7, Beiheft zum Jahrbuch der Hamburgischen Wissenschaftlichen Anstalten. XXXI. 1914. Mitteilungen aus dem Seminar für Sprache und Kultur Chinas zu Hamburg. Zwei wichtige literarische Erwerbungen des Seminars für Sprache und Kultur Chinas zu Hamburg. Von Professor Dr. ©. Franke, Direktor des Seminars. In Kommission bei Otto Meissners Verlag Hamburg 1915 (. Beiheft zum Jahrbuch der Hamburgischen Wissenschaftlichen Anstalten. XXXL. 1914. Mitteilungen aus dem Seminar für Sprache und Kultur Chinas zu Hamburg. Zwei wichtige literarische Erwerbungen des Seminars für Sprache und Kultur Chinas zu Hamburg. Von ‚ Professor Dr. ©. Franke, Direktor des Seminars. In Kommission bei Otto Meissners Verlag Hamburg 1915 Zwei wichtige literarische Erwerbungen des Seminars für Sprache und Kultur Chinas zu Hamburg. Von Professor Dr. ©. Franke. Durch die Freigebigkeit eines wissenschaftlich interessierten Ham- burger Herrn, der seinen Namen nicht genannt zu sehen wünscht, ist es dem Seminar für Sprache und Kultur Chinas ermöglicht worden, zwei chine- sische Werke zu erwerben, die in ihrer Art einzig dastehen, und zwar nicht bloß in der Literatur Chinas, sondern, wie man ohne Übertreibung sagen darf, in der aller Völker und Zeiten. Es sind zwei gigantische Sammelwerke oder Enzyklopädien, von denen jedes allein schon eine stattliche Bibliothek darstellen würde. Leider ist aber nur das eine von beiden vollständig erhalten, während von dem anderen bloß eine winzige Probe in den Besitz des Seminars gelangt ist; indessen hat auch diese, wie aus dem Folgenden hervorgehen wird, einen beträchtlichen Wert. Es handelt sich um die beiden neuerdings auch in Europa öfters genannten Riesen-Enzyklopädien Yang-lo ta tien und T’u schu tsi tsch'eng. Einige Mitteilungen über die Entstehung und die Art dieser Werke werden vielleicht in weiteren Kreisen Interesse finden!). I. Das Yung-lo ta tien. Über die Geschichte dieser Sammlung stimmen merkwürdigerweise die chinesischen Nachrichten nicht durchweg überein, und was uns die ein- heimischen Geschichtswerke, der große kaiserliche Bibliotheks-Katalog von 1782 und sonstige Aufzeichnungen darüber berichten, erweckt den Eindruck, als habe die Enzyklopädie bei dem konfuzianischen Gelehrtentum nicht die Wertschätzung gefunden, die ihr nach abendländischen Begriffen zu- kommt. Wir werden aber sehen, daß die Ursachen dieser Erscheinung. zum Teil wenigstens, außerhalb der sachlichen Kritik gesucht werden müssen. Der Kaiser T'ssch’eng Tsu von der Ming-Dynastie, der unter der Devise Yung-lo von 1403 bis 1424 reeierte, beschloß bald nach seiner Thron- besteigung, alles, was es den Katalogen der früheren Dynastien zufolge an ') Die geschichtlichen Angaben in den nachstehenden Mitteilungen sind zum größten Teile folgenden chinesischen Werken entnommen: Ming schi (Annalen der Ming-Dynastie) Kap. 98, fol. 7 v°f. Kin ling sse ku ts’üan schu tsung ma (Kaiserlicher General-Katalog: der Bibliotheken) Kap. 137, fol.24 r°#f. Tscheng huai yuwan yü (Aufzeichnungen des Groß- Sekretärs Tchang T’ng-yü) Kap. 3, fol. 9 v° f. Kuo sıi hüe pao Jahre. IV, Abt. „Literatur“ Heft 5, Nr. 49 fol. 8r° ff. 5) 0. Franke. Literaturwerken geben mußte, im Reiche aufkaufen und in seine Bibliotheken bringen zu lassen. Das Unternehmen fiel nicht zu seimer Zufriedenheit aus, vermutlich befand sich vieles in Privatbesitz und war nicht zu veräußern. Der tatkräftige Kaiser faßte deshalb den Plan, die gesamte Literatur in allen ihren Gattungen, mit Einschluß sogar der Schriften des heterodoxen Buddhismus und Taoismus, abschriftlich in einem einzigen gewaltigen Werke zusammenzufassen und dies der Nachwelt zu überliefern. Noch im Jahre 1403 erging ein entsprechendes Edikt an den Präsidenten der Han-lin- Akademie, und nach etwas über einem Jahre wurde bereits das Werk dem Kaiser vorgelegt. Zwar hatte ein Stab von 147 Gelehrten daran gearbeitet, aber die Arbeit kann bei dieser Kürze der Zeit natürlich nur in einer Zusammenstellung ausgewählter Schriften bestanden haben. Die Sammlung, die den Namen Wen hien ta tsch'eng, d.h. „Große Sammlung der Literatur- denkmäler und Weisheitsschriften“ erhielt, stellte sich bald als ganz un- zureichend heraus. Ein neuer Ausschuß wurde eingesetzt, der nach einem weit umfassenderen Plane zu arbeiten hatte, und dieser schuf nun mit einem Stabe von 2169 Gelehrten ein neues Werk, das im Jahre 1407 dem Throne unterbreitet wurde und den Namen Yıng-lo ta tien, d.h. „Großer Kanon von Yung-lo“ erhielt. Die Angaben über den Umfang dieser riesigen Sammlımg schwanken: die Annalen der Ming-Dynastie nennen 22 900 Bücher, eine andere Chronik gibt die Zahl 22211; der kaiserliche Katalog von 1782 erklärt beide Angaben für falsch und stellt auf Grund des ursprüng- lichen Vorwortes fest, daß die Zahl der Bücher oder Abteilungen 22 377 war, wozu noch 60 Bücher Register kamen, so daß das Werk im ganzen 22937 Bücher umfaßte. Die Form, in der die Enzyklopädie im Jahre 1407 vorgelegt wurde, kann nur ein Konzept gewesen sein, d.h. vermutlich eine Sammlung von Texten, die teilweise schon gedruckt, teilweise aus Druckwerken ausgeschrieben waren, denn sobald das kaiserliche „Placet“ erteilt war, erging die Verfügung, nunmehr das Ganze nochmals einheitlich abzuschreiben, damit danach die Holzplatten für den Druck hergestellt werden könnten. Diese Arbeit war im Sommer 1409 beendet, und alsbald begann nunmehr die Zuschneidung der Holzplatten und der Druck. Im Verfolg dieses Unternehmens stellte es sich aber heraus, daß die Kosten unerschwinglich werden würden, und so gab man den Druck notgedrungen auf: das Riesenwerk mußte Manuskript bleiben. Was aus den fertigen Platten und den Druckabzügen geworden ist, weiß niemand zu sagen; indessen soll der auch in Deutschland wohlbekannte, im Jahre 1911 ermordete Staatsmann Tuan Fang behauptet haben, daß ihm ein Exemplar davon zu Gesicht gekommen sei und daß der Druck schon mehrere hundert Bände gefüllt habe. Als dann einige Jahre später der kaiserliche Hof von Nanking nach Peking verleet wurde, kam auch das Yung-lo ta tien, und zwar an- Zwei wichtige literarische Erwerbungen. 