der Halteftrice ganz fteif und frei da, fo daß es viel Mühe machte, dies gefrorne Zelt zufammenzurollen. Der eifige Reif, der bis tief in Die wohlverwahrteſten Gepäckſtücke gebrungen war, machte mir befonder3 das Anlegen ber fteinhart gefrornen Bergſtiefel bejchwerlih, und auch die endlojen Eiszapfen im Schnurrbart wurden recht läftig. Aber doch erfchien mir das Aufftehen und Theefchlürfen — von Wafchen will ich nicht viel reden — troß der duch Mark und Bein riefelnden Kälte als eine wahre Wolluft, denn am Himmel fpielte dabei ein ganz wundervoller Frühlichtfarbenwechfel, der von den Schneebergen in taufend feinen Schattierungen zurüdtgeftrahlt wurde.
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Einundzwanzigfies Kapitel. Ueber Schnee und Eis zu den fünf Schagfammern des großen Gletſchers.
om nun an wurde die fich wiederholt auf nepalifches Gebiet siehende und häufig kaum noch fenntliche, vielgewundne Weg- „> ſpur fteiler und ungangbarer, während fich die Bilder des jest ſchon viel näher erfcheinenden Schneegebirges in immer wechſeln⸗ der Verſchiebung ihrer ‘fcheinbaren Stellungen bald zur rechten und dann wieder zur linfen Hand zeigten. Solche ſcheinbare und erftaun- fiche Verfehiebung kann ſchon jeder beobachten, der zum Beifpiel die Elbe von Blaſewitz an ftromauf fährt und dabei den fteilen Felſen- klotz des Lilienfteins auch bald links bald rechts von der Bergfeſte Königftein auftauchen fieht, je nach der Flußbiegung, die das Dampf ſchiff grade befährt.
Der Marſch begann hier jehr unbequem zu werden, denn ic mußte dabei unerträglich oft unter hafenförmig übergebognen, ver- mitterten Felſen fortkriechen, von denen mächtige Eisftalaftiten wie Orgelpfeifen aus glafigem Tropfftein herunterhingen, oder längs fteiler und überdies glatt überfrorner Felswände forttappen; ſelbſt der wundervolle Anblick der gligernden Eis- und Reifüberzüge auf allen Blättern und Pflanzen machte diefe Duälerei nicht viel erträg: licher. Ih fehlug deshalb vor, in das zur Linken liegende nepaliſche Gebiet hinunterzufteigen, mo ich auch bald einen an der Grenze eines wilden Pinienwaldes hinfaufenden Hirtenfteig und ſchließlich einen günftigen Lagerplag fand. Wir waren dabei aber tiefer hinunter
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gejtiegen, al3 mir im Hinblick auf den morgenden Fortftieg lieb fein tonnte; ich trieb deshalb die. Kulis an, das Zeltlager wieder etwa taufend Fuß höher an unjren Kamm hinauf zu verlegen. Mein Anfinnen rief einen wahren Aufruhr, unter den Kulis hervor, da es dort nicht nur viel fälter war, jondern auch fein Waffer gab, diejes vielmehr erſt Durch Schmelzen von Schnee erzeugt werden mußte. Auf dem Bilde meines Zeltlagers fieht man grade einen meiner Kulis einen Schneeklumpen in einem Keffel herbeibringen, während andre Leute Krummholz für das Lagerfeuer abjchneiden. Ich darf nicht vergefien zu erwähnen, daß diefe Aufnahme von dem Tiroler nach meiner Anleitung gemacht wurde, wobei er aber länger als dreißig Sekunden erponieren mußte, weil die Sonne bereit8 untergegangen war; dadurch konnte ich mit auf diefem Lagerbild dargeftellt werden. Der Eng- länder 2. U. Waddell, der im September 1896 dieſes Gebiet eben- falls bereifte, verfchmeigt übrigens völlig, daß es mir bereits im Jahre 1890 geglüct ift, den Singalela-Hochlamm über Tſchau— Bandſchan und den Tihumbab-La hinaus zu begehen und von feinem Grat aus auch die weiterhin folgenden, meines Wiſſens ganz einzig dajtehenden Photographieen aufzunehmen.
In den nahen zwerghaften Legföhren und Rhododendronfträuchen trieben große Herden, ich zählte einmal vierzig Stück, rötlichgrauer wilder Hühner ihr Wefen, ohne fich durch ung ftören zu lafjen, und ein Murmeltier‘ pfiff fi in einer Kluft, in der ich nach Waffer Umſchau hielt, fein Abendlied. Ich wollte den Verſuch machen, mit Hilfe eines Kulis das drollige Tierchen einzufangen, doch fürchtete ſich dieſer, das Murmeltier auch nur zu beunruhigen; die Bhotijas wollen verhüten, daß diefe Tiere durch Nachitellungen in die Spalten des Erdinnren gefcheucht werden, um nicht die darin haufenden Drachen und Dämonen zu ſtören, weil diefe fonft ihren Unmut durch Erdbeben und Stürme an den Tag legen.
Die Lage des Zeltplaes war jo großartig wie möglich, denn in feinem Rüden ftieg die nahe Pyramide des Singla, auf der
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andren Eeite, das heißt drüben in Nepal die ftolge Spitze des Tadula auf; zu unfren Füßen aber gähnte die dunkle Tiefe jenes nepalifchen Thales herauf, das mir zum Hierherfommen gedient hatte. Am nächſten Morgen, an dem wir fofort über Schneefelder zu fteigen hatten, ftellte fich alsbald die ängſtliche Unbeholfenheit der Kulis auf dem
Schnee heraus, und e8 war halb ärgerlich, halb be luſtigend, zu ſehn, wie der Sirdar mit ſeinem krummen Kukridolche meine und Hanſens Na⸗ gelſchuhſpuren in
dem gefrornen Schnee zu rieſigen Stufen auch dort erweiterte, wo es wirklich nicht nötig war; ebenfo thö- richt hatten ſich
einige Burfchen Mein Girdar am Iihumbab-Ra; nicht, wie bie an- der Zovf hängt ihm über die Eculter; in den Rodfalten trägt er Provlant. dren, die Augen= höhlen und angren= zenden Gejichtöteile als Schuß gegen den Schneebrand mit Holzkohle eingerieben, fondern nur die Naſenſpitzen, mas natürlich den mon- golifchen „zerlumpten, dermilderten und derpirfchten Gefellen“, um die von dem Tiroler beliebte Ausdrucksweiſe zu wiederholen, fein ver⸗
trauenerwedfenderes Ausſehen verlieh.
Sobald ich ſah, daß der Kulitroß nicht viel fchneller als
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Krebfe unfren Spuren nachkroch, nahm ich einem Kuli den photo-
geaphifchen Apparat und Hans einem andern den Proviantruckſack
ab, und damit beladen ftiegen wir beide allein den fteilen, fehneeigen
Gipfel hinauf, der fich auf der linfen Seite der Kammhöhe heraushob,
während die Kulis nad) und nach den tief verjchneiten Steinblöden längs berjelben
folgten. Der er-
ftiegne Gipfel liegt
in der Nähe des
Tſchumbab⸗ La und
wurde von den
Kulis nur Tſchum⸗
bab⸗ La⸗Berg be⸗
nannt. Von ſeinem
Gipfel wurde die
hier beigefügte An⸗
ſicht der Alpenkette
aufgenommen, aus
der ſich die Mount
Evereſt⸗Gruppe er⸗
hebt, ſowie eine
ſolche des Kan⸗
ſchendſchunga, der
freilich von hier
——
Kabru verdeckt ift.
In meiner nächſten Nähe ſtieg im Norden hinter einem Eis— tümpel ber ſchroffe, ſchwarze, 18300 Fuß (5578 m) hohe Kang-La auf, deſſen finftre Narben und Runzeln durch den blendend weißen Schnee in feinen Fugen in ungemein wirkſamem Gegenfat hervortraten. Die bebeutendere der zwiſchen dieſem Kang-⸗La und dem Gipfel de3 Ranfchen- dſchunga liegenden beiden Spigen, die ich al3 den berechtigten Träger
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des Namens Kabru anſehe, zeigte ſich hier in der Stellung fo mert- würdig verändert, daß einige Aufmerkjamteit dazu gehörte, fie zu idemtifi- jieren. Die Karte giebt dem Kabru 24015 Fuß (7319,7 m) Höhe.
Die Gruppe des Didannu, Kabru und Ranfhendfhunge vom Eingalela-Örat aus Suden gejehn.
Gegen Mittag ftieen wir wieder zu den Kulis. Der Sirdar ließ uns feine ſtets ruhebegehrenden Leute nur fehr ungern noch weiter nachjolgen und jegte jogar eine feindfelig drohende Miene auf, al3 ic) ihm flar machte, daß ich heute noch den allerdings vor- ausjichtlich etwas langen Marſch über den tief verfchneiten Paßweg
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zurücklegen wolle, der ſich von dem aus der Tihumbab-La-Einfattlung entfpringenden Bach in parallel mit dem Singalela-Kamm laufender Nichtung nad) Norden Hinzieht, und daß ich heute erft in möglichft vorgerücter Stunde mein Zeltlager zu beziehen gebächte. In der Ueberzeugung, daß der Sirdar mit den Kulis unfren, das heißt des Tirolerd und meinen Spuren im Schnee doch fehließlich, wenn auch fangfam, nachſtapfen würde, fehritten wir über den von der Sonne aufgeweichten Schnee in zuerft öftlich gebognem Hafen und dann in nördlicher Richtung der Einfattlung zu, die mir der Sirdar als zum Gjucha⸗La führend bezeichnet hatte.
Beim Erreichen der erften Paßhöhe fand ich, nachdem wir ein fteil binaufführendes Schneefeld überquert hatten, einen der in Tibet und Sithim bei Wegkreuzungen und auf Päffen häufigen, Tjchor-ten genannten und ben Göttern der Berge als Opferplab errichteten Gebetsfteinhaufen. Er war" von abergläubifchen oder, wenn man fo jagen will, ftommen Hirten mit Wollfloden, Kleiderfegen und bunten Zeugftreifen geſchmückt, auf die das ſchon früher von mir an⸗ geführte bubdhiftifche Gebet Um ma-nyi peme hum, zu deutſch etwa: O du Juwel in dem Lotos! aufgefchrieben war; gemöhnlich find diefe Gebete mit hölzernen, von den Lamas in den Tempeln geſchnitzten Druckſtöcken auf ſolche Wimpel gejtempelt und werden von den Lamas als Gegengabe für Opfer verteilt.
Neben dem Gebetsfteinhaufen ftand eine diefverfchneite Träger: laſt; ein Schneehaufen dicht dabei barg jedenfalls die Ueberrefte des dazugehörigen und durch den vor etwa zwei Wochen hier oben nieder: gegangnen Schneefturm umgefommnen Träger. Da meine Zeit äußerft knapp und hier feine Hilfe mehr möglich war, ließ ich die Sache auf fich beruhen und fchritt nun am Oftabhang des Berg- rückens, der öftlih vom Singalela-Ramm diefem faft parallel Läuft, durch den tiefen weichen Schnee, auf dem eine Fuchsſpur erfennbar war; auch die breite Tatzenſpur eines der hier vorkommenden ifabell- farbigen Bären hatten wir bei der Paßhöhe bemerkt, die die Kulis
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mit Grauen betrachteten, weil fich die Bhotijas nicht von der ellung frei machen können, daß dieſe zottigen Tiere wilde Berg- nen feien. Etwa drei Stunden lang behielt ich dieſe nörbliche ıng bei, bis der Bergrüden ſich plößlich ſenkte und nach einer ung gegen Nordweiten fich eine wahrhaft verblüffende Aund- eröffnete, wie fie ſich gar nicht überrafchender aufthun konnte ; seigefügte Panorama foll davon eine Andeutung geben.
dier zeigte fich bereits die Ruckenkante des nicht mehr fernen hendſchunga, jedoch nicht der volle Gipfel. Befonders fchön agegen der herrliche Kabru und der Kang-La hervor, ebenfo wie Jipfel des hinter der Hauptlette ftehenden Dſchannu bis in die e Schluchtfalte erfennbar vor meinen Augen lagen. Ueber einer n Ausbuchtung im Singalela-Ramm fehaute gleichzeitig wieder oßige Gruppe des Mount Evereft auf, und die Gliederung der her und der beſonders nach Norden hin mächtig gedehnten Schnee- dieſes ungeheuren Gebirgsftods war, wie ich gleich voraus- n will, in der Nachmittagsbeleuchtung viel deutlicher zu erfennen m nächften Morgen. Mein Auge war aber durch den unauf: jen Schneeglanz fo geblendet, daß ich es häufig ſchließen mußte, nd ich die Geftalt der jo merkwürdigen CEvereft-Berggruppe ihrer Erfcheinung im Fernrohr in mein Tagebuch einzeichnete. ei fiel mie nun auf, daß ſich Hinter dem Bergkoloß, den ich inglich, ebenfo wie e8 jeder andre gethan haben würde, für den ıt Evereſt gehalten hatte, eine fcheinbar niedrigere, dahinter de Bergſpitze deutlich hervorgehoben hatte, die ich bereit3 bei t früher, weiter füdlih, vom Singalela-Kamm aus gemachten ıhme als ſchmales Streifchen hinter dem am meiften ins Auge yen Riefengipfel hatte auftauchen fehen. Nachdem ich auf meiner ı Indienreife diefe Gruppe aber auch aus Weiten, aus Nepal, htet habe, hege ich gar feinen Zmeifel, daß diefe verſteckte der eigentliche Mount Evereſt ift, der fo weit weftlich hinter od) namenlofen vorgefhobnen und vorläufig als Berg XIII
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benannten Gipfel zurückſteht, daß er niedriger al diefer Berg XIII ausfieht, defjen Höhe nur 27799 engl. Fuß (8454,4 m) beträgt. Auf dem beigegebnen Bilde führe ich auch die Sikhim-Alpen nochmals bei Abendbeleuchtung vor, bei der man ihre Gliederung noch befjer erkennt al3 in dem am nächjften Tage zur Mittagszeit aufgenommnen und vorite- Hend eingehefteten Rund⸗ bilde. Deftlih vom Kan- ſchendſchunga fiel als be⸗ ſonders ſchön die von hier faſt gleichſeitig aus⸗ ſehende Schneepyramide des 22017 Fuß (6711 m) hohen Pandim auf und weiterhin neben dem Pan⸗ dim die zerbrödelte und ausgefrefſne Kontur des Narſengh. Weiter nad Dften ſchloſſen fi daran die um vieles Kleiner erfchei- nenden,und doch jo mächti- gen Gebirge des Kanfchen- Dſchau, des Donkia, Dſchumo⸗Lhari und fo weiter. Doc ich foll ja hier feine Topo- graphie Sikhims geben, jondern meine Reifeerlebniffe jchildern. Mein fuchender Blick ſchweifte aber nicht nur in die ferne Weite, jondern auch in die Nähe, um eine Gelegenheit zum Biwakieren zu entdeden. Es war klar, daß am eheften die ſich von hier in norbweftliher Richtung Hinunterziehende dunkle, nicht abjehbare Schlucht ein pafjendes Lagerplägchen aufmeifen konnte, aber Stunde um Stunde verrann im Warten auf die trägen Kulis; ich härmte mich nicht allzufeht darüber, fondern prägte mährenddefjen dies über-
Blig von ber Baphöheoberhalbdes Tſchumbab · La.
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mwältigende Aundbild, von heißem Dank gegen mein Geſchick erfüllt, recht feft in meine glücitrahlenden Augen und für Lebenszeit in die Erinnrung. Doch ſchließlich, als bereits tiefe Abenddämmerung auf
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den blajjen Schneemänteln des Gebirges lag, kehrte ich mit ‚dem Tiroler um, weil mid) doch das Ausbleiben der Leute beforgt machte. Wiederholtes Donnern und Krachen hatte mir da Niederbrechen von nahen Lawinen gemeldet, und ich war auf eine Kataftrophe gefaßt. Wir gingen in immer dunkler werdender Nacht in unfren Spuren
Rang-ta (Berg) 18300 = 3577,84 m. Diannn Rang-2a ;Bah) Rang-La-Rang- Ra 25300 = 171 15 950° = 4861,50 m. B (Eattelr. _ (Diefer Bipfelliegtjenfeits der. R
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Die hõchsten Gipfel des Bimalaja auf aus Dfter
Großer Rabru Gipfel des Ranfhenbfäun Meiner Rabru. im a FE „ B j
a un 3. 308-8. t Grenze zwischen Sikbim und Nepal, sieh.
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im Schnee zurüd, doch nirgends bemerkte ich ein Zeichen, daß unfte Begleiter hier gegangen feien. Um Gemwißheit über ihr Schickſal zu befommen, blieb- mir nichts übrig, als bis zu dem Punkt, wo ich den Aufftieg zur Paßhöhe begonnen hatte, zurückzutaſten, was in der tiefen Dunkelheit und bei den fchlechten Schneeverhältniffen eine fürchterlich angreifende Arbeit wurde. Und fiehe, am Rande des unteren Schneefeldes blinkte ganz gemütlich ein Feuerchen herauf, zu dem hinunterzugelangen eine, wie mir fofort klar wurde, wahrhaft halabrechende Arbeit fein mußte.
Doch mit jenem merkwürdigen, jedem Bergfteigluftigen gewiffer- maßen angebornen und fich verblüffend fchnell fteigernden Inſtinkt und Glück wurden felbft die lockren, übereiften Steine und morfchen Schneefchründe bei dem Licht der auffallend Iebhaft, aber ruhig leuchtenden Sterne nad) und nad überwunden. Schlotternd vor Kälte, aber noch viel mehr vor Angft, was für eine entjegliche Strafe der geftrenge Sahib wohl über fie verhängen würde, kamen mir die treulofen, jet aber unendlich reumütigen Kulis ein Stüd entgegen; ich ereiferte mich aber nicht nutzlos, fondern ließ die Burſchen in der für fie quälenden Beforgnis vor einer bei Abſchluß der Reife ihnen bevorftehenden ftrengen Ahndung ihres wirklich nichtsnutzigen Zurückbleibens, das mir bei etwa einbrechendem Un: wetter oder bei einem Unfall hätte verhängnisvoll werden müſſen.
Diefem Verfahren hatte ich es wohl zu danken, daß mir am nächſten Morgen der nochmalige, diesmal aber von uns allen gleich- zeitig gemachte Uebergang über den erwähnten, tief verfchneiten Sattel des Paſſes ohne bejondren Widerftand feitens der Kulis gelang. Auch an diefem Tag lag mieder das Panorama des Kanfchen- dſchunga, des Kabru, Kangla und Dſchannu mit der dazmwifchen in weiter Ferne auftauchenden Mount Evereft-Gruppe in entzückender Rein- heit vor mir und ermöglichte vorftehende photographifche Aufnahme, die beredter als jede Beſchreibung die topographifchen Einzelheiten diefes impofanten Hochgebirgsbildes, eines wahrhaften Glanzpunttes
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meiner Himalajareifen, erzählt. Freilich gehört für den Lejer. ein wenig eigne Erfahrung in den Alpen dazu, diefe Herrlichkeit in ihrer ganzen Pracht nachfühlen zu können.
In nördlicher Richtung zog fich eine Schlucht in das nächite, vom Rang-La herunterkommende Thal; wegen de3 erweichten Schnee und der glattgefrornen Steine und Felswände wurde der Abjtieg durch dieſe bei der faft allgemeinen Schneeblindheit der Kulis aber fo unendlich befhmwerlih, daß wir das Zeltlager ſchon früh am Nachmittag bezogen, jobald wir das erfte dazu geeignete Fleckchen antrafen. Bei der fihon beffagten, für mich gradezu nieberbrüdenden Unmifjenheit der Leute hinfichtlich der richtigen Verggipfelnamen war die Orientierung in diefem fo verwidelten Syftem von vielfach ver- zweigten, ſekundären Rücken außerordentlich ſchwierig. Das Land führt feinen Namen wirklich. mit vollftem Recht, denn das Wort Sifhim bedeutet nichts andres als „Land der Gebirgsrücken“. Ueber: dies machte der maffenhaft neue und deshalb ſtark blendende Schnee in der dünnen Höhenluft das fcharfe Erkennen der Umriſſe bei höherem Sonnenftande fajt. ganz unmöglih. Darum gelang den Kulis auch anfänglich die Kriegslift, mit der fie mich vom Ranjchen- dſchunga zu entfernen trachteten.