3 scheinend schon 1419, mit den übrigen Beständen der Palast-Bibliotheken nach dem Norden und fand seinen Platz in eimer Halle des Stadt-Palastes von Peking. Einen neuen Druckversuch hat man in der Folgezeit nicht wieder unternommen, wohl aber wurde im 16. Jahrhundert noch ein weiteres Exemplar handschriftlich hergestellt. Der Kaiser Schi Tsung, so berichten die Aufzeichnungen des Groß-Sekretärs Tschang T’ing-yü von 1746, hegte eine solche Vorliebe für das Werk, daß immer eine Anzahl von Bänden in seinem Arbeitszimmer zur Hand sein mußte. Eines Nachts brach Feuer in dem Palaste aus; die erste Sorge des Kaisers war, die kostbare Enzyklopädie in Sicherheit zu bringen, und in der Tat konnte auch die Rettung bewerkstelligt werden. Kaiser Schi Tsung aber wollte eine Bürgschaft haben für die dauernde Erhaltung seines Schatzes, und so befahl er i. J. 1562, daß vom Yung-lo ta tien noch eine voll- ständige Abschrift angefertigt würde. Erst nach semem Tode, wahr- scheinlich i. J. 1567, wurde diese Arbeit vollendet, nachdem ein besonderer Ausschuß von hundert Mitgliedern die ganze Zeit über damit beschäftigt gewesen war. Auch hier gehen nun die Nachrichten wieder auseinander. Die eine Quelle, der auch der kaiserliche Katalog folgt, gibt an, daß gleichzeitig zwei neue Abschriften angefertigt wurden, „ein Original und ein Duplikat“, d. h. wohl ein Exemplar in gleicher Art und Ausstattung wie das ursprüngliche Original und eine einfachere „Abschrift“. Dann wäre das alte Orieimal nach Nanking zurückgesandt, das neue aber und die „Abschrift“ seien in zwei verschiedenen Hallen des Palastes zu Peking untergebracht worden. Eine andere Chronik dagegen berichtet, daß die in den Jahren 1407 bis 1409 angefertigte Abschrift damals überhaupt nicht beendet worden, sondern daß die Arbeit daran eingestellt worden sei, nachdem man die Undurchführbarkeit des Druckes erkannt habe. Erst im 16. Jahrhundert sei dann unter dem Kaiser Schi Tsung diese Abschrift zu Ende geführt worden. Nach der einen Angabe hätten also im ‚Jahre 1567 drei oder gar vier Exemplare vorhanden sein müssen, “nach der anderen nur zwei. Sicher ist jedenfalls, daß am Ende des 17. Jahrhunderts sich in Nankmg überhaupt kein Exemplar mehr befand und in Peking nur eins, und auch das wahrscheinlich nicht vollständig. Nach dem kaiserlichen Kataloge wären das Original von Nanking und die „Abschrift“ von Peking beim Untergange der Ming-Dynastie durch Feuer zerstört worden. Während der Regierungszeit \Yung-tscheng (1723 — 1735) wurde das noch vorhandene Exemplar, d. h. also die um 1565 in Peking angefertigte „Original“-Abschrift, aus dem Palaste in die Bibliothek der Han-lin-Akademie übergeführt; die Verfasser des kaiserlichen Katalogs konnten dann bereits fünfzig Jahre später feststellen, daß „nur“ (wie sie bezeichnenderweise sagen) 2422 Bücher fehlten. Die ursprüngliche Gesamtzahl der Bände, von denen jeder 1 bis 5 Bücher enbielt, war nach den Auf- 4 O. Franke. zeichnungen von Tschang T’ing-yü 11 095, es dürften also am Ende des 18. Jahrhunderts noch etwas weniger als 10 000 Bände vorhanden gewesen sein. Aber die Zahl verringerte sich nun mit unheimlicher Geschwindigkeit: 1895 schreibt ein Mitglied der Han-lin-Akademie, daß „zur Zeit nur noch etwas über 900 Bände vorhanden seien“, und diesen spärlichen Rest ereilte sein Schicksal i. J. 1900. Die Han-lin-Akademie grenzte unmittelbar an die enelische Gesandtschaft. Um die letztere zu zerstören, legten die „Boxer“ im Sommer jenes unheilvollen Jahres Feuer an das Gelehrten- Institut. Das Yaumg-lo ta tien wurde von den Flammen ergriffen, aber den europäischen Insassen der Gesandtschaft gelang es, einen kleinen Teil der Bände zu retten. Das meiste davon, 64 Bände, wurde später von dem englischen Gesandten an die chinesische Regierung zurückgegeben, 10 Bände kamen in die Hände des damaligen Times-Korrespondenten Morrison, 4 in die Bibliothek des Britischen Museums im London und einzelne vielleicht in andere öffentliche oder private Sammlungen Europas, Amerikas und Japans!). Einen Band besitzt der Schreiber dieser Zeilen, und zwei Bände hat jetzt das Seminar für Sprache und Kultur Chinas erworben. Das ist das Ende dieses größten aller Literaturdenkmäler, von dem die Geschichte weiß. Richten wir nun nach diesem Überblick über seine Geschichte einmal den Blick auf das Yamg-lo ta tien selbst. Wenn wir es bisher eine Enzyklopädie genannt haben, so könnten wir es mit demselben Rechte als ein Lexikon bezeichnen. Es ist das eine wie das andere oder keins von beiden. Der Inhalt ist, wie im Lexikon und in der Enzyklopädie, nicht nach einem stofflichen :System angeordnet, sondern nach dem, was in dem alphabetlosen Chmesisch das Alphabet ersetzen muß, nach einer bestimmten Reimfolge der Wörter ohne Rücksicht auf stoffliche Zu- sammengehörigkeit. Aber der Stoff selbst unter den einzelnen Wörtern besteht nieht aus Darlegungen der Verfasser wie im Lexikon oder Enzy- klopädie, sondern aus der wörtlichen Wiedergabe anderer darlegender Werke. Zuerst wird jedes Wort philologisch nach Aussprache und® Bedeutung erklärt, indem die betreffenden Stellen aus den Wörterbüchern ausgezogen werden. Darauf werden zusammengesetzte Ausdrücke behandelt, in denen das Wort erscheint. Auch hierbei werden umfangreiche Aus- züge aus Glossaren und Real-Enzyklopädien gegeben; bildet das Wort aber einen wichtigen Teil eines Büchertitels, so wird das betreffende Buch ganz abgeschrieben, und kommt das Wort auch als Familienname vor, so werden den Geschichtswerken die Lebensbeschreibungen der berühmteren Persönlichkeiten entnommen, die diesen Namen geführt haben. So gehört ') 8. Bulletin de l’Ecole francaise d’Extreme-Orient IX, 828, Anm. 3 und XII, Nr. 9, 8.79 ff, wo noch weitere Einzelheiten über das Schicksal der Enzyklopädie mit- geteilt werden. Zwei wichtige literarische Erwerbungen. 5) z. B. der in meinem Besitz befindliche Band, der die Bücher 7078 bis 7080 enthält und der 557. des Gesamtwerkes ist, zu der Reimgruppe yang; ein Glied dieser Gruppe ist unter anderen auch das Wort fung. T’ang ist kein sehr häufiges Wort und erscheint daher auch nieht in vielen Verbindungen; aber es ist auch der Name einer berühmten Dynastie, und aus diesem Grunde wird jeder einzelne Kaiser dieser Dynastie behandelt, indem aus den Geschichtswerken die Teile ausgeschrieben werden, die sich mit dem betreffenden Kaiser beschäftigen. Die drei Bücher meines Bandes sind das 12., 13. und 14. der Bücher, im denen die Geschichte des Kaisers Hien Tsung (806 bis 820) dargestellt wird. Von den beiden Bänden des Seminars gehört der eine zu der Reimgruppe Zschz und behandelt das Wort ngi (oder ör), d. h. „Kind“. Er enthält die Bücher 975 und 976, die wieder das 8. und 9. Buch des Artikels „Kinderpflege“ sind; die Darlegungen bestehen aus Auszügen von medizinischen Werken. Der andere Band gehört zu der Reimgruppe is; und behandelt das Wort Z%, d. h. „Ritual“. Er enthält die Bücher 10483 und 10484, die wieder das 16. und 17. unter den Büchern sind, die vom 1. Kapitel des Li-ki, des großen Handbuchs des Ritual-Systems, handeln. Hier sind zwei erklärende Werke ganz abgeschrieben. Ein Gegenstück im Deutschen würde etwa sein: unter‘ dem Worte „Faust“ würde zunächst eine Er- klärung des Wortes durch Auszüge aus den Sprach-Wörterbüchern zu geben sein, dann würden wichtige Abhandlungen über Ausdrücke wie „Faustpfand“, „Faustrecht“ u. a. ganz oder im Auszuge abgeschrieben werden müssen, Goethes „Faust“ wäre unverkürzt wiederzugeben usw. Man ersieht aus dieser Anlage, daß der Plan des Yaumg-lo ta tien nahezu phantastische Größenverhältnisse hatte. In der Tat haben diese Größenverhältnisse seine volle Durchführung auch unmöglich gemacht, denn so staunenswert die erzielten Leistungen sein mochten, den Grund- gedanken, die gesamte vorhandene Literatur in Wörterbuchart anzuordnen und wiederzugeben, haben sie nicht verwirklicht und nicht verwirklichen können. Diese Unvollständigkeit bei aller Größe, sowie die angeblich nicht folgerichtige Anordnung des Stoffes, vermutlich aber auch die große Nachsicht in der Aufnahme von buddhistischem, taoistischem und anderem nicht konfuzianisch abgestempeltem Wissensstoffe sind denn auch die Veranlassung, vielleicht freilich nur der Vorwand gewesen für die vielfach absprechende Kritik des zünftigen Literatentums unter der letzten Dynastie. Die Verfasser des kaiserlichen Katalogs meinen, „der Stoff sei in Stücke gerissen und das Ganze chaotisch durcheinander geworfen, so dab kein vernünftiges System mehr zu erkennen sei“. Der mehrfach erwähnte Tsehang T’ing-yü aber schreibt höhnisch: „Diese Bücher-Anhäufung ist überragend durch ihre Masse; dagegen kommt ihr das Verdienst kritischer Beschränkung und richtiger Anordnung nicht zu. Es hat denn auch sehon 6 0. Franke. damals (d. h. zur Zeit der Ming-Dynastie) nicht an Leuten gefehlt, die dieses wilde Chaos verspotteten. Gegenüber dem Tu schu tsi tsch"eny besteht ein Unterschied wie Tag und Nacht.“ In diesem letzten Satze kommt der Pferdefuß zum Vorschein, den man in den Darstellungen der Gelehrten des 18. und 19. Jahrhunderts nur zu oft beobachten kann. Gerade die Zeit der glänzendsten Machtentfaltung unter den großen Mandsehu- Kaisern im 18. Jahrhundert ist auch die Periode der abstoßendsten Speichel- leckerei im konfuzianischen Literatentum. Jede sachliche Kritik hört auf, sobald der Glanz des Thrones sichtbar wird, dann muß alles, was frühere Dynastien geleistet haben, in Dunkel gehüllt werden, und auch die wissen- schaftlichen Untersuchungen klingen in eimen byzantinischen Hymnus aus. Das T’u schu tsi tsch’eng, von dem nachher die Rede sein wird, ist die Enzyklopädie der Mandschu-Dynastie, und vor ihr mußte das Yungy- !o ta tien der Ming natürlich zurücktreten. Ganz an den Verdiensten der letzteren vorbeigehen haben schließlich auch die Verfasser des kaiserlichen Katalogs nicht können, aber sie würdigen sie auf ihre eigene bezeichnende Art. „Trotz allem“, so sagen sie, „sind die der Zeit vor der Yuan-Dynastie (d.h. etwa vor dem Jahre 1280) entstammenden entweder verloren gegangen oder selten gewordenen Literaturwerke, die sonst in der Welt nicht mehr vorhanden gewesen wären, nunmehr durch ihre Aufnahme (in das Yuny- lo ta tien), m ihrem ganzen Umfange oder kapitelweise erhalten worden, so daß sie zu ihrer Neuherausgabe zusammengestellt und der Welt wieder- gegeben werden konnten. So hat sich in der Tat der Himmel, um die Bildung und das Wissen zu schirmen, des Hie T'sin, des Yao Kuang-hiao und der übrigen (Verfasser des Yang-lo ta tien) bedient, damit die alten Schriftdenkmäler erhalten blieben, bis dann unsere geheiligte Dynastie sie wieder verkündete. Niemand war sich (dieses göttlichen Planes) bewußt, und doch vollzog er sich. Darum soll man die Ungeordnetheit dem Werke nicht weiter nachtragen.“ Was hier in dieser salbadernden Art angedeutet wird, das trifft in der Tat den Kern der Bedeutung des Yung-lo ta tien. Nicht weniger als 285 vollständige Werke vom 6. Jahrhundert an, darunter solche von großer Bedeutung, die uns unrettbar verloren wären, sind lediglich durch die Enzyklopädie überliefert worden, von den zahllosen Bruchstücken ganz abgesehen. Das ist ein Verdienst, durch das dem Riesenwerke des Kaisers Tsch’eng Tsu unsterblicher Ruhm gesichert ist, und das die Ameisenarbeit jener Tausende von Gelehrten reichlich gelohnt hat. Dem Mandschu- Kaiser K’ien-lung (1736 bis 1795) aber gebührt die gleichfalls unvergäng- liche Ehre, jene 285 Werke wieder aus den Handschriften-Bänden des Yung-lo ta ten ans Licht gezogen zu haben. Das geschah, indem er sie im Jahre 1773 ausschreiben, durch den Druck vervielfältigen und seiner Bibliothek einverleiben ließ. So sind sie für die Nachwelt gerettet Zwei wichtige literarische Erwerbungen. 1 worden, und die Vernichtung des Yung-lo ta tien ist nun nicht mehr ein so unermeßlicher Schaden, wie sie es sonst sein würde. Natürlich haben wir noch immer den Verlust ungezählter Bruchstücke von Werken zu beklagen, die uns ebenfalls nicht erhalten und nur zum Teil dem Namen nach bekannt sind. Wenig ehrenvoll wird es auch immer für das chinesische Gelehrtentum bleiben, das sich doch so gern und laut seines literarischen Verständnisses rühmt, dieses einzig dastehende Schriftdenkmal so schmach- voll haben verkommen zu lassen. Nach dem Ende der Ming-Dynastie hat das Yung-lo ta tien Jahrhunderte lang in kaum betretenen Hallen des Palastes und der Akademie gelegen, und um das Jahr 1673 verkündete ein berühmter chinesischer Gelehrter in einem viel benutzten Werke, daß die Enzyklopädie überhaupt nicht mehr vorhanden sei. Nachdem dann K’ien-lung die vollständigen Werke hatte ausziehen lassen, wurde das handschriftliche Material völlig beiseite geschoben: verstaubt und durch- einander geworfen, vom Ungeziefer zernagt und zeitweilig unter durch- löchertem Dache Wind und Wetter preisgegeben, so schlummerte das Yung-lo ta ten in einem Raume der Bibliothek des Han-lin yuan; ein- heimische Bücherfreunde wußten in den siebziger ‚Jahren m Peking manche traurige Geschichte davon zu erzählen, europäischen aber weigerte man geflissentlich den Zutritt'!). Die kümmerlichen Reste, die das Feuer der Boxer übrigegelassen hat, wird man nun sorgfältiger wahren, und auch das Hamburgische Seminar würdigt seine beiden Bände mit der wehmütigen Ehrfurcht, die dem gewaltigen Kulturdenkmal und seinem traurigen Schicksal zukommt. Es bleibt uns nun bloß noch übrig, eine kurze Beschreibung der äußeren Form des Werkes zu geben, wie sie sich nach den Seminar- Bänden darstellt. Das Format der einzelnen Bände ist für chinesische Verhältnisse ungewöhnlich groß: es mißt 50'/s Zentimeter in ‚die Länge und 30 Zentimeter in die Breite; die Dicke der Bände ist natürlich nicht vollkommen gleich, immerhin, wie bei allen chinesischen Werken, so gleich- artig wie es die Anordnung des Textes irgend zuließ; bei unseren Bänden ist sie 2,2 Zentimeter. Legt man dieses Maß zugrunde, so würden die 11095 Bände des Gesamtwerkes, auf einander gelegt, einen Turm von 244 Meter, oder da die Bände nicht hermetisch auf einander gepreßt werden können, von rund 250 Meter Höhe bilden. In einzelne Staffeln vom Fußboden bis zur Deeke geordnet, würden sie die Wände eines Saales ohne Türen und Fenster füllen, der sechs Meter Länge und vier Meter Breite bei vier Meter Höhe mißt, vorausgesetzt, daß zwischen den Staffeln nur ein verschwindend geringer Zwischenraum bliebe. Die Bände sind in Pappendeckel gebunden, die mit festem gelben Seidenstoffe überzogen 1) Siehe W.F. Mayers, Bibliography of the Chinese Imperial Collections of Lite- ratune in China Review Bd. VI, S. 217 1. 