Am nächiten Tage lockte mich nämlich der Sirdar auf dem un- glaublich holprigen Felsrücken eines Ausläufer des Kabru in fteilem, durch Wildwafjerzerftörungen befonders mühevollem Anftieg und in norböftlicher Richtung über zahllofe Schluchten und Wafjerläufe, die zu kontrollieren meine ungenaue Karte feine Möglichkeit mehr bot, an die Ufer eines Heinen, von einer warmen Quelle gefpeiften Sees, den der Sirdar Szot-Tſchag nannte. Von diefem führte ein Pfad zu einer aus Gteinen plump zufammengebauten, nad) Art der Schweizer Sennhütten mit ſteinbeſchwerten Schindeln gedeckten Hütte, neben der die Auine einer ähnlichen lag, die der Blitz zerftört zu haben ſchien. Selbft diefer charakteriftifche hochgelegne Ort, der von den Kulis Dichongri genannt wurde, war auf meiner Karte weber
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angedeutet noch benannt! Nur um ſich in dieſer Hütte von Dſchongri etwas pflegen zu können, hatten ſich die Kulis wieder ſüdöſtlich vom
Mein Zeltlager bei Dichongti, dem hödften Weidepiat der Grunzodfen im weſllichen Sithim.
Kanſchendſchunga fortgemendet und; mir ein paar wertvolle Tage
geraubt. Ueber dieſes eigenmächtige Aendern der Marſchrichtung
war ich fo entrüftet, daß ich, ohne auch nur einen Augenblic bei
dem Hirtenhaus Halt machen zu laffen, die ganze Gefellichaft über Boed, Indiſche Gletſcherfahrten. 26
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den Bergrücken weg und in die aus Nordweſten vom Kanjchen- dſchunga herfommende Schlucht hinunterjagte.
Fajt mit Gewalt widerſetzten ſich die Kulis dem Vorwärtsgehn. Zum Glück ſchien einer von ihnen, der zugleich auch der anjtelligfte war, ſchon einmal in diefer Hochgebirgswildnis gemeidet oder fonit- wie gelebt zu haben, denn er verfpradh, mic) von hier bis zu dem vom Kanſchendſchunga kommenden Gletſcher begleiten zu mollen, obgleich feine Genofjen ſtürmiſch Umkehr verlangten.
Das Thal war dit mit Neufchnee bededt, in ben wir bei jedem
Mein Alpen-Zelt; lints figt der Tiroler, rechta vom Zelt Reht der Eirdar.
Schritt bis zu den Anieen einfanten, jo daß das Fortfommen unendlich mühjam wurde. Am Abend des nächften Tages hatte ich aber doch die Freude, mein Zelt neben dem Praithbach aufjtellen zu können, der, wie e3 zunächſt den Anfchein hatte, unmittelbar aus den Schneefeldern des Kanjchendfchunga zufammenfloß. Nebenbei gefagt, fann man auf dem Bilde diefes Zeltlager recht wohl erkennen, wie die eben mit dem Auspacken des Fellkoffers bejchäftigte Kulifrau vecht neugierig, um nicht zu fagen ſchmachtend, nach dem ſich ftet3 abfeits von ihr haltenden Tiroler zu blicken fcheint; ich weiß wirklich nicht, ob fie Damals mit dem Plane umging, ihn ihrer Ehefompagnie einzuverleiben, denn die unerfchütterliche Gleichgültigkeit, die Hans ihrem Entgegenfommen gegenüberftellte, hatte fichtlich ihr
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Intereſſe an diefem unzugänglichen Felſenherzen von Tag zu Tage gefteigert. Schließlich kam ja wohl nicht allzuviel drauf an, ob ihre Eheviertel von Gatten auf diefe Weile noch zu Chefünfteln verfürzt wurden. Ich hoffe aber doch, daß ber wackre Hans das Recht erlangt hat, fich auch Jofeph zu nennen. —
Am folgenden Morgen unternahm ich vom Zeltlager aus mit dem Tiroler und den beiden gefchiefteften und auch marjchfähigiten Kulis einen Rekognoszierungsausflug nach Norden in den Thal ſchluß am Kanſchendſchunga. Ueber mein meitres Thun war ich mir aber recht im Unflaren, denn die drohenden Wolfen, die in den legten Tagen gewöhnlich furz nach Mittag emporgeftiegen waren, baltten nun foger ſchon am Vormittag ihre unheimlichen Mafjen zufammen, die der heulende Nordweſtſturm hin und. her .peitfchte und dadurch ſehr vernehmlih, wenn auch ohne Worte, den nahen und völligen Einbruch des Winters verkündigte. Unfre glückliche Heimkehr wäre bei dem entfeglich mitgenommnen Zuftande der Kulis ein Ding der Unmöglichkeit geworden, fobald Schneeftürme und Nebel diefe furchtbaren Hochgebirgswirrniſſe vollends in eine undurch⸗ dringlihe Schneewüfte verwandelt haben würden. Mit leiſem Gruſeln dachte ich) daran, daß hier im Jahre 1881 ein englifcher Hauptmann Harman auf feinem Marſche zum Kanſchendſchunga ein- geſchneit und elend erfroren war.
Auch der Tiroler erkannte die hohe Gefahr, die ein fo ver- hängnisvoller Witterungswechjel hier für uns haben würde, und drängte zu möglichjt baldiger Rückkehr nach Dardſchiling. Sein eigner Zuftand war durd) anhaltende Schneeblindheit ebenfalls fo be= denklich heruntergefommen, daß ich erfchraf, fo oft ich ihn anblickte, trogdem er zugleich höchſt komiſch ausſah; das eine Auge hatte er mit der weit vortretenden ſchwarzen Schneebrille bedeckt und um das andre, fowie um feine erfrornen Ohren hatte er einen diefen voten Shawl gemwidelt, auf dem hoch oben fein Hütchen faß.
Mein zum Skelett abgemagerter Sirdar vermochte nicht mehr ficher
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auf feinen von Froſtbeulen zerſtörten Füßen über die ſteilen Schnee— hänge zu gehn; er 30g e8 darum vor, auf feinen Snieen, unter die er die dicken Rodzipfel legte, einherzurutfchen, bergauf und bergab. Auch das Halten de3 Bergſtocks machte ihm mit feinen erfrornen Fingern, die er in die Enden der lang überhängenden Aermel ein- zumideln fuchte, beträchtliche Schwierigkeiten. Dieſen Bergſtock hatte ihm Sans aus einer feften jungen Tanne zurechtgeichnitten, da fein bisheriges ſchwankes Bambusftöcthen ihm nicht den mindeften Nuten geboten hatte. Die Kulis aber waren nicht zu bewegen gewejen, ihre nur meterlangen, fauftdicten, hohlen Bambusrohre durch zwed- mäßigere lange Bergſtöcke zu erſetzen; fie behaupteten, mit diejen kurzen Stöden, in die fie von oben hineingreifen und auf die fie ihre Tragkörbe oder jonftigen Laften beim Ausruhn aufftellen konnten, befjer fortzulommen. Der triftigfte Grund, dieſe Stügen beizubehalten, Tag aber doc wohl darin, daß fie hohl und unten gefhloffen waren. Cie dienten auf diefe Weife nicht nur zum Wafferholen, fondern waren auch ganz vorzüglich zum Mitnehmen von Hirfebier geeignet, das fie fich jeden Tag durch Aufbrühen von gegorner Hirfe mit heißem Waſſer erzeugten; freilich gaben fie ſich nicht viel mit Bierreften ab, fondern faugten gewöhnlich alle Bejtände bis zur Nagelprobe aus und verpußten die Speifen bis zum letzten Biſſen. Wie eine ordnungsliebende Hausfrau mußte ich den Kulis für jede Mahlzeit ihre Reisportion aus dem Vorratsſack heraus: löffeln und diefen wieder jorgfältig verfiegeln, fonft hätten die Leute alle Lebensmittel ſchon beim erften Biwak fpurlos ver: ſchlungen. Spätren Reifenden, die etwa nur zu bergfteigerifchem Vergnügen den Himalaja befuchen wollen, Tann ich gar nicht dringend genug raten, nicht den ganzen Proviant mit fich zu nehmen, ſondern vor Antritt des Marſches in einzelnen Teilen als eiferne Vorräte an geeignete Haltepunkte 3. B. Dſchongri jchaffen zu laſſen. Die Bhotijas wären im ftande, einen Himalaja aus Hirfebrei in einem einzigen Niederſitz zu vertilgen.
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Und zu was für einer Jahreszeit ich empfehlen würde, folche Neife anzutreten? Zur fchlechteften! Grade in der Negenzeit müßte ein Alpenfteiger nach Indien fahren, am beften mit mehreren Genoſſen, die ebenfalls führerlos zu gehn vermögen oder mit einem erprobten erftklaffigen Führer, aber auf jeden Fall mit mindeftens je drei Trägern aus den europäifchen Alpen für jeden Reifenden, die
Mein Sirdar mit erfrornen Füßen,
jedoch Wein und Spirituofen, möglichft auch Tabak entbehren können und eine eiferne Gejundheit haben müßten. Mit folcher Begleitung wäre das Haupthinderniß befeitigt! Gegen Ende, aber ja nicht nach Ablauf der Regenzeit müßte der Abmarſch von der dem gewählten Alpengebiet zunächjitliegenden Hügelftation erfolgen und troß aller Beſchwerden bis an die eigentlichen Anſtiegspunkte durchgeſetzt werden, damit am erſten Tage der herrlich klaren, aber leider nur fehr kurzen, trocknen Zeitſpanne zwiſchen Regenzeit und Winterfchnee
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die eigentlichen Hochtouren in Angriff genommen werden könnten. Wer es anders machen will, läuft in fein Verderben! Animam salvavi. Ich bin wirklich gefpannt, ob zum Beifpiel die von der Royal Geographical Society geplante Expedition zur Erfteigung und weiten Erforſchung des Kanſchendſchunga defien Gipfel völlig erreichen wird. Als ich dem Sekretär der Gefellfchaft, dem bekannten Bezwinger des Tetnuld, Uſchba und andrer Kaufafusgipfel in London meine Kanjchen- dſchunga⸗Negative vorlegte, ſchien ihn feine Liebensmürdigfeit, die er mir bei früherem Zufammentreffen im Kaufafus bezeigt hatte, etmas im Stich zu laffen, denn er ließ recht verdrießlich durchblicken, daß ich al8 Deutfcher im „engliſchen“ Himalaja eigentlich gar feine Eriftenz- berechtigung gehabt hätte. Ich riet ihm, nicht fo viel, wie er e3 that, von den indiichen Gorka-Bergjoldaten zu erwarten, fondern Gepäd- träger aus den europäifchen Alpen mitzunehmen, da er fonft den Gipfel de3 Kanſchendſchunga auf feinen Fall erreichen würde.
Ich hatte urfprünglich die Abficht gehabt, die vom Kanfchen- dſchunga nach Oft und Süd auslaufenden Sporne und den dazmwifchen- liegenden Gletfcher zu überqueren und fo in das Thal des oftwärts zum Lachen abfließenden Zemu zu kommen. Beim Klofter Lachen hätte ich dann die Handelsſtraße erreicht, die aus Tibet durch Sikhim und weiterhin längs des Tifta nach Dardſchiling führt. Meine Karte von Sifhim, die für ben Krieg Englands mit Tibet im Jahre 1888 entworfen worden war, gab diefes Gebiet aber nur ganz ungenau wieder und bot gar feinen Verlaß. Erwog ich dazu die drohende Gefahr, Hier durch den Winterjchnee vom Rückweg abgefchnitten zu werden, den bereit3 eingetretnen Proviantmangel und die Er— ſchöpfung meiner Kulis, fo gebot mir Vorſicht und Mitleid gleich gebieterifch, nicht mehr zu meit vorzudringen, fondern nach dem Erreichen de3 Kanſchendſchunga Kehrt zu machen und zu verfuchen, von Dſchongri ab auf einem für die Kulis weniger ungewohnten Wege durch Sikhim nach Dardſchiling zurädzutehren.
Trotz meiner entzündeten Augen, erfrornen Zehen und meines
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erfrornen linken Ohres befand ich mich bei leidlicher Laune und Kraft, und ftieg deshalb das tief verfchneite, dem Kanſchendſchunga in nördlicher Richtung ſtracks entgegenjteigende Thal noch meiter empor. Nach drei Stunden Steigens kam ich an eine niedrige, aus Gneiß- und Granitblöden plump zufammengefügte, ſchneebedeckte Hütte. Aluk-Thang hieß diefer Platz, bis zu dem in der Regenzeit die Yakherden auf die Weide getrieben werden. Jetzt war das Heine Blockhaus natürlich völlig verlaffen, aber die an Schnüren darüber flatternden Gemwandfegen und Gebetswimpel erinnerten daran, daß
Das Blodhaus Wlut-Thang; über dem Gingang wehen Gebetkwimpel,
Lamas und fromme Tibeter in der Regenzeit manchmal hierher ge- wallfahrtet kommen, um in diefer Hochgebirgsmwilbnis dem „Geift des Kanfchendfchunga" ein Huldigungsopfer darzubringen.
In der That habe ich wenig Stellen im Himalaja gefunden, die fich an Majeftät der Alpennatur mit der Umgebung des Kanjchen- dſchunga mefjen können, der mir nun im Norden mit feinen greifbar nah ausfehenden Firnfeldern gegenüber ftand; ich mußte mich vor feinen gräßlich fteilen Selsplatten entfeßen, die ein Erklettern von diefer Südfeite her ausſichtslos machen, doch werden, wie e8 fcheint, die bereit8 von einem indiſchen Pandit umgangenen nördlichen Ab— hänge des Kanſchendſchunga für die Erfteigung geeignetere Formen
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aufweiſen. Die Luft war hier in einer Höhe von etwa 16000 Fuß ober 4877 m, befonder3 aber nad) den langdauernden Niederfchlägen von Regen und Schnee fo ungemein Mar, daß ich glaubte, jede Steinader an der von hier aus fchier unbezwinglich ausjehenden Gipfelmand des Kanſchendſchunga, jede Schneefurhe in feinem din erkennen zu können, wenn es mir gelang, für ein paar Augen- blidte meine zugeſchwollnen Augen ein Hein wenig aufjuzerren. Das Bemußtjein, daß diefer Bergkoloß fo hoch iſt, wie der Ortler wäre, wenn er auf den höchiten Gipfel des Montblanc geftellt würde, drückte mid) förmlich zu Boden.
Aber auch nad) den andren Seiten war das Hochgebirgsbild ganz unvergleichlich. Rechts, aljo im Often, ftand in meiner nächiten Nähe der herrlihe, 22020 Fuß (6712,3 m) hohe Pandim. Ich glaube fiher, daß diefer Berg die jchroffiten Felswände und grauenhafteften Abftürze zeigt, die ein Berg überhaupt haben kann; hier teifft der fo gern angemendete Ausdruck „Lotrechte Felsmauern” einmal buchftäblich zu. Als ich den Tiroler feherzweife fragte, ob wir nicht einmal einen Kletterverfuch an der jähen Weftwand diefes Pandim machen wollten, fertigte er mich mit einem entjeßten: „Sell wäre ja findrifch!" ab.
Wir Eletterten nun an einer ungeheuren Moräne empor, die fich quer über das ganze Thal zu ziehen fchien. Sie liegt einerfeits vor dem Gletjcher, der vom Pandim als eine wüfte Mafje von Eis und Schnee herunterfommt, aber andrerſeits kommt auch von der grade entgegengefeßten Seite, auß den zum Kabru gehörigen Yels- kuliſſen ein Gleticher hervor, und beide Eisſtröme liefern dann das Quellwaffer für den Oberlauf des Rhatong, während jeder Antümm= ling zunächft denfen muß, und fo erging es auch mir zuerft, daß diefer Fluß unmittelbar aus dem am Sidoftfuße des Kanfchendfehunga liegenden Gletſcher hervorbricht, defjen Abflußwaſſer aber thatſächlich in ſüdöſtlicher Richtung, jenſeits des Pandim, in den Tolung und durch dieſen in den Lachen fällt. Der Kanſchendſchunga hat
©. 408-409. Der Pandim, 22 020° — 6712,3 m hob; vorn die Eteinblodhütte Aiutihang. Diefes DIR it die rechitſeitige (Nüdöjtliche) Fortſehung des vorhergehenden.
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alſo feinen Abfluß zum Stromgebiet des Tifta, der Rabru zu dem des Rangit!
Es fiel mir nicht leicht, mir über diefe Gruppierung an Ort und Stelle gleich ganz klar zu werden. Wie ich mohl ſchon erwähnte, waren meine Augen fo bösartig entzündet, daß das Oeffnen der- jelden nur mit Hilfe der Fingerfpigen, die aber auch durch den Froft gefühllos und ftarr waren, gelang. Das biendende Sonnen- licht und der fabelhafte, ich möchte faft jagen, weißer als weiße Glanz des Neufchnees, der den ganzen Thalfefjel mit Ausnahme einiger völlig fenkrechter Wandſtellen übertünchte, ftachen mir mit fo entfeglihen Schmerzen in das Auge, daß ich die hier beigefügten Vhotographien des Pandim ſowohl wie des Kanfchendfehunga nur unter wahren Qualen fcharf einftellen konnte; dieſe Ueberreizung des Sehneros fette hier weitren Aufnahmen ein Ziel.
Ich hielt es für meine Pflicht, bald nach meiner Rückkehr neben andren hervorragenden Bilder-Ergebniffen meiner Himalajareife auch) die bier abgebildete Nahanficht des Kanſchendſchunga der Photo: graphiſchen Geſellſchaft in London. in, anfehnliher Vergrößerung zuzuſchicken. Diefe ftellte das Bild auch in der Royal Geographical Society in London aus, wobei es auch in der Zeitung „Times“ voll- auf gewürdigt wurde, aber zufälligerweife wurde dabei ganz ver- gefien zu erwähnen, daß e3 von einem Deutfchen gemacht fei und wie derjelbe hieß! Ebenſo ignorierte Sir Conway in feinem erft danach erfchienenen „Climbing in the Himalayas“ das VBorhandenfein meine3 Bildes, indem er auf Seite 479 ſchrieb, daß es noch feine photographifche Anficht des Kanfchendfchunga gäbe! Ohne grade überftol; auf meine Leiftungen zu fein, möchte ich neben diefer Seftftellung hier auch noch bemerken, daß der politifche Vertreter von Sithim, Mr. White, im Jahre nad) mir, nämlich 1891, eine Expedition unternahm, um durch feinen Photographen Bilder des Kanſchendſchunga aufnehmen zu laſſen. Er war aber dorthin nicht über den Singale-La-Ramm gelangt, fondern fam aus dem nordöftlichen
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Sikhim, und auch Dr. Simpſon und Major James Sherwill waren bei ihrer Bereiſung dieſes Gebiets nicht gleich mir über dieſen ſchnee— tragenden Sporn des Singale-La nach Dſchongri marſchiert, ſondern direkt durch das Thal des Rhatong genannten Oberlaufes des Rangit, das ich nur zum Rückwege wählte.
Bei meinem legten Beſuch in Dardſchiling wurde dort ziemlich laut über den mißglüdten Verfuch einer wohl etwas erzentrifchen Dame gefichert, ebenfalls auf dem früher von mir gemachten Wege an den Kanſchendſchunga zu gelangen; fie mußte aber unverrichteter Sache wieder umfehren, weil ihr geftrenger Ehemann nicht im ftande war, die Kulis über den Schnee fortzutreiben; er mußte ſogar felbjt, wie zuverläffige Zeugen behaupteten, von feiner teuren Gebieterin mit dem Koſeruf „Lazy beggar!“ („Fauler Bettler!") energiih aus Morpheus Armen gerüttelt und auf die Füße gebracht werden! Die fchneidige Dame fheint wirklich „emanzipiert“ gemwefen zu fein.
Bei ſolchen weiblichen Kraftleiftungen muß ich immer an den indifchen Dichter denken, der nach Wilbrandts Uebertragung zarte Weiblichkeit alfo befingt:
Edler Frauen Zornesregung
Spricht vor feinem Ohr in Worten, Bleibt geheim auch nach dem Weinen Und vergeht in ihrem Herzen!
Ja, ja, die alten indifchen Dichter haben die Menfchen gut genug gefannt — aber wie wenig lieft man fie im Volke der Dichter! Wer von Jhnen, liebe Lefer, kennt zum Beifpiel den ergößlichen Hala? Und doch fehrieb diefer reigendere Schnurren, als manche unfrer „Neuften” ; zum Beifpiel die folgende:
Mußten doch die Leute lachen,
ALS die junge MWöchnerin rief:
Nein, wahrhaftig, folche Sachen
Darf mein Mann mir nicht mehr machen — Sonft geht’3 mit der Liebe fchief!
©. 410-1. Gebirgsstock des Pandim und Narseng; vorn mein Sirdar mit einer aus Palhaar geflogtnen tbetilden Ehnecbrille und mit volgeflopftem Gewande. Diefed Bild jeigt den auf dem vorhergehenden dargeftellten Berg nedft defien füdligem Nachbar, auß ber Höhe gefehn.
Zweiundzwanzigſtes Kapitel. Durd die Sumpfihludten Sifhims.