8 0. Franke. sind. ‚Jeder Band trägt, aufgeklebt, zwei rechteckige Schilder, auf denen der Titel Yung-lo ta tien, die Nummern der darin enthaltenen Bücher, die Reimgruppe und die Nummer des Bandes angegeben sind. Das Papier, wie immer in chinesischen Büchern, doppelt genommen und einseitig beschrieben, ist außergewöhnlich stark und von vorzüglicher Beschaffenheit; es ist deshalb auch tadellos erhalten. ‚Jedes Blatt ist mit rotem Rande eingefaßt und durch rote Linien in Vertikalspalten eingeteilt; jede Spalte enthält zwei Reihen Text, die Schriftzeichen, groß und deutlich mit schwarzer Tusche geschrieben, stehen in reichlichem Abstand von ein- ander, so daß der Text sehr übersichtlich und leicht lesbar ist. Die Rand- titel, Bücher-Nummern und Blattzahlen an den Seiten, sowie die Titel der ganz oder teilweise abgeschriebenen Werke sind in roter Farbe gehalten, ebenso die sehr ausführliche Interpunktion. Bis auf den Seidenstoff, der mehrfach von den Deckeln losgetrennt und zerrissen ist, teilweise auch die Schilder verloren hat, sind die Bände in ausgezeichnetem Zustande. Die 3'/s Jahrhunderte, die sie durchlebt haben, sieht man ihnen nicht an, und bei guter Behandlung dürften sie im Stande sein, den gleichen Zeitraum noch mehrfach zu überdauern. II. Das T’u schu tsi tsch’eng. Das Tr sehn tsi tsch'eng oder, wie sein voller Titel lautet, An ling hu kin Un schu tsi tsch’ng, ist, wie bereits erwähnt wurde, die En- zyklopädie der Mandschu-Dynastie. Es sollte ein Seitenstück zum Yung- lo ta tien sein, aber systematischer und vollständiger als dieses. Auch von diesem zweiten Riesenwerke ist seltsamerweise die Geschichte nur unvollkommen bekannt. Die Ursache dürfte zum Teil in dem tragischen Schicksal des Verfassers liegen. Der größte der Mandschu-Herrscher, Kaiser K’ang-hi (1662—1722), war es, der den Entschluß faßte, alles, was die chinesische Literatur an Material auf irgendeinem Gebiete des Wissens bot, zusammenzutragen und systematisch zu einem einheitlichen Werke anzuordnen, so daß dort alles Wißbare rasch und sicher aufzufinden sei. Diesen Grundgedanken können wir allerdings nur mittelbar aus dem Umfange und dem Plane des Werkes selbst entnehmen, berichtet ist uns anscheinend über die Entstehungsgeschichte nichts, jedenfalls hat sich bisher nichts darüber gefunden. Wir wissen nur aus einem Edikte von K’ang-hi’s Nachfolger Yung-tscheng (1723—-1735), sowie aus der Vorrede des Werkes, daß K’ang-hi „mehrere Jahrzehnte hindurch seine Aufmerksam- keit darauf verwandte“ und schließlich darüber starb. Dann müßte also jeden- falls im letzten Viertel des 17. Jahrhunderts mit der Arbeit begonnen worden sein, und das wird auch durch weitere Nachrichten wahrscheinlich gemacht, Zwei wichtige literarische Erwerbungen. 9 - > « Mit der Leitung des gewiß sehr zahlreichen Gelehrtenpersonals, das die Zusammenstellung der Enzyklopädie besorgte, war ein gewisser Tsch’en Meng-lei beauftragt, und daß dieser beim Tode des Kaisers K’ang-hi seine Aufgabe ganz oder fast ganz gelöst haben mußte, geht aus den späteren Ereignissen hervor. Kaum hatte Yung-tscheng den Thron bestiegen, als er unter dem 18. Januar 1723 ein Edikt erließ, in dem Tsch’en Meng-lei der Teilnahme an einem Aufstande gegen K’ang-hi und anderer nicht näher bezeichneter „zahlreicher Missetaten“ beschuldigt und mit Verbannung „außerhalb der Grenzen“ bestraft wurde. Mit der Vollendung des Tu schu tsi tsch’eng, „dessen Konzept Irrtümer und Unrichtigkeiten enthielt“, sollten andere Gelehrte beauftragt werden. Die Leitung erhielt nunmehr der Groß-Sekretär Tsiang T’img-si, und bereits drei Jahre später, 1. J. 1726, erschien das gesamte Werk. Wir sind bisher nicht in der Lage gewesen, den wirkliehen Sachverhalt in dieser überraschenden Entwicklung völlig aufzudecken; denn daß die Ausführungen dieses Ediktes in der üblichen chmesischen Weise die Wahrheit verschleiern, ist sicher. Daß für K’ang-hi bei seinem Entschlusse, sieh ebenfalls durch eine Riesen- Enzyklopädie unsterblich zu machen, wie Tsch’eng Tsu durch die seine, das Vorbild des Yıung-lo ta tien stark wirksam gewesen ist, liegt sehr nahe. Er wählte zur Verwirklichung seines Planes einen Mann, der zwar im Jahre 1674 des Hochverrats mindestens verdächtig gewesen war, dem er aber trotzdem Gnade und Vertrauen in reichem Maße erwies, offenbar, weil seine glänzenden Fähigkeiten bei der gewaltigen Aufgabe nicht leicht zu ersetzen waren. Wann Tsch’en mit seiner Arbeit begonnen hatte, wissen wir nicht, ebenso wie uns seine Mitarbeiter unbekannt geblieben sind, sicher muß er aber im Jahre 1723 am Abschluß seines Werkes gestanden haben, denn ganz zufällig erfahren wir aus einer Beschreibung der Stadt Peking vom Jahre 1788, daß noch während der Regierungszeit K’ang-hi bereits die Kupfer- Typen hergestellt waren, mit denen das T’u schn tsi tsch'öng gedruckt werden sollte. Danach lag also nieht bloß der Text der Enzyklopädie im Jahre 1723 ganz oder fast fertig vor, sondern man hatte wahrscheinlich auch schon mit dem Druck begonnen. Wenn Tsch’en Meng-lei der Ruhm, als Schöpfer dieses erhabensten aller Literaturdenkmäler in der Geschichte zu leben, noch entrissen werden sollte, so war es jetzt die höchste Zeit! Daß dies aber ein Hauptzweck des Verdammungs-Ediktes war, darüber kann kaum ein Zweifel bestehen; denn sonst wäre darin der Herausgabe des T’u schu tsi tsch’öng, die doch an sich in diesem Zusammenhange nur eine nebensächliche Bedeutung hätte haben dürfen, nicht so eingehend und in solcher Weise gedacht worden, wie es geschehen ist. Der Erfolg der Maßregel war so vollkommen, daß der Nachwelt die Verfasserschaft des Tseh’en Meng-lei vielleicht gar nicht bekannt geworden wäre, wenn nicht eben das Edikt selbst uns davon Kunde gäbe. Der Name ist von 10 0. Franke. da ab wie ausgelöscht, und in der Enzyklopädie selbst wird seiner und der von ihm Jahrzehnte hindurch geleisteten Arbeit mit keinem an- erkennenden Worte gedacht. An seine Stelle ist Tsiang T’ing-si getreten, gleichfalls ein hervorragender Gelehrter und offenbar ein Günstling Yung- tscheng’s. In überschwenglichen Worten wird in der Vorrede vom Kaiser sein und seiner Mitarbeiter Verdienst gepriesen, dem nunmehr die Voll- endung des Werkes zu danken sei, nachdem sie „vom Morgen bis zum Abend ihre Kraft erschöpft und in dreijähriger Arbeit sich abgemüht, über dreitausend Kapitel geordnet und mehrere zehntausende von Wörtern teils hinzugefügt, teils weggenommen hätten“. Von dem, was die Vor- gänger getan, ist nur insoweit die Rede, als ihre angeblichen Fehler, ihre Saumseligkeit und ihre Unfähigkeit, dem kaiserlichen Willen gerecht zu werden, den schärfsten Tadel erfahren. Ebenso vergöttert der lange Bericht von Tsiang T’ing-si selbst ledielich die Kaiser K’ang-hi und Yung- tscheng im Geschmack des Landes und der Zeit als eigentliche Schöpfer des Werkes. Tsiang T’ing-si sollte als Verfasser des T’u schu tsi tsch’eng gelten und gilt als solcher. Wo liegen die Ursachen dieser für unser Gefühl unerhörten Härte, die emen Mann von seiner Lebensarbeit in dem Ausenblicke, wo er nahe dem Ziele ist, mit Schimpf davonjagt und den Ruhm daran einem andern überträgt? Daß in Tisch’en Mene-lei’s Werke so viele „Irrtümer und Unrichtigkeiten“ enthalten gewesen seien, wie Edikt und Vorrede glauben machen wollen, ist schon deshalb unwahr- scheinlich, weil der Text der Enzyklopädie ja nur aus Auszügen anderer Werke. besteht, die ursprüngliche Anordnung aber auch nachher nicht verändert worden ist. Zudem würden drei Jahre auch kaum hinreichen, selbst um dreitausend Kapitel (das ganze Werk zählt zehntausend) noch- mals durchzuarbeiten, um Irrtümer auszumerzen und Lücken zu ergänzen, ganz abgesehen davon, daß, wie wir vorhin sahen, der Text im Jahre 1723 schon im Druck war. War somit die Verfasserschaft der Enzyklo- pädie tatsächlich ein Hauptmoment bei dem Vorgehen gegen Tsch’en, so lag der Anlaß dazu doch sicher nicht in semer mangelhaften oder saum- seligen Arbeit; das Edikt von 1723 nennt diese auch nicht als besondere Beschuldigung, sondern begründet die Strafwürdigkeit Tsch’en’s mit seiner Teilnahme an hochverräterischen Umtrieben und sonstigen „zahlreichen Missetaten“. Aber diese hochverräterischen Umtriebe lagen um fast ein halbes Jahrhundert zurück und waren von K’ang-hi längst vergeben und vergessen worden. Hinsichtlich der sonstigen „Missetaten“ aber sind wir bisher nur auf Vermutungen angewiesen. Man weiß. daß Yung- tschöng’s Thronbesteigung mit dunklen Machenschaften schlimmer Art verknüpft war. Eine mündliche Überlieferung in China sagt, daß er zu Unrecht Kaiser geworden, und ein anderer Sohn als Thronfolger K’ang- hi’s bestimmt gewesen sei. Unter den Brüdern und Verwandten des neuen Zwei wichtige literarische Erwerbungen. ııl Kaisers bestand ein starke Partei. die seine Usurpation heftig bekämpft hatte, und als der gewalttätige Yung-tscheng die Macht in der Hand hielt, wütete er mit Schwert und Verbannung gegen alles, was wider ihn gewesen war. Tsch’en Meng-lei war, wie wir aus dem Edikt selbst sehen, ein Gefolesmann des Prinzen T'sch’eng, und dieser scheint mit zu den Proskribierten gehört zu haben. Die Rache, die auf sein Haupt herniederfuhr, traf nach chinesischem Brauch den ganzen Anhang mit, und so mußte Tsch’en von dem hohen Platze, der ihm Unsterblichkeit sicherte, für immer verschwinden. Das Jahr 1726 bezeichnet also die Vollendung des Tu schu tsi tsch'eng, aber weder die vom 22. Oktober jenes ‚Jahres datierte Vorrede des Kaisers Yung-tscheng noch der Bericht Tsiang T’ing-si’s vom 29. Januar 1726 sagen uns etwas über den Druck des Werkes und seine Veröftent- lichung. Ungleich dem Yıungy-lo ta tien ist die Enzyklopädie der Mandschus nicht Manuskript geblieben, sondern sofort durch den Druck vervielfältigt worden. Aber auch über diesem Vorgange liegt wieder der Schleier des Ungewissen. Nicht mit Holzplatten, wie sonst fast immer im älteren China, ist der Druck ausgeführt, sondern mit beweglichen Kupfertypen; und zwar berichten die einen, diese Typen seien gegossen, die anderen, sie seien geschnitten gewesen!). Ein sachverständiger Beamter des Britischen Museums in London und em solcher der National-Bibliothek in Paris glauben auf Grund einer Prüfung der dort befindlichen Exemplare des Werkes ver- sichern zu können, daß die Typen unmöglich im Matrizen gegossen sein könnten, sondern geschnitten sein müßten”). Ohne mir ein Urteil in der Frage zu erlauben, ob es möglich ist, den Unterschied am Drucke zu erkennen, möchte ich es für das wahrscheinliehste halten, daß eben nur die Kupferstücke gegossen wurden, und daß dann die Graveure auf je ein Stück ein Schriftzeichen in Hochrelief schnitten, genau wie sonst bei der Holzplatte. Darauf deutet die folgende Angabe des früher erwähnten Tschane T’ing-yü: „Man verwandte (für den Druck) kupferne Typen, die zusammengesetzt wurden und so eine Platte bildeten. Damit druckte man über 60 Exemplare, es gab also kein geschnittenes (d. h. in die Platte geschnittenes) Original“. Wenn man den Umfang des Werkes bedenkt, so läßt sich ermessen, welche Riesenarbeit hier der Graveur hat leisten müssen, und welche Kosten der Druck verschlungen hat. Leider erfahren wir nicht, wie viele Jahre dafür nötig gewesen sind, einen Maßstab erhält !) Mehrere weitere Angaben über bewegliche Typen im chinesischen Buchdruck auch während früherer Zeiten findet man in Prof. Hirths Abhandlung Western Appliances in the Chinese Printing Industry im Journal of the China Branch of the Royal Asiatie Society Bd. XX (1885), S. 163 ff., besonders auf S. 164 Anm. Siehe Lionel Giles, An Alphabetical Index to the Chinese Encyclopaedia usw. S. XVII 12 0. Frauke. man aber durch die Tatsache, daß später der Druck der kleinen Ausgabe (s. unten), der in Schanghai mit europäischen Maschinen ausgeführt wurde, drei Jahre währte. Daß die Typen bereits zur Zeit K’ang-hi beschafft wurden, war schon erwähnt'); der französische Sinologe Stanislas Julien hat uns aus den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts eine interessante Nachricht über ihren Ursprung hinterlassen. Danach sollen nämlich die katholischen Missionare, die am Hofe K’ane-hi’s eine so bedeutende Rolle spielten, den Kaiser bewogen haben, die Typen 'herstellen zu lassen, und zwar wären es danach im ganzen 250000 Stück gewesen?) Leider hat Julien seinen Gewährsmann hierfür nicht angegeben, und bisher hat sich aus den Schriften der Missionare nichts darüber ermitteln lassen. Un- wahrscheinlich ist aber die Angabe nach allem, was wir sonst über die