FI hatte nun glücklich da8 mir vorgenommne Biel erreicht und ES ſtand dem eißftarrenden Kanſchendſchunga gegenüber, deſſen
= Erreichen man mir in Dardſchiling als ein kaum ausführbares Unternehmen gefchildert hatte. Aus allen Weltteilen ftrömen Reifende nach Dardſchiling, um von dort aus dies noch fünfzig Meilen fern am Horizont ftehende Wunderbild des Kanfchen zu bemundern; fie wünſchen fi) Flügel, um über die Waldgebirgsmildnis Sikhims hinweg auf die Schneefelder zu feinen Füßen fliegen zu fönnen, und nun genoß ich das Glüd, den Schnee diefer fernen Wundermelt mit Füßen treten zu dürfen!
Unter den ſchon von mir gefchilderten kritiſchen Umftänden wäre es aber gradezu unverantwortlich von mir gemefen, den ver- lockenden Verfuh zu wagen, aucd noch die ungeheure Scharte in dem Oftgrat des Kanſchendſchunga erreichen oder gar durchklettern zu wollen, fo nah fie auch in der trügerifchen Luft hier bereits vor mir zu liegen fchien; diefe Einfattlung dürfte an 20000 Fuß hoch fein.
Um nicht gar ſchuld an einem zu frühen Tode meiner Kumpane zu werden, ließ ich e8 mit dem Erreichen der von mir erjtiegnen Paßhöhe genügen, machte gleichmütig Kehrt und folgte dem jüdlich gerichteten Bett des Abfluffes der jchon früher genannten Gletſcher am Pandim und Kabru; das Wafjer darin war aber jest gefroren.
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Bei dem tief verichneiten und nur im höchiten Sommer von den Hirten bejuchten Weideplatz Thangem fand ich den bereit in tobenden Waſſerfällen einherftürzende Gletſcherbach roh überbrüdt; ein rotes Fähnchen jtectte an der Brüde, worauf die Karikatur eines Flügel: pferdes und tie betiiche Gebets- zeichen jtanden.
Von bier führte ein von
Brombeerran- Ten überwucher⸗ ter, fteiler und
ſchlüpfriger Pfad an einen Kreuzungspunft von Viehſpuren, läng8 deren im Sommer die Yalhirten zie⸗ ben. Auf einem dieferSteigefam ich am folgenden Tage wohlbe⸗ halten wieder Yrüde beim Hirtenplah Thangem; zum Weideplatz im Sintergrunde der Pandim, Dſchongri Hin-
auf.
Zwei ganz jchauderhafte Unholde traten mir aus dem zwijchen erratifchen Blöcken fat ganz verftedten Hirtenhüttchen entgegen; beſonders der größre der beiden Kerle ftarrte förmlich) von Schmutz. Seine wüftverfilten, mehrere Meter langen Haare waren mit einer plumpen Meffingichnalle zu einem Beutel zufammengerafft, der ihm
e. 12-18. Kinks der Yakhirt von Dschongri, rechts ein fibetischer Busspilger und eine meiner Kulifrauen ; hinten mein Zelt zwiſchen weidenden Grunjochſen.
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über die Schultern auf die Bruſt herunterhing; durch ein Ohrloch hatte er ein rundes Stück Holz in der Größe eines Champagnerkorks geſteckt, und durch das andre einen ledernen Ring geknüpft. Wie ein Blödfinniger trottelte er zwiſchen den Steinen herum, um dort geinfend und polternd die darauf ausgebreiteten Rhododendronblätter aufammenzufegen; er wollte fie von der Sonne trodfnen lafjen, um ſich Thee oder Tabak daraus zu bereiten, und hatte wohl Angit, daß ich mich an diefen Delikatefjen vergreifen würde. Brummend und feifend erlaubte der andre, der Yalhirt, das Aufftellen meines Zeltes in der Nähe feiner Hütte. Allerdings hatte ich einige Sorge wegen der Yaks, die dort zwifchen Heidefraut und Alpenrofenbüfchen herum- ſpazierten oder troß ihrer Flobigen Mafje mit eng zufammengeftellten Füßen auf Felsblöcden ftanden und gefchict wie Gemjen von einem Steine zum andren jprangen.
Und richtig! Mjttan in der Nacht wachte ich auf, denn das ganze Zelt ſchwankte on he wie. ein Schifflein auf hoher See, und ich hatte das Gefühl, al ob mir fämtliche Rippen im Leibe zerftampft feien. Einer der Grumechſenn halte ſich das ochjenmäßige Ver: gnügen gemacht, mit feinem Hoth durch die Zeltwand zu bohren und in dem Zelte herumzuftochern. Ich ſtreckte, jobald ich mich von meinem Schreden erholt und die Urfache erkannt hatte, meine Hand duch das in die Zeltleinwand geriſſne Loch, um den dort fühlbaren zottigen Kopf des Untiers zu ftreicheln und e3 zum Rückzug zu bewegen. Doch plöglich jchien mir jemand mit einem Reibeifen derb über die Hand zu fahren, und ich fühlte Blut danach riefeln, aber es war nicht ſchlimm gemeint, der Yak hatte nur meine Hand zärtlich mit der Zunge beledt und konnte doch nichts dafür, daß fie blutränftig davon wurde. "
Bisher hatten fich die Kulis und ihre Frauen die Gefichter mit Holzkohle eingerieben, um fich gegen den Schneebrand zu ſchützen. Hier aber erhielten fie von den Hirten Yalfett und getrocnetes Yakblut, woraus fie fich eine braunrote Schminke zufammenfchmolgen,
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mit der ſie die noch geſchwärzten Geſichter übermalten; ſie ſahen nun wirklich wie aus der Hölle entwiſchte Feuerrüpel aus.
Vor allen Dingen wurden hier die Lebensmittelvorräte vermehrt, und zum Glüd gab es gute Dinge genug. Ich kaufte mehrere Schnüre, die um den Hals getragen werden follten und an denen vieredige Stüde fteinharten Yalfäjes aufgereiht waren, dann einen Sadvoll Schat-Tchen, das ift Pulver aus gedörrtem, zerftampftem Yakfleiſch, und vergaß auch nicht, einen tüchtigen Klumpen Butter einzuhandeln, die mir freilich noch willlommner gewejen wäre, wenn man mir die darin enthaltnen Haare ertca eingepadt hätte. Auch Reis und Hirje fonnte ich befommen, fo viel ich) wollte. Herz, was begehrjt du mehr? mußte ich mid) fragen, al3 die Körbe der Kulis wieder voll- geftopft daftanden.
Der Dſchongri-⸗Rücken ſcheint durch Einwirkung einer nicht allzu fernen geologiſchen Verändrung entjtanden zu fein, und eine Anzahl mehr ober weniger warmer Teiche und Salzquellen liegen auf feiner fteinigen Höhe, um die in der Tiefe der Ratongfluß herumftrömt, der dann in einem großen Bogen nad) Süden läuft. Bei meiner Anmwejen- heit bot diefer ganze Hügel einen überrafchenden, beinahe feftlichen Anblid. Ueberall, zwijchen den Steinen, an den Teihufern, an den Büfchen und Wegen ftanden zahllofe Bambusftangen, meijt durch Schnüre miteinander verbunden, von denen bunte Wimpel aller Arten und Größen, mit und ohne Gebet3aufdrud, herunterflatterten, um die frommen Wünfche der Lamas zu verkünden, die hier kürzlich die Feier des Kanſchendſchunga-Gottes begangen hatten.
Der allgemeinen Schneeblindheit und Erjchöpfung der Kulis wegen 30g ich e3 vor, meinen Heimmeg nach Dardfchiling durch die Schluchten zu nehmen, die fic die Wafferläufe von diefem Bergrüden zum Ratong hinuntergefreifen haben.
Aud) hier warnten uns wieder die beiden unfaubren Einfiedler vor den Gefahren des Weges und wollten mid) unter feinen Um: ftänden fort lafjen; fie wollten mir fogar erlauben, bei ihnen
ugapd ophdaz nogg iuoa “Sundasp1of uspypns aoaqꝛ nui Sussuegy pun wipued
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zu überwintern, aber e3 überlief mich förmlich bei diefer Zumutung, denn ich dachte an unfre Infektenjagden im Furkia-Bungalo! Ich ließ deshalb meine fieben Sachen fo fchnell wie möglich zufammen- paden und marjchierte fehleunigft von dannen. Während der
Tiroler die Tang-
ſam fortkletternde Kulihorde, die gar zu gern hier noch länger gejchlemmt hätte, thalabwärts trieb, machte ich noch einen Abſte⸗ cher auf ein merk⸗
würdiges ſteiles Felshorn auf dem Dſchongri⸗Rücken,
das Mon Leptſcha
genannt wurde. Die Kletterei koſtete mir zwar ſtatt einer
halben Stunde mehr als drei, da⸗ für aber ſchwelgte ich zum Abſchied Mon Leptfäa bei Dſchongri. noch einmal in dem ganz unvergleichlich ſchönen Rückblick ſowohl auf die Kanfchen- dſchunga⸗Gruppe wie auch auf deren füdöftliche Nachbarn, den Pandim oder, wie die Leptſchas fagen, Panden, mas Minifter des Könige — nämlich des Kanſchendſchunga — heißen foll, den Kaptſchan, den Narjeng, zu deutſch „Regennafe", und unzählige namenlofe Gipfel. Durch die ſich vor und auf diefen Bergen hin und her wälzenden
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Wolfen wurde der furchtbar fchöne Eindrudt diejes Abſchiedsſchauſpiels, das mir der Himalaja bot, noch bedeutend gejteigert.
Ueber den Molab:Tje:La ging es bis zum Eleinen Szotchong- See über oder richtiger durch völlig verfumpfte Wiefen. Um dieſen und dem unabläffig nötigen Springen von Stein zu Stein zu ent: gehn, verfuchte ich durch das feitliche Ahododendrongebüfch vorwärts zu fommen, doch erwies fich dies noch viel widerſpenſtiger als das undurchdringlichite Knieholz unfrer Legföhren. Thatfächlih war dies aber noch ein Kinderfpiel gegen die Beſchwerden des dann folgenden Abftiegs in einer Wafferrinne, die zuerft nur mit Gebüfch, weiter unten aber auch noch mit verfilten Bäumen vollitändig zu gewachſen war.
Ich möchte hier einfchalten, daß in den legten Jahren ein ganz Teidlicher Viehfteig zwifchen diefem Hirtenplatz Dſchongri und dem Klofter Pemiongtſchi, zu dem auch ich fchließlich fam, hergerichtet fein fol. Gelingt es, diefen beftändig in brauchbarem Zuftand zu erhalten, fo hätten fünftige Touriften eine vortreffliche Gelegenheit, ziemlich fchnell, das heißt in etwa zehn Tagen und ohne die gräß- lichen Strapazen, die ich auf diefem Wege durchmachen mußte, von Dardſchiling nad) Tihongri und dadurd) in die Nähe des Ktanfchen: dſchunga zu gelangen. Diejer Weg wird wohl zu Gunften der ſchon genannten Erpedition angelegt fein, die von dem Sekretär der Royal Geographical Society zur Erjteigung des Kanſchendſchunga unternommen werden fol. Diefer Herr genoß das Glüd, einen nahen Verwandten in einflußreicher Stellung in Dardfchiling zur Verfügung zu haben und wird wohl durch feinen von den Steinen beläftigt worden fein, die dort meiner Reife in aller Freundfchaft von den engliichen Beamten in den Weg gelegt wurden. ch habe wohl vergeffen zu erwähnen, daß bald nach meinem Abmarfch „ohne Er- laubnisſchein“ aus Dardſchiling mir nicht nur ein berittner, frecher Bhotija-Sirdar nachgeſchickt wurde, der ſich mir vor Sanduf-Fu quer über den Weg zu ftellen und mid) im Weitermarjch aufzuhalten ver:
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fuchte, was ihm aber wegen der deutlichen Sprache, die Hanfens und mein Bergftod redete, nicht gelang, fondern daß mir auch ein englifcher Beamter in das Schughaus Sanduk-Fu nachgetrabt kam, um unfren Aufbruch am nächiten Morgen zu hindern. Ich lud ihn zum Abendbrot ein, trank ihn in rotem Unger unter den Tiſch und marfchierte in aller Frühe unter feinen Schnarchtönen ab.
Doch ich muß in der Schilderung meines entfeglichen Weges fortfahren, an den ich nur mit Schaudern zurücdenten kann.
Schwarze Mooslappen hingen wie Millionen viefiger Fleder- mäufe in den Rhododendron- und Tannen-Aeften und verhinderten jeden Ausblid auf die Wafferftürze, deren ungeheuerliches Brüllen ganz dicht zur Linken zu hören war; zur Rechten brohten über- hängende, dunfelbemoofte Felfen. Immer Heißer werdende Nebel- ſchwaden, immer fauliger riechende, erftidende Dämpfe hüllten ung ein. War hier je eine Wegſpur geweſen, jo war fie längft in dieſem fcheußlich duftenden Brei von Lehm und Knüppeln und Dünger und Steinen und faulenden Blättermaſſen verloren gegangen, aus dem ich die Füße nur mit aller Anftrengung herausziehen konnte,
Das dichte üppige Dach, zu dem ſich Zweige und Blätter über meinem Kopfe verfilzten, wurde für Licht und Luft gleich undurc)- dringlih. Unter Farnen und fchleimigen Laubklumpen tückiſch ver- steckte Wurzeln von Bäumen brachten mich wiederholt zum Fallen, und geftürzte Riefenbäume hemmten fortwährend mein Vorwärtskommen — wenn ich mein beftändiges Tieferfchieben jo nennen darf.
In Schweiß gebadet, mit grauenhaft zerfeßter und befubelter Kleidung langte ſchließlich unſre Schar bei einem Schuppen aus Baumftämmen, der Sennhütte Guiffa, an; zwiſchen den Tarus- und Walnußbäumen vorlommende Farnbäume (Alsophila gigantea) bewiefen, daß ich bereit3 in die Zone von 6500 Fuß (1977 m), alfo in vier Stunden um 7000 Fuß (2133 m) heruntergelommen oder genauer gefprochen, im Schlamme heruntergerutfcht war!
Hier in Guiffa haufte eine ganz fürchterliche Gefellichaft von
Boed, Indiſche Gletjgerfahrten. 27
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Bhotijas, wie gewöhnlich mit ſtattlichen Kröpfen verunziert, die doch wohl eine Folge des Laſttragens mittels der üblichen aus Bambus geflochtnen Stirnbänber find; Fieber und ſonſtige Krankheiten, Mangel und unfagbarer Schmuß gaben den Leuten faft vertierte Gefichter. Der Boden ringsum beftand aus nichts als fehlammigem Humus, verwejenden Baumftümpfen und Kot von ftruppigen Yaks, die mich recht mitleidig angloßten.
Es gelang mir zwar, das Zelt auf einigen über dem Kot liegenden Stämmen und Zmeigen aufzurichten, doch war an Schlaf nicht zu denken. Mit rauher Zunge leckten die Yaks während der ganzen Nacht grunzend an der Leinwand meines noch von dem legten Nal:Angriff zerfetzten Zeltes herum, und aus dem ftinfenden Waldinnren fchollen nie gehörte, unheimliche Töne bald gurgelnd, bald ächzend, balb heulend, bald brüllend; dazwiſchen ftürzte hier und da ein verfaulter Baum unter dumpfem, faſt jeufzendem Krach, oder es erfchallte der wüſte Schrei eines Hirten, den das Kläffen der Hunde zum Schwingen eines Feuerbrandes veranlaft hatte, um dadurch irgend ein wildes Tier zu verfcheuchen. Kurz, e8 war eine hölliſche Nacht!
Der nächſte Morgen brachte mir zunächſt die Ueberraſchung, daß die fünf Hirten, die merfwürdigerweife ihre Müben aus Zibet- katzenfell umgemwendet, da3 heißt mit dem Haar nach inwendig trugen, von mir weder Geld noch fonft eine Gabe annehmen wollten, obgleich fie mir mächtige Yakhörner voll Yakmilch zur Verfügung geftellt hatten. Diefe Milch) iſt aber fo ungeheuer fett, fetter al3 unfre fettefte Sahne, daß es mir nicht möglich war, fie als Getränk zu ge nießen ; ich rührte fie deshalb in den Buchweizenbrei, den Hans mir zum Frühſtück gefocht hatte. Auch diefe Leute warfen fich flehend vor mir nieder und beſchworen mich auf das eindringlichfte, in diefer Fieberzeit vom Weitermarfch abzuftehn. Doc, ich hatte das Wort Durch! auf meine Fahne gefchrieben und mußte weiter. Ein Zurüd wäre auch zwecklos gewejen.
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Zehn volle, böfe Stunden mußte ich an diefem Tage unausgejeßt bergauf und bergab längs feuchter Felswände durch ein Walddickicht
Meine Aulis überfhreiten eine jelbfgebaute Bambusbrüde.
immen, das auf dieſer Erde nicht feinesgleichen haben dürfte, Hierbei mußte ich zahlloſe Gießbäche auf glatten, kaum befeftigten Bambusftämmen überfchreiten, bedroht von niederdonnernden Steinen und von Bäumen, die der Sturmwind wiederholt von den Berglehnen
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brad. Dann folgte ein jtundenlanges Kriechen und Durchringen durch dorniges Yrombeergebüfch, das fünfmonatlicher Regen ſchwer zur Erde gedrückt hatte. Halsgefährliche Sprünge inmitten donnernder Wafferfälle von einem feuchtglatten Blod zum andren mwechjelten mit dem Erklettern fteiler Hänge an fchleimigen, morjchen Leitern aus Schlinggewächjen oder mühvollem Waten durch weiche, fortſchiebende Schlammmaffen. Bor Angft zappelten meine Kulis unaufhörlich mit Händen und Füßen und ftredten dabei vor Erregung unter ent ſetzlichen Grimaſſen die Zungen heraus, fo lang fie konnten. Es waren unfagbar gefährliche und befehwerliche Stunden!
Schwarzes Gewölk fegte über den Himmel und machte den tiefen Schatten in diefen dunftigen Schluchten faft zur Nacht, durch deren Dunkel das ununterbrochne Braufen rajender Waldftröme um jo furchtbarer Hang, je weniger von ihnen und dem tief unten donnernden Hauptittom, dem Ratong, zu erfpähn war. In dem kurzen Lauf von acht engliichen Meilen durchläuft hier diefer Strom die Vege— tationen aller Zonen, von der winzigen Flechte des Nordpols bis zu den üppigften Palmen der Tropen, und all dieſe unerhörten Ein- drücke zu bewältigen, ging faft über mein Vermögen.
Wiederholt trat mein Fuß auf geftürzte, jcheinbar noch ganz fern- fefte Stämme und brach ein, worauf ftet3 ganze Heere von mißgejtalteten Riefenkäfern und entfeßlichen Würmern aus dem modrigen Innern hervorkrochen. Geſpenſtiſche Luftwurzeln hingen in wilden Mafjen, zu fabelhaften Schnörfeln verfchlungen, aus wüſt belaubten Wipfel- kronen herunter, oder ragten als abenteuerliche, Fronleuchterartige Gabeln aus Xeften empor, deren zugehöriger Baumftamm nur noch duch einen unentwirrbaren Panzer von Schmarogerpflanzen er- halten wurde, nachdem das morfche Innere längſt als übelriechender Brei herausgeficdert war.
Doch zu den fchreehaften Erfchütterungen durch diefe wahr- haft beängjtigend verzerrten, märchenhaften Auswüchſe der Pflanzen- natur kamen bald noch förperliche Qualen und Schmerzen, denn
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auch bier war ich wieder in ein Gebiet efelhafter Blutegel geraten, die im Himalaja recht ungleich verteilt zu fein fcheinen; es muß das mit dem Vorkommen beftimmter Pflanzengattungen zufammenhängen, von deren Saft fie fich nähren, ebenfo wie das die Moskitos thun. "Die Gelegenheit, Blut zu faugen, bietet fich hier diefen ſcheußlichen Tieren nicht allzuoft, denn, von den fpärlichen wandernden Herden abgeſehn, ift größres Wild, vielleicht grade wegen diefer Blutegelplage, in Sikhim ziemlich felten, und deshalb find auch Naubtiere nicht Häufig, obgleich e3 nicht völlig an roten Katenbären, ſchwarzen Bären und Leoparden fehlt; auch Schnee- und Hafelhühner ſowie Schnepfen und Fafanen, Wildfchafe, Steinböcde, Hirſche und Mofchustiere finden ſich ftellenweife,
Weit ſchrecklicher als mir je ſelbſt die furchtbarſten Raubtiere vorkommen Tönnten, erfchien mir die fortdauernde Veläftigung durch die genannten zahlloſen eklen Plagegeifter. Nicht nur durch die Mafchen der wollnen Strümpfe drangen die oft nur ftopfnadel- großen Blutegel in Scharen und nifteten darin als die Klumpen, fondern fie verfuchten auch mit Vorliebe, ſich an meinem Halſe feſtzu— augen, und manchem der hilflos diefen Tieren preisgegebnen, ſchwer— befadnen Kulis habe ich fie aus Ohren und Nafe, ja jelbft von den Augenlidern ablöfen müffen.
Gleichzeitig war aber dieſer gradezu verwunfchne Wald eine wahre Vrutftätte von Schlangen, und die Miffionare in Dardichiling hatten mir warnend verraten, daß hier nicht nur die ſchreckliche Kobra, Sondern die faft ebenfo gefährliche Calliophis Maclehandii und eine blaue, Krait genannte, Schlange (Bugarus caerulus), ſowie mehrere, noch jehr wenig befannte ſchwarze Bergvipern vorfämen. Am aller- widerlichften aber waren mir die Beitfchenfchlangen, die fich mit dem Schwanzende ihrer fchillernden Leiber um dünne Zweige winden und dann blitzſchnell nad) den hier überall herumfumfenden Pipfisfliegen züngeln, deren Stiche jo giftig find. Es war mir noch unbefannt, dafs diefe Peitſchenſchlangen nicht gefährlich find, fo daß ich bei den
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wiederholten, ungeahnten Berührungen mit diefen von den Aeſten baumelnden Schlangen jedesmal ganz entfeßt zufammenzudte.
Doch der Gipfel aller Leiden, mit denen jeder Himalajareijende feine unfagbaren Freuden, der eine mehr, der andre weniger, be zahlen muß, ftand mir noch bevor. Es war das, adj, nur zu ſchmerz⸗ liche Bekanntwerden mit einer Tiergattung, die mir bisher noch immer- vom Leibe geblieben war, die aber in diefen Waldwuchrungen und von Wermutranfen überfponnenen Büfchen in Zegionen vorzulommen ſchien und die von der Wiſſenſchaft den mohlflingenden Namen Ixodes erhalten hat; blutgierige Bufchlaus oder lausartige Bufch- wanze wäre mohl der befte deutfche Rufname für diefes Scheujal, wodurch aber noch immer nicht feine fchauderhafte Gemohnheit an- gedeutet wäre, fich fofort in und unter die Haut des befallnen Individuums einzugraben und dort fo feſt einzufrallen, daß der Verſuch, es wieder herauszuzichn, volljtändig vergeblich bleibt.
Doc, ich möchte meine verehrten Lefer nicht vom Lefen dieſes Buches wegfchreden und will darum an diefen wirklich efelhaften Schattenfeiten meiner herrlichen Reife fo fchnell mie möglid) vor— übereilen.
Ich fputete mid) auch in Wirklichkeit, jo ſehr ich nur konnte, aus der Urmildnis heraus und in lichtren Wald zu fommen, und ftieß zu meiner Freude auch am Spätnachmittag auf weniger dicht überwucherte, deutlichere Wegfpuren, die zu ebenfalls ſchon ver- laſſnen Weideplägen führten.
Hier hatten fichtlich noch vor furzem Menfchen gehauſt. Mächtige, im Innern noch glühende und fehwelende Bambusitämme, von denen grade einer durch die darin angefammelten Dämpfe nıit lautem Krach, erplodierte, zeigten an, daß die Waldblöße in der landesüblichen Weiſe urbar gemacht wurde. Eine folhe wird dann jedoh nur zwei Jahre bebaut, um der bei längrem Gebraude zu zahlenden Grundfteuer zu entgehn; dann zieht die Horde weiter und fehrt erſt nad) etwa zwölf Jahren zurück, verbrennt das auf der jrüher aus—
Yar-sı ©. 42-23. 'ak-Sun;
vorn eine Gruppe Teptidas in weißen, blaugeftreiten Tüchern mit Banıhusgefägen und Fajanenbälgen.
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Preiundmwanzigfies Hapifel. Ein aufregendes Shanjfpiel.
Ei zu biefer Jahreszeit ganz unerwarteter Regen hatte nächt- 3 As Ticherweile meinen fumpfigen Biwakplatz in eflen Brei ver- 9 wandelt. Mephitiſche Ausdünſtungen entſtiegen den ſchmutzigen Pfützen, in denen ſich mehrere Säue mit ihrer ſtruppigen, magren Nachkommenſchaft ganz „kannibaliſch wohl" zu fühlen ſchienen; wie eine Inſel ftand mein Zelt inmitten dieſes Moorbades zwiſchen den Schweinen. Der ſchwüle, bleigraue Nebel verjtimmte mich, und miß- mutig verfuchte ich, durch den Moraft zu ftapfen und meine Träger zufammenzutrommeln; zugleich war ich aber doch froh, daß der nächt- liche Wolkenbruch nicht fhon einen Tag früher niedergegangen war, denn er hätte fonft meinen an und für fich jo furchtbaren Abftieg von Dſchongri ganz unmöglich gemacht.
Doch mwehe! Das Tſchangbai, das geliebte Hirfenbier, hatte feine Wirkung bei den Kulis gethan, und noch vergeblicher als gegen die Dummheit Tämpft ſelbſt ein Gott gegen Bezechtheit und Katenjammer. „Se hent die Nacht gelumpet, drum wollen fie heute bligen,” war die weltweife Analyfe des Tirolers, als er die muffigen Mienen wahrnahm, mit denen fi) Sirdar und Kulis die heute noch Heiner al3 fonjt ausfehenden geſchlitzten Aeuglein rieben; trübfelig blinzelten fie in die trübe, feuchte Außenwelt hinein und vertrödelten beim Ablochen und Aufpaden die Zeit nach Möglichkeit. Zu guter Legt brachte der Sirdar, der heute zum erftenmal in einem bisher
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geſchonten, zitronengelben Rock mit rotem Futter einherſtolzierte, noch einen Ziegenkopf und einige Maiskolben zum Abröſten an das Lagerſeuer, und nachdem auch dies erledigt war, verſchwanden einige Kulis in dem nahen Bambusdickicht, um ſich dann möglichſt lange ſuchen und rufen zu laſſen. So ging die ſchöne Zeit hin.
Inzwiſchen brach die Sonne ſtechend durch die dicken Dünſte. Jauchzend tollten Kinder in blau- und weißgeſtreiften Hemdchen, dicke Kränze aus Cypreſſenzweigen, orangefarbne Blüten und Flocken von Schafwolle im Haar, mit den Ziegen und Schweinen um die Wette durch die dampfenden Schmutzlachen, ältre Mädchen lugten über den Bambuszaun und ſchienen ſich am Abbruch des Zelts und an meinem NReifegerät, vor allem den ineinanderlegbaren Koch: geſchirren, gar nicht fattfehn zu können.
Endlich) nahm ich von den Leptichas Abfchied, die über meine fürftliche Spende von einigen Kerzen und Schachteln mit ſchwedi— chen Streichhölzern ganz entzückt waren. Als Gegengabe wurden mir Bälge von buntſchillernden Monals angeboten, und jedes Kind brachte ein paar folche, leider ſehr ruppige, ungeſchickt ausgeftopfte Fajane herbeigefchleppt;; die Klüfte Sikhims wimmeln von diefen Vögeln, deren Bälge von hier zu Taufenden nah Kalkutta und dann in den Erporthandel gelangen.
Einige Burfhen, die zum Wafferholen gerüftet waren, fehienen mich begleiten zu wollen. Statt Krügen trugen fie Tſchungis über der Schulter oder am Stirnband, das heißt ungeheure Bambus- tohrjtüde, deren Boden aus einem durchgewachſnen Rohrknoten bejteht.
Tiefe Gruppe von heitren, musfulöfen, zumeift bartlofen Leptſchamännern mit ihren auffallend zierlichen Händen und Füßen, durchweg in blau: und meißgeftreifte Umfchlagetücher gehüllt, gab mir, befonder3 mit ihrem feltfamen Hintergrund von mwetterzerzauften Eichen, Ahorn- und Lorbeerbäumen, Ejchen und Birken, die von wilden Weinteben, Epheu und Pfeffer überranft und von Orchideen
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und Mooſen beſchwert waren, ein unvergeßlich eindrucksvolles Bild dieſes im Ausſterben begriffnen Stammes, der von den Bhotijas ſelbſt in der Sprache vollſtändig verſchieden iſt und mit ihnen weder Tracht noch Vielmännerei gemein hat.
Als ich meinen Troß endlich hieß, auf dem kürzeſten Wege, das heißt über das im Süden ſchon ſichtbare aber auf einem andren Höhenzug liegende Kloſter Pemiong-Tſchi nad; Dardſchiling zu mar— ſchieren, widerſprachen die Kulis in lärmender Weiſe. „Ganz unmöglich! Kein Weg! Keine Brücke!“ fo ſcholl es in dem baby» loniſchen Stimmgewirr von Leptſchas und Bhotijas durcheinander. „Dschau, dschöldi!“, das heißt „Vorwärts, geſchwind!“, war meine einzige Entgegnung, die ein allfeitiges Wutgeheul zur Folge hatte. Höchſt aufgeregt kam ein alter Bauer auf mich zu, um mit draftifchen Gebärden auszumalen, daß ich mit allen Begleitern in den reißenden Wafferjtürzen des Tſchu-Tſcha elend umfommen müffe, wenn ich diefen Weg nehmen wolle; ich jolle einige Wochen warten, bis die neue Rohrbrücke über den Ratong fertig wäre.
Ohne mic) auf eine Erwidrung einzulaffen, trieb ich die Horde in die nahe tiefe Thalfchlucht hinunter; ein Schwarm von Dörflern folgte jchreiend und mich beſchwörend. „Wenn keine Brücke dort ift, werdet ihr eine machen!“ war meine einzige Antwort, denn ich argwöhnte, daß der vorgefchlagne meite und weniger gefährliche Ummeg duch; das Rangitthal nur eine Vermehrung der Tagelöhne bezwecken follte,
Wir gingen an rotblühenden Hirfefeldern und einigen auf Pfählen gebauten Häufern vorüber. Neben diefen ftand auf einer Blöße ein Mani, das heißt ein meterhoher und mehrere Meter langer mit Steinfcheiben bepflafterter Wal. Auf den Scheiben war das mir nun ſchon jo oft vorgelommne Tamaiftifche Gebet eingemeißelt. Auf einem Abſatz dieſer Gebetsmauer, die — der Schreibrichtung ihrer Infchrift folgend — immer nad) rechts umfchritten wird, waren zahlreiche Ku's niedergelegt, das heißt Heine, koniſche, aus roter
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Erde geknetete Säulen. Andre fromme Wanderer hatten Büſchel orangefarbner Blüten als Opfer in die Fugen zwiſchen die Steine geſteckt.
Aus einer dieſer Pfahlbauten wurde jetzt unter gewaltigem Wichtiggethue ein kopfwackelnder, uralter Mann geholt, der mit menfch- lichen Wirbelfnochen und Amuletten behangen war. Der Happerbürre Greis Hetterte hüftelnd, meckernd und tonlos ſchwatzend allen voran zum Flußbett herunter, wobei fich die zahllofen Zöpfchen feines Bartes und Haupthaars fortwährend in den üppigen Brombeerbüfchen am Wege verfingen und von ihm mit Gewalt losgeriſſen werden mußten. Und fiehe da! Am Uferrand lag ein Haufen riefiger Blöde, um deren oberften die Seilenden einer Hängebrüde, einer Sampa, gefhlungen waren, die .über das in wilden Fällen und mit ohren« zerfprengendem Donnern darunter hinwegfcjießende Waſſer jtrads in den Wipfel eine8 am jenfeitigen Ufer ftehenden Ahornbaumes führte. Mit einem Blick der Verachtung auf meine verlognen Begleiter wollte ich fogleich zu der Seilbrücke hinaufklettern und hinüberftürmen — doch in demſelben Augenblide rifſen mich zwanzig Fräftige Fäufte zurüch, denn die Brüde war gänzlich verfault! Unter furchtbarem Tumult wurde mir Mar gemacht, daß diefe Sampa bereit3 drei volle Jahre alt fei, und daß e3 für lebensgefährlich gelte, eine ſolche Brücke noch im zweiten Jahre zu benugen. Ich hieß deshalb meine Begleiter, koſte es was es wolle, eine neue Brücke herjtelfen. Nach lebhafter Beratung gingen fie ans Werk.
Zunächft verfuchte ein winzig Kleiner aber kühn blicten- der Leptſcha-Junge, der ein langes, flaches Ban-Meffer, deſſen Klinge nur auf der einen Seite mit einer Holzſcheide bedeckt ift, zwifchen die Zähne genommen hatte, über diejes vermitterte Seilhängewerk ans andre Ufer zu flettern. Ban, Bevor aber der Kleine feinen Seiltanz begann, wurde auf
Meſſer be Serien einem Felsblock ein Sitz aus Zweigen und Fellen für den
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ausdrüdlich für diefen Fall mitgenommnen alten Teufelsbanner oder Bidſchowa bereitet. Won dort aus Tonnte er die wilde Schlucht und alles, was darin vorging, bequem überſchauen. Blödſinnig Tichernd und frächzend ließ er fich eine Tajche aus Bambusgeflecht reihen und Framte daraus ein oben forglich mit grünen Blättern zugebundnes Bambusrohrftüc hervor, das mit dem unvermeidlichen Tiehangbai-Bier angefüllt war; außerdem padtte er eine Gebetsmafchine aus, Eine folche befteht aus einer zylindrifchen Broncefapfel, die um einen Stiel drehbar ift, und mit langen Bajtjtreifen gefüllt ift, auf denen das buddhiſtiſche Univerfalgebet in endlojen Wiederholungen aufgefchrie- ben ift. Die Leptſchas find zwar durchaus Teine ftreng- gläubigen Buddhiſten, ver- ehren aber doch die Lamas, und ihre Dämonenbeſchwörer verſchmähen den Gebrauch 3 dieſer, doch nur dem tibeti- 8° ſchen Buddhismus eigen . tümlichen Maſchinen oder _ urarmeehunemider gar zchlmiin Em. Mani-Rollos keineswegs. Der zittrige Greis nahm die Gebetsmühle in feine Rechte, in die Linfe das Saugröhrchen, das in dem von einem Leptſcha gehaltnen - Bambusfchoppen ftecfte, und gab dann das Zeichen zum Beginn des feltfamften, aufregendften Schaufpiels, das ich je gejehen habe. Die erften drei Schritte des kecken Burſchen verurfachten nur ein Raufchen und Quietſchen in den morjchen Baftjeilen der Brüde; dann aber, als der Kleine vorfichtig weiterkroch und fich der hin- und herſchwankenden Mitte näherte, riß bald hier bald dort einer von den mürben Striden, bie die beiden Tragtaue mit den Bambus: ftangen verknüpften, aus denen der eigentliche Steg beftand. Der Quer—
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ſchnitt einer folhen Brücke hat ganz die Geftalt eines römifchen V, in deffen innerftem Winfel der Wandrer einherfteigt. Immer größre Lücken rifjen jest in das Flechtwerk. Gefpannt ftarrte alles dorthin, wo der Heine Held vergeblich nad) einem Halt hafchte, um weiterzugreifen. Plößlich wagte er einen befonders weit aushofenden Griff nad vorn und — ein allfeitiger haftiger Auffchrei — in wirrem Durcheinander ftürzten fämtliche Bambusftangen des Stegs nebjt unzähligen verwidelten, zerreißenden Taufetzen prafjelnd in die unten fehäumenden Waffer! Der Bube hatte fich mit bemunderns- werter Geiftesgegenmart krampfhaft an ein Seilende geklammert und pendelte in meiten Bogen daran Hin und her. Mit fagenartiger Gewandtheit erhafchte er nach und nad) einige andre Tauftüde und gewann jchließlich glücklich das andre Ufer. Ruhig und befonnen hieb ex dort mit feinem Banmeſſer den Reft der Brüde hinter ſich ab.
Gewandt wie eine Bande von Affen und Bibern machten fi inzwifchen die andren Leptſchas daran, aus den heruntergeftürgten und zwifchen den Felsblöcken feitgefahrnen Bambusftämmen und Stangen einen Steg mitten durch die Strudel und Fälle des wild⸗ ftürzenden Waffer3 zu bauen. Der Alte feuerte fie dabei unabläffig durch allerlei Zurufe an, drehte aber während defjen unaufhörlich feine Gebetsmühle und nippte ab und zu von feinem Hirfebier.
Die Geröllblöde waren durch das Waſſer fo kugelrund ab- geſchliffen, daß das Draufbefeftigen der glatten Bambusjtämme in dem eißfalten tofenden Waffer jedenfalls eine ganz ungeheure Aufs gabe für die Leptſchas war; einer der kühnften zog fich dabei auch einen böjen Rippenbruch zu.
ALS die Bambusftangen glücklich über den Blöcken Tagen, wollte fich feiner meiner Kulis mit feiner ſchweren Laft den fchlüpfrigen Stangen anvertrauen und, wie gewöhnlich bei ſchlimmen Paſſagen, mußte ih — und noch dazu in meinen ſchweren Bergſchuhen, die das Schreiten auf dem runden glatten Bambusrohr Teinesmegs erleichterten — mit gutem Beifpiel vorangehn. Ich mußte Die Leit
€. 40-81. Keptscha-ruppe mad) dem Brüdenſchlag über den Tſchu- Tſcha. Links faugt der Dämonen-Beihwörer Hirlebier, in der Mitte rechts fieht ein (Fafanenjäger.
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ſtange ſehr kräftig umklammern, denn der Steg bog ſich und tauchte unter meiner Laſt tief in die donnernde, mich rings umſpritzende Flut. Die Stangen rutſchten auf ihren Endlagern unruhig hin und her; wäre ich abgeglitten oder hätte ich losgelaſſen, ſo wäre ich natürlich auf Nimmerwiederſehn verſchwunden.
Lauter, vielſtimmiger Jubel erſcholl, als ich wohlbehalten, wenn auch völlig durchnäßt, das andre Ufer erreichte.
Nun folgte auch der Tiroler, der ſich aber vorher weislich die benagelten Schuhe auszog, und jchließlich kletterte einer nad) dem andren über den graufigen Steg, Wie mancher inbrünftige Blick wurde zu dem Teufelsbanner hinaufgefendet, der ihn zu recht nad- drüdlihem Schwingen feiner GebetSmafchine anfpornen follte!
Als wir alle glücklich auf dem andren Ufer waren, nahm ich das hier eingeflochtne Gruppenbild ab, worauf dem Teufelsbanner von einem Leptſcha ehrfurchtsvoll ein Hirfebierfchoppen kredenzt wird, während ein Jäger grade feinen Bogen fpannt, um einen Faſan zu hießen; im Hintergrund fieht man den Anfang der Brücke.
Diefer ehauderhafte Flußübergang hatte volle vier Stunden gedauert. Ich wollte nun weiter und zahlte den Leptichas ihre Hilfe mit reichlichem Balſchiſch. Doch was für ein Stich ins Wefpenneft war das! Jeder einzelne, felbft der Burſche, der dem Greife die Bierhumpen-Tafche nachgetragen hatte, verlor feine Ber ſcheidenheit beim Anblick des gleißenden Mammons; felbjt ein Roth- ſchild hätte diefe Danaidenhände nicht zu füllen vermocht.
Es that mir weh, diefe jonft jo harmlojen Naturkinder, die noch vor wenigen Jahrzehnten feine Münzen kannten, durch Geldgier fo häßlich verwandelt zu ſehn. Ich ließ fie nach Herzensluſt fchreien, heulen, toben und drohen. So folgten fie meinem Zuge, bis der fedite es wagte, mic) bettelnd mit der Fingerfpige anzutupfen. Im Nu jaufte mein Bergftoct auf feinen Eurzgefchornen Schädel; wutknirſchend blieb ex jtehn und mar unfchlüffig, mas er thun jollte, jah aber dadurch jo wenig geifteich aus, daß ich nicht umhin konnte, ein
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lautes Gelächter aufzufchlagen. Darüber ftugte die tobende Bande, ſchwadronierte, blieb zögernd zurüd und verſchwand dann im Dicicht.
Der wildverwachſne Steig endete bei dem Dorje Ting-Läh, und dicht bei biefem Dorfe fand ich am Rand eines Wildbachs eine ver- witterte Vorrichtung, die ein Seitenſtück zu den Gebet3mühlen vor- ftellte. Durch die Kraft des Bergwaſſers wurde dort eine zwei Fuß hohe bemoofte Steinfäule in Umdrehung verfegt, auf der an ver: fchiednen Stellen das ſchon wiederholt angeführte Buddhiſtengebet eingemeißelt war.
Am Eingang bes Dorfes Ting-Läh empfingen mich einige Vhotijamweiber mit einem ſehr auffallenden Hals- und Schulter- ſchmuck in Form eines Netzes aus ledernen Schnüren, die mit vielen ovalen Kapfeln und hohlen Knöpfen aus Silber beſetzt waren, die Reliquien von Lamas enthielten. In den Hüften hatte jede ein ober zwei brülfende Kinder mit Bambusftriden rittlings feftgebunden, um bie Hände frei zu haben. Die Erwähnung des von uns zurüd- gelegten Weges ftieß bei ihnen auf völligen Unglauben.