Tätigkeit der viel gewandten Jesuiten-Missionare wissen, keineswegs, und vielleicht bringt uns das Studium ihrer Literatur noch einmal weitere Kunde darüber. Daß die chinesischen Berichte die Tatsache mit Still- schweigen übergehen, kann nicht wundernehmen; der Gedanke, daß bei der Herstellung ihres größten Literaturwerkes „barbarische“ Einflüsse mit- gewirkt haben sollten, mußte ihnen schmachvoll und unerträglich erscheimen. Auffallend aber ist es, daß im T’u schu tsi tsch'eng der ganzen Druck- legunge, die doch auch technisch eine Leistung ersten Ranges darstellte, nicht mit einem Worte gedacht wird; weder werden die Namen der Beamten angegeben, die den Druck geleitet haben, wie es sonst in den großen Erzeugnissen der Palast-Druckerei geschieht, noch wird der ungewöhnlichen Art des Druckes Erwähnung getan, ja nieht einmal das Datum des Druckes findet sich. Ein solches beharrliches Schweigen, zumal in diesem ungewöhn- lichen Falle, kann nicht ohne besonderen Grund sein. Unzweifelhaft hängt es sowohl mit der Maßregelung des langjährigen Leiters des Unter- nehmens zusammen, wie mit den geistigen Urhebern dieser Drucklegung. Die Hinneigung des Kaisers K’ang-hi zu den fremden Missionaren wurde unter Yung-tschene nicht fortgesetzt. Der neue Herrscher, dem Drängen des konfuzianischen Literatentums mehr nachgebend als sein Vater, war ein Feind der christlichen Propaganda, und gerade i. J. 1723 und 1724 setzte die Verfolgung der Christen 'ein, die selbst die verdächtigen Mit- elieder der kaiserlichen Familie nicht verschonte. Diese Verbindung des Druckes mit den Missionaren und mit der Persönlichkeit des T'ssch’en M’eng-lei, der vermutlich auch bei der Beschaffung der beweglichen Kupfer- typen auf Veranlassung der Missionare der Vermittler gewesen war, könnte vollkommen hinreichen, um dem größten Literaturwerk der Dynastie in den Augen des Kaisers einen Makel anzuhaften, so daß er über die ') Auch Mayers, a. a. 0. 8. 294 erwähnt die Tatsache auf Grund einer chinesischen Angabe. >) Industries anciennes et modernes de "Empire Chinois S. 159 f. Zwei wichtige literarische Erwerbungen. B u > befleckte Entstehung möglichst mit Schweigen hinweggeht. Das fernere Schicksal der verhängnisvollen Typen scheint ähnliches anzudeuten. Nach- dem das T’u schu tsi tsch’öng in wenigen Exemplaren damit gedruckt war, sind sie niemals wieder verwendet worden. Die vorhin erwähnte Beschreibung von Peking erzählt, daß nach einer Reihe von Jahren über die Hälfte der Typen verloren war, daß der Rest eingeschmolzen und zur Prägung von Münzen verwendet wurde, und daß man i. J. 1774 dann den ganzen Satz durch 100000 Stück Holztypen ersetzte. Auch ab- gesehen hiervon gewinnt man den Eindruck, als sei das chinesische Gelehrtentum der großen Schöpfung K’ang-hi’s wegen der damit verbundenen widrigen Umstände bis weit in das 19. Jahrhundert hinein nicht recht froh geworden. Seine Vollendung und Drucklegung wurden, wie die Vorrede und der Einführungsbericht zeigen, bei weitem nicht mit dem Pomp der Welt verkündet, wie man es nach chinesischem Brauche bei solchem Werke hätte erwarten sollen. Der kaiserliche Katalog von 1782 erwähnt die Enzyklopädie überhaupt nicht, und daß sie im Reiche wenig bekannt wurde, war schon durch die geringe Zahl der vorhandenen Exemplare bedingt. Wie groß die ursprüngliche Auflage war, und wann sie im Druck erschien, läßt sieh mit Sicherheit nicht angeben. Tschang T’ing-yü spricht, wie wir sahen, von „über sechzig Exemplaren“, andere gaben die Zahl auf dreißig an, und in Peking pflegte man sie auf hundert zu beziffern. Einige wenige Exemplare wurden auf hochwertigem weißem Papier gedruckt, die übrigen auf gelbem. Die ersteren wurden an kaiserliche Prinzen und Günstlinge verschenkt, die letzteren im Laufe der Jahre an private Bibliotheken und Sammlungen; in den regelmäßigen Buchhandel sind sie nie gekommen. Tschang T’ing-yü gehörte zu diesen Beschenkten und er erzählt selbst, daß er „damals (als der Druck beendet war) durch kaiser- liche Gunst ein Exemplar erhielt und dann i. .J. 1732 noch ein zweites, das er in seine Heimat im Süden sandte.“ Daraus ersehen wir, daß der Druck jedenfalls zwischen 1726 und 1732 zum Abschluß gebracht sein muß. Werfen wir nun, bevor wir die Geschichte des fertigen Werkes weiter verfolgen, zunächst einen Blick auf seine Einrichtung. Das T’ı schu tsi tsch’eng oder, vollständig, das Kin king ha kin Un schm tsi tsch’eng, d. h. „Sammlungen von Schriftwerken, Bildern, Zeichnungen und Karten aus Altertum und Neuzeit, auf kaiserlichen Befehl heraus- gegeben“, ist nicht, wie das Yang-lo ta tien, Wörterbuch und Enzyklo- pädie zusammen, sondern nur das letztere; indessen besteht ebenso wie bei seinem Vorgänger der Text nicht aus eigenen Darlegungen der Verfasser, sondern lediglich aus Texten anderer Werke. Die Anordnung des Stoffes ist aber rein sachlich, ohne Rücksicht auf Reimgruppen, einzelne Wörter, Ausdrücke u.del.; Worterklärungen werden überhaupt nicht gegeben. 14 0. Franke. Die sämtlichen Wissensgebiete werden behandelt und sind emgeteilt in sechs eroße Kategorien: Weltenraum und Atmosphäre; die Erde, ihre Oberfläche und Völker; die Menschen und ihre Beziehungen; Naturwissenschaften; literarische Wissenschaften ; Staatswissenschaften. Diese sechs Kategorien sind zusammen in 32 Abteilungen zerlegt, und diese wieder in 6109 Abschnitte. Für den Abendländer sind die 32 Abteilungen der bei weitem wichtigste Wegweiser ‘durch das Werk; die Kategorien sind viel zu allgemein und sehen in ihrer Anordnung von Gesichtspunkten aus, die uns völlig fremd sind. Wir würden z. B. die Berichte von Seuchen, Hungersnöten usw. nicht in der Kategorie vom Weltenraum suchen, Religions-Systeme nicht in den Naturwissenschaften u. a. m., wie es die Chinesen tun. Die ein- zelnen Gegenstände werden geschichtlich, philosopisch, ethisch betrachtend usw. behandelt, immer durch Wiedergabe von Auszügen aus den besten der in Betracht kommenden Werke. Ganze Werke werden nirgendwo gegeben, dafür ist aber der Stoff entschieden leichter auffindbar als im Yung-lo ta tien. Äußerlich eimgeteilt ist das Ganze in 10000 Kapitel oder Bücher; diese füllten in der ersten Auflage nach T'schang T’ing-yü 5000 Bände, die in 510 Umschlägen aus Pappe und Tuch untergebracht waren, von denen jeder 8 bis 10 Bände enthielt. Dazu kamen noch zwei Umschläge mit 20 Register-Bänden. Von anderer Seite wird dagegen die Zahl der Umschläge teils auf 520, teils auf 523 angegeben. Man hat wohl nicht mit Unrecht behauptet, daß das T’u schw tsi tsch’öng das größte Werk darstellt, das jemals im Druck erschienen sei. Einige Zahlen mögen den Umfang veranschaulichen. Die