Bon dem Bergrüden, auf dem das Dorf liegt, bot ſich ein freier Rückblick nach Norden in die Fürzlih von uns befuchten Schneeberge und zugleich eine weite. Ausficht nach Süden über die diefbewaldeten Höhenzüge, die noch zwiſchen unfrem Raſtort und den fernher bligenden Zinfdächern von Dardſchiling lagen. Hier und da blinften vereinzelt einige nähere Dächergruppen aus bem üppigen Grün. „Taſchiding“ und „Pemiong-Tſchi“ erläuterte der Sirdar.
„Sehr gut. Wann werden wir dort fein?“
„Morgen abend!"
Wie üppig malte fid) der Tiroler die Freuden aus, die feiner in dem „Klofter” Pemiong⸗Tſchi harrten! Sein Gedankengang mochte etwa folgender fein: In einem Klofter find Priefter, und SPriefter find gelehrte Leute, mit denen man „ordentlich reden“ kann. Außerdem werden dieſe vorausfichtlich gut Ieben, aljo wird uns dort nichts
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mehr mangeln! — Nun’ bezweifelte ich allerdings, daß die Lamas fo geläufig „ruſſiſch“ (momit Hans natürlich „englijch“ meinte) ver- ftehen würden, und war auch durchaus nicht ficher, ob im „Kloſter“ jener Zuftand aufhören würde, wo man, um mit dem Tiroler zu teben, „nig weiß und
nix veden fann mit
den Leuten“, Aber
trotz alledem Tieß
ic) mein Zelt mit
frohen Hoffnungen
aufeinen Erholungs-
tag in Pemiongtſchi
im Schatten einer
Gruppe von Bam-
busftauden aufſchla⸗
gen, unter einem wah⸗
ren Walde von grü⸗
nen Raketen, der aus
einem Bündel fuß-
dider Stämme em-
porſchoß. Das Sau:
fen und Flüftern des
Abendwindes in den
zarten, nachgiebigen
Bambuswipfeln ver-
einigte fich mit dem Bambusgruppe; darunter mein Zelt.
aus der Tiefe herauf-
donnernden Raufchen und Braufen des Tſchu⸗Tſcha, und aus allen Rich- tungen begleitete fernes Abendklappern der Lamatrommeln das Sinten der Sonne; e3 verriet die zahlreichen Klöfter, die in den niedrigeren Teilen von Sikhim verftedt Tagen, und machte mir begreiflich, daß bier von etwa acht Einwohnern immer einer ein Lama ift.
Boed, Indiſche Gleiſcherfahrten. 28
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Ein letzter Goldhauch flog über die Schneefelder, von denen wir uns täglich mehr entfernten, — dann brach ſchnell die Nacht herein, die aber für mich durch zahlloſe Glühwürmchen und das lodernde Feuer meines Troſſes erhellt wurde. Leichtlebig und ſorglos hatten die Kulis von mir wieder einmal Vorſchuß von ihrem Lohn erbeten und ſofort in ſtattlichen Röhren vol Hirſebier angelegt. Merkwürdigerweife vernahm ich bei diefen Gelagen aber niemal3 Gefang, mit dem doch meine Träger im Kumaon-Himalaja jede3 Lager zu erheitern gepflegt hatten.
Während ich noch nach Schlaf fuchte, öffnete ein pfiffig blicken⸗ der Greis vorfichtig meine zugefnüpfte Zeltthür; dann ent- hüllte er im fahlen Schein des Mondes, ſcheu um fich fpähend, einen in grüne Blätter gemidelten Gegenftand, einen roinzigen Krug, den er mir binreichte. Ich fand darin eine fpirituöfe Flüſſigkeit. „Arra, ’adscha hai!“ flüfterte die Schnapzfirene in mein Ohr, doch ich hieb nach dem Verführer mit dem Vergftod, und betrübt über das Verſchmähen feines Labfals, verſchwand der Fufelträger fo geheimnisvoll wie er gefommen war.
Am Lagerfeuer der Kulis herrſchte die halbe Nacht hindurch ein wahres Schlaraffenleben; unermüdlich ſchmor⸗ ten meine Aulimeiber in mächtigen Kupferkeſſeln allerlei Gemüfe, diesmal recht verdächtig ausjehende Schwämme und Farnkrautfpigen. Sie ſchnatterten glüdtjelig, denn ich hatte ihnen nicht nur einen Hammel, fondern auch einige fette Steinhühner gejchentt, die ein während des Brüden- ſchlages am Tſchu⸗Tſcha herumftreifender Leptichajäger er legt hatte, um mir zu bemeifen, daß er fein Ziel nicht nur mit dem Pfeil, fondern auch ebenſo ſicher mit Thonkugeln
an träfe. Er legte die Kugel auf den in der Mitte auseinander il zu gebrehten, aus Notang geflochtnen Strang, vor deſſen lan Prall er die Hand durch einen breiten Holzring beſchühte.
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Diefer Mann hatte in jeinem Bambusköcher, dem Tulda, nod) zwei Pfeile, die er als vergiftet bezeichnete. Gewöhnlich gefchieht dies Ver- giften mit Auszug von Nachtfchattenwurzeln, die vielfach aus dem Himalaja nach Indien verhandelt werden.
Ich ſchien auch hier feinen Schlaf finden zu follen, denn in dem Bambusgebüfch verfuchten unzählige Inſekten mit Schnarren und Zirpen die f hmagenden Kulis zu übertönen. Fröſche quaften und Eulen fehrieen in gräßlichen Tönen. Dabei unterwühlten grun- zende Schweine den Boden unter meinem Zelt, und ein Taufendfuß ſowie verfchiebne ftattliche Käfer und mohlgenährte handbreite Spinnen fpazierten über meine Schlafdede. Selbftverjtändlich heulten dazwiſchen auch wieder alle Dorfhunde, hier eine abgemagerte Sorte von Windhunden mit äußerft buſchigem Schweif, und machten ein Nachtgetöfe zum Tollwerden. Doch ſchließlich hatten die Kulis alles aufgegeffen; fie betteten fich ftrahlenförmig dicht um das Feuer, dem fie die Schädel zumendeten, und dann bedeckten fie die Körper mit Zweigen und Gepädjtüden gegen den Nachttau. Ein fcherz haſter Zuruf von mir, der ſich auf diefes bedenkliche Durcheinander von Männlein und Weiblein bezog, entfeffelte bei den Kulis eine unftillbare, jubelnde Heiterkeit und bewog fogar eine Kulifrau, noch; mals aufzufpringen und mir dankbar für meinen Scherz einen fchnell von ihr bereiteten Humpen Tfchangbai-Bier in mein Zelt zu tragen.
Angeſichts einer Mondlandfchaft ohnegleichen fchlürfte ich bei diefer Gelegenheit zum exftenmal mit viel Behagen diejen fäuerlid- lauen Trunf, der wie warm gewordnes Berliner Weißbier ſchmeckte, aber wie Leipziger Gofe auf mich wirkte. Ich wußte damals freilich noch nit, daß die Gährung der Hirfe gewöhnlich durch Kauen eingeleitet und da3 Bier dann einfach durch Aufbrühen des gekauten Breis mit heißem Waſſer erzeugt wird; die gekaute Hirfe wird in Körben eingemaifcht, die in den Rauch gehängt werden.
Nach und nach wurde e8 ruhiger, und bald tönten nur noch die markigen Akkorde der Waldftrommufit durch die windftill wer-
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dende Naht; auch. daS Bambusgeſträuch raufchte nicht mehr, und ſelbſt die Infekten ſchwiegen.
Die abendliche Schlemmerei der Kulis hatte diesmal feine hem- mende Nachwirkung auf die Wandrung des nächſten Tages; ernſi— liche Weg-Gefahren waren nun kaum noch zu befürchten, wenn auch die ftechende Novemberfonne genug Fieberkeime in den moraftigen Thälern ausbrüten mochte. Der Weg war freilich auch jet noch recht fraglich troß des zunehmenden Verkehrs, der durch zahlreiche Häuflein am Wege fortgefchütteter Hirfebierhülfen angedeutet wurde. Zuerft führte er eine halbe Stunde lang in einem plätjchernden Bäãchlein dahin, dann über kahle Felder, auf denen wir über ftruppige Stoppeln und Stümpfe abgehadter Maisjtauden mühſam fortftolpern mußten, und endlich durch wogende Scilfmälder von mehr als doppelter Mannshöhe, deren rötliche Blütenbüfchel mit hellem Silber« glanz wehten. Ich ſah Hier ſchwarz und weiß geftreifte Schmetterlinge und fchneeweiße Raupen mit gelber Rüdenzeichnung in auffallenden Mengen, doc brachten mir meine Kulis aud) ein paar Wunder von Naturfpielen, nämlich Schmetterlinge und Käfer, die in bemunderns- werter Mimikry die Form abgeftorbner Blätter und verborrter Zweig: ſtücke angenommen hatten.
In der wilddüftren und eifigfalten Felsſchlucht des Rimid-Tſchu fauerte eine Leptſchafamilie wehllagend um den ftarren Körper eines eben in das Waſſer geftürzten und herausgefifchten Mädchens. Eine alberne Greifin, die nicht recht zu wiſſen ſchien, ob die in Ver— wirrung geratne Spindel in ihrer Hand, ober der fchreiende Säug- ling in dem vieredfigen Bambuskorb auf ihrem Rücken oder die Ver— unglückte das meifte Intereffe verdiente, führte mich an das Lager der wie tot Daliegenden. Ich riet, den ftocfenden Atem und Blutumlauf durch fünftliches Heben und Senken des Bruſtkorbes und regelmäßiges Bewegen der Arme zu unterftügen, und hatte fehließlich die Genug- thuung, das kräftige, blühende Mädchen zu ſich kommen zu fehn; mit ihrem ſchmucken Kranz aus zwei ftarken, vorn zu einem Knoten
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zuſammengebundnen Zöpfen, dem weißen, faltigen, weitärmligen Gewand, um das fie eine rote Schürze gebunden hatte, konnte fie jogar ſchön genannt werden. Die unruhig hin und her trippelnde Alte riß dem Mädchen eine ihrer Korallenfchnüre ab, um fie mir zu verehren, doch verzichtete ich gern auf das Andenken, als ic) ſah, wie ungern fi die Schöne davon trennte; ſolche Ketten bedeuten für die Bhotijas oft ein Vermögen und haben einen Wert von mehreren hundert Mark. Nachdem ich mich bereit3 entfernt hatte, kam plöglic, ein Kind jener Familie, das ein noch Heineres auf dem Rücken fchleppte, hinter mir her gerannt, um mir einen riefigen Ohr— ring in die Hand zu drüden, der aus drei Rofetten von Türkifen beftand, die in filberner Fafjung aneinander hingen.
Bei den Höfen von Dſchong-Bo wollte mir ein nur mit einem Schurz beffeideter Hirt mit einer Müte aus geflochtnen Bambus: blättern auf dem Ohr das Ueberfteigen der Knüppelleiter feines Vieh- zaunes nicht geftatten; nachdrücklich deutete er allerlei Rebensgefahren an, indem er den Hals rechtwinklig umbog, die Zunge herausſtreckte und geſchloſſnen Auges den Kopf in die flache Hand ftügte. Ich fonnte aber weder feine warnenden Worte noch des Sirdars zweifel- hafte Verdolmetſchung verftehn, doc; bewies das Entfeßen meiner Kulis, daß hier wirklich etwas ganz Bedenkliches vorliegen müfje. Das undurddringliche Unkraut und die ungeheuren Brennefjeln von der grauenhaften Art der „tödlichen Neffel" rings um den Dorfzaun machten e3 aber ganz unmöglich, ihn anderswo zu umgehn, und fo ftieg ich ohne weites auf dem eingeferbten Aft über den Zaun. Meine Kulis wollten durchaus nicht folgen, rannten aber fchließlich doch mit Zeichen höchfter Angft und in größter Eile über den Pla, bis fie den jemfeitigen Zaun glücklich hinter fich hatten; dann aber fehienen fie durch Blicke und lebhaften Wortwechjel das Urteil über mic) zu fällen: diefer Menſch fcheint mit dem Satan im Bunde zu fein! Erſt bei der Rückkehr nad) Dardſchiling bekam ich heraus, daß dort ein toller Hund fein Unmefen getrieben hatte.
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An der Berglehne Lingbufchi arbeiteten Frauen in den Feldern, die dabei den rechten Arm nebjt Schulter entblößt trugen; in ihren feuerroten Ropftüchern und ebenfolchen Schärpen und Jäckchen gaben fie ein prächtiges Bild. Nach und nad} folgten uns fajt alle diejer üppigen, zumeiſt reich mit Gold: und Silberſchmuck behangnen Geftalten nebft einigen Leptſchas in blau-weiß gejtreiften Kitteln zur
Giner meiner Rulis nebfl Frau.
Höhe, um unfre Raft unter den wilden Nuß-, Aprikoſen- und Plaumenbäumen mit offnen Mäulern anzuftaunen. Die Kulis ver: fuchten die Früchte mit Steinen und Nnütteln von den Bäumen herunterzumerfen, doch wenn fie herunterfielen, entſpann fich darum eine allgemeine und zuerft nur fcherzhafte Balgerei, die aber ſchließlich in einen ganz ernithaften Maſſenringkampf überging. Nicht nur mit den musfulöfen Armen und den auffallend Heinen Händen
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wurde hier von Mann und Weib mit Leidenfchaft gerungen, jondern ganz nach) Art gehörnter Wefen fuchten die Männer auch die Mädchen durch feftes Anprefien der Stirnen vom Rampfplab zu drängen; ich erfchraf vor dem furchtbar lauten Krachen, mit dem dabei die dien Schädel gegeneinanderprallten. Faſt durchweg blieben aber fchließlich bei diefem übermütigen, viel Kraft, Gewandtheit und gute Raune erfordernden Spiele die Weiber über das „stärkere Gefchlecht" im Vorteil; die brummigen Mienen der Männer verrieten, daß fie nicht etwa zu jenen galanten Leuten gehörten, die glauben, bei Damen geroinne man durch Verlieren. Die dicken Beulen und derben Kratz- wunden wurden aber von niemand fonderlich beachtet, doch als beim Weitermarfch auf dem Iehmigen, fteilen Waldweg eins der fieghaften Kuliweiber einige Handvoll de3 gemeinfamen Reisvorrats aus einem plagenden Sade verftreute, fielen ihre drei Gatten plößlich gemeinfam über fie her und zerfnufften fie nicht nur um die Wette, fondern fchlugen ihr auch unbarmberzig die Brenneffeln ins Geficht, die der eine unterwegs mit einer Zange aus Bambusftäbchen für das Nachteffen abgezwickt hatte; feiner der Ehefompagnie verfuchte fich bei der gemeinfchaft- lichen Ehehälfte durch Einlegen eines barmherzigen Fürworts eine Extra⸗ gunft zu fichern. Am meiften ſchien es aber das handfefte Weib zu ſchmerzen, daß einer von ihren Gatten aus ihrem Tragkorb einen Handbefen herausriß und ihr dies Gerät, mit dem fie bei jeder Raft ihre dichtes ſtarkes Haar aus guten Gründen durchzuhecheln pflegte, fo lange um die Ohren ſchlug, bis auch nicht ein Bambusfäferchen mehr dran war. Unerträglich ſcholl ihr herzzerreißendes Gejammre durch den herrlichen Eichenwald, der mic) an die ferne deutjche Heimat gemahnte.
Gegen Mittag erreichten wir das Gebetsdenfmal oder den Mendong, der nahe bei dem einfamen Klofter Pemiongtichi auf der Höhe des Vergfpornes liegt, der das Kulhaitthal vom Natong- und Rungbifluß trennt.
Der Sirdar eilte vorauf, um den Lamas meinen Wunfch zu
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melden, den Tempel anfehn zu dürfen; der Beſcheid lautete, nach afiatifcher Sitte, daß dies vorläufig, das heißt für heute und die nächiten drei Tage gany unmöglich fei. Meine Entgegnung, daß ich dann morgen obne Spende für den Tempel weiterziehen würde, brachte plötzlich die Möglichkeit für „übermorgen“, ſchließlich ſogar für „morgen“ zu ftande, und mit großer Ungeduld jah ich diefem kommenden Morgen entgegen.
Den Reit des Tages verwendeten die Kulis zum Jnitandjegen ihrer arg zerrifjnen Gewänder, und aud wir hatten angeftrengt mit lien und Entfernen menigftens der ärgften Spuren umjrer furchtbaren Schlammmwege und Schluchtenklettereien zu tun. Ganz unmürdig außjtaffiert wollte ich doch nicht das größte Heiligtum Sithims betreten, das in der Geſchichte des Landes als Sig der höchſten Gewalt lange Zeit bindurd eine jo wichtige Rolle ge fpielt hatte.
. ©. 4, Kamagrab bei Pemiongtshi; a
Hints hinten mein Zelt, vorn ein trommelnder Sama und ein Amabe mit einem Gejäß aus Bambusrofr.
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Bierundzwangigites Kapitel. Beftefjen und Konzert bei den Lamas in Pemiongtſchi.
J ch hatte das altehrwürdige Pemiongtſchi wohlbehalten erreicht, und ohne Pietiſt zu fein, fühlte ich mich von einem heißen > Dankgefühl durchdrungen, wenn ich an all die gefährlichen Beſchwerden meines Weges nad) und aus der nun hinter mir liegen- den Schnegebirgswelt zurückdachte. Hier in Pemiongtſchi waren mir ja ſchon fo gut wie daheim in Dardichiling, das nur noch drei Tagemärfche ſüdlich Liegt.
Wie überall machte ich, mich auch, hier vor allen Dingen auf die Suche nach einem trocknen Plässchen für mein Zelt; ein folches zu finden ift in Sikhim nad) der Regenzeit gar nicht leicht, da dann der Boden überall wie ein überfatter Schwamm beim leiſeſten Drud von unfaubrem Waſſer trieft.
An dem Zaun des aus rohen Ziegeln erbauten Gebetdenfmals, des Tiehorten oder Mendong, hatten die Kulis bereits ihre Wäfche zum Trocknen aufgehangen und ihr Lager bereitet. Ich umfchritt den eima acht Meter im Quadrat mefjenden Kaftenbau mit kegel⸗ förmiger Spitze, aber um das Gefühl der Kulis nicht zu verlegen in der vorgefchriebnen Weife, das heißt jo, daß mir die Gebete auf den die Spitze des Denkmals bildenden Steinen zur Rechten lagen. Hierbei fragte ich mich, von was fir einer Art wohl die Lamaüberreſte geweſen fein mochten, die er umfchloß. War hier nur die Afche eines ſolchen beigefet oder war der Leichnam darin, wie
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dies häufig geichieht, ftehend eingemauert? Oder war er nad) tibe- tiſcher Sitte den wilden Vögeln preisgegeben worden, damit die herumirrende Seele ohne Verunreinigung von Waſſer, Feuer oder Erde in einen andren Körper gelangt?
In diefem Falle waren in dem Denkmal jedoch nur die gebleichten Gebeine verſcharrt. Und, fo fragte ich mich weiter, waren dieje Knochen noch vollzählig beifammen, oder hatte der verblichne Lama feine Arm- und Beinknochen zu Trom⸗ peten und feine Schädeldede zu einer Trommelhälfte hergeben müfjen, mit deren Getöje nun jeine Herren Amts: brüder die Dämonen der Krankheiten, der Naturgewalten und ber milden Tiere beſchworen?
Gläubige Wandrer hatten rings um da3 Monument Steine und jar- bige Läppchen gelegt, und meine Kulis beeilten fi, Blumen und Farnzweige dazu zu legen, die fie ſchon unter = wegs für diefen Zweck eingefammelt
Körner aus Drenftentunden; Rapper hatten; dann riffen fie Tuchfegen von aut ei min Dane eeponaien diricaln jhren arg zerlumpten Reiſekleidern und fügten auch diefe hinzu.
Auf einigen nahen, von Brombeer⸗ und Himbeergefträuch um: gebnen Steinplatten, in die ebenfalls die hier vielfach angebrachten Gebetszeichen eingehauen waren, fchlug ich troß des Zetergeſchreis meiner Kulis mein Zelt auf. Der Pla war wohl die Verbrennungs⸗ ftätte eine Lamas geweſen und fchien mir das einzige zum Lagern geeignete Fleckchen zu fein.
Die Dämmerung brad am nächſten Morgen recht trüb und träge durch die Nebelmaffen, viel zu träge für meine Ungeduld. Ich hatte aber nicht etwa aus Neugier auf den Klojterbejuch das Tages
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grauen ſo ſehnſüchtig erwartet, ſondern wegen der Legionen gieriger Blutegel, deren ich mich im Zelt ſchließlich nicht mehr zu erwehren vermochte. Durch jede Fuge kam das ſcheußliche Gewürm zu Dutzenden in das Zelt, bald ſchwarz, bald braun, in jeder Größe, von Finger— länge bis zur Stärke einer Stecknadel. Ich konnte es wirklich ſchließlich gar nicht mehr mit anſehen, wie dieſe Beſtien ſich mir von allen Seiten näherten. Mit wahrhaft teuflifcher Bedächtigleit pflanzten fie dabei das Ende des hochgefrümmten Körpers dicht neben den Kopf, ftredten dann diefen weit vor, faugten ſich an und ftellten, den Körper abermals zum Bogen krümmend, das Schwanzende wieder dicht Hinter den Kopf, und fo wälzten fie ſich heran, viel fehneller als ſich eine Schlange fortzuringeln vermag.
Was half es, daß ich mir Hals und Gelenke mit Mufjelin bemwidelte, das ich in ſtarke Salzlöfung getaucht hatte? Was half es, daß eine gutmütige Kulifrau den unheimlichen Inhalt ihrer Schnupftabatsbüchfe — denn gefhnupft wird von den Weibern in Sikhim genau fo leidenfchaftlich wie von denen im Bayrifchen Walde — in eine vor das Zelt gekratzte Rinne geftäubt hatte? Was half jchließ- lich gegen all diefen Efel und Unmut der befänftigende Gefang einer indifchen Nachtigall im nahen Gebüfh? Wahrhaft triumphierend ſchienen die abfcheulichen Quälgeifter ihre Körper zu heben und zu jenten, zumal nachdem ich ihr Fangen und Vernichten ganz auf- gegeben hatte und mich ganz mit dem Stillen des Blutes aus vielen Bißwunden befehäftigen mußte.
Sobald der Tag graute, ftand ich von diefem garjtigen Lager— plaß auf, doch auch draußen fchnellten fich die Unholde überall aus dem fumpfigen Moosboden in die Höhe, um mir an Schuhen und Gemwändern emporzuturnen, und erſt an dem Lagerfeuer der Kulis konnte ich unbeläftigt meinen Morgenthee kochen. Ich hatte mir thatfächlich einen viel ungünftigeren Platz für mein Nachtlager aus- gewählt als die Kulis, die mich vergeblich vor dem meinigen ge- warnt hatten. Dabei jah ich das geftern fo arg zerprügelte Weib Hinter
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dem Mendong liegen, das heulend und wimmernd durch die Um— kreiſung ihres Halſes mit dem Zeigefinger ihre nicht ſehr lebens: frohe Stimmung anzubeuten verfuchte.
Dumpfes Bauten und Trommeln begleitete den Aufgang der Sonne. Die Töne jhallten offenbar aus dem Tempel herunter, der auf dem 6920 Fuß (2100 m) hohen Gipfel unfres Hügels zwiſchen Eichen und Ahornbäumen verſteckt lag. Bald darauf kam ein Tabl: geſchorner junger Lama würdigen Schrittes in roftroter Toga von dort beruntergefchritten, um mich abzuholen und unter beftändigem Klappern einer Schäbeltrommel, die er in der Hand hielt, nach dem Kfofter zu begleiten. Zuerſt hielt auch er den Tiroler, der fich zur Ver- ftändigung ja ftet3 meiner Vermittlung bedienen mußte, für den teifenden fremden Herrn aus dem Lande „Diharmani“ und mic, für deſſen unterthänigites Faktotum. Drei hübfche Knaben in roten Umfchlagtüchern, jedenfalls Mönchslehrlinge, gaben mir das Geleite, und ein junger Hirt, der ein rieſiges Bambusrohr voll Milch als Dpfergabe zum Tempel hinaufſchleppen wollte, ſchloß ſich dem Zuge an; die Kulis und der Sirdar machten den Schluß.
Der Sirdar befleißigte ſich einer hochgradigen Wichtigthuerei und machte mich unausgefegt mit hochgezognen Augenbrauen und feierlicher Handbewegung auf die unerhörte Bedeutung der fich nun abfpielenden Ereigniffe aufmerffam.
Durch ein Spalier von Bambusftangen, die von oben bis unten mit bunten Gebetswimpeln beflaggt waren, ftiegen wir auf einem zuerft recht Iehmigen, dann aus Steinftufen beftehenden Wege zu dem bis zuletzt von Bäumen verftecten Tempel hinauf. Als id aber fchließlich auf den glatten Chloritjchieferplatten des Tempelhofes ftand, machte ich ficherlich ein ziemlich enttäufchtes Geficht. Den berühmten vierhundertjährigen Lama- und Radſchahſitz, aus dem als Sikhim Durbar bis 1815 die Gefchide des Landes gelenkt wurden, hatte ich mic doch etwas bedeutender vorgeftellt! Cr beftand, wie man auf dem Bild fieht, nur aus einem etwa 25 Meter im Quadrat
©... Klostertempel Pemiongtsci; die Saas flepn;vor dem aut Holz geſchnihten Thore.
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meſſenden roten Backſteinbau mit ſchräg aufſteigenden Mauern, die aber nicht, wie es wohl ſonſt üblich iſt, mit einem mehrſtufigen Dach in chineſiſchem Stil, ſondern von einem ziemlich flachen, höchſt profanen Dach aus gewelltem Zinkblech bedeckt waren. Die Lamas hatten ſeit kurzem ihr nach der Regenzeit faulendes Stroh- und Holzdach dem Zeitgeiſt geopfert und ſich an der fortgeſchrittnen Bedachungs- kunſt in Dardichiling ein Beifpiel genommen, deren afuftiiche Schatten- feite mir noch immer im Trommelfell ſpukte.
Die Mitte der Nordfront war mit riefigen Wolldecken zum Schuß gegen Regen verhüllt; diefe raffte der Lama empor. Darunter zeigte fich eine bi3 zum Dach reichende, reich geſchnitzte Holzarchitektur, deren Gebälf und feltfam gefchnörkelte Außenlinien in den tibetifchen Kieblingsfarben, blau, rot, grün, durch dick aufgetragnes Weiß getrennt, geſchmackvoll hervorgehoben wurden.
Das Thor der Vprhalle wurde durch zwei derbe, mit vecht- winkligen Rillen ausfünnelierte Holzfäulen gebildet, die auf meit- ausladenden Kapitälen ein Gefims und. Durch diefes die buntbemujterten Köpfe der Balken ſtützten, auf denen die obre Etage ruhte. Dort oben befanden fich die Schlafftellen der Lamas und eine umfängliche Sammlung von Holzftöden zum Drud buddhiſtiſcher Schriften, die mir fpäter mit Stolz gezeigt wurde. Nach außen war dies Stod- werk dur ein geſchnitztes Gitter abgefchlofien, und feine fteben ſchmalen hohen Fenfter waren durch allerlei ſymboliſche tierische und menfchliche Figuren aus dem Buddha-Mythus verziert, unter andrem mit dem fabelhaften Elefanten, in defien Geftalt Buddha mittels einer Hüftwunde von feiner Mutter empfangen fein fol.
Inzwiſchen waren einige Lamas mit dem fehwerfälligen Schlüffel erſchienen und ſchloſſen mit umftändlichem Gebaren die wohlver- tammelten niedrigen Thorflügel auf.
Eine duch Lampenqualm und Räucherungen mit Tſchenden, der rötlichen Wurzel einer Zypreſſenart, verdicte Luft fehlug mir entgegen, als ich in die tiefe Dämmerung des faum drei Meter hohen
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Saaled trat, an defjen Ende ich bei dem dürftigen, durch Spalten in der meterdiden Mauer einfallenden Lichte den Altar mit jeinen Einzelheiten nur mähjam zu erfennen vermochte; einige faum leuchtende, durch Butter genährte, qualmende Lampen mit Dochten aus Pflanzen- marf fladerien in der Zugluft auf dem Altar, Drollig genug ent: ſprach diefe Beleuchtung der mißverjtändlichen Benennung des Buddha⸗ Tempels mit „Buttertempel“ feiten® des Tirolers, der jich auch deſſen häufig Pomiang⸗ tſchi ausgeſprochnen Namen als „PBom: meranzi" mundge recht gemacht hatte. In der Altar: mitte thronte die
überlebensgroße
Statue Buddhas oder wie ihn mir derSirdar mit Nach⸗ drud in der Bhotija- fprahe vorſtellte: Sakya Thuba. Der
. . Reformator und an sie ei fe be tumeh 05 Gotteprophet ſaß mit untergejchlagnen Beinen und gleihmütigem Gefichtsausdrud da und hielt in der linfen Hand eine blaue eiförmige Schale, wohl das geheimnisvolle Lotosjumel. Auch feine in drei Reihen aufgefchichteten Löckchen waren blau bemalt, das Geficht und die tief ausgefchnittne Bruft dagegen waren reich übergoldet. Die langen eingefchligten Chr- läppchen fielen bis auf die Schulter herunter, doch fehlten darin — und das ift ftet3 ein Wahrzeichen des alle nichtigen Freuden dieſer Welt belächelnden Buddha — die Tandesüblichen Ohrringe. Auf der Mitte
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ſeiner Stirn befand ſich eine knopfartige Erhöhung; ob dieſe einen
Anklang an die Dreiäugigkeit der Hindugottheiten vorſtellen oder an
die Abkunft Buddhas aus dem fürſtlichen Hindugeſchlecht der Sakyas
und an deren Stirnzeichen erinnern ſollte, war mir nicht klar. Neben dieſer Figur ſtand ein ſcheußliches Abbild der Hindu—
göttin Kali, die eine Goldkrone auf dem Haupt trug und in mehr
als gewagter Tänzerinnenſtellung auf einem Bein balancierte; um
den Hals trug ſie die übliche Kette von Menſchenſchädeln und in
der Hand das Lotosjuwel. Die Wände waren
mit fratzenhaften Bildern phantaſtiſcher, von grünen
Heiligenfcheinen umfpielten Gottheiten dieſes Kultus
überladen, zwifchen denen die buddhiſtiſchen Sinn-
bilder der Lamamacht, des Donnerkeils Dordſch
und des Lotosjumels, ebenfowenig fehlten wie die
bizarren Figuren der brahminifchen Legenden, 3. B.
der Affenkönig Hanuman, der dem erkrankten Gotte
Wiſchnu⸗Kriſchna den mit ‚Heilfräftigen Kräutern be-
wachſnen Berg Meru aus dem Himalaja herbeiträgt,
der elefantenköpfige Weisheitsgott Ganeſch oder der
in einen Schlangenſchwanz endigende Gott Rafotat. Gussun, 1 Beite Er Ueber den Altar war ein tibetifcher Teppich Geifer-Ausireiden.
gebreitet, in den ein ehr zierlicher Kranz aus Farn⸗
Träutern eingewebt war. Der Altar war mit allerlei Geräten aus blißen-
der Bronze überladen: Klingeln, Lämpchen, Löwenfiguren, Schalen mit
geweihter Milch und andre, in denen Blumen, Mais, Butter und
andre Opfergaben lagen. In einer Vaſe ſteckten mehrere glimmende,
ſtricknadeldünne Räucherftengel, die aus Pulvern von wohlriechenden
Hölzern und Harzen unter Zuſatz von etwas Kuhdünger hergeftellt waren.
Zwiſchen all diefe Herrlichfeiten waren blutige, mit Reis beftreute
Fleiſchſtücke als nicht fehr appetitliche Opfergaben gelegt. Nichts konnte
beffer die hier eingerifine Entartung der Lehre Buddhas predigen, der
ja alles vorſätzliche Vernichten des Lebens verworfen hatte.
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Auffallend waren fünf Gebilde aus Heinen runden Scheiben, von denen drei, die auf der Mitte des Altars ftanden, wie Tragant- bauten eines Zuderbäders ausjahen. Die beiden andren bejtanden nur aus zwei runden weißen Scheiben mit blau-rotgrünen Kreifen um den Mittelpunft, die übereinander auf einem Holzfuß ftanden; obenauf beiand ſich eine langettliche, weiße Spige mit Flecken im diejen drei Farben. Dieſe Symbole hatten ganz die Formen, die für die dreiteiligen tibetaniihen Chrringe beliebt find und bezogen ſich wohl auf die verjciednen Himmel, die der Buddhismus als Gebiete der Seelenwanderung annimmt. Auf der linken Seite des Altars bemerkte ich noch einen jaft meterhohen Schrein aus Gold: und Silberbleh, deſſen fußhoher Sodelfaften ein goldnes, unter einem Banyanbaum jigendes Buddha-Figürchen umfchloß; darüber erhob ſich ein jargäbnlicher Auffag, ganz in der Form eines Men- donas, mit einer fonijchen, durch einen bligenden Halbmond verzier: ten Spitze.
Zollhohe Kegel aus fleifchfarbigem Mehl mit einem Klümpchen Bunter auf der Spite, die der Sirdar Sa-Tſchu nannte, ftanden teils auf dem Altar herum, teil® vor dem Altar in Reih und Glied auf einem dicken Brett; dem bier kultivierten Buddhismus ſchien aljv auch das brahminiiche Lingam-Idol zu dienen. Auf niedri- geren Nebenaltären fand ich zahlreihe Mufitinftrumente, Becken, Lamamüsen, Gebet3mühlen und Dordſch-Dolche in allen möglichen Ausjtattungen, Schädeltrommeln, Hörner aus weißen Muſcheln Tung) und ſolche aus Menfchentnochen (Kaning), nebit dicken höl- zernen Druckſtöcken, mit denen die Lamas den Gläubigen das Um— ma⸗ayi peme bung! auf die Papierjtreifen ihrer GebetSmühlen und auf die Gebetsfahnen ſtempeln.
Acht geichnigte Holzpfeiler jtüßten durch breite Kapitäle die Zaaldede; fie waren in den Negenbogenfarben bemalt und mit langen Bannern, Kathas oder „Schleiern des Segens“, aus brauner, blauer und grüner Seide behangen.
M ©. 18-40. Die Ober-Camas des Tempels Pemiongtshi; der ältefte dreht eine Gebetsmüßle,
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Rechts wie links vor dem Altare ſtand ein winziges Tiſchchen; auf dem einen befand ſich eine Klingel und ein Tuſchgefäß mit Rabenfedern, auf dem andren lag eine Gebetsmühle. Die breiten, niedrigen Seſſel waren mit Leopardenfell belegt, und an dieſe ſchloſſen ſich niedrige, in der Längsrichtung des Saales geſtellte Bänke. Die genannte Glocke war ich fo glücklich, ſpäter von den Lamas er- werben zu können; ich babe fie meinem Freunde Mar Grube in Berlin verehrt, weil fein Glockenzeichen für mic) jedesmal das Signal zu einem wahren Kunftgenuffe bedeutet.
Lebhafte Bewegung unter den vor dem Tem- pel verfammelten Kulis und Hirten verkündete das Nahen der oberen Lamas, und mit unendlicher Feierlichkeit ftellte mich nun der Sirdar dem ; Sama Gangba Lama Bora vor, einem fehr ro- Mm buften Heren in ſcharlachrotem Lamamantel, über den er noch ein bordorotes Tuch gefchlagen hatte, ma Seine rotwollne, einer Biſchofsmüũtze ähnliche Kopf: PER bedeckung war vorn durch eine gelbgeftichte Platte wird von den Lamas mit
» der rechten Hand geläutel, verziert, Ich ftand einem bedeutenden Herrn gegen- während die Sinte den bar über, denn die Macht dieſes Lamas war bis zur Donnertelt (Dordsch) Annektierung Silhims durch die Engländer jehr vn gewaltig; alle VBergehungen in Sikhim wurden durch feinen Richter: ſpruch an Eigentum oder Leben gefühnt. Verſtöße gegen die Religion Tonnten und fönnen jedoch nur von dem Konfiftorium feines Oberen, des Gott-Menfchen oder Dalai-Lama in Lhaffa, abgeurteilt werden.
Der zweite im Rang war ein musfulöfer, riefenhafter Lama mit fpärlihem Bartwuchs; diefer trug nur eine gelbe Borte um einen Zaden feiner Mütze, zeichnete fich aber, ebenfo wie der oberfte Lama, durch bunte tibetifche Strumpfichuhe vor dem dritten Ober: priefter und der übrigen barfüßigen Priefterfchaft aus. Diefer dritte, ein fteinaltes Männchen in ſchmuckloſer Mütze, fchien der frömmite
Boed, Indiſche Gletigerfahrten. 29
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zu ſein; er drehte während der ganzen Zeit, in der ich ihn ſah, und das waren mehrere Stunden, unabläffig feine Gebetsmühle! Dabei ließ er murmelnd die Kugeln eines Rofenkranzes durch die Finger feiner andren Hand gleiten.
Die beiden oberen Lamas nahmen feierlich mit untergefchlagnen Beinen auf den Leopardenfellen, die andren ebenfo befchaulich auf den Bänten des Mittelganges Platz. Der bemüste Alte hatte fein Tiſchchen dicht bei der Thür und verfuchte, das Glimmen einiger vor ihm in filberner Bafe ftehender Räucherftangen durch Anblafen zu unter- halten. Ich ſetzte mich aufein Polfter, durch das man die niedrige Bank an der Seite ein wenig erhöht hatte, befand mich dort aber faft völlig im Dunkeln. Alsdann brachten eine Reihe von Tempelfnaben glatt- gedrehte Schalen aus Ahornholz herein, die die Lamas ähnlich den Lotosknoſpen der Buddhabilder vor der Leibesmitte auf die Finger: fpigen der linken Hand ftellten; andre Knaben füllten die Tafien aus einer Kupferfanne mit einer dunklen Theebrühe. Der Thee ſchien die mir bereit bekannte, nad) tibetifchem Rezept, das Heißt unter Zufag von Mehl, Butter, Salz und Borar gebraute Suppe zu fein. Dies Getränk wurde ganz gleichzeitig und außerordentlich hörbar in regelmäßigen Abfägen gefchlürft. Die Paufen dazwiſchen wurden durch kurze monotone Sprachgefänge ausgefüllt.
Als zweiter Gang diefes rituellen Mahles erfchien Reisbrei mit Fleiſchwürfeln, die unter noch lautrem Schnalgen, Gurgeln und Puſten vertilgt wurden; auch diefe Mahlzeit wurde durch das Her: ſprechen liturgifcher Strophen unterbrochen. Jedenfalls war dieſes pathetifche Feſteſſen das letzte Grenzgebiet de Erhabnen, bevor e3 ins Lächerliche umfchlägt.
Während die geräufchlos und geſchickt aufwartenden Knaben die Speifegeräte hinausſchafften, ſchien eine Hauptnummer der Yeierlich- feit vorbereitet zu werden. Ein paar rührige Tempeldiener jchleppten gravitätifch ein Bambusrohr voll Milch und drei flache Bambuskörbe herbei und ftellten fie zu meiner größten Ueberraſchung als freund»
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Ichaftliche Spende der Lamas vor mir nieder: in dem einen Korbe lag ein halbes Schwein, in dem andren ein ftattlicher Hügel von Reis und in dem dritten ein ebenfo großer Haufen von gährender Murmwahirfe, dem Bierftoff der Sikhim-Leute. Während der Ober- lama diefe Sachen meiner geneigten Würdigung empfahl, wurden die ſchon vorher von mir bemerkten Mufitinftrumente an die andren Lamas ausgeteilt, und zum Schluß ftellten die Anaben zwei fehr umfangreiche Bambushumpen voll Tſchang⸗ bai-Bier vor mic) und den Tiroler, an deren Saug- röhren eine Schnur mit vieredfigen Stücken von Inufprigem Yalkäfe hing. Nachdem noch ein Tempeldiener eins jener fegelförmigen winzigen Idole in die Mitte des Ganges geſtellt und diejes hernach tänzelnd mittels eines Fafanenflügels aus einer filbernen Schale mit geweihter Milch befprengt hatte, begann ein all- feitiges urfräftiges Näufpern, das etwa wie das Stimmen eines Orchefter8 wirkte. Dann ſetzte plöß- lich, ohne irgend welchen bemerfbaren Dirigenten, ein Konzert von ganz unbejchreiblicher Wirkung ein, denn ähnlich einer fich gegenfeitig enthufiagmierenden Bigeunerfapelle ſchienen diefe Mönche unter dem Bambus-Esop-
pen zum Eaugen von Bann irgend eines Genius nad) und nad) in eine — an raſende mufifalifche Verzückung zu verfallen; die a — Aeußerung der Nervenenergie fo vieler vor Auf- regung fchier außer ſich geratender Leute wirkte mit unmiderftehlicher Gewalt auf mich ein und hypnotifierte mich förmlich.