Bände der ersten Auflage messen 27'/a Zentimeter in die Länge, 17'/s Zentimeter in die Breite bei etwa 2 Zentimeter durchschnittlicher Dieke (die Umhüllung besteht aus dünnem Papier). ‚Jede Seite enthält 9 vertikale Spalten, jede Spalte 20 Schriftzeichen; jedes Schriftzeichen des Textes füllt ungefähr 1 Quadratzentimeter, jedes kleine in den Anmerkungen etwa '/s Quadrat- zentimeter, man ist also mit dem Material höchst freigebig beim Druck umgegangen. Professor Hirth, der dem Tu schu tsi tsch’eng vor längerer Zeit in der „Zeitsehrift für Bücherfreunde“') eine Besprechung gewidmet hat, schätzt die Zahl der Schriftzeichen auf rund 100 Millionen. Er hat die Zahl der Blätter auf 426204, die Seiten also auf 852408 festgestellt; darauf würden nicht weniger als 155433 440 Schriftzeichen Raum haben, indessen beanspruchen die Text-Abschnitte, Überschriften u. a. beträchtliche nicht voll ausgenutzte Teile der Blätter, so daß sich die Anzahl der wirklich vorhandenen Schriftzeichen auf etwa 100 Millionen verringern mag. Lionel Giles, Bibliothekar in der chinesischen Abteilung der Bibliothek ') Jahreane I (1897/98) 8. 276 ff. Zwei wichtige literarische Erwerbungen. 15 des Britischen Museums in London, der i. J. 1911 einen sehr nützlichen Index zu der Enzyklopädie veröffentlicht hat (s. unten) kommt zu ähnlichen Schätzungen, indem er die Anzahl der bedruckten Seiten auf S00000 mit 7200000 Spalten und 100 600000 Schriftzeichen annimmt. Dem gegenüber enthält eins der größten Druckwerke des Abendlandes, die Eneycelopaedia Britannica, nach Giles rund 40.000 000 Worte, so daß die chinesische En- zyklopädie sie um das 2V/sfache an Umfang übertrifft. Im Abendlande erfuhr man von dem Riesenwerke zum erstenmal genau hundert Jahre nach seiner Vollendung: im Jahre 1826 veröffentlichte der deutsche Sinologe und Asienforscher Klaproth im Journal Asiatique') zu Paris einige kurze Angaben darüber. Sie scheinen aber nicht einmal im Kreise der Fachgenossen eine besondere Beachtung gefunden zu haben. Nachdrücklicher und eingehender war der Hinweis, den der englische Missionar Macgowan im Jahre 1859 zu dem Zwecke veröffentlichte’), daß wohlhabende Leute die Mittel spenden möchten, um die Enzyklopädie und andere chinesische Werke für eine zu schaffende Bibliothek in Schang- hai zu erwerben. Macgowan hielt es zwar für ausgeschlossen, noch ein vollständiges Exemplar des T’u schu tsö tsch’öng zu erlangen, teilte aber mit, daß kürzlich em großer Teil davon, etwa vier Fünftel des Ganzen, von einer verarmten Familie für ungefähr 4000 mex. Dollar (damals etwa 14000 Mark) in Ningpo verkauft sei. Gleichzeitig machte er darauf auf- merksam, daß die National-Bibliothek in Paris die glückliche Besitzerin „einiger wichtiger Teile dieses wundervollen Werkes“ sei. In der Tat handelt es sich um drei von den oben erwähnten 32 Abteilungen, und der französische Gelehrte Abel-Remusat hatte bereits im Jahre 1819 eimen Text aus einer davon übersetzt. Diese Teile müssen hiernach schon sehr früh, vermutlich durch die Missionare, nach Paris gelangt sein. Wie Lionel Giles mitteilt”), soll die National-Bibliothek aber „vor kurzem“ (Giles schreibt im Jahre 1911) eim beinahe vollständiges Exemplar der ersten Auflage, und zwar sogar ein solches aus weißem Papier, erworben haben. So aussichtslos, wie Macgowan vermutet hatte, erwies sich übrigens die Lage nicht, und die Befürchtung, das T’u schu tsi tsch'eng könnte schließlich trotz des Druckes das gleiche Schicksal haben wie das Yung-lo ta tien, ist nicht eingetroffen. Um das Jahr 1870 tauchten in Peking zwei vollständige Exemplare auf, eins aus weißem und eins aus gelbem Papier. Für das erstere wurde ein Preis von 14000 Taels (damals 80 000 Mark) verlangt. 1) Bd. IX, S. 56—58: Notice de la grande Eneyelopedie chinoise, intitulee: Kon kin thou chu. 2) Journal of the North-China Branch of the Royal Asiatie Society No. II, S. 1741. >) An Alphabetical Index usw. S. XVII. 16 0. Franke. Die Buchhandlung von Trübner m London und danach das Britische Museum traten in Verhandlungen ein, schreckten aber schließlich doch vor der Höhe des Preises zurück, indessen kam im Jahre 1877 wenigstens der Ankauf des Exemplars aus gelbem Papier durch das Museum für einen erheblich geringeren Betrag zu Stande‘). Es ist dies das einzige voll- ständige Exemplar der ersten Auflage, das sich in Europa befindet. Der Königlichen Bibliothek in Berlin ist es vor einigen Jahren gelungen, ein oleiches Exemplar, aber unvollständig (es fehlen etwa 1000 Bände), zu erwerben. Dagegen soll angeblich die Bibliothek der Kcole francaise d’Extröme-Orient in Hanoi auch ein vollständiges Exemplar besitzen. Daß sich bei der Bedeutung des Werkes einerseits und bei der geringen Anzahl der hergestellten Exemplare andererseits auch in China eine starke Nachfrage geltend machen mußte, ist selbstverständlich, und so entschloß man sich bei der Regierung in Peking, einen Neudruck zu veranstalten. Erstaunlicherweise wissen wir auch darüber wieder mit Sicherheit wenig mehr als nichts. Weder die Zeit noch die Art des Druckes ist uns bisher genau bekannt geworden, ja man hat sogar in Europa die erste Kunde von dem Vornandensein dieser zweiten Auflage erst im Jahre 1902 durch den französischen Sinologen Pelliot erhalten, der damals Dozent an der Eeole francaise d’Extreme-Orient in Hanoi war”). Giles berichtet, daß nach einer Mitteilung des schon erwähnten Staatsmannes Tuan Fang an Prof. Hirth der Neudruck in der Provinz Schantung, die Veröffentlichung aber durch das ehemalige T'sungli Yamen (Ministerium des Auswärtigen) in Peking erfolgt sei; die Auflage habe 250 Exemplare gezählt. Hinsichtlich des Druckes selbst soll ein japanischer Professor in Leipzig erklärt haben, daß er wahrscheinlich mit Holzplatten ausgeführt sei®?), Die letztere Angabe ist sicher falsch: es gibt keine Druckplatten des T’u schu tsi tsch'eng und hat sie nie gegeben. Was aber Tuan Fang gesagt haben soll, ist, sofern es richtig wiedergegeben ist, im höchsten Maße unwahrscheinlich. Im Jahre 1869 brannte die kaiserliche Palast- Druckerei ab und mit ihr gingen die Druckplatten zahlreicher Werke, sowie die im Jahre 1774 beschafften beweglichen Holztypen (s. oben) zugrunde. Die Folge war, daß man wenige Jahre nachher eine europäisch eingerichtete Druckerei mit beweglichen Blei- typen in Peking ins Leben rief, in der man dann einen großen Teil der amtlichen Veröffentlichungen herstellen ließ. Hier sind die großen Annalen- !) Siehe Mayers in China Review VI, 222f. 2) Die Mitteilung findet sich im Bulletm de l’Ecole francaise d’Extröme-Orient Pd. II, S. 133. ”) An Alphabetical Index usw. S. XVII. Zwei wichtige literarische Erwerbungen. 