Silberne Hörner mit langgezognen Tönen und rein gefpielte Flöten gaben die Leitmufit ab, in die jedoch Becken und Pauken und Trompeten aus Menfchenknochen oder weißen Mufcheln fchauder- haft und einfchneidend hineinflangen, während das furchtbare, über: irdifhe Dröhnen zweier fern im Dunkeln geblafner Kupfertubas
IempelsFlöte aus Kupfer mut Türe tifen bejeht; daß Wunpftüd befichtauß Reisitroh.
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von zwei Meter Länge diefe afiatijch rohe Mufit fo verftärkte, daß fie den niedrigen Saal zu zeripren- gen drohte,
Es fiel mir auf, daß das niederfchlagende Beden auf dem andren, dem liegenden Gong, durch mehr oder weniger feſtes Andrüden der Schoßunterlage gegen dies Becken eine überrafchend reiche Abftufung von Tönen und Rlangjchattierungen zu erzeugen und fo eine Hauptrolle zu fpielen vermochte, ähnlich wie die S-förmig gebognen filbernen Schlegel der großen, geftielten Unga-Paufe, die gleichzeitig als vieltöniges Glockenſpiel mitwirkten.
Lange konnte aber mein Trommeljell diejen Anfturm voher, fürchterlicher Tonmaffen doch nicht ertragen, und auch die dicke Rauchluft in dem wohl noch nie gelüfteten Tempel wurde immer beffemmen- der; das tobende Gebaren der Lamas übertraf mäh- rend eines von Zeit zu Zeit mit gradezu elementarer Kraft gebrüllten Kanons fogar die eraltierteften Aeuße⸗ rungen der „heulenden Derwiſche“, fo daß ich mitten zwifchen den freifchenden Fanfaren der Knochenhörner
und de3 wütenden Klingelns und Klapperns und Paufentrillerns aufs fprang, und mic) durch die Draußen in der Vorhalle Laufchenden Kuli- frauen und andren Weibsleuten drängte, die nicht gleich den herbeige- kommnen Hirten und Land- leuten in den Tempel hin: ein durften;tief aufatmend trat ich ins Freie, Wie geblendet prallte ich beim Heraustreten aus dem nad) Oſten liegenden Thore zurüc, denn im Oft Yama, eine tupferne Tempelpofaune blaſend.
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nie im Norden ftrahlte die am Morgen dicht von Nebel verhüllte Hima- fajafette in wahrhaft überirdiſcher Furchtbarkeit, von frifchgefallnem Neufchnee überfchüttet, zu mir herunter; noch einmal fchaute ich dieſen trußigen Hochgebirgsriefen, denen ich noch vor kurzem fo nahe ge: weſen war, in die bleichen zerfurchten Gefichter — dann verhüllten fie fi in den aufjteigenden Wolfen, und ich fah fie nicht wieder.
Mastentänger in der Thür ded Tempels Pemiongtieii.
Durch mein vorzeitige Aufbrechen hatte ich der mufifalifchen Aufführung die Spige geraubt; bei dem Höhepunkte des Spektakels follte nämlich ein greulich vermummter Lama erfcheinen, um mir durch eine jener Dämonenfragen, mit denen fi) die Lamas bei veligiöfen Schaufpielen mastieren, einen heilfamen Schreck einzujagen. Nachdem id) mic nun aber unter Gottes freien Himmel geflüchtet hatte, war da3 auf feine Stichworte lauernde, kopfwackelnde Unge- tüm aus den Kuliffen heraus und mir bis vor das Tempelthor nad):
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gelaufen; als ich es dort im hellen Sonnenfchein, beladen von Flitter- tram und zähnefletjhend mit Händen und Füßen krampfhaft zappeln fah, plaßte ich mit einer recht unheiligen Zache heraus. AL ich nun gar meinen photographifchen Apparat auf diefen priefterlichen Gaufler richtete, brachte ich den ſchon lange keimenden Groll einiger giftig dreinblidender Lamas zum lauten Ausbruch. Selbſt das fonft in Indien nie verfagende Befänftigungsmittel einiger Rupien machte das Geſchrei und den Aufruhr nur noch ärger, und die höheren Lamas ſchienen fich vergeblich zu bemühn, den Aufruhr zu beſchwören. Ohne daran zu denken, daß ein gewaltiger Aufwand von Stimm- kraft den indifchen Völkern ſtets ein fichres Zeichen von bejondrer Macht und Bedeutung zu fein pflegt, donnerte ich dem unverjchäm- teften Schreihals jo klangvoll wie möglich einige der deutlichſten Kraftworte, über die die deutfche Sprache verfügt, in die Ohren, und fiehe da, die Schreier verfrochen fich beſchämt vor diefer Leiftung meine3 Organs, verlacht und verfpottet von den weniger zelotifchen Prieftern. Mit den freundichaftlichften Verfiherungen fehied ich von den Lamas mit Hinterlafjung eines anfehnlichen Zuſchuſſes für ihre Tempellaſſe.
Als ich mich entfernt hatte, kam mir ein jüngerer Prieſter nach: geſchlichen, um mir mit ſchrecklichen Grimaſſen anzudeuten, daß er der talentvolle Träger der Dämonfrage geweſen fei und demnach wohl ein kleines Extra-Spielhonorar verdient habe.
Beim Weiterjchreiten bemerkte ich in der Nähe des Tempels etwas abjeits des Weges einen Schuppen. Ich fand darin einige Weiber befchäftigt, zwei ungeheure, faßgroße Gebetszylinder durch Riemen und Rollen herumzudrehn; fie fehienen jedoch mit einer folchen Mafchine noch nicht ordentlich beten zu Fönnen, denn die Walzen drehten fich bald vor- bald rückwärts, während doch nur ihre vegel- mäßige, dem Lauf der Sonne entjprechende Umdrehung von erlöjender Wirkung fein fol. Da den Lamas im Zölibat zu leben verordnet ift, fiel mir die Anmefenheit diefer gar nicht häßlichen Frauen ein
wenig auf, und das Rätjel ihre3 Dafeind wurde durch ein allerdings nur ganz Kleines Kind, das draußen in einem vieredligen Bambuskorb an dem Afte eines Nußbaumes aufge hangen war und dort hin und her fchaufelte, keineswegs gelöft. Repalifge Zempel-Räugerlompe.
Aus den mir gefpendeten Tafelſchätzen bereiteten ſich die Kulis ein höchſt lukulliſches Mahl. Als der Tiroler ſah, was für Reisberge und Schweinefleiſchmaſſen ſie verſchlangen, bemerkte er ganz verblüfft: „Wenn ich geſund bin, iſt mein Appetit auch unergründlich, aber der Appetit dieſer Raze Leit iſt unglaubwirdig unartig!“
Da ich nichts dawider hatte, daß die Kulis ſich meinen Tſchangbai⸗Stoff in Ströme von Hirſebier verwandelten, hatte ich ein etwas angezechtes Gefolge hinter mir, als ich nad) dem Mittag: effen aufbrad), doch war den armen, braven Leuten wohl diefe Heiter- keit zu gönnen, nachdem fie fo unfagbar harte Zeiten mit mir durchgemacht hatten.
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Fünfundgwanzigfies Kapitel. Heimweg nach Dardſchiling.
DÜ: einzige Perfon in meinem Troß, die die allgemeine Fröh- AL: Lichteit des Heimmarfches nicht teilte, war das mit den Brenn- 2 neffeln fo jämmerlich durchgepeitjchte Weib. Ihre zärtlichen Gatten hatten ihr fogar eine von den andren weggeworfne fteinharte, verbrannte Schweinebratenſchwarte weggeriffen, die fie fich heimlich aufgefucht Hatte, und auch das Saugröhrchen des kreiſenden Tſchang⸗ baiſchoppens war nicht ein einziges Mal an ihre Lippen gelommen; mit was für Neid mochte die arme Heine Frau die gurgelnden, auf- ftoßenden Laute mit anhören, durch die ihre Genoſſen nach Landes fitte ihre tiefgefühlte Zufriedenheit mit den üppigen Tafelfreuden an den Tag legten! Gie führte, nebenbei gefagt, den ſchönen Namen Gidda, wurde aber von Hans recht wenig galant „die Fette" genannt, zum Unterſchied von ihrer Kollegin Koſcho, die er ſehr treffend als die „Harbe“ bezeichnete; in der That hatte fie nichts von dem molligen, vielleicht fogar etwas gar zu zuthunlichen Weſen der rundlichen Gidda.
Daß die unfreiwillige Vermehrung der Gattenzahl für die Bhotijafrauen keinen ſonderlichen Gewinn an ehelichen Freuden mit ſich zu bringen ſcheint, hatte ich auf dem Marſche wiederholt Ge Tegenheit gehabt zu beobachten; ftatt eines Haustyrannen hatten fie deren drei oder mehr. Sobald zum Beifpiel einem von der Ehe“ gemeinfchaft feine Traglaft zu ſchwer wurde, padte er etwas davon
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der allgemeinen Geliebten in den Korb, und ſah das zufällig ein andrer Ehegenoſſe, fo ſchien der zu denken: mas dir recht ift, ift mir billig! und bürdete der Gemahlin auch einiges von feinen fieben Sachen auf, wäre es auch nur eine Dede oder ein Kochkeffel oder ein Büfchel Rhabarber geweſen. Es erjcheint mir danach das Hiftörchen ganz glaubwürdig, das bei meiner Rückkehr nach Dardſchiling dort grade die Runde machte, und demzufolge ein englifcher Sports- man, der von Dardſchiling aus einen Jagdausflug nach Sikhim unter: nommen hatte, im Walde einige Bhotijas angetroffen haben follte, denen eben die Ehegenoffin bei einem Flußübergang ins Waffer gefallen war; anftatt ihr beizufpringen, heulten fie am Ufer herum. As nun der Engländer ſchnell zugriff, dem Weib heraushalf und fie den Ihrigen zuführte, fahen ihn die Herren ganz erftaunt an, ſchüttelten den Kopf und ſagten:
„Nein, Sahib, du haft fie gerettet, nun gehört fie natürlich auch dir!“ -
Und damit follen ſich die wackren Bhotija-Männer feitwärts in - die Büfche gefchlagen haben. Relata refero.
Doch ich fehe ſchon das Hochgezogne Stirnrunzeln eines lieben Freundes, der das Hereinziehen von „Genrehaftem“ in einen ernft- haften Reifebericht für ein Verbrechen wider den afademifchen Geift betrachtet, und fahre deshalb in ber Erzählung meines Heim— marſches fort.
Unfer endlich wieder gangbarer Weg führte zunächſt in füd- weſtlicher Richtung an dem Kulhaitiporn bin, auf dem noch eine andre Lamajerie, das Klofter Sanga-Tichelling, liegt. Dicht bei diefem jaß ein Lama, den unvermeidlichen Hirfebierfchoppen neben fh, und fertigte grade eine Hirfchlare für den Maskentanz an, der zum Neujahrzfeft, das bei den Buddhiſten mit dem Frühlings: anfang zufammenfällt, in allen Tempeln ftattfindet. In den wunder: voll gefiederten Kronen der um den Tempel ftehenden Farnbäume hockten zahlreiche Affen, die dem Künftler zugefehn hatten und nun
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ebenfo neugierig auf meine angeheiterten Kulis herunterglogten und fie mit den zarten Blattwebeln diefer merkwürdigen Farnbäume bewarfen, die an Grazie des Eindrud3 die zierlichften Palmen übertreffen. Nach kurzer Raſt zogen mir weiter und trafen nad) einftündigem Marſch abermals einen Tempel, der Dſchandang hieß. Hier ver: traten mir ein paar ftörrige und bald wütend werdende Büffel den Weg. Ein fchlauer Kuli half mir, indem er vor den Tieren hin und her tanzte und dann auf eine Deffnung des niedrigen, mweit vor:
Lama bei der Anfertigung von Dämonen-Masten; fein Hirfebierfgoppen fept zwilden den Farbnäpfen.
fpeingenden Tempeldachs zurannte, in die er hineinkletterte, al3 der ganze Büffeltrupp hinter ihm herrafte und dadurch den Weg freigab. Während ich auf den geſchickten Burfchen wartete, der mich wirklich aus einer großen Gefahr erlöft hatte, jah ich mich etwas näher bei dem Tempel um und bemerkte einen entblößten, uralten Lama an der Mauer figen, der ſich mit zitternden Fingern das Ungeziefer wegfing. Dergleichen fiel mir aber gar nicht mehr als etwas Beſondres auf, denn fowie meine Kulihorde irgendwo Halt machte, festen ſich Männer wie Frauen in die Sonne, entkleideten ſich und gaben ſich aufmerkſam dem Jagdvergnügen hin.
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Es wäre ein gar fröhliches Wandern durch daS weite prächtige Thal gemwefen, in dem fchönfarbige Schmetterlinge im Sonnenlicht um die Wette flatterten und buntjchillernde Vögel ſchwirrten, wenn ſich nicht läftige Spinngemwebe von ganz ungeheurer Ausdehnung auf Schritt und Tritt wie dicke Spißenvorhänge über den Weg gezogen hät- ten, der durch üppig wuchernde Gruppen von Bambus und Ba- nanen führte. Die ftarfen Fäden diefer Spinnmwebnege ſchil⸗
Terten wie Metall, und . die maffenhaft darin verfangnen grünen Heuſchrecken und herr: lichen Libellen glißer- ten in allen Regenbo- genfarben. Einer der Kulis Töfte eine folche vertrocknete Riefen- heuſchrecke aus dem Netz, knackte fie aus- einander und ſchluckte Alter Lama. den Inhalt hinunter.
Vielfach gewunden führte der Weg aus diefer arfadifchen Land- {haft um und über einen Bergrücken in eine fühle Waldſchlucht; hier vereinigte fich ein Gießbach mit einem breiten Wafferfturz zu einem großartigen Wafferfall, über deſſen Schaummafjen fih ein doppelter Regenbogen mwölbte. Dann ſenkte ſich der Pfad durch Neisfelder, in denen die grünen Halme jchon vor dem Abficheln in
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Büchel zufammengebunden ſtanden, zum Waſſerlauf des Peret-Tſchu,
deffen fteiniges Bett auf einer Baffam, einem ſchwanken Brückenfteg aus langen Bambusftangen, überfchritten wurde.
Am rechten Ufer fchoffen zwifchen Schilf und Farnkräutern
zwei gewaltige Bäche von der Vergrippe hinunter, die nun zunächſt
überfchritten wer:
den mußte und ſich,
gleich den früheren,
vondemSingalela:
famm al3 gemein:
famem Rückgrat
nad Oſten ab-
zeigte. Die Blöde
in diefen fchmalen,
abertobenden Waſ⸗
fern waren faft fo
rund wie Kugeln
und erlaubten fei-
nen feften Sprung,
für dag Durchwa⸗
ten aber war ber
Bach viel zu tief
und zu reißend.
Die Kulis mußten
Vamdus-Brüde bei HL. aud) hier Rat. Sie
baftelten aus aller-
lei Knüppeln und Bambusrohr mittels Rottang Steige zufammen, fo
daß wir bei einbrechender Nacht hinüber gelangten. Natürlich wollten
die Kulis dort fofort in den fumpfigen Reisfeldern das Lager auf-
ſchlagen, und fie fchienen auch wirklich ſehr übermüdet zu fein, aller»
dings weniger von den jeßt weit geringeren Marfchbeichwerden als
vielmehr durch die Schlemmereien der letzten Tage. Meine Borftellungen,
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wie fiebergefährlich das Nächtigen auf diefen verfumpften Feldern wäre, blieben vergeblich. Ein richtiger Streit brach aus, und ich ſah mich zu einer Kriegslift genötigt. Ich ſfteckte den beiden willigſten Kulis einen Bakſchiſch zu, hieß fie den Proviant der Tärmend zurüd- bleibenden andren Kulis aufpaden und ftieg mit ihnen die ſehr lehmigen, fteilen Feldwege empor, die und nad einer Stunde in die Nähe der Pfahlbauten des Dorfes Hi führten. Vielfach vannten uns auch bier nächtfich mweidende und im fahlen Mondlicht als fürchterlich verzerrte Ungeheuer erfcheinende Büffel entgegen, die man in die hohen Reisftoppeln getrieben hatte, nachdem von den Halmen nur die Aehren abgepflüct waren. Ueber alle Befchreibung entſetzlich war aber das Geheul der uns wütend umfpringenden Hunde, das die beftürzten Dorfbewohner vor ihre Thüren lockte. Der Ortsvorfteher ließ die Hunde fefthalten und hielt es für ratfam, fi) bei mir auf alle Fälle dur ein Gefchen? von einigen Fafaneneiern, Orangen und Bananen in Gunft zu feßen; auch der unvermeibliche Tiehangbai- Bierfchoppen wurde alsbald vor mich hingeftellt, Diesmal zur Abwechs- hung aber nicht mit Hirfe-, fondern mit Maisfchrotaufguß gefüllt.
Meine Vermutung traf zu; der von mir entführte Proviant 30g die ftreifenden Kulis aus den fumpfigen Feldern magnetifch hinter mir her. Der Deckenträger verlief ſich freilich dabei in feiner Trunkenheit und der Zeltkuli ftolperte mit feiner Bürde in einen über- bufchten Graben, jo daß ich ohne Zelt unter offnem Himmel liegen und mich mehrere Stunden unfreiwillig mit den füdlichen Sternbilbern, der phantaftifchen, von Glühmürmern ducchftreiften Nathtlandfchaft und dem beftändigen Trommeln und Pauken aus den Lamaklöftern auf den umliegenden Bergen unterhalten konnte, bis ich auf dem Bündel Reisſtroh, das mir der mitleidige Bürgermeiſter gebracht hatte, in Schlaf ſank.
Eine holprige Büffelſpur brachte una am nächſten Morgen in drei Stunden auf die Paßhöhe des Hi-La, die in der üblichen Weife durch einen mit Gemwandfegen ausgepußten Steinhaufen bezeichnet
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mar. Daneben lagerten einige mit Pfeil und Bogen bemwehrte Leptichajäger und verzehrten ihr Frühmahl in Gejtalt einiger Rettiche und andrer roher Wurzeln. Selbft ein kaum zehnjähriges Bürſchchen mit großen, nicht in Metall gefaßten Türkisjteinen im Ohrläppchen, der ein blutrotes Kopftuch um die pechichwarzen Locken gewidelt trug, mar mit einem Miniaturbogen und einem winzigen Köcher ausgerüftet, mas zufammen mit feinem weiß und blau geftreiften Hemdchen einen ganz reizenden Eindruck machte.
Troß des Novemberd war es drüdend heiß, al3 wir durd) das Heine Dorf „Sorräh" kamen. Auch hier begrüßte man uns mit ungeheucheltem Erftaunen wegen des glüdlichen Gelingens unſrer Neife. Ich verfuchte in einigen der meiftenteil8 gemauerten und weiß getünchten Häufer etwas Zucker aufzutreiben, wonach ich ein merf- würdig lebhaftes Verlangen trug, doch war das ein vergebliches Be- ginnen, weil hier der Thee ja nicht gezudert, fondern gejalzt wurde. Inzwiſchen lief ein Junge aufgeregt von Haus zu Haus und verbreitete die Nachricht von unfrem Erfcheinen, jo daß, als ich das Dorj verließ, etwa zwanzig bralle Bhotijadirnen 'auf einem überdachten Brettergeräft an der einen Straßenfeite und ungefähr ebenſoviel auf einer treppenförmigen Terraffe auf der andren hodten, um mich vecht gründlich aus nächiter Nähe zu muftern; derartige Tribünen dienen bei den hier beliebten Büffellämpfen zum Zuſchauen.
Die übermütigen Mädchen waren nad) europäiſchen Begriffen wohl etwas unverftoren, als fie bei meinem muntren Gruße von ihren Tribünen herunterturnten, um meine Kleidung, das heißt den gerippten Manchefterfammt meiner Joppe zu betippen und fi an diefem Streicheln maßlos zu ergößen; ihre mächtigen um die Schultern geichlungnen Münzenketten Eimperten den Takt dazu. Sie erdrüdten mich förmlich durch) das Aufdrängen von Singdolas, das heißt grün- ſchaligen Apfelfinen und roten Parakris, die freilich feinen hohen Wert hatten, denn ich faufte am nächften Tage etwa vierzig diefer orangen= ähnlichen Früchte für zwei Anna, aljo für fünfunddreißig Pfennige.
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Den ganzen Nachmittag mußten wir wieder durch dumpfige, laue Sumpfluft neben Reisfeldern entlangmarſchieren; nur mit Widerwillen und Beſorgnis atmete ich dieſen Fieberduft, und als die Kulis, um baldmöglichſt ihre Heimat Dardſchiling zu erreichen, einen cut short, wie der Engländer fagt, alfo einen Richtfteig einfchlugen, der ent- feglich verwildert war, genoß ich nochmals ſummariſch alle die Freuden, die das Klettern, Kriechen, Rutſchen und Fallen auf bald verwachſnem, bald unterfpültem oder verfumpftem Bergweg in Sikhim mir ſchon fo häufig befchert Hatte. Zu meiner Genugthuung konnte ich aber doch ſchon gegen jech Uhr das Belt in dem leidlich trocknen Sande de Rangban-Flufbettes aufftellen, halb froh, halb bedauernd, daß dies vorausfihtlih das letzte Biwak meiner mwechjelvollen Reife war.
Diefe lebte Nacht wurde nun freilich eine der unangenehmiten, die ich jemal3 im Zelte verwacht habe. So zweckmäßig das leichte, Heine, luftdichte Zelt im Falten Hochgebirge war, fo wenig eignete e3 fi für fo ſchwüle, fumpfige Thäler, denn e8 befaß weder Venti- lation noch Raum genug, um ein elbbett der dergleichen darin aufzuftellen. Ohne erhöhte Bettftellen ift aber das Schlafen auf dem verderblihen Boden Indiens und der niedren Teile des Gebirges außerordentlich gefährlich.
Die Täftigen und giftigen Pipfis-Stechfliegen, die Käfer, Storpione, Taufendfüße, Blutegel und Spinnen Sikhims fchienen e3 förmlich zu ahnen, daß ich ihr merkwürdiges Gebiet zu verlaffen im Begriff ftand, und gaben mir mit tragitomifcher Einmütigkeit auf meiner Haut, meiner Schlafdecke und an den Zeltwänden ein ge- ſchäftiges Abfchieds-Stelldichein ; jo rührend Anhänglichkeit ſonſt fein mag, auf dieje hätte ich wahrhaftig gerne verzichtet!
Während ich fchlafloes dem Krabben und Schleichen und Rnabbern laufchte, das ſich in dem Zelt und unter feinem Boden bemerkbar machte, dachte ich über den fchnellen Wechjel der Glücks— empfindung in den indifchen Alpen nach, deren hinreißende Schönheit
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mein zu aufflammenden Sympathieen nur zu fehr geneigte Naturell ebenjo lebhaft empfunden hatte, wie es jeßt von diejen unvermeidlichen Schattenfeiten angewidert wurde. Der Tiroler hatte wirklich ganz recht: ich war für diefes Land viel zu „elelhaft"! Nah und nad fühlte ich ein Hitiges Fieber über mich fommen, und dann überfiel mic) ein ganz feltjamer Zuſtand. Mit Blitzesſchnelle jagten alle bebeutfamen Momente nicht nur meiner Reife, fondern meines ganzen reich bewegten Lebens durch mein glühendes Gehirn; dann überfam mid) eine” ftumpfe Mattigfeit, und eisfalter Schweiß perlte mir ſtrom⸗ weife von der Stirn. Ich fpürte, daß mein Verbleiben an dieſem Ort eine ſchwere Erkrankung heraufbeſchwor, vermochte mich aber nicht mehr zu erheben. Doch als der breiige Boden unter dem Zelt durch das darunter wühlende Gewürm in immer Iebhaftere Be- wegung kam, raffte ich mich doch mit der letzten Kraft zufammen, erhob mic und trat aus dem dunftigen Zelt in die laue, neblige Nacht.
Es war no nicht einmal drei Uhr, und die Kuliß zeigten mir ſehr unwirfche Gefichter, als ich fie von unfrem Tang-Bang genannten Raſtplatz und aus ihrem Verſteck unter allerlei Zweigen und Matten hervorſcheuchte und aufpaden ließ. Doch der unmiberftehliche Klang de3 ftet3 nüßlichen Wortes Bakſchiſch unterftüßte mich auch diesmal erfolgreich.
Meine Zufihrung, daß bei der Heimkehr alle meine Decken und andren Reiſegeräte den Kulis zufallen follten, wirkte Wunder, und unter feherzhafter pantomimifcher Andeutung, wie behaglich fie fi) in den warmen Steppbedfen des gejtrengen Sahib herummälgen würden, ftritten ſich die Rulifrauen fehon um mein Erbe, noch ehe, ich tot, das heißt glücklich wieder in Dardſchiling angelangt war. Beſonders hart geriet die Kulifrau Gidda, „die Fette", mit Koſcho, der „Harben“, wegen meines Kopfpolfters aneinander; mein falo- monifcher Schiedsſpruch, daß die Fette den fchönen Weberzug, die Harbe das innre Kiffen befommen folle, ſchien fie mit ftaunendem Reſpelt vor meiner Weisheit und Gerechtigfeit zu erfüllen.
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Mir war aber gar nicht jcherzhaft zu Mut, als wir bei Fadel- ſchein fo frühzeitig aufbrachen. Begreiflicherweile ſchien der ver- ſchlafne Sirdar, der feinen Troß längs des überbufchten Ufers im Waſſer Hintrieb, den Weg verfehlt zu haben, doch wirkte dies kalte Fußbad im Bach ſo mohlthätig auf mich, daß ich ihm nicht grolite. Ich hatte ihm aber wohl unrecht gethan, denn in der Ferne des dampfenden Thales tauchten Lichtpunkte auf, und beim Näherkommen zeigte fich, daß fie von Fadeln herrührten, die aus Dardſchiling heimkehrende Marktleute in den Händen trugen; auch fie mateten fnietief im Waffer. Die Leute erzählten dem Sirdar, daß man auf dem Bazar in Dardfchiling ſchon feſt überzeugt fei, daß wir insgefamt bei dem letzten Schneefturm im Gebiete der Bergbämonen umgefommen feien.
Mit Beſorgnis fühlte ich, wie die Fieberluft in meinem Körper nachwirkte, der durch die unerhörten Reifeftrapazen, durch die unaus- gejeßten Nervenerregungen und Stimmungswechjel bald durch himmelhoch jauchzende Freude, bald durch Verdruß, Schmerz und Ekel mehr als erträgliche Anfpannungen ausgehalten hatte. „Was Sie derleiden, berleidet fein andrer Stadtherr, fein einiger!“ hatte ja oft genug der Tiroler ftaunend ausgerufen, wenn jelbit ihm die beifpiellofen Zumutungen, die auf Indiens Alpen an feine Energie geftellt wurden, zu „unartig” wurden.
Nun am lesten Marichtage glaubte ich aber doch zufammen- knicken zu follen. Ein unheimliches Etwas ſchien mir durch das Mark zu rinnen, und nur mit Aufwand aller Kräfte konnte ich mich noch vorwärts ſchleppen; es war mir faft unmöglich, die ungeheuren Granitblöde im Flußbett und die darüber gelegten ſchwankenden Bambusftege zu überflettern.
Im Morgengrauen kamen wir an einem Knäuel dicht beieinander fagernder Menjchen vorüber, der ſich bei unfrer Annäherung haftig auseinanderrollte; ein Häuflein muntrer Sikhim-Frauen widelte ſich draus hervor. Ohne männlichen Schuß hatten fie hier auf ihrer Heim- wandrung vom Markt zu Dardfchiling übernachtet, unbejorgt um
Boed, Indifhe Gletſcherfahrten. 30
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Beraubung, trotzdem jede durch ihren Schmuckbehang klirrender Rupienketten ein wanderndes Barkapital vorftellte.
Obwohl uns nur noch wenige Meilen von Dardſchiling trennten, waren die Wege und Brüden, die dem Marktverfehr dorthin dienten, in ziemlich vermwahrloftem Zuftand. Stellenweis bequeme gangbare Stredten bewiefen allerdings, daß die Steige zwar nad» gebeflert würden, daß aber menfchliche Bemühungen den Verheerungen duch die Fluten der Regenzeit feinen nennenswerten Widerftand entgegenzufegen vermochten.
Nach einigen Stunden erreichten wir den Rangitfluß, den wir auf einer neuen Drahtjeilbrüde überfchritten.
Ein bunt mit Gebeten bemalter Steinblod bot dort den Kulis hochwillkommne Gelegenheit, durch reichliches Aufhängen von Gebets wimpeln in den Zweigen eines daneben ftehenden Baumes, fomie durch Tarbringen von Blumen, Zweigen und Früchten ihrer Freude über unfre glüctliche Heimkehr fihtbaren Ausdrud zu geben, denn der Rangitfluß umfpült bereits die Bergzunge, auf der Dardfchiling liegt.
Während diefer Raſt verfuchte der Tiroler, gleich mir, fein ver- verwildertes Aeußere ein Mein wenig zivilifierter zu geftalten, doch das mar ganz vergeblich! Vier Wochen waren wir in fein orbent- liches Bett, ja nicht einmal aus unfren Kleidern herausgekommen, und der Zujtand unfrer Kleidung verriet deutlich, daß unfre Wanderung durch Sifhim fein Spaziergang durch eine Pappelallee geweſen war.
„Wir find gar zu armfelig derlumpet, derfegt und derpirjct,“ lamentierte der Tiroler unausgefegt, als er kopfſchüttelnd feine ſchwie ligen Hände jinfen ließ und es aufgab, alle offnen Schäden und fehler den Knöpfe an feiner eifenfeiten Joppe zu ergänzen. Als er ſich aber mit dem Mute der Verzweiflung daran machte, auf einem ganz unaus- fprechlichen Kleidungsſtück ein ganz anders gefärbtes Pflafter aufzufliden, mußte ich doch in ein helles Gelächter ausbrechen, da8 mir aber einen ftrafenden Blid und die unbeftreitbare Belehrung eintrug:
„Etwas ift etwas, und nicht3 ift nichts!”
©. 4686-87. Bhotija-Mädchen, Gebetawimpel aufhängend; ihre Oprringe bejtehn au:
ber und Türtifen.
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Von diefer Hängebrüde. führte ein breiter guter Reitweg durch viefige Theegärten in fehr bequemen Zickzackwindungen nad dem 5000 Fuß höher gelegnen Dardichiling empor. Das plögliche Er: kranken in der letzten Nacht hatte mich aber dermaßen angegriffen, daß ich unterwegs an dem Bungalo der Theepflanzung Tugvar Halt machte und bei dem Beſitzer um die Erlaubnis bitten ließ, darin aus= ruhen zu dürfen. Die Dienerfchaft mar über unfer räuberhaftes Ausfehn fo entjegt, daß fie mich faum anzumelden wagte. Hätte ich damals ſchon gewußt, wie erfreut inbifche Theepflanzer auf ihren einfamen Plantagen über jeden europäifchen Beſuch zu fein pflegen und mie unbegrenzt ihre Gaftlichfeit ift, würde mich die rührend forgfältige Pflege vielleicht etiwaS weniger überrafcht haben, die mir der Haus- herr, ein dänifcher Gentleman von echtem Schrot und Korn, an: gedeihen ließ, nachdem er gehört hatte, was für eine Alpenfahrt hinter mir lag. Nie kann ich ohne die innigfte Dankbarkeit an diefe erquickende Erholung im Kreife der Familie Chriftenfen zurücdenfen!
Wunderbar geftärkt ſetzte ih am Nachmittag meinen Weg nach) Dardſchiling hinauf fort, wo ich eintraf, als eben die Schneefelder des nun wieder fo fernen Hochgebirges in den letzten Sonnenjtrahlen verglühten. Still und gerührt meidete ich mich noch einmal an diefem unvergleichlichen, unvergeßlichen Bilde.
Während diefer Betrachtung überhörte ich ganz das Nahen einer Dame, die dort am birch hill promenierte. Es war die mir bereit3 befannte Gattin des deutfchen Uhrmachers in Dardfchiling, deren faft erſchreckter Ausruf: „Herrgott, wie fehen Sie denn aus?" mid) aus meinem Sinnen herausriß und mir zum Bewußtſein brachte, daß meine Außenfeite mit den in einer fo eleganten hill station üblichen Formen wohl nicht ganz übereinftimmte. Ich fehien in meinem Näuberzivil nach dem beſonders bei den Engländern in Indien geltenden Sprüchlein, daß „Kleider Leute machen“, auf der legten Stufe der Dafeinsmöglichkeit angelangt zu fein. Als ich mich nachher in einem Spiegel befah, wollte ich zuerſt gar nicht glauben,
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daß ich mit der mir aus dem Spiegel entgegenſtaunenden Vogel- ſcheuchen⸗Spottgeburt befannt fei.
Zu meiner Beruhigung begegnete ich ein paar gräßlich zerlumpten Bettelmönchen, die unftreitig noch ſchrecklicher ausjahen als ich mit meinen Getreuen. Bor Freude über dieje Gemißheit warf ich dem bieten blödfinnigen Trottel, der ohne Aufhören eine ſchmierige lederne Gebetsmühle drehte, eine Rupie in feinen Bettelſack, worauf fein
Kumpan auf einer
Trompete, die aus
einem Menſchenkno⸗
Ken gemacht war,
fo danfbarlich tutete,
daß ich Hals über
Kopf davonrannte.
Beim St. Jo:
ſeph Colleg erwar-
tete mich der Pater
Schäfer; in feinem
herrlichen Bollbart
ſah er aus wie der
unvergeßliche Nie-
Yuddpifiiige Bettel-Mufifanten. mann als Tannhäu⸗
ſer. Die Kulis hat⸗
ten ihm bereits meine glückliche Rückkehr gemeldet, und obwohl er
ſich bei einer Miſſionsreiſe den Fuß gebrochen hatte, wollte er es ſich
doch nicht nehmen laſſen, mich ſelbſt zu bewillklommnen. Bald ſaßen
wir in feinem freundlichen Studierzimmer bei einem Glafe herrlichen
portugiefifchen Rebenſaftes, und ich konnte ihm von der fernen herz=
bewegenden Wundermelt des Kanſchendſchunga vorſchwärmen, deren
ſchneeweiße Felder noch von dem zauberhaften Reiz des Wenig- gefannten umſchwebt find.
Draußen auf dem Marktplag, ja felbft in der Umgebung,
©. 108-0, Volksmenge, die den Berfaffer bei der Rüdtehe von Kanſchendſchunga begrüßt; vorn tibetilhe Mufitanten und Mastentänger, daneben einige europäilde Xheepflanzer mit Eonnengelmen,
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hatte ſich inzwiſchen ſchon das Gerücht meiner ſo glücklich abgelaufnen Reife als Bazargeſpräch mit Windeseile verbreitet, und wohin ich nun fam, ftanden wahre Volksmauern, um mich anzuftaunen, denn daß mir die Buths, die böfen Bergdämonen, nicht Doch noch ſchließlich meinen weißen Hal3 umgedreht hatten, ſchien den braunen Leutchen ein uns begreifliches Wunder. Durch eine tibetifche Schamanenhorde, die grade nach Dardſchiling gelommen war, ließ mir ein befreundeter Theepflanzer ſogar einen großartigen Bewilltommnungstanz darbringen, der mir durch ihre ſeltſamen blauen, mit weißen, glüd- bringenden Kaurimufcheln beſetzten Tuchmas⸗ fen, ihre unerhörten Zuftiprünge und noch mehr durch die furchtbare Muſik der Bande zeitlebens unvergeßlich bleiben wird.
Nach meinen Nachtlagern auf Geröll und Schnee und Ei und Sumpf und nad) den einfachen, faſt dürftigen Geniffen meiner Biwakküche erfchien mir das Hotel Woodland wie ein Land, wo Milh und Honig floß. Weit erquidender war aber für mein nur IN noch an die robuften Geftalten dreifter Kuli- weiber gewöhntes Auge die liebreizende Tafel-
runde, die zu jener Zeit Dardſchiling mit Zibetifhe Shamanen- ihrer Anmut verflärte. Auch eine deutjche m. Aeurimahen sek
Dame war darunter, doch wage ich nicht, hier
ihren Namen zu verraten. Manch freundlicher Blick bewies mir dort,
daß felbft diefe zarten Frauenherzen nachfühlten, mas für herrliche Weiheftunden meine Seele in der wunderbaren Alpenmwelt gefeiert haben mochte, die am Horizont von Dardichiling emporragt.
Mit mwachjender Freude rief ich dann in ftiller Nacht beim rötlichen Schimmer der photographifchen Lampe die Formen des Hochgebirge3 hervor, in dem mir zu wandern vergönnt gewefen war. Doch ad, nur ihre Umriffe konnte ich feithalten und dem Lefer
bier vorlegen; der Odem des Weltſchöpfers, der mich in jenen Tempeln der Natur ummeht, der heilige Schauer, der mich angeſichts diefer unermeßlichen Naturſchönheit durchriefelt Hatte, vermag nicht aus diefen Bildern zu fprechen. —
Iſt es mir gelungen, die Eigentümlichkeiten der indifchen Alpen welt in anfchaulicher Weife zu jchildern und vielleicht auch ein weniges von dem, was mich bei Leid und Luft in ihren Tiefen und auf ihren Höhen bewegt hat, im Gemüt des freundlichen Leſers mit- Mingen zu lafjen, jo betrachte ich meine Aufgabe als erfüllt. Alen Eindrüden völlig gerecht zu werben, konnte mir fehwerlich gelingen, denn ſchon der uralte indifche Sang der Manas-Khanda Purana rühmt den unfagbaren Zauber des Himalaja mit den Worten:
„Hunderte von Menjchenaltern reichen nicht hin, die Herrlichkeit des Himachal auszuerzählen. Wie der Tau vor der Morgenfonne zerfließt, fo vergeht alles Gemeine beim Anblick dieſer ewig reinen ‚Heimat de3 Schnees‘!"
Altarlöwe; Repal,
Übersichtskarte
zu | — DBOECKS REISE II — im westlichen Kg, CENTRAL- HIMALAYA.|| N ” Maßstab 1:376.000 we * ⁊ fi — a 2 —E ge — — — Kilometer TTS DT Boccks Reiseroute “ | i Me a beseichnet: trigenometrisch bestimmiz,- | I % barometrisch gemessene Höhen, die in engl. Fuss | !
o bedeutet
Hirtenplatz oder Dorf, xLagerplata, Pass, Gletscher
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Deutsche Verlags- -Anstalt.in Stuttgart.
Alpine Prachtwerke ersten Ranges,
Wanderbilder dus den Dolomiten von Theodor Wundt. Herausgegeben von der Sektion Berlin des Deutschen und Oesterreichischen Alpenvereins. In Farben gesetst von Maler Professor G.lerätle.
16 Lahtäreehtaeln (davon 8 mehrlarbig) In Imparlalfermat nach pheisgraphischen Origlal-Iefuahmen mit Ilneeiertem Pet. In hocheleganter Mappe „4 30.—
Ein Prachtwerk allerersten Ranges. welch
Ein Werk, das nicht nur die Bergsteigerwelt das Entzücken aller Kunstfreunde, insbeson- | 'sseln wird, sondern das auch als eine Fost- dere aber der alpinen Kreise, erregen wird. gabe Seelgmot erscheint, wie sie in Inhalt und Nitkeitungen vornehmer Ausstattung nicht achöner gedacht
Ipenvereins, Berlin. | werden kann. Illustrirte Zeitung, Leiprig.
des Deutschen
- i Probe einer der kleineren Illustrationen aus „Wanderungen in den Ampezaaner Dulomiten“,
Wanderungen in den Ampezzaner Dolomiten von Theodor Wundt.
Herausgegeben von der Sektion’ Berlin des Deutschen und Oestorreichischen Alpenvereins. Mit 71 Text-Ilastrationen, 38-Einschaltbildern und einer farbigen Karte, Zweite Auflage. In farbigem Original-Einband ‚4 20.
Wundt ist nicht nur ein kühner Bergsteiger, sondern auch oin origineller Schilderer, der durch die lebendige Darstellung scinor Rriebnisse packend und spannend auf den Leser einwirkt und last not least seinen Darstellungen durch die inmitten der schwierigsten „Arbeit gemachten photographischen Aufnahmen eine geradezu dramatisch, zu nennende Wirkung verleiht. st für Alle, Mönchen.
Grandioses Prachtwerk
2 Blatt mitScenen aus | Wir behalten vom ganzen Prachtwerk den Carlsbad. dem Badeleben, lund- Eindruck, dass Carlshad in W. Gause den be- sehaftlichen und architektonischen Ansicht rufensten Maler gefunden hat, der im klaren in Kupferdrucken nach Oelgemälden von W. | Spiegeliseiner Kunst das Bild des internatio- Gauso. In feinster Prachtmappe mit Titelbild | nalen Weltkurorts treu, heiter und wahr fest- in farbigem Lichtdruck, 4 10.— hielt. Allgemeine Kunstchronik, Leipzig.
Zu besiehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes,
Deutsche Verlags-Anstalt in Stuttgart.
Illustriertes Prachtwerk ersten Rang:
und Pracht de Ausstuttung eine der vrossartigeien Leistungen des deutschen Bücher- marktes. Deutsche Kundschm, Bern
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ı ersten Künstlern. ben
Sbers, t-llustrationen arten.
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h mach und nach in nreh jede Buckbaad- worden,
nten Ranges. ein Richtung. sowob! n Inhalt als die ng der beigegebe- ifft, kaum zu über- ne Zeitung, Berlin. ırch das
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