7 werke über die Kriege der mandschurischen Dynastie gedruckt worden, und hier könnte auch die neue Auflage des Tu sehn ts} tsch"eng entstanden sein, obwohl die Typen hierin schöner und etwas größer sind als die in den andern Werken. Wann dies geschehen ist, hat sich allerdings bisher nieht feststellen lassen; da aber der verstorbene W. F. Mayers, der ausgezeichnete erste Dragoman der englischen Gesandtschaft in Peking, der im Jahre 1877 ausführlich über die Enzyklopädie schrieb), von der zweiten Auflage noch nichts weiß, so darf man annehmen, daß der Druck nach diesem ‚Jahre ausgeführt worden ist. Einheimische Gelehrte aber versichern, daß die Auflage nicht 250 gewesen sei, sondern nur 50, und daß diese bereits die Riesensumme von 250000 Taels (damals etwa 1400000 Mark) verschlungen habe, so daß jedes Exemplar aut 5000 Taels oder etwa 28 000 Mark zu stehen kam. Allerdings ist der Neudruck sehr üppig gestaltet worden und steht der ersten Auflage zum mindesten nicht nach. Die Bände messen 28,4 cm Länge und 18 cm Breite bei 2 cm durchschnittlicher Dicke, sind also ein wenig größer als die älteren. Im übrigen aber gleichen sie den letzteren in allen Einzelheiten, sowohl was die Blatteinteilung wie was die Zahl und Größe der Schriftzeichen anlanet. Die ganze Auflage scheint auf weißem Papier gedruckt zu sein, wenigstens sind nur solche Exemplare bisher bekannt geworden. Die Zahl der Bände beträgt 5046, sie sind zu je 6 bis 10 m 528 Umschlägen aus Pappe mit gelbem Tuch untergebracht. Diese neue prachtvolle Ausgabe ist in den Handel niemals gekommen, sondern die Zentralregierung hat die Exemplare geschenkweise vergeben, unter anderen auch an mehrere fremde Regierungen. So hat die englische Regierung ein Exemplar erhalten, das jetzt die China Society in London besitzt, eins die amerikanische, die es der Columbia-Universität in Neuyork überwiesen hat, und im Jahre 1908 auch die deutsche eims durch Ver- mittelung des damaligen Unterrichts-Ministers Tschang Tschi-tung. Da die Königliche Bibliothek in Berlin, die es hätte haben können, keinen Wert auf den Besitz legte, so ging das Exemplar an das Institut für Kultur- und Universal-Geschichte an der Universität Leipzig. Zu diesen drei Exemplaren des Abendlandes ist nunmehr noch als viertes das Exemplar gekommen, das vom Seminar für Sprache und Kultur Chinas durch einen glücklichen Zufall käuflich erworben worden ist. Es traf im Juni 1914 in Hamburg ein, ist vollständig und in tadellosem Zustande. Der frühere Besitzer hat sich sogar die Mühe gemacht, auf jeden einzelnen Band in sehr schönen und feinen Sehrittzügen Titel, Kapitel-Nummer, Kategorie, Abteilung, Abschnitt und sogar die einzelnen Teile der letzteren zu schreiben, eine Arbeit, die Monate 1) China Review VI, 218 ff. 18 0. Franke. gedauert haben muß, die aber den Gebrauch natürlich außerordentlich er- leichtert. Die Enzyklopädie ist im Seminar aufgestellt und nimmt dort fast die ganzen Wände eines Zimmers von 5V/s m Länge und 2° m Breite vom Fußboden bis zur Decke ein. Diese neue kaiserliche Ausgabe konnte natürlich bei ihisem hohen Preise den in Chma und in der abendländischen Wissenschaft stärker hervortretenden Bedarf ebenfalls nicht befriedigen, und so bildete sich denn eine chinesische Gesellschaft, die es unternahm, eine schlichtere und billigere Ausgabe des T’u schu tsi tsch’@ng herzustellen. Diese Ausgabe wurde innerhalb von drei ‚Jahren, von 1885 bis 1888, in Schanghai von einer englischen Firma mit gegossenen Typen in einer Auflage von 1500 Exem- plaren gedruckt. Sie ist ein genauer Abdruck der großen Ausgabe, auf weißem Papier, aber mit Schriftzeichen, die weniger als ein Drittel der Größe von denen in der ersteren messen. Die Bände haben eine Größe von 20x13'/. cm, jedes Blatt ist n 12 Vertikal-Spalten geteilt, jede Spalte enthält 38 Schriftzeichen. So ist es gelungen, das Ganze in 1636 kleinere Bände zusammenzudrängen, ohne daß der Text etwa undeutlich genannt werden könnte. Das Werk wird meist in zwölf hübschen zusammensetzbaren Holzkästen verkauft und kostete noch vor zehn Jahren etwa 400 mex. Dollar, damals ungefähr S00 Mark. Heute dürfte aber der Preis nicht unerheblich gestiegen sein, da die Auflage nahezu vergriffen ist, gewiß ein bedeutungsvolles Zeichen für die Brauchbarkeit. Von dieser Ausgabe sind eine größere Anzahl von Exemplaren in Europa und ‘Amerika vorhanden, in Berlin allein mindestens drei, ich selbst besitze auch eins. Wenn im vorigen Jahre von Frankfurt a. M. in den Zeitungen geschrieben wurde, daß es „nach jahrelangen Anstrengungen“ gelungen sei, ein Exemplar für die dortige Bibliothek zu erwerben, so ist schwer zu verstehen, worin diese Anstrengungen bestanden haben. Jede größere Buchhandlung in Schanghai oder Japan vermittelt den Kauf ohne weiteres. Zum Schluß noch emige Worte über die Bedeutung, die das T’u schu ts} tsch’öng gerade für den abendländischen Sinologen hat. Bei der überwältigenden Fülle der chinesischen Literatur auf allen Wissensgebieten ist es für den letzteren meist schwer, sich rasch und zuverlässig über eine auftauchende Frage zu unterrichten, selbst wenn eine gute chinesische Bibliothek für ihn erreichbar ist. Dank den vortreiflichen Registern der Enzyklopädie kann er sich in solchem Falle, und zwar fast immer mit Aussicht auf Erfolg, an das Universalwerk wenden, und er wird dort, wenn nicht vollständige Aufklärung, wenigstens einen Faden finden, der ihn weiterleitet, sei es zu anderen nutzbaren Stellen der Enzyklopädie, sei es zu Originalwerken, aus denen die letztere geschöpft hat. Manche Zwei wichtige literarische Erwerbungen. 19 wissenschaftliche Aufgabe würde für die Simologie nie zu lösen gewesen sein, hätte ihr nicht die Enzyklopädie mit ihren unerschöpflichen Schätzen als Wegweiser und Helfer zur Seite gestanden. Ihre leichte Benutzbarkeit und somit ihre Wichtigkeit ist noch gesteigert worden durch den englischen Index, den der mehrfach erwähnte Lionel Giles im Jahre 1911 veröffentlicht hat, und in dem die Titel von den 6109 Abschnitten der 32 Abteilungen (s. oben) englisch wiedergegeben und alphabetisch mit Stellenangaben geordnet sind. Das T’u schu tsö tsch’öng ist im der Tat zu einem unentbehrlichen Werkzeuge des Sinologen geworden und muß den Grundstock einer jeden chinesischen Bibliothek bilden. Das Hamburegische Seminar mag sich glücklich schätzen, daß es dieses Werkzeug im einer so wundervollen Form besitzt. Eingegangen am 20. Juli 1915. Gedruckt bei Lüteke & Wulff, E. H. Senats Buchdruckerm. id RA: SE AS SMITHSONIAN INSTITUTION LIBRA ii i il i ii in Gedruckt bei Lüteke & Wulff, E. H. Senats Buchdruckern.